Ein Cinegraph Buch - Kunst unter Kontrolle Filmzensur in Europa [1. Aufl] 9783869163727, 9783869163758, 3869163755


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German Pages [180] Year 2014

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Table of contents :
Cover......Page 1
Titel......Page 2
Impressum......Page 3
Inhalt......Page 4
ÜBERWACHEN – BESCHNEIDEN – VERBIETEN......Page 6
Das Prozedere......Page 10
Globallizenzträger......Page 13
Geschichte der Kontrollinstitutionen......Page 14
Selbstzensur der Filmschaffenden......Page 17
Das Paradoxon der staatlichen Filmpolitik......Page 18
Local Councils......Page 20
Die geltenden Gesetze......Page 22
Politische Zensur......Page 25
Politische Interventionen......Page 28
Michael Achenbach, Thomas Ballhausen: EIN »WIENER GENRE«? Zur Erfolgs- und Zensurgeschichte der Saturn-Film (1906–1910)......Page 33
Schaumanie......Page 34
Niedergang......Page 36
Nachspiel......Page 38
Gesetzliche Grundlagen der Filmzensur......Page 43
Die zensierten Filme......Page 45
Die Typologie des Amateurs......Page 47
Perspektiven der Forschung......Page 49
Zur Praxis der Weimarer Filmzensur......Page 52
Herkunft und Inhalt der Sammlung......Page 54
Auswertung: Identifizierung von Filmausschnitten......Page 55
Zur Bedeutung der Sammlung: Fazit und Ausblick......Page 61
Die SPD und der Film......Page 64
Die SPD und das Reichslichtspielgesetz......Page 65
Zensurskandal um INS DRITTE REICH! – Erster Akt......Page 67
Zensurskandal um INS DRITTE REICH! – Zweiter Akt......Page 70
INS DRITTE REICH! – KAMPF UM BERLIN: Doppelurteil der Oberprüfstelle......Page 73
Schlussfolgerungen......Page 74
Ivan Klimeš: DIE LEISTUNGSSCHAU ALS TRIBUNAL. Das Festival des tschechoslowakischen Films in Banská Bystrica 1959......Page 77
Ideologischer Rahmen: Die »Vollendung der Kulturrevolution«......Page 78
Vorgeschichte: Der Film auf ideologischen Abwegen......Page 80
Das Filmfestival: Abstrafung statt Lobeshymnen......Page 82
Wer war »Die Partei«?......Page 87
Die Denunzianten sind unter uns......Page 91
Wie hätte es weitergehen können?......Page 95
Milan Klepikov: EINE GALGENFRIST. Die zaghafte, aber unvermeidliche Wiedereinführung der Zensur im tschechoslowakischen Film nach 1968......Page 100
Als noch (fast) alles möglich war – das Jahr Eins nach dem Einmarsch......Page 101
Der Personalwechsel im Filmbereich......Page 103
Verboten oder doch nicht? Eine Bedienungsanleitung für Filmhistoriker......Page 104
Erlaubt oder doch nicht? Verleihpraxis in der Zeit der »Normalisierung«......Page 105
Carla Mereu Keating: »AS TIME GOES BY« YOU MUST NOT REMEMBER THIS. Vergangenheitsbereinigung in der italienischen Fassung von CASABLANCA......Page 108
Die Hintergründe des Verleihs von CASABLANCA in Italien......Page 109
Die Zulassung von CASABLANCA Anfang 1947......Page 110
Die Synchronisation von CASABLANCA......Page 111
Neutralisierung von Nazis und Militärs......Page 112
Eliminierung des Äthiopien-Feldzugs und des Spanischen Bürgerkriegs......Page 114
Das Verschwinden der italienischen Gestalten......Page 115
Schlussbemerkung......Page 118
Joseph Garncarz: »NICHT ZUR VORFÜHRUNG IN DEUTSCHLAND GEEIGNET«. Die deutsche CASABLANCA-Fassung von 1952......Page 121
Die deutsche Fassung von 1952......Page 122
Der Urheber der signifikanten Variation......Page 124
Ablehnung des »hässlichen Deutschen«......Page 125
Gründe für die signifikante Variation......Page 127
Gründe, CASABLANCA überhaupt einzusetzen......Page 129
Erfolg der deutschen Fassung......Page 130
Francesco Bono: ÄSTHETISCHE ZENSUR. Zu den (west-)deutschen Fassungen von Luchino Viscontis SENSO und ROCCO E I SUOI FRATELLI......Page 135
SENSO: Vom historischen Fresko zur Love Story......Page 136
Angriff auf die Form......Page 139
An die Norm(alität) angepasst......Page 141
Filmzensur durch den Interministeriellen Ausschuß......Page 147
Zensur von DEFA-Filmen: Statistische Angaben......Page 150
Fallbeispiele: Politische Motive......Page 151
Grenzen der Zensur......Page 154
Fazit: Eine Zensur findet nicht statt?......Page 156
Ursula von Keitz: ZWISCHEN HIMMEL UND HÖLLE. Zum Provokationspotenzial des Religiösen in Filmen der 1970er und 1980er Jahre......Page 159
Körpermartern vor weißen Kachelwänden: Ken Russells THE DEVILS......Page 161
Der Teufel als Handlanger des himmlischen Personals......Page 163
Vom Kreuz herab und über die Wasser......Page 167
Fazit......Page 170
Namen......Page 173
Filme......Page 175
Dank......Page 177
Autoren......Page 178
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Ein Cinegraph Buch - Kunst unter Kontrolle Filmzensur in Europa [1. Aufl]
 9783869163727, 9783869163758, 3869163755

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Kunst unter Kontrolle

Filmzensur in Europa Ein

Buch edition text+kritik

Kunst unter Kontrolle Filmzensur in Europa Redaktion Johannes Roschlau

Mit Unterstützung der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg sowie von: Bundesarchiv-Filmarchiv, Berlin, Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, Berlin, und Deutsches Filminstitut – DIF, Frankfurt und Wiesbaden Abbildungen: Anna Bohn (3); Bundesarchiv-Filmarchiv, Berlin (2); DEFA-Stiftung, Berlin (1); Deutsche Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen, Berlin (9); Deutsches Filminstitut - DIF, Frankfurt und Wiesbaden (2); Filmmuseum Austria, Wien (2); Filmmuseum Potsdam (3); Narodní filmový archiv (NFA), Prag (4); Österreichisches Filmmuseum, Wien (2)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar ISBN 978-3-86916-372-7

E - ISBN 978-3-86916-375-8

© edition text + kritik im Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG, München 2014 Levelingstr. 6a 81673 München www.etk-muenchen.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen Umschlaggestaltung: Thomas Scheer / Konzeption: Dieter Vollendorf Umschlagabbildung: Die Sünderin (1950/51, Willi Forst): Hildegard Knef, Gustav Fröhlich (Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, Berlin) Satz: Robert Wohlleben, Grünebergstraße 78, 22763 Hamburg Druck und Verarbeitung: Beltz Bad Langensalza GmbH, Neustädter Straße 1–4, 99947 Bad Langensalza

Inhalt

ÜBERWACHEN – BESCHNEIDEN – VERBIETEN

7

Günter Jordan SEINE HOHEIT GENOSSE STAAT Filmzensur in der DDR

11

Julian Petley »A CURIOUS ARRANGEMENT« Das British Board of Film Censors/Classification (BBFC) und der Staat

21

Michael Achenbach, Thomas Ballhausen EIN »WIENER GENRE«? Zur Erfolgs- und Zensurgeschichte der Saturn-Film (1906–1910)

34

Paolo Caneppele SCHMALFILME – KLEIN ZENSIERT? Zensurpraxis bei Amateurfilmen in Österreich 1928–38

44

Anna Bohn ENTSITTLICHEND – VERROHEND – ANSTÖSSIG Auf der Spur deutscher Filmzensurdokumente in russischen Archiven

53

Georg Eckes POLITISCHE FILME – POLITISCHE ZENSUR? Die SPD als Zensurgesetzgeber und Filmproduzent in der Weimarer Republik

65

Ivan Klimeš DIE LEISTUNGSSCHAU ALS TRIBUNAL Das Festival des tschechoslowakischen Films in Banská Bystrica 1959

78

Ralf Schenk DIE FALKEN UND DIE TAUBEN Skizzen zu Vorfeld und Nachwirkungen des SED-Verbotsplenums im Dezember 1965

88

Milan Klepikov EINE GALGENFRIST Die zaghafte, aber unvermeidliche Wiedereinführung der Zensur im tschechoslowakischen Film nach 1968

101

Carla Mereu Keating »AS TIME GOES BY« YOU MUST NOT REMEMBER THIS Vergangenheitsbereinigung in der italienischen Fassung von Casablanca

109

Joseph Garncarz »NICHT ZUR VORFÜHRUNG IN DEUTSCHLAND GEEIGNET« Die deutsche Casablanca-Fassung von 1952

122

Francesco Bono ÄSTHETISCHE ZENSUR Zu den (west-)deutschen Fassungen von Luchino Viscontis Senso und Rocco e i suoi fratelli

136

Andreas Kötzing »DER BUNDESKANZLER WÜNSCHT EINEN HARTEN KURS …« Bundesdeutsche Filmzensur durch den »Interministeriellen Ausschuß für Ost/West-Filmfragen«

148

Ursula von Keitz ZWISCHEN HIMMEL UND HÖLLE Zum Provokationspotenzial des Religiösen in Filmen der 1970er und 1980er Jahre

160

Register Dank Autoren

174 178 179

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ÜBERWACHEN – BESCHNEIDEN – VERBIETEN

Seit es das Kino gibt, sahen sich staatliche Behörden, Kirchenvertreter, Pädagogen und Interessenverbände genötigt, dem einflussreichen Massenmedium inhaltliche und ästhetische Grenzen zu setzen. Die Suggestivkraft des Films galt ihnen als potenzielle Gefahr für die Psyche des Publikums, die moralischen Grundlagen der Gesellschaft und das Funktionieren politischer Systeme. Als gefährdet galten im Lauf der Zeit nicht nur die seelische und moralische Verfassung der Zuschauer sondern auch die »öffentliche Ordnung«, die außenpolitischen Beziehungen, der »Wehrwille der Volksgemeinschaft«, die »freiheitlich-demokratische Grundordnung« und der »Aufbau des Sozialismus«. Was von Gesetzgebern und Machthabern für unerwünscht, tabuisiert und verboten erklärt wurde, durfte überhaupt nicht oder nur entschärft auf der Leinwand erscheinen. Wenn Regisseure Erotik, Gewalt, religiöse Symbole, Politik und die Schattenseiten der sozialen Realität ins Bild setzen wollten, gerieten sie schnell in den Grenzbereich des Darstellbaren und mussten mit Schnittauflagen, Verboten oder Strafanzeigen rechnen. Die erforderlichen Präventionsmaßnahmen reglementierten die Arbeit von Filmproduzenten, Verleihern und Kinobesitzern. Die Praxis entwickelte sich von der Visitation der Wanderkinos durch den Ortsgendarm über die Erteilung von Zensurkarten durch zentrale Prüfstellen bis zu ausgefeilten Systemen staatlicher Produktionsüberwachung und dem Jugendschutz der »Freiwilligen Selbstkontrolle« der Filmwirtschaft. Doch die Arbeit der Zensurbehörden – soweit sie öffentlich wurde – stieß auch regelmäßig auf Kritik, weil ihre gesetzlichen Grundlagen meist große Interpretationsspielräume boten und die von ihnen unterstellten Filmwirkungen letztlich auf Spekulation beruhten. Die internen oder öffentlichen Auseinandersetzungen darüber, in welcher Form Schattenseiten der sozialen Realität oder heikle Themen wie Erotik, Gewalt und Religion auf der Leinwand erscheinen durften, spiegelten und beeinflussten zugleich die gesellschaftlichen und politischen Diskurse der Zeit. Die offizielle Definition des Nicht-Darzustellenden hatte nicht zuletzt entscheidende Auswirkungen auf Erzählstrategien und Bildsprache deutscher und europäischer Regisseure, die sich in diesen Grenzen einrichteten oder sie zu überschreiten versuchten. Die Beiträge dieses Bandes verfolgen die Entwicklung der Filmzensur im Europa des 20. Jahrhunderts anhand ausgewählter Aspekte der deutschen, öster-

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reichischen, tschechoslowakischen und britischen Filmgeschichte. Die spektakulären Verbotsfälle, mit denen Filmzensur im Allgemeinen assoziiert wird, sind mit einigen Beispielen vertreten, stehen aber nicht allein im Fokus. In der Regel wurden Filme nämlich zugelassen, Verbote waren die Ausnahme und bildeten gewissermaßen die kleine, aber Aufsehen erregende Spitze eines riesigen Eisbergs. Der für die Öffentlichkeit unsichtbare Teil bestand dagegen in der geräuschlosen Arbeit der Filmzensur, die einen Film nach kürzeren oder längeren Verhandlungen freigab – auch wenn er mitunter nicht mehr so aussah, wie es sich der Regisseur vorgestellt hatte. Neben der Analyse von punktuellen Hoheitsakten mit Verbotscharakter ist deshalb auch die Untersuchung der grundlegenden Aushandlungsprozesse notwendig, die zu positiven Ergebnissen führten. In beiden Fällen ist zu fragen: Wer sind die handelnden Akteure, und was sind ihre Motivationen? Wie sind die Institutionen der Filmzensur strukturiert, und nach welchen Vorgaben arbeiten sie? Welche politischen, ideologischen und wirtschaftlichen Faktoren beeinflussen die Handhabung der Zensur? Der vorliegende Band versucht zudem, die thematische Perspektive über den Bereich der »klassischen« Zensur hinaus auf das gesamte Spektrum der Filmkontrolle zu erweitern und nimmt deshalb auch andere Formen der Einflussnahme auf Produktion, Distribution und Aufführung wie Einfuhrverbote und die Bearbeitung von Synchronfassungen durch Verleiher in den Blick. Darüber, wie der Staat und der einzelne Bürger vor »Gefährdungen« durch mediale Produkte zu schützen sei, gab und gibt es in verschiedenen Gesellschaftsordnungen höchst unterschiedliche Auffassungen. In demokratisch verfassten Systemen wie der Bundesrepublik Deutschland und Großbritannien hat die Staatsmacht die Zensurgewalt an Institutionen delegiert, die von der Filmwirtschaft getragen werden. Sie orientieren sich in ihren Regularien an einem gesellschaftlich-politischen Grundkonsens über die Grenzen der in der Verfassung garantierten Meinungsfreiheit. Dieser Kompass muss jedoch aufgrund sozialer und politischer Veränderungen regelmäßig »nachjustiert« werden und unterliegt damit einer ständigen Einflussnahme diverser Interessengruppen und Institutionen. Totalitäre Systeme setzen weniger auf die klassische Nachzensur als auf eine möglichst umfassende Kontrolle der Filmherstellung. Durch deren Verstaatlichung fungieren die Machthaber als Produzenten und Zensoren zugleich und können so auf jeder Stufe der Produktion Einfluss auf die Gestaltung eines Films nehmen. Beiträge zum britischen BBFC und dem Wandel seiner Prüfpraxis von »Censorship« zu »Classification« sowie zur umfassenden Lenkung und Überwachung der DEFA-Produktion durch Partei und Staat skizzieren die gegensätzlichen Modelle. Die Zensurverhältnisse in der Stummfilmzeit werden in Texten zum Kino in Österreich und in der Weimarer Republik beleuchtet, die bisher wenig erforschte Aspekte des Themas untersuchen. Für die österreichische Zensurpraxis sind dies der Umgang der Polizeibehörden mit den erotischen »Herren-

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abend-Films« der wiener Saturn-Film und die Kontrolle der öffentlichen Aufführung von Amateurfilmen. Die Umsetzung des Reichslichtspielgesetzes von 1920 in der Weimarer Republik durch die Filmprüfstellen wird anhand von neu entdeckten Zensurausschnitten in ihrer »sittlich-moralischen« Argumentation und anhand von Partei- und Wahlwerbefilmen in ihrer politischen Ausprägung untersucht. Trotz Rundumüberwachung der Filmproduktion waren auch im »real existierenden Sozialismus«, in der DDR und der Tschechoslowakei, Filmverbote und Produktionseinstellungen nicht zu vermeiden, wenn politische Umschwünge nach Machtkämpfen zwischen Reformern und Dogmatikern, Interventionen von außen oder Machtverschiebungen innerhalb des Ostblocks eine ideologische Kursänderung erzwangen. Zum Opfer wurden damit in erster Linie die Filmproduktionen an den Bruchstellen zwischen »Tauwetter«-Phasen und kulturpolitischen »Eiszeiten«. Drei Beiträge konzentrieren sich auf historische Situationen, in denen Kulturpolitiker die Notwendigkeit eines filmpolitischen »Kahlschlags« sahen, und analysieren vergleichend Ausgangslage, Mechanismen und Folgen der Filmkonferenz in Banská Bystrica 1959, des 11. Plenums des ZK der SED im Dezember 1965 und der Zensurwelle nach der Niederschlagung des »Prager Frühlings«. Ein weiterer Schwerpunkt veranschaulicht die erstaunliche Bandbreite der Eingriffe und Gegenmaßnahmen, denen Filme im Laufe ihrer Herstellung und Verwertung in der Bundesrepublik Deutschland ausgesetzt sein konnten. Ein eher unbekanntes Kapitel ist dabei die Rolle von Verleihfirmen als »Zensoren« ausländischer Filme, die durch Schnitte und Dialogverfälschungen in der Synchronisation auf den vermuteten Publikumsgeschmack und den Kriterienkatalog der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) zugerichtet wurden. Ein Extrembeispiel ist der Umgang mit Michael Curtiz’ Casablanca, dessen Verstümmelung zum »nazifreien« Melodram in der deutschen Synchronfassung von 1952 im Vergleich mit der 1947 für das italienische Kino erfolgten Umarbeitung analysiert wird. Ein Überblick über die bundesdeutschen Fassungen zweier Filme von Luchino Visconti verdeutlicht dagegen besonders die unterschiedlichen Beweggründe für die durch Verleiher und FSK vorgenommenen Änderungen. Den Augen der Öffentlichkeit noch stärker entzogen als die Eingriffe durch den Verleih war lange Zeit der bonner »Interministerielle Ausschuß für Ost-WestFilmfragen«, der sich zu Zeiten des Kalten Kriegs präventiv mit ausländischen Filmen beschäftigte: Seine – vom Grundgesetz nicht gedeckte – Arbeit bestand in der Verhinderung des Imports von »verfassungsgefährdenden« Produktionen aus den Ländern des Ostblocks. Eine Analyse der Debatten um provozierende Religionskritik in Filmen der 1970er und 80er Jahre erhellt schließlich das gesellschaftspolitische Spannungsfeld, in dem neben der FSK religiöse und politische Gruppen, Pädagogen, Medienöffentlichkeit, Polizeibehörden und die Justiz auf die Freigabe und

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Aufführung von Filmen Einfluss zu nehmen versuchen. Bei Herbert Achternbuschs Skandalfilm Das Gespenst reichten die Gegenmaßnahmen seiner Widersacher von handgreiflichen Protestaktionen vor Kinos über Strafanzeigen, lokale Aufführungsverbote und Beschlagnahmungen von Kopien bis zum Einfrieren von Fördergeldern durch den Bundesinnenminister. Das weitgespannte Spektrum der Beiträge, die das Thema aus den unterschiedlichsten Perspektiven durch ein ganzes Jahrhundert verfolgen, mag auf den ersten Blick etwas disparat erscheinen. Die Notwendigkeit, sich immer wieder auf andere inhaltliche Zugänge, verschiedene historische Zeitabschnitte und wechselnde politische Systeme einzulassen, bietet jedoch die Chance, sich den Grundfragen und Mechanismen der Filmzensur anzunähern. Aus der vergleichenden Zusammenschau ergeben sich idealerweise anregende Hinweise darauf, wo es in Aufbau und Zielsetzung ihrer Institutionen noch wenig beachtete Kontinuitäten und Parallelen gab und wie sozialer Wandel und historische Umbrüche die Aufgaben und Kriterien der Filmkontrolle immer wieder veränderten. Johannes Roschlau

Berlin, im Sommer 2014

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Günter Jordan SEINE HOHEIT GENOSSE STAAT Filmzensur in der DDR

Film in der DDR war Staatssache. Er war ein Posten im Institutionen- und Wirtschaftsgefüge, in Staatshaushalt und Rechtsordnung. Das Staatsmonopol auf Produktion, Verleih und Vorführung von Film wurde durch das Lizenz- und Zulassungsrecht in Regeln gefasst und von der Hauptverwaltung (HV) Film im Ministerium für Kultur durchgesetzt und kontrolliert.1 Volkseigene DEFA-Studios und Filmbetriebe hatten per se eine Lizenz. Gesellschaftliche und private (freie) Hersteller von Industrie-, Werbe- und Trickfilmen sowie freie Kinobetreiber erhielten auf Antrag eine Lizenz, Ministerien oder Institutionen eine Globallizenz. Das Lizenzrecht verschaffte dem Staat die Möglichkeit, eigenständige Filmproduktionsfirmen zu verhindern, die sich dem Zugriff der Entscheidungsträger entzogen. Davon wurde restriktiv Gebrauch gemacht.

Das Prozedere Die öffentliche Vorführung von Filmen jeder Art und Herkunft, gleich, ob von DEFA-Studios oder aus dem Ausland, bedurfte der staatlichen Zulassung auf Antrag der Hersteller bzw. Betreiber. Am Zulassungsverfahren waren beteiligt: der Leiter der HV Film bzw. sein Stellvertreter oder Beauftragter; die Abt. Filmabnahme und -kontrolle (FAK) bzw. Sektor Filmzulassung und -kontrolle; Progress Film-Vertrieb und DEFA-Außenhandel. Mit der Abnahme des Films und seiner Zulassung für öffentliche Vorführungen waren Festlegungen für Kopienzahl, Exportfreigabe, Festivalteilnahme und Jugendprädikat sowie die Aufnahme in die Zulassungskartei und die Ausfertigung der Zulassungskarte verbunden – so gesehen ein effektives Verfahren. Für Einzelveranstaltungen wurden Sonderzulassungen erteilt. Die Zulassung war in der Regel auf fünf Jahre befristet, konnte aber auf Antrag oder nach Durchsicht verlängert werden. Sie beinhaltete regelmäßige Überprüfung der Filme auf technischen Zustand und inhaltliche Alterung sowie die anschließende Verlängerung oder Aufhebung der Zulassung. Antrag wie Zulassung oder Ablehnung bedurften einer Begründung. Hersteller (Studiodirektoren und Auftraggeber bei freien Herstellern) hatten Beschwerderecht beim Leiter der HV Film; ein darüber hinausgehender Rechtsweg war nicht vorgesehen. Das Zulassungsverfahren galt auch für ausländische Film-

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ZENSURMODELLE

wochen in der DDR sowie für die Filmausleihe von ausländischen Kulturzentren. Für Filme der Internationalen Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche hatte die Auswahlkommission die Zulassungsfunktion inne. Die Übernahme dortiger Filme und von Filmen des Staatlichen Filmarchivs für Archivfilmtheater und Filmklubs wurde von einer Abnahmekommission geprüft und mit der Zulassung versehen. Vorführung von Filmen ohne Zulassungskarte war unter Strafandrohung verboten. Es waren Filmklubs, die langjährige Arbeitskontakte zum tschechoslowakischen, ungarischen und polnischen Kulturzentrum in Berlin pflegten, deren Leiter »zu risikofreudigen Partnern der nicht minder unkonventionell agierenden Basis« wurden, »sehr zum Mißvergnügen der Obrigkeit, die sich aber zumeist diplomatischer Rücksichten wegen scheute, dieses subversive Treiben radikal zu beenden.«2 Namentlich aus dem thüringer Raum wurden Stafetten organisiert, um Kopien aus Berlin abzuholen und anderntags persönlich wieder abzuliefern, unterm Mantel des Schweigens, auch das des Vorführers. Auf diesem Wege fanden Filme in der DDR ein Publikum, die von den Einkäufern ignoriert wurden. Es waren nicht nur regionale Behörden, sondern die Leitung der Zentralen Arbeitsgemeinschaft (ZAG) der Filmklubs selbst, welche die Anweisung bedienten, »daß es nicht statthaft ist, Filme in Filmklubs zu spielen, die keine staatliche Zulassung haben und für deren Vorführung auch keine Sonderzulassung beantragt und genehmigt wurde.«3 Cineasten machten sich gleich auf den Weg nach Warschau zur jährlichen Konfrontacja oder nach Ungarn zur Filmschau in Eger. Selbst gesellschaftliche Einrichtungen agierten dabei nicht in einem Schutzraum. So kam es vor, dass die Akademie der Künste der DDR für ein wichtiges Auslandsprogramm kurzfristig anstelle eines nicht angelieferten Films einen Ersatzfilm aus West-Berlin besorgte, ohne dafür eine Zulassung eingeholt zu haben, und sich dafür prompt eine Schelte des stellvertretenden Kulturministers einhandelte. Ansonsten stellten sich Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kultureinrichtungen treu und brav an und befolgten den vorgeschriebenen Weg. Die Kriterien der Zulassung waren weder aufgelistet noch festgeschrieben. Zulassung erfolgte auf einer ominösen »Grundlage der kulturpolitischen Orientierungen von der Partei und ihrer Präzisierungen in den Weisungen des Ministers für Kultur«.4 Mal ging es um Moral, mal um die SMG – die »sozialistische Menschengemeinschaft« – mal um die aus dem Ruder laufende Wirtschaftslage, mal um Außenpolitik. Phasen strenger Zensur und Phasen der Lockerung hingen nicht nur vom politischen Kleingeist, sondern auch von der politischen Großwetterlage ab. Bei den »Wachsamkeitskampagnen«5 ging es nicht um Sittenstrenge und Jugendschutz, sondern um politischen Sittenschutz. Das war allen im Filmgeschäft klar. Unabhängig davon mussten ab 1966 Drehbücher gegebenenfalls Fachabteilungen zuständiger Ministerien zur Begutachtung vorgelegt werden. Die Kulturabteilung des ZK der SED hatte das Ganze im Blick. Das wussten natürlich der Kulturminister und sein Stellvertreter für Film.

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BArch Film SG1-1382 / ©DEFA-Stiftung/Erich Kilian

ZENSURMODELLE

Das Beil von Wandsbek (1950/51, Falk Harnack): Erwin Geschonneck

Nicht, dass sie alles hinnahmen, aber sie wussten, wann eine Auseinandersetzung mehr beschädigte als den Film und folglich aussichtslos war. Verbote erfolgten zumeist nicht durch die Zulassungsabteilung, sondern folgten politischer Einflussnahme von außen und wurden von Staats wegen nachvollzogen: Auslöser waren das ZK der SED (Das Beil von Wandsbek, 1950, Falk Harnack; Karla, 1965, Herrmann Zschoche; Jadup und Boel, 1979–81, Rainer Simon), Ministerien (Jugendwerkhof, 1982, Roland Steiner), die Sowjetunion (Sonnensucher, 1957/58, Konrad Wolf) oder Polen (Der Aufenthalt, 1982, Frank Beyer). Das »Kahlschlag«-Plenum der SED im Dezember 1965 betraf nur wenige bereits zugelassene Filme, denen die Zulassung wieder entzogen wurde; die meisten Filme wurden aus politischen Gründen gar nicht erst zur Zulassung eingereicht bzw. bereits im Produktionsprozess abgebrochen. »Von nun an war die anleitende und kontrollierende Administration (…) gehalten und entschlossen, öffentlichen Abbrüchen im Drehprozess oder gar der Zurückziehung von Filmen aus dem Spielplan durch vorausschauende Vorsicht, zensorische Strenge und umsichtige Risikominimierung vorzubeugen. Das (…) hatte natürlich lähmende Folgen«.6 Schadensbegrenzung in kleiner Münze bei erwartbarem Gegenwind: Filmeinsatz beschränkt auf Studiokinos, reduzierte Kopienzahl, keine Premiere in einem

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ZENSURMODELLE

Erstaufführungstheater, Zulassung ohne Spielplanprogrammierung, aber auch Festivalbeschickung zur Außenaufwertung für den Inlandeinsatz. Eingriffe bzw. Auflagen beim Zulassungsverfahren (Schnitte, Nachdreh-Gebote, Dialog- oder Textneufassungen) sind bis heute nur punktuell bzw. für den Dokumentar- und Kurzfilm gar nicht erfasst. Im Unterschied zur Literatur und zum Druckgenehmigungsverfahren ist die Filmzensur wissenschaftlich und publizistisch nicht aufgearbeitet. Statistisch ist die Quote verbotener Filme (bei DEFA-Spielfilmen: gute zwei Dutzend) gering, gemessen an der Gesamtzahl der produzierten oder eingeführten Filme aller Gattungen und in Relation zur Sicherung des Jahresvolumens für das Kinoprogramm: 115–130 Spiel- und Kinderfilme, davon 15–18 von der DEFA, dazu Kurzfilme und Periodika. Der Gesamtumfang der DDR-Produktion 1946–1990 umfasst etwa 730 Spielfilme, nahezu 3000 Kultur- und Dokumentarfilme und 800 Animationsfilme bei vorgeschriebener Kopplung von Beifilm und Spielfilm im Kino seit 1950. Die meisten Eingriffe, Einschränkungen und Zurücknahmen (ohne den »Kahlschlag« von 1965/66) erfolgten beim Einsatz ausländischer Filme, und da – wen wundert’s – besonders auffällig bei sowjetischen Filmen wie Obyknovennyj fašizm (Der gewöhnliche Faschismus, 1965, Mihail Romm) und Komissar (Die Kommissarin, 1967, Aleksandr Askol’dov).

Globallizenzträger Die Zulassungshoheit galt sinngemäß auch für Globallizenzträger. Herstellung, Zulassung und Vertrieb von Filmen für Zwecke der Volks- und Hochschulbildung sowie der Forschung folgten dem Muster der ehemaligen Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (RWU), nunmehr aufgesplittet in Zentralbildstelle (1946) bzw. Zentralinstitut für Film und Bild in Unterricht, Erziehung und Wissenschaft (ZFB, 1950) und das Institut für Film, Bild und Ton (FBT, 1970), deren Globallizenzträger die Ministerien für Volksbildung bzw. Hoch- und Fachschulwesen waren. Mit der Filmabnahme und Registrierung war die staatliche Zulassung und Anerkennung als Lehrund Lernmittel an den allgemeinbildenden Schulen bzw. Hoch- und Fachschulen, Universitäten und Akademien der DDR verbunden. Gleiches galt für Produktion, Vertrieb und Einsatz von Instruktions-, Lehr- und Übungsfilmen aus den Filmstudios der Ministerien des Innern, der Nationalen Verteidigung und für Staatssicherheit und von Filmen für die Auslandsinformation (Auslandspropaganda) des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten. Industrie-, Werbe-, Informations- und Lehrfilme von lizenzierten freiberuflichen Filmherstellern bzw. Filmstudios von Wirtschaftseinrichtungen, die nicht für das öffentliche Lichtspielwesen produziert wurden, waren an einen Globalizenzträger gebunden, der staatlichen bzw. wirtschaftsleitenden Einrichtungen unterstand. Für den Einsatz außerhalb des Bereichs des Glo-

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ballizenzträgers musste die staatliche Zulassung eingeholt werden. Koordinierung, Registrierung und Beantragung der Zulassung bei öffentlicher Vorführung übernahm die Kooperationsgemeinschaft DEFA (1971) bzw. Film (1975). Die Herstellung und Vorführung von Amateurfilmen aus Privathand oder Amateurfilmstudios im nichtöffentlichen Bereich bedurfte keiner Lizenz oder Zulassung. Filme, die im Bereich eines Kreises oder Bezirks zu einer öffentlichen Aufführung gelangten, mussten durch den Rat des Kreises bzw. Bezirks, darüber hinausgehende Filmvorführungen von der HV Film zugelassen werden.

Kinder- und Jugendfilm Bereits 1946/47 waren Befehle der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) für Jugendfilmvorführungen und zum Lehrfilm-Einsatz in Schulen ergangen. Der Entwurf der deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung zum Filmtheaterbesuch von Kindern und Jugendlichen (1947) rekurrierte auf das Reichslichtspielgesetz (RLG) von 1920. In der ersten DDRVerordnung wurde zwischen vorschul- und grundschulpflichtigen Kindern unterschieden (1952). Kurz darauf wurden Empfehlungsprädikate ausgestellt (1954–1957), deren Nichtbefolgung allerdings »keine Bestrafung der Eltern oder Erziehungsverpflichteten« nach sich zog; ihr Ziel sei es vielmehr, »den Eltern die Wahl der Filme zu erleichtern, die ihre Kinder besuchen sollen«. Die Altersgraduierung war gegliedert für Kinder bis 8, 8–12 bzw. 12–14 Jahre. Die letzte Prädikats-Festlegung (1978) verband Zulassungsbegrenzungen mit Empfehlungsprädikaten: Für Kinder unter 6 Jahren nicht zugelassen (P 6), für Kinder ab 10 Jahren (P 6/10) bzw. ab 12 Jahren geeignet (P 6/12); für Kinder unter 14 Jahren nicht zugelassen, für Schülerveranstaltungen und für Kinder in Begleitung Erwachsener ab 12 Jahre zugelassen (P 14/12). Damit würde »insbesondere Eltern und Erziehungsberechtigten die Möglichkeit gegeben, den Filmbesuch entsprechend der individuellen psychischen und physischen Entwicklung ihrer Kinder stärker zu beeinflussen«.7

Geschichte der Kontrollinstitutionen 1945–49 vergab die SMAD in ihrer Besatzungszone Lizenzen an Institutionen und Einzelpersonen und übte die Militärzensur aus. Die Vorzensur von Druckerzeugnissen (ab August 1945) galt sinngemäß auch für Film. Nach der Liberalisierung der Presse in Deutschland durch die Direktive Nr. 40 des Alliierten Kontrollrats wurde die Vorzensur für Presse und Film auch in der Sowjetischen Besatzungszone aufgehoben (November 1946, bestätigt im April 1947).

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Eine förmliche Annullierung der NS-Fassung des Reichslichtspielgesetzes von 1934 existiert nicht; es wurde beim Neuanfang offensichtlich schlichtweg übergangen. Zur Vermittlung und Durchsetzung ihrer Politik hatte die SMAD deutsche Zentralverwaltungen gebildet, darunter eine für Volksbildung, die auch für Kunst, Literatur und Film zuständig war. Deren Vorlage einer Lichtspielverordnung im März 1948 knüpfte an das RLG mit Filmprüfstelle zur Prüfung und Film-Oberprüfstelle als Beschwerdeinstanz an. Ein halbes Jahr später war die Wiederaufnahme des »Weimarer Verfahrens« keine Option mehr. Die politische Wende in der SBZ Mitte 1948 mit ihrer Orientierung nach Osten und der Übernahme der sowjetischen Partei-, Staats- und Gesellschaftsauffassung – also der Aneignung des Staates und der Ausbildung seiner Strukturen durch die SED – hatte neue, ja neuartige Umstände für Kultur und Öffentlichkeit im Gefolge. Der Kulturelle Beirat für das Verlagswesen in der Volksbildungsverwaltung hielt es sogleich für erforderlich, »daß (…) eine Sonderstelle (Zensurstelle) geschaffen wird, ohne deren Zustimmung keine Druckgenehmigung für einzelne Titel erteilt werden darf«.8 Wer diese Funktion ausübe, müsse über die notwendigen politischen Qualitäten verfügen, von der Partei ernannt sein und ihr unmittelbar und ausschließlich unterstehen. Mit der Neuordnung des (ost-)deutschen Regierungsapparats bekamen die Ämter das Sagen. Das Amt für Literatur zog 1951 sämtliche von der SMAD erteilten Lizenzen ein, überprüfte sie und stellte sie neu aus. Das Amt für Information beim Ministerpräsidenten löste die Propagandaabteilung der SMAD ab, übernahm deren Pressekontrollbefugnis und das Verfahren bei Film, das 1952 an das Staatliche Komitee für Filmwesen überging. Die Lizenz- und Zulassungspflicht vom gleichen Jahr nebst behördlicher Einrichtung gehörte seitdem zur Basis des Film- und Lichtspielwesens der DDR. Übertrumpft wurde die Indienststellung von Kunst, Künstlern und Kunstinstitutionen noch durch die Staatliche Kunstkommission, genannt Stakuko (1951). Deren Ablösung durch das Ministerium für Kultur (MfK, 1954) sollte die Wende bringen. Sein erster Minister, der Dichter Johannes R. Becher, prophezeite: »Es kann gar nicht anders sein, als daß ein solches Ministerium ein Ministerium der offenen Türen ist, in der jeder Kulturschaffende, der eintritt, das Gefühl hat, daß hier eine gute Sache vertreten und daß er hier zugleich in der Wahrnehmung seiner Sache beraten und unterstützt wird.«9 Doch auch hier kam es, wie es kommen musste. Das Ministerium für Kultur, geschaffen zur Förderung der Künste und der Unterstützung der Künstler, wurde für die Staatsaufsicht, also für Zensur instrumentalisiert. Die filmleitenden Einrichtungen wurden in der Hauptverwaltung Film zusammengefasst, ministeriell mit anderen kulturleitenden Stellen vernetzt und mit dem Regierungsapparat zusammengeführt. Der HV Film waren die volkseigenen DEFAStudios, Betriebe und Einrichtungen wie DEFA-Außenhandel und Progress Film-Vertrieb unterstellt. Ihre kulturpolitisch-normative Funktion als staat-

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©DEFA-Stiftung/Wolfgang Ebert

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Jadup und Boel (1979–81, Rainer Simon): Franciszek Pieczka, Kurt Böwe

liche (ordnungspolitische) Leitung war mit der wirtschaftlichen Führung der Filmproduktion verbunden. In Gestalt der HV Film wurde das Staatsmonopol im Film- und Lichtspielwesen verwirklicht. Filmabnahme und -kontrolle (FAK, 1952) war zunächst direkt dem Leiter des Staatlichen Komitees für Filmwesen bzw. der HV Film unterstellt, bis sie als Sektor bzw. Abt. Filmzulassung und -kontrolle in die HA Lichtspielwesen bzw. Kulturpolitische Arbeit mit dem Film eingegliedert wurde (1962). Die Zulassungsbehörde war integraler Bestandteil der Kulturbehörde. Einmischung, Veränderung, Verhinderung – Vorgänge, die den Tatbestand der Zensur erfüllten – erfolgten aus der Institution heraus, die zur Förderung der Kultur eingerichtet war, aber die Staatsdoktrin durchzusetzen hatte, und der Künstler und Produktion unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgeliefert waren. Als bürokratische Verfahren verdeckten Lizenz und Zulassung, was sie als Ziel und Zweck erfüllten: Zensur. Darin zeigte sich die Zwiegestalt der DDR-Filmpolitik und ihrer Institution. Angetreten, Film zu ermöglichen und voranzubringen, war sie mit dem Recht ausgestattet, Eingriffe zu veranlassen oder Film nötigenfalls zu verunmöglichen. 1987 thematisierten die Schriftsteller und ihr Verband die Buchzensur durch die HV Verlage und Buchhandel des MfK und erzwangen 1988 ihre Auf-

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hebung. Christoph Hein: »Die Zensur der Verlage und Bücher, der Verleger und Autoren ist überlebt, nutzlos, paradox, menschenfeindlich, volksfeindlich, ungesetzlich und strafbar.«10 Das Lizenz- und Zulassungsverfahren für Film wie die HV Film verschwanden erst unter der letzten DDR-Regierung de Maizière ipso facto, als die volkseigenen Betriebe in Kapitalgesellschaften umgewandelt wurden und eine Unterordnung von Film und Kino unter den Staat gegenstandslos geworden war.

Selbstzensur der Filmschaffenden Zulassung war zunächst Registratur, also Wissen darum, was sich im Revier tat. Da es dann aber für die Filmproduktion zu spät war, galt es für sie, schon im Vorfeld aufzuklären, was »geht« und was nicht, und Vorsorge zu treffen zusammen mit allen Akteuren. Der staatlich gesteuerte Produktionsprozess durchlief bereits vor Abnahme und Zulassung in der HV Film verschiedene Stadien, die jedes für sich die Existenzfrage aufwarf und beantwortete: Aufnahme von Filmen in den Thematischen Plan und den Studio-Jahresvertrag, Kapazitäts-, Personal- und Terminplanung; Vorlage von Szenarien und Drehbüchern in der HV Film; Studiostrukturen, Leitungspyramiden, Dramaturgien; interne Abnahmeprozeduren, ggf. mit Auflagen zur Endfassung und zur Endfertigung. Zensur bzw. Zensurdenken war Bestandteil des Produktionsprozesses: einen Film so zu bearbeiten, dass er erscheinen konnte. Ziel war das Zustandekommen, nicht die Verhinderung von Film. Das war keine Sache zwischen »unten« und »oben«. Da alle am Zulassungsprozedere Beteiligten die Spielregeln kannten, wurden zwischen Filmschaffenden und Funktionären mitunter Agreements getroffen und Finten verabredet, die beiden Seiten erlaubten, das Gesicht zu wahren und den Film passieren zu lassen. Entscheidungen waren abhängig vom taktischen Vermögen der zuständigen Leiter, trafen ihre Folgen doch nicht nur die Filmschaffenden in ihrer künstlerischen Sicht, sondern auch die Studios und Betriebe in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht. Die Kopplung von Institution, Ideologie und Moral zeitigte seltsame Koalitionen zwischen Staat und Kunst, Funktionären und Künstlern bei der Realisierung eines Films: Autor gegen und mit Dramaturg; Dramaturg und Autor gegen und mit Produktionsgruppe; Produktionsgruppe, Dramaturgie und Regisseur gegen und mit Studio; Studio mit allen gegen HV Film; HV mit allen gegen Kulturabteilung des ZK; am Ende gar ZK und Autor gegen alle Vorigen, komplettiert durch Versammlungen und Verfahren und schließlich – so der Dichter Uwe Kolbe für die Literatur – »alle gemeinsam gegen die Stasi oder mit der Stasi, je nachdem«.11 Antifaschismus, Ost-West-Gegensatz, Kalter Krieg und Lagerdenken waren zeitgeschichtlicher Humus für jenen Verzicht auf künstlerische Freiheit, der als politische Notwendigkeit für die neue Gesellschaft aufgefasst wurde. Was

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historisch bedingt und begründet war, verfestigte sich zur Norm. Reduzierte Öffentlichkeit hielt Äußerungen unter Kontrolle. Selbst die Benennung allgemein bekannter Sachverhalte wurde zumeist umschrieben. Es war klar, dass die öffentliche Kultur der Gesellschaft und sie selber daran Schaden nehmen mussten. Als einer der Protagonisten des politischen Dokumentarfilms, Gerhard Scheumann, diesen Mangel öffentlich thematisierte, wurde seine Einlassung unter den Teppich gekehrt, als hätte es sie nie gegeben, und das berühmte Studio H&S aufgelöst. Selbstzensur wurde zum Schatten des Produktionsprozesses. Sie bildete eine äsopische Sprache aus und führte zur Sublimierung der Filmsprache. Die wurde vom Publikum verstanden, das durch die gesellschaftlichen Verkehrsformen darin durchaus geübt war. Metaphern und Andeutungen hatten Hochkonjunktur. Im »administrativ erzeugten Klima der Vorsicht und Beschränkung«12 lag die Schnittstelle zum »Subversiven« im DEFA-Film. Kritischer, skeptischer, hinterfragender Untertext musste sich Verbalisierung versagen und sich vor- bzw. nichtsprachlicher Äußerungen (Bild, Musik/Ton, Montage, Zeittakt) als »Ersatzvornahme« bedienen, um individuelle Selbstäußerung und gesellschaftlichen Diskurs zu ermöglichen. Chance und Reiz künstlerischer Sprache und Darstellung waren mit dieser Zumutung überfrachtet und überfordert. Auch indem er es unterlief, stellte sich der Film auf das staatliche Verfahren ein. Film konnte die Zensur weder aushebeln noch umgehen.

Das Paradoxon der staatlichen Filmpolitik Das Hoheitsrecht war vom Produzentenrecht nicht zu trennen. Zehn Jahre nach ihrer Einführung wurde die Funktion des Leiters der HV mit der eines Stellvertreters des Ministers für Kultur zusammengeführt (1964, 1973). Als »Filmminister« nahm er die vom Gesetz bestimmten hoheitlichen Rechte und Pflichten wahr (Zulassung, Prädikatisierung, Filmpolitik); als Leiter der HV war er Chef einer (offiziell und offiziös nicht existierenden) DEFA-Hauptverwaltung und stand einem Konzern von Studios, Betrieben und Einrichtungen mit mehreren Tausend Beschäftigten und einem Millionen-Budget vor. Seine Person wurde zur Dreieinigkeit eines Staatsfunktionärs, eines Filmproduzenten im Auftrag und mit dem Geld des Staates sowie eines Aufsichtsrats für Verleih, Einsatz, Verkauf, Festivals, Nachwuchs, Technik und Wissenschaft. In der Einheit von Stellvertretendem Minister für Kultur und Leiter der HV Film verkörperte sich der unauflösbare Widerspruch der staatlichen Filmpolitik. Als Leiter der Hauptverwaltung Film war er dem »Executive Producer« eines Filmkonzerns gleichzusetzen. Er hatte Geldmittel für die Produktion zu beschaffen und einzusetzen, die Supervision über die Prozesse zu behalten, die Vertragsbasis zu regulieren und die fertigen Filme mit Gewinn zu verkaufen.

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Ihm unterstanden dazu Studios und Betriebe. Als Stellvertreter des Ministers nahm er hoheitliche Akte im Auftrage des Staates wahr, übte das Lizenz- und Zulassungsrecht aus, versah die Aufsicht über Einrichtungen des Film- und Lichtspielwesens, nahm internationale staatliche Kontakte wahr und vertrat das Filmwesen gegenüber gesellschaftlichen Einrichtungen, Vereinigungen und der Öffentlichkeit. Als Produzent musste er Filme befördern, als Staatsfunktionär gegebenenfalls verhindern. Was dem einen als politisches Verdikt galt, war dem anderen Produzentenrecht: Wer zahlt, bestimmt die Musik. Als Produzent griff er mit Geld in den Produktionsprozess ein, als Funktionär stand er Finanzministerium und Plankommission gegenüber in Rechenschaft. Als Produzent musste er Filme mit Gewinn in den Verleih und ins Ausland bringen, als Hauptverwaltungsleiter war er Vorgesetzter aller drei Bereiche mit deren je eigenen Funktionsund Finanzregulativen. Als Produzent kannte er Film als Kunstwerk, als Funktionär hatte ihm Film »Agitation mit künstlerischen Mitteln«13 zu sein. Als Produzent war er Partner der Künstler, als Minister politischer Funktionär zur »Ausübung der kulturell-erzieherischen Funktion des Staates gegenüber der Filmkunst« (Anton Ackermann). Vor diesem Hintergrund ersteht das Bild der verwalteten DDR-Filmwirtschaft. 1) Zu Institutionen und Rechtsvorschriften im Einzelnen: Günter Jordan: Film in der DDR. Daten, Fakten, Strukturen. Potsdam: Filmmuseum Potsdam 2009. — 2) Wieland Becker, Volker Petzold: Tarkowski trifft King Kong. Geschichte der Filmklubbewegung der DDR. Berlin: Vistas 2001, S. 303. — 3) Ebd., S. 315. — 4) MfK/HV Film/Dr. Kranz, Gedanken zur Arbeit der zukünftigen Abteilung Filmzulassung und -kontrolle, 10.5.1973 (BArch DR 1/14969). — 5) Klaus Wischnewski: Träumer und gewöhnliche Leute. 1966 bis 1979. In: Ralf Schenk (Hg.): Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. DEFA-Spielfilme 1946–1992. Berlin: Henschel 1994, S. 212-263, hier S. 260. — 6) Ebd., S. 213. — 7) HV Film, Anweisung über Jugendprädikate für Kinofilme vom 25.1.1978 (VMMfK Nr. 2/78 Teil I lfd. Nr. 5). — 8) Kultureller Beirat für das Verlagswesen, 13.9.1950 (BArch DR 2/689). — 9) Johannes R. Becher: Gesammelte Werke, Bd. 18. Publizistik IV: 1952–1958. Berlin/DDR, Weimar: Aufbau 1981, S. 219. — 10) Zit. in: Dietrich Löffler: Buch und Lesen in der DDR. Ein literatursoziologischer Rückblick. Berlin: Christoph Links 2011, S. 141. — 11) Zit. in: Ebd., S. 144. — 12) Wischnewski, a.a.O., S. 250. — 13) Amt für Information, Reorganisation des Filmwesens, 24.8.1951 (BArch DY 30/IV 2/9.06/203).

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Julian Petley »A CURIOUS ARRANGEMENT« Das British Board of Film Censors/Classification (BBFC) und der Staat

Das British Board of Film Classification (BBFC) ist eine ziemlich seltsame Konstruktion: Ein Klassifikationsorgan, das zugleich eine Zensurinstitution ist, eine Privatorganisation, die im Fall von DVD-Veröffentlichungen aber auch gesetzliche Machtbefugnisse hat, und eine unabhängige Einrichtung, die sich dennoch staatlichen Behörden gegenüber, vor allem dem Ministerium für Kultur, Medien und Sport, für seine Politik verantworten muss. Um verstehen zu können, wie die Klassifikation und Zensur von Film und DVDs in Großbritannien funktionieren, muss man nicht nur wissen, wie das BBFC arbeitet, sondern auch, welche unterschiedlichen Einflüsse es dabei zu berücksichtigen hat. An erster Stelle steht hier die Befugnis der Local Councils (gewählte Gemeindevertretungen), Filme zu zensieren, die von Kinos in ihrem Bezirk gezeigt werden sollen. Gleichzeitig muss das BBFC darauf achten, dass die von ihm zugelassenen Filme nicht Gesetze wie den Obscene Publications Act, den Protection of Children Act oder den Video Recordings Act verletzen. Daneben muss sich das BBFC immer wieder offizieller und inoffizieller Einmischungsversuche der Politik bei der Besetzung von Posten, der Abfassung von Richtlinien oder einzelnen Zensurentscheidungen erwehren, die nicht selten von inszenierten Zeitungskampagnen flankiert werden. Die öffentliche Meinung, für die die Presse gern zu sprechen glaubt, ist ebenfalls ein Faktor, den das BBFC nicht ignorieren kann.

Local Councils Die Gründung des BBFC und seine fortdauernde Existenz sind vor allem als Reaktion auf die Ermächtigung der Local Councils zur Ausübung der Filmzensur zu verstehen. Geoffrey Robertson und Andrew Nicol erklären dies so: »Der Cinematograph Act von 1909 übertrug den lokalen Behörden die Macht, Vorschriften für die Filmpräsentation festzulegen, um die Öffentlichkeit vor Brandgefahren zu schützen. Doch sie begannen schon bald, diese Macht zu nutzen, um die Flammen der Zelluloidbegeisterung zu ersticken.«1 Mit anderen Worten: Die Gemeinderäte nutzten Brandschutzvorschriften, die einen Lizenzentzug für Kinos vorsahen, in denen Brandgefahr drohte, um Kinos die

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Lizenz zu verweigern, weil sie Filme zeigten, die amtlicherseits als »unpassend« eingestuft wurden. In der Folge sah sich die Cinematograph Exhibitors’ Association, der Verband der britischen Kinobesitzer, mit einer erschreckenden Fülle unterschiedlichster lokaler Zensurpraktiken und -regeln konfrontiert und beschloss deshalb 1912 die Gründung des British Board of Film Censors: »Eine vollkommen unabhängige und unparteiische Einrichtung, deren Aufgabe es sein wird, nicht nur den Vertretern der Lizenzbehörden Vertrauen zu vermitteln, sondern auch jenen, die generell für das moralische Wohl der Gemeinschaft verantwortlich sind.«2 1924 erhielt das Board seine juristische Anerkennung, als der Divisional Court3 die Gültigkeit einer Gesetzesklausel bestätigte, nach der »kein kinematografischer Film (…), der nicht vom BBFC für die Aufführung freigegeben worden ist, ohne die ausdrückliche Zustimmung des Councils gezeigt werden darf«.4 Das hieß praktisch: Auch wenn sich ein Local Council das Recht vorbehielt, Entscheidungen des BBFC zu verwerfen, wenn er mit ihnen nicht einverstanden war, so konnte er doch andererseits die Erteilung einer Kino-Lizenz davon abhängig machen, dass das Kino nur vom BBFC freigegebene Filme aufführte. Diese Position wurde 1976 vom Court of Appeal5 durch eine Aussage von Lord Alfred Denning noch gestärkt: »Ich glaube nicht, dass die Local Councils all ihre Verantwortung auf das Board übertragen können, doch sie können das Board als beratende Institution behandeln, deren Meinung sie akzeptieren oder ablehnen können; vorausgesetzt, die endgültige Entscheidung – ›aye or nay‹ – liegt beim Gemeinderat«.6 Die Lizensierungsgewalt der Local Councils – und damit praktisch ihr Recht, als Filmzensoren zu handeln – überstand natürlich den Wechsel zum unentflammbaren Sicherheitsfilm. Bei der Novellierung des Cinematograph Act im Jahr 1952 wurde den Lizenzbehörden die Aufgabe übertragen, die Zulassung von Kindern in Kinos zu beschränken. Die Restriktionen waren zu erlassen, wenn Kinos Filme zeigten, die »von der Lizenzstelle oder einer anderen in der Lizenz erwähnten Einrichtung, als für Kinder ungeeignete Werke eingestuft worden sind«. Robertson und Nicol weisen darauf hin, »dass die Formulierung ›eine andere Einrichtung‹ die erste Anerkennung des BBFC durch das Parlament darstellt und dessen Position bestätigt; zwar nicht als Zensurstelle, doch zumindest als autorisiertes Kontrollorgan bei der Klassifizierung von für junge Menschen ungeeigneten Filmen«.7 Die Lizenzierungsbestimmungen für die Gemeinderäte wurden 1982 bestätigt und im Cinemas Act von 1985 noch einmal festgeschrieben. Die meisten Local Councils halten sich heute an das vom Home Office (Innenministerium) entworfene »Muster für Lizenzbestimmungen«, die u.a. bestimmen: A. Es darf, abgesehen von einer aktuellen Wochenschau, kein Film vorgeführt werden, der nicht eine Bescheinigung des British Board of Film Classification erhalten hat oder von der Lizenzbehörde zugelassen wurde.

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B. Es dürfen keine Jugendlichen zur Aufführung eines Films zugelassen werden, der vom Board als für sie ungeeignet klassifiziert worden ist, außer mit Zustimmung der Local Councils. C. Es darf kein Film aufgeführt werden, den die Lizenzbehörde schriftlich verboten hat, weil er »den guten Geschmack oder den Anstand verletzen könnte, weil er geeignet sei, ein Verbrechen zu fördern oder anzuregen, oder weil er zu Unordnung führen oder in der Öffentlichkeit Anstoß erregen könnte.«8 Und deshalb muss seither – so der aktuelle Stand der Analyse – das BBFC bei der Klassifizierung eines Films die Gefühlslagen der örtlichen Feuerwehr oder der Aufsichtsbehörden berücksichtigen, und das bedeutet, so Geoffrey Robertson, dass »das Kino als einzige Kunstform dem moralischen Urteil von Local Councils unterworfen ist.«9

Die geltenden Gesetze Neben den Machtbefugnissen der Local Councils muss das BBFC bei seinen Überlegungen zu Klassifizierungen und Schnittauflagen natürlich auch die geltenden Gesetze des Landes und ihre Auslegung durch Polizei, Staatswaltschaften und Gerichte berücksichtigen. Besonders wichtig sind hier der Obscene Publications Act (OPA) von 1959/64 und der Video Recordings Act (VRA) von 1984. Der Obscene Publications Act bestimmt, dass »ein Gegenstand als obszön gilt, wenn seine Wirkung (…), im Ganzen betrachtet, dazu tendiert, Personen zu verderben und zu korrumpieren, die – unter welchen Umständen auch immer – seinen Inhalt lesen, sehen oder hören könnten«.10 Ursprünglich wurde das Gesetz fast ausschließlich gegen Darstellungen von Sexualität angewendet, aber erfolgreiche Gerichtsverfahren gegen Videos von S. S. Experiment Camp (SS Experiment Love Camp, 1976, Sergio Garrone), Eaten Alive! (Blutrausch, 1977, Tobe Hooper), I Spit on Your Grave (Ich spuck’ auf dein Grab, 1978, Meir Zarchi), The Driller Killer (Der Bohrmaschinenkiller, 1979, Abel Ferrara) und Cannibal Holocaust (Nackt und zerfleischt, 1980, Ruggero Deodato) bewiesen 1982, dass es ebenso gegen gewalthaltiges Material angewandt werden konnte. Gegen Filme und Videos mit einem BBFC-Zertifikat geht das Amt des Generalstaatsanwalts (Director of Public Prosecutions, DPP) nicht vor, denn es verlässt sich wie die Local Councils darauf, dass das BBFC Material schneidet oder verbietet, das es in der einen oder anderen Weise für problematisch hält. Den vom DPP veröffentlichten Richtlinien zufolge besteht das nach dem OPA verbotene Material vor allem aus realistischen Abbildungen von Vergewaltigungen, Zerstückelungen oder deutlichen Verstümmelungen, Folter mit Instrumenten, sadomasochistischen Szenen, die über das »unbedeutende und vorübergehende« Zufügen von Wunden hinausgehen, und Bondage.

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Eaten Alive! (1977, Tobe Hooper): Roberta Collins

Der Video Recordings Act (VRA) von 1984 ist der Tatsache zu verdanken, dass die ab Anfang der 1980er Jahre zunehmend verbreiteten Heimvideos zunächst keiner Zensur oder Klassifizierung durch das BBFC unterlagen. Es überrascht kaum, dass diese Situation von den Anhängern der Filmzensur als absoluter Horror empfunden wurde – auch wenn viele von ihnen der Meinung waren, dass sich das BBFC zu dieser Zeit den Kinofilmen gegenüber viel zu liberal verhielt. Das Ergebnis war eine heftige moralische Panikmache in der Presse und im Parlament gegen das Aufkommen sogenannter »video nasties«.11 Diese führte zum Erlass des Video Recordings Act, nach dem jeder Spielfilm, der auf Video verbreitet werden sollte, einer Klassifizierung unterzogen werden musste und – wo es notwendig erschien – mit Schnittauflagen oder Verboten zu belegen war. Das vom VRA als klassifizierende/zensierende Institution benannte BBFC sollte bei der Beurteilung der Filme besonders berücksichtigen, dass die Videos höchstwahrscheinlich zu Hause betrachtet würden. Das heißt nicht, dass alle auf Video vertriebenen Filme für die Betrachtung zu Hause geeignet sein müssen (was die besonders eifrigen Befürworter dieser Maßnahmen wollten, aber postwendend zur Zerstörung der gerade aufblühenden Videoindustrie geführt hätte). Es bedeutet aber: Das Board muss bei der Einschätzung der Filmwirkungen berücksichtigen, dass Szenen auf Video zu Hause in

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Zeitlupe abgespielt werden, mehrfach wiederholt und als Standbilder betrachtet werden können – Aktivitäten, die im Falle von Sex- und Gewaltszenen von manchen als potenziell gefährlich angesehen wurden. Dies hat zur Folge, dass Filme beim Vertrieb auf Video nicht selten strenger behandelt werden als im Kinoverleih. Die Tatsache, dass das British Board of Film Censors seinen Namen 1984 in British Board of Film Classification änderte, also genau zu dem Zeitpunkt, als es mit der Zensierung eines neuen Mediums begann, ist ein ironischer Umstand – um es milde auszudrücken. Der VRA wurde 1994 in der Folge einer weiteren Empörungswelle verschärft. Diesmal war der Auslöser der Mord an einem Kind durch zwei andere Kinder, für den allgemein der Konsum von Gewaltvideos verantwortlich gemacht wurden, allerdings ohne die Spur eines Beweises. Das veränderte Gesetz besagt, dass »die benannte Institution [BBFC] bei ihren Entscheidungen über die Eignung eines Videowerks (neben anderen relevanten Faktoren) vor allem jeden möglichen Schaden zu berücksichtigen hat, den die potenziellen Zuschauer oder, durch ihr Verhalten, die Gesellschaft erleiden könnte, durch die Art und Weise, wie das Werk (a) kriminelles Verhalten, (b) illegale Drogen, (c) gewaltsame Verhaltensweisen oder Ereignisse, (d) erschreckende Verhaltensweisen oder Ereignisse oder (e) menschliches sexuelles Verhalten abbildet.«12 Es erklärt auch, dass »mit dem ›potenziellen Zuschauer‹ jede Person (einschließlich eines Kindes oder Jugendlichen) gemeint ist, die das fragliche Video betrachten könnte, wenn eine generelle Klassifikation oder eine Klassifikation einer bestimmten Art erlassen wird«. Earl Ferrers, Staatsminister im Home Office, erläuterte dies beim Einbringen des Gesetzes im Parlament: »Wenn es [BBFC] beispielsweise beschließt, dass das Werk ein sehr schlechtes Beispiel für sehr junge Kinder darstellen würde, muss es das Video nicht komplett verbieten, sondern es kann eine einschränkende Alterskategorie beschließen. Es gibt aber möglicherweise Werke, die nach Einschätzung des Board bei einer Veröffentlichung auf Video eine solch verheerende Wirkung auf Individuen oder die Gesellschaft entfalten könnten, dass die Möglichkeit bestehen muss, ihnen eine Videozulassung völlig zu verweigern – und die Bestimmungen stellen es dem Board frei, dies zu tun. Die Kriterien schreiben vor, dass das British Board of Film Classification berücksichtigen muss, wer ein bestimmtes Video, unabhängig von der Klassifikation, voraussichtlich sehen wird. Wenn es weiß, dass ein bestimmtes Video trotz Klassifizierung für eine ältere Gruppe wahrscheinlich Kinder anspricht und von ihnen angeschaut wird, dann muss das Board diese Kinder als potenzielle Zuschauer in Betracht ziehen.«13 Diese Verschärfung des VRA geschah in Absprache mit dem Board, das deutlich machte, dass die »Schaden«-Klausel im Grunde nur für die legale Absicherung jener Politik sorgte, die es bereits seit 1984 verfolgte. In den Jahren seither hat das BBFC deutlich gemacht, was es in diesem Zusammenhang unter »Schaden« versteht. In seinen neuesten Richtlinien stellt es fest: »In Bezug auf Schaden werden wir berücksichtigen, ob das Material, allein oder

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kombiniert mit anderen Inhalten ähnlicher Natur, einen Schaden bei der betreffenden Gruppe anrichten könnte. Das beinhaltet nicht nur Schäden, die aus dem Verhalten potenzieller Zuschauer resultieren könnte, sondern auch jeglichen moralischen Schaden, der verursacht werden könnte z.B. durch die Desensibilisierung eines potenziellen Zuschauers für die Auswirkungen von Gewalt, die Reduzierung der Fähigkeit eines potenziellen Zuschauers zu Empathie, die Verstärkung einer entmenschlichten Sicht auf andere, die Unterdrückung pro-sozialer Verhaltensweisen, die Förderung anti-sozialen Verhaltens, die Verstärkung ungesunder Fantasien oder den Abbau des Gefühls moralischer Verantwortung. Besonders in Bezug auf Kinder kann Schaden auch eine Verzögerung der sozialen und moralischen Entwicklung bedeuten, die Beeinträchtigung des Sinns für Recht und Unrecht sowie die Reduzierung der Fähigkeit, Mitgefühl zu empfinden.«14 Man mag dies für ein bemerkenswert breites Spektrum möglicher Anwendungen des »Schaden«-Prinzips halten, doch das BBFC würde zu seiner Verteidigung feststellen, dass es dieses Prinzip nur in Übereinstimmung mit einer Reihe von Urteilen interpretiere, die Gerichte auf Grundlage des VRA gefällt haben – vor allem mit dem Urteil von 2008 zur Entscheidung des BBFC, das Videospiel »Manhunt 2« zu verbieten. Hier bestätigte das Gericht dem Board, dass es gesetzlich dazu verpflichtet sei, bei der Klassifikation potenzielle Schäden oder das Risiko von Schäden durch ein bestimmtes Werk abzuschätzen und sich nicht mit der Frage zu beschäftigen, ob ähnliche Werke tatsächlich Schaden verursacht hatten. Es betonte außerdem, der Begriff »Schaden« müsse im Zusammenhang mit der Definition von »Schaden« im Artikel 10.2 der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretiert werden, ging aber nicht weiter auf diesen Punkt ein. Der Artikel 10.2 bestimmt, dass die Freiheit der Meinungsäußerung »Regularien, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafandrohungen unterworfen werden kann, die gesetzlich verordnet und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind«, und dass die »Verhinderung von öffentlicher Unordnung oder Verbrechen« und der »Schutz von Gesundheit oder Moral« Grundlagen sind, auf denen einzelne Staaten im Rahmen der Konvention Zensur ausüben dürfen. Folglich müsse das BBFC bei der Ausübung ihrer Klassifikations- und Zensurtätigkeit nicht nur die Möglichkeit von Verhaltens-Schäden sondern auch von psychischen Schäden berücksichtigen.

Politische Zensur Es wird deutlich, dass der Spielraum des BBFC durch parlamentarisch verabschiedete Gesetze eingegrenzt ist, von denen hier nur zwei betrachtet wurden. Es muss jedoch auch stets auf die Politik der jeweiligen Regierung Rücksicht nehmen. Die Beziehung des BBFC zur Regierung ist gewiß viel weniger intim als früher, jedoch enger als zumeist angenommen oder zugegeben.

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Vor dem Zweiten Weltkrieg waren die leitenden Posten des BBFC eindeutig mit Leuten besetzt, deren Qualifikation in erster Linie auf dem politischen und nicht auf dem filmischen Gebiet lagen. So war etwa in den 1930er Jahren mit Sir Edward Shortt ein ehemaliger Chief Secretary für Irland, Kabinettsmitglied und Innenminister BBFC-Präsident; sein Nachfolger, Lord William Tyrrell, war zuvor Staatssekretär im Foreign Office, wo er u.a. das News Department gegründet und den Politischen Nachrichtendienst geleitet hatte. Beide waren zudem Mitglied des Privy Council (Kronrat). 80 % der Prüfer kamen vom Militär, der Chefprüfer und Vizepräsident des Board in den 1930er Jahren, Colonel J. C. Hanna, hatte zuvor als Chef der Spionage in Irland gearbeitet. J. Brooke Wilkinson, zu dieser Zeit Geschäftsführer des BBFC, war im Ersten Weltkrieg zuständig für die Filmpropaganda in neutralen Staaten und Mitglied des (geheimen) Subcommittee on Censorship des Committee of Imperial Defence (CID) gewesen. Dies waren also Männer aus hohen politischen Positionen mit ausgezeichneten Kontakten: die Personifizierung des Establishments. Nicholas Pronay meint, die Anwesenheit solcher Personen im BBFC beweise »die Existenz von Kontakten auf hoher Ebene, breiter Erfahrung in Politik und Regierung auf höchster Ebene und Wissen über Aktionen, die auf dem Gebiet von Propaganda und Gegenpropaganda liefen, also den besten Voraussetzungen für die Durchführung einer politischen Zensur«.15 Was in jener Zeit die politische Zensur von Filmen so effektiv machte, waren Pronay zufolge die Erfahrung und der Hintergrund von Personen wie Shortt, »der sicherstellte, dass man sich auf ihn verlassen konnte, dass er wusste, was nötig war, der stets ›voll im Bilde‹ war und mehr wusste als die Öffentlichkeit und den man ›sicher kontaktieren‹ und befragen konnte. Es war für sein ›offizielles‹ Ansehen egal, woher er sein Gehalt bezog oder welche Funktion die Organisation formell innehatte.«16 Es ist deshalb unbestreitbar, dass die britische Kinematografie vor dem Zweiten Weltkrieg einer strikten, wenn auch indirekten politischen Zensur durch den Staatsapparat unterworfen war. Diese Tatsache bestätigt sich auch, wenn man die Gründe der zahlreichen Verbote (98 bis 1930) betrachtet, die das BBFC in jener Zeit aussprach. Zu den sensiblen Bereichen gehörten »Anspielungen auf politische Kontroversen«, »Beziehungen zwischen Kapital und Arbeiterschaft«, »aufrührerische Zwischentitel und bolschewistische Propaganda«, »Aufhetzung zum Klassenhass«, »Szenen, die öffentliche Personen und Institutionen verunglimpfen«, »Szenen, die die königliche Uniform Verachtung und Spott aussetzen«, »britische Besitzungen, die als gesetzloser Sündenpfuhl gezeigt werden« und die »Verletzung der gerechtfertigten Empfindlichkeiten befreundeter Nationen«.17 Die dramatischsten Ergebnisse, die die Anwendung dieser Regeln zeitigte, waren die öffentlichen Aufführungsverbote für die meisten Klassiker des sowjetischen Stummfilms und (in Anwendung der Regel zu den »Empfindlichkeiten befreundeter Nationen«) das Verbot aller Filme, die Kritik an Nazi-Deutschland übten.

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Was die Politik an der »Home Front« betraf, so beschied das BBFC 1936 einer Firma, die einen Film über Lord George Jeffreys, einen berüchtigten Oberrichter des 17. Jahrhunderts, plante, man könne »keine Betrachtung über die Arbeit der britischen Justiz erlauben, in welcher Periode auch immer«, und es dürften »keine reißerischen Formulierungen wie ›blutiges Schwurgericht‹« benutzt werden.18 Im selben Jahr lehnte das Board zweimal ein Drehbuch nach Walter Greenwoods alles andere als aufrührerischem Roman und Bühnenstück »Love on the Dole« (1933) ab. Ein Prüfer beschrieb es als »höchst unappetitliche Geschichte, in einem höchst unappetitlichen Milieu«, die »als Film sehr unerwünscht« sei, während ein anderer Prüfer klagte, das Drehbuch enthalte »zu viel von der tragischen und schmutzigen Seite der Armut«.19 Und wie man sich – speziell beim biografischen Hintergrund der BBFC-Chefs – vorstellen kann, wurden Filme über die Situation in Irland intensiv abgewehrt. So schrieb Colonel Hanna, als er das Script für einen Film über Michael Collins ablehnte: »Es handelt sich um eine sehr umstrittene Zeit, und ich bitte eindringlich darum, dass die traurigen und unerfreulichen Erinnerungen, die beide Seiten mit dem Konflikt verbinden, möglichst in Ruhe gelassen und nicht durch das Medium der Leinwand aufgerührt werden. Gleich wie das Thema behandelt wird, die eine oder andere Seite würde verärgert und es würde viel Schaden daraus entstehen.«20 Zwei andere Drehbücher – »The Rising« und »Irish Story« –, die dem BBFC 1938 bzw. 1939 vorgelegt wurden, stießen auf Ablehnung und wurden nie verfilmt. Selbst eine eigens »modifizierte« Fassung von John Fords The Informer (Der Verräter, 1935) wurde vom Board stark gekürzt. Die vom BBFC ausgeübte politische Zensur war in den 1930er Jahren tatsächlich so streng, dass 1937 sein Präsident, Lord William Tyrrell, dem Verband der Kinobesitzer berichten konnte: »Wir können mit Stolz feststellen, dass in London kein einziger Film läuft, der irgendeines der aktuellen, brennenden Themen behandelt«.21 Und doch: Formal war das BBFC eine rein private Einrichtung, die sich aus den Gebühren für die Klassifizierung und das Schneiden von Filmen finanzierte und nicht mit Steuergeldern. Das Board entsprach nicht der Definition einer vom Innenministerium kontrollierten staatlichen Organisation und war deshalb frei von öffentlicher Aufsicht und Pflichten. Das erlaubte dem Innenminister, vor dem Parlament seine Hände in Unschuld zu waschen und die Verantwortung für das Kürzen, Verbieten oder Zulassen irgendeines Films zurückzuweisen, obwohl er – wie auch die wichtigsten Verbände der Gemeindeverwaltungen – angehört werden musste, bevor ein neuer BBFC-Präsident ernannt werden konnte. Man hatte also eine Institution geschaffen, die im Auftrag und im Interesse des Staats (bzw. der jeweiligen Regierung) politische Zensur ausübte, jedoch von beiden vollkommen unabhängig zu sein schien. Oder wie es 1942 Innenminister Herbert Morrison etwas selbstgefällig ausdrückte: »Ich gebe gerne zu, dass es sich um eine merkwürdige Konstruktion handelt, doch die Briten

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haben die großartige Gewohnheit, merkwürdige Konstruktionen einzurichten, die dann sehr gut funktionieren – und diese funktioniert. Ehrlich gesagt, ich möchte nicht der Minister sein, der im Parlament Fragen beantworten muss, ob ein bestimmter Film zensiert werden soll oder nicht. Ich glaube, es wäre gefährlich für den Innenminister, in dieser Angelegenheit eine direkte Zuständigkeit zu haben.«22 Diese historischen Details würden möglicherweise nur akademisches Interesse erregen, wenn es beim BBFC nicht verschiedene Interventionen des Innenministeriums gegeben hätte, bevor die Zuständigkeit an das Ministerium für Kultur, Medien und Sport überging.

Politische Interventionen 1985, nach dem Tod des BBFC-Präsidenten Lord Harlech (David OrmsbyGore), versuchte das Innenministerium, Sir Ian Trethowan als Nachfolger zu installieren, einen ehemaligen BBC-Generaldirektor und bekannten Anhänger der konservativen Premierministerin Margaret Thatcher. Angesichts heftigen Widerstands innerhalb des BBFC, speziell durch den Geschäftsführer James Ferman, drohte Staatssekretär David Mellor indirekt damit, eine neue Agentur für Film- und Video-Klassifikation einzurichten und Ferman in Zukunft von der Beteiligung an der Ernennung von Präsidenten und Vizepräsidenten des BBFC auszuschließen. Doch das BBFC blieb fest und nominierte als Harlechs Nachfolger Lord Harewood, woraufhin Mellor und Innenminister Leon Brittan den beispiellosen Schritt unternahmen, mit ihm ein schikanöses Einstellungsgespräch zu führen, vermutlich in der Hoffnung, er würde zurückziehen. Darin wurden sie enttäuscht, doch sie beschlossen, dass in Zukunft das Innenministerium über die Besetzung der höheren BBFC-Posten entscheiden solle.23 Der nächste Versuch des Innenministeriums, Macht über das BBFC auszuüben, datiert auf das Jahr 1997, kurz nach der Regierungsübernahme durch die Labour Party im Mai, die Jack Straw zum Innenminister machte.24 1996 hatte Lord Harewood beschlossen, in den Ruhestand zu treten, und die Stelle wurde ausgeschrieben. Am 23.5.1997 informierten James Ferman und Dennis Kimbley, der Vorsitzende des BBFC-Verwaltungsrats, das Innenministerium, dass Lord Birkett, bisher ein BBFC-Vizepräsident, aus einer Shortlist von sechs Kandidaten für den Posten ausgewählt worden sei. Laut James Robertson bekam Ferman darauf den informellen Hinweis, »das Innenministerium würde Birkett erst akzeptieren, wenn es die Namen der nicht erfolgreichen Fünf und die Gründe ihrer Ablehnung erfahren würde, ebenso die Details über die sechs ausgewählten Kandidaten, ihre kurzen Lebensläufe sowie eine Zusammenfassung der Ansichten des Auswahlkommittees über jeden einzelnen«.25 Ebenso ungewöhnlich wie dieser Vorstoß war die Tatsache, dass Straw und sein Staatssekretär Lord Williams of Mostyn ebenfalls Birkett treffen wollten, ehe seine Ernennung offiziell bestätigt würde.

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Man muss zudem wissen, dass fast gleichzeitig mit der Regierungsübernahme durch Labour in der Presse Artikel zu erscheinen begannen, die Fermans Zukunft in Frage stellten und ganz offensichtlich auf gezielten Indiskretionen aus dem Innenministerium basierten. Eine weitere Motivation, das BBFC zu diskreditieren, war im Fall der Daily Mail das demütigende Scheitern ihrer schrillen Einschüchterungskampagne gegen das Board, um ein Verbot von David Cronenbergs Crash (1995/96) zu erreichen.26 So berichtete die Mail am 21.8.1997 unter der Überschrift »Straw to Direct Film Censors Shake-up«: »Jack Straw plant eine grundlegende Umstrukturierung des Systems der Filmzensur, um so eine bessere Kontrolle zu erlangen. Dem British Board of Film Classification wurde Geheimnistuerei vorgeworfen, da es sich geweigert hat, seine Klassifikations-Entscheidungen zu begründen und die Leute zu benennen, die die Entscheidungen fällen. Die Sorgen um die Politik der Organisation erreichten einen Höhepunkt mit deren Entscheidung, den ›Sex-and-Wracks‹-Streifen Crash ohne Schnitte ab 18 Jahre freizugeben.« Paradoxerweise war es ein »Überläufer« aus der Zeit der konservativen Regierung, der Straw dann tatsächlich die Möglichkeit bot, seine Muskeln gegenüber dem BBFC spielen zu lassen. Aus Sorge über das Anwachsen der illegalen Sexshops in London hatten 1996 das Innenministerium und die Metropolitan Police dem BBFC vorgeschlagen, die extrem strengen Richtlinien für »R18«Videos zu lockern. Dies hatte das BBFC schon seit langem gewünscht, war aber durch die restriktive Auslegung des Obscene Publications Act durch Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte daran gehindert worden. Man hoffte, durch den Verkauf »schärferer« Ware in den lizenzierten Sexshops die illegalen Läden aus dem Markt zu drängen. Das BBFC lockerte also seine Richtlinien ein wenig, doch damit blieben immer noch viele Filme verboten, die in anderen EU-Ländern (mit Ausnahme Irlands) völlig legal zu kaufen waren. Kurz nach dem Antritt der Labour-Regierung stieß Straw zufällig auf diesen Vorgang und war – als ausgewiesener Gegner von Pornografie selbst mildester Art – extrem wütend. Er ordnete die umgehende Zurücknahme der Liberalisierung an und stauchte Lord Birkett bei einem kurzfristig angesetzten Rapport zusammen. Der unglückliche Birkett bezeichnete am 2.11.1998 im Beitrag Porn Wars der BBC-Sendereihe Panorama die Stimmung des Treffens als »inquisitorisch«, Straw habe ein »wahres Gefühl von Empörung« verbreitet.27 Als Panorama Straw zur Affäre befragte, ließ dieser verlauten, Lord Birkett habe in der »Erfüllung seiner Aufgaben gründlich versagt«. Das mag harmlos klingen, doch nach den Regeln des politischen Diskurses auf diesen hohen Ebenen war es nicht weniger als eine kräftige Backpfeife, oder – wie der Panorama-Reporter John Ware es ausdrückte – »ein direkter Angriff auf einen pensionierten höheren Beamten«.28 Straw tadelte Ferman außerdem in einem Brief an die Presse in »strengstmöglicher Weise« für seine »inakzeptable, einseitige Entscheidung, das Gesetz zu liberalisieren«. Dies wurde gern zitiert von einer Presse, die grundsätzlich für mehr Zensur eintrat und deshalb lieber

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Crash (1995/96, David Cronenberg): Rosanna Arquette, Elias Koteas

das BBFC für seine zu weitgehende Liberalität tadelte, als das Innenministerium für sein anmaßendes Verhalten. Im November 1997 drohte Straw Dennis Kimbley, dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten des BBFC die Zuständigkeit für die Durchführung des Video Recordings Act zu entziehen, würde man bei der Berufung eines neuen Präsidenten nicht den Wünschen des Innenministeriums folgen. Wenig später präsentierte er Kimbley Whittam Smith, einen Mitgründer der Zeitung The Independent, als seinen Wunschkandidaten und verlangte Änderungen beim BBFC: »Die wichtigste Forderung war, dass in Zukunft ein höherer Beamter des Innenministeriums anwesend sein solle, wenn der BBFC-Verwaltungsrat die engeren Kandidaten für die Posten des Präsidenten und Vizepräsidenten befragen würde, und man müsse den Innenminister um seine Meinung zur Shortlist bitten, um so seine Ansichten einzuholen, noch ehe der Rat einen Kandidaten auswählte.«29 Angesichts eines so massiven Drucks blieb Kimbley nicht viel übrig, als den Posten Whittam Smith anzubieten, der nach seinem Amtsantritt im Januar 1998 jedoch keineswegs als Straws Marionette agierte. Das Innenministerium gab außerdem bekannt, dass es Fermans Beschäftigungsverhältnis überprüfen würde. Dies war der Startschuss für weitere feindliche Presseberichte. Besonders charakteristisch war ein Bericht im Telegraph

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vom 9.12.1997, der nur allzu deutlich, wenn auch unbeabsichtigt, das eigentümliche Verhältnis zwischen BBFC und Regierung aufzeigte: »Es existiert zwischen den Politikern und den Zensoren ein distanziertes Verhältnis, das in mancher Hinsicht gesund ist. Nur in Diktaturen entscheidet die Regierung, was das Volk sehen oder nicht sehen darf. Doch während die Politiker froh sind, dass das BBFC von der Regierung unabhängig ist, existiert auch die Ansicht, es habe unter Mr. Ferman seine eigenen Gesetze entwickelt.« Und das ging, vor allem in den Augen eines illiberalen Blatts, unter keinen Umständen! Doch dies war noch nicht das Ende der Geschichte. Videofirmen, die in der Annahme, das BBFC habe seine »R18«-Richtlinien liberalisiert, die Rechte für bestimmte Filme erworben hatten, mussten nun feststellen, dass diese Filme vom BBFC gekürzt wurden. Sie beschwerten sich beim Video Appeals Committee, einer unabhängigen Einrichtung, die im Zusammenhang mit dem Video Recordings Act (VAC) eingerichtet worden war, und bekamen Recht. Das Innenministerium verbot dem BBFC jedoch, seine Richtlinien wieder zu liberalisieren. Dies hätte nämlich zur Folge, dass Material freigegeben würde, das dem Obscene Publications Act widerspräche und zudem gegen die »Schaden«Klausel des Video Recordings Act verstoße. Es folgten weitere Beschwerden beim VAC, die ebenfalls erfolgreich waren. Für die Öffentlichkeit wurde jedoch die ganze Zeit die Fiktion aufrechterhalten, das BBFC handele völlig selbständig, indem es seine »R18«-Regeln willkürlich und konzeptlos verändere. Das Innenministerium erschien in Medienberichten von diesen Auseinandersetzungen vollkommen abgehoben, während es in Wirklichkeit im Hintergrund die Fäden zog. Im September 1998 veröffentlichte das Board dennoch eine Reihe von neuen »R18«-Regeln, die viel liberaler als jene von 1997 waren (im Vergleich zu kontinental-europäischen Standards jedoch immer noch ziemlich restriktiv). Das Innenministerium schäumte vor Wut und wurde dabei von einem Großteil der für die Zensur kämpfenden Presse flankiert, konnte jedoch nichts unternehmen, ohne seine führende Rolle in der ganzen Affäre an die Öffentlichkeit zu bringen und den Anschein zu erwecken, die Regierung wolle sich direkt in die Zensur einzelner Filme einmischen – etwas, wovor frühere Innenminister noch zurückgeschreckt waren. Man könnte argumentieren, die Aktionen der Herren Mellor, Brittan und Straw hätten die Widerstandskraft des BBFC gegenüber Druck und Einmischung durch die Regierung bewiesen, doch diese Auseinandersetzungen verdeutlichen im Grunde vor allem, welche Möglichkeiten ehrgeizigen und interventionistischen Politikern zur Verfügung stehen, um das BBFC einzuschüchtern – Machtbefugnisse, die der Minister für Kultur, Medien und Sport immer noch hat. Die Tatsache, dass es den drei Herren am Ende nicht gelang, das BBFC ihrem Willen zu unterwerfen, macht die Existenz dieser Befugnisse nicht weniger beunruhigend.

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1) Geoffrey Robertson, Andrew Nicol: Media Law. London: Penguin 2008 (5. Aufl.), S. 819 f. Der Cinematograph Act von 1909 war das erste Gesetz, das Herstellung, Vertrieb und Aufführung von Filmen in Großbritannien regulierte. Eine Übersicht über dieses und die im Folgenden erwähnten Gesetze bietet www.terramedia.co.uk/reference/law/UK_media_law/ cinema_and_film_laws.htm (Abruf am 9.8.2014). — 2) Bioscope, 21.11.1912. Zit. n. Neville March Hunnings: Film Censors and the Law. London: Allen and Unwin 1967, S. 54. — 3) Der Divisional Court ist die Kammer für Zivilsachen beim High Court of Justice, dem obersten Zivilgericht Großbritanniens. — 4) Zit. n. Robertson/Nicol, a.a.O., S. 820. — 5) Der Court of Appeal ist das oberste Berufungsgericht Großbritanniens. — 6) Robertson/Nicol, a.a.O., S. 820. — 7) Ebd, S. 821. — 8) Zit. n. ebd., S. 824. — 9) Geoffrey Robertson: Freedom, the Individual and the Law. London: Penguin 1993, S. 263. — 10) cps.gov.uk/legal/l_to_o/obscene_publications (Abruf am 21.7.2014). — 11) Julian Petley: Film and Video Censorship in Modern Britain. Edinburgh: Edinburgh University Press 2011. — 12) Video Recordings Act 1984 (www.legislation.gov.uk/ ukpga/1984/39/section/4A [Abruf am 21.7.2014]). — 13) Zit. n. ebd., S. 94. — 14) British Board of Film Classification: BBFC Guidelines: Age Ratings You Can Trust. London: British Board of Film Classification 2014, S. 3. — 15) Nicholas Pronay: The Political Censorship of Films in Britain Between the Wars. In: N. P., D. W. Spring: Propaganda, Politics and Film. London: Macmillan 1982, S. 114. — 16) Ebd., S. 115. — 17) Eine detaillierte Darstellung dieser Regeln findet sich in John Trevelyan: What the Censor Saw. London: Michael Joseph 1973, S 30-46. — 18) Zit. n. Pronay, a.a.O., S. 105, S. 107. — 19) Zit. n. Sarah Street: British Cinema in Documents. London: Routledge 2000, S. 26, S. 28. — 20) Zit. n. John Hill: »Purely Sinn Fein Propaganda«: The Banning of Ourselves Alone. In: Historical Journal of Film, Radio and Television, 2000 (3), S. 320. — 21) Zit. n. Pronay, a.a.O., S. 122. — 22) Zit. n. Hunnings, a.a.O., S. 132. — 23) Diese Schilderung folgt der ausführlichen Beschreibung in James C. Robertson: The Home Office and the BBFC presidency 1985–98. In: Journal of British Cinema and Television, Nr. 2, 2006, S. 318-29. — 24) Für eine ausführlichere Darstellung des Vorgangs vgl. Petley, a.a.O., S. 129-157. — 25) Robertson, 2006, a.a.O., S. 324. — 26) Petley, a.a.O., S. 115128. — 27) Vgl. das Transkript der Sendung unter news.bbc.co.uk/hi/english/static/audio_ video/programmes/panorama/transcripts/transcript_ 02_11_98.txt (Abruf am 21.7.2014). — 28) Ebd. — 29) Robertson, 2006, a.a.O., S. 327.

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Michael Achenbach, Thomas Ballhausen EIN »WIENER GENRE«? Zur Erfolgs- und Zensurgeschichte der Saturn-Film (1906–1910)

All the kids have always known That the emperor wears no clothes But they bow down to him anyway It’s better than being alone Arcade Fire: Ready to Start Die Geschichte der Firma Saturn ist untrennbar mit dem Namen des Gründers und Inhabers Johann Schwarzer verbunden. Am 30.8.1880 in Javornik in Schlesien geboren,1 übersiedelte Schwarzer bald nach Wien, die Hauptstadt der österreichisch-ungarischen Monarchie, und erlernte den Beruf eines Fotografen und Chemikers.2 Seit seiner Gewerbeanmeldung im August 19063 widmete sich Schwarzer neben ganz gewöhnlichen Familienfotos, Porträtaufnahmen, Kinderfotos und Ähnlichem auch der Herstellung von erotischen Aktaufnahmen. Diese Aktfotos lieferte er auch als »künstlerisch ausgeführte Glasdiapositive (Aktstudien)« an das Schaustellergewerbe.4 Noch erfolgreicher als die Aktfotografie erwiesen sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts jedoch die pikanten »Laufbilder«, vornehmlich aus französischer Produktion. Die »Herrenabende« – also die Vorführung erotischer Filme in Spezialvorstellungen (oft nicht ausschließlich für Herren) – waren zu dieser Zeit ein Kassenmagnet der Wanderkinos. So finden sich 1897 im Verleihprogramm von Hermann O. Foersterling aus Berlin-Friedenau auch Aufnahmen »graziöser, interessanter, picanter Damen in reizvollster Decostümierung«.5 Dabei wird man sich die »Decostümierung« der angepriesenen Damen als nicht zu weitgehend vorstellen dürfen. Anspruch und Wirklichkeit klafften in der Frühzeit der Kinematografie noch recht weit auseinander. Auch in den pikanten Szenen der Firma Pathé aus der Zeit kurz nach der Jahrhundertwende waren die Darstellerinnen meist noch von einem Nachthemd, einem Schleier oder Ähnlichem umhüllt. Dies genügte aber bereits, um die Schaulust des Publikums zu befriedigen, zumal das sich bewegende Bild in den Anfangstagen des Kinos noch grundsätzlich bestaunt wurde. Neben dieser quasi-offiziellen Produktion pikanter Filme entstanden im Graubereich des Gesetzes aber auch pornografische Machwerke, die nicht in regulären Kinos, sondern in privaten Herrenzirkeln oder Bordellen vorgeführt wurden.6 Mit dem sicheren Spürsinn für ein gutes Geschäft wandte sich Johann

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Schwarzer spätestens 1906 ebenfalls der Herstellung von »hochpikanten Herrenabend-Films« zu, wie seine erste, über die gesamte Seitenbreite laufende Anzeige im Fachblatt Der Komet eindrucksvoll belegt.7 Über ein Atelier und vorzügliche Kontakte zu den in Frage kommenden Modellen verfügte er ja bereits: »Unsere Firma hat sich, in richtiger Erkenntnis der verminderten Schaulust des Publikums, entschlossen, den P. T. Kinematographen Gelegenheit zu geben, sich diejenigen Bilder, welche am heutigen Tage wohl am meisten verlangt werden, nämlich ›pikante‹ Bilder, auf leichte Weise zu verschaffen.«8 Schwarzer drehte von Beginn an erotische Filme, die inhaltlich zwischen den französischen Produktionen und eindeutig pornografischen Erzeugnissen anzusiedeln sind. In den meisten Saturn-Filmen treten die Darstellerinnen zwar völlig unbekleidet auf, die Filme sind jedoch weit davon entfernt, pornografisch zu wirken. Hauptsujets seiner Filme waren Badeszenen, »Künstler und Modell« oder auch Orientalismen. Mit diesem Programm, das mehr zu bieten hatte als die »braven« französischen Produktionen, gleichzeitig aber nicht wirklich anstößig war, sondern laut Eigendefinition als »künstlerisch« empfunden wurde, gelang Schwarzer nach kurzer Zeit der Durchbruch auf dem Markt. Das erwähnte Zeitungsinserat für Saturn-Filme erschien bis in den Juni 1907 hinein. Zu diesem Zeitpunkt war der Bekanntheitsgrad der Firma bereits so groß, dass auf weitere Reklame in Zeitschriften verzichtet werden konnte. Der Schwerpunkt der Werbung verlagerte sich wahrscheinlich auf Mundpropaganda und den etwa zur gleichen Zeit erscheinenden Verleihkatalog »Saturn-Films Wien«.9 Mit diesem Katalog orientierte sich Schwarzer an den Vorlagen französischer Firmen, die bereits seit Jahren solche Publikationen zusammenstellten.

Schaumanie Die österreichische Filmgeschichte ist in die Schaumanie verwoben, die das Medium Film und das Aufführungssystem Kino mit sich bringen. Der »Vorrang der Sichtbarkeit«, auf den das »empfangende Auge«10 zu reagieren bereit ist, spielt mit der Trägheit des Organs, das zur freundlichen Täuschung der vermeintlichen Bildbewegung beiträgt. Schon die Anfänge der österreichischen Produktion, die Filme der Firma Saturn, sind vom Stempel des Erotischen und vom Vorwurf des Pornografischen gekennzeichnet, eine solch zweifach adaptive Bindung sollte schließlich auch zum Ende des Betriebs ganz wesentlich beitragen. Der Begriff der »Herrenabende« findet aber schon vor den SaturnProduktionen ihre Anwendung, wenn etwa 1903 der Prater-Kinobesitzer Josef Stiller medizinische Filme nur unter der Auflage der Publikumseinschränkung zeigen kann: Der entsprechende Aufdruck »Nur für Herren« auf den Werbeplakaten für die einschlägigen Aufführungen der Filme des französischen Chirurgen Eugène-Louis Doyen gewährleistete eine zweifache Erfolgsgeschichte:

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die des Begriffs und die der damit unscharf bezeichneten Titel. Die Verkoppelung des Erotischen bzw. des Pornografischen mit dem Medizinischen geht auch hier den Weg über den weiblichen Körper. Ein Beispiel dafür ist etwa Doyens bereits 1898 erstellter und vor der British Medical Association in Edinburgh präsentierter Filmbeitrag Maniement de la table d’operation imaginée par doyen, in dem der Arzt und ein Assistent wenig überraschend anhand einer sich tot stellenden unbekleideten Frau die Positionierungsmöglichkeiten des angepriesenen Tisches demonstrieren. Auch der Katalog der Saturn-Film und die erhaltenen Filmbestände, die vom Filmarchiv Austria aufwendig restauriert und ediert wurden,11 sprechen eine ähnliche Bildsprache, wenngleich der darin angeschlagene Ton wesentlich unterhaltsamer ist als in den genannten medizinischen Sujets. In bester Manier des »adult remake« werden neben der Umsetzung genuin eigener Ideen auch französische Vorlagen verschärft nachgeahmt. Die Saturn-Produktionen sind aber trotzdem eindeutig dem erotischen Film zuzuordnen und nicht der Pornografie. Der Erfolg ließ nicht auf sich warten, die Behörden freilich versuchten, entsprechende Schritte dagegen einzuleiten. Wurde etwa das Militär bloßgestellt, wurde der Film verboten; ebenso griff die Zensur bei der gesellschaftlich nicht opportunen Darstellung des Seitensprungs der Ehefrau oder bei der wenig erwünschten karnevalesken Verkehrung der Rollen zwischen Freier und Prostituierter ein: Mann und Frau, im Chic der vorletzten Jahrhundertwende gekleidet, betreten ein schön eingerichtetes Zimmer. Er, ganz wohlsituierter Herr im Frack, versucht ansatzweise, seine holprigen Verführungskünste zum Einsatz zu bringen, die Dame wehrt ab, bietet aber eine spielerischer Wette mit einem Zaubertrick an. Lachend akzeptiert der verhinderte Charmeur, nicht wissend, was auf ihn zukommt. Denn statt eines sexuellen Abenteuers erfasst ihn Die Macht der Hypnose – so der Titel des hier beschriebenen Beispiels aus dem Hause Saturn – mit voller Wucht. Erst als er ihr nicht mehr gefährlich werden kann, fallen die Hüllen der Wohlbeleibten und in der Folge auch die sozialen Barrieren. Der Kunde wird zum Opfer der weiblichen Künste, just tritt die Zensur auf den Plan – aber nicht des sichtbaren Fleisches wegen. Nacktheit war erwünscht, wurde nicht zuletzt auch als ein gutes Geschäft verstanden, doch die subversive Macht von Erotik und Pornografie war nicht genehm. Karneval durfte sein, nachhaltige Transgression nicht. Dieses kleine Beispiel aus der Frühzeit der österreichischen Kinematografie steht wohl symptomatisch für die Widersprüchlichkeit des öffentlichen Umgangs mit den erwähnten umstrittenen Begriffen. Nachweislich gefälschte, tatsächlich pornografische Aufnahmen, die mit einem nachgebauten SaturnLogo, dem unverkennbaren Markenzeichen der Firma in Form eines Sterns, versehen waren, gaben den Behörden schließlich den Vorwand, gegen den unliebsamen Produzenten Schwarzer vorzugehen. Trotz seiner umfassenden Absicherungen gegenüber seinen Endkunden befand sich der Stern der Saturn

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Die Macht der Hypnose (1908–10, Johann Schwarzer)

nun im Sinken. Die »Remakes« hatten zum Erfolg beigetragen, nun führten sie in anderer Form das Ende einer wichtigen Phase der nationalen Filmproduktion herbei.

Niedergang 1909 begann schließlich der Niedergang des erfolgreichen Unternehmens. In einem vertraulichen Schreiben an den Außenminister Aloys Graf Lexa von Aehrenthal beschwerte sich der Konsul in Tiflis über die Vorführung pornografischer Filme der Marke Saturn in der Stadt.12 Der Bericht wurde vom Außen- an das Innenministerium als zuständige Stelle übermittelt. Das Innenministerium seinerseits sandte am 12.11.1909 eine Abschrift an die k.k. Polizeidirektion in Wien mit dem Auftrag zur Beweiserhebung und Berichterstattung.13 Gegen Ende des Jahres fand daraufhin eine polizeiliche Hausdurchsuchung der Räumlichkeiten an der Adresse Arenbergring 15 statt. Dabei beschlagnahmte die Polizei eine Reihe von Fotografien und Filmnegativen und übergab das Material an die Staatsanwaltschaft zwecks Einleitung eines Verfahrens nach § 516 Strafgesetzbuch.14 Das Verfahren wurde allerdings vom

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Innenministerium nicht weiter verfolgt, da die Polizei keine obszönen Bilder gefunden hatte: »Laut Mitteilung des k. und k. österr.ungar. Konsulates in Tiflis sollen durch die Firma ›Saturn‹ Kinematografenfilms von obszönen Darstellungen (…) erzeugt und verbreitet werden. Bei der vorgenommenen Hausdurchsuchung wurde allerdings eine Reihe von Films gefunden; diese enthalten jedoch nicht die erwähnte obszöne Darstellung, sondern lediglich Entkleidungsszenen, die ebensowenig wie die in den Katalogen der Firma angekündigten Bilder als obszön bezeichnet werden können. Da auch eine die Sittlichkeit verletzende Art der Aufführung aus dem Grunde ausgeschlossen zu betrachten ist, (…) so erscheint der Tatbestand des § 516 nicht gegeben.«15 Was damals in Tiflis tatsächlich im Kino gezeigt wurde, lässt sich nicht mehr eruieren. Möglicherweise handelte es sich um die unrechtmäßige Verwendung eines originalen Saturn-Filmtitels, an den einfach ein anderer Film mit pornografischem Inhalt angehängt wurde. Im August 1910 erreichte eine neue Beschwerde die Behörden. Die US-Botschaft in Wien erhob beim Außenministerium Einspruch gegen die Einfuhr »unzüchtiger Publikationen« der Firma Saturn in die USA und forderte das Ministerium auf, die »geeignet scheinenden Verfügungen seitens der zuständigen Behörden« zu veranlassen. Der Eingabe war umfangreiches Bildmaterial beigefügt, welches »Darstellungen nackter Frauengestalten oft auch in bedenklichen Situationen« zeigte. Gleichwohl wies auch die Beschwerde aus den USA darauf hin, dass »die Films stark pikant, keineswegs gemein sind.«16 Das Außenministerium übergab die Beschwerde an das Justizministerium, das wiederum einen Bericht der Oberstaatsanwaltschaft einforderte. Um den Behördenweg zu vervollständigen, bemühte die Oberstaatsanwaltschaft die Staatsanwaltschaft Wien um eine Stellungnahme. Im Januar 1911 legte diese ihren Bericht vor, in dem sie offenbar zum selben Schluss wie im Verfahren von 1909 kam. Möglicherweise aufgrund stärkeren politischen Drucks schloss sich der Oberstaatsanwalt dieser Ansicht aber nicht an. Er wies die Staatsanwaltschaft zu einer erneuten Hausdurchsuchung an und ließ das gesamte Filmmaterial beschlagnahmen.17 Die Wiederaufnahme des Verfahrens führte zu einem Prozess vor dem k.k. Landesgericht Wien, dessen Ergebnis aus dem Amtsblatt zur Wiener Zeitung bekannt ist. Danach wurde der Filmfabrik Saturn das Vergehen nach § 516 StG zur Last gelegt und gemäß § 493 StPO wurde nun das »Verbot der Weiterverbreitung dieser Filme beziehungsweise Kataloge« ausgesprochen. Darüber hinaus musste eine Reihe von Filmen ganz oder teilweise vernichtet werden. Alle Kataloge wurden eingezogen.18 Das Urteil trat am 15.2.1911 in Kraft und beendete die Tätigkeit der Firma Saturn, die mit Sicherheit bis in den Herbst 1910 hinein ungestört verlaufen war.19 Bemerkenswert an Schwarzers Filmen bzw. am aufgebauschten Skandal um die erotische Filmproduktion der Saturn ist die damit verbundene Katalysatorwirkung, die dieses Ereignis auf die Filmzensurbestimmungen der Monarchie ausübte.20

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Nach diesem Urteil scheint Johann Schwarzer seine Tätigkeit als Filmfabrikant zumindest vorerst eingestellt zu haben. In einer amtlichen Aufstellung des Handelsministeriums aus dem Jahr 1912 werden insgesamt vier Filmproduktionsfirmen genannt, und zwar die Österreichisch-Ungarische Kinoindustrie GmbH, die Kunstfilm-Industrie-Gesellschaft mbH, die Sascha-Filmfabrik und die Projektograph-Aktiengesellschaft, der Name »Saturn« taucht nicht auf.21 Eine dieser Firmen – die Österreichisch-Ungarische Kinoindustrie – produzierte ab 1910 bis in den Ersten Weltkrieg hinein. Für 1911, das produktivste Jahr der Firma, lassen sich nicht weniger als 51 Filmtitel nachweisen. Eine erstaunliche Anzahl für die damalige Zeit, auch dann, wenn man bedenkt, dass der überwiegende Teil dieser Dokumentaraufnahmen eine Länge zwischen drei und sechs Minuten aufweist. Offenbar nahm Schwarzer nach der Verurteilung – wahrscheinlich auch um Abstand von den letzten Ereignissen zu gewinnen – bei der Österreichisch-Ungarischen Kinoindustrie eine Anstellung als Kino-Operateur an.22

Nachspiel Ende 1910 begann der wiener Architekt Rudolf Kmunke mit den Vorbereitungen zu einer Uganda-Reise. Im Vorfeld seiner Expedition stand er mit einigen Wissenschaftlern und Forschungsreisenden in engem Kontakt, bei denen er sich Hilfe und Ratschläge für die Planung der Reise einholte. Ein besonders wichtiger Berater scheint der wiener Ethnograph Rudolf Pöch gewesen zu sein, der sich auch um die Konstruktion der Zelte kümmerte und gemeinsam mit dem Expeditionsarzt Stigler die aus drei Koffern bestehende Reiseapotheke zusammenstellte.23 Pöch war zu dieser Zeit aufgrund seiner Forschungen in Neu-Guinea (1904–06) und Südafrika (1907–09) eine beachtete und anerkannte Autorität. Auf beiden Expeditionen verwendete er modernste Technik und fertigte, ähnlich wie bereits einige Jahre zuvor der Ethnologe Alfred Cort Haddon,24 Film- und Tonaufnahmen für seine Studien an. Unter den Ausrüstungsgegenständen der Uganda-Expedition finden sich nun ebenfalls eine Filmkamera und ein Phonograph aus den Beständen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.25 Es ist davon auszugehen, dass die Mitnahme dieser Gerätschaften zur Ergänzung der ethnologischen Studien auf den direkten Einfluss von Rudolf Pöch zurückzuführen ist. Wie es nun zum Kontakt zwischen Kmunke und der Österreichisch-Ungarischen Kinoindustrie kam und wer hier tatsächlich die Initiative ergriffen hatte, lässt sich nicht mehr genau feststellen. Tatsache ist: Kmunke kam mit der Firma überein, einen Kameramann des Unternehmens für diese Expedition abzustellen. Die Kinoindustrie erhoffte sich von dieser Forschungsreise spektakuläre Aufnahmen, wie sie das österreichische Publikum bisher kaum zu sehen bekommen hatte, während Kmunke (wie Pöch) sicherlich auf einen wissen-

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schaftlichen Mehrwert spekulierte. Bald wurde man handelseinig, und Johann Schwarzer fuhr im Auftrag der Österreichisch-Ungarischen Kinoindustrie samt Filmkamera und Zubehör bei dieser Unternehmung mit, musste dafür aber auch als Fotograf für Kmunke zur Verfügung stehen, der im Gegenzug alle Kosten für ihn übernahm.26 In dem 1913 erschienenen Buch über die Uganda-Reise finden sich nun zahlreiche mehr oder weniger aussagekräftige Fotografien. Da der Expeditionsleiter aber auch selbst fotografierte und dies im Bericht mehrfach betont, können lediglich drei der veröffentlichten Aufnahmen mit Sicherheit Schwarzer zugeschrieben werden, weil sie Kmunke im Bild zeigen. Darüber hinaus gibt es eine Aufnahme der Besteigung des Mount Elgon von der »Kaiser-Franz-JosefSpitze« (jetzt Wagagai). Da Kmunke während der Besteigung etwa 150 Meter unterhalb des Gipfels Halt machte und kartografische Arbeiten durchführte, muss Schwarzer als Urheber des Fotos gelten. Zweimal ist im Bericht von der Anfertigung kinematografischer Aufnahmen die Rede. Einmal machte Schwarzer Aufnahmen von Seevögeln, beim zweiten Mal handelte es sich um die Aufnahme eines Eingeborenentanzes. Die Filmaufnahme einer Schmiedehütte konnte nicht verwirklicht werden, da die Afrikaner es ablehnten, die Hälfte ihrer Hütte abtragen zu lassen, um der Kamera einen geeigneten Aufnahmestandpunkt und zufriedenstellende Lichtverhältnisse zu verschaffen.27 Es muss aber davon ausgegangen werden, dass während der Reise deutlich mehr Filmsequenzen entstanden sind. Von der umfangreichen Produktion der Österreichisch-Ungarischen Kinoindustrie sind in den Beständen des Filmarchiv Austria bescheidene vier Titel physisch vorhanden. Afrikanische Sujets finden sich weder unter den erhaltenen Filmen noch unter den bekannten Filmtiteln. Üblicherweise beschränkte sich die Produktion der Firma auf das damalige Gebiet der Monarchie. Die exotischsten Titel versprachen Aufnahmen von einer Reise des österreichischen Schiffes »Thalia« nach Algier, Malta und Sizilien oder auch Die Probefahrt des Dampfers »Wien« im Jahr 1911 von Triest nach Alexandrien. Zufälligerweise handelte es sich bei der »Wien« um genau dasjenige Schiff des Österreichischen Lloyd, mit dem die Kmunke-Expedition im März 1912 von Alexandrien in die Heimat zurückkehrte.28 Immerhin eröffnet uns der Expeditionsbericht einige neue Facetten der Person Johann Schwarzer. So dürfte ihn Kmunke im Laufe der Expedition immer mehr schätzen gelernt haben. Er schildert ihn uns als energischen und zupackenden Mitarbeiter, aber auch als vorzüglichen und passionierten Jäger. Gegen Ende der Reise erkrankte Schwarzer schwer an Malaria und hatte noch in Wien mit Rückfällen zu kämpfen. Aus der Zeit der Uganda-Expedition stammt auch das einzige bekannte Foto von Johann Schwarzer. Gemeinsam mit fünf Afrikanern steht er auf einem weitläufigen Platz in der grellen Sonne, im Hintergrund sind Sträucher und die Anzeichen von einfachen Hütten zu erkennen. Alle sechs Personen halten jeweils eine junge Gazellen in den Händen. Vermutlich handelt es sich dabei um diejenigen Tiere, die Kmunke dem Tierpark in Schön-

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Johann Schwarzer (rechts) auf der Uganda-Expedition 1912

brunn schenken wollte.29 Denn neben der Herstellung von Tierpräparaten sollten von der Expedition auch lebende Tiere nach Wien gebracht werden. Im April 1913, nach seiner Rückkehr nach Wien, versuchte Schwarzer einen neuen Anfang als Filmproduzent. Am 19. April startete er in der Zeitschrift Österreichischer Komet eine Anzeigenkampagne, in der er sein Unternehmen am Arenbergring 15 als »Film-Leihanstalt« offerierte, aber auch die Herstellung »von aktuellen und Lokalaufnahmen, zur Entwicklung von Negativen, Drucken und Positiven, Anfertigungen von Titelfilms etc. etc.« anbot.30 Pikante Filme fanden sich nicht mehr in seinem Sortiment. Vermutlich hatte er keinen besonsders großen Erfolg mehr, denn nach einer dreimonatigen Anzeigenserie verlieren sich seine Spuren als Filmhersteller. Aus den Unterlagen des Meldeamts geht sogar hervor, dass Schwarzer ab dem 7.11.1913 aus Wien abgemeldet war und erst im April 1914 seine Wohnung in der Baumgasse 54 wieder bezog. Während des angegebenen Zeitraums hielt er sich erneut in Afrika auf.31 Der Grund für seine zweite Afrikareise ist bisher noch unbekannt. Kurz nach seiner Rückkehr aus Afrika heiratete er am 14.6.1914 die um sieben Jahre jüngere Olga Emilie Jarosch-Stehlik in Klosterneuburg. Inzwischen lautete seine Berufsbezeichnung »Kinofotograf«.32 Am 28.7.1914 erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg und schon im Novem-

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ber 1914 erhielt die junge Frau die Nachricht, dass Johann Schwarzer »als Reserveleutnant am 10./X. 14 am Kriegsschauplatz gefallen« war.33 1) Heiratsurkunde von Johann Schwarzer im Stiftspfarramt Klosterneuburg, Tom X, Fol. 29, Rz. 28. — 2) Lehmanns Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger für die k. k. Reichs-Haupt- und Residenzstadt Wien, Bd. 2, Wien 1907, S. 1004. — 3) Österreichische Photographen-Zeitung, Nr. 10, Oktober 1906, S. 157. — 4) Der Komet, Nr. 1128, 3.11.1906, S. 27. — 5) Der Komet, Nr. 651, 11.9.1897, S. 27. — 6) Gabriele Kilchenstein: Frühe Filmzensur in Deutschland. Eine vergleichende Studie zur Prüfungspraxis in Berlin und München (1906–1914). München: diskurs film 1997, S. 262. — 7) Der Komet, Nr. 1128, 3.11.1906, S. 27. — 8) Saturn-Films Wien, Wien o.J., S. 3. — 9) Saturn-Films Wien, Wien o.J. Bisher ist erst die Existenz eines einzigen Verleihkatalogs der Firma Saturn bekannt geworden, obwohl weitere Kataloge, darunter auch fremdsprachige, existiert haben müssen. In einer Sondernummer des Film-Kurier vom 16.8.1930 tauchte beispielsweise unter der Rubrik »Sex appeal vor 26 Jahren« das Deckblatt eines Katalogs »Saturn-Films 1906 Wien Brüssel« auf. In einigen Fachpublikationen erschienen zwar weitere Hinweise auf Saturn-Kataloge, aber ausnahmslos ohne Quellenangabe. Möglicherweise kursieren in privaten Sammlerkreisen noch weitere Exemplare, das einzige bisher aufgefundene befindet sich in den Beständen der Wienbibliothek. Das Format der Broschüre (11 x 14,5 cm) lässt ebenfalls darauf schließen, dass diese Kataloge wahrscheinlich großteils unter der Hand Verbreitung fanden. — 10) John Berger: Über Sichtbarkeit. In: J. B.: Das Sichtbare & Das Verborgene. Essays. Frankfurt/Main: Fischer 2004 (FTB 14292), S. 235-238, hier S. 236. — 11) Vgl. für die Edition der erhaltenen Filme bzw. für den entsprechenden Begleitband: Michael Achenbach, Thomas Ballhausen, Nikolaus Wostry (Red.): Saturn. Filme 1906–1910. Die erotischen Anfänge der österreichischen Kinematografie. Wien: Filmarchiv Austria 2009; Michael Achenbach, Thomas Ballhausen, Nikolaus Wostry (Hg.): Saturn. Wiener Filmerotik 1906–1910. Viennese Film Eroticism. Wien: Filmarchiv Austria 2009. — 12) Schreiben des österreichisch-ungarischen Konsuls in Tiflis, Crenneville, an den Außenminister von Aehrenthal am 4. Juli 1909. Niederösterreichisches Landesarchiv, Niederösterreichische Statthalterei, Kanzlei Abt. VII, Gruppe XIV-199b, 905 ex 1910. — 13) Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Ministerium des Innern, Allgemein, 38040 ex 1910. — 14) »Gröbliches und öffentliches Ärgerniss verursachende Verletzung der Sittlichkeit oder Schamhaftigkeit.« — 15) Niederösterreichisches Landesarchiv, Niederösterreichische Statthalterei, Kanzlei Abt. VII, Gruppe XIV-199b, 905 ex 1910. — 16) Note des Ministeriums des Äußern an das K. k. Justizministerium vom 19. August 1910. Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Justizministerium, Allgemein, 26672 ex 1910. — 17) Schreiben der Oberstaatsanwaltschaft vom 9. Januar 1911 an das Justizministerium. Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Justizministerium, Allgemein, 26672 ex 1910. — 18) Amtsblatt zur Wiener Zeitung und Zentralanzeiger für Handel und Gewerbe, Nr. 55, 8.3. 1911. — 19) Österreichischer Komet, Nr. 54, 24.10.1910. In den Monaten September und Oktober erschien die letzte Anzeigenserie der Filmfirma Saturn mit dem Hinweis auf »Pikante Filme«. — 20) Vgl. hierzu Michael Achenbach: Die Geschichte der Firma Saturn und ihre Auswirkungen auf die österreichische Filmzensur. In: Achenbach, Ballhausen, Wostry, Saturn. Wiener Filmerotik 1906–1910, a.a.O., S. 13-39. — 21) Bericht des Handelsministeriums an das Innenministerium betreffs Regelung des Kinematographenwesens vom 28. März 1912. Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Ministerium des Innern, Allgemein, 20/6a, 11841 ex 1912. — 22) Wir danken ausdrücklich Clemens Gütl von der Öster-

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reichischen Akademie der Wissenschaften für den Hinweis auf den Zusammenhang zwischen der Uganda-Expedition Rudolf Kmunkes und der Tätigkeit Johann Schwarzers für Kmunke. — 23) Rudolf Kmunke: Quer durch Uganda. Eine Forschungsreise in Zentralafrika 1911/1912, Berlin: Reimer 1913, S. 2. — 24) Paul Spindler: Die Filmaufnahmen von Rudolf Pöch. In: Annalen des Naturhistorischen Museums Wien, Nr. 78, Dezember 1974, S. 103-108, hier S. 103. — 25) Kmunke, a.a.O., S.3, S. 56, S. 85. — 26) Ebd., S. 3. Zur Ausrüstung gehörten drei Kameras: Eine Kodak-Kamera 9:12, eine Spiegelreflex-Kamera von Voigtländer und eine PorträtKamera von Bayer. — 27) Ebd., S. 55, S. 77 f., S. 112. — 28) Kmunke, a.a.O., S. 179. — 29) Ebd., Tafel 33 und S. 69. — 30) Österreichischer Komet, Nr. 153, 19.4.1913, S. 38. — 31) Vgl. hierzu WStLA, Historische Meldeunterlangen, Meldezettel Johann Schwarzer, 22.6.1911. — 32) Heiratsurkunde von Johann Schwarzer im Stiftspfarramt Klosterneuburg, Tom X, Fol. 29, Rz. 28. — 33) Vgl. hierzu WstLA, Historische Meldeunterlagen, Meldezettel Johann Schwarzer, 17.6.1914.

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Paolo Caneppele SCHMALFILME – KLEIN ZENSIERT? Zensurpraxis bei Amateurfilmen in Österreich 1928–38

»There was a film by Maya Deren and Alexander Hammid, Private Life of a Cat (1945), a beautiful documentary of their cats at home, including birth sequences, which made the censors reject the entire film as ›obscene‹. Unbelievable!«1 So Amos Vogel über seine Erinnerungen an die Vorführungen des Cinema 16. The Private Life of a Cat (1945, Maya Deren, Alexander Hammid) ist eine Mixtur aus Home Movie und Avantgarde-Film, er wurde zensiert und verboten. Unbelievable – es ist unglaublich: Das Thema Zensur von Amateurfilmen ist kaum erforscht. Außer einigen sporadischen Anmerkungen existieren in der Literatur bislang keine Hinweise zu diesem Thema. Lediglich ein Fall in Costa Rica: der 1930 gedrehte Amateurfilm The Return. Die mittelamerikanischen Filmamateure hatten den Film selbst zurückgezogen, da Familienmitglieder sich provoziert gefühlt hatten.2 Eventuell hat sich niemand dem Thema genähert, in der falschen Annahme, Zensur von nicht professionell Produziertem sei nicht notwendig gewesen. In diesem Sinne ist vielleicht auch die Position mancher Amateure zu interpretieren, die dem Medium die Möglichkeit der »political expression unfettered by laws of censorship« zuschrieben.3 Die subversive Kraft des Amateurismus wurde schnell erkannt, auch von professionellen Regisseuren wie Vsevolod Pudovkin, der 1928 sagte: »Kein Regisseur auch der mächtigsten Filmgesellschaft kann das zustande bringen, was mit Hilfe von im ganzen Lande zerstreuten und zu einer Arbeitsgemeinschaft vereinigten Amateuren erzielt werden kann. Der nächste Schritt soll ein internationaler Zusammenschluss der Filmamateure der ganzen Welt sein.« 4

Gesetzliche Grundlagen der Filmzensur Erste Spuren amtlicher Eingriffe in die Vorführung von Privataufnahmen finden sich im August 1914, als die K.k. Statthalterei für Tirol und Vorarlberg in Innsbruck Maßnahmen gegen die Verbreitung der Vorführungsapparate Pathé-Kok verordnete. Vertreter verkauften diese kleinen Kinovorführungsapparate als »Haus- und Familien-Kino« an Gast- und Kaffeehausbesitzer mit dem Hinweis, Vorführungen mit solchen Apparaten dürften ohne Lizenz und

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ohne jegliche Verpflichtung stattfinden. Die Wirte könnten sich durch solche Veranstaltungen einen Nebenverdienst verschaffen und den Konsum an Speisen und Getränken steigern. Die Vorstellungen sollten dann teils ohne, teils mit Entree veranstaltet werden. Doch die Behörden stellten klar, dass »alle Veranstaltungen öffentlicher Schaustellungen mittelst eines Kinematographen ohne Rücksicht auf die Größe des zur Verwendung gelangenden Projektionsapparates und ohne Rücksicht darauf, ob hierfür ein besonderes Entgelt eingehoben wird oder nicht, den Bestimmungen der zitierten Verordnung unterliegen und daher einer behördlichen Lizenz bedürfen«.5 1930 wurde ein neues Kinogesetz erlassen, aber die Lage spitzte sich dann nach der Machtübernahme des Dollfuß-Regimes zu. 1934 wurde ein Gesetz erlassen, das u.a. eine Bewilligung für die öffentliche Vorführung aller Filme in allen Formaten verpflichtend machte.6 Der Obmann des Klubs der Kinoamateure Österreichs (KdKÖ) erfuhr schon vor Inkrafttreten des Gesetzes von dessen Bestimmungen und versuchte vergeblich, eine Erleichterung zu erwirken: »Obwohl der Magistrat die den Filmamateuren erwachsenden Mehrarbeiten und Schwierigkeiten voraussehe, könne angesichts der herrschenden Tendenz, das gesamte Filmschaffen einer Kontrolle zu unterziehen, dem Amateurfilm vorläufig noch keine Erleichterung gewährt werden.«7 Am 1.5.1935 trat das neue Kinogesetz in Kraft, das für die Filmamateure erschwerte Bedingungen enthielt. Es wurde in den Mitteilungen des KdKÖ so kommentiert: »Es wäre verhängnisvolle Selbsttäuschung, wenn wir nicht bekennen wollten, daß das am 1.Mai in Kraft getretene neue Wiener Kinogesetz 1935 einen schweren Schlag für uns und die ganze Amateurfilmbewegung bedeutet. Nicht etwa in dem Sinne, daß wir die Zensur wegen des Inhalts unserer Filme zu fürchten hätten oder sie je zu scheuen Anlaß gehabt hätten. Das gewiß nicht, denn von der Harmlosigkeit der reinen Amateurproduktion dürfte auch der Gesetzgeber überzeugt gewesen sein. Aber wegen der ungeheueren Behinderung des Filmsports überhaupt. (… Der Kinoamateur) dreht ja schließlich seine Filme nicht nur für sich allein und den engsten Familien- und Freundeskreis, sondern hegt den begreiflichen Wunsch, mit seiner Arbeit auch glänzen zu wollen. Wenn das Gesetz nun die Zensierung jedes Filmstreifens verlangt, so belastet es den Amateur mit kaum tragbaren Opfern an Geld, Zeit und Arbeit (Gesuch, Titelliste, Inhaltsangabe!) und drosselt die Tätigkeit unseres Klubs, der ja den Amateur bei der Fertigstellung seiner Arbeiten beraten soll, in besorgniserregender Weise. (…) Es ist selbstverständlich, daß wir die Zensurspesen nebst einer kleinen Entschädigung für den Zeitaufwand unseres Vertreters bei der Zensurstelle auf den Autor des betreffenden Films überwälzen müssen: dieser genießt ja doch den Vorteil, seinen Film für alle Gelegenheiten und Möglichkeiten zensiert erhalten zu haben, während der Klub noch nicht sicher ist, dabei nicht auch eine gewisse finanzielle Belastung tragen zu müssen, die er aber im Interesse seiner Mitglieder auf sich nehmen will. (…) Sie

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Gründungsmitglieder des Österreichischen Klubs der Kinoamateure Österreichs (KdKÖ)

drücken auf den Knopf, das Weitere besorgen wir. Vielleicht lassen sich auf diese Weise die Härten des Gesetzes, die uns schwer treffen, bis zum Eintritt einer Neuregelung – etwa durch ein spezielles Schmalfilmgesetz – in erträglichen Grenzen halten.«8

Die zensierten Filme Die Blütezeit dieser Zensurtätigkeit beginnt 1928, ein Jahr nach der Gründung des KdKÖ, und endet abrupt mit dem »Anschluss« Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich. Eine Untersuchung der Listen der zensierten Filme in Österreich zeigt, dass die ersten amateurhaften Aufnahmen ab dem Oktober 1928 unter die Zensurkontrolle fielen. Die Zensurlisten liefern folgende Informationen: Filmtitel, Erzeuger – manchmal mit dessen Wohnadresse –, dann das Genre, Anzahl der Rollen und das Format. In der untersuchten Periode finden sich die Formate 16mm, 8mm und 9,5mm in den Aufzeichnungen; leider wurden diese technischen Informationen im Laufe der Zeit immer öfter durch den generellen Begriff »Schmalfilm« ersetzt. Weiter folgt die Gesamtlänge in Metern, dieser wichtige Parameter

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wurde allerdings manchmal nicht in die Zensurkarten übernommen, schließlich der Name dessen, der den Film zur Zensur einreichte. Oft war dies nicht der Filmmacher selbst, sondern ein anderer Kinoamateur, der mehr Erfahrung mit den bürokratischen Abläufen hatte. Ergänzend konnte dies auch von einer Firma als Rechtsvertreter oder dem Filmclub selbst geschehen. Ebenso ist den Aufzeichnungen das Datum oder der Zeitraum, in dem der Film zensiert wurde, zu entnehmen. Diese Perioden schwanken zwischen einer Woche, zehn Tagen und einem Monat, den genauen Tag zu bestimmen, ist also nicht möglich. Natürlich wurde der Beschluss der Zensurkommission veröffentlicht. In diesen zehn Jahren wurde ein einziger Amateurfilm verboten: Gestrauchelt, ein 165 Meter langer 16mm-Schmalfilm, gedreht vom erfahrenen und ambitionierten Amateur Dr. Katz aus Wien und geprüft zwischen dem 7. und 11.6.1937. Leider lässt sich aus den Unterlagen keine Begründung der Entscheidung erkennen. Allerdings bestätigt dies, dass die Behörden Amateuraufnahmen in der gleichen Art und Weise behandelten wie professionelle Filme. Interessanterweise wurden im Oktober 1928 auch Filme, die weit früher entstanden waren, zur Zensur gebracht, z.B. Reise des Sängerbundes der Wiener Molkerei nach Gröbming am 31. Januar 1925 und Skizzenbuch Ernst Lubitsch in Wien Herbst 1927. Besonders im Fall des ersten Films kann man davon ausgehen, dass die späte Zensierung wegen der Umkopierung des Films von 35mm-Nitrofilm auf 16mm-Azetatfilm erfolgte. Der Kameramann war Karl Pleyer (in den Zensurdokumenten fälschlich Aleyer) aus Wien, Amateur der ersten Stunde. Aus der Periode 1928–1933 konnten 80 zensierte Amateur- und Schmalfilme recherchiert werden. Zwischen 1934 und 1938 waren es 416. Insgesamt wurden also von den Wiener Behörden zwischen Oktober 1928 und Mai 1938 496 Amateur- und Schmalfilme geprüft, darunter etwa 200 Amateurproduktionen. Diese Auswertung war nicht einfach und ist zwangsläufig subjektiv. Ich habe alle Eintragungen von anerkannten oder professionellen Regisseuren ausgeklammert sowie alle Produktionen, die von Firmen hergestellt wurden. Von den 200 nach diesen Kriterien übriggebliebenen Amateurfilmen wurden mindestens 64 vom KdKÖ selbst hergestellt oder eingereicht. In den ersten Jahren verzeichnete die Zensurbehörde auch das Filmgenre, später verschwindet diese interessante Information leider und es findet sich nur noch der Vermerk »Schmalfilm«. Zwischen 1928 und 1931 kommen die Bezeichnungen »Naturaufnahme«, »Aktualität«, »Reisefilm«, »Lustspiel«, »Reklamefilm«, »Vereinsfilm«, »Sportfilm«, »Kulturfilm«, »Familienfilm«, »Amateuraufnahmen«, »Groteske« und »Lehrfilm« vor. Es ist dabei keine besondere Behandlung von Amateurfilmen zu erkennen, professionelle und amateurhafte Aufnahmen sind auf denselben Zensurlisten verzeichnet. Trotz der strengen Gesetzgebung kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Zahl der zur Zensur gebrachten Filme mit der Anzahl der im Klub vor-

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geführten Filme übereinstimmt. Laut einer internen Statistik des KdKÖ wurden im Jahr 1934 von dem führenden Klub Österreichs 138 Filme in eigenen Veranstaltungen gezeigt.9 Format

Filme

Dokumentarfilme

8 mm

5

92 %

9,5mm

49

88 %

16mm

84

Gesamt

138

Spielfilme

Sonstige

4%

8%

8%

Doch 1934 wurden nur 49 Filme zur Zensur eingereicht. Offenbar waren nicht alle Kinoamateure daran interessiert, ihre Filme zensieren zu lassen. Das Verhältnis zensierter und gezeigter Filme wird noch ungenauer, wenn man andere zu jener Zeit tätige Amateurklubs in Wien und ganz Österreich einbezieht, zum Beispiel den Amateur Film Klub Wien, tätig ab 1931,10 oder den DeutschArischen Film-Bund (Dafib), der seine ersten öffentlichen Vorführungen am 14.4.1934 hatte.11 Der rasante Anstieg der Zahl der zensierten Filme ab 1935 ist vermutlich das Ergebnis zweier Faktoren: der kommerziellen Etablierung von Schmalfilmen und der strengeren Zensurregeln durch die Gesetzesnovelle von 1935.

Die Typologie des Amateurs Aus der Auswertung der Zensurdokumente kann man Schlüsse auf Merkmale des Amateurfilms ziehen. Manche Amateure waren besonders »experimentierfreudig« und bedienten alle möglichen Filmgenres. Andere wiederum brachten immer den gleichen Typ Film zur Zensur. Diese Spezialisierung entspricht wohl persönlichem Interesse oder bewusster Entscheidung, eine spezifische Art von Aufnahmen öffentlich zu präsentieren. So gab es Amateure mit besonderem Interesse an der Jagd und den österreichischen Jagdrevieren. Beispielsweise präsentierte der Wiener Heinrich Hierhammer 1935 die Dokumentation Aus Österreichs Jagdrevieren, zwei Jahre später folgte der Einakter Wildparadiese bei Wien. Eine andere stark vertretene Gruppe waren reisende Amateurfilmer. Amateure waren auch in die Herstellung von Gebrauchsfilmen mit eindeutigem Werbecharakter involviert. Mit der Verbreitung der Substandardformate ab den 1920er Jahren erlangten die Filmamateure die Möglichkeit, neben Privataufnahmen auch Werbe- oder informative Filme zu realisieren. Besonders ambitionierte Amateure nutzten ihre technischen Kenntnisse und ihre visuelle Umsetzungskraft, um Filme mit eindeutigem Gebrauchscharakter zu drehen. An Kinoabenden des KdKÖ wurden Filme präsentiert, die ausdrücklich als Werbeproduktionen anzusehen sind. So etwa 1935: »Im 8-mm-Format sah man

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Die 1000 Schilling Wette (1937, Josef Deimel): Vorspann der 16mm-Kopie

einen neuen Werbefilm von Dr. Katz Das Haus der Kinder, in dem die Prinzipien der Montessori-Erziehung und Betätigung gezeigt werden.«12 Anfang Februar 1937 wurde den Mitgliedern des KdKÖ ein Kulturfilm »in der Form eines Vortrages« präsentiert, es handelte sich um »Zahnpflege im Kindesalter. Idee und Drehbuch sind von Herrn Dr. Gießkann, während Herr Kostelecky Regie und Kameraarbeit sowie Montage und Schnitt besorgte«.13 In dieser Entwicklung erkennt man nicht nur den Wunsch der Amateure, ihre Kenntnisse auch professionell anzuwenden oder sogar zum Sprung in die professionelle Filmproduktion zu nutzen. Auch ist der Wunsch mancher Institutionen und Vereine sowie nicht-filmischer Klubs zu erkennen, ein breiteres Publikum zu erreichen oder neue Mitglieder zu gewinnen. Verschiedene in Österreich tätige Vereine organisierten Veranstaltungen, die mit der Kinowelt enge Berührungspunkte hatten. So war der Österreichische Aero-Club im Mai 1936 in die Produktion und öffentliche Aufführung von zwei Filmen involviert: Mit Cine Kodak 8 – Ein Nachmittag bei Österreichs Jugend im motorlosen Flug (Ing. Karl Metzl) und Segelflieger – Wolkenstürmer (Ing. K. Hurich). Beide Filme wurden vom Club zur Zensur eingereicht. Auch andere Vereine erprobten die Möglichkeiten der Kinopropaganda, so veranstaltete der österreichische Verband der Kleingärtner und Kleintierzüchter un-

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regelmäßig Kinoabende,14 und auch ein Yacht-Klub sah darin einen Weg, Aufmerksamkeit zu erlangen.15 Die Verantwortlichen des KdKÖ haben auch gewisse professionell produzierte Werbefilme zur Zensur gebracht, um sie während der Klubveranstaltungen zeigen zu können. So legte im Dezember 1932 der Gründer des KdKÖ, Carl Maria Kotlik,16 folgende Filme der Zensurbehörde vor: 1903–1933 – 30 Jahre Kerbers Futtermittel und Aufnahmen aus der N. Ö. Schweinemästerei Münchendorf (beide produziert von Kommerzialrat Ing. Karl Köfinger, einem wichtigen Protagonisten des Dokumentarismus und Werbefilms in Österreich)17 sowie Menschenkinder und Tierkinder, produziert unter der Firma »Milchpropaganda Gesellschaft«. Dies waren keine amateurhaften Produktionen, sondern professionell hergestellte Filme. Kotlik brachte auch diese Filme zur Zensur, wahrscheinlich um sie den Mitgliedern des KdKÖ zu zeigen. Die bisherigen Aussagen basieren ausschließlich auf Papierdokumenten. Aber wie viele der in den Zensurlisten eingetragenen Filme sind noch erhalten? Eine Frage, die nicht zu beantworten ist. Glücklicherweise hat das Österreichische Filmmuseum eine kleine Menge an Amateurfilmen archiviert. In den Beständen befinden sich folgende zensierte Filme: – Ludi als Kinoamateur (1933, Friedrich Kuplent), 80 Meter – Mit der Adriatica nach Rhodos (1936, G. Klimburg). Eine Reiseaufnahme auf drei 9,5mm-Rollen, insgesamt 360 Meter. Es sind nur Rollen 1 und 3 erhalten. – Der zerbrochene Spiegel (1935, Josef Deimel), 16mm, 90 Meter. – Die 1000 Schilling-Wette, (1937, Josef Deimel), 16mm, 185 Meter. Der Film ist extrem beschädigt, eine aufwendige Restaurierung der noch zu rettenden Teile ist geplant.

Perspektiven der Forschung Die Beschäftigung mit der Zensur von Amateurfilmen sollte zu neuen Kategorien in der Filmwissenschaft führen, man sollte z.B. dem weitverbreiteten Begriff »Non-theatrical« neue Rubriken hinzufügen. Beginnen wir mit der Definition: »Non-theatrical film is a term used to describe films not screened in commercial venues (i.e., theatres), but in homes, offices, libraries, institutions, and other non-theatrical sites.«18 Es ist zu beachten, dass diese Definition von einem amerikanischen, für seine Genauigkeit in der Recherche bekannten Filmhistoriker stammt. Doch offenbar war er mit der Rechtslage in Europa, speziell in Deutschland, nicht genügend vertraut. Deutsche Behörden unterschieden drei Arten von Vorführungen abseits der kommerziellen Kinolandschaft:

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1. Vorführungen in eigenem Heim; frei von jeglichen Verpflichtungen. 2. Vorführungen in geschlossener Gesellschaft. »Eine Vorführung in einer geschlossenen Gesellschaft ist naturgemäß keine öffentliche Vorführung, aber das Lichtspielgesetz stellt die Vorführungen in Klubs, Vereinen und geschlossenen Gesellschaften den öffentlichen Vorführungen gleich, und daraus ergibt sich, daß Filme, die in geschlossenen Gesellschaften vorgeführt werden sollen, geprüft sein müssen.« 3. Öffentliche Vorführungen. »Als öffentliche Vorführungen gelten solche, zu denen durch Plakate, Inserate, Handzettel u. dgl. eingeladen wird und zu denen jedermann Zutritt hat.«19 Es ist deutlich, dass bei der Definition die Möglichkeit einer »nicht-theatralischen« Vorführung außerhalb des familiären Kreises und innerhalb privater Räume nicht bedacht worden war. Unter dieser Prämisse hat der Begriff »nontheatrical« aus gesetzlicher Sicht keine Aussage. Nehmen wir den Fall der Familienaufnahmen Bilder vom kleinen Martin Pecher, gedreht vom Vater, Ing. Richard Pecher, in einer Länge von 320 Metern, zensiert im Juli 1929. Diese eindeutigen Familienaufnahmen wurden öffentlich gezeigt und aus diesem Grund zensiert. Welches ist nun die entscheidende Eigenschaft des Amateurfilms? Das Schmalfilmformat? Dass er nicht industriell produziert wird? Oder dass er nur ein sehr kleines Publikum, den Familienkreis (public privé) oder Freunde erreicht? Dies könnte vielleicht eine echte Unterscheidung ermöglichen. Hundert Zuschauer sind nichts. Hundert Zuschauer jeden Abend über Monate in allen Städten eines Landes generieren ein Publikum und bilden eine Masse. Das Publikum des Films definiert dessen Typologie und wird zum Prüfstein des Films. Also trennt die Anzahl der Zuschauer den Amateur- vom professionellen Film. Aber wie verändert sich ein Film, der für eine kleine Zuschauerzahl gedreht wurde, wenn er auf einmal vor großem Publikum gezeigt wird? Nichts hat sich im Film geändert, alles an der Zahl der Zuschauer. Die Menge ist für die Zensurbehörden entscheidend, für manche Filmtheoretiker hingegen sind es der Kontext und die verschiedenen Typen von Publikum, die den Film modifizieren.20 Und so werfen meine Ausführungen unweigerlich mehr Fragen auf, als sie Antworten bieten. Ich wollte einige neue Wege und Perspektiven aufzeigen, ich wollte sicher nicht endgültige Ergebnisse präsentieren. Die Arbeit beginnt erst mit diesem Text und ich hoffe, den Wissensdurst der Kollegen angeregt zu haben. 1) Scott MacDonald: A Critical Cinema 3. Interviews with Independent Filmmakers. Berkeley, Los Angeles, London: University of California Press 1998, S. 21. — 2) Iván Trujillo: La Filmoteca de la Universidad Nacional Autónoma de México. In: Karen L. Ishizuka, Patricia Zimmermann: Mining the Home movie. Excavations in Histories and Memories. Berkeley, Los Angeles, London: University of California Press 2008, S. 59. — 3) Ishizuka, Zimmermann,

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a.a.O., S. 215. — 4) Film für Alle. Die Monatsschrift der unabhängigen Filmer, Nr. 14, Dezember 1928, S. 63. — 5) Paolo Caneppele (Hg.): Entscheidungen der Tiroler Filmzensur 1922– 1938. Wien: Filmarchiv Austria 2002, S. 79-80. — 6) Thomas Ballhausen, Paolo Caneppele (Hg.): Entscheidungen der Wiener Filmzensur 1934–1938. Wien: Filmarchiv Austria 2009, S. VIII. — 7) Mitteilungen des Klubs der Kino-Amateure Österreichs, April 1935, S. 6. — 8) Mitteilungen des Klubs der Kino-Amateure Österreichs, Mai 1935, S. 2. — 9) Mitteilungen des Klubs der Kino-Amateure Österreichs, März 1935, S. 1. — 10) Vgl. die Berichte über die Tätigkeiten solcher Klubs in Der Kino-Amateur, Nr. 4, 20.2.1931, S. 84. — 11) Der österreichische Amateurfilmer, Nr. 3, 1934, S. 44. — 12) Der Kino-Amateur, Nr. 9, 1.9.1935, S. 263. — 13) Der Kino-Amateur, Nr. 4, 1.4.1937, S. 112. — 14) Mitteilungen der Bezirksführung Währing des Österreichischen Verbandes der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter, Nr. 4, 1935, S. 1. — 15) Mitteilungen des Union-Yacht-Clubs, Nr. 5, 1929, S. 13. — 16) Alfred Mejstrik: 40 Jahre Klub der Kinoamateure Österreichs. In: Der österreichische Film-Amateur Festschrift Nr. 5, 1967, S. 11. — 17) Josef Navratil: Das Werk des österreichischen Kulturfilmproduzenten Ing. Karl Köfinger am Beispiel einer Serie von Fremdenverkehrswerbefilmen. Wien: Österreichisches Filmarchiv 1989. — 18) Anthony Slide: Before Video. A History of the Non-Theatrical Film. New York: Greenwood Press 1992, S. X. — 19) Preußische Polizeiverordnung über Schmalfilmvorführungen vom 23.1.1932. Zit. in: Der Kino-Amateur, Nr. 3, 1.3.1935, S. 63 ff. — 20) Roger Odin: La question du public. Approche sémio-pragmatique. In: Réseaux, 2000, Nr. 99, S. 63: »Un même film-projection donne naissance à différents film-textes en fonction des différents publics auxquels il est donné à voir«.

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Anna Bohn ENTSITTLICHEND – VERROHEND – ANSTÖSSIG Auf der Spur deutscher Filmzensurdokumente in russischen Archiven

Die historische Forschung zur Filmzensur gleicht nicht nur einer spannenden Detektivgeschichte, sie ist angesichts einer desolaten Quellenlage zudem äußerst vertrackt. In der Regel können dafür nur schriftliche Zensurdokumente herangezogen werden, die jedoch immerhin zunehmend online verfügbar sind: Das Projekt »Verbotene Bilder, manipulierte Filme« des Deutschen Filminstituts (DIF) und das europäische Kooperationsprojekt COLLATE stellen z.B. Zensurentscheidungen und verwandte Materialien aus Beständen verschiedener Archive als Faksimile im Internet zur Verfügung.1 Nur sehr vereinzelt kann die Forschung auch auf die zensierten Filmmaterialien selbst zurückgreifen.2 In ganz seltenen Fällen stößt man in Archiven auf entsprechende Filmausschnitte. Damit beginnt wiederum eine akribische Suche nach ihrer Herkunft. Ist sie erfolgreich, geben die Fundstücke nicht nur Auskunft über die einst vollständigen Filme, sondern auch über die gesellschaftspolitische Atmosphäre zum Zeitpunkt der Zensurverfahren. Ein solch seltener Fund gelang nun bei Recherchen in Moskau. Im Staatlichen Militärarchiv RGVA und im Staatlichen Filmarchiv Gosfilmofond fanden sich schriftliche Quellen und Filmfragmente, die als verlagerte Archivdokumente der deutschen Filmzensur aus der Zeit vor 1945 identifiziert werden konnten.3 Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich bei den Filmmaterialien um Zensurausschnitte der Filmprüfstelle Berlin aus den 1920er bis 1940er Jahren, die sie als »entsittlichend«, »verrohend« und »anstößig« eingestuft hatte. Der folgende Werkstattbericht skizziert die Herkunft und Zusammensetzung der Sammlung und stellt diese Quellen in den Kontext der zeitgenössischen Filmzensur. Die exemplarische Identifizierung einiger Filmausschnitte soll zudem veranschaulichen, welche inhaltlichen Bezüge, Fragen und Möglichkeiten sich für die filmhistorische Forschung aus dem Material ergeben.

Zur Praxis der Weimarer Filmzensur Unter den nach dem Zweiten Weltkrieg von der Roten Armee in die Sowjetunion verlagerten Akten, den sogenannten Beuteakten des ehemaligen Sonderarchivs im Staatlichen Russischen Militärarchiv RGVA in Moskau, findet sich ein Dokument der Filmprüfstelle Berlin vom 4.5.1921, das Einblick in die kon-

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krete Arbeit der Filmzensur im Jahr nach Einführung des Lichtspielgesetzes in Deutschland gibt. Das Reichslichtspielgesetz (RLG) war am 12.5.1920 erlassen worden.4 Mit seinem Inkrafttreten übernahmen die in Berlin und München eingerichteten Prüfstellen die Filmzensur, die vorher in den Zuständigkeitsbereich der Landespolizeibehörden gehört hatte. In einem Schreiben vom Mai 1921 an den Reichsminister des Innern beklagte Carl Bulcke, Leiter der Filmprüfstelle Berlin, die Filmindustrie habe die Nachprüfung der vor dem Inkrafttreten des Lichtspielgesetzes hergestellten Bildstreifen verzögert, um während des Übergangsjahrs die alten Filme, »deren Beanstandung durch die Prüfstellen sie befürchten musste«, bestmöglich auszunutzen. Da die von der Filmindustrie angestrebte Verlängerung der Übergangsfrist nicht genehmigt worden sei, sei nun eine Flut von Anträgen zur Nachprüfung zu erwarten, die von der Filmprüfstelle kaum bewältigt werden könne: »Die Voraussetzung hierfür, eine ausreichende Vorbereitung des Vorsitzenden auf die Kammersitzungen, ist unter den jetzigen Verhältnissen nicht gegeben. Das Studium des ihm vorliegenden Materials (Beschreibung und Titelliste) kann die vorherige Besichtigung des Bildstreifens nicht ersetzen; diese ist aber jetzt aus Mangel an Zeit völlig ausgeschlossen. Der Vorsitzende sieht sich daher in der Sitzung Bildstreifen gegenüber, die ihm gänzlich unbekannt sind. (…) Er hat die im Film erscheinenden Inschriften mit der meist unvollkommenen Titelliste zu vergleichen und gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen; er muß sich außerdem Notizen über später bei der Beratung vorzubringende Beanstandungen machen; seine Aufmerksamkeit ist daher zeitweise von dem Bilde abgelenkt und es können ihm nicht nur Vorgänge entgehen, die bei der Beurteilung des Bildstreifens eine Rolle spielen können, sondern er verliert auch leichter den Zusammenhang. Eine Unterbrechung der Vorführung aber, wie er sie bei der Einzelprüfung nach Bedarf vornimmt, macht sich in der Kammersitzung sehr störend bemerkbar.«5 Das Schreiben führt die Bedingungen vor Augen, unter denen die Filmzensur 1921 arbeitete: Entscheidungen über Filme wurden demnach oft ohne ausreichende Vorinformation und unter Zeitdruck gefällt. Die Titellisten der Stummfilme, die während der Filmprüfung mit den Inschriften auf der Leinwand abgeglichen wurden, dienten als Textgrundlage für die Zulassungskarten. Diese geben in der Regel lediglich die im Film zu sehende schriftliche Information wieder, nicht jedoch den reichhaltigeren Informationsgehalt des bewegten Bildes. Angaben über Schnittauflagen in den beanstandeten Filmen wurden von den Filmprüfstellen in den Zensurentscheidungen – und gelegentlich auch in den Zulassungskarten zu den Filmen – schriftlich fixiert. Zwischen 1920 und 1945 wurden rund 70.000 Zulassungsbescheide für in- und ausländische Produktionen erteilt, von denen laut Auskunft des Bundesarchiv-Filmarchivs nur ca. 40.000 in Gestalt von Zensurkarten überliefert sind.6 So stellt sich die Frage nach dem Verbleib der fehlenden ca. 30.000 Zulassungskarten: Existieren diese noch und wenn ja, wo? Zwar wurden 1990 im

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Zuge der Restituierung beschlagnahmter Kriegsbeute ca. 25.000 Zulassungskarten vom Gosfilmofond an das Staatliche Filmarchiv der DDR rückgeführt, es sind jedoch nach wie vor Zulassungskarten deutscher Provenienz im Gosfilmofond zu finden.7 Was geschah nun aber mit den von den Filmprüfstellen zensierten Filmausschnitten? Laut Lichtspielgesetz durften Filme zugelassen werden, »wenn die beanstandeten Teile aus den zur Vorführung gelangenden Positiven ausgeschnitten und der Prüfungsstelle übergeben« wurden.8 Damit stellt sich also die Frage, ob die der Filmprüfstelle übergebenen Zensurausschnitte aufbewahrt wurden, und wenn ja, wo die zensierten Filmmaterialien heute zu finden sind.

Herkunft und Inhalt der Sammlung Die Spurensuche nach den zensierten Filmmaterialien beginnt im Reichsfilmarchiv. Im Sommer 1938 erhielt es von der Filmprüfstelle Berlin »eine größere Anzahl von Filmausschnitten und zusammengeklebten Filmen (…), die sämtlich Zensurausschnitte der Filmprüfstelle waren.« Dies schrieb der Leiter des Reichsfilmarchivs, Richard Quaas, am 25.3.1943 an die Filmprüfstelle Berlin.9 Aus der Korrespondenz geht hervor, dass das Material bei Nichtübernahme durch das Reichsfilmarchiv von der Filmprüfstelle vernichtet worden wäre. Vier Jahre nach der Übergabe forderte die Filmprüfstelle das Material aus dem Reichsfilmarchiv wieder an und erhielt am 12.9.1942 leihweise die Zensurausschnitte, die nach den Kategorien »Entsittlichend« (Film Nr. 3908), »Verrohend« (Film Nr. 3909) und »Anstößig« (Film Nr. 3910) geordnet waren.10 Nähere Informationen zu den einzelnen Filmtiteln enthält die Korrespondenz nicht. Dadurch bleibt offen, welche Ausschnitte aus welchen Filmen diesen Kategorien jeweils zugeordnet und im Reichsfilmarchiv als archivwürdig bewertet wurden. Richard Quaas drängte in seinem Schreiben an die Filmprüfstelle mit dem Hinweis, das Material sei »filmkundlich außerordentlich interessant«, auf die Rückgabe der Materialien. So gelangten die Filmausschnitte am 27.4.1943 wieder ins Reichsfilmarchiv. Im Chaos des Kriegsendes ging 1945 mit dem Deutschen Reich auch das Reichsfilmarchiv unter. Die zentralistische Struktur der Filmarchivierung in Deutschland wurde damit zerstört. Umfangreiche Bestände an Filmmaterial und filmbegleitenden Materialien wurden verstreut, verlagert oder vernichtet, darunter auch Archivdokumente der Filmzensur. Im Gosfilmofond ist unter dem Archivtitel »Ausschnitte aus deutschen Filmen« (Archivnummer 5501) eine Sammlung von Filmfragmenten auf insgesamt 12 Rollen Film archiviert. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich bei diesen Filmmaterialien um den von der Filmprüfstelle übergebenen Bestand. Eine plausible Erklärung für den Fundort ist, dass diese Zensurausschnitte nach Ende des Zweiten Weltkriegs von der Roten Armee zusammen mit weiteren

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Filmbeständen des Reichsfilmarchivs beschlagnahmt und ins Gosfilmofond in Belye Stolby bei Moskau verlagert worden waren. Grundsätzlich stellt sich bei der kriegsbedingten Verlagerung von Kulturgut das Problem, dass in den »Beuteakten« oder »Trophäenfilm«-Beständen die ursprüngliche Ordnung häufig zerstört und die Begleitdokumentation in der Regel nicht mehr vorhanden oder verstreut verlagert ist. Die im Gosfilmofond gesichteten Filmausschnitte haben keine Titelangaben. Der Archivtitel »Ausschnitte aus deutschen Filmen« ist insofern irreführend, als die Materialien sowohl deutschen Filmen als auch deutschsprachigen Verleihfassungen ausländischer Filme entstammen. Dies belegen zensierte Aufnahmen mit prominenten Darstellern wie Charles Chaplin oder Szenen mit Boris Karloff aus der deutschen Fasssung des Films Frankenstein (1931, James Whale), deren Zensurgeschichte durch die Publikation von Zensurentscheidungen durch das COLLATE-Projekt erschlossen werden kann.11 Auch gekürzte Szenen aus der deutschen Verleihfassung des Films Greed (1923/24, Erich von Stroheim), die unter dem Titel Gier nach Geld am 5.5.1926 von der Filmprüfstelle Berlin zugelassen worden war, sind in den Materialien enthalten.12 In der Mehrzahl stammen die Ausschnitte aus Spielfilmen. Die Sammlung enthält aber auch Fragmente dokumentarischen Charakters sowie vereinzelt Ausschnitte aus Animationsfilmen. Die Filmausschnitte repräsentieren ein breites Spektrum an Themen. Darunter finden sich Szenen, die die Anbahnung von Prostitution zeigen oder im Bordell spielen; andere zeigen erotische Darstellungen, laszive Tänze in Kneipen oder Spelunken, und auf einer Bildfolge ist sogar eine Tango tanzende Asta Nielsen zu erkennen. Man findet Gewaltdarstellungen aller Art, darunter Folter, Hinrichtungen, Mord, Selbstmord, Diebstahl und räuberische Handlungen. Viele Aufnahmen zeigen Gewalt gegen Frauen. Unter den Zensurausschnitten gibt es Darstellungen, in denen religiöse Symbole oder Kleidung entstellend benutzt werden, wie z.B. eine Nachstellung der Kreuzigung Christi. Einige Filmausschnitte zeigen Aufnahmen mit offensichtlich sozialkritischer Tendenz. Diese Sujets stützen die These, dass es sich um Zensurausschnitte handelt, die als entsittlichend, verrohend und anstößig verboten worden waren.

Auswertung: Identifizierung von Filmausschnitten Ein solcher Bestand wirft für die Forschung Fragen grundsätzlicher Natur auf: Was lässt sich aus den Filmfragmenten erschließen? Worin besteht der Mehrwert der Filmmaterialien als Quelle im Vergleich zu den schriftlichen Dokumenten der Filmzensur? Wie lassen sich die Filmausschnitte identifizieren und kontextualisieren? Die Zensurausschnitte bieten einen zusätzlichen Erkenntniswert, der sich aus der Bildinformation speist. Unabhängig davon, ob der Filmtitel identifiziert werden kann oder nicht, erlauben die bewegten Bilder,

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Gewalt im Film [nicht identifizierter Zensur-Ausschnitt]

visuell nachzuvollziehen, was zur damaligen Zeit nach Ansicht der Prüfstellen eine Abweichung von der zugelassenen Norm darstellte oder als Gefährdung des Publikums eingestuft wurde. Die konkreten Gründe des Verbots lassen sich aus dem Bildinhalt hingegen nur bedingt erschließen: Einer der Ausschnitte zeigt einen Mann, der eine Frau würgt, und danach von der Frau erschossen wird. Solange der Film nicht identifiziert ist und Kontextmaterialien wie Zensurentscheidungen nicht ergänzend hinzugezogen werden können, kann über die konkreten Gründe des Verbots nur spekuliert werden: Wurde der Ausschnitt verboten, weil er Gewalt gegen eine Frau zeigt, oder durfte die Gegenwehr der Frau nicht gezeigt werden? Explizite Darstellungen von sexuellen Handlungen oder Anzüglichkeiten wurden genauso verboten wie Bordellszenen. Normen des gesellschaftlich Zulässigen ändern sich jedoch im Wandel der Zeiten. Mit wachsendem zeitlichem Abstand zur Entstehung und Zensurprüfung der Filme steigt der Grad der Spekulation darüber, was von den Zensoren seinerzeit als anstößig, entsittlichend oder verrohend eingestuft worden sein mag. Daher stellt sich die Aufgabe, die Filmausschnitte zu identifizieren und sie mit den überlieferten schriftlichen Dokumenten der Filmzensur und weiterem Kontextwissen in Beziehung zu setzen, um Aufschluss über die Zensurgründe zu erhalten.13

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Einige der in Moskau gesichteten Zensurausschnitte stammen aus bekannten Filmen. Anhand des Zwischentitels »Friß Kokain, Schlappschwanz« lässt sich der Film Dr. Mabuse, der Spieler II: Inferno, ein Spiel von Menschen unserer Zeit (1921/22, Fritz Lang) identifizieren. Die überlieferte Zensurentscheidung der Filmprüfstelle Berlin vom 17.5.1922 gibt Auskunft über die Schnittauflagen: »Der Titel 11 ›Friß Kokain, Schlappschwanz‹ wird verboten. Vor und nach diesem Titel ist verboten die Darstellung einer verrauchten Strasse mit anschließendem Feuer und eine Bildfolge, in der ein schießender Mensch von einer Frau zum Weiterfeuern angetrieben wird (5,08 m lang).«14 Wie Jeanpaul Goergen dargelegt hat,15 wurden etliche Szenen der Schlusskämpfe um Mabuses Haus mit folgender Begründung verboten: »Die Straßenkämpfe erinnern an erregte Zeiten, in denen solche Kämpfe, wenn auch aus anderen Motiven heraus, stattgefunden haben. Es ist in letzter Zeit in dieser Hinsicht eine Beruhigung in der Bevölkerung eingetreten. Wenn nun wieder derartige Kämpfe in allen Einzelheiten und dazu in sehr übertriebener Weise einem Massenpublikum vorgeführt werden, schaffen sie aufs neue die erregte Atmosphäre jener Zeit.«16 Auch die Oberprüfstelle urteilte am nächsten Tag, der Film würde »die öffentliche Ordnung und Sicherheit (…) gefährden«.17 Die Zensoren sahen direkte Bezüge zwischen dem »Spiel von Menschen unserer Zeit« und der zeitgenössischen Erfahrung der Novemberrevolution und den bewaffneten Kämpfen 1918/19 in Deutschland und gingen von der Annahme aus, der Spielfilm könne vor diesem Hintergrund eine agitatorische Wirkmacht entfalten. Für die Identifizierung von Filmausschnitten liefern die Texte der Zwischentitel mitunter entscheidende Hinweise, wie z.B. Namen der handelnden Personen oder weitere Schlüsselworte: »Ernest Clifton, ich danke Ihnen bestens, daß Sie auf den Schwindel mit den Kuckucksuhren hereingefallen sind. Sie haben mich dadurch zu einem reichen Mann gemacht!« Die Filmfigur Ernest Clifton und das Stichwort »Kuckucksuhren« führen zum Film Die drei Kuckucksuhren (1925/26, Lothar Mendes), eine Produktion der Universum-Film AG (Ufa). Das Drehbuch schrieb Robert Liebmann nach dem Roman von Georg Mühlen-Schulte. Der Film war am 22.4.1926 von der Filmprüfstelle Berlin verboten worden und wenig später von der Produktionsfirma noch einmal in einer entschärften Fassung vorgelegt worden. Die Prüfstelle monierte aber weitere unzulässige Szenen und entschied am 5.5.1926 auf ein erneutes Verbot: »Die Kammer ist der Ansicht (…) daß der Bildstreifen nach wie vor eine verrohende und entsittlichende Wirkung hat. Es wird ein grauenvolles Verbrechen vorgeführt, indem ein Lord aus habsüchtigen Motiven dadurch ums Leben gebracht werden soll, daß er in einem Keller Krokodilen vorgeworfen wird. Dieses Verbrechen wird als nackte Tatsache zur Befriedigung der Neugier einer schaulustigen Menge in aller Ausführlichkeit gezeigt. (…) Selbst wenn der Zuschauer von dem Gezeigten aufs innerste betroffen und über das Geschehnis empört

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ist, so wird durch die Wiederholungen der widerwärtigen Bilder, an die Auge und Sinn sich gewöhnen, der Abscheu vor dem Verbrechen abgestumpft und das sittliche Empfinden damit herabgemindert. Es muß auch verrohend wirken, wenn die Todesqualen des Eingekerkerten, auf den sich die Krokodile zu stürzen im Begriff sind, und die verzweifelte Abwehr des um sein Leben Kämpfenden gezeigt wird, die es mit sich bringt, daß auch die Tiere Verletzungen erleiden.«18 Während der dem Film zugrunde liegende Roman unzensiert veröffentlicht worden war, wurde die filmische Umsetzung des Stoffs von der Zensur weitaus restriktiver behandelt. Die drei Kuckucksuhren wurde laut Entscheidung der Oberprüfstelle vom 15.5.1926 schließlich mit Schnittauflagen zugelassen, wobei der Begriff »entsittlichend« erläutert wurde: »Nach der ständigen Rechtsprechung der Oberprüfstelle ist ein Bildstreifen geeignet, entsittlichend zu wirken, wenn durch seine Vorführung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das Bestehen einer unmittelbaren Gefahr für die Verschlechterung des sittlichen Denkens und Fühlens eines normalen Durchschnittsbürgers zu erwarten ist (…) Eine dahingehende Wirkung ist (…) von Bildstreifen, die Verbrechensverübungen oder ein verbrecherisches Milieu zum Gegenstand haben, stets dann zu erwarten, wenn die Überlegenheit des Verbrechens über die Organe der Staatsgewalt offenkundig oder das Verbrechertum verherrlicht, insbesondere die Sympathie der Beschauer auf die Seite der Verbrecher gezogen wird und Gegenwerte fehlen, durch die diese abträgliche Wirkung ausgeschlossen wird.«19 Neben den moralischen Zensurgründen (entsittlichend, anstößig, verrohend), die den Zensoren weiten Spielraum zur Auslegung boten, konnten gemäß dem Lichtspielgesetz von 1920 und seinen Kommentaren auch staatspolitische und militärpolitische Gründe zu Schnittauflagen führen. So zeigen weitere Fragmente aus der Sammlung Szenen ausschweifender Trinkgelage unter Militärs mit den Darstellern Paul Hörbiger, Albert Lieven und Paul Heidemann. Anhand von Fotos der Filmausschnitte konnte Werner Sudendorf sie als Teile des Film Annemarie, die Braut der Kompagnie (1932, Carl Boese) identifizieren. Sie entsprechen den in den Schnittauflagen der Oberprüfstelle vom 13.10.1932 beschriebenen Bildfolgen. »In Akt III die Bildfolge, die zeigt, wie der Fähnrich ins Kasino befohlen und vom Oberleutnant zum Rauchen und sinnlosen Biertrinken gezwungen, schließlich betrunken zu Bett gebracht und entkleidet wird (gezeigt werden darf, wie der Fähnrich am nächsten Morgen den Kopf im Eimer vor dem Bett liegt). Länge: 95 m.«20 In den entsprechenden Zensurausschnitten ist Hörbiger in der Rolle des Musketiers Paul Lehmann zu sehen, der den betrunkenen Fähnrich Werner von Schumann (Lieven) zu Bett bringt und entkleidet. Entscheidend für das Verbot der Szenen war der Einspruch der Sachverständigen des Reichswehrministeriums. Diese kritisierten die Szenen als »Übertreibungen, durch die falsche Vorstellungen von der alten Wehrmacht erweckt und gewissen Kreisen im Ausland Gelegen-

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Annemarie, die Braut der Kompagnie (1932, Carl Boese): Paul Hörbiger, Albert Lieven

heit gegeben werde, an der alten Wehrmacht unbillige Kritik zu üben«. Sie seien »geeignet, den Geist der alten Armee herabzusetzen und damit ihr Ansehen zu schädigen.«21 Drei Jahre später, am 22.6.1935, wurde der Film von der Oberprüfstelle bei der vom Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda angeordneten Nachprüfung des Films gänzlich verboten: Er gehöre »zu den sogenannten Militärhumoresken der Vorkriegszeit und ist wegen der in ihm gegebenen geschmacklosen und übertriebenen Darstellung des Militärs geeignet, das Ansehen der Wehrmacht zu schädigen. Derartige Filme laufen dem Wehrgedanken zuwider und erfüllen den Verbotstatbestand des § 7 des Lichtspielgesetzes vom 16. Februar 1934.«22 Mit dieser Zensurgeschichte kommt Annemarie, die Braut der Kompagnie eine Bedeutung zu, die weit über die einer einfachen Militärhumoreske hinausreicht und für die Erforschung der Militärpropaganda der 1930er Jahre von Interesse ist. Einige Filmausschnitte stammen aus einem Film mit dokumentarischem Charakter, der Strafmaßnahmen in der Fremdenlegion zeigt, wie das »Hängen« oder die »Crapaudine«. Die in den Filmmaterialien enthaltenen Zwischentitel lauten: »Das Hängen. Eine barbarische Qual, die durch nachträgliche Stockstreiche erhärtet wird« oder »Crapaudine. An Händen und Füßen auf dem

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»Crapaudine« [nicht identifizierter Zensur-Ausschnitt]

Rücken gefesselt, wird der Legionär stundenlang der glühenden Sonne ausgesetzt«. Selbst wenn der Titel des Films noch nicht identifiziert werden konnte, so ist es doch möglich, anhand der im Film genannten Stichworte einen Bezug zu einem historischen Tatbestand – den Strafmaßnahmen der Fremdenlegion – herzustellen und Kontextinformationen zu recherchieren. So schreibt der ehemalige Fremdenlegionär Erwin Rosen über die Crapaudine in seinen 1909 in der 10. Auflage erschienenen Erinnerungen: »Der zu Bestrafende wurde einfach zu einem Bündel zusammengeschnürt und in eine Ecke geworfen. Man band ihm Hände und Füße auf dem Rücken zusammen, bis der Körper eine Art Halbkreis bildete. Tag und Nacht lag solch ein crapaudinaire hilflos da, unfähig, sich zu rühren. Höchstens konnte er sich mit unendlicher Mühe von einer Seite auf die andere wälzen. (…) Ein Tag und eine Nacht in der crapaudine genügte, um einen starken Mann auf längere Zeit bewegungsunfähig zu machen – mehrere Tage bedeuteten Siechtum.«23 Im genannten Filmfragment sind die physischen Details der Crapaudine genau so zu sehen.Die Verbindung von Filmfragment und Erinnerungen des ehemaligen Fremdenlegionärs können fürs Verständnis des in der Militärgeschichte behandelten Mythos der Fremdenlegion in Deutschland aufschlussreich sein.24

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Zur Bedeutung der Sammlung: Fazit und Ausblick Die Bedeutung dieser Sammlung von Zensurausschnitten für die Filmgeschichtsschreibung ist enorm. Die Sichtung der Filmausschnitte und die bislang recherchierten Kontextmaterialien lassen die Annahme zu, dass es sich hier um die in der Korrespondenz des Reichsfilmarchivs erwähnten Zensurausschnitte der Berliner Filmprüfstelle handelt. Auch die Überlieferungsgeschichte und die Tatsache, dass das Material zielgerichtet archiviert und seine filmhistorische Bedeutung bereits in den 1930er und 1940er Jahren von den Archivaren des Reichsfilmarchivs erkannt wurde, bestätigen den Wert dieser Sammlung. Zensierte Filmteile wurden (und werden bis zum heutigen Tag) oft nicht als archivwürdig bewertet und deshalb nicht aufbewahrt, so dass die Quellenlage für die Visual History in Bezug auf die Filmzensur desolat bleibt. Ein Beispiel für die unzureichende Archivierung von Zensurausschnitten ist das Vorgehen der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK): Bei Schnittauflagen mussten die beanstandeten Filmausschnitte an die FSK geschickt werden, zusammen mit einer verbindlichen schriftlichen Erklärung, dass die Schnitte bei allen in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich West-Berlin eingesetzten Kopien vorgenommen wurden. Im Gegensatz zu den schriftlichen Unterlagen wurden die eingesandten Schnittmaterialien von der FSK jedoch nicht archiviert.25 Sind die zensierten Filmausschnitte hingegen überliefert, können sie nicht nur für die Rekonstruktion von Filmen oder als Bonusmaterial für Editionen genutzt werden. Die Fragmente haben einen historischen Eigenwert: Die Tatsache, dass sie zielgerichtet aus den Werken entfernt wurden und nun Teil einer Sammlung von Zensurdokumenten sind, lädt sie mit zusätzlicher Bedeutung auf. Die Filmausschnitte zeigen unmittelbar und konkret das im Bild, was von der Zensur beanstandet wurde und als außerhalb der gesellschaftlich oder politisch zulässigen Norm beurteilt wurde. Wird der zensierte Ausschnitt selbst zum Ausgangspunkt filmhistorischer Forschung, kann der Vorgang der Zensur neu – vom Bild her – rekonstruiert werden. Die verbotenen Filmstreifen offenbaren, was die Zulassungskarten häufig verschweigen: den Bildinhalt. Liegen die zensierten Filmausschnitte vor, kann man als Zuschauer mit den Augen des Zensors auf den jeweiligen Ausschnitt blicken. Man ist durch diese Bilder sehr viel näher an der Wahrnehmungswelt der Zensoren und ihrer soziokulturellen Umgebung und kann produktive Spekulationen über die Zensurgründe anstellen, die im Idealfall durch Hinzuziehung der Kontextmaterialien verifiziert werden. Anhand der Filmausschnitte lässt sich visuell nachvollziehen, welche konkreten Darstellungen und Vorstellungen sich hinter den Zuschreibungen verrohend, entsittlichend und anstößig verbergen. Ist man auf die schriftlichen Beschreibungen der Zensurausschnitte angewiesen, bleiben deren Begriffe ab-

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strakt. Anhand der Zensurausschnitte kann hinterfragt werden, wie schlüssig die Begründungen der Zensoren in Bezug auf das Bildmaterial aus damaliger wie heutiger Sicht sind. Der Idealfall ist natürlich die Identifizierung des Filmausschnitts, der durch Kontextmaterialien ergänzt werden kann, etwa durch Verknüpfung mit der Zulassungskarte und den Zensurentscheidungen oder mit dem überlieferten Film selbst. Die Zensurfragmente können aber darüber hinaus auch als Quellen zur Untersuchung der allgemeineren Kultur- und Mentalitätsgeschichte sowie der Geschichte der Gewalt herangezogen werden. In digitalisierter Form bieten sich die Filmteile für eine filmwissenschaftliche Online-Präsentation an, die den digital arbeitenden Geisteswissenschaften zur Verfügung steht. Für die Identifizierung von Filmen könnten moderne computergestützte Tools zur automatischen Bilderkennung eingesetzt und getestet werden. Einige Filmarchive setzen das Crowdsourcing zur Identifizierung von Filmteilen und Anreicherung von Daten bereits erfolgreich ein, so das von Paolo Caneppele geleitete Projekt der Schlemmer-Filmkadersammlung des Österreichischen Filmmuseums. Das Prinzip Crowdsourcing lässt sich jedoch nicht nur im Internet, sondern auch in kleinerem Rahmen praktizieren, z.B. bei filmhistorischen Kongressen und Filmfestivals, auf denen viele Experten für Filmgeschichte anwesend sind. Die Identifizierung und Kontextualisierung von Filmfragmenten ist somit ein Paradebeispiel für die gelungene Zusammenarbeit internationaler Filmarchive mit Filmhistorikern und Filminteressierten bei der Erforschung, Kommentierung und Vermittlung von Filmen. Voraussetzung für die Nutzung und weitere Erforschung dieses wertvollen Bestands an Zensurausschnitten ist jedoch, dass er langfristig gesichert und digitalisiert wird. Im Rahmen des Austauschs von Filmmaterialien der internationalen Filmarchive sollte eine Kopie dieser Sammlung in das Bundesarchiv-Filmarchiv überführt werden, um den Bestand der Forschung zugänglich zu machen. 1) Das Material des Projekts »Verbotene Bilder, manipulierte Filme« ist unter www.difarchiv.deutsches-filminstitut.de/dframe31.htm zugänglich, das COLLATE (Portal for Film Censorship documents) präsentiert seine Dokumente unter www.collate.eu. (Alle hier nachgewiesenen Internetquellen zuletzt am 10.8.2014 aufgerufen.) — 2) So z.B. der Bestand an Zensurausschnitten der Polizeidirektion Berlin im Bundesarchiv Filmarchiv Berlin. Vgl. Ursula von Keitz: Filme vor Gericht. Theorie und Praxis der Filmprüfung in Deutschland von 1920 bis 1938. Frankfurt/Main: Deutsches Institut für Filmkunde 1999. www.difarchiv.deutsches-filminstitut.de/dt2jz02.htm; Ursula von Keitz: Im Schatten des Gesetzes. Schwangerschaftskonflikt und Reproduktion im deutschsprachigen Film 1918–1933. Marburg: Schüren 2005 (Zürcher Filmstudien 13). — 3) Die Funde zu den Dokumenten der Filmzensur im Russischen Staatlichen Militärarchiv RGVA sowie im Gosfilmofond Rossii werden hier zum ersten Mal veröffentlicht. Die Recherchen wurden im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsprojekts zur Theorie der Filmrestaurierung unternommen. Vgl. dazu: Anna Bohn: Denkmal Film. Band 1: Der Film als Kulturerbe. Band 2: Kulturlexikon Filmerbe. Köln u.a.: Böhlau 2013. Ich danke dem Deutschen Historischen Institut

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Moskau, das durch ein Stipendium die Archivrecherchen in Moskau ermöglicht hat. Für Hinweise danke ich Werner Sudendorf (Deutsche Kinemathek, Berlin) und Thomas Lindenberger (Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam). Geertje Andresen danke ich für das Lektorat. Mein besonderer Dank gilt den Archivarinnen und Archivaren des Gosfilmofond in Belye Stolby, insbesondere Valerij Bosenko (†) und Oleg Boèkov. — 4) Victor Szczesny (Hg.): Das Lichtspielgesetz vom 12. Mai 1920. Berlin, Leipzig: de Gruyter 1920. Online abrufbar unter: www.documentArchiv.de/wr/1920/lichtspielgesetz.html. — 5) Bericht des Leiters der Filmprüfstelle Berlin vom 4.5.1921 an den Reichsminister des Innern. Sonderarchiv im Russischen Militärarchiv Moskau (RGVA), Fonds Reichsministerium des Innern, Personalakte Mahlberg, Archivsign.: 720k-2-152a, Blatt 5. — 6) Bundesarchiv-Filmarchiv Berlin: Zulassungskarten deutscher Filmprüfstellen 1908–1945. www.bundesarchiv.de/benutzung/sachbezug/film/01069/index.html.de. — 7) Vgl. Bohn, a.a.O., Bd 1: S. 190. — 8) Lichtspielgesetz (12.5.1920), a.a.O. — 9) Schreiben des Leiters des Reichsfilmarchivs Richard Quaas vom 25.3.1943 an die Filmprüfstelle Berlin, Bundesarchiv R 55/2182. — 10) Schreiben der Filmprüfstelle an Richard Quaas vom 23.3.1943, Bundesarchiv R 55/21582. — 11) Frankenstein war zunächst am 7.3.1932 von der Filmprüfstelle verboten worden (Prüf-Nr. 31171). Bei einer Wiedervorlage am 22.4.1932 wurde der Film mit Schnittauflagen zur öffentlichen Vorführung zugelassen (Prüf-Nr. 31440), digitale Reproduktionen ausgewählter Zensurentscheidungen publizierte das COLLATE Projekt. Die von der Zensur am 22.4.1932 verbotenen Ausschnitte finden sich im Gosfilmofond (Archivnr. 5501). — 12) Gier nach Geld. Entscheidung der Filmprüfstelle Berlin vom 5.5.1926 (Prüf-Nr. 127870). Für die Bereitstellung einer Kopie der Zulassungskarte danke ich Ute Klawitter vom Bundesarchiv-Filmarchiv Berlin. — 13) Die folgenden und viele weitere Abbildungen von Filmfragmenten aus der Sammlung sind unter www.filmeditio.hypotheses.org zu finden. — 14) Dr. Mabuse: 2. Teil. Ein Spiel von Menschen unserer Zeit. Entscheidung der Film-Prüfstelle Berlin, 17.5.1922. Prüf-Nr. 5827. www.collate.eu/ index.php?id=75&url=00937. — 15) Jeanpaul Goergen: Gute Kopien. Restaurierungen und Editionen (8): Dr. Mabuse, der Spieler. Teil 1: Der große Spieler – Ein Bild der Zeit. Teil 2: Inferno. Ein Spiel von Menschen unserer Zeit. In: Filmblatt, Nr. 26, Winter 2004. — 16) Entscheidung der Filmprüfstelle Berlin vom 17.5.1922 (Prüf-Nr. 5827), a. a. O. — 17) Dr. Mabuse, der Spieler. Teil 1: Der große Spieler – Ein Bild der Zeit. Teil 2: Inferno. Ein Spiel von Menschen unserer Zeit. Entscheidung der Oberprüfstelle Berlin vom 18.5.1922 (Prüf-Nr. B.27.22), a.a.O. — 18) Die drei Kuckucksuhren. Entscheidung der Filmprüfstelle Berlin vom 5.5.1926 (Prüf-Nr. 12846). www.collate.eu/index.php?id=75&url= 03678. — 19) Die drei Kuckucksuhren. Entscheidung der Film-Oberprüfstelle vom 15.5. 1926 (Prüf-Nr. 458). www.collate.eu/index.php?id=75&url=03683. — 20) Annemarie, die Braut der Kompagnie. Entscheidung der Film-Oberprüfstelle vom 13.10.1932 (Prüf-Nr. 5419). www.collate.eu/index.php?id=75&url=00396. — 21) Ebd. — 22) Annemarie, die Braut der Kompagnie. Entscheidung der Film-Oberprüfstelle vom 22.6.1935 (Prüf-Nr. 7735). www.difarchiv.deutsches-filminstitut.de/zengut/df2tb192z2.pdf. — 23) Erwin Rosen: In der Fremdenlegion. Erinnerungen und Eindrücke. Stuttgart: Verlag Robert Lutz 1909 (10. Aufl.). Hier zit. n. der elektronischen Ausgabe des Projekts Gutenberg-DE (gutenberg.spiegel.de/buch/1454/14). — 24) Zum Bild des Deutschen in der Fremdenlegion vgl. Eckard Michels: Deutsche in der Fremdenlegion 1870–1965: Mythen und Realitäten. Paderborn 1999 (Neuaufl. 2006). — 25) Vgl. Bohn, a.a.O., Bd 2, S. 82.

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Georg Eckes POLITISCHE FILME – POLITISCHE ZENSUR? Die SPD als Zensurgesetzgeber und Filmproduzent in der Weimarer Republik

Mitte der 1920er Jahre begann die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, Filme für parteipolitische Zwecke herzustellen. Der »Film- und Lichtbilddienst« der SPD produzierte von 1924 bis 1931 Kulturfilme über die Aktivitäten der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung sowie Wahlwerbe- und Propagandafilme. Dabei unterlag die SPD wie jeder andere Filmproduzent auch der reichsweiten Filmzensur. Zugleich hatte die Partei Anfang der 1920er Jahre entscheidenden Einfluss auf die Filmzensurgesetzgebung der Weimarer Republik genommen: Das Reichslichtspielgesetz (RLG) war am 12.5.1920 von einem Reichstag mit SPD-Mehrheitsfraktion unter dem sozialdemokratischen Reichskanzler Hermann Müller verabschiedet worden. Dies verhinderte nicht, dass auch Filme der SPD in Konflikt mit der Zensur gerieten, wie die Auseinandersetzungen um den Anti-Nazi-Trickfilm Ins dritte Reich! (1930/31, Karl Holtz, Alois Florath) zeigen. Welchen wenig verlässlichen Wert die »Tendenzklausel« des RLG, nach der Filme wegen ihrer politischen und weltanschaulichen Tendenz allein nicht verboten werden durften, in der politischen Praxis hatte, wurde bei der SPD spätestens in solchen Konflikten erkannt. Die ambivalente Doppelrolle als (wenn auch kleiner) Filmproduzent und an der Filmzensurgesetzgebung beteiligter politischer Akteur macht die SPD zum lohnenden Ziel einer Betrachtung von Zensur-Politik und Zensur-Praxis. Dieser Beitrag zeichnet die parteiinterne Diskussion um das Reichslichtspielgesetz nach und erörtert anhand des Zensurskandals um Ins dritte Reich!, wie sich politische Machtlagen und Filmzensur im Jahr 1931 zueinander verhielten.

Die SPD und der Film Wie im bürgerlich-konservativen Film- und Kinodiskurs der 1910er Jahre spielten auch in der zur selben Zeit einsetzenden sozialdemokratischen Filmdiskussion Zweifel am kulturellen Wert des neuen Mediums und in der Folge auch Zensurerwägungen eine große Rolle. Die Filmdebatte der deutschen Arbeiterbewegung befasste sich vor allem mit der Frage: Wie lassen sich Film und Kino besser machen, damit sie dem Arbeiterpublikum, und insbesondere der Arbeiterjugend, nicht schaden? Denn: »Das Kinowesen vergiftet das Gemütsleben

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Hunderttausender unserer Volksgenossen mit flirrenden Films einer widerwärtigen Frömmelei, eines kriechenden Byzantinismus.« Und: »Es sind Bevölkerungsschichten, die im allgemeinen wenig für Bildungs- und Unterhaltungszwecke ausgeben können«, besonders die Jugend sei »durch eine falsche Bahnen einschlagende Filmkunst« gefährdet.1 Im Unterschied zur bürgerlichkonservativen Kinoreformbewegung standen aber neben moralisch und sexuell fragwürdigen Inhalten auch monarchische und militärische Selbstdarstellungen in der Kritik. Unter den politischen Bedingungen des Kaiserreichs war die Schlussfolgerung in der Sozialdemokratie: Es müsse eigene Lichtspieltheater geben, die »gute« Filme im Sinne der organisierten Arbeiterbewegung spielen, also ausschließlich für ein sozialistisches Arbeiterpublikum. Was aber der »gute« Film sei und worin genau er sich vom Unterhaltungskino der Gegenwart unterschied, dazu fanden sich kaum Denkansätze. Die stagnierende Filmdiskussion brach schließlich mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs ab. Sie wurde erst 1920 mit der Debatte um das Reichslichtspielgesetz wieder aufgenommen. Für die Mehrheits-Sozialdemokratie, die das RLG in Regierungsverantwortung einführte, war die Filmzensur »bei der heutigen Struktur der Filmindustrie und des Publikums unentbehrlich. Sie ist weniger gefährlich als die frühere Theaterzensur, weil sie sich – leider – weniger mit künstlerischer Produktion abzugeben hat und weil sie rein bürokratisch-polizeilichen Händen entzogen und Spruchkammern übertragen ist, in denen (…) nicht nur Vertreter der Volkswohlfahrt und Volksbildungsorganisationen, sondern auch Kunst und Literatur und Filmgewerbe vertreten sind.«2 Die USPD lehnte das RLG dagegen als »eine Blütenlese vormärzlicher Terminologie« ab.3

Die SPD und das Reichslichtspielgesetz Die Einführung der reichseinheitlichen Filmzensur basierte auf dem politischen Grundkonsens, dass es sich um eine Art »sozialethische Schutzmaßnahme« handeln sollte. In der Weimarer Nationalversammlung wurde sie besonders von den konservativ-bürgerlichen Parteien DNVP und DVP und der katholischen Zentrumspartei forciert. In der parteiinternen Diskussion der Mehrheits-Sozialdemokraten setzten sich ebenfalls die Befürworter einer reichsweiten Filmzensur durch, während sie von den Unabhängigen Sozialdemokraten abgelehnt wurde. Im Reichstag stimmten die Regierungsparteien SPD und DDP zusammen mit DNVP, DVP und Zentrum gegen die Stimmen der USPD für die Annahme des RLG. – Ab Juni 1920 mussten alle Filme bei den Filmprüfstellen in Berlin oder München vorgelegt werden, für Revisionsverhandlungen wurde eine Film-Oberprüfstelle in Berlin eingerichtet. Als offizielle Beurteilungsgrundlage galt nicht der Inhalt, sondern die vermutete Wirkung eines Films auf das Publikum. Verbotskriterien waren: Gefährdung der

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öffentlichen Ordnung oder Sicherheit, Verletzung des religiösen Empfindens, eine »verrohende« oder »entsittlichende« Wirkung und Gefährdung des deutschen Ansehens oder der Beziehungen Deutschlands zu anderen Staaten.4 Grundsätzlich ließen sich auf dieser Grundlage mit einer politisch entsprechend besetzten Zensurbehörde sämtliche politisch missliebigen Inhalte und Aussagen in Filmen verbieten. Dies war jedoch – zumindest von der Einführung der Reichsfilmzensur bis zur Periode der Präsidialkabinette ab 1930 – in der Regel nicht der Fall. Juristisch war hierfür die »Tendenzklausel« verantwortlich: »Die Zulassung darf wegen einer politischen, sozialen, religiösen, ethischen oder Weltanschauungstendenz als solcher nicht versagt werden.«5 Ihre Tücken spießte der Filmkritiker Wolfgang Petzet 1930 treffend auf: »Niemand wird (…) den zwei kleinen Wörtchen ›als solcher‹ besondere Beachtung geschenkt haben. Während es voll sympathischer Biederkeit die Tendenzen zu stützen scheint, stiehlt es ihnen in Wirklichkeit Schmuck und Waffen und übergibt sie ihrem Feinde, dem alles verbietenden und zernichtenden Satze 2 [der die Verbotsgründe enthält]. Denn (…) wenn die Zulassung wegen einer Tendenz als solcher nicht versagt werden darf«, dann gelte die Klausel nicht, wenn gleichzeitig ein anderer Verbotsgrund vorliege. »Als solcher ist der soziale Tendenzfilm nicht verboten, wenn die tatsächlichen Verhältnisse übertrieben und verzerrt dargestellt sind. Er ist jedoch zu verbieten, wenn die durch die Darstellung sozialer Gegensätze in einer bestimmten Richtung beeinflußten Zuschauer dazu gereizt werden, mit ungesetzlichen Mitteln eine Änderung der bestehenden Zustände herbeizuführen.«6 Formaljuristisch war es also möglich, eine offensiv verfochtene politische Tendenz gewissermaßen durch die Hintertür zu verbieten. Ob diese Hintertür tatsächlich genutzt wurde, hing entscheidend vom politischen Umfeld ab. Dass politische Richtungsvorgaben ihre Wirkung entfalten konnten, war der Verfasstheit der Filmprüfstellen geschuldet. Diese waren »mit gerichtlichen Funktionen ausgestattete Verwaltungsbehörden«, also Gerichte und Verwaltungsbehörden zugleich. Ihre Entscheidungen waren selbst für ordentliche Gerichte bindend. Andererseits standen ihnen Beamte vor, die vom Reichsinnenministerium bestellt waren. Darüber hinaus entsandten Reichsministerien und Landesregierungen regelmäßig Sachverständige in die Zensursitzungen. Die Landesregierungen besaßen zudem ein Einspruchsrecht gegen erstinstanzliche Entscheidungen. Die Filmprüfstellen waren damit in der Praxis keine unabhängigen Gerichte, sondern politisch mit Reichs- und Landesregierungen verflochtene Behörden. Dies sorgte dafür, dass Zensurentscheidungen immer die politischen Machtverhältnisse berücksichtigen mussten, auch wenn sie formell wie Gerichtsurteile gefällt wurden. Ende der 1920er Jahre war man in der SPD zunehmend unzufrieden mit der Spruchpraxis der Zensurbehörden. So war Dein Schicksal! (1928, Ernö Metzner), der Wahlfilm zur Reichstagswahl 1928, nur nach Erfüllung von Schnittauflagen freigegeben worden, der ebenfalls von Metzner hergestellte Partei-

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werbefilm Freie Fahrt (1928) hatte ein Jugendverbot erhalten. 1929 legte die Partei Einspruch gegen das Jugendverbot des Werbefilms Aufstieg (1929) ein, das die Filmprüfstelle Berlin mit der Begründung erlassen hatte: »Es brauchen nicht immer direkte Unwahrheiten zu sein, die im Film behauptet werden. Aber durch das Verschweigen von Dingen, die bei objektiver Schilderung der Zeitverhältnisse eine Rolle spielen würden, entsteht leicht ein unvollkommenes Bild.«7 Im Einspruch beklagte die SPD zudem, dass auch frühere Werbefilme mit wenig nachvollziehbaren Begründungen für Jugendliche verboten worden waren. Die Oberprüfstelle gab den Film ohne Auflagen frei und bedauerte, dass die SPD bei den angeführten Fällen noch keine Beschwerde eingelegt hatte. Man »hätte sonst Gelegenheit genommen, festzustellen, daß der von der Prüfstelle konstruierte Verbotsgrund der ›Vermittlung eines falschen Weltbildes‹ nur dann eine Stütze im geltenden Lichtspielgesetz finden kann, wenn die gegebene Darstellung zugleich geeignet ist, die geistige Entwicklung Jugendlicher zu gefährden.«8 Die in der erstinstanzlichen Entscheidung zum Ausdruck kommende Tendenz der Filmzensur, den filmischen Wahlkampf zu beschneiden, konnte 1929 noch auf dem Weg der Beschwerde korrigiert werden. Für die SPD und die politischen Parteien in ihrer Gesamtheit war also zu diesem Zeitpunkt der demokratische Wettstreit mit dem Mittel des Films im Prinzip noch weitgehend unbeschränkt möglich.9 Dies änderte sich jedoch nach dem Ende der (zweiten) Regierung Hermann Müller (SPD) im März 1930 und insbesondere nach der Reichstagswahl im September, die der NSDAP erdrutschartige Gewinne bescherte und das Präsidialkabinett Heinrich Brüning (Zentrum) bestätigte. Die Verschiebung der Machtverhältnisse zu Ungunsten der SPD beeinflusste ab dem Winter 1930/31 auch die Entscheidungen der Prüfstellen, nicht zuletzt im Zuge der Verschärfung der Filmzensur durch die Auseinandersetzungen um den US-Film All Quiet on the Western Front (Im Westen nichts Neues, 1929/30, Lewis Milestone).

Zensurskandal um INS DRITTE REICH! – Erster Akt Wie der Raum für filmische Politpropaganda eingeschränkt wurde, bekam die SPD mit als erste zu spüren: Ihr zehnminütiger Anti-Nazi-Trickfilm Ins dritte Reich! geriet in die Mühlen der Filmzensur. Der Kurzfilm karikiert insbesondere die Nationalsozialisten und thematisiert ihre Komplizenschaft mit dem Unternehmertum gegen die (sozialistische) Arbeiterschaft. Die Protagonisten sind: ein Arbeiter, ein Unternehmer, der Geldschrank des Unternehmers und ein Nazi. Der Arbeiter fordert vom Unternehmer seinen Lohn, aber der will den Lohn kürzen. Der Arbeiter tritt in den Streik. Der Unternehmer macht sich Sorgen um seinen schrumpfenden Geldschrank, doch dieser wird lebendig und zeigt ihm die Lösung: Man braucht einfach nur Verhältnisse wie im faschistischen Italien. Dort sind Streiks verboten, und es rollen die Arbeiterköpfe.

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Ins dritte Reich! (1930/31, Karl Holtz, Alois Florath)

Prompt tritt auch der richtige Verbündete auf, der zunächst aussieht wie ein radikaler Kommunist, sich dann aber als Nazi entpuppt. Der Nazi lässt sich vom Unternehmer bezahlen und präsentiert sich anschließend dem Arbeiter als Retter in der Not. Dann zeigt der Nazi aber seine wahre Natur: Er klaut einer Frau eine Wurst und wirft eine Schaufensterscheibe ein. Als die Polizei kommt, beschuldigt er den Arbeiter und flieht, indem er er an einem Seil aus Paragraphen nach oben aus dem Bild klettert. Der Arbeiter kommt ins Gefängnis und erkennt in einer Art Traumvision, dass er wehrlos im Käfig des »Dritten Reichs« gefangen ist. Unternehmer, Nazi und Geldschrank führen neben dem Käfig einen Freudentanz auf. Dann aber erscheint, quasi aus dem Nichts, die Göttin der Freiheit (mit roter Fahne und Jakobinermütze), befreit den Arbeiter und verscheucht die drei Unholde. Der Film endet mit Realaufnahmen von sozialdemokratischen Demonstrationen. Ins dritte Reich! war der einzige SPD-Film, der sich so gut wie ausschließlich mit den Nationalsozialisten auseinandersetzte. Der Topos des sich in einen Nazi verwandelnden Kommunisten, der die Wesensgleichheit beider Bewegungen postulierte, war nur ein Nebenaspekt. Eine größere Rolle spielte die Figur des Unternehmers, die die Unterstützung der NSDAP durch Großindustrie und Finanzkapital demonstrieren sollte. Die »Göttin der Freiheit«,

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eine in jakobinischer Tradition gekleidete allegorische Figur, symbolisierte dagegen die Wehrhaftigkeit der Republik. Wie alle Eigenproduktionen sollte auch Ins dritte Reich! im Vorprogramm von SPD-Filmveranstaltungen und auf Parteiversammlungen laufen. Im Mitteilungsblatt des Film- und Lichtbilddiensts wurde er ausführlich beworben.10 Für die Gestaltung waren der Karikaturist Karl Holtz und der Pressezeichner und Vorwärts-Redakteur Alois Florath verantwortlich. Der Film wurde Ende 1930 fertiggestellt und im Januar 1931 zur Zensur eingereicht. Genau genommen begann der Zensurfall Ins dritte Reich! bereits eine knappe Woche vor der ersten Prüfstellen-Verhandlung: Am 14.1.1931 meldete der Sachverständige des Reichsministeriums des Innern (RMI), Oberregierungsrat Erbe, seinen Vorgesetzten, dass der Film unmöglich zugelassen werden könne.11 Da anders lautende Weisungen ausblieben, beantragte das RMI ein Komplettverbot wegen der Angriffe auf Unternehmertum, Justiz und NSDAP: Das Seil aus Paragraphen, an dem der Nazi aus dem Bild klettert, untergrabe die Autorität der Justiz, und die negative Darstellung des Nazis gefährde die »öffentliche Sicherheit und Ordnung«, denn sollten Nationalsozialisten unter den Kinozuschauern sein, seien schwerste Ausschreitungen zu befürchten. Der Vertreter des Auswärtigen Amts (AA) erhob in der Prüfsitzung zudem Bedenken gegen die Darstellung Mussolinis und der Faschistenbeile, die Köpfe von Arbeitern abhacken, weil damit die auswärtigen Beziehungen des Reichs zu Italien gefährdet seien. Dessen ungeachtet ließ die Filmprüfstelle den Film passieren und ordnete lediglich an, den Wurstdiebstahl herauszuschneiden. Schwerer wog jedoch, dass sie zudem eine Beschränkung der Vorführung auf geschlossene Veranstaltungen der SPD anordnete, um die befürchteten Konfrontationen mit dem politischen Gegner zu vermeiden.12 Sie präjudizierte damit die Änderung des § 2 RLG (die sogenannte »Lex Remarque«), die erst zwei Monate später in Kraft treten sollte. Dass dieses Urteil so nicht Bestand haben würde, wurde umgehend klar: Weil die Verbotsanträge des RMI und des Auswärtigen Amts übergangen worden waren, musste Sitzungsleiter Kloidt ohnehin Amtsbeschwerde einlegen. Auch zwei Beisitzer und der Film- und Lichtbilddienst selbst legten Einspruch ein: Sie forderten die unbeschränkte Freigabe des Films, da die Gründe für die Publikumsbeschränkung sämtlich »außerhalb des Inhalts des Bildstreifens« lägen und das Urteil somit nicht durch das Gesetz gedeckt sei.13 In den Vorbereitungen zur folgenden Verhandlung vor der Oberprüfstelle erhielt der RMI-Sachverständige Erbe die Weisung, dass der Minister Joseph Wirth eine auf SPD-, Reichsbanner- und Gewerkschaftsveranstaltungen beschränkte Zulassung für ausreichend erachte und ein Komplettverbot des Films nicht anstrebe.14 Erbe folgte dieser Vorgabe jedoch nicht, sondern wiederholte am 29. Januar vor der Oberprüfstelle die auf die »Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung« zielenden Verbotsgründe, nun ergänzt um den Vorwurf der »Herabsetzung des Unternehmerstandes«. Das Auswär-

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tige Amt bemängelte ferner, dass die »Darstellung der Uneinigkeit der deutschen Parteien« das Ansehen Deutschlands im Ausland beschädige. Die Oberprüfstelle – an diesem Tag nicht mit ihrem ordentlichen Leiter Ernst Seeger besetzt – übernahm diese Argumentation und verbot den Film.15 Die Urteilsbegründung des stellvertretenden Prüfstellenvorsitzenden, Oberregierungsrat Becker, hatte mit den Bestimmungen des RLG nicht viel gemein. So sah das Gesetz z.B. keinen besonderen Schutz des Unternehmertums vor. Zudem gründete die Entscheidung auch noch auf einem Sachverständigengutachten des RMI, das so hätte gar nicht abgegeben werden sollen. Losgelöst von den Weisungen der politischen Führung und den Bestimmungen des Gesetzes zensierten die beiden Oberregierungsräte frei nach ihrem Gusto.

Intermezzo: Die Mobilisierung der Presse gegen das Verbot Um die Öffentlichkeit gegen das Verbot zu mobilisieren, veranstaltete der Filmund Lichtbilddienst am 2. Februar eine – nun eigentlich illegale – Pressevorführung. Erich Kuttner, preußischer Landtagsabgeordneter und SPD-Vertreter in den Zensurverhandlungen, verlas die Verbotsbegründung.16 Das Presseecho fiel für die Oberprüfstelle vernichtend aus. Der Film-Kurier hielt die Urteilsbegründung für »das ungeheuerlichste Beispiel dafür, wie klare und eindeutige Paragraphen des Lichtspielgesetzes je nach Wunsch ausgelegt werden können.«17 Wenn die Oberprüfstelle daran festhalte, werde es in Zukunft jeder deutschen Partei unmöglich sein, durch Karikaturenfilme für sich zu werben. In der Frankfurter Zeitung konstatierte Siegfried Kracauer eine offensichtliche Schieflage zwischen der Zulassung von reaktionären Filmen wie Das Flötenkonzert von Sanssouci (1930, Gustav Ucicky) und Verboten von Filmen wie Ins dritte Reich! Die aktuelle Verbotsbegründung nahm er zum Anlass für eine generelle Abrechnung mit den Zensurbehörden: »Die Zensurmaßnahmen der Filmoberprüfstellen aber verleugnen den politischen Willen, maßen sich den Schein der Neutralität an und stützen sich auf windige Konstruktionen.«18 An Außenminister Julius Curtius erging die parlamentarische Anfrage Kuttners, ob die Äußerungen des AA-Sachverständigen mit seiner Zustimmung erfolgt seien. Curtius musste seinen Untergebenen daraufhin fallen lassen und antwortete, dass diese Äußerungen »besser unterblieben wären.«19

Zensurskandal um INS DRITTE REICH! – Zweiter Akt Die SPD reagierte nun mit jener Beharrlichkeit, die notwendig war, um der eindeutig reaktionären Zensurbürokratie zu begegnen, die sich in den beiden Oberregierungsräten personifizierte. Am 11.2.1931 wurde Ins dritte Reich! erneut eingebracht, allerdings in abgewandelter Form: Mit dem Weglassen

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Ins dritte Reich! – Verbotene Szenen: Mussolini und die »Göttin der Freiheit«

der Szene, in der Benito Mussolini als grausamer Arbeiterschlächter vorgeführt wird, trug der Film- und Lichtbilddienst den außenpolitischen Bedenken Rechnung, dem Vorwurf, man habe den Nazi als Typ des Nationalsozialisten schlechthin dargestellt und damit die NSDAP als Partei angegriffen, begegnete man mit einem relativierenden Zwischentitel.20 In der Verhandlung vor der Filmprüfstelle am 7. März sprach sich Erbe wieder mit gleichlautender Begründung für ein Verbot aus. Die Kammer ließ den Film jedoch ohne weitere Schnittauflagen oder Publikumsbeschränkungen passieren. Sie gab nun erstmals wieder der Bestimmung Gewicht, dass sich Verbotsgründe nur aus dem Filminhalt selbst ergeben durften: »Die Kammer teilt die Sorge, daß es angesichts der heutigen politischen Lage bei Vorführung dieses Films wohl leicht zu Tätlichkeiten kommen könnte; sie ist aber andererseits der Meinung, daß die statt auf Meinungsaustausch immer mehr auf Tätlichkeiten sich erstreckende Methode des politischen Kampfes nicht aus dem Inhalt des Bildstreifens selbst abzuleiten ist.«21 Daraufhin unterstellte Erbe der Prüfstelle, sozialistisch unterwandert zu sein.22 Ob es der SPD möglicherweise tatsächlich gelungen war, die Kammer mehrheitlich mit sozialistischen Beisitzern zu besetzen, lässt sich nicht nachweisen, da ihre Zusammensetzung bei dieser Sitzung nicht überliefert ist.23

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Der neuerliche Einspruch Erbes sorgte allerdings dafür, dass sich die Oberprüfstelle noch ein letztes Mal mit dem Fall auseinandersetzen musste. Bei der Verhandlung am 13. März war der strikteste Gegner des Films erstmals nicht anwesend. Nur sein schriftliches Gutachten lag vor. Das Fernbleiben Erbes war schwerlich ein Zufall.24 Die Oberprüfstelle, nun unter ihrem ordentlichen Leiter Seeger, hatte anscheinend von vornherein ein Kompromissurteil im Blick. Der Film wurde ohne Publikumsbeschränkung, aber mit vier weiteren Schnittauflagen freigegeben: Die rotierenden Faschistenbeile, die die Arbeiterköpfe abschlugen, mussten wegen Gefährdung der Beziehungen zu Italien eliminiert werden; ebenso die Flucht des Nazi über das Rettungsseil aus Paragraphen, weil damit der Justiz der Vorwurf gemacht werde, dass sie mit der NSDAP sympathisiere, und dies geeignet sei, »das Vertrauen des Volkes in die preußische Rechtspflege zu erschüttern«. Auch durfte der Nazi nun nicht mehr den Arbeiter des Diebstahls bezichtigen, denn damit werde »die Grenze politischer Kampfgestaltung (…) in unzulässiger Weise überschritten«. Schließlich durfte auch die allegorische Figur der Republik nicht erscheinen, denn damit werde der Eindruck erweckt, »als bedürfe es erst einer neuen Republik, um derartige Mißstände in der gegenwärtigen Republik zu beseitigen«.25 Immerhin hatte Seeger in der Urteilsbegründung einige Grenzmarkierungen abgesteckt, die nicht überschritten werden sollten. Zudem tadelte er seinen Stellvertreter für die offene Missachtung des Lichtspielgesetzes und erklärte, dass dessen Entscheidung »mit der bisherigen Rechtsprechung der Oberprüfstelle im Widerspruch steht«. Die Freigabe von Ins dritte Reich! wurde aber mit der Verstümmelung des Films durch die diversen Schnittauflagen teuer bezahlt. Vor allem die Streichung der Justizkritik und der »Göttin der Freiheit« als Symbol einer wehrhaften Republik machten aus der Zulassung einen Pyrrhussieg. Mit dem Verbot der Paragraphenseil-Szene ging der einzig wirklich kritische Impetus des Films verloren. Dies bestätigte all jene, die bereits bei der Einführung der Filmzensur davor gewarnt hatten, dass sie mit ihrer Tendenz, die Kritik an staatlichen Institutionen zu beschneiden, insbesondere eine sozialistische und aufklärerische – also die eigene – Propaganda gefährde. Die ursprüngliche Befürwortung der Filmzensur durch die Sozialdemokratie hatte sich nun, im Juni 1931, in ihr Gegenteil verkehrt. Auf dem Parteitag in Leipzig bereute Heinrich Schulz, Vorstandsmitglied und Berichterstatter für den Reichsbildungsausschuss, die Fehler der Vergangenheit: »Es ist notwendig darauf hinzuweisen, daß wir in Deutschland eine Zensur grundsätzlich nicht mehr haben. Wenn bei der Verfassungsberatung in Weimar beim Filmwesen eine Ausnahme gemacht wurde, so habe ich persönlich diese schwache Stunde (…) sehr bedauert. Wir sind damals aus der allgemeinen Toleranz der Republik heraus den Einflüsterungen von der rechten Seite des Hauses gefolgt (…). [Die Filmzensur] greift heute (…) auf Gebiete über, die sie gar nichts angehen. So waren das Verbot des Parteifilms [Ins dritte Reich!] und die Begründung dafür

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unerhört. (…) Es ist ein unerhörter Mißbrauch des Lichtspielgesetzes, wenn es sogar zur Beschränkung der politischen Meinungsfreiheit benutzt wird.«26

INS DRITTE REICH! – KAMPF UM BERLIN: Doppelurteil der Oberprüfstelle Die eigentliche Veränderung, die sich in der Zensur politischer Filmpropaganda im Frühjahr 1931 vollzog, gehorcht trotzdem nicht einem einfachen LinksRechts-Schema. Dies zeigen zwei weiteren Zensurfälle desselben Frühjahrs deutlich: der DNVP-Wahlwerbefilm Wohin wir treiben! (1928) und der NSDAP-Werbefilm Kampf um Berlin (1928/29). Wohin wir treiben!, anlässlich der Reichstagswahl 1928 von der Ufa-Kulturabteilung hergestellt, hatte 1928 die Zensur ohne Beanstandung passiert. Der Film gibt einen historischen Abriss der Ereignisse zu Kriegsende aus deutschnationaler Perspektive und kann als eine ins Bild gesetzte Dolchstoßlegende angesehen werden. Subversive sozialistische Elemente werden für den Zusammenbruch und alles folgende wirtschaftliche und soziale Ungemach verantwortlich gemacht. Wohin wir treiben! enthält scharfe persönliche Angriffe auf sozialdemokratische Führer, greift unverhohlen das »heutige System« an und fordert die Beseitigung der »roten Diktatur in Preußen«. In leicht geänderter Fassung 1931 erneut eingereicht, wurde der Film im März 1931 von der Filmprüfstelle Berlin verboten, da die scharfen Angriffe gegen politische Gegner und ehemalige Repräsentanten des Staates die öffentliche Ordnung gefährdeten. Die Oberprüfstelle bestätigte das Verbot: Der »Angriffsfilm gegen die SPD« und »Hetzfilm gegen den gegenwärtigen Staat« würde in der aktuellen politischen Situation zu schweren Störungen der öffentlichen Ordnung führen. Darüber hinaus äußerte Seeger sein Unverständnis darüber, dass Wohin wir treiben! 1928 überhaupt die Zensur hatte passieren können.27 Dass es also nicht nur »linke« Filme waren, die der fortschreitenden Einschränkung der Meinungsfreiheit im Frühjahr 1931 durch die Hintertür der »Tendenzklausel« zum Opfer fielen, zeigt auch der Zensurfall Kampf um Berlin: eine Zusammenstellung von Amateuraufnahmen von SA-Aufmärschen und Versammlungen, erweitert um Hetzattacken gegen Juden, als »undeutsch« diffamierte Linksparteien, Warenhäuser und Banken, die künstlerische Avantgarde und den stellvertretenden berliner Polizeipräsidenten Bernhard Weiß. Die Reichsfilmstelle der NSDAP bezeichnete ihn als ihren »ersten ausgesprochenen Propagandafilm.«28 Im März 1931 musste der Film erneut der Filmprüfstelle vorgelegt werden, da die SPD nach dem zwischenzeitlichen Verbot von Ins dritte Reich! ihrerseits einen Verbotsantrag gegen Kampf um Berlin initiiert hatte: Der Widerrufsantrag des SPD-geführten preußischen Innenministeriums stützte sich ausdrücklich auf das Verbotsurteil gegen Ins dritte Reich!29 Daraus schnürte die Oberprüfstelle gewissermaßen ein Zensurpaket: Beide Filme wurden am selben Tag begutachtet. Genauso wie Ins dritte

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Reich! wurde auch Kampf um Berlin zur Vorführung zugelassen, allerdings erheblich gekürzt. Die Schnittauflagen betrafen sämtliche Szenen, die uniformierte SA zeigten, denn das mittlerweile in Preußen, Bayern und Baden ergangene Uniformverbot erstrecke sich, so die Oberprüfstelle, auch auf filmische Darstellungen.30 Der so um ein Fünftel gekürzte Film konnte danach kaum noch sinnvoll für die NSDAP-Propaganda eingesetzt werden.

Schlussfolgerungen Die Verbote und Schnittauflagen für die Werbefilme der DNVP und der NSDAP belegen zwar, dass sich die Wirkung der Weimarer Filmzensur auf manifest politische Meinungsäußerungen Anfang der 1930er Jahre einem einfachen Links-Rechts-Schema entzieht. Die Zensurgeschichte von Ins dritte Reich! zeigt aber, dass insbesondere behörden- und autoritätskritische Äußerungen regelmäßig behindert wurden. Justiz- und Polizeikritik wurden so grundsätzlich beschnitten, im politischen Propagandafilm wie im Spielfilm. Damit schränkte die Weimarer Filmzensur grundsätzlich jene kritischen und aufklärerischen Kräfte ein, zu denen sicherlich auch Teile der SPD und USPD zu zählen waren. Diese Erkenntnis, die bereits 1920 bei der Parteilinken verbreitet gewesen war, setzte sich erst um 1930 parteiintern durch. Die Erfahrungen, die die SPD als Filmproduzent mit der Zensurwillkür bei Ins dritte Reich! machte, trugen hierzu entscheidend bei. Dann allerdings gelang es, zumindest zeitweise, allzu willkürliche Auswüchse der an der Filmzensur beteiligten Behörden in rechtsstaatliche Schranken zu weisen und eine Art Gleichgewicht zwischen den politischen Lagern zu erreichen. Der 1930 mit den konservativen Präsidialregierungen einsetzende Rollback und die Erosion der Machtstellung der SPD als einzig verbliebener demokratisch-republikanischer Partei wirkten sich jedoch auch auf die Filmzensur aus. Nach dem Verlust der Macht auf Reichsebene blieb der SPD nur die Machtstellung in Preußen, über dessen Innenministerium noch 1931 Einsprüche geltend gemacht, Revisionsverfahren eingeleitet und Gutachten in den Zensurprozess eingebracht werden konnten. Dies fand spätestens mit dem Staatsstreich am 20.7.1932 in Preußen, dem »Preußenschlag«, ein Ende. Der Zensurfall Ins dritte Reich! macht deutlich, dass ab Anfang der 1930er Jahre eine im Fall der Sachverständigen des RMI und des Auswärtigen Amtes eindeutig reaktionäre Ministerialbürokratie bereitstand, das Mittel der Filmzensur repressiv einzusetzen. Die in den beschriebenen Zensurfällen zum Ausdruck kommende Abwertung der Parteien förderte die Fiktion vom Beamten als alleinigem Sachwalter eines vermeintlich objektiven Staats- und Gesamtinteresses, die wiederum die »fiktive Trennung zwischen einer selbstverständlichen Treue- und Dienstverpflichtung zu einem abstrakten ›Staat über den Parteien‹ und einer eingeschränkten Treuepflicht gegenüber der republika-

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nisch-parteienstaatlichen Verfassungswirklichkeit« zur Folge hatte.31 Nur die parlamentarischen Kräfte in Person von demokratisch legitimierten Ministern konnten dies effektiv verhindern. Unter den Bedingungen der Präsidialregierungen ab 1930 jedoch, die der parlamentarischen Kontrolle entzogen waren, erlangte die Ministerialbürokratie größeren politischen Handlungsspielraum. Angesichts der starken Stellung der Landesregierungen und der Reichministerien im Prozess der Filmzensur konnten sich diese Kräfte schließlich voll entfalten und der eigentlich als rechtsstaatlich-kontrolliert angelegten Weimarer Filmzensur die entscheidende autoritäre Wende geben. 1) Franz Förster: Kinokritik. In: Die Neue Zeit, 26.4.1912, S. 150 ff. — 2) Hedwig Wachenheim: Filmlust und -leid (Schluß). In: Die Neue Zeit, 25.3.1923, S. 478. — 3) Bernhard Düwell: Rede vor der Nationalversammlung. Vgl: Verhandlungen der verfassunggebenden Nationalversammlung, Bd. 333, Stenographische Berichte (…), Berlin 1920, S. 5174. Zit. n. Jürgen Kinter: Arbeiterbewegung und Film (1895–1933). Hamburg: Medienpädagogik-Zentrum 1985, S. 191 f. — 4) Zum Reichslichtspielgesetz und der Zensurpraxis in der Weimarer Republik vgl. Ursula von Keitz: Filme vor Gericht. Theorie und Praxis der Filmprüfung in Deutschland 1920 bis 1938. Frankfurt/Main: Deutsches Institut für Filmkunde 1999; Christine Kopf: »Der Schein der Neutralität« – Institutionelle Filmzensur in der Weimarer Republik. In: Thomas Koebner (Hg.): Diesseits der ›Dämonischen Leinwand‹. Neue Perspektiven auf das späte Weimarer Kino. München: edition text + kritik 2003, S. 452-466. — 5) Reichslichtspielgesetz, § 1. — 6) Wolfgang Petzet: Verbotene Filme. Eine Streitschrift. Frankfurt/Main: Societäts-Verlag 1931, S. 60. — 7) Zit. in: Film-Oberprüfstelle Berlin, 12.7.1929, O.00430 (Faksimiles von Akten der berliner Filmprüfstelle sind online zugänglich unter www.difarchiv.deutschesfilminstitut.de/dt2tai01.htm bzw. www.collate.eu). — 8) Ebd. — 9) Vgl. dazu auch Hans-Michael Bock: »Brüder, zum Licht!«. Kino, Film und Arbeiterbewegung. In: Projektgruppe Arbeiterkultur (Hg.): Vorwärts – und nicht vergessen: Arbeiterkultur in Hamburg um 1930. Berlin: Frölich und Kaufmann 1982, S. 297-316. — 10) Film- und Lichtbilddienst Berlin: Mitteilungen, Januar 1931, 8 S. — 11) Bericht Erbe, RMI, I A 1460/14.1.o.V., 14.1.1931. BArch R 1501/125683, Bl. 233 f. — 12) Filmprüfstelle Berlin, 20.1.1931, B.27899; FilmprüfstelleBerlin, Protokoll der Sachverständigenanhörung, 20.1.1931, B.27899. — 13) Einspruch gegen die Entscheidung der Filmprüfstelle Berlin, 20.1.1931. BArch R 1501/125683, Bl. 247. — 14) Handschriftlicher Vermerk auf dem Bericht Erbes über den Hergang der Sitzung der Filmprüfstelle Berlin am 20.1.1931, RIM 21.1.1931. BArch R 1501/125683, Bl. 234. Ob der Vermerk von Wirth selbst, einem Staatssekretär oder einem Abteilungsleiter im RMI stammt, ließ sich nicht klären. In jedem Fall handelt es sich um eine Anweisung an Erbe. — 15) Film-Oberprüfstelle, 29.1.1931, O.01810. — 16) Kuka.: Ins dritte Reich. Die Begründung seines Verbots. In: Sozialdemokratischer Pressedienst, 2.2.1931. — 17) Ins dritte Reich. Der verbotene Film vor der Presse. In: Film-Kurier, Nr. 27, 2.2.1931. — 18) Siegfried Kracauer: Es wird weiter verboten. In: Frankfurter Zeitung, 3.2.1931. — 19) Peinliche Anfragen. In: Der Abend, 31.1.1931; Die Filmzensur und das Auswärtige Amt. In: Berliner Tageblatt, 13.2.1931. — 20) Vermerk Erbe, RIM, I A 1460/11.2. o.V., 11.2.1931. BArch R 1501/125683, Bl. 282 f. — 21) Filmprüfstelle Berlin, 7.3.1931, B.28179. BArch R 1501/125683, Bl. 289. — 22) Bericht Erbe, I A 1460/11.2.II, 10.3.1931. BArch R 1501/125683, Bl. 285. — 23) Schon am 1.12.1929 war auf einer Konferenz des Sozialistischen Kulturbunds eine bessere Organisierung der SPD- und gewerkschafts-

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nahen Prüfstellenbeisitzer angekündigt worden. Sozialistischer Kulturbund. In: Sozialistische Bildung, November 1929, S. 344. — 24) An der Verhandlung der Oberprüfstelle zu Kampf um Berlin am selben Tag nahm Erbe dagegen teil. Vgl.: Filmoberprüfstelle, 13.3.1931, O.3182. — 25) Film-Oberprüfstelle, 13.3.1931, O.2001. — 26) Heinrich Schulz: Bericht des Parteivorstandes – Reichsbildungsausschuß In: Sozialdemokratischer Parteitag in Leipzig 1931 vom 31. Mai bis 5. Juni im Volkshaus. Protokoll, Leipzig 1931 (Reprint Berlin/Bonn/Bad Godesberg 1974), S. 252 f. — 27) Film-Oberprüfstelle, 1.4.1931, O.2108. — 28) Thomas HannaDaoud: Die NSDAP und der Film bis zur Machtergreifung. Köln, Weimar, Wien: Böhlau 1996, S. 62 f. — 29) Film-Oberprüfstelle, 13.3.1931, O.1946: Abegg (PMI) an Film-Oberprüfstelle, Betr.: Widerruf eines Bildstreifens, I f 459/3/30, 26.2.1931. BArch R 1501/125683, Bl. 217. — 30) Film-Oberprüfstelle, 13.3.1931, O.1946, a.a.O. — 31) Zur Rolle der Beamtenschaft beim Ende der Weimarer Republik vgl. Rudolf Morsey: Beamtenschaft und Verwaltung zwischen Republik und »Neuem Staat«. In: Karl Dietrich Erdmann, Hagen Schulze (Hg.): Weimar: Selbstpreisgabe einer Demokratie. Düsseldorf: Droste 1984, bes. S. 154.

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Ivan Klimeš DIE LEISTUNGSSCHAU ALS TRIBUNAL Das Festival des tschechoslowakischen Films in Banská Bystrica 1959

Im Sommer 1958 beschloss die Leitung des Tschechoslowakischen Films (Èeský film), alljährlich ein Festival mit ausgewählten tschechischen und slowakischen Filmen als Forum für die Erfolge des staatlichen Filmschaffens zu veranstalten. Das Statut des Festivals verschleierte diese Funktion etwas, indem es den Arbeitscharakter der Veranstaltung in den Vordergrund stellte: »Vorrangige Aufgabe des Festivals ist die alljährliche Einschätzung des Niveaus des tschechoslowakischen Filmschaffens sowie des künstlerischen Bemühens einzelner Künstler, das Klären der Ansichten innerhalb der unterschiedlichen Sparten und das Abstecken der Aufgaben für die weitere Arbeit unserer Kinematographie.«1 Im Hinblick auf die Organisation des Èeský film handelte es sich um eine Art »Betriebsaktion«, bei der die Leitung des Tschechischen und des Slowakischen Films – und nicht ein eigens aus kompetenten Personen gebildetes und relativ unabhängiges Gremium – darüber entschied, welche Filme auf dem Festival gezeigt wurden, welche Regisseure das Festival besuchen durften und welche Werke einen Preis oder ein Ehrendiplom erhielten. Damit blieben nur zwei Auszeichnungen relativ unabhängig: der vom Klub der Filmjournalisten vergebene »Preis der tschechoslowakischen Filmkritik« und der »Publikumspreis«, der durch eine Umfrage des Zentralen Filmverleihs unter den Zuschauern ermittelt wurde. Das Festival war als Wanderveranstaltung konzipiert, die jedes Jahr in einer anderen wichtigen Stadt der Republik stattfinden sollte. Neben der regelmäßigen öffentlichen Sichtung und Bewertung des nationalen Filmschaffens sollte diese Aktion auch den Kontakt zwischen den Mitarbeitern der tschechischen und slowakischen Filmindustrie vertiefen, Begegnungen zwischen Arbeitern örtlicher Betriebe und den Bauern aus den Landwirtschaftsgenossenschaften ermöglichen und nicht zuletzt zu einer Bereicherung des kulturellen Lebens in der betreffenden Region beitragen.2 Als erster Austragungsort des Festivals war zunächst das westslowakische Heilbad Piešany im Gespräch,3 doch aus politischen Gründen fiel die Wahl dann auf eine andere Stadt im Zentrum der Slowakei. Da 1959 des 15. Jahrestags des slowakischen Nationalaufstands gegen die deutschen Besatzer im August 1944 gedacht werden sollte, war Banská Bystrica als Ausgangspunkt und Zentrum des Aufstands der symbolträchtigste Ort für eine solche Veranstaltung. Nicht

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nur diese Entscheidung belegt die starke ideologische Aufladung des Projekts, sondern auch die Wahl der letzten Februartage für die Veranstaltung des Festivals. Hierdurch wollte die verstaatlichte Filmindustrie dem »Februarsieg des werktätigen Volkes«, also dem kommunistischen Umsturz im Februar 1948, regelmäßig Ehre erweisen, wie im Entwurf zur Veranstaltung des Festivals vom 31.7.1958 betont wurde.4

Ideologischer Rahmen: Die »Vollendung der Kulturrevolution« Diese symbolische ideologische Verankerung der Veranstaltung war nicht nur irgendeine obligatorische »rhetorische Geste«. Sie verweist vielmehr auf die Einbindung des Festivals in einen größeren politischen Kontext. Die Idee einer regelmäßigen, ideologisch konzipierten Vorführung tschechoslowakischer Filme präsentierte die Leitung des Èeský film zum Abschluss des XI. Parteitags der Kommunistischen Partei (KPÈ), der vom 18.–21.6.1958 stattfand, etwa einen Monat bevor der Vorschlag zur Veranstaltung des Festivals offiziell gemacht wurde. Der Parteitag verkündete als politische Hauptaufgabe für den kommenden Zeitraum die »Vollendung des sozialistischen Aufbaus« und in diesem Rahmen auch die »Vollendung der Kulturrevolution«.5 Ein Indiz für die Einbettung des Festivals in diese Zielsetzung sind schon das ursprüngliche und später tatsächlich verwendete Motto der Veranstaltung – sowohl das noch für Piešany vorgeschlagene (»Für die Vollendung der kulturellen Revolution, für den Aufbau des Sozialismus!«) als auch das für Banská Bystrica, konkret für den Bereich Film, das eine der Phrasen aus der Rede des Ersten Sekretärs des ZK der KPÈ und Präsidenten der Republik, Antonín Novotný, zitierte (»Für eine engere Verbindung zwischen dem Filmschaffen und dem Leben der Menschen«). Der Ausdruck »Vollendung« der Kulturrevolution suggeriert, dass das Ziel schon in Sicht sei und in kurzer Zeit praktisch mit letzten Schritten erreicht werden könne. Das angebliche Erreichen dieses Ziels deklarierten dann im Grunde zwei Jahre später auch die neue, im Juli 1960 von der Nationalversammlung angenommene Verfassung und auch die neue Bezeichnung des Staates: Tschechoslowakische Sozialistische Republik (ÈSSR). Gegen Ende der 1950er Jahre beabsichtigte die Tschechoslowakei mit der KPÈ an der Spitze also – gemäß der kommunistischen Doktrin über die gesetzmäßige Entwicklung der Gesellschaft –, eine Entwicklungsetappe auf dem Weg zum Kommunismus abzuschließen. Sie folgte damit dem sowjetischen Vorbild: Der außerordentliche XXI. Parteitag der KPdSU, der Ende Januar/Anfang Februar 1959 stattfand, verkündete die Vollendung des Aufbaus des Sozialismus in der Sowjetunion und konstatierte, dass die UdSSR in die Phase des Aufbaus einer »entwickelten kommunistischen Gesellschaft« eingetreten sei. Der Apparat des ZK der KPÈ interpretierte das damalige Geschehen in der tschechoslowakischen Kultur aus dieser Perspektive als abschließende Pha-

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se der Kulturrevolution und wollte in diesem Bereich auch ein entsprechendes Resümee ziehen. Diese Einstellung zeigte sich auch an der hohen Frequenz von Ausdrücken wie »Überreste« oder »Überlebsel« in damaligen Ansprachen (z.B. »Überreste des kapitalistischen Sektors«, »Überreste antagonistischer Klassen«, »Überreste privatunternehmerischer Elemente«, »Überreste bourgeoiser Ideologie«, »Überlebsel des Kapitalismus«, »individualistische Überlebsel«, »Überlebsel kleinbürgerlichen Denkens«). So sollte auch mit rhetorischen Mitteln die These vom historischen Ende der alten kapitalistischen Ordnung zum Ausdruck gebracht werden. Das Projekt der »Vollendung des Aufbaus des Sozialismus« wie auch der »Vollendung der Kulturrevolution« bildete dann den ideologischen und politischen Rahmen des Konflikts von Banská Bystrica. Das Ziel »Vollendung der Kulturrevolution« erwies sich jedoch bald als außerordentlich unrealistisch. Die naive Vorstellung kommunistischer Propagandisten, dass sich ein jeder nach einer mehrjährigen Erziehungskur (an der das Kino einen Löwenanteil haben sollte) in einen »neuen sozialistischen Menschen« verwandeln werde – natürlich bis auf die abgeschriebenen »Überbleibsel« von Klassenfeinden –, erfüllte sich irgendwie nicht. So musste auch der »Allerhöchste«, Antonín Novotný, eingestehen: »Die Umwandlung vom kleinbürgerlichen Demokratismus zu sozialistischen Grundsätzen, wie ihn heute zahlreiche Schichten der Bevölkerung durchmachen – hauptsächlich das Kleinbürgertum und ein beachtlicher Teil der Intelligenz – ist außerordentlich schwierig«.6 Um dennoch zu demonstrieren, dass das kulturelle Umerziehungsprojekt erfolgreich umgesetzt worden sei, organisierte der Apparat des ZK der KPÈ eine massive Kampagne von Parteitagen, Konferenzen und Aktivitäten verschiedener kultureller Organisationen, die die gewünschten Erkenntnisse liefern sollten. Der Konferenz über Theaterkritik in Prag (1./2.12.1958) folgten die 1. gesamtstaatliche Konferenz über die Entwicklung der Operette in der sozialistischen Gesellschaft (17.–19.12.1958), der II. Kongress des Verbands tschechoslowakischer Komponisten (25.–28.2.1959), die Konferenz des Tschechoslowakischen Schriftstellerverbands (1./2.3.1959) und der Kongress des Verbands der Architekten. Die Konferenz tschechischer und slowakischer Mitarbeiter aus der Filmbranche, die während des Filmfestivals in Banská Bystrica stattfand, gehört ebenfalls in diese Reihe. Die gesamte Kampagne fand ihren Höhepunkt im prunkvollen »Kongress der sozialistischen Kultur«, der vom 9.–11.6.1959 in Prag unter Beteiligung einer großen Anzahl Gäste aus der ganzen Welt stattfand und auffällig an den »Kongress der nationalen Kultur« im April 1948 erinnerte. Nicht ganz zwei Monate nach dem kommunistischen Umsturz hatte dieser Kongress damals eine kulturelle Front für die Herausbildung einer neuen sozialistischen Kultur proklamiert – frei von früherem Elitarismus und dem zur Anarchie führenden Individualismus.7 Der Kongress der sozialistischen Kultur sollte dann am Vor-

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abend der »Vollendung des Aufbaus des Sozialismus« demonstrieren, wie weit die kulturelle Front in der Tschechoslowakei auf diesem Wege schon fortgeschritten war und wie fest und zielbewusst der gesamte Bereich der Kultur in diesem historischen Prozess von der Partei geleitet wurde. Diese »Festigkeit« in der Führung hatte natürlich auch ihre repressive Seite, die nicht nur im Bereich des Films, sondern auch in anderen Sphären der Kultur wie der Literatur oder dem Theater auf ideologische »Fehlentwicklungen« seit Mitte der 1950er Jahre reagierte.8

Vorgeschichte: Der Film auf ideologischen Abwegen Ab Mitte der 1950er Jahre begannen die nach dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 spürbar verunsicherten Funktionäre des Apparats des ZK der KPÈ im heimatlichen künstlerischen Schaffen Trends zu registrieren, die ihnen nur wenig Anlass zur Freude gaben. Die Künstler wollten mit aller Macht heraus aus der kulturellen Isolation der Zeit nach dem kommunistischen Umsturz und waren bestrebt, stilistische und inhaltliche Strömungen der zeitgenössischen westlichen Kultur aufzunehmen. Das hatte auch stilistisch eine Abkehr von den Prinzipien des Sozialistischen Realismus und thematisch ein Desinteresse an jenen großen Aufbauthemen zur Folge, die die KPÈ-Kulturpolitiker favorisierten. Beim Film machte sich dieser Trend in der Dramaturgie durch eine Verschiebung des Autoreninteresses vom Kollektiv zum Individuum, zum privaten Leben des Einzelnen bemerkbar. Die Darstellung des Alltäglichen anstelle historischer Epochalität veränderte dann grundlegend die Repräsentation der Wirklichkeit, die sich damit immer weiter von dem Bild entfernte, das die kommunistische Propaganda von der sozialistischen Tschechoslowakei zeichnete. In der »Tauwetter«-Atmosphäre nach dem XX. Parteitag der KPdSU tendierten die tschechoslowakischen Regisseure noch mehr zum Engegament im bürgerlichen Sinne des Wortes. Von 1956 bis zum Vorabend des Festivals in Banská Bystrica im Februar 1959 entstand eine Reihe von kritischen Filmen, die die Gegenwart problematisierten: Záøijové noci (Septembernächte, 1956, Vojtìch Jasný), Štìòata (Welpen, 1957, Ivo Novák), Škola otcù (Weil wir sie lieben, 1957, Ladislav Helge), Touha (Sehnsucht, 1958, Vojtìch Jasný), Tøi pøání (Drei Wünsche, 1958, Ján Kadár, Elmar Klos). Ausgearbeitete Drehbücher lagen zudem u.a. für Velká samota (Die große Einsamkeit, 1959, Ladislav Helge) und Probuzení (Erwachen, 1959, Jiøí Krejèík) vor. Die Parteifunktionäre des ZK der KPÈ brachten diesen Trend wiederholt in Zusammenhang mit dem II. Kongress des Verbands tschechoslowakischer Schriftsteller im April 1956, der wegen der öffentlich demonstrierten kritischen Haltung zur offiziellen Kulturpolitik zum Albtraum kommunistischer Apparatschiks wurde. Es zeigte sich immer offenkundiger, dass deren anfäng-

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Tøi pøaní (1958, Ján Kadár, Elmar Klos): Rade Markoviæ, Bohuš Záhorský, Tatjana Beljakova

liche Vorstellung von sozialistischer Kunst als Helferin bei kommunistischer Erziehung für einen großen und einflussreichen Teil der Kunst- und Kulturschaffenden schlichtweg nicht akzeptabel war. Angriffe aus der Partei auf Alternativkonzepte der gesellschaftlichen Funktion von Kunst, denen die Bildung falscher Theorien vorgeworfen wurde, änderten daran überhaupt nichts. Seine grundsätzlichen Vorstellungen vom sozialistischen Film hatte das ZK der KPÈ bereits in seiner Beschlussfassung vom April 1950 zum Ausdruck gebracht,9 im November 1959 bekräftigte Zdenìk Urban auf der Tagung der ideologischen Kommission des ZK die Gültigkeit dieses Dokuments. Wenn man jedoch den Charakter des Filmschaffens Anfang der 1950er Jahre und zu Ende der Dekade betrachtet, so ist auf den ersten Blick klar: Hatte sich die Künstlergemeinde in der Zeit nach den Februarereignissen noch den Parteiforderungen angepasst, so waren es in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts eher die Exekutoren der parteilichen Kulturpolitik, die sich den gegenläufigen Trends im Kulturbereich angepasst hatten – all ihrer resoluten Haltung, den Verboten und personellen Sanktionen zum Trotz. Die Kampagne nach dem XI. Parteitag der KPÈ, deren Bestandteil auch die Konferenz von Banská Bystrica war, und der verstärkte Druck auf die kinematografischen Strukturen waren ein Versuch, dieses Verhältnis wieder umzukehren.

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Das Filmfestival: Abstrafung statt Lobeshymnen Was als Leistungsschau und Beleg für die »Vollendung der Kulturrevolution« geplant war, geriet unter dem Eindruck der aktuellen Entwicklungen in allen kulturellen Bereichen zur umfassenden Abrechnung mit der Filmbranche, in deren Folge eine Reihe von Künstlern, Funktionären und Filmen exemplarisch stigmatisiert wurden. In Banská Bystrica trug der Minister für Schulwesen und Kultur, František Kahuda, in seinem programmatischen Eröffnungsreferat die Vorwürfe gegen die tschechoslowakischen Filmschaffenden vor und sorgte mit seiner Drohrede für einen Schock. Die künstlerische »Ernte« des Jahres 1958 war nämlich außergewöhnlich: der Science-Fiction-Film Vynález zkázy (Die Erfindung des Verderbens, Karel Zeman), Jiøí Trnkas langer Animationsfilm Sen noci svatojánské (Ein Sommernachtstraum), Vojtìch Jasnýs Touha und das experimentelle, Film und Bühnenaktionen kombinierende Theater »Laterna magika« auf der Weltausstellung Expo 58 in Brüssel – und dementsprechend hatte man in Filmkreisen Lob erwartet. Stattdessen kam eine eisige Dusche. Die personellen Konsequenzen, die das ZK nach dem Tribunal in Banská Bystrica zog, sollten dazu dienen, die »Vollendung der Kulturrevolution« vor allem durch eine energische Überordnung ideologischer Aspekte über künstlerische Fragen zu erreichen. Das kam besonders in der Umbesetzung des »Künstlerischen Rats« als beratenden Organs für den Direktor der Barrandov-Studios (FSB) zum Ausdruck (abberufene Künstler wurden vorwiegend durch Parteifunktionäre ersetzt), ebenso in dessen ostentativer Umbenennung in »Ideologisch-künstlerischer Rat«. Weitere Konsequenzen waren die Abberufung Eduard Hofmans vom Direktorenposten des FSB und seine Ersetzung durch den politisch zuverlässigen bisherigen Direktor des Filmlabors, Josef Veselý, die Ablösung des Direktors der Zentralverwaltung von Èeský film, dem Schriftsteller Jiøí Marek, durch den bewährten Verbandsfunktionär Alois Poledòák. Auf der Ebene der Filmschaffenden sollte die harte Bestrafung einiger »Hauptschuldiger« abschreckend auf alle potenziellen Nachahmer wirken. Die Schöpfer des Films Tøi pøání, Ján Kadár und Elmar Klos, erhielten ein zweijähriges Arbeitsverbot. Die Produktionsgruppe Feix–Daniel, in der dieser Film entstanden war – und weitere kritisierte Filme wie Zde jsou lvi (Hier gibt es Löwen, Václav Krška) und der satirische Kurzspielfilm Konec jasnovidce (Das Ende des Hellsehers, Vladimír Svitáèek, Ján Roháè) – wurde aufgelöst. Der Dramaturg František Daniel verließ das Studio und fand Asyl bei der FAMU. Ende April 1959 verschärfte das Politbüro des ZK der KPÈ zudem die Richtlinien für die zentrale Zensurbehörde, die Hauptverwaltung der Presseaufsicht (HSTD), die künftig neben dem eigentlichen Inhalt des Werks auch die Besetzung des Films sowie das politische Profil des Autors zu berücksichtigen hatte.10 Èeský film wurde gleichzeitig das Recht entzogen, fertiggestellte Filme eigenständig für die Distribution freizugeben – nach dem Malheur mit dem Film

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Elmar Klos, Ján Kadár bei den Dreharbeiten zu Tøi pøaní (1958)

Tøi pøání ging diese Befugnis auf eine Genehmigungskommission über, die beim Ministerium für Schulwesen und Kultur neu gegründet wurde. Mit dieser Änderung kehrte man im Prinzip zum Modell der ersten Jahre nach dem kommunistischen Umsturz zurück. Zusätzlich wurden eine ideologische Überprüfung des Dramaturgie-Plans für 1959 und eine politische Überprüfung der Mitarbeiter des Filmstudios Barrandov angeordnet (überprüft wurden insgesamt 337 Personen aus der Filmbranche bis hin zu Regieassistenten). Die drei meistkritisierten Filme – die Märchensatire Tøi pøání, das Psychodrama Zde jsou lvi und die musikalische Komödie Hvìzda jede na jih (Ein Stern fährt nach Süden) von Oldøich Lipský – wurden zusammen mit der Satire Konec jasnovidce verboten (in der zeitgenössischen Terminologie ausgedrückt: »Es wurde beschlossen, sie nicht im Kino zu spielen«) bzw. wieder aus dem Vertrieb genommen (Zde jsou lvi war bereits im August 1958 in die Kinos gekommen). Für das ZK und die HSTD-Zensoren war der erste Film ein klarer Ausdruck von Revisionismus in der Kunst, der zweite spielte dem Kleinbürgertum und dem Individualismus in die Hände und den dritten bezeichneten sie als »bürgerlichen Kitsch« und »künstlerischen Ausschuss«. Als besonders brisant aber galt die jugoslawische Dimension der ganzen Affäre. Hvìzda jede na jih entstand in tschechoslowakisch-jugoslawischer Co-Pro-

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duktion und die beiden Hauptdarsteller in Tøi pøání waren jugoslawische Schauspieler. Das erwies sich für beide Filme als verhängnisvoll. Die Projekte entstanden zu einer Zeit, als die Normalisierung mit Titos Jugoslawien noch ausklang. Im Laufe des Jahres 1958 kühlten sich die bilateralen Beziehungen jedoch stark ab, als Tito die Integration Jugoslawiens in den sowjetischen Block unter Führung Moskaus ablehnte. Den Willen, einen eigenen Weg zu gehen, dokumentierte dann die VII. Tagung des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens (BdKJ) in Ljubljana im April 1958, zu der die anderen sozialistischen Länder schon keine Parteidelegationen mehr entsandten. Die Beschlüsse der Tagung bezeichneten Partei und Regierung der Sowjetunion und der Länder des Sowjetblocks als revisionistisch. Die KPÈ beschloss daraufhin konkrete Maßnahmen gegenüber Jugoslawien, die hauptsächlich in einer Minimierung der Kontakte und einer Beschränkung des Reiseverkehrs bestanden. In diese Atmosphäre platzte Oldøich Lipský mit seiner »jugoslawischen« Sommerkomödie Hvìzda jede na jih hinein. Obwohl in Parteidokumenten der politische Hintergrund für das Verbot des Films wiederholt erwähnt wird, argumentierten die Vertreter des ZK der KPÈ und das Ministerium für Schulwesen und Kultur offiziell ausschließlich mit künstlerischen Gründen – als hätten sie den Film nur verboten, um die Zuschauer vor Kitsch zu bewahren. Aus der Ära der staatlichen Kinematografie in der Tschechoslowakei ist kein einziger Fall eines Filmverbots wegen zu niedrigen künstlerischen Niveaus bekannt, obwohl es in den 1970er Jahren geradezu eine Schwemme solcher Filme gab. Wäre Lipskýs »Stern« in den Norden, etwa an die Ostsee in der DDR, gefahren, ganz sicher hätte der Film nicht so prominent am Pranger von Banská Bystrica gestanden und wäre dort wohl überhaupt nicht negativ aufgefallen. Was die Märchensatire Tøi pøání betrifft, so enthüllte dessen Produktionsgeschichte skandalöse Lücken im Kontrollsystem. Es zeigte sich, dass die Regisseure Elmar Klos und Ján Kadár zusammen mit der Leitung von Barrandov völlig auf eigene Faust und de facto hinter dem Rücken der Zensur und des ZK-Apparats gehandelt hatten. Zur Verteidigung des Projekts benutzten sie die verschiedensten Ausreden, irreführende, beruhigende und versichernde Interpretationen (der märchenhafte Rahmen gebe den kritisierten Szenen einen völlig anderen Ton), falsche Versprechungen über ausgeführte Änderungen, zu denen es nie kam, Bagatellisierungen oder Ablenken der Aufmerksamkeit (»diskutieren wir nicht über diese Szene im Drehbuch, sie ist sowieso schon gedreht«) und sogar bewusste Lügen. So verkündete Elmar Klos gleich beim ersten Treffen der Filmmacher mit den Zensoren des HSTD am 22.5.1958 souverän, der Sekretär des ZK, Jiøí Hendrych, und die Genossen aus der IV. Abteilung des ZK der KPÈ hätten das Drehbuch genehmigt. Die verwirrten Zensoren brachen die Verhandlung ab und verlegten sie auf einen anderen Termin, um diese überraschende Information zu überprüfen und ihr Vorgehen mit dem ZK-Apparat zu koordinieren. Natürlich kam heraus, dass es sich um einen Bluff handelte, also nahm der Druck der Machtstruktur in den kommenden Wochen

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und Monaten nur zu, ohne dass es jedoch gelang, das Projekt unter Kontrolle zu bringen oder es direkt zu verhindern.11 Als dann ZK-Sekretär Jiøí Hendrych im Dezember 1958 den fertigen Film sah, war der Konflikt von Banská Bystrica perfekt.12 Mit dem Abstand der Jahre bedauerte die KPÈ-Führung diese harten Schritte. Im Zuge der kulturpolitischen Liberalisierung ab 1963 befasste sich die ideologische Kommission des ZK der KPÈ mit einer Revision der Strafmaßnahmen von Banská Bystrica. Die verbotenen Filme wurden freigegeben und erlebten 1963/64 ihre verspätete Uraufführung. Selbst in der Atmosphäre der späteren »Normalisierung« zu Beginn der 1970er Jahre nach der Niederschlagung des »Prager Frühlings« durch die Truppen des Warschauer Pakts wurde der Parteiführung noch einmal bewusst, dass sie damals einen politischen Fehler gemacht hatte. Ein Bericht von Lubomír Štrougal und Jan Fojtík an das Präsidium des ZK über den Verlauf der Konsolidierung in der Kinematografie vom März 1971 sprach im Rückblick auf die Konfliktsituation Ende der 1950er Jahre deutlich von »Korrekturmaßnahmen unangemessen repressiven Charakters« und konstatierte, dass gerade diese Maßnahmen »unter den Filmmachern negative Reaktionen hervorriefen und sie zu einer Verteidigungs- und Oppositionshaltung führten«.13 Durch die Ereignisse um Banská Bystrica war zwischen den Filmschaffenden und der kommunistischen Führung ein tiefer Graben entstanden, den diese für eine lange Zeit nicht überbrücken konnte. 1) »Za uzší sepìtí filmové tvorby se zivotem lidu«. Statut Festivalu Èeskoslovenského filmu. Filmové informace 10, 1959, Nr. 4 (28.1.), S. 17. Zur Problematik des Festivals in Banská Bystrica 1959 vgl.: Jaroslav Boèek: Banská Bystrica. Film a doba, Nr. 15, 1969, S. 356-359; Václav Macek, Jelena Paštéková: Dejiny slovenskej kinematografie. Martin: Osveta 1977, S. 157-164; Tereza Binderová: Zpráva o Banské Bystrici. I. festival ès. filmu a jeho stopa v kulturní politice. Diplomarbeit, Katedra filmových studií FF UK, Prag 2004. — 2) SFÚ NKC, nicht ausgearbeitete Fonds (Mappe Festivals); Vorschlag zum Veranstalten eines Festivals des tschechoslowakischen Films, 31.7.1958. — 3) Ebd.; Vorschlag zum Veranstalten des 1. Festivals des tschechoslowakischen Films in Piešany, nicht datiert. — 4) SFÚ NKC, Vorschlag zum Veranstalten eines Festivals des tschechoslowakischen Films, a.a.O. — 5) XI. Parteitag der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. Nová mysl 1958, Juni, Sondernummer, S. 20. — 6) Ebd., S. 49. — 7) Vgl. Sjezd národní kultury. Sbírka dokumentù. Prag: Orbis 1948 (z. B. Schlussresolution, S. 259-261). Vgl. dazu Jiøí Knapík: Únor a kultura. Sovìtizace èeské kultury 1948–1950. Prag: Libri 2004, S. 62-66; Alexej Kusák: Kultura a politika v Èeskoslovensku 1945–1956. Prag: Torst 1998, S. 264-267. — 8) J. Boèek, a.a.O., verweist hier u.a. auf die Einstellung der Zeitschrift Kvìten, personelle Veränderungen in der Leitung im Verlag tschechoslowakischer Schriftsteller, im Nationaltheater und in der Literaturzeitung Literárni novimny. — 9) Za vysokou ideovou a umìleckou úroveò èeskoslovenského filmu. Usnesení pøedsednictva Ústøedního výboru KSÈ o tvùrèích úkolech èeskoslovenského filmu. Rudé právo 30, 19.4.1950, Nr. 92, S. 1 u. 3. — 10) Archiv des Ministeriums des Innern (AMV), 318-1-5; Auszug aus der Beschlussfassung des Politbüros des ZK der KPÈ zum Bericht über die Tätigkeit der Hauptverwaltung der Presseaufsicht (HSTD), 29.4.1959. Vgl. T. Binderová, a.a.O., S. 90. — 11) Ebd., S. 140-145. —

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12) Der ausführliche Bericht Jiøí Hendrychs über die Vorgänge um Tøi pøání vom 20.1.1959 an die IV. Abteilung des ZK der KPÈ (inklusive seiner Vorschläge für Gegenmaßnahmen) ist in gekürzter Fassung im Katalogbuch zum Cinefest 2013 dokumentiert: Olaf Brill, Johannes Roschlau (Red.): Verboten! Filmzensur in Europa. Hamburg: CineGraph 2013, S. 23 ff. — 13) Dokumenty z archivu ÚV KSÈ. Iluminace 9, 1997, Nr. 1, S. 176. Das zeugt davon, dass die Führung der KPÈ zwar die Richtigkeit des eingeschlagenen Kurses nach Banská Bystrica nicht anzweifelte, jedoch die angewendeten Methoden zu dessen Durchsetzung im Nachhinein als politisch verfehlt einschätzte.

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Ralf Schenk DIE FALKEN UND DIE TAUBEN Skizzen zu Vorfeld und Nachwirkungen des SED-Verbotsplenums im Dezember 1965

»Während des 11. Plenums im Dezember 1965 verbot die SED fast eine ganze Jahresproduktion der DEFA.« Dieser Satz geht heute flott von der Zunge, bezeichnet den Täter – »Die Partei« – und die Opfer – »Die Künstler« – und vereinfacht das Geschehen damit auf eine fast schon unzulässige Weise. Die Realität jedenfalls war, wie so oft, komplizierter. Waren viele Filmmacher, die von diesem Autodafé betroffen waren, nicht selbst Mitglieder der SED? Verboten sie sich also ihre eigene Sicht auf die Wirklichkeit, das eigene Denken? Hatten sich nicht auch Parteifunktionäre, bis in die höchsten Kreise der SED-Nomenklatura, für die verbotenen Filme stark gemacht, hatten sie ermutigt, in die Produktionspläne aufgenommen, die Dreharbeiten erlaubt? Auf dem 11. Plenum des Zentralkomitees der SED, das vom 16. bis 18.12.1965 in Ost-Berlin stattfand, standen zunächst zwei Filme am Pranger: Das Kaninchen bin ich (1964/65, Kurt Maetzig) und Denk bloß nicht, ich heule (1964/65, Frank Vogel). Die anderen zehn, die schließlich nicht in die Öffentlichkeit kamen, wurden – und das ist wichtig – einem zähen, über Monate dauernden Ringen, auch einem Ringen um ihre »Rettung« unterworfen, an dem ebenfalls Parteifunktionäre beteiligt waren, auf beiden Seiten, bei den Richtern und den potenziellen Rettern. Wir sehen: Dieser Satz – »Die Partei verbot auf dem 11. Plenum eine Jahresproduktion der DEFA« – ist in jeder Hinsicht ungenau. Um der Wahrheit auf die Spur zu kommen, müssen wir tiefer in die politischen und kulturpolitischen Prozesse der frühen 1960er Jahre hineinleuchten, in die Atmosphäre jener Zeit. Nur so kann es gelingen, begreifbar zu machen, wieso eine staatlich gelenkte, relativ strikt reglementierte Filmproduktion erst ein Dutzend Filme zu drehen erlaubt – und sie nur wenige Monate später in den Tresor verbannt.

Wer war »Die Partei«? Auf jeden Fall kein fest gefügter Betonblock, keine homogene Masse. Zur Partei gehörten Alte und Junge, Stalinisten und Reformer, Konservative und Liberale; solche, die den Kommunismus strikt nach den Prinzipien einer reinen Lehre pflegten, und solche, die darauf pochten, dass sich die Revolution ständig selbst befragen und erneuern müsse. Die Fronten waren bisweilen

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durchlässig, es gab Wechsel von der einen zur anderen Fraktion und wieder zurück. An der Spitze der SED stand, in den Jahren nach dem Mauerbau, Walter Ulbricht, der viel bespöttelte sächsische Möbeltischler mit der hohen Fistelstimme, den manche Historiker trotz allem als einen der wichtigsten deutschen Politiker in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bezeichneten: »Der erfolgreichste deutsche Politiker seit Bismarck«,1 schrieb Sebastian Haffner Mitte der 1960er Jahre. Ulbricht begann nach dem Mauerbau, die Wirtschaftsstruktur der DDR zu modernisieren. So wie es in den 1950ern war, den stalinistischen Prinzipien von Befehl und Gehorsam entsprechend, sollte es nicht mehr sein. Fort von der strikt zentralisierten Kommandowirtschaft hin zu selbständigen ökonomischen Einheiten, deren Erfolg auch am Gewinn gemessen werden musste. Das Experiment erhielt den Namen »Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft«, kurz: NÖSPL. Der Historiker Mario Frank resümiert zur »Ulbricht-Reform«: »Erste Erfolge zeigten sich schnell. (…) Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, Konsumgütern und Dienstleistungen verbesserte sich spürbar. (…) Alles in allem war das von Ulbricht durchgesetzte Neue Ökonomische System ein Schritt zur ›sozialistischen Marktwirtschaft‹. Es war Basis und Motor für das ›rote Wirtschaftswunder‹ in der DDR der sechziger Jahre.«2 Das »rote Wirtschaftswunder« war verbunden mit einer neuen Jugendpolitik. Ein SED-Jugendkommuniqué wurde entworfen, das der Generation, die in den Sozialismus hineinwuchs, mehr Freiräume gab. Als einstige Jugendfunktionäre und nunmehrige Politbüro-Mitglieder wie Erich Honecker und Paul Verner dagegen opponierten, erwiderte ihnen Ulbricht: »Es geht nur so: Probleme aufreißen! Und wenn diese Probleme nicht schmerzen, hat es gar keinen Sinn, darüber zu reden. Es muß völlig klar sein: Es geht um eine tiefe Wende und nicht um eine Reparatur!«3 Vor allem jüngere Künstler sehen die Chance gekommen, ihre Probleme in und mit der Gesellschaft offenzulegen, direkt, auch frech, die Fesseln der Zögerlichkeit mehr und mehr abwerfend. In der Literatur sind das u.a. Christa Wolf, Werner Bräunig, Brigitte Reimann, Erwin Strittmatter, Peter Hacks, Volker Braun, Heiner Müller, Kurt Bartsch, Sarah und Rainer Kirsch, Bernd Jentzsch, dazu Wolf Biermann sowie die Älteren Stefan Heym und Stephan Hermlin. Volker Braun stellt, in einer legendären Lesung in der ost-berliner Akademie der Künste4, das Gedicht »Kommt uns nicht mit Fertigem!« vor, eine Art sozialistischer Sturm und Drang, von Maâkovskij und Evtušenko inspiriert: »Kommt uns nicht mit Fertigem! Wir brauchen Halbfabrikate. Weg mit dem Rehbraten! Her mit dem Wald und dem Messer! Hier herrscht das Experiment und keine steife Routine. Für uns sind die Rezepte noch nicht ausgeschrieben, mein Herr. Das Leben ist kein Bilderbuch mehr, Mister, und keine peinliche Partitur, Fräulein,

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Nix zum Herunterdudeln! Hier wird ab sofort Denken verlangt! Raus aus den Sesseln, Jungs! Feldbett – meinetwegen. Nicht so feierlich, Genossen, das Denken will heitere Stirnen! (…) Hier wird Neuland gegraben und Neuhimmel angeschnitten – Alles Alte ist verdächtig: her, Kontrollposten Jugend! Hier ist der Staat für Anfänger – Halbfabrikat auf Lebenszeit!«5 Was der 23-jährige Braun und der knapp 70-jährige Ulbricht einfordern, ist das Zurückdrängen der administrativen Hierarchien – Fesseln am Fuß der Gesellschaft – und ein Vertrauen in die Jungen, die mit eigener Weltsicht und Erfahrung gestalterisch in das modernisierungsbedürftige Gemeinwesen DDR eingreifen wollen. Es geht ihnen, wohlgemerkt, keineswegs um eine Abschaffung des Sozialismus, sondern um dessen Humanisierung, eine Besinnung auf die Ideale der Revolution in der Praxis, ein Nachsinnen über deren Zukunftsfähigkeit. Im Kopf der jungen Dichter gehen, wie der Publizist Friedrich Dieckmann später schreibt, »fromme und unfromme, glaubensvolle und ketzerische Denkart« in eins.6 Sie sind solidarisch mit dem Land, in dem sie leben und dem sie mehr Recht auf die Zukunft einräumen als der Fortschreibung alter Machtverhältnisse und sozialer Privilegien, wie sie sich im westlichen Deutschland, unter der Kanzlerschaft eines greisen Konrad Adenauer, vollzogen hatte. Diesem Geist sind auch viele Filmmacher verpflichtet und viele von ihnen sind SED-Mitglieder, die darum ringen, sich und ihre Partei, dieses Abstraktum, in politische und ideologische Übereinstimmung zu bringen, somit die Zustände »zu bessern und zu bekehren« (Goethe). Aus diesem Geist entstehen Beschreibung eines Sommers (1962, Ralf Kirsten) und Der geteilte Himmel (1963/ 64, Konrad Wolf), Lots Weib (1964/65, Egon Günther) und Der Frühling braucht Zeit (1965, Günther Stahnke), Das Kaninchen bin ich (1964/65, Kurt Maetzig), Berlin um die Ecke (1965, Gerhard Klein) und Spur der Steine (1965/66, Frank Beyer). Und nicht zu vergessen: Alle diese Filme gehen, bevor sie Filme werden, über die Schreibtische der DEFA-Dramaturgen, des Studiodirektors Joachim Mückenberger und des Filmministers Günter Witt. Wer aber sind nun »Die Täter«, die Zensoren, die Exekutoren des filmpolitischen Kahlschlags? Richtig ist nicht: »Die Partei«, sondern: deren radikal stalinistischer Flügel, angeführt von Erich Honecker, Kurt Hager, Paul Verner, die, sofern sie nicht vorher gestorben waren, dann bis zum Herbst 1989 die Macht in der DDR innehatten. Woraus auch erklärbar wird, warum die meisten der verbotenen DEFA-Filme bis zur friedlichen Revolution nie mehr zu sehen waren. Honecker, Hager und Co. verfuhren nach dem Motto: Was nicht zu sehen ist, ist nicht gewesen, was verdrängt wird, hat es nie gegeben. Ein törichter Schluss, ein in letzter Konsequenz tödlicher Irrtum. Ulbricht übrigens, der Reformer, weiß spätestens im Herbst 1965, dass ihm ein neuer scharfer Wind entgegenweht, nicht nur im eigenen Haus, sondern vor allem aus dem moskauer Kreml: Seine Wirtschafts- und Gesellschaftsreformen

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Filmmuseum Potsdam / ©DEFA-Stiftung/Jörg Erkens

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Denk bloß nicht, ich heule (1964/65, Frank Vogel): Herbert Köfer, Peter Reusse

kollidieren mit den Ansichten der neuen führenden Genossen in der UdSSR. Der seit 1964 amtierende Parteichef der KPdSU, Leonid Breznev, der seinen Vorgänger Nikita Hrušev (Chruschtschov) in die Wüste geschickt hat, kassiert dessen liberale Ansätze gleich mit. Und Ulbricht, der seine Macht um jeden Preis behalten will, duckt sich und stellt sich im Prinzip gegen sich selbst. Schon während des 11. Plenums und erst recht danach. In einem »Offenen Brief« an Kurt Maetzig, der am 23.1.1966, einen Monat nach dem Plenum, im Parteiorgan Neues Deutschland veröffentlicht wird, macht er sich komplett die Denkungsart der Hardliner zu eigen und verurteilt die liberalen Aufbrüche in der Kunst erbarmungslos: »Manche Künstler genießen heute den Zweifel an allem wie Rauschgift. (…) Als einige Studentengruppen widerliche Exzesse begingen, und als einige Jugendliche, von westlicher Kellerkultur beeinflusst, aufhörten, sich zu waschen, kamen ernste Proteste aus der Bevölkerung. (…) Glauben die Künstler, mit krassem Naturalismus, faktografischer Aneinanderreihung negativer Verhaltensweisen, gemischt mit grobem Sexualismus eine sozialistische Kunst schaffen zu können?«7 Wie hatte er noch zwei Jahre zuvor beschworen: »Und wenn diese Probleme nicht schmerzen, hat es gar keinen Sinn, darüber zu reden.« – Vorbei, vergessen. Dem Frühling wird keine Zeit mehr zugestanden.

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Die Denunzianten sind unter uns Viele DEFA-Künstler wussten nach dem 11. Plenum nicht, wie ihnen geschah. Sie begannen, die Fehler bei sich selbst zu suchen. Manche glaubten, durch Schnitte an ihren neuen Filmen noch retten zu können, was nicht mehr zu retten war. Sie hatten den tiefen Riss, der durch die Gesellschaft und auch durch die Partei ging, noch längst nicht in seinen ganzen furchtbaren Dimensionen begriffen. Sie ließen – auch weil sie ihre auf die Gesellschaft bezogenen Träume und Hoffnungen dann vollkommen hätten in Frage stellen müssen – den Gedanken nicht zu, dass viele jener Antifaschisten und Remigranten, die 1945 begonnen hatten, im deutschen Osten ein »neues Deutschland« aufzubauen, zugleich finsterste Doktrinäre waren, Exekutoren des stalinistischen Zwangsapparats, Zeitzeugen und bisweilen auch Mitwirkende verheerender Säuberungswellen in der eigenen Partei. Und dass hinter ihnen die sowjetische Besatzungsmacht stand, mit Panzern und Gewehren, an allen Ecken und Enden des Landes. Über die damit verbundenen existenziellen Konsequenzen in der DDR öffentlich zu reflektieren, wagte erst Frank Beyer, und auch erst im November 1989, bei der Pressekonferenz zur Wiederaufführung seines Verbotsfilms Spur der Steine.8 Wolf Biermann, der Wirkungen und Ursachen schon lange vorher thematisiert hatte, war 1976 ausgebürgert worden. Und Wolfgang Leonhard, Hermann Weber, Gerhard Zwerenz? An ihnen klebte der Makel des Verrats. Jeder für sich eine Persona non grata. Die Revolution hatte ihre kritischsten Kinder in den Orkus des Vergessens verbannt. In der Beurteilung von Wegen und Zielen, wie es mit der DDR und ihrer Kunst weitergehen sollte, waren auch die Filmschaffenden der DEFA keineswegs von gleicher Denkungsart. Wie unter den Politikern gab es Fraktionen. Mehr oder weniger offenkundige Rebellen, Mitläufer auf der einen und anderen Seite, Opportunisten – und auch tiefgläubige Konservative, die den politischen Hardlinern willig zuarbeiteten. Es gab sogar solche, die ihnen die Liste der abzuschlagenden Köpfe auf silbernem Tablett servierten. Auch Künstler wurden zu »Mittätern« der Inquisition. So schrieben die prominenten Dokumentaristen Annelie und Andrew Thorndike am 2.12.1965, rund drei Wochen vor dem 11. Plenum, einen 24-seitigen, als vertraulich deklarierten Brief aus dem Winterurlaub im thüringischen Oberhof an Kurt Hager, Mitglied des Politbüros des ZK der SED. Der Brief trug die Überschrift: »Einige Bemerkungen zur Lage in der DEFA«.9 Hager erkannte den Sprengsatz, der ihm ins Haus geschickt worden war, zögerte nicht und verschickte ihn schon am 8.12. als »persönliche Verschlußsache« an alle Mitglieder und Kandidaten des Politbüros. Es war für ihn ein gefundenes Fressen, Munition für das bevorstehende Autodafé. Um das Klima der Zeit begreiflich werden zu lassen, lohnt es sich, etwas ausführlicher aus diesem Brief zu zitieren. Bereits in der Präambel weisen die Thorndikes darauf hin, dass es sich um den Versuch handle, »negative Erscheinungen und Tendenzen im Filmwesen dar-

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zustellen, ihre Ursachen aufzudecken und Verbesserungsvorschläge zu machen«. Die Autoren gliedern ihr Pamphlet in die Abschnitte Filmschaffende (Regisseure und Autoren), Leitende Organe (Studioleitung, Staatliche Leitung, Parteiapparat), Filmwissenschaft und Filmhochschule sowie Filmclubs. Und alle bekommen ihre Prügel. Zunächst konstatieren die Thorndikes eine allgemeine Ratlosigkeit angesichts der politischen Entwicklungen der vergangenen Jahre: »Nicht wenige Schriftsteller, Regisseure, Filmwissenschaftler, aber auch Funktionäre in den Studioleitungen, im Staats- und Parteiapparat kamen mit dem, was die letzten 10 Jahre an Überraschungen, an Neuzudurchdenkendem brachten, nicht klar. Gemeint sind solche Ereignisse und Entwicklungstendenzen wie der XX. und XXII. Parteitag der KPdSU; die Ereignisse des Jahres 1956 in Polen und Ungarn; die Differenzen zwischen den Kommunistischen Parteien der Sowjetunion und Chinas; unterschiedliche Auffassungen zwischen den kommunistischen Bruderparteien, namentlich auf ideologischem, philosophischem und ästhetischem Gebiet. Auch (…) die Ereignisse des 13. August 1961 auf der einen Seite und die Intensivierung der Einflußnahme der imperialistischen Staaten (besonders Westdeutschland) auf uns und unsere sozialistischen Nachbarn auf der anderen Seite – all das trug dazu bei, daß so mancher im Filmwesen den Überblick verlor und Positionen bezog, von denen aus jene Filme, die gegenwärtig Besorgnis erregen müssen, verständlich werden.« Aus diesen Irritationen würden Thesen abgeleitet wie: »Eine Hauptaufgabe der Kunst sei es, die von der Partei und Regierung begangenen oder zugelassenen Fehler aufzudecken und dadurch die Entwicklung voranzutreiben. (…) Um diese kritische Funktion der Kunst lösen zu können, müsse der Filmschaffende mit dem Publikum ›intim‹ sein; er müsse ›hautnah‹ Filme machen. – Wie solche nichtdoktrinären, nichtkonservativen künstlerisch neuartigen Filme zu machen seien, könnte man vor allem bei den Meisterregisseuren der westlichen Welt lernen: Fellini, Antonioni usw. Die Werke dieser Regisseure müßten unsere ideellen und ästhetischen Vorbilder sein, denn unserem Gefühlsleben nach gehörten wir Deutsche völlig zur ›westlichen Welt‹. – Die Kunst sei ausschließlich Angelegenheit der Künstler. Hier hätten der Staat und die Partei und die Beauftragten des Staates und der Partei nicht mitzusprechen. Es sei übergenug bewiesen, daß diese Stellen ungeeignet seien, Filme zu fördern, die die Massen wollen.« Als einen jener Künstler, die diese Auffassung vertreten, nennen die Thorndikes »einen so talentierten Kollegen wie Frank Beyer«. Angesichts solcher weit verbreiteter Ansichten empfinden sie es als katastrophal, wie sich die staatlichen Leitungen der DEFA und der Hauptverwaltung Film verhielten. »Nichts wurde – und wird noch – von ihnen mehr gefürchtet, als in den Ruf zu kommen, dogmatisch zu sein oder konservativ oder irgendwie ›eng‹. Ihre Angst vor einem solchen Ruf war bald so groß, daß sie nicht mehr leiteten, sondern Spielbälle in den Händen jener waren, die sie anleiten sollten.« Namentlich aufgeführt werden Günter Witt als Leiter der HV Film und

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Joachim Mückenberger als Direktor des Spielfilmstudios – neue Besen, die gut kehren, aber: »Sie kehrten mit eben soviel Elan, bester Absicht, ungebrochener Energie wie mit mangelnder Sachkenntnis.« Besonders kritisch sehen die Thorndikes den zunehmenden Verzicht auf eine zentrale Leitung und Kontrolle, das Delegieren der Verantwortung in die nach 1961 geschaffenen »Künstlerischen Arbeitsgruppen«, mit Regisseuren, Autoren, Dramaturgen – also tatsächlich: Künstlern, nicht: Funktionären – an der Spitze. Ja, auch die DEFA hatte begonnen, das Ulbrichtsche »Neue Ökonomische System der Planung und Leitung« praktisch umzusetzen. Mit mehr Freiheiten für die Stoffentwicklung bis hin zur Drehreife. Ein Versuch, Gleichgesinnte zueinander zu bringen und innerhalb des Studios für Wettbewerb zu sorgen. Für die Thorndikes aber: das Einfallstor des Revisionismus. Zutiefst beunruhigend sei, was Absolventen der babelsberger Filmhochschule in die DEFA-Studios mitbrächten: »Im Dokumentarfilmstudio, in welchem wir arbeiten, sind nahezu alle Regisseure, die Anlaß zu Sorgen bieten (…), Absolventen der Filmhochschule (…), fast alle total verkorkst: politisch von einer grenzenlosen Naivität und Halbbildung, ideologisch verkümmert, ästhetisch nahezu durchweg im Banne westlicher Auffassungen. Zu glauben, diese Absolventen wären junge Kommunisten, die in sich den Drang fühlen, mit der ihnen anvertrauten Waffe Filmkunst die Welt verändern zu wollen oder gar das Ideengut des Marxismus zu verbreiten und mit Hilfe dieser Lehre Einfluß auf das Bewußtsein der Massen zu nehmen, wäre gewißlich eine Fehleinschätzung.« Als Wurzel allen Übels an der Filmhochschule gilt ihnen eine Frau, die als Leiterin der Abteilung Filmtheorie und Spielfilm im Institut für Filmwissenschaft wesentlich Einfluss auf die Studenten nimmt: Christiane Mückenberger, die Frau des Spielfilmdirektors, »tobt, wenn bei uns bestimmte tschechische oder ungarische Filme nicht zugelassen werden. Sie schimpft auf die Kulturpolitik unserer Partei; sie hält die Kulturabteilung10 für das Grundübel und spricht ihr das Recht auf Mitsprache ab. Sie hat sich in einen Haß hineingesteigert, der ihr Kontrolle und Vernunft raubt, so daß sie über Funktionäre spricht, als handle es sich um Klassenfeinde.« Zudem erweise sie sich als ausgesprochene Verfechterin von Das Kaninchen bin ich und beschwöre alle, »wie ein Mann« zusammenzustehen, um den Film gegen alle Anfeindungen zu verteidigen. In diesem Ton geht es fort, mit Invektiven gegen Filmwissenschaftler (Heinz Baumert, Konrad Schwalbe), Kritiker (Fred Gehler, Margit Voss) und Autoren (Manfred Bieler) bis hin zum Resümee, das Schlimme an der gegenwärtigen Lage sei, »daß sich viele Filmschaffende – darunter nicht wenige von Rang und Namen, wie Konrad Wolf, Frank Beyer und Kurt Maetzig – in einer ausgesprochenen Kontrastellung gegenüber dem Partei- und Staatsapparat befinden«. Um dem zu begegnen, müsse in den Künstlerischen Arbeitsgruppen »eine Atmosphäre geschaffen werden, in der die wahrhaft progressiven sozialistischen Künstler den Ton angeben und jene, die jetzt von ihren falschen Positionen

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Filmmuseum Potsdam / ©DEFA-Stiftung/Eberhard Daßdorf

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Karla (1965, Herrmann Zschoche): Hans Hardt-Hardtloff, Jutta Hoffmann

nicht abrücken wollen, isoliert werden«. Schließlich berufen sich die Thorndikes sogar auf Brecht: »Als man sich einmal bei Brecht in einer Besprechung über die Unzulänglichkeit einiger Regisseure in der Republik beklagte, sagte Brecht: ›Weg mit ihnen!‹ – ›Man kann sie doch nicht auf die Straße setzen, Brecht‹, gab ein ›Versöhnler‹ zu bedenken. ›Man kann‹, sagte Brecht, ›unsere Straße ist nicht schlecht.‹« Bleibt daran zu erinnern, dass in den Monaten nach dem 11. Plenum sowohl die Regisseure Beyer und Stahnke ihre Arbeit ebenso verlieren wie Joachim Mückenberger, der Arbeitsgruppenleiter und vormalige Chefdramaturg Klaus Wischnewski, der Parteisekretär Werner Kühn, Filmminister Witt und der Kulturminister Hans Bentzien. Aus der babelsberger Filmhochschule werden »entfernt«: Christiane Mückenberger, Heinz Baumert, Günther Dahlke. Dazu Wolfgang Kohlhaase 25 Jahre später: »Es sind ja nicht nur Filme nicht herausgekommen, es sind auch Motivationen abgebaut worden in betroffenen Leuten. Manche haben sie wieder aufgebaut, andere haben Fragen, die nie völlig zu Ende besprochen worden sind, weiter mit sich herumgetragen.«11 Und manche haben resigniert. Die Künstlerischen Arbeitsgruppen der DEFA verlieren im Laufe des Jahres 1966 ihre Teilautonomie und werden zu kontrollierten Dramaturgengruppen

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mit weitaus weniger Gestaltungsspielraum umfunktioniert. Die Arbeitsgruppe »Heinrich Greif«, in der einige der wesentlichsten Verbotsfilme entwickelt worden waren, wird gleich ganz aufgelöst. Annelie und Andrew Thorndike aber dürfen 1967 ihre eigenständige »Künstlerische Arbeitsgruppe 67« etablieren und an ihrem millionenschweren 70mm-Dokumentarfilm »Die Deutschen« (später: Du bist min. Ein deutsches Tagebuch, 1968/69) weiterarbeiten.

Wie hätte es weitergehen können? Anstelle der rund 20 geplanten DEFA-Spielfilme erscheinen und bleiben auch im Kino u.a. Josef Machs Die Söhne der grossen Bärin – der erste Indianerfilm der DEFA –, ein Zirkus-, ein Musik- und ein Kriminalfilm sowie drei Kinderfilme, von denen einer, Konrad Petzolds Alfons Zitterbacke, aus ideologischen Gründen so stark gekürzt werden muss, dass der Regisseur sich weigert, seinen Namen im Vorspann erscheinen zu lassen – im Grunde auch ein »Opfer« des 11. Plenums. Spur der Steine, mit dem sich die DEFA bei »Der Partei« (bei welchem Teil der Partei?) rehabilitieren wollte, wird im Juli 1966 nach wenigen Tagen Laufzeit und organisierten Protesten der »Arbeiterklasse« ebenfalls »zurückgezogen«.12 Auch Gerhard Klein und Kohlhaase, die glauben, ihr Berlin um die Ecke käme einigermaßen unbeschadet davon – schließlich ging es hier um junge Arbeiter und ihren Reifeprozess in der Gesellschaft – sehen sich plötzlich ebenso am Pranger wie viele ihre Kollegen. Aber was heißt: am Pranger? In der Öffentlichkeit bleiben die Geschehnisse weithin unbeachtet. Die meisten Filme sterben einen leisen Tod bereits im Studio, werden dort in der Endphase gestoppt, gar nicht mehr zur staatlichen Abnahme eingereicht: eine Mischung aus Angst, Vorsicht, vorauseilendem Gehorsam und der Befolgung von Hinweisen, die sich aus internen Gutachten von Mitarbeitern der HV Film und der Kulturabteilung des ZK der SED ergeben. Die aufmerksamen Leser der Publikumszeitschrift Filmspiegel mochten sich zwar darüber wundern, dass DEFA-Filme in Meldungen oder Bildberichten kurz angekündigt worden waren, dann aber nie das Licht der Leinwand erblickten. Doch die Einzigen, die sich – neben den betroffenen Künstlern – wirklich darüber erregen, sind die weit über 2000 Studioangestellten aus dem nichtkünstlerischen Bereich, die Bauleute, Tischler, Stukkateure, Beleuchter, Tonmannschaften, die um ihre Jahresendprämie fürchten. Solidarität zwischen ihnen und den Künstlern ist Mangelware; Frank Vogel bringt es später auf den Punkt: »Die Intellektuellen blieben mit ihren Vorstellungen allein, ja die alte Intellektuellenfeindlichkeit wurde wieder mobilisiert. Von den 2000 DEFA-Mitarbeitern hat damals nicht einer gesagt: ›Laßt uns doch die Filme wenigstens einmal ansehen, die verboten werden sollen.‹ Da hieß es nur: ›Die Künstler, diese Spinner, haben uns um die Planerfüllung, um die Jahres-

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prämien gebracht. Was kann ich dafür, daß der Drehbuchautor so freche Dialoge schreibt!‹«13 Insgesamt bleiben 1965/66 zwölf Spielfilme auf der Strecke: Das Kaninchen bin ich, Denk bloß nicht, ich heule, Der Frühling braucht Zeit (nach wenigen Tagen Laufzeit im Dezember 1965 zurückgezogen), Spur der Steine, Karla (Herrmann Zschoche), Fräulein Schmetterling (Kurt Barthel), Der verlorene Engel (Ralf Kirsten), Berlin um die Ecke, Wenn du groß bist, lieber Adam (Egon Günther), Hände hoch – oder ich schieße! (Hans-Joachim Kasprzik), Jahrgang 45 (Jürgen Böttcher) und die Co-Produktion mit der Filmhochschule Babelsberg Ritter des Regens (Egon Schlegel, Dieter Roth).14 Übrigens auch eine hohe Trefferzahl spannender ästhetischer Versuchsanordnungen, ein Beleg für die zunehmende Modernität des DDR-Kinos. Die neu installierte DEFA-Leitung, allen voran der filmfremde Direktor Franz Bruk, hatte zuzusehen, dass die Welle verbotener und abgebrochener Produktionen nicht in eine Atmosphäre der Resignation mündete. Seine einzige Chance: Den Leuten mussten neue Projekte ermöglicht werden. Ein durchaus nicht unkompliziertes Unterfangen, denn zahlreiche Stoffe, die in verschiedenen Entwicklungsphasen vorlagen, waren nach dem Kahlschlag obsolet geworden. Spielen wir für einen Moment das Spiel mit dem Unbekannten und fragen nach dem, was vor dem 11. Plenum noch in den Plänen stand, danach aber aufgegeben wurde. Werfen wir einen Blick auf einige nicht realisierte Projekte der DEFA 1966/67 – und spekulieren darüber, wie es mit dem DDR-Spielfilm ohne den existenziellen Einschnitt hätte weitergehen können. Fragen wir danach, welche Schwerpunkte gesetzt wurden, ob der politische und teilweise auch ästhetische Wagemut des »verbotenen Jahrgangs« eine Fortsetzung erfahren hätte. (Natürlich ist zu beachten, dass verschiedene Projekte später auch aus künstlerischen, finanziellen oder logistischen, nicht primär nur aus politischen Gründen abgebrochen wurden. Nicht an jeder »Ausbuchung« waren das 11. Plenum und seine politisch-ideologischen Nachwehen schuld.) Tatsache ist: Parallel zu Spur der Steine, Karla oder Berlin um die Ecke dachte die DEFA über weitere Filme nach, die Geschichte und Gegenwart der DDR kritisch, auf jeden Fall aus ungewöhnlicher Perspektive beleuchteten. Rainer Simon, Absolvent der Deutschen Hochschule für Filmkunst, wollte 1966 mit einer Adaptation von Horst Bastians Roman »Die Moral der Banditen« debütieren; Gegenstand waren die Abenteuer 12- bis 14-jähriger Jugendlicher, wie sie der Krieg ausgespuckt hatte, und die nun eine Anarcho-Bande bildeten, um Ärmeren zu helfen und sich an den aus ihrer Sicht Bösen zu rächen: ein harter, ungeschönter Stoff zu Fragen von Recht und Unrecht. Das Projekt wurde kurz vor Drehbeginn gestoppt. Stefan Heym war 1965 von der DEFA gebeten worden, seine Erzählung »Ein sehr guter zweiter Mann« für den Film zu bearbeiten: Noch im März 1966 legte er eine erste Szenariums-Fassung vor; sie blieb unbeantwortet. Hauptfigur

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war ein »talentierter Ingenieur, der in der Dritten Welt Brücken und Talsperren baut. Die Bauleitung überträgt man bald einem charakterschwachen, zu Hause weggelobtem unfähigen Dummkopf. Der nennt den Ingenieur bald seinen ›sehr guten zweiten Mann‹ und behandelt ihn auch so. (…) (Der Film) endet mit der standardisierten Rede des neuen Chefs zur Einweihung des nächsten Bauwerks, das in Wahrheit allein dem anderen zu danken ist.«15 Als Regisseur war Ralf Kirsten vorgesehen, der mit Beschreibung eines Sommers eine Art frühen Tauwetter-Film vorgelegt hatte und dessen Ernst Barlach-Studie Der verlorene Engel im Sommer 1966 verboten wurde – der einzige historische Film unter den Verboten nach dem 11. Plenum: die Geschichte von Kunstvernichtung und Künstlerverfolgung während der NS-Zeit, in der aufmerksame DDR-»Zensoren« Parallelen zu ihrem eigenen Tun zu erkennen glaubten. Mit dem Stoff von Stefan Heym war freilich gar nichts mehr zu machen: »Auf dem Studio lastete der Vorwurf der Parteifeindlichkeit. Da war nicht die Spur einer Chance für einen solchen Stoff. Die Verunsicherung war total.«16 Im Oktober 1966, am Ende der Verbotswelle, wurde die Weiterarbeit an dem Projekt »Frau Flinz« nach dem Schauspiel von Helmut Baierl gestoppt (vorgesehener Regisseur: Egon Günther). Die Titelfigur, eine Landarbeiterfrau und Soldatenwitwe aus dem Böhmischen, kollidierte auf ganz eigene Weise mit der neuen Gesellschaft und kam erst nach langen Umwegen in ihr an; überliefert ist ein Ablehnungsprotokoll, in dem das Totschlagargument benutzt wird, hier sei die Dialektik zwischen Partei und Masse falsch erfasst: »Nach den Erfahrungen um Spur der Steine ist die Verfilmung politisch falsch, denn in der gegenwärtigen Etappe übernimmt die Kunst eine prinzipiell neue Aufgabe als Planer und Leiter gesellschaftlicher Prozesse. Es geht um die Unterordnung unter die Führung der Partei als einzig möglichen Weg der weiteren Entwicklung. Gefährliche Experimente um die Frage Spontaneität und Bewußtheit dürfen nicht gemacht werden.«17 Noch im Dezember 1965 starb das Projekt »Der untadelige Zeuge« (Heinz Thiel) über die Verfilzung von Kleinstadthonoratioren, die nach einem Todesfall, in den einer von ihnen verstrickt ist, nichts Eiligeres zu tun haben, als alles zu vertuschen und zu verleugnen. Erste Vorabaufnahmen waren schon gedreht; das Team stand in den Startlöchern; am Morgen nach dem 11. Plenum kam das plötzliche Aus. Was 1965 ein aktuelles Sittenbild der Gegenwart hätte werden können, wurde 1988, als der Stoff wieder ausgegraben und endlich verfilmt werden durfte (Die Beteiligten, Horst E. Brandt), zu einer zwar retrospektiven, aber noch immer sehenswerten Milieustudie aus der DDR-Provinz.18 Nicht weitergearbeitet wurde an groß angelegten Roman-Adaptationen wie »Die Entscheidung« nach Anna Seghers (Günther Stahnke), »Haus unterm Regen« nach Herbert Nachbar (Frank Vogel) und auch nicht am Lustspiel »Schornsteinfeger und Wetterfahnen«, einer Co-Produktion mit der ÈSSR, bei der Vojtìch Jasný (Az pøijde kocour, 1963) Regie führen wollte und von der es

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im Produktionsplan noch hieß: »Es handelt sich um eine phantastische satirische Komödie, die sich für saubere menschliche Haltung und Gefühle, Einfachheit und Ehrlichkeit einsetzt und bissig gegen karrieristische Geschäftigkeit, Opportunismus und Kollektivität als Phrase einsetzt.«19 Auf der Strecke blieben Stoffe, die hinter die Schlagworte der sozialistischen Agitation blickten: »Sigrid Voss« von Helmut Sakowski (Heiner Carow oder Kurt Tetzlaff) über eine alleinerziehende Frau, die nach ihrem Glück sucht; »Gestern, heut’ und morgen« von Manfred Richter (Celino Bleiweiß) über einen hohen Polizeioffizier, der es sich auf seinem Posten zunehmend bequem eingerichtet hat und erkennen muss, »daß er am Leben vorbeigeht«. Abgebrochen wurde auch die Arbeit an dem satirischen Lustspiel »Die lieben leichten Mädchen« von Irmgard und Ulrich Speitel (Rolf Losansky): »Drei leichte Mädchen werden von einem Gericht zu einjähriger Arbeit auf ein Dorf geschickt. Das Dorf, scheinbar gegen alle Gefahren der Zeit immun, hält diesem Ansturm weiblicher Schönheit und Diplomatie nicht stand. Die Fassade der in allen Bereichen des Lebens zur Schau getragenen sozialistischen Moral fällt zusammen. Die Fronten teilen und klären sich, und am Schluß der Geschichte besteht Hoffnung, daß man in Zukunft ehrlicher und besser zusammenleben wird.«20 Hatte die alte Studioleitung noch darüber nachgedacht, die Zusammenarbeit der DEFA mit internationalen, vor allem französischen Künstlern wieder aufzunehmen, legten die neuen Chefs solche Pläne aus Zeit-, aber vermutlich auch aus ideologischen Gründen ad acta. Es gab für sie Wichtigeres, als an dem Stoff über einen Résistance-Kämpfer (»Der Fall Manouchian«, Autor: Armand Gatti, Hauptrolle: Charles Aznavour) weiterzuarbeiten, oder an zwei Projekten, für die Jorge Semprun als Autor gewonnen werden sollte (»Die große Reise«, »Brot für alle hat die Erde«, zusammen mit Vladimir Pozner, Regieinteresse: Ralf Kirsten oder Karl Gass). All dies wären Filme gewesen, mit denen sich die DEFA, nur wenige Jahre nach dem Mauerbau, zur Welt geöffnet hätte. Neues Terrain, neue thematische Dimensionen, neue ästhetische Ansätze. Doch statt sich gedanklich und formal neue Universen zu erobern, sah sich das babelsberger Studio gezwungen, die Niederungen der ideologischen Provinz auszuloten, zwischen Anpassung und der Suche nach einem neuen Sinn dieses vom Staat alimentierten und nunmehr wieder an der ganz kurzen Leine gehaltenen Kinos. Dass schon 1968, im dritten Jahr nach dem 11. Plenum, Filme wie Abschied (Egon Günther), Ich war neunzehn (Konrad Wolf) und Die Russen kommen (Heiner Carow) gedreht wurden, belegt die Kraft, die trotz alledem im Studio und seinen Künstlern steckte; Die Russen kommen wurde denn auch gleich wieder verboten … Einen derart offenen und kritischen Panoramablick über Prozesse und Konflikte in nahezu allen Bereichen der Gesellschaft, wie es die Verbotsfilme des 11. Plenums in ihrer Gesamtheit gewagt hatten, konnte es im DEFA-Spielfilm bis 1989 allerdings niemals wieder geben.

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1) Vgl.: Der meistgehaßte, meistunterschätzte Mann. In: Der Spiegel, Nr. 20, 10.5.1971. — 2) Mario Frank: Walter Ulbricht. Eine deutsche Biografie. Berlin: Siedler 2001, S. 353. — 3) Zit. n. ebd., S. 360. — 4) Der Lyrikabend am 11.12.1962 fand unter der Leitung von Stephan Hermlin statt und trug das Motto: »Junge Lyrik: unbekannt und unveröffentlicht«. — 5) Volker Braun: Kommt uns nicht mit Fertigem! In: V. B.: Provokation für mich. Gedichte. Halle: Mitteldeutscher Verlag 1975, S. 10. — 6) Friedrich Dieckmann: Morgenröte einer jungen Poetengeneration. Hermlins Lyrikabend in der Berliner Akademie der Künste und seine Folgen. Sendemanuskript MDR Figaro, Mitteldeutscher Rundfunk, 6.12.2012, S. 6. — 7) Walter Ulbricht: Brief an Kurt Maetzig. In: Neues Deutschland, 23.1.1966. — 8) Frank Beyer: Die Macht und das Kino. In: Die Weltbühne, Nr. 52, 19.12.1989. — 9) Annelie und Andrew Thorndike: Einige Bemerkungen zur Lage in der DEFA, 2.12.1965. SAPMo-BArch, DY 30/JIV2/2J/1560. — 10) Gemeint ist: die Kulturabteilung des ZK der SED. — 11) Zit. n.: Regine Sylvester: Die verbotenen Filme. In: Horst Deinwallner u.a. (Hg.): The Forbidden Films: DEFA. Material zu einer Retrospektive. München: Goethe-Institut München 1990, S. 5. — 12) Zu den organisierten Protesten vgl. Ralf Schenk (Hg.): Regie: Frank Beyer. Berlin: Edition Hentrich 1995, S. 54 ff., S. 110 ff. — 13) »Das muß man festhalten, das ist historisch wichtig.» Interview mit dem Regisseur Frank Vogel und dem Drehbuchautor Manfred Freitag, geführt am 13.5.1990 von Pia Barth und Stefan Drößler. In: Berlin im Film. Eine Filmreihe der Bonner Kinemathek e.V., Bonn 1990, S. 6. — 14) Zum Sonderfall Ritter des Regens, dem einzigen der Verbotsfilme von 1965, von dem kein Material überliefert ist, vgl. Ralf Schenk, Erika Richter (Hg.): apropos Film: 2001. Das Jahrbuch der DEFA-Stiftung. Berlin: Das Neue Berlin 2001. Hier ist zumindest das Szenarium vollständig abgedruckt (S. 43-86). — 15) Dieter Wolf: Gruppe Babelsberg. Unsere nichtgedrehten Filme. Berlin: Das Neue Berlin 2000, S. 21. — 16) Ebd., S. 25. Hinzu kam, dass Heyms Roman »Fünf Tage im Juni« über den 17. Juni 1953 keine Druckgenehmigung erhalten hatte und der Autor während des 11. Plenums scharf attackiert worden war. — 17) Dr. Franz Jahrow, HV Film, in einer Stellungnahme. Zit. n. Wolf, a.a.O., S. 216. — 18) Zu »Der untadelige Zeuge« und »Die Beteiligten« vgl.: Gerhard Bengsch: Blättern in vergilbten Seiten. Meine Erfahrungen beim Schreiben von DEFA-Krimis. In: apropos film: 2001, a.a.O., S. 223 ff. — 19) DEFA-Studio für Spielfilme, Produktionsplanung für 1966, vom 21.12.1965. Kopie im Archiv des Autors. — 20) Ebd.

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Milan Klepikov EINE GALGENFRIST Die zaghafte, aber unvermeidliche Wiedereinführung der Zensur im tschechoslowakischen Film nach 1968

Am 21.8.1968 wurde die Tschechoslowakei von den Truppen des Warschauer Pakts besetzt, mit dem Ziel, die politischen und gesellschaftlichen Reformen des »Prager Frühlings« binnen kürzester Zeit zu unterbinden und das Land wieder fest in die Reihen der kommunistischen »Bruderstaaten« zurückzuführen. Langfristig wurde dieses Ziel, wir wir heute wissen, mit der »Normalisierung« ab Anfang der 1970er Jahre erreicht, kurzfristig aber aus verschiedenen Gründen vollkommen verfehlt. Vor allem die tschechoslowakische Kultur und ihr zu dieser Zeit international wichtigstes Aushängeschild – der Film – hat auf die bedrückenden Ereignisse mit Werken geantwortet, die sowohl inhaltlich als auch formal die Tendenzen der letzten Jahre konsequent weiterführten, anstatt sie zu verleugnen oder zu unterdrücken. Die politisch brisantesten Filme des Prager Frühlings hatten bis auf wenige Ausnahmen eines gemeinsam: Sie waren zum Zeitpunkt des Einmarsches der Truppen des Warschauer Pakts im August 1968 noch gar nicht fertig. Trotzdem durfte ein großer Teil von ihnen sowohl eine offizielle Premiere erleben als auch eine reguläre Kinoauswertung. Die Verbotswelle setzte erst deutlich später ein. Das erste Faktum ist leicht zu erklären: Die Produktion eines abendfüllenden Spielfilms, zumal in einem planwirtschaftlichen System, ist langwierig; besonders in Zeiten der überstürzten politischen Entwicklungen hinkt der Film der aktuellen Lage zwangsläufig hinterher, und diese Verzögerung zeitigt viele Paradoxien. Die Gründe für das zweite Phänomen – die deutlich komplexer sind – sollen im Folgenden skizziert werden. Für die spätere Zeit, als das sowjethörige Husák-ZK schon alle wichtigen Ämter kontrollierte, gilt es sehr genau zu unterscheiden: Welcher Film wurde tatsächlich zu einem Tresorfilm (also unwiderruflich verboten), welche Filme wurden nur behindert oder zeitweilig aus dem Programm genommen und warum, in welchen Phasen? Die Dubèek-Zeit wurde offiziell als »Krisenzeit« gebrandmarkt und scharf verurteilt, doch die filmischen Kinder des Prager Frühlings erfuhren keine Gleichbehandlung. Auf einige widersprüchliche Fälle möchte ich im Folgenden hinweisen. Einem richtigen Ostblock-Klassiker steht es gut an, einmal verboten gewesen zu sein, doch einige Klassiker führen dieses Ehrenzeichen zu Unrecht.

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Všichni dobøí rodáci (1968/69, Vojtìch Jasný)

Als noch (fast) alles möglich war – das Jahr Eins nach dem Einmarsch Die Russen waren zwar seit August 1968 im Lande, aber eine sowjettreue Regierung aus tschechischen und slowakischen Repräsentanten konnte nicht – noch nicht – gebildet werden. Wenn auch Parteichef Alexander Dubèek über Nacht vom Hoffnungsträger zu einer tragischen, machtlosen Figur geworden war, blieb er doch noch acht Monate lang an der Spitze der Nomenklatura. Die »Normalisierung« – eine beschönigende Umschreibung für die Zementierung der neu geschaffenen politischen Verhältnisse und das verordnete kollektive Vergessen der Ereignisse von 1968/69 – kam auch nach Dubèeks Ersetzung durch Gustav Husák nur so zögernd, ja geradezu schleichend voran, dass sich vor allem auch unter den Künstlern lange Zeit falsche Hoffnungen halten konnten. Auch im Filmbereich wurden die Reformer nicht von heute auf morgen, sondern sehr langsam, in vielen Etappen, aus ihren Ämtern gedrängt. So konnte es dazu kommen, dass ein gerade erst aus den Kinos genommener »Problemfilm« zur gleichen Zeit noch einen heimischen Preis gewinnen konnte und im Ausland vorgeführt werden durfte. Erst mit der Ernennung von Jiøí Purš zum Generaldirektor des Tschechoslowakischen Films (Èeský film) begann nach allgemeiner Meinung der Historiker1

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die eigentliche »Normalisierung«. Das heißt: nicht vor Ende September 1969! Die Periode, in der die ersten Repressionsversuche der Alt- und Neu-Stalinisten im Filmbereich noch nicht richtig greifen konnten und die Filmmacher in einem unklaren Machtvakuum relativ frei agieren durften, dauerte also länger als ein Jahr. Das heißt: doppelt so lange wie die Zeit des politischen Prager Frühlings! (Zwischen der Aufhebung der Zensur am 29.2.1968 und dem sowjetischen Einmarsch am 21. August lagen nicht mehr als sechs Monate.) Erst nach August 1968 – und nur dann – wurden Filme fertiggestellt, die an die größten Tabus rühren: Das waren an erster Stelle die Offenlegung von Machtmechanismen in den höchsten Rängen der Partei in der Zeit des Stalinismus durch Ucho (Das Ohr, Karel Kachyòa), zweitens die Darstellung der Arbeitslager für politische Gefangene in dieser Periode durch Skøivánci na niti (Lerchen am Faden, Jiøí Menzel) oder die Milan Kundera-Verfilmung Zert (Der Scherz, Jaromil Jireš), drittens die ungeschönte Darstellung der Zwangskollektivierung in Všichni dobøí rodáci (Alle guten Landsleute, Vojtìch Jasný) oder in Smuteèní slavnost (Die Trauerzeremonie, Zdenìk Sirový), viertens: die unparteiische Darstellung des Demokratieaufbruchs im Prager Frühling in Karel Vacheks Dokumentarfilm Spøíznìni Volbou (Wahlverwandtschaften), dem einzigen Langfilm zum Thema überhaupt. Ganz oben auf der Abschussliste standen die Filme, denen ihre Unmissverständlichkeit zum Verhängnis wurde. Die parabelhaften Filme von Pavel Juráèek, Jan Nìmec, Vìra Chytilová oder Juraj Jakubisko – so unbeliebt sie bei den Dogmatikern auch sein mochten – waren nicht von einem sofortigen Verbot bedroht. Eines dieser Werke, Všichni dobøí rodáci, wurde 2012 digital restauriert, gleichzeitig erschien eine ausführliche Dokumentation, sodass man am Beispiel dieses Films die Entwicklung im seltsamen Filmjahr 1969 gut nachzeichnen kann: Der Film von Vojtìch Jasný wird im April 1969 auf dem Finále-Filmfestival in Pilsen gezeigt und teilt sich den Hauptpreis mit Juraj Jakubiskos Episodenfilm Zbehovia a pútnici (1968). Am selben Tag, dem 17. April, wird Alexander Dubèek an der Spitze der Parteiführung durch Gustav Husák ersetzt. Für den gewagten Film hat das zunächst keine Folgen, am 7. Mai ist die offizielle Uraufführung. Gleich danach geht es nach Cannes, hier wird der Film mit dem Preis für die beste Regie ausgezeichnet. Fünf Tage später lehnt es die offizielle Parteizeitung Rudé právo ab, eine eindeutig positive Rezension des Kritikers Miloš Fiala zu drucken – ein erstes Signal für kommende Schwierigkeiten. Der spätere Hauptrezensent von Rudé právo, Jan Kliment, gibt sich in der dogmatisch ausgerichteten Zeitschrift Tribuna noch erstaunlich moderat. Er kritisiert den Film zwar von der politischen Seite her, lobt aber seinen künstlerischen Wert und in der nachfolgenden Diskussion, in der einige Leser bereits ein Verbot fordern, nimmt er ihn geradezu wohlwollend in Schutz. Am 4. Juli ist der offizielle Kinostart, bis Anfang Oktober sehen knapp eine Million Tschechen und Slowaken den Film. Inzwischen hat die Husák-Füh-

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rung ihren Mann an der Spitze von Èeský film installiert, den schon genannten Jiøí Purš. Zur selben Zeit (in der letzten Septemberwoche) darf der Film von Jasný noch in Sorrent präsentiert werden, wenn auch nur in einer Pressevorführung außerhalb des offiziellen Wettbewerbs. Da ist sein Schicksal in den heimischen Kinos bereits besiegelt: Auch wegen der oft lautstarken Zustimmungsbekundungen der zumeist jugendlichen Zuschauer erscheint er nunmehr als unspielbar und wird am 10. Oktober aus den Kinosälen in Prag verbannt, am 17. Oktober auch aus allen übrigen des Landes. Zwei Tage später wird Všichni dobøí rodáci noch einmal im Ausland gezeigt, bei einer dem Farbfilm gewidmeten Schau in Barcelona. Die letzte tschechische Auszeichnung bekommen Jasný und sein Hauptdarsteller Vladimír Menšík am 6. November vom FITES, dem Verband der Filmschaffenden – dies wird jedoch von der neuen Leitung von Èeský film bereits als Provokation empfunden, von der man sich distanziert.

Der Personalwechsel im Filmbereich Das Kurzfilmstudio Krátký film bekam am 30.9.1969, eine Woche nach der Ernennung von Purš, mit Kamil Pixa einen Genossen aus dem tschechoslowakischen Geheimdienst als neuen Chef. Das war die Zeit, in der man aus dem avantgardistischen Kurzfilm Rafel mai amech izabi almi (1969) von Jiøí Gold durch Tilgung des Originaltons einen neuen machte und unter dem Titel Smetištì (Der Müllplatz) in die Kinos schickte, wo er auch in dieser verunstalteteten Fassung nicht länger als bis 1971 verblieb.2 Betroffen waren auch Jan Švankmajer mit seinen 1968 gedrehten Kurzfilmen Zahrada (Der Garten) und Byt (Die Wohnung) und viele andere, die in Vergessenheit geraten sind, da der Kurzfilm von den Filmhistorikern zumeist übergangen wird. Am 1.12.1969 fand schließlich noch ein Wechsel an der Spitze der BarrandovStudios statt: Neben einem neuen Direktor wurde vor allem ein neuer Hauptdramaturg ernannt. Jetzt hatten die Dogmatiker alle Schlüsselpositionen im Filmbereich inne, aber erst das Filmjahr 1970 sollte die wiederhergestellte Ordnung richtig verankern. Am 15. Januar wurden die ideologisch-künstlerischen Räte der »Kreativen Gruppen« in Barrandov aufgelöst, am 1. März die Gruppen ganz abgeschafft. Auf die Anfrage des Genossen Auersperg aus dem ZK konnte Jiøí Purš am 4. März melden, dass die am häufigsten beanstandeten Filme auch aus dem internationalen Verleih genommen waren (etwa Všichni dobøí rodáci und Zert) und andere gar nicht mehr in den heimischen Verleih kamen, wie Ucho, Skøivánci na niti, Smuteèní slavnost (Die Trauerzeremonie, Zdenìk Sirový) und Evald Schorms Den sedmý, osmá noc (Siebter Tag, achte Nacht). Die Filmfestspiele in Cannes wollten 1970 Vojtìk Jasný, den Gewinner des Regiepreises vom Vorjahr, in der Jury haben, Purš genehmigte dies. Man hatte im-

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mer noch die Hoffnung, den Star-Regisseur auf den neuen Kurs einschwören zu können, wie es mit einigen seiner Kollegen bereits gelungen war. Doch Jasný ging am 3. Juli in den Westen – für immer, wie sich zeigen sollte. Nach internen Parteipapieren gibt es dafür zwei Schuldige: Jasnýs Gattin, politisch schon immer reaktionär, und das Horoskop, dessen Weissagungen der Regisseur auf krankhafte Weise verfallen sei. Viele Regisseure wählten allerdings den gleichen Weg, auch ohne Einflüsterung ihrer Ehefrauen und ohne Befragung des Horoskops. Die kritischsten Filme waren also ab Anfang der 1970er Jahre im Tresor. Einige wurden in den offiziellen Verlautbarungen als Negativbeispiele für die Verirrungen im Kino der Dubèek-Zeit herausgestellt, während man bei anderen so tat, als wären sie nie gedreht worden: Sie wurden vollkommen totgeschwiegen. Wenn dann ein Buch etwa über Karel Kachyòa erschien, wurde Ucho nicht einmal in der Filmografie erwähnt. Kurioserweise, aber zum Glück für die Nachwelt, wurde jedoch von den aus der Filmgeschichte getilgten Filmen, soweit sie schon fertiggestellt oder wenigstens zu großen Teilen abgedreht vorlagen, kein einziger vernichtet, und wir können sie alle heute noch sehen.

Verboten oder doch nicht? Eine Bedienungsanleitung für Filmhistoriker Die Frage, welcher Film verboten war und inwieweit er verboten war, wird in verschiedenen Quellen widersprüchlich beantwortet. Um dem Wirrwarr zu begegnen, schlägt der mährische Filmhistoriker Jaromír Blazejovský die Unterscheidung in primäre und sekundäre Tresorfälle vor, eine Unterscheidung, die nicht nur für ein bestimmtes Land und oder eine bestimmte Zeit Gültigkeit hätte.3 Von einem primären Tresorfall sprechen wir entweder, wenn ein Film noch während der Dreharbeiten, zum Zeitpunkt seiner Postproduktion oder nach der Fertigstellung, aber noch vor der ersten Aufführung verboten wurde, wie Skøivánci na niti, Ucho oder für die DEFA: Jadup und Boel (1979–81, Rainer Simon). Auch verzögerte Premieren wären noch zu dieser Gruppe zu rechnen, so z.B. Vìra Chytilovás Panelstory aneb Jak se rodí sídlištì (Geschichte der Wände, 1979). Ändert sich eines Tages die politische Lage, kann ein unfertiger Film endlich beendet werden, ein bereits beendeter kommt in der ursprünglichen Form zur Aufführung (Jadup und Boel) oder ein mehr oder minder zerstörter wenigstens als Fragment, wie im Falle von Bezin lug (Die Beschin-Wiese, 1935–38, Sergej M. Eisenstein). Ein sekundärer Tresorfilm ist einer, der direkt nach seiner Entstehung eine Zeit lang in den Kinos oder auf Festivals gezeigt wird. Er kann Preise gewinnen und von der Kritik besprochen werden, erst dann wird er aus dem Verkehr gezogen, sei es nach wenigen Tagen wie bei Spur der Steine (1965/66, Frank Beyer), nach einigen Monaten wie bei Jasnýs Všichni dobøí rodáci oder gar erst nach Jahren wie bei seinem Az pøijde kocour (Wenn der Kater kommt, 1963).

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Von den berühmten Namen der tschechischen Neuen Welle, also Miloš Forman, Pavel Juráèek, František Vláèil, Ivan Passer, Vìra Chytilová, Jan Švankmajer, Jan Nìmec und Jiøí Menzel, hat mit Ausnahme des Letztgenannten in den 1960er Jahren niemand einen primären Tresorfilm gedreht. Blazejovský zählt als primäre Tresorfilme neun lange tschechische Spielfilme auf, eine Co-Produktion mit Bulgarien, einen langen Dokumentarfilm, einen slowakischen Film von Juraj Jakubisko und eine französisch-slowakische Co-Produktion von Alain Robbe-Grillet, also insgesamt dreizehn Langfilme. Unter den Titeln aus der »sekundären« Gruppe kommt es recht spät zu einer großen Säuberungswelle, nämlich 1973/74. Erst dann können die Filme von Jan Nìmec nicht mehr öffentlich gezeigt werden, das meiste von Evald Schorm, neun Filme des ansonsten unbehelligt gebliebenen Karel Kachyòa, ebenfalls neun Filme des legal in der Bundesrepublik tätigen Zbynìk Brynych. Auch nach 1973 gab es weiterhin kein Verbot für die Filme von Chytilová, etwa Sedmikrásky (Tausendschönchen, 1966), auch nicht für Miloš Formans Lásky jedné plavovlásky (Die Liebe einer Blondine, 1965) und Hoøí, má panenko! (Der Feuerwehrball, 1967) – um nur zwei Filme zu nennen, bei denen dies immer wieder fälschlicherweise behauptet wird, wie auch im Fall von Jiøí Trnkas Kurz-Animationsfilm Ruka (Die Hand,1965). (Dass die Filme in der offiziellen Presse nicht mehr besprochen werden durften – vor allem nicht positiv – und dass sie nur in kleinen Filmclubs zu sehen waren, ist eine andere Sache.)4

Erlaubt oder doch nicht? Verleihpraxis in der Zeit der »Normalisierung« Am meisten erstaunt, dass Pavel Juráèeks Filme Kazdý mladý muz (Jeder junge Mann, 1965) und Pøípad pro zaèínajícího kata (Ein Fall für einen Henkerslehrling, 1969) nicht verboten wurden. Der zweite blieb bis 1976 im normalen Verleih und war in Filmclubs sogar bis 1981 zu sehen. Juráèek selbst wurde bereits 1971 als Barrandov-Hauptdramaturg abberufen und ausdrücklich als einer jener reaktionären Filmmacher eingestuft, deren Filme aus den Kinos entfernt wurden. 1977 vollzog Juráèek auch politisch den radikalsten Schritt, indem er – als einziger tschechischer Filmregisseur überhaupt – die Charta 77 unterzeichnete; danach blieb dem engen Freund von Václav Havel nur noch der Weg in die Emigration. Im Widerspruch zu der Ankündigung von Jiøí Purš wurden die beiden langen Filme von Juráèek nicht verboten, verboten wurde aber sehr wohl die Persona Pavel Juráèek. Wenn also Pøípad pro zaèínajícího kata 1978 schon einmal in irgendeinem Filmclub lief (was bezeugt ist), dann durfte man – wie in Deutschland im Jahre 1933 mit Max Ophüls’ Liebelei (1932/33) geschehen – nicht erfahren, wer ihn eigentlich gedreht hatte. Und wenn man für eine Aufführung in Brünn keine Kopie des Films aus Prag bekommen konnte, weil man sich in der Hauptstadt an das Verbot der Per-

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Pøípad pro zaèinajícího kata (1969, Pavel Juráèek): Lubomír Kostelka (Mitte)

sona Pavel Juráèek hielt, holte man sich einfach eine Kopie aus dem Archiv in Bratislava, das den Film weiterhin legal verlieh. Wie erwähnt, waren die berühmten frechen Filme von Vìra Chytilová aus den 1960ern, wie etwa Sedmikrásky, zwar umstritten, marginalisiert, aber zu keinem Zeitpunkt verboten. Dafür behinderte man Chytilovás Filme der 1970er und 1980er Jahre dadurch, dass man sie erst mit Verzögerung für die Kinos freigab. Ein primärer Tresorfall also nach Blazejovskýs Definition. Bei Panelstory aneb Jak se rodí sídlištì waren etwa bereits Plakate gedruckt und, wie damals üblich, u.a. im öffentlichen Nahverkehr ausgehängt worden, obwohl der Film von der Parteiführung der Hauptstadt (deren Baupolitik er scharf angreift) zurückgehalten wurde. Die Werbung lief seltsamerweise ungehindert weiter, eineinhalb Jahre lang, bis der Film ab Dezember 1981 dann tatsächlich in den prager Kinos laufen durfte.5 Ein anderer primärer Tresorfilm aus dem Jahr 1980, Ja milujem, ty miluješ (Ich liebe, Du liebst) von Dušan Hanák musste hingegen bis zur slowakischen Perestroika von 1989 warten, also neun Jahre lang, bis er freigegeben wurde. Der Vorwurf der »Ästhetik des Hässlichen« wurde nun fallengelassen, und der Film durfte sogar an der winterlichen Berlinale teilnehmen; mit einem Silbernen Bären kam er zurück.6 Trotzdem: In diesem Vor-Frühling ahnten

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nicht einmal die größten Optimisten, dass die Tage der tschechischen und slowakischen normalizace bereits gezählt waren. 1) Jiøí Hoppe: Normalizace a èeskoslovenská kinematografie. In: Iluminace, Nr. 1, 1997, S. 157-201. — 2) Vgl. dazu meinen Text zum Hintergrund dieses Zensurfalls im Katalogbuch zum Cinefest 2013: Olaf Brill, Johannes Roschlau (Red.): Verboten! Filmzensur in Europa. Hamburg: CineGraph 2013, S. 125. — 3) Jaromír Blazejovský: Trezor a jeho dìti: Poznámky k zakázaným filmùm v socialistických kinematografiích. In: Iluminace, Nr. 3, 2010, S. 8-28. — 4) Hoøí, má panenko! wird im August 1967, also Monate vor dem Beginn des politischen Prager Frühlings, beendet und abgenommen. Im Oktober wird er für die Kinos genehmigt, im November bei einer Filmschau in Brünn uraufgeführt, am 15.12.1967 kommt er in den regulären Verleih und wird zu einem der bestbesuchten Filme der Saison. Im Mai 1968 wird er offiziell nach Cannes in den Haupt-Wettbewerb geschickt, im November vom Direktor des Èeský film für die Academy Awards angemeldet. Auch in den 1970er Jahren wird aus ihm kein echter Tresorfilm. Dass er aus dem Verkehr gezogen wurde, ist wahr, allerdings nicht drei Wochen nach der Premiere, wie es oft zu lesen ist, sondern fünf Jahre (!) danach. Bis 1973 haben ihn 780.000 Zuschauer gesehen. Ein »sofort« und »für immer« verbotener Film (so Wilfried Hippen, Die Tageszeitung, 14.11.2013) sieht anders aus. Dies ist aber nur eines von unzähligen Beispielen für eine Legendenbildung, wie sie unter journalistischen ad-hoc-Filmhistorikern üblich ist. — 5) Zu den Hintergründen vgl. den Text von Ivan Klimeš in Brill/Roschlau, a.a.O., S. 130 f. — 6) Vgl. dazu Klaus Kreimeier: Dušan Hanák. Die Exotik des Alltags. In: epd-Film, Nr. 4, 1989.

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Carla Mereu Keating »AS TIME GOES BY« YOU MUST NOT REMEMBER THIS Vergangenheitsbereinigung in der italienischen Fassung von CASABLANCA

Wissenschaftliche Untersuchungen haben wiederholt den großen Einfluss des amerikanischen Kriegsmelodrams Casablanca (1942, Michael Curtiz) auf die amerikanische Medien- und Populärkultur nachgewiesen. Viele Kritiker haben zu erklären versucht, warum es immer noch als einer der berühmtesten Hollywood-Kultfilme aller Zeiten gilt.1 In der ganzen Welt erfreut sich Casablanca großer Bekanntheit, es gibt zahllose Anspielungen und Hommagen. Das nach Murray Burnetts und Joan Alisons Bühnenstück »Everybody Comes to Rick’s« (1940) von Julius und Philip Epstein sowie Howard Koch verfasste Drehbuch hat ganze Generationen von Filmliebhabern inspiriert. Englischsprachige Fans erinnern sich an Humphrey Bogart/Ricks unvergessliches »We’ll always have Paris«, an Ingrid Bergman/Ilsas »Play it, Sam. Play ›As Time Goes By‹«, an Claude Rains/Capitaine Renaults »Round up the usual suspects« oder an Dooley Wilson/Sams Lied »You Must Remember This«. Wie Jack Nachbar in »Doing the Thinking for All of Us: Casablanca and the Home Front« überzeugend illustriert hat, war Casablanca 1942 »nur ein Einzelelement in der Propagandaflut zur Rechtfertigung des Krieges«,2 nur einer von zahllosen Filmen, Büchern und Broschüren, die eine Intervention Amerikas befürworteten. Es fällt nicht schwer zu erkennen, dass die gegen die Achsenmächte Deutschland und Italien gerichtete Botschaft des Films nicht gerade eine ideale Voraussetzung für eine Erstaufführung im verwüsteten Italien der unmittelbaren Nachkriegszeit war – weder aus der politischen Sicht der zersplitterten italienischen Institutionen noch aus der kommerziellen Perspektive des Verleihers Warner Bros. Sollte Casablanca 1947 in Italien eine Chance auf einen erfolgreichen Einsatz haben, waren bei der Erstellung der italienischen Verleihfassung inhaltliche Veränderungen notwendig, die sowohl auf die Empfindlichkeiten der Zensur als auch auf die Gemütsverfassung des Publikums Rücksicht nahmen. Wie diese Eingriffe durch Schnitte und Textänderungen bei der Synchronisation realisiert wurden und welche Absicht mit ihnen verfolgt wurde, soll ein Vergleich ausgewählter Szenen aus der originalen und der italienischen Fassung von Casablanca zeigen. Dabei wird deutlich, dass das Erbe des Faschismus Anfang 1947, als der Film endlich für den italienischen Verleih fertiggestellt war, erhebliche Auswirkungen auf seine italienische Fassung hatte – und zwar ungeachtet der Tatsache, dass Italien zu diesem Zeitpunkt eine mit

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den Vereinigten Staaten verbündete Demokratie war. Der Titel des Aufsatzes soll das Ausmaß dieser Auswirkungen illustrieren: Der ersten Zeile aus dem Liebeslied des Films nachempfunden, das laut Nachbar »Erinnerung als Weg in die Zukunft« propagiert,3 soll er hier stattdessen das ideologiegeprägte geschichtsrevidierende Eingreifen in die italienische Nachkriegsfassung von Casablanca und die Frage eines kontrollierten öffentlichen Gedächtnisverlusts verdeutlichen (»Du darfst dich nicht erinnern«).

Die Hintergründe des Verleihs von CASABLANCA in Italien Der erste Grund, weshalb dieser Hollywoodfilm nach seiner erfolgreichen USAuswertung 1943 nicht in italienischen Kinos laufen konnte, liegt auf der Hand: Die USA waren im Dezember 1941 in den Krieg gegen die Achsenmächte eingetreten, was ein sofortiges Verbot der Aufführung amerikanischer Filme auf italienischem Gebiet nach sich gezogen hatte. Italien schlug sich zwar im Oktober 1943 auf die Seite der Alliierten, wurde aber darauf von der deutschen Wehrmacht besetzt, die erst im Mai 1945 kapitulierte. Nach der Befreiung führten die Folgen der Kriegsjahre, des Verzichts und der Entbehrungen, der Besetzung und der inneren Kämpfe zu politischen und sozialen Unruhen in Italien. Dies trug mit dazu bei, dass Casablanca wie viele andere Kriegs- und Anti-Nazi-Filme aus Hollywood wie z.B. Confessions of a Nazi Spy (1938/39, Anatole Litvak) auch dann noch nicht in Italien vertrieben wurden, als die Diktatur gestürzt und der Krieg beendet war. Wegen ihrer positiven Haltung zum amerikanischen Kriegseintritt und ihrer negativen Haltung den Achsenmächten gegenüber hätten sich diese Filme im Italien der unmittelbaren Nachkriegszeit kaum derselben Popularität erfreuen können wie Jahre zuvor in den USA. Zudem schützten Anfang 1945 noch immer im Faschismus erlassene Monopolgesetze den italienischen Binnenmarkt. Die zunehmenden protektionistischen Maßnahmen zur Unterstützung der italienischen Filmindustrie kulminierten bereits gegen Ende der 1930er Jahre im königlichen Dekret Nr. 1389, das am 4.9.1938 eine staatliche Kontrolle des ausländischen Filmvertriebs einführte. Dieses Monopolgesetz hatte zusammen mit anderen streng protektionistischen Maßnahmen im Januar 1939 die vier US-amerikanischen Majors M-G-M, Paramount, Twentieth Century-Fox und Warner Bros. zum Rückzug vom italienischen Markt veranlasst. Als die alliierten Truppen im Juni 1944 Rom erreichten, richteten sie in ihrem Hauptquartier im Gebäude des ehemaligen Ministeriums für Volkskultur die Psychological Warfare Branch (PWB) ein, die für die Reorganisation von Presse, Rundfunk und Film zuständig war. Eine »commissione temporanea per la cinematografia« überwachte das italienische Filmbüro in Rom bis Januar 1946. Im März 1945 organisierte die Filmkommission der PWB eine Reihe wichtiger

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Treffen zur Diskussion der Situation der italienischen Filmindustrie, die vor allem auf die Aufhebung der Gesetze zum Schutz des Filmmarkts vor der (amerikanischen) Konkurrenz zielten.4 Und tatsächlich setzte das Dekret Nr. 678 (»Nuovo ordinamento dell’industria cinematografica italiana«) am 5.10.1945 offiziell alle Einschränkungen des Filmverleihs, die vom Verleih zu entrichtende Synchron-Steuer sowie das Verbot, ausländische Filme zu untertiteln, außer Kraft. Mit Erlaubnis der PWB waren die US-Filmgesellschaften in der Lage, sofort eine beträchtliche Anzahl während des Kriegs produzierter Filme in die italienischen Kinos zu bringen.5 Doch wie viele andere Spielfilme mit Kriegsbezug gehörte Casablanca nicht zu den Filmen, die die PWB in der ersten Welle nach Italien einführen ließ.6 Ob nun auf Anregung der Filmkommission der PWB oder nicht – Warner Bros. scheint abgewartet zu haben, bis sich die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Italien beruhigt hatten, um die Kinoauswertung von Casablanca strategisch bis zum profitabelsten Moment hinauszuzögern. Am 9.11.1946 – fast vier Jahre nach der Uraufführung – beantragte Warner Bros. Continental Films schließlich beim Italienischen Filmbüro (das jetzt dem Vorstand des Ministerrats unterstand) die Genehmigung, Casablanca in den italienischen Verleih zu bringen.

Die Zulassung von CASABLANCA Anfang 1947 Das Dekret Nr. 678/1945 hatte zwar die im Faschismus eingeführte präventive Zensur von Drehbüchern abgeschafft, die am 24.9.1923 erlassenen Vorschriften zur Filmzensur waren jedoch beibehalten worden. Damit blieben weiterhin Filmszenen und -themen verboten, die »das Schamgefühl, die Moral, die guten Sitten und den öffentlichen Anstand verletzen; (…) der Reputation und dem Ansehen des Staates sowie der öffentlichen Ordnung zuwiderlaufen oder die internationalen diplomatischen Beziehungen stören können; (…) dem Ansehen und Prestige der öffentlichen Institutionen oder Autoritäten, Beamten und Polizei, des Heeres und der Flotte schaden, Bürger beleidigen, auf welche Art auch immer Handlungen verteidigen, die das Gesetz als Straftat ansieht, oder die zum Klassenhass aufrufen.« Die faschistische Filmzensur hatte ihre Bestimmungen von den Gesetzen der vorherigen liberalen Regierungen abgeleitet, durch die ab 1913 Filmvorführungen im Königreich Italien reguliert wurden. Dieses hartnäckige Festhalten an Zensurvorschriften über Jahrzehnte und unterschiedliche Regimes hinweg weist auf eine »operationelle Kontinuität« im Filmbüro hin, die in dieser Form auch für viele andere Aspekte des institutionellen Lebens im Nachkriegsitalien typisch ist.7 Wie verlief vor diesem Hintergrund die Zensur von Casablanca? Die Akte des Films im MiBAC (Ministero per i Beni e le Attività Culturali) enthält den Zu-

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lassungsantrag des Verleihs, das Synchrondrehbuch und die am 10.1.1947 von Vincenzo Calvino, dem Vorstand der Filmkommission, unterzeichnete Aufführungsgenehmigung (»nulla osta«) des Filmbüros. Der Genehmigung nach zu urteilen, scheint die Zulassung der italienischen Fassung von Casablanca ganz unkompliziert gewesen zu sein. Die Kommission ließ den Film ohne »moralische oder politische« Bedenken zu, lobte die exzellente Interpretation der Darsteller sowie die dramatische Kraft des Films und hob auch den interessanten »marginalen« Kriegsschauplatz hervor (will heißen: fern der problematischeren Schlachtfelder Westeuropas). Waren also schon im Vorfeld Veränderungen angemahnt worden? Im Gegensatz zu vielen anderen Synchronbüchern, die dem Filmbüro nach dem Krieg vorgelegt wurden,8 enthält dasjenige von Casablanca keine handschriftlichen Änderungen, die darauf hindeuten. Der Verleih und die Übersetzer haben demnach präventiv Änderungen am Film vorgenommen, um das Risiko einer völligen Ablehnung oder Forderungen nach kostspieligen Nachbearbeitungen auszuschließen. Auch wenn es keinen offiziellen Beweis gibt, dass von der Filmkommission Änderungen erwogen oder gefordert wurden, ist es dennoch sehr wahrscheinlich, dass die italienische Fassung des Films mit den betreffenden Behörden abgestimmt war, bevor sie erarbeitet und zur Annahme vorgelegt wurde. Dabei wird auch die »operationelle Kontinuität« im Filmbüro eine Rolle gespielt haben, da der Großteil seines Personals schon in der Zeit des Faschismus tätig war, wie auch die Synchronsprecher und Übersetzer alle schon vorher in der Synchronindustrie gearbeitet hatten.

Die Synchronisation von CASABLANCA Die Synchronfassung von Casablanca wurde von der italienischen Produktions- und Verleihfirma Titan in Auftrag gegeben und entstand in Rom bei der Cooperativa Doppiatori Cinematografici (CDC), einer Genossenschaft populärer Synchron-Regisseure und -Sprecher, die sich im August 1944 unter der Führung von Augusto Incrocci zusammengeschlossen hatten. SynchronRegisseur war der Drehbuchautor und Regisseur Nicola Fausto Neroni, gleichzeitig Leiter der Abteilung für Warner Bros.’ italienische Synchronisationen. Der Name des Dialog-Übersetzers ist in den Unterlagen des Filmbüros nicht erwähnt, doch der Vorspann einer italienischen 16mm-Kopie nennt als Dialogautor Carlo Silva, der damit höchstwahrscheinlich auch für die Rohübersetzung und das Synchrondrehbuch verantwortlich war. Der Zeitraum der Übersetzung und Synchronisation ist in den Unterlagen zwar nicht dokumentiert, doch wird die italienische Fassung wohl zwischen der Anmeldung der Filmeinfuhrsteuer am 4.7.1946 und dem Zulassungsantrag des Verleihs am 9.11.1946 entstanden sein.

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Auch wenn die kriegsspezifische Zeichnung von Schauplatz und Charakteren hauptsächlich den dramatischen Hintergrund für die Erlösung des Helden (und das Eingreifen Amerikas in den Krieg in Europa) abgibt, hätten viele inhaltliche Aspekte von Casablanca eine Zulassung des Films durch das Filmbüro gefährden können. Wie die Analyse einiger Textbeispiele aus dem italienischen Synchronbuch zeigen wird, durchlief die italienische Synchronfassung von Casablanca einen komplexen Prozess der Manipulation und des Umschreibens solcher Szenen, die Kriegsverbrechen und die Methoden des Militärs erwähnen, sich auf den Faschismus und die Beteiligung Italiens am Krieg beziehen und italienische Protagonisten charakterisieren.

Neutralisierung von Nazis und Militärs In einer der Eröffnungsszenen erklärt ein von Curt Bois gespielter »zwielichtiger Ausländer/Europäer« (im Originaldrehbuch als »dark foreigner/european« bezeichnet) Neuankömmlingen, was in den Straßen Casablancas vor sich geht. Wie das folgende Beispiel zeigt, wurde sein Hinweis auf das Vorgehen des Militärs beim Zusammentreiben von Zivilisten in der italienischen Übersetzung dadurch neutralisiert, dass weiter über die Wüste geredet und die unbesetzten Gebiete mit Flüchtlingen und Freidenkern assoziiert werden. [»US« bezeichnet jeweils die Originaldialoge, »IT« die entsprechenden Zeilen des italienischen Synchronbuchs und »dt.« die deutsche Übersetzung der Abweichungen]: — Der »dark foreigner« spricht mit den Neuankömmlingen, nachdem man gesehen hat, wie ein Mann von der Vichy-Polizei erschossen worden ist, der für das Freie Frankreich eintrat: US: »Two German couriers were found murdered in the desert, the unoccupied desert. This is the customary roundup of refugees, liberals.« (dt.: »Das ist die übliche Razzia auf Flüchtlinge, Liberale.«) IT: »Hanno trovato due corrieri tedeschi uccisi nel deserto, il deserto non occupato. È la strada di solito battuta dai profughi, libertari.« (dt.: »Diesen Weg schlagen für gewöhnlich Flüchtlinge und Freidenker ein.«) Eine vergleichbare Neutralisierung findet sich auch in den nächsten Beispielen, in denen der direkte oder indirekte Hinweis auf politische Morde abgeschwächt wird, indem die Erwähnung von Nazis oder Konzentrationslagern entfernt wird: — Victor Laszlo warnt Major Strasser: US: »Even Nazis can’t kill that fast.« (dt.: »Selbst Nazis können nicht so schnell töten.«) IT: »Ma non potrete mai ucciderli tutti.« (dt.: »Aber Sie können niemals alle töten.«)

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Casablanca (1942, Michael Curtiz): Paul Henreid, Ingrid Bergman, Conrad Veidt

— Rick spricht mit Capitaine Renault: US: »I’ll make a deal with you. Instead of this petty charge you have against him, you can get something really big, something that would chuck him in a concentration camp for years.« (dt.: »etwas, das ihn auf Jahre ins Konzentrationslager bringt.«) IT: »Vi faccio una proposta. Voi avete arrestato Laszlo con un pretesto inconsistente; io invece vi offro un’occasione per arrestarlo e tenerlo al sicuro per anni«. (dt.: »ich hingegen biete Ihnen eine Gelegenheit, ihn zu verhaften und auf Jahre in Gewahrsam zu halten.«) Es gibt in Casablanca allerdings weitere Erwähnungen der Nationalsozialisten und des »Dritten Reichs«, die in der Synchronfassung gewissenhaft beibehalten wurden. Den in der Originalfassung achtmal erwähnten Begriff »concentration camp« übersetzte der italienische Synchronautor fünfmal wörtlich als »campi di concentramento«, einmal als »campi tedeschi« (»deutsche Lager«) und einmal mit »quando ero prigioniero« (»als ich Gefangener war«). Vielleicht steht die abschwächende Wortwahl in diesen Beispielen auch im Zusammenhang mit den technischen Anforderungen des lippengenauen Synchronisierens (tatsächlich sind Henreid und Bogart hier jeweils in Großaufnahme zu sehen).

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Eliminierung des Äthiopien-Feldzugs und des Spanischen Bürgerkriegs Die folgenden Beispiele zeigen, wie durch Manipulation der Dialoge im Übersetzungsprozess jegliche Anspielungen auf die faschistische Vergangenheit und die Beteiligung Italiens am Krieg aus dem Drehbuch verschwanden, insbesondere die Hinweise auf den faschistischen Überfall auf Äthiopien und den Kampf für die spanischen Republikaner: — Renault möchte Ricks wenig überzeugenden Isolationismus ergründen und spricht ihn auf sein früheres Engagement gegen die Achsenmächte an: US: Renault: »In 1935, you ran guns to Ethiopia. In 1936, you fought in Spain on the Loyalist side.« (dt.: »1935 haben Sie Waffen nach Äthiopien geschmuggelt. 1936 kämpften Sie in Spanien auf Seiten der Republikaner.«) Rick: »And got well paid for it on both occasions.« Renault: »The winning side would have paid you much better.« (dt.: »Die Siegerseite hätte Sie viel besser bezahlt.«) IT: Renault: »Nel ’35 avete mandato fucili ai cinesi, nel ’36 avete combattuto in Spagna per la Repubblica.« (dt.: »1935 haben Sie Gewehre an die Chinesen geliefert, 1936 haben Sie in Spanien für die Republik gekämpft.«) Rick: »Sono stato ben pagato tutte e due le volte.« Renault: »La parte avversa vi avrebbe pagato molto meglio«. (dt.: »Die Gegenseite hätte Sie viel besser bezahlt.«) — Laszlo spricht mit Rick und hebt dabei Ricks frühere Interventionen für die gute Sache hervor (wobei er im Wesentlichen wiederholt, was Renault zuvor gesagt hat): US: »You ran guns to Ethiopia. You fought against the Fascists in Spain.« (dt.: »Sie haben Waffen nach Äthiopien geschmuggelt. Sie haben gegen die Faschisten in Spanien gekämpft.«) IT: »Avete aiutato i cinesi. Avete combattuto per la democrazia in Spagna«. (dt.: »Sie haben den Chinesen geholfen. Sie haben für die Demokratie in Spanien gekämpft.«) In beiden Fällen wurde hier die direkte Bezugnahme auf die italienische Invasion und Besetzung Äthiopiens 1935/36 durch die Erwähnung des zeitgleich stattfindenden Chinesischen Bürgerkriegs ersetzt. Im ersten Beispiel sorgten weitere Anpassungen dafür, dass Ricks Unterstützung für die regierungstreue Seite in Spanien durch den Ausdruck »per la Repubblica« noch besonders betont wird; zusätzlich erfuhr die Niederlage der Republikaner eine Abmilderung, indem die »Siegerseite« (d.h. die nationalistische, von NS- und faschistischen Truppen unterstützte Seite) zur neutraleren »Gegenseite« mutierte. Darüber hinaus wurde die Erwähnung des Faschismus entfernt und durch den positiven Ausdruck »für die Demokratie« ersetzt. Diese politischen Anspielungen auf den italienischen Faschismus und Imperialismus sind nur zwei isolierte Argumente, doch sie dienen einem ganz spezifischen Zweck: Sie sind die »Hemingway’schen« Momente, in denen das Publi-

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kum von Ricks »idealistischer Selbstlosigkeit« erfährt.9 Der doppelte Dialog veranschaulicht nachdrücklich Ricks obskure Vergangenheit (auf der Seite der Underdogs) und verleiht seiner aufopfernden »Bekehrung« am Ende Glaubwürdigkeit. Auch durch andere politische Anspielungen, die die NS-Ideologie oder auch Ricks (d.h. Amerikas) opportunistischen Isolationismus kritisierten, sollte Casablanca wie viele andere Propagandafilme den Kinogängern an der Heimatfront die Gründe für den Kampfeinsatz und die Notwendigkeit der Aufopferung im Namen einer größeren Sache näherbringen. Mit diesen Änderungen gelang es dem italienischen Synchronautor, die Verweise auf den Faschismus zu eliminieren und gleichzeitig Ricks wichtigen Charakterzug und die für die Handlung so entscheidende politische Spannung beizubehalten. So erfuhr das italienische Nachkriegspubikum, wie wichtig es für Rick (und die Italiener) war, für Republik und Demokratie zu kämpfen, ohne mit der lästigen eigenen Vergangenheit konfrontiert zu werden.

Das Verschwinden der italienischen Gestalten Die Charaktere, die in Casablanca Italiener darstellen, spielen eher Nebenrollen. Vor allem bei zwei Protagonisten ergab sich aber wegen ihres italienischen Charakters für den Synchronautor Änderungsbedarf: Beim faschistischen Hauptmann Tonelli (Charles La Torre) und beim dubiosen Barbesitzer Signor Ferrari (Sydney Greenstreet). Laut Aljean Harmetz10 hatte Carl Schaefer, verantwortlich für Warner Bros.’ Auslandsreklame, vorgeschlagen, aus allen unsympathischen Figuren Italiener zu machen (im Bühnenstück ist die später von Greenstreet dargestellte Figur noch Spanier und heißt Martinez). Tonelli ist eine Hintergrundfigur mit wenig Dialog und als Karikatur des großsprecherischen, aber wenig tatkräftigen Italieners angelegt. Generell wird ihm von den französischen, deutschen und amerikanischen Charakteren wenig Beachtung geschenkt. Diese Haltung zeigt die verbreitete Geringschätzung der militärischen Rolle, die die italienische Armee in Casablanca und im weiteren Sinne auf der internationalen Bühne spielte. Bei seinem ersten Auftritt stellt Tonelli sich selbst mit eitler Aufgeblasenheit vor, indem er vor den französischen Leutnant Casselle tritt, als dieser gerade dem deutschen Major Strasser vorgestellt wird. — Hauptmann Tonelli (während er Strasser, der ihn jedoch nicht beachtet, den faschistischen Gruß entbietet): US: »Captain Tonelli. The Italian service at your command, major. (…) Abbiamo grande piacere della vostra presenza, caro maggiore. Il nostro comando è sempre pronto a servir La.« (dt.: »Hauptmann Tonelli. Das italienische Militär zu Ihren Diensten, Major. (…) Ihr Kommen ist uns eine große Freude, Major. Unser Kommando steht Ihnen jederzeit zu Diensten.«) IT: [fehlt].

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In der Synchronfassung wurde die Passage komplett geschnitten, in der späteren DVD-Edition jedoch wieder eingefügt. (Hier ist die italienische Passage im Originalton zu hören, die englischen Worte La Torres wurden übersetzt und nachsynchronisiert). Danach ist Tonelli noch einmal zu sehen, wie er wild gestikulierend und unverständlich mit Casselle streitet. Dieser Auftritt, der von Capitaine Renault ironisch kommentiert wird, ist in der Synchronfassung ebenfalls eliminiert. Er wurde in der DVD-Edition wieder eingefügt und nachsynchronisiert (»IT2«): – Renault verspottet Tonelli, als der mit dem französischen Offizier vorübergeht: US: »If he gets a word in, it will be a major Italian victory.« (dt.: »wird es ein bedeutender italienischer Sieg.«) IT: [fehlt]. IT2: »Se lo lasciasse parlare, sarebbe una vittoria per l’Italia! (dt.: wird es ein Sieg für Italien.«) Die zweite italienische Gestalt ist der Besitzer des Cafés »The Blue Parrot«, Signor Ferrari. Ferrari ist in Casablanca dafür bekannt, die Unterweltaktivitäten der Stadt zu leiten. Wenn sein italienischer Nachname, die Anrede Signore, die ausdrückliche Verbindung zur Unterwelt (zu vergleichen mit den vielen Beispielen italienischen Gangstertums im US-Kino) und die Tatsache, dass Ferrari jeder Frau den Hof macht, die seinen Weg kreuzt (ein Latin-Lover-Stereotyp), noch keine eindeutigen Anzeichen wären, lässt Ilsas Bemerkung zum Kaffee keinen Zweifel mehr an Ferraris italienischer Nationalität: — Ferrari stellt sich Ilsa und Laszlo selbst vor: US: Ferrari: »As the leader of all illegal activities in Casablanca, I am an influential and respected man.« (dt.: »Als Leiter aller illegalen Aktivitäten in Casablanca.«) IT: Ferak: »Come capo della borsa nera di Casablanca, ho una rispettabilità da difendere.« (dt.: »Als Leiter des Schwarzhandels in Casablanca habe ich einen Ruf zu verteidigen.«) — Ilsa macht Ferrari ein Kompliment wegen seines Kaffees: US: »Goodbye. Thank you for the coffee, Signor. I shall miss that when we leave Casablanca.« IT: »Buongiorno. E grazie per il caffè, signore. Così buono, non lo berremo mai più.« (dt.: »Und danke für den Kaffee, Signor. So guten werden wir nicht mehr trinken.«) Bei der Erstellung der Synchronfassung gab es auf der Dialogebene kaum Möglichkeiten, die Hinweise auf Ferraris italienische Identität zu verschleiern oder zumindest seinen Charakter in etwas günstigerem Licht erscheinen zu lassen (außer dem Versuch, den Umfang seiner illegalen Aktivitäten etwas abzumildern). Schnitte wie bei Tonelli waren allerdings auch nicht möglich, da alle wichtigen Protagonisten des Films Ferrari treffen, um ihn auf Visa nach

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Casablanca (1942, Michael Curtiz): Sydney Greenstreet, Ingrid Bergman

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Amerika anzusprechen. Die Lösung war simpel: Die Änderung seines Nachnamens von Ferrari in den fremdländisch/marokkanisch klingenden »Ferak« verwandelte die Figur einfach in einen Pseudo-Araber.11

Schlussbemerkung Die Analyse der inhaltlichen Veränderungen durch Schnitte und Textveränderungen in der italienischen Fassung von Casablanca lenkt die Aufmerksamkeit auf die politische Macht der Sprache im Film und auf die Rolle der Akteure – Verleiher wie Zensurbehörden – in diesem Prozess, die diese Sprache aus ideologischen Gründen manipulierten. Die skizzierten Verfälschungen sind besonders bedeutsam, weil der Film nicht zum Zeitpunkt der Uraufführung und damit unter der faschistischen Diktatur, sondern unter demokratischer Herrschaft zensiert wurde. Die Manipulationen erweisen sich so als Nachwirkungen der Diktatur und auch als Teil einer »operationellen Kontinuität« im Filmbüro der Regierung. Während das amerikanische Publikum Casablanca 1943 mitten im Krieg gesehen hatte, erlebten die Italiener den Film erst knapp zwei Jahr nach Kriegsende – unter veränderten historischen Bedingungen und in einer anderen Gemütsverfassung. Die Originalfassung von Casablanca hätte für sie bildlich und verbal ihre schmachvolle Vergangenheit beschworen: den italienischen Kolonialismus sowie die Beteiligung des faschistischen Italien am Krieg und den Kriegsverbrechen Nazi-Deutschlands. Zusammen mit der karikierenden Darstellung italienischer Gestalten hätte dies beim italienischen Publikum ein Gefühl von Beschämung und damit Empörung auslösen oder zu Störungen der öffentlichen Ordnung führen können. Weder die italienischen Filmbeauftragten noch der amerikanische Verleiher werden solche Reaktionen gewollt haben. Dementsprechend wurden alle direkten oder indirekten Anspielungen auf den italienischen Faschismus aus der Synchronfassung entfernt, damit der Film in dieser kritischen Phase der italienischen Geschichte ohne politische Bedenken oder kommerzielle Risiken in die Kinos gebracht werden konnte. Nachdem die italienische Fassung von Casablanca in der beschriebenen Weise manipuliert worden war, rechtfertigte und rühmte der Film immer noch den amerikanischen Kriegseintritt, konnte aber dank seiner narrativen Klischees gleichzeitig auch als große Unterhaltung genossen werden. Auch wenn die Fallakte zu Casablanca keine Hinweise auf ein offizielles Eingreifen der Zensurstellen enthält, so steht die italienische Fassung des Films durch die Tendenz ihrer Bearbeitung doch sehr deutlich in einer Reihe mit vielen Fällen, bei denen die Zensurbehörde im Nachkriegs-Italien und auch in späteren Jahrzehnten explizit die filmische Erinnerung an den Faschismus und die Rolle Italiens im Zweiten Weltkrieg verhindern wollte.

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Im italienischen Kino der unmittelbaren Nachkriegszeit wurden heikle politische Anspielungen vorsorglich schon während des Schreibens und der Produktion von den Filmmachern selbst zensiert: So war Roberto Rossellini in Roma città aperta (Rom – offene Stadt, 1945) und Paisà (1946) mehr am Eingreifen der Alliierten in Italien und der Darstellung der Befreiung interessiert als an einer Kritik und Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit und der italienischen Kriegsverbrechen. Zudem wird in beiden Filmen die Brutalität der Diktatur nur von den deutschen Gestalten repräsentiert, als ob die Italiener nicht mit ihnen verbündet gewesen, sondern einfach von bösartigen und perversen Ausländern besetzt worden wären.12 Ausländische Filme wie Casablanca konnten hingegen nur in der Postproduktionsphase verändert werden. Folglich musste ihre filmische Darstellung der öffentlichen Erinnerung an Krieg und das faschistische Italien in der Phase des Übersetzens und Synchronisierens sowie beim Schnitt angepasst werden. Ich möchte Pier Luigi Raffaelli und dem Team von Italia Taglia in Rom für ihre entscheidende Hilfe bei der Archivforschung im Ministero dei Beni e delle Attività Culturali (MiBAC) danken. Vielen Dank auch an Luca Portas, den Filmarchivar und Konservator in der sardischen Cineteca umanitaria in Cagliari für seine Unterstützung bei meiner fortlaufenden Erforschung der italienischen Fassungen von Casablanca. 1) Eine gut dokumentierte Untersuchung zu Popularität und Erfolg in den USA ist: Kathy Merlock Jackson: Playing It Again and Again: Casablanca’s Impact on American Mass Media and Popular Culture. In: Journal of Popular Film and Television, Nr. 4, 2000, S. 33-41. — 2) Jack Nachbar: Doing the Thinking for All of Us: Casablanca and the Home Front. In: Journal of Popular Film and Television, Nr. 4, 2000, S. 5-15, hier S. 6. — 3) Ebd., S. 13. — 4) Bereits ab September 1944 übten amerikanische Verleiher und Produzenten Druck auf die PWB aus, den italienischen Markt für ihre Exporte zu öffnen und Italien davon abzuhalten, die faschistischen Monopolgesetze wieder einzuführen. Vgl. dazu Ennio Di Nolfo: Documenti sul ritorno del cinema americano in Italia nell’immediato dopoguerra. Gli intellettuali in trincea. Politica e cultura nell’Italia del dopoguerra. Padova: Cleup 1977, S. 133-144. — 5) Lorenzo Quaglietti führt in: Ecco i nostri. L’invasione del cinema americano in Italia. Turin: Nuova ERI Edizioni Rai 1991 (S. 69 f.) 57 Filme auf. — 6) So wurde Mrs. Miniver (1942, William Wyler) am 16.9.1946 in Italien zugelassen, Foreign Correspondent (1940, Alfred Hitchcock) am 17.12.1946 und Edge of Darkness (1943, Lewis Milestone) sogar erst am 26.6.1950. — 7) Zu den auffallenden Kontinuitäten in puncto Interessen und Praxis im staatlichen Filmzensurbüro zwischen 1923 und 1963 vgl. Carla Mereu: The Dub Debate: Film Censorship and State Intervention in the Translation of Foreign Cinema in Italy 1923–1963. University of Reading 2012 (unveröffentlichte Doktorarbeit). — 8) Ein Beispiel für diese Zensurpraxis ist das italienische Synchronbuch von Suez (1938, Allan Dwan, Zulassung am 14.8.1946). Der Fall wird diskutiert in Mereu, The Dub Debate, a.a.O., S. 184-187. — 9) Nachbar, a.a.O., S. 6. — 10) Aljean Harmetz: Round Up the Usual Suspects: The Making of Casablanca – Bogart, Bergman and World War II. London: Weidenfeld & Nicholson 1993, S. 166. — 11) In Italien hat die staatlich gelenkte Synchronpraxis häufig dem Zweck gedient, Anspielungen auf alles Italienische in ausländischen Filmen zu beseitigen, ohne dass dies den Verleih des Films in italienischen Kinos behindert hätte. Vgl. Mereu, The Dub Debate, a.a.O.; Carla Mereu: Italians in Films. Opposing

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and Negotiating Hetero-Constructed Images of Italianness. In: Interconnecting Translations and Image Studies. Amsterdam: Benjamins Translation Library (2014 im Druck). — 12) Vgl. auch die scharfsinnige Beschreibung der stilistischen Charakteristika, narrativen Methoden und der »Politik« im Zentrum von Roma città aperta in: Christopher Wagstaff: Italian Neorealist Cinema: An Aesthetic Approach. Toronto: University of Toronto Press 2007, S. 94-184. Zur italienischen Verlagerung der Schuld für Kriegsverbrechen auf die »bösen Deutschen« vgl. Filippo Focardi: Il cattivo tedesco e il bravo italiano: La rimozione delle colpe della seconda guerra mondiale. Bari: Laterza 2013.

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Joseph Garncarz »NICHT ZUR VORFÜHRUNG IN DEUTSCHLAND GEEIGNET« Die deutsche CASABLANCA-Fassung von 1952

In der Bundesrepublik Deutschland war es in den 1950er Jahren nicht ungewöhnlich, ausländische Filme signifikant zu variieren.1 Als signifikant bezeichne ich die Veränderung eines Films, wenn sie planvoll erfolgt, also Sinn ergibt und nicht auf technische Schäden zurückgeht. Sinnvoll ist die Bearbeitung eines Films, um ihn für ein anderssprachiges Publikum verständlich zu machen, um ihn mit unterschiedlichen kulturellen Ansprüchen – etwa Empfindlichkeiten der Zuschauer in politischer oder religiöser Hinsicht – in Einklang zu bringen bzw. um Veränderungen jedweder Art rückgängig zu machen.2 Um fremdsprachige Filme für das deutsche Publikum verständlich zu machen, werden sie in aller Regel synchronisiert, indem die übersetzten Dialoge mit deutschen Sprechern neu aufgenommen werden und so statt der Stimmen der Darsteller die Stimmen der Synchronsprecher zu hören sind. Dieses Verfahren, Filme für fremdsprachige Publika verständlich zu machen, hat sich in den 1930er Jahren weltweit nur in Deutschland, Italien und Spanien (und bedingt in Frankreich) durchgesetzt. Der Grund dafür war, dass die faschistischen Länder von der Überlegenheit der eigenen Sprache und Kultur in einem besonderen Maß überzeugt und zugleich hinsichtlich der Bevölkerungszahl so groß waren, dass sich die Kosten für aufwendige Übersetzungsverfahren rentierten.3 Auch wenn die Synchronisation primär dem Zweck dient, einen fremdsprachigen Film für ein anderssprachiges Publikum verständlich zu machen, so wurde sie oft auch dazu benutzt, Filme zugleich hinsichtlich ihrer Inhalte zu verändern. Allerdings war der Aufwand außergewöhnlich, der 1952 für Casablanca (1942, Michael Curtiz) betrieben wurde. Anders als oft üblich, wurde die erzählte Geschichte selbst verändert, sodass erklärt werden muss, wer aus welchen Gründen diesen enormen Aufwand betrieben hat. Sowohl die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) als auch die Verleiher haben Filme verändert. Nicht jede Veränderung eines Films ist ein Akt der Zensur. Als Zensur bezeichnen wir eine staatliche oder quasi-staatliche Kontrolle, die bezweckt, dass das Kinopublikum Filme nicht bzw. nicht in einer bestimmten Form (u.a. hinsichtlich der Darstellung von Sex und Gewalt) zu sehen bekommt – ganz unabhängig davon, was es sehen möchte. Filmverleiher, die ihr Publikum optimal unterhalten wollen, machen Filme, die dies nach

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ihrer Einschätzung nicht leisten, oft durch Schnitte, Umstellungen oder neue Dialoge passend.

Die deutsche Fassung von 1952 Casablanca hatte am 26.8.1952 in den bundesdeutschen Kinos Premiere.4 Diese Synchronfassung hatte laut zeitgenössischer Messung der FSK eine Länge von 2236 Metern.5 Die Laufzeit beträgt demnach statt 102 Minuten und 29 Sekunden nur noch 81 Minuten und 44 Sekunden, was einer Kürzung von 568 Metern bzw. 20 Minuten und 45 Sekunden entspricht.6 In der Originalfassung fliehen Menschen vor den Nationalsozialisten nach Marokko, das 1942 – anders als Frankreich – noch nicht von den Deutschen besetzt ist, jedoch von der Vichy-Regierung, die mit den Nationalsozialisten kooperiert, verwaltet wird. Die deutsche Fassung von 1952 spielt ebenfalls im Zweiten Weltkrieg, eliminiert jedoch den Nationalsozialismus als politischen Kontext vollständig. Die auffälligste Veränderung ist, dass die Figur des NaziMajors Strasser (gespielt vom deutschen Emigranten Conrad Veidt) aus dem Film herausgeschnitten wurde. In der Originalfassung reist Strasser nach Casablanca, um Victor László, den aus einem deutschen Konzentrationslager geflohenen Führer der tschechischen Widerstandsbewegung gegen die Nationalsozialisten, daran zu hindern, sich in die USA abzusetzen. Strasser ist ein mitleidloser, zielgerichteter, grausamer, aber stets zivilisiert auftretender Nationalsozialist. Da die Figur jedoch als Gegenpart zu Victor László (Paul Henreid) notwendig ist, wird sie in den Dialogen zwischen dem Polizeipräfekten Renault (Claude Rains, Spr.: Ernst Fritz Fürbringer), dem korrupten französischen Polizeichef, der in der Originalfassung mit den Nationalsozialisten zusammenarbeitet, und Rick (Humphrey Bogart, Spr.: Paul Klinger), einem desillusionierten Amerikaner, der in Casablanca ein Café unterhält, zu einem »Kommissar Laporte«. Victor László wird zum norwegischen Atomphysiker Professor Viktor Larssen (Spr.: Ernst von Klipstein), der während des Zweiten Weltkriegs sein Labor zerstört, um zu verhindern, dass die von ihm entdeckten, hochenergetischen Deltastrahlen für eine »fürchterliche Vernichtungswaffe« verwendet werden könnten. Larssen bekommt dafür »20 Jahre wegen Sabotage«, kann aber aus dem Gefängnis – in der Originalfassung aus dem Konzentrationslager – nach Casablanca fliehen, wo er für sich und seine Frau, Ilsa Larssen (Ingrid Bergman, Spr.: Marianne Kehlau), Ausreisevisa für die Vereinigten Staaten zu erhalten versucht. Zwei Blankovisa, die von zwei ermordeten italienischen Kurieren stammen, sind in Ricks Händen. Rick hatte kurz vor dem Einmarsch der Deutschen in Paris eine Liebesaffäre mit Ilsa, die glaubte, ihr Mann sei bei der Flucht erschossen worden. Renault soll den flüchtigen Larssen im Auftrag des französischen Kommissars Laporte verhaften. Rick täuscht Renault geschickt und

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Casablanca (1942, Michael Curtiz): Conrad Veidt (Mitte), Claude Rains (rechts)

verhilft Larssen und seiner Frau Ilsa selbstlos zur Flucht in die Vereinigten Staaten. Obwohl der Nationalsozialismus 1952 aus dem Film herauspräpariert wurde und die Motive für die Flucht der Protagonisten daher verändert werden mussten, blieb die Liebesgeschichte zwischen Ilsa, ihrem Mann und Rick unangetastet. Die Veränderung der Geschichte beruht auf Ersetzung von Dialogen und auf Schnitten. Dreizehn Passagen sind geschnitten, acht Passagen inhaltlich neu getextet. Dort, wo nicht in die Geschichte eingegriffen wurde, sind die Dialoge in der 1952 bei der Deutschen Mondial Film GmbH in Berlin hergestellten Synchronfassung oft sorgfältiger übersetzt als bei der 1975 im Auftrag der ARD hergestellten Neusynchronisation der Originalfassung, die sich durch Wort-für-Wort-Übersetzungen von Redewendungen auszeichnet. So wird der allseits bekannte Trinkspruch »Here‘s looking at you, kid« [0:43:13] 1952 korrekt mit »Auf dein Wohl« [0:31:55] übersetzt und 1975 mit »Ich seh’ dir in die Augen, Kleines«7 – ein Ausdruck, der dann als »Ich schau‘ dir in die Augen, Kleines« selbst zu einem geflügelten Wort wurde. Auch die Musik-Fassung von Max Steiner blieb notgedrungen nicht unverändert. Die französische Nationalhymne erklingt in dieser deutschen Fassung zur Charakterisierung des Ortes Paris (so in der Rückblende), ist aber nicht

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mehr wie in der Originalfassung vor allem auch Trägerin der Grundwerte Liberté, Égalité und Fraternité. Folgerichtig wurde auch die Szene in »Ricks Café« geschnitten, in der die Deutschen »Die Wacht am Rhein« anstimmen und von französischen Patrioten mit der »Marseillaise« niedergesungen werden. Wenn es keine Verletzung der Menschenrechte durch die Nationalsozialisten mehr gibt, ist auch ein musikalisches Symbol des Widerstands funktionslos.

Der Urheber der signifikanten Variation Erst als der Westdeutsche Rundfunk (WDR) im Oktober 1968 eine Originalfassung mit Untertiteln in die dritten Programme brachte, fielen die weitreichenden Sinnveränderungen der Synchronfassung als solche auf. Weil man sie zu diesem Zeitpunkt für skandalös hielt und ein Skandalon gerne der Zensur zugeschrieben wird, glaubte man, die FSK sei die Urheberin dieser Bearbeitung.8 Anders aber, als immer wieder behauptet, war für die Umarbeitung von Casablanca nicht die FSK verantwortlich. Tatsächlich blieb sie den Ausschussmitgliedern sogar verborgen, da ihnen die Originalfassung offenbar unbekannt war. Im Protokoll der Filmprüfung (am 24.6.1952) heißt es lediglich: »Nach Vorführung des deutsch synchronisierten Films kam der Ausschuß in interner Beratung zu folgendem Ergebnis: Der Film wird zur öffentlichen Vorführung [ab 16 Jahren] freigegeben.«9 Verantwortlich für die deutsche Casablanca-Fassung von 1952 ist der deutsche Verleiher Warner Bros. Continental Films Inc. – also die in Frankfurt am Main tätige deutsche Niederlassung der US-Firma –, die den Film 1942 hergestellt hatte. Der Filmkritiker Kurt Joachim Fischer bemerkte die Veränderung von Casablanca vermutlich, weil er den wiener Illustrierten Film-Kurier mit der vollständigen Inhaltsangabe gelesen hatte, der 1948 zur österreichischen Erstaufführung des Films erschienen war, oder weil er den Film sogar in Österreich gesehen hatte.10 Casablanca war dort in einer ungekürzten, »korrekt [deutsch] untertitelt[en]« Originalfassung gelaufen.11 Fischer fragte um die Jahreswende 1952/53 bei Warner Bros nach den Gründen für die Bearbeitung. Die Antwort, die er im Januar 1953 veröffentlichte, lautet: »Der Film Casablanca wurde im Jahr 1942 gedreht, und da er in seiner Originalfassung nicht mehr zeitgemäß und nicht zur Vorführung in Deutschland geeignet war, haben wir bei der Synchronisation des Filmes verschiedene Schnitte bzw. Änderungen vorgenommen, bevor der Film der Freiwilligen Selbstkontrolle vorgelegt wurde. Da Casablanca zu einem der eindrucksvollsten Bergman-Filme gehört, wollten wir diesen Film dem deutschen Publikum nicht vorenthalten und haben uns deshalb zu dieser deutschen Neufassung entschlossen.«12 Diese Stellungnahme des Verleihers ist in jeder Beziehung glaubwürdig, da sich alle genannten Fakten (wie die Veränderung vor der FSKVorlage, die Art der Veränderung durch Schnitte bzw. inhaltlich neue Dialoge,

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die Beliebtheit Ingrid Bergmans) durch externe Quellen bzw. eine vergleichende Analyse der Filmfassungen bestätigen lassen. Verleiher, die Filme in den 1950er Jahren signifikant variiert haben, waren keine Zensoren im definierten Sinn, sondern vielmehr Seismografen der öffentlichen Meinung, die ihr Publikum für sich gewinnen und nicht verschrecken wollten – auch wenn sie Filme teilweise in vorauseilendem Gehorsam gegenüber der FSK verändert haben. Zwar gehen alle sieben von mir im Rahmen meines Buches »Filmfassungen« untersuchten Variationen angloamerikanischer Filme der 1950er und 1960er Jahre, die »hässliche« Deutsche zeigen, mit Ausnahme von The African Queen (1951, John Huston) nicht auf die FSK zurück, doch muss man davon ausgehen, dass sie deren Spruchpraxis entsprachen.13 Fritz Podehl, der ab 1929 Chefdramaturg bei der Ufa gewesen war und 1949 bis 1954 den Arbeitsausschuss der FSK leitete, betonte in einem Schreiben an Leo J. Horster, der die Interessen von Samuel Goldwyn und Walt Disney gegenüber der FSK vertrat, »daß uns als prüfender Stelle des Öftern Filme vorgeführt werden, die ihrem Inhalt nach durchaus ungeeignet für Deutschland sind, so daß wir in einer solchen Vorlage [der Originalfassung von The African Queen] gar nicht etwas außergewöhnliches erblicken.«14 Die Spruchpraxis der FSK, ein negatives Image der Deutschen in ausländischen Filmen retuschieren zu lassen, war kaum jemals strittig; es gab diesbezüglich keine unterschiedlichen Auffassungen zwischen den verschiedenen Fraktionen der Ausschüsse wie den Vertretern der Filmwirtschaft und der öffentlichen Hand. Offensichtlich fielen die Entscheidungen einstimmig, weil die Empörung über solche Filme durch alle Reihen ging. Eine Rechtsgrundlage für diese Vorgehensweise gab es in den 1950er Jahren allerdings nicht. Obwohl der FSK-Grundsatz A II c die analysierte Spruchpraxis der 1950er Jahre nicht deckt, wurde z.B. der Entscheid zu The African Queen mit diesem Grundsatz begründet.15 Im Kern ging es dabei darum, dass eine herabsetzende Kritik anderer Staaten untersagt war, nicht aber eine Kritik des eigenen Staates – was aber gerade den Vorwurf gegenüber dem Film The African Queen ausmachte.16

Ablehnung des »hässlichen Deutschen« Casablanca war für den Verleiher 1952 »nicht mehr zeitgemäß und nicht zur Vorführung in Deutschland geeignet«,17 weil er – das legen andere Fälle nahe – wahrscheinlich auf Ablehnung beim Publikum gestoßen wäre. Da Filme mit »hässlichen Deutschen« in den 1950er Jahren systematisch verändert wurden, gibt es nur wenige Beispiele, bei denen die Reaktion eines bundesdeutschen Publikums (Ausschussmitglieder der FSK, Filmkritiker) auf die ursprünglichen Fassungen dokumentiert ist. Alle Ausschussmitglieder der FSK empfanden den Film Notorious (1945/46, Alfred Hitchcock), in dem die Ver-

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brecher deutsche Nazis sind, bei der Prüfung der Originalfassung am 7.6.1950 als »demoralisierend«18 – ein Eindruck, den sie nicht mehr hatten, als der Film erneut am 16.10.1951 unter dem Titel Weißes Gift in einer synchronisierten Fassung vorgelegt wurde, in der aus den Nazis, die sich Uranerz für den Bau einer Atombombe besorgen, Rauschgiftschmuggler aus dem Ostblock geworden waren.19 Am Beispiel von The African Queen, der als einziger der von mir untersuchten Filme, die »hässliche Deutsche« zeigen, den Kritikern damals auch in der Originalfassung bekannt war, zeigt sich, dass er wegen einer angeblich »vollkommen unmotivierten Deutschfeindlichkeit«20 abgelehnt wurde. So schreibt etwa Kurt Joachim Fischer: »Deutsche Kolonialsoldaten und die Offiziere der Marine werden als Brandstifter und Henker dargestellt, und aus dem Munde der beiden großartig spielenden Helden fließen deutschfeindliche Reden. In Locarno, wo dieser Film auf den Filmfestspielen deutschen Besuchern zum ersten Male außerhalb Englands, der USA und Frankreichs zu Gesicht kam, wurden gegen die handfesten Szenen Pfiffe laut [das Publikum setzte sich »übrigens zum großen Teil aus Deutschen«21 zusammen], und es wurde überdies nach dem Film heftig debattiert, ob dergleichen wohl nötig sei. (...) Es dürfte wohl fehl am Platze sein, einen solchen Film, auch in geschnittener und gewandelter Form, in Deutschland zu zeigen.«22 Die Arbeitsgemeinschaft deutscher Filmjournalisten legte bei der Festivalleitung in Locarno »berechtigten Protest«23 ein, der »dem Befremden Ausdruck verlieh, einen Film zu zeigen, in dem deutsche Kolonialsoldaten ›entweder als Brandstifter oder Henker‹ fungieren.«24 Lässt das Urteil der Presse über einen Film auch Rückschlüsse auf das Urteil des Publikums zu? In der Branchenzeitschrift Film-Echo wurde mit einer Schulnotenskala erhoben, wie die Kinobesitzer das Film-Urteil der Kritiker und das der Zuschauer bewertet haben.25 Korreliert man die für die Spielzeit erhobenen Urteile der Kritiker und der Zuschauer über die 92 erfassten Filme, so ergibt sich ein Koeffizient von 0,74 – die Bewertung der Kritiker ist also kaum anders als die der Zuschauer. Im Fall von Casablanca lautete die Note der Kinobesitzer für die Publikumsresonanz 2,8 und für die Reaktion der Presse 2,5. Aus diesen Beispielen kann man schließen, dass nicht die Darstellung von Nazis an sich Stein des Anstoßes war und auch nicht allein die Repräsentation von Nazisymbolen. In The African Queen sind die »hässlichen Deutschen« Vertreter der Kolonialmacht in Ostafrika während des Ersten Weltkriegs; in Casablanca und Notorious gibt es zwar Nazis, Nazisymbole aber nur in Casablanca. Zudem erkennt man, dass ein Film wie The African Queen selbst von Filmkritikern, die über ein ästhetisches Urteilsvermögen verfügten, als narzisstische Kränkung empfunden wurde – und dies nicht in einem Einzelfall, sondern bei der großen Mehrheit der in Locarno anwesenden deutschen Filmkritiker.

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Gründe für die signifikante Variation Dass Menschen es nicht gern sehen, wenn ausschließlich Mitglieder ihrer eigenen Gruppe negativ charakterisiert werden, trifft sicherlich auf alle Gesellschaften zu. Dass sie aber – wie beschrieben – mit solcher Vehemenz reagieren, ist sicherlich ein Phänomen, das sich ausschließlich aus einer spezifischen historischen Konstellation adäquat verstehen lässt, denn sonst bliebe es unerklärlich, dass Casablanca seit seiner Neusynchronisation im Jahre 1975 in Deutschland keinerlei Protest mehr hervorgerufen hat. Wer waren die Zuschauer von Casablanca 1952/53? Zum Publikum einzelner Filme gibt es keine Informationen, wohl aber zur Demografie des deutschen Kinopublikums insgesamt. Beinahe alle Deutschen gingen Anfang der 1950er Jahre ins Kino. Das Kinopublikum war um 1952/53 im Vergleich zur Gesamtgesellschaft etwas jünger.26 Waren 53 % der Deutschen laut dem Zensus von 1950 über 30 Jahre alt, so betrug der Anteil der über 30-jährigen Kinobesucher dagegen nur knapp 40 %. Bei knapp 615 Mio. im Jahr 1952 verkauften Kinokarten entfielen auf die über 30-Jährigen demnach rund 246 Mio. Karten.27 Der Anteil von Männern und Frauen im Publikum war ausgeglichen.28 Ehemalige Mitglieder der Wehrmacht machten mit knapp 30 % einen marktwirtschaftlich relevanten Teil des bundesdeutschen Kinopublikums der frühen 1950er Jahre aus. Als wehrfähig galten im »Dritten Reich« alle Männer im Alter von 18 bis 45 Jahren; bei Kriegsausbruch 1939 wurden die Jahrgänge 1894 bis 1921 eingezogen. Einschließlich der Jahrgänge, die im Krieg Zug um Zug das wehrfähige Alter erreichten (bis Jg. 1927), haben rund 18,2 Mio. deutsche Männer bei der Wehrmacht gedient, von denen 4,3 Mio. starben (bzw. als vermisst gelten). Demnach haben den Krieg rund 13,9 Mio. deutsche Soldaten überlebt, die 1952 zwischen 25 und 58 Jahren waren und damit zu den potenziellen Kinozuschauern gehörten. Für die heftige Ablehnung von Filmen, die »hässliche« Deutsche zeigen, spielte eine Rolle, dass es sich um Filme der Siegermächte handelt und dass so gut wie alle Deutschen, die im Zentrum dieser anglo-amerikanischen Filme stehen, negativ gezeichnet sind, wohingegen das Verhältnis negativer und positiver Figuren in Bezug auf andere Nationalitäten ausgeglichener ist. »Hässliche« Deutsche – etwa in Der 20. Juli (1955, Falk Harnack) oder der 08/15-Trilogie – wurden in deutschen Filmen akzeptiert, weil hier das Mischungsverhältnis zwischen positiven und negativen Figuren deutscher Nationalität ebenso austariert ist wie das Verhältnis der Figuren amerikanischer bzw. britischer Nationalität in anglo-amerikanischen Filmen. Da eine spätere Generation Filme mit »hässlichen Deutschen« nicht mehr ablehnt, reichen diese Hinweise als Erklärung allein aber nicht aus. Ein Teil der Menschen, die 1952 ins Kino gingen, hatte Hitler 1933 zur Macht verholfen, der Großteil der Deutschen war der Ideologie der Nazis gefolgt – Propaganda-

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schriften waren Bestseller29 –, 7,5 Mio. Deutsche waren Mitglieder der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), Millionen hatten dem Regime in allen möglichen Funktionen (als Soldaten, bei der Munitionsherstellung, in Lazaretten usf.) gedient und Tausende hatten enthusiastische Briefe an ihren Führer geschrieben.30 Mehrheitlich wurde der 8.5.1945 nicht als »Tag der Befreiung«, sondern als Niederlage erlebt, als Sinnverlust.31 Als nach dem Krieg allmählich das ganze Ausmaß der Barbarei – der Holocaust – öffentlich wurde, wollte niemand mehr ein Nazi gewesen sein. Das dominante Muster der »Verdrängung« bestand darin, die Schuld auf andere, insbesondere die kleine Gruppe der politischen Führung um Hitler, zu verschieben und sich selbst von jeder Verantwortung freizusprechen. Deutsche liebten es, sich als Opfer des Nazi-Regimes, des Kriegs und der Vertreibung zu sehen, sowie sich als couragiert und menschlich integer darzustellen.32 Nicht nur »einfache« Soldaten der Wehrmacht, sondern selbst Franz Paul Stangl (Jg. 1908), der Leiter der Vernichtungslager Sobibor und Treblinka, der 1970 wegen gemeinschaftlichen Mordes an mindestens 400.000 Juden zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, stellte sich selbst als moralisch integer und anständig dar.33 Die Mehrheit der Deutschen – einschließlich der Täter – hielt sich nach dem Zweiten Weltkrieg für »tüchtiger und begabter als die anderen Völker« und war in einem besonderen Maß stolz auf ihr Deutschtum.34 Obwohl kaum jemand ein Nazi gewesen sein wollte, war 1955 jeder zweite Deutsche der Meinung, dass »Hitler ohne den Krieg einer der größten deutschen Staatsmänner gewesen wäre«35 – was nichts anderes heißt, als dass die Hälfte der Deutschen glaubte, der Nationalsozialismus sei gar nicht so schlecht gewesen. 1951 waren 42 % der deutschen Bevölkerung davon überzeugt, dass es »in diesem [20.] Jahrhundert […] Deutschland [zwischen 1933 und 1939] am besten gegangen« sei.36 Die Darstellung der Deutschen als Barbaren – gerade in Uniform wie in Casablanca und The African Queen – wurde mehrheitlich als sehr ungerecht empfunden, da sie dem positiven Selbstbild widersprach. Die Verletzung der eigenen Gefühle war auch deshalb so stark, weil die Mehrheit der Deutschen gewusst haben dürfte, dass sie nicht derart integer gewesen waren, wie sie es selbst glauben wollten – nicht umsonst investierten nach dem Krieg ehemalige »Volksgenossen« viel darin, sich vom Nazi-Regime zu distanzieren und ihr eigenes Verhalten vor sich und der nächsten Generation zu rechtfertigen. Auch Kurt Joachim Fischer (Jg. 1911), dem wir die Anfrage bei Warner Bros. im Fall Casablanca verdanken und der sich über The African Queen empört hat, war einer dieser ehemaligen »Volksgenossen«. Fischer promovierte 1934 in Heidelberg zum Dr. phil. mit einer Arbeit über den Freiwilligen Arbeitsdienst in der Weimarer Republik,37 arbeitete ab 1935 als Feuilletonist und war von 1939 an Soldat.38 Ab 1942 war er Kompaniechef der Panzer-Propaganda-Kompanie 697;39 ihm unterstanden schätzungsweise 400 Soldaten. Propaganda-

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kompanien hatten den Auftrag, die eigenen Soldaten propagandistisch zu unterstützen und gegen den Feind zu agitieren. In von ihm als Kompaniechef verfassten Publikationen stellt Fischer deutsche Soldaten der Wehrmacht als besonders geschickt, mutig und fair dar, und er rechtfertigt das Töten der Feinde durch einen übergeordneten »moralischen« Zweck – eine Überzeugung, die für seine Generation typisch war. So beschreibt er 1943 in den »Panzerfaustheften«, die er herausgab, den Krieg an der Ostfront, in dem deutsche Soldaten technisch überlegen (geringe Verluste auf eigener Seite, hohe Verluste auf feindlicher Seite) und fair kämpfen (sie sprengen schlafende Feinde nicht in die Luft, sondern nehmen sie fest).40 Wenn die Soldaten töten müssen, dann tun sie es nicht gerne, sondern nur, weil es »notwendig« ist. »Der ethische Sinn, wie er mir einmal durch [Karl] Jaspers [der von den Nazis 1937/38 Berufs- und Publikationsverbot erhielt] in Sommerzeiten in Heidelberg gezeigt wurde, erfüllt sich wohl. Der tatsächliche Sinn könnte, wenn ich diesen Krieg gesund überstehe, Grundlage einer neuen Weltbetrachtung werden.«41 Wie viele andere Zeitgenossen beschreibt sich Fischer nach dem Krieg als moralisch integer: So berichtet er in einem Leserbrief, er habe sich an der Rettung von Juden beteiligt.42 Fischer sah sich zudem als Opfer des Nazi-Regimes, da er Ende 1944 aus Gründen, die nichts mit der Rettung von Juden zu tun hatten, verhaftet und inhaftiert wurde.43 Zugleich muss er gewusst haben, dass seine Tätigkeit als NS-Propagandist mit den moralischen Ansprüchen der Nachkriegszeit nicht zu vereinbaren war. Fischer protestierte hörbar bei einem Film wie The African Queen, in dem die Barbaren ausschließlich Deutsche in Uniform sind, weil er sich selbst und offenbar Deutsche in Uniform so nicht sehen wollte und auch nicht sehen konnte.

Gründe, CASABLANCA überhaupt einzusetzen Da es aufgrund des zeitweiligen Boykotts von US-Filmen in der Nazizeit ebenso wie aufgrund der hohen Produktionsziffern in den 1950er Jahren einen Überschuss an US-Filmen auf dem bundesdeutschen Markt gab, den dieser gar nicht verkraften konnte, stellt sich die Frage, warum man nicht darauf verzichtet hat, Casablanca überhaupt in die deutschen Kinos zu bringen. Casablanca wurde in den 1950er Jahren über seine Stars von anderen Filmen unterschieden, wobei in Deutschland Ingrid Bergman (und nicht Humphrey Bogart) als der Star des Films galt. Bogart war dem deutschen Publikum weitgehend unbekannt; auf den Listen der beliebtesten Schauspieler, die von der Film-Revue veröffentlicht wurden, sucht man ihn vergeblich. So versuchte der WDR 1968, Bogart mit einer eigenen Filmreihe im Dritten Programm als Schauspieler bekannt zu machen.44 Bergman, mit der 1952 prominent auf dem Plakat zu Casablanca geworben wurde, war beim deutschen Publikum außer-

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ordentlich beliebt. 1952 und 1953 führte sie bei der Bambi-Wahl mit großem Abstand die Liste der erfolgreichen ausländischen weiblichen Stars an.44 »Da Casablanca zu einem der eindrucksvollsten Bergman-Filme gehört, wollten wir diesen Film dem deutschen Publikum nicht vorenthalten und haben uns deshalb zu dieser deutschen Neufassung entschlossen«,46 heißt es daher zu Recht im bereits zitierten Schreiben des deutschen Verleihers. Der Gewinn, der mit dem Star Ingrid Bergman erzielt werden konnte, war allerdings für eine US-Firma nur dann lukrativ, wenn er zu einem attraktiven Kurs in Dollar umgetauscht werden konnte. Da das im Nachkriegsdeutschland auf marktwirtschaftlicher Basis nicht möglich war, garantierte die US-amerikanische Regierung ihrer Filmindustrie, die in der Motion Picture Export Association (MPEA) zusammengeschlossen war, 1948 bis 1955 einen attraktiven Wechselkurs, behielt sich dafür aber das Recht vor, die Filme, die gezeigt wurden, auszuwählen. Qualitativ hochstehende Filme, die den »American Way of Life« repräsentierten, sollten die Einbindung der Bundesrepublik in das »westliche« Wertesystem fördern. Die Auswahl der Filme nahm die Economic Cooperation Administration (ECA) im Rahmen des Informational Media Guaranty Program (IMG) vor.47 Auch wenn sich in den National Archives in Washington kein direkter Nachweis finden lässt, darf man vermuten, dass auch Casablanca von der ECA für den bundesdeutschen Markt ausgewählt wurde, denn ohne deren Zustimmung hatte die Auswertung von US-Filmen in der Nachkriegszeit für amerikanische Verleiher wirtschaftlich wenig Sinn.

Erfolg der deutschen Fassung Gemessen an dem Ziel, den Film so umzugestalten, dass er trotz der Eliminierung des Naziplots funktioniert, war der aufwendige Eingriff gewiss erfolgreich. Das Gros der deutschen Filmkritiker hat die Veränderung des Films nicht bemerkt. Die Aussage des Verleihers, die Kurt Joachim Fischer veröffentlicht hat, blieb in der deutschen Presse gänzlich ohne Resonanz.48 Der Film wurde von der Kritik durchaus positiv aufgenommen. Casablanca galt in der deutschen Presse 1952/53 als »bessere Hollywood-Konfektion«,49 die als »Dutzendware«50 nicht sonderlich geschätzt wurde. »Wenn die Geschichte auch typisches Kino ist, so ist sie doch sehr gekonntes Kino«51 – eine Aussage, die sich auf die hier analysierte Fassung des Films bezieht, deren Handlung von den deutschen Bearbeitern erfolgreich umgeschrieben wurde. Der kommerzielle Erfolg des Films in der Spielzeit 1952/53 ist schwer zu beurteilen, da weder die Zahl der verkauften Eintrittskarten noch die Einnahmen der Kinos bzw. Verleiher veröffentlicht wurden. Die Indizien sind jedoch hinreichend, um davon auszugehen, dass Casablanca verglichen mit anderen US-Filmen ein relativ großer Erfolg war – deutsche Filme waren durchweg erfolgreicher als US-amerikanische.52 In den »Filmrennen« der Zeitschrift Film-

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Casablanca (1942, Michael Curtiz): Plakat zu deutschen Uraufführung 1952

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blätter wurden die Filme für Spielzeiten getrennt nach der Zahl der Spieltage hierarchisch geordnet. Die Erfolgsrangliste der Spielzeit 1952/53 weist Casablanca auf Platz 54 als sechstgrößten US-Filmerfolg in bundesdeutschen Großstädten aus.53 Die Branchenzeitschrift Film-Echo hat dagegen Urteile von Kinobesitzern über den Besuch von Filmen im ganzen Land erhoben, ohne die Filme zu hierarchisieren. Casablanca war nach dieser Erhebung der achterfolgreichste US-Film dieser Spielzeit.54 Dass Casablanca beim deutschen Publikum für einen US-Film besonders erfolgreich war, wird noch deutlicher, wenn man berücksichtigt, dass 1952/53 insgesamt 227 US-Filme in der Bundesrepublik verliehen wurden.55 Ob Casablanca in einer sinngemäßen Übersetzung der vollständigen Originalfassung weniger erfolgreich gewesen wäre, lässt sich nicht nachprüfen, ist aufgrund der vorgetragenen Argumente jedoch wahrscheinlich. Denkt man allein an den lautstarken Protest der Filmkritiker in Locarno gegen The African Queen, dann muss man tatsächlich davon ausgehen, dass die grundlegende Überarbeitung der Originalfassung von Casablanca kommerziell sinnvoll war. Ausländische Filme, in denen die Schurken ausschließlich Deutsche sind, wurden in den 1950er Jahren systematisch bearbeitet, weil dieser Umstand den Unterhaltungswert der Filme geschmälert hätte. Deutsche, die alles dafür taten, sich selbst einzureden, dass sie im »Dritten Reich« immer »fair« und »anständig« waren, wurden durch Bilder brandschatzender deutscher Militärs oder stereotyper Nazi-Bösewichter in ihrem Selbstverständnis verletzt. Vermittels einer Anpassung von Filmen qua signifikanter Variation an die Empfindlichkeiten des bundesdeutschen Publikums sollten demnach die Akzeptanz und der Unterhaltungswert der Filme gesteigert und damit ihr Gewinn erhöht werden. 1) Joseph Garncarz: Filmfassungen: Eine Theorie signifikanter Filmvariation. Frankfurt/ Main: Peter Lang 1992. Der Artikel von Gero Gandert: Casablanca auf Deutsch. In: Aljean Harmetz: Verhaften Sie die üblichen Verdächtigen – Wie Casablanca gemacht wurde. Berlin: Berlin Verlag 2001, S. 407-413, basiert auf meinem Buch. – Ich danke Andrea Kirchhartz und Christoph Fuchs für eine kritische Lektüre dieses Artikels. — 2) Garncarz, Filmfassungen, a.a.O, S. 13-29. — 3) Joseph Garncarz: Untertitel, Sprachversion, Synchronisation: Die Suche nach dem optimalen Übersetzungsverfahren. In: Jan Distelmeyer (Hg.): Babylon in FilmEuropa: Mehrsprachen-Versionen der 1930er Jahre. München: edition text + kritik 2006 (CineGraph-Buch), S. 9-18. — 4) In der DDR lief der Film erstmals am 6.9.1983 im Fernsehen. — 5) FSK-Akte 4385. — 6) Von der 1952er-Fassung ist ein Video erhalten (mit dem Firmenlogo des Verleihers Warner Bros.) sowie eine 35mm-Kopie (mit dem Firmenlogo des Verleihers Nobis, der den Film 1974 noch einmal in die Kinos gebracht hat). Das Video befindet sich in meinem Besitz, die 35mm-Kopie ist im Besitz der Stiftung Deutsche Kinemathek. — 7) Dank an Andrea Kirchhartz für diesen Hinweis. — 8) Z.B. bei Martin Loiperdinger: Filmzensur und Selbstkontrolle: Politische Reifeprüfung. In: Wolfgang Jacobsen, Anton Kaes, Hans Helmut Prinzler (Hg.): Geschichte des deutschen Films. Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler 1993, S. 479-498,hier: S. 496. — 9) FSK-Akte 4385. — 10) Illustrierter Film-Kurier, Nr. 425, April 1948. — 11) Paimanns

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Filmlisten, Nr. 1673, 3.5.1948, S. 35. — 12) Dr. Kurt Joachim Fischer: Conrad Veit [!] wurde herausgeschnitten. In: Neue Zeitung, 24./25.1.1953. — 13) Garncarz, Filmfassungen, a.a.O, S. 94-133. — 14) Fritz Podehl an Leo J. Horster, 28.4.1952 (FSK-Akte 4077 zu The African Queen). — 15) Arbeitsausschuss am 27.3.1952 an die Antragstellerin, die Firma Transocean (FSK-Akte 4077). — 16) In den Fassungen der FSK-Grundsätze der 1950er Jahre geht es hier um das Verbot, »die Beziehungen Deutschlands zu anderen Staaten zu gefährden, insbesondere deren Regierungen, amtliche Repräsentanten und Einrichtungen herabzusetzen.« Wie den Ausführungs- und Verfahrensbestimmungen zu den Grundsätzen der FSK in der Fassung vom 6.11.1951, A 7, zu entnehmen ist, bezieht sich dieses Verbot nicht darauf, Repräsentanten des eigenen Staates herabzusetzen. — 17) Fischer, Conrad Veit [!] wurde herausgeschnitten, a.a.O. — 18) Protokoll der Sitzung des Arbeitsausschusses vom 7.6.1950 (FSK-Akte 1413). — 19) Protokoll der Sitzung des Arbeitsausschusses vom 16.10.1951 (FSK-Akte 1413). — 20) Dr. K. J. Fischer: Pfiffe gegen The African Queen: Deutschfeindlicher Film englischer Produktion. In: Frankfurter Nachtausgabe, 21.7.1952. — 21) Piron: Die »bösen« Deutschen. In: Die Zeit, Nr. 30, 24.7.1952. — 22) K. J. F[ischer]: Billige Effekte: Ein englischer Film in Locarno. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.7.1952. — 23) Piron, Die »bösen« Deutschen, a.a.O. — 24) Ebd. — 25) 1100 Filme im FE-Querschnitt: Erfahrungsberichte für die Spielzeiten 1952/ 53 bis 1958/59. In: Horst Axtmann, Georg Herzberg (Hg.): Film-Echo-Verleihkatalog 1960/61. Wiesbaden: Verlag Horst Axtmann 1960, S. 1089-102. — 26) Ebd., S. 145. — 27) Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (Hg.): Filmstatistisches Taschenbuch 1957. Wiesbaden-Biebrich: Becker 1957, S. 11. — 28) Emnid-Informationen: Nr. 15/1952, Nr. 47/1952, Nr. 16/1953. — 29) Christian Adam: Lesen unter Hitler: Autoren, Bestseller, Leser im Dritten Reich. Berlin: Galiani 2010. — 30) Henrik Eberle (Hg.): Briefe an Hitler: ein Volk schreibt seinem Führer. Bergisch Gladbach: Lübbe 2009; Theresa Ebeling [u.a.]: »Geliebter Führer«: Briefe der Deutschen an Adolf Hitler. Berlin: Vergangenheitsverlag 2011. — 31) Richard von Weizsäcker: Zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Ansprache am 8. Mai 1985 in der Gedenkstunde im Plenarsaal des Deutschen Bundestages. Hg. [u. a.] von der Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn: Bonner Universitäts-Buchdruckerei 1985. — 32) Harald Welzer, Sabine Moller, Karoline Tschuggnall: »pa war kein Nazi«. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis. Frankfurt/Main: Fischer 2012, S. 81-104. — 33) Harald Welzer: Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden. Frankfurt/Main: Fischer 2013, S. 24-31. — 34) Garncarz, Filmfassungen, a.a.O, S. 114-116. — 35) Elisabeth Noelle-Neumann, Edgar Piel(Hg.): Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie 1978–1983. Bd. VIII. München, New York, London, Paris: Verlag für Demoskopie 1983, S. 191. — 36) Ebd., S. 187. — 37) Kurt Joachim Fischer: Organisierte Arbeit als Staatsdienst. Heidelberg: Schulze 1936. — 38) Kurt J.Fischer: Der Gefangene von Stalingrad: Bericht eines Heimgekehrten. 2. Aufl. Heilbronn: Hans A. Rümelin o. J. [um 1947], S. 4. — 39) Dr. Kurt J. Fischer: Heinz Heydrich [Leserbrief]. In: Der Spiegel, Nr. 11, 16.3.1950. — 40) Joachim Fischer: Die goldene Spange. Kampfberichte eines Sommers. Panzerfausthefte Nr. 7. Hg. von der Panzer-Propaganda-Kompanie 697, 1943 (ohne Ortsangabe). — 41) Ebd., S. 8. — 42) Dr. Kurt J. Fischer, Heinz Heydrich, a.a.O. — 43) Ebd. — 44) Garncarz, Filmfassungen, a.a.O., S. 132. — 45) Film-Revue, Nr. 26, 1950 (Platz 4/1950); Nr. 26, 1951 (Platz 2/1951); Nr. 25, 1952 (Platz 1/1952); Nr. 1, 1954 (Platz 1/1953); Nr. 6, 1955 (Platz 2/1954); Nr. 7, 1956 (Platz 5/1955). — 46) Fischer, Conrad Veit [!] wurde herausgeschnitten, a.a.O. — 47) Thomas Guback: Shaping the Film Business in Postwar Germany: the Role of the US Film Industry and the US State. In: Paul Kerr (Hg.): The Hollywood Film Industry.

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London, New York 1986, S. 245-275; Stefano Cambi: Hollywood e l’Informational Media Guaranty Program nel contesto della guerra fredda: promuovere per escludere? In: Eunomia, Nr. 1, 2013, S. 123-162. — 48) Auswertung aller im Deutschen Filminstitut (DIF) gesammelten Filmkritiken. — 49) Neu in Deutschland: Casablanca. In: Der Spiegel, Nr. 39, 24.9.1952. — 50) Neue Zeitung, 9.9.1952. — 51) Hannoversche Presse, 29.11.1952. — 52) Joseph Garncarz: Hollywood in Deutschland: Zur Internationalisierung der Kinokultur: 1925–1990. Frankfurt/Main, Basel: Stroemfeld 2013, S. 74, S. 188. — 53) Filmblätter, Nr. 52/53, 25.12. 1953. — 54) 1100 Filme im FE-Querschnitt, a.a.O. — 55) Filmstatistisches Taschenbuch 1957, a.a.O., S. 11.

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Francesco Bono ÄSTHETISCHE ZENSUR Zu den (west-)deutschen Fassungen von Luchino Viscontis SENSO und ROCCO E I SUOI FRATELLI

Als »Visconti-Verschnitt«1 wird in der Presse die unvollständige und an wesentlichen Stellen veränderte Fassung von Rocco e i suoi fratelli (1960) apostrophiert, die im Frühjahr 1962 unter dem Titel Rocco und seine Brüder in der Bundesrepublik anläuft. Man beanstandet die umfangreiche und dubiose Umgestaltung, die Luchino Viscontis Meisterwerk diesseits der Alpen erfährt. Dabei ist Rocco e i suoi fratelli kein Einzelfall: Ein Großteil der Filme des italienischen Altmeisters kommt in West-Deutschland in deutlich gekürzter und veränderter Fassung heraus. Die Liste umfasst seinen Erstling Ossessione (Ossessione … von Liebe besessen, 1942/43) und das neorealistische Epos La terra trema (Die Erde bebt, 1947/48), die zwar vereinzelte Aufführungen bei Festivals oder in Filmclubs erleben, aber erst Ende der 1950er Jahre in die bundesdeutschen Kinos kommen; ebenso das historische Melodram Senso (Sehnsucht, 1953/54) wie auch ein weiteres Meisterwerk aus den frühen 1960er Jahren, Il Gattopardo (Der Leopard, 1962) sowie Viscontis späteres Werk über den bayerischen »Märchenkönig«, Ludwig (Ludwig II., 1972), das in der Bundesrepublik in einer um fast eine Stunde gekürzten Fassung zirkulierte. Im vorliegenden Beitrag soll auf die vielfachen Eingriffe, Kürzungen und Änderungen eingegangen werden, die Senso und Rocco e i suoi fratelli in der Bundesrepublik erfahren haben. Ihr Schicksal scheint beispielhaft für eine zensurartige Kontrolle, die der Verleih in der Bundesrepublik der 1950er und frühen 1960er Jahre auf ausländische Filme ausübte. In der wissenschaftlichen Literatur zur Filmkontrolle in der Bundesrepublik sind in erster Linie die Tätigkeit der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), des Interministeriellen Auschusses für Ost/West-Filmfragen (IMF) und der Filmbewertungsstelle Wiesbaden (FBW) untersucht worden, der spezifischen Verantwortung, die dem Verleih zukommt, wird nur selten Beachtung geschenkt.2 Die Rolle der Verleiher scheint aber – wie im Folgenden gezeigt werden soll – bedeutender und problematischer zu sein als bisher erkannt. So muss auch die generelle Auffassung, dass der Verleih im Wesentlichen auf Druck institutioneller Stellen agierte, einer gründlichen Revision unterzogen werden. Seine in der Publizistik verbreitete Darstellung als Handlanger der FSK, durch den deren Änderungswünsche durchgeführt werden, simplifiziert das tatsächliche Bild. »Dies ist die eigentliche Selbstkontrolle unserer Filmwirtschaft«, notiert ein Kritiker Anfang der 1960er Jahre: »Die Eingriffe, die man von der Zensur er-

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wartet, nimmt man vorweg«;3 und Guido Marc Pruys schreibt: »Die Bedeutung der FSK und FBW liegt insgesamt nicht so sehr in den auf ausdrücklichen Wunsch der Gremien vorgenommenen Änderungen von Filmen, sondern in ihrem Einfluß auf die allgemeine Wertvorstellung, dem sich Verleiher und Synchronisateure präventiv anschlossen«.4 Eine derartige Auffassung geht jedoch an der komplexen Interaktion zwischen FSK und Verleih vorbei, das tatsächliche Bild erweist sich als ambivalenter und differenzierter.

SENSO: Vom historischen Fresko zur Love Story Im August 1955 reicht der Europa-Filmverleih Senso in einer italienischen Fassung bei der FSK ein; diese Kopie ist um 10 Minuten kürzer als die in Italien zirkulierende Verleihfassung. Dort ursprünglich mit einer Länge von 3420 Metern freigegeben, musste der Film ein zweites Mal der Zensur vorgelegt werden und kam schließlich mit einer Länge von 3309 Metern in Italien heraus.5 Senso wird am 10.8.1955 von der FSK geprüft und ab 16 Jahren freigegeben.6. Danach wird Viscontis Film vom Verleih weiter gekürzt. Durch die zusätzlichen Schnitte wird die deutsche Fassung auf 101 Minuten gebracht. Anfang Dezember 1955 teilt der Verleih der FSK mit, dass die deutsche Fassung fertiggestellt sei, und weist auf die neuen Schnitte hin: »Durch die verschiedenen Kürzungen hat der Film nunmehr eine Gesamtlänge von 2773 m.«7 Durch die vielen Veränderungen, die der Verleih an Senso vornimmt, wird das Werk grundlegend modifiziert. Nach Viscontis Absicht sollte Senso eine kritische Reflexion zu einem wichtigen Kapitel der jüngeren Geschichte Italiens darstellen. Die Handlung, die frei der Novelle des Schriftstellers Camillo Boito aus dem Jahr 1883 folgt, dreht sich um Livia Serpieri (Alida Valli), eine italienische Komtess, und ihre Liebschaft mit dem österreichischen Offizier Franz Mahler (Farley Granger) vor dem Hintergrund des »Risorgimento«, der Entstehung des italienischen Staates durch die Vereinigung des Landes unter dem Hause Savoyen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Handlung spielt in Venedig im Jahr 1866, als Venetien und ein größerer Teil Nordost-Italiens noch zum Habsburger-Reich gehörten, und Senso stellt dabei das private Geschehen in die politischen Auseinandersetzungen der Zeit. Gerade der historische Bezug, dem nach Viscontis Konzept besondere Bedeutung zukommt, fällt dem Eingriff des Verleihs in weiten Teilen zum Opfer. Als bezeichnend dafür erscheint die Entfernung der Sequenz über die berüchtigte Schlacht bei Custozza, die die Italiener am 24.6.1866 gegen Österreich verloren. Nach anfänglichen Erfolgen wurden die italienischen Truppen zum Rückzug gezwungen und die Schlacht endete im Desaster für Italien. Es handelt sich um eine zentrale Episode im »Dritten Unabhängigkeitskrieg«, den das wenige Jahre vorher entstandene Königreich Italien gegen das HabsburgerReich führt, um Venetien und Nordost-Italien zu gewinnen, und dieser Kom-

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plex spielt in Senso eine wichtige Rolle. So sollte auch der Film ursprünglich den Titel »Custozza« tragen.8 In der deutschen Fassung wird der ganze Schlacht-Komplex entfernt, der in Filmkritik zu den »bewegendsten Kriegsszenen« gerechnet wurde, »die man seit Im Westen nichts Neues auf der Kinoleinwand sehen konnte.9 Es handelt sich um den umfangreichsten und bedeutungsvollsten Schnitt, der in der deutschen Fassung vorgenommen wird. Vom Versuch von Livias Vetter Roberto Ussoni, die Ortschaft Oliesi und die dortigen Freischärlertruppen zu erreichen, bis zur abschließenden Einstellung, in der einigen Soldaten, die noch kämpfen, der sofortige Rückzug befohlen wird, fällt die gesamte Sequenz der Schere des Verleihs zum Opfer. Lediglich die erste Einstellung wird beibehalten: eine einführende Plansequenz, in der ein Offizier Livias Vetter mitteilt, dass die Schlacht eben begonnen habe und er sich den Freischärler-Verbänden anschließen solle. In der deutschen Fassung dient die kurze Szene als Übergang vom Abschied zwischen Livia und Franz, der mit dem Geld, das Livia in Venedig von ihrem Vetter für die Freischärler anvertraut worden war, nach Verona flieht, zu der späteren Szene, in der Livia ihren Mann und das Landgut verlässt, auf das sie sich bei Ausbruch des Krieges zurückgezogen hatten, um nach Verona zu Franz zu eilen. Des Weiteren fehlt das Gespräch zwischen Livias Mann und dem österreichischen General in der Opernloge zu Beginn des Films, in dem Ersterer seine Besorgnis äußert, das Theater könne zu einem Schauplatz für proitalienische Kundgebungen werden. Kurz zuvor sind die österreichischen Offiziere im Parkett am Ende des ersten Aktes von »Il Trovatore« von der Galerie aus mit propagandistischen Flugblättern und rotweißgrünen Bouquets beworfen worden. In der deutschen Fassung beginnt die Szene mit Livias Rückkehr in die Loge. Sie hat im Foyer kurz ihren Vetter gesprochen, der gerade den österreichischen Offizier Franz Mahler zum Duell herausgefordert hat. Livia äußert nun unter dem Vorwand weiblicher Neugier den Wunsch, den als Casanova geltenden Offizier kennenzulernen. Sodann fällt die Szene weg, in der Livia im Gefängnis von ihrem Vetter, der aus Venetien verbannt wird, Abschied nimmt. Die neue Szene beginnt in der deutschen Fassung mit einer Totalen, in der Livias Vetter zusammen mit anderen Patrioten weggeführt wird, worauf Livia beim Verlassen des Gefängnisses auf Franz Mahler trifft. Dem gleichen Bestreben, die Erzählung durch Auslassung jener Teile zu straffen, die nicht auf Livia und Franz und ihre Love Story fokussieren, entspricht auch die Entfernung einer späteren Szene auf dem Landgut, in der Livias Mann aufgeregt versucht, den Brand zu lokalisieren, der unweit ausgebrochen und wohl von österreichischen Truppen gelegt worden ist, die aus Innsbruck an der Villa vorbei nach Verona marschieren. Zuerst versucht er von einer Terrasse aus, das Feuer zu erspähen. Dann eilt er mit einem Gehilfen und einigen Knechten auf den Dachboden des Hauses, von dem er sich einen besseren Ausblick erhofft. In der deutschen Fassung fällt der erste Teil, in der Livia am Rand des

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Senso ( 1953/54, Luchino Visconti): Alida Valli

Geschehens steht, weg: Auf den Moment, als ihr Mann den verdächtigen Rauch am Horizont entdeckt, folgt unmittelbar das Eilen auf den Dachboden. Dort hält sich seit der vorigen Nacht Franz versteckt, der desertiert ist und Livia heimlich aufgesucht hat. Die Kamera ist auf Livia fokussiert, die den Männern bangend auf den Dachboden folgt, doch die Zofe hat Franz inzwischen unbemerkt in Livias Zimmer geführt. Ebenfalls ist die Szene herausgenommen, in der Livia am Ende des Films nach dem dramatischen Wiedersehen mit Franz durch die nächtliche Stadt irrt, in der betrunkene Soldaten die gewonnene Schlacht feiern, um ihren Liebhaber als Deserteur bei der österreichischen Kommandantur zu denunzieren. Livia ist zum Teil kaum zu erkennen, und es scheint, als ob die Kamera sie einen Moment lang vergessen würde, um den Blick auf das historische Panorama zu richten. Dagegen geht die deutsche Fassung von der Einstellung, in der Livia Franz erregt verlässt, gleich auf das Bild über, das sie in der Kommandantur wartend auf einer Bank zeigt. Das Ergebnis der zahlreichen Kürzungen ist eine deutliche Verlagerung des Akzents auf die Love Story, während die historische Dimension an Wichtigkeit verliert und in den Hintergrund gedrängt wird. Das subtile Gleichgewicht zwischen der privaten Ebene, der Geschichte von Livia und Franz, und dem kriti-

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schen Diskurs über die Genesis des italienischen Staates und seinen Charakter, das in Senso angestrebt wird, geht so verloren: »Das politische Stück wurde«, wie Filmkritik polemisch anmerkt, »auf eine private Liebesgeschichte reduziert«.10 Eine Gewichtsverlagerung in der dramaturgischen Struktur des Films, die der deutsche Verleihtitel Sehnsucht gut veranschaulicht. Während »senso« im Italienischen die doppelte, problematische Bedeutung des deutschen Wortes »Sinn« besitzt (wobei der Originaltitel auf die entgegengesetzten Pole des Verstandes und der Sinnlichkeit hindeutet, zwischen denen sich Livias Schicksal abspielt), hebt Sehnsucht die sentimentale, melodramatische Note hervor, die Love Story, auf die Viscontis Werk in der deutschen Fassung reduziert wird.

Angriff auf die Form Die Manipulationen, die Senso und Rocco e i suoi fratelli in West-Deutschland durch den Verleih erleiden, belegen in beispielhafter Weise das, was Enno Patalas 1960 in seinem Artikel »Schneiden für Deutschland« anmerkt: »Es gibt eine Selbstkontrolle der deutschen Filmwirtschaft, (…) die überhaupt nicht institutionell in Erscheinung tritt, aber deshalb doch weitaus wirksamer funktioniert als die sogenannte.«11 Dabei beschränkt sich die Kontrolle nicht auf das, was in der Bundesrepublik an ausländischen Produktionen zu sehen ist, der Verleih hat zugleich Einfluss darauf, wie sie gesehen werden. Er bestimmt neben dem allgemeinen Angebot auf dem Markt auch die definitive Form, in der ein Film in die Kinos kommt. Dabei benennt Patalas eine ungeschriebene Norm, an der sich der Verleih orientiert: »Es soll in der Bundesrepublik kein ausländischer Film verliehen und öffentlich vorgeführt werden, der (…) über 100 – in Ausnahmefällen 110 – Minuten lang ist.«12 Ein solches »Gesetz« findet bei Senso wie auch bei anderen Werken Viscontis eine markante Anwendung. Durch die drastischen Schnitte, die sie erleiden, will man ihre Spielzeit gewissermaßen »normalisieren«, sie soll der üblichen Länge angepasst werden. Doch die ungewöhnliche Länge, die Viscontis Werke im Vergleich zum durchschnittlichen Filmangebot aufweisen, ist nicht der einzige Grund für solche Eingriffe. Es wäre eine irrtümliche Vereinfachung, sie allein mit dem Wunsch zu erklären, die Spieldauer zu stutzen. Es scheint mehr auf dem Spiel zu stehen, und die Manipulation, die Viscontis Filme durch den Verleih erfahren, erweist sich bei näherer Betrachtung als tiefer gehend und umfangreicher. Es kennzeichnet sie, so könnte man argumentieren, ein ästhetischer Charakter, und dieser unterscheidet sich deutlich von der Kontrolle, die die FSK ausübt: Während diese ihre Aufmerksamkeit auf den vermeintlichen Inhalt richtet, auf den Dialog und das, was die Bilder zeigen, und dabei in den 1950er und frühen 1960er Jahren vor allem die Felder Sexualität und gesellschaftliche Moral,

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Politik, Historie und ihre Darstellung, Kriminalität, Gewalt und Religion berücksichtigt,13 geht es bei einem (Groß-)Teil der Eingriffe des Verleihs in Viscontis Filme in erster Linie um ihre Form, um eine Kontrolle der Ästhetik, die sein Werk prägt. Den Eingriffen fallen Bilder, Passagen oder ganze Szenen zum Opfer, die gegen das verstoßen, was als ästhetische Norm empfunden wird. Einen derartigen Charakter weisen z.B. etliche Schnitte auf, die an Senso vorgenommen werden und kaum Einfluss auf die Gesamtlänge des Films haben, doch dessen Form tiefgreifend verändern. Man nehme z.B. die Einlage aus »Il Trovatore« nachdem Livia den Wunsch geäußert hat, den österreichischen Offizier kennenzulernen. In der deutschen Fassung wird die Einlage auf ein Minimum beschränkt, wodurch sich ihre Funktion auffällig ändert. Während die Opernszene im Original einen autonomen Wert erhält, eine längere Pause einführt und die Handlung gewissermaßen unterbricht, dient sie in der deutschen Fassung als simpler Übergang zur nächsten Sequenz, in der Franz Mahler in die Loge tritt und der Komtess vorgestellt wird. Und eine weitere Szene aus »Il Trovatore« entfällt in der deutschen Fassung gänzlich. Sie folgt im Original auf Livias erregte Frage »Was meinen Sie?« an den Offizier, der ihr mitteilt, es werde zu keinem Duell kommen, die Angelegenheit werde durch den Arrest ihres Vetters bereinigt. In der deutschen Fassung folgt unmittelbar der Gegenschuss auf den Offizier, der Livia fragt: »Wunderschöne Musik! Werden Sie morgen Abend kommen?« Es fehlt auch die Einstellung, in der die Zofe die Komtess beim eifrigen Absuchen der Villa fragt, ob tatsächlich sie auf dem Balkon gestanden hat. Livia bejaht die Frage, doch in Wahrheit war es Franz, der sie in der Nacht auf dem Land aufgesucht hatte. Ebenso fehlt der erste Teil des Gesprächs zwischen Livia und Franz, in dem sie ihn abzuweisen versucht und den Satz: »Wir sind nicht mehr in Venedig« mehrmals wiederholt, wie um sich zu überzeugen, dass ihre Liaison ein Ende finden muss; und die spätere Einstellung, in der Livias Mann, von der Inspektion des Dachbodens zurückkehrend, dem Freischärler begegnet, der eben im Auftrag ihres Vetters gekommen ist. In der deutschen Fassung entfällt ferner am Ende die erste Einstellung, in der Livia durch die nächtliche Stadt irrt, nachdem sie die österreichische Kommandantur verlassen hat. Hier ist nur die zweite Einstellung beibehalten, in der sich ihre Figur im Dunkel entfernt, während sie den Namen »Franz« ausruft. Es handelt sich bei den Eingriffen zum Großteil um einzelne Einstellungen, und die Kürzung der Spielzeit, die durch sie erreicht wird, erscheint geringfügig. Auch modifizieren sie nicht die Handlung. Dies ist auch nicht der Zweck, den sie verfolgen. Vielmehr sollen sie auf die Form, die Viscontis Film auszeichnet, Einfluss nehmen. Die verschiedenen Einstellungen und kurzen Passagen, die in der deutschen Fassung wegfallen, haben gemeinsam, dass sie die Handlung kaum vorwärtsbringen, sie retardieren eher ihren Ablauf, indem sie ihn deutlich aufhalten oder Informationen vermitteln, die bereits in anderen Bildern enthalten sind, und sie damit duplizieren.

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Insofern erscheint ihr Wegfall bezeichnend für ein weiteres von Patalas genanntes »Gesetz«, dem der Verleih beim Umgang mit ausländischen Filmen folgte. Danach sollten im Sinne eines konventionellen Kinos und »klassischer« Hollywood-Schemata »Einstellungen ohne Handlung« entfallen. Wobei der Verleih sich offenkundig dem Diktat eines ästhetischen Konzepts unterwirft, nach dem das Bild – um es vereinfacht zu formulieren – der Handlung unterwirft, in ihren Dienst stellt.

An die Norm(alität) angepasst Dies belegt beispielhaft die (west-)deutsche Fassung von Rocco e i suoi fratelli. Der Film, der das Schicksal von fünf Brüdern schildert, die vor dem Hintergrund des Wirtschaftswunders, das Italien Ende der 1950er Jahre erlebt, mit ihrer Mutter aus dem tiefen Süden nach Mailand ziehen, wird am 21.2.1961 von der FSK begutachtet.14 Dem Arbeitsausschuss liegt eine 4813 Meter lange Kopie in italienischer Sprache vor. Aufgrund der ähnlichen Länge kann davon ausgegangen werden, dass es sich um die Fassung handelt, die ab Ende 1960 in Italien zu sehen war. Viscontis Werk hatte bei der Uraufführung auf der Biennale in Venedig am 6.9.1960 in einer 4868 Meter langen Fassung großes Aufsehen erregt und war dann von der Zensur mit einer Länge von 4853 Metern ab 16 Jahren freigegeben worden. Nach einem zweiten Zensurdurchgang zirkulierte der Film schließlich in Italien in einer 4821 Meter langen Fassung.15 Der mehrmalige Eingriff der italienischen Zensur in Rocco e i suoi fratelli richtete sich in erster Linie gegen die Szenen, in der Simone Nadia vergewaltigt und in der er sie später ermordet. Des Weiteren wird die Passage um einige Meter verknappt, in der Nadia und Simone auf dem Bett liegen und sich leidenschaftlich küssen, wie auch die Schlägerei zwischen Rocco und Simone nach Nadias Vergewaltigung. Die Vergewaltigung, die darauffolgende Schlägerei zwischen Simone und Rocco sowie die Ermordung Nadias sind auch die Szenen, auf die sich die Aufmerksamkeit der FSK richtet. Im Jugendprotokoll wird auf die Stellen spezifisch Bezug genommen, und man bewertet sie als »besonders schockierende Passagen«.16 Dabei wird auch festgehalten, dass sie »in der vorgelegten Fassung gegenüber dem in Italien zunächst gezeigten Original bereits gekürzt und weitgehend von Nah- und Großaufnahmen bereinigt« sind. Die Anmerkung bekräftigt die Annahme, dass es sich bei der Kopie um die endgültige Fassung handelt. Damit erweist sich die Behauptung, der deutsche Verleih habe in »vorauseilender Selbstzensur«17 agiert und sei für die Entschärfung der Szenen verantwortlich, als irreführend, denn die Stellen waren bereits in Italien gekürzt worden. Damit zeigt sich erneut die Notwendigkeit einer sorgfältigen Untersuchung der verschiedenen Eingriffe, die Rocco e i suoi fratelli oder ein jeglicher Film erfahren, wenn man die diversen Gründe verstehen will, die sie motivieren.

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Rocco und seine Brüder wird von der FSK ab 18 Jahren freigegeben, ohne dass die genannten Szenen oder andere Stellen beanstandet werden. Es wird lediglich eine Auflage in Bezug auf den Dialog formuliert; sie betrifft die pathosvolle Anklage der Mutter gegen Gott am Ende des Films, als Simone nach Nadias Ermordung bei der Familie Zuflucht sucht: »Die Antragstellerin wird darauf hingewiesen, insbesondere bei dem Ausbruch der Mutter am Schluss, wo sie sagt: ›Christus müsste Gewissensbisse haben, daß er mir so ein Leid zugefügt hat‹, nicht zu vergröbern«. Die Freigabe erfolgt »vorbehaltlich der Überprüfung der endgültigen deutschen Textliste«.18 Doch Rocco und seine Brüder wird nach der Freigabe durch die FSK vom Verleih, der Bavaria-Film, umfangreich gekürzt und verändert, und als Viscontis Werk Ende April 1961 in der Bundesrepublik startet, ist der Film um etliches kürzer. Wie dem Film-Echo zu entnehmen ist, beträgt die definitive Länge der deutschen Fassung 4549 Meter,19 was einer Spielzeit von 167 Minuten entspricht. Dabei trifft der Eingriff nicht die Vergewaltigungsszene und Nadias Ermordung, die in erster Linie für den Skandal verantwortlich waren, die der Film in Italien auslöste und gegen die die dortige Zensur einschritt. Dieser Punkt ist aufschlussreich: Wie die FSK hat die italienische Zensur in erster Linie den offenkundigen Inhalt berücksichtigt, der Eingriff der Bavaria richtet sich aber nicht gegen die Passagen, die inhaltlich als problematisch erscheinen mochten. Eine Ausnahme bildet insofern die Kürzung der Szene, in der Nadia und Simone in Bellagio auf der kleinen Mauer sitzen, die das elegante Hotel von der Straße trennt. In der deutschen Fassung entfällt der zweite Teil der Szene, in der Nadia ihm klarmacht, dass sie mit ihm nur nach Bellagio gefahren sei, weil sie für ein paar Tage aus Mailand verschwinden musste. Dadurch wird der Bezug auf Nadias Tätigkeit als Prostituierte eliminiert und die Szene nimmt eine romantische Note an, die sie im Original nicht besitzt. Es entsteht der Eindruck eines kleinbürgerlichen Liebespaars, das das Osterwochenende am Comer See verbringt.20 Doch die Mehrzahl der Veränderungen, die vom Verleih vorgenommen werden, scheinen weniger durch die Handlung, den (Bild-)Inhalt, motiviert, als durch ästhetische Überlegungen, und sie betreffen in erster Linie die formale Ebene. Als bezeichnend erscheint der Schnitt, dem die längere Sequenz der Schlägerei zwischen Simone und Rocco nach der Vergewaltigung zum Opfer fällt. Die Prügelei findet vor dem Hintergrund einer öden, nächtlichen Peripherie statt und scheint kein Ende nehmen zu wollen. Die ganze Sequenz wird in der deutschen Fassung herausgenommen. Hier sieht man die Brüder, die sich auf dem Gelände zu schlagen beginnen, während sich Simones Kumpel rasch entfernen, und die nächste Einstellung zeigt Vincenzo und Ginetta, die durch Rocco geweckt werden, als er bei ihnen Unterschlupf sucht. Zum Eingriff führt aber nicht die Brutalität der Schlägerei, die sich vermeintlich in den Bildern zeigt. Die Kamera wohnt dem Geschehen aus gewisser Entfernung bei und zeigt es zum Großteil in Totalen, während die Gestalten Roccos und Si-

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mones fast vom Dunkel verschluckt werden. Es sind vielmehr die als exzessiv empfundene Länge, und die Handlungsleere, die den Schnitt motivieren, die auffällige Langsamkeit, die die gesamte Szene auszeichnet, die langen Pausen zwischen den einzelnen Schlägen, Viscontis Verzicht auf Nah- und Großaufnahmen wie auch auf eine musikalische Untermalung, die auf übliche Weise für ein Crescendo sorgt. Somit besitzt die Sequenz nicht den dynamischen Charakter einer Schlägereiszene in einem Hollywood-Film: Ihre Gestaltung entzieht sich den üblichen Schemata, und sie erscheint als handlungsleer und zu lang. Sie wirkt »ausgedehnt«, wie es im Sitzungsprotokoll der FSK heißt,21 und das Adjektiv ist bezeichnend. Es ist ihre Form, die als unangemessen erscheint und gegen die Norm, die filmische »Normalität« verstößt. Aus demselben Grund fällt offenbar auch die Passage, in der die Mutter Rosaria über den Zerfall der Familie wehklagt, der Schere zum Opfer. Sie schreibt sich die Schuld daran zu, weil sie sich nach dem Tod ihres Mannes entschieden hatte, die Heimat zu verlassen und in den Norden zu ziehen, um ihren Kindern eine bessere Zukunft als das Leben im Süden zu bieten. In einer Ecke des Zimmers steht Ciro, der ihr zuhört und schweigt, während ihr Ausbruch theatralischen Charakter annimmt und zum pathosvollen Monolog, zur melodramatischen Ausschweifung wird. In der deutschen Fassung folgt auf die Einstellung, in der Ciro, nach Hause kommend, auf Nadia trifft, die jetzt mit Simone bei ihnen wohnt, gleich die Nahaufnahme der Mutter, die von Ciro getröstet wird. Er verspricht ihr, mit dem Bruder zu sprechen, und begibt sich in Simones Zimmer. Der Schnitt dient offenbar der Beschleunigung der Handlung (es entfällt auch die Einstellung, in der Nadia in der Küche mit dem kleinen Luca zu sehen ist), doch der Eingriff modifiziert auch im Wesentlichen die Figur der Mutter und die Weise, wie sie vom Zuschauer empfunden wird. Die Ursache ihres Leids scheint in der deutschen Fassung einzig Nadias Anwesenheit in ihrem Haus und deren Einfluss auf Simone zu sein. Dadurch wird – wie ein Kritiker anmerkt – der Figur und »ihrem matriarchalischen Brio das antikische Maß genommen«; was übrig bleibt, ist »eine gefühlvolle Kleinbürgerin«.22 Der ästhetische Eingriff des Verleihs in Rocco e i suoi fratelli gipfelt in der Szene, in der Simone in der Nacht nach Nadias Ermordung nach Hause zurückkehrt, wo man eben Roccos neuen Sieg im Boxring feiert. Die Szene zeigt das letzte Kapitel des unaufhaltsamen Zerfalls der Familie. Während sich Rocco trotz allem auf Simones Seite stellt, eilt Ciro, den Bruder anzuzeigen. Eine besondere Subtilität kennzeichnet die Bearbeitung der Szene durch den Verleih. Im Gegensatz zur Schlägerei zwischen Simone und Rocco und dem monologartigen Ausbruch der Mutter, die in der deutschen Fassung ganz wegfallen, trifft diesmal die Schere einzelne Einstellungen, die zum Großteil erhalten bleiben, jedoch deutlich verknappt werden. So fallen nur einzelne Einstellungen fort, wodurch die Szene jedoch formal auf entscheidende Art verändert wird. Simone und Rocco liegen auf dem Bett, und Simone gesteht, Nadia getötet zu haben. Da beginnt die Kamera sich zu nähern. Rocco wendet ihr den Rücken

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Rocco e i suoi fratelli (1960, Luchino Visconti): Alain Delon, Renato Salvatori

zu, schluchzt unaufhörlich. In der deutschen Fassung endet die Einstellung, bevor die Kamera sich zu bewegen beginnt. Es folgt gleich die Einstellung, in der Ciro und Rosaria ins Zimmer stürmen, die Mutter sich aufs Bett wirft und Rocco und Simone umarmt. Danach kommt eine längere Großaufnahme: Roccos Gesicht presst sich gegen den Bruder, er streichelt seinen Kopf, versucht ihn zu trösten. Dies fehlt ebenfalls in der deutschen Fassung, die mit der Szene fortsetzt, in der Rocco sich der Mutter zuwendet. Er will dem Bruder irgendwie helfen und schickt sich an fortzugehen. Danach fehlt die Passage, in der die Mutter Ciro vorwirft, die eigene Familie zu schänden, und ihn ohrfeigt, während Rocco sie tröstet: »Wir haben falsch gehandelt. Wir müssen bezahlen«. Jetzt warnt Luca, dass Ciro den Bruder anzeigen will, und Rocco rennt aus dem Zimmer, um Ciro aufzuhalten. Insgesamt wird die Szene durch die verschiedenen Schnitte um kaum eine Minute gekürzt, und das, was modifiziert wird, ist nicht das Geschehen, vielmehr manipuliert der Eingriff wesentlich das Tempo, in dem es geschildert wird. Als störend wird offenbar die Zeit empfunden, die sich der Regisseur nimmt, um die Episode zu erzählen: Sie wird als exzessiv empfunden, denn die Art, wie die Szene gestaltet ist, stellt einen Verstoß gegen das Prinzip der Ökonomie dar, das im konventionellen Kino die Erzählung und ihr Tempo regelt.

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Dementsprechend kann der Eingriff als Versuch gedeutet werden, die gängige Norm wiederherzustellen. Jetzt folgt die Szene dem Muster des traditionellen Crescendos, und der Zuschauer erlebt in rascher Folge Simones Geständnis dem Bruder gegenüber, als die Mutter in das Zimmer hastet, Rocco sie umarmt und sich anschickt zu gehen. Er schlüpft in einen Pullover, während ihn Vincenzo fragt, was er zu tun gedenke, da eilt Ciro schon die Treppe hinunter und Rocco ihm nach. Der Verleih verändert auch den Anfang des Films und gestaltet den Vorspann im Namen einer Beschleunigung der Erzählung radikal um. Im Original erscheint ein Großteil der Credits vor schwarzem Hintergrund. Erst danach ist der Bahnhof zu sehen, in den gerade der Zug mit Roccos Familie einfährt. Vor dem Hintergrund des nächtlichen Bahnhofs laufen noch die letzten Credits, bevor wir Rocco, seinen Brüdern und der Mutter begegnen und die tatsächliche Erzählung beginnt. Ein altertümliches Volkslied, einem schwermütigen, klagenden Lamento ähnlich, begleitet den Vorspann. Als Roccos Familie dann den Bahnhof verlässt, setzt eine moderne, jazzartige Melodie ein, die sie auf ihrer Tramfahrt durch die große Stadt begleitet. In der deutschen Fassung fehlt dagegen das Volkslied völlig, der gesamte Vorspann läuft vor dem Hintergrund des Bahnhofs und der ersten Bilder von der Ankunft der Familie ab, die sich nach Vincenzo umschaut, der sie abholen sollte. Somit beginnen der Film und die Erzählung gleichzeitig und der Zuschauer wird in media res versetzt. Das erste Bild, das auf der Leinwand erscheint, ist eine Totale des Bahnhofs, dem – wie es das traditionelles Kino will – die Funktion eines Establishing Shots verliehen wird. Geht es im Original darum, eine Stimmung zu vermitteln, die in den Bildern des einsamen, nächtlichen Bahnhofs ihr Echo findet, bemüht sich der Verleih dagegen, dem Anfang Schwung zu geben und gleich die Handlung in Gang zu setzen. Im Zeichen der (Wieder-)Herstellung einer traditionellen, kompakten Erzählung steht noch auch ein weiterer Eingriff des Verleihs in Rocco e i suoi fratelli. Es geht um die Überschriften, durch die der Film in einzelne Teile untergegliedert wird. Sie sind den fünf Brüdern gewidmet, die jeweils in den Mittelpunkt der Erzählung rücken, wobei ihr Alter die Reihenfolge bestimmt. So folgen auf das Kapitel über Vincenzo die Teile über Simone, Rocco und Ciro, und der Film endet mit einem kurzen Kapitel über Luca. In der deutschen Fassung sind die Überschriften eliminiert. Jede Überschrift ist wenige Sekunden lang, doch ihr Ausfall ist folgenschwer, denn er beeinträchtigt die spezifische Struktur, die Rocco e i suoi fratelli auszeichnet: Der »romanhaft[e] Aufbau des Films« geht, wie Eckhard Schleifer anmerkt,23 verloren, und die Erzählung wird einem herkömmlichen linearen Muster unterworfen. Durch die Tilgung der Kapitelüberschriften vollzieht sich so die ästhetische Umgestaltung, die vom Verleih an Rocco e i suoi fratelli vorgenommen wird und die beispielhaft für den ästhetischen Charakter und die Normierungsbestrebungen erscheint, die den Verleih-Eingriff in Viscontis Werk prägt. Es geht deutlich um

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den Versuch, dieses formal zu bändigen, um es den allgemeingültigen Gesetzen des gängigen Kinos zu unterwerfen. Für Ihre Unterstützung mit Rat und Tat danke ich folgenden Kollegen, Freunden und Institutionen: Hans-Michael Bock, Johannes Roschlau (CineGraph, Hamburg); Kevin Bongiorni (Louisiana State University, Baton Rouge), Brigitte Capitain, Uschi Rühle (Deutsches Filminstitut, Frankfurt/Main); Anja Göbel, Martin Koerber (Deutsche Kinemathek, Berlin); Claudia Engelhardt (Filmmuseum München); Christoph Fuchs; Joseph Garncarz, Thorsten Hohgräwe (Universität Köln); Anna Luise Kiss (Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, Potsdam); Helene Lorenz (ZDF, Mainz); Luca Pisciotta; Marzia Ruta (Progetto Italia Taglia, Ministero dei Beni e delle Attività Culturali, Rom / Cineteca di Bologna); Fabian Schauren (Bundesverband Kommunale Filmarbeit, Frankfurt/Main); Irmbert Schenk; Helge Schweckendiek (Kairos-Filmverleih, Göttingen). Ein besonderer Dank geht an die Geschäftsführung der FSK, Helmut Possmann, Christiane von Wahlert sowie Bettina Meister, für die Möglichkeit, Einsicht in die Akten zu den Filmen Viscontis zu nehmen. 1) Volker Baer: Die Neuentdeckung des Luchino Visconti. In: Der Tagesspiegel, 3.5.1987. – 2) Als Beispiel seien hier angeführt Stephan Buchloch: »Pervers, jugendgefährdend, staatsfeindlich«. Zensur in der Ära Adenauer. Frankfurt/Main: Campus 2002; Gerrit Binz: Filmzensur in der deutschen Demokratie. Trier: Kliomedia 2006; Jürgen Kniep: »Keine Jugendfreigabe«. Filmzensur in Westdeutschland 1949–1990. Göttingen: Wallstein 2010; Michael Humberg: Vom Erwachsenenverbot zur Jugendfreigabe. Die Filmbewertungen der FSK als Gradmesser des kulturellen Wertewandels. Münster: Telos 2013. — 3) Reinhold E. Thiel: Obrigkeitszensur und Gruppenzensur. In: Filmkritik, Nr. 2, Februar 1964, S. 72. — 4) Guido Marc Pruys: Die Rhetorik der Filmsynchronisation. Wie ausländische Spielfilme in Deutschland zensiert, verändert und gesehen werden. Tübingen: Narr 1997, S. 77. — 5) Die erste Aufführungserlaubnis datiert vom 30.10.1954, das definitive »nulla osta« trägt das Datum 10.12. 1954; Konvolut Senso, Progetto Italia Taglia, Ministero dei Beni e delle Attività Culturali / Cineteca di Bologna. Auf den Eingriff der italienischen Zensur gegen Senso geht im Detail ein: Mauro Giori: Poetica e prassi della trasgressione in Luchino Visconti 1935–1962. Mailand: Lampi di Stampa 2011, S. 167-175. — 6) FSK-Archiv, Prüf-Nr. 10394. Protokoll der Prüfungssitzung des Arbeitsausschusses vom 10.8.1955. — 7) FSK-Archiv, Prüf-Nr. 10394. Schreiben der Europa-Film an die FSK vom 5.12.1955. — 8) Zur Entstehung des Films vgl. Giori, a.a.O., S. 113-166. — 9) Verstümmelt, verboten, vergessen: Italienische Filme in der BRD. In: Filmkritik, Nr. 4, April 1957. — 10) Ebd. — 11) Enno Patalas: Schneiden für Deutschland. In: Süddeutsche Zeitung, 24.1.1960. — 12) Ebd. — 13) Kniep, a.a.O., S. 158. — 14) FSK-Archiv, PrüfNr. 24571. Protokoll der Prüfungssitzung des Arbeitsausschusses vom 21.2.1961. — 15) Zu den verschiedenen italienischen Fassungen von Rocco e i suoi fratelli und den Zensureingriffen vgl. Mauro Giori: Rocco e i suoi fratelli. Turin: Lindau 2011, S. 16 f, S. 49-99. — 16) FSK-Archiv, Prüf-Nr. 24571. Jugendprotokoll,. — 17) Eckhard Schleifer: Das Ende des »Flickerlteppichs«. Rekonstruierte Filme von Luchino Visconti im Fernsehen. In: FilmDienst, Nr. 6, 16.3.1993. — 18) FSK-Archiv, Prüf-Nr. 24571. Protokoll der Prüfungssitzung des Arbeitsausschusses vom 21.2.1961. — 19) Georg Herzberg: Rocco und seine Brüder. In: Film-Echo, Nr. 33/34, 29.4.1961. — 20) Schleifer, a.a.O. — 21) FSK-Archiv, Prüf-Nr. 24571. Protokoll der Prüfungssitzung des Arbeitsausschusses vom 21.2.1961. — 22) Erwin Goelz: Viscontis Meisterwerk. In: Stuttgarter Zeitung, 17.4.1961. — 23) Schleifer, a.a.O.

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Andreas Kötzing »DER BUNDESKANZLER WÜNSCHT EINEN HARTEN KURS …« Bundesdeutsche Filmzensur durch den »Interministeriellen Ausschuß für Ost/West-Filmfragen« Während der Hochzeit des Kalten Krieges war in Europa die politisch motivierte Filmzensur weit verbreitet. Die bisweilen paranoide Angst, Filme aus dem anderen Machtbereich könnten einen negativen Einfluss auf das Publikum im eigenen Land ausüben, existierte nicht nur bei den diktatorischen Regimen des Ostblocks. Auch in vielen westlichen Staaten versuchten Politiker, ihre Bevölkerung vor dem Einfluss »feindlicher Propaganda« zu schützen, indem sie ausländische Filme zensierten. In der Bundesrepublik wurde dafür eigens ein Regierungsausschuss ins Leben gerufen, der in den 1950er und 1960er Jahren für die Kontrolle all jener osteuropäischen Filme zuständig war, die in der Bundesrepublik aufgeführt werden sollten. Die politischen Hintergründe des »Interministeriellen Ausschusses für Ost/ West-Filmfragen« erhellt ein Vermerk, der am 17.7.1961 im Wirtschaftsministerium kursierte. Herbert Leitreiter, Beamter im Wirtschaftsministerium und Ausschussvorsitzender, informierte darin über eine Ressortbesprechung wenige Tage zuvor, in der er erfahren habe, »daß der Bundeskanzler bei unserer Spruchpraxis einen harten Kurs wünsche. Ablehnungen von Filmen aus den Ostblockstaaten würde er weitgehend decken«.1 Notwendige Klärungen mit dem Bundeskanzleramt seien herbeigeführt. Leitreiters Notiz wirft ein interessantes Licht auf die damalige Praxis des Ausschusses. Das Gremium praktizierte im Auftrag der Bundesregierung bereits seit mehreren Jahren eine staatliche Filmzensur, die es laut Grundgesetz gar nicht hätte geben dürfen.2 Die Rückversicherung durch das Bundeskanzleramt und die direkte Weisung Konrad Adenauers belegen indes, dass die Filmzensur nicht nur toleriert, sondern auch von höchster Stelle persönlich unterstützt wurde. Wie genau sah aber diese Zensur aus? Auf welcher rechtlichen Basis fand sie statt? Und welche konkreten Folgen hatte die Arbeit des staatlichen Ausschusses?

Filmzensur durch den Interministeriellen Ausschuß Die Initiative zur Gründung des Interministeriellen Ausschusses ging vom Bundesministerium des Innern (BMI) aus, nicht – wie gelegentlich in der Literatur zur Geschichte des Ausschusses vermerkt – vom Verfassungsschutz.3 Im BMI fand am 5.1.1953 eine Besprechung statt, an der Vertreter verschiedener

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Ministerien und Bundesbehörden teilnahmen. Auf der Tagesordnung stand das Thema »Import von Filmen aus sowjetisch dirigierten Ländern«. Das als »streng vertraulich« eingestufte Protokoll der Sitzung gibt einen Einblick in die Motive, die zur Gründung des Ausschusses führten: Zukünftig sollten in der Bundesrepublik nur noch Filme zu sehen sein, »die inhaltlich politisch einwandfrei sind«.4 Einstimmig beschloss man, einen Prüfungsausschuss einzurichten, dem die Kontrolle der Filme übertragen wurde. Auch die genauen Umstände des Filmimports wurden diskutiert. Unter anderem wurden Bedingungen für »nicht öffentliche, unentgeltliche« Vorführungen von Filmen, zum Beispiel in Filmclubs, festgelegt. »Anträge von Organisationen, gegen die politische Bedenken bestehen«, sollten ausnahmslos abgelehnt werden. Dem Ausschuss wurde jedoch auch das Recht übertragen, »Filme politisch bedenklichen Inhalts zu einmaliger Vorführung in geschlossenem Kreis freizugeben«. Den Vorsitz im Ausschuss übernahm das Bundeswirtschaftsministerium. Es war dafür zuständig, dem jeweiligen Antragsteller die Entscheidung des Ausschusses zu übermitteln – allerdings ohne sie inhaltlich zu begründen. Die personelle Zusammensetzung des Ausschusses variierte in den kommenden Jahren sehr stark, im Durchschnitt beteiligten sich etwa zehn bis zwanzig Beamte aus unterschiedlichen Ministerien und Bundesämtern an den Filmvorführungen. Seine eigentliche Arbeit nahm der Ausschuss im Dezember 1953 auf. In den folgenden Jahren tagte das Gremium regelmäßig, meist ein- bis zweimal pro Monat, mitunter auch häufiger, je nachdem, wie viele Filme zur Prüfung vorlagen – grundsätzlich waren die importierenden Filmfirmen aufgefordert, die ausländischen Filmkopien dem Ausschuss binnen einer Woche zur Prüfung vorzulegen. Wann genau der Ausschuss seine Tätigkeit eingestellt hat, lässt sich heute nicht mehr eindeutig ermitteln. Mit Beginn des Jahres 1967 wurde die Filmprüfung allerdings vollständig dem Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft übertragen. Das Bundesamt übermittelte bereits seit 1961 anstelle des Wirtschaftsministeriums die Entscheidungen des Interministeriellen Ausschusses an die Antragsteller. Es sollte ab 1967 nur noch in besonders umstrittenen Fällen auf die Arbeit des Ausschusses zurückgreifen, was jedoch bei keinem Film mehr geschah. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass der Ausschuss seine Tätigkeit spätestens Anfang des Jahres 1967 eingestellt hat.5 Folgt man den statistischen Erhebungen von Stephan Buchloh, der in seiner grundlegenden Untersuchung zur Zensur in der Adenauer-Ära auch den Interministeriellen Ausschuss genauer betrachtet hat, dann wurden zwischen 1953 und 1966 etwa 3180 osteuropäische Filme geprüft, von denen ca. 130 keine Aufführugsgenehmigung erhielten.6 Zu den zensierten Filmen zählten tschechische Spielfilme wie Vyšší princip (Das höhere Prinzip, 1960, Jiøí Krejèík), zahlreiche Dokumentar- und Spielfilme der DEFA, darunter (1954–56, Andrew und Annelie Thorndike), (1956/57, Kurt Jung-Alsen) und (1955/56,

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BArch Film SG1-7231

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Vyšší princip (1960, Jiøí Krejèík): František Smolík, Hannjo Hasse

Martin Hellberg) sowie sowjetische Filme wie der Dreiteiler ( , 1957/58, Sergej Gerasimov), dessen zweiter und dritter Teil keine Freigabe erhielten. Die statistischen Angaben, die Buchloh auf Basis der überlieferten Sitzungsprotokolle des Interministeriellen Ausschusses ermittelt hat, bedürfen allerdings einer stärkeren Differenzierung, um dessen Zensurpraxis im Detail beschreiben zu können. Mitunter revidierte der Ausschuss seine ursprünglichen Entscheidungen – sei es, weil der Antragsteller Widerspruch gegen die Entscheidung einlegte oder weil die Ausschussmitglieder selbst nach einer erneuten Sichtung des Films keinen Anlass mehr für ein Verbot erkannten. Mitunter machte der Ausschuss eine Zulassung auch davon abhängig, dass bestimmte Szenen geschnitten wurden oder der Film grundsätzlich nur vor einem bestimmten Zuschauerkreis gezeigt wurde, z.B. auf Festivals. Um einen detaillierten Einblick in die Arbeit des Ausschusses gewinnen zu können, wurden daher in einem von der DEFA-Stiftung finanzierten Forschungsprojekt alle ostdeutschen Filme erfasst, die der Ausschuss zwischen 1954 und 1966 geprüft hat. Am Beispiel der DEFA-Produktionen, die in der Arbeit des Ausschusses stets eine zentrale Rolle gespielt haben,7 lässt sich das Ausmaß der Zensurpraxis genauer veranschaulichen.

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Zensur von DEFA-Filmen: Statistische Angaben Insgesamt hat der Ausschuss 645 Filme aus der DDR gesichtet, überwiegend Produktionen aus den verschiedenen DEFA-Studios, aber vereinzelt auch vom Deutschen Fernsehfunk (DFF). Von diesen Filmen wurden 523 ohne Beanstandung freigegeben – 65 erhielten keine Freigabe, in 48 weiteren Fällen wurden die Produktionen nur mit Einschränkungen, d.h. mit Schnittauflagen oder für einen bestimmten Zuschauerkreis freigegeben. Von den zensierten Filmen erhielten 16 Filme nach einer erneuten Prüfung eine vollständige und fünf eine eingeschränkte Freigabe. Vom Interministeriellen Ausschuss zensierte Filme aus der DDR8 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 Ges. Geprüfte Filme

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3

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Mit Auflagen freigegeben

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Nachträglich freigegeben

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Anhand dieser Übersicht lässt sich nicht nur das Ausmaß der Zensurpraxis durch den Interministeriellen Ausschuss nachvollziehen. Die Statistik bietet darüber hinaus auch einen interessanten Einblick in die deutsch-deutschen Filmbeziehungen der 1950er und 1960er Jahre. Auffällig ist z.B. die vergleichsweise hohe Zahl an Filmen, die vor allem Mitte und Ende der 1950er Jahre aus der DDR in die Bundesrepublik importiert wurden. Allein im Jahr 1959 sichtete der Ausschuss annähernd 150 Produktionen aus der DDR. Über die umfangreichen Kontakte, die zu diesem Zeitpunkt noch zwischen den Filmschaffenden beider deutscher Staaten existierten, ist bislang nur wenig geforscht und publiziert worden.9 Zugleich sticht in der Übersicht die tiefe Zäsur hervor, die durch den Mauerbau ausgelöst wurde: 1961/62 brach der Filmimport nahezu vollständig ein, lediglich sechs Filme lagen in diesem Zeitraum dem Ausschuss zur Prüfung vor. Im Hinblick auf die vom Ausschuss praktizierte Zensur fällt indes auf, dass die Anzahl der DEFA- und DFF-Filme, die nicht – oder nur mit Auflagen – für eine Vorführung in der Bundesrepublik freigegeben wurden, erstaunlich hoch

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ist. Durchschnittlich jeder fünfte ostdeutsche Film, der dem Ausschuss vorlag, erhielt keine direkte Freigabe. In manchen Jahren lag die Quote noch deutlich höher. 1956 wurde beispielsweise die Hälfte aller DEFA-Filme vom Ausschuss unter politischen Gesichtspunkten beanstandet. Eine Entspannung zeichnete sich erst ab Mitte der 1960er Jahre ab: Von den 219 Produktionen, die der Ausschuss zwischen 1964 und 1966 prüfte, wurden 204 Filme ohne Schnittauflagen oder sonstige Einschränkungen freigegeben.

Fallbeispiele: Politische Motive Um das Ausmaß der Zensur und die dahinter stehenden Motive genauer fassen zu können, bedarf es einer genauen Betrachtung einzelner Verbotsfälle. Zugleich veranschaulichen konkrete Beispiele aus der Geschichte des Interministeriellen Ausschusses, an welche praktischen Grenzen die beteiligten Beamten bei ihrer Tätigkeit stießen und wie eine kritische Gegenöffentlichkeit in der Bundesrepublik dazu beitrug, die Zensurpraxis nach und nach obsolet zu machen. Ein zentrales Motiv, das bei vielen Eingriffen des Interministeriellen Ausschusses eine wichtige Rolle spielte, war die Angst vor kommunistischer Propaganda und deren unmittelbarer »Ansteckungsgefahr«, falls das Publikum mit derartigen Filmen in Berührung kommen sollte. Im Mai 1954 lag dem Ausschuss der Dokumentarfilm Ludwig van Beethoven (1954, Max Jaap) zur Prüfung vor. Er sollte zusammen mit zwölf weiteren DEFA-Produktionen auf der 3. Mannheimer Kulturfilmwoche vorgeführt werden. Beethoven erhielt jedoch – ebenso wie drei weitere DEFA-Filme – keine Freigabe vom Ausschuss.10 Eine inhaltliche Begründung ist im Protokoll nicht vermerkt, gleichwohl lassen sich die Motive des Ausschusses nachvollziehen, da der Film in den kommenden Monaten noch mehrfach vom Ausschuss begutachtet wurde, einmal sogar in Gegenwart eines Musikwissenschaftlers, der als Experte hinzugezogen wurde, um über eine Zulassung des Films für eine öffentliche Vorführung in der Bundesrepublik zu entscheiden. Im Film sei Beethovens Leben entstellt und »für einen bestimmten Zweck zurechtgemacht«, der Komponist werde »nach Auffassung des Ausschusses zum Vorkämpfer des Kommunismus gestempelt«.11 Die ideologische Verbrämung von Beethovens Biografie in der DEFA-Produktion reichte aus, um ein Verbot des Films zu rechtfertigen. Ein anderes Motiv, das bei vielen Eingriffen durch den Interministeriellen Ausschuss eine wichtige Rolle spielte, bestand darin, Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen in der Bundesrepublik zu unterbinden. Betroffen waren dabei Filme, die sich mit personellen Kontinuitäten von NS-Straftätern beschäftigten, wie zum Beispiel Du und mancher Kamerad und Ein Tagebuch für Anne Frank (1957/58, Joachim Hellwig), die beide 1960 im Rahmen einer Sonderveranstaltung auf der Mannheimer Filmwoche gezeigt werden sollten.

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Der Ausschuss bescheinigte den Filmen »verfassungsfeindliche Tendenzen« und sprach sich gegen eine Vorführung in Mannheim aus.12 Auch jenseits der umstrittenen Verweise auf die tabuisierte NS-Vergangenheit westdeutscher Politiker tolerierte der Ausschuss kaum kritische Anspielungen auf soziale oder gesellschaftliche Probleme in der Bundesrepublik. Ein interessantes Beispiel hierfür sind die Auseinandersetzungen um Berlin – Ecke Schönhauser … (1957, Gerhard Klein), der dem Ausschuss zwischen 1958 und 1964 in verschiedenen Schnittfassungen vorlag, jedoch keine Freigabe für eine öffentliche Vorführung in der Bundesrepublik erhielt. Ausschlaggebend waren dabei die Szenen des Films, die in West-Berlin in einem Aufnahmelager für DDR-Flüchtlinge spielten. Dort herrschen nicht nur Gewalt und Unterdrückung, ein aus der DDR geflüchteter Jugendlicher kommt zudem auf tragische Weise ums Leben. Szenen wie diese riefen die Ablehnung des Ausschusses hervor, als Berlin – Ecke Schönhauser … im Herbst 1958 erstmals in der Bundesrepublik aufgeführt werden sollte. Im Kurzprotokoll der Sitzung heißt es, der Film mache »in seiner kommunistischen Tendenz Institutionen der Bundesrepublik (z.B. die Notaufnahmelager) verächtlich« und schildere »die Verhältnisse nicht wahrheitsgetreu«. Außerdem würden »Freiheitsberaubungen als im Westen übliche Delikte dargestellt«. Die Mehrheit des Ausschusses sprach sich daher dafür aus, den Film nicht freizugeben. Während die Teilnehmer der Sitzung sich uneinig darüber waren, ob rechtliche Einwände gegen den Film geltend gemacht werden könnten, sei er »aus politischen Gründen (…) in jedem Fall abzulehnen«.13 Auch als der Film später in einer geschnittenen Fassung dem Ausschuss erneut zur Prüfung vorlag, wurde keine Freigabe erteilt.14 Ein drittes Motiv, das beim Verbot von DEFA-Filmen durch den Interministeriellen Ausschuss eine wichtige Rolle spielte, war eine positive Darstellung der Lebenswirklichkeit in den sozialistischen Staaten, deren Verbreitung der Ausschuss nach Möglichkeit verhindern wollte. 1956 wurde der populärwissenschaftliche DEFA-Kurzfilm Martins Tagebuch (1956, Heiner Carow) für eine einmalige Vorführung im Rahmen der Westdeutschen Kurzfilmtage in Oberhausen freigegeben. Als jedoch drei Jahre später eine offizielle Zulassung für eine gewerbliche Auswertung in den westdeutschen Kinos beantragt wurde, regte sich Widerspruch im Ausschuss. Insbesondere das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (BMG) sprach sich nachdrücklich gegen eine Freigabe aus. Ausschlaggebend war in diesem Fall die Darstellung des Schulwesens in der DDR, das Carow im Film am Beispiel eines Jugendlichen schildert, dessen schulische Leistungen unter der strengen Erziehung der Eltern leiden, schlussendlich jedoch durch den engagierten Einsatz eines Lehrers wieder verbessert werden können.15 Der Film lasse den Eindruck entstehen, so das BMG in seiner Stellungnahme zu Martins Tagebuch, als »würden in den Schulen der SBZ die Kinder in vorbildlicher Zusammenarbeit mit Lehrern, Eltern und Pionie-

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Filmmuseum Potsdam / ©DEFA-Stiftung/Siegmar Holstein

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Berlin – Ecke Schönhauser (1957, Gerhard Klein): Ernst-Georg Schwill, Ekkehard Schall

ren lediglich zu Moral und Anstand erzogen, während man sie in Wirklichkeit in der Hauptsache zum Atheismus und zum Haß gegen die Bundesrepublik erzieht«. Da der Film außerdem in Zusammenarbeit mit dem DDR-Ministerium für Volksbildung und Erziehung gedreht worden sei, stelle er einen gezielten Versuch dar, »die Bevölkerung der Bundesrepublik zu täuschen und deren Behörden ins Unrecht zu setzen«. Aufgrund seiner »gefährliche[n] verfassungsfeindliche[n] Wirkung« müsse eine Vorführung in der Bundesrepublik untersagt werden.16 Als letztes Motiv sticht bei einigen vom Ausschuss diskutierten DEFA-Filmen hervor, dass bereits die Verwendung von Symbolen oder die Nennung staatlicher DDR-Institutionen Widerspruch hervorrufen konnte. Ein interessantes Beispiel hierfür ist der populärwissenschaftliche Kurzfilm Spuren, Wissenschaft und Paragraphen (1957, Joachim Hadaschik), der einen Einblick in die Arbeit des Kriminaltechnischen Instituts in Ost-Berlin bietet. Als der Film in die Bundesrepublik importiert werden sollte, sprachen sich einzelne Vertreter im Ausschuss für ein Verbot aus, da sowohl im Vorspann als auch am Ende des Films der Begriff Volkspolizei verwendet werde. Da es sich dabei um eine verbrecherische Institution handele, die von der Bundesregierung nicht anerkannt sei, könne der Film auch nicht zugelassen werden.17 Diese Argumen-

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tation war jedoch so wenig stichhaltig, dass die Mehrheit des Ausschusses keine rechtliche Basis für ein Verbot sah.

Grenzen der Zensur Gerade das letzte Beispiel verdeutlicht einen Aspekt, der bei der Analyse der Zensur durch den Interministeriellen Ausschuss eine zentrale Rolle spielt: die mangelnde Rechtsgrundlage. De facto gab es bis Anfang der 1960er Jahre kein Gesetz, das die Arbeit des Ausschusses legitimierte. Seine Tätigkeit stützte sich bis dahin lediglich auf ein Militärregierungsgesetz vom September 1949, das jedoch nur wirtschaftliche Aspekte bei der Einfuhr von Filmen umfasste. Zusätzlich wurde die Zensur durch § 93 des Strafgesetzbuches (StGB) gerechtfertigt: Er stellte die Verbreitung von verfassungsfeindlichen Filmen unter Strafe. Erst mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote (»Verbringungsverbotsgesetz«) im September 1961, das die Einfuhr von Filmen aus bestimmten Ländern generell von einer Genehmigung abhängig machte und eine Überprüfung der Filme vorsah, um Verstöße gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung ahnden zu können, war der Interministerielle Ausschuss de jure besser abgesichert.18 Den Mitgliedern des Ausschusses war die rechtliche Grauzone, in der sie agierten, durchaus bewusst. Intern wurde wiederholt über die Möglichkeit diskutiert, die Aufführung von Filmen zu verhindern, die aus »politischen Gründen« unerwünscht seien, obwohl es für ein Verbot keine rechtliche Handhabe gab. Unterm Strich überwogen jedoch meist die politischen Argumente, während juristische Bedenken zurückgestellt wurden, so z.B. bei der Begutachtung von Thomas Müntzer. Die Ausschussmitglieder waren sich darin einig, dass der Film nicht gegen § 93 StGB verstieß, dennoch befürworteten sie einstimmig ein Verbot, da der Film in »geschichtlich anfechtbarer Weise den Bauernkrieg« verherrliche und »in seiner Tendenz hetzerisch« sei.19 Das politische Kalkül, Filme trotz mangelnder Rechtsgrundlage verbieten zu können, ging jedoch im Verlauf der 1960er Jahre immer seltener auf: Während viele Importeure die Auflagen des Ausschusses lange Zeit ohne Protest hingenommen hatten, regte sich nun vermehrt Widerspruch in der Öffentlichkeit – sei es, weil Journalisten die fragwürdigen Machenschaften des Ausschusses kritisierten20 oder weil sich einzelne Produzenten juristisch gegen die verhängten Verbote wehrten. Helmut Söder, ein Versicherungsvertreter aus Freiburg, führte 1966 z.B. mehrfach den DEFA-Dokumentarfilm Der lachende Mann (1965/66, Walter Heynowski, Gerhard Scheumann) in der Bundesrepublik vor. Als er aufgefordert wurde, die Kopie dem Interministeriellen Ausschuss vorzulegen, weigerte er sich jedoch – das anschließende Gerichtsverfahren erstreckte sich über mehrere Instanzen und führte schließlich dazu, dass sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Verbringungsverbotsgesetz

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beschäftigte – allerdings erst 1972, als der Ausschuss seine Arbeit bereits eingestellt hatte.21 Die zunehmende Kritik in der Öffentlichkeit dürfte auch dazu beigetragen haben, dass die Zahl der Filmverbote ab Mitte der 1960er Jahre abnahm und vermehrt Filme nachträglich doch noch für eine Aufführung freigegeben wurden. Auch im Fall von Thomas Müntzer entschied sich der Ausschuss 1965 zu einer Freigabe ohne weitere Auflagen, als der Allgemeine Studentenausschuss (AStA) der Uni Heidelberg den Film im Rahmen eines Seminars vorführen wollte. In Heidelberg war es zuvor wiederholt zu tumultartigen Diskussionen gekommen, da Studenten öffentlich die Arbeit des Ausschusses kritisiert hatten – diesem Druck gab der Ausschuss schließlich nach.22 Grundsätzlich war die Wirkmacht des Ausschusses während seiner gesamten Existenz begrenzt, weil das Gremium keine vollständige Kontrolle über die Distributionswege des westdeutschen Filmwesens hatte. Im Gegensatz zum zentralstaatlichen System der DDR, in dem die SED nicht nur die Produktion der Filme, sondern auch deren Vertrieb bis zur Aufführung in den Kinos vollständig kontrollieren konnte, verfügte der Interministerielle Ausschuss nicht annähernd über ähnliche Mittel. Das Zensursystem basierte vielmehr darauf, dass alle potenziellen Filmimporteure – private Produktionsfirmen ebenso wie Fernsehsender, Hochschulen, Filmclubs, Festivals oder auch Privatpersonen – dem Ausschuss ihre Kopien zur Prüfung vorlegten. Ob dies jedoch tatsächlich immer der Fall war, ist fraglich. Zwar gibt es eindeutige Belege dafür, dass Ermittlungen eingeleitet wurden, wenn verbotene Filme unerlaubterweise zur Aufführung kamen.23 In den Akten finden sich jedoch auch zahlreiche Hinweise darauf, dass der Ausschuss mitunter erst verspätet über die Aufführung eines Films informiert wurde und die entsprechende Kopie nicht mehr gesichtet werden konnte, da sie längst wieder in die DDR zurückgeschickt worden war. So kam beispielsweise Du und mancher Kamerad bereits 1957 – lange vor den erwähnten Ereignissen in Mannheim – im Rahmen eines Seminars an der Universität Münster zur Aufführung, ohne dass der Ausschuss die Möglichkeit hatte, den Film vorab zu sehen.24 Auch bei Berlin – Ecke Schönhauser … kam es 1964 zu einer illegalen Vorführung des Films, da der Sozialistische Studentenbund aus München in den Besitz einer Kopie gelangt war und den Film aufführte – trotz Verbot durch den Interministeriellen Ausschuss. Derartige Beispiele veranschaulichen, dass die Zensur durch den Interministeriellen Ausschuss nicht flächendeckend war. Die überwiegende Mehrheit der Filme, die vom Ausschuss nicht oder nur unter Auflagen freigegeben wurden, blieb zwar tatsächlich der westdeutschen Öffentlichkeit vorenthalten. Insbesondere bei gewerblichen Vorführungen in Kinos oder im Fernsehen hatte das Votum des Ausschusses unmittelbare Auswirkungen, da die verbotenen Filme tatsächlich nicht gezeigt wurden. Daneben gab es jedoch eine nicht zu unterschätzende Grauzone von Veranstaltungen in universitären Filmclubs, Ver-

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einen oder anderen Einrichtungen, in denen Verbotsfilme aufgeführt wurden, besonders im Verlauf der 1960er Jahre, als sich der Ausschuss vermehrt öffentlicher Kritik ausgesetzt sah.

Fazit: Eine Zensur findet nicht statt? Das eingangs erwähnte Zitat, dass sich der Bundeskanzler bei der Überprüfung osteuropäischer Filme einen »harten Kurs« wünsche und »Ablehnungen weitgehend decken« würde, ist ein wichtiges Indiz für das Ausmaß der politischen Motivation bei der Filmzensur durch den Interministeriellen Ausschuss für Ost/West-Filmfragen. Im Rückblick lässt sich die Zensur-Praxis jedoch auf zwei unterschiedliche Weisen interpretieren. Einerseits ist die Tätigkeit des Ausschusses in der Tat ein aussagekräftiges Beispiel für ein autoritäres Staatsverständnis, dass sich weniger an den Maßstäben der Verfassung orientierte als an den Interessen der Regierungspolitik. Das im Grundgesetz verankerte Zensurverbot spielte für die Mitglieder des Ausschusses nur eine untergeordnete Rolle, wenn es darum ging, über ein mögliches Verbot zu befinden. Die involvierten Beamten nahmen vielmehr für sich in Anspruch, die Bevölkerung vor kommunistischer Propaganda schützen zu müssen, selbst wenn es dafür keine ausreichende gesetzliche Grundlage gab. Die Geschichte des Interministeriellen Ausschusses lässt sich daher gut als Teil jener »offenen Problemgeschichte« interpretieren, die unlängst von einigen Forschern im Hinblick auf eine notwendige Neubewertung der westdeutschen Demokratieentwicklung in den 1950er und frühen 1960er Jahren konstatiert wurde, u.a. durch Jörg Foschepoths bemerkenswerte Studie über die systematische Überwachung des Post- und Fernmeldewesens in der Bundesrepublik.25 Andererseits lässt sich die Geschichte des Ausschusses aber auch als Beispiel für die erfolgreiche Überwindung einer staatlichen Zensurpraxis deuten. Während sich die Beamten bei der Prüfung der Filme in den ideologischen Auseinandersetzungen des Kalten Krieges verstrickten, zeichnete sich in der bundesdeutschen Gesellschaft ein langfristiger Wandel ab: Kritische Medien und einzelne Akteure aus der Filmbranche stellten öffentlich die Legitimität des Ausschusses in Frage, dessen Tätigkeit nicht ohne Grund mehr oder weniger stillschweigend eingestellt wurde. Der Generationswechsel der 1960er Jahre ging mit einem Mentalitätswandel einher, der eine staatliche Bevormundung wie im Falle der Filmzensur obsolet machte. Im Zuge dieser Entwicklung fällt zudem ein grundsätzliches Phänomen auf, das häufig bei Filmzensur – unabhängig von ihrem gesellschaftlichen Kontext – anzutreffen ist: Erst das Verbot macht(e) die Filme interessant. Die Entscheidungen des Interministeriellen Ausschusses bewirkten daher nicht selten genau das Gegenteil ihrer ursprünglichen Intention: Die verbotenen Filme waren häufig in aller Munde, ohne dass sich das Publikum selbst einen Eindruck von

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ihrem propagandistischen Charakter machen konnte. Speziell für die 1960er Jahre gilt daher, dass der Bundeskanzler sich zwar einen »harten Kurs« bei der Filmzensur wünschen konnte, dieser jedoch von den Beamten nur schwer umsetzbar war. 1) II B 6, Leitreiter: Vermerk, betr.: Interministerieller Ausschuß für Ost/West-Filme. Bonn, 17.7.1961. BArch Koblenz, B 102/144184. — 2) Art. 5, Abs. 1 des GG schloss eine Zensur aus. Einschränkungen des Zensurverbots waren nur durch »allgemeine Gesetze, die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und durch das Recht der persönlichen Ehre« möglich (Abs. 2). Im Hinblick auf Filmzensur galt dies zum Beispiel für die Arbeit der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), die seit 1949 Filme prüft und die Freigabe von Filmen fürs Kino von einer bestimmten Altersgrenze abhängig machen kann. Vgl. speziell zur Arbeit der FSK: Jürgen Kniep: »Keine Jugendfreigabe!« Filmzensur in Westdeutschland 1949– 1990. Göttingen: Wallstein 2010. — 3) Erstmals taucht diese Fehlinformation wohl in einem Spiegel-Artikel auf, der 1956 über die Arbeit des Ausschusses berichtete. Vgl. Plädoyer für den Untertan. In: Der Spiegel, Nr. 47, 21.11.1956. — 4) Protokoll einer Sitzung im Bundesministerium des Innern am Montag, den 5. Januar 1953, zur Frage des Imports von Filmen aus sowjetisch dirigierten Ländern. BArch Koblenz, B 102/34486, n. pag. — 5) Das letzte im Bundesarchiv Koblenz archivierte Sitzungsprotokoll des Ausschusses datiert auf den 21.2.1967. Ob danach noch weitere Sitzungen stattfanden, ist unklar. — 6) Vgl. Stephan Buchloh: »Pervers, jugendgefährdend, staatsfeindlich«. Zensur in der Ära Adenauer als Spiegel des gesellschaftlichen Klimas. Frankfurt/Main, New York: Campus 2002, S. 218-249. — 7) Vgl. Andreas Kötzing: Zensur von DEFA-Filmen in der Bundesrepublik. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 1–2, 2009, S. 33-39. — 8) Die Zusammenstellung basiert auf den im Bundesarchiv überlieferten Sitzungsprotokollen des Interministeriellen Ausschusses. Eigene Erhebung. — 9) In der historischen Forschung haben die filmpolitischen und -wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten lange Zeit keine große Aufmerksamkeit gefunden. Erste Ansätze in diese Richtung bieten die Beiträge in Michael Wedel u.a. (Hg.): DEFA International. Grenzüberschreitende Filmbeziehungen vor und nach dem Mauerbau. Wiesbaden: Springer VS 2013. — 10) Vgl. Kurzprotokoll über die am 26. Mai in Bonn stattgefundene Sitzung des Interministeriellen Prüfungsausschusses. Bonn, 28.5.1954. BArch Koblenz, B 102/34486, n. pag. — 11) Kurzprotokoll über die am 5. Juni in Bonn stattgefundene Sitzung des Interministeriellen Prüfungsausschusses. Bonn, 7.6.1957. BArch Koblenz, B 102/34487, n. pag. Auch in späteren Sitzungen erfolgte keine Freigabe, vgl. das Sitzungsprotokoll vom 26. Juni 1957, ebd. — 12) Als die Vorbehalte gegen die Filme, in die auch das BMI involviert war, in Mannheim publik wurden und eine Vorführung nur vor einem stark eingeschränkten Zuschauerkreis stattfinden sollte, wurden die Filme von ostdeutscher Seite zurückgezogen. Vgl. ausführlich zu den Vorfällen Andreas Kötzing: Provozierte Konflikte. Der Club der Filmschaffenden und die Beteiligung der DEFA an der Mannheimer Filmwoche 1959/60. In: Wedel u.a., a.a.O., S. 369-384. — 13) Kurzbericht Nr. 15/58 über die am 6. Oktober 1958 stattgefundene Sitzung des Interministeriellen Ausschusses für Ost/West-Filmfragen. Bonn, 10.10.1958. BArch Koblenz, B 102/34486, n. pag. — 14) Vgl. ausführlich zu den Auseinandersetzungen Kötzing, Zensur von DEFA-Filmen, a.a.O., S. 36-39. — 15) Vgl. zu Carows populärwissenschaftlichen Arbeiten Günter Agde: Lernen in der Grauzone. Die populärwissenschaftlichen Filme von Heiner Carow (1952–1957). In: Filmblatt, Nr. 35, Herbst 2007, S. 57-64. — 16) Beitrag des BMG

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zum Kurzprotokoll vom 16. Juni 1959. BArch Koblenz, B 102/34486, n. pag. — 17) Vgl. Kurzprotokoll Nr. 17/59 über die am 25. August 1959 stattgefundene Sitzung des Interministeriellen Ausschusses für Ost/West-Filmfragen. Bonn, 26.8.1959. BArch Koblenz, B 102/34488, n. pag. — 18) Vgl. ausführlich zur rechtlichen Situation Buchloh, a.a.O, S. 235- 249. Im Gesetzestext hieß es unter § 5: »(1) Es ist verboten, Filme, die nach ihrem Inhalt dazu geeignet sind, als Propagandamittel gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung zu wirken, in den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes zu verbringen, soweit dies dem Zwecke der Verbreitung dient. Dieses Verbot steht der Abfertigung durch die Zolldienststellen nicht entgegen. (2) (…) Durch Rechtsverordnung der Bundesregierung kann bestimmt werden, daß Filme aus bestimmten Ländern der Vorlagepflicht nicht unterliegen.« (Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote, 24.5.1961. In: BGBl. I, Nr. 35/1961, S. 607 f.). Vorlagepflichtig waren nur Filme aus den Ländern des Ostblocks und aus Kuba, Filme aus westlichen Staaten waren davon ausgenommen. — 19) Kurzprotokoll über die am 6. Januar 1958 stattgefundene Sitzung des Interministeriellen Ausschusses für Ost/West-Filmfragen. Bonn, 13.1.1958. BArch Koblenz, B 102/34487, n. pag. Der Film wurde zuvor bereits im Dezember 1956 und im Frühjahr 1957 abgelehnt. — 20) Vgl. u.a. Reinhold E. Thiel: Zensur aus dem Hinterhalt – wie lange noch? In: Die Zeit, Nr. 35, 30.8.1963. — 21) Vgl. Buchloh, a.a.O., S. 241 ff. — 22) Vgl. Kurzprotokoll Nr. 24/65 über die Sitzung des Interministeriellen Ausschusses für Ost/West-Filmfragen (8.7. 1965). Bonn, 5.8.1965, BArch Koblenz, B 102/144133. Siehe auch Vermerk aus dem Bundeswirtschaftsministerium II C 4 – 28 99 07, Betr.: Verbringungsverbotsgesetz; hier: DEFA-Film »Thomas Müntzer«. Bonn, 16.7.1965. Ebd. — 23) Im Februar 1957 erfuhr der Ausschuss z.B., dass der Inhaber eines Filmverleihs in Nordrhein-Westfalen verhaftet worden war, da er 260 Filme aus der DDR mit »kommunistischer Tendenz« besessen und vorgeführt haben soll, darunter auch zehn Filme, die der Ausschuss eigentlich verboten hatte. Vgl. Kurzprotokoll über die am 25. Februar 1957 stattgefundene Sitzung des Interministeriellen Ausschusses für Ost/ West-Filmfragen. Bonn, 28.2.1957. BArch Koblenz, B 102/34487, n. pag. — 24) Vgl. Kurzprotokoll über die am 8. April 1957 stattgefundene Sitzung des Interministeriellen Ausschusses für Ost/West-Filmfragen. Bonn, 11.4.1957. BArch Koblenz, B 102/34487, n. pag. — 25) Vgl. Jörg Foschepoth: Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012.

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Ursula von Keitz ZWISCHEN HIMMEL UND HÖLLE Zum Provokationspotenzial des Religiösen in Filmen der 1970er und 1980er Jahre

In den 1970er und verstärkt in den 1980er Jahren hat sich international eine Reihe von Filmen mit der christlichen Religion, ihrer gesellschaftlichen Bedeutung und Wirkungsmacht auseinandergesetzt. Neben dem Verhältnis zwischen Klerikern und Laien oder auch kirchlicher Akteure untereinander hinterfragen sie insbesondere die Legitimität der Macht der Amtskirche über die Gläubigen und verhandeln elementare Glaubenspostulate der Konfessionen. Die Person Jesus Christus, seine Passion und sein Tod stehen dabei zumeist im Mittelpunkt, jedoch auch Figuren, die ihrerseits Leid erfahren, das an die Passion heranreicht. Dies wird durch ikonografisch-ikonologische Bezüge zwischen neutestamentarischem »Urbild« und filmischer Allusion darauf bzw. dessen Mimesis unterstrichen. Dabei ist etwa in Robert Altmans MASH (1969) die durch Kadrierung und Figurenanordnung konstruierte parodistische Anspielung auf Leonardo da Vincis mailänder Abendmahl-Fresko1 von grundsätzlich anderer Art als die mimetisch auf die Struktur von Mission und Passion selbst abhebenden filmischen Verfahren. Die der Jesus-People-Bewegung nahestehende, gänzlich ironiefreie Rockoper Jesus Christ Superstar von Andrew Lloyd Webber und Tim Rice, die Norman Jewison 1973 verfilmte, löste eine Diskussion darüber aus, ob man Jesus in einer Rockoper darstellen dürfe, in der er eine Beziehung mit Maria Magdalena hat. Jesus Christ Superstar bildete den Auftakt einer Serie von Filmen, die sich kritisch mit der Figur Jesus als sich opferndem Sohn auseinandersetzten. Ein Held von Rock und Pop – dessen Opfergang in katholischen Regionen der Bundesrepublik in den 1970er Jahren alljährlich in der Karwoche als Kino-Event zelebriert wurde – war die Gestalt danach allerdings nicht mehr. Satirisch gewendet wird das Passionsgeschehen in Terry Jones’ Monty Python’s Life of Brian (Das Leben des Brian, 1979), der auf den Dogmatismus sich gegenseitig neutralisierender religiöser und revolutionärer Splittergruppen zielt und besonders wegen ihrer heiter-beschwingten GolgathaSchlussszene ebenso vehement kritisiert wie gefeiert wurde.2 In beiden Varianten der intermedialen Auseinandersetzung mit dem tradierten religiösen Text- und Bildrepertoire, der Motiv- wie der Strukturreferenz, betreten diese Filme vermintes Gelände, denn sie attackieren Deutungshoheiten zum Verhältnis von Gott und Mensch und insbesondere zur christlich-theologischen Konstruktion eines »Mensch gewordenen Gottes«.

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Dieser Beitrag konzentriert sich auf ästhetisch-narrative und ideologische Charakteristika einiger, wegen ihres provokativen Potenzials diskutierter Filme aus den beiden Dekaden und geht exemplarisch Kontroversen in der deutschen Rezeption nach, die mit ihnen verknüpft sind. Das auf tatsächlichen Ereignissen beruhende Historiendrama The Devils (Die Teufel, 1970/71, Ken Russell), Werner Schroeters Groteske Liebeskonzil (1981) nach Oskar Panizzas »Himmelstragödie« und Herbert Achternbuschs Satire Das Gespenst (1982) bildeten jedes auf seine Weise einen zwischen Politik, Prüfinstitutionen, Filmkritik und Kinoöffentlichkeit ausgetragenen Streitfall um die Freiheit der Kunst in den westlich-liberalen Ländern. Dabei tritt ein Muster zutage, das fast jede öffentlich ausgetragene Kontroverse um provokative Filme schon seit der Epoche staatlicher Filmzensur begleitet: Je heftiger die Attacken gegen einen Film in öffentlichen Verlautbarungen formuliert werden, desto mehr treibt dies neugierige Zuschauer ins Kino. In der Regel ist die Empörung von Vertretern kirchlicher und anderer Institutionen oder gesellschaftlicher Gruppen über die Freigabe bzw. öffentliche Vorführung von Filmen diesen also nur nützlich – ungeachtet ihrer ästhetischen, handwerklichen oder reflexiven Qualität. Verfolgung und Brandmarkung führen nicht selten dazu, dass die Filme Kultstatus gewinnen und sich in der Rezeption Effekte einstellen, wie sie auch für verbotene Literatur gelten: Kollektive lagern sich an die medialen Produkte an und versichern sich über den Genuss des Verbotenen oder Abgewerteten ihrer Identität. In den Kinos indes verursacht, wie im Theater, die öffentliche Präsenz von Zuschauerschaften im Zutrittsbereich und im Saal sichtbare und damit ihrerseits wieder medial dokumentierbare Interaktionen zwischen protestierenden Akteuren, die die Filminteressierten am Kinobesuch zu hindern trachten, und denjenigen, die im Begriff sind, das Kino zu betreten. Der Schwellenbereich wird, wie im Falle von Martin Scorseses The Last Temptation of Christ (Die letzte Versuchung Christi, 1987/88) in einigen westdeutschen Städten geschehen, zur umkämpften Zone.3 Mit ihren sehr heterogenen ästhetischen Verfahren und Erzählweisen positionieren sich die kontrovers diskutierten Filme zu religiös-spirituellen Themen und Motiven. Im Kern kritisieren sie die Macht der Amtskirche über die Gläubigen als autoritären Eingriff in das Denken und die Freiheit des Menschen und hinterfragen den Sinn des Opfers. Die Sinnlichkeit der religiösen Welt erscheint grell, laut, konfrontativ und hysterisch, und das Martyrium der Körper auf der Leinwand setzt sich nicht selten in der – ästhetisch kalkulierten – Qual fort, die Bild und Ton selbst auf die Zuschauer ausüben. Die hier exemplarisch ausgewertete Gemengelage von publizistischen und dokumentierten, lokalen aktivistischen Reaktionen auf die genannten Filme stellt sich in den westlichen Industrieländern höchst unterschiedlich dar. Mit ihr treten gravierende mentalitäre Differenzen zutage, die sich, so wäre die These, weniger in konfessionell geprägten Einstellungen gegenüber christlichen Glaubensinhalten manifestieren, als vor allem formalen Darstellungsmodi und damit der Möglichkeit gel-

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ten, das überlieferte religiöse Bild- und Textrepertoire mit neuer Bedeutung aufzuladen.

Körpermartern vor weißen Kachelwänden: Ken Russells THE DEVILS The Devils löste bereits bei seiner Präsentation auf den Internationalen Filmfestspielen in Venedig im August 1971 einen Skandal aus. Der Vatikan, der den Film eines »Verbrechens am Kino« bezichtigte,4 forderte den Rücktritt des Festivaldirektors. Die Bilder seien von einer so großen Obszönität, wie sie noch nie im Kino zu sehen gewesen sei. Das Drehbuch geht auf den 1952 erschienenen Roman »The Devils of Loudun« von Aldous Huxley und das von John Whiting verfasste Bühnenstück gleichen Titels zurück, das die Royal Shakespeare Company 1961 erstmals aufgeführt hatte.5 Huxleys Analyse eines religiösen Massenwahns beruht auf historischen Tatsachen. Kardinal Richelieu, Hauptberater König Ludwigs XIII, verfolgt zwei Ziele: die absolute Herrschaft des Königs über ganz Frankreich, wozu die Abschaffung regionaler Privilegien nötig ist, und die absolute Herrschaft der katholischen Kirche, der die Hugenotten im Wege stehen. Es ist das Jahr 1634. Der Priester Urbain Grandier (Oliver Reed), geistliche und weltliche Autorität in der Stadt Loudun, in der die Pest wütet, weigert sich, wie befohlen die Stadtmauern einreißen zu lassen, indem er sich auf ein altes, seinem Vorgänger vom König gegebenes Privileg beruft. Und er heiratet – Priester und Bräutigam in einer Person – die verwaiste Madeleine De Brou. Jeanne (Vanessa Redgrave), die missgebildete Mutter-Oberin des Ursulinenklosters, begehrt Grandier, den sie in ihren Träumen als Gekreuzigten fantasiert, der zu ihr herabsteigt. Sie möchte, dass er der Beichtvater des Klosters wird. Zunehmend in Wahn verfallend, behauptet sie, von einem »Incubus« in Gestalt Grandiers heimgesucht worden zu sein. Der herbeigerufene Exorzist Pierre Barre nimmt an ihr grausame Austreibungspraktiken vor, doch sie steigert sich immer mehr in ihren sexuellen Wahn hinein.6 Nach und nach behaupten alle Nonnen, von Grandiers schwarzer Magie verführt worden zu sein, und ihre Hysterie gerät zu blasphemischen Orgien, die sogar Touristen aus Paris anlocken. Grandier wird der Ketzerei angeklagt, gefoltert, verurteilt und öffentlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Die Mauern der Stadt werden niedergerissen, Madeleine verlässt Loudun. Schon die Dreharbeiten in Pinewood waren von Gerüchten begleitet, am Set seien Kinder missbraucht worden. Der Tenor einiger britischer Kritiken geht dahin, der Film über die wahnhafte Hexenjagd und die Inszenierung einer Atmosphäre unkontrollierter Hysterie hätten den Regisseur selbst besessen gemacht. Das British Board of Film Censors (BBFC) gab The Devils ein »X«-Rating; gegen die öffentliche Vorführung sprachen lokale Behörden Verbote aus. Daraufhin forderte die Cinematograph Exhibitors Association,

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The Devils (1970/71, Ken Russell)

der Verband der britischen Kinobetreiber, den Rücktritt des BBFC-Chefs Stephen Murphy wegen zu großer Liberalität und der zu geringen Bereitschaft, Schnittauflagen zu verhängen. Er habe den Kontakt zur öffentlichen Meinung verloren, so die CEA. Im März 1972 titelte das Branchenblatt Cinema TV Today: »Murphy must go«. Murphy setzte sich 1974 zur Ruhe.7 Der Freiwilligen Selbstkontrolle der deutschen Filmwirtschaft (FSK) lag der Film in einer Spieldauer von 111 min vor,8 und mit dem Prüfentscheid vom 22.8.1971 wurde The Devils ab 16 Jahren freigegeben.9 Der Ausschuss war der Meinung, »daß die geschichtlich genau belegten Tatsachen, wie sie auch der Film aufzeigt, trotz aller Härten und Grausamkeiten auch schon von Jugendlichen ab 16 Jahren verkraftet werden können, zumal bei diesen krasse realistische Deutlichkeiten und breites Ausspielen grausamer Handlungen vermieden werden und durch den Gestaltungsstil in der Wirkung eine gewisse Distanzierung entsteht«.10 Friedrich Thorn lobte in der Süddeutschen Zeitung die exzellente Kameraführung von David Watkin und Oliver Reeds Darstellung des Grandier, der »ein furchtbares und furchterregendes Bild des gerechten Sünders mit einem bis zum Paroxysmus reichenden Fassungsvermögen für geistiges und physisches Leiden« gebe.11 Prüfung und Rezeption des Films in der Bundesrepublik fielen um einiges positiver aus als in Großbritannien und

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den USA. Die Zensurbehörden dort störten sich im Besonderen an einer Sequenz während der Orgie, in der Nonnen ein mannshohes Kruzifix zur Selbstbefriedigung missbrauchen. Die von Russell als »Rape-of-Christ«-Sequenz bezeichnete und von ihm als Schlüsselszene verstandene Episode wurde aus der britischen Kinofassung entfernt; allerdings wurde in den USA das Schnittmaterial aufbewahrt. 2002 entdeckte der britische Filmhistoriker und -kritiker Mark Kermode verloren gegangenes Filmmaterial, das insbesondere diese Szenen beinhaltet.12 2004 zeigte das British Film Institute (BFI) eine restaurierte Fassung, in der auch die »Rape-of-Christ«-Sequenz enthalten war.13 Neben der in The Devils verhandelten Thematik eines gewaltsam durchgesetzten Übergangs zur absolutistischen (katholischen) Königsherrschaft, die mit dem Bruch von Zusicherungen und der Tötung des auf der Selbstständigkeit der Stadt beharrenden Grandier als des Erben der Gouverneurswürde einhergeht, inszeniert Russell eine Entfesselung religiösen Wahns, der für die Pläne des Machtpolitikers Richelieu höchst funktional ist. In der Äbtissin Jeanne überlebt das barocke Spektakel der sadomasochistischen Torturen am Ende eine Figur, bei der das Höchstmaß an Verleugnung des Körpers und ihr Eingeschlossensein in die sterilen, weiß gekachelten Klosterräume unmittelbar umschlagen in die vexierbildhafte sexuelle Fantasie von Grandier als Heiland und als Teufel. Die indirekte Allianz der von Grandier bewusst und unbewusst verschmähten Frauen, der von ihm schwangeren Tochter des Priesters Canon Mignon und Jeannes, bringt ihn eigentlich zu Fall. Die Äbtissin ist freilich ein bloßes Werkzeug der politischen Akteure, während die Priestertochter sich an Grandier für die Verletzung ihrer »Ehre« rächen will. Exorzismus und Inquisition erscheinen als mutwillig induziertes, vor allem aber von den Kirchenvertretern kontrolliertes Chaos, dem Grandier als Repräsentant eines mit Kunstwerken der Renaissance assoziierten Christentums unterliegt, der seine Regierung auf tätige Vernunft und menschliche Liebe gründet. Ebenso bleibt sein Versuch, durch die Heirat mit Madeleine Liebe und Ehe zu verbinden, eine Utopie.

Der Teufel als Handlanger des himmlischen Personals Werner Schroeters Liebeskonzil beruht auf dem Bühnenstück »Das Liebeskonzil« des Arztes und Schriftstellers Oskar Panizza, das 1894 mit dem Nebentitel »Eine Himmelstragödie in fünf Aufzügen« im zürcher Schnabel-Verlag erschien. Das Stück brachte seinem Autor im Jahr nach dem Erscheinen einen Prozess wegen Gotteslästerung vor dem Landgericht München 1 ein. Panizza, der Assistent des Psychiaters Johann Bernhard von Gudden14 gewesen war, erhielt eine einjährige Gefängnisstrafe, seine Bücher wurden verboten. Nach der Haftentlassung 1896 folgte eine Odyssee, die ihn über Zürich und Paris schließlich nach Bayern zurückführte: Panizzas Ausweisung aus der Schweiz15

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Liebeskonzil (1981, Werner Schroeter): Antonio Salines

folgten im Jahr 1900 die Beschlagnahmung seines Vermögens in Deutschland, eine steckbriefliche Suche, die Unmündigerklärung 1905 und schließlich ein 17 Jahre währender Aufenthalt in einem bayreuther Nervensanatorium, wo er 1921 starb.16 Bis in die 1970er Jahre hinein gehörten alte Ausgaben von Panizzas Werken in öffentlichen Bibliotheken zu den sogenannten Remota,17 als »Giftschrank«-Texte waren sie nicht ausleihbar. Neuauflagen wurden gleich ganz unterbunden, wie sich zumal an »Das Liebeskonzil« zeigt: Im Juli 1962 beschlagnahmte die Polizei in Glücksburg eine vom Verleger Peter J. Petersen besorgte Ausgabe. 300 Exemplare und die Druckstöcke wurden auf Veranlassung des Kieler Kultusministeriums durch einen Beschlagnahmebefehl des Amtsgerichts Flensburg konfisziert und vernichtet, Petersen erhielt eine Strafanzeige. Die erste Neuausgabe des Stücks erschien 1964 bei Luchterhand. 1966 verhinderten Studenten in München die Aufführung durch die universitätseigene Studiobühne, erst 1969 wurde »Das Liebeskonzil« auf französisch im Thêatre de Paris uraufgeführt. Werner Schroeters Film beruht auf einer Inszenierung des Teatro Belli in Rom in der Regie von Antonio Salines. Das Drama ist im Film gerahmt durch eine Gerichtsszene, die wesentliche Phasen des historischen münchner Prozesses

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nachstellt.18 Durch diese Prozessklammer gewinnt das Drama bei Schroeter den Charakter eines Dokuments in einer juristischen Beweisaufnahme, und die Zuschauer des Films sind ihrerseits in doppelter Weise aufgerufen, sich selbst ein Urteil zu bilden – über das, was die Inszenierung tut, und über das Gerichtsverfahren. Liebeskonzil handelt davon, wie zur Zeit der Renaissance Gott von großem Zorn über die sündige Menschheit erfasst wird. Nachdem er vom Himmel aus das Treiben der Borgia-Päpste beobachtet hat, berät er gemeinsam mit Jesus, Maria und dem Teufel, wie die Menschen verdammt werden, ihre Seelen aber trotzdem erlösbar bleiben können. Der Teufel findet schließlich die Lösung, indem er mit Salome eine Tochter zeugt, die ein von ihm gebrautes Gift, die Syphilis, unter die Menschen bringen wird. Gegenüber Panizzas Dramentext verfährt der Film ebenso wie die römische Bühneninszenierung hochselektiv, denn einbezogen sind nur die Szenen im Himmel und der lange Monolog des Teufels vor der Serie von Anrufungen verderbter Frauengestalten in seiner Unterwelt, darunter Helena, Messalina und Salome, die schließlich in die Zeugung der Syphilis-Gestalt mündet. Alle zu Ostern 1495 am vatikanischen Hof von Alexander VI. Rodrigo Borgia spielenden Erden-Szenen mit ihren sexuellen Exzessen, die Panizza im Dramentext durch historische Quellen zu verbürgen weiß, bleiben ausgespart. Antonio Salines, der Regisseur der römischen Inszenierung, spielt im Film sowohl den Angeklagten Panizza in der Gerichtsszene als auch den Teufel im Drama und hinterlässt damit gleichsam ein doppeltes Signet, das sich als Bekenntnis wie auch ex-post-Re-Legitimation der Person Panizzas und seiner Religionskritik verstehen lässt. Schroeter bemerkte zur Inszenierung des kleinen Teatro Belli, das nur gut einen Kilometer Luftlinie vom Vatikan entfernt liegt, ihre Ästhetik sei »mehr oder weniger die eines fantasievollen Kindertheaters«,19 was sowohl durch die stilisierten, engen Kulissen, als auch durch die Kostüme der Figuren und ihre Bewegungsschemata zum Tragen komme. Liebeskonzil wurde am 21.2.1982 im Wettbewerb der Berlinale außer Konkurrenz um 23 Uhr uraufgeführt. Der FSK wurde der Film nicht vorgelegt. Zwischen Uraufführung und Kinostart in der Bundesrepublik am 12.3.1982 stellte die Juristenkommission der SPIO dem Atlas-Filmverleih, auf Veranlassung des Co-Autors und Staatsanwalts Dietrich Kuhlbrodt und vertreten durch den Anwalt Horst von Hartlieb, am 3.3.1982 eine »Unbedenklichkeitsbescheinigung« aus.20 Die Juristen in Wiesbaden erstellten ein ausführliches Gutachten, demzufolge »in strafrechtlicher Hinsicht keine durchgreifenden Bedenken« gegen die öffentliche Aufführung von Liebeskonzil vor einem erwachsenen Publikum bestünden.21 Diese Prüfung war angesichts des Schicksals von Panizzas Drama, seiner langen Unterdrückungsgeschichte und des historischen Urteils gegen seinen Autor wegen Gotteslästerung zweifelsfrei ein Test auf den Wandel von juristischen Normen im Umgang mit Religionskritik in Deutschland. Immerhin ist

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Kuhlbrodt zufolge das Urteil gegen Panizza offenbar nie offiziell revidiert worden. Demgegenüber betont die Entscheidung der SPIO-Kommission, der Film verstoße nicht gegen § 166 StGB, der die Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsvereinigungen unter Strafe stellt. Die enthaltenen »despektierlichen Angriffe« würden durch Elemente der Komik und des Possenhaften relativiert. Der Film genieße als eine »gültig geformte Auseinandersetzung zwischen Künstler und Welt« den Schutz der in Art 5, III GG garantierten Kunstfreiheit.22 Was mögliche Störungen des öffentlichen Friedens angehe, so betrachteten es die SPIO-Juristen als unvorstellbar, dass »die jahrhundertealten abgeklärten christlichen Glaubensgemeinschaften wegen eines einmaligen satirisch-humoristisch verbrämten Tiefschlags gegen die Vorstellungs- und Überzeugungswelt der Christenmenschen friedensgefährdende Protest-, Gewalt- und Repressalienaktionen in der Öffentlichkeit veranstalten werden.«23 Schnittauflagen wurden seitens der Kommission nicht empfohlen, der Film konnte damit vor Zuschauern ab 18 Jahren vorgeführt werden. Allerdings wurde »dringend angeraten«, potenziellen Angriffspunkten die ketzerische Schärfe zu nehmen. Konkret wurde empfohlen, eine Szene zu entfernen und einige »obszöne Ausdrücke« durch »gemäßigte Formulierungen« zu ersetzen, die auch ursprünglich so im Drehbuch gestanden hatten. Dank dieser Unbedenklichkeitsbescheinigung waren Kinobesitzer vor einem Eingreifen von Richtern oder Polizei relativ sicher, wenn sie den Film programmierten. Auch die zumeist wohlwollenden Kritiken zum Film hoben aufgrund seiner grell-bunten Visualität und der gleichzeitigen theatralen Abstraktion, die wie grobes Kasperletheater wirke, das Possenhafte hervor. In der Stilisierung Gottvaters wurde ein feister, hinterlistiger Nero erkannt, Jesus erscheine als holzgeschnitzte Kitschfigur und Maria lege als Nazarenergestalt eine ausgeprägte Geschäftstüchtigkeit an den Tag. Sie ist es, die im Himmel die Hosen anhat. Der Teufel als Anwalt des Menschen muss stets fiese Bemerkungen über seine Existenz gewärtigen und ist entschieden humaner gezeichnet als das dogmatisch verbiesterte Himmelspersonal, das – vor dem ideologiegeschichtlichen Hintergrund von Nietzsches »Gott-ist-tot«-Diktum – seine Felle davonschwimmen sieht. Aber – und das bringt ihn dazu, sich auf den von Maria vorgeschlagenen Handel einzulassen – der Teufel ist käuflich, will es besser haben, seine Hölle gründlich renovieren und endlich als ein feiner Herr einhergehen können. Der lange Monolog, in dem er über seine Lage räsonniert, ist die Schlüsselszene des Films. Anders als in der Bundesrepublik verhielt es sich mit der Rezeption des Films in Österreich: 1985 hatte das Otto-Preminger-Institut für audiovisuelle Medien in Innsbruck Liebeskonzil programmiert und erhielt eine Strafanzeige. Das Landesgericht Innsbruck verbot den Film mit der Begründung, er würdige die religiöse Lehre herab und überschreite die künstlerische Freiheit. Wörtlich heißt es, »der gläubige Durchschnittsmensch Tiroler Prägung« könne »in seinen reli-

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giösen Gefühlen beleidigt werden«.24 Die Liebeskonzil-Kopien wurden eingezogen und vernichtet. Gegen dieses Urteil rief das Otto-Preminger-Institut die Europäische Menschenrechtskommission an, die auch über die Wahrung der Kunstfreiheit wacht. Die Kommission entschied, dass Österreich mit dem Verbot gegen Menschenrechte verstoßen habe, und bezog sich ausdrücklich auf die Rahmenhandlung der religionskritischen Satire.25 Dank dieser Metaebene, in der es selbst um die Freiheit der Kunst gehe, sei es für den Zuschauer möglich, sich in Distanz zum Stück zu setzen. Gegen diese Entscheidung wiederum zog die österreichische Regierung vor den Europäischen Gerichtshof in Straßburg – mit dem Argument, die Rahmenhandlung würde die antireligiöse Tendenz noch verstärken. Sie bekam Recht, weil »die römisch-katholische Religion die Religion der überwiegenden Mehrheit der Tiroler« sei und die Behörden verhindern müssten, dass sich jemand in seinen religiösen Gefühlen verletzt fühlen könne. »Zuständig, eine solche Verletzung zu prognostizieren und einen Film zu verbieten, sind nach diesem Spruch die nationalen Behörden nach zeitlichen und lokalen Gegebenheiten«, heißt es im Urteil vom 19.9.1994. Zu Recht fragt sich Dietrich Kuhlbrodt, ob unter Beachtung orts- und zeitgebundener Gegebenheiten in Europa künftig ein »bunter Flickerlteppich von Aufführungs- und Verbotszonen für Filme« errichtet werden soll. Ein Vorbild hierfür gäbe es immerhin – nämlich in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg in der sogenannten »zensurfreien« Periode zwischen November 1918 und Mai 1920, wie die völlig heterogenen Entscheide der in dieser Zeit für Zulassungen, Verbote und Schnittauflagen zuständigen lokalen Polizeibehörden in Hamburg, München, Stuttgart und Berlin belegten.26 Mit dem straßburger Urteil war die österreichische Causa Liebeskonzil keineswegs zu Ende: 2003 war der Film Thema auf einer Zensurtagung in Salzburg. Um den Film zu sehen, mussten die Zuschauer über die Grenze ins bayerische Freilassing gefahren werden.27

Vom Kreuz herab und über die Wasser Herbert Achternbuschs Das Gespenst handelt vom »42. Heiland«, der eines Tages beschließt, von seinem Kreuz in einem Kloster herabzusteigen und sich wieder unter das irdische Volk zu mischen. Zunächst landet der sanfte Mann (Herbert Achternbusch) im Bett der Schwester Oberin (Annamirl Bierbichler), die ihn alsbald als Barkeeper in der Klosterbar für seinen eigenen Lebensunterhalt sorgen lässt. Dort muss er zwei brutale Polizisten bedienen. Auf dem münchner Christkindlmarkt und im Faschingstreiben auf dem Viktualienmarkt bettelt er um Scheiße für die Uniformierten. Körperliches weckt zwar seine Neugier, aber um seine erotischen Regungen auszuleben, ist er viel zu unschuldig. In Brot und Wein sein Fleisch und Blut zu erkennen, erschreckt ihn

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Das Gespenst (1982, Herbert Achternbusch): Annamirl Bierbichler, Herbert Achternbusch

zutiefst, wie er überhaupt das Passionsgeschehen vergessen zu haben scheint. Drei römische Legionäre helfen seinem Gedächtnis auf die Sprünge. Ein Bischof will ihn gleich gar nicht sehen, und so zieht er, aus der Bar verbannt, in die Welt und versucht vergeblich, Wunder zu bewirken. Schließlich entfernt er sich wieder aus der Welt: Die Oberin verwandelt sich in einen Greifvogel, er selbst (wie schon mehrmals vorher) in eine Schlange, die der Greif in seinem Schnabel in den Himmel hebt und mit ihr davonfliegt. Die Premiere auf den Hofer Filmtagen im Herbst 1982 war ein sehr mäßiger Erfolg. Nach dem Bundesstart am 23.3.1983 waren die Kritiken freundlichzurückhaltend. Eine Woche später, am 29. März, verweigerte die FSK dem Film die Freigabe mit dem Argument, er verletze das religiöse Empfinden und die Menschenwürde. Nun war diese Freigabe nicht unbedingt nötig, um den Film im Kino zeigen zu können, aber durch ihre Verweigerung wurde Achternbusch das letzte Viertel seiner Fördersumme von insgesamt 300.000 DM, also 75.000 DM, nicht ausgezahlt. Die Regularien des damals in der Bundesrepublik geltenden Filmförderungsgesetzes legten fest, dass diese letzte Ratenzahlung nur dann erfolgen könne, wenn der Film durch die FSK geprüft und dem Bundesministerium des Innern (BMI) vorgelegt würde.28 Einen Monat später kürte die Jury der evangelischen Filmarbeit Das Gespenst zum »Film des Monats

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April« und stellte Verbindungen zu Luis Buñuels Nazarín (1958/59) und Viridiana (1961) her. Das – so wörtlich – »scheinbare Kasperlspiel dieses Films« könne in Wahrheit »Antriebskräfte einer heilsamen Selbstbefragung in Gang setzen.«29 Rudolf Hammerschmidt, Pressesprecher der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz, schrieb in einer Erklärung vom 23. April, es ergäbe sich durch das Votum der evangelischen Filmjury »im Hinblick auf die bisherige gute ökumenische Kooperation der beiden Kirchen in der Filmarbeit eine ernste Belastung«.30 Das BMI prüfte nun unter Federführung des seit Oktober 1982 amtierenden CSU-Innenministers Friedrich Zimmermann den Film und lud hohe Vertreter der EKD mit dazu. Nach der Sichtung, so ein Zeitungsbericht, brauchte Zimmermann einen Schnaps und erwog, die Fördersumme komplett zurückzufordern. Am 25.4. hob der Hauptausschuss der FSK den Entscheid des Arbeitsausschusses auf und gab den Film ab 18 Jahren frei. Während der Rat der EKD gegenüber Forderungen, den Film zu verbieten, die Unabhängigkeit der Jury unterstrich, legte die Zentralstelle Medien der Deutschen Bischofskonferenz nun erst richtig nach: Aus katholischer Sicht sei die staatliche Förderung eines solchen Films unzumutbar. »Ich sehe nicht ein«, so der Leiter der Zentralstelle, Prälat Schätzler, »dass jemand, der sich offenbar an keine humane Ordnung gebunden weiß und den Mitmenschen unter Berufung auf die Freiheit der Kunst ins Gesicht schlägt, mit dem Geld derer honoriert wird, die beleidigt werden.«31 – Ein starkes Stück, dieser Satz, der auf »den deutschen Steuerzahler« rekurriert, den Schätzler in toto attackiert sah. In den folgenden beiden Monaten geriet Zimmermann, der sich nach der Sichtung des Films »persönlich in seinem religiösen Empfinden verletzt« fühlte, zusehends unter Druck, denn sein Ministerium hatte noch unter seinem Amtsvorgänger Gerhart Baum (FDP) das Drehbuch ohne Beanstandung mit Blick auf die Förderung genehmigt. Nun wollte der Nachfolger Das Gespenst zum Anlass nehmen, gleich die Grundlagen der Filmförderung zu verändern. Achternbusch, dem durch den letzten FSK-Entscheid die letzte Fördersumme nunmehr zustand, begann sich zu wehren. Am 14.6.1983 protestierten Dieter Dorn, Intendant der Münchner Kammerspiele, Bühnenbildner Jürgen Rose und Dramaturg Hans Joachim Ruckhäberle in einem Offenen Brief an den Minister, die finanzielle Strafaktion gegen den Film sei »ein unerträglicher Vorgang.« Zimmermann entschloss sich, die ausstehenden 75.000 DM nicht auszuzahlen. Am 30./31. Mai tagte die Auswahlkommission des BMI zur Filmprojektförderung. Fünf Projekte, »Zone Meier« von Peter Timm, »Paris, Texas« von Wim Wenders, »Novemberkatzen« von Sigrun Koeppe, »Die Verliebten« von Jeanine Meerapfel und Achternbuschs »Der Wanderkrebs«, sollten mit je 250.000 DM gefördert werden. Wenn Zimmermann der Förderung von Achternbuschs neuem Film die Zustimmung verweigerte, würde er einen Präzedenzfall schaffen, denn kein Innenminister hatte bis dahin jemals die Entscheidung des

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BMI-Fördergremiums unterbunden. Während sich auf dem Filmfest in München im Juni 1983 50 Filmmacher mit Achternbusch solidarisierten, ermittelte die Staatsanwaltschaft München I, nachdem zwei Strafanzeigen gegen Das Gespenst eingegangen waren, wegen des Verdachts »der Beschimpfung von Religionsbekenntnissen«.32 Am 23. Juni verkündete der Innenminister, er habe beschlossen, dass die letzte Förderrate einbehalten werde, und nutzte die Verleihung der Deutschen Filmpreise zwei Tage später dazu, sein filmpolitisches Credo zu verkünden: »Hier ist nicht die Freiheit der Kunst oder die Freiheit der Meinungsäußerung in Gefahr. (…) Ich bekenne mich zum Schutz der Religionsfreiheit, und dazu gehört auch der Schutz der Gläubigen in unserem Land gegen unangebrachte Verletzungen ihrer Empfindungen, ihrer religiösen Bindungen und dies mit staatlichen Mitteln! Auch die Religion und die Religiosität genießen Verfassungsschutz. Die Kirchen, das Christentum haben unsere Geschichte und unser Bewußtsein geprägt. Ich muß diejenigen verstehen, die, wie die Kirchen selbst, in dem Film Das Gespenst eine Herabsetzung von Christus sehen. Und ich schließe mich dieser Auffassung aus innerer Überzeugung an. (…) Trotz aller intellektualisierenden Spielereien kann ich in dem Film Das Gespenst keine Leistung erblicken, die so schwerwiegende Verletzungen des Empfindens größter Teile unserer Bevölkerung rechtfertigt.«33 Am 8.7.1983 forderte die CSU-Landtagsfraktion die Rückzahlung der gesamten Fördersumme des BMI und eine Änderung der Förderstatuten: Prämien sollten danach erst nach Abnahme des fertigen Films zur Auszahlung gelangen. 2000 Strafanzeigen gegen den Verleiher Christian Friedel gingen aus dem ganzen Bundesgebiet ein. Mittlerweile hatten 75.000 Besucher den Film gesehen. Die Situation in Bayern verschärfte sich zusehends – so setzte etwa ein passauer Kinobetreiber den Film nach Morddrohungen ab. Bis zum Herbst sahen den Film 130.000 Besucher (bei 14 Kopien eine gute Auslastung). Am 8.12. lehnte das Landgericht München die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Verleih mit der Begründung ab, es seien nur besonders aggressive Akte der Intoleranz unter Strafe gestellt. Was hingegen an »unangemessenen Beschäftigungen mit religiösen oder weltanschaulichen Inhalten darunter liegt, weil es noch im Bereich des Dürftigen oder des Läppischen, der Albernheiten oder der Geschmacklosigkeiten verbleibt oder weil es nur den Erlebnisinhalt kleiner, geschlossener Gruppen bildet, sollte nach dem Willen des Gesetzgebers nicht Grund von Strafprozessen sein.«34

Fazit Die Lenkung der Distribution sowie die Rezeption von The Devils, Liebeskonzil und Das Gespenst stellen, wie beschrieben, drei Varianten der Auseinandersetzung um Filme dar, deren provokatives Potenzial sich aus der Deutung religiöser Motive, insbesondere der Mission und Passion Christi und, im

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Falle der Panizza’schen Konstruktion einer barocken Dreiebenen-Welt, des Verhältnisses von Immanenz und Transzendenz speist. Für alle drei Filme und ihre je eigenen Schicksale zwischen Schnittauflagen (The Devils), Verbot (Liebeskonzil) und Exempel-Statuierungsfunktion (Das Gespenst) zu Beginn der mit der Kanzlerschaft Helmut Kohls verkündeten »geistig-moralischen Wende« in der Bundesrepublik gilt, dass radikale künstlerische (Um- oder Neu-)Deutungen religiöser Glaubenspostulate nur umso mehr auf die Relevanz von Religion verweisen. Ihren Tabubrüche einkalkulierenden Bildern liegt – trotz teilweise sarkastischer Positionen – eine Ernsthaftigkeit zugrunde, die das »Ecce Homo« seiner Entrückung zu entziehen versucht. Schließlich kann gelten, was der straßburger EU-Richter Schermer im Falle von Liebeskonzil vertrat: »If one does not believe in God, one cannot make a film about Him.«35 1) Vgl. Ursula von Keitz: Dialogizität der Bilder. Bemerkungen zum Verhältnis von Bildender Kunst und Film aus semiotischer Sicht. In: Joachim Paech (Hg.): Film, Fernsehen, Video und die Künste: Strategien der Intermedialität. Stuttgart, Weimar: Metzler 1994, S. 28-39. — 2) Vgl. hierzu Robert Hewison: Monty Python: The Case Against. London: Eyre Methuen Ltd. 1981, S. 58-95, und den Eintrag auf http://wikipedia.org/wiki/Das_Leben_des_Brian (aufgerufen am 30.6.2014). — 3) Zu den Protesten vor westdeutschen Kinos vgl. Sturm im Weihwasserglas. In: Der Spiegel, Nr. 46, 14.11.1988. — 4) Zit. n. Vatican Sparks Controversy By Attacking Film on Church. In: International Herald Tribune, 31.8.1971. — 5) Die westdeutsche Erstaufführung des Stücks 1963 am Schillertheater in Berlin war von heftigen Attacken der katholischen Kirche begleitet. — 6) Huxley hat sich zu den sexuellen Fantasien der Ursulinen-Oberin Jeanne im Roman wie folgt geäußert: »As heroic passion, it is one of the last infirmities of noble mind. As imagined sensuality it’s one of the first infirmities of the insane mind.« The Devils of Loudun. London: Chatto & Windus 1952. — 7) Zu den Zensur-Auseinandersetzungen um The Devils vgl. Craig Lapper: The Censors, the Studio and »Cutting the Orgy in Two« im Booklet der 2012 vom BFI herausgegebenen DVD (S. 7-13). — 8) Die Länge der eingereichten 35mm-Kopie betrug 3041 m. — 9) Nach der deutschen Erstaufführung am 17.9.1971 zollte Maurus Pacher in der TZ München vom 25.9.1971 der FSK Respekt: »Das historische Gewaltspektakel wendet sich zeitlos gegen ideologische Exzesse, gegen viehische Gewalt im Namen der guten Sache – wem die Bilddokumente des Grauens unserer Zeit bereits zur Routine geworden sind, der spürt hier wieder bis in den letzten Nerv, wie Wehtun wirklich tut. Grandier ist von ungeheuerer Weltzärtlichkeit.« — 10) Jugendentscheid des FSK-Arbeitsausschusses zu Die Teufel (Prüf-Nr. 43866) vom 17.8.1971. — 11) Friedrich Thorn: Teufel, Teufel. In: Süddeutsche Zeitung, 1.8.1971. — 12) Vgl. Kermodes Dokumentarfilm Hell on Earth: The Desecration & Ressurection of The Devils (2002). — 13) Die vom BFI 2012 herausgebrachte DVD hingegen enthält die X-rated Fassung. Die 1971 zensierten Szenen, die teilweise in der Kinofassung von 2004 wieder eingeschnitten waren, fehlen in der DVD-Fassung – auf Weisung des Produzenten Warner Bros. – nach wie vor. — 14)) Prof. Dr. Johann Bernhard von Gudden war der behandelnde Arzt König Ludwig II. von Bayern nach dessen Entmündigung gewesen. Von Gudden hatte zuvor – ausschließlich auf der Grundlage von Behandlungsakten – das Gutachten über den Geisteszustand des Monarchen erstellt. Zusammen mit seinem Patienten kam von Gudden am 13.6.1886 im Starnberger See ums Leben. Die näheren

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Todesumstände beider werden bis heute kontrovers diskutiert. — 15) Nach Ende der Haft begab sich Panizza ins Exil nach Zürich und bat um seine Ausbürgerung; er lebte dort etwa zwei Jahre als Staatenloser, ehe die zürcher Behörden ihn am 27.10.1898 wegen eines Sittlichkeitsdelikts auswiesen. Dieser Grund war, wie schon die Zeitgenossen spekulierten, vorgeschoben und hatte in Wirklichkeit politische ründe, da sich der staatenlose Panizza mehrmals als Anarchist bekannt hatte und gut einen Monat zuvor Kaiserin Elisabeth von Österreich in Genf von einem Anarchisten erstochen worden war. — 16) Bereits 1922 bemühte sich Kurt Tucholsky um eine Gesamtausgabe vo Oskar Panizzas Werken, was die Familie aber ablehnte, worauf Tucholsky u.a. in Die Weltbühne seine Dichtungen und Novellen würdigte. Auch Lion Feuchtwanger thematisiert in seinem München-Roman »Erfolg« (1930) den Prozess Panizza. — 17) Die Bayerische Staatsbibliothek führt den Signaturtyp »Rem« nach wie vor. — 18) Das Drehbuch der Rahmenszene schrieb der Staatsanwalt und Filmkritiker Dietrich Kuhlbrodt, der hierfür auf die in den Gerichtsakten erhaltene Anklageschrift, die Verteidigungsrede Panizzas und den Wortlaut des Urteils zurückgriff. In der 1976 erschienenen Taschenbuchausgabe des Fischer-Verlags sind diese Gerichtsdokumente im Anhang mitpubliziert. Zum Einfluss von Panizzas Drama auf Modi der personifizierenden Darstellung von Seuchen im deutschen Stummfilm vgl. Ursula von Keitz: Figuren der (Aus-)Löschung. Das Bildfeld von Pest und Tod im deutschen Film um 1918. In: Bernard Dieterle, Daniel Meyer (Hg.): Der Umbruchsdiskurs im deutschsprachigen Raum 1900 und 1938. Heidelberg: Winter 2011, S. 139-161. — 19) Werner Schroeter über »Liebeskonzil«. In: Informationsdienst der Export-Union des deutschen Films, 1982. — 20) SPIO-Juristenkommission: »Unbedenklichkeitsbescheinigung« für »Liebeskonzil«. In: epd Kirche und Film, Nr. 4, April 1982, S. 30. — 21) Zit. n. ebd. — 22) Zit. n. SPIO-Juristenkommission, a.a.O. — 23) Zit. n. ebd. — 24) Zit n. Dietrich Kuhlbrodt: Tiroler Zensur. In: Konkret, Nr. 2, 2006. — 25) Ebd. — 26) Vgl. Herbert Birett (Hg.): Verzeichnis in Deutschland gelaufener Filme 1911–1920. Entscheidungen der Filmzensur. München u.a.: Saur 1980. — 27) Kuhlbrodt, a.a.O. 2006 hat es ein Veranstalter in Linz versucht. Ob Liebeskonzil mittlerweile in Österreich aufgeführt worden ist, wäre zu überprüfen. — 28) 1982 hatte Herbert Achterbusch für seinen Film Das letzte Loch ein Filmband in Silber erhalten, mit dem die genannte Fördersumme für die Produktion des nächsten Films verbunden war, auszuzahlen in vier Raten. — 29) Die Jury der Evangelischen Filmarbeit empfiehlt als Film des Monats: Das Gespenst. In: Film-Korrespondenz Nr. 10, 10.5.1983. — 30) Pressemitteilung der Pressestelle der Deutschen Bischofskonferenz zu dem Film Das Gespenst vom 23.4.1983. Zit. n. Film-Korrespondenz Nr. 10, a.a.O. — 31) Zit n.: Ev. Allianz stößt sich an blasphemischem Jesusfilm. In: Siegener Zeitung, 3.5.1983. — 32) Strafanzeigen gegen Filmregisseur. In: Fuldaer Zeitung, 23.6.1983. — 33) Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Friedrich Zimmermann, anlässlich der Vergabe der Deutschen Filmpreise 1983 am 25. Juni 1983 in Berlin. Zit. n. Film-Korrespondenz Nr. 14/15, 5.7.1983. — 34) Erwin Tochtermann: »Gespenst« bedroht öffentlichen Frieden nicht. In: Süddeutsche Zeitung, 10.12.1983. — 35) Zit. n. Kuhlbrodt, a.a.O.

174 Namen Achternbusch, Herbert 10, 161, 168, 169, 169F, 170, 171, 173 — Ackermann, Anton 20 — Adenauer, Konrad 90, 148, 149 — Aehrenthal, Aloys Graf Lexa von 37 — Alexander VI. Rodrigo Borgia 166 — Alison, Joan 109 — Altman, Robert 160 — Andresen, Geertje 64 — Antonioni, Michelangelo 93 — Arquette, Rosanna 31F — Askol’dov, Aleksandr 14 — Auersperg, Pavel 104 — Aznavour, Charles 99 Baierl, Helmut 98 — Barlach, Ernst 98 — Barthel, Kurt 97 — Bartsch, Kurt 89 — Bastian, Horst 97 — Baum, Gerhart 170 — Baumert, Heinz 94, 95 — Becher, Johannes R. 16 — Becker, Oberregierungsrat 71 — Beethoven, Ludwig van 152 — Beljakova, Tatjana 82F — Bentzien, Hans 95 — Bergman, Ingrid 109, 114F, 118F, 123, 125, 126, 130, 131 — Beyer, Frank 13, 90, 92-95, 105 — Bieler, Manfred 94 — Bierbichler, Annamirl 168, 169F — Biermann, Wolf 89, 92 — Birkett, Lord [= Michael] 29, 30 — Blazejovský, Jaromír 105107 — Bleiweiß, Celino 99 — Boèkov, Oleg 64 — Boese, Carl 59 — Bogart, Humphrey 109, 114, 123, 130 — Bois, Curt 113 — Boito, Camillo 137 — Bosenko, Valerij 64 — Böttcher, Jürgen 97 — Böwe, Kurt 17F — Brandt, Horst E. 98 — Braun, Volker 89, 90 — Bräunig, Werner 89 — Brecht, Bertolt 95 — Breznev, Leonid 91 — Brittan, Leon 29, 32 — Bruk, Franz 97 — Brüning, Heinrich 68 — Brynych, Zbynìk 106 — Buchloh, Stephan 149, 150 — Bulcke, Carl 54 — Buñuel, Luis 170 — Burnett, Murray 109 Calvino, Vincenzo 112 — Caneppele, Paolo 63 — Carow, Heiner 99, 153 — Chaplin, Charles 56 — Chruschtschov s. Hrušev — Chytilová, Vìra 103, 105-107 — Collins, Michael 28 — Collins, Roberta 24F — Cronenberg, David 30 — Curtius, Julius 71 — Curtiz, Michael 9, 109, 122 da Vinci, Leonardo 160 — Dahlke, Günther 95 — Daniel, František 83 — de Maizière, Lothar 18 — Deimel, Josef 50 — Delon, Alain 145F — Denning, Alfred 22 — Deodato, Rug-

REGISTER gero 23 — Deren, Maya 44 — Dieckmann, Friedrich 90 — Disney, Walt 126 — Dorn, Dieter 170 — Doyen, Eugène-Louis 35, 36 — Dubèek, Alexander 101-103, 105 — Dwan, Allan 120 Eisenstein, Sergej M. (= Ejzenštejn) 105 — Elisabeth, Kaiserin von Österreich 173 — Epstein, Julius 109 — Epstein, Philip 109 — Erbe, Walter (Oberregierungsrat) 70, 72, 73, 77 — Evtušenko, Evgenij 89 Feix, Karel 83 — Fellini, Federico 93 — Ferman, James 29-32 — Ferrara, Abel 23 — Ferrers, Earl 25 — Feuchtwanger, Lion 173 — Fiala, Miloš 103 — Fischer, Kurt Joachim 125, 127, 129-131 — Florath, Alois 65, 70 — Foersterling, Hermann O. 34 — Fojtík, Jan 86 — Ford, John 28 — Forman, Miloš 106 — Foschepoth, Jörg 157 — Frank, Mario 89 — Friedel, Christian 171 — Fürbringer, Ernst Fritz 123 Garrone, Sergio 23 — Gass, Karl 99 — Gatti, Armand 99 — Gehler, Fred 94 — Gerasimov, Sergej 150 — Geschonneck, Erwin 13F — Goergen, Jeanpaul 58 — Goethe, Johann Wolfgang von 90 — Gold, Jiøí 104 — Goldwyn, Samuel 126 — Granger, Farley 137 — Greenstreet, Sydney 116, 118F — Greenwood, Walter 28 — Gudden, Johann Bernhard von 164, 172 — Günther, Egon 90, 97-99 — Gütl, Clemens 42 Hacks, Peter 89 — Hadaschik, Joachim 154 — Haddon, Alfred Cort 39 — Haffner, Sebastian 89 — Hager, Kurt 90, 92 — Hammerschmidt, Rudolf 170 — Hammid, Alexander [= Alexander Hackenschmied] 44 — Hanák, Dušan 107 — Hanna, J. C. 27, 28 — Hardt-Hardtloff, Hans 95F — Harewood, Lord [= George] 29 — Harlech, Lord [= David Ormsby-Gore] 29 — Harmetz, Aljean 116 — Harnack, Falk 13, 128 — Hartlieb, Horst von 166 — Hasse, Hannjo 150F — Havel, Václav 106 — Heidemann, Paul 59 — Hein, Christoph 18 — Helge, Ladislav 81 — Hellwig, Joachim 152 — Hemingway, Ernest 115 — Hendrych, Jiøí 85, 86 — Henreid, Paul 114, 114F, 123 — Hermlin, Stephan 89, 100 — Heym, Stefan 89, 97, 98,

REGISTER 100 — Heynowski, Walter 155 — Hierhammer, Heinrich 48 — Hitchcock, Alfred 120, 126 — Hoffmann, Jutta 95F — Hofman, Eduard 83 — Holtz, Karl 65, 70 — Honecker, Erich 89, 90 — Hooper, Tobe 23 — Hörbiger, Paul 59, 60F — Horster, Leo J. 126 — Hrušev, Nikita 91 — Husák, Gustav 101-103 — Huston, John 126 — Huxley, Aldous 162, 172 Incrocci, Augusto 112 Jaap, Max 152 — Jakubisko, Juraj 103, 106 — Jarosch-Stehlik, Olga Emilie 41 — Jasný, Vojtìch 81, 83, 98, 103-105 — Jaspers, Karl 130 — Jeffreys, George 28 — Jentzsch, Bernd 89 — Jewison, Norman 160 — Jireš, Jaromil 103 — Jones, Terry 160 — Juráèek, Pavel 103, 106, 107 Kachyòa, Karel 103, 105, 106 — Kadár, Ján 81, 83, 84F, 85 — Kahuda, František 83 — Karloff, Boris 56 — Kasprzik, Hans-Joachim 97 — Katz, Dr. 47, 49 — Kehlau, Marianne 123 — Kermode, Mark 164 — Kimbley, Dennis 29, 31 — Kirsch, Rainer 89 — Kirsch, Sarah 89 — Kirsten, Ralf 90, 97-99 — Klawitter, Ute 64 — Klein, Gerhard 90, 96, 153 — Kliment, Jan 103 — Klinger, Paul 123 — Klipstein, Ernst von 123 — Kloidt [Sitzungsleiter Filmprüfstelle Berlin] 70 — Klos, Elmar 81, 83, 84F, 85 — Kmunke, Rudolf 39, 40 — Koch, Howard 109 — Koeppe, Sigrun 170 — Köfer, Herbert 91F — Kohl, Helmut 172 — Kohlhaase, Wolfgang 95, 96 — Kolbe, Uwe 18 — Kostelka, Lubomír 107F — Koteas, Elias 31F — Kracauer, Siegfried 71 — Krejèík, Jiøí 81, 149 — Krška, Václav 83 — Kuhlbrodt, Dietrich 166-168, 173 — Kühn, Werner 95 — Kundera, Milan 103 — Kuttner, Erich 71 La Torre, Charles 116, 117 — Lang, Fritz 58 — Leitreiter, Herbert 148 — Leonhard, Wolfgang 92 — Liebmann, Robert 58 — Lieven, Albert 59, 60F — Lindenberger, Thomas 64 — Lipský, Oldøich 84, 85 — Litvak, Anatole 110 — Lloyd Webber, Andrew 160 — Losansky, Rolf 99 — Ludwig II. von Bayern 172 — Ludwig XIII. 162 Maâkovskij, Vladimir 89 — Mach, Josef 96 — Maetzig, Kurt 88, 90, 91, 94 — Marek, Jiøí 83 —

175 Markoviè,Rade 82F — Meerapfel, Jeanine 170 — Mellor, David 29, 32 — Mendes, Lothar 58 — Menšík, Vladimír 104 — Menzel, Jiøí 103, 106 — Metzner, Ernö 67 — Milestone, Lewis 68, 120 — Morrison, Herbert 28 — Mückenberger, Christiane 94, 95 — Mückenberger, Joachim 90, 94, 95 — Mühlen-Schulte, Georg 58 — Müller, Heiner 89 — Müller, Hermann 65, 68 — Murphy, Stephen 163 — Mussolini, Benito 70, 72, 72F Nachbar, Herbert 98 — Nachbar, Jack 109, 110 — Neroni, Nicola Fausto 112 — Nicol, Andrew 21, 22 — Nielsen, Asta 56 — Nietzsche, Friedrich 167 — Nìmec, Jan 103, 106 — Novák, Ivo 81 — Novotný, Antonín 79, 80 Ophüls, Max 106 — Ormsby-Gore, David s. Lord Harlech Panizza, Oskar 161, 164-167, 172, 173 — Passer, Ivan 106 — Patalas, Enno 140, 142 — Petersen, Peter J. 165 — Petzet, Wolfgang 67 — Petzold, Konrad 96 — Pieczka, Franciszek 17F — Pixa, Kamil 104 — Pleyer, Karl 47 — Pöch, Rudolf 39 — Podehl, Fritz 126 — Poledòák, Alois 83 — Pozner, Vladimir 99 — Pronay, Nicholas 27 — Pruys, Guido Marc 137 — Pudovkin, Vsevolod 44 — Purš, Jiøí 102, 104, 106 Quaas, Richard 55 Rains, Claude 109, 123, 124F — Redgrave, Vanessa 162 — Reed, Oliver 162, 163 — Reimann, Brigitte 89 — Reusse, Peter 91F — Rice, Tim 160 — Richelieu, Duc de 162, 164 — Richter, Manfred 99 — Robbe-Grillet, Alain 106 — Robertson, Geoffrey 21-23 — Robertson, James 29 — Roháè, Ján 83 — Romm, Mihail 14 — Rose, Jürgen 170 — Rosen, Erwin 61 — Rossellini, Roberto 120 — Roth, Dieter 97 — Ruckhäberle, Hans Joachim 170 — Russell, Ken 161, 162, 164 Sakowski, Helmut 99 — Salines, Antonio 165, 165F, 166 — Salvatori, Renato 145F — Schaefer, Carl 116 — Schall, Ekkehard 154F — Schätzler, Wilhelm 170 — Schermer [Richter am EU-Gerichtshof in Straßburg] 172 — Scheumann, Gerhard 19, 155 — Schlegel, Egon 97 — Schleifer, Eckhard 146 — Schlem-

176 mer, Edith 63 — Schorm, Evald 104, 106 — Schroeter, Werner 161, 164-166 — Schulz, Heinrich 73 — Schwalbe, Konrad 94 — Schwarzer, Johann 34-36, 38-41, 41F, 42 — Schwill, Ernst-Georg 154F — Scorsese, Martin 161 — Seeger, Ernst 71, 73, 74 — Seghers, Anna 98 — Semprun, Jorge 99 — Shortt, Edward 27 — Silva, Carlo 112 — Simon, Rainer 13, 97, 105 — Sirový, Zdenìk 103, 104 — Smith, Whittam 31 — Smolík, František 150F — Söder, Helmut 155 — Speitel, Irmgard 99 — Speitel, Ulrich 99 — Stahnke, Günther 90, 95, 98 — Stangl, Franz Paul 129 — Steiner, Max 124 — Steiner, Roland 13 — Stigler, Robert 39 — Stiller, Josef 35 — Straw, Jack 2932 — Strittmatter, Erwin 89 — Stroheim, Erich von 56 — Štrougal, Lubomír 86 — Sudendorf, Werner 59, 64 — Švankmajer, Jan 104, 106 — Svitáèek, Vladimír 83 Tetzlaff, Kurt 99 — Thatcher, Margaret 29 — Thiel, Heinz 98 — Thorn, Friedrich 163 — Thorndike, Andrew und Annelie 92-96, 149 — Timm, Peter 170 — Tito, Josip Broz 85 — Trethowan, Ian 29 — Trnka, Jiøí 83, 106 — Tucholsky, Kurt 173 — Tyrrell, William 27, 28 Ucicky, Gustav 71 — Ulbricht, Walter 89-91, 94 — Urban, Zdenìk 82 Vachek, Karel 103 — Valli, Alida 137, 139F — Veidt, Conrad 114F, 123, 124F — Verner, Paul 89, 90 — Veselý, Josef 83 — Visconti, Luchino 9, 136, 137, 140-144, 146 — Vláèil, František 106 — Vogel, Amos 44 — Vogel, Frank 88, 96, 98 — Voss, Margit 94 Ware, John 30 — Watkin, David 163 — Weber, Hermann 92 — Weiß, Bernhard 74 — Wenders, Wim 170 — Whale, James 56 — Whiting, John 162 — Wilkinson, J. Brooke 27 — Williams of Mostyn, Lord [= Gareth Wyn Williams] 29 — Wilson, Dooley 109 — Wirth, Joseph 70 — Wischnewski, Klaus 95 — Witt, Günter 90, 93, 95 — Wolf, Christa 89 — Wolf, Konrad 13, 90, 94, 99 — Wyler, William 120 Záhorský, Bohuš 82F — Zarchi, Meir 23, 27 — Zeman, Karel 83 — Zimmermann, Friedrich 170 — Zschoche, Herrmann 13, 97 — Zwerenz, Gerhard 92

REGISTER Filme 08/15 128 — 1000 Schilling-Wette, Die 49F, 50 — 20. Juli, Der 128 Abschied 99 — African Queen, The 126, 127, 129, 130, 133 — Alfons Zitterbacke 96 — All Quiet on the Western Front 68 — Alle guten Landsleute s. Všichni dobøí rodáci — Annemarie, die Braut der Kompagnie 59, 60, 60F — Aufenthalt, Der 13 — Aufstieg 68 — Aus Österreichs Jagdrevieren 48 — Az pøijde kocour 98, 105 Beil von Wandsbek, Das 13, 13F — Berlin – Ecke Schönhauser … 153, 154F, 156 — Berlin um die Ecke 90, 96, 97 — Beschin-Wiese, Die s. Bezin lug — Beschreibung eines Sommers 90, 98 — Beteiligten, Die 98 — Betrogen bis zum jüngsten Tag 149 — Bezin lug 105 — Blutrausch s. Eaten Alive! — Bohrmaschinenkiller, Der s. The Driller Killer — Byt 104 Cannibal Holocaust 23 — Casablanca 5, 109114, 114F, 116, 118F, 119, 120, 122, 123, 124F, 125-131, 132F, 133 — Confessions of a Nazi Spy 110 — Crash 30, 31F Dein Schicksal! 67 — Den sedmý, osmá noc 104 — Denk bloß nicht, ich heule 88, 91F, 97 — Devils, The 161-163, 163F, 164, 171, 172 — Dr. Mabuse, der Spieler II: Inferno, ein Spiel von Menschen unserer Zeit 58 — Drei Wünsche s. Tøi pøání — drei Kuckucksuhren, Die 58, 59 — Driller Killer, The 23 — Du bist min. Ein deutsches Tagebuch 96 — Du und mancher Kamerad 149, 152, 156 Eaten Alive! 23, 24F — Erde bebt, Die s. La terra trema — Erfindung des Verderbens, Die s. Vynález zkázy Feuerwehrball, Der s. Hoøí, má panenko! — Flötenkonzert von Sanssouci, Das 71 — Frankenstein 56 — Fräulein Schmetterling 97 — Freie Fahrt 68 — Frühling braucht Zeit, Der 90, 97 Garten, Der s. Zahrada — Gattopardo, Il 136 — Geschichte der Wände s. Panelstory aneb Jak se rodí sídlištì — Gespenst, Das 10, 161, 168, 169, 169 F, 170-172 — Gestrauchelt 47 — geteilte Himmel, Der 90 — gewöhnliche

REGISTER Faschismus, Der s. Obyknovennyj fašizm — Gier nach Geld s. Greed — Greed 56 Hand, Die s. Ruka — Hände hoch – oder ich schieße! 97 — Haus der Kinder, Das 49 — Hell on Earth: The Desecration & Ressurection of The Devils 172 — höhere Prinzip, Das s. Vyšší princip — Hoøí, má panenko! 106 — Hvìzda jede na jih 84, 85 I Spit on Your Grave 23 — Ich liebe, Du liebst s. Ja milujem, ty miluješ — Ich spuck’ auf dein Grab s. I Spit on Your Grave — Ich war neunzehn 99 — Im Westen nichts Neues s. All Quiet on the Western Front — Informer, The 28 — Ins dritte Reich! 65, 68, 69, 69F, 70, 71, 72F, 73-75 Ja milujem, ty miluješ 107 — Jadup und Boel 13, 17F, 105 — Jahrgang 45 97 — Jesus Christ Superstar 160 — Jugendwerkhof 13 Kampf um Berlin 74, 75 — Kaninchen bin ich, Das 88, 90, 94, 97 — Karla 13, 95F, 97 — Kazdý mladý muz 106 — Komissar 14 — Kommissarin, Die s. Komissar — Konec jasnovidce 83, 84 lachende Mann, Der 155 — Lásky jedné plavovlásky 106 — Last Temptation of Christ, The 161 — Leben des Brian, Das s. Monty Python’s Life of Brian — Leopard, Der s. Il Gattopardo — Lerchen am Faden s. Skøivánci na niti — letzte Loch, Das 173 — letzte Versuchung Christi, Die s. The Last Temptation of Christ — Liebe einer Blondine, Die s. Lásky jedné plavovlásky — Liebelei 106 — Liebeskonzil 161, 164, 165F, 166-168, 171, 172 — Lots Weib 90 — Ludwig 136 — Ludwig II. s. Ludwig — Ludwig van Beethoven 152 Macht der Hypnose, Die 36, 37F — Maniement de la table d’operation imaginée par doyen 36 — Martins Tagebuch 153 — MASH 160 — Monty Python’s Life of Brian 160 Nackt und zerfleischt s. Cannibal Holocaust — Nazarín 170 — Notorious 126, 127 Obyknovennyj fašizm 14 — Ohr, Das s. Ucho — Ossessione … von Liebe besessen s. Ossessione — Ossessione 136 Panelstory aneb Jak se rodí sídlištì 105, 107 ù Panorama 30 — Pøípad pro zaèínajícího kata

177 106, 107F — Porn Wars 30 — Private Life of a Cat, The 44 — Probefahrt des Dampfers »Wien«, Die 40 — Probuzení 81 Rafel mai amech izabi almi 104 — Reise des Sängerbundes der Wiener Molkerei nach Gröbming am 31. Januar 1925 47 — Return, The 44 — Ritter des Regens 197, 100 — Rocco e i suoi fratelli 136, 140, 142-144, 145F, 146 — Rocco und seine Brüder s. Rocco e i suoi fratelli — Roma città aperta 120 — Ruka 106 — Russen kommen, Die 99 SS Experiment Love Camp s. S. S. Experiment Camp — S. S. Experiment Camp 23 — Scherz, Der s. Zert — Sedmikrásky 106, 107 — Sehnsucht s. Senso — Sen noci svatojánské 83 — Senso 136-138, 139F, 140, 141 — Skizzenbuch Ernst Lubitsch in Wien Herbst 1927 47 — Skøivánci na niti 103-105 — Škola otcù 81 — Smetištì s. Rafel mai amech izabi almi — Smuteèní slavnost 103-104 — Söhne der großen Bärin, Die 96 — Sommernachtstraum, Ein s. Sen noci svatojánské — Sonnensucher 13 — Spøíznìni volbou 103 — Spur der Steine 90, 92, 96-98, 105 — Spuren, Wissenschaft und Paragraphen 154 — Štìòata 81 — Stern fährt nach Süden, Ein s. Hvìzda jede na jih — stille Don, Der s. Tihij Don Tagebuch für Anne Frank, Ein 152 — Tausendschönchen s. Sedmikrásky — terra trema, La 136 — Teufel, Die s. The Devils — Thomas Müntzer 149, 155, 156 — Tihij Don 150 — Tøi pøání 81, 82F, 83, 84, 84F, 85, 87 — Touha 81, 83 Ucho 103-105 — Velká samota 81 — verlorene Engel, Der 97, 98 — Verräter, Der s. The Informer — Viridiana 170 — Všichni dobøí rodáci 102F, 103-105 — Vynález zkázy 83 — Vyšší princip 149, 150F Weil wir sie lieben s. Škola otcù — Weißes Gift s. Notorious — Wenn der Kater kommt s. Az pøijde kocour — Wenn du groß bist, lieber Adam 97 — Wildparadiese bei Wien 48 — Wohin wir treiben! 74 Zahrada 104 — Záøijové noci 81 — Zbehovia a pútnici 103 — Zde jsou lvi 83, 84 — Zert 103, 104

178 Dank Dieses Buch enthält für den Druck überarbeitete und ergänzte Vorträge, die im Rahmen des 26. Internationalen Filmhistorischen Kongresses »Verboten! Filmzensur in Europa« gehalten wurden. Der Kongress fand vom 21. bis 23. November 2013 im Rahmen des X. cinefest – Internationales Festival des deutschen Film-Erbes im Gästehaus der Universität Hamburg und im Kommunalen Kino Metropolis statt. Er wurde von CineGraph – Hamburgisches Centrum für Filmforschung und dem Bundesarchiv-Filmarchiv, Berlin, veranstaltet in Zusammenarbeit mit der Kinemathek Hamburg e.V. und dem Institut für Medien und Kommunikation der Universität Hamburg. Dank für die Kooperation gilt Karl Griep, Jutta Albert, Marlo Boelens, Roland Foitzik, Doris Hackbarth, Evelyn Hampicke, Barbara Heinrich-Polte, Babette Heusterberg, Gisela Hofmann, Marianne Kiel, Egbert Koppe, Karin Kühn, Christina Letzerich, Miriam Piorno, Monika Pischner und Barbara Schütz (Bundesarchiv-Filmarchiv), Martin Aust, Rita Baukrowitz, Thomas Pfeiffer, Michael Reckert und Felix Sonntag (Kinemathek Hamburg), Joan Bleicher, Knut Hickethier, Thomas Weber und Erica Özkan (Institut für Medien und Kommunikation der Universität Hamburg) sowie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Zur Vorbereitung fand vom 2. bis 5. Mai 2013 ein Sichtungskolloquium im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums in Berlin statt – Dank an Jörg Frieß, Gerald Pickrodt, Cathrin Schupke sowie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Weiterhin gilt unser Dank den Archiven, Institutionen und Personen, die uns ihre Filme für das Sichtungskolloquium in Berlin und das Festival zur Verfügung gestellt haben: British Film Institute (BFI), London; Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, Berlin; Deutsches Filminstitut –

DANK DIF, Frankfurt und Wiesbaden; Deutsches Rundfunkarchiv, Potsdam-Babelsberg; Filmarchiv Austria, Wien; Friedrich-WilhelmMurnau-Stiftung, Wiesbaden; Kinemathek Hamburg; Narodní filmový archiv, Prag; Österreichisches Filmmuseum, Wien; Progress-Filmverleih, Berlin; Slovenský filmový ústav (SFÚ), Bratislava. Für die tatkräftige und großzügige Unterstützung bei der Fotorecherche danken wir Julia Riedel (Deutsche Kinemathek Berlin), Ute Klawitter (Bundesarchiv-Filmarchiv), André Mieles und Bernd Perplies (DIF) sowie Heidrun Schmutzer (Filmmuseum Potsdam). An der Konzeption des Kongresses wirkten Hans-Michael Bock und Erika Wottrich maßgeblich mit, als Berater fungierten Karl Griep, Milan Klepikov und Julian Petley. Ohne die engagierte und tatkräftige Mithilfe von Brenda Benthien, Olaf Brill, Marlena Gaul, Mirjam Kappes, Peer Moritz, George Riley, Swenja Schiemann, Alexia Stephan, Oskar Ullrich, Sofia Vogelhaupt und Stefanie Wild wären seine Organisation und Durchführung so nicht möglich gewesen. Besonderer Dank gilt Robert Wohlleben, der bei der Textfassung und Herstellung des CineGraph-Buchs wie immer mit scharfem Blick und ruhiger Hand für ein gutes Ende sorgte. Die Arbeit von CineGraph – Hamburgisches Centrum für Filmforschung e.V. wird unterstützt von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg.

AUTOREN Autoren Michael Achenbach, geb. 1967 in Siegen. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Filmarchiv Austria mit Schwerpunkt Dokumentarfilme und Wochenschauen. Leitung der Produktion verschiedener DVD-Editionen und von Projekten im Bereich Erschließung historischer Filmquellen. Co-Herausgeber des Sammelbands »Österreich in Bild und Ton. Die Filmwochenschau des austrofaschistischen Ständestaats« (2002). Lebt in Wien. Thomas Ballhausen, geb. 1975 in Wien. Autor, Film- und Literaturwissenschaftler. Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft, der Deutschen Philologie und der Philosophie in Wien. Leiter des Studienzentrums am Filmarchiv Austria, Lehrbeauftragter an der Universität Wien. Koordinator mehrerer filmspezifischer Forschungsprojekte; Herausgeber und Redakteur. Leiter des Ressorts »Neue Medien« für das e-Journal Medienimpulse. Diverse Publikationen, zuletzt: »In dunklen Gegenden« (2014); mehrere (Co-)Herausgeberschaften, zuletzt: »geschichte erzählen. Medienarchive zwischen Historiographie und Fiktion« (2014). Lebt in Wien. Anna Bohn, geb. 1968 in Renchen. Studium der Slawischen Philologie, Polonistik und Hispanistik in München, Madrid und Moskau. 2003 Promotion zum Thema »Film und Macht. Zur Kunsttheorie Sergej Eisensteins 1930–1948«. 2003–05 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Filminstitut der Universität der Künste Berlin. 2006–11 Leitung des DFG-Forschungsprojekts »Grundlagen einer Theorie der Filmrestaurierung und kritischen Filmedition aus interdisziplinär vergleichender Perspektive«. 2012–14 Koordinatorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im EU-Projekt CENDARI. Seit 2014 Leiterin des Referats Film, Kunst, Artothek in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin.

179 Publikationen: »Film und Macht. Zur Kunsttheorie Sergej Eisensteins 1930–1948« (2003), »Denkmal Film« (2 Bd., 2013, Willy Haas-Preis 2013). Lebt in Berlin. Francesco Bono, geb. 1964 in Rom. Associate Professor für Film, Fotografie und Fernsehen an der Universität Perugia. Schreibt für die Tageszeitung La Repubblica und ist für die deutsche Festival-Tournee Cinema! Italia! mitverantwortlich. Veröffentlichungen als Autor und Herausgeber u.a.: »Willi Forst. Ein filmkritisches Porträt« (2010), »Casta Diva & Co. Percorsi nel cinema italiano fra le due guerre« (2004), »Kino. Il cinema in Germania dopo la riunificazione« (2006), »Tenöre. Touristen, Gastarbeiter. Deutschitalienische Filmbeziehungen« (2011, mit Johannes Roschlau),»Morte a Venezia. Thomas Mann/Luchino Visconti: Un confronto« (2014). Lebt in Rom und Österreich. Paolo Caneppele, geb. 1961 in Bressanone (Italien). Studium der Geschichte an der Universität Bologna. 1997–2002 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Filmarchiv Austria in Wien, 2002–04 Vizedirektor der Cineteca del Comune di Bologna, seit 2004 Leiter der Sammlungen im Österreichischen Filmmuseum in Wien. Lehrtätigkeit an den Universitäten Udine, Wien und Mailand. Hauptaugenmerk auf der Erforschung der Beziehungen zwischen Geschichte, Film und anderen Kulturbereichen. Publikationen zur Kinogeschichte, Zensur, Quellenkunde der Kinogeschichtsschreibung und zum Amateurfilm. Lebt in Wien. Georg Eckes, geb. 1976 in Bad Kreuznach. Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Medienwissenschaften. Ab 2000 Mitarbeit am EU-Projekt COLLATE, dem »Virtuellen Forschungszentrum zur Filmzensur«. Seit 2006 am Deutschen Filminstitut (DIF) in Frankfurt/Main. Leiter mehrerer nationaler und internationaler Projekte, die Inhalte

180 und Informationen aus Filmarchiven über das Internet zugänglich und nutzbar machen: u.a. der Verbundkatalog zu dokumentarischen Filmen in europäischen Filmarchiven »filmarchives-online.eu«, das Portal zum europäischen Filmerbe »europeanfilmgateway.eu«, das Filmdigitalisierungsprojekt zum Ersten Weltkrieg »EFG1914« und die Standardisierungsinitiative »CEN Cinematographic Works«. Lebt in Frankfurt/Main.

AUTOREN selbst ... Die DEFA von ihren Anfängen bis 1949« (1994, mit Christiane Mückenberger), »Schwarzweiß und Farbe. DEFADokumentarfilme von 1946–1992« (1996, mit Ralf Schenk), »Film in der DDR. Daten Fakten Strukturen.« (2009). Lebt in Kleinmachnow.

Joseph Garncarz, geb. 1957 in Düsseldorf. Privatdozent am Institut für Medienkultur und Theater der Universität zu Köln. Vorher Gastprofessor und -dozent an den Universitäten in Wien, Udine und Brno. Sein Forschungsinteresse gilt vor allem der Film- und Mediengeschichte. Zahlreiche Artikel insbesondere zur deutschen und europäischen Filmgeschichte in Fachzeitschriften wie Film History, Early Popular Visual Culture, Cinema & Cie, Hitchcock Annual, Iluminace, KINtop und internationalen Sammelbänden. Publikationen u.a. »Hollywood in Deutschland: Zur Internationalisierung der Kinokultur, 1925–1990« (2013) und »Maßlose Unterhaltung: Zur Etablierung des Films in Deutschland 1896–1914« (2010, Willy-Haas-Preis 2011), »Wechselnde Vorlieben: Über die Filmpräferenzen der Europäer 1896–1939« (2014). Lebt in Köln.

Ursula von Keitz, geb. 1961 in Regensburg. 1998–2000 leitende Kuratorin und stellvertr. Direktorin des Deutschen Filminstituts (DIF), 2000–07 Oberassistentin am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich, 2008–12 Professorin für AV-Medien in Bonn, 2012–14 Professorin für Medienwissenschaft/Filmästhetik an der Universität Konstanz. Seit 2014 Professur für Filmforschung und Filmbildung im Museum an der Filmuniversität Babelsberg »Konrad Wolf« und Leiterin des Filmmuseums Potsdam. Co-Leiterin des DFG-Forschungsprojekts »Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland 1945 bis 2005«. Zahlreiche Beiträge zur Ästhetik, Geschichte und Theorie des Films. Publikationen als Autorin und Herausgeberin u.a.: »Im Schatten des Gesetzes. Schwangerschaftskonflikt und Reproduktion im deutschsprachigen Film 1918–1933« (2005), »Mediale Transformationen des Holocausts« (2013, mit Thomas Weber). Lebt in Berlin.

Günter Jordan, geb. 1941 in Leipzig. Studium der Slawistik, Geschichte und Pädagogik, Arbeit als Lehrer. 1966–69 Regiestudium an der Deutschen Hochschule für Filmkunst Potsdam-Babelsberg, ab 1969 Regisseur im DEFA-Studio für Dokumentarfilme. 1990 Promotion »DEFA-Wochenschau und Dokumentarfilm 1946–1949«. Nach 1992 freier Filmmacher. Zahlreiche Veröffentlichungen in den Zeitschriften Sonntag, Filmspiegel, Film und Fernsehen, Beiträge zur Filmund Fernsehwissenschaft und in Sammelbänden. Publikationen als Herausgeber und Autor u.a. »Sie sehen selbst, Sie hören

Milan Klepikov, geb. 1965. 1991–2000 Studium der Filmwissenschaft an der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität Prag. Seit 2000 im Národní filmový archiv (NFA) in Prag für das Programm der Kinemathek des Nationalen Filmarchivs verantwortlich. Lehraufträge an der Filmhochschule FAMU und der Karls-Universität. Filmkritiken und Aufsätze zu filmgeschichtlichen Themen in Iluminace, Film a doba etc. Übersetzungen von Filmliteratur aus dem Deutschen (u.a. die Wim Wenders-Textsammlung »Dech andelu«, 1996) und dem Französischen, bzw. aus dem Tschechischen ins Deut-

AUTOREN sche (u.a. für Film Archiv Austria und Der Schnitt). Lebt in Prag. Ivan Klimeš, geb. 1957 in Prag. Studium der Musik- und Theaterwissenschaft an der Karls-Universität Prag. Ab 1981 Filmhistoriker im Tschechoslowakischen Filminstitut. 1989 Mitbegründer der Zeitschrift für Filmtheorie, -geschichte und -ästhetik Iluminace. Leitung der Geschichtsabteilung des Narodní filmový archiv. Direktor des Lehrstuhls für Filmwissenschaft an der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität. Beiträge in tschechischen, slowakischen und internationalen Zeitschriften über die Geschichte des Films in den böhmischen Ländern. Mitherausgeber von »Obrazy Casu / Bilder der Zeit: Tschechischer und österreichischer Film der 30er Jahre« (2003). Publikation: »Prag-Film AG 1941–1945« (2008, mit Tereza Dvoráková). Lebt in Prag. Andreas Kötzing, geb. 1978 in Grevesmühlen. Studium der Geschichte und Kulturwissenschaften an der Universität Leipzig, dort bis 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere und Zeitgeschichte. 2006/07 wissenschaftlicher Referent bei der Hans Böckler-Stiftung in Düsseldorf. 2008–12 Promotionsstipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Seit 2013 Mitarbeiter am Hannah Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden und Lehrbeauftragter an der Universität Leipzig. Letzte Publikation: »Kultur- und Filmpolitik im Kalten Krieg. Die Filmfestivals von Leipzig und Oberhausen in gesamtdeutscher Perspektive 1954–1972«. Lebt in Leipzig. Carla Mereu Keating, geb. 1981 in Cagliari. Studium der modernen Sprachen und interkulturellen Kommunikation und Master an der Universität von Cagliari. 2012 Promotion an der University of Reading zum Thema »The Dub Debate: Film Censorship and State Intervention in the Translation of Foreign

181 Cinema in Italy (1923–1963)«. Verschiedene Aufsätze und Vorträge, vor allem zum Problem der Zensur und Synchronisation. Julian Petley, geb. 1949. Ab 1980 Lecturer in Film and Television bzw. Media Studies an Hochschulen in Newcastle und London, freier Journalist. 1984 Promotion über das Kino des »Dritten Reichs«. Ab 1990 Lecturer in Media and Communications Studies an der School of Arts der Brunel University, dort seit 2003 Professor of Screen Media. Zahlreiche Beiträge zu Sammelbänden und für die Zeitschriften Monthly Film Bulletin, Sight and Sound, The Journal of Popular British Cinema und Index on Censorship. Principal Editor des Journal of British Cinema and Television. Autor und Herausgeber diverser Bücher zu Zensur und Filmgeschichte, u.a. »British Horror Cinema« (2002, mit Steve Chibnall), »Censorship: a Beginner's Guide« (2009), »Film and Video Censorship in Modern Britain« (2011), »Media and Public Shaming: Drawing the Boundaries of Disclosure« (2013). Lebt in Uxbridge. Ralf Schenk, geb. 1956 in Arnstadt (Thüringen). 1975–79 Studium der Journalistik in Leipzig. 1979–90 Redakteur der Zeitschriften Film und Fernsehen und Die Weltbühne, 1991–96 Mitarbeiter des Filmmuseums Potsdam. 1993–97 Fernsehessays u.a. über Frank Beyer, Slatan Dudow und den osteuropäischen Nachkriegsfilm. Ab 1998 freier Filmpublizist. Seit 2012 Vorstand der DEFA-Stiftung. Kritiken in Berliner Zeitung und film-dienst. Publikationen als Autor und Herausgeber, u.a. »Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. DEFA-Spielfilme 1946–92« (1994), »Regie: Frank Beyer« (1995), »Schwarzweiß und Farbe. DEFA-Dokumentarfilme 1946–92« (1996, mit Günter Jordan), »Die Trickfabrik. DEFAAnimationsfilme 1955–90« (2003, mit Sabine Scholze), »Eine kleine Geschichte der DEFA« (2006). Lebt in Berlin.