Einführung in die Abteilung Seelische Hygiene (Gruppe Gesundes Seelenleben): Halle Nr. 51 der Internationalen Hygiene-Ausstellung Dresden 1930 [Reprint 2022 ed.] 9783112662168, 9783112662151


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German Pages 17 [32] Year 1930

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Table of contents :
Vorbemerkung
Vorraum
I. Hauptraum: Anlageveredelung
2. Hauptraum: Seelisch-geistige Entwicklung im Kindesalter und Erziehungsfragen
3. Hauptraum: Seelische Hygiene des Erwachsenen
4. Hauptraum: Die Suchten als Fehlentwicklungen der Lebensgestaltung
5. Hauptraum: Pflege und Befürsorgung Nervenund Gemütskranker
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Einführung in die Abteilung Seelische Hygiene (Gruppe Gesundes Seelenleben): Halle Nr. 51 der Internationalen Hygiene-Ausstellung Dresden 1930 [Reprint 2022 ed.]
 9783112662168, 9783112662151

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Veröffentlichungen des Deutschen Verbandes für psychische Hygiene

Einführung in die Abteilung

Seelische

Hygiene

(Gruppe G e s u n d e s S e e l e n l e b e n ) Halle Nr. 51

der Internationalen HygieneAusstellung Dresden 1930 im Auftrag des Vorstandes des Deutschen V e r b a n d e s für p s y c h i s c h e H y g i e n e bearbeitet von den Gruppenbearbeitern

P. Nitsche und C. Schneider Sonnenstein

A r n s d o r f i. S.

Berlin und Leipzig 1930

Walter de Gruyter & Co. vormals G . J . Göschen'sche Verlagshandlung — J . G u t t e n t a g , Verlagsbuchhandlung Georg R e i m e r — Karl J . T r ü b n e r — Veit & C o m p .

Druck von Walter de Gruyter & Co.. Berlin W . 10

Tafel

Vorbemerkung. Die Hauptaufgabe der Hygiene ist Gesunderhaltung, dementsprechend das Ziel der psychischen Hygiene vornehmlich Gesunderhaltung des seelischen Lebens. Seelische Hygiene hat also vor allem zum Gegenstand die Maßnahmen, die psychische Gesundheit verbürgen, seelischer Erkrankung vorbeugen: Herbeiführung und Erhaltung möglichst günstiger Bedingungen für Entfaltung aller seelischen Anlagen. Unter dem Einfluß der vor allen Dingen von Amerika ausgehenden, in Deutschland aber frühzeitig auch schon von Sommer propagierten Bestrebungen hat sich mit dem Begriff der seelischen Hygiene ( » M e n t a l H y g i e n e « ) vor allem der der praktischen Psychiatrie, der Irrenfürsorge in allen ihren Formen und ihrer fortschrittlichen Weiterbildung verknüpft. Dies ist dem Sinne des Wortes seelische Hygiene eigentlich nicht gemäß. Der Ausstellungs-Gruppe »seelische Hygiene« Hegt jener eigentliche Begriff im eingangs erwähnten Sinne zugrunde. Äußere Umstände, darunter auch die Raumbeschränkung, steckten von Anfang an den Rahmen eng, zumal zwei unabhängig von einander ausgearbeitete Untergruppen, die Gruppe » s e e l i s c h e H y g i e n e « und die Gruppe »der n e r v ö s e M e n s c h « , sich in den gegebenen Raum zu teilen hatten. Von vornherein wäre es sachlich erwünscht gewesen, mit der Darstellung in die Breite zu gehen. Aber schon die zahlreichen Berührungspunkte der seelischen Hygiene mit anderen Zweigen der Hygiene und die damit gegebene Gefahr der Überschneidung mit anderen Gruppen, Doppeltdarstellung und unnötiger Wiederholung an verschiedenen Stellen der Ausstellung nötigten zur Begrenzung. Ja, es wurde geradezu notwendig, auf Darstellung mancher Dinge in unserer Gruppe zu verzichten, welche bereits in anderen Ausstellungshallen veranschaulicht sind. So wurden in der Gruppe » A r b e i t s - u n d G e w e r b e h y g i e n e « wichtige Maßnahmen der seelischen Hygiene ausführlich dargestellt, wie z. B . Berufswahl und Berufsausbildung, Rationalisierung der Arbeit, Arbeitspsychologie, Ermüdung bei der Arbeit, Lärmbekämpfung und Unfallverhütung. Alle diese anderswo ausführlich dargestellten Formen seelisch-hygienischer Betätigung werden in unserer Gruppe nur kurz erwähnt oder knapp dargestellt, und es wird in jeder Koje der 1*



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Gruppe durch Inschriften auf die Ergänzungen in anderen Gruppen ausdrücklich hingewiesen. Zu diesen äußerlichen Hemmungen kamen allerlei sachliche Schwierigkeiten, welche sich der Bearbeitung dieser ersten größeren Ausstellung aus dem Gebiete der seelischen Hygiene in den W e g stellten und bei der Kürze der Zeit nicht restlos überwunden werden konnten, so daß die hier gegebene Schau leider unvollständig und lückenhaft bleiben muß.

Vorraum. Wir fragen nun nicht, was ist die Seele? Darauf läßt sich in einer Ausstellung keine Antwort geben. Wir bestimmen vielmehr, was wir an seelischen Grundtatsachen in uns vorfinden. Wir denken z.B. 2 x 2 = 4, wir wollen z. B. den Arm heben, wir fühlen z. B. Freude und wir werden getrieben, z. B. uns hungert. Triebe sind sehr einfache, auf ein bestimmtes Ziel z. B. die Nahrungsaufnahme gerichtete Strebungen, Gefühle sind schon auf recht verschiedene Gegenstände gerichtet, oder ein und dieselbe Sache kann uns je nach Lage der Dinge in diesen oder jenen Gemütszustand versetzen. Unser Wollen können wir auf äußerst verschiedene Ziele lenken. Die einzelnen seelischen Grunderlebnisse zeigen also eine zunehmende Richtungsunbestimmtheit. Diese prägt sich beim Denken am stärksten aus. Unser Denken schaltet ziemlich ungebunden. Insofern gerade dieses ungebundene Denken dem Menschen besonders eigentümlich ist, scheint es uns das Höchste unsrer Grunderlebnisse zu sein, während das Triebleben als deren niedrigste Stufe erscheint. Man vergleicht diese Stufenreihe mit übereinanderliegenden Schichten. So stellt es auch die Ausstellung dar. Triebe als Unterste, Denken als oberste, Fühlen und Wollen als mittlere Schichten. Das ist aber nur ein anschaulicher Vergleich. In Wirklichkeit sind diese Schichten nicht streng getrennt, sondern im Gegenteil eng ineinander verflochten und verschlungen. Z. B. der Liebende urteilt über denselben Gegenstand anders als der Hassende. Zweierlei ist nun wichtig: i . Diese verschiedenen Erlebnisgrundarten stehen beim Gesunden zwar in einem inneren Gleichgewicht, sind aber keineswegs bei allen Menschen gleichmäßig ausgeprägt. Das lehrt einen jeden die eigene Menschenkenntnis: Dem kühlen, nüchternen Denker steht der warme, weiche Gemütsmensch und der aufwallende Triebmensch und der unbeugsame Willensmensch gegenüber. Das sind rohe Kennzeichnungen, aber sie genügen hier. In zahllosen Spielarten kennen wir derartige Abweichungen vom idealen Gleichgewicht des Seelen-



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lebens. Starke Abweichungen von demselben bedingen in der Regel für den betreffenden Menschen Schwierigkeiten der Lebensgestaltung. Wo diese so groß sind, daß sie zur gesellschaftlichen Entgleisung oder zur Behinderung in der Arbeit oder zu Störungen der gesunden Lebensfreude führen, sprechen wir von seelischen Abwegigkeiten (Abnormitäten, Psychopathien). Wir kennen zahlreiche Formen solcher Störungen: z. B. Erregbare, Reizbare, Haltlose, Ängstliche, Grüblerische, Perverse, moralisch Überempfindliche, moralisch Stumpfe. Derart hochgradige Abweichungen bedürfen häufig geeigneter Betreuung und offener oder geschlossener Fürsorge. Die Ausstellung versinnbildlicht diese Abweichungen unter Beibehaltung des Schichtenvergleichs: die überwiegende «Seelenschicht» ist jedesmal breiter gehalten.

2. Mindestens ebenso bedeutsam ist es, daß unser Denken ungebunden schalten kann. Das ermöglicht erst allen geistigen, kulturellen und zivilisatorischen Fortschritt, aber es bedeutet für den Menschen auch eine erhebliche Gefahr: unser Denken überspringt die Schranken der Gegenwart; es gaukelt die Gestaltung der Zukunft ebenso vor, wie es die Vergangenheit heraufbeschwört. Was Erwartung und Erinnerung, Glück und Sorge bedeuten können, bedarf keiner näheren Begründung. Sein darin bestätigtes Denken erhebt dadurch jeden einzelnen Menschen über die engen natürlichen Schranken, denen das Tier unterliegt; seine Triebe, sein Gemütsleben und die Begrenztheit seines Wollens binden ihn ebenso fest an diese Schranken, wie sein Denken sehnsüchtig darüber hinausstrebt. Unser Denken zeichnet uns Vorbilder; unser Unvermögen, dieselben zu erreichen, belastet uns bei dem uns innewohnenden Verantwortungsgefühl mit dem Erlebnis der Schuld, deren wesentlichste Wurzel daher gerade in der Ungebundenheit unseres Denkens liegt. Überall wo uns unser Denkvermögen b r a u c h b a r e Ziele zeigt, wo es mit Kraft des Willens, S i c h e r h e i t des G e f ü h l s , B e h e r r schung des T r i e b l e b e n s einhergeht, da erweist sich die Ungebundenheit unseres Denkens als ein Segen. Überall aber, wo das Denken in Widerstreit gerät mit den natürlichen Bindungen der Gefühle und Triebe, wo diese unsicher in ihrer Zielrichtung sind, wo die Willenskraft nicht ausreicht, oder wo die Ziele überspannt werden, da entwickeln sich Erschütterungen, welche so tiefgehende Störungen hervorrufen können, daß deren Folgen denen wahrer Krankheiten gleichgesetzt werden müssen. Dasselbe tritt ein, wenn äußerer Druck uns an der Entfaltung hindert, oder unvorhergesehenes Unglück uns aus der sicheren Bahn herauswirft; tritt umso leichter ein, je geringere Spannkraft wir entgegenstellen können. B r a u c h b a r e Ziele: Sie zu finden wird immer schwerer, je verwickelter das Gefüge der Lebensgemeinschaft ist, in welcher



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man lebt und je mehr man ohne geeignete Führung in einen Wirrwarr von Warnungen und Streitfragen hineingestellt wird. Sicherheit des Gemüts- und Trieblebens: Sie zu behalten wird immer schwerer, je mehr durch Technik und Zivilisation der Mensch sich von den einfachen Verhältnissen natürlicher Lebensweise löst und je aufreibender der Lebenskampf wird. Unsre Zeit bietet mit ihrer Wirtschaftsform und -not, mit ihrer Loslösung von allen festen Bindungen früherer Jahrhunderte, mit ihrer geistigen und wirtschaftlichen Entwurzelung der verschiedensten Gesellschaftsschichten einen günstigen Nährboden für zahlreiche seelische Spannungen und Erschütterungen des Einzelnen. Kein Wunder, daß gerade jetzt der Versuch unternommen wird, denselben vorzubeugen. Selbstverständlich wird gesundes Urteilsvermögen, scharfe Beobachtungsgabe, wachsame Aufmerksamkeit, sicheres Gedächtnis umso mehr vorausgesetzt, je unübersichtlicher die Umwelt ist, in welche der Einzelne hineinwachsen soll. J e schärfer er infolgedessen seine Kräfte anspannen muß, um sich neben anderen durchzusetzen. In höherem Grade Schwachbefähigte, denen die genannten Fähigkeiten abgehen, werden daher leicht unterdrückt und fallen aus dem gewöhnlichen Wirtschafts- und Erwerbsleben heraus. Sie neigen dann zur Verwahrlosung und bedürfen besonderer Betreuung. Mit den im V o r r a u m aufgehängten Tafeln wollen die verantwortlichen Künstler die Leistungen des Urteilens, Aufmerkens, Beobachtens und Merkens ausdrücken. Alles, was hier mehr angedeutet als ausgeführt werden konnte, weist hin auf den hohen Wert körperlicher und geistiger Gesundheit. Diese ist in viel höherem Maße die Voraussetzung unseres Tuns, als die leibliche Gesundheit. Unser Dasein wird in erster Linie durch unser seelisch-geistiges Leben bestimmt. Nicht so sehr unsere Leiblichkeit als vielmehr unser Seelenleben bestimmt das Maß unsres Glücks oder Unglücks. Aus einem hereingebrochenen Unglück retten uns in erster Linie die seelischen Spannkräfte, die aus einem schwachen Körper herauszuholen vermögen, was niemand vermutet hatte.

Was soll man nun zur Erzielung seelisch gesunder Menschen tun ? Unser seelisches Gesundheitsgefühl hängt in hohem Maße von unsrer Selbsteinschätzung ab. Gesunde Selbsteinschätzung bedeutet aber nicht so sehr gesteigertes Selbstbewußtsein als vielmehr Erhaltung gesicherten Selbstgefühls im Rahmen bewußter Ein- und Unterordnung innerhalb der Lebensgemeinschaft. Die wechselnden Zustände derselben verlangen häufig genug vom Einzelnen Opfer aller Art und unterwerfen uns oft schweren Spannungen hinsichtlich unsres Selbstgefühls. Sich dieses trotzdem zu erhalten und sich ohne Erschütterungen und Ausflüchte einzuordnen, das eben heißt seelisch gesund sein. Innerhalb feststehender Verhältnisse bedeutet es die schwerste Erprobung unsres Selbstgefühls, wenn wir ein ersehntes Gefühl nicht erreichen, nicht infolge äußerer Widerstände, sondern infolge inneren Versagens. Vor solcher Erschütterung kann uns die Einsicht in das Maß unsres Könnens und eine unsrem Können entsprechende Zielsetzung bewahren. Daß wir dies lernen, ist ein Zeichen seelischer Gesundheit; daß wir es lehren, ein Mittel zur Verhütung vieler seelischer Schäden bei an sich gesunden, normal veranlagten, begabten Menschen. Dies ist der Punkt, wo Erziehung und Schu-



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lung von Kindheit auf in den Dienst der seelischen Hygiene treten. Der Einzelne erfährt überall, bald hier, bald da die Schwächen und Stärken seines Wesens aus und an seinem Schicksal. Man kann also versuchen, ihn in der rechtzeitigen Erkenntnis seiner Schwächen und Stärken zu schulen, man kann seine Stärken fördern, seine Schwächen durch Übung vermindern wollen, immer bleibt man hier an die gegebenen Anlagen gebunden. Man kann aber noch mehr versuchen, nämlich die Zeugung in jeder Hinsicht seelisch gesunder Menschen zu fördern. Das versucht die Eugenik (Anlageveredelung).

I« Hauptraum: Anlageveredelung. Im Raum Eugenik, das heißt: Anlageveredelung, wird zunächst die innige Verbindung und gegenseitige Abhängigkeitsbeziehung zwischen Entwicklung des Gehirns und des Seelenlebens dargestellt. Innerhalb gewisser Grenzen kommen diese Beziehungen zunächst in einer Parallele zum Ausdruck zwischen Hirngröße und Hirngewicht einerseits und der seelischen Entwicklung anderseits. Vergleichende Darstellungen dieser Verhältnisse bei Karpfen, Pferd, Elefant, Schimpanse, Mensch. Der Vervollkommnung und Differenzierung des äußeren und inneren Hirnaufbaues entspricht Bereicherung und Steigerung der seelischen Leistung (Schnecke, Eidechse, Taube, Katze, Orang, Mensch). Der Bauplan der Körpernerven und des Rückenmarks ist in seiner auch für den Menschen gültigen Form schon bei den niederen Tieren festgelegt. Dagegen entfaltet sich das Gehirn in der Tierreihe aufsteigend mehr und mehr; entscheidend ist dabei der allmähliche Aufbau und die allmähliche Ausbildung des Hirnmantels sowie der Reichtum an Verbindungen zwischen beiden Hirnmantelhälften. Durch die Hirnmantelentwicklung werden die schon bei den niederen Wirbeltieren vorhandenen Stammteile des Gehirns allmählich immer mehr in die Tiefe des Großhirns (Hirnmantel) versenkt. Der Hirnmantelentwicklung entspricht die E n t f a l t u n g geistiger Leistungen. Der fortschreitenden Entwicklung von Stirn- und Schläfenhirn in der Tierreihe entspricht wiederum die fortschreitende Entwicklung zum Denken. Gegenüberstellung von unanschaulichem Denken beim Menschen, anschaulichem Denken bei Mensch und Schimpanse, Dressurstufe bei Mensch, Schimpanse und Hund. H i r n z e r s t ö r u n g f ü h r t zu G e i s t e s z e r s t ö r u n g . Bei angeborenem Blödsinn sind Störungen des allgemeinen Wachstums sehr häufig. Kretinismus ist eine in den Kropfgegenden der Alpen sehr häufige Blödsinnsform, wahrscheinlich hervorgerufen durch Störungen der SchilddrüsenTätigkeit. Durch Gebrauch jodhaltigen Vollsalzes kann Kropf- und Kretinismushäufigkeit verringert werden. Das Beispiel des Kretinismus zeigt die enge Verflechtung von Seelenleben, der Tätigkeit innerer Organe und der Körpergestalt sowie den Einfluß äußerer Lebensbedingungen auf den Menschen. Störungen in der Funktion der Drüsen mit innerer Sekretion bewirken schwere psychische Anomalien. Die Schilddrüse gehört ebenso wie der Hirnanhang, die Nebenniere und



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andere Drüsen zu denjenigen Organen, welche ihre Säfte unmittelbar ins Blut geben: Drüsen mit innerer Sekretion. Diese Organe sind für die Erhaltung der Gesamtgesundheit des Menschen außerordentlich wichtig, sie regeln insbesondere auch die Tätigkeit der nervösen Organe. Darüber hinaus stellen sie wahrscheinlich das Bindeglied zwischen Artung der nervösen Organe und Artung des Körperbaues dar, indem sie beide in ihrer Tätigkeit und Ausgestaltung grundlegend beeinflussen. Auf diese Beziehungen hat K r e t s c h m e r hingewiesen. Nach ihm sind Menschen von gedrungenem Körperbau, Neigung zu Fettsucht und bestimmten Gesichtsbildungen sehr häufig lebhafte, tätige, oft auch witzige Menschen mit weicher, heiterer Gemütsart, während langaufgeschossene, hagere, schmalbrüstige Menschen, besonders solche mit fliehendem Kinn sehr häufig kühle, starre und unzugängliche Naturen sind. Es handelt sich hier um einen in seinen Wirkungen sehr weitgehenden Grundsatz psychischer Artung. Hochgradige angeborene Unterentwicklung des Gehirns bedingt angeborenen Blödsinn (Mikrozephalie, d. h.: abnorme Kleinheit von Gehirn und Schädel). Durch Störungen im Säfteumlauf des Gehirns kann es zu krankhafter Wasseransammlung in Gehirn- und Schädelhöhlen kommen (Wasserkopf). Dadurch wird trotz der Schädelvergrößerung das Gehirnwachstum verringert. Die Schädeldurchschnittsbilder zeigen die Verdünnung des Hirnmantels beim Wasserkopf im Vergleich mit dem Gesunden. Der Schädelverkümmerung entspricht eine Gehirn Verkümmerung. Beide Erkrankungen verursachen angeborenen bzw. früh-kindlichen Blödsinn (Idiotie). Dieser kann auch noch durch verschiedenartige Mißbildungen und Gehirnkrankheiten während der Schwangerschaft oder im frühen Kindesalter entstehen. G e h i r n r ü c k b i l d u n g kommt durch gewisse während des Lebens erworbene Hirnkrankheiten zustande. Als Beispiel wird Hirnschrumpfung und Arteriosklerose sowie progressive Paralyse dargestellt. Die Schrumpfung des Stirn- und Schläfenhirns führt zu völliger Verblödung. Die Schlagaderverkalkung führt u. U. zu Hirnblutung. Wenn diese nicht tödlich war, entsteht aus dem Blutungsherd im Laufe der Zeit eine narbige Höhle. Gewöhnlich bleiben dann Lähmungen, häufig auch geistige Störungen zurück. Bei gehäuften Blutungen und Höhlenbildungen kommt es auch hier infolge der allmählichen Hirnzerstörung zur Verblödung. Die fortschreitende Hirnlähmung oder progressive Paralyse (fälschlich Gehirnerweichung genannt) ist die wichtigste der durch Syphilis hervorgerufenen Hirnkrankheiten. Sie erzeugt entzündliche Verdickung der weichen Hirnhaut und Zerstörung der Nervenzellen und Nervenfasern des Gehirns infolge Entzündung durch die Syphiliserreger. Fortschreitender geistiger und körperlicher Verfall ist die Folge. Heilfieberbehandlung verspricht, besonders bald nach Ausbruch der Krankheit, Erfolg. Vor Paralyse schützt die Vermeidung der syphilitischen Ansteckung!

Letzten Endes erwächst alle seelische wie alle körperliche Artung aus E r b a n l a g e n . Gehirn und Körperorgan entwickeln sich aus dem einheitlichen Gebilde der befruchteten Eizelle. Sie birgt von Vater- und Mutterseite her verschiedene Anlagen in sich. Diese bedeuten nicht nur körperliche, sondern auch seelische Eigenschaften. Daher sind die grundlegenden Maßnahmen und Forderungen der seelischen Hygiene eugenischer Natur. Die Darstellung der Ver-



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erbungslehre und Eugenik konnte die Gruppenausstellung nicht bringen. Es muß in dieser Hinsicht auf das Hygienemuseum verwiesen werden. Durch angeborene Anlagen sind dem betreffenden Menschen in seiner Wesensart und seinem Verhalten bestimmte Richtungen gewiesen. Grundlegende, stets auf die angeborene Organisation zurückzuführende Eigenschaften sind z. B. Temperament, Art der Erregbarkeit, Empfänglichkeit, Art der Reaktion auf Umwelt, Erlebnisse, Art und Grad der Intelligenz, »Begabungen«, »Talente«. Wie der einzelne Mensch sich aber innerhalb dieser Richtungen im Einzelnen betätigt, das hängt von der formenden Wirkung einer Fülle äußerer Einflüsse ab, welche teils an seinem Körper, teils an seiner Seele angreifen. Daher treffen wir selbst bei den Menschen, welche hinsichtlich ihrer angeborenen Beschaffenheit am einheitlichsten angelegt sind, bei den eineiigen Zwillingen, doch noch gewisse abändernde Wirkungen verschiedener Umweltsformen. Der Mensch ist eben »geprägte Form, die lebend sich entwickelt.« (Goethe.) Aber katastrophale und unaufhebbare Mängel werden bedingt durch gewisse auf abnormer Anlage beruhende Grundeigenschaften, z. B. kommen Psychopathien und viele Geisteskrankheiten so zustande. Alle ungünstigen Anlagen wirken sich nicht nur im Schicksal des Einzelnen, sondern auch für die Volksgesamtheit in schwerwiegendster Weise aus, z. B. gehört ein großer Teil der Rechtsbrecher zu den seelisch ungünstig veranlagten Menschen. Das zeigt die Tabelle nach Bonhoeffer. Mit der Erforschung der Anlagen beschäftigt sich die noch ganz junge Vererbungswissenschaft. Deren Ergebnisse gestatten uns beim Menschen vorderhand nur in bescheidenem Maße praktische Nutzanwendung. Auf diesem Gebiet erstrebt die Rassenhygiene Verhinderung der Fortpflanzung Untüchtiger und Förderung der Fortpflanzung Tüchtiger. Hinsichtlich der Durchführung dieser beiden Arten von Maßnahmen (negative und positive Rassenhygiene) stehen uns die Wege der Eheberatung, der Sterilisierung und der Empfängnisverhütung offen. Unterbrechung der Schwangerschaft kommt aus wichtigen gesundheitlichen Gründen als rassenhygienische Maßnahme nicht in Frage. Stammbaum Schizophrenie. Man sieht, daß die Schizophrenie dort auftritt, wo Personen aus gleicher Familie einander geheiratet haben, wo also Verwandtenehen vorliegen. Man sieht aber auch, daß selbst bei vorliegender Verwandtenehe keine Schizophrenie aufzutreten braucht. Selbstverständlich tritt Schizophrenie sehr häufig auch auf, ohne daß Verwandtenehe vorliegt.

Schizophrenie. Q



Schizophrenie

O

-

Schizoid

Q



TrinKer

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5icherer Anlageträger

(•) • 5

Stammbaum eines Sexualverbrechers.

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Vermutlicher "

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Selbstmord

1

Zwillinge

(Nach Fetscher.)

2) $ 3 ) f f i ) ^ 5 ) $ 6 )

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x . Trinker, Schizophrenie; 2 . Trinkerin; 3 . 4 . 5 . Schizophrenie; 6 . 7 . gesund; 8 . sehr weich; 9 . Schizophrenie, taubstumm; 1 0 . wiederholt bestraft wegen Sittlichkeitsverbrechen an Jungen unter 1 4 J a h r e n ; 1 1 . Masochist, in der J u g e n d in der Irrenanstalt; 1 2 . gesund; 1 3 . sehr ehrgeizig, ließ die Familie hungern, obgleich gute Verhältnisse bestanden; 1 4 . homosexuell, in hoher Staatsstellung, mußte den Dienst wegen Sittlichkeitsverbrechen aufgeben; 1 5 . Trinker, Weiberheld; 1 6 . Verschwender, sonderbarer Charakter, warf glühende Taler auf die Straße und freute sich, wenn Vorübergehende sich die Finger an ihnen verbrannten, =

Mann,

§

=

Frau.



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Stammbaum eines Sexualverbrechers. Dieser Sexual Verbrecher ist von Vaterseite her mit Jugendirresein und Trunksucht, von Mutterseite her mit Abnormität: Verschwendungssucht, krankhaftem Geiz und Homosexualität belastet. Bei anderen Sexualverbrechern kann andere erbliche Belastung vorliegen.

Stammbaum Epilepsie. Man sieht, daß sich die Epilepsie auf dieser Verwandtschaftstafel sowohl direkt, wie indirekt vererbt. Man kann also aus einem Stammbaum keinen Schluß ziehen, ob dominante oder rezessive Vererbung vorliegt. Übrigens finden sich nur selten so viele Epileptiker in einer Familie.

Epilepsie.

/

Zum Problem der Erbprognostik in der Psychiatrie (s. Tafel S.12). Die Erkrankungsaussicht der Kinder von Epileptikern und deren Geschwistern in Bezug auf Epilepsie und das Auftreten von «epileptoiden» Charakteren in der Deszendenz. (Vergleich mit der Durchschnittsbevölkerung.)

Die Tuberkulose-Sterblichkeit unter den geistesgesunden Geschwistern Schizophrener (Dementia-praecox-Kranker) (s. Tafel S.13) ist beträchtlich höher als unter den geistesgesunden Geschwistern der übrigen Geisteskranken und der Durchschnittsbevölkerung. Das spricht für eine Beziehung zwischen der Anlage zur Schizophrenie und der Widerstandsschwäche gegen Tuberkuloseinfektion. Man würde also durch Ausschaltung der Schizophrenen von der Fortpflanzung gleichzeitig auch eine besonders große Zahl von Personen mit herabgesetzter Widerstandsfähigkeit gegen Tuberkulose ausmerzen.



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Es erkrankten an E p i l e p s i e oder sind verschlossen-empfindliche oder aufgeregt-reizbare Psychopathen:

Von den K i n d e r n (»

Von den Kindern der

Jn der Deszendenz

Geschwister:

DurthsdiniitetjEvölkerung:

1,86%

0.25% 0,78% 3.00%

0,56%

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der

% 10 9

8 7 6 5 4

3

2

1 =Epilepsie

= Ver5chlDssen-

~ Empfindliche

_ Aufgeregt -

~ Reizbare

Nach dem Stand der Untersuchungen von 1926. *) Durchschnitt aus den Ziffern von Hoffmann, Kriesch, Krause usw. epileptischen Charaktere wurden hier nicht ausgezählt.

Die

Eine Anzahl Tafeln in Raum 2 zeigen die E h e b e r a t u n g im Dienste der Eugenik. Die Rücksicht auf den Einzelnen und die Gesamtheit verlangt Verhütung ungünstiger Anlagen, daher Eheberatung.



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T u b e r k u l o s e - S t e r b l i c h k e i t in den G e s c h w i s t e r s c h a f t e n Geisteskranker u n d d e r Durchschnittsbevölkerung.

. Geschwister von Demen. praecox-Kranhen . GesEtiwEterv.Manbdi Depressiven EpileptiKern Paralytihern " Probanden der Durthschnittebevölherung

1-10

11-20

21-30

31-40

41-50

51-60

61-70

Lpbpnsjabr Libaqahr LtbEngahr Lcbonjähr Ubtrejatr uboojahr Lifacn^shr Ehetauglichkeit und Eheuntauglichkeit. 1 . Der Fortpflanzung enthalten müssen sich Personen mit erblichen Geisteskrankheiten. Sie dürfen nur nach vorheriger Sterilisation heiraten. 2. Kinder und Geschwister von erblich Geisteskranken dürfen nur nach ärztlicher Beratung heiraten. 3. Personen, die an nicht erblichen heilbaren Krankheiten leiden, sind während der Dauer der Krankheiten eheuntauglich.



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4- Erbgesunde Personen müssen mit Rücksicht auf die künftige Nachkommenschaft Ehen mit erbkranken Personen meiden. Ärzte, welche die Sterilisation aus eugenischen Gründen vornehmen, können allerdings nach dem geltenden Recht zur Zeit nicht auf Straffreiheit rechnen, auch dann nicht, wenn sie die Operation (Unterbindung der Samenleiter bzw. Eileiter), die weder das körperliche noch das seelische Geschlechtsleben beeinträchtigt, mit Einverständnis des Operierten vornehmen. Wer soll nicht Eheberater sein? Die Ehevermittlung, weil sie ein Geschäft, aber keine Ehe vermittelt. Der Graphologe, weil die Schrift nichts von den Erbanlagen Deiner Familie verrät. Der Astrologe, weil in den Sternen nicht Dein Geschick geschrieben steht. Die Kartenlegerin, weil Karten und Handlinien kein Urteil über Gesundheit und Krankheit erlauben. Verwandtenehen sind schon bei geringer Belastung gefährlich. Eine Forderung seelischer Hygiene von ungeheurer Wichtigkeit ist die Vorsorge für die seelische Tüchtigkeit und Gesundheit der kommenden Generationen. Die in dieser Richtung notwendigen Maßnahmen beschränken sich keineswegs auf richtige Eheberatung und Gattenwahl, auf die Verhinderung der Fortpflanzung Untüchtiger. Not tut vor allem auch eine zielbewußte und umfassende qualitative B e v ö l k e r u n g s p o l i t i k . Diese Maßnahmen greifen tief in das Wirtschafts- und Staatsleben ein. Ihre Verwirklichung setzt weitgehendstes Verständnis des gesamten Volkes und vor allen Dingen der gesetzgebenden Instanzen voraus. Denn es handelt sich um eine rassenhygienisch wirksame Ausgestaltung der Besoldung und Anstellung, der Steuergesetzgebung, um die Gestaltung des Erbrechts und des Siedelungswesens, um die Regelung der Wirtschaftsordnung, des Erziehungs- und Bildungswesens. Sehr wichtig und wertvoll ist eine Resolution, die der ä r z t l i c h e B e z i r k s v e r e i n M ü n c h e n - S t a d t am 3. April 1930 angenommen hat und die sich mit dem Problem der k i n d e r r e i c h e n F a m i l i e , seiner sozial-hygienischen und bevölkerungspolitischen Bedeutung befaßt. Sie lautet: 1. Der Geburtenrückgang hat in der Nachkriegszeit in dem gesamten deutschen Siedelungsgebiet, besonders in den Großstädten, nicht zuletzt in München, einen katastrophalen Umfang angenommen. 2. Gelockerte Moral, wirtschaftliche Not, mangelnder Glaube an die Zukunft des deutschen Volkes, schwindender Gemeinschaftssinn sind die wichtigsten Ursachen dieser das deutsche Volksganze bedrohenden Erscheinung. 3. Verhütung, Eingriffe in das werdende Leben mit ihren körperlichen und seelischen Auswirkungen — damit zunehmende Zertrümmerung der Familie — sind die Folgeerscheinungen. Die Ärzteschaft Münchens betrachtet es als ihre vornehmste, ärztliche und vaterländische Pflicht, sich an der Bekämpfung dieser Verfallserscheinungen mit allen Mitteln zu beteiligen. Sie hält die Durchführung folgender Maßnahmen für besonders wichtig: 1. Mitwirkung des Arztes bei der Eheberatung unter Berücksichtigung eugenischer und rassehygienischer Gesichtspunkte, Überwachung



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des körperlichen Zustandes der Ehegatten, seelische Einwirkung im Sinne der Erhaltung des werdenden Lebens. 2. Ausgleichende wirtschaftliche Fürsorge zugunsten der kinderreichen Familien, deren Kosten von den Ledigen, Kinderlosen und Kinderarmen zu tragen sind (Ausgleich der Familienlasten). 3. Großzügige Wohnungsfürsorge mit stark gesenkten Mietpreisen (Mietzuschüsse). Restlose Verwendung der Mietzinssteuer für Wohnungsbau. 4. Gesetzlich obligatorische Familienversicherung. 5. Reform der Wohlfahrtspflege zugunsten erbgesunder, kinderreicher Familien. 6. Zielbewußte Familienpolitik. Verschärftes Vorgehen gegen trunksüchtige, moralisch minderwertige und pflichtvergessene Eltern. Die Ärzteschaft Münchens ist von der Überzeugung getragen, daß der Schutz der geordneten kinderreichen Familie die beste Sicherung für die Bildung neuer kinderfroher, erbgesunder Familien und damit für die Zukunft des deutschen Volkes darstellt. Hinweise auf Ergänzungen in Halle 10, Reich, Abschnitt 17: „Eugenik". Hygienemuseum, Abschnitt: „ E u g e n i k " .

2. Hauptraum: Seelisch-geistige Entwicklung im Kindesalter und Erziehungsfragen. In der weitaus überwiegenden Mehrzahl der Fälle sind wir außerstande, die Eigenschaften eines Menschen vorauszubestimmen. Vielmehr müssen wir in den allermeisten Fällen mit den Tatsachen rechnen; so wie der Mensch gegeben ist bei der Geburt, haben wir uns mit ihm abzufinden, soweit es nicht gelingt, seine Eigenart zu beeinflussen. Den bewußt geregelten Versuch, gegebene seelische Anlagen zu formen, nennen wir E r z i e h u n g . An der Erziehung beteiligen sich mindestens ebenso sehr wie die Eltern und Erzieher die Lebenseindrücke, welche auf den heranwachsenden Menschen einstürmen. Das Leben formt den heranwachsenden Menschen fortwährend weiter. Aber Forderung seelischer Hygiene ist, daß der erwachsene Mensch an dieser Aufgabe mitwirkt, indem er eben die Lebenseinflüsse siebt und verarbeitet. So ist seelische Hygiene des Kindesalters und der Reifezeit im wesentlichen seelische Hygiene der Erziehung. Texte zur Gruppe: Kindliches Seelenleben. 1. S ä u g l i n g . Das kindliche Gehirn reift erst allmählich. Das Kleinkind ist daher besonders ermüdbar. Ausreichender Schlaf in der angegebenen Dauer ist ihm unerläßliches Bedürfnis. Dabei soll es seine bestimmten Zeiten einhalten.

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Ein streng geregelter Tageslauf erleichtert dem Kind den Erwerb der ersten Kenntnisse. 2. K l e i n k i n d . Schon im 2. L e b e n s h a l b j a h r zeigen sich Unterschiede in der Wesensart. Kräftige Überlegenheit, schüchterne Unterlegenheit, kämpferische Selbstbehauptung treten bei ersten Spielversuchen mit Altersgenossen und (schwächer) im Verkehr mit Erwachsenen hervor. Schon jetzt bedürfen die Kinder der ihrer Wesensart angemessenen Erziehung. 3. A u f r i ß der a l l g e m e i n e n s e e l i s c h e n E n t w i c k l u n g . Das Kind tritt mit zunehmendem Alter in immer weitere Betätigungsfelder, lebt aber nur in größeren Gemeinschaften (Familie, Schule, Spielgefährten). Erst in der Reifezeit bildet sich die selbständige Einzelpersönlichkeit. 4. A n l a g e und U m w e l t . Die Ergebnisse der Entwicklung sind Kenntnisse, Fähigkeiten, Wesensart. Welche Eigenschaften hierbei hervortreten und wie sie sich im einzelnen äußern, hängt stets ab vom Zusammenwirken von Anlage und Umwelt. Bald überwiegen Anlage-, bald Umwelteinflüsse. Die Verwahrlosung liefert dafür das beste Beispiel. Innere Verwahrlosungsursachen sind: Schwachsinn, Charakterfehler, Schwererziehbarkeit. Äußere Verwahrlosungsursachen sind: Elternlosigkeit, ungenügende Erziehung, Verführung durch Personen und Sachen. J e nachdem, welche Verwahrlosungsursachen überwiegen, müssen die Erziehungsmaßnahmen verschieden gestaltet werden. L a n g j ä h r i g e Erziehung durch besonders g e s c h u l t e Berufserzieher in geeigneten A n s t a l t e n ist in jedem Falle erforderlich. Ähnliches gilt für Schwachbefähigte. 5. Ü b u n g , M i t ü b u n g , N a c h a h m u n g , G e w ö h n u n g . Die wichtigsten selbsttätigen Hilfsmittel bei der Erziehungsarbeit sind: die Nachahmung, weil sie zum Fortschritt anregt. Gewohnheit und Übung, weil sie alles Erworbene festhalten. Mitübung, weil sie Erwerbungen für die verwandten Fälligkeiten nutzbar macht. Die anregende und festigende Wirkung erstreckt sich gleichmäßig auf das erwünschte und unerwünschte Verhalten des Kindes. 6. T r i e b e n t f a l t u n g . Nahrungstrieb. Das Kind verlangt nach Nahrung. Nachahmungstrieb. Das Kind ahmt nach.



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Das Kind will spielen. E s setzt sich durch. E s fragt. Das Kind will vor allem gelten. Geschlechtstrieb. Das Kind wertet. 7. G e m ü t s e n t w i c k l u n g . V2—i'/i Jahr: Behagen, Erwartung, Freude am Wiedererkennen, Schreck, Furcht, Begehren. x—3 Jahre: Zärtlichkeit, Reue, Mitgefühl. 2—4 Jahre: Anhänglichkeit, Schuldbewußtsein, Bedrücktheit, erster Ehrgeiz, Eifersucht, Eigensinn, Zorn, Wut (Schlagen nach den Eltern bei Verboten). 3-—5. J a h r : Trotz, Verlegenheit, Beschämung, Ehrgefühl, Schüchternheit. Schamgefühl, Neid, Mißgunst. Gefühle des Gefallens und Mißfallens. 5.—7. J a h r : Selbstgefühl, Minderwertigkeitsgefühl, Rechtsgefühl, Anhalten der Reue, wetteifernder Ehrgeiz, Abenteuerlust. 7.—10. J a h r : Unterdrückung von Neid, Eifersucht, Zorn, Schadenfreude. 1 1 . — 1 2 . Jahr: Feinere Wertgefühle. (Alle Zahlenangaben sind naturgemäß sehr schwankend.) 8. W i l l e n s e n t w i c k l u n g und S p i e l . Arbeit. Fröbel: «Ein richtig beschäftigtes Kind ist niemals unartig.» Das Spielen stellt die Hauptwillensbetätigung des Kindesalters dar. Das Spiel nimmt noch im Schulalter einen breiten Raum im Tageslauf des Kindes ein. a) Der Erwachsene soll das Spiel des Kindes ordnend überwachen. Das Kind bedarf zeitweise der Hilfe des Erwachsenen beim Spiel, wenn es nicht entmutigt werden soll. Der Erwachsene soll aber nur soweit eingreifen, als es zur Überwindung einer das Können des Kindes übersteigenden Schwierigkeit notwendig ist. Bei vielen Kindern muß der Erwachsene von Zeit zu Zeit Anregung zu neuem Spiel geben. E r muß es aber vermeiden, das Kind aus einem harmlosen Spiel ohne Not herauszureißen. Allzu häufiger, zumal aufgezwungener Wechsel des Spiels erschwert die Erziehung zur Ausdauer, Stetigkeit und Selbständigkeit. b) Der Erwachsene soll Auswüchse des kindlichen Spielverhaltens (kindliche Grausamkeit) verhüten. E r erzieht das Kind dabei zur Anerkennung einer großen Zahl moralischer und sonstiger Verbindlichkeiten. Man denke aber auch an das schöne Wort von W. Raabe: «O du schöne Zeit der blutigen Nasen und zerrissenen Hosen; wehe dem Jungen, der Dich nicht erlebte.» c) Viele Kinder erschöpfen sich in begeisterter Hingabe an das Spiel. Einem derartigen Spielrausch muß der Erwachsene vorbeugen, indem er dem Kinde anderweitige, nutzbringende Beschäftigung verschafft, welche den ungeformten Betätigungsdrang des Kindes entlastet. d) Viele ermüdbare Kinder bedürfen wiederholter Spielpausen, in denen sie untätig dasitzen und träumen. Man soll solchen Kindern diese ihnen zur Sammlung dienende Ruhezeit nicht ohne Not verkümmern. e) Schon frühzeitig ahmt das Kind die Betätigungen des Erwachsenen im Spiel nach. J e älter die Kinder werden, um so mehr können sie (erst mehr spielend, mindestens vom 8.—9. Lebensjahre ab mit immer stärkerer Be-

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tonung des Ernstes der geforderten Betätigung und der Verpflichtung zu ordentlicher Erfüllung) zu Hilfsarbeiten aller Art herangezogen werden. Hier ergibt sich die Möglichkeit, die Kinder sowohl zur Achtung vor dem eigenen Werk als vor der fremden Arbeitsleistung zu erziehen. Erst im Reifealter wird der Mensch zur selbständigen Arbeit fähig. Vorher handelt es sich im Schulalter um angeleitete und im Vorschulalter um Gelegenheitsbeschäftigung. Das Kind lernt erst allmählich planmäßig, mit einsichtsvoller Arbeitsverteilung und ausdauernd zu arbeiten. E s bedarf immer neuer Antriebe, es arbeitet am besten, wenn es durch Beispiel angefeuert wird, es ermüdet leichter als der Erwachsene besonders nachmittags, es macht leichter Fehler, arbeitet langsam und ungleichmäßig und hat ein starkes Abwechslungsbedürfnis. Dementsprechend wird man seine Arbeitsleistung schonender bewerten. Das Kind soll doch erst allmählich in die Lebensform des Erwachsenen hineinwachsen. f) Die meisten Betätigungen und Entschlüsse des späteren Lebens werden im Spiel vorgeübt. Das Spiel des kleinen Kindes übt experimentierend vorzugsweise erst einfachere und gröbere, allmählich zusammengesetztere und feinere Gliedbewegungen; das Spiel des Vorschulalters besonders die feinere Sinnestätigkeit und Handgeschicklichkeit (Lege-, Falte-, Schneide-, Klebespiele u. a.) sowie die Beherrschung der verschiedenen Gangarten. Das Spiel des Schulalters wird immer mehr zum technischen, Wettbewerbs- und Gemeinschaftsspiel. Über die gesamte Kindheit hinweg dienen das Nachahmungsspiel und Rollenspiel der Einfühlung in die verschiedensten Situationen und Tätigkeiten des Erwachsenen Lebens, Suche-, Rätsel- und Pfandspiele der Einübung geistiger Fähigkeiten aller Art. Die Wettbewerbs- und Gemeinschaftsspiele haben eine besondere Bedeutung noch darin, daß sie das Eingliedern, Durchsetzen und Unterwerfen einüben. Im geregelten Familienspiel (Würfelspiele, schwarzer Peter usw.) können wichtige Leistungen des späteren Lebens z. B . das Ertragen von Mißerfolgen, neidloses Ertragen von Erfolgen anderer usw. vorgeübt werden. 9. G e i s t i g e F ä h i g k e i t e n . Das Vorschulkind erfaßt immer nur Einzelheiten, bis zum 4. Lebensjahr nur die aufdringlichsten (und ständig wiederkehrenden), im 4. Jahr besonders die Farben, im 5. Jahr besonders die Formen. Danach werden die Ähnlichkeiten und Unterschiede der Gegenstände nach Farbe und Form beachtet. Das schulpflichtige Kind erfaßt vollständige Gegenstände und ihre anschaulichen Zusammenhänge, ihre Eigenschaften, soweit sie mit den Sinneswerkzeugen in schlichter Beobachtung bei a u s r e i c h e n d e r A n l e i t u n g feststellbar sind, außerdem alle Tätigkeiten. Im wesentlichen also Dingbegriffe. Erst die Reifezeit schreitet in vollem Umfang zur Feststellung der unanschaulichen Zusammenhänge, Tatsachen und Eigenschaften und zu unanschaulichen Allgemeinbegriffen fort, die nur durch Nachdenken und schlußfolgernde Begründung gefunden werden können. Mit der Volksschulentlassung b e g i n n t also erst die volle Ausreifung der geistigen Fähigkeiten. 10. S e e l i s c h e B e d ü r f n i s s e . Gib Deinem Kinde, wessen es bedarf:

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Halt, Führung, Lob, Liebe, Belehrung. Schaff ihm Freude und weise ihm Ziele und Wege. 1 1 . D a s T u g e n d p r o g r a m m des K i n d e s . Ehrfurcht, Gehorsam, Wohlanständigkeit, Wahrheitsliebe, Liebes- und Hilfsbereitschaft, Bescheidenheit, Höflichkeit, Sauberkeit und Manierlichkeit, Fleiß, Verträglichkeit, Aufmerksamkeit und Pünktlichkeit. Kein Kind erfaßt diese Tugenden begrifflich. E s lernt sie nur durch das a n s c h a u l i c h e Erleben der erfreulichen oder unliebsamen Folgen seiner Handlungen für s i c h u n d a n d e r e . Im V o r s c h u l a l t e r nur bei unmittelbarer Aufeinanderfolge von Handlung und Wirkung im S c h u l a l t e r auch bei z e i t l i c h e r T r e n n u n g derselben. Struwwelpeter (Vorschulalter), Märchen (frühes Schulalter) und Jugenderzählung (späteres Schulalter) helfen das in Wirklichkeit erlebte in der Vorstellung festigen und vertiefen. «Zucht und Disziplin» heißt nicht Unterjochung sondern Anleitung unter Eltern zu klaren Entscheidungen und sonstige Gewalten zu Straffheit und Geschlossenheit zu Verantwortungsgefühl und Pflichttreue und zum Einordnen, Unterordnen oder Durchsetzen am richtigen Ort und zur richtigen Zeit. 12. Jegliche Erziehung besteht bei allen Regungen und Bedürfnissen seelischen Lebens in Einschränken Fördern. Das richtige Gleichgewicht ist auf jeder Entwicklungsstufe und für jedes Kind verschieden. 13. S e e l i s c h e E r s c h ü t t e r u n g e n des Kindes folgen aus dem W i d e r s t r e i t von Sich ausbreiten Sich bescheiden Wollen Müssen Wünschen Verzichten Sich entfalten Sich anpassen Freiheit Zwang Siegen Unterliegen Arbeiten Spielen Selbstbewußtsein Selbstverleugnung sowie aus innerem Wertwiderstreit zwischen Überhebung Ehrfurcht Wahrheitsliebe Selbstliebe Elternliebe Freundesliebe Gewissenhaftigkeit Leichtsinn Das spätere Leben wird vom Kinde die Entscheidung b a l d nach der einen, b a l d nach der anderen Richtung verlangen. Auch die beste Erziehung kann seelische Erschütterungen nicht immer verhüten.

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Sie kann aber das Kind durch Beispiel und Unterweisung zur lagegerechten E n t s c h e i d u n g anleiten und den i n n e r e n S p a n n u n g s a u s g l e i c h herbeiführen, indem sie dem Kind zu e n t l a s t e n d e r B e t ä t i g u n g verhilft. 14. Der A u s g a n g der E r s c h ü t t e r u n g e n ist Erstarkung Verkümmerung Der Wille wird g e ü b t . Der Wille des Kindes wird g e s c h w ä c h t . Das Kind wird e r p r o b t . Dem Kind werden Ziele v e r l e i d e t . Zur A n s t r e n g u n g gezwungen, E s wird mit H e m m u n g e n belastet, Zum S e l b s t v e r t r a u e n erzogen, durch B e ä n g s t i g u n g gequält. Der A u s g a n g hängt ab von der L e b e n s g r u n d s t i m m u n g des Kindes heiter ernst entschlossen zaghaft kräftig zart anregbar versonnen frisch ängstlich derb verletzlich der Plötzlichkeit und Dauer der Häufigkeit und Stärke der Erschütterungen, der Einförmigkeit und Vielgestaltigkeit. Das gesunde Kind wird meist erprobt und gestärkt und erleidet nur durch dauernde, starke, einseitige Erschütterungen eine seelische Verbiegung. 14. D i e E r z i e h u n g s m i t t e l den Selbstwert des Kindes steigernde Geschenke, Vergünstigungen, sichtbare Auszeichnung, Lob, Anerkennung neutrale Belehrung, Beispiel, ausgiebiger Umgang und reichliche Unterhaltung mit dem Kinde den Selbstwert verringernde Ermahnung, Zurechtweisung, Tadel, Herabsetzung vor anderen. Strafen: Entziehung der Anerkennung, Entziehung der gewohnten Liebe, Ausschluß aus der Gemeinschaft, Ausschluß von Vergünstigungen, Züchtigungen vom einfachen Schlag bis zur Prügelstrafe für das dauernd unfolgsame Kind und schwere bewußte Verfehlungen. Unerläßliche Voraussetzungen zur richtigen Anwendung sind mitfühlende, beispielswürdige Eltern, welche der Eigenentfaltung des Kindes Raum geben, aber das Kind und seinen Umgang ständig aufmerksam überwachen, welche wissen, wie schwer die rechte Erziehung ist und deshalb unablässig an sich selbst arbeiten. 15. D i e R e i f e z e i t . In der Reifezeit entdeckt die Jugend das eigne Ich und lernt es formen: sie entdeckt die eigne Geschlechtlichkeit; es erwacht selbständiges Denken; es dämmern gegenstandslose Sehnsüchte auf,



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Hingabe an schrankenlose Ideale, ungebundenste Schwärmerei, aber auch nüchternster Wirklichkeitssinn. Die Reifezeit entfremdet sich vom kindlichen Spiel und kommt in Zwiespalt mit den Erwachsenen, sie zerstört die kindliche Unbefangenheit, macht empfindlich, scheu, zurückhaltend, spröde, widerspenstig, läppisch, kampflustig, prahlsüchtig und gefallsüchtig. Der Jugendliche ist besonders unausgeglichen, zwiespältig und zerrissen. Er bedarf daher in erster Linie mitfühlender, seiner besonderen Wesensart angepaßten K a m e r a d s c h a f t der Älteren. Diese soll den nüchternen und den schwungvollen, den empfänglichen und den eigenstrebigen, den grüblerischen und den tatendurstigen zur klaren Einstellung zum anderen Geschlecht, zu Beruf und Erwerb, zu Staat und Gesellschaft, zu Sitte und Gesetz, zu Ich und Mitmensch, zu Kunst und Religion verhelfen.

Es konnten nur immer kurze Schlagworte und Hinweise gegeben werden. Die Erziehung ist eine der schwierigsten Aufgaben, die nur in lebendiger Gemeinschaft mit dem Heranwachsenden gelöst werden kann und Einsicht in die seelische Eigentümlichkeit des Kindesalters verlangt. Die seelisch-geistige Entwicklung in der Jugend ist eine eigenartige Verkettung von Entwicklung, Entfaltung und Neuschöpfung; E n t w i c k l u n g im frühen Kindesalter nur im Keim vorhandener Anlagen z. B. Werttriebe, E n t f a l t u n g bereits frühzeitig betätigter Kräfte zu größtem Reichtum z. B. im Wollen und Fühlen, N e u s c h ö p f u n g in den Ergebnissen des Geisteslebens: Das Kind schreitet von völliger Unwissenheit bei der Geburt bis zur Beherrschung der in seiner Umwelt üblichen Kenntnisse in der Reifezeit fort, erlangt dabei immer mehr schöpferische Einsicht und formt sich und seine Welt seiner wachsenden Einsicht gemäß. Dieses Fortschreiten erfolgt nicht ganz stetig, vielmehr wechseln Zeiten rascherer Entwicklung mit solchen der Festigung und Einübung ab. Die letzte große Fortschrittstufe ist die Reifezeit. Sie bringt eine besondere Gefährdung mit sich, weil in dieser Zeit der Jugendliche sich erst allmählich zurechttasten muß und daher leicht auf Abwege gerät. J e geringer Anlagen und Befähigung, je geringer Aufsicht und Führung seitens der Erwachsenen, je ungeregelter die Betätigung, je geringer die Willensbildung, desto größer ist diese Gefährdung. Durch die zahlreichen Verführungsmöglichkeiten, zumal der Großstädte, wird sie noch verstärkt. So ist von altersher die Reifezeit bis zu dem 18. Lebensjahr zugleich auch die Zeit des ersten Verbrechens oder Vergehens. In der großen Mehrzahl beginnen in diesem Alter die verbrecherischen Handlungen. Die Ausstellung sucht die erzieherische Haltung des Erwachsenen wie folgt zu umgrenzen: Er ist der Führer, nicht der Gewalthaber. Der Berater und



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Pfleger, der die fehlende Einsicht des Kindes ersetzt, nicht der strafende Rächer. Zur guten Erziehung gehört vor allem Einsicht in die besondere Wesensart und Fähigkeit des Kindes, die Abschätzung dessen, was ihm in seiner jeweiligen Entwicklungs- und Altersstufe zugemutet werden kann und der Überblick über die wesentlichsten erzieherischen Grundsätze. Hier wollte die Ausstellung wenigstens einige grundlegende Kenntnisse vermitteln. Wer sich weiter fortbilden will, sei auf die in Natur- und Geisteswelt erschienenen Schriften von Gaupp und Katz verwiesen. Die Kunst der richtigen d. h. niemals einseitigen und schematischen Anwendung der erzieherischen Grundsätze kann freilich weder eine Ausstellung noch die Lektüre lehren. Die Lebensgestaltung der Kindheit beeinflußt entscheidend die Lebensgestaltung des späteren Lebens. Darin liegt die Bedeutung der Erziehung für die seelische Hygiene selbst noch des erwachsenen Menschen. Bei allen nervösen Störungen des Kindesalters und allen anhaltenden Erziehungsschwierigkeiten befrage man so früh wie möglich einen erfahrenen Nervenarzt. Hinweise auf Ergänzungen in den Hallen: Halle 1 3 : Thüringen, Kinderfürsorge. Halle 8: Reich, Abschnitt 1 2 : «Gesundheitlicher Schutz für das Schulkind.» Halle 8: Reich, Abschnitt 1 2 : «Gesundheitlicher Schutz für die Jugendlichen.» Halle 49: Gruppe «Kind».

3. Hauptraum: Seelische Hygiene des Erwachsenen« Unvermerkt fast treten dem Reifenden die Anforderungen erwachsenen Lebens entgegen. Familie und Beruf, Arbeit und holung, Alltag und Freizeit, Einzelwesen und Gesellschaft sind Pole, zwischen denen der Erwachsene sich bewegt. Sie betonen Texte für Raum: Erwachsene. 1. P l a s t i k : S a m m l u n g . :

des Erdie die

Du hast genannt den mächt'gen Weltenhebel, der alles Große tausendfach erhöht und selbst das Kleine näher rückt den Sternen. Und die Zerstreuung nur verkennt's und spottet. (Grillparzer.)

2. P l a s t i k : E r h e b u n g . Nichts vom Vergänglichen, sei's noch so nah. Uns zu verewigen sind wir ja da.

(Goethe.)

3. B e r u f s w a h l . F r ü h e r wuchs die Jugend in die Arbeit der Erwachsenen hinein, weil sie ständig von ihr umgeben wurde und das Werden des Arbeitserfolges miterlebte.



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H e u t e sind Wohn- und Arbeitsort fast durchgängig getrennt. E s ändert sich die Einstellung des Erwachsenen zur Arbeit. Der Jugendliche aber wird der natürlichen Einstellung zur Arbeit entfremdet. Langer Berufsweg im Verein mit schwerer häuslicher Arbeit, langer Berufsweg im Lärm und Verkehr der Großstadt ermüden. Arbeiter einer badischen Wagenfabrik, welche zu Hause Feldarbeit verrichteten und außer Bahnfahrt noch 40 Minuten Wegs zurücklegen mußten, erlitten etwa 10% mehr Unfälle als die am Ort wohnenden Arbeiter. 4. U n f ä l l e entstehen durch unvermeidbare, unvorhergesehene höhere Gewalt, Unvollkommenheiten der Maschinen und Schutzeinrichtungen, Ungeschicklichkeit ungenügend ausgebildeter und unerfahrener Arbeiter, Mängel der Körperbeschaffenheit der Arbeiter (z. B. an den Sinneswerkzeugen), Ungeeignete seelische Eigenschaften der Arbeiter, Belastung des Arbeiters durch ungünstige Betriebsverhältnisse (Arbeitsgegenstand, Arbeitseintönigkeit, Entlohnungsart, Beleuchtungsart usw.), Belastung durch die Lebenslage, Von Einfluß sind ferner: Geschlecht, Alter, Klima, Jahreszeit, Alkoholgenuß u. a. m. 5. A r b e i t s e n t l a s t u n g beim Heimarbeiter durch planvolle Anordnung des Arbeitsplatzes, beim Geistesarbeiter durch planvolle Arbeitseinteilung, durch Entlastung des Gedächtnisses, beim Werkstattarbeiter durch planvolle Anordnung der ganzen Werkstatt (s. Gewerbehygiene). Die Ü b u n g wirkt arbeitsentlastend: sie schaltet unzweckmäßige Bewegungen aus, sie verringert dadurch die Anstrengung, sie fördert die eigentlich arbeitenden Funktionen, sie erhöht die Freude an der Arbeit durch den erkennbaren Fortschritt und Erfolg. 6. E r h o l u n g . Unter tausend Möglichkeiten, unter vielen Neigungen hat der Mensch die freie Wahl. E r h o l u n g bedeutet: Innere Spannungen ausgleichen; nicht beanspruchte Leistungen in mäßigem Grad üben; ermüdete Funktionen vollständig ausruhen. S c h l a f . Der Schlaf ist lebensnotwendiger Ausgleich der Tätigkeitsiolgen! Alle Lebenserscheinungen sind im Schlaf verändert. Die Lebewesen schlafen, teils im häufigen Wechsel zwischen Wachen und Ruhen, teils in nur einmaligem Wechsel, meist in Angleichung an den Wechsel von Tag und Nacht. Der Mensch gehört als Säugling zur ersten Gruppe, vom Schulalter an



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zur zweiten Gruppe. Das Vorschulalter bildet einen Übergang. Der Mensch hat gelernt, sich vom Wechsel zwischen Tag und Nacht frei zu machen. Das birgt die Gefahr der Schlafverkürzung in sich. Sie ist umso größer, je jünger der Mensch ist. Langandauernde Schlafentziehung führt zu Schädigungen. F a m i l i e . In der Kette der Geschlechter, die von ehedem sich zieht, unerschöpflich neu entquellend, bist Du nur ein kleines Glied. Der Vergangenheit verdankst Du — Deinen Ahnen — was Du hast. Los der Gegenwart heißt: Arbeit — doch der Fleißige selbst hält Rast. Sorge, daß in Deiner Freizeit Du an Wert und Kraft gewinnst. Dann schenk froh Dich Deinen Kindern, das ist schönster Lebensdienst. Alt und Junge so verbunden, möge still im jetzgen Tun des Berufes und der Rastzeit das Geschick der Zukunft ruhn. Hinweise auf Ergänzungen in Halle 45, Arbeits- und Gewerbehygiene, Kojen: Berufswahl und Berufsausbildung, Physiologische Rationalisierung, Arbeitspsychologie, Ermüdung, Lärmbekämpfung, Unfallverhütung.

Bei den gegebenen Raumverhältnissen der Gruppe und den sachlichen Überschneidungen mit anderen Gruppen konnten in der seelischen Hygiene des Erwachsenen nur die allgemeinen Richtlinien dargestellt werden. So sei denn hier nur noch gesagt, daß eine der wesentlichsten Voraussetzungen des Gesundheitsgefühls und der Gesunderhaltung auch im Seelenleben dies ist, daß möglichst alle Seiten unseres Wesens immer neu beansprucht und zur Entfaltung gebracht werden. Unter den heutigen Lebensbedingungen ist gerade diese Voraussetzung häufig nicht genügend erfüllt, häufig je nach äußeren Lebensumständen gar nicht erfüllbar. Bei solchem Widerstreit hilft dann immer noch die Nachdenklichkeit über den Sinn des Lebens überhaupt. Die Zerrissenheit unserer Zeit hat es den Sachbearbeitern durch unmittelbare Auswirkungen aller Art auf ihre Arbeitsgestaltung innerhalb der Gruppe unmöglich gemacht, diesen Gebieten Ausdruck zu verleihen. E s muß aber eindringlich gemahnt werden, daß gerade in der Besinnung auf den Sinn des Lebens auch die seelische Hygiene und gerade sie erst ihre wahre Stellung innerhalb der Wissenschaft und des Lebens erhält, und daß eine klare Sicht in diese Grundlagen unseres Geisteslebens, sei es über unverbesserliche Mängel hinwegträgt, sei es bestimmte sonst erforderliche Maßnahmen schlechthin unnötig macht.

4. Hauptraum: Die Suchten als Fehlentwicklungen der Lebensgestaltung« Die Ausstellung in diesem Raum ist von Dr. F r i t z F r a n k e l in Berlin ohne Mitwirkung des Vorstandes des Deutschen Verbandes



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für psychische Hygiene und der federführenden Gruppenbearbeiter bearbeitet worden. Sie behandelt 1. Die Trunksucht. 2. Andere Giftsuchten: Morphium, Kokain.

5» Hauptraum: Pflege und Befürsorgung Nervenund Gemütskranker. In früheren Zeiten gab es eine Behandlung Geisteskranker im medizinischen Sinne, wie wir sie heute haben, überhaupt nicht. Zwar haben schon im Altertum namentlich griechische Ärzte die psychischen Krankheiten wirklich medizinisch beobachtet und beurteilt. Bis in den Beginn des vorigen Jahrhunderts konnte man von einer wirklich medizinischen Behandlung dieser Krankheiten nicht sprechen. Vielmehr befaßte man sich mit den Geisteskranken nur insoweit, als ihre für die menschliche Gesellschaft störenden oder gar gefährlichen Krankheitsäußerungen zur Abwehr unbedingt nötigten. So gab es auch nicht Heil- und Pflegeanstalten in unserem heutigen Sinne, sondern reine Detentionsanstalten, die lediglich die Ausschaltung und Unschädlichmachung der die Allgemeinheit störenden Elemente zum Zwecke hatten. Mit fortschreitender ärztlicher Erkenntnis hat sich dann im Laufe des vorigen Jahrhunderts die Entwicklung der Irrenanstalt von der reinen Verwahrungsanstalt zum Krankenhaus für psychisch Kranke in allen Kulturstaaten entwickelt. Bis vor kurzem gab es eine Behandlung von Geisteskrankheiten fast nur in Form der Anstaltsbehandlung. Das hat sich nun in neuester Zeit geändert. Wir haben gelernt, die Bedeutung auch anderer freierer Formen der Behandlung von psychischen Krankheiten zu erkennen und zu würdigen. Die Psychiatrie steht heute auf dem Standpunkte, daß sachgemäße Therapie ( = Behandlung) psychischer Zustände unter Umständen möglich ist, ohne daß die Kranken in eine geschlossene Anstalt gebracht werden, ja daß das Vermeiden der Anstaltsunterbringung oder rechtzeitige Entlassung aus der Anstedt nicht selten geradezu ein Erfordernis der Behandlung ist. Trotzdem stellt auch heute noch die Anstaltsbehandlung den Mittelpunkt der Fürsorgemaßnahmen für Geisteskranke und psychisch Abnorme dar. Im Anschluß an die Entwicklung der Irrenanstalt von der Verwahrungsanstalt zum Krankenhaus für psychisch Leidende machte sich in der letzten Zeit immer mehr das ärztliche Bestreben geltend, den Arbeitsbereich der Anstalt über diesen Rahmen hinaus zu erweitern und ihn auch auf Nervenkranke und sogenannte Grenzzustände zwischen geistiger Gesundheit und Krankheit — Psychopathen, Nervöse, Süchtige usw. — zu erstrecken. Die für einen

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großen Teil der letzterwähnten Fälle nötigen offenen Abteilungen und poliklinischen Beratungsstellen vervollständigen den therapeutischen Apparat der Irrenanstalt in wertvoller Weise. Diese Heilanstalten hören damit auf, lediglich »geschlossene Anstalten« zu sein. Es bedeutet eine erhebliche Verbesserung, daß durch Angliederung solcher offenen Sonderabteilungen die Durchführung freiheitlicher Maßnahmen sehr erleichtert und eine feinere Abstufung in deren Anwendung auch auf die ausgeprägten Geisteskrankheiten möglich wird. Den Schlußstein dieser Entwicklung bedeutet die nach dem Vorgang von Kolb, Direktor der Erlanger Anstalt und Schöpfer dieser Einrichtung, nahezu allenthalben in Deutschland jetzt geschaffene sogenannte offene Fürsorge für Geisteskranke und psychisch Abnorme. Es handelt sich dabei darum, daß Patienten dieser Art, die noch nicht oder nicht mehr der Anstaltsbehandlung bedürfen, von psychiatrisch geschulten Ärzten und Pflegepersonen, in ihren Familien oder auch in der Berufstätigkeit verbleibend, sachkundig beaufsichtigt und betreut werden. Diese therapeutisch wie sozial gleichwichtige und wertvolle Einrichtung ermöglicht es, in allen den Fällen psychischer Anomalie die Unterbringung in einer Anstalt zu vermeiden oder rechtzeitig zu beenden, in denen diese intensivste Form der Fürsorge und Betreuung den Patienten entbehrlich oder sogar unzuträglich ist. Die Unterbringung eines Psychischkranken in einer Anstalt ist nicht n u r ein Akt mehr äußerer Fürsorge, sondern mit unmittelbaren psychotherapeutischen *) Wirkungen verbunden. Mit der Anstaltsunterbringung werden die Kranken aus ihren gewöhnlichen Lebensverhältnissen, aus Familie und Berufssphäre entfernt. Waren sie dort mehr oder weniger auf sich selbst gestellt, hatten sie Pflichten und Anforderungen zu genügen und waren sie damit allen Rückwirkungen ausgesetzt, welche den im Leben Stehenden treffen, so finden sie in der Anstalt nun durchaus geschützte Verhältnisse. Sie werden hier betreut, geschützt und gelenkt, von einem fremden Willen geleitet. Lebenskonflikte mit ihren schädigenden Rückwirkungen auf den Krankheitszustand werden von ihnen fern gehalten. So bedeutet also die Anstaltsbehandlung in psychotherapeutischer Beziehung vor allem Schutz und Schonung. Dabei geht das ärztliche Bestreben natürlich dauernd auch dahin, den Willen und das Gefühlsleben der Kranken anzuregen und zu üben; und in der Möglichkeit, Übung und Schonung richtig gegeneinander abzustufen, dabei auch auf den körperlichen Zustand genau Rücksicht zu nehmen, liegt der H a u p t w e r t der Anstaltsbehandlung, bei der somit der Gesichtspunkt schonender Fürsorge überwiegt. Diese muß bei einer großen Anzahl namentlich Schwerkranker durchaus im Vordergrund stehen, so daß f ü r diese Fälle der Anstaltsaufenthalt unbedingt nötig und das Richtige ist. In vielen anderen Fällen oder in gewissen Krankheitsstadien der psychischen Störungen kommt es aber darauf an, über das in den Verhältnissen einer Anstalt mögliche Maß hinaus anregend und *) Psychotherapie d. h. Behandlung durch seelische Beeinflussung.



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übend auf Gemüt und Willen der Kranken einzuwirken, den Kranken ein erheblicheres Maß von Selbständigkeit zu gewähren und sie ins freie Leben zu versetzen oder darin zu belassen. Diese Möglichkeit gibt die oben erwähnte offene Fürsorge. J e nachdem man die dieser offenen Fürsorge unterstellten Patienten in den eigenen oder in fremden Familien unterbringt (Familienpflege), sie dort nach ärztlichen Gesichtspunkten mehr oder weniger beschäftigt oder gar wieder eine Berufstätigkeit ausüben läßt, kann man die verschiedensten Abstufungen hinsichtlich Anregung und Gewährung von Bewegungsfreiheit vornehmen. Voraussetzung f ü r die Wirksamkeit und segensreiche Entfaltung dieser Einrichtung der offenen Fürsorge ist natürlich sorgfältige, gute, rasche Arbeit ermöglichende Organisation und pflichtgemäße Rücksichtnahme auf das Gefahrenmoment. Die Erfahrung lehrt, daß unter diesen Bedingungen gefährliche Handlungen Geisteskranker, die unter einer offenen Fürsorge stehen, äußerst selten vorkommen, ja, daß diese Einrichtung die von Kranken und psychisch Abnormen drohenden Gefahren ganz wesentlich einschränkt, da die offene Fürsorge ja vor allem auch viel besser und viel eher als dort, wo diese Einrichtung nicht besteht, ein rasches Erfassen und eine rasche Unterbringung von Psychischkranken mit gefährlichen Krankheitsäußerungen ermöglicht. Die Erfahrung lehrt auch, daß eugenischen Bedenken gegen diese offene Fürsorge bei richtigem Vorgehen kein erhebliches Recht zukommt, wenn auch betont werden muß, daß die heutige gesetzliche Lage noch nicht in erwünschtem Maße Maßnahmen gegen die Fortpflanzung von Menschen, von welchen die Gefahr der Vererbung seelischer Anomalien droht, ermöglicht. Ebenso wie die offene Fürsorge eine Abstufung der Behandlung in psychotherapeutischer Beziehung gestattet, ist eine solche Abstufung im Rahmen der Anstaltungsbehandlung nötig und möglich. Zunächst insofern, als die mit der Unterbringung Kranker in einer Anstalt verbundene Freiheitsbeschränkung je nach der Art und Einrichtung der einzelnen Krankenabteilungen (geschlossene Abteilung mit dauernder Überwachung, Abteilung mit weniger intensiver Beobachtung, offene Stationen, Bewegungsfreiheit innerhalb der Anstalt, Beurlaubung ins freie Leben) in den verschiedensten Graden bemessen werden kann. Sodann kann die Beschäftigung, die ein Hauptmittel seelischer Behandlung ist, nur in der Anstalt in feinster Weise nach Art, Dauer und Maß dem geistigen und körperlichen Zustand der Kranken angepaßt werden. Eine planmäßig geregelte und dem Zustand angepaßte Beschäftigung wirkt in hohem Maße seelisch aufbauend, ordnend und übend; sie lenkt die Patienten von den Vorgängen in ihrem Innern ab, sie wirkt der Neigung vieler Kranken entgegen, sich von der Außenwelt abzusperren und ihren krankhaften Stimmungen und Gedanken nachzuhängen; sie mildert innere Unruhe oder ermöglicht Ableitung dieser Unruhe auf dem Wege geordneter körperlicher Betätigung. Sie ist geeignet, ein Gefühl der Befriedigung zu erzeugen und das Selbstgefühl zu erhöhen. Ihre Ergänzung finden diese psychotherapeutischen Maßnahmen in der Anregung der Kranken durch Turnen, Sport und Spiel. Alle diese Maßnahmen fördern nicht nur das körperliche Wohl, sondern üben auch Geist, Aufmerksamkeit, Willen usw.); hierzu kommt Anregung durch Unterricht, Geselligkeit, Vergnügungen und Zerstreuungen aller Art. Auf der andern Seite sind nur in der Anstalt in vielen Fällen die Ruhemaßnahmen und die körperliche Pflege psychisch Kranker (Bekämpfung der Nahrungsverweigerung, überhaupt Verhütung ungünstiger körperlicher Rückwirkung durch die seelischen Krankheitsäußerungen, Verhinderung von Ver-



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letzungen und Selbstbeschädigungen, Siechtumspflege) möglich. Dies gilt auch für viele Kurmaßnahmen wie für die Anwendung dauernde ärztliche Überwachung erfordernder Medikamente, für die Entziehungskuren, für die moderne Heilfieberbehandlung, für hydrotherapeutische Maßnahmen (Wasserbehandlung, warme Dauerbäder). — Bei der ganz erheblichen Beschränkung des Raumes konnte die Ausstellungsgruppe »Seelische Hygiene« aus dem, wie man sieht, sehr umfangreichen Rahmen, in dem sich die Fürsorge für Psychischkranke und Abnorme sowie die Behandlung seelischer Leiden abspielt, nur ganz wenige Stichproben bringen. Eine große W a n d k a r t e führt alle in Deutschland vorhandenen Anstalten für Psychischkranke, für Nervenleidende und Süchtige auf und läßt anschaulich erkennen, wie dicht das ganze Reich mit Anstalten dieser Art übersät ist. Eine Tafel stellt den zuerst von Bratz formulierten Gedanken einer g e s t a f f e l t e n F ü r s o r g e f ü r N e r v ö s e u n d s e e l i s c h A b n o r m e dar, d. h. eines geschlossenen Systems aller der äußeren Fürsorgeformen für seelisch Abnorme. Dabei bildet die erste Staffel die geschlossene Anstalt mit angegliederten (zum Teil offenen) Sonderabteilungen für Epileptiker, Schwachsinnige und psychopathische Kinder, für bildungsunfähige und idiotische Kinder, für Alkoholiker, Morphinisten und andere Süchtige, für erwachsene Psychopathen, für organisch und funktionell Nervenkranke. Als zweite Hauptstaffel werden nach dem Inkrafttreten des künftigen Strafvollzugsgesetzes Unterbringungsstätten für die straffällig gewordenen gemindert Zurechnungsfähigen und Süchtigen notwendig werden. Die ärztlich beaufsichtigte Familienpflege bildet die dritte, die offene Fürsorge die vierte Staffel. Als fünfte Staffel bezeichnet Bratz die aufklärende und belehrende Tätigkeit des Psychiaters im Leben des Volkes, besonders im Sinne der modernen Bestrebungen für psychische Hygiene, wobei es sich namentlich um vorbeugende Arbeit handelt. Tafeln von AW/fr-Erlangen verdeutlichen die Entwicklung d e r o f f e n e n F ü r s o r g e an d e r b a y r i s c h e n H e i l - u n d P f l e g e a n s t a l t E r l a n g e n seit 1913; Beratungsstunden, Zahl der der offenen Fürsorge unterstellten Pfleglinge, Altersaufbau derselben, Gesamtzahl der Besuche sind daraus ersichtlich. Eine andere Tafel stellt das Verhältnis der o f f e n e n z u r geschlossenen Geisteskrankenfürsorge der H e i l a n s t a l t K o n s t a n z in der Zeit vom 1. April 1909 bis 1. April 1927 dar. Eine Anzahl Bilder schildert die s e e l i s c h e K r a n k e n b e h a n d l u n g in den H e i l a n s t a l t e n . Zunächst wird der Grundgedanke d e r B e s c h ä f t i g u n g s t h e r a p i e (vgl. die obige Erläuterung) ausgesprochen: Jedes, auch das kranke Organ verkümmert durch Nichtgebrauch; durch angemessene Betätigung wird die Heilung gefördert, also ist auch für den Kranken meist ärztlich geregelte Beschäftigung erforderlich. Die günstige Wirkung der Beschäftigung auf das Befinden auch schwer

-

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Geisteskranker schildern zwei große Tafeln, auf der einen (links) sind unheilbare Kranke dargestellt, nachdem sie 10 Tage gar nicht beschäftigt worden waren. Die Kranken versinken während dieser Zeit immer mehr in sich, daher rasch fortschreitende Verstumpfung. Das rechts daneben stehende Bild zeigt die gleichen Kranken nach Wiederaufnahme geregelter Betätigung im Garten. Alle sind tätiger, munterer geworden, der Gesamteindruck ist menschenwürdiger. Entwicklung

der offenen Fürsorge an der bayrischen Pflegeanstalt Erlangen 1 9 1 3 — 1 9 2 9 .

Heil-

und

Ein anderes Bild zeigt unruhige und schwierige Kranke bei der Handwäscherei. Zwei Schwestern betreuen etwa 40 Kranke, die bei der Betätigung ruhiger und äußerlich geordneter sind. Die oft vorhandenen unsozialen Neigungen, Reizbarkeit, Tobsuchtsanfälle und Gewalttätigkeiten treten ganz zurück. Wieder ein anderes Bild stellt dar eine Anlernegruppe, bei der schwierig zu behandelnde und Schwerkranke zu einfachsten Arbeiten angeleitet werden. Ein Doppelbild veranschaulicht die h e i l e n d e F i e b e r w i r k u n g bei Paralyse.



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Vor der Behandlung erscheint der Kranke in schwerer seelischer Erregung und körperlich stark verfallen. Nach der Behandlung bietet er ein ganz anderes Bild und ähnelt auch im Äußeren einem Gesunden.

Eine Vitrine mit kunstvollen, von Kranken angefertigten H a n d a r b e i t e n zeigt: Zielbewußte, ärztlich geleitete, geordnete nützliche Beschäftigung wirkt beruhigend auf die Kranken, ordnend auf ihr zerrüttetes Seelenleben, erhält und fördert körperliche und geistige Leistungsfähigkeit. Beispiel: Fortschritt im Spitzenklöppeln. Hinweis auf die Ergänzungen des in diesem Raum Ausgestellten in den Hallen: 30, 16, 13, 18. Hessen: »Beschäftigungstherapie der Geisteskranken«. Reich, Abschnitt 16: »Fürsorge für seelisch Abnorme«. Sachsen: »Staatliche Heilanstalten für Geisteskranke«. Gesundheitswesen der deutschen Städte; A b t . 18: »Trinker, Psychopathen und Geisteskrankenfürsorge. Sonderschau Krankenhaus: »Mustertypenschau Heil- und Pfiegeanstalten«.

In demselben Räume befinden sich noch folgende Ausstellungsgegenstände : Pläne und Photographien einer ö f f e n t l i c h e n R u h e h a l l e , wie sie nach den Vorschlägen von Sommer auf der Internationalen Hygiene-Ausstellung Dresden 1911 und auf der Pressa in Köln 1928 zur Verwendung kam, sowie Pläne von Dauereinrichtungen dieser Art nach Angaben von Sommer, entworfen von Architekt Burg in Gießen. Auch ist eine Liege mit Zubehör (Gesamtpreis ca. 50.— RM) für Liegeplätze im Freien nach dem Vorschlag Sommers aufgestellt. O r i g i n a l b r i e f e in Doppelglasrahmen, von Sommer zur Verfügung gestellt, aus denen die Entstehung des Deutschen Verbandes für psychische Hygiene zu ersehen ist. Ferner B ü c h e r e i des Deutschen Verbandes für psychische Hygiene im verschließbaren Schrank mit gedruckten Bücherverzeichnissen. M e r k b l ä t t e r zur Verhütung von endogenen und exogenen Geisteskrankheiten, erste Entwürfe von Sommer. Endlich D r u c k sachen des V e r b a n d e s : Mitgliederverzeichnis, Satzungen, Bericht über den Ersten Internationalen Kongreß für psychische Hygiene in Washington vom 5.—10. Mai 1930 von Roemer (Sonderdrucke) nebst Büd der Kongreßteilnehmer mit Herrn Präsidenten H o o v e r .