Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation 9783486599190

Lehrbuch für Kommunikations- und Medienwissenschaftler über die Audiovisuelle Kommunikation.

231 96 32MB

German Pages [329] Year 2010

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Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation
 9783486599190

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Lehr- und Handbücher der Kornmunikationswissenschaft Herausgegeben von Dr. Arno Mohr Bisher erschienene Werke: Beck, Computervermittelte Kommunikation

im Internet Brauner Leitolf Raible-Besten Weigert, Lexikon der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Fröhlich Peters Simmelbauer, Public Relations Kiefer, Medienökonomik, 2. Auflage Koeppler, Strategien erfolgreicher Kommunikation Paus-Hasebrink Woelke Bichler Pluschkowitz, Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation •

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation Von

Univ.-Prof. Dr. Ingrid Paus-Hasebrink Mag. Dr. Jens Woelke Mag. Michelle Bichler Ass.-Prof. Dr. Alois Pluschkowitz

R.01denbourg Verlag München Wien

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

© 2006 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089)45051-0

www.oldenbourg.de

Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen.

Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Gesamtherstellung: Druckhaus „Thomas Müntzer" GmbH, Bad Langensalza 3-486-57896-0 ISBN ISBN 978-3-486-57896-6

Inhaltsverzeichnis Vorwort.I

Ingrid Paus-Hasebrink 1 Zu einem integrativen Modell der AV-Kommunikation.1 1.1 AV-Kommunikation als Teil kommunikativen Alltagshandelns.1 1.2 Konkretisierung des Gegenstandsbereichs: 1.3

AV-Kommunikation im Kontext öffentlicher Kommunikation.2 Abgrenzung zur medienwissenschaftlichen Perspektive auf AV-Medien.5

1.4

Ziel der vorliegenden Publikation.7

1.5

Zusammenfassung.9

1.6

Literatur.9

Ingrid Paus-Hasebrink 2 Zum Begriff 'Kultur' als Basis eines breiten Verständnisses von (AV-)Kommunikation im Rahmen von Alltagskultur.13 2.1 Kultur als symbolische, materiell bestimmte Ressource.13 Mediale Kommunikation im Kontext von Alltagskultur und Populärkultur.21 2.2 Produktion Angebot Rezeption.25 2.3 2.3.1 Annäherung an die Produktionsbedingungen: Bourdieus Feldtheorie.25 2.3.2 Zugang zur Angebotsebene.27 2.3.3 Zugang zur Rezeptionsebene.31 2.4 Zum Verständnis der Produktions-, Angebots- und Rezeptionsebene: Was bedeutet das für die AV-Forschung?.36 2.5 Zusammenfassung.42 -

2.6

-

Literatur.45

Michelle Bichler 3

Gesellschaftliche Hintergründe und

Die AV-Produktion

Mediensystemfragen... §3

-

3.1

Die AV-Produktion

3.2

Der Produktionsverlauf im AV-Bereich.58

-

3.2.1 3.2.1.1

3.2.1.2

Begriffserläuterung.55

Die unterschiedlichen Produktionsphasen von Einzelwerken.58

Entstehung und Produktion eines Kinospielfilms.59 Entstehung und Produktion einer kurzen TV-Informationssendung.69

3.2.1.3 3.2.2 3.3

Die

Verwertung und Distribution audiovisueller Einzelwerke.72 Die unterschiedlichen Schritte bei der Produktion eines Programms.76

Unterschiedliche Ebenen der AV-Produktion

unterschiedliche Produktions-

bedingungen .86 3.3.1 Die technische Seite der AV-Produktion.90 3.3.2 Ökonomische Aspekte der AV-Produktion.96 -

3.3.2.1

3.3.2.2

Finanzierung.96 AV-Medien zwischen öffentlichen Aufgaben und wirtschaftlichen Zielvorstellungen Gemeinwohl- oder Gewinnorientierung?.105 -

3.3.3

3.3.3.1

Politik und Gesellschaft als Einflussfaktoren der AV-Produktion.108 Rechtliche und politische Grundlagen und Richtlinien für die

AV-Produktion.109 3.3.3.2 3.4 3.5

3.6 3.7

Der Zuschauer als

abhängige Größe bei der AV-Produktion.114

Aktuelle

Veränderungen in der AV-Produktion.117 Ein Fallbeispiel: ARD versus RTL.125 Zusammenfassung.133 Literatur.135

Alois Pluschkowitz 4

Das audiovisuelle Produkt am Beispiel des Fernsehens: Definitionen, Analysezugänge, aktuelle Entwicklungen.147 4.1

Terminologisches

4.1.1

Die unterschiedlichen Ebenen des AV-Produkts.148 -

Einzelsendungen, Reihen, Serien und Mehrteiler.149

4.1.2

Gattungen, Genres und Formate.150 4.1.3 Programm.158 4.2 Unterschiedliche Ebenen des Zugangs zum audiovisuellen Produkt Inhaltsanalytische Forschungsarbeiten.169 -

4.3

Aktuelle Entwicklungen.171

4.4

Fazit.176 Literatur.176

4.5

Jens Woelke 5

Rezeption audiovisueller Medienangebote.180 5.1 Vorbemerkungen.180 5.2 Begründung: Rezeption als Baustein audiovisueller Kommunikation.180 5.3 Bedeutungen konstituieren: Sprach- und zeichentheoretische Überlegungen.181 5.3.1 Bedeutungssuche I: Syntax und Semantik.182

Bedeutungssuche II: Phänomenologie und Pragmatik.184 Fazit der sprach- und zeichentheoretischen Ansätze.188 5.3.3 5.4 Analyse einiger Rezeptionsbedingungen.193 5.3.2

5.4.1 5.4.2

Gattungen und Genres.193 Überlegungen zur Struktur, Syntax und Grammatik visueller

Informationsangebote.194 Neuronale und sensorische Grundlagen der Informationsverarbeitung 5.4.3 und visuelle Deutungsschemata.196 5.5 Wahrnehmung und Rezeption als Informationsverarbeitung.198 5.5.1 Informationsverarbeitung als Angebot-Rezipient-Interaktion.199 Visuelle Wahrnehmung.201 5.5.2 Auditive Wahrnehmung.206 5.5.3 5.5.4 Wissensrepräsentation.209 5.5.5 Interrelationen von Text- und Bildangeboten bei der Rezeption.215 Motivation von Wahrnehmung und Rezeption.219 5.5.6 5.5.7 Heuristische Wahrnehmung und automatisierte Verarbeitungen.225 5.5.8 Zusammenfassung: Grundlagen der Rezeption audiovisueller Kommunikationsangebote aus der Perspektive von Informationsverarbeitung.230 5.6 Sozialer Aspekt und Alltagsbezogenheit audiovisueller Rezeption.231 5.7 Fallanalysen: Strategien der Rezeption und Wirkungen von Medienangeboten 235 ....

5.7.1

Nachrichten.236

5.7.2

Werbespots.244 5.7.3 Unterhaltung: Talkshows und Real Life-Angebote.250 5.8 Fazit zur Rezeption.258 5.9

Literatur.259

Ingrid Paus-Hasebrink 6 Die Ebenen der Analyse von AV-Kommunikation am Beispiel einer Forschungsstudie.277 6.1 Zur Anlage der „Medienmarken-Studie".277 6.2 Zur Analyse von Vermarktungsstrategien und Angeboten.279 6.3 Zur Analyse der Rezeptionsebene.286 6.3.1 Repräsentativer Untersuchungsschritt.286 6.3.2 Qualitative Untersuchungsschritte.289 6.4 Zusammenfassung.291 6.5

Literatur.291

7

Studienpraktische Hinweise.295 7.1

Literaturhinweise zur 'Audiovisuellen Kommunikation'.295

7.2

Annotierte Literaturhinweise zur Audiovisuellen Kommunikation.297

7.2.1

Allgemeine Werke zur Einführung.297

7.2.2

Werke zur AV-Produktion.301

7.2.3

Werke zum AV-Produkt.305

7.2.4

Werke zur AV-Rezeption.307

8

Schlagwortregister.311

9

Personenregister.315

Vorwort ist es, Audiovisuelle Kommunikation (AV) im Kontext öffentlicher Kommunikation und damit im Kern des sozialwissenschaftlichen Diskurses zu veror-

Ziel des

vorliegenden Buches

allerdings keinesfalls, im eigenen Saft kommunikationswissenschaftlicher Perspektivik zu verbleiben; es geht vielmehr darum, auch medien- und kulturwissenschaftliche Theorien, Ansätze und Perspektiven auf ihre jeweiligen Aussagenpotenziale zum Gegenstand AV-Kommunikation zu befragen. Es gilt, den heuristischen Wert eines breiten Theorieverständnisses möglichst gewinnbringend zu nutzen und darin das Selbstverständnis dieses Gegenstandsbereiches zu profdieren. Um AV-Kommunikation in seiner Breite für die Forschung fruchtbar zu machen, sind Einseitigkeiten und Engführungen bisheriger Zugänge, zumeist durch eine Perspektive geprägt (entweder medien- oder rezipientenorientiert, entweder struktur- oder phänomenologisch ausgerichtet, an politischen, ökonomischen oder technischen Fragen festgemacht), zu vermeiden. Der Blick auf verschiedene, auch medien- und kulturwis-

ten.

Dies bedeutet

senschaftliche Quellen aus unterschiedlichen theoretischen und methodischen Kontexten interdisziplinärer Felder kann dabei helfen, eine tragfähige Grundlage dafür zu schaffen, das

System der AV-Kommunikation in seinen diversen, aufeinander verweisenden Bausteinen und einander vielfältig berührenden bzw. überlappenden Schnittstellen technischer, ökonomischer und symbolischer Perspektiven zu verstehen. Dazu soll ein integratives Modell entwickelt werden, das AV-Kommunikation auf der Basis bzw. des

zu

betrachten und damit auch

zu

von

erforschen in der

zumindest drei Ebenen

Lage

ist: der Ebene der

Als eine vierte Ebene ist die

zu

umreißen

Produktion,

Frage nach den gesellschaftliAngebots und der Rezeption. chen Konsequenzen u.a. technischer Innovation und Diffusion neuer Entwicklungen im AVMedienbereich zu reflektieren. Diese Aufgabe bedeutet vor allem, dem Prozesscharakter von AV-Kommunikation im Rahmen öffentlicher Kommunikation mit seinen Implikationen für einen leistungsfähigen theoretischen, methodologischen und methodischen Zugriff mittels eines dafür tauglichen Handwerkszeugs gerecht zu werden. Das in diesem Buch vorgestellte integrative Modell der AV-Kommunikation soll dafür ein tragfahiges Gerüst bieten. Ingrid Paus-Hasebrink, Jens Woelke, Michelle Bichler und Alois Pluschkowitz

integrativen Modell der AV-Kommunikation

Zu einem

1

1

Zu einem

integrativen Modell der AV-Kommunikation (Ingrid Paus-Hasebrink) AV-Kommunikation als Teil kommunikativen

1.1

Alltagshandelns

Wer sich im Rahmen der Kommunikationswissenschaft mit Audiovisueller Kommunikation

beschäftigen will,

muss

feststellen, dass

trotz

der Fülle insbesondere fernsehwissenschaftli-

cher Publikationen eine eher journalistische

Perspektive auf den Gegenstand vorherrscht und der Bereich fiktional-unterhaltungsorientierter Angebote und der Umgang mit ihnen dagegen vernachlässigt worden ist. Diese Tatsache ist in einem engen Zusammenhang mit der Entwicklung des Faches von der Zeitungswissenschaft über die Publizistik- zur Kommunikationswissenschaft (Glotz 1990) zu verstehen. Anliegen der vorliegenden Publikation ist es nun, Audiovisuelle Kommunikation in ihrer alltagskulturellen Verankerung, auch und gerade im Hinblick auf alltags- und populärkulturelle Phänomene und Nutzungsweisen, zu beleuchten und damit diesen

worden

Bereich, der bisher insbesondere im Fach Medienwissenschaft betrachtet

ist, nunmehr unter einer kommunikationswissenschaftlichen Perspektive ins Visier zu

nehmen. AV-Kommunikation wird dabei als Teil kommunikativen

Alltagshandelns mit medial vermittelten Angeboten der Massenkommunikation verstanden.1 Dem zu Grunde liegt ein breites 1

Dies geschieht häufig, aber keinesfalls ausschließlich durch Massenmedien. Wie sich AV-Kommunikation im Alltag vollzieht, wird im folgenden Kapitel ausführlicher diskutiert. Auch der Begriff 'Medium' verdient eine nähere Betrachtung, da eine Reihe unterschiedlicher Definitionen, je nach betrachtetem Aspekt und gewählter Perspektive, vorliegen. So bezeichnen Medien sehr verschiedene Dinge, wie etwa technologische Artefakte (Kabel, Satellit, Druckaggregate, Bildschirme, Lichtsatz etc.), gesellschaftsabhängige publizistische Arbeitsorganisationen (Redaktionen, Nachrichtenagenturen, Rundfünkorganisationen, Pressdienste, Vertriebssysteme), die Berichterstattung selbst, die Formatierung von Darstellungen und Codierungen, die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien Geld, Liebe, Wahrheit, Macht, Werte etc. oder auch entsprechende Orte wie das Theater oder das Kino. Bereits Harry Pross (1972) hat eine noch heute aktuelle Unterscheidung vorgenommen: Danach lassen sich primäre (Medien des menschlichen Elementarkontaktes wie Sprache, aber auch Mimik und Gestik), sekundäre (z.B. Flugblatt, Plakat, Buch etc, also alle Medien, die auf der Produktionsseite Geräte erfordern) und tertiäre Medien (Kommunikationsmittel, die auf der Sender- und der Empfängerseite ein technisches Gerät erfordern) differenzieren. Mittlerweile unterscheidet Latzer (1997) gar quartäre Medien, um auch digitale und Online-Medien erfassen zu können. Ulrich Saxer (1998, S. 54) definiert Medien als „komplexe institutionalisierte Systeme um organisierte Kommunikationskanäle von spezifischem Leistungsvermögen". Für die vorliegende Publikation bietet sich eine Verortung von Burkart (2002, S. 39ff. sowie 2003, S. 170 und S. 185ff.) an, der Medien mit ihren kommunikationstechnischen Potenzialen in Organisationen als ziel- und zweckgerichtete sowie zweckerfüllende Sozialsysteme und in Institutionen als Erbringer bestimmter Leistungen für das gesellschaftliche Regelungssystem unterteilt. Als sehr Ubersichtliche, auch für diese Publikation sinnvolle Definition bietet sich die von Bentele, Brosius und Jarren im Handbuch Öffentliche Kommunikation (2003) an. Dort heißt es: „Medien verstanden in ihrer materiellen Dimension (Luft, Licht etc.), verstanden als semiotisches (Sprache, Schrift, Bild) und technisches Phänomen (Kamera, Fernsehgerät, Handy), vor allem aber unter organisatorischer Perspektive (die Zeitung X, das Femsehen, das Internet) innerhalb von Gesellschaften betrachtet sind maßgeblicher Teil und Akteur öffentlicher Kommunikationsprozesse und -strukturen" (ebda, S. 7). Siehe zu einer weiteren Problematisierung und Spezifizierung des Begriffs im Hinblick auf den Faktor Interaktivität auch die -

-

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

2

Verständnis

von

Kommunikation. Kommunikation, im Unterschied

zur

Information, auf Ver-

ständnis, auf Austausch, auf Teilhabe angelegt, als soziales Verhalten, von Interaktion (vgl. Faulstich 2002, S. 34; vgl. auch Bentele/ Beck 1994) wird als Grundkonstituens menschlicher Existenz

gesehen; das menschliche Wesen stellt sich in der Kommunikation dar. Demnach ist

Kommunikation nicht es

als fundamentales Mittel des Menschen

verstehen, um sich, wie Dieter Baacke 1973 mit Bezug auf Goffman formuliert hat, „seines In-der-Welt-Seins zu nur

zu

Fähigkeit des Menschen zur Konfliktaufnahme mit der Welt auch eine seiner fundamentalen Eigenschaften [Hervorh. im Orig.], nicht als psychische oder sonstige Ausstattung eines einzelnen, sondern als universelle menschliche Natur [...]. Der Mensch ist danach nicht ein Einzelwesen, sondern er konstituiert sich in geregelten oder sich einregulierenden Situationen und übergreifenden Situationsbestimmungen der menschlichen Gesellvergewissern,

sondern als

193). Baacke bezeichnet den Menschen als 'homo communicator', der in Kommunikations-Situationen ist, „was er ist, und wird, was er sein kann" (ebda). Darunter fasst Baacke jede Art unvermittelten und vermittelten Erlebens und Handelns. Vor diesem Hintergrund soll jedoch Kommunikation keinesfalls unter dem Aspekt der Bedeutungskonstruktion der Akteure fixiert, sondern generell im Kontext alltagsweltlicher Verankerung begriffen schaft" (S.

werden. AV-Kommunikation hat Materialität der ge nach der 1.2

es

somit immer mit zumindest zwei Faktoren

zu

tun:

der

Welt, also den spezifischen Lebensformen, und mit der Sinngebung, der Fra-

Sinnagentur.

Konkretisierung des Gegenstandsbereichs:

AV-Kommunikation im Kontext öf-

fentlicher Kommunikation Zum

Gegenstand

der Audiovision zählen insbesondere die audiovisuellen Medien Film und

Fernsehen sowie mit Abstrichen auch das Radio als auditives

Medium.2 Im

Kontext des

vor-

liegenden Buches wird vor allem dem Leitmedium Fernsehen Aufmerksamkeit geschenkt. Dies gilt auch im Hinblick auf neuere Entwicklungen des Mediums in Bezug auf Digitalisierungsprozesse sowie seine Schnittstellen zur Online-Kommunikation. Dieser komplexe Gegenstand soll aus möglichst vielen Perspektiven betrachtet werden, um seine zentrale Bedeutung im Rahmen der Kommunikationswissenschaft beleuchten und verstehen zu können. Der Blick

gilt

im

vorliegenden Buch zum

einen dem

Ausdruckssystem AV-Kommunikation,

Definition von Görtz (1995); er weist darauf hin, dass durch die Aufsplitterung von Geräten, Diensten und Institutionen nur noch schwer von „einem Medium [Hervorh. im Orig.] gesprochen werden könne (S. 485). "

2

In der vorliegenden Publikation werden andere visuelle Medien wie etwa die Photographie, Audiomedien wie der Kassettenrecorder oder das CD-Gerät bzw. audiovisuelle Medien wie z.B. Videorecorder oder DVD nicht zentral berücksichtigt.

Zu einem

3

integrativen Modell der AV-Kommunikation

wie also und

von wem

AV-Medien

produziert werden,

mithin den Produzenten, die AV-

Medien herstellen, und den medialen Produkten selbst sowie ihren sozialen und ökonomischen Kontexten. Zum anderen ist vor allem auch die Aktivität mitzubeachten, mit der der

Einzelne, aber auch unterschiedliche Gruppen bzw. Publika mit AV-Kommunikation, insbesondere dem Fernsehen, umgehen, ihr Sinn verleihen. Schließlich ist das Fernsehen mit gutem Grund zum ,Leitmedium' aufgestiegen, da es vielerlei Funktionen erfüllt. Es dient zur Entspannung, zum Erleben, zur Erkundung der sozialen und politischen Umwelt und zur Orientierung in alltagspraktischen Belangen (vgl. Hasebrink 2001, S. 108); Menschen nutzen das Fernsehen, um sich zu informieren, zu bilden, zu orientieren und um sich zu unterhalten.3 Das Fernsehen genießt eine hohe gesellschaftliche Relevanz, da es als „gewichtiger Faktor des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens, als Wirtschaftszweig von enormer Bedeutung, als Informations- und

Orientierungsmedium" (ebda) zu betrachten ist. Das Fernsehen bietet ein zentrales Forum für gesellschaftlichen Diskurs und dient damit zur Teilhabe an der Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Themen, mithin zur Selbstverständigung einer Gesellschaft.

Kernpunkt der vorliegenden Publikation Kontext der Massenkommunikation. nach wie

vor

klassische

ist also die

Beleuchtung der AV-Kommunikation

im

Film, Radio und vor allem dem Fernsehen wird damit als

gesellschaftliche

Medien Aufmerksamkeit

geschenkt.

Nach Pürer

(2003) versteht man unter Massenkommunikation in einem engeren Sinne „von professionellen Medienkommunikatoren (also von Journalisten, Moderatoren, Kommentatoren, Entertainern etc.) öffentlich, indirekt, über technische Medien [...] und weitgehend einseitig an eine Vielzahl von Menschen gerichtete Aussagen (informierender, bildender, überredender, werbender und unterhaltender Natur), die von Empfängern entschlüsselt sowie mit Sinn verbunden und mit Bedeutung versehen werden" (Pürer 2003, S. 75). Es

geht also

im Unterschied

privaten, zwischenmenschlichen Kommunikation um öffentAdressantenkreis nicht begrenzt ist, da sich prinzipiell jeder

zur

liche Kommunikation, deren mit räumlichem, zeitlichem oder raum-zeitlichem Abstand zwischen den Kommunikations-

-

(ebda, S. 80). Der Begriff 'Öffentliche Kommunikation', der je nach dem ihm zu Grunde liegenden Konzept von 'Öffentlichkeit', unterschiedlich gefasst wird (vgl. Gerhards/ Neidhardt 1991; Faulstich 2002, S. 214ff.) soll hier

teilnehmern

dem Fernsehen zuwenden kann

-

breit verstanden werden.

3

Werner Faulstich nennt in

Öffentlichkeit ist danach ein „kulturell funktionaler Raum innerhalb

Bezug auf Medien insgesamt noch eine Reihe weiterer Funktionen (2002, S. 57).

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

4

komplexen alltäglichen Lebenswelt" (Faulstich 2002, S. 214). Öffentliche Kommunikation soll als Austausch von Informationen und Einschätzungen zwischen denjenigen beschrieben werden, die etwas mitzuteilen haben, also den öffentlich agierenden Sprechern, und einem Publikum (vgl. Pfetsch/ Wehmeier 2002; Weßler 2002). einer

Das Publikum setzt sich danach

potenziellen Sprechern zusammen; es nimmt jedoch zum größten Teil die eher passive Rolle von Zuhörern, Empfängern oder Adressaten an. Der aktive Beitrag der Kommunikation wird in der Regel von Repräsentanten von Organisationen, Institutionen oder anderen Gruppierungen geleistet. Diese haben bestimmte Thematisierungsinteressen. Sie lassen eine mehr oder weniger große Nähe zwischen den einflussreichen Akteuren aus verschiedenen Bereichen erkennen. Dieser Kontaktprozess vollzieht sich zumeist von oben nach unten; er ist jedoch auch horizontal zu beobachten (vgl. ebda). AVKommunikation erhält damit Relevanz im Kontext der öffentlichen Meinungsbildung, die nach Scherer in einem weiten Sinne als „Phänomen und Prozess kollektiver Meinungsbildung im öffentlichen Austausch über Themen von öffentlichem Interesse" (Scherer 1998, S. 693f.) aus

lauter

verstanden werden soll. Eine zentrale Rolle im Kontext öffentlicher Kommunikation

kum, zumal

es

in der Massenkommunikation nicht

überindividuelle

spielt die Vorstellung vom Publi-

individuelle Personen, sondern um Nach Maletzke (1963/1978, S. 37) wird das Publikum als um

Aggregate geht. betrachtet, bei dem es sich um eine vielschichtige, inhomogene Vielzahl 'disperses von Rezipienten handelt, „die in aller Regel untereinander keine engeren zwischenmenschlichen Kontakte unterhalten, unstrukturiert und unorganisiert sind und einander auch nicht kennen es sei denn, die Zuwendung zu den Medieninhalten erfolgt beispielsweise gemeinsam im Familienverband, Verwandten-, Freundes- oder Bekanntenkreis" (Pürer 2003, S. 80f.). Damit unterscheidet Maletzke das Publikum der Massenmedien von dem 'Präsenzpublikum' zum Beispiel im Theater oder bei Sportveranstaltungen. Disperse Publika sind instabile Gebilde, die Jeweils von Fall zu Fall dadurch [entstehen], dass sich eine Anzahl von Menschen einer Aussage der Massenkommunikation zuwendet" (Maletzke 1963/1978, S. 28). Publikum'

-

Hasebrink weist darauf hin, dass der schließlich im

Begriff Publikum,

in früheren Jahren

so

gut wie

aus-

Singular verwendet, in den letzten Jahren zunehmend in der Pluralform (entsprechend englisch: audiences) anzutreffen ist (2003, S. 103). Er gibt zu bedenken, dass mit der Rede vom Publikum lange Zeit ausschließlich die Assoziation einer homogenen Gruppe von Menschen verbunden war. Die Vielzahl hoch ausdifferenzierter Medienangebote, die im Zuge der Individualisierung erhöhte Wahlfreiheit der Nutzer (vgl. Jäckel 1996) und die Fülle

Zu einem

integrativen Modell der AV-Kommunikation

5

unterschiedlicher situativer Kontexte der dass sich das Publikum

Mediennutzung, stützen nunmehr jedoch die These, „verstreut" (Hasebrink 1994). Danach erscheint es also sinnvoll und

hilfreich, im Kontext der AV-Kommunikation sprechen (vgl. Klaus 1997; Hasebrink 2003). 1.3

von

verschiedenen Publika der Medien

zu

Abgrenzung zur medienwissenschaftlichen Perspektive auf AV-Medien

Ausgehend davon, dass es sich bei AV-Kommunikation um öffentliche Kommunikation handelt,4 wird erneut der Fokus dieser Publikation als explizit kommunikationswissenschaftliche deutlich; sie unterscheidet sich damit von anderen Betrachtungsweisen, die den Schwerpunkt auf kulturwissenschaftliche und/oder medienwissenschaftliche Aspekte legen bzw. einzelne Medien, etwa unter der Perspektive ihrer technisch-kulturellen Entwicklung untersuchen, und in denen eine medienzentrierte bzw. auf das Medium bezogene Sichtweise dominiert. Rezipienten, mithin Publika, werden darin tendenziell je nach Ausrichtung und Schwerpunktsetzung außer Acht gelassen bzw. nur als Fernsehzuschauer, als Kinozuschauer oder Radiohörer betrachtet. Ihr alltagsweltlicher Kontext, ihr Umgang mit medial vermittelter Kommunikation als Teil ihres Alltagshandelns, bleibt unzureichend berücksichtigt. -

-

Zur

Verdeutlichung dieser Position

sei insbesondere auf zwei zentrale Werke medienwissen-

schaftlicher Perspektive verwiesen, die stich

Einführungen

in die Medienwissenschaft

von

Faul-

(2002) und Hickethier (2003).

In seiner

Differenzierung

und

Abgrenzung unterscheidet

Werner Faulstich

speziell

eine eher

sozialwissenschaftlich orientierte Publizistikwissenschaft und eine literaturwissenschaftlich

orientierte Medienwissenschaft (Faulstich 2002, S.

52ff);

Auch Knut Hickethier

in die Medienwissenschaft

strebt mit seinem

Konzept einer allgemeinen Medienwissenschaft die Integration aller medien- und publizistikwissenschaftlichen Teildisziplinen „unbeschadet der bisherigen Unterscheidung in zwei Bereiche" (ebda, S. 54) an. Im Hinblick auf die Kommunikationswissenschaft betont Faulstich explizit, dass die Medienwissenschaft ebenso wenig eine Kommunikationswissenschaft sei wie sie eine Soziologie ist (ebda, S. 43), aber sehr wohl an solchen Basiswissenschaften partizipiere.

spricht in seiner Einführung

4

er

(2003) von ei-

In diesem Kontext sei auf die Definition von Elisabeth Noelle-Neumann hingewiesen; sie weist daraufhin, dass [...] alle öffentlich gemachte und für die Öffentlichkeit bestimmte Aussage als Gegenstand behandelt (wird), aber nicht alle Kommunikation" (1975, S. 745). Peter Glotz erinnert mit Bezug auf Manfred Rühl daran, dass eine selbständige Wissenschaft eine „eigene Sichtweise", „eine besondere Blickrichtung auf das Material" benötige und keinesfalls eine „Summation der Gegenstände" darstelle (Glotz 1990, S. „von der Publizistikwissenschaft

250).

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

6

ner

Differenzierung unterschiedlicher Disziplinen, die sich um ein Gegenstandsfeld bemühen;

dabei führt

er

im Hinblick auf die Medienwissenschaft und die Publizistik- und Kommunika-

unterschiedlichen Wissenschaftskulturen an, die für eine verantwortlich sind. Die Medienwissenschaft steht danach, ähnlich wie

tionswissenschaft die

Ausdifferenzierung bei

jeweiligen

Faulstich, in der geisteswissenschaftlichen Tradition der Text- und Kulturwissenschaft,

die Publizistik- und Kommunikationswissenschaftlich ist

dagegen

stärker sozialwissenschaft-

lich

ausgerichtet; sie bediene sich auch eher statistischer Verfahren, die Medienwissenschaft dagegen eher exemplarisch analytisch-interpretativer Verfahren (ebda, S. 8).5 Hickethier fuhrt noch einen

weiteren, den bereits oben genannten Grund für eine Ausdifferenzierung an; auch er hebt hervor, dass sich die Medienwissenschaft stärker mit den unterhaltenden und fiktionalen Formen von Medien beschäftigt hat, die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft hingegen deutlicher mit den journalistischen Formen. Hickethier betont jedoch die Notwendigkeit einer explizit medienwissenschaftlichen Perspektive auf den Gegenstand, mithin die Eigenständigkeit der Ansätze, Konzeptionen und Positionen, allerdings nicht ohne Bezüge zu anderen Disziplinen wie der Journalistik und Kommunikationswissenschaft herzustellen (Hickethier 2003, S. 2). Sein text- und kulturwissenschaftlicher Ansatz nimmt insbesondere die technisch-apparativen Medien Film, Fernsehen, Radio und Internet in den Blick und konzentriert sich auf die Produkte als Medientexte. Hickethier erklärt zwar, dabei die Beschäftigung mit der Produktion und der Rezeption dieser Produkte nicht vernachlässi-

wollen; diese sei vielmehr notwendig (ebda, S. 3), dennoch ist seine Perspektive auf den Gegenstand als medienorientiert aufzufassen, da sie auf Vorstellungen der Apparatusgen

zu

theorie bzw. des Mediendispositivs fußt. In seiner theoretischen

Apparatustheorie (1974/75, 1994) beschreibt Baudry mit Blick auf den Film das Verhältnis von Kino und Subjekt und weist auf Wechselwirkungen und Interdependenzen zwischen Technik, Kultur und Subjekt hin. Damit lässt diese Theorie bereits Elemente einer integrativen Sichtweise erkennen. So postuliert sie zwar eine ideologisch bedeutsame Interaktion zwischen Zuschauern und Filmen,6 im Hinblick auf die konkre5

Konzeption

der

Siehe dazu auch Glotz 1990, S. 253.

6

Nach Baudry schafft die Kamera eine ideale Voraussetzung für ein „transzendentales Subjekt", indem sie die Illusion unterstützt, die Welt auf die gezeigte Weise begreifen zu können. Baudry geht von der These aus, „dass bereits die technische Grundlage des Kinos 'spezifische ideologische Effekte' produziere. Diese Effekte bestehen darin, daß der Zuschauer im Verhältnis zum Gesehenen eine Mittelpunktsposition einnehme, aus der die Welt zentriert und zusammenhängend erscheine" (Lowry 1992, S. 118). Baudry stellt dabei einen Vergleich zwischen Kinoprojektion, dem Traum, dem Höhlengleichnis Piatons und der von Lacan beschriebenen imaginären Identifikation her (vgl. ebda). Auch Theodor Adorno vergleicht in diesem Fall das Femsehen mit einem -

-

Zu einem

integrativen Modell der AV-Kommunikation

7

Rezeption stößt sie aber gänzlich an ihre Grenzen. Für Prozesse der konkreten Bedeutungsverleihung bzw. die Aneignung von Filmbotschaften gibt die Apparatustheorie keinerlei Erkenntnishilfen.7 Nach Stephen Lowry stellt diese Theorie „eine strukturelle [Hervorh. im Orig.] Ideologie fest, die prinzipiell bei jedem Film gleich sei. Die 'Kino-Apparatur' wird aber so zum ontologischen Konstrukt. Daß auf dieser Ebene der Abstraktion kaum etwas über die konkrete Rezeption eines Films gesagt werden kann, liegt auf der Hand" (Lowry 1992).

te

Konzeption des 'Mediendispositivs' zu den Medien Kino, Radio und Fernsehen (Hickethier 2003, S. 186 ff.) enthält mehr noch als diese zentrale Elemente in Bezug auf die Ebenen Produktion, Produkt und Rezeption; diese werden jedoch lediglich benannt und erscheinen auch im Modell des 'Mediendispositivs' noch 'skeletthaft'. Das dem Gerüst des 'Mediendispositivs' bereits inhärente Potential ist in Bezug auf den Prozesscharakter von AV-Kommunikation zu erweitern und mit entsprechenden theoretischen, methodologischen und methodischen Konzeptualisierungen auszufüllen bzw. lebendig Auch die auf Apparatustheorien aufbauende

zu

machen,

um

AV-Kommunikation sowohl auf Makro- und Mesoebene als auch auf der

Mikroebene konkreter AV-Medienrezeption betrachten zu können. 1.4

Ziel der vorliegenden Publikation

derartiges integratives Modell der AV-Kommunikation als Teil alltagskultureller Kommunikation zu erarbeiten. Es geht darum, Einseitigkeiten und Engführungen bisheriger Zugänge zu vermeiden, die sich, zumeist durch eine Perspektive geprägt, entweder medien- oder rezipientenorientiert, entweder struktur- oder phänomenologisch, an politischen, ökonomischen oder technischen Fragen festmachen. Mit Hilfe verschiedener Quellen aus unterschiedlichen Zugängen intra- und interdisziplinärer Felder soll eine tragfähige Grundlage für die Aufgabe gelegt werden, das System der AV-Kommunikation mit den zentralen Ebenen Produktion, Angebot und Rezeption in ihren diversen, aufeinander verweisenden Bausteinen und einander vielfaltig berührenden bzw. überlappenden Schnittstellen technischer, ökonomischer und symbolischer Perspektiven auf den GegenZiel der vorliegenden Publikation ist es nun, ein

stand miteinander zu verbinden und im Kontext zu umreißen bzw. betrachtbar zu machen. Als eine vierte Ebene ist die

Frage nach den (gesellschaftlichen) Konsequenzen vor allem techni-

scher Innovation und der Diffusion

neuer

Entwicklungen

im AV-Medienbereich

zu

reflek-

vermag, „zugleich ins Duplikat der Welt einzuschmuggeln, was immer man in der (1953, S. 1); vgl. dazu Kap. 2.2 der vorliegenden Publikation. 7 Siehe dazu weiterführend die Bezugnahme auf Ralph Weiß' „praktischen Sinn des Femsehens" in Kapitel 2.3 der vorliegenden Publikation.

„traumlosen Traum", das realen fur zuträglich hält"

es

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

8

tieren. In diesem

Zusammenhang

erscheint

es

notwendig,

auch den

längst

obsolet erscheinenden

'Methodenstreit' einer auf der einen

Seite, der sozialwissenschaftlich verankerten Kommunikationswissenschaft, die stärker einem quantitativen Paradigma verpflichtet ist, und auf der anderen Seite, der textwissenschaftlich orientierten Medienwissenschaft, die sich eher Verfahren des qualitativ ausgerichteten Paradigmas bedient, zu überwinden. Schließlich erscheint ei-

derartige Spaltung nicht länger zeitgemäß, sie widerspricht sowohl auf der Produkt- als auch auf der Rezeptionsebene den tatsächlichen Angebots- und Umgangsweisen. Hinzu kommt, dass auch in der Kommunikationswissenschaft ernsthaft empirisch arbeitende Wissenschaftler längst verstanden haben, dass beide Zugänge sozialwissenschaftliche Forschung überhaupt erst fruchtbar zu machen in der Lage sind. Der häufig gezogene Vergleich zwischen der Leistungsfähigkeit quantitativer bzw. qualitativer Ansätze hat dort einer Reflexion in Richtung einer möglichen Verbindung beider Platz gemacht und in vielfältiger Weise hin zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit geführt, kommt es doch darauf an, methodisch gegenstandbezogen, mithin der jeweiligen Fragestellung adäquat zu arbeiten (vgl. Paus-Hasebrink 2004). Somit geht es in dem vorliegenden Buch ganz explizit um eine Integration der verschiedenen Ebenen der AV-Kommunikation und eine entsprechende methodische Fundiene

rung.8 Um eine

derartig

breit

angelegte, grundlegende Beschäftigung mit dem Phänomen Audiovisuelle Kommunikation zu ermöglichen, soll zuallererst der Begriff Kultur geklärt werden. Kultur wird damit nicht mit Texten und Deutungsmustern gleichgesetzt, mithin nicht auf die Hervorbringung von Sinn und Bedeutung allein reduziert, die mit ihren Vorstellungsbildern, Interpretationsfolien und Handlungsmodellen zwischen Mensch und Objekt vermitteln (vgl. Hörning 2001, S. 158.). „[...] Kultur drückt sich gleichermaßen in kulturell eingelebten Gepflogenheiten, Wissensbeständen und Kompetenzen aus, die in die Praktiken und Handlungseinfließen, die in der Welt ihre Wirksamkeit entfalten und Praktiken Wirklichkeit transformieren oder stabilisieren." (ebda) muster

Eine solche

zusammen

mit anderen

Betrachtung beugt einer Engführung des Blicks auf AV-Kommunikation vor, zumal darin explizit auch die alltagskulturelles Handeln fundierende 'Materialität', wie sie Bourdieu in seiner Theorie der Praxis hervorhebt (vgl. Ebrecht/ Hillebrandt 2002, S.ll), mit

Siehe dazu ausführlicher Kap. 2.4 der vorliegenden Publikation.

Zu einem

integrativen Modell der AV-Kommunikation

ins Visier genommen

9

wird.9 Ein auf dieser Folie verstandener Begriff von Kultur liegt dieser

Publikation als Basis zu Grunde,

um

die zentralen Bereiche der AV-Kommunikation: Produk-

tion, Angebot und Rezeption sowie ihre Bezüge untereinander angemessen beschreiben

zu

können. 1.5 Zum

Zusammenfassung

Gegenstand

der Audiovision zählen insbesondere die audiovisuellen Medien Film und

Fernsehen sowie mit Abstrichen auch das Radio als auditives Medium. In dieser Publikation wird

Audiovisuelle Kommunikation auf der

Grundlage eines breiten Verständnisses von Kommunikation als Teil kommunikativen Alltagshandelns mit medial vermittelten Angeboten der Massenkommunikation und damit in Erweiterung medienwissenschaftlicher Positionen nun

beleuchtet. Dabei wird

Kommunikation, im Unterschied zur Information, auf Verständnis, auf Austausch, auf Teilhabe angelegt, als soziales Verhalten, von Interaktion mithin als Grundkonstituens menschlicher Existenz gesehen. Bisher ist im Rahmen der Kommunikationswissenschaft der Bereich AV-Kommunikation

eher unter einer journalistischen

Perspektive betrachtet worden; fiktional-unterhaltungsorientierte Angebote und der Umgang mit ihnen wurden dagegen tendenziell vernachlässigt. Hier soll AV-Kommunikation ohne derartige Engführungen im Rahmen eines integrativen Modells von

wird

AV-Kommunikation im Kontext öffentlicher Kommunikation betrachtet werden. Dabei

allem dem Leitmedium Fernsehen Aufmerksamkeit

vor

Hinblick auf neuere

Entwicklungen

wie seine Schnittstellen

zur

des Mediums in

geschenkt. Dies gilt auch im Bezug auf Digitalisierungsprozesse so-

Online-Kommunikation. Um die zentralen Bereiche der AV-

Kommunikation

Produktion, Angebot und Rezeption sowie ihre Bezüge untereinander angemessen beschreiben zu können, soll dieser komplexe Gegenstand aus möglichst vielen Perspektiven beschrieben werden, um seine zentrale Bedeutung im Rahmen der Kommunikationswissenschaft analysieren und verstehen zu können. 1.6

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Baacke, Dieter (1973): Kommunikative Kompetenz. Grundlegung einer Didaktik der Kom-

9

Ein ähnlicher Gedanke findet sich in

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bei Andreas

Lange (vgl. Lange

Einfuhrung in die Audiovisuelle Kommunikation

10

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Zu einem

integrativen Modell der AV-Kommunikation

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Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

12

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-

Zum

Begriff'Kultur' als Basis eines breiten Verständnisses von (AV-)Kommunikation

2

Zum

13

Begriff 'Kultur' als Basis eines breiten Verständnisses (AV-)Kommunikation im Rahmen von Alltagskultur (Ingrid Paus-Hasebrink)

2.1

von

Kultur als symbolische, materiell bestimmte Ressource

Das Verständnis medialer Kommunikation als sozialer Prozess fußt auf der

Vorstellung von Kultur als Gesamtheit symbolischer Prozesse; zu ihnen gehören vornehmlich die Sprache, daneben aber auch alle anderen Bereiche kultureller Gefasstheit wie Wissenschaft, Kunst,

Recht, Religion und Ökonomie.

liegt eine Entwicklung des Kulturbegriffs zu Grunde, die sich aus unterschiedlichen Disziplinen speist,10 der Ethnologie, der Anthropologie, der Philosophie und insbesondere der Soziologie. Vor allem dort steht das vielschichtige Verhältnis von Kultur und

Dieser Sichtweise

Gesellschaft im Zentrum der theoretischen

Überlegungen,

das als einer der ersten

neueren

soziologischen Konzepte Talcott Parsons als eine Interdependenz von drei Sysbeschreibt, und das den Wechsel der Vorstellungen von Kultur als humanistisch

theoretischen

temebenen

geprägte zu Gunsten einer soziologisch-funktionalistischen kennzeichnet. Parsons nimmt das Zusammenspiel von kulturellem, sozialem und personalem System in den Blickpunkt eine Perspektive, die er jedoch recht einseitig im Hinblick auf die sozialen Phänomene untersucht, -

wobei die kulturellen Dimensionen letztlich außen vor bleiben.

Folge im Hinblick auf kulturelle Phänomene ist im Weiteren denn auch lediglich eine Ausdifferenzierung in kulturelle Teilsysteme. In der Kritik daran wurde das Plädoyer nicht nur für die Bedingtheit der Kultur durch die Gesellschaft geführt, sondern vielmehr für die Bedingtheit der Gesellschaft durch die Kultur. Auch der Soziologe Malinowski beschreibt

Die

soziologisch-funktionalistisch; sein deutlich handlungsbezogener Kulturbegriff setzt die Kultur einer Gesellschaft mit einem Normensystem gleich. Eine Theorie

kulturelle Phänomene

der Kultur hat danach die bzw. die

Veränderung

Aufgabe,

von

nach den Gründen für die

Normensystemen

zu

fragen

und

Entstehung und die Erhaltung zu

beschreiben, welche hand-

lungsleitende Rolle der Kultur dabei zukommt. Im Zentrum dieser Auffassung stand möglichst 'objektive Beschreibung' von Kultur (vgl. Malinowski 1931; Winter 1995). Das diesem Buch

10

zu

Grunde

Siehe dazu auch Winter 1995.

liegende

umfassende Verständnis

von

Kultur als

eine

symbolische

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

14

Konzeption geht

nun

insbesondere auf Ernst Cassirer zurück, der konstatierte, dass der

Mensch in einem

'symbolischen Universum' (vgl. Cassirer 1940/1990, S. 50) lebe (vgl. Winter 1995, S. 76)." Aus soziologischer Perspektive hat Friedrich H. Tenbruck diese Konzeption geschärft. Danach unterliegt das 'soziale Geschehen' der Bedingtheit und den Bedeutungszuschreibungen der Kultur (vgl. Lipp/ Tenbruck 1979), Menschen leben in einer symbolisch verschlüsselten Realität. Als zentral für das Verständnis

von

Kultur als

symbolisch

gefasste ist der Anthropologe Clifford Geertz zu nennen, der, u.a. von Wittgenstein beeinflusst, geistige Phänomene nicht als private kennzeichnet, sondern ihren weiter unten noch deutlich auszuführenden regelgeleiteten Charakter hervorhebt. Kultur stellt sich nach Geertz, der ebenfalls von Cassirer beeinflusst und in Auseinandersetzung mit der Symbolphilosophie von Cassirers Schülerin Susanne K. Langer, Kultur als symbolisch vermittelt begreift, als „ein geordneter Komplex von Bedeutungen und Vorstellungen [dar], der sich im sozialen Handeln (Winter 1995, S. 77). Kultur bedeutet dann nach Soeffher, „die Gesamtheit der Formen der Lebensführung einer Gesellschaft oder eines Milieus innerhalb einer Gesellschaft und verweist so auf ihren Plural, das Nebeneinander verschiedener Kulturen" (1988, S. 5). realisiert"

-

Um menschliches Handeln als kulturell

bietet sich die

vermitteltes, soziales Handeln begreifen Umberto Eco

zu

können,

Er bezeichnet

sinnfällige 'Symbolischen' als den Bereich all der Aktivitäten, „durch die der Mensch seine eigene ErSymbolische fahrung in ein System von Inhalten organisiert, dem ein Ausdruckssystem entspricht. Das Symbolische ist die Aktivität, durch die Erfahrung nicht nur koordiniert, sondern auch kommuniziert wird" (Eco 1985, S. 199). Kultur spannt den Bedeutungsrahmen sozialen Handelns, sie bildet die Grundlage des Sinnvorrats, aus dem die Gesellschaft schöpft und kulturelle Erscheinungsformen ausdifferenziert; sie repräsentiert daneben den Wissensbestand, mit dem Kommunikationsteilnehmer in ihren Interaktionen verstehend agieren und der ihnen gestattet, sich miteinander zu verständigen (vgl. Habermas 1986, S. 349). Definition des

von

an.

das

Ihre

spezifische

Gestalt

gewinnt

Kultur im Prozess aktiver

Bedeutungsverleihung renden, bei dem diese sich auch massenmedialer Angebote bedienen.12

der

Agie-

Annäherung an den Begriff Kultur und nimmt man Eco ernst, wird unmissverständlich deutlich, dass sich eine Annäherung an mediale Kommunikation nicht nur aus eiGeht

11

es um

eine

Siehe zu Cassirer auch seine Schrift aus dem Jahre 1910 über die Grundfragen der Erkenntniskritik.

Stefan Müller-Doohm und Klaus Neumann forschung als Kulturforschung.

12

u.a.

(1989) fokussieren

in diesem

Zusammenhang

auf Medien-

Zum

Begriff'Kultur' als Basis eines breiten Verständnisses von (AV-)Kommunikation

15

Perspektive vollziehen lässt und auch nicht nur auf einer Ebene. Nach dem 'Linguistic Turn'13 mit seinen erkenntnistheoretischen Folgerungen und Positionen zum Verhältnis von ner

Bewusstsein und Wirklichkeit lassen sich

(medien)kulturelle Phänomene nicht länger als von-

Phänomene beschreiben, sondern nur auf der Basis materieller und zeitlicher Unterschiede. Wichtig erscheint dabei vor allem, eine hegemoniale, das meint eine einander

unabhängige

dominierende 'Lesart' des Verstehens und seiner spezifischen Zugänge zu vermeiden. Dies bedeutet ernst

zu

nehmen, dass

es

unterschiedliche 'Grammatiken'

gibt und, damit ver-

bunden, unterschiedliche 'Lesarten'14 medialer kultureller Ausdrucksformen, die es in ihrer jeweiligen Genese, in ihrem jeweiligen Bedingungsgeflecht zu identifizieren, zu beschreiben, zu verstehen, also zu 'lesen' gilt. In diesem Zusammenhang bietet sich eine Anknüpfung an den in der Rezeption von Wittgenstein (Meder 1987) geprägten Begriff des 'Sprachspiels' an;15 die Frage nach der Bedeutung bzw. Bedeutungsgenerierung von Kommunikation kann mit Bezug auf Wittgensteins Werk, das einen Übergang zur Gebrauchstheorie der Bedeutung darstellt, gewinnbringend behandelt werden. helfen, den Symbolzusammenhang der drei Ebenen der AV-Kommunikation im Rahmen einer kommunikationswissenschaftlichen Betrachtung von Der

Begriff des Sprachspiels

kann

Produktion, Angebot und Rezeption näher zu beleuchten und neue Perspektiven darauf zu er-

länger als beziehungslos nebeneinander stehende Bereiche erkennen, sondern hebt ihr dynamisches Beziehungsgeflecht hervor. Der Blick auf die Übergänge zwischen den unterschiedlichen Sprachspielen, der Produktion, des Produkts und der Rezeption mit ihren jeweils unterschiedlichen von den differenten Lebensformen der Rezipienten geprägten Sprachspielen im Sprachspiel schließen bzw. sie deutlich hervorzuheben. Er lässt AV-Kommunikation nicht

Begriff'Linguistic Turn', der auf sprachphilosophischen Überlegungen von Wittgenstein und Austin 1970er Jahren in den Geisteswissenschaften vollzogene Wende hin zur Anerkennung der Strukturierungskraft der Sprache ausgedrückt. Klaus Stierstorfer definiert den Begriff im Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie folgendermaßen: „Der Begriff [...] bezeichnet eine Reihe von unterschiedlichen Entwicklungen im abendländischen Denken des 20. Jh.s. Allen gemeinsam ist eine grundlegende Skepsis gegenüber der Vorstellung, Sprache sei ein transparentes Medium zur Erfassung und Kommunikation von Wirklichkeit. Diese Sicht wird durch die Auffassung von Sprache als unhintergehbare Bedingung des Denkens ersetzt. Danach ist alle menschliche Erkenntnis durch Sprache strukturiert; Wirklichkeit jenseits von Sprache ist nicht existent oder zumindest unerreichbar. Wichtige Folgen sind, daß Reflexion des Denkens, bes. der Philosophie, damit zur Sprachkritik wird und daß Reflexion sprachlicher Formen, auch der Lit., nur unter den Bedingungen des reflektierten Gegenstandes, eben der Sprache, geschehen kann". (Stierstorfer 1998) Seinen Namen erhielt der Begriff durch Richard Rortys gleichnamige Anthologie aus dem Jahre 1967. Siehe dazu auch das Kapitel von Jens Woelke „Bedeutung konstituieren: Sprach- und zeichentheoretische Überlegungen" in der vorliegenden Publi13

Mit dem

beruht, wird die in den

kation. 14

Auf das Modell der 'Lesarten' wird weiter unten näher eingegangen.

Norbert Meder hat im Rückgriff auf Wittgenstein den Sprachspielbegriff in Pädagogik auch Fromme 1997, S. 146f. ,s

eingebracht; siehe dazu

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

16

AV-Kommunikation wird verstärkt. AV-Kommunikation wird damit als offenes Feld diffe-

Sprachspiele mit jeweils für die einzelnen Felder charakteristischen eigenen, allerdings ähnlichen Sprachspielen erkennbar. renter

Anders als noch in seinem

Frühwerk, dem 'Tractatus', fassen die 'Philosophischen Untersuchungen' quasi als Beginn des 'Pragmatic Turn',16 Sprache als Phänomen, „dessen Bedeutung nicht auf logisch fixierbare und

eindeutige Elementarsätze zurückgeht, sondern erst in konkreten Verwendungszusammenhängen gefunden werden kann" (Fromme 1997, S. 88). Pragmatisch bedeutet damit anwendungsbezogen. Es wird nicht länger nach einem verborgenen Sinn gesucht, sondern nach einer Art „Tatsachensinn" (ebda), der sich im konkreten Sprachgebrauch zeigt. Geht es um den Menschen, bezieht sich die Frage darauf, ihn, das Wesen des Menschen, in „seiner aktuellen Lage zu beschreiben und zu analysieren" (Roche 1975, S. 133). Mit der

Hinwendung zum Phänomen, sprich dem konkreten Gebrauch der Sprache, geht es also um ihre Bedeutung in konkreten gesellschaftlichen Verwendungszusammenhängen, um ihre Kontextgebundenheit. Sprache wird als dynamisches und lebendiges Phänomen gezeichnet.

verschiedene Arten der

Verwendung alles dessen, was wir .Zeichen', Worte' und Sätze' nennen. Und diese Mannigfaltigkeit ist nichts Festes, ein für allemal Gegebenes, sondern neue Typen der Sprache, neue Sprachspiele, Wittgenstein: „Es gibt [...] unzählige ,

wie wir sagen

,

können, entstehen und andre veralten und werden vergessen" (1969,

S.300).

Sprechen hängt bei Wittgenstein mit der Lebensform zusammen. Sie ist die Bedingung der Möglichkeit von Sprachspielen. Sprache und damit auch Kulturen sind offene Systeme. Der Begriff Sprachspiel weist darüber hinaus darauf hin, dass Sprache und Kulmren selbst spielerische Momente enthalten. Die Auseinandersetzung mit Sprache und Kulturen wird damit zur Kulturhandlungstheorie; die Beschäftigung mit Kommunikation und in diesem Kontext auch mit AV-Medien ist darin zu integrieren. Lebensform meint auch immer das Andere, ob der Sprache oder allgemein der Kultur, dessen wir uns gleichwohl nur sprachlich verge-

-

16 Der Begriff 'Pragmatic Turn' ist im engen Kontext des Begriffs 'Linguistic Tum' zu verstehen. Deutlich hervorgehoben werden soll damit der Faktor, dass sich die Bedeutung des Gesagten erst im konkreten Gebrauch der Sprache vollzieht. Betont wird also die Kontextgebundenheit von Sprache, mithin die hohe Relevanz ihrer konkreten gesellschaftlichen Verwendungszusammenhänge.

Zum

Begriff 'Kultur' als Basis eines breiten Verständnisses von (AV-)Kommunikation

wissern können. Die unterschiedlichen Kulturen haben

17

je eigene Sprachformen und Sprach-

spiele entwickelt; quasi auf der Makroebene. Doch auch auf der Meso-, und denkbar auch auf der Mikroebene, finden sich innerhalb von Kulmren und Subkulturen medial geprägt plurale Sprachspiele. Nach Wittgenstein umfasst der Sprachspielbegriff unterschiedliche Ebenen; und auf jeder dieser Ebenen sind Sprachspiele als offene Systeme zu denken, rückgebunden an die jeweilige Lebensform, in die auch ihre regelgeleitete Genese verwoben ist. -

-

Mit dem

Wittgenstein'sehen Sprachspielbegriff wird Sprache, mithin auch AV-Kommunikation, unter der Perspektive des 'Spiels' in den Fokus genommen. Dies bedeutet in allererster Linie, dass Sprache als ein Regelsystem verstanden wird und dass sich Sprechen als Befolgen oder auch Verändern von Spielzügen darstellt. AV-Kommunikation wird damit erneut als prinzipiell offenes System erkennbar. Der

Begriff Sprachspiel weist darüber hinaus auch darauf hin, dass AV-Kommunikation und ihre (alltags)kulturellen Ausprägungen selbst eine Fülle sprachspielerischer Momente enthalten, die zu unterschiedlichem Gebrauch auffordern. Die Wittgenstein'sche Metapher des Sprachspiels lenkt zudem den Blick auf den gesellschaftlichen Diskurs und stärkt das Moment der Relevanz von AV-Kommunikation im Rahmen öffentlicher Kommunikation; Begründungsdiskurse werden für die jeweiligen Sprachspiele nötig, wenn es zum Widerstreit zwischen unterschiedlichen Diskursregeln und Geltungsansprüchen auf den unterschiedlichen Ebenen der AV-Kommunikation bzw. innerhalb der Ebenen bzw. Felder selbst kommt. Deutlich wird dabei ebenfalls die hohe

Bedeutung von Sprachspiel-Kompetenz als Voraussetzung, an Sprachspielen, mithin am gesellschaftlichen Diskurs, teilzunehmen, eine gesellschaftliche Aufgabe, als medienpädagogische Konsequenz einzuordnen und als kommunikative Schlüsselkompetenz einzufordern. Im

vorliegende Publikation steht also die zentrale Annahme, dass menschliches Handeln regelgeleitet ist. Der Begriff der Regel wird in Bezug auf den sozialwissenschaftlichen Objektbereich im Gegensatz zu den Naturwissenschaften als sprachlich konstitutiver Gegenstandsbereich angesehen (vgl. Habermas 1983). Hier wird unterstellt, dass es im Denken und Handeln Regeln gibt, denen insofern ein universaler Charakter zukommt, als sie erst die Sozialität des Menschen konstituieren. Dieser auf Wittgensteins Überlegungen zur Sprache aufbauende Regelbegriff ist von Winch (vgl. 1974, S. 67) in seiner Auseinandersetzung mit Max Webers Handlungsbegriff ausgeweitet worden. Auf diese Weise konzipiert Winch eine an der Sprachfähigkeit von Menschen orientierte Sozialwissenschaft, der es daVordergrund

für die

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

18

geht, menschliches Handeln, als 'soziales Handeln gefasst, in seinen sprachlich vermittelten, mithin kulturellen Bedingungsgeflechten nachzuvollziehen, zu interpretieren, also zu rum

verstehen.

sozialpsychologischen Ansatz George Herbert Meads fließen Annahmen zu regelgeleitetem menschlichen Handeln ein, sie sind ebenso zu finden in der Sprechakt-Theorie von Austin (1972) und Searle (1971), der Generativen Grammatik Chomskys, dem Genetischen Strukturalismus Piagets, der strukturalen Anthropologie (Levi-Strauss 1987 [1958]) sowie dem Ansatz des kommunikativen Handelns von Habermas (vgl. 1981). Bereits in den

Ausgehend von Chomskys in der Linguistik verwendetem Kompetenzbegriff (1966) differenzierte Dieter Baacke den Begriff 'kommunikative Kompetenz' unter Rückbezug auf verschiedene kommunikationstheoretische Modelle und Theoreme und beleuchtete ihn damit in seiner

anthropologischen Komplexität und Mehrperspektivik auch als wichtiges Lernziel. Dieser Ansatz gewinnt im Zusammenhang einer AV-Forschung an Relevanz, die sich nicht allein damit begnügen möchte, wissenschaftliche Erkenntnisse zu Produktion, Angebot- und Rezeptionsweisen zu generieren, sondern der es darauf ankommt, in einem weiteren Schritt auch Forschungsergebnisse an die Öffentlichkeit zurück zu binden, um den Umgang von Menschen mit medialen Angeboten als qualifizierten, möglichst kompetenten und selbstbestimmten zu stärken.18 Den eng miteinander verschränkten und aufeinander rückverweisenden Bedeutungsebenen nachzuspüren, dem Sinnhorizont des Medienangebots einerseits und dem Prozess der Bedeu-

tungszuschreibung durch den Rezipienten andererseits, setzt eine Analyse der Inhalte, also der „objektiven Realitätsebene", ebenso voraus wie die Zuwendung zu der „subjektiven Repräsentation dieser Ebene durch die Subjekte" (Aufenanger u.a. 1989, S.l 11). Beide Ebenen bleiben jedoch in ihrer Betrachtung unvollständig, wenn nicht auch die Frage nach den Produktionsbedingungen gestellt wird. Die so genannte 'Kirch-Pleite' ist als schlagkräftiger Beleg dafür anzuführen.

Kulturtheoretische Ansätze19 leisten diesen, alle drei Ebenen ins Visier nehmenden Blick. Die

17

Siehe dazu weiter unten eine ausführliche Darlegung des Verständnisses von 'sozialem Handeln'.

In diesem Zusammenhang mag der Hinweis auf die Erstellung medienpädagogischer Materialien im Anschluss an die Erforschung des Umgangs Jugendlicher mit Daily Talks genügen (vgl. Paus-Haase/ Hasebrink/ Mattusch/ Keuneke/ Krotz 1999). "Die in diesem Buch vorgestellte Sichtweise soll explizit von 'kulturwissenschaftlichen' Perspektiven unter18

Zum

19

Begriff'Kultur' als Basis eines breiten Verständnisses von (AV-)Kommunikation

geforderte Zusammenschau sowohl von Produktions-, Produkt-, und Rezeptionsanalysen als auch von Widersprüchen, Handlungspotentialen und Gegenbewegungen in der Massenkommunikation (vgl. Müller-Doohm/ Neumann 1989, S. 7) kann als hilfreiche Fundierung einer Annäherung an bedeutungsstiftende Implikate von Medienprodukten und ihren Produktionshintergründen und Produktionsbedingungen im Hinblick auf ihre Relevanz für den Rezeptionsprozess dienen.

dort

Überlegungen

medienanalytischen Möglichkeiten von unterschiedlichen Medien einen Überblick zu wesentlichen Ansätzen, die Medienproduktion, Medienprodukt und Medienrezeption, die er jeweils als 'Medientexte' fasst (vgl. Willems 2000, S. 212), im Kontext betrachten; ihm geht es darum „einen Apparat komplementärer Konzepte" (ebda) darzubieten, die die Vorteile einer Zusammenschau erkennbar machen und Nachteile einer einseitigen Perspektivik herausstellen. Willems bezieht sich dabei auf so weit reichende soziologische Konzepte wie Elias 'Figurationstheorie' (1981) und die damit eng verbundene 'Feldtheorie' Bourdieus (auf sie wird später näher eingegangen), die mit Bezug auf den für sie zentralen Habitusbegriff die Aufeinanderbezogenheit der nur analytisch trennbaren Ebenen Produktion, Produkt und Rezeption herausstellen sowie den von Foucault geprägten Begriff des 'Dispositivs'.20 Als weitere kontextanalytische Basistheorie beruft sich Willems auf Erving Goffmans 'Rahmen-Analyse' (1977); sie erlaubt, den Fokus auf die im Herbert Willems bietet in seinen

Medienkontext relevanten Sinndimensionen

von

zu

Handeln und Erleben

zu

lenken, die sich mit

Bezug auf Stuart Halls Encodierungs- und Decordierungsmodell erfassen lassen (vgl. Willems 2000, S. 12).21 Die kulturelle Prägung aller dieser aufeinander bezogenen und aufeinander verweisenden Kontexte stellt Willems mit Bezug auf Newcombs und Hirschs 1986 formulierte Befrachtung der Medienkommunikation als „kulturelles Forum" heraus, die „genauer gesagt für das reflexive Verhältnis der Massenmedien zu der kulturellen Umwelt" (ebda) steht. Schließlich beziehen sich Medien nicht allein auf kulturell tradierte und ausdifferen-

zierte Sinn- und Wissensformen. Sie stellen

vielleicht sogar als ein -

wichtiger Motor

ei-

schieden werden, die Kultur im Kontext eines medientheoretischen Verständnisses in den Blick nimmt (siehe dazu Kloock/ Spahr 1997). Medientheorie untersucht dabei Medien als konstitutive Faktoren von Kultur, wobei eine deutlich medienzentrierte bzw. auf das Medium bezogene Sichtweise dominiert, die den Rezipienten tendenziell je nach Ausrichtung und Schwerpunktsetzung außer Acht lässt bzw. ihn nur als solchen, etwa als Fernsehzuschauer, betrachtet, aber nicht im Kontext seines Alltagshandelns (siehe dazu auch Kap. 1). Im Gegensatz dazu geht es in der vorliegenden Publikation um das dynamische Zusammenspiel aller drei Ebenen der A VKommunikation (Produktion, Angebot und Rezeption) in ihrer aufeinander verweisenden Verschränkung. -

-

20

Siehe dazu insbesondere Hickethiers einordnende Ausfuhrungen zum „Mediendispositiv" Dammann (2002) sowie die Ausführungen von Jens Woelke in der vorliegenden Publikation.

21

Siehe dazu weiter unten die Ausführungen zum Hall'schen Modell der 'Lesarten'.

(2002,

S. 186

ff.),

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

20

gene kulturelle

Ausprägungen dar, die wiederum auf Kultur zurückwirken, diese

verändern

oder sogar neue kulturelle Formen hervorbringen.

Konzepte dieser Art sind wenn auch jeweils mit unterschiedlichen Abstrichen geeignet, die Komplexität der Kontextbedingungen medialer Kommunikation im Auge zu behalten; sie können helfen, Medienproduktionen, Medienprodukten und Rezeptionsweisen als aufeinander verweisende Prozesse zu verdeutlichen und theoretisches Rüstzeug bieten, ihnen analytisch nachzuspüren. Alle

-

-

gilt auch für die unter dem Begriff der Cultural Studies (CS) firmierenden Ansatzstränge aus unterschiedlichen Disziplinen, wie der Literaturwissenschaft und der Semiotik. Die CS bieten allerdings keine in sich geschlossene Konzeption, der es gelingt, die drei Ebenen im Kontext zu erklären: „Die Cultural Studies finden [...] keine theoretische Konzeption vor, die systematisch identifizierbar machte, wie sich die objektive Struktur von Beziehungen der Macht und sozialer Ungleichheit in die subjektive Struktur von Anschauungsweisen, Gefühlsgewohnheiten und Erlebnisbedürfnissen übersetzt." (Weiß 2001, S. 12) Des Weiteren steht der zweite Hauptstrang der Cultural Studies diesem Anspruch sogar tendenziell entgegen, indem er, wie Weiß weiter ausführt, bei der subjektiven Aneignung mediale Texte, beim Vergnügen, ansetzt und bemüht ist, dieses „als kreativen Akt aus der Perspektive der Positionierung des Subjekts in sozialen Beziehungsgefügen" (Weiß 2001, S. 12) zu begreifen. So bleiben nach wie vor zentrale Scharniere unbenannt bzw. nicht überzeugend geklärt.

Dies

Ralph Weiß mit Bezug auf Habermas und Bourdieu entwickelte sozialpsychologische Konzept des 'praktischen Sinns' von Medienkommunikation, das vor allem für die Rezeptionsforschung als besonders gewinnbringend eingeschätzt werden muss. Er folgt in seinen theoretischen Überlegungen zum einen dem Theoriestrang der strukturanalytischen Rezeptionsforschung von Charlton und Neumann (1988a), die auf Basis einer Reihe unterschiedlicher Theorien das Konzept der 'thematischen Voreingenommenheit' entwickelt haben, und zum anderen den Überlegungen von MüllerEin solches Scharnier schließt insbesondere das

von

(1990), der, ähnlich wie auch die Cultural Studies, Bezug auf Bourdieus Theorie der Praxis (1979) nimmt und eine kultursoziologische Verankerung der Medienforschung anstrebt. Mit Blick auf die Ebene der Rezeptionsanalyse wird darauf weiter unten näher eingegangen. An dieser Stelle soll im Übrigen der Hinweis auf die hohe Bedeutung von kontextbezogenen Perspektiven genügen; Ziel dieser Ausführungen kann es nicht sein, Abgrenzungen Doohm

Zum Begriff'Kultur' als Basis eines breiten Verständnisses von (AV-)Kommunikation

der einzelnen Ansätze vorzunehmen.

21

Dies würde den Rahmen dieser Schrift sprengen. Wo

geboten scheint, wird jedoch zur Erklärung und zum sammenhänge auf einzelne Konzepte zurückgegriffen.

es

besseren Verständnis

komplexer Zu-

Mit Blick auf die

Kontextbezogenheit medialer Kommunikation soll im Folgenden Kommunikation als Teil von Alltags- und Populärkommunikation verortet werden. 2.2

Mediale Kommunikation im Kontext von

AV-

Alltagskultur und Populärkultur

Kultur vollzieht sich im

Zusammenspiel unterschiedlich formierter Erscheinungsformen, spezifischer kultureller Ausprägungen und mehr und mehr mit Hilfe medialer Symbolangebote. Dieses Zusammenspiel vollzieht sich im Alltag. Um mediale

Kommunikation, mithin auch AV-Kommunikation, als Teil von (Alltags-)Kultur zu beschreiben, müssen Begriffsbestimmungen vorgenommen werden. Zunächst zum Begriff wie Kultur ein Beide Alltag: 'Alltag' ist Allerweltsbegriff. Begriffe schaffen, wie Ralph Weiß betont (2003, S. 23), „Orientierung im Gewebe alltagsweltlichen Handelns", denn sie bezeichnen einen

Alltag ist demnach nicht einfach Der Alltag wird vielmehr bestimmt durch

je eigenen Erfahrungszusammenhang.

Der

Gegenwelt zur Kultur als 'höherer Sphäre'.23 die Textur praktisch-instrumentellen, sozialen und kommunikativen Handelns, in welche die sinngebenden Deutungen der Kultur je schon eingewoben sind. Kultur kann diese immanente Rolle im Alltag spielen, weil sie selbst „unsere spezifische Einstellung zur Welt und zu uns selbst repräsentiert" (Soeffner 1988, S. 3). die

Alltagskultur bedeutet nun „nicht nur die Praxis von Einzelnen, sondern die von sozialen und kulturellen Kollektiven, in die sich der Einzelne eingebunden weiß. Dieser kollektive, auf eine große Zahl von Akteuren bezogene Status lässt wegen des ursprünglichen Wortsinns von 'populär' (= ,dem Volk zugehörig') die Alltagskultur auf den ersten Blick als Synonym für populäre Kultur erscheinen. Eine Gleichsetzung der Begriffe verbietet sich aber. Denn die Gleichzeitigkeit von routinisiertem Alltagshandeln und sinngebendem kulturellen Handeln findet sich auch in der Hochkultur. So fallen beispielsweise beim Kirchgang, der mit dem Kult des Höheren dem hochkulturellen Rahmen zugerechnet werden darf, Routine und Orientierung ebenso zusammen wie beim wöchentlichen Besuch eines Fußballstadions. Und die 22 23

Siehe dazu den

Beitrag von Willems 2000.

Dieser Sichtweise, Kultur als eine 'höhere Sphäre' zu begreifen, liegt ein Verständnis von Kultur zu Grunde, wonach Kultur als eine Verfeinerung menschlicher Fähigkeiten begriffen wird. Es geht darum, sich durch die Aneignung großer, kulturell wichtiger Werke zu einem sittlich oder auch geschmacklich 'höheren menschlichen Wesen' zu entwickeln.

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

22

Tagesschau mag für manche eine tägliche Abendgebet." (Weiß 2003, S. 25). abendliche

ähnliche

Bedeutung

haben wie für andere das

Populärkultur24 ist zwar ein Moment der Alltagskultur, sie kann jedoch auch als



'besonderes

Erlebnis' inszeniert und

wahrgenommen" den Alltag transzendieren. „Die Begriffe bezeichnen miteinander verbundene, aber gleichwohl unterschiedene Daseins-, Funktions- und Aneignungsweisen von 'Kultur'." (ebda) Ralph Weiß stellt als Charakteristikum der Populären Kultur, insbesondere der amerikanischen, das Moment der 'Performanz' heraus; sie erweist sich als leicht lesbar und „stellt nicht nur das symbolische Repertoire für den 'expressiven Individualismus'; sie popularisiert ihn auch als Haltung, als soziale Verkehrs- und Kommunikationsform sowie als Vor-Bild einer gelungenen Persönlichkeit" (Weiß 2003, S. 30).25

Alltags-, aber auch die Populärkultur spielen Medien eine eminent wichtige Rolle:26 Medien sind der „im Alltagsleben ohne weiteres verfügbare und umfassend genutzte Zugangsweg, über den die vergegenständlichte 'Kultur' als Ressource für die individuelle Orientierung und Sinngebung" (Weiß 2003, S. 25) erschlossen wird. Speziell die medienvermittelte Populärkultur wird zur kulturellen Ressource; sie dient als Antriebskraft für die Überhöhung der alltäglichen Lebensführung, mit deren Hilfe die Akteure einer 'individualisierten' Gesellschaft ihrem Alltag Struktur und Sinn zu geben suchen (vgl. ebda, S. 30). Um möglichst große Aufmerksamkeit mithin Erfolg (am besten über eine Zeitdauer, die es erlaubt, die Innovations- und Produktionskosten zu decken bzw. 'einzuspielen'), orientieren sich die Produzenten speziell populärkultureller Produkte an aktuellen, aber auch traditionell vermittelten Für die

Stoffen und handelt

es

Erzählformen,27 die das Interesse möglichst breiter Publika sichern helfen. Dabei

sich, je nach Zuschauerkreis,

rung eines Mädchens

zu

die

Äuße-

'Geschichten

von

Liebe und Tod',

seiner Vorliebe für die Rezeption

von

Daily Soaps (vgl. Paus-Haase/

um

so

Wagner 2001) oder auch um derzeit aktuelle Real-Life-Formate und Real-Life-Shows, in denen Zuschauer und Zuschauerinnen ein hohes Wiedererkennungs-, Interpretations- und Orientierungspotenzial zu ihrem eigenen Alltag entdecken können, das allerdings genügend Abstand bietet, um dennoch dem eigenen möglicherweise als belastend erlebtem Alltag genuss24

Siehe

zu

den unterschiedlichen Themen und

Zugängen der Populärkultur das Handbuch Populäre Kultur (Hü-

gel 2003). 25 26

Auch nach Rainer Winter bietet das Populäre einen Ort zur Transzendenz des Bestehenden (vgl. Winter 2001).

Siehe dazu auch zahlreiche Arbeiten von Udo Göttlich und Jörg-Uwe Nieland. Vgl. dazu etwa die bei Kindern hoch beliebten Action-Cartoons und Action-Serien, die in ihrer Erzählweise hohe Ähnlichkeit zu Märchen erkennen lassen (vgl. Paus-Haase 1997; Bichler/ Pluschkowitz 2003). 27

Zum

Begriff'Kultur' als Basis eines breiten Verständnisses von (AV-)Kommunikation

23

voll transzendieren zu können. Mit einem

sorgfältigen Blick auf die Nuancen lassen sich dann auch die 'feinen' und oft auch weniger feinen 'Unterschiede' im Umgang mit medialer Kommunikation soziologisch beschreiben. Sie

hängen zusammen mit dem

sozialen

Feld, dem Milieu, in dem Menschen ihre Erfahrungen machen mediale wie nicht-mediale -, ihre Identität aufbauen, Handlungskompetenz erwerben, sich selbst und ihre Umwelt beurteilen, bewerten und einzuordnen lernen. -

Wie stellen sich aber mediale bzw. nicht-mediale

Bedeutungen her? Dies geschieht vor allem im gemeinsamen Erleben, ist eingelagert in gemeinsame (kulturelle) Gewohnheiten. „körperlich eingeschriebene", „nicht gedachte" Kategorien, die in Bourdieus Begriff des Habitus mit erfasst und als „gemeinschaftliches Wissen" bezeichnet werden können (Lash 1996, S. 268). Diese „nicht-gedachten Kategorien", die die Einbettung des Selbst in ein Geflecht lebensgeschichtlicher, kultureller Praktiken beschreiben, unterliegen der Notwendigkeit gemeinsamer Bedeutungsherstellung, der Interpretation. Diese erfolgt zum Beispiel im Zusammenspiel unterschiedlich formierter Erscheinungsformen, spezifischer kultureller Ausprägungen, mehr und mehr mit Hilfe medialer Symbolangebote, die zur Orientierung dienen. Scott Lash weist darauf hin, dass die Bedeutung kultureller Strukturen im Zusammenhang des Niedergangs sozialer Strukturen zugenommen hat (vgl. Lash 1996). Derartige Orientierungsmuster sind kulturell tradiert, sie verweisen auf den gesellschaftlichen Standort des Rezipienten. Sie steuern, zu Alltagswissen geronnen, das individuelle Handeln mit und helfen dabei, soziale und personale Identität auszubilden, also den eigenen Standort zu finden, Handlungskompetenz zu erlangen. Gemeint sind damit auch

Erleben, in Form gemeinsam geteilter Bedeutung, möglicherwiese auch an der Oberfläche von 'Geschmackskulmren' verbleibend, wird in unserer Kultur vor Insbesondere im kulturellen allem Gemeinschaft

gelebt. Dafür steht Gerhard

Schurzes luzider

Begriff der 'Erlebnisgesell-

schaft'.

populärkulturelle Phänomene. In diesem Kontext dienen Medien mehr und mehr als Chance des (Mit)Erlebens, das geradezu zum zentralen Zugang zur Welt geworden zu sein scheint. Dafür stehen mögen auch globalisierte Formen einer eher an der Oberfläche verbleibenden Markenorientierung (Nike, McDonalds, Dis-

Zur

28

Konkretisierung

dazu ein Blick auf mediale

Siehe dazu als Beispiele die Untersuchungen zur Nutzung von Daily Talks (vgl. Paus-Haase u.a. auch von Real-Life-Formaten wie z.B. Taxi Orange oder Big Brother (vgl. Paus-Hasebrink 2004).

1999) oder

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

24

ney...) oder auch der Erfolg des TV Moderators Stefan Raab, der Elemente aus Fernsehsendungen geradezu selbstreferentiell zitiert, neu zusammensetzt, hybridisiert und vor allem für jugendliche Rezipienten zum Erlebnisfaktor avanciert. (Vgl. Schmidt 2002) Als wissenschaftlich auch auf die Rolle

sorgfaltig

untersuchtes Phänomen lässt sich in diesem

Zusammenhang

rekrutieren. Kinder nutzen Medien-

Medienmarken im

Kinderalltag marken für ihre Anliegen, sei es zur Orientierung in der Fülle der Medienangebote, sei es zur Positionierung (Integration bzw. Abgrenzung) in der Peer-Group oder als Symbolmaterial in von

ihrer Identitätsbildung.29

Bedeutungsebenen, die Medienangebote für ihre Rezipienten bereithalten, durch (Vor-)Urteile zu ihrer kulturellen symbolischen Bedeutung zu trüben, bietet sich als Ausgangspunkt der in der Auseinandersetzung mit den Cultural Studies (CS) entstandene Ansatz der „Common Culture" (Willis 1990), der oben bereits erwähnten 'Alltagskultur' an. Er verzichtet auf eine Dichotomie von 'Hochkultur' und 'Trivialkultur' zugunsten des Begriffs 'Alltagskultur'. Dieser Sammelbegriff für die „symbolische Arbeit im Alltag" (Willis 1990) basiert auf der Überzeugung, „dass die verschiedenen kulturellen Ausdrucksformen, Stilisierungen und Praxen nicht hierarchisch betrachtet und somit abgewertet werden dürfen (Sander u.a. 1992, S. 34).30 Diese Sichtweise hilft, den oft zu begrenzten Blickwinkel auf die Produktion von Medienangeboten, die ihnen inhärenten inhaltlichen und formalen Angebotsweisen sowie den Umgangsweisen von Menschen mit ihnen zu Um sich also nicht

von

vornherein den Blick auf die

"

erweitern. Ein offener

das meint keinesfalls unkritischer

Umgang von Menschen mit Medienangeboten ist nötig, um sich auch den Rezipienten selbst adäquater zuwenden zu können und ihre Bedeutungskonstruktionen zu AV-Angeboten entschlüsseln zu lernen. Eine noch immer in der Öffentlichkeit etwa wenn es sich um Kinder und Jugendliche als Rezipienten handelt vorherrschende bewahrpädagogisch bzw. insgesamt eher kulturkritisch ausgerichtete Sichtweise ist im Kontext einer umfassend verstandenen Kommunikationsforschung nicht länger tragbar, sondern als eine sachliche Auseinandersetzung mit medialer Kommunikation auf breiter gesellschaftlich-verantwortlicher Ebene zu begreifen. -

Blick auf den

-

-

-

populärwissenschaftlichen Einschätzungen in der öffentliHinblick auf Daily Talks (vgl. Paus-Haase/ Hasebrink/ Mattusch/

Auch die daneben dominierenden

chen Diskussion, etwa im

Siehe dazu das

Forschungsbeispiel in Kap. 6 der vorliegenden Publikation.

Siehe dazu auch weitere Publikationen von Barthelmes/ Sander 1997, 2001 sowie Sander 2001.

Zum

Begriff'Kultur' als Basis eines breiten Verständnisses von (AV-)Kommunikation

Keuneke/ Krotz

25

1999), die den Blickwinkel insbesondere auf das Fernsehen als problemati-

einengen, sind durch den kritischen Blick auf die Produktionshintergründe, in die selbstverständlich auch Fragen nach dem Mediensystem, in dem sich diese Produktion

schen Wirkfaktor

vollzieht, mit einfließen, und darin eingebettete Analysen von medialen Produkten, die auch die Belange und Bedürfnisse unterschiedlicher Publika reflektieren, mittels einer sachlichen

Analyse zu relativieren. Hierzu werden im

folgenden Kapitel die drei Analyse-Ebenen, die Ebene der Produktion, der Angebote und der Rezeption gesondert betrachtet. Da es sich um einen komplexen, lediglich analytisch trennbaren Kontext handelt, sind Überschneidungen nicht zu umgehen, sondern vielmehr notwendig. Jeweils in anderen Zusammenhängen betrachtete Phänomene müssen zur Einordnung und Erläuterung erneut herangezogen werden. 2.3

Produktion -

2.3.1

Angebot Rezeption -

Annäherung an die Produktionsbedingungen: Bourdieus Feldtheorie und

Umgangsweisen von Rezipienten oder auf der aggregierten Ebene von Publika lassen sich nicht adäquat ohne die Reflexion und die genaue Untersuchung der Angebote und ihrer Produktionsbedingungen erfassen. Auch das Erscheinungsbild der Angebote selbst kommt nicht ohne den Blick auf die Perspektive, die Wahrnehmungs- und Nutzungsweisen von Rezipienten aus, will man eine einseitige Analyse vermeiden und die kulturelle Mitbestimmtheit von Produktion, Angebot und Rezeption ernst nehmen. Wahrnehmungs-

Wie aber lässt sich

-

nun

-

die Ebene der Produktion mit ihren jeweiligen ökonomisch sowie in-

stitutionell-strukturell

bedingten und vom Mediensystem, in dem die Produzenten agieren, deutlich mit beeinflussten Bedingungen näher ins Blickfeld rücken und analytisch beschreiben, mithin ihr Handwerkszeug in seinen Produktionsmustern bzw. -schemata näher umreißen? Um die Ebene der Produzenten bzw. der Produktion

erfassen, bietet sich der Bourdieu'sche Begriff des 'Feldes' (z.B.: Feld der AV-Kommunikation) an. Bourdieu versteht unter 'Feld' einen 'strukturierten gesellschaftlichen Raum, ein Kräftefeld', in dem es 'Herrscher und Beherrschte'

zu

gibt, in dem 'ständige Ungleichheitsbeziehungen' bestehen. Dieser Raum ist gekennzeichnet durch zahlreiche Vermittlungsebenen, die sich zwischen der jeweiligen Infrastruktur eines Raumes und dem darin entstehenden Produkt als sich gegenseitig be-

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

26

dingendes

und miteinander verflochtenes, sozial

bedingtes

Konstrukt

ergeben.

Bourdieu

er-

Gegensatz zu den meisten Kulturmodellen geht er nicht von vertikal, hierarchisch gegliederten Vorstellungen aus, sondern evoziert mit dem Modell des Feldes die Fläche in ihrer horizontalen Dimension, so dass Positionen angezeigt werden können, die nicht vorschnell als werthaltig klassifiziert werden. fasst Medien als soziales Faktum. Im

Bourdieu leuchtet die

spezifischen sozialen Dimensionen Gesellschaft bzw. Kultur über möglichst empirische Untersuchungen zu ihren jeweiligen Teilbereichen aus. Seine empiriegeleitete Theoriearbeit zur Bestimmung der unterschiedlichen Kraftfelder eines kulturellen Raumes geht damit über die kulturkritisch ausgelegte Globalkritik der Frankfurter Schule ebenso hinaus wie über die „globalisierend vereinfachende, keinen Widerspruch duldende" (Jurt 1995, S.76) Gesellschaftstheorie Althussers. Beiden ist eine Dichotomie von Individuum und Gesellschaft inhärent. Bourdieu

hingegen beschreibt in seiner Feldtheorie den sozialen Raum vielmehr als von relativ autonomen und eigengesetzlich organisierten Teil-Feldern bestimmt. Auf diese Weise lässt sich in der Gestaltung der Produkte weder eine Determinierung durch die Ökonomie konstatieren, noch eine völlig davon losgelöste Produktion der Angebote. Ebenso wenig ist eine von gesellschaftlichen Bedingungen unabhängige Rezeption von Angeboten anzunehmen. Es findet sich also nach der Theorie des Feldes, mithin des sozialen Raumes, weder eine voluntaristische Subjektphilosophie, wie sie einer von den Produktionsbedingungen völlig losgelösten ausschließlich selbst bestimmten Produktgestaltung oder auch einer von den Produktionsbedingungen und den Produkten inhärenten Lesarten unabhängigen Rezeption zu Grunde liegen könnte. Noch lässt sich dabei eine, sich einem „mechanistisch verstandenen Strukturalismus verpflichtende Sichtweise erkennen, die etwa auf Foucault zurückgehend kulturelle Ordnung als eine autonome, transzendente Ordnung begreift, eine kulturelle Ordnung, die sich nach eigenen Gesetzen entwickelt, also völlig unabhängig von den Interessen und den mentalen Gewohnheiten der Individuen" (Jurt 1995, S. 80). Bourdieus Feldtheorie beugt also auch einer Sichtweise vor, die weder den Produktgestaltern noch den Individuen einen eigenen Spielraum für selbstbestimmte Gestaltungs- bzw. Umgangsweisen zubilligt. -

-

Mit Hilfe der Bourdieu'schen Feldtheorie als

Ausgangspunkt zur Analyse, mithin zum Verständnis der Produktionsräume, kann es gelingen, den Hiatus in der Analyse zu überwinden, der darin liegt, dass man entweder ausschließlich auf formal autonom produzierte Angebote (also ohne eine Reflexion ihrer Produktionshintergründe) blickt oder eine Analyse der Rezeption und ihrer jeweiligen Bedingungen in den Blick nimmt, ohne deren Mitbestimmtheit durch eben die den Angeboten, ihren speziellen, durch die Entstehungsbedingungen mit

Zum

Begriff'Kultur' als Basis eines breiten Verständnisses von (AV-)Kommunikation

beeinflussten mes, in dem

27

Angebotsweisen inhärenten sozialen Formationen des jeweiligen sozialen Rausie produziert bzw. rezipiert werden, zu betrachten. Schließlich bestimmen also

die unterschiedlichen Akteure die unsichtbare Struktur des Feldes der Medien-Produktion in ihren

jeweiligen Positionsbestimmungen aufgrund

ihrer ihnen

obliegenden

bzw.

zugeschrie-

benen Machtverhältnisse mit. Die Bourdieu'sche Feldtheorie reicht jedoch nicht aus, über die mit ihr mögliche Chance einer angemessenen Reflexion der

Produktionshintergründe und

ihrer sich auch in den Produkten

niederschlagenden Emanationen hinaus auch den Nutzungs- und Umgangsweisen der Rezipienten mit Medien adäquat nachzuspüren. Sie stößt dort an ihre Grenzen, wo es um individuelle Nutzungs- und Umgangsweisen von Menschen geht, die nicht allein mit dem Konzept der Feldtheorie erfasst werden können; dort wird die individuelle Ebene der Bedeutungszuschreibungen nicht hinreichend berücksichtigt. Ihnen ist daher im Kontext des umfassender zu verstehenden und oben bereits erwähnten Begriffs der 'Alltagskultur' und der Theorie des „praktischen Sinns" (Weiß 2000) nachzuspüren, die den Umgang von Menschen mit Medien als „Tätigkeiten", etwa als „Film-Sehen", „Fern-Sehen", „Radio-Hören" etc. versteht (Weiß 2000, 2001). Auch diese Tätigkeiten wiederum sind jedoch nicht ohne ihre spezifische Einlagerung in soziale Räume/ Felder zu begreifen. 2.3.2

Zugang zur Angebotsebene

Kapitel soll speziell dem Medienangebot als kulturell geprägtes Symbolangebot nachgegangen werden. Sich dem Spannungsverhältnis zwischen struktureller Verfasstheit des Medienangebots und seinen eingelagerten Interpretationsmustern und den spezifischen Umgangsweisen von Menschen mit ihnen als aktivem Prozess sinnhafter Rezeption und Bedeutungszuschreibung auf der Basis ihrer Voraussetzungen im Alltag zu stellen, wird im Kontext des vorliegenden Buches als genuine Aufgabenstellung von Kommunikationsforschung, damit auch von AV-Forschung, verstanden. In diesem

Fragen nach den Hintergründen und Bedingungen für die Produktion von (AV-)Medien als auch in einer Analyse der Angebote selbst, etwa in einer Programmanalyse des Fernsehens oder des Radios, die für den Rezeptionsprozess zentrale Verbindung der Produktebene mit der Analyse der Rezeptionsebene (vgl. Müller-Doohm/ Neumann 1989, S. 7) berücksichtigen. Produktions- und Produktanalysen sind in besonderer Weise geeignet, die gesellschaftliche Formbestimmtheit von Medien aufzudecken, die sich sowohl in ihren Inhalten als auch in ihrer Form und Funktion vermittelt (vgl. Prokop 1977). In ihrem Kontext lassen sich sowohl

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

28

Fragen nach der Gestaltung von AV-Medien, nach ihren Inhalten und Präsentationsformen, und die Analyse ihrer Rezeption, dabei insbesondere im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Bewältigung des Alltags durch ihre Rezipienten, gehören also zusammen. Die

Eine

Perspektive auf die Angebotsebene bieten die oben bereits angeführten kulturtheoretischen Ansätze (insbesondere von Müller-Doohm), die als 'kulturkritische' gefasst, bereits eine lange Tradition haben. Ihr Fundament gründet sich in den Abhandlungen zur Kulturindustrie

von

lichkeit'

Horkheimer und Adorno

(1962) als Wegbereiter

(1969)31

sowie in Habermas' 'Strukturwandel der Öffent-

der 'Kritischen Theorie'. Adorno identifiziert insbesondere

das Fernsehen als

Medium, das geeignet ist, auf das Unbewusste im Menschen einzuwirken und Prozesse zu verstärken, die nicht mehr an die Oberfläche des Bewusstseins vordringend in seiner zerstörerischen Kraft belassen werden; er versteht Fernsehen gleichsam als „umgekehrte Psychoanalyse" (Adorno 1953, S. 5): „Das Starre wird nicht aufgelöst, sondern ver-

-

härtet. Die Vokabeln der Bildschrift sind

Stereotypen" (ebda, S. 7).32

Bezogen auf die Funktion von Medien als Bedeutungsstifter weist die 'Kritische Theorie' bereits auf zwei Schwerpunkte sozialwissenschaftlicher Zuwendung hin und dies ist auch im Hinblick auf den vorliegenden kommunikationswissenschaftlichen Zugang relevant: Erstens auf die Auseinandersetzung mit den Inhalten und die sie prägenden Institutionen der Massen-

kommunikation unter dem Verdacht

manipulativer Einflussnahme auf das Bewusstsein der Rezipienten im Sinne einer Stabilisierung des kapitalistischen Systems. Zweitens stellt sie vor dem Hintergrund von Brechts Radiotheorie (1967) bereits die Möglichkeit der aktiven, interessegeleiteten und die gesellschaftliche Wirklichkeit verändernden Medienrezeption heraus (vgl.

Baacke

1974),33 eine Chance, die im Hinblick auf neue Kommunikationsformen,

ins-

Schon 1953 hatte Theodor W. Adorno in seinem 'Prolog zum Femsehen' auf dessen manipulative Kraft hinMedium selbst jedoch fällt ins umfassende Schema der Kulturindustrie und treibt deren Tendenz, das Bewußtsein des Publikums von allen Seiten zu umstellen und einzufangen, als Verbindung von Film und Radio weiter. Dem Ziel, die gesamte sinnliche Welt in einem alle Organe erreichenden Abbild noch einmal zu haben, diesem traumlosen Traum, nähert man sich durchs Fernsehen und vermag es zugleich ins Duplikat der Welt einzuschmuggeln, was immer man in der realen für zuträglich hält". (1953, S. 1)

31

gewiesen: „Das

Vgl. in diesem Zusammenhang den in der Auseinandersetzung mit der Kritischen Theorie, ganz besonders ihrer in der Soziologie, häufig anzutreffenden Rezeption als „bloß subsumtionslogische Messlatte" (Oevermann 1983, S. 255) erfolgten Verweis von Oevermann auf die hohe Bedeutung der „latent entfremdende(n) Strukturlogik der Fernsehkommunikation" (1983, S. 254). Die 'Strukturlogik' dieser Kommunikationsform zu durchschauen, ist nach Oevermann nicht allein dadurch zu leisten, dass sich der Zuschauer der Fernsehkommunikation entzieht, sondern dies könne erst durch Immunisierung, durch die Einsicht in ihre 'objektive Strukturiertheit' erfolgen, so dass der Zuschauer dann im Besitz dieser Einsicht autonom entscheiden kann, ob er trotzdem die ihn interessierende Sendung ansehen möchte (vgl. ebda); Oevermann spricht also den Rezipienten immerhin eine

32

'Immunisierungschance' zu.

33

Ein ähnlicher Gedanke findet sich auch bei Theunert

1994, S. 391.

Zum

Begriff'Kultur' als Basis eines breiten Verständnisses von (AV-)Kommunikation

29

besondere die Online-Kommunikation oder auch die durch

Digitalisierung mögliche Interaktivität, erst jetzt ernsthaft Bedeutung gewinnt; zuvor musste Brechts Forderung vor allem als idealtypische verstanden werden.

gewinnt auch im Kontext einer kritischen Kommunikationsforschung, auch der AV-Forschung, insoweit Bedeutung als sie Medien als einen integralen Bestandteil gesellschaftlicher Realität und als Teil gesamtgesellschaftlicher Kommunikation begreift. Die kulturkritische Absicht, Medienangebote in ihren Manipulationsimplikaten zu entlarven, bleibt dabei nach wie vor virulent. Sie relativiert die Einschätzung des Subjekts als grundsätzlich persönlich 'handlungsfrei', eine Einschätzung, die dem Theorem des Symbolischen Interaktionismus inhärent ist, und auf die sich auch kulturanalytische Ansätze beziehen (vgl. MüllerDoohm/Neumann 1989). Diese Sichtweise

Angebotsweisen, in denen sie speziellen noch näher zu betrachtenden kulturell geprägten Angebotsschemata folgen, etwa in ihren Gattungen und Genres, die Erwartungen ihres Publikums mit. Gattungen z.B. werden damit zu kommunikativen Gattungen (vgl. Ayaß 2001, S.148ff.). Diese Perspektive, die erneut deutlich macht, dass dann auch Angebots- und Rezeptionsanalysen zusammengehören, knüpft an das Verständnis der 'Cultural Studies' ebenso an wie an die Vorstellungen des auf George Herbert Mead zurückgehenden Symbolischen Interaktionismus (vgl. Mead 1980 [1934]).34 Seine zentralen Prämissen legen den Grund für eine Betrachtung der (AV-)Medienkommunikation als eine spezifische Form menschlicher Kommunikation. Im Akt des Sprechens verändern Menschen angebotene Bedeutungen und belegen sie mit ihrem subjektiv gemeinten Sinn. Danach lassen sich auch (AV-)Medien als Teil von Kultur, mithin als ein Teil unserer Sprache verstehen, der seinerseits Bedeutungen konstruiert und vorgibt, die der Rezipient wiederum mit eigener Bedeutung füllt und für sich verwendet. Der Umgang mit Medien ist also vor diesem Hintergrund als „alltäglicher Modus des aktiven, sinnhaften sozialen Handelns, der anderen Formen sozialen Handelns prinzipiell ähnlich ist" (Bonfadelli 1981, S. 165), zu verstehen. Auch die jeweils individuelle Bedeutungszuschreibung mit Hilfe von Medienangeboten erweist sich wiederum als kulturell rückgebundener Prozess, indem bestimmte Bedeutungen im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Ideologien und gesellschaftlichen Diskursen favorisiert werden. Mikos formuliert mit Rückbezug auf Stuart Hall (1980, S. 130) und Angela Keppler Medienangebote strukturieren also in

ihren

Begriff wurde erst 1973 von der Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen im Zusammenhang des Themenkomplexes 'Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit' eingeführt (vgl. Blumer 1973, S. 144).

34

Der

30

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

(2001,

S.

129): „Filme und Fernsehsendungen machen Sinn, denn sie sind sowohl in der Produktion als auch der Rezeption an sinnhaftes soziales Handeln gebunden." (Mikos 2003, S. 22) Cultural Studies und

Symbolischer Interaktionismus gehen davon aus, dass mediale Produkte unterschiedliche Lesarten enthalten. Die den Produkten inhärenten Lesarten offenbaren jedoch ihren Sinn erst in der Entschlüsselung, Interpretation und Bedeutungsverleihung durch das Publikums. Diese Lesarten sind also mitbestimmt von den Wahrnehmungs- und Umgangsweisen ihrer Publika. Das

Hall entwickelte und als 'Text-Leser-Modell' bekannte

Enkodierungs- und Dekodierungsmodell kann also als eine weitere notwendige Verbindung der Angebots- und Rezeptionsebene dienen. Es soll hier mit seinen impliziten Konsequenzen für Produkt- und Rezeptionsanalysen (vgl. Hasebrink 2003, S. 118) näher erläutert werden. Schließlich sind Enkodierung und Dekodierungsprozesse gerade unter Konkurrenzbedingungen der Medienproduzenten (vgl. Willems 2000, S. 222) nicht losgelöst voneinander zu betrachten. „Sie sind vielmehr systematisch, systemisch und strategisch miteinander verquickt." (ebda) von

Hasebrink benennt mit Rekurs auf Livingstone

(1996,

S.

165) folgende Prämissen dieses Mo-

dells: •

Bedeutung ist nicht einfach im Text enthalten. Daher fuhren Encodierung und Decodierung nicht zwangsläufig zu gleichen Bedeutungen. Die in der Gesellschaft zirkulierenden Bedeutungen sind nicht allein aus der Kenntnis des Textes vorhersagbar.



Texten sind bevorzugte Lesarten eingeschrieben; sie sind daher zumindest teilweise offen und vieldeutig, also keinesfalls zwingend. Die Texte setzen zwar in gewisser Weise einen idealen Leser voraus; sie benötigen aber den tatsächlichen Leser für ihre

Realisation. •

Leser interpretieren Texte auf unterschiedliche Weise, Publika sind heterogen. Die Rezeption ist jeweils abhängig von soziodemographischen Variablen wie Geschlecht, Alter, Schicht und kulturelles Milieu der Rezipienten in und dies ist zentral ihrer jeweiligen Situation der Mediennutzung. -





-

Leser werden als informierte und kreative Rezipienten eingeschätzt; ihre sozialen Kenntnisse, Ansichten und Überzeugungen, ihre persönlichen Interessen und Erfahrungen fließen in die Rolle als Lesers bzw. des Zuschauers ein.

Auch Texte sind

heterogen; ihre Rezeption hängt vom Genre ebenso ab wie von den Möglichkeiten zum Involvement, z.B. von der Konstruktion einer bestimmten Erzählperspektive, die der Text bereithält. Danach ist von großer Bedeutung, welche Genres in welchen Kanälen Menschen Medien rezipieren. „Sie reagieren nicht auf das Medium als ganzes".

Zum

Begriff'Kultur' als Basis eines breiten Verständnisses von (AV-)Kommunikation

31

Ausgangspunkt der Erforschung von Bedeutungsimplikaten in Medienangeboten bildet die Interaktionsbeziehung zwischen gesellschaftlicher und symbolischer Umwelt und dazu zählen auch Medienangebote auf der einen und dem handelnden und sich orientierenden Subjekt auf der anderen Seite. Wer verstehen will, welche Bedeutung Rezipienten (AV-)Medienangeboten beimessen, muss dazu das Angebot, das ihnen unterbreitet wird, als gemeinDen

-

-

same

Wissensbasis der Kommunikationsteilnehmer auf seine

Angebotsweisen und -strukturen

hin untersuchen. 2.3.3

Zugang zur Rezeptionsebene35

In welcher Weise Menschen z.B. mit setzten

Medienangeboten, etwa einem spezifisch zusammenge-

Medienmenü, umgehen, hat in entscheidendem Maße mit ihrem lebensweltlich be-

dingten 'Vorwissen' zu tun. Diese Sichtweise wurde durch die 'kognitive Wende' der Psychologie ermöglicht, in deren Folge das Bewusstsein dafür wuchs, dass menschliche Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsprozesse sowohl Selektions- als auch Konstruktionsleistungen voraussetzen. Das 'Vor'- bzw. 'Weltwissen'

Menschen

organisiert sich in der Form von Schemata, die im Laufe des Sozialisationsprozesses durch aktive Welterfahrung erworben und ausdifferenziert werden. Höhere Organisationsformen von Schemata stellen 'Scripts' und 'Frames' dar. Während 'Frames' Schemata-Zusammenschlüsse zu Gesetzmäßigkeiten und Regelhaftigkeiten beschreiben, ist unter einem 'Script' eine Vernetzung von Schemata zu verstehen, die Interaktionsabläufe regeln (vgl. Beaugrande/ Dressler 1981). 'Scripts' sind somit komplexe Wissensorganisationen, die als Zugewinn alltagskompetenter Umgangsweisen auch mit Medien für das Erkennen und Verstehen etwa der Fernsehdramaturgie eine wichtige Voraussetzung darstellen (vgl. Paus-Haase 1999). In solchen „Spielregeln des sozialen Lebens (,Scripts')" (Charlton/Neumann 1990, S. 30), die zum planvollen Handeln des Menschen gehören, lassen sich die von der Regelformigkeit des Sozialen mitbestimmten Verhaltens- und Umgangsweisen von Menschen erfassen. Nach der psychologischen Wende hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass sich die Regelformigkeit des Sozialen nicht nur als Inhalt konzipiert, dem sich das bereits einsichts- und lernfahige Individuum zuwendet, sondern dass schon die sozialisatorische Interaktion die Struktur sein könnte, in der sich Subjektivität und Einsichtsfähigkeit erst bilden müssen (Charlton/Neumann 1990, S. 30). „Um Medienangebote

zu

von

verstehen, aktivieren die Rezipienten ihr Vorwissen, in Abhängig-

Siehe dazu auch die Ausführungen von Jens Woelke in der vorliegenden Publikation.

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

32

keit

von

ihrem Interesse und

von

ihrer persönlichen Betroffenheit nehmen sie daher Medien-

berichte sehr unterschiedlich

wahr, sie interpretieren sie nach ihren Vorstellungen, nach ihren Schemata". (Hasebrink 2003, S. 118)36 Die Rezeption von Medienangeboten ist eng mit dem jeweiligen Alltag des jeweiligen Rezipienten verknüpft. Der Blick gilt dabei seinem alltagskulturellen Milieu und seinen gerade aktuellen handlungsleitenden Themen (vgl. ebda).37 Eine solche

analytische Annäherung kann ihren Ausgangspunkt beim Begriff 'Lebenswelt' nehmen, mit dem es gelingt, einen ganzheitlichen Blick auf Rezeptionsprozesse in der AVForschung zu gewährleisten. In seiner

phänomenologischen Betrachtungsweise

zentrales Moment seiner 'Bewusstseins-Lehre' die

von

'Welt' stand für Edmund Husserl als

'Zurückgehens zu den Sachen selbst'. Ein Postulat, dem die Verpflichtung zur Schärfe in der Beobachtung und der Analyse ebenso inhärent ist wie eine damit verbundene Redlichkeit und Bereitschaft, Vertrautes aufzugeben und sich an der Erfahrung, an den 'Sachen' zu korrigieren (vgl. Störig 1987, S. 587f.). Eine wissenschaftliche Annäherung an zentrale, das Menschsein selbst fundierende Phänomene wie seine Geschichtlichkeit, Geborenwerden und Sterben, seine Leiblichkeit sowie die Notwendigkeit der Arbeit und die soziale Verfasstheit menschlichen Seins schien damit möglich. Husserl verlangte konsequenterweise nach mehr Lebensnähe in der Forschung und legte damit die Grundlage für das 'Lebenswelt-Kozept',38 wie es noch heute insbesondere die qualitative sozialwissenschaftliche Forschung prägt. Das Postulat 'Lebensnähe' griff Alfred Schütz auf und rückte eine eingehende Betrachtung der alltäglichen Lebenswelt in das Zentrum soziologischer Theorie. Er legte damit den Grundstein für die phänomenologische Soziologie, in deren Mittelpunkt die Zielsetzung steht, universale Strukturen der alltäglichen Lebenswelt aufzudecken, die eine gemeinsame kommunikative Umwelt erst konstituieren (vgl. Berger/Luckmann 1969).

Forderung

des

Zuge der als Positivismusstreit bekannt gewordenen Kontroverse innerhalb der Soziologie (vgl. Adorno u.a. 1969), die in den frühen 1970er Jahren virulent wurde, gelangte Husserls Lebenswelt-Konzept in die sozialwissenschaftliche Diskussion. Auf seiner theoretischen Folie Im

36

Siehe dazu umfassend Früh 1994.

"Eine Ausdifferenzierung dieses Gedankengangs findet sich weiter unten in diesem Kapitel. Husserl berief sich jedoch noch darauf, dass die Erfahrung an unverrückbare, fundamentale Strukturen gebunden sei, die nur durch die Methode der 'Wesensschau' erfahren werden könnten; die Konstruktion eines transzendentalen, nicht empirisch vorfindbaren Subjekts sei von Nöten, um durch den Prozess des Philosophierens die 'unzerbrechliche Weltform', auf der alles Sein beruhe, zu entdecken (vgl. Baacke 1995a, S. 82).

38

Zum

Begriff'Kultur' als Basis eines breiten Verständnisses von (AV-)Kommunikation

33

zeichnen sich Chancen ab, die einseitig objektivistische Sicht auf soziale Phänomene aufzubrechen und subjektive Komponenten in die analytische Betrachtung einzubeziehen. In jüngeZeit hat

rer

vor

kelt. Habermas

Jürgen Habermas (1981) das Konzept der 'Lebenswelt' weiterentwicgeht vom Begriff des 'kommunikativen Handelns' aus, das die Konstruktion allem

der Lebenswelt, des Menschen Selbstverständlichen und Vertrauten, fundiert. Er versteht die Lebenswelt als einen 'transzendentalen Kontext' für die Äußerungen, mit denen die Kommunikationsteilnehmer etwas als eine Ressource

von

einem Thema machen. Daneben

gewinnt

die Lebenswelt auch

Überzeugungen an Bedeutung, aus dem die Kommunikationsteilneh-

schöpfen können, um terpretationen zu decken. mer

zu

einen

neu

entstandenen

Handlungsbedarf mit konsensfähigen

In-

„Die Lebenswelt bildet einen Horizont und bietet zugleich einen Vorrat an kulturellen Selbstverständlichkeiten, dem die Kommunikationsteilnehmer bei ihren Interpretationsanstrengungen konsentierte Deutungsmuster entnehmen." (Habermas 1986, S. 348) Habermas fasst die Lebenswelt, soweit sie als Interpretationsreservoir in Betracht kommt, als sprachlich organisierten Vorrat von Hintergrundannahmen auf, der sich in sprachlich kulturellen Überlieferungen

reproduziert (vgl. Habermas 1986, S. 344f).

Forschung auf der Basis des 'Lebenswelt'-Konzepts fußt auf der Überzeugung, das Alltagshandeln und -erleben von Menschen als „fraglose Gegebenheiten" (Baacke 1995a, S.83) zu betrachten, um sich den Bedeutungen, die die Handelnden mit ihrem Tun verbinden, anzunähern. Konkret bedeutet das: Die Wissenschaft muss gleichsam ihre Stuben verlassen und dorthin wandern, wo sie Alltagsphänomene durch Nähe und Anschauung erlebnismäßig nachvollziehen kann (vgl. Baacke 1995, S. 83). Sozialwissenschaftliche

diese Lebenswelt selbst, in deren Rahmen sich alltägliches Handeln, und somit auch das Medienhandeln, vollzieht, wissenschaftlich erfassen? Einen Ansatzpunkt bieWie lässt sich

nun

und damit schließt sich in

tet

gewisser Weise

der

Argumentationskreis

-

das oben bereits -

'soziale Handeln', in dem sich die Wirklichkeit der Menschen manifestiert. Schließlich schreiben Menschen nach dem oben bereits erwähnten Konzept des Symbolischen

angeführte

Objekten (auch medialen) Bedeutungen zu und handeln aufgrund Bedeutungen. Diese Bedeutungen entwickeln sich in Interaktionen

Interaktionismus schriebenen

der zugezwischen

Menschen.

„Unter der Annahme, der Mensch sei zu aktiver Umweltaneignung fähig, wird

handlungstheoretischen

Prämisse als jemand

gesehen,

er

unter dieser

dessen motivationale Grundstrukturen

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

34

und Handlungsimpulse letztlich nur aus ihm selbst, aber immer in Verbindung mit seiner Um-

welt, in der er aus sich heraustritt, erfahr- und realisierbar sind, wobei kulturelle und historische Dimensionen nicht außen vor bleiben können." (Baacke 1988, S. 225; vgl. Baacke 1988) Vor dem

Hintergrund der auf Max Weber zurückgehenden und von Schütz weiterentwickelten 'Handlungstheorie' (vgl. Schütz 1960), die als konstitutive Eigenschaft des Menschen seine Fähigkeit zu sinnhaftem Handeln hervorhebt, das sich immer gebunden an die Konstitution sozialer Interaktion vollzieht (vgl. Baacke 1995, S. 122), ist sozialwissenschaftliche Forschung, mithin auch kommunikationswissenschaftliche AV-Forschung herausgefordert, sich den Handlungen und den ihnen zugrunde liegenden Bedeutungen im Kontext zuzuwenden. Das zentrale Interesse

derartiger empirischer Sozialforschung lässt sich damit als eine möglichst umfassende Analyse von Deutungen, Wahrnehmungen und komplexen Deutungssystemen der Individuen im Lebenskontext zusammenfassen (vgl. Hopf 1979, S. 18). Es gilt, sich den komplexen und kontingenten, immer wieder konstruierten Kombinationen objektiver und subjektiver Komponenten individueller und sozialer Lebensgestaltung der Individuen in ihrem jeweiligen Bedingungsfeld zu stellen. Um

handlungskompetent zu sein, um Sinn im Alltag herzustellen, den Alltag zu bewältigen, bedarf es Orientierungen. Dazu bedienen sich Menschen in ihrem Alltag, eindrucksvoll empirisch belegt, des vielfältigen Medienangebots. Insbesondere die

Forschungsarbeiten von Michael Charlton und Klaus Neumann-Braun zur 'strukturanalytischen Rezeptionsforschung' (1986)39 sowie von Ralph Weiß zum 'praktischen

Sinn' erscheinen in diesem Kontext

von

besonderer Relevanz. Beide Ansätze setzen bei der

Betrachtung der Alltagsbewältigung mit Hilfe von Medien an. Der Blick gilt also den Rezipienten als Menschen, die ihre Identität ausbilden und vor dem Hintergrund der Fülle von Alltagsherausforderungen auch kohärent halten wollen und müssen. Charlton und Neumann-Braun haben im Kontext des Ansatzes der

strukturanalytischen

Re-

zeptionsforschung im Hinblick auf die Auseinandersetzung von Kindern mit Medien deutlich gemacht, dass diese mit medialen Symbolangeboten vor dem Hintergrund ihrer Entwicklungsaufgaben, geprägt Themen'

39

also

von

zuvor

erwähnten, 'handlungsleitenden

umgehen.40

Siehe dazu auch die Ausführungen in der vorliegenden Publikation.

40

ihren, wie bereits

von

Jens Woelke

Siehe dazu auch das Forschungsbeispiel in Kap. 6.

zur

kommunikativen

Aneignung von Medienangeboten

Zum Begriff 'Kultur' als Basis eines breiten Verständnisses von

(AV-)Kommunikation

35

Insbesondere der Ansatz von Ralph Weiß zum

'praktischen Sinn' speziell des Fernsehens bietet einen wesentlichen Schritt in Richtung einer Konkretisierung des Umgangs von Menschen mit diesem zentralen Medium des Alltags. Ihm gelingt es, dem individuellen Alltag und dem sozialen Kontext bei der Mediennutzung gleichermaßen gerecht zu werden. Weiß entwickelt auf der Grundlage von Bourdieus Theorie der Praxis unter dem Stichwort 'Muster der Praxeologie' eine theoretisch gut abgeleitete Systematik von Orientierungen, die als generative Prinzipien das Alltagshandeln von Menschen organisieren. Weiß entwickelt zudem eine Charakteristik unterschiedlicher visueller Wahrnehmungsformen, mit der „die Art und Weise, in der sich der Fern-Sehende den Sinngehalt des Angeschauten innerlich und gegenwärtig macht" (Weiß 2001, S. 249).41 Diese sind: Anschauen, Einstimmenlassen, Vorstellen, Fühlen, Entziffern, ästhetisches Genießen und Begreifen (ebda). Indem sich die Form der visuellen Wahrnehmung durch den Rezipienten auf kommunikative Gattungen etwa des Fernsehprogramms einstellt, etablieren sich bestimmte 'Ordnungsformen' für den Zugriff auf das Dargestellte. „Programmgattungen oder Genres sind durch je typische Muster bestimmt, nach dem sie die lebensweltlich relevante Materie behandeln." (Weiß 2001, S. 250) Weiß folgert daher, dass Genres bestimmte 'Diskurstraditionen' repräsentieren, so dass die spezifische Erfahrung mit dem Fernsehen dem Rezipienten ein bestimmtes Genrewissen verschafft. Dieses hilft ihnen bei der Orientierung darüber, worauf sie sich beim Fern-Sehen einlassen wollen, wie die 'Leseanweisungen' der Produzenten beschaffen sind, wie also das Angebot „zu nehmen ist" (ebda). Fernsehen wird damit in der Kombination aus alltagspraktischem Sinn und den oben genannten Wahrnehmungsformen zur Tätigkeit Fern-Sehen.42 Zusammenfassend lässt sich mit Weiß sagen: „Im Medienhandeln vollzieht sich die für die 'Alltagskultur' konstitutive Vermittlung des Sinngehalts der quasi industriell produzierten

'Objekte' der 'Massenkultur' mit dem Eigensinn der subjektiven Aneignung im Horizont alltagsweltlicher Orientierungen." (Weiß 2003, S. 25) Im Medienhandeln kann es Rezipienten gelingen, frei von den Zwängen des Alltags und seiner Herausforderungen, Orientierungsangebote kennen zu lernen, sie im Erleben zu genießen also ganz ohne Handlungsdruck. Im Medienhandeln als Teil von Alltagskultur geschieht „die Vermittlung der auf die Struktur der -

41

In dieser auf den Rezipienten gerichteten Perspektive erfüllt Weiß eine von Lowry angesprochene Forderungen in Bezug auf eine Filmtheorie, der es gelingt, der Filmrezeption ihren eigenen auf das Subjekt bezogenen Stellenwert zu bieten, um Rezeption als einen aktiven bewussten und unbewussten emotional geprägten Konstruktionsprozess verstehen und untersuchen zu können; vgl. dazu auch Ausführungen zu Engfuhrungen der Apparatus- und Mediendispositivtheorie in Kap. 1 der vorliegenden Publikation sowie Lowry (1992). -

42

Vgl. hierzu auch Hasebrink 2003, S.

120.

-

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

36

Alltagspraxis eingestellten Orientierungen des 'praktischen Sinns' mit der Kreativität, Selbstzweckhaftigkeit und Emphase kulturellen Handelns." (Weiß 2003, S. 25/26) AV-Medien, allen voran das Fernsehen, als Teil von Alltags- oder speziell als Teil von Populärkultur, dienen also Rezipienten in unterschiedlicher Weise dazu, Bedeutung(en) zu stiften, sich selbst wahrzunehmen, den eigenen Standort zu reflektieren, zu klären oder (neu) zu bestimmen. Schließlich kommt

allem dem Femsehen eine

vor

prominente Rolle zu. Es ist,

wie

Weiß hervorhebt, in der Lage, „alle kulturellen Inhalte in sich aufzunehmen, zu vermitteln und erzählend zu deuten" (Weiß 2003, S. 26), schließlich fugt sich das Fernsehen in den All-

tag seiner Rezipienten in vielfaltiger Weise ein,

es

dient

zum

Beispiel dazu,

Zeitlücken

zu

schließen, den Tag zu strukturieren; es wird zum Platz abendlicher Zusammenkunft in Familien, zum Themengeber, zum Mittel des Austauschs oder auch zur Messlatte für 'In' und 'Out', etwa in Peer-Groups. Fernsehen wird zur „Teilhabe an der Kultur, insbesondere populärer Kultur" (Weiß 2003, S. 31). Das Fernsehen als populäres Unterhaltungsmedium wird damit sowohl

zum

Spielmaterial,

'Brot' als auch

das Menschen im

zum

'Spiel'

Alltag

zum

in

unserem

Alltag;

es

bietet das

(Über)Leben helfen kann (vgl.

symbolische

Paus-Hasebrink

2002).43 2.4 Zum Verständnis der Produktions-, Angebots- und das für die

Rezeptionsebene:

Was bedeutet

AV-Forschung?44 Das Modell der Triangulation,45 dessen Kern die kontextuelle Betrachtung eines GegenstanPerspektiven bzw. auf unterschiedlichen Ebenen in der Forschung ist, erscheint für eine adäquate und aktuelle AV-Forschung Erfolg versprechend. Um die aufeinander verweisenden und eng miteinander interagierenden Bereiche der AV-Produktion, der AV-Produkte sowie der AV-Rezeption in einen Zusammenhang zu bringen, bietet sich, je nach Fragestellung und speziell zu untersuchendem Fokus, der Einsatz eines triangulativen Vorgehens an. So können entsprechende Theorien, Methoden und Daten im Kontext betrachtet werden. Flick weist darauf hin, dass der Begriff der Triangulation, der aus der Landvermessung, der Geodäsie, stammt und dort zur Lokalisierung und Fixierung von Positionen und Lagen auf der Erdoberfläche eingesetzt wird, deutlich den Fokus darauf wirft, dass ein Forschungsgegenstand damit aus mindestens zwei Punkten aus betrachtet bzw. konstruiert wird des

aus

unterschiedlichen

-

43

Siehe dazu ausführlicher Paus-Hasebrink 2002.

44

Siehe zum folgenden selben Thema.

45

Der Begriff der

Kapitel Paus-Hasebrink (2004); Teile der Ausführungen basieren auf einem Beitrag zum

Triangulation stammt aus der Landvermessung.

Zum

Begriff'Kultur' als Basis eines breiten Verständnisses von (AV-)Kommunikation

ein

Vorgehen, das nach verschiedenen methodischen Zugängen verlangt.

37

(1966) (vgl. Abel/ Möller/ Treumann 1998, S. 155; Flick 2004, S. 11) hat sich insbesondere Norman K. Denzin (1978) mit der Bedeutung additiv-kumulativer Vorgehen mittels der Kombination verschiedener Methoden fur die Erhebung und Analyse empirischen Materials befasst und entsprechend postuliert, ein Sozialwissenschaftler solle sein Problem von möglichst vielen methodologischen Perspektiven aus betrachten: „I have repeatedly suggested that the sociologist should examine his problem from as many different methodological perspectives as possible." (Denzin 1978, S.291) Im Anschluss

an

Webb

Triangulation wird seither im sozialwissenschaftlichen Methodendiskurs interpretiert als eine Kombination von Methodologien bei der Untersuchung desselben Phänomens (vgl. ebda), um auf diese Weise zu einer angemesseneren Erfassung eines empirischen Gegenstandes zu gelangen. Flick beschreibt Triangulation folgendermaßen: „Damit ist gemeint, dass gezielt Forschungsperspektiven und Methoden miteinander kombiniert werden, die geeignet sind, möglichst unterschiedliche Aspekte eines Problems zu berücksichtigen: etwa der Versuch, die Sicht eines Subjekts zu verstehen und dies mit der Beschreibung der Lebenswelt, in der es agiert, zu verbinden." (Flick 1995a, S. 67) prägnanter und unmissverständlich deutlich: „Triangulation beinhaltet die Einnahme unterschiedlicher Perspektiven auf einen untersuchten Gegenstand oder allgemeiner: bei der Beantwortung von Forschungsfragen." (Flick 2004, S. 12)

Eine aktuellere Definition macht noch

allerdings, dass Triangulation mehr sein will als eine bloße Addition unterschiedlicher Zugänge und Methoden (siehe z.B. Flick 1995a, b; Abel/ Möller/ Treumann 1998; Flick 2003; Flick 2004, S. 1 lf.). Eine derartige Mehrdimensionalität wird durch Triangulationen in der Forschungsarbeit gewährleistet, die auf insgesamt mehreren Ebenen zu vollziehen sind. Denzin unterscheidet und diese Ebenen der Triangulation gelten nach wie vor als vorbildlich insgesamt vier Triangulationsarten,46 die je verschiedene Schwerpunkte auf-

Zu bedenken ist dabei

-

-

weisen: Theorieebene: Dabei werden soziale Phänomene

sucht,

um

unterschiedliche

aufgrund verschiedener

Theorien unter-

Erklärungshypothesen zu entwickeln. Auf diese Weise können an-

Abel/ Möller/ Treumann fuhren insgesamt fünf Ebenen der Triangulation an. Die Autoren differenzieren nach Janesick neben der Daten-, Untersucher(innen)- und Methoden-Triangulation des Weiteren eine theoretische und eine interdisziplinäre Triangulation (1998, S. 156ff.). Damit ist, um bei einer sozialwissenschaftlichen Untersuchung die Dominanz einer Disziplin zu vermeiden, explizit verschiedene Disziplinen (etwa die Psychologie, Pädagogik, Soziologie etc.) in Bezug auf relevantes Theoriematerial zu befragen. Im vorliegenden Beitrag wird die 'Interdisziplinäre Triangulation' mit der vierten Ebene, der 'Theorietriangulation' zusammengefasst. 46

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

38

schließend im Rahmen der unterschiedlichen

Forschungszugänge die jeweiligen Theorien

Forschungen und mit Hilfe unterschiedlicher überprüft und gegebenenfalls verworfen bzw.

modifiziert werden. Konkret bedeutet dies etwa im Hinblick auf das Thema 'Kindermedien-

entwicklungspsychologische und sozialisationstheoretische Theorien zu Kindern sowie soziologische Theorien zur Entwicklung und zum gesellschaftlichen Wandel von Kindheit mit Untersuchungen zur Medienrezeption von Kindern zu kombinieren, um möglichst gut theoretisch gestützt, den Forschungsgegenstand bzw. das Forschungsfeld eingrenzen zu können und nach Abschluss der eigenen Untersuchungen eventuell gar für den jeweiligen Aspekt relevanten theoretischen Befunde zu stützen oder auch zu relativieren. forschung',

z.

B.

Forschertriangulation bekannt): Dabei geht es im Wesentlichen darum, bei der Datenerhebung verschiedene Forscher bzw. Beobachter einzusetzen, um so einer Verzerrung der Ergebnisse durch einseitige Wahrnehmung vorzubeugen. An allen Auswertungsschritten sind also mehrere, zumindest jeweils zwei Mitglieder des Forschungsteams zu beteiligen. Die Untersucher-Triangulation ist zwar in der Lage, Verzerrungen zu mildern; das Forscherteam muss sich jedoch rechtschaffenerweise darüber im Klaren sein, dass es unmöglich ist, diese gänzlich zu vermeiden. Untersucher-Ebene:

(auch

als Beobachter- oder

Auswertung werden die Daten der verschiedenen Quellen zusammengeführt und in einander ergänzender Weise interpretiert. Die Kombination unterschiedlicher Datenmaterialien sollte wiederum aufgrund einer dreifach denkbaren ErhebungsVariation beruhen. Jakob führt dazu mit Bezug auf Denzin die zeitliche Variation, die räumliche (eine Befragung sollte also an verschiedenen Orten stattfinden) sowie eine personale Variation an. Mit Hilfe der Variation innerhalb der befragten Individuen soll bereits bei der Wahl der Untersuchungsstichprobe der Vielfältigkeit sozialer Phänomene und Gegenstände entsprochen werden (vgl. Denzin 1978; s. auch Jacob 2001). Daten-Ebene: In der Erhebung und

Datentriangulation ist auf eine Untersuchung zur Rolle von Fernseh-Heldenbildern im Alltag von Vorschulkindern zu verweisen (vgl. Paus-Haase 1998, 2000). Um einer besonders bei jüngeren Kindern gegebenen Vermischung alltagsrealer und phantastischer (Wunsch- bzw. Angst-)Erlebnisse vorzubeugen, wurden Daten aus Kinderinterviews und -beobachtungen mit Daten aus Aussagen von Eltern und Erzieherinnen, jeweils in Leitfadeninterviews erhoben, kombiniert und in ergänzender Weise interpretiert. Eine Datentriangulation fand des Weiteren innerhalb der Kinderuntersuchungen statt, um sowohl Da-

Als konkretes

Beispiel

für eine

Material, deren Kombination einen tieferen Einblick in sozial-emotionale Kontexte des Medienhandelns bieten, erfassen zu können. Dazu wurden

ten

aus

verbalen als auch

aus

bildlichem

Zum

Begriff 'Kultur' als Basis eines breiten Verständnisses von (AV-)Kommunikation

39

Gruppengesprächen mit Kindern und Einzelinterviews mit ausgewählten Kindern aus diesem Sample mit Daten aus einer teilnehmenden Verhaltens- sowie medienbezogen Beobachtung der Kinder mit Daten aus der teilnehmenden Beobachtung eines impulsgeleiteten Rollenspiels und aus Zeichnungen der interviewten Kinder zusammengeführt. Solcherart aus unterschiedlichen Quellen erhobene Daten können zu einer gegenseitigen Kontrolle beitragen und somit validere Ergebnisse liefern. die verbalen Daten

aus

Methoden-Ebene: Auf dieser Ebene

geht es darum, verschiedene Erhebungs- und Auswertungsmethoden anzuwenden, die dem jeweiligen Schritt bzw. dem vorliegenden Material angepasst sind. Sie wird in drei Versionen unterschieden, wobei die beiden nach Denzin als

Versionen

methodologische Triangulation zu bezeichnen sind (siehe dazu Flick 2003):

'Between-method': Diese Form der in

ersten

genannten impliziten Triangulation findet sich häufig

so

ethnographischen Untersuchungen,

die z.B.

Befragungen und Beobachtungen

miteinander

kombinieren. 'Within-method': Dabei werden unterschiedliche

Auswertungsverfahren kombiniert, die auf einen Datensatz Anwendung finden. Flick nennt als Beispiele dafür die Verknüpfung unterschiedlicher Interviewverfahren, etwa des problemzentrierten und des episodischen Interviews, bei dem Erzählungen und Frage-/Antwort-Passagen miteinander verknüpft werden (vgl. Honer 2003). 'Across-method':47 Bei dieser Vorgehensweise werden verschiedene, häufig aus dem quantitativen und qualitativen Paradigma stammende Forschungs- bzw. Erhebungsmethoden kombiniert, um im Sinne einer 'Komplementarität' ein empirisches Phänomen möglichst adäquat zu untersuchen. Mit Hilfe derartiger aus unterschiedlichen Theorietraditionen stammenden Methoden lassen sich, wie insbesondere Fielding/ Fielding (1986) erkannten, „breitere, vielfaltigere und tiefere Erkenntnisse über die untersuchten sozialen Phänomene" (Abel/ -

47

-

Als Beispiel für eine 'Across-method'-Triangulation ist auf die Untersuchung des Umgangs von Jugendlichen mit Talkshows (vgl. Paus-Haase/ Hasebrink/ Mattusch/ Keuneke/ Kretz 1999) zu verweisen, in der es darum ging, herauszufinden, welche Realitätswahrnehmung bei den jungen Rezipienten und Rezipientinnen vorliegt. Dazu fand auf der Rezeptionsebene eine dreifache Methodentriangulation statt: eine Sekundäranalyse von GfKMessungen als Basisinformation über die Reichweiten und Marktanteile der Talkshows in der fraglichen Altersgruppe; eine qualitative Untersuchung bestehend aus 1) Gruppendiskussionen mit insgesamt 120 Jugendlichen; 2) darauf aufbauend Einzelinterviews mit 53 ausgewählten Jugendlichen, einerseits 'Fans' der Talkshows, andererseits 'gelegentliche' Nutzer; 3) daran wiederum anknüpfend 28 vertiefende Einzelfallanalysen mit denjenigen Befragten, die sich als Talkshow-,Fans' bezeichnen lassen und anhand derer verschiedene Typen des Umgangs mit diesen Formaten ermittelt wurden; eine für die Gruppe der 12- bis 17-Jährigen in der Bundesrepublik Deutschland repräsentative Befragung bei 657 Jugendlichen über ihren Umgang mit den Talkshows, über ihre Nutzungsmotive und Wahrnehmungen der Themen und Moderator(inn)en sowie über verschiedene Aspekte der

Realitätswahrnehmung.

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

40

Möller/ Treumann 1998, S.

162) erfassen.

Frage nach der angemesseneren, sprich valideren Erfassung des interessierenden empirischen Gegenstandes durch eine triangulative Vorgehensweise unbedingt mitbeachtet werden muss, „dass dabei die jeweiligen, ggf. sehr divergenten theoretischen Hintergründe und erkenntnistheoretischen Basisannahmen der einzelnen Methoden mitberücksichtigt werden müssen" (Flick 2003). Insbesondere der Tatsache ist oft zu wenig Beachtung geschenkt worden, „dass jede spezifische Methode auch ihre spezifischen Ergebnisse konstituiert" (Jacob 2001). Daher ist nicht jeder, wie auch immer gearteten Triangulation das Wort zu reden; nicht per se bietet sie eine höhere Validität der Daten bzw. gewährleistet eine validere Forschung. So kann zum Beispiel nicht ohne weiteres von einer höheren Validität der Daten gesprochen werden, wenn lediglich eine reine Beobachtertriangulation durchgeführt wurde. Der Einsatz aber einer 'Across-method'-Triangulation den sorgfältigen Einsatz und Umgang mit den entsprechenden Methoden im Forschungsfeld vorausgesetzt hingegen lässt eine höhere Validität des Datenmaterials erwarten; denn das zur Erforschung anstehende Phänomen wird so durch zumindest zwei unterschiedliche Erhebungsmethoden erfasst. Eine derartige höhere Validität bzw. Angemessenheit bezüglich des untersuchten empirischen Gegenstandes kann jedoch „nur dann geltend gemacht werden, wenn die Daten nicht lediglich nacheinander abgehandelt bzw. aneinander gereiht werden; vielmehr ist hierzu eine spezifische Kombination bzw. Verknüpfung der unterschiedlichen Datenpools erforderlich" (Jacob 2001).

Flick weist darauf hin, dass bei der

-

-

Beispiel zur 'Talkshow-Studie' beschrieben, häufig den Einsatz quantitativer und qualitativer Methoden voraus. Dabei geht es derzeit in der Sozialforschung nicht länger um die von Charlton und Neumann in ihrem Rückblick auf den Beginn der Auseinandersetzungen pointiert als 'Kampflinie' beschriebene einstmalige kategorische Frontstellung der beiden Paradigmen, die über Jahre die Forschungspraxis bestimmt hat (1988b). Dies setzt, wie im

-

-

Wenn auch noch

immer, allerdings mittlerweile erheblich abgemildert, diese unterschiedli-

ausgerichteten empirischen Forschung aufeinander zu stoßen scheinen, haben ernsthaft empirisch arbeitende Wissenschaftler längst verstanden, dass beide Zugänge sozialwissenschaftliche Forschung Uberhaupt erst fruchtbar zu machen in der Lage sind. Der häufig gezogene Vergleich zwischen der Leistungsfähigkeit quantitativer bzw. qualitativer Ansätze hat dort einer Reflexion in Richtung einer möglichen Verbindung beider Platz gemacht und in vielfältiger Weise hin zu einer fruchtbaren Zusamchen

Paradigma

in der sozialwissenschaftlich

Zum

Begriff'Kultur' als Basis eines breiten Verständnisses von (AV-)Kommunikation

41

folgende drei unterschiedliche von Garz und Kraimer beschriebene Positionen in der Verwendung der jeweiligen Anteile des qualitativen bzw. quanti-

menarbeit

geführt.

So lassen sich

tativen Forschungszugangs erkennen

(Garz/Kraimer 1991, S. 15):

1. der Primat der quantitativen

Forschung unter Einbezug qualitativer Anteile, 2. der Primat der qualitativen Forschung unter Einbezug quantitativer Anteile und 3. die Gleichberechtigung der Forschungsansätze. geht also nicht mehr um den Streit quantitativ versus qualitativ, sondern vielmehr um den adäquaten Einsatz und die adäquate Kombination beider Methodenfelder (vgl. Kelle/ Erzberger 2000). Grundsätzlich lassen sich dabei drei unterschiedliche Ansätze zur Integration quantitativer und qualitativer Methoden unterscheiden (s. dazu auch Jacob 2001): Im Phasenmodell kommen zunächst qualitative Verfahren zum Einsatz; anschließend werden und insofern chronologisch die daraus gewonnenen Hypothesen im Rahmen einer Hypothesenüberprüfung mittels standardisierter Verfahren überprüft. Im Konvergenzmodell dienen die gewonnenen Daten zur gegenseitigen Validierung, wobei beide Ansätze als adäquat und damit im Sinne des dritten Primats von Garz und Kraimer als gleichberechtigt betrachtet werden. Im Komplementaritätsmodell beziehen sich die jeweiligen Methoden auf unterschiedliche Aspekte des Forschungsgegenstands. Damit ergänzen sich die Verfahren im Sinne einer möglichst adäquaten Erforschung des Gegenstands. Bei kritischer Betrachtung der drei Einsatzmöglichkeiten wird deutlich, dass im Grunde erst die beiden letztgenannten Vorgehensweisen (das Konvergenz- sowie das Komplementaritätsmodell) den Sinn triangulativen Arbeitens sicher stellen, nämlich einen Rückbezug auf die jeweils mit unterschiedlichen Methoden generierten Daten zu gewährleisten. In neueren Forschungen steht daher der Aspekt des Einsatzes der Triangulation als Validierungsstrategie nicht länger im Mittelpunkt; es geht dabei vielmehr um eine möglichst perspektivenreiche Erkenntnis (vgl. Denzin/ Lincoln 1994; Flick 2003). Es

-

-

Triangulation im Rahmen der AV-Forschung zielt darauf ab, verschiedene Forschungsperspektiven und Methoden gezielt so miteinander zu kombinieren, dass sie sich gegenseitig kontrollieren, ergänzen, unterstützen, relativieren oder auch widerlegen können. Trotz einer gewissen Popularität, die dieses Konzept mittlerweile in der empirischen Sozialforschung erlangt hat, ist aber festzustellen, dass sich nur wenige empirische Studien systematisch damit auseinandersetzen, wie die beanspruchte Triangulation tatsächlich mehr sein kann als die bloist, inwieweit ihre theoretischen Prämissen miteinander vereinbar und aufeinander beziehbar sind. Zentral für den Erfolg von Triße Addition verschiedener Methoden,

von

denen unklar

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

42

ist daher immer die

sorgfältige Bestimmung des jeweiligen Forschungsinteresses, der jeweiligen Forschungsfrage, die eine ebenfalls möglichst exakte und umfangreiche Explikation des Forschungsgegenstandes voraussetzt. Die Fragestellung entscheidet also über den Einsatz, sprich die jeweils konkret realisierte bzw. praktizierte Form der Triangulation, mithin auch über ihren Erfolg. In neueren Forschungen steht zudem der Aspekt des Einsatzes der Triangulation als Validierungsstrategie nicht länger im Mittelpunkt; dabei geht es vielmehr um eine möglichst perspektivenreiche Erkenntnis (vgl. Denzin/ Lincoln 1994; Flick 2003).48 angulation

Insbesondere wegen seiner auf Mehrdimensionalität ausgelegten Perspektivik bietet sich das Modell der Triangulation für eine leistungsfähige AV-Forschung auf den drei skizzierten Ebenen

der Produktion, des

Angebots und der Rezeption mit jeweils einer unterschiedlichen, dem

Gegenstand adäquaten Methodenkombination an. 2.5

Zusammenfassung

Auf Basis eines

breiten, auf Ernst Cassirer zurückgehenden Verständnisses

von

Kultur als

symbolische Konzeption, die sich in ihrer Weiterentwicklung aus unterschiedlichen Disziplinen wie der Ethnologie, der Anthropologie, der Philosophie und insbesondere der Soziologie speist, wird Kultur nach Soeffner als Gesamtheit der Formen der Lebensführung einer Gesellschaft oder eines Milieus innerhalb einer Gesellschaft verstanden

eine

Sichtweise, die auf

-

das Nebeneinander verschiedener Kulmren verweist. Nach Habermas spannt Kultur den Bedeutungsrahmen sozialen Handelns, sie bildet die Grundlage des Sinnvorrats, aus dem die Ge-

sellschaft ben den

schöpft

und kulturelle

Erscheinungsformen ausdifferenziert;

sie

repräsentiert dane-

Wissensbestand, mit dem Kommunikationsteilnehmer in ihren Interaktionen

hend

verste-

agieren und der ihnen gestattet, sich miteinander zu verständigen Ihre spezifische Gestalt gewinnt Kultur im Prozess aktiver Bedeutungsverleihung der Agierenden, bei dem diese sich auch massenmedialer Angebote bedienen. .

Daraus

folgt zum einen, dass sich eine Annäherung an mediale Kommunikation nicht nur aus einer Perspektive vollziehen lässt. Zum anderen sind nach dem 'Linguistic Turn' mit seinen erkenntnistheoretischen Folgerungen und Position zum Verhältnis von Bewusstsein und Wirklichkeit (medien)kulturelle Phänomene nicht länger als voneinander unabhängige Phänomene beschreibbar. Die Metapher des von Wittgenstein entlehnten Begriffs des 'Sprachspiels' kann helfen, den Symbolzusammenhang der drei zentralen, bereits im 1. Kapitel beschriebe48

Siehe dazu Kap. 6 der vorliegenden Publikation; dort wird als nach dem Modell der Triangulation konzipiert wurde.

Beispiel eine Forschungsstudie vorgestellt, die

Zum

Begriff'Kultur' als Basis eines breiten Verständnisses von (AV-)Kommunikation

nen

Ebenen der AV-Kommunikation im Rahmen einer kommunikationswissenschaftlichen

43

Betrachtung von Produktion, Angebot und Rezeption näher zu beleuchten und neue Perspektiven darauf

zu

erschließen bzw. sie deutlich hervorzuheben. Er lässt AV-Kommunikation

länger als beziehungslos nebeneinander stehende Bereiche erkennen, sondern hebt ihr dynamisches Beziehungsgeflecht hervor. Der Blick auf die Übergänge zwischen den unterschiedlichen Sprachspielen, der Produktion, des Produkts und der Rezeption mit ihren jeweils unterschiedlichen von den differenten Lebensformen der Rezipienten geprägten Sprachspielen im Sprachspiel AV-Kommunikation wird verstärkt.

nicht

AV-Kommunikation wird damit als offenes Feld differenter

Sprachspiele mit jeweils für die einzelnen Felder charakteristischen eigenen, allerdings ähnlichen Sprachspielen sichtbar. Der Begriff des Sprachspiels hebt außerdem das Moment der Relevanz von AV-Kommunikation im Rahmen öffentlicher Kommunikation hervor, da innerhalb eines Sprachspiels Begründungsdiskurse für die jeweiligen Sprachspiele nötig werden, wenn es zum Widerstreit zwischen unterschiedlichen Diskursregeln und Geltungsansprüchen auf den unterschiedlichen Ebenen der AV-Kommunikation bzw. innerhalb der Ebenen bzw. Felder selbst kommt. Mit Hilfe

von

Handelns

von

kulturtheoretischen Ansätzen, in die Prämissen des von George Herbert Mead geprägten sozialpsychologischen Ansatzes der Symbolischen Interaktion und Annahmen zu regelgeleitetem menschlichen Handeln einfließen, sowie dem Ansatz des kommunikativen

Habermas, lassen die sich die eng miteinander verschränkten und aufeinander

Bedeutungsebenen von AV-Kommunikation erfassen: So kann sowohl die Ebene der Produktionsbedingungen beleuchtet als auch die Annäherung an den Sinnhorizont des Medienangebots im Spiegel der Bedeutungszuschreibung durch den Rezipienten stattfinrückverweisenden

den. Da sich Kultur im

Zusammenspiel unterschiedlich formierter Erscheinungsformen, spezifischer kultureller Ausprägungen und mehr und mehr mit Hilfe medialer Symbolangebote im Alltag vollzieht, bietet sich der in der Auseinandersetzung mit den Cultural Studies (CS) entstandene und

Willis

geprägte Ansatz der 'Common Culture' als Grundverständnis audiovisueller Kommunikation an. Er verzichtet zugunsten des Begriffs 'Alltagskultur' auf eine von

Dichotomie von 'Hochkultur' und 'Trivialkultur'.

Ausgehend von theoretischen Überlegungen der Feld-Theorie Bourdieus renten

und der darin inhä-

Sichtweise auf Medien als soziales Faktum wird die Ebene der Produzenten bzw. der

Produktion als ein

'Feld', ein strukturierter gesellschaftlicher

von

ständigen Ungleichbezie-

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

44

hungen geprägter Raum, verstanden. Damit sind anders als in anderen Kulturmodellen, die die zahlreichen Vermittvon vertikalen, hierarchisch gegliederten Vorstellungen ausgehen lungsebenen, die sich zwischen der jeweiligen Infrastruktur eines Raumes und dem darin entstehenden Produkt als sich gegenseitig bedingendes und miteinander verflochtenes, sozial bedingtes Konstrukt ergeben, in den Fokus zu nehmen und bestimmte Positionen ohne eine vorschnelle Klassifikation ihrer vermeintlichen Werthaltigkeit zu bestimmen. -

-

Mit Hilfe der Bourdieu'schen Feldtheorie als

Ausgangspunkt

zur

Analyse

der Produktions-

ebene, mithin zum Verständnis der Produktionsräume, lassen sich also die unterschiedlichen Akteure, die die unsichtbare Struktur des Feldes der Medien-Produktion in ihren jeweiligen

Positionsbestimmungen aufgrund

ihrer ihnen

obliegenden

bzw.

zugeschriebenen

Machtver-

hältnisse beeinflussen, im Feld der Produktion sichtbar machen. Die Bourdieu'sche Feldtheorie stößt

allerdings dort an ihre Grenzen, wo es über eine angemessene Reflexion der Produktionshintergründe und ihrer sich auch in den Produkten niederschlagenden Emanationen hinaus um die Nutzungs- und Umgangsweisen der Rezipienten mit Medien geht. Die individuell geprägten Bedeutungszuschreibungen der Rezipienten, ihre individuellen Nutzungs- und Umgangsweisen, können mit dem Konzept der Feldtheorie nicht ausreichend erfasst werden. Dazu bedarf

es

weiterer theoretischer

Überlegungen,

die den

Blick sowohl auf die -

Angebote selbst als auch insbesondere auf ihre Rezeption hin erweitern und dies insbesondere auf die sie prägenden Verbindungslinien.

Das

Hall entwickelte und als 'Text-Leser-Modell' bekannte

Enkodierungs- und Dekodierungsmodell kann helfen, diese Verbindung der Angebots- und Rezeptionsebene besser im Zusammenhang ins Visier zu rücken. Schließlich strukturieren Medienangebote etwa in ihren Angebotsweisen, in denen sie speziellen kulturell geprägten Angebotsschemata, wie z.B. in ihren Genres folgen (die damit zu kommunikativen Genres werden), die Erwartungen ihres von

Publikums mit. In welcher Weise Menschen z.B. mit setzten

Medienangeboten, etwa einem spezifisch zusammenge-

Medienmenü, umgehen, hat in entscheidendem Maße mit ihrem lebensweltlich be-

dingten 'Vorwissen' zu tun. Diese Sichtweise wurde durch die 'kognitive Wende' der Psychologie ermöglicht, in deren Folge das Bewusstsein dafür wuchs, dass menschliche Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsprozesse sowohl Selektions- als auch Konstruktionsleistungen voraussetzen. Eine

derartige ganzheitliche analytische Annäherung

nimmt ihren

Ausgangspunkt

beim

ur-

Zum

Begriff'Kultur' als Basis eines breiten Verständnisses von (AV-)Kommunikation

45

sprünglich von Husserl geprägten und von Habermas ausdifferenzierten Begriff der 'Lebenswelt'. Im Kontext des umfassend zu verstehenden Begriffs der 'Alltagskultur' und der von Ralph Weiß mit Hilfe der Theorie des 'praktischen Sinns', die den Umgang von Menschen mit Medien als 'Tätigkeiten', etwa als 'Film-Sehen', 'Fern-Sehen', 'Radio-Hören' etc. versteht, besser durchschaubar gemachten Rezeptionsebene kann es gelingen, AV-Kommunikation, insbesondere des Mediums Fernsehen, als Teil

Alltags- oder speziell als Teil von Populärkultur zu beschreiben. Danach dient AV-Kommunikation Rezipienten in unterschiedlicher Weise dazu, Bedeutung(en) zu stiften, sich selbst wahrzunehmen, den eigenen Standort zu reflektieren, zu klären oder (neu) zu bestimmen. Um

von

im Rahmen einer

leistungsfähigen AV-Forschung die aufeinander verweisenden und eng miteinander interagierenden Bereiche der AV-Produktion, der AV-Produkte sowie der AV-Rezeption in einen Zusammenhang bringen zu können, bietet sich das Modell der Triangulation an, in dessen Kern die kontextuelle Betrachtung eines Gegenstandes aus unterschiedlichen Perspektiven bzw. auf unterschiedlichen Ebenen in der Forschung steht. Je nach Fragestellung und speziell zu untersuchendem Fokus können somit entsprechende Theorien, nun

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Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemfragen

Die AV-Produktion

53

-

3

Gesellschaftliche

Die AV-Produktion -

Hintergründe

und

Mediensys-

temfragen (Michelle Bichler) Gesellschaftliche Wirklichkeit ist heute im Wesentlichen massenmedial konstruierte Wirk-

lichkeit, da wir einen Großteil unseres Wissens über die Massenmedien erlangen (vgl. Luhmann 1996, S. 9). Berufs- wie auch Alltagsleben sind großteils nicht mehr ohne die Nutzung audiovisueller Medien vorstellbar. Auf der einen Seite bieten sie den Menschen einen erheblich erweiterten

Kommunikationsspielraum

und eröffnen dadurch eine

Dimension gesellschaftlichen Zusammenlebens, andererseits besitzen AV-Medien durch diese alle Lebenslagen durchdringende Infiltrierung ein nicht zu unterschätzendes Einfluss- und Machtpotential. Dies verdeutlicht etwa die den audiovisuellen Medien

von

der EU

neue

zugeschriebene

Be-

deutung: „

Die audiovisuellen Medien spielenfür das Funktionieren der modernen demokratischen

Gesellschaften eine zentrale Rolle. Ohne ungehinderten Informationsfluss sind diese Gesellschaften nicht funktionsfähig. Zudem kommt den audiovisuellen Medien eine fundamentale Rolle in der Entwicklung und Vermittlung sozialer Werte zu ". (Reding 2003) Audiovisuelle Kommunikation ist heute somit ein manifester Teil

gesellschaftlichen und kul-

turellen Zusammenlebens. Wie bereits im

vorherigen Kapitel erläutert kann eine eindimensi-

onale Sichtweise auf einen

Prozess wie den der Kommunikation

greifen,

so

komplexen

nur zu

kurz

ein

adäquates Verständnis desselben zu erlangen. Stellen Analysen der Produkte selbst sowie Analysen von Wahrnehmungs- und Umgangsweisen von Rezipienten maßgebliche Bedingungen für das Verstehen um audiovisuelle Medien dar, so darf darüber hinaus der um

dritte entscheidende

Faktor, der im Kontext der AV-Kommunikation eine bedeutende Rolle

spielt, nicht vergessen werden

die Produktion audiovisueller Medien. -

Die Produktion als

wichtiger Teilaspekt im Prozess der audiovisuellen Kommunikation wird jedoch in der Forschung trotz gegenteiliger Diskussionen über und Ausführungen zu den kollektiv geschaffenen Produkten der audiovisuellen Industrie, oft übergangen. Werden Produkt und Rezipient schon seit Jahrzehnten mit unterschiedlichen methodischen Konzepten, Ansätzen und Theorien als eigenständige Forschungsgegenstände analysiert und beschrieben, so fand die Produktion erst in den letzten Jahren durch Untersuchungen zu Detailbereichen des Produktionszyklusses wie Kameraarbeit, Drehbuch, Lichtführung etc., Abhandlungen zu Or-

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

54

und

ganisations-

Produktionsabläufen, den historischen Veränderungsprozessen im Produkti-

onsprozess sowie über Einflussfaktoren und ästhetische

Gestaltungskonzepte (vgl.

Holtmann

1998; Kohle/ Döge-Kohle 1999; Kauschke/ Klugius 2000; Gehr/ Ott 2000; Cleve 2001; Ohanian/ Phillips 2001; Geißendörfer/ Leschinsky 2002) ihre Einbindung in dieses sich ge-

genseitig

bestimmende und voneinander

abhängige

Dimensionstriumvirat 'Audiovisuelle

Kommunikation'. Doch nach wie

vor

konzentrieren sich theoretische Ansätze und wissenschaftliche Untersu-

chungen zum Produktionsprozess audiovisueller Medien entweder auf spezielle Teilbereiche des Gegenstandes (Produktionsablauf, Organisationsstruktur, historische Veränderungen etc.) oder betrachten diesen nur aus einer spezifischen Teildisziplin (wie etwa der Medienökonomie, dem Journalismus etc.), wodurch die Komplexität des Gesamtkonstrukts AV-Produktion mit allen auf ihn wirkenden Einflussfaktoren und seine Vernetzungen mit den Ebenen des Produkts und der Rezeption nur begrenzt oder gar nicht transparent werden. -

Die

-

folgenden Erläuterungen zur umfangreichen Ebene audiovisueller Produktion zielen im Sinne eines Einftihrungswerkes vorrangig darauf ab, einen umfassenden Überblick über die wesentlichen Aspekte und Elemente des Produktionsprozesses zu vermitteln. nun

So widmet sich das

der

diovisuellen

in einem ersten Schritt dem strukturellen Produktionsver-

Kapitel nach Produktionsbegriffes

lauf im audiovisuellen

Bestimmung

und definitorischen

Eingrenzung

des

au-

Bereich, welcher Aufschlüsse über die Vielfältigkeit und Komplexität

geben kann, die sich bereits in

der

(praktischen) Herstellung von AV-Medien zeigt. Dabei zeigt sich bereits, dass der Produktionsprozess von zahlreichen Faktoren bestimmt und beeinflusst wird. Diesen auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelten Einflussfaktoren wird in Folge näher nachgegangen sei es auf technischer, ökonomischer oder gesellschaftspolitischer -

Ebene. Hier wird ansatzweise

deutlich, dass sich die audiovisuellen Produktionsmechanismen, die auf die audiovisuelle Kommunikation einwirken, vor allem in den letzten Jahren in Folge weit reichender gesellschaftlicher Wandlungsprozesse, die mit Schlagworten wie Globalisierung, Konvergenz, Privatisierung etc. beschrieben werden können, stark verändert haben. Das Eingehen auf umfassende, die audiovisuelle Produktion betreffende Entwicklungen soll das

Einflusspotential

unterschiedlicher Gesellschaftsdimensionen zusätzlich verdeutli-

chen. Schlussendlich werden die diskutierten Produktionsmechanismen und hand eines

praktischen Fallbeispiels,

veranschaulicht.

in einem

Vergleich

-bedingungen an-

der Fernsehsender ARD und RTL,

Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemfragen

Die AV-Produktion

55

-

3.1

Die AV-Produktion -

Begriffserläuterung

AV-Begriff auf unterschiedliche Medien bezieht Film, Fernsehen, Radio und immer häufiger auch die Schnittstellen, die diese Medien zu anderen, den so genannten 'neuen' Medien aufweisen ist es schwierig, eine spezifische, jedoch allgemeingültige Definition

Da sich der

-

-

fur die Produktion audiovisueller Medien

zu

fassen. Aus diesem Grund

muss

vorab der Be-

griff des 'audiovisuellen Werkes' bestimmt und definiert werden: Ein audiovisuelles Werk ist gemäß einer einfachen Definition von Umstätter (o.J.) ganz allgemein dadurch gekennzeichnet, dass es „aus einer Reihe in Beziehung gesetzter Bilder und Töne besteht, die mit Hilfe entsprechender analoger beziehungsweise digitaler [elektronischer] Wiedergabegeräte, wie Projektoren, Lautsprecher etc. vorgeführt werden können"; audiovisuelle Produkte sind somit direktes Ergebnis eines technischen Produktionsvorganges zur Inszenierung und Realisierung eines kommunikativen Vorhabens. Bereits dieser Versuch einer

Begriffserläuterung von AV-Medien zeigt die Schwierigkeit ei-

vollständigen Erfassung aller dem AV-Bereich zuzuordnenden Einzelmedien. Weisen Film- und Fernsehangebote sowohl visuelle als auch auditive Elemente auf, so muss dem Radio der visuelle Charakter abgesprochen werden, und Online-Medien scheinen ihrerseits auch nicht uneingeschränkt alle definitorisch festgelegten Faktoren eines audiovisuellen Produkts ner

in sich zu vereinen.

Festlegung, was nun unter der Produktion audiovisueller Medien zu verstehen ist, nicht leichter. Es scheint vielmehr, als dass es unmöglich ist, eine generelle, das Themengebiet vollständig abdeckende Definition von AV-Produktion zu finden, da sich die Produktionsschritte sowie die jeweiligen Produktionsbedingungen je Medium mitunter stark voneinander unterscheiden. Aus diesem Grund wird sich dieses Kapitel vorrangig der Film- und Fernsehproduktion widmen, da eine den gesamten audiovisuellen Sektor abdeckende Skizzierung der Produktionsebene einerseits den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde (dafür bedürfte es einer eigenen Publikation) und dies andererseits unter dem Blickwinkel der diesem Buch zugrunde liegenden kommunikationswissenschaftlichen Herangehensweise und der damit verbundenen Fokussierung auf öffentliche, (massen)mediale Kommunikation nicht zwingend notwendig erscheint. So werden in Folge die Produktionsprozesse sowie -bedingungen der beiden großen AV-Medien Film und Fernsehen selektiv betrachtet; nicht jedoch ohne etwaige Gemeinsamkeiten und Parallelen aufzuzeigen. Somit wird die

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

56

Begriffe Filmproduktion bzw. Fernsehproduktion und die sowohl beim Film als auch beim Fernsehen verwendete Bezeichnung des Produzenten näher erläutert werden, soll vorab die allgemeine, aus der Ökonomie entlehnte Definition von Produktion einen medienunspezifischen Einblick in die Materie geben. Dieser soll helfen, bereits im Vorfeld einer in die Tiefe gehenden Erläuterung von AV-Produktion zu klären, welche Faktoren, Elemente und Arbeitsschritte dem Produktionsprozess zuzuschreiben sind. Bevor

nun

die beiden

Nach Hoitsch

(1993, S. 1) wird Produktion im weiteren Sinne als der „zielgerichtete Einsatz von Sachgütern und Dienstleistungen und deren Transformation in andere Sachgüter und Dienstleistungen [verstanden]". Produktion umfasst somit sowohl die Beschaffung von Produktionsfaktoren wie Betriebsmittel und Werkstoffe, die Herstellung des Produkts selbst sowie dessen Weiterverarbeitung durch Verkauf, Verwaltung und Kontrolle. (Vgl. Kauschke/ Klugius 2000, S. 121) Auf den

medialen, speziell den audiovisuellen Sektor übertragen bedeutet dies, dass der Pro-

duktionsprozess

nicht ausschließlich die 'handwerkliche'

Herstellung eines Medienangebots beinhaltet, sondern, je nach Medium, etwa auch die Anschaffung bereits gefertigter Produkte (z.B. bei der Programmproduktion im Fernsehen), die Planung zur Kreierung und späteren Produktion eines Medienangebots sowie die immer mehr an Bedeutung gewinnende Distribution

von

Medieninhalten mit einschließt. AV-Produktion setzt sich demnach

aus

vier Phasen

Der

Vorproduktion (pre-production), der Produktion selbst, der Nachproduktion (post-production) sowie der anschließenden Distribution bzw. Verwertung.49 Diese komplexe und phasenreiche Strukturierung lässt sich sowohl bei Film- als auch bei Fernsehproduktionen feststellen, wobei das Fernsehen zusätzlich noch zwischen Beitrags- und Programmprodukti-

zusammen:

onen

unterscheidet.

Film- und Fernsehproduktion

-

Begriffserläuterungen

Filmproduktion wird ganz allgemein die singulare, nicht jederzeit reproduzierbare geistig kreative sowie physisch handwerkliche Leistung zur Herstellung und Verarbeitung eines filmischen Werkes verstanden (vgl. Gaintanides 2001, S. 20). Somit sind folgende Elemente dem Filmproduktions-Begriff zuzuordnen: Erarbeitung einer Filmidee und eines Drehbuchs, finanzielle, rechtliche, personelle und organisatorische Kalkulationen sowie Planung und Durchführung der Dreharbeiten und Nachbearbeitung des Filmmaterials. Da, wie oben erUnter

siehe dazu

Kapitel 3.3.1

Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemfragen

Die AV-Produktion

57

-

wähnt, die Vermarktung und Distribution von audiovisuellen Werken einen immer bedeuten-

Produktionsprozess einnimmt und eine weit gefasste allgemeine Definition von Produktion den Vermarktungsaspekt mit einschließt, wird dieser ebenfalls dem Begriff des filmischen Produktionsprozesses zugederen Stellenwert

vor

allem auch für den tatsächlichen medialen

ordnet. Die

Fernsehproduktion geht über die Definition der Filmproduktion dahingehend hinaus, dass sie neben der geistig kreativen, physisch handwerklichen und organisatorischen Leistung zur Erstellung von Fernsehfilmen, Fernsehserien und sonstiger Fernsehproduktionen sei es als Eigen-, Auftrags- oder Fremdproduktion -, auch die Konzeption und Produktion von Programmen einschließt. Zu dieser gehören unter anderem „der Rechtehandel, die Bearbeitung -

erworbener

Produktionen, die Distribution, sei

terrestrisch, über Kabel oder Satellit sowie die Nutzbarmachung in nachgelagerten Märkten [wie etwa das Merchandising]" (Kleist 1999, S.

es

42).

Wenn von

von

Film-, Fernseh- und Programmproduktionen die Rede ist, wird in Folge auch meist

einem oder mehreren Produzenten

duzent'

gesprochen.

Doch eine genaue Berufsdefinition 'Pro-

gibt es nicht

ob bei Film, Fernsehen, Radio oder anderen audiovisuellen Medien -, da in verschiedenen Ländern und bei den unterschiedlichen Produktionsprozessen die Be-

'Produzent' anders

gehandhabt wird.

So werden

beispielsweise die ein Werk organisierenden bzw. finanzierenden Unternehmer, die an der praktischen Erstellung mitwirkenden Personen wie Dramaturgen, Autoren oder Regisseure oder aber auch die vorrangig für den Vertrieb und Verkauf eines Werkes zuständigen Produktionsmitarbeiter als 'Produzenten'

zeichnung

bezeichnet. Da die unterschiedlichen

Berufszuschreibungen alle

in sich

stimmig

sind

die

Tätigkeit des Produzierens ist sowohl auf inhaltlich-kreativer als auch auf finanziell-organisatorischer Ebene zu finden -, kann demnach keine allgemein standardisierte Begriffserläuterung angeführt werden. Im folgenden Kapitel werden jedoch vorrangig jene Personen als Produzenten bezeichnet, denen die Koordination, Planung und organisatorische Durchführung einer audiovisuellen Produktion zukommt, denen also die Verantwortung für eine Produktion obliegt und die das damit verbundene (finanzielle) Risiko tragen, die jedoch auch an Inhalt und Form der Produktion übergreifend kreativ beteiligt sind, da für die einzelnen, ausschließlich kreativen Produktionstätigkeiten in der Regel eigene spezielle Berufsbezeichnungen existieren. Der Produzent ist sozusagen der „Motor" (Cleve 1996, S. 44) eines jeden audiovisuellen Projekts. -

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

58

Der Produktionsverlauf im AV-Bereich

3.2

Herstellung audiovisueller Werke muss grundsätzlich zwischen der Produktion von Einzelwerken und der Produktion von Programmen unterschieden werden. Der Produktionsverlauf nimmt je nach Werkseigenheiten bzw. -funktionen und die darauf einwirkenden Bedingungen50 unterschiedliche Richtungen, hat demgemäß auch variierende Mitarbeiterstäbe zu Bei der

verzeichnen und lässt voneinander abweichende Arbeitsschritte erkennen. Bei Einzelwerken

Differenzierung bezüglich Medium (Film oder Fernsehen) und Gattung (Film, Dokumentation, Show, Serie etc.) unerlässlich. Denn abgesehen davon, dass sich filmische Einzelproduktionen und Verfahren zur Programmerstellung des gleichen Phänomens, nämlich dem der bewegten Bilder, bedienen, haben die Verlaufsprozesse aber auch Verbreitungs- und Rezeptionszyklen relativ wenig gemein. ist des Weiteren eine

Produktionsprozessen im audiovisuellen Sektor angeführt werden, dass sie mehrschichtig und stark arbeitsteilig strukturiert sind, in denen ein Produzent ob nun Einzelwerk- oder Programmproduzent „bestimmte künstlerische und filmhandwerkliche Arbeitsqualifikationen zusammenfuhrt" (Seufert 2002, S. 51). Die Herstellung audiovisueller Werke ist somit eine kollektive Kunst, die Kommunikation, Visualisierung und Organisation in sich vereint (vgl. Ohanian/ Phillips 2001, S. 29). Grundsätzlich kann jedoch

zu

allen

-

-

3.2.1

Die unterschiedlichen

Produktionsphasen von Einzelwerken

Die Erstellung eines audiovisuellen Einzelwerkes kann •

Planung (oder Vorproduktion),



Produktion,





grob in vier Phasen eingeteilt werden:

Nachbearbeitung (oder Postproduktion) und Distribution (oder Verbreitung).

Die ersten drei Phasen betreffen den tatsächlichen

Herstellungsprozess und lassen sich sowohl in Filmproduktionen als auch in der Umsetzung und Herstellung unterschiedlicher Fernsehgattungen und -formate finden. Die jeweiligen Ausgangssituationen, Gattungseigenschaften und Produktionsbedingungen fuhren jedoch dazu, dass die Arbeitsschritte in den drei Hauptkategorien mitunter stark voneinander abweichen können. Faktoren wie Finanzierung, Zielgruppe, rechtliche Richtlinien, Genrespezifität oder zeitliche Handlungsspielräume spielen in

Siehe dazu Kapitel 3.3

Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemfragen

Die AV-Produktion

59

-

diesem

Zusammenhang eine große Rolle.

sächlich

Einzelwerke,

so

Sind

Kinofilmproduktionen etwa

in der

Regel

tat-

ist das Kernstück der Aktivität bei Produktionen für das Fernsehen

(vgl. Cleve 1996, S. 49).51 Als vierter Punkt kann schließlich noch die Distribution bzw. Verbreitung audiovisueller Produkte als Teilprozess der Produktion angeführt werden, welcher zwar nicht dem direkten Herstellungsverfahren zuzuordnen ist, jedoch mit der bereits erläuterten weit gefassten Definition von audiovisueller Produktion, die dieser Arbeit zugrunde liegt, einen Teil dieses Produktionszyklusses darstellt. Aus diesem Grunde wird die Verwertung audiovisueller Medienprodukte in einem eigenständigen Abschnitt behandelt.52 vor

allem die

Herstellung

von

Serien

Folgenden soll nun die Gegenüberstellung vom Produktionsverlauf einer Kinospielfilmproduktion auf der einen Seite (fiktional) und einer kurzen Informationssendung im Fernsehen auf der anderen Seite (non-fiktional) Aufschluss darüber geben, wie unterschiedlich Produktionsprozesse im audiovisuellen Sektor verlaufen können; zudem soll gezeigt werden, welche Vielzahl an Arbeitsschritten, wie viel Personal und wie viel Organisation für die Herstellung eines audiovisuellen Werkes notwendig ist. Im

3.2.1.1 Die Vor- bzw.

Entstehung und Produktion eines Kinospielfilms Preproduktion

Die erste Phase der

Spielfilmproduktion ist die Planung (Vorproduktion) eines Filmprojekts, welche mit der Idee für eine Geschichte beginnt. Diese wird in der Regel von einem Autor oder mehreren Autoren bzw. den Agenten der Drehbuchautoren (Literary Agents)53 an einen Produzenten herangetragen entweder in Form eines Treatments54 (das wiederum aus einem Expose entsteht) oder in Form eines Drehbuchs, das die Dialoge und Handlungsabläufe eines Films schriftlich fixiert. Die Idee zu einem Film kann jedoch auch vom Produzenten selbst -

kommen. Der Produzent entscheidet anhand dieser

51

Vorlage und unter Berücksichtigung filmwirtschaft-

Unter die Rubrik Serie fallen hier sowohl Games, Shows, Daily Soaps, Drama-, Crime- oder sowie TV-Mini-Serien oder mehrteilige TV-Movies (vgl. Cleve 1996, S. 49). 52 53

Comedyserien

Siehe Kap. 3.2.1.3

Literary Agents kümmern sich um den Verkauf der Stoffe ihrer Klientel an die Film- und Fernsehindustrie (vgl. Kallas 1992, S. 48). 54 „Ein Treatment ist die Zusammenfassung einer Geschichte auf maximal zehn Seiten, in der eine kurze Inhaltsangabe enthalten sein muß, eine Kurzcharakteristik der handelnden Personen, im besonderen der Hauptakteure, und eine Zeit- und Ortbeschreibung." (Dress 1991, S. 12)

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

60

licher Gesichtpunkte, ob er den Stoff produzieren will und kann (vgl. Dress 1991, S.

12), denn

primäre Aufgabe liegt einerseits in der Beschaffung des Produktionskapitals, und andererseits obliegt ihm auch die Verantwortung für die Durchführung des Filmvorhabens (vgl. seine

Kallas

1992, S. 28; Rowlands 2000).55

In diese Phase der

Vorproduktion

fallen neben dem Sichten der

zur

filmischen

Übersetzung

vorgelegten Geschichte bereits Überlegungen und Kalkulationen zu Finanzierung, Regie und Hauptdarstellern (vgl. Gehr/ Ott 2000, S. 56). Denn gefällt einem Produzenten zwar das ihm vorliegende Drehbuch, doch hat er nicht die finanziellen Mittel bzw. Kapitalgeber und einen geeigneten Produktionsstab, um das Konzept umzusetzen, so wird das Projekt nie verwirklicht werden. Die

Beschaffung des notwendigen Produktionskapitals, welches an erster Stelle bei der Realisation eines Filmprojekts steht, hängt zudem eng mit der Besetzungsliste für eine Filmherstellung zusammen, da viele Geldgeber etwa erst in ein Filmvorhaben investieren, wenn namhafte Hauptdarsteller oder Regisseure daran beteiligt sind; denn das Risiko einer negativen finanziellen Verwertungsausschöpfung des späteren Filmwerkes ist groß, da die Reaktionen der Zuschauer auf einen neuen Film nicht vorhersehbar sind (vgl. Gaintanides 2001, S. 14); Stars geben einem Filmprojekt deshalb ein gewisses Erfolgspotential, ein gewisses Markenimage.56 Ist schließlich die finanzielle

Absicherung

Filmprojekts gesichert und damit die Entscheidung, eine Geschichte filmisch zu verwirklichen, gefallen, so beginnt die eigentliche Produktion mit der Produktionsvorbereitung, die in einen kreativen sowie in einen finanziellorganisatorischen Bereich unterteilbar ist.57 Ersterer beinhaltet die Ausarbeitung des Drehbuchs, die Wahl und Rekrutierung der Künstler vor und hinter der Kamera58 sowie die Ersteleines

Zudem trägt der Produzent eines Films die Rechte und somit auch das ökonomische Risiko Werk (vgl. Gundelach 1994, S. 71).

an

dem späteren

56

Stars haben in Deutschland jedoch wesentlich geringeres Einflusspotential auf den Erfolg eines Spielfilms als in Amerika. Dies mag daran liegen, „daß es in Deutschland Stars im Sinne der US-amerikanischen Erscheinungsform nicht gibt. Ein Schauspieler allein motiviert hierzulande das Publikum offensichtlich nicht zum Kinobesuch" (Gaintanides 2001, S. 72). 57

zu

Verhandlungen zwischen den Drehbuchautoren und den Produzenten, also auch die Rechtefrage an dem produzierenden Werk, ist in dieser Phase bereits abgeschlossen. Es gibt prinzipiell drei verschiedene Macht-

Die

verhältnisse zwischen Autor und Produzent: Entweder behält ein Autor die absoluten Rechte an seinem Werk, oder er gibt die Befugnisse für sein Werk an den Produzenten ab und ist demnach nur mehr Dienstleister (Hollywood-Tradition) oder es wird ein Mittelweg gefunden (britische Vorgehensweise) und die Wünsche des Autors werden bei der Umarbeitung des Skripts respektiert bzw. eingebunden (vgl. Kallas 1992, S. 53f.). 58 Wobei Regisseur und Hauptdarsteller meist bereits im Vorfeld feststehen, da wesentliche Investitionsmotive für Kapitalgeber in Filmproduktionen sind.

sie, wie bereits angesprochen,

Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemfragen

Die AV-Produktion

61

-

lung von Visualisierungshilfen wie etwa Storyboards oder anderen Modellen, die für die praktischen Dreharbeiten wichtig erscheinen. Zur finanziellen und organisatorischen Ebene sind schließlich die Erstellung einer Kostenkalkulation mit Rückfluss- und Tilgungsplänen sowie die Konzeptionierung eines Drehplans zu zählen. (Vgl. Kauschke/ Klugius 2000, S. 171) Beide Ebenen wirken jedoch wechselseitig aufeinander ein und werden parallel zueinander erarbeitet. Im kreativen Bereich wird zuerst in einer intensiven Phase der

Stoffentwicklung

das Dreh-

buch wieder und wieder

überarbeitet, bis es schließlich die erwünschte Form hat. An diesem Prozess sind neben den Autorinnen und Autoren auch Produzenten, die bereits vertraglich gebundenen Regisseure und Script-Consultanten,59 beteiligt (vgl. Schütte 2002, S. 174). Da die der literarischen

hin

einem

produktionsreifen Drehbuch die wesentliche Basis für alle weiteren Produktionsschritte (auch jene der ökonomisch-organisatorischen Ebene) darstellt, kommt der Stoffentwicklung eine bedeutende Rolle in der Vorproduktionsphase eines Filmprojekts zu; denn auf Grundlage des Drehbuchs werden erste Kostenkalkulationen erstellt, Bedingungen für das Casting gesetzt, die wichtigsten Stabmitglieder verpflichtet, Ausstattungen und Motive festgelegt etc. Perfektionierung

Ist das Drehbuch fertig,

Filmvorlage

zu

geht die meist mit der Bindung eines Regisseurs ebenfalls engagierte Produktionsleitung bzw. der erste Regieassistent daran, einen Drehplan zu entwerfen, der im Zuge der Vorproduktionsphase dann vor allem für eine möglichst präzise erste Kostenaufstellung herangezogen wird.60 Dieser Drehplan ist die praktische Umsetzung des Drehbuchs und enthält unter anderem die für jede Filmszene unterschiedlichen Informationen zur Handlung und zum Inhalt der zu drehenden Szenen, zum Drehort, zur geschätzten Drehzeit sowie die Stoppzeit,61 zur Tageszeit, zur Dekoration, zum Bedarf an Schauspielern und an Ausstattung sowie Angaben zu sonstigen wichtigen Informationen, wie etwa dem Einsatz von Stuntleuten, Spezialeffekten oder speziellen Tonelementen (vgl. Stader 1994, S. 86; Sehr so

-

-

Zu den Aufgaben von Script-Consultanten gehören die Beurteilung von Drehbüchern sowie die Verbesserung der Drehbuch-Dramaturgie, die in Zusammenarbeit mit den Autoren geschieht. „Sie analysieren dabei wesentliche Elemente wie Thema, Struktur, Originalität, Haupthandlung und Nebenhandlungen, Dialoge, Figuren sowie die Plausibilität des Skripts und beurteilen die Erfolgschancen eines Films" (Arbeitsmarktservice Österreich 2002, S. 67) 60

Es muss hier angemerkt werden, dass sowohl das Drehbuch als auch der Drehplan selbst nach ihrer Fertigstellung variabel bleiben und durch Streichungen oder Einfügungen geändert werden können; sich ändernde Vorstellungen der Regisseure, Textvorschläge von Darstellern, Änderung der Drehbedingungen oder finanzielle Aspekte können etwa zu einer Umstrukturierung des Drehbuchs bzw. Drehplans fuhren (vgl. lljine/ Keil 1997, S.

230). 61

Mit

Stoppzeit wird jene Zeitdauer beschrieben, die eine Szene im fertig geschnittenen Film haben wird.

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

62

1998, S. 32ff.). Auf Grundlage dieser im Drehplan aufgelisteten produktionsrelevanten Fakto-

Besetzungsgespräche und Castings der künstlerische und technische Mitarbeiterstab ausgewählt (vgl. Heid 2002, S. 145) und vertraglich gebunden sowie die für die Produktion notwendigen Kosten kalkuliert. Diese können in folgende zehn Hauptbereiche aufgeschlüsselt werden (vgl. Stader 1994, S. 47-50):62

ren

wird schließlich durch

Nutzungsrechte (Drehbuch, Musik, Archivfilm-Material etc.) 2. Gagen und Honorare 3. Atelier Bau (Hallenmiete, Materialkosten) 4. Atelier Dreh (Hallenmiete, Kosten für Filmkameras und Tongeräte inklusive Zubehör etc.) 5. Außenaufnahmen (Dreherlaubnisse, Gebäudemieten etc.) 6. Ausstattung (Kostüme, Requisiten, Maske etc.) 7. Synchronisation, Musikaufhahme, Mischung (Miete von Tonstudios, Kosten für Aufnahmen und Arbeitslöhne der Tontechniker) 8. Bild- und Tonmaterial, Bearbeitung (Kosten für Film-, Foto- und Tonmaterial, Kopierwerkkosten) 9. Allgemeine Kosten (Reisen, Transporte, Diverses) 10. Versicherungen 1.

Mit der

des gesamten

Produktionspersonals und dem Abschluss der ersten RohKalkulationen bzw. Drehpläne beginnt die entscheidende Phase der Produktionsvorbereitung: Die Mitarbeiter der jeweiligen Ressorts basteln in enger Kooperation miteinander an der Feinabstimmung des Drehplans. Einstellung

So wird etwa

eigens dafür zuständigen Motivscouts nach Motiven für die jeweiligen Szenen gesucht, Filmarchitekten planen Kulissen, Kostüm- und Maskenbildner recherchieren und entwerfen Kleidung und Make-Up,63 die Requisiteure beschaffen notwendige Ausstattungsgegenstände, der Kameramann bestimmt in Zusammenarbeit mit dem Ausleuchter und dem Regisseur schon im Vorfeld der Dreharbeiten die Bildposition, den Blickwinkel und den Rhythmus spezieller Filmszenen (den visuellen Charakter des Films), die Produktionsleitung holt Drehgenehmigungen ein, sie mietet bzw. reserviert Produktionsmittel, Ateliers und Schnittvon

62

Grundsätzlich muss gesagt werden, dass die Herstellungskosten für einen Film eine variable Größe sind, die allem davon abhängen in welchem Land ein Film realisiert wird; denn in verschiedenen Länder sind mitunter stark voneinander abweichende Preisstandards für bestimmte Produktionsfaktoren wie etwa Atelier- und Schnittstudiomiete, Darstellergagen, etc. festzustellen. Können die Vereinigten Staaten (vor allem Hollywood) als teuerstes Filmproduktionsland angeführt werden, so ist die Herstellung von Filmen in Südeuropa, im Ostblock und in Ostasien am wenigsten teuer. (Vgl. Kallas 1992, S. 141) vor

63

Zum Arbeitsbereich des Maskenbildners siehe: Gerwin

2002, S. 247-249

Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemfragen

Die AV-Produktion

63

-

studios etc.

(vgl. Rowlands 2000; Ohanian/ Phillips 2001).

Drehplan zu einer letzten, produktionsreifen Drehplanfassung abgestimmt und perfektioniert, welche in Folge auch zu einer genaueren, finanziellen Feinkalkulation des Filmprojekts fuhrt. Dies ist deshalb notwendig, da jeder Fehler in der Drehplanung das Budget um Tausende von Dollar oder Euro zusätzlich belasten und den gesamten Drehablauf durcheinander bringen kann. In Zusammenarbeit wird somit der

beginnen können, muss noch eine so genannte Gesamtdisposition, ein Gesamt-Produktionsplan, erstellt werden, der an alle am praktischen Produktionsprozess Beteiligten verteilt wird, da dieser verschiedene für die Dreharbeiten relevante Informationen sowie die Tages-Drehpläne (auch Tagesdisposition genannt) enthält und mit zeitlich klaren Daten für den Ablauf der Dreharbeiten das gesamtplanerische Handeln fixiert. Die Gesamtdisposition setzt sich aus folgenden Inhalten zusammensetzt (vgl. Rowlands 2000, S. 60ff): Bevor

-

-

-

-

-

-

-

nun

die Dreharbeiten

Namen, Aufgaben und Telefonnummern aller an der Produktion beteiligter Personen

(Namen aller Darsteller und Komparsen) Informationen zu Reisen (mit Abfahrtsort, -zeit und einer Liste der Mitwirkenden) einer vollständige Liste der Unterkünfte Auflistung aller Drehorte mit Adressen und den dort wichtigsten Kontaktpersonen Anweisungen zu Zeit und Ort der Treffen an den einzelnen Drehtagen Tagesdispositionen sowie Informationen für die Ausstattung, Kostüme, Make-Up oder Spezialeffekte

einer Besetzungsliste

Gesamtdisposition können die täglichen Dreharbeiten effizienter durchgeführt werden, da jedes Mitglied des Personalstabes die exakte Chronologie der Aufnahme, also die Drehfolge, kennt und aus diesem Plan somit herauslesen kann, wann er/sie gebraucht wird bzw. welche Aufgaben an den jeweiligen Tagen und Tageszeiten anfallen. Auch die Behebung unvorhergesehener Probleme wie etwa der Ausfall von Komparsen oder der Defekt bestimmter technischer Geräte ist einfacher, da zuständige Produktionsmitarbeiter, falls sie nicht am Set sind, schnell kontaktiert werden können und diese aufgrund des Gesamt-Produktionsplanes auch genau wissen, wo sich das Team befindet. Mit Hilfe der

angeführten Tages-Drehpläne stellen die Ablauforganisation eines Drehtages sicher, da sie neben Hinweise auf relevante Drehbuchseiten bzw. Einstellungsnummern und Drehorte/Motive für die jeweiligen Tage auch Informationen über Drehbeginn Die in der Gesamtdisposition

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

64

und Abhol- und Schminkzeiten sowie

Angaben

zu

Masken- und Garderoberäume und den

mitwirkenden Darstellern bei den verschiedenen Szenenaufhahmen eines Stader 1994, S.

Tages liefern (vgl.

92).

Des Weiteren ist

es

zweckmäßig,

vor

dem

endgültigen Drehbeginn

noch Masken- und Kos-

tümproben und Testaufnahmen mit der Kamera und den Darstellern durchzuführen, um etwaige unkalkulierte Probleme noch im Vorfeld kostengünstig aus dem Weg räumen zu können. Die letzte Überprüfung der Vorbereitungsarbeiten geschieht schließlich im Zuge einer Regiebesprechung, in welcher der Regisseur mit den verantwortlichen Mitgliedern des Produktionsstabes, den Aufnahmeleitern sowie den Abteilungsleitern für Kostüm und Ausstattung das vorliegende Drehbuch Seite für Seite durcharbeitet, um seine Vorstellungen nochmals deutlich zu machen und miteinander abzustimmen (vgl. Heid 2002, S. 156). Die Produktion

Arbeitsprozesse im Zuge der Vorproduktion abgeschlossen, so beginnt mit dem ersten Drehtag die Phase der Produktion, die Aufnahme der einzelnen Filmszenen nach dem im Gesamtproduktions- und Tagesdrehplan fixierten Schema.64 Dies ist nun die Phase des größten Termindrucks, da jede aufgezeichnete Minute Geld kostet und fast alle Mitarbeiter nunmehr am Produktionsprozess beteiligt sind; zudem wird die Qualität des Films letztendlich durch die Qualität der aufgezeichneten Bilder und Töne entscheidend geprägt (vgl. Schmidt 1994, S. 130). Koordinierung und Überwachung bestimmen die gesamte Phase der Produktionsaufnahme. Der Regisseur und nach ihm der Kameramann sind während des eigentlichen Produktionsprozesses die bestimmenden, kreativen Personen (vgl. Karstens 1994, S. 151), denen von allen anderen Stabmitgliedern zugearbeitet wird. Sind alle

Jeder Drehtag wird deshalb mittels eines

so

genannten Tages- oder Kontinuitätsberichts minu-

protokolliert, der die erbrachte Tagesleistung (in Schnittzeit) misst65 und im Idealfall ein „Spiegelbild der Tagesdisposition" (Heid 2002, S. 159) darstellt (vgl. Kauschke/ Klugius

tiös

2000, S. 183). Neben der Auflistung von Drehbeginn und Drehende werden hier alle notwendigen Informationen und Vorkommnisse des Tages (z.B. Verzögerungen und ihre Ursachen, Grundsätzlich wird in der Regel mit den Außenaufnahmen begonnen, da bei wetterbedingten Problemen auf Innenmotive ausgewichen werden kann (vgl. Sehr 1998, S. 112). 65 Durchschnittlich werden in deutschen Kinofilmproduktionen etwa zwei bis drei Minuten (fertiger) Film pro Tag erstellt (vgl. Sehr 1998, S. 115). 64

Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemfragen

Die AV-Produktion

65

-

der Einsatz

spezieller

technischer Mittel etc.)

festgehalten,

um

den

Produktionsprozess

so

transparent und kontrollierbar wie möglich zu machen.

produzierten Inhalt selbst betreffend werden zusätzlich zu den jeweiligen Tagesberichten noch Kamera- und Tonprotokolle erstellt, die für den Cutter im Schneideraum bestimmt sind und diesem unter anderem Auskünfte Uber abgedrehte Bilder, Szenenanfangs- und -endzeiten, Einstellungsgrößen, Versionsnummer (Fassung), eindeutige Bandnummer und das Verhältnis zwischen Ton und Bild geben (vgl. Ohanian/ Phillips 2001, S. 47; Heid 2002, S. 150f). Die Unterteilung in Bild- und Tonberichte geschieht vorrangig deshalb, weil beide Ebenen (die auditive wie auch die visuelle) gesondert voneinander aufgenommen werden. Die Aufnahme der Dialoge sowie der Original-Geräusche und Atmosphären (Atmo) geschieht dabei in der Regel über mehrere vorgemischte und ausgepegelte Mikrofone, die sowohl parallel zu den Bildern als auch zusätzlich auf eigenen mit Timecode versehenen Tonbändern aufgenommen werden (vgl. Maas 2002, S. 291). Den

Zwischen dem

Regisseur,

Aufnahmeleitern werden

seinen Assistenten, dem Kameramann und den Produktions- und

am

leistungen ausgewertet und, (vgl. Heid 2002, S. 162).

Drehtages in koordinierenden Gesprächen die Tagesnötig, Konsequenzen für die folgenden Drehtage gezogen

Ende jedes falls

Produktionsprozesses erste Rohschnitte des Filmmaterials gemacht. Am Ende jedes Drehtages sichten Regisseur und Cutter das aufgezeichnete Tagesmuster, um nicht brauchbare Szenen auszumustern und die Sequenzen in eine narrativ und dramaturgisch korrekte Bildfolge zu bringen (vgl. ebda, S. 151). Anschließend werden die jeweiligen Tagesmuster (Filmnegative) an ein Kopierwerk geschickt, die die Filmaufnahmen entwickeln und daraus Arbeitskopien erstellen, welche dem Schnittstudio zugesandt werden (vgl. Thul 2001, S. 69). Der Cutter beginnt dann etwa ab dem vierten Drehtag, nämlich dann, wenn er eine ausreichende Menge von Tagesmustern zur Verfügung hat (vgl. Heid 2002, S. 151), aus dem ihm bereits vorliegenden Material mit der Gestaltung des Rohschnitts, bei welchem die einzelnen Szenen und Einstellung grob in die dem Drehbuch entnommene gewünschte Reihenfolge gebracht werden. Mittlerweile werden bereits während des

Der Vorteil des

vorzeitigen Materialschnitts liegt darin, dass wichtige, jedoch fehlerhafte Sze-

oder unschöne Bilder, die im Schnitt schwer oder gar nicht verbessert bzw. kombiniert werden können, bei der Bearbeitung der abgedrehten Filmszenen meist rasch entdeckt werden nen

und eine erneute Aufnahme während der Dreharbeiten leichter und

vor

allem auch wesentlich

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

66

kostengünstiger zu realisieren ist. Der letzte

Drehtag markiert auch das Ende der Produktionsphase, und nach Abwicklung spezieller finanziell-organisatorischer Aspekte, wie etwa der Abrechnung mit den Mitarbeitern, der Regulierung bzw. Abgeltung von Motivschäden oder der Rückgabe von Technik, Leihrequisiten und Kostümen (vgl. Gehr/ Ott 2000, S. 57) kann diese als beendet angesehen werden. Die Nach- bzw. Die

Postproduktion (Nachbearbeitung)

Bearbeitung von Filmen beginnt

wie bereits

orientiert

sich

während der Dreharbeiten,

angesprochen

-

-

der bei

Film, Fernsehen und Rundfunk gängigen Definition des Begriffs 'Bearbeitung', unter welchem ,jede bewusste Beeinflussung von Bild- und Tonsignalen durch Selektion, Schnitt, Aussteuerung und Filterung sowie jede Veränderung von physisch auf Trägern (Filme, Bänder, Platten etc.) festgehaltenen Signalen" (Maas 2002, S. 290) verman

an

standen wird. Die Selektion

von

Bildausschnitten und der Einsatz

von

Filtern oder anderen

kameratechnischen Effekten verändern das 'natürliche' Bild- und Tonmaterial, wodurch die aufgenommenen Szenen schon im Produktionsprozess bis zu einem gewissen Grad bearbeitet werden. Doch auch das

Zusammenfugen und Gestalten einzelner Handlungsszenen, die Tonbearbeitung sowie die Ergänzung von Titeltexten, Grafiken und Effekten Arbeitsphasen die erst nach der Aufnahme des Rohmaterials in Angriff genommen werden können beginnen -

-

bereits während der Dreharbeiten. Es kommt somit zu einer lichen Produktionsabläufe.

Aufgrund

Überschneidung der unterschied-

dieser

parallelen Arbeitsweise kann spätestens nach Drehschluss mit einem ersten vollständigen Rohschnitt gerechnet werden. Tage Welche Arbeitsschritte zählen

tionsphase

sind im

zwei

Nachproduktion? Und welche Materialien der ProdukNachproduktionsprozess relevant und werden deshalb dorthin weitergenun zur

reicht? In erster Linie wird der Zusammenschnitt des Filmmaterials im

sammenführung von Bild- und Ton hin zum duktion

Schnittstudio, die Zufertigen Filmwerk als Kernprozess der Postpro-

bezeichnet, der sich jedoch aus sehr vielen unterschiedlichen Arbeitsschritten zusamDiese werden

aufgrund der Ausdifferenzierung der Arbeitsbereiche stellung von vielen verschiedenen Personen ausgeführt.

mensetzt.

in der Filmher-

So arbeiten neben dem

Regisseur und dem Cutter, die zusammen aus dem Roh- den Feinschnitt erstellen, speziell für den Ton66 und für die Special Effects67 zuständige CrewmitglieDazu zählen unter anderem der Tonstudiotechniker

(Toncutter),

Tontechniker für die Filmmusik und diverse

Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemfragen

Die AV-Produktion

67

-

Fertigstellung eines Filmes mit. Alle an der Nachproduktion beteiligten Personen koordinieren ihre Tätigkeiten untereinander und nehmen dabei aufeinander Bezug, denn sie arbeiten zwar jeder für sich in einem eigenen Funktionsbereich, doch soll letztendlich aus den jeweiligen kreativen Produkten ein gemeinsames Filmwerk entstehen enge Abstimmung ist der

an

der

-

somit unerlässlich (und dies nicht nur in der Phase der Nachbearbeitung).68

wichtigsten Materialien für aufgenommen Handlungen und Die

diesen Prozess sind

die dazu

allem die

gehörigen Ton-Bänder;

Drehbuchs und der Protokolldateien für jedes Maas

vor

Originalband bzw.

Original-Bildbänder zusätzlich bedarf

des gesamten

es

der

des

Projekts (vgl.

2002, S. 292).

Nachproduktionsprozesses kann folgendermaßen beschrieben werden: Der erste Schritt beginnt mit dem Überführen und anschließenden Belichten des aufgenommenen Original-Filmmaterials im Kopierwerk und der Weiterleitung der belichteten, elektronischen Arbeitskopien auf Videoband oder auf eine digitale Festplatte an das Schnittstudio. Erst wenn alle belichteten Filmbänder im Schneideraum vorliegen ist die vollständige Erstellung des Rohschnitts gewährleistet. Der vom Cutter produzierte Rohschnitt wird dem Produzenten und dem Regisseur vorgelegt, die diesen hinsichtlich Spannungsbogen und Erzählstruktur prüfen und schließlich, wenn alles zufriedenstellend verläuft, 'abnehmen' (vgl. Die

Chronologie

des

Eheim 1992, S. 61).

beginnen, welche der Regisseur gemeinsam mit dem Cutter vornimmt. Zeitgleich zur Erstellung des Feinschnitts arbeitet die Tonabteilung an der Mischung und Perfektionierung der Tonspur. War dies früher erst nach Fertigstellung des Bildschnitts möglich, so kann die Tonarbeit seit der Einführung der digitalen Filmherstellung parallel dazu erfolgen: Die während des Feinschnitts bereits fertig gestellten Bildsequenzen werden vom Cutter ganz einfach über ein Netzwerk an die Tonabteilung übersandt und können dort sofort weiterbearbeitet werden (vgl. Ohanian/ Phillips 2001, S. 50).

Nun kann die Arbeit

Die

am

Feinschnitt

Tonbearbeitung erstreckt sich sowohl auf Sprache als auch auf Geräusche bzw. Klangef-

Assistenten. 67

Dazu zählen unter anderem der Gestalter der Farbbestimmer etc.

Bildeffekte, der künstlerischer Leiter fur Titel und Effekte, der

In Amerika wird zudem das Kinopublikum in den Prozess der Nachbearbeitung einbezogen. „Durch Testvorführungen (production previews) einer zwar schon fertig geschnittenen, aber noch relativ roh abgemischten Kopie können der Regisseur, die Cutterin und natürlich der Produzent [durch die Reaktionen der Zuschauer] wertvolle Rückschlüsse in Bezug auf die Weiterverarbeitung ziehen" (Iljine/ Keil 1997, S. 245).

68

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

68

Einspielungen, welche zuerst gesondert bearbeitet und schlussendlich bei der Tonmischung synchron aufgenommen werden (vgl. Iljine/ Keil 1997, S. 243).69 Auch die Erstellung von Spezialeffekten geschieht während der Feinschnitt-Phase auf ähnliche Weise wie sie schon bei der Tonbearbeitung beschrieben wurde: Bestimmte Szenen, bei denen spezielle Effekte eingearbeitet werden müssen, werden vom Cutter über ein Netzwerk an die Abteilung für Spezialeffekte gesandt und dort bearbeitet. So geht schließlich die Fertigstellung eines Filmwerkes in gemeinsamer Teamarbeit und Koordination vonstatten. fekte und musikalische

Diese kreative Phase der fdmischen

Postproduktion geht mit organisatorischen Aufgaben einher. So müssen etwa Vereinbarungen für die Fertigstellung von Ton, Titel, Tricksequenzen etc. getroffen werden, die Einzelarbeiten von Bildschnitt, Tongestaltung und Effektkreation müssen koordiniert und Pläne für die Zusammenführung erstellt werden, und auch vertraglich fixierte Namensnennungen von Darstellern und Stabmitgliedern sind bei der Anfertigung der Titellisten zu berücksichtigen (vgl. Gehr/ Ott 2000, S. 58). All diese Punkte fließen in den Prozess der kreativen Nachproduktion ein und bedürfen einer gründlichen Organisation und Planung, um den Arbeitsfluss nicht zu bremsen oder gar zum Erliegen zu bringen. Ist schließlich der Feinschnitt samt

und

Spezialeffekte fertig, so wird das Ergebnis erneut vom Regisseur und Produzenten einer letzten Prüfung und gegebenenfalls letzter Korrekturen (wie erneute Nachvertonung, kleine Ton- oder Farbkorrekturen, Hinzufügen von Effekten und Tricks etc.) unterzogen. Tonmischung

Am Ende der

Postproduktion steht der Schnitt des Original-Filmnegativs nach dem Vorbild der endgültigen, von Regisseur und Produzent abgesegneten Arbeitskopie (vgl. Kauschke/ Klugius 2000, S. 185), da alle bisherigen Filmsequenzen auf ersetzbaren Arbeitskopien bearbeitet wurden. Zu diesem Zweck wird eine Negativschnittliste erstellt, die dem Kopierwerk für die Produktion einer so genannten Null-Kopie zugesandt wird. Diese Liste enthält Informationen darüber, welche Teile des Originalfilmnegativs in der Endfassung Verwendung finden und welche verschiedenen optischen Effekte wo zum Einsatz kommen (vgl. Ohanian/ Phillips 2001, S. 51). Das so entstandene erste Band des produzierten Filmes wird nochmals bezüglich Färb- und Lichteinstellungen korrigiert bzw. angeglichen, (vgl. Kauschke/ Klugius 2000, S. 185), mit Titel und Abspann versehen und kann schlussendlich, nach der Erstellung Auf eine internationale

(Internationale Tonbänder) 1997, S. 243).

Verwertung ausgerichtete Filmproduktionen bieten zudem an, bei denen ausschließlich Geräusche und Musik

zu

so

genannte IT-Bänder

hören sind

(vgl. Iljine/

Keil

Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemfragen

Die AV-Produktion

69

-

Sicherheitskopie kopiert werden. einer

3.2.1.2

und eines Masterbandes, dann für die

Verbreitung

und den Vertrieb

Entstehung und Produktion einer kurzen TV-Informationssendung

Informationssendungen wie Nachrichten oder Reportagen werden in der Regel entweder im Haus produziert, also von den Fernsehsendern und den dort beschäftigten Redakteuren und Mitarbeitern

selbst, oder aber auch von TV-Produktionsunternehmen, die sich auf die Zuliefe-

tagesaktueller Kurzreportagen und Berichte spezialisiert haben. Die Herstellung von Informationsbeiträgen für das Fernsehen wird dabei grundsätzlich von zwei Faktoren geprägt,

rung

die auch den Verlauf der Produktion wesentlich mitbestimmen; dies ist auf der einen Seite die

Notwendigkeit

an

Aktualität, wodurch ein

enormer

Zeitdruck auf dem

Produktionsprozess

lastet, und auf der anderen Seite die große Bedeutung der Nachrichten oder ähnlicher informierender TV-Programmformate für die Imagebildung des Senders (vgl. Schwarz 1999, S.

36). Dennoch lässt sich der handwerkliche Produktionsverlauf auch hier in die drei Phasen der Vorproduktion, Produktion und Nachproduktion unterteilen. Die Vor- bzw.

Preproduktion

Ähnlich der Produktionsentwicklung bei Kinofdmen stehen auch bei TV-Informationssen-

dungen eine Idee und deren Ausarbeitung am Beginn einer jeden informativen Fernsehbeitragserstellung. Der Redaktion wird von einem hausinternen oder -externen Autor ein Themenvorschlag unterbreitet, welcher zu einem Expose und Treatment mit Produktionsnummer ausgebaut wird, wenn ihn die zuständige Redaktion in Absprache mit den Verantwortlichen für das Gesamtprogramm akzeptiert (vgl. Heussen 1997, S. 3 5 5),70 oder die Redaktion beauftragt einen fest angestellten oder freien Autor mit der Realisation eines Beitrags (vgl. Drösser 1995, S. 36) zu einem bestimmten Thema (und der vorherigen Erstellung eines Exposes bzw. Treatments). Expose bzw. Treatment kann an Tiefe und Strukturierung nicht mit der Entwicklung von Film-Drehbüchern verglichen werden, da schon aus zeitökonomischen Gründen eine genaue Ausarbeitung der eingereichten Beitragsideen nicht möglich ist. So skizziert das Expose in wenigen Sätzen vorwiegend die organisatorische sowie dramaturgische Umsetzung des geDas

70

Die Funktion des Autors weist hier wiederum große Unterschiede zur Filmproduktion auf, da bei der Herstellung von Femseh-Informationssendungen grundsätzlich weniger Arbeitsteilung erfolgt; so entwickelt ein Autor nicht nur die Idee für ein Drehbuch oder Showkonzept, sondern er ist auch maßgeblich an der Verwirklichung beteiligt (vgl. Kauschke/ Klugius 2000, S. 197).

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

70

planten Beitrags; Anmerkungen wie zum Beispiel die Verfügbarkeit von bestimmten Interviewpartnern und Drehorten oder die Benötigung zusätzlicher Licht- und Tontechnik dienen der Redaktion unter anderem zur Einschätzung des technischen, zeitlichen und finanziellen Aufwandes (vgl. Kauschke/ Klugius 2000, S. 203). Ist das

Expose von der zuständigen Redaktion angenommen, so erfolgt die Ausarbeitung des Treatments, welches die chronologische Reihenfolge der Szenen, getrennt nach Bild- und Textinhalten, des geplanten Beitrags beschreibt (vgl. ebda, S. 207) und die entscheidenden Informationen für das technische Produktionsteam bereithält. Das Treatment kann bei der Pro-

Informationssendungen in etwa mit dem Drehplan bei Filmproduktionen verglichen werden. Bei tagesaktuellen Beiträgen ist jedoch oftmals keine Zeit für die Konzeption eines Treatments; so belässt man es häufig bei einem Expose und koordiniert bzw. improvisiert bei den Dreharbeiten vor Ort (vgl. Schult/ Buchholz 1993, S. 123). duktion

von

Sendungsbeiträgen der Auftragsproduzent spätestens nach Abnahme des Exposes zur speziellen Produktionsvorbereitung und Treatmentausarbeitung (mit Detail-Recherche, Planung und Disposition) für die Fertigstellung des geplanten Sendungsbeitrags über, so wird bei größeren Projekten in der Regel auch noch ein Kalkulationsgespräch zwischen dem Autor bzw. Auftragsproduzenten und der Redaktion bzw. Produktionsabteilung des Senders vorgeschaltet, in welchem Produktionszeit und -mittel besprochen werden (vgl. Kauschke/ Klugius 2000, S. 204), bevor es nach Abnahme der Kalkulation in die eigentliche Produktionsphase geht. Geht bei kleineren journalistischen

Die Produktion

praktische Umsetzung des Treatments, die Dreharbeiten, markiert wie auch bei der Herstellung von Filmen die eigentliche Produktionsphase von TV-Informationssendungen. Der Unterschied zur Filmproduktion besteht jedoch darin, dass der Produktionsstab wesentlich kleiner ist. In der Regel ist der Produzent eines kurzen TV-Informationsbeitrags gleichermaDie

Regisseur, Aufnahmeleiter und mitunter auch Interviewer in einem. Ihm obliegt es demnach, die Drehorte zu recherchieren, die dazugehörigen Personen zu kontaktieren und vorzubereiten sowie die Dreharbeiten zu organisieren etc. (vgl. Heussen/ Blaes 1997, S. 346). Neben dem Autor sind meist nur noch ein Kameramann und dessen Assistent(en) vom Sender oder von einer freien Produktionsfirma das so genannte EB-Team71 bei den Dreharbeiten ßen Autor,

-

71

EB

=

elektronische

Berichterstattung

-

Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemfragen

Die AV-Produktion

71

-

Planung und Vorbereitung der Produktion nicht inkludiert sind, nutzt der Autor „die gemeinsame Anfahrt zum Drehort [...], um dem EB-Team die Geschichte und seine Umsetzungsideen zu vermitteln" (Kauschke/ Klugius 2000, S. 213). vor

Ort. Da diese in die

Die Dauer der

eigentlichen Produktionsphase variiert je nach Format der Sendung von wenigen Stunden Drehzeit bei tagesaktuellen Produktionen, über wenige Tage bei wöchentlichen oder monatlichen Magazinsendungen bis hin zu zweiwöchigen Aufhahmetätigkeiten bei größeren dokumentarischen Formen (vgl. Gumprecht 1997, S. 395). Mit der letzten Szenenaufnahme endet die Phase der Produktion. Die Nach- bzw. Die

Postproduktion (Nachbearbeitung)

journalistischen Fernsehbeitrags beginnt unmittelbar nach Ende der Dreharbeiten. Je nach Menge des vorliegenden Rohmaterials und je nachdem wie viele Archivaufnahmen für den Beitrag verwendet werden sollen, werden die Sichtung des Materials und die Abfassung einer Schnittfolge vor den Schnittarbeiten notwendig. Da dies jedoch, vor allem bei tagesaktuellen Produktionen, aus zeitlichen Gründen oftmals nicht möglich ist, „muß sich der Autor auf sein Aufzeichnungsprotokoll, in dem er die wichtigsten Stationen der Dreharbeiten notiert hat, oder [...] schlicht auf seine Erinnerung verlassen [...]" (Kauschke/ Klugius 2000, S. 217). Im Schnittstudio erstellt der Autor nun gemeinsam mit dem Cutter seinen Beitrag. Nachbearbeitung

Sowohl

vor

eines

der Bearbeitung als auch nach der Fertigstellung eines Beitrags

am

Schneidetisch,

Vertonung) ist es jedoch noch üblich, dem verantwortlichen Redakteur den Text bzw. den geschnittenen Beitrag vorzulegen und von diesem 'absegnen' zu lassen (vgl. Stader 1994, S. 119), da hier ein letztes Mal geprüft wird, ob die produzierte Sendung den Vereinbarungen, den Qualitätsansprüchen des Senders sowie den rechtlichen Vorlagen entspricht (vgl. Heussen 1997, S. 367). Bei größeren Produktionsformen, die in ihrer Nachbearbeitung dem Prozess der Filmherstellung schon wesentlich ähnlicher sind, da die Schnittarbeit auch hier in Roh- und Feinschnitt unterteilt wird, sind mehrstufigere Prüfverfahren seitens der abnehmenden Redaktion die Regel (vgl. Schult/ Buchholz 1997, S. 319). (noch

Da

ohne

kurze, tagesaktuelle TV-Informationsbeiträge in der Regel nicht auf Film, sondern auf

Magnetbänder aufgezeichnet werden, demnach Bild und Ton immer synchron am Schneidetisch vorliegen, wird die Arbeit des Cutters erleichtert, da das zeitaufwendige synchrone Anlegen des Tons entfällt. Das Rohmaterial kann somit nach der Abnahme durch

elektronische

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

72

die Redaktion relativ zügig in die

gewünschte Form gebracht werden.

Die

Vertonung, das Hinzufügen von gesprochenem Text oder Musikeinlagen, erfolgt schließlich aus zeitlichen und ökonomischen Gründen am Ende der Nachproduktion, da textliche Veränderungen schneller und billiger vorgenommen werden können als Modifikationen an der Dramaturgie (vgl. Kauschke/ Klugius 2000, S. 220). Sendefertig ist ein Produkt allerdings erst mit Erhalt eines so genannten Sendepasses, ein Begleitschreiben zum Beitragsband, welches zusammen mit dem Band an die Sendeleitung geht, die für den täglichen Sendeablauf einer Fernsehanstalt verantwortlich ist. Dieses beinhaltet Angaben zum Autor und Titel, zur Abnahme des Beitrags durch die Redaktion sowie für den Sendeablauf wichtige Informationen zur Länge, zu den zuletzt gesprochenen Worten und zur zeitlichen Setzung der Inserteinblendungen, wie etwa Name, Beruf und Titel interviewter Personen (vgl. ebda). Zusätzlich zum Sendepass wird nach Abschluss einer Produktion ein Produktionsprotokoll angelegt. Dieses enthält die wesentlichen produktionell und redaktionell relevanten Daten und Informationen (z.B. Autor, Titel, Sendelänge und -termin, verantwortliche Redakteure, eingeschnittenes Material etc.) und dient als Vertragsgrundlage für die Weiterverwertung und die Gagen für den Autor bei der Wiederholung der Sendung (vgl. Stader 1994, S. 121). Letztendlich wird das Sendeband im Archiv sorgfältig gelagert bis es schließlich zur Sendungsausstrahlung kommt. Bereits der

Vergleich

dieser beiden

exemplarisch ausgewählten Einzelwerksformate KinoTV-Informationssendung auf der anderen Seite zeigt deutlich, wie sehr sich die Herstellungsprozesse audiovisueller Medienangebote voneinander unterscheiden können. Die Organisation und der Verlauf einer Produktion hängen also von ihren jeweiligen Ausgangssituationen und Zielsetzungen ab. -

film auf der einen und

-

Entscheidend ist hier vor allem die

Klärung folgender Fragen: Für welches Medium wird produziert? Welche Zielgruppe soll bedient werden? Und wie viel Kapital und Zeit steht für die Realisation einer Geschichte zur Verfugung? 3.2.1.3 Die

Verwertung und Distribution audiovisueller Einzelwerke Nach der Fertigstellung eines audiovisuellen Einzelwerkes beginnt sein erwünschter gewinnbringender Aus- und Verwertungsprozess, der heute zum Teil (je nach Medium) bereits bei

Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemfragen

Die AV-Produktion

73

-

Entwicklung einer Produktion mitbedacht wird,72 indem Charaktere Szenen etwa so konzipiert werden, dass sie später optimal verwertet werden können.

der

Planung

Schon

lange

und

lässt sich die Phase der

Ausschöpftmg nicht mehr bloß

oder

auf die Distribution der

Produkte,73 die Ausstrahlung in den unterschiedlichen Medien beschränken; die Verwertung erstreckt sich über

mehrere, voneinander profitierende Ebenen. Kein Film kann heute mehr

ohne ein gut durchdachtes und geplantes Marketing den, wobei die Bewerbung des Produktes in Form

profitabel auf den Markt gebracht wervon Merchandisingartikeln, Prospekten oder Begleitmaterialien nicht nur zusätzliche Erlöse einbringt, sondern auch erheblich zur Steigerung des Bekanntheitsgrades eines audiovisuellen Werkes beitragen kann, was wiederum der Distribution zugute kommt. Andererseits profitiert die (Weiter-)Vermarktung ihrerseits von der Ausschöpfung einer AV-Produktion in den Medien, da sich erfolgreich ausgestrahlte Werke bzw. die dazu erzeugten Artikel besser verkaufen lassen. Ein symbiotisches, reflexives Beziehungsverhältnis zwischen Distribution und Vermarktung kennzeichnet demnach den Verwertungszyklus audiovisueller Produktionen.

Prinzipiell ist die Form und Dauer der medialen Verwertung in erster Linie von der Beschaffenheit des produzierten Werkes, von seinem Inhalt und seiner Qualität abhängig; Kinospielfilme durchlaufen etwa gänzlich andere Verwertungsstufen als TV-Movies oder Videoproduktionen. Werden Kinofilme aufgrund ihrer hohen technischen Qualität und ihrer Attraktivität beim Publikum schrittweise zuerst im Kino

ausgestrahlt, anschließend als Kauf- und Verleihvideos angeboten und landen schlussendlich im Pay- sowie im Free-TV,74 so kommt für die weniger aufwändig produzierten Fernsehproduktionen neben der Ausstrahlung im TVProgramm nur mehr eine zusätzliche Verwertung als Videos in Frage, und Video-Produktionen sind von vorne herein nur zur Verwertung im Videoverleih- bzw. -verkauf angelegt (vgl. S. Seufert 2002, 53). Im

Zuge der digitalen Technologieentwicklung hat sich die traditionelle Verwertungskette

2 Treten beim Film Produktion und Vertrieb früh auseinander, so war das Fernsehen seit jeher als Einheit zwischen Herstellung und Distribution gedacht, wobei diese heute zunehmend aufgebrochen wird. Dies zeigt sich etwa darin, dass Fernsehsender sowohl als Produzenten als auch als Käufer von anderorts erstellten Sendungen auftreten. (Vgl. Hickethier 2003, S. 166) 73

Distribution bedeutet die Verbreitung und Verteilung von audiovisuellen Produktionen lichen Auswertungseinheiten (wie etwa Kino, Fernsehen, Video etc.).

74

Dabei kann die

erfolgreiche Auswertung

an

und in unterschied-

im Kino entscheidenden (fördernden) Einfluss auf die spätere im Fernsehen haben, welche die eigentlichen Gewinne bringt. Nur selten spielen Filme bereits im Kino ihre Produktionskosten vollständig ein.

Auswertung über Video oder

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

74

Fernsehen) erweitert: Heute gehören mehr und mehr auch die Ausschöpfung audiovisueller Produkte über DVD und Internet zu den gängigen Verwertungsmechanismen, die sich in Zukunft mit weiteren Möglichkeiten, wie etwa dem Vertrieb über Breitbandverkabelungen oder UMTS, noch ausdifferenzieren werden (vgl. Neunzerling 2002, S. 320). (Kino

Video

-

-

Die 'Lebensdauer' eines audiovisuellen

Medienproduktes, also die Zeit, in der das Werk verwertet werden kann, ist somit unterschiedlich lang, und „hängt im Prinzip davon ab, wie lange es dauert, bis alle potenziellen Zuschauer eines Medienproduktes dieses tatsächlich auch (einmal) gesehen haben" (Hermann 2002, S. 146). So kann etwa ein Kinofdm mehrere Wochen oder Monate zur Auswertung im Kino und über Video angeboten werden, während die Auswertung im Fernsehen sich auf eine Ausstrahlung (mit etwaigen Wiederholungen) reduziert, da hier alle Zuschauer zeitgleich erreicht werden. Auch die Aktualität kann je nach Inhalt des medialen Erzeugnisses (Information oder Unterhaltung) im Zuge der Verwertungsdauer eine maßgeblich Rolle spielen: Grundsätzlich gilt, dass die Attraktivität und demzufolge das Zuschauerpotential eines Medienproduktes umso geringer wird, je größer der Zeitabstand zwischen der Produktion und der Distribution bzw. Nutzung ist (vgl. Heinrich 1999, S. 138), wobei informierende Medienerzeugnisse (Nachrichten, Reportagen etc.) davon wesentlich stärker betroffen sind als unterhaltende Produkte (vgl. Hermann 2002, S. 146). Film-, Fernseh-, Video- oder andere audiovisuelle Produktionen haben allesamt das Ziel einer

möglichst langandauernden Verwertung und Erlösmaximierung. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es wie bereits erwähnt schon im Vorfeld der Produktion eines gut organisierten Marketings vor allem in Form von Kommunikationsmaßnahmen (vgl. Knobloch 2003, S. 39). Stoffideen werden so beispielsweise vor der Entscheidung ihrer filmischen Umsetzung hinsichtlich ihres Erfolgs- und Verwertungspotentials geprüft. In kontinuierlich durchgeführten Beobachtungen über gesellschaftliche Trends und Zielgruppenverhalten werden dazu Geschmacks- und Zeitfaktoren festgelegt, die Auskünfte über die Aktualität, Brisanz und Attraktivität bestimmter Themen und Geschichten liefern (vgl. Neunzerling 2002, S. 321). Doch auch der Markt der unmittelbaren Nachfrager und Auftraggeber an Produktionen, etwa der Fernsehmarkt, bedarf einer stetigen Analyse, da durch die Kenntnisse über Marktstrategien und Markenprofile einzelner Sender, deren Programmbedarf besser abgeschätzt werden kann und Produktionen dahingehend konzipiert werden können (vgl. Kauschke/ Klugius 2000, S. 130); damit ist die anschließende, effektive Verwertung so gut wie gesichert. -

-

Wichtige Bestandteile für die Verwertung eines audiovisuellen Produkts sind neben diesen di-

Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemfragen

Die AV-Produktion

75

-

Aspekten vor allem aber auch die mit der Produktionsphase beginnenden, doch hauptsächlich nach der Fertigstellung eines Werkes zum Tragen kommenden Promotions- und Werbeaktivitäten. Dazu gehören unter anderem die Präsentation von Stars, die an der Produktion mitgewirkt haben, spezielle Premiere-Aktionen, PublikumsPreviews, die Entwicklung von Logos, Plakaten und Werbetrailer in Zeitungen, Fernsehen rekt in die Produktion einfließenden

oder Hörfunk sowie alle weiteren Aktivitäten, die die Aufmerksamkeit der Presse und Ziel-

gewisse Erwartungshaltung aufbauen können (vgl. Iljine/ Keil 1997, S. 252f.; Knobloch 2003).

gruppe erregen und eine

potentiellen Zuschauern müssen aber auch nationale und internationale Verleih- und Vertriebsfirmen spätestens bei Produktionsbeginn über das entstehende audiovisuelle Werk informiert und wenn möglich deren Interesse geweckt werden, um eine effiziente Verwertung zu gewährleisten (vgl. Iljine/ Keil 1997, S. 254). Vertriebsfirmen regeln die Vermittlung und stellen den Kontakt zwischen den Produzenten audiovisueller Er-

Neben der Presse und den

und den Verleihunternehmen

zeugnisse

tung überlassenen Produkte Kallas

an

her, während Verleihfirmen die ihnen

die Vorführstätten

zur

Auswer-

(Kino, Fernsehsender etc.) veräußern (vgl.

1992, S. 144).

Diese Akteure

am

Fernsehmarkt. Sie nanzielle

Distributionsmarkt sind mitunter die bestimmenden

entscheiden, welche Produkte

Beteiligung an

Agenten am Film- und

Markt zirkulieren, da sie durch ihre fider Produktion diese maßgeblich beeinflussen und es an ihnen liegt, am

welche Produktionen sie in ihr Vertriebs- und

Verleihprogramm aufnehmen (vgl. Thiermeyer 1994, S. 30). Nicht selten kommt es schon im Vorfeld einer Produktion zu Verwertungsverkäufen an Verleihunternehmen oder Fernsehanstalten.75 Zusammenfassend kann

festgehalten werden, dass die Verwertungsmechanismen im Zuge der Produktion audiovisueller Medienangebote zum Großteil von ökonomischen Faktoren bestimmt sind, und diese bereits starken Einfluss auf den Herstellungsprozess selbst haben. Besteht das Hauptziel einer AV-Produktion zwar in erster Linie darin, ein möglichst großes Publikum

zu

erreichen und dessen Aufmerksamkeit und Interesse

auch darauf geachtet

zu

dass das in die Produktion investierte

wecken,

so muss

jedoch

der Ver-

werden, Kapital Zuge wertung wieder eingespielt wird, der so genannte 'break even point' erreicht wird, also jener Punkt, an dem die gesamten Kosten für eine Produktion wieder eingespielt sind (vgl. Cleve 1996, S. 30). im

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

76

Publikumserfolg garantiert Erlöse,

und die Wirtschaft investiert meist

die für den Zuseher attraktiv und demnach

nur

in Produktionen,

gewinnbringend sind. So entsteht ein wechselseiti-

Abhängigkeitsverhältnis, das im Hinblick auf die Distribution und Vermarktung audiovisueller Produkte zum Tragen kommt: Die Produktion und Verwertung audiovisueller Medien-

ges

inhalte wird durch seine Kostenintensität

wiederum

vom

vom

Markt und der Wirtschaft

bestimmt, welche

Kunden, den Rezipienten, abhängig sind; beide Faktoren bedingen sich somit

gegenseitig und wirken auf die AV-Produktion ein. 3.2.2

Die unterschiedlichen Schritte bei der Produktion eines

Programms

Programmproduktion und -planung im Fernsehen (und auch im Radio) ist im Wesentlichen von der Zielsetzung des Senders abhängig. So ist es etwa Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Fernsehanbieter, die vom Staat auferlegte Grundversorgung mit Informationen, Bildung und Unterhaltung zu erfüllen (= Gemeinwohlorientierung), während das vorrangige Ziel privater Sender darin besteht, ihr Programm so zu gestalten, dass sie mit den darin platzierten Werbeeinschaltungen Geld verdienen (= Gewinnorientierung). Neben der Ausrichtung der Sendeanstalten beeinflussen zudem noch der Konkurrenzkampf am Medienmarkt, die Zuschauerresonanz, rechtliche Vorgaben, personelle und technische Kapazitäten und die Liquidität der einzelnen Medienunternehmen sowie die Kosten für einzelne Programmteile die PlaDie

nung desselben.

Planungsprozess von Fernsehprogrammen kann nicht wie jener von Einzelproduktionen in zeitlich logisch aufeinander folgende, einzelne Planungsphasen geteilt werden, sondern ist als Netz sich gegenseitig bedingender und beeinflussender Arbeitsschritte zu verstehen (siehe Abb. 1), die oft parallel nebeneinander ablaufen und sich zum Teil mehrmals wiederholen (vgl. Bauder 2002, S. 52). Der

Siehe dazu Kap. 3.3.2.1

Gesellschaftliche

Die AV-Produktion

Hintergründe und Mediensystemfragen

77

-

Abb. 1: Arbeitsschritte bei der Produktion eines Gewinn- oder

TV-Programms

Gemeinwohlorientierung

Erarbeitung eines Senderprofils

Programmplanung Erstellung eines Programmschemas Besetzung der Programmplätze

Fertigstellung des Programms

Programmbeschaffung (Ankauf, Auftrags- oder Eigenproduktion)

Rezipient (Quelle: Holtmann 1999, S. 27)

Erarbeitung eines Senderprofils

Ausgangspunkt dieses Planungsprozesses bildet das jeweilige Programm- und Senderprofil, in dessen Kontext die Zielgruppe(n) sowie die Zielsetzungen (Gewinn- versus Gemeinwohlorientierung) der Fernsehanstalten definiert sind. Anhand der unterschiedlichen Unternehmensprofile wird schließlich das Gesamtprogrammschema und dessen konkrete Besetzung in quantitativer wie auch in qualitativer Hinsicht festgelegt und strukturiert (vgl. Bauder 2002, S. 53); es kommt zur Ausbildung eines strategischen Rahmens für alle Phasen der Programmplanung. Den

Programmbeschaffung Die einzelnen

Sendungsbeiträge, allen voran Spielfilme und Serien, sind die wichtigsten Rohstoffe für das Fernsehprogramm und nehmen eine herausragende Stellung bei der Konzipierung des Programmschemas, bei der Programmplanung, ein. Einem Sender bieten sich zwei Möglichkeiten zur Beschaffung von Programmteilen: Entweder produziert er selbst (Eigenund Koproduktion)76 bzw. lässt produzieren (Auftragsproduktion),77 oder er erwirbt für einen '6

Eigenproduktionen sind Programme, die vom (TV-)Anbieter oder mehren (TV-)Anbietern mit eigenen Res(Produktions- und Finanzmitteln) hergestellt und bearbeitet werden. Sind mehrere Unternehmen in Kooperation an einer Produktion beteiligt, dann spricht man von Koproduktionen. 77 Mit Auftragsproduktion werden Projekte bezeichnet, die überwiegend mit unternehmensfremden Produktionssourcen

78

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

definierten Zeitraum und fur eine bestimmte Zahl

an

Produktionen

Ausstrahlungen

Lizenzen

an

anderen

(Ankauf).78

privaten Vollprogrammsender per Rundfunkstaatsvertrag dazu verpflichtet sind, einen gewissen Anteil ihres Programms mit Eigen-, Kooder Auftragsproduktionen aus dem deutschsprachigen und europäischen Raum zu füllen (vgl. Wilke/ Schilling 2000, S. 94f), ist die Verteilung an Eigen- bzw. Auftragsproduktionen und eingekauften Sendematerial, je nach Budget und Ausrichtung eines Senders, unterschiedlich gewichtet.

Obwohl die öffentlich-rechtlichen und auch die

Die Anteile der jeweiligen Produktionsformen

Gesamtprogramm legt ein Leistungsplan fest (vgl. Seidel/ Schwertzel 1998, S. 15). Finanzkräftigere Sender können attraktivere Programme einkaufen oder produzieren als Spartenkanäle oder kleine Lokal- bzw. Regionalsender. Öffentlich-rechtliche Anstalten müssen wiederum durch ihren Grundversorgungsauftrag inhaltlich wesentlich breiter agieren als private TV-Anbieter, und Vollprogramme strahlen im Gegensatz zu Spartenprogramme, die sich oftmals auf ein bestimmtes, eng umgrenztes Zuschauersegment oder Genre spezialisieren, eine Mischung aus Unterhaltungs- und Informationsprogramm aus. Hinzu kommt, dass die Verfügbarkeit von Programminhalten nicht gleichmäßig verteilt und dadurch die Ausgangssituation fur die Sender ziemlich unterschiedlich ist. Verfügen

am

öffentlich-rechtliche TV-Anstalten über ein sehr

großes zeitgeschichtliches umfangreiches Korrespondentennetz, Gegensatz dazu manche private Sender so genannte Output-Deals79 mit Hollywood-Studios abgeschlossen. (Vgl. Schümchen 2002, S. 74) etwa

Archiv und ein

so

haben im

Die jeweiligen Produktionsarten

Ankauf

fertiger

Filme und

bringen unterschiedliche Vor- und Nachteile mit sich. Ist der Serien weniger risikoreich und kostengünstiger als Eigen- bzw.

mittein und von externen, eigenständigen Produzenten (Produktionsfirmen) erstellt werden. Die also etwa die TV-Sender, haben jedoch redaktionelles Mitspracherecht.

Auftraggeber,

78

Kauf- und Lizenzprogramme werden von senderunabhängigen Produzenten hergestellt und von den TV-Anbietern am Fernsehprogrammmarkt gänzlich oder für einen begrenzten Zeitraum über eine Lizenz zur Ausstrahlung erworben. 79

Output-Deals werden zwischen Fernsehsendern und zumeist großen Produktionsunternehmen abgeschlossen, in denen die Produzenten den TV-Anbietem den Verkauf sämtlicher von ihnen produzierter Filme und Serien für einen bestimmten Zeitraum und zu festgelegten Konditionen zusichern. Solche Output-Deals „ermöglichen eine möglichst zeitnahe Sendung von Filmen nach der Kinoausstrahlung" (Schümchen 2002, S. 74). Doch sind sie für die Käufer (also die Fernsehanstalten) mit einem erheblichen finanziellen und programmlichen Risiko verbunden, da die Werke bei Vertragsabschluss noch nicht produziert sind und die Sender dadurch nicht wissen, was sie kaufen (vgl. Karstens/ Schütte 1999, S. 92; Schümchen 2002, S. 74). Output-Deals können sich auf alle produzierten Genres eines Unternehmens, manchmal aber auch nur auf bestimmte Arten von Produktionen wie etwa Kinospielfilme, Serien oder Dokumentationen, beziehen (vgl. Friedrich 1997, S. 261).

Gesellschaftliche Hintergründe und

Die AV-Produktion

Mediensystemfragen

79

-

Auftragsproduktionen,

da sie oft bereits in anderen Ländern

mittels der dort erreichten Zuschauerzahlen Rückschlüsse

ausgestrahlt wurden, wodurch auf ihr Erfolgspotential gezogen

und sie damit

qualitativ besser beurteilt werden können (vgl. Karstens/ Schütte 1999, S. 93), so wird jedoch nur in seltenen Fällen eine Lizenz für einen einzelnen Film angeboten. Dies führt dazu, dass Lizenznehmer in der Regel ganze Produktions-Pakete kaufen, die neben erfolgreichen Kassenschlagern auch viele qualitativ weniger anspruchsvolle Produktionen enthalten und vielleicht nicht so sehr in das Programmkonzept eines Senders passen (vgl. Wilke/ Schilling 2000, S. 97). Hinzu kommt, dass die Ausstrahlungsrechte dem Sender nur für einen begrenzten Zeitraum zustehen. Auftragsproduktionen haben dem gegenüber den Nachteil, dass sie zumeist sehr teuer und aufwendig herzustellen sind. Da die Preise für Kaufproduktionen jedoch in den letzten Jahren gestiegen sind und nationale Film- und Fernseherzeugnisse in der Regel großen Zuspruch beim Publikum finden, gehen Fernsehunternehmen zunehmend dazu über, ihre Programmbeiträge selbst zu produzieren. Dies hat auch den Vorteil, dass Form und Inhalt der Medienprodukte nach den Wünschen und Vorstellungen der Sender gestaltet werden können, da diese die redaktionelle, produktionelle und finanzielle Hoheit über die Produktion besitzen (vgl. ebda, S. 94). Generell kann festgestellt werden, dass tagesaktuelle Berichterstattungen und Reportagen großteils von den Sendern selbst produziert werden, während fiktionale Unterhaltungsprogramme und non-fiktionale Programmformen eingekauft oder in Auftrag gegeEigen-

und

ben werden. So unterscheidet sich die

Programmstruktur deutscher Fernsehveranstalter mitunter stark voneinander: Besteht das Programm öffentlich-rechtlicher Fernsehanstalten zu etwa 8 Prozent aus eingekauften Fiktionsendungen, so nehmen fiktionale Kaufproduktionen bei privaten FreeTV-Anbietern rund 29 Prozent ein, und das Programm des Pay-TV-Senders Premiere beinhaltet ganze 80 Prozent angekaufter Fiktion-Sendungen. (Vgl. Seufert 2002, S. 57) Auch in punkto Eigen- und Auftragsproduktionen zeigt sich bei den unterschiedlich finanzierten Fernsehsendern ein konträrer Bild: Liegt der Anteil an Sendungen in eigener Regie bzw. in Auftrag gegebener Programme bei ARD und ZDF bei etwa 60 Prozent, so bieten private TV-Veranstalter (bis auf wenige Ausnahmen wie etwa RTL) maximal 30 bis 40 Prozent an Eigenund Auftragsproduktionen an (vgl. Kauschke/ Klugius 2000, S. 65). Erhöhung des Programmangebots aller Sender in den letzten zwanzig Jahren sind die TV-Anstalten auch auf mehr Auftragsproduktionen angewiesen, da sie so viele Stunden Sendung nicht gänzlich selbst produzieren, aber auch nicht alles einkaufen können, da dies Durch die

80

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

den finanziellen Rahmen sprengen würde

(vgl. ebda, S. 62). Es lässt sich jedoch neuerdings ein allgemeiner Trend zu vermehrten Eigen- und Auftragsproduktionen erkennen, da diese einerseits beim Publikum großen Zuspruch finden und zur Imagebildung und Wiedererkennbarkeit des Senders beitragen können, andererseits die TV-Anstalten dadurch weniger vom Lizenzmarkt und den teuren Lizenzprogrammen abhängig sind (vgl. Sieveking 1994, S. 221; Karstens/ Schütte 1999, S. 93). In Deutschland und in

Europa insgesamt zeigt sich hinsichtlich der Programmbeschaffung ein weitgehend einheitliches Bild: In der Regel werden vor allem Lizenzen für ausländische (vorrangig amerikanische) Kinospielfilme und Unterhaltungsserien erworben, während Shows, Serien und TV-Movies über Auftrags- oder Koproduktionen in das Programm gelangen. In der Regel fallen ausschließlich Nachrichten, Sportsendungen und Magazine unter die Kategorie Eigenproduktion. (Vgl. Hermann 2002, S. 82) Wie

erfolgt nun aber die Programmbeschaffung, und wer ist an diesem Prozess beteiligt? Die Entscheidung, welche Produktionsform gewählt wird, hängt vom aufgestellten Programmund Leistungsplan sowie den Informationen des Beschaffungsinformationssystems ab. Dieses liefert sowohl beschaffungsmarktbezogene als auch unternehmensbezogene Informationen, die für die Besorgung des Programms unerlässlich sind. Zu den beschaffungsmarktbezogenen Informationen zählen

unter

anderem Daten über die

Marktstruktur,80 Informationen über die

Preisentwicklung sowie Lieferanten- und Produktinformationen, während zu den unternehmensbezogenen Daten beschaffungsinterne81 und beschaffungsexterne82 Erkenntnisse gehören. (Vgl. Friedrich 1997, S. 47f.) Der Leistungsplan, welcher „das Mengengerüst der geplanten Fernseh-Programmleistung der Planungsperiode" (ebda, S. 73) darstellt und den Umfang sowie das Maß der Programmbeschaffung determiniert, wird unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Beschaffungsinformationszentrale erstellt und gliedert sich in einen „Plan Hierzu zählen Informationen Uber die Angebotsstruktur (z.B. Name, Anzahl, Umsätze, Gewinn, bestehende Unternehmensverflechtungen, Produktionsprogramm/Filmstock, Produktionskosten, Anzahl geeigneter Drehbuchautoren) sowie Informationen Uber die Nachfragerstruktur (z.B. gezahlte Preise anderer Fernseh Veranstalter für Auftragsproduktionen bestimmter Programmgenres, bestehende Output-Deals und Spielfilmvorräte der Nachfragekonkurrenz, Beteiligungen an Produktionsfirmen, Informationen über die Wettbewerbsstruktur) (vgl. Friedrich 1997, S. 81

47).

Z.B. Informationen über

eingehende Angebote, Preisobergrenzen, laufende Projekte und Verträge und den (vgl. Friedrich 1997, S. 48). 82 Z.B. Informationen der Programmplanung, Daten zum Programmerfolg (z.B. Marktanteile, Einschaltquoten etc.), Kosteninformationen (z.B. Kostenbestandteile pro Sendeplatz, direkte Kosten etc.), Informationen zur Kapazitätsauslastung und Finanzierungserkenntnisse (z.B. Eigenkapitalbasis, Einnahmen aus Gebühren oder Werbung etc.) (vgl. Friedrich 1997, S. 48). Rechtebestand

Gesellschaftliche

Die AV-Produktion

Hintergründe und Mediensystemfragen

81

-

für Eigenproduktion" und einen

„Plan der sonstigen Beschaffungen" (Seidel 1993, S. 126).

Programmbeschaffungen und die Planung eigener Produktionen sowie sonstiger Beschaffungen ergibt sich schließlich nach Abzug von Wiederholungen, Pro-

Der tatsächliche Bedarf

an

grammentnahmen aus dem eigenen Archivvorrat und Übernahmen von Sendematerial von anderen Rundfunkunternehmen (vgl. Friedrich 1997, S. 73). Ziel ist es, einen ausreichenden Stock an Programmen zur Verfügung zu haben, ohne jedoch zu viel unverwendetes Material anzuhäufen. Somit gliedert sich der Ablauf der Programmbeschaffung in folgende sieben Prozesse (vgl. ebda, S. 72): 1. 2.

3. 4. 5.

6.

eines inhaltlichen und Auswahl des

Erstellung

Konzepts, Sichtung

des

Programms83

Programmplans

bzw. -Schemas

Prüfung der Kapazitäten für Eigenproduktionen sowie der Beschaffungsmöglichkeiten an Kauf-, Ko- und Auftragsproduktionen Einholung von Angeboten inklusive Prüfung und Auswahl derselben Vertragsverhandlungen, Kalkulationsprüfungen und Abwicklung der Verträge Produktion von eigenem Programm sowie Produktionsbegleitung bei Auftrags- oder auch Ko-Produktionen) Nachbearbeitung von eingekauftem Material (wie etwa Synchronisationen, Trailererstellung oder auch Kürzungen)

7. Produktionsabnahme

Augenmerk muss im Prozess der Programmbeschaffung dem Ankauf von Fremdproduktionen gelten, da dieser einerseits einen großen Anteil am Programm haben kann und er andererseits von zahlreichen betriebsinternen und -externen Faktoren abhängig ist. So sind Programmproduzenten, Filmhändler und Fernsehsender nicht selten in einem großen Mutterunternehmen vernetzt,84 interagieren dort miteinander und schließen Verträge wie etwa die bereits erwähnten Output-Deals oder presales.85 Beispiele für solche langfristigen Verknüpfungen sind die (heute aufgelöste) Kooperation zwischen RTL und Disney oder die Vereinbarungen zwischen ProSieben und Metro-Goldwyn-Mayer (MGM). Sendern, die keiner Unternehmensfamilie angehören, bieten sich demzufolge sehr viel weniger Möglichkeiten, zu attraktiven Programmen und Sendungen zu gelangen, da das Programmvolumen der meisten Ein besonderes

83

Hier muss mitunter geklärt werden, wie viele

vorgesehen sind.

Sendeplätze für bestimmte Formate (Spielfilm, Serie, Show etc.)

84

In Deutschland gibt es etwa (direkte sowie indirekte) Beteiligungen mehreren deutschen Privatsendern. (Vgl. Karstens/ Schütte 1999, S. 239) 85

Bei presales-Verträgen zwischen Produzent und TV-Anstalt produzierten Spielfilm (vgl. Schorlemer 1993, S. 540f.).

einiger weniger Großunternehmen

erwirbt letztere das Recht

an

an

einem noch nicht

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

82

wichtigen (großen) Produzenten bereits vergeben ist und für sie nur der Restmarkt übrig bleibt. Ihre Lizenzprogramme kommen dann in der Regel von „Zwischenhändlern, kleineren Produzenten oder anderen Sendern, die sich überkauft haben, also über mehr Programm verfugen, als sie selbst senden können" (Karstens/ Schütte 1999, S. 93). Die Sender haben

generell zwei Möglichkeiten zum Erwerb einer Programmlizenz: Sie erwerben das Ausstrahlungsrecht für ein Programm beim Produzenten selbst oder über einen Zwischenhändler. In der Regel erfolgt die Beschaffung von Programmlizenzen hauptsächlich über Distributoren (Rechte- bzw. Zwischenhändler), „die als Intermediäre zwischen Produktionsfirmen und TV-Anbieter tätig sind" (Bauder 2002, S. 58). Verhandlungsgegenstand sind nur in seltenen Fällen einzelne Filme und Serien (wie es etwa bei Output-Deals oder presalesVerträgen der Fall ist), sondern vielmehr speziell geschnürte Programmpakete mit teilweise über 100 Einzelwerken (= package deals), die sowohl zuschauerattraktive Kassenschlager (so genannte A-Filme) als auch weniger erfolgreiche B-Filme beinhalten; aus diesem Grund liegen die Paket-Preise auch deutlich im dreistelligen Millionenbereich (vgl. Holtmann 1998, S. 14; Wilke/ Schilling 2000, S. 97; Bauder 2002, S. 60).86 Die qualitative Zusammensetzung der Pakete, die für die Paketpreise mitentscheidend ist, misst der Lizenznehmer, also der TVVeranstalter, anhand unterschiedlicher Kriterien, wie etwa der Anzahl an primetime-fahigen Sendungen und Erstausstrahlungen, dem Genre, Herkunftsland sowie Produktionsjahr der Filme oder der Qualität des Sendematerials (vgl. Friedrich 1997, S. 77).87 Der

Lizenzvertrag enthält einerseits Vereinbarungen darüber, wie die Verwertung des Werks im Programm des Senders auszusehen hat,88 und regelt andererseits Preis und Zahlungsbedingungen (vgl. Karstens/ Schütte 1999, S. 239). Folgende Konditionen können in einem Lizenzvertrag festgelegt werden (vgl. Friedrich 1997, S. 83): die vertragliche

Festlegung des Sendegebiets (Land, Sprachraum, weltweit), der Umfang der lizenzierten Ausstrahlungswege (terrestrisch, Kabel, Satellit), die mögliche Exklusivität der Ausstrahlungsrechte in einer bestimmten Region,

-

-

86

Die Schnürung solcher Programm-Pakete lässt sich auf die enorme Misserfolgsquote von Spielfilmen zurückfuhren. Filmproduzenten oder Produktionsunternehmen finanzieren durch die Anbindung wirtschaftlich erfolgloser Spielfilme an erfolgreiche Produktionen die weniger profitablen Erzeugnisse mit. (Vgl. Friedrich 1997, S.

30f.) 81

Am teuersten sind Erstausstrahlungen von erfolgreichen Kinospielfilmen, die in der Regel vier Jahre nach ihrer Kinoauswertung erstmals im Free-TV zu sehen sind. Je älter ein Film oder eine Serie wird und je häufiger er/sie im Fernsehen ausgestrahlt worden ist, desto billiger wird er/sie (vgl. Karstens/Schütte 1999, S. 247f.). 88

Dazu zählen unter anderem

strahlungen.

Angaben

zu

Beginn und Ende der Lizenzzeit und die Anzahl der erlaubten Aus-

Die AV-Produktion

Gesellschaftliche

Hintergründe und Mediensystemfragen

83

-

-

der Umfang der Verwertungsrechte,

die Laufzeit der Senderechte, -

-

die Anzahl der Ausstrahlungsrechte, die Option auf eine mögliche Anschlusslizenzierung,

-

-

die Regelung der Pay-TV-Rechte,

Auswertungssperren für andere Verwertungsstufen, mögliche Nebennutzungsrechte sowie

Bearbeitungsrechte Bei

Programmeinkäufen ist demnach ein spezielles Beschaffüngsmarketing für die Sender von entscheidender Bedeutung; die ständige Präsenz auf dem Lizenzmarkt ist unumgänglich, um einen systematischen Überblick zu behalten und aktuelle Trends möglichst schnell erfaskönnen. Redakteure, Programmplaner und Einkäufer müssen auch den Kontakt zu Programmlieferanten pflegen und die spezifischen Senderwünsche und -interessen publik masen zu

chen,

um

für einen

„ständigen

Fluß konkreter

Angebote sorgen" (Karstens/

Schütte 1999, S.

239f.) zu können. Die Möglichkeit des Lizenzerwerbs hängt somit von der jeweiligen Konzernzugehörigkeit der

Sender, ihrer finanziellen Ausgangssituation und ihrer Kompetenz, sich haupten zu können, ab.

am

Markt gut be-

Programmplanung Der erste Schritt nach der

Fixierung eines Senderprofils stellt die Erarbeitung eines Budgetplans dar, denn ohne genaue Kostenkalkulationen und Informationen über Gewinnerträge des abgelaufenen Jahres ist eine realistische Programmplanung unmöglich. Gleichzeitig mit der Kostenaufstellung muss jedoch auch schon mit der Arbeit am Programmschema begonnen werden, deren Struktur und Form für die Programmbeschaffung ausschlaggebend sind. Die Programmbeschaffüng ist ihrerseits wiederum von den finanziellen Ressourcen der Fernsehanstalt abhängig. Programmschema lässt sich in Programmjahr, Programmwoche und Programmtag unterteilen; es weist je nach Zielsetzung und Ausrichtung des Senders unterschiedliche StrukturieDas

rungen auf.

Programmjahr beinhaltet die generelle und langfristig geplante Zielsetzung des Senders, Erläuterungen zu neuen Formaten, Filmen Das

inhaltliche und formale

und Serien, die Einbin-

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

84

Jahreshighlights wie Kino-Kassenschlager, Vorauskalkulationen zu saisonalen Events (z.B. Olympiaden, Wahlen, wichtige Jahrestage etc.) und Feiertagen sowie das grob strukturierte und durchdachte Schema des Programms. (Vgl. Schümchen 2002, S. 78) Die zentralen Zeiteinheiten stellen jedoch die Programmwoche und der Programmtag dar, da sich darin die wiederkehrenden Programmereignisse abspielen, an denen sich die Zuschauer orientieren (vgl. ebda, S. 79). dung

voraussichtlicher

Die Wochenkalkulation beinhaltet einerseits die

Unterteilung in Werkstage und Wochenende,

die

Platzierung spezieller Sendungshighlights und Serien-Premieren an einen bestimmten Tag, aber auch die kurzfristigen Programmänderungen aufgrund unvorhergesehener Ereignisse (z.B. Todesfälle oder Hochzeiten berühmter Personen, Katastrophen etc.). Die tatsächliche

Programmdramaturgie findet schließlich in der Schematisierung des Programmtages statt, die sich am Tagesablauf des Durchschnittspublikums orientiert. So ist der Fernsehtag in mehrere Phasen wie etwa den Vorabend, die Primetime und die 'Non-Primetime' als Bezeichnungen für den Morgen, den Nachmittag und die späte Nacht unterteilt, und wird entsprechend den Erkenntnissen aus der Fernsehforschung inhaltlich gestaltet (vgl. ebda). -

-

Aus den

Ergebnissen der programmbegleitenden Zuschauer- und Nutzungsforschung sowie durch die Beobachtung von seit jeher marktwirtschaftlich organisierten, amerikanischen Fernsehunternehmen, die aufgrund ihres kommerziell organisierten Fernsehmarktes und der damit einhergehenden großen Wettbewerbssituation eine Vielzahl an Programmschematisierungsmustern

aufweisen, entwickelten bzw. übernahmen die Sender unterschiedliche Schematisie-

rungsmöglichkeiten für ihre Programmplanung, um ein möglichst großes Publikum anzusprechen und dieses auch

an

den Sender binden

Modelle für die

zu

können. Diese Schemata enthalten einerseits

Mediennutzung und verkörpern andererseits Gewinnung von Zuschauern (vgl. Hickethier 2003, S. 159).

die

Strategien

der Anbieter

zur

Eine Form der

Programmgestaltung ist etwa das so genannte Stripping. Bei diesem Schematisierungsmodell wird dem Zuschauer jeden Tag (bzw. jeden Werktag) zu gleichen Sendezeiten das gleiche Programm geboten; und dies in der Regel mindestens sechs Wochen lang. Das Programmodell des Stripping setzt somit auf einen Gewöhnungseffekt beim Publikum. (Vgl. Karstens/ Schütte 1999, S. Eine weitere

168)

Programmkonzipierung findet man im Prinzip des Audience Flow: Um den Rezipienten am Umschalten zu hindern, werden mehrere Sendungen des gleichen Genres und

Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemfragen

Die AV-Produktion

85

-

gleichen Themas, „oder Sendungen mit gleicher oder zumindest verwandter Zielgruppenstruktur hintereinandergesetzt" (ebda, S. 170) und mittels Teaser und Trailer schon im Vorfeld beworben. (Vgl. Szezinski 2002, S. 81) Begriff des Labeling bezeichnet ebenfalls eine Programmgestaltungstaktik, bei welcher der Sender versucht durch Namenskreierungen für bestimmte Sendeformate an immer gleichen Sendeplätzen die themeninteressierten Zuseher zum regelmäßigen Einschalten zu bewegen. Beispiele hierfür wären etwa die ORF-Reihe 'Date am Donnerstag', die jeweils an diesem speziellen Tag zur Primetime einen Liebesfilm zeigt (vgl. Karstens/ Schütte 1999, S. 172), oder die 1993 ins Leben gerufene ZDF-Reihe 'Sommernachtsphantasien', die jeweils Montag Nacht dem Publikum erotische Filme präsentiert. Der

Tentpoling und Hammocking, zwei weitere Konzepte zur Programmstrukturierung, haben die Anbindung der Zuseher an den Sender bzw. das Verhindern des Umschaltens der Rezipienten zum Ziel. Wird eine neue Sendung (zumeist eine Serie) im Anschluss an ein bekanntes und beim Publikum beliebtes Programm platziert, um den Zuseher dadurch vom Zappen abzuhalten,89 bedient man sich der Tentpoling-Strategie (vgl. Szezinski 2002, S. 81), und wird ein neues Programm zwischen zwei bekannte und erfolgreiche Sendungen gesetzt, um wiederum das Wegschalten des Publikum zu verhindern, die die erste und die dritte Sendung sehen wollen (vgl. ebda), so wird dies im Fachjargon mit Hammocking bezeichnet. Dies sind

einige Schematisierungsstrategien von Programmplanern, um ein möglichst effektives, also beim Zuschauer erfolgreiches Programm, zu entwickeln; sie machen deutlich, dass die Planung des Programmablaufs keineswegs willkürlich geschieht, sondern nach genau kalkulierten Strategien und Überlegungen abläuft90 nur

Fertigstellung des Programms Die Zusammensetzung des Programmablaufs

geschieht durch die Verantwortlichen in der Ablauforganisation in der Regel sechs bis zehn Wochen vor dem Ausstrahlungsdatum: Unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Länge91 der einzelnen Sendungen und bei werbefinan89

Die Überlegungen zu dieser Programmstrukturierung basieren auf dem Newtonschen dass ein ruhender Körper dazu tendiert, in Ruhe zu bleiben (vgl. Szezinski 2002, S. 81). 90

Siehe dazu auch

Prinzip, welches besagt,

Kap. 4.1.3 Die Länge eines Programms wird in Brutto- und Nettolänge unterteilt. Sind bei Bruttolängenangaben Werbeeinschaltungen, Ansagen, Trailer und andere Ablaufelemente enthalten (=Länge des gesamten Sendeplatzes bis zum nächsten angeführten Programmbeitrag), so bezeichnet die Nettolänge die reine Laufzeit einer Sendung (vgl. Karstens/ Schütte 1999, S. 382f.). 91

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

86

zierten Anstalten im Hinblick auf zu erwartende

Werbeauslastungen werden die Anfangszeiten der Beiträge festlegt und die eingeplanten Programmbestandteile bereitgestellt (vgl. Karstens/ Schütte 1999, S. 380), die an die Programmzeitschriften weitergeleitet werden. Das Programm steht nunmehr fest und wird nur mehr bei unvorhergesehenen Ereignissen in einem größeren Rahmen verändert. Nun können

Programmankündigungen in Form von Trailern, Teasern oder ähnlichen Formen und Senderlogos in der dafür zuständigen Promotionsabteilung sowie die Werbeinseln in der Motivdisposition erzeugt bzw. erstellt werden. Im Hinblick auf die Konstruktion eines klaren Senderimages, welches heute für die eigene Positionierung am Markt und die Selbstdarstellung gegenüber den Zuschauern notwendig erscheint, um sich von den anderen Programmanbietern abzugrenzen, gewinnt neben der inhaltlichen Programmausrichtung in Form von speziellen Sendungsformaten vor allem auch die Entwicklung eines eigenen Senderdesigns, einer eigenen Corporate Identity, an entscheidender Bedeutung. Da Programmankündigungen und andere programmverbindende Zwischenglieder das Erscheinungsbild eines Fernsehsenders maßgeblich prägen (vgl. Bichler/ Pluschkowitz 2003, S. 150), sind die Arbeiten in den dafür zuständigen Produktionsabteilungen von großer Bedeutung für die Gesamtproduktion eines Programms. Schlussendlich kommen die verschiedenen Programmelemente in der Sendeablaufplanung endgültig zusammen, werden dort zu einem einheitlichen, durchgängigen Programm(fluss) aneinandergereiht und an die Senderegie übergeben (vgl. Karstens/ Schütte 1999, S. 381 und 402). 3.3

Unterschiedliche Ebenen der AV-Produktion

unterschiedliche Produktionsbe-

dingungen Audiovisuelle Medien bilden eine Schnittstelle zwischen den Bereichen Gesellschaft, Politik und Recht sowie Wirtschaft und Spitzentechnologie. Durch diese Kreuzstellung zu derart vielen unterschiedlichen Aktionsräumen werden die

Herstellung audiovisueller Werke und die damit verbundenen Arbeitsschritte zwangsläufig durch zahlreiche Produktionsbedingungen und Einflussfaktoren geprägt. Um den Prozess der AV-Produktion unter Berücksichtigung seiner Vieldimensionalität und mit Blick auf das

Gesamtkonstrukt, die Meta-Ebene der AVProduktion, adäquat beschreiben, erklären und verstehen zu können, bietet es sich unter Rück-

bezug

auf Pierre Bourdieus Theorie des literarischen Feldes sowie Kurt Lewins Feldtheorie

an, AV-Produktion als Feldkonstruktion

zu

verstehen bzw. als Prozess, der innerhalb eines

durch unterschiedliche Determinanten bestimmten Feldes struiert wird.

geschieht

und durch dieses kon-

Gesellschaftliche

Die AV-Produktion

Hintergründe und Mediensystemfragen

87

-

Obwohl

aus

unterschiedlichen

Richtungen

kommend -

Soziologie

auf der einen und Gestal-

tungspsychologie auf der anderen Seite gehen sowohl Bourdieu als auch Lewin, was die Gestaltung und Zusammensetzung eines Feldes betrifft, primär von einem physikalischen Feldbegriff im Sinne Einsteins aus: Ein Feld ist die Summe gleichzeitig bestehender Tatsachen, die als gegenseitig voneinander abhängig begriffen werden. Die Beschaffenheit und -

Charakteristik eines Feldes wird also

von

seinen Bestandteilen bestimmt

ändert sich

nun

ein

-

beliebiger Feldparameter, so ändern sich auch die anderen Bestandteile und in Summe das gesamte Feld.92 Die unterschiedlichen Feldkonstanten und -variablen bedingen sich demnach gegenseitig und sind miteinander verflochtene Konstrukte. Dient bei Bourdieu der

Feldbegriff in erster Linie dazu, den globalen Gesellschaftsbegriff in

unterschiedliche, der Wirklichkeit eher entsprechende Autonomiebereiche um

damit literarische Konstrukte nicht

nen, sondern sie als Konstruktionen

nur

als

ideographische

zu

differenzieren,

Einzelfälle beschreiben

zu

kön-

erkennen, die in einem System aus ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedingungen entstehen; wobei „die Existenz der zahlreichen Vermittlungsebenen zwischen der Infrastruktur und dem kulturellen Produkt" (Jurt 1995, S. 74f.) nicht außer Acht gelassen werden darf (vgl. ebda, S. 74 und 81), so verfolgt Kurt Lewin mit seiner psychologischen Feldtheorie ein anderes Ziel: das Verständnis komplexen menschlichen Verhaltens, das innerhalb eines bestimmten Lebensraumes zu einer bestimmten Zeit gezu

schieht. Dieser Lebensraum setzt sich sammen, die in

dynamische

aus

personen- und

umweltbezogenen Komponenten zu-

und strukturelle Konstrukte unterteilt werden können und sich

gegenseitig prägen. Dieser von Person zu Person und im Laufe der Zeit variierende Lebensbereich stellt das Feld dar, in dem menschliches Verhalten passiert. (Vgl. Lewin 1963, S. 103f.) Bourdieus und Lewins Feldtheorien weisen trotz ihrer unterschiedlichen

Zielsetzungen eine Produktion von Bedeutung

Gemeinsamkeit auf, die vor allem im Kontext der audiovisuellen ist: Beide Modelle betonen die ständige Dynamik bzw. Variabilität des Feldes, der Feldstruktur, seiner Parameter und deren Stellung zueinander und Beziehungen untereinander. Audiovisuelle Produktion feld.

geschieht nun in einem solchen dynamischen Kräfte- und MachtDies hat zur Folge, dass die jeweiligen Raum- bzw. Feldparameter auf den Herstellungs-

So ist etwa laut der Newtonschen Mechanik jede Bewegungsänderung das Resultat einer (Anziehungs)Kraft, und die Verteilung dieser Kräfte bestimmt, wie sich ein Objekt mit bestimmten Eigenschaften zu einem gegebenen Augenblick verhalten wird.

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

88

prozess einwirken und damit Einfluss auf das entstehende audiovisuelle Produkt haben wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung. Abb. 2 bietet einen Überblick über die wich-

-

tigsten auf den Produktionsprozess einwirkenden Kräftefelder und ihre Beziehungen zueinander. Abb. 2: Das Feld der AV-Produktion

Einflussfaktoren und

-bedingungen

-

(Quelle: eigene Darstellung) Die Einflussfaktoren auf den Produktionsbereich im audiovisuellen Sektor können in einen engen und einen breiten

Prägungsbereich eingeteilt werden. Zu einem der engen einflussnehmenden Aspekte, die das jeweilige zu produzierende Projekt betreffen, zählt die Art der Produktion, also welches Format das Werk haben soll, welchem Genre es zugeteilt wird. Hier ist vor allem von Bedeutung, ob es sich um ein fiktionales (z.B. ein Film), ein non-fiktionales Werk (z.B. eine TV-Reportage) oder ein ganzes Programm handelt, da sich der Produktionsverlauf stark voneinander unterscheidet.93 Budget kann als zweiter produktionsbestimmender Faktor angeführt werden. Die Höhe des Produktionskapitals bestimmt unter anderem die Beschaffenheit des Personalstabs,94 die Möglichkeit bestimmter technischer Zusatzdienste, wie Kranfahrten oder Hubschrauber, und die Verwendung von Spezialeffekten und demzufolge auch die inhaltliche und formale Gestaltung des Produktes; ebenso sind die Anzahl der Drehtage und der zeitliche Rahmen der Nachbearbeitung vom budgetären Rahmen abhängig. Das vorhandene

Siehe dazu auch

Kapitel 3.2.1und 3.2.2

Vor allem die Zahl

an so

genannten 'Stars' im Team wird durch das vorhandene Budget bestimmt, da be-

Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemfragen

Die AV-Produktion

89

-

Die

Herstellung eines audiovisuellen Werkes wird des Weiteren davon beeinflusst, für welchen Verbreitungsweg produziert, also welches Medium bedient werden soll: Handelt es sich um einen Kinofilm, um ein Fernsehspiel, um eine TV-Reportage, um ein Hörspiel etc.? Und letztlich haben auch noch der Produzent selbst und die für die

Herstellung

verwendete

Technik Einfluss auf die Beschaffenheit und

Durchführung der AV-Produktion. Wer ist Produzent? Handelt es sich dabei um einen TV-Sender oder eine selbstständige Produktionsfirma? Wie groß ist das Produktionsunternehmen, und welche Kapazitäten haben sie? Da audiovisuelle Medien heute in der Regel innerhalb einer Institution entstehen, unterliegen sie damit den „inneren Mechanismen, Abhängigkeiten und Zwängen dieser Institutionen, die ihrerseits gesellschaftlichen Regulativen wie Gesetzen, Staatsverträgen, Verordnungen etc. bzw. den marktwirtschaftlichen Bedingungen gehorchen" (Hickethier 2001, S. 5) müssen. Und hinsichtlich der technischen Faktoren ist nach dem Kameraformat (16mm, Hi8, Super-VHS etc.), nach Spezialeffekten oder nach digitalen Bild- und Tonbearbeitungstechniken zu fragen. All diese Einflussfaktoren wirken ihrerseits aufeinander ein. So bestimmt etwa die Auswahl der Produktionsart

oft, wie viel Budget zu Verfügung gestellt wird; das Budget hat wiederum

Einfluss auf technische

Produktionsbedingungen, und die Wahl des Mediums kann zu einem bestimmten Produzentenkreis führen und umgekehrt. Neben diesen

speziellen, engen Bedingungen für einzelne audiovisuelle Produktionsprojekte gibt es jedoch noch allgemein prägende Faktoren, also breite Einflussaspekte, die zwar auch auf einzelne Produktionen einwirken, doch generell den gesamten audiovisuellen Sektor betreffen. Zu diesen zählen Politik, Rezipient, Wirtschaft und Gesellschaft. Nationale und internationale gesetzlich festgeschriebene Reglementierungen und Richtlinien wirken auf politischer Ebene auf audiovisuelle Produktionsprozesse ein, der Zuschauer (Rezipient) bestimmt durch sein Rezeptionsverhalten, seine Bedürfnisse und Wünsche sowohl die formale als auch die inhaltliche Form audiovisueller Medienangebote mit. Die Verwirtschaftlichung der audiovisuellen Medienindustrie und den damit verbundenen Erfolgszwang haben ihrerseits zu Veränderungen im Produktionsbereich geführt, und letztlich beeinflussen gesellschaftliche Wandlungsprozesse und kulturelle Gegebenheiten die jeweiligen, vor allem nationalen AV-Produktionen. Somit ist die Produktion audiovisueller Produkte in ein

kannte

Netz, ein großes Feld unterschied! i-

Schauspieler und Regisseure sehr teuer, jedoch für den Erfolg einer Produktion wichtig sind.

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

90

eher Einflussfaktoren und

Herstellungsbedingungen, eingebunden,

auf die im

Folgenden

nä-

her eingegangen werden soll. 3.3.1

Die technische Seite der AV-Produktion

Audiovisuelle Produkte sind tertiäre men

und Funktionieren

von

Medien, sie bedürfen für das prinzipielle Zustandekom-

Kommunikation sowohl auf der Produktions- als auch auf der Re-

zeptionsebene technischer Geräte. Technische Bedingungen und technologische Prozesse sind die Voraussetzung für das Entstehen eines Medienproduktes; sie spielen demzufolge eine bedeutende Rolle im Kontext audiovisueller Kommunikation, speziell im Bereich der Produktion, und haben maßgeblichen Einfluss auf die Form, aber auch auf den Inhalt audiovisueller Medienangebote. Seit der Erfindung des ersten Medien

von

Kinematographen im Jahr 1891

ist die Produktion audiovisueller

permanenten Innovationen geprägt. Ein Blick zurück, eine kurze historische

Rückblende auf einige

Veränderungen

in der audiovisuellen

Produktion, zeigt sehr deutlich,

welchen Einfluss die Technik bzw. die technologischen Errungenschaften auf die aber auch auf die

Verbreitung

hatten,95 wobei die Gründe

und

Verteilung

für die technischen

Herstellung,

Film- und

Fernsehangebote haben bzw. Entwicklungen vielfältig waren und sowohl

von

gesellschaftspolitischer als auch ökonomischer Art sind. Der Tonfilm Der

Übergang vom Stumm- zum Tonfilm markierte Anfang der 1930er Jahre jene Phase der

Filmgeschichte, die einen weit reichenden Wandel in der Filmherstellung zur Folge hatte. Die damit einhergehenden Veränderungen waren auf unterschiedlichen Ebenen u.a. bei der Auf-

nahmetechnik, bei den Mitarbeiterstäben oder beim Produktionsverlauf selbst

zu

verzeich-

-

nen.

Während in der Stummfilmzeit

beispielsweise

noch keine standardisierte

Projektions-

bzw.

Aufzeichnungs-Norm existierte, setzte sich mit der Einführung synchron zum Bild gezogener, mit konstanter Geschwindigkeit abzuspielender Tonspuren der bis heute gültige Standard von 24 Bildern pro Sekunde durch

'handwerklichen'

95

(vgl. Cherchi Usai 1998, S. 6). Zudem bedurfte es während des Produktionsprozesses neuer speziell den auditiven Bereich betreffende Ge-

Es wird im Folgenden nur exemplarisch auf einige wenige Veränderungen im Zuge der Film- und Fernsehgeschichte eingegangen, welche den Stellenwert technischer Entwicklungen für den Produktionsprozess in besonderer Weise verdeutlichen. Es besteht somit kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemfragen

Die AV-Produktion

91

-

räte wie

Mikrofone, Tonregler, Schneidetische für die Tonaufnahmen, Mischpulte etc., wel-

kompetenten Personen bedient werden mussten; es entstanden im Laufe der Zeit neue Berufsgruppen, wie etwa der Tonmeister oder der Tonassistent. Die neue Technik bescherte der Filmproduktion jedoch nicht nur neue Arbeitsplätze, sondern machte auch bislang etablierte Betätigungsfelder bedeutungslos. So wurden die Musiker, die bei den Filmaufführungen in den Kinos die bewegten Bilder musikalisch begleiteten und dadurch für ein lokal oder regional geprägtes „multimediales Showerlebnis mit Live-Performance" (Dibbets 1998, S. 200) sorgten, durch die Tontechnik ersetzt (vgl. Dibbets 1998, S. 198).96 che

von

geschulten

und

Vor allem für die Darsteller

Einführung des synchronen Tons mit enormen Umstellungen verbunden: Die im Stummfilm notwendige körperbetonte und gestische Umsetzung von Handlungen und Emotionen, das sehr theatralische Agieren, war obsolet geworden; Inhalt und Message eines Films mussten nun vielmehr durch geschicktes Kombinieren von gesprochenem Text und diesen verstärkende Mimik und Gestik vermittelt werden.97 Diese Veränderungen wirkten sich auch auf den Inhalt der Filmgeschichten aus: Stoffe wurden durch die Möglichkeit, Handlungen und Gefühle detaillierter zu beschreiben, komplexer, wodurch der Drehbuchentwicklung im Laufe der Zeit größere Bedeutung zukam. vor

der Kamera

war

die

Für die internationale

Verwertung filmischer Produkte eröffnete sich mit dem Tonfilm das Problem der verschiedenen Sprachen. Konnte ein Stummfilm in alle Länder der Welt exportiert und dort ausgestrahlt werden, so endete die Verbreitung eines Tonfilms an den Grenzen des Sprachraumes, in dem er produziert wurde. Es bedurfte somit ausgereifter Synchronisationstechniken, die jedoch erst einige Jahre nach Einführung der Verbindung von Bild und Ton hinreichend entwickelt wurden. Die bis zur Perfektionierung der Übersetzungstechnik eingesetzten Alternativen der Filmunternehmen waren subtil, sehr zeitaufwendig und kostspielig: Man produzierte zeitgleich Mehrsprachen-Versionen eines Filmes zumeist in Englisch, Deutsch und Französisch (vgl. Monaco 2001, S. 245). -

Die Veränderung der Filmpräsentation führte auch zu einem sich wandelnden Beziehungsverhältnis zwischen Zuschauer und Film. Das Publikum kam nun nicht mehr in die Kinos, um eine Multimediashow, die vorrangig vor der Leinwand stattfand, zu verfolgen, sondern interessierte sich vermehrt für die Geschehnisse auf der Leinwand. So „verwandelte sich der Reiz, einen Film zu sehen, von einem kommunalen Ereignis in einem Raum in eine exklusive Beziehung zwischen Film(macher) und dem einzelnen Zuschauer" (Dibbets 1998, S. 200). 97

Viele Stars der Stummfilmzeit konnten sich den neuen Gegebenheiten und Anforderungen nicht anpassen und ihre früheren 'stillen' Filmerfolge anknüpfen. Die Gilde der Stummfilmstars machte einer neuen Generation an Tonfilm-Schauspielern Platz. (Vgl. Dancyger 1997, S. 40) an

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

92

Doch nicht nur die

Vorproduktion und die Verwertung filmischer Werke änderten sich infolge der Einführung des Tonfdms maßgeblich. Auch die Dreharbeiten selbst mussten den neuen technischen Gegebenheiten angepasst werden, etwa durch Schallisolierung der Aufnahmeräume oder Geräuscheliminierung der lauten Lampen und Kameras (vgl. Dancyger 1997, S. 41). Filme wurden in der

Frühphase des Tonfdms zum Großteil

in akustisch kontrollierbaren Ate-

liers

produziert, da die frühen Mikrofone noch nicht so weit entwickelt waren (vgl. Karstens 1994, S. 151 f.), dass bei Außenaufnahmen qualitativ hochwertige Tonaufzeichnungen ge-

macht werden konnten. Zusammenfassend kann resümiert werden, dass der Übergang vom Stumm- zum Tonfilm den Produktionsprozess in allen Sparten weitreichend umstrukturierte. Umdenken und Umlernen hieß demnach in den ersten Jahren des Tonfdms das Motto bei der

Herstellung filmischer Produkte. Breitwand. Farbfdm und leichtere Kameras Die Filmtechnik wurde nach der

Einführung des Tons

kontinuierlich weiterentwickelt. Klei-

und

größere Innovationen beeinflussten die Filmindustrie und mit ihr die Art und Weise der Filmproduktion. Zu den bedeutendsten Neuerungen zählen unter anderem die Entwicklung des Breitwandformates, die Einführung des Farbfilmes, die Perfektionierung der Kameras sowie die Konstruktion immer leichterer Kameras und die Mobilität fördernden Zusatzgeräte wie die Steadicam.98 nere

All diese technischen

Neuerungen wirkten sich auf verschiedene Bereiche der Film- und spä-

auch der Fernsehproduktion

99

Die

Ausweitung des Bildwinkels durch das Breitwandformat sowie die Verbesserungen der Kameratechnik ermöglichten den Filmschaffenden etwa

ter

aus

allem dem

Regisseur und dem Kameramann -, das Geschehen auf der Leinwand erheblich variabler zu gestalten, wodurch die Planung von Filmproduktionen mit den Überlegungen zur praktischen Umsetzung erneut komplizierter und komplexer wurden. Die Konstruktion leichtgewichtiger, kompakter (Hand)Kameras und Tonbandgeräte, die von einer einzigen Person getragen und bedient werden konnten, sowie die Erfindung spezieller Hilfsmittel, wie die vor

-

bereits erwähnte Steadicam, revolutionierten die

Dreharbeiten, da

man

mobiler und dadurch

98

Die Steadicam ist eine stabilisierende Weste, über welche der Kameramann das Gewicht der Kamera auf seiganzen Körper verteilt. Über einen Stützarm wird die Bewegung der Kamera gedämpft und eine allseitige, ruhige Bewegung ermöglicht. (Vgl. Kemner/ Eisert 2000, S. 122) nen

99

Doch nicht nur die Produktion von Medienangeboten änderte sich infolge der technologischen Entwicklungen im Laufe der Zeit. Auch die Produkte selbst und die Rezeption wurden maßgeblich durch technische Errungenschaften beeinflusst.

Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemfragen

Die AV-Produktion

93

-

konnte. So nähert sich die Kamera

„der Idealvorstellung eines frei beweglichen, vollkommen kontrollierbaren künstlichen Auges" (Monaco 2001, S. 98). flexibler

agieren

Filmproduktionen waren nun bedeutend einfacher und mitunter auch kostengünstiger zu realisieren, da einerseits für den Dreh spezieller Szenen keine Kamerastützen und Hilfsmaterialien wie Kräne, Kamerawagen, Gleise oder Plattformen mehr aufgebaut werden mussten und dadurch Zeit eingespart wurde, und andererseits die Anstellung von Crewmitgliedern, die für den Auf- und Abbau der Hilfsgeräte verantwortlich waren, entfiel (vgl. Beiton 1998, S. 444). Auch die Entstehung bestimmter stilistischer und inhaltlicher Bewegungen, wie jene des 'Cinema Verite' oder des 'Direct Cinema', können auf diese technischen Innovationen rückgeführt werden.

zu-

Elektronische Bildübertragung, Video und Digitalisierung Neben den soeben skizzierten

Entwicklungen

haben jedoch

vor

allem drei Technikneuerun-

gen die Ebene der audiovisuellen Produktion

maßgeblich beeinflusst: die elektronische Bildübertragung, die vor allem im Fernsehbereich angewandt wird, die Entwicklungen im Videobereich sowie die mit den Fortschritten in der Computertechnik einhergehende Digitalisierung.

Mit der

Möglichkeit, Bilder und Töne auf elektronische Weise aufzuzeichnen, zu übertragen und wiederzugeben begann Mitte der 1930er Jahre die eigentliche Entstehungsgeschichte des Fernsehens, die eine neue Form der Bild-Ton-Aufhahme mit sich brachte eine aus dem Radio entstandene Technologie, „die mit der Kodierung elektronischer Signale arbeitete" (Beiton 1998, S. 440). -

Diese technische Innovation schuf in

Folge nicht nur ein neues audiovisuelles Medium mit eigenen Produktionsmechanismen (Programmproduktion, elektronische Bildberichterstattung, Ausstrahlung von Live-Sendungen), sondern führte zudem zur Etablierung neuer Formate und Genres (Fernsehspiel, Serials, Shows, Soaps etc.) und zu einer Umstrukturierung des gesamten audiovisuellen Sektors. Es entstand im Laufe der Zeit eine eigene TV-Produktionsmaschinerie, die sich erheblich von jener der Kinofilmherstellung unterschied. Wenn auch die

Entwicklung der elektronischen Bild- und Tonübertragung ein neues Medium und eine neue Form der Medienproduktion schufen, so wirkte sich diese Technologie rückblickend jedoch vor allem auf ökonomische und medienpolitische Faktoren audiovisuellen Produzierens aus wobei auch die Einflüsse auf den Rezeptionsprozess und die damit einherge-

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

94

henden, sich verändernden Nutzungsgewohnheiten nicht außer Acht gelassen werden dürfen.

gegenüber konnte die Einführung der Videobandtechnik in den 1960er Jahren vor allem Veränderungen im tatsächlichen Produktionsprozess sowohl bei der Film- als auch bei der Fernsehherstellung verzeichnen. Dem

-

-

So vereinfachte etwa der Einsatz

Videotechnologie die Dreharbeiten entscheidend, da das Videoband im Gegensatz zum Film „sofort wieder abgespielt werden kann und nicht erst entwickelt werden muß" (Monaco 2001, S. 143). Aufgenommene Szenen konnten nun über Monitore noch am Drehort von Regisseur, Schauspieler, Techniker und Kameramann überprüft werden, wodurch sich die Zahl der Wiederholungen reduzierte. Auch die Nachbearbeitung des Rohmaterials gestaltete sich mit Hilfe des digitalen Videoschnittes einfacher und schneller als beim mechanischen Kleben eines Filmes: Die in den Computer überspielten Filmsequenzen konnten beliebig oft variiert und zusammen geschnitten werden, und auch das von

Archivieren und Wiederfinden vieler tausender Filmszenen wurde durch die elektronische Speicherung auf Platten so stark vereinfacht. (Vgl. ebda, S. 143f.) Damit sind bereits jene Innovationen genannt, welche in Folge die Bedingungen des audiovisuellen Produzierens in einem Maße beeinflussen und verändern sollten, die in etwa mit den

Auswirkungen der Tonfilmeinführung vergleichbar sind: die Entwicklung digitaler Technologien. Der Prozess der

Digitalisierung von Medien bedeutet auf technischer Ebene den Wandel von analogen in digitale Signale. Von der Planungsphase und Produktion über die Nachbearbeitung bis hin zur Verbreitung bieten digitale Techniken im gesamten Prozess der Film- und Fernsehherstellung neue Möglichkeiten. So helfen spezielle Soffwareprogramme bei der Konzipierung und Planung eines Produktionsvorhabens und erleichtern dadurch die Zusammenarbeit im Team, da eine gut funktionierende Koordination einen maßgeblichen Anteil an der erfolgreichen Abwicklung des sehr arbeitsteiligen Herstellungsprozesses audiovisueller Medien hat. Mittels spezieller Computerprogramme können heute auch schon im Vorfeld der Produktion 3D-Ansichten der späteren Drehorte erstellt werden, die es den Filmemachern ermöglichen, Kamerapositionierungen oder Adjustierungen verschiedener Objekte auszuprobieren

(vgl.

Ohanian/

mittel, wie

Phillips 2001, S. 46). Die Dreharbeiten selbst sind mithilfe digitaler Einsatzzum Beispiel computergesteuerter Kameras, virtueller Studios oder Animationen

Gesellschaftliche Hintergründe und

Die AV-Produktion

Mediensystemfragen

95

-

ganzer nicht real existierender Szenen, einfacher und

Auch für die

kostengünstiger

zu

realisieren.

Nachproduktion aufgenommener Medienprodukte eröffnen sich neue Möglich-

keiten: Vor allem im Hinblick auf den Bildschnitt und die

Bearbeitung

akustischer Aufnah-

bedeutet die

Digitaltechnik eine enorme Vereinfachung. Das Rohmaterial kann etwa direkt im Anschluss an den Dreh gesichtet und bearbeitet werden, Spezialeffekte entstehen in der Regel heute ausschließlich am Computer und der Transport des produzierten Bild- und Tonmaterials von einer Arbeitsstätte in die nächste geschieht digital über Netzwerke (vgl. ebda, S. 50). Das ebenfalls möglich gewordene zeitgleiche Bearbeiten des vorliegenden Matemen

rials

beschleunigt den Produktionsprozess zusätzlich, und die anschließende Archivierung von Film- und Fernsehprodukten in digitalen Datenbanken spart einerseits teures Filmband und trägt andererseits zur besseren Übersicht über vorhandenes Material bei. Durch die

technologischen Möglichkeiten der Digitalisierung eröffnen sich zudem neue inhaltliche und stilistische Wege, wie die Erstellung vollständig computeranimierter Filme oder die spezielle Sendungen begleitenden Web-Cam-Angebote zeigen. Auf Seiten der Distribution zeichnen sich durch die digitale Übertragung der audiovisuellen Medienprodukte ebenfalls Veränderungen ab: Die digital gespeicherten Produktionen können nun einerseits beliebig oft ohne größere Qualitätsverluste kopiert und an die Auswertungsstätten (Kino, Fernsehen, Videotheken etc.) gesandt werden (vgl. Westerkamp 2003, S. 82f.). Dies erspart die Erstellung teurer Auswertungskopien. Auf der anderen Seite ermöglicht die mit der Umwandlung von analoge in digitale Signale einhergehende Kompression des Medienangebotes die Ausstrahlung mehrerer Programme über einen Kanal entweder über Terrestrik, Satellit, Kabel oder mittlerweile auch Internet und mobile Empfangsgeräte -, löst dadurch das Problem der Kapazitätenengpässe (vgl. Knappe 2003, S. 37f.) und erlaubt eine effizientere Nutzung der Ressourcen. Digitale Technologien revolutionieren wie die skizzierten Beispiele zeigen den gesamten Prozess der audiovisuellen Medienproduktion, wodurch in den letzten Jahren (vorwiegend politisch und wirtschaftlich motivierte) Forderungen nach Neudefinitionen des Herstellungsverfahrens bzw. nach neuen Begriffsbestimmungen laut wurden (vgl. Ohanian/ Phillips 2001, S. 32). -

-

-

Dieser kurze

'00

geschichtliche Rückblick auf verschiedene technische Innovationen

im audiovi-

Dies ist darauf zurückzuführen, dass digitale Aufnahme- und Editierungssysteme wesentlich schneller und flexibler, jedoch genauso professionell und qualitativ als analoge arbeiten. Zusätzlich kann durch die neuen Produktionstechniken Personal eingespart werden. (Vgl. Heinrich 1999, S. 52; Karstens/ Schütte 1999, S. 474)

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

96

suellen Sektor lässt erkennen, dass sowohl die

Produktionsgestaltung

und

-organisation,

die

Produktzuführung an die Endverbraucher als auch die inhaltliche und stilistische Beschaffenheit der Medienangebote in erster Linie immer von den technischen Möglichkeiten abhängig sind; denn wie eingangs schon erwähnt wurde, sind audiovisuelle Medien an die Geräte gekoppelt, die sie erzeugen. Die Technik stellt somit die Ausgangsbasis einer jeden AV-Produktion dar. Art und Weise der

Ökonomische Aspekte der AV-Produktion

3.3.2

Bedeutung gewinnende wirtschaftliche Kalkül im Zuge der Produktion von Medienangeboten hat sowohl im Fernsehen als auch im Kino dazu geführt, dass sich heute alles 'rechnen' muss. Zuschauerzahlen, Einschaltquoten, Werbeerträge, Kostenreduktion alles Faktoren, die im AV-Produktionsprozess zu berücksichtigen sind. Somit werden die Beschaffenheit der audiovisuellen Medienprodukte sowie der Stil und Typ der Produktion vor allem von der „Jagd nach ökonomischem Erfolg" (Berg/ Hickethier 1994, S. 90) bestimmt. Das zunehmend

an

-

Finanzierung und wirtschaftliche Absicherung eines Produktionsprojekts spielt vor allem auch deshalb eine bedeutende Rolle innerhalb des Produktionsprozesses, da die Herstellung audiovisueller Werke kostspieliger wird sowohl im Kino als auch im Fernsehen und sich die Aufbringung der Produktionsmittel daher immer schwieriger und langwieriger gestaltet. Eine abgesicherte Finanzierung und wenn möglich ein möglichst großer wirtschaftlicher Erfolg des späteren Werkes ist das Ziel einer jeden AV-Produktion. Die

-

-

Aspekte audiovisueller Medien zumindest im Hinblick auf deren Produktionsprozess wirft in Folge die Frage nach dem Grad der speziell für Massenmedien wünschenswerten Gemeinwohlorientierung solcher nach ökonomischen Prinzipien erstellten Gütern auf. Denn vor allem der Film, aber auch das Fernsehen gilt nach wie vor als Träger von gesellschaftlich relevanten bzw. aktuellen Trends, Ideologien und

Diese Konzentration auf die wirtschaftlichen

-

-

Werten. 3.3.2.1 Die

Finanzierung

Finanzierung

audiovisueller

Medienprodukte

stellt einen

wichtigen,

wenn

nicht den be-

deutendsten Faktor bei deren Produktion dar. Dies ist auf zwei Gründe zurückzuführen: 1. Ohne

Kapital ist keine Produktion möglich.

2. Die Art und Form der Form der Produktion.

Finanzierung hat Einfluss

auf den

Verlauf, den Inhalt und die

Die AV-Produktion

Gesellschaftliche

Hintergründe und Mediensystemfragen

97

-

Bei der Finanzierung audiovisueller Werke ist zwischen der Finanzierung von audiovisuellem

Programm und der Finanzierung von Einzelwerken zu unterscheiden. Die Kosten für die Produktion können jedoch ob nun Einzelwerk oder Programm ganz allgemein als „das Produkt aus der Menge an Produktionsfaktoren (Input) [bezeichnet werden], die zur Herstellung einer bestimmten Menge eines Gutes (Output) notwendig sind [zuzüglich des Preises für die gesamten Input-Faktoren]" (Küpper 1997, S. 966). So steht die Kalkulation der Produktions-

-

kosten im Hinblick auf die Erstellung eines audiovisuellen Werkes immer an erster Stelle.

Finanzierung von Einzelwerken Welche

Finanzierungsmöglichkeiten stehen nun Produzenten von audiovisuellen Einzelwerken prinzipiell zur Verfügung? Grundsätzlich gibt es bei der Kapitalbeschaffung für audiovisuelle Einzelproduktionen je nach Medium (Kino oder Fernsehen) unterschiedliche Alternativen. Filme, die etwa ausschließlich für die Ausstrahlung im Fernsehen produziert werden, werden zumeist

TV-Anstalten voll- oder

teilfinanziert, während Produzenten von Kinospielfilmen ihr finanzielles Kapital aus anderen Quellen schöpfen; dabei ist anzumerken, dass von

heute bereits sehr viele Fernsehanbieter in die des Wandels der audiovisuellen

Kinofilmproduktion investieren und es infolge Medienindustrie und der damit einhergehenden Bedeutungs-

und

Funktionsverschiebung der unterschiedlichen Medien vor allem von Kino und Fernsehen zu Interdependenzen zwischen der Film- und der Fernsehindustrie gekommen ist, speziell in finanzieller Hinsicht. So wäre die europäische Filmproduktion heute kaum mehr ohne die Gelder des Fernsehens überlebensfähig, während die Fernsehveranstalter ihrerseits auf attraktive Spielfilme angewiesen sind, um im harten Konkurrenzkampf mit anderen Anbietern die Gunst der Zuschauer für sich zu gewinnen (vgl. Schnötzinger 1994, S. 25f). -

-

Dieses

symbiotische Verhältnis von Film und Fernsehen führte schließlich in vielen europäischen Ländern zur Geburt so genannter Film-Fernsehabkommen, in denen die Abgaben der unterschiedlichen Medien zur Förderung der Filmproduktion geregelt werden.101 So verdoppelten die Fernsehsender in Deutschland nach der Novelle des Filmforderungsgesetzes vom 1. Januar 2004 etwa ihre freiwilligen Abgaben zur Unterstützung von Filmproduktionen auf 101

Im deutschen Abkommen zwischen der Filmförderungsanstalt (FFA) und den öffentlich-rechtlichen TV-Anbietern wird das vorrangige Ziel proklamiert, durch „Gemeinschaftsproduktionen und Projektförderungsmaßnahmen die Herstellung von Filmen zu ermöglichen, die den Voraussetzungen des Filmförderungsgesetzes (FFG) und der Rundfunkgesetze entsprechen und dadurch das Programmangebot sowohl der Filmtheater als auch des Fernsehens zu bereichem und damit die Filmwirtschaft insgesamt zu stärken" (Cleve 1996, S. 57).

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

98

jährlich 22 Millionen Euro (vgl. Brehme & v.Moehrs 2004). Tatsache ist, dass Filme im Kino- und Fernsehbereich gewöhnlich erst dann in die Produktion gehen, wenn ihre Finanzierung vollkommen gesichert und abgeschlossen ist (vgl. Cleve 1996, S.

16). Doch gerade die Kostendeckung gestaltet sich etwa infolge höherer technischer Stan-

dards, damit verbundener Preissteigerungen sowie durch wachsende Darsteller-Gagen nehmend

zu-

schwieriger.

Eine erste

Möglichkeit der Filmfinanzierung stellt die vollständige Kostendeckung durch Eigeninvestitionen des Herstellers dar, welche jedoch aufgrund der hohen Produktionskosten für Filmprojekte nur äußerst selten vorzufinden ist. Im Regelfall werden Filme durch Fremdmittel finanziert, die dem Produzenten in Form von Barbeträgen oder Dienstleistungen aus unterschiedlichen Finanzierungstöpfen gewährt werden. (Vgl. Kallas 1992, S. 59) Zu den

geläufigsten Finanzierungsarten aus fremder Hand zählen der Erhalt von Produktionskapital aus nationalen und internationalen Fördertöpfen auf welche später noch näher eingegangen wird und die Finanzierung durch oder mit Fernsehanstalten (vgl. ebda, S. 122). TVUnternehmen investieren in der Regel entweder über den Vorabkauf an Auffuhrungs- bzw. Distributionsrechten (z.B. pre-sales) in die Filmproduktion oder sie sind als Auftraggeber oder Koproduzenten selbst an der Produktion beteiligt. -

-

Neben diesen beiden

Finanzierungsformen bieten sich Filmproduzenten jedoch noch weitere Möglichkeiten Kapital für ihre Projekte zu erhalten. So etwa über den Verkauf von Verwertungsrechten für die spätere kommerzielle Nutzung (z.B. Vermarktungslizenzen zum Merchandising oder Verleihgarantien) (vgl. Röscheisen 1997, S. 95f.),102 über eigens für das Filmvorhaben angelegte Fonds von Investoren-Gruppen oder private Investitionen, über Kredite bei Banken oder über Product Placement (vgl. Eggers 1995; Gaintanides 2001, S. 82; Cleve 1996), um nur einige gängige Alternativen zu nennen und die Fülle an Finanzierungsmöglichkeiten vor Augen zu führen.103 Im Folgenden soll exemplarisch auf eine bestimmte Form der

Fremdmittelfinanzierung, jene

der

Unterstützung durch Fördergelder, eingegangen

Der Verkauf von Verwertungsrechten ist in der Regel zeitlich begrenzt. Für die übliche Nutzungsfolge eines Spielfilms hat sich heutzutage folgende Struktur eingebürgert: Die erste Stufe bildet die Ausstrahlung im Kino (1. 6. Monat), gefolgt von der Verwertung im Videoverleih (7. 18. Monat), der Distribution im Pay-TV (19. 24. Monat) und schließlich der Ausstrahlung im Free-TV (ab dem 25. Monat). (Vgl. Gaintanides 2001, S. 78) 103 Es wird hier davon abgesehen, genauer auf die einzelnen angeführten Finanzierungsmöglichkeiten einzugehen, da dies den Rahmen dieses Kapitels sprengen würde und eine detaillierte Beschreibung der unterschiedlichen Wege der Kapitalbeschaffung nur ein Aspekt, wenn auch ein wichtiger, im Kontext der Einflussfaktoren -

-

-

Gesellschaftliche Hintergründe und

Die AV-Produktion

Mediensystemfragen

99

-

werden, da heute im allgemeinen beinahe jede Filmproduktionen auch mittels Subventionen teilfinanziert wird. Die

Kostenexplosion

in der Produktion audiovisueller

Werke, die nicht selten im Millionen-

bereich anzusiedeln

ist, die Entstehung riesiger transnationaler Medienkonzerne und Produktionsunternehmen, welche das Überleben mittelständischer und kleinstrukturierter Produkti-

gefährden sowie die generelle Entwicklung am audiovisuellen Medienmarkt haben zur Entstehung unterschiedlicher nationaler sowie internationaler Förderungshilfen für Film und Fernsehen in Europa geführt, ohne die mittlerweile kaum ein Produktionsprojekt mehr fionsfirmen

nanzierbar wäre.

gibt es heute in fast allen europäischen Ländern spezifische Förderprogramme für die Entwicklung und Produktion audiovisueller Werke, welche jedoch aufgrund sehr unterschiedlicher politischer und institutioneller Funktionsweisen von Land zu Land variieren (vgl. Herold 2003). Kamen bis in den 1980er Jahren zumeist ausschließlich Filmproduktionen in den Genuss öffentlicher Unterstützung, so führte die Entwicklung des Fernsehens vor allem durch die Entstehung kommerzieller Sender zur Schaffung von Förderhilfen für den Fernsehsektor in Form von Zuschüssen für einzelne Fernsehproduktionen, Finanzierungen für Aus- und Weiterbildung von Personal und Unterstützungen für einen europaweiten Vertrieb. Die zur Verfügung stehenden Gelder fließen jedoch generell nach wie vor primär in den Bereich der Filmproduktion. So

Die meisten

Filmforderungen einzelner Länder sind national ausgerichtet; Bedingung zum Erhalt der Subventionen ist im Regelfall, dass der Film die Nationalität des Landes besitzt, von welchem es finanzielle Unterstützung erhält (vgl. Nikoltchev/ Cabrera 2001, S. 2).104 Dies ist aber bereits eine der wenigen Gemeinsamkeiten der unterschiedlich strukturierten, nationalen Subventionsprogramme in den jeweiligen europäischen Ländern. Überwiegt in Italien das Förderprinzip der Darlehensvergabe zu reduzierten oder garantierten Zinssätzen, so werden in Spanien in der Regel Förderzuschüsse vergeben, ist Deutschland sehr stark regional- und

und

Bedingungen für die Produktion audiovisueller (Einzel-)Werke ist.

104

Ausnahmen wären Ko-Produktionen, die mehrere Nationalitäten haben können. Hier können die am Werk beteiligten Produzenten sowohl bei den unterschiedlichen nationalen Förderprogrammen um Subventionen ansuchen (bei einem Produzenten-Dreigespann aus Italien, Frankreich und Deutschland kann somit in drei Ländern um Fördergelder angefragt werden) als auch bei nicht national gebundenen Fördertöpfen, die speziell zur Förderung von internationalen Ko-Produktionen ins Leben gerufen wurden (z.B. ,Eurimages'). (Vgl. Kallas 1992, S.

82f.)

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

100

spartenspezifisch förderativ strukturiert, überwiegt in Frankreich der Wunsch nach einer „Gesamtsubvention" (vgl. Herold 2003). Die unterschiedlichen nationalen Förderungsmaßnahmen

fur die Produktion audiovisueller Werke lassen also nicht auf eine

stimmige Subventionspolitik schließen, sondern geprägte Einflussfaktoren aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auf. international in sich

grenzüberschreitende, weisen meist national

Fördereinrichtungen zum Großteil durch öffentliche Mittel, aber auch durch Sonderabgaben auf die Auswertung von Filmen und audiovisuellen Werken, durch Beiträge von Fernsehsendern sowie durch Eigenmittel. Das symbiotische Verhältnis zwischen Film und Fernsehen wird hier erneut deutlich, da die Abgaben von Fernsehveranstaltern zur Förderung der audiovisuellen Produktion im Laufe der Jahre immer höher wurFinanziert werden diese nationalen

den, und der Anteil

an

den gesamten Förderinvestitionen je nach Land mittlerweile zwischen

30 und 70 Prozent beträgt (vgl.

ebda).

In den frühen 1990er Jahren wurden neben nationalen

Subventionsprogrammen auch immer mehr internationale Förderinitiativen ins Leben gerufen; wobei diese auf europäischer Ebene von zwei Institutionen ausgehen: von der Europäischen Union sowie vom Europarat. Das umfassendste

Förderprogramm

dürfte

jenes der Europäischen Union, das so genannte 'MEDIA-Programm',105 sein. Erklärtes Ziel des Programms ist die „Bildung [und Vorantreibung] von europäischen Netzwerkstrukturen in der audiovisuellen Industrie [...], um sich stärker vor allem vom US-amerikanischen Markt abzugrenzen" (Kauschke/ Klugius 2000, S. 35), also eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer audiovisueller Werke und eine Verbesserung der Stellung europäischer Produktionen bzw. Produktionsunternehmen auf dem weltweiten Medienmarkt. Dieses

Programm wurde

1991 mit dem

vierjährigen Projekt MEDIA I geschaffen, stellte insgesamt 450 Millionen DM zur Subventionierung von Filmproduktionen speziell im Hinblick auf deren Entwicklung, Vertrieb und Vermarktung106 sowie zur Schulung von Fachkräften zur Verfügung (vgl. ebda, S. 34f.) und wurde nach Ende der Laufzeit durch die Programme MEDIA II (von 1996 bis 2000 mit einem Etat von 400 Millionen Euro) und schließlich MEDIA PLUS (von 2001 bis 2005 mit einem Fördertopf von ebenfalls 400 Millionen Euro) 105

106

MEDIA

=

Measures to

Encourage the Development of Industry of Audiovisual Production Kooperation zwischen Filmverleihern und

Etwa durch Förderung der grenzüberschreitenden oder der Unterstützung internationaler Filmfestivals

Kinobetreibern

Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemfragen

Die AV-Produktion

101

-

abgelöst bzw. weitergeführt, wobei in den Folgeprogrammen die Zielsetzung noch deutlicher in ihrer Doppelfunktion benannt wird: Erstens soll sichergestellt werden, dass die europäische audiovisuelle Industrie in der Weltwirtschaft vertreten ist (ökonomisches Kalkül), und zweitens soll jedoch auch die kulturelle Vielfalt wirkungsvoll gefordert werden (kulturelles Kalkül) (vgl. Ohlig 2003, S. 15). Fördereinrichtung auf europäischer Ebene stellt das vom Europarat 1989 initiierte Fonds-Programm 'Eurimages' dar (vgl. Trappel 1994, S. 74), das durch Mitgliedsbeiträge der am Programm beteiligten gegenwärtig 30 Staaten finanziert wird, und dessen Ziele in der Anregung von Koproduktionen und der Förderung des Vertriebs europäischer AV-Produktionen liegen (vgl. Kauschke/ Klugius 2000, S. 36). Bei der Entscheidung über die Gewährung einer Förderhilfe ist sowohl die Qualität des Werkes zu berücksichtigen als auch sein Potential „die europäische Identität widerzuspiegeln und den Beitrag der verschiedenen nationalen Komponenten zu dieser zu fordern" (Ohlig 2003, S. 14). Die gewährten Fördergelder sind bedingt rückzahlbare Darlehen, deren Rückvergütung jedoch erst zu beanstanden ist, wenn alle Kosten der beteiligten Produzenten gedeckt sind. Eine zweite

europäische Förderprogramme mit ähnlichen Zielsetzungen sind unter anderem das Programm 'i2i-Audiovisual' der Europäischen Investitionsbank, welches Kredite und Darlehen zu Marktbedingungen bzw. Beteiligungen an Risikokapitalfonds für Fernseh- und Filmproduktionen sowie deren Vertrieb anbietet, um damit die internationale Konkurrenzfähigkeit zu fordern und neue Aktivitäten anzuregen (vgl. Reding 2003), sowie die von der Europäischen Kommission 2002 ins Leben gerufene Veranstaltung Cined(S>,vs. welche zwar keine Geldmittel für Produktionen zur Verfügung stellt, jedoch durch die europaweite zeitgleiche Koordinierung der Ausstrahlung europäischer Produktionen sowohl in Kinos als auch im Fernsehen das Ziel verfolgt, den Menschen in Europa die Vielfalt und Besonderheit der europäischen audiovisuellen Industrie nahe zu bringen (vgl. ebda). Weitere

-

-

ständig steigenden Produktionskosten können Filmprojekte demnach heute nicht mehr ausschließlich mittels Gelder aus einer einzigen Ressource finanziert werden; vielmehr setzt sich das Gesamtbudget einer AV-Produktion aus den Eigenertragsmitteln und den Beiträgen mehrerer Kapitalgeber zusammen; wobei die Filmforderung eine besondere Stellung

Infolge

der

inne hat.

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

102

Finanzierung von Programmen

Finanzierungsmöglichkeiten bieten sich nun den Produzenten audiovisueller Programme? Wozu werden die Gelder vorrangig verwendet? Welches Verhältnis steht zwischen den Einnahmen/Finanzierungsgeldern und dem gesendeten Programm? Welche

Die

Finanzierung der Programmproduktion, speziell des Fernsehprogramms, richtet sich nach der Beschaffenheit und Struktur der jeweiligen Programmanbieter (öffentlich-rechtlich oder privat) und kann grundsätzlich in staatliche und nicht-staatliche Finanzierung unterteilt werden (siehe Abb. 3). Abb. 3:

Finanzierungsformen von Rundfunkunternehmen Fernsehfinanzierung staatlich

nicht-staatlich I —

marktgebunden Entgelt finanzierung Einzelentgelte Abonnemententgelte Werbe finanzierung Spotwerbung UJ Sponsoring Bartering/ Rahmenprogramme

U-j_Teleshopping Informercials M

I—|

Product-Placement

Sonstige Einnahmen Cofinanzierungen/ Programmverwertung Licensing/ Merchandising

nicht- marktgebunden

Spenden Mitgliedsbeiträge Eigenmittel Aufkommen aus I

-

rund funkspezi fisc hen

rundfiinkfremden

Nutzergebühren medienspezifisch

Zuschlag zur Stromrechnung

einkommens-

Produktsteuer bei Geräteanschaffu ng

Quellen

Quellen

spezifisch

l—| geratespezifisch

Zuweisung aus allgemeinen Steuermitteln

anderen rundfunk-

spezifischen Quellen

Vermietung eigener Kapazitäten

Besteuerung privater Anbieter

Zinsen

Auktionserlöse aus Sende lizenzen

Beteiligungen

(Quelle: Seidel/ Sehwertzel 1998)

Öffentlich-rechtliche Fernsehanbieter finanzieren ihr Programm zu zwei Dritteln aus den gesetzlich vorgeschriebenen Nutzer- bzw. Rundfunkgebühren, deren zu entrichtende Höhe medien-, einkommens- und gerätespezifisch ermittelt wird (vgl. Seidel/ Sehwertzel 1998, S. 28), und die bereits bei Besitz eines Empfangsgerätes entrichtet werden muss unabhängig davon, ob die Programme öffentlicher Fernsehanstalten auch genutzt werden. Somit sind öffentlichrechtliche TV-Sender in ihrer Programmplanung weniger marktwirtschaftlichen als institutio-

Gesellschaftliche Hintergründe und

Die AV-Produktion

Mediensystemfragen

103

-

Bedingungen und Einflussfaktoren ausgesetzt, da das Fernsehangebot „außer Zuschauermehrheiten auch anderen zu gefallen hat" (Hallenberger 1998, S. 79). Hinzu kommen Erlöse aus Werbeeinnahmen, aus der Besteuerung privater Anbieter oder aus dem Verkauf

nellen

von

Sendelizenzen.

Neben diesen

rundfunkspezifischen Finanzierungsquellen steht staatlich finanzierten Sendern auch noch die Möglichkeit, offen Kapital aus rundfunkfremden Quellen zu ziehen, etwa aus Zuschlägen für die Stromrechnung oder Zuweisungen aus allgemeinen Steuermitteln. (Vgl. Seidel/ Schwertzel

1998, S. 28) Das den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten

zur

Verfü-

Gesamtbudget Kapazitätsplan aufgelistet107 und für unterschiedliche Aufwendungen reserviert. Der Großteil der Gelder fließt dabei in die Personalentgeltung und in die Finanzierung von Eigen-, Auftrags- und Koproduktionen (vgl. Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschgung stehende

land

wird schließlich in einem

2001, S. 202).

Privaten Fernsehanstalten bieten sich im

Gegensatz dazu erheblich mehr Möglichkeiten, ihr Programm zu finanzieren. Prinzipiell sind diese in zwei Kategorien einzuteilen: Auf der einen Seite fließen Gelder aus marktgebundenen Quellen, welche je nach Struktur und Zielsetzung der Sender unterschiedlich aussehen. So kann hier zwischen der Entgeltfinanzierung (Einzelentgelte oder Abonnementzahlungen), der Werbefinanzierung und sonstigen Einnahmen unterschieden werden. (Vgl. Seidel/ Schwertzel 1998, S. 28) Auf der anderen Seite schöpfen Sender auch

Geldtöpfen, die sich nicht direkt auf marktwirtschaftliche Faktoren beziehen; dies sind zum Beispiel Spenden, Mitgliedsbeiträge oder Eigenmittel (vgl. ebda). aus

Der Gesamtetat privater TV-Anbieter wird, wie auch jener der öffentlich-rechtlichen Fernseh-

anstalten, in eigenen Finanzierungsplänen aufgelistet und den jeweiligen Aufwendungsgebieten zugewiesen. Stellt hier der Personalaufwand ebenfalls den größten Aufwandsbereich dar, verwenden

privatwirtschaftlich finanzierte TV-Unternehmen jedoch einen sehr viel geringeren Anteil ihres Gesamtkapitals für die Finanzierung eigener audiovisueller Werke (also für Eigen-, Auftrags- und Koproduktionen); sie investieren vielmehr großteils in den Einkauf von attraktiven (vor allem amerikanischen) Filmen und Serien; dennoch ist auch bei privaten Rundfunkanbietern zunehmend der Trend in Richtung Eigenproduktion erkennbar, da damit beim Zuschauer größere Erfolge zu verbuchen sind. so

Siehe dazu Kapitel 3.2.2

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

104

Grundsätzlich kann

angeführt werden, dass die Kostenexplosion bei Spielfdmproduktionen (vor allem in den USA), die Etablierung des privaten Rundfunks und der damit erhöhte Konkurrenzkampf zwischen den Fernsehsendern sowie das Mehr an Medienangeboten und die Anhebung der Sendezeiten auf ein 24-Stunden-Programm als logische Konsequenz zu einer generellen Preissteigerung bei der Programmbeschaffung und einem allgemeinen Wachstum der Finanzierungskosten im Fernsehen geführt haben. Wirtschafteten etwa die öffentlichrechtlichen Anstalten in Deutschland 1985 noch mit einer Summe

2,8 Milliarden DM, so erhöhte sich der Finanzaufwand 1995 bereits auf 5,4 Milliarden DM (vgl. Hamm 1998, S. 36). Um rentabel und effizient haushalten zu können, mussten die Fernsehsender demzufolge von

Gesamtbudget aufstocken. Während die privaten TV-Anbieter mit der Erschließung neuer Einnahmequellen wie Product Placement, Sponsoring, Infomercials, Direct-Response-Televiihr

sion

(DRTV)108 etc. ihren Finanzhaushalt verbesserten, hatten die öffentlich-rechtlichen Sen-

der aufgrund der staatlich

auferlegten Funktions- und Aufgabenbestimmung wesentlich weniger Möglichkeiten abgesehen von der Grundgebührerhöhung ihre finanzielle Lage der allgemeinen Preissteigerung anzupassen. -

Welche Vor- und Nachteile

bergen die jeweiligen Finanzierungsformen nun die Programmproduktion und -gestaltung? Staatlich finanzierte Rundfunksender

wirtschaften, wie bereits erläutert,

im Hinblick auf

zum

Großteil Uber

die

gesetzlich vorgeschriebenen Rundfunkgebühren; somit richtet sich ihre Programmproduktion nicht vorrangig, wie dies bei nicht-staatlich finanzierten Unternehmen der Fall ist, an die Zahlungsbereitschaft und die Konsumentenpräferenzen der Nutzer. Öffentlich-rechtliche TV-Anbieter sind in erster Linie gemeinwohlorientiert, und diese relati-

Unabhängigkeit vom Werbemarkt Fernsehen, die durch die kontinuierlichen Einnahmen an Rundfunkgebühren gewährleistet ist, ermöglicht es ihnen ein breiteres Zuschauersegment und damit auch Minderheiten und Randgruppen mit Programminhalten zu bedienen als ihre privaten Konkurrenten was sich wiederum in der Programmplanung und Programmproduktion ve

-

ausdrückt. So kann die seit der

erfolgreichen Etablierung privater Fernsehsender oftmals diskutierte und umstrittene Existenzberechtigung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten in der jetzigen Organisations- und Finanzierungsform vorrangig mit deren Bedeutung für die Ver1

Mit Direct-Response-Television wird eine spezielle Form der Werbeeinblendung bezeichnet, in welcher zum sofortigen Kauf eines Produkts oder einer Leistung aufgefordert wird. Genaue Angaben zu Versand und Preis sowie eine für die Bestellung relevante Telefonnummer scheinen unmittelbar im Spot auf. (Vgl. Hermann 2002, S. 196)

Gesellschaftliche Hintergründe und

Die AV-Produktion

Mediensystemfragen

105

-

sorgung der Gesellschaft mit Information und kulturellen Normen und

werden

Ideologien begründet

(vgl. Friedrichsen/Never 1999, S. 123f.).

Werbe- und

entgeltfinanzierte Fernsehsender sind in erster Linie gewinnorientiert; während erstere zum Großteil durch Werbung finanziert werden und somit einerseits von der werbetreibenden Wirtschaft und andererseits vom konsumierenden Publikum abhängig sind Programminhalte demnach nur Mittel sind, um eine möglichst große Zuschaueraufmerksamkeit zu erlangen bzw. diese zu verkaufen -, steht bei Pay-TV-Anbietern die individuelle Zahlungsbereitschaft der Zuseher im Vordergrund; damit ist prinzipiell auch die Möglichkeit gegeben, mit ausdifferenzierten Programmangeboten kleinere Minderheiten entsprechend der individuellen Zahlungsbereitschaft anzusprechen. -

Die Art und Form der

Finanzierung hat also entscheidenden Einfluss darauf, welche Inhalte bei audiovisuellen Programmproduktionen hergestellt werden, wie sich der jeweilige Produktionsverlauf gestaltet und in welcher Form die erstellten Produkte dem Publikum schlussendlich präsentiert werden. 3.3.2.2 AV-Medien zwischen öffentlichen Aufgaben und wirtschaftlichen Zielvorstellungen Gemeinwohl- oder Gewinnorientierung? -

Der Mediensektor ist heute mehr denn je

Einschaltquoten, Marktstellung und Marktakteure. Galten die

und

aus

einem ökonomischen Blickwinkel zu betrachten:

Gewinnerträge

steuern das Handeln der

Medienmacher

Medien, und hier vor allem die audiovisuellen Medien Film und

Fernsehen, seit ihrer Entstehung vorrangig als öffentliche Kulturgüter,109 deren Zielsetzung darin bestand, den Zuschauer mit gesellschaftlich relevanten Unterhaltungs- bzw. Informati-

onsangeboten zu versorgen, so wandelte sich im Laufe der Zeit ihre Funktion und ihr Stellenwert

in der Gesellschaft. Mit der Einführung des dualen

Rundfunksystems in den

1980er Jah-

ren, dem

stetigen Wachstum an Medienangeboten, der Zunahme an Medienanbietern und dem daraus folgenden Konkurrenzkampf um Zuschauer und Werbeträger wurde die audiovisuelle Medienindustrie tief greifend umstrukturiert und immer stärker in Richtung großindustrielle Produktion mit ökonomischem Kalkül gedrängt. 1 Kulturgut meint in diesem speziellen Sinne und in Abgrenzung zu jenem breiter gefassten Kulturbegriff, der der Arbeit zugrunde liegt eine Ausrichtung der Medien auf öffentliche Interessen. Der Kulturbegriff wird demnach auf das Funktionsfeld der AV-Medien im Spannungsverhältnis zwischen ihrer öffentlichen Aufgaben und ihrer wirtschaftlichen Zielvorstellungen, also zwischen ihrer Funktion als Kultur- und als Wirtschaftsgut, einge-

-

grenzt.

106

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

Häufung transnationaler Medienkonzerne und Kooperationen zwischen unterschiedlichen Produktionsfirmen sowie die Expansion der audiovisuellen Mediensysteme verdeutlichen diesen Trend,110 denn Medienunternehmen sind heute primär kommerziell organisiert und bedieDie

nen

sich eines weitreichend

man

zumindest kostendeckend wirtschaften und

organisierten Kommunikationsnetzes und -kanals, um ihre Produktionen zu vertreiben (vgl. Steininger 2002, S. 14). Marktstrategien und auch gezieltes Medienmarketing im Sinne einer effektiven Selbstvermarktung stehen an der Tagesordnung, will So

Markt überleben.

Entwicklungen am audiovisuellen Medienmarkt ein Funktionswandel des Rundfunks vom Kulturgut mit Wirtschaftsfaktor zum Wirtschaftsgut mit Kulturfaktor, welcher auch auf gesellschaftliche Entwicklungen, wie etwa jene der Kommerzialisierung, zurückzuführen ist. Kommerzialisierung von Medien bedeutet demnach „die Verstärkung ökonomischer Einflüsse [...] auf die Strukturen und Funktionen von Mediensystemen und deren Konsequenzen für die Medienproduktion, die Medienmitarbeiter, die Prozesse der Medienkommunikation und deren Rezipienten sowie allgemein in kultureller, wirtschaftlicher, politischer und sozialer Hinsicht" (Saxer 1998, S. 10). vollzog

sich

am

parallel

Die audiovisuelle

zu

den

Medienindustrie, allen voran der Film- und Fernsehmarkt, steht ganz beson-

ders in diesem

Spannungsverhältnis zwischen Kulturauftrag bzw. öffentliche Gemeinwohlorientierung auf der einen Seite und Gewinnmaximierung auf der anderen Seite. Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens hebt etwa einerseits dessen Rolle als Erbringer und Vermittler von kulturellen Leistungen hervor, wodurch sein wirtschaftlicher Charakter in den Hintergrund gedrängt wird; andererseits agieren die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auf dem selben Markt wie die privaten Konkurrenzsender und sind aufgrund der wachsenden Beliebtheit privater AV-Angebote und den damit einhergehenden sinkenden Zuschauerzahlen im eigenen Programm dazu gezwungen, ökonomisch motivierte Maßnahmen zu treffen, will man seine Existenzberechtigung als 'Rundfunk für alle' nicht Der

verlieren; denn mit Publika-Anteile um 10 Prozent kann keine Rede mehr von der Erbringung der gesetzlich

110

vorgeschriebenen Grundversorgung sein. Dies äußert sich unter anderem in der

Zu nennen sind in diesem Zusammenhang etwa das von Rupert Murdoch geschaffene Medienimperium, welches sowohl 20th Century Fox als auch Sky TV beinhaltet, der Aufkauf von Columbia durch den Großkonzern Sony oder der Zusammenschluss von Time und Warner. Ein wesentliches Merkmal vieler solcher Medienriesen ist, dass sie nicht mehr bei der bloßen Produktion audiovisueller Güter Halt machen, sondern in der Lage sind sowohl die Herstellung als auch den Vertrieb und die multimediale Auswertung der Medienangebote selbst zu verwalten. (Vgl. Kallas 1992, S. 35ff).

107

Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemfragen

Die AV-Produktion -

Angleichung des Programms, und so kommt es in Folge bleibt man beim Thema AV-Produktion zur Herstellung so genannter massenwirksamer, uniformer Medienprodukte ähnlichen Inhalts und gleichen Stils (Stichwort: inhaltliche Konvergenz). immer stärkeren

-

-

Es lassen sich nicht

Programmveränderungen beobachten, die auf eine Angleichung öffentlich-rechtlicher Fernsehanstalten an Angebote privater Sender hinweisen, sondern in bestimmten Bereichen wie etwa bei Nachrichtensendungen adaptieren private TV-Unternehmen auch Elemente öffentlich-rechtlicher Programme (vgl. Hallenberger 1998, S. 85). Der aus wirtschaftlichen Bedingungen resultierende Zwang, ein möglichst großes Publikum anzusprechen, zu unterhalten und ihre Bedürfnisse zu befriedigen, hat somit zwangsläufig zur Produktion audiovisueller Massenwaren mit „universal appeal" (Thiermeyer 1994, S. 44; Bruns/ Marcinowski 1996, S. 476) geführt, welcher sich vor allem in Form einer stärkeren Unterhaltungsorientierung der einzelnen Programme und einer Fülle an Format-Ankäufen sowie Adaptionen bei den unterschiedlichen TV-Sendern manifestierte.111 nur

-

Die bereits im

-

vorigen Kapitel angesprochenen

programme für audiovisuelle

nationalen wie auch internationalen Förder-

Produktionen, aber auch die Medienpolitik versuchen dieser

sich vermehrt nach ökonomischen

Gesichtspunkten entwickelnden Produktionsindustrie und der Relativierung des kulturellen Auftrags entgegenzuwirken, indem erstere speziell Subventionen für kulturell bedeutsame Produktionen ausschütten112 und letztere Richtlinien und Regulierungsmaßnahmen im Hinblick auf die Wahrung und Entfaltung der kulturellen Vielfalt sowie der Hervorhebung des (nationalen wie europäischen) kulturellen Erbes im audiovisuellen Mediensektor setzt. Doch verlieren audiovisuelle Medien mit dieser

Ökonomisierung trotz allem nicht ihren kul-

turellen Wert und ihre daraus resultierende Verantwortung, da sie die

Gesellschaft, wenn auch mitunter selektiv, inszenativ und auf Gewinn ausgerichtet, mit den Trends, Informationen,

Ideologien '11

und Ideen

unserer

Kultur versorgen und konfrontieren

(vgl.

Newcomb/ Hirsch

Hier stand jedoch nicht nur der Erwerb von Programminhalten und -ideen, sondern auch die Übernahme von Konzepten des Programmmarketing, z.B. in Form einer optimalen Programmpräsentation oder einer Strategie zur bestmöglichen Verkäuflichkeit der Werbeflächen in den Sendungen, im Vordergrund (vgl. Hallenberger 1998, S. 86). 112 Es besteht jedoch auch bei Produktionssubventionen immer ein gewisses Ausbalancieren zwischen kulturellem Anliegen und wirtschaftlichen Zielsetzungen. So sind Förderungen einerseits etwa darauf ausgerichtet künstlerische Experimente zu ermöglichen und damit kulturellen Aspekten den Vorrang zu geben; andererseits muss jedoch auch die Marktrealität im Auge behalten werden, indem etwa die finanzielle Verlässlichkeit eines Projekts oder die Erfahrung eines Produzenten bzw. Autors Berücksichtigung findet, um das Verkaufspotential des Werkes zu erhöhen. (Vgl. Herold 2003)

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

108

1986, S. 183). Sie lassen

uns

bensweisen treten, sie können deren beeinflussen und die

in Kontakt mit fremden Menschen, deren unser

Denken und

unsere

Ideologien

und Le-

Vorstellungen von uns selbst und an-

Entwicklung sozialer Werte prägen.

Die

Allgegenwärtigkeit der Medien und ihre umfassende Nutzung durch die Rezipienten machen sie zu einer bedeutenden Sinnagentur und Orientierungshilfe im Alltag der Menschen. Für unsere Gesellschaft stellen (audiovisuelle) Medien aufgrund ihrer Breitenwirksamkeit demnach einen unverzichtbaren Bestandteil der eigenen nationalen Kultur dar (vgl. Böhme 1994, S. 18). Audiovisuelle Medien sind jedoch nicht nur durch ihre Vermittlung von Informationen über die Welt eine prägende Instanz in unserer Gesellschaft, sondern ihre Funktionen und ihre Verantwortung liegen vor allem auch darin, dass sie durch die Selektion von Bildern und Fakten und den Gebrauch unterschiedlicher Begriffe etwa aus den Bereichen der PoSicht auf die Welt

bestimmen; also nicht nur was wir sehen, dern auch wie wir sie sehen (vgl. Reding 2003). litik, Wirtschaft etc.

unsere

son-

Audiovisuelle Werke sind somit beides: einerseits

Wirtschaftsgüter, „die in bedeutendem Umfang zur Schaffung von Wohlstand und Beschäftigungsmöglichkeiten beitragen können" (Ohlig 2003, S. 7), und andererseits stellen sie jedoch auch Kulturgüter dar, „die das gemeinsame Erbe der [...] [jeweiligen] Gesellschaften widerspiegeln und deren Entwicklung mitgestalten" (ebda). Kondylis (1991, S. 249) geht sogar soweit, gerade das Zusammenspiel dieser beiden Bedeutungs- und Funktionsebenen Wirtschaft hier und Kultur da als Voraussetzung für eine weitreichende Demokratisierung medialer Kulturgüter zu bezeichnen. Denn wie auch Konsumartikel sind sie nun jederzeit zugänglich, wodurch die Hierarchie dieser Güter und somit auch die Hierarchisierung ihrer Konsumenten gelockert oder teilweise sogar völlig beseitigt wird. Auf den Produktionsprozess bezogen ist AV-Produktion demnach beides, sowohl Kulturproduktion als auch ökonomisch bestimmte Produktion. -

3.3.3

-

Politik und Gesellschaft als Einflussfaktoren der AV-Produktion

Mediensysteme sind nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch und gesellschaftlich bestimmte Systeme, denn Medien bilden gesellschaftliche Prozesse nicht ab, sondern selektieren, konstruieren und interpretieren sie. Im Laufe der Zeit und infolge technologischer Entwicklungen sind sie zu „gigantischen Raum-, Zeit- und Sozial-Grenzen überspringenden 'Bühnen' [geworden], auf denen kulturelle Sinnbestände und Informationen (re-)präsentiert, verarbeitet und verbreitet werden" (Willems 2000, S. 221). Die

Allgegenwärtigkeit der Medien in unserer heutigen Gesellschaft und die große Reichwie-

Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemfragen

Die AV-Produktion

109

-

te

vor

allem bei Massenmedien wie dem Film oder dem Fernsehen -

-

nen

Seite ein

geben ihnen auf der ei-

gewisses Machtpotential, auf der anderen Seite müssen von den Medien selekti-

Anreize gesetzt werden, „die sich an den sozialen Wirklichkeiten orientieren" (Steininger 2002, S. 16), um (längerfristig) überhaupt ein Publikum zu erreichen. Es besteht somit ein ve

Medien, welches sich in nicht unerheblichem Ausmaß auf die mediale Produktion auswirkt; hinzu kommen vom Staat auferlegte rechtliche Restriktionen, Gesetze und Richtlinien. Die Produktion audiovisueller Medien allen voran jene von Fernsehprodukten steht demnach in einem Beziehungsnetzwerk aus (Landes)Politik, regulierender Institutionen (wie den Landesmedienanstalten) und dem Zuschauer (vgl. Jungbeck 1999, S. 54).

Abhängigkeitsverhältnis

zwischen Zuschauer und

-

-

3.3.3.1 Rechtliche und politische duktion

Medien,

Grundlagen

und Richtlinien für die AV-Pro-

allem audiovisuelle Massenmedien wie das

Fernsehen, wurden aufgrund ihrer Reichweite über nationale Grenzen hinweg, ihrer Bedeutung für die Wirtschaft, ihrer Verständlichkeit, ihrer Überzeugungskraft und ihrer stetig wachsenden Beliebtheit im Laufe der Zeit immer mehr zu einem Politikum, zu einem Mittel der nationalen sowie internationalen vor

Politik. Schon im Ersten und dann auch im Zweiten

Weltkrieg entdeckte man den Film als hervorragendes Propagandainstrument, und nach dem Krieg wurden der Film und später das Fernsehen auf politischer Ebene hauptsächlich zum Kennen lernen und Verständigen der Völker und Staaten eingesetzt (vgl. Thiermeyer 1994, S. 60f). Heute kann vor allem die wirtschaftliche Bedeutung audiovisueller Medien als Hauptgrund dafür genannt werden, dass seitens der Politik so großes Interesse an einer Mitbestimmung an den Inhalten, der Präsentationsweise sowie der Organisation dieser Kulturgüter besteht, obgleich sie von der Idee her staatsfern organisiert sind „und demnach weder den jeweils Regierenden noch auch vorrangig den politischen Parteien ausgeliefert sein sollte[n]" (Karstens/ Schütte 1999, S. 15). Die audiovisuelle Medienindustrie beliefert eine Reihe

von

Märkten

wie etwa den Konsu-

menten-, den Werbe- oder den

Weiterverwertungsmarkt mit kommunikativen Inhalten, und vor allem der Rundfunk ist aufgrund der gesellschaftlichen Bedeutsamkeit seiner Angebote starken, politischen Regulierungen unterworfen, die in Staatsverträgen rechtlich fixiert sind (vgl. Bleicher 2002, S. 127).113 Im Laufe der Zeit wurden gemäß der wirtschaftlichen, techni-

113

Die Stärke und das Potential audiovisueller Medien wurde von Politik und Regierung schon sehr bald erso änderten etwa die Nationalsozialisten in Deutschland 1934 das Reichslichtspielgesetz und führten eine

kannt;

110

sehen und

Einfuhrung in die Audiovisuelle Kommunikation

gesellschaftlichen Entwicklung des Rundfunks und der Medienproduktion, erst auf

nationaler und schließlich auch auf internationaler Ebene, unterschiedliche Rechtsrahmen geschaffen, die heute sowohl die Produktion audiovisueller Werke als auch ihren Vertrieb und ihre Vermarktung regeln.

politische Kontrolle geschieht vor allem auf zwei Wegen: Zugangsbeschränkungen durch Lizenz- bzw. Frequenzzuteilungen oder technische Auflagen und inhaltlichen Vorlagen (z.B. der Programmauftrag bei öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten) oder Vorschreibungen (z.B. Werbezeitbeschränkung, Jugendschutzbestimmungen etc.). (Vgl. Mc Gonagle 2001, S. 5; Friedrich 1997, S. 13) Per Gesetz wird auf der einen Seite durch die Regulierung der Frequenzzuteilung Monopolkontrolle bei den Anbietern betrieben, auf der anderen Seite bestimmen die rechtlich festgelegten Organisationsformen sowohl die Art der Finanzierung und Abhängigkeit von der Zuseheraufmerksamkeit (vgl. Bleicher 2002, S. 127 und 131) als auch bis zu einem gewissen Grad die inhaltliche Orientierung der Medienanbieter. Der Staat legt somit den gesetzlichen Handlungsspielraum für die Gestaltung, Produktion, Beschaffung und Verbreitung von audiovisuellen Medien fest. Begründet wird diese staatliche Intervention mit der so genannten 'Sondersituation des Rundfunks', die sich unter anderem aus folgenden AspekNationale

ten zusammensetzt:

der

Frequenzknappheit,114

des hohen finanziellen Aufwands der Pro-

grammveranstaltung, der besonderen Breitenwirksamkeit und Aktualität sowie der Bedeutung des Rundfunks für die Meinungsbildung (vgl. von Hartlieb 2002, S. 55). In den meisten Ländern

Europas wurde mit der Deregulierung der Rundfiinkmärkte in den 1980er Jahren ein duales System mit öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern etabliert.115 Beide Unternehmensformen sind durch gesetzliche Restriktionen bestimmt, doch dies in unterschiedlichem Ausmaß. Das rechtliche Grundgerüst für öffentlich-rechtliche wie auch für private Rundfunkveranstalter bilden (in Deutschland) die Mediengesetze der Länder sowie die Grundsätze des Rundfunkstaatsvertrags (RStV). Beide sind demnach zur „freien individuellen Vorzensur, eine Überprüfung aller Spielfilm-Drehbücher, hinsichtlich ihrer inhaltlichen Orientierung ein (vgl. Kasten 1994, S. 144). 114 Durch die technologische Entwicklung und das Aufkommen neuer digitaler Verbreitungstechnologien wird das Argument der Frequenzknappheit heute zunehmend in Frage gestellt und kann nicht länger als Grund für die Regulierung der Rundfunkmedien angeführt werden. Die Sorge um den demokratischen Charakter der Massenmedien wird nun nicht mehr der Mangel an Frequenzen sein, sondern vielmehr der Zugang zu Medienangeboten, „der durch Gateways, Bottlenecks, Smart Cards und ähnliche Merkmale des Digitalzeitalters bestimmt wird" (Mc Gonagle 2001, S. 5). 115 Österreich hat dem gegenüber erst im Jahr 2001 den Rechtsrahmen für die Einführung von Privatfernsehen geschaffen. Art

Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemfragen

Die AV-Produktion

111

-

und öffentlichen

Meinungsbildung verpflichtet" (Bauder 2002, S. 12) und müssen zudem den Anforderungen des nationalen und internationalen Wettbewerbs entsprechen (vgl. ebda). Während jedoch öffentlich-rechtliche Rundfunkanbieter gemeinnützige Anstalten öffentlichen Rechts sind und demzufolge der Rechtsaufsicht des Staates unterliegen wenn auch mit dem Recht auf Selbstverwaltung (vgl. Seidel 1993, S. 16) -, werden die privaten Unternehmen in erster Linie von den wirtschaftlichen Bedingungen des (werbetreibenden) Marktes gelenkt, obwohl auch sie innerhalb eines bestimmten gesetzlichen Rahmens agieren müssen; etwa im Bezug auf Jugendschutzbestimmungen, Werbezeitregelungen oder Quotenerbringung an Eigen-, Auftrags- und Koproduktionen. -

Die

politische Rundftinkaufsicht geschieht jedoch vorrangig auf der Veranstaltungs- und nicht auf der Produktions- oder Verwertungsebene. Dies ist einerseits auf die gesetzlich verankerte Rundfunkfreiheit, vor allem die Staatsfreiheit des Rundfunks, zurückzuführen (vgl. von Hartlieb 2002, S. 54), die ein Eingreifen in die redaktionelle Inhaltsproduktion verbietet,116 und andererseits kann die Orientierung der Gesetzgebung an einer längst überholten Rundfunkrealität: dem Zusammenfall von Veranstaltung und Produktion, dafür ein Grund sein (vgl. Hoffmann-Riem 1999, S. 33). Es lassen sich

einige Regelungen ausmachen, die im weiteren Sinne auch Einfluss auf die Produktion audiovisueller Werke verzeichnen (können), vorrangig sind diese jedoch ebenfalls auf die Ebene der Veranstaltung bezogen. Dazu zählen unter anderem die Konzentrationsregelungen im Rundfunkstaatsvertrag, welche verhindern sollen, dass ein Unternehmen eine vorherrschende Meinungsmacht an einem medienrelevanten Markt, wozu auch der Produktionsmarkt zählt, erlangt, oder die Quotenregelung an europäischen Werken sowie an Eigen-, Auftrags- und Koproduktionen (vgl. ebda, S. 34f.). Über kurz oder lang wird jedoch eine stärkere regulative Einflussnahme auf den tatsächlichen Produktionsprozess unumgänglich sein, will die Politik weiter eine bestimmende Größe im Rundfunksystem spielen, da der Druck über die Frequenzvergabe im Zuge der digitalen Kompression und der damit einhergehenden Problemlösung des Mangels an Verbreitungswegen nicht mehr aufrecht erhalten werzwar

den kann.

Doch nicht

nur

auf nationaler Ebene wirken

duktion ein, auch international, etwa in

116

selbst ist noch keine Rundfunkveranstaltung Regularien des Medienrechts" (Mirow 1999, S. 50).

„Programmproduktion

direkt den

Gesetzgebung und Politik auf die MedienproForm europäischer Medienverordnungen, werden unter

unterliegt

damit zumindest nicht

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

112

Richtlinien für die Produktion audiovisueller Medien erlassen wie etwa die EU-Fernsehricht-

Europarat initiierte Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen, die heute zunehmend auch die Grundlage für die einzelstaatlichen Bestimmungen im Telekommunikationssektor bilden. Welche Regelwerke gibt es? Welche Beweggründe stehen hinter diesen grenzüberschreitenden Restriktionen und welche Ziele werden mit den unterschiedlichen Auflagen verfolgt? linie oder das

Die

vom

allem durch

technologische und wirtschaftliche Entwicklungen forcierten globalen Aktivitäten und Interdependenzen in der audiovisuellen Medienindustrie, speziell im Produktionsbereich, haben zu einer marktbestimmenden Vormachtstellung amerikanischer Medienprodukte und -programme am europäischen Medienmarkt geführt. vor

Infolge dieser Überschwemmung des europäischen Film- und Fernsehmarktes durch ausländische Produktionen sowie durch die immer schnellere Entwicklung neuer Rundfunk- und Distributionstechniken mit der Möglichkeit grenzüberschreitenden Empfangs von Fernsehsendungen zu Beginn der 1980er Jahre"7 und dem Aufkommen neuer Trägermedien (z.B. Video) entstand der Bedarf nach einer „einheitlichen, europäischen audiovisuellen Politik sowohl im Kinobereich als auch in Bezug auf audiovisuelle Werke" (Ohlig 2003, S. 5), um das eigene nationale Filmgut einerseits vor ausländischen Produktionen zu schützen bzw. zu protegieren und andererseits die innereuropäische und nationale Struktur und Organisation im AV-Sektor zu standardisieren und hinsichtlich einer effektiven Produktionswirtschaft zu regulieren. Privatisierung und Liberalisierung standen dabei im Vordergrund der Bemühungen (vgl. van Eijk 2003, S. 2). „Im Ergebnis sollte ein starker und wettbewerbsfähiger Sektor europäischer Produktionen entstehen, der ein wirksames Gegengewicht zur US-Industrie darstellen und der Schaffung und Erhaltung europäischen Kulturerbes dienen sollte" (ebda, S. 5f.), es soll jedoch gleichzeitig davon Abstand genommen werden, die Regulierung von Medieninhalten der jeweiligen nationalen Staaten einander anzugleichen und identische Gestaltungsvorlagen zu schaffen. Eine der

grundlegendsten europäischen Verordnungen im geschriebene und 1997 modifizierte EU-Fernsehrichtlinie

117

Rundfunkbereich ist die 1989 fest'Fernsehen ohne Grenzen' des Ra-

Vor allem mit Einzug der Satellitentechnik wurden neue Dimensionen der grenzausschreitenden Programmerschlossen. Konnten Mittelwellen- und UKW-Sender ihre audiovisuellen Medienangebote zwar auch über Grenzen hinweg in Nachbarstaaten ausstrahlen, so ist es heute über moderne Satelliten möglich, „mit einer Rundfunksendung allein in Europa etwa 400 Millionen Menschen zu erreichen" (Dörr 2000, S. 65f).

ausstrahlung

Die AV-Produktion

Gesellschaftliche

Hintergründe und Mediensystemfragen

113

-

Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten. Diese setzt den Mindeststandard, also die Rahmenbedingungen an einzelstaatlicher Regulierung am Fernsehsektor fest, der gewährleisten soll, dass die Freiheit im Sendungs-, Empfangs- und Weiterverbreitungsbereich von Fernseh-Dienstleistungen im Binnenmarkt gesichert ist (vgl. Reding 2003); sie wurde mittlerweile von den EU-Mitgliedsstaaten in die jeweiligen nationalen Rechte umgesetzt. Eine Forderung dieser Fernsehrichtlinie ist etwa, dass mehr als die Hälfte des ausgestrahlten Programms europäischen Ursprungs sein muss (vgl. tes zur

Keidel 1999, S.

181).118

Weitere Standards sind

Werbezeitbegrenzungen, Maßnahmen zum Jugendschutz, zur Wahrung des Rechtes auf Gegendarstellung oder zur Übertragung von Großereignissen.119 Wichtig ist hierbei anzumerken, dass es sich bei diesen Rahmenrichtlinien nicht um einhaltbare Gesetzesregelungen handelt, sondern dass die Umsetzung dieser Empfehlungen dem nationalen Gesetzgeber überlassen bleibt.120 Der zweite

europaweit geltende Rechtrahmen im Fernsehsektor stellt das vom Europarat 1989 verfasste Übereinkommen Uber das grenzüberschreitende Fernsehen dar. Es entstand vor dem

Hintergrund der Satellitentechnik-Entwicklung und sollte unter anderem die sich dadurch eröffnenden neuen Möglichkeiten des kulturellen Ausdrucks und der internationalen Kommunikation regeln sowie dem unkontrollierten Wettbewerb entgegenwirken bzw. diesen eingrenzen. Demgemäß wurde auch in diesem Regelwerk eine Quotenregelung eingeführt, welche die europäischen und nationalen kulturellen Identitäten sowie den Pluralismus sichern soll. (Vgl. Ohlig 2003, S. 14) Übereinkommen über die Gemeinschaftsproduktion von Kinofilmen des Europarates (1992) und dem Vorschlag der FERA für eine Kinorichtlinie (2000) ebenfalls EU-Verordnungen erlassen, die in erster Linie wie auch die Fernsehregelwerke Im Kinobereich wurden mit dem

-

-

„Nach [Kapitel III] Art. 6 [der Richtlinie] sind europäische Werke alle Werke, an deren Herstellung überwiegend Autoren und Arbeitnehmer beteiligt waren, die in den Mitgliedstaaten der EG oder in einem Land, das Vertragspartei der Europakonvention ist, ansässig sind." (Dörr 2000, S. 74) 119 Die neue Regelung bezüglich der Ausstrahlung von Großereignissen besagt, dass die jeweiligen Staaten bestimmen können, ob ein Ereignis, wie etwa eine Weltmeisterschaft oder eine Prominentenhochzeit, von bedeutender gesellschaftlicher Tagweite ist, und demzufolge im frei empfangbaren Fernsehen und nicht ausschließlich im Pay-TV ausgestrahlten werden muss. (Vgl. Dörr 2000, S. 75) 120 Das Ringen der EU hinsichtlich Regulierung oder doch stärkere Liberalisierung zeigt sich an Verordnungen wie etwa der Werberichtlinie. Wird der maximale Werbeanteil an der Gesamtsendezeit auf täglich 15 Prozent begrenzt, so können spezielle Werbeformen wie Teleshopping oder Direct-Response-Television diese Beschränkung auf 20 Prozent anheben. (Vgl. Schnötzinger 1994, S. 30; Dörr 2000, S. 74)

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

114

Wahrung der gemeinsamen europäischen Identität auch im Hinblick auf deren wirtschaftliche Bedeutung zum Zweck haben (vgl. ebda, S. 15). Die Stärkung von europäischen Koproduktionen steht dabei im Vordergrund. Richtregeln aus diesen beiden Kino-Regelungen sind zum Beispiel die Erleichterung von Einreise, Aufenthalt und Gewährung von Arbeitserlaubnissen für an der Kinoproduktion Beteiligte (vgl. Kap. II, Art. 11 des Übereinkommens Kino), die TV-Ausstrahlungspflicht europäischer Kinoproduktionen während nutzungsreichen Sendezeiten oder die Einbindung europäischer Kinoproduktionen mit Originalton in Sprachkurse (vgl. Ohlig 2003, S. 18f.). den Schutz der kulturellen Vielfalt und die

maßgeblichen Zielsetzungen europäischer Rechtsvorschriften und Richtlinien im audiovisuellen Mediensektor können demnach in folgende drei Haupt-Handlungsbereiche zusammengefasst werden, die sich mitunter gegenseitig stützen (vgl. ebda, S. 27): Die

-

wirtschaftliche Partizipation und nationale sowie internationale

-

Kommunikationsfreiheit

Wettbewerbsfähigkeit

Wahrung, Verbreitung und Produktion von Kultur 3.3.3.2 Der Zuschauer als

abhängige Größe bei der AV-Produktion

Medienangebote immer an ein Publikum bzw. mehrere Publika richten, kommt diesen auch bei der AV-Produktion eine vorrangige Stellung im Kreis der einflussnehDa sich audiovisuelle

menden Akteure zu. Produziert wird, was beim Zuschauer Gefallen findet und Absatz erreicht

denn, wie schon erläutert, kann der wirtschaftliche Handlungsrahmen in der heutigen Me-

dienindustrie nicht mehr außen

gelassen werden. Auf lange Sicht bestimmen also die Zuseher, welche Filme, Fernsehformate und -programme produziert werden und wie sich die Produktion audiovisueller Werke entwickelt; dies gilt vor allem seit der mit der Einführung des dualen Rundfunks zunehmenden Nachfrage an Programmen. Es hat sich ein heftiger Konkurrenzkampf der Anbieter um die Aufmerksamkeit der potentiellen Medienrezipienten entwickelt, wodurch die audiovisuellen Angebote verstärkt auf die Interessen der Zuschauer zugeschnitten werden. vor

Medienproduzenten über die Vorlieben und Gewohnheiten ihrer Zielgruppe(n) informiert sein, wozu sowohl inhaltliche und formale Präferenzen als auch allgemeine Informationen zu Sehdauer und Nutzungszeiten (vor allem im Fernsehen) zählen. Welche Genres und Formate werden von welcher Alters- und Geschlechtsgruppe favorisiert? Wie müssen Spannungsbögen gestaltet sein, damit sie beim Publikum am besten ankommen? Welche Themen sind gegenwärtig aktuell und beliebt? Zu welcher Tageszeit und -stunde erreicht man die größtmögliche Zuschauerzahl und vor allem die höchste Aufmerksamkeitsbereitschaft? etc. So müssen die

Gesellschaftliche

Die AV-Produktion

Hintergründe und Mediensystemfragen

115

-

Medienproduzenten rekonstruieren demgemäß für ihren Handlungszweck relevante Urteile, Erwartungen, Bedürfhisse und Wunschvorstellungen des aktuellen oder virtuellen Publikums und setzen die Ergebnisse ihrer Publikumsbeobachtungen angemessen dramaturgisch um (vgl. Willems 2000, S. 214). Audiovisuelle

Die Zuschauer- und

Mediaforschung, leistet in diesem Kontext einen wichtigen Beitrag für die Entwicklung von Filmen, Programmen und Sendern.121 So investiert die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF), zu der neben ARD und ZDF auch RTL und die ProSiebenSat.l Media AG gehört, jährlich etwa 35 Millionen Mark in die Zuschauerforschung (vgl. Diegelmann 2002, S. 124). Dies verdeutlicht den enormen Stellenwert der Nutzungsforschung im Hinblick auf die Produktionsebene audiovisueller Medienangebote. Informationen zu demographischen Merkmalen, Veränderungen im Zuschauerverhalten und in Programm- bzw. Produktpräferenzen können durch kontinuierliche Beobachtung und Analysen ausgemacht und in der Produktion und Programmgestaltung berücksichtigt werden. Durch die

Forschung ermittelte Publikumstrends wie etwa die hybride Konsumtion von Programmen,122 die Individualisierung im Nutzungsverhalten123 oder das wachsende Bedürfnis nach Unterhaltung, das dazu führte, dass Medien heute vornehmlich als Mittel der Massenunterhaltung füngieren, hatten nachhaltige Auswirkungen auf die Produktion audiovisueller Medienangebote. So wurde zum Beispiel entdeckt, dass heimische Filme und Serien sich beim Publikum größerer Beliebtheit erfreuen als importierte Werke,124 wodurch Fernsehsender in den letzten Jahren wieder vermehrt daran gingen, selbst Medieninhalte herzustellen in Form von Eigen- als auch in Form von Auftrags- und Koproduktionen. -

Audiovisuelle Kommunikation rung des medialen Inhalts

angesprochen

werden

an

von

Seiten der Produzenten wird somit durch die Adressie-

ein bestimmtes Publikum bestimmt. Welche Art

soll, hängt auch

von

der

Ausrichtung

von

Publikum

und Funktion des Senders bzw.

121 Die Entwicklung dieser Forschungsdisziplin steht in einem engen Zusammenhang mit der werbetreibenden Industrie: Werbeunternehmen sind daran interessiert, dass ihre medialen Werbebotschaften eine möglichst große Menge an Menschen erreichen, und die Nutzungsforschung liefert die dafür notwendigen Anhaltspunkte (vgl. Hasebrink 2003, S. 104).

122

Unter hybridem Konsumverhalten versteht man die Tendenz der Zuschauer „zu unterschiedlichen Zeiten scheinbar gegensätzliche Sendungen" (Schröder 1997, S. 84) zu rezipieren; so sehen Zuseher etwa nach der Konsumtion einer historischen Dokumentation einen 'leichten' Unterhaltungsfilm, z.B. eine Liebeskomödie. 123

Rezeption spezieller Sparten-Produktionen wie Themenkanäle zu Western, Soaps, Dokumentationen (vgl. Schröder 1997, S. 84). 124 Vor allem im Hinblick auf die den europäischen Markt dominierenden amerikanische Produktionen lässt sich seit geraumer Zeit eine Sättigung des Publikums und eine Veränderung des Geschmacks feststellen (vgl. Kauschke/ Klugius 2000, S. 75). Z.B. die

etc.

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

116

Produzenten ab. Sehen gruppe an,

so

gebührenfinanzierte Fernsehanbieter den 'Staatsbürger'

adressieren werbefinanzierte TV-Sender ihre Produktionen

an

als ihre Ziel-

'Warenkäufer'

(vgl. Hallenberger 1998, S. 81). Gemeinsam ist zu

beiden, dass sie eine möglichst große Menge an Menschen anzusprechen und erreichen versuchen, wobei private Fernsehanbieter aufgrund ihrer zu einem Großteil auf

Werbung basierenden Finanzierungsart in erheblich stärkerem Maße von den Einschaltquoten und der Aufmerksamkeit des Zuschauers abhängig sind als ihre gemeinwohlorientierten, staatlich finanzierten, öffentlich-rechtlichen Konkurrenten; denn ohne Zuschauer keine Werbeumsätze und ohne Werbeeinnahmen keine 'Lebensgrundlage'. Somit

erlangen möglichst umfassende Publikumsbeobachtungen und Einschätzungen von Rezipienten-Wünschen und -Interessen im Zuge der Programmplanung und Produktionsvorhaben bei Free-TV-Sendern eine existentielle Bedeutung. Doch auch öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten müssen sich an ihrer Zielgruppe, dem 'Staatsbürger', orientieren. Aufgrund des gesetzlich vorgeschriebenen Grundversorgungsauftrages, der mit der Ausstrahlung eines Programms zur Aufklärung, Bildung oder Information verbunden ist, können staatlich finanzierte TV-Sender jedoch auch Minderheiten und Randgruppen mit für sie bedeutsame Medienangeboten bedienen; es bedarf demnach auch hier einer gezielten Zuschauerforschung, um die Bedürfnisse und Interessen der jeweiligen Zielgruppen zu kennen. Die Zuschauer bestimmen also, unabhängig von den politischen und wirtschaftlichen Bedingungen, denen Fernsehanbieter ausgesetzt sind, sowohl die Art der Produktionen (Spielfilme, Serien, Sport etc.) als auch deren Menge und Qualität (vgl. Friedrich 1997, S. 13) mit. Folge der Differenzierung und Expansion von Medienmärkten, Konkurrenzen und Publika müssen audiovisuelle Medienproduktionen heute gezielter auf diverse Zuschauergruppen und deren Erwartungen und Vorlieben bezogen hergestellt werden (vgl. Willems 2000, S. 221); es kommt zur Ausarbeitung so genannter „medialer Rezipienten-Designs" (vgl. Ayaß 1999, S. 5), zu einer verstärkten Individualisierung audiovisueller Medienprodukte. In

Ähnlich der Maßanfertigung von Kleidung nach den Wünschen des Kunden werden dabei Fil-

Programme, Sendungen etc. nach den zuvor erhobenen individuellen Präferenzen des anvisierten Zielpublikums produziert. Aufgrund der zunehmenden Orientierung an mitunter sehr speziellen Zusehersegmenten rückt man somit vor allem im Fernsehbereich von der Tradition ab, eine möglichst breite Masse erreichen zu wollen und verfolgt zunehmend eine auf spezielle inhaltliche wie formale Kriterien konzentrierte Marktpolitik. Es lassen sich sogar extreme me,

Gesellschaftliche Hintergründe und

Die AV-Produktion

Mediensystemfragen

117

-

Formen der Produktindividualisierung

vor -

dienprodukte wie etwa Schulungsfilme feststellen (vgl. Hermann 2002, S. 15).

allem im Bereich der produktiv verwendeten Mefür Außendienstmitarbeiter eines Unternehmens

-

Die

Struktur, der Inhalt und auch die Anzahl der verfügbaren audiovisuellen Medienprodukte werden jedoch nicht nur von den Zusehern geprägt, sondern beeinflussen ihrerseits auch das Programm- und Nachfrageverhalten der Rezipienten (vgl. Bauder 2002, S. 43). Produzenten entwickeln -

oft auf Grundlage

von

Forschungsergebnissen zu gesellschaftlichen Trends und

Wandlungsprozessen neue Ideen und Formate, nehmen das Risiko der Produktion auf sich und bringen sie anschließend auf den Markt. Können die neu kreierten Konzepte beim Publikum Erfolge verbuchen, so werden sie dies zeigen Kassenschlager wie Quiz-, Castingshows oder Real-Life-Soaps in unterschiedlichen Variationen und Abarten weltweit produziert und -

-

-

vermarktet. Die audiovisuelle Produktion

ist,

kann zusammenfassend

festgehalten werden, vor allem im Hinblick auf die inhaltliche und formale Struktur des zu erstellenden Medienangebotes, an das Publikum gebunden, für das es produziert wird. 3.4

so

Aktuelle

Veränderungen in der AV-Produktion Wie bereits im Zuge der Erläuterungen zum Produktionsablauf und zu den spezifischen Einflussfaktoren deutlich wurde, hat sich die audiovisuelle Produkterzeugung im Laufe der Zeit erheblich verändert. Die Gründe dafür sind vielfältig, doch resultieren sie in der Regel aus technologischen Entwicklungen,125 welche den 'Motor' für anschließende gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Veränderungen bilden. Medienproduzenten werden

in jüngster Zeit durch die

Erhöhung der Speicherkapazität

in der

Mikroelektronik, durch Fortschritte in der Übertragungstechnologie und vor allem durch die Möglichkeit der digitalen Bild-, Ton- und Datenübertragung über universelle Netzwerke vor neue Aufgaben und strategische Veränderungen gestellt (vgl. Sjurts 2000, S. 31). Im Hinblick auf solche technischen

Veränderungsprozesse am Mediensektor hat in den letzten Jahren neben dem Begriff der Digitalisierung in zunehmendem Maße auch der Begriff der Konvergenz in der wissenschaftlichen Diskussion Einzug gehalten. Dieser bezeichnet in ersiehe

Kapitel 3.3.1

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

118

Verschmelzung bzw. das Zusammenwachsen der Bereiche Telekommunikation, Medien und Informationstechnik (vgl. Keidel 1999, S. 171), welcher sich vor allem auf die technische Ebene bezieht und als direkte Folgeerscheinung zur Digitalisierung angesehen ster

Linie die

werden kann.

Digitalisierte Inhalte verschmelzen zu Multimediawerken, da sie über den gleichen Verbreitungsweg übertragen und so von den Geräten entkoppelt werden; es kommt zur Standardisierung der

Übertragungsstandards. Die neue Multifunktionalität der Geräte und die damit ein-

hergehende (Funktions)vereinheitlichung Fernsehen am Computer, Internet-Surfen am TVBildschirm bringt produktionsrelevante Konsequenzen etwa in Gestalt neuer Dienstleistungsarten und einer Systematisierung der Inhaltsaufbereitung mit sich und führt dazu, dass die bislang klar gezogenen Grenzen zwischen den unterschiedlichen Medien- und Kommunikationsbereichen unscharf werden und ineinander übergehen (vgl. Hasebrink/ Mikos/ Prommer 2004, S. 9). -

-

So

agieren

nehmer zu

Fernsehsender heute auch im Internet, um vor allem jüngere Rundfunkteilerreichen. Wurden anfangs meist nur Informationen zu Radio- und Fernsehinhalten etwa

Projekte mit programmbegleitenden Zusatzangeboten,126 die dazu führten, dass eigene Online-Abteilungen mit Redakteuren, Producern, Webdesignern etc. entstanden, welche eng mit der Fernsehredaktion zusammenarbeiten (vgl. Schmidt 2001, S. 22f). publiziert,

so

entwickelten sich sehr bald

proklamierten Konvergenz der Medienangebote gesprochen werden kann, ist umstritten, da oftmals die crossmediale Vermarktung von verschiedenen Medienprodukten mit der Konvergenz von Angeboten verwechselt wird (vgl. Hasebrink/ Mikos/ Prommer 2004, S. 10).127 So lassen sich nur einige wenige Formate wie z.B. Inwieweit

gegenwärtig jedoch

Teleshopping-Sendungen128

von

vor -

der

allem im Fernsehbereich

finden, die diese Kombinations-

struktur tatsächlich aufweisen.

126 Die ARD bietet etwa multimediale Bildungsangebote wie etwa das mehrfach ausgezeichnet Kindernetz des SWR (www.kindernetz.de^ oder das Schulprojekt von ARD-aktuell (schule@,tagesschau.de) zur Förderung der Medienkompetenz an (vgl. Schmidt 2001, S. 18).

127

Die zusätzliche Auswertung einer Fernsehserie über eine Website und ein Computerspiel stellt etwa keine Angebots-Konvergenz, sondern eine über verschiedene Verbreitungskanäle praktizierte, crossmediale Strategie der Inhalteanbieter dar. „Von Konvergenz auf der Angebotsebene [...] im engeren Sinne wäre dagegen dann zu sprechen, wenn durch neue technische Möglichkeiten Fernsehangebote mit zusätzlichen interaktiven Elementen oder Textmedien mit zusätzlichen multimedialen Ergänzungen kombiniert werden [...]." (Hasebrink/ Mikos/ Prommer 2004, S. 10) 128 Verschmelzung von Fernsehsendung und Online-Shopping

Die AV-Produktion

Gesellschaftliche

Hintergründe und Mediensystemfragen

119

-

Auswirkungen hatten und haben nun die technologischen Fortschritte und Entwicklungen wie die Digitalisierung und die Konvergenz auf die Arbeit der Produzenten und den Produktionsprozess audiovisueller Medien? Obwohl die digitale Technologie und ihre Folgeentwicklungen den gesamten Ablauf der Produktkreierung und damit den praktischen Produktionsprozess revolutionierten,129 führten sie jedoch vor allem auch zu weitreichenden Umstrukturierungen auf der ökonomischen und politischen Ebene, welche den Handlungsrahmen einer jeden AV-Produktion bilden. In diesem Kontext können in den letzten Jahrzehnten drei entscheidende Entwicklungstrends ausgemacht werden, die sich zum Teil gegenseitig bedingWelche

ten

und beeinflussten: -

-

-

Deregulierung und Privatisierung, Kommerzialisierung sowie Globalisierung

Zuge der Einführung des dualen Rundfunksystems und infolge der geänderten technischen Rahmenbedingungen bei der audiovisuellen Medienproduktion durch die Verbreitung technischer Distributionskanäle wie Kabel- und Satellitenfernsehen sowie Home-Video, begann in den 1980er Jahren eine zunehmende Entstaatlichung, eine Deregulierung von „Entscheidungs-, Organisations- und Verfahrensstrukturen" (Kiefer 2001, S. 20) im AV-, speziell im Fernsehbereich; ordnungspolitische Regulierungssysteme wichen wettbewerblichen Strukturen, die nun stärker auf die jeweiligen Märkte ausgerichtet waren. Die Regierungen haben demnach heute weniger Einfluss auf die audiovisuelle Produktion; es herrscht die „Dominanz des freien Marktes" (Keidel 1999, S. 172). Im

Deregulierung der audiovisuellen Medienindustrie führte zwangsläufig zu einer Verlagerung der bislang staatlichen Aktivitäten in den Sektor der Privatwirtschaft; sprich: eine Privatisierung der Medien(produktions)unternehmen war die Folge. Dabei wurden entweder öffentliche Unternehmen an private veräußert, oder ein bislang dem öffentlichen Sektor zugeschriebener Bereich wurde auch für private Anbieter geöffnet, wie etwa mit der bereits angesprochenen Einführung des dualen Rundfunksystems (vgl. Kiefer 2001, S. 20). Diese

Kommerzialisierung, als zweiter bedeutender Entwicklungstrend, ist eng mit diesen Prozessen der Deregulierung und Privatisierung audiovisueller Medienproduktion verbunden, da „Kom-

Siehe Kapitel 3.3.1

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

120

[...] [nichts anderes als] ein Geschäftsinteressen wahrnehmendes, auf Gewinn bedachtes Handeln [...]" (ebda, S. 21) bedeutet und Medienunternehmen diese Gewinnausrichtung infolge der wachsenden Marktverbundenheit und -konkurrenz in den Vordergrund ihres Interesses stellen müssen. Neben das den Medien zugeschriebene kulturelle Leistungspotential und -ziel tritt demnach die ökonomische Komponente der Gewinnerwirtschaftung, welche in vielen Fällen dies ist vor allem bei privaten Medienunternehmen deutlich zu erkennen eine übergeordnete Bedeutung, auch im Hinblick auf die Produktion audiovisueller Werke, erhält (vgl. Schuster 1995). merzialität zunächst einmal

-

-

Der Terminus

Globalisierung bezeichnet

schließlich

Veränderungsphänomene

auf vielen

un-

etwa im Hinblick

auf Politik, Gesellschaft, Umwelt oder Wirtschaft wodurch eine exakte Begriffsbestimmung schwierig, wenn nicht sogar unmöglich er-

terschiedlichen Ebenen

-

-,

scheint. Zu denken ist hier

etwa an

den kontinuierlichen Ausbau des Massentourismus,

an

Live-Fernsehübertragungen, die überall auf dem Globus empfangen werden können, an das weltumspannende Internet, an unvorstellbare „Transaktionen an den Geld- und Devisenmärkten, an die Omnipräsenz von CocaCola und McDonalds in nahezu allen Staaten, wie überhaupt die enorme Bedeutung ins Riesenhafte gewachsener transnationaler Unternehmen [...]" (Borchardt 2001, S. 3). Allgemeine Kennzeichen der Globalisierungsprozesse sind demnach weltumfassende, internationale Dependenzen und wechselseitige Handlungsmechanismen in allen gesellschaftlichen Bereichen, die die Begrenzung von Raum und Zeit aufheben. Medien und

neue

Medientechnologien spielen

hierbei eine bedeutende Rolle. Sie stellen in

Regel die Basis dar; ihr Vorhandensein ist die Voraussetzung für solche globalen Entwicklungen. Da jedoch Medien nicht in einem luftleeren Raum existieren, die Produktion medialer Inhalte von zahlreichen Rahmenbedingungen beeinflusst wird, war der (audiovisuelle) Medienproduktionssektor ebenfalls von maßgeblichen Veränderungen betroffen, wobei die Maßnahmen zur Deregulierung des audiovisuellen Mediensektors und das Produzieren nach kommerziellen Gesichtspunkten dabei entscheidende Anstöße für eine Globalisierung der audiovisuellen Medienindustrie und -produktion gab. der

Aufgrund der wechselseitigen Dependenzen im Zustandekommen der unterschiedlichen Entwicklungstrends von Deregulierung und Privatisierung, Kommerzialisierung und Globalisierung können die Auswirkungen auf den Bereich der medialen Produktion nur sehr schwer einem einzigen Phänomen zugeschrieben werden. Sinnvoller erscheint deshalb eine Erläuterung der prägnantesten, durch die soeben skizzierten Entwicklungen hervorgerufenen, Veränderungen und Umstrukturierungen.

Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemfragen

Die AV-Produktion

121

-

Verspricht das Zeitalter der digitalen Medien grenzüberschreitende, globale Kommunikation, Meinungsvielfalt und offenen Wettbewerb, so droht die Infrastruktur der audiovisuellen Medien zunehmend unter die Kontrolle weniger großer Unternehmen zu geraten (vgl. Breithaupt/ Tillmann 2001, S. 63). Der Zuwachs an nationalen wie internationalen Konkurrenten, die damit verbundene Explosion von und Nachfrage nach Programmen130 sowie der durch gegenseitige Preisüberbietungen hervorgerufene exponentielle Anstieg von Produktionskosten131 führten auf Seiten der Produktionsunternehmen zu Konzentrationen und Verflechtungen sowohl im Hinblick auf Unternehmensfusionen bzw. -ankaufen als auch hinsichtlich Kooperationsaktivitäten bei bestimmten Produktionsprojekten (Ko-Produktionen). -

So schlössen sich in

Europa

seit

Beginn

der 1990er Jahre

bislang

klein oder mittelständisch

organisierte Produktionsunternehmen zu größeren Konzernen zusammen bzw. fusionierten mit einem bereits etablierten, erfolgreichen Medienunternehmen (vgl. Röscheisen 1997, S. 47; Hoffmann-Riem 1999, S. 25). Kostenvorteile,"32 Konkurrenz- sowie Verantwortungsminimierung und Know-how-Vervielfachung können als primäre Gründe für diese Zusammenschlüsse

betrachtet werden.

Es kann

grundsätzlich zwischen horizontalen, vertikalen

men am

Medienmarkt unterschieden werden. Horizontale Konzentration bezieht sich auf die

Marktanteile

und

diagonalen Konzentrationsfor-

Unternehmen innerhalb einer Produktions- bzw.

Wertschöpfungsstufe wie der Programmveranstaltung eines Fernsehsenders (vgl. Kops 2000, S. 2). Ein Monopol, wie es etwa der ORF in Österreich vor Einführung des Privatfernsehgesetzes im Jahre 2001 hatte, stellt hier den höchsten Konzentrationsgrad dar. Unter vertikaler Konzentration versteht man den Marktanteil von Unternehmen auf einander nachgelagerten, mehreren Handlungsstufen (vgl. KEK 2000, S. 42). So agieren Fernsehanstalten heute in zunehmendem Maße auch am Produktions- und Verwertungsmarkt, indem sie etwa in eigenen Produktionsfirmen Provon

etwa

gramme herstellen und diese anschließend weiterveräußern. Die dritte

Bündelungsform,

die

Die Zahl der deutschen Fernsehprogrammanbieter stieg etwa zwischen 1986 und 1998 von 22 auf 103 an. (Vgl. Kiefer 2004) Die Vervielfachung der TV-Unternehmen sowie die Ausdehnung der täglichen Sendezeit brachten einen erheblichen Bedarf, vor allem an fiktionalen Programmen (vgl. Röscheisen 1997, S. 13). 131 Kostete einem Fernsehsender ein amerikanischer Spielfilm mit 'durchschnittlicher Attraktivität' 1984 noch zwischen 120.000 und 130.000 DM, so stieg der Preis 1994 auf 700.000 DM; für einen erfolgreichen Hollywood-Spielfilm waren es mit mindestens 2,5 Millionen DM noch einmal erheblich mehr (vgl. Böckelmann 1995, S. 67). 132 Medienprodukte können in Allianzen wesentlich risikoärmer produziert werden, da die jeweiligen Unternehmen weniger Kapital investieren müssen und dadurch die Gefahr einer Firmenpleite bei einer negativen Auswertung verringert wird (vgl. Keidel 1999, S. 174).

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

122

diagonale Konzentration,

Cross-Owner-Ship

dann vor, wenn ein Unternehmen auf unterschiedlichen Medienmärkten tätig ist, „deren Produkte weder von der Produktions- noch von der Absatzseite miteinander verbunden sind" (KEK 2000, S.

42);

eine

wird auch als

Konzentrationsform, die

vorzufinden ist. Ein

vor

bezeichnet und

liegt

allem in den

Beispiel hierfür wäre Kinofilme und Computerspiele produziert.

USA, zunehmend aber auch in Europa ein Unternehmen, das sowohl Fernsehprogramme,

Im Fernsehsektor sind in diesem Kontext einerseits mehrheitliche

einzelner Unternehmen

an

mehreren TV-Anstalten und andererseits

Beteiligungsverhältnisse Sendergruppierungen ent-

standen, die im Einflussbereich eines Unternehmens bzw. einer Unternehmensgruppe stehen. So veranschaulicht eine nähere

Betrachtung

der

Eigentumsverhältnisse

am

deutschen Fern-

sehmarkt sehr deutlich, dass trotz einer im Laufe der Zeit kontinuierlich betriebenen und

um-

fangreichen Programmausweitung der deutsche TV-Markt hochgradig konzentriert ist und von zwei Veranstaltergruppen, die wiederum bedeutenden Medienkonzernen angehören, dominiert wird: der ehemaligen Kirch-Gruppe, die seit 2002 unter einem neuen Dach (ProSiebenSat.l Media AG) und neuen Eigentümern (Saban Holdinggesellschaft) agiert und der RTLGroup, die dem Bertelsmann-Konzern angehört (vgl. Kiefer 2004). Erschließung neuer Märkte im audiovisuellen Produktionssektor zeigt sich ebenfalls anhand der Beteiligungsverhältnisse im deutschen Privatfernsehen: Neben Silvio Berlusconi und Rupert Murdoch lassen sich die niederländische Thorn EMI-Group, der japanische Sony-Konzern, CAW oder Time Warner in der Eigentümerstruktur deutscher TV-Anstalten finden (vgl. Kiefer 2001, S. 24). Der Trend

zu

internationalen Aktivitäten und

zur

länderübergreifende Strategien und Beteiligungen bereits in der Vergangenheit Merkmale einiger Fernseh- und anderer Medienproduktionsunternehmen wie etwa der CLT in Luxemburg oder der Canal+ S.A. in Frankreich (vgl. KEK 2000, S. 233) zu erkennen, so setzten doch erst medientechnologische Entwicklungen und die nationale sowie europäische De-

Zwar

waren

Grundstein für den Aufbau

globaler transnationaler Medienkonzerne und -unternehmen. Medienkonzerne dieser Größenordnung agieren nicht nur in unterschiedlichen Mediensektoren, sondern sind laut Knoche (vgl. 1999, S. 93) zu Verbund-Unternehmen geworden, die auch in anderen marktwirtschaftlichen Bereichen etwa in Form von Freizeitparks, Reisebüros, Airlines oder Hotelketten operieren und sind dadurch zu entscheidenden Schlüsselakteuren in der Medienwirtschaft und -gesellschaft geworden. regulierungspolitik den

Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemfragen

Die AV-Produktion

123

-

Medien entstehen damit nicht mehr ausschließlich im

Aktivitätskomplex eines Medienunternehmens, „sondern [...] sind lediglich Teile von Mischkonzernen, die mit einem Engagement im Medienbereich bestrebt sind, durch eine solche branchenübergreifende Diversifizierung potentielle Wachstumsrisiken auszugleichen" (Jarren/ Meier 1999, S. 240); dadurch wird die Nationalität einer Produktionsfirma oder eines von ihr produzierten Werkes zunehmend obsolet. Generell können also die Mediensysteme der einzelnen Länder insbesondere durch die Entwicklung im Satellitenbereich, durch die Globalisierung sowie der weltweiten Konzentration der Medienwirtschaft kaum noch beschrieben

werden, ohne ihre internationale Einbettung zu berücksichtigen (vgl. Hasebrink/Herzog 2000, S. 111).

größten Anteil am globalen Medienmarkt und die einflussreichsten, transnationalen Medienkonzerne haben in erster Linie die USA und Japan, wobei die USA den Kinospielfilm auch in Europa beherrscht (vgl. Keidel 1999, S. 173ff). Diese internationale Konkurrenzschwäche europäischer Medienproduktionskonzerne resultiert nicht aus Finanzierungs- oder Produktionsmängeln, sondern ist maßgeblich auf langjährige Probleme im DistributionsbeDen

-

-

reich

zurückzuführen, die bis heute

nur

ansatzweise behoben werden konnten. Verließen

zu

Beginn der 1990er Jahre etwa nur 10 Prozent „aller in den verschiedenen europäischen Ländern hergestellten audiovisuellen Produktionen [...] ihr Ursprungsland" (Luyken 1990, S. 632), so sieht die Situation heute trotz Subventions- und Förderungsmaßnahmen133 nicht sehr viel besser aus (Ohlig 2003), da der europäische Markt aufgrund der großen Anzahl an Staaten mit jeweils eigenen Kulturen und Sprachen in hohem Maße fragmentiert ist. Das wachsende

Machtpotential weniger nationaler Medienakteure, aber vor allem das Eindringen globaler, vorwiegend amerikanischer Medienkonzerne am europäischen Markt führten auf politischer Ebene zur Diskussion um neue nationalstaatliche sowie international wirksame Regulierungsmaßnahmen, da man die mit der Deregulierung zu erzielen erhoffte Meinungs- und Medienvielfalt in Gefahr

auch gesellschafts- und

sah;134 dies hätte nicht nur volkswirtschaftliche, sondern

demokratiepolitische Defizite zur Folge.

So werden durch unternehmerische

Oligopolisierungen unter anderem

die

Möglichkeiten der publizistischen Qualitäts- und Innovationswettbewerbe sowie der kritischen Selbstregulierung Siehe Kapitel 3.3.2.1 134

Während die Marktanteile von Medienunternehmen vor der Deregulierung die Obergrenze von 15 bis 20 Pronicht überschreiten durften, werden heute 30, 40 und sogar 50 Prozent von den Behörden toleriert. Folglich teilen sich die großen Medienkonzerne den Markt stärker unter sich auf. (Vgl. Meier 2004) zent

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

124

eingeschränkt, die Kontrolle durch die Kräfte des Marktes nimmt ab und auch das Anfuhren von Gegenmeinungen wird systematisch ausgeblendet (vgl. Meier 2004). Für die

Regulierungsbehörden ergibt sich daraus nun folgendes Problem: Auf der einen Seite

Entstaatlichung der Medienindustrie den Zusammenschluss von Produktionsunternehmen zu fordern, um dadurch die notwendige Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Markt zu gewährleisten. Auf der anderen Seite sollen jedoch extreme und die kulturelle Meinungsvielfalt gefährdende Konzentrationen von Medienriesen verhindert werversucht

man

durch die

den.

(seitens der Europäischen Union) nur Richtlinien, aber keine zwingend einzuhaltenden Gesetzesvorlagen gibt, liegt die Sicherstellung von Meinungsvielfalt bei den jeweiligen Mitgliedstaaten selbst. Und obwohl der Schwerpunkt staatlicher Medienregulierung auf der Wettbewerbskontrolle liegt, ist es bislang nicht gelungen, die Konzentrationsentwicklung zu stoppen. Dies liegt einerseits an der wirtschaftlichen Argumentation der Kontrollorgane (internationale Wettbewerbssicherung), die aus unternehmerischer Sicht in der Regel auch sinnvoll erscheint, und kann andererseits auch damit begründet werden, dass ein längerfristig angelegtes Ordnungssystem durch die rasch wechselnden Konkurrenzen, Kooperationen und Fusionen und der damit einhergehenden Transparenzlosigkeit der unterschiedlichen Besitzverhältnisse und Finanzierungspraktiken am weltweiten Medienmarkt (vgl. Reimann 2002, S. 43f.) noch nicht realisierbar erscheint. Da

es

auf europäischer Ebene

Medienangebote haben diese wirtschaftlich motivierten Konzentrationsentwicklungen und vor allem die globalen Unternehmensverflechtungen auch entscheidende inhaltliche Konsequenzen zur Folge. Medienprodukte, vor allem fiktionalen Inhalts, die für ein internationales Publikum konzipiert und produziert werden, können sich bedeutend weniger intensiv an die Eigenheiten und Wünsche nationaler Zielgruppen orientieren, wollen sie grenzüberschreitend erfolgreich vermarktet werden (vgl. Kiefer 2001, S. 23). Da sich jedoch nationale Erzeugnisse, nicht zuletzt auch aufgrund ihrer speziellen landesimmanenten, kulturellen Eigenheiten, beim Publikum großer Beliebtheit erfreuen, müssen audiovisuelle Medienproduzenten für eine möglichst umfassende nationale sowie internationale Vermarktung die Balance zwischen nationalkultureller und kulturunspezifischer Im Hinblick auf die Produktion audiovisueller

bzw.

-übergreifender Themenaufarbeitung

chung

finden. So wird heute oft

von

einer Vereinheitli-

und einer zunehmenden Uniformität der Formate und Genres bei Film- und Fernsehdies ist nicht nur auf die Internationalisierung des Medienmarktes

produktionen gesprochen;

Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemfragen

Die AV-Produktion

125

-

zurückzuführen, sondern wird auch als Konsequenz der Kommerzialisierung angesehen. Die

Abhängigkeit der Medienproduzenten vom wirtschaftlichen Erfolg ihrer Programme bzw. Produkte, ihr Bestreben, das produzierte Programm an möglichst viele Sender bzw. Medienkonzerne zu verkaufen und die damit verbundene Abhängigkeit von der Aufmerksamkeit des Publikums, veranlasst Film- und Fernsehproduzenten, vorwiegend Formate nach den Wünschen und Bedürfnissen der Zielgruppe(n) herzustellen. Es entstehen Programme, die „nach bestimmten kommerziell erfolgversprechenden (relativ einheitlichen) Mustern" (HoffmannRiem 1999, S. 28f.) gestaltet sind. Die gegenwärtig vorfindbare große Anzahl an ähnlichen Sendungen, wie z.B. Doku Soaps, Casting-Shows, Real-Life-Formate etc., die sich am 'Zeitgeist' der Gesellschaft orientieren, bestätigen diesen Homogenisierungstrend. Dem

gegenüber muss jedoch festgehalten werden,

schiedlichen Fernsehanstalten, orientiert man sich

dass sich die

Programmstruktur der unter-

Beispiel Deutschlands, nach wie vor erheblich voneinander unterscheidet. Denn obwohl die Öffentlich-Rechtlichen ihr Programm, dem wandelnden Geschmack ihrer Zielgruppe Tribut zollend, mit mehr Unterhaltungselementen füllen mussten, zeigen Analysen zur Programmstruktur deutscher Fernsehsender135 klar, dass die angesprochene uniforme Vielzahl an Enter- und Infotainment-Gattungen großteils das Sendeprofil privater Fernsehanstalten prägen. am

Abschließend kann

prognostiziert werden, dass wir angesichts einer in Riesenschritten voranschreitenden Kommunikationstechnologie und darauf fußender ökonomischer, politischer und kultureller Entwicklungen heute vor einer grundlegenden Neustrukturierung im audiovisuellen

Produktions-, und letztlich auch im gesamten audiovisuellen Kommunikationsbereich stehen, die sich etwa bereits darin zeigt, dass heute zunehmend der „Ruf nach einer rechtlichen Neudefinition des Rundfunks laut wird, da der überholte Rahmen der heutigen Praxis nicht mehr gerecht wird" (Mc Gonagle 2001, S. 4). 3.S

Ein

Fallbeispiel: ARD versus RTL

Der Ablauf von audiovisuellen

Medienproduktionen ist so zeigte sich deutlich komplex und von zahlreichen Rahmenbedingungen bestimmt. Um das zum Teil sehr variantenreiche und unterschiedliche Ineinandergreifen dieser einflussnehmenden Kräfte auf den Prozess der audiovisuellen Produktion zu verdeutlichen, sollen im Folgenden die Grundlagen und Basen -

Siehe dazu

Krüger 2004, ALM 2003

-

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

126

der Programmplanung bzw.

den

-produktion anhand zweier Fallbeispiele, der bundesweit agierenVollprogramm-Fernsehsender ARD-Das Erste126 und RTL,127 konkret veranschaulicht

werden. Eine erste

produktionsrelevante Differenz zeigt sich in der gesetzlich festgeschriebene Unternehmensstruktur: Ist 'Das Erste,m mit seinem seit 1954 bestehenden nationalen Gemeinschaftsprogramm eine Anstalt öffentlichen Rechts mit dem staatlich fixierten Auftrag zur Grundversorgung der Bürger mit Information, Bildung und Unterhaltung, so strahlt das am 1. Jänner 1984 gegründete Unternehmen RTL sein Programm mit einer Sendelizenz für privaten Rundfunk aus. Dies hat zur

Folge, dass die beiden Unternehmen ihr Programm auf unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen produzieren und gestalten. So bilden der Rundfunkstaatsvertrag, die Staatsverträge der Länder und die Landesrundfimkgesetze die allgemeine Rechtsaufsicht für öffentlich-rechtliche Sendeanstalten wie die ARD, in denen die zu erfüllenden Aufgaben im Sinne der proklamierten Grundversorgung139 und die Organisationsform bzw. die Leitungsstruktur des Unternehmens140 festgelegt sind. Des Weiteren sind die Aktivitäten der ARD in einem eigenen 1991 verabschiedeten und 2000 zuletzt geänderten yfÄD-Staatsvertrag geregelt, der die Organisationsinstanzen bzw. deren Aufgaben, die inhaltlichen und formalen Einschränkungen sowie die Abstimmung mit dem Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) bestimmt (vgl. ARDStaats vertrag). RTL ist im

Gegensatz

zur

ARD nicht

nur an

die Restriktionen des

Rundfunkstaatsvertrages,

136

Damit ist das Erste Programm der „Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland" gemeint. 137 RTL Radio Tele" Luxembourg 138 Bis zum 30.9.1984 wurde das Programm unter dem Sender-Titel 'Deutsches Fernsehen', seit 1996 auch unter der Bezeichnung 'Das Erste' ausgestrahlt (vgl. Homepage Das Erste). 135 Drei Faktoren gewährleisten laut Bundesverfassungsgesetz die Grundversorgung öffentlich-rechtlicher Fernsehsender: Die Sicherstellung einer für alle empfangbaren Übertragungstechnik, eine thematische und inhaltliche Vielfalt des Programms sowie die gleichgewichtige Darstellung bestehender Meinungsrichtungen durch organisatorische und verfahrensrechtliche Maßnahmen. Auch zeitliche Einschränkungen von Werbeeinblendungen oder Grundsätze zum Jugendschutz sind im Rundfunkstaatsvertrag enthalten. (Vgl. von Hartlieb 2002, S. 57) =

140 Die Organe der ARD setzen sich aus dem Intendanten, dem Rundfunkrat und dem Verwaltungsrat zusammen, wobei der Intendant ebenfalls im Rundfunkrat sitzt. Der Intendant leitet das Unternehmen und trägt die Verantwortung für das produzierte bzw. ausgestrahlte Programm. Der Rundfunkrat setzt sich aus Vertretern des Staates, der Parteien, der Verbände und sonstiger gesellschaftlicher Gruppierungen zusammen und vertritt die Interessen der Allgemeinheit, indem er etwa auf die Einhaltung der gesetzlichen Programmgrundsätze achtet und die Personalpolitik innerhalb der ARD mitbestimmt. Der Verwaltungsrat ist schließlich für den wirtschaftlichen und technischen Bereich zuständig und überwacht die Geschäftsführung des Intendanten außerhalb der Programmgestaltung. (Vgl. von Hartlieb 2002, S. 58)

Die AV-Produktion

Gesellschaftliche

Hintergründe und Mediensystemfragen

127

-

speziell für private Veranstalter eingeführten Landesmediengesetze'41 gebunden, wobei jedoch die Regelungen des Rundfunkstaatsvertrages letzteren vorgestellt sind. Die Landesmediengesetze enthalten unter anderem Bestimmungen zu Werbezeiten und -inhalten, zum Sponsoring, zum Anteil an Eigen- bzw. Fremdproduktionen oder Vorschriften zur Achtung der Menschenwürde bei der Berichterstattung und der Erhaltung der Umwelt (vgl. sondern auch

von

an

die

Hartlieb 2002, S.

60).

Die rechtlich

divergierende Ausgangsposition von ARD und RTL wirkt sich auf die finanzielle Situation der Sender und damit auf das Kapitalfundament aus, welches die Grundlage für die

Programmbeschaffung bzw. -produktion bildet. Wirtschaftet die öffentlich-rechtliche ARD zum Großteil mit Rundfunkgebühren in gesetzlich festgeschriebener Höhe und verfugt nur bedingt auch aufgrund der gesetzlichen Einschränkungen im Hinblick auf zusätzliche Einnahmequellen über Gelder aus Werbeeinnahmen und dem Verkauf von Sendelizenzen, so finanziert sich RTL vorwiegend über Werbeerlöse unterschiedlicher Art (Spotwerbung, Sponsoring, Product Placement etc.). -

-

In Zahlen

beiden Fernsehanbieter

Die

ARD

Millionen Euro

und

ausgedrückt ergibt sich für die verfügte im Jahr 2002 über 5022,6

318,6 Millionen Euro

aus

aus

den Umsätzen des Werbefunks und

RTL im selben Zeitraum Werbeerlöse in der Höhe

folgende Finanzlage: den Rundfunkgebühren

Werbefernsehens,142 während

1180,5 Millionen Euro verzeichnen konnte (vgl. Media Perspektiven Basisdaten 2003, S. 10 und 18). Die hier offensichtlich aufscheinende, finanzielle Vorteilslage der ARD relativiert sich jedoch, wenn man bedenkt, dass mit diesen Geldern nicht nur ein Fernsehsender, sondern alle der ARD zugehörigen Fernseh-

(voll)-

von

und

Hörftinkprogramme sowie die zusammen mit dem ZDF oder ausländischen TVUnternehmen geführten Gemeinschaftssender (z.B. KI.KA, PHOENLX, Arte, 3Sai) finanziert werden müssen. So verfügt RTL für seine Programmgestaltung in Summe gesehen über mehr Finanzkapital als die ARD für die Produktion ihres ersten Programms. Nicht zuletzt auch

aufgrund der unterschiedlichen rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen verfolgen ARD und RTL voneinander stark abweichende Ziele, die sich in der Pro141

Die lizenzgebende und damit zuständige Landesmedienanstalt für den dersächsische Landesmedienanstalt (NLM).

Vollprogrammsender RTL

ist die Nie-

142 Neben den Rundfunkgebühren und Werbeeinnahmen verfügt die ARD noch über Erlöse aus anderen Bereichen (wie etwa Koproduktionen und -Finanzierungen oder Programmverwertungen), die etwa 15 Prozent der Gesamteinnahmen ausmachen (vgl. Arbeitsgemeinschaft der Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland 2001).

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

128

grammplanung und -gestaltung ausdrücken. So bietet Das Erste eigenen Angaben zufolge ein „umfassendes Fernsehprogramm für alle Zuschauer", das „[...] von regelmäßigen Nachrichten [...] und Sportsendungen [...] bis zur großen Samstagabendshow, von kritischen Magazinen bis zu unterhaltsamen Serien, von Kultursendungen am Sonntag über Fernsehfilme am Mittwoch bis zu Spielfilmen am Freitag, vom Familienprogramm bis zu kirchlichen und Musiksendungen" (Homepage Das Erste 2004) ein breites Genrespektrum abdeckt. Die Zielsetzungen des Senders richten sich somit nach dem gesetzlich vorgeschriebenen Grundversorgungsauftrag; die ARD verfolgt eine „demographische Gesamtmarktstrategie" (Karstens/ Schütte 1999, S. 108). Vergleicht man diese idealistische Zielsetzung mit der Programmstruktur des Ersten, so zeigt sich, dass auch der Funktionsauftrag erfüllt wird: Es werden sowohl umfangreiche und vielfältige Informationsangebote mit einem hohen Anteil an Politik- und gesellschaftlich relevanten Themen als auch unterhaltende fiktionale wie auch non-fiktionale Programme für unterschiedliche Alters- und Interessengruppen geboten (vgl. Krüger 2004, S. 206f.).143 Verglichen dazu begreift sich RTL vorrangig als innovativer Infotainmentsender mit einem Schwerpunkt auf Unterhaltung, der mit seinem Programm in erster Linie die werberelevante Zielgruppe der 14- bis 49-jährigen erreichen will (vgl. RTL Television o.J.). Das Unternehmensziel

RTL ist in erster Linie die

Gewinnerwirtschaftung, da die Existenz und das Fortbestehen des Unternehmens von den erzielten (Werbe)Einnahmen abhängen. Die Zusammensetzung des Programms und der Programmgenres hat demnach anderen Maßstäben zu folgen als bei der ARD; sie orientiert sich auch verstärkt an den Interessen des jungen Zielpublikums: Das Programmschema setzt sich aus Spielfilmen, TV-Movies, Comedy, Informations- und Boulevardmagazinen, Serien, verschiedenen Show-Formaten und Sport zusammen.

Die

von

144

Zielsetzung und Ausrichtung eines Fernsehunternehmens hängt auch

rakteristik des Fernsehmarktes ab. Wie viele Unternehmen sind

am

stark

von

der Cha-

Markt vertreten? Wie

teilen sich die Marktanteile? Wie viele unterschiedlichen Sender- und

ver-

Programmprofile gibt

143 Den größten Programmanteil im Ersten Deutschen Femsehen stellen Informationssendungen mit 43,1 Prozent, gefolgt von Fiktionangeboten mit 28,5 Prozent und Sportsendungen (8,6 Prozent) sowie nonfiktionale Unterhaltungsproduktionen (8,3 Prozent). Daneben kommen dem Kinderprogramm noch 6 Prozent und den diversen Musikangeboten 2 Prozent zu. Die restliche Zeit teilen sich Werbung und sonstige Programmteile (wie etwa Trailer, Teaser etc.). (Vgl. Krüger 2004, S. 195) 144

Programm von RTL setzt sich aus folgenden Programmteilen zusammen: 27 Prozent Fiction, 22,1 ProInformationsangebote, 19,8 Prozent Werbung, 19,1 Prozent nonfiktionale Unterhaltung, 2,8 Prozent Kinderprogramm, 2,3 Prozent Sport und 1,9 Prozent Musik. Die restlichen 5,1 Prozent entfallen auf sonstige Programmelemente wie Trailer, Füller etc. (Vgl. Krüger 2004, S. 195f.) Das

zent

129

Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemfragen

Die AV-Produktion -

es;

sprich: Welche Zielgruppen werden mit welchen Inhalten angesprochen?

Der deutsche Fernsehmarkt ist durch die

große Anzahl von mehr als 100 Sendern (einschließlich der Regional- und Lokalveranstalter) einer der umkämpftesten Fernsehmärkte weltweit. Die Ausrichtung und die Programmplanung eines Senders stehen somit auch in einem engen Angeboten, wodurch eine kontinuierliche Beobachtung der Konkurrenz unterlässlich wird (vgl. Schümchen 2002, S. 73). Denn wie schon Helmut Thoma, der ehemalige Geschäftsführer von RTL, bemerkte, „ist der Markt eine Basis für die gesamte Tätigkeit [eines Fernsehunternehmens]. Er ist auch ein Freiheitsmittel, aber auch mit Zwängen versehen und ähnlichem. Also den freien Markt gibt es in Wahrheit nicht" (Steininger 2002, S. 77).

Verhältnis

zu

den bereits bestehenden Fernsehunternehmen und deren

Konkurrenzkampf um die Aufmerksamkeit der Zuschauer und um attraktives Programmmaterial ausfechten, sowohl untereinander als auch mit den anderen Fernsehanbietern am Markt, agieren beide Unternehmen aufgrund ihrer divergierenden Zielsetzungen und Produktionsbindungen teilweise in unterschiedlichen Bereichen des TV-Marktes; sie verfolgen demnach auch unterschiedliche Strategien und haben unterschiedliche direkte Marktkonkurrenten. Denn nicht jedes Programm steht mit jedem anderen im Wettbewerb (vgl. Schümchen 2002, S. 73). Obwohl ARD und RTL einen harten

Programm, und vielfach auch in Kooperation mit dem ZDF, ihre Position am Markt vorrangig gegenüber den erfolgreichsten privatwirtschaftlich finanzierten Fernsehanstalten (RTL, Sat.l und ProSieberi) zu behaupten und damit ihre Legitimation als Grundversorger und die damit einhergehende Finanzierung auf Basis von Rundfunkgebühren zu gewährleisten, so richtet sich das Hauptaugenmerk von RTL in erster Linie auf jene Fernsehanstalten, die aufgrund ihrer ähnlichen Programmgestaltung und Zielgruppenausrichtung eng an das Senderprofil von RTL angelehnt sind. Versucht die ARD mit ihrem ersten

Die besondere Konstellation und Beschaffenheit des deutschen Fernsehmarktes in Form zahlreicher miteinander konkurrierender TV-Unternehmen hat nicht zungen und Profile der

nur

Einfluss auf die Zielset-

Sender, sondern prägt auch die Programmproduktion und -beschaf-

fung in nicht unerheblichem Ausmaß. Da viele kleine Anstalten ohne die Verbindung mit anderen Programmanbietern auf Dauer nicht überlebensfähig gewesen wären, kam es im Laufe der Zeit zur kooperierenden Zusammenarbeit unterschiedlicher Programmunternehmen und zur Ausbildung großer Sender-Familien.

130

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

So beherrschen heute drei

Unternehmensgruppen den deutschen Fernsehmarkt: Auf der einen Seite die miteinander kooperierenden, öffentlich-rechtlichen TV-Sender, wobei die Programme der ARD, allen voran 'Das Erste', die größten Marktanteile verzeichnen, und auf der anderen Seite die privatwirtschaftlich finanzierten Sender-Gruppen ProSiebenSat.l Media AG und RTL-Group; die RTL-Group mit RTL als quotenstärksten Programmanbieter und Marktführer.145 Der Betrieb einzelner Sender wird durch solche Familienstrukturen leichter und vor allem ökonomisch effizienter, „denn Programminhalte können einfacher und preiswerter realisiert oder gekauft werden" (Karstens 2002, S. 65). Innerhalb der Senderfamilien wird darauf geachtet, dass sich die jeweiligen Kanäle inhaltlich möglichst wenig überschneiden und möglichst wenig um Zuschauer konkurrieren, wobei jedoch trotz allem so viel inhaltliche Nähe vorhanden sein muss, dass Sendungen und Programme gegeneinander ausgetauscht werden können (vgl. ebda, S. 64). Wie wirkt sich die

Dachunternehmen-Strategie nun im Falle von Das Erste und RTL auf die Programmproduktion aus? Fakt ist zunächst, dass Programm teuer ist dies gilt sowohl für zuschauerattraktive Kaufproduktionen als auch für Erfolg versprechende eigenproduzierte Sendungen. Da sowohl ARD als auch RTL ein 24-Stunden-Programm ausstrahlen, benötigen beide Anstalten eine große Fülle an Sendungen, die unmöglich ausschließlich selbst bzw. in Auftrag oder in Kooperation produziert werden können. Der Anteil an Eigen- bzw. Fremdproduktionen an der täglichen Programmleistung beider Sender verdeutlicht dies: Im Jahr 2002 setzt sich das Fernsehprogramm von RTL zu etwas mehr als 60 Prozent aus Eigen-, Ko- aber vor allem aus Auftragsproduktionen zusammen, die überwiegend den Kategorien (unterhal-

tende) Information und Show zuzuordnen sind, während der Rest des Programms aus Werbung (18,6 Prozent) und fiktionalen Kaufproduktionen in Form von Serien, Spielfilmen und TV-Movies (20,3 Prozent) besteht (vgl. Media Perspektiven Basisdaten 2003, S. 19). Das Programm des Ersten Deutschen Fernsehen besteht zu 52,2 Prozent aus erstausgestrahlten Eigen-, Ko- und Auftragsproduktionen, zu 10,1 Prozent aus eingekauften Fremdprogrammen und zu einem großen Anteil von 37,7 Prozent aus Wiederholungen, die zwar sowohl Kaufproduktionen betreffen, sich jedoch vorwiegend aus sendereigenen Programmbeiträgen zusam-

145 Es muss hier jedoch angemerkt werden, dass sich der 'Familien-Charakter' zwischen den öffentlich-rechtlichen und den privatwirtschaftlich-finanzierten Sender-Gruppierungen maßgeblich unterscheidet. Besteht die Gruppierung bei den privaten Fernsehanstalten in erster Linie aus finanziellen Beteiligungs- und Anteilsverhältnissen von Unternehmen an den jeweiligen TV-Sendern, welche zur Kooperation untereinander und Bindung aneinander führen, so resultiert die Zusammenarbeit bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehanbietern aus ihren rechtlichen Handlungsgrundlagen, da Beteiligungsfinanzierung gesetzlich untersagt ist.

Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemffagen

Die AV-Produktion

131

-

mensetzen

(vgl. Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen desrepublik Deutschland 2003, S. 338f).

Rundfunkanstalten der Bun-

In Summe hat somit Das Erste mehr Eigenproduktionen als RTL

zu

verzeichnen, wobei dieser Anteil in den letzten Jahren bei beiden Sendern, vor allem jedoch bei RTL, zugenommen hat. Dies ist neben der stärkeren Zuschauer-Attraktivität heimischer Medienangebote nicht zuletzt auch auf die zunehmende Konzentration

am

Fernsehmarkt und auf die

Sender-Gruppen-Stra-

tegien zurückzufuhren. Produziert die ARD schon seit längerem TV-Filme, Serien und Shows selbst oder in Zusammenarbeit mit dem ZDF bzw. mit ausländischen Fernsehanstalten, so ist RTL durch die steigenden Erlöse aus Werbeeinnahmen und durch Produktionsgemeinschaften mit anderen der RTL-Group zugehörigen TV-Sendern vermehrt in der Lage, spezielle Programmanteile selbst bzw. zum Großteil über Aufträge herzustellen. In Deutschland ist RTL heute der

wichtigste Auftraggeber für Fernsehproduktionen; dies resultiert einerseits daraus, dass die RTL-Group an vielen Produktionsfirmen finanziell beteiligt ist und andererseits liegt der Grund auch darin, dass die öffentlich-rechtlichen Anstalten ihre Programme überwiegend selbst produzieren (vgl. Pätzold/ Röper 2003, S. 27). Die Folgen für die Zukunft sind nicht unerheblich: Eigenproduktionen haben den Vorteil, dass die Rechte zur Ausstrahlung und Verwertung in der Regel auf unbegrenzte Zeit beim Sender liegen es sei denn sie werden verkauft oder bei Auftrags- bzw. Ko-Produktionen vertraglich einer Partei für eine bestimmte Dauer zugesprochen. Im Laufe der Jahre entsteht somit ein umfangreiches zeitgeschichtliches Programmarchiv, wie es heute bereits die ARD vorzuweisen hat, und auf welches immer wieder zurückgegriffen werden kann. Dies ist speziell auch im Hinblick auf die Sender-Gruppierungen von Bedeutung, da es innerhalb eines Dachunternehmens möglich ist (und auch praktiziert wird), die Programme wahlweise in den jeweiligen Kanälen auszu-

tauschen und dort auszustrahlen. Das

Gemeinschaftsprogramm der ARD, Das Erste, stellt hier einen Spezialfall dar, da es sich vollständig aus Beiträgen der einzelnen ^IjRD-Landesrundftinkanstalten zusammensetzt, die von diesen gemeinsam oder vollständig allein hergestellt bzw. gekauft werden;146 alle unter dem Dach der ^/{D-Familie produzierten Medienangebote werden jedoch (im Ersten) als eigenproduziert ausgewiesen. Im Hinblick auf finanzielle Erlössteigerungen können ein großes Programmarchiv und der Verkauf von Programmen zuDie prozentuelle Verteilung der Beiträge der einzelnen Anstalten fur das /tÄD-Gemeinschaftsprogramm variiert und wird durch einen Femsehvertragsschlüssel festgesetzt (vgl. Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland 2001, S. 397).

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

132

sätzliche Einnahmen sichern. Diese

Verzahnung der einzelnen Sender und ihrer Aktivitäten verdeutlicht das auf enge Kooperation angelegte Konzept der ^ÄD-Gruppe sehr deutlich, welches sich erheblich von jenem der RTL-Group unterscheidet. Während die

Programme der v4ÄD-Sender aufgrund ihrer gleichen Zielgruppenausrichtung inhaltlich stark harmonieren und sich nur im Hinblick auf regionale Programmangebote voneinander unterscheiden, versucht die RTL-Group mit ihren TV-Anstalten verschiedene Publika wie bereits angeführt zu erreichen. Richtet sich RTL an die Zielgruppe der 14- bis 49jährigen, so versucht etwa RTL2 junge Menschen unter 29 Jahren und Super RTL vorrangig Kinder und Familien zu erreichen. Serien und Spielfdme werden innerhalb der RTL-GroupSender zwar wahlweise ausgetauscht bzw. ausgestrahlt, die Durchdringung mit und Austauschbarkeit von Sendematerial geht jedoch nicht in dem Maße in die Tiefe wie dies bei der -

-

ARD der Fall ist. RTL erweiterte

in den letzten Jahren seinen

Eigenbestand an Sendungsmaterial, doch stellt der Einkauf von attraktivem Programmangeboten durch die Schließung so genannter Output-Deals mit Hollywood-Studios (Warner Brothers, 20th Century Fox oder Touchstone) nach wie vor einen bedeutenden Faktor in der Programmplanung und -gestaltung dar. Im Hinblick auf den Erwerb von Fremdproduktionen kann RTL gegenüber der ARD vor allem aufgrund des größeren finanziellen Kapitalvermögens Vorteile verbuchen, welches ihnen ermöglicht, höhere Preise für aktuelle und massenattraktive Spielfilme und Serien zu zahlen. zwar

Schlussendlich darf der Einflussfaktor der Fernsehzuschauer auf die

Programmgestaltung Zielgruppe des Programms, für sie wird produziert. regelmäßigen Zeitabständen die Reichweiten ihrer Sendungen, die Nutzungsgewohnheiten, Programmpräferenzen und Zuschauerresonanzen (auch auf einzelne Sendungen), dessen Ergebnisse wiederum in die Programmproduktion einfließen. Eine optimale, sprich möglichst große Zuschauermengen ansprechende Platzierung von Erfolgssendungen wie etwa die im ARD ausgestrahlte Krimireihe 'Tatort' oder die im Nachmittagsprogramm von RTL zu findenden Gerichtsshows wird mithilfe erhobener Forschungsdaten eruiert. nicht vergessen werden, denn sie sind die Die meisten Fernsehanstalten erheben in

Trotz ihrer stark voneinander abweichenden

Programme finden sowohl

ARD als auch RTL

beim deutschen

Fernsehpublikum im Hinblick auf Marktanteile und ihre Beliebtheit ähnlichen Zuspruch. So führen beide Sender die Liste der Marktanteilsverteilung an RTL mit 14,9 Prozent und ARD Das Erste mit 14,1 Prozent (vgl. AGF/GfK Fernsehforschung 2004), und -

-

Gesellschaftliche Hintergründe und Mediensystemfragen

Die AV-Produktion

133

-

auch im Hinblick auf ihre Beliebtheit stehen beide Unternehmen mit jeweils 43 Prozent

an er-

(vgl. Media Perspektiven Basisdaten 2003, S. 71). Die unterschiedlichen Strategien und Ziele der beiden Sender scheinen demnach sehr effektiv in den jeweiligen Programmen, in der Programmproduktion, umgesetzt worden zu sein. ster

Stelle

3.6

Zusammenfassung

Audiovisuelle

jeden audiovisuellen Kommunikation, da in diesem Prozess das Medienmaterial hergestellt wird, welches der Zuschauer rezipiert, mit welchem er kommunikativ arbeitet. In der AV-Produktion liegen somit Ursprung und Rahmenstrukturen audiovisuell-kommunikativen Handelns begründet.

Medienproduktion

schafft die Basis einer

AV-Produktion ist jedoch nicht gleich AV-Produktion. Wie der Typus und die Beschaffenheit audiovisueller Medien(produkte), je nach Medium

(Kino, Fernsehen, Radio etc.), stark voneinander abweichen Einzelwerk auf der einen und Programm auf der anderen Seite -, so wiesen auch die Produktionsprozesse und Arbeitsschritte der unterschiedlichen AV-Werke divergierende Strukturen auf. Denn abgesehen davon, dass sich filmische Einzelproduktionen und Verfahren zur Programmerstellung des gleichen Phänomens, nämlich der bewegten Bilder, bedienen, gleichen sich die Verlaufs- und Verbreitungsprozesse relativ wenig. Allen Produktionszyklen im AV-Bereich ist jedoch gemein, dass sie komplex, mehrschichtig und stark arbeitsteilig strukturiert und organisiert sind, wodurch die Herstellung audiovisueller Werke eine kollektive Kunst darstellt, die Kommunikation, Visualisierung und Organisation in sich vereint (vgl. Ohanian/ Phillips 2001, S. 29). -

Da audiovisuelle Medien eine Schnittstelle zwischen den Bereichen

schaft und

Kultur, Politik, Wirt-

Spitzentechnologie bilden, kann die Herstellung audiovisueller Werke mitunter sehr unterschiedlichen Regeln folgen und ist zwangsläufig durch zahlreiche Produktionsbedingungen und Einflussfaktoren geprägt, welche den Produktionsprozess in unterschiedlichem Ausmaß beeinflussen. Neben verschiedenen Prägungsbereichen im Hinblick auf einzelne Produktionsprojekte, die sich vorrangig auf das spezifische Umfeld der Produktion beziehen (z.B. die Art der Produktion, das zu bedienende Medium, das vorhandene Budget, die verwendete Technik etc.), finden sich noch allgemein wirksame, breitere Einflussfaktoren, die zwar auch einzelne Produktionsprojekte prägen, doch generell den gesamten audiovisuellen Mediensektor betreffen. Zu diesen zählen sowohl technische, ökonomische, politische und gesellschaftskulturelle Aspekte, welche wiederum selbst mehr oder weniger stark aufeinander einwirken.

134

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

Die

Gestaltung und Organisation von AV-Produktionen, die Art und Weise der Produktzufüh-

rung

an

die Endverbraucher und auch die formale oder inhaltliche Beschaffenheit der Medien-

angebote wird in erster Linie von den technischen Möglichkeiten bestimmt, da die Erzeugung und Verbreitung audiovisueller Produkte an die Geräte gekoppelt sind, die sie erzeugen. Die technischen Voraussetzungen stellen somit die prinzipielle Voraussetzung zur Herstellung von Medienprodukten dar. Des Weiteren lassen die

Tatsachen, dass die Produktion von Film- und Fernsehangeboten mit

ist, dass eine abgesicherte Finanzierung und wenn möglich ein großer wirtschaftlicher Erfolg des späteren Werkes das um und auf einer jeden AV-Produktion ist, und dass die Medienindustrie heute zu einem der größten Wirtschaftszweige gehört, den Einfluss und die Abhängigkeit der AV-Produktion von ökonomischen Bedingungen erkennen. Die zunehmende Bedeutung wirtschaftlicher Aspekte, die Frage nach Geldgebern, Ausstrahlungserlösen und Gewinnmaximierungen, bestimmen dadurch einerseits sowohl den erheblichen Kosten verbunden

Prozess der Produkterstellung und -Verwertung und wirken sich andererseits auch auf die Be-

schaffenheit der

Rezeption aus. die

also das Produkt, und in Folge auch auf die Art und Weise der Audiovisuelle Medienproduktion und audiovisuelle Medien erfuhren so durch

Erzeugnisse,

Ökonomisierung des Mediensystems einen Wandel vom Kulturgut mit Wirtschaftsfaktor

hin zu einem

Wirtschaftsgut mit Kulturfaktor.

Die audiovisuelle

Medienproduktion wird jedoch nicht nur durch technische und ökonomische Rahmenbedingungen beeinflusst, sondern ist vor allem aufgrund der grenzüberschreitenden Reichweite von AV-Produkten, deren Bedeutung für die Wirtschaft, deren Verständlichkeit und Überzeugungskraft sowie deren stetig wachsende Beliebtheit beim Publikum zunehmend ins Interesse der nationalen und internationalen Politik gerückt. Die Folgen sind gesetzliche Reglementierungen und Ordnungssysteme (vor allem im Rundfunk) für die Erstellung, den Vertrieb und die Vermarktung von audiovisuellen Medienprodukten. Letztlich

spielt bei der Erzeugung von Medieninhalten der Einfluss des Publikums noch eine maßgebliche Rolle, da sie die Adressaten sind, für die produziert wird. Um einen erfolgreichen Film oder ein erfolgreiches Fernsehprogramm produzieren zu können, müssen sich die Produzenten demnach an den Erwartungen, Bedürfhissen und Wunschvorstellungen des Publikums

orientieren, die damit in

erster

Linie die inhaltliche und formale Struktur des

zu er-

stellenden Medienangebotes mitbestimmen. Somit ist die Produktion audiovisueller Produkte in ein

flussfaktoren und

Herstellungsbedingungen eingebunden,

großes

Feld unterschiedlicher Ein-

das sich im Laufe der Zeit

vor

al-

Die AV-Produktion

Gesellschaftliche

Hintergründe und Mediensystemfragen

135

-

lern

infolge technologischer (Stichwort: Digitalisierung, Konvergenz) und gesellschaftlicher bzw. wirtschaftlicher und politischer Entwicklungen (Stichwort: Deregulierung, Kommerzialisierung und Globalisierung) erheblich verändert hat. Die unterschiedlichen

Entwicklungen

im und rund

um

den Prozess der audiovisuellen Medi-

enproduktion haben schlussendlich im Laufe der Zeit nicht nur zu zahlreichen Veränderungen im Hinblick auf den praktischen Produktionsablauf und die unterschiedlichen Rahmenstrukturen und -bedingungen der Film- und Fernsehherstellung geführt, sondern auch maßgeblichen Einfluss auf die Strukturen der audiovisuellen Kommunikation selbst gezeitigt. Denn wie bereits John Dewey 1916 erkannte, wirkt sich die Veränderung der Kommunikationsstrukturen und sich verändernde Produktionsabläufe und -bedingungen sind Teil von Kommunikationsstrukturen maßgeblich auf die Gesellschaft aus (vgl. Merten 1994, S. 141), da durch mediale Innovationen im Kommunikationsbereich neue Formen sozialer Wahrnehmung entstehen können (vgl. Kombüchen 1999, S. 17). Hier wird wiederum die enge Verzahnung und das gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis zwischen den drei unterschiedlichen Ebenen der audiovisuellen Kommunikation deutlich: Die Medienproduktion schafft das Medienprodukt, welches von der Gesellschaft rezipiert wird; Kommunikationsstrukturen verändern sich dem-

-

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3.7

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Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

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Das audiovisuelle Produkt

4

am

Beispiel des Fernsehens

Das audiovisuelle Produkt am Beispiel des Fernsehens: Analysezugänge, aktuelle Entwicklungen

147

Definitionen,

(Alois Pluschkowitz) Um sich dem

Medienangebot als Symbolangebot stellen zu können, erscheint es zunächst notwendig, terminologische Klärungen vorzunehmen. Im Kern des Kapitels geht es sowohl darum, der Identifikation von Makrostrukturen, von Produktgruppen und Programmen als auch audiovisuellen Gebilden auf der mikrostrukturellen Ebene im Hinblick auf ihren Zeichenmo-

dus, ihre Narrativität, ihre Dramaturgie etc. nachzugehen. Die beiden genannten Strukturebenen sind bisher nur selten gemeinsam betrachtet worden; so widmet sich die Kommunikationswissenschaft eher makrostrukturellen

Aspekten, der Blick auf die Mikrostrukturen audiovisueller Angebote erfolgt zumeist aus der Perspektive der Film- und Fernsehwissenschaft bzw. der Medienwissenschaft. Im Rahmen des dieser Publikation zugrunde liegenden integrativen Modells soll versucht werden, sich der kontextuellen Verflochtenheit beider Ebenen anzunähern. In diesem Zusammenhang wird auch auf unterschiedliche, forschungsanalytische Zugänge des audiovisuellen Produkts eingegangen. Dabei geht es um die Erhebung inhaltlicher Charakteristika von Medienangeboten, um Formatanalysen sowie um die Themenkomplexe Programmqualität, Medienleistungen und Benchmarking. Die Produkte selbst können ebenso

wenig wie entsprechende Analysen thematisiert werden, Bedingungen wie Senderinteressen oder regulatorische Richtlinien einzugehen; deutlich wird auch im Erscheinungsbild des Produkts, welche kulturell geprägten Gestaltungsweisen ihm (ob ein Programm als ein Informations- oder ein Unterhaltungsprogramm ausgewiesen bzw. wahrgenommen wird) sein spezifisches Gesicht verleihen. Prozesse dieser Art sind eingelagert in gesellschaftliche Diskurse, d.h. ob diese eher aus der Perspektive der Differenzierung zwischen Hoch- und Trivialkultur bzw. einer eher auf Alltags- und/ oder Populärkultur ausgerichteten Sichtweise geführt werden.147 ohne auch auf so produktionsrelevante

Die

folgenden Ausführungen zur audiovisuellen Produktebene beziehen sich in der Hauptsache auf televisuelle Angebote und deren Entwicklungen. Die Konzentration auf fernsehspezifische audiovisuelle Gebilde fokussiert die Betrachtung auf gesellschaftlich dominante Angebotsformen. Unbeachtet bleiben hingegen Formationen und Entwicklungsdynamiken im Bereich des Films (als Kinofilm) und der hochgradig heterogenen videospezifischen Praxisfelder (wie z.B. PR-Video, Videokunst, Performance-Videos).

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

148

4.1

Die unterschiedlichen Ebenen des AV-Produkts

Terminologisches -

Gesamtangebot, so lässt sich dieses entlang zunehmender Komplexität in drei Ebenen gliedern (siehe Abb. 4). Die erste Ebene bezieht sich auf die ein-

Betrachtet

man

das televisuelle

Fernsehsendung, die Fernsehserie, den Mehrteiler, die Sendereihe usw. Die zweite Ebene betrifft Einzelsendungen, Serien und Reihen, die nach charakteristischen Merkmalen in Genres, Darstellungsformen, Gattungen unterteilt werden können. Die dritte Ebene ist schließlich jene des/ der Programme(s) eines oder mehrerer Programmanbieter. zelne

Abb. 4: Unterschiedliche Ebenen des AV-Produkts

Produktebene

Beispiele

Fernsehsendung, Fernsehserie, Mehrteiler,

Zeit im

Sendereihe

Bild, Tagesschau, Gute Zeiten,

schlechte Zeiten, Tatort, Universium, Explosiv, Willkommen Österreich, Taxi Orange etc.

Nachrichten, Magazin, Boulevardmagazin, Talkshow, Doku Drama, Doku Soap, Spielfilm, Fernsehfilm etc. ORF1, ORF2, ARD, RTL, ProSieben, ARTE, MTV, BR, KI.KA etc. (Quelle: eigene Darstellung)

Genres, Darstellungsformen, Gattungen

Programme

Darüber hinaus

gibt es einige Begriffe, die im kommunikationswissenschaftlichen Zusammenhang große Bedeutung erlangt haben. Diese Begriffe lassen sich nur zum Teil in den genannten Ebenen verorten,

oftmals beziehen sie sich auf zwei oder drei Ebenen. Zu den wich-

tigsten zählen u.a. die Begriffe Produkt bzw. Angebot, Inhalt und Text. Die

Begriffe

Produkt und

Angebot

entstammen dem Bereich der

Ökonomie bzw. Medien-

ökonomie. Im engen Sinne betrachtet, betonen sie die ökonomischen Aspekte der Angebotsebene (vgl. Bonfadelli 2002, S. 13). Darüber hinaus werden sie jedoch unspezifisch als allgemeine Begriffe zur Bezeichnung alles dessen verwendet, bezieht sich sowohl auf den

gesendet wird.

physischen Teil der Sendungen, also alles, was sichtbar und hörbar ist, als auch auf die mit dem physischen Teil verbundenen symbolhaften Bedeutungen. Häufig wird der Inhalt mit dem in der Sendung vordergründig behandelten Thema gleichgesetzt (vgl. ebda, S. 12). Auch der Begriff des Inhalts kann sich auf eine Der

Begriff Inhalt

was

Siehe dazu

Kap. 2

Das audiovisuelle Produkt

oder mehrere

am

Beispiel des Fernsehens

149

Programmebenen beziehen.

Der

Begriff des Textes wird vor allem im Zusammenhang mit semiotisch begründeten Arbei-

ten

verwendet und

von

der Kommunikationswissenschaft auch im Kontext der 'Cultural Stu-

dies' genutzt

(vgl. ebda, S. 13). Als Texte werden alle zur Kommunikation geschaffenen Symbolgewebe bezeichnet, die ein gewisses Maß an inhaltlicher oder formaler Kohärenz aufweisen und durch Anfang und Ende gekennzeichnet sind. Texte müssen nicht aus schriftsprachlichen Elementen bestehen, sondern können auch aus visuellen (Bilder, Graphiken, Symbole etc.), auditiven (Gespräche, Musik, Geräusche etc.) und sonstigen Elementen aufgebaut sein. Der Begriff des Textes bezieht sich zumeist auf die Ebene einzelner Sendungen. Zur Bezeichnung von Textgruppen (wie z.B. Nachrichten, Boulevardmagazine) wird auch der Begriff der Textsorte verwendet. Je nach

Perspektive lässt sich neben den oben genannten Begriffen eine Reihe weiterer Termini nennen; entscheidend ist, worauf sich der jeweilige Erkenntnisfokus richtet. Eine umfassendere Annäherung an audiovisuelle Konstrukte erscheint im Kontext der Zielsetzung, sowohl die makro- als auch die mikrostrukturelle Beschaffenheit analytisch zu erfassen, sinnvoll. Da prinzipiell alle Begriffe einer (oder mehrerer) der drei oben genannten 'Basisebenen' zugeordnet werden können wenn auch die Zuteilung nicht immer eindeutig erreicht werden kann werden im Folgenden die genannten drei Ebenen näher erläutert. -

-

4.1.1

Einzelsendungen, Reihen, Serien und Mehrteiler Eine Einzelsendung bezeichnet einen aufgrund eines Titels identifizierbaren eigenständigen, formal abgegrenzten Programmbestandteil eines Senders, dem per Programmankündigung ein bestimmter Sendeplatz zugewiesen wird. Weiterhin weisen Sendungen Merkmale hoher redaktioneller Integration auf. Allerdings erscheint es schwierig, im Detail festzulegen, wann es sich bei einem Fernsehangebot um eine Sendung handelt, denn letztlich sind die relevanten sinnlich-perzeptiven und inhaltlich-kommunikativen Merkmale (vgl. Rusch 1993, S. 294) sozial konventionalisiert und werden über Bezeichnungen ausgedrückt. Zu den derzeit geltenden Kennzeichen

Sendungen dürfen aber mit Sicherheit Markierungen des Beginns ('Opener') und des Endes ('Nachspann'), stilistische Merkmale sowie Erzählformen zählen. Die Unsicherheiten bei der Definition von Sendungen können unterschiedlichste Zuordnungsprobleme zur Folge haben. Insbesondere kann es zu Überschneidungen mit sendungsähnlichen von

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

150

Strukturierungen des Gesamtprogramms kommen. Fernsehsendungen werden nur in Ausnahmefällen in Form singulärer Produkte konzipiert und gesendet. Vorwiegend Spielfilme, punktuell auch Fernsehfilme und Sondersendungen zu nicht kalkulierbaren Ereignissen, fallen in diese Kategorie vereinzelter Produkte. Sie sind v.a. dazu geeignet, besondere Akzente im Programmfluss zu setzen. Im Regelfall setzt sich das Programm jedoch aus einem dichten Gefüge meist periodisch (täglich, wöchentlich) auftretender Reihen und fiktionaler Serien zusammen. In Form von Reihen werden vorwiegend nicht-fiktionale Informations- und Unterhaltungsangebote vermittelt; vor allem die Nachrichtenformen sind auf scheinbar dauerhafte Periodizität hin angelegt. Die Nachrichtensendungen Zeit im Bild, die Tagesschau und heute scheinen immerwährende Begleiter alltäglicher Abläufe. Ähnliches allerdings meist auf die Werktage begrenzt gilt für magazinartige Formen wie Morgen- und Nachtmagazine und die Magazine im Vorabendprogramm wie z.B. Willkommen Österreich, explosiv, Taff, Leute heute usw. Darüber hinaus wird ein breites Repertoire meist wöchentlicher Spartenmagazine über Themenfelder wie Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft, Gesundheit, Konsumenten usw. geboten. Auch nichtfiktionale Unterhaltungssendungen wie Quizzes, Spiele und Shows sind vorwiegend als Reihen angelegt. In Reihen werden die Präsentationsformen und -strukturen meist konstant gehalten, während die Themen, Teilnehmer und Gäste sich abwechseln (vgl. Hickethier 2003, 148). Abhängig vom Produktionszyklus wird auch die Zahl der jeweiligen Sprecher und Moderatoren auf möglichst geringem Niveau konstant gehalten. -

-

Fiktionale Serien lassen sich als

„seriell erzählte und dargestellte Folge

von

Geschichten"

(Hickethier 2003, 146) definieren. Wobei die Ausformungen von Serien sehr vielfaltig sind. Dazu zählen aufeinander aufbauende Mehrteiler wie z.B. die vierteilige Pieflce-Saga (Felix Mitterer, A/D 1990) ebenso wie die Krimi-Serie Tatort, in der durch vollständig in sich geschlossene Geschichten mit unterschiedlichsten Serien-Welten und Hauptakteuren (Kommissare) der Begriff der Serie bis an die Belastbarkeitsgrenze gedehnt wird. Dazu zählen auch aus dem US-amerikanischen Kulturraum importierte Formen wie Soap-Operas und Daily-Soaps oder lateinamerikanische Telenovelas. 4.1.2

Gattungen, Genres und Formate

Gattungen und Genres sind Überbegriffe für die Zusammenfassung 148

Dieses Problem stellt sich

umso

von

Objekten

zu

einer

mehr, als aktuelle Programmierungsstrategien die Bildung und Ausweisung

sendungsähnlicher Programmflächen forcieren.

Das audiovisuelle Produkt am Beispiel des Fernsehens

151

Gruppe, die Gemeinsamkeiten aufweisen. Das Wort Gattung, das seinen Ursprung im Mittelhochdeutsch hat, findet dabei in so unterschiedlichen Bereichen wie der Biologie (Arten von Lebewesen), der bildenden Kunst (z.B. Baukunst, Plastik, Malerei) und der Literatur149 Verwendung (vgl. Meyers Taschenlexikon 1987, S. 19). Das Wort Genre wurde aus der französischen Sprache übertragen und bedeutet hier Gattung, Wesen oder Art (vgl. Duden Fremdwörterlexikon 1990, S. 278). kommunikations-, film- und fernsehwissenschaftlichen Kontext werden die Begriffe Gattung und Genre mitunter synonym (vgl. Rusch 1993, S. 289), fallweise jedoch auch in Abgrenzung voneinander (vgl.Gehrau 2001, S. 18; Mikos 2003, S. 252) eingesetzt. Wird zwischen Gattung und Genre unterschieden, dann wird der Begriff der Gattung für die Differenzierung von Produkten nach Darstellungsformen (z.B. Spielfilm und Dokumentarfilm) und verwendungsspezifischen Merkmalen (Wirtschaftsfilm, Industriefilm, Lehrfilm, Werbefilm), Im

der Begriff des Genres für

Unterscheidungen nach inhaltsspezifischen Merkmalen von Medi-

enangeboten verwendet.

folgenden

Im

Abschnitt werden unterschiedliche

Perspektiven

der

Modellierung

des Genre-

Konzepts thematisiert. Hickethier

(2004,

S.

151) verweist darauf, dass es sich bei Genres in vielen Fällen um „inter-

mediale Konstruktionen" handelt. Genres sind nicht

an

ein bestimmtes Medium

gebunden,

vergegenständlichen sich in Produkten verschiedener Medien in unterschiedlicher Ausprägung. Nachzuvollziehen ist dies etwa am Beispiel des Krimigenres. Die Konstellation eines Verbrechens, das es aufzuklären gilt, findet sich in Büchern, im Radio, in Filmen und sondern

Fernsehserien, im Internet usw.

Wechselwirkungen zwischen Produktion und Rezeption entwickelt. Besonders erfolgreiche Produktionen waren Grundlage für weitere Produktionen mit ähnlichem Konzept. Das Verfahren steigerte Erfolgsaussichten und verringerte Produktionskosten durch die Wiederverwertung von Ausstattungselementen und Erzählmustern (vgl. Mikos 2003, S. 252). Im Filmkontext haben sich Genres

Die

aus

den

Entwicklung von Film-Genres steht in einem engen Zusammenhang mit stark industriali-

sierten Produktionsformen des amerikanischen Kinos. Die sich ausbildende Filmindustrie

('Hollywood

Studio

System')

nutzt Genres als konventionelles

Unter Rückgriff auf Aristoteles wird unterschieden zwischen Epik,

System

zur

Lyrik und Dramatik.

Strukturierung

Einfuhrung in die Audiovisuelle Kommunikation

152

(vgl. Feuer 1992, S. 142). Filmemachern stellen Genres einfach zu nutzende kreative Werkzeugkästen zur Verfugung. Ein Pferd mit einem Reiter vor dem Horizont einer Prärielandschaft genügt, um das Konzept 'Western' mit all seinen Implikationen zu etablieren. Genres werden so zu einem wichtigen Regulierungsinstrument für Angebotsstrukturen und Zuschauererwartungen der 'mentalen Maschine' Kino.

kultureller Produkte

this way [gemeint ist die institutionelle Perspektive, Anm. des Autors] not to be seen as textual codifications, but as systems of orientations, expecta-

„Approached in genres are

tions and conventions that circulate between

industry,

text

and subject.

"

(Neale 1980,

S.

19)

Genre-Konzeptes standen der stark vom Denken der Literaturwissenschaft geprägten Filmwissenschaft lange Zeit keine analytischen Instrumentarien zur Verfügung (vgl. Neale 1980, S. 7). Definitorische Ansätze konzentrierten sich im Wesentlichen darauf, Genres aus der Analyse von Filmtexten als abstrakte theoretische 'Essenz' zu entwerfen und in idealisierter Form darzulegen (vgl. Mitteil 2004, S. 4). Doch für diese institutionelle Sichtweise des

„Genre: Eine Gruppe

Filmen mit gewissen gemeinsamen Merkmalen. Diese gemeinsamen Merkmale können geographischer (beispielsweise Western), zeitlicher (beispielsweise Ritterfilme), motivischer (beispielsweise Musical), dramaturgischer von

fiktionalen

(beispielsweise Epischer Film) oder produktionstechnischer Natur sein (beispielsweise Ausstattungsfilm) meist ist es eine Kombination von mehreren derartigen Elementen. (Bawden 1977, S. 292 zit.n. Gehrau 2003, S. 215)

"

-

Einen

Definitionsvorgang, in dem gemeinsame Merkmale von Film- und Fernsehangeboten (Motive, Figurkonstellationen, Erzählstrukturen) identifiziert, abstrahiert und als Prinzipien eines Genres ausgegeben werden, unter denen dann wiederum die Fernsehangebote gruppiert werden,

aus

denen die

Prinzipien

gewonnen

wurden,

nennt

man

zirkulär

2004, S. 150f). Neben Zirkularität zählen nach Faulstich (2002, S.

(vgl. Hickethier 27) Kategorienvermi-

schung und die Verhaftung von Genres in Sujets zu genretheoretischen Problembereichen. Genres können nach funktionalen, formalen, strukturellen und inhaltlichen

Gesichtspunkten

differenziert werden

(vgl. Ganz-Blätter 1999, S. 266).

Bei Erzählformen

der Genre-Film wurde insbesondere im amerikanischen Erzählkino ge-

konzentriert

prägt -

man

sich auf die Identifikation bzw.

Beschreibung

von

syntaktischen

Das audiovisuelle Produkt am

Beispiel des Fernsehens

und/oder semantischen Textmerkmalen

215). Eine Merkmalbeschreibung Grundbestandteile

153

Ganz-Blätter 1999, S. 267; Gehrau 2003, S. narrativer Formen lässt sich z.B. auf die wesentlichsten

(vgl.

Erzählungen fokussieren. Vom Vorkommen spezieller Figuren ('Character'), 'Plot-Points' (typische Handlungselemente) und 'Settings' ist es dann abhängig, ob ein bestimmter Film als zu einem bestimmten Genre zugehörig betrachtet werden kann (vgl. Ganz-Blätter 1999, S. 267). von

filmischen

(1992, S. 140) zählt Film- und Fernsehgenres zu eher historischen und nicht vorwiegend theoretischen Kategorien. Die Unterscheidung zwischen theoretischen und historischen Feuer

ursprünglich vom Literaturwissenschafter Tzvetan Todorow. Theoretische Genres sind konstruierte Ideal-Kategorien aus wissenschaftlichen Arbeitszusammenhängen. Texte (Medienangebote) werden aus strategischen Überlegungen zu neuen Kategorien zusammengefasst und mit neuen Begriffen benannt. Historische Genres werden hingegen aus der Beobachtung von 'Fakten' gewonnen, sind also empirisch identifizierbare Phänomene soziaGenres stammt

ler Praxen.

Gattungen und Genres aus dem Blickwinkel des Konstruktivismus empirischen Analyse von Genres wurde im Rahmen des Sonderforschungsbereiches 240 'Bildschirmmedien' in Siegen entwickelt. In ihrem Entwurf einer konstruktivistischen Mediengattungstheorie von 1987 verfolgen Rusch und Schmidt (vgl. Gehrau 2001, S. 24ff.) die Idee, Genres als kognitive und wahrnehmungspsychologische Verarbeitungsleistungen von Mediensystemakteuren zu fundieren. Gattungen, Genres, Programmsparten und Sendetypen werden synonym als Begriffe für die Bezeichnung individueller Schemata zur individuellen Klassifizierungen von Sendungen verwendet. Gattungs-Schemata entstehen über Handeln und Wahrnehmung als soziale Invarianzkonstruktionen und werden im Gedächtnis als individuelle kognitiv-affektive Schemata repräsentiert (vgl. Gehrau 2001, S. 25). Mittels Kommunikation werden die Schemata in sozialen Systemen wechselseitig abgeglichen; in den Beschreibungen der Umwelt entstehen allgemein anerkannte, stabile Muster. Gattungs- und Genreschemata erfüllen für Akteure und Mediensysteme zentrale Funktionen wie Identifikation und Klassifikation von Medienangeboten, Orientierung bei der Verarbeitung von Fernsehsendungen, Selektion von Medienprodukten und Produktbausteinen und die Evaluation von Medienangeboten. Darüber hinaus übernehmen Gattungen und Genres in Form von Gattungs-Schemata allgemeine systembezogene Funktionen. So spielen Gattungs-Schemata eine wichtige Rolle bei der Organisation von Medienunternehmen (z.B. Abteilungen, Ressorts) und fungieren zudem „als generelle mediensystemische Regulatoren", die Produktionsmuster, Ein Ansatz

zur

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

154

Produkte, Konsumentenerwartungen und Rezeptionsmuster im Verhältnis zueinander regulieren.

Im Theoriekontext des Konstruktivismus erscheinen

Gattungen und Genres als Kategorien der Reduktion von Komplexität in Mediensystemen. Sie ermöglichen Identifikation, Klassifikation, Orientierung, Selektion und Evaluation in Bezug auf Medienangebote und tragen zu Organisation und Regulierung von Mediensystemen bei.

liegen im Schnittbereich zwischen Produktion, Produkt und Rezeption, also an den Berührungspunkten von Prozessen der Produktgestaltung und Produktherstellung, von Eigenschaften eines gestalteten Produkts und Prozessen der Zuwendung zu solchen Produkten, ihrer Wahrnehmung und intellektuellen Verarbeitung. (Rusch 1993, S. 289) „

Genres

"

Genres als kulturelle Kategorien

(2004) versucht darüber hinaus die Bedeutung von Genres als „kulturelle Kategorien" auszuarbeiten. Bereits eine unsystematische Sammlung empirischer Belege verweist auf die Reichweite des Genre-Konzeptes. Die Fernsehindustrie nutzt Genres, um Identitäten, Marken und ganze Programme zu produzieren, darüber hinaus aber auch als Mittel der Programmplanung. Vom Publikum werden Genres beim Blick durch Programmzeitschriften, beim Streifzug durch Videotheken und der Selektion von Programmteilen (z.B. Abendnachrichten) eingesetzt. Genres rahmen Gespräche im Anschluss an Sendungen und tragen zur Organisation von Fan-Praxen (z.B. Fan-Clubs, Web-Auftritte) bei. Akademiker setzen Genres ein, um Forschungsprojekte einzureichen und Lehrpläne zu erstellen. Journalisten nutzen Genres als Anknüpfungspunkt für Kritiken. Jason Mittell

Genres work within

nearly every facet of television corporate organisations, policy critical decisions, discourses, audience practices, production techniques, textual aesthe„

-

tics, and historical trends. (Mittell 2004, S. XI) "

verfügen die meisten Fernsehangebote nach Mitteil (2004, S. 11) über eine Genre-Identität und passen in etablierte und gefestigte Genre-Kategorien oder lassen sich aus Verknüpfungen von Genre-Mustern zusammensetzen, dennoch greifen Methodologien, die Genres aus der Analyse von Produkteigenschaften zu entwickeln versuchen, seiner Ansicht nach zu kurz. Genres werden nach Mittell durch medienbezogenes Handeln zwischen Kulturindustrien und Zwar

Das audiovisuelle Produkt am Beispiel des Fernsehens

155

Publika

produziert und reproduziert und nicht durch einen textimmanenten genetischen Code mit impliziten Fortpflanzungsregeln. Nicht bestimmte 'biologische' Fortpflanzungsprinzipien von Texten bestimmen, welche Kreuzungen erlaubt sind, vielmehr werde die Entwicklung von Konstellationen und neuer Angebote ('Hybride') entlang Prozessen zwischen Kalkülen, Produzenten, Anbietern, sonstigen kulturindustriellen Akteuren und den Zusehern vorangetrieben.150 Genres are not intrinsic to texts

they are constituted by the processes that some scholars have labelled ..external" elements, such as industrial and audience practices.(...) Genres transect the boundaries between text and context, with production, distribution, promotion, exhibition, criticism and reception practices all working to categorize media texts into genres. (Mittel! 2004, S. 10) „

-

"

Bestimmt man Genres als textextern fundierte Kategorie zur Klassifizierung von Texten, dann ist die Notwendigkeit gegeben, zwischen Genres und anderen externen Klassifizierungskate-

gorien zu differenzieren. Als entscheidendes Differenzkriterium entwirft Mittell jenes der kulturellen Verbreitung. Genres müssen, um als solche gelten zu können, in den wichtigsten Bereichen der Produktion und Rezeption als Elemente kultureller Praxis etabliert sein. Ein weiterer Problembereich ist jener der Methodologie. Bestimmt

man

Genres

aus

textexter-

Komponenten, können diese nicht mehr auf Basis textorientierter Methodologien mit textanalytischen Werkzeugen identifiziert und beschrieben werden. Um die Funktionsweisen von Genres als kulturelle Kategorien verstehen und analytisch nachvollziehen zu können, schlägt Mittell vor, diese als „diskursive Praxen" in Anlehnung an Foucaults Diskursbegriff zu analysieren. nen

Dreh- und

Angelpunkt dieser Entscheidung ist die Überlegung, dass Genres nicht als das be-

trachtet werden

sind Genres als

können, als

was

Phänomen

sie erscheinen: als 'natürliche' Textbestandteile. Vielmehr

(Text, Produkt) unabhängige konzeptuelle Kategorien zu modellieren. Hier bringt Mitteil den Begriff der „diskursiven Formation" ein. Eine Hauptfunktion „diskursiver Formationen" ist es, Erfahrungen im Rahmen von Systemen gesellschaftlicher Machtverteilung zu definieren, d.h. mit Sinn und Bedeutung auszustatten, (vgl. Mittell 2004, S. 12) vom

Siehe dazu Kap. 4.3

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

156

Bestimmung von Genres sollte durch die Beobachtung genrerelevanter diskursiver Praxen umgesetzt werden und nicht durch die Auslotung von Produkteigenschaften. Wichtig sei es bei Studien diskursiver Praxen, nicht an konzentrierten Genre-Analysen und Tiefeninterpretationen anzusetzen, sondern oberflächliche Manifestationen und gewöhnliche, alltägliche Aussagen zu betrachten. Möglichst viele verschiedene Definitionen, Interpretationen und EvaluaDie

tionen unterschiedlicher Instanzen sollten hierzu zu Genre-Formationen verarbeitet werden.



Under my approach,

a

television genre is a cultural category, constituted by the generic

discourses that posit

definitions, interpretations and evaluations. Television genres function as cultural shorthand that link together a range of cultural assumptions to a shifting corpus of texts, or genre television. (Mittell 2004, S. 19) "

Mittells Ansatz

ermöglicht

Genres

den Blickwinkeln bestimmter

Gruppierungen zu betrachten: Was bedeuten Talkshows für Fangemeinden? Wie definieren Programmplaner die Genre-Familie Reality-TV? Was verstehen Bewohner von Altersheimen unter dem Genre es,

aus

Fernsehnachrichten? Genres sind

einerseits relativ stabile

Gefuge, andererseits sind sie vielfaltigen Modernisierungsprozessen ausgesetzt (z.B. Systemveränderungen, technischen Innovationen). Insbesondere von Seiten verschärfter Wettbewerbsbedingungen gehen Impulse zur Entwicklung neuer Genres aus. Eine Methode der Entwicklung neuer Genres besteht in der Kombination von spezifischen Gestaltungselementen bereits etablierter Formen. zwar

Formate

Während Genres als

Kategorien der Klassifikation und Beschreibung einer Gruppe von Medienangeboten vielfältige mediensystemische und vor allem kulturelle Funktionen erfüllen, dienen Formate dazu, sowohl Sendungen als auch Programme marktoptimiert zu gestalten und zu

vermarkten.

Unter dem

Begriff 'Format' wird im Fernsehzusammenhang zweierlei verstanden: Einerseits seriell produzierte Sendungen mit spezifisch auf die Optimierung der Vermarktung abgestimmten Merkmalen, andererseits ein Paket von Reglements, 'Bibel' genannt, in dem u.a. die inhaltliche und formale Konzeption, fixierte Sendungsmerkmale Vermarktungskonzepte und produktionsbegleitende Beratung für Sendungen integriert sind (vgl. Hallenberger 2002, S. 131).

Das audiovisuelle Produkt am

Beispiel des Fernsehens

157

Andererseits kennzeichnet der

Formatbegriff nicht einzelne Produkte, sondern vollständige Programmangebote. 'Programmformate' haben aufgrund der medialen Eigenheiten des Hörfunks vor allem die Radioprogramme im deutschsprachigen Raum umgestaltet. Fernsehprogramme erweisen sich hingegen bislang vergleichsweise resistent gegen vollständige Forma-

tierungen. Die Gründe dafür sind vielfaltig; sie liegen vor allem auch in der gestaltungsspezifischen Komplexität und den televisuellen Wahrnehmungsmodi (vgl. Hickethier 1999, S. 2004ff). Aus der Sichtweise des internationalen

Fernsehprogrammhandels betrachtet, integriert das Formatkonzept zwei Hauptanliegen: Bestimmte Sendungen können den Stellenwert eines globalen Markenartikels erreichen, weil es über die Formatierung möglich wird, internationale Markenidentität und nationale wie kulturraumbezogene Besonderheiten in die Sendungskonzeptionen zu integrieren. Während das Label und eine Reihe von fixierten Gestaltungselementen, wie z.B. Situationsstruktur und Ablauf von Sendungen, für einheitliche Markenidentität sorgen, können andere Sendungsbestandteile die Besonderheiten nationaler Fernsehgewohnheiten berücksichtigen, wie z.B. Moderator, Kandidaten, Publikum, Sprache etc. Das ist auch

deswegen von Bedeutung, weil sich Fernsehen paradoxerweise zusehends als Medium der alltäglichen kulturellen Selbstbespiegelung ausprägt. Von besonderem Interesse sind die Umgebung, die Nachbarn, der Alltag, das, was die Menschen unmittelbar berührt und betrifft. (Vgl. Hallenberger 2002, S. 133) Auch

Formatierung prinzipiell nicht an bestimmte Genres gebunden ist, so zeichnen sich im Programmhandel doch bestimmte Präferenzen ab. Formatiert werden hauptsächlich massenattraktive Unterhaltungssendungen, und hier wiederum vorwiegend non-fiktionale Sendungen. Bei fiktionalen Sendungen handelt es sich meist um Daily Soaps. Aufgrund ihrer Struktur sind insbesondere Spielsendungen und Quizshows zur Formatierung geeignet. Auch Beispiele aus der Genre-Familie des Reality-TV weisen mit ihren „Realitätsversuchsanordnungen" eine formatierungsfreundliche Struktur auf (z.B. Taxi Orange oder Big Brother). Talkshows sind hingegen aufgrund ihrer Gebundenheit an die Moderatorpersönlichkeit, der starken kulturellen Einbettung von Themen, Gesprächsverhalten und Saalpublika strukturell für Formatierungen wenig geeignet (vgl. Hallenberger 2002, S. 133ff). wenn

Resümee

zu

Gattungen, Genres und Formaten

Das auf den ersten Blick 'einfache'

Konzept der 'Genres' bzw. 'Gattungen'

als

Konzept zur

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

158

Gruppierung und Beschreibung von medienübergreifenden und/ oder medienbezogenen Angebotsformen erscheint bei näherer Betrachtung als komplexes systembezogenes, ja sogar übergreifendes kulturelles Phänomen. Gattungen und Genres sind bedeutende Kategorien zur Identifikation, Klassifikation, Definition, Beschreibung, Interpretation und Bewertung von televisuellen Angeboten. Darüber hinaus erfüllen Genres

Organisations-

und

Regulierungsfunktionen

im Rahmen des

'Systems Fernsehen'. Auf der Akteursebene, sowohl bei den Produzenten/Anbietern als auch bei den Zusehern, übernehmen sie Funktionen der Identifikation, Klassifikation, Orientierung, Selektion und Evaluation.

Kategorien stabiler und gleichzeitig flexibler und historisch variabler Diskursformationen, die von Diskurspraxen der Definition, Interpretation und Evaluation von Angebotsgruppen konstituiert werden. Sinn und Bedeutung erlangen Genre-Kategorien durch die sie konstituierenden Formationen. Kulturell betrachtet sind Genres

Verständigung über Formatbegriff verwiegend der optimierten Ver-

Während Gattungen und Genres sich als Kategorien der Orientierung und

mediale Produkte etabliert haben, dient der marktung medialer und damit audiovisueller Produkte. 4.1.3

Programm Fernsehen ist ein Programmmedium, das sich sowohl über einzelne Sendungen, über die Art, wie diese Sendungen zusammengestellt sind, als auch über die Sendungsverbindenden Zwischenglieder definieren lässt. Hinzu kommen verschiedene Formen von Werbeeinschaltungen bzw. werbeähnlichen Hinweisen.

(Gesamt)Programm wird laut Hickethier „der Zusammenhang vieler, fast immer unterschiedlicher Produkte verstanden, die in einer zeitlichen Abfolge und an einem einheitlichen medialen Ort (Kanal) Zuschauern als Angebot präsentiert werden" (Hickethier 2001, S. 216). Bei der Beschreibung von Programmen ist die Zeit ein sehr wichtiger Faktor, da mit der Ausweitung des Fernsehangebots nicht nur die Frage nach der Platzierung einzelner Sendungen einhergeht, sondern auch jene der zeitlichen „Formatierung" der Angebote (vgl. HickeUnter einem

thier 2001,

151

S.217).151

Damit einher gehen Fragen wie: Welches Publikum soll mit welchen Sendungen angesprochen werden, zu welchen Zeiten sollen bestimmte Produktionen gezeigt werden und wie lange sollen die einzelnen Sendungen dauern? Allerdings stellen nicht die Sendungen im speziellen, sondern das gesamtheitliche Programm das eigentliche Produkt des Fernsehens dar.

Das audiovisuelle Produkt

am

Beispiel des Fernsehens

159

Mit der

Differenzierung von Gesamtprogramm und Sendung wird der Doppelcharakter von Fernsehen ersichtlich:152 Einerseits eine Einheit, ist ein Gesamtprogramm trotzdem ein „vielteiliges Konglomerat aus unterschiedlichen Bestandteilen" (Hickethier/ Bleicher 1997, S. 19). Ungeachtet dessen erscheint es als „flow of broadcasting" (Williams 1974), in dem ununterbrochen eine Episode an die nächste gereiht und immer weiter erzählt wird. Der Programmfluss erscheint somit als unendliche Geschichte mit einer nicht abreißenden Zahl an Kapiteln. So verlieren sich auch die ansonsten wichtigen Ansatzpunkte von Anfang und Ende, die Abgeschlossenheit der einzelnen Sendungen, was sich wiederum auf die Rezeptionsform auswirken sollte (vgl. Hickethier 2001, S. 218). Um einen permanenten

Programmfluss zu erzeugen, ist eine Verbindung zwischen verschiedenen Sendungen, Filmen, Serien etc. notwendig. Die hierfür verwendeten Zwischenglieder hierunter fallen etwa Senderlogos, Ansagen, Schrifttafeln, Zeitbilder, Trailer, Teaser oder Werbung (vgl. Hickethier/ Bleicher 1997) verknüpfen zum einen die disparaten Angebote und sind zum anderen Blockierungen zwischen denselben, um unkontrollierte Vermischungen zu verhindern (vgl. Hickethier 2001, S. 219). Mit der steten Vermehrung der Gesamtprogramme haben diese Verbindungen an Bedeutung gewonnen: Wenn immer mehr Gesamtprodie Zahl Produktionen und statt dessen der sinkt grammanbieter konkurrieren, sendereigenen fremdes Material zugekauft wird und außerdem Programmwiederholungen die Regel geworden sind, lässt sich eine Senderidentität meist nur noch über Zwischenglieder kommunizieren. Deswegen überrascht es auch nicht, dass der Anteil an Trailern, Teasern und anderen Programmverbindungen enorm zugenommen hat (vgl. Hickethier/ Bleicher 1997, S. 8).

-

-

Werbeeinschaltungen in Form von Werbespots sind ein weiterer wichtiger Bestandteil von Gesamtprogrammen. Neben den als Werbung gekennzeichneten Angebotsformen lassen sich weitere werbeähnliche Programminhalte identifizieren, die allerdings aufgrund der rundfunkrechtlich vorgeschriebenen strikten Trennung zwischen Programm (Sendungen) und Werbung eindeutig nicht als Werbung gelten: Darunter fallen insbesondere Sponsoringhinweise, Hinweise auf Begleitmaterialien zu Sendungen und sonstige werbeähnliche Formen (etwa Social Advertizing etc.). Auf Rezipientenebene sind diese juristisch festgeschriebenen Differenzierungen (Rundfunkstaatsvertrag, Werberichtlinien) allerdings nicht immer nachvollziehbar (vgl. Woelke 2002). Dies ist umso bemerkenswerter, als der medienrechtlich bedeutende Trennungsgrundsatz eindeutige Unterscheidbarkeit zum Ziel hat. Vgl. zu den folgenden Ausfuhrungen siehe Bichler/ Pluschkowitz 2004, S. 7ff.

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

160

Als allgemeine Kennzeichen

von

Fernsehprogrammen gelten laut Hickethier (1993, S. 75):

Kontinuität des Gesendeten

-

-

Diese

(Programmangebote scheinen endlos zu laufen.) Periodizität (Gleiche oder ähnliche Angebote wiederholen sich.) Zeit-Schemata (Die Angebote sind in feste zeitlich gegliederte Programm-Schemata eingefügt) Verschiedenartigkeit der Angebote (Die Verschiedenartigkeit kann inhaltlich-thematisch, formal, genrespezifisch oder als Adressatenbezug ausgeprägt sein.) aus

mit einem

-

fernsehtheoretischen

Überlegungen abgeleiteten Programmmerkmale

sollen hier

weiteren, aus eigenen Studienerfahrungen gewonnenen Merkmal ergänzt werden:

Die Serialität der Angebote (Der weitaus rien- oder Reihencharakter geprägt.)

größte der Programmangebote ist durch Se-

Programme werden von Fernsehveranstaltern unter bestimmten politischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen redaktionell verantwortlich zusammengestellt und auf elektronischem Weg gesendet. Fernsehprogramme sind grundsätzlich für die Allgemeinheit bestimmt. Mittels dieses Kriteriums versucht

Kommission oder im

man

etwa im Weißbuch der

Rundfunkstaatsvertrag Fernsehprogramme

von

europäischen sonstigen digitalen

Diensten zu unterscheiden. In

Fernsehprogrammen finden sich unterschiedliche Programmkonzepte verwirklicht. Programmkonzepte sind vorerst Ausdruck des Selbst- und Weltverständnisses von Fernsehveranstaltern. Sie berücksichtigen dabei die spezifische Organisationsform (öffentlich-rechtlich, privat) eines Anbieters, prägen die inhaltliche Ausrichtung eines Programms (Vollprogramm, reduziertes Vollprogramm, Spartenprogramm) und beziehen die Zuseher in ihre konzeptuellen Überlegungen mit ein. In wettbewerbszentrierten Fernsehsystemen sind Programmkonzepte die Grundlage zur Schaffung spezifischer Programmidentitäten; sie dienen der Unterscheidbarkeit konkurrierender Angebote. Für Programmanbieter bilden sie die strategischen Orientierungsrahmen insbesondere im Zusammenhang mit der Programmplanung und der Entwicklung von Programmschemata. Im Fokus des

Managements und der Programmabteilung

grammschema.

von

Fernsehsendern steht das Pro-

Programmschema wird das jeweilige Programmkonzept in Form eines Zeitrasters konkretisiert. „Das Programmschema ist heute ein direktes Wettbewerbsinstrument und zugleich Dreh- und Angelpunkt der jeweiligen Programmphilosophie und proIm

161

Das audiovisuelle Produkt am Beispiel des Fernsehens

grammlichen Ziele der einzelnen Sender und Kanäle." (Karstens/ Schütte 1999, S. 163) Als bedeutende Einheiten des

Programmschemas gelten Programmjahr, Programmwoche und Programmtag. Besonders die zyklische Woche und Tagesstruktur bildet für die Zuseher ein wichtiges Orientierungsraster im Programmfluss. Die Phasen und Zeitzuteilungen differieren kultur- bzw. nationalspezifisch. In den USA spricht man von Primetime, Morning, Daytime und Latenight. Im deutschsprachigen Raum spielt der Vorabend als besonders werbeintensive Zeit eine wichtige Rolle. Es existiert keine Übereinkunft bei der Kennzeichnung der Zeiträume. So variieren die Angaben für die Primetime zwischen ca. 19-22 Uhr153 und 20-23 Uhr (vgl. Karstens/ Schütte 1999, S. 164).154 Welche Prinzipien kommen

nun

im Aufbau

von

Programmschemata zur Anwendung?

schemaerzeugenden Strategien sind von der jeweiligen Position eines Fernsehanbieters innerhalb des Fernsehsystems abhängig. Der Idealtypus eines öffentlich-rechtlichen Schemas müsste in seiner Struktur den Informations-, Bildungs-, Unterhaltungs- und Kommunikationsbedarf demokratisch legitimierter Gesellschaften berücksichtigen. Werbefinanzierte Programmanbieter hingegen richten ihr Augenmerk bei der Strukturierung der Sendeschemata auf möglichst hohe Anteile am Zuschauer- und Werbemarkt. Zudem stehen in dualen Systemen öffentlich-rechtliche und private Anbieter in Konkurrenz zueinander.155 Die

Gängige TV-Programmschemata156 Wettbewerbsorientierte

Erfahrungskon volute aus der Fernsehpraxis, unsichere Heuristiken ohne wissenschaftlich-empirische Belege (vgl. Meier 2002, 23). Es lassen sich in Anlehnung an Hickethier (1998, S. 430ff; 2003, S. 160f.) vier „Bauanleitungen" für Programmschemata ausmachen, die hier noch durch eine bei Offenen Kanälen zu findende fünfte Art der Programmstrukturierung ergänzt werden soll: Wechsel

von

Prinzipien

sind im Wesentlichen

Thema und Form

Stripping Audience

Flow, Blockbildung, Stacking

Programmfarbe, Themenschwerpunkte, Themenabend (= Labeling) -

153

Siehe dazu

154

Siehe dazu ausführlich

155

Siehe dazu den Vergleich zwischen ARD und RTL in

156

Siehe dazu auch

http://enterprise.orf,at/orf/orf/?clid= 15216 (abgerufen am 20.1.2005) Kap. 3.2.2

Kap. 3.2.2

Kap. 3.5

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

162

-

„Schlangen-Prinzip" (bei Offenen Kanälen)

Programmgattungen und auch Inhalten sowohl im Tagesverlauf als auch im Verlauf zwischen den Wochentagen berücksichtigt unterschiedlichste Programminteressen, suggeriert Pluralität von Perspektiven und Vielfalt im Angebot. Die schachbrettartige Zusammensetzung ('Checkerboard') des Programms gilt als idealtypisch für öffentlich-rechtliche Programmierung. Realiter knüpfen öffentlich-rechtliche Kanäle mit ihren Programmschemata immer auch am Tagesablaufsmuster und zeitbezogene Mediennutzungsmuster des Publikums (Tagesablaufmuster) an. Darüber hinaus fanden lange vor Einführung des dualen Systems wettbewerbsorientierte Strategien Eingang in öffentlich-rechtliche Programmschemata (vgl. Meier 2002). Das

Prinzip

des Wechsels

von

Mit

Stripping wird versucht, ein möglichst simples, lineares Zeitraster über mehrere Wochentage hinweg zu etablieren. Innerhalb des Zeitrasters werden dann über längere Zeiträume gleiche bzw. ähnliche Serien geschaltet. Dieses Prinzip des horizontalen Programmierens wurde u.a. vom Privatsender RTL speziell für das Nachmittagsprogramm der Werktage entwickelt. Die 'Time-Slots' wurden den US-amerikanischen Serientiteln angepasst (30 oder 60 Minuten). Stripping baut auf der Idee des habitualisierten Fernsehverhaltens von Zusehern auf und versucht an Verhaltensmustern von Gewohnheitsfernsehen anzuknüpfen (vgl. Meier 2002, S. 18). Die betonte Markierung von Programmplätzen und die Steigerung der Vorhersehbarkeit von Angeboten, die Positionierung von homogenen serialisierten Angeboten mit hohem Wiedererkennungswert zielen auf den Typus des „Gewohnheitszusehers". Stripping setzt Serialisierung von Angeboten voraus und wirkt in Richtung vermehrter Serienproduktion. Das Stripping ist Ausdruck einer verstärkten Konkurrenzsituation im Rahmen dualer Systeme. Stripping wurde als Schemastrategie zu einem Zeitpunkt in die ÄTL-Programmplanung implementiert, an dem die Vervielfachung konkurrierender Anbieter in der Unübersichtlichkeit der Programmangebote mündete. Mit dem Stripping wurde den Zusehern ein möglichst einfacher Weg aus dem unübersichtlichen Angebotsdschungel gelegt. Begriff des

'Audience Flow' bezeichnet eine

Schemastrategie, die wechsel bzw. das Ausschalten von Fernsehprogrammen zu verhindern.

versucht

Da vermehrte Zuschauerfluktuationen insbesondere

Übergängen, Wech-

Der

an

den

Bruchstellen,

Programm-

Programmen auftreten, versucht man durch systematische Auslotung so genannter 'Vererbungseffekte' den Zuseherfluss aufrechtzuerhalten, von einer zur nächsten Sendung

seln

von

Das audiovisuelle Produkt am Beispiel des Femsehens

163

(vgl. Meier 2002, S. 19). Dies wird vor allem durch die Einbindung einzelner Sendungen in einen größeren durch Programmflächen erzeugten Sinnzusammenhang realisiert. Realisiert wird der 'Audience Flow' z.B. durch das 'Blocking', d.h. die aufeinander folgende Programmierung ein und derselben Serie, oder die Programmierung von Sendungen desselben Genres (vor allem Krimis). Auch die Verkürzung bzw. die Zusammenfassung von Abspännen dient dazu, die Einzelsendung zugunsten des Programmflächenflusses zu integrieren. Mittels 'Blocking' wird die Homogenität auf Kosten der Programmvielfalt gesteigert. Der verstärkte Einsatz von 'Audience Flow'-Konzepten entspringt verschärfter Konkurrenz

weiter zu tragen

um

den Publikums- bzw. den Werbemarkt.

Schwerpunktbildungen versucht man, einen Teil des Hauptabendprogramms mit einer 'Programmfarbe' zu belegen. Jeder Wochentag erhält so eine besondere Akzentuierung in Form einer eigenen 'Programmfarbe'. Das Konzept der Programm färben wurde im Rahmen der ^.RD-Programmkoordinierung in der zweiten Hälfte der 50er Jahre entwickelt. Hier stand 'gelb' für anspruchsvolle Information, 'braun' für leichte Information, 'blau' für anspruchsvolle Unterhaltung und 'rot' für leichte Unterhaltung. Unter Programmfarben werden dann jeweils spezifische Gattungen bzw. Genres subsumiert (vgl. Hickethier 1998, S. 133). Im Rahmen von 'Themenabenden' werden hingegen unterschiedliche Programmformen, z.B. ein Spielfilm, eine Studiodiskussion, eine Dokumentation usw., zu einer Fragestellung oder einem Thema gruppiert. Diese „konzentrische Programmanordnung" der Gruppierung von Angeboten um eine Hauptsendung wird vom französisch-deutschen Kultursender ARTE mehrmals pro Woche genutzt (vgl. Hickethier 1998, S. 441ff). Bei

ausgehend, in denen die Brecht'sehe Radiotheorie157 eine wesentliche Rolle spielt, sind diese keine Programmveranstalter im strengen Sinne. Aufgrund der Vielfalt der Angebotsgestalter ('jeder Empfänger ein Sender') verfügten Offene Kanäle lange Zeit über kein Programmschema, sondern verteilten die Sendezeiten nach dem Prinzip des 'first come, first served' oder der Schlange. Inzwischen hat sich diese Situation zum Teil geändert; mit der Einführung fixer Programmplätze haben rudimentäre Schematisierungen eingesetzt. Vom theoretischen Grundverständnis Offener Kanäle

Näheres zu Brechts Radiotheorie findet sich in Brecht (1967).

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

164

Programmkonzepte fließen ein in die Programmschemata. Durch das 'Füllen' mit verschiedenen, meist seriellen, in vielfaltigen Formen gestalteten Inhalten, unterschiedlicher Bindeglieder

(Teaser, Trailer, Promotion-Hinweise, Ansagen) und nicht zuletzt Werbeeinschaltungen, entstehen letztlich die Programme. Aus der Sicht des Publikums wurde ursprünglich mit dem

'Fernsehprogramms' noch zweierlei verstanden. Einerseits die Ankündigung kommender Sendungen, vermittelt durch Programmzeitschriften, andererseits die konkrete Abfolge von Sendungen. Diese ursprüngliche Doppelstruktur scheint inzwischen aufzugehen in der ewigen Gegenwart des Programmflusses. Begriff

des

TV-Programmanalvsen Die Gesamtheit aller innerhalb kultureller, nationaler und

regionaler Grenzen verfugbarer Programme ist ebenso wie die Zusammensetzung einzelner Programme sowohl für das Publikum als auch für unterschiedliche Akteure in Politik, Recht, Wirtschaft usw. von handlungsrelevanter Bedeutung. Umfassende Erhebungen von Programmstrukturen und -merkmalen finden im Rahmen von Programmanalysen statt. Fernsehprogrammanalysen werden vor dem Hintergrund unterschiedlicher Interessenskonstellationen in Auftrag gegeben und betrieben. Die Unterscheidung zwischen akademischer und angewandter Fernsehforschung (vgl. Hasebrink 1999) behält auch Gültigkeit für den Teilbereich der

Fernsehprogrammforschung. Die an den Universitäten betriebene akademische Forschung dient vorwiegend dem Test von Hypothesen und, darauf aufbauend, der Entwicklung von Theoriezusammenhängen (z.B. zu Fragen der Konzeption von 'Programmvielfalt', 'Programmqualität', 'Unterhaltung', 'Information' etc.). Fragestellungen angewandter Forschung sind hingegen im Hinblick auf politisch-rechtliche, wirtschaftliche, technische usw. Verwertungszusammenhänge gestellt. So dient etwa die Erhebung von Reichweiten-, Marktanteils- und Mediennutzungsdaten im Rahmen von Teletestauswertungen und Media-Analysen als Grundlage für die Entwicklung von Mediastrategien und Mediaplänen durch MediaAgenturen. Programmanalysen werden wiederum für die Entwicklung von Programmkonzepten oder zur Überprüfung der Einhaltung gesetzlicher Rahmenbedingungen eingesetzt.

Forschungsumfang aus betrachtet, ist die akademisch betriebene Programmforschung im Vergleich zur angewandten Programmforschung von geringer Bedeutung. Angewandte Forschung wird in der Regel von staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen sowie privatVom

wirtschaftlichen

entsprechend interessegeleitet. Weitere Unterschiede zwischen akademischer und angewandter ProgrammforOrganisationen

initiiert und ist

zum

Großteil der Fälle

Das audiovisuelle Produkt am Beispiel des Fernsehens

schung

165

lassen sich zudem noch in

Bezug auf Erkenntnisinteressen, Fragestellungen, terien, Methoden, Diskursformen feststellen (vgl. Hasebrink 1999, S. 17f.).

Gütekri-

„Programmanalysen entstehen in der Regel aus interessengeleiteten Fragestellungen, die politische, ökonomische, gesellschaftliche oder kulturelle Handlungsstrategien stützen sollen. Zum größten Teil handelt es sich um Forschung im Auftrag staatlicher, gesellschaftlicher oder kultureller Institutionen sowie privatwirtschaftlicher Organisationen, der geringere Teil fällt in den Bereich der akademischen Grundlagenforschung. (Krü"

ger 2001,

S.47)158

Betrachtung der kontinuierlichen Programmforschung in Deutschland aus systemtheoretischer Perspektive zeigt im Wesentlichen zwei Spannungsfelder, in deren Rahmen die Fragestellungen angesiedelt sind: Einerseits das Spannungsfeld zwischen Rundfunk und Wirtschaft, andererseits das Spannungsfeld zwischen Rundfunk und Politik/ Recht. Studien mit wirtschaftlichem Fokus zielen vorwiegend auf die Erstellung von Programmprofden und verknüpEine

fen diese mit

Reichweitendaten,

um

dem

Vermarktungsgrundlagen zu erstellen.

politisch-rechtlichen Umfeld interessieren sich rechtlicher Rahmenbedingungen (vgl. Gehrau 2001, S. 42). gen

aus

Studien mit Frau-

wesentlich für die

Einhaltung

Programmforschung wird in Deutschland vor allem von vier Trägern beauftragt: der ^ÄD/ZDF-Programmkommission als Vertretung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, dem VPRT als Interessensvereinigung der privaten Programmanbieter, den LandesmeKontinuierliche

dienanstalten als Aufsichtsbehörden

privater Rundfunkveranstalter und der AGF (Arbeitsgeder die Nutzer der Zuschauerforschung der GFK organisiert sind

Fernsehen), in (vgl. Krüger 2001, S. 59). Fragestellungen und Forschungskonzepte sind im Interessenshorizont der genannten Institutionen angesiedelt. Als einziges weiteres kontinuierliches Projekt zur Erforschung von Programmstrukturen mit dem Fokus auf fiktionalen Programmangeboten ist das Projekt 'Eurofiktion' zu nennen. Seit 1996 liefern kooperierende Forschungsteams aus Deutschland, Frankreich Großbritannien und Italien Ergebnisse über das fiktionale Angebot in den genannten Ländern. Neben Sendedaten, inhaltlichen Merkmalen (Genre, Formattyp) und kulturellen Indikatoren (z.B. Handlungszeit, -räum und -ort) werden zudem Zuschauermeinschaft

158 Im Folgenden soll als Beispiel auf die kontinuierliche Programmforschung in Deutschland eingegangen werden. Siehe als Beispiel für die Vorgehensweise einer Programmstruktur- und Produktanalyse im Kontext einer breit angelegten interdisziplinären und auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelten Untersuchung sowohl mit einer anwendungs- als auch grundlagenbezogenen Forschung die Ausfuhrungen in Kap. 6.

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

166

erhoben, um besonders erfolgreiche Sendungen identifizieren zu können (vgl. Hallenberger 2003, S. 490ff). Darüber hinaus treten insbesondere die Landesmedienanstalten als

zahlen

Auftraggeber von zeitlich und/oder thematisch fokussierten Programmanalysen auf. So wurden etwa Fragen zur Gewalt im Programmangebot, zur Struktur der Informationsangebote und Informationsleistungen privater Programme, zu Rechtsextremismus, zum Affektfernsehen, zur Darstellung Ostdeutschlands im Fernsehen, zum Vergleich von Fensterprogrammangeboten und zur Vielfalt in Fernsehprogrammen beforscht. Vereinzelt sind universitär initiierte Projekte zu vermerken (vgl. Krüger 2001, S. 52).

ganzheitliche und vergleichende Betrachtung von Fernsehprogrammangeboten eines bislang vorwiegend national definierten Raums ist charakteristisch für die großen 'makroanalytisch' angelegten Programmstrukturanalysen (vgl. Krüger 2001, S. 47). Die umfassende,

angewandte Forschung sind sie wie bereits erwähnt stark von den Interessenslagen innerhalb der spezifisch ausgestalteten Fernsehsysteme motiviert. Gehrau (2001, S. 45) legt dar, wie bestimmte Positionen in den politisch-rechtlichen Diskussionen um die Ausgestaltung des bundesdeutschen Mediensystems von Programmstrukturanalysen fundiert wurden. Hierzu führt er als Brennpunkte entsprechend motivierter Debatten die Konvergenzthese, die Frage der Vielfalt und jene der Qualität von Medienangeboten, an. Exemplarisch soll hier die Auftragsforschung zur Konvergenzthese angeführt werden. Als

-

Die

Schatz

-

(1989, S. 20-23) entwickelte Konvergenzthese besagt, dass sich Vollprogramme einander im Rahmen einer dualen Rundfunkordnung aufgrund weitestgehend ähnlicher Rahmenbedingungen in Inhalt, Form und Struktur annähern, eine These die, sollte sie durch Programmanalysen verifiziert werden können, den öffentlich-rechtlichen Programmanvon

u.a.

bietern die

spezifische Legitimationsbasis für den Grundversorgungsauftrag und die damit verbundene Basisfinanzierung entziehen könnte. In der Folge beauftragte die ARD/ZDF-Medienkommission Krüger mit der kontinuierlichen Erforschung der Programmstrukturen. Seit 1985 entstehen in diesem Kontext Standard- und Sonderauswertungen, die jeweils in Media Perspektiven und darüber hinaus in Sonderbänden publiziert wurden und werden (vgl. Krüger 1992, 2001). Während bei ARD und ZDF ein Interesse daran besteht, Unterschiede in den Programmprofilen von öffentlich-rechtlichen und privaten Anbietern, insbesondere in Bezug auf die Säulen des öffentlich-rechtlichen Programmauftrages (Information, Bildung, Unterhaltung) zu akzentuieren, also letztlich auf die Ausdifferenzierung von Programmangeboten zu verweisen, steht die Herausarbeitung von Gemeinsamkeiten in den Programmangeboten zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehanbietern im Interesse der privaten Anbieter.

Das audiovisuelle Produkt am Beispiel des Fernsehens

Mit Hinblick auf die Verifikation der

Konvergenzthese

167

untersuchte Merten im

Verbandes Privater Rundfunk und Telekommunikation e.V. strukturen

Auftrag des die Entwicklung der Programm-

(vgl. Gehrau 2001, S. 48; Krüger 2001, S. 62).

folgende Tabellenauszug aus Krüger (2001, S. 62) spezifiziert die allgemeinen Interessenslagen der drei wesentlichen Auftraggeber von kontinuierlichen ProgrammstrukturanalyDer

sen.

Abb. 5: Kontinuierliche

Ziele

Programmanalysen von ARD/ ZDF, AGF und ALM

ARD/ZDF

AGF

ALM

Programmstrukturvergleich

Bereitstellung von Programmdaten für die Werbewirtschaft; Verknüpfung von Nutzungsund Angebotsdaten;

Kontrolle der Angebote privater Veranstalter im Hinblick auf Leistungsanforderungen aus dem Rundfunkstaatsvertrag und den Me-

zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehan-

bietern;

Vergleich der Angebotsleistungen im Hinblick auf die

Anforderung des öffentlichrechtlichen Programmauftrags und die Rahmenbedingungen des Rundfunkstaatsvertrags;

Vergleich der Positionierung

öffentlich-rechtlicher Programme mit konkurrierenden

Sendern;

diengesetzen zur Begründung der Lizenzierung; Kontrolle des Vielfaltsgebots, der Einhaltung von Werberegeln und des Jugendschutzes; Kontrolle programmlicher Anforderungen für die Belegung von Plätzen im Kabelnetz;

Beobachtung und Analyse Programminnovationen;

von

Außendarstellung privater Programmleistungen.

Außendarstellung öffentlichrechtlicher Programmleistungen. (Quelle: Krüger 2001, S. 62)

Voraussetzung für die systematische, valide, reliable Abbildung von Fernsehprogrammen ist ein stabiles analytisches Instrumentarium. Die folgende Darstellung bezieht sich auf die von der /lÄD/ZDF-Medienkommission bei Krüger in Auftrag gegebenen Programmanalysen. Die Ausführungen basieren auf dem instrumenteilen Inventar, das im aktuellsten zehnjährigen Überblick über die bundesdeutsche Programmentwicklung zwischen 1991 und 2000 dargestellt ist (vgl. Krüger 2001). Vom Untersuchungsgegenstand aus betrachtet konzentriert sich die Erhebung auf die großen nationalen Vollprogramme (ARD, ZDF, RTL, SAT.l, ProSieberi). Darüber hinaus werden die dritten

Programme sowie über Satellit verbreitete kulturorientierte Vollprogramme (3SAT und ARTE) mit einbezogen. Ausgeschlossen bleibt hingegen die große Anzahl an kleineren nationalen Privatanbietern, Spartenkanälen, regionalen bzw. lokalen Anbietern sowie Programmanbietern im Rahmen digitaler Bouquets. Der Untersuchungszeit-

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

168

langfristige Veränderungen zu dokumentieren. Programmdaten werden seit 1985 kontinuierlich erhoben und jährlich ausgewertet. Die primäre Datengrundlage bilden Videoaufzeichnungen von vier Programmwochen, die über bewusste Auswahl aus den Jahresquartalen identifiziert werden. Darüber hinaus wird eine Reihe sekundärer Informationsquellen, wie etwa Programmankündigungen aus Tageszeitungen, Jahrbücher der Sender oder Film- und Fernsehlexika, zur Codierung der Daten hinzugezogen. Zur Kontrolle der Stichprobendaten wird seit 1998 eine Vollerhebung von Programmsparten auf Basis der elektronischen Programmankündigungen realisiert. räum

Als

ist darauf

ausgelegt

Analyseebene

mittel- und

wurde die

Sendungsebene festgelegt.

Seit 1997 werden einzelne Pro-

grammsegmente auf Beitrags- und Akteursebene codiert. Im Fokus der Analyse steht die Er-

hebung von Programmstrukturmerkmalen, wobei die Frage der Darstellung eine bedeutende Rolle spielt. So ermöglicht die Darstellung in praxisnah konventionalisierten Programmsparten leicht verständliche, überschaubare Vergleiche in Form von Spartenprofilen auf der Makroebene. Krüger unterscheidet folgende acht Programmsparten: Information, Fiktion, Nonfiktionale Unterhaltung, Musik, Sport, Kinder- und Jugendsendungen, Sonstiges sowie Werbung. Der Vorteil einer spartenorientierter Darstellungsweise ist allerdings mit analytischen Nachteilen verknüpft. In ganzheitlich orientierten Programmsparten treten strukturelle Merkmalsdimensionen (wie z.B. Inhalt, Form, Funktion, Zielgruppe) in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen auf. Diese Mischungsverhältnisse können nur in Form mehrschichtighierarchischer, relativ 'klobiger', kompositorischer Kategoriengebäude abgebildet werden. In den Forschungen von Krüger wird dieses kompositorische Analysemodell nach 1991 mit einem dekompositorischen Vorgehen verkoppelt. Programmform, Inhalt, Funktion und Zielgruppe werden nicht nur zu Programmsparten aggregiert, sondern gelangen als unabhängige Dimensionen der Programmanalyse zur Darstellung. Neben Daten zur Programmstruktur werden im Rahmen der von dery4/?D/ZDF-Medienkommission beauftragten Programmstrukturerhebung Merkmale aus folgenden Bereichen erforscht: Informationen zur Programmausstrahlung (wie z.B. Sendername, Datum, Wochentag, Art der Programmeinheit), zur Programmentstehung (wie z.B. Programmquelle, Produktionsart, Produktionsland, Produktionszeit), zur thematischen Struktur des nonfiktionalen Angebots sowie qualitative Indikatoren. Die Erhebung bestimmter qualitativer Merkmale zielt auf die Identifikation von Anhaltspunkten unterschwellig angesiedelter Programmveränderungen ab. Krüger (2001, S. 73) gibt einen Überblick über Kategorienschemata und Einzeldimensionen der Programmcodierung (siehe Abb. 6). Die

grafische Darstellung

von

Das audiovisuelle Produkt am

Beispiel des Fernsehens

169

Abb. 6: Dimensionen der Programmcodierung

24 Stunden Gesamtzeit

Restzeit

Kategorienschema

Einzeldimensionen Funktion

Information Fiction Nonfict.Unt. Musik

Nachrichten Polit. Infos.

Sport Kinderprogr. Sonstiges

Reality TV

Werbung

Ratgebers.

Boulevards.

Information

Bildung Beratung Unterhaltung Werbung

Form

Inhalt

Nachrichten

Politik Wirtschaft Kultur Soziales Kriminalität

Frauen

Sport

etc.

Magazin

Talkshow

Spielfilm Spot Show

TV-Serien U-Musik

Zielgruppe Kinder

Schüler Senioren Ausländer

Geobezug Zeitbezug Bayern

1900 1950 1980 1999

Deutschland Euro-Länder USA

2000 Zukunft

etc

etc.

elc.

etc.

(Quelle: Krüger 2001, S. 73) Die

Konzepte der groß angelegten kontinuierlichen Programmstrukturanalysen verdeutlichen die engen Interessenszusammenhänge, in denen diese Form der Forschung eingebunden ist. Breit angelegte, kontinuierliche Programmstudien sind aufgrund ihrer Größenordnung und ihres Mittelaufwandes in universitärem Kontext kaum realisierbar. So bleiben die Fragestellungen im Interessenshorizont der Auftraggeber verhaftet. Fragen der Profilierung, der Vielfalt, der Konvergenz, der Qualität, des Jugendschutzes und anderer politisch-rechtlicher Vorgaben etc. sind im Wesentlichen Fragestellungen der Programmanbieter, ihrer Interessensvertretungen und Aufsichtsorgane. 4.2

Unterschiedliche Ebenen des

Zugangs analytische Forschungsarbeiten

zum

audiovisuellen Produkt

Inhalts-

empirisch-analytische bezeichnende Mainstream der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft betrachtet Zeitungsartikel, Radio- und Fernsehsendungen, Filme usw. vorrangig in Bezug auf Inhalt, Aussage oder Botschaft. Diese Begriffe werden häufig synonym genutzt. Dabei interessiert nicht vorwiegend der inhaltliche Aufbau einer Sendung oder eines Films, Der

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

170

sondern das 'massenhafte' Auftreten

von

schaftliche Relevanz wird den Inhalten

potentiale zugeschrieben (vgl.

vor

medialen Inhalten in der

Öffentlichkeit. Gesell-

allem wegen der in ihnen vermuteten

Bonfadelli 2002, S.

Wirkungs-

14).

groben Überblick über jene Fragestellungen zu erhalten, in denen Medieninhalte von Bedeutung sind, so erhält man diesen über die Sichtung inhaltsanalytischer Forschungsarbeiten in den zentralen Fachperiodika. Heinz Bonfadelli hat eine solche im Rahmen seines Bandes Medieninhaltforschung vorgenommen (vgl. Bonfadelli 2002, S. 33-40). Versucht

man

einen ersten

Die wohl

größte Gruppe inhaltsanalytischer Forschungsarbeiten widmet sich der Erhebung inhaltlicher Strukturen. Der Vergleich von Medieninhalten mit den 'wirklichen Verhältnissen' bildet hierbei eine besonders häufig angewandte Forschungsstrategie. Als impliziter theoretischer Hintergrund fungiert oft eine „naiv-realistische Position der journalistischen Nachrichtentheorie" (ebda, S. 81). Massenmediale Inhalte sollten demnach die realen Verhältnisse möglichst getreu widerspiegeln. Davon abweichende Befunde werden als unausgewogen, verzerrt etc. bewertet. Bonfadelli (ebda, S. 33ff.) nennt hierzu eine Vielzahl von Forschungsprojekten: etwa Studien zur Repräsentation von verschiedenen Bevölkerungsgruppen wie z.B. alte Menschen, Ausländer, Minderheiten, Männer, Frauen. Auch Längsschnittstudien, in denen kultureller Wertewandel anhand der Veränderung wertebezogener inhaltlicher Merkmale erforscht wird, können zu dieser Gruppe gezählt werden. Häufig erforscht wird zudem die Thematisierung von „Ausländer(n), Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus", „Kriminalität und Gewalt", „Konflikte(n), Krisen, Terrorismus und Kriegsberichterstattung". Weitere inhaltsbezogene Studien konzentrieren sich auf die „mediale Konstruktion von Medienereignissen", „Umwelt, Wissenschaft, Technik und Risiken", „Gesundheit, Krankheit, Medizin" oder die internationale

„Nachrichtengeografie" (ebda, S. 83f).

ständig wiederholender Muster inhaltlicher Merkmale, so genannter 'Stereotypen', etwa bei der Darstellung von Frauen und Männern oder im Kontext von Gewaltdarstellungen, bildet einen eigenen Schwerpunkt innerhalb der Erforschung inhaltlicher Die Identifikation sich

Strukturen.

Eine zweite

Gruppe von Arbeiten widmet sich laut Bonfadelli mehr der Erhebung formaler inhaltlicher Charakteristika von Medienangeboten. Die Erforschung des Informationsgehaltes von Botschaften, der Breite des thematischen Spektrums (Vielfalt), der Verständlichkeit und der redundanten Informationen zählt dazu. Einen wichtigen Zweig bildet die Ver-

Das audiovisuelle Produkt am

Beispiel des Fernsehens

ständlichkeitsforschung.

Im

171

Prinzip wird hier von bestimmten messbaren Merkmalen von Botschaften, wie etwa der Satzlänge, Wortlänge usw., deren Werte mittels unterschiedlicher komplexer Formeln verrechnet werden, auf die Verständlichkeit von Medieninhalten geschlossen. Als dritte

Gruppe von Arbeiten nennt Bonfadelli Format-Analysen. Ziel solcher Analysen ist die Feststellung der formal-inhaltlichen Strukturen v.a. zum Zweck der Typologisierung von Medienangeboten. Bonfadelli nennt hierzu exemplarisch Analysen von Nachrichtensendungen, Wissenschaftssendungen, Game- und Reality-Shows sowie Soap Operas. 'Format-Analysen' sind von der Methode her besehen häufig an den Grenzen zwischen Inhaltsanalysen und Textanalysen angesiedelt. Eine vierte

Gruppe von Arbeiten ist um die Forschungsthemen Programmqualität, Medienleistungen und Benchmarking angesiedelt. Die Ausgestaltung vom öffentlich-rechtlichen System zum dualen Rundftinksystem in der Mitte der 80er Jahre hat eine spezifische Wettbewerbssituation zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehanbietern entstehen lassen. In Folge hat sich für die beteiligten Akteure ein erhöhter Bedarf an zuverlässigen und gültigen Daten zu den oben anführten Bereichen ergeben. Voraussetzung für die Durchführung von Analysen zur Programmqualität und -Vielfalt etc. war die Entwicklung und Operationalisierung adäquater Modelle und Instrumentarien (vgl. ebda, S. 40) zusammengestellte Überblick vermittelt einerseits eine große thematische Bandbreite, andererseits verweist er aber auch auf Begrenzungen inhaltsanalytischer Arbeiten. Bezogen auf die medialen Symbolgebilde konzentriert sich das Interesse der Kommunikationswissenschaft vor allem auf gesellschaftliche Thematisierungsverhältnisse. Der

von

Bonfadelli

Die

Ausrichtung des wissenschaftlichen Blicks auf makrostrukturelle Verhältnisse und Entwicklungen ist zwangsläufig verknüpft mit der Vernachlässigung der mikrostrukturellen VerAngeboten. Hierzu hat sich parallel zur Kommunikationswissenschaft der Bereich der Film- und Fernsehwissenschaft und im übergreifenden Sinne der Medienwishältnisse in medialen

senschaft entwickelt. 4.3

Aktuelle

Entwicklungen

Informationsgesellschaft und Erlebnisgesellschaft weisen auf nachhaltige gesellschaftliche Veränderungen hin, die sich vor dem Hintergrund des Diskurses um Moderne Stichworte wie

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

172

lassen; in ihren zentralen Analysegehalten werden Erosionen offenkundig, die auch die Medienentwicklung mit betreffen (vgl. Paus-Haase 2000, S. 236). und Postmoderne beschreiben

unterliegt auch das Rundfunksystem fortschreitenden Privatisierungs- und Kommerzialisierungseffekten (vgl. ebda). Soziale Systeme organisieren sich zunehmend nach ökonomischen Regeln marktwirtschaftlicher Gesellschaften (Löffelholz/Altmeppen 1994, S. 581). Die Medien- und Informationsindustrie gewinnt für die gesamte Wirtschaft eine zentrale Bedeutung. So hat sich nicht nur der Umfang des Programmangebots des Fernsehens seit der Umgestaltung der öffentlich-rechtlichen zu dualen Rundfunksystemen (in Deutschland 1984, in Österreich 2003) erheblich gesteigert. Nicht weniger als 37 Programmanbieter zählt Krüger für 2000 alleine in Deutschland, davon 20 private und 17 öffentlich-rechtliche Sender. 1985 also kurz nach Einführung des dualen Systems waren es nur 11 Anbieter (vgl. Krüger 2001, S. 38). Ein Abruf der ALM-TV-Sender-Datenbank (11/2004) zeigt vorwiegend eine starke Ausweitung der digitalen Free-TV- und in eingeschränktem Ausmaß der digitalen Pay-TVAngebote seit der Auswertung von Krüger (2001). Im Kontext dieses kulturellen Wandels

-

-

Schließlich haben sich die

Programmangebote nicht nur vervielfacht, sondern auch funktional ausdifferenziert. Krüger (ebda, S. 38) unterscheidet z.B. aufgrund einer Merkmalskombination von Rundfünktyp, Inhaltsorientierung, Programmangebot und Zuschauerakzeptanz sieben verschiedene Programmtypen: -

-

-

-

-

-

-

große öffentlich-rechtliche Vollprogramme (ARD, ZDF) große private Vollprogramme (RTL, SAT.l, ProT) kleinere private Vollprogramme (Kabel 1, RTL 2, Vox) regionale Vollprogramme (8 Dritte Programme der ARD) europäische öffentlich-rechtliche Kulturprogramme (ARTE, 3SAT) öffentlich-rechtliche Spartenprogramme (u.a. KI.KA ; Phönix; BR-alpha) private Spartenprogramme (u.a. Super RTL; n-tv; Eurosport)

Umfang des Programmangebots (insbes. der Vollprogramme) im Jahre 2000 eine Sättigungsgrenze erreicht zu sein scheint, verweisen wiederholte Verschiebungen der inhaltlichen Ausrichtung der Spartenprogramme auf eine geringe Stabilität. Während

vom

Betrachtung der inhaltlichen Entwicklungen der fünf großen Vollprogramme Deutschlands entlang der kulturell bedeutsamsten Unterscheidungslinie zwischen den Kategorien In-

Eine

Das audiovisuelle Produkt am

Beispiel des Fernsehens

173

formation und

Unterhaltung (vgl. Mikos 2000, S. 32) verweist vorerst auf eine Dominanz unterhaltungsorientierter Formen, die vor allem auf die privaten Programmanbieter zurückzuführen ist. Während das Angebot bei ARD und ZDF zu jeweils etwa der Hälfte aus unterhaltungsorientierten Angeboten und zur anderen Hälfte aus Informations-, Beratungs- und Bildungsangeboten besteht, liegt das Unterhaltungsangebot bei RTL und SA TA bei etwa drei Fünftel des Gesamtangebots, der informationsorientierte Angebotsteil aber nur bei einem Fünftel. Die restlichen 20 Prozent bestehen bei RTL und SATA aus Werbeschaltungen und Eigenwerbungsanteilen ein Anteil, der bei den öffentlich rechtlichen Sendern zu vernachlässigen ist. Bei ProSieben liegt der unterhaltungsorientierte Anteil bei etwa 75 Prozent. Entsprechend gering sind die informationsorientierten Anteile. (Vgl. Krüger 2001, S. 177) -

Jenseits der Verschiebungen zwischen den als

Gegensatz konstruierten Polen Information und Unterhaltung lassen sich mitunter umbruchartige Veränderungen vor allem im Bereich der nichtfiktionalen Programmanteile feststellen. „Mit der Vermischung von Hoch- und Trivialkultur findet, eng daran geknüpft, auch eine Hybridisierung unterschiedlicher Genres innerhalb verschiedener Medien statt: Fließende Übergänge und die Vermischung der Formen kennzeichnet die

Form der

Wirklichkeitskonstruktion; sie lässt sich in den unscharfen Übergängen von Fiktion und Non-Fiktion der Angebote des Fernsehens wieder finden." (Paus-Haase 2000, S. 239) Aus einer Betrachtung von nichtfiktionalen Programmen auf Beitragsebene Nachrichten, nicht-tagesaktuelle Informationssendungen, Talkshows erschließt Krüger (2001, S. 195) für neue

-

-

die 90er Jahre starke Tendenzen

Entpolitisierung und Boulevardisierung. An die Stelle „relevanter" Informationen zu Hintergründen politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen treten v.a. in nicht tagesaktuellen Informationssendungen einfach konsumierbare Themen wie „Skandale, Normabweichungen, Skurrilitäten, Schicksale, Unglücke" (ebda, S. 196). Eine neue Qualität erreicht diese Entwicklung 1993 mit der Gründung des ersten werktäglichen Boulevardmagazin-Formats genen Magazinformaten. Im nichtfiktionalen

zur

auf RTL

zur

besten Sendezeit. Die Konkurrenz antwortet mit ei-

Unterhaltungsangebot der 90er Jahre werden vor allem Talkshows massiv ausgeweitet. Von täglichen 35 Minuten aller fünf Hauptsender im Jahr 1991 (0,8 Prozent des Gesamtprogramms) stieg der Anteil auf 729 Minuten täglich (10,2 Prozent des Gesamtprogramms) im Jahr 1999 (ebda, S. 127). Der Talkshow-Boom der 90er Jahre, der vor allem von den privaten Anbietern und hier wiederum vom Trendsetter RTL ausging, wurde allerdings auch von der ARD mitgetragen. Eine Trendumkehr kündigte sich im Jahr 2000 mit einem Rückgang auf 9,6 Prozent des Gesamtprogrammanteils an.

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

174

Erstmals treten

Beginn der 90er Jahre sieht man von Eduard Zimmermanns Aktenzeichen XY ungelöst ab Reality-TV-Angebote im Fernsehen auf. Die Hybride aus Informations- und Unterhaltungsformen konzentrieren sich auf Ereignisse mit hohen Sensationswerten (Bedrozu

-

-

etc.); sie nutzen inszenatorische und dramaturgische Mittel aus dem fiktionalen Bereich fur die Gestaltung sensationsorientierter, spannungsgeladener Angebote.159 Seit den 90er Jahren differenziert sich die Form zu einer vielfältigen Genrefamilie aus (vgl. Krüger 2001, S. 114; Lücke 2002). Im fiktionalen Bereich kommt es zudem zu einer Konzentra-

hung,

Schaden

Spielfilme und TV-Filme werden insbesondere bei den privaten durch Serien ersetzt (vgl. Krüger 2001, S. 140).

tion auf TV-Serien.

Dieses

Sendern

'Repertoire' an fernsehspezifischen Angebotsformen ist einerseits Ergebnis der Aneig-

verschiedenen Medien, wie z.B. Radio, Film, Theater, sowie künstlerischen wie medialen Praxen, wie z.B. Literatur, Journalismus und Musik (vgl. Neale 2001, S. nung

von

Formen

aus

3), und andererseits eine Folge von Eigenentwicklungen, wobei insbesondere die Hybridisierung

von

etablierten Angebotsformen eine wichtige Rolle

spielt.

Eine

Betrachtung der generellen Angebotsveränderungen zeigt also, dass das private Fernsehen wesentlicher Motor der Veränderungsprozesse war. Die wesentlichen aktuellen Veränderungen finden in Grenzbereichen von nichtfiktionalen Unterhaltungsformen und Informationsformen statt und betreffen damit wichtige Bereiche massenmedialer Informationsangebote (vgl. Klaus/ Lünenborg 2000; Krüger 2004, S. 200). Wiederholt forcieren hier die großen privaten Programmanbieter die Entwicklung. Talkshows scheinen die Sättigungsgrenze bereits 1999 überschritten

zu

haben, sie werden teilweise

Inszenierungen/ Doku-Soaps, einem ersetzt (vgl. Krüger 2004, S. 200).

von

Gerichtsshows und später

weiteren Genre innerhalb der

von

Doku-

Reality-TV-Genrefamilie,

Die starke

Unterhaltungsorientierung und die Auflösungserscheinungen in den kulturellen Grenzlinien zwischen Unterhaltung und Information stellen ein dominantes Diskussionsthema Fernsehen dar.

Begriffe wie „Boulevardisierung" (Krüger 1996), „Personalisierung" (Bente/ Fromm 1997) „Entpolitisierung", „Fiktionalisierung", „Emotionalisierung", „Affektfernsehen" (Bente/ Fromm 1997), „Infotainment", „Edutainment", „Dramatisierung", „Inszenierung", „affektorientierte Informationsvermittlung" usw. begleiten diese Diskussion. Warum aber wird der Frage nach den Verschiebungen im Verhältnis von Information und Unterzum

Siehe hierzu die Formalanalyse von Taxi

Orange, einer Real Life Soap des ORF (Paus-Hasebrink 2004).

Das audiovisuelle Produkt am Beispiel des Fernsehens

175

haltung so große gesellschaftliche Relevanz zugeschrieben? Diskursbegriff an, der ideologische und soziale Dimensionen mit einbezieht. Diskurse werden als Wissensformationen (oberhalb von Texten) verstanden, die an gesellschaftliche Machtverteilung geknüpft sind. Es wird davon ausgegangen, dass bestimmte mit Macht ausgestattete gesellschaftliche Gruppierungen die Formierung von Wissen maßgeblich prägen (vgl. Fiske 1987, S. 14; Goldbeck 2004, S. 131).

Hier bietet sich

zum

Verständnis der

Unterhaltung sind in diesem Sinne diskursive Elemente, die in bürgerlichen Gesellschaften als Gegensätze konzipiert werden. „Information und Bildung ist seriös, objektiv, sachlich, authentisch usw., Unterhaltung ist unseriös, subjektiv, emotional, fiktional usw." (Mikos 2000, S. 32) Die strikte Grenzziehung zwischen diesen diskursiven Elementen gerät gerade vor dem Hintergrund massiver medialer und informationstechnologischer Umwälzungen ins Wanken. Immer mehr hybride Formen wie Tnfotainmentmagazine', 'Doku-Dramen', 'Daily Talks', 'Gerichts-TV, 'Real Life Soaps' vermengen Informations- und Unterhaltungsanteile zu neuen televisionären Amalgamen und fordern die etablierte Ordnung heraus. Die Kommunikationswissenschaft in ihren Modellen und ihrer empirisch-analytischen Ausrichtung traditionell stark an Informationskonzepten orientiert, setzt sich zusehends intensiver mit Unterhaltung auseinander (vgl. Bente/ Fromm 1997; Paus-Haase/ Schnatmeyer/ Wegener 2000; Früh 2002), sie adaptiert mit den 'Cultural Studies' Ansätze, um dem Phänomen des 'Populären' näher zukommen (vgl. Hepp/ Winter 1997; Hepp 1999; Goldbeck 2004).160 Die Versuche, die neuen Phänomene neu zu ordnen, d.h. neue Begriffe, Gegensätze, Hierarchien einzuführen, setzen u.a. dabei an, die Kategorien Information und Unterhaltung zu differenzieren. Im Bereich der Information stehen in der Folge auf der einen Seite die relevanten systemorientierten Informationen, auf der anderen Seite die 'irrelevanten' alltagsorientierten Informationsangebote des Fernsehens (vgl. etwa Krüger 2001). Information und

-

Auf der Ebene der

Unterhaltung wird zwischen (anspruchsvoller) guter Unterhaltung, und (anspruchsloser) schlechter Unterhaltung unterschieden (vgl. Goldbeck 2004). Die ideologische Funktion dieser Differenzierungen wird aus der diskursanalytischen Perspektive offensichtlich: Sie dienen der gesellschaftlichen und sozialen Ausgrenzung (vgl. Mikos 2000, S. 33).

Siehe hierzu die Ausführungen zu Alltags- und Populärkultur in Kap. 2

Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

176

4.4

Fazit

Das Phänomen der

geordneten Vielfalt von Fernsehangeboten

auf der Ebene der konkreten

orten:

lässt sich auf drei Ebenen

ver-

Produkte, auf der Ebene der Genres und Gattungen sowie

Programms. Fernsehprogramme sind dabei als Ausdruck der Logiken und Konzeptionen von Programmanbietern beschrieben. Die einzelnen Produkte zeigen sich hinauf der Ebene des

Logiken auf die Bedürfnisse des Publikums hin konzipiert. Als Texte funktionieren sie aufgrund ihrer 'Öffnungen' und Anknüpfungsmöglichkeiten für das Erlebnis- und Sinnproduktionspotential der Zuseherinnen und Zuseher. Deshalb entfalten sich audiovisuelle Symbolgebilde erst im Zuge der Rezeption und Aneignung. gegen in ihren inhaltlichen und formalen

Eine

Zwischenstellung nehmen Genres und Gattungen ein. Sie dienen vorwiegend der Orientierung aller Akteure, die an den komplexen Prozessen audiovisueller Kommunikation auf der Produktions- und Rezeptionsseite beteiligt sind bzw. sich beteiligen wollen. Über die punktuelle Miteinbeziehung des Diskursbegriffes wurde der Versuch unternommen, die Einbettung von audiovisuellen Kommunikationsprozessen in gesellschaftliche Diskurse anzudeuten. Deutlich wird vor allem anhand historischer Entwicklungen und aktueller Veränderungen -, -

dass auch die Konstruktion wissenschaftlichen Wissens über audiovisuelle Kommunikation in ihren

grundlegenden Kategorien an fundamentale gesellschaftliche Diskurse gebunden ist.

4.5

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Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation

180

Rezeption audiovisueller Medienangebote (Jens Woelke)

5

5.1

Vorbemerkungen

Systemtheorie (vgl. Luhmann 1995) gilt als Kommunikation, wenn entsprechende Angebote nicht nur erstellt (AV-Produktion) und über ein Verbreitungsmedium mitgeteilt (AV-Angebote), sondern diese auch verstanden (AV-Rezeption) werden: Bereits

Nicht erst seit der

frühere Ansätze und Modelle, die öffentliche Kommunikation vermittels technischer Verbrei-

wechselseitigen Austauschprozess konzipierten, setzen neben einem Kommunikator, der etwas aussagen will und zu diesem Zweck Medienangebote erstellt und verbreitet, auch einen Empfänger als notwendigen Teil von Kommunikation voraus. Sich den 'Empfang' von Medienangeboten analog technischer Überlegungen als eine Art von Übertragung vorzustellen, bei der es (vor allem) um die Frage geht, ob ein Medienangebot den Emp-

tungsmedien

als

fänger erreicht hat oder nicht, hat sich für den Bereich menschliche Kommunikation als nicht zielführend erwiesen. Stattdessen wird Kommunikation als ein Prozess

verstanden, bei dem

Empfänger mediale Angebote in irgendeiner Form auffassen und diesen Sinn und Bedeutung zuweisen (vgl. Bentele/ Beck 1994, S. 21ff; Burkart 1998, S. 35ff). Da es sich hierbei um einen aktiven, voraussetzungsreichen und von Erwartungen bestimmten Rekonstruktionsprozess handelt, wird im kommunikationswissenschaftlichen Diskurs statt von Empfangern von Rezipienten gesprochen. Um zu einer Theorie audiovisueller Kommunikation zu gelangen, sind neben der Befassung mit Produktions- und Angebotsaspekten jene Ansätze hilfreich, die sich mit Rezeption, d. h. mit der Wahrnehmung und Verarbeitung von Medienangeboten durch Film- und Fernsehzuschauer, Internetuser oder Kinobesucher und deren Konsequenzen auseinander setzen. Bevor die Ansätze und Befunde einer allgemeinen Wahrnehmungs- und Rezeptionsforschung als Grundlagen für ein Verständnis von audiovisueller Rezeption vorgestellt und diskutiert werden, soll jedoch noch näher ausgeführt werden, inwiefern die Befassung mit dem Phänomenbereich Rezeption notwendig ist für eine Analyse audiovisueller Kommunikation. 5.2

Begründung: Rezeption als Baustein audiovisueller Kommunikation

Feststellung, dass audiovisuelle Kommunikation verstanden als medial vermittelte öffentliche Kommunikation161 mehr ist als die Mitteilung von Informationsangeboten,162 deutet an,

Die

161

Siehe Kap. 1 und 2

181

Rezeption audiovisueller Medienangebote

Frage, ob ein mediales Angebot den Rezipienten erreicht hat, umso mehr interessant ist, wie er dieses Angebot auffasst. Unterstellt man nunmehr, dass mediale Kommunikation nicht beliebig ist, sondern zumeist auf die Vermittlung von Bedeutungen abzielt,163 dann wäre auch zu untersuchen, ob etwas gemäß der Intention eines Kommunikators verstanden wurde. Damit ergibt sich jedoch ein Problem: Die Absicht eines Produzenten medialer Aussagen ist eine immaterielle, nicht dingliche Sache, und es ist daher zu fragen, ob und ggf. wie Bedeutungen objektivierbar gemacht, d. h. in ein Medienangebot hineingeschrieben werden können, sodass ein Verstehen im intendierten Sinne oder gemäß der intendierten Bedeutung überhaupt möglich ist. Oder ungekehrt: In wie weit fur Medien der öffentlichen Kommunikation gelten kann, dass die Rekonstruktion von deren Informationsangeboten durch Rezipienten weder überraschend, mit ungewissem Ausgang, noch jedes Mal neu und auch nicht beliebig erfolgt, sondern dass Bedeutungen in diesen selbst angelegt sind. Hilfestellungen zu möglichen Antworten finden sich u.a. in der Gegenwartsphilosophie, die sich mit dem spannungsreichen und vielschichtigen Problemfeld der Bedeutung im Kontext verschiedener Andass neben der

sätze befasst hat.

5.3

Bedeutungen konstituieren: Sprach- und zeichentheoretische Überlegungen

Mit dem als

'linguistic Turn' bezeichneten semantischen Aufstieg vollzog die Gegenwartsphilosophie eine Hinwendung zur Sprache unter der Annahme, dass diese und insbesondere Zeichen unhintergehbar sind (vgl. Dummett 1988, S. II).164 Entsprechend wurde versucht, Sinn und Bedeutungen in Denk- und Kommunikationsvorgängen unmittelbar durch Analyse von Sprache und den von Menschen produzierten sprachlichen Texten zu erschließen. Während die analytische Philosophie versuchte, linguistische Kriterien fur intentionale Sätze zu ermit-

Der

Begriff Informationsangebot

meint

anknüpfend

an

die

Unterscheidung

von

Bentele und Beck

(vgl.

1994, S. 19) die mit einem Medienangebot dargebotene, praktisch unbegrenzte Menge an potentiellen Informa-

tionen. Potentielle Informationen sind (zunächst) nicht näher spezifiziert; denn erst im Zuge der Rezeption werden hieraus spezifische, mit Sinn und Bedeutung versehene Informationen aktualisiert. Für die Bezeichnung Informationsangebote unerheblich ist ebenso, ob deren Rezeption frühere Erfahrungen, augenblickliche Stimmungen, aktuelle Bedürfnisse, psychologische Erregungen oder individuelle und soziale Bewertungsmaßstäbe aktualisiert (vgl. Mandl/ Huber 1983, S. 1). So gesehen spezifiziert der Begriff Information auch keinen besonderen Typ von Medienangeboten potentielle Informationen liefern sämtliche Medienangebote, egal ob diese den Fernsehprogrammsparten Fernsehpublizistik, Unterhaltungspublizistik (vgl. Weiß/ Trebbe 2001, S. 58), Sport oder Werbung zugerechnet werden. -

-

163

Gemäß der Unterscheidung von Handeln und Verhalten (vgl. Schneider 1994, S. 12) meint Kommunikation hier die absichtliche (intendierte) Mitteilung von Aussagen, wenngleich Kommunikation empirisch neben absichtlicher zugleich auch aus nicht absichtlicher Informationsabgabe besteht (vgl. Bentele/ Beck 1994, S. 20). 164

Siehe Kap. 2

Einfuhrung in die Audiovisuelle Kommunikation

182

teln, wurden intentionale Phänomene in Teilbereichen der Semiotik

im Rahmen einer Zei-

chentheorie behandelt.

Bedeutungssuche I: Syntax und Semantik Die Semiotik versucht in drei Teilbereichen die Bedeutung von Zeichen aufzuklären. Während die Syntaxforschung sich mit der Grammatik, d.h. den Verknüpfungsregeln von Zeichen befasst, wobei Bedeutungsrelationen weitgehend unbeachtet bleiben, ging die Semantik als Teilbereich der Semiotik zunächst daran, Bedeutungen als innersprachliche Regeln, etwa über Verweisrelationen zu einem Objekt zu bestimmen. So ist die Bedeutung eines Symbols im Ansatz von Ogden und Richards (vgl. 1974, S. 11) definiert als sein Korrelat, d.h. dem mit dem Symbol kausal verbundenen Gedanken, der selbst über eine andere kausale Beziehung Bezug nimmt auf einen Referenten (Objekt), sodass in Folge eine weitere Beziehung zwischen Symbol und Referent angenommen werden kann. Indem hier Symbole in gewisser Weise ihren Ursprung im Objekt finden, auf den sich ein Gedanke bezieht, liegt eine referenzsemantische Definition vor: Die Bedeutung eines Symbols setzt im Falle eines Sachverhaltes voraus, dass Gedanke und Bezug in der empirischen Welt wahr sind und im Falle eines Objektes, dass dieses in der Realität existiert (vgl. Carnap 1947; Black 1968; Russell 1971). 5.3.1

Die Grenzen einer oder

Konzeption von Zeichenbedeutung als Referenz des Symbols zum Objekt Sachverhalt zeigen sich in den Fällen, wo Symbole auf nichtexistierende (im eigentli-

chen Sinne nicht wahrnehmbare) Phänomene wie etwa Einhörner verweisen, wo ein und dasselbe Symbol auf verschiedene Objekte oder Sachverhalte verweist (Polyseme) oder es für ein und denselben

Gegenstand oder Sachverhalt mehrere Symbole gibt (Synonyme). Eine hiermit

angedeutete Unbestimmtheit von Zeichen versuchte die semantische Kontexttheorie aufzulösen: Etwa durch Betrachtung der semantischen Kontexte (vgl. Nida 1952; Jakobson 1960, S. 353) oder mit Hilfe von Dimensionen der Syntax (vgl. Firth 1957). Wie Bedeutung verstanden als eine intrinsische Eigenschaft sprachlicher Zeichen nach Maßgabe syntagmatischer Relationen bestimmt werden kann, veranschaulicht Merten in den Ausführungen zur Inhaltsanalyse als semiotische Analyse: „Die Bestimmung des richtigen Signifikats [Objekts oder Sachverhalts] muß durch den Kontext erfolgen, wobei dafür sowohl syntaktische als auch semantische Möglichkeiten bestehen. Syntaktisch kann man z.B. anhand des verwendeten Artikels

Andere Teilgebiete der Semiotik, wie etwa die an kultureller Determiniertheit oder der Systemhaftigkeit von Zeichen interessierte Semiotik setzen sich auch mit Zeichen auseinander, die nicht notwendiger Weise eine Intention des Kommunikators voraussetzen (vgl. Nöth 1985, S. 2).

Rezeption audiovisueller Medienangebote

183

auf das

gemeinte Signifikat schließen (z.B. der Heide/die Heide). Andere Bedeutungen muss man konnotativ aus dem Text erschließen, z.B. 'Der Bauer wurde vom Springer geschlagen'." (Merten 1995, S. 66) Dass mit referenzsemantischen

Überlegungen die Bedeutung von Zeichen nicht hinreichend

geklärt werden kann, darauf deuteten bereits auch Saussures Ausführungen zu >langue< und >parole< hin. Er definierte Sprache als ein System von Zeichen, „indem einzig die Verbindung von Sinn und Lautzeichen wesentlich ist und in dem die beiden Seiten des Zeichens gleichermaßen psychisch sind" (Saussure 1967, S. 18 zit. n. Prechtl 1994, S. 58). Zudem machte Saussure auf die Notwendigkeit der Unterscheidung von Zeichen und Lautbild sowie von Lautbild und Lautgestalt aufmerksam (vgl. Prechtl 1994, S. 59). Die Idee, dass Bedeutungen erst aus der Synthese mehrerer Relationen abzuleiten sind, findet sich auch im Pierce'schen Zeichenansatz (vgl. Peirce 1967). Zeichenträger fungieren dann als bedeutungshafte Zeichen, wenn drei Relationen, die Relation 1) Zeichenträger-Objekt, 2) Objekt-Interpretant sowie 3) Zeichenträger-Interpretant vorhanden sind. Dabei versteht Peirce unter dem Begriff Interpretant eine mentale Operation, in der sich die Objekt-Zeichenträger-Relation als Denkvorgang realisiert. Ähnlich argumentiert Morris: „Der Interpretant eines Zeichens ist die Gewohnheit, kraft derer dem Zeichenträger die Designation bestimmter Gegenstandsarten oder Sachverhaltsarten zugeschrieben wird; als das Verfahren, die Menge der durch das betreffende Zeichen designierten Objekte zu determinieren, ist der Interpretant selbst kein Element dieser Menge [sondern ein metasprachliches Werkzeug; Anm. J.W.]." (Morris 1938, S. 57 zit. Die

n.

Eco

1977, S. 161)

Annahme, dass sich Bedeutungsgenese durch eine mentale Operation vollzieht, die durch

Gewohnheit und Konventionen und nicht durch semantische

Begründung

für die

Regeln

bestimmt

ist, diente als

Äquivalenzzeichentheorie: Nach dieser weist ein Zeichen die Bedeutung

auf, die ein gleichbedeutendes Zeichen in einem anderen Zeichensystem hat (vgl. Jakobson 1980, S. 35f.). Diese

Perspektive

Denn hier

scheint für die

sind, wie später noch

Analyse

audiovisueller Kommunikation sehr interessant.

wird, in einem Zeichenträger mehrere Zeichensysteme versammelt. So wird etwa die Idee, Bildverarbeitung und Bildverstehen auf sprachliche Regeln zurückzuführen und von der Fähigkeit abhängig zu machen, visuelle Bildkandidaten in sprachliche Zeichen übersetzen zu können, ebenso zu diskutieren sein wie die zu

erörtern sein

184

Einfuhrung in die Audiovisuelle Kommunikation

Frage, ob Bildangebote und sprachliche Texte tatsächlich in unterschiedlichen Gedächtnissystemen repräsentiert werden. Wird die

Bedeutung

eines Zeichens durch

Übersetzung

in ein anderes

Zeichensystem

be-

stimmt, d.h. definiert über die Menge aller Zeichen, die gleichermaßen bedeuten, bedarf es der

Bestimmung,

was

gleichbedeutend

Äquivalenzzeichentheorie, schen Kriterien

im Sinne

gleichermaßen ist. Der Vorschlag der Wahrheitsbedingungen nach referenzsemanti-

die Gleichheit der

von

entscheiden

(vgl. Quine 1981, S. 46), kann nach der Diskussion um den Ansatz von Ogden und Richards (vgl. 1974, S. 11) aber kaum als zielführend angesehen werden. Er steht auch grundlegenden semiotischen Überlegung entgegen: Der Annahme etwa, dass Menschen in einer semiotisierten Welt leben, weshalb Objekte nicht vorstellbar sind, die den Zeichen als unabhängiges Korrelat gegenüberstehen (vgl. Eco 1977, S. 108 und 161). Indem implizit unterstellt wird, dass die Bedeutung des als gleichbedeutend erkannten Zeichens fest steht, verlagert die Äquivalenzzeichentheorie das Problem der semiotischen Unbestimmtheit von Zeichen lediglich auf eine andere Ebene und erweist sich damit nur scheinbar als Lösungsweg. zu

-

5.3.2

Bedeutungssuche II: Phänomenologie und Pragmatik Die bisherige Diskussion macht deutlich, dass Zeichen zunächst nur einen abstrakten Wert in einem System von Relationen darstellen und dass es wenig zielfiihrend ist, sich Bedeutungen als durch syntaktische oder referenzsemantische Relationen festlegbare Inhalte oder Bezeichnungen vorzustellen. Somit bedarf es zur Klärung der Bedeutung eines Zeichens ergänzender Analysen. Ähnliches besagt auch die Phänomenologie, die sich unter dem Grundbegriff Intention mit dem Bedeutungsgehalt von Zeichen auseinandersetzt. Intentionen sind hier Erlebnisse, die sich auf einen Gegenstand oder einen Sachverhalt richten, und intentionale Akte sind dadurch gekennzeichnet, dass sie von etwas handeln. Wer berichtet, der berichtet nicht nur etwas, sondern auch über etwas (vgl. Münch 1993, S. 13). Um dieses etwas und das über etwas analysieren zu können, fordert die Phänomenologie den Rückgang auf die Anschauung, d.h. die Zuwendung zu den Sachen, wie sie sind um schließlich deren Relation zu Bewusstseinsinhalten aufzuklären. Diese Relation zu bestimmen wird deshalb als notwendig erachtet, -

da Zeichen erst durch ihren Differenzcharakter ein indexikalisches Substrat aufweisen Wenn die

Bedeutung

(vgl.

(=Indexikalität),

Zeichen werden und ferner zumeist auch

Husserl

oder der Referent eines

Kontext verändern können

zu

1890, S. 341). Mit anderen Worten:

sprachlichen

muss

Ausdrucks sich

ein Zuhörer, der

etwa

abhängig die

vom

Äußerung

Rezeption audiovisueller Medienangebote >Kohle< oder >Institut Und dieser ist

nen.

-

risch

185

sprachlichen Regeln auch den Kontext kenwie schon mehrfach angesprochen zumeist außersprachlich und empi