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German Pages 397 [432] Year 1920
Einführung in die
Bakteriologie Zum Gebrauch bei Vorlesungen und Übungen sowie zum Selbstunterricht für Ärzte und Tierärzte Von
Prof. Dr. Walther Kruse Direktor des Hyg. Instituts der Universität Leipzig Geheimer Medizinalrat
Mit 8 0 Figuren im Text und auf einer Tafel
Berlin und Leipzig 1920
Vereinigung wissenschaftlicher
Verleger
Walter de Gruyter & Co. Tormals G. J. Göschen'sehe Verlagshandlung •: J. Guttentag, VerlagsbhchhaadluDg :: Georg Reimer :: Karl J . Triibner :-. Veit_& (¿omp.
Alle Rechte, einschließlich des Übersetzungsrechts, vorbehalten.
Druck von Metzger & Wittig in Leipzig.
Vorwort. Das vorliegende Buch ist aus Vorlesungen hervorgegangen, die ich in Verbindung mit bakteriologischen Übungen zu halten pflege. Die Anordnung habe ich auf Grund von fast 30 Jahre gesammelten Erfahrungen gewählt. Sie wird sich hoffentlich auch für diejenigen bewähren, die im Selbstunterricht ihre bakteriologischen Kenntnisse wieder auffrischen oder solche erst erwerben wollen. Die dem jungen Mediziner für die Bakteriologie zur Verfügung stehende Zeit ist jetzt .verhältnismäßig gering und wird auch, wenn die so notwendige Verlängerung des Studiums durchgeführt sein wird, nicht wesentlich reichlicher sein. Die deshalb gebotene Kürze habe ich dadurch erreicht, daß ich alles Überflüssige, von dem mehr als man sich meist bewußt wird, in den Lehrbüchern fortgeschleppt wird oder sich in neuen Veröffentlichungen anhäuft, fortgelassen habe. Auf dem Gebiet der bakteriologischen Diagnostik ist das um so mehr möglich, als dem praktischen Arzt heutzutage in den bakteriologischen Untersuchungsämtern eine erfreuliche, ja unersetzliche Hilfe erwachsen ist. Desto größeren Wert habe ich darauf gelegt, die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge und vor allem die Grundlagen der Ansteckungs-, Seuchen- und Immunitätslehre klar zu legen. Nebenbei habe ich mich bemüht, unnötige Fremdwörter auszumerzen. Unser wissenschaftliches Schrifttum leidet bekanntlich allzusehr unter ihnen. Leipzig, im April 1920.
Kruse.
Inhalts Verzeichnis. 1. A b s c h n i t t . 2. 3. 4. 6.
Abschnitt. Abschnitt. Abschnitt. Abschnitt.
6. A b s c h n i t t . 7. A b s c h n i t t . 8. A b s c h n i t t . 9. 10. 11. 12. 13. 14. 16.
Abschnitt. Abschnitt. Abschnitt. Abschnitt. Abschnitt. Abschnitt. Abschnitt.
16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 26. 26. 27. 28. 29.
Abschnitt. Absohnitt. Abschnitt. Abschnitt. Abschnitt. Abschnitt. Abschnitt. Abschnitt. Abschnitt. Abschnitt. Abschnitt. Abschnitt. Abschnitt. Abschnitt.
30. 31. 32. 33. 34. 35.
Abschnitt. Abschnitt. Abschnitt. Abschnitt. Abschnitt. Abschnitt.
Einleitung. Übersicht über die verschiedenen Klassen von Kleinwesen Bedeutung der Kleinwesen Mikroskopische Untersuchung der Kleinwesen Verfahren zur Reinzüchtung Harmlose Kleinwesen. Farbstoffbildner, Fäulnis- und Gärungserreger Eiterung und Eiterkokken Lanzettkokken. Streptococcus lacticus und lanceolatus Semmelkokken. Micrococcus gonorrhoeae und meningitidis Kolibazillen und andere Darm-Bakterien Typhusbazillen Paratyphus und Fleischvergiftung Ruhramöben und andere Protozoen des Darms . . . . Ruhrbazillen Cholera- und choleraähnliche Kommabazillen Kleinwesen des Wassers und Bodens, der Luft, der Milch und anderer Nahrungsmittel Influenza- und andere blutfarbstoffliebende Bazillen . . Bubonenpest und hämorrhagische Septizämie . . . Milzbrand- und Rotlaufbazillen Luftscheue Bakterien (Anaerobier) Die Gruppe der Diphtheriebazillen Gruppe des Rotzbazillus. Tuberkelbazillen und andere säurefeste Bazillen . . . . Strahlenpilze (Aktinomyzeten) Faden- und Sproßpilze Spirochaeten Trypanosomen . Malariaerreger und andere Schmarotzer von Blutkörpern Unsichtbare Erreger (Aphanozoen) _ Die durch Kleinwesen verursachten Krankheiten im allgemeinen Bedingungen der Ansteckung Gifte und Gegengifte der Kleinwesen Die natürliche und künstliche Abwehr der Infektion Schutz- und Heilimpfungen Immunkörper Entkeimung und Entseuchung
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1 17 26 32 37 50 65 76 86 101 118 130 138 150 163 176 184 193 205 218 233 240 255 260 268 278 285 296 311 324 335 343 369 376 384
Erster Abschnitt. Einleitung.
Übersicht über die verschiedenen Klassen von Kleinwesen.
Im ursprünglichen Sinne bedeutet B a k t e r i o l o g i e zwar nur die Lehre von den Bakterien, die Entwicklung dieser Wissenschaft hat aber dahin geführt, daß die Bakteriologen sich auch mit einer ganzen Reihe anderer K l e i n w e s e n (Mikrobien, Mikroorganismen) beschäftigen Der Sprachgebrauch hat sich dem angeschlossen und versteht unter Bakteriologie das, was man eigentlich Mikrobiologie nennen sollte. In diesem weiteren Umfange fassen auch wir hier unsere Wissenschaft auf. Dabei müssen wir freilich eine Beschränkung anbringen: nicht alle Lebewesen, die mikroskopisch klein sind, machen wir zum Gegenstand unserer Forschungen, sondern im wesentlichen nur diejenigen, die als Erreger von Z e r s e t z u n g e n aller Art und als Schmarotzer und K r a n k h e i t s u r s a c h e n von Bedeutung sind, schließen deshalb aus unserer Besprechung z. B. die mikroskopischen Algen, die zu den echten Pflanzen, und die große Masse von Protozoen, die zu den echten Tieren gehören, aus. Auf die Bedeutung und Geschichte der Bakteriologie werden wir im 2. Abschnitt und später zurückkommen; die Aufgabe dieses 1. Abschnitts soll sein, in Kürze die äußeren mikroskopischen Eigenschaften der Kleinwesen zu kennzeichnen. Unsere Mikrobien lassen sich in 4 Klassen unterbringen: 1. die B a k t e r i e n (Spaltpilze, Schizomyzeten), 2. die Pilze (Schimmel- und Hefepilze), 3. die P r o t o z ö e n (Urtiere, einzellige Tiere), 4. die Aphanozoen (ultramikroskopische, unsichtbare Wesen). Die Vertreter der ersten, wichtigsten Gruppe, die B a k t e r i e n , galten lange Zeit, d. h. bis zur Entdeckung der Aphanozoen, als die K r u s e , Lehrbuch der Bakteriologie.
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Erster Abschnitt
kleinsten Wesen, die es überhaupt gibt. In der Tat bewegt sich ihr mittlerer Durchmesser um die Größe von 1/n (Mikron = 0 - 0 0 1 mm); d.h., 1000 von ihnen aneinander gereiht, füllen erst eine Strecke von 1 Millimeter aus, 40 bis 50 Bakterien, durchschnittlicher Größe sind nötig, um eine Fläche so groß wie eine rote Blutscheibe zu bedecken, und eine Milliarde von ihnen wiegt nur 1 Milligrainm. Im übrigen schwankt natürlich auch die Größe der einzelnen Bakterienarten, von Bruchteilen eines Mikron, z. B. beim sog. Influenzabazillus, bis zu mehreren Mikren, z. B. beim Milzbrandbazillus. Ihrer Kleinheit entspricht die E i n f a c h h e i t ihres Baues: sie sind (außer den Aphanozoen, s. u.) die einzigen Lebewesen, bei denen trotz reichlicher Bemühungen mit Sicherheit weder ein Kern noch eine geschlechtliche F o r t p f l a n z u n g nachgewiesen worden ist. Allerdings lassen sich innerhalb der Bakterien (z. B. Milzbrand- und Diphtheriebazillen) allerhand kömige oder schollige Gebilde färben, aber dieselben sind so wenig beständig, und einheitlich, ähneln so wenig echten Kernen, daß man sie nicht als solche anerkennen kann. Das Verhalten der Bakterien gegenüber den Kern-, besonders den Anilinfarben, die gewöhnlich an dem ganzen Bakterienleib haften, spricht vielleicht eher dafür, daß bei diesen einfachen Lebewesen die Kernstoffe sich noch nicht von dem Protoplasma getrennt haben, sondern in diesem gleichmäßig verteilt sind. Wie dem auch sei, die e i g e n t ü m liche F ä r b b a r k e i t der Bakterien ist eins ihrer wichtigsten Merkmale und ist für ihre Nachweisbarkeit von großer Bedeutung geworden (vgl. Abschnitt 3). Weniger Schwierigkeit macht, wenigstens in gewissen Fällen, der Nachweis einer Zellhaui" bei den Bakterien, wenn sie auch derjenigen von Pflanzenzellen nicht gleichgestellt werden kann. Z. B. bei der Sporenbildung und dem Absterben vieler Bakterien, ferner bei der Einwirkung starker Salzlösungen auf sie (Plasmolyse) begegnen wir Bildern, die deutlich für das Vorhandensein einer Zellhaut sprechen. Daß mindestens eine festere Grenzschicht das Protoplasma von außen bekleidet, folgt aber schon aus der Tatsache, daß die Bakterien trotz der halbweichen Beschaffenheit ihres Leibes ihre Gestalt gegenüber äußeren Angriffen behalten. Damit kommen wir zu der G e s t a l t der Bakterien. Sie läßt sich auf folgende Grundformen zurückführen: auf das Kügelchen (Coccus), das abgerundete walzenförmige S t ä b c h e n (Bacillus) und die Schraube, d. h. das schraubenförmig gewundene Stäbchen (Spirillum). Da aus dem Kügelchen durch Vermehrung immer nur Kügelchen, aus den Stäbchen nur Stäbchen und aus den Schrauben nur Schrauben hervorgehen, hat man darauf 3 Hauptfamilien der Bakterien, nämlich
Einleitung.
Übersicht über die verschiedenen Klassen von Kleinwesen
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1. die Kokken (Coccaceae), 2. die Bazillen (Batillaceae) und 3. die Spirillen (Spirillaceae) gründen können. Die Vermehrung der Bakterien erfolgt in der Weise, daß sich die einzelne Zelle durch Wachstum nach einer Richtung mehr oder weniger in die Länge streckt und dann senkrecht dazu in 2 gleichgroße Hälften spaltet. Je nachdem die Zellen größer oder kleiner sind, je nachdem die Teilung nach der Längsstreckung früher oder später eintritt, und die Teilstücke sich voneinander trennen oder miteinander in Verbindung bleiben, entstehen verschiedene Bilder. Bei den Kokken (Fig. 1) wird die Mannigfaltigkeit der Formen noch dadurch erhöht, daß bei ihnen nicht nur das Wachstum nach einer Richtung möglich ist, sondern nach zwei oder gar drei zueinander senkrechten Richtungen. Wachsen die Kokken nach einer Richtung, und bleiben die, einzelnen Glieder nach der Teilung miteinander in Zusammenhang, so entstehen die Ketten- oder Streptokokken. Z. B. bildet der Streptococcus pyogenes oft schön geschwungene Ketten mit Hunderten von Einzel1. Kokken in Ketten-, gliedern. Nicht selten folgen sich die Teilungen Fig. Semmel-, Lanzett-, Haufenund Paketform. dabei so überstürzt, daß die Einzelglieder der Kette nicht mehr rundlich, sondern abgeplattet, semmelförmig, ja scheibenförmig aussehen; man spricht daher auch wohl von „Stacketkokken". Umgekehrt gibt es Streptokokken, die sich gewissermaßen zu spät teilen, deren Glieder daher Kurzstäbchen ähneln. Wenn dergleichen Ketten nur aus aneinandergereihten Kettenpaaren (Diplokokken) bestehen, sind die Einzelkokken häufig an ihrem benachbarten Ende abgeflacht und an d^m entgegengesetzten zugespitzt, so daß sie „lanzettförmig" oder „flammenförmig" erscheinen (Streptococcus lanceolatus und lacticus). Wachsen und teilen sich die Kokken abwechselnd nach 2 Richtungen des Raumes, die aufeinander senkrecht stehen, und bleiben die Teilstücke zusammen, so bilden sich Vierecke oder Tafeln von 4, 16 usw. Gliedern. Hierher gehören z. B. der Micrococcus tetrag'enus, aber auch die Mikrokokken der Gonorrhöe und der Meningitis-; Diese beiden sind noch insofern ausgezeichnet, als sie sich vor ihrer Streckung teilen und dadurch, wenn sie zu zweien liegen, fast halbkugelförmige „Semmelkokken", wenn sie zu vieren liegen, viertelkugelförmige Glieder bilden. Wachsen schließlich die Kokken nach 3 Richtungen des Raumes, so entstehen dadurch waarenballenartige Gruppen von 8, 64 usw. Gliedern* die sog. P a k e t k o k k e n oder Sarzinen. l*
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Erster Abschnitt
Da diese Wachstumsweisen beständige Merkmale darstellen, können wir danach die Familie der Kokken in die 3 Gattungen
so
1. S t r e p t o c o c c u s , 2. M i c r o c o c c u s , 3. S a r c i n a einteilen. Nicht immer ist es allerdings auf den ersten Blick möglich, einen Kokkus in dieser oder jener Gruppe unterzubringen. Selbst bei Reinkulturen, die man lange Zeit in ihrer Entwicklung beobachten kann, macht das manchmal Schwierig, keiten, weil, die Kokken sich nach ihrer Teilung zu schnell voneinander lösen und sich gegeneinander verschieben. Unzweckmäßig wäre es aber, etwa für solche Kokken, die gewöhnlich als Einzel- oder Doppelkokken auftreten, nun eine neue Gattung „Diplococcus" einzuführen. Denn alle Kokken, gleich, gültig,-ob sie sich nach einer Achse ihres Körpers oder auch nach 2 oder 3 Achsen teilen, werden als Doppelkokken und nicht als Ketten, Vierecke oder Packete erscheinen, wenn sie-sich bald nach einer Teilung voneinander trennen. Für diejenigen Fälle, in denen man keine bestimmte Art des Wachstums festlegen kann, empfiehlt sioh die Einreihung in die Gattung Micrococcus. Auch der Name Staphylokokken (Traubenkokken) f ü r diejenigen Kokken, die in unregelmäßigen Haufen erscheinen, ist als Gattungsname unzweckmäßig, weil derartige Formen durch Verschiebung der Teilstücke gegeneinander — gelegentlich z. B. auch bei Streptokokken — entstehen und also nicht der Ausdruck eines bestimmten Wachstums, einer besonderen Teilungsweise sind. Auch nicht als Gattungsnamen, sondern nur als kurze Bezeichnungen für bestimmte Arten (sog. Vulgärnamen) kommen in Betracht Ausdrücke wie Pneumo-, Gono-, Meningo-, Laktokokken. Die B a z i l l e n oder S t ä b c h e n (s. Fig. 2) zeigen insofern einfachere Verhältnisse als die Kokken, weil sie nur nach e i n e r Richtung, der Längenachse ihres walzenförmigen Körpers entsprechend, wachsen und sich senkrecht dazu teilen können. Das schließt nicht aus, daß auch bei den Bazillen große Unterschiede vorkommen, zunächst in der Größe, d. h. der Gflsamtausdehnung ihres Körpers. Der oben erwähnte winzige Influenzaund der riesige Milzbrandbacillus sind Beispiele dafür. Weiter ergeben sich auch hier durchaus ungleiche Bilder, je nachdem die Stäbchen früher oder später zur Teilung und Trennung ^ Flg. 2. Bazillen. Große und kleine, schlanke und plumpe, schreiten. Manchmal, so beim Bac. ketten- und iadenbildende Stäbchen. pneumoniae und aerogenes, geht die Teilung und Trennujig der Teilstücke so schnell vor sich, daß dieselben eiförmig, ja rund aussehen, und nur die sorgfältige Prüfung der Kultur die
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Anwesenheit einiger längerer Stäbchen oder sogar Fäden und dadurch die Zugehörigkeit zu den Bazillen beweist. Nach dem Verhältnis des Längenzum Dickendurchmesser unterscheidet man plumpe und schlanke, K u r z und L a n g s t ä b c h e n und nach dem Zusammenhalt zwischen ihnen Einzel-, D o p p e l s t ä b c h e n (Diplobazillen), S t ä b c h e n k e t t e n (Streptobaziüen) und, wenn man die Zellgrenze nur undeutlich oder erst mit besonderen Hilfsmitteln erkennen kann, wie bei den Milzbrandbazillen, S c h e i n f ä d e n . Leider sind alle diese Merkmale nicht gerade sehr beständig, so daß wir sie kaum benutzen können, um die Familie der Bazillen in Gattungen zu gliedern. Die meisten Bakteriologen haben sich deswegen in dieser Familie mit der e i n z i g e n , allerdings ungeheuer umfangreichen G a t t u n g B a c i l l u s begnügt. Viele Versuche sind gemacht worden, um darin Wandel au schaffen. So hat man schon früh die beiden Gattungen „Bacterium" und „Bacillus" da-
Fig. 3. Bakteriensporen, teils innerhalb von Stäbchen, teils frei. Köpfchen-, Keulenund Elostrldensporen. Die Sporen erscheinen als helle Lücken in dem gefärbten Bakterium.
Fig. 4. Bakterien mit Geißeln (gefärbt),
durch bestimmen wollen, daß nur die letzteren imstande seien, durch ZusammenZiehung und Einkapselung des Protoplasmas im Innern der Zellen glänzende Körner, sog. endogene Sporen (Endosporen), d. h. Dauerzustände (Fig. 3) zu bilden. Wir kommen auf diese Sporenbildung bei den Heubazillen (Abschn. 6) und später auch bei den Milzbrand-, Tetanusbazillen usw. ausführlich zurück. So wenig wir die wissenschaftliche Zulässigkeit einer derartigen Trennung be streiten, so sehr leugnen wir ihre Zweckmäßigkeit. Zunächst kann es nur Verwirrung stiften, wenn man eine einzelne Gattung mit demselben Namen belegt, welche die ganze K l a s s e führt. Deswegen allein schon hat sich auch diese Benennung durchaus nicht eingeführt. Um so bedenklicher war sie, als von anderer Seite dieselben Gattungsnamen in ganz anderem Sinne gebraucht wurden, nämlich Bacterium für die unbeweglichen und Bacillus für die (durch Seitengeißeln) beweglichen Stäbchen. Einigen Wert besitzen allerdings Fehlen, Vorhandensein und ebenso die Anordnung der die Bewegung vermittelnden Geißeln (Fig. 4) als Merkmale für die Gruppierung der Bazillen; aber die "Bezeichnung der beiden Gattungen ist aus dem schon angegebenen Grunde keine
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Erster Abschnitt
glückliche. Jedenfalls hat auch sie sich keine Anerkennung erworben. Aber auch aus einem anderen Grunde werden wir uns nicht darauf versteifen, solche Gattungsunterschiede aufzustellen: Sporenbildüng und Beweglichkeit-sind nämlich keineswegs ganz beständige und unter allen Umständen leioht feststellbare Eigenschaften. Eher scheint es sich zu empfehlen, die sog- G r a m f e s t i g k e i t und Säuref e s t i g k e i t , d. h. färbeMsche Eigentümlichkeiten, die wir später (s. 3. Abschnitt) näher kennen lernen werden, als Unterscheidungsmerkmale für bestimmte Bazillengeschlechter zu verwenden. Doch dünkt uns das Bedürfnis nach Schaffung neuer Gattungsnamen laicht groß genug und die Aussicht, sie im Sprachgebrauch durchzusetzen, recht gering. Der klassische „Tuberkelbazillus" wird ßich von dem „Mycobacterium tubereulosis" eben nicht verdrängen lassen. Alles in allem werden wir gut tun, bei der einen Gattung Bacillus zu bleiben, was uns aber nicht zu hindern brauoht, die natürlichen Verwandtschaften, die sich zwischen diesen und jenen Arten von Bazillen unleugbar finden, durch Bildung von Gruppen zu berücksichtigen. Diesen lateinische Kamen zu geben, ist unnötig.- Es genügt durchaus, sie, wie wir es im folgenden tun werden, als Gruppe der Heubazillen, der langen Milchsäurebazillen, der Diphtherie- und Tuberkelbazillen, der Coli- und Typhus-, Aerogenes- und Ruhr-, Septizämieund Influenzabazillen zu bezeichnen. Die schraubenförmig gewundenen Stäbchen oder S p i r i l l e n (Fig. 5) wachsen ebenfalls nur nach e i n e r Richtung, die ihrer Längsachse entspricht. Auch sie zeigen große Unterschiede in der Größe und teilen sich bald früher, so daß sie nur als kurze Schraubenstückchen, „kommaförmig", erscheinen, bald später. Weil die Spirillen gekrümmt sind, kommt für sie noch eine Möglichkeit der Unterscheidung in Betracht, die bei den Bazillen fehlt: die Schrauben können w e i t e r o d e r e n g e r g e w u n d e n sein. All das rechtfertigt aber noch nicht die Aufstellung verschiedener Gattungen. Wir begnügen uns auch hier mit der e i n ein G a t t u n g Spirillum. Fig. 6. Spirillen. Riesenspirilleu (Jauche), feine Kommabazillen oder . Spirillen (Cholera).
Die durch eine oder wenige Polgeißeln beweglichen Kommabazillen als „Vibrionen" von den eigentlichen, mit einem Geißelschopf versehenen „Spirillen" abzutrennen, ist überflüssig und unzweckmäßig, weil alle Übergänge zwischen Kommabazillen und Schrauben vorkommen und viele echte Kommabazillen dazu gebracht werden können, ausschließlich lange Schrauben zu bilden; dann aber auch, weil die Art der Begeißelung kein ganz beständiges Merkmal darstellt. Mit den eigentlichen Bakterien, die wir in die besprochenen Hauptfamilien untergebracht haben, haben andere Formen zwar die wichtigsten Eigenschaften gemein, entfernen sich aber von ihnen durch Eigentümlichkeiten, die sie mit anderen Lebewesen, und zwar teils mit den Pilzen, teils mit den Algen, teils mit den Protozoen verbinden. Die V e r w a n d t s c h a f t d e r B a k t e r i e n m i t d e n P i l z e n ist i m
Einleitaug.
Übersicht über die verschiedenen Klassen von Kleinwesen
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allgemeinen keine so deutliche, wie man aus der von, Naegeli eingeführten Benennung der Bakterien als „Spaltpilze" (Schizomyzeten) schließen sollte. Fast die einzige Eigenschaft, die sie alle miteinander gemein haben, ist das Fehlen des Chlorophylls. Eine größere Annäherung an die Pilze zeigt allerdings die Familie der S t r a h l e n p i l z e (Aktinomyzeten), die man zeitweise „Streptotricheen" genannt hat. Die Ähnlichkeit mit Fadenpilzen ist wegen des verzweigten Fadennetzes, das sie bilden (Fig. 6), wegen der „Sporen", die sie oft auf frei in die Luft ragenden Fäden reihenweise abschnüren und wegen ihres „muffigen" Geruchs nicht zu verkennen. Andererseits sind sie aber
Fig. 6. Strahlenpilze. FadengerQst und Sporenfäden.
durch die Zusammensetzung ihres Körpers, das Fehlen von Kernen, den häufigen Zerfall in völlig bakterienartige Teilstücke, und schließlich durch zahlreiche Übergänge zu richtigen Bakterienarten (Tuberkel-, Diphtherie-, Rotlaufbazillen) von den Pilzen geschieden. Die Verwandtschaft mit den letzteren scheint also nur eine äußerliche, ihre Abstammung voneinander zweifelhaft zu sein. Wir können sie darum P i l z b a k t e r i e n oder Mykobakterien nennen und sie jedenfalls nicht, wie manchmal geschehen ist, mit echten Pilzen, den Hyphomyzeten, vereinigen. Auch von den einzelligen Tieren, den Protozoen, unterscheiden sich die Bakterien durch ihren einfachen Bau, das Fehlen des Kerns und der Fähigkeit, ihren Körper zusammenzuziehen (Kontraktilität). Zwar sind die längeren Formen der Bazillen und mancher Spirillen durchaus
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Erster Abschnitt
nicht immer stari, sondern auch etwas biegsam, so daß sie schlängelnde Bewegungen zeigen können, doch scheinen diese nicht von dem Körper selbst, sondern teils durch die Geißeln, die an ihm sitzen, teils durch die äußeren Widerstände bewirkt zu werden. Nur die S p i r o c h ä t e n (Fig. 7), die' ihrer Form nach durchaus den Spirillen entsprechen, manchen eine Ausnahme davon, sie bewegen sich nicht nur wie Schrauben nach vorn oder hinten, sondern auch peitscheaschnurartig, was ihnen wohl nur durch eigene Kontraktionen möglich wird. Das hat nicht gehindert, daß man sie früher im allgemeinen zu den Bakterien in die Familie der Spirillen gestellt hat. Neuerdings, nachdem man einerseits eine Reihe von Spirochäteninfektionen (außer Rekurrens und tierischen Krankheiten namentlich Syphilis) und andererseits die durch schraubenförmig gewundene Protozoen, die sog. Trypanosomen, verursachten Krankheiten (Tsetee der Haustiere, Beschälseuche der Pferde, Schlafkrankheit des Menschen) kennen gelernt Flg. 7. Spirochäten, teils peltBchenschnur- hat, ist man wegen der Ähnlichkeit dieser artig, teils Icorkziehorähnlich. Krankheiten sowohl wie ihrer Parasiten dazu bewogen worden, die Verwandtschaft der Spirochäten und Trypanosomen näher zu erörtern. Ja, manche Zoologen haben die ersteren Völlig von de® Bakterien getrennt und zu den Protozoen gestellt. Wir halten auch hier die Ähnlichkeit mit den Protozoen für eine äußerliche und schlagen vor, die Spirochäten als eine besondere Familie den Spirillen unter dem Namen der T i e r - oder Z o o b a k t e r i e n anzuschließen. Aber nicht nur zu den Pilzen und Protozoen, sondern auch zu einer dritten Klasse einzelliger Wesen, den A l g e n , haben manche Bakterien gewisse Beziehungen. Die P h y k o c h r o m a c e e n hat schon der Botaniker Ferd. Cohn als „Spaltalgen" oder Sshizophyzeen mit den Spaltpilzen oder Schizomyzeten Nat gelis zu einer Gruppe, den „Spaltpflanzen" oder Schizophyten, vereinigt und die einzelnen Gattungen derselben miteinander in Parallele gestellt. Gemeinsam haben sie allerdings das Fehlen des echten Zellkerns, die Teilung durch Spaltung und sämtliche Formen. Verschieden sind die Bakterien durch die Kleinheit ihrer Zellen, das Fehlen des Chlorophylls, das natürlich eine ändere Ernährungsweise mit sich bringt, die Zusammensetzung ihrer Zellhaut, oft durch die Ausbildung von endogenen Sporen und Geißeln. Es gibt aber doch bakterienähnliche und darum von jeher zu den Bakterien gerechnete Formen, die den Spaltalgen durch ihre Größe und gelegentlich zusammengesetzte Form („Polymorphismus"), durch das Vorhandensein eines sog. Zenträlkörpers, durch ihre eigentümliche, ohne- Vermittlung von Geißeln vor sich gehende Bewegungsweise (Gleitbewegung, Gregarinenbewegung s. u.) noch näher stehen. Dazu gehören die
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unter dem Namen L e p t o t h r i x , C l a d o t h r i x , C r e n o t h r i x (Fig. 8) usw. geführten Gattungen, die auch wegen ihres Vorkommens in eisenhaltigem Wasser
als „Desmobakterien" oder „Chlamydobakterien" bezeichnet worden sind. Eins besondere Gruppe bilden die S c h w e f e l b a k t e r i e n . Sie nähren sich von Schwefelwasserstoff, den sie zu Schwefel verbrennen und in Körnerform ablagern, treten in mannigfaltigen Formen, die oft echten Bakterien ähneln, auf und sind zum Teil noch durch einen roten Farbstoff ausgezeichnet (Purpurbakterien). Wir wollen diese sämtlich im Wasser lebenden Formen (vgl. Abschnitt 15) A l g e n b a k t e r i e n oder P h y k o b a k t e r i e n nennen. Bei Bakterien sehr verbreitet ist das Vermögen, sichtbaren Schleim auszuscheiden (Fig. 9). So hat man von „Askokokken", „Askobakterien" und „Kapselbakterien" in solchen Fällen gesprochen, wo die Bakterien Fig. 9. Bakterien mit Schleimkapseln, e i n z e l n von einer schleimigen bis knorpelharten Hülle sich umgeben zeigen und hat die Schleimkolonien, die''in' oft vielgestaltigen Formen in Aufgüssen organischer Stoffe vor-
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Erster Abschnitt
kommen, als Zooglöen mit besonderen Beinamen bezeichnet. Wir kommen auf diese Verschleimung der Bakterienhaut — denn als solche läßt sich der Vorgang deuten — noch öfter zurück. Wenn auch das Kügelchen, das Stäbchen und die Schraube die Grundformen der Bakterien vorstellen, so werden doch gar nicht selten, besonders in alten Kulturen oder unter Umständen, die auf Wachstumshemmung deuten, bei allen diesen Bakterien gelegentlich unregelmäßige, oft abenteuerlich aussehende, blasige, schlauch- oder wurstförmige Gestalten beobachtet und als I n v o l u t i o n s - oder E n t a r t u n g s - oder R i e s e n f o r m e n bezeichnet. Nicht immer sind sie aber im Absterben begriffen, sondern vielfach durchaus entwicklungsfähige Keime (Fig. 10). Eine Bedeutung für die Systematik wohnt ihnen nicht inne.
Fig. 10. Cssigbakterien. Rieaeufonoeu.
Fig. 11. Bierhefe. Sproßmyzel.
Die 2. Klasse der Kleinwesen, die der P i l z e , ist an sich außerordentlich viel reicher an Gestalten, als die der Bakterien. Wir können uns aber über sie kürzer fassen, weil es unter ihnen kaum einen einzigen Krankheitserreger gibt, der so wichtig für den Arzt ist, wie zahlreiche Bakterien. Das eingehende Studium der Pilze überlassen wir daher Botanikern, den eigentlichen „Mykologen" und beschränken uns im folgenden auf grundlegende Bemerkungen. Die Pilze unterscheiden sich schon durch ihre Größe von den Bakterien. Das rührt nicht bloß daher, daß sie meist, wie die oben erwähnten Strahlenpilze, in verästelten Zellen oder Zellverbänden, den sog. Myz e l i e n , auftreten, sondern daß auch die vereinzelten Zellen erheblich größer zu sein pflegen als die Bakterien. Die oben erwähnten Myzelien entstehen auf zweierlei Weise. Das überwiegend verbreitete F a d e n m y z e l stellt ein fädiges Gerüst dar, das durch das Auswachsen und die Verzweigung einer schlauchartigen Zelle entsteht. Im einfachsten falle, bei den Algenpilzen ( P h y k o m y z e t e n ) , bleiben die Zellen
Einleitung.
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dabei ungeteilt; bei den M y k o m y z e t e n oder e c h t e n P i l z e n teilen sie sich durch Querwände, die in gewissen Abständen sich ausbilden. Das Wachstum geht im wesentlichen nur an der Spitze der Fäden vor sich, wo man dann auch den mehr oder weniger feinkörnigen öder auch ganz durchsichtigen Zellinhalt findet, während die älteren Fadenteile stark mit Blasen durchsetzt oder fast leer erscheinen. Dem fädigen steht gegenüber das S p r o ß m y z e l , das den S p r o ß p i l z e n ( B l a s t o m y z e t e n ) , d. h. Hefepilzen, ihren Namen gegeben hat (Fig. 11). Hier sind die einzelnen Zellen rundlich oder eiförmig, selten schlauchförmig. Sie wachsen in der Weise, daß sich an verschiedenen Stellen der Zellwand bruchsackartige Ausstülpungen entwickeln und bei einer gewissen Große vom Mutterkörper abschnüren. — Allerdings ist ein größerer Gegensatz im mikroskopischen Bilde kaum denkbar, als der zwischen Faden- und Sproßmyzel. Doch läßt sich die früher beliebte scharfe Trennung von Sproß- und Fadenpilzen nicht aufrecht erhalten: es kommen Übergänge von beiden Seiten aus vor, ja B r e f e l d hat uns gelehrt, daß das Sproßmyzel, z. B. bei den Brandpilzen, nur ein vorübergehender Zustand in der Entwicklung von Fadenpilzen ist. Es liegt deshalb kein Grund vor, die Hefepilze aus der Gemeinschaft der übrigen Pilze herauszuheben. Im Gegensatz zu den Bakterien und den Pilzbakterien sind die Pilze mit deutlicher Zellhaut, Protoplasma und Kernen ausgestattet, wenn auch der Nachweis der letzteren nicht immer leicht gelingt. Bewegungsorgane vermissen wir im allgemeinen bei den Pilzen, weil sie unbeweglich sind. Eine Ausnahme machen nur die sog. Schwärmsporen der Algenpilze, die eine Zeit lang, d. h. bis sie sich seßhaft gemacht haben, durch Geißeln ähnlich den tierischen Flagellaten (s. u.) sich fortbewegen. Während bei den echten Bakterien das Wachstum stets auch zur Vermehrung der Individuen führt und e'gentliche Fig. 12. Penicillium glaucum. Konidienfruehtträger Myzell aden Früchte nicht entwickelt ' werden, sondern höchstens jede Zelle sich zu e i n e m Dauerzustand, der Spore (Endospore) umbildet (s. o. Fig. 3)j vermehren sich die Pilze gewöhnlich durch sehr z a h l r e i c h e auch hier S p o r e n genannte Keimzellen, die meist in besonderen in die Luft ragenden Fruchtständen erzeugt werden.
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Zweierlei Hauptarten lassen sich unter diesen unterscheiden. Ektosporen oder K o n i d i e n werden durch Sprossung oder Abspaltung einzeln oder reihenweise an den Enden, seltener in der Mitte bestimmter Myzelzweige gebildet. Ein B3ispiel dafür ist der bekannte Schimmel Penicillium (Fig. 12). Die Endooder As kos poren entstehen dagegen im Innern von schlauchartigen Zellen zu 4, 8 oder vielen durch innere Zellteilung. Hierher gehört z. B. der Algenpilz Mucor (Fig. 13). Während diese beiden Arten der Sporenbildung zu reichlicher Vermehrung führen, gibt es bei den Pilzen aber noch andere Arten 4er Fortpflanzung, die mehr der Erhaltung dienen. Zum Beispiel werden bei den Pilzen, die auf der Haut schmarotzen (s. Abschnitt 21), öfter C h l a m y d o s p o r e n (Brutzellen oder Gemmen) gebildet, indem sich einzelne Glieder des kurzzelligen Myzels vergrößern und ihre Haut verdicken. Wenn sich sämtliche Zellen eines
Fig. IS.
Mucor. KapBelfruclit mit Askosporen.
Myzels in rundliche Keimzellen verwandeln, spricht man von Oidien oder Gliedersporen (s. Fig. 14). Gegenüber der Conidienbildung ist in solchen Fällen nicht immer eine Grenze zu ziehen. Schließlich werden bei vielen Pilzen durch Verschmelzung zweier gleicher oder ungleicher Zellen Zygo- oder Oosporen gebildet. Im letzteren Falle darf man von g e s c h l e c h t l i c h e r F o r t p f l a n z u n g sprechen. Bei den uns angehenden Pilzen spielt sie aber keine wesentliche Rolle. Die Schar der Pilze ist ungeheuer groß. Wir können im Laufe unserer Ausführungen (Abschnitt 5 und 24) nur auf wenige von ihnen eingehen. Die 3. Klasse der Mikroorganismen, die einzelligen Tiere (Urtiere) oder P r o t o z o e n , enthalten im Gegensatz zu den Pilzen und-Bakterien ausschließlich Formen, die mindestens auf gewissen Stufen ihrer ^Entwicklung beweglich sind. Die Art ihrer Bewegung läßt sieh auch bis zu einem gewissen Grade als Einteilungsmittel benutzen. Man kann 4 Ordnungen unterscheiden:
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Übersicht über die verschiedenen Klassen von Kleinwesen
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1. Die Amöben, 2. die Flagellaten, 3. die Ziliaten, 4. die Sporozoen. Die A m ö b e n (Rhizopoden, Sarkodinen) sind amöboid beweglich, d. h. durch P r o t o p l a s m a f o r t s ä t z e (Pseudopodien), die langsam aus- und eingezogen werden (Fig. 15). Oft scheint an dieser Bewegung nur der äußere durchsichtige Teil des Körpers, das Ektoplasma, sich selbständig zu beteiligen, während der innere körnige, oft blasige Teil, das Endoplasma, in der der Kern liegt,' nur dadurch mitbewegt wird. Die bald stumpfen, bald spitzen Pseudopodien dienen nicht nur zur Fortbewegung, sondern auch zur Nahrungsaufnahme, indem sie die Nahrungsbestandteile, z. B. Bakterien und Hl?/ rote Blutkörperchen, umfließen und in das Innere des Körpers befördern. Dabei werden sie meist in Blasen (Vakuolen)
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Fig. 14.
Oïdium lactis. Zerfallendes Myzel mit Gliedersporen.
Fig. 15. Protozoen aus Heuaufguß. Eine Amöbe (mit Zyste bei a), eine kleineFlagellate und ein großes Wimperinfusorium.
eingeschlossen und unterliegen in ihnen durch Verdauung oft sichtbaren Veränderungen. Mit diesen N a h r u n g s v a k u o l e n sind nicht zu verwechseln die bei frei lebenden Amöben oft vorhandenen pulsierenden V a k u o l e n , d. h. Blasen, die abwechselnd, z. B. in der Minute ein paarmal, sich zusammenziehen und wieder öffnen. Sie dienen wohl teils der Atmung, teils der Absonderung von Abfallstoffen, d. h. als eine Art von Lunge und Niere. Sobald die Amöben aufhören, sich zu bewegen, runden sie sich ab und können dann in
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Erster Abschnitt
einen endgültigen Ruhezustand übergehen, in dem sie sich mit einer oft doppelt und mehrfach geränderten Haut umgeben, sich e n z y s t i e r e n . Die Größe der Amöben schwankt in weiten Grenzen, die kleinsten von ihnen sind vielleicht etwas kleiner als weiße Blutkörperchen, andere, wie die Dysenterieamöben, sind so groß, daß sie 20 rote Blutkörperchen in ihrem Leibe aufspeichern können. Oft ist die Enzystierung die Vorbereitung für eine Vermehrung, die dann meist unter Bildung mehrerer oder zahlreicher, manchmal begeißelter Keime erfolgt. Sonst ist Zweiteilung der Zelle und des Kerns die Regel. Eine Art von Zellverschmelzung (Kopulation) soll vorkommen. Die F l a g e l l a t e n (Mastigophoren oder Geißelinfusorien) haben ihren Namen von einzelnen langen G e i ß e l n , mit denen sie sich außerordentlich lebhaft bewegen (Fig. 15). Ihre Körperform bleibt dabei, abgesehen von Kontraktionen, denen sie unterliegen können, erhalten, sei sie nun ursprünglich eine rundliche, ei- oder birnenförmige oder, wie bei den krankheitserregenden Trypanosomen (Abschnitt 26), eine schraubenartig gedrehte. Die Zahl der Geißeln schwankt etwa von 1—8. Sobald. mehrere vorhanden sind, wird ein Teil von ihnen gewissermaßen wie ein Steuer nachgeschleppt. Die Geißeln stehen öfters in Verbindung mit einem welligen Saum (der u n d u l i e r e n d e n M e m b r a n ) . Ihre Ursprungsstelle liegt öfter in einem kernartigen Gebilde (d itn Blepharoplast). Die Ernährung der Flagellaten erfolgt bei den parasitischen Tierchen regelmäßig durch Diffusion; bei manchen frei lebenden befindet sich am Grunde der Geißeln eine Art von Schlund, durch den die Nahrung in das Körperinnere hineingelangt. Manche Flagellaten enthalten auch Chlorophyllfarbstoff, ernähren sich also wie Pflanzen. Bezüglich der Größe, der pulsierenden Blasen, der Zysten und Vermehrung gilt das bei den Amöben Gesagte. Die Z i l i a t e n oder Wimperinfusorien bewegen sich nicht durch wenige Geißeln, sondern durch sehr zahlreiche kurze W i m p e r n , die dem Flimmersaum, z. B. der Luftröhrenschleimhaut, zu vergleichen sind, und die entweder den ganzen Körper oder wenigstens einen Teil davon bekleiden und auch wieder zu welligen Säumen oder zu Borsten oder stelzfußartigen Fortsätzen umgebildet werden können. Zum Teil können sie sich im erwachsenen Zustande auf S t i e l e n festsetzen, wie die Vortizellen und Suktorien, und verlieren dann unter Umständen vollständig ihren Wimpersaum. Die Ziliaten sind meist ei-, birn- oder spindelförmig, oft abgeplattet und im allgemeinen w e i t s t a t t l i c h e r als die A m ö b e n u n d F l a g e l l a t e n (Fig. 15). Dementsprechend ist ihr Bau auch oft ein verwickelter. So besitzen sie gewöhnlich einen mächtigen H a u p t k e r n und außerdem einen N e b e n k e r n , ferner zur Aufnahme der Nahrung einen mit W i m p e r s a u m v e r s e h e n e n S o h l u n d , der freilich bei den parasitischen Formen fehlen "--kann, weiter Nahrungsvakuolen, eine Art After zur Ausstoßung der Nahrungsreste, pulsierende Vakuolen, muskelähnliche Gebilde usw. Die Ziliaten vermehren sich mit oder ohne vorherige Z y s t e n b i l d u n g durch einfache Zweiteilung oder indem sie durch schnell wiederholte Zweiteilung „Schwärmsporen" bilden, die Suktorien auch durch Sprossung. Häufig ist eine mehr oder weniger der geschlechtlichen Fortpflanzung ähnelnde Zellverschmelzung ( K o p u l a t i o n ) oder wenigstens der Austausoh der Kernbestandteile durch K o n j u g a t i o n . Unter
Einleitung.
Übersicht über die verschiedenen Klassen von Kleinwesen
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Zystenbildung können sich die Ziliaten wie die Amöben und Flagellaten in recht zähe D a u e r z u s t ä n d e verwandeln. W ä h r e n d die bisher g e n a n n t e n O r d n u n g e n der Protozoen gewöhnlich frei leben, die meisten von ihren parasitischen Vertretern r e c h t harmlos sind, u n d n u r wenige als Krankheitserreger f ü r den Menschen in B e t r a c h t k o m m e n ( R u h r a m ö b e n , Trypanosomen, B a l a n t i d i u m coli), e n t h ä l t die O r d n u n g der S p o r o z o e n (Sporentierchen) ausschließlich Schmarotzer, u n d zwar h ä u f i g Z e l l s c h m a r o t z e r , die wie die Malariaplasmodien schlimme K r a n k h e i t e n erzeugen. Damit hängt es wohl zusammen, daß die Bewegungsorgane in dieser Gruppe nicht so entwickelt sind wie in der vorhergehenden, ferner, daß sie sich gewöhnlich nicht durch Aufnahme fester Nahrung, sondern durch Diffusion ernähren und schließlich, daß sich gerade hier so k l e i n e F o r m e n finden, wie sonst nirgends im Reiche der Protozoen. Die jüngsten Keime der Malariaparasiten sind z. B. nicht viel größer als Bakterien, sie erscheinen nur als kleine Fleckchen innerhalb
1 2 3 i Flg. IG. Eimeria Stiedae ( = Coccidlum oviforme) des Kaninchens. 1. Dauerzysten; 2. darin gebildete Dauersporen mit je 2 ßichelkeimen; 3. Zyste mit Nacktsporen in einer Epithelzelle; 4. freigewordene sichelförmige Nacktsporen. der Blutkörperchen. Manche erwachsenen Formen erreichen freilich, namentlich bei den Darmschmarotzern (Gregarinen, Kokzidien) etwa die Größe von Ziliaten. Ihren Namen tragen die Sporozoen davon, daß sie sich regelmäßig durch S p o r e n 1 , d. h. viele kleine Keimzellen, vermehren. Diese werden in einer Mutterzelle, die sich oft teils mit, teils ohne vorhergehende geschlechtliche Vorgänge durch eine Hülle in eine Zyste verwandelt hat, durch schnellen Zerfall erzeugt und sind entweder selbst mit einer festen Haut versehen, so daß sie Dauerzustände j1 Der Name Sporen (Keimzellen) hat, wie man sieht, bei den verschiedenen Klassen von Lebewesen eine verschiedene Bedeutung. Bei Bakterien sind die Sporen nur Dauerzustände, in die sich jede einzelne Zelle verwandeln kann, bei Pilzen und Protozoen meist zwar auch Dauerzustände, vor allem aber M i t t e l zur w i r k l i c h e n V e r m e h r u n g , die durch schnelle Bildung vieler kleiner Zellen bewerkstelligt wird. Es geht nicht an, wie vielfach vorgeschlagen ist, nur die mit harter Schale versehenen oder auf geschlechtlichem Wege erzeugten Keimzellen als Sporen zu bezeichnen. So fehlen in der „Sporogonie" der Malariaparasiten die Dauerzustände ganz. Die bgi vielen Protozoen gebildeten Dauerzustände haben oft, aber nicht immer etwas mit der Verunehrung zu t u n ; so sind die Dauerzysten der gewöhnlichen Strohamöbe (Amoeba limax) ihrem Werte nach mit den Sporen der Bakterien auf eine Stufe zu stellen, wenn sie auch nicht „endogen" entstehen, sondern durch Umhüllung der ganzen Zelle mit einer Schale.
Erster Abschnitt (Dauersporen) darstellen oder nackt, wie z. B. die Sichelsporen der Kokzidien (vgl. Fig. 16). Viele Sporozoen zeigen zwei verschiedene Arten von Entwicklung, einen sog. G e n e r a t i o n s w e c h s e l , der häufig auch mit einem W i r t s w e c h s e l verbunden ist. Die Verbreitung im ersten Wirt erfolgt auf ungeschlechtlichem Wege („Schizogonie"), z. B. bei der Malaria im Blute des Menschen, der Generations- und Wirtswechsel wird dann vorbereitet durch eine g e s c h l e c h t liche F o r t p f l a n z u n g , die sich bei den Malariaparasiten in der Steckmücke vollzieht und zur „Sporogonie" führt. Wo selbsttätige Ortsveränderungen bei Sporozoen vorkommen, bestehen sie teils in amöboider, teils in Geißel-Bewegung, teils in Kontraktionen, teils aber auch in der sog. G l e i t b e w e g u n g (Würmchenoder Ctregarinenbewegung), die den Sporozoen unter den Protozoen eigentümlich ist, sich außerdem aber auch bei gewissen Algen (Diatomeen, Spaltalgen) und Algenbakterien wiederfindet. Sie scheint vermittelt zu werden durch die Absonderung eines gallertartigen Stiels, auf dem sich das Tierchen fortschiebt. Die Sporozoen zerfallen, wie die folgende Übersicht der Protozoen zeigt, in eine größere Anzahl von Ordnungen und Familien, die im ganzen Tierreich vorkommen. E i n t e i l u n g d e r P r o t o z o e n (Urtiere). I. Amöben ( S a r k o d i n a , R h i z o p o d a ) , amöboid beweglich. Meist freilebend. Zum Teil Schmarotzer: Amoeba coli, hominis, muris usw. II. G e i ß e l i n f u s o r i e n ( F l a g e l l a t a , M a s t i g o p h o r a ) , durch wenige lange Geißeln beweglich. Meist freilebend, zum Teil Schmarotzer; auf Schleimhäuten: Trichomonas, Lamblia; in Blut und Geweben: Trypanosoma, Leishmania. III. W i m p e r i n f u s o r i e n (Ziliata), durch viele kurze Wimpern beweglich. Meist freilebend, nur einige Schmarotzer: Balantidium coli. IV. S p o r e n t i e r c h e n (Sporozoa), vermehren sich durch Sporen. Bewegung fehlt oder erfolgt auf verschiedene Weise. Ausschließlich Schmarotzer. 1. C n i d o s p o r i d i a , Sporen mit Polkapseln. Mikrosporidien der Arthropoden: Nosema bombycis (Pebrine der Seidenraupen). Myxosporidien der Fische. Sarkosporidien der Säugetiere (Mieschersche Schläuche). 2. T e l o s p o r i d i a , Sporen ohne Polkapseln. Gregarinen der Würmer, frei beweglich im Darm u. a. Kokzidien der Mollusken und Wirbeltiere, sämtlich Zellschmarotzer, z. B. in Darm und Leber des Kaninchens, im Darm der Rinder. Hämosporidien, Schmarotzer der roten Blutkörperchen. Haemogregarinen der Frösche, Schildkröten, Reptilien. Haemoproteus und Proteosoma der Vögelmalaria. Plasmodium der Menschenmalaria. Die vierte und letzte Klasse von Klein wesen umfaßt die aller kleinsten, wegen ihrer Winzigkeit auch für unser bewaffnetes Auge u n s i c h t b a r e n K e i m e , daher von mir A p h a n o z o e n genannt. Daß derartige Wesen vorkommen, wurde 1892 von I w a n o w s k i und spättr von B e i j e r i n c k bei der Mosaikkrankheit der Tabakpflanze wahrscheinlich gemacht. Sie konnten mikroskopisch keine Erreger nachweisen, wohl aber die
Bedeutung der Kleinwesen
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Ansteckung durch den völlig klar filtrierten Saft der erkrankten Blätter übertragen. 1897 ist zunächst durch L ö f f l e r und Frosch für die Maulund Klauenseuche, später für eine große Anzahl von Ansteckungen bei Menschen und Tieren mit mehr oder -weniger großer Sicherheit gezeigt worden, daß sie auf derartige „filtrierbare Virus" zurückführen. Als Filter ist natürlich nicht Papier zu benutzen, durch das Bakterien ohne weiteres hindurchgehen, sondern Stoffe, wie gebrannter Ton oder Kieselgur, deren Poren so fein sind, daß sie die Bakterien zurückhalten. Eine Zeitlang glaubte man Beziehungen der Aphanozoen zu den Protozoen gefunden zu haben, ah man in den von ihnen ergriffenen Geweben, z. B. bei der Variolavakzine in den Epithelien der Hornhaut und Epidermis, bei der Hundswut in den Ganglienzellen des Gehirns Fremdkörperchen fand, die etwas an Protozoen erinnerten. Die weitere Forschung führte dann aber zu der Vorstellung, daß es sich in dergleichen Fällen überhaupt nicht um die Parasiten selbst, sondern um Bestandteile des Gewebes handelt, die gewissermaßen als Reaktionsprodukte auf die Einwanderung der Parasiten zu betrachten sind. Man gab den letzteren daher den Namen der Chlamydozoen (Manteltier j) , sie bilden aber nur einen kleineren Teil der Aphanozoen, deren Natur nach wie vor dunkel geblieben ist (vgl. Abschnitt 28).
Zweiter Abschnitt. Bedeutung der Kleinwesen.1 Wenn wir uns eine Vorstellung von der Bedeutung der Kleinwesen zu machen suchen, so werden wir zunächst fragen, welche Folgen es für die Natur im ganzen haben würde, wenn wir uns die Kleinwesen aus ihr weggenommen dächten. Die Erde wäre dann ein großes Leichenund Düngerfeld, in dem sich die toten Menschen, Tiere und Pflanzen und ebenso ihre täglichen Auswurfstoffe anhäuften, weil sie sich nicht zersetzen, nicht verfaulen und verwesen könnten. Der Kreislauf der Stoffe in der Natur wäre zum größten Teil unterbrochen. Sind es doch wesentlich 2 die Bakterien und Pilze, die die Eiweißstoffe, Kohlehydrate und Fette der abgestorbenen Pflanzen und Tiere, die den Harnstoff, die Harnsäure und die übrigen stickstoffhaltigen Bestandteile des Harns, sowie der Darmentleerungen in ihre anorganischen Urbestandteile, d. h. in. Kohlensäure, Wasser und Ammoniak, salpetersaure, schwefelsaure und phosphorsaure Salze auflösen und dadurch wieder für die Pflanzen zu Nährstoffen machen. Die chemischen Vorgänge, die diese sog. Vgl. hierzu die „Allgemeine Mikrobiologie" von Kruse. Leipzig 1910. Einen kleinen Teil dieser „Leichenpolizei" besorgen auch die aasfressenden Tiere und Faulstoffe bewohnenden Pflanzen. 2 K r u s e , Lehrbuch der Bakteriologie. 1
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Bedeutung der Kleinwesen
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Ansteckung durch den völlig klar filtrierten Saft der erkrankten Blätter übertragen. 1897 ist zunächst durch L ö f f l e r und Frosch für die Maulund Klauenseuche, später für eine große Anzahl von Ansteckungen bei Menschen und Tieren mit mehr oder -weniger großer Sicherheit gezeigt worden, daß sie auf derartige „filtrierbare Virus" zurückführen. Als Filter ist natürlich nicht Papier zu benutzen, durch das Bakterien ohne weiteres hindurchgehen, sondern Stoffe, wie gebrannter Ton oder Kieselgur, deren Poren so fein sind, daß sie die Bakterien zurückhalten. Eine Zeitlang glaubte man Beziehungen der Aphanozoen zu den Protozoen gefunden zu haben, ah man in den von ihnen ergriffenen Geweben, z. B. bei der Variolavakzine in den Epithelien der Hornhaut und Epidermis, bei der Hundswut in den Ganglienzellen des Gehirns Fremdkörperchen fand, die etwas an Protozoen erinnerten. Die weitere Forschung führte dann aber zu der Vorstellung, daß es sich in dergleichen Fällen überhaupt nicht um die Parasiten selbst, sondern um Bestandteile des Gewebes handelt, die gewissermaßen als Reaktionsprodukte auf die Einwanderung der Parasiten zu betrachten sind. Man gab den letzteren daher den Namen der Chlamydozoen (Manteltier j) , sie bilden aber nur einen kleineren Teil der Aphanozoen, deren Natur nach wie vor dunkel geblieben ist (vgl. Abschnitt 28).
Zweiter Abschnitt. Bedeutung der Kleinwesen.1 Wenn wir uns eine Vorstellung von der Bedeutung der Kleinwesen zu machen suchen, so werden wir zunächst fragen, welche Folgen es für die Natur im ganzen haben würde, wenn wir uns die Kleinwesen aus ihr weggenommen dächten. Die Erde wäre dann ein großes Leichenund Düngerfeld, in dem sich die toten Menschen, Tiere und Pflanzen und ebenso ihre täglichen Auswurfstoffe anhäuften, weil sie sich nicht zersetzen, nicht verfaulen und verwesen könnten. Der Kreislauf der Stoffe in der Natur wäre zum größten Teil unterbrochen. Sind es doch wesentlich 2 die Bakterien und Pilze, die die Eiweißstoffe, Kohlehydrate und Fette der abgestorbenen Pflanzen und Tiere, die den Harnstoff, die Harnsäure und die übrigen stickstoffhaltigen Bestandteile des Harns, sowie der Darmentleerungen in ihre anorganischen Urbestandteile, d. h. in. Kohlensäure, Wasser und Ammoniak, salpetersaure, schwefelsaure und phosphorsaure Salze auflösen und dadurch wieder für die Pflanzen zu Nährstoffen machen. Die chemischen Vorgänge, die diese sog. Vgl. hierzu die „Allgemeine Mikrobiologie" von Kruse. Leipzig 1910. Einen kleinen Teil dieser „Leichenpolizei" besorgen auch die aasfressenden Tiere und Faulstoffe bewohnenden Pflanzen. 2 K r u s e , Lehrbuch der Bakteriologie. 1
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Zweiter Abschnitt
Mineralisierung der organischen Abfallstoffe zuwege bringen, gind mannigfaltiger Art. Es sind zunächst oberflächliche, unter Wasseraufnahme vor sich gehende (hydrolytische), dann liefere Spaltungen und endlich Verbrennungen unter Beihilfe des Luftsauerstoffs. Die h y d r o l y t i s c h e S p a l t u n g der Eiweißkörper führt zu den Peptonen und ihren Bausteinen, den Aminosäuren, die der Stärke und zusammengesetzten Zucker zu den einfachen Zuckern, die der Fette zu Glyzerin und Fettsäuren oder Seifen. Die t i e f e r e , auch ohne B e t e i l i g u n g des Sauers t o f f s vor sich g e h e n d e (anaerobische) Spaltung der Aminosäuren in Ammoniak, Fettsäure und Kohlensäure bezeichnet man gewöhnlich als Fäulnis, wenn daneben noch übelriechende Stoffe, wie Schwefelwasserstoff, Indol u. a. frei werden. Von den stickstoffhaltigen Abfallstoffen der Tiere verfällt namentlich der Harnstoff durch Bakterien einer Spaltung, der bekannten „ammoniakalischen Gärung". • Die tiefen Spaltungen des Zuckers und der übrigen Kohlehydrate, sowie einzelner Fettsäuren geschehen auf sehr verschiedenen Wegen, man bezeichnet sie auch wieder als Gärungen, wenn bestimmte Stoffe, wie Alkohol und Kohlensäure, Milchsäure, Buttersäure, Sumpfgas u. dgl. dabei in großen Mengen erzeugt werden. Aber durch dergleichen Spaltungen allein entstehen, wie diese Beispiele schon zeigen, nur teilweise die anorganischen Endergebnisse des Stoffwechsels, zum größten Teil nur Zwischenstoffe. Mineralisiert werden sie erst durch ihre vollständige Verbrennung mittels des Luftsauerstoffs, die ebenfalls durch Kleinwesen vollzogen wird. Ist die Oxydation nicht vollständig, sondern führt sie nur zur Bildung von Zwischenerzeugnissen, so spricht man auch wieder von Gärungen, sog. Oxydationsgärungen. So wird der Alkohol bei der Essiggärung nur zu Essigsäure, der Zucker bei der Zitronen- und Oxalsäuregärung zu diesen Säuren, nicht vollständig zu Kohlensäure und Wasser »verbrannt. Gemeinsam ist den Oxydationsund Spaltungsgärungen, daß die Stoffe, die sie erzeugen, in verhältnismäßig großen Mengen entstehen. Dadurch wird erreicht, daß die Gesamtmenge der chemischen Arbeit, die durch die Gärungserreger geleistet wird, und durch welche die Gärungserreger ihr Leben erhalten, nicht zurückbleibt hinter derjenigen Energie, die für die vollständige, aber weniger umfangreiche Oxydation von Nährstoffen erforderlich ist. Von großer Wichtigkeit ist, daß keine einzelne Art von Kleinwesen imstande ist, alle diese hier nur kurz angedeuteten chemischen Leistungen zu vollziehen, daß vielmehr eine a u ß e r o r d e n t l i c h weitgehende Sonderung i n den b i o c h e m i s c h e n F ä h i g k e i t e n bei den einzelnen Arten der K l e i n w e s e n besteht. Gerade durch diese Einseitigkeit oder „Spezialisierung" unterscheiden sich die Klein-
Bedeutung der Kleinwesen
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wesen wesentlich von den höheren Pflanzen und Tieren; denn es ist sicher, daß bei weitem die meisten einzelnen Spaltungen und Verbrennungen auch im Stoffwechsel der letzteren vorkommen, nur werden z. B. Alkohol, Milchsäure und Essigsäure nicht so einseitig von irgendeiner tierischen oder pflanzlichen Zelle erzeugt, wie von der Hefe, dem Milchsäurekokkus, dem Essigbazillus. Wenn trotz der „Spezialisierung" der Kleinwesen schließlich allenthalben auf der Erde die endgültige Zersetzung der organischen Abfallstoffe zustande kommt, so ist das nur dadurch möglich, daß überall die verschiedensten Keime vorhanden sind, die teils miteinander, teils nacheinander die Zersetzungsarbeit verrichten. Es wäre aber durchaus unrichtig, die Bedeutung der Kleinwesen im Haushalte der Natur auf ihre zersetzenden Leistungen zu beschränken. Tatsächlich vermögen sie ebenso wie die Pflanzen organische Stoffe aus anorganischen a u f z u b a u e n , teilweise sogar in noch vollendeterer Weise, indem sie sogar Kohlensäure ohne Mitwirkung des Lichts, ja freien Stickstoff und Wasserstoff zu verwerten vermögen. Nimmt man den einfachen Bau der Bakterien und ih r e Widerstandsfähigkeit gegen äußere Schädlichkeiten, denen alle anderen Lebewesen erliegen, hinzu, so berechtigt uns diese Erkenntnis, in den Bakterien die ersten Vertreter der organischen Welt auf unserer Erde zu vermuten.
Noch mannigfaltiger erscheint uns die Bedeutung der Kleinwesen, wenn wir ihre B e z i e h u n g e n zu den ü b r i g e n L e b e w e s e n , v o r a l l e m z u m M e n s c h e n , erwägen. Daß die einzelnen Arten von Kleinwesen zu so verschiedenen Leistungen befähigt sind, ist für den H a u s h a l t des M e n s c h e n zunächst ein entschiedener Vorteil, denn dadurch ist es uns in die Hand gegeben, bald diese, bald jene Mikroorganismen gewissermaßen zur Arbeit heranzuziehen. So finden wir in der L a n d w i r t s c h a f t die oben bezeichneten Kräfte am Werke, um die dem Boden zugeführten Dungstoffe zur Pflanzennahrung zu verarbeiten. Die dabei stattfindenden Spaltungen und Oxydationsvorgänge werden gewöhnlich unter dem Namen der V e r w e s u n g zusammengefaßt. Sie läßt allerdings einen kleinen Teil der Dungstoffe in noch nicht mineralisierter, schwer angreifbarer Form zurück: das sind die H u m u s s t o f f e , die bekanntlich aber auch für die Ackerkrume durch ihre physikalischen Eigenschaften von Wert sind. Aus den übrigen, zahlreichen Oxydationen, die im Boden stattfinden, hebt sich wegen ihrer Eigentümlichkeit eine besonders heraus, die sog. N i t r i f i k a t i o n , d. h. die Oxydation der durch Fäulnis und ammoniakalische Gärung entstandenen' Ammoniaksalze zu Salpeter. Da die ersteren flüchtig sind, dient die Salpeterbildung zu einer Festlegung des Stickstoffs im Boden, die für den Pflanzenbau nützlich ist. 2*
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Zweiter Abschnitt
Wir wissen jetzt,namentlich durch die Untersuchungen von W i n o g r a d s k y , daß zwei ganz bestimmte Bakteriengattungen die Nitrifikation vollziehen, nämlich die Nitrosomonas, die Ammoniak zu salpetriger Säure, und die Nitromonas, die salpetrige Säure zu Salpetersäure oxydiert. Merkwürdig sind diese Keime auch deswegen, weil sie ihren Kohlenstoffbedarf nicht aus organischen Stoffen, sondern Aus der Kohlensäure entnehmen, und die einzige Quelle der Energie für sie diejenige ist, die sie aus der Verbrennung des Ammoniak < bzw. der salpetrigen Säure gewinnen. Wir h a b e n a l s o h i e r e i n e L e i s t u n g , d i e w e i t h ö h e r zu b e w e r t e n i s t , als d i e d e r g r ü n e n P f l a n z e n , denn letztere sind zur Assimilation der Kohlensäure aui die Beihilfe des Sonnenlichts angewiesen Schon lange, bevor man die Salpeterbakterien selbst kannte, hat man ihre Kräfte dazu benutzt, um künstlich Salpeter zu erzeugen, indem man Erdhaufen mit organischen Abfallstoffen periodisch beschickte. I n ähnlicher Weise beteiligen sich Salpeterbakterien auch innerhalb der sog. biologischen Filter, den neuesten Anlagen zur Reinigung von Abwässern.
Aber auch eine andere, aus der ganzen Reihe der Lebewesen sonst nicht sicher bekannte Leistung vermögen Kleinwesen zu verrichten, nämlich die Bindung (Assimilation) des freien S t i c k s t o f f s der Luft. Eine größere Anzahl von Bakterien, namentlich aus der Gruppe der Buttersäurebazillen (Abschnitt 19), aber auch von Pilzen ist dazu imstande. Sie bewirken es, daß auch ohne Zuführung von stickstoffhaltigem Dünger die Ackererde sich mit Stickstoff anreichert. Schon längst war diese Tatsache von Böden bekannt, die mit Sshmetterlingsblütlern (Klee, Luzernen, Hülsenfrüchten) bestellt waren: sie hinterließen denselben nach der Ernte stickstoffreicher, als er vorher gewesen war. Man weiß jetzt durch die Forschungen von H e l l r i e g e l und W i l f a r t h , daß eigentümlich unregelmäßig geformte Bakterien (Bakteroiden), die in knöllchenartigen Auswüchsen an den Wurzeln von Schmetterlingsblütlern wuchern ( K n ö l l c h e n b a k t e r i e n ) , den freien Stickstoff der Luft f ü r sich verwerteil und damit auch ihre Wirtspflanzen und den Boden mit Stickstoff versorgen.
Während Salpeterbildung und Stickstoffbindung dem Stickstoffgehalt des Bodens und so der Landwirtschaft zugute kommen, fehlen nicht entgegengesetzte Zersetzungsvorgänge, die den Stickstoffgehalt im Boden verringern. Es gibt zahlreiche Bakterien, die Nitrate in Nitrite und Ammoniak verwandeln, ja aus ihnen freien Stiokstoff freimachen, indem sie den Sauerstoff des Salpeters zur Atmung verwenden. Doch scheint dieser sog. D e n i t r i f i k a t i o n keine größere Bedeutung beizuwohnen. Wichtiger sind jedenfalls die StickstoffVerluste, die im Stallmist vornehmlich durch Verdunstung des Ammoniaks auftreten. Hier zeigt sich die zweischneidige Wirkung der f ü r die Mineralisierung der Abfallstoffe nötigen Zersetzungen. An den Stickstoffverlusten sind außer den zahlreichen Bakterien und Pilzen, die bei der Eiweißspaltung Ammoniak bilden, hauptsächlich beteiligt die H a r n s t o f f v e r g ä r e r , d . h . diejenigen, die nach der Gleichung CO-(NH 2 ) a ,+2 H s O = CO, (NH 4 ) 2 den Harnstoff unter erklecklicher Wärmeentwicklung zu kohlensaurem Ammoniak verwandeln. Auch sie kommen in der Natur allenthalben vor. Namentlich die Fäulnisbakterien gehören hierher (Abschnitts).
Bedeutung der Kleinwesen
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Außer der Landwirtschaft gibt es viele Gewerbe, die sogar in noch höherem Grade auf die Mithilfe von Kleinwesen aufgebaut sind, das sind die sog. G ä r u n g s g e w e r b e ; i n erster Linie diejenigen, die alkoholische Getränke erzeugen. Obwohl es zahlreiche Kleinwesen gibt, die neben anderen Stoffen auch kleine Mengen von Alkohol erzeugen und obwohl die V e r g ä r u n g d e s Z u c k e r s zu A l k o h o l nach der Formel C 6 H 12 0 6 = 2 C 2 H , 0 + 2 COa vielleicht eine Fähigkeit aller lebenden Zellen ist, besitzen bloß die Hefezellen dieselbe in einem so bedeutenden Grade, daß man sie gewerblich benutzen kann. Das ist denn auch fast von allen Völkern der Erde geschehen, indem man bald diese, bald jene zuckerhaltigen Rohstoffe der HefegäTung unterwarf. Für uns kommen als alkoholische Getränke fast nur Wein, Bier und Schnaps in Betracht. Zur Herstellung des ersteren begnügt man sieh mit den Hefezellen, die sich freiwillig auf den Trauben- oder Obstschalen aus der Luft angesiedelt haben, bei der Brauerei benutzte man früher die im Gärbetrieb selbst gebildete, neuerdings aber naeh dem Vorgang des Dänen E. Chr. H a n s e n rein gezüchtete Hefe (Abschnitt 5). Man bekommt dadurch ein gleichmäßig gutes, von schädlichen Verunreinigungen freies Erzeugnis und kann durch Auswahl bestimmter Heferassen auch dem Gesohmack der biertrinkenden Bevölkerung entgegenkommen. Bei der Herstellung des Weins hat,man, wenn auch vorläufig noch nicht mit dem gleichen Erfolge, obenfalb Hefereinkulturen einzuführen versucht. Natürlich ist die Eigenart der Hefe nicht das allein Maßgebende beim Wein; daß sie aber den Geschmack und den Duft des Weins stark zu beeinflussen vermag, ersieht man aus den hervorragenden Eigenschaften der sog. Maltonweine, die man mit Hilfe von Woinhefereinkuituren aus Malz herstellt. Die bei der Alkoholgäxung in großer Menge abfallende Hefe hat man schon seit längerer Zeit als T i e r f u t t e r benutzt. Neuerdings hat man die gereinigte eiweiß- und fettreiche Hefe aber auch zur Ernährung des Menschen empfohlen und ist sogar im letzten Kriege dazu übergegangen, N ä h r h e f e ausschließlich zum Zwicke der Eiweiß- und F e t t gewinnung auf zucker- und ammoniakhaltigen Nährlösungen zu züchten. Auch bei der E s s i g b e r e i t u n g ist man auf die Mitwirkung bestimmter Kleinwesen, der Essigbakterien (Bac. aceti Fig. 10 S. 10) angewiesen. Sie sind es, die mit Hilfe des Luitsauers toffri nach der Gleichung C2H60 + 0 2 = C2H402 + H 2 0 den Alkohol in Essigsäure verwandeln. Freiwillig pflegen sie sich schon einzu-, finden, wenn man Bier sauer werden läßt. Die dabei als Kahmhaut gleichzeitig auftretenden Hefezellen haben mit der „ E s s i g s ä u r e g ä r u n g " nichts zu tun, ebensowenig mit der alkoholischen Gärung; diese Hefen verzehren vielmehr nur die gebildete Essigsäure, indem sie sie weiter zu Kohlensäure und Wasser verbrennen. Eine Reihe von eigentümlichen Zersetzungen umfaßt das M o l k e r e i w e s e n . Bei der Herstellung der sauren Milch, des Käses, der Butter, des Kefirs und Joghurts usw. betätigen sich verscKiedene Kleinwesen.
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Zweiter Abschnitt
Die wichtigsten davon sind die_ Streptokokken und die langen Bazillen der Milchsäuregärung (Abschnitt 7 u. 15). Sie zersetzen den Milchzucker zu Milchsäure nach der Gleichung C u H n O u + H 2 0 = 4 GJHjOJI n der sauren Milch unserer Gegenden, im Joghurt Bulgariens und ähnlichen Getränken der ganzen Welt spielt diese Gärung fast die einzige Rolle, beiden übrigen Molkereierzeugniseen treten andere Bakterien und Pilze hinzu, eei es, d a ß sie mehr oder weniger tiefgreifende Umsetzungen des "Kaseins und Verseifung des Milchfettes — d i e sog. R e i f u n g d e s K ä s e s — bedingen, sei es, daß sie den Milchzucker, wie im Kefir, nebenbei noch in alkoholische Gärung versetzen, sei es endlich, d a ß sie der Butter nur einen bestimmten Gesohmack geben. Auch im Milchgewerbe h a t man schon mit Erfolg rein gezüchtete Kulturen verwendet, doch haben sie bisher die natürlichen, oft gemischten Kulturen, die z. B. in den Kefirkörnern vorliegen, nicht verdrängen können.
Saure und alkoholische Gärungen gehen ferner Hand in Hand im Sauerteig des Brotes, im Berliner Weißbier, in der Leipziger Gose, im russischen Kwaß, während eine Mischung verschiedener saurer Gärungen andere beliebte Nahrungsmittel, wie Säuerkraut und Salzgurken, erzeugt. Auch im T e x t i l g e w e r b e , bei der Herstellung der Gespinstfasern durch die sog. W a s s e r r ö s t e des Flachses und HanfeS* handelt es sich meist um eine saure Gärung, die aber unter reichlicher Gasbildung verläuft und bei der die Säure hauptsächlich aus Buttersäure b e s t e h t ( B u t t e r s £ . u r e g ä r u n g Abschnitt 19). Sie wird durch strenge A n a e r o b i e r , d . h . Bakterien, die nur bei Sauerstoffabschluß wachsen, verursacht und wirkt, indem sie die Pektinstoffe der Pflanzen zerstört und die durch sie zusammengehaltenen Bastfasern freilegt. Früher wurde sie mit der Z e l l u l o s e V e r g ä r u n g zusammengeworfen, die aber hiet nicht in Frage kommt, sondern nur im Grunde von sumpfigen Gewässern, Abortgruben und auch bei den neuerdings zur Klärung von Abwässern viel benutzten Emscherbrunnen eine bekannte Erscheinung ist. Auch hier wird massenhaft Gas gebildet, es besteht aber wesentlieh aus brennbareri Gasen, und zwar Wasserstoff und Sumpfgas. Auch bei dieser „ S u m p f g a s g ä r u n g " treten wieder Anaerobier ins Spiel. Bei der Zubereitung der H ä u t e in der G e r b e r e i , bei der Herrichtung der K a f f e e b o h n e n , des O p i u m s usw. rechnet man ebenfalls auf die Zersetzungen durch Kleinwesen bestimmter Art. Noch nicht sicher ist es dagegen, ob bei manchen anderen Vorgängen, wie der I n d i g o - , S e n f - , V a n i l l e g ä r u n g , ferner bei der sog. F e r m e n t a t i o n d e r T a b a k b l ä t t e r , der S e l b s t e r h i t z u n g d e s H e u e s , des H o p f e n s usw. Bakterien und Pilze, die dabei allerdings regelmäßig gefunden werden, die maßgebende Rolle spielen. Jedenfalls dürfen auch die Fermente, die in den Pflanzengeweben selbst stecken und großer Leistungen fähig sind, nicht unberücksichtigt bleiben. Wenn man bei allen solchen, mit s t a r k e r T e m p e r a t u r e r h ö h u n g einhergehenden, ja manchmal zur Selbstentzündung führenden Zersetzungen t h e r m o p h i l e K e i m e , d . h . solche, die bei Temperaturen von 50—70° noch wachsen, ja ausschließlich dabei gedeihen, findet, so kann das ebenso ein Nebenbefund sein, wie das Vorkommen von dergleichen Lebewesen in heißen Quellen.
Bei allen hier aufgeführten, durch Kleinwesen hervorgerufenen
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Umsetzungen können auch S t ö r u n g e n durch die Beteiligung fremder Keime, z. B. bei der Bier- und Weinbereitung durch wilde oder Krankheitshefen eintreten, ferner können N a h r u n g s m i t t e l , wie die tägliche Beobachtung lehrt, durch Fäulnis, Gärung, Verschimmelung, Ansiedlung von farbstoffbildenden Bakterien verderben oder unansehnlich werden. Es ist Sache eines gut geleiteten gewerblichen Betliebs bzw. eines richtig geführten Haushalts, durch Reinlichkeit bei der Gewinnung und Aufbewahrung der Rohstoffe dergleichen zu verhüten. Unter Umständen erreicht man Großes, wie wir schon sahen, durch die Verwendung von Reinkulturen. Was die längere Aufbewahrung von Nahrungsmitteln angeht, so hat sich etwa seit einem Jahrhundert ein neues Gewerbe gebildet, das die F r i s c h h a l t u n g von Nahrungsmitteln zum Ziele hat und neben den seit Alters her im Haushalt üblichen Verfahren, wie Trocknen, Einsalzen, Verzuckern, durch Hitze erreicht. Meist werden in der-„Konservenindustrie" nach Apperts Vorgang Temperaturen von mindestens 100° benutzt, weil sich gezeigt hat, daß man nur durch diese Temperaturen die widerstandsfähigen Keime der Bakterien, ihre Sporen, abtöten kann. In manchen Fällen gelingt es aber auch, wie Pasteur gezeigt hat, durch „Pasteurisieren-' bei 60—30° eine genügende Frischhaltung zu erzielen. Keimwidrige Stoffe (Antiséptica, Abschnitt35), wie z. B. Salizyl-und Benzoesäure, Borsäure,schweflige Säure, zur Frischhaltung zu benutzen, hat man zwar vielfach versucht, ist davon im allgemeinen aber wieder abgekommen, teils weil dergleichen Zusätze gesund, heitsschädlich sein können, teils weil sie die Gefahr mit sich bringen, daß schon in Zersetzung begriffene Nahrungsmittel dadurch den Anschein der Frische gewinnen.
Auf alle im vorstehenden genannten Dinge ausführlich einzugehen, liegt außerhalb unserer Aufgabe, das ist vielmehr Sache der l a n d w i r t s c h a f t l i c h e n und t e c h n i s c h e n B a k t e r i o l o g i e oder M y k o l o g i e u n d der rein wissenschaftlichen a l l g e m e i n e n M i k r o b i o l o g i e ; wir kommen in diesem Buche nur • insoweit auf sie zurück, als sie vom Gesichtspunkte der G e s u n d h e i t s l e h r e größere Bedeutung haben. Den Hauptgegenstand unserer Erörterungen bilden diejenigen Kleinwesen, die für uns unmittelbare Bedeutung haben, weil sie als Schmarotzer (Parasiten) auf oder in den höheren Lebewesen wachsen. Am geringsten ist diese Bedeutung bei den h a r m l o s e n S c h m a r o t z e r n oder „Mitessern" (Kommensalen), die auf der Haut oder den Schleimhäuten regelmäßig in größerer oder kleinerer Menge vorkommen, ohne die Gesundheit ihrer Wirte zu beeinträchtigen. Wir müssen sie allerdings gründlich kennen, nicht nur, weil sie uns überall bei unseren Untersuchungen in die Quere kommen, sondern auch, weil ihre Harmlosigkeit nicht unter allen Umständen fortbesteht, sie vielmehr Quellen der S e l b s t a n s t e c k u n g (Autoinfektion) werden können. So sind zwar die großen Mengen von Keimen, die im Munde., im unteren Teile, des Dünndarms und im ganzen Dickdarm, sowie in der weiblichen Scheide schmarotzen, für gewöhnlich durchaus unschädlich, werden aber ge7
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fährlich, wenn sie z. B. durch eine innere Verwundung in die umgebenden Gewebe gerat¿n. Umgekehrt darf man freilich, wenigstens von einem Teil der gewöhnlichen Ansiedler der Schleimhäute, sagen, daß sie für ihren Wirt, nicht bloß gleichgültig, sondern sogar n ü t z l i c h sind, also unter den Begriff der Nützlinge oder S y m b i o n t e n fallen, von denen wir oben in den Rnöllchenbakterien der Schmetterlingsblütler schon ein Beispiel gegeben haben. Bei Besprechung der Darmbakterien (Abschnitt 9) kommen wir darauf zurück Das große Heer der eigentlichen K r a n k h e i t s e r r e g e r kann man in die der Pflanzen, Tiere und Menschen einteilen. Zu den ersteren gehören namentlich Pilze, seltener Bakterien, Protozoen und Aphanozöen. Wir verzichten hier darauf, sie ausführlich zu besprechen, weil sie üblicherweise von der landwirtschaftlichen Bakteriologie und Botanik behandelt werden. Eine solche Scheidung ist bei den Krankheitserregern der Tiere und des Menschen nicht gut möglich, schon deswegen nicht, weil nicht wenige Erreger beiden Gruppen gemeinsam sind, und weil,ein wissenschaftlich vertieftes Studium der menschlichen Krankheitserreger ohne Kenntnis der tierischen Pathologie und ohne den Tierversuch nicht möglich ist. Das Studium der Krankheitsursachen erweckt unsere Teilnahme nach verschiedenen Richtungen hin. Von vornherein werden wir erwarten dürfen, daß wir erst, wenn wir die Erreger genau kennen gelernt haben, erfahren können, wie sie in den Körper hineinkommen, wie sie sich in ihm ausbreiten, welche Schicksale sie in ihm erleiden, auf welche Weise sie den Körper verlassen, wie sie sich in der Außenwelt verhalten, wie sie innerhalb und außerhalb des erkrankten Körpers bekämpft werden können. Kurz P a t h o g e n e s e , Prognose, Diagnose, Therapie u n d P r o p h y l a x e werden Vorteile von der Kenntnis der Krankheitserreger haben. Die Erfahrung hat das durchaus bestätigt, wenn auch je nach dem einzelnen Fall die Fortschritte unseres Wissens ungleich gewesen sind. Am größten sind offenbar die Errungenschaften der Bakteriologie für die v o r b e u g e n d e Wissenschaft, die Hygiene, geworden. Wir dürfen sagen, daß eine wissenschaftliche Hygiene sich erst auf der Grundlage der Bakteriologie entwickeln konnte, und daß die öffentliche Gesundheitspflege ihre Erfolge in den letzten Jahrzehnten nicht zum wenigsten dieser jungen Wissenschaft verdankt. Sie hat uns nicht nur die Mittel an die Hand gegeben, durch Abfangen der ersten Krankheitsfälle und der gesunden Ansteckungsträger, somit durch Entfernung und Vernichtung der Ansteekungskeime Epidemien im Keime zu ersticken, sondern auch durch S c h u t z i m p f u n g e n den Seuchen ihren Nährboden zu entziehen. Zwar stammen die Jen n er sehe Vakzination
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und die Eindämmung des Wochenbettfiebers durch Semmel weiß, dem Vorgänger L i s t e r s , noch aus der vor bakteriologischen Zeit, doch ist die Schutzimpfung gegen Hundswut, Milzbrand und andere Tierseuchen, Pest, Typhus, Cholera und Ruhr, Diphtherie und Tetanus, schließlich auch gegen die Tuberkulose erst durch denjenigen Teil der wissenschaftlichen Bakteriologie, den man als I m m u n i t ä t s l e h r e zu bezeichnen pflegt, und ebenso die erfolgreiche Bekämpfung von Cholera, Pest, Typhus, Ruhr usw. auf anderen Wegin erst durch die gleiche Wissenschaft möglich geworden. L. P a s t e u r und R. Koch mii ihren Schülern haben sie aufgebaut. Einen großen Vorteil hat natürlich auch die Lehre von dem Wesen und der Entstehung der Krankheit, die Pathologie, von der Kenntnis ihrer Erreger gehabt. Aber auch am K r a n k e n b e t t sind wir durch die Bakteriologie erheblich weiter gekommen, in erster Linie wohl, weil die E r k e n n u n g der K r a n k h e i t durch den Nachweis ihrer Erreger ja in vielen Fällen erst möglich gemacht wird. Der Typhus, die Diphtherie, die Tuberkulose, die Syphilis sind besonders hervorragende Beispiele für diese Tatsache. Erst wenn ihre Diagnose auf bakteriologischem Wege bestätigt worden ist, ist heutzutage der praktische Arzt völlig über sie beruhigt. Die Vorhersage wird in vielen Fällen schon mittelbar durch die Feststellung der Krankheit beeinflußt. So sind die Aussichten auf guten Ausgang ganz andere, je nachdem die klinischen Erscheinungen des Typhus auf den Typhus- oder Paratyphusbazillus, die der Ruhr auf Dysenterie- oder Pseudodysenteriebazillen zurückzuführen sind, Unterscheidungen, d : e überhaupt' erst durch die Bakteriologie aufgestellt worden sind. Aber auch der Hauptzweck der ärztlichen Kunst, die Heilung der K r a n k e n , ist durch die Bakteriologie gefördert worden. Das müßte man schon anerkennen, wenn es bei der Entdeckung des Heilserums gegen Diphtherie durch Behring geblieben wäre, denn durch sie sind die Opfer, die diese fürchterliche Krankheit der Menschheit gekostet hat, mindestens auf den dritten, nach manchen Erhebungen sogar auf den sechsten Teil herabgedrückt worden. Diese Behringsche Entdeckung ist aber nicht die einzige geblieben. Auch Heilseren gegen andere Ansteckungen wurden vielfach mit Erfolg angewandt. Das mit so großen Hoffnungen aufgenommene Kochsche T u b e r k u l i n hat diese zwar bei weitem nicht alle erfüllt, ist aber selbst nicht nur ein in vielen Fällen brauchbares Mittel, sondern hat auch den Anlaß gegeben, die Behandlung mit Bakterienstoffen — die 7, Heilimpfung" — auf andere Krankheiten auszudehnen und für die Tuberkulose selbst nach besseren Heilmitteln zu suchen. Ein solches ist letzthin gefunden worden in dem
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Friedmannschen Heil- und Schutz-Impfstoff. Dazu kommt dann als weiteres bakteriologisches Behandlungsverfahren die sog. Chemo t h e r a p i e , die in der Entdeckung des Salvarsans durch E h r l i c h einen ihrer größten, aber sicherlich nicht ihren letzten Erfolg erreicht hat.
Dritter Abschnitt. Mikroskopische Untersuchung der Kleinwesen. Es liegt auf der Hand, daß für die Erforschung der kleinsten Lebewesen andere Verfahren angewendet werden müssen als sonst. Wir benutzen fast ausschließlich die stärksten Vergrößerungen, die uns die in Zedernöl tauchenden Immersionslinscn mit der Abbeschen Beleuchtungsvorrichtung zusammen ermöglichen. Die Längen Vergrößerung beträgt, wenn wir ein mittelstarkes Okular verwenden, etwa 5—600; das bedeutet: ein Gegenstand, der 1 (i = 0,001 mm lang ist, erscheint unter dem Mikroskop 0,5 mm lang. Die stärksten Okulare zu wählen, ist im allgemeinen nicht empfehlenswert, weil die Leuchtkraft und Schärfe der Bilder dabei abnimmt. Wohl brauchen wir schwache, etwa 50 fache Vergrößerungen (Trockenlinsen) für andere Zwecke, so z. B., wenn wir Plattenkulturen oder Schnitte von Organen durchmustern wollen. In diesem Falle müssen „wir entweder die Beleuchtungsvorrichtung ganz ausschalten oder sie, was einfacher ist, stark unter den Objekttisch herunterschrauben und abblenden. Das Arbeiten mit dem Mikroskop kann nicht aus Büchern, sondern nur in längerer Übung gelernt werden. Trotzdem seien hier zur Stütze für den Anfänger einige Bemerkungen gemacht. Die erste Forderung lautet, Reinlichkeit am Mikroskop selbst und an allen Gegenständen, die man auf das Mikroskop bringt. Überflüssig, ja schädlich für die Fassungen ist oft wiederholtes Putzen an allen Linsen, man sollte nur regelmäßig nach Beendigung der Arbeit das überschüssige Zedernöl von der Tauchlinse mit einem reinen Tuche aus weichem Leder, Leinwand, MuH abwischen, das Mikroskop mit einem Tuch bedecken oder unter eine Glocke stellen. Wenn sich angetrocknetes Öl unter der Linse befindet, ist es durch vorsichtiges Reiben mit einem durch Xylol oder Alkohol angefeuchteten Tuche zu entfernen. Den Spiegel muß man natürlich ebenfalls blank halten, desgleichen Objekt- und Deckgläser, denn man hat es sich stets zu vergegenwärtigen, daß jedes Stäubchen oder Fleckchen unter dem Mikroskop unter gewaltiger Vergrößerung erscheint. Die möglichst dünnen, weil sonst für manche Untersuchungen (s. u. hängenden Tropfen) nicht geeigneten Deckgläser werden
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Friedmannschen Heil- und Schutz-Impfstoff. Dazu kommt dann als weiteres bakteriologisches Behandlungsverfahren die sog. Chemo t h e r a p i e , die in der Entdeckung des Salvarsans durch E h r l i c h einen ihrer größten, aber sicherlich nicht ihren letzten Erfolg erreicht hat.
Dritter Abschnitt. Mikroskopische Untersuchung der Kleinwesen. Es liegt auf der Hand, daß für die Erforschung der kleinsten Lebewesen andere Verfahren angewendet werden müssen als sonst. Wir benutzen fast ausschließlich die stärksten Vergrößerungen, die uns die in Zedernöl tauchenden Immersionslinscn mit der Abbeschen Beleuchtungsvorrichtung zusammen ermöglichen. Die Längen Vergrößerung beträgt, wenn wir ein mittelstarkes Okular verwenden, etwa 5—600; das bedeutet: ein Gegenstand, der 1 (i = 0,001 mm lang ist, erscheint unter dem Mikroskop 0,5 mm lang. Die stärksten Okulare zu wählen, ist im allgemeinen nicht empfehlenswert, weil die Leuchtkraft und Schärfe der Bilder dabei abnimmt. Wohl brauchen wir schwache, etwa 50 fache Vergrößerungen (Trockenlinsen) für andere Zwecke, so z. B., wenn wir Plattenkulturen oder Schnitte von Organen durchmustern wollen. In diesem Falle müssen „wir entweder die Beleuchtungsvorrichtung ganz ausschalten oder sie, was einfacher ist, stark unter den Objekttisch herunterschrauben und abblenden. Das Arbeiten mit dem Mikroskop kann nicht aus Büchern, sondern nur in längerer Übung gelernt werden. Trotzdem seien hier zur Stütze für den Anfänger einige Bemerkungen gemacht. Die erste Forderung lautet, Reinlichkeit am Mikroskop selbst und an allen Gegenständen, die man auf das Mikroskop bringt. Überflüssig, ja schädlich für die Fassungen ist oft wiederholtes Putzen an allen Linsen, man sollte nur regelmäßig nach Beendigung der Arbeit das überschüssige Zedernöl von der Tauchlinse mit einem reinen Tuche aus weichem Leder, Leinwand, MuH abwischen, das Mikroskop mit einem Tuch bedecken oder unter eine Glocke stellen. Wenn sich angetrocknetes Öl unter der Linse befindet, ist es durch vorsichtiges Reiben mit einem durch Xylol oder Alkohol angefeuchteten Tuche zu entfernen. Den Spiegel muß man natürlich ebenfalls blank halten, desgleichen Objekt- und Deckgläser, denn man hat es sich stets zu vergegenwärtigen, daß jedes Stäubchen oder Fleckchen unter dem Mikroskop unter gewaltiger Vergrößerung erscheint. Die möglichst dünnen, weil sonst für manche Untersuchungen (s. u. hängenden Tropfen) nicht geeigneten Deckgläser werden
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am besten in kleinen Doppelschälchen u n t e r Alkohol gehalten. Die nicht mehr gebrauchten P r ä p a r a t e werden zweckmäßigerweise in ein Glas mit Lysol- o d t r Kresollösung gelegt, in dieser ausgekocht, m i t Wasser reichlich nachgespült und in Alkohol aufgehoben. Nur f ü r die Geißelfärbungen ist eine besonders gründliche Reinigung der Gläser kurz vor ihrem Gebrauch (durch Auskochen in verd ü n n t e r Schwefelsäure mit überchromsaurem Kali) zu empfehlen.
Das zweite Erfordernis ist die r i c h t i g e
Beleuchtung.
Am besten arbeitet m a n regelmäßig mit künstlichem Licht, sei es n u n Gasglühlicht, elektrisches Glühlicht mit m a t t e r Birne u. dgl., weil man dadurch unabhängig wird von dem s t e t s ungleichmäßigen und oft unzureichenden Himmelslicht. B e i k ü n s t l i c h e r B e l e u c h t u n g i s t d e r e b e n e S p i e g e l , b e i n a t ü r l i c h e r d e r H o h l s p i e g e l z u b e n u t z e n . Untersucht man g e f ä r b t e Gegenstände mit der Tauchlinse, so ist durch genaue Einstellung des Spiegels und weite Öffnung der Blende eine möglichst große Lichtmenge in d a s Mikroskop zu werfen, bei frischer Untersuchung dagegen oder bei schwächeren Vergrößerungen (mit Trockenlinsen) s t e t s mehr oder weniger abzublenden.
Man untersucht die Kleinwesen entweder im frischen oder im gefärbten Zustande. Die f r i s c h e U n t e r s u c h u n g ist außerordentlich wichtig, weil man nur dadurch gewisse Lebenserscheinungen, vor allem die Fähigkeit zur Eigenbewegung, feststellen kann. Bei den Kleinwesen sind d r e i e r l e i B e w e g u n g e n unter dem Mikroskop zu unterscheiden. Zunächst besitzen alle kleinsten Teile, mögen sie nun belebt oder unbelebt, organisch oder unorganisch sein, die sog. M o l e k u l a r - oder B r o w n s c h e B e w e g u n g , d.h. sie zittern an Ort und Stelle hin und her, und zwar um so heftiger, je dünner die Flüssigkeit und je höher die Temperatur. Ebenfalls unselbständiger (passiver) Art sind die S t r ö m u n g s b e w e g u n g e n , die z. B. in dem kapillaren Räume zwischen Objektträger und Deckglas durch Druck auf das letztere oder durch Neigung aus der Horizontalen hervorgerufen werden. Sie zeichnen sich dadurch aus, daß sie Keime und unbelebte kleine Körperchen nach einer und derselben Richtung und mit ungefähr gleicher Geschwindigkeit fortbewegen. Die selbständige, aktive oder E i g e n b e w e g u n g unterscheidet sich dadurch, daß sie den Eindruck der Willkür hervorruft, indem Richtung und Geschwindigkeit der Keime verschieden ist. Sie ist langsam bei den Amöben, manchen größeren Bazillen, Algenbakterien und bei den würmchenartigen Blutparasiten, die sich wackelnd fortzuschieben pflegen, oder schnell, wie bei den «Flagellaten, Ziliaten und den meisten Bakterien, die unter dem Mikroskope hin und her schießen. Die Bewegungen (vgl. Ab:chn. 1) erfolgen durch lange Geißeln (Bakterien, Flagellaten), wellige Säume (Flagellaten), kurze Wimpern (Ziliaten) oder durch Protoplasmaverschiebungen (Amöben) und muskelartige Zusammen Ziehungen der Zellhaut (andere Protozoen) oder durch Zellausscheidung n, (Algenbakterien, Sporozoen). Die Geißeln der Bakterien sieht m a n im ungefärbten Zustande wegen ihrer Feinheit überhaupt nicht oder höchstens andeutungsweise bei den aller-
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größten Spirillen, die Geißeln und Wimpern der Protozoen nur, wenn sie »freiwillig oder durloh Hindernisse festgehalten, verhältnismäßig ruhig liegen, oder wenn man sie z. B. durch einen unter das Deckglas gebrachten Tropfen Sublimatlösung absichtlich bewegungslos gemacht hat. Trotzdem kann man häufig an der strudelnden Bewegung benachbarter kleinster Körperehen auch das Vorhandensein der nicht unmittelbar wahrnehmbaren Geißeln und Wimpern bei Bakterien und Protozoen erschließen. Auf die Färbung der Bakteriengeißeln kommen wir später zurück (Abschnitt 10). Frisch untersucht man entweder auf dem gewöhnlichen Objektträger, indem man einen Tropfen Wasser (physiologische Kochsalzlösung, Brühe) darauf bringt, diesen mit den keimhaltigen Stoffen aus zersetzten Flüssigkeiten, Reinkulturen usw. beimpft und mit einem Deckglas bedeckt, oder im sog. hängenden Tropfen. Das erstere Verfahren ist einfacher, das letztere erfordert zwar mehr Übung, ist aber namentlich in allen Fällen, wo man es mit Krankheitserregern zu tun hat, unumgänglich. Stets nehme man nicht zu viel Flüssigkeit und bringe besonders von Bakterienreinkulturen auf festen Nährböden nur eine Spur hinein, da man sonst den Wald vor Bäumen nicht sieht. Als Werkzeug zur Entnahme der keimhaltigen Stoffe bedient man sjch eines geraden oder zu einer Öse gebogenen P l a t i n d r a h t e s , der in einem Glasstabeingeschmolzen ist und durch Ausglühen in einer Bunsenflamme oder einer Spirituslampe vor und nach jeder Berührung zu sterilisieren ist. Vor der Einstellung bringt man einen Tropfen Zedernöl auf das Deckglas, legt den Objektträger auf den Mikroskoptisch, senkt die Mikroskopröhre mittels des groben Triebwerkes (oder durch Drehen der Röhre) so weit, daß die Objektivlinse in den Tropfen eintaucht, stellt den Spiegel so, daß 'möglichst, viel Licht auf das Präparat fällt, b l e n d e t d a n n a b e r d u r c h D r u c k auf d e n K n o p f d e r I r i s b l e ' n d e so w e i t a b , d a ß d i e B e l e u c h t u n g n i c h t zu s t a r k i s t , weil sonst die Umrisse der ungefärbten Gegenstände verschwinden, faßt mit der einen Hand den Objektträger, mit der anderen die feine (Mikrometer-) Schraube und senkt durch vorsichtige Drehung der letzteren und unter beständiger Verschiebung des Präparates das Objektiv so weit, bis man ein klares Bild erhält. Durch nachträgliche Verschiebung der Blende sucht man die günstigste Beleuchtung herzustellen. Wollte man auch die krankheitserregenden Kleinwesen auf gewöhnlichen Objektträgern beobachten, so würde man Gefahr laufen, sich und andere mit ihnen anzustecken. Man untersucht in diesem Falle darum ausnahmslos im h ä n g e n d e n T r o p f e n . Man umrandet zu dem Zweck einen mit einem hohlen Ausschliff versehenen Objektträger mit Vaselin und drückt ihn umgekehrt fest auf ein Deckglas, in dessen Mitte man einen kleinen Tropfen Wasser mit Bakterien u. dgl. besät hat. Der Objektträger wird dann wieder umgedreht und die obere Seite des Deckglases mit Zedernöl beschickt. Dieser durch Glasflächen und Vaselin völlig abgeschlossene Baum besitzt auch den Vorteil, daß der Tropfen darin der Verdunstung nicht ausgesetzt ist, also unter Umständen tagelang und länger beobachtet werden kann, und daß
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man bei der Untersuchung nicht durch Strömungsbewegungen gestört wird. Die Einstellung des hängenden Tropfens ist nur insofern schwieriger, als hier die doppelte Gefahr noch hinzukommt, daß ein zu großer oder zu erhabener Tropfen leicht zerfließen oder durch zu starkrs Senden des Mikrosk ps das Deckglas zerbrechen kann. Am besten übt man sich daher in der Herstellung des hängenden Tropfens an harmlosen Stoffen. Man erleichtert sich die Einstellung, indem man auf den scharfen Hand des hängenden Tropfens und die zahlreichen kleinen Tröpfchen achtet, die sich durch Niederschlag von Feuchtigkeit um den hängenden Tropfen herum unter dem Deckglas bilden. Hat man sie eingestellt, so braucht man nur nach der Mitte zu verschieben, um zum Tropfen selbst zu gelangen. Unzweifelhaft würde die Bakteriologie nicht so große Erfolge gezeitigt habpn, wenn man auf die Prüfung der Kleinwesen in frischem Zustande allein angewiesen wäre. Erst die F ä r b u n g im trocknen Zustande und unter,voller Ausnutzung der Beleuchtungsvorrichtung ermöglicht uns, selbst vereinzelte Bakterien, z. B. im Eiter, Auswurf, Blut u. dgl. zu erkennen. F ü r Untersuchung von G e w e b s s c h n i t t e n ist ebenfalls die Färbung unentbehrlich. Auch den Stoff zu den gefärbten Präparaten, z. B. aus Rein- oder Mischkulturen, verdünnt man möglichst mit Wasser, das nur genügend keimfrei sein muß, wie frisches Leitungswasser es gewöhnlich ist, nicht aber abgestandenes destilliertes Wasser, in dem man oft eine ganze Sammlung von Kleinwesen vorfindet. Von Reinkulturen oder keimreichen Aufgüssen soll man auch wieder nur Spuren zur Untersuchung entnehmen. Der Wassertropfen, den man auf einem Deckglas oder einfach gleich auf dem Objektträger anlegt, muß klein sein, damit man nicht zu lange bis zum Trocknen zu warten braucht. E i t e r , Auswurf, B l u t u. dgl. soll man nicht mit Wasser v e r d ü n n e n , weil sie gewöhnlich nicht so reich, oft sogar sehr arm an Keimen sind und durch Wasserzusatz geschädigt werden. Da sie aber um so mehr färbbare Gewebsbestandteile enthalten, ist es nötig, sie dünn auszustreichen. Das gelingt mit der Platinöse gewöhnlich ganz gut. Zur Herstellung einer dünnen Schicht kann man auch den Gewebssaft zwischen zwei Objektträgern oder Deckgläsern zerdrücken und diese dann auseinanderziehen. Nötig ist das aber nicht und auch nicht zu empfehlen, wenn es, wie z. B. bei dem Studium der Freßtätigkeit auf Erhaltung der Gewebszellen selbst ankommt. Das an der Luft vollständig getrocknete Objekt- oder Deckglas wird, um die keimhaltige Schicht so zu befestigen, daß sie beim nachfolgenden Färben und Entfärben sich nicht ablöst, 3 mal schnell durch die Flamme hindurchgezogen („fixiert", „geflammt"). "Wenn man das zu langsam oder zu oft tut, läuft man Gefahr, Bakterien und Gewebe zu verbrennen oder sie wenigstens schwer färbbar zu machen. Die in der Histologie benutzten Karmin- und Hämatoxylinfarben eignen sich für viele Bakterien und andere Klein Wesen nicht gut, wohl dagegen die basischen Anilinfarben. I m großen und ganzen kommen wir mit drei von ihnen aus, mit Methylenblau, Fuchsin und Gentianaviolett. Sie werden a m besten in gesättigter alkoholischer Lösung
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vorrätig gehalten und in starken Verdünnungen m i t destilliertem Wasser angewandt. Mit einem Tropfglas oder einer Pipette bringt man sie auf das Trockenpräparat, läßt 1 / i — 1 Minute einwirken, spült m i t Wasser ab, trocknet gründlich zwischen Fließpapier u n d durch Bewegen i n der N ä h e der F l a m m e , legt das Deckglas in einen Tropfen Zedernöl oder, wenn das Präparat aufgehoben werden soll, in Kanadabalsam und stellt in e i n e m Tropfen Zedernöl m i t v ö l l i g g e ö f f n e t e r B l e n d e ein. Sind die Bakterien auf dem Objektträger angetrocknet, so kann man das Deckglas u n d den zweiten Tropfen Öl sparen, indem m a n schon in dem ersten Tropfen untersucht. ~ Das M e t h y l e n b l a u in l % i g r wäßriger oder mit Wasser verdünnter (1:10) alkoholischer Lösung f ä r b t am schwächsten, eignet sich aber gerade deshalb zur Färbung von Eiter, Auswurf, Gewebsausstrichen und Schnitten, weil es die Gewebsteile ebenfalls so schwach färbt, daß sie die Bakterien nicht verdecken. Durch Hinzufügen von Ätzkali (100 ccm 0,01 prozentige Lösung) kann man das Methylenblau (30 ccm gesättigte alkoholische Lösung) verstärken ( L ö f f l e r s Methylenblau). Das F u c h s i n ist eine weit kräftigere Farbe. Da man es in der Hand h a t , es beliebig zu verdünnen, ist es auch in den meisten Fällen an Stelle des Methylenblaus zu gebrauchen. Andererseits vermag man seine Wirkung noch durch Verbindung mit beizenden Stoffen, wie Anilinöl oder Karbolsäure zu verstärken. So sind das reine K a r b o l - F u c h s i n (nach Z i e h l : 100 ccm 5prozentiges Karibolwasser + 10 com gesättigte alkoholische Fuchsinlösung, haltbar) und das A n i l i n w a s s e r - F u c h s i n {nach E h r l i c h : 1 ccm gesättigte Fuchsinlösung + 10 ccm Anilinwasser — Herstellen durch Schütteln von einigen Tropfen Anilinöl mit destilliertem Wasser im Reagenzglas und Filtrieren durch feuchtes Filter —schlecht haltbar), die stärksten Farben, die wir kennen. Mit ihnen können wir auch die sog. Säurefesten Bakterien der Tuberkulose usw., die Bakteriensporen und Geißeln darstellen. Das auch wegen seiner Haltbarkeit sehr empfehlenswerte Karbol-Füchsin ist diejenige Farbe, die man am allgemeinsten anwenden kann: im unverdünnten Zustande nur zu den eben erwähnten Zwecken, im viermal mit Wasser verdünnten zur schnellsten Färbung von beliebigen Reinkulturen, i m zwanzigmal verdünnten zur Färbung nach G r a m (s. u.) und von Gewebsausstrichen. D a s G e n t i a n a v i o l e t t besitzt fast die gleiche Färbekraft w i e das Fuchsin, ist aber nur für einen bestimmten Zweck unersetzlich, nämlich für das G r a m s c h e V e r f a h r e n . Man h a t gefunden, daß e i n T e i l d e r B a k t e r i e n , die „ g r a m f e s t e n " (grampositiven) sich außerordentlich tief blau, fast schwarz färben, wenn die Trockenpräparate jiach der Behandlung mit Gentianaviolett mit Jodlösung und dann mit Alkohol abgespült werden. Es entsteht dabei durch das Jod ein Farbniederschlag i n n e r h a l b und a u ß e r h a l b der Bakterien, der durch Alkohol i n d e n B a k t e r i e n s e l b s t nicht gelöst wird. Die „gramfreien", d . h . nicht gramfesten (gramnegativen) Bakterien lassen dagegen die Farbe bei der Alkoholbehandlung fahren. Für das Auffinden vereinzelter gramfester Bakterien im Gewebe ist das Verfahren ebenso geeignet, wie f ü r die Unterscheidung und Einteilung der Bakterien. Wie diese sich verhalten, lehrt die folgende Übersieht.
Mikroskopische Untersuchung der Kleinwesen gramfest Streptococcus pyogenes, „ lanceolatus, „ lacticus, Micrococcus (Staphylococcus) pyogenes, „ tetragenus, Sarcinaarten, Lange Milchsäurebazillen, Heu- und Kartoffelbazillen, Bacillus anthracis, ,, tetani, „ oedematis maligni, „ 'emphysematosus, „ diphtheriae, ,, pseudodiphthericus, Actinomyces-Rasen, Schimmelpilze, Hefepilze, Säurefeste Bazillen (bei verlängerter Färbung)
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gramfrei Micrococcus gonorrhoeae „ meningitidis, ,, catarrhalis. Bacillus typhosus, paratyphosus, » dysenteriae, >> pseudodysenteriae, it coli, >> aerogenes, pyocyaneus, 9f prodigiosus, >> fluorescens, proteus, »1 pestis i» plurisepticus, Bacillus pseudotuberculosis, mallei, >> melitensis, »» Actinomycesdrüsen.
„
Für die Färbung nach G r a m hält man sich am besten an folgende Färbungsmethode, wenn man nicht Enttäuschungen erfahren wilh Die getrockneten und geflammten Ausstriche werden 1 / 2 —1 Minute gefärbt mit der Gramfarbe (100 ccm 2V2prozentiges Karbolwasser + 10 ccm gesättigtes alkoholisches Gentianaviolett; haltbarer wie das ursprünglich vorgeschlagene Anilinwasfer-Gentianaviolett), dann wird die Farbe a b g e g o s s e n , n i c h t a b g e s p ü l t , n i c h t g e t r o c k n e t , und Vs—1 Minute lang mit L u g o l s c h e r L ö s u n g (1 g Jod und 2 g Jodkali in 5 ccm Wasser lösen, dazu 300 ccm Wasser) behandelt. Die Jodlösung wird wieder abgegossen und durch r e i n e n A l k o h o l 1 ersetzt, der nach 6—20 Sekunden abgegossen und mit Wasser abgespült wird. Entweder werden die Gegenstände dann abgetrocknet und in Öl cder Balsam untersucht öder mit g a n z d ü n n e r F u c h s i n l ö s u n g (z.B. 20mal verdünnter Karbolfuchsinlösung) kurz nachgefärbt. Diese Nachfärbung ist gewissermaßen die Probe aufs Exempel, d. h. sie färbt nur die nicht gramfesten Keime und Gewebsbestandteile. Kotig ist sie nicht, gibt aber bei Mischungen gram- und nichtgramfester Bakterien und in Gewebeausstrichen hübsche Doppelfärbungen. Man muß dabei freilich recht v o r s i c h t i g sein, weil das Rot, wenn es zu kräftig ist, auch die echte Gramfärbung verdrängt. Diese Gefahr ist besonders groß, wenn das Präparat an einzelnen Stellen ungleich dick ist, oder wenn die Bakterien abgestorben sind, was 1 Nicht empfehlenswert ist es im allgemeinen, statt des Alkohols salzsauren Alkohol zu benutzen, denn er bietet zwar den Vorteil, daß er die Präparate von Niederschlägen befreit, entfärbt aber auch manche sonst gramfesten Bakterien (z. B. Diphtheriebazillen). Die Niederschläge weiden am besten dadurch vermieden, daß nur reinste Objekte und Deckgläser und nicht zu alte Gramfarbe benutzt werden. Auch öfteres Filtrieren der letzteren ist nützlich. Selbstverständlich muß reines destilliertes Wasser zu allen Farblösungen verwandt werden.
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Vierter Abschnitt
man namentlich in Kulturen von Gärungserregern und im Gewebe ziemlich früh beobachtet. Auf besondere Fälle der Färbung, z. B. von Gewebsschnitten, Sporen, Geißeln, Polkörnern, Kapseln, Diphtherie-, Tuberkelbazillen, Protozoen kommen wir später zurück.
Vierter Abschnitt. Verfahren ztir Reinzüchtung. Das zweite Verfahren, das die Bakteriologie hochgebracht hat, ist die Reinzüchtung auf festen Nährböden nach R. K o c h . In F l ü s s i g k e i t e n , z. B. in Abkochungen von Pflanzen- oder Tierstoffen, hatte man schon Jahrzehnte vorher allerhand Kleinwesen gezüchtet, und in der Hand geschickter Forscher, wie z. B. P a s t e u r , hat dieses Verfahren auch zum Teil schon ganz oder annähernd reine Zuchten — „Reinkulturen" —, d. h. solche bestimmter einzelner Arten ergeben. Es leuchtet aber ein, und die Erfahrung hat dies bestätigt, daß man, selbst wenn man auf irgendeine Weise in den Besitz solcher Kulturen in Flüssigkeiten gelangt ist, sie schwer auf die Dauer rein zu halten vermag. Denn bei jeder Öffnung des Zuchtgefäßes können aus der Luft fremde Keime in die Flüssigkeit hineinfallen und dort unbeobachtet und unbehindert auswacheen, so daß die Kultur nicht rein bleibt. Bei Züchtung auf festen Nährböden, z. B. auf Kartoffelscheiben, Gelatineflächen u. dg], ist eine nachträgliche Verunreinigung offenbar viel weniger zu fürchten, weil die Keime an der Stelle, wo sie hinfallen, liegen bleiben, auswachsen und sich dort durch ihre Kolonien sehr bald schon dem bloßen Auge verraten. In der Tat hat S c h r ö t e r schon vor K o c h auf Kartoffeln derartige Kolonien von Luftkeimen bemerkt und als Reinkulturen angesprochen, benutzte aber diese Beobachtung nicht, um darauf ein Verfahren zur Reinzüchtung aus Bakteriengemischen zu gründen. Die M ö g l i c h k e i t , wenigstens zeitweise Reinzuchten zu gewinnen, ist selbstverständlich auch bei ausschließlicher Benutzung flüssiger Nährböden gegeben, wenn man von völlig r e i n e n Stoffen ausgeht, z. B. das Blut von kranken oder frisch an einer Infektion gestorbenen Tieren unter allen Vorsichtsmaßregeln gegen Verunreinigungen entnimmt und in keimfreie Nährlösungen bringt. Aber auch, wenn von vornherein nur ein Gemisch verschiedener Keimarten zur Verfügung steht, ist durch das sog. V e r d ü n n u n g s v e r f a h r e n , das B r e f e l d , P a s t e u r , L i s t e r u . a . angewandt haben, eine Reinzucht zu bewerkstelligen. Man braucht nur in einer bestimmten kleinen Menge, z. B. einem TropfenFlüssigkeit, die Keimzahl unter dem Mikroskop ungefähr zu bestimmen und dann einen solchen Tropfen mit der gefundenen Zahl keimfreier Tropfen zu verdünnen, um jetzt ungefähr in jedem Tropfen einen einzigen Keim erwarten zu dürfen. Verimpft man freilich nur einen einzigen dieser verdünnten Tropfen auf Nährlösung,
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Vierter Abschnitt
man namentlich in Kulturen von Gärungserregern und im Gewebe ziemlich früh beobachtet. Auf besondere Fälle der Färbung, z. B. von Gewebsschnitten, Sporen, Geißeln, Polkörnern, Kapseln, Diphtherie-, Tuberkelbazillen, Protozoen kommen wir später zurück.
Vierter Abschnitt. Verfahren ztir Reinzüchtung. Das zweite Verfahren, das die Bakteriologie hochgebracht hat, ist die Reinzüchtung auf festen Nährböden nach R. K o c h . In F l ü s s i g k e i t e n , z. B. in Abkochungen von Pflanzen- oder Tierstoffen, hatte man schon Jahrzehnte vorher allerhand Kleinwesen gezüchtet, und in der Hand geschickter Forscher, wie z. B. P a s t e u r , hat dieses Verfahren auch zum Teil schon ganz oder annähernd reine Zuchten — „Reinkulturen" —, d. h. solche bestimmter einzelner Arten ergeben. Es leuchtet aber ein, und die Erfahrung hat dies bestätigt, daß man, selbst wenn man auf irgendeine Weise in den Besitz solcher Kulturen in Flüssigkeiten gelangt ist, sie schwer auf die Dauer rein zu halten vermag. Denn bei jeder Öffnung des Zuchtgefäßes können aus der Luft fremde Keime in die Flüssigkeit hineinfallen und dort unbeobachtet und unbehindert auswacheen, so daß die Kultur nicht rein bleibt. Bei Züchtung auf festen Nährböden, z. B. auf Kartoffelscheiben, Gelatineflächen u. dg], ist eine nachträgliche Verunreinigung offenbar viel weniger zu fürchten, weil die Keime an der Stelle, wo sie hinfallen, liegen bleiben, auswachsen und sich dort durch ihre Kolonien sehr bald schon dem bloßen Auge verraten. In der Tat hat S c h r ö t e r schon vor K o c h auf Kartoffeln derartige Kolonien von Luftkeimen bemerkt und als Reinkulturen angesprochen, benutzte aber diese Beobachtung nicht, um darauf ein Verfahren zur Reinzüchtung aus Bakteriengemischen zu gründen. Die M ö g l i c h k e i t , wenigstens zeitweise Reinzuchten zu gewinnen, ist selbstverständlich auch bei ausschließlicher Benutzung flüssiger Nährböden gegeben, wenn man von völlig r e i n e n Stoffen ausgeht, z. B. das Blut von kranken oder frisch an einer Infektion gestorbenen Tieren unter allen Vorsichtsmaßregeln gegen Verunreinigungen entnimmt und in keimfreie Nährlösungen bringt. Aber auch, wenn von vornherein nur ein Gemisch verschiedener Keimarten zur Verfügung steht, ist durch das sog. V e r d ü n n u n g s v e r f a h r e n , das B r e f e l d , P a s t e u r , L i s t e r u . a . angewandt haben, eine Reinzucht zu bewerkstelligen. Man braucht nur in einer bestimmten kleinen Menge, z. B. einem TropfenFlüssigkeit, die Keimzahl unter dem Mikroskop ungefähr zu bestimmen und dann einen solchen Tropfen mit der gefundenen Zahl keimfreier Tropfen zu verdünnen, um jetzt ungefähr in jedem Tropfen einen einzigen Keim erwarten zu dürfen. Verimpft man freilich nur einen einzigen dieser verdünnten Tropfen auf Nährlösung,
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so k a n n es geschehen, daß man überhaupt keine Kultur oder aber eine Mischung zweier verschiedener Keime erhält. Verimpft man aber eine ganze Anzahl dieser Tropfen, und zwar jeden für sich, so hat man begründete Aussicht, in dem einen oder anderen Zuchtgefäße eine Reinkultur zu finden. Bei der Eigentümlichkeit der Hefezellen, auch in Flüssigkeiten in festen Zellverbänden zu wachsen, glückte es E. C h r . H a n s e n , sogar mittels einer ähnlichen Methode zu sicheren Reinzuchten der Hefe zu gelangen. Man sieht aber sofort, wie umständlich das Verfahren ist; und schließlich wird man, wenn man Dauerzuchten haben will, doch zum festen Nährboden übergehen müssen. R. K o c h wählte als Nährboden eine Hausenblasenabkochung mit verschiedenen nährenden Zusätzen („Nährgelatine"). Diese hat den Vorzug, daß" sie bei gewöhnlicher Temperatur fest und durchsichtig ist. Ähnliche Nährböden waren schon von B r e f e l d und K l e b s angewandt worden, aber nicht zu dem von K o c h ins Auge gefaßten Zwecke, die einzelnen Keime in der Mischung voneinander zu trennen. Um das zu erreichen, impfte Koch zunächst die auf Objektträgern ausgegossene, noch nicht ganz erstarrte Gelatine, indem er darauf mit einer Impfnadel Striche zog. Wenn die Keime nicht zu zahlreich sind, wachsen sie dann in getrennten Kolonien aus. Um aber diese Trennung mit größerer Sicherheit zu bewirken und gleichzeitig die Gelatine besser auszunutzen, ging K o c h bald dazu über, sie schon im flüssigen Zustande mit dem Impfstoff gründlich zu durchmischen und dann erst auf Glasplatten erstarren zu lassen. Gießt man gleichzeitig solche Platten aus, die auch mit Verdünnungen des ursprünglichen Stoffes geimpft sind, so erhält man mindestens auf einer derselben völlig getrennte ,,Kolonien". Die in der Gelatine gewachsenen Kolonien werden zunächst auf der Platte selbst auf ihre Eigentümlichkeiten studiert. Man erkennt da schon m i t b l o ß e m A u g e Unterschiede in der Größe und dem U m riß der Kolonien, in ihrer Farbe und Durchsichtigkeit, man bemerkt Veränderungen auch in der Umgebung der Kolonie, die z. B. gefärbt, getrübt, erweicht, ja durch stärkere Einwirkung lösender (peptonisierender) Keime völlig v e r f l ü s s i g t sein kann. Noch feinere Eigentümlichkeiten lassen sich feststellen, wenn man die Platte b e i 50f a c h e r V e r g r ö ß e r u n g (mit schwacher Trockenlinse, Senkung der BeleuchtungsVorrichtung, enger Blende) untersucht. Es treten dann oft oberflächliche Zeichnungen und Körnelungen auf, und man beobachtet Färbungen, Unregelmäßigkeiten der Umrandung besser als mit bloßem Auge. Die einzelnen Arten von Kleinwesen lassen sich oft schon auf solche Weise durch das Aussehen ihrer Kolonien unterscheiden. Nach „Herausfischen" derselben mittels des Platindrahtes, das man, wenn die Kolonien klein sind, ebenfalls bei schwacher Vergrößerung vorzunehmen hat, lassen sich dann ihre morphologischen Eigenschaften, sei es im hängenden Tropfen, sei es im gefärbten Präparat, studieren. Die Vorteile der Plattenkulturen werden aber erst voll ausgenutzt, wenn man die so gekennzeichneten einzelnen Kolonien, am besten auch K r u s e , Lehrbuch der Bakteriologie.
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Vierter Abschnitt
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wieder unter Überwachung durch das Mikroskop in Reagenzgläser, die mit festen Nährböden gefüllt und durch Wattebäuschchen verschlossen sind, „absticht". Die Watte erfüllt dabei den Zweck, Oase hindurchzulassen, Luftkeime aber zurückzuhalten. So gewinnt man erst eigentliche R e i n k u l t u r e n , die, wenn sie von Zeit zu Zeit, z. B. jeden Monat, neu übertragen werden, auf die Dauer leben bleiben. Auch diese „Sticht kulturen" zeigen die Eigentümlichkeiten der einzelnen Äxten, vielleicht insofern noch in vollkommener Weise, als man das Wachstum längere Zeit und auch in der Tiefe des Impfstichs beobachten kann. Das Wachstum der Keime ist, wie man schon auf den Platten feststellen kann, g e w ö h n l i c h v e r s c h i e d e n a n d e r O b e r f l ä c h e u n d in d e r T i e f e der Gelatine, und zwar oben meist kräftiger. So bekommt man im Stich Bilder, die an einen Nagel mit flachem oder rundem Kopf, durch Ausläufer in der Gelatine an einen umgekehrten Tannenbaum, durch oberflächliche Verflüssigung an einen Blumenkelch mit Stiel erinnern. Andere Male wachsen die Keime an der Oberfläche und in der Tiefe ziemlich gleich. Dann sieht man in der Gelatine nur einen Strich, bei Ausstrahlung in die Umgebung des Strichs eine Art Bürste oder, wenn die Ausstrahlungen sehr zart sind, eine Wolke, wenn Verflüssigung eintritt, eine Art Strumpf. Viel seltener kommt es vor, daß das Wachstum nach der Tiefe nicht ab-, sondern zunimmt, oder daß nur in der Tiefe eine Färbung auftritt. Wir sehen hierin offenbar Zeugnisse dafür, daß das V e r h a l t e n d e r einzelnen K e i m a r t e n gegen den Sauerstoff der L u f t recht ungleich ist: die meisten scheinen um so besser zu gedeihen, je reichlicher ihnen der Sauerstoff zuströmt; wir nennen sie daher „luftliebende" (aerophile) Keime, und wenn sie ohne Sauerstoff gar nicht gedeihen, s t r e n g e A e r o b i e r . Andere, die durch den Grad des Sauerstoffzutritts nicht wesentlich beeinflußt werden, kann man g e l e g e n t l i c h e (fakultative) A n a e r o b i e r (Anaerophile) nennen. Das Vorkommen einer letzten Gruppe, die besser bei Sauerstoffabschluß als -zutritt /gedeiht, läßt vermuten, daß es auch Keime gibt, die überhaupt nicht bei Sauerstoffzutritt wachsen, d. h. s t r e n g e A n a e r o b i e r . In der Tat sind solche ja schon von P a s t e u r gefunden worden; bei der Buttersäuregärung, der Fäulnis, dem Tetanus kommen wir darauf zurück (Abschnitt 19). Das ursprüngliche K o c h sehe Plattenverfahren wird heutzutage fast nur dann noch angewendet, wenn wir die Keime in Wasser, Abwasser, Milch u. dgl. z ä h l e n wollen (Abschnitt 15). Unter Wahrung der von K o c h eingeführten Gesichtspunkte hat man allmählich einfachere Methoden 1 für die Reinzüehtung gefunden. Die erste Verbesserung besteht darin, daß man statt der Nährgelatine, die schon bei 22—24° schmilzt, also für Keime, die nur bei höherer Temperatur wachsen, unbrauchbar 1
Weil man niemals ganz sicher sein kann, daß die Plattenkolonien auch wirklich aus einem e i n z i g e n , nicht aus mehreren zusammenliegenden Keimen entwickelt worden sind, hat B u r r i die Verdünnung mit Tusche (vgl. Abschnitt 25) dazu benutzt, um f ü r die Aussaat Tröpfchen zu gewinnen, in denen sich durch das Mikroskop feststellen läßt, daß sie nur einzelne Keime enthalten. Höchst selten wird allerdings diese „Ein-Zell-Kultur" andere Ergebnisse liefern als die Plattenkultur.
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ist, und die auch vielen anderen Kleinwesen nur ein vergleichsweise langsames Wachstum gestattet, N ä h r a g a r verwendet, d. h. die Abkochung einer japanischen Alge, die als Gallerte in der Küche und im Gewerbe schon früher benutzt worden ist. Er besitzt die Eigenschaft, erst durch Kochen gelöst zu werden, bei etwa 40° zu erstarren, nach der Erstarrung aber auch bei Temperaturen weit darüber noch fest zu bleiben und schließlich nur ganz ausnahmsweise durch die Einwirkung von Keimen verflüssigt zu werden. Die Platten vertragen also Temperaturen von 37° und darüber, bei denen die meisten Krankheitserreger weit schneller wachsen, und lassen sich auch länger aufbewahren als Gelatineplatten. Ferner gießt man jetzt die Platten fertig aus und läßt sie erstarren, ehe man sie besät, erspart sich also die gerade beim Agar recht umständliche Art der Impfung und Verdünnung im flüssigen Zustande. Um die Verteilung der Keime eines Gemisches auf der Platte dennoch zu erreichen, hat man nur nötig, dasselbe mittels einer Platinöse auf dem ersten Drittel der erstarrten Platte zu verstreichen, diese dann auszuglühen, von dem bestrichenen Teil der Platte mit der Öse etwas abzustreichen und diese wieder auf das zweite Drittel zu verteilen, schließlich das letzte Drittel in derselben Weise mit einer Öse vom zweiten Drittel zu behandeln. Vieltausendfältige Erfahrung hat gelehrt, daß man auf diese Art öfter und unter größerer Ersparnis von Zeit und Stoff zum Ziele kommt als bei dem älteren Koohschen Verfahren. Freilich erfordert die Züchtung auf Agarplatten insofern mehr Übung, als die Kolonien der einzelnen Keimarten nicht so eigenartig zu sein pflegen, wie auf der Gelatineplatte. Unterschiede genug kommen aber auch hier vor, und man hat es selbstverständlich in der Hand, von der einmal gewonnenen Reinkultur nachträglich sowohl Gelatineplatten als Gelatinestiche anzulegen und dadurch den verlorenen Vorteil wieder einzubringen. Man benutzt für die Gelatineplatten aber auch dann am besten das Ausstrich verfahren, indem man die Gelatine in Platten zum Erstarren bringt und darauf, am vorteilhaftesten mit einem aus feinen Platindrähtchen hergestellten Pinsel, die Verteilung bewirkt. Die Kolonien lassen sich natürlich von den „Ausstrichplatten" noch leichter abstechen als von den „Gußplatten", weil sie alle oberflächlich liegen. Zu Gußplatten kann auch Nähragar verwendet werden, wenn man nur dafür sorgt, daß der bei 100° verflüssigte Nährboden während des Impfens etwa auf 42° gehalten wird, damit er nicht vorzeitig erstarrt.
Was die Z u s a m m e n s e t z u n g der N ä h r b ö d e n anlangt, so verwenden wir in der medizinischen Bakteriologie mit bestem Erfolge als Grundlage der Nährgelatine oder des Nähragars eine F l e i s c h b r ü h e mit Zusätzen von 1% Pepton 1 und Va% Kochsalz. Die Hauptsache bei der Herstellung (s. u.) ist die richtige, d. h. neutrale oder ganz leicht alkalische Reaktion.2 1
Am meisten benutzt wird das von Witte-Rostock hergestellte Pepton. Lackmus muß durch den fertigen Nährboden violett gefärbt oder schwach gebläut, Phenolphthalein darf nicht gerötet werden. 2
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Vierter Abschnitt
In der technischen Bakteriologie verwendet man statt der Fleischbrühe besser eine Hefeabkochung, Bierwürze oder sonst eine Flüssigkeit, in welcher die in Betracht kommenden Kleinwesen zu gedeihen pflegen. Für bestimmte Zwecke h a t man sich auch statt der natürlichen Nährgemische aus anorganischen Salzen und bestimmten organischen Verbindungen künstliche Nährlösungen zusammengestellt und mit Erfolg benutzt. Für die Züchtung von Diphtherie-, Influenzabazillen, Gono- und Meningokokken verwendet man statt des gewöhnlichen Fleischpept'onagars erstarrtes Blutserum oder Mischungen von Blut bzw. Blutserum mit Agar, für Tuberkelbazillen Glyzerinagar u. a. m. Flüssige Kulturen, die für bestimmte Zwecke nötig sind, erhält man durch Fortlassen der gallertigen Zusätze in Peptonfleischbrühe, Blutserum u. dgl. U m die einzelnen Arten näher auf ihre biochemischen Fähigkeiten zu prüfen und ähnliche Bakterien voneinander zu unterscheiden, verimpft man sie auf Milch, Kartoffeln oder auf Agar, dem man bestimmte Zuckerarten oder Zuckeralkohole usw. zugesetzt hat. In Milch rufen z. B. die einen Bakterien durch Säuerung oder Labfermentbildung Gerinnung hervor, die anderen nicht, in Zuckeragar kann Gas gebildet werden oder auch nicht, auf Kartoffelscheiben treten namentlich Farbstoffe deutlich hervor u. a. m. Mit Farbstoffen versetzte Nährböden verwendet man ferner vielfach, wo es sich darum handelt, bestimmte Bakterien, z. B. Typhusbazillen, aus Stuhl herauszuzüchten. Für manche Bakterien wie für die meisten Pilze eignen sich öfter Nährböden, die nicht alkalisch, sondern sauer sind. Auch manche Protozoen lassen sich züchten, wenn auch nur ausnahmsweise in Reinkulturen. Auf alle diese Einzelheiten kommen wir später zurück. Die H e r s t e l l u n g d e r N ä h r b ö d e n selbst hier genauer zu besprechen, liegt außerhalb unserer Aufgabe. Sie erfordert nicht geringe Übung. Ein größeres Laboratorium ist in der Lage, eine besondere geschulte Hilfskraft dafür anzustellen, in einer kleineren Arbeitsstelle, wie sie sich jeder Arzt ohne große Kosten selbst einrichten kann, ist man heutzutrge in der Lage, von der Herstellung der Nährböden ganz abzusehen, da sie käuflich zu haben sind. Besonders empfehlenswert ist es, mit den Dörrschen T r o c k e n n ä h r b ö d e n zu arbeiten 1 , die in dauerhafter Pulverform geliefert und nur in Wasser aufgelöst zu werden brauchen. Nötig sind sonst für ein kleines Laboratorium außer einem Vorrat von Probegläsern, Petrischen Doppelschalen zu Plattenkultuwn, Platindraht, Watte, ein Mikroskop mit Immersionslinse (Viz). schwacher Trockenlinee und Beleuchtungsvoriichtung, ein T r o c k e n s c h r a n k , in dem sämtliche Glassachen bei 160—200° keimfrei gemacht werden, ein sog. K o c h s i h e r D a m p f t o p f , in dem die in Reagenzgläser gefüllten Nährböden durch strömenden Dampf Von 100° endgültig entkeimt werden, und ein B r u t s c h r a n k mit Wärmeregler für Züchtung bei Bluttemperatur. 1 Alleiniger Hersteller ist die chemische FabrikBram in Leipzig. In Büchsen verkauft fertige Nährböden die Konservenfabrik U n g e m a c h in StraßburgSchiltigheim.
Harmlose Kiemwesen.
Farbstoffbildner, Fäulnis- und Gärungserreger
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Fünfter Abschnitt. Harmlose Kleinwesen. Farbstoffbildner, Fäulnisund Gärungserreger. Will man sich schnell über die wichtigsten Formen der in unserer Umgebung verbreiteten harmlosen Kleinwesen unterrichten, so untersucht man am besten wässrige Aufgüsse von pflanzlichen und tierischen Stoffen, wie Heu, Stroh, Kohl, Fleisch oder Milch, Bier, Harn, Stalljauche, Kanalinhalt, die man einige Zeit der freiwilligen Zersetzung überlassen hat, oder gekochte Kartoffelscheiben, angefeuchtete Brotstiicke, Kot, nachdem man sie der Luft ausgesetzt und dann in feuchten Kammern gehalten hat. In den Flüssigkeiten wird man dann hauptsächlich Bakterien, Hefepilze und Protozoen, auf den festen Stoffen Pilze der verschiedensten Axt finden. Reinkulturen lassen sich daraus leicht nach dem im vorhergehenden Abschnitt geschilderten Plattenverfahren gewinnen. Es kann uns nicht in den Sinn kommen, hier sämtliche unschädliche, d. h. als Krankheitserreger nicht in Betracht kommende Kleinwesen, die bisher rein gezüchtet worden sind, ausführlich zu schildern. Teilweise — bei Besprechung der Milch, des Wassers, des Kotes — kommen wir darauf zurück. Wir greifen hier nur einige Hauptvertreter der „Saprophyten" heraus. In erster Linie werden wir die Farbstoffbakterien, in zweiter den gemeinsten Fäulnisbazillus, dann die luftliebenden Sporenbildner und schließlich die gewöhnlichsten Pilze schildern. Auf Nährböden, die einige Zeit offen an der Luft stehen, findet man unter andern Kolonien regelmäßig solche von Packetkokken, die nach ihrer Farbe als S a r c i n a alba, lutea, flava, aurantiacaund rosea bezeichnet werden (vgl. Fig. 1, S. 3). Die Sarcina lutea und flava sind beide schwefelgelb gefärbt, unterscheiden sich aber dadurch, daß die einen sehr groß, die andern klein sind. Packetkokken sind bekanntlich auch als S a r c i n a v e n t r i c u l i ausdem Mageninhalt beschrieben worden. Es scheint sich dabei um mehrere Arten, darunter eine bewegliche Sarzine, zu handeln. Pathogen ist nur der von manchen Seiten für eine Sarzineart gehaltene Mikrococcus tetragenus (Abschnitt 6). Sämmtliche Sarzinen sind, wie überhaupt die meisten Kokken, gramfest.
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Fünfter Abschnitt
Andere Pigmentbakterien leben i m Wasser, so fast immer der B a c i l l u s f l u o r e s c e n s , der den Nährboden u m die Kultur herum weithin gelb färbt (bei durchfallendem Lichte), m i t grüner Fluoreszenz (bei auffallendem Lichte). Es sind kleine, lebhaft bewegliche, gramfreie Stäbchen, die man in zwei Abarten geschieden hat, je nachdem sie die Gelatine durch ein trypsinartiges Ferment verflüssigen (Bac. fluorescens liquefaciens) oder nicht (Bac. fl. non liquefaciens). Mit der verflüss ; genden Abart h a t eine große Ähnlichkeit der B a c . p y o c y a n e u s , die Ursache der g r ü n e n (blauen) E i t e r u n g (Fig. 17) Auch hier handelt es sich um kleine gramfreie Stäbchen, die durch eine am Pol befestigte Geißel lebhaft beweglich sind, denselben wasserlöslichen, grün fluoreszierenden Farbstoff bilden und die Gelatine stark verflüssigen. Jedoch findet man in den Kulturen des Bac. pyocyaneus noch einen zweiten blauen Farbstoff, der durch Chloroform ausgeschüttelt und kristallinisch erhalten werden kann, das Pyoc y a n i n . In länger auf künstlichen Nährböden fortgezüchteten Kulturen kann letztere Farbe freilich ausbleiben, dann ißt eine Unterscheidung von dem Bac. fluorescens kaum mehr möglich. Auch die merkwürdige Eigenschaft, aus salpetersauren Salzen freien Stickstoff zu entwickeln (s. Denitrifieation, S. 20), hat der Pyocyaneus mit anderen, zum Teil auch fluoreszierenden Fig. 17. Bazillen des grünen Elters. Bazillen gemeinsam. Es bleibt also a l s Eigentümlichkeit des Pyocyaneus nur übrig diejenige Fähigkeit, die ihm den Namen gegeben hat, nämlich auf Wunden unter grünblauer Verfärbung der Absonderungen zu wachsen. In der vorantiseptischen Zeit wurde der grüne Eiter natürlich öfter beobachtet, aber auch heutzutage begegnet man manchmal in chirurgischen Krankensälen wahren Epidemien des Pyocyaneus. die allerdings unter antiseptischer Behandlung (Borsäure!) bald zu erlöschen pflegen. Geschädigt werden die Kranken dadurch kaum, die Bazillen wachsen offenbar nur oberflächlich auf den Wunden und in den mit Wundabsonderungen getränkten Verbandstoffen, haben also im allgemeinen nicht die Kraft, tiefer in die Gewebe einzudringen und sich dort zu vermehren. Immerhin sind doch Fälle namentlich bei jungen Kindern beschrieben worden, in denen eine Verallgemeinerung des Wachstums, eine echte Infektion mit Pyocyaneus angenommen werden darf. Daß auch unter diesen Umständen stets eine andere Infektion als ursprüngliche Erkrankung zugrunde liegt, der Pyocyaneus also nur als „sekundärer"Infektionserreger beim Menschen auftritt, ist wahrscheinlich, jedoch wuchert der Pyocyaneus auf unseren Nährböden EO üppig, daß er dort andere Keime leicht verdeckt. Bei manchen Tieren, namentlich Meerschweinchen, vermag man durch nicht zu kleine Gaben des Pyocyaneus tötliche Allgemeinerkrankungen zu erzeugen, die als Infektionen zu bezeichnen sind, weil die Bazillen dabei nicht bloß durch Gifte, die sie bilden, wirken, sondern sich lebhaft im Innern des Körper« vermehren. Bei Tieren hat man auch die Beobachtung gemacht, daß es gelingt, schwere Ansteckungen z. B. mit Milzbrand durch Einspritzungen von Pyocyaneun-
Harmlose Kleinwesen.
Farbstoffbildner, Fäulnis- und Gärungserreger
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bazillen zu bekämpfen. Da abgetötete Kulturen f ü r diese „Bakteriotherapie" ebenso brauchbar sind als lebende, hat man auf Empfehlung von E m m e r i c h und Low aus alten Pyocyaneuskulturen durch Filtrieren und Einengen die sog. P y o c y a n a s e hergestellt und benutzt dieses Mittel zur örtlichen Behandlung von allerhand Ansteckungen, z. B. von Diphtherie und Stomatitis. Worauf die Wirkung der Pyocyanase, die sich wohl nicht ganz abstreiten läßt, beruht, ist nicht klar. Es scheint aber, als ob einerseits Veraauungsfermente, andererseits bakterientötende Stoffe lipoidartigen Charakters daran beteiligt sind. Ein Bakterium sei hier angereiht, daß in verschiedenen Beziehungen dem vorigen ähnelt, der Bazillus der b l a u e n M i l c h (Bac. cyanogenes). Auch er ruft „Epidemien" hervor, allerdings nur auf der Milch in Kuhställen und Molkereien. Er ist ein kleines, durch ein Büschel von Polgeißeln lebhaft bewegliches Stäbchen, das ebenfalls einen fluoreszierenden, und außerdem einen zweiten Farbstoff bildet, der wie jener wasserlöslich ist, aber je nach der Reaktion himmelblau oder dunkelbraun erscheint. Die Gelatine verflüssigt er nicht, auf der Milch ist die Färbung blau, in unseren Nährböden bräunlich. Auch dieser Farbstoff geht bei längerer Fortzüchtung oft verloren. Nicht selten in Wasser zufällig gefunden wird der B a c . v i o l a c e u s , ein bewegliches kleines Stäbchen, daß Gelatine langsam verflüssigt. Sein tief violetter Farbstoff ist in Wasser unlöslich und liegt anscheinend in den Grenzschichten der Zelle selbst. In der Form von Körnern, die zwischen den Zellen liegen, wird dagegen der prachtvoll blutrote Farbstoff des B a c . p r o d i g i o s u s ausgeschieden. Er ist schon sehr lange bekannt und weit verbreitet. Besonders auf stärkehaltigen Nahrungsmitteln, wie gekochten Kartoffeln, Biot, Hostien — daher der Name „Wunderbakterium" —, aber auch auf Fleisch und Milch kommt der Prodigiosus gelegentlich, manchmal fast epidemisch vor. Die Üppigkeit seines Wachstums macht das erklärlich. Wegen seiner leichten Erkennbarkeit hat man den Prodigiosus auch oft zu Versuchen über Desinfektion, Wasserfilterung u. dergl. benutzt. Der Bazillus ist auf manchen Nährböden so kurz, daß er früher zu den Kokken gerechnet wurde, in Wirklichkeit ist er aber ein deutliches, zudem noch bewegliches Stäbchen. Gelatine verflüssigt er schnell und entwickelt darauf, wie namentlich auf Kartoffeln einen starken Geruch nach Ammoniak und Trimethylamin (Heringslake). Die frisch gewonnenen und öfter übergeimpften Kulturen sind tief blutrot gefärbt, in älteren Zuchten verblaßt die Farbe oft, ja kann ganz verschwinden, so daß sie selbst auf dem für die Farbstoffbildung geeignetsten Nährboden, der Kartoffel, nicht zum Vorschein kommt. Künstlich kann man diese Veränderung dadurch hervorrufen, daß man die Bazillen unter ungünstige Ernährungsbedingungen bringt, z. B. fortgesetzt auf Nährböden züchtet, aie mit keimwidrigen Stoffen versetzt sind oder, was dasselbe bedeutet, bei Bruttemperatur. Dieser Verlust aes FärbeVermögens, den wir ja auch bei anderen Bakterien beobachten können, ist eines des besten Beispiele f ü r die V e r ä n d e r l i c h k e i t (Variabilität.) d e r B a k t e r i e n . Nicht selten geht der Farbyerlust auch einher mit Gestaltsveränderung: die vorher kurzen Stäbchen werden länger, manchmal fadenförmig, auch das Vermögen, die Gelatine zu verflüssigen, zu peptonisieren, kann gleichzeitig leiden. Wir werden ähnlichen Umwandlungen noch öfter be-
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gegnen. Die Bakterien sind eben in ihren Eigenschaften lange nicht so beständig wie man eine Zeit lang, nach der ersten Entdeckung der Reinkulturen, geglaubt hat. Dieses Zugeständnis bedeutet aber nicht etwa einen Rückfall in die Meinung älterer Forscher, wie B i l l r o t h , Nägeli oder gar H a l l i e r , denn diese haben, das dürfen wie jetzt mit Sicherheit sagen, nur deshalb eine fast schrankenlose Veränderlichkeit der Bakterien und Pilze angenommen, weil sie nicht imstande waren, ihre Zuchten rein zu gewinnen und zu erhalten. Schließlich seien hier noch die P u r p u r b a k t e r i e n erwähnt. Es sind das meistens stattliche, zwischen den Bakterien und Phykochromazeen (Spaltalgen) in der Mitte stehende Formen (S. 9), die, wie die farblosen Schwefelbakterien, auf die Verarbeitung von Schwefelwasserstoff zu Schwefel und Schwefelsäure angewiesen und daher auch in sumpfigen Gewässern zu finden sind, aber sich durch den Besitz des Bakteriopurpurins, das ihre Leiber blaßrot bis violett färbt, unterscheiden. Früher glaubte man, daß dieser Farbstoff ähnlich wie das Chlorophyll die Purpurbakterien im Lichte zur Spaltung der Kohlensäure befähige. M o l i s c h leugnet das, nimmt aber einen Einfluß des Lichts in dem Sinne an, daß es die Ernährung mit organischen Stoffen und die Bewegungen der Purpurbakterien befördere oder ermögliche. Schon ein Teil der bisher besprochenen Bakterien ist imstande, den Leim (der Nährgelatine) und auch andere, echte Eiweißstoffe, wie koaguliertes Blutserum, nicht bloß zu verflüssigen, sondern sie auch tiefer zu spalten, wie schon die Bildung von reichlichen Mengen von Ammoniak und Aminen bezeugt. Der jetzt zu besprechende B a c . p r o t e u s (Bacterium vulgare) vermag das in dem Grade, daß wir ihn als Erreger echter, d. h. s t i n k e n d e r F ä u l n i s bezeichnen müssen. In der Tat findet er sich auch überall in faulen Stoffen, freilich niemals allein, sondern gemischt mit zahlreichen anderen Bakterien. Darunter sind auch solche, die gleichfalls als Fäulniserreger zu gelten haben, die aber im Gegensatz zum Proteus, der mit oder ohne Sauerstoff gut gedeiht, völlig luftscheu, also wie wir S. 34 sagten, strenge Anaerobier sind (vgl. Abschnitt 19). Die Zersetzung des Eiweißes beginnt damit, daß es ähnlich wie bei der tryptischen Verdauung durch Wasseraufnahme (Hydrolyse) in Peptone und deren Bausteine, die Aminosäuren Xz. B. Lnizin, Tyrosin) gespalten wird. Alle verflüssigenden Bakterien und Pilze sind mehr oder weniger dazu befähigt, und zwar nachweislich durch die Bildung von F e r m e n t e n , die in ihren Eigenschaften etwas ungleich sind, indem sie bald mehr dem Trypsin, bald dem Pepsin ähneln. Die tiefere Spaltung der Aminosäuren durch den Proteusbazillus führt dann zur Bildung reichlicher Mengen Von Ammoniak, Aminen, Phenol, Indol, Skatol, Fettsäuren, Kohlensäure, Schwefelwasserstoff. Auch diese Spaltung ist nach neueren Forschungen als eine enzymatische aufzufassen, denn sie erfolgt noch, wenn man die Bazillen durch Toluol" oder Azeton abgetötet hat. Mit der Zersetzung des Eiweißes begnügt sich aber der Proteus nicht, sondern reduziert auch Nitrate zu Nitriten und Ammoniak, vergärt Harnstoff zu kohlensaurem Ammoniak und manche Kohlenhydrate, z. B. Trauben- und Rohrzucker, zu Essig- und anderen Fettsäuren, Kohlensäure und Wasserstoff. Milchzucker wird dagegen nicht von ihm angegriffen. So kommt es, daß nur die Eiweiß3toffe der Milch vom Proteus zersetzt werden. Dabei t r i t t freilich sohon bald eine Gierinnung des Kaseins ein. Diese ist aber hier, wie bei vielen anderen verflüssigenden Bakterien nicht durch Säureentwickluug bedingt, sondern durch Bildung von L a b f e r m e n t .
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Die Proteusbakterien, die mit diesen biochemischen Fähigkeiten ausgestattet sind, tragen ihren Namen mit Recht, weil sie in ihrer Gestalt und dem Aussehen ihrer Kolonien allerlei Wandlungen durchmachen. In frischen Zuchten, auf günstigen Nährböden werden schlanke, lebhaft bewegliche Stäbchen, in älteren einerseits kokkenähnliche, andererseits fädige und spirillenartig gedrehte, zopfartig verflochtene, meist unbewegliche Formen entwickelt. Ähnlich wechselt die Art des Wachstums, namentlich wenn man auf Gelatine züchtet und von alten Kulturen ausgeht. Kreisförmige am Rande geschlossene, wellig umrandete, verästelte, strahlige Kolonien finden sich auf derselben Platte. Ist die Gelatine weich, enthält sie z. B. nur 5 % Leim, so schwärmen Bazillen aus dem Zusammenhang mit den übrigen heraus und bilden Tochterkolonien, die über die Platte wandern. Auf Agar fehlt diese Mannigfaltigkeit im Aussehen, die Entwicklung ist hier aber dadurch ausgezeichnet, daß die Mittelpunkte des Wachstums sich nicht zu richtigen Kolonien entwickeln, sondern schnell zu einem Schleier, der die ganze Platte überzieht, zusammenfließen. Das Verflüssigungsvermögen der Proteusbazillen unterliegt großen Veränderungen. Nichts ist leichter, als aus alten Kulturen Proteusstämme zu züchten, die alle Grade der Verflüssigung bis zum Fehlen derselben zeigen. Man hat sie früher als besondere Arten durch den Beinamen P r o t e u s mirabilis und Zenkeri von dem gewöhnlichen Proteus vulgaris unterscheiden wollen, doch handelt es sich nur um Spielarten der letzteren. Im allgemeinen sind die Proteusbazillen als unschädliche Keime zu betrachten, doch gilt das ebenso wie für den Pyocyaneus und selbst den Prodigiosus nicht im strengen Sinne des Worts. In größeren Mengen in die Gewebe eingeführt, sind sie für Versuchstiere nicht harmlos, sondern töten sie, entweder ohne eine Vermehrung zu zeigen als einfache Giftbildner, oder unter Vermehrung, d. h. als Infektionserreger. Der Mensch kommt mit großen Mengen der Bazillen insofern in Berührung, als sie mit faulen Nahrungsmitteln in den Magen-Darmkanal gelangen können. Dieser verträgt sie zwar oft, wie die tägliche Erfahrung lehrt, ohne Schaden, manchmal entstehen aber Erscheinungen wie Übelkeit, Durchfall, auch schwerer Brechdurchfall, also ein Bild, das der echten Fleischvergiftung ähnelt (Abschnitt 11). Man wird das wohl durch G i f t w i r k u n g erklären können, wenn auch nicht selten Proteusbazillen aus den Entleerungen zu züchten sind. Bei ihrer großen Vermehrungsfähigkeit nimmt das kein Wunder, auch bei der Ruhr und Cholera infantum wird Proteus manchmal gefunden. Es ist aber sicher unrichtig, wenn man ihn neuerdings als Ursache dieser Krankheiten hinstellt. Auch bei allerhand Erkrankungen der inneren Organe tritt der Proteus gelegentlich auf. Was wir aber von dem Pyocyaneus gesagt haben, das gilt auch für den Fäulnisbazillus: ein sicherer Beweis dafür, daß er als ursprünglicher Erreger von Infektionen in Frage käme, ist bisher kaum geliefert worden. Am ehesten noch wird man seine Beteiligung bei manchen E r k r a n k u n g e n der Harnwege gelten lassen dürfen. Urin, der Proteus enthält, zeichnet sich durch seine alkalische
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Beschaffenheit aus, was sich aus seinem Z e r s e t z u n g s v e r m ö g e n f ü r H a r n i t o f f erklärt (s. o.). Die durch Proteus verursachten Zystitisfälle sind aber viel •eltner, als die durch andere Keime, namentlich Kolibakterien, verursachten, die mit saurer Reaktion des Harns verlaufen (Abschn. 9).
Eine nahverwandte natürliche Gruppe von Bazillen bilden die sporen bildenden Aerobier und Anaerobier. Die letzteren werden wir später besprechen (Abschnitt 19), die ersteren kann man als Gruppe der H e u b a z i l l e n zusammenfassen. Gemeinsam ist ihnen außer ihrer Größe, und Gramfestigkeit, die Fälligkeit, Sporen zu bilden. Die Bakterien sporen zeichnen sich durch folgende Merkmale aus: es sind kugel- oder länglichrunde wegen ihrer starken Lichtbrechung wie F e t t glänzende Körner, die einzeln in den Stäbchen entstehen und später daraus frei werden (vgl. Fig. 3, S. 5). Die gewöhnlichen Anilinfarben nehmen sie nicht an, so daß sie als helle Lücken im gefärbten Bazillus oder, wenn sie frei liegen, nur am Rande gefärbt erscheinen, dagegen halten sie, wenn sie einmal durch besonders kräftige Behandlung (s. u.) Farbe aufgenommen haben, diese fester als die sporenfreien Stäbchen und nehmen dann bei nachträglicher Einwirkung einer Gegenfarbe diese nicht am. Die Haupteigenscbaft der Sporen ist schließlich ihre D a u e r h a f t i g k e i t gegenüber allen schädlichen Einflüssen. So widerstehen sie jahrelang dem Trocknen, oft stundenlang dem Erhitzen auf Temperaturen von 80—100°, die sonst fast augenblicklich alles Leben töten, und tagelang den kräftigsten chemischen Desinfektionsmitteln z.B. l% 0 igem Sublimat, das ebenfalls sporenfreie Bakterien sofort tötet. Die Sporen der Bakterien sind im Gegensatz zu den Sporen der Pilze und Protozoen nur als D a u e r z u s t ä n d e zu betrachten, nicht als der Vermehrung dienende Keime oder Früchte. Am ehesten lassen sie sich mit den gewöhnlichen Zysten vieler Protozoen vergleichen, die auch nicht der Vermehrung, sondern nur der Erhaltung dienen, doch besteht insofern ein Unterschied, als diese Zysten meist nur dadurch entstehen, daß dabei der ganze Zellleib sich mit einer festen Hülle umgibt, während die Bakteriensporen durch Verdichtung und Umhüllung ihres Protoplasmas sich i n n e r h a l b der ursprünglichen Zelle bilden und daher auch „endogene" Sporen 1 genannt werden. Gerade diese Stoffverdichtung (Wasserverarmung) scheint die oben aufgezählten Eigenschaften der Bakteriensporen mehr zu bedingen, als die Haut, von der sie umschlossen sind. Man kann das Fortschreiten der Verdichtung des Bakterienleibes bei der Sporenbildung oft deutlich verfolgen: der Rest der Zelle macht, wenn die Sporen iertig sind, den Eindruck einer leeren Hülse. Daß die Spore andererseits von einer eigenen Haut umgeben ist, sieht man am besten, wenn man ihre A u s k e i m u n g verfolgt. Man braucht sie dazu nur in einen hängenden Tropfen von frischer Nährgelatine 2 zu impfen 1
Früher hat man neben den Endosporen auch „Arthrosporen" unterscheiden wollen, d. h. solche Dauerzustände, die einfach durch Festerwerden der Zellhaut ohne Formveränderung entstehen sollten. Nachgewiesen sind sie bei echten Bakterien bisher noch nirgends, wohl bei den Strahlenpilzen. * Nicht Bouillon, um die Molekularbewegung auszuschließen.
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und auf dem geheizten Objekttisch oder unter dem in einem Heizkasten stehenden Mikroskop einige Zeit zu beobachten. Dabei sieht man bald, wie die eine oder andere Spore unter Verlust ihres Glanzes anschwillt und entweder an der Längsseite, wie beim Bac. subtilis, oder an der schmalen Seite, wie beim Milzbrandbazillus, eine Vorwölbung erscheinen läßt, die zu einem deutlichen Stäbchen aus wächst, während die Sporenhülle abgestoßen wird oder auf dem einen Ende des Stäbchens wie eine Kappe sitzen bleibt. Über die U r s a c h e d e r S p o r e n b i l d u n g hat man hin und her gestritten. Sicher ist, daß zu ihrer Entwicklung eine gewisse Zeit und eine weder zu hohe, noch zu niedrige Temperatur nötig ist. Die wesentlichste Voraussetzung der Sporenbildung ist aber die Verarmung des Nährbodens an Nährstoffen. Daher hat man um so mehr Aussicht, in einer Zucht Sporen anzutreffen, je älter sie ist. Ferner dürfen unmittelbar schädliche Stoffe nicht vorhanden sein, auch haben wir Glyzerin im Nährboden f ü r schädlich befunden. Die längere Fortzüchtung auf künstlichen Nährböden pflegt das Vermögen der Sporenbildung zu schädigen, man kann auf diese Weise, ebenso wie durch absichtliche Anwendung höherer, Temperaturen oder keimwidriger Zusätze geradezu a s p o r o g e n e S t ä m m e züchten. Ist noch ein Rest von Sporertbildungsvermögen in den Kulturen vorhanden, so kann man dadurch wieder zu gut sporenbildenden Stämmen gelangen, daß man die Kulturen etwa 20 Minuten bei 70° hält (pasteurisiert) und in nicht zu kleinen Mengen auf den Nährboden bringt: Nur die Sporen überleben dabei und übertragen ihre Fähigkeit, Sporen zu bilden auf ihre Nachkommen.
Die Färbung der Sporen gelingt, wie oben bemerkt, nur durch besondere Verfahren. Am besten hat sich uns bewährt die Färbung der Trockenpräparate in starker Karbolfuchsinlösung, die im Porzellanschälchen oder auf dem Deckglas über der Flamme einige Minuten im Kochen gehalten wird. Nach Abgießen der Farbe spült man ganz kurz mit (l%igen) salzsaurem Alkohol ab und färbt mit Methylenblau nach. Wenn die Bilder gelungen sind, erscheinen die Sporen rot im blau gefärbten Stäbchen. Schwach rötlich gefärbt erscheinen übrigens auch die Sporen, wenn man die sie enthaltenden Bazillen nach Gram färbt und mit Fuchsin nachfärbt. Bis zu einem gewissen Grade läßt sich die Größe der Sporen im .Verhältnis zur Zellbreite und ihre Lage im Zellleibe zur Einteilung der sporenbildenden Bazillen benutzen. Entweder ist der Durchmesser der Spore kleiner als der der Zelle, dann behält die sporenbildende Zelle ihre gewöhnliche Form, oder die Spore ist ebenso dick, ja dicker als die Zelle, dann schwellen die Zellen an den Stellen, wo die Spore liegt, mehr oder weniger an, so daß sie spindelförmig oder keulenförmig erscheinen, je nachdem die Spore mehr in der'Mitte oder am Ende des Stäbchens liegt. Ganz besonders dicke, fast faßförmig angeschwollene Sporenstäbchen, wie sie häufig bei Buttersäurebazillen (Abschnitt 19) vorkommen, nennt man Klostridien. Ist die Anschwellung und die Spore rund, wie das beim Tetanusbazillus der Fall ist, so spricht man von einer Trommelschlägel- oder Stecknadelform. Nur die letzteren Formen sind aber be-
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ständig genug, um als Artmerkmale verwandt zu werden, die übrigen zeigen oft Übergänge ineinander. Die luftliebenden Sporenbildner der Heubazillengruppe sind sämtlich große oder wenigstens mittelgroße, gramfeste und meist bewegliche Stäbchen, die außerordentlich verbreitet auf P f l a n z e n t e i l e n und in der E r d e vorkommen (Fig. 18). Dadurch gelangen sie natürlich mehr oder weniger reichlich in die Nahrung des Menschen und der Tiere. Durch die Darmentleerungen der letzteren, sowie durch den Staub der Ställe kommen ihre Sporen aber auch in wichtige t i e r i s c h e Nahrungsmittel, wie Milch und Käse. Man erhält Kulturen von ihnen mit Leichtigkeit aus solchen Stoffen, wenn man ihre Aufschwemmungen in einem mit Watte verschlossenen Gefäß F i g . 1?. kocht und dann einige Tage bei erhöhter TemHeubazillen mit S p o r e n . peratur stehen läßt. Alle vegetativen, d. h. sporenfreien Formen der Bakterien werden dadurch vernichtet und die allein übrig gebliebenen Sporen wachsen wieder aus. Wegen ihres häufigen Vorkommens in und der großen Widerstandsfähigkeit ihrer bazillen eine gewisse hygienische und noch deutung. Letztere insbesondere für das (Konservenindustrie, S. 23).
allerhand Nahrungsmitteln Sporen besitzen die Heugrößere wirtschaftliche BeFrischhaltungsgewerbe
Die größte Schwierigkeit bereiten sie in der Milch. Wenn sie einmal in diese hineingeraten sind, kann man sie kaum durch ein Verfahren wieder daraus beseitigen, ohne gleichzeitig die Beschaffenheit der Milch in ungünstiger Weise zu verändern. Es bleibt nichts übrig als die Milchgewinnung durch Reinlichkeit im Stall, Abwaschen der Euter, größte Sauberkeit beim Melken und Auffangen des Gemelks, Entkeimen der Gefäße usw. so zu vervollkommnen, daß die Heubazillensporen überhaupt ferngehalten werden. Auf solche Weise bekommt man nicht nur eine Milch, die frei ist von diesen oder anderen Keimen (s. Strept. lacticus, Abschnitt 7, und Buttersäurebazillen, Abschnitt 19) und sich deshalb im frischen Zustand viel länger hält als gewöhnliche Milch, sondern man kann diese „Vorzugs milch" auch durch .kürzere Einwirkung höherer Temperaturen (100—120°) so vollständig entkeimen, daß sie sich dauernd hält, z. B. weite Seereisen verträgt. Eine solche Milch ist die „Naturamiich" aus Waren in Mecklenburg. Wir benutzen sie bei unseren bakteriologischen Arbeiten mit dem besten Erfolge als Nährboden, während es bei der üblichen Marktmilch außerordentlich schwer fällt, sie für unsere Zwecke genügend keimfrei zu machen. Auch andere Nährböden, z. B. Blutserum, können übrigens mit Heubakterien verunreinigt sein und dadurch bei der Benutzung unangenehme Überraschungen bereiten. Manche der älteren „Entdeckungen", z. B. die des „Krebsbazillus", verdanken derartigen Verunreinigungen ihren Ursprung. Ehe man die Zähigkeit der Heubakterien kannte, hat man oft sog. D a u e r m i l c h in Verkehr gebracht, die sich dann bei näherer Prüfung, z. B. tage- und wochenlanger Einstellung in den Brütschrank als verdorben erwies. Die ersten Zeichen der Veränderung bestehen in einem Heller-
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werden der Milch unterhalb der Rahmschicht, und in dem Auftreten eines bitteren Geschmacks, weswegen auch die Heubakterien "als p e p t o n i s i e r e n d e Milchbakterien oder Bakterien der bitteren Milch bezeichnet werden. Später wird das Ka ein durch Labwirkung niedergeschlagen und mehr oder weniger vollständig gelöst. Abgesehen von dem schlechten Geschmack der durch Heubazillen veränderten Milch wird sie, wie Erfahrungen an Kindern und Versuchstieren bewiesen haben, manchmal durch giftige Stoffe, die dabei gebildet werden, gesundheitsschädlich. Die Heubazillengruppe umfaßt eine Menge Arten und Abarten, die z. T. unter dem Namen des Heubazillus (Bac. subtilis) und der Kartoffelbazillen (Bac. mesentericus vulgatus, fuscus, ruber) gehen. Man erhält in der Tat sporenbildende Bazillen aus jedem Heuaufguß, aus jeder Kartoffel, die man gekocht hat. Selbst dann, wenn man letztere in Sublimat eingelegt, gründlich abgebürstet, durch Ausstechen von den Keimen befreit, geschält und in Fließpapier eingewickelt, 1—2 Stunden oder noch länger dem strömenden Dampf ausgesetzt hat, sieht man noch o f t genug auf der Schnittfläche, und zwar regelmäßig vom Bande aus schleimige, mehr oder weniger gerunzelte Wucherungen auftreten, sich schnell ausbreiten und dadurch etwaige andere Kulturen, die man absichtlich auf der Kartoffelfläche angelegt hat, verderben.. Wir verzichten auf die nähere Beschreibung der Heu- und Kartoffel bazillen, weil fast jeder Stamm seine Besonderheiten hat. Gemeinsam ist ihnen gewöhnlich außer der Sporenbildung und nicht geringen Größe die Beweglichkeit, die Fähigkeit, sich flächenhaft über die Nährböden auszubreiten und dort zusammenhängende gerunzelte Decken und Kolonien m i t strahligen, lockigen oder verästelten Ausläufern zu bilden, sowie das'Vermögen, die Gelatine zu verflüssigen. Doch sind diese E'genschaften auf den einzelnen Nährböden verschieden entwickelt, manchmal fehlt die Beweglichkeit und das Verflüssigungsvermögen vollständig. Die Größe und Sporenform, das Verhalten zum Sauerstoff schwankt, ebenso in weiten Grenzen. Die auch bei Luftabschluß wachsenden Arten bilden, den Übergang zu den strengen Anaerobiern (Abschnitt 19). Ein ebenfalls in die Heubazillengruppe gehöriges Bakterium, das man fast regelmäßig findet, wenn man Erde auf einer Platte ausstreut, ist der Wurzelbazillus (Bac. mveoides). Er trägt seinen Namen davon, daß er weit über und in den Nährboden ausstrahlende, vielfach verästelte Ausläufer bildet. Die Bazillen sind zum größten Teil unbeweglich und stattlicher als die meisten Heu- lind Kartoffelbazillen. Von einer streng einheitlichen Art ist auch hier übrigens nicht die Rede. Noch größer ist der Riesenbazillus (Bac. megatheriunf), der auf Kohlblättern nicht selten zu finden ist und sich durch seine Größe, seine etwas gekrümmte Form, sowie die Teilving in kurze, fast kubische Glieder auszeichnet. Seine Kolonien bilden keine Ausläufer und sind auch sonst ohne besondere Kennzeichen. Von den P i l z e n können hier nur die gewöhnlichsten Arten erwähnt
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werden, die sich auf unseren Plattenkulturen einfinden, wenn wir sie längere Zeit beobachten. Sie treten auch auf unseren Nahrungsmitteln auf, wenn sie längere Zeit in feuchter Umgebung liegen, werden also offenbar sämtlich durch Luftströmungen übertragen. Je mehr in einem Laboratorium mit Schimmelpilzen gearbeitet wird, desto häufiger verunreinigen sie die Platten. Man untersucht die Schimmelpilze am besten in einem Tropfen AlkoholGlyzerin (zu gleichen Teilen), nicht in Wasser, weil sie sich damit schlecht benetzen. Färbungen sind unnötig. Man muß darauf achten, einen Fetzen des Pilzrasens abzureißen und sie nicht bloß oberflächlich abzustreifen, weil man sonst nur die Sporen zu Gesicht bekommt. Alle Pilze lassen sich leicht züchten, besonders auf stärke- oder zuckerhaltigen Nährböden. Sie lieben saure Reaktion des Nährbodens.
Der gemeinste Schimmelpilz ist das P e n i c i l l i u m glaucum, das durch seinen weißen Myzel- und grünlichen Sporenbelag nicht bloß auf der Luftplatte, sondern ebenso au Brot, Kartoffeln und sogar auf den Tapeten unserer Behausungen, d. h. überall da sich ansiedelt, wo es genügende Feuchtigkeit und Nahrung findet. Er ist außer durch das bekannte Aussehen seiner Wucherungen gekennzeichnet durch die pinselartig verästelten Fruchtträger (vgl. Fig. 12, S. 11), an deren kürzeren Endstücken reihenweise die kugligen Sporen (Konidien) abgeschnürt werden. Penicillium wächst auf allen Nährböden unter langsamer Verflüssigung der Gelatine; bei Bruttemperatur bleibt aber das Wachstum aus. Eine zweite Penioilliumart, das P e n i c i l l i u m b r e v i c a u l e , verdient deswegen Erwähnung, weil es im besonderen Maße die Eigentümlichkeit besitzt, aus arsenhaltigen Stoffen eine Arsenkohlenwasserstoff Verbindung mit knoblauchartigem Geruch (Diäthylarsin) zu entwickeln. Man vermischt zu dem b i o l o g i s c h e n A r s e n n a c h w e i s die zu prüfenden Stoffe mit zerkrümeltem Graubrot, feuchtet sie an und besät sie mit Sporen des Pilzes. Schon nach einigen Stunden beginnt die Entwicklung des knoblauchartigen Geruchs, selbst wenn nur der tausendste Teil eines Milligramms arseniger Säure vorliegt.
Äußerlich ähnlich dem Penicillium glaucum ist der A s p e r g i l l u s g l a u c u s , ein Schimmel, der aber seltener, namentlich auf Fruchtsäften bei niederen Temperaturen und feuchter Luft gefunden wird. Seine Fruchtträger endigen in einer kugligen Anschwellung, auf der zahlreiche kurze Stäbchen (Sterigmen) aufsitzen, die ihrerseits die Konidiensporen reihenweise abschnüren. Sie sind erheblich größer als die Penicilliumsporen, denn sie erreichen 9—15 p im Durchmesser. Leicht zu erhalten sind andere Aspergillen, wenn man Kartoffeln oder andere Nährböden, die der Luft ausgesetzt waren, im Brutschrank hält. Für das bloße Auge sehr dem gemeinen Pinselschimmel ähnlich ist der A s p e r g i l l u s f u m i g a t u s . Seine Sporen sind auch ebenso klein (Fig. 19). Dunkelbraune Rasen und etwas größere Sporen bildet dagegen der A s p e r g i l l u s n i g e r , gelbe bis braune Rasen und doppelt so große Sporen der Aspergillus f l a v u s . Diese drei Arten werden wir bei den pathogenen Schimmelpilzen wieder finden (Abschnitt 24).
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Eine nicht unwesentliche Bedeutung im Gewerbe haben andere Aspergillusarten, der Aspergillus oryzae z. B. dadurch, daß sie ein diastatisches Ferment bilden, mit dem sie Stärke verzuckern. Man benutzt sie in Ostasien, um Reis für die Gewinnung alkoholischer Getränke vorzubereiten, wie man bei uns die Diastase der Gerste dazu benutzt. Während Penicillium und Aspergillus zu den Mykomyzeten (S. 11) gehören, sind andere verbreitete Schimmelpilze, die M u c o r a r t e n , Algenpilze (S. 10). Sie unterscheiden sich schon für das bloße Auge dadurch, daß sie mit ihrem ."^IfL i l . o Myzel, namentlich den fruchttragenden Fäden, sich hoch in C^ ^ ^ die Luft erheben und so mit ® Q ihrem spinngewebsähnlichen ^ Fadenwerk die Kulturgefäße Q oft ganz ausfüllen. In dem ® M:f' & Luftmyzel erkennt man als £ • / ß dunkle Punkte die SporenJm/ ® /{ früchtc. Mikroskopisch zeigen # 7 m fy sich die Myzelfäden einzellig k / und verhältnismäßig dick. Die ff / sf< Früchte sind kuglige Blasen, ß V \\ in deren Innern die Sporen in / ,- 3 großer Anzahl erzeugt werden Flg. 19. Aspergillus fumigatus. (vgl. F i g . 13, S. 12). Bei der Reife oder unter Druck werden sie durch PJatzen der Blase, die aan» leer zurückbleibt, frei. Unter den zahlreichen Arten gibt es hier, wie bei Aspergillus, solche, die bei gewöhnlicher Temperatur wachsen (Mucor mucedo, racemosus, stolonifer), andere, die bei Bruttemperatur gedeihen und wieder pathogen sind (Mucor rhizopodiformis, corymbifer u. a.), und schließlich auch solche, die durch den Besitz diastatischer Fermente gewerbliche Bedeutung haben (Mucor Rodzii, amylomyces). Manche Mucorarten können sich, in zuckerhaltigen Flüssigkeiten untergetaucht, zu hefeartigen Spro ßverbänden entwickeln und auch alkoholische Gärung verursachen. E i n weiterer gemeiner Schimmelpilz, ist der Milchschimmel, das O i d i u m l a c t i s , das sich regelmäßig auf jeder rohen Milch, die einige Zeit steht, als sammetartiger Belag entwickelt, aber auch sonst z. B. in Gärbetrieben weit verbreitet ist. Das Myzel besteht zunächst aus langen schlauchförmigen, verästelten Zellen, zerfällt aber dann, meist von innen, manchmal aber auch von außen beginnend, zu kurzen, dicken Stäbchen, die sich schließlich zu den sog. Oidiensporen abrunden (vgl. Fig. 14, S. 13). In manchen Nährböden wachsen von Anfang an keine längeren Myzelfäden, sondern nur oidienähnliche Teilstücke, niemals aber Sproßmyzelien. Mit der Säuerung der Milch hat das Oidium nichts zu tun, obwohl die Milch, auf der es wächst, stets sauer ist. Auf den gewöhnlichen Nährböden
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wächst es ebenfalls gut, und zwar im Stich inder Weise, daß es ander Oberfläche ein weißeB Myzel, in der Tiefe Ausläufer bildet, die nach unten immer spärlicher werden. Die Gelatine wird langsam verflüssigt, sterile Milch äußerlich nicht verändert. Das sog. Oidium albicans, der Soor-Pilz, ist kein Oidium, sondern eher eine Hefe (s. Abschnitt 24).
Auch zu den Saccharomyzeten gehörige Sproßpilze siedeln sich häufig aus der Luft auf unseren Platten in weißen oder rosenroten Kolonien an. Meist handelt es sich dabei um wenige ß dicke, runde Zellen, die sich zwar durch Sprossung auseinander entwickeln, aber so schnell voneinander trennen, daß sie, oberflächlich betrachtet, mit großen Kokken verwechselt werden könnten (Fig. 20). Diese Formen werden gern als Torula bezeichnet. Da der Name schon an einen echten Schimmelpilz vergeben ist, wäre er als Gattungsname nicht zu gebrauchen, aber auch die Berechtigung, die kleinen A runden Sproßpilze von den echten Hefen (SaccharoO myces) zu trennen, fehlt, da die Größe kein brauch© bares Gattungsmerkmal abgibt, auch viele echte jggjs » Saccharomyzeten rund sind. Ein anderer Unterv s t Q ' VÄ' > f : / gung, zu l a n g e n F ä d e n auszuwachsen, \ •. » 7 und ihre S p o r e n , die entweder in der V " .r / Mitte oder am Ende der Bazillen liegen \ ~~ y (Fig. 58). Außer Mäusen und Meer' schweinchen sind auch K a n i n c h e n für "" Fig\ 58. Bazillen des maligoen Ödeme sie empfänglich. v Bezeichnend für die oder sporenbildender Gasbrandbazillen.
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Ö d e m b a z i l l e n g e g e n ü b e r anderen Anaerobiern soll s e i n , d a ß sie sich b e i m Tode der M e e r s c h w e i n c h e n a u f a b e r in der Galle zeigen.
der
Oberfläche
der
Leber,
nicht
Der Gasgehalt i m Ödem kann gering sein
oder f e h l e n , s t a t t dessen aber ein f a u l i g e r G e r u c h v o r h a n d e n s e i n . I n R e i n k u l t u r e n zeigen sich die Ödembazillen d e n f ä u l n i s e r r e g e n d e n B u t t e r s ä u r e b a z i l l e n (Bac. putrificus, S. 213) a m n ä c h s t e n v e r w a n d t . Leim u n d Eiweiß verflüssigen sie m i t G e s t a n k , Milch bringen sie n i c h t d u r c h S ä u r e , s o n d e r n d u r c h L a b zur G e r i n n u n g . H i r n b r e i schwärzen sie d u r c h Schwefe) w a s s e r s t o f f b i l d u n g . Aus Traubenzucker bilden sie n e b e n wenig B u t t e r s ä u r e sehr viel Milchsäure u n d Äthylalkohol. Gelegentlich w a n d e l n sich allerdings d i e Ödembazillen so u m , d a ß sie in allen i h r e n E i g e n s c h a f t e n d e n unbeweglichen B u t t e r s ä u r e b a z i l l e n bzw. Gasbrandbazillen ä h n e l n . D i e K a u s c h b r a n d b a z i l l e n (B. a n t h r a c i s s y m p t o m a t i c i ) werden u n t e r g e w ö h n l i c h e n "Verhältnissen n a m e n t l i c h Rindern u n d Schafen g e f ä h r l i c h , u n d zwar d a d u r c h , d a ß ihre Sporen v o m E r d b o d e n a u s auf der W e i d e in W u n d e n , n i c h t oder d o c h w e i t s e l t n e r wie der M i l z b r a n d d u r c h den V e r d a u u n g s k a n a l der Tiere e i n d r i n g e n . Gewisse Gegenden sind durch R a u s c h b r a n d v e r s e u c h t , wie es andere g i b t , in d e n e n der Milzbrand h e i m i s c h i s t . D e r Verlauf der K r a n k h e i t ä h n e l t d e m d e r s c h w e r s t e n f o r m e n des G a s b r a n d e s , die B a z i l l e n s i n d a b e r b e w e g l i c h u n d bilden K l o s t r i d i e n , S t ä r k e und S p o r e n . Während des Weltkrieges stellte s i c h h e r a u s , d a ß ein n i c h t geringer Teil der E r k r a n k u n g e n a n G a s b r a n d des Menschen von Rauschbrandbazillen verursacht wurde. Von d e n Ödembazillen, die i h n e n auch i m Tierversuch ä h n e l n , u n t e r scheiden sie sich d a d u r c h , d a ß sie sich w e i t b e s s e r n a c h G r a m f ä r b e n , leicht i h r e B e w e g l i c h k e i t v e r l i e r e n , k e i n e F ä d e n , b e s o n d e r s n i c h t auf d e r Oberfläche d e r Leber d e s Meerschweinchens b i l d e n , i n d e r G a l l e r e i c h l i c h v o r k o m m e n , K a n i n c h e n n i c h t so l e i c h t k r a n k m a c h e n u n d im Tierk ö r p e r n u r e i n e n u n a n g e n e h m e n süßlichen, k e i n e n f a u l i g e n G e r u c h e n t wickeln. D e m e n t s p r i c h t i h r V e r h a l t e n in d e n N ä h r b ö d e n : sie ä h n e l n hier wie i n i h r e n F o r m Verhältnissen a m meisten d e n beweglichen B u t t e r s ä u r e bazillen (S. 213). E i w e i ß b r a u c h e n sie zu ihrer E r n ä h r u n g so n ö t i g , d a ß m a n e m p f o h l e n h a t , zu ihrer R e i n z ü c h t u n g d e m T r a u b e n z u c k e r g e k o c h t e Fleischfasern zuz u s e t z e n ; a b e r auch o h n e Zucker wachsen sie n i c h t . F e r n e r verflüssigen sie Z u c k e r g e l a t i n e , a b e r a u s beiden N ä h r b ö d e n e n t w i c k e l n sie k e i n e n F ä u l n i s g e s t a n k u n d s c h w ä r z e n auch d e n H i r n b r e i n i c h t . Aus Z u c k e r bilden sie neben Milchsäure h a u p t s ä c h l i c h B u t t e r s ä u r e u n d Gas, k e i n e n Alkohol. Die meisten d e r g e n a n n t e n M e r k m a l e sind freilich nicht g a n z b e s t ä n d i g . Nach G r a ß b e r g e r u n d S c h a t t e n f r o h g e h ö r t sogar der R a u s c h b r a n d b a z i l l u s zu denjenigen Anaerobiern, die d e r V e r ä n d e r u n g a m m e i s t e n u n t e r w o r f e n s i n d . E s k o m m e n n i c h t n u r unbewegliche u n d fäulniserregende R a u s c h b r a n d b a z i l l e n vor, so d a ß Verwechslungen mit Gasbrand und malignem Ödem möglich w e r d e n , s o n d e r n selbst bei L u f t z u t r i t t w a c h s e n d e , e t w a s milzbrandähnliche S t ä m m e . E i n e Verwechslung m i t M i l z b r a n d , d i e f r ü h e r allerdings in Rechn u n g gezogen w e r d e n m u ß t e , k a n n jedoch bei d e m h e u t i g e n S t a n d der Bakteriologie b e i m R a u s c h b r a n d ebenso wie beim m a l i g n e n Ödem h ö c h s t e n s d a n n i n B e t r a c h t k o m m e n , w e n n d i e gefallenen Tiere d u r c h F ä u l n i s s t a r k v e r ä n d e r t
Luftseheue Bakterien (Anaerobier)
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sind. Wir sahen ja, S. 198, d a ß in der Leiche die Milzbrandbazillen verschwinden und Anaerobier aller A r t überwuchern können; wie man sich auch d a n n noch helfen kann, wurde beim Milzbrand erörtert.
Der Umstand, daß der Rauschbrand eine verbreitete Tierseuche ist, legte schon früh das Bedürfnis einer S c h u t z i m p f u n g nahe. Daß eiJie solche Erfolg haben könnte, dafür sprach die Beobachtung, daß Tiere, die ausnahmsweise einen Rauschbrand überstanden hatten, gegen neue Ansteckungen gefeit waren. A r l o i n g , C o r n e v i n und T h o m a s haben 1880 zuerst einen Schutz gegen Rauschbrand d a d u r c h erzeugt, d a ß sie gesunden Tieren m i t Wasser v e r d ü n n t e n , oberflächlich filtrierten Gewebssaft kranker Tieren in d a s Blut s p r i t z t e n . Während die gleiche Gabe u n t e r die H a u t oder in die Muskeln eing e f ü h r t , tödliche E r k r a n k u n g verursachte, kamen die ins B l u t g e i m p f t e n Tiere mit leichten Erscheinungen d a v o n . Ein zweites Verfahren erwies sioh ails noch einfacher, die I m p f u n g an der Schwanzspitze. U m I m p f v e r l u s t e , die bei beiden Methoden vorkommen, ganz zu vermeiden, empfahlen die französischen Forscher schließlich ein d r i t t e s Verfahren, d a s auf der Verwendung abgeschwächter Impfstoffe beruht und als Lyoner Verfahren allgemeine Verbreitung gefunden hat. Die mehr oder weniger s t a r k e Abschwächung erfolgte durch 6stündige Eintrocknung von sporenhaltigem Rauschbrandfleisch bei 100 bzw. 85°, die I m p f u n g mit den beiden Impfstoffen (Vakzin I u n d II) i n zwei Absätzen am Schwanz. K i t t h a t mit bestem Erfolg dieses Verfahren d a d u r c h vereinfacht, d a ß er getrocknetes und zermahlenes Rauschbrandfleisch 6 S t u n d e n in strömendem Wasserdampf (in München bei 97°) behandelte und m i t dem Impfstoff einmal, und zwar an der Schulter i m p f t e . T h o m a s (Verdun) i m p f t mittels eines Impfstoffs, den er an Seidenfäden eingetrocknet u n t e r die H a u t des Schwanzes schiebt. Auch Reinkulturen sind zur Schutzimpfung benutzt worden.
Bei allen diesen Impfverfahren handelt es sich um Abschwächung, n i c h t Abtötung der sehr w i d e r s t a n d s f ä h i g e n Rauschbrands p o r e n , d. h. um Erzeugung einer schwachen Ansteckung. Daneben besteht aber die Möglichkeit der Schutzimpfung durch das von hoch immunisierten Tieren gewonnene B l u t s e r u m , das unter anderen antitoxische Kräfte besitzen soll. Freilich lehrt die Erfahrung, daß man bei Tieren mit dem Serum allein nicht auskommt, sondern es mindestens zugleich mit lebendem Impfstoff verwenden muß. Auch beim Gasbrand und malignem Ödem des Menschen hat man neuerdings (s. o.) Immun-Serum zur Schutz- und Heilimpfung verwertet und zwar namentlich in der Form eines gemischten Serums, das gleichzeitig gegen die verschiedenen Gifte und Bazillen helfen soll und mindestens im Tierversuch wu-klich erprobt ist.
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Zwanzigster Abschnitt
Zwanzigster Abschnitt. Die Gruppe der Diphtheriebazillen. In den Diphtheriebazillen und den ihnen ähnlichen Bakterien lernen wir eine neue Gruppe von Kleinwesen kennen, die sich durch ihre Übereinstimmung in wichtigen äußeren Eigenschaften als eine natürliche, erweist. L e h m a n n und N e u m a n n haben für sie die Gattung C o r y n e b a c t c r i u m geschaffen. Ob man diesen Namen annimmt, oder beim gewöhnlichen Sprachgebrauch bleibt und von der Diphtheriegruppe, vom Bac. diphtheriae, pseudodiphtheriae usw. spricht, ist ziemlich gleichgültig, wenn man nur die Verwandtschaft der hierher gehörigen Keime anerkennt. Ebenso kann man darüber verschiedener Meinung sein, ob es zweckmäßig ist, die Korynebakterien von den echten Bakterien zu trennen und sie mit den Tuberkelbazillen und anderen säurefesten Stäbchen (Mycobacterium), sowie den Strahlenpilzen (Actinomyces) zu einer besonderen Familie oder Ordnung, den Myko- oder Pilzbakterien vereinigt. Daß alle diese Kleinwesen in verwandtschaftlicher Beziehung zueinander stehen, ist aber unleugbar (S. 7).
Die Diphtheriebazillen wurden im erkrankten Gewebe zuerst von E. K l e b s gesehen und von L ö f f l e r rein gezüchtet. Was sie von vornherein von allen bisher geschilderten Bazillen auszeichnet, ist dreierlei: ihre u n r e g e l m ä ß i g e G e s t a l t , L a g e r u n g u n d F ä r b b a r k e i t . Während die Bazillen sonst, mögen sie groß oder klein, plump oder schlank sein, einer Walze ähnlich sehen, d. h. in ihrer ganzen Erstreckung denselben Querschnitt haben, wechselt dieser bei den Diphtheriebazillen, die mehr oder weniger deutlich keulen-, keil- oder hanteiförmig sind. Nicht selten sind sie auch leicht gekrümmt, ausnahmsweise geweihartig verzweigt, ein Merkmal, das auf ihre Verwandtschaft mit den Strahlenpilzen hinweist.. Im ganzen betrachtet erscheinen die Diphtheriebazillen mehr schlank als plump im Gegensatz zu den Pseudödiphtheriebazillen, die meist gedrungen, manchmal fast kokkenartig aussehen, doch ist Größe und Gestalt der einzelnen Bazillen und Bazillenstämme bei Diphtherie und Pseudcdiphtherie erheblichen "Veränderungen unterworfen, so daß man aus dem mikroskopischen Bilde nicht mit Sicherheit auf die eine oder andere Art schließen darf. Beide haben ferner ihre eigentümliche Lagerung zu kleinen Klümpchen, die. an künstlich durch Serum verklumpte Stäbchen erinnern, gemeinsam. Häufig sind sie im Winkel zu zweien oder einem etwas verschobenen Lattenzaun ähnlich zu mehreren aneinander gestellt. In flüssigen Nährböden (Fleischblühe) ist diese Lagerung in Häufchen auffälliger als in Aufschwemmungen aus festen;
Die Gruppe der Diphtheriebazillen
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daß sie jedoch einer natürliche]) Anlage entspricht, kann man auch daraus schließen, d a ß sie ebenso in Schnitten von diphtherischen Belägen hervortritt. D a z u k o m m t als drittes Merkmal ihr unregelmäßiges Verhalten zu Farbstoffen. Färbt man nicht zu kräftig, z. B. m i t Methylenblau, so n e h m e n die Stäbchen die Farbe nicht gleichmäßig sondern streifenförmig a n , so daß sie bei oberflächlicher Betrachtung mit Kokkenketten verwechselt werden können. Einzelne Stellen-, die hauptsächlich a n den Polen und bei längeren, vor der Teilung stehenden Stäbchen paarig in der Mitte gelegen sind, nehmen die Farbe stärker an und halten sie kräftiger fest. M. N e i ß e r hat die Darstellung dieser „Polkörner'' b e n u t z t , u m die Diphtheriebazillen als solche leichter zu erkennen und von den Pseudodiphtheriebazillen zu Fig. es. Diphthcrioba.iiien mit Poikörucm. trennen (Fig. 59). E n t w e d e r f ä r b t man doppelt, indem man die Bazillen zunächst mit einer essigsauren Methylenblau-Kristallviolettlösung 1 . d a n n nach Abspülung etwas länger m i t einer Chrysoidinlösung 2 behandelt. Die Körner erscheinen dabei sehwarzblau, die Stäbchen gelb bis braun. Einfacher und völlig genügend i s t es, bloß mit milchsaurem Methylenblau* ganz kurz (wenige Sekunden) zu f ä r b e n u n d d a n n o h n e A b s p ü l e n zu trocknen; die Körner t r e t e n dabei durch ihre tiefblaue F a r b e genügend deutlich in den blasseren Stäbchen hervor. U m möglichst reichlich Polkörner in den Diphtheriebazillen zu erhalten und ihre Bildung in Pseudodiphtheriekulturen zu vermeiden, empfiehlt es sich, g a n z f r i s c h e , 6—18stündige K u l t u r e n auf Löff l e r s e r u m ' (s. u.), d i e b e i n i c h t zu h o h e n T e m p e r a t u r e n (nicht über 36°) g e w a p h s e n sind, zu benutzen. Die Körner sind aber auch oft genug schon in Ausstrichen unm i t t e l b a r aus d e n diphtherischen Belägen darzustellen. Nur ausnahmsweise fehlen die Polkörner bei Stämmen, die man nach ihren sonstigen Eigenschaften (s. u. Tierversuch) als echte Diphtheriestämme betrachten m u ß . Öfter kommen allerdings Pseudodiphtheriestämme vor, welche die Körnerfärbung geben. Trotzdem h a t sich diese N e i ß e r s c h e Körnerfärbung zur E r k e n n u n g der Rachend i p h t h e r i e allenthalben eingebürgert, weil sie mit erheblicher Wahrscheinlichk e i t u n d möglichst schnell zum Ziele f ü h r t . Wenn auch gelegentlich einmal wegen Qer K ö r n e r f ä r b u n g eine einfache, nicht diphtherische Raehonentzündung f ü r Diphtherie gehalten wird, so schadet das wenig. N u r i n F ä l l e n v o n D i p h t h e r i e d e r B i n d e h a u t und Nase ist die K ö r n e r f ä r b u n g niem a l s e n t s c h e i d e n d , weil gerade auf diesen beiden Schleimhäuten Pseudo1
2 Teile einer wäßrigen Lösung, die 0,1 °/0 Methylenblau und 5°/o Essigsäure enthält, werden mit 1 Teil einer 0,3 °/0 igen Kristallviolettlösung gemischt. 2 0,5°/oige Lösung in heißem Wasser. 8 0,2 Methylenblau, 100 aq. dest., 10 Tropfen Milchsäure.
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Zwanzigster Abschnitt
diphtheriebazillen (Xerosebazillen s. u.) häufig vorkommen, die durch Körner^ bildung ausgezeichnet sind.
Diese Empfehlung der Kömerfärbung besagt nicht, daß man auch ohne sie nicht durch einfache Färbung die Diphtherie erkennen könne, im Gegenteil wird das schon bei Berücksichtigung der Gestalt und Größe verdächtiger Bazillen und namentlich durch die G r a m f ä r b u n g meist gelingen (Fig'. 60). Durch sie verschwinden allerdings die Körner und farblosen Lücken in den Stäbchen, um so deutlicher tritt aber ihre Form und Größe hervor. Nur muß man sich hüten, die von Günther angegebene Abänderung des Gramschen Verfahrens, bei der statt Alkohol salzsaurer Alkohol benutzt wird, anzuwenden, weil die Diphtheriebazillen das nicht vertragen. Die Gramfärbung gestattet nach Lange r aucheine Unterscheidung der Diphtherievon Pseudodiphtheriebazillen, da nur die letzteren bei einer längeren (gegen 10 Minuten dauernden) Entfärbung mit AlFig. 60. Diphtheriebazillen Dach Gram gefärbt. kohol noch die Gramfarbe festhalten. Die Bazillen der Diphtherie sind nicht beweglich und bilden keine Sporen. Trotzdem sind sie ziemlich widerstandsfähig. Selbst scharfes Trocknen vertragen sie wenigstens zum Teil, so daß sie allenfalls durch Luftstaub verbreitet werden können und in dicken Schichten, z. B. in Kruppmembranen angetrocknet monatelang überleben,. Die Aussicht, daß auf diesem Wege eine Ansteckung zustande kommt, ist aber viel geringer als die, daß durch Berührung oder feinste Tröpfchen vom Menschen aus unmittelbar die Seuche übertragen wird. Wenn auch die Diphtheriebazillen in nicht seltenen Fällen und, sobald Teilchen eigentlicher Membranen dem Untersucher zur Verfügung stehen, sehr häufig durch die Färbung allein erkannt werden können, sq ist es doch sehr erfreulich, daß wir in dem von Löffler angegebenen Nährboden ein ausgezeichnetes Mittel in die Hand' bekommen haben, um die Diphtheriebazillen aus der Unmenge von anderen Bakterien, von denen sie im Rachen begleitet zu sein pflegen, herauszuzüchten. Der Nährboden besteht aus Blutserum (vom Bind, Hammel oder Pferd), dem ein Drittel seines Gewichts Fleischbrühe mit Traubenzucker (1%) zugemischt ist, und das durch Erhitzung auf 70—100° in Röhrchen oder in Platten erstarrt wird. Durch eben im Rachen mit den verdächtigen Stoffen beladenen Wattetupfer, den man über mehrere Röhrchen oder Platten ausstreicht, wird dieses Serum beimpft und läßt frühestens
Die Gruppe der Diphtheriebazillen
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nach 6, spätestens nach 18 Stunden, wenn auch nur wenige Diphtherie bazillen im Ausstrich vorhanden sind, diese verhältnismäßig besser zum Wachstum gelangen, als die Begleitbakterien, so daß m a n ' v o n einer Anreicherung der Bazillen durch den Nährboden sprechen darf. Soweit man noch keine Reinkultur im ersten Ausstrich erhalten hat, gelingt es, solche durch Wiederholung der Aussaat auf L ö f f l e r s e r u m zu gewinnen. Die Kolonien sind auf diesem Mährboden mittelgroße weißliche Scheiben ohne besondere Merkmale, auf der Agaroberfläche, wo sie allerdings spärlich gedeihen (besser auf Ascitesagar), grau durchscheinend und durch unregelmäßige Umrandung und Körnelung ausgezeichnet. Die Pseudodiphtheriebazillen wachsen sehr verschieden; im Rachen herrschen Abarten vor, die viel saftigere Kolonien bilden, die Xerosebazillen der Bindehaut' kommen meist nur kümmerlich fort. In Gelatine gedeihen die Diphtheriebazillen bei Zimmertemperatur nur schlecht, Fleischbrühe trüben sie nur wenig, setzen aber Körnchen und Flocken am Boden und an der Oberfläche ab. Manche Rassen bilden förmlich Kahmhäute. Zusatz von Glyzerin oder Traubenzucker befördert das Wachstum namentlich in der Tiefe der Nährböden; dabei entwickeln die Diphtheriebazillen Milchsäure, die Pseudodiphtheriebazillen nicht. Milchzucker wird von beiden nicht angegriffen, Milch, obwohl sie ein Wachstum gestattet, nicht verändert. Zur sicheren Kennzeichnung der Diphtheriebazillen'gehört noch ein letztes Merkmal, ihre- G i f t i g k e i t . Unsere Versuchstiere, insbesondere Meerschweinchen, aber auch Kaninchen, nicht freilich Mäuse und Ratten, sterben, wenn man ihnen kleine Mengen lebender Diphtheriebazillen z. B. unter die Haut bringt, gewöhnlich binnen wenigen Tagen mit einem blutigen Ödem an der Impfstelle und oft mit Flüssigkeitsansammlungen in Brust- und Bauchhöhle, fleckigen "Verdichtungen in den Lungen und blutiger Anschoppung der Nebennieren. Je länger sich die Krankheit hinzieht, desto fester (speckiger) wird das Exsudat; schließlich stirbt die Haut darüber ab, und es entsteht ein Geschwür. Dabei magern die Tiere ab und bekommen manchmal Lähmungen, die von hinten nach vorn sich entwickeln. In der Leber und Niere finden sich fettige Entartungen der Epithelien und glasartige Entartung der Kapillaren. Den Lähmungen entsprechend sind neuritische und myelitische Veränderungen oft nachgewiesen worden. Daß die Ursache aller dieser Erscheinungen im wesentlichen eine Vergiftung, keine Ansteckung im eigentlichen Sinne ist, wird zunächst schon durch das Verhalten der Bazillen im Tiere bewiesen. Man findet sie oft nur mit Mühe und Not an der Impfstelle wieder; selbst wenn man früh untersucht, kann man eine Vermehrung bei ihnen kaum feststellen. Auch andere Arten der Einverleibung führen zur Erkrankung; Einreibung in den Rachen, die Luftröhre, die.Bindehaut von Kaninchen, Hühnern, Katzen usw. und in die Scheide von Meerschweinchen veranlassen die Bildung von teilweise sehr ausgebreiteten Membranen; aber nur ausnahmsweise läßt sich dabei eine Wucherung der Diphtheriebazillen, wie wir sie beim Menschen regelmäßig antreffen, beobachten. D a ß es sich beim Tier um nichts anderes als u m eine Vergiftung handelt, beweisen namentlich Versuche mit vorsichtig abgetöteten oder
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Zwanzigster Abschnitt
a m besten durch Kieselgur oder Ton filtrierten Kulturen; sie ergeben genau die, gleichen "Veränderungen wie die Impfungen mit lebenden Kulturen. R o u x u n d Yei-ain,die diese Tatsache im Jahre 1888feststellten und somit d a s erste hoch wirksame Bakteriengift fanden, hielten es schon wegen seiner Unbeständigkeit gegen Hitze (60—70°) f ü r einen fermentartigen Stoff; B r i e g e r und C . ' F r a n k e l erklärten es f ü r einen eiweißartigen Körper, ein „Toxalbumin"; B r i e g e r und B o e h r gelang es zwar schließlich das Gift so zu reinigen, daß es keine Eiweiß- oder Peptonreaktion mehr gab, aber nicht seine eigentliche Zusammensetzung aufzuklären. Jedenfalls handelt es sich hier, wie beim Tetanus-, Wurstgift usw. um verwickelt gebaute Stoffe. Was die Entstehungsweise dieser Bakteriengifte anlangt, so h a t man sich zunächst die Vorstellung gemacht, sie seien eine Art Absonderung der Bakterien, also E k t o t o x i n e (auch Toxine im engeren Sinne), nicht Leibesbestandteile, wie die E n d o t o x i n e der Cholera, des Typhus, der ltuhl-; und der Umstand, d a ß die Filtrate der Diphtheriekulturen um so giftiger werden, je älter die letzteren, schien dafür zu sprechen. Auf der anderen Seite steht aber fest, d a ß d a s Wachstum der Diphtheriebazillen in den Kultuj-en viel früher aufhört als ihre Giftbildung, ja, d a ß i—10 ccm B l u t . A u s d e m g e r o n n e n e n B l u t e s c h l e u d e r t m a n d a s S e r u m a u s u n d e r h i t z t ( i n a k t i v i e r t ) es m ö g l i c h s t .bald V 2 S t u n d e bei 55°, u m i h m d a s K o m p l e m e n t u n d d a m i t s e i n e eigene l ö s e n d e K r a f t zu n e h m e n . I n d i e s e m Z u s t a n d e l ä ß t s i c h d a s S e r u m einige T a g e , o h n e s i e h zu v e r ä n d e r n , a u f b e w a h r e n . Z u m G e b r a u c h i s t es m i t vier T e i l e n K o c h s a l z l ö s u n g zu v e r d ü n n e n . M i t d i e s e n 5 B e s t a n d t e i l e n s c h r e i t e n wir zum H a u p t v o r s u ) f e h l t u n d d u r c h 1 / 2 ccm K o c h s a l z l ö s u n g e r s e t z t i s t . Diese b e i d e n S t o f f e allein sollen n i c h t i m s t a n d e s e i n , d a s K o m p l e m e n t zu b i n d e n . D a z u k o m m t je ein V e r g l e i c h s r ö h r c h e n (rl u n d e), in d e m d a s zu p r ü f e n d e S e r u m (5) d u r c h e i n s i c h e r s y p h i l i t i s c h e s u n d sieher n i c h t s y p h i l i t i s c h e s S e r u m e r s e t z t i s t . D a s e r s t e r e m u ß die B l u t l ö s u n g a u f h e b e n , d a s z w e i t e d a r f sie n i c h t b e e i n f l u s s e n . D a die R ö h r c h e n c., d u n d < a u c h f ü r e i n e b e l i e b i g g r o ß e A n z a h l a n d e r e r zu p r ü f e n d e r S e r e n zum Verg l e i c h d i e n e n k ö n n e n , r i c h t e t m a n es so e i n , d a ß m a n e i n e g a n z e R e i h e v e r d ä c h t i g e r Seren, die m a n w ä h r e n d einer Woche s a m m e l t , gleichzeitig der P r o b e u n t e r w i r f t . Z u r g r ö ß e r e n S i c h e r h e i t b e n u t z t m a n zwei o d e r m e h r E x t r a k t e . E s h a t sich g e z e i g t , d a ß n u r d i e j e n i g e n S e r e n , die e i n e volls t ä n d i g e o d e r d o c h s e h r s t a r k e H e m m u n g d e r H ä m o l y s e b e w i r k e n , v o n Syphil i t i k e r n s t a m m e n . M a n e r k e n n t sie d a r a n , d a ß d i e B l u t k ö r p e r c h e n sieh in d e m b e t r e f f e n d e n R ö h r c h e n n a c h m e h r s t ü n d i g e m S t e h e n bei g e w ö h n l i c h e r T e m p e r a t u r zu e i n e r d i c k e n S c h i c h t i n d e m u n t e i e n Teil d e s P r o b i e r g l a s e s n i e d e r s e t z e n u n d ü b e r sich d i e F l ü s s i g k e i t g a n z o d e r f a s t u n g e f ä r b t l a s s e n . Z u r E r g ä n z u n g d e r W a s s e r m a n n s e h e n P r o b e d i e n e n die e i n f a c h e r e n sog. A u s f l o c k u n g s r e a k t i o n e n . N a c h S a c h s u n d G e o r g i v e r d ü n n t m a n den Alkohole x t r a k t (s. o. Nr. 4) z u n ä c h s t mit g l e i c h e n T e i l e n , d a n n noch mit weiteren 4 T e i l e n 0,8°/ 0 K o c h s a l z l ö s u n g , g i b t zu 0,5 ccm d i e s e r M i s c h u n g 1 ccm lOmal v e r d ü n n t e n (inaktivierten) P a t i e n t e n s e r u m s u n d l ä ß t 2 S t u n d e n bei 3 7 ° , ü b e r N a c h t b e i 20° stehen. L i e g t S y p h i l i s v o r , so ist mit d e r L u p e eine körnige Ausflockung wahrzunehmen.
Genau genommen ist freilich die Wassermannprobe nur da für Syphilis entscheidend, wo Ansteckungen mit L e p r a , T r y p a n o s o n i e n ( S c h l a f - ) K r a n k h e i t , Malaria und schließlich S c h a r l a c h ausgeschlossen sind, denn die ersten drei Krankheiten bedingen gewöhnlich, die letztere manchmal Hemmung der Hämolyse im Wassermannversuch. Alle nicht vollständigen Hemmungen, von den schwächsten an, die sich nur in einer leichten Trübung der Röhrchen mit spärlichem
Spivochaeten
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Bodensatz bemerkbar machen, bis zu den etwas stärkeren, die deutlich^ Trübung und Bodensatz bilden, sind für eine syphilitische Ansteckung nicht beweiskräftig, werden aber immerhin einen Verdacht erwecken und zu neuen Untersuchungen auffordern oder sind im Falle, daß bei sicherer Syphilis schon eine Behandlung vorhergegangen ist, als Zeichen des Erfolges der letzteren zu verwerten. Zur Bekämpfung der Syphilis, die im allgemeinen mit derjenigen der übrigen Geschlechtskrankheiten (S. 78) zusammenfällt , wäre es unzweifelhaft von größter Wichtigkeit, wenn wir eine Schutzimpfung durchführen könnten. Leider hat sich gezeigt, daß es mit den sonst erprobten Verfahren nicht gelingt, gegen die Syphilis I m m u n i t ä t zu verleihen. Das scheint wunderbar, da doch eine Jahrhundert alte Erfahrung und zahlreiche ältere und neuere Versuche am Menschen gelehrt haben, daß der mit Syphilis angesteckte Körper gegen eine neue Ansteckung im hohen Maße, wenn nicht vollständig, geschützt ist, und daß auch ohne künstliche Eingriffe die Heilung der Syphilis erfolgen kann, ja, wenn man will, regelmäßig erfolgt. Das häufige Vorkommen von Rückfällen und schweren tertiären und ir.etasyphilitischen Ol ganerkrankungen ändert daran nichts, im Gegenteil bestätigt es die Re^el insofern, als der beschränkte Befund von Spirochaeten bei diesen Formen beweist, daß die Erreger immer weniger imstande sind, sich in den von ihnen befallenen Geweben zu vermehren. Worauf die Wachstumswiderstände, die sich im Laufe der Krankheit der Spirochaete pallida entgegenstellen, beruhen, ist noch nicht mit Sicherheit festgestellt. Entzündliche Gewebsveränderungen, Zellwucherungen , die Freßtatigkeit von Zellen (Makrophagen) spielen sicher eine Rolle, daneben werden aber Veiänderungen der Säfte beteiligt sein.
Auch insofern ist die durch Durchseuchung erworlwne Immunität gegen Syphilis unzuverlässig, als Erfahrungen dafür vorliegen, daß eine v o l l s t ä n d i g e Heilung der Seuche, möge sie freiwillig oder durch die Behandlung herbeigeführt sein, bei Menschen und Tieren die erworbene Immunität gegen die Ansteckung verschwinden läßt. Wegen dieser Eigentümlichkeit wollen manche Forscher die Immunität gegen Syphilis überhaupt nicht als solche gelten lassen, doch bedeutet das u. E. eine willkürliche Beschränkung des Begriffs der Immunität. Das Bedürfnis nach einer Schutzimpfung gegen die Lustseuche wird glücklicherweise dadurch verringert, daß wir gerade gegenüber dieser Krankheit Heilmittel besitzen, wie für wenige andere. Von Alters her gehört hierher das Quecksilber, neuerdings (1909) ist durch E h r l i c h das Salvarsan-, d. h. das Dichlorhydrat des Dioxyamidoarsenobenzols hinzugekommen. Freilich hat sich die Erwartung E h r l i c h s , damit eine „therapia magna sterilisans" verwirklichen, ,d. h. mit einer einzigen Gabe heilen zu können,
Sechsundzwanzigster Abschnitt
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nicht bestätigt, denn das Salvarsan bezwingt nur nach wiederholten Gaben 'und oft nur im Verein mit Quecksilber die Seuche, versagt auch wie letzteres manchmal und regelmäßig bei der Metasyphilis. Das Salvarsan tötet, unmittelbar zu spirochaetenhaltigen Flüssigkeiten zugesetzt, diese nicht ab, wie die Fortdauer ihrer Beweglichkeit beweist, jedoch binden die Spirochaeten anscheinend das Arzneimittel und werden dadurch unfähig, im Tierkörper sich zu vermehren, denn wenn man sie nach der Berührung mit Salvarsan ausschleudert und durch Waschung von dem überschüssigen Arzneimittel befreit, sind sie nicht mehr infektionstüchtig. Eine tropische Hautkrankheit, die F r a m b ö s i e , wird durch die der Pallida ähnliche Spirochaete pertenuis erzeugt. Auch gegen sie ist das Salvarsan wirksam. Nicht ist das der F a l l bei einer vor kurzem durch H ü b e n e r und R e i t e r , U h l e n h u t h und F r o m m e aufgeklärten Ansteckung, der sog. W e i l s c h e n Krankheit. Die Erreger (Spirochaete icterogenes) werden dadurch nachgewiesen, daß man Blut der Kranken Meerschweinchen in die Bauchhöhle einspritzt und die nach etwa einer Woche unter Gelbsucht zugrunde gegangenen Tiere mittels Giemsafärbung untersucht. Namentlich die Leber enthält sehr reichlich Spirochaeten, die sich vor den übrigen Krankheitserregern in dieser Gruppe durch ihre Fig. 71. Spirochaete der Weilschen Krankheit in Ausstrichen weiten Windungen und ihre Kürze auszeichnen der Meerschwoiuchenleber« (Fig. 71). Eine unmittelbare Ansteckung von Person zu Person scheint selten in Frage zu kommen, wahrscheinlich sind Ratten als die eigentlichen Wirtstiere beteiligt. Neuerdings hat sich gezeigt, daß auch eine andere Art des infektiösen Ikterus, das G e l b f i e b e r , durch ähnliche Spirochaeten erzeugt wird (vgl. S. 310).
s
SechsufLdzwanzigster Abschnitt. Trypanosomen. Wenn wir an die Spirochaeten die Trypanosomen anschließen, so geschieht das weniger wegen einer nahen Verwandtschaft dieser Gruppe von Kleinwesen, die durch eine gewisse äußere Ähnlichkeit ihrer Gestalt nicht genügend begründet erscheint (S. 268), als wegen ihres ähnlichen Verhaltens als Parasiten. Im übrigen gehören die Trypanosomen zu der Unterabteilung der Protozoen, die sich durch den Besitz von s t a t t lichen Geißeln auszeichnet, den Flagellaten oder Mastigophoren, von denen wir schon einige Vertreter bei den Darmschmarotzern (S. 135) kennen gelernt haben.
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nicht bestätigt, denn das Salvarsan bezwingt nur nach wiederholten Gaben 'und oft nur im Verein mit Quecksilber die Seuche, versagt auch wie letzteres manchmal und regelmäßig bei der Metasyphilis. Das Salvarsan tötet, unmittelbar zu spirochaetenhaltigen Flüssigkeiten zugesetzt, diese nicht ab, wie die Fortdauer ihrer Beweglichkeit beweist, jedoch binden die Spirochaeten anscheinend das Arzneimittel und werden dadurch unfähig, im Tierkörper sich zu vermehren, denn wenn man sie nach der Berührung mit Salvarsan ausschleudert und durch Waschung von dem überschüssigen Arzneimittel befreit, sind sie nicht mehr infektionstüchtig. Eine tropische Hautkrankheit, die F r a m b ö s i e , wird durch die der Pallida ähnliche Spirochaete pertenuis erzeugt. Auch gegen sie ist das Salvarsan wirksam. Nicht ist das der F a l l bei einer vor kurzem durch H ü b e n e r und R e i t e r , U h l e n h u t h und F r o m m e aufgeklärten Ansteckung, der sog. W e i l s c h e n Krankheit. Die Erreger (Spirochaete icterogenes) werden dadurch nachgewiesen, daß man Blut der Kranken Meerschweinchen in die Bauchhöhle einspritzt und die nach etwa einer Woche unter Gelbsucht zugrunde gegangenen Tiere mittels Giemsafärbung untersucht. Namentlich die Leber enthält sehr reichlich Spirochaeten, die sich vor den übrigen Krankheitserregern in dieser Gruppe durch ihre Fig. 71. Spirochaete der Weilschen Krankheit in Ausstrichen weiten Windungen und ihre Kürze auszeichnen der Meerschwoiuchenleber« (Fig. 71). Eine unmittelbare Ansteckung von Person zu Person scheint selten in Frage zu kommen, wahrscheinlich sind Ratten als die eigentlichen Wirtstiere beteiligt. Neuerdings hat sich gezeigt, daß auch eine andere Art des infektiösen Ikterus, das G e l b f i e b e r , durch ähnliche Spirochaeten erzeugt wird (vgl. S. 310).
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SechsufLdzwanzigster Abschnitt. Trypanosomen. Wenn wir an die Spirochaeten die Trypanosomen anschließen, so geschieht das weniger wegen einer nahen Verwandtschaft dieser Gruppe von Kleinwesen, die durch eine gewisse äußere Ähnlichkeit ihrer Gestalt nicht genügend begründet erscheint (S. 268), als wegen ihres ähnlichen Verhaltens als Parasiten. Im übrigen gehören die Trypanosomen zu der Unterabteilung der Protozoen, die sich durch den Besitz von s t a t t lichen Geißeln auszeichnet, den Flagellaten oder Mastigophoren, von denen wir schon einige Vertreter bei den Darmschmarotzern (S. 135) kennen gelernt haben.
Trypanosomen
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Die Trypanosomen sind als mehr oder weniger schädliche Schmarotzer über das ganze Tierreich verbreitet, im freien Zustande aber noch nicht beobachtet. Ebenso gemein wie harmlos scheinen die schon 1841 entdeckten riesigen Trypanosomen des F r o s c h b l u t e s und die der übrigen Kaltblüter und Vögel zu sein. Auch das T r y p a n o s o m a Lewisi lebt im Blute wilder R a t t e n anscheinend, ohne ihnen zu schaden, doch ist es gelungen, junge zahme Ratten und Mäuse damit krank zu machen. Es sind zungenförmige oder fischähnliche, etwas schraubig gedrehte Tierchen von 7—25 fi Länge und 2—3 fi Breite. Wie alle Trypanosomen tragen sie an dem einen Ende eine Geißel und entlang dem Körper einen Wellensaum (undulierende Membran). Im Gegensatz zu den übrigen Trypanosomen ist das nicht begeißelte Ende bei unserem Rattenschmarotzer schnabelartig zugespitzt, nicht abgerundet. Das Geißelende wird gewöhnlich das vordere genannt, doch erfolgen die sehr lebhaften Bewegungen der Trypanosomen nicht bloß nach dieser, sondern oft auch nach der anderen Seite. Daran beteiligt sich außer Geißeln und welligem Saum auch der Körper selbst durch Zusammenziehungen seiner Außenschicht.
Bei reichlichem Vorhandensein der Trypanosomen ist die frische U n t e r s u c h u n g eines zwischen Objektträger und Deckglas flachgedrückten Tropfen Blutes völlig ausreichend, um ilire Anwesenheit zu erkennen. Schon die Bewegung der Blutkörper verrät oft die Anwesenheit der Parasiten, die sie hin und her stoßen, selbst aber erst deutlich erkennbar werden, wenn sie etwas mehr zur Ruhe kommen. Sind die Trypanosomen spärlicher vorhanden, so kann man sie durch Färbung im dicken Tropfen (S. 270) am leichtesten nachweisen. Eine Färbung ist auch nötig, um ihren Bau festzustellen. Dazu bewährt sich, wie bei allen parasitären Protozoen in erster Linie die F ä r b u n g n a c h Giemsa (S. 287). Sie zeigt in der Nähe des vorderen Endes, nicht wie bei den übrigen Trypanosomen in der Mitte, in dem blau gefärbten Leibe einen großen roten Kern. Die Geißel ist ebenfalls rot und setzt sich, am Rande des welligen Saums entlanglaufend, nach hinten fort, um in einen zweiten kernähnlichen, viel kleineren roten Körper zu endigen. Diese Geißelwurzel (Geißelkern, Blepharoplast) hat die Gestalt eines kurzen Stäbchens, das quer zu dem Kernfaden der Geißel, gestellt ist. Die Trypanosomen teilen sich gewöhnlich unter starker Verkürzung und Verdünnung des Körpers durch Längsspaltung, wobei der Geißelkern und die Geißel selbst sich zuerst, dann der Kern und der Körper teilen, und der wellige Saum sich neu bildet. Durch fortgesetzte schnelle Teilung entstehen häufig sternartig angeordnete Haufen (Rosetten) kleiner birnenförmiger Tierohen, die ihr begeißeltes Ende nach außen kehren.
Die Hauptvermehrung der Trypanosomen scheint, wenn man absieht von den durch die Impfung in die Bauchhöhle gelangten Individuen, die sich zunächst dort vervielfältigen, im strömenden Blute stattzufinden. Die Orgarie enthalten die Parasiten nur in Mengen, die ihrem Blutgehalte
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Sechsundz wanzigster Abschnitt
entsprechen. Auch auf künstlichen Nährböden lassen sich diese Trypanosomen leicht züchten. Man braucht nur gleiche Teile von verflüssigtem Agar und Kaninchenblut zu mischen, schräg zu Erstarrung zu bringen und das Preßwasser mit einigen Tropfen trypanosomenhaltigen Blutes zu impfen, um bei Zimmertemperatur nach 3—6 Tagen, bei 37° schneller ein Wachstum zu erzielen: Die dabei sioh hauptsächlich im Preßwasser entwickelnden Flagellaten sehen allerdings etwas anders aus als die Trypanosomen des Blutes. Sie erscheinen zum Teil nur 1—2 /< groß, andererseits in riesiger Größe. Stets fehlt ihnen ein gut ausgebildeter Wellensaum und der Schnabel am hinteren Ende, so daß sie Crithidien 1 und Leptomonaden 2 ähneln. Sie vermehren sich durch wiederholte Längsspaltung. Die dabei reichlich entstehenden Rosetten zeigen aber die Geißel nach innen, nicht nach außen gekehrt. Bei Zimmertemperatur können die Kulturen, wenn sie nicht mit Bakterien verunreinigt sind, Monate lebendig und übertragbar bleiben, behalten auch recht lange ihre Ansteckungskraft für Tiere, ja steigeijn sie vielleicht sogar; denn gerade mit Kulturtrypanosomen ist es zuerst gelungen, nicht bloß Batten, sondern von diesen aus auch Mäuse anzustecken und zu töten. In letzterem Falle verläuft die Krankheit in einigen Tagen. Bei Ratten pflegen sich die Parasiten viele Wochen, j a Monate zu halten, verschwinden aber, wenn die Krankheit nicht noch spät ein tödliches Ende nimmt, schließlich freiwillig. Die überlebenden Tiere sind gegen eine Neuansteckung, aber nur mit Rattentrypanosomen, geschützt, und diese Immunität läßt sich auch durch ihr Blutserum übertragen. Außer der Schutzkraft, die durch auflösende und Phagozytoee anregende Stoffe bedingt zu sein scheint, besitzt das Immunserum auch die Fähigkeit, die Trypanosomen außerhalb des Körpers in Häufchen zu verkleben. Diese Agglutinations- (Agglomerations-) Rosetten zeigen die Geißeln nach außen gekehrt. Auf natürlichem Wege stecken sich die Kalten durch ihre Flöhe und Läuse (Hämatopinus) an. Die Trypanosomen scheinen in diesem Ungeziefer, wie die Malariaplasmodien in den Stechmücken, einen Entwicklungsgang durchzumachen, wobei auch eine geschlechtliche Vermehrung nicht fehlen soll. Bei manchen anderen kleinen Säugern, z. B. dem Hamster, werden dem Trypanosoma Lewisi äußerlich und in ihrer Harmlosigkeit ähnliche Blutschmarotzer gefunden. Durch sein ebenfalls zugespitztes hinteres Ende und seine leichte Züchtbarkeit ähnelt den Rattentrypanosomen auch das T r y p a n o s o m a T h e i l e r i ; es unterscheidet sich aber von ihm durch seine \yeit bedeutendere Größe (30—70 fi) und die mittlere Lage seines Kerns. Ursprünglich wurde es nur bei südafrikanischen Rindern gefunden und als Krankheitserreger betrachtet. Später zeigte es sich aber, daß es unschädlich und weit verbreitet, z. B. a u c h im B l u t e u n s e r e r R i n d e r vorkommt. Wenn es erst so spät hier gefunden worden ist, so liegt das daran, daß es meist nur in geringer Zahl vorkommt. Zu seinem Nachweis eignet sich am 1 Flagellaten mit Geißel und kurzem welligen Saume, der in einer vor "dem Kern gelegenen Geißelwurzel endet. 2 Bei diesen fehlt der Wellensaum gänzlich, die Geißel endet unmittelbar in den Geißelkern.
Trypanosomen
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besten die Z ü c h t u n g , zu der es schon genügt, das Blut m i t Fleischbrühe zu vermischen u n d bei gewöhnlicher T e m p e r a t u r zu b e o b a c h t e n . Die K u l t u r t r y p a n o s o m e n sind' wie die Crithidien n u r am vorderen E n d e m i t einem welligen Saum versehen. Bisher i s t nur die Ü b e r t r a g u n g auf Rinder g e g l ü c k t . Die R a t t e n t r y p a n o s o m e n bilden den Übergang zu einer Reihe v o n e c h t e n Krankheitserregern, welche die großen Haustiere u n d andere Säugetiere Afrikas, seltner Asiens, Amerikas u n d Europas heimsuchen. F a s t alle werden durch S t e c h f l i e g e n verbreitet u n d lassen sich leicht auf unsere kleinen Versuchstiere übertragen. A m l ä n g s t e n b e k a n n t u n t e r den Krankheit erregenden T r y p a n o s o m e n ist das T r y p a n ö s o m a E v a n s i , das zuerst in Indien bei der S u r r a der Pferde gefunden wurde, aber auch auf andere Tiere übergeht. N a c h der Meinung der Eingeborenen, die sich später 1 b e s t ä t i g t h a t , sind Stechfliegen (Tabanus s t o m o x y s ) dabei beteiligt. Sehr ähnlich d e m Trypanosoma Evansi ist das viel später e n t d e c k t e , aber sorgfältiger u n t e r s u c h t e T r y p a n o s o m a B r u c e i , der Erreger der afrikanischen N a g a n a oder T s e t s e , die außer Pferden, Eseln, H u n d e n , Ziegen u n d Schweinen namentlich Rinder befällt und dadurch zu einer schweren Landplage in Afrika geworden ist | (vgl. F i g . 72 auf der farbigen T a f e l ) . Die P a r a s i t e n sind e t w a so groß wie die größeren R a t t e n t r y p a n o s o m e n , aber plumper. Außerdem unterscheiden sie sich gewöhnlich durch die Abr u n d u n g des hinteren Körpers u n d die mittlere Lage des K e r n s . Wichtig ist vor allem ihre leichte Übertragbarkeit-auf Mäuse u n d R a t t e n , die ihnen meist in 4—6 Tagen erliegen, und auf Meerschweinchen und K a n i n c h e n , die e r s t nach mehreren bis vielen Wochen zugrunde zu gehen pflegen. Je schneller die K r a n k h e i t v e r l ä u f t , desto früher t r e t e n die T r y p a n o s o m e n im Blute auf und desto reichlicher sind sie darin zu finden. Ihre Zahl s c h w a n k t dabei periodisch. Bei großen Tieren, die schnell s t e r b e n , n a m e n t l i c h P f e r d e n , e n t s p r e c h e n diese Schwankungen dem remittierenden Fieberverlauf. Auf der Höhe des Fiebers und beim Tode f i n d e n sich am meisten P a r a s i t e n im Blute. I n den schleichenden Fällen, die sich bei R i n d e r n viele Monate hinziehen können u n d durch zunehmende Abmagerung und Hinfälligkeit b e m e r k b a r m a c h e n , sind Trypanosomen o f t n u r d u r c h die T i e r i m p f u n g nachzuweisen. Außer im Blute t r e t e n vereinzelte T r y p a n o s o m e n in den häufigen Ödemen u n t e r der H a u t , in der Riickenmarksflüssigkeit u n d dem K a m m e r w a s s e r auf, ebenso im K n o c h e n m a r k , den Lungen u n d den H o d e n . U m g e k e h r t i s t auch von allen möglichen Körperstellen, selbst von der unverletzten Schleimhaut der Augen aus eine A n s t e c k u n g möglich. F ü r den Verlauf der K r a n k h e i t ist die A n s t e c k u n g s k r a f t des T r y p a n o s o m e n s t a m m e s , die d u r c h Ü b e r t r a g u n g von Tier zu Tier derselben A r t gesteigert werden k a n n , weniger die Menge der v e r i m p f t e n Erreger ausschlaggebend. ' Die Züchtung des T r y p a n o s o m a Brucei macht erheblich größere Schwier i g k e i t e n als die des T r y p a n o s o m a Lewisi. Die in den K u l t u r e n b e o b a c h t e t e n F o r m e n ä h n e l n jenen. Die Tsetse krankheit wird unter 1 n a t ü r l i c h e n Bedingungen durch den Stich der T s e t s e f l i e g e n (Glossina palpalis, morsit a n s u . a.) ü b e r t r a g e n , u n d zwar sind die Fliegen^ die P a r a s i t e n a u f g e n o m m e n h a b e n , f r ü h e s t e n s nach 14 Tagen befähigt, die A n s t e c k u n g zu v e r m i t t e l n , bleiben d a n n aber längere Zeit ansteckungstüchtig. I n dem D a r m der Fliegen
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Sechsundz winzigster Abschnitt
k o m m t es zu geschlechtlicher F o r t p f l a n z u n g der Trypanosomen, wobei plumpe F o r m e n als weibliche, schlanke als männlic.he angesprochen werden. Die B e k ä m p f u n g der Tsetsekrankheit ist wegen der großen Verbreitung der sie übertragenden Fliegen u n d der für Trypanosomen empfänglichen Tiere sehr schwierig. Man hat sich deshalb viel Mühe g e g e b e n , eine S c h u t z i m p f u n g gegen sie zu finden. U n t e r n a t ü r l i c h e n Verhältnissen k o m m t die I m m u n i t ä t nicht so leicht zustande wie gegenüber den Spirochaeten und R a t t e n t r y p a n o s o m e n , denn n u r wenige u n t e r d e n empfänglichen Tieren pflegen dem Tode durch die K r a n k h e i t zu e n t g e h e n , und auch diese werden der Regel nach nicht völlig von d e n T r y p a n o s o m e n befreit, sondern beherbergen sie d a u e r n d , wenn auch in geringerer Anzahl in ihrem Blute. Trotzdem i s t aber bei solchen Tieren wie bei der Syphilis die erworbene Widerstandsfähigkeit n i c h t zu v e r k e n n e n , d e n n frische Ansteckung von außen geht bei i h n e n n i c h t an. Bei kleinen Versuchstieren ist es mehrfach gelungen, I m p f s c h u t z zu erzielen,' so z. B. d u r c h Einverleibung von T r y p a n o s o m e n , die durch fortgesetzte Ü b e r t r a g u n g bei e i n e r anderen Tierart f ü r die erste abgeschwächt w a r e n , oder durch E i n s p r i t z u n g großer Mengen abgetöteter Trypanosomen oder d u r c h Behandlung m i t dem Blutserum widerstandsfähiger Tiere, oder endlich d u r c h Milderung der I m p f k r a n k h e i t m i t t e l s Arzneibehandlung (s. u.). Bei H a u s t i e r e n h a t sich aber keines dieser, Verfahren bewährt. A m aussichtsvollsten erscheint vorläufig der Schutz gegen die A n steckung,, der durch Arzneien gegeben wird, die sog. C h e m o t h e r a p i e . Zunächst h a t man bei kleinen Tieren m i t arsenhaltigen Mitteln, wie "Atoxyl, A r s e n a z e t i n , Arsenophenylglvzin, Salvarsan, arsenige Säure, dann m i t Quecksilber u n d A n t i m o n , Farbstoffen wie Trypanrot und Trypanblau, Safranin u n d Methylenblau, Abkömmlingen des Chinins g u t e Erfolge erzielt. Ein großer Teil der geimpften Tiere konnte schon m i t großen Gaben dauernd geheilt werden, ein anderer Teil bekam Rückfälle, die sich aber wieder, sei es mit denselben, sei es m i t anderen Mitteln, beseitigen ließen. I m Verfolg dieser namentlich durch E h r l i c h und seine Schule ausg e f ü h r t e n Versuche stellte es sich heraus, d a ß zwar die einmal behandelten u n d völlig geheilten Tiere gegen neue Ansteckungen mit den ursprünglich b e n u t z t e n T r y p a n o s o m e n ' gefeit waren u n d Schutzstoffe in ihrem Serum gegen diese e n t w i c k e l t e n , diejenigen Tiere a b e r , die einen Rückfall bekamen, einen n e u e n T r y p a n o s o m e n s t a m m in ihrem Blute zur Entwicklung b r a c h t e n , gegen efen sie selbst und. die d u r c h die erste Behandlung geheilten Tiere n i c h t w i d e r s t a n d s f ä h i g waren. Dieser neue Stamm erwies sich auch „ f e s t " gegenüber d e m ersten Serum. Auf ähnliche Weise k o n n t e n m e h r e r e s e r u m f e s t e u n t e r sich u n d vom» Ausgangsstamm verschiedene R a s s e n e r h a l t e n werden. Andererseits aber lassen auch die Arzneimittel gelegentlich i m Stich, wie sich zeigt, weil sich S t ä m m e von Trypanosomen bilden, die a r z n e i f e s t sind. Die K u n s t der Chemotherapie besteht also in diesen Fällen darin, durch a n d e r e Mittel die Heilung zu bewirken, und d a s gelingt o f t , wenn auch Rassen, die zugleich gegen die verschiedensten Stoffe fest sind, beobachtet werden.
Trypanosomen
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Bisher sind freilich die Erfolge einer solchen Behandlungs weise gegenüber großen Tieren u n d , wie wir bei der S c h l a f k r a n k h e i t sehen werden, auch gegenüber dem Menschen noch n i c h t befriedigend, d a eine vollständige Heilung der T r y p a n ö s ö m e n e r k r a n k u n g hier n i c h t g e g l ü c k t ist.
Dem Surra- und Tsetseerreger ähnlich sind die Trypanosomen, die zwei Pferdeseuchen, das brasilianische Mal de Caderas (Tryp. equinum) und die auch in Europa früher weit verbreitete, heute bei uns seltner gewordene Dourine- oder Beschälseüche (Tryp. equiperdum) erzeugen. Die letztere i s t auch deshalb wichtig, weil sie anscheinend als einzige T r y p a n o s o m e n k r a n k h e i t n i c h t , oder w e n i g s t e n s gewöhnlich n i c h t d u r c h stechende I n s e k t e n , s o n d e r n d u r c h den G e s c h l e c h t s v e r k e h r ü b e r t r a g e n wird und auch d a r i n d e r S y p h i l i s ä h n l i c h i s t , d a ß sie vorwiegend n i c h t d a s Blut, s o n d e r n die Gewebe, u n d z w a r n a m e n t l i c h die H a u t , L y m p h d r ü s e n , d a s periphere u n d Z e n t r a l n e r v e n s y s t e m befällt. Die P a r a s i t e n sind beim Pferde selbst meist in geringer Zahl v o r h a n d e n . Am ehesten f i n d e t m a n sie m i k r o s k o p i s c h in a b g e s c h a b t e m Scheidensekret u n d in der Flüssigkeit der großen f r i s c h e n t s t a n d e n e n H a u t q u a d d e l n . Noch sicherer i s t die Ü b e r t r a g u n g derselben Flüssigkeit oder des Blutes in die Bauchhöhle von Mäusen, K a ninchen u n d H u n d e n . Auch E i n t r ä u f e l u n g in die B i n d e h a u t h a t Erfolg. I n einigen Wochen oder M o n a t e n pflegen die Versuchstiere e r s t zu s t e r b e n , ihr Blut e n t h ä l t aber schon f r ü h e r die Erreger. Auch die Z ü c h t u n g in Fleischbrühe, die m a n m i t B l u t gemischt h a t , wird e m p f o h l e n . Die K e n n t n i s der K r a n k h e i t u n d i h r e r Übertragungsweise gibt u n s die Mittel an die H a n d , sie sohon d u r c h seuchenpolizeiliche M a ß n a h m e n erfolgreich zu b e k ä m p f e n .
Das einzige Trypanosoma, das für den Menschen selbst in Betracht kommt, das Trypaoiosoma gämbiense, ist der Erreger der in Mittelafrika herrschenden S c h l a f k r a n k h e i t . Äußerlich ist es dem Tsetse-Trypanosoma sehr ähnlich. Auf kleine Versuchstiere i s t es ebenfalls ü b e r t r a g b a r , doch ist der E r folg nicht so b e s t ä n d i g u n d der Verlauf der A n s t e c k u n g n i c h t immer so schnell. Affen sind sehr e m p f ä n g l i c h u n d e r k r a n k e n u n t e r Erscheinungen, die der S c h l a f k r a n k h e i t ä h n e l n . Diese selbst b r a u c h t zu ihrer E n t w i c k l u n g gewöhnlich viele M o n a t e , j a J a h r e . Sie b e g i n n t nach einer längeren Vorbereitungszeit m i t einer f i e b e r h a f t e n Periode, bei der die T r y p a n o s o m e n in den geschwollenen L y m p h d r ü s e n , n a m e n t l i c h des Halses und i m Blute m i t Hilfe der F ä r b u n g im d i c k e n T r o p f e n nachweisbar sind. D a n n folgt die eigentliche S c h l a f k r a n k h e i t , die wohl durch d a s E i n d r i n g e n der Erreger in die H i r n - u n d R ü c k e n m a r k s f l ü s s i g k e i t b e d i n g t i s t . J e d e n f a l l s sind sie in dieser außer i m Blute j e t z t f a s t regelmäßig nachzuweisen ( C a s t e l l a n i ) . N i c h t s e l t e n vergesellschaften sie sich dabei schließlich m i t S t r e p t o k o k k e n . Obwohl d u r c h die B e h a n d l u n g S t i l l s t ä n d e erzielt werden k ö n n e n , l ä ß t sich der Tod e n d g ü l t i g n i c h t a b w e n d e n . Auch züchten l ä ß t sich d a s T r y p a n o s o m a , wenn m a n s t a t t K a n i n c h e n b l u t R a t t e n b l u t , d a s d u r c h l ° / 0 N a t r i u m z i t r a t ung e r i n n b a r g e m a c h t worden i s t , zum Agar zusetzt, doch verliert sich die Ans t e c k u n g s k r a f t schnell in der K u l t u r .
Die Schlafkrankheit wird gewöhnlich durch die Stechfliege Glossina p a l p a l i s übertragen, wie schon die auffallende Übereinstimmung in der Verbreitung dieser Fliegen und der' Schlafkrankheit beweist. In
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Sechsundzwanzigster Abschnitt
den Fliegen machen die Trypanosomen eine ähnliche E n t w i c k l u n g durch, wie die der Tsetsekrankheit. Auf andere Tiere, z. B.' H u n d e , s c h e i n t die Schlafkrankheit unter natürlichen Bedingungen nur ausnahmsweise überzugeben, so d a ß die Seuche durch A b s o n d e r u n g d e r E i n g e b o r e n e n i n b e s o n d e r e L a g e r b e k ä m p f t werden kann. Außer der Glossina palpalis scheinen auch andere Stechfliegen, aber nur durch Ü b e r t r a g u n g der k u r z vorher aufgesogenen T r y p a n o s o m e n gelegentlich die K r a n k h e i t zu verursachen. Nach neuen E r f a h r u n g e n k o m m t außerdem i n einzelnen Gegenden eine A b a r t der S c h l a f k r a n k h e i t vor, die durch Glossina m o r s i t a n s ü b e r t r a g e n wird. Der betreffende Erreger, d a s T r y p . rhodesiense besitzt eine 'große A n s t e c k u n g s k r a f t f ü r Versuchstiere und anscheinend auch f ü r den Menschen. Schließlich sprechen m a n c h e Beobachtungen auch f ü r die Möglichkeit, d a ß die S c h l a f k r a n k h e i t , wi e die Beschälseuche, d u r c h den Geschlechtsverkehr von Mensch auf Mensch verp f l a n z t werden k a n n . T h o m a s , später H o b . K o c h u. a. glaubten anfänglich in d e m A t o x y l einen Stoff gefunden zu haben, der die Schlafkrankheit heilen k ö n n t e , leider h a t sich diese Erwartung n i c h t b e s t ä t i g t , wenn auch in den fieberhaften Perioden der Krankheit m i t d i e s e m und anderen Arzneim i t t e l n (S. 282) Erfolge erzielt werden. Auf einem eigentümlichen U m w e g e wurde ein anderes, den Trypanosomen verwandtes Kvankheitswesen, das Schizotrypanum Cruzi, e n t d e c k t . C h a g a s f a n d zunächst in einer brasilianischen Wanze Crithidien ä h n liche f o r m e n (S. 280, A n m . 1). C r u z s a h , d a ß in einem Affen, den er durch solche Wanzen beißen ließ, eine tödliche T r y p a n o s o m e n k r a n k h e i t sich e n t wickelte. D a hierdurch der Verdacht e n t s t a n d , d a ß auch der Mensch, auf dem dieselbe W a n z e n a r t s c h m a r o t z t , a n g e s t e c k t werden k ö n n t e , d u r c h m u s t e r t e C h a g a s d a s Blut der Bevölkerung in u m f a s s e n d e r Weise und f a n d wirklich bei einer einheimischen, h a u p t s ä c h l i c h K i n d e r befallenden K r a n k h e i t e i n e n Erreger, den er S c h i z o t r y p a n u m C ' r u z i n a n n t e . I m Blut bildet er F o r m e n , die von e c h t e n T r y p a n o s o m e n n i c h t zu u n t e r s c h e i d e n sind, in den Organen wird er u n t e r wiederholter Teilung nach Abwerfen der Geißel und des welligen Saums zu einem echten Ze 1 ls c h m a r o t z e r , d e r viel Ähnlichkeit m i t einer L e i s h m a n i a (s. u.) besitzt. H a u p t s ä c h l i c h werden befallen Endothelzellen der Lunge, K n o c h e n m a r k z e l l e n , quer g e s t r e i f t e und g l a t t e Muskeln. Außer Affen sind Meerschweinchen, K a t z e n , H u n d e , R a t t e n u n d Mäuse e m p f ä n g l i c h . Bei der K r a n k h e i t des Menschen, die e n t w e d e r fieberh a f t oder schleichend v e r l ä u f t , fallen besondere Störungen auf, die von der Schilddrüse ausgehen. D a s i s t um so b e m e r k e n s w e r t e r , als wir bezüglich der Ursache der K r o p f k r a n k h e i t bisher noch vollkommen im Dunkeln sind. Das S c h i z o t r y p a n u m bildet den Übergang zu den L e i s h m a n i e n , die unter natürlichen B e d i n g u n g e n als Z e l l s c h m a r o t z e r a u f t r e t e n , aber auf B l u t - oder Serumnährböden g e z ü c h t e t , zu Flagellaten a n wachsen, welche den Kulturtrypanosomen ähnlich sind, d. h. keinen deutlichen Wellensaum zeigen. Stets fbidet sich aber hier, wie bei den viel kleineren u n d abgerundeten in den Gewebszellen liegenden Formen
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neben dem Kern ein kleiner Geißelkern (Blepharoplast). Am längsten bekannt, aber allerdings erst später genauer studiert, ist die Leish^ mania t r o p i c a , welche die sog. Orientbeule,ein in südlichen Gegenden weit Verbreitetes, gutartiges Geschwür verursacht. Sie ist auf Affen und Hunde zu verimpfen und wird wahrscheinlich durch verschiedene Insekten übertragen. Die beiden anderen Leishmanien Leishmania D o n o v a n i und i n f a n t u m erzeugen schwere Allgexneinkrankheiten, die meist schleichend unter Fieber, Ausschlägen, Diarrhöen und Anämie verlaufen und mit riesigen Schwellungen der Milz zum Tode führen. Die eine von i h n e n h e r r s c h t u n t e r dem N a m e n K a l a a z a r in Indien und China. Die zweite F o r m ist. i m Mittelmeerbecken als K i n d e r k r a n k h e i t weit v e r b r e i t e t . D u r c h Anstich der Milz oder Leber mit einer langnadligen Spritze e r h ä l t m a n Ausstriche, welche, nach Giemsa g e f ä r b t , die 2—4 fi großen, r u n d e n oder eiförmigen P a r a s i t e n teils frei, teile einzeln oder in großen Mengen in Zellen eingeschlossen zeigen. In den weißen Zellen des Blutes sind sie bei sorgfältiger D u r c h m u s t e r u n g auch o f t zu f i n d e n . Nach dem Tode kann m a n sie außerdem noch in L y m p h d r ü s e n , den eine Art Dysenterie bedingenden D a r m g e s c h w ü r e n usw. nachweisen. Die indische Kala-azar ist bisher auf Tiere n u r ausnahmsweise ü b e r t r a g e n w o r d e n ; sie wird durch Wanzen v e r b r e i t e t . F ü r die K i n d e r - K a l a a z a r sind Affen u n d H u n d e , wenn auch r e c h t ungleich, e m p f ä n g l i c h . Bei H u n d e n sind auch ohne I m p f u n g A n s t e c k u n g e n m i t L e i s h m a n i a b e o b a c h t e t worden, es wäre aber möglich, d a ß es sich um- eine besondere Art (Leishmania canis) h a n d e l t e . Bei ihnen i s t die Verbreitung durch Flöhe nachzuweisen, wahrscheinlich spielen diese I n s e k t e n aber auch bei der Verbreitung der K i n d e r - K a l a a z a r eine Rolle. Die Orientbeule und die Leishmaniose der H u n d e s e t z t eine deutliche I m m u n i t ä t ; n u r bei ersterer h a t sich d a s Salvarsan als Heilmittel b e w ä h r t .
Siebenundzwanzigster Abschnitt. Malariaerreger und andere Schmarotzer von Blutkörpern. Die vierte Ordnung der einzelligen Tiere, die Sporozoen, enthält außer den S. 15 und 135 geschilderten Kokzidien und den ziemlich harmlosen Sarkosporidien, die als Mieschersche Schläuche in den Muskekellen der Säugetiere und in seltenen Fällen beim Menschen Vorkommen, eine ganze Reihe von Schmarotzern höherer Tiere, die sich dadurch auszeichnen, daß sie einen Teil ihrer Entwicklung in den roten (oder weißen) Blutkörpern von Wirbeltieren, den zweiten innerhalb von .blutsaugenden Insekten oder anderen niedern Tieren vollziehen. Man kann sie der Hauptsache nach in zwei Familien, die Hämogregarinen und Hämosporidien unterbringen.
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neben dem Kern ein kleiner Geißelkern (Blepharoplast). Am längsten bekannt, aber allerdings erst später genauer studiert, ist die Leish^ mania t r o p i c a , welche die sog. Orientbeule,ein in südlichen Gegenden weit Verbreitetes, gutartiges Geschwür verursacht. Sie ist auf Affen und Hunde zu verimpfen und wird wahrscheinlich durch verschiedene Insekten übertragen. Die beiden anderen Leishmanien Leishmania D o n o v a n i und i n f a n t u m erzeugen schwere Allgexneinkrankheiten, die meist schleichend unter Fieber, Ausschlägen, Diarrhöen und Anämie verlaufen und mit riesigen Schwellungen der Milz zum Tode führen. Die eine von i h n e n h e r r s c h t u n t e r dem N a m e n K a l a a z a r in Indien und China. Die zweite F o r m ist. i m Mittelmeerbecken als K i n d e r k r a n k h e i t weit v e r b r e i t e t . D u r c h Anstich der Milz oder Leber mit einer langnadligen Spritze e r h ä l t m a n Ausstriche, welche, nach Giemsa g e f ä r b t , die 2—4 fi großen, r u n d e n oder eiförmigen P a r a s i t e n teils frei, teile einzeln oder in großen Mengen in Zellen eingeschlossen zeigen. In den weißen Zellen des Blutes sind sie bei sorgfältiger D u r c h m u s t e r u n g auch o f t zu f i n d e n . Nach dem Tode kann m a n sie außerdem noch in L y m p h d r ü s e n , den eine Art Dysenterie bedingenden D a r m g e s c h w ü r e n usw. nachweisen. Die indische Kala-azar ist bisher auf Tiere n u r ausnahmsweise ü b e r t r a g e n w o r d e n ; sie wird durch Wanzen v e r b r e i t e t . F ü r die K i n d e r - K a l a a z a r sind Affen u n d H u n d e , wenn auch r e c h t ungleich, e m p f ä n g l i c h . Bei H u n d e n sind auch ohne I m p f u n g A n s t e c k u n g e n m i t L e i s h m a n i a b e o b a c h t e t worden, es wäre aber möglich, d a ß es sich um- eine besondere Art (Leishmania canis) h a n d e l t e . Bei ihnen i s t die Verbreitung durch Flöhe nachzuweisen, wahrscheinlich spielen diese I n s e k t e n aber auch bei der Verbreitung der K i n d e r - K a l a a z a r eine Rolle. Die Orientbeule und die Leishmaniose der H u n d e s e t z t eine deutliche I m m u n i t ä t ; n u r bei ersterer h a t sich d a s Salvarsan als Heilmittel b e w ä h r t .
Siebenundzwanzigster Abschnitt. Malariaerreger und andere Schmarotzer von Blutkörpern. Die vierte Ordnung der einzelligen Tiere, die Sporozoen, enthält außer den S. 15 und 135 geschilderten Kokzidien und den ziemlich harmlosen Sarkosporidien, die als Mieschersche Schläuche in den Muskekellen der Säugetiere und in seltenen Fällen beim Menschen Vorkommen, eine ganze Reihe von Schmarotzern höherer Tiere, die sich dadurch auszeichnen, daß sie einen Teil ihrer Entwicklung in den roten (oder weißen) Blutkörpern von Wirbeltieren, den zweiten innerhalb von .blutsaugenden Insekten oder anderen niedern Tieren vollziehen. Man kann sie der Hauptsache nach in zwei Familien, die Hämogregarinen und Hämosporidien unterbringen.
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Siebenundzwanzigster Abschnitt
Jedoch i s t die Zugehörigkeit einiger F o r m e n , wie der P i r o p i a s m e n , L e u k o z y t o z o e n , H a l t e r i d i e n zweifelhaft, zum Teil, weil ihre E n t w i c k l u n g noch n i c h t eindeutig festgestellt i s t . Die Beziehungen d e r l e t z t g e n a n n t e n zu den T r y p a n o s o m e n ( S c h a u d i n n ) u n d die Z u s a m m e n f a s s u n g d e r s ä m t lichen B l u t k ö r p e r p a r a s i t e n m i t den T r y p a n o s o m e n als B i n u k l e a t e n ( H a r t m a n n ) i s t n i c h t allgemein e r k a n n t , d a sich ein zweiter, d e m Geißelkern der Trypanosomen e n t s p r e c h e n d e r K e r n hier n u r ausnahmsweise nachweisen l ä ß t .
Bei weitem am wichtigsten sind von den Blutkörperparasiten die Malariaplasmodien als Krankheitserreger des Menschen und'die Piropiasmen als Krankheitserreger unserer Haustiere. Ehe wir sie besprechen, wollen wir aus der großen Zahl der bisher bekannten Schmarotzer einige Formen herausgreifen, die zwar ziemlich harmlos sind, sich aber wegen ihrer allgemeinen Verbreitung dazu eignen, als Musterbeispiele für die Ansteckung der roten Blutkörper zn dienen. Am längsten bekannt und sehr gemein sind die sog. Gauleschen Würmchen des Froschblutes, das Drepanidium (Lankesterella) ranarum. Sie sind im erwachsenen Zustande etwa 15 ¡j, lang und 2—3 ¡x breit und liegen entweder grade ausgestreckt oder zusammengekrümmt innerhalb der roten Blutscheiben, seltner in den Leukozyten der Milz und des Knochenmarks, oder bewegen sich gregarinenartig frei in der Blutflüssigkeit, indem sie sich in Zellen und deren Kerne, die ihnen im Wege liegen, einbohren, durch sie hindurchgehen, andere Zellen beiseite stoßen oder durch sie in ihrer Richtung abgelenkt werden. Sie entwickeln sich aus kleinen 4 fi langen spindligen oder g e s t r e c k t e n , eiförmigen leicht g e k r ü m m t e n K ö r p e r c h e n , die i n n e r h a l b der r o t e n Blutscheiben liegen, und v e r m e h r e n sich d a d u r c h , d a ß sie auf einer gewissen H ö h e ihres .Wachstums in s t e r n - oder f ä c h e r f ö r m i g aneinander gelagerte H a u f e n von Sporen zerfallen. Über ihre geschlechtliche Vermehrung u n d Ü b e r t r a g u n g d u r c h Zwischenwirte i s t n i c h t s b e k a n n t . Wohl wissen wir aber, d a ß ein ähnlicher, aber sehr viel größerer S c h m a r o t z e r , die H ä m o g r e g a r i n a S t e p h a noffi in Schildkröten-Blutkörperchen l e b t , sich d o r t ungeschlechtlich durch Sporen v e r m e h r t , d a n n nach geschlechtlicher B e f r u c h t u n g in einem Blutegel neue Sporen bildet, welche ihrerseits die A n s t e c k u n g auf die Schildkröte zurückbringen. Auch bei a n d e r e n k a l t b l ü t i g e n Wirbeltieren sind H ä m o gregarinen, bei Vögeln u n d Säugetieren, z. B. R a t t e n u n d Mäusen Leukozytogregarinen (Leukozytozoen) beschrieben worden.
Sehr gewöhnlich kommen die als Halteridien, Hämoproteus und Proteosomen bezeichneten Schmarotzer der roten Blutkörperchen miteinander und mit Trypanosomen zusammen im Blute von "Vögeln (Käuzen, Eulen, Tauben, Sperlingen, Krähen) vor. Sie wachsen sämtlich unter Bildung bräunlichen Pigments in den roten Blutkörperchen heran, indem sie entweder den Kern an seiner Stelle lassen und ihn nur umwachsen; oder ihn beiseite schieben. Sie v e r m e h r e n sich ähnlich den H ä m o g r e g a r i n e n im K ö r p e r ihrer H a u p t wirte auf ungeschlechtlichem Wege durch Sporenbildung, d. h. durch ziem-
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lieh plötzlichen Zerfall in eine größere Anzahl kleiner Keimzellen. Am besten b e k a n n t sind die Verhältnisse bei der A n s t e c k u n g m i t Proteosoma, die m a n bei zahlreichen Vögeln in aller H e r r e n L ä n d e r a n t r i f f t . Sie ä h n e l n denen bei der menschlichen Malaria, wie j a auch R o ß zuerst bei Vögeln die Übert r a g u n g der Malaria d u r c h Stechmücken — hier Culexarten — u n d M a c C a l l u m hier zuerst die geschlechtliche F o r t p f l a n z u n g der P a r a s i t e n f e s t gestellt h a t .
Ehe wir zur Schilderung der Malaria übergehen, müssen wir die Verfahren besprechen, die zur Untersuchung der Blutkörperschmarotzer am besteh geeignet sind. i Es liegt auf der H a n d , d a ß m a n zu ihrer E r k e n n u n g d a n a c h s t r e b e n m u ß , die Blutkörper möglichst nebeneinander, n i c h t übereinander u n t e r d a s Mikros k o p zu b e k o m m e n . Wenn man d a s Blut i m irischen Zustande besichtigen will, genügt es, m i t d e m Deckglas einen gewissen D r u c k auf den d a r u n t e r liegenden B l u t t r o p f e n a u s z u ü b e n , um den g e w ü n s c h t e n Erfolg zu erreichen. In der T a t kann m a n so die Insassen der B l u t k ö r p e r neben ihren Bewegungen ausgezeichnet und selbst ¿eraume Zeit lang b e o b a c h t e n , wenn m a n n u r durch Urrtrandung des Deckglases m i t Vaselin d a f ü r sorgt, d a ß d a s B l u t n i c h t e i n t r o c k n e t . So unentbehrlich dieses Verfahren i s t , u m über viele E i g e n s c h a f t e n der Malariaerreger ins klare zu k o m m e n , so wenig i s t es d a z u a n g e t a n , ihren feineren Bau kennen zu lernen und die Schmarotzer im Blute ü b e r h a u p t a u f z u f i n d e n , wenn sie n i c h t sehr reichlich d a r i n v o r h a n d e n s i n d . D a z u i s t es n ö t i g , d a s Blut zu f ä r b e n . Man m a c h t d a s f o l g e n d e r m a ß e n : M i t einer an der Spitze halb abgebrochenen Feder ocler dergleichen s t i c h t m a n den u n t e r e n R a n d des Ohrläppchens an, d r ü c k t einen kleinen B l u t t r o p f e n heraus, n i m m t ihn mit der einen, Seite eines sehr g u t gereinigten O b j e k t t r ä g e r s auf u n d verteilt ihn auf diesem, i n d e m m a n einen zweiten O b j e k t t r ä g e r m i t der kurzen K a n t e an den T r o p f e n im s p i t z e n Winkel anlegt, i h n z u n ä c h s t e t w a s z u r ü c k s c h i e b t , so d a ß der T r o p f e n in dem d a d u r c h e n t s t e h e n d e n kapillaren R a u m zu einem Striche auseinanderfließt, u n d d a n n den zweiten O b j e k t t r ä g e r auf dem ersten u n t e r s t a r k e m D r u c k nach v o r n , d. h . n a c h dem s t u m p f e n Winkel zu, schiebt. D a s B l u t wird d a b e i d u r c h die K a p i l l a r k r a f t zum großen Teil mitgezogen, bleibt aber zum anderen Teil in d ü n n s t e r Schicht an dem als Unterlage dienenden O b j e k t t r ä g e r kleben. W e n n der Tropfen von Anfang an n i c h t zu groß i s t , l ä ß t er sieh auf solche Weise ohne R e s t auf dem O b j e k t t r ä g e r verteilen. E s i s t d a s wichtig, weil gerade der letzte Teil dea Ausstrichs besonders reich i s t n i c h t bloß an L e u k o z y t e n , sondern auch an B l u t k ö r p e r n , die m i t Schmarotzern b e h a f t e t s i n d . An d e r L u f t t r o c k n e t der Ausstrich schnell, wird d a n n 10—20 M i n u t e n lang in reinen Alkohol g e b r a c h t und n a c h vorsichtigem A b t r o c k n e n m i t Fließpapier entweder m i t Methylenblau (z. B. Borax-Methylenblau Manson) in s t a r k e r Verdünnung und kurzer E i n w i r k u n g , oder noch besser eine S t u n d e lang m i t Giemsalösung (S. 273) g e f ä r b t . Ersteres l ä ß t die Malariaparasiten u n d die L e u k o z y t e n kerne blau, die r o t e n B l u t k ö r p e r grünlich, letzteres L e u k o z y t e n und die Leiber der Schmarotzer b l a u , ihre K e r n e schön r o t , die r o t e n B l u t k ö r p e r rosa erscheinen. D u r c h Borax-Methylenblau f ä r b e n sich a u c h die sog. b a s o p h i l e n K ö r n e r , die bei d e r Malaria sehr gewöhnlich a u c h i n den n i c h t m i t Plasmodien besetzten r o t e n Blutscheiben a u f t r e t e n , blau. Sie sind n i c h t zu verwechseln m i t den r o t e n T ü p f e l n , die d u r c h F ä r b e n n a c h G i e m s a o f t neben den Malariaplasmodien zu sehen sind (s. u,). Außer
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Siebenundz wanzigster Abschnitt
bei der Malaria begegnen wir der basophilen Körnelung noch bei schweren Anämien nach Blutverlusten und vor allen Dingen so regelmäßig schon bei leichten Graden der B l e i v e r g i f t u n g , daß man sie geradezu als Erkennungszeichen für diese hygienisch so wichtige Erkrankung betrachten darf. Ganz vereinzelte Malariaschmarotzer im Blute können noch mit der d i c k e n T r o p f e n m e t h o d e (S. 270) nachgewiesen werden.
Ausdrucklich soll bemerkt werden, daß die notwendige Unterlage für ein fruchtbares Studium der Blutkörperschmarotzer die Bekanntschaft mit dem gesunden und kranken Zustand des Blutes in frischem und -gehärtetem Zustande ist. Die Geschichte der Blutforschung lehrt, daß gar zu oft Blutplättchen, Blasen in den Blutkörpern u. dgl. für fremde Keime gehalten worden sind. Übung in der Untersuchung des Blutes lehrt uns, solche Irrtümer vermeiden. Die Kenntnis der Malariaerreger hat sich, seitdem L a v e r a n zuerst 1880 ihre größten Formen in Algier entdeckt hatte, sehr allmählich entwickelt. Golgi, ferner M a r c h i a f a v a und Celli verdanken wir zunächst den Nachweis, daß die drei H a u p t f o r m e n d e r M a l a r i a (Quartana, Tertiana und Tropenfieber) ebenso vielen Arten von Schmarotzern — Plasmodium malariae, vivax und iinmaculatum — entsprechen, und daß sich deren Entwicklung im Menschen auf u n g e s c h l e c h t l i c h e m Wege (Schizogonie) durch Sporenbildung ganz innerhalb der roten Blutkörperchen vollzieht. Am durchsichtigsten sind die Verhältnisse beim Q u a r t a n - u n d T e f t i a n f i e b c r , den beiden Malariaformen, die auch bei uns einheimisch sind. Die jüngsten Schmarotzer (Schizonten) erscheinen in den Blutkörperchen als kaum 2 ¡x große, im frischen Zustande farblose, namentlich bei der Tertiana amöboid sehr bewegliche Protoplasmaklümpchen, die in der Ruhe und im gefärbten Zustande r i n g f ö r m i g aussehen. Sie wachsen unter Bildung von bräunlichem Pigmentkörnchen (Melanin), die offenbar aus.der Zersetzung des Hämoglobins entstanden sind (Fig. 73 auf der farbigen Tafel), allmählich bis zur Größe der roten Blutscheiben heran und zerfallen dann, während sich die Farbkörnchen in einem Mittelpunkt sammeln, in 8—12—20 runde Keime, die Sporen (Merozoiten s. u. Fig. 76). Die kleinere Zähl ist der Quartana, die größere der Tertiana eigentümlich. Durch Verstreuung der Sporen und Einwanderung in neue Blutscheiben setzt sich die Krankheit fort. Diese Entwicklung vollzieht sich regelmäßig binnen 3 bzw. 2 Tagen und zwar so, daß die S p o r e n s t e t s im Beginn des F i e b e r a n f a l l s g e b i l d e t werden. Die Färbung nach Giemsa lehrt uns, daß der ursprünglich einheitliche und kleine rot gefärbte Kern an Größe während des Wachstums zunimmt und auf seiner Höhe in ebensoviel Stücke, wie Sporen vorhanden sind, zerfällt. Bei der sog. doppelten Tertiana, der zweifachen und dreifachen Quartana wiederholen sich zwar die Fieberanfälle häufiger, beziehungsweise täglich, die Entwicklung der Schmarotzer erfordert aber wie sonst 2—3 Tage, nur
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daß j e d e r F i e b e r a n f a l l d ü r c h b e s o n d e r e G e n e r a t i o n e n von S c h m a r o t z e r n , die man nebeneinander im Blutausstrich verfolgen kann, her v o r g e r u f e n wird. Die einzelnen Entwicklungszustände der Schmarotzer kann man nicht immer mit völliger Sicherheit unterscheiden, doch pflegen die Tertianparasiten außer durch die höhere Sporenzahl durch lebhafte amöboide Bewegung, Feinheit der abgelagerten Farbkörnchen und eine mäßige Entfärbung und Vergrößerung der Wirtszellen, bei Giemsafärbung durch eine feine rote Tüpfelung derselben ausgezeichnet zu sein, während die Quartanplasmodien bei dem Heranwachsen häufig bandartig ausgezogen sind, gröberes Pigment entwickeln und in einem eher verkleinerten Blutkörperchen von messingartiger Farbe liegen.
Bei dem sog. T r o p e n f i e b e r , das bei uns nur eingeschleppt vorkommt, im wärmeren Klima, z. B. schon in Italien aber durch die „perniziösen" Zufälle, die es mit sich bringt, die Hauptgefahr darstellt, ist der Befund insofern ein anderer, als im strömenden Blute gewöhnlich nur die jungen, nicht pigmentierten Schmarotzer, die im Ruhezustand ringförmig aussehen, beobachtet werden (Fig. 74 auf der farbigen Tafel). Der meist gewählte Vergleich mit einem Siegelring stimmt nicht ganz, weil zwar die eine Seite des Rings breiter als die andere, der Stein im Ring, hier der Kern, aber nicht auf der breiten, sondern auf der schmalen Seite liegt. Die erwachsenen Zustände der Schmarotzer, die zwar auch in den Blutgefäßen, aber fast nur im Innern der Organe, also meist erst nach dem Tode der Kranken zu finden sind, bilden ebenfalls Melanin, werden aber lange nicht so groß, wie die der beiden anderen Fieberformen und zerfallen auch früher zu einer kleinen Anzahl von Sporen. Die Kapillaren der an perniziöser Malaria Gestorbenen, z. B. im Gehirn und Darm, findet man oft vollgestopft von Blutkörpern, die gänseblümchenähnliche Sporenformen enthalten. Dadurch wird der Eindruck verstärkt, daß nicht nur das Fieber der Tertiana und Quartana, sondern auch die schweren Störungen der tropischen Malaria durch die G i f t s t o f f e erzeugt werden, die beim Zerfall der Schmarotzer zu Sporen entstehen.
Neben den beschriebenen Entwicklungszuständen der Malariaparasiten hat man schon lange bei allen möglichen Malariafiebern pigmentierte Formen etwa von der Größe der roten Blutkörper beobachtet, die an der Sporenbildung sich nicht beteiligen. Am besten gekennzeichnet von ihnen sind die Laveranschen Halbmonde (Fig. 75 auf der farbigen Tafel), die den länger dauernden Fällen von Tropenfieber zukommen, nicht bloß durch ihre Gestalt, sondern auch durch die Veränderungen, die sie oft unter den Augen des Beobachters im frischen Blute erfahren. Sie runden sich nämlich ab, lassen ihren körnigen Inhalt in Bewegung geraten und senden plötzlich geißelartige Fortsätze (s. u. Fig. 76) aus, die sich von dem Mutterkörper loslösen und von diesem schließlich nur noch einige kümmerliche Reste übrig lassen. Zunächst wußte man mit diesen G e i ß e l k ö r p e r n K r u s e , Lehrbuch der Bakteriologie
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Siebenundzwanzigstel - Abschnitt
der Malaria nichts Rechtes anzufangen, erst nachdem die von Romano wsky angegebene, später von Giemsa verbesserte Färbung gelehrt hatte, daß die vermeintlichen Geißeln im wesentlichen aus Kernstoffen bestehen, und nachdem MacCallum an ähnlichen Formen des Vogelblutes (S. 287) das Eindringen der Geißeln in andere große pigmentierte Schmarotzer und-deren Entwicklung zu gregarinenartig beweglichen „Würmchen" beobachtet hatte, wurde klar, daß die Geißeln nichts anderes als Samenzellen sind, und der ganze Vorgang als eine Befruchtung, die Einleitung zur g e s c h l e c h t l i c h e n F o r t p f l a n z u n g zu betrachten ist. Bei den Schmarotzern des Tropenfiebers kann man freilich diese Befruchtung in dem künstlich den Gefäßen entnommenen Blute unter dem Deckglas nicht so vollständig beobachten, wie bei Vögeln; beim Tertianfieber sieht man nur gelegentlich Geißelkörper und beim Quartana fieber findet man höchstens Andeutungen davon. Wohl lassen sich die größeren Geschlechtszellen (Gameten) auch bei der Tertiana und Quartana im Malariablut von den Schizonten einigermaßen unterscheiden. Das Pigment ist bei den Gameten mehr stäbchenförmig und gleichmäßig zerstreut, bei den Schizonten körnig und unregelmäßig verteilt; bei den frischen Tertiangameten zeigt es nur zitternde Molekular* bewegung, nicht amöboide Verschiebungen. D a s Protoplasma ist bei den gefärbten Schizonten der Tertiana vakuolisiert und zackig zerrissen, bei denen der Quartana bandförmig, bei den Gameten mehr konzentriert und abgerundet und zeigt hier nur um das Chromatin herum einen hellen Hof (Giemsa) oder eine scharfrandige Vakuole (Manson). /
Die hier scheinbar fehlenden Entwicklungszustände und ihre Bedeutung treten dagegen nach der Entdeckung, die der englische Militärarzt R. Roß 1897/98 in Ostindien gemacht hat, zutage, wenn man im Magen von S t e c h m ü c k e n , die das Blut malariakranker Menschen gesogen haben, das Schicksal der Schmarotzer weiter verfolgt. Hier findet die Befruchtung der großen weiblichen Geschlechtszellen des Parasiten (Makrogameten) durch die geißelartigen männlichen (Mikrogameten) regelmäßig statt. Die daraus -hervorgehenden Würmchen (Ookineten) bohren sich in die-Magenwand der Mücken ein, setzen sich an deren äußerer Wandung fest, umgeben sich mit einer Hülle, wachsen in dieser „Zyste" (Sporoblast) kräftig heran und zerfallen in ihr zu einer Unzahl von Sichelkeimen (Sporozoiten), die nach der Sprengung der Zysten in die Leibeshöhle, von dort aus in die Speicheldrüsen der Mücken und schließlich durch deren Stich in die Blutgefäße von gesunden Menschen gelangen (Fig. 76). Durch die Arbeiten zahlreicher Forscher, von denen der Italiener Grassi und der Deutsche R. Koch in erster Reihe stehen, wurde die Roß sehe Entdeckung bestätigt und vervollständigt. Es ist jetzt bewiesen, daß die m e n s c h l i c h e Malaria, abgesehen von künstlicher
Malariaerreger und andere Schmarotzer von Blutkörpern
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Überimpfung des Blutes von Mensch auf Mensch, nur durch die Stechmücken der Gattung Anopheles, die Vogelmalaria durch die Culexarten und andere Mücken übertragen wird, und daß diese Mücken i h r e r s e i t s keine andere Quelle für ihre eigene Ansteckung haben, als das Blut der mit S c h m a r o t z e r n b e h a f t e t e n Menschen und Vögel. Die männlichen und weiblichen Geschlechtszellen der Malariaschmarotzer, die im Blute ihrer warmblütigen Wirte selbst zu jeder weiteren Entwicklung unfähig sind, vermitteln die Ansteckung der kaltblütigen Zwischenwirte. Die Reifung der Schmarotzer im Innern der Stechmücken bedarf einer gewissen nicht zu niedrigen T e m p e r a t u r und einer Zeit von einigen Wochen. Wahrscheinlich bleiben die Mücken einige weitere Wochen ansteckungs-
Fig. 76. Schema der Entwickhin g des Malariaparasiten. Bei I ungeschlechtlicher Vermehrung im Blute des Menschen, bei ]I Geschlechtsformen im Magen der Stechmücke; bei III Zysten in der Magenwand und die daraus hervorgehenden Sichelkeime in der SpeicheldrQse der Stechmücke.
tüchtig. Stets sind es nur die w e i b l i c h e n Mücken, die Blut saugen und daher zu Überträgern der Malaria werden. Aus der Verbreitung der verschiedenen Mückenarten, ihrer Lebensweise und ihren Beziehungen zu den Malariaplasmodien erklärt sich die Verteilung der Majaria auf der Erde in den verschiedenen Klimas und Jahreszeiten. In den Tropen finden die Mücken weit günstigere Lebensbedingungen als bei uns, wo sie ein halbes" Jahr in den Winterschlaf versinken und sonst nur an besonders günstigen, d. h.feuchten Orten, sich zu halten vermögen. Namentlich t r i f f t das f ü r die Anopheles zu, die bei uns zwar an vielen Orten gefunden werden, aber doch erheblich seltner als die Culexarten. Beide unterscheiden sich voneinander schon auf den ersten Blick beim Sitzen dadurch, daß bei Anopheles Stechwerkzeuge, K o p f , Brust und Leib wie die Teile eines Dolches ziemlich in einer geraden Linie liegen, die mit der Unterlage einen spitzen Winkel bildet, während bei Culex der Leib parallel mit der Wand liegt, Brust und , Kopf aber dazu in einem stumpfen Winkel geknickt erscheint. Außerdem sind die Anophelesmücken graugrünlich bis schwärzlich, die Culex braun, und die ersteren haben 19*
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je 5 F l e c k e n auf den beiden Flügeln, die letzteren gewöhnlich keine. Am w i c h t i g s t e n s i n d d i e U n t e r s c h i e d e i n d e r A u s b i l d u n g d e r T a s t e r . Die — viel selteneren — Männchen beider G a t t u n g e n , die sich durch dicke, federärtige Fühler auszeichnen, sind zwar ziemlich ähnlich, die Anophelesweibchen t r a g e n aber l i n k s u n d r e c h t s neben dem dolchartig vorspringenden langen Stechrüssel je einen ebenso langen T a s t e r , während beim Culexweibchen die T a s t e r n u r s t u m m e l a r t i g ausgebildet sind. Zur Eiablage bedürfen die Mücken stillstehende Wässer, begnügen sich aber m i t der kleinsten Lache, j a schon m i t einer Konservenbüchse voll Wasser. Die e t w a 1 m m langen schmalen Eier sind bei Anopheles schwarz u n d werden einzeln oder in lockeren H ä u f c h e n auf der Oberfläche des Wassers abgesetzt; bei Culex sind sie b r a u n u n d zu f e s t e n , 1 cm langen Kähnchen d i c h t zusammengelagert. Die L a r v e n v o n Anopheles liegen u n t e r Wasser dessen Oberfläche ganz p l a t t a n , die von Culex hängen m i t ihrem Atemrohr an der Oberfläche h a f t e n d in d a s Wasser hinein. Die Mücken f ä n g t m a n leicht mit einem Netz o d e r , i n d e m m a n i h n e n beim Sitzen e t w a ein Probierglas ü b e r s t ü l p t , und k a n n sie in einem m i t Gaze ü b e r s p a n n t e m E i n m a c h e g l a s , in das m a n e t w a s Sand, ein paar kleine Zweige u n d ein G e f ä ß m i t Wasser hineinbringt, am Leben e r h a l t e n , indem m a n sie d u r c h Auflegen eines m i t Zuckerlösung g e t r ä n k t e n W a t t e b a u s c h e s auf die Gaze f ü t t e r t . D i e Züchtung macht größei-e Schwierigkeiten. Auf Malariaplasmodien u n t e r s u c h t m a n die Mücken in der Weise, d a ß m a n sie ohloroformiert, nach Abschneiden der Flügel u n d Beine in einen T r o p f e n Kochsalzlösung legt, mit einer Nadel an der B r u s t f e s t h ä l t ; m i t einer a n d e r e n am l e t z t e n Leibesring einen Zug nach h i n t e n a u s ü b t u n d so die Eingeweide herauszieht. An der Außenseite des m ä c h t i g e n spindelf ö r m i g e n Magens s i e h t m a n bei 30facher Vergrößerung e t w a v o r h a n d e n e Z y s t e n . E i n e künstliche Züchtung der Malariaschmarotzer in t o t e n Nährb ö d e n i s t bisher n i c h t gelungen, wohl kann m a n aber unerwachsene Plasmodien in t r a u b e n z u c k e r h a l t i g e m Blutserum zur Reife bringen.
Die Bekämpfung der Malaria wird außerordentlich erleichtert durch den Umstand, daß wir im Chinin ein Heiiniittel ersten Ranges gegen die Krankheit haben. Es ist klar, daß wir neue Ansteckungen durch die Stechmücken in beträchtlichem Umfange beschränken werden, wenn es uns gelingt, die Schmarotzer aus dem Blute aller angesteckten Menschen schnell zu entfernen ünd so den Stechmücken die Gelegenheit zu nehmen, sie weiter zu verbreiten. Das ist in den "eigentlichen Malarialändern des Südens allerdings nicht leicht zu erreichen, weil die Durchseuchung mit Malariakeimen, wie R. Koch nachgewiesen hat, schon in früher Jugend stattfindet und bei der Bevölkerung zu einer unvollkommenen Inimunität führt, die zwar deutliche Erkrankungen seltner werden läßt, aber schleichende Ansteckungen nicht verhindert. Hier bedarf es deswegen einer gründlichen und wiederholten Durchmusterung des Blutes bei der ganzen Bevölkerung, um die mit Schmarotzern behafteten Personen festzustellen und der Chininbehandlung zuzuführen. Das Chinin kann aber auch, wie die Erfahrung gelehrt hat, dazu benutzt werden, um Ansteckungen unmittelbar v o r z u b e u g e n , indem die der Ansteckung Ausgesetzten
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täglich kleine Gaben oder in größeren Zwischenräumen große Gaben zu sich nehmen. Wo das Chinin nicht hilft oder nicht vertragen wird, können zur Behandlung oder Vorbeugung andere Mittel, wie Antipyrin, Methylenblau, Salvarsan gebraucht werden. Eine merkwürdige, noch nicht völlig aufgeklärte Erkrankung, die durch stärkeren Zerfall von Blutkörperchen lind Hämoglobinausscheidung ausgezeichnet ist, das S c h w a r z w a s s e r f i e b e r , tritt fast nur bei Malariakranken auf, die schon vorher mit Chinin behandelt worden sind, und wird ausgelöst durch eine Chiningabe.
Weitere Maßnahmen richten sich gegen die Mücken. In erster Linie wird man bestrebt sein müssen, ihre Vermehrung zu beschränken, indem man die Mücken während des Winters in ihren Schlupfwinkeln (Kellern, Ställen, Schuppen) durch Zerdrücken, Ausräuchern, Abbrennen mit einer Lötflamme u. dgl. vernichtet, die Gelegenheit zur Ablage und zur Entwicklung der Eier beschränkt, z. B. durch Entwässerung von Sümpfen, Beseitigung von Tümpeln und anderen Wasseransammlungen, Begießen stehender Gewässer mit Petroleum, Besetzen derselben mit insektenfressenden Fischen. Ferner kann man das Eindringen der Mücken in die Wohnungen durch Anlegen der Häuser und Ortschaften auf freien, dem Winde ausgesetzten Anhöhen, durch Verschließen von Türen und Fenstern mittels feinen Drahtgewebes verhüten. Schließlich schützt man sich selbst vor Mückenstichen dadurch, daß man während der Hauptflugzeit der Mücken, d. h. von der Abenddämmerung an bis zum Morgen, sich möglichst wenig im Freien aufhält, sonst aber Schleier und Handschuhe benutzt und unter Mückennetzen schläft. Einreiben ätherischer Öle in die Haut ist entweder wenig wirksam oder wird auf die Dauer nicht vertragen. Auf diese Weise ist es in der Tat in der letzten Zeit geglückt, in malariareichen Gegenden, wie z. B. Italien, die Häufigkeit der durch die Krankheit verursachten Opfer erheblich zu verringern und sogar einen längeren Aufenthalt in tropischen Gegenden für Europäer möglich zu machen. Bei uns ist das Sumpffieber, das früher keine geringe Bedeutung gehabt hat, schon seit einigen Jahrzehnten teils durch die umfangreichen Entwässerungen, teils durch regelmäßigen Gebrauch des Chinins zu einer seltenen Seuche geworden.
Außer bei Vögeln finden wir Schmarotzer, die den Malariaplasmodien nahe stehen, auch bei Affen, nicht dagegen bei unseren größeren Haustieren. Gewissermaßen an die Stelle der Malaria treten aber hier die P i r o p l a s m o s e n ! d. h. Ansteckungen mit Piroplasma ( = Pirosoma = Babesia). Diese sind nicht größer als die kleinsten Plasmodien, bilden aus dem Hämoglobin keinen Farbstoff, vermehren sich auch gewöhnlich nicht durch Zerfall in zahlreiche Keime (Sporen), sondern durch Zweiteilung, die sich allerdings schnell wiederholen kann, so daß in einem und demselben Blutkörper mehrere Teilstücke zu finden sind. Wie die Malariaschmarotzer lassen sie sich nur auf Tiere der gleichen Art über-
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impfen, alle Blutkörpersclimarotzer sind eben im Gegensatz zu den Trypanosomen nur an bestimmte Tierarten angepaßt. Übertragen werden sie unter natürlichen Verhältnissen, wie Th. S m i t h und K i l b o r n e schon 1889 gefunden haben, nur durch Z e c k e n (Milben), die hier statt der Stechmücken als Zwischenwirte dienen und die Ansteckung nicht bloß auf ihre Nachkommen vererben können, sondern sie vielfach erst durch diese übertragen. Die Entwicklung der Piroplasmen innerhalb der Zecken weist noch viele Unklarheiten auf, doch scheinen große, würmehenartige (durch Befruchtung entstandene?) Formen und Sporenbildung in Zysten vorzukommen. Die Krankheit verläuft bei den Haustieren entweder schnell und oft tödlich mit Fieber, Blutarmut, Gelbsucht und Blutharnen, oder schleichend unter geringen Störungen. Gerade die letzteren Ansteckungen sind aber wichtig, weil die von ihnen betroffenen Tiere, obwohl sie nur wenige Schmarotzer beherbergen, dauernd Träger der Ansteckung bleiben. Wirtschaftlich am wichtigsten ist die Piroplasmose (Hämoglobinurie) der Rinder, die man auf eine ganze Reihe verschiedener Schmarotzer zurückiührt. Babesia (Piroplasma) bovis, der Erreger der auch bei uns einheimischen Form ist 2 — 4 ¡x lang und 1 • 5—2 • 0 ¡x dick, hat, wie die meisten Babe sien, gewöhnlich eine birnförmige Gestalt und liegt häufig paarweise, mit dem spitzen Ende einander zugekehrt, in den roten Blutscheiben (Fig. 77 auf der farbigen Tafel). Frisch lintersucht bewegen sie sich unter lebhaften Gestaltsveränderungen. Methylenblau nehmen sie in der Mitte nicht an, wodurch sie ringförmig aussehen, und zeigen, nach G i e m s a gefärbt, am Raaide einen roten Kern. Da das Überstehen der Krankheit gegen neue Ansteckungen schützt, darf man daran denken, außer durch Vermeidung der Zeckengefahr durch künstliche I m p f u n g die Seuche zu bekämpfen. Die Erfahrung hat gezeigt, daß man allerdings einen Schutz erzielen kann durch Einspritzung defibrinierten Blutes von Tieren, die vor einigen Monaten einen Anfall von Hämoglobinurie überstanden haben. Es ist das aber nur deshalb möglich, weil in dieser Zeit noch Erreger in kleiner Anzahl im Blute vorhanden sind, denn erhitztes Blut oder Blutserum ist ohne Wirkung; die geimpften Tiere erkranken auch zum Teil schwer, ja sterben manchmal an Hämoglobinurie, und die übrigen bleiben längere Zeit, vielleicht sogar dauernd Keimträger. Von einer vollkommenen und ungefährlichen Immunisierung gegen die Piroplasmose kann danach nicht die Rede sein. In Amerika spielt das von der sehr ähnlichen, aber etwas größeren Babesia bigemina verursachte T e x a s f i e b e r eine noch größere Rolle, ebenso in Afrika, Indien und vielleicht noch in anderen Ländern. Die Babesia mutans, die ebenfalls, namentlich in Südafrika, Rinder befällt, ist weit kleiner, als die bisher genannten und oft stäbchenartig. Von diesen Piroplasmen, mit denen sie allerdings zusammen in einem und demselben Tier vorkommen können, wird noch unterschieden die gleichfalls
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kleine Babesia (Theileria) parva, der Erreger des ostafrikanischen K ü s t e n f i e b e r s . Schließlich ist das vorläufig noch etwas zweifelhafte Anaplasma marginalis zu erwähnen, das überhaupt kaum einen Zelleib besitzen und in Giemsapräparaten daher nur als rotes Körnchen erscheinen soll. Außerdem gibt es noch Piroplasmosen bei Pferden, Schafen und Hunden. Bei Küsten* fieber scheint sich nach einmaligem Überstehen der Krankheit eine echte Immunität zu entwickeln. Auch besitzt das Blutserum hier, wie bei der Hundepiroplasmöse deutliche keiih widrige Eigenschaften.
Achtundzwanzigster Abschnitt. Unsichtbare Erreger (Aphanozoen). An die Möglichkeit unsichtbarer oder ultramikroskopischer Ansteckungskeime hat schon Pasteur bei Gelegenheit seiner Untersuchungen über die Hundswut gedacht. Es lag ja auch kein zwingender Grund vor, die Bakterien als die kleinsten aller Lebewesen zu betrachten. Daß solche Keime vorkommen, haben aber erst I w a n o w s k y und Beijerinck seit 1892 durch ihre Untersuchungen über die Utsache der Mosaikkrankheit bei der Tabakspflanze wahrscheinlich gemacht, indem sie zeigten, daß die Übertragung dieser Krankheit mit dem Safte der kranken Pflanze auch gelang, nachdem sie ihn durch ein bakteriendichtes Filter geschickt hatten. Auf demselben Wege erwiesen 1897 Löffler und Frosch das Vorhandensein unsichtbarer Erreger in dem filtrierten Blaseninhalt und Blutserum bei Maul- und Klauenseuche. Damit waren die ersten Schritte zur Eröffnung eines sehr umfangreichen neuen Arbeitsgebietes getan. Schon jetzt beträgt die Zahl der unsichtbaren Krankheitserreger, oder wie wir sie von jetzt an nennen wollen, der Aphanozoen, mehr als zwei Dutzend. Gegen ihre Bezeichnung als unsichtbar hat man zwar Einwendungen gemacht, wohl läßt sich auch die Möglichkeit nicht leugnen, daß man vielleicht noch einmal dazu gelangen wird, auch diese Keime deutlich sichtbar zu machen, und das scheint bei einigen von ihnen sogar schon jetzt in gewissen Grenzen gelungen zu sein (s. u, Strongyloplasmen und Chlamydozöen). Deswegen bleibt es doch richtig, daß die große Mehrzahl der Aphanozoen mit den bisher bekannten Mitteln überhaupt nicht, und die übrigen weit schwerer zu sehen sind, als die kleinsten Bakterien. Daß das im wesentlichen an ihrer Kleinheit liegt, folgt daraus, daß sie durch bakteriendichte Filter hindurchgehen. Man hat sie darum auch als filtrierbare Keime bezeichnet.
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kleine Babesia (Theileria) parva, der Erreger des ostafrikanischen K ü s t e n f i e b e r s . Schließlich ist das vorläufig noch etwas zweifelhafte Anaplasma marginalis zu erwähnen, das überhaupt kaum einen Zelleib besitzen und in Giemsapräparaten daher nur als rotes Körnchen erscheinen soll. Außerdem gibt es noch Piroplasmosen bei Pferden, Schafen und Hunden. Bei Küsten* fieber scheint sich nach einmaligem Überstehen der Krankheit eine echte Immunität zu entwickeln. Auch besitzt das Blutserum hier, wie bei der Hundepiroplasmöse deutliche keiih widrige Eigenschaften.
Achtundzwanzigster Abschnitt. Unsichtbare Erreger (Aphanozoen). An die Möglichkeit unsichtbarer oder ultramikroskopischer Ansteckungskeime hat schon Pasteur bei Gelegenheit seiner Untersuchungen über die Hundswut gedacht. Es lag ja auch kein zwingender Grund vor, die Bakterien als die kleinsten aller Lebewesen zu betrachten. Daß solche Keime vorkommen, haben aber erst I w a n o w s k y und Beijerinck seit 1892 durch ihre Untersuchungen über die Utsache der Mosaikkrankheit bei der Tabakspflanze wahrscheinlich gemacht, indem sie zeigten, daß die Übertragung dieser Krankheit mit dem Safte der kranken Pflanze auch gelang, nachdem sie ihn durch ein bakteriendichtes Filter geschickt hatten. Auf demselben Wege erwiesen 1897 Löffler und Frosch das Vorhandensein unsichtbarer Erreger in dem filtrierten Blaseninhalt und Blutserum bei Maul- und Klauenseuche. Damit waren die ersten Schritte zur Eröffnung eines sehr umfangreichen neuen Arbeitsgebietes getan. Schon jetzt beträgt die Zahl der unsichtbaren Krankheitserreger, oder wie wir sie von jetzt an nennen wollen, der Aphanozoen, mehr als zwei Dutzend. Gegen ihre Bezeichnung als unsichtbar hat man zwar Einwendungen gemacht, wohl läßt sich auch die Möglichkeit nicht leugnen, daß man vielleicht noch einmal dazu gelangen wird, auch diese Keime deutlich sichtbar zu machen, und das scheint bei einigen von ihnen sogar schon jetzt in gewissen Grenzen gelungen zu sein (s. u, Strongyloplasmen und Chlamydozöen). Deswegen bleibt es doch richtig, daß die große Mehrzahl der Aphanozoen mit den bisher bekannten Mitteln überhaupt nicht, und die übrigen weit schwerer zu sehen sind, als die kleinsten Bakterien. Daß das im wesentlichen an ihrer Kleinheit liegt, folgt daraus, daß sie durch bakteriendichte Filter hindurchgehen. Man hat sie darum auch als filtrierbare Keime bezeichnet.
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Genau genommen ist aber dieser Name nicht zutreffend, denn wir kennen einzelne Bakterien•— vor allem das Spirillum parvum v. E s m a r c h s und Spirochaeten —, die durch dieselben -Filter wie die Aphanozoen durchgehen. Wir wissen ferner, daß schon die besonders engporigen Bakterienfilter, mögen sie nun aus K i e s e l g u r ( B e r k e f e l d ) oder namentlich aus T o n ( C h a m b e r l a n d ) hergestellt sein, gar nicht zu reden von den sog. Gallert(Kollodium-oder Ultra-) Filtern ( B e c h h o l d ) , die aus Gelatine, Kollodium oder Agar'besteben, unseren Keimen den Durchgang nicht gestatten. Außerdem hat die Erfahrung gezeigt, daß der Durchgang der Aphanozoen durch Filter gewöhnlich nur unter der Bedingung erfolgt, daß die Keime nicht von s t a r k eiweißhaltigen Flüssigkeiten, wie z. B. reinem Blutserum, umgeben sind. Man erklärt das damit, daß die Poren der Filterkerzen sich durch die Absorption -von Eiweiß schnell verengen. Schließlich darf nicht übersehen werden, daß unter bestimmten Umständen, wenn nämlich die Aphanozoen reine Zellschmarotzer sind, der Nachweis der Filtrierbarkeit erhebliche Schwierigkeiten machen wird. Eine dritte Eigenschaft, die man zur Kennzeichnung der Aphanozoen benutzen könnte, ist ihre Unfähigkeit, in künstlichen Nährböden zu wachsen. Jedoch sind uns von dieser Regel schon jetzt einige Ausnahmen bekannt (Lungenseuche, Hühnerpest, Kinderlähmung, Schnupfen, Influenza?) und es ist sicher, daß ihre Zahl sich noch steigern wird. Haben wir doch auch bei einer ganzen Reihe anderer Kleinwesen, Bakterien wie Protozoen, erst allmählich die Bedingungen für ihre Züchtbarkeit kennen gelernt. Sämtlich besitzen die Aphanozoen. das V e r m ö g e n , a n s t e c k e n d e K r a n k h e i t e n zu erregen. Soweit wir bisher wissen, bezieht sich ihre Ansteckungskraft, abgesehen von der schon erwähnten Tabakskrankheit, nur auf höhere Tiere und Menschen. Über die Aussicht, Aphanozoen auch als Erreger von Zersetzungen in der Außenwelt anzutreffen, können wir so lange nichts Sicheres sagen, als ihre künstliche Züchtung nicht gelungen ist, bzw. die Veränderungen, die sie in toten Nährböden hervorrufen, nicht erforscht sind. Immerhin wäre es nicht ausgeschlossen, daß wir es in dieser Gruppe, wie bei den Sporozoen, nur mit strengen Schmarotzern zu tun haben könnten. Das f ü h r t uns auf die Frage, welche Stellung wir den Aphanozoen im Reiche der Lebewesen anzuweisen, und ob wir es mit einer einheitlichen Gruppe zu tun haben. Eine bestimmte Antwort darauf läßt sich vorläufig nicht geben. Unstreitig haben die Aphanozoen manche -Berührungspunkte mit Protozoen, insbesondere den S p o r e n t i e r c h e n . Dazu gehört, daß sie strenge Schmarotzer, und zwar vielfach auch Zellschmarotzer sind, und daß eine Anzahl von ihnen (Flecktyphus, P a p p a t a c i , Dengue usw.) durch Insekten als Zwischenwirte • übertragen werden. Eine Zeitlang hat man sogar bei einigen Aphanozoenkrankheiten gewisse, im Innern der von der Ansteckung befallenen Zellen vorkommenden Körper wegen ihrer Form und Größe f ü r Protozoen erklärt, so die Molluskumkörperchen beim Molluscum contagiosum, die G u a r n i e r i s c h e n Körper bei der Variola und Vakzine, die Negrischen bei der Hundswut. Allerdings ließ sich bei diesen ein Bau und Entwicklungsgang, der dem von Sporozoen vergleichbar gewesen wäre, nicht nachweisen, und schließlich stellte sich die Filtrierbarkeit der betreffenden Erreger heraus.
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Man kam so zu der Vorstellung, d a ß diese Zelleinschlüsse gar n i c h t die Schmarotzer selbst, sondern n u r W i r k u n g e n des Reizes, die die Schmarotzer auf ihre Wirtszellen u n d deren K e r n e a u s ü b e n , seien. Indessen scheint u n s d a s l e t z t e Wort d a r ü b e r noch n i c h t gesprochen. K a n n m a n sich doch m i t R e c h t f r a g e n , warum d e n n von allen Zellschmarotzern gerade die Aphanozoen die einzigen sind, die solche W i r k u n g e n auf ihre Wirtszellen ausüben. E s wäre doch möglich, d a ß die Zelleinschlüsse in den Entwicklungskreis der A p h a n o zoen selbst hineingehörten. Zur B e s t ä t i g u n g ihrer P r o t o z o e n n a t u r f e h l t n a t ü r l i c h , selbst wenn m a n d a s a n n e h m e n d ü r f t e , noch viel. Man h a t freilich zur Stütze dieser Auffassung darauf hingewiesen, d a ß einzelne Versuche auch f ü r d a s V o r k o m m e n f i l t r i e r b a r e r Keime bei sicheren Protozoen (Trypanosomen) s p r e c h e n . Man wird es in der T a t f ü r eine wichtige Aufgabe h a l t e n müssen, d e r a r t i g e Versuche in größerem U m f a n g e anzustellen, aber nioht bloß m i t P r o t o z o e n , sondern auch m i t B a k t e r i e n , denn auch f ü r diese wird in der L i t e r a t u r ähnliches b e h a u p t e t . Bei den Fehlerquellen, d e n e n solche Versuche ausgesetzt sind, i s t auf einzelne Befunde n i c h t viel zu geben. Daß m a n auch eine V e r w a n d t s c h a f t der Aphanozoen m i t B a k t e r i e n nicht ohne weiteres ablehnen d a r f , legen allein schon die E r f a h r u n g e n n a h e , die m a n mit d e n Erregern der Lungenseuche des Rindes (und den v e r m u t lichen Keimen des Fleckfiebers ? ) g e m a c h t h a t . Sie sind n i c h t bloß zu z ü c h t e n , sondern wachsen sogar in K o l o n i e n auf f e s t e n N ä h r b ö d e n , die denen der Bakterien völlig e n t s p r e c h e n , ein Fall, den m a n bei der Züchtung von P r o t o zoen noch n i c h t b e o b a c h t e t h a t . Auch der U m s t a n d , d a ß die meisten A p h a n o zoen im T i e r k ö r p e r echte I m m u n i t ä t h e r v o r r u f e n , k ö n n t e e b e n f a l l s als Zeichen einer V e r w a n d t s c h a f t m i t den B a k t e r i e n b e t r a c h t e t werden, doch k e n n t m a n auch Protozoen, die ähnliches leisten und B a k t e r i e n , d i e kaum eine I m m u n i t ä t setzen. Das Verhalten der Aphanozoen gegen b e s t i m m t e chemische S t o f f e , n a m e n t l i c h L i p o i d e , Glyzerin, Antiformin und gegen schädigende Einflüsse physikalischer Art wechselt so, d a ß man auch darauf keine Schlüsse bauen darf.
Eine Einteilung der Aphanozoen ist vorläufig recht schwierig. Zwar hat v. Prowazeck diejenigen filtrierbaren Erreger, die Zelleinschlüsse bilden, als Chlamydozoen, L i p s c h ü t z diejenigen, die kleinste, eben noch sichtbare Körnchen (Elementarkörperchen) innerhalb von Zellen oder Flüssigkeiten bilden, als S t r o n g y l o p l a s m e n bezeichnet, aber abgesehen davon, daß über die Bedeutung und die Beständigkeit dieser Gebilde noch Zweifel bestehen, kann man nicht zugeben, dadurch natürliche Gruppen abgegrenzt zu haben. Für den Nachweis der Aphanozoen koninit zunächst die mikroskopische Untersuchung in Betracht. Sie ergibt allerdings nur im Falle der Chlamydozoen und Strongyloplasmen einen Befund. Immerhin ist auoh das Fehlen von' anderen Kleinwesen, wenn es regelmäßig bei einer ansteckenden Krankheit nach gründlicher Durchmusterung der Krankheitsstoffe erhoben wird, eine wichtige Stütze für unsere Auffassung derselben. Im Vordergründe steht sonst für unsere Entscheidung das Ergebnis des Filtrierversuchs, der aber nie allein, sondern nur in Ver-
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bindung mit der Züchtung und Übertragung des Filtrats auf empfängliche Tiere oder Measchen anwendbar ist. Am meisten bewährt hat es sich, die Absonderungen oder das Blutserum, oder den Gewebssaft von der betreffenden Erkrankung mindestens 15—50fach zu verdünnen, sie dann unter dem negativen Druck der Wasserstrahlluftpumpe durch kleine, am besten noch unbenutzte, sog. Liliputfilter aus Kieselgur hindurch zu saugen, dann das Filtrat in reichlichen Mengen auf flüssige und feste Nährböden (gleichzeitig unter Sauerstoffzutritt und -Abschluß) zu bringen und (auf Tiere oder Menschen) zu verimpfen. Um sicher zu sein, daß das Filter bakteriendicht ist, setzt man der zu filtrierenden Flüssigkeit leicht erkennbare Bakterien, z. B. Prodigiosusbazillen, zu. Wenn das Filtrat durch die Züchtung sich als bakterienfrei erweist, und der erwünschte Erfolg im lebenden Körper eintritt, ist der Beweis, daß es sich um Aphanozoen handelt, geliefert. Der umgekehrte Fall beweist aber noch nichts dagegen, da das Filter durchlässig für Bakterien oder zu undurchlässig für Aphanozoen sein kann (s. o.). Wiederholungen mit neuen Filtern sind dann nötig. Nicht zu unterlassen ist selbstverständlich auch die Anwendung des Züchtungsverfahrens auf die unfiltrierten Krankheitsstoffe. Die dabei erhaltenen Ergebnisse sind aber vorsichtig zu deuten, da auch bei Aphanozoenerkrankungen gemischte Ansteckungen vorkommen können. Werden freilieh Eiterkokken oder Pneumokokken, Pseudodiphthene- oder Kolibazillen gefunden, so wird man sich dadurch nicht leicht zu falschen Schlüssen verleiten lassen, in anderen Fällen ist das aber, wie die Erfahrung lehrt, eingetreten. So ist lange Zeit und ganz allgemein der Bacillus suipestifer für den Erreger der Schweinepest gehalten worden. Erst die Filter versuche haben den wahren Sachverhalt sicher erwiesen. Wenden wir uns zunächst zu denjenigen Aphanozoen, die H a u t v e r ä n d e r u n g e n hervorrufen, so führten Nachforschungen nach der Krankheitsursache schon vor der Entdeckung der filtrierbaren Erreger nach zahlreichen Fehlergebnissen zuerst zu einem gewissen E r folge bei den P o c k e n und K u h p o c k e n . G u a r n i e r i fand nämlich (1892) auf Schnitten von Pockenknötchen in den Zellen der M a l pighischen Schicht neben dem Kern unregelmäßig geformte färbbare Körperchen und erFig. 78. Cytoryctes varioiae in zeugte durch Verimpfung von Vakzine-, manch-
der Hornhaut des Kaninchens.
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mal auch von Variolalymphe auf die Hornhaut von Kaninchen eben sichtbare, aus gewucherten Epithelzellen bestehende Knötchen, die ebenfalls wieder frisch und gefärbt untersucht dieselben Körperchen enthielten ( F i g . 78). Nach des Entdeckers Auffassung waren es ditf Krankheitserreger selbst, der „Cytoryctes varioiae vaccinae". Allenthalben wurden diese Befunde bestätigt, aber später anders gedeutet. Da kein anderer Reiz die gleichen Erscheinungen hervorruft, da die Knötchen auch beliebig oft von Tier auf Tier übertragen werden können, und ihre Übertragung auf den Menschen Vakzine erzeugt, hat man neuerdings auch die Impfung der Kaninchen-
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hornhaut in zweifelhaften Fällen zur Feststellung der Blattern und Unterscheidung von den Varizellen benutzt (Paul 1 ). Daß der sog. Cytoryctes zum mindesten nicht die einzige Entwicklungaform der Blatternerreger ist, bewiesen gelungene Filterung versuche und weitere mikroskopische Untersuchungen. Namentlich v. P r o w a z e k fand außerhalb und innerhalb der eigentlichen Vakzinekörperchen, sowie in den Filtraten winzige, kaum 0-5 /< große „Elementarkörperchen" und etwas größere „Initialkörperehen" und faßte sie als die eigentlichen Erreger auf, die in den Vakzinekörperchen nur durch Absonderungen der Zellen verhüllt würden und daher von ihm als Chlamydozoen (Hüllentiere, 8. o.) bezeichnet werden. Auch in dem Inhalt von Variola- und Vakzinepusteln lassen sich nach P a s c h e n nach Vorbehandeln mit der Löfflersehen zur Geißelfärbung benutzten Beize durch Karbolfuchsin Körperchen nachweisen, die in anderen serösen, Flüssigkeiten mindestens in dieser Menge fehlen und deswegen zur Diagnose benutzt werden können.
Zahlreiche Erfahrungen aus alter und neuer Zeit sprechen für die Widerstandsfähigkeit der Pocken- und Kuhpockenkeime gegen alle möglichen schädlichen Einflüsse, vor alle'm auch das Trocknen. Das unterscheidet sie von vielen anderen Aphanozoen und erklärt zusammen mit der überreichlichen Erzeugung der Ansteckungskeime auf der Haut und Schleimhaut der Erkrankten die leichte Ü b e r t r a g b a r k e i t der Pocken durch die Luft und tote Gegenstände (Kleider, Lumpen, Bettfedern), die mit Kranken in Berührung gewesen sind. Die Ansteckung erfolgt unter natürlichen Verhältnissen regelmäßig auf dem Wege durch den Mund, und zwar meist wohl durch Einatmung. Auch Einimpfung auf die Haut oder Schleimhaut erzeugt die Erkrankung, aber meist in leichter Form. Darauf hat man die sog. Inokulation oder V a r i o l a t i o n gegründet, ein Schutzimpfungsverfahren, das schon viele Jahrhunderte in Indien, China und anderen Orten bekannt war, aber erst im 18. Jahrhundert von Konstantinopel her in Europa Eingang fand. Die Wirkung dieser Schutzimpfung war im ganzen aber wenig erfreulich, denn die Impfkrankheit führte, abgesehen von der Gefahr, der sie — durch eine Sterblichkeit von etwa 0-5°/o — den Impfling selbst aussetzte, mittelbar zu einer weiten Ausstreuung der Ansteckungskeime. Mit 'einem Schlage wurde das anders durch die Einführung der Kuhpockenimpfung seitens E d w a r d J e n n e r s (1796). Schon vor Jenner war hier und da der Schutz erkannt worden, den das Überstehen der sog. Kuhpocken verlieh, J e n n e r hat aber diese Erfahrung nicht nur auf ihre Richtigkeit genau geprüft, sondern auch die segensreiche Folgerung daraus gezogen, daß er die Kuhpocken absicht1 Das Verfahren besteht darin, daß man durch kreuzweise Schnittführung die Hornhaut von Kaninchen mit dem verdächtigen Pustelinhalt impft, nach 2 Tagen die Hornhaut herausnimmt und in Sublimatlösung legt. Handelt es sich um Pocken oder Kuhpocken, so zeigen sich in den meisten Fällen, allerdings nicht immer, sofort charakteristische Trübungen entlang den Impfschnitten.
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lieh und in großem Umfange zur Erzielung eines Impfschutzes einimpfte. Der Erf9lg dieses sofort mit einer ungeheuren Begeisterung aufgenommenen Verfahrens zeigte sich überall in einer Herabsetzung der Pocken auf etwa den zehnten Teil ihrer früheren Bedeutung. Ausgerottet wurde aber die Seuche erst völlig, nachdem man die beschränkte Dauer des Impfschutzes erkannt und die Zwangsimpfung zunächst bei jungen Kindern, dann die Wiederimpfung im Heere (1834) und schließlich auch in der Schule zur Pflicht gemacht hatte. In dieser Beziehung bietet das d e u t s c h e I m p f g e s e t z von 1874, das freilich erst nach den bösen Erfahrungen der großen Epidemie von 1871/72 durchgedrückt werden konnte, einen Markstein in der S e u c h e h g e s c h i c h t e . N i c h t unwichtig i s t , d a ß diese beispiellosen Eifolge errungen wurden schon zu einer Zeit, in der man von einer wissenschaftlichen Bakteriologie noch n i c h t sprechen d u r f t e . N i c h t w u n d e r n e h m e n k a n n es freilich u n t e r diesen U m s t ä n d e n , zumal wenn m a n die in der Sache liegenden Schwierigk e i t e n b e d e n k t , d a ß m a n e r s t s p ä t zu einer leidlich richtigen D e u t u n g des I m p f s c h u t z e s gelangte. Dazu gehörte in erster Linie die E r k e n n t n i s , d a ß die K u h p o c k e n n i c h t s a n d e r e s s i n d , als e c h t e P o c k e n , die d u r c h Ü b e r t r a g u n g auf R i n d e r a b g e s c h w ä c h t s i n d , d a ß ferner die I m p f u n g n i c h t bloß gelingt m i t den lebenden E r r e g e r n , sondern auch m i t den d u r c h H i t z e oder chemische Stoffe a b g e t ö t e t e n oder deren gelösten Erzeugnissen 1 , d a ß schließlich d a s Blutserum der G e i m p f t e n odter G e b l ä t t e r t e n wenigstens zu gewissen Zeiten S c h u t z k r ä f t e gegenüber dem Erreger besitzt. Andere Eigenschaften, die zur E r k e n n u n g einer Ansteckung m i t Variolavakzine dienen können, h a t m a n bisher im B l u t s e r u m n i c h t mit Sicherheit feststellen können, dagegen ist durch H a u t i m p f u n g m i t Vakzine die Ü b e r e m p f i n d l i c h k e i t der Menschen u n d Tiere, die u n t e r d e m Einfluß dieser Erreger gestanden haben, leicht an dem beschleunigten Verlauf der I m p f k r a n k h e i t nachzuweisen (v. P i r q u e t ) .
Auch bei Tieren kommen die Pocken vor, und zwar bei Pferden, Rindern, Schweinen, Ziegen und Hunden anscheinend auch selbständig, bei Schafen, Kaninchen und Affen nur nach absichtlicher Übertragung. Wahrscheinlich stammen aber auch die bei den ersteren Tieren meist einzeln, selten seuchenartig beobachteten Fälle ursprünglich vom Menschen, denn künstlich läßt sich die Krankheit, wenn auch durchaus nicht regelmäßig, vom Menschen auf alle diese Tiere übertragen. Bemerkenswert ist dabei, daß schon die erste Übertragung auf Tiere die Ansteckungskraft des Erregers für den Menschen so stark herabsetzt, daß er zur Schutzimpfung geeignet ist. 1 Diese zu e r h a l t e n , genügt es n a t ü r l i c h n i c h t , die L y m p h e durch die gewöhnlichen B a k t e r i e n f i l t e r zu filtrieren, sondern m a n m u ß sie durch ein sog. U l t r a f i l t e r gehen lassen (s. o. S. 296). I m vorliegenden Falle wurde das Ziel d a d u r c h erreicht, d a ß m a n m i t L y m p h e beschickte Kollodiumsäckchen e n t w e d e r u n m i t t e l b a r in die Bauchhöhle d e r zu i m p f e n d e n Tiere brachte, oder sie in Ziegen- oder Hundeserum v e r s e n k t e , welches m a n nach 14tägiger E i n w i r k u n g zur I m p f u n g b e n u t z t e .
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Eine besondere Krankheit sind dagegen die selbständigen Schafpocken, wie schon daraus hervorgeht, daß die Übertragung auf andere Tierarten, wenn sie überhaupt gelingt, nicht gegen die echten Pocken Schutz verleiht und umgekehrt. Auch die Erreger der Schafpocken gehören zu den Aphanozoen bzw. Chlamydozoen, da sie filtrierbar sind und auch in den von ihm befallenen Epithelien (sowie auf der Rattenhornhaut) die Bildung von Einschlußkörperchen hervorrufen. Schon im 18. Jahrhundert hat man gegen die Schaf pocken in ^ähnlicher Weise wie gegen die echten Pocken durch Übertragung des Blaseninhalts auf die Haut geimpft, doch haben sich bei dieser „Ovination" die gleichen Nachteile gezeigt, wie bei der Variolation. Wegen der dadurch stattfindenden großen Verstreuung der Krankheitskeime ist die Impfung gegen Schafpocken deshalb im allgemeinen verboten worden und wird nur als sog. Notimpfung angewendet, d. h. bei Herden, die schon von der Seuche befallen sind. Auch die Impfung mit künstlich durch Übertragung auf schon durchblätterte Schafe abgeschwächter Lymphe ist mit Erfolg vorgenommen worden.
Die Windpocken (Varizellen) des Menschen. sind ebenfalls eine besondere Krankheit. Nach den bisher vorgenommenen, allerdings unvollkommenen Untersuchungen scheinen sie ebenfalls durch Aphanozoen (Chlamydozoen) verursacht zu sein. Im Gegensatz zu echten Pocken und Kuhpocken erzeugen sie keine Guarnierischen Körperchen in der Hornhaut des Kaninchens. Paul hat daher diesen • Tierversuch zur Unterscheidung der Varizellen herangezogen (s. o. S. 299). Unter dem wenig zweckmäßigen Namen der Geflügelpocken geht eine Seuche der Hühner, Tauben und Gänse, die einerseits geschwulstartige Veränderungen der Haut, namentlich an unbefiederten Teilen des Kopfes (Epithelioma contagiosum), andererseits kruppartige Entzündungen der Schleimhäute (Geflügeldiphtherie) verursacht. Die Erreger sind filtrierbar und erzeugen im Innern der betroffenen Epithelien teils große, teils kleine fettglänzende Einschlüsse, die schon Ri v o l t a bekannt waren und von ihm als Psorospermien bezeichnet wurden (daher auch der Name Gregarinendiphtherie). Überstehen der Krankheit erzeugt Immunität; eine brauchbare. Schutzimpfung ist noch nicht gefunden. Wahrscheinlich gibt es außerdem noch andere Formen der Geflügeldiphtherie Nach neuesten sicheren Mitteilungen kommen ausnahmsweise sogar bei Tauben und Hühnern Epidemien durch L ö f f l e r s Diphtheriebazillen zustande. Die im Rachen dieser Vögel gefundenen Elagellaten sind harmlose Bewohner der . Schleimhaut.
Dem Epithelioma contagiosum der Vögel steht das Epithelioma molluscum oder Molluscum c o n t a g i o s u m des Menschen nahe. Auch hier finden sich in dem gewucherten Epithel ähnliche „Molluscumkörperchen", auch ihre Erreger sind filtrierbar. In den Filtraten, wie im Gewebe sind winzige Körperchen, die'von manchen-Forschern als die eigentlichen Erreger betrachtet werden und auch auf künstlichen Nährböden sich vermehren sollen (Stxongyloplasmen), zu sehen.
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Auch die gemeinen W a r z e n , deren Übertragbarkeit den Laien längst bekannt war, sind neuerdings als eine Aphanozoeuerkrankung erwiesen worden. Sie brauchen bis za ihrer deutlichen Entwicklung ungewöhnlich lange Zeit, nämlich Monate und selbst Jahre. Zur Bildung von Einschlußkörperchen scheinen sie nicht zu führen. Außer Pocken und "Windpocken, gehören anscheinend auch die beiden anderen, mit Hautveränderungen verlaufenden, fieberhaften Kinderkrankheiten, S c h a r l a c h und M a s e r n , zu den Aphanozoenseucheij; denn Filtrate erzeugen die Krankheit und übertragen sie auch auf Affen. Der Scharlach wird wegen gewisser Befunde, die in'und zwischen den Epithelzellen der Haut und anderen Körperstellen gemacht worden sind, zu den Chlamydozoen gerechnet. Die so häufig in den inneren Organen gefundenen Streptokokken sind nur als Begleiter der eigentlichen Erreger zu betrachten, sollen aber deshalb nicht in ihrer Bedeutung unterschätzt werden. Die von Moser eingeführte Behandlung des Scharlachs mit sehr großen Gaben Streptokokkenserums wird als erfolgreich gerühmt.
Durch die ausgesprochenen katarrhalischen Erscheinungen der oberen Luftwege und seine große Verbreitung hat mit den Masern Ähnlichkeit der gewöhnliche H u s t e n und S c h n u p f e n . Seine Übertragbarkeit durch filtrierte Absonderungen wurde von mir neuerdings mit Hilfe meiner Zuhörer erwiesen (Aphanozoum coryzae). Li einer großen "Versuchsreihe erkrankten 40°/o der Personen nach Einträufelung eines Tropfens in die Nase binnen 1—3 Tagen. Nach Dold sollen sich die Keimein Aszitesbouillon anaerobisch züchten lassen. , Daß auch die pandemische I n f l u e n z a des Menschen wahrscheinlich zu den Aphanozoenkrankheiten gehört, wurde schon früher besprochen (S. 179). Von der übrigens ganz anders gearteten I n f l u e n z a (Staupe) d e r P f e r d e wird das neuerdings ebenfalls behauptet. Auch die Erreger der von der Pferdeinfluenza zu trennenden B r u s t s e u c h e and der D r u s e gehören vielleicht hierher. Die dabei gefundenen Streptokokken und Polbakterien sind wohl nur Begleiter der eigentlichen Ansteckung. Sicher nachgewiesen ist dagegen seit langem die Ursache der L u n g e n s e u c h e (Peripneumonie) des Rindes. Deren Erreger zeichnen sich zuhächst dadurch aus, daß sie in Fleischbrühe, der man ein aus Schweinemagen hergestelltes Pepton (Marti nsches Pepton) und 10°/0 Serum irgendeine." Schlachttieres zugesetzt hat, unter spärlicher Trübung derselben sich vermehren und auf entsprechend zusammengesetztem Agar binnen 4—5 Tagen sehr zarte, scheibenförmige Kolonien bilden, mit anderen Worten wie Bakterien zu züchten sind. Bei frissher Untersuchung sieht man nur feinste, mitunter in Häufchen gelagerte, mit Molekularbewegung begabte Körnchen, bei Behandlung mit Anilinfarben scheinen diese Körnchen die Farbe nur zum geringsten Teil und nur in ihrer Mitte anzunehmen, so daß sie noch kleiner aussehen, als im frischen Zustande. Nach Gram sind sie unfärbbar. Außerdem beobachtete man in Kulturen
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große spirilleniörmige und verschieden gestaltete Gebilde, die sich mit Hilfe der Giemsalösung oder der L ö f f l e r s c h e n Geißeltarbe darstellen ließen (Asterococcus). Es ist verständlich, daß so geartete Keime in den Gewebsflüssigkeiten der e r k r a n k t e n Teile mikroskopisch nicht aufzufinden sind. D a ß sie aber vorhanden sind, beweist die Züchtung. Man nimmt sie am einfachsten so voi, daß m a n den Lungensatt 50—lOOmal mit M a r t i n s c h e r Brühe verdünnt durch Kieselgur- oder Porzellanfilter schickt und das Fi 1 t r a t in etwas keimfreiem JJinderserum auffängt. Filtrat und Kultur verursachen bei Rindern, und zwar nur bei diesen Tieren, nach Einverleibung unter die Haut prtliche Schwellungen, die denselben Keim im reinen Zustande enthalten, außerdem Allgemeinstörungen. Aber es ist bisher eigentümlicherweise weder mit diesen Stoffen, noch mit unfiltriertem Gewebssaft geglückt, Veränderungen in der Lunge, welche die natürliche Seuche kennzeichnen, wieder zu erzeugen. Dagegen werden die Tiere, die eine natürliche oder künstliche Ansteckung durchgemacht.haben, gegen eine neue Ansteckung gefeit. Man hat das schon am Anfang des vorigen Jahrhunderts gewußt und darauf, insbesondere seit den W i l l e m s c h e n Versuchen, eine Schutzimpfung gegründet. Doch hat man die Erfahrung gemacht, daß m a n bessere Ergebnisse durch strenge Handhabung der Seuchenpolizei, vor allem durch Abschlachtung sämtlicher kranker Tiere erzielt. Auf diese Weise h a t man die Seuche bei uns zum Verschwinden gebracht. Von anderen, im wesentlichen örtlichen Erkrankungen sei hier außer dem M u m p s , der Parotitis epidemica des Menschen, über die bisher nur ungenügende Mitteilungen vorliegen, und einer in Italien und der Schweiz vorkommenden ansteckenden E u t e r e n t z ü n d u n g der Kühe und Ziegen (Agalactia contagiosa), die sicher auf einen filtrierbaren Erreger zurückführt',das T r a c h o m , die sog. ägyptische Augenentzündung des Menschen erwähnt. Nach einigen, allerdings der Bestätigung bedürfenden Versuchen handelt es sich auch hier um filtrierbare Keime. Zweifelhaft ist, ob sie in Beziehung stehen zu den von v. P r o w a z e k und H a l b e r s t ä d t e r entdeckten Z e l l e i n s c h l ü s s e n , die aus großen, kuppenförmig dem Kern angelagerten Anhäufungen von Körnchen in den Epithelien der Bindehaut bestehen (Fig. 79 der farbigen Tafel). Durch Übertragung des Trachoms •auf Affen, die manchmal gelingt, kann man ähnliche Gebilde auch auf deren Bindehaut erzeugen. Bei frischer Untersuchung der Epithelien sieht man von den Zelleinschlüssen kaum etwas, nach Behandlung der getrockneten und in Alkohol gehärteten Schleimhautausstriche mit Kernfarben, insbesondere aber mit Giemsalösung treten sie deutlich hervor. Schwieriger sind sie wieder in Schnitten darzustellen. Ob die außerhalb von Zellen oder in den Zellen vereinzelt vorkommenden Körnchen in den Entwicklungskreis der Einschlußkörperchen gehören, ist kaum zu entscheiden und ebensowenig sicher, daß die Körnchen die Erreger selbst sind. Sogar die Auflassung, daß wir es .bei den „Trachomkörperchen" mit einer Art von Chlamydozoen zu tun haben, ist bestritten worden. Jedenfalls kann nicht zugegeben werden, daß sie dem Trachom eigentümlich sind, denn nicht einmal bei allsn im Fortschreiten begriffenen Fällen dieser Krankheit werden sie regelmäßig gefunden, und andererseits kommen sie auch bei vielen, nicht zum Trachom gehörenden Bindehautentzündungen, und zwar-
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besonders oft bei N e u g e b o r e n e n vor, nicht selten sogar bei B l e n n o r r h o e » gonorrhoischen Ursprungs. Weiter h a t sich gezeigt, d a ß ganz ähnliche Zelleinschlüsse auch auf der Schleimhaut der G e s c h l e c h t s w e g e bei den Eltern der mit Einschlußblennorrhoe behafteten Neugeborenen zu beobachten sind, und daß sich von beiden Stellen aus- die Schleimhauterkrankung mit Leichtigkeit auf die Bindehaut von Affen übertragen läßt. Man ist so, wenn m a n nicht zu etwas abenteuerlichen Vorstellungen über Umwandlung von Gonokokken in Einschlußkörper oder von Trachom in harmlose Augenkrankheiten greifen will, gezwungen, neben d e m T r a c h o m n o c h m i n d e s t e n s e i n e v o n d e m T r a c h o m v e r s c h i e d e n e E i n s c h l u ß b l e n n o r r h o e zuzulassen, die ihren eigentlichen Sitz in den Geschlechtswegen h a t , von diesen aber, wie die Gonorrhoe, auf die Augenbindehaut übergehen kann. Aber d a m i t ist die Sachlage noch nicht völlig geklärt. Neuerdings wurden zum Verwechseln ähnliche Zelleinschlüsse auch bei anderen Erkrankungen der Bindehaut, so bei S c h w e i n e p e s t nachgewiesen. Die Schweinepest gehört allerdings auch zu den Aphanozoenerkrankungen, ist aber eine Ansteckung, die den ganzen Körper' erfaßt, und bei der bisher nur auf der Bindehaut Gebilde, die als Chlamydozoen gedeutet werden könnten, gefunden wurden. Längere Zeit glaubte man, daß der dem Paratyphusbazillus ähnliche B a c . s u i p e S t i f e r (S. 123) der Erreger der Schweinepest sei; seit 1903 wurde dann aber festgestellt, daß die Bazillen bloß Begleiter unsichtbarer Ansteckungskeime sind; denn durch die Einspritzung oder Verfütterung des Filtrats aus Blut, Organsäften usw. läßt sich die Seuche erzeugen. Der Weg durch den Darmkanal scheint der gewöhnliche f ü r die Ansteckung zu sein; doch entsteht die Krankheit vielleicht auch von der Nase und Lunge aus. Das Überstehen der Schweinepest erzeugt Schutz gegen neue Ansteckungen. Auf künstlichem Wege läßt sich ein solcher verleihen durch Übertragung des Serums genesener Tiere, wenn sie nachträglich noch mit großen Gaben der Erreger behandelt worden sind. Auch im Großen hat sich die Serumimpfung in Beständen, die von der Seuche schon betroffen oder bedroht sind, bewährt. Selbst zur Heilung erkrankter Tiere ist das Serum jprauchbar. Andere Tieraiten werden durch die Schweinepest nicht gefährdet. Die Schweine sind dagegen einer zweiten, durch Aphanozoen bedingten Seuche unterworfen, die in erster Linie Rinder, Schafe und S e g e n , selten andere Tiere befällt und gelegentlich durch die Milch auch auf die Menschen übertragen wird, nämlich der M a u l - und K l a u e n s e u c h e . Die Keime sind nach L ö f f l e r und F r o s c h in Filtraten des Blaseninhalts, Speichels, der Milch, zeitweise auch im Blute enthalten und werdendurch Einreiben in die verletzte Schleimhaut und Haut, Einspritzen in das Blut usw. übertragen, aber nur auf die genannten größeren Haustiere, nicht auf unsere gewöhnlichen Versuchstiere. Überstehen die Tiere die Krankheit, was gewöhnlich der Fall ist, so sind sie einige Zeit gegen neue Ansteckungen geschützt. Nach fortgesetzter Behandlung mit steigenden Mengen der Erreger entwickelt sich in dem Blutserum der Tiere eine erhebliche Schutzund Heilkraft. Die langjährigen Versuche L ö f f l e r s , eiii im großen brauchbares Impfverfahren gegen die Maul- und Klauenseuche zu erzielen, sind aber nicht von Erfolg begleitet gewesep. Man begnügt sich daher vielfach
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in v e r s e u c h t e n Beständen m i t einer N o t i m p f u n g , d. h. m a n verstreicht d e n Speichel k r a n k e r Tiere in kleine H a u t - oder S c h l e i m h a u t w u n d e n der noch g e s u n d e n Tiere, um deren schnelle D u r c h s e u c h u n g zu b e w i r k e n . I m übrigen s u c h t m a n die Ü b e r t r a g u n g , durch die Milch auf andere Tiere u n d d e n Menschen m i t t e l s A b k o c h e n s derselben, die Verschleppung v o n Stall zu Stall u n d L a n d zu L a n d d u r c h Absperrungs- u n d E n t p e s t u n g s m a ß r e g e l n zu b e k ä m p f e n . Die letzteren werden erleichtert durch die v e r h ä l t n i s m ä ß i g geringe W i d e r s t a n d s f ä h i g k e i t der Erreger, die z. B. schon kurzes T r o c k n e n nicht vertragen.
Eine der schwersten Allgemeinkrankheiten, die durch unsichtbare Erreger verursacht wird, ißt die Rinderpest. Ihre K e i m e f i n d e n sich m a s s e n h a f t im Blute und den Ausscheidungen aller Schleimhäute. Ü b e r t r a g b a r sind sie auch d u r c h die f i l t r i e r t e n S ä f t e o h n e weiteres auf R i n d e r , schwieriger auf Schafe u n d Ziegen. Schon i m 18. J a h r h u n d e r t i m p f t e m a n in ähnlicher Weise wie gegen die P o c k e n u n d S c h a f p o c k e n gegen die R i n d e r p e s t und verminderte zwar d a d u r c h die Verl u s t e , hob sie aber n i c h t a u f , verbreitete außerdem d a m i t den Ansteckungskeim. Zur N o t i m p f u n g wäre diese Methode noch angebracht. Auf ein volkst ü m l i c h e s Verfahren b a u t e sich die v o n R . K o c h f ü r S ü d a f r i k a ausgearbeitete S c h u t z i m p f u n g m i t G a l l e k r a n k e r T i e r e auf. Man e r k l ä r t ihre W i r k u n g d a d u r c h , d a ß die k r a n k e Galle zwar a n s t e c k u n g s t ü c h t i g e Erreger, aber d a n e b e n Stoffe e n t h ä l t , die deren E n t w i c k l u n g beschränken. Eigentliche I m m u n s t o f f e sind d a s n i c h t , u n d der Galle gesunder Tier© fehlen sie. Wegen der ziemlich kurzen D a u e r des durch die Gallenimpfling bewirkten Schutzes h a t m a n die K o c h s c h e Methode zugunsten einer anderen verlassen, die sich auf die S c h u t z k r a f t des Blutserums genesener u n d wiederholt nachg e i m p f t e r Tiere g r ü n d e t : m a n i m p f t gleichzeitig d a m i t u n d mit Rinderp e s t b l u t . Bei u n s zu Lande bedarf es n i c h t der S c h u t z i m p f u n g gegen die R i n d e r p e s t , d e n n allein d u r c h strenge Seuchenpolizei ist es gelungen, diese K r a n k h e i t , die f r ü h e r ungeheure Opfer k o s t e t e , d a u e r n d von u n s e r e m Lande f e r n z u h a l t e n . Die geringe W i d e r s t a n d s k r a f t der K r a n k h e i t s k e i m e u n t e r s t ü t z t auch hier die W i r k s a m k e i t der Desinfektionsmaßregeln.
Die H ü h n e r p e s t ist eine erst seit 1901 aus Italien eingeschleppte Ansteckung, die nicht mit der Hühnercholera (S. 190) verwechselt werden darf. Sie k a n n d u r c h I m p f u n g i n u n d u n t e r die H a u t , oder E i n t r ä u f e l u n g in Nase oder B i n d e h a u t ü b e r t r a g e n werden. E m p f ä n g l i c h sind außer H ü h n e r n , n u r junge T a u b e n und Gänse, beide aber in geringem Grade. Die Erreger sind bei T a u b e n außer im Blut u n d in den Organen auch in den Absonderungen der Schleimhäute e n t h a l t e n u n d gehen durch F i l t e r h i n d u r c h . Auf N ä h r a g a r , der außer T r a u b e n z u c k e r u n d P e p t o n defibriniertes H ü h n e r b l u t e n t h ä l t , sollen sie, o h n e ihre A n s t e c k u n g s k r a f t zu verlieren, zum W a c h s t u m k o m m e n . W ä h r e n d m a n bei H ü h n e r n n u r nebenbei n e r v ö s e E r s c h e i n u n g e n beo b a c h t e t , s t e h e n solche bei T a u b e n u n d Gänsen i m Vordergrunde. D e m e n t s p r i c h t der U m s t a n d , d a ß bei diesen Tieren die Erreger vorwiegend i m 'Gehirn u n d R ü c k e n m a r k sich a n h ä u f e n u n d d o r t Z e l l e i n s c h l ü s s e bilden," die m i t den N e g r i s c h e n K ö r p e r c h e n der H u n d s w u t (s. u.) Ähnlichkeit h a b e n . Eigentümlicherweise sind auch bei d e r H u n d e s t a u p e derartige Befunde e r h o b e n worden. E s i s t d a s eine u n t e r sehr wechselndem Bild, häufig auch K r u s e , Lehrbuch der Bakteriologie.
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mit schweren nervösen Erscheinungen auftretende Seuche, die wahrschein lieh von filtrierbaren Erregern erzeugt wird, sich aber anscheinend, wie die Schweinepest, häufig mit Bakterienansteckungen (Paratyphus, S. 123, hämorrhagische Septizämie, S. 193) vergesellschaftet.
Die H u n d s w u t ist diejenige von den drei Chlamydozoenkrankheiten des Zentralnervensystems, die am gründlichsten studiert worden ist. Sic verdankt das weniger ihrer Bedeutung, als der berühmten Behandlungsmethode, die Louis P a s t e u r für sie angegeben hat. Dieser Forscher hatte auch schon die Vermutung ausgesprochen, es könnte sich hier um einen für unser bewaffnetes Auge zu kleinen Erreger handeln.
Fig. 80.
Negrische Körpereben in den Ganglienzellen deB Ämmonhornes.
Erst viel später hat sich das aber durch Filterversuche beweisen lassen. Aus ihnen scheint auch hervorzugehen, daß die oben erwähnten, von Negri entdeckten E i n s c h l ü s s e , die vor allem in den Nervenzellen des Ammonshorns einzeln oder zu mehreren in verschiedener Größe vorkommen (Fig. 80), nicht die Schmarotzer selbst darstellen. Trotzdem sind sie für die Hundswut so bezeichnend, daß die natürliche Ansteckung, die sog. Straßenwut, an dem Vorkommen der Negrischen Körperchen in der großen Mehrzahl der Fälle erkannt werden kann. Man benutzt dazu am besten Schnitte, die mit Methylenblau und Eosin (nach M a n n ) gefärbt sind. Nachdem die Farbe, die je 1 / 4 % Methylenblau und Eosin enthält, 1 Minute auf die Schnitte gewirkt hat, spült man sie nacheinander in Wasser, reinem Alkohol, leicht alkalischem Alkohol, wieder reinem Alkohol, Wasser, leicht essigsaurem Wasser ab, entwässert sie, hellt sie in Xylol auf und legt sie in Kanadabalsam ein. Wenn man ganz dünne
Unsichtbare Erreger (Aphanozoen)
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Scheiben aus dem Ammonshorn ausschneidet, sie bei 37° in Azeton härtet und in Paraffin einbettet, kann man damit'schon nach wenigen Stunden zum Ziele kommen. Die Negrischen Körper und die Kernkörper der großen Ganglienzellen erscheinen dabei rot gefärbt, die Zellkerne blau. Die Keime der Hundswut finden sich, wie Tierversuche beweisen, außer im Gehirn und Rückenmark regelmäßig noch in den großen Norvenstämmen und im Speichel, selten anderwärts. Die meisten Warmblüter sind für die Wut empfänglich und sind am sichersten anzustecken durch Einspritzung einer Rückenmarksverreibung wütiger Tiere unter die harte Hirnhaut, die man vorher durch einen kleinen Bohrer frei gelegt hat. Man benutzt daher diese Versuche gewöhnlich zur Feststellung der Wut. Wirksam ist ferner die Einführung von der vorderen Augenkammer und den großen Nervenstämmen und, wenigstens bei kleinen Tieren, auch vom Blute und der Bauchhöhle aus. Die Einspritzung unter die Haut ist sehr unzuverlässig. Wunden, die in die Muskeln hineingehen, oder sonst nervenreiche Teile, wie das Gesicht oder die Hände, verletzen, sind dagegen sehr empfänglich, weshalb die natürliche Ansteckung, die fast stets durch Bisse erfolgt, gerade an diesen Teilen besonders gefährlich ist. Die Erklärung für alle diese Tatsachen liegt wohl darin, daß der. Keim der Hundswut auf doppeltem Wege, einerseits durch Lymphe und Blut, andererseits durch die N e r v e n b a h n e n , zu seinen eigentlichen Herden, dem Gehirn und Rückenmark, wandert. Von hier aus scheint er auf dem Nervenwege in die S p e i c h e l d r ü s e n zurückzuwandern und ist dort öfters schon einige Zeit vor Ausbruch der Wut zu finden. Bei weitem nicht alle Bisse tollwütiger Tiere stecken an. Stets braucht der Keim längere Zeit sich zu entwickeln, denn nur ausnahmsweise bricht die Wut binnen 14 Tagen, gewöhnlich aber weit später, selten erst nach dem 3. Monate aus. Gerade diese lange Dauer der Entwicklungszeit legte es P a s t e u r nahe, schon gebissene, d. h. meist schon angesteckte Menschen und Tiere durch ein Impfverfahren vor dem Ausbruch der Wut zu schützen. Der Weg, den P a s t e u r nach verschiedenen Vorversuehen einschlug, war der folgende. Zunächst stellte er sich durch Übertragung der Straßenwut in das Gehirn von Kaninchen (s. o.y und Weiterimpfung in diesen Tieren ein „Virus fixe" her, d. h. er steigerte dadurch die Ansteckungskraft des kranken Nervensystems dieser Tiere auf ein Höchstmaß und machte sie gleichzeitig beständig. Während die Straßenwut Kaninchen erst nach 12 bis 15 Tagen krank macht, verringert sich bei der Kaninchenwut die Entwicklungszeit auf 5—7 Tage. Die Tiere sterben nach Ausbruch der Krankheit in 2—3 Tagen, und zwar stets an der stillen Wut, d. h. unter Lähmungserscheinungen. Das hoch wirksame Rückenmark dieser Tiere schwächte P a s t e u r dann dadurch wieder ab, daß er es über Ätzkali bei 23—24° 14 Tage lang trocknete. Hunde, die zuerst 14, dann 13, 12 usw. Tage bis 1 Tag getrocknetes Mark unter die Haut gespritzt bekamen, erwiesen sich unempfänglich gegen die subdurale Einverleibung des frischen Marks, selbst wenn die Behandlung erst nach der Ansteckung begonnen wurde. Dieses Schutzimpfungsverfahren erpfobte sich auch, als es P a s t e u r bei Menschen, die von wütigen Hunden gebissen waren, anwandte. Zwar fordert die fürchterliche Krankheit auch bei den so Geimpften noch 20*
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Achtundzwanzigster Abschnitt
einzelne Opfer, aber nur unter denjenigen, die besonders schlimme Bißwunden erlitten haben oder erst spät in Behandlung kommen. In aller Herren Länder sind daraufhin „Pasteur-Institute" zur Impfung der Wut gegründet worden. D a s I m p f v e r f a h r e n selbst wurde im Laufe der Zeit vielfach verbessert. Bei den schwersten Ansteckungen v e r s t ä r k t m a n den I m p f s c h u t z d a d u r c h , d a ß m a n große Gaben des M a r k s e i n s p r i t z t , schnell von dem 14tägigen zu d e m l t ä g i g e n M a r k übergeht u n d diese Behandlung wiederholt. Man b r a u c h t i n der Abschwächung auch n i c h t so weit zu gehen u n d k a n n schon m i t 8 t ä g i g e m M a r k beginnen, j a sogar n i c h t getrocknetes Mark b e n u t z e n . Die u r s p r ü n g l i c h e A n n a h m e , d u r c h Ü b e r t r a g u n g auf K a n i n c h e n werde auch die A n s t e c k u n g s k r a f t f ü r andere Tiere v e r s t ä r k t , t r i f f t also wohl n i c h t zu, s o n d e r n f ü r den Menschen, m i n d e s t e n s bei der üblichen Art der Einverleibung, d a s Gegenteil.
Die Ausbreitung der Hundswut wird durch Hundesteuern, Sperre und Maulkorbzwang so wesentlich beschränkt, daß, abgesehen von den östlichen Grenzbezirken Preußens, diese Seuche bei uns zu den Seltenheiten gehört. Eine weitere durch Aphanozoen bedingte Ansteckung mit wesentlichem Befallensein des Nervensystems ist die Kinderlähmung (Poliomyelitis acuta epidemica). Bei Gelegenheit der in den letzten Jahren vorgekommenen Ausbrüche dieser Seuche wurde die Filtrierbarkeit des Erregers von mehreren Seiten gleichzeitig festgestellt und die Wege der Ansteckung, die denen der epidemischen Genickstarre ähnlich sind (S. 82), aufgeklärt. Diese A r b e i t e n wurden d a d u r c h ermöglicht, d a ß wir im A f f e n ein außerordentlich e m p f ä n g l i c h e s Versuchstier zur Verfügung h a b e n . Die Ü b e r t r a g u n g gelingt am sichersten, wenn m a n die Erreger u n t e r die h a r t e H i r n h a u t bringt. I m m e r h i n lassen sich Affen auch durch E i n f ü h r u n g in das B l u t , i n die Nasenhöhle, E i n a t m u n g u n d selbst d u r c h V e r f ü t t e r u n g a n s t e c k e n , w a s f ü r die E n t s t e h u n g u n d natürliche Verbreitung der Seuche von Bed e u t u n g i s t . Die Erreger sind beim Affen in e r s t e r Linie i n R ü c k e n m a r k u n d Gehirn, s e l t n e r u n d weniger reichlich in d e n L y m p h d r ü s e n , außerdem aber auch a u f d e n S c h l e i m h ä u t e n d e r N a s e u n d d e s R a c h e n s v o r h a n d e n . Beim Menschen k o m m e n sie sehr häufig in den Absonderungen dieser Schleimhäute' u n d des D a r m e s vor, u n d zwar auch in weniger ausgesprochenen K r a n k h e i t s f ä l l e n u n d bei G e s u n d e n aus der Umgebung von K r a n k e n . Die Ähnlichkeit d e r Ü b e r t r a g u n g s v e r h ä l t n i s s e m i t denen der epidemischen G e n i c k s t a r r e i s t auffällig. Auch insofern b e s t e h t sie, als bei den E p i d e m i e n v e r h ä l t n i s m ä ß i g selten mehrere K i n d e r derselben Familie von der K r a n k h e i t betroffen werden. Einige neuere Versuchsergebnisse sprechen d a f ü r , d a ß die Seuche vielleicht auch d u r c h Fliegenstiche (Stomoxys c a l c i t r a n s ) v e r b r e i t e t wird. D a m i t würde ü b e r e i n s t i m m e n , d a ß die Kinderl ä h m u n g abweichend von der G a n i c k s t a r r e gerade i n der w a r m e n J a h r e s z e i t vorzuherrschen pflegt. Beziehungen der menschlichen K r a n k h e i t zu t i e r i s c h e n Seuchen sind zwar mehrfach v e r m u t e t worden, k o n n t e n aber bisher n i c h t bewiesen werden.
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Die Möglichkeit einer Schutzimpfung und sogar der Serumtherapie gegen die Kinderlähmung wird durch manche Erfahrungen bewiesen. Auf anderen Wegen ist die Krankheit, ebenso wie die Genickstarre, nur schwer zu bekämpfen. Wir kommen jetzt zu einer Reilie von Aphajiozoenseuchen, die d u r c h I n s e k t e n s t i c h e v e r b r e i t e t werden. Am wichtigsten für uns ist das Fle ckf i e b e r , weil wir vom Osten her, wie wieder die Erfahrungen des letzten Krieges gelehrt haben, mit seiner Einschleppung bedroht sind. Der Erreger befindet sich im Blute der Kranken und wird von dort sicher durch K l e i d e r l ä u s e , wahrscheinlich auch durch Kopfläuse, übertragen. Tierversuche mit lebenden und zerquetschten Läusen pn Affen und Meerschweinchen, die nach etwa 8tägiger Inkubation eine vorübergehende fieberhafte Erkrankung erzeugen, machen es wahrscheinlich, daß die Keime in der Laus eine Entwicklung durchmachen und «vielleicht auf deren Nachkommen verpflanzt werden können. Auch Übertragung von Blut, nicht aber von filtriertem Blutserum ist erfolgreich. Mikroskopische Befunde in den Blutkörperchen der Kranken sind zweifelhafter Natur. Dagegen wurden von R o c h a L i m a u. a. in und auf den Epithelien des Magens infizierter Läuse winzige, schlecht oder unregelmäßig färbbare Stäbchen gefunden, die R i c k e t t s i a P r o w a z e k i i , die vielleicht als Erreger anzusprechen sind. Sie sin'd ebenso wie die ähnlichen Gebilde in Läusen des Fünftagefiebers (s. u.) noch nicht gezüchtet worden, während die Rickettsien bei der Schaflaus regelmäßig und ohne Beziehungen zu Krankheiten vorkommen und auf Blutnährböden ein sehr langsames bakterienähnliches Wachstum entfalten. Außerdem sind in einem Teil der Krankheitsfälle aus dem Blute bestimmte Bakterien gezüchtet worden, die aber höchstens" als Begleiter der Infektion in Frage kommen, so von P l ö t z gramfeste Bazillen und von W e i l und F e l i x eine Abart ,,X 18 " von Proteusbazillen (S. 40). Diese letzteren haben deswegen eine höhere Bedeutung erlangt, weil sie vom Blutserum aller Fleckfieberkranken in starker Verdünnung agglutiniert werden („Paragglutination").
Eine e r f o l g r e i c h e B e k ä m p f u n g der L ä u s e p l a g e h ä l t die Seuche m i t S i c h e r h e i t f e r n . In Lazaretten, die nur entlauste Kranke beherbergen, finden Ansteckungen, die sonst an der Tagesordnung sind und namentlich Ärzte und Pfleger betreffen, überhaupt nicht mehr statt. Die Entlausung wird bewirkt durch gründliches Waschen des ganzen rasierten Körpe/s und Behandlung der Kleider und Wäsche im Wasserdampf oder Backofen, in Schweflig- oder Blausäuredämpfen, Kresollösungen )i. dgl. Die Läuse samt ihren Eiern (Nissen) sterben schon bei Temperaturen von 60° binnen 20 Minuten. Daß das Fleckfieber, wie das unter ähnlichen Umständen auftretende Rückfallfieber (S. 271), in Frie'densZeiten schon längst für uns seine Schrecken verloren hatte, erklärt sich offenbar daraus, daß die Läuse bei uns nicht mehr so, wie es im Osten noch der Fall ist, heimisch sind. Einmaliges Uberstehen der Krankheit schützt ziemlich regelmäßig und lange Zeit gegen neue
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Ansteckungen. Man hat auch versucht in Ermanglung von Reinkulturen der Erreger das defibrinierte Krankenblut nach Erhitzung auf 60° als Impfstoff zu benutzen. Im Serum der Kranken und Genesenen sind Schutzstoffe vorhanden, die allerdings bald wieder aus dem Blute verschwinden. Außerdem kommen regelmäßig in ihnen Agglutinine gegen Proteusbazillen vor, die sich zur Erkennung des Fleckfiebers brauchbar erwiesen haben (Weil-Felixsche Reaktion, s. o.). Auch der Tierversuch mit Krankenblut oder Läusen und der Nachweis von Rickettsien in deren Magen (S. 309) kann zur Diagnose dienen. Ferner hat man in gewissen GefäßVeränderungen, die besonders in den Roseolen regelmäßig nachweisbar sind, ein Merkmal des Fleckfiebers gefunden.
• Durch die Art der Übertragung Ähnlichkeit mit dem Fleckfieber hat außer dem Rückfallfieber'(S. 270) das im Kriege entdeckte Wolhynische oder F ü n f t a g e f i e b e r . Auch bei ihm hat man Rickettsien gefunden, die aber meist nicht in, sondern auf den Magenepithelien liegen. Im südlichen Europa und anderen Erdteilen kommen Fieber vor, die unter mannigfachen Namen gehen, aber miteinander gemeinsam haben, daß sie nur in der heißen Jahreszeit beobachtet werden, nur wenige Tage dauern und Immunität hinterlassen (Akklimatisationsfieber). Zwei von diesen, die Dengue und das Hunds- oder P a p p a t a c i f i e b e r sind jetzt als Aphanozoenerkrankungen erkannt, die durch winzige Stechmücken (Phlebotomus) übertragen werden. Eine schwere Seuche des tropischen Amerika und Westafrika, die nur ausnahmsweise die Wendekreise überschreitet, das Gelbfieber wurde schon von F i n l a y Anfang der 80er Jahre auf den Stich einer Mücke, Stegomyia kalopus (früher fasciata), zurückgeführt. Er fand keinen Glauben. Nachdem die Nordamerikaner in den Besitz Kubas gelangt waren, wurden die Untersuchungen über die Ursache des Gelbfiebers in umfassendem Maßstabe wieder aufgenommen. Bakterien wurden dabei nicht gefunden, dagegen die Übertragbarkeit durch filtriertes Blutserum und die Beteiligung der Stechmücken, die ähnlich ist, wie bei der Malaria, festgestellt. Während diese Zeilen zum Druck befördert werden, kommt allerdings die Nachricht aus Amerika, daß N o g u c h i S p i r o c h ä t e n als Erreger des Gelbfiebers nachgewiesen hat (vgl. S. 278).
Dadurch, daß man die Stechmücken, wo man sie trifft, besonders in Gelbfieberhäusern, vernichtet und vor allen Dingen dadurch, daß man sie abhält, den Erreger aus dem Blute von Kranken aufzunehmen, ist man imstande, die schlimmsten Gelbfieberherde zu beseitigen. Diese Aufgabe ist hier viel leichter zu erfüllen als bei der Malaria, weil das Gelbfieber eine kurz dauernde Erkrankung ist, die den Menschen" nir einmal befällt. Man braucht nur alle verdächtigen Fälle mückendicht abzuschließen, am besten in Krankenhäusern, deren Betten, Fenster und Türen durch Drahtnetze gesichert sind.
Die durch Kleinwesen verursachten Krankheiten im allgemeinen
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Von Tierseuchen, die durch Mücken oder Fliegen verbreitet werden, seien drei in Südafrika, dem Paradies der Tierkrankheiten, vorkommende erwähnt: die s ü d a f r i k a n i s c h e P f e r d e s t e r b e , das Herzwasser- und das bösartige Katarrhalfieber des Schafes. Die Erreger der ersterMi Seuche scheinen nach den in der Niere gemachten Befunden zu den Chianaydozoen zu gehören. Sämtlich sind sie filtrierbar.
Andere hierher gehörige Tierkrankheiten sind r.uch deswegen bemerkenswert, weil ihre Aufklärung auf die Entstehungsursache gewisser, bisher noch dunkler menschlicher Leiden etwas Licht zu werfen scheint. So werden die p e r n i z i ö s e A n ä m i e d e r P f e r d e , die L e u k ä m i e d e r H ü h n e r , eine M y x o m a t o s e des K a n i n c h e n s u n d eine O&J r k o m a t o s e d e r H ü h n e r auf filtrierbare Erreger zurückgeführt. Bei Ratten glaubte man ferner Kropf durch filtriertes Wasser aus „Kropfquellen" erzeugen zu können. Neue Erfahrungen liber den Kropf und ältere über die b ö s a r t i g e n G e s c h w ü l s t e stehen allerdings mit diesen Angaben nicht im Einklang. Vom Krebs war schon S. 267 die Rede. Beim Kropf handelt es sich um eine Krankheit, die in eigentümlicher Weise an der Örtlichkeit haftet, aber nicht durch Trinkwasser verbreitet wird.
Neunundzwanzigster Abschnitt. Die durch Kleinwesen verursachten Krankheiten im allgemeinen. Überschaut man die Beziehungen der Krankheit serreger zu ihren Opfern, so kann man zwei Tätigkeiten bei ihnen unterscheiden: die erste besteht darin, daß die Erreger sich auf Kosten ihrer Opfer ernähren, in ihnen wachsen und sich vermehren. Wir nennen sie darum Schmarotzer (Parasiten) ihrer Wirte oder auch Erreger von „Ansteckungen" (Infektionen). Man darf geradezu sagen, d i e A n s t e c k u n g s k r a f t , o d e r was d a s s e l b e i s t , die I n f e k t i o s i t ä t , V i r u l e n z , A g g r e s s i v i t ä t ist n i c h t s w e i t e r a l s die F ä h i g k e i t , in e i n e m f r e m d e n K ö r p e r sich zu v e r m e h r e n . Freilich kann man sich auch mit harmlosen Schmarotzern (Mitessern, Kommensalen) anstecken. D a m i t die An s t e c k u n g s - zu K r a n k h e i t s e r r e g e r n w e r d e n , m ü s s e n sie n o c h eine zweite E i g e n s c h a f t besitzen, nämlich die F ä h i g k e i t , K r a n k h e i t e n zu e r z e u g e n , d. h. s c h ä d l i c h ( p a t h o g e n ) zu w i r k e n . D a s g e s c h i e h t im w e s e n t l i c h e n wohl d u r c h G i f t e , d i e s i e erzeugen.
Die durch Kleinwesen verursachten Krankheiten im allgemeinen
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Von Tierseuchen, die durch Mücken oder Fliegen verbreitet werden, seien drei in Südafrika, dem Paradies der Tierkrankheiten, vorkommende erwähnt: die s ü d a f r i k a n i s c h e P f e r d e s t e r b e , das Herzwasser- und das bösartige Katarrhalfieber des Schafes. Die Erreger der ersterMi Seuche scheinen nach den in der Niere gemachten Befunden zu den Chianaydozoen zu gehören. Sämtlich sind sie filtrierbar.
Andere hierher gehörige Tierkrankheiten sind r.uch deswegen bemerkenswert, weil ihre Aufklärung auf die Entstehungsursache gewisser, bisher noch dunkler menschlicher Leiden etwas Licht zu werfen scheint. So werden die p e r n i z i ö s e A n ä m i e d e r P f e r d e , die L e u k ä m i e d e r H ü h n e r , eine M y x o m a t o s e des K a n i n c h e n s u n d eine O&J r k o m a t o s e d e r H ü h n e r auf filtrierbare Erreger zurückgeführt. Bei Ratten glaubte man ferner Kropf durch filtriertes Wasser aus „Kropfquellen" erzeugen zu können. Neue Erfahrungen liber den Kropf und ältere über die b ö s a r t i g e n G e s c h w ü l s t e stehen allerdings mit diesen Angaben nicht im Einklang. Vom Krebs war schon S. 267 die Rede. Beim Kropf handelt es sich um eine Krankheit, die in eigentümlicher Weise an der Örtlichkeit haftet, aber nicht durch Trinkwasser verbreitet wird.
Neunundzwanzigster Abschnitt. Die durch Kleinwesen verursachten Krankheiten im allgemeinen. Überschaut man die Beziehungen der Krankheit serreger zu ihren Opfern, so kann man zwei Tätigkeiten bei ihnen unterscheiden: die erste besteht darin, daß die Erreger sich auf Kosten ihrer Opfer ernähren, in ihnen wachsen und sich vermehren. Wir nennen sie darum Schmarotzer (Parasiten) ihrer Wirte oder auch Erreger von „Ansteckungen" (Infektionen). Man darf geradezu sagen, d i e A n s t e c k u n g s k r a f t , o d e r was d a s s e l b e i s t , die I n f e k t i o s i t ä t , V i r u l e n z , A g g r e s s i v i t ä t ist n i c h t s w e i t e r a l s die F ä h i g k e i t , in e i n e m f r e m d e n K ö r p e r sich zu v e r m e h r e n . Freilich kann man sich auch mit harmlosen Schmarotzern (Mitessern, Kommensalen) anstecken. D a m i t die An s t e c k u n g s - zu K r a n k h e i t s e r r e g e r n w e r d e n , m ü s s e n sie n o c h eine zweite E i g e n s c h a f t besitzen, nämlich die F ä h i g k e i t , K r a n k h e i t e n zu e r z e u g e n , d. h. s c h ä d l i c h ( p a t h o g e n ) zu w i r k e n . D a s g e s c h i e h t im w e s e n t l i c h e n wohl d u r c h G i f t e , d i e s i e erzeugen.
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Neunundzwanzigster Abschnitt
Allerdings k ö n n t e m a n sieh vorstellen, d a ß die S c h m a r o t z e r ihre Wirte auch d u r c h i ' i a h r u n g s e n t z i e h u n g s c h ä d i g t e n . I n W i r k l i c h k e i t k ä m e das aber h ö c h s t e n s bei S c h m a r o t z e r n k l e i n s t e r Tiere u n d P f l a n z e n in B e t r a c h t . Bei den Kleinwesen, die auf höheren Tieren s c h m a r o t z e n , t r i f f t es wegen ihrer v c r h ä l t n ; m ä ß i g zu geringen Masse n i e m a l s zu. Auch die V e r m u t u n g , die Schädlichkeit der S c h m a r o t z e r beruhe d a r a u f , d a ß sie ihren W i r t e n e t w a gewisse, n u r in k e i n e r Menge v o r h a n d e n e , aber l e b e n s w i c h t i g e Stoffe e n t z i e h e n , i s t bisher n i c h t wahrscheinlich. E b e n s o i s t die Möglichkeit, d a ß die A n s t e c k u n g s e r r e g e r - auf r e i n m e c h a n i s c h e m W e g e erhebliche S t ö r u n g e n h e r v o r r u f e n , zwar g r u n d s ä t z l i c h zuzugeben, sie wird sich aber selbst in den F ä l l e n , wo K o k k e n , Milzbrandbazillen oder Malariaplasmodien die K a p i l l a r e n dieser oder jener Organe v e r s t o p f e n , kaum j e m a l s verwirkliehen. M i n d e s t e n s werden Reiz- oder F r e m d k ö r p e r w i r k u n g e n , d. h. chemische Einflüsse, die von ihren Leibern ausgehen, d a n e b e n n i e m a l s fehlen u n d von etwaigen m e c h a n i s c h e n n i c h t zu t r e n n e n sein. Die chemischen Stoffe, die Störungen h e r v o r r u f e n , k ö n n e n wir aber allgemein als G i f t e bezeichnen, g a n z gleichgültig, wie sie e n t s t a n d e n sind, o b sie z. B. d u r c h Absonderung oder Zerfall der S c h m a r o t z e r , m i t oder o h n e V e r m i t t l u n g der K ö r p e r s ä f t e e r z e u g t sind, gleichgültig a u c h , o b sie n u r örtliche oder allgemeine Störungen b e w i r k e n , u n d o b schließlich die S t ö r u n g e n , wie m a n von der E n t z ü n d u n g u n d dem F i e b e r a n n e h m e n zu m ü s s e n glaubt , z u n ä c h s t zum Schutz gegen die Eindringlinge selbst dienen. Nur w e n n wir die M i t w i r k u n g solcher Gifte v o r a u s s e t z e n , werden u n s die Erscheinungen bei a n s t e c k e n d e n K r a n k h e i t e n verständlich.
Wenn wir sonach daran festhalten müssen, daß die Fähigkeit, sich im lebenden Körper zu vermehren und darin Gifte zu erzeugen, also kurz gesagt, die Ansteckungskraft und Giftigkeit die beiden Haupteigenschaften der Krankheitserreger ausmachen, so sehen wir doch sofort, daß beide "Vermögen in sehr ungleichem Grade entwickelt sein können. Man denke z. B. an den T e t a n u s b a z i l l u s , der trotz seines recht spärlichen Wachstums im Tieikörper ein fast immer tödliches Gift bildet (S. 208); andererseits an den L e p r a b a z i l l u s , der, obwohl er fast alle Gewebe des Körpers durchwuchert, jahrelang meist nur örtliche Veränderungen bewirkt und erst nach Jahrzehnten, gewöhnlich sogar nur durch Zutreten anderer Ansteckungen zu töten, pflegt (S. 254). Dazwischen gibt es zahlreiche Übergänge, in denen das Wachstum der Erreger bald späilicher, bald Üppiger, bald langsamer, bald schnelle^, mit oder ohne Unterbrechung, in diesem oder jenem Gewebe stattfindet und dabei alle Grade und Arten der Giftigkeit entwickelt werden können. Außerdem kommen aber atich noch Grenzzustände vor, in denen die Ansteckungskraft oder die Giftigkeit fehlt. Im folgenden wollen wir den Versuch machen, fußend auf diesen so verschiedenen Leistungen, in die Fülle der bisher unter natürlichen oder künstlichen Bedingungen beobachteten Ansteckungen Ordnung zu bringen. Dabei beginnen wir zweckmäßigerweise mit den zuletzt genannten G r e n z f ä l l e n .
Die durch Kleinwesen verursachten Krankheiten im allgemeinen-
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1. Wo r e i n e V e r g i f t u n g e n durch Kleinwesen vorliegen, dürfen wir, wenn wir folgerichtig sein wollen, nicht mehr von Ansteckungen sprechen. ' In der T a t f ä l l t e s n i e m a n d im E r n s t ein, Vergiftungen mit Blei, Alkohol, Mutterkorn oder Schlangengift als ansteckende K r a n k h e i t e n zu bezeichnen, selbst wenn sie nach A r t epidemischer oder endemischer „ S e u c h e n " oder „ P e s t e n " a u f t r e t e n . Wenn wir also im Tierversuch feststellen k ö n n e n , d a ß viele Bakterien, die wir gewohnt sind, als harmlos, als „ N i c h t s c h m a r o t z e r " oder „ S a p r o p h y t e n " , d. h. als Bewohner der t o t e n Außenwelt anzusehen, z. B. der Bac. prodigiosus (S. 39) oder manche Heubazillen (S. 44), imstande sind, sobald sie lebend oder t o t in größeren Mengen e t w a in die Bauchhöhle oder d a s Blut gebracht werden, zu t ö t e n , d a ß ferner die meisten, wenn nicht alle Bakterien und Pilze u n t e r die H a u t oder in die vordere Augenkammer e i n g e f ü h r t , Reizungen, j a E i t e r u n g e n hervorrufen (S. 51), und wenn wir schließlich erfahren, d a ß viele natürlich vorkommende sog. Wurstund Fleischvergiftungen durch die Wucherungen des B a c . b o t u l i n u s (S. 211) oder P r o t e u s (S. 41) in Fleischwaren, die zum Genuß d i e n e n , verursacht werden, ohne d a ß diese Bakterien in den Geweben des Menschen sich vermehren, so folgt daraus die wichtige Tatsache, d a ß a u c h N i c h t s c h m a r o t z e r unter Umständen durch ihre örtlichen oder allgemeinen Giftwirkungen schädlich (pathogen) werden können. Ist darnach die Fähigkeit, Gifte zu bilden, keine ausschließliche Eigens c h a f t der P a r a s i t e n gegenüber den S a p r o p h y t e n , so darf m a n auch keineswegs zugeben, d a ß die F ä h i g k e i t , im lebenden Tierkörper zu wachsen, die wir als A n s t e c k u n g s k r a f t bezeichnen, eine unverrückbare Grenze zwischen Parasiten und Saprophyten aufrichten könne. Denn zunächst beweisen zahlreiche Versuche und Beobachtungen, d a ß auch S a p r o p h y t e n , wie der Prodigiosus u n d Heubazillus u n t e r b e s t i m m t e n Bedingungen, z. B. wenn sie in sehr großen Mengen in gewisse Gewebe (Bauchhöhle, vordere Augenkammer) gebracht werden, dort zum Wachstum gelangen, also eine gewisse A n s t e c k u n g s k r a f t entwickeln. Auf der anderen Seite bildet es geradezu die Regel, d a ß die Krankheitserreger des Menschen, wenn sie auf diese oder jene Tiere, oder die der Tiere, wenn sie auf andere Tierarten oder den Menschen übertragen werden, sich d o r t wie S a p r o p h y t e n verhalten können. N i c h t einmal bei allen Einzelwesen der empfänglichen Tierart h a t die Ansteckung Erfolg, und selbst ein und dasselbe Einzelwesen kann zeitweise u n e m p f ä n g lich sein. D i e A n s t e c k u n g s k r a f t d e r S c h m a r o t z e r g i l t a l s o n u r für bestimmte Tierarten und unter bestimmten Bedingungen. Schließlich h a t auch die fortschreitende Forschung u n s gelehrt, d a ß die allermeisten Schmarotzer auch auf künstlichen, d. h. t o t e n Nährböden zu züchten sind, d a ß es also strenge Nur-Schmarotzer im alten Sinne kaum gibt. Wenn wir trotzdem an der Unterscheidung zwischen Parasiten und Saprophyten f e s t h a l t e n , so geschieht d a s , weil die ersteren u n t e r natürlichen Bedingungen meist auf d a s Leben in f ü r sie empfänglichen Tieren angewiesen sind.
Fragen wir nach den U r s a c h e n , welche das Ausbleiben des Wachstums im Tierkörper bedingen, so stoßen wir auf mannigfache S c h u t z e i n r i c h t u n g e n in letzterem und zwar nicht bloß auf solche, die das Eindringen in den Tierkörper verhindern und die weitere Verbreitung
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erschweren, sondern vor allen Dingen auch auf unmittelbare Wachstums widerstände, ja meist keimtötende Einflüsse im Gewebe selbst. In früheren Abschnitten dieses Buches haben wir sie schon vielfach kennen gelernt in Gestalt der Freßzellen, der Abwehr- und Lockstoffe (Alexine und Opsonine) der Blutflüssigkeit, in den keimwidrigen Absonderungen der Eiterzellen (Leukine) usw. Zusammenfassend kommen wir darauf später (Abschnitt 32) zurück. Hier kommen die Widerstände des Tierkörpers f ü r uns auch deshalb in Betracht, weil ihr Vorhandensein uns sofort eine Unterlage liefert f ü r eine befriedigende Erklärung der Ansteckungskraft. Wenn es richtig i s t , daß derartige Widerstände d a s Auswachsen der Saprophyten in allen Tieren und daß der Schmarotzer in den für sie empfänglichen Tieren verhindern, so werden wir d a s W e s e n d e r A n s t e c k u n g s k r a f t d a r i n e j b l i c k e n d ü r f e n , d a ß sie im g e g e b e n e n F a l l die W a c h s t u m s w i d e r s t ä n d e des G e w e b e s ü b e r w i n d e n . E s scheint geradezu, daß wir allen Grund haben, den Abwehrstoffen der Tiere „ A n g r i f f s s t o f l e " (Agressine) der Schmarotzer gegenüberzustellen (S. 143). D u r c h d a s P e h l e n p a s s e n d e r A n g r i f f s s t o f f e u n t e r s c h e i d e n sich also die S a p r o p h y t e n von den P a r a s i t e n (Abschnitt 30). Umgekehrt haben die Giftstoffe bei beiden Gruppen große Ähnlichkeit miteinander (Abschnitt 31).
2. Der zweite Grenzfall tritt dann ein, wenn die Kleinwesen auf dem Körper ihrer Wirte leben, ohne ihnen Schaden zu tun. Wir haben es hier nicht mit schädlichen, sondern mit harmlosen Schmarotzern, „Mitessern" (Kommensalen), unter Umständen sogar mit nützlichen Schmarotzern, „Nützlingen" (Symbionten) zu tun. Gewöhnlich wird ein derartiges Verhältnis der Kleinwesen zu ihren Wirten nur möglich, wenn sie sich darauf beschränken, auf den äußeren oder inneren O b e r f l ä c h e n des Körpers zu leben. So finden sich regelmäßig Staphylokokken harmloser Art, aber auch oft der echte Staph. pyogenes zwischen den Epidermisschuppen und in den Ausführungsgängen der Hautdrüsen, Pseudodiphtherie- und Schleimbazillen auf der Bindehaut und Nasenschleimhaut, der Strept. lacticus und lanceolatus, Spirochaeten und Spießbazillen im Mund und Rachen, Strept. lacticus, Kolibazillen, Bifidus und Acidophilus, Buttersäure- und Emphysembazillen, ja selbst Tet'anusbazillen im Darminhalt, Streptokokken und Bac. vaginalis in der Scheide des Weibes. Fehlt es, wie man sieht, unter diesen gewöhnlichen H a u t - und S c h l e i m h a u t s c h m a r o t z e r n nicht an solchen, die wir auch als Krankheitserreger kennen gelernt haben, so kommen andere Erreger nur vorübergehend auf denselben Schleimhäuten vor, so Z.B.Meningokokken und Diphtheriebazillen im Bachen, Cholera- und Ruhrbazillen im Darm bei den sog. K e i m t r ä g e r n , d. h. gesunden Menschen in der Umgebung von wirklich Kranken oder solchen Personen, die von der betreffenden Erkrankung genesen sind.
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Meist scheinen hierher zu gehören auch die sog. D a u e r a u s s c h e i d e r v o n T y p h u s - u n d P a r a t y p h u s b a z i l l e n , d e n n auch sie können den E i n d r u c k völlig gesunder Menschen machen. Immerhin ist d a s durchaus n i c h t immer der Fall, und L e i c h e n b e f u n d e , die an solchen Dauerausscheidern g e m a c h t worden sind, sowie Tierversuche, d e u t e n d a r a u f h i n , d a ß die Bazillen hier nioht b l o ß a u f den Schleimhäuten der Gallen- und H a r n w e g e , sondern i n ihnen wuchern, und sie v e r ä n d e r n , j a d a ß sie n i c h t ganz selten auch in inneren Organen u n d im Blute sich f i n d e n . D a r n a c h h ä t t e n wir es hier mehr • m i t s c h l e i c h e n d e n K r a n k h e i t e n , die w i r ' s p ä t e r behandeln werden (s. u. 5) zu t u n . S e l b s t i m B l u t e können sich Kleinwesen längere Zeit h a l t e n , also wohl v e r m e h r e n , o h n e sichtbare Störungen hervorzurufen, so namentlich T r y p a n o s o m e n bei R a t t e n , Vögeln und K a l t b l ü t e r n ; doch f r a g t es sich, o b m a n n i c h t auch hier, wenn genauere Untersuchungen bei diesen Tieren möglich w ä r e n , gewisse k r a n k h a f t e Veränderungen feststellen k ö n n t e . Wie sind n u n die allein uns hier interessierenden Fälle harmlosen Schmarotzert u m s zu d e u t e n ? Ausgeschlossen i s t die A n n a h m e , diese Schmarotzer seien eigentlich n u r S a p r o p h y t e n , die sich zufällig auf den inneren oder äußeren Körperoberflächen angesiedelt h ä t t e n , denn nur ganz b e s t i m m t e Keime sind dazu b e f ä h i g t , während s a p r o p h y t i s c h e Kleinwesen, die zufällig oder absichtlich auf die H a u t oder Schleimhäute g e b r a c h t werden, im allgemeinen schnei) von diesen O r t e n wieder verschwinden. Wohl k ö n n t e m a n d a r a n d e n k e n , das harmlose S c h m a r o t z e r t u m durch ein nur b e s c h r ä n k t e s A n s t e c k u n g s v e r m ö g e n der Schmarotzer selbst zu erklären, so z. B. wenn wir auf der H a u t und den Schleimhäuten S t a p h y l o - , S t r e p t o - oder P n e u m o k o k k e n und Diphtheriebazillen f i n d e n , die im Tierversuch schwächere W i r k u n g zeigen, als gewöhnlich. In vielen anderen Fällen geht das aber n i c h t a n , weil die Tierversuche z. B. m i t P n e u m o k o k k e n - und Diphtheriebazillen deren volle W i r k u n g s k r a f t beweisen, u n d Beobachtungen lehren, d a ß selbst gesunde Träger von M e n i n g o k o k k e n , Diphtherie-, Ruhr- und Cholerabazillen zwar n i c h t i m m e r , aber o f t genug i m s t a n d e sind, bei a n d e r e n Menschen die betreffenden a n s t e c k e n d e n K r a n k h e i t e n zu veranlassen. Vielfach sind diese K e i m t r ä g e r j a auch selbst die besten Zeugen f ü r die volle Wirkungsk r a f t der Schmarotzer, die sie beherbergen, d a sie e r s t nach Überstehen d e r K r a n k h e i t zu K e i m t r ä g e r n geworden sind. I n wieder a n d e r e n Fällen bedarf es n u r einer besonderen Gelegenheit, um die gewöhnlichen unschädlichen Bewohner der H a u t u n d Schleimhäute zu gefährlichen K r a n k h e i t s erregern zu machen. Wir sprechen d a n n von S e l b s t a n s t e c k u n g e n (Autoi n f e k t i o n e n ) . So sehen wir W u n d e n nach Operationen vereitern, Fieber i m W o c h e n b e t t , L u n g e n e n t z ü n d u n g nach E r k ä l t u n g e n oder Quetschungen d e r B r u s t , Bauchfellentzündungen nach Zerreißung von G e d ä r m e n , E r k r a n k u n g e n der H a r n - und Gallenwege bei S t a u u n g e n in diesen a u f t r e t e n , o h n e die E i n f ü h r u n g von Ansteckungserregern von außen d a f ü r v e r a n t w o r t lich machen zu können. U n r i c h t i g wäre es schließlich, a n z u n e h m e n , d a ß die eigentlichen Krankheitserreger u n t e r diesen harmlosen Schmarotzern n u r deshalb n i c h t zur E n t f a l t u n g ihrer krankheitserregenden K r a f t k o m m e n , weil sie n i c h t an die richtige E i n t r i t t s p f o r t e gelangen, denn sie f i n d e n sich sogar regelmäßig auf denselben Schleimhäuten, v o n denen sie aus sonst o h n e weiteres erfolgreich in d a s Gewebe selbst eindringen u n d sich d o r t v e r m e h r e n . Offenbar liegt die E r k l ä r u n g d a r i n , d a ß der Wirtsorganismus d e n harmlosen Schmarotzern örtlich u n d zeitlich u n g l e i c h e W a c h s t u m s w i d e r s t ä n d e entgegenstellt, die den gewöhnlichen H a u t - und Schleimhaut-
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p a r a s i t e n regelmäßig zwar g e s t a t t e n auf gewisse Oberflächen, aber n i c h t auf allen Oberflächen u n d n a m e n t l i c h n i c h t im I n n e r n des Gewebes zu w a c h s e n , W i d e r s t ä n d e , die nur gelegentlich — u n t e r dem Einflüsse besonderer b e g ü n s t i g e n d e r U m s t ä n d e — wegfallen, w ä h r e n d bei. den K e i m t r ä g e r n u m g e k e h r t u n t e r d e m E i n f l u ß der s t a t t g e h a b t e n Durchseuchung die s o n s t n i c h t g e n ü g e n d e n W a c h s t u m s w i d e r s t ä n d e des Gewebes, n i c h t also die gewisser Schleimhäute, gesteigert sind. Die U r s a c h e n dieser angeborenen o d e r e r w o r b e n e n G e w e b s i m m u n i t ä t k e n n e n wir w e i t besser als die der S c h l e i m h a u t i m m u n i t ä t . Vielleicht gelingt es aber k ü n f t i g , in den Epithelien ä h n l i c h e bakterienwidrige K r ä f t e nachzuweisen, wie sie schon lange in den L e u k o z y t e n u n d anderen P h a g o z y t e n , in L y m p h - u n d Blutflüssigkeit festgestellt s i n d . Die Absonderungen der Schleimhäute scheinen u n t e r gewöhnlichen V e r h ä l t nissen nur ausnahmsweise d e r a r t i g e K r ä f t e zu besitzen, wrhl aber überall d a , wo sie e n t z ü n d l i c h v e r ä n d e r t s i n d . 3. D i e k r a n k m a c h e n d e W i r k u n g der eigentlichen A n s t e c k u n g s erreger g i b t sich r e g e l m ä ß i g durch örtliche oder a l l g e m e i n e Störungen k u n d , wenn sie in den Geweben ihres W i r t s zur Vermehrung gelangen. Wir betrachten z u n ä c h s t d i e j e n i g e n Fälle, in denen d i e V e r m e h r u n g ö r t l i c h u n d z e i t l i c h b e g r e n z t i s t , d. h. in b e s t i m m t e n H e r d e n u n d vorübergehend erfolgt. Hierher gehören sowohl d i e l e i c h t e s t e n W u n d a n s t e c k u n g e n , d i e sich i n einfacher, n a c h e i n i g e n Tagen s c h o n verschwindender R e i z u n g der Wundränder äußern, wie d i e s c h w e r s t e n E i t e r u n g e n , d i e erst n a c h langer Z e i t u n d unter U m s t ä n d e n -mit u m fangreichen G e w e b s v e r l u s t e n h e i l e n , der harmlose H u s t e n u n d Schnupfen u n d d i e schwere L u n g e n e n t z ü n d u n g , der Wundstarrkrampf u n d d i e D i p h t h e r i e , d i e Ruhr u n d d i e Cholera, mögen sie nun leichte E r s c h e i n u n g e n verursachen oder den Befallenen an den R a n d des Grabes bringen. N u r m u ß die V o r a u s s e t z u n g erfüllt s e i n , d a ß d i e Erreger, n a c h d e m sie v o n den E i n t r i t t s p f o r t e n aus z u m W a c h s t u m g e k o m m e n u n d darüber h i n a u s mehr oder w e n i g e r in das benachbarte Gewebe eingedrungen s i n d , f r ü h e r o d e r s p ä t e r d o c h ihr W a c h s t u m u n d V o r d r i n g e n e i n s t e l l e n u n d w e s e n t l i c h d u r c h Z u g r u n d e g e h e n an Ort u n d Stelle wieder aus dem Gewebe verschwinden. Natürlich h a t m a n s t e t s die wesentlichste E i g e n s c h a f t dieser A r t von a n s t e c k e n d e n K r a n k h e i t e n , ihre „ H e i l b a r k e i t " g e k a n n t u n d schon lange, b e v o r m a n von Erregern e t w a s w u ß t e , die d u r c h sie h e r v o r g e r u f e n e n örtlichen und allgemeinen Erscheinungen u n t e r s c h i e d e n ; aber e r s t die b a k t e r i o : logische F o r s c h u n g h a t u n s d a s wahre Wesen- dieser A n s t e c k u n g e n aufg e d e c k t , vor allem die B e s c h r ä n k u n g der Erreger auf örtliche H e r d e , und d a s Z u s t a n d e k o m m e n der örtlichen u n d allgemeinen Krankheitserscheinungen d u r c h ihre G i f t e k e n n e n gelehrt. Diese örtliche B e s c h r ä n k u n g i s t n i c h t so a u f z u f a s s e n , als o b die K r a n k h e i t s k e i m e n i c h t auch aus dem eigentlichen K r a n k h e i t s h e r d heraus i n L y m p h e j i n d B l u t v e r s c h l e p p t werden k ö n n t e n . I m Gegenteil scheint solche B a k t e r i ä m i e h ä u f i g genug, j a in geringem U m f a n g e wohl regelmäßig e i n z u t r e t e n , aber wesentlich ist, d a ß diese verschleppten Keime an änderen Stellen des K ö r p e r s k e i n e n f e s t e n
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F u ß f a s s e n , wie es bei der Pyämie (Nr. 4) und Septikämie (Nr. 6) der Fall ist, sondern schon in den Lymphdrüsen oder erst in den Kapillaren der inneren Organe zugrunde gehen. Was das Schicksal der Erreger in den Krankheitsherden selbst anlangt, so hab^n wir in den früheren Abschnitten dieses Buches gesehen, daß es einerseits bedingt ist durch die A n g r i f f s k r ä f t e der Erreger und andererseits durch die A b w e h r k r ä f t e des angesteckten Körpers, also abhängt von einem K a m p f e z w i s c h e n b e i d e n , der in unserem Falle aber mit der " V e r n i c h t u n g d e r A n g r e i f e r endigt. E s ist, wie in den Kriegen zwischen Menschen meist nicht ein kurzes Treffen, welches die von vornherein vorhandenen Kräfte entscheiden, sondern gewissermaßen ein längerer Feldzug, in dem von beiden Seiten neue Truppen gesammelt und eingesetzt werden, der auch äußeren Zwischenfällen ausgesetzt ist und daher nicht immer zu einem glatten Siege, sondern oft erst nach wechselndem Kriegsglück zur Entscheidung führt, ja gelegentlich selbst den Sieger der Erschöpfung überliefert. Abgesehen von den an der Eintrittspforte schon bereitstehenden Zellen und Säften kommen hier auf Seiten des angegriffenen Organismus .diejenigen in Betracht, die durch die E n t z ü n d u n g an den Orte der Gefahr herangeführt und im BJjit durch das F i e b e r und den I m m u n i s i e r u n g s v o r g a n g entwickelt werden. Man darf sagen, daß kaum eine Infektion ohne derartige Vorgänge zur Heilung gelangt. Auf Seiten der Angreifer fehlt es auch nicht an Anpassungserscheinungen, die ihnen wenigstens zeitweise den Widerstand ermöglichen (vgl. die Bildung von Kapseln und von Aggressinen). " Durch zufällige Einflüsse oder absichtliche E i n g r i f f e , die von der ärztlichen Behandlung abhängen, kann bald der eine, bald der andere Teil begünstigt werden. Insoweit ist die Vernichtung der Erreger unvollständig, als ein Teil der Erreger durch die Absonderung der Wunden und Drüsen im lebenden Zustande a u s g e s c h i e d e n werden kann. Aber nur bei denjenigen Erkrankungen der Haut und Schleimhäute, bei denen die Keime sich auch auf der Oberfläche, nicht bloß innerhalb der Gewebe vermehren, ist dieser Anteil erheblich, und unrichtig ist jedenfalls die alte Auffassung, als ob die Ausscheidung der Erreger durch die verschiedenen Drüsen des Körpers die Vorbedingung der Heilung sei. Die H a u p t w i r k u n g f ä l l t v i e l m e h r s t e t s d e n a b t ö t e n d e n K r ä f t e n des G e w e b e s zu. Die Drüsen leisten höchstens etwas für die Heilung durch die Ausscheidung von Giften; die Absonderung lebender Schmarotzer ist diesen selbst zwar nützlich, weil sie ihnen die Erhaltung ihrer Art gewährleistet, ihren Wirten aber eher nachteilig, weil sie nicht nur die Verbreitung der Ansteckungserreger außerhalb des Körpers ermöglicht, sondern gar nicht selten zu Erkrankungen der ausscheidenden Drüsen führt (s. unter 4). Die hierher gehörenden Ansteckungen kann man. wieder in Untergruppen einteilen, je nachdem sie diese oder jene Organe, die Haut, Schleimhäute oder serösen Häute usw. und in diesen Organen bald das
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Epithel, bald die bindegewebigen Grundlagen, das eine Mal die Zellen, das andere Mal die Zwischensubstanz befallen. Eine natürliche Gruppe bilden aber z. B. die Zell-, Epithel- und Blutschmarotzer kaum, da mannigfache Übergänge zu den übrigen Gruppen vor kommen. Besonders eigentümlich ist in dieser Beziehung das Verhalten der Kleinwesen zu den Leukozyten, die im allgemeinen durch ihre Freßtätigkeit wichtige Hilfstruppen des Körpers im Kampfe gegen die Ansteckung sind, hin und wieder aber z. B. von Gonokokken- und Rotlaufbazillen als Lieblingsstellen zur Ansiedlung benutzt werden. Auf die Blutschmarotzer kommen wir im folgenden noch zurück. Wichtiger¿ür uns als diese und andere Einzelheiten ist die Tatsache, daß die e i n z e l n e n , E r r e g e r s i c h n i c h t bloß g e g e n ü b e r den T i e r a r t e n und E i n z e l w e s e n , s o n d e r n a u c h g e g e n ü b e r den T e i l e n d e s s e l b e n T i e r e n o f t s e h r u n g l e i c h v e r h a l t e n . Man' bedenke z. B. nur, wie verschieden die Lie-blingsherde der äußerlich so nahe verwandten Strepto- und Pneumokokken, Meningo- und Gonokokken sind. Das liegt nicht etwa bloß an der vielleicht zufälligen Verschiedenheit ihrer Eintrittsstellen; denn nachweislich sind die Meningokokken ebenso unfähig, auf der Schleimhaut der Harnröhre Tripper zu erzeugen, wie die Gonokokken, von der Rachenschleimhaut aus Genickstarre zu verursachen; und die Wege der Ansteckung für die Cholera- und Ruhrbazillen, sowie der Ruhramöben und Leberkokzidien sind zwar die gleichen, ihre A n s i e d l u n g s s t e l l e n aber völlig verschieden, nänllich die Schleimhaut des Dünndarms bei der Cholera, die des Dickdarms bei der Baz^lenruhr, das UnterSchleimhautgewebe bei der Amöbenruhr, die Gallengänge bei der Kokzidienkrankheit der Kaninchen. Der Grund dafür kann kaum in etwas anderem liegen, als in der besonderen Ausbildung des Ansteckungsvermögens, die jeden Erreger nur befähigt, in bestimmten Geweben oder Organen zu gedeihen, oder wenigstens ihre größtmögliche Leistung zu vollziehen. Dieser ungleichen Organ V i r u l e n z der Erreger, die wir vielleicht auf nur örtlich wirksame Angriffsstoffe zu beziehen haben, entspricht aller Wahrscheinlichkeit nach eine Ausstattung der Organe mit besonderen Krankheitsanlagen und Abwehrkräften, eine O r g a n d i s p o s i t i o n und O r g a n i m m u n i t ä t . Auch nach der Schwere und Art der von ihnen ausgelösten Giftwirkungen kann man die örtlichen Ansteckungen einteilen. So spricht man bekanntlich von serösen, eitrigen, nekrotisierenden, proliferierenden Entzündungen und hebt diejenigen von ihnen, die mit besonders starken und eigenartigen Allgemeinwirkungen verlaufen, wie den Tetanus und die Diphtherie wohl als toxische Ansteckungen (Toxikosen) hervor. In der Tat hat man ja gerade die Erreger dieser Krankheiten als Erzeuger besonders starker Gifte (Toxine) kennen gelernt, doch fehlen Allgemeinerscheinungen auch bei durch andere Erreger bedingten örtlichen Ansteckungen nur selten vollständig. Sie pflegen unter dem bekannten Bilde des F i e b e r s zu verlaufen und werden meist, ebenso wie die gewöhnlichen Entzündungen auf die sog. Leibesgifte (Endotoxine) der Erreger zurückgeführt. Von e i n e m P a r a l l e l i s m u s z w i s o h e n G i f t i g k e i t und Ans t e c k u n g s k r a f t k a n n in k e i n e m F a l l e die R e d e s e i n . Eher trifft
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das Gegenteil zu. So v e r m e h r e n sich die T e t a n u s b a z i l l e n selbst in den t ö t lichen E r k r a n k u n g e n so spärlich u n d v o r ü b e r g e h e n d , d a ß m a n oft. Mühe h a t , sie ü b e r h a u p t a u f z u f i n d e n , u n d dieses kümmerliche W a c h s t u m wird auch anscheinend nur d a d u r c h zuwege g e b r a c h t , d a ß f r e m d e B a k t e r i e n sich in Gesellschaft der T e t a n u s s p o r e n befinden u n d i h n e n d a s Auskeimen erleichtern (S. 209). Bei der D i p h t h e r i e u n d der D y s e n t e r i e der meisten Versuchstiere liegen die Dinge auch n i c h t viel anders als beim T e t a n u s . Bei der Diphtherie und D y s e n t e r i e des Menschen h a n d e l t es sich dagegen um eine üppige Vermehrung der Erreger, also um e c h t e A n s t e c k u n g e n , die aber m i t ausgesprochenen Vergiftungserscheinungen zu verlaufen pflegen. Wie wenig an sich G i f t w i r k u n g u n d A n s t e c k u n g s k r a f t m i t e i n a n d e r zu t u n h a b e n , lehren schließlich die n i c h t seltenen Fälle, in d e n e n die K r a n k e n an den Folgen der Vergiftung zu einer Zeit s t e r b e n , in der die Krankheitserreger selbst v o n den A b w e h r k r ä f t e n des K ö r p e r s schon niedergerungen sind, der K r a n k e also s t i r b t , o b w o h l die A n s t e c k u n g selbst geheilt ist. 4. E i n e Steigerung der ansteckenden L e i s t u n g der Krankheitserreger gegenüber den u n t e r 3. besprochenen Fällen b e d e u t e t es, wenn dieselben s i c h n i c h t a u f ihre Anfangsherde beschränken, sondern w e i t über d i e s e l b e n h i n a u s w u c h e r n , schließlich a b e r d o c h z u m S t i l l s t a n d k o m m e n . N u r selten, b e i den s c h w e r sten Formen der Z e l l g e w e b s e n t z ü n d u n g , ferner d e m Gasbrande g e h t das W a c h s t u m u n a u f h a l t s a m n a c h allen Seiten vor sich. Gewöhnlich hält es sich a n d i e v o r g e b a h n t e n Wege z u n ä c h s t der L y m p h e , dann des B l u t e s 1 . Innerhalb dieser Wege k a n n die E n t w i c k l u n g wieder s c h r i t t w e i s e vor sich g e h e n , w e i t h ä u f i g e r i s t sie aber s p r u n g h a f t , i n d e m d i e K e i m e durch den S t r o m der L y m p h e u n d des B l u t e s an andere Körperstellen befördert werden u n d sich dort von n e u e m e i n n i s t e n . W i r sprechen d a n n von herdbildenden oder m e t a s t a t i s c h e n I n f e k t i o n e n . N i c h t i m m e r f ä l l t die E i n t r i t t s p f o r t e der A n s t e c k u n g m i t ihrem e r s t e n H e r d e z u s a m m e n , sondern die K r a n k h e i t s k e i m e werden von i h r aus sofort wie z. B. bei der D r ü s e n p e s t u n d d e i Skrofulöse bis zu den n ä c h s t e n L y m p h d r ü s e n v e r s c h l e p p t , uro d o r t e r s t f e s t e n F u ß zu f a s s e n . Die L y m p h d r ü s e n dienen hier wie in anderen Fällen als F i l t e r , welche die Keime mindestens zeitweilig, m a n c h m a l sogar d a u e r n d z u r ü c k h a l t e n u n d so die weitere Verallgemeinerung der A n s t e c k u n g verzögern oder v e r h i n d e r n . Wird d a s B l u t wirklich a n g e s t e c k t , so geschieht es e n t w e d e r nach Ü b e r w i n d u n g der hintere i n a n d e r eingeschalteten L y m p h d r ü s e n durch die größeren L y m p h g e f ä ß e , die i n die obere Hohlvene m ü n d e n oder d u r c h E i n b r u c h in die Blutgefäße von einem der älteren Herde aus, oder aber schon d u r c h Aufsaugung seitens v e r w u n d e t e r Blutgefäße an den E i n t r i t t s p f o r t e n selbst. Hierher gehören z. B. die Ansteckungen, die d u r c h blutsaugende I n s e k t e n hervorgerufen werden. Bei m a n c h e n v o n i h n e n i s t d a s B l u t geradezu d a s Gewebe, i n d e n e n die K e i m v e r m e h r u n g b e g i n n t ( F l e c k t y p h u s , Gelbfieber). S o n s t werden d i e K e i m e , die auf die eine oder die a n d e r e Weise i n die B l u t b a h n gelangt s i n d , meist schnell im K a p i l l a r s y s t e m , besonders der i n n e r e n Organe, abgelagert, 1 Ausnahmsweise — bei der H u n d s w u t — an die N e r v e n b a h n e n . diese K r a n k h e i t niemals heilt, gehört sie aber in die G r u p p e 6 (s. u,).
Da
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tim dort, soweit sie nicht zeistört werden, durch ihre Wucherung neue Horde zu bilden. Von ihnen aus können sie dann wieder in den Blutstrom gelangen, werden aber darin meist in beschränkter Zahl aufzufinden sein, weil sie sich im strömenden Blute nur unter besonderen Umständen (s. u. 5 und 6) zu vermehren vermögen.
Alle diese Ansteckungen können bekanntlich zur Heilung gelangen, und nur diejenigen Fälle, in denen das geschieht, haben wir zunächst im Auge. Die Abwehrkräfte, die die Heilung bewirken, sind ganz ähnlicher Art wie beiden rein örtlichen Ansteckungen; die Gift Wirkungen, von denen sie begleitet werden, sind ebenfalls wesentlich gleichartig. Auch gelten hier die Bemerkungen, die wir oben (S. 318) Uber die besondere Ausgestaltung des Ansteckungsvermögens nach Organen und Geweben gemacht haben. So sind die Herde, die durch Verschleppung der Erreger mit dem Blute entstehen, sehr verschiedenartig, indem, bald die Haut, bald die Gelenke, bald die Knochen und die Muskeln oder inneren Organe, in der Haut selbst bald die Epithelschichten, bald das Bindegewebe befallen werden. Beispiele für solche Allgemeinerkrankungen, die durch Bildung mehrerer oder Tieler Metastasen entstehen, sind 'die Eitervergiftungen des Menschen und der Tiere in ihren verschiedenen Formen, ferner viele Fälle von Pneumonie, Gonorrhoe, Zerebrospinalmeningitis, Influenza, Mumps, Tuberkulose, stets der' Rotz, Typhus und Paratyphus, die Pest und der Flecktyphus, der akute Gelenkrheumatismus, Pocken und Windpocken, Scharlach und Masern, Maul- und Klauenseuche.
5. In anderer Form äußert sich die Steigerung des Ansteckungsvermögens, wenn die Schmarotzer n i c h t v o l l s t ä n d i g den Abwehrk r ä f t e n ihres W i r t e s e r l i e g e n , sondern zum T e i l der Vern i c h t u n g e n t g e h e n und e n t w e d e r nach e i n i g e r Zeit einen R ü c k f a l l der K r a n k h e i t oder einen s c h l e i c h e n d e n Erkrank u n g s z u s t a n d e r z e u g e n , oder aber verborgene Ansteckungsherde zurücklassen. Die Heilung ist z u n ä c h s t immer eine u n v o l l k o m m e n e , d i e e n d g ü l t i g e Heilung wird in vielen Fällen zwar nur verzögert und erschwert, in anderen bleibt sie aber überhaupt aus. Eine scharfe Grenze gegenüber der .vorhergehenden Gruppe besteht nicht, da die Bildung eines neuen Herdes an anderen Körperstellen, wenn sie zu einer Zeit erfolgt, wo der frühere Herd schon in der Heilung begriffen ist, auch als eine Art Rückfall betrachtet werden kann. Gelegentlich werden echte Rückfälle bei allen möglichen Ansteckungen beobachtet. Von ihrem regelmäßigen Vorkommen hat das Rückfallfieber seinen Namen; die Malaria, viele Trypanosomen*, Piroplasmen- und Leishmaniaerkrankungen führen nicht nur zu Rückfällen, sondern oft, ja gewöhnlich zu s c h l e i c h e n d e n Ans t e c k u n g e n , die gelegentlich aber wieder in akute übergehen. Die letztgenannten Schmarotzer stimmen auch darin überein, daß sie im
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Blute und teilweise sogar in den Blutzellen ihrer warmblütigen Wirte leben, daneben allerdings noch einen eigentümlichen Wirtswechsel in kaltblütigen Tieren durchmachen. Andere, wie die Spirochaeten der Syphilis und Frambösie, sind dagegen echte Gewebsschmarotzer und gehen nur vorübergehend ins Blut, um von da aus neue Herde zu erzeugen. Sie zeichnen sich aber auch durch die Rückfälle aus, die sie veranlassen. In ihrem oft wechselndem und vielgestaltigem Verlauf hat die Tuberkulose manche Ähnlichkeit mit der Syphilis. Schließlich sind auch die Fälle, in denen die Erreger nach überstandener Genickstarre, Diphtherie, Cholera auf den betreffenden. Schleimhäuten, nach Typhus und Paratyphus in den Gallen- und Harnwegen vorübergehend oder dauernd angesiedelt bleiben, zu den unvollkommenen Heilungen zu rechnen. Der Umstand, daß hier die Schmarotzer nur auf bestimmten gesunden oder nur wenig veränderten Schiein:häuten sich finden und trotz ihrer Gegenwart nur ausnahmsweise Krankheitsrückfälle eintreten, beweist uns, daß der übrige Körper die Ansteckung nicht nur endgültig überwunden hat, sondern sich auch gegen ein neues Überwuchern der Erreger zu wehren weiß. Um so merkwürdiger bleibt bei dieser allgemeinen Immunität die Empfindlichkeit der genannten Schleimhäute. Wir haben sonach in diesen Fällen unvollkommener Heilung Beispiele für eine Art G l e i c h g e w i c h t der Kräfte z w i s c h e n Schmarotzer und Wirt, Angreifer und A n g e g r i f f e n e m , ein G l e i c h g e w i c h t , das allerdings h i n und w i e d e r s i c h zugunsten des e i n e n oder anderen Teiles v e r s c h i e b t . Man wird sich von vornherein vorstellen dürfen, daß gerade in dieser Gruppe von Ansteckungen neben den regelmäßigen Gegenwirkungen des Körpers, der Entzündung, dem Fieber, der Immunisierung, allerhand äußere und innere Einflüsse, die das Kräfteverhältnis verschieben, für das Ergebnis des Kampfes von Wichtigkeit sein werden, und die Erfahrung — man denke z: B. nur an Malaria und Tuberkulose — bestätigt das. Schwächung der Abwehrkräfte führt zum Siege der Angreifer, Verstärkung zu ihrer Uberwindung. Andererseits fallen für den Ausgang ebenso sehr Veränderungen in den Angriffskräften der Erreger ins Gewicht. Sie erscheinen teilweise als zufälliger Art: so hängen Verallgemeinerungen und Rückfälle bei Tuberkulose und Eiterungen gelegentlich von Durchbrüchen kleiner verborgener Herde in Blutgefäße, seröse Höhlen oder mit Schleimhaut bekleidete Kanäle ab. Bei dem Rückfallfieber und vielen anderen Erkrankungen paßt sich dagegen ein Teil der Erreger regelmäßig dem wachsenden Abwehrvermögen des Körpers an und erzeugt so neue Anfälle oder widersteht wenigstens in diesen oder jenen Organen der Vernichtung. Nicht selten kommt auch dem Angreifer wirksame Hilfe von außen durch ne.ue Ansteckungen. Umgekehrt werden die Angriffskräfte geschwächt durch freiwillig oder künstlich herbeigeführte Entleerung vor, Ansteckungsherden nach außen, durch künstliche innere Entseuchung, durch zeitweilige oder dauernde Abnahme des Ansteckungsvermögens der Erreger. K r u s e , Lehrbuch der Bakteriologie.
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Neunundzwanzigster Abschnitt
6. Das. Ansteckungsvermögen der Schmarotzer erreicht seinen H ö h e p u n k t , wenn sie die Abwehrkräfte ihrer Wirte uberwinden und durch ü b e r h a n d n e h m e n d e s W a c h s t u m deren Tod verursachen. Das kann eintreten bei rein örtlichen und b e i a l l g e m e i n e n Ansteckungen, beim ersten Anfall oder im Rückfall der Erkrankung. Die Voraussetzung ist eben nur, daß die Gifte der Erreger während deren Entwicklung im Körper des Wirts lebenswichtige Teile desselben so schädigen, daß die Erhaltung des Lebens unmöglich wird. Richtig ist allerdings, daß manche Erreger, die gewöhnlich nur örtliche Herde erzeugen, erst gefährlich werden, wenn sie sich verallgemeinern, und daß es eine Form der allgemeinen Ansteckung gibt, die wohl immer tödlich ist, die sog. S e p t i z ä m i e , d. h. der Zustand, bei dem die Erreger nicht bloß an einzelnen oder vielen Stellen des Blutgefäßsystems wie bei der Pyämie metastatische Herde bilden, sondern sich überall im Blute bzw. in dessen Kapillaren vermehren. Beispiele dafür bieten die Pneumokokken und Streptokokken, ferner die Bazillen des Milzbrands, Rotlaufs, der Hühnercholera, Schweineseuche und verwandter Krankheiten, wahrscheinlich auch manche Aphanozoen. Aber auch diese Keime vermögen nicht bei allen Tieren Septizämie hervorzurufen, sondern nur bei den empfänglichsten. So wird eine Septizämie im eigentlichen Sinne nur ausnahmsweise beim Menschen beobachtet, obwohl viele der genannten Bakterien hier tödliche, allgemeine oder örtliche Ansteckungen bedingen können. Überhaupt nicht imstande, echte Septizämie zu erzeugen, sind z. B. die Staphylo-, Gono- und Meningokokken, die Typhus-, Ruhr- und Choleräbazillen, Anaero b ier, Diphther ie-, Rotz- und Leprabazillen. Im s chlimmsten Falle verursachen sie alle nur tödliche Allgemeinerkrankungen mit zahlreichen Herden, die entweder schon dem unbewaffneten oder erst dem bewaffneten Auge (Typhus) erscheinen. Andere sind, wie die Cholera-und Ruhrbazillen, im Menschen selbst dazu nicht befähigt, sondern wuchern nur in besonders umfangreicher und nachhaltiger Weise auf und in den ursprünglich von ihnen befallenen Schleimhäuten, oder wie die Grasbrandbazillen in den sämtlichen Geweben der von ihnen gerade betroffenen Körperteile. Für die Tetanusbazillen, die man gewöhnlich als besonders bösartige Ansteckungserreger betrachtet, gilt auch das nicht einmal, stellen sie doch oft schon ihr stets kümmerliches Wachstum ein, ehe ihre Gifte ihre tödliche Wirksamkeit haben entfalten können. Solche Fälle, wo nach überstandener Ansteckung der Tod doch noch eintritt, gehören, wie bemerkt (S. 319), nicht in die hier besprochene, sondern in die früheren Gruppen. Trotz dieser Unfähigkeit, Septizämie zu erzeugen, können fast alle diese Bakterien, wie schon unter Nr. 3 vermerkt, gelegentlich so zahlreich im Blute auftreten, daß sie durch die Züchtung darin nachgewiesen werden
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können, aber es macht ganz den Eindruck, als ob sie im strömenden Blute selbst sich nicht vermehren, sondern dahin nur von ihren Herden eingeschwemmt werden. Der Beweis dafür ist besonders leicht zu führen bei den tödlichen Erkrankungen, die wir mit nicht zu kleinen Mengen der meisten , dieser Keime von der Bauchhöhle des Meerschweinchens aus erzeugen können. Die Zählung der Bakterien in der Leiche mit Hilfe der Plattenkultur ergibt, d a ß Milliarden von Bazillen in der Bauchhöhle selbst, aber nur Hunderttausende oder Millionen im Blute vorhanden sind. So werden auch f a s t regelmäßig Typhusbazillen im Blute des Menschen gefunden, rechnet man sie aber zusammen, so kommt man nur zu verschwindend geringen Zahlen gegenüber der Unmasse der in den Organen vorhandenen Bazillen. „ B a k t e r i ä m i e " , d. h. d a s A u f t r e t e n v o n B a k t e r i e n i m B l u t , b e d e u t e t a l s o n o c h l a n g e n i c h t „Se p t i z ä m i e " 1 , d; h. d e r e n W a c h s t u m i m Blut. Bemerkenswert ist, daß zahlreiche Spirochaeten, Sporozoen und Aphanozoen üppig im strömenden Blute zu wachsen vermögen, ohne dadurch notwendigerweise tödliche Erkrankungen hervorzurufen. Die gewaltigste Menge von Rskurrensspirochaeten verschwindet sogar ganz gewöhnlich aus dem Blute (s. S. 270). Man wird die Ursache d a f ü r darin zu suchen haben, d a ß diese Schmarotzer einerseits auch in großen Mengen nur wenig giftig wirken, andererseits selbst in größter Anzahl noch den Abwehrki'äften des Körpers zugänglich bleiben. Nicht zufällig ist es wohl, daß das Blut in diesen Fällen dasjenige Gewebe des Körpers ist, in dem die Schmarotzer ausschließlich zu gedeihen vermögen. Die Septizämie erregenden Bakterien sind umgekehrt ursprünglich Gewebsschmarotzer. Unrichtig wäre es, die i atsache, daß viele Bakterien sich nicht im Blute bis zur Erzeugung einer echten Septizämie vermehren und dennoch oft tödlich wirken, da,mit zu erklären, daß sie nur durch den zu frühen Tod ihrer Wirte an der Überschwemmung des Blutes gehindert würden, daß also mit anderen Worten, nur ihre zu große Giftigkeit die Septizämie verhüte. In Ausnahmefällen mag das zutreffen, im allgemeinen aber sicher nicht. Es handelt sich vielmehr um ein U n v e r m ö g e n , i m B l u t e z u w u c h e r n , das offenbar durch die ihnen im Blutstrome begegnenden Abwehrkräfte bedingt wird. In der T a t widerstehen gerade die Septizämieerreger auch außerhalb des Körpers am besten den keimtötenden Eigenschaften des Blutes. Das schließt aber keineswegs aus, daß auch bei den schlimmsten Formen der Ansteckung, der Septizämie, ebenso wie bei allen übrigen tödlichen Ansteckungen Abwehrbewegungen seitens des angegriffenen Körpers mehr oder weniger deutlich sind. Nur führen sie höchstens zur teilweisen, nicht zur völligen Überwindung der Schmarotzer.
In der Natur der hier gegebenen Einteilung liegt, daß sie zwischen den einzelnen Formen der Anstecküng scharfe Grenzen setzt. Es handelt sich aber im wesentlichen um verschiedene Grade der Ansteckungskraft einerseits uhd der (tierischen) Widerstandskraft andererseits, die durch Übergänge miteinander verbunden sind. So kann eine bestimmte 1 Es wäre nützlich, wenn die Kliniker diese bakteriologische Unterscheidung berücksichtigten. Es bliebe ihnen dabei unbenommen, i)ach wie vor gewisse Yergiftungserscheinungen im Krankheitsbilde als „septische". zu bezeichnen.
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Art von Klein wesen, z. B. der Pneumokokkus, alle die hier genannten Formen der Ansteckung hervorrufen entweder, wenn man ihm verschie dene Ansteckungskraft verleiht und ihn auf Tiere derselben, leicht empfänglichen Art (Kaninchen) wirken läßt, oder ihn in hoch wirksamer Beschaffenheit init Tieren ungleicher Widerstandsfähigkeit (Hunden, Meerschweinchen, Kaninchen) in Berührung bringt. Auch die Giftigkeit ist keine unter allen Umständen feststehende Eigenschaft. Sie kann bei einem und demselben Keim zeitlich wechseln und gegenüber verschiedenen Tieren ungleich sein. Es wird jetzt unsere Aufgabe sein, die Bedingungen, von denen einerseits das Krankheit erregende Vermögen der Kleinwesen und andererseits die Empfänglichkeit der Tiere abhängt, näher ins Auge zu fassen. Zuerst sprechen wir von zeitlichen Veränderungen, die das Ansteckungs-und Giftbildungs vermögen erfahren kann, von der sog. Verstärkung und Abschwächung der Erreger.
Dreißigster Abschnitt. Bedingungen der Ansteckung. Die Ansteckungskraft der Krankheitserreger ist keine feststehende Größe, sondern unterliegt Veränderungen nach unten und oben. Die ersten sicheren Erfahrungen über A b s c h w ä c h u n g des Ansteckungsvermögens sind bei den Pocken gemacht worden. Die Kuhpocken sind nichts weiter als Pocken, die durch Übertragung auf das weniger empfindliche Rind für den Menschen und andere Tiere abgeschwächt worden sind. Nach demselben Grundsatz hat man mehrfach, aber nur mit ungewissem Erfolg versucht, andere Erreger abzuschwächen, so die Rinderpest, den Schweinerotlauf und die Tuberkulose durch Übertragung auf Schafe, Kaninchen, Kaltblüter oder Vögel. Umgekehrt hat man aber auch durch Übertragung auf eine zweite empfängliche Tierart die Erreger für eine erste, vorher empfängliche Art weniger wirksam machen können. So verlieren Streptokokken, die lange Zeit durch Mäuse hindurchgeschickt worden sind, ihre Ansteckungskraft für Kaninchen und .Menschen. Unter Umständen führt schon die fortgesetzte Übertragung von Tier zu Tier derselben Art zu einer Abschwächung, so bei der Maul- und Klauenseuche der Ferkel. L ö f f l e r , der diese Beobachtung gemacht hat, weist darauf hin, daß sich vielleicht auf ähnliche Weise das f r e i w i l l i g e E r l ö s c h e n m a n c h e r S e u c h e n erkläre (vgl. Cholera, S. 162). In anderen Fällen scheint die Anpassung der Krankheitserreger an b e s t i m m t e O r g a n e die Ansteckungskraft für andere herabzusetzen. Das durch fortgesetzte Impfung
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Dreißigster Abschnitt
Art von Klein wesen, z. B. der Pneumokokkus, alle die hier genannten Formen der Ansteckung hervorrufen entweder, wenn man ihm verschie dene Ansteckungskraft verleiht und ihn auf Tiere derselben, leicht empfänglichen Art (Kaninchen) wirken läßt, oder ihn in hoch wirksamer Beschaffenheit init Tieren ungleicher Widerstandsfähigkeit (Hunden, Meerschweinchen, Kaninchen) in Berührung bringt. Auch die Giftigkeit ist keine unter allen Umständen feststehende Eigenschaft. Sie kann bei einem und demselben Keim zeitlich wechseln und gegenüber verschiedenen Tieren ungleich sein. Es wird jetzt unsere Aufgabe sein, die Bedingungen, von denen einerseits das Krankheit erregende Vermögen der Kleinwesen und andererseits die Empfänglichkeit der Tiere abhängt, näher ins Auge zu fassen. Zuerst sprechen wir von zeitlichen Veränderungen, die das Ansteckungs-und Giftbildungs vermögen erfahren kann, von der sog. Verstärkung und Abschwächung der Erreger.
Dreißigster Abschnitt. Bedingungen der Ansteckung. Die Ansteckungskraft der Krankheitserreger ist keine feststehende Größe, sondern unterliegt Veränderungen nach unten und oben. Die ersten sicheren Erfahrungen über A b s c h w ä c h u n g des Ansteckungsvermögens sind bei den Pocken gemacht worden. Die Kuhpocken sind nichts weiter als Pocken, die durch Übertragung auf das weniger empfindliche Rind für den Menschen und andere Tiere abgeschwächt worden sind. Nach demselben Grundsatz hat man mehrfach, aber nur mit ungewissem Erfolg versucht, andere Erreger abzuschwächen, so die Rinderpest, den Schweinerotlauf und die Tuberkulose durch Übertragung auf Schafe, Kaninchen, Kaltblüter oder Vögel. Umgekehrt hat man aber auch durch Übertragung auf eine zweite empfängliche Tierart die Erreger für eine erste, vorher empfängliche Art weniger wirksam machen können. So verlieren Streptokokken, die lange Zeit durch Mäuse hindurchgeschickt worden sind, ihre Ansteckungskraft für Kaninchen und .Menschen. Unter Umständen führt schon die fortgesetzte Übertragung von Tier zu Tier derselben Art zu einer Abschwächung, so bei der Maul- und Klauenseuche der Ferkel. L ö f f l e r , der diese Beobachtung gemacht hat, weist darauf hin, daß sich vielleicht auf ähnliche Weise das f r e i w i l l i g e E r l ö s c h e n m a n c h e r S e u c h e n erkläre (vgl. Cholera, S. 162). In anderen Fällen scheint die Anpassung der Krankheitserreger an b e s t i m m t e O r g a n e die Ansteckungskraft für andere herabzusetzen. Das durch fortgesetzte Impfung
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unter die harie Hirnhaut des Kaninchens erzeugte Pasteursche „Virus fixe" der Hundswut zeigt sich •weniger wirksam, wenn es unter die Haut oder in das Blut gelangt. Wir selbst haben gefunden, daß ein Bazillus der Paratyphusgruppe, der ursprünglich für Meerschweinchen vom Darm sehr gefährlich war, nachdem er längere Zeit durch die Unterhaut verimpft worden war, auf dem alten Wege durch den parm unschädlich wurde.
Viel häufiger ist die Folge einer fortgesetzten Übertragung auf empfängliche oder auch weniger empfängliche Tiere, daß die. Ans t e c k u n g s k r a f t s t e i g t . Es ist das geradezu das gewöhnliche Mittel, um abgeschwächte Erreger wieder wirksam zu machen. Außerordentlich unterstützt wird der Erfolg, wenn man möglichst große Mengen der Erreger verimpft oder andere, die Ansteckung begünstigende Einflüsse (s. u.) wirken läßt. Manchmal kann man auch hier eine besondere Anpassung an bestimmte Organe feststellen. So gewinnen Pestbazillen, die man wiederholt durch Einatmung übertragen hat, dadurch die Eigenschaft, auch nach Einverleibung auf anderem Wege Lungenherde zu erzeugen.
Unter natürlichen Verhältnissen, d. h. bei den ansteckenden Krankheiten, kommen abgeschwächte, ebenso wie verstärkte Erreger sicherlich oft genug vor. Sonst wäre es nicht erklärlich, daß manche Seuchenausbrüche gutartig, andere bösartig sind, und daß die von uns rein gezüchteten Keime in ihrer Wirkungsart recht erheblich schwanken. Daß das Ansteckungsvermögen im Verlauf bestimmter Krankheiten oder Epidemien gesetzmäßig zu-'oder abnehme, hat sich bisher nicht sicher feststellen lassen, wenn es auch oft genug angenommen worden ist. Daß der Nachweis schwer zu führen sein wird, liegt auf der Hand. Immerhin liegen einige Tatsachen vor, so kann man zugestehen, daß die in alten Herden gefundenen Pneumokokken, Pestbazillen u. a. häufig mehr oder weniger abgeschwächt sind.. Man wird darin einen Erfolg der keimschädigenden Einflüsse im tierischen Körper erblicken 'dürfen. Daß jeder derartige Einfluß auch außerhalb des lebenden Körpers geeignet ist, das Ansteckungsvermögen herabzusetzen, werden wir gleich sehen. , Eigentümlich verhalten sich die Gonokokken bei abgelaufenen oder schleichenden Tripperansteckungen. Sie scheinen für fremde Körper nicht oder wenigstens nicht wesentlich abgeschwächt, wohl aber für den Körper, der sie schon längere Zeit beherbergt. Daß dies nicht an einer erworbenen Unempfänglichkeit des letzteren liege, dafür scheint der Umstand zu sprechen, daß er für fremde Gonokokken empfänglich bleibt. Möglich wäre es allerdings, daß doch eine erworbene Immunität vorliegt, aber nur gegenüber der bestimmten Kokkenrasse gilt.
Umgekehrt ist es wohl sicher, daJJ Keime, die auf der Haut oder auf Schleimhäuten schmarotzen, ihre Angriffskräfte steigern, sobald sie z. B. unter der Einwirkung einer Erkältung, Verletzung oder einer ähnlichen, die Widerstandskraft des Gewebes herabsetzenden Gelegenheitsursache dazu kommen, im Innern der Gewebe selbst zu wuchern, mit anderen
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Worten, wenn sie aus harmlosen Mitessern zu Erregern einer Selbstansteckung werden. So gekräftigt, werden sie wahrscheinlich auch für fremde Körper zu gefährlichen Ansteckungskeimen (S. 315). Nachweislich werden ferner die Typhusbazillen und Rekurrensspirochaeten im Verlaufe einer Ansteckung zum Teil widerstandsfähiger gegenüber den Ab Wehrkräften des angesteckten Körpers und vermögen so die Krankheit länger hinzuziehen oder Rückfälle zu erzeugen. Vielleicht ist das sogar ein allgemeines Gesetz: N i c h t nur die a n g e g r i f f e n e n Körper, sondern ebenso die Angreifer selbst passen s i c h den v e r ä n d e r t e n Bedingungen an und verbessern dadurch ihre Aussichten inAgegenseitigen Kampfe. Daß die Schmarotzer auch außerhalb ihrer Wirte Änderungen, und zwar namentlich Abschwächung ihres Ansteckungsvermögens erfahren können, wird durch zahlreiche Erfahrungen belegt. Man darf zunächst schon den Satz aufstellen, daß jeder Krankheitserreger in k ü n s t lichen Nährböden einen Teil seiner W i r k u n g s k r a f t für Tiere verliert. Schon die erste Übertragung der Keime vom lebenden Körper auf tote' Nährböden scheint ihr Ansteckungsvermögen zu verringern. Dabei unterscheiden sich die „Kulturbakterien" von „tierischen" Bakterien oft auch dadurch, daß sie nicht mehr mit Kapseln umgeben und kleiner sind als die letzteren (s. u.). Größere und vor allem dauerhafte Abschwächungen machen sich aber erst bei weiterer Fortzüchtung bemerkbar. Bei manchen Pneumokokken geschieht das schon in kürzester Zeit, z. B. binnen einer Woche, bei anderen Arten bedarf es längerer Fristen. Diejenigen Bakterien, die befähigt sind und Gelegenheit haben, Sporen au bildeh,.pflegen sich am beständigsten zu erweisen, doch'gibt es auch sporenfreie, die ihre Ansteckungskraft trotz jahrelanger Fortzüchtung unverändert festhalten. Nicht immer geht übrigens die Abschwächung gleichmäßig vor sich, sondern es können auch Rückschläge eintreten, ohne daß sich ein besonderer Anlaß dafür nachweisen ließe. Durch verschiedene Maßnahmen hat man mit mehr oder weniger Glück versucht, der Abschwächung vorzubeugen oder sie rückgängig zu machen, so durch Züchtung unter Sauerstoffabschluß, Zusatz von Blut, Blutserum, Eiern oder anderen Bestandteilen des tierischen Körpers zum Nährboden. Andere Vorschriften dienen auch dazu, die Giftigkeit der Kulturen zu erhalten und zu steigern, so wird in dieser Richtung namentlich ein bestimmtes, aus Schweinemagen hergestelltes Pepton (Martin) gerühmt. Von der Ansicht ausgehend, daß die Abschwächung der Keime in künstlichen Nährböden durch die längere Einwirkung schädlicher Stoffe (z. B. Säuren, Alkalien usw.) verursacht werde, empfiehlt man möglichst häufige Erneuerung der Kulturen, oder Aufbewahren der ausgewachsenen Kulturen (in Kaninchenserum) bei niedrigen Temperaturen und Sauerstoffabschluß. In der Tat scheint das letztere Verfahren am schonendsten zu sein.
Als Regel gilt, daß alle schädliche Einflüsse, welche die Keime treffen, auch deren Ansteckungsvermögen beeinträchtigen, und zwar
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zunächst in vorübergehender, nicht vererblicher, dann in dauernder, d. h. vererblicher Weise. T o u s s a i n t h a t zuerst Milzbrandblut d u r c h 10 M i n u t e n langes E r h i t z e n auf 55° abgeschwächt. P a s t e u r u n d seine M i t a r b e i t e r erhielten bessere Ergebnisse, w e n n sie die Milzbrandbazillen in Fleischbrühe bei 42—43° z ü c h t e t e n (S. 199). E b e n s o lassen sich die Sporen d e r B a u s c h b r a n d b a z i l l e n a b s c h w ä c h e n , indem m a n sie auf 85—100° e r h i t z t . Dasselbe gilt v o n der B e h a n d l u n g m i t L i c h t , R a d i u m s t r a h l e n , höherem S a u e r s t o f f d r u c k u n d vom T r o c k n e n (vgl. H u n d s w u t , S. 307). B r a u c h b a r e Verfahren zur Äbschwächung ergeben sich f e r n e r durch Z u s a t z von e n t w i c k l u n g s h e m m e n d e n M i t t e l n zu den N ä h r b ö d e n . Auch die G i f t i g k e i t v o n Diphtherie- u n d T e t a n u s k u l t u r e n wird durch J o d - , J o d k a l i u m - o d e r Jodtriohloridlösungen so s t a r k v e r r i n g e r t , d a ß sie sich zur S c h u t z i m p f u n g b e n u t z e n lassen.
Bemerkenswert ist, daß ausnahmsweise die eine oder andere hier aufgeführte Schädlichkeit das Ansteckungsvermögen der ihr ausgesetzten Keime nicht vermindert, sondern erhöht. Man wird d a s wohl d a d u r c h e r k l ä r e n d ü r f e n , d a ß in solchen F ä l l e n die Schädlichkeit n i c h t lange genug wirkt", u m alle Einzelwesen einer K u l t u r abzuschwächen. W e n n d a n n , w a s leicht v o r k o m m e n k a n n , die abgeschwächten Keime einer K u l t u r auch eine s t ä r k e r e E i n b u ß e ihres F o r t p f l a n z u n g s v e r mögens e r l i t t e n h a b e n , w e r d e n die s t ä r k e r w i r k s a m e n bei der Fortzüchturig allein überleben. Andere Einflüsse, die a u ß e r h a l b des Tierkörpers zur Vers t ä r k u n g der A n s t e c k u n g s k r a f t f ü h r e n , h a b e n wir schon bei Gelegenheit der Tierversuche e r w ä h n t . E s h a n d e l t sich im wesentlichen u m Veränderungen der künstlichen N ä h r b ö d e n , d u r c h die sie den n a t ü r l i c h e n ähnlicher werden. Zum Teil g e h t dabei die V e r s t ä r k u n g sehr schnell vor sich. So v e r w a n d e l n sioh die Milzbrandbazillen d u r c h Ü b e r t r a g u n g aus den gewöhnlichen K u l t u r e n in B l u t s e r u m b i n n e n einigen S t u n d e n in tierische Bazillen, die außer d u r c h größeres A n s t e c k u n g s v e r m ö g e n auch d u r c h Kajfseln ausgezeichnet sind. Im übrigen gilt f ü r Abschwächungen u n d V e r s t ä r k u n g e n der Satz, d a ß sie n i c h t selten scheinbar regellos o h n e unser Z u t u n e i n t r e t e n , U m w a n d l u n g e n , die m a n neuerdings m i t mehr oder weniger R e c h t als „ M u t a t i o n e n " bezeichnet h a t .
Die Ursachen für die Veränderungen, die das Ansteckungsvermögen der Erreger erleidet, werden vermutlich die gleichen sein, welche für die Veränderlichkeit der Kleinwesen überhaupt gelten. Es sind im wesentlichen A n p a s s u n g , E n t a r t u n g und U m w a n d l u n g (Variation, Mutation). Die Anpassung wird im Tierkörper zur Steigerung des Ansteckurigsvermögens, außerhalb desselben zur Verminderung führen. Entartung unter der Einwirkung von Schädlichkeiten irgendwelcher Art hat regelmäßig Abschwächung zur Folge, Variation oder Mutation macht sich nach der einen und nach der anderen Richtung bemerkbar.» Außer von dem" Ansteckungsvermögen der Schmarotzer selbst hängt deren Wirkung von der Art ihrer Wirte, der Körper stelle, von der aus sie in diesen eindringen (ihrer Eintrittspforte), von ihrer Menge und sonstigen begleitenden Umständen, insbesondere den Angriffs- und Abwehrstoffen, die mit ihnen zusammen einverleibt werden, ab.
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Im allgemeinen sind die Schmarotzer bestimmten Wirten angepaßt. , So kann man sich denn nicht wundern, daß die wenigsten ansteckenden Krankheiten des Menschen und unserer Haustiere auf die kleinen Versuchstiere, die wir in unseren wissenschaftlichen Arbeitsstätten zur Verfügung haben, übertragbar sind, geschweige denn in derselben Weise wieder erzengt werden können. Wir müssen häufig schon zufrieden sein, wenn wir mit den Erregern überhaupt gewisse Wirkungen im Tierkörper erzieleri können. Es besteht aber auch gelegentlich das umgekehrte Verhältnis, daß nämlich gewisse Keime bei unseren Versuchstieren mehr leisten als bei den Menschen oder Haustieren, von denen wir sie gewonnen haben. Die soeben ausführlich erörterte Tatsache, daß das Ansteckungsvermögen eine Eigenschaft ist, xlie künstlich abgeändert werden kann, sich aber auch ohne unser Zutun verändert, legt uns bei der Beurteilung der Ergebnisse von Tierversuchen weitere V o r s i c h t auf. Nicht bloß die A r t der Tiere, sondern auch ihre R a s s e n z u g e h ö r i g k e i t , ihre S o n d e r e i g e n t ü m l i c h k e i t e n als Einzelwesen beeinflussen ihre Empfänglichkeit; z. B. sind die zahmen Kassen der Tierarten, die wir als Haustiere oder Versuchstiere zu benutzen pflegen, meist zugänglicher für Ansteckungen, als die wilden, was natürlich bei den ersteren einen Nachteil, bei den letzteren aber einen Vorteil bedeutet. Was die Unterschiede der einzelnen Tiere anlangt, so machen sie sich weniger gegenüber den schwersten Ansteckungen bemerkbar, als gegenüber den leichten. So pflegen Mäuse, Meerschweinchen und Kaninchen unterschiedslos einer Impfung mit voll wirksamen Milzbrandbazillen zu erliegen. Weniger wirksame Erreger töten dagegen die Tiere um so sicherer, je j ü n g e r und k l e i n e r sie sind, Mäuse und Meerschweinchen leichter als Kaninchen. Min hat es sich deshalb zunächst zur Regel gemacht, zu vergleichenden Versuchen möglichst nur Tiere von gleichem Gewicht zu benutzen. Übereinstimmend lehren ferner die Beobachtungen, daß w e i ß e Tiere (Albinos) empfänglicher sind als gefärbte. Wichtig ist auch der E r n ä h r u n g s z u s t a n d und die Ernährungsweise der Tiere. Daneben beeinflussen unsichtbare Verschiedenheiten die Empfänglichkeit unserer Versuchstiere in ähnlicher Weise, wie wir sie auf Grund tausendjähriger ärztlicher Erfahrung für die natürlichen Ansteckungen des Menschen als bestimmend annehmen müssen. Die bakteriologische Forschung hat diese Erfahrung nicht etwa umgestoßen, sondern sie im Gegenteil noch mehr gesichert. Wir erinnern nur an die Verhältnisse, die sich bei der Cholera ergeben haben. In einer und derselben Familie finden wir nebeneinander tödliche, schwere, leichte Erkrankungsfälle und gesunde Bazillenträger. Bei unseren Versuchstieren können wir alltäglich dergleichen beobachten, so z. B. wenn wir Jiunde oder Ratten, d. h. weniger empfängliche Tiere, mit Milzbrandbazillen, Pneumokokken oder Tuberkelbazillen impfea. Ebenso große Bedeutung für den Erfolg einer Ansteckung hjjben die E i n t r i t t s p f o r t e n , durch welche die Erreger in den, Körper eindringen. Für die meisten ansteckenden Krankheiten gelten ganz bestimmte Wege, so vermögen Typhus, Kühr, Choleranur von den S c h l e i n h ä u t e n der Verdauungsorgane aus Menschen krank zu machen. Selbst die Einspritzung dieser Erreger in das Gewebe, z. B. unter die H a l t der Menschen bedingt keine Ansteckung. Umgekehrt ist die große Melrzahl der übrigen Keime unfähig, den Weg durch den Verdauungskanal mit Erfolg zu benutzen. Gonokokken dringen wiederum nur von der
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Schleimhaut der Harn- und Geschlechtswege und von der Bindehaut ein, die Trachomkeime und andere Erreger von Konjunktivitis nur von der Bindehaut aus, Meningokokken und Diphtheriebazillen allermeist, nur vom Rachen, Pneumokokken, Keuchhusten- und Influenzabazillen von deü Luftwegen. Im Tierversuch schlagen andererseits die Versuche, von diesen Schleimhäuten aus Ansteckung zu erzielen, fast regelmäßig fehl, und man muß zu anderen, unnatürlichen Arten der Einverleibung, z. B. der Einführung in die Bauchhöhle, greifen, um überhaupt eine Wirkung zu erzielen (s. u.). Nur zum Teil hängt diese Tatsache damit zusammen, daß die betreffenden Schleimhäute nicht bloß die Eintrittspforten, sondern auch die ersten oder einzigen Herde der Ansteckung bilden. Die H a u t bietet im allgemeinen einen noch besseren Schutz gegen Ansteckungen. Wir kennen mit Sicherheit kein einziges Kleinwesen, das von der unverletzten Haut, etwa wie manche Wurmlarven, eindringen und dadurch den Körper krank machen könnte. Nicht unbeträchtlich ist die Zahl derjenigen Erreger, die gleichzeitig von dieser oder jener (unverletzten) Schleimhaut, die sie dabei nicht notwendig in Krankheitszustand zu versetzen brauchen, aber auch von W u n d e n aus anstecken können. Der Tuberkelbazillus ist vielleicht der vielseitigste von ihnen, auch die Bazillen des Rotzes, Milzbrandes, der Beulenpest und manche unsichtbare Erreger, wie die der Blattern, Maul- und Klauenseuche, Schweine- und Rinderpest, gehören hierher. Auch hier beobachten wir die Tatsache, daß bald diese, bald jene Eintrittspforte mit Vorliebe benutzt wird. Das liegt nicht etwa bloß an äußeren Verhältnissen, sondern an inneren Eigentümlichkeiten der Erreger einerseits und der Organe andererseits. So gilt die besondere Empfänglichkeit, welche die Lungen für Tuberkelbazillen, Pestbazillen und Milzbrandsporen zeigen, durchaus nicht für alle Erreger und nicht' einmal für alle Tiere. , Andere Keime werden n u r gefährlich, wenn sie durch Wunden in das Innere der Gewebe gelangen, so die meisten Erreger der sog. Wundansteckungen. Freilich genügen oft schon kleinste, unsichtbare Verletzungen, wie sie z. B. durch kräftiges Einreiben in die Haut oder Schleimhaut entstehen, um das Haften zu ermöglichen. Unter natürlichen Bedingungen werden manche Ansteckungen nur durch S t iche von Mücken, Fliegen, Läusen und anderen I n s e k t e n übertragen. Der Vetsuch lehrt aber, daß auch andere Arten der Einverleibung n:öglich sind. So können z. B. Trypanosomen nicht bloß durch Wunden, sondern auch durch die unverletzte Bindehaut in das Gewebe s eindringen, wahrscheinlich vermöge ihrer eigenen kräftigen Beweglichkeit. Scheinbar gelingt auch die Übertragung von Milzbrandbazillen und anderen Septizämieerregern von der unverletzten Bindehaut. Die nähere
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Dreißigster Abschnitt
U n t e r s u c h u n g l e h r t a b e r , d a ß von i h n e n in W i r k l i c h k e i t ein a n d e r e r Weg, der d u r c h den T r ä n e n k a n a l u n d die N a s e eingeschlagen wird. Der o b e r s t e Teil der Nasenschleimhaut e n t h ä l t n ä m l i c h Epithellücken, d u r c h die kleinsteK ö r p e r c h e n in die Lymphwege eindringen können. Ähnliche L ü c k e n i m E p i t h e l sind in den L u n g e n b l ä s c h e n .nachgewiesen w o r d e n , bei Ü b e r s c h w e m m u n g der L u n g e n m i t F r e m d k ö r p e r n werden diese d a h e r schnell bis zu den L y m p h d r ü s e n v e r s c h l e p p t . Doch besitzen die L u n g e n gleichzeitig in der E r e ß t ä t i g k e i t i b r e r Epithelzellen einen Schutz, der sie gewiß vor m a n c h e n n a t ü r l i c h e n A n s t e c k u n g e n b e w a h r t . Vorläufig n i c h t r e c h t v e r s t ä n d l i c h i s t die d u r c h Versuche m e h r f a c h festgestellte T a t s a c h e , d a ß K e i m e , die- auf die H a u t , in d e n D a r m o d e r auf die Schleimhäute g e b r a c h t w e r d e n , sich nach kurzer Zeit vereinzelt i n den zugehörigen L y m p h d r ü s e n w i e d e r f i n d e n , u n d d a ß auch u n t e r n a t ü r l i c h e n Bedingungen einzelne B a k t e r i e n , die zu den regelmäßigen h a r m l o s e n B e w o h n e r n der H a u t , u n d S c h l e i m h ä u t e geh ö r e n , d u r c h die Z ü c h t u n g in f a s t s ä m t l i c h e n L y m p h d r ü s e n des K ö r p e r s nachgewiesen werden k ö n n e n . Am einfachsten wäre die E r k l ä r u n g , d a ß die K e i m e d u r c h kleinste Verletzungen in d a s Gewebe eindringen, doch lassen sich Beweise d a f ü r n i c h t erbringen. Wie dem auch sei, d u r c h die gen a n n t e B e o b a c h t u n g wird die E r f a h r u n g , d a ß H a u t u n d Schleimhäute wegen ihrer U n d u r c h l ä s s i g k e i t i m allgemeinen einen Schutz gegen A n s t e c k u n g e n d a r s t e l l e n , n i c h t widerlegt. Nur bei sehr reichlichem Vorhandensein von K r a n k h e i t s e r r e g e r n auf d e n ä u ß e r e n oder inneren Oberflächen werden vereinzelte von i h n e n i n den L y m p h s t r o m gelangen k ö n n e n , u n d diese• wenigen werden der Regel nach den A b w e h r k r ä f t e n des K ö r p e r s erliegen. Nur d a n n , w e n n die Erreger ü b e r besondere überlegene A n g r i f f s k r ä f t e v e r f ü g e n , werden sie d e n Schleimhäuten gefährlich werden u n d n i c h t bloß auf i h n e n , s o n d e r n in i h n e n wachsen. E i n e r Verletzung des E p i t h e l s bedarf es d a z u wohl n i c h t . Nur auf der H a u t s c h e i n t eine solche n ö t i g zu sein. Um g a n z k l a r in d e r Sache z u sehen, b e d ü r f t e es freilich weit genauerer Versuche als sie bisher vorliegen. Leider w e r d e n sie d a d u r c h sehr erschwert, d a ß wir keine e c h t e S c h l e i m h a u t a n s t e c k u n g d u r c h B a k t e r i e n k e n n e n , die wir an Versuchstieren in a n n ä h e r n d derselben Weise zu erzeugen vermögen.
Bessere Gelegenheit haben wir,die Organ-und Allgemeinerkrankungen am "Versuchstier zu studieren und solche selbst mit Erregern hervorzurufen, die unter natürlichen Bedingungen sich ausschließlich oder wenigstens zunächst auf den Schleimhäuten ansiedeln. Besonders erfolgreich hat sich hier die Ansteckung des B a u c h f e l l s beim Meerschweinchen erwiesen. Wir b e n u t z e n sie deshalb vorwiegend, wenn wir z. B. m i t T y p h u s - , Cholera-, R u h r b a z i l l e n i m lebenden K ö r p e r a r b e i t e n wollen. I m höchsten Grade unsicher ist es freilich, o b wir d a m i t einen wirklich b r a u c h b a r e n Maßs t a b f ü r die A n s t e c k u n g s k r a f t dieser Erreger gegenüber dem Menschen gewinnen.
Gegen andere Erreger ist umgekehrt das Bauchfell sehr wenig empfänglich. So hat sich z. B. ergeben, daß das Kaninchen Staphylokokken in den größten Mengen verträgt, ohne zu erkranken. Weit zugänglicher für Ansteckungen mit diesen Keimen ist schon die Brusthöhle und in immer steigendem Maße empfänglicher sind Unterhaut,
Bedingungen' der Ansteckung
Blutbahn, Muskeln und schließlich die Gelenke. Beiden sog. Septizämieerregern liegen die Verhältnisse wieder anders. So genügen schon wenige Milzbrandbazillen, um von Wunden der Haut und Unterhaut aus Mäuse, Meerschweinchen und Kaninchen zu töten, während von der Bauchhöhle und dem Blutstrom aus größere Mengen dazu erforderlich sind. Diese scheinbaren Widersprüche lassen sich vielleicht einerseits aus den m e c h a n i s c h e n V e r h ä l t n i s s e n , andererseits aus den zur Verfügung stehenden A b w e h r k r ä f t e n erklären. *Die in die Bauchhöhle und Blutbahn hineingelangten Keime verteilen sich auf große Flächen und Flüssigkeitsmengen, haben daher den Kampf mit den Abwehrvorrichtungen der Gewebe gewissermaßen einzeln zu bestehen, während sie in anderen Geweben, z. B. unter der Haut oder in den Muskeln der Hauptsache nach an Ort und Stelle liegen bleiben und also gemeinsam zum Angriff vorgehen können. Im Blutkreislauf, wie in der Bauchhöhle sind gerade besonders kräftige Abwehrvorrichtungen in den Leukozyten und anderen Freßzellen der Leber, Milz und des Netzes und in den alexin- und opsoniithaltigen serösen Flüssigkeiten vorhanden.
Schon aus den vorstehenden Erörterungen erhellt, welche große Bedeutung für das Zustandekommen der Ansteckung den Mengen zukommt, in denen die Erreger auf den Körper wirken. Allerdings tritt dieser Einfluß bei den verschiedenen Arten von Schmarotzern sehr ungleichmäßig hervor. B a i l hat deshalb vorgeschlagen, drei Gruppen von Kleinwesen zu unterscheiden: 1. Die Vollschmarotzer, die schon in kleinster Anzahl anstecken; 2. die Halbschmarotzer, die örst in größeren Gaben oder unter besonderen Umständen im Tierkörper zum Wachstum gelangen; 3. die Nichtsehmarotzer oder Saprophyten, die im lebenden Körper überhaupt nicht wachstumsfähig sind. Man darf sich aber nicht verhehlen, daß keine scharfen Grenzen zwischen diesen Gruppen bestehen, und daß die Einteilung immer nur für bestimmte Tierarten gilt. So sind Cholera-, Typhus- und Ruhrbazillen zwar Halbschmarotzer für unsere Versuchstiere, aber Vollschmarotzer für den Menschen, mäßig abgeschwächte Milzbrandbazillen Halbschmarotzer für das Kaninchen oder den Hammel, aber Vollschmarotzer für die Maus, während ganz abgeschwächte den Saprophyten nahestehen. Selbst gegenüber den einzelnen Menschen sind Cholerabazillen bald Ganz-, bald Halb-, bald Nichtschmarotzer. Auch bei den natürlichen Ansteckungen hat die Menge der Erreger Bedeutung. Gewöhnlich werden wir zwar voraussetzen dürfen, daß recht kleine Mengen die Ansteckung bewirken.' Es werden aber keineswegs immer vereinzelte Keime, vielmehr kleine Häufchen von Dutzenden und Hunderten sein, wie sie im Eiter, Auswurf und den Entleerungen regelmäßig vorkommen, und nicht unwahrscheinlich ist es, daß Erfolg und Schwere der Ansteckung
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Dreißigster Abschnitt
nicht selten von den aufgenommenen Mengen abhängt. Auch kann eine Verlängerung der Ansteckungsgelegenheit, die w i e d e r h o l t e Z u f ü h r u n g kleinster Mengen, schließlich ähnlich wirken, wie die einmalige Ansteckung mit größeren. Bei ausgedehnten, stark verunreinigten Wunden, Durchbrüchen von Darminhalt, Eiterherden und dergleichen wächst die Zahl der Erreger natürlich außerordentlich.
Wenn man die Frage auf wirft, wodurch die größere Gabe der Erregerfür die Ansteckung mehr leistet als kleinere, so könnte man geneigt sein, darauf zu antworten, daß unter einer größeren Anzahl von Keimen vermutlich eher solche mit besonders starker Ansteckungskraft vorhanden sein werden, doch läßt sich diese Auffassung zunächst schon durch den leicht zu liefernden Nachweis widerlegen, daß die Verteilung einer größeren, beim einzelnen Tier gerade noch wirksamen Gabe auf eine Anzahl von Tieren wirkungslos bleibt. Außerdem spricht dagegen die namentlich bei den Anaerobiern oft erwiesene Tatsache, daß die Beigabe fremder Ansteckungserreger, ja selbst von Saprophyten, also eine g e m i s c h t e A n s t e c k u n g dieselbe kräftige Wirkung äußert, wie eine große Gabe der ersten Erreger. Vor allen Dingen lehren aber zahlreiche Versuche, daß der größte Teil der lebenden Erreger ersetzt werden kann durch abgetötete Bakterien oder keimfreie Erzeugnisse derselben. So kann man die Gabe der lebenden Ruhr-, Typhus- und Cholerabazillen auf den hundertsten, ja tausendsten Teil der sonst für eine tödliche Ansteckung des Meerschweinchens nötigen Menge herabmindern, wenn man den lebenden Bazillen einen durch einstündige Erhitzung auf 60° hergestellten Auszug der gleichen Bazillen hinzufügt (S. 143). Dieser Erfolg spricht dafür, daß die eigentliche Ursache für die stärkere Leistungsfähigkeit größerer Gaben lebender Bazillen in A n g r i f f s s t o f f e n (Aggressinen) liegt, welche diese in ihren Leibern enthalten oder nach außen abgeben. . Die nähere Untersuchung im Tierversuch und Probierglas zeigt, daß diese Angriffsstoffe dadurch wirken, daß sie die Abwehrkräfte des lebenden Körpers besiegen, indem sie die Eiter- und Freßzellen von sich fernhalten, ihre Tätigkeit aufheben, die keimwidrigen bakteriolvtischen und opsonischen Stoffe ihrer Säfte binden. So genügen schon Spuren eines Auszugs von Dysenteriebazillen, um Blutserum, das die Bazillen im frischen Zustande kräftig abtötet, zu einem guten Nährboden für sie zu machen. Damit stimmt gut zusammen, daß die Leiber und Leibesauszüge abgeschwächter Erreger derselben Art zwar auch die Ansteckung befördern, aber meist bei weitem nicht in demselben Grade. Im übrigen kann man Aggressine in verschiedener Weise gewinnen, z. B. auch durch Ausschütteln der Leiber bei gewöhnlicher Temperatur oder durch Filtrieren oder Ausschleudern alter Kulturen. In Exsudaten von Tieren, die der Ansteckung erlegen sind, kann man sie ebenfalls öfter nachweisen (Bail), doch sind diese „tierischen Aggressine" meist viel weniger wirksam, als die künstlichen oder Kulturaggressine, weil sie wahrscheinlich teilweise schon aufgesogen oder durch die Abwehrstoffe des
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Körpers gebunden sind. Bei allen Bakterien lassen sich Aggressine zwar feststellen, in Lösung zu bringen sind sie aber durchaus nicht immer, besonders schwer bei solchen Bakterien, die gramfest sind, wie Milzbrandbazillen, Pneumokokken und Streptokokken. Die chemische Natur der Angriffsstoffe ist, da sie bisher nicht rein haben hergestellt werden können,ebenso unbekannt, wie die f a s t aller übrigen Bakterienstoffe. Daß sie eine verwickelte eiweißähnliche Zusammensetzung haben, darf man zwar wohl annehmen, jedoch gehören sie mindestens der Regel nach zu denjenigen Proteinstoffen, die durch Erhitzung nicht wesentlich verändert werden, und ähneln darin, wie in ihrer Gewinnungsweise den sog. Bakterienproteinen oder Endotoxinen, von denen sie sich auch nicht trennen lassen. Trotzdem scheinen sie nicht mit diesen zusammenzufallen, denn sie wirken schon in Mengen, in denen von einer Giftwirkung keine Rede ist und werden auch durch das zugehörige Immunserum unschädlich gemacht, was bei den Endotoxinen höchstens im geringen Grade der Fall ist (s. u.). Immerhin scheint ein Teil der aggressiven Leistungen der Bakterien leiber und Bakterienauszüge auf ihren entzündlichen Wirkungen zu beruhen, denn nicht nur fehlen solche in Aggressinversuchen am Tier niemals, sondern auch andere Entzündung erregende Stoffe, wie Kochsalzlösung, Fleischbrühe,'Aleuronat, alle möglichen Fremdkörper und vor allem f a s t sämtliche fremde Bakterienstoffe begünstigen in gewissem Grade die Ansteckung. Freilich scheint n u r e i n b e s t i m m t e s S t a d i u m d e r E n t z ü n d u n g , das der aktiven. Hyperämie und serösen Exsudation oder „negativen Leukot a x i s " aggressiv zu wirken. Sobald die Leukozyten in die entzündlichen Herde einwandern, macht bemerkenswerterweise die aggressive Wirkung aller genannter Stoffe regelmäßig einer defensiven Platz, d. h. Bakterien, die in, eitrig veränderte Steifen eingespritzt werden, müssen in erheblich größeren Gaben verwendet werden, um noch zur Wirkung zu gelangen, als im Völlig gesunden Tier. Ebenso wie diese nicht spezifischen Stoffe wirken auch die eigentlichen Aggressine nur vorübergehend, z. B. in der Bauchhöhle nur in den ersten 2—12 Stunden nach ihrer Einführung, d. h. bis die seröse Entzündung sich in die eitrige verwandelt. Diese durch die eitrige Entzündung bewirkte Widerstandsfähigkeit hält solange an, wie die zellige Exsudation, d. h. verschwindet meist erst nach Tagen und Wochen. Man spricht daher von einer durch die Entzündung bewirkten vorübergehenden oder unechten Immunität (Resistenz). Diesen Übergang der aggressiven in die defensive Leistung kann man sich am einfachsten so denken, daß durch die Aggressine zunächst die in dem normalen Gewebe vorhandenen nicht spezifischen Abwehrstoffe ausgeschaltet werden und d a f ü r ein Ersatz geschaffen wird. Dieser fällt, wie so o f t bei Verlusten im Organismus, überreichlich aus und macht sich nicht bloß örtlich in der Entzündung bemerkbar, sondern auch durch die Allgemeinerscheinungen, das Fieber, die Leukozytose usw., die so häufig die Entzündung begleiten und wohl mit Recht ebenfalls als Abwehrbewegungen gedeutet werden. Wenn der schnelle Übergang der aggressiven in defensive Wirkung durch nicht spezifische Bestandteile der Angriffsstoffe bedingt zu'sein scheint, so führen die spezifischen Bestandteile derselben weiterhin zu einer anderen Abwehrmaßregel des Körpers, der e c h t e n , a r t e i g e n e n Immunität, die sich nicht nach Stünden, sondern nach Tagen und Wochen zu entwickeln, d a f ü r aber um so länger anzuhalten pflegt. In der T a t spricht alles d a f ü r , d a ß die sog. Impfstoffe oder Antigene, durch die man das Zustandekommen
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Dreißigster Abschnitt
d e r e c h t e n I m m u n i t ä t e r k l ä r e n will, n i c h t bloß, wie sich leicht nachweisen l ä ß t , regelmäßig in den aggressiven Flüssigkeiten e n t h a l t e n , s o n d e r n der H a u p t s a c h e n a c h m i t den Aggressinen gleichbedeutend sind. Dieselben B e s t a n d t e i l e , die i m Aggressinversuch die bakteriziden und o p s o n i s c h e n Abwehrstoffe des n o r m a l e n Tieres in Beschlag nehmen und d a d u r c h die A n s t e c k u n g befördern, rufen in dem nach der A n s t e c k u n g ü b e r l e b e n d e n o d e r absichtlich der Schutzimpfung unterworfenen Tier die Bildung der bakteriziden u n d opsonischen I m m u n k ö r p e r hervor. Nach unserer Auff a s s u n g h a n d e l t es sich bei der vorübergehenden, wie dauernden I m m u n i t ä t u m Vorgänge v e r w a n d t e r A r t , die beide d u r c h Bestandteile des Aggressins h e r v o r g e r u f e n werden. Sonach sind wir nicht der vielfach ausgesprochenen Meinung, d a ß die Angriffsstoffe weiter n i c h t s seien, als Allgemeingifte der B a k t e r i e n . Von vornherein k a n n auch d a v o n keine Rede s e i n , d a Ansteckung und Verg i f t u n g begrifflich scharf geschieden werden müssen, j a ö f t e r i m geraden Gegensatz s t e h e n . Sind doch die giftigsten Kleinwesen, wie die Tetanusu n d Botulismusbazillen diejenigen, die am wenigsten A n s t e c k u n g s k r a f t besitzen (S. 318). Von den Giften, wie Chloral, Chloroform, Ä t h e r , Alkohol, O p i u m , K u r a r e , K a r b o l , Krotonöl, wird allerdings angegeben, d a ß sie Ans t e c k u n g e n m i t diesen oder jenen B a k t e r i e n begünstigen, in Versuchen m i t R u h r b a z i l l e n h a b e n wir d a s großen Teils n i c h t bestätigen k ö n n e n , es k a n n , sich also n i c h t u m allgemein gültige Gifteinflüsse handeln.
Man darf nach dem Gesagten den Satz aussprechen, daß in der F ä h i g k e i t Aggressine zu bilden ü b e r h a u p t d i e A n s t e c k u n g s k r a f t der Erreger begründet ist. D a m i t h ä t t e n wir f ü r die E r k l ä r u n g der A n s t e c k u n g s k r a f t eine ä h n liche Lösung g e f u n d e n , wie sie seinerzeit gegeben worden i s t m i t der E n t d e c k u n g der F e r m e n t e als Ursache der G ä r u n g e n , f ü r die m a n v o r d e m auch n u r mehr oder weniger geheimnisvolle K r ä f t e verantwortlich m a c h t e (S. 49). Wie die Zersetzungserreger ihrer F e r m e n t e d u r c h Abschwächung verlustig gehen, oder sie u m g e k e h r t auch durch A n p a s s u n g v e r s t ä r k e n , so b ü ß e n auch d i e Schmarotzer ihre Aggressine ein oder v e r m e h r e n sie. Wie die F e r m e n t e f e r n e r bald leicht, b a l d schwer, bald ü b e r h a u p t noch n i c h t sich h a b e n d a r stellen lassen, so s t e h t es ähnlich m i t den Aggressinen. Bei beiden Arten v o n Stoffen d ü r f e n wir ferner a n n e h m e n , d a ß sie o f t n i c h t in den Körperzellen f e r t i g gebildet vorliegen, sondern e r s t i m Augenblick des Bedarfs verf ü g b a r werden. Dieser Augenblick t r i t t bei den Angriffsstoffen d a n n ein, w e n n die Keime in Gefahr stehen, von den A b w e h r k r ä f t e n des Tieres überw ä l t i g t zu werden. W e n n m a n sich schließlich v o n den F e r m e n t e n die Vors t e l l u n g g e m a c h t h a t , d a ß sie, wie der Schlüssel ins Schloß, in die zu zers e t z e n d e n A t o m v e r b i n d u n g e n eingreifen u n d d a d u r c h e r s t spezifisch wirks a m werden, so k a n n m a n auch von h a p t o p h o r e n oder b i n d e n d e n A t o m g r u p p e n ( S e i t e n k e t t e n ) sprechen, durch welche die Angriffsstoffe der K r a n k heitserreger die Abwehrstoffe des lebenden K ö r p e r s in Beschlag nehmen.
Im Vorstehenden wurde schon wiederholt darauf hingewiesen, daß die Wirkung der Ansteckungserreger nicht bloß auf-den eigenen Leistungen beruht, sondern auch durch die Gegenwart anderer Erreger oder auch sonst harmloser Bakterien, ja unbelebter Fremdstoffe der verschiedensten Art gesteigert wird. Die "Voraussetzung ist nur, daß sie aggressiv, d. h
Gifte und Gegengifte der Kleinwesen
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den Ab wehre in Wirkungen des Körpers entgegen wirken. Dahin gehören auch FunktionsVeränderungen, wie sie durch aktive Hyperämie, E r nährungsstörungen, Erkältungen, Nerveneinflüsse der Gewebe bedingt werden. Die Mechanismen, durch-welche alle solche nicht spezifisch aggressiven Leistungen zustande kommen, sind freilich noch vielfach ungeklärt (vgl. Abschnitt 32),
Einunddreißigster Abschnitt: Grifte und Gegengifte der KleinWesen. Die zweite Leistung der. Krankheitserreger beruht, wie wir im Anfang des vorigen Abschnitts feststellten, auf ihrem Vermögen, Gifte zu bilden. Diese sind es, die eigentlich erst die Krankheitserscheinungen hervorrufen. Wir können sie einteilen in S t o f f w e c h s e l - , A b s o n d e r u n g s g i f t e (Ektotoxine) und L e i b e s g i f t e (Endotoxine). Auf Leibesbestandteile der Bakterien sind wahrscheinlich auch die sog. Ü b e r e m p f i n d l i c h k e i t s - (anaphylaktischen) E r s c h e i n u n g e n zurückzuführen, die in ihrer ausgeprägten F o r m wie eine "Vergiftung verlaufen. Nur die Stoffwechselgifte, die meist wohl aus fermentativen "Vorgängen hervorgehen, sind in ihrer chemischen Zusammensetzung bekannt. Gerade sie haben aber aller Wahrscheinlichkeit nach eine weit geringere Bedeutung als die beiden anderen, chemisch noch nicht aufgeklärten, jedenfalls viel verwickelter gebauten Arten von Giften. Daß Kleinwesen in ihrem Stoffwechsel allerhand giftige Stoffe erzeugen, ist durch die Untersuchung ihrer Reinkulturen leicht festzustellen. Schädigen die Keime doch oft sich selbst öder fremde Keime, die mit ihnen vergesellschaftet sind, durch die reichliche Bildung von Säuren, Alkalien' Alkohol, vielleicht auch von aromatischen Abkömmlingen der Eiweißkörper. Alle solche Stoffe werden aber im Tierkörper von Schmarotzern gewöhnlich nicht in annähernd genügenden Mengen erzeugt, um schaden zu können, oder werden zu früh vom lebenden Körper unschädlich gemacht. Das gilt namentlich auch von den durch B r i e g e r u. a. mit großem Eifer aus Fäulnisgemischen und Reinkulturen dargestellten sehr zahlreichen organischen Basen, den sog. Fäulnisalkaloiden oder P t o m a i n e n , von denen übrigens ein großer Teil noch harmlos ist. Allerdings läßt sich durch faule Flüssigkeiten, wenn man sie ins Blut, insbesondere von Hunden einspritzt, ein Krankheitszustand, die sog. p u t r i d e I n t o x i k a t i o n künstlich hervorrufen, und schon B e r g m a n n und S c h m i e d e b e r g haben diesen durch eitlen aus faulender Hefe dargestellten kristallinischen Stoff wieder erzeugen können. Doch fanden sie von diesem „schwefelsaurem Sepsin" nur so winzige Mengen, daß man es kaum allgemein für die Faulvergiftung verantwortlich machen kann. In der Tat zeigte sich später, daß die putride Intoxikation in Wirklichkeit nichts weiter ist als eine EndotoxinVergiftung (s. u.). Ganz ausnahmsweise sind
Gifte und Gegengifte der Kleinwesen
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den Ab wehre in Wirkungen des Körpers entgegen wirken. Dahin gehören auch FunktionsVeränderungen, wie sie durch aktive Hyperämie, E r nährungsstörungen, Erkältungen, Nerveneinflüsse der Gewebe bedingt werden. Die Mechanismen, durch-welche alle solche nicht spezifisch aggressiven Leistungen zustande kommen, sind freilich noch vielfach ungeklärt (vgl. Abschnitt 32),
Einunddreißigster Abschnitt: Grifte und Gegengifte der KleinWesen. Die zweite Leistung der. Krankheitserreger beruht, wie wir im Anfang des vorigen Abschnitts feststellten, auf ihrem Vermögen, Gifte zu bilden. Diese sind es, die eigentlich erst die Krankheitserscheinungen hervorrufen. Wir können sie einteilen in S t o f f w e c h s e l - , A b s o n d e r u n g s g i f t e (Ektotoxine) und L e i b e s g i f t e (Endotoxine). Auf Leibesbestandteile der Bakterien sind wahrscheinlich auch die sog. Ü b e r e m p f i n d l i c h k e i t s - (anaphylaktischen) E r s c h e i n u n g e n zurückzuführen, die in ihrer ausgeprägten F o r m wie eine "Vergiftung verlaufen. Nur die Stoffwechselgifte, die meist wohl aus fermentativen "Vorgängen hervorgehen, sind in ihrer chemischen Zusammensetzung bekannt. Gerade sie haben aber aller Wahrscheinlichkeit nach eine weit geringere Bedeutung als die beiden anderen, chemisch noch nicht aufgeklärten, jedenfalls viel verwickelter gebauten Arten von Giften. Daß Kleinwesen in ihrem Stoffwechsel allerhand giftige Stoffe erzeugen, ist durch die Untersuchung ihrer Reinkulturen leicht festzustellen. Schädigen die Keime doch oft sich selbst öder fremde Keime, die mit ihnen vergesellschaftet sind, durch die reichliche Bildung von Säuren, Alkalien' Alkohol, vielleicht auch von aromatischen Abkömmlingen der Eiweißkörper. Alle solche Stoffe werden aber im Tierkörper von Schmarotzern gewöhnlich nicht in annähernd genügenden Mengen erzeugt, um schaden zu können, oder werden zu früh vom lebenden Körper unschädlich gemacht. Das gilt namentlich auch von den durch B r i e g e r u. a. mit großem Eifer aus Fäulnisgemischen und Reinkulturen dargestellten sehr zahlreichen organischen Basen, den sog. Fäulnisalkaloiden oder P t o m a i n e n , von denen übrigens ein großer Teil noch harmlos ist. Allerdings läßt sich durch faule Flüssigkeiten, wenn man sie ins Blut, insbesondere von Hunden einspritzt, ein Krankheitszustand, die sog. p u t r i d e I n t o x i k a t i o n künstlich hervorrufen, und schon B e r g m a n n und S c h m i e d e b e r g haben diesen durch eitlen aus faulender Hefe dargestellten kristallinischen Stoff wieder erzeugen können. Doch fanden sie von diesem „schwefelsaurem Sepsin" nur so winzige Mengen, daß man es kaum allgemein für die Faulvergiftung verantwortlich machen kann. In der Tat zeigte sich später, daß die putride Intoxikation in Wirklichkeit nichts weiter ist als eine EndotoxinVergiftung (s. u.). Ganz ausnahmsweise sind
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Einunddreißigster Abschnitt
ferner Vergiftungen durch S c h w e f e l w a s s e r s t o f f und s a l p e t r i g e S ä u r e beobachtet worden, die vermutlich durch Bakterieneinwirkung im Verdauungsschlauch entstanden waren. Die salpetrige Säure hat E m m e r i c h zwar als das eigentliche Gift der Cholerabazillen bezeichnet, doch ist d a s recht unwahrscheinlich, denn weder bewirkt die salpetrige Säure die gleichen Erscheinungen, wie die Cholera, noch ist sie im Blute von Cholerakranken nachzuweisen (S. 154).
Die Absonderungsgifte oder ¡ E k t o t o x i n e , auch Impfgifte oder echte „Toxine" genannt, haben ihren Namen daher, daß man sie, weil sie vor allem außerhalb der Bakterien in den Kulturen angetroffen werden, als Absonderungeft derselben betrachtet hat. Man stellt sie am besten aus flüssigen Zuchten, die eine oder mehrere Wochen alt sind, dar, indem man diese, z. B. mittels einer Wasserstrahlluftpumpe, durch bakteriendichte K i e s e l g u r - oder Porz-ellanf i l t e r hindurchsaugt. Sie haben fast sämtlich die Eigenschaft, schon dur-ch Temperaturen von 60—80° vernichtet zu werden^ ferner nicht, wie die meisten anderen Gifte sofort, sondern erst nach einer Wartezeit (Inkubation) von Tagen oder mindestens Stunden zu wirken, schließlich im Blute von Tieren, die der Vergiftung widerstanden haben, G e g e n g i f t e , die sog. Antitoxine, zu bilden, die für die Bekämpfung mancher ansteckenden Krankheiten so bedeutungsvoll geworden sind. Die wichtigsten, allgemein wirkenden Ektotoxine sind die der Diphtherie-, Tetanus-, Botulismus-, Rauschbrandbazillen, das „Kaninchengift" der Dysenteriebazillen, das man allerdings auch aus den jungen Leibern von Dysenteriebazillen gewinnen kann, das also insofern den Namen eines Endotoxins verdient. Rote Blutkörperchen lösen die Hämolysine des Staph. pyogenes, vieler Stämme des Strept. pyogenes, der Tetanusbazillen, mancher Stämme von Cholerabazillen usw. Für Leukozyten giftig ist namentlich das Leukozidin des Staph. pyogenes'. Die chemische Natur der Ektotoxine ist trotz vieler Bemühungen noch nicht aufgeklärt. E s gelingt wohl, sie von einem, großen Teil der mit ihnen verbundenen Eiweißstoffe zu befreien, aber doch nicht so vollständig, daß sie als rein zu bezeichnen wären. Kristallinisch sind sie auch nicht erhalten worden. Dennoch haben die Forschungen E h r l i c h » einige Anhaltspunkte über den Bau der Ektotoxine geliefert. Wir haben diese und die daran anknüpfende S e i t e n k e t t e n t h e o r i e beim Diphtheriegift besprochen (S. 223). Die für das Diphtheriegift nachgewiesene Zusammensetzung aus Toxinen, Toxoiden und Toxonen wurde auch für die übrigen Ektotoxine (Tetanus, Rauschbrand usw;) zum großen Teil bestätigt.
Die L e i b e s g i f t e oder E n d o t o x i n e zeigen nach vielen Richtungen hin abweichende Verhältnisse. Wenn man sie kurz kennzeichnen will, so könnte man ihnen folgende Merkmale zuschreiben: Erstens werden sie von den in den Kulturen lebenden Bakterien nicht abgesondert, sondern sind in ihren Leibern enthalten und werden aus ihnen teils durch künstliche Behandlung gewonnen, teils durch Zerfall der Leiber in Freiheit gesetzt;
Gifte und'Gegengifte der Kleinwesen -
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zweitens sind sie sehr viel widerstandsfähiger, insbesondere gegen Erhitzung als die Ektotoxine; drittens bilden sie keine echten Antitoxine; viertens verursachen sie sämtlich im Tierkörper ähnliche Krankheitsbilder, nämlich in kleinen Gilben bloß Entzündung, Hyperleukozytose und Fieber, in größeren 'Temperaturabfall, lähmungsartige Schwäche, Hypoleukozytose und Tod, bei Fleischfressern auch oft blutige Darmentzündung, bei schleichender Einwirkung Abmagerung und Entkräftungstod, nebenbei bemerkt alles Erscheinungen, die wir bei zahlreichen ansteckenden Krankheiten beobachten. Eine ganz scharfe Scheidungslinie gegenüber den Ektotoxinen besteht allerdings nicht. So ist es zunächst noch zweifelhaft, ob nicht auch die letzteren der Hauptsache nach erst beim Zerfall der Bakterien entstehen. Schon die Tatsache, d a ß sie sich nur aus Kulturen eines gewissen Alters gewinnen lassen, spricht ja d a f ü r . Das f ü r Kaninchen gefährliche Dysenteriegift ist weiter ein Beispiel d a f ü r , daß ein echtes immunisierendes und hitzeempfindliches Gift von vornherein in den Leibern der Bakterien vorgebildet sein und aus diesen z. B. durch Erhitzung in wässriger Aufschwemmung in reichlichster Menge ausgezogen werden kann. Umgekehrt geht sehr wahrscheinlich auch ein Teil der Endotoxine schon aus den lebenden Bakterien in Lösung. Was die Hitzebeständigkeit angeht, so ist sie allerdings bei den Endotoxinen meist so ausgesprochen, daß sie stundenlanges Kochen ertragen, doch geht stets ein mehr oder Weniger großer Teil ihrer Giftigkeit dabei verloren. Umgekehrt kennen wir übrigens einzelne Ektotoxine, die kochfest sind. Unbestritten ist die Tatsache, daß die Schutzimpfung gegen Endotoxine erheblich größere Schwierigkeiten macht, als die gegen Ektotoxine, und d a ß das Blutserum damit behandelter Tiere höchstens geringfügige entgiftende K r a f t besitzt. Immerhin ist auch die letztere in gewissen Grenzen sicher nachgewiesen. So werden z. B. die Ruhrbazillen, die f ü r Meerschweinchen auch im gekochten Zustande giftig sind, von ihnen, wenn sie durch Ruhrserum geschützt sind, nur in der 2—Ifachen tödlichen Gabe vertragen, in größeren Gaben aber nicht mehr, auch wenn man die Serummenge beliebig steigert. Wenn man die liierbei in Betracht *kommenden Serumstoffe Antiendotoxine nennen wollte, so müßte man daher f ü r sie eine andere Wirkungsweise annehmen, als f ü r die gegen die Ektotoxine gerichteten Antitoxine. Nach R. P f e i f f e r wären die Antiendotoxine nichts anderes, als die uns schon bekannten Bakteriolysine, die nicht nur durch Auflösung der Bakterien töten, sondern auch durch fermentativen Abbau die dabei entstehenden Endotoxine unschädlich machten. Was schließlich die Gleichartigkeit der Endotoxinvergiftung anlangt, so ist sie nicht wörtlich zu nehmen. Zunächst muß man sich vergegenwärtigen, daß die Ähnlichkeit der Vergiftungserscheinungen im Tierversuch nicht gewisse Verschiedenheiten der durch die Endotoxine veranlaßten Krankheitsbilder im Verlauf der natürlichen Ansteckung ausschließt. Solche müssen sich ja schon daraus ergeben, daß die einzelnen Erreger ihre Herde in verschiedenen Geweben bilden und ungleiche Ansteckunjgs-, d. h. Wachstumsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit gegenüber den Abwehrkräften ihrer Wirte besitzen. So m u ß das Krankheitsbild der im wesentlichen auf die K r u s e , Lehrbuch der Bakteriologie
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D ü n n d a r m s c h l e i m h a u t b e s c h r ä n k t e n asiatischen Cholera schon aus diesen G r ü n d e n abweichen von dem der im D i c k d a r m sitzenden D y s e n t e r i e u n d v o n d e m B a u c h t y p h u s , der mehr eine Allgemeinansteckung darstellt. A u ß e r d e m bestehen aber doch noch zwischen den E n d o t o x i n e n der einzelnen E r reger, wie die Versuche am Tiere und auch die neuerdings am Menschen vielfach vorgenommenen S c h u t z i m p f u n g e n lehren, gewisse Unterschiede. Sie würden _wohl noch größer erscheinen, wenn die einzelnen E n d o t o x i n e genauer durch pharmakologische Versuche g e p r ü f t würden. Selbst d a s von e i n e m u n d demselben B a k t e r i u m erzeugte E n d o t o x i n ist wohl kein e i n h e i t licher K ö r p e r , sondern zerfällt, wie d a s Beispiel der Ruhrbazillen l e h r t , i n B e s t a n d t e i l e , die sich z. B. schon d u r c h ihr Verhalten gegen I m m u n s e r u m unterscheiden. ' Die auffälligsten Unterschiede zwischen E n d o t o x i n e n gibt vor allen Dingen d e r Vergleich der Menge, in denen die einzelnen B a k t e r i e n a r t e n giftig wirken. Dip entzündlichen u n d f i e b e r h a f t e n Erscheinungen, die z. B. bei der T y p h u s s c h u t z i m p f u n g e n t s t e h e n , sind heftiger als diejenigen bei der Choleraschutzi m p f u n g . F ü r Meerschweinchen wirken abgetötete Milzbrandbazillen e r s t in geradezu riesigen Mengen t ö d l i c h , S t a p h y l o k o k k e n in solchen von 200 bis 400 mg, T y p h u s - , Cholera-, R u h r - , Kolibazillen schon durch e t w a 10—20 m g , P a i a t y p h u s b a z i l l e n o f t noch in kleineren Gaben. Noch größer werden die Unterschiede, wenn m a n , s t a t t die Bakterienleiber zur E i n s p r i t z u n g zu ben u t z e n , den Versuch m a c h t , die E n d o t o x i n e in Lösung zu bringen u n d d a n n zu vergleichen. D a z u eignet sich am besten das Ausziehen der Leiber m i t Wasser oder Kochsalzlösung bei 60—100°, 'weniger g u t Ausschütteln bei gewöhnlichen T e m p e r a t u r e n , Selbstverdauung der Bakterien u n t e r Chlorof o r m oder T o l u o l . . H i e r m a c h t sich n u n ganz allgemein die Regel geltend, daß die g r a m f e s t e n B a k t e r i e n a u ß e r o r d e n t l i c h viel s c h w ä c h e r e E n d o t o x i n l ö s u n g e n e r g e b e n , a l s d i e n i c h t g r a m f e s t e n , die offenb a r den g r ö ß t e n Teil ihrer Leibesgifte in die Lösung abgeben. D a s e n t s p r i c h t auch ihrem sonstigen Verhalten gegen Lösungsmittel, wie Alkalien, Antif o r m i n , V e r d a u u n g s s ä f t e n u n d den bei der Darstellung der Angriffs- u n d Impfstoffe gemachten Erfahrungen. Von Protozoen und Spirochaeten sind E n d o t o x i n e bisher ü b e r h a u p t kaum gewonnen worden, doch liegt d a s vielleicht n u r an den Schwierigkeiten i h r e r Züchtung. Bei den durch sie verursachten I n f e k t i o n e n fehlen die Erscheinungen, die m a n auf E n d o t o x i n e z u r ü c k f ü h r t , j a auch n i c h t .
Nicht ganz einfach zu beurteilen ist die Beziehung, in denen die Angriffsstoffe oder Aggressine und die Impfstoffe oder Antigene der Bakterien zu den Endotoxinen stehen. Ihre Darstellung und ihre Widerstandsfähigkeit gegen schädigende Einflüsse, wie hohe Temperaturen und "Verdauungsflüssigkeiten, ähneln sich außerordentlich. Eine Trennung ist bisher nicht gelungen. Trotzdem scheint aber mindestens derjenige Teil der Angriffsstoffe, der die arteigenen Immunkörper bindet, und der wahrscheinlich mit den Impfstoffen zusammenfällt (S. 333), von den Endotoxinen verschieden zu sein. Eine weitere Erage, die noch nicht endgültig entschieden ist, betrifft die Entstehungsweise, das Freiwerden der Endotoxine im lebenden Körper und ihre Beziehungen zu den Überempfindlichkeitserscheinurgen,
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der sog. anaphylaktischen Vergiftung. Nach der früher meist verbreiteten Auffassung sind die Endotoxine im Leibe der Bakterien vorgebildet, gelangen aber erst nach Absterben bzw. Auflösung der Bakterien zur Wirkung. Sie sollen damit im Gegensatz zu den Ektotoxinen stehen. Wir haben schon oben bemerkt, daß uns die Berechtigung dieser Auffassung zweifelhaft scheint. Wahrscheinlich wird der Hauptteil beider Giftarten erst durch den Tod und Zerfall ihrer Mutterzellen frei, ein kleinerer Teil aber schon w ä h r e n d i h r e s L e b e n s von ihnen abgegeben. Man begreift so am besten, daß entzündliche und fieberhafte Erscheinungen, d. h. wichtige Merkmale der Ektotoxinvergiftung schon im Beginn der Ansteckung, wo deren Erreger auf der Höhe ihrer Entwicklung stehen und Spuren der Entartung an den Bakterien noch nicht bemerkbar zu sein brauchen, auftreten. Allerdings werden wir annehmen dürfen, daß die Ausscheidung von Gift nicht freiwillig erfolgt, denn sonst würden wir sie ja auch in ganz jungen Zuchten auf künstlichen Nährböden nachweisen können, sondern daß die Bakterien, um ihre Gifte abzugeben, eine gewisse Beeinflussung, eine Schwächung durch die Körpersäfte, erfahren müssen. Daß eine solche in der Tat von den Abwehrstoffen des lebenden Körpers, in erster Linie den Alexinen (und Opsoninen) des Blutes und der Lymphe ausgeht, ist klar, und daß dabei giftige Stoffe gebildet werden, scheinen Versuche zu beweisen, die namentlich von F r i e d b e r g e r gemacht worden sind. Er zeigte, daß frisches Blutserum (4ccm), das eine kurze Zeit, z. B. eine Stunde lang, mit 1/2—1 Agarkultur von Bakterien beliebiger Art bei37°in inniger Berührung gewesen ist, nach Ausschleuderung der Bakterien bei Tieren, vor allen Dingen Meerschweinchen, nach Einspritzung in die Halsvene eine "Vergiftung erzeugt, die der E n d o t o x i n V e r g i f t u n g ähnlich ist. Die Tiere sterben durch größere Gaben oft binnen 24 Stunden unter Temperaturabfall, Herzschwäche und Hypoleukozytose oder bekommen heftiges Fiebef, während Hunde an blutigen Darmentzündungen zugrunde gehen. Dazu treten gewöhnlich noch andere Erscheinungen, die man bei der Endotoxinvergiftung bis dahin noch nicht gekannt hatte, die aber denen der Überempfindlichkeit oder a n a p h y l a k t i s c h e n V erg i f t u n g gleichen. Unmittelbar nach der Einspritzung ins Blut zeigen sich Hautjucken, Verlangsamung der Atmung und Krämpfe, und die Meerschweinchen sterben bei genügend großer Gabe entweder schon nach wenigen Minuten unter völligem Atmungsstillstand oder nach einigen Stunden an Atembeschwerden, die in der Leiche in starker A u f b l ä h u n g der L u n g e n ihren Ausdruck finden. Dieses eigentümliche Vergiftungsbild hatte man schon früher als „anaphylaktische Vergiftung" von Tieren beschrieben, die durch Vorbehandlung mit gewissen Giften (Aktinien-, Miesmuschelgift R i c h e t ) oder. Blutserum, z. B. von Pferden ( A r t h u s , T h e o b . Smith), oder mit roten Blutkörperchen und anderen tierischen Zellen gegen diese Stoffe überempfindlich geworden waren. Es stimmt auch zum Teil mit der „Überempfindlichkeit
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Einunddreißigster Abschnitt
gegen Diphtherie-, T.etanusgift und andere Bakterienstoffe, die B e h r i n g und viele andere Forscher gelegentlich bei großen Tieren während der I m p f behandlung zur Serumgewinnung beobachtet h a t t e n , während die von R . K o c h entdeckte Überempfindlichkeit gegen Tuberkulin (S. 249) gewisse Abweichungen zeigt. Bei der Untersuchung der Anaphylaxie war man zu dem Schluß gekoinmen, daß sie sich trotz des äußerlich entgegengesetzten Erfolges mit dem der erworbenen I m m u n i t ä t vergleichen l ä ß t , weil sie nicht nur in ähnlicher Weise durch Behandlung mit allerhand eiweißartigen I m p f stoffen (Antigenen) e n t s t e h t , sondern auch spezifisch ist, d. h. nur gegenüber denselben Impfstoffen gilt, und schließlich weil sie durch das Blutserum der überempfindlichen Tiere auf nicht behandelte Tiere übertragen werden kann. Um das einheitliche Bild der Anaphylaxie zu erklären, glaubte man annehmen zu dürfen, daß das Zusammentreffen bestimmter anaphylaktischer Immunkörper (Anaphylaxine) oder überhaupt aller Immunkörper mit ihren zugehörigen Impfstoffen unter dem gleichzeitigen Einfluß eines fermentartigen Bestandteils (des sog. Komplements) im Blute der überempfindlichen Tiere zu einem Zerfall, einer Art Verdauung der an sich ungiitigen Impfstoffe führe, bei der das anaphylaktische Gift (Anaphylatoxin) erst entstehe. Auch rufen gewisse Erzeugnisse der Eiweißverdauung, wie Peptone, schwefelsaures Sepsin, gleichfalls das Bild der anaphylaktischen Vergiftung hervor. Als sich dann herausstellte, daß manche Impfstoffe, in erster Linie, wie wir eben sahen, Bakterien durch Behandlung mit frischem Blutserum auch ohne Immunkörper außerhalb und innerhalb des lebenden Körpers giftig zu wirken vermögen, folgerte man daraus, daß auch im Blute unbehandelter Tiere vorhandene Gegenkörper, z. B . normale Ambozeptoren, mit Hilfe des Komplements das Eiweiß der Impfstoffe spalten könnten, und schloß weiter aus der Übereinstimmung der Endotoxin- und Anaphylatoxin Vergiftung, daß die Endotoxine in den Bakterien nicht.vorgebildet seien, sondern daß erst unter der Einwirkung der Abwehrstoffe des behandelten oder" unbehandelten Tieres aus dem an sich ungiftigen Bakterieneiweiß Anaphylatoxin e n t s t ü n d e , und dieses Gift das früher sog. Endotoxin sei. E s scheint allerdings n i c h t , als ob diese Auffassung ganz unbestreitbar sei. Zunächst haben neue Erfahrungen gelehrt, daß die anaphylaktische •Vergiftung auch anders gedeutet werden kann. Von verschiedenen Seiten ist darauf hingewiesen worden, daß die eigentümlichen plötzlichen E r scheinungen , die so oft zum Tode führen, die sog. Schockwirkung, an Störungen erinnere, die mit der Blutgerinnung im Innern der lebenden Gefäße zusammenhängen, also mehr physikalischer Natur sind. Frisch defibriniertes Blut und das daraus ausgeschleuderte Blutserum, gleichgültig ob es von fremden oder denselben Tieren s t a m m t , ruft kurze Zeit nach der Gerinnung Erscheinungen hervor, die den anaphylaktischen sehr ähnlich sind. Diese Ähnlichkeit wird sogar eine vollständige, wenn man Blutserum, das mit gewissen stickstofffreien kolloidalen Stoffen (Agar, Stärke Innulin) in Berührung gewesen ist, Tieren einverleibt. Von einer Zersetzung körperfremden Eiweißes kann hier nicht die Rede sein, es macht vielmehr den Eindruck, als ob im Blutserum aller Tiere ein schädlicher (Gerinnung befördernder ?) Stoff vorhanden ist, dessen Wirkung für gewöhnlich durch hemmende Einflüsse verhindert wird, die aber wieder hervortritt, sobald die letzteren durch Oberflächenanziehung kolloidaler Stoffe, wozu auch Bakterien und Verbindungen von Impfstoffen mit ihren zugehörigen Immunkörpern' gehören, beseitigt werden.
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Eine Bedeutung für die Therapie hat die Anaphylaxie durch die sog. S e r u m k r a n k h e i t (v. P i r q u e t und Schick) gewonnen, die nach Einspritzung von Heilserum gewöhnlich nach einer Frist von 8—10 Tagen einzutreten pflegt, und durch die plötzlichen, manchmal selbst tödlichen Zufälle, die gelegentlich bei der Serumbehandlung besonders dann vorkommen, wenn man das Serum nicht unter die Haut, sondern in das Blut einspritzt (S. 229). . Wenn es nach dem Gesagten zweifelhaft ist, in welcher Weise die Erscheinungen der End otoxin Vergiftung und Anaphylaxie zustande kommen, so schließt das keineswegs aus, daß die Abwehrstoffe des lebenden Körpers daran einen Anteil haben, und ändert jedenfalls nichts daran, daß die Erreger selbst die Entzündung und das Fieber hervorrufen helfen, die wir als nützliche Schutzeinrichtungen des Körpers betrachten, wie sie ja auch durch ihre Toxine die Bildung der Antitoxine, d. h. spezifischen Gegengifte veranlassen. Die Empfänglichkeit der Tiere für die Gifte ist ebenso ungleich, wie die gegen die Ansteckungen selbst, folgt dabeiaber ihren besonderen Gesetzen. So sind z. B. Kan inchen für das Toxin der Dysenteriebazillen empfänglicher als alle anderen Tiere, gegenüber der Infektion mit denselben Bazillen aber sehr widerstandsfähig. Sehr deutlich hängt die Wirkung der Ansteckungsgifte von dem Wege ab, auf dem sie eingeführt werden. Die meisten sind vom Verdauungskana] aus überhaupt unschädlich, von der .Blutbahn aus meist wirksamer als von dem Unterhautgewebe aus, andere wieder wirken am kräftigsten im peripheren oder zentralen Nervensystem. Die Erklärung dafür liegt teilweise an der Art und Schnelligkeit der Verbreitung der Gifte, teilweise an. der Verschiedenheit ihrer Angriffsstellen, teilweise endlich an ihrem Verhalten zu den giftwidrigen Einrichtungen des Körpers. Gewöhnlich werden die Gifte am schnellsten zu ihren Angriffsstellen gelangen, wenn sie im Blute sind; das Tetanusgift, das durch das Nervensystem wandert, macht aber eine Ausnahme. Durch ihr mangelhaftes Diffusionsvermögen werden' die Gifte schon behindert sein, von Schleimhautoberflächen aus zu wirken, um so mehr, wenn sie vorher mit Verdauungsflüssigkeiten in Berührung kommen, die sie zerstören. Ausnahmen sind das Wurst- und manche Fleischgifte, ferner diejenigen Gifte, die selbst die Schleim* häute zerstören (Diphtherie) oder auf eine geschädigte Schleimhaut treffen (Cholera). Unter den giftwidrigen Einrichtungen des Körpers sind außer den Verdauungssekreten und Darmbakterien Epithelien, Bindegewebs, Gefäß- und Organzellen,- Leukozyten und Erythrozyten, schließlich die Blut- und Gewebsflüssigkeit zu nennen. Sie scheinen je nach der Art des Giftes und der Art, ja Individualität des Tieres ungleiche Leistungen zu vollbringen, ohne daß es bisher gelungen wäre, diese genügend aufzuklären. In manchen Fällen scheinen lipoidartige Bestandteile, in anderen oxydierende oder lösende Fermente, meist aber den echten Antitoxinen ähnliche eiweißartige Bestandteile, teilweise durch unmittelbare Zerstörung, namentlich aber durch Absorption oder Bindung der Gifte beteiligt zu sein. Ausscheidung
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Einunddreißigster Abschnitt
durch die Sekrete spielt daneben ebenfalls einte gewisse, aber nicht bedeutende Bolle. Nach den Ehrlichschen Vorstellungen wären es auch die bindenden antitoxinartigen „Seitenketten" oder „Rezeptoren" der Zellen, die gleichzeitig die Angriffspunkte für die Gifte und die Orte der Neubildung antitoxischer Stoffe während der Immunisierung darstellen (S. 224). Beweise dafür fehlen. Notwendig scheint das auch nicht, man wird sogar kaum annehmen dürfen^ daß von den geschädigten Zellen selbst eine so reichliche Neubildung, wie sie nachweisbar eintritt, ausgehen könnte. Die Hauptsache ist wohl, daß wir, weil kein Zweifel über das Vorkommen von Antitoxinen im gesunden, d. h. unversehrten Körper möglich ist, die Immunisierung als eine S t e i g e r u n g s c h o n b e s t e h e n d e r Z e l l e i s t u n g e n betrachten dürfen.
Für die Bekämpfung der Vergiftungen durch Kleinwesen steht uns in erster Linie die Heil-und Schutzimpfung durch antitoxisches Serum zu Gebote. Leider aber nur bei Krankheiten mit eigentlicher Toxinvergiftung, d . h . Diphtherie,Tetanus, Botulismus, Dysenterie (?) und vielleicht noch Grasbrand. Die Erfahrung lehrt, daß wir hier — nebenbei bemerkt ebenso wie bei der Vergiftung durch Schlangenbiß — mit der Heilbehand 7 lung um so größere Erfolge haben, je früher wir damit beginnen, mit der Schutzimpfung aber oft noch weit größere Ergebnisse erzielen. Ob es möglich ist, auch durch Antiendotoxine viel zu erreichen, ist zweifelhaft, bei derartigen Krankheiten sind wir also darauf angewiesen, entweder die Entwicklung der Erreger, die Infektion selbst zu bekämpfen und damit auch ihre Giftwirkung zu beschränken, oder aber durch nicht spezifische Mittel, sei es die Ansteckungsgifte unschädlich zu machen, sei es die Widerstandsfähigkeit des Körpers gegen die "Vergiftung zu erhöhen. Der erstere Weg wird uns im nächsten Abschnitt beschäftigen, er ist übrigens auch gegenüber den oben genannten Infektionen empfehlenswert und schon begangen, denn mindestens dag Diphtherie- wie das Dysenterieserum wirken ja sicher nicht nur gegen die betreffenden Gifte, sondern auch gegen die Erreger selbst. Daß wir Mittel haben, die im Reagensglas Bakteriengifte zersetzen oder binden, ist sicher, man kann sie z. T. wie Jod, Chlor, Wasserstoffsuperoxyd, Tierkohle,. Bolus auch im lebenden Körper anwenden, es ist aber doch einigermaßen fraglich, wie der Erfolg auf dem angegebenen Wege' zustande kommt. Dasselbe gilt für die Ausscheidung der Gifte auf dem Wege der Sekretionen. Weit aussichtsreicher und so lange, es eine ärztliche Kunst gibt, schon bekannt ist ein letzter Weg, die Erhaltung der Widerstandsfähigkeit der Körper gegen die Infektionsgifte durch diätetische und arzneilich-symptomatische Behandlung — man denke namentlich an die Kräftigung des Herzens, das antipyretische Verfahren, die Aufrechterhaltung der Ernährung, die Beseitigung nervöser Störungen, das Fernhalten von Sekundärinfektionen. Auch hier werden wir freilich oft im Dunklen darüber bleiben, ob wir den Sieg über die Erreger selbst oder ihre Gifte erkämpft haben. Oft wird beides zutreffen.
Die natürliche und künstliche Abwehr der Infektion
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Zweiunddreißigster Abschnitt. Die natürliche und künstliche Abwehr der Infektion. Nachdem wir in den vorhergehenden Abschnitten vorwiegend die Krankheit erregenden Kräfte der K l e i n Wesen und zuletzt die Bekämpfung der durch sie veranlaßten Vergiftungen betrachtet haben, ist es jetzt unsere Aufgabe, die Abwehr der Infektion selbst näher ins Auge zu fassen. Die Widerstandsfähigkeit der Tieie gegen die Ansteckungserreger wechselt, wie wir schon oft Gelegenheit hatten, zu bemerken, nach Art, Rasse und Besonderheit des Tieres, ferner nach Alter, Ernährungszustand und anderen, der Ansteckung vorhergehenden oder sie begleitenden, natürlichen und künstlich hervorgerufenen Bedingungen, schließlich auch nach Organen und (Jeweben. Der Sprachgebrauch bezeichnet diese Widerstandsfähigkeit gegen Infektionen, gleichgültig ob sie angeboren oder erworben ist, auch mit dem Worte I m m u n i t ä t , während die Empfänglichkeit dafür auch Disposition genannt wird. Das Wort I m m u n i t ä t wird außerdem oft in einem engeren Sinne gebraucht, um nämlich die besondere (spezifische), durch Überstehen einer Ansteckung oder durch Schutzimpfung erworbene Widerstandsfähigkeit gegen diese letztere zu bezeichnen. Zwischen Widerstandskraft und Heilkraft wird gewöhnlich ein Unterschied gemacht, doch gehen die Begriffe ineinander über: Das, was man vor und im Beginn der Ansteckung Widerstandsfähigkeit nennt, äußert sich während der Ansteckung in dem Vermögen, die Heilung derselben herbe¡zuführen. Heilung und Immunisierung ist im Wesentlichen dasselbe. Schließlich spricht man auch von Immunität gegen infektiöse und andere Gifte (vgl. Abschnitt 31). Worin besteht nun die Widerstandsfähigkeit der Tiere, worin ihre Empfänglichkeit? Wenn wir auch die Verhältnisse noch lange nicht vollständig übersehen, dürfen wir doch folgende allgemeine Sätze aussprechen: Zunächst ist leicht nachzuweisen, daß die Widerstandsfähigkeit der Tiere gegenüber der Ansteckung nicht in einem Mangel an Nährstoffen beruht. Aus den Organen immuner Tiere lassen sich vielmehr die besten Nährböden, selbst für Nichtschmarotzer herstellen. Die Zusammensetzung der tierischen Gewebe ist im allgemeinen eine derartige, daß sie die für die meisten Kleinwesen nötigen Wachstumsstoffe enthalten. Insofern kann also von einer allgemeinen Empfänglichkeit der tierischen Substanz gesprochen werden. Wenn trotzdem, wie wir gesehen, nur eine Minderheit von Kleinwesen und diese auch nur auf einer
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Zweiunddreibigster Abschnitt
Minderzahl von Tieren zu schmarotzen vermag, so liegt das daran, daß der Tierkörper und das tierische Gewebe m i t A b w e h r e i n r i c h t u n g e n ausgerüstet ist, die nur von den ansteckuiigstüchtigen Kleinwesen unter Umständen überwunden werden können. Von vornherein ist das nicht selbstverständlich, denn man könnte umgekehrt auch an die Möglichkeit denken, d a ß die I m m u n i t ä t auf dem Mangel bestimmter, f ü r die Kleinwesen nötiger Nährstoffe beruhe und die Empfänglichkeit auf dem Vorhandensein gewisser Nährstoffe oder Lockmittel. Bisher haben wir aber kaum Anhaltspunkte d a f ü r , daß dergleichen vorkommt. Wir können die Abwehrmittel des Körpers gegen Ansteckung je nach ihrer Beschaffenheit in mechanische, physikalische und chemische einteilen und ferner, je nachdem sie außerhalb oder innerhalb der Gewebe zur Wirkung gelangen, in äußere und innere. -Durch m e c h a n i s c h e Entfernung etwaiger Krankheitse r r e g e r , insbesondere von den Schleimhautober flächen des Körpers wirken zunächst die Keflexbewegungen, wie der Lidschlag, das Husten, Niesen, Schlucken, die Darmperistaltik u. a. m. Unterstützt wird diese Fähigkeit durch die Flimmerbewegungen mancher Epithelzellen, die Abstoßung der letzteren, die Absonderungen der Tränen-, Schleim- und aller anderen Drüsen. Zur Abwehr gegen Ansteckung sind vielfach weit besser geeignet absichtliche Körperbewegungen, die uns aus der Nähe von Ansteckungsherden oder die letzteren aus unserer Nachbarschaft entfernen (vgl. den 35. Abschnitt). Wir meinen hier nicht nur diejenigen mechanischen Maßnahmen, die aus mehr oder weniger genauer Kenntnis der Übertragungsweise ansteckender Krankhäiten erfolgen, und in Meidung verseuchter Menschen und Orte, Absperrung und Beseitigung derselben bestehen, sondern auch die mehr gefühlsmäßigen oder aus .anderen hauptsächlich ästhetischen (Reinlichkeits-) Bücksichten hervorgehenden Lebensgebräuche und -Gewohnheiten, weicht nicht zum wenigsten die „ I m m u n i t ä t " zivilisierter Völker und höherer Gesellschaftsklassen gegen viele Ansteckungen begründen. Uns scheint es nebensächlich, ob wir den Ausdruck I m m u n i t ä t auch hierfür gelten lassen, oder von Verminderung der Seuchengefahr, von Herabsetzung der „Exposit i o n " durch hygienische Ordnung und Erziehung sprechen wollen. Die reflektorischen Abwehrbewegungen wirken übrigens auch nicht anders. Die Bedeutung aller dieser mechanischen Schutzmittel wird besonders klar, wenn sie zu versagen drohen. Wir haben andererseits aber dann auch öfter die Möglichkeit, helfend einzugreifen. Die Binde- und Hornhaut wird, wenn der Lidschlag und die Absonderung der Tränen aufhört, von Keimen überschwemmt und kann durch sie der Zerstörung anheimfallen. Die Lähmung der Harnblase f ü h r t zur Stauung und Zersetzung des Harns mit ihren schädlichen Polgen f ü r die Schleimhaut. Allgemeine Lähmungen begünstigen die Entstehung von Druckbrand. Sorgfältiger Krankenpflege gelingt es aber o f t , die daraus entstehenden Gef ahren zu beseitigen. Zusammendrängung und Unreinlichkeit der Bevölkerung bedingen die höhere Empfänglichkeit proletarischer Kreise und' unkultivierter Völker f ü r Seuchen aller Art. Viel-
Die natürliche und künstliche Abwehr der Infektion i
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fach, wie z. B. bei Pest, Flecktyphus und Rückfallfieber, spielt die Sorglosigkeit gegen mancherlei Ungeziefer eine die Ansteckung vermittelnde Rolle, und lediglich durch.erfolgreiche B e k ä m p f u n g der letzteren wird die „örtliche" oder „soziale Disposition" f ü r die Seuche beseitigt. Bei Cholera Typhus und Ruhr wird die örtliche Krankheitsanlage, soweit nicht Bazillenträger dafür verantwortlich zu machen sind, wesentlich bedingt durch mangelhafte Wasserversorgung und Beseitigung der Abfallstoffe. Über das Zustandekommen einer „zeitlichen Disposition" bei diesen und anderen Krankheiten bestehen noch manche Unklarheiten (vgl. Cholera, S. 160). Die Abhängigkeit der Malaria von der Tages- und Jahreszeit ist aber nachweislich an die Flugzeit der Stechmücken, die. der eben genannten Ansteckungen des Darms wahrscheinlich teilweise an die Lebenstätigkeit der Fliegen gebunden. Damit sind uns Wege gewiesen, um auch die zeitliche Disposition zu bekämpfen.
Ein weiterer ' mechanischer Schutz erwächst der Oberfläche des lebenden Körpers aus ihrer U n d u r c h g ä n g i g k e i t für Kleinwesen. Größer ist sie auf der Haut als auf den Schleimhäuten, aber weder hier noch dort eine ganz vollständige (S. 91). So hat sich gezeigt, daß namentlich die oberste Stelle der Nasenschleim haut und die Auskleidung der. Lungenalveolen belebte wie unbelebte kleinste Körperchen durch Lücken zwischen ihren Epithelien hindurchgehen lassen. Man kann z. B. durch Einträufeln von Septizämieerregern in die, unverletzte Bindehaut empfängliche Tiere töten. Die Bakterien gelangen nämlich durch den Tränennasenkanal hindurch in die obere Nasenhöhle und von dort ins Gewebe. In ähnlicher Weise scheint die Lunge auch f ü r spurenweise eingeatmete Tuberkelbazijlen durchgängig zu sein, und selbst die Haut ist nicht gbnz undurchdringlich. So findet man Prodigiosusbazillen, die mittels eines Wattebausches in die Leistenbeuge von Hunden eingerieben werden, vereinzelt in den Lymphdrüsen dieser Gegend wieder. Auch unter natürlichen Verhältnissen müssen Keime von der. H a u t , wie von den Schleimhäuten aus in die Gewebe hineingelangen, denn bei sorgfältiger Prüfung auf Nährböden erweisen sich die sämtlichen Lymphdrüsen eines Körpers nicht als völlig keimfrei, sondern sie enthalten f a s t immer vereinzelte Staphylokokken, Kolibazillen, Laktikus-Streptokokken, Anaerobier, kurz solche Bakterien, die in großen Mengen auf der Haut oder den Schleimhäuten schmarotzen. Die Wege, welche die Keime hierbei einschlagen, sind uns noch nicht genügend bekannt, vielleicht werden .sie ihnen durch unmerkbare Verletzungen der Oberfläche geöffnet. Eine allzugroße Tragweite besitzt diese beschränkte Durchlässigkeit der Regel nach wohl nicht. Nur dann, wenn die Ansteckungsquellen sehr reichlich und lange fließen, werden die Ansteckungsstoffe auf diesem Wege in die Gewebe eindringen können.
Vielleicht hat man ein Recht, die Empfänglichkeit für Ansteckungen mit Eiterkokken und Tuberkelbazillen auf abnorme Durchlässigkeit der Deckgewebe zurückzuführen. Man erklärt sie gewöhnlich durch die Neigung der „Skrofulösen" zu Ekzemen und Katarrhen, Häufig hält man auch die M a n d e l n und /Anhäufungen lymphatischen Gewebes an anderen Stellen, z. B. im W u r m f o r t s a t z , f ü r Orte geringerer Widerstandsfähigkeit und will das durch ihren Bau begründen. Daß Epithellücken an diesen Orten vorhanden sind,
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ist richtig, sie dienen aber der Regel nach nicht zur Aufsaugung, sondern zur Absonderung von Lymphzellen und damit zum Schutze der Schleimhaut. In der Tat liegen sie ja an Steljen des Verdauungsweges, die Verletzungen besonders ausgesetzt sind. Bei dieser Auffassung würden uns die häufigen Erkrankungen, aber auch der meist gutartige Verlauf derselben verständlich Die Häufigkeit, mit der gerade manche Menschen von solchen Leiden heimgesucht werden, legt freilich die Vermutung nahe, daß bei ihnen, aber auch nur bei ihnen, diese Organe Orte geringerer Widerstandsfähigkeit sind. In solchen Fällen wird ihre chirurgische Beseitigung nicht nur die Krankheit selbst heilen, sondern auch die Empfänglichkeit für solche herabsetzen.
Selbstverständlich heben "Verwundungen den Schutz, den die äußeren und inneren Hüllen gegen das Eindringen von Ansteckungen bieten, auf, ja sie geben häufig genug die Gelegenheit zu Selbstansteckungen durch die Keime, die auf den Oberflächen zu schmarotzen pflegen. Gegen die Wundgefahr schafft sich der Körper in der Verklebung der Wundränder durch B l u t g e r i n n s e l und vor allen Dingen durch Entwicklung von G r a n u l a t i o n e n einen Schutz, der fast ebenso wirksam ist, wie die Wundversorgung der heutigen Chirurgie. Granulierende Wunden können ja selbst mit, Milzbrand^azillen bestrichen werden, ohne daß eine Ansteckung erfolgt (S. 197). Die Bedeckungen des Körpers, namentlich die inneren, entbehren aber auch nicht ganz c h e m i s c h e r H i l f s m i t t e l zur Abwehr von Ansteckungen, wenn solche auch weniger hervortreten, als in den Geweben selbst. "Von vielen Absonderungen der Schleimhäute kann man annehmen, daß sie nicht bloß diese schützen dadurch, daß sie sie gewissermaßen reirspülen, sondern daß sie durch ihre Zusammensetzung auch einen schlechten Nährboden für etwa hineingeratene Keime darstellen, ja, wie die Magens ä u r e , das saure S c h e i d e n s e k r e t , der stark alkalische S c h l e i m des Cervix uteri die fremden Keime geradezu abtöten. Noch kräftiger, aber bisher unerklärt ist die keimtötende Wirkung der D ü n n d a r m e p i t h e l i e n , d i e d e n oberen Te il des Darm s unter natürlichen Bed ingungen fast keimfrei erhält (S. 99) und imstande ist, selbst große Mengen von Bakterien, die man in den Zwölffingerdarm einspritzt, schnell zu beseitigen. Die Schutzwirkungen der Absonderungen werden dadurch noch gesteigert, daß manche Schleimhäute, in erster Linie die des Mundes, Dickdarms und der Scheide, eine e i g e n e F l o r a von Bakterien besitzen, die das Aufkommen von fremden Keimen durch ihren erfolgreichen Wettbewerb um die vorhandenen Nährstoffe erschweren. Der Versuch zeigt in der Tat, daß selbst große Mengen von fremden, d. h. nicht der Schleimhaut angepaßten Keimen, schnell daraus zu verschwinden pflegen. I s t diese Auffassung von der Bedeutung der chemischen Abwehrkräfte der Schleimhaut richtig, so müßten Störungen in der chemischen Zusammensetzung der Absonderungen und tiefergreifende Veränderungen der eigenen Flora der Schleimhäute die Empfänglichkeit derselben für Ansteckungen
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erhöhen. Das scheint wirklich der Fall zu sein, wie besonders die Erfahrungen über das Zustandekommen von C h o l e r a a s i a t i c a und C h o l e r a i n f a n t u m lehien. Vielleicht wird auch die Widerstandsverminderung, die namentlich auf den Schleimhäuten der Luftwege nach E r k ä l t u n g , E i n a t m u n g v o n G a s e n oder gewissen S t a u b s o r t e n eintritt, in ähnlicher Weise sich .erklären. In dem einen wie in dem anderen Falle wird man aber annehmen dürfen, daß an den Vorgängen die Blutgefäße der Schleimhaut oder allgemein gesagt, deren Ernährungszustand einen maßgebenden Anteil haben. Wir kommen darauf später zurück, weil wir es hier offenbar mit Erscheinungen zu tun-haben, die nicht verschieden sind von denjenigen, welche den Kampf gegen die Ansteckung auch im Innern der Gewebe beherrschen. In der Annahme, der natürliche Schutz durch die eigene Darmflora versage bei manchen Personen, hat man auch versucht, ihn künstlich zu steigern durch Zuführung kräftiger Gärungserreger (Bac. bulgaricus des Kefirs Me.tschn i k o f f , vgl. S. 175) oder mit höherer „antagonistischer Kraft" begabter Kolibazillen („Mutaflor" Nissle), und glaubt damit z. B. gegenüber den Bazillenträgern bei Typhus Erfolge erzielt zu haben. Der Versuch, Schleimhäute und "Wunden durch künstliche Zuführung von k e i m t ö t e n d e n c h e m i s c h e n M i t t e l n von den e i n gedrungenen Ansteckungserregein zu befreien, liegt nahe, ist daher sehr oft gemacht worden, im großen und ganzen, wenn man von den Zähnen absieht, freilich ohne allzu erheblichen Erfolg. Wo ein solcher erscheint, erklärt er sich zudem wohl oft auf anderem Wege, nämlich aus den entzündungserregenden Eigenschaften jener Mittel (s. u.). Jedenfalls gelingt es nicht, selbst diejenigen Schleimhautoberflächen, die am leichtesten für unsere Angriffe erreichbar sind, keimfrei zu machen, geschweige denn etwa den. Darminhalt zu entkeimen. Das liegt zum Teil daran, daß die in der Tiefe der Schleimhautbuchten und Wunden, in Drüsenöffnungen und zwischen Epithelien liegenden Keime von unseren Mitteln nicht erreicht werden, zum andern Teil daran, daß wir unsere Mittel wegen der Vergiftungs- oder Reizungsgefahr nicht in genügend starken Lösungen verwenden dürfen. Wenn man trotzdem auf die Benutzung keimtötender Stoffe auf den Schleimhäuten, z. B. der Bindehaut und Harnröhre zu vorbeugenden, wie zu Behandlungszwecken nicht gern verzichtet, so tindet das in der spezifisch-antiseptischen Eigenschaft, z. B. der Silberlösungen auf Gonokokken, außerdem aber noch in einem anderen Umstand seine Erklärung. Fast alle antiseptischen Mittel beeinflussen nebenbei auch die Schleimhaut selbst erfahrungsgemäß im günstigen Sinne, namentlich gehören hierher die von Alters her als A d s t r i n g e n t i e n bekannten. Man geht wohl nicht fehl, wenn man mindestens einen Teil ihrer Wirkung auf den Reizzustand zurückführt, in den sie die Scbleimhautgewebe und vor allen deren Gefäße versetzen, kurz gesagt, auf die H e r b e i f ü h r u n g e i n e s f ü r die H e i l u n g z w e c k m ä ß i g e n e n t z ü n d l i c h e n Z u s t a n d e s . Wir stoßen damit wieder auf einen Vorgang, der später zu besprechen ist, wenn wir zu den Abwehrmitteln des Körpers im Innern des Gewebes, gelangen. Daß die Entzündung auch bei den oberflächlichen Ansteckungen der Schleimhäute eine große Rolle spielt, braucht kaum hervorgehoben zu werden. .Fehlen katarrhalische Erscheinungen doch höchst selten bei ihnen. Sie sind es auch in erster Linie, welche die Widerstandsfähigkeit der Schleimhäute gegen
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Ansteckungen steigern dadurch, daß sie die keimwidrigen Säfte und Zellen des inneren Körpers, mögen sie ursprünglich in dessen Besitz, oder erst durch Immunisierung von ihm erworben sein, an die Oberfläche bringen. So ist es nicht wunderbar, daß die Heilseren, die auf manchen durch die Ansteckung entzündeten Schleimhäuten eine kräftige Wirkung gegen die Erreger entfalten, auf der gesunden Schleimhaut, bei den sog. Keimtiägern (Diphtherie, Genickstarre) wirkungslos sind. Sie gelangen aus dem Säftekreislauf überh a u p t nicht an diese heran und beeinflussen sie auch nicht, wenn sie von außen absichtlich auf die Schleimhä/ute gebracht werden, weil sie die nötige Ergänzung durch die Säfte des Körperinnern hier nicht finden. Die Desinfektion von Wunden hat man längere Zeit als aussichtslos oder schädlich fast ganz unterlassen. Die Erfahrungen des letzten Krieges haben jedoch einen gewissen Umschlag herbeigeführt (s. u. S. 368.) So begrenzt die Wirkung chemischer Mittel auf den Schleimhäuten und Wunden ist, so erfolgreich können wir von ihnen bei der Desinfektion der Hautoberfläche und unserer Umgebung Gebrauch machen (vgl. Abschnitt 35). Wir gelangen jetzt zu den Abwehrmitteln, über welche die K ö r p e r g e w e b e s e l b s t verfügen, und besprechen zunächst wieder diejenigen, die mechanisch durch Bewegung oder Bewegungshemmung wirken. Eine größere Rolle hat namentlich früher, bevor man Genaueres von der Natur der Ansteckungserreger wußte, die Vorstellung gespielt, der lebende Körper hülfe sich ihnen gegenüber durch A u s s c h e i d u n g auf diesem oder jenem Wege, und man könne diesen nützlichen Vorgang durch A n r e g u n g d e r A b s o n d e r u n g e n «nterstützen. Eine genauere Prüfung hat aber gezeigt, daß von solchen Dingen wenig genug übrig bleibt. Selbst wenn es im Blute von Keimen wimmelt, können die Ausscheidungen von ihnen frei sein, und wenn sie ausgeschieden werden, sind es verhältnismäßig nur wenige, die noch dazu nicht durch den AbsonderungsVorgang als solchen, sondern durch Blutungen oder andere Gewebsschädigungen nach außen gelangen. Außerdem wird, wie man sich durch genaue Keimzählungen im Versuch überzeugen kann, von den allermeisten Ansteckungsherden aus gewöhnlich nur ein kleiner Teil der Erreger in den L y m p h s t r o m und ein noch weit kleinerer in die B l u t b a h n aufgenommen. Selbst die Ansteckungen der Bauchhöhle machen von dieser allgemeinen Regel keine Ausnahme, obwohl gerade sie durch zahlreiche und f ü r gelöste Stoffe leicht durchgängige Säftekanäle mit den Blutgefäßen verbunden ist. Wenn man überhaupt hier von einer Zweckmäßigkeit sprechen darf, so scheint sie nur darin zu bestehen, daß anatomische und physiologische Einrichtungen des Körpers die V e r s c h l e p p u n g von Krankheitskeimen und anderen kleinsten Körperchen aus den Gewebsherden möglichst v e r h ü t e n , nicht aber sie b e f ö r d e r n sollen. Im Ansteckungsherd selbst wird das erreicht durch die Entzündung mit ihren Folgeerscheinungen, in den Lymphbahnen durch die Einschaltung der Lymphdrüsen, die wie Filter f ü r kleinste Körperchen undurchgängig sind, im Blijtstrom durch die Ausstattung mit Freßzellen, die, wie wir gleich sehen werden, zwar auch an anderen Stellen nicht fehlen, hier aber besonders reichlich vertreten sind, in allen Geweben durch die Widerstände, welche
Die natürliche und künstliche Abwehr der Infektion 349 t sie durch ihre Stützsubstanz, ebenso wie ihre Zellen dem Eindringen von Keimen entgegensetzen. Die Bedeutungslosigkeit der Absonderungen f ü r die Überwindung der Ansteckungen wird dadurch nicht widerlegt, d a ß die Erreger in einigen Fällen, namentlich bei den sog, Bazillenträgern des Typhus durch Galle und Harii, von den W u t k r a n k e n durch den Speichel in reichlichen Mengen nach außen abgegeben werden. Hier handelt es sich um eint anatomische, allerdings meist verborgene Erkrankung der absondernden Organe, die nicht dem angesteckten Körper, sondern nur dem Erreger selbst vorteilhaft, ist, weil sie ihm f ü r die Erhaltung der Ärt bessere Aussichten bietet, als das Leben im Innern des Körpers. Im Grunde sind diese Fälle kaum anders zu beurteilen, als z. B. die Herdbildung, die bei Tuberkulose in den Harnwegen oder der Brustdrüse, bei Allgemeinerkrankungen durch Eiterkokken in den Lungen oder Nieren beobachtet werden. Aber nicht einmal f ü r die gelösten Ansteckungsgifte kommen die Absonderungen wesentlich >n Betracht, da sie, wenn überhaupt, zu wenig davon zu enthalten pflegen (s. u.) : Ebenso i s t die Vorstellung, daß die eitrige Entzündung, insofern sie z u m Durchbruch nach außen führe, eine Befreiung des Körpers von den Ansteckungserregern bedeute, nur unter starker Einschränkung haltbar, denn im allgemeinen ist der Kampf gegen die fremden Keime schon der Hauptsache nach zu ihren Ungunsten beendet, wenn der Eiterherd nach außen durchbricht. So enthält der Eiter einer aufgegangenen Pestbeule meist nur sehr wenige lebende Bazillen, während die frische Pestbeule von ihnen wimmelt. Der Eiterdurchbruch beseitigt außer abgestorbenen Gewebsteilen meist nur kümmerliche Überreste der Angreifer selbst, ganz davon au schweigen, daß er häufig genug nach falscher Richtung, z. B. in eine vorher gesunde Körperhöhle erfolgt und dadurch neue Gefahren heraufbeschwört. So wenig die Bewegungen der Lymphe und des Blutes für die mechanische Entfernung der Ansteckungskeirre aus dem Innern des Körpers leisten, so großen Nutzen stiften sie bei der Bekämpfung der Ansteckungen dadurch, daß sie den Angreifern gewissermaßen immer neue Truppen entgegenwerfen. Das geschieht zum Teil schon durch die gewöhnlichen Saftströmungen, in noch viel höherem Grade aber durch die e n t z ü n d l i c h e A u s s c h w i t z u n g , da die letztere den Gehalt der Gewebe an keimwidrigen Säften und Zellen, der im gesunden Zustand je nach Art des Gewebes und der "Versorgung mit Blut 'größer oder geringer ist, zu einem Höchstmaß steigert. Fast alle Infektionserreger s ; nd selbst imstande sei es durch ihre Endotoxine (S. 50),.sei ea durch ihre Ektotoxine (vgl. das Diphtheriegift, S. 221), Entzündung zu erregen. In Tierversuchen ist es z. B. durch örtliche Anwendving von Streptokokken, Prodigiosus- oder Pyozyaneusbazillen gelungen, selbst die Überwucherung durch septizämische Bakterien (Milzbrand) zu verhindern. Mit mehr oder weniger Erfolg h a t man auch alle 'übrigen e n t zündungerregenden Mittel teils prophylaktisch (S. 360), teils therapeutisch zur Bekämpfung von Infektionen benutzt. Selbst harmlose Stoffe, wie destilliertes Wasser, Fleischbrühe, ja Kochsalzlösung, Blutserum, Blut, Milch fremder Tierarten, und sogar derselben Art sind dazu geeignet.
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Schädliche Folgen der Entzündung sind freilich möglich, sie zu verhüten, die Entzündung in den richtigen Grenzen zu halten, ist von jeher als eine der Hauptaufgaben der ärztlichen Kunst betrachtet worden. Von den mechanischen Mitteln, die diesem Zweck dienen, nennen wir Rahigstellung des' betroffenen Gliedes und des ganzen Körpers, Beseitigung des äußeren u^id inneren Drucks durch passtnde Lagerung, Einschnitte in ie Gewebe, örtliche und allgemeine Blutentziehungen, Entfernung von Fremdkörpern, Eiter, abgestorbenen Gewebsteilen, Erzeugung eines mäßigen Grades von venöser Hyperämie (Bier). Hierher gehören dann auch die von Alters hei angewandten physikalischen Mittel, wie kalte und warme Umschläge und Bäder und die neuzeitlichen Belichtungs- und Bestrahlungsverfahren, schließlich auch chemische Mittel, wie Alkohol verband, Pinselungen mit Jod,Terpentinöl, Höllensteinlösung u. dgl." Wie sich die günstige Wirkung dieser chirurgischen Behandlungsverfahren erklärt, ist zwar durchaus noch nicht f ü r alle Fälle und bis ins einzelne hinein festgestellt, es ist aber wohl anzunehmen, daß sie, wenn überhaupt weit weniger auf die Ansteckungserreger selbst wirken, als auf die Gewebe, und zwar hauptsächlich d u r c h V e r m i t t l u n g d e r e n t z ü n d l i c h v e r ä n d e r t e n G e f ä ß e . Letzten Endes sind es natürlich wieder die chemischen Vorgänge im angesteckten Gewebe, die dadurch beeinilußt werden. Selbst von der örtlichen und allgemeinen antiseptischen Behandlung, die uns weiter unten beschäftigen soll, gilt mindestens zum Teil das gleiche.
Bemerkenswert ist, daß nicht etwa jede vermehrte Blutzufuhr die günstige Wirkuijg der Entzündung teilt. Im Gegenteil scheint sogar die einfache arterielle (aktive) Hyperämie Ansteckungen mehr zu befördern. Das gleiche gilt für hochgradige Stauungshyperämie. Ebenso schädlich sind örtliche Anämien und erst recht natürlich der vollständige Stillstand des Kreislaufes. Auf der mangelhaften Entwicklung der Kreislaufsverhältnisse scheint die teils angeborene, teils erworbene Krankheitsanlage mancher Organe und Organteile, z. B. der Lungenspitzen, beim sog. Habitus phthisicus zu beruhen. Es liegt nahe, ung e n ü g e n d e ö r t l i c h e Ernährung für solche Schwächezustände verantwortlich zu machen, wie man a l l g e m e i n e U n t e r e r n ä h r u n g als widerstandsvermindernd zu betrachten pflegt. Umgekehrt würde besonders r e i c h l i c h e Ernährung die örtlichen und allgemeinen Widerstandskräfte steigern. . , Doch scheint diese einfache Erklärungsweise nicht überall mit bekannten Tatsachen übereinzustimmen. So ist die Neigung reichlich mit Blut versorgter, namentlich wachsender Teile (Epiphysenlinie der Knochen) zu erkranken, die Disposition gerade kräftiger Individuen zu Pneumonie, Influenza, Typhus entschieden autfällig und kaum etwa auf erhöhte Infektionsgelegenheit (Exposition) zurückzuführen.
Wenn auch bei der Infektion die örtlichen entzündlichen Erscheinungen in erster Linie stehen, so bleibt dabei doch kaum jemals eine Rückwirkung auf den Allgemeinzustand des Körpers aus. Sehr gewöhnlich verläuft diese unter dem Bilde des F i e b e r s . Auch beim Fieber
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finden wichtige mechanische Veränderungen im Körper statt: man denke nur an die Beschleunigung des'Pulses und der Atmung, die Zusammenziehung der Hautgefäße im Fieberfrost. Diese äußerlich wahrnehmbaren mechanischen Erscheinungen können auf die Ansteckung höchstens einen mittelbaren Einfluß ausüben, unmittelbar müssen dagegen wirksam werden, außer feineren schwerer nachweisbaren biochemischen Einflüssen* die nur dem bewaffneten Auge erkennbaren V e r ä n d e r u n g e n im L e ü k o z y t e n g e h a l t des B l u t e s , die Anhäufung weißer Blutzellen im strömenden Blute und ihr Verschwinden aus demselben, weil sich ja aus diesen Zellen die wichtigsten Vorkämpfer des Körpers gegen die Ansteckung, die Phagozyten und Spender der Leukine ergänzen. In der Tat hat man durch künstliche Hervorrufung von H y p e r l e u k o z y t o s e die Widerstandsfähigkeit gegen manche Ansteckung im Tierversuch erhöhen und durch H y p o l e u k o z y t o s e sie erniedrigen können. Ebenso hat man geglaubt, die physikalische Hauptveränderung im Fieber, die T e m p e r a t u r e r h ö h u n g , als eine Waffe im Kampfe gegen die Ansteckung, betrachten zu dürfen. Manche Versuche und Beobachtungen sprechen in diesem Sinne. Die dazu brauchbaren Mittel fallen großenteils mit den entzündungserregenden zusammen (S. 349). Dazu kommen physikalische oder mechanische Eingriffe. So führten Pneumokokkenansteckungen leichter zur Heilung bei Tieren, deren Wärmezentrum man durch Nackenstich gereizt hatte. So will man neuerdings den Tripper durch heiße' Bäder heilen. In beiden Fällen sind die Erreger besonders empfindlich gegen hohe Temperaturen. Man bleibt freilich dabei immer noch im Z.veifel, ob die Temperaturerhöhung als solche oder Änderungen biochemischer Verhältnisse, die gleichzeitig eintreten, die Ansteckungskeime schädigen. Jedenfalls wird auch durch zahllose'andere Erfahrungen bewiesen, daß Temperatureinflüsse für die Empfänglichkeit von Tieren gegenüber Kleinwesen von Bedeutung sind. Am einfachsten liegt d'e Sache offenbar in denjenigen Fällen, in denen die Keime bei Temperaturen, die wir im Körper finden, überhaupt nicht wachsen. So ist es ohne weiteres erklärlich, daß unter den empfänglichen Pilzen nur diejenigen Arten als Krankheitserreger in Betracht kommen, die bei Bluttemperatur gedeihen (S. 260). Umgekehrt sind Kaltblüter schon durch ihre Temperatür gegen den Angriff von Tuberkel- und anderen Bakterien geschützt, die bei niederen Tempeiaturen gar nicht oder schlecht wachsen, und man begreift, daß diese Widerstandsfähigkeit verloren gehen kann, wenn die betreffenden Keime durch Anpassung an niedere Temperaturen abgeändert sind.
Wie die Entzündung, so kann aber auch das Fieber Gefahren bringen, z. B. dadurch, daß es zu hoch ansteigt oder durch zu lange Dauer erschöpft. Durch zahlreiche Arzneimittel — die sog. A n t i p y r e t i c a — und physikalische Einwirkung (Bäder) pflegt man dagen vorzugehen, wendet sie aber auch erfahrungsgemäß nicht selten, dort an, wo keine derartigen Gefahren zu beseitigen sind, man also von uiiserem Standpunkt aus fürchten könnte, mit dem Fieber zugleich nützliche Abwehr-
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Vorgänge einzuschränken. Der oft unbestreitbare Nutzen der Fiebermittel erklärt sich zwar wohl aus deren "Wirkung auf die Ansteckungsefreger, es ist aber durchaus nicht überall sicher, ob diese Wirkung eine unmittelbar „antiseptische" ist oder mittelbar durch Beeinflussung der keimwidrigen Kräfte des Körpers zustande kommt (s. u. Chemotherapie). Wahrscheinlich wird die Disposition der 'Verdauungsschleimhaut, insbesondere bei künstlich genährten Säuglingen zur Erkrankung durch länger dauernder Hitze vermehrt und so die Vorliebe der Cholera infantum, der asiatischen Cholera und Kühr für die heiße Jahreszeit erklärlich. Sicher ist umgekehrt, daß man durch H e r a b s e t z u n g der K ö r p e r t e m p e r a t u r die Empfänglichkeit für verschiedene Krankheitserreger steigern und so im gewissen Sinne die alte ärztliche Erfahrung, daß E r k ä l t u n g die Widerstandsfähigkeit gegen Ansteckungen herabsetzt^ bestätigen kann. Man wird dabei an unmittelbare und mittelbare, durch Nerven und Gefäße verursachte Störungen der mechanischen sowohl, wie der chemischen Abwehreinrichtungen zu denken haben. Auch die Wirkungsweise anderer Schädlichkeiten, deren Bedeutung an sich durch Versuche und zum großen Teil auch durch ärztliche Erfahrungen über jeden Zweifel erhoben worden ist, scheint nicht sicher klargestellt, so die von manchen V e r g i f t u n g e n , körperlichen und geistigen Ü b e r a n s t r e n g u n g e n , aber auch sonstigen s e e l i s c h e n S c h ä d i g u n g e n , namentlich Schreck, Kummer und Sorge. Klarer werden die Zusammenhänge, wenn wir uns jetzt zu den Erscheinungen der sog. spezifischen Widerstandsfähigkeit oder erworbenen Immunität wenden. 1 Hier ist es, so viel wir wissen, ausschließlich die Erhöhung der b i o c h e m i s c h e n Ab Wehrkräfte des K ö r p e r s , die den Erfolg begründet. Es ist darum jetzt an der Zeit, uns den letzteren zuzuwenden. In Betracht kommen: a) keimtötende oder entwicklungshemmende Wirkungen, die sich in den Säften selbst bemerkbar machen; b) solche, die innerhalb von Zellen auftreten. Die Wirkungen der Säfte führt man auf das Vorhandensein besonderer Stoffe zurück, von denen bisher drei Arten sicher bekannt sind: 1. die A l e x i n e (Abwehrstoffe, Bakteriolysine) des Blutes und der davon gespeisten Gewebsflüssigkeiten; 2. die P l a k i n e oder Plättchenstoffe, die von den Blutplättchen abgegeben werden; 3. die L e u k i n e oder Leukozytenstoffe, die von vielkernigen weißen x -Blutkörperchen abgegeben werden. 1
-Über die' Methoden zur Erzeugung der Immunität s. Abschn. 33.
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D i e keimwidrigen Leistungen im Innern von Zellen können, da auch für letztere im allgemeinen das Gesetz der Undurchdringlichkeit gilt, das wir für die organischen Gewebe der Körperoberfläche festgestellt, der Regel nach erst d a n n in Erscheinung treten, wenn d i e K l e i n w e s e n von ihnen a u f g e n o m m e n , gefressen worden sind. In der Tat g i b t es im Körper zahlreiche F r e ß z e l l e n (Phagozyten M e t s c h n i k o f f s ) ; die a m m e i s t e n verbreiteten s i n d die vielkernigen weißen Blutzellen. Gerade von ihnen ist aber b e k a n n t , daß sie der Regel nach Keime nur fressen, wenn diese vorher m i t gewissen Stoffen, die in der B l u t f l ü s s i g k e i t vorkommen, den O p s o n i n e n oder Vorbereitungs(Lofk-)stoffen, in Berührung gewesen sind. D i e letzteren bilden also die v i e r t e Klasse .von keimwidrig'en B e s t a n d t e i l e n der Säfte. D i e im Innern der Leukozyten vorhandenen keimwidrigen Kräfte, durch die erst die A b t ö t u n g der von den Freßzellen aufgenommenen K e i m e zustande k o m m t , scheinen m i t den oben erwähnten Leukinen zusammenzufallen ( E n d o l y s i n e ) . E s ist wahrscheinlich, d a ß mit unserer Aufzählung noch nicht alle im lebenden Gewebe gegenüber den eingedrungenen Kleinvesen verfügbaren AbWehrkräfte u n d Stoffe erschöpft sind. Vielleicht gibt es solche ähnlicher Art, wie wir sie den Epithelzellen des D ü n n d a r m s vorausgesetzt haben (S. 346) auch a n anderen Stellen des Körpers, doch müssen wir uns hier auf die bisher b e k a n n t gewordenen Leistungen beschränken. D i e größte Verbreitung und d a m i t wohl auch Bedeutung besitzen die A l e x i n e oder Bakteriolysine. Sie s i n d in der Blutflüssigkeit aller Warm- u n d wahrscheinlich auch aller Kaltblüter enthalten und gehen mehr oder weniger reichlich in die von diesen gespeisten Lymphen über. Der Ausgangspunkt f ü r ihren Nachweis war die Feststellung G r o h m a n n s (1884), d a ß Bakterien und Schimmelpilze beim Aufenthalt im Blute beträchtlich geschädigt werden. F o d o r , N u t t a l l u n d N i s s e n bestätigten das f ü r defibriniertes Blut, und H a n s B u c h n e r f a n d , d a ß dieses seine keimt ö t e n d e Wirkung den Alexinen des B l u t s e r u m s v e r d a n k t . Schon im Blutplasma, d. h. in der Blutflüssigkeit vor der Gerinnung sind die Abwehrstoffe v o r h a n d e n , wie m a n durch Auffangen des aus d e m Blutgefäß strömenden Blutes in oxalsaurem oder zitronensaurem Natron (l°/ 0 ) feststellen kann. Mit der Blutflüssigkeit gelangen sie auch in die lymphatischen Flüssigkeiten der meisten Gewebe, freilich in mehr oder weniger v e r d ü n n t e r Form. N u r in der wässrigen Flüssigkeit der vorderen Augenkammer, sowie in derjenigen welche die H i r n - R ü c k e n m a r k h ä u t e umspült, scheinen sie gewöhnlich volls t ä n d i g zu f e h l e n , sind aber auch in diesen Flüssigkeiten eine Zeitlang nachweisbar, wenn sie sich nach Entleerung durch Anstich neu gebildet h a b e n . Uberall befördert S t a u u n g und namentlich E n t z ü n d u n g den Gehalt der L y m p h e an Alexinen, so d a ß z. B. eine frische.Exsudatflüssigkeit gleich s t a r k wirken k a n n , wie Blutserum. I n die normalen Sekrete gehen die Alexine n i c h t ü b e r ; höchstens in der Milch sind ähnliche Stoffe spurenweise e n t h a l t e n . Ob eine Ausscheidung von Alexinen durch die P l a z e n t a hindurch s t a t t f i n d e t , i s t zweifelhaft, jedenfalls ist die Blutflüssigkeit neugeborener Früchte viel ä r m e r d a r a n als die der Mutter. K r u s e , Lehrbuch der Bakteriologie.
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Die k e i m t ö t e n d e W i r k u n g der Alexine wird meist in der Weise festg e s t e l l t , d a ß m a n P r o b e n des n a c h G e r i n n u n g des Blutes abgeschiedenen S e r u m s m i t b e s t i m m t e n Mengen frisch g e z ü c h t e t e r B a k t e r i e n vermischt u n d n a c h 2, 6—24 S t u n d e n g a n z oder teilweise zu P l a t t e n ausgießt (S. 164). So wuchsen z. B. i n einem Versuche aus je einer P l a t i n ö s e einer Mischung von 3 T r o p f e n menschlichen B l u t s e r u m s u n d 1 T r o p f e n Bouillonaufschwemm u n g v o n R u h r b a z i l l e n v o n den u r s p r ü n g l i c h d a r i n eingesäten 7000 R u h r bazillen nach 2 S t u n d e n n u r noch 3, nach 4 S t u n d e n überi a u p t keine Kolonien, aus 4 m a l m i t Kochsalzlösung v e r d ü n n t e m S e r u m dagegen 110 u n d 200, aus l O m a l v e r d ü n n t e m Serum 3100 u n d 10000, aus d e n gleichen Mengen Fleischbrühe 16000 u n d 4 0 0 0 0 Kolonien. Ähnlich i s t m e i s t die W i r k u n g v o n Meerschweinchen- oder K a n i n c h e n s e r u m auf R u h r b a z i l l e n , u n d T y p h u s u n d Cholerabazillen v e r h a l t e n sich gewöhnlich n i c h t viel anders. W ä h l t m a n dagegen zur E i n s a a t S t a p h y l o - , S t r e p t o - oder P n e u m o k o k k e n oder H e u b a z i l l e n , so s i e h t m a n keine deutliche W i r k u n g : die Alexine scheinen überhaupt gramfeste Bakterien nicht abzutöten.
Eine Eigentümlichkeit der Alexine, die schon früh aufgefallen ist, besteht in ihrer Vergänglichkeit. Schon einige Tage A u f e n t h a l t s bei gewöhnlicher T e m p e r a t u r , kürzere Zeit bei B r u t t e m p e r a t u r , h a l b s t ü n d i g e E r h i t z u n g auf 55—60° genügen meist, u m die Alexine a b z u s c h w ä c h e n oder zu v e r n i c h t e n . E b e n s o schädigt sie m e h r s t ü n d i g e B e l i c h t u n g in der S o n n e , V e r d ü n n u n g oder Dialyse m i t destill i e r t e m W a s s e r , w ä h r e n d sie in der K ä l t e u n d im t r o c k n e n Zustande sich besser e r h a l t e n u n d d u r c h Salze aus ihrer Lösung gefällt werden. Besonders w i c h t i g i s t f e r n e r , d a ß n a c h B e r ü h r u n g m i t B a k t e r i e n k ö r p e r n oder Bakteriens t o f f e n (Aggressinen S. 332) die W i r k u n g der Alexine v e r s c h w i n d e t , u n d zwar in e r s t e r Linie gegenüber derselben B a k t e r i e n a r t , d a n n auch gegenüber a n d e r e n . Aber auch n i c h t bakterielle Stoffe wie Pflanzeneiweiß, aufgelöste r o t e Blutk ö r p e r , z e r q u e t s c h t e Gewebszellen u n d andere organische oder anorganische F r e m d k ö r p e r b i n d e n die Alexine. I m l e b e n d e n K ö r p e r m a c h t sich diese W i r k u n g der B a k t e r i e n k ö r p e r oder -stoffe d a d u r c h b e m e r k b a r , d a ß sie die A n s t e c k u n g b e g ü n s t i g t . So e r k l ä r t sich, d a ß die M e n g e der angreifenden B a k t e r i e n f ü r d e n Erfolg der A n s t e c k u n g von g r ö ß t e r B e d e u t u n g i s t , d a ß M i s c h a n s t e c k u n g e n , mögen sie n u n von A n f a n g an b e s t e h e n oder sich nacht r ä g l i c h (als S e k u n d ä r i n f e k t i o n e n ) i m Laufe der ursprünglichen A n s t e c k u n g e n t w i c k e l n , h ä u f i g einen u n g ü n s t i g e n E i n f l u ß auf die K r a n k h e i t a u s ü b e n , d a ß v e r u n r e i n i g t e u n d g e q u e t s c h t e W u n d e n die W u c h e r u n g an sich weniger a n s t e c k u n g s f ä h i g e r K e i m e , wie z. B. der Anaerobier, b e g ü n s t i g e n , d a ß MagenD a r m i n h a l t , wenn er i n die B a u c h h ö h l e g e l a n g t , d u r c h Ü b e r w u c h e r u n g der an sich h a r m l o s e n D a r m b a k t e r i e n zu d e n schwersten F o r m e n der Selbsta n s t e c k u n g in Gestalt von B a u c h f e l l e n t z ü n d u n g f ü h r t .
Welche Z u s a m m e n s e t z u n g die Alexine haben, ist völlig unbekannt, da sie bisher nicht rein dargestellt werden konnten, doch sind es nicht einfach, sondern verwickelt gebaute Körper. Man unterscheidet gewöhnlich zwei Bestandteile, das K o m p l e m e n t und den Ambozeptor. Man r e c h n e t die A l e x i n e i m allgemeinen, wie die übrigen Schutz- und I m m u n s t o f f e , zu den eiweißartigen K ö r p e r n . Manche Ä h n l i c h k e i t h a b e n sie m i t den F e r m e n t e n . I n s b e s o n d e r e den p r o t e o l y t i s c h e n h a t m a n sie ver-
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glichen, weil sie die K e i m e , die sie beeinflussen, zur Aullösung bringen. I n dessen darf bei diesem Vergleich n i c h t übersehen w e r d e n , d a ß die wesentlichste E i g e n s c h a f t der Alexine, n ä m l i c h die, lebende Keime a b z u t ö t e n , gerade d e n V e r d a u u n g s f e r m e n t e n f e h l t . Die l e t z t e r e n s i n d , wie viele E r f a h r u n g e n beweisen, n u r solche Zellen aufzulösen i m s t a n d e , die vorher auf irgendeine Weise a b g e t ö t e t sind. A u ß e r d e m i s t die Auflösung der K e i m e d u r c h die Alexine, die sog. B a k t e r i o l y s e , wie wir zuerst d u r c h die Beoba c h t u n g e n R . P f e i f f e r s bei den gegen Cholera i m m u n i s i e r t e n Tieren e r f a h r e n h a b e n (S. 155) ein Vorgang e i g e n t ü m l i c h e r A r t , i n d e m die S t ä b c h e n o d e r K o m m a b a z i l l e n sich dabei u n t e r A u s t r i t t von gelösten S t o f f e n zu Kügelchen (Granula) verschiedener Größe a b r u n d e n , also gewissermaßen einschmelzen. Der B a k t e r i o l y s e nahe v e r w a n d t i s t die H ä m o l y s e , d e r die r o t e n B l u t k ö r p e r c h e n u n t e r dem E i n f l u ß f r e m d e n Serums verfallen, doch scheinen die n o r m a l e n H ä m o l y s i n e oder h ä m o l y t i s c h e n Alexine des Bluts e r u m s t r o t z aller v o n B u c h n e r festgestellten Ä h n l i c h k e i t e n von den n o r m a l e n B a k t e r i o l y s i n e n oder Alexinen schlechthin verschieden zu sein. Ähnlich sind sich beide Stoffe auch d a r i n , d a ß sie, wie n a m e n t l i c h E h r l i c h u n d M o r g e n r o t h l e h r t e n , aus m e h r e r e n B e s t a n d t e i l e n bestehen. U r s p r ü n g lich n a h m m a n n u r zwei solche, e i n e n w i d e r s t a n d s f ä h i g e r e n , d e n b a k t e r i o lytischen (und h ä m o l y t i s c h e n ) A m b o z e p t o r u n d einen e m p f i n d l i c h e r e n , d a s K o m p l e m e n t an. Die A m b o z e p t o r e n (Zwischenkörper) h a b e n ihren N a m e n d a h e r , d a ß sie einerseits die B a k t e r i e n , andererseits d a s K o m p l e m e n t b i n d e n u n d d a d u r c h e r s t die eigentliche Lösung v e r m i t t e l n . Sie sind d a d u r c h i m S e r u m v o n den K o m p l e m e n t e n zu t r e n n e n , d a ß sie gegen E r h i t z u n g u n d andere Einflüsse widerstandsfähiger zu sein pflegen als diese, die schon d u r c h längeres Stehenlassen bei gewöhnlicher T e m p e r a t u r oder durch K ö r p e r e r h i t z u n g u n w i r k s a m w e r d e n . D a ß sie es sind, welche die B a k t e r i e n (Blutk ö r p e r c h e n ) b i n d e n , aber selbst n i c h t lösen, folgert m a n d a r a u s , d a ß sie in vielen Fällen aus d e m auf 55—60° e r h i t z t e n (oder auf 0° a b g e k ü h l t e n ) Serum d u r c h B a k t e r i e n (BlutkörpeT) o h n e Schädigung der l e t z t e r e n m i t t e l s t Ausschleuderns herausgezogen werden k ö n n e n . Die Lösung t r i t t d a n n aber ein, w e n n m a n zu den so m i t A m b o z e p t o r e n b e l a d e n e n B a k t e r i e n ( B l u t k ö r p e r n ) frisches, u n e r h i t z t e s , d. h. noch K o m p l e m e n t haltiges Serum in so geringen Mengen (z. B. in 1 / 2 0 — 1 / 4 0 V e r d ü n n u n g ) z u s e t z t , d a ß allein d a d u r c h eine Lösung n i c h t b e w i r k t w ü r d e . Diese geringe Menge K o m p l e m e n t g e n ü g t also, u m die an B a k t e r i e n ( B l u t k ö r p e r ) g e b u n d e n e n A m b o z e p t o r e n zu wirks a m e n B a k t e r i o ( H ä m o ) l y s i n e n zu ergänzen. D a s K o m p l e m e n t i s t d a n a c h d e r f e r m e n t a r t i g e K ö r p e r , den wir i m Alexin a n n e h m e n . D u r c h s p ä t e r e U n t e r s u c h u n g e n h a t sich übrigens gezeigt, d a ß d a s K o m p l e m e n t seinerseits wieder aus m e h r e r e n B e s t a n d t e i l e n b e s t e h t . Weiter verwickeln sich die Dinge d a d u r c h , d a ß d a s B l u t s e r u m jedes Tieres n i c h t bloß je e i n e n A m b o z e p t o r u n d e i n K o m p l e m e n t f ü r B a k t e r i e n u n d B l u t k ö r p e r e n t h ä l t , sondern wahrscheinlich eine größere Anzahl von A m b o z e p t o r e n , vielleicht sogar m e h r e r e verschiedene f ü r jede B a k t e r i e n - u n d B l u t k ö r p e r c h e n a r t , e n t h ä l t u n d d a ß ebenso mehrere K o m p l e m e n t e in demselben Serum n e b e n e i n a n d e r v o r h a n d e n zu sein scheinen. Wir k ö n n e n die Beweise^ die d a f ü r s p r e c h e n , hier n i c h t wiedergeben, s o n d e r n wollen n u r h e r v o r h e b e n , d a ß diese A n n a h m e u n s ermöglicht, die folgenden T a t s a c h e n zu v e r s t e h e n .
Durch das Überstehen einer Ansteckung oder die Schutzimpfung dagegen werden in vielen Fällen die keimtötenden Abwehrstoffe im Blutserum außerordentlich verstärkt, aber stets nur gegenüber dem 23*
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Erreger der betreffenden Ansteckung, nicht gegenüber allen anderen Keimen. Die nähere Prüfung ergibt, daß dabei nur die hitzebeständigen Bestandteile im Serum, die Ambozeptoren, erheblich vermehrt werden, der Komplementgehalt aber unverändert bleibt. Diese s p e z i f i s c h e n B a k t e r i o l y s i n e sind zuerst von K. P f e i f f e r für die Choleraansteckung beim Meerschweiitchen nachgewiesen worden. Zunächst bei Tieren, die durch mehrmalige Behandlung mit steigenden Gaben von Cholerabazillen gegen eine spätere Ansteckung allmählich widerstandsfällig geworden, oder nach dem Ausdrucke E h r l i c h s , „aktiv" immunisiert worden waren, dann bei solchen, die durch eine einmalige Einspritzung von Blutserum immunisierter Tiere oder cholerakrank gewesener Menschen gegen eine unmittelbar darauf folgende Einverleibung von Cholerabazillen gefestigt, d. h. „passiv" immunisiert worden waren. In beiden Fällen läßt eich das Schicksal der Cholerabazillen am besten verfolgen, wenn man zur Probe auf die I m m u n i t ä t in die Bauchhöhle vorbehandelter Tiere Mengen von Cholerabazillen, die f ü r unbehandelte l i e r e sicher tödl-ch sind, einspritzt, dann etwa von 10 zu 10 Minuten mittelst Kapillarröhrchen, die durch die Bauchwand gestoßen werden, etwas von der Leibeshöhlenflüssigkeit entnimmt und im hängenden Tropfen oder gefärbtem Ausstrich untersucht. Gerade hier t r i t t die oben erwähnte Körnerbildung oder Bakteriolyse besonders reichlich und schnell hervor, so daß o f t schon nach 20—30 Minuten kaum noch unveränderte Kommabazillen in der Bauchhöhle zu finden sind, und damit eigentlich schon die Ansteckung siegreich b e k ä m p f t erscheint. Im nichtimmunisierten Tier erscheinen die Bazillen dagegen, wenn man gleiche Mengen eingespritzt hat, unverändert, lebhaft beweglich und offenbar in Vermehrung begriffen, und nur, wenn man viel kleinere, nicht mehr zur Tötung ausreichende Gaben der Erreger oder gioße Mengen von Kommabazillen, die keine genügende Ansteckungsk r a f t besitzen, wählt, kann man auch hier die Bakteriolyse beobachten. Im'wesentlichen verlaufen die Dinge ganz ähnlich, wenn man s t a t t Cholerabazillen andere (nicht gramfeste) Bakterien, z. B. Typhus- und Ruhrbazillen zur Immunisierung und Prüfung wählt. Daß der wirksame Körper im immunisierten Tier ein dem Ambozeptor ähnlicher, nicht ein komplementartiger Stoff sein muß, wird schon nahegelegt durch die Tatsache, daß kleinste Mengen von Immunserum, z. B. ein Tausendstel oder gar wie im Beispiel auf S. 145 der hunderttausendste Teil eines Gramms imstande ist, die Versuchstiere vor tödlicher Ansteckung zu schützen, und daß die Wirkung die gleiche bleibt, ob man frisches oder länger aufbewahrtes, oder auf 60° efhitztes Immunserum verwendet. Noch klarer wird der Vorgang durch die Prüfung im sog. bakteriziden Versuch außerhalb des Tierkörpers. Man bemerkt nämlich im Plattenversuch (S. 354), daß kleine Mengen von Immunserum (0,001 ccm) im Beagensglas mit stark verdünnter Bouillon (1 ccm) die zugehörigen Erreger in ihrer Lebensfähigkeit gar nicht beeinflussen, aber sofort mächtige keimtötende Wirkungen entfalten, wenn man außer' dem Immunserum noch kleine, allein ebenfalls wirkungslose Gaben (0,05 ccm) von frischem Blutserum unbehandelter Tiere, d. h. das, was wir oben Komplement genannt hatten, auf die Bakterien einwirken läßt.
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Nach allen diesen Tatsachen besteht die gegen die hier in Betracht kommenden Bakterien erworbene sog. bakteriolytische Immunität darin, daß die vorher nur in kleinen Mengen vorhandenen bakteriolytischen Ambozeptoren des Blutes außerordentlich vermehrt werden. Nebensächlich ist dabei, ob die Beschaffenheit der Ambozeptoren selbst, wofür manche Tatsachen sprechen, noch in gewisser Weise verändert wird. Wir haben hier wohl ein ähnliches Verhältnis, wie es zwischen den Antitoxinen, Agglutininen usw. des unbehandelten und geimpften Körpers besteht und werden hier wie dort zum Verständnis der Immunisierungsvorgänge auf die E h r l i c h s c h e Seitenkettentheorie (S. 223) zurückgreifen dürfen.
Bei jeder Ansteckung beobachten wir außer den allen ansteckenden Krankheiten gemeinsamen Abwehrbewegungen, die wir unter dem Namen der Entzündung und des Fiebers kennen gelernt haben, auch echte Immunisierungsvorgänge. Sie treten nur dort nicht in die Erscheinung, wo die Ansteckungen zu schnell zum Tode führen. Dauert die Krankheit aber mehrere Tage oder besser Wochen, so finden wir im Blute der Kranken bakteriolytische Ambozeptoren, freilich nur. bei solchen Ansteckungen (Typhus, Ruhr, Cholera), deren Erreger überhaupt Ambozeptoren zu bilden imstande sind. Daß dadurch der natürliche Verlauf der Krankheit günstig beeinflußt, die Heilung befördert wird, ist anzunehmen. Aber auch künstlich scheinen sich die Aussichten der Heilung dadurch verbessern zu lassen, daß man während der Krankheit.selbst den Immunisierungsvorgang durch Behandlung mit abgetöteten Bakterien derselben Art beschleunigt (Bakterio-oder Vakzinetherapie), oder daß man fertige Bakteriolysine zuführt (Serumtherapie). Bei Koliinfektionen, Typhus und Ruhr hat man derartige Erfahrungen mit der Bakteriotherapie gemacht (s. u.). Von vornherein lag es nahe, auch, zu versuchen, durch Einverleibung bakteriolytischen Immunserums die genannten Ansteckungen zu heilen. Die im Versuchstier gemachten Erfahrungen haben das nur in recht ungenügender Weise bestätigt. Hier liegen die Verhältnisse aber deshalb sehr ungünstig, weil z. .B. die Erkrankung des Meerschweinchens, die wir durch Typhus, Cholera und Ruhr erzielen können, zu schnell, binnen 15—20 Stunden zum Tode zu verlaufen pflegt, und außerdem die dabei auftretenden Vergiftungserscheinungen dv^rch Immunserum nur unvollkommen b e k ä m p f t werden können, ja durch «ine zu schnelle Bakteriolyse unter Umständen sogar gesteigert werden. Beim Menschen sind die Aussichten günstiger, insbesondere bei der nicht so stürmisch wie die Cholera verlaufenden Ruhr und beim Typhus. Es scheint auch, als ob die Erfolge der Serumbehandlung wenigstens bei der Dysenterie auf die bakteriolytischen Kräfte des Ruhrserums zu beziehen sind (S. 149).
Über den Ursprung der Alexine, der Ambozeptoren und Komplemente ist nichts sicheres bekannt. Die von manchen Seiten ausgesprochene Ansicht, die Leukozyten seien die Quelle derselben, hat sich nicht bestätigt. Es liegt hier eine Verwechslung mit den später zu besprechenden Leukinen vor. Bei der Immunisierung
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werden die Ambozeptoren zwar in größeren Mengen zunächst in der M i l z nachweisbar, und dieses Organ beteiligt sich neben andern Blutdrüsen wohl an ihrer Bildung, aber sicher nicht in erster Linie, denn auch entmilzte Tiere lassen sich gleich gut immunisieren. Vielleicht haben die Endothelien der Blutgefäße, wenn nicht alle möglichen Gewebsbestandteile, etwas mit der Entstehung der Schutzstoffe zu t u n . So würde sich auch am einfachsten die ö r t l i c h e I m m u n i t ä t erklären, die gerade in den Herden der Ansteckung auch nach dem Abklingen der entzündlichen Erscheinungen zurückzubleiben pflegt. Neben den Alexinen treten auch noch andere gelöste Stoffe m i t keimtötenden Eigenschaften in den Säften auf. Den ersteren am nächsten verwandt zu sein scheinen die sog. P l a k i n e oder P l ä t t c h e n s t o f f e M. v> G r u b e r s zu sein. Nach diesem Forscher sind sie es wohl, welche die keimtötende Wirkung des Blutserums mancher Tiere gegenüber Milzbrandbazillen, die man früher auf Alexine zurückgeführt h a t , bedingen. In der Tat fehlt diese Wirkung im Blutplasma dieser Tiere und erscheint erst nach der Gerinnung und Auflösung der Blutplättchen im Serum. Eigentümlicherweise sind bisher die Plättchenstoffe nur gegenüber Milzbrandbazillen wirksam gefunden worden. Wie weit sie bei der Ansteckung im lebenden Tier eine Bedeutung haben, ist noch nicht völlig klargestellt. Viel wichtiger sind wohl die L e u k i n e oder L e u k o z y t e n s t o f f e . D a ß sich aus den vielkernigen Leukozyten keimtötende Stoffe gewinnen lassen, wurde schon von H. B u c h n e r und H a h n vor längerer Zeit gefunden und i s t bis in die letzte Zeit h i n e i n immer wieder bestätigt worden. Man geht zu ihrem Nachweis folgendermaßen vor: In einer serösen Höhle von Versuchstieren, z. B. in der Bauchhöhle von Meerschweinchen, erzeugt man sich zunächst durch Einspritzung von destilliertem Wasser, Fleischbrühe oder einer Aleuronatabkochung (5—20 ccm) eine leukozytenreiche Ausschwitzung, e n t n i m m t sie am nächsten Tage unter Zusatz von Kochsalzlösung, befreit dann die Leukozyten von der serösen Flüssigkeit durch wiederholtes Ausschleudern und Auswaschen mit derselben Lösung, t ö t e t die in diesen Flüssigkeiten aufgeschwemmten Leukozyten, z. B. durch kurzes Erhitzen auf 60°, und p r ü f t ihre Aufschwemmung unmittelbar oder nach Ausschleudern der festen Bestandteile durch Zusatz von Bakterien und Plattexikulturen auf keimtötendes Vermögen. Auch 1—2 Stunden dauernde bpi 37° erfolgende Berührung der Leukozyten mit einer der genannten Flüssigkeiten entzieht ihnen einen Teil der Leukine, und im Blutplasma scheinen Leukine ebenfalls nicht zu fehlen. Die Leukine wirken zum Unterschied von den Alexinen nicht bloß auf gramschwache, sondern auch auf gramfeste Bakterien, wie Staphylound Streptokokken, Heu- und Milzbrandbazillen und, was besonders erwähnenswert ist, öfters auch auf solche Bakterien, die durch Freßzellen (s. u.) nicht oder k a u m angegriffen werden. Sie unterscheiden sich auch dadurch von den Alexinen, daß sie im allgemeinen widerstandsfähiger sind, z. B. Temperaturen von 60—70°, ja 100° aushalten. D a f ü r , daß sie f ü r die Bekämpfung der Ansteckungen im
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lebenden Körper eine Bedeutung haben, sprechen mancherlei Beobachtungen so z. B. die Tatsache, die zunächst bei Ansteckungen der Hornhaut aufgefallen ist, daß nämlich das in der Hornhaut vor sich gehende Wachstum von Pilzen oder Bakterien nach einiger Zeit durch einen W a l l von L e u k o z y t e n , der die Herde in, einiger Entfernung umzieht, zum Stillstand gebracht'wird. Im übrigen ist es natürlich im Innern der Gewebe sehr schwierig, andere von Säften und Zellen ausgehende keimwidrige Einflüsse von denen der Leukine zu trennen. Daß die Leukine im immunisierten Körper in größeren Mengen gebildet würden, ist bisher nicht bewiesen, wohl macht es aber den Eindruck, als ob sie in gewissen Fällen unter der Mitwirkung eigentümlicher Immunkörper die sich im Blutserum anhäufen, besser zur Geltung kämen. B a i l und W e i l haben geglaubt, tfolche Stoffe im Serum gegen Milzbrand und Hühnercholera geimpfter Tiere zu finden und sie als Antiaggressine bezeichnet, in der Annahme, daß die Aggressine dieser Bakterien im empfänglichen Tier die Leukinabsonderung verhinderten, und diese Wirkung im immunisierten Tier durch Immunkörper aufgehoben würde. Der Name erscheint wenig zweckmäßig, weil auch die übrigen gegen die Ansteckungen gerichteten Immunköfper (Bakteriolysine und Opsonine) gegen die Angriffskräfte der Erreger, also aütiaggressiv wirken. Unter der Voraussetzung, daß sich die Sache verhält, wie B a i l und W e i l meinen, würde man hier besser von L e u k o s e k r e t i n e n sprechen. Das Milzbrandserum ist beim Menschen und namentlich bei Tieren mit Erfolg zur Behandlung und Schutzimpfung benutzt worden. Ebenso hat sich das Hühnercholera- und das gegen die ähnlichen Bakterien der hämorrhagischen Septizämie hergestellte Schweineseucheserum als vorbeugendes Mittel gut bewährt. Nicht bloß a u ß e r h a l b der Gewebszellen begegnen die in den Körper eingedrungenen Klein wesen schädigenden Einflüssen, sondern auch i n n e r h a l b von Zellen. Wahrscheinlich sind diese sämtlich mit Einrichtungen ausgerüstet, um einerseits das Eindringen von Keimen in ihr Inneres zu verhindern, andererseits die trotzdem eingedrungenen Keime unschädlich zu machen. Indessen wissen wir darüber im allgemeinen noch recht wenig. Es gibt aber besondere Gruppen von Zellen, die geradezu die Aufgabe zu haben scheinen, kleinste belebte und unbelebte Fremdkörper aufzunehmen, um sie dann, soweit wie möglich, unschädlich zu machen. M e t s c h n i k o f f , der die Bedeutung dieser Zellen als Hilfstruppen des Körpers in das rechte Licht gerückt und sie mit großem Eifer gegen Anzweifelungen verteidigt hat, bezeichnet sie als F r e ß z e l l e n oder P h a g o z y t e n . Die wichtigsten unter ihnen sind die v i e l k e r n i g e n weißen B l u t k ö r p e r c h e n ( M i k r o p h a g e n ) . Außer ihnen gibt es im Körper auch größere Freßzellen ( M a k r o p h a g e n ) , dazu gehören gewisse Zellen im Blute und in der Lymphe, im entzündlichen Gewebe, in der Leber, dem Knochenmark, der Milz und den Lymphdrüsen, Wanderzellen, die in gewissen Mengen allenthalben vorkommen, ferner manche Endothelzellen im Netz und in den Lungenbläschen. Die Leukozyten sind deswegen die wichtigsten, weil sie nicht nur reichlich im Blute, weniger reichlich in der Lymphe vorhanden sind, sondern
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auch durch die entzündliche Auswanderung in großen Mengen in die durch Ansteckung bedrohten Gewebe hineingelangen. Ferner ist ihr Vorrat gewissermaßen unerschöpflich, weil sie sich beständig aus ihren Bildungsherden im Knochenmark ergänzen. Das geschieht im erhöhten Maße in Zeiten der Gefahr durch die f ieberhafte Hyperleukozytose (S. 351). Welche Bedeutung der Freßtätigkeit der Leukozyten Zukommt, erkennt man schon bei mikroskopischer Durchmusterung jedes Eiterherdes, der erysipelatös entzündeten Haut, der pneumonischen Exsudate, der durch Influenzabazillen verursachten Katarrhe der Luftwege. Diese und viele andere Ansteckungen beginnen gewöhnlich mit der freien Entwicklung der Erreger im flüssigen Exsudat und endigen mit ihrer "Vernichtung in den Eiterzellen. Noch überzeugender verlaufen Tierversuche, namentlich wenn man sie so anordnet, daß die Krankheitserreger an eine Körperstelle gebracht werden, wo sie von vornherein große. Mengen Leukozyten vorfinden. Am einfachsten, gelingt das in der Bauchhöhle der Meerschweinchen, wenn man diese einen Tag vor der Impfung durch Einspritzung von Flüssigkeiten, wie destilliertes Wasser, Fleischbrühe, Aleuronatabkochung, in entzündlichen Zustand versetzt (S. 349). Fünf so vorbereitete Meerschweinchen erhielten z. B. in einem unserer Versuche je eine Kultur des Staphylococcus aureus intraperitoneal eingespritzt, wurden nach 1 / 2 —48 Stunden getötet und auf ihren Keimgehalt verarbeitet. Von den 10—15 Milliarden Kokken wurden nach 5 Stunden nur noch 25 Millionen, nach 24 Stunden 3 Millionen, nach 48 Stunden überhaupt so gut wie nichts mehr in der Bauchhöhle und auch nur Spuren im übrigen Körper gefunden. D a ß dies wesentlich der Freßtätigkeit von Leukozyten zu verdanken war, lehrte schon der mikroskopische Befund mit großer Wahrscheinlichkeit: Die in den ersten Stunden massenhaft in die Leukozyten übergegangenen Kokken waren nach 24 Stunden zum größten Teil wieder aus ihnen verschwunden, oder nur noch im e n t a r t e t e n Zustande in ihnen enthalten. Außerhalb von Zellen sah man von E n t a r t u n g nichts. Übrigens beweisen Reagensglas versuche, daß die Blutflüssigkeit Staphylokokken nicht schädigt (S. 354), es kämen also nur noch Leukine in Frage, die auch wohl neben den Freßzellen eine gewisse Bolle spielen werden. Bei Versuchen mit Streptokokken und anderen gramfesten Bakterien erhält man ähnliche Ergebnisse wie mit Staphylokokken. Wählt man gramfreie Bakterien, z. B. Cholera-, Ruhr- und Typhusbazillen zu dem Versuch, so beobachtet man zwar auch reichliche Phagozytose, daneben aber auch Bakteriolyse außerhalb der Zellen, und diese t r i t t an die erste Stelle, wenn die Leukozyten in der Bauchhöhle nicht angereichert sind. Freilich kommen Fälle vor, in denen die Phagozytose versagt oder zweifelhaften Erfolg hat. Wir haben davon namentlich bei der Gonorrhoe (S. 79) und dem Kotlauf (S. 205) gesprochen und ¿ o r t schon hervorgehoben, daß die Fähigkeit mancher Erreger, sich den Phagozyten anzupassen, nichts gegen die allgemeine Bedeutung der Phagozytose beweist. Nicht verwunderlich ist es von vornherein, daß die Freßzellen an Keime fron höchster Ansteckungskraft, wie z. B. vom Tier stammende gekapselte
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Milzbrandbazillen, sich überhaupt nicht heranwagen, da hier eben die Abwehrkräfte des Körpers gegen die Ansteckung nicht ausreichen. Überschwemmung desselben mit Bakterien, die Septizämie, ist die Folge. Auch in dem Falle ist das Endergebnis dasselbe, wenn die Erreger nur zeitweise abgeschwächt sind, wie z. B. Milzbrandsporen oder -Bazillen, die nicht unmittelbar vom Tier stammen, sondern auf künstlichen Nährböden gewachsen sind. Diese werden in der mit Leukozyten angereicherten Bauchhöhle zunächst zwar von den Freßzellen in Beschlag genommen, nach einiger Zeit sieht man sie aber wieder in der freien Bauchhöhlenflüssigkeit, und zwar jetzt in gekapselter Form auftauchen. Ein Teil der Erreger wird zwar von den Freßzellen abgetötet, ein andeier Teil widersteht ihnen aber, wächst aus ihnen heraus, umgibt sich mit einer Kapsel und vermehrt sich dann ungestört zwischen den Leukozyten weiter, wie es „tierische" Bazillen von Anfang tun. Die Erreger erlangen hier also erst während ihres Aufenthalts im Körper ihre volle Wirksamkeit wieder. Etwas anders liegen die Dinge bei Tuberkelbazillen. Gelangen diese in eine leukozytenreiche Bauchhöhle, so werden sie zwar sofort von den Leukozyten aufgenommen, die Ansteckung wird aber deswegen nicht verhindert, weil die Tuberkelbazillen durch Leukozyten überhaupt nicht geschädigt werden, sondern eher diese schädigen. Weit besser als die Mikrophagen wirken diesen Keimen gegenüber die Makrophagen (s. u.). Beim Schweinerotlauf 'werden die Bazillen zwar von den Leukozyten gefressen, vermehren sich aber in ihnen so reichlich, daß sie die Zellen schließlich sprengen. Bei Tripperkokken ist zwar ähnliches zu beobachten, die Heilung t r i t t aber gewöhnlich früher oder später dennoch unter Fortbestehen der Phagozytose ein. Selbstverständlich hat es an Bemühungen nicht gefehlt, die Bedeutung der Phagozytose auch durch Versuche im Probierglase zu beweisen. Eigentümlicherweise haben sie ziemlich spät Erfolge gezeigt. Das lag daran, daß die Phagozytose an bestimmte Bedingungen geknüpft ist, die erst von W r i g h t 1903 erkannt wurden. Es genügt nämlich im allgemeinen nicht, Leukozyten mit Bakterien in Berührung zu bringen, u m sie zum Fressen zu bewegen, sondern es bedarf noch der Mitwirkung bestimmter Stoffe, die nur im frischen Serum vorhanden sind. W r i g h t hat sie O p s o n i n e genannt, weil sie die Bakterien gewissermaßen .zur Speise für Freßzellen erst tauglich machen. Die Opsonine, „Vorbereitungs"oder „Lockstoffe" haben in ihrer Empfindlichkeit, namentlich gegen Erhitzung und in ihrem Vorkommen in allen serösen Flüssigkeiten des Körpers große Ähnlichkeit mit den Abwehrstoffen des Serums, doch unterscheidet sich die opsonische Wirkung des Serums von vornherein dadurch von der bakteriziden, daß die erstere alle Bakterienarten umfaßt u n d nicht bloß einen Teil, wie ja auch die Phagozytose im lebenden Körper eine allgemeinere Ausdehnung besitzt als die Bakteriolyse. Dieopsonische K r a f t des Mensclienserums wird gewöhnlich nach dem Vorgang von W r i g h t in folgender Weise bestimmt: Man saugt das Blut, z. B. aus einer Stichwunde im Finger, in eine mit etwas l°/0iger Kaliumzitratlösung gefüllte Kapillare ein, schleudert nach Durchmischen aus, befreit die Blutkörper durch wiederholtes Waschen mit Z i t r a t . und Ausschleudern vom
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Zweiunddreißigster Abschnitt
Serum, t r e n n t d a n n durch kräftiges Ausschleudern die weißen Blutkörper in Gestalt einer d ü n n e n weißlichen Deckschicht von den roten Blutkörpern, saugt erst die L e u k o z y t e n , dann frisches Blutserum und drittens eine Bakterienaufschwemmung in eine Kapillare auf, vermischt die drei Bestandteile durch Ausblasen auf einen Objektträger, saugt sie wieder in die Kapillare ein, b e b r ü t e t diese 10—20 Minuten bei 37°, bläst den I n h a l t wieder aus, veistreicht i h n auf einen Objektträger, t r o c k n e t an, härtet 20 Minuten in Alkohol und f ä r b t mit Methylenblau, Karbol-Thionin u. dgl. Je nachdem d a s Serum viel oder wenig Opsonin e n t h ä l t , sieht m a n mehr oder weniger Bakterien innerhalb von Leukozyten und kann einen ziffernmäßigen Anhaltsp u n k t dadurch gewinnen, daß m a n entweder die von hundert Leukozyten durchschnittlich gefressenen Bakterien — den phagozytischen Index (Phagozytenzahl, Freßzahl) — o d e r den Prozentsatz der Leukozyten, die Bakterien gefressen haben (das Phagozyten Verhältnis), oder den Prozentsatz der Leukoz y t e n , die n i c h t gefressen haben — die Ansteckungszahl (Virulenzzahl B ü r g e r s ' ) — b e s t i m m t . Man kann aber auch auf irgendeine andere Weise, z. B. wie bei den Leukinversuchen aus frischen Exsudaten der Bauchhöhle gewonnene .Leukozyten (S. 358J benutzen. Genauer bestimmt m a n die Opsoninmenge noch dadurch, d a ß m a n die Phagozytenzahl oder das Phagozytenverhältnis auch noch f ü r die Verdünnungen des Serums feststellt. Zum Vergleich dienen dabei die Zahlen, die f ü r die Phagozytose in auf 55—60® e r h i t z t e m Serum oder Kochsalzlösung — es m a c h t d a s kaum einen Unterschied — e r h a l t e n werden, d. h. das Maß der sog. freiwilligen (spontanen) Phagozytose. Eine solche ohne Hilfe durch Serum vor sich gehende Freßt ä t i g k e i t der L e u k o z y t e n fehlt wohl nie vollständig, ist aber im allgemeinen sehr geringfügig. Die Verhältnisse werden durch folgende Beispiele beleuchtet. I n den u n t e n angegebenen Mischungen enthalten die Leukozyten nach 15 Minuten länger Bebrütung durchschnittlich folgende Anzahl von Keimen: 1. Frisches Blutserum, nicht verdünnt + Leukozyten + 2-25 Keime; 2. frisches Blutserum, lOmal verdünnt + Leukozyten + 1 • 5 Keime; 3. frisches Blutserum, 20mal verdünnt + Leukozyten + 0-25 Keime; 4. erhitztes Blutserum, nicht verdünnt + Leukozyten + 0-1 Keim; 5. Kochsalzlösung + Leukozyten + Ruhrbazillen: 0 - 1
Ruhrbazillen: Ruhrbazillen: Ruhrbazillen: Ruhrbazillen: Keim.
Manchmal i s t die freiwillige Phagozytose größer, dann handelt es sich erfahrungsgemäß meist u m Keime geringerer Ansteckungskraft. Aber auch bei Benutzung frischen Serums i s t die Freßtätigkeit je nach der Beschaffenheit des Bakterienstammes verschieden groß; auch hier gilt die Regel, j e g e r i n g e r die P h a g o z y t o s e , d e s t o größer die A n s t e c k u n g s k r a f t . Daher k o n n t e B ü r g e r s mit R e c h t den Prozentsatz der Leukozyten, die i m opsonischen Versuch nicht gefressen h a t t e n , als „Virulenzzahl", als Maß der A n s t e c k u n g s k r a f t bezeichnen (S. 61). Man wird sich vorstellen d ü r f e n , d a ß die Phagozytose mit oder ohne Hilfe von Blutserum dadurch zustande k o m m t , d a ß die Bakterien auf die Leukozyten einen irgendwie gearteten (physikalischen oder chemischen) „ p h a g o t a k t i s c h e n " Reiz ausüben, der letztere zum Fressen anregt, und darf die W i r k u n g der Opsonine darin sehen, d a ß sie die Bakterien oder ihre Oberfläche, ohne ihre Lebensfähigkeit herabzusetzen, so verändern, daß
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sie mehr oder weniger phagotaktisch wirken. Von vornherein wäre zwar nicht ausgeschlossen, d a ß sich die Wirkung von Alexinen und Opsoninen nur dem Grade nach unterschiede, indem die ersteren tiefer und kräftiger, die letzteren oberflächlicher und schwächer wirkten, doch ist der Beweis, daß Alexine und Opsonine nur verschiedene Namen f ü r dieselben Stoffe sind, nicht geliefert. Man weiß nur, daß die Opsonine sich gegenüber äußeren Einwirkungen, z. B. Hitze, Bakterienstoffen (Aggressinen) ebenso verhalten, in denselben Körperflüssigkeiten wie die Alexine vorkommen und aus hitzebeständigen und hitzeempfindlichen Bestandteilen zusammengesetzt sind. Auch im Glasversuch gelingt zwar, wenn man damit eine Keimzählung verbindet, oft genug der Nachweis, daß die Bakterien nicht bloß von den Leukozyten gefressen, sonderli auch von ihnen abgetötet werden, doch ist das durchaus nicht immer der Fall, vielleicht, weil die Lebenskraft der Leukozyten außerh a l b des Körpers nicht lange genug auf der Höhe bleibt. Jedenfalls müssen wir innerhalb der Leukozyten die Gegenwart keimtötender Kräfte voraussetzen. Sie einfach als „verdauende" zu bezeichnen, geht nicht an, wenigstens kennen wir bisher keine Verdauungsfermente, die lebende Zellen zu lösen vermöchten (S. 355), ihre Abtötung m u ß stets vorhergehen. Nahe genug liegt es, das Verdienst daran den Leukinen (S. 358) zuzuschreiben. Ob daneben aber noch V e r d a u u n g s f e r m e n t e der Leukozyten sich an der völligen Auflösung der gefressenen Keime beteiligen, ist unentschieden. Sie sind bisher nicht in allen Leukozyten nachgewiesen worden. Möglicherweise unterliegen die einmal abgetöteten Keime aber auch der Selbstverdauung durch eigene Fermente, die tatsächlich vielfach nachgewiesen ist.
Außer den Leukozyten gibt es, wie S. 359 bemerkt, noch zahlreiche andere Freßzellen (Makrophagen) im Körper. An gewissen Stellen spielen sie eine große Rolle,' zunächst innerhalb der Blutgefäße. Eine alte Erfahrung lehrt, daß Bakterien, die man z. B. durch die Ohrvene einem Kaninchen in die Blutbahn einspritzt, schnell aus dem strömenden Blute verschwinden. Die nähere Prüfung hat gezeigt, daß außer den gewöhnlichen Leukozyten, die natürlich auch im Blut die ihnen dargebotenen Keime fressen, manche Organzellen eine lebhafte Ereßtätigkeit entwickeln. Vor allen Dingen sind hier zu nennen eigentümliche sternförmige Zellen in der Kapillarwand der Leber, die Kupfferschen Zellen, dann größere Zellen in der Milz und dem Knochenmark. Im großen N e t z finden sich ferner in kleinen Häufchen liegende endothel-artige Zellen, die schon kurze Zeit nach Einführung von Bakterien in die Bauchhöhle mit Keimen prall gefüllt sind. Der Zellbelag der L u n g e n b l ä s c h e n enthält ebenfalls, wie man nach Einspritzung von Bakterien durch die Luftröhre feststellen kann, reichlich Phagozyten, die Rinde der L y m p h d r ü s e n ebensolche. Zu den Makrophagen gehören schließlich gewisse Bestandteile der entzündlich veränderten Gewebe, große einkernige W a n d e r z e l l e n , die man bald aus dem Blut, bald von Gewebszellen abgeleitet und verschieden bezeichnet hat. Nach M e t s c h n i k o f f s Beobachtungen, die vielfach bestätigt worden sind, kommen diese Makrophagen insbesondere für die Bekämpfung von Protozoen, Spirochaeten, filzen und Tuberkel-
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bazillen in Betracht. Sie bevölkern das Exsudat namentlich in späteren Stadien der Entzündung. Sie sind nicht scharf zu unterscheiden von den die proliferative Entzündung, die Tuberkel und andere Granulome zusammensetzenden Zellen und schließen auch die Riesenzellen ein, deren Beziehungen zu den Tuberkelbazillen ja allbekannt sind. Während die letztgenannten Makrophagen im allgemeinen aus der Bindesubstanz hergeleitet werden, sind die Zellen, die den Kampf gegen manche Aphan o zoen führen, meist e p i t h e l i a l e n Ursprungs. Wahrscheinlich ist allerdings, daß die Zellen der Kaninchenhornhaut und Oberhaut, die den Cytoryctes variolae, die Bindehautepithelien, die den Trachomerrfeger, die Ganglienzellen, die den Wutkeim und andere Chlamydozoen enthalten, ebenso 'wie die Gallengänge und Darmepithelien, die etwa Kokzidien beherbergen, nicht selbsttätig die Schmarotzer aufgenommen haben, sondern von ihnen besetzt worden sind. Indessen ist eine Freßtätigkeit der Zellen auch hier wohl nicht immer ausgeschlossen. Jedenfalls verhalten sie sich nicht rein leidend gegenüber den Eindringlingen, sondern' tragen wohl oft, teilweise nach Wucherungserscheinungen und eigentümlichen Abscheidungen der Kerne zu deren "Vernichtung bei. Schwer zu entscheiden ist die Frage, ob die Säfte sich auch an der Freßtätigkeit der Makrophagen durch opsonische Wirkungen beteiligen. Sicher ist aber, daß alle diese Zellen dem Schutze des Körpers gegen Ansteckungen dienen. Daran ändert wieder nichts, daß bei zu starkem Andrang und zu hoher Ansteckungskraft der Erreger auch hier die Abwehr oft ungenügend ist, daß z. B. Milzbrandbazillen, die von den K u p f f e r s e h e n Zellen der Lebei zunächst aufgenommen werden, in diesen heran- und aus ihnen herauswuchern.
Entzündung und Fieber steigern nicht nur die Wirkung der Bakteriolysine auf die Infektionserreger, sondern durch ähnliche Mechanismen auch die der Phagozyten und Opsonine. Das gleiche gilt für die spezifische Immunisierung, mag sie nun schon'im Laufe der Infektion selbst erfolgen oder durch absichtliche Schutz- und Heilimpfung in Gang gesetzt werden. Auf die erhöhte Tätigkeit der Freßzellen im immunisierten Tier hatte Metschnikoff von Anfang an hingewiesen. Beim Studium der Streptokokkenimmunität erkannten dann Denys und Leclef schon längere Zeit vor Wr i g h t , daß das Immunserum nicht, wie Metschnikoff meinte, die Phagozyten „stimuliert", sondern die Erreger selbst für die Phagozytose empfindlich macht. Neufeld bestätigte und erweiterte diese Erfahrungen und gab den wirksamen Immunkörpern den Namen der B a k t e r i o t r o p i n e . Im wesentlichen sind sie nichts anderes als die durch den Impfzustand verstärkten Opsonine(Immunopsonine). Von den Opsoninen einerseits und den bakteriolytischen Ambozeptoren andererseits unterscheiden sie sich freilich dadurch, daß sie zu ihrer Wirkung
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der Beihilfe hitzeempfindlicher Serumbestandteile, der sog. Komplement, meist nicht bedürfen. Immerhin werden aber auch sie durch Komplementzusätze verstärkt, ja manchmal erst dadurch überhaupt leistungsfähig gemacht. Versuche im Tierkörper und Glase lehren, daß alle Immunseren, ob sie Bakteriolysine, Antitoxine und Leukosekretine enthalten oder nicht, bakteriotrop. wirken, während die Leukozyten immunisierter Tiere sich ebenso wenig wie das Komplement von denen nicht geschützter Tiere unterscheiden. Auch die bakteriotropen Immunseren hat man zur Behandlung von Ansteckungen benutzt, und zwar mit besserem Erfolge als die bakteriolytischen. Wenn wir vom Dysenterie-, Milzbrandserum usw., die wir bei Gelegenheit der Bakteriolysine und Leukosekretine früher genannt haben, absehen, wären hier namentlich das Staphylo-, Pneuino- und Meningokokkenserum, das Rotlauf-, Itauschbrand- und Diphtherieserum, zu erwähnenVon dem letzteren wird zwar meist angenommen, d a ß es nur durch seine : antitoxische K r a f t wirke, doch ist das wahrscheinlich irrig. Rotlauf- und Rauschbrandseren sind gegenüber Tieren vielfach erprobt. Über die Leistungen des Pneumo- und namentlich des Streptokokkenserums beim Menschen sind die Meinungen noch geteilt. Zum Teil liegt das wohl daran, daß die Immunseren, die den einen Strepto- oder Pneumokokkenstamm beeinflussen, gegenüber anderen wirkungslos sind. Man hat diesen Mangel zwar dadurch auszugleichen versucht, daß man zur Herstellung des Immunserums die Tiere mit zahlreichen verschiedenen Stämmen von Kokken behandelte, doch genügen auch diese sog. vielwertigen (multivalenten) Heilseren hier wie in anderen Fällen nicht allen Anforderungen. Einhelliger sind die günstigen Urteile über die Wirkung des Meningokokkenserums gegen Genickstarre namentlich nach Einführung in den Rückenmarkkanal. Durch die sog. Vakzinetherapie, besser Heilimpfung genannt (S. 57), d. h. die Behandlung mit abgetöteten Kulturen, hat man ferner nach dem Vorgang von "Wright namentlich bei schleichenden Staphylokokken-, Streptokokken- und Koliinfektionen die opsonische Kraft des Blutserums gesteigert und dabei Erfolge auftreten sehen. W r i g h t selbst h a t t e vorgeschlagen, sich dabei leiten zu lassen durch die Ergebnisse der opsonischen Blutprüfung (S. 361). Auch die Behandlung der Tuberkulose mit Tuberkulin wollte dieser Forscher nach denselben Grundsätzen regeln, doch ist gerade bei der Tuberkulose die Bedeutung der Opsonine sehr' zweifelhaft (S. 361) und auch sonst die Blutprüfung für den Erfolg nicht maßgebend. Mit den Bakteriolysinen und Opsoninen, den Plättchen- und Leukozytenstoffen des unbehandelten Körpers und den entsprechenden Schutzstoffen des geimpften Körpers sowie den verschiedenen Arten von Preßzellen sind die biochemischen Abwehrmittel des lebenden Körpers noch nicht erschöpft. Allerdings haben wir bisher keinen festen Anhalt dafür, daß die Agglutinine, Präzipitine und Reagine, die im Blutserum geimpfter
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Zweiunddreißigster Abschnitt
und ungeimpfter Lebewesen gefunden werden, als eigentliche Schutzstoffe zu betrachten sind. Die Antitoxine dürfen wir zwar hierher rechnen, müssen uns aber dabei stets die grundlegende Tatsache in Erinnerung halten, daß die Antitoxine nur Schutz verleihen gegenüber den Giften der Krankheitserreger, aber nichts gegen ihre Wachstumsfähigkeit im lebenden Gewebe, d. h. ihr Ansteckungsvermögen auszurichten vermögen, den vorgenannten „antiinfektiösen" Schutzstoffen also nicht gleichgestellt werden dürfen (vgl. Abschnitt 31). Neuerdings ist man dagegen auf eine andere biochemische Eigenschaft der Tiere, die für die Bekämpfung der Ansteckungen nicht gleichgültig ist, aufmerksam geworden, nämlich auf ihre Ü b e r e m p f i n d l i c h k e i t gegen Bakterien. Diese Überempfindlichkeit oder Anaphylaxie (S. 340) wird entwickelt von Tieren, die schon unter dem Einfluß der Bakterien gestanden haben, oder wie man gewöhnlich sagt, gegen sie immunisiert sind, und sie ist ebenfalls auf nichtbehandelte Tiere durch das Blutserum immunisierter Tiere übertragbar. Man macht dafür meist die Gegenwart besonderer Stoffe, der A n a p h y l a x i e oder „anaphylaktischen Gegenkörper" verantwortlich, ohne daß es aber bisher gelungen wäre, sie scharf von den bakteriolytischen, opsonischen und anderen Immunkörpern zu trennen. "Von P i r q u e t , der besonders auf die Überempfindlichkeit der gegen Pocken Vakzinierten hingewiesen hat, bezeichnet sie auch als „Allergie". Die Überempfindlichkeit besteht darin, daß die entzündlichen und fieberhaften Reizungen, die von den Ansteckungserregern verursacht werden, im überempfindlichen Körper verstärkt und beschleunigt werden. Da wir Entzündung und Fieber als Abwehrbewegungen gegen Ansteckungen betrachten, so bedeutet der überempfindliche Zustand also nichts anderes, als eine Art Bereitß c h a f t s s t e l l u n g , die durch eine erste Ansteckung oder Impfung gegenüber einer zweiten erworben' wird. Unter besonderen Bedingungen erwachsen dem überempfindlichen Körper aus diesem Zustande allerdings ebenso wie aus Entzündung und Fieber Gefahren statt Vorteile. So pflegen überempfindliche Tiere nach Einspritzung großer Gaben der betreffenden Bakterien ins Blut unter eigentümlichen Erscheinungen (S. 339) schnell zu sterben. Man hat gerade daraus den Anlaß genommen, die „Anaphylaxie" zu den „prophylaktischen" Wirkungen der Immunität in Gegensatz zu bringen. Das ist aber unberechtigt: es handelt sich hier offenbar nur um die gefährliche Ausartung einer an sich nützlichen Einrichtung, wie wir sie auch bei der Entzündung und dem Fieber finden (S. 350/51). Diese Auffassung besteht auch zu Recht, wo es sieb nicht um Überempfindlichkeit gegen lebende Krankheitserreger und ihre Erzeugnisse, sondern gegen fremdes Blutserum und andere Fremdstoffe handelt, und bleibt gültig ganz unabhängig davon, in welcher Weise wir die eigentümliche Vergiftung (den anaphylaktischen Schock), die Entzündung und fieberhaften Allgemeinerscheinungen im überempfindlichen Körper uns zustande kommen denken (vgl. S. 340). Auch die erste Art von Überempfind-
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lichkeit, die durch R. K o c h entdeckte gegenüber Tuberkulin gehört hierher, obwohl sie manche Abweichungen zeigt. Gerade der Erfolg der Tuberkulin behandlung scheint den Nutzen, den die. Überempfindlichkeit f ü r den angesteckten Körper bedeutet, zu beweisen. Unseres Erachtens ist nach alledem nicht nötig, die Überempfindlichkeit den übrigen Äußerungen der I m m u n i t ä t gegenüberzustellen oder sie zusammen mit den letzteren nach dem v. ^Pi r q u e t gewählten Ausdruck als „allergische" Erscheinungen zu bezeichnen. Durchaus nicht überall, ja im Grunde bei keiner einzigen Ansteckung ist es bisher gelungen, die Grundlagen der angeborenen und erworbenen Immunität restlos zu erklären. Es bleibt vielmehr die Möglichkeit bestehen, daß wir noch manche neue Entdeckungen auf diesem Gebiete erleben werden. Geradezu unwahrscheinlich ist es, daß die verwickelten Erscheinungen die wir hier beobachten, ausschließlich auf Serumwirkungen, so handgreiflich sie auch o f t sind, zurückgehen, und daß man jemals dazu gelangen könnte, die Vorgänge im lebenden Körper durch Versuche im Glase völlig verständlich zu machen. Selbst dort, wo man alle Ursache h a t , ein Immunserum f ü r schütz- und heilkräftig zu halten, lassen öfters die Bemühungen viel zu wünschen übrig, auf Grund von Glas versuchen einen oder mehrere der bekannten Immunkörper dafür verantwortlich zu machen. Umgekehrt darf man aus dem Mangel von Immunkörpern im Blute immunisierter Tiere noch nicht den Schluß ziehen, daß sie f ü r die Widerstandsfähigkeit solcher Tiere keine Bedeutung hätten, da sie zwar f ü r gewöhnlich aus dem strömenden Blut verschwunden sein, aber im Augenblicke der Gefahr wieder in ihm erscheinen können. Mit der Schutzimpfung, Heilserumbehandlung und Heilimpfung haben wir spezifische, d. h. auf die besondere Art der Erreger abgestimmte Verfahren kennen gelernt, u m die dem Körper von Natur zu Gebote stehenden biochemischen Abwehrkräfte zu verstärken. Man darf dabei aber nicht vergessen, daß dieselben Mittel in gewissem Grade auch nichtspezifisch wirken können, z. B. schon dadurch, daß sie entzündliche und fieberhafte Erscheinungen hervorrufen, wie andere dem Körper fremde Stoffe (S. 349) oder dadurch, daß sie durch „Protoplasmaaktivierung" die Immunkörper liefernden Zellen im allgemeinen zu stärkerer Tätigkeit anregen. Tatsache ist, daß man durch eiweißartige Flüssigkeiten verschiedensten Ursprungs, mögen sie von Bakterien, Pflanzen oder Tieren oder von kranken, genesenden und gesunden Menschen, ja selbst von den gleichen Individuen stammen, besonders bei Einverleibung ins Blut teilweise überraschende Erfolge bei der Behandlung ansteckender Krankheiten erzielen kann. Leider ist aber diese Behandlung weder zuverlässig noch gefahrlos, und ihre Erklärung über Vermutungen noch nicht hinausgekommen. D a ß bestimmte Eiweißbau6teine ( W e i c h a r d t ) daran beteiligt sind, ist möglich (vgl. Anaphylaxie, S. 340). Andere spezifische Heil- und Schutzmittel hat riur die C h e m o t h e r a p i e geliefert, zum Teil schon in der vorbakteriologischen Zeit.
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Als diese anbrach, glaubte ir.an nicht nur die Wirkung des Quecksilbers und Jods bei der Syphilis, des Chinins bei der Malaria, der Salizylsäure beim Gelenkrheumatismus aus ihren antiseptischen Fähigkeiten erklären zu können, sondern auch Aussichten zu haben, diese „innere Desinfektion" auf die übrigen Ansteckungen ausdehnen zu können. Die letztere Erwartung hat sich nur in beschränktem Maße erfüllt, da fast alle Desinfektionsmittel für den Körper giftiger sind als für die Erreger. Höchstens für Wunden macht man von ihnen einen häufigeren Gebrauch, nachdem sich gezeigt hat, daß die frühere Scheu vor der Antisepsis zu weit gegangen ist. Zu den obengenannten spezifischen Mitteln waren bis vor kurzem nur wenige hinzugekommen, so die Silberpräparate gegenüber der Gonorrhoe, das Jodoform gegenüber der Tuberkulose. Erst in letzter Zeit ist das etwas besser geworden, nachdem wir namentlich durch die Bemühungen E h r l i c h s und seiner Schule die Chemotherapie der Trypanosomiasis durch Arsenmittel und Farbstoffe, der Syphilis und Rekurrens durch Salvarsan, der Pneumokokkenansteckung durch Optochin, der Wundinfektionen durch Vuzin und andere Chininabkömmlinge kennen, gelernt haben. Hoffentlich stehen wir hier erst im Anfang einer zukunftsreichen Entwicklung. So nahe es lie§t, die Wirkung dieser Mittel aus ihren keimwidrigen Eigenschaften herzuleiten, so weit sind wir doch von klarer Einsicht in die Zusammenhänge entfernt, da die Ergebn'ese der Reagcngglasversuche nicht allenthalben den Erfahrungen im lebenden Körper entsprechen. Man wird wohl zum Teil an mittelbare Einflüsse der Arzneistoffe auf die Zellen oder der organischen Säfte auf die Arzneistoffe zu denken haben. So hat beispielsweise E h r l i c h geglaubt, zur Erklärung der Atoxylwirkung auf reduzierende Einflüsse im Gewebe, die aus der unwirksamen Arseriigruppe. die wirksame Arsenogruppe bilden, zurückgreifen zu müssen.
Wenn sonach schon die Aufgaben der Immun- und Chemotherapie mannigfaltig genug erscheinen, so werden sie noch dadurch verwickelter, daß sich im Laufe der Behandlung das "Verhalten sowohl des Körpers, als auch der Erreger gegenüber den Impfstoffen, Seren und Arzneimitteln verändern kann. Der Körper Nwird zunächst nicht selten durch fortgesetzte Einverleibung unserer Heilmittel geschädigt, es treten örtliche und allgemeine Vergiftungserscheinungen dabei auf. Zum Teil, wie im Falle der Serum- und Vakzinebehandlung, stimmt diese Ü b e r e m p f i n d l i c h k e i t mit der uns schon bekannten Anaphylaxie gegen fremdes Eiweiß überein. Wir haben bei Gelegenheit der Diphtheriebehandlung von dieser und ihrer Vermeidung gesprochen (S. 230). Zum Teil ist die Überempfindlichkeit noch nicht geklärt, so bei der von Malariakranken besonders durch reichlichen Chiningebrauch erworbenen Überempfindlichkeit, die zum sog. Schwarzwasserfieber führt. Umgekehrt findet^ aber auch oft mit der Zeit eine Anpassung des Körpers an die Behandlung statt, die zur Anwendung immer größerer Gaben der Mittel bewegt, wie man besonders bei der Tuberkulin- und Vakzinetherapie be-
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obachtet. Die Ansichten über Nutzen und Schaden dieser e r w o r b e n e n U n e m p f i n d l i c h k e i t sind verschieden. Viele Forscher erstreben sie, indem sie glauben, geradezu eine Art Immunität gegen die betreifende Ansteckung herbeizuführen, andere suchen durch vorsichtige Behandlung die Überempfindlichkeit zu erhalten, um bessere Heilergebnisse zu erzielen. Aber auch die Krankheitserreger können gegen Serum- und Arznei behandlung unempfindlich werden, sie werden „serum-" und „arzneifest". Namentlich scheint das bei Spirochaeten und Trypanosomen einzutreten (S. 282). Durch Wechsel der Arzneimittel gelangt man aber auch in solchen Fällen noch zum Ziele der Behandlung. .
Am Ende des vorigen Abschnitts wurde schon darauf hingewiesen, daß es oft nicht möglich ist, die antiinfektiösen und antitoxischen Wirkungen der spezifischen wie nicht spezifischen Behandlung voneinander zu trennen. Deswegen bleibt ihre begriffliche Scheidung doch nötig.
Dreiunddreißigster Abschnitt. Schutz- und Heilimpfungen. Von jeher konnte die Tatsache nicht verborgen bleiben, daß das Überstehen einer Seuche gegen eine neue Ansteckung .derselben Art schützt. Man hat deswegen wohl oft genug sich oder andere absichtlich, z. B. durch Annäherung an einen Masernkranken einer Ansteckung ausgesetzt, sei es, um auf diese Weise schneller die für unvermeidlich gehaltene Erkrankung zu überstehen j sei es, weil man mit mehr oder weniger Recht hoffte, durch Ansteckung an einem leichten Krankheitsfall oder in einer leichten Epidemie die Gtefahr eines ungünstigen Ausgangs der Krankheit zu verringern. Von dieser absichtlichen Ansteckung auf natürlichem Wege führte nur ein Schritt zu dem ersten eigentlichen Schutzimpfungsverfahren, der künstlichen Aufpfropfung oder „Inokulation" des vermuteten Krankheitsgiftes. Schon in sehr früher Zeit scheint man eine solche bei den Pocken in Indien und China vorgenommen zu haben. Seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts impfte man auch in Europa und zwar bald nicht bloß gegen die Menschenpocken, sondern auch gegen die Schafpocken, die Lungenseuche des Rindes, die Binderpest und manche andere Tierseuchen. Man kann diesen Schutzimpfungen eine gewisse Wirksamkeit nicht absprechen und sich dieselbe dadurch erklären, daß die Impfung entweder die voll wirksamen Erreger auf u n g e w ö h n l i c h e m , w e n i g e r w i r k s a m e n Wege in den empfänglichen Körper hineinbrachte, oder daß man mit abgeschwächten, nicht mit voll wirksamen Erregern arbeitete. Das erstere war offenbar schon der Fall bei der Impfung gegen die Pocken, der V a r i o l a t i o n , die geK r u s e , Lehrbuch der Bakteriologie.
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obachtet. Die Ansichten über Nutzen und Schaden dieser e r w o r b e n e n U n e m p f i n d l i c h k e i t sind verschieden. Viele Forscher erstreben sie, indem sie glauben, geradezu eine Art Immunität gegen die betreifende Ansteckung herbeizuführen, andere suchen durch vorsichtige Behandlung die Überempfindlichkeit zu erhalten, um bessere Heilergebnisse zu erzielen. Aber auch die Krankheitserreger können gegen Serum- und Arznei behandlung unempfindlich werden, sie werden „serum-" und „arzneifest". Namentlich scheint das bei Spirochaeten und Trypanosomen einzutreten (S. 282). Durch Wechsel der Arzneimittel gelangt man aber auch in solchen Fällen noch zum Ziele der Behandlung. .
Am Ende des vorigen Abschnitts wurde schon darauf hingewiesen, daß es oft nicht möglich ist, die antiinfektiösen und antitoxischen Wirkungen der spezifischen wie nicht spezifischen Behandlung voneinander zu trennen. Deswegen bleibt ihre begriffliche Scheidung doch nötig.
Dreiunddreißigster Abschnitt. Schutz- und Heilimpfungen. Von jeher konnte die Tatsache nicht verborgen bleiben, daß das Überstehen einer Seuche gegen eine neue Ansteckung .derselben Art schützt. Man hat deswegen wohl oft genug sich oder andere absichtlich, z. B. durch Annäherung an einen Masernkranken einer Ansteckung ausgesetzt, sei es, um auf diese Weise schneller die für unvermeidlich gehaltene Erkrankung zu überstehen j sei es, weil man mit mehr oder weniger Recht hoffte, durch Ansteckung an einem leichten Krankheitsfall oder in einer leichten Epidemie die Gtefahr eines ungünstigen Ausgangs der Krankheit zu verringern. Von dieser absichtlichen Ansteckung auf natürlichem Wege führte nur ein Schritt zu dem ersten eigentlichen Schutzimpfungsverfahren, der künstlichen Aufpfropfung oder „Inokulation" des vermuteten Krankheitsgiftes. Schon in sehr früher Zeit scheint man eine solche bei den Pocken in Indien und China vorgenommen zu haben. Seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts impfte man auch in Europa und zwar bald nicht bloß gegen die Menschenpocken, sondern auch gegen die Schafpocken, die Lungenseuche des Rindes, die Binderpest und manche andere Tierseuchen. Man kann diesen Schutzimpfungen eine gewisse Wirksamkeit nicht absprechen und sich dieselbe dadurch erklären, daß die Impfung entweder die voll wirksamen Erreger auf u n g e w ö h n l i c h e m , w e n i g e r w i r k s a m e n Wege in den empfänglichen Körper hineinbrachte, oder daß man mit abgeschwächten, nicht mit voll wirksamen Erregern arbeitete. Das erstere war offenbar schon der Fall bei der Impfung gegen die Pocken, der V a r i o l a t i o n , die geK r u s e , Lehrbuch der Bakteriologie.
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Dreiunddreißigster Abschnitt
wohnlich so vorgenommen wurde, daß frischer oder getrockneter Pocken eiter in kleine Hautwunden gebracht wurde, während die natürliche Ansteckung durch die Schleimhaut der Luftwege zu erfolgen pflegt. Auch bei der Lungenseuche des Rindes, gegen die durch Einspritzung von Lungensaft unter die Haut, und beim Rauschbrand, gegen den durch Impfung an der Schwanzspitze geimpft wurde, haben wir ähnliche Verhältnisse. Die A b s c h w ä c h u n g d e r K r a n k h e i t s e r r e g e r bildete dagegen die wesentliche, neue Grundlage der J e n n e r s c h e n V a k z i n a t i o n , die wir ebenfalls noch dem 18. Jahrhundert (1796) verdanken, die aber erst durch die im Laufe des vorigen Jahrhunderts eingeführten "Verbesserungen (Wiederimpfung und Benutzung tierischen Impfstoffs) die erfolgreichste aller Schutzimpfungen geworden ist. Die Tatsache, daß es sich bei der Vakzination wirklich um ein abgeschwächtes Pockengift handelt, hat J e n n e r selbst freilich noch nicht erkannt, vielmehr wurde erst durch spätere mühselige Versuche klargestellt, daß die beim Rind, wie beim Menschen so milde auftretenden Vakzine nichts anderes ist als die auf das Rind übertragene echte Menschenpocke.
Nach demselben Grundsatz versuchte man bei der Bekämpfung der Tuberkulose vorzugehen. 1901 veröffentlichte B e h r i n g seine Schutzimpfung der Rinder mit menschlichen Tuberkelbazillen. Aber weder diese Methode noch ihre späteren Abänderungen haben sich im großen durchsetzen können. Erst dem Vorschlag F. F. F r i e d m a n n s (1912), die für Warmblüter ganz unschädlichen S c h i l d k r ö t e n t u b e r k e J b a z i l l e n zur Impfung an Mensch und Tier zu benutzen, scheint ein besserer Erfolg beschieden zu sein. Er ist um so weittragender, als die Impfung nicht bloß der Vorbeugung, sondern auch der Heilung dieser schwersten aller Volksseuchen dient. Durch künstliche Anpassung an andere Tiere oder auf andere Weise abgeschwächte Erreger wandte P a s t e u r seit 1880 auch für die Schutzimpfung gegen Hundswut, Schweinerotlauf und Hühnercholera an. Wahrscheinlich beruht mindestens der Erfolg der P a s t e u r s c h e n Hundswutimpfung (S. 307) zum Teil auf dem wiederholten Durchgang der Erreger durch das Nervensystem der Kaninchen. Daneben kommt hier noch die A b s c h w ä c h u n g d u r c h T r o c k n e n des Impfstoffes in Betracht: das den Erreger enthaltende Rückenmark des Kaninchens wird nach dem ursprünglichen P a s t e u r s c h e n Verfahren durch 1—14 Tage langes Aufbewahren über kaustischem Kali mehr oder weniger abgeschwächt und in diesem Zustande zur Impfung verwandt. Andere Erreger werden durch E r h i t z e n abgeschwächt. So beruht die P a s t e u r s c h e Schutzimpfung der Haustiere gegen Milzbrand auf der Verwendung von Milzbrandbazillen, die bis zu 14 Tagen bei 42 bis 43° C gezüchtet worden sind (S. 199). Hochwirksamer (sporenhaltiger)
Schutz- und Heilimpfuugon
371
Rauschbrand in Pulverform wird durch mehrstündiges Erhitzen auf 100° ebenfalls in Impfstoff verwandelt (S. 217). Zahlreiche Versuche (S. 326) h a b e n f e r n e r g e z e i g t , d a ß auch andere physikalische Einflüsse, wie B e l i c h t u n g , h o h e r - D r u c k u n d E l e k t r i z i t ä t u n d chemische, wie Z u s a m m e n b r i n g e n m i t k e i m t ö t e n d e n S t o f f e n oder Z ü c h t u n g in N ä h r b ö d e n , die m i t w a c h s t u m s h e m m e n d e n M i t t e l n versetzt sind, oder aber die lange Zeit f o r t g e s e t z t e einfache Z ü c h t u n g i n k ü n s t l i c h e n N ä h r b ö d e n , die Erreger abschwächen u n d d a d u r c h zur S c h u t z i m p f u n g geeignet m a c h e n . W e n n wir im großen die Beigabe v o n J o d zu den K u l t u r e n f ü r die E r s t i m p f u n g von Tieren gegen D i p h t h e r i e u n d T e t a n u s zur Gewinnung von Serum (s. u.) b e n u t z e n (S. 222), so k o m m t hier allerdings m e h r eine A b s c h w ä c h u n g d e s G i f t e s , als eine solche der E r r e g e r i n s Spiel. Ganz e i g e n t ü m l i c h u n d noch n i c h t g e k l ä r t i s t die W i r k u n g der R i r t d e r p e s t g a l l e als I m p f s t o f f (S. 305). Bei m a n c h e m der hier g e n a n n t e n V e r f a h r e n , wie dem T r o c k n e n , der k u r z e n E r h i t z u n g u n d d e r chemischen B e h a n d l u n g bleibt m a n ö f t e r i m Zweifel, ob d a s Wesentliche des Vorgehens in einer eigentlichen A b s c h w ä c h u n g der Erreger oder in einer V e r r i n g e r u n g i h r e r Z a h l liegt. Sicher nachzuweisen i s t j a d u r c h Tierversuche, d a ß überall d a , wo zur Erzielung einer tödlichen A n s t e c k u n g eine b e s t i m m t e Menge der Erreger n ö t i g i s t , eine kleinere (untertödliche) Gabe I m p f s c h u t z v e i l e i h t .
Augenscheinlich haben alle Impfverfahren, soweit sie auf die Verwendung l e b e n d e r Erzeuger beruhen, das in ihrer Wirkung gemeinsam, daß sie eine Ansteckung erzeugen, die schwächer ist, als diejenige, gegen die geschützt werden soll. Schon bald, nachdem die Entwicklung der Bakteriologie die Möglichkeit gegeben hatte, genauer als bisher die Entstehung des Impfschutzes durch den Tierversuch zu verfolgen, wurde von verschiedenen Seiten die Beobachtung gemacht, daß es dazu keineswegs regelmäßig der Einwirkung lebender Erreger bedarf, sondern daß man in den meisten Fällen zum Ziele kommt, wenn man nur die k e i m f r e i e n E r z e u g n i s s e der B a k t e r i e n — ihre „Impfstoffe" oder „Antigene" — verwendet. Entweder benutzt man zu dieser „chemischen" Impfung g a n z e R e i n k u l t u r e n der Erreger in flüssigen Nährböden, die man durch einstündige Erhitzung auf 50—60° oder durch Trocknen, oder durch Zusatz von 0-5°/ 0 Karbolsäure, Chloroform u. dgl. a b g e t ö t e t hat, oder die ebenso behandelten E r r e g e r a l l e i n , die man durch Abkratzen von festen Nährböden gewonnen hat, oder A u s z ü g e a u s d i e s e n L e i b e r n , die man durch Erhitzen, Ausschütteln mit Wasser, Kochsalz, Alkalien u. dgl. erhält, oder schließlich nur F i l t r a t e der flüssigen Kulturen. I h r e r E n t s t e h u n g s w e i s e u n d ihren ä u ß e r e n E i g e n s c h a f t e n nach e n t s p r e c h e n die I m p f s t o f f e d u r c h a u s den S. 332 geschilderten Angriffsstoffen oder Aggressinen. Wir h a b e n allen G r u n d a n z u n e h m e n , d a ß sie m i t i h n e n z u s a m m e n f a l l e n : es sind e b e n dieselben Stoffe, die z u n ä c h s t die im lebenden K ö r p e r i h n e n begegnenden Abwehrstoffe n e u t r a l i s i e r e n u n d s p ä t e r —• aber meist an anderen Stellen — die N e u b i l d u n g von Abwehrstoffen ( A n t i k ö r p e r n ) 24*
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Dreiunddreißigster Abschnitt
h e r v o r r u f e n . So k a n n m a n d e n n auch s t a t t der K u l t u r e n auf künstlichen N ä h r b ö d e n die d u r c h W a c h s t u m im l e b e n d e n T i e r k ö r p e r selbst e n t s t a n d e n e n in den von lebenden B a k t e r i e n beireiten E x s u d a t e n e n t h a l t e n e n Angriffsstoffe als I m p f s t o f f e b e n u t z e n . Geradezu als besonders w i r k s a m b e t r a c h t e t z. B. B a i l die I m p f u n g ' m i t solchen „ t i e r i s c h e n A g g r e s s i n e n " der H ü h n e r cholera, Schweineseuche u n d des Milzbrands (S. 200).
Die chemische Impfung läßt sich im Tierversuch beiden meisten Ansteckungen mit Erfolg anwenden. Im großen benutzen wir sie gegenüber der P e s t , der Cholera, dem T y p h u s und P a r a t y p h u s , der Ruhr. Verfolgt man die Einwirkung der bisher beschriebenen Schutzimpfungsverfahren auf den Impfling, so beobachtet man der Regel nach eine örtliche entzündliche, nicht selten auch eine allgemeine fieberhafte Reizung, die sog. Impfreaktion oder Impfkrankheit. Nach der chemischen Impfung pflegt sie im Laufe des ersten oder zweiten Tages zu erscheinen, nach der Einverleibung lebender Erreger erst nach einer Wartezeit, die der Inkubation bei der natürlichen Ansteckung vergleichbar ist. Stets verstreicht eine längere Zeit, mindestens 1—2 Wochen, bis sich der durch die Impfung erstrebte Schutz entwickelt, bezugsweise bis er seinen Höhepunkt erreicht. Gleichzeitig pflegen im .Blute der Geimpften die für die betreffende Ansteckung bezeichnenden Schutzstoffe — namentlich die bakteriolytischen und bakteriotropen Immunkörper — aufzutreten. Diese Immunität bleibt längere Zeit bestehen, um erst allmählich abzunehmen und schließlich zu verschwinden. Die Dinge liegen ähnlich, wie bei der Immunität, die nach der natürlichen Ansteckung zurückbleibt. Hier wie dort ist ihre Dauer sehr verschieden. Am k ü r z e s t e n scheint sie bei A n s t e c k u n g e n m i t S t r e p t o - , P n e u m o u n d a n d e r e n K o k k e n zu sein. N i c h t selten wiederholen sich j a die Anfälle v o n W u n d r o s e , L u n g e n e n t z ü n d u n g , M a n d e l e n t z ü n d u n g usw. bei einem u n d demselben Menschen o f t u n d i n ziemlich k u r z e n Zwischenräumen. Man h a t sogar d a r a u s folgern wollen, d a ß gegenüber den g e n a n n t e n K r a n k h e i t e n ü b e r h a u p t keine I m m u n i t ä t e r w o r b e n w ü r d e . D a s ist u n r i c h t i g , denn sonst w ü r d e n diese A n s t e c k u n g e n j a auch n i c h t zur Heilung k o m m e n . Die E r k l ä r u n g f ü r die Wiederholung der A n s t e c k u n g scheint vielmehr d a r i n gesucht werden zu m ü s s e n , d a ß die n a t ü r l i c h e E m p f ä n g l i c h k e i t f ü r sie bei den bet r e f f e n d e n Menschen besonders g r o ß , die d u r c h Ü b e r s t e h e n erworbene Une m p f ä n g l i c h k e i t aber v e r h ä l t n i s m ä ß i g kurz i s t . I m allgemeinen i s t die d u r c h die n a t ü r l i c h e E r k r a n k u n g erworbene I m m u n i t ä t d a u e r h a f t e r u n d s t ä r k e r als die d u r c h S c h u t z i m p f u n g erworbene. So w ä h r t der B l a t t e r n s c h u t z allermeist d a s ganze Leben u n d ist f a s t u n b e d i n g t , die K u h p o c k e n i m p f u n g s c h ü t z t dagegen n u r gegen 10 J a h r e u n d n i c h t j e d e r m a n n m i t ebenso großer Sicherheit. Noch deutlicher ist dieser Unterschied bei d e m U n t e r l e i b s t y p h u s . Diese verhältnismäßige Minderw e r t i g k e i t der S c h u t z i m p f u n g e n , die augenscheinlich auf der zu geringen Menge der w ä h r e n d der I m p f u n g zur W i r k u n g gelangenden I m p t s t o f f e b e r u h t , h a t , d a eine V e r s t ä r k u n g der I m p f u n g aus erklärlichen G i ü n d e n untunlich i s t , d a j u g e f ü h r t , die I m p f u n g in gewissen Zwischenräumen zu wiederholen.
Schutz- und Heilimpfungen
378
So impft man gegen Pocken alle 10 Jahre, gegen Typhus und .Cholera, z. B. in Kriegszeiten, mehrmals im Jahre.
Bei Gelegenheit von Schutzimpfungen ist es manchen Beobachtern aufgefallen, daß die geimpften Tiere oder Menschen nicht bloß die Widerstandsfähigkeit gegen natürliche Ansteckung erst nach 1—2 Wochen erwarben, sondern in der ersten Zeit der Impfung sogar für dieselbe und auch andere Ansteckungen empfänglicher waren. Man hat diese „kritische" Periode nach der Impfung durch eine Verminderung der Schutzstoffe im Blute erklärt. Wright spricht auf Grund seiner Untersuchungen über den Opsoningehalt des Blutes (S. 361) von einer „negativen Phase" desselben im Anschluß an die Impfung. Ohne weiteres erscheint uns der Zusammenhang verständlich, wenn wir davon ausgehen, daß die Impfstoffe mit den Angriffsstoffen übereinstimmen (s. o. S. 371). Versuche mit solchen (S. 143) beweisen uns aber auch, daß die Begünstigung der Ansteckung weniger deutlich ist oder ausbleibt, wenn man die Aggressine nicht an demselben Orte und zu derselben Zeit wie die lebenden Erreger einverleibt, und die Impfmenge klein genug wählt. So begreift man denn, daß von manchen Beobachtern das Bestehen einer kritischen Zeit und einer negativen Phase nach der Impfung geleugnet wird, und daß man nicht nur die Einführung von Impfstoffen während einer bestehenden Ansteckung für unschädlich, sondern sogar für nützlich erklärt hat. Darauf beruht die Behandlung der Tuberkulose mit T u b e r k u l i n nach R. Koch (1890), die „Vakzinetherapie" mit abgetöteten Bakterien nach W r i g h t , die seit 1903 bei allen möglichen Ansteckungen empfohlen Wird, und die „Heilimpfung" der Tuberkulose nach F. F. F r i e d m a n n mit lebenden Bazillen der Schildkrötentuberkulose. Aus der aggressiven Eigenschaft der Impfstoffe erklärt sich, daß man bei dieser Behandlung die Menge des Impfstoffs nicht zu sehr steigern darf, und daß namentlich schleichende, nicht schnell verlaufende Erkrankungen, wie Furunkulose, Pyelozystitis, Gonorrhöe, Typhus und chronische Ruhr für die Heilimpfung ausgewählt werden. Meist läßt man es nicht bei einer Einspritzung bewenden, sondern wiederholt sie mit allmählich steigenden Gaben. Das F r i e d manngehe Mittel wird dagegen, weil es aus lebenden Bazillen besteht, meist nur einmal, mindestens aber in größeren Zwischenräumen eingespritzt.
Man hat sich zur Regel gemacht, als Impfstoffe zur Heilung möglichst diejenigen Bakterien, unter Umständen diejenigen Bakteriengemische zu benutzen, die von dem betreffenden Krankheitsfall selbst gezüchtet worden sind, weil man beobachtet hat, daß nicht jeder Stamm von Staphylo-, Strepto-, Pneumokokken, Kolibazillen usw. gegen alle übrigen Stämme der Bakterienart Schutz verleiht. Aus demselben Grunde wählt man auch zu Schutzimpfungen meist ein Gemisch verschiedener Stämme der betreffenden Erreger, also einen v i e l w e r t i g e n (multivalenten) I m p f s t o f f .
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Dreiunddveißigster Abschnitt
Besonders nötig ist diese Vorsicht bei solchen Bakterienarten, die wie die verschiedenen Kokken, die Bazillen der hämorrhagischen Septizämie, der Pseudodysenterie, des Paratyphus und die Kolibazillen offensichtlich in mehrere oder zahlreiche Rassen zeifallen, weniger nötig bei mehr einheitlichen Arten, wie Typhus-, Cholera- und echten Dysenter ; ebazillen. Andererseits hat man auch die verschiedenen Impfstoffe, z. B. die des Typhus, Paratyphus, der Cholera und Ruhr miteinander vereinigt, um gleichzeitig gegen alle diese Erreger zu schützen. Die Erfahrung zeigt, daß das möglich i s t ; ob es sich im großen empfiehlt, muß aber sehr dahingestellt bleiben.
Von den Schutz- und Heilimpfungen unterscheidet sich die P a s t e u r sche Impfung gegen die Wut dadurch, daß man zwar nach der Ansteckung, aber vor dem Ausbruch der Krankheit impft. Ermöglicht wird das natürlich nur dadurch, daß die Entwicklungszeit bei dieser Krankheit besonders lang ist. Auch bei den Blattern kann man, wie die Erfahrung lehrt, ähnlich vorgehen, d. h. die Schutzpockenimpfung noch nach der Ansteckung vornehmen. Man erreicht dadurch mindestens, daß die Erkrankung leichter verläuft, wenn man sie nicht ganz verhütet. Aus dem oben geschilderten Verlauf der Schutzimpfung durch lebende Erreger oder deren Erzeugnisse erhellt, daß dieses Verfahren eine s e l b s t t ä t i g e M i t w i r k u n g des g e i m p f t e n K ö r p e r s voraussetzt. Man nennt es darum mit E h r l i c h auch a k t i v e Schutzimpfung. Im Gegensatz zu ihr steht die p a s s i v e Schutzimpfung durch das B l u t s e r u m immunisierter Tiere, welches durch die in ihm enthaltenen Immunkörper (Antikörper) die Immunität von einem zum anderen Tiere gewissermaßen f e r t i g überträgt. Sichtbare Gegenwirkungen des Körpers bleiben dabei aus oder treten nur bei einem kleinen Teil der Geimpften nach 1—2 Wochen auf, weil von ihnen das fremdartige Blutserum als solches, nicht die in ihm vorhandenen Schutzkörper als fremde Stoffe empfunden werden. Man kann diese als Serumkrankheit (Überempfindlichkeit gegen Blutserum — Anaphylaxie —) bezeichneten und im großen und ganzen ungefährlichen Erscheinungen (S. 229) verhüten oder wenigstens verringern, indem man möglichst wenig, aber hochwertiges Serum einführt, es im abgelagerten Zustande verwendet und die allzu schnelle Einverleibung, namentlich in die Blutbahn, vermeidet.
Die Schutzwirkung des Serums braucht nur so viel Zeit zu ihrem Eintritt, als nötig ist, um das Serum in den Säften des Körpers zu verteilen. Am schnellsten wirkt also die Einspritzung von der Blutbahn, am langsamsten, d. h. vollständig erst nach 1—2 Tagen, von der Unterhaut aus, die Einführung in die Muskulatur (z. B. des Gesäßes) steht in der Mitte. Weil das Immunserum so schnell und im wesentlichen ohne Nebenerscheinungen wirkt, weil nach seiher Einverleibung von einer kritischen Zeit, einer negativen Phase nicht die Eede sein kann, ist es nicht bloß zur Schutzimpfung, sondern auch zur Heilimpfung besonders geeignet
Schutz- und Heilimpfungen
d erst e i n s e t z t , wenn d i e R e a k t i o n des Nährbodens einen g e w i s s e n Säuregrad, z. B. b e i Milchsäurestreptokokken, oder e i n e g e w i s s e A l k a l i n i t ä t (bei den Harnstoffbakterien), oder wenn die H e f e g ä r u n g einen bestimmten Alkoholgehalt erreicht h a t , spricht für die B e d e u t u n g dieser S t o f f wechseler zeug n isse. Versuche h a b e n d a s auch b e s t ä t i g t . So g e h t d a s Wachstuni der Milchs ä u r e b a k t e r i e n bis zur E r s c h ö p f u n g des N ä h r b o d e n s w e i t e r , wenn die gebildete Milchsäure, z. B. d u r c h Zusatz v o n k o h l e n s a u r e m K a l k neutralisiert wird. I n den N a h r u n g s m i t t e l g e w e r b e n m a c h t m a n sich diese E r f a h r u n g nebenbei b e m e r k t z u n u t z e , i n d e m m a n durch s t ä r k e r e n Z u s a t z v o n S ä u r e oder A l k o h o l gewisse N a h r u n g s m i t t e l vor dem Verderben s c h ü t z t . U n t e r n a t ü r l i c h e n Verhältnissen f ü h r t dieser E i n f l u ß der Stoffwechselerzeugnisse ö f t e r s zu e i g e n t ü m l i c h e n E r s c h e i n u n g e n , die m a n als „ S y m b i o s e " , besser als „ M e t a b i o s e " , bezeichnet h a t . E s wird n ä m l i c h die eine Art von Kleinwesen d u r c h eine zweite A r t abgelöst, die von den Erzeugnissen der ersten
Entkeimung und Entseuchung
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lobt. So folgt der Entwicklung von Milchsäurebakterien eine solche von Säure verzehrenden Pilzen und der alkohol'schen Gärung durch Hefe die Essiggärung durch Bac. aceti.
Kehren wir nach dieser Abschweifung in das Gebiet der chemischen Schädigungen zurück zu den rein physikalischen, so haben wir nächst der Wärme des Lichts zu gedenken. Das S o n n e n l i c h t gehört zu den stärksten Entkeimungsmitteln, die wir kennen. Auch die Sporen erliegen ihm gewöhnlich sehr schnell. Zerstreutes Tageslicht und künstliches wjrkt schwächer, aber immer noch stark genug, um z. B. frisch beimpfte Kulturen nichi zur Entwicklung kommen zu lassen und selbst abzutöten. Man hält deshalb alle Kulturen zweckmäßigerweise im Dunkeln. Eine hübsche Versuchsanordnung, die uns über den Einfluß des Lichts belehrt, hat H. B ü c h n e r angegeben. Man beklebt die untere Seite einer mit Bakterien gleichmäßig beschickten Agarplatte mit Papierbuchstaben und setzt sie dann von dieser Seite dem Licht aus. Nach einigen Tagen tritt die Schrift auf der Platte durch das stärkere Wachstum der Kolonien darüber deutlich hervor. Von den einzelnen Strahlen des Spektrums wirken die violetten und u l t r a v i o l e t t e n am kräftigsten. Man benutzt deswegen neuerdings das Licht der Quecksilberquarzlampe mit Erfolg zur Entkeimung von Trinkwasser. . In eigentümlicher Weise verstärken sich die schädlichen Wirkungen des Lichts, namentlich auf Protozoen durch Hinzufügung von fluoreszierenden Farbstoffen. Diese „Sensibilisierung" hängt wohl ;nit Sauerstoffwirkungen zusammen.
Von sonstigen Strahlenarten sind K ö n i g e n - und Kadiunistrahlen wegen ihrer keimtötenden Kraft zu nennen. Die E l e k t r i z i t ä t scheint nur durch ihre chemischen Leistungen eine Wirkung auf die Lebensfähigkeit von Kleinwesen auszuüben. AVo die Elektrolyse vermieden wird, bleiben schädliche Folgen der Durchströmung aus. Ihre Fähigkeit, aus dem Sauerstoff der Luft Ozon zu bilden, verdankt die Elektrizität die Anwendung zur Entkeimung von Trinkwasser im großen und kleinen. Durch Erhöhung des L u f t d r u c k s werden Bakterien und Pilze nur wenig beeinflußt, selbst in den größten Tiefen des Meeres kommen nicht nur Bakterien vor, sondern scheinen sogar zu wachsen. Erst wenn der Druck auf 2—3000 Atm. steigt, werden die meisten Kein e mehr oder weniger geschädigt. Verringerung des Drucks wirkt höchstens dadurch, daß gleichzeitig die S a u e r s t o f f s p a n n u n g heruntergesetzt und so den Luft liebenden Keimen das Fortkommen erschwert wird. Umgekehrt werden streng luftscheue Bakterien durch Verringerung der Sauerstoffspannung, wenn sie sehr erheblich ist, geradezu gefördert (vgl. S. 206). Nur dann, wenn durch niederen Druck eine F l ü s s i g k e i t e n der Bakterien aufgeschwemmt sind, zum Sieden gebracht wird, sterben diese sogar bei Temperaturen, die ihnen sonst günstig sind, ab (s. o.). Beim Einengen von keimhaltigen Flüssigkeiten im luftverdiinnten Räume wird man hieran
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Fünfunddreißigster Abschnitt
denken müssen. Wahrscheinlich handelt es sich hier um mechanische Einwirkungen, die durch Entbinden von Gasblasen aus dem Innern der Bakterienleiber hervorgerufen werden.
Gröbere m e c h a n i s c h e E i n g r i f f e , wie Zerreiben mit Sand, Glaspulver u. dgl., die zu sichtbaren Veränderungen der Keime führen, heben selbstverständlich deren Lebensfähigkeit auf. Doch bedarf es bei der Kleinheit der Bakterien und Pilze einer längeren Bearbeitung in Mörsern, Kugelmühlen, Schüttelvorrichtungen, um die Keime einigern:a£en vollständig zu zerstören. Erleichtert wird die Zerkleinerung der Zellen durch vorheriges Einfrieren, z. B. unter Benutzung flüssiger Luft. Man benutzt dieses Verfahren zur Herstellung von Hefepreßsaft und Impfstoffen. Ob fließende Bewegung, einfache E r s c h ü t t e r u n g e n , z. B. durch aufsteigende Luftblasen und sogar Schallwellen, wie behauptet worden ist, den Bakterien schaden, ist sehr zweifelhaft. Ausschleudern und namentlich F i l t r i e r e n durch feinporige Filter aus Kieselgur, Ton, Asbest und Sand weiden hingegen benutzt, um auf rein mechanischem Wege Flüssigkeiten, vor allem Trinkwasser, zu entkeimen. Für die Entseuchung anderei Gegenstände, namentlich unseres Körpers, unseier Kleider, Geräte und sonstigen Umgebung, leisten die u r a l t e n R e i n i g u n g s v e r f a h r e n ähnliches. Sie werden niemals zu entbehren sein, aber durch wissenschaftliche Entseuchungsmethoden in zweckmäßiger Weise ergänzt werden müssen, um gründlich zu wirken und namentlich den Gefahren entgegenzuarbeiten, die aus der weiteren Zerstreuung der durch mechanische Säuberung beseitigten Keime durch die Luft, den Staub und Kehricht, das Waschwasser usw. hervorgehen können.
Die keimschädigenden C h e m i k a l i e n sind so zahlreich, daß wir uns hier auf das Allerwichtigste beschränken müssen. Zunächst kommen die von alters her gebrauchten und leicht erhältlichen, gewöhnlich auch billigen Stoffe in Betracht, wie Salze der Alkalien und Erdalkalien, Laugen, Säuren und Seifen. Die Salze, vor allem das K o c h s a l z , wirken z\^ar schon in 3—5%iger Lösung entwicklungshemmend, aber auch in stärkerer nur langsam abtötend, so daß Krankheitserreger in gepökeltem Fleische noch nach Monaten zum Teil lebendig bleiben können. Die k o h l e n s a u r e n A l k a l i e n hemmen noch kräftiger das Wachstum, töten aber in den üblichen mehrprozentigen Lösungen nur bei höheren Temperaturen, sind also höchstens als Zusatz zum Waschwasser zu gebrauchen. Weit mehr leisten schon in dünnen Lösungen die f r e i e n A l k a l i e n und E r d a l k a l i e n , doch kommt schnellere Vernichtung von Sporen durch sie erst bei 20—30%igen Lösungen zustande. Wegen seiner geringen Löslichkeit wird man deshalb von. Ä t z k a l k keine schnellen Leistungen erwarten dürfen. Wo man aber Stunden und Tage für die Entseuchung übrig hat, läßt er sich um so besser verwenden, weil er das billigste und als notwendiger Baustoff das verbreitetste Mittel ist, das wir zur Verfügung haben.
Entkeimung und Entseuchung
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Der aus dem Kalkofen kommende gebrannte Kalk (CaO) wird erst mit etwas mehr als der Hälfte seines Gewichts Wasser gelöscht (Ca0 2 H 2 ) und dann noch mit 4 Teilen Wasser versetzt als sog. Kalkmilch zur Entseuchung von Stühlen, Abortgruben, Straßenrinnen, Wänden usw. benutzt.
S ä u r e n hemmen meist die Entwicklung von Bakterien schon in kleinen Mengen, weniger die von Pilzen. In 1—2°/ 0 igen Lösungen vernichten sie, wenn n an von den schwachen Säuren absieht, sporenfreie Bakterien ireist schon in wenigen Minuten, Milzbrandsporen freilich erst in starken Lösungen oder nach längerer Zeit. Setzt man gleichzeitig 10% Kochsalz zu, so kann man die Wirkung der verdünnten Säuren so weit verstärken, daß sie auch für die Abtötung von Milzbrandsporen in Fellen und Haaren brauchbar werden. S e i f e n sind recht unzuverlässige Mittel. Im allgemeinen unterscheiden sie sich kaum vom Wasser gleicher Temperatur, doch gibt es Ausnahmen. So sind die Kalisalze gesättigter Fettsäuren recht wirksam. Unter den übrigen Salzen zeichnen sich diejenigen vieler Schwermetalle, insbesondere die des Q u e c k s i l b e r s und S i l b e r s , durch starke keimtötende Wirkurgen aus. In dünnen Lösurgen ( 1 : 1 0 0 0 und weniger) kommen allerdings auch die beiden letzteren nur gegenüber sporenfreien Bakterien in Betracht, in stärkeren (1—5°/0), die freilich sehr giftig sind, ebenfalls gegenüber Sporen und Tuberkelbazillen im Auswurf. Hinderlich ist, abgesehen davon, daß sie Metalle angreifen und Licht nicht vertragen, der Umstand, daß sie auch in eiweißreichen Körperflüssigkeiten Fällungen hervorrufen und dadurch an Wirksamkeit verlieren. Durch Kochsalzzusatz kann man dem beim Sublimat entgegenwirken ( A n g e r e r s Pastillen), durch vorherige Verbindung mit Eiweiß, Nukleinsäure u. dgl. bei Silbersalzen (Protargol, Sophol u. a.). Die letzten Verbindungen haben sich namentlich zur Bekämpfung der Gonokokken auf Schleimhäuten bewährt, während die innerliche Verwendung von Silber in dieser oder jener Form bei Blutvergiftungen immer wieder gerühmt wird. Die eigentümliche Wirkung des Quecksilbers im Körper gegenüber der Syphilis ist schon seit Jahrhunderten bekannt.
E i s e n - , Z i n k - , K u p f e r - und B l e i s a l z e wirken weit schwächer antiseptisch, dagegen stark adstringierend, ihnen schließt sich die essigsaure T o n e r d e , die als Verbandmittel viel gebraucht wird, an. Uralt ist die Benutzung des A r s e n i k s zur "Verhinderung der Fäulnis. Auch gegen die Malaria und andere Krankheiten wurde er viel gebraucht. Neuerdings hat man seinen besonderen Wert für die Bekämpfung der Trypanosomen-und Spirochaetenansteckungen festgestellt und im Atoxyl und Salvarsan neue Arsen Verbindungen von ungeahnter Wirkung gefunden. Obwohl die reinen S c h w e r n i e t a l l e nur in Spuren löslich sind, haben sie eine gewisse keimtötende Kraft. In Gefäßen, die aus jenen hergestellt sind, an Münzen und Werkzeugen, zeigen sich diese „oligodynamischen" Wirkungen.
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Fünfunddrcißigster Abschnitt
Von den übrigen Elementen ist in erster Linie der S a u e r s t o f f zu erwähnen. In seiner aktiven Form als Ozon wird er mit großem Erfolge zur Entkeimung von Trinkwasser benutzt. Dazu sind aber erhebliche Mengen, wie sie jetzt durch den elektrischen Strom erzeugt werden können, nötig (s. o.), und auch diese genügen zur schnellen Abtötung nicht, wenn neben den Bakterien viele organische Stoffe im Wasser vorhanden sind. Sporen werden von Ozon nur langsam angegriffen. Die in der Luft unter Umständen vorkommenden oder derselben künstlich beigemengten, für unsere Schleimhäute noch ertragbaren Ozonspuren haben überhaupt keine nachweisbare Wirkung auf Bakterien. W a s s e r s t o f f s u p e r o x y d ist zur Wasserentkeimung unbrauchbar, weil es in den zulässigen kleinen Mengen zulange Zeit braucht, um zu wirken, aber auch in stärkeren, 1—3%igen Lösungen tötet es selbst sporenfreie Bakterien erst nach minutenlanger Dauer. Erst durch Zusatz von Säure oder Alkali wird es zu einem kräftigeren Entseuchungsmitte]. Trotzdem ist H 2 0 2 wegen seiner Ungiftigkeit und der durch es verursachten Schaumbildung, die mechanisch reinigend wirkt, eines derjenigen Mittel, die auf Schleimhäuten und Wunden viel und mit Erfolg benutzt werden. Andere Superoxyde, z. B. auch das Natriumperborat und K a l i u m p e r m a n g a n a t verhalten sich ähnlich. C h l o r , B r o m und J o d sind die kräftigsten aller Entseuchungsmittel, denn sie töten Sporen schon in kleinen Mengen. Allerdings gilt das nur für wäßrige Lösungen. Chlor in der Luft und Jod in der Jodtinktur auf der Haut sind weit weniger leistungsfähig. Außerdem werden auch die Lösungen in Flüssigkeiten, die viele organische Stoffe enthalten, erheblich in ihrer Wirkung geschwächt. Chlor wird meist als C h l o r k a l k (im wesentlichen unterchlorigsaures Kalzium) angewendet. Seine Wirkung ist so groß, daß es in reinem Wassel1 noch in einer Verdünnung von 1:300000 bis 1 Million alle Keime schnell abtötet und selbst stark verunreinigtes Flußwasser noch in 1: 100000, Abwasser in 1:10000 von Krankheitserregern genügend befreit. Ein Zusatz von 0-2 g Chlorkalk auf 1 Liter Wasser genügt, um dieses schon in 1 Minute ungefährlich zu machen. Genußfähig, wird solches Wasser freilich erst chirch Zusatz von „Antichlor", schwefligsaurem Kalzium, Wasserstoffsuperoxyd u. dgl. Ein ähnliches Mittel wie der Chlorkalk ist das A n t i f o r m i n , das neben Natriumhypocblorit noch Ätznatron enthält. Dieser Mischung verdankt es seine außerordentlich starke auflösende Kraft gegenüber allen möglichen Kleinwesen und anderen Zellen. Nur Horn, Fett und die fetthaltigen Tuberkel- und anderen säurefesten Bazillen werden nicht vom Antiformin aufgelöst und auch nicht so schnell abgetötet (S. 242). Das .unterchlorigsaure Natron wird als D a k i n s c h c Lösung neuerdings in der Chirurgie Viel verwandt. Unter den Kohlenwasserstoffen besitzen die der aromatischen Keihe
Entkeimung und Entseuchung
393
trotz ihrer geringen Löslichkeit eine ziemlich starke Wirkung auf Bakterien. So wird das T o l u o l zur Fernhaltung von Verunreinigungen in organischen Flüssigkeiten viel benutzt. Namentlich auch beim Arbeiten über Fermente ist es brauchbar, weil es die letzteren nicht schädigt. Von den Halogen-Abkömmlingen der Kohlenwasserstoffe aus der Fettsäurereihe haben C h l o r o f o r m und J o d o f o r m ähnliche Wirkungen. Die des Jodoforms ist eigentümlicherweise im Eeagenzglase meist nur schwach, aber im lebenden Körper, auf Wunden u. dg], namentlich gegenüber Tuberkelbazillen unleugbar. Die A l k o h o l e wirken stärker als die zugehörigen Kohlenwasserstoffe. Aus der Fettsäurereihe wird der Äthylalkohol am meisten benutzt, allerdings tötet er nur in starken Lösungen und auch nur sporenfreie Bakterien schnell ab. Die Behauptung, 50% iger Alkohol leiste am meisten, stimmt nicht, vielmehr wrirkt der Alkohol um so schneller, je weniger Wasser er enthält, mit, der wichtigen Einschränkung allerdings, daß ganz reiner Alkohol t r o c k n e Keime nur wenig angreift. Durch Zufügung von Seife wird die keimtötende Kraft des Alkohols erhöht (Seifenspiritus, Festalkol zur Händedesinfektion). Viel stärkere Kntseuchungsmittel sind die Alkohole der aromatischen Reihe, wie zuerst tiir die K a r b o l s ä u r e festgestellt wurde, doch vermag selbst die stärkste (5% ige) Lösung der Karbolsäure Milzbrandsporen erst nach mehreren Tagen zu vernichten. Die Kresole, die in der sog. rohen Karbolsäure enthalten sind, wirken etwas stärker als die Karbolsäure in entsprechender Dichte, sind aber weniger leicht in Wasser löslich. Um sie in Lösung zu bringen, benutzt man namentlich Seifen. Am bekanntesten ist das Lvso] und der Liquor cresoli saponatus, die in 1—2%ig« 1 Lösungen benutzt werden. Neuerdings hat man gefunden, daß die C h l o r k r e s o l e noch mehr leisten als die Kresole selbst, ja am meisten von allen aromatischen Verbindungen, und empfiehlt sie auch, weil sie weniger giftig sind und nicht so übel riechen (Phobrol, Grotan, Sagrotan). Die Hoffnung, damit Stoffe gewonnen zu haben, die für die Abtötung der Keime im Körper, z. B. im Darm, geeignet seien, hat sich aber bisher nicht erfüllt, dagegen leisten sie mehr als andere Stoffe bei der Abtötung der Tuberkelbazillen im Auswurf. In der S a l i z y l s ä u r e , die durch die Einführung der Säuregruppe in die Karbolsäure entsteht, wird deren Wirkung zwar gesteigert, ihre Löslichkeit aber stark verringert, so daß sie nur für den Gebrauch im lebenden Körper und zur Frischhaltung von Nahrungsmitteln — ähnlich wie B e n z o e s ä u r e — in Frage kommt. Eine große Rolle haben die Aldehyde, in erster Linie der F o r m a l d e h y d , gewonnen. Das Formalin, das 35% Formaldehyd enthält, hemmt schon in Verdünnungen von 1 : 5 0 0 0 das Wachstum, tötet
394
Fünfunddreißigster Abschnitt
sporenfreie Bakterien schon in Lösungen von 1—2% und Milzbrandsporen in'solchen von 10—20% im Laufe einiger Minuten. Fine Mischung von Forinalin und Seife, die weniger unangenehm riecht, ist das Lysoform. Im lebenden Körper wird das Formaldehyd abspaltende Ur o t r op in mit Erfolg zur Beseitigung von Bakterien aus den Harnwegen benutzt. Weit häufiger als in Lösung wird der Forrraldehyd gasförmig gebraucht, und zwar zur E n t s e u c h u n g von W o h n u n g e n , Kleidern usw. Es hat in dieser Beziehung alle übrigen gasförmigen Mittel z. B. die früher vielgebrauchte s c h w e f l i g e S ä u r e und bis zu einem gewissen Grade auch den Wasserdampf von 100° verdrängt. In Verbindung mit Wasserdampf wird er bei 60—80° benutzt, um empfindliche Gegenstände, wie Bücher, Pelze u. dgl. keimfrei zu machen. Aber auch bei gewöhnlicher Temperatur bedarf er der Mitwirkung von Wasserdampf, vermag allerdings auch so mit diesem nicht in die Tiefe zu wirken, so daß Federbetten, Matratzen u. dgl. nur im Desinfektionsofen zu entseuchen sind. Seit langem als fäulniswidrige Mittel bekannt sind die ä t h e r i s c h e n Öle, die teils Kohlenwasserstoffe, teils Alkohole, Aldehyde und Ketone sind. In wäßrigen Flüssigkeiten lösen sie sich meistens nur spurenweise, bewähren sich aber auch so als entwicklungshemmende Stoffe. Wenn sie durch bestimmte Seifen in Lösung gebracht sind, zeigen sie zum Teil beträchtlichere Abtötungskraft als die Kaibolsäure. So namentlich Thymol und Zimtöl, während Terpentinöl, Menthol und Kampfer schwächer wirken. Unter den Anilinfarben ist namentlich das M a l a c h i t g r ü n von starker Wirkung, doch zeigt es außerordentlich große Unterschiede gegenüber den einzelnen Bakterien (S. 90). Das M e t h y l e n b l a u hat sich als Heilmittel, besonders bei Protozoenkrankheiten, bewährt, das P y o k t a n i n (Methylviolett) als Wundmittel. Uber andere Farben vgl. S. 282. Von den Alkaloiden wirkt das C h i n i n stark antiseptisch, ist aber besonders als Spezifikum gegen die Malaria berühmt geworden. Neuerdings hat M o r g e n r o t h in den Chininabkömmlingen O p t o c h i n , E u k u p i n und V u z i n S t o f f e gefunden, die außerhalb und innerhalb des lebenden Körpers vor allem Pneumokokken, Streptokokken und andere Wundinfektionserreger abtöten. Mit den keimwidrigen Chemikalien können sich die im lebenden Körper wirkenden, bisher in ihrem ehemischen Bau völlig unbekannten Schutzstoffe in ihren Leistungen recht gut vergleichen. So tötet Ruhrserum mit frischem Blutserum zusammen Ruhrbazillen in künstlichen Nährböden bis zu Verdünnungen von 1 : 2 0 0 0 0 — 2 0 0 0 0 0 und schützt Meerschweinchen gegen die tödliche Ansteckung in so winzigen Gaben, daß daraus noch auf eine viel stärkere keimtötende Kraft im Tierkörper geschlossen werden kann (vgl. Abschn. 32).
Stichwörterverzeichnis. Blastomykose 266. Abortusbazillen 239. Blaue Milch 39. Abschwächung 324. Blinddarmentzündung 91. Absterbebedingungen 384. Blutparasiten 270. 285, vgl. BakAbwehr der I n f e k t i o n 343. teriämie oder Septikämie. Abwehrstoffe 106. 143. 352. 383. Bodenbakterien 171. Agglutination 109. Botulismusbazillen 211. Agglutinine 109. 140. 377. Bubonenpest 184. Agressine = Angriffstoffe 143. 332. Aktinomyzeten (Strahlenpilze) 7. 255. ' Buttersäurebazillen 212. Alexine s. Abwehrstoffe. Alkoholische Gärung 21. 48. Castellanische Absättigungsprobe 114. Ambozeptor 109. 156. 355. 378. 381. 140. Amöben der R u h r 130; — des gesunden Chemotherapie 65. 75. 78. 116. 134. 202. 215. 231. 259. 272. 277. 282. Darms 130; — des Strohs 134. 292. 342. 343. 367. 384. Anaërobier 34. 205. 238. 274. Chlamydozoen 297. Anaphylaxie s. Überempfindlichkeit. Angina 61. 225. 238. 269. 302. Cholera asiatica 150; — infantum 92, Ansteckung im :11g. 311. — nostras 41. 124; — ähnliche Ansteckungsbedingungen 324. Kommabazillen 158. Ansteckungskraft 60. 70. 91. 162. 311. 324. D a r m b a k t e r i e n 85. Antigene = Impfstoffe 369. Desinfektion = Entseuchung 384. Aphanozoen = unsichtbare, filtrierbare Diphtheriebazillen 218. Disposition = Empfängüchkeit 343. Erreger 16. 295. Dunkelfeldbeleuchtung 269. Aspergillus 47. 260. Bacillus, als Gattung 5 ; — aërogenes 94; f a ' t a l i s alcaligenes 96; acidophilus 97 ; pneumoniae 95 ; bifidus 96. 98; bulgaricus 175; pyogenes 205; pyelonephritidis bovis 233, fusiformis 238. Bacterium, als Gattungsname 5. Bakteriämie 62. 110. 323. Bakteriolyse 106. 155. 355. 376. Bakteriotropine 64. 364. 376. Balantidium coli 136. Bauchfellentzündung 53. 71. 91. 107. 141. 155. 330. Bazillenträger 110. 126. 157. 227. 314. 321. Bedeutung der Kleinwesen 17. Bewegungen 27.
E i m e r i a 137. Eisenbakterien 170. Eiterung 50. Empfängüchkeit 53. 72. 83. 91. 160. 246. 343. Enteritisbazillen 122. Enterokokken 96. Entkeimung 58. 347. 384. Entseuchung 347. 384. Entzündung 55. 317. 349. 366. E r k ä l t u n g 72. 352. Essigbakterien 21. Färbungsverfahren 29, — f ü r Schnitte 56, f ü r Sporen 43; Geißeln 102, Blutparasiten 270. 287; nach Burri 269, Giemsa 273; Levaditi 273.
396
Stichwörterverzeichnis
Komplement 109. 355. 381. Farbstoffbildner 37. Komplementbindung 377. 38>1. Fäulnis durch Proteus 40; durch Konjunktivitisbazillen 182. It83.i. Anaerobier 216. Fermente, peptonisierende 33. 40, Korynebakterien 218. Krebs 267. labende 40; Gärungs— 49. Kropf 311. Fleischvergiftung 41. 118. 211. Filtrierbare Erreger = Aphanozoen. I.anzettkokken 65. Fluoreszierende Bakterien 38. Lamblia intestinalis 135. ,/ / . . Frischhaltung von Nahrungsmitteln Leishmania 284. 23. 44. 384. .Leprabazillen 253. Fieber 317. 350. 357. 364. Leukine 55. 201. 358. 378. Leukozidin 52. 336. tiallenwege, Entzündung der 91, 106. Leukozytose 351. Gärung im allg. 207; vgl. Fermente. Luftkeime, und ihre Untersucluunng g 172. Gasbrandbazillen 214. Gelbfieber 278. 310. Malariaparasiten 285. Geißeln 5; Färbung der 102. Maltafieberbazillen 239. Gifte 335. Masern 302. Gramfärbung 30. Mastitis 63. 175. Gonokokken 76. Maul- und Klauenseuche 304. Gruber-Widalsche Probe 113. Mäusetyphusbazillen 118. 121. Meningokokken 79. > Hämolyse durch Serum 275. 355. 376; Micrococcus als Gattung 3; — pyoogeienes '— durch Bakterien 52. 59. 336. 51; gonorrhoeae 76; meningitidiis s 79; Hämorrhagische Septizämie 184. catarrhalis 84. Harmlose Kleinwesen (Saprophyten) i Mikroskopische Untersuchung 26>. 37. ' Milch, Bakterien in der 174. Harnstoffvergärung 20. 42. I Milchsäuregärung 22; —kokkern (66; Harnwege, Ansteckungen der 41. 78. —Bazillen 175. 91. 106. | Milzbraqdbazillen 192. Hefen s. Sproßpilze. i Molluscum contagiosum 30 U Heilimpfungen 369; vgl. Vakzinei Mucor 47. 260. therapie. i Mundkeime 68. 69. 134. 232. 269». Heubazillen 42. ! Mutaflor 347. Heufiebergift 378. | Mykobakterien 7. 240. Höhnercholera 190. Hühnerpest 305. "" j Nahrungsmittelkeime 174. Hundswut 306. | Nekrosebazillen 238. Husten und Schnupfen 302. j Hyperämie 350. !' Ödembazillen 215. Oidiomykose 267. Oidium lactis 47. Immunität = Widerstandsfähigkeit Opsonine 55. 361. 343. Ozaena 95. Immunkörper 376. Indolprobe 88. Infektion s. Ansteckung. Paragglutination 309. Influenzabazillen 176; —erreger 302. Parakolibazillen 119. Insekten als Krankheitsverbreiter 173. Paratyphusbazillen 118. Involutions-(Entartungs-)formen 10. Pasteurisierung 386. Penicillium 46. Phagozytose 55. 353. '359. Kapseln 9. 68. 94. 95. 195. 214. 266. Phosphoreszierende Bakterien 158. 16(1. Kartoffelbazillen 42. Pilze im Allgemeinen 10; harmlose 45; Keuchhustenbazillen 180. schädliche 260. Kolibazillen 85. , Piroplasmen 293. Kommabazillen 150. Plättchenstoffe = Plakine 201. 358. Keimzählung 164. Plaut-Vincentsche Angina 238. 269. Kokzidien 136.
Stichwörterverzeichnis Flank ton 169. Pneumokokken 68. Präzipitine 381. Prodigiosus 39. Proteusbazillen 40; bei Fleckfieber 309. Protozoen im Allgemeinen 12; im Darm 130; im Blut 278; in den Blutkörpem 285. Pseudodiphtheriebazillen 231. Pseudodysenterie 138. Pseudotuberkulose 117. 121. 186. 233. 259. 260. 265. Pyocyaneus 38. Purpurbakterien 9. 40. 170. Kauschbrandbazillen 216. Reagine 378. Reinzüchtung 32; — der Anaerobier 206. Rhinosklerombazillen 95. Kinderpest 305. Kotlaufbazillen 202. Kotzbazillen 234. Rückfallfieber 270. Ruhramöben 130. Ruhrbazillen 138. S a p r o p h y t e n 37. Sarzinen 3. 37. Kauerstoffwirkungen 34. 205. 239.392. Säurefeste Bazillen 240. 254. ¡Schnittfärbung 56. Seitenkettentheorie 223. 383. Kemmelkokken 76. Kerumkrankheit 229. Kmegmabazillen 254. Scharlach 302. Schankerbazillen 181. Scheidenbazillen 98. 346. Schleimbildung 9. 94. 95. Schutzfermente 379. Schutzimpfungen 369. Schwefelbakterien 9. 170. Schweinepestbazillen 118. 123; —-errege r 304. Schweineseuche 191. ,Selbstansteckung 63. 72. 91. 315.
397
Septizämie 62. 70. 184. 193. 323. Spießbazillen 238. Spirillen 6. 150. Spirochaeten 8. 268. Sporen der Bakterien 5. 42; — f ä r b u n g 43; der Strahlenpilze 7; der Pilze 11; der Protozoen 15. Sporotrichosis 267. Sproßpilze 11. 48. 265. Staphylokokken 51. Strongyloplasmen 297. Streptococcus pyogenes 58; — lacticus 66; — lanceolatus 68. Sterilisierung s. Entkeimung. Stickstoff, indung 20. 214; — g ä r u n g 20 38 Symbiose 20. 100. 314. 388. Syphilis 272. Tetanusbazillen 208. Thermophile Bakterien 22. 260. 386. Trachom 303. Trichomonaden 135. Tröpfchenansteckung 73. 173. 244. Trypanosomen 278. Tuberkelbazillen 240. Typhusbazillen 101. Überempfindlichkeit 229. 249. 300. 339. 366. 378. Vakzine 299. Veränderlichkeit 39. 70. 208. 324. Vakzinetherapie 57. 93; vgl. Heilimpfungen. Variola 298. Virulenz s. Ansteckungskraft. W a s s e r . Keime im —. Wassermannsche Probe 274. Weilsche Krankheit 278. Widerstandsfähigkeit 343. Windpocken 301. Xerosebazillen 2.32. Z a h n k a r i e s 68.
Erklärung- der Figurentafel. Fig. 22 (zu S. ."2). Staphylokokken in Eiterzellen. Färbung nach Gram. Fig. 29 (zu S. 76). Gonokokken im T r i p p e r - E i t e r , fast alle im Inneren d e r Eiterzellen. Fig. 31 (zu S. 85). Ausstrich aus dem normalen K o t eines Erwachsenen. Gram -Doppelfärbung. Fig. 53 (zu S. 195). Milzbrandbazillen aus Blut, mit Methylenblau gefärbt. Schöne rosarote Kapseln. Fig. 64 (zu S. 241). Tuberkelbazillen im Auswurf. Doppelt gefärbt. Fig. 72 (zu S. 281). Trypanosomen im Blut, nach Giemsa gefärbt. Fig. 73 (zu S. 288). Halberwachsene Parasiten des Tertianafiebers. Giern safärbung. Fig. 74 (zu S. 289). Junge Parasiten („Siegelring") des Tropenfiebers. Giern safärbung. Fig. 75 (zu S. 289). Laveransche Halbmonde. Giemsafärbung. Fig. 77 (zu S. 294). Babesia. (Piroplasma) der Rinder. Giemsafärbung. Fig. 79 (zu S. 303). Trachomkörperchen in Epithelzellen, neben roten Blutkörpern. Abstrich von der Bindehaut. Giemsafärbung.
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Kruse,
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Fig. 22.
Fig. 64.
Fig. 29.
Fig. 72.
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rieger, Walter de Gruyter & Co., Berlin u. Leipzig.