Eigentum und Zeitablauf - das dominium sine re im Grundstücksrecht: Zugleich ein Beitrag zur Enstehungsgeschichte des BGB [1 ed.] 9783428501380, 9783428101382

Das Grundbuch gewährleistet, daß die in ihm verzeichneten Rechte mit der Zeit nicht ungewiß werden. § 902 knüpft daher a

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Eigentum und Zeitablauf - das dominium sine re im Grundstücksrecht: Zugleich ein Beitrag zur Enstehungsgeschichte des BGB [1 ed.]
 9783428501380, 9783428101382

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T H O M A S FINKENAUER

Eigentum und Zeitablauf das dominium sine re im Grundstücksrecht

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 238

Eigentum und Zeitablauf das dominium sine re im Grundstücksrecht Zugleich ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des BGB

Von Thomas Finkenauer

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Finkenauer, Thomas: Eigentum und Zeitablauf - das dominium sine re im Grundstücksrecht : zugleich ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des BGB / von Thomas Finkenauer. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum Bürgerlichen Recht ; Bd. 238) Zugl.: Trier, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-10138-3

Alle Rechte vorbehalten © 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-10138-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier

entsprechend ISO 9706 θ

Meinen Eltern

Vorwort Diese Arbeit wurde im Wintersemester 1999/2000 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier als Dissertation angenommen. Sie erhielt den Förderpreis des Freundeskreises der Universität Trier. Meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Dr. h. c. Hans Wieling, danke ich für vielfältige Unterstützung und Anregung, Herrn Professor Dr. Dr. h. c. Peter Bülow für das Erstellen des Zweitgutachtens. Nicht unerwähnt dürfen bleiben Frau A. Uta Engelmann, Μ . Α., sowie die Herren Wiss. Ass. Dr. Christian Bermes, Dipl.Kfm. Markus Bollig und Rechtsanwalt Christian Oellers, deren freundschaftlicher Rat der Arbeit in nicht geringem Umfang zugute gekommen ist. Schließlich gebührt mein Dank der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses. Trier, im Juni 2000

Thomas Finkenauer

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

19

l.Teil Die Entstehungsgeschichte der Vorschriften über Grundeigentum und Zeitablauf

§ 1 Einführung I. Überblick über die Gesetzgebungsgeschichte II. Methodische Vorüberlegungen

§ 2 Die Entwürfe Johows und Gebhards zum Sachenrecht und zum Allgemeinen TeU I. Johows Teilentwurf eines Sachenrechts 1. Die Voraussetzungen

23 23 28

29 29 29

a) Das Grundbuchsystem

29

b) Die Ablehnung des Prinzips der formalen Rechtskraft

30

c) Der Berichtigungsanspruch

32

2. Die Veijährbarkeit der dinglichen Ansprüche

33

3. Die Ablehnung der Ersitzung

36

a) Die Ersitzung durch den Bucheigentümer

38

b) Die Ersitzung gegen das Grundbuch

39

c) Die Ersitzung gegen den nicht eingetragenen Eigentümer

41

d) Die Ersitzung nicht eingetragener Grundstücke

41

4. Das Aufgebotsverfahren

42

10

Inhaltsverzeichnis II. Gebhards Teilentwurf eines Allgemeinen Teils

44

1. Die Verjährbarkeit dinglicher Ansprüche

44

2. Die unvordenkliche Verjährung

45

§ 3 Die 1. BGB-Kommission I. Die Verjährbarkeit dinglicher Ansprüche II. Die Ablehnung der Ersitzung III. Das Aufgebotsverfahren

§ 4 Die Kritik am 1. Entwurf

46 46 51 53

57

I. Die Entstehung eines dominium sine re II. Die Ersitzung von Grundeigentum III. Das Aufgebotsverfahren

§ 5 Die 2. BGB-Kommission I. Die Verjährbarkeit dinglicher Ansprüche

57 59 62

65 65

1. Die Verjährung dinglicher Ansprüche im allgemeinen

65

2. Die Sicherung eingetragener Rechte

68

3. Der Berichtigungsanspruch und sein Verhältnis zum Herausgabeanspruch

69

Exkurs: Die Redaktionskommission der 2. Kommission

73

1. Die Zusammensetzung

74

2. Die Aufgaben

75

II. Die Tabularersitzung

80

III. Das Aufgebotsverfahren

§ 6 Zusammenfassung

81

84

Inhaltsverzeichnis 2. Te i l

Dogmatischer Teil 1. Abschnitt: Das dominium sine re aufgrund Verjährung

§ 7 Die Verjährung des Herausgabe- und Berichtigungsanspruchs I. Die Verjährung des Herausgabeanspruchs 1. Die vermeintliche Unverjährbarkeit des Herausgabeanspruchs 2. Die Reichweite des § 902 Abs. 1 S. 1 BGB II. Die Verjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs

§ 8 Die Tabularersitzung I. Zwecke und Bedeutung der Tabularersitzung II. Die Voraussetzungen im einzelnen

90

91 91 91 92 95

103 103 107

1. Die Eintragung, insbesondere die Doppelbuchung

107

2. Der Eigenbesitz

112

3. Der Zeitablauf

113

4. Die Rechtsnachfolge

116

5. Die Beweislast

117

6. Die ersitzbaren Rechte

118

7. Die Ersitzungsfähigkeit

118

III. Die Wirkung der Tabularersitzung

119

IV. Die Verfassungsmäßigkeit der Tabularersitzung

121

1. Die verfassungsrechtliche Bindung des Privatrechtsgesetzgebers

121

2. Eingriff

122

3. Enteignung

122

4. Inhalts-und Schrankenbestimmung

124

5. Der Fiskus als Erwerber

126

12

Inhaltsverzeichnis

§9 Das Aufgebotsverfahren I. Zwecke und Bedeutung des Aufgebotsverfahrens II. Die Voraussetzungen im einzelnen

129 129 132

1. Der Eigenbesitz

132

2. Die verschiedenen Aufgebotsfälle

135

a) Das Aufgebot gemäß § 927 Abs. 1 S. 1 BGB

135

b) Das Aufgebot gemäß § 927 Abs. 1 S. 3 BGB

138

III. Das Ausschlußurteil und seine Wirkung

141

IV. Das Aneignungsrecht an Grundstücken

143

V. Die Eintragung VI. Die aufgebotsfähigen Rechte Vn. Kritik

152 154 156

§ 10 Das dominium sine re: Probleme und vermeintliche Restwirksamkeit I. Einführung Exkurs: Die Verjährung von dinglichem und obligatorischem Herausgabeanspruch

158 158

159

II. Die Restwirksamkeit des dominium sine re nach Verjährung der Vindikation 1. Die Rechtsstellung des Besitzers a) Herausgabeansprüche

161 161

b) Nutzungsherausgabe

172

c) Schadensersatzansprüche

174

2. Die Rechtsstellung des Eigentümers

185

a) Die Wiedererlangung des Besitzes

185

b) Der Grundbuchberichtigungsanspruch

187

c) Der Erlös aus einer Veräußerung des Grundstücks

187

d) Sonstige Eigentümerbefugnisse

189

161

Inhaltsverzeichnis III. Die Restwirksamkeit des dominium sine re nach Verjährung des Verschaffungsanspruchs bei gleichzeitiger exceptio rei venditae et traditae IV. Zusammenfassung

190

191

§ 11 Die Auflösung des dominium sine re an Grundstücken

193

I. Vorüberlegung: Das dominium sine re an beweglichen Sachen

193

II. Das dominium sine re an Grundstücken III. Das Aneignungsrecht des Eigenbesitzers

197 200

2. Abschnitt: Das dominium sine re aufgrund Verwirkung

§ 12 Die Verwirkbarkeit von Herausgabe- und Berichtigungsanspruch I. Die Fälle

210

210 210

II. Die Anwendbarkeit des § 242 BGB im Sachenrecht III. Die Unverjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs

218 220

IV. Venire contra factum proprium und Verwirkung als Willenserklärung V. Eine ergebnisorientierte Betrachtung

3. Abschnitt: Ergebnisse

221 222

237

Literatur

240

Sachregister

259

Abkürzungen a. Α.

anderer Ansicht

a. a. Ο.

am angegebenen Ort

ABGB

Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch von 1811 (Österreich)

abl.

ablehnend

ABl. EG

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften

ABR

Archiv für Bürgerliches Recht

Abs.

Absatz

abw.

abweichend

AcP

Archiv für die civilistische Praxis

ADHGB

Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861

a. E.

am Ende

AG

Amtsgericht

AK

Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Reihe Alternativkommentare

allg.

allgemein

ALR

Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten von 1794

Anm.

Anmerkung

AO

Abgabenordnung von 1976

arg.

argumentum

Art(t).

Artikel

AT

Allgemeiner Teil

Aufl.

Auflage

AVO GBO

Verordnung zur Ausführung der GBO von 1935

bayr. Entwurf

Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Bayern, 1861-1864

BayObLG

Bayerisches Oberstes Landesgericht

BayObLGE

Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen

BB

Der Betriebsberater

BBergG

Bundesberggesetz von 1980

Bd.

Band

Bearb.

Bearbeiter; Bearbeitung

betr.

betreffend

BezG

Bezirksgericht

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch von 1896/1900

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

Abkürzungen BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BWNotZ

Zeitschrift für das Notariat in Baden-Württemberg

bzw.

beziehungsweise

C.

Codex Iustinianus von 534

CTh.

Codex Theodosianus von 438

D.

Digesta Iustiniani von 533

DB

Der Betrieb

ders.

derselbe

d. h.

das heißt

d. i.

das ist

Diss.

Dissertation

DJZ

Deutsche Juristenzeitung

DtZ

Deutsch-deutsche Rechtszeitschrift

15

DZWir

Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EI

Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich. Erste Lesung (sog. 1. Entwurf)

E I-VorlZust

BGB-Entwurf in der Paragraphenzählung des E I nach der „Vorläufigen Zusammenstellung der Beschlüsse der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs", von Planck erstellt BGB-Entwurf in der Paragraphenzählung des E I nach der „Vorläufigen Zusammenstellung der Beschlüsse der Redaktions-Kommission" der 2. Kommission

E I-ZustRedKom

Ell

Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich. Nach den Beschlüssen der Redaktionskommission, Zweite Lesung, 18941895 (sog. 2. Entwurf)

E II rev.

Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich - Zweite Lesung (sog. Bundesratsvorlage)

EHI

Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1896 (sog. Reichstagsvorlage oder 3. Entwurf)

ebd.

ebenda

EEG EG

Gesetz über den Eigenthumserwerb und die dingliche Belastung der Grundstücke [ . . . ] v. 5. 5. 1872 - Eigentumserwerbsgesetz - (Preußen) Einführungsgesetz

EGBGB

Einführungsgesetz zum BGB von 1994

EGZVG

Einführungsgesetz zum ZVG

evtl.

eventuell

EWiR

Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht

f., ff.

die folgende Seite, die folgenden Seiten

FGG

Reichsgesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit von 1898

Fn.

Fußnote

FS

Festschrift

GBl.

Gesetzblatt

Abkürzungen

16 GBO

Grundbuchordnung von 1994

GBVfg

Verordnung zur Durchführung der GBO (Grundbuchverfügung) von 1935

GeschO

Geschäftsordnung

GG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland von 1949

ggf.

gegebenenfalls

GruchBeitr

Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begründet von J. A. Gruchot

GRUR

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht

GSlg.

Gesetzsammlung

hess. Entwurf

Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Großherzogthum Hes-

h. L.

herrschende Lehre

h. M.

herrschende Meinung

sen, 1842 ff.

HRR

Höchstrichterliche Rechtsprechung

hrsg.

herausgegeben

Hrsg.

Herausgeber(s)

HS

Halbsatz

InsO

Insolvenzordnung von 1994

Inst.

Institutiones Iustiniani von 533

JFG

Jahrbuch für Entscheidungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechts

Jg.

Jahrgang

JherJahrb

Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts

JR

Juristische Rundschau

Jura

Juristische Ausbildung

JurBüro

Das Juristische Büro

JuS

Juristische Schulung

JW

Juristische Wochenschrift

JZ

Juristenzeitung

KE

„Kommissionsentwurf 4, Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs in der Fassung der ersten Beratung der 1. Kommission

KG

Kammergericht

KO

Konkursordnung von 1877

LG

Landgericht

LM

Das Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, hrsg. von Lindenmaier und Möhring

LÖK

Königl. „Landes-Ökonomie-Kollegium" (Preußen)

MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht

MittBayNot

Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins

MittRhNotK

Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer

MK

Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch

Abkürzungen

17

MK-ZPO

Münchener Kommentar zur Zivilprozeßordnung mit Gerichtsverfas-

Mot.

Motive zu dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deut-

m. w. Nachw.

mit weiteren Nachweisen

ND

Nachdruck

NJ

Neue Justiz

sungsgesetz und Nebengesetzen sche Reich (1888); auch bei Mugdan abgedruckt

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NJW-RR

Neue Juristische Wochenschrift, Rechtsprechungsreport

Nr.

Nummer

OG

Oberstes Gericht (DDR)

OGH

Oberster Gerichtshof für die Britische Zone

OGHZ

Sammlung der Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die Briti-

OLG

Oberlandesgericht

OLG-NL OLG-Rspr.

OLG-Rechtsprechung - Neue Länder Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiete des (Zivilrechts

pr.

principium

preuß.

preußisch

preuß. GBO

Grundbuch=Ordnung v. 5. 5.1872 (Preußen)

Prot.

Protokolle

Prot. I

Protokolle der 1. Kommission zur Ausarbeitung eines bürgerlichen Gesetzbuchs, metallographierte Abschrift und bei Jakobs / Schubert Protokolle der 2. Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, abgedruckt in der amtlichen Ausgabe 1897-1899 und bei Mugdan Entscheidungen des Königlichen Geheimen Obertribunals (Preußen) Recht der Landwirtschaft Redaktionsvorlage für den Redaktionsausschuß der 1. Kommission für das Sachenrecht, von Johow erstellt Rezension Reichsgericht Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs. Kommentar Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Randnummer(n) Seite /Satz siehe

sche Zone

Prot. II

PrOTr RdL RedVorl Rez. RG RGRK RGZ Rn. S. s. sächs. BGB sächs. Entwurf SächsArch 2 Finkenauer

Bürgerliches Gesetzbuch für das Königreich Sachsen von 1863 Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen von 1860 Sächsisches Archiv für Bürgerliches Recht und Prozeß

Abkürzungen SchiffsRG SchlHA

Gesetz über Rechte an eingetragenen Schiffen und Schiffsbauwerken von 1940 Schleswig-Holsteinische Anzeigen

SchlHOLG

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht

SJZ

Süddeutsche Juristenzeitung

Slg.

Sammlung

SR

Sachenrecht

str.

streitig

TE

Teilentwurf, zitiert werden die Teilentwürfe zum Allgemeinen Teil von

u. a.

unter anderem; und andere

v.

von / vom

Gebhard und zum Sachenrecht von Johow

VersR

Versicherungsrecht

vgl.

vergleiche

VIZ

Zeitschrift für Vermögens- und Investitionsrecht

VO VorlZust

WEG WM WoModSiG X z. B.

Verordnung „Vorläufige Zusammenstellung" zu einzelnen Materien des Sachenrechts, von Pape erstellt; neben der RedVorl weitere Redaktionsvorlage für den Redaktionsausschuß der 1. Kommission Die Rechtsprechung des Reichsgerichts in Zivilsachen, hrsg. von Warneyer Wohnungseigentumsgesetz von 1951 Wertpapiermitteilungen Wohnraummodernisierungssicherungsgesetz von 1997 Uber Extra von 1234 zum Beispiel

Ziff. ZIP

Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

ZPO

Zivilprozeßordnung von 1950

ZRG z. T.

Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte zum Teil

zust. ZustSachR

zustimmend Zusammenstellung der sachlich beschlossenen Bestimmungen des Sachenrechts nach den Beschlüssen des Redaktionsausschusses der 1. Kommission Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung von 1897

WarnRspr

ZVG

Einleitung Bono publico usucapio introducta est, ne scilicet quarundam rerum diu et fere semper incerta dominia essent 1.

Verjährung und Ersitzung haben für den Rechtsverkehr eine kaum zu überschätzende Bedeutung, Kant zählt sie sogar zu den Instituten des Naturrechts 2. Sie gewährleisten, daß sich ohne Rücksicht auf die Begründetheit einer Forderung oder die Rechtslage an einer Sache der tatsächliche Zustand - die Nichterfüllung der Forderung oder der Besitz - durchsetzt. Im Laufe der Zeit verdunkeln sich die Begleitumstände bei der Übertragung von Eigentum oder bei der Begründung einer Forderung ebenso wie mögliche Erfüllungstatbestände 3. Würde die Rechtsordnung die heilende Macht der Zeit nicht anerkennen, blieben die Rechtsverhältnisse dauerhaft ungewiß4. Daher kann sich der sachenrechtlich Nichtberechtigte auf den Zeitablauf genauso berufen wie der sachenrechtlich Berechtigte, ohne daß ein weiterer Beweis seines Rechts erforderlich wäre. Die Berufung auf Ersitzung durchbricht den „Teufelsbeweis", die probatio diabolica 5. Eine laudatio auctoris wird hinfällig: Die Eigentumsverhältnisse an einer Sache werden certa . Noch das gemeine Recht sieht Verjährung und Ersitzung als Erscheinungsformen desselben Rechtsinstituts an, einer Verjährung im weiteren Sinne: Verjährung ist so erlöschende Verjährung, Ersitzung erwerbende Verjährung 6. Diese Einteilung wird vom BGB nicht mehr nachvollzogen. Das BGB trennt infolge der Einführung des Windscheidschen Anspruchsbegriffs Eigentumsrecht und Eigentumsanspruch strikt und hat so die Ersitzung zu einem Institut des Sachenrechts gemacht, die Verjährung zu einem Institut des Allgemeinen Teils, das sich auch auf den Eigentumsanspruch bezieht. Da die erwerbende Verjährung nicht mehr Kehrseite der erlö1

Gaius D. 41, 3, 1 pr. (Die Ersitzung wurde zum öffentlichen Wohl eingeführt, damit die Eigentumsrechte an manchen Sachen nicht für lange Zeit oder beinahe für immer im ungewissen bleiben). 2 Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, Erster Theil. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Erster Theil, 1797, Episodischer Abschnitt, §§ 32 f.; ebenso Spiro I, 19. Anderer Ansicht war dagegen etwa Carl Gottlieb Svarez, für den die Verjährung erst aufgrund positiver Gesetze in der bürgerlichen Gesellschaft gilt {Conrad / Kleinhey er, 152). Vgl. ferner Vinding Kruse, 619, der feststellt, daß Verjährung und Ersitzung allen Völkern gemein seien. 3 Gebhard, AT, 309. 4 Liver , 440. 5 Dazu etwa Windscheid, § 196 in Anm. 3. 6 Vgl. statt vieler Dernburg, Preußisches Privatrecht, § 163; Vinding Kruse, 624, 633. 2*

Einleitung

20

sehenden Verjährung ist 7 , das Recht also ohne den aus ihm fließenden Anspruch fortzubestehen vermag, kann ein dominium sine re entstehen8, ein Eigentum ohne jegliche Wirkung: Der Eigentümer behält sein Recht, kann jedoch die aus dem Eigentum fließenden Ansprüche, insbesondere den Herausgabeanspruch nach § 985 BGB, nicht mehr geltend machen. Treffend wird eine solche Erscheinung auch nuda proprietas genannt9. Der Begriff des „nackten'4 Eigentums wurde bereits von den römischen Juristen zur Charakterisierung des nach der Bestellung eines Nießbrauchs verbleibenden Eigentumsrechts verwandt. Um indessen zu vermeiden, daß das Recht des Eigentümers dauerhaft ohne jede Wirkung und damit nutzlos ist, setzten sie dem ususfruetus eine zeitliche Grenze, indem sie ihn als höchstpersönliches und damit befristetes Recht ausgestalteten10. Was die römischen Juristen aufgrund ihres praktischen Sinnes verhinderten 11, ist nach dem BGB möglich: das dauerhafte Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz 12 . Dies kann zu großen Komplikationen führen und läßt erhebliche Zweifel an der Stringenz des BGB in dieser Frage aufkommen. Im Grundstücksrecht hat die Einführung des modernen Grundbuchs Ersitzung und Verjährung als Rechtsinstitute weitgehend zurückgedrängt 13. Dies liegt daran, daß das Grundbuch Erwerbsvorgänge publiziert, damit jederzeit nachvollziehbar macht und ihnen so tendenziell zweifellosen Bestand gewährt. Es erfüllt insoweit, 7 Vgl. nur § 937 Abs. 1 BGB einerseits und §§ 985, 195 BGB andererseits; s. auch Johow, SR Teil 1,803. 8 Der Begriff ist nicht klassisch. Nachdem die mittelalterlichen Juristen das Eigentum in ein dominium directum und ein dominium utile aufgeteilt hatten, wurde der Terminus im letzten Jahrhundert ganz selbstverständlich zur Kennzeichnung des nach der Vindikationsverjährung verbliebenen, der piena potestas in re beraubten Eigentumsrechts benutzt (statt vieler Gebhard, AT, 312; Jakubezky, 37). Auch Lieberwirth, Latein im Recht, 99, gibt den Begriff wieder. 9

Vgl. nur Lieberwirth, 207, sowie die Untersuchung von Wieling, nuda proprietas. Vgl. etwa Gaius y D. 33, 2, 8 pr.; Inst. 2, 4, 1: Ne tarnen in universum inutiles essent proprietates semper abscedente usu fruetu, placuit certis modis extingui usum fruetum proprietatem reverti. (Damit jedoch die Eigentumsrechte nicht dadurch völlig nutzlos werden, daß der Nießbrauch auf Dauer von ihnen getrennt bleibt, ist es anerkannt, daß der Nießbrauch unter bestimmten Voraussetzungen erlischt und zum Eigentum zurückkehrt.) Inst. 2, 4, 4: Cum autem finitus fuerit usus fruetus, revertitur scilicet ad proprietatem et ex eo tem re nudae proprietatis dominus incipit plenam habere in re potestatem. (Wenn nun der Nießbrauch beendet ist, kehrt er natürlich zum Eigentum zurück, und von da an erhält der Inhaber des bloßen Eigentums wieder die volle Herrschaft über die Sache.) Modestinus, D. 31, 1,4 pr., spricht statt von der plena proprietas vom dominium plenum . 10

11

Als weiteres Beispiel für eine nuda proprietas galt der Fall, daß der Vindikation des Eigentümers die exceptio doli entgegenstand (D. 44, 4, 4, 28 ff.). Wieling, nuda proprietas, 2519 in Fn. 4, vermutet, daß die alten Juristen auch in diesem Fall zu einer praktischen Lösung, d. h. zu einer Ersitzung durch den Einredeberechtigten, gelangt sind. Vgl. zu einer nachklassischen Form der nuda proprietas unten § 11 I 2 a. E. !2 Nur in diesem Sinne wird im Folgenden von nuda proprietas oder von „Resteigentum" gesprochen. 13

Vinding Kruse, 621.

Einleitung

nur auf umgekehrtem Weg, letztlich denselben Zweck wie die Verjährung, nämlich Rechtsfrieden herzustellen. Folgerichtig ordnet § 902 BGB die Unverjährbarkeit der Ansprüche aus eingetragenem Recht an. Die Ersitzung ist in weitem Umfang durch die Eigentumsvermutung gemäß § 891 BGB und die Zulassung gutgläubigen Erwerbs in §§ 892 f. BGB verdrängt worden. Trotz der Perfektion des Grundbuchwesens ist aber auch im heutigen Grundstücksrecht die heilende Macht des Zeitablaufs anzuerkennen, dann nämlich, wenn im Grundbuch über geraume Zeit eine falsche Eintragung perpetuiert wird oder das Eigentumsrecht zwar korrekt verzeichnet ist, dieses jedoch nur noch als nuda proprietas bezeichnet werden kann 14 . In solchen Fällen kann es zu einer Konkurrenz zwischen den Publizitätstatbeständen der Eintragung und des Besitzes kommen; womöglich sind sogar drei Personen beteiligt, nämlich der wirkliche Eigentümer, der Bucheigentümer, d. i. der im Grundbuch eingetragene Nichteigentümer, und der Besitzer 15. Vertrackte Rechtsprobleme zwischen den Beteiligten sind die Folge. Die vorliegende Studie widmet sich dem Einfluß des Zeitablaufs auf das Grundeigentum und sucht das dogmatische Zusammenspiel von vier disparaten und zur Zeit der Entstehung des BGB heftig umstrittenen Rechtsinstituten aufzuzeigen: Verjährung der sogenannten Rechtsverwirklichungsansprüche, also des Grundbuchberichtigungsanspruchs (§§ 894, 898 BGB) und des Eigentumsanspruchs (§§ 985, 902; §§ 985, 195 BGB), Tabularersitzung (§ 900 Abs. 1 BGB), Kontratabularersitzung (§ 927 BGB) sowie schließlich die von Rechtsprechung und Schrifttum aus § 242 BGB entwickelte Verwirkbarkeit der Rechtsverwirklichungsansprüche16. Allen Instituten ist gemeinsam, daß sie entweder ein dominium sine re ermöglichen oder aber zu vermeiden suchen. Den Erörterungen zum geltenden Recht ist ein umfangreicher entstehungsgeschichtlicher Teil vorangestellt. Die Darlegung der Genese der einzelnen Bestimmungen verfolgt zunächst ein genuin rechtshistorisches Anliegen. Nur eine solche Untersuchung im Detail vermag die Kenntnis von der Entstehung des BGB, des Höhepunkts der deutschen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, zu vermehren. Sie kann exemplarisch das Ringen der beiden BGB-Kommissionen und der Kritik im Schrifttum um die „richtige" Bestimmung, aber auch den Anteil einzelner Kommissionsmitglieder verdeutlichen. Dessenungeachtet ist eine solche Darstellung auch für den Rechtsdogmatiker unerläßlich. Er kann die bei der Formulierung der Norm entscheidenden Abwägungen verfolgen und so die innere Stringenz einer gesetzlichen Regelung überprüfen. Nur anhand einer solchen historischen Grundlegung lassen sich Kritik und Rechtsfortbildung der gesetzlichen Bestimmungen systemimmanent begründen 17. Weiter zurück in die Rechtsgeschichte als vor die 14

S. schon Strohal, Eigenthum, 134. Vgl. zu den verschiedenen Erscheinungsformen der nuda proprietas unten § 101. 16 Die Darstellung beschränkt sich auf das Grundeigentum; die beschränkten dinglichen Rechte und ihr Schicksal unter dem Einfluß der Zeit bleiben weitgehend unberücksichtigt. Freilich gilt das zu § 900 Abs. 1 BGB Gesagte auch für §§ 900 Abs. 2, 901 BGB. 15

22

Einleitung

Bestimmungen des BGB soll im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht gegangen werden, von Hinweisen auf Regelungen in den einzelnen Staaten des Reichs zu jener Zeit abgesehen18. Dies findet seine Rechtfertigung darin, daß das heutige Grundbuchrecht erst mit dem BGB und einem Vorläufer, dem preußischen Eigentumserwerbsgesetz von 1872 19 , Gestalt angenommen hat, die dogmatischen Schwierigkeiten des Zeitablaufs im Grundstücksrecht also erst jüngeren Datums sind. Das Aufgreifen eines praktisch wenig relevanten Themas ist keineswegs dogmatisches Glasperlenspiel. Ein Fall, der heute undenkbar erscheint, kann morgen aktuell sein. Gerade die Tabularersitzung erlebte anläßlich der Wiedervereinigung eine ungeahnte Renaissance; die Gerichte hatten sich mit schwierigen Rechtsfragen auseinanderzusetzen und trafen äußerst widersprüchliche Entscheidungen20. Es ist die Aufgabe der Dogmatik, die Rechtsbegriffe und Rechtsvorgänge in ihrem Wesen und in ihren Zusammenhängen zu erkennen 21. Sie zählt nicht die Fälle, sondern sucht, ein schlüssiges und widerspruchsfreies System aller vorstellbaren Rechtsfragen zu entwickeln. Auf diese Weise gibt sie die Mittel an die Hand, neu auftretende Probleme angemessen zu lösen 22 . Gerade wegen des hohen Werts von Grundstückseigentum23 ist es unerläßlich, auch für weniger häufig auftretende Rechtsfragen dogmatisch korrekte und zugleich praktikable Lösungen bereitzuhalten.

17 Vgl. auch Schubert, Edition, 426. - Der Blick auf die Entstehung des BGB macht übrigens den eher bescheidenen analytischen Hintergrund vieler moderner Gesetze nur allzu deutlich. 18 Vgl. dazu vor allem die Studie von Buchholz. 19 GSlg. für die Königlichen Preußischen Staaten, 1872, Nr. 28. 20 Vgl. statt vieler OLG Naumburg, MDR 1993, 811; KG, ZIP 1994, 1813; Brandenburg. OLG, VIZ 1995, 372; LG Leipzig, VIZ 1995, 613; OLG Rostock, VIZ 1997, 112; BGH, NJW 1996, 1890; BGH, DtZ 1997, 350. Schließlich wurde die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der eine Tabularersitzung zu Volkseigentum verneint hatte, mittels des durch das WoModSiG von 1997 eingefügten Art. 237 EGBGB gegenstandslos gemacht; die dort zu Gunsten der öffentlichen Hand angeordnete (nachträgliche) Umwandlung unwirksam in Volkseigentum überführten Grundeigentums in Volkseigentum (!) hat das Bundesverfassungsgericht nicht beanstandet (BVerfG, WM 1998, 1631).

21 Süß, 1. 22 Vgl. zu diesem Gedanken auch Bydlinski, Rechtsfindung, 37. 23 Zur wirtschaftlichen Bedeutung von Grund und Boden v.Hoffmann,

4 ff.

l.Teil

Die Entstehungsgeschichte der Vorschriften über Grundeigentum und Zeitablauf § 1 Einführung I. Überblick über die Gesetzgebungsgeschichte Mit der sogenannten Lex Miquel-Lasker erfolgte 1873 eine Verfassungsänderung, durch die das Reich die Gesetzgebungskompetenz für ein bürgerliches Gesetzbuch erhielt 1. Der Bundesrat setzte daraufhin eine aus fünf Mitgliedern bestehende Vorkommission ein, die nicht nur ein Gutachten zu den Grundfragen der Kodifikation ausarbeitete, sondern auch die Mitglieder der 1. BGB-Kommission unter Berücksichtigung der einzelnen Rechtsgebiete und Länder benannte. Diese 1. Kommission wurde im Jahre 1874 vom Bundesrat eingesetzt, ihre elf Mitglieder traten noch im gleichen Jahr zusammen. Vorsitzender wurde der Präsident des Reichsoberhandelsgerichts Pape2; die beiden Professoren Roth (deutsches Recht) und Windscheid (Pandektenrecht) repräsentierten die Wissenschaft 3, die übrigen Mitglieder waren juristische Praktiker, namentlich der badische Ministerialrat Gebhard 4, der preußische Obertribunalrat Johow5, der württembergische Obertribunaldirektor v. Kübel, der preußische Geh. Justizrat Kurlbaum, der preußische Appellationsgerichtsrat Planck6, der von Preußen vorgeschlagene, aus Trier stammende Appellationsgerichtsrat Derscheid, der bayerische Ministerialrat v. Schmitt und der 1

Zur Gesetzgebungsgeschichte Gebhard, Vorwort; Schubert, Materialien; ders., Bayern, 8 ff.; Behn, 121 -143 (vor allem aus der Sicht der Länder); Dölemeyer und nun, besonders im Hinblick auf das Reichsjustizamt, die Untersuchung von Schulte-Nölke. Zu den Biographien der einzelnen am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Personen vgl. die Darstellung von Jahnel. 2 Pape war schon Mitglied der Kommission zur Ausarbeitung des ADHGB. 3 Windscheid schied bereits 1883 aus der Kommission aus, so daß diese danach nur noch aus zehn Mitgliedern bestand. Das hier vornehmlich interessierende Sachenrecht wurde also nicht mehr in seiner Anwesenheit beraten. 4 Gebhard war Mitglied der 1. und 2. BGB-Kommission; von 1890 an war er ordentlicher Professor in Freiburg. 5 Johow hatte eine Richterkarriere durchlaufen und wurde später, nach dem Tod Papes 1888, Vorsitzender der 1. Kommission. 6 Planck gehörte beiden Kommissionen an und gilt als der führende Kopf der 2. Kommission. Von 1889 an war er ordentlicher Honorarprofessor in Göttingen.

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§ 1 Einführung

sächsische Oberappellationsgerichtspräsident v. Weber, v. Mandry, Professor des römischen Rechts in Tübingen7, ersetzte 1884 den verstorbenen v. Kübel. Die 1. Kommission bestellte für jedes der fünf vorgesehenen Bücher einen Redaktor, für den Allgemeinen Teil Gebhard, das Schuldrecht v. Kübel, das Sachenrecht Johow, das Familienrecht Planck und das Erbrecht v. Schmitt. Diesen Redaktoren waren sogenannte Hilfsarbeiter zugeordnet, die ihnen bei der Erstellung ihrer Teilentwürfe (TE) behilflich sein sollten. Dem Redaktor Gebhard wurde Börner zur Seite gestellt, Johow die Hilfsarbeiter Achilles, Martini und v. Liebe. Zwischen 1875 und 1879 tagte die Gesamtkommission selten und entschied lediglich einige grundlegende Fragen für die Arbeit der Redaktoren. Johow legte der Kommission 1880 seinen Teilentwurf für das dritte Buch nebst einer umfänglichen Begründung vor, Gebhard tat dies für den Allgemeinen Teil im Jahre 1881. Die Beratungen der 1. Kommission begannen im Oktober 1881 und endeten für das BGB mit Ablauf des Jahres 18878. Die einzelnen Teilentwürfe wurden in ihrer späteren Reihenfolge durchberaten und die Beschlüsse der Kommission durch einen von der Kommission eingesetzten Redaktionsausschuß redigiert, der aus dem Vorsitzenden Pape, dem Mitglied v. Weber und dem jeweiligen Redaktor bestand9. Die Redaktion erfolgte für das Sachenrecht auf eine „Vorläufige Zusammenstellung der Beschlüsse zu den Materien des Sachenrechts" Papes (VorlZust) und eine „Redaktionsvorlage" Johows (RedVorl) hin in der „Zusammenstellung der sachlich beschlossenen Bestimmungen des Sachenrechts" (ZustSachR). Diese „Zusammenstellung" wurde nochmals beraten; so entstand der „Kommissionsentwurf 4 (KE). Erst Ende des Jahres 1887 wurde dieser Entwurf noch einmal überarbeitet und als 1. Entwurf (E I) schließlich verabschiedet. Der 1. Entwurf wurde 1888 dem Bundesrat übergeben, der seine Veröffentlichung nebst ausführlichen Motiven als Begründung beschloß10. Die Motive wurden von den jeweiligen Hilfsarbeitern der Redaktoren erstellt, wurden also niemals von der 1. Kommission offiziell genehmigt11. Der Entwurf zeitigte eine lebhafte Kritik, an der sich nicht nur Juristen aller Berufe, sondern auch Interessen- und Berufsverbände, Handelskammern sowie Privatleute beteiligten. Das Echo auf den 1. Entwurf war nicht gerade günstig; kritisiert wurde neben der schwerfälligen Spra7 v. Mandry gehörte beiden BGB-Kommissionen an; seine Examensergebnisse waren so überragend, daß er, ohne promoviert worden zu sein, zum ordentlichen Professor ernannt wurde. 8 Die Protokolle der 1. Kommission wurden nur metallographiert und waren nicht zur Publikation gedacht. Sie liegen aber nunmehr in der Edition von Jakobs / Schubert in gedruckter Form vor.

9 Dölemeyer, 1586 f. 10 Der Entwurf wurde 1888 mit fünf Bänden Motiven und Register gedruckt und der Öffentlichkeit mit der Aufforderung zur Kritik zugänglich gemacht. Ebenfalls abgedruckt sind die Motive bei Mugdan, dort jedoch nach Materien geordnet. 11 Dölemeyer, 1589. Die Motive zum Sachenrecht wurden von Achilles und v. Liebe erstellt.

I. Überblick über die Gesetzgebungsgeschichte

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che besonders sein Dogmatismus12. Die meisten Kritiker waren aber mit den getroffenen Grundentscheidungen einverstanden13. Die kritischen Äußerungen wurden im Reichsjustizamt14 gesichtet, exzerpiert und in der „Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs" 1890 und 1891 in sechs Bänden referiert 15. Wenngleich man sich in den Protokollen nur in den seltensten Fällen direkt auf die Kritik bezog, lagen nicht nur diese Zusammenstellung, sondern auch die danach publizierten Stellungnahmen der 1890 eingesetzten 2. Kommission bei ihrer Beratung vor und wurden eingehend gewürdigt 16 . Die Beschäftigung mit der Kritik am 1. Entwurf 17 ist daher nicht nur von rechtsgeschichtlichem Interesse; sie ist auch unentbehrlich, um den Hintergrund zu verstehen, vor dem sich die Debatten und die Entscheidungen in der 2. Kommission vollzogen haben. Ende 1890 beschloß der Bundesrat auf Drängen des Reichsjustizamts18, den 1. Entwurf einer zweiten Lesung durch eine neue Kommission zu unterziehen, welche im Unterschied zur 1. Kommission nicht nur Juristen, sondern auch Vertreter wirtschaftlicher Interessen und Praktiker anderer Berufsstände umfassen sollte. Nach einer ersten konstituierenden Sitzung am 15. Dezember 1890 nahm die 2. Kommission die inhaltlichen Beratungen am 1. April 1891 auf; wieder wurden die Bücher in der heutigen Reihenfolge durchberaten. Die Teilnehmer der 2. Kommission wurden unterschieden in zehn, ab 1891 elf ständige Mitglieder, die ausschließlich Juristen waren, und zwölf, ab 1891 dreizehn nichtständige Mitglieder, die nichtjuristische Berufe ausübten. Ständige Mitglieder waren Planck 19 , Gebhard und v. Mandry, welche bereits der 1. Kommission angehört hatten20, sowie der hessische Ministerialrat Dittmar, der preußische Ministerialbeamte Eichholz, der preußische Unterstaatssekretär Hanauer, der bayerische Ministerialbeamte Jacubezky21, der preußi12 Dazu etwa Dölemeyer, 1589, 1608. 13

Schubert, Materialien, 50. Zu diesem und seinen Aufgaben vgl. Hattenhauers Beitrag in der Festschrift aus Anlaß des hundertjährigen Gründungstags des Reichsjustizamts. 15 Es kamen hinzu die zwei Bände: „Zusammenstellung der Äußerungen der Bundesregierungen zu dem Entwurf eines BGB". Der spätere Vorsitzende der 2. Kommission, Bosse, meinte, es sei keine Zeile auf der Welt über den 1. Entwurf gedruckt worden, die nicht im Reichsjustizamt gesichtet worden sei, vgl. Bosse, 43. In der Tat beeindrucken Vollständigkeit und Genauigkeit der gefertigten Exzerpte. 16 S.Bosse, 43. 14

17 Vgl. dazu insbesondere neben der erwähnten „Zusammenstellung" die Bibliographie von Maas. ι 8 Dazu vor allem Schulte-Nölke, 164 f. 19 Nun aber nicht mehr als preußischer Abgesandter, sondern als solcher des Reichsjustizamts, vgl. Schulte-Nölke, 168. 20 Nicht nur personell bestand also eine Kontinuität zur 1. Kommission, auch inhaltlich übte die 2. Kommission Zurückhaltung in der Überarbeitung des 1. Entwurfs; vgl. dazu nur Gebhards Bemerkung über die Arbeit der 2. Kommission: „Enthaltsamkeit wird noth tun" (zitiert nach Behn, 140).

§ 1 Einführung

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sehe Ministerialbeamte Küntzel 22 , der sächsische Ministerialbeamte v. Rüger und der Rechtsanwalt Wolffson. Vorsitzender der 2. Kommission war bis 1893 der jeweilige Staatssekretär im Reichsjustizamt, also zunächst Oehlschläger, 1891 — 1892 Bosse, 1892-1893 Hanauer und ab 1893 Küntzel. Regelmäßig nahmen auch die früheren Hilfsarbeiter der 1. Kommission Struckmann, Börner und Achilles als antrags-, aber nicht stimmberechtigte Kommissare der Reichsregierung an den Sitzungen teil. Struckmann wurde 1892 als Nachfolger des ausscheidenden Bosse ständiges Mitglied der Kommission, Börner 1895 als Nachfolger v. Rügers 23. Bevor die 2. Kommission den 1. Entwurf ab dem 1. April 1891 beriet, tagte im Reichsjustizamt, das im Gesetzgebungsverfahren zunehmend eine eigenständige, von Preußen unabhängige Rolle spielte24, ab Herbst 1890 die sogenannte „Vorkommission" des Reichsjustizamts, die aus Hanauer, Planck, Achilles, Börner, Struckmann und zeitweise Bosse bestand25; ab September 1891 wurde diese Vorkommission durch Jacubezky und Spahn verstärkt 26. Die Hauptaufgabe des 1877 geschaffenen Reichsjustizamts bestand in der Vorbereitung und Ausarbeitung von Gesetzentwürfen 27; nach der Publikation des 1. Entwurfs bereitete das Amt dessen Revision vor. Die Vorkommission arbeitete auf der Grundlage des 1. Entwurfs einen vollständigen Entwurf eines Allgemeinen Teils aus, den Börner als Antrag 1 in die 2. Kommission einbrachte 28, des weiteren Vorschläge zum Schuldrecht und zu einigen Teilen des Sachenrechts. Von 1891 an geriet die Vorkommission immer mehr in Zeitnot, da ihr Vorsprung vor den Beratungen der 2. Kommission zusammenschmolz, letzten Endes sogar zeitlich parallel getagt werden und die 2. Kommission ihre wöchentlichen Sitzungen einschränken mußte. Nach April 1893 fanden die Beratungen der Vorkommission ihr Ende 29 . Die 2. Kommission tagte von April 1891 bis Anfang 1896 in 456 Sitzungen30. Zum Generalreferenten wurde Planck bestellt, die Spezialreferenten waren in der 21 Jacubezky galt als das „enfant terrible" der 2. Kommission (vgl. etwa den Brief von Windscheid an Planck vom 10. 12. 1891, bei Schubert, Windscheids Briefe, 310), zugleich aber auch als ihr in juristischen Dingen überragender Kopf; viele seiner späteren Anträge hat er in seinen „Bemerkungen" von 1892, einer Kritik der bayerischen Regierung am 1. Entwurf, vorweggenommen. Zu ihm etwa Schulte-Nölke, 196; Jahnel, 101 f.; Schubert, Bayern, 4,21. 22 Zu Küntzel vgl. Jahnel, 102 f. 23 Schulte-Nölke, 164. 24

Dazu die Arbeit von Schulte-Nölke, passim. 25 Ebd., 169. 26 Ebd., 175, 178. 27 Vgl. Hattenhauer, 19. 28 Schulte-Nölke, 177. 29 Ebd., 183. 30 Im Unterschied zur 1. Kommission beschloß man, die Protokolle der 2. Kommission zu veröffentlichen; sie liegen chronologisch geordnet vor in der Ausgabe von Achilles, Spahn und Gebhard, thematisch geordnet in derjenigen von Mugdan.

I. Überblick über die Gesetzgebungsgeschichte

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Reihenfolge der fünf Bücher des BGB Gebhard 31, Jacubezky, Küntzel, v. Mandry und v. Rüger. Der Bundesrat setzte außerdem eine Redaktionskommission ein, welche noch in der gleichen Woche wie die Gesamtkommission tagte und die gefaßten Beschlüsse auf der Grundlage einer Redaktionsvorlage Plancks, der „Vorläufigen Zusammenstellung der Beschlüsse der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs eines BGB" (E I-VorlZust), redigierte 32. Nachdem die Gesamtkommission die Beschlüsse der Redaktionskommission in Form der „Zusammenstellung der Beschlüsse der Redaktions-Kommission" (E I-ZustRedKom) genehmigt hatte, wurden die einzelnen Bücher als 2. Entwurf (E II) veröffentlicht, der Allgemeine Teil also noch 1892, das Schuldrecht 1892-93, das Sachen- und Familienrecht 1894 und das Erbrecht 1895. Im Mai und Juni 1895 erfolgte eine Revision des 2. Entwurfs, die sogenannte zweite Lesung des 2. Entwurfs; der revidierte Entwurf (Ε Π rev.), die Bundesrats vorläge, wurde am 21. Oktober 1895 in der Fassung der Redaktionskommission festgestellt und gleich darauf dem Bundesrat zugeleitet. In dem vom Reichsjustizamt ebenfalls dominierten Justizausschuß des Bundesrats fanden zwei Lesungen des E II rev. statt. Vor allem die beiden mecklenburgischen Länder stellten viele Abänderungsanträge 33, jedoch wurde nur wenig verändert. Die Mitglieder der 2. Kommission nahmen als „Kommissare des Reichskanzlers" an den Sitzungen teil und redigierten die Beschlüsse. Den so entstandenen 3. Entwurf (Ε ΙΠ), die Reichstagsvorlage, legte der Reichskanzler am 17. Januar 1896 persönlich dem Plenum des Reichstags vor. Statt den Entwurf en bloc zu beraten, entschied sich der Reichstag in seiner ersten Lesung, eine Kommission aus 21 Abgeordneten einzusetzen. Diese sogenannte XII. Reichstags-Kommission34 beriet den 3. Entwurf in 53 Sitzungen bis zum 12. Juni 1896 und schlug - wenngleich wichtige Mitglieder der 2. Kommission an den Beratungen als „Kommissare des Bundesrats" teilnahmen35 - eine Reihe von Änderungen vor, die aber die Grundzüge des Entwurfs unberührt ließen. Die zwei weiteren Lesungen des Reichstags fanden Ende Juni 1896 statt, diskutiert wurden Fragen des Vereinsrechts, des Eherechts und des Rechts des Wildschadensersatzes. Gegen die Stimmen der sozialdemokratischen Abgeordneten wurde der Entwurf angenommen und nach Billigung der beschlossenen Änderungen durch den Bundesrat am 18. August 1896 als Gesetz vom Kaiser vollzogen und im Gesetzblatt verkündet.

Gebhard war auch für das Einführungsgesetz zuständig. S. zur Redaktionskommission nunmehr.ausführlich unten § 5 I 3 Exkurs. 33 Schulte-Nölke, 219; ein Beispiel findet sich unten in § 5 III 1. 34 Zu ihr etwa Staudinger ! Going, Einl. zum BGB, Rn. 86; dort auch ihre einzelnen Mitglieder. 3 5 Dies waren Sohm, Planck, Gebhard, Jacubezky, Küntzel, v. Mandry, Börner und Struckmann, vgl. Schulte-Nölke, 228. 32

§ 1 Einführung

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II. Methodische Vorüberlegungen Die historische Auslegung ist eine allgemein anerkannte Methode 36 ; die grundsätzlichen Unterschiede zwischen subjektiver 37 und objektiver 38 Auslegungsmethode können an dieser Stelle auf sich beruhen, weil zumeist ohnehin Mischformen vertreten werden. Wie schon angedeutet, hat jede Auslegung von der Genese der Normen auszugehen. Nur unter Berücksichtigung der bereits durch den Gesetzgeber getroffenen Interessenabwägungen ist es möglich, die Bestimmungen des BGB in fundierter Weise einer Kritik zu unterziehen und Lücken im gesetzlichen System mittels Analogie oder Rechtsfortbildung zu schließen. Zu klären ist, wer als der historische „Gesetzgeber" anzusehen ist. Danach beurteilt sich nämlich die Frage, auf welche Quellen man sein Urteil über die Entstehungsgeschichte einer Norm stützen darf. Zu unterscheiden sind der formelle und der materielle Gesetzgeber39; ersterer ist das zur Rechtsetzung befugte Gesetzgebungsorgan, im Hinblick auf das BGB also Reichstag und Bundesrat. Materieller Gesetzgeber ist dagegen das mit der Ausarbeitung der Regelungen beauftragte Organ, also etwa die 1. oder 2. Kommission oder auch die Vorkommission des Reichsjustizamts. Über den Stellenwert der von diesen Gremien erarbeiteten Materialien - Motive und Protokolle - und insbesondere über ihr Verhältnis zu den „offiziellen" Protokollen des formellen Gesetzgebers - der Reichstagsdebatten etwa ist im Schrifttum bisher keine Einigkeit erzielt worden 40. Im Folgenden werden alle Gesetzgebungsmaterialien herangezogen; die regelmäßig aufschlußreicheren Protokolle und Motive der Kommissionen haben aufgrund ihres Gedankenreichtums jedoch das größere Gewicht als die „offiziellen" Protokolle 41. Eine Unterscheidung danach, ob eine Frage (zufällig) im Reichstag erörtert wurde oder nicht, ist für die Gewichtung der Materialien ohne Belang: Warum ausgerechnet die Materialien zu § 1028 BGB einen höheren Stellenwert haben sollten als diejenigen zu § 900 BGB, nur weil jene Norm von der Reichstagskommission und diese von der 2. Kommission beschlossen worden ist, ist nicht einzusehen42. Die in den Materialien des materiellen Gesetzgebers zum Ausdruck kommende Mehrheitsmeinung, die letztlich zum Gesetzeswortlaut geführt hat, wird man als vom formellen Gesetzgeber mangels Widerspruchs übernommen und daher als maßgeblich zu erachten haben43. Die Frage nach der Entstehungsgeschichte einer Norm ist folglich im36 Vgl. nur Fischer! Henle, Einleitung, XXXIII f.; Sauer, 298; Fikentscher, rem, Methodenlehre, 316, 320 ff.; Baden, 392; Wank, 41 f. 37 Es wird nach dem Willen des Gesetzgebers gefragt.

663, 670; ha-

38 Es wird nur der vom Willen des Gesetzgebers zu abstrahierende „Wille des Gesetzes" anerkannt; dazu Baden, 382. 39 Zu dieser Unterscheidung etwa Wank, 35, 75. 4

0 Vgl. dazu auch W. Seiler, 35.

41

Vgl. überdies zur Frage des Verhältnisses der Erwägungen der 2. Kommission zu denen ihrer Redaktionskommission unten S. 79 f. 42 Zu eng daher Larenz, Methodenlehre, 329.

I. Johows Teilentwurf eines Sachenrechts

29

mer unter Berücksichtigung der Materialien der beschließenden Fachgremien zu beantworten 44; die Rechtsprechung zieht die Motive und Protokolle der Kommissionen ebenfalls als wenn nicht bindend, so doch maßgeblich heran 45. Eine unterschiedliche Behandlung der Protokolle der 1. Kommission und der Motive zum 1. Entwurf ist nicht angebracht. Zwar wurden die Motive „nur" von den Hilfsarbeitern der Redaktoren erstellt und nicht offiziell von der 1. Kommission genehmigt46, weshalb sie des öfteren als bloße „Privatarbeit" apostrophiert wurden 47 . Dies ist jedoch kein Grund, ihnen einen geringeren Stellenwert als den Protokollen beizumessen: Erstens sind die „Hilfsarbeiter" nicht völlig unmaßgeblich gewesen; so prägte der Verfasser der Motive zum Immobiliarsachenrecht 48, Achilles, entscheidend Johows Teilentwurf 49 , ohne den der 1. Entwurf nicht denkbar ist. Zweitens sind die Fälle zumindest im Immobiliarsachenrecht selten, in denen sich in den Motiven Erwägungen finden, die sich nicht entweder in den Protokollen der 1. Kommission oder bereits in den Begründungen der Teilentwürfe der Redaktoren widerspiegeln 50.

§ 2 Die Entwürfe Johows und Gebhards zum Sachenrecht und zum Allgemeinen Teil I. Johows Teilentwurf eines Sachenrechts 7. Die Voraussetzungen a) Das Grundbuchsystem Johow entschied sich, in Übereinstimmung unter anderem mit dem preußischen Recht1, für das Grundbuchsystem, das ein einheitliches Buch für die Eintragung 43 Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 622; Engisch, 120; so wohl auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. W. Seiler, 187); Baden, 374 (zu der im 19. Jahrhundert entwikkelten, sehr umstrittenen Paktentheorie); a.A. etwa Enneccerus / Nipperdey I, § 55 I 2. 44 Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 618, 621, 622. So auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (dazu W. Seiler, 187). 4 5 Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 618, 621; Fikentscher, 675. 46

S. oben vor Fn. 11. 7 Vgl. nur RGZ51,272 (274). 48 Schubert, Materialien, 49. ν Vgl. die Einleitung Schuberts, in: Johow, SR Teil 1, S. XXVI. 50 Lediglich in diesen seltenen Fällen sollte man die Motive mit Vorsicht zur Kenntnis nehmen; aber auch hier muß es sich nicht nur um die Privatmeinung der Hilfsarbeiter handeln; viel wahrscheinlicher ist es, daß solche Erwägungen in den knappen Protokollen nur keinen Platz gefunden haben. 4

ι §§ 1, 12 EEG; §§ 10-12 preuß. GBO aus dem Jahr 1872 (GSlg. für die Königlichen Preußischen Staaten, 1872, Nr. 28).

30

§ 2 Die Entwürfe Johows und Gebhards

des Eigentums und der beschränkten dinglichen Rechte vorsieht. Damit verwarf er das (unübersichtliche) System der getrennten Buchführung wie auch das in weiten Teilen Deutschlands, vor allem unter der Herrschaft des ALR, geltende Pfandbuchsystem, das nur für den Erwerb von Hypotheken eine konstitutive Eintragung vorschrieb. Johow sah nämlich keinen Grund, das Eintragungserfordernis lediglich auf die Grundpfandrechte zu beschränken und auf das Offenbarungsmittel für alle anderen dinglichen Rechte zu verzichten 2. Das neue Grundbuchsystem sollte sich durch fünf Grundsätze auszeichnen, das Publizitäts-, Eintragungs-, Konsens-, Legalitätsprinzip und das der vorläufigen Einschreibung3.

b) Die Ablehnung des Prinzips der formalen Rechtskraft Aus der Entscheidung für das Grundbuchsystem folgte noch keineswegs, welche Bedeutung man der Eintragung für den Erwerb beimessen sollte. So war es möglich, in der Eintragung lediglich eine Voraussetzung für den Rechtserwerb unter anderen zu sehen oder aber ihr allein konstitutive Bedeutung zu verleihen. Gemäß § 276 sächs. BGB etwa, das für Johow neben dem preußischen EEG durchaus Vorbildcharakter hatte, hat allein die Eintragung konstitutive Bedeutung für den Eigentumserwerb. Ein wirksames Rechtsgeschäft („Rechtsgrund"), das diesen rechtfertigt, wird für die Eintragung zwar vorausgesetzt. Der Erwerb ist mit der Eintragung aber zunächst auch ohne wirksames Rechtsgeschäft vollzogen; gemäß § 278 sächs. BGB hat nämlich der Verletzte bei unwirksamem Rechtsgeschäft lediglich ein (auch gegenüber einem bösgläubigen Dritten wirkendes) Anfechtungsrecht 4. Mit diesem Prinzip der formalen Rechtskraft, das u. a. auch in Mecklenburg und Hamburg galt sowie im bayerischen Entwurf von 1861 vorgesehen war 5, war eine 2 Johow, SR Teil 1, 167. Die anderen in Deutschland geltenden Systeme, das bremische Verschweigungsprinzip und das französische Transkriptions- und Inskriptionssystem, wurden von Johow nicht ernsthaft in Betracht gezogen. Ersteres sei auf einen lokal beschränkten Sonderweg zurückzuführen {Johow, SR Teil 1, 160-162), das zweite führe zu einer für den Verkehr kaum überschaubaren und in Preußen gerade überwundenen Duplizität des Eigentums CJohow, SR Teil 1, 162-164, 644); s. dazu Schubert, Entstehung, 97 f.; Wieling, Land Register, 193 f.; zu den im Deutschen Reich geltenden Grundbuchsystemen vgl. auch Stobbe/ Lehmann, 104-167.

3 Dazu Johow, SR Teil 1, 180 ff.; Wieling, Land Register, 193 ff. 4

Zwar spricht § 278 nur von der Berechtigung, „die Löschung der Eintragung zu verlangen". In den speziellen Motiven zu § 289 des Entwurfs eines sächs. BGB von 1860,667, aber wird in dem inhaltsgleichen § 289 des Entwurfs ein dinglich, d. h. auch gegenüber bösgläubigen Dritten, wirkendes Anfechtungsrecht anerkannt (so auch Schubert, Entstehung, 98). Die Regelung des sächs. BGB ist durchaus unklar, weshalb auch streitig blieb, ob die Nichtigkeit des Rechtsgrundes durch eine persönliche Berichtigungsklage oder eine Art dinglicher Löschungsklage geltend zu machen sei (dazu Siebenhaar/ Siegmann, § 256 [267]; Grützmann, Grundbuch, 216). 5 §§ 5, 36 f. der Revidierten Stadtbuch=Ordnung für Mecklenburg-Schwerin v. 21. 12. 1857 {Raspe, Nr. 574); §§ 2, 3, 6 des Gesetzes über Grundeigenthum und Hypotheken v.

I. Johows Teilentwurf eines Sachenrechts

31

Tabularersitzung schlechthin unvereinbar 6: Ist die Eintragung konstitutiv und nur diese, so können zusätzliche Anforderungen an den Eigentumserwerb - vor allem ein gewisser Zeitablauf - nicht gestellt werden; folgerichtig schließt etwa § 279 sächs. BGB die Ersitzung aus7. Denkbar war es auf der Grundlage des Grundsatzes der formalen Rechtskraft allerdings auch, die Ersitzung als Erwerbsart auszuschließen, ihr aber wenigstens die Bedeutung beizulegen, daß nach erfolgter Eintragung und einem gewissen Zeitablauf die zur Anfechtung berechtigenden Mängel in dem zugrundeliegenden Rechtsgeschäft geheilt seien; damit wäre ihr der Charakter einer Art Ausschlußfrist für die Geltendmachung der Anfechtung des Eigentumserwerbs verliehen. Diesen Weg beschreitet der bayerische Entwurf - neben der zusätzlichen Voraussetzung des Eigen- bzw. Rechtsbesitzes8. Johow lehnte das Prinzip der formalen Rechtskraft ab und machte den Erwerb vom Vorliegen der Eintragungsvoraussetzungen abhängig: Gemäß § 30 TE genügt zwar neben der Eintragung die einseitige Bewilligung des Berechtigten; dieses Prinzip wird jedoch wieder durchbrochen, wenn z. B. für die Übertragung von Grundeigentum gemäß §§ 117 f. TE Auflassung und Eintragung gefordert werden9. Den Nachteil dieses Systems, daß wirkliches Eigentum und Bucheigentum etwa bei unwirksamer Auflassung auseinanderfallen können, also in beschränktem Rahmen eine Duplizität von Rechten an Immobilien auftreten kann, nahm Johow hin. Das bekämpfte Prinzip der formalen Rechtskraft stelle nämlich ohne Rücksicht auf die Verfügung durch den Berechtigten nur auf den obrigkeitlichen Akt der Eintragung ab, was der mehrheitlich in Deutschland geteilten Rechtsanschauung fremd sei; die Verfügung über Privatrechte stehe dem Grundsatz nach nur dem Berechtigten zu. Die Eintragung sei nur die Form der die Rechtsänderung bewirkenden Willenserklärung, der „äußere Vorgang", dem aus Gründen des Verkehrsschutzes lediglich in Ausnahmefällen, unter Geltung des Öffentlichkeitsprinzips nämlich, das entscheidende Gewicht beizumessen sei. Nur in einem solchen Aus-

4. 12. 1868 (GSlg. der freien und Hansestadt Hamburg 3 [1868], Nr. 45); Theil III Artt. 56 ff., 75 bayr. Entwurf (dazu Motive, 642 [Zählung des Hrsg.]). 6 So auch die Motive zum bayr. Entwurf, 640 (Zählung des Hrsg.). 7 Nach den Motiven zu dem § 279 entsprechenden § 290 des Entwurfs eines sächs. BGB von 1860, 669, wurde dabei auch der Fall des Kaufs unter Besitzübergabe, aber ohne Eintragung, also eine Kontratabularersitzung, als durch § 290 ausgeschlossen erachtet. Auch nach Theil III Art. 149 bayr. Entwurf ist die Ersitzung keine allgemeine Erwerbsart mehr. In den Motiven dazu, 666 (Zählung des Hrsg.), wird klargestellt, daß die Ersitzung als Erwerbsart dort ausscheiden müsse, wo das Eigentum nur noch mittels Eintragung erworben werden könne. 8

Theil III Artt. 79 f., dazu die Motive, 649 (Zählung des Hrsg.). In Art. 79 ist konsequent von einem „Erlöschen", in Art. 80 von einer „Verjährung" der Anfechtbarkeit der „Einschreibung" die Rede. Art. 79 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 80 entspricht im übrigen § 900 BGB. Gutgläubigkeit des Ersitzers wird also nicht gefordert. 9 Zum folgenden Johow, SR Teil 1, 194-198; vgl. neben § 117 TE die weiteren, jeweils bei den einzelnen beschränkten dinglichen Rechten aufgeführten Paragraphen des Teilentwurfs.

32

§ 2 Die Entwürfe Johows und Gebhards

nahmefall, also gegenüber redlichen Dritten, sei die Regel zu durchbrechen, daß jede Eintragung von den für sie bestehenden Voraussetzungen abhänge. Das bekämpfte Prinzip hingegen mache die Ausnahme zur Regel. Das Prinzip der formalen Rechtskraft sei auch deshalb nicht erforderlich, weil das Öffentlichkeitsprinzip nur den Schutz des gutgläubigen, auf die Richtigkeit des Grundbuchs vertrauenden Dritten, nicht aber auch den Schutz des womöglich bösgläubigen oder die Eintragung etwa aufgrund einer strafbaren Handlung erlangenden Erwerbers bezwecke10. Wenn die Eintragung den Erwerb erzeuge, könne im Falle der ungerechtfertigten Eintragung kein dinglicher Berichtigungsanspruch bestehen, sondern lediglich ein obligatorischer 11. Dieser sei jedoch nicht konkursfest und beschneide den Verletzten daher übermäßig in seinen Rechten12. Außerdem führe das genannte Prinzip dazu, daß das materielle dem formellen Recht untergeordnet werde, schieße also über das gebotene Ziel hinaus. Zu wenig leiste das Prinzip der formalen Rechtskraft dagegen, weil es dem gutgläubigen Erwerber keinen Schutz biete; denn das obligatorische Anfechtungsrecht könne ohne weiteres auch ihm gegenüber geltend gemacht werden 13. Zumindest für das sächsische BGB und den bayerischen Entwurf ist das Argument allerdings nicht stichhaltig: Gemäß § 278 sächs. BGB kann der Verletzte gegenüber dem eingetragenen Dritten die Löschung nur verlangen, wenn dieser von der Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäfts Kenntnis hatte, also bösgläubig war; der bayerische Entwurf enthält eine ähnliche Regelung14. c) Der Berichtigungsanspruch Buchposition und wirkliche Rechtslage können unter Zugrundelegung des Johowschen Konsens- und Eintragungsprinzips auseinanderfallen, dann nämlich, wenn die gemäß § 30 TE erforderliche Bewilligung der Rechtsänderung oder die nach § 117 TE notwendige Auflassung unwirksam ist oder angefochten wurde. Für diesen Fall gewährte Johow in § 46 TE dem Verletzten einen Anspruch auf Berich10 Johow, SR Teil 1, 195; a.A. war Exner, 55 ff., 62, für den die Gutgläubigkeit nicht zum Inhalt des Publizitätsprinzips gehört; der bösgläubige Erwerber solle nur einem schuldrechtlichen Restitutionsanspruch ausgesetzt sein. 11 Diese Ansicht trägt den Regelungen im sächs. BGB offenbar nicht Rechnung, vgl. soeben in Fn. 4. 12 Vgl. dazu aber die Bemerkungen der Großherzoglich Mecklenburg-Schwerinschen Regierung I, 194: Nach mecklenburgischem Recht bestehe vor Konkurs eine condictio in rem, und für den Fall des Konkurses könne man ja eine Spezialvorschrift beschließen. 13 Ein Anfechtungsrecht, das Dritten gegenüber geltend gemacht werden kann, wirkt freilich dinglich. 14 Theil III Art. 75 bayr. Entwurf. Auch Johow, SR Teil 1, 197, betonte, daß im sächs. BGB und im bayr. Entwurf das Öffentlichkeitsprinzip anerkannt worden sei. Johow scheint das System des sächs. BGB nicht richtig erkannt zu haben (so auch in anderem Zusammenhang Schubert, Entstehung, 98 in Fn. 34).

I. Johows Teilentwurf eines Sachenrechts

33

tigung des Grundbuchs durch Löschung des Eingetragenen oder durch Wiederherstellung der gelöschten Eintragung 15. Er erachtete den Berichtigungsanspruch als einen dinglichen Anspruch, da er dem eingetragenen oder dem vormals eingetragenen Recht entspringe, gegen das sich die unrichtige Eintragung richte16.

2. Die Verjährbarkeit

der dinglichen Ansprüche

In § 29 TE werden Ansprüche aus eingetragenen Rechten der Verjährung entzogen; ausgenommen sind Ansprüche auf Schadensersatz, auf Schutz gegen Wiederholungen von Handlungen, welche das eingetragene Recht gefährden, oder auf Rückstände wiederkehrender Leistungen17. Solange das Eigentum, die Dienstbarkeit, die Hypothek eingetragen sei, dürfe der Eigentumsanspruch bzw. der Anspruch auf Gestattung der Ausübung des beschränkten dinglichen Rechts nicht erschüttert werden, weil sonst das Recht wertlos sei. Für den Ausschluß der Verjährung spreche vor allem, daß sie neben der Grundbucheinrichtung keinen Platz habe, da beide Institute demselben Zweck dienten, nämlich dem Schutz und der Sicherstellung des gegebenen Rechtszustandes und damit dem Rechtsfrieden: Während die Verjährung den Anspruch abschneide, weil das Recht durch den Zeitablauf zweifelhaft geworden sei und in der Unterlassung der Rechtsausübung eine Art Verzicht auf die Anerkennung durch die Rechtsordnung liege, werde den Grundstücksrechten durch die Eintragung zweifelloser Bestand gewährt. Außerdem könne man bei einem eingetragenen Recht gerade nicht sagen, daß der Eingetragene sein Recht nicht ausübe, seine Eintragung stelle vielmehr einen fortgesetzten Widerspruch gegen alle die Ausübung des Rechts hindernden Zustände dar. Johows weiteres Argument, daß die Verjährung kein allgemeines, auf alle Ansprüche bezogenes Institut sei, dessen Ausnahmen besonders zu begründen seien, sondern daß umgekehrt die Verjährung für jede Klasse von Rechten einer besonderen Rechtfertigung bedürfe, ist von den Kommissionen allerdings nicht geteilt worden; diese hielten später an der Anspruchs Verjährung als einem Institut des Allgemeinen Teils fest 18 . Schließlich berief sich Johow darauf, daß man wegen des Grundsatzes des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs dem gutgläubigen Dritten, der ein verjährtes Recht erworben habe, die aus dem Grundbuch nicht ersichtliche Verjährung nicht entgegenhalten könne; eine solche relative Verjährung aber sei ohne Wert 19 . Dem möglichen Einwand gegenüber diesen Argumenten, daß im Allgemeinen Teil keine Rechts Verjährung, sondern lediglich eine Anspruchs Verjährung vorgese15 Johow, SR Teil 1,343. 16 Ebd. π Ähnlich 1,9, § 511 ALR; § 7 Abs. 2 EEG; § 151 sächs. BGB. is Schon durch die Beschlüsse der 1. Kommission vom 10. und 12. 10. 1877 hätte Johow dies eigentlich klar sein müssen (vgl. für deren Wortlaut Johow, SR Teil 1, 264 Anm. 2). 19 Johow, SR Teil 1,267 f. 3 Finkenauer

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§ 2 Die Entwürfe Johows und Gebhards

hen sei, hielt Johow entgegen, daß die Versagung bestimmter dinglicher Ansprüche - der rei vindicatio, confessoria in rem actio 20, auch der actio negatoria 21 - das Recht selbst ausschließen oder beschränken würde; denn ein Eigentum, dessen Gegenstand sich in der Hand eines anderen befinde und der Vindikation nicht unterliege, sei eine nuda proprietas, welche die Wissenschaft wegen der Möglichkeit, daß die Sache an einen dritten Besitzer gelange (und so die Vindikation wieder auflebe), zwar noch „Eigentum" nennen könne, die dem Publikum jedoch nur „schwerlich verständlich" zu machen sei. Die Unverjährbarkeit eines solchen Anspruchs folge daher unmittelbar aus der Unverjährbarkeit des Rechts, aus dem er fließe 22 . Der Eigentumsherausgabeanspruch gemäß § 178 TE 2 3 solle so lange unverjährbar sein, wie das Eigentum des Berechtigten im Grundbuch eingetragen sei. Nicht zweifelsfrei ist, ob Johow auch den Eigentums- und Berichtigungsanspruch des nicht (mehr) eingetragenen Eigentümers für unverjährbar hielt 24 . Dafür, daß er die dinglichen Ansprüche aus nicht mehr (auf den gegenwärtigen Eigentümer) eingetragenen Rechten als verjährbar verstand, spricht zunächst der Wortlaut des von ihm vorgeschlagenen § 29 TE. Außerdem erachtete er im Zusammenhang mit der von ihm abgelehnten Tabularersitzung einen über die Verjährung hinausgehenden Schutz des Bucheigentümers für nicht erforderlich 25; dies konnte sich nur auf die Veijährung von Eigentums- und Berichtigungsanspruch beziehen. Auf der anderen Seite folgerte Johow die Unverjährbarkeit der rei vindicatio „ohne Weiteres" aus der Unverjährbarkeit des Rechts, aus dem sie hervorgeht. Er machte dabei nicht deutlich, warum er sich nicht auf § 29 TE bezog, sondern die Unverjährbarkeit gewissermaßen als überpositiv geltendes Recht a priori feststehen sollte. Da nur Ansprüche, nicht Rechte verjähren, könnte man seinen Satz auch auf die rei vindicatio des nicht eingetragenen Eigentümers beziehen. Ferner hatte Johow die Unverjährbarkeit des Eigentumsanspruchs - die Vermeidung einer nuda proprietas - in ganz allgemeiner Weise begründet und dies keineswegs nur auf den Anspruch aus eingetragenem Recht bezogen. Vor allem aber sprechen seine Ausführungen zum Wesen des Berichtigungsanspruchs dafür, daß er diesen für unverjährbar hielt. So folgerte er dessen dinglichen Charakter daraus, daß er aus dem 20

D. i. der negatorische Anspruch des Servitutsberechtigten, vgl. etwa § 1027 BGB. Wenigstens soweit sie auf die Beseitigung einer gegenwärtigen Beeinträchtigung gerichtet ist, d. h. auf die Beseitigung eines Zustands, der die Ausübung des Rechts hindert, oder auf die Löschung eines eingetragenen Rechts, dessen Bestand der (eingetragene) Eigentümer nicht anerkennt. Der Unterlassungsanspruch zur Abwehr künftiger Beeinträchtigungen ist aber verjährbar, vgl. § 29 Abs. 2 Nr. 2 TE und Johow, SR Teil 1, 269 f. 22 Johow, SR Teil 1,268. 23 Entspricht § 985 BGB. 21

24 Vgl. auch Gebhards Bemerkung, Johow gehe bei der Begründung von § 29 TE z. T. von Erwägungen aus, nach denen die Verjährbarkeit von dinglichen Ansprüchen überhaupt auszuschließen wäre (Gebhard, AT, 313 in Fn. 1 [Zählung des Hrsg.]). Vgl. auch Johows Antrag in der 1. Kommission, die Ansprüche auf Herstellung des dem dinglichen Recht entsprechenden Zustands für unverjährbar zu erklären, unten § 3 14. 2 5 Johow, SR Teil 1, 732.

I. Johows Teilentwurf eines Sachenrechts

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eingetragenen Recht abzuleiten sei 26 . Mit dieser „Eintragung" konnte Johow aber, da inzwischen ein Nichtberechtigter eingetragen ist, gegen den der Berichtigungsanspruch ja geltend gemacht wird, nur die frühere, nunmehr gelöschte Eintragung des Eigentümers meinen. Es ist also durchaus naheliegend, daß Johow den Berichtigungsanspruch, der, einem solchen Verständnis entsprechend, einem „eingetragenen Recht" entspringt, dem § 29 TE subsumiert hat. Diese Konstruktion wäre übrigens ebenso auf den Eigentumsanspruch des nicht (mehr) eingetragenen Eigentümers übertragbar. Es kommt hinzu, daß Johow den Berichtigungsanspruch nach § 46 TE als einen der actio negatoria verwandten Anspruch verstand 27: Diese war für Johow aber dann unverjährbar, wenn sie auf die Löschung eines im Grundbuch eingetragenen Rechts gerichtet ist, dessen Bestand der Eigentümer nicht anerkennt. Könne der Anspruch des Eigentümers, ein solches Recht löschen zu lassen, welches einen Widerspruch gegen das durch die Eintragung beurkundete Eigentum enthalte, verjähren, akzeptiere der Gesetzgeber einen dauernden Widerspruch zwischen Grundbuch und wirklicher Rechtslage. Aus diesem Grund dürfe der Anspruch nicht verjährbar sein 28 . Auch die Antwort auf die von Johow eigens aufgeworfene Frage, ob der Ausschluß der Verjährung des Eigentumsanspruchs gemäß § 29 TE die Eintragung des gegenwärtigen Eigentümers voraussetze, bringt nur wenig Licht ins Dunkel: Johow stellt die Grundbuchgesetze, nach denen eine Eintragung des Eigentümers für die Unverjährbarkeit der Ansprüche erforderlich ist 2 9 , den Gesetzen gegenüber, nach welchen nur das Recht, nicht aber auch die Person des Berechtigten eingetragen sein muß 30 . Die Frage sei aber nur für den Erbfall von praktischer Relevanz, für welchen Johow es mit den zuletzt genannten Gesetzen hielt: Wenn der Erbe den Einreden gegen den Erblasser ausgesetzt sei, sei es auch folgerichtig, ihn ebenso wie diesen zu schützen. Offenkundig hatte Johow bei seinen Ausführungen jedoch den hier interessierenden Fall, daß der besitzende Bucheigentümer nicht der wirkliche Eigentümer ist und deshalb nur das Recht des Eigentümers, nicht aber seine Person im Grundbuch verzeichnet ist, nicht vor Augen 31 . Schließlich führt auch 26 Ebd., 343. 27 Ebd., 695. 28 Ebd., 269. 29 Z. B. § 7 EEG (der in der genannten Weise ausgelegt wurde, vgl. Fuchs, § 902, Anm. 3 a); Art. 2 Abs. 3 sachsen-meiningisches Gesetz v. 15. 7. 1862, betr. die Anlegung von Grundund Hypothekenbüchern (Slg. der landesherrlichen Verordnungen im Herzogthum SachsenMeiningen, 15. Bd., Nr. 20); § 8 Abs. 1 anhaltisches Gesetz v. 11. 3. 1877, betr. die Einführung von Grundbüchern (GSlg. für das Herzogthum Anhalt, 8 [1878], Nr. 450). 30 Z. B. § 28 Abs. 1 des sächs. Gesetzes, die Grund- und Hypothekenbücher und das Hypothekenwesen betr., v. 6. 11. 1843 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen, 1843, Nr. 63); § 26 Abs. 1 altenburgisches Gesetz, die Grund- und Hypothekenbücher betr., v. 13. 10. 1852 (GSlg. für das Herzogthum Altenburg auf das Jahr 1852, Nr. 86); § 26 Abs. 1 reußisches Gesetz, die Grund- und Hypothekenbücher und das Hypothekenwesen betr., v. 20. 11. 1858 (GSlg. für die Fürstlich Reußischen Lande jüngerer Linie, 11. Bd., Nr. 213).

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Johows Bemerkung, daß der Herausgabeanspruch dann der Verjährung unterliege, wenn das jeweilige Grundstück nicht durch das Grundbuch nachgewiesen werde 32 , nicht weiter; sie verdeutlicht lediglich, daß es einer Buchung des Grundstücks zu irgendeiner Zeit bedarf, nicht aber, ob der gegenwärtige Eigentümer eingetragen sein muß. 3. Die Ablehnung der Ersitzung Johow sprach sich gegen das Institut der Ersitzung aus; es sei weder mit dem Grundbuchsystem vereinbar noch praktisch erforderlich 33. Auch die im österreichischen Schrifttum diskutierte Möglichkeit, wonach die Ersitzung nicht das Eigentum verschaffe, sondern nur einen obligatorischen Anspruch gegen den bisherigen Eigentümer auf Übereignung, komme nicht in Betracht, da dies eine Neuerung sei, die nicht nur die strikte Trennung von Schuld- und Sachenrecht gefährde, sondern auch in weiten Teilen Deutschlands unbekannt sei 34 . Johow führte sein auf dem Eintragungs- wie Konsensprinzip beruhendes Grundbuchsystem in aller Strenge durch. Deshalb wies er jeglichen ,»Ersatz" für Eintragung und wirksamen dinglichen Vertrag als nicht sachgerecht und inkonsequent zurück: Wenn das Gesetz zur Übertragung des Eigentums Eintragung und Auflassung verlange, könne daneben die Möglichkeit einer Ersitzung (die nicht bereits vollendet sei) nicht zugelassen werden; alles andere sei „äußerst bedenklich". Da beim Grundstückserwerb die traditio durch die Eintragung ersetzt sei, könne sie niemals Eigentum verschaffen; der Zeitablauf ersetze im Ersitzungsrecht nur den fehlenden Titel, sei aber nicht geeignet, dem Besitz eine Wirkung zu verleihen, die er nicht habe35. Insbesondere sah er in keiner der verschiedenen, für die Ersitzung im Schrifttum gegebenen Rechtfertigungen - alle Mängel heilender Zeitablauf, tatsächliche Sachherrschaft als Grundlage für rechtliche Herrschaft, Belohnung des Erwerbers für seine Gutgläubigkeit - eine einleuchtende Begründung dafür, wieso der Gesetzgeber aus einem nur scheinbar rechtmäßigen Zustand einen wirklich rechtmäßigen machen, warum der Berechtigte einen Rechtsverlust erleiden solle 36 . Verschweigung und Ersitzung seien auch nicht notwendig, um den gutgläubigen Erwerber zu schützen; dafür genüge die publica fides des Grundbuchs 37. Grund31

In diesem Fall ist nach dreißig Jahren das Schicksal des Eigentums- wie auch des Berichtigungsanspruchs zweifelhaft. 32 Johow, SR Teil 1, 269 Fn. 1, 735. 33 So bereits eine Vorlage Johows für die 1. Kommission von 1875 (abgedruckt bei Jakobs/Schubert, SR I, 29 ff., 37). 34 Johow, SR Teil 1, 727. Auch Strohal, Eigenthum, 135 ff., sprach sich gegen diese Variante einer Ersitzung (eines bereits gebuchten Grundstücks) aus. 3 5 Ebd., 727. % Ebd., 729. 37 Ebd., 183 ff.

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sätzlich sei zwar als Gewähr für die Richtigkeit der Eintragungen im Grundbuch auch der Weg über das Verschweigungsprinzip denkbar, d. h. daß nach einem gewissen, relativ kurzen Zeitablauf das Recht erlösche 38. Jedoch spreche gegen eine Aufschiebung der Eintragung im Grundbuch bis zum Ablauf der Verschweigungsfrist, daß während dieser Zeit das Grundstück dem Rechtsverkehr entzogen und eine schnelle Erledigung der Grundstücksgeschäfte unmöglich sei. Gegen die Alternative, die Verschweigung erst nach Ablauf einer bestimmten Zeit nach der Eintragung eintreten zu lassen, führte Johow ebenfalls die Interessen des Immobiliarverkehrs an; innerhalb dieser Frist werde man einen erwerbsbereiten Dritten kaum finden 39. Überhaupt sei das Verschweigungsprinzip nicht mehr zeitgemäß, weil nur in den früheren Zeiten der „Gerichtsöffentlichkeit" sichergestellt gewesen sei, daß der Betroffene von der Möglichkeit des Rechtsverlusts habe erfahren und sich dagegen verwahren können. Der Grundsatz des öffentlichen Glaubens habe zwar denselben Zweck wie die Verschweigung, nämlich die Sicherstellung eingetragener Rechte40, sei aber vorzuziehen, weil er nur relativ gegenüber dem gutgläubigen Dritterwerber gelte, nicht jedoch einen Rechtsverlust an den bösgläubigen eingetragenen Erwerber nach sich ziehe 41 . Dieser Rechtsverlust sei unter dem Öffentlichkeitsprinzip nur die Folge des im Vertrauen auf das Grundbuch vollzogenen Erwerbs, er sei nicht die Ursache für die Unanfechtbarkeit der Eintragung 42. Der Rechtsverkehr bedürfe nur eines solchen relativen Schutzes43. Auch zur Erleichterung des oft schwierigen Eigentumsbeweises (der probatio diabolica) lehnte Johow eine Ersitzung ab; sie sei vornehmlich als ein prozessualer Rechtsbehelf gedacht, mit dessen Hilfe sich vor allem der rechtmäßige Eigentümer auf den Ablauf der Zeit berufen könne, ohne das Eigentum seiner Rechtsvorgänger im einzelnen nachweisen zu müssen. Daß mit dem Institut auch der unrechtmäßige Besitzer geschützt worden sei, sei früher ein in Kauf zu nehmendes Übel gewesen 44 . Dieser Zweck aber werde durch das vorgeschlagene Grundbuch ebenso erreicht 45 . Das Grundbuch schütze erworbene Rechte durch die Verlautbarung und 38 Johow bezog sich in diesem Zusammenhang auf Art. 27 des hessischen Gesetzes, die Erwerbung des Grundeigenthums [ . . . ] in den Provinzen Starkenburg und Oberhessen betr., v. 21. 2. 1852 (Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt, 1852, 77), wonach eine Ersitzung nach fünf]ähriger Eintragung stattfindet, wenn die Voraussetzungen einer ordentlichen Ersitzung vorliegen, insbesondere also ein Erwerbstitel (iustus titulus) besteht. Einen gutgläubigen Erwerb sieht das Gesetz im übrigen nicht vor. 3 9 Johow, SR Teil 1, 184. 40 Ebd., 185. 41 Ebd., 185 f., 187. 42 Ebd., 185. 43

Außerdem wies Johow, SR Teil 1, 187, darauf hin, daß die Härten des Öffentlichkeitsprinzips durch das Prinzip der vorläufigen Einschreibung (damit ist hier der Widerspruch gemeint) gemildert würden. 44 Johow zitiert in diesem Zusammenhang u. a. Puchta, § 239 pr.; PrOTr 6, 410 (418). Ob dies auch schon im römischen Recht der Grund für die Einführung der usucapio war, ließ er eingedenk des darum bestehenden Streits unter den Romanisten offen.

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§ 2 Die Entwürfe Johows und Gebhards

gewähre dem Erwerber im Interesse des Rechtsverkehrs sogar einen besseren Schutz als die Ersitzung, indem es nur auf seine Gutgläubigkeit abstelle und nicht zusätzlich einen Zeitablauf voraussetze46.

a) Die Ersitzung durch den Bucheigentümer Johows Grundentscheidung gegen den formalen staatlichen Eintragungsakt als einzige Erwerbsvoraussetzung 47 brachte das Problem des Auseinanderfallens von wirklicher Rechtslage und Buchposition mit sich; sie eröffnete überhaupt erst die Möglichkeit, die Tabularersitzung durch den Bucheigentümer als Erwerbsart in Betracht zu ziehen48. Immerhin hätte man ein dauerndes Auseinanderfallen von Berechtigung und Eintragung, ein dominium sine re, dadurch verhindern können, daß man die dinglichen Ansprüche auf Herstellung des dem Recht entsprechenden Zustands (also insbesondere den Eigentums- und Berichtigungsanspruch) für unveijährbar erklärt hätte. Ein klares Bekenntnis hierzu läßt sich bei Johow aber gerade nicht nachweisen49. Im Gegenteil, ausgerechnet bei der Erörterung der Frage, warum die Ersitzung zum Zwecke der Heilung von Mängeln im Grundbuch entbehrlich sei, findet sich bei ihm der Satz, daß es weder der Billigkeit noch einem Bedürfnis entspreche, den Bucheigentümer nach Ablauf einer bestimmten Frist zum wirklichen Eigentümer zu machen, ihn stärker als durch seine Verjährungseinrede zu schützen50. Gerade in den Fällen der Verjährung der Rechtsverwirklichungsansprüche aber entsteht, sofern der Besitz nicht wieder an den wirklichen Eigentümer oder in die Hände eines Besitzers gelangt, der nicht Rechtsnachfolger des Eingetragenen ist 51 , ein dominium sine re, das Johow an anderer Stelle in scharfer Form als „schwerlich verständlich" bekämpfte 52 . War aber die Vermeidung einer nuda proprietas einer seiner Hauptgründe für die Unverjährbarkeit von Ansprüchen aus eingetragenen Rechten, so ist nicht einsichtig, warum Johow jegliches legislatorische Bedürfnis für eine Ersitzungsform leugnete, die den mißlichen Zustand hinsichtlich Ansprüchen aus nicht eingetragenen Rechten beheben könnte. Insoweit fehlte auch eine wirkliche Auseinandersetzung Johows mit der Tatsache, daß drei neuere Rechtsordnungen, das ABGB sowie das hessische und nassauische Recht, die Tabularersit45 In diesem Zusammenhang ist gewiß an die in § 198 TE formulierte Eigentumsvermutung zu Gunsten des eingetragenen Eigentümers zu denken. Johow, SR Teil 1,731,475. 47 Vgl. oben § 21 1 b. 48 Dessen war sich Johow auch bewußt (vgl. SR Teil 1, 726). Unter dem Regime der formalen Rechtskraft ist eine Tabularersitzung nicht sinnvoll (vgl. oben § 21 1 b). 49 S. oben § 2 I 2. 50 Johow, SR Teil 1,732. Vgl. bereits § 193 von Gebhards Teilentwurf und heute § 221 BGB. 52 S. oben vor Fn. 22.

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zung zuließen53. Er wies lediglich darauf hin, daß es offenbleiben müsse, ob die hessische oder nassauische Tabularersitzung den Rechtsverkehr (also den gutgläubigen Dritterwerber) ebenso schütze wie das seinem Wesen nach zu einem solchen Schutz viel geeignetere Öffentlichkeitsprinzip; sei die Tabularersitzung noch nicht vollendet, könne dem Dritterwerber der Mangel im Recht des Veräußerers entgegengehalten werden 54. An eine Kombination von Gutglaubensschutz und Tabularersitzung dachte Johow offenkundig nicht.

b) Die Ersitzung gegen das Grundbuch Eine Ersitzung contra tabulas lehnte Johow im Einklang mit den neueren Grundbuchgesetzen55 aus ähnlichen Gründen ab wie die Verjährbarkeit von Ansprüchen aus eingetragenen Rechten56; sie sei mit dem Publizitätsgrundsatz gänzlich unvereinbar. Die Eintragung schütze nicht nur Dritte, sondern auch den Eingetragenen gegen Rechtsverlust. Der Besitzer werde zudem aufgrund der bei ihm vorauszusetzenden oder zu fingierenden Kenntnis von der Eintragung des (Buch-) Eigentümers außerstande gesetzt, sich (gutgläubig) für den Eigentümer zu halten 57 . Auch wenn der Besitz im Wege des staatlichen Zwangs durch Enteignungs- oder Zwangsversteigerungsverfahren übertragen werde und dem bisherigen Eigentümer der ,3escheid" noch nicht zugestellt sei, könne Eigentum nicht ersessen werden, weil der Berechtigte dagegen geschützt werden müsse, sein Eigentum anders als im förmlichen Verfahren zu verlieren 58. Im übrigen lohne sich eine Regelung auch 53

§ 1467 ABGB verlangt ein Bucheigentum von drei Jahren (das als sogenannter „landtäflicher Besitz" den Besitz ersetzt), jedoch keinen Eigenbesitz; ferner waren Gutgläubigkeit des Ersitzers (§ 1463 ABGB) und nach h. M. ein iustus titulus (.Hofmeister, 325 f.) notwendig. Die Notwendigkeit eines iustus titulus wurde von Exner, 120 ff. m. w. Nachw., bestritten. Die Regelung wurde durch § 63 Grundbuchgesetz v. 25. 7. 1871 derogiert (hierzu Johow, SR Teil 1, 109, 725, 731 f.; Hofmeister, 329). Formell aufgehoben wurde § 1467 ABGB erst 1916. Vgl. ferner Art. 27 des hessischen Grunderwerbsgesetzes (oben Fn. 38); das nassauische Recht sieht eine Tabularersitzung nach zehn (zwanzig) Jahren unter der Voraussetzung guten Glaubens und eines Titels vor (dazu Ph. Bertram, § 148). 54 Johow, SR Teil 1,732. 55 Johow unterschied drei Gruppen von Grundbuchsystemen. Die einen lehnen die Ersitzung gegen den eingetragenen Eigentümer ab (vgl. u. a. I, 9, § 511 ALR; § 6 EEG; Art. 3, 33 hessisches Grunderwerbsgesetz [oben Fn. 38]; Art. 2 Abs. 3 sachsen-meiningensches Gesetz [oben Fn. 29]; § 8 anhaltisches Gesetz [oben Fn. 29]), die anderen die erwerbende Verjährung gegenüber jeglichem eingetragenen Recht (§ 28 sächs. Gesetz [oben Fn. 30]; § 26 Abs. 1 altenburgisches Gesetz [oben Fn. 30]; § 26 Abs. 1 reußisches Gesetz [oben Fn. 30]); und die dritten, Anhänger des Prinzips der formalen Rechtskraft, schließen die Ersitzung als Erwerbsform überhaupt aus, wie etwa § 279 sächs. BGB (s. oben § 2 I 1 b; Johow, SR Teil 1, 725 f., 734). 56 Dazu oben § 2 I 2 pr.; vgl. bereits § 7 des 2. Titels des 1. Abschnitts von Johows Vorentwurf von 1874/75 für die Redaktorenkonferenz (Jakobs ! Schubert, SR I, 1) und seine Vorlagen von 1875 für die Hauptkommission (ebd., 37). 57 Johow, SR Teil 1,728.

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schon deshalb nicht, weil der eingetragene Eigentümer verfügen und damit das werdende Eigentumsrecht jederzeit zerstören könne 59 ; damit sei die Ersitzung praktisch bedeutungslos. Den von ihm antizipierten Einwand, das Öffentlichkeitsprinzip stehe im Grunde jedem außerhalb des Buchs stattfindenden Erwerb entgegen, sei nicht stichhaltig, weil z. B. der noch eingetragene Erblasser nicht mehr verfügen könne und in den Fällen des staatlichen Zwangs schon zu Beginn des Verfahrens ein entsprechender Vermerk im Grundbuch eingetragen werden könne, um eine Verfügung des Eigentümers zu verhindern 60. Johow hielt die Kontratabularersitzung auch aus praktischen Erwägungen für entbehrlich. Ein funktionsfähiges Grundbuch schließe die Möglichkeit einer probatio diabolica aus, der Eigentumsnachweis gelinge dem Rechtsnachfolger durch Rückgriff auf den eingetragenen Rechtsvorgänger 61. Bei nicht rechtsgeschäftlichem Erwerb werde sich der Erwerber schon im eigenen Interesse recht bald eintragen lassen62. Johow war sich zwar der Geldopfer, die eine Eintragung verursachen kann, durchaus bewußt 63 . Er hielt aber den Fall, daß eine Veräußerung unter Besitzübergabe, aber ohne Eintragung stattfindet und nach geraumer Zeit weder die Erben des „Erwerbers" die Umstände der Veräußerung kennen noch die Erben des noch immer Eingetragenen ermittelt werden können64, für sehr unwahrscheinlich, weil man in der Regel die Vorbesitzer des Grundstücks und deren Erben kenne. Das legislatorische Bedürfnis für eine Norm dürfe nicht durch die Konstruktion denkbarer, aber unwahrscheinlicher Fälle dargelegt werden. Das Beispiel unterschätze vor allem die Bedeutung des Auflassungsprinzips. Wo die Grundbucheintragung einen obligatorischen Titel voraussetze, sei es ja möglich, daß sich Teile in der Bevölkerung über die Bedeutung der Eintragung irren und das Hauptgewicht auf den Titel legen könnten. Die scharfe Trennung zwischen dem obligatorischen Titel und der Auflassung werde sich aber „sehr bald der allgemeinen Erkenntniß des betheiligten Publikums erschließen" 65. Schließlich bestehe für die ganz wenigen verbleibenden Fälle 66 schon deshalb kein Bedürfnis nach einer Regelung, weil es sich die Beteiligten selbst zuzuschreiben hätten, wenn sie gegen das Eintragungsgebot verstießen 67.

58 Ebd., 728. 59 Ebd. 60 Ebd., 728 f. 61 Ebd., 732. 62 Ebd., 732 f. 63 Ebd., 10. 64

Das Beispiel ist nach Strohal, Eigenthum, 134, gebildet. 65 Johow, SR Teil 1,733. 66 Johow meinte, es sei kein solcher Fall überliefert. 67 Johow, SR Teil 1,734.

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c) Die Ersitzung gegen den nicht eingetragenen Eigentümer Mit dem Publizitätsprinzip ist eine Ersitzung durch den nicht eingetragenen Besitzer gegen den gleichfalls nicht eingetragenen Eigentümer vereinbar, da es für den öffentlichen Glauben unerheblich ist, wer letztlich als Eigentümer anerkannt wird, wenn es der Eingetragene ohnehin nicht ist 68 . Allerdings leugnete Johow das gesetzgeberische Bedürfnis für eine solche Regelung. Gegen den nicht eingetragenen Erben dürfe eine Ersitzung nicht zugelassen werden, weil er den gleichen Schutz wie der Erblasser genießen müsse69. Im Falle der Vermittlung des Erwerbs durch eine Behörde werde der Erwerber in aller Regel eingetragen, und es sei, wenn er das Grundstück schon vor der Eintragung an einen Dritten veräußern wolle, kein Grund ersichtlich, ihm die Notwendigkeit einer Auflassung zu ersparen. d) Die Ersitzung nicht eingetragener Grundstücke Nicht gebuchte Grundstücke sollten ebenfalls nicht ersessen werden können. Lediglich eine bereits vor Inkrafttreten des BGB erfolgte Ersitzung müsse man nach dem Einführungsgesetz zum BGB schützen. Nach Einführung des BGB und einer gewissen Übergangszeit sollte auch der Eigentümer eines noch nicht gebuchten Grundstücks bei einer Veräußerung zu Auflassung und Eintragung gezwungen sein; dazu habe er zunächst ein Grundbuchblatt anlegen zu lassen. Sollten dabei Schwierigkeiten beim Eigentumsnachweis entstehen, sei eine spezielle materielle Vorschrift nicht nötig, sondern lediglich eine Regelung in der GBO, welche den Besitzstand berücksichtige. Dies könne durch ein grundbuchrechtliches Aufgebotsverfahren geschehen, das nicht so strenge Anforderungen an den Nachweis stelle wie die Ersitzung 70. Im Falle eines Rechtsstreits um das Eigentum könne sich der angegriffene Besitzer schlimmstenfalls auf Verjährung berufen 71. 68 Ebd. 69 Hinsichtlich §§ 5 f. EEG bestand in dieser Frage Streit; wegen des Wortlauts für eine Ersitzung gegen den Erben Förster / Eccius, § 177, Anm. 15; a.A. Dernburg/Hinrichs, § 21 in Fn. 12; Johow, SR Teil 1, 734. Der gleiche Gedanke müßte wohl auch für den Fall der Gütergemeinschaft gelten, also im Falle, daß gegen den überlebenden Ehegatten, der nicht eingetragen ist, ersessen werden soll, vgl. Johow, SR Teil 1, 711. 70 Johow, SR Teil 1, 735. Johow schlug in § 99 seines Entwurfs einer GBO (vgl. die beiden Entwürfe einer GBO von 1883 und 1888 bei Johow/Achilles, SR Teil 3, 22 [Zählung des Hrsg.] und Johow/Achilles, SR Teil 3, 460 [Zählung des Hrsg.]) ein Aufgebotsverfahren (Nr. 1) und den Ersatz des Eigentumsbeweises durch langandauernden Besitz (Nr. 2) in enger Anlehnung an das Vorbild des § 135 preuß. GBO von 1872 vor. Beide Mittel seien unentbehrlich, die bei der Anlegung des Grundbuchs übergangenen und daher ungebuchten Grundstükke bzw. Grundstücke mit zerstörten Grundbuchblättern auf ihren rechtmäßigen Eigentümer zu buchen, weil der Beweis des Eigentums des Rechts Vorgängers und der Wirksamkeit des rechtsgeschäftlichen Übergangs auf den jetzigen Besitzer in vielen Fällen unmöglich sei {Johow I Achilles, SR Teil 3, 352 [Zählung des Hrsg.]). Langandauernder Besitz sei in aller Regel ein hinreichender Ersatz für den Eigentumsbeweis, weshalb Johow grundsätzlich von den

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§ 2 Die Entwürfe Johows und Gebhards 4. Das Aufgebotsverfahren

Johow lehnte das Aufgebotsverfahren aus den gleichen Gründen wie die Ersitzung ab. In Anlehnung an die preußischen Vorbilder eines Aufgebotsverfahrens, nämlich die Kabinettsordre vom 9. M a i 1839 7 2 sowie das Gesetz vom 7. März 1845 7 3 , diskutierte er das Bedürfnis nach einem solchen Verfahren. Die Kabinettsordre betrifft nur den Fall der Anlegung eines Hypothekenblatts, also das formelle Grundstücksrecht und somit die zu entwerfende G B O 7 4 . Nach § 1 des Gesetzes vom 7. März 1845 ist das Aufgebotsverfahren zulässig, wenn der (nicht eingetragene) Besitzer eines i m Hypothekenbuch gebuchten Grundstücks sein Recht entweder von einem anderen als dem zuletzt eingetragenen Besitzer herleitet oder sein Recht zwar auf diesen zurückführt, aber nachweist, daß dieser gestorben oder für tot erklärt i s t 7 5 . Johow zitiert zustimmend die Motive zu § 49 der preußischen GBO vom 5. M a i 1872, die ein Aufgebotsverfahren entgegen der bisherigen Rechtslage ablehnen, weil nach § 2 EEG nur noch der eingetragene Eigentümer veräußern dürfe und deshalb ein Erwerb vom (nicht eingetragenen) Naturaleigentümer nicht mehr denkbar sei 7 6 . Vor allem lehnte er die Auffassung Dernburgs und Hinrichs ab, Erfordernissen einer Ersitzung ausging, diese jedoch erheblich vereinfachte: Im Unterschied zu § 135 Nr. 3 preuß. GBO, wonach 44jähriger Besitz ohne Titel oder zehnjähriger Besitz mit einem solchen notwendig waren, ließ er die Glaubhaftmachung zehnjährigen (Eigen-)Besitzes des Besitzers oder seines Rechtsvorgängers genügen. Allerdings sollte im Falle, daß die Besitzzeit des Rechtsvorgängers eingerechnet werden soll, das den Eigentumsübergang vermittelnde Rechtsgeschäft durch den Besitzer dargelegt werden (so Johow/Achilles, SR Teil 3, 355 [Zählung des Hrsg.]; der Wortlaut des § 99 Nr. 2 des Entwurfs einer GBO enthält diese Einschränkung freilich nicht). Weitere Voraussetzungen, insbesondere Gutgläubigkeit, verlangte Johow nicht (Johow ! Achilles, SR Teil 3, 354 [Zählung des Hrsg.]). Daß er hier eine ersitzungsähnliche Vorschrift vorschlug, die er im Immobiliarsachenrecht strikt ablehnte, hielt Johow für keinen Widerspruch; das materielle Recht habe in diesem Zusammenhang „kein Gewicht" (JohowIAchilles, SR Teil 3, 355 [Zählung des Hrsg.]). - Die 1. Kommission folgte Johows Vorschlag nicht und überließ das Anlegungsverfahren der landesherrlichen Verordnung (Jakobs I Schubert, SR III, 248, 251). Die 2. Kommission änderte hieran nichts (vgl. §§ 91 f. der GBO von 1897). Vgl. aber auch §§ 119 ff. der GBO von 1934. Johow, SR Teil 1, 735; s. auch oben § 21 2 a. E. 72 Allerhöchste Kabinetsorder, betr. das Verfahren bei der Regulierung des Hypothekenwesens (GSlg. für die Königlichen Preußischen Staaten, 1839, 163). 73 Gesetz zur Erleichterung des Verfahrens bei Berichtigung des Besitztitels (GSlg. für die Königlichen Preußischen Staaten, 1845, 160). Vgl. zum preußischen Aufgebot insbesondere Dernburg! Hinrichs, § 25, 308 ff.; Kuhlmann, 37 ff. 74 Johow, SR Teil 1, 688. Im Hinblick auf die GBO dachte Johow tatsächlich an ein Aufgebotsverfahren zwecks Anlegung von Grundbuchblättern für ungebuchte Grundstücke, vgl. oben in Fn. 70. 75 Nach § 2 muß der Besitzer ein Attest der Ortsbehörde, daß er das Grundstück als Eigentümer besitze, oder eine öffentliche Urkunde, die den Erwerb nachweist, sowie eine Urkunde, durch die der zuletzt eingetragene Besitzer das Grundstück veräußert hat, oder dessen Einwilligung in die beantragte Umschreibung beibringen oder aber den Nachweis führen, daß der zuletzt eingetragene Besitzer schon länger als ein Jahr tot oder für tot erklärt ist. 76 Motive zur GBO bei Werner, S. 155; ebenso Förster, in: C. F. Koch 1,10, Anm. 12 zu § 14.

I. Johows Teilentwurf eines Sachenrechts

43

die auch nach Inkrafttreten des EEG dem titulierten Besitzer einen (allerdings anfechtbaren) Eigentumserwerb mittels Aufgebots ermöglichen wollten 77 . Der titulierte Besitz sei unter der Herrschaft von Auflassungs- und Eintragungsprinzip keine „Brücke zum Eigenthum" mehr 78 , und auch die Möglichkeit eines anfechtbaren Bucheigentums sei abzulehnen, weil damit eben doch Eigentum vermittelt würde, sei es durch Ausbleiben einer Anfechtung, sei es nach gutgläubigem Erwerb durch einen Dritten 79 . Auch die anderen am Eintragungsprinzip orientierten Grundbuchsysteme sähen von einem Aufgebotsverfahren ab, die einzige Ausnahme sei Mecklenburg. Nach § 8 Nr. 6 der Stadtbuchordnung vom 21. Dezember 185780 kann die fehlende Auflassungserklärung des Eigentümers fingiert werden, wenn der titulierte Besitzer diesen öffentlich auffordern läßt und eine Ausschlußfrist verstrichen ist. Voraussetzung für dieses Aufgebot ist, daß der Eigentümer oder seine Erben nicht erreichbar sind und daß der Besitzer die Befriedigung des Eigentümers nachweist. Eine solche Regelung hielt Johow für ebenso entbehrlich wie die Bestimmung in § 50 des preußischen Entwurfs von 1869, wonach bei fruchtloser öffentlicher Vorladung des eingetragenen Veräußerers oder seines Erben die Auflassungserklärung durch Urteil erteilt wird; der Erwerber könne nämlich die Auflassungserklärung des Eingetragenen oder seines Erben stets auch im Wege des ordentlichen Prozeßverfahrens erlangen. Die damit womöglich verbundenen Unzuträglichkeiten für den Erwerber, an denen er in der Regel selbst schuld sei, müßten wegen des sonst entstehenden Systembruchs hingenommen werden 81. Fraglich sei einzig, ob das Aufgebotsverfahren nicht erforderlich sei, um das Grundbuch mit der wirklichen Rechtslage in Übereinstimmung zu bringen. Es ließen sich zwar Fälle konstruieren, welche die Notwendigkeit einer solchen Präklusion nahelegten82, man sei aber dort, wo es das Grundbuchsystem schon längere Zeit gebe, auch ohne Aufgebot ausgekommen83. Es genüge die Regelung des § 122 in Verbindung mit § 35 TE, wonach der Erwerber bei Vorlage einer vollstreckbaren Ausfertigung des die Bewilligungserklärung ersetzenden Urteils und nach mündlichem Antrag eingetragen werde.

77 Dernburg/Hinrichs, § 25, 311 ff., 313. 78 Johow, SR Teil 1,688. 79 Ebd. 80 S. oben in Fn. 5. 81 Johow, SR Teil 1,689. 82 Er verwies auf seine Überlegungen bei der Ersitzung (s. oben vor Fn. 64 das von Strohal gebildete Beispiel). 83 Johow, SR Teil 1,689 f.

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§ 2 Die Entwürfe Johows und Gebhards

II. Gebhards Teilentwurf eines Allgemeinen Teils 1. Die Verjährbarkeit

dinglicher Ansprüche

In §§ 169 f. TE eines Allgemeinen Teils 84 , der nach Johows Teilentwurf erschienen ist und sich mit diesem auseinandersetzt, unterwarf Gebhard alle Ansprüche, auch die nicht aus einem Schuldverhältnis hervorgehenden, der Verjährung nach dreißig Jahren. Die Ausnahmeregelung des § 29 TE des Sachenrechts, wonach Ansprüche aus eingetragenen dinglichen Rechten nicht verjähren, ließ er unangetastet. Die Kritik an der Verjährbarkeit dinglicher Ansprüche wies Gebhard im Anschluß an einen von ihm unterstützten Beschluß der 1. Kommission85 mit einer durchaus halbherzig zu nennenden Argumentation zurück. Zunächst verwarf er das Argument, daß sich der dingliche Anspruch gegen einen das Recht verletzenden Zustand in jedem Augenblick erneuere; träfe dies zu, müßte etwa auch der Rückgabeanspruch des Verleihers oder Vermieters unverjährbar sein 86 . Klar erkannte er die Möglichkeit der Entstehung eines dominium sine re, wenn eine Ersitzung im Immobiliarsachenrecht - wie in Johows Teilentwurf - nicht zugelassen werde oder wenn die Anforderungen an Ersitzung und Verjährung im Mobiliarsachenrecht nicht deckungsgleich seien: Es entstehe die Halbheit, daß der Eigentümer zwar sein Recht behalte, der Besitzer sich aber mit der Verjährung des dinglichen Anspruchs ohne Rechtstitel behaupte; dieses Patt sei nur dadurch zu beheben, daß die Sache zufällig zurück an den Eigentümer oder an einen dem Besitzer nicht nachfolgenden Dritten gelange87. Gebhard meinte jedoch, daß sowohl das gemeine Recht 88 wie auch die neueren Kodifikationen 89 und die h. M. in der preußischen Jurisprudenz 90 von der Verjährbarkeit dinglicher Ansprüche ausgegangen seien und das gemeine Recht die geschilderte Halbheit offenbar nicht als Übel empfunden habe. Außerdem führe die Ausschließung der Verjährbarkeit zu einer Steigerung der Vindizierbarkeit des Eigentums, wo doch die gegenwärtige Rechtsentwicklung gerade ihre Beschränkung befürworte. Zudem erfülle die Verjährung auch unter Inkaufnahme einer nuda proprietas - ihren Hauptzweck, nämlich den Rechtsfrieden durch das Abschneiden lang verschwiegener Rechte zu sichern. Insbesondere müsse man, wolle man die dinglichen Ansprüche für unverjährbar erklären, eben dies auch mit dem Erbschaftsanspruch tun, was den Bedürfnissen des 84

Entspricht § 8 des dritten Titels des zweiten Abschnitts von Gebhards Teilentwurf. 85 Beschluß v. 12. 10. 1877 auf die Vorlage Gebhards Nr. 9/1877: Ablehnung der Unverjährbarkeit der Eigentumsklage und der actio negatoria (vgl. Jakobs ! Schubert, AT, 1003). 86 Gebhard, AT, 312 (Zählung des Hrsg.). 87 So bereits die Motive, 188, zum hess. Entwurf (Zweite Abtheilung Titel V Art. 2 Abs. 3); in Art. 2 Abs. 3 wird dort daher die Verjährung ausgeschlossen. 88 Vgl. Windscheid, § 112. 89 § 150 sächs. BGB (vgl. Motive, 617 f., zum gleichlautenden § 158 des sächs. Entwurfs von 1860); arg. Theil III Art. 180 bayr. Entwurf. 90 Vgl. nur Dernburg, Preußisches Privatrecht, § 164; a.A. Appellationsgericht Hamm, GruchBeitr 7 (1863), 417 f.

II. Gebhards Teilentwurf eines Allgemeinen Teils

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Verkehrs nicht entspreche 91. Außerdem habe die Unverjährbarkeit zur Folge, so Gebhards Hauptargument, daß man nur noch von einer Schuldverjährung, die ins Obligationenrecht gehöre, sprechen könne. Aus Gründen der juristischen Konsequenz solle daher im Allgemeinen Teil für alle Ansprüche gleichermaßen von einer Verjährung ausgegangen und das Prinzip wegen der überhaupt nur wenigen denkbaren Fälle einer nuda proprietas 92 nicht durchbrochen werden 93.

2. Die unvordenkliche

Verjährung

Die Voraussetzungen, unter denen das gemeine Recht eine unvordenkliche Verjährung im Hinblick auf den Erwerb und die Befreiung von Rechten anerkannte, waren im einzelnen sehr umstritten 94. Gebhard verneinte ein praktisches Bedürfnis für diese Art von Verjährung 95. Er tat dies im Einklang mit dem 16. Deutschen Juristentag 96 und den neueren Privatrechtskodifikationen 97. Eine sichere Handhabung sei bei der Unbestimmtheit der Rechtsfigur nicht möglich. Der Teilentwurf des Sachenrechts stehe vollständig auf dem Boden des Eintragungsprinzips und schließe daher die Ersitzung sowie den Rechtsverlust durch nonusus aus; eine unvordenkliche Verjährung komme hier ebenso wie im Schuldrecht, wo die Anspruchsverjährung genüge, nicht mehr in Betracht 98. Das Institut sei daher zu beseitigen, auch eine bereits begonnene Immemorial Verjährung dürfe nicht mehr vollendet werden; das Einführungsgesetz müsse aber Übergangsvorschriften für bereits erworbene Rechte sowie einen landesrechtlichen Vorbehalt für Materien wie etwa das Forst-, Deich- oder Jagdrecht vorsehen, bei denen eine unvordenkliche Verjährung möglicherweise auch künftig gerechtfertigt sei 99 .

91 Gebhard, AT, 313 (Zählung des Hrsg.); vgl. auch Appellationsgericht Hamm, GruchBeitr 7 (1863), 418. 92 Gebhard verwies insoweit für Mobilien auf die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs und auf den Umstand, daß eine Verjährung nur eintrete, wenn eine Ersitzung scheitere, und für Grundstücke darauf, daß Ansprüche aus eingetragenen Rechten ohnedies nicht verjährten. 93 Gebhard, AT, 313 (Zählung des Hrsg.). So auch die Kommission vom 12. 10. 1877, bei Jakobs/Schubert, AT, 1003. 94 Vgl. nur Windscheid, § 113. 9

5 Gebhard, AT, 406 f. (Zählung des Hrsg,.).

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Verhandlungen des Sechszehnten Deutschen Juristentages, 71. Weder das sächs. BGB, der hess. Entwurf, der code civil, das ABGB noch das Zürcher BGB kennen die unvordenkliche Verjährung (vgl. Gebhard, AT, 406 [Zählung des Hrsg.]). ** Gebhard, AT, 407 (Zählung des Hrsg.). 99 Gebhard, AT, 408 (Zählung des Hrsg.). 97

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§ 3 Die 1. BGB-Kommission

§ 3 Die 1. BGB-Kommission I. Die Verjährbarkeit dinglicher Ansprüche 1. Die Mehrheit in der 1. Kommission teilte mit dem Referenten des Allgemeinen Teils, Gebhard, die Auffassung, daß alle Ansprüche, auch solche aus dinglichen Rechten, der dreißigjährigen Verjährung unterliegen müßten und nur Ansprüche aus eingetragenen Rechten der Verjährung entzogen sein dürften. Bei der Beratung einer entsprechenden Vorlage Gebhards von 18771 wurde deshalb der Antrag, die Verjährung der actio negatoria und der rei vindicatio überhaupt auszuschließen, mehrheitlich abgelehnt. Dieser Antrag fand zwar bei einigen Mitgliedern Zustimmung, weil der Fortbestand des Rechts nach Verjährung des Eigentumsanspruchs dem Nichtjuristen nicht verständlich zu machen sei und einige Probleme nach sich ziehe2. Erwogen wurde deshalb, ob man nicht alle dinglichen Ansprüche der Verjährung entziehen und nur ein Erlöschen aufgrund Ersitzung oder nonusus ermöglichen solle3. Schließlich aber gab den Ausschlag, daß auch das römische Recht eine Verjährung der Klage unter Fortbestand des Rechts gekannt hatte4. Bei der Beratung von Gebhards Teilentwurf griff Planck erneut die Frage des dominium sine re auf. Er beabsichtigte eine Gleichstellung von Ansprüchen aus dinglichen Rechten mit den familienrechtlichen Ansprüchen, soweit sie lediglich auf die Herstellung eines dem dinglichen Recht oder dem familienrechtlichen Verhältnis entsprechenden Zustands für die Zukunft gerichtet seien5. Auch dieser Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt. Das Entstehen einer nuda proprietas sei zwar wenig befriedigend 6, noch mißlicher sei es aber, die genannten Ansprüche der Verjährung ganz zu entziehen, insbesondere wenn der Beklagte nicht gleichzeitig die Möglichkeit einer Ersitzung habe. Durch die Annahme des Antrags würde das Verjährungsrecht im wesentlichen ein Institut des Obligationenrechts, weil es dann auch nötig sei, den Erbschaftsanspruch für unverjährbar zu erklären, wolle man ihn nicht einer anomalen Behandlung unterwerfen 7. Die Unverjährbarkeit entspreche nicht dem geltenden Recht und bedeute einen Bruch mit der historischen Ent-

1

Nr. 9/1877 zur Anspruchsverjährung, vgl. Jakobs I Schubert, AT, 1001. 2 Jakobs/Schubert, AT, 1003. 3 Ebd., 1004. 4 Ebd., 1004. Vgl. die von Theodosius II. 424 eingeführte allgemeine Klagen Verjährung nach dreißig Jahren, CTh. 4, 14; C. 7, 39, 3. 5 Prot. I, 319; Jakobs / Schubert, AT, 1012. Zu den familienrechtlichen Ansprüchen gehört etwa der Anspruch auf den Familienunterhalt. 6 Von „Übelstand" sprechen die Mot. I, 293. 7 So auch Mot. I, 294. Zweite Abtheilung Titel V Art. 2 Abs. 3 hess. Entwurf erklärt dagegen die Erbschaftsklage im Gegensatz zum Eigentumsanspruch für verjährbar (vgl. Dritte Abtheilung Abtheilung IV Art. 243 hess. Entwurf).

I. Die Verjährbarkeit dinglicher Ansprüche

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wicklung8. Nur einzelne Sachen- oder familienrechtliche Ausnahmefälle könnten abweichend geregelt werden 9. 2. § 29 TE, der Ansprüche aus eingetragenen Rechten für unverjährbar erklärte 10 , wurde auf Antrag v. Mandrys um den Schutz von Ansprüchen aus bloß vorgemerkten Rechten erweitert 11. Mit dieser „Vormerkung" war der „Widerspruch" im Sinne von § 844 E I gemeint, also die Grundbucheintragung zur Sicherung eines bereits bestehenden Rechts. Daß die actio negatoria insoweit verjährbar sein sollte, als sie sich auf den Schutz vor Wiederholungen von das eingetragene Recht gefährdenden Handlungen beziehe, wurde ohne weitere Begründung gestrichen. Erst in Papes VorlZust „Eigentum", § 32 1 2 , findet sich die Erweiterung, daß auch der nicht eingetragene Erbe des eingetragenen Erblassers geschützt sei 13 . Diese Änderung erfolgte in Übereinstimmung mit Johow, der in seinem Teilentwurf auf einen entsprechenden, für ihn selbstverständlichen Zusatz verzichtet hatte 14 , und nachdem im Zusammenhang mit der Ersitzung die Frage der Anwendbarkeit der Vorschrift auf den Erben ausdrücklich von Planck aufgeworfen worden war . In den Motiven werden die Argumente Johows zu § 29 T E 1 6 wiederholt; die Ausdehnung auf den nicht eingetragenen Erben wird mit dem Hinweis auf das sonst womöglich entstehende dominium sine re gerechtfertigt, das es möglichst zu vermeiden gelte 17 . An dieser Klarstellung für den (nicht eingetragenen) Erben wird deutlich, daß die Mehrheit in der Kommission der Überzeugung war, § 29 TE beziehe sich lediglich auf die Eintragung des gegenwärtigen Eigentümers, nicht eines (früheren) Eigentümers überhaupt 18. Dies ergibt sich überdies aus der Überlegung der Kommission, daß es bei einem Erwerb außerhalb des Grundbuchs (etwa durch Zwangsvollstreckungsverfahren oder Enteignung) durchaus bei der Verjährbarkeit 8

So auch Mot. I, 294. Daß das gemeine Recht die erhöhten Anforderungen des kanonischen Rechts an die Verjährung - Gutgläubigkeit als Voraussetzung (X 2, 26, 5 und 2, 26, 20) - abgeschafft habe, zeige zudem, daß eher ein praktisches Bedürfnis für die Verjährung bestehe. So unumstritten waren die Voraussetzungen der Verjährung im gemeinen Recht freilich nicht; manche forderten die Gutgläubigkeit des Verpflichteten, vgl. die Nachweise bei Windscheid, § 111, Anm. 2. 9 Prot. I, 340; Jakobs /Schubert, AT, 1023. 10 Dazu oben § 2 I 2. 11 Prot. I, 3724 f.; Jakobs/Schubert, SR I, 414. 12 Entspricht §§ 11 VorlZust „Grundbuchrecht", 830 RedVorl, 830 ZustSachR, 847 KE, 847 EI. 13 Jakobs / Schubert, SR I, 413. 14 S. oben § 2 I 2 a. E. 15 Prot. I, 3949 f.; Beschluß in Prot. I, 3950, 3953; Jakobs ! Schubert, SR I, 559. S. dazu unten in Fn. 53. 16 S. dazu oben § 2 I 2; Mot. III, 252 f. π Mot. III, 254. 18

So vor allem Planck, vgl. unten in Fn. 53.

48

§ 3 Die 1. BGB-Kommission

der dinglichen Ansprüche (und der damit möglichen nuda proprietas) sein Bewenden haben könne, weil solche Fälle nur äußerst selten vorkämen 19. 3. Nach Ablehnung der Ersitzung als Erwerbsart 20 griff die Kommission das Problem des dauernden Widerspruchs zwischen Grundbuch und wirklicher Rechtslage durch Verjährung der dinglichen Rechtsverwirklichungsanspriiche wieder auf; gleich sechs Anträge unterschiedlicher Reichweite versuchten eine Lösung, v. Schmitts Antrag sah für den Fall, daß der Bucheigentümer das Grundstück besitze, einen Gleichlauf der Verjährung des Berichtigungs- und Eigentumsanspruchs vor 2 1 . Ein anderer Antrag schloß die Verjährung des Berichtigungsanspruchs so lange aus, wie der Eigentümer oder Bucheigentümer im Besitze der Sache sei 22 . Weitergehend war Plancks Antrag, den Berichtigungsanspruch überhaupt der Verjährung zu entziehen23, sowie der sich hierauf stützende Antrag, daß im Falle der berichtigenden Eintragung der bereits verjährte Herausgabeanspruch wieder aufleben solle 24 . Der fünfte Antrag sah vor, daß die Verjährung des Berichtigungsanspruchs so lange nicht geltend gemacht werden könne, wie der Eigentümer das Grundstück besitze oder sein Herausgabeanspruch nicht verjährt sei; es könne vielleicht überdies geregelt werden, daß der Herausgabeanspruch nicht verjähre, solange der Berichtigungsanspruch bestehe25. Am weitesten ging der sechste Antrag, wonach der beschlossene § 11 VorlZust „Grundbuchrecht" 26 auch für den Berichtigungsanspruch gelten sollte; solange ein solcher Anspruch bestehe, seien alle übrigen aus dem dinglichen Recht entspringenden Ansprüche unverjährbar 27. Mit dieser Formulierung wäre die Verjährung der dinglichen Ansprüche bei Grundstücken überhaupt ausgeschlossen gewesen28. Durch Mehrheitsbeschluß wurden alle Anträge abgelehnt; die Diskussion wurde kontrovers und z. T. mit sich widersprechenden Argumenten geführt, wobei nicht die einzelnen Anträge erörtert, sondern vielmehr in allgemeiner Weise die Natur des Berichtigungsanspruchs und seine Verjährbarkeit sowie die praktische Relevanz des Problems diskutiert wurden. Ausgeschlossen wurde ein durch Verjährung eintretendes dominium sine re ohnehin nur von den Anträgen 4, 5 (mit Eventualantrag) und 6. Nach Antrag 1 war es immerhin noch möglich, daß der Herausgabeanspruch gegenüber dem besitzenden Dritten verjährt und so - trotz 19 Prot. I, 3953; Jakobs/Schubert, SR I, 561; Mot. III, 311 f. Die Eintragung des Rechtsvorgängers reicht der Kommission zur Anwendung des § 29 TE also nicht. 20 Dazu unten § 3 II. 21 Antrag 2, Prot. I, 3955 f.; Jakobs/Schubert, SR 1,402. 22 Antrag 3, Prot. I, 3956; Jakobs ! Schubert, SR I, 402. 23 Antrag 1, Prot. I, 3955; Jakobs ! Schubert, SR I, 402. 24 Antrag 4, Prot. I, 3956; Jakobs I Schubert, SR I, 402. 25 Prot. I, 3956; Jakobs ! Schubert, SR 1,402. 26 Entspricht § 902 BGB. 27 Prot. I, 3957; Jakobs ! Schubert, SR 1,402. 28 So richtig die Kommission selbst, Prot. I, 3957; Jakobs / Schubert, SR I, 403.

I. Die Verjährbarkeit dinglicher Ansprüche

49

Wiedereintragung des Eigentümers - eine nuda proprietas entsteht; die Anträge 2 und 3 bezogen sich von vornherein nur auf Zweipersonenverhältnisse, nicht aber auf ein Dreipersonen Verhältnis von Eigentümer, Besitzer und Bucheigentümer. Erstaunlich ist, daß die „Mehrheit" in der Kommission nicht bereit war, die zur Verjährbarkeit dinglicher Ansprüche gefaßten Beschlüsse abzuändern29, obwohl sie ganz offenbar ein entsprechendes Bedürfnis verspürte: Angesichts einer Mitgliederzahl von zehn muß es verwundern, daß sich nicht wenigstens einer der sechs Abänderungsanträge durchgesetzt hat 30 . Man gelangte zu der Überzeugung, daß der Berichtigungsanspruch nicht, wie Planck meinte, nur auf die Feststellung eines Rechts gerichtet sei, sondern daß die Bewilligung des Bucheigentümers als eine Leistung im Sinne des § 154 K E 3 1 angesehen werden müsse32. Gegen die Ansicht eines Parteigängers der „Mehrheit" 33 , der Vorläufer des § 902 BGB gelte für den Berichtigungsanspruch auch ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung, da die falsche Bucheintragung als wirkungslos verstanden und der wirkliche Eigentümer als eingetragen behandelt werden müsse, erhob sich mehrheitlich Widerspruch: Nur der eingetragene Berechtigte sei der vom Grundbuch als solcher Ausgewiesene; der Berichtigungsanspruch sei sehr wohl verjährbar 34. Außerdem könne man unmöglich den Berichtigungs- und den Eigentumsanspruch einer unterschiedlichen Verjährungsregelung unterwerfen, da beide Ansprüche nur verschiedene Erscheinungsformen desselben Anspruchs auf Schutz des dinglichen Rechts seien35. Verjährten aber der Berichtigungs- und Eigentumsanspruch nicht, wie etwa im Antrag 6 vorgesehen, seien das gesamte Immobiliarsachenrecht und ein Teil des Erbrechts der Anspruchs Verjährung entzogen, was man schon früher abgelehnt habe 36 . Das Hauptargument bei der Beratung war die mangelnde Relevanz der Frage. Sie betreffe nur einen äußerst seltenen Fall 3 7 , der zudem bisher von keinem Gesetz geregelt worden sei 38 . Die Parteien könnten das Grundbuch ja auch auf rechtsge29 Prot. I, 3958 f.; Jakobs!Schubert, SR 1,403. 30

Windscheid war bereits ausgeschieden, vgl. oben § 1 I. Es ist daher in diesem Zusammenhang sehr schwierig, von „Mehrheit" oder „Minderheit" zu sprechen. Die „Mehrheit" sieht das Bedürfnis nach einer Regelung! 31 Entspricht § 194 BGB; JakobsISchubert, SR I, 403. 32 Mot. III, 254, bezeichnen diese Auffassung immerhin als zweifelhaft. 33

Sie kann nicht von Johow geäußert worden sein, vgl. Prot. I, 11672; Jakobs/Schubert, AT, 1050; auch unten nach Fn. 47. 34 Prot. I, 3960; Jakobs ! Schubert, SR I, 404. Diese Auffassung bezeichnen die Mot. III, 254, jedoch als zweifelhaft. 35 Prot. I, 3959; JakobsISchubert, SR 1,403; Mot. III, 255. 36 S. oben § 3 I 1. 37 Prot. I, 3959; Jakobs / Schubert, SR 1,404; die in diesem Zusammenhang gemachte Einschränkung, es handele sich hier nur um den Fall, daß der Eigentumsanspruch noch unverjährt, der Berichtigungsanspruch aber schon verjährt sei, ist nichtrichtig:Ebenso denkbar ist es, daß der Eigentumsanspruch bereits verjährt ist und dem Eigentümer eine Wiedereintragung gar nicht weiterhilft (vgl. Antrag 4, oben vor Fn. 24). 4 Finkenauer

50

§ 3 Die 1. BGB-Kommission

schäftlichem Weg berichtigen lassen. Im übrigen komme das Grundbuch mit der Verjährung des Berichtigungsanspruchs in Ordnung 39; ein Argument, das offenkundig nicht richtig ist, da es nicht etwa auf den gutgläubigen Erwerb durch einen Dritten abstellt 40 . Man könne daher die nur selten auftretende Frage des dominium sine re der Rechtsprechung und Wissenschaft überlassen41. In den Motiven findet sich überdies der Hinweis, die Verjährbarkeit schaffe zwar keinen festen Rechtszustand, erfülle aber doch ihren Hauptzweck, nämlich lang verschwiegene Ansprüche abzuschneiden42. 4. In der Folge kam die Kommission immer wieder auf die Frage der Verjährbarkeit dinglicher Ansprüche zurück; zu stark war offenbar die „Minderheit", die sich mit den gefaßten Beschlüssen nicht abfinden wollte. Auf Antrag Plancks hin wurde die Unverjährbarkeit von Ansprüchen aus familienrechtlichen Verhältnissen beschlossen, soweit sie auf die Herstellung eines dem familienrechtlichen Verhältnis entsprechenden Zustands gerichtet sind 43 . In der darüber geführten Aussprache war man aber über die innere Rechtfertigung der Vorschrift uneins. So wurde geltend gemacht, eine solche Unverjährbarkeit sei Ausfluß unverjährbarer absoluter Rechte, weshalb sie folgerichtig auch für die dinglichen Ansprüche angeordnet werden müsse44. Die Mehrheit wollte eine solche Inkonsequenz jedoch nicht zugeben und verwies darauf, daß familienrechtliche Ansprüche weitgehend auf sittlichen Pflichten beruhten, die eben nicht verjähren könnten45. Auch Kurlbaum stellte kurz darauf den Antrag, eine Verjährung von Ansprüchen insoweit auszuschließen, als sie auf dem Eigentum oder dem Recht an einer Sache (oder auf einem Familienverhältnis) beruhten und nur auf die Herstellung des dem Recht entsprechenden Zustands gerichtet seien46. Die Mehrheit lehnte es aber unter Hinweis auf die früheren Beschlüsse ab, den Antrag zu erörtern 47. Dies hinderte Johow jedoch nicht, später denselben Antrag nochmals zu stellen. Er begründete das damit, daß die Regel der Verjährbarkeit dinglicher Ansprüche ohnehin schon weitgehend durch die Annahme der Vorläufer der §§ 902, 924 BGB durchbrochen sei; auch habe man sich bei der Beratung des § 844 KE, des Vorläufers von § 910 38

Die Mot. I, 293, verweisen darauf, daß das gemeine Recht, § 170 sächs. BGB, der bayr. Entwurf und die herrschende Literaturmeinung in Preußen und Österreich von der Verjährbarkeit dinglicher Ansprüche ausgingen. Allerdings erklärt Zweite Abtheilung Titel V Art. 2 Abs. 3 hess. Entwurf den Eigentumsanspruch vorbehaltlich einer Ersitzung von anderer Seite für unverjährbar. 39 So auch Mot. III, 255. 40 Vgl. dazu unten bei Fn. 61. 41 Prot. I, 3960; Jakobs I Schubert, SR 1,404. 42 Mot. I, 293.

43 44 45 46 47

Prot. I, 6068; Jakobs/Schubert, AT, 1048. Vgl. §§ 154 Abs. 2 E I , 194 Abs. 2 BGB. Prot. I, 6070; Jakobs /Schubert, AT, 1048. Prot. I, 6071 f.; Jakobs ! Schubert, AT, 1048. Prot. I, 6174; Jakobs / Schubert, AT, 1049. Prot. I, 11671; Jakobs / Schubert, AT, 1050.

II. Die Ablehnung der Ersitzung

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BGB, geeinigt, daß weder der Anspruch auf Duldung der Selbsthilfe noch derjenige auf Beseitigung des Überhangs der Verjährung unterliege 48. Der Grund hierfür könne nur sein, daß der dem Eigentumsrecht des Nachbarn widersprechende Zustand diese Ansprüche in jedem Augenblick neu entstehen lasse49. Schließlich verwies er darauf, daß die Begründung der früher mehrheitlich geteilten Auffassung durchaus uneinheitlich gewesen sei und er eine der von der Majorität geäußerten Ansichten teile. Es kann sich hierbei nur um die Auffassung handeln, der Vorläufer des § 902 BGB umfasse auch den Berichtigungsanspruch des nicht mehr eingetragenen Eigentümers 50. Die Kommission lehnte aber wie zuvor eine nochmalige Behandlung der Frage ab 51 . Es blieb daher bei § 154 Abs. 2 KE, dem heutigen § 194 Abs. 2 BGB.

II. Die Ablehnung der Ersitzung Die 1. Kommission sprach sich für den Ausschluß der Ersitzung aus, wiewohl diese Haltung nicht unumstritten war. In drei Anträgen wurde eine Tabularersitzung gefordert: Der neben Windscheid sehr einflußreiche 52 Romanist v. Mandry beantragte die Aufnahme einer Vorschrift, derzufolge eine Ersitzung bei zehnjährigem Besitz nach der Eintragung und gutem Glauben stattfinden sollte; Gebhard, dem schon in seinem Teilentwurf die „Halbheit" der nuda proprietas mißfallen hatte, verlangte eine Ersitzungsmöglichkeit nach Verjährung des Berichtigungsanspruchs, und Planck redete einer solchen nach der Verjährung des Eigentumsanspruchs - womöglich nur bei Gutgläubigkeit des Besitzers - das Wort 53 , v. Mandry forderte ferner die Ersitzung gegen das Grundbuch nach dreißig Jahren ununterbrochenen Besitzes und bei Gutgläubigkeit54. Die Mehrheit in der Kommission ließ sich von Johows Argumenten leiten. Bei ungebuchten Grundstücken dürfe das Eigentum nur durch dinglichen Vertrag und Eintragung übertragen werden 55, wozu der Veräußerer zunächst ein Grundbuchblatt anlegen lassen müsse; hierfür seien Erleichterungen des Eigentumsbeweises Prot. I, 11671 f.; Jakobs ! Schubert, AT, 1050; Prot. I, 3849; Jakobs ! Schubert, SR I, 468. 49 Prot. I, 11672; Jakobs /Schubert, AT, 1050. 50

Johow verweist auf die Prot. I, 3959 f.; s. dazu oben nach Fn. 33. 51 Prot. I, 11673; Jakobs/Schubert, AT, 1051. 52 Staudinger/Coing, Einl. zum BGB, Rn. 94. 53 Prot. I, 3949 (Jakobs / Schubert, SR 1,559). Planck stellte zu seinem Antrag klar, er verstehe § 29 TE (den heutigen § 902 BGB) so, daß er keine Anwendungfinde auf den Fall, daß nur ein früherer, nicht aber der derzeitige Eigentümer eingetragen sei; er hielt es aber für fraglich, ob dies auch für das Verhältnis von Erblasser und Erben gelten soll (Prot. I, 3949 f.; Jakobs /Schubert, SR I, 559). 54 Prot. I, 3948; Jakobs /Schubert, SR I, 559. 55 So schon der Kommissionsbeschluß vom 15. 10. 1875 (Jakobs/Schubert, SR I, 69). *

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§ 3 Die 1. BGB-Kommission

in §§ 96-106 des Entwurfs der GBO vorgesehen56. Das BGB dürfe nach Annahme des Grundbuchsystems nur mehr mit gebuchten Grundstücken rechnen 57. Eine Ersitzung dieser Grundstücke stimme weder mit dem Gedanken überein, daß erst die Eintragung den dinglichen Vertrag vollende, noch mit dem Zweck des Grundbuchs, das ja jederzeit die Eigentumsverhältnisse richtig verlautbaren müsse. In den Fällen, in denen der Grundstücksbesitz nur aufgrund eines obligatorischen Titels erlangt sei, konterkariere die Ersitzung das Eintragungserfordernis; hier sei gewiß, daß ein das Eigentum verschaffender Titel (d. i. die Auflassung) nicht existiert habe58. Der Ausschluß der Ersitzung bringe auch weiter keine Nachteile mit sich. Zwar könne ein dominium sine re bei Verjährung des Berichtigungs- und Eigentumsanspruchs entstehen, das aber finde sich mit dem bereits gebilligten Prinzip 59 im Einklang, daß der Eigentumsanspruch unter Fortdauer des Eigentumsrechts verjähren könne 60 . Das weitere Argument war ein sehr formales: Es bestehe ein öffentliches Interesse daran, daß das Grundbuch in Ordnung komme, was nach der Verjährung des Berichtigungsanspruchs aber der Fall sei. Hieran ist lediglich richtig, daß das Bucheigentum nicht mehr anfechtbar ist; „richtig" ist das Grundbuch aber keineswegs, wenn es nicht den wahren Eigentümer ausweist61. Außerdem werde - ein Argument, das bei Johow noch nicht zu finden ist - die Harmonie zwischen Buch und Wirklichkeit bei der nächsten Veräußerung durch den Bucheigentümer an einen Gutgläubigen wiederhergestellt 62. Die gestellten Anträge könnten zudem nicht befriedigen: Stelle man wie Gebhard nur auf die Verjährung des Berichtigungsanspruchs ab, könne der „geradezu unerträgliche" Fall eintreten, daß der Herausgabeanspruch noch nicht verjährt sei, ja daß der besitzende, aber nicht eingetragene frühere Eigentümer das (nunmehr durch den Bucheigentümer ersessene) Grundstück herausgeben müsse, obwohl jener womöglich von der Eintragung des Bucheigentümers nicht einmal gewußt habe 63 . Abhilfe sei hier zwar dadurch möglich, daß man wie v. Mandry und Planck Besitz des Bucheigentümers oder wie Planck eine Verjährung des Eigentumsanspruchs fordere. Folge man aber v. Mandry und der von ihm aufgestellten Voraussetzung der Redlichkeit des Ersitzenden, so werde der Zweck der Ersitzung nur sehr unvollkommen erreicht. Plancks Antrag hingegen habe den Nachteil, daß ein Rechtserwerb auch des Bösgläubigen ermöglicht würde 64 . 56 Vgl. bei Johow/Achilles, SR Teil 3, 22-24 (Zählung des Hrsg.). 57 Prot. I, 3954; Jakobs ! Schubert, SR I, 562; Mot. III, 312. 58 59 60 61 62 63 64

Prot. I, 3950 f.; Jakobs!Schubert, SR I, 560; Mot. III, 308. Prot. I, 340; Jakobs ! Schubert, AT, 1022 f.; s. dazu oben § 3 I 1. Prot. I, 3953; Jakobs ! Schubert, SR I, 561; Mot. III, 311. So auch die zutreffende Kritik Kindels, 286. Prot. I, 3952; Jakobs ! Schubert, SR I, 561; Mot. III, 311. Prot. I, 3951 f.; Jakobs ! Schubert, SR 1,560; Mot. III, 310 f. Prot. I, 3952; Jakobs ! Schubert, SR I, 560; Mot. III, 311.

III. Das Aufgebotsverfahren

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Die Motive erläutern den Wegfall der Ersitzung damit, daß es vor allem auch ein Gebot der Gerechtigkeit sei, den Besitzer nicht zum Eigentümer zu machen; das Argument - die Verhinderung eines Rechtsverlusts des Berechtigten - knüpft an Johows Begründung seines Teilentwurfs an 65 . Dasselbe gilt von der weiteren Begründung, der Hauptzweck der Ersitzung sei die Erleichterung des Eigentumsbeweises des (wirklichen) Eigentümers, welcher aber durch die Klärung der Eigentumsverhältnisse bei Anlegung des Grundbuchs und der Eigentumsvermutung nach § 826 E I erfüllt werde 66 . Ähnlich wie Johow nahm die 1. Kommission ein dauerndes Auseinanderfallen von Recht und Besitz in Kauf. Die Alternative dazu, eine Ersitzung auch ohne das Erfordernis der Gutgläubigkeit zu ermöglichen, erschien ihr nicht als ein gangbarer Weg: Zu stark war ihr Bestreben, einen Rechtsverlust des Berechtigten niemals zu Gunsten eines Bösgläubigen zu sanktionieren; nur der Gutgläubige sollte im Interesse des Verkehrs geschützt werden. Da aber unter dieser Voraussetzung das Ziel, eine nuda proprietas zu vermeiden, auch nicht zur Gänze erreicht worden wäre, schloß man die Ersitzungsmöglichkeit ganz aus. Zudem setzte sich die Kommission mit dem zweiten Antrag v. Mandrys, die Ersitzung gegen das Buch betreffend, nicht wirklich auseinander, obwohl sie später das Aufgebotsverfahren für erforderlich hielt 67 ; erst in den Motiven findet sich das Argument der Wertlosigkeit einer solchen Ersitzung: Diese habe nur relative Wirkung, weil der im Buch eingetragene Eigentümer eine gegen ihn bestehende Ersitzungslage jederzeit durch eine Veräußerung beenden könne 68 . Diese Begründung war allgemein auf die Ersitzung gegen das Grundbuch gemünzt; ob sie für den bei v. Mandry vorausgesetzten Fall des dreißigjährigen Eigenbesitzes eines Nichteingetragenen wirklich stichhaltig ist, mag bezweifelt werden.

I I I . Das Aufgebotsverfahren 1. Gegen eine starke Minderheit und Johows Teilentwurf beschloß die Kommission die Aufnahme eines Aufgebotsverfahrens zum Ausschluß des Eingetragenen und zu Gunsten des Eigenbesitzers. Vorläufer einer solchen Regelung waren im preußischen und mecklenburgischen Recht zu finden 69. Die Kommissionsminderheit hielt ein Aufgebotsverfahren für nicht systemgerecht: Man könne eine solche Regelung nicht unter Berufung auf das frühere preußische Recht schaffen, nach dem das Eigentum nur mit Titel und Übergabe über65 S. oben § 2 I 3 pr. 66 § 826 E I entspricht § 891 BGB; vgl. Mot. III, 309 f. 67 S. sogleich III. 68 Mot. III, 309. 69 Vgl. oben § 2 I 4. Für die Beibehaltung eines Aufgebotsverfahrens hatten sich im übrigen Dernburg / Hinrichs ausgesprochen, vgl. ebd.

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§ 3 Die 1. BGB-Kommission

tragbar gewesen sei und dessen Aufgebotsregelung gerade Mängel des Titels habe heilen sollen. Überdies dürfe man unter keinen Umständen Eigentumsrechte gefährden, wie dies mit Zulassung des Aufgebots der Fall sei 70 . Die Mehrheit sah hingegen ein praktisches Bedürfnis, ein solches Verfahren gesetzlich zu regeln, und zwar vor allem als Ersatz für die ausgeschlossene Ersitzung 71 . Es sei nicht so selten, daß die Parteien keine Auflassung vornähmen, sei es, um Geld zu sparen, sei es aus Nachlässigkeit. Auch komme es vor, daß der Erblasser nicht eingetragen gewesen sei und der Erbe daher sein Eigentum nicht nachweisen und folglich nicht eingetragen werden könne. In beiden Fällen gebiete es das öffentliche Interesse - nicht die Rücksicht auf die für die Situation meist selbst verantwortlichen Parteien - , daß das Grundbuch für alle Grundstücke funktioniere, d. h. den Eigentümer nachweise72. Wo die Funktionsfähigkeit einer Einrichtung vom Willen der Beteiligten abhänge, gebe es keine absolute Sicherheit, „das Leben lasse sich nicht meistern" 73. Im übrigen sei die von der Mindermeinung für ausreichend erachtete Möglichkeit der Bestellung eines Nachlaßpflegers aufgrund der damit verbundenen Kosten nicht immer tunlich; eine solche Bestellung sei zudem nicht immer möglich, etwa wenn die - bekannten - Erben den Nachlaß geteilt hätten und anschließend wenigstens einige von ihnen verschollen seien74. Schließlich sei mit dem Aufgebot keineswegs die Tradition als Erwerbsart eingeführt, weil der Besitz lediglich Aufgebotsvoraussetzung sei, die Eintragung aber nur aufgrund Urteils erfolge 75. Kurlbaum beantragte ein Aufgebot, wenn der Eingetragene seit zehn Jahren tot oder für tot erklärt ist und der Antragsteller währenddessen das Grundstück besitzt; das Eigentum soll mit Erlaß des Ausschlußurteils auf den Besitzer übergehen. Der Antragsteller hat seinen Besitz glaubhaft zu machen und den Tod des Eingetragenen bzw. die Todeserklärung durch eine Sterbeurkunde oder ein Urteil nachzuweisen. Die §§ 140-142 T E 7 6 über die Ersitzung beweglicher Sachen sollen für die Berechnung der Ersitzungszeit analoge Anwendung finden. Das Ausschlußurteil soll nicht gegen denjenigen wirken, der vor dem Urteilserlaß die Eintragung seines Eigentums oder einer „Vormerkung" (d. i. ein Widerspruch) im Grundbuch erlangt oder die Eigentumsklage gegen den Antragsteller angestrengt hat 77 . Planck sprach sich für eine Verlängerung der zehnjährigen Frist auf dreißig Jahre aus78. Diesen 70 Prot. I, 3963 f.; Jakobs ! Schubert, SR I, 563 f. 71 Prot. I, 3964; Jakobs ! Schubert, SR I, 564; Mot. III, 329. 72 Prot. I, 3963; JakobsISchubert, SR 1,563; Mot. III, 329. 73 Prot. I, 3964; Jakobs ! Schubert, SR 1,564. 74 Prot. I, 3964 f.; JakobsISchubert, SR I, 564; Mot. III, 329; vgl. auch § 1960 Abs. 1 BGB. 75 Prot. I, 3965; Jakobs I Schubert, SR 1,564. 76 Entsprechen §§ 937 Abs. 1,938, 940,943 BGB. 77 Prot. I, 3961 ; Jakobs / Schubert, SR 1,562. 78 Prot. I, 3962; Jakobs ! Schubert, SR 1,562.

III. Das Aufgebotsverfahren

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Antrag billigte die Kommission deshalb, weil eine kürzere Frist den bisherigen Eigentümer nicht hinreichend gegen einen Rechtsverlust schütze und so eine „Disharmonie" mit der ordentlichen Verjährungsfrist vermieden werde. Ein weiterer Antrag ließ das Eigentum erst nach der Eintragung auf den Antragsteller übergehen 7 9 . Er wurde wegen seiner Folgerichtigkeit zu § 128 T E 8 0 angenommen, der den Eigentumserwerb nach einer Dereliktion von der Eintragung abhängig macht e 8 1 . Endlich kam man überein, daß das bloße Erheben der Eigentumsklage die Ausschlußwirkung des Urteils nicht beseitige. Nur die Eintragung ziehe die Vermutung des Eigentums nach sich und beschränke damit das Ausschlußurteil; die bloße Klageerhebung entziehe ihm die Wirkung nicht 8 2 . M i t diesen Änderungen 8 3 wurde die Vorschrift als § 856 K E bzw. § 873 E I verabschiedet 84 . Hervorzuheben ist, daß die Kommission das Erfordernis guten Glaubens des Erwerbers nicht erörterte 85 . Hierfür war gewiß die Auffassung maßgeblich, ein Erwerber, der nur obligatorischen Vertrag und Übergabe vorzuweisen habe, könne nicht „gutgläubig" in dem Sinne sein, daß er von seinem Eigentum habe ausgehen 79 Prot. I, 3962; JakobsISchubert, SR 1,563. so Entspricht § 928 BGB. si Prot. I, 3965; Jakobs/Schubert, SR I, 564; Mot. III, 330. Die Begründung überzeugt freilich nicht recht. Das Eintragungsprinzip beim Erwerb eines herrenlosen Grundstücks wurde nur angenommen, um eventuellen Härten für den Erwerber (den Fiskus) vorzubeugen (Prot. I, 3934; Jakobs / Schubert, SR I, 573 f.). Der Erwerber, der zunächst ein Aufgebot durchführen läßt, hat sich im Grunde bereits für den Erwerb entschieden. 82 Prot. I, 3967; Jakobs ! Schubert, SR I, 565; Mot. III, 331: Erlangt der Kläger aber ein positives Urteil, kann er den mittlerweile aufgrund des Ausschlußurteils Eingetragenen aus dem Grundbuch verdrängen; dazu auch unten § 9 III 3. 83 Für die Berechnung der dreißigjährigen Frist wurde - ohne Diskussion - allgemein auf eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Berechnung der Ersitzungszeit bei beweglichen Sachen verwiesen. Damit war auch auf § 884 E I (= § 939 BGB), § 888 E I (= § 2026 BGB), beide noch nicht im Teilentwurf vorgesehen, und auf § 887 E I (= § 941 BGB) verwiesen. Außerdem nahm man die Regelung auf, daß der Antragsteller seinen Antrag beim forum rei sitae zu stellen hat. 84 Abs. 1 : „Hat Jemand ein Grundstück, dessen eingetragener Eigenthümer verstorben ist, seit dreißig Jahren nach dem Tode des letzteren im Besitze, so kann er bei dem Gerichte, in dessen Bezirk das Grundstück belegen ist, das Aufgebotsverfahren zum Zwecke der Ausschließung des bisherigen Eigentümers beantragen." Abs. 2: ,3ei der Berechnung des dreißigjährigen Besitzes finden die Vorschriften über die Berechnung der zur Ersitzung einer beweglichen Sache erforderlichen Besitzzeit entsprechende Anwendung." Abs. 3: „Zur Begründung des Antrages hat der Antragsteller die Sterbeurkunde über den Tod des eingetragenen Eigenthümers oder eine Ausfertigung des Unheiles, durch welches derselbe für todt erklärt ist, beizubringen und die übrigen nach dem ersten Absätze erforderlichen Thatsachen glaubhaft zu machen." Abs. 4: „In dem Aufgebote ist der bisherige Eigenthümer aufzufordern, seine Rechte zur Vermeidung der Ausschliessung anzumelden." Abs. 5: „Der Antragsteller erwirbt nach Erlassung des Ausschlußurtheiles das Eigenthum durch die Eintragung als Eigenthümer in das Grundbuch." Abs. 6: „Das Ausschlußurteil wirkt nicht gegen einen Dritten, welcher vor Erlassung desselben als Eigenthümer eingetragen oder vorgemerkt ist." - Zuvor: §§ 37 VorlZust „Eigentum", 857 RedVorl, 856 ZustSachR, vgl. Jakobs/Schubert, SR I, 566. 85 Vgl. nur Prot. I, 3966; Jakobs ! Schubert, SR I, 565.

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§ 3 Die 1. BGB-Kommission

dürfen 86. Ferner hatte man bereits im Zusammenhang mit der Tabularersitzung die Ansicht geäußert, daß die Voraussetzung guten Glaubens den Nachteil habe, nicht alle auftretenden Fälle zu erfassen 87; sie erschien offenbar als nicht ratsam, wenn man schon im öffentlichen Interesse ein Mittel zur Korrektur des Grundbuchs beschließen wollte. 2. Diskutiert wurde in der 1. Kommission auch die Frage, inwieweit die Regelung über die Dereliktion von Grundstücken in § 872 E I 8 8 auf Miteigentumsanteile anwendbar sei. Johow hatte angesichts der geringen praktischen Bedeutung der Frage und vor allem wegen der Schwierigkeiten für die Führung des Grundbuchs eine Dereliktion von Grundstücksanteilen nicht gestatten wollen und in § 215 TE darauf verwiesen, daß der Derelinquent seinen Anteil übertragen müsse. Damit hatte er sich zugleich auch gegen die Anwachsungstheorie entschieden89. Finde der Derelinquent keinen Erwerber, müsse er eben Teilung verlangen. Die 1. Kommission lehnte dies unter Hinweis auf die Regel der freien Verzichtbarkeit auch eines Miteigentumsrechts ab 90 . Der Anwachsungstheorie folgte sie ebenfalls nicht, weil damit den übrigen Miteigentümern ein Zwang auferlegt werde, der bei einer Überschuldung des Anteils leicht nachteilig werden könne 91 . Der Antrag, eine Aneignung des aufgegebenen Anteils zu ermöglichen und so die übrigen Miteigentümer zu Aneignungsberechtigten zu machen92, wurde abgelehnt, weil man Privatleute nicht zu Okkupationsberechtigten erklären könne, ohne damit Komplikationen für den Fall, daß diese sich passiv verhielten, zu schaffen 93. Das Gesetz müsse deshalb aussprechen, daß auf den Fall der Dereliktion von Miteigentum die Vorschrift über die Aufgabe von Eigentum anwendbar sei. § 927 RedVorl erklärte daher im Falle der Aufgabe eines Miteigentumsanteils den Vorläufer des § 928 BGB und bezüglich der beweglichen Sachen §§ 958, 959 BGB für anwendbar. Erst in § 927 ZustSachR des Redaktionsausschusses der 1. Kommission findet sich wie in § 950 E I die Verweisung auch auf das Aufgebotsverfahren nach § 927 BGB 9 4 .

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So etwa zuvor Johow (oben § 2 I 3 b). 87 Vgl. oben § 3 II. 88 Entspricht § 928 BGB. 89 Vgl. Johow, SR Teil 1, 1173-1175. 90 Prot. 1,4293; Jakobs/Schubert, SR I, 884. 91 Ebd.; Mot. III, 443 (Mugdan III, 247). 92 Jakobs/Schubert, SR I, 883. 93 Prot. 1,4294; Jakobs/Schubert, SR I, 885. 94 S. Jakobs/Schubert, SR I, 898. Eine Begründung wurde dafür, soweit ersichtlich, nicht gegeben.

I. Die Entstehung eines dominium sine re

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§ 4 Die Kritik am 1. Entwurf I. Die Entstehung eines dominium sine re Die Kritik an der vom 1. Entwurf geschaffenen Möglichkeit eines dominium sine re konnte harscher nicht ausfallen. Universitätslehrer wie Praktiker verwarfen das Resteigentum beinahe ausnahmslos als „Kuriosität", die juristisch überhaupt nur in äußersten Ausnahmefallen Bedeutung erlangen könne1, als Scheinrecht2, als Recht mit papierenem Dasein, das nie zu wirklichem Leben gelangen könne3, als nur schwer verständlichen Lähmungszustand des dinglichen Rechts4, als ein künstliches, „auf Schrauben gestelltes Rechtsgebilde"5, als Ausfluß des in der 1. Kommission herrschenden Doktrinarismus 6 oder etwa als „wahre Ironie auf das Eigenthum" und „doctrinäres Gebilde", das ins Juristische Raritätencabinet" gehöre7. Als besonders unbefriedigend wurde empfunden, daß der durch die Verjährung geschützte Besitzer bei der Veräußerung der Sache den Erlös an den Eigentümer auskehren müsse (§816 Abs. 1 BGB) 8 . Zródlowski wies darauf hin, daß völlig unklar sei, an wen ein Besitzer, der den Besitz durch verbotene Eigenmacht gegenüber einem früheren, durch die Verjährungseinrede geschützten Besitzer erhalten habe und dem gegenüber der Eigentumsanspruch deshalb nicht verjährt sei, den Besitz herausgeben müsse, an den Eigentümer oder den ehemaligen Besitzer 9. Der Gesetzgeber müsse auf jeden Fall handeln; mangelndes praktisches Bedürfnis einer Frage sei nie ein Einwand, weil jede Rechtsfrage für die betroffenen Parteien wichtig und daher entscheidungsbedürftig sei 10 . Verteidiger fand das dominium sine re nicht wirklich, allenfalls wies man darauf hin, daß es womöglich ein geringeres Übel als die Anordnung einer gänzlichen Unverjährbarkeit der dinglichen Ansprüche sei 11 oder daß das geschützte „Resteigentum" im Falle des Diebstahls doch noch Wirksamkeit erlangen könne 12 . 1

Bähr, Begriff der Anspruchsverjährung, 290. Die Lehre werde in einem Fall praktisch, der zu den größten Seltenheiten gehöre, nämlich in dem Fall, daß der Eigentümer den Besitz durch Zufall wiedererlange. 2

Pfaff, in: Verhandlungen des 20. Juristentages IV, 39. 3 Hachenburg, 239. 4 Jakubezky, 37. 5 G. Lehmann, 108. 6

Pfaff> Verhandlungen des 20. Juristentages IV, 39. Fischer, in: Verhandlungen des 20. Juristentages IV, 45, 415; Fischer, Recht und Rechtsschutz, 119 (dort auch der Vorwurf, die Kommission habe zuerst dem Windscheidschen Lehrbuch die Regel entnommen, um sodann das Recht daraus abzuleiten); Hachenburg, 239; Schilling, 58; Zródlowski , Codifikationsfragen, 82. Sehr ironisch auch Pfizer, 76: Der gewöhnliche Mensch halte Recht und Anspruch für so untrennbar wie Mensch und Schatten. 7

8

Pfaff, in: Verhandlungen des 20. Juristentages IV, 40. Zródlowski , Codifikationsfragen, 81. 10 Ebd., 30.

9

11 Gerber, 14, der die Frage - dominium sine re einerseits, Unverjährbarkeit aller dinglichen Ansprüche andererseits - nicht entscheiden mochte.

§ 4 Die Kritik am 1. Entwurf

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Obwohl der 20. Deutsche Juristentag die Frage eingehend behandelte und die nuda proprietas beinahe einhellig verurteilte 13, lehnte er schließlich überraschend den Antrag ab, daß ein rechtlich wirksamer Rest nach der Verjährung nicht bestehen bleiben dürfe 14 . Dies beruhte auf einer Ungeschicklichkeit. Der Antrag bezog sich auf die Verjährung von dinglichen wie auch obligatorischen Ansprüchen, die obligationes sine actione. Im letzten Fall hätte seine Verwirklichung bedeutet, daß die Verjährung von Amts wegen festzustellen und nicht bloß auf eine Einrede hin zu berücksichtigen gewesen wäre 15 . Überdies waren einige Stimmen dagegen, Diebe oder Räuber durch die Abschaffung des dominium sine re zu begünstigen16. Daß für diesen seltenen Fall eine Ausnahmevorschrift vorgeschlagen war 17 , welche die Durchsetzbarkeit des Eigentumsherausgabeanspruchs sicherstellte, scheint in der Diskussion untergegangen zu sein. Festzuhalten bleibt aber, daß die Verurteilung des dominium sine re durch den Juristentag, auch ohne förmlichen Beschluß, die 2. Kommission erreichte und deren im Vergleich zur 1. Kommission geänderte Haltung maßgeblich beeinflußte 18. Uneins war sich die Kritik freilich, wie man das unerwünschte Gebilde beseitigen könne. Die Vorschläge reichten von der grundsätzlichen Unverjährbarkeit der dinglichen Ansprüche 19 über ein gleichzeitiges Erlöschen des Eigentumsrechts mit der Verjährung des Eigentumsanspruchs20 bis hin zu der Beibehaltung der gemeinrechtlichen außerordentlichen Ersitzung ab der Verjährung des Eigentumsanspruchs (ohne Erfordernis guten Glaubens)21. Jacubezky etwa forderte ein Erlöschen des Rechts nach Verjährung des Anspruchs wenigstens für die beschränkten dinglichen Rechte als iura in aliena re 22. Bei Immobilien plädierte er für die Unverjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs, weil dieser auf eine „Leistung" im 12

Holder, in: Verhandlungen des 20. Juristentages IV, 47, der auf die Kontinuität mit dem römischen Recht verwies. Bei dem Beispiel ging es Holder um den äußerst seltenen Fall (48), daß ein Dieb gegenüber einem anderen, durch die Verjährungseinrede geschützten Dieb verbotene Eigenmacht begeht. 13 Vgl. nur die Stellungnahmen von Bahr, Fischer und Pfaff, a. a. O. 14 S. den Beschluß, in: Verhandlungen des 20. Juristentages IV, 59. 15 So auch Fischer, in: Verhandlungen des 20. Juristentages IV, 416, der die Gründe für den überraschenden Beschluß des Juristentags zu eruieren sucht; ebenso Spiro II, 1332. 16 Holder, in: Verhandlungen des 20. Juristentages IV, 48. 17 Pfaff* Verhandlungen des 20. Juristentages IV, 39; Bähr, Begriff der Anspruchsverjährung, 291. 18 Dazu der Schriftführer der 2. Kommission Greif}, Entwurf, 658. 19 Pfizer, in: Verhandlungen des 20. Juristentages IV, 49; Pfizer, 76; Zródlowski, Codifikationsfragen, 81. 20

Pfaff* Verhandlungen des 20. Juristentages IV, 39; Bahr, Begriff der Anspruchsverjährung, 291; Fischer, Recht und Rechtsschutz, 119; dagegen Holder, in: Verhandlungen des 20. Juristentages IV, 47, und Klöppel, in: Verhandlungen des 20. Juristentages IV, 53. 21 Meyer, 949; Hachenburg, 242 (nach dreißig Jahren Besitz Eigentumserwerb); G. Lehmann, 107 (nach zwanzig Jahren); Krech, 38 f. (für Immobilien). 22 Jakubezky, 38.

II. Die Ersitzung von Grundeigentum

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Sinne von § 154 E I 2 3 ziele und nicht dem § 847 E I 2 4 zu subsumieren sei 25 . Könne der Berichtigungsanspruch verjähren, widerspreche das dem Zweck des Grundbuchs, die Rechtslage spiegelbildlich abzubilden, der „Spiegel erblinde" 26 . Auch andere Autoren bemühten sich um eine widerspruchsfreie Regelung des Verhältnisses von Eigentums- und Berichtigungsanspruch 27, im Gegensatz zu Jacubezky aber zumeist von der Prämisse ausgehend, daß der Berichtigungsanspruch verjährbar sei 28 . Im Gefolge Bährs war man der Auffassung, daß der Berichtigungsanspruch wenigstens so lange nicht verjähren dürfe, wie der Eigentümer im Besitz des Grundstücks sei und womöglich von der falschen Buchung eines anderen gar nichts wisse 29 . Später faßte Bähr seinen Vorschlag allgemeiner und schloß die Verjährung des Berichtigungsanspruchs so lange aus, wie der Eigentumsanspruch besteht30, was den vorstehenden Fall mit umfaßte. Dem schloß sich Elsaß/Lothringen an 31 . Weitergehend verlangte schließlich Krech, daß mit der Verjährung der beiden Ansprüche das nunmehr wertlose Eigentum erlöschen und der Bucheigentümer durch Beibehaltung einer außerordentlichen Ersitzung zum wirklichen Eigentümer gemacht werden solle 32 .

II. Die Ersitzung von Grundeigentum Die Entscheidung des Entwurfs, eine Ersitzung von Grundeigentum nicht zuzulassen, wurde im Schrifttum erheblich weniger kritisiert als die vergleichbare Entscheidung hinsichtlich der Grunddienstbarkeiten. Auch das Rundschreiben des 23 Entspricht § 194 BGB. 24 Entspricht § 902 BGB. 25 Jakubezky, 226; Krech, 35. 26 Jakubezky, 39. 27 Kindel, 285 in Fn. 1, der das preußische ius ad rem durch Übergabe auch im BGB beibehalten wollte (vgl. sogleich II), meinte, daßrichtiger Ansicht nach keine unterschiedliche Verjährung des Eigentums- und Berichtigungsanspruchs eintreten könne, weil der Berichtigungsanspruch des berechtigten Besitzers nie verjähre, derjenige des Nichtbesitzers aber zusammen mit seinem Anspruch, den Besitz der Sache zurückzufordern. 28 So auch Schubert, Entstehung, 129. Außer Jacubezky forderte noch Zródlowski die Unverjährbarkeit dinglicher Ansprüche (Codifikationsfragen, 80, und Entwurf, § 98). 29 Bähr, Entwurf, 508; Krech, 37; v. Gierke , Entwurf, 320; Metz, in: Verhandlungen des LÖK, 52. 30 Bähr war sich bewußt, daß die Formulierung in seinem Gegenentwurf (§ 12 Abs. 3, in: Beitrag; § 953 Abs. 3, in: Gegenentwurf) nicht gerade leicht verständlich ist, wählte sie aber, um auch alle beschränkten dinglichen Rechte erfassen zu können (vgl. Bähr, Beitrag, 136): Der Berichtigungsanspruch unterliege so lange keiner Verjährung, wie nicht das Recht selbst, auf das sich die Eintragung beziehe, in seinen daran geknüpften sachlichen Ansprüchen von der Verjährung betroffen sei. Der Eigentumsanspruch ist nur einer, wenn auch der wichtigste dieser sachlichen Ansprüche. 31 Zusammenstellung der Äußerungen der Bundesregierungen II, 90. 32 Krech, 38 f.

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§ 4 Die Kritik am 1. Entwurf

Reichskanzlers vom 27. Juni 1889, in welchem die Bundesregierungen zu einer Stellungnahme zu rechtspolitisch umstrittenen Fragen aufgefordert wurden, machte die Frage nicht zum Gegenstand der Diskussion33. Schon die Grundentscheidung des Entwurfs gegen das Prinzip der formalen Rechtskraft, durch welche erst die Frage einer Ersitzung - in Gestalt der Ersitzung secundum tabulas - relevant wurde, fand überwiegend Zustimmung34. Immerhin wurde auch unter Befürwortern der Konzeption des Entwurfs, die Ersitzung als allgemeine Erwerbsart auszuschließen, der Ruf nach der Zulassung einer Tabularersitzung - zum Zwecke der Vermeidung eines dominium sine re - laut 35 . Die Befürworter einer de lege ferenda einzuführenden Ersitzung - vor allem v. Gierke, Bähr und Kindel - mißbilligten entweder von vornherein den angeblichen Rigorismus, mit welchem der Entwurf das Grundbuchsystem, neben dem eine Ersitzung keinen Platz haben solle, durchführe, oder aber sie wollten ohnehin am Erwerb durch Titel und Tradition festhalten und befürworteten deshalb eine Ersitzung. v. Gierke etwa bemängelte, daß durch den Ausschluß der Ersitzung der Zwiespalt zwischen Bucheigentum und wirklichem Eigentum verewigt werde, ungebuchte Grundstücke nicht berücksichtigt und Grenzverwirrungen durch ungenaue Katastrierung nicht adäquat gelöst würden 36 . Auch andere betonten, daß in den Fällen, in denen das Grundbuch versage - also vor allem bei ungebuchten Grundstücken oder bei Grenzverwirrungen 37 - , weiterhin der Besitz entscheidend sein müsse, und forderten zumindest hierfür eine Ersitzungsmöglichkeit 38. Bähr stellte deshalb für den Erwerb und Verlust des Eigentums an ungebuchten Grundstücken auf die Regeln über bewegliche Sachen ab 39 . Die Mehrheit im preußischen ,,Landes-Ökonomie-Kollegium" sprach sich ebenfalls für die Beibehaltung der Ersitzung als allgemeiner Erwerbsart aus: Bei ungebuchten, vom Buchungszwang befreiten oder doppelt gebuchten Grundstücken sei sie unentbehrlich 40, bei den 33 Wohl aber die Frage der Ersitzung von Dienstbarkeiten (vgl. die Frage 41 des Reichskanzlers, in: Zusammenstellung der Äußerungen der Bundesregierungen I, 28). 34 Weber, 49 ff., 52; v. Gierke , Entwurf, 312; Krech, 29; a.A. die beiden Regierungen Mecklenburgs, vgl. Bemerkungen der Großherzoglich Mecklenburg-Schwerinschen Regierung I, 193. Anders auch Bekker, 296, 347, der die Möglichkeit der Duplizität des Eigentums (wirkliches Eigentum und Bucheigentum) als „allergefährlichste Erfindung" des Entwurfs brandmarkte; konsequenterweise lehnte er jegliche Form der Ersitzung ab. 35 S. sogleich. 36 v. Gierke , Entwurf, 174, 332; ders., in: Verhandlungen des LÖK, 698: Auch im zuletzt geschilderten Fall solle der Besitz - sogar gegen das Grundbuch - den Ausschlag geben. 37 Kindel, 286. 38 So deutlich Bähr, Beitrag, 123 f., und früher schon de lege ferenda Weber, 306. 39 Bähr, Beitrag, § 29 seines Entwurfs (144 f.). 40 So schon Metz, in: Verhandlungen des LÖK, 65; die Kommission des LÖK und die Mehrheit des LÖK, in: Verhandlungen des LÖK, 296, 699. Hinsichtlich der vom Buchungszwang befreiten Grundstücke wies Jakubezky, 231, darauf hin, daß eine Ersitzung deshalb nicht nötig sei, weil auch bei diesen Grundstücken vor einer Verfügung eine Buchung stattfinden müsse; ebenso Struckmann, in: Verhandlungen des LÖK, 695.

II. Die Ersitzung von Grundeigentum

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letzteren vor allem deshalb, weil sich die einander widersprechenden Eintragungen gegenseitig aufhöben, man daher auf das Grundbuch nicht vertrauen könne und deshalb ein gutgläubiger Erwerb ausgeschlossen sei 41 . Kindel, der in seiner Streitschrift „Das Recht an der Sache" für das preußische ius ad rem eintrat und dem Erwerb mittels Titels und traditio das Wort redete, kritisierte konsequent den Wegfall der Ersitzung als falsch 42 . Grundbuchsystem und Ersitzung schlössen sich gegenseitig keineswegs aus, wenn man sich nur darauf verstehe, dem Besitzer nach vollendeter Ersitzung keine Verfügungsmacht einzuräumen; so müsse er auch die Eintragung einer Hypothek aufgrund der Verfügungsmacht des Eingetragenen gegen sich gelten lassen43. Kindel forderte eine Ersitzung sowohl für den eingetragenen Nichteigentümer, welchem ein dingliches Rückforderungsrecht entgegensteht, wie auch für den eingetragenen Eigentümer, demgegenüber ein schuldrechtlicher Rückforderungsanspruch geltend gemacht werden kann 44 . Vor allem bekämpfte er - zutreffend 45 - die in den Motiven geäußerte Ansicht, das Grundbuch komme schon mit der Verjährung des Berichtigungsanspruchs gegenüber dem eingetragenen Nichteigentümer in Ordnung: Gerade hierfür sei eine Ersitzung notwendig46. Nicht nur v. Gierke und Kindel, auch Befürworter der Konzeption, die Ersitzung als allgemeine Erwerbsart auszuschließen, wie Krech und Jacubezky forderten die Zulassung einer Tabularersitzung zur Richtigstellung des Grundbuchs, beide freilich nur unter der Voraussetzung der Gutgläubigkeit des Bucheigentümers47. Der „Deutsche Landwirthschaftsrath" hielt dagegen mit dem Entwurf die Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb und das Aufgebotsverfahren gemäß § 873 E I 4 8 für ausreichend; bei nicht gebuchten Grundstücken schaffe der beschlossene Art. 110 des Entwurfs eines Einführungsgesetzes 49 Abhilfe 50 . Die badische Regierung 41 Hermes, in: Verhandlungen des LÖK, 697; v. Gierke, in: Verhandlungen des LÖK, 698, und die Mehrheit im LÖK, in: Verhandlungen des LÖK, 699; dagegen Jakubezky, 231, 217: Die sich bei einer Doppelbuchung widersprechenden Eintragungen höben sich gegenseitig nicht auf, sondern eine jede sei Grundlage eines gutgläubigen Erwerbs für den, der auf ihrer Grundlage erwerbe. S. zur Frage der Doppelbuchung unten § 8 II 1. 42 Kindel, 286, bescheinigte dem Entwurf aber insofern Folgerichtigkeit. 4 3 Ebd., 287. 44 Ebd., 284 f. « S. oben § 3 II. Kindel, 286. 47 Jakubezky, 38, wollte dieses Prinzip auch auf die beschränkten dinglichen Rechte ausdehnen. Krech, 39, plädierte für die Beibehaltung der gemeinrechtlichen außerordentlichen Ersitzung ab Verjährung der rei vindicatio (und des Berichtigungsanspruchs, den er von ihr abhängig machte). 48 49

Entspricht § 927 BGB. Er entspricht Art. 189 Abs. 1, Abs. 3 EGBGB.

50 Verhandlungen des Deutschen Landwirthschaftsraths, 230; so auch Andrae, in: Verhandlungen des Deutschen Landwirthschaftsraths, 295. In Wirklichkeit hilft Art. 110, der nur den Zeitraum bis zur Anlegung des Grundbuchs regelt, bei solchen Grundstücken nicht weiter, die bei der Anlegung übersehen wurden, von welchem Fall die Kritiker des Entwurfs

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§ 4 Die Kritik am 1. Entwurf

schloß sich dem Entwurf an: Zwar seien Unzuträglichkeiten dadurch, daß Eigentums· und Berichtigungsanspruch zu unterschiedlichen Zeitpunkten verjähren könnten, denkbar, die Frage sei aber nur von akademischem Interesse; in Baden jedenfalls habe die Ersitzung trotz der Unvollkommenheit seines Grundbuchsystems keine Rolle gespielt51. Fast einhellig wurde die Auffassung des Entwurfs geteilt, daß eine Kontratabularersitzung im Sinne einer Ersitzung gegen den (lebenden) eingetragenen Eigentümer unter der Herrschaft des Grundbuchsystems nicht möglich sein dürfe 52 .

I I I . Das Aufgebotsverfahren Die Regelung eines Aufgebotsverfahrens in § 873 E I wurde im Schrifttum fast allgemein gebilligt 53 . Schon 1884 hatte F. Weber für den Fall der Einführung eines Grundbuchsystems die Zulassung einer Ersitzung nicht eingetragener Parzellen und einer solchen gegen den toten oder verschollenen (Buch-)Eigentümer gefordert. Begründet hatte er dies mit der Notwendigkeit, die ungebuchten Grundstücke dem Rechtsverkehr nicht zu entziehen und den vermeintlichen Eigentümer gegen den Formalismus des Grundbuchs zu Gunsten eines „frisch pulsierenden wirtschaftlichen Lebens" zu schützen54. Dies war auch offenbar die Ansicht der Kritiker des 1. Entwurfs, die - im Anschluß an die preußische Regelung in der Kabinettsordre vom 9. Mai 1839 und im Gesetz vom 7. März 184555 oder an die Stadtbuchordnungen in Mecklenburg 56 - meist eine Vereinfachung und Erleichterung der in § 873 E I aufgestellten Voraussetzungen zu Gunsten des Besitzers forderten. Den Zweck einer solchen Regelung formulierte Bähr wohl am schärfsten: Das von

eigentlich sprachen. Niesert, in: Verhandlungen des Westfälischen Bauernvereins, 38, lehnte ebenfalls die Ersitzung von Grundeigentum ab. 51 Vgl. III. Denkschrift des Referenten zum Dritten Buch, 11, in: Die [Badische] Kommission zur Begutachtung, und der entsprechende Kommissionsbeschluß, in: ebd., VI. Zusammenstellung der gefaßten Beschlüsse, 22. 52 Vgl. statt vieler Rocholls Gegenentwurf, § 838 Abs. 1, in: Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen III, 142; Krech, 74; Weber, 306; a.A. freilich v. Gierke (oben in Fn. 36), und Hermes, in: Verhandlungen des LÖK, 696 (ohne Begründung). 53 Metz, in: Verhandlungen des LÖK, 64, mit Hinweis auf das Bestreben gerade der kleinen Landwirte, Privatabkommen zu schließen und die Auflassungs- und Eintragungskosten zu sparen; Bähr, Entwurf, 511. Bekker, 295, hielt ebenfalls die Tradition eines Grundstücks ohne Auflassung für einen auch nach Inkrafttreten des BGB häufig anzutreffenden Fall. A. A. freilich Rocholl in seinem Gegenentwurf, der § 873 E I nicht berücksichtigte und in seinem § 838 Abs. 1 eine Ersitzung gegen den Erben des eingetragenen Eigentümers ausschloß, in: Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen III, 142. 54 Weber, 306-308. 55 Niesert, in: Verhandlungen des Westfälischen Bauern Vereins, 39; zu den preußischen Regelungen vgl. oben § 214. 56 So die Rostocker Zeitung v. 14. 12. 1888, 178. Jg., Nr. 585. Vgl. auch oben § 214.

III. Das Aufgebotsverfahren

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den Erben gewissermaßen aufgegebene Grundstück - sie hätten zehn Jahre lang ihre Eintragung im Grundbuch nach dem eingetragenen Erblasser nicht erwirkt 57 müsse „wieder unter einen Herrn" gebracht werden, wofür nur der aktuelle Besitzer in Frage komme 58 . Auch für ihn war also der Gedanke entscheidend, das Grundstück nicht dauerhaft aus dem Rechtsverkehr ausscheiden zu lassen. Im Anschluß an die Motive ging man davon aus, daß so mancher gerade bei einem weniger wertvollen Grundstück die Auflassungskosten zu „sparen" versucht sein werde 59 . Weitgehende Einigkeit bestand unter den Kritikern darüber, daß auch die nicht gebuchten Grundstücke einer Regelung bedürften; die von Johow für die neue GBO vorgeschlagene Bestimmung eines Aufgebotsverfahrens und Anerkennung langandauernden Besitzes bei der Anlegung eines Grundbuchblatts war schließlich von der 1. Kommission ersatzlos gestrichen worden 60 . Die stiefmütterliche Behandlung dieser Grundstücke durch den Entwurf sprach Bähr besonders deutlich an 61 . Er wollte Erwerb und Verlust des Eigentums an solchen Grundstücken nach den für die beweglichen Sachen geltenden Vorschriften regeln, also über das Publikationsmittel des Besitzes62. Andere verlangten, eine Ersitzung solcher Grundstükke zuzulassen63 oder wenigstens Vorschriften in die GBO aufzunehmen, die langandauerndem Besitz im Hinblick auf die bei der Anlegung des Grundbuchs übergangenen Grundstücke eine angemessene Bedeutung geben64. Schließlich wurde auch der Ruf nach einem Aufgebotsverfahren für ungebuchte Grundstücke oder für Grundstücke laut, für die ein Eigentümer aus dem Grundbuch nicht ersichtlich ist 65 . Krech forderte zudem ein Aufgebotsverfahren für den Fall, daß der Erbe eines (nicht eingetragenen) Eigentümers das Eigentum des Erblassers nicht nachweisen könne; entgegen den Motiven 66 passe hier das vorgeschlagene Aufgebotsverfahren nicht, weil sich der Ausschluß nicht gegen den „bisherigen Eigentümer" (§ 873 Abs. 1 E I a. E.), sondern gegen den Rechtsnachfolger des letzten Bucheigentümers richte, der aber für eine Berichtigungsklage nicht herangezogen werden könne. Hier erfolge der Eigentumserwerb nicht aufgrund des Ausschlußurteils; die57

Bähr ging von einem Aufgebot bereits nach zehn Jahren aus, s. sogleich. 58 Bähr, Beitrag, 144, und ebd. § 28; ders., Gegenentwurf, § 968. 59 Bemerkungen der Großherzoglich Mecklenburg-Schwerinschen Regierung I, 215. 60 Dazu oben § 2 in Fn. 70. 61

Bähr, Beitrag, 145 („unglückliche Grundstücke"), gegen Mot. III, 312. So Bähr, Beitrag, § 29 des Gegenentwurfs (144 f.); ders., Gegenentwurf, § 969. « So das preußische LÖK, in: Verhandlungen des LÖK, 696, 699; Metz, in: Verhandlungen des LÖK, 65; Hermes, in: Verhandlungen des LÖK, 696; a.A. Struckmann, in: Verhandlungen des LÖK, 695. 62

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Jakubezky, 232; so auch Johows Entwurf einer GBO oben § 2 in Fn. 70. 65 Bingner, 101. 66 Mot. III, 329.

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§ 4 Die Kritik am 1. Entwurf

ses ersetze lediglich die Berichtigungserklärung 67. Anderer Ansicht war Jacubezky: § 873 Abs. 1 E I sei auch dann anwendbar, wenn der als Eigentümer Eingetragene gar nicht der wirkliche Eigentümer, sondern nur Bucheigentümer sei 68 . Fast allgemein wurde eine Vereinfachung des Verfahrens gefordert. Bähr etwa verlangte - strenger als der Entwurf - den Nachweis der Unbekanntheit der Erben des als Eigentümer Eingetragenen, weil der Besitzer sonst aufgrund persönlicher Klage (auf Auflassung) gegen die Erben vorgehen könne 69 . Dafür reichte es ihm aus, daß der als Eigentümer Eingetragene zehn Jahre tot sei und der Eigenbesitz lediglich im Zeitpunkt der Antragstellung bestehe; eine längere Besitzzeit forderte er nicht 70 . Dies begründete er damit, daß es bei diesem Verfahren weniger um eine Art Ersitzung durch den Besitzer gehe als vielmehr um eine Verschweigung (oder Eigentumsaufgabe) durch die Erben des eingetragenen Eigentümers 71. Andere schlossen sich - ohne das Erfordernis eines gleichlangen Eigenbesitzes aufzugeben - der Forderung nach einer Verkürzung der Fristen an: So wurden zehnjähriger 72 oder zwanzigjähriger Besitz 73 nach dem Tod des Eingetragenen als hinreichend erachtet. Krech dagegen befürwortete die dreißigjährige Frist, weil dadurch materielle Rechtsverluste eher vermieden würden 74 . Niesert und in seinem Gefolge der Westfälische Bauernverein, der das Verfahren als zu kostspielig, zu verwickelt und zu zeitaufwendig ansah75, forderten ein Aufgebot ohne jegliche Frist, dem preußischen Vorbild der Kabinettsordre vom 9. Mai 1839 und dem Gesetz vom 7. März 1845 entsprechend76. Sie lehnten auch die Notwendigkeit, eine Sterbeurkunde oder - in deren Ermangelung - eine Todeserklärung durch Urteil beizubringen, als zu kostspielig, insbesondere für die Besitzer der kleineren westfälischen Grundstücke, ab 77 . Es müsse bei geringwertigen Grundstücken genügen, wenn die Gemeindebehörde die Verschollenheit des Eingetragenen bescheinige oder wenn das Todeserklärungsaufgebot durch Aushang in der Ortsgemeinde - statt in öffentlichen Blät67 Krech, 86. 68 Jakubezky, 38. 69 Dagegen - weil undurchführbar - Krech, 85 in Fn. 2: Die tatsächliche Nichtausübung der Eigentümerrechte durch die Erben begründe eine so starke Vermutung, daß ein besonderer Nachweis nicht erforderlich sei. 70 Anders aber noch Bähr, Entwurf, 512: zehnjähriger Eigenbesitz. - Früher hatte er anläßlich der Besprechung der preußischen Gesetze von 1872 eine „Verjährung" bei Verschollenheit des Eingetragenen befürwortet (Bähr, Gesetzentwürfe, 71 in Fn. 35). 71 Bähr, Beitrag, 144. 72 Metz, in: Verhandlungen des LÖK, 64; v. Gierke , Entwurf, 334. 73 Bingner, 101. Für eine Fristverkürzung auch die beiden mecklenburgischen Regierungen, in: Bemerkungen der Großherzoglich Mecklenburg-Schwerinschen Regierung I, 214 (zehnjähriger Besitz mit Erwerbstitel, zwanzigjähriger Besitz ohne einen solchen). 74 Krech, 85 in Fn. 2. 75 Verhandlungen des westfälischen Bauernvereins, 89. 76 Niesert, in: Verhandlungen des Westfälischen Bauernvereins, 40 f.; vgl. oben § 214. 77 Niesert, in: Verhandlungen des Westfälischen Bauernvereins, 39; Bemerkungen der Großherzoglich Mecklenburg-Schwerinschen Regierung I, 214.

I. Die Verjährbarkeit dinglicher Ansprüche

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tern - bekanntgemacht werde 78 . Erwähnenswert ist schließlich der bereits im Zusammenhang mit den preußischen Gesetzen von 1872 von Strohal gemachte Vorschlag, eine vierzigjährige „Ersitzung" gegen das Grundbuch einzuführen, wenn durch die gesamte Ersitzungszeit hindurch der eingetragene Rechtsinhaber kein „Lebenszeichen", etwa in Form einer Eintragungs- oder Löschungsbewilligung, von sich gegeben habe 79 .

§ 5 Die 2. BGB-Kommission I. Die Verjährbarkeit dinglicher Ansprüche 1. Die Verjährung dinglicher Ansprüche im allgemeinen a) In der Vorkommission des Reichsjustizamts1 war heftig umstritten, ob dingliche Ansprüche, soweit sie auf die Herstellung des dem dinglichen Recht entsprechenden Zustands gerichtet sind, unverjährbar sein sollten. Sowohl Börner als auch Planck beantragten eine entsprechende Neufassung des Vorläufers von § 194 Abs. 2 BGB, um so eine Gleichstellung der sachenrechtlichen Ansprüche mit den familienrechtlichen zu erreichen 2. Man verwies auf die Nachteile der nuda proprietas, die mit einem praktischen Recht, so wie es der Entwurf beabsichtige, nicht vereinbar sei. Die Unverjährbarkeit folge daraus, daß sich der dingliche Anspruch stets von neuem selbst erzeuge. Überzogen wirkt das weitere Argument, die Verjährung schütze im Sachenrecht nur Diebe und Räuber, weil im Mobiliarsachenrecht gutgläubiger Erwerb und Ersitzung, im Immobiliarsachenrecht der Schutz des eingetragenen Rechts gemäß § 847 E I bestünden3. Die Mehrheit hielt indessen an der grundsätzlichen Verjährbarkeit fest. Sie entspreche dem geltenden Recht4 und erfülle insbesondere auch im Immobiliarsachenrecht ihren Zweck, lang verschwiegene Ansprüche im Interesse des Rechtsfriedens abzuschneiden. Sie sei z. B. im Falle einer unwirksamen Auflassung und Eintragung des besitzenden Erwerbers mangels einer Tabularersitzung unentbehrlich 5 . Auch bei anderen beschränkten dinglichen Rechten, so beim Pfandrecht an einer beweglichen Sache, sei es zweckmäßig, den Herausgabeanspruch hinsichtlich der ohne Willen des Pfandgläubigers aus dessen Besitz gekommenen (Pfand-) 78 Niesert, in: Verhandlungen des Westfälischen Bauernvereins, 39 f. Zu Bährs Vorschlag, eine „Verjährung" bei Verschollenheit des Eingetragenen zuzulassen, vgl. oben in Fn. 70. 79 Strohal, Eigenthum, 138 f. ι Dazu oben S. 25. 2 Jakobs/Schubert, AT, 1083 f. 3 Entspricht § 902 BGB; vgl. Prot. RJA bei Jakobs/Schubert, AT, 1090. 4 Prot. RJA bei Jakobs / Schubert, AT, 1091. 5 Hierbei berief man sich auf RGZ 21, 270; ähnlich die 2. Kommission Prot. II, Bd. 1, 197 (Mugdan I, 772).

5 Finkenauer

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§ 5 Die 2. BGB-Kommission

Sache zeitlich zu begrenzen. Die Unverjährbarkeit des Anspruchs sei hier deshalb bedenklich, weil das Pfandrecht trotz Verjährung des persönlichen Anspruchs fortbestehe und es außerdem nicht einmal gegenüber dem gutgläubigen Erwerber der Pfandsache erlösche, wenn diese dem Pfandgläubiger abhanden gekommen sei6. Auch bei der hereditatis petitio sei die Verjährung dinglicher Ansprüche vonnöten, weil eine Ersitzung des Erbrechts nach dem Entwurf nicht möglich sei7. Vor allem aber wies die Mehrheit wieder auf die praktische Bedeutungslosigkeit einer Regelung zur Vermeidung der nuda proprietas hin: Die Fälle seien äußerst selten, und es seien - obwohl auch im geltenden Recht denkbar - praktische Unzuträglichkeiten bisher nicht aufgetreten. Außerdem könnten diese Fälle niemals ganz vermieden werden, so etwa wenn der Eigentümer die rei vindicatio abtrete und so seinen Rechtsverwirklichungsanspruch preisgebe8. Daß man nach dem Beschluß, an der Verjährbarkeit festzuhalten, nur eine Sitzung später9 die Frage von neuem erörterte, zeigt deutlich die Umstrittenheit der Regelung. b) Erwartungsgemäß wurde die Frage der Verjährbarkeit dinglicher Ansprüche auch von der 2. Kommission kontrovers beurteilt. Drei Anträge - v. Mandrys, Jacubezkys und Plancks - suchten eine Änderung des 1. Entwurfs herbeizuführen; die Mehrheit lehnte die Anträge im wesentlichen aus denselben Gründen wie schon zuvor die Vorkommission des Reichsjustizamts ab. Zur Vermeidung eines dominium sine re beabsichtigte v. Mandry, die Verjährung des Herausgabeanspruchs bei einer gestohlenen beweglichen Sache gegenüber dem Dieb oder seinem bösgläubigen Rechtsnachfolger auszuschließen; ferner solle derjenige eine bewegliche Sache ersitzen können, der sie während der zur Verjährung des Herausgabeanspruchs erforderlichen Frist besessen habe10. Hinsichtlich unbeweglicher Sachen müsse das Bedürfnis nach einer Regelung anläßlich der Erörterung der Vorläufer der §§ 902, 927 BGB geprüft werden 11. Jacubezky wollte die Verjährungsvorschriften aus dem Allgemeinen Teil herausnehmen, die Verjährung von Forderungsrechten im Schuldrecht regeln und die Frage der Verjährung im 3. und 5. Buch noch offenlassen. Erst bei der Lesung des Sachenrechts könne man über die Verjährung bzw. Ersitzung dinglicher Rechte befinden. Die Verjährung dinglicher Ansprüche beruhe auf einer geschichtlichen Be-

6 Vgl. §§ 878, 879 E I, die §§ 935, 936 BGB entsprechen. Nach dem 1. Entwurf war gutgläubig lastenfreier Erwerb einer abhanden gekommenen Sache nicht möglich (§ 879 E I). Hieran könnte man für das BGB Zweifel haben, weil sich § 935 BGB systematisch nicht auf § 936 BGB bezieht. Indessen beruht die heutige Gesetzesfassung auf einem Redaktionsversehen der Redaktionskommission der 2. Kommission (vgl. Wieling I, § 10 VII 1,2 c). ι Prot. RJA bei Jakobs / Schubert, AT, 1092. 8 Ebd., 1091. Die Zession der rei vindicatio war nach gemeinem Recht statthaft, vgl. dazu nur Wieling I, § 9 I V 1 b. 9 Prot. RJA bei Jakobs ! Schubert, AT, 1092. 10 Prot. II, Bd. 1, 195 (Mugdan I, 770); Jakobs / Schubert, AT, 1104. π Jakobs!Schubert, AT, 1104 Fn. 63.

I. Die Verjährbarkeit dinglicher Ansprüche

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Sonderheit des römischen Rechts12, die man angesichts der damit verbundenen Entstehung relativer Rechtsverhältnisse - des gelähmten Eigentums in der Hand des durch die Verjährung geschützten Diebes etwa - nicht übernehmen solle. Im Immobiliarsachenrecht gerate die Verjährung des Berichtigungsanspruchs geradezu mit dem Zweck der Bucheinrichtung in Widerspruch, die wirklichen Rechtsverhältnisse sichtbar zu machen. Jacubezky redete deshalb einer begrenzten Rechtsverjährung das Wort 13 : Eine erlöschende Verjährung passe vorbehaltlich des § 847 E I 1 4 zu den beschränkten dinglichen Rechten; mit ihr trete eine Lastenfreiheit des bisher belasteten Eigentums ein. Dies könne aber nicht für das Eigentum gelten, da die Sache sonst herrenlos werde; mit dem Erlöschen müsse für den Eingetragenen unter der Voraussetzung guten Glaubens auch eine (Tabular-)Ersitzung des Grundeigentums (wie auch der übrigen beschränkten dinglichen Rechte) möglich sein 15 . Diese Ersitzung solle anstelle einer Verjährung des Berichtigungsanspruchs angeordnet werden 16. Schließlich könne eine Entscheidung hinsichtlich der Verjährung des Erbschaftsanspruchs noch nicht getroffen werden. Einmal sei er keineswegs unentbehrlich, wie die Motive zeigten17, und ferner könne man ihn, wolle man ihn doch beibehalten, durchaus als ein der condictio possessionis ähnliches Forderungsrecht und nicht als actio in rem konstruieren, so daß die Verjährungsvorschriften über Forderungsrechte Anwendung finden könnten. Bezüglich der zur Erbschaft gehörenden dinglichen Rechte seien die Vorschriften über Verjährung und Ersitzung mit der Maßgabe anzuwenden, daß zu deren Vollendung der Erbschaftsanspruch verjährt sein müsse18. Planck schloß sich Jacubezky an und beantragte den Zusatz, daß Forderungen dann nicht verjähren sollten, wenn sie auf dem Eigentum oder einem beschränkten dinglichen Recht gründeten und auf die Herstellung des dem Recht entsprechenden Zustands für die Zukunft gerichtet seien19. Die Anträge wurden unter Hinweis auf das bisherige gemeine und sächsische Recht, die eine allgemeine Anspruchs Verjährung kennen20, abgelehnt. Trotz dieser Rechtslage hätten sich Unzuträglichkeiten aus dem dominium sine re nicht ergeben; letzteres sei ohnehin nicht immer zu verhindern, etwa im Falle der Zession der rei vindicatio. Eine Änderung des Verjährungsrechts könne weitreichende Fol12 Vgl. die von Theodosius II. 424 eingeführte allgemeine Klagenverjährung nach dreißig Jahren, CTh. 4, 14; C. 7, 39, 3. Dazu schon oben § 41. u Entspricht § 902 BGB. 15 Der nicht eingetragene Besitzer sei schon nach § 873 E I (entspricht § 927 BGB) hinreichend geschützt. 16 Prot. II, Bd. 1, 195 f. (Mugdan I, 771); Jakobs ! Schubert, AT, 1104 Fn. 64.

17 Vgl. Mot. V, 575-576. is Prot. II, Bd. 1, 196 (Mugdan I, 771); Jakobs ! Schubert, AT, 1104 Fn. 64. 19 Prot. II, Bd. 1, 195 f.; Jakobs/Schubert, AT, 1105. 20 Gemeint war die Verjährung dinglicher Ansprüche; vgl. für das gemeine Recht etwa Windscheid, § 112, sowie § 170 sächs. BGB.

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§ 5 Die 2. BGB-Kommission

gen haben, deren Tragweite nicht überschaubar sei. Außerdem werde der Zweck der Verjährung, den Rechtsfrieden zu sichern, durch die Ersitzung nicht vollkommen erreicht: Da sie Gutgläubigkeit voraussetze, würden nicht alle Fälle erfaßt; eine Ersitzung ohne dieses Erfordernis sei dem Entwurf jedoch fremd. Gerade weil eine Tabularersitzung im Immobiliarsachenrecht nicht vorgesehen sei, sei die Verjährung zur Abschneidung lang verschwiegener Ansprüche notwendig. Im Falle einer unwirksamen Auflassung und Eintragung müsse zu irgendeiner Zeit Ruhe einkehren. Es sei bei beweglichen Sachen hinzunehmen, daß durch die Verjährung womöglich ein Dieb geschützt werde. Die Verjährung dinglicher Ansprüche sei ein Ersatz für die fehlende Rechtsverjährung. Verjähre schon nicht das dingliche Recht, müsse wenigstens der sich darauf gründende Anspruch verjähren, um so die Ansprüche des Berechtigten etwa im Falle eines abhanden gekommenen Pfandes nach langer Zeit abzuschneiden21.

2. Die Sicherung eingetragener Rechte Keine wesentlichen Änderungen erfuhr die Bestimmung, daß Ansprüche aus eingetragenen Rechten nicht verjähren 22. Um eine kürzere Fassung der Vorschrift zu erreichen, beschloß die 2. Kommission, auf die Einbeziehung des Erben zu verzichten, ohne damit aber eine inhaltliche Änderung zu beabsichtigen. Der Schutz des Erben sei in der Formulierung: »Ansprüche aus eingetragenen Rechten sind unverjährbar", enthalten23. Der Antrag Jacubezkys, die durch eine Vormerkung (im Sinne des BGB) gesicherten Ansprüche auf Einräumung oder Aufhebung eines Rechts für verjährbar zu erklären, wurde als zweckmäßig angenommen, um eine Löschung überflüssig gewordener Eintragungen zu ermöglichen; die Unverjährbarkeit vorgemerkter Ansprüche erschwere eine solche Bereinigung des Grundbuchs erheblich. Den theoretischen Streit, der auch innerhalb der Kommission geführt wurde, nämlich ob der persönliche Anspruch auf Einräumung oder Aufhebung eines Rechts durch die Eintragung verdinglicht werde und so zu behandeln sei wie alle anderen eingetragenen Rechte oder ob er weiterhin persönlicher Natur sei, wollte man damit nicht entscheiden. Die Zweckmäßigkeit spreche aber jedenfalls für die Annahme seiner Verjährbarkeit 24. In den späteren, § 847 E I folgenden Fassungen der Vorschrift 25 wie auch in § 902 Abs. 2 BGB ist die Formulierung »Ansprüche aus vorgemerkten 26 Rechten" 21 22 23 24

Prot. II, Bd. 1, 197 (Mugdan I, 772 f.); zum letzteren vgl. bereits oben § 5 I 1 a. §§ 29 TE, 847 E I ; dazu oben § 3 I 2. Prot. II, Bd. 3, 117 f. (Mugdan III, 576); Jakobs ! Schubert, SR 1,415. Prot. II, Bd. 3, 118 (Mugdan III, 576 f.).

25 §§ 847 E I VorlZust, 847 ZustRedKom, 817 E II, 887 E II rev., 886 E III. 26

Das ist die „Vormerkung" des 1. Entwurfs, also der Widerspruch.

I. Die Verjährbarkeit dinglicher Ansprüche

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vermieden und zur besseren Unterscheidung von der (heutigen) Vormerkung vom „Widerspruch gegen die Richtigkeit des Grundbuchs" die Rede. Nur ein solcher Widerspruch wird eingetragenen Rechten gleichgestellt. Deshalb erschien der genannte Zusatz hinsichtlich der Verjährbarkeit von vorgemerkten Ansprüchen überflüssig und konnte gestrichen werden 27.

3. Der Berichtigungsanspruch und sein Verhältnis zum Herausgabeanspruch Die Frage der Verjährung des Grundbuchberichtigungsanspruchs und sein Verhältnis zum Eigentumsanspruch28 wurden auch von der 2. Kommission eingehend erörtert. Die Positionen konnten gegensätzlicher nicht sein. Die fünf gestellten Anträge hatten alle zum Ziel, die dauernde Unrichtigkeit des Grundbuchs möglichst zu vermeiden, zumindest aber einen Gleichlauf der Verjährung des Berichtigungsund Eigentumsanspruchs zu ermöglichen. Grundsätzliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Auffassungen bestanden in der theoretischen Konzeption der Verjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs: Achilles und Gebhard 29 wollten bei prinzipieller Verjährbarkeit des Anspruchs nur die Vollendung der Verjährung ausschließen, solange der Eigentumsanspruch nicht verjährt oder der Eigentümer im Besitz der Sache ist 3 0 . Der Antrag Jacubezkys wiederum ging von der grundsätzlichen Unverjährbarkeit aus, schloß aber die Geltendmachung des Anspruchs dann aus, wenn der Eigentumsanspruch verjährt ist 31 . Der vierte Antrag verband Gebhards und Jacubezkys Anträge, ging also von der Verjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs und einer Verjährungshemmung bei unverjährtem Eigentumsanspruch oder Besitz des Eigentümers aus, fügte aber hinzu, daß auch der (unverjährte) Berichtigungsanspruch bei bereits eingetretener Verjährung des Eigentumsanspruchs nicht mehr geltend gemacht werden könne 32 . Der fünfte Antrag 27 Vgl. Jakobs/Schubert, SR 1,415 in Fn. 6. 28 Da der Berichtigungsanspruch keineswegs nur die Unrichtigkeit des Grundbuchs im Hinblick auf die Eigentumslage betrifft, ist es stark verkürzt, nur von seinem Verhältnis zum Eigentumsanspruch zu sprechen;richtig findet sich in den Anträgen daher die Formulierung: »Anspruch auf Herstellung des dem Recht entsprechenden Zustands (für die Zukunft)"; zutreffender, wenn auch weniger anschaulich, wäre es daher, vom „Hauptanspruch" zu sprechen. Es wird jedoch zur Vereinfachung im weiteren nur vom „Eigentums-" oder „Herausgabeanspruch" als dem wichtigsten Fall die Rede sein. 29 Jakobs/Schubert, SR 1,406 f.; Prot. II, Bd. 3, 102 (Mugdan III, 557), und Prot. II, Bd. 3, 103 (Mugdan III, 558). Die beiden Anträge entsprachen dem fünften Antrag, der in der 1. Kommission zu diesem Thema gestellt wurde, vgl. oben § 3 I 3. 30

Letztere Einschränkung findet sich nur bei Gebhard. 31 Prot. II, Bd. 3, 103 (Mugdan III, 558); Jakobs/Schubert, SR I, 407: „Der Anspruch auf Berichtigung unterliegt keiner Verjährung. Die Bewilligung der Eintragung oder die Stellung des Löschungsantrags kann nicht mehr verlangt werden, wenn der Anspruch des Berechtigten auf Herstellung des dem Rechte entsprechenden Zustandes verjährt ist." 32 Prot. II, Bd. 3, 103 (Mugdan III, 558); Jakobs / Schubert, SR 1,407.

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schließlich entsprach sachlich dem vierten, vermied es aber, zur Frage der Verjährbarkeit Stellung zu beziehen, und sprach nur davon, daß der Berichtigungsanspruch so lange geltend gemacht werden kann, wie der Eigentümer Besitzer ist oder sein Eigentumsanspruch noch nicht verjährt ist, und daß mit der Verjährung des Eigentumsanspruchs auch der Berichtigungsanspruch erlischt 33 . Zunächst erörterte die Kommission die Frage, ob eine spezielle Vorschrift zur Verjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs überhaupt erforderlich sei. Zwar sprachen sich mehrere Kommissionsmitglieder, die aber offenbar in der Minderheit waren, gegen eine solche Bestimmung aus; ihre Beweggründe hätten aber unterschiedlicher nicht sein können. So meinten die einen in Übereinstimmung mit den Motiven zum 1. Entwurf, der Berichtigungsanspruch unterliege der allgemeinen Anspruchs Verjährung und die möglicherweise eintretende Unrichtigkeit des Grundbuchs sei wegen der Seltenheit der Fälle und der Möglichkeit eines gutgläubigen, das Grundbuch berichtigenden Erwerbs ebenso in Kauf zu nehmen wie die von der Kritik 3 4 gerügte Ungerechtigkeit, die eine solche Verjährung hier wie sonst auch mit sich bringe. Nicht überzeugend ist das weitere Argument, der wirkliche Eigentümer, dessen Berichtigungsanspruch verjährt sei, könne sich gegen Verfügungen des Bucheigentümers durch eine „Vormerkung" (d. i. ein „Widerspruch") sichern 35: Tut er dies, wird die Unrichtigkeit des Grundbuchs perpetuiert, und ein gutgläubiger, das Grundbuch der wirklichen Rechtslage anpassender Erwerb eines Dritten ist unmöglich. Da der Widerspruch zudem den Berichtigungsanspruch lediglich sichern soll, ist er nach der Verjährung des Anspruchs zu versagen 36. Andere Stimmen dagegen hielten eine besondere Vorschrift nur deswegen für untunlich, weil sie Mißverständnisse befürchteten, wenn man hier eine Regelung schaffe, entgegen den sonstigen Beschlüssen, Spezialvorschriften nicht zuzulassen37. Bei verständiger Auslegung sei nämlich ohnehin klar, daß der Berichtigungsanspruch nicht verjähren könne und daß er, wenn der Eigentumsanspruch verjährt sei, nicht mehr geltend gemacht werden könne 38 .

33

Prot. II, Bd. 3, 103 (Mugdan III, 558): „Der Berichtigungsanspruch kann geltend gemacht werden, solange der thatsächliche Zustand der Rechtslage entspricht oder der Anspruch auf Herstellung dieses Zustandes nicht verjährt ist. Mit der Verjährung des letzteren Anspruchs erlischt der Berichtigungsanspruch." 34 Die Kommission beruft sich auf die Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen III, 108 f., in der die Auffassung Bährs referiert wird (oben § 41 a. E.). 3

5 Prot. II, Bd. 3, 104 (Mugdan III, 558).

Dazu unten § 7 II 6. Kurz zuvor hatte die 2. Kommission mit Stichentscheid § 768 E I , der den Anspruch auf Aufhebung einer Gemeinschaft für unverjährbar erklärte, zur Vermeidung von Mißverständnissen gestrichen, später - nach der Beratung des Berichtigungsanspruchs - eine gleichlautende Norm jedoch wieder aufgenommen (Prot. II bei Mugdan II, 1211). Die Norm findet sich heute in § 758 BGB. 37

38

Prot. II, Bd. 3, 104 (Mugdan III, 558).

I. Die Verjährbarkeit dinglicher Ansprüche

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Die Kommissionsmehrheit wollte dagegen eine Vorschrift zur Frage der Verjährbarkeit des Anspruchs in das Gesetz aufnehmen; wieder aber trafen verschiedene Ansichten aufeinander. Einerseits machte man geltend, daß der Berichtigungsanspruch deshalb nicht verjähre, weil er nur äußerlich ein Anspruch im Sinne der Verjährungslehre sei, in Wirklichkeit aber gar nicht auf eine „Leistung" des Verpflichteten ziele; dessen Mitwirkung bei der Berichtigung des Grundbuchs sei nämlich bloß formeller Natur, nicht aber der eigentliche Kern des Anspruchs. Er sei ohne jeden selbständigen Charakter und habe keinerlei eigenen wirtschaftlichen Wert. Ähnliche nur formelle Ansprüche seien etwa der Anspruch auf Vorlage des Hypothekenbriefs zum Zweck der Löschung einer materiell erloschenen Hypothek 39 , das Recht auf Abmarkung in §§ 851 - 853 E I 4 0 oder das Recht des Teilhabers, die Teilung der Gemeinschaft zu verlangen 41. Eine Verjährung widerspreche dem Wesen lediglich formeller Ansprüche, die das Gesetz nur vorsehe, um dem Verpflichteten die Möglichkeit zu eröffnen, Gegenrechte geltend zu machen. Dagegen liege in der Herausgabe aufgrund der rei vindicatio wirklich eine „Leistung", da sie aktives Tun und nicht nur die Gestattung einer Wegnahme sei. Schließlich verwies man darauf, daß der Gesetzgeber es nicht in die Hand des einzelnen legen könne, den Berichtigungsanspruch womöglich nicht geltend zu machen und so eine dauernde Unrichtigkeit des Grundbuchs zu verursachen 42. Die die Verjährbarkeit des Anspruchs propagierende Gegenansicht bekämpfte diese theoretischen Ausführungen zur Natur des Berichtigungsanspruchs und die Unterscheidung zwischen formellen und materiellen Ansprüchen. Gesetzlich zugelassene Ansprüche seien ohne Unterschied zu behandeln. Der Berichtigungsanspruch sei schon deshalb nicht bloß formell, weil erst die Grundbucheintragung das „materielle" Verfügungsrecht verschaffe; in der Bewilligung des Verpflichteten liege jedenfalls eine „Leistung" 43 . Die Mehrheit in der Kommission wollte der am 1. Entwurf geäußerten Kritik 4 4 Rechnung tragen, indem sie den fünften Antrag annahm, der den formellen Berichtigungsanspruch sachlich vom materiellen Eigentumsanspruch abhängig macht, ohne aber zu der umstrittenen Frage seiner Verjährbarkeit eindeutig Stellung zu beziehen. Zumindest in der Unterscheidung von formellen und materiellen Ansprüchen scheint sie also den Verfechtern der Unverjährbarkeit des Anspruchs gefolgt zu sein, wenn auch nicht in der von diesen gezogenen Schlußfolgerung. Der Gesetzgeber könne es der Wissenschaft überlassen, die bloß theoretische Frage der Verjährbarkeit des Anspruchs zu klären, wenn er nur sein Verhältnis zum Eigentumsanspruch eindeutig festlege. In diesem Sinn wurde entschieden, daß der Be39 Vgl. § 896 BGB. 40 Entsprechen §§ 919, 920,924 BGB. 41

Vgl. §§ 768 E1,694 E II, 758 BGB; dazu soeben in Fn. 37. « Prot. II, Bd. 3, 105 f. (Mugdan III, 559). 43 Prot. II, Bd. 3, 106 (Mugdan III, 559 f.). 44 Dazu oben § 41 a. E.

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§ 5 Die 2. BGB-Kommission

richtigungsanspruch so lange nicht erlösche, wie der Eigentumsanspruch unverjährt oder der Eigentümer Besitzer sei, und er umgekehrt nach der Veijährung des Eigentumsanspruchs ausgeschlossen sei 45 . Diesem Beschluß entspricht die Regelung in § 843 Abs. 2 S. 1, 2 EI-VorlZust 46 . Ohne daß die Regelung in der Gesamtkommission nochmals erörtert worden wäre, wurde sie von ihrer Redaktionskommission abgeändert, und zwar dergestalt, daß man den Berichtigungsanspruch für unverjährbar erklärte und in einem Nachsatz seine Geltendmachung für den Fall der Verjährung des Eigentumsanspruchs ausschloß47. Zwar wollte man, abgesehen von der theoretischen Konzeption der Unverjährbarkeit, eine sachliche Änderung nicht herbeiführen. Man entsprach damit aber dem von der Gesamtkommission abgelehnten (!) dritten, von Jacubezky gestellten Antrag 48 . Diese von der Redaktionskommission veranlaßte Änderung in der Frage der Verjährbarkeit kann nur als Eigenmächtigkeit bezeichnet werden 49. Die Änderung ist noch im Jahre 189350, aber nach den Kommissionsbeschlüssen zur Tabularersitzung erfolgt, weil diese noch von der Verjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs ausgehen51. Später, anläßlich der Beratung des Familienrechts im Jahre 1894 durch die Gesamtkommission, stellte die Redaktionskommission den Antrag, den von ihr zuvor beschlossenen Nachsatz, wonach die Geltendmachung des unverjährbaren Berichtigungsanspruchs im Falle der Verjährung des Eigentumsanspruchs ausgeschlossen ist, wieder zu streichen, weil dieser Fall von der unterdessen beschlossenen Tabularersitzung erfaßt sei 52 . Ohne weitere Diskussion genehmigte die Gesamtkommission die Streichung des Nachsatzes, damit aber stillschweigend auch die eigenmächtig von der Redaktionskommission beschlossene 45 Prot. II, Bd. 3, 107 (Mugdan III, 560). 46 Jakobs / Schubert, SR 1,407 f. - § 843 Abs. 2 EI-VorlZust: „Der Berichtigungsanspruch kann geltend gemacht werden, solange der thatsächliche Zustand (abgesehen von der unrichtigen Eintragung) der Rechtslage entspricht oder der Anspruch auf Herstellung dieses Zustandes nicht (aufgehoben oder) verjährt ist. Mit der (Aufhebung oder) Verjährung des letzten Anspruchs erlischt der Berichtigungsanspruch. (Oder: Der Berichtigungsanspruch kann nicht geltend gemacht werden, wenn dem Anspruch auf Herstellung des der wirklichen Rechtslage entsprechenden Zustandes die Einrede der Verjährung entgegensteht)". 47 So § 843 Abs. 3 E I-ZustRedKom, bei Jakobs / Schubert, SR 1,408: „Der Berichtigungsanspruch unterliegt nicht der Verjährung (; er kann jedoch nicht mehr geltend gemacht werden, wenn der Anspruch auf Herstellung des der wirklichen Rechtslage entsprechenden Zustandes verjährt ist)". 48 Oben vor Fn. 31. 49 Vgl. dazu unten S. 77 ff. 50 Vgl. dazu den Bericht Greiffs aus dem Jahre 1893, Die zweite Lesung, 248 ff., 256. 51 S. unten § 5 II. Zumindest ging die Gesamtkommission dort noch von der Verjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs aus; ob die Redaktionskommission die Fassung inzwischen nicht geändert hatte, geht daraus natürlich nicht hervor. Irrig ist jedenfalls Strohais Ansicht, § 815 E II (also § 900 BGB) sei von der 2. Kommission zur „Remedur" der Mißstände, welche die von ihr zuvor beschlossene Unverjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs mit sich bringe, beschlossen worden, vgl. Strohal, Bemerkungen, 370. 52 Vgl. Grützmann, Die zweite Lesung, 593.

I. Die Verjährbarkeit dinglicher Ansprüche

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Unverjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs 53. Im 2. Entwurf ist wie in § 898 BGB nur noch von der Unverjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs die Rede54. Die Begründung für die Streichung des Nachsatzes, er sei von §§ 815, 816 E Π 5 5 bereits erfaßt, geht indes fehl. Zwar ist es zutreffend, daß in einem „gewöhnlichen" Zweipersonenverhältnis von Eigentümer und eingetragenem Besitzer dieser mit der Veijährung des Eigentumsanspruchs eine Tabularersitzung vollendet56. Die Auffassung stimmt jedoch in den Fällen eines Zweipersonenverhältnisses nicht, in denen der Bucheigentümer zwar seit dreißig Jahren Eigenbesitzer ist, die Bucheintragung aber erst weniger als dreißig Jahre besteht57. Ferner erfaßt die Tabularersitzung die Dreipersonenverhältnisse nicht, in denen es neben dem Bucheigentümer einen (dritten) Besitzer gibt, der dem Bucheigentümer den Besitz nicht mittelt. In diesen Fällen ist eine Tabularersitzung nicht möglich. Die Darstellung, die Kommission habe sich ohne Begründung für die Unverjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs „entschieden"58, läßt sich demnach so nicht aufrechterhalten: Zusammen mit dem Nachsatz ergab sich keine (sachliche) Änderung, und gestrichen wurde dieser mit, wenngleich falscher, Begründung. Nach dem Willen der Kommission sollte die Tabularersitzung die zeitliche Grenze für den „unverjährbaren" Berichtigungsanspruch darstellen und dieser damit vom Eigentumsanspruch abhängen.

Exkurs: Die Redaktionskommission der 2. Kommission Wie schon die 1. Kommission einen Redaktionsausschuß gebildet hatte, der aufgrund der von ihr gefaßten Beschlüsse den Wortlaut der Bestimmungen festzulegen und bei Inkongruenzen von Fassung und Inhalt der Beschlüsse die Entscheidung der Kommission herbeizuführen hatte 59 , setzte der Bundesrat am 4. Dezember 1890 zur Entlastung der 2. Kommission eine Redaktionskommission ein 60 . Soweit ersichtlich fehlen bislang spezielle Untersuchungen zu dieser wichtigen Kommission.

53 Prot. II, Bd. 4,589 (Mugdan III, 560). 54 Vgl. §813 E II, E III. 55 Entsprechen §§ 900, 901 BGB. 56 Es sei denn, der eingetragene Besitzer habe den Eigentumsanspruch nach § 208 BGB anerkannt, den Eigenbesitz jedoch fortgesetzt. 57 Der Eigentümer darf in den letzten dreißig Jahren nicht eingetragen gewesen sein, sonst ist seine Vindikation nicht verjährt (vgl. § 902 BGB). 58 So Schubert, Entstehung, 140. 59 Vgl. § 17 GeschO v. 4. 10. 1881 bei Schubert, Materialien, 270, 273; s. zur Zusammensetzung des Redaktionsausschusses oben S. 24. 60 S. Schubert, Materialien, 57.

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§ 5 Die 2. BGB-Kommission

1. Die Zusammensetzung Gemäß Bundesratsbeschluß vom 4. Dezember 189061 bestand die Redaktionskommission aus dem stellvertretenden Vorsitzenden der Gesamtkommission als Vorsitzendem, ferner dem Generalreferenten Planck und schließlich dem jeweiligen Referenten des betreffenden Buchs 62 ; sollte dieser zugleich der stellvertretende Vorsitzende sein 63 , so war das dritte Mitglied vom Vorsitzenden der Gesamtkommission zu ernennen. Diese Regelung wurde jedoch schon am 12. März 1891, also noch vor der ersten Beratung des Entwurfs am 1. April 1891, geändert und zusätzlich zu den genannten drei Mitgliedern ein viertes Mitglied, der Direktor des Reichsjustizamts, Hanauer, als Vorsitzender der Redaktionskommission bestimmt; etwaige weitere Ergänzungen der Redaktionskommission konnte nun die Gesamtkommission durch Beschluß vornehmen 64. Nachdem Hanauer Bosse als Vorsitzenden der Gesamtkommission im März 1892 abgelöst hatte, änderte der Bundesrat am 12. Mai 1892 die Zusammensetzung der Redaktionskommission erneut: Der stellvertretende Vorsitzende der Gesamtkommission Küntzel wurde wieder Vorsitzender der Redaktionskommission, die weiteren Mitglieder waren der Generalund der jeweilige Spezialreferent 65. Nach dem Bundesratsbeschluß vom 25. Oktober 1893 blieb Küntzel bei unveränderter Zusammensetzung Vorsitzender der Redaktionskommission, obwohl er zwischenzeitlich für den verstorbenen Hanauer auch Vorsitzender der Gesamtkommission geworden war 66 . Als die Gesamtkommission vom 9. Januar bis Juli 1893 und sodann wieder vom 9. Oktober bis 15. November 1893 das dritte Buch erörterte 67, bestand die Redaktionskommission aus Küntzel, Planck und Jacubezky. Letzterer war auf die Bitte Plancks und Hanauers als Vollmitglied der Redaktionskommission bestimmt worden 68 , nachdem er offenbar schon zuvor - er war der für das zweite Buch zuständi61 Punkt IX, bei Schubert, Materialien, 351. 62 Die Spezialreferenten waren Gebhard für den Allgemeinen Teil und das Einführungsgesetz, Jacubezky für das Schuldrecht, Küntzel für das Sachenrecht, v. Mandry für das Familienrecht und v. Rüger für das Erbrecht (vgl. Schubert, Materialien, 59). 63 Stellvertretender Vorsitzender war der für das Sachenrecht zuständige Küntzel. 64 So der Bundesratsbeschluß vom 21. 3. 1891 (Punkt IX), bei Schubert, Materialien, 355; Gebhard, Vorwort, IX. Mit dieser Neuregelung war auch die Bestimmung des früheren Beschlusses des Bundesrats aufgehoben worden, daß für den Fall, daß der stellvertretende Vorsitzende der Spezialreferent sei, ein drittes Mitglied durch den Vorsitzenden der Gesamtkommission zu bestimmen sei. Da die Redaktionskommission nach dem neuen Beschluß nun aus vier Mitgliedern bestand, wurde zugleich beschlossen, daß die Kommission mit Stimmenmehrheit entscheide und bei Stimmengleichheit die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag gebe. 65 Beschluß bei Schubert, Materialien, 355. 66 Beschluß bei Schubert, Materialien, 356. 67 Gebhard, Vorwort, X; Oertmann, Entwurf II, 29. 68 Schubert, Materialien, 59; ders. y Bayern, 21. Bei Planck! Knoke, Einleitung, XXXIII, findet sich die Angabe, daß Jacubezky die Redaktionskommission „zeitweise" verstärkt habe, was sich wohl auf seine Anwesenheit von der Beratung des Schuldrechts an bezieht.

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ge Referent - in der Redaktionskommission seine besondere Befähigung erwiesen hatte. Da Küntzel selbst der Referent für das dritte Buch war, gab es keinen weiteren speziellen Referenten. Davon, daß die Gesamtkommission ein weiteres Mitglied benannt hätte, weil der Vorsitzende der Redaktionskommission zugleich der Spezialreferent des Sachenrechts war, ist nichts bekannt69. Dies war aber auch nicht notwendig, da die Kommission nach der Aufnahme Jacubezkys bereits aus drei Mitgliedern bestand. Nach einer Angabe Plancks nahm zeitweise auch Börner in seiner Funktion als Reichskommissar an der Redaktion teil 7 0 . Immerhin wissen davon die Bundesratsbeschlüsse nichts, aber unwahrscheinlich ist das nicht, waren der Gesamtkommission doch drei Reichskommissare zugeordnet, nämlich Struckmann, Börner und Achilles 71 . Möglicherweise war der Schriftführer der 2. Kommission, Greiff, auch Schriftführer der Redaktionskommission72. Die für die Revision des 2. Entwurfs im Jahre 1895 gebildete Redaktionskommission bestand aus Küntzel, Planck, v. Rüger, Gebhard, v. Mandry, Jacubezky und Börner 73 .

2. Die Aufgaben Die Redaktionskommission war als Protokollausschuß für die Genehmigung der Protokolle der Gesamtkommission zuständig74; zudem sollte sie insbesondere die von dieser gefaßten Beschlüsse einer redaktionellen Revision unterziehen 75. Dabei war ihre Arbeitsgrundlage die „Vorläufige Zusammenstellung der Beschlüsse der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs eines BGB" aus der Hand des Generalreferenten Planck, die sogenannte „Redaktionsvorlage" 76. Der von der Redaktionskommission festgelegte Entwurf („Vorläufige Zusammenstellung der Beschlüsse der Redaktionskommission"77) war der Gesamtkommission zur Genehmigung vorzulegen, eine Wiederaufnahme der sachlichen Beratung konnte nur aufgrund eines besonderen Kommissionsbeschlusses erfolgen, § 14 GeschO78. Die 69

Vgl. auch oben in Fn. 64. Planck/ Knoke, Einleitung, XXXIII. Diese Angabe bezieht sich wahrscheinlich auf Börners spätere Präsenz anläßlich der Revision des 2. Entwurfs im Jahre 1895 (Schubert, Materialien, 60); er wurde nämlich erst am 21. 3. 1895 ständiges Mitglied der Gesamtkommission. 71 Oertmann, Entwurf I, 165; Schubert, Materialien, 58. 72 Vgl. nur Greiffs Ausführungen zur Meinungsbildung in der Redaktionskommission unten vor Fn. 101. 73 Vgl. Schubert, Materialien, 60. 74 Gebhard, Vorwort, VIII; Schubert, Materialien, 58. 7 5 Punkt IX des Bundesratsbeschlusses v. 12. 3. 1891 bei Schubert, Materialien, 355. ™ Gebhard, Vorwort, IX; Frensdorf}, 353. 70

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Ebd. Die GeschO der 2. Kommission nach einem Entwurf des Reichsjustizamts wurde von der Gesamtkommission auf ihrer vorbereitenden Sitzung am 15. 12. 1890 angenommen, vgl. 78

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§ 5 Die 2. BGB-Kommission

Redaktionskommission tagte in der Regel in der zweiten Wochenhälfte, nachdem die Gesamtkommission von Montag bis Mittwoch ihre jeweiligen Beschlüsse gefaßt hatte 79 . Der Vorsitzende der Gesamtkommission, Staatssekretär Bosse, ging 1892 noch davon aus, daß die Redaktionskommission sogleich in jeder Woche die Kommissionsbeschlüsse formulieren werde 80 , was indessen nicht eingehalten werden konnte; die Redaktion des Sachenrechts dauerte bis in den März 189481, obwohl die Gesamtkommission bereits im November 1893 die Lesung des dritten Buchs beendet hatte. Nachdem die Redaktionskommission Buch für Buch des neuen Entwurfs in seiner Fassung festgestellt hatte und diese von der Gesamtkommission genehmigt worden war, wurde der Entwurf veröffentlicht (E II) 8 2 . Nachdem die Kommission den gesamten 2. Entwurf vom 6. Mai bis 19. Juni 1895 einer Revision unterzogen hatte, wurde er einer nochmaligen Durchsicht durch die Redaktionskommission unterworfen. Am 21. Oktober 1895 erfolgte die Feststellung der Schlußredaktion durch die Gesamtkommission (E II rev.) 83 . Die Aufgabe der Redaktionskommission bestand in der sprachlichen Abfassung und Angleichung der von der Gesamtkommission getroffenen und in der Fassung der Planckschen Redaktionsvorlage vorgelegten Entscheidungen. Bei dieser Arbeit hatte sie die „aus der Mitte der Kommission und anderweitig erhobenen Fassungsbedenken" zu berücksichtigen 84. Freilich wurden ihr auch Fragen der systematischen Anordnung von Bestimmungen zur Entscheidung überwiesen, wie etwa §§ 90 ff. BGB, hinsichtlich derer es der Redaktionskommission ausdrücklich überlassen wurde, sie am Anfang des Sachenrechts zu regeln oder in den Allgemeinen Teil aufzunehmen 85. Auch die Entscheidung der Frage, ob eine Norm sich erübrige oder nicht, wurde der Redaktionskommission in manchen Fällen überwiesen 86. Des

Schubert, Materialien, 357, 359 (dort versehentlich „1891", vgl. dazu ebd., 58 in Fn. 138); Gebhard, Vorwort, VIII. 79 So Bosse, 43,45; Frensdorff, 352. Anders noch der Beschluß der Gesamtkommission v. 15. 12. 1890, von Mittwoch bis Freitag, evtl. auch am Samstag zu tagen (vgl. Schubert, Materialien, 357), von dem man offenbar abgerückt war. so Bosse, 43. 81 v. Mandry, 243 in Fn. 1. 82 Der Allgemeine Teil erschien 1892, das Schuldrecht 1892-93, das Sachen- und Familienrecht 1894, das Erbrecht 1895. Der gesamte Entwurf wurde 1894-1895 als „Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich. Zweite Lesung. Nach den Beschlüssen der Redaktionskommission" (Berlin) vorgelegt; Gebhard, Vorwort, X; Staudingerl Coing, Einl. zum BGB, Rn. 84. 83 Gebhard, Vorwort, XI. 84 So Punkt IX der Fassung des Bundesratsbeschlusses vom 12. 3. 1891 bei Schubert, Materialien, 355. 85 Prot. II, Bd. 3, 2 {Mugdan III, 486). Vgl. etwa auch Mugdan V, 423, hinsichtlich der Stellung des § 857 BGB. Auf die zwei Aufgaben der sprachlichen Fassung und der Regelung von systematischen Fragen sieht H. H. Seiler, 248, die Arbeit der Redaktionskommission beschränkt; ebenso Scheel, 30. 86 Vgl. etwa bei Jakobs / Schubert, EG Teil 1, 828, zu Art. 100 e VorlZust.

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weiteren sollte sie allgemeine Normen aus Einzelentscheidungen der Gesamtkommission formulieren 87. Auch kam es vor, daß die Gesamtkommission der Redaktionskommission eine bestimmte Frage (von geringerer Bedeutung) zur „Prüfung und Entscheidung" überließ. Dabei geschah dies nur auf ausdrückliche Ermächtigung hin und nicht, ohne daß man der Redaktionskommission die maßgeblichen Entscheidungskriterien vorgab 88 ; die 2. Kommission ließ ihrer Redaktionskommission damit durchaus größere Freiheiten als die 1. Kommission dem Redaktionsausschuß89. Zutreffend ist wohl die Vermutung, das sei nicht zuletzt deshalb geschehen, um die 13 nichtständigen und juristisch nicht gebildeten Mitglieder der 2. Kommission, die nur an der grundsätzlichen juristischen Entscheidung interessiert waren, nicht mit juristischen Quisquilien von Sprache und System zu behelligen90. Dessenungeachtet gehörte es sicher nicht zu den Aufgaben der Redaktionskommission, ohne entsprechende Ermächtigung durch die Gesamtkommission sachliche Änderungen zu beschließen91. Im Falle, daß der Redaktionskommission sachliche Unstimmigkeiten oder Emendenda auffielen, konnte sie ihren Vorschlag der Gesamtkommission unterbreiten. Von diesem Vorrecht hat sie bei der Revision des 2. Entwurfs Mitte 1895 auch häufigen Gebrauch gemacht92. Immer wieder ist im Schrifttum jedoch - mit berechtigtem Erstaunen 93 - festgestellt worden, daß die Redaktionskommission, wissentlich oder nicht, erhebliche inhaltliche Änderungen vorgenommen hat 94 . Berüchtigte Beispiele sind die Änderung der Stellung des heutigen § 276 BGB 9 5 und die grundsätzliche Gleichstellung des nachträglichen Unvermögens mit der Unmöglichkeit in §§ 275, 279 BGB 9 6 . Andere sachliche Änderungen gegenüber den Kommissionsbeschlüssen sind eben87 Vgl. z. B. § 845 a E I-ZustRedKom, der heutige § 900 Abs. 2 BGB. Die Gesamtkommission hatte zuvor nur die Tabularersitzung von Grunddienstbarkeiten, des Nießbrauchs und von Reallasten beschlossen (Jakobs ! Schubert, SR 1,410). 88 Vgl. etwa die Änderung des § 876 S. 3 BGB: Nachdem der Redaktionskommission eine Unstimmigkeit zur Regelung in § 875 BGB aufgefallen war, beantragte sie in zweiter Lesung, daß auch im heutigen § 876 BGB die Zustimmung demjenigen gegenüber erklärt werden könne, zu dessen Gunsten sie erfolge, nicht jedoch dem „Berechtigten" (also dem Eigentümer) gegenüber, wie es noch § 797 E II vorgesehen hatte. Die Redaktionskommission sollte die Frage entscheiden, freilich mit der Vorgabe, daß eine „gleichmäßige Behandlung der Frage" insbesondere im Hinblick auf § 875 BGB erreicht werde (Mugdan III, 537). 89 So richtig Schubert, Materialien, 59. 90 Schubert, Materialien, 59. 91 Deutlich etwa Soergelf Μ. Wolf, § 276, Rn. 4. 92 Vgl. ζ. B. die in zweiter Lesung durch die Gesamtkommission auf Vorschlag der Redaktionskommission erfolgte Änderung des § 877 BGB (Mugdan III, 537 f.). 93 Vgl. etwa die Formulierung von Jakobs, Unmöglichkeit, 149: „Man steht einigermaßen fassungslos vor einer solchen »Redaktion*" (im Hinblick auf die Gleichstellung von Unmöglichkeit und Unvermögen durch die Redaktionskommission). 94 Η. H. Seiler, 248, spricht davon, daß die Arbeitsteilung zwischen Gesamt- und Redaktionskommission die Gefahr von Fehlern mit sich gebracht habe. 95 Dazu Emmerich, Leistungsstörungen, 8. 96 Dazu Jakobs, a. a. O.; Emmerich, a. a. O.

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falls nachweisbar 97. Im Falle der Änderung der Formulierung der Verjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs entsprach Plancks Redaktionsvorlage noch den Beschlüssen der Gesamtkommission, die Frage der Verjährbarkeit offenzulassen und den Berichtigungs- vom Eigentumsanspruch abhängig zu machen. Über die Äußerungen innerhalb der Redaktionskommission wissen wir nichts; Protokolle sind, obwohl in § 10 GeschO vorgesehen98, nicht überliefert 99. Die Vermutung des Schriftführers der Gesamtkommission100, Greiff, die Redaktionskommission habe sich bei ihrer Redaktion davon überzeugt, daß der Gedanke des Beschlusses anders nicht deutlich genug habe ausgedrückt werden können als durch die Feststellung der Unverjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs 101, vermag eine Ehrenrettung der Redaktionskommission nicht zu bewirken. Erst der Blick auf die in ihr tätigen Kommissionsmitglieder und auf die von diesen in der Gesamtkommission unterbreiteten Anträge erklärt, wie die Redaktionskommission dazu kommen konnte, sich eigenmächtig über den von der Gesamtkommission getroffenen und ausführlich motivierten Beschluß hinwegzusetzen und dieser einen abgelehnten Antrag als eigenen Beschluß „unterzuschieben" 102: Der Generalreferent Planck hatte in früheren Anträgen der Unveijährbarkeit des Berichtigungsanspruchs das Wort geredet 1 0 3 , Reichskommissar Börner, dessen Mitgliedschaft in der Redaktionskommission im konkreten Fall nicht feststeht 104, gleichfalls 105 , und schließlich stammte der abgelehnte und nun „adoptierte" Antrag von Jacubezky, ebenfalls Mitglied der Redaktionskommission. Damit war zumindest die Mehrheit der aus drei oder 97 Als weitere Eigenmächtigkeit im Sachenrecht muß etwa folgender Sachverhalt gelten: Der Redaktionskommission wurde Plancks Antrag zur näheren Beschlußfassung überlassen, die ausdrückliche Anordnung einer Eigentümerhypothek im Falle des § 1104 E I (ein Vorläufer von § 1171 BGB) zu streichen und dafür zu bestimmen, daß der Gläubiger mit Erlaß des Urteils als befriedigt gelte - was inhaltlich auf das Gleiche hinausläuft. Die Redaktionskommission nahm jedoch nicht nur diesen Antrag an, sondern setzte in § 1093 b E I-ZustRedKom die zehnjährige Frist für die Rückerstattung des hinterlegten Betrages ohne weitere Erörterung in der 2. Kommission auf dreißig Jahre herauf. Auch die durch § 1171 Abs. 3 a. E. BGB ermöglichte Rücknahme des hinterlegten Betrags selbst in dem Falle, daß der Schuldner darauf eigens verzichtet hatte, ist auf einen Eingriff der Redaktionskommission zurückzuführen: In § 1078 E II ist die Formulierung noch nicht enthalten, sondern erst in § 1155 E II rev., der Bundesratsvorlage; ein entsprechender Beschluß der 2. Kommission ist nicht feststellbar. Allerdings wurden die Änderungen mit der zweiten Lesung des 2. Entwurfs von der Gesamtkommission implizite genehmigt. 98 Vgl. bei Schubert, Materialien, 359. 99 Ebd., 59. 100 ob er auch Schriftführer der Redaktionskommission war, konnte nicht festgestellt werden. ιοί Greiff, Die zweite Lesung, 256. 102 Den Vorgang kann man nicht anders nennen: Die Redaktionskommission hat eine erneute Beschlußfassung über die Änderung, wie sie von § 14 GeschO gefordert wird, nicht herbeigeführt; so auch Grützmann, Die zweite Lesung, 593. 103 S. oben § 3 I 1, 3; § 5 11 a. 104 S. oben in Fn. 70. 105 S. oben § 5 I 1 a.

I. Die Verjährbarkeit dinglicher Ansprüche

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vier 1 0 6 Mitgliedern bestehenden Redaktionskommission gesichert; eine Stimmenmehrheit reichte für ihre Beschlüsse aus 107 . Der insgesamt erstaunliche Vorgang, daß sich eine mit der Redaktion beschlossener Paragraphen befaßte und durch nichts dazu legitimierte Kommission zum „Ersatzgesetzgeber" aufspielt, zeigt deutlich, welche Bedeutung einzelnen Persönlichkeiten in einem solchen Gesetzgebungsprozeß - für die 2. Kommission sind das Planck und Jacubezky, wie bereits im Schrifttum öfter betont wurde 108 - und ihren persönlichen Eitelkeiten zukommen kann. Er läßt jedoch auch die Frage aufkommen, wer in einem solchen Fall im Hinblick auf die historische Auslegung eigentlich als der materielle Gesetzgeber 109 anzusehen ist - die Gesamtkommission, die ihre Beschlüsse ausführlich motivierte, oder die Redaktionskommission, deren Änderungen schließlich Gesetz geworden sind. Zumindest in dem Umfang, wie es der Wortlaut des Gesetzes erlaubt, sollten der begründete Wille des (historischen) Gesetzgebers und die (historische) ratio legis den Vorrang haben. Wenn, wie in der Frage der Verjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs, die Redaktionskommission sachlich von der Entscheidung der Gesamtkommission nicht einmal hat abrücken wollen und nur die Zufälligkeit einer einige Zeit nach der Grundentscheidung getroffenen Fehleinschätzung den Ausschlag für die - unzutreffende - sachliche Änderung gegeben hat, sollte man zum Zweck der Auslegung ohne weiteres auf die Motive der Gesamtkommission zurückgreifen und sie im Rahmen des Möglichen zur Geltung bringen. Es handelt sich dabei um ein klassisches Redaktionsversehen. Anderes kann freilich dann gelten, wenn schon der Eingriff der Redaktionskommission mit einer sachlichen Änderung einhergehen sollte. Da auch eine solche 106

Für den Fall, daß Börner Mitglied war. 107 Punkt IX des Bundesratsbeschlusses v. 12. 3. 1891 bei Schubert, Materialien, 355. Betrachtet man den Vorgang um die Entstehung des § 898 BGB aufmerksam, könnte man vor allem Planck Strategie unterstellen: Er redigiert im Verein mit Jacubezky den Vorläufer des § 898 BGB dergestalt, daß - ohne sachliche Änderung des Gesamtkommissionsbeschlusses von der Unverjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs die Rede ist, die freilich durch einen Nachsatz eingeschränkt wird (weshalb die Bestimmung in Wirklichkeit von der Verjährbarkeit des Anspruchs ausgeht). Sodann läßt er später, ebenfalls durch einen Antrag der Redaktionskommission, den Nachsatz von der Gesamtkommission, die mittlerweile ein ganz anderes Rechtsgebiet, nämlich das Familienrecht, berät (und deshalb womöglich nicht auf der Höhe des früheren Diskussionsstands ist) wieder streichen und gelangt so zu einer uneingeschränkten Unverjährbarkeit des dinglichen Anspruchs, die er ohnehin stets wollte und zuvor vergeblich beantragt hatte. Das alles ist natürlich nicht beweisbar und bleibt daher Vermutung, die freilich dem großen Einfluß der Redaktionskommission in der Gesamtkommission Rechnung trägt. io» Sohm, Entstehung, 7; ders., Planck, 612; Frensdorf, 355 f.; Schubert, Materialien, 59; Staudinger/ Coing, Einl. zum BGB, Rn. 84; vgl. auch Planck selbst in seinem Nachruf auf Jacubezky in der Münchener Allgemeinen Zeitung Nr. 2 v. 8. Januar 1910, 27; Schulte-Nölke, 191: Jacubezky habe Zugang zu dem vom Reichsjustizamt dominierten inneren Zirkel der 2. Kommission gefunden. Zu Jacubezkys Einfluß in der 2. Kommission auch Conrad, selbst nichtständiges Mitglied, 192. Vgl. aber auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte, 471, der Jacubezky nicht einmal erwähnt. 109 Zu diesem Begriff oben § 1 II.

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„Redaktion" am Ende jeweils von der Gesamtkommission gebilligt worden ist, wird man in diesen Fällen dem (materiellen) historischen Gesetzgeber allenfalls einen Fehler bescheinigen können, nicht ohne weiteres jedoch auf die früheren Ausführungen der Gesamtkommission zurückgreifen können 110 .

II. Die Tabularersitzung Im Anschluß an die Beschlüsse über das Aufgebots verfahren 111 beantragte v. Mandry, der sich bereits in der 1. Kommission erfolglos für die Zulassung einer Tabularersitzung eingesetzt hatte 112 , ein Aufgebotsverfahren für den Bucheigentümer. Nach dreißig Jahren Bucheigentums und Eigenbesitzes solle ein solches Verfahren, das bei Eintragung eines Widerspruchs ausgeschlossen sein müsse, zulässig sein; das Ausschlußurteil solle das Eigentum des Bucheigentümers feststellen 113, v. Mandry zog seinen Vorschlag jedoch zu Gunsten eines Antrags von Jacubezky zurück, der eine wirkliche Tabularersitzung nach dreißig Jahren des Eigenbesitzes und gleichlanger Eintragung vorsieht; außerdem soll danach die Frist, deren Lauf durch die Eintragung eines Widerspruchs gehemmt ist, wie bei der Ersitzung beweglicher Sachen berechnet werden 114 . Die Begründung für die Annahme des zweiten Antrags ist angesichts der früheren Diskussion um diese Ersitzungsform eher lapidar, macht aber deutlich, daß die Kommission die Entstehung des - häufig am 1. Entwurf kritisierten 115 - dominium sine re schreckte: Nach dreißigjährigem Besitz und Eintrag seien Eigentums- wie Berichtigungsanspruch des wirklichen Eigentümers verjährt 116 , weshalb ein dominium sine re entstehe; gelange in einem solchen Fall das Grundstück in den Besitz eines Dritten, seien praktische Schwierigkeiten zu gewärtigen. Gegen die Tabularersitzung sei früher nur eingewandt worden, daß praktische Fälle nicht bekannt geworden seien und daher ein Regelungsbedürfnis nicht bestehe. Demgegenüber sei es aber wünschenswert, die rechtliche Erscheinung zu beseitigen. Die Kommission verwies überdies auf die tradierte Aufgabe der Ersitzung, Beweisschwierigkeiten

no Bedenklich ist etwa M. Wolfs Schluß (in: Soergel, § 276, Rn. 4), daß die allgemeine cw/pa-Haftung des gemeinen Rechts fortbestehe, weil die Redaktionskommission an den Beschlüssen der 2. Kommission sachlich nichts habe ändern dürfen und deshalb den durch sie veranlaßten Änderungen (die Umstellung des heutigen § 276 BGB) ein Gewicht nicht beizumessen sei. in Dazu unten § 5 III 1. 112 S. oben § 3 II. 113 Prot. II, Bd. 3, 192 f. {Mugdan III, 573); Jakobs I Schubert, SR 1,409 f. 114 Prot. II, Bd. 3, 193 {Mugdan III, 573); JakobsISchubert, SR I, 410. Vgl. §§ 873 a E IVorlZust, 871 a E I-ZustRedKom, 845 a ZustRedKom, 815 E II, 885 E II rev., 889 E III und schließlich § 900 BGB. us Dazu oben § 41. 116 S. oben bei Fn. 51.

III. Das Aufgebotsverfahren

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des Berechtigten abzuschneiden. Da mit der Ersitzung ein originärer Erwerbsgrund geschaffen werde, brauche auch ein Eigentümer nach dreißigjährigem Besitz und ebensolanger Eintragung nicht mehr auf den oft lange zurückliegenden Erwerbsakt zurückzugreifen und deshalb eine Einrede wegen etwaiger Mängel seines Erwerbs nicht mehr zu befürchten 117. Nach so langer Zeit sollten Mängel im Erwerb nicht mehr Gegenstand einer Erörterung der Parteien sein 118 . Dies scheint auch der Grund dafür gewesen zu sein, daß man das Erfordernis guten Glaubens nicht einmal diskutierte, obwohl ja die Schaffung einer Ersitzungsvorschrift ohne diese Voraussetzung einen Bruch mit den historischen Vorbildern bedeutete. Ein weiterer Grund dafür mag gewesen sein, daß ratio legis die Vermeidung einer nuda proprietas ist; diese entsteht nämlich unabhängig von der Frage, ob der Bucheigentümer gut- oder bösgläubig ist. Das hatte schon die 1. Kommission erkannt und v. Mandrys Antrag - Zulassung der Tabularersitzung unter der Voraussetzung guten Glaubens - entgegengehalten119. Die Kommission ging davon aus, daß mit der Schaffung einer Tabularersitzung ein dominium sine re im Grundstücksrecht auf alle Fälle vermieden werden könne 120 . I I I . Das Aufgebotsverfahren 1. Wesentliche Änderungen wurden an der von der 1. Kommission beschlossenen Aufgebotsvorschrift 121 nicht vorgenommen und waren auch nicht beabsichtigt. Durch verschiedene redaktionelle Eingriffe wurde die Norm aber keineswegs anschaulicher; auch sprachlich ist sie mißraten: Ein verstorbener Grundstückseigentümer" ist kein Eigentümer mehr 122 . Die zu § 873 E I gestellten Anträge beschränkten sich neben Umstellungen 123 vornehmlich auf sprachliche Modifikationen: Achilles etwa beantragte erfolgreich eine Veränderung des Eingangs der Vorschrift, so daß nunmehr auf den möglichen Ausschluß des Eigentümers in einem Aufgebotsverfahren abgestellt wurde statt auf die Möglichkeit des besitzenden Antragstellers, ein solches Verfahren einzuleiten 124 . Auch Plancks Antrag, in der Vorschrift vom „Eigenbesitz" zu sprechen 125, ist nicht als qualitative Änderung aufzufassen. 117 Prot. II, Bd. 3, 194 (Mugdan III, 573). us Prot. II, Bd. 3, 308 (Mugdan III, 574). s. oben § 3 II und auch § 5 11 b a. E. 120 Prot. II, Bd. 3, 235 (Mugdan III, 642). 121 Oben § 3 III. 122

Vgl. §§ 840 Abs. 1 S. 3 E II, 927 Abs. 1 S. 3 BGB; Süß, 24 in Fn. 21; v. Gierke , Deutsches Privatrecht II, 460 in Fn. 72; Wolff, ; Mitbesitz, 190 in Fn. 128. Geschickter noch § 873 E I, der den Tod des „eingetragenen Eigentümers" zur Voraussetzung für das Aufgebotsverfahren erhebt. 123 Einzelne Bestimmungen wurden in die ZPO verwiesen, vgl. §§ 977-981 ZPO. 124 Prot. II, Bd. 3, 190 (Mugdan III, 622); Jakobs ! Schubert, SR I, 567. 125 Prot. II, Bd. 3, 191 (Mugdan III, 622); Jakobs/ Schubert, SR I, 568. 6 Finkenauer

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Einzig Jacubezky schlug in Übereinstimmung mit der Kritik am 1. Entwurf 126 eine inhaltliche Änderung vor, die auch einstimmig angenommen wurde: Das Aufgebotsverfahren sollte im Gegensatz zu § 873 E I auch für den Fall Geltung beanspruchen können, daß das betreffende Grundstück überhaupt nicht gebucht sei oder der frühere Eigentümer sein Eigentum aufgegeben und eine Aneignung durch den Berechtigten nicht stattgefunden habe 127 . Deshalb wurde klargestellt, daß erstens ein Aufgebotsverfahren nach dreißig Jahren Eigenbesitzes zulässig ist, und zwar unabhängig von der Eintragung eines Eigentümers (vgl. § 927 Abs. 1 S. 1 BGB); dies sollte die Fälle ungebuchter oder aufgegebener Grundstücke erfassen. Zweitens kann ein Aufgebots verfahren gemäß einem Vorläufer des § 927 Abs. 1 S. 3 BGB dann durchgeführt werden, wenn ein anderer als Eigentümer im Grundbuch verzeichnet ist, und zwar unter der Voraussetzung, daß dieser seit dreißig Jahren tot ist. Gerechtfertigt wurde der heutige § 927 Abs. 1 S. 1 BGB damit, daß es nicht einzusehen sei, den nicht (mehr) eingetragenen Eigentümer stärker zu schützen als den Erben eines eingetragenen Eigentümers, indem man wie der 1. Entwurf nur gegen den letzteren die Durchführung eines Aufgebotsverfahrens gestatte. Die ungebuchten Grundstücke müßten zudem deshalb eine Regelung erfahren, weil der Gesetzgeber auch nach der Einführung des Grundbuchsystems mit einer Vielzahl solcher Grundstücke zu rechnen habe 128 . Der berüchtigte sprachliche Lapsus in § 927 Abs. 1 S. 3 BGB rührt von dem Bestreben her, die Fälle der heutigen § 927 Abs. 1 S. 1 und § 927 Abs. 1 S. 3 BGB voneinander abzugrenzen und deutlich zu machen, daß in § 927 Abs. 1 S. 1 BGB nur an die nicht gebuchten oder aufgegebenen Grundstücke gedacht ist. Jacubezkys Formulierungsvorschlag für den heutigen § 927 Abs. 1 S. 3 BGB: „Ist ein Anderer als Eigenthümer in das Grundbuch eingetragen, so ist das Aufgebotsverfahren nur zulässig, wenn der als Eigenthümer Eingetragene gestorben ist" 1 2 9 , macht immerhin noch deutlich, daß der Eingetragene, weil gestorben, durchaus nicht mehr der Eigentümer ist, sondern nur noch aus dem Buch als solcher hervorgeht. Der Formulierungsfehler findet sich erst in der Zusammenstellung der Redaktionskommission130. In § 873 Abs. 3 E I ist noch die Rede vom Nachweis des Todes durch eine Sterbeurkunde oder durch eine Ausfertigung des Urteils, durch das der bisherige Eigentümer für tot erklärt wird. Bei der von Achilles angeregten Neuformulierung unterbleibt der Hinweis auf die Todeserklärung. Materiell wird nur der dreißig Jahre zurückliegende Tod des eingetragenen Eigentümers gefordert. Noch in § 840 E Π und § 912 E I I rev. ist dies der Fall. Erst die Beratung des § 912 Ε Π rev. in erster

126 s. oben § 4 III. 127 Prot. II, Bd. 3, 192 {Mugdan III, 622). 128 Ebd. 129 Prot. II, Bd. 3, 191 {Mugdan III, 622); Jakobs ISchubert, SR I, 568. So auch noch die Plancksche EI-VorlZust in § 873 Abs. 2 S. 2 {Jakobs ! Schubert, SR I, 568). 130 Vgl. § 871 b Abs. 2 S. 2 E I-ZustRedKom: „Ist der Eigenthümer im Grundbuch eingetragen, so ist das Aufgebotsverfahren nur zulässig, wenn er gestorben ist".

III. Das Aufgebotsverfahren

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Lesung im Justizausschuß des Bundesrats 131 ergab eine wesentliche Änderung. Auf Antrag von Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz 132 und im Einklang mit einem Teil der Kritik am 1. Entwurf 133 wurde die Vorschrift dahingehend erleichtert, daß es genügt, wenn der Eigentümer lediglich unbekannt ist und die letzten dreißig Jahre eine Eintragung im Grundbuch nicht vorgenommen wurde, die seiner Zustimmung oder Eintragungsbewilligung bedurfte hatte 134 . Der Nachweis des Todes oder die Erwirkung einer Todeserklärung sei oft zu schwierig und verursache erhebliche Kosten, weshalb bei kleineren Grundstücken ein das Grundbuch berichtigendes Aufgebotsverfahren womöglich verhindert werde; die Richtigstellung des Grundbuchs sei aber im öffentlichen Interesse geboten 135 . Vor allem Baden und Preußen, das in der Änderung eine wertvolle Erleichterung für die „kleinen Leute" sah, sprachen sich für den Antrag aus 136 . Die Reichskommissarien setzten für „unbekannt" „verschollen", änderten aber sonst nichts. In der zweiten Lesung im Justizausschuß des Bundesrats beantragten Preußen, Sachsen und Mecklenburg-Schwerin, vor „verschollen" noch „gestorben oder" einzufügen, was einstimmig angenommen wurde 137 . Dies wurde die Formulierung in § 911 Ε ΠΙ und § 927 Abs. 1 S. 3 BGB. Die endgültige Fassung des § 927 Abs. 1 S. 3 BGB unter Einschluß der Verschollenheit des Eigentümers und der Voraussetzung des Fehlens einer bewilligungspflichtigen Eintragung in den letzten dreißig Jahren führt Hofmeister auf Bähr und Strohal zurück 138 . Dieser Zusammenhang erscheint indes fragwürdig. Richtig ist zwar, daß beide entsprechende Vorschläge im Hinblick auf die preußischen Gesetze von 1872 gemacht hatten 139 , in den Materialien des BGB läßt sich aber kein Hinweis auf die beiden Autoren finden. Überdies unterließen sie es, eine ihren früheren Vorschlägen entsprechende Kritik an dem Vorläufer des § 927 BGB zu äußern 140 , so daß im Jahre 1895 keineswegs feststand, ob sie an ihrer früheren Auffassung noch festhielten.

131 Dazu oben S. 27. 1 32 In Übereinstimmung mit dem mecklenburgischen Recht. Vgl. schon die Kritik der Regierungen, in: Bemerkungen der Großherzoglich Mecklenburg-Schwerinschen Regierung I, 214. 133 Vgl. oben § 4 III a. E. 134 So § 912 Abs. 1 S. 3 in der Fassung der Beschlüsse durch den Justizausschuß des Bundesrats, Jakobs ! Schubert, SR I, 570. 135 Jakobs ! Schubert, SR I, 570. 136 Ebd. 137 Ebd., 571. 138 Hofmeister, 335 und in Fn. 59. 139 S. oben § 4 in Fn. 70 (zu Bähr). Strohal, Eigenthum, 138 f., hatte einer vierzigjährigen „Ersitzung" gegen das Grundbuch das Wort geredet, wenn in dieser Zeit das eingetragene Recht kein „Lebenszeichen" von sich gegeben habe (vgl. oben § 4 III a. E.). 140 Vgl. dazu oben § 4 III. 6*

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2. Die 2. Kommission strich § 950 E I, der für das Miteigentum u. a. die Anwendbarkeit des Aufgebotsverfahrens vorsah 141 . Sie sprach sich gegen die Anwachsungstheorie aus, weil die übrigen Miteigentümer im Falle des Verzichts auf den Anteil wegen Belastungen des Anteils möglicherweise zu Prozessen gezwungen werden würden. Die Formulierung lediglich eines Aneignungsrechts der übrigen Miteigentümer widerstrebte ihr deshalb, weil die Regelung insgesamt zu kompliziert werden würde. Auf das Aufgebotsverfahren ging man nicht ein. Die Frage sei der Wissenschaft und Praxis zu überlassen, die aber ihre Entscheidung im Sinne von § 950 E I zu treffen habe 142 .

§ 6 Zusammenfassung 1. Für Johow wie Gebhard war die Unverbrüchlichkeit und „Reinheit" des ihren Teilentwürfen zugrunde gelegten Systems - Grundbuch und Eintragungsmaxime einerseits und Verjährbarkeit aller Ansprüche andererseits - oberstes Ziel; diesem wurden alle anderen Überlegungen in durchaus doktrinär zu nennender Weise untergeordnet. Johow erachtete das Grundbuch als die einzige Erkenntnisquelle von Rechten an Grundstücken1; die Eintragung ersetze die gemeinrechtliche traditio. Der Besitz als tatsächliches Gewaltverhältnis 2 sei nur bei Mobilien so vollständig, daß er ein geeignetes Verlautbarungsmittel darstelle3. Beim Grundstückserwerb dagegen sei eine Besitzübergabe entbehrlich, weil der Besitz keine Grundlage für ein dingliches Recht an einem Grundstück sein könne4. Dieses Verständnis des Besitzes schloß Erwerbsformen wie Ersitzung und Aufgebot, die an diesen anknüpfen, aus. Eine Ersitzung aber, die neben dem Besitz auch eine Eintragung erfordert (secundum tabulas), lehnte Johow wegen seines mindestens ebenso wichtigen gesetzgeberischen Leitmotivs ab, jedweden Rechtsverlust des Berechtigten zu verhindern, wenn er nicht im Interesse des Rechtsverkehrs als geboten erschien5. Dieses Motiv mag auch der Grund dafür sein, daß er die Entstehung einer nuda proprietas - entgegen seiner strikten Ablehnung an anderer Stelle - letztlich doch hinnahm; es mag auch der Grund dafür sein, daß seine Stellungnahme zur Verjährbarkeit von 141 Dazu oben § 3 III 2. 142 Prot. II bei Mugdan III, 702 f. ι Johow, SR Teil 1, 182. 2 Ebd., 356,477. 3 Ebd., 375. 4 Ebd., 949. 5 Vgl. etwa Johows Ausführungen zum Öffentlichkeitsprinzip; dies ermögliche einen relativen Schutz des Rechtsverkehrs, d. h. des gutgläubigen Dritten, während das von ihm abgelehnte Verschweigungsprinzip den Verkehr absolut (also auch gegenüber dem bösgläubigen Erwerber) auf Kosten des Berechtigten schütze; Johow, SR Teil 1, 185 ff.

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Ansprüchen aus nicht eingetragenen Rechten nicht so eindeutig ausfiel, wie es sich Gebhard vielleicht gewünscht hätte6. Dagegen bestand für ihn kein Zweifel, daß jedenfalls die Ansprüche aus eingetragenem Recht unverjährbar sein müßten. Das Bestreben, Systembrüche zu vermeiden 7, veranlaßte Johow, die mit der Grundbucheinrichtung verbundenen Gefahren herunterzuspielen: Obwohl er feststellte, daß eine absolute Zuverlässigkeit des Grundbuchs nicht erreichbar 8, ein Zwiespalt zwischen formeller Buchposition und materiellem Recht jederzeit möglich sei9 und die dauernde und „unverständliche" Trennung von Eigentum und Besitz verhindert werden müsse10, sah er keine gesetzgeberische Notwendigkeit, die Ersitzung zumindest zu dem Zweck zuzulassen, solche unliebsamen Begleiterscheinungen zu vermeiden. Das fehlende Bedürfnis begründete er mit den bisherigen Erfahrungen, die keineswegs zu einer Regelung drängten, mit dem Hinweis auf die geringe Zahl der denkbaren Fälle und nicht zuletzt mit der Eigenverantwortlichkeit der Beteiligten, deren Verhalten schließlich Ursache der Schwierigkeiten sei 11 . Daß sich ein so ausgezeichneter Jurist als Gesetzesverfasser, der sich stets um die dogmatische Durchbildung seines Entwurfs bemüht zeigte, in solcher Art Pragmatismus mit „Halbheiten" zufrieden gab, ist freilich einigermaßen überraschend. Nicht anders ist Gebhards Versuch zu bewerten, die ihm bewußte „Halbheit" eines dominium sine re nach Verjährung des dinglichen Anspruchs gesetzgeberisch damit zu rechtfertigen, daß eine andere Regelung - also eine Bestimmung, die alle dinglichen Ansprüche von der Verjährung ausnimmt - juristisch nicht konsequent sei. Auch hier ist die Besorgnis spürbar, man könnte wegen der wenigen denkbaren Fälle das System einer alle Ansprüche ergreifenden Anspruchs Verjährung durchbrechen, die im Allgemeinen Teil „vor der Klammer" geregelt werden sollte. Zu Gunsten der Klarheit und Eindeutigkeit der Regelung sollte auf die Aufnahme von Ausnahmen verzichtet werden. 2. Die 1. Kommission hielt an der grundsätzlichen Verjährbarkeit der dinglichen Ansprüche fest, ebenso an der Unverjährbarkeit von Ansprüchen aus eingetragenen Rechten; auch dem Erben des Eingetragenen sollte dieser Schutz zugute kommen. Die Entstehung eines dominium sine re beschäftigte die Kommission, in umgekehrtem Verhältnis zur angeblichen Seltenheit der Fälle, bemerkenswert häufig, und zwar anläßlich ihrer Diskussionen um die Verjährbarkeit dinglicher Ansprüche im allgemeinen, um das Verhältnis von Eigentums- und Berichtigungsanspruch und um die Zulassung der Ersitzung. Die Argumente, mit denen die offenbar knappe „Mehrheit" 12 die Gegenansicht bekämpfte - in wechselndem Zusammenhang 6

Vgl. Gebhards Kommentar oben § 2 in Fn. 24. 7 Johow, SR Teil 1, 11. 8 Ebd., 10. 9 Ebd., 119. 10 S. oben § 2 I 2. 11 Vgl. oben § 21 3 b a. E.; § 214. 12 Dazu oben § 3 I 3.

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sind zu dieser „Minderheit" Planck, v. Mandry, v. Schmitt, Kurlbaum, Gebhard und auch Johow zu zählen - , wiederholten sich im wesentlichen: Systemkonformität, d. h. die Beibehaltung einer allgemein geregelten, grundsätzlich auch für das Immobilienrecht geltenden Anspruchsverjährung, die Seltenheit der möglichen Fälle und die Übereinstimmung mit dem römischen Recht. Überraschend ist freilich, daß die Kommission gleichzeitig das Bedürfnis nach einem Aufgebotsverfahren anerkannte. Ihre Begründung, daß eine Auflassung künftig gar nicht so selten unterbleiben werde, steht in auffälligem Gegensatz zu Johows sich später als richtig erweisenden Überzeugung, daß sich die Notwendigkeit einer Auflassung schon herumsprechen werde 13 . Auffallend ist ferner eine gewisse Widersprüchlichkeit in der Argumentation: Wurde das Aufgebotsverfahren mit dem Prinzip gerechtfertigt, daß das Gesetz dort, wo eine gesetzliche Institution vom Willen der Beteiligten abhänge, ihr Funktionieren im öffentlichen Interesse sichern müsse, stellte man bei der Frage der Ersitzbarkeit von Grundeigentum auf die Verantwortlichkeit der Parteien ab, die zumeist selbst an ihrer mißlichen Lage schuld seien14. Auch im letzteren Fall „funktioniert" das Grundbuch indessen nicht, weist es doch den wirklichen Eigentümer nicht aus. Der Hinweis darauf, daß eine - womöglich niemals stattfindende - Veräußerung durch den Bucheigentümer an einen gutgläubigen Dritten das Problem beseitige, befriedigt ebenfalls nicht recht, ist jedenfalls aber angesichts des sonst in der 1. Kommission anzutreffenden Dogmatismus bemerkenswert. So blieb es bei der Ablehnung einer Tabularersitzung durch den Bucheigentümer. 3. Die Vermeidung des von der Kritik am 1. Entwurf heftig bekämpften dominium sine re war der 2. Kommission ein wichtiges Anliegen 15 ; diesem wurden andere Erwägungen untergeordnet. Für das Immobiliarsachenrecht ging man sogar davon aus, daß die neu geschaffene Tabularersitzung das im Zusammenspiel des heutigen § 902 BGB mit § 898 BGB immerhin mögliche Auftreten einer nuda proprietas endgültig beseitigt habe16. Auch im Mobiliarsachenrecht hatte Jacubezky eine Regelung beantragt, wonach eine Ersitzung nach dreißigjährigem Besitz einer beweglichen Sache unabhängig von der Gut- oder Bösgläubigkeit des Besitzers eintreten sollte 17 . Eine solche Regelung sei nicht nur um der Konsequenz aus der soeben geschaffenen Tabularersitzung willen geboten, sondern entspreche auch dem

13 Vgl. oben § 21 3 b. 14 So Johows Begründung (oben § 6, 1), der sich die 1. Kommission durch die Ablehnung der Tabularersitzung anschloß. 15 In der Denkschrift, 31, wird es als „immerhin unerwünscht" bezeichnet. ι 6 Vgl. Jacubezkys Antragsbegründung Prot. II, Bd. 3, 235 (Mugdan III, 642): Man habe durch die Schaffung der Tabularersitzung das dominium sine re bei unbeweglichen Sachen beseitigt. Nicht näher zu erörtern ist in diesem Zusammenhang, daß eine solche Erscheinung durch die - nach damals herrschender Auffassung zulässige - Abtretung der rei vindicatio ebenfalls möglich war; dessen war sich die Kommission auch sehr wohl bewußt (vgl. oben § 5 I 1 b a. E.). π Prot. II, Bd. 3,235 f. (Mugdan III, 642); Jakobs ! Schubert, SR 1,638.

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Hauptzweck der Verjährung, geschichtlich gewordene Zustände aufrechtzuerhalten und den wirklich Berechtigten durch Beweiserleichterung zu schützen. Die Mehrheit erkannte zwar die Folgerichtigkeit einer solchen Bestimmung an, sah aber den Unterschied zur Tabularersitzung darin, daß bei dieser das öffentliche Interesse an der Richtigkeit des Grundbuchs eine erhebliche Rolle spiele. Die unterschiedliche Behandlung der Ersitzungsfrage bei unbeweglichen und beweglichen Sachen rechtfertigte sie außerdem damit, daß bei einem Grundstück eine heimliche Wegnahme im Gegensatz zu einer beweglichen Sache nicht möglich sei und sich der Grundstückseigentümer gegen einen Rechtsverlust eher schützen könne, da die möglicherweise rechtswidrig erlangte Buchposition jederzeit aus dem Grundbuch ersichtlich sei. So führte die Mehrheit letztlich die mit einem Rechtsverlust des Eigentümers einer beweglichen Sache verbundene Unbilligkeit als Argument dagegen an, das dominium sine re auch hier entsprechend dem Vorbild der auf das Grundstücksrecht beschränkten Tabularersitzung auszuschließen. Ganz anders schätzte die 2. Kommission die mit der Entstehung eines nudum ius im Immobiliarsachenrecht einhergehenden Gefahren, insbesondere für das Grundbuch, ein. In diesem Zusammenhang ist nicht nur die Tabularersitzung von Grundeigentum zu nennen, sondern auch die auf Jacubezkys Antrag hin geschaffene Tabularersitzung beschränkter dinglicher Rechte gemäß § 900 Abs. 2 BGB sowie die „Versitzung" beschränkter dinglicher Rechte gemäß § 901 BGB, wenn der Anspruch auf Eintragung gegen den Eigentümer erloschen ist 18 . Zwischen Mobiliar- und Immobiliarsachenrecht steht der Erbschaftsanspruch; auch hier war es die 2. Kommission, die das nach dem 1. Entwurf mögliche 19 dominium sine re bekämpfte und eine Regelung entwarf, die § 2026 BGB entspricht 20. Eine auch gegenüber dem Erben wirkende Ersitzung ist dem Erbschaftsbesitzer danach möglich, sobald der Erbschaftsanspruch verjährt ist. Im Gegensatz zur 1. Kommission maß die 2. Kommission dem Argument mangelnder praktischer Relevanz einer Regelung wenig Gewicht bei. Das wurde deutlich anläßlich der Schaffung der Tabularersitzung von Grundeigentum wie auch bei der nach Meinung der Kommission an sich unnötigen Regelung der Tabularersitzung eines Nießbrauchsrechts nach § 900 Abs. 2 BGB oder der Schaffung des § 901 BGB 2 1 . Es hatte sich offenbar Plancks Auffassung durchgesetzt, daß das zu entwerfende Gesetzbuch als „praktisches Gesetz" auch Lösungen für selten auftretende Fälle bereithalten müsse22, und zwar sowohl aus öffentlichen wie privaten Interessen. Neben den privaten Interessen des Grundstückseigentümers war es stets das in erster Linie genannte öffentliche Interesse an der „Reinhaltung" des Gründls Prot. II, Bd. 3, 327, 413, 738 (Mugdan III, 576); Jakobs ! Schubert, SR 1,412. 19 Vgl. § 888 E I : Der Erbschaftsbesitzer kann gegen den Erben nicht ersitzen, obwohl der Erbschaftsanspruch verjähren kann. 20 Vgl. Prot. II bei Mugdan III, 643. 21 Vgl. zu § 900 Abs. 2 BGB: Prot. II, Bd. 3, 385; Jakobs!Schubert, SR I, 411; zu § 901 BGB: Prot. II, Bd. 3, 327; Jakobs ! Schubert, SR 1,412. 22 S. oben § 5 I 1 a; dazu auch Frensdorf, 336.

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§ 6 Zusammenfassung

buchs: Dieses sollte die Rechtsverhältnisse an Immobilien getreu widerspiegeln, weshalb man zumindest die gesetzliche Möglichkeit schaffen wollte, eine Grundbuchberichtigung auch nach langer Zeit noch herbeizuführen. Dem öffentlichen Interesse an der Richtigstellung des Grundbuchs konnte man auf zwei Wegen Rechnung tragen: Man konnte die wirkliche Rechtslage an das Grundbuch anpassen oder umgekehrt dem wirklichen Berechtigten oder zumindest vermeintlich Besserberechtigten eine Berichtigung des Buchs ermöglichen. Um die mißliche nuda proprietas zu verhindern und die Richtigkeit des Grundbuchs zu gewährleisten, folgte die Kommission - in großer Folgerichtigkeit und systematischer Durchdringung beiden Wegen und schuf Tabularersitzung und Lastenfreiheitsersitzung gemäß §§ 900, 901 BGB einerseits sowie Unverjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs und Aufgebots verfahren andererseits. Selbst das Erfordernis guten Glaubens wurde bei der Tabularersitzung ohne Erörterung und unter Inkaufnahme historischer Inkontinuität 23 preisgegeben, nur um die mit dem Institut erfaßbaren Fälle nicht durch ein subjektives Kriterium zu verringern. Auch die im Bundesrat beschlossene Aufgabe der Voraussetzung eines dreißig Jahre zurückliegenden Todes bei dem schon von der 1. Kommission eingeführten Aufgebotsverfahren diente einzig dem Zweck, eine Richtigstellung des Grundbuchs nicht durch zu hohe Anforderungen zu verhindern. Der Kommission sind freilich auch Unstimmigkeiten unterlaufen. Zu nennen ist zunächst das durch die Eigenmächtigkeit ihrer Redaktionskommission verursachte Redaktionsversehen durch die Streichung des Nachsatzes in § 898 BGB, nach dem Eigentums- und Berichtigungsanspruch voneinander abhängig gemacht waren. Außerdem wäre, wie vor allem Planck richtig festgestellt hatte, das Problem der nuda proprietas gänzlich nur durch die Unverjährbarkeit aller dinglichen, auf die Herstellung des dem Recht entsprechenden Zustands gerichteten Ansprüche zu vermeiden gewesen oder aber, mit Jacubezky, durch die Anordnung einer außerordentlichen Ersitzung im Falle der Verjährung. Abgesehen von dem für die Entscheidung der Kommission maßgeblichen historischen Argument, daß eine solche Unverjährbarkeit einen Bruch mit der Tradition bedeutet hätte, war für sie insbesondere ausschlaggebend, daß die Verjährung auch im Immobiliarsachenrecht ihren Zweck erfülle, nämlich nach langer Zeit Rechtsfrieden einkehren zu lassen; sie sei angesichts des Fehlens einer Ersitzungsmöglichkeit unentbehrlich 24. Nachdem die Kommission später aber die Tabularersitzung (ohne subjektive Voraussetzungen!) geschaffen hatte, hätte sie eigentlich auf dieses Argument zurückkommen und die Frage der Unverjährbarkeit (bzw. einer außerordentlichen Ersitzung) erneut erörtern müssen. Es ist der Kommission keineswegs zur Gänze gelungen, das sie schreckende dominium sine re zu verhindern; denn vor allem Dreipersonen-

23 Zur hessischen Regelung vgl. oben § 2 in Fn. 38; zum nassauischen Recht oben § 2 in Fn. 53; zum ABGB ebd. Einzig der bayr. Entwurf kannte die Gutgläubigkeit als Voraussetzung nicht (oben § 2 in Fn. 8). 2 S. oben § 5 I 1 a .

§ 6 Zusammenfassung

Verhältnisse sind im Zusammenspiel der §§ 900, 927, 898, 902 BGB nicht genügend berücksichtigt 25. Die Diskussionen um die Regelung des Aufgebotsverfahrens zeigen, daß die soziale Frage in den Beratungen nicht unberücksichtigt blieb 26 . Kommission und einzelne Bundesregierungen hatten auch den „kleinen Mann" im Blickfeld und erleichterten zu seinen Gunsten einige Tatbestands Voraussetzungen27. Hier wie sonst auch ist v. Gierkes Forderung 28 nicht gänzlich ungehört verhallt. Die Untersuchung der Materialien zur Frage der Wirkung des Zeitablaufs auf das Grundeigentum vermag schließlich eine gerade zur Zeit der Entstehung des BGB erhobene Kritik wenn nicht zu revidieren, so doch zu relativieren, nämlich daß die 1. Kommission zu doktrinär gewesen sei 29 . Es hat sich nämlich erwiesen, daß die 2. Kommission in der Frage des dominium sine re durchaus „regelungswütiger" als ihre Vorgängerin war und das Bestreben zeigte, auch unwahrscheinliche Fälle einer Lösung zuzuführen; sie dachte insofern systematischer als die 1. Kommission.

25 Dazu unten §§ 10, 11. - Die in § 1028 BGB zum Ausdruck kommende Durchbrechung des Prinzips, daß das BGB jederzeit das Instrumentarium bereitstellen müsse, das Grundbuch mit der wirklichen Rechtslage in Einklang zu bringen, - § 1028 BGB schafft einen Ausnahmetatbestand, nach dem in Abweichung von § 902 BGB ein eingetragenes beschränktes dingliches Recht erlischt, und führt so zur Unrichtigkeit des Grundbuchs - ist nicht der 2. Kommission anzulasten; sie beruht auf einem Eingriff des Reichstags (Mugdan III, 1002 f.; Jakobs I Schubert, SR II, 95 f.), gegen den sich vor allem auch Jacubezky zur Wehr setzte (ebd.). 26

Ähnliches gilt für die Servitutenersitzung. ? S. oben § 5 III 1. 28 v. Gierke , Soziale Aufgabe, 12, 18. Zu den sozialen Vorstellungen der BGB-Verfasser vgl. die Arbeit von Haiisch. 29 Meist wird der Systemdoktrinarismus der 1. Kommission betont (vgl. statt vieler Wieakker, Privatrechtsgeschichte, 470). In der Frage der Verjährbarkeit der dinglichen Ansprüche ist diese Einschätzung gewiß zutreffend, in der Frage des dominium sine re und seiner „praktischen" Relevanz sicher nicht. 2

2. Te i l

Dogmatischer Teil 1. Abschnitt

Das dominium sine re aufgrund Verjährung Ein endgültiges Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz tritt entweder ein durch die Verjährung der Vindikation des Eigentümers oder durch die Verjährung des schuldrechtlichen Verschaffungsanspruchs des Besitzers, der zugleich ein dauerhaftes, aus der exceptio rei venditae et traditae folgendes Besitzrecht geltend machen kann. Im Folgenden werden zunächst diejenigen Rechtsinstitute dargestellt, mit denen das Gesetz ein dominium sine re zu vermeiden sucht. Es wird also zunächst davon zu handeln sein, ob die beiden Rechtsverwirklichungsansprüche, der Herausgabe- und der Grundbuchberichtigungsanspruch, unverjährbar sind und dem Eigentümer aufgrunddessen zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit verbleibt, (Buch-)Besitz und Eigentum wieder zusammenzuführen (§ 7). Zumindest der Grundbuchberichtigungsanspruch scheint aufgrund des Wortlauts des § 898 BGB unverjährbar zu sein; gleiches wird von Teilen der Literatur auch vom Herausgabeanspruch angenommen. Sodann ist die Tabularersitzung gemäß § 900 Abs. 1 BGB zu besprechen, die nach der Absicht der 2. Kommission die Erscheinung eines dominium sine re im Grundstücksrecht endgültig verhindern sollte (§ 8). Das letzte gesetzlich vorgesehene Mittel, die unwillkommene Rechtsfigur zu beseitigen, ist das Aufgebots verfahren nach § 927 BGB, nach welchem insbesondere der besitzende Käufer nach Verjährung seines Verschaffungsanspruchs Eigentum erwerben können soll (§ 9). Diese gesetzlichen Mechanismen erfassen jedoch nicht alle Fälle einer nuda proprietas im Grundstücksrecht. In § 10 wird deshalb nach einer Übersicht über die verbleibenden Fälle versucht, die auftretenden Probleme nach dem Buchstaben des Gesetzes zu lösen. Diese Lösungen können jedoch, wie vorwegzunehmen ist, nicht immer befriedigen, weshalb die Darstellung lediglich vorläufig sein kann, um den aporetischen Charakter des dominium sine re aufzuzeigen. Im darauffolgenden § 11 wird schließlich der Weg aufgezeigt, auf dem die von den gesetzlich vorgesehenen Instrumenten nicht erfaßten Fälle einer nuda proprietas befriedigend gelöst werden können.

Die Verjährung des Herausgabeanspruchs

§ 7 Die Verjährung des Herausgabe- und Berichtigungsanspruchs I. Die Verjährung des Herausgabeanspruchs 7. Die vermeintliche

Unverjährbarkeit

des Herausgabeanspruchs

Ware die Vindikation unverjährbar, und zwar unabhängig von der Eintragung des wahren Eigentümers, hätte dies den entscheidenden Vorteil, daß eine nuda proprietas niemals entstünde: Der Eigentümer könnte den Besitzer stets zur Herausgabe zwingen, sein womöglich bestehender Berichtigungsanspruch ist ohnehin nach dem Wortlaut des § 898 BGB unverjährbar. Dies wird in der Tat bereits de lege lata angenommen1 und auch de lege ferenda von Peters und Zimmermann vorgeschlagen2. Dieser Auffassung, die etwa auch von Johow, Planck, Kurlbaum oder Börner im Gesetzgebungsverfahren favorisiert wurde 3, hat der Gesetzgeber eine klare Absage erteilt. § 194 Abs. 1 BGB unterwirft alle Ansprüche der Verjährung, ganz gleich, aus welchem Rechtsverhältnis sie stammen. Eine Gleichstellung der dinglichen mit den familienrechtlichen Ansprüchen gemäß § 194 Abs. 2 BGB wurde bewußt nicht ins Gesetz aufgenommen. Der an die Eintragung des Rechts anknüpfenden Regelung in § 902 BGB wäre auch ein großes Anwendungsgebiet genommen, wenn jede Vindikation von vornherein unverjährbar wäre. So bestechend die Argumentation sein mag, daß das Anstellen des Herausgabeanspruchs lediglich ein Geltendmachen der unverjährbaren dinglichen Rechtsposition „Eigentum" sei und deshalb auch der Anspruch nicht verjähren könne4, verkennt sie doch die das BGB kennzeichnende Unterscheidung von Anspruch und Recht5; § 194 BGB kennt nur die Anspruchs Verjährung. Außerdem hat der Gesetzgeber mit § 221 BGB hinreichend deutlich gemacht, daß sich jeder neue Besitzer bei einer Besitznachfolge die bereits unter seinem Besitzvorgänger verstrichene Verjährungszeit anrechnen kann6; eine solche accessio temporis hätte bei Annahme eines unverjährbaren Herausgabeanspruchs keinen Sinn. Auch der bekannte Einwand, der Eigentümer könne sich nach Verjährung seiner Vindikation die Sache gewaltsam verschaffen, um so nach ihrer Rückgabe an den possessorisch geschützten Besitzer einen neuen, nicht verjährten Herausgabeanspruch zu erhalten7, zwingt nicht zur ι Fischer! Henle, § 902, Anm. 1; Müller, Rn. 455; Kim, 57, 59, 155 ff.; wohl auch Peters! Zimmermann, 186. 2 Peters ! Zimmermann, 315, 318; Mengiardi, 104. Peters ! Zimmermann, 330 f., treten konsequenterweise für eine Streichung der §§ 898, 902 BGB ein; dagegen Heinrichs, Reform, 2025. 3 Vgl. zu Johow oben § 3 I 4; zu Planck § 3 I 1, § 5 I 1 a; zu Kurlbaum § 3 I 4; zu Börner § 5 I 1 a. 4 So Müller, Rn. 455. 5

Dazu etwa Mengiardi, 87. 6 Vgl. zum Begriff der „Rechtsnachfolge" in § 221 BGB unten § 10 II 1 a dd sowie Finkenauer, Rechtsnachfolge, 244. 7 v. Tuhr II/2, 538; Henckel, 130; Müller, Rn. 455.

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§ 7 Die Verjährung des Herausgabe- und Berichtigungsanspruchs

Annahme der Unverjährbarkeit der Vindikation. Nach zutreffender Auffassung ist in diesem Fall nämlich eine neue Vindikationslage gerade nicht anzunehmen8. Die Verjährung der Vindikation hat überdies ihren guten Grund. Die Möglichkeit, den Verpflichteten mit einem Anspruch zu behelligen, muß einmal ihr Ende finden; der Rechtsfrieden gebietet die Verjährung der Vindikation ebenso wie die eines jeden anderen Anspruchs. Die „verdunkelnde Macht der Zeit" 9 beeinträchtigt hier wie sonst auch die Möglichkeit des Verpflichteten, sich gegen den Anspruch zu wehren. Nicht zu Unrecht hat man im Gesetzgebungsverfahren das historische Argument angeführt, daß bereits Theodosius Π. das Bedürfnis nach der Verjährbarkeit der dinglichen Klagen anerkannt habe10. Für die Unverjährbarkeit der Vindikation spricht daher nur die Vermeidung des unerwünschten dominium sine re. Im Immobiliarsachenrecht muß hierzu freilich, will man der im Gesetz zum Ausdruck kommenden generellen Verjährbarkeit der Ansprüche Rechnung tragen, ein anderer Weg gefunden werden 11. Mit der ganz h. M. verjährt der Herausgabeanspruch folglich nach dreißig Jahren (§§ 194 Abs. 1, 195 BGB) 1 2 . Der Gesetzgeber hat bewußt in Kauf genommen, daß z. B. der Dieb (einer beweglichen Sache), dem die Ersitzungsmöglichkeit nach zehn Jahren verwehrt ist, sich nach Ablauf der dreißigjährigen Verjährungsfrist in seinem Besitz behaupten kann 13 .

2. Die Reichweite des § 902 Abs. 1 S. 1 BGB Die Formulierung in § 902 Abs. 1 S. 1 BGB, daß Ansprüche aus eingetragenen Rechten unverjährbar sind, hat zu der lebhaft umstrittenen Frage geführt, ob es ausreicht, daß das EigentumsrecAf am Grundstück im Grundbuch verzeichnet ist, oder ob der wirkliche Eigentümer bzw. sein Gesamtrechtsvorgänger eingetragen sein muß. Würde generell die Eintragung auch des Nichtberechtigten genü-

8 Vgl. unten in § 10 II 1 a cc. 9 Gebhard, AT, 309 (Zählung des Hrsg.). 10 CTh. 4, 14; C. 7, 39, 3.

11 Dazu unten § 11 II, III. 12 Statt vieler Rosenberg, § 898, Anm. 2 b (477 f.); Staudinger/ Gursky, § 985, Rn. 84; Baur/Stürner, § 11, Rn. 47; Schwab/Prutting, Rn. 518; Plambeck, 15, 17, 20; so auch der Abschlußbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, 42, die damit den Gutachtern Peters und Zimmermann nicht gefolgt ist. Für die Unverjährbarkeit der Vindikation Müller-Katzenburg, 2557, die aber nur den Schutz nationaler Kulturgüter im Blick hat. Hierfür empfiehlt sich tatsächlich eine Ausnahmeregelung. Hinsichtlich aller anderen Sachen muß es jedoch bei der Verjährbarkeit sein Bewenden haben; hier gelten die allgemeinen Erwägungen des Gesetzgebers über die Zeitgebundenheit aller Ansprüche (vgl. Finkenauer, Rechtsnachfolge, 247). 13 Dies verkennt Müller, Rn. 455. Konsequent ist es freilich, wenn man bei beweglichen Sachen eine Art außerordentlicher Ersitzung nach dreißig Jahren annimmt und so eine nuda proprietas vermeidet; dazu unten § 111.

Die Verjährung des Herausgabeanspruchs

gen 14 , wäre auf diesem Weg die Unverjährbarkeit der Vindikation faktisch erreicht und das dominium sine re vermieden; denn nur in dem kaum mehr denkbaren Fall eines ungebuchten Grundstücks liegt eine solche Eintragung des Eigentumsrechts nicht vor. Einigkeit besteht darüber, daß sich jedenfalls der Erbe des noch eingetragenen Eigentümers auf § 902 Abs. 1 BGB berufen kann 15 . Das ist auch einleuchtend: Für den Erben streitet die Vermutung des § 891 BGB 1 6 , sein ererbtes Recht ist als ein eingetragenes anzusehen. Dies war auch die Ansicht des (materiellen) Gesetzgebers. Schon Johow wollte den Erben in Bezug auf die Verjährungseinrede ebenso schützen wie den Erblasser 17, die 1. Kommission nahm sogar eine ausdrückliche Bestimmung auf, die den Schutz des § 902 Abs. 1 BGB auch dem Erben zusprach 18. Dieser Zusatz ist von der 2. Kommission als überflüssig gestrichen worden, ändern wollte sie an der Rechtslage nichts 19 . Fraglich ist aber, ob auch die Eintragung des (un)mittelbaren Einzelrechtsvorgängers zum Schutz des Berechtigten ausreicht 20. Hier wird man unterscheiden müssen21: Hinsichtlich beschränkter dinglicher Rechte, namentlich der Briefgrundpfandrechte, genügt, wenn sie außerhalb des Grundbuchs übertragen worden sind 22 , auch die Eintragung des Einzelrechtsvorgängers. Anders liegt es bei der Eintragung des Eigentums. Wurde das Eigentum z. B. außerhalb des Grundbuchs erworben, etwa im Wege der Zwangsversteigerung oder durch Eingehung einer Gütergemeinschaft, muß sich der Berechtigte eintragen lassen, um des Schutzes nach § 902 Abs. 1 BGB teilhaftig zu werden. Der Einzelrechtsvorgänger ist in dieser Hinsicht so „nichtberechtigt" wie jeder andere Nichtberechtigte auch 23 . Die Bucheintragung hat die Wirkung nach § 902 Abs. 1 BGB nur gemäß ihrem Inhalt, also für den, auf den sie lautet. Die ausdrückliche Aufnahme des Erbenschutzes durch die 1. Kommission und die Billigung dieser Auffassung durch die 2. Komu So Turnau/Förster, § 902, Anm. II 2 (322); Planck ! Strecker, § 902, Anm. 2 a; Boehm, § 902 Anm. III; Fischer ! Henle, § 902, Anm. 1; Philipp, 12-14; Predari, 185; Schetter, 13; Schilde, 38 f., 70; Oberneck, 422, 427 (der die dargelegte Meinung teilt, weil er sich wegen des Wortlauts des § 898 BGB an einer „befriedigenderen" Auslegung des § 898 BGB gehindert sieht; kritisch dazu Henle, 487); offen bei Erman! Hagen, § 902, Rn. 2. 15 Willenbücher, § 902, Anm. 1; Haidien, 98; Kretzschmar, § 902, Anm. 1; Locher, 172; Rosenberg, § 902, Anm. III 1 a; Staudinger/Gursky, § 902, Rn. 6; MK/ Wacke, § 902, Rn. 3. 16 Palandt!Bassenge, § 891, Rn. 5; RG, JW 1926, 1955. 17 Oben § 2 I 2 a. E. is Oben § 3 I 2. 19 Oben § 5 I 2; wie hier Staudinger/ Gursky, § 902, Rn. 6. 20 So Staudinger ! Gursky, § 902, Rn. 6. . 21 Ähnlich auch Rosenberg, § 902, Anm. III 1 (499). 22 M K / Wacke, § 902, Rn. 3; weitere Beispiele bei Staudinger/Gursky, § 902, Rn. 6. 23 So auch Rosenberg, § 902, Anm. III 1 a (500); Biermann, § 902, Anm. 1; zumindest mißverständlich Staudinger/ Gursky, § 902, Rn. 6 f., der zwischen der Eintragung des (unmittelbaren Rechtsvorgängers und dem eines überhaupt Nichtberechtigten unterscheidet.

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§ 7 Die Verjährung des Herausgabe- und Berichtigungsanspruchs

mission machen deutlich, daß man den Schutz des § 902 BGB nicht schon bei jedweder Eintragung des Eigentumsrechts eines Nichtberechtigten hat gewähren wollen. Der gegenteiligen Ansicht wurde bereits in der 1. Kommission mehrheitlich widersprochen 24; Schutz sollte nur dem wirklichen eingetragenen Eigentümer und seinem Erben zuteil werden. Auch im Hinblick auf § 902 Abs. 2 BGB ist die Annahme, der wirkliche Eigentümer sei durch die Eintragung eines Nichtberechtigten bereits nach § 902 Abs. 1 BGB geschützt, nicht richtig: Jener muß die Eintragung eines Widerspruchs erwirken, um seine Ansprüche unverjährbar zu machen; es verbliebe § 902 Abs. 2 BGB bei der gegenteiligen Auffassung tatsächlich kein Anwendungsbereich25. Mit der h. M. verjährt folglich der Herausgabeanspruch, wenn der Eigentümer (oder der Gesamtrechtsvorgänger) nicht eingetragen ist 26 . Auch die Eintragung des wahren Eigentümers nach Eintritt der Verjährung führt nicht zu einem Wiederaufleben der Vindikation (§ 902 Abs. 1 S. 1 BGB), sie macht also den verjährten Anspruch nicht zu einem unverjährbaren 27. Erlangt der Eigentümer vom Bucheigentümer die Bewilligung zur Buchberichtigung, nachdem sein Herausgabeanspruch gegenüber dem dritten Besitzer verjährt ist, muß es bei der Wirkung des § 222 Abs. 1 BGB sein Bewenden haben; der Besitzer ist zur Verweigerung der Leistung berechtigt, selbst wenn das Recht des Eigentümers nun gemäß § 902 Abs. 1 S. 1 BGB eingetragen ist 28 . Nichts anderes kann gelten, wenn der wahre Eigentümer nach Eintritt der Verjährung einen Widerspruch gemäß § 899 BGB im Grundbuch eintragen läßt. Das so verlautbarte Recht des Eigentümers steht zwar einem eingetragenen Recht nach § 902 Abs. 2 BGB gleich; auch ist gemäß § 899 Abs. 1 BGB ein Widerspruch immer dann zulässig, wenn eine Berichtigung nach § 894 BGB verlangt werden kann 29 . Das kann aber keine Wiederbelebung der Vindikation zur Folge haben: Denn wenn selbst die Eintragung des Eigentümers nicht zu einer solchen führt, gilt dies erst recht für den bloßen Widerspruch. Mittels § 902 BGB ist im Ergebnis eine Unveijährbarkeit des Herausgabeanspruchs des nicht eingetragenen Eigentümers nicht zu erzielen.

24 Oben § 3 I 2, 3; vgl. insbesondere die Stellungnahme Plancks oben § 3 in Fn. 53. Johows Auffassung ist in dieser Hinsicht mehr als zweifelhaft (dazu oben § 212). 25 Ähnlich Kretzschmar, § 902, Anm. 1 (145). 26 Rosenberg, § 902, Anm. III 1 a (hinsichtlich des Eigentumsrechts); Biermann, § 902, Anm. 1; Fuchs, § 902, Anm. 3 a; Kretzschmar, § 902, Anm. 1; Naendrup, Verjährung, 306; Wolff f Raiser, § 49 II in Fn. 4; M K / Wache, § 902, Rn. 3 mit Fn. 2; Staudingerl Gursky, § 902, Rn. 7; Palandt!Bassenge, § 902, Rn. 2. 27 Die Gegenansicht wurde schon in der 1. Kommission zum Ausdruck gebracht, aber abgelehnt (oben § 3 I 3); in diese Richtung argumentiert unzutreffend Plambeck, 167.

28 Richtig (in anderem Zusammenhang) Rosenberg, § 902, Anm. II 4 b; Fuchs, § 927, Anm. 8 b. 29 Ist der Herausgabeanspruch allerdings verjährt, so muß man dies auch beim Berichtigungsanspruch annehmen (dazu sogleich II). Folglich ist dem Eigentümer nach Verjährungseintritt das Recht, gemäß § 899 Abs. 2 BGB vorzugehen, zu versagen (dazu unten § 7 II 6).

II. Die Verjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs

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II. Die Verjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs 1. Die Frage, ob der Berichtigungsanspruch entgegen § 898 BGB verjährt, wenn der Herausgabeanspruch verjährt ist, war früher sehr umstritten. Relevant wird die Frage erstens dann, wenn der Herausgabeanspruch des nicht eingetragenen Eigentümers gegen den Besitzer verjährt und eine weitere Person Bucheigentümer ist, dem der Besitzer den Besitz nicht mittelt (Dreipersonenverhältnis). Zweitens ist der Fall denkbar, daß der Besitzer sich zwar auf die Verjährung der Vindikation berufen kann, aber noch keine dreißig Jahre im Grundbuch eingetragen ist, so daß er das Eigentum nicht nach § 900 Abs. 1 BGB ersessen hat (Zweipersonen Verhältnis) 30. Im zweiten Beispiel darf der Eigentümer übrigens nicht vor dem Besitzer im Grundbuch eingetragen gewesen sein, weil sonst seine Vindikation aufgrund § 902 Abs. 1 S. 1 BGB noch nicht verjährt wäre. In den beiden genannten Fällen käme der Unverjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs eine eigenständige Bedeutung zu: Der Eigentümer könnte trotz Verjährung seines Herausgabeanspruchs seine (Wieder-)Eintragung erlangen 31. Nur in dem Fall, daß der Besitzer dreißig Jahre besitzt und genausolange eingetragen ist, endet der Grundbuchberichtigungsanspruch des Eigentümers aufgrund der nach § 900 Abs. 1 BGB eintretenden Tabularersitzung, und es stellt sich die hier aufgeworfene Frage nicht 32 . Nach heute einhelliger Ansicht ist der Berichtigungsanspruch unverjährbar und kann auch nach Verjährung des Herausgabeanspruchs gemäß § 985 BGB noch geltend gemacht werden 33. Die Gegenansicht, die kurz nach Inkrafttreten des BGB weit verbreitet war und in § 898 BGB aufgrund der Entstehungsgeschichte der Norm nur die selbständige Verjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs ausge30

In einem solchen Fall könnte der Eigenbesitzer auch gemäß § 927 Abs. 1 S. 1 BGB ein Aufgebotsverfahren gegen den Eigentümer anstrengen (vgl. unten § 9 II 2 a dd). Dieses löst aber das eingetretene dominium sine re nicht sicher auf, weil der Eigentümer jederzeit sein Eigentumsrecht anmelden kann. Dazu bereits oben § 5 I 3 a. E. 32 Das von Staudinger/ Gursky, § 898, Rn. 2, gebildete Beispiel, daß der Bucheigentümer, der seit zwanzig Jahren Eigenbesitzer ist, das Grundstück an einen Bösgläubigen veräußert, der es weitere zehn Jahre besitzt, gehört ebenfalls nicht hierher: Zwar ist in diesem Fall die Vindikation des Eigentümers nach §§194 Abs. 1, 195, 221 BGB verjährt, aber der bösgläubige Erwerber hat nach §§ 900, 943 BGB das Eigentum ersessen, so daß deshalb der Berichtigungsanspruch sein Ende gefunden hat. 33 Vgl. Oberneck, 421 f.; Biermann, § 898; Boehm, § 898 Anm. I (mit irrigem Beispiel); Fuchs, § 898, Anm. 2; v. Gierke , Deutsches Privatrecht II, 345 in Fn. 188; Philipp, 13; Schilde, 69 f.; Rosenberg, § 898, Anm. 2 b (476); Heck, § 45, 3; RGRK/Ztesjaw, 8. Aufl., § 898, Anm. 1; Locher, 173; Wolff / Raiser, § 46 V; Henckel, 130; Wieling, SR, § 20 III 2 c; Westermann/Eickmann, § 72 II 1 b; Schmidt, JuS 1994, 78; Plambeck, 166; StaudingerI Gursky, § 898, Rn. 2; M K / Wacke, § 898, Rn. 1; Palandt!Bassenge, § 898, Rn. 1; bedauernd Strohal, Bemerkungen, 371 f., der den Berichtigungsanspruch an sich für verjährbar hält (s. Strohal, Streifzüge, 376). - § 898 BGB weist übrigens eine mit § 20 SchiffsRG identische Formulierung auf.

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§ 7 Die Verjährung des Herausgabe- und Berichtigungsanspruchs

schlossen sah 34 , findet heute kaum Anhänger mehr 35 . Viele Stimmen sehen sich an einer „sinnvollen" Auslegung im Sinne einer Abhängigkeit der Verjährung des Berichtigungs- von der Verjährung des Herausgabeanspruchs durch den „klaren" Wortlaut des § 898 BGB gehindert 36. Das ist freilich nicht einzusehen. Ob ein Wortlaut klar ist oder nicht, ist notwendig erst durch eine verstehende Gesetzesanwendung, also Auslegung, zu ermitteln 37 . So wird aus § 902 Abs. 1 S. 1 BGB („Ansprüche aus eingetragenem Recht") von der ganz h. M. zu Recht geschlossen, der derzeitige Berechtigte (oder Gesamtrechtsvorgänger) müsse eingetragen sein; der weitergehende Wortlaut wird also entsprechend dem Gesetzeszweck eingeschränkt. Auch bei § 898 BGB ist eine Einschränkung dahin geboten, daß die Ansprüche gemäß §§ 894-896 BGB keiner selbständigen Verjährung unterliegen. 2. Die Auslegung des § 898 BGB durch die h. M. entspricht nicht der in dieser Frage maßgeblich zu berücksichtigenden Entstehungsgeschichte der Norm. Im Hinblick auf die Verjährbarkeit des § 894 BGB hat sich der materielle Gesetzgeber, wie oben gezeigt werden konnte 38 , zunächst dafür entschieden, Berichtigungs- und Herausgabeanspruch in der Verjährung voneinander abhängig zu machen, und hat sodann die Tabularersitzung geschaffen, mit welcher der wichtigste Fall der Verjährung des Herausgabeanspruchs geregelt wurde. Daß darüber hinaus andere Fälle 34 Vgl. Endemann, 246 in Fn. 5, 257 in Fn. 12; Planck/ Strecker, § 898, Anm. 2; Türckef Niedenßhr/Winter, § 898, Anm. 1; Willenbücher, § 898; Fischer/Henle, § 898, Anm. 1; Eck, 91 und ebd., 92, die zust. Fn. von Leonhard; Schetter, 13; Landsberg, 266 Fn. 1; Haidien, 93; Predari, 185; Klumpp, 102 (mit irriger Begründung); Henle, 487; Warneyer, § 898; StaudingerIKober, 9. Aufl., § 898; Crome, 157 in Fn. 18; Kretzschmar, § 898, 135. - Kretzschmar meint, die von ihm bekämpfte, heute herrschende Ansicht, der Berichtigungsanspruch könne auch nach Verjährung des Herausgabeanspruchs geltend gemacht werden, mache § 902 Abs. 2 BGB überflüssig (§ 898 und § 899, Anm. IV 4). Diese Argumentation trifft indessen nicht zu. Der Widerspruch hat gemäß § 902 Abs. 2 BGB die Wirkung eines eingetragenen Rechts, weshalb die dinglichen Ansprüche ab Eintragung eines Widerspruchs gemäß § 902 Abs. 1 S. 1 BGB unverjährbar sind. Wie bereits dargelegt (oben § 7 I 2), führt indessen weder die Eintragung des Eigentümers noch eines Widerspruchs zu seinen Gunsten zum Wiederaufleben eines bereits verjährten Herausgabeanspruchs gemäß § 902 Abs. 1 S. 1 BGB. Da sich Kretzschmars und die Gegenauffassung zur Verjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs lediglich von dem Zeitpunkt der Verjährung des Herausgabeanspruchs an unterscheiden, ist argumentativ erst der Zeitraum nach dieser Verjährung entscheidend; dann aber nützt dem Eigentümer die Eintragung eines Widerspruchs gemäß § 902 Abs. 2 BGB nichts, weder nach der einen noch nach der anderen Ansicht. Nur die rechtzeitige, d. h. vor der Vindikationsverjährung liegende Eintragung eines Widerspruchs erhält dem nicht eingetragenen Eigentümer die Unveijährbarkeit seiner Ansprüche. Mit der Eintragung eines solchen Widerspruchs sind allerdings Herausgabe- und Berichtigungsanspruch unverjährbar. 35 Vgl. aber immerhin Peters IZimmermann, 148; Henckel, 130, hält die heute h. M. für unstreitig. 36 Oberneck, 422; Best, 141; Grützmann, Grundbuch, 230; Raeder, 109; wohl auch Biermann, § 898. 37 Enneccerus / Nipperdey I, § 56 14; Fikentscher, 659. S. oben § 5 I 3.

II. Die Verjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs

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auftreten können, in denen die Grundentscheidung, die beiden Ansprüche nur zusammen verjähren zu lassen, noch Bedeutung haben könnte, wurde übersehen, als man später den die unselbständige Verjährung des Berichtigungsanspruchs festschreibenden Nachsatz des heutigen § 898 BGB strich. Da die 2. Kommission aber bei der Abfassung des Nachsatzes auch die Dreipersonenverhältnisse berücksichtigt und die Anträge abgelehnt hatte, welche nur die Zweipersonenverhältnisse in den Blick genommen hatten39, hat sie eine Regelung der Verjährung von Eigentums- und Berichtigungsanspruch im Sinne einer Abhängigkeit auch in den von der Tabularersitzung nicht erfaßten Fällen beabsichtigt. Daß sie dies später bei der Streichung des Nachsatzes übersehen hat, was angesichts der Komplexität der Fälle nicht wunder nimmt, ist dagegen ohne Gewicht. Der historische Gesetzgeber wollte die unselbständige Verjährung des Anspruchs; die spätere Streichung ist ein Redaktions versehen 40. Ein solches Versehen kann nicht einfach - ähnlich wie ein Druckfehler - berichtigt werden; notwendig ist vielmehr ein Rückgriff auf die anerkannten Auslegungsmethoden41. Der gesetzgeberische Wille kann nur dann Berücksichtigung finden, wenn er auf irgendeine, wenn auch unvollständige Art im Gesetz Ausdruck gefunden hat (Andeutungslehre) 42. Dies ist hier indessen der Fall. Der materielle Gesetzgeber hat keineswegs daran gedacht, einen unverjährbaren Berichtigungsanspruch zu gewähren. Er selbst hat diesem in § 900 BGB eine Grenze gesetzt: Ist der Herausgabeanspruch nach dreißig Jahren erloschen, weil (neben der Eintragung) dreißigjähriger Eigenbesitz vorliegt, so kann der Berichtigungsanspruch nicht mehr geltend gemacht werden. Ein von der Tabularersitzung verschiedener Weg zur Vermeidung des dominium sine re wäre die Unverjährbarkeit des Herausgabe- und Berichtigungsanspruchs gewesen - ein Weg, den der Gesetzgeber gegen große Widerstände bewußt nicht gewählt hat. Der zeitliche Gleichklang von Verjährung des Eigentumsanspruchs und Beendigung des Berichtigungsanspruchs hat also in § 900 BGB einen deutlichen, wenngleich unvollständigen Ausdruck gefunden. Die Annahme einer unselbständigen Verjährung des Berichtigungsanspruchs in den von der Ersitzung nicht erfaßten Fällen gründet sich folglich auf eine berichtigende, im Gesetz selbst angelegte Auslegung, welche von der Entstehungsgeschichte zwingend erfordert wird und von der abzurücken auch heute kein Grund ersichtlich ist. 3. Bereits die Ähnlichkeit der Rechtsnatur von Herausgabe- und Berichtigungsanspruch, der sogenannten Rechtsverwirklichungsansprüche, gebietet eine gleichmäßige Verjährung der Ansprüche 43. Die Rechtsnatur des Berichtigungsanspruchs ist zwar umstritten; so sehen die einen in ihm einen Sonderfall der actio negato39 S. oben § 5 I 3 (Prot. II, Bd. 3, 105). Es trifft daher nicht zu, daß die Redaktoren an solche Dreipersonenverhältnisse nicht gedacht hätten (zweifelnd Peters IZimmermann, 148). 40 Dagegen läßt sich nicht einwenden, daß man die Streichung ja gewollt habe: In dem geschehenen Umfang war die Streichung gerade nicht beabsichtigt. 41 Enneccerus /Nipperdey I, § 52 II; Engisch, 224; Fikentscher, 658. 42 Sauer, 297; Enneccerus ! Nipperdey I, § 55 I 1; Wank, 38. 4 3 So schon die 1. Kommission, vgl. oben § 3 I 3.

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ria 44, andere eine Ausprägung des § 985 BGB 4 5 , und wieder andere betonen seine rechtliche Unabhängigkeit46. Ungeachtet dieser Meinungsverschiedenheit wird man aber Einigkeit darüber erzielen können, daß beide Ansprüche gleichermaßen dem Schutz des Eigentums dienen, diesem erst Geltung verschaffen 47. Da beide Ansprüche eine Herausgabe zum Inhalt haben - die Herausgabe des tatsächlichen Besitzes oder der Buchposition - , kann man eine Verwandtschaft nur schwerlich leugnen; im österreichischen Grundbuchrecht wird nicht zu Unrecht von „Tabularbesitz" für diese Buchposition gesprochen48. Daß es einen Berichtigungsanspruch gibt und nicht lediglich den Herausgabeanspruch, ist eine Besonderheit des auf dem Grundbuchsystem aufbauenden Immobiliarsachenrechts. Sie rechtfertigt indessen eine unterschiedliche Behandlung von Berichtigungs- und dem ihm wesensverwandten Herausgabeanspruch nicht. Diese Einschätzung haben auch die Mitglieder beider Kommissionen mehrheitlich geteilt, und sie ist vernünftigerweise auch nicht zu bestreiten 49. 4. a) Auch die von der h. M. erzielten Ergebnisse streiten nicht für eine unabhängige Verjährung des Berichtigungsanspruchs. Kann der Eigentümer nach der Verjährung seines Herausgabeanspruchs seine (Wieder-)Eintragung erlangen, wird dem Eigenbesitzer im eingangs dargelegten Zweipersonenverhältnis die Möglichkeit einer Tabularersitzung 50 und im Dreipersonenverhältnis die Möglichkeit einer Kontratabularersitzung gemäß § 927 BGB genommen, ohne daß der Eigentümer jemals den Besitz des Grundstücks erlangen könnte - von den bei Grundstücken ohnehin zu vernachlässigenden Fällen einer zufalligen Besitzerlangung durch den Eigentümer 51 und eines ohne Rechtsnachfolge eintretenden Besitzwechsels (§ 221 44 Mot. III, 424; Kretzschmar, § 894, Anm. II 4; Maenner, 175; Biermann, § 894, Anm. 2 a; Henckel, 103; Wieling, SR, § 20 II 1 a; MK / Wacke, § 894, Rn. 2. 45 Philipp, 41; Naendrup, Verjährung, 305; Wieacker, Struktur, 990; Westermann/Eickmann, § 72 II 1 a. 46 Köhler, 185; dagegen zutreffend bereits Wieacker, Struktur, 989. Daß der Berichtigungsanspruch schuldrechtlicher, allerdings insolvenzfester Natur sei, wird im Unterschied zum Schrifttum zu Beginn des Jahrhunderts (Schilde, 52 ff.; Goldmann, 55) heute nicht mehr vertreten. 47 Ob man nun den Herausgabeanspruch als „Hauptanspruch" bezeichnet, um so die Abhängigkeit des Berichtigungsanspruchs von jenem deutlich zu machen, oder ob man, wie mehrheitlich die 2. Kommission, vom „materiellen" Herausgabeanspruch und bloß „formellen" Berichtigungsanspruch spricht (oben § 5 I 3; auch Endemann, 246 in Fn. 5; Eck, 91; Staudinger/ Kober, 9. Aufl., § 898), ist gleichgültig. Solche terminologischen Differenzierungen überzeugen denjenigen nicht, der von der prinzipiellen Gleichrangigkeit aller im BGB gewährten Ansprüche ausgeht (so etwa Rosenberg, § 898, Anm. 2 b). Entgegen Eck, 91, kann man den Berichtigungsanspruch übrigens nicht als „Nebenleistung" im Sinne des § 224 BGB ansehen. 48 Vgl. auch Diederichsen, Recht zum Besitz, 143. 49 Zur 1. Kommission vgl. oben §313; zur 2. Kommission soeben in Fn. 47. 50 S. oben §7 II 1. 51 Das Zurückerlangen des Besitzes aufgrund Zufalls ist in diesem Zusammenhang nicht weiter zu berücksichtigen: Eine Rechtsordnung kann ihre Entscheidungen nicht vom Zufall

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BGB) abgesehen52. Das dominium sine re wird daher trotz der Möglichkeit, den Berichtigungsanspruch nach Verjährung des Herausgabeanspruchs geltend zu machen, aufrechterhalten. Der, wie es Heck treffend im Hinblick auf ihre Aufgabe der Beseitigung der nuda proprietas formuliert hat, »juristischen Müllabfuhr" 53 der §§ 900, 927 BGB wird ein erheblicher Teil ihres Wirkungsgrades genommen54. Zwar dient ein stets unverjährbarer Berichtigungsanspruch dem Prinzip der Grundbuchwahrheit, weil der wirkliche Eigentümer auch das Bucheigentum erhalten kann; allein mit diesem Vorteil ist nicht viel erreicht, weil damit das aufgrund der gefestigten Besitzlage des Besitzers entstandene dominium sine re nicht gleichfalls beseitigt wird. Im Gegenteil erhöht, wie bereits dargelegt, die Unverjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs die Gefahr einer nuda proprietas, indem sie Ersitzung oder Aufgebot verhindert. b) Ein weiterer Vorteil der Unverjährbarkeit wird darin erblickt, daß der Eigentümer nach seiner (Wieder-)Eintragung seine Verfügungsbefugnis über das Grundstück zurückerhält; er könne dieses etwa veräußern 55. Richtig ist zwar, daß nach der (Wieder-)Eintragung des Eigentümers eine Veräußerung möglich ist; der Eigentümer ist jedoch nicht in der Lage, seinen Verpflichtungen aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB gerecht zu werden und dem Erwerber den Besitz an dem verkauften Grundstück zu verschaffen. Wegen der bestehenden Verjährungseinrede verschafft er es nicht frei von Rechten Dritter (§ 434 BGB). Die Ansicht Rosenbergs, im Hinblick auf das neue Eigentum des Erwerbers entstehe für diesen eine neue rei vindicatio, dergegenüber sich der Besitzer nicht auf die eingetretene Verjährung berufen könne 56 , ist unzutreffend. Die Rechtsnachfolge auf Eigentümerseite führt nach

abhängig machen; auch die Auslegung des Gesetzes kann hiervon nicht entscheidend beeinflußt werden. Sie muß für solche Probleme Lösungen bereithalten und darf nicht auf den Zufall als Remedur verweisen. Eine Lösung wird unten in § 11 III entwickelt. 52 Ein Besitzwechsel ohne Rechtsnachfolge im Sinne von § 221 BGB ist bei Grundstücken - im Gegensatz zu Mobilien - höchst unwahrscheinlich: Der Gesetzgeber hat die Gefahr der heimlichen Wegnahme eines Grundstücks zu Recht für ausgeschlossen erachtet (s. oben § 6, 3); außerdem stehen dem früheren Grundstücksbesitzer nicht nur die possessorischen Besitzschutzansprüche zu Gebote, sondern richtiger Ansicht nach auch die petitorischen, weil dem gemäß §§ 900, 927 BGB besitzenden Eigenbesitzer der Schutz entsprechend § 1007 BGB zu gewähren ist (vgl. Wieling, SR, § 12 IX 6 c und unten § 10 II 1 c bb). 53 Heck, § 32, 5. 54 Im Zweipersonenverhältnis kann der Eigenbesitzer nach dreißigjährigem Besitz und nicht so langer Eintragung nur dann vom Eigentümer ungestört bis zur Vollendung einer auch dreißigjährigen Eintragung ersitzen, wenn nicht nur der Herausgabeanspruch des Eigentümers, sondern auch dessen Berichtigungsanspruch verjährt. Außerdem kann der Eigenbesitzer in einem solchen Zweipersonenverhältnis den Eigentümer immerhin gemäß § 927 Abs. 1 S. 1 BGB aufbieten lassen (vgl. unten § 9 II 2 a dd); wird der Eigentümer dagegen eingetragen, liegen die Voraussetzungen eines Aufgebotsverfahrens bei wörtlichem Verständnis des § 927 Abs. 1 S. 3 BGB nicht mehr vor. Bleibt der Eigentümer im Dreipersonenverhältnis uneingetragen, so genügt der dreißigjährige Eigenbesitz, um das Aufgebotsverfahren nach § 927 Abs. 1 S. 1 BGB zu beantragen. 55 Rosenberg, § 898, Anm. 2 b (477); Fuchs, § 898, Anm. 2 a. 7*

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h. M. nicht zu einer neuen, einredefreien Vindikation 57 ; der Besitzer kann sich auch gegenüber dem neuen Eigentümer auf Veijährung berufen. Durch die Möglichkeit einer (Wieder-)Eintragung des Eigentümers wird die Verkehrsfähigkeit des Grundstücks keineswegs gefördert und eine nuda proprietas nicht vermieden. c) Es ist ferner an die Möglichkeit des Eigentümers zu denken, das Grundstück nach seiner Eintragung mit einem Grundpfandrecht zu belasten58. Er könnte etwa ein mit einem Grundpfandrecht gesichertes Darlehen aufnehmen, die Darlehensschuld nicht zahlen und damit die Zwangsversteigerung veranlassen. Der in einer Zwangsversteigerung des Grundstücks Erstehende ist zwar nicht mehr der Verjährungseinrede des Besitzers ausgesetzt und kann gegen diesen gemäß § 93 Abs. 1 S. 1 ZVG aufgrund des Zuschlagsbeschlusses die Zwangsvollstreckung betreiben. Dies ist die Folge der die Rechtslage am Grundstück neu gestaltenden Zwangsversteigerung 59 . Der nunmehr eingetragene Eigentümer umgeht jedoch auf diese Weise, d. h. durch Veranlassung der Zwangsversteigerung, die Wirkungen der Verjährung des Herausgabeanspruchs gegen den Besitzer. Eine solche Umgehung, welche die h. M. bei der Veräußerung des Grundstücks zu Recht mißbilligt 60 , wird also aufgrund der Besonderheiten des Zwangsvollstreckungsrechts infolge einer bloßen Belastung des Grundstücks ermöglicht. Sachgerecht ist sie indessen nicht. Bejaht man also trotz Verjährung des § 985 BGB den Berichtigungsanspruch des Eigentümers, gibt man dem Eigentümer ein Mittel an die Hand, die Verjährung des § 985 BGB faktisch zu unterlaufen 61. Die Belastung des Grundstücks etwa mit einem Nießbrauch kann den durch die Verjährungseinrede gefestigten Besitz ebenfalls nicht stören: Die durch die Verjährung des Herausgabeanspruchs angestrebte Befriedung setzt es voraus, daß der Besitzer das Grundstück ungehindert nutzen darf, und zwar auf Dauer 62 . Ist der Besitzer gegenüber einem Erwerber des Grundstücks zu schützen, so gilt dies erst recht gegenüber dem bloßen Nießbraucher. 56 Rosenberg, § 898, Anm. 2 b (477); Heck, § 45, 3. Ähnlich Fuchs, § 898, Anm. 2 a (167), der die Einrede der Verjährung des § 985 BGB als Verfügungsbeschränkung im Sinne von § 892 BGB wertet und dem insoweit gutgläubigen Erwerber eine erneute Vindikation gegen den Besitzer gibt. Gegen diese Konstruktion zu Recht Rosenberg, a. a. O. 57 Vgl. etwa Plambeck, 132 ff.; StaudingerI Gursky, § 985, Rn. 89; zum ganzen unten § 10 II 1 add. 58 So Rosenberg, § 898, Anm. 2 b (477); Fuchs, 184. 59 Dazu im einzelnen unten § 10 II 1 a gg. 60 S. soeben b und unten § 10 II 1 a dd. 61 Bleibt es dagegen bei einem Dreipersonenverhältnis, weil man auch den Berichtigungsanspruch für verjährt erachtet, könnte zwar auch der Bucheigentümer auf die genannte Weise die Zwangsversteigerung des Grundstücks herbeiführen; immerhin erfordert aber die Belastung die Gutgläubigkeit seines Gläubigers. Einen Anreiz dazu hat der Bucheigentümer überdies nicht: Die Darlehensforderung ginge gemäß § 1143 BGB auf den Eigentümer über. Zur Lösung des Problems der Verwertung des Grundstücks durch die Belastung mit einem Grundpfandrecht vgl. unten § 11 III. 62 Vgl. Staudingerl Gursky, § 985, Rn. 91.

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d) Es zeigt sich im Ergebnis, daß die uneingeschränkte Unverjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs entweder nicht sinnvoll oder nicht wünschenswert ist und sie nicht als Ausnahmetatbestand im Recht der Verjährung aufrechterhalten werden sollte 63 . Hier wie bei anderen Ansprüchen setzt sich der Zweck der Verjährung durch, nach langer Zeit eine Rechtsbefriedung durch Abschneiden der Ansprüche herzustellen. Konstruiert man den Berichtigungs- als vom Herausgabeanspruch abhängigen formellen Anspruch, ist diese Konsequenz geradezu zwingend. Hält man den Berichtigungsanspruch für einen neben § 985 BGB selbständig bestehenden Anspruch, so müßte man positiv begründen, warum er nicht wie jeder Anspruch verjähren sollte, was, wie gezeigt, nur schwerlich gelingen wird. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß im allgemeinen eine Tendenz zur Abkürzung der Verjährungsfristen besteht64. Auch rechtspolitisch ist daher eine Auslegung des § 898 BGB in dem vorgeschlagenen, der Entstehungsgeschichte der Norm Rechnung tragenden Sinn geboten. Dies wird nicht zuletzt deutlich daran, daß sich die h. M. immer wieder gezwungen sieht, auf das Institut der Verwirkung des vermeintlich unverjährbaren Berichtigungsanspruchs zurückzugreifen, um so ihre eigenen Ergebnisse zu korrigieren 65. Klarzustellen ist, daß die hier vorgeschlagene Abhängigkeit der Verjährung des Berichtigungsanspruchs vom Herausgabeanspruch das problematische dominium sine re nicht auflöst. Sie hat aber den Vorteil, daß sie unmißverständlich deutlich macht, daß es für die Fälle der nuda proprietas einer anderen Lösung bedarf 66; sie wiegt - im Gegensatz zur h. M. - den Rechtsanwender und die Parteien nicht in der falschen Sicherheit, daß wenigstens einer der beiden Rechtsverwirklichungsansprüche unverjährbar sei und so unliebsame Schwierigkeiten vermieden werden könnten. Letzteres ist nicht der Fall - Eigentum und Besitz bleiben auch nach h. M. dauerhaft getrennt; vor allem aber wirkt die h. M. ersitzungsfeindlich und hindert die Auflösung eines dominium sine re selbst dort, wo sie das Gesetz in §§ 900, 927 BGB vorsieht. 5. Richtig hat der Gesetzgeber die Abhängigkeit des Berichtigungsanspruchs vom Herausgabeanspruch darin zum Ausdruck gebracht, daß jedenfalls der besitzende Eigentümer eine Berichtigung des Grundbuchs verlangen kann 67 . Der Her63 Der Hinweis darauf, daß der nicht eingetragene Eigentümer auch dann seine Eintragung erreichen kann, wenn er gemäß § 22 GBO urkundlich die Unrichtigkeit des Grundbuchs nachweisen kann, ist kein Argument für die h. M. (a. A. Rosenberg, § 898, Anm. 2 b [477]). Daß der Eigentümer in einem Ausnahmefall seine Eintragung auch nach der Veijährung der Vindikation erreichen kann - das Grundbuchamt prüft nur das Bestehen des Eigentumsrechts - , spricht nicht dafür, ihm weitere Möglichkeiten zu gewähren. 64 Dies galt schon zu Zeiten des BGB-Gesetzgebers, vgl. Gebhards Bemerkung oben § 2 II 1. Vgl. für die Reform des BGB (im Zusammenhang mit der Unverjährbarkeit der dinglichen Ansprüche de lege ferenda) Heinrichs, Reform, 2025. 65 Vgl. unten § 12 V 7 a. E. 66 S. unten § 11 III. 67 Vgl. oben § 5 I 3 den in der 2. Kommission angenommenen 5. Antrag.

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ausgabeanspruch dient nur dazu, dem Eigentümer den Besitz zu verschaffen; hat er diesen Besitz bereits, darf der Berichtigungsanspruch keinesfalls versagt werden 68. Dies hat den Vorzug, daß eine nuda proprietas dann verhindert wird, wenn der Besitzer auf die Erhebung der Veijährungseinrede verzichtet und dem Eigentümer den Grundstücksbesitz zurückgibt. Der damit verbundene Nachteil, daß der Bucheigentümer der Verjährung des gegen ihn gerichteten Anspruchs nicht sicher sein kann, er vielmehr vom Verhältnis zwischen Eigentümer und Besitzer abhängig ist, ist als Ausdruck der Unselbständigkeit des Berichtigungsanspruchs hinzunehmen. Die Konstellation, daß der Besitzer nach dreißig Jahren des Eigenbesitzes auf seine Veijährungseinrede verzichtet, dürfte jedoch selten sein. Viel wahrscheinlicher ist, daß er sich im Grundstücksbesitz behaupten will, also eine dauerhafte nuda proprietas eintritt. In diesem Zusammenhang ist es fraglich, ob der Besitzer auch tatsächlich die Veijährungseinrede erhoben haben muß, damit sich der Bucheigentümer auf die Veijährung des § 894 BGB berufen kann 69 . Hier gilt es zu unterscheiden: Solange der Eigentümer den Besitz noch nicht hat, wäre die Rechtsstellung des Bucheigentümers vom bloßen Zufall abhängig, wenn man die Erhebung der Veijährungseinrede durch den Besitzer forderte. Der Bucheigentümer könnte sich zwar dann auf Veijährung berufen, wenn der Eigentümer zunächst den Besitzer verklagt und dieser die Einrede erhebt; die Möglichkeit bliebe ihm jedoch verwehrt, wenn der Eigentümer zuerst ihn in Anspruch nähme. Das Schicksal des Berichtigungsanspruchs hängt in diesem Fall also nur von der Verjährung des Herausgabeanspruchs, nicht von der Erhebung einer entsprechenden Einrede ab 70 . Anders ist das Schicksal des Berichtigungsanspruchs zu entscheiden, wenn der Eigentümer bereits im Besitz des Grundstücks ist, etwa weil der zunächst verklagte Besitzer die Veijährungseinrede nicht erhoben hat, was nach dreißig Jahren freilich sehr unwahrscheinlich ist. Hier stehen dem Bucheigentümer Eigentum und Besitz gegenüber, seine Position ist lediglich eine formale: Der Berichtigungsanspruch kann noch geltend gemacht werden. Eine andere Entscheidung schüfe nur einen weiteren Fall einer nuda proprietas: Eigentum und Besitz würden dauerhaft von der Verfügungsbefugnis getrennt. Vor allem aber befindet sich diese Entscheidung auch mit der Auffassung des historischen Gesetzgebers im Einklang, der sich dafür aussprach, daß der besitzende Eigentümer den Berichtigungsanspruch auf jeden Fall haben solle 71 . Die 2. Kommission hat sich deshalb nicht entscheiden können, ob man von einer Verjährung des Berichtigungsanspruchs oder einer Versagung seiner Geltendmachung sprechen solle (s. oben § 5 I 3). 69 Soweit ersichtlich, wird diese Frage auch in dem Schrifttum, das die Verjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs annimmt, nicht angesprochen. 70 Die Einrede kann der Bucheigentümer gemäß § 404 BGB selbstverständlich auch dem neuen Gläubiger entgegenhalten, der den Berichtigungsanspruch des Eigentümers gemäß § 857 ZPO hat pfänden lassen (dazu Schuschke / Walker, § 835, Rn. 8). 71 S. oben § 5 I 3.

I. Zwecke und Bedeutung der Tabularersitzung

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6. Der Eigentümer kann nach Veijährung seines Berichtigungsanspruchs die Eintragung eines Widerspruchs gemäß § 899 Abs. 2 S. 1 BGB nicht erwirken 72 . Zwar spricht hiergegen der Wortlaut des § 899 Abs. 1 BGB, der nur auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 894 BGB verweist. Eine solche Auslegung würde aber dem Charakter des Widerspruchs gewissermaßen als „Vorstufe" der Berichtigungsklage73 nicht gerecht: Kann der Eigentümer seine Eintragung im Wege eines ordentlichen Verfahrens gemäß § 894 BGB wegen der Verjährung nicht erreichen, so ist ihm auch nicht mehr die Möglichkeit eines Widerspruchs einzuräumen 74. Da der Eigentümer seine Buchposition ohnehin nicht zuriickzuerlangen vermag, ist er auch nicht weiter schützenswert. Die Hauptwirkung des Widerspruchs, gutgläubigen Erwerb zu verhindern, ist für den Eigentümer ebenfalls belanglos, da er den Besitz und damit die Nutzung des Grundstücks nicht erhalten kann. Umgekehrt würde aber die für den Eigentümer nicht mehr sinnvolle Eintragung eines Widerspruchs in einem Zweipersonenverhältnis die Tabularersitzung des Bucheigentümers und Eigenbesitzers 75 gemäß § 900 Abs. 1 S. 3 BGB hindern, in einem Dreipersonenverhältnis die Wirkung des Ausschlußurteils gemäß § 927 Abs. 3 BGB beschränken. Jedenfalls hätte sie eine ersitzungsfeindliche Wirkung und würde damit die gesetzlich vorgesehenen Wege einer Vermeidung des dominium sine re versperren. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist zu fordern, daß eine einstweilige Verfügung nach § 899 Abs. 2 S. 1 BGB, sofern eine Vindikationsverjährung auch nur denkbar erscheint, nicht ohne mündliche Verhandlung zu erlassen ist, damit für den Bucheigentümer die Möglichkeit der Einredeerhebung besteht; die in § 937 Abs. 2 ZPO formulierte Ausnahme darf daher im Hinblick auf § 899 BGB keine Anwendung finden.

§ 8 Die Tabularersitzung I. Zwecke und Bedeutung der Tabularersitzung 1. Der Gesetzgeber führte die Tabularersitzung, die eine wirkliche Ersitzung ist 1 , zur Erreichung zweier Zwecke ein, nämlich zur Beseitigung einer eingetretenen nuda proprietas und zur Erleichterung des Eigentumsbeweises2. Ihren Haupt72 Die Frage wird, soweit ersichtlich, auch in dem eine Verjährbarkeit des Berichtigungsanspruchs bejahenden Schrifttum nicht aufgeworfen. 73 Von der dienenden Funktion des Widerspruchs gegenüber dem Berichtigungsanspruch spricht zu Recht Schilde, 71. 74 Anders eine in der 2. Kommission vorgetragene Ansicht, oben § 5 vor Fn. 35. 75 Der Eigenbesitz besteht in diesem Fall seit dreißig Jahren, die Eintragung des Besitzers aber erst kürzere Zeit, ohne daß der Eigentümer je den Schutz des § 902 BGB genossen hätte. ι Vgl. Art. 189 Abs. 2 EGBGB sowie § 55 SchiffsRG.

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§ 8 Die Tabularersitzung

zweck3 hat Heck treffend beschrieben, indem er die entstandene nuda proprietas als „Rechtskrüppel" bezeichnete, deren volles Absterben durch die Tabularersitzung ermöglicht werde, die so zum „Totengräberparagraphen" werde, „juristische Müllabfuhr" sei4. Folgerichtig hat der Gesetzgeber auf die Voraussetzung guten Glaubens des Ersitzers verzichtet, da sie nur eine Schmälerung des Anwendungsbereichs der Norm bedeutet hätte. Aus diesem Verzicht folgt, daß ratio legis nicht vornehmlich der Schutz des (womöglich bösgläubigen) Präskribenten, also sein Kontinuitätsinteresse ist. Vielmehr kommt in der Vorschrift eine Geringschätzung des dem Eigentümer verbliebenen Resteigentums zum Ausdruck; sie dient primär dem öffentlichen Interesse an einer Anpassung der Rechtslage an die Rechtswirklichkeit 5 . Es wäre, wie J. Schmidt betont, sinnwidrig, wenn das Gesetz einen Zustand als sinnvoll definiert, der in der sozialen Wirklichkeit dauerhaft nicht vorliegt 6 Die zweite Funktion der Tabularersitzung besteht in der Erleichterung des Eigentumsbeweises. Dem eingetragenen Eigentümer soll der Rückgriff auf den lange zurückliegenden Erwerbsakt erspart werden7. Hier trifft sich die Tabularersitzung mit dem allgemeinen Zweck der Verjährung. Deshalb hat der Bundesgerichtshof zu Unrecht die Frage offengelassen, ob sich auch der wirklich Berechtigte auf Ersitzung berufen könne8. In dem Urteil vermengt der Bundesgerichtshof diese Frage freilich unzulässig mit der anderen, ob ein Vorerbe, der schließlich unzweifelhaft Berechtigter ist, eine Ersitzung (gegenüber dem Nacherben!) geltend machen kann. Liegen die Voraussetzungen des § 900 Abs. 1 BGB vor, so kann der Scheinvorerbe 9 Eigentum - als Vorerbe - ersitzen; dies gilt jedoch selbstverständlich nicht im Hinblick auf den Nacherben, weil sonst dessen Recht, bei langer Vorerb2 S. oben § 5 II; Predari, 373; Planck!Strecker, § 900, Anm. 1; Kuhlmann, 37; Staudinger! Gursky, § 900, Rn. 3 f.; Wieling, SR, § 20 III 1 a; MK/Wacke, § 900, Rn. 1; Westermann ! Eickmann, § 85 I 1. - Wenn Siebeis, 443, demgegenüber von drei Zwecken spricht, nämlich daneben noch vom Schutz des wirklichen Eigentümers, so ist ein Unterschied zu dem angesprochenen zweiten Zweck nicht erkennbar. 3 Die Behauptung Kuhlmanns, 37 in Fn. 11, die Funktion der Beweiserleichterung sei der vom Gesetzgeber verfolgte Hauptzweck, ist unzutreffend. Die 2. Kommission erwähnt beide Zwecke nebeneinander, zunächst aber den der Beseitigung des dominium sine re. Auch die Bemerkungen Jacubezkys, der die Tabularersitzung durchsetzte, lassen keinen anderen Schluß zu (s. oben § 4 II a. E.). 4 Heck, § 32, 5; zust. Hofmeister, 324, 331 („Sanierung des Grundbuchs"). Ganz ausnahmsweise behebt die Tabularersitzung dann nicht ein durch Vindikationsveijährung entstandenes dominium sine re, wenn der Eigenbesitzer den Herausgabeanspruch nach § 208 BGB anerkannt, den Eigenbesitz aber nicht aufgegeben hat. 5 Ohne die im Text vorgenommene Einschränkung Heck, § 32, 5; Dernburg, SR, 155; Rosenberg, § 900, Anm. 1; M. Wolf, SR, Rn. 391; BGH, NJW 1994, 1152. 6 Staudinger ! J.Schmidt, § 242, Rn. 517. 7 Vgl. auch Biermann, § 900, Anm. 3. 8 BGH, NJW 1994, 1152. 9 Auch der wirkliche Vorerbe braucht nach dreißig Jahren nicht auf die testamentarische Einsetzung zurückzugreifen.

I. Zwecke und Bedeutung der Tabularersitzung

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schaft, vereitelt werden würde. Mit Eintritt des Nacherbfalls verliert der Vorerbe seine Berechtigung, und erst von diesem Moment an, der Entstehung des Herausgabeanspruchs des Nacherben, läuft die Ersitzungsfrist gegen diesen10. Das vom Bundesgerichtshof in der Entscheidung monierte Auseinanderfallen von Beginn der Verjährungsfrist und Beginn der Ersitzungsfrist existierte in Wirklichkeit nicht. Darüber hinaus ist entsprechend der Absicht des Gesetzgebers die Funktion der Beweiserleichterung auch auf das dem Erwerbsakt zugrundeliegende Kausalgeschäft zu erstrecken. Der Gesetzgeber hat alle Einreden wegen etwaiger Mängel des Erwerbs mit der Ersitzung ausschließen wollen 11 ; die Formulierung konnte allgemeiner nicht gewählt werden. Sie nur auf das dingliche Erwerbsgeschäft zu beziehen hieße, dem Gesetzgeber eine allzu formalistische Betrachtungsweise zu unterstellen 12. Zweifelhaft ist, ob die Tabularersitzung nicht neben den beiden genannten Zwecken auch die (Kontinuitäts-)Interessen des Ersitzers schützt. Oben 13 wurde in dieser Hinsicht, in Abweichung von der beinahe einhelligen Auffassung im Schrifttum 14, eine Einschränkung gemacht. Sie ist damit zu rechtfertigen, daß die Tabularersitzung zumeist gerade nicht eintritt aufgrund „zufälliger" oder arglistig herbeigeführter Eintragung eines bösgläubigen Eigenbesitzers15, ihr vielmehr ein Erwerbsgeschäft oder ein unerkannt unwirksames Testament zugrunde liegt. In solchen Fällen wird der Ersitzer in der Regel sogar gutgläubig im Sinne von § 937 Abs. 2 BGB sein. Bildet man den Fall etwa so, daß der Ersitzer aufgrund wirksamen Kaufvertrages auch den Kaufpreis für das Grundstück gezahlt hat, wird deutlich, daß ihm die Rechtsordnung mit § 900 BGB ein Mittel an die Hand gibt, die formale Unterscheidung zwischen dem obligatorischen und dem (unwirksamen 16) dinglichen Geschäft zu überwinden 17 und letztlich entsprechend seiner Vermögensdisposition das Eigentum zu erhalten. Aber auch im Hinblick auf den bösgläubigen Präskribenten bedeutet die Tabularersitzung die Anerkennung seiner besonderen Nähe zum Grundstück, die im Laufe der dreißig Jahre immer intensiver wurde: Das Grundstückseigentum wird nicht irgendeinem zugesprochen, sondern dem (bösgläubigen) Eigenbesitzer. Zumindest als Reflex dient die Tabularersitzung daher auch den Interessen des Ersitzers. 10 Richtig Staudingerl Gursky, § 900, Rn. 12. 11 S. oben §5 II. 12 Zur Konkurrenz mit Bereicherungsansprüchen vgl. unten § 8 III 2. 13 S. oben vor Fn. 5. 14 Vgl. aber auch Baur/ Stürner, § 6, Rn. 9; May, 56 (Schutz des Ersitzers). 15 So etwa im Fall der Eintragung eines Nichterben aufgrund gefälschten Erbscheins. 16 Die Unwirksamkeit kann sich z. B. durch unerkannte Geisteskrankheit ergeben oder wenn die Form Vorschrift des § 925 BGB der gleichzeitigen Anwesenheit vor dem Notar verletzt wurde. 17 Das Reichsgericht sprach im Hinblick auf das Bereicherungsrecht von dessen Funktion, die „auf Grund formalen Rechtes" eingetretene Vermögensverschiebung zu überwinden, vgl. RGZ 86, 343 (348).

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§ 8 Die Tabularersitzung

Gemeinhin wird die Tabularersitzung auf den deutschrechtlichen Verschweigungsgedanken zurückgeführt 18; der Eigentümer habe sich durch Nichterhebung der Eigentumsklage an seinem Recht verschwiegen. Das ist nur bedingt zutreffend. Sicher kann der Gedanke als innere Rechtfertigung in dem Falle fruchtbar gemacht werden, daß der Eigentümer seinen Herausgabe- und Berichtigungsanspruch gegen den Bucheigentümer hat verjähren lassen. In dem ebenfalls von § 900 Abs. 1 BGB erfaßten Fall der unwirksamen Auflassung nach wirksamem Kaufvertrag jedoch „verschweigt" sich der Eigentümer keineswegs19. Denn der Käufer/Besitzer kann gegenüber dem Herausgabeanspruch die exceptio rei venditae et traditae nach § 986 BGB und gegenüber dem Berichtigungsanspruch den Einwand unzulässiger Rechtsausübung20 geltend machen. Und auch die Eintragung eines die Ersitzung hindernden Widerspruchs wäre dem Alteigentümer zu versagen gewesen, weil sich § 899 Abs. 1 BGB in seinen Voraussetzungen auf § 894 BGB bezieht, demgegenüber eine dauerhafte Einwendung geltend gemacht werden konnte 21 . Der Alteigentümer konnte daher den Eigentumserwerb des Ersitzers nicht hindern; er hat sich nicht „verschwiegen". In einem solchen Fall hilft nur der Beweisersatzgedanke zur Rechtfertigung der Tabularersitzung weiter; es wird das bessere Recht des Besitzers am Grundstück aufgrund des langen Zeitablaufs (unwiderleglich) vermutet 22, ohne daß es einer weiteren Beweisführung bedürfte. Die Zweifel an der Validität des Verschweigungsgedankens für die Tabularersitzung werden nicht zuletzt dadurch bestätigt, daß die 2. Kommission bei ihrer Begründung keineswegs an das deutschrechtliche „Vorbild" einer Tabularersitzung in § 1467 ABGB anknüpfte, der rechtsgeschichtlich auf die entsprechenden Regelungen der böhmischen Landtafeln zurückzuführen ist 23 . Andererseits ist etwa der Verweis in §§ 900 Abs. 1 S. 2, 939 BGB auf §§ 202 ff. BGB eher Ausdruck des Verschweigungsgedankens als der Beweisersatztheorie; denn für Beweismittel und die Gefahr ihrer Verdunkelung gibt es keinen Stillstand der Zeit 2 4 . Im Ergebnis zeigt sich, daß der Verschweigungsgedanke die Tabularersitzung nur begrenzt zu rechtfertigen vermag; der Beweisersatzgedanke ist zur Begründung ebenfalls heranzuziehen. 2. Johow erachtete die Zahl der künftigen Fälle einer Tabularersitzung für so gering, daß er eine Regelung ablehnte. Die 2. Kommission hingegen ließ dieses ArWolff/Raiser, § 49 I; Naendrup, Ersitzung, 57; Locher, 174; Staudinger ! Gursky, § 900, Rn. 3; M K / Wache, § 900, Rn. 1; BGH, DtZ 1997, 350 (352). Der von Naendrup hervorgehobene Rechtsscheinsgedanke wird von ihm selbst mit der Verschweigungslehre identifiziert (vgl. Naendrup, Verjährung, 246; Mengiardi, 39). 19 Auch Staudinger/Gursky, § 900, Rn. 14, betont, daß § 900 Abs. 1 BGB nicht nur für den Fall der Verjährung des Eigentumsanspruchs Anwendung findet. 20 Vgl. BGH, NJW 1974, 1651. 21 Vgl. zur Frage der Eintragung eines Widerspruchs bei verjährtem Berichtigungsanspruch oben § 7 II 6. 22 Vgl. etwa Mengiardi, 35 f. 23 Haidien, 138; Hofmeister, 327. 24

So richtig Mengiardi, 40 f.

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gument zu Recht nicht gelten: Auch für einen seltenen Fall muß eine Rechtsordnung, die in sich widerspruchsfrei sein will, Lösungen bereithalten. Außerdem erwies sich Johows Prognose, die auch im Schrifttum geteilt wird 2 5 , nur mit Einschränkungen als richtig. Immerhin sind, soweit ersichtlich, zehn obergerichtlich entschiedene Fälle überliefert, in denen die Tabularersitzung von Eigentum eine erhebliche Rolle gespielt hat 26 . Die Renaissance dieser Ersitzungsform im Zuge der Wiedervereinigung ist hierbei noch ganz unberücksichtigt 27. Zu den einzelnen in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Fragen ist im Folgenden nicht mehr Stellung zu nehmen. Mit Art. 237 EGBGB wurde im Jahre 1997 gegen erheblichen Widerstand im Schrifttum eine vom Bundesverfassungsgericht nicht beanstandete Regelung geschaffen, mit der nachträglich die Umwandlung von zu Zeiten der DDR unwirksam in Volkseigentum überführten Grundeigentums in wirksames Eigentum angeordnet wurde 28 .

II. Die Voraussetzungen im einzelnen 1. Die Eintragung, insbesondere die Doppelbuchung Während der gesamten in § 900 BGB vorausgesetzten dreißig Jahre hindurch muß der Ersitzer als Eigentümer im Grundbuch eingetragen sein, weder ein Eigentumswiderspruch noch eine Auflassungsvormerkung genügt29. Eine Ersitzung ungebuchter Grundstücke ist nicht möglich, wohl aber kann das Grundstück in Wirklichkeit herrenlos sein. Ohne Belang ist, warum die Eintragung erfolgte; ein Titel ist nicht erforderlich 30. Notwendig ist freilich, daß die Eintragung an sich wirksam ist 3 1 , sie darf also nicht unfertig sein, d. h. sie muß gemäß § 44 Abs. 1 GBO vom Rechtspfleger und Urkundsbeamten unterschrieben sein, darf inhaltlich nicht unzulässig sein 32 - in einem solchen Fall ist sie nach § 53 Abs. 1 S. 2 GBO zu löschen 25 S. etwa Kuhlmann, 58; Siebeis, 443; Staudinger I Gursky, § 900, Rn. 4. 26 Vgl. OLG Celle, WarnRspr. 12 (1919), Nr. 97; KG, JW 1933, 2849; KG, JW 1938, 3046; OLG Celle, RdL 1957, 321; OLG Braunschweig, Nieders. Rechtspflege 1962, 16; BGH, MDR 1971, 915; BGH, JZ 1972, 128; BayObLGE 1979, 104; BGH, NJW 1994, 1152; das bei Blumenwitz referierte Urteil des OLG Nürnberg, 4 U 4005/93-4 Ο 6787/93; außerdem LG Oldenburg, Nieders. Rechtspflege 1983, 28. 27 Vgl. dazu neben den bereits erwähnten Urteilen (oben Einleitung, Fn. 20) BezG Dresden, VIZ 1993, 313; Brandenburg. OLG, OLG-Report 1995, 191; LG Magdeburg, VIZ 1995, 544; LG Zwickau, OV speziai 1995, 367; OLG Naumburg, DZWir 1996, 31; Brandenburg. OLG, OLG-NL 1997, 81; LG Erfurt, OLG-NL 1997, 132. 28 Vgl. BVerfG, WM 1998, 1631. 29 Turnaul Förster, § 900, Anm. II 2; Staudinger ! Gursky, § 900, Rn. 7; nicht zutreffend Wilhelms, 527, der meint, die Frist brauche nicht zusammenhängend zu sein. 30 Staudingerl Gursky, § 900, Rn. 5. 31 Siebeis, 447; Keller, 169; StaudingerI Gursky, § 892, Rn. 13 ff. 32 Vgl. etwa RGZ 88, 22 (27); OLG Celle, RdL 1957, 321 (322); StaudingerI Gursky, § 892, Rn. 16.

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und darf sich nicht auf einen nichtigen Rechtspflegerakt gründen 33. In all diesen Fällen entbehrt die Eintragung des zur Ersitzung erforderlichen Rechtsscheins. Schwierig und wenigstens in der ersten Hälfte des Jahrhunderts umstritten ist die Frage, ob eine Doppelbuchung die Ersitzung ausschließt. Ein Grundstück kann entweder dadurch doppelt gebucht sein, daß es bei der ursprünglichen Anlegung des Grundbuchs von vornherein zweimal eingetragen worden ist 34 , oder dadurch, daß ein Grundstücksteil selbständig veräußert und deshalb ein neues Grundbuchblatt angelegt, dabei jedoch die Abschreibung vom ursprünglichen Grundstück versäumt wurde 35 . In der ersten Fallvariante ist es auch denkbar, daß auf keinem der Grundbuchblätter der wirkliche Eigentümer eingetragen ist. Nach heute beinahe einhelliger Ansicht nehmen solche Doppelbuchungen weder am öffentlichen Glauben des Grundbuchs gemäß § 891 BGB teil, noch sind sie mangels Rechtsscheins Grundlage für einen gutgläubigen Erwerb 36 . Entsprechend wird auch der Rechtsschein einer solchen Eintragung für eine Ersitzung nach § 900 BGB geleugnet37. Schon diese Folgerung ist keineswegs zwingend, hat doch die Ersitzung u. a. die Funktion, einem gescheiterten rechtsgeschäftlichen Erwerb letztlich doch noch zur Wirksamkeit zu verhelfen. So hat etwa das preußische ,,Landes-Ökonomie-Kollegium" im Gesetzgebungsverfahren die Möglichkeit einer Ersitzung gerade deshalb eingefordert, weil es im Falle der Doppelbuchung in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des preußischen Obertribunals und dann des Reichsgerichts 38 einen gutgläubigen Erwerb für ausgeschlossen hielt 39 . Die h. M. argumentiert mit der Einheit des Grundbuchs. Zwei sich widersprechende Grundbuchblätter höben sich im Ergebnis gegenseitig auf, weil für jedes die Vermutung aus § 891 BGB gelte und damit das jeweils andere als falsch ausgewiesen werde 40 . Damit sei der Rechtsschein jedes einzelnen Grundbuchblatts 33 Staudinger /Gursky, § 892, Rn. 18. 34 Zu dieser Fallgruppe ist auch der Sachverhalt in RGZ 56, 58, zu zählen: Ein Grundstücksteil war von vornherein als Bestandteil zweier Rittergüter gebucht. Nach Erwerb des ersten Guts, Abschreibung und Abveräußerung des Grundstücksteils an einen Dritten und Erwerb des zweiten Guts durch denselben ersten Erwerber war dieser erneut als Eigentümer des fraglichen Grundstücksteils eingetragen. 35 Staudinger/Gursky, § 892, Rn. 25. 36 Oberneck, 383; Wolff / Raiser, § 37 I 3; Palandt/Bassenge, § 892, Rn. 12; Staudinger/ Gursky, § 892, Rn. 25; MK/Wacke, § 892, Rn. 27; Erman/Hagen, § 892, Rn. 4; Wilhelm, Rn. 516; Westermann / Eickmann, § 84 II 5 e; Baur/ Stürner, § 23, Rn. 14; Schreiberl Burbulla, 492; RGZ 56,58 (61 f.); BGH, DB 1969, 1458; mit Modifikationen auch Steffen, 1 ff. (sowohl hinsichtlich § 891 als auch § 892 BGB); neuerdings Hager, Verkehrsschutz, 434 f. 37 Westermann/Eickmann, § 85 II 1; Palandt!Bassenge, § 900, Rn. 3; Siebeis, 448; Staudinger /Gursky, § 900, Rn. 8; MK /Wacke, § 900, Rn. 3; Soergel / Stürner, § 900, Rn. 1; KG, JFG 18 (1939), Nr. 43, 180; BayObLGE 1979, 104 (112 f.). 38 Vgl. PrOTr 75, 333 (338 f.); RGZ 11, 275 (278). 39 Oben § 4 II.

40 KG, JFG 18 (1939), Nr. 43, 180.

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zerstört. Dabei geht die h. M. von der mehr oder minder eingestandenen Voraussetzung aus, daß die beiden Grundbuchblätter zusammen das Grundbuch im Sinne des BGB bildeten. Angesichts des Wortlauts des § 3 Abs. 1 S. 2 GBO überrascht diese Auffassung 41. Hiernach ist nur das einzelne Grundbuchblatt das „Grundbuch" im materiellen Sinne. Die Norm wurde erstmalig von Johow in seinem neuen Entwurf einer GBO von 1888 in § b Abs. 4 vorgesehen42, nachdem die 1. Kommission einen Antrag, in der § 892 BGB (!) entsprechenden Bestimmung „Grundbuch" durch „Grundbuchblatt" zu ersetzen, aus lediglich sprachlichen Überlegungen nicht angenommen und in dieser Hinsicht auf eine „verständige Praxis" vertraut hatte 43 . Der heutige § 3 Abs. 1 S. 2 GBO ist also zur Klarstellung gerade im Hinblick auf den gutgläubigen Erwerb normiert worden, und dies von einem Gesetzgeber, dem das Problem der Doppelbuchung bekannt war 44 . Davon, daß man ausnahmsweise in § 892 BGB die Gesamtheit der Grundbuchblätter als Grundbuch anzusehen habe - nämlich um bei eventuellen Doppelbuchungen einen gutgläubigen Erwerb zu hindern - , ist keineswegs die Rede. Und auch der führende Kopf der 2. Kommission, Jacubezky, erachtete eine Doppelbuchung gerade nicht als Hinderungsgrund für einen gutgläubigen Erwerb, sondern hielt die Rechtsprechung des preußischen Obertribunals und des Reichsgerichts 45, auf der die heute h. M. gründet, für unvereinbar mit dem Prinzip des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs; diese Rechtsprechung entziehe dem Vertrauen auf das Grundbuch die rechtliche Gewähr 46 . Dem ist beizupflichten 47. Will man das Prinzip des öffentlichen Glaubens nicht nachhaltig erschüttern, so muß für den Erwerber die Eintragung des Veräußerers auf einem Grundbuchblatt genügen. Da eine Doppelbuchung nie ausgeschlossen ist, müßte der Erwerber das Grundbuch stets auf andere Buchungen hin durchsuchen, um seines Erwerbs sicher zu sein 48 . Auf diese Weise würde man von einem Erwerber mehr verlangen, als es § 892 Abs. 1 S. 1 BGB im Hinblick auf das Vorliegen seiner Gutgläubigkeit tut: Ein Erwerber muß schließlich nicht einmal in das Grundbuch hineingeschaut haben, solange er nur nicht weiß, daß es unrichtig ist 4 9 . Es bedeutete aber eine Verkehrung der § 892 BGB zugrundeliegenden Prinzipien, wollte man dem Erwerber durch die Aushöhlung des 4i Planck/Strecker, § 892, Anm. I 5, „folgert" dagegen sogar aus § 3 Abs. 1 S. 2 GBO, daß nur beide Grundbuchblätter das Grundbuch seien, eine Begründung dafür gibt er freilich nicht. MK I Wacke, § 892, Rn. 27, macht wenigstens den Ausnahmecharakter der Prämissen der h. M. deutlich. Wie hier Heck, § 44 I 4; Rosenberg, § 892, Anm. II 1 b 7; Hager, Verkehrsschutz, 434 (letzterer als Parteigänger der h. M.). « Vgl. Johow, SR Teil 3,439 ff. (Zählung des Hrsg.). 43 Vgl. Prot. I, 3572; Jakobs ISchubert, SR I, 367. 44 Vgl. nur Mot. III, 652; dort freilich wird die Behandlung der Problematik der Doppelbuchung offengelassen. 45 Oben in Fn. 38. 46 Jakubezky, 217,231. 47 So auch Rosenberg, § 892, Anm. II 1 b 7; Sawitz, 35 ff. 48 Ähnlich Sawitz, 37. 49 Vgl. nur Wieling, SR, § 20 II 3 a.

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öffentlichen Glaubens eine Nachforschungspflicht zumindest nahelegen, die nicht einmal für die Frage der Gutgläubigkeit relevant ist 50 . Deshalb ist auch das Argument nicht stichhaltig, der Verkehrsschutz führte sich, bei Zulassung gutgläubigen Erwerbs eines doppelt gebuchten Grundstücks, von selbst ad absurdum, weil kein Erwerb dauerhaft sein könne und der gutgläubige Erwerb eine Übereinstimmung von Verlautbarungstatbestand und Rechtslage nicht bewirke 51 . Dem ist zu entgegnen, daß es für den Erwerber - „Verkehrsschutz" hat schließlich dessen Schutz zum Ziel - sicherlich vorteilhafter ist, überhaupt Eigentümer des Grundstücks zu werden (womöglich auf die Gefahr hin, daß ein weiterer Erwerb aufgrund des anderen Grundbuchblatts erfolgt und er so seines Eigentums wieder verlustig geht), als dieser Möglichkeit von vornherein beraubt und allenfalls auf einen Amtshaftungsanspruch verwiesen zu werden. Es mag verwundern, daß das die h. M. nach Inkrafttreten des BGB maßgeblich begründende Urteil in RGZ 56, 58 (62), den gutgläubigen Erwerb bei einer Doppelbuchung nur ganz lapidar mit den Argumenten ausschließt, daß niemand mehr Rechte auf einen anderen übertragen könne, als er selbst habe, und daß eine „Erwerbung auf Grund des guten Glaubens an die Richtigkeit des Grundbuches bei dem Vorhandensein zweier Grundbuchblätter [ . . . ] versage". Das zweite Argument behauptet, was zu beweisen wäre, namentlich den Perspektivenwechsel im Hinblick auf das Verständnis des „Grundbuchs", und die erste Begründung ist offenkundig falsch 52 . Gegen die h. M. spricht zudem, daß sie keinen Anstoß an der Existenz eines weiteren Grundbuchblatts nimmt, wenn der Berechtigte über das Grundstück verfügt 53 . Dann genügt für die Eintragung des Erwerbers gemäß § 873 Abs. 1 BGB das Grundbuchblatt, auf dem der Berechtigte verzeichnet ist; der Erwerber muß folglich nicht auf beiden Blättern eingetragen werden. Das Grundbuch ist hier also im Gegensatz zum Erwerb vom Nichtberechtigten das Grundbuchblatt im Sinne von § 3 GBO. Eine solche Unterscheidung innerhalb der rechtsgeschäftlichen Veräußerung eines Grundstücks ist aber kaum nachvollziehbar und findet jedenfalls im Gesetz keine Stütze54. Auch die teilweise vorgeschlagene Analogie zu widerstreitenden Eintragungen auf demselben Grundbuchblatt kann nicht überzeugen: Der Unterschied besteht darin, daß bei der Doppelbuchung jedes Grundbuchblatt für sich genommen - nur dies ist nach § 3 GBO der richtige Bezugspunkt - einen Rechtsschein erzeugt und der Erwerber sich dieses Blatt im Gegensatz zu dem widersprechenden Grundbuchblatt auch ohne weiteres ansehen kann 55 . Dieselbe Er50

Die Unzumutbarkeit solcher Nachforschungen betont etwa Heck, § 4414. 51 Steffen, 11; MK /Wacke, § 892, Rn. 27; Staudinger ! Gursky, § 892, Rn. 25; Hager, Verkehrsschutz, 434. 52 A. A. Steffen, 17. 53 Vgl. nur RGZ 56, 58 (62); Westermann ! Eickmann, § 84 II 5 e; Baur / Stürner, § 23, Rn. 14. 54 Sawitz, 39. Ebenfalls kritisch Staudinger/ Gursky, § 892, Rn. 25, obgleich er Parteigänger der h. M. ist. 55 Rosenberg, § 892, Anm. I I 1 b 7.

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wägung spricht auch gegen eine Parallele zur Eintragung eines Widerspruchs auf dem Grundbuchblatt 56; hier kann der Erwerber nicht mehr mit dem Eigentum des Veräußerers rechnen. Gegen die h. M. ist ferner der Umstand anzuführen, daß im Falle der Eintragung zweier Bucheigentümer auf den beiden Grundbuchblättern der wirkliche Eigentümer geschützt wird - und das auf Kosten redlicher Erwerber 57 . Damit wäre das Grundstück dem Rechtsverkehr gänzlich entzogen. Auch die sonstigen, zur Lösung des Problems vertretenen Auffassungen finden keine Stütze im Gesetz58, wie die Auffassung Hecks, nach der beide Grundbuchblätter für den gutgläubigen Erwerb so zu behandeln seien, als wäre auf jedem von ihnen nur ein hälftiger Miteigentumsanteil verzeichnet 59. Der Lösungsvorschlag von Güthe/Triebel, nach dem das erste Grundbuchblatt bei der Anlegung von ursprünglich zwei Blättern gilt und das jüngere Blatt im Falle der irrigen Nichtabschreibung eines Grundstücksteils 60, zieht einen nicht nachvollziehbaren Vorrang des einen vor dem anderen Grundbuchblatt nach sich. Eine andere Ansicht verkehrt das in § 892 BGB angeordnete Prinzip, indem sie prinzipiell den ersten Erwerb für maßgeblich erachtet 61. Mangels Alternativen muß es daher bei der bereits von Jacubezky vorgeschlagenen und von Heck so genannten „Wechseltheorie" 62 verbleiben: Beide Grundbuchblätter werden gleichbehandelt, der jeweils letzte Erwerb ist maßgeblich, so daß sich ein „Springen" der Berechtigungen ergeben kann. Das mögliche Hin und Her der Berechtigungen ist als durchaus unerfreuliche Folge des öffentlichen Glaubens des einzelnen Grundbuchblatts in Kauf zu nehmen63. Erstens wird der Wechsel keinesfalls „ständig" sein 64 - dafür ist der Grundstücksverkehr zu träge - , und zweitens erscheint es interessengerechter, überhaupt gutgläubigen Erwerb zu ermöglichen, der womöglich bestandskräftig bleibt, als ihn von vornherein zu versagen. Der Vorrang eines der Grundbuchblätter für den konkreten Rechtsscheinerwerb ist auch begründbar 65: Er ergibt sich daraus, daß der Veräußerer auf dem einen Blatt eingetragen ist und auf dem anderen nicht. Nur das Blatt mit seiner Ein-

56 Entgegen KG, JFG 18 (1939), Nr. 43,180; Steffen, 16 ff., die diese Parallele ziehen. 57 Vgl. nur Baur/ Stürner, § 23, Rn. 14. Immerhin wollen manche Parteigänger der Mehrheitsansicht in diesem Fall gutgläubigen Erwerb zulassen, vgl. Steffen, 19, 21; Hager, Verkehrsschutz, 435. 58 Vgl. dazu auch Staudinger ! Gursky, § 892, Rn. 25; Steffen, 59 Heck, § 44 I 4; dazu vor allem Steffen, 12 f. 60 Güthe/Triebel, § 2, Rn. 54.

12 f.

61 So Kohler, § 39 VI 4. Zur Kritik hierzu vgl. Staudinger ! Gursky, § 892, Rn. 25; Rosenberg, § 892, Anm. II 1 b 7. 62 Heck, § 441 4. 63 So richtig Sawitz, 38. Gerade dieses Ergebnis läßt Staudinger/ Gursky, § 892, Rn. 25, und Westermann ! Eickmann, § 84 II 5 e, an der h. M. festhalten. 64 Sawitz, 39; so die Befürchtung von Westermann ! Eickmann, a. a. Ο. 65 A. A. M K / Wacke, § 892, Rn. 27; Staudinger ! Gursky, § 892, Rn. 25; Steffen, 14 ff.

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tragung ist regelmäßig dasjenige, welches der redliche Erwerber überhaupt zur Kenntnis nehmen kann. Steht damit also fest, daß eine Doppelbuchung weder die Vermutungswirkung nach § 891 BGB noch gutgläubigen Erwerb nach § 892 BGB ausschließt, ist auch ohne weiteres eine Tabularersitzung zuzulassen. Das Argument Siebels\ das könne zu einer Ersitzung gegen den eingetragenen Eigentümer führen 66, geht fehl: Eine solche Ersitzung ist nur dann von Gesetzes wegen unzulässig (vgl. § 927 Abs. 1 S. 3 BGB), wenn im „Grundbuch", d. h. auf dem entsprechenden „Grundbuchblatt", der Eigentümer eingetragen ist; dies ist aber gerade nicht der Fall. 2. Der Eigenbesitz Die Tabularersitzung erfordert gemäß § 872 BGB dreißigjährigen Eigenbesitz des Ersitzers. Mittelbarer Eigenbesitz, etwa im Falle der Vermietung oder Verpachtung des Grundstücks, reicht aus 67 . Der Übergang vom Fremd- zum Eigenbesitz setzt die Kundgabe eines entsprechenden Willens voraus 68. Der Eigenbesitz des Ersitzers wird gemäß § 891 BGB vermutet 69; nicht erforderlich ist es, in dieser Hinsicht auf § 1006 BGB zu rekurrieren, der nur dann über seinen Wortlaut auf unbewegliche Sachen angewendet werden sollte, wenn es sich um ein ungebuchtes Grundstück handelt oder ein Eigentümer nicht eingetragen ist 70 . Wegen der Vermutungswirkung des § 891 BGB ist die Anwendung des § 938 BGB nicht erforderlich 7 1 . Eintragung und Eigenbesitz müssen sich decken. Nur insoweit dies vorliegt, kann eine Ersitzung stattfinden («quantum posses sum, tantum praescriptum 72). Hieraus folgt, daß der als Miteigentümer eingetragene Alleinbesitzer eines Grundstücks nur Miteigentum in Höhe des eingetragenen Anteils ersitzen kann 73 . Schwieriger ist der umgekehrte Fall, in welchem der als Alleineigentümer Eingetragene lediglich Mitbesitz, § 866 BGB, am Grundstück hat. Mitbesitz läßt gemäß § 1006 BGB zwar Miteigentum vermuten, gibt aber keinen Hinweis auf die Miteigentumsquote74. Weil sich das Ausmaß der Deckung von Besitz und Eintragung 66 Siebeis, 448. 67 Kretzschmar, § 900, Anm. 2; Turnau ! Förster, § 900, Anm. II 2; Wieling, SR, § 20 III 1 a. Zum mittelbaren Besitz der Bundesrepublik Deutschland an einer von amerikanischen Truppen genutzten Kasernenliegenschaft als Ersitzungsvoraussetzung vgl. das von Blumenwitz besprochene Urteil des OLG Nürnberg, 4 U 4005/93-4 Ο 6787/93. 68 Staudinger ! Gursky, § 900, Rn. 6; BGH, MDR 1971, 915 (916). 69 MK /Wacke, § 900, Rn. 4; BGH, JZ 1972, 128. 70 Vgl. Wieling I, § 12 VIII 2 pr. m. w. Nachw. 71 72 73 74

Vgl. unten in Fn. 80. Predari, 373. Planck/Strecker, § 900, Anm. 2 a. Staudinger/Gursky, § 1006, Rn. 12; Wieling I, § 10IV 5; § 12 VIII 2 e.

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infolgedessen nicht feststellen läßt, verneint Gursky jede Ersitzungsmöglichkeit 75. Siebeis dagegen unterscheidet danach, ob der wirkliche Eigentümer Mitbesitz hat oder nicht, und verneint eine Ersitzung mit derselben Begründung im ersten Fall, bejaht jedoch im zweiten mangels Schutzbedürfnisses des nicht eingetragenen und besitzlosen Eigentümers nach dreißig Jahren eine Ersitzungsmöglichkeit 76. Die Differenzierung danach, ob der nicht eingetragene Eigentümer zudem auch besitzlos ist oder nicht, erscheint nicht überzeugend. Die Meinung Gurskys dagegen dürfte über das Ziel hinausschießen; denn immerhin steht dem Mitbesitzer ja die Eintragung als Alleineigentümer zur Seite. Richtigerweise wird man, ähnlich wie dies manche beim gutgläubigen Erwerb aufgrund des Erwerbs von Mitbesitz tun, analog § 742 BGB eine Quote zu gleichen Teilen anzunehmen haben77. Bei zwei Mitbesitzern des Grundstücks ist also von der Ersitzung eines hälftigen Miteigentumsanteils auszugehen. Liegt dagegen Teilbesitz, § 865 BGB, vor, so daß sich der Besitz des Ersitzers auf einen realen Teil des Grundstücks bezieht, ist eine auf diesen Grundstücksteil bezogene Ersitzung möglich. Man denke etwa an den Fall, daß die Grundstücksgrenze zwar laut Grundbuch und Kataster richtig erfaßt ist, jedoch ein Grenzstreifen vom Nachbarn besessen wird und der Besitz des Ersitzers sich hierauf nicht erstreckt; hier verbleibt auch nach der Ersitzung der Grenzstreifen im Eigentum des ursprünglich Berechtigten 78.

3. Der Zeitablauf a) Eintragung und Eigenbesitz müssen dreißig Jahre bestehen79. Die Frist wird gemäß §§ 187 f. BGB berechnet. § 938 BGB, auf den § 900 Abs. 1 S. 2 BGB verweist, ist nach richtiger Ansicht nicht anwendbar, weil bereits die Vermutung des § 891 BGB gilt 8 0 . Deshalb hat der Gegner das Fehlen eines dreißig Jahre andauernden Eigenbesitzes als Voraussetzung der Ersitzung nachzuweisen. Eine Ersitzung durch den Vorerben kann nicht eher beginnen, als er sein Eigentum an den Nacherben verloren hat 81 . b) Eine Hemmung der Ersitzungszeit mit der Wirkung des § 205 BGB tritt ein, solange der Eigentumsanspruch gemäß §§ 939, 202-204 BGB gehemmt ist 8 2 .

75 Staudinger ! Gursky, § 900, Rn. 11. 76 Siebeis, 455 f. 77 Ausführlich zu dem Problem Wieling I, § 12 VIII 2 e in Fn. 44; § 10IV 5. 78 Beispiel bei Staudinger I Gursky, § 900, Rn. 11. 79 Und zwar ununterbrochen, vgl. oben in Fn. 29. so So Rosenberg, § 900, Anm. III 3 a; Staudinger ! Gursky, § 900, Rn. 12; MK/Wacke, § 900, Rn. 4; a.A. Naendrup, Ersitzung, 41; Biermann, § 900, Anm. 2 b; Kretzschmar, § 900, Anm. 2 a; Planck/Strecker, § 900, Anm. 2 b; BGH, JZ 1972, 128. 81 S. oben §811. 82 Vgl. insbesondere zu den §§ 939 ff. BGB Naendrup, Ersitzung, 44 ff. 8 Finkenauer

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§ 8 Die Tabularersitzung

Dem Eigentumsanspruch gleich zu erachten ist, wie im Rahmen des § 941 BGB 8 3 , der Berichtigungsanspruch. Auch kann der Vollendung der Ersitzung gemäß § 939 BGB die Ablaufhemmung nach §§ 206 f. BGB entgegenstehen. Schließlich wird die Ersitzung so lange gehemmt, wie ein Widerspruch im Grundbuch eingetragen ist, § 900 Abs. 1 S. 3 BGB. Das gilt ohne weiteres für den berechtigten Widerspruch. Fraglich ist nur, ob nicht der Eintragung eines Widerspruchs, die weniger als ein Jahr dauert, in Analogie zu § 940 Abs. 2 BGB die Hemmungswirkung versagt werden sollte. Im Rahmen des § 940 BGB ist dem unfreiwilligen Verlust des Eigenbesitzes derjenige des Bucheintrags gleichzustellen84. Wird nun der Bucheintrag innerhalb der Einjahresfrist des § 940 Abs. 2 BGB wiederhergestellt, so gilt die Unterbrechung als nicht erfolgt 85 . Diese Grundsätze wird man erst recht auf die lediglich zu einer Hemmung führende Eintragung eines Widerspruchs übertragen müssen86. Wird der berechtigte Widerspruch aber erst nach Ablauf eines Jahres (irrtümlich) gelöscht, so war die Ersitzung für die Zeit seiner Eintragung gehemmt 87 . So wie im Rahmen des § 892 BGB der Berechtigte nur durch einen Widerspruch zu seinen Gunsten geschützt wird 8 8 , entfaltet auch bei der Tabularersitzung nur der Widerspruch zu Gunsten des Eigentümers eine Hemmungswirkung 89. Das gilt vor allem auch deshalb, weil die Eintragung eines Widerspruchs gemäß § 899 Abs. 2 BGB sehr einfach zu erreichen ist. Die Eintragung eines Amtswiderspruchs nach § 53 GBO zerstört zwar nicht die Vermutung nach § 891 BGB, verhindert aber gutgläubigen Erwerb sowie eine Verjährung nach § 902 BGB, schützt also den Berechtigten. Daher muß man ihm auch eine ersitzungshemmende Wirkung zusprechen90. c) Die Ersitzung wird unterbrochen, § 942 BGB, wenn der Ersitzer den Eigenbesitz verliert, § 940 Abs. 1 BGB; das gleiche gilt im Falle des Verlusts der Eintragung 91 . Gemäß § 940 Abs. 2 BGB gilt die Unterbrechung als nicht erfolgt, wenn der Ersitzer den unfreiwillig verlorenen Eigenbesitz binnen Jahresfrist wiedererlangt. Dies gilt selbst dann, wenn der Zwischenbesitzer nach § 940 Abs. 2 BGB der Eigentümer war 92 . Der Gedanke des § 940 Abs. 2 BGB ist, wie bereits ausgeführt, auch auf die binnen Jahresfrist erreichte Wiedereintragung anzuwenden93. 83 Dazu sogleich unter c. 84

Biermann, § 900, Anm. 2 d; Rosenberg, § 900, Anm. III 3 c; dazu sogleich unter c. 85 Biermann, § 900, Anm. 2 d. 86 Vgl. zum Vorstehenden auch Schilde, 79. 87 Staudinger/ Gursky, § 900, Rn. 13; nicht richtig daher Heinsheimer, 419 in Fn. 6. 88 Vgl. nur Wieling, SR, § 20 II 4 c bb m. w. Nachw. 89 Staudingerl Gursky, § 900, Rn. 13; PalandtlBassenge, § 900, Rn. 3; Rosenberg, § 900, Anm. III 3 b; Heinsheimer, 419 in Fn. 6; a.A. Fuchs, § 900, Anm. 2 I b aa ß. Offengelassen von Strohal, Bemerkungen, 370 in Fn. 29. 90 A. A. Keller, 168. 91 S. soeben b. 92 Wolff/Raiser, § 71 III 1; Spiro II, 1383. 93 S. soeben bei Fn. 85.

II. Die Voraussetzungen im einzelnen

115

Ebenso muß § 940 Abs. 2 BGB dann gelten, wenn der Ersitzer das Grundstück an einen Dritten veräußert, es aber binnen Jahresfrist aufgrund der Unwirksamkeit seiner Veräußerung zurückerhält, die etwa durch die Anordnung einer Betreuung 94 oder Anfechtung aufgrund eines Willensmangels95 begründet sein mag; in diesen Fällen ist von einem unfreiwilligen Besitzverlust auszugehen. Selbst im Falle der Wandlung wird man § 940 Abs. 2 BGB anwenden müssen96. Die Ersitzung wird durch gerichtliches Geltendmachen des Eigentumsanspruchs gegen den Ersitzer und dessen Besitzmittler unterbrochen, § 941 BGB. Dem Eigentumsanspruch steht der Grundbuchberichtigungsanspruch gleich 97 . Eine Klage auf Herausgabe gegenüber dem Zwischenbesitzer nach § 940 Abs. 2 BGB hat - in Übereinstimmung mit dem Willen der 2. Kommission98 - ebenfalls die Wirkung des § 941 BGB 9 9 . Wird die Herausgabeklage nach Verjährung des Eigentumsanspruchs erhoben, ist eine Unterbrechung der Ersitzung nicht anzunehmen. Der Fall kann etwa eintreten, wenn der Eigenbesitzer dreißig Jahre Besitz hat, jedoch nicht so lange eingetragen ist und deshalb seine Ersitzung nach § 900 BGB noch nicht vollendet hat, der Eigentümer dagegen mangels Eintragung den Schutz des § 902 BGB nicht genießt. Im Gegensatz zur Mobiliarersitzung kann der Fall deshalb eintreten, weil die Ersitzungs- und Verjährungsfrist gleich lang ist und die Vindikationsverjährung sogar vor der Tabularersitzung eintreten kann. Steht dem Herausgabeanspruch eine solche peremptorische Einrede gegenüber, wäre es völlig unsinnig, die Ersitzung zu Ungunsten des geschützten Besitzers zu unterbrechen. Ein Anerkenntnis durch den Ersitzer unterbricht die Ersitzung nicht; § 208 BGB ist im Ersitzungsrecht nicht anwendbar. Zwar kann der Eigenbesitzer den Eigentumsanspruch gemäß § 208 BGB anerkennen, so daß die Anspruchsverjährung unterbrochen wird. Damit verliert er aber, sollte in dem Anerkenntnis nicht zugleich die Aufgabe des Eigenbesitzwillens zum Ausdruck kommen, weder seinen Eigenbesitz noch seine Eintragung. Nur im Hinblick auf die Ersitzung von Mobilien wird die Ersitzung indirekt doch unterbrochen, weil dem Ersitzer die Gutgläubigkeit genommen wird. Da diese aber bei der Grundstücksersitzung nicht vorausgesetzt wird, kann trotz Anerkenntnis des Eigentumsanspruchs eine Ersitzung eintre-

94 Vgl. Staudingerl Gursky, § 900, Rn. 14 a. 95 Wieling hi 11 I 2 c bb. 96 Ebd. 97 Rosenberg, § 900, Anm. III 3 c; Biermann, § 900, Anm. 2 d; Naendrup, Verjährung, 309; Goldmann / Lilienthal, 341. 98 Prot. I, 3752 (Mugdan III, 642). 99 So auch v. Tuhr II /1, 26; Wieling I, § 11 I 2 c bb m. w. Nachw.; a.A. Naendrup, Ersitzung, 51; Palandt!Bassenge, § 941, Rn. 1. 100 Spiro II, 1402; Staudinger ! Gursky, § 900, Rn. 14; MK ! Wacke, § 900, Rn. 5. 8*

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§ 8 Die Tabularersitzung

4. Die Rechtsnachfolge a) Durch die Verweisung in § 900 Abs. 1 S. 2 BGB sind auch §§ 943 f. BGB anwendbar; § 943 BGB gilt bei Universal- wie Einzelrechtsnachfolge 101. Die Voraussetzungen für eine Tabularersitzung müssen bereits beim Rechtsvorgänger begründet sein; ist dies nicht der Fall, ist für ihn keine „Ersitzungszeit" verstrichen, wie § 943 BGB es verlangt. Unproblematisch ist der Fall der Universalsukzession, wenn der Erbe den Eigenbesitz des Erblassers fortsetzt (§ 857 BGB). Auch wenn der Erbe nicht eingetragen wird, streitet die Vermutung des § 891 BGB für ihn 1 0 2 . Er kann sich also die Ersitzungszeit seines Erblassers gemäß § 943 BGB anrechnen lassen und hat wegen § 891 BGB auch in seiner Person alle Ersitzungsvoraussetzungen für die Zukunft begründet. Eine Singularsukzession in den Ersitzungsbesitz ist nur denkbar, wenn der Rechtsnachfolger - die Wirksamkeit der Veräußerung setzt § 943 BGB nicht voraus 103 - bösgläubig ist, weil er sonst bereits nach § 892 BGB Eigentum erlangt 104 . Bestanden für den Veräußerer also Eigenbesitz und Eintragungszeit z. B. zwanzig Jahre lang, so ersitzt der bösgläubige Erwerber nach weiteren zehn Jahren. Nur mit Einschränkungen richtig ist die Auffassung Hecks, es genüge zur Anrechnung nach § 943 BGB, wenn eine der Ersitzungsvoraussetzungen in der Person des Rechtsnachfolgers vorliege; sei Α ζ. Β. zehn Jahre eingetragen und habe Β ebensolang Eigenbesitz und erhalte A durch Rechtsnachfolge den Eigenbesitz des Β oder Β die Eintragung des A, so werde die Ersitzung nach zwanzig weiteren Jahren vollendet. Sollte hier an eine Singularsukzession - Β ist bösgläubig und wird eingetragen - gedacht sein, so ist keine Norm ersichtlich, die ihm die Anrechnung der Eintragungszeit des A erlaubte; die Zeit vor dem Erwerb des Bucheigentums ist für Β folglich keine Ersitzungszeit 105. Meint Heck in seinem Beispiel mit Rechtsnachfolge eine Universalsukzession, so ist zwar zutreffend, daß A als Erbe des Β den Besitz als Eigenbesitz erhält (§ 857 BGB), damit ist aber noch nichts über eine Anrechnung der früheren Besitzzeit des Β gesagt. Nur in dem umgekehrten Falle, daß Β die Eintragung des A „erbt", ist aufgrund der zwar bestrittenen, aber zutreffenden Wirkung des § 891 BGB, daß die Rechtsvermutung ab dem Zeitpunkt der Eintragung gelte 106 , davon auszugehen, daß sich Β auf seinen bereits 101 Naendrup, Ersitzung, 59; Palandt/Bassenge, § 943, Rn. 1; a.A. Kniitel, 915; dagegen Finkenauer, Erbe, 962. 102 Staudinger/Gursky, § 900, Rn. 9. 103 Wieling I, § 111 2 c cc. 104 Turnaul Förster, § 900, Anm. II 2 (317). 105 Der umgekehrte Fall, A als Einzelrechtsnachfolger des B, ist nicht denkbar, da eine rechtsgeschäftliche Veräußerung an A die Eintragung des Β voraussetzt.

106 So Wolff! Raiser, § 44 in Fn. 3; Staudinger ! Gursky, § 900, Rn. 9; § 891, Rn. 29; a.A. Rosenberg, § 891, Anm. III 1; Planck/Strecker, § 891, Rn. 2 d 7.

II. Die Voraussetzungen im einzelnen

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zehnjährigen Eigenbesitz und auf die zehnjährige Eintragung berufen kann, also bereits eine zehnjährige Ersitzungszeit verstrichen ist. Das hat mit der Wirkung des § 943 BGB allerdings nichts zu tun, sondern ist eine Besonderheit der Immobiliarersitzung aufgrund § 891 BGB. b) Die Anwendung des § 944 BGB bereitet für die Tabularersitzung Probleme. Hiernach wird dem Erben nur die Ersitzungszeit, die für den Erbschaftsbesitzer verstrichen ist, angerechnet. Es müßte der Erbschaftsbesitzer also selbst eingetragen gewesen sein 107 und Eigenbesitz innegehabt haben; die Eintragung des Erblassers würde nicht genügen, weil die Vermutung des § 891 BGB nicht für den Erbschaftsbesitzer streitet. Nach h. M. ist dagegen auch die Eintragung des Erblassers oder des Erben ausreichend 108. Der Hinweis darauf, § 900 Abs. 1 S. 2 BGB gebiete nur die „entsprechende" Anwendung des § 944 BGB, weshalb man es mit der „Ersitzungszeit des Erbschaftsbesitzers nicht so genau nehmen müsse 109 , befriedigt allerdings nicht recht. Vielmehr ist darauf zu verweisen, daß die „Ersitzungszeit in § 944 BGB nach dem Willen des Gesetzgebers auch bei der Ersitzung von Mobilien keine wirkliche Ersitzung voraussetzt, sondern nur den Eigenbesitz des Erbschaftsbesitzers und seinen guten Glauben an das Eigentum des Erblassers, nicht jedoch an sein Erbrecht 110 . Der Erbschaftsbesitzer muß sich folglich nicht „gutgläubig" im Sinne von § 937 Abs. 2 BGB selbst für den Eigentümer halten, um eine „Ersitzungszeit nach § 944 BGB zu begründen. Daher ist auch bei der Immobiliarersitzung eine regelrechte „Ersitzungszeit, namentlich die Eintragung des Erbschaftsbesitzers, nicht zu fordern. Das zeigt auch eine zweite Überlegung: Der Erbe soll nicht dadurch benachteiligt werden, daß der Erbschaftsbesitzer statt seiner das Grundstück besaß. Da die Eintragung des Erblassers für den Erben gemäß § 891 BGB ausgereicht hätte, muß sie auch genügen, wenn dieser nicht unmittelbar nach dem Erbfall die Ersitzung fortsetzen kann.

5. Die Beweislast Aus der Vermutung des § 891 BGB folgt, daß den Vermutungsgegner die volle Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des NichtVorliegens einer Tabularersitzung trifft 1 1 1 . Er hat also zu beweisen, daß Eintragung oder Eigenbesitz nicht kontinuierlich über dreißig Jahre bestand; er hat zudem die Voraussetzungen einer Hemmung oder Unterbrechung darzulegen und zu beweisen112. 107 So tatsächlich Goldmann ! Lilienthal, 341. io» Kretzschmar, § 900, Anm. 2 b; Planck / Strecker, § 900, Anm. 2 b; Turnau ! Förster, § 900, Anm. II 2 (317); Biermann, § 900, Anm. 2 c; Palandt/Bassenge, § 900, Rn. 3. 109 Staudinger ! Gursky, § 900, Rn. 15. no Prot. II, 3757 CMugdan III, 643); Wieling I, § 11 I 2 c cc m. w. Nachw.; Westermann/ Gursky, § 51 II 3 d (str.). in Staudinger/Gursky, 1972, 128.

§ 900, Rn. 12; Rosenberg, § 900, Anm. V; Keller,

171; BGH, JZ

118

§ 8 Die Tabularersitzung

6. Die ersitzbaren Rechte Ersitzbar sind sowohl Grundeigentum als auch Miteigentumsanteile113. Der Anteil an einer Gesamthandsgemeinschaft hingegen ist nicht ersitzbar; das widerspräche der gesamthänderischen Bindung 114 . Auch das Grundeigentum der öffentlichen Hand ist ersitzbar 115 . Dem Grundeigentum gleichgestellt sind die grundstücksgleichen Rechte wie das Erbbaurecht sowie das Wohnungs- und Teileigentum (§ 1 WEG) 1 1 6 . Bergwerkseigentum ist ersitzbar 117; das folgt aus § 9 Abs. 1 BBergG, der die Vorschriften über Grundstücksrechte nach §§ 873 ff. BGB für anwendbar erklärt. Daran, daß § 892 BGB auf das Bergwerkseigentum angewandt werden kann, bestehen keine Zweifel 118 , so daß nicht einsichtig ist, warum die Ersitzungsvorschrift, deren Aufgabe es ist, Mängel im rechtsgeschäftlichen Erwerb zu heilen, nicht gelten soll 1 1 9 .

7. Die Ersitzungsfdhigkeit Die Ersitzung setzt nur die Rechtsfähigkeit des Ersitzers voraus und, da sie an den Besitz anknüpft, seine (natürliche) Willensfähigkeit, nicht jedoch Geschäftsfähigkeit. Der Fiskus kann entgegen unlängst erhobenen Einwänden ersitzen 120 . Der als Alleineigentümer eingetragene Miterbe kann ebenfalls ersitzen; das bedeutet auch keinen Widerspruch zu dem nach §§ 2042 Abs. 2, 758 BGB unverjährbaren Anspruch auf Aufhebung der Erbengemeinschaft, weil die Buchersitzung die Gemeinschaft und den Aufhebungsanspruch beseitigt 121 . Auch eine Ersitzung durch alle Gesamthandsberechtigten gleichzeitig ist möglich 122 . Fraglich ist die Rechtslage jedoch dann, wenn die Gesamthandsgemeinschaft nur scheinbar bestand. Es wäre kaum einsichtig, warum man dem fälschlich eingetragenen Alleinerben die Ersitzungsmöglichkeit einräumen sollte und der fälschlich eingetragenen Erbengemeinschaft nicht. Man wird daher von der Ersitzung von Miteigentum entsprechend der Quote der vermeintlichen Erbteile auszugehen haben 123 . Der Vorerbe "2 Naendrup, Ersitzung, 44; Siebeis, 453; BayObLGE 1979, 104 (112). 113 Palandtl Bassenge, § 900, Rn. 2; Siebeis, 445; OLG Celle, RdL 1957, 321. 114 Siebeis, 445; Keller, 169; anders liegt der Fall bei einer Ersitzung durch eine Gesamthandsgemeinschaft, vgl. sogleich 7. us Vgl. unten § 9 II 2 a aa. 116 Staudingerl Gursky, § 900, Rn. 7. 117 Für das preußische Bergrecht Turnaul Förster, § 900, Anm. II 5; RGZ 100, 1 (14). us Vgl. Boldtl Weller, § 9, Rn. 7. 119 A. A. etwa Staudinger ! Gursky, § 900, Rn. 20. 120 Dazu ausführlich unten § 8 IV 5. 121 So zutreffend MKIK. Schmidt, § 758, Rn. 1. 122 Siebeis, 446; Staudinger ! Gursky, § 900, Rn. 7. 123 Ebd.

III. Die Wirkung der Tabularersitzung

119

kann erst ab Eintritt des Nacherbfalls ersitzen; zuvor ist er (wirklicher) Eigentümer, weshalb er sich gegenüber dem Nacherben auf diese Zeit nicht berufen kann 124 .

I I I . Die Wirkung der Tabularersitzung 1. Der Ersitzer erwirbt originäres Eigentum 125 ; es entsteht freilich kein neues Eigentum, das alte geht auf ihn über 126 . Das Eigentum wird also - entgegen dem für die Mobiliarersitzung geltenden § 945 BGB - mit allen vorhandenen Belastungen erworben 127 . Der Berichtigungsanspruch gemäß § 894 BGB erlischt. Ohne praktische Relevanz dürfte die Frage sein, ob die Ersitzung auch gegen den Vorgemerkten wirkt 1 2 8 , was aber in jedem Fall analog § 883 Abs. 2 BGB zu verneinen ist 1 2 9 . Mit dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 900 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren ist die Auffassung, die Tabularersitzung müsse analog § 222 BGB geltend gemacht werden 130 . Ausnahmsweise nur relative Wirkung 131 entfaltet die Tabularersitzung, wenn der Erbschaftsbesitzer der Ersitzer ist und der gegen ihn gerichtete Erbschaftsanspruch noch nicht verjährt ist (§ 2026 BGB): Der Ersitzer ist Eigentümer gegenüber jedermann außer dem Erben, demgegenüber er sich nicht auf die Ersitzung berufen kann 1 3 2 . Ein solcher Fall ist jedoch wegen der dreißigjährigen Ersitzungsfrist im Immobiliarsachenrecht nur denkbar, wenn der Erbschaftsbesitzer den Erbschaftsanspruch nach § 208 BGB anerkannt hat, die Ersitzung indessen fortsetzt 133 .

124 Sehr bedenklich daher in der Begründung BGH, NJW 1994, 1152; dazu schon oben §811. 125 Oberneck, 430; Planck/ Strecker, § 900, Anm. 3; Wieling, SR, § 20 III 1 c; Müller, Rn. 1281. 126 Staudinger I Gursky, § 900, Rn. 17. 127 Rosenberg, § 900, Anm. IV 1; Kuhlmann, 44. 128 Westermann, 5. Aufl., § 84IV 3 d; Staudinger ! Gursky, § 883, Rn. 141. 129 Wolff/Raiser, § 48 III 1; Planck!Strecker, § 900, Anm. 2 e; Staudinger/Gursky, § 900, Rn. 19; § 883, Rn. 141; neuerdings Assmann, 93; a.A. aber Reichel, 108; Raape, Veräußerungsverbot, 197. Raapes Argument, daß der durch eine Vormerkung gesicherte Anspruch verjähren könne, weshalb nicht einzusehen sei, wieso er die Ersitzung überwinden können solle, verkennt die Rechtsnatur der Vormerkung. Als dingliches Recht (so zutreffend Wieling, SR, § 22 I 2 [str.]) besteht sie am Grundstück fort; eine § 945 BGB entsprechende Regelung gibt es im Recht der Tabularersitzung nicht. 130 So aber Spiro II, 1426 f. 131 So richtig Wolff! Raiser, § 71 in Fn. 13. 132 Nach a.A. besteht nur ein schuldrechtlicher Herausgabeanspruch, da doppeltes Eigentum vermieden werden soll {Palandt ! Edenhof er, § 2026, Rn. 1). 133 Staudinger! Gursky, § 900, Rn. 19.

120

§ 8 Die Tabularersitzung

2. Die berühmte Streitfrage, ob die Ersitzung eine abschließende Regelung ist oder konkurrierende Bereicherungsansprüche fortbestehen, kann hier nur am Rande behandelt werden. Gewiß ist, daß eine Eingriffskondiktion gegen den Ersitzer ebensowenig gegeben werden kann wie beim gutgläubigen Erwerb 134 . Fraglich ist aber, ob eine Leistungskondiktion möglich ist, z. B. in dem Fall, daß ein Geschäftsunfähiger das Grundstück an einen Erwerber veräußert, der anschließend ersitzt. Aufgrund der - im Gegensatz zum Mobiliarsachenrecht - mit der allgemeinen Verjährungsfrist übereinstimmenden Ersitzungsfrist ist ein solcher Fall kaum denkbar 1 3 5 . Immerhin ist aber vorstellbar, daß die Verjährung des Bereicherungsanspruchs etwa durch ein Anerkenntnis unterbrochen wurde, was die weitere Ersitzung nicht hindert 136 . Die Entscheidung kann in diesem Fall nicht anders ausfallen als im Mobiliarsachenrecht. Nach der wohl h. L . 1 3 7 und Rechtsprechung 138 soll der Eigentumserwerb aufgrund Ersitzung im Mobiliarsachenrecht nicht vorteilhafter sein als der unmittelbare Erwerb aufgrund einer (rechtsgrundlosen) Übereignung. Bei einer solchen sei der Erwerber dreißig Jahre der Bereicherungsklage ausgesetzt, weshalb dies auch bei der Ersitzung zu gelten habe. Die Gegenansicht139 führt vor allem die Funktion der Ersitzung ins Feld, die Rechtslage endgültig zu beruhigen. Der Gesetzgeber hat in Übereinstimmung mit der rechtsgeschichtlichen Überlieferung eindeutig zu der Frage Stellung bezogen 140 : Nach der Ersitzung sollten weitergehende schuldrechtliche Ansprüche ausgeschlossen sein. So hat die 1. Kommission angeordnet, daß der durch eine gesetzliche Vorschrift eintretende Rechtsverlust als mit Rechtsgrund eingetreten anzusehen sei, und davon eine Ausnahme für die Ersitzung gerade nicht machen wollen 141 . Die 2. Kommission lehnte zudem einen Antrag ab, nach welchem die Ausnahmevorschrift des § 2026 BGB auf bestehende Herausgabeansprüche aus einem besonderen Rechtsverhältnis auszudehnen sei, um den Wert der Ersitzung nicht abzuschwächen142. Und gerade im Zusammenhang mit der Tabularersitzung äußerte die 2. Kommission, daß der Erwerber etwaige Einreden wegen Mängel im Erwerb nicht zu fürchten brauche 143.

134 Wieling I, § 111 3 a m. w. Nachw. 135 Siebeis, 457; Staudinger I Gursky, § 900, Rn. 18; Westermann ! Eickmann, § 85 II 2. 136 Staudinger/Gursky, § 900, Rn. 18.

137 Etwa Wolff/Raiser, § 71IV; Baur/ Stürner, § 53, Rn. 91; Müller, Rn. 2531. 138 Vgl. nur RGZ 130,69. 139 Heck, §61,5; Spiro II, 1386; Bauer, 179 ff.; Wieling I, § 11 I 3 a m. w. Nachw. 140 Dazu vor allem Bauer, 169 ff.; Wieling I, § 11 I 3 a. 141 Vgl. § 748 Abs. 2 E I; dazu Mot. III, 353 (Mugdan III, 196); zu der in diesem Zusammenhang bedeutungslosen Streichung des § 748 Abs. 2 E I durch die 2. Kommission Prot. II, Bd. 2,686; Bauer, 172. 142 Prot. II, 8553 f. (Mugdan III, 639 f.); vgl. auch Prot. II, Bd. 3, 229: Die Ersitzung solle „unanfechtbares Eigenthum" verschaffen. 143 S. oben § 5 II.

IV. Die Verfassungsmäßigkeit der Tabularersitzung

121

Der gesetzgeberische Wille ist eindeutig. Auch nach einer Buchersitzung müssen schuldrechtliche Herausgabeansprüche ausgeschlossen sein 144 . Freilich ist der von der h. L. aufgezeigte Wertungswiderspruch zum rechtsgrundlosen Erwerb zu beseitigen. So ist zwar von der Endgültigkeit der Ersitzung nach dreißig Jahren auszugehen, darüber hinaus aber diese Regelung auch auf den rechtsgrundlosen Erwerb zu übertragen 145: Sollte der Fall eintreten, daß der Erwerber, nachdem ihm das Grundstück rechtsgrundlos (aber wirksam) übereignet worden ist, nach dreißig Jahren die Voraussetzungen des § 900 Abs. 1 BGB erfüllt, darf auch ein möglicherweise noch bestehender Bereicherungsanspruch nicht mehr erhoben werden. Die zwischenzeitlich eingetretene Ersitzung durch den Eigentümer - sie kann im Kippschen Sinne als „Doppelwirkung" aufgefaßt werden 146 - läßt den Bereicherungsanspruch wie andere schuldrechtliche Herausgabe- oder Schadensersatzansprüche entfallen.

IV. Die Verfassungsmäßigkeit der Tabularersitzung 1. Die verfassungsrechtliche

Bindung des Privatrechtsgesetzgebers

Einzelne Normen des vorkonstitutionellen BGB an der Verfassung, etwa Art. 14 GG, zu messen ist nicht unumstritten, entspricht aber der h. M . 1 4 7 . Zwar war das Bundesverfassungsgericht der Auffassung, Art. 14 GG schütze das Eigentum so, wie es das bürgerliche Recht und die gesellschaftlichen Anschauungen geformt hätten 148 , welches dahin verstanden wurde, daß die eigentumsrelevanten Regelungen des BGB verfassungsrechtlich nicht überprüfbar seien 149 . Diese Sicht dürfte jedoch überholt sein, seit das Gericht von einem eigenständigen, aus der Verfassung zu entwickelnden Eigentumsbegriff spricht 150 . Das gewandelte Verständnis entspricht namentlich Art. 1 Abs. 3 GG, der den Gesetzgeber, auch den Privatrechtsgesetzgeber, an die Grundrechte bindet 151 . Es mag daher nicht verwundern, 144 Wieling, SR, § 20 III 1 c; Locher, 185; MKI Wacke, § 900, Rn. 6; RGRK/Augustin, § 900, Rn. 6; Müller, Rn. 1281. Das für diese Ansicht gelegentlich zitierte Urteil des LG Bremen, MDR 1962, 822, besagt das gerade nicht; hiernach ist ein Grundstück immer erst dann ersessen, wenn auch die Bereicherungsansprüche verjährt sind. 145 Vgl. J. v. Gierke, 96; Wieling I, § 111 3 a m. w. Nachw. 146 So richtig Spiro II, 1386 in Fn. 29. Der Eigentümer erwirbt das Eigentum zum zweiten Mal durch Ersitzung. 147 Dazu F. Peters, 3 ff.; a.A. etwa Diederichsen, Rangverhältnisse, 94 f.; ders., Bundesverfassungsgericht, 225 f. (mit Hinweis auf die Entstehungsgeschichte); hiergegen etwa Canaris, Zwischenbilanz, 11 f. 148 BVerfGE 1,264(278). 149

Zum Ganzen Hager, Verkehrsschutz, 11 f. 150 BVerfGE 58, 300 (335); Ρ Krause, 714; Hager, Verkehrsschutz, 14. 151 F. Peters, 17; Hager, Verkehrsschutz, 27; ders., Grundrechte, 374, 383; C. Wolf, Canaris, Grundrechte, 245; P. Krause, 657.

1089;

122

§ 8 Die Tabularersitzung

daß in jüngerer Zeit auf die Problematik der Verfassungsmäßigkeit der einen Eigentumsentzug anordnenden Gutglaubensvorschriften nachdrücklich hingewiesen wird 1 5 2 . Eine solche Kontrolle scheint daher auch im Hinblick auf die Tabularersitzung gemäß § 900 BGB, die eine ebensolche Wirkung hat, geboten 153 .

2. Eingriff Das Grundeigentum wird von Art. 14 GG geschützt154. Unzweifelhaft wird in § 900 BGB die Berechtigung des (nicht eingetragenen) Eigentümers aufgehoben und einem anderen, dem Bucheigentümer, zugesprochen. Diese Aufhebung der Eigentümerstellung ist ein im Sinne von Art. 14 GG relevanter Vorgang. Für die viel einschneidenderen Gutglaubensvorschriften der §§ 932 ff., 892 f. BGB, bei denen der Eigentumsentzug deutlicher zutage tritt - es ist insbesondere kein Zeitablauf notwendig - , ist dies bereits häufiger festgestellt worden; z. T. wird von einer „Enteignung" (im untechnischen Sinn) gesprochen 155. Gegen den Eingriffscharakter einer solchen Regelung ließe sich nur einwenden, daß das Privatrecht die Rechtsbeziehungen Privater untereinander regele, während die Verfassung den einzelnen in erster Linie vor staatlichen Übergriffen schützen solle, weshalb die gesetzliche Anknüpfung in §§ 932, 900 BGB an ein privates Handeln verfassungsrechtlich nicht relevant sein könne. Eine solche Sicht wäre indessen verfehlt. Zwar ist das Handeln Privater Voraussetzung für die Erfüllung der Tatbestände; ohne die gesetzliche Anordnung, und darauf kommt es an, ist aber weder ein gutgläubiger Erwerb noch eine Ersitzung denkbar 156 .

3. Enteignung Die Ersitzungsregelung kann nicht als Enteignung im formellen Sinn gemäß Art. 14 Abs. 3 GG verstanden werden 157 . Begreift man im Anschluß an das Bun152

Vgl. dazu die Arbeiten von Hager, Verkehrsschutz, und F. Peters. Die Fragestellung an sich wurde, soweit ersichtlich, bislang noch nicht aufgeworfen. Verfassungsrechtlich unproblematisch erscheint dagegen das Aufgebot nach § 927 BGB: Hier tritt der Eigentumsentzug nicht ex lege ein, sondern erst, nachdem der Eigentümer sein Recht nicht angemeldet hat; er hat es also in der Hand, den Eigentumsverlust abzuwehren. 154 Staudinger/Seiler, Vorbem. zu §§ 903 ff., Rn. 25. 155 F. Peters, 1; Canaris, Grundrechte, 220 in Fn. 69 a; Hager, Verkehrsschutz, 9 m. w. Nachw. 156 Plastisch spricht F. Peters, 18, im Hinblick auf die §§ 932 ff. BGB von der „aktiven Mitwirkung [des Gesetzgebers] an der Vernichtung privaten Eigentums"; Hager, Verkehrsschutz, 32; C. Wolf,; 1089. 157 Es käme wohl nur eine Legalenteignung dergestalt in Betracht, daß mit Inkrafttreten des BGB die Enteignung schon gesetzlich festgelegt wurde und nur ihre Konkretisierung später erfolgt; dazu Hager, Verkehrsschutz, 62. Ob eine solche Konstruktion verfassungsrecht153

IV. Die Verfassungsmäßigkeit der Tabularersitzung

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desVerfassungsgericht eine Enteignung als einen gezielten, vom Staat oder einem beliehenen Unternehmer 158 ausgehenden hoheitlichen Eingriff in den Bestand eines von Art. 14 GG geschützten Rechts, so wird man die Ersitzungsregelung schwerlich als davon erfaßt ansehen können: Der Gesetzgeber greift in eine Auseinandersetzung zwischen Privaten nur schlichtend ein 1 5 9 . Er knüpft damit an die frühere rechtliche oder tatsächliche Beziehung der Beteiligten zu dem Grundstück an und ordnet es nicht, wie dies das Bundesverfassungsgericht für eine Enteignung im formellen Sinn fordert 160 , einem Beteiligten im Hinblick auf eine andere zukünftige Verwendung zu. Aber selbst wer wie Hager die gesetzlich angeordnete Neuverteilung von Eigentum beim gutgläubigen Erwerb im Grundsatz als Enteignung versteht 161 , wird diesen Gedanken kaum auf die Ersitzung übertragen können: Der Eigentumsentzug dauert bei der Tabularersitzung dreißig Jahre, und während dieser Zeit hat der Eigentümer die Möglichkeit, die drohende Verjährung seiner dinglichen Ansprüche zu verhindern, sei es durch die Erhebung einer Herausgabe- oder Berichtigungsklage, sei es durch die Eintragung eines Widerspruchs 162. Dies setzt die Ersitzung in einen Gegensatz zum redlichen Erwerb, bei dem es dem Berechtigten nicht möglich ist, sich gegen den Eigentumsentzug aufgrund der Verfügung des Nichtberechtigten zur Wehr zu setzen. Von „Enteignung" kann da nicht mehr gesprochen werden, wo sie vom Betroffenen jederzeit verhindert werden kann 163 . Tritt die Tabularersitzung jedoch in dem Falle ein, daß dem Käufer/Besitzer die exceptio rei venditae et traditae gegenüber dem Herausgabeanspruch und der Einwand unzulässiger Rechtsausübung gegenüber dem Berichtigungsanspruch des Verkäufers / Eigentümers zur Seite stand, ist sie nur das Mittel, der Vermögensdis-

lichen Bestand hätte, erscheint aber mehr als fraglich. Nach BVerfGE 45, 297 (325 f.), muß ein enteignendes Gesetz selbst unmittelbar und konkret bestimmen, welche Eigentümer einen Rechtsverlust erleiden sollen (vgl. auch F. Peters, 33). 158 BVerfGE 14, 263 (277); 51, 193 (211); 70, 191 (199 f.); Staudingerl Seiler, Vorbem. zu §§ 903 ff., Rn. 30. 159 Vgl. auch F. Peters, 32 f.; P. Krause, 715. 160 Vgl. insbesondere BVerfG, WM 1998, 1631 (1632), zu Art. 237 § 1 Abs. 1 EGBGB. 161 Hager, Verkehrsschutz, 66. 162 Die Möglichkeit des Berechtigten, einen Widerspruch eintragen zu lassen und damit die Vertrauensbasis eines bloßen Bucheigentums zu zerstören, ist für F. Peters, 6, 62, in der verfassungsrechtlichen Bewertung der §§ 892 f. BGB ein Hauptunterschied zum gutgläubigen Mobiliarerwerb. Diese Argumentation darf ebenso für die Tabularersitzung Geltung beanspruchen. 163 Nicht hinreichend wäre es wohl, die Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG deshalb abzulehnen, weil sie nicht dem Allgemeinwohlerfordernis entspreche, welches nur dann bejaht wird, wenn die zu enteignende Sache selbst in den Dienst der Allgemeinheit gestellt wird (BVerfGE 66, 248 [257]). Bei der Ersitzung wie beim gutgläubigen Erwerb wird die Sache lediglich der privatnützigen Verwendung des Erwerbers überlassen, das Allgemeinwohlerfordernis wäre wohl nicht erfüllt (Hager, Verkehrsschutz, 60 f.). Das Allgemeinwohl ist nicht Definitionsmerkmal einer Enteignung, sondern nur Zulässigkeitsvoraussetzung einer rechtmäßigen Enteignung (Hager, Verkehrsschutz, 57, 67 ff.). Fehlendes Allgemeinwohl läßt den Tatbestand einer Enteignung nicht von vornherein entfallen.

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§ 8 Die Tabularersitzung

position des Käufers (der Zahlung des Kaufpreises) letztlich zu dem von der Rechtsordnung ursprünglich verweigerten Rechtserfolg (dem Eigentumsübergang an dem gekauften Grundstück) zu verhelfen. Auch in diesem Fall kann von einer Enteignung nicht die Rede sein. 4. Inhalts- und Schrankenbestimmung Die Tabularersitzung ist als rechtmäßige, die Sozialbindung des Eigentümers nicht überschreitende Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG zu qualifizieren 164 . Dies zeigt ein Vergleich zum redlichen Erwerb einerseits und zum Institut der Verjährung andererseits. a) Die h. M. sieht in den Gutglaubensvorschriften eine Inhalts- und Schrankenbestimmung 165 , und neuere Arbeiten kommen letztlich ebenfalls zu diesem Ergebnis. Wie die Gutglaubensregelungen wird gerade auch die Tabularersitzung vom allgemeinen Wohl erfordert: Es besteht ein erhebliches öffentliches Interesse an der Funktionsfähigkeit der Grundbücher, nur sie gewährleistet einen reibungslosen Grundstücksverkehr; die Aufhebung des Widerspruchs zwischen tatsächlicher und aus dem Grundbuch ersichtlicher Eigentumsposition dient diesem Interesse. Selbst wenn man mit Hager zur Rechtfertigung einer Inhalts- und Schrankenbestimmung eine echte, vom Gesetzgeber zum verhältnismäßigen Ausgleich gebrachte Grundrechtskollision fordert 166 - §§ 892 f., 932 ff. BGB seien als Kollisionsregeln für den Widerstreit zwischen der gleichermaßen von Art. 14 GG geschützten Eigentumsposition des Berechtigten einerseits und dem gegen den Nichtberechtigten gerichteten Erfüllungsanspruch andererseits anzusehen167 - , hält § 900 BGB einer verfassungsrechtlichen Überprüfung stand. Die Regelung bringt die von Art. 14 GG geschützten Interessen der Parteien zu einem gerechten Ausgleich, einerseits die Position des Eigentümers, andererseits die des Ersitzungsbesitzers. Der Ersitzungsbesitz gibt dem Ersitzer ein Recht zum Besitz gegenüber jedermann außer dem Eigentümer. Bei Mobilien ist der Schutz des Ersitzungsbesitzes in § 1007 BGB angeordnet 168, bei Immobilien ist § 1007 BGB auf den Ersitzungsbesitz nach §§ 900, 927 BGB analog anzuwenden, weil bei diesen Vorschriften ausnahmsweise der Besitz für den Grundstückserwerb maßgeblich i s t 1 6 9 und dies vom Gesetzgeber übersehen wurde. Auch im Grundstücksrecht ist 164 Vgl. auch F. Peters, 5, 20, 23,48, der die Mobiliarersitzung - im Gegensatz zum redlichen Erwerb - wegen der besonderen Beziehung des Ersitzers zu der Sache verfassungsrechtlich für unverdächtig hält. - An dieser Stelle kann der dogmatische Streit über das Verhältnis von Inhalts- und Schrankenbestimmung zueinander und dieser zu Art. 14 Abs. 2 GG dahinstehen; dazu Hager, Verkehrsschutz, 15 f. 165 Schulze-Osterloh, 293; MK /Quack, § 932, Rn. 2.

166 Hager, Verkehrsschutz, 52,59 f.; C. Wolf, 167 Hager, Verkehrsschutz, 75,79. 168 Vgl. Wieling I, § 12IX. 169 Wieling, SR, § 12 I X 6 c.

1090; BVerfGE 89, 1 (8).

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daher der Ersitzungsbesitz in den Fällen der §§ 900, 927 BGB als relatives beschränktes dingliches Recht anzuerkennen 170. Ein solches beschränktes dingliches Recht untersteht aber dem verfassungsmäßigen Schutz des Art. 14 GG ebenso wie das Eigentum selbst 171 . Die dingliche Position des Ersitzungsbesitzers ist verfassungsrechtlich mindestens so schutzwürdig wie diejenige eines redlichen Erwerbers, dem lediglich ein (Erfüllungs-)Anspruch gegen einen Nichtberechtigten zusteht. Nicht richtig wäre es, in diesem Zusammenhang auf die Entgeltlichkeit des Grundgeschäfts, das den Ersitzungsvorgang ausgelöst hat, abzustellen172: Die Ersitzungsvorschriften des BGB verlangen gerade keinen Titel, der Rückgriff auf das Grundgeschäft soll vermieden werden. Wie der Ersitzer ins Grundbuch und in den Eigenbesitz gelangt ist, ob dies unentgeltlich oder entgeltlich geschah, soll gerade nicht mehr erforscht werden. Zu berücksichtigen ist ferner die Ersitzungszeit von dreißig Jahren, in der es der Eigentümer jederzeit in der Hand hat, sein Recht geltend zu machen 173 . Ist er dazu nicht in der Lage, weil der Besitzer die exceptio rei venditae et traditae gegen seine Ansprüche hatte, tritt die Ersitzung nur an die Stelle eines von der Rechtsordnung ohnehin vorgesehenen Eigentumsübergangs174. Insgesamt hat der Gesetzgeber den Ausgleich zwischen den geschützten Interessen in schonender Weise vorgenommen und damit auch dem Verhältnismäßigkeitsprinzip 1 7 5 Rechnung getragen: Je intensiver im Laufe der Zeit die Beziehung des Ersitzers zum Grundstück wird, desto stärker lockert sich das Verhältnis des Eigentümers zu seinem Eigentum 176 . Die Anerkennung des Eigentums des Ersitzers nach dreißig Jahren bedeutet also nichts anderes, als daß demjenigen, der die Eigentumsposition faktisch bereits innegehabt hat, das Eigentum auch rechtlich zugeordnet wird. Das Bundesverfassungsgericht hat den in Art. 237 § 1 Abs. 1 EGBGB angeordneten Eigentumsentzug mit eben diesem Argument verfassungsrechtlich gerechtfertigt 177; anderes kann auch im Hinblick auf die Tabularersitzung nicht gelten. b) Auch die Regeln über die Verjährung von Ansprüchen werden zu Recht als Inhalts- und Schrankenbestimmung aufgefaßt; sie sollen einen gerechten Aus170 Dazu unten § 10 II 1 c bb. Zum Ersitzungsrecht an beweglichen Sachen Wieling I, § 12IX 6. "1 Staudinger/Seiler, Vorbem. zu §§ 903 ff., Rn. 25. 17 2 Deshalb rechtfertigt F. Peters, 84, 117, 123, § 932 BGB nur bei entgeltlichem Erwerb, und auch C. Wolf, 1091, bejaht die Möglichkeit einer verfassungsmäßigen Rechtfertigung der §§ 932 ff. BGB nur wegen des Vermögensopfers des Erwerbers. 17 3 Ähnlich schon Dernburg, SR, 155. 174 Dem Käufer stand ein (wirksamer) Anspruch auf Eigentumsverschaffung gegen den Verkäufer/Eigentümer zu. War auch der Kaufvertrag unwirksam, so hätte der Eigentümer, ohne die Einwendung aus § 986 BGB fürchten zu müssen, seine Eigentumsansprüche geltend machen können. 175 Zur Notwendigkeit der Beachtung dieses Prinzips beim Ausgleich konkurrierender grundrechtlicher Positionen BVerfGE 57, 361 (380); P. Krause, 661.

™ Vgl. auch F. Peters, 48. 1 77 BVerfG, W M 1998, 1631 (1632).

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§ 8 Die Tabularersitzung

gleich zwischen Gläubiger und Schuldner herstellen 178. Aus der Zeitgebundenheit eines jeden Anspruchs 179 - nicht nur werden Entstehungsgrund und eventuelle Erlöschensgriinde mit der Zeit verdunkelt, auch die Sicherheit des Rechtsverkehrs erfordert eine Verjährung - folgt unweigerlich die Befugnis des Gesetzgebers, zivilrechtlichen Ansprüchen eine Grenze zu setzen. Von dieser Grenzziehung zur Neuzuordnung des Eigentums durch Ersitzung ist es freilich nur ein kleiner Schritt 180 : Nach der Verjährung des § 985 BGB hat der Besitzer solch gefestigten Besitz in seiner Hand, daß mit der Anordnung der Ersitzung nach § 900 BGB nur noch eine naheliegende Schlußfolgerung gezogen wird; die sonst entstehende nuda proprietas liegt keinesfalls im Interesse von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Für die „Kehrseite" der Verjährung, die Ersitzung, kann mithin nichts anderes gelten als fürjene. c) Problematisch könnte allein sein, daß der Eigentümer für den Eigentumsverlust nicht entschädigt wird; bereicherungsrechtliche Ansprüche hat der Alteigentümer gegen den neuen Eigentümer, so sie nach dreißig Jahren noch nicht verjährt sind, nach richtiger Ansicht gerade nicht 1 8 1 . Angesichts des Umstands, daß sich der Alteigentümer bei der Tabularersitzung dreißig Jahre lang verschwiegen haben muß, ist seine fehlende Entschädigung jedoch nicht von Gewicht; er hat sie hinzunehmen 182 . Seinen Verlust könnte man konstruktiv auch über eine einseitige Eigentumsaufgabe erfassen, welche in jedem Fall entschädigungslos ist. Im Falle, daß der Verkäufer/Eigentümer den Kaufpreis bereits erhalten hat - lediglich die Auflassung an den Käufer war unwirksam - , ist ohnehin von einem „entschädigungslosen" Eigentumsverlust nicht zu sprechen.

5. Der Fiskus als Erwerber Steht dem nicht eingetragenen Eigentümer der Staat als Ersitzer gegenüber, könnte die für § 900 BGB angeführte Rechtfertigung eines schonenden Ausgleichs der Grundrechtskollision zweier Privater zweifelhaft sein; es scheint, als führe der Staat sich selbst mittels der von ihm gesetzten Ersitzungsregelung das Eigentum Privater zu. Tatsächlich ist dies der Ansatz Luthras: Die Tabularersitzung könne deshalb nicht auf die öffentliche Hand Anwendung finden, weil der Staat auf die in Art. 14 Abs. 3 GG normierte Enteignung mit ihren engen Voraussetzungen zurückgreifen müsse, wenn er sich des Eigentums seiner Bürger bemächtigen wolle. Luthra fordert daher eine verfassungskonforme Auslegung des § 900 BGB dahin, daß 178

Staudinger ! Peters, Vorbem. zu §§ 194 ff., Rn. 8; Peters I Zimmermann, 286. Staudingerl Peters, Vorbem. zu §§ 194 ff., Rn. 8: „Irgendwann muß einmal Schluß sein." Zum Ganzen auch Spiro I, 19: Verjährung als „natürliches Postulat". 180 Richtig F Peters, 33. 179

181 Dazu oben § 8 III 2. 182 BGH, NJW 1994, 1152; BGH, DtZ 1997, 350 (352); Staudinger ! Gursky, § 900, Rn. 3.

IV. Die Verfassungsmäßigkeit der Tabularersitzung

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nur bei einem rechtsgeschäftlichen Erwerbsvorgang eine anschließende Tabularersitzung durch den Fiskus statthaft sei, bei hoheitlichen Maßnahmen dieser sich nicht auf Ersitzung berufen könne 183 . Um den von § 900 BGB angestrebten Zweck, eine nuda proprietas des Eigentümers zu verhindern, doch noch zu erreichen, schlägt Luthra vor, der Staat solle sich gemäß § 242 BGB nicht auf die Verjährung des Herausgabeanspruchs berufen dürfen, um so den nach § 898 BGB unverjährbaren Berichtigungsanspruch und den auf die vorgeschlagene Weise nicht verjährbaren Herausgabeanspruch in der Hand des Eigentümers zu vereinigen 184 . Die Ansicht Luthras ist einigermaßen überraschend. Es entspricht der deutschen Rechtstradition 185, daß der Fiskus als eine neben dem hoheitlich handelnden Staat selbständige Rechtsperson gedacht wird, auf welche die Bestimmungen des BGB selbstverständlich Anwendung finden 186. Nach ganz h. M. handelt der Staat dann als Fiskus, wenn er sich als Privatrechtssubjekt betätigt, wenn er Teilnehmer am Privatrechtsverkehr ist 1 8 7 . Da es aber kein staatliches Eigentum, sondern nur Privateigentum gibt 1 8 8 , nimmt der Staat in seiner Eigenschaft als Grundeigentümer am Privatrechtsverkehr teil 1 8 9 , ist etwa zivilrechtlichen Nachbaransprüchen genauso ausgesetzt wie jeder Private 190 . Ist der Fiskus dreißig Jahre als Eigentümer im Grundbuch eingetragen 191 und übt er währenddessen durch seine Organe Eigenbesitz aus, so hat er in dieser Zeit als Privatrechtssubjekt gehandelt. Dies geschieht jedoch unabhängig vom Erwerbsgrund, der rechtsgeschäftlich oder hoheitlich gewesen sein mag. Im übrigen verbietet § 900 BGB geradezu die Differenzierung nach dem Grundgeschäft 192. 183

Luthra, 366. Luthras Ansicht hängt unmittelbar mit den besonderen Gegebenheiten des in der DDR so bezeichneten Volkseigentums zusammen. Seine Überzeugung, daß sich die Rechtsnachfolger der DDR in Fällen der unwirksamen Begründung von Volkseigentum nicht auf Ersitzung berufen können, ist zwar zu begrüßen, aber methodisch nicht auf dem von ihm vorgeschlagenen Weg zu begründen. Luthra, 365, schreibt selbst, daß der Staat nicht enteignen und den Bürger „von einer gerichtlichen Klärung dieser Konfiskation abhalten" dürfe, um sich anschließend auf eine Ersitzung zu berufen. Das ist aber eine Frage der Hemmung der Ersitzung (vgl. §§ 900 Abs. 1 S. 2, 939, 203 BGB; 477 Abs. 1 Nr. 4 des Zivilgesetzbuchs der DDR). Hat der Staat die gerichtliche Klärung jedoch nicht verhindert und der Bürger sich einfach nur nicht zur Wehr gesetzt, so hat sich dieser eben verschwiegen. 184 Luthra, 366. 185

Dazu etwa Staudinger / Rawert, § 89, Rn. 9; vgl. auch die Arbeit von Hatschek 186 Allenfalls wird der Fiskus an manchen Stellen des BGB privilegiert wie in § 928 BGB oder § 1936 BGB. Auch diese Privilegierungen müßte Luthra konsequenterweise verfassungsrechtlich anstößig finden. »87 Dazu etwa Staudinger/ Rawert, § 89, Rn. 9; MK I Reuter, § 89, Rn. 3; Soergel/Hadding, § 89, Rn. 8. 188 Vgl. Wieling I, § 2 II 3 b; es gibt freilich zwei Ausnahmen, nämlich das Deich- und Straßenrecht in Hamburg und das Wasserrecht in Baden-Württemberg (dazu MK I Säcker, § 903, Rn. 16). iS9 Behr, 298; Hatschek, 442. 190 Hatschek, 439. 191 Eine Pflicht dazu besteht wegen § 3 Abs. 2 GBO nicht.

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§ 8 Die Tabularersitzung

Immerhin könnte ein Abrücken von diesen traditionellen Grundsätzen wegen Art. 14 GG geboten sein. Mit dem engen Enteignungsbegriff des Bundesverfassungsgerichts 193 ist jedoch eine Enteignung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG abzulehnen: Der Eingriff des Staats aufgrund des § 900 BGB ist keineswegs „gezielt" im Sinne dieser Rechtsprechung, Enteignung und Ersitzung haben zwei ganz unterschiedliche Anwendungsfelder 194. Daher reduziert sich die Fragestellung darauf, ob deshalb eine die Sozialbindung des Eigentümers überschreitende Inhaltsund Schrankenbestimmung vorliegt, weil der Fiskus der Erwerber ist. Ein Gegensatz zwischen Fiskus und anderen Privaten besteht freilich nicht; wie dargelegt, nimmt der Fiskus am Privatrechtsverkehr wie jeder Private teil. Für den sich dreißig Jahre verschweigenden Eigentümer ist es ganz gleichgültig, ob der Fiskus ersitzt oder ein anderer 195 ; der „Eigentumsentzug" hat in beiden Fällen die gleiche Qualität. Lag der Ersitzung durch den Fiskus ein privatrechtlicher Kauf zugrunde, der ihm die exceptio rei venditae et traditae gegenüber dem privaten Veräußerer verschaffte, ist sein Erwerb ohnehin nicht anstößig. Schließlich aber rechtfertigen auch im Falle des Erwerbs durch den Fiskus gewichtige öffentliche Interessen die Tabularersitzung: Auch hier besteht die Notwendigkeit, die Rechtslage und das Grundbuch nach einer gewissen Zeit einander anzupassen196. Dieses Problem dadurch zu lösen, daß man dem Fiskus die Einrede der Verjährung des Herausgabeanspruchs verweigert, ist keineswegs überzeugend: Wieder müßte einerseits begründet werden, warum der privatrechtlich handelnde Fiskus sich nicht der Mittel des Privatrechts bedienen darf; zum anderen erscheint die „Lösung" keineswegs geeignet, den privaten Eigentümer wieder ins Grundbuch sowie in den Besitz zu bringen und damit das von der Ersitzung angestrebte Ziel der Rechtsklarheit zu verwirklichen. Nach einem Zeitraum von dreißig Jahren des Zuwartens ist es nämlich mehr als unwahrscheinlich, daß der Eigentümer die Klagen auf Berichtigung und Herausgabe anstrengt 197. Es läßt sich verfassungsrechtlich kein Unterschied 192 S. oben § 8 IV 4 a. Luthras Ansicht wird auch von Staudinger / Gursky, § 900, Rn. 5; Palandt/Bassenge, § 900, Rn. 1; Walter, 227, abgelehnt; Zustimmung findet er dagegen bei M K / Wacke, § 900, Rn. 6. Μ Staudinger/Seiler, Vorbem. zu §§ 903 ff., Rn. 30; vgl. auch oben § 8 IV 3. 194 Auch Hager (oben § 8 IV 3) kann wohl nicht zum Ergebnis einer Enteignung gelangen; das Argument, der Eigentümer könne sich dreißig Jahre lang widersetzen, trifft im Verhältnis zum Staat ebenso zu wie zu jedem Privaten. Auch Luthra, 365, überprüft § 900 BGB nur im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG.

IM So Luthra selbst, 366. ™ Der Hinweis Luthras, 366, die eingetragene staatliche juristische Person könne auch ohne vorherige Ersitzung verfügen, weshalb die Verkehrsfähigkeit des Grundstücks durch seine Lösung nicht beeinträchtigt werde, geht fehl: Dieses Argument gilt für jeden Bucheigentümer, auch für andere Private; es wurde auch von der 1. Kommission zur Ablehnung der Tabularersitzung angeführt (s. oben § 3 II). Die 2. Kommission hat sich dieser Argumentation aber gerade nicht angeschlossen, sondern sich auf den - wenig befriedigenden - Zustand vor einer solchen Verfügung, die womöglich niemals stattfindet, bezogen (dazu oben § 5 II). 1 97 Luthra müßte zunächst einmal den Widerspruch klären zwischen dem von ihm in die Diskussion gebrachten „verschreckten Bürger", der sich nicht traut, gegen den konfiszieren-

I. Zwecke und Bedeutung des Aufgebotsverfahrens

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zwischen dem Eigentumserwerb durch Ersitzung seitens des Fiskus und einem solchen durch andere Private feststellen 198.

§ 9 Das Aufgebotsverfahren I. Zwecke und Bedeutung des Aufgebotsverfahrens 1. Die 1. Kommission führte das Aufgebotsverfahren ein, um Rechts Wirklichkeit und Rechtslage, die in irreversibler Weise auseinanderfallen (dominium sine re), wieder in Übereinstimmung zu bringen: Das Grundstückseigentum wird dem Eigenbesitzer, dem eine Eintragung nicht zur Seite steht, zugesprochen1. Dabei dachte man hauptsächlich an den Fall, daß das Grundstück aus Sparsamkeit oder Nachlässigkeit der Parteien dem schuldrechtlichen Erwerber 2 zwar übergeben, aber nicht aufgelassen oder zumindest nicht auf ihn umgeschrieben wurde. Dieser Erwerber hat ein unverjährbares Besitzrecht nach § 9861 BGB 3 , sein Anspruch gegen den Eigentümer auf Übereignung ist jedoch nach dreißigjährigem Eigenbesitz verjährt. Der Verschaffungsanspruch verjährt selbst dann, wenn für den Käufer eine Auflassungsvormerkung eingetragen ist, weil § 902 BGB auf diesen Fall keine Anwendung findet 4. Das Eigentum des Verkäufers ist inhaltsleer. Die Vorschrift wurde auch mit dem Hinweis auf den Erben eines nicht eingetragenen Erblassers motiviert, der sonst sein Eigentum nicht mehr nachweisen kann5. Nicht alle von § 927 BGB erfaßten Fälle betreffen jedoch wirklich die Auflösung einer nuda proprietas: Vom obigen Hauptanwendungsfall abgesehen, besteht eine solche nur, wenn die Vindikation des Eigentümers verjährt ist, also in den Fällen eines ungebuchten oder auf den Bucheigentümer eingetragenen Grundstücks. Wenn aber im Falle des § 927 Abs. 1 S. 3 BGB der Erbe des Eingetragenen Grundstückseigentümer ist, so ist er gemäß § 902 Abs. 1 BGB geschützt, weshalb er die Herausgabeklage auch nach dreißigjährigem Eigenbesitz des Antragstellers noch anstrengen könnte6.

den Staat vorzugehen (365), und dem nach Ablauf von dreißig Jahren zu Selbstbewußtsein gelangten Bürger, der nunmehr den Staat verklagt (366). 198 Auch das OLG Naumburg, MDR 1993, 811, hält § 900 BGB und die Ersitzungsregelung in der Grundbuchverfahrensordnung der DDR im Hinblick auf Art. 14 GG - auch in Bezug auf die öffentliche Hand - für unbedenklich. ι Vgl. im übrigen auch § 6 SchiffsRG. Das schuldrechtliche Geschäft kann formgerecht oder unwirksam gewesen sein, vgl. MK/Kanzleiter, § 927, Rn. 2. 3 Freilich nur bei wirksamem Grundgeschäft. 4 DavidI Hirsch, 38; Assmann, 456; oben § 5 I 2. 5 S. oben § 3 III 1 (Mot. III, 329). 2

6

Vgl. oben § 7 I 2. Das verkennt wohl Naendrup, Verjährung, 310 f.

9 Finkenauer

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§ 9 Das Aufgebotsverfahren

Der Gesetzgeber hat das Verfahren im öffentlichen Interesse vorgesehen, die Interessen der Parteien, die, wie die 1. Kommission betonte, meist selbst an der eingetretenen Komplikation schuld sind, treten hingegen zurück 7. Aber ähnlich wie auch bei der Tabularersitzung 8 erstreckt sich der Schutzzweck des Aufgebotsverfahrens als Reflex auch auf den Eigenbesitzer. Dieser wird zumeist gutgläubig sein9 und auch eine entsprechende Vermögensdisposition getätigt haben, so daß die Rechtsordnung mit dem Aufgebot den ursprünglich verweigerten Rechtserfolg doch noch eintreten läßt 10 . 2. Das Aufgebotsverfahren wird allgemein auf den deutschrechtlichen Verschweigungsgedanken zurückgeführt 11. Hieran ist richtig, daß der Eigentümer, der öffentlich aufgefordert wurde, sein Recht anzumelden, und dies unterläßt, sich an diesem verschweigt und deshalb ausgeschlossen wird. Allerdings kann hinsichtlich der Verfahrensvoraussetzungen nur sehr bedingt auf den Verschweigungsgedanken rekurriert werden: In dem Grundfall, an den der Gesetzgeber dachte, daß nämlich dem Käufer das Grundstück lediglich übergeben wurde, kann der Verkäufer und Eigentümer den Herausgabeanspruch gerade nicht geltend machen, weil dem Käufer die exceptio rei venditae et traditae zur Seite steht12; er „verschweigt" sich also nicht. Hinter dem aufgezeigten Widerspruch verbirgt sich ein Grundproblem, welches von der Konstruktion des § 927 BGB verursacht ist: Im öffentlichen Interesse, nämlich zur Beseitigung einer eingetretenen nuda proprietas, wird ein Eigentumserwerb ermöglicht, zugleich aber dem Eigentümer die Möglichkeit belassen, sein Recht in dem Aufgebotsverfahren anzumelden und damit die Beseitigung seines „nackten" Eigentums zu verhindern. Konsequent wäre es gewesen, hätte man bei Vorliegen eines solchen Eigentums einen automatischen Eigentumserwerb des Eigenbesitzers angeordnet. Dies unterblieb aber aus der übertriebenen Besorgnis heraus, das Eigentum wo immer möglich zu schützen13. Wie bei der Tabularersitzung ist auch der Beweisersatzgedanke wirksam, was sich aus der Erwägung der 1. Kommission ergibt, daß der Erbe eines nicht eingetragenen Erblassers in Ermangelung anderer Beweismittel das Aufgebotsverfahren einleiten können s o l l 1 4 . 3. Im Schrifttum ist umstritten, ob das Aufgebots verfahren im Gegensatz zu § 900 BGB als Kontratabularersitzung anzusehen sei. Einige Stimmen verneinen den Ersitzungscharakter der Vorschrift unter Verweis auf deren besondere Ausge7 Oben § 3 III 1 ; Böhm, § 927, Anm. I; AK/v. Schweinitz, § 927, Rn. 2. 8 S. oben § 8 I 1 nach Fn. 13. 9 So zu Recht MK ! Kanzleiter, § 927, Rn. 2. 10 Ähnlich Fuchs, § 927, Anm. 1 a; AK/v. Schweinitz, § 927, Rn. 2; Siebeis, 457. 11 Hedemann, SR, 117; Naendrup, Verjährung, 313 f.; H. Krause, 174; Mengiardi, ähnlich auch Staudinger/ Pfeifer, § 927, Rn. 11. ι 2 Die Wirksamkeit des Kaufvertrags wird hier vorausgesetzt. 13 Vgl. zur Kritik unten § 9 VII; Hofmeister, 337.

14 Vgl. oben vor Fn. 5.

155;

I. Zwecke und Bedeutung des Aufgebotsverfahrens

131

staltung15. Richtig ist, daß der Gesetzgeber eine Ersitzung gegen den (lebenden) eingetragenen Eigentümer unter keinen Umständen zulassen wollte, § 927 Abs. 1 S. 3 BGB; insofern sollte sich die Publizität des Grundbuchs durchsetzen. Das Aufgebotsverfahren sollte lediglich ein Ersatz für die ausgeschlossene Ersitzung sein 16 . Gleichwohl erfolgt der Erwerb des Eigenbesitzers „gegen" das Grundbuch, das entweder niemanden, einen Verstorbenen oder einen Bucheigentümer verlautbart, jedenfalls aber nicht den Eigenbesitzer 17. Gegen die Charakterisierung des Aufgebotsverfahrens als Ersitzung läßt sich nicht einwenden, daß der Eigentumserwerb nicht ipso iure eintritt, sondern daß er als Aneignung nach gerichtlichem Aufgebot konstruiert ist. Das liegt nämlich nur in der Tatsache begründet, daß das Aufgebotsverfahren einem rechtsgeschäftlichen Erwerb nachgebildet ist 1 8 - das Ausschlußurteil als Auflassung einerseits sowie die Eintragung andererseits - , weil es gegen großen Widerstand in der 1. Kommission, allen voran gegen den Redaktor des Sachenrechts, Johow, durchgesetzt werden mußte. Das Hauptargument der von Johow angeführten Mindermeinung war, daß die bloße Tradition im BGB nicht Erwerbsart sein dürfe. Deshalb wurde der Besitz lediglich als Aufgebotsvoraussetzung, nicht aber als Erwerbsvoraussetzung konstruiert 19: Die „natürliche Publizität" des Besitzes sollte sich unter keinen Umständen durchsetzen, der Besitz ,»keine Brücke zum Eigenthum" sein 20 , selbst dort nicht, wo die verbliebene Eigentumsposition inhaltsleer ist 2 1 . Die besondere Konstruktion in § 927 BGB, die rechtsgeschichtlich auf die fehlende Bereitschaft der 1. Kommission zurückzuführen ist, bestehende Rechte zu kränken und das Prinzip der Publizität des Grundbuchs aufzuweichen, sollte daher nicht dazu verleiten, auf den eingebürgerten und anschaulichen Terminus „Kontratabularersitzung" zu verzichten; dieser macht - in deutlichem Gegensatz zur Tabularersitzung nach § 900 BGB 2 2 - augenscheinlich, daß es für den Erwerb nach § 927 BGB auf eine Eintragung des Eigenbesitzers gerade nicht ankommt 23 und dieser gegen das Grundbuch erwirbt 24 . Der 15 Goldmann/Ulienthai, 81; Heck, § 45, 7; Planck ! Strecker, § 927, Anm. 1; Süß, 17; Staudinger/Pfeifer, § 927, Rn. 3; Baur/Stürner, § 53, Rn. 87; Hofmeister, 335 („Extratabularersitzung")· 16 S. oben § 3 III 1; Erman!Hagen, § 927, Rn. 1. 17 Es sei denn, der Eigenbesitzer ist sogar eingetragen (vgl. unten § 9 II 2 a dd, ee). Dies ist aber eine Fallkonstellation, an die der Gesetzgeber nicht gedacht hat und die auch nur deshalb anzuerkennen ist, weil die Anforderungen einer Tabularersitzung strenger sind als die des Aufgebotsverfahrens. is Hofmeister, 336. 19 S. oben §3 III 1. 20 S. oben § 3 III 1 und § 214. 21 Hofmeister, 336. 22 Den Zusammenhang zu § 900 BGB stellen auch Kretzschmar, Schweinitz, § 927, Rn. 1, her. 23 Wenngleich er auch nicht schadet, vgl. Fn. 17. 24

§ 927, Anm. 1; AK/v.

Wie hier Predari, 374; Kuhlmann, 59 ff.; Naendrup, Ersitzung, 41; Crome , 171 in Fn. 79; Lange, SR, 79; M. Wolf, SR, Rn. 391; Jauernig ! Jauernig, § 927, Rn. 1; Wilhelm, Rn. 586; Wieling, SR, § 20 III 1 pr.; SchlHOLG, SchlHA 1954, 52 (53). 9*

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§ 9 Das Aufgebotsverfahren

Terminus der Aufgebotsersitzung macht schließlich deutlich, daß es primär auch hier auf den Besitz ankommt, der durch Zeitablauf zum Recht erstarkt 25. 4. Die praktische Bedeutung der Vorschrift wird unterschiedlich eingeschätzt. Während die einen eine solche kaum einsehen26 oder gänzlich leugnen27, wird von anderen die Notwendigkeit einer solchen Regelung anerkannt 28. Angesichts des hohen Werts von Grundeigentum und der Perfektion des Grundbuchwesens ist die praktische Bedeutung der Vorschrift im Vergleich zur ersten Hälfte des Jahrhunderts sicherlich gesunken. Man darf aber nicht verkennen, daß eine Vorschrift, die heute nicht besonders aktuell ist, es morgen sein kann 29 ; die Renaissance des § 900 BGB nach der Wiedervereinigung ist hierfür ein beredtes Beispiel. Überdies sind mehr als zwanzig Gerichtsentscheidungen, die bis in die jüngste Zeit reichen, publiziert worden, was sich von vielen „relevanteren" Vorschriften des BGB nicht sagen läßt 30 . II. Die Voraussetzungen im einzelnen 1. Der Eigenbesitz a) Voraussetzung jedes Aufgebots ist ununterbrochener dreißigjähriger Eigenbesitz des Antragstellers, § 872 BGB, mittelbarer Eigenbesitz genügt31. Besitzzeiten vor Inkrafttreten des BGB waren in entsprechender Anwendung des Art. 189 Abs. 2 EGBGB anzurechnen32. Die in § 927 Abs. 1 S. 1 BGB zum Ausdruck kommende Personenverschiedenheit von auszuschließendem Eigentümer und Eigenbesitzer 33 besteht in Wirklichkeit nicht: Auch der nicht eingetragene Eigentümer kann, wenn er zugleich Eigenbesitzer ist, ein Aufgebotsverfahren anstrengen; das 25 So auch Hachenburg, 240; Kuhlmann, 59: Die Zeit erhebt den Besitz zum Recht. 26 May, 2; StaudingerIPfeifer, § 927, Rn. 3; AK/v. Schweinitz, § 927, Rn. 2. 27 Schwab!Prutting, Rn. 366. 28 Haidien, 145; Turnau ! Förster, § 927, Anm. I; Locher, 182, 184; Siebeis, 457 (der auf die notarielle Praxis abstellt). 29 So bereitsrichtigSüß, 16. 30 KG, OLG-Rspr. 15 (1907), 353; RGZ 76, 357 (= JW 1911, 715); RG, JW 1913, 204; RG, WarnRspr. 10 (1917), Nr. 271; LG Köln, Zeitschrift für das Notariat 1931, 171; RG, WarnRspr. 28 (1936), Nr. 116 (= JW 1936, 2399); SchlHOLG, SchlHATeil A 1954, 52; LG Bielefeld, RdL 1960, 185; LG Flensburg, SchlHATeil A 1962, 246; LG Koblenz, NJW 1963, 254; LG Amberg, MittRhNotK 1964, 1; OLG Bamberg, NJW 1966, 1413; LG Hamburg, NJW 1966, 1715; LG Aachen, MittRhNotK 1971, 405; AG Berlin-Schöneberg, MittBayNot 1975, 22; BGH, W M 1978, 194; AG Schwäbisch-Hall, BWNotZ 1985, 68; BGHZ 76, 169; BGH, LM § 957 ZPO Nr. 3; LG Köln, MittRhNotK 1985, 215; OLG Schleswig, JurBüro 1989,90; LG Aurich, NJW-RR 1994, 1170; LG Mönchengladbach, NJW-RR 1999, 1322.

31 Biermann, § 927, Anm. 1 a; Erman!Hagen, § 927, Rn. 2. 32 Dernburg, SR, 285 in Fn. 3; Predari, 376; Maenner, 190 in Fn. 52; Biermann, § 927, Anm. 1 a; Kretzschmar, § 927, Anm. 2. 33 Vgl. die Formulierung „im Eigenbesitz eines anderen".

II. Die Voraussetzungen im einzelnen

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folgt aus dem in der Vorschrift zum Ausdruck kommenden Beweisersatzgedanken 34 b) Zweifelhaft ist die Rechtslage bei Mitbesitz des Antragstellers, weil dieser keinen Schluß auf die Miteigentumsquote zuläßt35. Deshalb fordern manche, daß die mehreren Mitbesitzer nur gemeinsam den Antrag auf Ausschluß des Eigentümers stellen dürfen 36 . Diese Einschränkung überzeugt jedoch nicht. Mehrere Mitbesitzer können zwar zusammen das Verfahren betreiben, so daß entweder Miteigentumsanteile der Mitbesitzer entstehen - und zwar im Zweifel Miteigentumsquoten zu gleichen Teilen entsprechend § 742 BGB 3 7 - oder Gesamthandseigentum 38 . Ebenso darf es aber auch dem einzelnen Mitbesitzer nicht verwehrt werden, das Aufgebotsverfahren zu beantragen; alles andere wäre willkürlich. Er kann dann nur Miteigentum erhalten; die Quote richtet sich nach der Anzahl der Mitbesitzer analog § 742 BGB 3 9 . Liegt nur Eigenbesitz an einer realen Teilfläche des Grundstücks vor (Teilbesitz), ist das Aufgebotsverfahren ebenfalls zulässig40. Hier entsteht die Schwierigkeit, daß eine Teilungserklärung des Eigentümers nicht vorliegt, dem Eigenbesitzer aber keinesfalls das gesamte Grundstück zugesprochen werden kann. Die fehlende Teilungserklärung kann jedoch kein Grund sein, das Aufgebot, das für den Teilbesitzer die einzige Möglichkeit eines Eigentumserwerbs darstellt, für unzulässig zu erachten. Auch bei der Tabularersitzung führt Teilbesitz zum Eigentumserwerb an dem real abgegrenzten Grundstücksteil 41, ohne daß eine Teilung des Grundstücks durchgeführt worden wäre; diese ergibt sich durch die teilweise Ersitzung von selbst. Erst recht muß eine solche Rechtsfolge eintreten, wenn aufgrund des komplizierten Verfahrens in § 927 BGB ein Gericht beteiligt ist. Dessen Urteil „ersetzt" die Teilungserklärung; der Grundstücksteil ist nachher abzuschreiben. Der übrige Grundstücksteil verbleibt bei dem ansonsten ausgeschlossenen Eigentümer, wird also nicht herrenlos 42. 34

S. oben vor Fn. 14. 35 Vgl. oben § 8 II 2. 36 Etwa Staudingerl Pfeifer, § 927, Rn. 8. 37 Wolff \ Mitbesitz, 191. Dazu schon oben § 8 II 2 für die Tabularersitzung. 38 Dies jedoch nur, wenn die Mitbesitzer nachweisen (§ 29 GBO), daß sie das Grundstück in Ausübung eines Gesamthandsrechts besitzen, vgl. Wolff \ Mitbesitz, 191 f. Vgl. dazu auch LG Aachen, MittRhNotK 1971, 405: Eine Erbengemeinschaft kann sich als solche nach dem Aufgebot eines Grundstücks eintragen lassen. § 2041 BGB steht dem nicht entgegen, weil die Aneignung nach § 927 BGB als ein rechtsgeschäftlicher Erwerb im Sinne der Vorschrift angesehen werden kann, der sich auf den Nachlaß bezieht (408 f.); zust. Siebeis, 465; MeikelllmhoflRiedel, § 19, Rn. 48.

39 Wolff,

Mitbesitz, 192.

40 Güthe/Triebel, § 19, Rn. 136; Meikel/ImhoflRiedel, § 19, Rn. 48; PalandtIBassenge, § 927, Rn. 1; Staudinger/Pfeifer, § 927, Rn. 4; a.A. Muhr, 168 f. 41 S. oben § 8 II 2. 42 A. A. Muhr, 168 f.

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§ 9 Das Aufgebotsverfahren

c) Aufgrund des Verweises in § 927 Abs. 1 S. 2 BGB sind die §§ 938-944 BGB entsprechend anzuwenden43, ohne daß es auf die dort vorausgesetzte Gutgläubigkeit ankäme. Bei einer Rechtsnachfolge ist gemäß §§ 943 f. BGB keine „Ersitzungszeit des Rechtsvorgängers zu fordern, vielmehr genügt bloßer (Eigen-)Besitz 44 . Auf § 943 BGB kann sich nicht nur der Gesamtrechtsnachfolger, sondern auch der Singularsukzedent berufen 45. Zwar vermag ein nicht eingetragener Eigenbesitzer Grundstückseigentum nicht zu übertragen, wohl aber seinen Eigenbesitz46. Da dieser indessen Ersitzungsbesitz entsprechend § 1007 BGB ist 47 , kann das Ersitzungsrecht auch „rechtsgeschäftlich" auf einen Erwerber übertragen werden. Außerdem ist der Begriff der „Rechtsnachfolge" in § 943 BGB weit auszulegen, ähnlich wie im Rahmen des § 221 BGB: Es kommt lediglich darauf an, daß der Rechtsvorgänger den Besitz auf den Rechtsnachfolger mit seinem Willen überträgt 48 ; von der Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts kann nichts abhängen49. Dieses Ergebnis ist auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten geboten: Hat der Besitzer das Grundstück achtundzwanzig Jahre im Eigenbesitz und ist die Wahrscheinlichkeit gering, daß sich der Eigentümer im Aufgebotsverfahren meldet, so ist seine Aussicht, in zwei Jahren ein erfolgreiches Aufgebotsverfahren durchführen zu können, eine von der Rechtsordnung anzuerkennende Vermögenswerte Position. Wenn er diese auf einen Erwerber überträgt, der sich das „Restrisiko" gewiß durch einen Abschlag auf den Grundstückswert vergüten läßt, so ist dies als eine „Rechtsnachfolge" im Sinne des § 943 BGB zu erachten, so daß dem Erwerber die frühere Besitzzeit anzurechnen ist. d) Der Eigenbesitzer ist antragsberechtigt, § 979 ZPO. Sein Antragsrecht ist pfandbar und kann dem Gläubiger zur Geltendmachung überwiesen werden. Dieser kann sodann das Verfahren betreiben und die Eintragung seines Schuldners als Eigentümer bewirken 50 . Ein Verlust des Eigenbesitzes nach dem Ausschlußurteil schadet nicht 51 . 4

3 Planck ! Strecker, § 927, Anm. 2 a; Wieling, SR, § 23 III 2 a. 44 Turnaul Förster, § 927, Anm. II 2; MK/Kanzleiter, § 927, Rn. 2. 45 OLG Bamberg, NJW 1966, 1413; a.A. hinsichtlich des Gesamtrechtsnachfolgers Knütel, 915; dagegen Finkenauer, Erbe, 962. 46 Vgl. etwa RG, WarnRspr. 10 (1917), Nr. 271, wo auf den Erwerber nur der Eigenbesitz „übertragen" wurde, das Aufgebotsverfahren jedoch noch nicht durchgeführt und das Ergehen eines Ausschlußurteils aufschiebende Vertragsbedingung war. - Da der Besitz ein Faktum ist, läßt er sich natürlich nicht wie ein Recht „übertragen", vgl. aber sogleich im Text. 47 Dazu Wieling, SR, § 12IX 6 c, und unten § 10 II 1 c bb. 48 S. unten § 10 II 1 a bb. 49 Wieling l, § 1112ccc. » RGZ 76, 357; MK I Kanzleiter, § 927, Rn. 5. Hierbei ist unbeachtlich, daß der Gläubiger den angeblichen ,Anspruch" seines Schuldners auf Ausschließung des Eigentümers pfänden muß, das Antragsrecht gemäß § 927 BGB aber nicht als, Anspruch" bezeichnet werden kann. Von einem „Anspruch auf Ausschließung" des Eigentümers kann im Hinblick auf § 927 BGB nicht die Rede sein (irrig LG Mönchengladbach, NJW-RR 1999, 1322 [1333]). 5i Staudinger/Pfeifer Λ 927, Rn. 23.

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2. Die verschiedenen Aufgebotsfälle a) Das Aufgebot gemäß § 927 Abs. 1 S. 1 BGB aa) Nach § 927 Abs. 1 S. 1 BGB kann der Eigentümer eines Grundstücks ausgeschlossen werden, wenn ein Eigentümer aus dem Grundbuch nicht ersichtlich ist. Dies ergibt sich aus einem Umkehrschluß zu § 927 Abs. 1 S. 3 BGB, der den Fall erfaßt, daß „der Eigentümer" eingetragen ist. Die 2. Kommission nahm die Formulierung des § 927 Abs. 1 BGB auf Anregung der Kritik am 1. Entwurf gerade deshalb auf, um das Aufgebotsverfahren für ungebuchte Grundstücke zu ermöglichen52. Diese Fallgruppe betrifft nicht nur versehentlich nicht gebuchte Grundstücke, sondern auch solche Grundstücke, die vom Buchungszwang nach § 3 Abs. 2 GBO befreit sind. Das Bedürfnis für ein Aufgebot versehentlich nicht gebuchter Grundstücke kann u. a. deshalb entstehen, weil die Eintragung des Eigenbesitzers im Anlegungsverfahren nach § 116 GBO nicht zu einem Eigentumserwerb führt 53 . Aber auch für ein Aufgebot hinsichtlich vom Buchungszwang befreiter Grundstücke besteht ein (öffentliches) Interesse, weil auch bei diesen ein dominium sine re möglich ist 5 4 . Der rechtshistorisch tradierte Schutz von Grundstücken der öffentlichen Hand 55 muß gegenüber diesem Interesse zurücktreten, das BGB kennt öffentliches Eigentum nicht mehr; ein Aufgebot ist zulässig56. Ebenso wie die Nichtbuchung zu behandeln ist der Fall der Löschung des bisherigen Eigentümers, ohne daß ein anderer als Eigentümer eingetragen wurde 57 . bb) § 927 Abs. 1 S. 1 BGB findet ebenfalls Anwendung beim herrenlosen Grundstück, argumentum a fortiori 58. Ausgeschlossen wird in einem solchen Fall der Aneignungsberechtigte, also im Falle des § 928 Abs. 2 S. 1 BGB der Fiskus 59 , im Falle des § 927 Abs. 2 BGB derjenige, der ein Ausschlußurteil erwirkt hat, sich aber nicht hat eintragen lassen. Da es möglich ist, daß ein Eigentümer das Eigentum am Grundstück aufgibt, jedoch in seinem (Eigen-)Besitz bleibt 60 , könnte sogar 52 S. oben § 5 III 1. 53 Vgl. § 14 AVO GBO; Predavi , 374; Staudinger ! Pfeifer, § 927, Rn. 10. 54 Der Schutz des § 902 BGB wird dem vom Buchungszwang befreiten Grundstückseigentümer nur zuteil, wenn er eingetragen ist. Auch kann der Verkauf und die Übergabe eines buchungsfreien Grundstücks zu einem dominium sine re aufgrund der exceptio rei venditae et traditae führen. 55 Vgl. D. 41, 3, 9. 56 A. A. Süß, 28. Freilich nützt dem Besitzer das Grundstückseigentum wenig, weil mit dem Ausschlußurteil die auf dem Grundstück lastende, durch die Widmung entstandene öffentliche Dienstbarkeit nicht beendet wird (vgl. Wieling I, § 2 II 3 b). 57 Endemann, 305. 58 Einer Analogie zu § 927 BGB bedarf es nicht; ebenso Turnaul Förster, § 927, Anm. II 3; Catuneanu, 57; im Ergebnis übereinstimmend Best, 94; Süß, 23, 25; v. Lübtow, 370 in Fn. 161; Siebeis, 458; Ermanì Hagen, § 927, Rn. 2; abw. Kranichfeld, 58. 59 Darauf verwies bereits Jacubezky in der 2. Kommission, vgl. oben § 5 III 1. 60 Vgl. nur Bendix, 172; a.A. Schloemann, 40 f., der irrig die Möglichkeit von Eigenbesitz des Derelinquenten leugnet.

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§ 9 Das Aufgebotsverfahren

er selbst ein Aufgebotsverfahren (gegen das Aneignungsrecht des Fiskus) nach dreißig Jahren Eigenbesitz beantragen. In einem solchen Fall besteht kein Grund, ihm die vor der Eigentumsaufgabe liegende Eigenbesitzzeit nicht anzurechnen61. Sollte das Grundstück herrenlos und kein Aneignungsberechtigter vorhanden sein - der Fiskus hat auf sein Aneignungsrecht nach § 928 Abs. 2 BGB verzichtet 6 2 - , ist die Durchführung eines Aufgebotsverfahrens nach heute h. M. nicht erforderlich; vielmehr kann sich jedermann das Grundstück durch Erklärung gegenüber dem Grundbuchamt und Eintragung aneignen63. cc) Die Eintragung eines Bucheigentümers ist der Nichteintragung des Eigentümers gleichzustellen. Der wirkliche Eigentümer kann in einem solchen Fall nach § 927 Abs. 1 S. 1 BGB ausgeschlossen werden; die erschwerenden Voraussetzungen des § 927 Abs. 1 S. 3 BGB müssen nicht vorliegen. Die Eintragung eines Bucheigentümers ist nämlich entgegen anderer Ansicht 64 nicht etwa als Eintragung „eines Eigentümers" im Sinne von § 927 Abs. 1 S. 3 BGB anzusehen65. Richtig ist zwar, daß „der" in § 927 Abs. 1 S. 3 BGB vorausgesetzte verstorbene Eigentümer unmöglich mehr Eigentümer sein kann 66 ; eine Ausdehnung der mißglückten67 Vorschrift auf den Bucheigentümer und damit eine Einengung der Aufgebotsfälle ist aber nicht geboten: Es ist nicht einzusehen, warum der Eigentümer im Falle der Eintragung eines Bucheigentümers stärker geschützt sein sollte als bei einer überhaupt fehlenden Eigentumseintragung; der Schutz eines Bucheigentümers ist keinesfalls erforderlich 68.

61 So auch Wolff / Raiser, § 63 in Fn. 3; a.A. Catuneanu, 57 f.: Die Eigenbesitzzeit dürfe erst von der Eigentumsaufgabe an berechnet werden, anderenfalls sich der vor der Eigentumsaufgabe liegende Eigenbesitz auf eine Zeit beziehe, in welcher der wirkliche Eigentümer auch eingetragen gewesen sei, was auf eine unzulässige Kontratabularersitzung hinauslaufe. § 927 Abs. 1 BGB hindert aber durchaus nicht immer den Ausschluß des eingetragenen Eigentümers, nämlich dann nicht, wenn er diesen selbst betreibt (vgl. dazu unten § 9 II 2 a ee). 62 Möglich ist auch, daß der Fiskus sein Aneignungsrecht nach § 928 BGB abgetreten (dazu Catuneanu, 54 f.; Süß, 34; v. Lübtow, 370 in Fn. 161) und der Zessionar auf die Aneignung verzichtet hat. « Dazu unten § 9 I V 3. « Planck/Strecker, § 927, Anm. 2 b; Goldmann/Lilienthal, 342; Oberneck, 588; Endemann, 305; Turnaul Förster, § 927, Anm. II 3; wohl auch Naendrup, Verjährung, 312. 65 In § 927 Abs. 1 S. 3 BGB ist nur von „dem" Eigentümer die Rede, was die Gegenauffassung weit auslegt und als „ein" Eigentümer liest. 66 Zu dem sprachlichen Lapsus s. oben § 5 III 1. 67 Zur Kritik s. unten § 9 VII. 68 SorichtigFuchs, § 927, Anm. 4 b cc (233); Predari, 374; v. Gierke, Deutsches Privatrecht II, 460 in Fn. 71; Crome, 356 in Fn. 89; Biermann, § 927, Anm. 2; Locher, 183; Wolff I Raiser, § 6212; Süß, 23; Siebeis, 459; M K / Kanzleiter, § 927, Rn. 4; Westermann ! Eickmann, § 85 III 2; BGH, W M 1978, 194 (195); SchlHOLG, SchlHA 1954, 52. In LG Bielefeld, RdL 1960, 185 (186), war der Bucheigentümer z. B. nur aufgrund eines fehlerhaften Anlegungsverfahrens - Ermittlungen und Feststellung des Eigentümers waren unterblieben - eingetragen worden.

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Im Falle der Eintragung eines Bucheigentümers genügt es freilich nicht, daß der Antragsteller das Nichteigentum gemäß § 980 ZPO glaubhaft macht 69 , vielmehr hat er die Vermutung nach § 891 BGB, die für den Bucheigentümer spricht, zu widerlegen 70. dd) Das Aufgebotsverfahren nach § 927 Abs. 1 S. 1 BGB ist auch dann statthaft, wenn der eingetragene Eigenbesitzer es beantragt 71. Das kann nur dann der Fall sein, wenn der Eigenbesitz zwar dreißig Jahre dauert, die Eintragung aber noch nicht so lange besteht, anderenfalls nämlich bereits Ersitzung nach § 900 BGB eingetreten ist. Hier besteht kein Grund, den Eigenbesitzer die Tabularersitzung abwarten zu lassen. ee) Nicht selten ist in der Praxis der Fall aufgetreten, daß ein eingetragener Gesamthandseigentümer das Aufgebotsverfahren beantragt 72. Einige der eingetragenen Gesamthänder sind z. B. tot oder verschollen, auch die übrigen Voraussetzungen des § 927 Abs. 1 S. 3 BGB liegen vor, und ein anderer Gesamthänder - der Eigenbesitzer und Antragsteller - lebt und ist womöglich als Mitberechtigter am Grundstück eingetragen 73. Da das Aufgebot eines einzelnen Gesamthandsanteils unzulässig ist, ist es nur möglich, den Ausschluß aller Gesamthänder zu betreiben 74 . Der lebende Gesamthänder muß also seinen eigenen Ausschluß mit beantragen, um sich nach Ergehen des Ausschlußurteils das ganze Gesamthandseigentum anzueignen. Wenn er eingetragen ist, stellt sich aber die Frage, ob § 927 Abs. 1 S. 3 BGB ein Aufgebotsverfahren hindert. Zu Recht erachtet die h. M. die in dieser Vorschrift aufgestellten Anforderungen als Schutzbestimmungen für den betroffenen Eigentümer, auf die dieser auch verzichten kann 75 . Im Hinblick auf den Antragsteller ist daher nur § 927 Abs. 1 S. 1 BGB anwendbar; der dort formulierte begriffliche Gegensatz von auszuschließendem Eigentümer und Eigenbesitzer 76 besteht in Wirklichkeit nicht 77 . Es ist jedoch zu betonen, daß die erschwerenden Voraussetzungen des § 927 Abs. 1 S. 3 BGB im Hinblick auf verstorbene oder verschollene Gesamthänder vorliegen müssen, denn diese bzw. ihre Erben haben nicht auf ihren Schutz verzichtet 78. Dreißigjähriger Eigenbesitz als Mindestvoraussetzung muß aber auch der Antragsteller geltend machen können, weil diese Frist 69 So aber Biermann, § 927, Anm. 2; Fuchs, § 927, Anm. 4 b cc (233); Staudinger/ Seufert, 11. Aufl., § 927, Rn. 3 c; BGH, W M 1978, 194 (195). 70 Locher, 183; Siebeis, 459 in Fn. 30 m. w. Nachw. 71 Locher, 182; Süß, 13, 17; Wolff I Raiser, § 621 2; Siebeis , 460. 72 Staudinger ! Pfeifer, § 927, Rn. 12; OLG Bamberg, NJW 1966,1413; LG Amberg, MittRhNotK 1964, 1. 73 Etwa durch Grundbuchberichtigung aufgrund Erbscheins. 74 Vgl. unten § 9 VI. 75 MK ! Kanzleiter, § 927, Rn. 4; Staudinger ! Pfeifer, § 927, Rn. 12; Siebeis, 468; OLG Bamberg, NJW 1966, 1413 (1414); LG Amberg, MittRhNotK 1964,1. 76 Eigenbesitz „eines anderen". 77 S. oben vor Fn. 34. 78 Ähnlich MK ! Kanzleiter, § 927, Rn. 4.

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§ 9 Das Aufgebots verfahren

nicht nur seinem eigenen Schutz, sondern auch dem der auszuschließenden Eigentümer gilt 7 9 .

b) Das Aufgebot gemäß § 927 Abs. 1 S. 3 BGB Das Aufgebotsverfahren nach § 927 Abs. 1 S. 3 BGB ist kompliziert; die Norm wirft erhebliche sprachliche Schwierigkeiten auf, und insgesamt ist ihr Anwendungsbereich zu eng, wie noch zu zeigen sein wird 80 . Das Aufgebot betrifft den Ausschluß des Grundstückseigentümers, wenn ein früherer - wirklicher 81 - Eigentümer im Grundbuch eingetragen ist; die Eintragung des Eigentümers hingegen schließt bei wörtlichem Verständnis des § 927 Abs. 1 S. 3 BGB ein Aufgebot aus, weil der Gesetzgeber eine Ersitzung gegen den eingetragenen Eigentümer auf jeden Fall hat verhindern wollen 82 . aa) Vorausgesetzt wird zunächst, daß der eingetragene Eigentümer gestorben oder verschollen ist. Gegen eine juristische Person ist das Aufgebot zulässig, wenn sie erloschen ist 8 3 ; bei einer offenen Handelsgesellschaft oder Kommanditgesellschaft muß der letzte Gesellschafter tot sein, die Löschung im Handelsregister genügt nicht 84 . Verschollen ist eine Person, wenn über ihr Leben oder ihren Tod seit geraumer Zeit keine Nachrichten vorhanden sind und dadurch wahrscheinlich ist, daß sie nicht mehr lebt 85 . Eine Todeserklärung ist nicht vorzulegen 86. Im Gegensatz zum 1. Entwurf fordert § 927 Abs. 1 S. 3 BGB nicht, daß auch der Tod oder die Verschollenheit des Eigentümers dreißig Jahre zurückliegt; entscheidend ist allein, ob eines hiervon im Zeitpunkt der Antragstellung vorliegt. Keinesfalls muß der Eigenbesitzer glaubhaft machen, daß auch die Erben des Eigentümers unbekannt oder verschollen sind 87 ; nach dreißigjährigem Eigenbesitz des 79 Wohl anders Staudinger ! Pfeifer, so S. unten § 9 VII.

§ 927, Rn. 12.

81 Nach unzutreffender anderer Ansicht genügt auch die Eintragung irgendeines Bucheigentümers, um das Verfahren nach § 927 Abs. 1 S. 3 BGB erforderlich zu machen. Zu diesem Streit bereits oben vor Fn. 68. 82 S. aber unten § 11 III 2 zu einer bereits de lege lata anzunehmenden Ersitzungsmöglichkeit gegen den eingetragenen Eigentümer. 83 Staudingerl Pfeifer, § 927, Rn. 11. μ Wolff! Raiser, § 62 in Fn. 1; Siebeis, 460; MKI Kanzleiter, § 927, Rn. 4; LG Köln, Zeitschrift für das Notariat 1931, 71. es Biermann, § 927, Anm. 1 b α; Goldmann ! Lilienthal, 342 in Fn. 15; Kuhlmann, 42; Planck!Strecker, § 927, Anm. 2 c α; Erman!Hagen, § 927, Rn. 2; RGRYL!Augustin, § 927, Rn. 8.

So aber Daude, 174; Boehm, § 927, Anm. II B. S7 Richtig LG Köln, MittRhNotK 1985, 215: Der Rechtspfleger hatte ein Aufgebot abgelehnt, weil auf dem Erbschein 77 Erben vermerkt waren. - Ein entsprechender Vorschlag Bährs (s. oben § 4 III) setzte sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durch; unzutreffend daher Türcke!Niederführ! Winter, § 927, Rn. 9; Endemann, 305 in Fn. 4.

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Antragstellers ist sein Verschaffungsanspruch in der Regel verjährt, so daß eine Klage auf Auflassung gegen die Erben ohnehin nicht durchsetzbar wäre. bb) Schwierig ist die weitere Voraussetzung, daß eine Eintragung (oder Löschung) im Grundbuch, die der Zustimmung des Eigentümers bedurfte, seit dreißig Jahren nicht erfolgt sein darf. Hiermit stellt § 927 Abs. 1 S. 3 BGB neben die Frist des dreißigjährigen Eigenbesitzes eine weitere dreißigjährige Frist. Zustimmungsbedürftig ist eine Eintragung im Falle der §§ 873, 875, 877, 880, 1183 BGB oder der §§ 19, 20, 22 Abs. 2, 27 GBO. Bei der Auslegung der Vorschrift gilt es, zwei Gesichtspunkte zu beachten. Erstens soll sie sicherstellen, daß nur der Eigentümer ausgeschlossen wird, der sich um sein Grundstück in den letzten dreißig Jahren nicht gekümmert hat 88 . Zweitens sind die Voraussetzungen des § 927 Abs. 1 S. 3 BGB zu streng 89, so daß durch eine weite Auslegung möglichst viele Fälle zu erfassen sind. Die h. M. verlangt lediglich, daß in den letzten dreißig Jahren eine zustimmungsbedürftige Eintragung nicht vorgenommen wurde; sie stellt jedoch nicht darauf ab, ob eine Zustimmung tatsächlich vorlag und wie sie erklärt wurde 90 . Zwar scheint das „bedürfen" in § 927 Abs. 1 S. 3 BGB diese Ansicht zu stützen, indes gebietet die ratio legis eine andere Auslegung: Weil der Gesetzeszweck darin besteht, nur denjenigen Eigentümer zu privilegieren, der das Grundstück betreffende Rechtsgeschäfte getätigt hat, sich also darum gekümmert hat, ist nicht einzusehen, warum man auf das Erfordernis einer wirklich erteilten Zustimmung verzichten sollte 91 . Aus den genannten Auslegungskriterien folgt ferner, daß eine Eintragungsbewilligung, die aufgrund einer über den Tod des Eigentümers hinaus wirkenden Vollmacht erteilt wurde, nicht als Zustimmung im Sinne der Norm zu verstehen ist 92 . Die Gegenansicht93 verkennt, daß der Eigentümer sein Eigentumsrecht bei einer solchen Bewilligung eben auch nicht bewußt geltend gemacht hat. Überdies folgt aus der Gesetzgebungsgeschichte, daß die Voraussetzung der fehlenden Eintragungsbewilligung zur Erleichterung des Aufgebots an die Stelle des dreißig Jahre zurückliegenden Todes des Eigentümers getreten ist 9 4 ; äußerste zeitliche Grenze ist also der Tod des Eigentümers, postmortal auftretende Bevollmächtigte dürfen daher nicht berücksichtigt werden 95. Die durch einen Abwesenheitspfleger be wiles Locher, 184; AK/ν. Schweinitz, § 927, Rn. 6. 89 Dazu unten § 9 VII. 90 Planck!Strecker, § 927, Anm. 2 c ß; MK/Kanzleiter, § 927, Rn. 4; Staudinger!Pfeifer, § 927, Rn. 11. 91 So auch Güthe! Triebel, § 19, Rn. 135; Wolff!Raiser, § 62 in Fn. 2. 92 So richtig LG Flensburg, SchlHA 1962, 246 (247). 93 MK/Kanzleiter, § 927, Rn. 4; AK/v. Schweinitz, § 927, Rn. 6. 94 S. oben § 5 III 1. 95 Sonst wäre es etwa möglich, daß ein postmortal Bevollmächtigter vor achtundzwanzig Jahren eine Eintragung bewilligt hat, der Eigentümer aber vor dreißig Jahren gestorben ist.

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§ 9 Das Aufgebotsverfahren

ligte Eintragung ist aus demselben Grund nicht als Zustimmung des Eigentümers zu betrachten 96. Fraglich ist darüber hinaus, ob auch eine formell ordnungswidrige Eintragung in den letzten dreißig Jahren das Aufgebot ausschließt. Die h. M. bejaht dies und beruft sich dabei darauf, daß auch eine fehlerhafte Eintragung in der Regel wirksam sei 97 . Außerdem stimme der Eigentümer einer solchen fehlerhaften Eintragung dadurch zu, daß er die Einlegung eines Rechtsmittels unterlasse, zumindest wenn ihm die Eintragung gemäß § 55 Abs. 1 GBO bekannt gemacht worden sei 98 . Diese Begründung ist freilich nicht überzeugend. Warum ausgerechnet die h. M., die im Rahmen des Tatbestandsmerkmals „der Zustimmung bedürfen" auf das tatsächliche Bestehen einer Zustimmung verzichtet 99, in diesem Zusammenhang eine Zustimmung mittels Fiktion konstruiert, ist nicht nachvollziehbar. Außerdem ist auch die Schlußfolgerung von der fehlenden Rechtsmitteleinlegung auf eine Zustimmung mehr als zweifelhaft; mit demselben Recht könnte man darauf schließen, daß dem Eigentümer das rechtliche Schicksal seines Grundstücks gleichgültig gewesen ist, so daß eine innere Rechtfertigung für die Nichtzulassung seines Ausschlusses nicht besteht. Schließlich sollte man bedenken, daß die Eintragung ja gerade deshalb fehlerhaft sein kann, weil eine Eintragungsbewilligung des Eigentümers nicht vorgelegen hat. Dann aber ist die ratio legis des § 927 Abs. 1 S. 3 BGB gewiß nicht einschlägig. Unwirksame Eintragungen sind daher nicht als das Aufgebotsverfahren hindernde Eintragungen im Sinne von § 927 Abs. 1 S. 3 BGB anzusehen. Schließlich ist unklar, um wessen Zustimmung es in § 927 Abs. 1 S. 3 BGB geht. Wenn man sich den Eigentümer in § 927 Abs. 1 S. 3 a. E. BGB als personenidentisch mit dem Eigentümer im Eingang desselben Satzes denkt, so müßte nur darauf abgestellt werden, ob eine Eintragung im Grundbuch vorliegt, die der Zustimmung dieses letzten eingetragenen Eigentümers bedurfte 100 . Demgegenüber ist aber der gesamte Zeitraum der letzten dreißig Jahre zu berücksichtigen, so daß es nur darauf ankommen kann, ob der zur Zeit der hindernden Eintragung jeweilige Eigentümer seine Zustimmung erklärt hat 1 0 1 . Ansonsten wäre etwa schon dann ein Aufgebotsverfahren zuzulassen, wenn der Eigentümer vor drei Jahren eingetragen wurde, im letzten Jahr verstorben ist und in diesem Zeitraum keine zustimmungsbedürftige Eintragung bewilligt hat. Das würde als Gesetzesauslegung zu weit ge-

96 MKIKanzleiter, § 927, Rn. 4; AK/v. Schweinitz, § 927, Rn. 6; Staudinger/Pfeifer, § 927, Rn. 11; AG Berlin-Schöneberg, MittBayNot 1975, 22. 97 Staudingerl Pfeifer, § 927, Rn. 11; Staudinger I Gursky, § 873, Rn. 270, 273. 98 Siebeis, 461. 99 S. oben vor Fn. 90. 100 So tatsächlich Fuchs, § 927, Anm. 4 bb (233). ιοί So die h. M., vgl. Turnaul Förster, § 927, Anm. II 3; v. Gierke, Deutsches Privatrecht II, 460 in Fn. 72; Biermann, § 927, Anm. 1 b ß; Planck!Strecker, § 927, Anm. 2 c ß; Oberneck, 588; Siebeis, 460.

III. Das Ausschlußurteil und seine Wirkung

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hen, da doch das genannte Erfordernis an die Stelle eines dreißig Jahre zurückliegenden Todes des Eigentümers getreten ist. Der Eigentümer des § 927 Abs. 1 S. 3 a. E. BGB ist hier abstrakt, nicht als konkrete Person gemeint 102 .

I I I . Das Ausschlußurteil und seine Wirkung 1. Die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen und der Ablauf des Aufgebotsverfahrens sind hier nicht weiter zu behandeln, vgl. §§ 946 ff., 977 ff. ZPO 1 0 3 . Wird Eigentum oder ein Aneignungsrecht 104 im Verfahren angemeldet, so kann der Richter gemäß § 953 ZPO entweder das Aufgebots verfahren bis zur endgültigen Entscheidung über das angemeldete Recht im ordentlichen Verfahren aussetzen oder ein Vorbehaltsurteil erlassen. Solange der Vorbehalt nicht ausgeräumt ist, kann der obsiegende Antragsteller nicht im Grundbuch eingetragen werden. Eine Aussetzung soll nur erfolgen, wenn die Anmeldung zugleich die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Aufgebotsverfahrens an sich in Frage stellt, etwa den dreißigjährigen Eigenbesitz 105 . Im Aufgebotsverfahren wird der Bestand des angemeldeten Rechts nicht geprüft 106 . Ausnahmsweise kann es aber doch zu einer materiellen Prüfung kommen, dann nämlich, wenn der Eigenbesitzer die für den Bucheigentümer sprechende Vermutung des § 891 BGB widerlegen muß 1 0 7 . Denn erst der Nachweis des bloßen Bucheigentums eröffnet dem Eigenbesitzer die Möglichkeit, nach § 927 Abs. 1 S. 1 BGB vorzugehen, ohne die erschwerenden Voraussetzungen des § 927 Abs. 1 S. 3 BGB glaubhaft machen zu müssen. In einem solchen Fall, in dem es sich zugleich um die Zulässigkeit des Verfahrens handelt, prüft das Aufgebotsgericht also auch materiell. Der Tenor des Ausschlußurteils muß „den" Eigentümer (oder Aneignungsberechtigten) ausschließen, nicht genügend (und daher nur von beschränkter Wirkung) ist der Ausschluß „des eingetragenen Eigentümers", weil damit das Eigentumsrecht seiner Erben nicht ausgeschlossen wird 1 0 8 . Das Urteil ist ein unvollkommenes Gestaltungsurteil, weil zusätzlich die Eintragung zum Eigentumserwerb erforderlich ist 1 0 9 . 102 Biermann, § 927, Anm. 1 b ß; Planck!Strecker, 103

§ 927, Anm. 2 c/?.

Vgl. dazu die Untersuchung Daudes; Siebeis, 462. 104 Staudinger ! Pfeifer, § 927, Rn. 13 ; bloße schuldrechtliche Ansprüche auf Eigentumsverschaffung können demgegenüber nicht angemeldet werden (BGHZ 76, 169 [171]). 105 RGZ 67, 95 (98); Staudinger ! Pfeifer, § 927, Rn. 13. 106 BGHZ 76, 169(171). 107 Vgl. oben vor Fn. 70. io» Staudinger/Pfeifer, § 927, Rn. 16; KG, OLG-Rspr. 15 (1907), 353 (354); RGZ 76, 357 (360). 109 Schlosser, 81.

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§ 9 Das Aufgebotsverfahren

2. Das Grundstück wird durch das Ausschlußurteil herrenlos, sogar wenn dieses unrichtig ergangen ist. Auch der das Aufgebotsverfahren selbst betreibende Eigentümer verliert sein Eigentum 110 . Der Obsiegende wird aneignungsberechtigt. Sollte mit der Eigentumseintragung eine Verfügungsbeschränkung verbunden gewesen sein, etwa ein Nacherbenvermerk, ist auch diese erloschen, weil das Ausschlußurteil alle bis dahin begründeten Eigentumsrechte aufhebt 111. Vor Erlaß des Urteils eingetragene beschränkte dingliche Rechte oder Widersprüche bleiben dagegen bestehen 112 ; das Ausschlußurteil wirkt nicht gegen den Vorgemerkten, entsprechend § 883 Abs. 2 BGB 1 1 3 . 3. Die während des Aufgebotsverfahrens erfolgende Eintragung 114 eines Dritten oder eines Widerspruchs hindert, wie § 927 Abs. 3 BGB zeigt, das Urteil nicht 115 ; anders ist die Rechtslage nur, wenn die Eintragung schon bei Einleitung des Verfahrens bestand, § 927 Abs. 1 S. 3 BGB. Im Falle des § 927 Abs. 3 BGB wirkt das Urteil jedoch nur relativ 116 , d. h. nicht gegen den Eingetragenen. Die Eigentumsvermutung für den auf diesem Weg Eingetragenen ist vom Obsiegenden auf dem normalen Prozeßweg zu widerlegen. Nach Ergehen des Urteils erfolgende Eintragungen sind jedoch unbeachtlich117. Freilich ist auch nach diesem Zeitpunkt gutgläubiger Erwerb gemäß § 892 BGB aufgrund der noch fortbestehenden Eigentumseintragung möglich 118 , wenn der Aneignungsberechtigte einen Widerspruch nicht eintragen läßt 119 . Das bloße Erheben der Eigentumsklage vermag dem vom Beklagten erlangten Ausschlußurteil die Wirkung nicht zu nehmen 120 . Erlangt der Kläger jedoch ein stattgebendes Urteil, wird dessen Verhältnis zum Ausschlußurteil fraglich. Es sind drei Zeitpunkte zii unterscheiden: Der Klage kann vor dem Ausschlußurteil, nach diesem, aber vor der Eintragung des Aneignungsberechtigten oder schließlich nach dessen Eintragung stattgegeben werden. Im ersten Fall wird der obsiegende Eigentumskläger durch das Ausschlußurteil verdrängt 121 , weil dieses nur bei Anmeldung 110 Vgl. oben § 9 II 2 a ee. in Planck! Strecker, § 927, Anm. 4 a; Erman! Hagen, § 927, Rn. 4; Staudinger ! Pfeifer, § 927, Rn. 15; RGZ 76, 357 (359 f.); RG, JW 1936, 2399. 112 Staudinger/Pfeifer, § 927, Rn. 17. 113 Staudinger ! Gursky, § 883, Rn. 142; Assmann, 93. 114 Es ist gleichgültig, auf welchem Weg die Eintragung erfolgt; möglich ist etwa, daß der Fiskus sein Aneignungsrecht geltend macht. 115 RG, WarnRspr. 28 (1936), 223 (226). 116 Oberneck, 589; Wolff/Raiser, § 47 III 2; Wieling, SR, § 20 II 4 c dd. 117 Turnaul Förster, § 927, Anm. IV (491); Goldmann / Lilienthal, 343 in Fn. 19; Staudingerl Pfeifer, § 927, Rn. 16. ne Maenner, 191; Fuchs, § 927, Anm. 6 d bb, 8 a; Goldmann ! Lilienthal, 343; Kretzschmar, § 927, Anm. 5; Staudinger ! Pfeifer, § 927, Rn. 16. n 9 Zum Recht des Aneignungsberechtigten, einen Widerspruch eintragen zu lassen, s. unten § 9 I V 2. 120 Mot. III, 331.

IV. Das Aneignungsrecht an Grundstücken

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des Eigentums im Verfahren selbst das Grundstück nicht herrenlos macht 122 . Im zweiten Fall muß die noch anhängige Eigentumsklage123 abgewiesen werden, weil auch der Kläger, so er denn Eigentümer war, durch das Ausschlußurteil ausgeschlossen worden ist 1 2 4 . Sollte der Eigentumskläger aber dennoch ein zuerkennendes Urteil erlangen, verdrängt er den mit dem Ausschlußurteil Obsiegenden. Im dritten Fall endlich verdrängt der siegreiche Eigentumskläger den aufgrund des Ausschlußurteils Eingetragenen 125. 4. Gegen ein Ausschlußurteil findet ein Rechtsmittel nicht statt, § 957 Abs. 1 ZPO. Nur unter den engen Voraussetzungen des § 957 Abs. 2 ZPO kann eine Anfechtungsklage erhoben werden. Bereicherungsansprüche sind auch bei einem sachlich unrichtigen Urteil ausgeschlossen126. Ebenso ist ein deliktischer Anspruch des ausgeschlossenen Eigentümers gegen den aufgrund des Ausschlußurteils Eingetragenen zu verneinen.

IV. Das Aneignungsrecht an Grundstücken 1. Das Ausschlußurteil macht das Grundstück herrenlos, der Obsiegende ist aneignungsberechtigt. Die Aneignung geschieht dadurch, daß sich der Aneignungsberechtigte im Grundbuch eintragen läßt, § 927 Abs. 2 BGB; im Falle des § 928 Abs. 2 BGB ist dies der Fiskus. Gleichgültig ist, wieviel Zeit zwischen Ausschlußurteil und Eintragung liegt. Für diese Zwischenzeit ist das Aneignungsrecht des Berechtigten und seine rechtliche Qualifizierung von entscheidender Bedeutung: Das Grundstück ist zwar noch herrenlos, aber bereits ausschließlich dem Aneignungsberechtigten zugeordnet, von dessen Willen es allein abhängt, ob er sich eintragen läßt oder nicht. Die bezüglich des Aneignungsrechts vertretenen Ansichten, dessen Rechtsnatur z. T. als „dunkel und zweifelhaft" bezeichnet wird 1 2 7 , könnten unterschiedlicher nicht sein, meist ohne daß eine widerspruchsfreie Konzeption entwikkelt würde. Diesem Sachverhalt entspricht es, daß ganz überwiegend darauf verzichtet wird, die Rechte und Pflichten des Aneignungsberechtigten im einzelnen zu erläutern. Teils wird der Aneignungsberechtigte wie ein Eigentümer geschützt, teils versagen ihm dieselben Stimmen aber gerade die Ansprüche eines Eigentümers un121 Es sei denn, er hätte zu seinen Gunsten (und vor Ergehen des Ausschlußurteils) einen Widerspruch eintragen lassen, § 927 Abs. 3 BGB. 1 22 Turnau! Förster, § 927, Anm. IV (490); Planck/Strecker, § 927, Anm. 4 c. 123 Wenn die Eigentumsklage erst nach dem Ausschlußurteil anhängig gemacht wurde, so müßte der Kläger schon einen Erwerbstatbestand vortragen, der nach diesem Zeitpunkt liegt.

™ Predari, 376; Fuchs, § 927, Anm. 9 (235); Biermann, § 927, Anm. 3; zumindest mißverständlich die Mot. III, 331, die davon ausgehen, der Eigentumskläger könne trotz dem erlassenen Ausschlußurteil noch ein zuerkennendes Urteil erstreiten (vgl. oben § 3 in Fn. 82). ι 2 * Turnau/Förster, § 927, Anm. IV (490); Haidien, 146. Locher, 185; Soergel/Stürner, ™ Dernburg, SR, 285 in Fn. 5.

§ 927, Rn. 3; LG Koblenz, NJW 1963, 254 (255).

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§ 9 Das Aufgebotsverfahren

ter Hinweis auf die Eigentümlichkeiten des Aneignungsrechts. So wird vertreten, dieses sei, obschon gegen jedermann wirkend, kein dingliches Recht, sondern Gestaltungsrecht 1 2 8 , ein gesetzliches Veräußerungsverbot, nach dem der Aneignungsberechtigte gegen den vom ausgeschlossenen Bucheigentümer Erwerbenden unter der Voraussetzung des § 135 Abs. 2 B G B geschützt w e r d e 1 2 9 , oder es stehe zwischen schuldrechtlichem Erwerbsanspruch und dinglichem R e c h t 1 3 0 . Nach h. M . dagegen ist das Aneignungsrecht zumindest einem dinglichen Recht nahesteh e n d 1 3 1 , ein dingliches Recht am Grundstück eigener A r t 1 3 2 oder aber schlechthin ein dingliches Grundstücksrecht, das dem Eigentum nahesteht 1 3 3 . Ausgangspunkt der Überlegungen muß sein, daß die Aneignungsrechte nach § 927 Abs. 2 B G B und § 928 Abs. 2 B G B gleich zu behandeln s i n d 1 3 4 ; auch das nach § 958 Abs. 2 BGB bestehende Aneignungsrecht an herrenlosen beweglichen Sachen unterscheidet sich in seinem Wesen nicht vom Aneignungsrecht an Grundstücken 1 3 5 . 2. Nach heute wohl nicht mehr bestrittener Ansicht hat der Aneignungsberechtigte bei Beschädigungen des Grundstücks einen Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 B G B , das Aneignungsrecht gilt als sonstiges R e c h t 1 3 6 . Allein fraglich 128 Etwa Catuneanu, 47, 49; Dehnick, 78; Schloemann, 144; vgl. auch Raiser , Anwartschaften, 10. 129 Fuchs, § 927, Anm. 6 b dd; Turnaul Förster, § 927, Anm. IV (491). 130 MK / Kanzleiter, § 927, Rn. 8; freilich spricht Kanzleiter in seiner Kommentierung zu § 928, Rn. 9, von einem „dinglichen Recht eigener Art". 131 Westermann/Gursky, § 58 III 2; LG Mannheim, MDR 1957, 237, sieht in dem Aneignungsrecht nur die Anwartschaft auf das Eigentum. 132 Staudinger/ Pfeifer, § 927, Rn. 18; Raape, Aneignungsüberlassung, 187 in Fn. 1 (Sachenrecht an einer res nullius); A. Bertram, 2. Biermann, § 927, Anm. 3, hält das Aneignungsrecht für ein dingliches Recht, das aber nicht „am" Grundstück bestehe. Vgl. aber auch Bendix, 189 f., 193; Bendix, 205, 207, sieht den derelinquierenden Eigentümer trotz seinem Verzicht weiterhin als Eigentümer an, wie das schon die Proculianer getan haben, vgl. Proculus D. 41,7, 2, 1 (anders aber die h. M., vgl. Paulus D. 47, 2,43,5; Julian D. 41, 7, 2, 1; dazu auch Ankum, 410 f.). Bendix begründet seine Ansicht damit, daß mit der Eintragung der Eigentumsaufgabe der Eigentumseintrag selbst fortbestehe, weshalb die Vermutung des § 891 BGB weitergelte (177). Richtig ist zwar, daß eine Löschung des Eigentumseintrags nach einer Dereliktion nicht möglich ist; alle auf den bisherigen Eigentümer bezogenen Eintragungen sind jedoch analog § 16 GBVfg zu röten (Staudinger/ Pfeifer, § 928, Rn. 14). Außerdem ließe sich aus der Eigentumsvermutung nichts herleiten, weil sie für das materielle Recht keine Schlußfolgerungen ermöglicht (richtig Schloemann, 28). 133 Planck/Strecker, § 927, Anm. 5 c; Schwab/Prutting, Rn. 369 (zu § 928 BGB); Wolff / Raiser, § 63 II 1; § 79 II 2; E. Wolf, SR, § 4 A I c 4; Predari, 376; H. Winter, 67; allg. zu den Aneignungsrechten Wieling I, § 11 IV 3 a. Ähnlich auch Dernburg, SR, 285 in Fn. 5; Heck, § 54, 5 c, die von bedingtem Eigentum sprechen; in ähnliche Richtung auch Güthe / Triebel, § 19, Rn. 141. 134 So richtig Schloemann, 12,53; Erman/Hagen, § 928, Rn. 9; Staudinger/Pfeifer, § 928, Rn. 20; MK/Kanzleiter, § 928, Rn. 9. 135 Vgl. Bendix, 193 f.; Raape, Aneignungsüberlassung, 187 in Fn. 1. 136 Catuneanu, 50; Schulze, 160 f.; Bendix, 193; H. Winter, 66; Biermann, § 928, Anm. 2 c; Raape, Aneignungsüberlassung, 187 in Fn. 1; Wolff / Raiser, § 63 II 1; Planck!Strecker,

IV. Das Aneignungsrecht an Grundstücken

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ist in diesem Zusammenhang, ob der Aneignungsberechtigte den Schadensersatz sofort 137 oder erst nach erfolgter Aneignung geltend machen kann 138 . Die zweite Ansicht ist indes nicht überzeugend. Wenn die Grundlage des Ersatzes die Verletzung des Aneignungsrechts als eines „sonstigen Rechts" ist und nicht etwa eine Rückwirkung des späteren Eigentums, so muß auch der Zeitpunkt der Verletzungshandlung für die Anspruchstellung maßgeblich sein; allenfalls fraglich ist dann die Schadenshöhe, die aber aufgrund der Nähe des Aneignungsrechts zum Eigentum von dem vollen Grundstückswert auszugehen hat. Es erschiene nämlich unbillig, den Schädiger nur deshalb freizustellen, weil der Aneignungsberechtigte sich noch nicht hat eintragen lassen; umgekehrt braucht jener eine doppelte Inanspruchnahme nicht zu befürchten. Zudem ist darauf hinzuweisen, daß die h. M. etwa dem Jagdberechtigten Schadensersatz gegen den Wilddieb nach § 823 Abs. 1 BGB gewährt 139 , ohne daß der Jagdberechtigte je Eigentümer des Wildes geworden wäre 1 4 0 . Warum man aber das Aneignungsrecht an herrenlosen Grundstücken hinsichtlich des Zeitpunkts der Anspruchsentstehung anders behandeln sollte als das Aneignungsrecht an herrenlosen beweglichen Sachen, ist nicht einzusehen. Mit diesem Ergebnis stimmt auch die Rechtsprechung des Reichsgerichts überein, die den Anspruch gemäß § 1004 BGB zu Recht bereits dem Aneignungsberechtigten gewährt 141 . Es ist dem Aneignungsberechtigten ferner der dingliche Herausgabeanspruch analog § 985 BGB zuzuerkennen 142; das muß gerade beim Aneignungsrecht an § 928, Anm. 8; Wieling I, § 11 IV 3 b; Wilhelm, Rn. 538; Palandt/Bassenge, § 928, Rn. 4; OLG Schleswig, NJW 1994,949; a.A. Schloemann, 100 f., 144. 137 So Bendix, 193; Raape, Aneignungsüberlassung, 187 in Fn. 1; H. Winter, 68; Wolff/ Raiser , § 63 II 1; wohl auch Planck/Strecker, § 928, Anm. 8. 138 Catuneanu, 50; Biermann, § 928, Anm. 3 a; Dehnick, 24 f., 62; Grups, 39 f.; wohl auch MK/Kanzleiter, § 928, Rn. 10 (Schadensersatz bezüglich der während der Herrenlosigkeit vom Grundstück getrennten Erzeugnisse erst nach der Aneignung). - Zu Recht weist das OLG Schleswig, NJW 1994, 949, jedoch darauf hin, daß die Frage argumentativ so gut wie nicht behandelt ist. 139 Vgl. nur Planck/Brodmann, § 958, Anm. 3 b. 140 So die h. M., vgl. nur Westermann / Gursky, § 58 IV; Wieling I, § 11 IV 2 d m. w. Nachw.; Raape, Aneignungsüberlassung, 252; a.A. aber etwa Baur/Stürner, § 53, Rn. 73; Wilhelm, Rn. 465 (Eigentumserwerb des Berechtigten anläßlich der Besitzergreifung durch den Nichtberechtigten). 141 RGZ 137, 266 (269 f.); LG Hamburg, NJW 1966, 1715; Palandt/Bassenge, § 1004, Rn. 13; Soergel/ Mühl, § 1004, Rn. 84; Staudinger/ Erti, 12. Aufl., § 928, Rn. 32; Wieling I, § 11 IV 3 b; abl. aber Westermann/Gursky, § 36 I 3; Schloemann, 83 ff. Anders Grups, 62, der die actio negatoria bereits dem Aneignungsberechtigten gibt, aber erst nach der Aneignung. 142 Staudinger/ Pfeifer, § 927, Rn. 19; Wieling I, § 11 II 5 c aa; § 11 IV 3 b (für alle Aneignungsrechte); Staudinger /Gursky, Vorbem. zu §§ 985-1007, Rn. 6 (allgemein). Wolff/ Raiser, § 79 II 2, geben dem Jagdberechtigten dagegen nicht die Vindikation, sondern nur einen Anspruch auf Duldung der Wegnahme, was freilich nicht überzeugt und zudem bei Grundstücken zu keiner unterschiedlichen Behandlung führen würde. 10 Finkenauer

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§ 9 Das Aufgebotsverfahren

Grundstücken gelten, bei denen Herrenlosigkeit trotz aufrechterhaltenem Besitz eintreten kann und die Aneignung nicht von der Besitzergreifung abhängt143. Freilich bleibt etwa das sich aus einem Mietverhältnis ergebende Recht zum Besitz entsprechend § 986 BGB bestehen; der Aneignungsberechtigte tritt an die Stelle des früheren Eigentümers 144. Er hat ferner den Berichtigungsanspruch gegen den Bucheigentümer entsprechend § 894 BGB und kann auch einen Widerspruch analog § 899 BGB eintragen lassen, etwa um gutgläubigen Erwerb zu hindern 145 . Da dem Aneignungsberechtigten die actio negatoria zuerkannt wird, sind ihm richtigerweise auch die nachbarrechtlichen Befugnisse und Ansprüche nach §§ 907 ff. BGB zu gewähren 146 . Auch ist er zum Widerspruch im Sinne von § 912 Abs. 1 BGB befugt 147 . Die Beseitigung eines zu dem herrenlosen Grundstück gehörenden Überbaus etwa verletzt ebenfalls das Aneignungsrecht, weshalb der beseitigende Nachbar Schadensersatz schuldet 148 . Der Aneignungsberechtigte ist auch als aussonderungsbefugt anzusehen und kann die Rechte nach §§37 Nr. 5 ZVG, 771 ZPO geltend machen 149 . Da ihm das Grundstück bereits rechtlich zugewiesen ist, ist auch eine Eingriffskondiktion zu bejahen 150 . Dem Aneignungsberechtigten stehen ferner nach ganz h. M. als Surrogat für die Sachsubstanz die Enteignungsentschädigung sowie der etwaige Grundpfandrechte übersteigende Zwangsversteigerungserlös zu 1 5 1 . Auch hier kann es auf eine spätere 143 Auch im Falle des § 927 Abs. 2 BGB kann der Obsiegende seinen Eigenbesitz bereits verloren haben, weil dieser nur für die Einleitung des Verfahrens maßgeblich ist. Staudinger/Gursky, Vorbem. zu §§ 985-1007, Rn. 6, sieht dagegen kein Bedürfnis für einen solchen Schutz des Aneignungsberechtigten an einem Grundstück. 144 Vgl. sogleich S. 150 und hinsichtlich der Erhaltung der Verjährungseinrede gegenüber dem Aneignungsberechtigten unten § 10 II 1 a ff. 145 Das ist mittlerweile wohl nicht mehr streitig, vgl. Lenhard, 380; Predari, 376; Güthe/ Triebet, § 19, Rn. 141; Planck/Strecker, § 927, Anm. 5 c; Siebeis, 464; Staudinger/Pfeifer, § 927, Rn. 19; AK/v. Schweinitz, § 927, Rn. 13; ErmaniHagen, § 927, Rn. 5. Früher wurde dagegen z. T. die Möglichkeit des Aneignungsberechtigten bejaht, eine Vormerkung eintragen zu lassen (vgl. Oberneck, 590; Turnau/ Förster, § 927, Anm. IV). Das verkennt, daß es sich hier nicht um einen Anspruch auf Eigentumsverschaffung handelt (Biermann, § 927, Anm. 3; Crome, 357 in Fn. 100). Weder Widerspruch noch Vormerkung wollte dagegen Fuchs, § 927, Anm. 7, zulassen (so im Ergebnis auch Schloemann, 83 ff., 146). μ Catuneanu, 60 f. (für §§ 909, 912 BGB); H. Winter, 59; Dehnick, 24 f. (die Ansprüche bestehen schon mit der nachbarlichen Störung des herrenlosen Grundstücks, können aber nur durch einen Vertreter des Grundstücks, nicht durch den Aneignungsberechtigten, geltend gemacht werden); ζ. T. ebenso Grups, 59; a.A. Schloemann, 83 ff. w Α. Α. Dehnick , 26. 148 Dehnick , 23 (und zwar nicht erst von der Aneignung an); Wolff, Bau, 161. 149 Wieling I, § 11IV 3 b (für alle Aneignungsrechte). 150 Ebd.

151 Catuneanu, 52; Dehnick, 73; Grups, 40; Lenhard, 385; Planck/Strecker, § 928, Anm. 5 f.; Wolff / Raiser, § 62 II 1 in Fn. 9; Palandt/Bassenge, § 928, Rn. 4; Westermann/ Eickmann, § 86, 4; Staudinger/ Pfeifer, § 928, Rn. 20; BGH, NJW 1991, 2488 (2489); OLG Schleswig, NJW 1994, 949; irrig hinsichtlich des Versteigerungserlöses Bendix, 207 (der Erlös stehe dem verzichtenden Eigentümer zu, dazu oben in Fn. 132).

IV. Das Aneignungsrecht an Grundstücken

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Aneignung nicht ankommen, da es durch die genannten Akte bereits einen neuen Eigentümer gibt. Nicht zutreffend ist es daher auch, dem Aneignungsberechtigten ein beschwerdefähiges Recht am Grundstück im Sinne von § 20 FGG im Falle der Pflegschaftsanordnung für das Grundstück zu versagen, weil eine Aneignung noch nicht stattgefunden habe 152 . Umstritten ist die Frage, wem die Erzeugnisse und Nutzungen, die während der Herrenlosigkeit bis zur Aneignung gezogen worden sind, gebühren. Da das Grundstück herrenlos ist, können die Erzeugnisse nicht gemäß § 953 BGB mit der Trennung Eigentum eines Grundstückseigentümers werden; sie scheinen nach § 958 BGB frei okkupierbar zu sein 153 . Kanzleiter hält den okkupierenden Dritten jedoch für schadensersatzpflichtig, wenn sich der Aneignungsberechtigte das Grundstück aneignet 154 . Konsequenterweise muß man, wenn der Aneignungsberechtigte, wie soeben dargelegt, vom Zeitpunkt des Schadenseintritts an einen Ersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB hat, auch davon ausgehen, daß er - obschon noch nicht Eigentümer des Grundstücks - Eigentum an den von diesem getrennten Erzeugnissen analog § 953 BGB erhält 155 ; der Okkupant ist schließlich auch bei Annahme eines (späteren) Schadensersatzes schutzlos gestellt. Ebenso sollte man hinsichtlich des Zeitpunkts für das Bestehen einer Vindikationslage auf das Entstehen des Aneignungsrechts und nicht erst auf den Eigentumserwerb abstellen: Der Aneignungsberechtigte ist wie ein Eigentümer entsprechend §§ 987 ff. BGB zu schützen 156 . Das vermeidet eine unterschiedliche Behandlung von Beschädigungen durch einen dritten Nichtbesitzer und durch den Grundstücksbesitzer. Zu betonen ist, daß der Aneignungsberechtigte in einer Hinsicht nicht den Schutz des Eigentümers genießen kann, nämlich hinsichtlich des durch die Grundbucheintragung gewährten Schutzes. §§ 891, 902 BGB etwa können daher von ihm nicht geltend gemacht werden. Die dem Aneignungsberechtigten gemäß §§ 927 Abs. 2,928 Abs. 2 BGB bereits nach h. M. zustehenden Ansprüche und Befugnisse zeigen deutlich, daß er wie ein 152

So aber LG Mannheim, MDR 1957, 257, das ein Beschwerderecht bei einer Pflegschaftsanordnung zum Zwecke der Regelung der Währungsumstellung mit dem Hypothekengläubiger versagt. Ist der Aneignungsberechtigte nach Befriedigung der Gläubiger am Zwangsversteigerungserlös berechtigt, so muß er auch vorher sein Recht bei der Frage des Umstellungsverhältnisses geltend machen können. 153 So OLG Schleswig, NJW 1994, 949; Schloemann, 48. 154 MK/Kanzleiter, § 928, Rn. 10; Dehnick, 14. 155 Ähnlich Biermann, § 928, Anm. 2 a (ausschließliches Aneignungsrecht an den Erzeugnissen). 156 Vgl. Wieling I, § 11 IV 2 d; IV 3 b; Wolff/Raiser, § 79 II 2; Staudinger/ Pfeifer, § 927, Rn. 19 (Anwendung der §§ 985 ff. BGB); StaudingerlGursky, Vorbem. zu §§ 985-1007, Rn. 6 (allgemein). Auch RG, JW 1938, 3040, wendet hinsichtlich des Schutzes des aneignungsberechtigten Bergwerkpächters §§ 985 ff. BGB an. Anders aber OLG Schleswig, NJW 1994, 949, das erst ab der Aneignung ein Eigentümer-Besitzer-Verhältnis anerkennt und daher den von der Beklagten gezogenen Pachtzins dem klägerischen Land erst von der Aneignung der fraglichen Parzelle an zuspricht (zust. Müller, Rn. 1293). 10*

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§ 9 Das Aufgebotsverfahren

Eigentümer geschützt wird: Ihm werden die deliktischen Ansprüche ebenso wie die Vindikation, §§ 894, 899 und § 1004 BGB gewährt 157 . Das Aneignungsrecht muß daher als dingliches Grundstücksrecht angesehen werden, das dem Eigentum nahesteht und nur aus rechtsgeschichtlichen Gründen nicht „Eigentum" genannt wurde 158 ; es gewährt dem Berechtigten die gleichen Befugnisse wie das Eigentum 1 5 9 . Nur eine solche Konzeption ist in sich widerspruchsfrei und kann die von der h. M. dem Aneignungsberechtigten je nach Einzelfall gewährten Ansprüche und Befugnisse begründen. Bemerkenswert ist allerdings, daß dieses Grundstücksrecht nicht gemäß § 873 Abs. 1 BGB durch Einigung und Eintragung entsteht160. Daran dürfte freilich gerade die h. M. keinen Anstoß nehmen, da sie doch - ebenfalls ohne daß Einigung und Eintragung vorlägen - ein (nicht eintragbares) Anwartschaftsrecht des Auflassungsempfängers anerkennt, sobald dieser den Eintragungsantrag gestellt hat 1 6 1 . Ist das Aneignungsrecht wie Eigentum zu schützen, so stellt sich die Frage nach den mit dem Grundstück einhergehenden Belastungen. Gewährt man dem Aneignungsberechtigten die nachbarrechtlichen Befugnisse, so ist er auch umgekehrt als passivlegitimiert anzusehen, wenn ein Nachbar etwa den Anspruch auf Einräumung eines Notwegs oder die actio negatoria erhebt. Der Aneignungsberechtigte kann nicht bereits die Vorteile eines Eigentümers genießen und sich zugleich der Nachteile durch Hinauszögern des Eintragungsantrags entziehen162. Diese sofortige Belastung des Aneignungsberechtigten findet ihren Ausgleich in seiner Möglichkeit, auf das Aneignungsrecht zu verzichten. Die Verzichtsmöglichkeit ist mittlerweile anerkannt 163 ; zu ergänzen ist freilich, daß dem Verzicht rückwirkende 157 Ganz anders allerdings Hellwig, Anspruch, 232 f., der die genannten Ansprüche zwar auch während der Herrenlosigkeit gewählt, aber der subjektlosen Vermögensmasse des Grundstückseigentums selbst zugesteht. Eine solche, vor allem im gemeinen Recht bezüglich der hereditas iacens entwickelte Sicht muß heute freilich als überholt angesehen werden. Ähnlich wie Hellwig auch E. Winter, der meint, Rechtssubjekt des Grundeigentums sei anstelle des Derelinquenten der Zweck (!), eine Befriedigung der dinglichen Gläubiger zu ermöglichen (E. Winter, 49). »58 Dazu A. Bertram, 2; Wieling I, § 11 IV 3 a. 159 Wieling I, § 11 IV 3 a (allgemein zu den Aneignungsrechten); Heck, § 64, 6; Planck/ Strecker, § 927, Anm. 5 c (die Vorschriften über das Eigentum seien analog anzuwenden); Wolff/Raiser, § 79 II pr.; ähnlich auch Erman/Hagen, § 928, Rn. 9: Der Erwerb des Aneignungsrechts komme praktisch dem Eigentumserwerb gleich. 160 Auch der vermeintlich existierende numerus clausus der Sachenrechte (dazu rechtshistorisch die Untersuchung von Wiegand) steht dem nicht entgegen, weil er auch im Grundstücksrecht offenbar nicht streng durchgeführt ist (ähnlich Raape, Aneignungsüberlassung, 182 in Fn. 1; Lenhard, 380); zur Nichtexistenz des numerus clausus im Mobiliarsachenrecht vgl. Wieling I, § 1 II 4 f.; Rinke, 94.

161 So etwa Baur/Stürner, § 19, Rn. 15; Müller, Rn. 1026; kritisch aber Wieling, SR, § 201 2 d aa. 162 Der gleiche Gedanke findet sich bei Westermann / Gursky, § 36 I 3, freilich mit umgekehrter Schlußfolgerung. 163 Dazu unten § 9 IV 3.

IV. Das Aneignungsrecht an Grundstücken

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Kraft beizulegen ist. Eine solche Konzeption wird auch den Erwägungen des Gesetzgebers gerecht. Hatte Johow noch vorgesehen, daß das Eigentum automatisch an den gemäß § 928 BGB Aneignungsberechtigten falle 164 , änderten das die beiden Kommissionen; diesem dürfe das Eigentum nicht gegen seinen Willen aufgedrängt werden, und insbesondere sollten sich Hypothekengläubiger nicht auf Kosten des Fiskus ein vollstreckbares Urteil für ihre Forderung verschaffen können 1 6 5 . Man vermied also bewußt eine dem - nicht ausschlagbaren - Noterbrecht des Fiskus entsprechende Regelung 166 . Nimmt man wie hier ein eigentumsähnlich geschütztes und verpflichtendes Aneignungsrecht mit der Möglichkeit des rückwirkenden Verzichts an, wird der gesetzgeberischen ratio des eine Willenserklärung des Aneignungsberechtigten fordernden § 928 BGB hinreichend Rechnung getragen. Gegen diese Konzeption ließe sich nur das systematische Argument einwenden, der Gesetzgeber habe zu Gunsten dinglich Berechtigter in §§ 58, 787 ZPO spezielle prozessuale Regelungen für die Zeit bis zur Aneignung geschaffen. Jedoch sieht auch die heute h. M. den Vertreter gemäß §§ 58, 787 ZPO als gesetzlichen Vertreter des künftigen Eigentümers an 1 6 7 . Ferner wurden die Normen aus einer Verlegenheit heraus geschaffen: Einerseits wollte man den Aneignungsberechtigten nicht ungehörig durch einen ipso-iure-Erwerb belasten, andererseits sollten die Interessen solcher dinglich Berechtigter geschützt werden, die nicht wie ein Hypothekengläubiger durch Zwangsversteigerung zu befriedigen sind, sondern die der Mitwirkung eines Eigentümers bedürfen. Das ist etwa bei demjenigen der Fall, der auf Einräumung eines Notwegs klagt oder die Wiedereintragung als Eigentümer begehrt, weil er vorher zu Unrecht gelöscht wurde 168 . Durch die hier vorgeschlagene Lösung wird dem Aneignungsberechtigten ein Eigentumserwerb ebenfalls nicht aufgedrängt, der Rechtsverkehr hat aber sogleich einen möglichen Anspruchsgegner. Die §§ 58, 787 ZPO werden dadurch nicht überflüssig. Für viele dingliche Klagen ist die Eintragung des Eigentümers notwendig (§ 39 GBO); der Aneignungsberechtigte ist jedoch noch nicht eingetragen, er kann z. B. das Grundstück demjenigen nicht auflassen, zu dessen Gunsten eine Auflassungsvormerkung besteht. Hier hilft das Gesetz mit den Regelungen in §§ 58, 787 ZPO weiter. Zudem 164 § 128 TE; dazu Johow, SR Teil 1, 770 f. 165 Vgl. Prot. I, 3934 (Jakobs I Schubert, SR I, 573); Mot. III, 326; Prot. II, 3668 (Mugdan III, 621). 166 Die Härten des Noterbrechts können indessen durch die Möglichkeit der Beschränkung auf den Nachlaß ausgeglichen werden, § 2011 BGB. - Vgl. zum Gesetzgeber die Überlegung in Prot. II, 3668 (Mugdan III, 621). 167 Vgl. MK-ZPO/Lindacher, § 58, Rn. 2, 10 m. w. Nachw.; Zöller/ Vollkommer, § 58, Rn. 1; Baumbach ! Hartmann, § 58, Rn. 6; Schloemann, 116; a.A. (Partei kraft Amtes) Bendix, 215; H. Winter, 48 f.; Palandt/Bassenge, § 928, Rn. 3 (diese Ansicht widerspricht bereits dem Wortlaut der Normen); offengelassen noch bei Prot. I, 3937 (Jakobs I Schubert, SR I, 574). Wieder ganz anders Hellwig, Anspruch, 234 (Vertreter der subjektlosen Vermögensmasse). 168 Vgl. Prot. I, 3937 (Jakobs ! Schubert, SR I, 574).

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§ 9 Das Aufgebotsverfahren

sind auch Fälle denkbar, in denen es für das herrenlose Grundstück keinen Aneignungsberechtigten gibt 1 6 9 . Die neben der Möglichkeit, einen gesetzlichen Vertreter zu bestellen, bestehende Passivlegitimation des Aneignungsberechtigten macht vor allem die im Schrifttum 170 für den außergerichtlichen Verkehr angestellten Überlegungen zu einer entsprechenden Anwendung der Regeln über die Anordnung einer Pflegschaft (§1913 BGB) überflüssig. Abschließend ist darauf hinzuweisen, daß hinsichtlich der Miet- und Pachtverhältnisse § 571 Abs. 1 BGB analoge Anwendung nicht erst von der Aneignung an findet, wie dies der h. M. entspricht 171 , sondern bereits ab Bestehen des Aneignungsrechts 172. Die konstruktiven Schwierigkeiten mit der in § 571 BGB geforderten „Veräußerung" sind hier nicht größer als auch nach h. M.: Nach dieser entspricht die Zweiaktigkeit von Eigentumsaufgabe und anschließender Aneignung der geforderten rechtsgeschäftlichen „Veräußerung". Nicht anders kann die „Veräußerung" hier in der Eigentumsaufgabe bzw. Ausschließung des Eigentümers und Nichtausübung des Verzichtsrechts nach Benachrichtigung des Aneignungsberechtigten durch das Grundbuchamt (§ 55 Abs. 1 GBO) bzw. nach Ergehen des Ausschlußurteils gesehen werden. 3. Das Aneignungsrecht ist übertragbar. Fraglich ist jedoch, ob für die Zession die notarielle Form analog § 925 Abs. 1 BGB zu fordern ist 1 7 3 , eine formlose Abtretung nach §§ 413, 398 BGB genügt 174 oder die Form des § 873 BGB notwendig ist 1 7 5 . Das Reichsgericht hat hierzu nicht deutlich Stellung genommen: Es führt aus, daß gegen eine Übertragung des fiskalischen Aneignungsrechts „nach allgemeinen Grundsätzen" keine Bedenken bestehen176. Freilich war die Abtretung in dem Fall urkundlich, nämlich zu gerichtlichem Protokoll, gesche169 Der Staat hat auf sein Aneignungsrecht verzichtet; zwar kann sich nun jeder das Grundstück aneignen (s. sogleich unter 3), aber ein Aneignungsrecht besteht gleichwohl nicht. 170 Grups, 84; Schloemann, 127; Hellwig, Anspruch, 234 (Pflegschaft für die subjektlose Vermögensmasse); MK-ZPO/Lindacher, § 58, Rn. 1; MK/Kanzleiter, § 928, Fn. 8; a.A. Soergel! Damrau, § 1913, Rn. 2; Erman/Holzhauer, § 1913, Rn. 3. 171

So etwa Catuneanu, 114; Heck, § 54, 6 c; J. v. Gierke, 80; Müller, Rn. 990; Westermann/Eickmann, § 86, 3; Palandt/Bassenge, § 928, Rn. 4; RGZ 103, 166 (167); a.A. Schloemann, 87 ff., 94. 172 So auch Schulze, 156; im Ergebnis wohl auch Dehnick, 58. A. A. Bendix, 173 f., der davon ausgeht, daß der verzichtende Eigentümer aus dem Mietverhältnis verpflichtet und berechtigt bleibt; ähnlich auch H. Winter, 64. 173 So Predari, 375; MK/Kanzleiter, § 928, Rn. 9; Erman!Hagen, § 927, Rn. 5; § 928, Rn. 9; Staudinger/Pfeifer, § 928, Rn. 20; Palandt/Bassenge, § 927, Rn. 4; § 928, Rn. 4; Siebeis, 463. 174 So etwa Planck/Strecker, § 928, Anm. 5 a; Schulze, 179; Catuneanu, 56; Biermann, § 928, Anm. 3 a; Wieling, SR, § 23 III 3 b; Soergel/ Stürner, § 928, Rn. 4; Westermann l Eickmann, § 86,4. 175 So Wilhelm, Rn. 539. 176 RGZ 82, 73 (74).

IV. Das Aneignungsrecht an Grundstücken

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hen, so daß wohl die Voraussetzungen des § 925 Abs. 1 BGB erfüllt waren 177 . Vor allem aufgrund seiner Nähe zum Eigentum ist für die Übertragung des Aneignungsrechts eine Analogie zu § 925 BGB zu befürworten 178, eine Eintragung ist nicht erforderlich. Der Berechtigte kann auf sein Aneignungsrecht - unbedingt - verzichten 179 ; der Verzicht bedarf wie das Aneignungsrecht selbst nicht der Eintragung 180 , ist aber eintragungsfähig. Nach einem Verzicht im Falle des § 927 Abs. 2 BGB hat der Fiskus ein Aneignungsrecht gemäß § 928 BGB 1 8 1 . Verzichtet der Fiskus auf sein Aneignungsrecht, ist nach h. M. das Grundstück frei okkupierbar, entsprechend § 958 Abs. 1 B G B 1 8 2 . Der Verzicht hat rückwirkende Kraft 1 8 3 und wird durch Erklärung gegenüber dem Grundbuchamt ausgeübt184; wer dann zuerst einen Eintragungsantrag stellt, wird Eigentümer. Früher war dagegen die Meinung herrschend, ein Privater könne sich das Grundstück in diesem Fall nur nach Durchführung eines Aufgebotsverfahrens gemäß § 927 BGB aneignen185. Gegen diese Konzeption spricht freilich, daß es nach dem Verzicht auf das Aneignungsrecht keinen schutzwürdigen Beteiligten mehr gibt, weshalb es nur noch darum gehen kann, das herrenlose und damit aus dem Rechtsverkehr ausgeschiedene Grundstück schnellstmöglich wieder „unter einen Herrn zu bringen". Dreißigjähriger Eigenbesitz als Aufgebotsvoraussetzung erübrigt sich daher. Nachteilig an der heute h. M., aber hinzunehmen ist, daß etwa im Falle eines Verzichts auf das gemäß § 927 Abs. 2 BGB bestehende Aneignungsrecht und eines anschließenden Verzichts durch den Fiskus womöglich noch ein Bucheigentümer eingetragen ist, so daß es faktisch schwierig sein kann, das Grundbuchamt zu einer Eintragung durch bloße Antragstellung zu bewegen. 177 Diese könnten im Hinblick auf die Eigentumsübertragung an Grundstücken ebenso als „allgemein" bezeichnet werden. Der gerichtliche Vergleich vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit genügt der Form des § 925 Abs. 1 BGB, vgl. Palandt/Bassenge, § 925, Rn. 8. Die Sachverhaltsschilderung ist in dieser Beziehung nicht eindeutig. 178 Das gilt auch im Hinblick auf die Bedingungsfeindlichkeit entsprechend § 925 Abs. 2 BGB (so auch Staudinger/Pfeifer, § 928, Rn. 20; a.A. Wilhelm, Rn. 539 in Fn. 656). - Eine solche Übertragung kann auch schon vor dem Ausschlußurteil erfolgen; dieses ist lediglich Rechtsbedingung, nicht rechtsgeschäftliche Bedingung im Sinne von § 925 Abs. 2 BGB (vgl. MKIKanzleiter, § 927, Rn. 8; a.A. Staudinger/Pfeifer, § 928, Rn. 20). 179 Staudingerl Pfeifer, § 927, Rn. 21. Das gilt auch für den Fiskus, vgl. nur Müller, Rn. 988; BGHZ 108, 278; LG Hamburg, NJW 1966, 1715 (1716). Dies war früher umstritten (a. A. etwa H. Winter, 70; Grups, 41), kann aber jetzt als geklärt angesehen werden.

180 LG Hamburg, NJW 1966, 1715; offengelassen von BGHZ 108, 278 (281); a.A. Süß, 26 in Fn. 25; Wilhelm, Rn. 539. 181 Staudingerl Pfeifer, § 928, Rn. 21. 182 Vgl. BGHZ 108, 278; zust. Süß, 26, 31; StaudingerIPfeifer, § 928, Rn. 24; MKIKanzleiter, § 928, Rn. 9; Wieling, SR, § 23 III 3 b; Müller, Rn. 988; LG Hamburg, NJW 1966, 1715(1716). 183 S. soeben S. 148 f. 184 Wieling, SR, § 23 III 3 b. 185 MKI Kanzleiter, 2. Aufl., § 928, Rn. 9; Staudinger I Seufert, 11. Aufl., § 928, Rn. 9; Kretzschmar, § 928, Anm. II; Dehnick, 78.

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§ 9 Das Aufgebotsverfahren

Das ein Aufgebotsverfahren abschließende Ausschlußurteil schüfe, das ist der früheren h. M. zuzugeben, eindeutigere Verhältnisse. Des weiteren ist das Aneignungsrecht verpfändbar und pfändbar gemäß § 857 ZPO 1 8 6 ; es kann auch vererbt werden 187 .

V. Die Eintragung 1. Beim Erwerb nach § 927 Abs. 2 wie auch nach § 928 Abs. 2 S. 2 BGB fordert das Gesetz die Eintragung des Aneignungsberechtigten; sie ist für den Eigentumserwerb konstitutiv. Daraus folgt, daß der Eigentumserwerb keine Rückwirkung hat 1 8 8 . Eine erneute Eintragung des bereits eingetragenen Obsiegenden189 ist nicht erforderlich; sie wäre unnötiger Formalismus 190. Fortdauernder Eigenbesitz des nach § 927 BGB Obsiegenden ist nicht notwendig 191 ; jener ist auch nicht Voraussetzung des § 928 BGB. Da es sich beim Erwerb nach §§ 927, 928 BGB um einen originären Rechtserwerb handelt, ist § 892 BGB nicht anwendbar; gutgläubig lastenfreier Erwerb hinsichtlich zu Unrecht gelöschter beschränkter dinglicher Rechte ist also nicht möglich 192 . 2. Der Eintragungsantrag ist aufgrund des § 30 GBO in der Form des § 29 GBO zu stellen, weil es sich dabei nicht etwa nur um eine bloße Verfahrenshandlung, welche die Eintragungstätigkeit des Grundbuchamts auslösen soll, handelt 193 , sondern um einen gemischten Antrag, der neben der Verfahrenshandlung zugleich auch die für eine Eintragung erforderliche Erklärung des Aneignungsberechtigten, nämlich die materiellrechtliche Aneignungserklärung, ersetzen soll 1 9 4 . § 927 186 Dazu Staudinger ! Pfeifer, § 928, Rn. 20. 187 Wieling I, § 11 IV 3 b; Schulze, 179. 188 So RG, JW 1913, 204; Staudinger ! Pfeifer, § 927, Rn. 26; MK I Kanzleiter, § 927, Rn. 7; irrig Tiirckel Niederführ I Winter, § 927, Anm. 1. Diese Frage ist aber nicht mit der anderen zu verwechseln, ob nicht das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis bereits entsprechend auf den Aneignungsberechtigten anwendbar ist; dazu oben vor Fn. 156. 189 Dazu oben § 9 II 2 a dd. 190 Schilde, 82; Süß, 14; Staudinger / Pfeifer, § 927, Rn. 26. Es ist lediglich eine Frage der juristischen Konstruktion, ob man in einem solchen Fall von einer sog. Durchgangsherrenlosigkeit für eine juristische Sekunde ausgeht (so Süß, 17) oder einen sofortigen Eigentumserwerb annimmt (so Wolff I Raiser, § 62 II in Fn. 6). 191 Turnau/ Förster, § 927, Anm. IV (490). 192 Wolff!Raiser, § 62 III; MK/Kanzleiter, § 927, Rn. 7. 193 Sog. „reiner Antrag", der nicht unter § 30 GBO fällt (dazu Demharter, § 30, Rn. 3). 194 So bereits Prot. I, 3936 (Jakobs / Schubert, SR I, 574); Mot. III, 326; Planck/Strecker, § 927, Anm. 5 b; Predari, 375; Feldmann, 157 (Analogie zu § 22 Abs. 2 GBO); Oberneck, 590 f.; Biermann, § 927, Anm. 3; Goldmann ! Lilienthal, 344 in Fn. 21; Süß, 17; Erman! Hagen, § 927, Rn. 7; RGRK ! Augustin, § 927, Rn. 14; Staudinger ! Pfeifer, § 927, Rn. 24, 30; Demharter, § 30, Rn. 4 (für den Antrag eines Dritten nach Verzicht des Fiskus auf sein Aneignungsrecht); OLG Schleswig, JurBüro 1989,90.

V. Die Eintragung

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Abs. 2 BGB setzt zum Eigentumserwerb nämlich voraus, daß sich der Aneignungsberechtigte „eintragen läßt". Der Eintragungsantrag manifestiert folglich zugleich materiell den Aneignungswillen des Berechtigten; dieser könnte ebenso sein Aneignungsrecht übertragen, statt sich selbst eintragen zu lassen. Die Gegenauffassung 195 verweist zu Unrecht darauf, daß bereits in der Einleitung des Aufgebotsverfahrens der rechtsgeschäftliche Aneignungswille deutlich werde 196 ; diese gibt nur den Willen kund, das Aneignungsrecht, nicht denjenigen, das Eigentum zu erwerben 197 . Zudem spricht für die Erforderlichkeit der Form des § 29 GBO der Schutz des Grundbuchverkehrs, weil Mißbrauch bei formlosen Anträgen viel eher denkbar ist 1 9 8 . Der Eintragungsantrag ist daher als eine einseitige, amtsempfangsbedürftige Willenserklärung anzusehen199, die nicht fristgebunden ist 2 0 0 . Das Ausschlußurteil ist mit vorzulegen, ebenso das einen im Ausschlußurteil womöglich ausgesprochenen Vorbehalt kassierende Urteil. 3. Fraglich kann das Verhältnis von Ausschlußurteil und Eintragungen Dritter werden. Wird etwa noch vor Ergehen des Ausschlußurteils das Eigentum eines Dritten eingetragen, ist das Ausschlußurteil ihm gegenüber ohne Wirkung, § 927 Abs. 3 BGB. Der Obsiegende hat mit einer Feststellungsklage201 die Eintragung zu bekämpfen, anschließend kann er sich eintragen lassen. Sollte dennoch - ordnungswidrig - der Obsiegende eingetragen werden, so erwirbt dieser das Eigentum nur in dem Falle, daß der vor dem Ausschlußurteil Eingetragene nicht Eigentümer ist 2 0 2 . Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn ein Vorbehaltsurteil ergangen ist: Der Vorbehalt ist durch den Nachweis gegenüber dem Grundbuchamt zu beseitigen, daß das vorbehaltene Recht nicht besteht, entweder durch die Zustimmung des Betroffenen 203 oder durch ein sie ersetzendes Urteil 2 0 4 . Erfolgt ordnungswid195 MeikelllmhoflRiedel § 19, Rn. 48; Güthe ! Triebet, § 19, Rn. 137; Fuchs, § 927, Anm. 8; Turnau ! Förster, § 927, Anm. IV (490); Bendix, 185 f.; MK / Kanzleiter, § 927, Rn. 7; Palandt/Bassenge, § 927, Rn. 5; LG Aachen, MittRhNotK 1971,405 (410). 196 So Fuchs, § 927, Anm. 8. 197 Etwas anderes gilt nur für den bereits eingetragenen Antragsteller, der keine (neue) Eintragung mehr erreichen muß (dazu Staudinger ! Pfeifer, § 927, Rn. 26). 198 Darauf verweist das OLG Schleswig, JurBüro 1989, 90. 199 Planck! Strecker, § 927 Anm. 5 b; Staudinger ! Pfeifer, § 927, Rn. 24; Erman! Hagen, § 927, Rn. 7; a.A. Turnau!Förster, § 927, Anm. IV (490). zoo Turnau!Förster, § 927, Anm. IV (490); Predari, 375; Crome, 356 in Fn. 86. 201 Er kann auch nach § 894 BGB vorgehen: Der Obsiegende ist zwar dann nicht als aneignungsberechtigt anzusehen, wenn der Dritte wirklicher Eigentümer ist (und deshalb nicht durch das Urteil ausgeschlossen wurde); das festzustellen ist aber Sache des erst anzustrengenden Prozesses. Ist er wirklich Aneignungsberechtigter (und der Eingetragene nicht Eigentümer), steht ihm § 894 BGB zu Gebote (s. oben vor Fn. 145). Ex ante wird man dem Obsiegenden daher jedenfalls die Berichtigungsklage geben müssen (so auch Staudinger / Seufert, 11. Aufl., § 927, Anm. 5 d β). 202 So richtig Planck! Strecker, § 927, Anm. 5 b; Staudinger ! Seufert, 11. Aufl., § 927, Anm. 5 d ß. 203 Vgl. Müller, Rn. 1292.

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§ 9 Das Aufgebotsverfahren

rig205 eine Eintragung des nur unter Vorbehalt Obsiegenden, so wird er Eigentümer, wenn der Vorbehalt zu Unrecht ausgesprochen wurde 206 . Wird ein Eigentümer erst nach dem Ausschlußurteil im Grundbuch eingetragen, so ist, da das Ausschlußurteil jeden Eigentümer ausgeschlossen hat, nur der Obsiegende aneignungsberechtigt, weshalb ihm die Berichtigungsklage analog § 894 BGB zusteht 207 . Läßt er keinen Widerspruch zu seinen Gunsten eintragen, ist er allerdings ungeschützt gegenüber gutgläubigem Erwerb seitens Dritter, denen das Ausschlußurteil nicht bekannt ist 2 0 8 . Im Gegensatz zu diesen Fällen hindert die Eintragung eines Widerspruchs oder einer Vormerkung die Eintragung des Obsiegenden nicht 2 0 9 . Sowohl der Widerspruchs- als auch der Vormerkungsberechtigte kann sich auch nach einer Eintragung noch durchsetzen.

VI. Die aufgebotsfahigen Rechte Neben dem Alleineigentum sind reale Teilflächen eines Grundstücks ebenso aufbietbar wie Miteigentumsanteile210. Hinsichtlich letzterer war dies bis vor kurzem zu Recht allgemeine Meinung 211 ; seit die Rechtsprechung im Rahmen des § 928 BGB - vor allem bei Wohnungseigentum - Miteigentumsanteile für nicht derelinquierbar hält 2 1 2 , hat sich jedoch eine Schieflage ergeben: Die Fälle der §§ 927, 928 BGB müssen in der Frage der Miteigentumsanteile gleichbehandelt werden; dies hat auch der Gesetzgeber bereits so gesehen213. Die Rechtsprechung verweist darauf, daß sich bei freier Verzichtbarkeit auf den Miteigentumsanteil die Belastungen der gemeinschaftlich verbundenen Miteigentümer erhöhten, ohne daß ein Ausgleich etwa in Form eines Anwachsens des aufgegebenen Miteigentumsan-

204 Zu weitgehend Kretzschmar, § 927, Anm. 6, der die Eintragung des Obsiegenden trotz Vörbehaltsurteil stets für möglich erachtet. 205 Dazu etwa KG, OLG-Rspr. 15, 353 (354); RGZ 67,95 (100). 206 Staudingerl Pfeifer, § 927, Rn. 27; Wolff I Raiser, § 62 II. 207 Dazu oben vor Fn. 145. 208 Statt vieler Erman!Hagen, § 927, Rn. 10. 209 Biermann, § 927, Anm. 3; Planck ! Strecker, § 927, Anm. 5 b; Fuchs, § 927, Anm. 8 d; Staudinger ! Pfeifer, § 927, Rn. 27; a.A. Naendrup, Verjährung, 315. 210 S. oben § 9 II 1 b; Staudinger ! Pfeifer, § 927, Rn. 4. 211 Vgl. etwa nur Biermann, § 927, Anm. 4; Willenbücher, § 927, Anm. 4; Fuchs, § 927, Anm. 4 b; Schwiete, 278; Kretzschmar, § 927, Anm. 8; Turnaul Förster, § 927, Anm. IV (491); RGRKIAugustin, § 927, Rn. 2; Erman!Hagen, § 927, Rn. 11; MK/Kanzleiter, § 927, Rn. 3; AK/v. Schweinitz, § 927, Rn. 3. 212 BGH, NJW 1991, 2488 (2489); LG Konstanz, NJW-RR 1989, 1424; zust. Wilhelm, Rn. 82; abl. etwa Wieling, SR, § 23 III 3 a; Kanzleiter, 906 f. 213 Vgl. oben § 3 III 2 der Verweis der 1. Kommission in § 950 E I auf § 927 BGB; so auch Staudingerl Pfeifer, § 927, Rn. 4.

VI. Die aufgebotsfähigen Rechte

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teils zu ihren Gunsten stattfände; es bestehe nur die vom Gesetz vorgesehene Möglichkeit der Auflösung der Gemeinschaft, nämlich die Aufhebung nach § 749 Abs. 1 BGB. Die Auffassung der Rechtsprechung ist nur schwerlich mit dem Gesetz in Einklang zu bringen. Das Gesetz behandelt Allein- und Miteigentum gleich 214 . Zudem kann nach § 747 S. 1 BGB jeder Miteigentümer über seinen Anteil allein verfügen, auch der Verzicht auf ein Recht ist eine solche Verfügung 215. Der Gesetzgeber hat sich eindeutig im Sinne einer freien Verfügbarkeit des Miteigentumsanteils entschieden; die ursprüngliche Vorschrift des § 950 E I wurde zwar gestrichen, aber auch die 2. Kommission hat sich ihr inhaltlich angeschlossen216. Wenn man zudem das Aneignungsrecht (des Fiskus in § 928 BGB und des Obsiegenden in § 927 BGB) richtig auffaßt, so ist es nicht nur wie Eigentum zu schützen, sondern bringt auch die Belastungen eines solchen Eigentums von seiner Entstehung an mit sich. Die für § 927 BGB geäußerten Bedenken, der mit dem Ausschlußurteil Obsiegende könne etwa sein Aneignungsrecht „ruhen" lassen 217 , treffen daher nicht zu 2 1 8 . In dem Fall, daß es keinen Aneignungsberechtigten mehr gibt, weil auch der Fiskus auf eine Aneignung verzichtet hat, ergibt sich ebenfalls keine Benachteiligung der anderen Miteigentümer. Sie können sich in einem solchen Fall jederzeit den freien Miteigentumsanteil entsprechend § 958 Abs. 1 BGB 219

aneignen . Das Grundstückseigentum einer Gesamthandsgemeinschaft ist, auch wenn sie nicht als solche aus dem Grundbuch hervorgeht, ebenfalls aufgebotsfähig; es werden nämlich in diesem Fall sämtliche Gesamthänder ausgeschlossen220, so daß das ganze Grundstück herrenlos wird 2 2 1 . Anders ist die Rechtslage beim Aufgebot einzelner Gesamthandsanteile. Da hier im Gegensatz zum Miteigentum ein sachenrechtlich faßbarer Anteil nicht besteht, ist ein Aufgebot unzulässig222. Gebäudeeigentum ist nicht aufgebotsfähig 223, ebensowenig ein Erbbaurecht 224. 2" Vgl. nur §§ 1095, 1106, 1114 BGB. 215 v. Tuhr II /1, 264 f. 216 S. oben § 3 III 1 c und § 5 II 2. 217 Vgl. Staudinger/Pfeifer, § 927, Rn. 4. 218 Dazu oben § 9 I V 2. 219 Vgl. oben § 9 IV 3. Wird einem der anderen Miteigentümer die Belastung zu hoch, kann er seinen Anteil jederzeit derelinquieren. 220 Vgl. auch oben § 9 II 2 a ee, wonach der Antragsteller zunächst seinen eigenen Ausschluß betreiben muß, um das Grundstück insgesamt herrenlos zu machen. 221 Staudinger/Pfeifer, § 927, Rn. 5; Schwiete, 278. 222 Vgl. etwa Biermann, § 927, Anm. 4; Güthe / Triebet, § 19, Rn. 136; Erman/Hagen, § 927, Rn. 11; Staudinger/Pfeifer, § 927, Rh. 5; Siebeis, 466 f.; LG Aurich, NJW-RR 1994, 1170; OLG Bamberg, NJW 1966,1413; a.A. aber (ohne Begründung) MK/Kanzleiter, § 927, Rn. 3; Soergel/ Stürner, § 927, Rn. 1 ; LG Flensburg, SchlHATeil A 1962, 246 (247 - für eine Ottingsgemeinschaft wegen der dort bestehenden realen Aufteilung der einzelnen Anteile auf die Höfe). 223 Vgl. Art. 233 § 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB.

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§ 9 Das Aufgebotsverfahren

VII. Kritik Das Aufgebotsverfahren nach § 927 BGB ist in mehrfacher Hinsicht mißglückt. Von den durch die Redaktionskommission verursachten sprachlichen Unzulänglichkeiten in § 927 Abs. 1 S. 3 BGB war bereits die Rede 225 : Ein toter Eigentümer ist nicht mehr Eigentümer; der „Eigentümer" im Eingang des § 927 Abs. 1 S. 3 BGB kann unmöglich derselbe Eigentümer sein, auf den sich der Schluß des Satzes bezieht 226 . De lege ferenda empfiehlt sich eine redaktionelle Verbesserung 227 und die Aufnahme einer Neuregelung, weil § 927 Abs. 1 S. 3 BGB auch in sachlicher Hinsicht nicht überzeugen kann 2 2 8 . Die Voraussetzung, daß der als Eigentümer Eingetragene tot oder verschollen sein müsse, trägt in keiner Weise dem ursprünglich von den Kommissionen ins Auge gefaßten Hauptanwendungsfall des Aufgebotsverfahrens Rechnung. Die Kommissionen dachten vornehmlich an den Grundstückskäufer, dem das Grundstück zwar übergeben, aber nicht aufgelassen wurde. Das Ziel, in einem solchen Fall der Entstehung einer nuda proprietas - der schuldrechtliche Verschaffungsanspruch des Käufers ist nach dreißig Jahren verjährt, der Herausgabeanspruch des Verkäufers ist wegen des durch die Übergabe geschaffenen Besitzrechts des Käufers nicht durchsetzbar - Abhilfe zu schaffen, ist vollauf gerechtfertigt. Unverständlich ist allein, warum in einem solchen Fall der Verkäufer/Eigentümer gestorben oder verschollen sein muß. Anknüpfungspunkt für die gesetzliche Regelung war der Umstand, daß nach Ablauf der regelmäßigen Verjährungszeit die Parteien einander ohne durchsetzbaren Anspruch gegenüberstehen. Wenn, wie es der Gesetzgeber beabsichtigte, eine solche Situation - das Grundstück ist auf Dauer „ohne Herrn" und damit dem Rechtsverkehr entzogen - im öffentlichen Interesse behoben werden muß, ist nicht einsichtig, warum die weitere Voraussetzung des Todes oder der Verschollenheit des Eigentümers aufgestellt wurde. Aus demselben Grund ist auch der in § 927 Abs. 1 S. 3 BGB geforderte Ablauf einer Doppelfrist nicht richtig: Wenn sich nach dreißig Jahren Käufer und Verkäufer im gegenseitigen Patt befin224 Vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 ErbbVO; vor 1919 sprach sich die wohl h. M. für eine Aufgebotsmöglichkeit aus, vgl. nur Schilde, 82; Güthe/Triebel, § 19, Rn. 136. - Hinsichtlich des Aufgebots sogenannter grundstücksgleicher Rechte, etwa eines selbständigen Fischereirechts, vgl. AG Schwäbisch Hall, BWNotZ 1985,68. 225 s. oben § 5 III 1. 226 S. oben vor Fn. 102. 227 Sie wurde von Locher im Zuge der nationalsozialistischen Neugestaltung des Zivilrechts vorgeschlagen (184); vgl. auch die Formulierung Jacubezkys (oben § 5 III 1). Erstaunlich ist, daß in § 6 SchiffsRG von 1940 der § 927 BGB trotz seinen sprachlichen Mängeln wiederholt wird. - Im Rahmen der Vorarbeiten zur Vereinfachung des Grundbuchwesens ab 1938 schlug das Reichsjustizministerium eine erhebliche Vereinfachung des Aufgebotsverfahrens gemäß § 927 BGB vor; schließlich überließ man eine solche Neuregelung aber der anstehenden Reform des materiellen Rechts (vgl. Schubert, Grundbuchordnung, 66 mit Fn. 283). 228 s. dazu unten § 11 III 3.

V I I . Kritik

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den, ist keinem - insbesondere nicht dem öffentlichen Interesse am Prinzip der Grundbuchwahrheit - gedient, wenn zudem der Ablauf einer dreißigjährigen eintragungsfreien Zeit gefordert wird; der Eigentümer /Verkäufer mag etwa getrost vor zwanzig Jahren die Löschung einer für das Grundstück bestehenden Dienstbarkeit bewilligt haben, an der Situation der Parteien nach dreißig Jahren ändert sich hierdurch nichts. Man wird sogar einen Schritt weiter gehen müssen: Das bestehende Aufgebotsverfahren an sich ist in diesen Fällen nicht nur „umständlich und entbehrlich" 229 , sondern es konterkariert geradezu den Gesetzeszweck: Warum man dem Eigentümer, dem der Besitzer ein dauerhaftes Besitzrecht entgegenhalten kann, die Möglichkeit gewähren sollte, sein „Recht" im Aufgebot anzumelden und damit die im öffentlichen Interesse gebotene Auflösung des dominium sine re zu verhindern, ist nicht einleuchtend. Hier war der Gesetzgeber einerseits zu sehr dem preußischen Vorbild verhaftet 230 und andererseits zu sehr darauf bedacht, Eigentumsrechte nicht zu kränken 231 . Nicht bewußt war ihm offenkundig, daß in seinem Hauptanwendungsfall das Eigentumsrecht auf Dauer inhaltsleer und daher nicht schutzwürdig ist 2 3 2 . Auch im Falle der Vindikationsverjährung gilt nichts anderes 233. Vollends unsinnig ist das bisher vorgesehene Aufgebotsverfahren jedoch deshalb, weil es dem Eigentümer zwar die Möglichkeit gewährt, sein „Recht" geltend zu machen, ihm - und dem Rechtsverkehr - aber gleichzeitig keinen Weg weist, auf dem das eingetretene Patt behoben werden könnte: Läßt man die Anmeldung des Rechts in den Fällen der Vindikationsverjährung oder der exceptio rei venditae et traditae zu, ist der „Eigentümer" seinem Eigentum keinen Schritt näher als zuvor; der Besitzer behält sein aus der Verjährungseinrede oder der Übergabe stammendes Besitzrecht, und der „Eigentümer" hat nicht mehr in Händen als vor seiner Anmeldung. Das im öffentlichen Interesse zu vermeidende (oder aufzulösende) Patt besteht fort. In diesen Fällen empfiehlt sich daher eine Ersitzungskonstruktion, die das Grundstück endlich wieder sicher „unter einen Herrn" bringt 234 .

229 Süß, 19; Hofmeister , 337. 230 S. oben § 3 III pr. 231 232 233 234

So zu Recht auch Hofmeister , 336. s. unten § 10 III. S. unten § 10 II, IV. Vgl. auch Süß, 19; Hofmeister , 337; dazu insgesamt unten § 11 III.

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§ 10 Das dominium sine re: Probleme und Restwirksamkeit

§ 10 Das dominium sine re: Probleme und vermeintliche Restwirksamkeit I. Einführung Ein dominium sine re ist ein Eigentum, das, wie zu zeigen sein wird, für den Eigentümer dauerhaft ohne jeden Vorteil ist, es ist ein „nacktes" Eigentum, eine nuda proprietas l. Die Entscheidung des Gesetzgebers, den dinglichen Herausgabeanspruch in der regelmäßigen Frist verjähren zu lassen, ohne in jedem Fall eine entsprechende Ersitzung zu ermöglichen, und damit eine nuda proprietas zu begünstigen, ist bereits im Gesetzgebungsprozeß harsch kritisiert worden 2. Bei Mobilien kann es vor allem dann zu einem dominium sine re kommen, wenn der Herausgabeanspruch des Eigentümers gegenüber dem Eigenbesitzer verjährt ist, dieser jedoch wegen § 937 BGB nicht hat ersitzen können. In einem solchen Fall gehen die einen von einem für den Eigentümer realisierbaren Restwert seines „nackten" Eigentums aus3, während die anderen einen solchen leugnen und bestrebt sind, die Sache dem Rechtsverkehr durch Annahme einer (außerordentlichen) Ersitzung wieder zuzuführen 4. Im Grundstücksrecht stellt sich die Lage meist komplizierter dar, weil wegen § 902 BGB eine Veijährung des Herausgabeanspruchs in aller Regel nur bei Beteiligung dreier Personen möglich ist, eines nicht eingetragenen Eigentümers, eines Bucheigentümers und eines Besitzers5. Es ist aber auch ein Zweipersonenverhältnis denkbar, wenn nämlich der Besitzer gegenüber dem ursprünglich nicht eingetragenen Eigentümer die Einrede der Verjährung erhebt, der Bucheigentümer dem Eigentümer aber die Eintragung bewilligt 6 oder diesem der urkundliche Nachweis seines Eigentums gemäß § 22 GBO gelingt, etwa durch Vorlage eines neuen Erbscheins; dann stehen sich eingetragener Eigentümer und Besitzer gegenüber7. Möglich ist überdies, daß die Voraussetzungen des § 900 BGB noch nicht vorliegen, aber die Vindikation verjährt ist, da der Besitzer seit dreißig Jahren Eigenbesitzer ist und selbst zunächst nicht eingetragen war 8. Eine nuda pro1 S. vor allem Wieling, proprietas, 2519, und zur Verwendung des Begriffs bei den Römern oben die Einleitung. 2 Vgl. oben § 41. 3 Staudinger/ Peters, § 194, Rn. 19; Plambeck, 232 und passim. 4 Vgl. unten § 11 I; Flume , Einrede, 342; MK/Medicus, § 985, Rn. 25; § 986, Rn. 7; Wieling, proprietas, 2526 ff.; im Gesetzgebungsverfahren plädierte hierfür schon Jacubezky (oben § 6, 3). 5 Ist der Besitzer Fremdbesitzer, so darf er nicht für den Bucheigentümer besitzen, da dieser sonst als mittelbarer Eigenbesitzer nach § 900 BGB ersitzen kann. 6 Er also von seiner entgegen § 898 BGB möglichen Verjährungseinrede keinen Gebrauch macht, vgl. oben § 7 II. 7 Daß sich ein besitzender Eigentümer und ein Bucheigentümer gegenüberstehen, etwa weil der Besitzer trotz der Vindikationsverjährung eine Einrede nicht erhoben hat, ist kein Fall des dominium sine re. Dann ist dem Bucheigentümer nämlich die Verjährungseinrede nicht zu gestatten, vgl. oben § 7 II 5.

I. Einführung

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prietas kann schließlich entstehen, wenn der schuldrechtliche Verschaffungsanspruch des Besitzers verjährt ist 9 , er aber zugleich die exceptio rei venditae et traditele geltend machen kann: Nach gefestigter Rechtsprechung entfällt auch nach Veijährung des Verschaffungsanspruchs das Besitzrecht des Käufers nicht 10 . Vor der Veijährung des schuldrechtlichen Verschaffungsanspruchs hat der Besitzer zwar ebenfalls ein dauerhaftes Besitzrecht; er kann jedoch auf Auflassung klagen; ein unauflösliches dominium sine re ist daher noch nicht entstanden. Das Gesetz löst das dominium sine re nur dann mit einer Tabularersitzung gemäß § 900 Abs. 1 BGB auf, wenn der Besitzer dreißigjährigen Eigenbesitz und eine ebensolange Eintragung vorzuweisen hat; ansonsten besteht für den Eigenbesitzer nur unter den engen Voraussetzungen des § 927 BGB die Möglichkeit eines Aufgebotsverfahrens 11, in dem sich der Eigentümer aber jederzeit melden und somit die Behebung der unbefriedigenden Rechtslage verhindern kann 12 . In den genannten Fällen fallen Besitz und Eigentum und evtl. Verfügungsbefugnis dauerhaft auseinander, ohne daß einer der Beteiligten sich gegenüber einem anderen durchsetzen könnte. Im Folgenden soll die Restwirksamkeit einer nuda proprietas im Grundstücksrecht näher untersucht werden, wobei weitestgehend juristisches Neuland betreten werden muß und die Überlegungen und „Lösungen" nur vorläufigen Charakter haben können. Die Ausführungen suchen, die Rechtsbeziehungen zwischen Eigentümer und Besitzer umfassend nach dem Buchstaben des Gesetzes darzustellen; sie stehen jedoch unter dem Vorbehalt einer Korrektur durch eine berichtigende Gesetzesanwendung, die in § 11 erfolgt.

Exkurs: Die Verjährung von dinglichem und obligatorischem Herausgabeanspruch Zweifelhaft ist die Rechtslage, wenn der vertragliche Herausgabeanspruch des (eingetragenen!) Vermieters oder Verpächters nach §§ 556 Abs. 1, 581 Abs. 2, 596 Abs. 1 BGB dreißig Jahre nach Beendigung des Mietverhältnisses oder der berei» Auch der Eigentümer darf in dieser Zeit nicht eingetragen gewesen sein, anderenfalls seine Vindikation nicht verjährt wäre (vgl. § 902 BGB). 9 Die Verjährung des Verschaffungsanspruchs wird auch durch Eintragung einer Auflassungsvormerkung nicht gehindert; § 902 BGB ist nicht anwendbar (vgl. David/ Hirsch, 38; Assmann, 456; oben die 2. Kommission, § 5 12). 10 RGZ 138, 296 (298); 144, 378 (381 f.); BGHZ 90, 269 (270); zust. Staudinger ! Gursky, § 986, Rn. 14. 11 Im Falle des § 927 Abs. 1 S. 3 BGB - Eintragung des Gesamtrechtsvorgängers des Eigentümers als Eigentümer - besteht freilich in Wirklichkeit kein dominium sine re (vom Fall des gekauften und übergebenen Grundstücks abgesehen), weil dem nicht eingetragenen Erben § 902 BGB zur Seite steht (s. oben § 7 I 2) und er die Herausgabe des Grundstücks vom Eigenbesitzer verlangen kann. 12 Zur Kritik an der Vorschrift oben § 9 VII.

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§ 10 Das dominium sine re: Probleme und Restwirksamkeit

cherungsrechtliche Herausgabeanspruch bei unwirksamem Mietvertrag verjährt ist 1 3 . Wendete man diese Frist auch auf den gemäß § 902 Abs. 1 BGB an sich unverjährbaren Herausgabeanspruch des Eigentümers / Vermieters an 14 , entstünde ebenfalls ein dominium sine re im Zweipersonen Verhältnis 15. Das Problem wird selbst in speziellen Untersuchungen zur Frage der Anspruchskonkurrenz in seiner Tragweite verkannt 16. Die Anhänger der herrschenden Lehre von der Anspruchskonkurrenz lassen Ansprüche - auch bei der Konkurrenz von vertraglichem und dinglichem Herausgabeanspruch 17 - selbständig nebeneinander bestehen, mit der Folge, daß jeder Anspruch nach seinen eigenen Regeln verjährt 18 . Das führt dazu, daß in aller Regel die längere Verjährungsfrist gilt 1 9 , hier also, daß der Eigentümer/Vermieter auch noch nach dreißig Jahren seinen unverjährten Eigentumsanspruch geltend machen kann. Indessen ist auch die h. M. zu gewissen Einschränkungen gezwungen, etwa zu derjenigen, daß sich stets die speziellen kurzen Verjährungsfristen durchsetzen, also z. B. die sechsmonatige Verjährung des § 558 BGB gegenüber deliktischen Ansprüchen 20 oder die kurze Verjährung des Wegnahmerechts in § 547 a BGB gegenüber der Vindikation 21 . Begründet wird dies damit, daß die kurzen Verjährungsfristen ansonsten leerliefen, weil in aller Regel andere, längerfristig verjährende Ansprüche konkurrierten 22. Auf die dreißigjährige Verjährungsfrist des vertraglichen oder bereicherungsrechtlichen Rückgabeanspruchs trifft diese Überlegung jedoch nicht zu. Die Verjährung nach §§ 556, 195 oder §§ 812, 195 BGB ist die allgemeine Verjährung aller Ansprüche; sie ist nicht spezieller als die Unverjährbarkeit nach §§ 985, 902 BGB, sondern im Gegenteil allgemeiner; denn die in § 902 BGB angeordnete Unverjährbarkeit ist ein Ausnahmefall zu §§ 194 f. BGB. Gemäß der Lehre von der Anspruchskonkurrenz dürfte in unserem Fall also eine Ausnahme von der Regel der selbständigen Verjährung jedes Anspruchs nicht gemacht werden 23. Auch die Lehre von der Anspruchsnor13 § 195 BGB gilt in beiden Fällen. 14 Eine solche Kollision setzt notwendig voraus, daß man mit der h. M. den dinglichen und vertraglichen Herausgabeanspruch miteinander konkurrieren läßt; demgegenüber für die ausschließliche Anwendbarkeit des spezielleren vertraglichen Herausgabeanspruchs Raiser , Eigentumsanspruch, 139; Wolff ! Raiser, § 841 2; Wieling I, § 12 I 3 b m. w. Nachw. (auch im Hinblick auf den bereicherungsrechtlichen Herausgabeanspruch). 15 Es ist daher entgegen BGHZ 65, 86 (88) nicht „belanglos", ob man § 985 oder § 556 BGB anwendet. In Fällen der langfristigen Landpacht etwa erhält die Frage bei unwirksamem Vertragsschluß erhebliche Bedeutung. 16 Vgl. nur Georgiades, 95, 233, der die praktische Bedeutung dieses Konkurrenzfalls für nicht groß hält, weil beide Ansprüche in derselben Zeit, nämlich gemäß § 195 BGB, veijährten. Dies berücksichtigt nicht die Wirkung des § 902 BGB. 17 Dazu DietZy 181 ff.

ι» Ebd. 19 Georgiades, 188. 20 Dietz, 147 m. w. Nachw. 21 BGH, NJW 1987, 2861; dazu kritisch Eckert, Verjährung, 135. 22 Gegen dieses Argument Dietz, 146 ff.

II. Die Restwirksamkeit des dominium sine re nach Verjährung der Vindikation

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menkonkurrenz führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn ihre Vertreter nehmen in Abweichung von ihrer sonst vertretenen Ansicht im Falle des Zusammentreffens von obligatorischem und dinglichem Herausgabeanspruch gerade keinen einheitlichen, nur mehrfach begründeten Anspruch an, sondern belassen es bei einer Anspruchskonkurrenz, da die Annahme einer Anspruchsnormenkonkurrenz die „funktionelle Eigenart des dinglichen Anspruchs" als eines Rechtsverwirklichungsanspruchs verkenne 24. Im Ergebnis bleibt es daher bei der in § 902 BGB angeordneten Unverjährbarkeit des Herausgabeanspruchs, gleich, ob er mit einem vertraglichen oder bereicherungsrechtlichen Rückgabeanspruch konkurriert 25. Eine nuda proprietas kann folglich nur entstehen, wenn der Eigentümer/Vermieter nicht eingetragen ist; es liegt damit in der hier diskutierten Variante kein weiterer Fall eines dominium sine re nach Verjährung der Vindikation vor.

II. Die Restwirksamkeit des dominium sine re nach Verjährung der Vindikation 7. Die Rechtsstellung des Besitzers a) Herausgabeansprüche aa) Umstritten ist, ob der Besitzer von der Vindikationsverjährung an ein Besitzrecht im Sinne von § 986 Abs. 1 BGB hat. Die Rechtsprechung müßte die Frage konsequenterweise bejahen. In dem vergleichbaren Fall, daß der Mieter seinen dinglichen Anspruch auf Gestattung der Wegnahme von Einrichtungen nach § 547 a BGB hat verjähren lassen (§ 558 Abs. 1 BGB), nimmt der Bundesgerichtshof ein dauerhaftes Besitzrecht des Vermieters ab Veijährungseintritt an 26 . Auch die wohl h. L. geht, sofern sie überhaupt zu der Frage Stellung bezieht, von einem Besitzrecht aus 27 . Diese Annahme ist zutreffend. Von der Verjährung an ist die Nutzung 23 Vgl. auch Palandt/Heinrichs, § 194, Rn. 8, mit Hinweis auf BGH, LM § 989 Nr. 2; Lent , 292 f. 24 Georgiades, 222, 232; Larenz/Wolf, § 18, Rn. 41; weiters verweist Georgiades, 232, darauf, daß sich obligatorischer und dinglicher Herausgabeanspruch auch inhaltlich unterscheiden: Jener gehe auf Verschaffung der Sache (evtl. mit Rückschaffung an ihren früheren Ort), dieser nur auf Auskehrung der Sache, wo sie sich befindet. Bei Grundstücken dürfte der Unterschied jedoch nur theoretischer Natur sein. 25 So wohl auch Larenzt Wolf, § 18, Rn. 41, Staudinger/Peters, § 194, Rn. 31. 26 BGHZ 81, 146 (151); BGH, NJW 1987, 2861 (2862); zust. Emmerich, in: Emmerich/ Sonnenschein, § 547 a, Rn. 5; auch Plambeck, 158, räumt die Vergleichbarkeit der Fälle ein: Der Mieter ist Eigentümer der Einrichtungen geblieben (§ 95 BGB), an die Stelle seiner Vindikation tritt das dinglich wirkende Wegnahmerecht. 27 Planck/Knoke, § 221, Anm. 2 c (553); Soergel/Niedenßhr, § 221, Rn. 4; Staudingerl Going, 11. Aufl., § 221, Rn. 6; Staudinger ! Dilcher, 12. Aufl., § 221, Rn. 7; Wieling, proprietas, 2527; Eckert, Verjährung, 135; StaudingerI Gursky, § 985, Rn. 91; a.A. Henckel, 130; Plambeck, 157 ff. 11 Finkenauer

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des Grundstücks dem Besitzer auf Dauer zugewiesen, er darf zumindest ab diesem Zeitpunkt die Nutzungen behalten28. Könnte der Eigentümer Nutzungsherausgabe verlangen, wäre die durch das Institut der Verjährung angestrebte Rechtsbefriedung nicht möglich. Man wird, um dieses Ergebnis rechtskonstruktiv zu begründen, vom Veijährungseintritt an eine Vindikationslage verneinen müssen29, was nichts anderes heißt, als dem Besitzer ein Recht zum Besitz gemäß § 986 Abs. 1 BGB zuzugestehen30. Dem steht nicht entgegen, daß die Veijährung nur aufgrund einer Einrede berücksichtigt wird und das Recht zum Besitz im Sinne von § 986 Abs. 1 BGB nach zutreffender Lehre eine Einwendung begründet 31. Es gilt nämlich zu unterscheiden: Solange die Verjährung vom Besitzer nicht geltend gemacht ist, hat er - im Unterschied zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - kein Besitzrecht. Erst die Erhebung der Einrede führt zu einer das Recht des Eigentümers ausschließenden Einwendung32. Das Besitzrecht des Besitzers widerspricht auch nicht der Wertung des § 222 Abs. 2 BGB 3 3 : Übergibt der Besitzer dem Eigentümer nach Veijährungseintritt, aber ohne entsprechende Einrede, das Grundstück, kann er es nicht mehr zurückfordern 34. Hat er aber die Verjährungseinrede erhoben, wird er dem Eigentümer das Grundstück kaum übergeben, so daß eine Kollision mit §§ 222 Abs. 2, 813 Abs. 1 BGB nicht möglich ist. bb) Wenn der Besitzer gegenüber dem Eigentümer die Einrede der Verjährung erheben kann, so gilt dies auch für den Rechtsnachfolger des Besitzers, § 221 BGB. Kann sich der Besitznachfolger gemäß § 221 BGB die bereits verstrichene Veijährungszeit des Vorgängers anrechnen lassen (accessio temporis), so muß § 221 BGB erst recht bei eingetretener Veijährung Anwendung finden 35 . Der Begriff „Rechtsnachfolge" ist weit auszulegen, es bedarf folglich keines wirksamen Rechtsgeschäfts. Entscheidend ist allein, ob der frühere Besitzer das Grundstück dem neuen Besitzer willentlich überlassen hat 36 . cc) Oft wird der Fall angeführt, daß der Eigentümer, der sich nach Verjährung seiner Vindikation die Sache gewaltsam verschaffe, nach Rückgabe derselben an 28 BGH, NJW 1987, 2861 (2862); StaudingerI Gursky, § 985, Rn. 91; Eckert, Verjährung, 135 f. Zu den vorher gezogenen Nutzungen s. unten § 10 II 1 b aa. 29 So richtig Staudinger /Gursky, § 985, Rn. 91. 30 Zum Eigentumserwerb nach § 953 BGB vgl. unten § 10 II 1 b. Der hier vorgeschlagene Begründungsweg hat den Vorteil, daß man § 224 BGB nicht über seinen Wortlaut hinaus auf die nach der Verjährung gezogenen Nutzungen ausdehnen muß (so aber Plambeck, 158). 31 Dazu Wieling I, § 121 3 a m. w. Nachw. 52 Vgl. auch Wilhelm, Rn. 597. 33

So aber Plambeck, 157. Vgl. unten vor Fn. 188. 35 Staudinger/ Gursky, § 985, Rn. 87; Eckert, Verjährung, 135; Finkenauer, Rechtsnachfolge, 243 mit Fn. 10. 36 Jauernig / Jauernig, § 221, Rn. 1. Von einer Rechtsnachfolge kann beim Besitzübergang eigentlich nicht gesprochen werden, vgl. dazu Oertmann, Beiträge, 87 f.; Planck!Knoke, § 221, Anm. 2 (552); Finkenauer, Rechtsnachfolge, 243. 34

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den possessorisch geschützten Besitzer einen neuen, nicht verjährten Herausgabeanspruch gegen diesen erhalte 37. Der Fall soll illustrieren, wie der Eigentümer die Veijährungseinrede des Besitzers umgehen kann. Nach richtiger Auffassung darf man den gewaltsam vorgehenden Eigentümer jedoch nicht derart privilegieren; eine erneute Vindikationslage ist abzulehnen: Der verbotene Eigenmacht verübende Eigentümer muß dem früheren Besitzer nur deshalb den Besitz zurückgewähren, weil dieser schon zuvor Besitz hatte. Der possessorische Besitzschutz knüpft mithin an die frühere (verjährte) Vindikation und somit an den ersten vom Besitzer begangenen Eingriff an; es besteht kein Grund, nach der Rückgabe einen neuen, unverjährten Herausgabeanspruch anzunehmen38. dd) Bedeutsam wird die Frage nach dem Schutz des Besitzers bei einem Wechsel auf Eigentümerseite. Das Gesetz regelt diese Frage nicht; § 986 Abs. 2 BGB bezieht sich auf Mobilien. Wäre § 404 BGB gemäß § 413 BGB generell auf die Rechtsnachfolge ins Eigentum anwendbar, so wären die speziellen Vorschriften in §§ 571, 579, 581 Abs. 2, 986 Abs. 2 BGB überflüssig 39. Dennoch muß man - in Übereinstimmung mit den Gesetzesmaterialien - von der Bestandskraft der Verjährungseinrede auch gegenüber dem Rechtsnachfolger des Eigentümers ausgehen40. Der Redaktor Gebhard bemerkte bei der Begründung seines § 193 TE eines Allgemeinen Teils 41 , der dem heutigen § 221 BGB entspricht, daß eine durch Einzeloder Gesamtrechtsnachfolge herbeigeführte Änderung in der Person des Verpflichteten oder Berechtigten das Wesen des Anspruchs nicht berühre und eine bereits begonnene Veijährung ihren Lauf fortsetze 42. Da bei einem Wechsel des dinglich 37 v. Tuhr I I / 2 , 538; Henckel, 130; Müller, Rn. 455. 38 Richtig Heck, § 32, 4; Staudingerl Gursky, § 985, Rn. 88; Plambeck, 224. - Der Sperrung des Herausgabeanspruchs gemäß § 242 BGB in dem dargelegten Fall, die von Plambeck, 223, und StaudingerI Gursky, § 985, Rn. 88, als Abhilfe vorgeschlagen wird, begegnen grundsätzliche Bedenken, s. unten § 12 V. 39 Vgl. Oertmann, Beiträge, 74. 40

Die Rechtsprechung des BGH (Z 90, 269), der nach Verjährung des Anspruchs auf Übereignung vermittels analoger Anwendung des früheren § 419 Abs. 1 BGB vom Bestand der sonst nur relativ wirkenden exceptio rei venditae et traditae auch gegenüber dem im Wege der vorweggenommenen Erbfolge in das Eigentum Sukzedierenden ausgeht, hilft in der notwendigen Allgemeinheit nicht weiter. Der Hinweis Wolffs , Recht zum Besitz, 12 f., daß im Liegenschaftsrecht wegen der Einschränkung des § 986 Abs. 2 BGB auf Mobilien nur solche obligatorischen Rechte gegen den neuen Eigentümer geschützt seien, die durch eine Vormerkung gesichert seien, trifft in der Regel zwar zu. Im Hinblick auf die (nicht vormerkbare) Verjährungseinrede, die zudem nicht „schuldrechtlicher" Natur ist, ist die Ansicht jedoch nicht weiterführend. 41 Entspricht § 32 TE, 3. Titel des 2. Abschnitts, vgl. Gebhard, AT, 388 (Zählung des Hrsg.). 42 Hinsichtlich eines Wechsels des Berechtigten spricht Gebhard ausdrücklich nur vom Zessionar, der die gegen den Zedenten verstrichene Verjährungszeit gegen sich gelten lassen müsse, was aber nicht unbedingt eine Einschränkung auf die Forderungsabtretung bedeutet. Nach damals h. M. konnte auch die Vindikation abgetreten werden. In den Motiven (vgl. Mot. I, 340 [Mugdan I, 539]), die sich Gebhards Ausführungen anschließen, wird allgemein nur noch von dem sich aus einer „Übertragung ergebenden neuen Gläubiger" gesprochen.

11*

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Verpflichteten ein neuer Anspruch des Berechtigten entstehe43, gestattete Gebhard in § 193 TE ausdrücklich die gemeinrechtliche accessio temporis 44. Hieraus läßt sich nur schließen, daß Gebhard von einer Anspruchsidentität beim Wechsel des Berechtigten ausging und deshalb für diesen Fall eine besondere Vorschrift für überflüssig hielt 45 . Die Frage, ob überhaupt ein neuer Anspruch in der Person des Berechtigten beim Wechsel des dinglich Verpflichteten entsteht, war in der 1. Kommission übrigens umstritten 46; sie wurde aber offengelassen, weil eine Anrechnung der bereits verstrichenen Verjährungsfristen selbst in dem Fall, daß man von einem neuen Anspruch ausgehen müsse, wegen der von der Kommission anerkannten Verjährbarkeit der dinglichen Ansprüche erfolgen müsse47. An anderer Stelle machte der Gesetzgeber ebenfalls deutlich, daß er von einer Anrechenbarkeit ausging: Ein Eigentümer, der ein Grundstück veräußere, das ein durch die Verjährungseinrede geschützter Besitzer innehabe, mache sich eines Betrugs schuldig 4 8 ; das stimmt aber nur, wenn der Erwerber eine neue Vindikation gegen den Besitzer nicht hat und damit Geld für ein Grundstück zahlt, das er nicht nutzen kann 49 . Entscheidend ist die Feststellung der Kommission, daß ungeachtet der Rechtskonstruktion des dinglichen Anspruchs beim Wechsel in der Person des Verpflichteten sowie des Berechtigten das Institut der Verjährung dazu zwinge, die in dieselbe Rechtsposition Nachfolgenden zu einer verjährungsrechtlichen Einheit zusammenzufassen. Die Kommission ging aber noch einen Schritt weiter: Sie gab im Grunde das Erfordernis der „Rechtsnachfolge" bereits in den Motiven wieder auf. Trotz Unanwendbarkeit des § 221 BGB gestattete sie die Anrechnung der Veijährungszeiten nämlich in dem Fall, daß der Besitz wieder in die Hand des veräußernden Besitzers zurückgelangt (etwa durch Anfechtung, Rücktritt, Eintritt einer auflösenden Bedingung), also gerade keine „Rechtsnachfolge" zwischen Veräußerer und Erwerber im Sinne des § 221 BGB vorliegt 50 . Damit wird letztlich anerkannt, daß die Anrechnung der Verjährungsfrist nicht schlechthin von einer „Rechtsnachfolge" abhängig ist; entscheidend ist vielmehr die Verjährbarkeit der dinglichen Ansprüche, ungeachtet der sich aus dem Begriff der „Rechtsnachfolge" ergebenden Bedenken.

43 Offenbar behauptet Gebhard dies in einem gewissen Widerspruch zu seinen dargelegten, unmittelbar vorhergehenden Ausführungen. Wie auch die 1. Kommission insgesamt (dazu sogleich) scheint sich Gebhard in der Frage nicht schlüssig gewesen zu sein; am Schutz des Besitzers hatten aber beide keine Zweifel. " Gebhard, AT, 388 (Zählung des Hrsg.). κ v. Tuhr I I / 1 , 60 in Fn. 7; Staudinger ! Gursky, § 985, Rn. 89; Gursky, SR, 41. 46 S. Prot. II bei Jakobs / Schubert, AT, 1043. 47 Vgl. Mot. I, 341 CMugdan 1,540).

48 Prot. II, Bd. 3, 105. 49 A. A. Rosenberg, § 898, Anm. 2 b (477), der von einer neuen Vindikation des Erwerbers ausgeht (so offenbar auch Heck, § 45, 3) und gegen die Materialien einen Betrug ablehnt. 50 Mot. I, 341 (Mugdan I, 540); abl. Schetter, 50.

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Bis heute hat sich hinsichtlich des Wechsels des Berechtigten keine der beiden Auffassungen - Entstehung einer neuen oder Identität der Vindikation - durchgesetzt. Da die Rechtskonstruktion keineswegs apriorisch festliegt und gleichsam durch gründliches Nachdenken eruiert werden kann, wird die jeweilige Position nur vertreten, um zu dem gewünschten Ergebnis in der Frage der Veijährung zu gelangen: Anspruchsidentität führt zu einer Aufrechterhaltung der Veijährungseinrede des Besitzers 51, Anspruchsverschiedenheit zum Gegenteil52. In Wahrheit wird hier die Begründung durch eine nicht weiter beweisbare Behauptung ersetzt. Zwar läßt sich gegen die Annahme einer Identität der Vindikationen z. B. das gewichtige Argument ins Feld führen, daß die persönliche Gestattung einer Einwirkung durch den Gestörten seinen Rechtsnachfolger nicht daran hindert, die Beseitigung der Störung nach § 1004 BGB zu verlangen 53. Und der Satz, daß dem Rechtsnachfolger alle Einreden entgegengehalten werden können, ist gemäß § 404 BGB lediglich für das Recht der Forderungsabtretung ausgesprochen, weshalb z. T. zwar eine Identität der Vindikationen angenommen wird, aber dennoch nicht alle Einreden gegeben werden 54. Die Frage kann und muß indessen offen bleiben. Selbst wer eine Neuentstehung der Vindikation bei Übergang des Eigentums auf den Rechtsnachfolger annimmt 55 , ist nicht gezwungen, dem Besitzer die gegen den Rechtsvorgänger erworbene Veijährungseinrede zu nehmen56. Maßgeblich ist, wie schon der Gesetzgeber zum Ausdruck brachte 57, die Entscheidung für die Verjährbarkeit der dinglichen Ansprüche. Daß die Rechtskonstruktion nicht von Bedeutung sein kann und allenfalls vom zu konstruierenden Ergebnis abhängig zu machen ist 5 8 , zeigt sehr deutlich der Fall des Erwerbs vom Nichtberechtigten nach § 892 BGB. Wie noch zu zeigen sein wird, ist auch hier zwingend die Verjährungseinrede des Besitzers aufrechtzuerhalten 59. Dies wird man aber kaum mit dem Hinweis auf eine „Rechtsnachfolge" des gutgläubigen Erwerbers oder auf die Identität seiner Vindikation mit der des Alteigentümers tun können. Für die Möglichkeit des Besitzers, auch dem Rechtsnachfolger des Eigentümers die Verjährungseinrede entgegenzuhalten, spricht namentlich der Zweck des Verjährungsinstituts 60. Nach einer gewissen Zeit - viele halten die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB ohnehin für zu lang - soll der Verpflichtete sich be51 Vgl. etwa v. Tuhr I I / 1 , 60; BGH, JZ 1973, 558 (559), gegen die Auffassung der Vorinstanz; BGHZ 125,57 (65). 52 Vgl. Rosenberg, § 898, Anm. 2 b (477). 53 BGH, NJW 1973, 508 f.; Picker, 359; Wieling, SR, § 23 IV 1 a aa; a.A. Raape, Gebrauchs- und Besitzüberlassung, 121. 54 v. Tuhr II /1,60 in Fn. 6. 55 Insoweit etwa Oertmann, Beiträge, 74; Raape, Gebrauchs- und Besitzüberlassung, 122; MK/Medicus, Vor § 985, Rn. 5; Baur, 561; Picker, 359; Plambeck, 134 f. 56 So auch Picker, 359; Gursky, SR, 41; Plambeck, 135. 57 S. oben nach Fn. 50. 58 So auch Staudinger I Gursky, § 985, Rn. 89: Allein das sachgerechte Ergebnis zählt. 59 Vgl. sogleich unter ee.

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haupten dürfen, der Besitzer in seinem Besitz ungestört bleiben. Dieser Zweck würde aber erheblich beeinträchtigt, sähe sich der Besitzer bei der Eigentumsübertragung einer neuen Vindikation ausgesetzt. Er könnte dem neuen Eigentümer weder die bereits verstrichene Verjährungszeit noch eine bereits erworbene Veijährungseinrede entgegenhalten. Die Veijährung der dinglichen Ansprüche würde so im Extremfall bis zu ihrer tatsächlichen Unverjährbarkeit hinausgeschoben. Besonders gravierend ist, daß sich der Besitzer in seinem Besitz niemals „sicher" fühlen könnte - was aber der Hauptzweck einer jeden Veijährung ist. Schließlich aber könnte der Eigentümer auf diese Weise jederzeit sein Eigentum am Grundstück verwerten, und zwar zum vollen Wert. Wenn der Erwerber eine neue Vindikation erhielte, hätte das Grundstück für ihn einen Wert, den es für den Alteigentümer nicht hatte. Insbesondere bestünde die Gefahr von Umgehungsgeschäften; der Eigentümer hätte es in der Hand, durch Übertragung und Rückübertragung des Eigentums am Grundstück die Wirkungen der Verjährung auszuhebein61. Das auch im öffentlichen Interesse geschaffene Institut der Verjährung hinge vollständig von der Willkür des Eigentümers ab. Mit der heute h. M . 6 2 ist daher davon auszugehen, daß der Besitzer seine Veijährungseinrede gegenüber dem Erwerber behält. Dieses Ergebnis ist auch deshalb nicht unbillig, weil der Erwerber sich an seinen Vertragspartner, den veräußernden Eigentümer, halten und die Rechte nach §§ 434, 440 Abs. 1 BGB geltend machen kann. Folglich wird nur der Veräußerer belastet, was auch richtig ist, da ihm gegenüber die Verjährungseinrede bestand. Ob man dieses Ergebnis auf eine Analogie zu § 221 BGB stützt 63 oder zu § 986 Abs. 2 BGB, ist ohne Belang. ee) Fraglich ist, ob der Besitzer auch dem gemäß § 892 BGB gutgläubig Erwerbenden die Verjährungseinrede entgegenhalten kann. Plambeck unterscheidet zu Unrecht zwischen derivativem und originärem Erwerb und nimmt bei letzterem eine neue, einredefreie Vindikation an 64 . Der Erwerb vom Nichtberechtigten ist wohl als ein originärer Erwerb anzusehen, zumindest leitet der Erwerber sein Recht nicht vom Berechtigten ab 65 . Dessenungeachtet muß man den Besitzer auch 60

Die angestellten Überlegungen gelten auch für den Fall einer beim Wechsel des Eigentümers noch nicht vollendeten Verjährung; hier ist ebenfalls die bereits verstrichene Verjährungszeit anzurechnen, vgl. Oertmann, AT, § 221, Anm. 1; Plambeck, 137. 61 Ähnlich Staudingerl Gursky, § 985, Rn. 89. « Vgl. etwa Oertmann, AT, § 221, Anm. 1; StaudingerI Gursky, § 985, Rn. 89; Plambeck, 140. « So Staudingerl Gursky, § 985, Rn. 89. 64

Plambeck, 140 ff., 143, 145. Daß eine solche Unterscheidung nichts für das Bestehenbleiben von Rechten Dritter aussagt, zeigen zwei Fälle „originären" Erwerbs, Ersitzung und Grundstücksaneignung (§ 928 BGB). Im ersten Fall erlöschen die Rechte Dritter nach § 945 BGB, im zweiten bleiben sie - trotz zwischenzeitlicher Herrenlosigkeit des Grundstücks und nachfolgender Aneignung - bestehen. Das Gesetz bevorzugt also keineswegs den originär Erwerbenden „durch neue Rechtsverhältnisse" (so aber Plambeck, 142). 65 Gegen eine Rechtsnachfolge etwa Wolff! Raiser, § 45 II 3 in Fn. 38; Plambeck, 143; a.A. (Rechtsnachfolge) noch Wolff, Recht zum Besitz, 11 in Fn. 1; Hellwig, Wesen, 96, 105; vgl. auch v. Tuhr II /1, 50 ff.

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gegenüber dem gutgläubigen Erwerber schützen. Es ist unerfindlich, warum der vom Nichtberechtigten Erwerbende im Hinblick auf die Verjährungseinrede besser gestellt sein sollte als der vom Berechtigten Erwerbende: Zwar ist die Verjährungseinrede - ebenso wie der Besitz - nicht aus dem Grundbuch ersichtlich, dies gilt aber auch im Falle des Erwerbs vom Berechtigten, bei dem nach h. M. die Verjährungseinrede Bestand hat. Der Erwerber ist hier wie beim Erwerb nach § 873 BGB dadurch geschützt, daß er einen Vertragspartner, den (Buch-)Eigentümer, hat, der ihm wegen Nichterfüllung haftet. Wie beim Erwerb vom Berechtigten gilt es hier, die Verjährbarkeit der dinglichen Ansprüche faktisch nicht zu vereiteln und dem Hauptzweck der Verjährung, der Rechtsbefriedung, Rechnung zu tragen. Dies kann nur durch die Zusammenfassung der einander nachfolgenden Eigentümer zu einer verjährungsrechtlichen Einheit geschehen. Mit einer „Rechtsnachfolge" hat dies nichts mehr gemein; daß eine solche aber auch nicht unerläßlich ist, zeigen schon die Motive im Hinblick auf § 221 BGB 6 6 . ff) Da die Eigentumsaufgabe an einem Grundstück gemäß § 928 Abs. 1 BGB durch Erklärung gegenüber dem Grundbuchamt sowie Eintragung erfolgt und eine Besitzaufgabe nicht notwendig ist 6 7 , kann der Fall eintreten, daß der Eigentümer auf ein Grundstück verzichtet 68, das der durch die Veijährungseinrede geschützte Besitzer innehat. Nach der Dereliktion entsteht ein Aneignungsrecht des Fiskus (§ 928 Abs. 2 BGB), das dieser ausüben kann, aber nicht muß 69 . Übt er es aus, ist fraglich, ob der Besitzer auch diesem neuen Eigentümer gegenüber mit der Verjährungseinrede durchdringt; verzichtet der Fiskus auf sein Aneignungsrecht, kann jedermann sich das Grundstück aneignen70. Da auch eine solche Aneignung nicht notwendig Besitz voraussetzt 71, könnte der alte Eigentümer sich sogar wieder als Eigentümer eintragen lassen. Für diesen letzten Fall ist kaum einzusehen, warum der Eigentümer so leicht die Wirkungen der Verjährung seiner Vindikation umgehen können sollte, belastet allenfalls mit dem Risiko, daß sich der Fiskus das ansonsten für den Eigentümer wertlose Grundstück zuvor aneignet. Für die Fälle einer Aneignung durch den Fiskus oder Dritte bleibt jedoch die Frage offen. Das Schrifttum hat sich mit der Rechtslage des aufgegebenen Grundstücks vor allem im Hinblick auf die Frage der analogen Anwendbarkeit des § 571 BGB auf den Bestand eines Miet- oder Pachtverhältnisses beschäftigt und eine solche fast ausnahmslos nach der Aneignung bejaht 72 . Der gesetzgeberische Gedanke des § 571 66

Vgl. oben nach Fn. 50; a.A. Plambeck, 143. 67 Statt vieler Kretzschmar, § 928, Anm. I 4 (200); Westermann ! Eickmann, § 86, 2; Wieling, SR, § 23 III 3 a. 68

Der Eigentümer muß materiellrechtlich nicht eingetragen sein, s. PlanckI Strecker, § 928, Anm. 2 a α; vgl. aber § 39 Abs. 1 GBO. 69 Schulze, 185. 70 Dazu BGHZ 108, 278, und oben § 9 I V 3. 71 Zumindest wenn man der h. M. folgt, die lediglich eine Aneignungserklärung gegenüber dem Grundbuchamt verlangt, nicht jedoch ein Verfahren nach § 927 BGB; dazu oben § 9 I V 3.

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BGB ist es nämlich, das Mietverhältnis von der Person des Eigentümers unabhängig zu machen, weshalb die Norm hier entgegen ihrem Wortlaut („Veräußerung") angewandt werden muß 73 . Das folgt auch daraus, daß der Aneignende unabhängig von der Rechtskonstruktion 74 in die Rechtsposition des Aufgebenden einrückt, so daß nicht nur die dinglichen Rechte erhalten bleiben, sondern auch die Besitzverhältnisse75. Zwar ist die ausnahmsweise Verdinglichung der Miete in § 571 BGB nicht ohne weiteres auf das Recht zum Besitz aus der Verjährungseinrede zu übertragen 76. Aber die beiden genannten Argumente lassen sich auch im Zusammenhang mit der Verjährungseinrede nicht von der Hand weisen. Es kommt hinzu, daß der Aneignungsberechtigte nicht weiter schutzwürdig ist: Er erwirbt das Grundstück ohne Vermögensdisposition durch einfache Erklärung und kann sich vorher eingehend erkundigen. Es besteht daher kein Grund, dem Eigentümer die Möglichkeit einzuräumen, den Besitzer durch Eigentumsaufgabe aus seiner gefestigten Position zu verdrängen. Anders ist die Rechtslage zu beurteilen, wenn es aufgrund eines Grundpfandrechts, welches nach der Aufgabe am herrenlosen Grundstück unzweifelhaft fortbesteht, zur Zwangsversteigerung des Grundstücks kommt 77 . gg) Zweifelhaft ist die Rechtsstellung des Besitzers, wenn die Zwangsvollstrekkung in das Grundstück durch Zwangsversteigerung betrieben wird: Kann sich der Besitzer auch dem Ersteher gegenüber auf die Einrede der Vindikationsverjährung berufen, erhält dieser ein Grundstück ohne jede Nutzungsmöglichkeit, und zwar auf Dauer. Setzt sich der Besitzer dagegen nicht gegenüber dem Ersteher durch, werden die Wirkungen der Verjährung unterlaufen. Im Schrifttum wird das Problem, soweit ersichtlich, nicht erörtert; auch die Gesetzesverfasser haben es nicht bedacht. Auszugehen ist von § 93 Abs. 1 ZVG, wonach der Ersteher aus dem Zuschlagsbeschluß, durch den er nach § 90 Abs. 1 ZVG Eigentümer des Grundstücks wurde, die Zwangsvollstreckung gegen den Besitzer betreiben kann. Gemäß § 93 Abs. 1 S. 3 ZVG hat jedoch der Besitzer, der aufgrund eines durch die Zwangsversteigerung nicht erloschenen Rechts besitzt, die Widerspruchsmöglichkeit nach 72 Hellwig, Lehrbuch II, 378 in Fn. 11; Heck, § 54, 6 c; Catuneanu, 114; Dehnick, 55 f.; Schulze, 156, 223, 228; J. v. Gierke , 80; Planck/Strecker, § 928, Anm. 9; Bendix, 259 f.; Müller, Rn. 990; Staudinger ! Pfeifer, § 928, Rn. 31; a.A. Stüler, 33. 73 Biermann, § 928, Anm. 3 e; Bendix, 259 f., nimmt sogar eine „Veräußerung" an (ähnlich Dehnick, 55 f.). 74 Für einen originären Rechtserwerb die h. M., vgl. etwa: Planck!Strecker, § 928, Anm. 5 b; Stüler, 31; Catuneanu, 96; Müller, Rn. 989. v. Tuhr II /1, 41, betont, daß die Verpflichtung zur Übernahme der dinglichen Belastungen kein Argument gegen einen originären Rechtserwerb sei. Für eine Rechtsnachfolge: Hellwig, Lehrbuch I, 280, 294 in Fn. 10; Schulze, 219; Bendix, 260. 7 5 So ausdrücklich Westermann/ Eickmann, § 86, 3; ähnlich Fischer ! Henle, § 928, Anm. 6. 76 Dies zeigt ein Vergleich der beiden Besitzrechte in der Zwangsversteigerung des Grundstücks, s. unten nach Fn. 78. 77 S. sogleich gg.

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§ 771 ZPO. Das sich aus der Verjährung gegenüber dem Eigentümer ergebende Besitzrecht ist aber kein nicht erloschenes Recht im Sinne des § 93 ZVG. Gemäß § 91 Abs. 1 ZVG erlöschen die Rechte, welche nicht nach den Versteigerungsbedingungen bestehen bleiben sollen (§§ 52, 59 ZVG, 9 EGZVG). Zu den bestehenbleibenden Rechten zählen beschränkte dingliche Rechte wie Nießbrauch, Wohnrecht oder Altenteil und die schuldrechtliche Besitzberechtigung aus Miete oder Pacht (§ 57 ZVG) 7 8 . Das sich aus der Veijährung ergebende Besitzrecht ist aber, da weder dinglich noch wenigstens nach §§ 571 BgB, 57 ZVG „verdinglicht", deutlich schwächer als die genannten Rechte. Wortlaut und Systematik des Gesetzes sprechen daher für einen Herausgabeanspruch des Erstehers (§ 985 BGB, § 93 Abs. 1 S. 1 ZVG), dem der Besitzer ein Recht aus § 986 BGB nicht entgegenhalten kann. Das nach der Vindikations Verjährung entstehende Besitzrecht nach § 986 BGB, das mehr ist als der bloße Besitz, der in der Immobiliarzwangsvollstreckung bekanntlich ohne jede Bedeutung ist, könnte immerhin eine analoge Anwendung des § 57 ZVG rechtfertigen. Für eine solche Analogie lassen sich gewichtige Argumente anführen. Rechtsprechung und heute h. L. haben das Sonderkündigungsrecht des Erstehers gegenüber Mietern und Pächtern gemäß § 57 a ZVG weitgehend eingeschränkt und gewähren - der ursprünglichen Konzeption der Norm zuwider - dem Mieter den gesetzlichen Kündigungsschutz79. Diese Tendenz zum verstärkten Schutz von Besitzrechten wäre womöglich auch für das Besitzrecht aus der Vindikations veijährung fruchtbar zu machen. Naheliegend wäre ferner ein argumentum a maiore: Wird der Besitzer nach der Vindikations veijährung sogar gegen eine Veräußerung des Grundstücks geschützt80, so müßte dieser Schutz erst recht bei einer bloßen Belastung desselben mit einem Grundpfandrecht und anschließender Zwangsversteigerung eingreifen. Vor allem aber kann die Belastung des Grundstücks mit Grundpfandrechten durch den (Buch-)Eigentümer dazu dienen, die Wirkungen der Vindikationsverjährung zu umgehen81. Die entscheidenden Gesichtspunkte sprechen freilich gegen einen Schutz des Besitzers in der Zwangsversteigerung des Grundstücks. Nach heute fast einhelliger Auffassung kann der Käufer eines ihm übergebenen Grundstücks dem Ersteher in der Zwangsversteigerung die exceptio rei venditae et traditae im Rahmen einer Drittwiderspruchsklage nicht entgegenhalten82. Sein gemäß § 986 BGB nur relative Steinerl Eickmann, § 93, Rn. 14. 79 Vgl. nur Zellerl Stöber, § 57 a, Rn. 6. so S. oben § 10 II 1 a dd, ee. 81

Dazu schon oben vor Fn. 61. 82 Vgl. nur Staudingerl Gursky, § 986, Rn. 62 m. w. Nachw.; Wieling I, § 12 I 3 a dd; Diede rie hsen, Recht zum Besitz, 146; DavidIHirsch, 40; a.A. aber PlanckIBrodmann, § 986, Anm. 1 a β. Das Reichsgericht entschied ursprünglich anders (s. RGZ 116, 363 [366]), rückte von dieser Rechtsprechung aber ausdrücklich wieder ab (RGZ 127, 8). Nach h. M. ist das obligatorische Besitzrecht des Käufers auch in der Insolvenz des Verkäufers nicht insolvenzfest (vgl. nur Staudingerl Gursky, § 986, Rn. 65).

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ves Besitzrecht wirkt nicht weiter. Selbst der Käufer, an den bereits aufgelassen wurde, der aber noch nicht eingetragen ist, ist nicht geschützt83. Auch die Einrede aus dem Zurückbehaltungsrecht wegen auf das Grundstück gemachter Verwendungen ist in der Zwangsversteigerung nicht bestandskräftig (§ 93 Abs. 2 ZVG), obwohl sie - wie das hier in Frage stehende Besitzrecht nach der Vindikationsverjährung - gemäß § 999 Abs. 2 BGB auch gegen den Rechtsnachfolger im Eigentum geltend gemacht werden kann 84 . Durchaus vergleichbare Einwendungen des Besitzers überdauern den Zuschlag also nicht. Entscheidend gegen einen Schutz des Besitzers lassen sich vor allem die Interessen des Erstehers anführen 85. Der Ersteher, der nichts von dem Besitz und der Einredemöglichkeit weiß - der Besitz ist aus dem Grundbuch nicht ersichtlich - , erhielte für gutes Geld ein Grundstück, dessen Nutzung ihm auf Dauer versagt bliebe: Einen Mietzins könnte er nicht verlangen; ein „Kündigungsrecht" wie in § 57 a ZVG ist vom Gesetz nicht vorgesehen. Vor allem aber hätte er - im Gegensatz zum Einzelrechtsnachfolger des Eigentümers 86 - nicht die Möglichkeit der Eviktionshaftung; er könnte sich nicht bei einem Vertragspartner wegen des Besitzrechts des Dritten (§ 434 BGB) schadlos halten. Eine Sach- und Rechtsmängelhaftung wird ausdrücklich von § 56, S. 3 ZVG ausgeschlossen87. Der Gesetzgeber begründete dies damit, daß hinsichtlich des Eigentums eine Rechtsmängelhaftung ohnehin nicht in Betracht komme, weil der Zuschlag dem Ersteher sogar schuldnerfremdes Eigentum verschaffe; in anderen Fällen sei es zudem unmöglich, denjenigen zu bestimmen, der dem Ersteher haften sollte 88 . Diese Interessenlage gebietet den Schutz des Erstehers. Auch wenn das Besitzrecht aus der Vindikationsverjährung in der Zwangsvollstreckung bekannt werden sollte, ist dies kein Grund, den Besitzer zu schützen. Damit würde das Grundstück faktisch unveräußerlich, ein Ersteher wäre wohl kaum zu finden. Auf diese Weise würde nicht nur das Grundstück dem Verkehr dauerhaft entzogen, vielmehr würde womöglich ein bestelltes Grundpfandrecht nachträglich zu Lasten des Gläubigers entwertet, der Realkredit gefährdet. Der Gedanke des § 57 ZVG läßt sich nicht verallgemeinern 89. Der Besitzer kann die Verjährungseinrede nach der Zwangsvollstreckung in das Grundstück nicht mehr geltend machen. Der Zuschlag als konstitutiv wirkender « Zellerl Stöber, § 93, Rn. 3.4. 84 Dazu Schlegelberger, 554. 85 Vgl. dazu allgemein Johow, SR Teil 2, 2139. 86 Der Eigentumserwerb in der Zwangsversteigerung ist vom Gesetzgeber bewußt originär ausgestaltet worden, vgl. Prot. I, 14202; Jakobs/Schubert, SR IV, 463; Turnaul Förster, §§985-1007, Anm. Va 5 c. 87 Dazu Prot. I, 13906 f.; Jakobs I Schubert, SR IV, 329; ZellerI Stöber, § 56, Rn. 4; Steinerl Teufel, § 56, Rn. 18. 88 Vgl. Johow, SR Teil 2, 2025. 89 Wieling I, § 12 I 3 a dd, spricht im Hinblick auf das Miet- und Pachtrecht von einer gesetzlichen „Anomalie" (§ 57 ZVG). Das gegenteilige Ergebnis wäre nur vertretbar, wenn man dem Ersteher ein wirkliches „Sonderkündigungsrecht" gegenüber dem Besitzer gäbe.

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Staatshoheitsakt90 bewirkt die Neugestaltung der Rechtslage am Grundstück 91. Der eingetragene Eigentümer oder der Bucheigentümer hat im Falle des durch Verjährung gefestigten Besitzes also die Möglichkeit, das Grundstück dadurch zu verwerten, daß er ein Grundpfandrecht für ein Darlehen bestellt und es zur Zwangsversteigerung kommen läßt; gleichfalls könnte ein persönlicher Gläubiger die Zwangsversteigerung betreiben (§ 17 Abs. 1 ZVG). Auf diese Weise kann das zweifelhafte dominium sine re aufgelöst werden. Dies geschieht freilich auf Kosten des Instituts der Verjährung, dessen Wirkungen umgangen werden. Für einen solchen Fall muß deshalb eine adäquate Lösung gefunden werden, die den Besitzer schützt92. hh) Sollte die Zwangsvollstreckung in Form der Zwangsverwaltung betrieben werden, §§ 146 ff. ZVG, kann sich der Besitzer auch nach der Vindikations Verjährung auf sein Besitzrecht berufen; der Zwangsverwalter kann den Besitz des Grundstücks nicht erhalten, § 150 Abs. 2 ZVG 9 3 . Gegen den nicht herausgabebereiten Besitzer müßte der Gläubiger den Anspruch des Eigentümers auf Herausgabe nach §§ 846, 848 Abs. 1 ZPO pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen 94 , um einen Räumungstitel gegen den Besitzer zu erwirken 95 . Da dem Drittschuldner alle Einwendungen erhalten bleiben, auch die Veijährungseinrede 96, kann er nach Pfändung des Herausgabeanspruchs auch weiterhin die Veijährung geltend machen. ii) In der Insolvenz des Eigentümers tritt der Insolvenzverwalter an dessen Stelle. Dieser hat nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob er das dem Schuldner des Insolvenzverfahrens gehörende Grundstück freihändig veräußert oder aber eine Zwangsversteigerung betreiben läßt, §§ 165 InsO, 172 ff. ZVG. Beim freihändigen Verkauf kann der Insolvenzverwalter nicht mehr Rechte übertragen, als der Eigentümer hatte; die Veijährungseinrede bleibt daher bestehen97. 90 So etwa ZellerI Stöber, § 172, Rn. 1.3. 91 Selbst wenn man wie v. Tuhr II /1, 56, den Ersteher als Rechtsnachfolger des betreibenden Gläubigers ansähe und damit einen originären Erwerb ablehnte, führte dies nicht dazu, eine Einrede, die gegenüber dem Schuldner bestand, dem Ersteher gegenüber aufrechtzuerhalten. 92 Vgl. unten § 11 III. 93 Vgl. Zellerl Stöber, § 146, Rn. 11.2; § 150, Rn. 3.7; Stöber, Rn. 604. 94 Dies setzt voraus, daß der Eigentümer der Schuldner des Gläubigers ist; ist der Bucheigentümer der Schuldner des Gläubigers, kann ein Herausgabeanspruch nicht gepfändet werden. 95 Zellerl Stöber, § 146, Rn. 11.4. 96 Baumbach ! Hartmann, § 829, Rn. 56; Schuschke I Walker, § 835, Rn. 8. 97 Vgl. Kuhn/Uhlenbruch § 6, Rn. 45; Scherk, 342. Wegen der Wirkung der früheren §§ 6 f. KO (§§ 80 f. InsO) und der Notwendigkeit, sämtliche Vermögenswerte des Schuldners in der Insolvenz freizumachen, will Diederichsen, Recht zum Besitz, 148 f., möglichst weitgehend Sachen, die sich in fremdem Besitz befinden und „deren wirtschaftlicher Wert daher nur unvollkommen genutzt wird", zur Insolvenzmasse ziehen; dies darf freilich nicht auf den durch die Verjährungseinrede geschützten Besitzer übertragen werden.

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Zwar fehlt in dieser Hinsicht eine entsprechende Vorschrift; eine andere Auffassung wäre aber nicht mit dem Grundsatz vereinbar, daß durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gläubigers nicht einmal eine Unterbrechung oder Hemmung einer laufenden Verjährung bewirkt wird 9 8 . Entscheidet sich der Insolvenzverwalter jedoch zu einer Versteigerung des Grundstücks, gelten die oben unter gg entwickelten Grundsätze 99. Gemäß § 172 ZVG finden nämlich die Vorschriften des ersten und zweiten Abschnitts des ZVG Anwendung, so insbesondere auch die Grundsätze über die Wirkung des Zuschlags; die Verjährungseinrede bleibt dem Ersteher gegenüber nicht bestehen.

b) Nutzungsherausgabe Der Eigentümer einer (Mutter-)Sache wird mit der Trennung der Erzeugnisse oder sonstigen Bestandteile auch deren Eigentümer, § 953 BGB. Ob dieser originäre Erwerb bestandskräftig ist oder nicht, entscheiden §§ 987 f., 990 Abs. 1 BGB endgültig 100 ; hiernach kann selbst der Besitzer, der nach §§ 955, 957 BGB Eigentümer der Erzeugnisse wurde, obligatorisch zur Herausgabe verpflichtet sein. aa) Nach dem Eintritt der Vindikationsverjährung schuldet der Besitzer eine Herausgabe der vor diesem Zeitpunkt gezogenen Nutzungen, also der Früchte sowie Gebrauchsvorteile (§§ 100, 99 Abs. 1 BGB), nicht. Dies ergibt sich aus § 224 BGB: Der Herausgabeanspruch gemäß §§ 987, 988, 990 Abs. 1 BGB hinsichtlich der Nutzungen ist als bloßer Nebenanspruch der Vindikation anzusehen101 und verjährt mit dieser unabhängig vom Zeitpunkt seines Entstehens102. Auch hinsichtlich der nach der Vindikationsverjährung gezogenen Nutzungen wird im Schrifttum zu Recht das Bedürfnis gesehen, dem Besitzer sämtliche Nutzungen zu belassen103. Der Grund hierfür ist augenfällig: Darf sich der Besitzer des ungestörten Besitzes an der Muttersache, dem Grundstück, erfreuen, soll er auch die Nutzungen haben; der ungestörte Besitz des Grundstücks hat sonst für den Besitzer keinen rechten Sinn. Er hätte anderenfalls allen Anlaß, Nutzungen aus dem Grundstück gar nicht erst zu ziehen, es brachliegen zu lassen. Die Zer98 Jaeger/ Henckel, § 25, Rn. 34; Kilger/K. Schmidt, § 108, Anm. 6. 99 Der Insolvenzschuldner muß eingetragen sein gemäß §§ 172, 17 Abs. 1 ZVG; im Dreipersonenverhältnis müßte also zunächst der Berichtigungsanspruch gegen den Bucheigentümer durchgesetzt werden, was wegen dessen Verjährungseinrede nach Verjährung der Vindikation zwangsweise jedoch nicht möglich ist, vgl. dazu oben § 7 II. 100 Staudingerl Gursky, Vorbem. zu §§ 987-993, Rn. 6; Wieling I, § 12IV 8. ιοί Staudinger / Peters, § 224, Rn. 5. 102 Wie hier StaudingerI Gursky, § 987, Rn. 43; Plambeck, 195. 103 Wieling, proprietas, 2527; Staudinger/ Gursky, § 985, Rn. 91; Wilhelm, Rn. 597; Ekkert, Verjährung, 136: Der Besitzer schuldet Herausgabe weder nach §§ 987 ff. BGB noch aus anderen rechtlichen Gründen.

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schlagung wirtschaftlicher Werte wäre die Folge 104 . Vom Zeitpunkt der Verjährung des Eigentumsanspruchs an darf der Besitzer also weder Herausgabe der gezogenen noch der zu ziehenden Nutzungen schulden 105 . Begründen läßt sich das damit, daß der Besitzer von der Vindikationsverjährung an ein Besitzrecht im Sinne von § 986 BGB hat und deshalb von diesem Zeitpunkt an die Vindikationslage entfällt 1 0 6 ; einer Analogie zu § 224 BGB bedarf es nicht. Nur wenn man ein Besitzrecht ablehnt 107 , muß man die Vindikationsverjährung entsprechend § 224 BGB auch auf die Nutzungsherausgabeansprüche erstrecken 108, um so das sinnwidrige Ergebnis zu vermeiden, daß die nach Veijährung des Eigentumsanspruchs im Gegensatz zu den vor diesem Zeitpunkt gezogenen Nutzungen herausverlangt werden können und der Besitzer das Grundstück ab Veijährungseintritt verwahrlosen läßt 10 9 . Im Ergebnis kann der Grundstückseigentümer die Ansprüche aus §§ 987 f., 990 Abs. 1 BGB unabhängig davon, wann die Nutzungen gezogen wurden, nicht durchsetzen. bb) Rechtskonstruktiv bereitet die Frage Schwierigkeiten, wer Eigentümer der Erzeugnisse wird. Wird der Eigentümer des Grundstücks mit der Trennung der Erzeugnisse auch deren Eigentümer (§ 953 BGB), so hat er auch einen dinglichen Herausgabeanspruch nach § 985 BGB 1 1 0 . Um das gewünschte Ergebnis zu erzielen - mit Verjährung des auf die Muttersache bezogenen Herausgabeanspruchs verbleiben dem Besitzer auch alle Nutzungen - , kann man das Besitzrecht aus der Verjährung des auf das Grundstück bezogenen Eigentumsanspruchs ohne weiteres auch auf die Nutzungen beziehen. Dies reicht aber zur Befriedung der Rechtslage und zur Vermeidung wirtschaftlich sinnloser Ergebnisse nicht aus; man muß einen Schritt weiter gehen 111 . Denn der Besitzer, der keine Herausgabe schuldet, dürfte die Erzeugnisse gleichwohl nicht ohne weiteres verbrauchen oder über sie verfügen; dem Eigentümer verblieben gegen ihn die Ansprüche aus §§ 823 Abs. 1, 816 Abs. 1 S. 1, 687 Abs. 2 BGB 1 1 2 . So dürfte der Besitzer zwar die auf dem Grundstück befindlichen Apfelbäume abernten, er dürfte die Äpfel aber weder selbst essen noch sie an Dritte veräußern. Ein bloßes Besitzrecht nutzt ihm also nichts; er 104 Ähnlich Wieling, proprietas, 2527. 105 Auch nicht unter dem Gesichtspunkt ungerechtfertigter Bereicherung, vgl. Wieling, proprietas, 2527. Der Besitzer kann im Gegenzug aber auch nicht Verwendungsersatz verlangen, etwa wenn der Eigentümer vor der Vindikationsverjährung die Verwendungen genehmigt hätte (§ 1001 S. 1 BGB); a.A. Plambeck, 192 f. 106 Vgl. oben § 10 II 1 a aa; Staudinger/ Gursky, § 985, Rn. 91. 107 So Plambeck, 156 ff. io» Ebd., 201. 109 Ebd., 200 f.

no Wieling I, § 12 II 3 e in Fn. 62. Die Frage wird von Plambeck übersehen. in Das verkennt Plambeck, 201, in ihrer Kritik (die „schlichte Anwendung des Verjährungsrechts" reiche aus); vgl. dagegen zu Recht Wieling, proprietas, 2528 f. il 2 Hierfür spricht sich in der Tat Eckert, Verjährung, 136, aus, um den Restwert einer nuda proprietas zu belegen.

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muß auch Eigentümer der Erzeugnisse werden. Sonst besteht für ihn keine Veranlassung, das Grundstück zu kultivieren und Nutzungen zu ziehen. Auf den Eigenbesitzer ist § 955 Abs. 1 BGB anwendbar. Da der Besitzer nach der Vindikationsverjährung gegenüber dem Eigentümer zum (Eigen-)Besitz berechtigt ist, erhält er nach § 955 Abs. 1 BGB das Eigentum an den Erzeugnissen, selbst wenn er zuvor bösgläubig gewesen sein sollte (§ 955 Abs. 1 S. 2 BGB). Zweifelhaft ist jedoch das rechtliche Schicksal der vor der Vindikationsverjährung abgetrennten Erzeugnisse, weil zu diesem Zeitpunkt ein Besitzrecht nicht bestand. Die Entscheidung über den originären Eigentumserwerb kann nicht davon abhängen, ob der Eigenbesitzer später ein Besitzrecht erhält oder nicht; der Zweck der §§ 953 ff. BGB ist schließlich gerade die rasche Klärung der Eigentumslage. Vor Ablauf der dreißigjährigen Verjährungsfrist wird daher in einem solchen Fall der Eigentümer des Grundstücks auch Eigentümer der Erzeugnisse, § 953 BGB. Macht er sein Eigentum an diesen allerdings nicht geltend und verjährt unterdessen sein Herausgabeanspruch bezüglich des Grundstücks, kann der Eigenbesitzer dem Herausgabeanspruch hinsichtlich der Erzeugnisse nunmehr nicht nur ein Besitzrecht nach § 986 BGB entgegensetzen; ihm ist von der Vindikationsverjährung an auch das Eigentum an den vorher abgetrennten Erzeugnissen zuzusprechen. Die §§ 953 ff. BGB regeln die dingliche Rechtslage zum Zwecke der Rechtssicherheit nur vorläufig 113 ; führen später eintretende Umstände dazu, daß eine Besitzberechtigung entsteht und die Vindikationslage entfällt, so bewirkt erst dies eine endgültige Regelung. Dieses Ergebnis kann man als außerordentliche Ersitzung - und zwar unabhängig von gutem Glauben und Zeitablauf 114 - konstruieren: Das ursprünglich mit der Trennung dem Grundstückseigentümer zustehende Eigentum geht auf den nunmehr an der Muttersache besitzberechtigten Eigenbesitzer über 115 .

c) Schadensersatzansprüche Höchst problematisch ist die Frage, wie Schadensersatzansprüche zwischen dem Eigentümer und dem Besitzer nach Eintritt der Vindikationsverjährung aufzuteilen sind. in Wieling I, § 12IV 8. 114 Es können etwa Erzeugnisse einen Tag vor der Vindikationsverjährung von dem Grundstück getrennt worden sein. 115 Ein anderer Begründungsansatz wäre der folgende: In manchen Fällen muß sich die Wertung der §§ 987 ff. BGB gegenüber §§ 953 ff. BGB durchsetzen, etwa wenn der gutgläubige Fremdbesitzer aufgrund unwirksamer Gestattung durch den Nichtberechtigten Früchte zieht (Wieling I, § 12 IV 8; a.A. Wilhelm, Rn. 468, 632): Dieser Fremdbesitzer wird nach §§ 956 f. BGB nicht Eigentümer der Früchte, darf sie aber wegen § 993 BGB behalten. Dies muß dazu führen, einen außerordentlichen Eigentumserwerb des Fremdbesitzers an den Früchten anzunehmen (Wieling, a. a. O.). Ähnlich könnte hier argumentiert werden: Nur der unberechtigte Besitzer muß nach der Wertung der §§ 987 ff. BGB Nutzungen herausgeben; mit der später eintretenden Besitzberechtigung muß der Besitzer die Früchte behalten dürfen.

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aa) Untersucht werden sollen zunächst die Schadensersatzansprüche des Eigentümers gegen den Besitzer 116. Die Frage ist, sofern überhaupt diskutiert, umstritten: Ansprüche werden entweder zur Gänze geleugnet117 oder bejaht 118 ; Gursky wiederum verneint eine Geldentschädigung nach § 251 Abs. 1 BGB wegen der Unmöglichkeit der Bezifferung des Schadens, meint aber, man könne dem Eigentümer einen Anspruch auf Naturalrestitution wohl nicht versagen 119. Die Rechtsprechung negiert - allerdings ohne Begründung - in dem mit der hier zu untersuchenden Konstellation vergleichbaren Fall, daß ein Mieter Eigentümer der von ihm eingebrachten Einrichtungen geblieben ist, jegliche Schadensersatzansprüche gegen den die Sachen veräußernden Vermieter nach Verjährung des Wegnahmerechts des Mieters (§§ 547 a, 558 BGB) 1 2 0 . (1) Bei einem vor der Vindikationsveijährung entstandenen Schaden kann der Eigentümer Ersatz nach §§ 989 f. BGB verlangen, da eine Vmdikationslage bestand. § 989 BGB scheidet als Anspruchsgrundlage jedoch aus, weil die Rechtshängigkeit den Lauf der Vindikationsverjährung unterbrechen würde (§ 209 Abs. 1 BGB), deren Eintreten hier gerade vorausgesetzt wird. Eine Haftung des bösgläubigen oder deliktischen Besitzers nach §§ 990 Abs. 1, 989, 992 BGB kommt jedoch in Betracht bei einer Verschlechterung des Grundstücks und seiner Bestandteile durch Beschädigung121. Denn ein Untergang aufgrund Zerstörung des Grundstücks als eines abgegrenzten Teils der Erdoberfläche ist kaum denkbar, und die in § 989 BGB erfaßte Unmöglichkeit der Herausgabe stellt ebenfalls keinen zum Schadensersatz verpflichtenden Umstand dar, weil in diesem Fall die hier vorausgesetzte später eintretende Vindikationsverjährung nicht mehr möglich wäre. Nach h. M. verjähren die Schadensersatzansprüche in §§ 989 ff. BGB entsprechend § 224 BGB mit dem Herausgabeanspruch 122; der Eigentümer kann also nach der Vindikationsverjährung Schadensersatz nicht mehr verlangen. Eine solche Verjährung entspricht dem Zweck des Instituts, eine umfassende Streitbeilegung zwischen den Parteien zu gewährleisten. Zudem ist Schadensersatz in Form der grundsätzlich geschuldeten Naturalrestitution als Verwirklichung des Rechtsfortwirkungsgedankens zu betrachten 123 und deshalb eine Analogie zu der in § 224 BGB vorausgesetzten „Nebenleistung" zu befürworten. Andere wollen freilich unter-

Da zum Eigenbesitz eine opinio domini nicht erforderlich ist (vgl. Wieling I, § 4 I 4), kann der Besitzer die Eigentumsverletzung auch ohne weiteres verschuldet haben. 117 Wieling, proprietas, 2527. ns Eckert, Verjährung, 136. U9 Staudingerl Gursky, § 985, Rn. 91. 120 BGH, NJW 1987, 2863. 121 Der Besitzer zerstört etwa eine Fensterscheibe des auf dem Grundstück befindlichen Wohnhauses oder vertieft das Grundstück. 122 Vgl. MK/v. Feldmann, § 224, Rn. 1; Erman/Hefermehl, § 224, Rn. 2; Enneccerus! Nipperdey II, § 237 IV; zweifelnd SoergelINiedenführ, § 224, Rn. 3. 123 Lange, Schadensersatz, 212.

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scheiden: Nur die Ersatzansprüche aufgrund einer Abnutzung durch eine gewöhnliche Nutzung des Grundstücks sollen zusammen mit der Vindikation entsprechend § 224 BGB verjähren, darüber hinausgehende Beschädigungen könne der Eigentümer auch noch danach geltend machen 124 . Diese Ansicht verkennt jedoch, daß mit der Vindikationsverjährung entschieden ist, daß der Sachwert dem Besitzer zusteht: Wenn er die Sache nicht herausgeben muß, hat er auch keinen Wertersatz für die beschädigte Sache zu leisten. Es ist daher von einer Verjährung des Schadensersatzanspruchs auszugehen. Selbst wenn man aber der Gegenansicht folgen wollte, bliebe fraglich, welchen Schaden der Eigentümer nach der Vindikationsverjährung hat; Schadensersatz setzt die Möglichkeit eines ersatzfähigen Schadens voraus. Wieling etwa leugnet im Hinblick auf bewegliche Sachen - einen solchen Schaden aufgrund der lediglich minimalen Chance des Eigentümers, die Sache wiederzuerlangen; es sei nach der Vindikationsverjährung gesetzlich entschieden, daß die Sache wirtschaftlich dem Besitzer zustehe 125 . Jedenfalls ist die zwischenzeitlich eingetretene Vindikationsverjährung bei der Frage des Schadensersatzes maßgeblich zu berücksichtigen, weil sich ein Schaden durch die weitere Entwicklung (bis zur letzten mündlichen Verhandlung) verändern kann und womöglich ein ursprünglich vorhandener Schaden in diesem Zeitpunkt nicht mehr vorhanden ist 1 2 6 . Von der Vindikationsverjährung an tritt ein Schwebezustand ein, dessen Ausgang ungewiß ist: Dem Eigentümerinteresse (auf den vollen Sachwert) steht das - vor allem bei Schädigungen durch Dritte maßgebliche - ebenfalls auf den vollen Sachwert gerichtete Interesse des Besitzers gegenüber: Setzt sich letzteres durch, so hat sich der Besitzer, wenn er selbst das Grundstück beschädigt hat, schließlich auch nur selbst geschädigt. Das Interesse des Besitzers nach der Vindikationsverjährung ist nicht zu verwechseln mit dem bloßen Ersitzungsinteresse des Eigenbesitzers. Zwar ist auch dieses zu schützen 127 , das hier in Frage stehende Interesse ist jedoch stärker und deshalb erst recht anzuerkennen. Das folgt daraus, daß der durch die Verjährungseinrede geschützte Besitzer im Gegensatz zum bloßen Ersitzungsbesitzer sogar gegenüber dem Eigentümer geschützt ist. Dürfte der Eigentümer vom „schädigenden" Besitzer Naturalrestitution gemäß § 249 S. 1 BGB verlangen, so würde der vorherige Zustand des Grundstücks zwar wiederhergestellt, einen Nutzen davon hätte freilich nur der Besitzer, nicht er selbst. Die Naturalrestitution wäre für ihn wirtschaftlich sinnlos 128 . Nur in 124 Plambeck, 198 f.; Staudinger/Peters, § 224, Rn. 6. 125 Wieling, proprietas, 2527. 126 Vgl. nur Lange, Schadensersatz, 184, 249 f.; BGH, NJW 1978, 262. 127 So auch Heck, § 14, 8; Siber, 451; Oppermann, 90; Koch, Rechte an Sachen, 229; Esser/ Weyers, § 55 I 2 b; Wieling I, § 12 IX 5, 6; a.A. etwa Medicus, Besitzschutz, 125 f.; ihm folgend Wieser, 558. Die Einwände von Medicus, a. a. O., können an dieser Stelle nicht im einzelnen widerlegt werden, überzeugen jedoch nicht. 128 Auch die Rechtsprechung rekurriert auf das Kriterium der wirtschaftlichen Sinnlosigkeit zur Begrenzung z. B. des Anspruchs aus § 249 S. 2 BGB (vgl. BGHZ 66, 239 [243]).

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zwei Ausnahmefällen hätte sie für ihn einen wirtschaftlichen Sinn, nämlich im Falle der Wiedererlangung des Besitzes und im Falle der Zwangsversteigerung des Grundstücks. Im Unterschied zu Mobilien, die vergleichsweise leicht den Besitzer wechseln und bei denen es wenigstens denkbar erscheint, daß der Eigentümer sie zufällig wiedererlangt oder daß mangels Rechtsnachfolge in den Besitz eine neue Vindikation entsteht (§ 221 BGB), sind diese Chancen bei Grundstükken ohne jede Bedeutung. Der Besitzer eines Grundstücks, der die Verjährungseinrede erhebt, wird sich angesichts des Werts, den eine Immobilie regelmäßig hat, den Besitz nicht ohne Gegenwehr mittels verbotener Eigenmacht entziehen lassen 129 ; überdies wies schon die 2. Kommission zu Recht darauf hin, daß man ein Grundstück heimlich, d. h. ohne das Wissen des Besitzers, schwerlich wegnehmen kann 1 3 0 . Es ist daher kaum denkbar, daß der Eigentümer den Besitz am Grundstück zurückerlangt. Der Eigentümer könnte den Wert des Grundstücks jedoch dadurch realisieren, daß er die Zwangsversteigerung aufgrund eines von ihm bestellten Grundpfandrechts oder durch einen seiner persönlichen Gläubiger betreiben läßt. Das setzt allerdings voraus, daß er nach der Vindikationsverjährung seine Eintragung im Grundbuch erlangt - ein äußerst seltener Fall, da sich im Grundstücksrecht bei einer durch Vindikationsverjährung eingetretenen nuda proprietas regelmäßig drei Personen gegenüberstehen und sich der Bucheigentümer nach richtiger Auffassung entgegen § 898 BGB auf die Veijährung des Berichtigungsanspruchs berufen kann 131 . Der Bucheigentümer wird indessen an einer Belastung des Grundstücks kein Interesse haben, will er sich gegenüber dem Eigentümer nicht schadensersatzpflichtig machen 132 . Dies gilt um so mehr, als er damit rechnen muß, daß die Darlehensforderung auf den Eigentümer übergeht (§ 1143 BGB) und er nichts gewinnt. Nur in dem unwahrscheinlichen Fall also, daß der Eigentümer nach der Vindikationsverjährung eingetragen wird, könnte es praktisch zu einer Realisierung des Grundstückswerts kommen. In einem solchen Fall wäre das beschädigte Grundstück weniger wert und würde daher zu einem für den Eigentümer fühlbaren Vermögensschaden führen. Insgesamt erscheint es sehr fragwürdig, dem Eigentümer wegen seiner höchst zweifelhaften Chancen überhaupt einen Schadensersatzanspruch zu gewähren. In den weitaus meisten Fällen wäre der Anspruch wirtschaftlich sinnlos, und der Eigentümer erschiene als nicht schutzwürdig; der Besitzer würde einer Schikane preisgegeben (§ 226 BGB). Um das zu vermeiden, wird man den Eintritt eines Schadens beim Eigentümer abwarten müssen, bis man ihm einen Ersatzanspruch gegen den Besitzer 129 Vgl. zur Frage des Wiederauflebens des Herausgabeanspruchs, wenn der durch die Vindikationsverjährung geschützte Besitzer den Besitz durch verbotene Eigenmacht verliert und anschließend wiedererlangt, unten nach Fn. 183. bo s. oben § 6, 3.

131 S. oben §7 II. 132 §§ 987 ff. BGB werden zwischen Eigentümer und Bucheigentümer analog angewandt, vgl. dazu Staudinger/Gursky, Vorbem. zu §§ 987-993, Rn. 80; Wieacker, Struktur, 990. Hier fragt sich freilich ebenfalls, worin der Schaden des Eigentümers bestünde. 12 Finkenauer

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gewährt: Solange dieser das Grundstück hat, ist er zu einer Naturalrestitution nicht verpflichtet 133 . Interessanter wäre für den Eigentümer die Möglichkeit, vom Besitzer gemäß § 249 S. 2 BGB die Wiederherstellungskosten zu verlangen. Nach allgemeiner Ansicht muß der Geschädigte den Geldersatz nicht zur Wiederherstellung einsetzen, sondern erhält ihn zur freien Verfügung 134. Der Eigentümer könnte auf diese Weise Teile des Grundstückswerts auch nach der Vindikationsverjährung realisieren. Ein solches Ergebnis wäre aber schwerlich mit dem Zweck der Vorschrift zu vereinbaren. § 249 S. 2 BGB soll es dem Geschädigten ersparen, dem Schädiger sein verletztes Rechtsgut zur Wiederherstellung anvertrauen zu müssen 135 ; nur soweit dieser Gesichtspunkt von Bedeutung ist, bedarf es überhaupt des § 249 S. 2 BGB 1 3 6 . Dieser Gesetzeszweck paßt hier jedoch nicht: Ist dem Besitzer dauerhaft der Besitz am Grundstück zugewiesen, ist es ihm bereits unwiderruflich „anvertraut". Außerdem gilt das zur Naturalrestitution Gesagte: Ein Schaden tritt erst ein, wenn der Eigentümer den Besitz wiedererhält oder die Zwangsvollstreckung betrieben werden kann. Vorher darf man den Besitzer nicht als zum Geldersatz verpflichtet ansehen. Für eine Geldentschädigung durch den Besitzer gemäß § 251 BGB ist - im Gegensatz zu § 249 BGB - nicht das Integritätsinteresse des Geschädigten maßgeblich, sondern das Weitinteresse, das sich aus der Wertminderung ergibt, die im Vermögen des Geschädigten durch den Schadenseintritt bewirkt wurde 137 . Die Bezifferung des Schadens des Eigentümers fällt im Falle der Vindikationsveijährung indessen einigermaßen schwer 138 . Plambeck wählt hierzu einen methodisch höchst zweifelhaften Ansatz: Sie zeigt auf, welche einzelnen Ansprüche dem Eigentümer einer beweglichen Sache ihres Erachtens auch nach der Vindikationsverjährung noch zustehen, um so die wenn auch nur geringe Werthaltigkeit einer nuda proprietas zu belegen; diese schätzt sie sodann unter Einbeziehung der möglichen Schadensersatzansprüche auf allenfalls 5-20% des Sachwerts und legt diesen Wert auch der Berechnung der Schadenshöhe des Eigentümers zugrunde 139. Der Ausgangspunkt überzeugt freilich nicht. Der Eigentümer hat einen Vermögensschaden nur in den wenigen Fällen, in denen er den Wert des Grundstücks wieder realisieren kann, also durch Rückerlangung des Besitzes oder Betreibenlassen der Zwangsvollstreckung. In diesen Fällen aber ist der Schaden des Eigentümers nicht nach einem Prozentsatz, sondern nach dem vollen Grundstücks wert zu bemessen. In allen anderen Fällen aber ist für den Eigentümer überhaupt kein Schaden fest133 A. A. Staudinger ! Gursky, § 985, Rn. 91. 134 Vgl. nur BGHZ 66, 239 (241). 135 Staudinger ! Medicus, 12. Aufl., § 249, Rn. 231; Lange, Schadensersatz, 225. 136 So zutreffend Staudingerl Medicus, 12. Aufl., § 249, Rn. 231. 137 Staudinger/ Schiemann, § 251, Rn. 2 f. 138 Staudinger ! Gursky, § 985, Rn. 91, hält sie für unmöglich. 139 Plambeck, 232.

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stellbar 140 . Es wird hieran der Schwebecharakter des dominium sine re augenfällig. Bedauerlicherweise kann dieser über Generationen anhalten und so eine endgültige Schadensberechnung verhindern. Willkürlich wäre der Ansatz, den Wert des Resteigentums anhand der Chancen des Eigentümers, den Grundstücksbesitz wiederzuerlangen, auf irgendeine Art, evtl. unter Zuhilfenahme von § 287 Abs. 1 ZPO, zu schätzen, um so die Geldentschädigung für die Beschädigung des Resteigentums zu beziffern 141 . In diesem Zusammenhang kann auch keine Parallele zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Falle der Beschädigung einer unter Eigentumsvorbehalt verkauften Sache gezogen werden. Dabei läßt sich nämlich anhand der bereits gezahlten Kaufpreisraten der Schaden des Verkäufers / Eigentümers (zumindest in einem gegebenen Zeitpunkt) genau berechnen. Wenn der Bundesgerichtshof in solchen Fällen also von Teilgläubigerschaft gemäß § 420 BGB ausgeht und beiden Parteien je einen Anteil am Schadensersatz gewährt 142 , so wird dies zwar von der h. L. zu Recht abgelehnt143, ist aber immerhin eine mögliche Berechnungsart des entstandenen Schadens. Gerade hieran aber scheitert eine Parallele zu dem Fall der Vindikationsveijährung. (2) Für nach dem Verjährungseintritt schuldhaft verursachte Schäden haftet der Besitzer nur nach den allgemeinen Normen der §§ 823 ff. BGB; eine Vindikationslage besteht aufgrund seines Besitzrechts nicht 1 4 4 . Die verschiedentlich vorgeschlagene analoge Anwendung der §§ 989 ff. BGB auf den berechtigten Besitzer geht von der falschen Prämisse aus, daß der berechtigte Besitzer nicht schlechter stehen dürfe als der unberechtigte 145. Es müßte allerdings auch im Falle der Anwendung des § 823 Abs. 1 BGB entsprechend § 224 BGB davon ausgegangen werden, daß die Ansprüche als bereits verjährte entstehen146; denn wenn die h. M. § 224 BGB mit dem Argument, nach der Vindikationsverjährung müsse Rechtsfrieden zwischen den Parteien hergestellt werden, auf vor diesem Zeitpunkt entstandene Schadensersatzansprüche anwendet, so ist erst recht kein Grund ersichtlich, eine solche Analogie im Falle später verursachter Schäden zu verneinen. Daß 140 Überdies kann es methodisch nicht überzeugen, einen Schaden des Eigentümers erst dadurch zu konstruieren, daß man die Werthaltigkeit seines Resteigentums unter Einbeziehung möglicher Schadensersatzansprüche belegt: Gerade diese stehen hier in Frage, und ein Schadensersatz ohne Schaden ist nicht denkbar. Plambeck setzt hier voraus, was erst zu beweisen wäre. 141 Die Geldentschädigung müßte entsprechend dem Verhältnis des Werts des Resteigentums zum vollen Grundstückswert berechnet werden. Die Schwierigkeit der Bezifferung des Resteigentumswerts und des durch die Beschädigung des Grundstücks verursachten Wertverlusts wäre an sich noch kein Grund, den Anspruch ganz zu versagen (so aber Staudinger ! Gursky, § 985, Rn. 91). Wie hier Eisele, 54; Isay, 43 f., 60; Oppermann, 90. "2 BGH, WM 1957,515; BGHZ 55, 20 (31); zust. Selb, 242. 14 3 Vgl. etwa Müller-Laube, 532 ff.; Rinke, 102 ff. m. w. Nachw.; s. auch sogleich unter bb. 1 44 S. oben § 10 II 1 a aa. "5 Dazu Staudinger/Gursky, Vorbem. zu §§ 987-993, Rn. 13; Wieling I, § 12 II 3 a.

Μ Vgl. oben bei Fn. 122. 12*

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dieselbe Handlung in dem einen Fall §§ 990 Abs. 1, 989 BGB, in dem anderen §§ 823 ff. BGB unterfällt, kann nicht ausschlaggebend sein. Folgte man der Gegenansicht zu § 224 BGB, ergäbe sich wieder das Problem des Schadens als Voraussetzung eines Schadensersatzes. Erst wenn die Rechtslage zwischen Eigentümer und Besitzer endgültig geklärt ist, was die bloße Vindikationsverjährung nicht leistet, kann ein Schaden des ersteren festgestellt werden. Es ist jedoch auch möglich, daß eine endgültige Schadensberechnung gar nicht vorgenommen werden kann. Als Beispiel mag der Fall angeführt werden, daß der eingetragene Eigenbesitzer das Grundstück nach der Vindikationsverjährung wirksam an einen Gutgläubigen veräußert 147. Hier wird das Eigentumsrecht des wahren Eigentümers verletzt, sein Schaden ist jedoch nicht bezifferbar: Ob er das Grundstück trotz Vindikationsverjährung wiedererlangt hätte, und zwar vor Ablauf der dreißigjährigen Eintragungszeit des § 900 Abs. 1 BGB, kann nicht geklärt werden. Es bliebe daher nur die Feststellung, daß das Grundstück mit der Vindikationsverjährung im Verhältnis zwischen Eigentümer und Besitzer schließlich letzterem zugeordnet worden wäre, nämlich dann, wenn auch die Eintragung dreißig Jahre bestanden hätte. Nach Ablauf dieser Zeit hätte der Besitzer als Berechtigter verfügt; es erscheint nicht sachgerecht, dem Eigentümer einen Schadensersatzanspruch zuzusprechen 148. (3) Das Geltendmachen eines Verzugsschadens gemäß §§ 990 Abs. 2, 286 BGB ist nach Verjährungseintritt nicht möglich. Für den vor der Vindikationsverjährung entstehenden Verzugsschaden gilt nämlich nach allgemeiner Ansicht § 224 BGB entsprechend 149, weil die Nichterfüllung des Eigentumsanspruchs überhaupt nur den Verzug begründen kann. Nach Eintritt der Vindikationsverjährung ist der Besitzer berechtigt, dem Eigentümer das Grundstück vorzuenthalten; ein Verzug ist daher nicht denkbar 150 . bb) Auch ein Dritter kann sich schadensersatzpflichtig machen, etwa indem er den Besitz stört oder die Substanz des Grundstücks verletzt; es ist ferner möglich, daß der vom Besitzer verschiedene Bucheigentümer das Grundstück (wirksam) veräußert 151. Stört ein Dritter den Besitz, so wird der Eigentümer in keiner Weise geschädigt; nur der Besitzer hat den Schaden. Sein nach der Vindikationsverjährung bestehendes Besitzrecht ist als sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 147 Die Eintragung besteht noch keine dreißig Jahre, da sonst eine Ersitzung nach § 900 Abs. 1 BGB eingetreten wäre. u* Zur parallelen Frage der Eingriffshaftung gemäß § 816 Abs. 1 S. 1 BGB s. unten § 10 II 2 c cc. μ Vgl. nur Roth, 49; Plambeck, 195 f.; StaudingerI Peters, § 224, Rn. 4; Palandt/ Heinrichs, § 224, Rn. 1; BGH, NJW 1995, 252. 150 Vgl. auch Plambeck, 201. 151 Im letzteren Fall dürfte aber kaum ein Schaden entstehen, weil der Erwerber auf der Rückabwicklung des Kaufvertrags bestehen wird, da er aufgrund der Verjährungseinrede des Besitzers nicht in den Besitz des Grundstücks kommen kann (vgl. oben § 10 II 1 a ee und unten bei Fn. 196).

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BGB anzusehen152; der Besitzer hat von der Veijährungseinrede an ein umfassendes Recht zur Nutzung des Grundstücks 153. Für den aus der Besitzverletzung folgenden Nutzungsschaden kann der berechtigte Besitzer daher Ersatz verlangen 154 . Bei Substanzverletzungen durch Dritte folgt bereits aus der Betrachtung der Rechtslage vor der Verjährung der Vindikation, daß der Eigenbesitzer dem Dritten gegenüber anspruchsberechtigt sein muß. Zu diesem Zeitpunkt wird nämlich sein Ersitzungsinteresse nach §§ 900, 927 BGB verletzt. Dieses Interesse ist richtiger Ansicht nach gesetzlich geschützt, weil § 1007 BGB entgegen seinem auf Mobilien beschränkten Wortlaut analog auf den Grundstücksersitzer anzuwenden ist 1 5 5 . Denn dem Gesetzgeber ist entgangen, daß er den nach §§ 900, 927 BGB Besitzenden schutzlos gestellt hat, obwohl er in § 1007 BGB den Ersitzer beweglicher Sachen schützte 156 . Während die 1. Kommission im Immobiliarsachenrecht die Eigentumsvermutung des § 891 BGB für ausreichend hielt, gewährte sie dem Ersitzer von Mobilien in § 945 E I die actio Publiciana 151. Die 2. Kommission erachtete zudem auch eine Eigentumsvermutung hinsichtlich beweglicher Sachen für notwendig (§ 1006 BGB) und gestaltete zugleich die actio Publiciana in den heutigen § 1007 BGB u m 1 5 8 . Sie übersah, daß damit die Begründung der 1. Kommission, einen Schutz des Ersitzungsbesitzers an Grundstücken durch eine actio Publiciana wegen der als ausreichend empfundenen Eigentumsvermutung in § 891 BGB nicht zuzulassen, hinfällig wurde. Überdies hatte sie bei der Schaffung der §§ 1006, 1007 BGB nur Mobilien vor Augen, was die lückenhafte und interessenwidrige Regelung im BGB erklärt. Reicht daher der in Bezug auf Grundstücke gewährte Schutz nicht aus, müssen diese Bestimmungen analog angewandt werden. Dies gilt z. B. auch im Hinblick auf § 1006 BGB, der auf ein Grundstück entspre152 Daß ein Recht zum Besitz deliktisch geschützt ist, ist nicht umstritten (dazu etwa Wieling, Grund und Umfang, 581; Medicus, Besitzschutz, 121, 136; Oppermann, 63 f.). Streitig ist allein, ob der Eingriff in den bloßen Besitz einen Schadensersatzanspruch auslöst. 153 s. oben § 10 II 1 b. 154 Medicus, Besitzschutz, 121, 126. Selbst Plambeck, 186, die ein Recht zum Besitz nach Verjährungseintritt leugnet und dem Besitzer nur ein Leistungsverweigerungsrecht zugesteht, gewährt ihm in diesem Fall das Nutzungsinteresse. 155 So Wieling, SR, § 12 IX 6 c. Der BGH hat bisher in einer vereinzelten, vielfach kritisierten Entscheidung (BGHZ 7, 208) § 1007 BGB auf den FremJbesitzer eines Grundstücks angewandt; Hager, Verkehrsschutz, 220 f., stimmt der Entscheidung zu; gegen eine solche Analogie StaudingerI Gursky (1999), § 1007, Rn. 6, 38. Um diese Frage geht es vorliegend jedoch nicht.

156 Dazu Wieling I, § 12IX 5,6; Wilhelm, Rn. 350; Koch, § 1007 BGB, 71 ff. 157 Prot. I, 4236 ff.; Jakobs/Schubert, SR I, 865 ff. Da der 1. Entwurf nur das Aufgebotsverfahren, nicht aber die Tabularersitzung kannte, konnte das Bedürfnis eines Schutzes des Grundstücksersitzers leicht übersehen werden. Dies gilt vor allem deshalb, weil sich die 1. Kommission strikt weigerte, den Besitz als eine Erwerbsvoraussetzung für Grundstücke anzuerkennen, und deshalb lediglich das Aufgebot im heutigen § 927 BGB, nicht aber den dort angeordneten Eigentumserwerb vom Besitz abhängig machte. (Der Erwerb hängt von Ausschlußurteil und Eintragung ab.) Vgl. zum Ganzen oben § 91 3. 158 Prot. II, 4049 ff. (Mugdan III, 698 f.).

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chende Anwendung finden muß, wenn es ungebucht ist oder wenn ein Eigentümer nicht eingetragen ist 1 5 9 . Der Besitz ist bei Immobilien nach §§ 900, 927 BGB Erwerbsvoraussetzung, deshalb hat das Gesetz dem Besitzer auch petitorischen Schutz zu gewähren. Entsprechend § 1007 BGB hat der Eigenbesitzer nach §§ 900, 927 BGB ein relativ gegenüber jedermann bis auf den Eigentümer wirkendes dingliches Recht, das nach § 823 Abs. 1 BGB als sonstiges Recht geschützt ist 1 6 0 . Tritt zugleich mit dem Ersitzungsbesitzer der Eigentümer als Anspruchsteller auf, muß ersterer weichen 161 . Ist unterdessen die Vindikation gegen den Besitzer verjährt, ist sein bloßes Ersitzungsinteresse weiter erstarkt, er ist nunmehr auch gegen den Eigentümer geschützt. Allein sachgerecht ist es daher, nur ihm den Schadensersatzanspruch gegenüber Dritten zu gewähren. Daher kann der Ansicht nicht gefolgt werden, der Eigentümer könne bei Beschädigung durch Dritte Schadensersatz verlangen 162. Zu Recht würde die Rechtsprechung anders entscheiden. In dem bereits erwähnten Fall, daß der Mieter sein Wegnahmerecht an den ihm gehörenden Einrichtungen hat verjähren lassen, leugnet sie Schadensersatz und Bereicherungsansprüche des Mieters gegen den die Sache veräußernden Vermieter 163. Wenn nun aber der Vermieter den Erlös behalten darf, den er aus einer Weiterveräußerung erzielt, ist ihm das Eigentum des Mieters umfassend zugeordnet. Konsequenterweise müßte die Rechtsprechung dem Vermieter und nicht dem Mieter auch die Schadensersatzansprüche gegen Dritte gewähren. Diese Grundsätze können auch auf den durch die Vindikationsverjährung geschützten Besitzer übertragen werden; Ersatzansprüche stehen nur ihm zu.

159 Vgl. Dernburg, SR, § 11, 3; Wolff / Raiser, § 22 I Fn. 3; Wieling I, § 12 V I I I 2 pr. (str.). 160 Allgemein zum dinglich wirkenden Ersitzungsbesitz Heck, § 14, 8; Oppermann, 90; Koch, Rechte an Sachen, 229; Wieling I, § 12 IX 5, 6; Esser/Weyers, § 55 I 2 b; a.A. etwa Medicus, Besitzschutz, 125 f. 161 Das gilt jedenfalls für den Eigenbesitzer eines Grundstücks, dem dieses nicht vom Eigentümer aufgrund schuldrechtlicher Verpflichtung übergeben worden ist. Zweifel bestehen an diesem Ergebnis aber hinsichtlich des Besitzers, der - vor Eintritt des dominium sine re bereits ein Recht zum Besitz aufgrund der Einrede der gekauften und übergebenen Sache hat. Zu denken ist etwa an den aufgrund unwirksamer Auflassung eingetragenen Eigenbesitzer eines Grundstücks. Hier ist klar, daß der Eigenbesitzer im Innenverhältnis zum Eigentümer der eigentlich Berechtigte ist, weil er, ebenso wie der durch die Vindikationsverjährung geschützte Eigenbesitzer, vom Eigentümer/Verkäufer nicht mehr zur Herausgabe gezwungen werden kann. Solange in einem solchen Fall ein dauerhaftes Patt zwischen Eigentümer und Eigenbesitzer nicht eingetreten ist, d. h. der Eigenbesitzer noch die Auflassung verlangen kann, steht im Innen Verhältnis dem Eigentümer der Schadensersatz zu; denn er haftet seinem Vertragspartner womöglich seinerseits (vertraglich) auf Schadensersatz. Spätestens mit der Verjährung des Verschaffungsanspruchs des Eigenbesitzers aber ist auch der Eigentümer völlig haftfrei, so daß nunmehr ein Interesse auf seiner Seite nicht mehr erkennbar ist (s. auch unten § 10 III).

162 Pawlowski, AT, Rn. 327. 163 S. oben vor Fn. 120.

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Selbst wenn man aber entgegen der Rechtsprechung grundsätzlich das nach der Vindikationsverjährung verbliebene Eigentumsrecht schützen wollte, ergäben sich erhebliche Schwierigkeiten. Unproblematisch ist zwar der Fall, daß der Eigentümer (oder Besitzer) Naturalrestitution nach § 249 S. 1 BGB verlangt: Das Grundstück wird wiederhergestellt, und die fernere Nutzung steht dem Besitzer zu. Der Eigentümer ist für den Fall, daß er das Grundstück wiedererlangt oder sonst seinen Wert realisieren kann, geschützt. Zweifelhaft ist indessen, wem ein Geldersatz oder eine Geldentschädigung gebühren soll. Da der Schädiger nur einmal Ersatz zu leisten verpflichtet ist 1 6 4 , es ihm aber nicht zumutbar ist, das Innenverhältnis zwischen Eigentümer und Besitzer zu erforschen 165, könnte man an eine Parallele zu den Fällen des Vorbehaltskaufs 166 oder berechtigten Fremdbesitzes 167 denken: Mehrheitlich wird im ersten Fall eine Mitgläubigerschaft entsprechend § 432 BGB (oder § 1281 BGB) angenommen168 und eine Gesamtgläubigerschaft gemäß § 428 BGB deshalb abgelehnt, weil das Sicherungsinteresse des Vorbehaltseigentümers, der womöglich von der Beschädigung gar nichts weiß, beeinträchtigt werden könnte, wenn der Vorbehaltskäufer den Schaden allein liquidieren dürfte 169 . Im Falle des Bagatellschadens an der vom berechtigten Fremdbesitzer besessenen Sache schlägt Medicus zu Recht eine Analogie zu § 986 Abs. 1 S. 2 BGB vor: Der Eigentümer soll nur Leistung an den Besitzer verlangen können 170 . Beide Ansätze lassen sich auf den Fall der Vindikationsverjährung übertragen: Im Unterschied zum Vorbehaltseigentümer, der gemäß § 455 BGB zurücktreten und die Sache an sich bringen kann, hat der Eigentümer nach der Vindikationsverjährung kein schützenswertes Sicherungsinteresse; er kann das Grundstück nur in ganz besonderen Fällen wiedererlangen. Könnte er den Schaden liquidieren, ohne das Geld zur Wiederherstellung des Grundstücks zu verwenden, würde er diesem erhebliche Teile 164

Eisele, 56; Isay, 54. 165 Vgl. auch Brox y 660. Dies gilt um so mehr dann, wenn ein Dreipersonenverhältnis besteht und der wirkliche Eigentümer nicht einmal aus dem Grundbuch ersichtlich ist. Dieser Gesichtspunkt spricht entscheidend gegen eine Parallele zu der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Falle des Vorbehaltskaufs, wonach von Teilgläubigerschaft von Vorbehaltseigentümer und -käufer gemäß § 420 BGB auszugehen sei, vgl. BGHZ 55, 20 (26) (dazu sogleich im Text). 166 Die Sache wird beim Vorbehaltskäufer beschädigt; sein Anwartschaftsinteresse stößt auf das Substanzinteresse des Vorbehaltseigentümers, vgl. zum Ganzen Rinke, 102 ff. m. w. Nachw.; Bülow, Rn. 715 ff. 167 Die Fensterscheibe der Mietwohnung wird von einem Dritten eingeworfen. 168 Vgl. etwa Raiser , Anwartschaften, 82 f.; Wieling I, § 17 III 2 a; Rinke, 105 m. w. Nachw.; anders die Rechtsprechung (s. soeben in Fn. 165). 169 So Raiser , Anwartschaften, 82; Rinke, 105. Für die Anwendung des § 428 BGB aber Oppermann, 114 f.; Prausnitz, 105; Schwab!Prutting, Rn. 398. 170 Medicus, Besitzschutz, 143 f.; ähnlich der Vorschlag Müller-Laubes, 534. Ein vergleichbarer Gedanke findet sich bei Flume , Rechtsstellung, 401: Der Vorbehaltskäufer hat gegen den Vorbehaltseigentümer einen Anspruch darauf, daß dieser mit dem vom schädigenden Dritten erlangten Ersatz die Vorbehaltssache wiederherstellen läßt, so daß der Ersatz nur dem Vorbehaltskäufer zugute kommt.

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§ 10 Das dominium sine re: Probleme und Restwirksamkeit

seines Werts entziehen können und damit den ihm gegenüber gebrauchs- und nutzungsberechtigten Besitzer in der Nutzung beeinträchtigen. Solange der Eigentümer keine Chance hat, den Grundstücksweit zu realisieren, ist daher nur der Besitzer als der Geschädigte - und zwar auch hinsichtlich des Substanzwerts - anzusehen. Für die Annahme einer Mitgläubigerschaft analog § 432 BGB ist daher kein Raum. Rechtskonstruktiv läßt sich die Berechtigung des Besitzers mit der Annahme einer Gesamtgläubigerschaft gemäß § 428 B G B 1 7 1 und einer Analogie zu § 986 Abs. 1 S. 2 BGB begründen. Im Normalfall wird es der Schädiger ohnehin nur mit dem (Eigen-)Besitzer zu tun haben, der als Anspruchsteller auftritt 172 . Schon aus diesem Grund ist die Annahme einer Mitgläubigerschaft entsprechend § 432 BGB, nach der nur an alle Gläubiger, also Eigentümer und Besitzer gemeinschaftlich, geleistet werden kann, verfehlt: Das Geld müßte im Zweifel hinterlegt werden, wenn der wahre Eigentümer nicht ohne weiteres feststellbar ist 1 7 3 . Das hinterlegte Geld wäre womöglich auf Generationen dem Wirtschaftsverkehr entzogen und könnte auch nicht zur tatsächlichen Wiederherstellung des beschädigten Grundstücks verwendet werden. Nimmt man dagegen eine Gesamtgläubigerschaft gemäß § 428 BGB an 1 7 4 - mit der Einschränkung, daß der entgegen der soeben gemachten Prämisse doch als Anspruchsteller auftretende Eigentümer nur Leistung an den Besitzer entsprechend § 986 Abs. 1 S. 2 BGB verlangen kann - , so steht einem Ausgleich im Innenverhältnis von Eigentümer und Besitzer gemäß § 430 BGB nichts im Wege. Dieser Innenausgleich kann jedoch nicht eher erfolgen, als die Rechtslage an dem Grundstück endgültig geklärt ist, d. h. der Eigentümer den Besitz wiedererlangt hat oder wenigstens sonst den Grundstückswert realisieren kann (Zwangsvollstreckung). In diesem Fall hat sich dann nachträglich herausgestellt, daß der Besitzer kein Substanzinteresse am Grundstück hatte und der Eigentümer den vollen Sachwert gemäß § 430 BGB liquidieren kann 175 . Ebenso hat der Eigentümer dann den Anspruch aus § 816 Abs. 2 BGB, weil der Schädiger durch die Ersatzleistung, welche ihm gegenüber wirksam ist, frei wurde 176 . Klärt sich die Rechtslage dagegen in der Weise, daß der Besitzer das Eigentum am Grundstück 171

Vgl. auch Eisele, 56; Oppermann, 115. Der Eigentümer wird, zumal wenn er den Kaufpreis erhalten hat (§ 927 BGB), oft kein Interesse an einem Schadensausgleich haben. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, daß § 836 BGB nur auf den Eigenbesitzer abstellt. 173 Vgl. die Voraussetzungen des § 927 Abs. 1 S. 3 BGB. 174

Wie hier auch Isay, 69. „Soweit nicht ein anderes bestimmt ist", § 430 BGB. 176 S. auch Isay, 55. Etwas anderes ist dem Schädiger nicht zumutbar; § 851 BGB ist nach h. M. zwar nicht analog auf unbewegliche Sachen anzuwenden (vgl. MK/Stern, § 851, Rn. 3). In Ausnahmefällen wird man aber eine Analogie befürworten müssen, dann nämlich, wenn es gerade nicht darum geht, daß der Besitz das Eigentum indizieren soll, sondern lediglich die Empfangsberechtigung als Gläubiger. Nach der Vindikationsverjährung ist der Besitzer zwar kein Eigentümer, wohl aber im obigen Sinne empfangsberechtigt (ähnlich Medicus, Besitzschutz, 146 f.). Ansonsten bliebe nur eine entsprechende Anwendung des § 407 BGB (vgl. auch Müller-Laube, 535). 175

II. Die Restwirksamkeit des dominium sine re nach Verjährung der Vindikation

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erhält, ist der Substanzschaden endgültig ihm zugewiesen, und er schuldet keinen Innenausgleich177. Insgesamt zeigt sich also, daß man bei Beschädigungen des Grundstücks durch Dritte dem Besitzer von der Vindikationsverjährung an zumindest die (vorläufige) Forderungszuständigkeit wird gewähren müssen, wenn man nicht schon mit der Rechtsprechung Schadensersatzansprüche des Eigentümers von vornherein abzulehnen geneigt ist.

2. Die Rechtsstellung des Eigentümers a) Die Wiedererlangung des Besitzes aa) Bei beweglichen Sachen wird die Werthaltigkeit des Resteigentums oft mit dem Hinweis darauf begründet, der Eigentümer könne die Sache zufällig wiedererlangen oder aber erfolgreich die rei vindicatio anstellen, wenn der neue Besitzer sie ohne Rechtsnachfolge erhalten habe (§ 221 BGB) 1 7 8 . Die zufallige Inbesitznahme eines Grundstücks kann vernachlässigt werden, sie ist noch viel unwahrscheinlicher als bei Mobilien; vor allem aber scheidet der Zufall als Argument für die Bewertung des Resteigentums deshalb aus, da eine Rechtsordnung nicht mit Zufällen rechnen darf: Ein Eigentumsrecht muß, will es ein „Recht" sein, selbst dazu in der Lage sein, dem Eigentümer die Sache wieder zu beschaffen 179. Aber auch der Besitzentzug aufgrund einer verbotenen Eigenmacht (etwa durch eine Hausbesetzung), was angesichts der weiten Auslegung des Begriffs der „Rechtsnachfolge" in § 221 BGB der einzig mögliche Sachverhalt eines Besitzwechsels ohne Rechtsnachfolge ist 1 8 0 , wird nur in ganz wenigen Ausnahmefällen vorkommen. Außerdem haftet ein Dritter, der eine verbotene Eigenmacht begeht und den Besitzer in seinem (durch die Veijährungseinrede geschützten) Besitz stört, jenem possessorisch auf Rückgewähr (§ 861 BGB) 1 8 1 . Gleichzeitig entsteht dem besitzenden Dritten gegenüber eine neue Vindikation. Beide Ansprüche sind gleichwertig, ein Vorrang eines von ihnen ist nicht anzuerkennen 182. Der neue Besitzer kann es sich da177 Auch Isay, 52, will statt einer willkürlichen Schätzung des Schadens dessen endgültige Entwicklung abwarten und dem Besitzer zunächst einen Anspruch auf den vollen Sachwert zugestehen und ihn dem Eigentümer gegenüber ggf. nach § 281 BGB auf Herausgabe des Erhaltenen haften lassen (66). Dieser Herausgabeanspruch gegen den Besitzer sei sogar nur eine das Eigentum surrogierende Ersatzforderung, welche von vornherein im Innenverhältnis von Besitzer und Eigentümer letzterem zustehe und deshalb in der Insolvenz des Besitzers ausgesondert werden könne (Isay, 56).

™ Staudingerl Peters, § 194, Rn. 19; Eckert, Verjährung, 135; Plambeck, 184 f. 179 Vgl. Walsmann, 82 in Fn. 1. 180 Vgl. oben § 10 II 1 a bb und Plambeck, 129. 181 Zugleich haftet der Dritte auch petitorisch entsprechend § 1007 BGB (vgl. oben § 10 II 1 c bb). 182 Wieling I, § 121 3 e m. w. Nachw.; so auch schon Zródlowski, Codifikationsfragen, 81.

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§ 10 Das dominium sine re: Probleme und Restwirksamkeit

her aussuchen, an wen er den Besitz mit befreiender Wirkung zurückgibt. Gibt er ihn dem ursprünglichen Besitzer wieder, so stellt sich die Frage, ob dessen Verjährungseinrede noch Bestand hat; denn zwischenzeitlich war ja der Herausgabeanspruch des Eigentümers wieder aufgelebt. Richtigerweise wird man § 940 Abs. 2 BGB analog anwenden müssen 183 . Dies wird teilweise deswegen abgelehnt, weil § 940 Abs. 2 BGB nur den gutgläubigen Eigenbesitzer schütze, der Bösgläubige aber dieses Schutzes nicht bedürfe 184 . Bei beweglichen Sachen hat das Argument eine gewisse Plausibilität, bei Immobilien jedoch ist es aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Wertung in §§ 900, 927 BGB, die gerade keine Gutgläubigkeit voraussetzen und auf § 940 Abs. 2 BGB verweisen, unzutreffend. Trotz zwischenzeitlichem Aufleben der rei vindicatio kann folglich eine solche nicht mehr angestellt werden, wenn der ursprüngliche Besitzer den Grundstücksbesitz wiedererlangt. Nur wenn der Dritte den Besitz an den Eigentümer herausgibt, sind Eigentum und Besitz wieder zusammengeführt 185. Insgesamt sind die Chancen des Eigentümers, in den Besitz des Grundstücks zu gelangen, minimal, jedenfalls viel geringer als bei Mobilien 1 8 6 . bb) Zweifelhaft ist, ob der Eigentümer, sollte ihm der Besitz am Grundstück zurückgegeben werden, nicht im Innenverhältnis zum ehemaligen Besitzer verpflichtet ist, diesem den Besitz aufgrund seines Besitzrechts zurückzugewähren. Soweit wird man indessen nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht gehen können 187 ; denn dies würde die Verjährungswirkungen gemäß §§ 222 Abs. 2, 813 Abs. 1 BGB verkennen, wonach der Besitzer das trotz der Verjährung Geleistete nicht zurückfordern kann. Daraus folgt, daß im Innenverhältnis zwischen Eigentümer und Besitzer die Sache beim Eigentümer verbleiben soll, wenn dieser sie durch Leistung erhielt 1 8 8 . Das muß aber auch dann gelten, wenn ein Dritter an den Eigentümer leistet 189 . An dieser Stelle gilt es freilich nochmals zu betonen, daß dieses Ergebnis nicht endgültig ist und vorbehaltlich einer späteren korrigierenden Gesetzesauslegung formuliert wird 1 9 0 .

183 So Rehbein, 314; Finkenauer, Rechtsnachfolge, 244; a.A. v. Tuhr II/2, 520 in Fn. 87. 184 Holder,, § 221, Anm. 3 (447); Scheiter, 47; Plambeck, 131, 226. 185 Dazu sogleich bb. 186 Die Wahrscheinlichkeit der Rückerlangung beweglicher Sachen ist bereits minimal (vgl. Plambeck, 184 f.). 187 So auch Heck, § 32, 4. 188 Nicht aufgrund einer durch ihn verübten verbotenen Eigenmacht, s. oben § 10 II 1 a cc. 189 Im Ergebnis ebenso v. Tuhr II/2, 538. Auch Eckert, Verjährung, 135, nimmt an, daß der Eigentümer die rei vindicatio gegen den Dieb der Sache trotz Besitzrecht des Besitzers anstellen kann. 190 S. dazu im einzelnen unten § 11 III.

II. Die Restwirksamkeit des dominium sine re nach Verjährung der Vindikation

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b) Der Grundbuchberichtigungsanspruch Wie oben dargelegt, verjährt der Berichtigungsanspruch entgegen § 898 BGB zusammen mit der rei vindicatio 191.

c) Der Erlös aus einer Veräußerung des Grundstücks aa) Da das Eigentumsrecht nach der Verjährung des Herausgabeanspruchs fortbesteht, könnte ein Wert des Resteigentums darin gesehen werden, daß der Eigentümer das Grundstück veräußern kann. Das setzt freilich seine Eintragung im Grundbuch voraus. Sollte er sie erlangen, kann er zwar das Eigentum an einen Erwerber gemäß §§ 873, 925 BGB übertragen, er ist jedoch nicht in der Lage, ihm den Besitz und die Nutzung des Grundstücks zu verschaffen, wozu er nach § 433 Abs. 1 S. 1 BGB verpflichtet ist; dem Besitzer bleibt nämlich die Verjährungseinrede auch dem Erwerber gegenüber erhalten 192 . Genügt der Eigentümer aber seinen Verkäuferpflichten nicht, wird der Erwerber gemäß §§ 434, 440 Abs. 1 BGB vom Vertrag zurücktreten; jedenfalls wird der Eigentümer den Erlös aus dem Grundstücksverkauf nicht dauerhaft für sich beanspruchen können. bb) Meist wird die Werthaltigkeit der nuda proprietas für den Eigentümer mit dem ihm zustehenden Anspruch auf Erlösherausgabe nach § 816 Abs. 1 S. 1 BGB begründet 193. Der Regelfall einer Verfügung durch den Nichtberechtigten wird in den hier interessierenden Fällen ein Dreipersonenverhältnis sein, der Verfügende ist also der vom Besitzer verschiedene Bucheigentümer. Da der Anspruch gemäß §816 Abs. 1 S. 1 BGB in Wahrheit ein Rechtsfortwirkungsanspruch ist, in dem sich das Eigentum fortsetzt, dessen der Alteigentümer durch die Verfügung verlustig geht 1 9 4 , sollte man diesen Anspruch gleichzeitig mit dem Herausgabeanspruch verjähren lassen. Das ist folgerichtig, weil der Bereicherungsanspruch nur an die Stelle des letzteren tritt 1 9 5 und sonst die Eigentümeransprüche auf Herausgabe des Besitzes oder des Erlöses sechzig Jahre lang geltend gemacht werden könnten. Vor allem aber gelten dieselben Überlegungen wie unter aa auch für den Anspruch aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB. Veräußert der Bucheigentümer das Grundstück (gemäß § 892 oder §§ 873, 185 BGB), wird der Erwerber nicht in den Genuß des Grundstücks kommen; der Besitzer kann seine Verjährungseinrede auch einem (gutgläubigen) Erwerber gegenüber aufrechterhalten 196. Dieser wird sich also an 191 S. oben §7 II. 192 S. oben § 10 II 1 a dd. 193 Plambeck, 216, 218, 226; Eckert, Verjährung, 136 (beide im Hinblick auf bewegliche Sachen); Müller-Katzenburg, 2558; a.A. Wieling, proprietas, 2527 ff. 194 BGH, NJW 1970, 2059; BGH, NJW 1971, 612 (615); Plambeck, 213; Bauer, 181. 195 So Strohal, Bemerkungen, 365; v. Tuhr II/2, 521. 196 S. oben § 10 II 1 a ee.

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§ 10 Das dominium sine re: Probleme und Restwirksamkeit

seinen Vertragspartner, den Bucheigentümer, halten und Vertragserfüllung verlangen. Keinesfalls wird der Bucheigentümer also den Kaufpreis behalten können. Der Anspruch scheitert daher jedenfalls an der fehlenden Bestandskraft des Erlöses in der Hand des Bucheigentümers. Verfügt der Bucheigentümer unentgeltlich über das Grundstück, ist an einen Anspruch gegen den Erwerber auf Rückübereignung gemäß § 816 Abs. 1 S. 2 BGB zu denken. Dadurch erhielte der Eigentümer aber allenfalls seine Eintragung im Grundbuch, nicht jedoch den Besitz; denn der Besitzer behält ja seine Verjährungseinrede unabhängig von der Person des jeweiligen Eigentümers. cc) Schließlich ist an den Fall zu denken, daß der (Eigen-)Besitzer zugleich Bucheigentümer ist, aber seine Eintragung trotz der Vindikationsverjährung noch keine dreißig Jahre besteht. Verfügt er über das Grundstück, ist er in der Lage, dem gutgläubigen Erwerber Eigentum und Besitz daran zu übertragen. Hier wird man den Eigentümer aber kaum noch als den Berechtigten im Sinne von § 816 Abs. 1 BGB ansehen können: Ohne Willen des Besitzers war es für ihn unmöglich, den Besitz wiederzuerlangen; auch die Bewilligung einer (Wieder-)Eintragung konnte der Eigentümer nicht verlangen, da der Berichtigungsanspruch zusammen mit dem Herausgabeanspruch verjährt 197 . Aus diesem Grund hätte der Eigentümer den Wert des Grundstücks auch nicht mittels Zwangsvollstreckung realisieren können (§ 17 Abs. 1 ZVG), so daß es für ihn völlig wertlos war. Die Tabularersitzung des Besitzers hätte sich gemäß § 900 Abs. 1 BGB in einiger Zeit ohne weiteres vollzogen 1 9 8 ; vermögensmäßig war daher das Grundstück bereits dem Besitzer und nicht mehr dem Eigentümer zugeordnet, weshalb ein Bereicherungsanspruch ausscheidet 1 9 9 . dd) Erlangt der Eigentümer seine Eintragung im Grundbuch, kann er ein Grundpfandrecht bestellen und es durch Nichtbegleichen der Darlehensschuld zu einer Zwangsvollstreckung kommen lassen; auch seine persönlichen Gläubiger können nun wieder in das Grundstück vollstrecken. Da die Verjährungseinrede des Besitzers dem Erwerber in der Zwangsversteigerung gegenüber nicht bestehen bleibt 200 , erhält dieser ein nutzbares Grundstück. Der Alteigentümer realisiert damit - vorbehaltlich einer anderen, noch zu entwickelnden Lösung - den Grundstückswert, auf Kosten des Besitzers.

197 s. oben § 7 II. 198 Der Eigentümer hätte die Ersitzung auch nicht mehr durch Klageerhebung gemäß §§ 900 Abs. 1 S. 2, 941 BGB unterbrechen können; denn eine solche Wirkung kann der Eigentumsklage dann nicht mehr zukommen, wenn sie aufgrund einer peremptorischen Einrede nicht mehr zu einer Herausgabe führen kann, vgl. oben § 8 II 3 c. 199 So Wieling, proprietas, 2527. 200 Vgl. oben § 10 II 1 a gg.

II. Die Restwirksamkeit des dominium sine re nach Verjährung der Vindikation

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d) Sonstige Eigentümerbefugnisse Der Eigentümer eines Grundstücks hat verschiedene Eigentümerbefugnisse, die zum unmittelbaren Inhalt seines Eigentums gehören, vgl. etwa §§ 907, 908, 909, 910, 913, 917, 919, 921 sowie § 1004 BGB. Alle diese Normen setzen voraus, daß der Eigentümer als Partei auftritt. Dennoch erhöhen diese Ansprüche nicht den Wert des Resteigentums, weil sie alle nur dem Grundstück und damit dem Besitzer zugute kommen; der Eigentümer hat keinen Vorteil daraus 201. Hier zeigt sich eine erhebliche Schwierigkeit: Die Eigentümerbefugnisse sollen die nachbarrechtlichen Beziehungen der Grundstücke untereinander regeln und zum Ausgleich bringen. Der Besitzer des Grundstücks kann diese Rechte regelmäßig nicht geltend machen, der Eigentümer, dem sie ohnehin keinen Vorteil verschaffen, wird dies in der Regel nicht wollen. Ausnahmsweise kann zwar auch der Besitzer als anspruchsberechtigt angesehen werden. So ist der besitzende Käufer und Auflassungsempfänger bei Beschädigung des Grundstücks aufgrund seiner nach Ansicht der Rechtsprechung bestehenden, dinglich wirkenden Auflassungsanwartschaft 202 gemäß §§ 823 Abs. 2, 909 BGB allein anspruchsberechtigt 203. Diese Rechtsprechung zu § 909 BGB ist jedoch nicht zu verallgemeinern. Die Bestimmung verlangt nur eine Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks und stellt im Gegensatz zu anderen nachbarrechtlichen Vorschriften nicht auf den Grundstückseigentümer ab. Selbst wenn man im Rahmen des § 909 BGB allgemein den Eigenbesitzer schützt 204 , ist dies daher nicht ohne weiteres im Hinblick auf die anderen Eigentümerbefugnisse möglich. So ist unstreitig, daß sich der Besitzer jedenfalls nicht auf die §§ 910, 913, 917 und 919 BGB berufen kann 205 . Da bei der Vindikationsverjährung überdies ein Vertragsverhältnis zwischen Eigentümer und Besitzer nicht vorliegt, kann man ersteren auch nicht als verpflichtet ansehen, seine Ansprüche im Interesse des Besitzers geltend zu machen. Offenkundig ist das dominium sine re nicht nur (fast) ohne Wert für den Eigentümer, es kann zudem auch zu Schwierigkeiten in den Umweltbeziehungen des Grundstücks führen und so der Landschaftspflege und damit einem öffentlichen Anliegen abträglich sein.

201 Ähnlich Plambeck, 190, für § 1004 BGB. 202 H. M.; dazu kritisch z. B. Wieling, SR, § 201 2 d aa. 203 Vgl. BGHZ 114, 161. 204 So RGRKI Augustin, § 909, Rn. 8; JäuernigIJauernig, § 909, Rn. 2; StaudingerlH. Roth, § 909, Rn. 35; a.A. PalandtIBassenge, § 909, Rn. 9. 205 Für die Befugnisse aus §§ 907, 908 und 909 BGB ist die Frage streitig; wenigstens muß der Besitzer obligatorisch berechtigt sein, vgl. Staudinger/ H. Roth, § 907, Rn. 6; § 908, Rn. 11; § 909, Rn. 35. Hinsichtlich der übrigen Befugnisse ist der Besitzer nicht geschützt, vgl. Staudinger IH. Roth, § 910, Rn. 6; § 913, Rn. 1; § 917, Rn. 32; § 919, Rn. 5.

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§ 10 Das dominium sine re: Probleme und Restwirksamkeit

I I I . Die Restwirksamkeit des dominium sine re nach Verjährung des Verschaffungsanspruchs bei gleichzeitiger exceptio rei venditae et tradüae Auszugehen ist von dem Fall, daß der Käufer den Kaufpreis bezahlt und der Verkäufer das Grundstück übergeben, aber nicht übereignet hat; der schuldrechtliche Verschaffungsanspruch des Käufers ist nach dreißig Jahren verjährt. Hier ist der Schutz des besitzenden Käufers vor Herausgabeansprüchen Dritter nicht so stark wie der des Besitzers nach der Vindikationsverjährung; sein Besitzrecht wirkt nur relativ gegenüber dem Verkäufer 206: Ebenso wie der Käufer, an den bereits übergeben ist, in der Zwangsversteigerung des Grundstücks nicht geschützt ist 2 0 7 , kann der Verkäufer /Eigentümer das Grundstück auch ein zweites Mal veräußern 208, ohne daß der Käufer dem Erwerber die exceptio rei venditae et traditae entgegenhalten könnte. Im zweiten Fall macht der Eigentümer sich jedoch seinem ersten Vertragspartner gegenüber schadensersatzpflichtig; zwar ist er nach Verjährung des Verschaffungsanspruchs nicht mehr verpflichtet, dem Käufer das Grundstück zu übereignen, gleichwohl darf er es auch nicht an einen Dritten veräußern. Denn damit verletzt er zumindest das Nutzungsinteresse des Käufers, der ihm gegenüber zur Ziehung der Nutzungen berechtigt ist und dafür den vollen Kaufpreis aufgewandt hat 2 0 9 . Man wird dem Käufer daher den vollen Wertersatz zugestehen müssen. Die Nutzungen sind dem Käufer ebenfalls umfassend zugewiesen. Aufgrund seines Besitzrechts besteht keine Vindikationslage, so daß Ansprüche auf Nutzungsherausgabe ausscheiden. Außerdem wird der Käufer gemäß § 955 Abs. 1 S. 1 BGB mit der Trennung Eigentümer der Erzeugnisse, da er dem Eigentümer des Grundstücks gegenüber zum Eigenbesitz berechtigt ist 2 1 0 . Auch im Hinblick auf Schadensersatzansprüche bei Beschädigung des Grundstücks durch Dritte wird man nach der Zahlung des Kaufpreises den Käufer und nicht den Verkäufer/Eigentümer als berechtigt anzusehen haben 211 . Hier ist nicht zuletzt ein Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs möglich. Die206 Staudinger/Gursky, § 986, Rn. 60; Josef, 551; Diederichsen, Recht zum Besitz, 146. Vgl. aber immerhin die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Gesamtrechtsnachfolge in das Vermögen des Verkäufers/Eigentümers (oben in Fn. 40). Nach dieser Rechtsprechung müßten bei einer Einzelrechtsnachfolge ins Eigentum wenigstens die Voraussetzungen des früheren § 419 Abs. 1 BGB vorliegen. 207 Was selbst von dem Käufer gilt, an den bereits aufgelassen wurde (s. oben vor Fn. 83). 208 Diesmal unter Eigentumsübertragung an den Erwerber, der erfolgreich die Vindikation gegen den besitzenden Käufer anstellen kann (dazu nur Josef, 55; David! Hirsch, 40). 209 Das Argument trifft auch in dem Falle zu, daß der noch eingetragene Verkäufer/Eigentümer die Zwangsversteigerung in das Grundstück betreiben läßt. 210 Planck!Brodmann,

§ 955, Anm. 2 a.

211 Auch beim Vorbehaltskauf wird der Schaden des Vorbehaltseigentümers von der Rechtsprechung nach den noch ausstehenden Kaufpreisraten bemessen.

III. Die Restwirksamkeit des dominium sine re

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ser schützt den Auflassungsempfänger aufgrund seiner angeblich dinglich wirkenden Auflassungsanwartschaft gemäß § 823 Abs. 1, §§ 823 Abs. 2, 909 BGB und spricht allein ihm das volle Sachwertinteresse zu 2 1 2 ; maßgeblich stellt er darauf ab, daß der Verkäufer nach Zahlung des vollständigen Kaufpreises und aufgrund des in casu vereinbarten Gewährleistungsausschlusses ein eigenes Sachwertinteresse nicht mehr haben könne 213 . Hiernach ist also allein entscheidend, daß der Kaufpreis gezahlt wurde und der Verkäufer gegenüber dem Käufer keiner Haftung mehr ausgesetzt ist. Diese Argumentation ist aber in Wirklichkeit unabhängig davon, ob bereits das dingliche Anwartschaftsrecht, das nach h. M. von der Stellung des Eintragungsantrags an besteht 214 , entstanden ist oder nicht: Selbst wenn eine Auflassung an den Käufer noch nicht stattgefunden hat, die Ansprüche aus dem Kaufvertrag - insbesondere solche auf Gewährleistung - jedoch verjährt sind und eine Rückabwicklung aufgrund der exceptio rei venditae et traditae nicht möglich ist, kann der Verkäufer/Eigentümer ein eigenes Sachwertinteresse nicht mehr haben. Der Käufer ist durch die Gewährung von Schadensersatzansprüchen zu schützen. Auf die oben angesprochenen nachbarrechtlichen Eigentümerbefugnisse kann sich der Käufer/Besitzer nicht ohne weiteres berufen 215 . Vor allem aber kann nach der Verjährung des schuldrechtlichen Verschaffungsanspruchs der Verkäufer/Eigentümer nicht mehr gezwungen werden, im Interesse des Käufers gegen einen Nachbar einzuschreiten; eine solche vertragliche Nebenpflicht ist ebenfalls verjährt. Daher entstehen hier ähnliche Probleme wie bei der nuda proprietas aufgrund der Veijährung der Vindikation 216 . Im Ergebnis zeigt sich, daß es auch bei einem dominium sine re aufgrund der Verjährung des Verschaffungsanspruchs und gleichzeitigen Besitzrechts nicht mehr sinnvoll ist, dem Eigentümer das Eigentum zu belassen.

IV. Zusammenfassung Nach der Vindikationsverjährung ist das Grundstück wirtschaftlich dem Besitzer zugewiesen. Er genießt, vom Ausnahmefall der Zwangsversteigerung des Grundstücks abgesehen, umfassenden Schutz vor Herausgabeansprüchen. Auch Nutzungsherausgabe schuldet er nicht. Die Chancen des Eigentümers, den Besitz am Grundstück wiederzuerlangen, sind denkbar gering und daher bei der Wertermittlung des dominium sine re nicht zu berücksichtigen. Bedeutsamer ist hingegen seine Möglichkeit, mittels Zwangsversteigerung den Wert des Grundstücks zu rea212 213 214 215 216

BGHZ 114, 161 (163); dazu kritisch Paulus, 557 f. BGHZ 114, 161 (163, 166). Schwab / Prütting, Rn. 359. Vgl. oben in Fn. 205. Vgl. oben § 10 II 2d.

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§ 10 Das dominium sine re: Probleme und Restwirksamkeit

lisieren. Abgesehen davon, daß das die nur ganz ausnahmsweise vorliegende Eintragung des Eigentümers voraussetzt, muß diese mit den Besonderheiten des hoheitlichen Zuschlags zusammenhängende Möglichkeit der „Auflösung" der nuda proprietas als unwillkommen bezeichnet werden, da sie die VeijährungsWirkungen unterläuft. Große Schwierigkeiten bereitet die Frage, ob, an wen und in welcher Höhe Schadensersatz zu leisten ist. Die Rechtsprechung macht es sich hier in einem vergleichbaren Fall einfach 217 ; sie müßte konsequenterweise jeden Anspruch des Eigentümers leugnen. Aber auch das Gegenteil hiervon wird, freilich ohne Begründung, vertreten 218 . Nicht einleuchtend ist eine Aufteilung des in Geld geleisteten Ersatzes zwischen dem Besitzer und dem Eigentümer, bemessen mittels einer Schätzung des Resteigentumswerts 219. Denn wenn der Eigentümer tatsächlich das Grundstück zurückerlangen sollte, hätte er den vollen Schaden; wenn jedoch, was die Regel sein wird, das Grundstück beim Besitzer verbleibt, hat der Eigentümer überhaupt keinen Schaden. Die endgültige Aufteilung der Ersatzleistung muß also aufgeschoben werden bis zur - womöglich niemals eintretenden - endgültigen Klärung der Rechtslage am Grundstück. Jedenfalls darf man aufgrund dieser Unsicherheiten die Schadensersatzansprüche selbst bei der Schätzung der Werthaltigkeit des Resteigentums nicht einbeziehen220. Eine zur Problematik des Schadensersatzes parallele Entscheidung muß auch für die Eingriffskondiktion getroffen werden. Den Anspruch aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB bezeichnet Plambeck als „vollwertig" 221 , was sie vor allem die Werthaltigkeit der nuda proprietas behaupten läßt 2 2 2 . Mag diese Ansicht schon im Hinblick auf Mobilien anfechtbar sein 223 , so ist sie jedenfalls bei Grundstücken unhaltbar: Die Verfügung über ein Grundstück setzt gerade nicht die Übertragung des Besitzes voraus, so daß ein zunächst erzielter Verkaufserlös beim (nicht)berechtigt Verfügenden nicht verbleiben wird. In aller Regel 224 wird also ein Anspruch aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB bereits faktisch scheitern. Insgesamt läßt sich die Wertlosigkeit des dominium sine re für den Eigentümer nicht leugnen. Es kommt aber hinzu, daß der Besitzer, dem allein der wirtschaftliche Wert des Grundstücks zugewiesen ist, mit diesem nicht wie ein Eigentümer verfahren kann: So hat er nicht die Möglichkeit, Nachbarn gegenüber die Eigen217 218 219 220

S. oben vor Fn. 120. Pawlowski, AT, Rn. 327. So der Ansatz von Plambeck, a. a. Ο. Dazu oben in Fn. 140.

221 Plambeck, 230. 222 im übrigen setzt auch Plambeck, 232, das dominium sine re an Mobilien betriebswirtschaftlich nur noch mit einem Erinnerungswert von 1 DM an. 223 Vgl. dazu Wieling, proprietas, 2527 ff. 224 Eine Ausnahme, die den Eigentümer freilich auch nicht begünstigt, findet sich oben in § 10 II 2 c cc.

I. Vorüberlegung: Das dominium sine re an beweglichen Sachen

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tümerbefugnisse geltend zu machen. Weist aber die Rechtsordnung das Grundstück weitestgehend dem Besitzer und nicht dem Eigentümer zu, so erscheint es auch geboten, jenem die mit dem Eigentum verbundenen Rechte zu gewähren. Wenn der Besitzer das Grundstück nutzen darf und nutzen soll - um das wirtschaftlich sinnlose Brachliegen des Grundstücks zu vermeiden - , so muß es ihm (und nicht dem nicht interessierten Eigentümer) auch möglich sein, etwa die Einräumung eines Notwegs nach § 917 Abs. 1 BGB vom Nachbarn zu verlangen. Allein sachgerecht ist es daher, dem Besitzer auch das Eigentum am Grundstück zuzusprechen. Dies gilt ebenfalls dann, wenn der Besitzer die exceptio rei venditae et traditae geltend machen kann und auf diese Art nach Verjährung des Verschaffungsanspruchs eine nuda proprietas entstanden ist.

§ 11 Die Auflösung des dominium sine re an Grundstücken I. Vorüberlegung: Das dominium sine re an beweglichen Sachen 1. Der Gesetzgeber hat sich nicht eindeutig für die Beseitigung einer an einer beweglichen Sache bestehenden nuda proprietas entschieden. Er lehnte einen Vorschlag Jacubezkys ab, eine außerordentliche Ersitzung für den Bösgläubigen nach dreißig Jahren (d. h. ab Veijährung der Vindikation) einzuführen 1; ein Dieb sollte nicht Eigentümer werden können. Übersehen haben die Kommissionen dabei den Umstand, daß die bloße Vindikationsverjährung, für die Gutgläubigkeit nicht erforderlich ist, den Dieb hinreichend in seinem Besitz schützt2. Bedeutung hat die Entscheidung des Gesetzgebers daher erst, wenn der bösgläubige Besitzer bestohlen wird, also etwa der Dieb von einem zweiten Dieb, und die Vindikation wegen § 221 BGB wieder auflebt 3. Ein solch unwahrscheinlicher Fall mag allenfalls bei wertvollen Kunstgegenständen relevant werden, bei denen ohnehin an eine Ausnahme von der Ersitzungsmöglichkeit zu denken ist. Der Fall rechtfertigt es aber nicht, das dominium sine re an beweglichen Sachen allgemein aufrechtzuerhalten 4. Die Kommissionen haben allerdings in den §§ 886, 1169,1254 BGB und in dem früheren § 1266 S. 2 BGB den, wie Flume nachgewiesen hat5, zu verallgemeinernden Gedanken zur Geltung gebracht, daß ein inhaltsloses Recht verhindert werden müsse6. In diesen Bestimmungen wird dem Verpflichteten, wenn er sich auf eine peremptorische Einrede berufen kann, ein Gegenanspruch gegen den Berechtigten ι S. oben §6, 3. Zu Recht betont Spiro II, 1398 in Fn. 28, daß die deutsche Verjährung einer Ersitzung sehr nahekomme. 3 S. oben § 41 in Fn. 12. 4 Vgl. schon oben § 41 die auf dem 20. Juristentag geäußerte Kritik. 5 Flume , Einrede, 340 ff., 342 f.; Walsmann, 83. 6 Vgl. auch §§ 12, 63 SchiffsRG. 2

13 Finkenauer

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§ 11 Die Auflösung des dominium sine re an Grundstücken

auf Rechtsverzicht eingeräumt. Dies wurde damit begründet, daß der Berechtigte an der formalen Aufrechterhaltung seines Rechts ein berechtigtes Interesse nicht haben könne, andererseits der Verpflichtete durch das Fortbestehen des Rechts empfindlich getroffen werden könne, so etwa der Grundstückseigentümer, der aufgrund eines bestehenden Grundpfandrechts Kredit nicht erhalten könne7. Diese Erwägungen stehen nicht ohne weiteres mit denjenigen im Einklang, die den Gesetzgeber zur Ablehnung einer außerordentlichen Ersitzung nach der Vindikationsverjährung geführt haben. Zu vereinbaren sind die beiden Konzeptionen jedoch, wenn man dem Gesetzgeber unterstellt, er habe bei Mobilien eine außerordentliche Ersitzung wie in § 900 BGB zwar im Grundsatz abgelehnt, aber durchaus - unter der Voraussetzung fehlenden Interesses des Berechtigten - dem Verpflichteten ausnahmsweise einen Gegenanspruch auf einen Eigentums verzieht einräumen wollen. Ein berechtigtes Interesse ist etwa dann anzunehmen, wenn es sich um einen wertvollen Kunstgegenstand handelt, der ohnehin der Gefahr eines Diebstahls mit der Wirkung des Wiederauflebens der Vindikation viel eher ausgesetzt ist als andere bewegliche Sachen und bei dem sich aufgrund seines Werts das Warten auf eine solche neue Vindikationslage für den Eigentümer „lohnt". 2. Die Frage, ob ein dominium sine re an einer beweglichen Sache aufzulösen sei, ist im Schrifttum sehr umstritten. Neben der (eher resigniert wirkenden) Feststellung, Eigentum und Besitz könnten eben dauerhaft auseinanderfallen 8, finden sich Stimmen, die einen Eigentumsübergang auf den Besitzer unabhängig von der rechtlichen Konstruktion ablehnen9, ebenso wie solche, die einen Eigentumserwerb des Besitzers fordern 10. Die Entscheidung, auf welche Weise der Eigentumserwerb des Besitzers zu konstruieren sei 11 , ist dagegen zweitrangig; denkbar sind eine „Versitzung" im Sinne eines Eigentumsübergangs auf den Besitzer, also eine außerordentliche Ersitzung nach dreißig Jahren 12, eine „Entsitzung", d. h. ein Eigentumsverlust des Eigentümers, mit nachfolgender Aneignungsmöglichkeit des Besitzers 13 und schließlich ein aus § 242 BGB oder entsprechend §§ 886, 1169 etc. BGB hergeleiteter Anspruch auf Eigentumsverzicht oder auf Eigentumsübertragung 14 . Plambecks Überlegung, daß allenfalls die letzte Konstruktion mit dem 7 Mot. III, 724 (Mugdan III, 405); Prot. II, 4482 (Mugdan III, 843); Flume , Einrede, 343. 8 Vgl. nur Baur/Stürner, § 11, Rn. 47. 9

Eckert, Verjährung, 136; ders., Anmerkung, 335 in Fn. 22; Staudinger/Peters, § 194, Rn. 19; Staudinger/Seiler, Einl. zu §§ 854 ff., Rn. 86; Plambeck, 162 ff. 10 Stammler, 559 f.; Flume, Einrede, 340 ff.; Erman/Sirp, 8. Aufl., § 242, Rn. 96; MK/ Medicus, § 985, Rn. 25; § 986, Rn. 7; C. Peters, 465; Kegel, 176 f.; Wieling, proprietas, 2530; Berledt, 125, die dem Vorbehaltskäufer nach der ForderungsVerjährung das Eigentum zuspricht, um ein dominium sine re zu vermeiden. Peters ! Zimmermann, 315, 318, wollen dagegen das dominium sine re durch die Unveijährbarkeit der dinglichen Ansprüche vermeiden, was aber nicht mit der Konzeption des Gesetzgebers in Einklang steht (dazu oben § 7 I 1). 11 Dazu Plambeck, 162 ff. 12 So C. Peters, 365; Wieling, proprietas, 2530. 13 Kegel, 176 f. 14 Erman!Sirp, 8. Aufl., § 242, Rn. 96.

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Willen des Gesetzgebers übereinstimme, der einen ipso-iure-Erwerb in den §§ 886, 1169 etc. BGB gerade habe vermeiden wollen 15 , ist freilich zurückzuweisen: Der Gesetzgeber hat einen ipso-iure-Erwetb nur hinsichtlich der in diesen Normen betroffenen beschränkten dinglichen Rechte geleugnet; aus § 900 BGB wird hinreichend deutlich, daß er im Hinblick auf das Vollrecht durchaus auch einen Vonselbsterwerb für möglich erachtete. Und sogar im Hinblick auf beschränkte dingliche Grundstücksrechte sieht das Gesetz in §§ 901, 1028 Abs. 1 S. 2 BGB einen automatischen Rechtsverlust vor, wenn der entsprechende Anspruch des Berechtigten verjährt ist. Das Hauptargument der einen Eigentumserwerb des Besitzers negierenden Auffassung ist die auch nach der Vindikationsverjährung verbleibende, wenn auch geringe Werthaltigkeit des Resteigentums: An einen Anspruch auf Eigentumsübertragung sei nur zu denken, wenn dieses tatsächlich wertlos sei, was aber nicht der Fall sei 16 ; der Entzug des nicht völlig wertlosen Eigentums verstoße gegen Art. 14 GG 1 7 . Oben wurde, im Hinblick auf Grundstücke, deutlich gemacht, daß mit der Vindikationsverjährung entschieden ist, daß dem Besitzer die Sache umfassend zugeordnet ist 1 8 . Befindet die Rechtsordnung, daß er und nicht der Eigentümer die Sache dauerhaft haben soll, so daß der stärkste Anspruch, der Eigentumsanspruch, versagt wird, ist es nur folgerichtig, wenn auch alle anderen Ansprüche nicht mehr gewährt werden 19. Vor allem ist es der Anspruch aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB, der die These von der Werthaltigkeit des Resteigentums stützen soll 20 . Versteht man den Anspruch jedoch, wie dies die h. M. zutreffend tut, als Rechtsfortwirkungsanspruch, der lediglich an die Stelle des ursprünglich gegebenen Eigentumsanspruchs tritt, wird deutlich, daß er auf keinen Fall weiterreichen kann als der Eigentumsanspruch selbst. Ist dieser verjährt, so ist die Sache gesetzlich dem Besitzer zugewiesen; ein Eingriff ist nicht mehr denkbar 21. Nicht überzeugend ist ferner das Argument, ein letztlich auf Billigkeitserwägungen gestützter Eigentumserwerb widerspreche den besonders im Sachenrecht so wichtigen Prinzipien der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit 22. Gerade die Leugnung eines Eigentumserwerbs des Besitzers perpetuiert eine äußerst unsichere Rechtslage, welche die Verkehrsfähig15 Plambeck,, 171 f. (vgl. Prot. II, 4482; Mugdan III, 843). 16 Plambeck, 170 f. 17 Eckert, Verjährung, 136. ι» Vgl. oben § 10 II. 19 Vgl. Wieling, proprietas, 2527. 20 Plambeck, 220; Müller-Katzenburg,

2558.

21 Vgl. schon oben § 10 II 2 c bb. Eckerts verfassungsrechtliche Bedenken (a. a. O.) gehen schon aus diesem Grund fehl; es kommt hinzu, daß das Bundesverfassungsgericht die durch Zeitablauf eingetretene faktische Entwertung von Eigentum durchaus als Rechtfertigung für einen Eigentumswechsel anerkennt, vgl. BVerfG, WM 1998, 1631 (1633) (zur nachträglichen Überführung von Grundeigentum Privater in Volkseigentum und damit in Eigentum der öffentlichen Hand). 22 So aber Staudinger / Seiler, Einl. zu §§ 854, Rn. 86; Eckert, Anmerkung, 335 in Fn. 22. 13·

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keit der Sache hemmt oder gar aufhebt und die Parteien über deren rechtliches Schicksal weitgehend im unklaren läßt 23 . Zutreffend hat bereits Stammler darauf hingewiesen, daß das Festhalten an einem nicht zu verwirklichenden Recht nicht im Sinne der sozialen Ordnung sein kann 24 ; auch erscheint Kegels Hinweis auf die Erblasserbeschränkungen in §§ 2044 Abs. 1, 2109 BGB sehr beachtenswert: Die Rechtsordnung geht von einer Verfügungsmöglichkeit im Zeitraum eines „Menschenalters", also dreißig Jahren, aus 25 . Nach diesem Zeitraum, der sich auch in der allgemeinen Verjährungsfrist zeigt, darf eine „Neuregelung" der Vermögensverhältnisse stattfinden. Die besseren Gründe sprechen daher insgesamt für die Beendigung des dauerhaften Patts zwischen Eigentümer und Besitzer durch Gewährung einer außerordentlichen Ersitzung. Diese erscheint gegenüber der von Flume vorgeschlagenen Analogie zu §§ 886, 1169 etc. BGB vorzugswürdig, weil gerade bei beweglichen Sachen der ursprüngliche Eigentümer nach dreißig Jahren kaum noch ausfindig zu machen sein wird, gegen den ein Anspruch geltend gemacht werden könnte. Die Frage der nuda proprietas an beweglichen Sachen legt einen Vergleich mit dem römischen Recht nahe. So wurde in spätklassischer Zeit die longi temporis praescriptio, die für Grundstücke wie auch bewegliche Sachen galt, nur als Ausschlußgrund für eine Vindikation verstanden 26, ohne daß ein Eigentumserwerb angenommen worden wäre. Dabei hatten die alten Juristen den bloß prozeßrechtlichen Ausschlußgrund in den X I I Tafeln (6, 3) unbedenklich und völlig sachgerecht als Eigentumserwerb begriffen (usucapio). Erst Justinian ordnete das Ersitzungsrecht neu und vermied weitgehend die Entstehung eines „nackten" Eigentumsrechts; freilich gelang auch ihm das Unterfangen nicht zur Gänze, weil die außerordentliche Ersitzung (longissimi temporis praescriptio) bonafides voraussetzte, die seit 424 bestehende allgemeine Verjährungsfrist von dreißig Jahren für alle Klagen jedoch nicht 27 . 3. Die Möglichkeit einer außerordentlichen Ersitzung nach Veijährung der Vindikation kann bei Mobilien, wie gezeigt, im Gegensatz zu den Immobilien nicht ohne weiteres auf den Willen des Gesetzgebers gegründet werden 28. Vor dem Hintergrund, daß bewegliche Sachen sehr viel leichter den Besitzer wechseln als Grundstücke - gerade ihre heimliche Wegnahme ist jederzeit möglich 29 - , ist ein Wiederaufleben der Vindikation gemäß § 221 BGB nicht ausgeschlossen. Dies gilt 23 SorichtigC. Peters, 465. 24 Stammler, 560. Er verweist auf die interessante Stelle D. 41, 1, 44; vgl. auch Staudinger U. Schmidt, § 242, Rn. 517. 25 Kegel, 176 f. 26 praescriptio ist die Verteidigung im prozeßrechtlichen Sinne, die Einrede. 27 Zum Ganzen Käser I, § 34 I; ders. II, § 243 II; Wieling I, § 11 I 1; ders., proprietas, 2519 ff. 28 Vgl. oben § 6 nach Fn. 16. 29 Im Gegensatz zu Grundstücken, vgl. die 2. Kommission oben § 6, 3.

II. Das dominium sine re an Grundstücken

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freilich nur bei wertvollen Gegenständen, insbesondere Kunstgegenständen, etwa aus öffentlichen Sammlungen, bei denen der Eigentümer auch nach dreißig Jahren noch ein Verfolgungsinteresse haben und umgekehrt auch die Voraussetzung fehlender „Rechtsnachfolge" im Sinne von § 221 BGB viel eher vorliegen wird als bei gewöhnlichen Mobilien. Von der Möglichkeit einer außerordentlichen Ersitzung sind daher - auch aufgrund eines allgemeinen öffentlichen Interesses an ihrer Bewahrung 30 - kulturell wichtige Gegenstände auszunehmen.

II. Das dominium sine re an Grundstücken 1. Eine nuda proprietas ist im Grundstücksrecht als rechtliche Erscheinung nicht sinnvoll - erinnert sei an das Dreipersonenverhältnis von nicht eingetragenem Eigentümer, Bucheigentümer und Besitzer nach Verjährung des Herausgabe- und Berichtigungsanspruchs 31, an das Zweipersonenverhältnis von erst nach der Vindikat i o n veijährung eingetragenem Eigentümer und Besitzer und schließlich an den Fall des dauerhaften Besitzrechts aufgrund der exceptio rei venditae et traditae nach Verjährung des Verschaffungsanspruchs 32. Die vor über einhundert Jahren im Gesetzgebungsverfahren geäußerte Kritik an der rechtlichen Erscheinung hat nach wie vor Gültigkeit 33 ; es bleibt das Verdikt Ehrenzweigs, daß es sich dabei um ein „dem juristischen Laienverstande unfaßbares Abenteuer der juristischen Kunst" handelt34. Kaum nachvollziehbar ist daher, wenn es dessenungeachtet mit der Aussage sein Bewenden haben soll, daß ein dauerhaftes Auseinanderfallen von Grundeigentum und Besitz möglich sei, ohne daß auch nur im Ansatz über eine Abhilfe nachgedacht wird 3 5 . Keine an einem solchen Rechtsstreit beteiligte Partei wird sich mit dem Richterspruch zufrieden geben können, künftige (Rechts-)Streitigkeiten sind absehbar.

30 Vgl. für das Gemeinschaftsrecht die Verordnung (EWG) Nr. 3911/92 des Rates v. 9. 12. 1992 über die Ausfuhr von Kulturgütern, ABl. EG Nr. L 395/1, sowie die Richtlinie 93/ 7/EWG des Rates v. 15. 3. 1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern, ABl. EG Nr. L 74/74, und ihre Umsetzung im hier nicht einschlägigen KulturgutsicherungsG v. 15. 10. 1998 (BGBl. I 1998, 3162). Zum Schutz von Kulturgütern Finkenauer, Rechtsnachfolge, 247. 31 Zur Verjährung des Berichtigungsanspruchs oben § 7 II. 32 Vor Veijährung des Verschaffungsanspruchs besteht in einem solchen Fall zwar auch ein dauerhaftes Besitzrecht des Käufers, dieser kann sich jedoch noch gegen den Verkäufer durchsetzen, indem er ihn auf Auflassung verklagt. Ein dauerhaftes Patt besteht also noch nicht (vgl. oben § 101). 33 S. oben § 41. 34 Ehrenzweig, § 126 (288); ähnlich Spiro II, 1371 in Fn. 12 („bizarre Ergebnisse"), 1450 in Fn. 9; Heck, § 32,4 („Torso"); Schetter, 43. 35 Vgl. nur Baur/Stürner, § 53, Rn. 87; neuerdings wieder BGH, NJW 1999, 489 (492), im Hinblick auf die Verjährung des Anspruchs auf Grundstücksherausgabe nach §§1,2 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes von 1957.

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Die Untersuchung des Parallelproblems der nuda proprietas an einer beweglichen Sache hat gezeigt, daß es zwar eine vorzugswürdige, aber keine gefestigte Meinung zu seiner Lösung gibt 3 6 ; insofern kann für das „nackte" Grundstückseigentum nicht auf bereits allgemein anerkannte Grundsätze zurückgegriffen werden. Wohl aber ruft der Vergleich mit den beweglichen Sachen ins Gedächtnis, daß der Gesetzgeber bei Grundstücken die unwillkommene rechtliche Erscheinung nach der Vindikationsverjährung hat verhindern wollen 37 und, wie Aussagen in der 2. Kommission belegen, auch geglaubt hat, er habe sie mit §§ 898, 902, 900 BGB verhindert 38. Nicht bewußt geworden ist ihm hingegen, daß die in § 927 BGB getroffene Regelung seiner Absicht, das dominium sine re an einem gekauften und übergebenen Grundstück aufzuheben, bereits im Ansatz nicht entspricht 39. Insofern blieb die rechtspolitische Regelungsabsicht vollständig hinter ihrer Umsetzung zurück. Will man auch diese Fälle adäquat lösen, so ist dem Käufer/Besitzer, der den Verkäufer/Eigentümer nach dreißig Jahren nicht mehr auf Auflassung verklagen kann, ein Eigentumserwerb zu ermöglichen, und zwar unabhängig davon, ob letzterer eingetragen ist oder nicht. In einem solchen Fall bestehen aufgrund der eingetretenen „Entrechtung" des Eigentümers keine Einwände gegenüber einer wirklichen Kontratabularersitzung. In den genannten Fällen ist von einer (offenen 40 ) Gesetzeslücke auszugehen, die rechtsfortbildend geschlossen werden muß 41 . Die Berechtigung, die bestehende Gesetzeslücke zu schließen, ergibt sich aus der gesetzgeberischen Absicht und aus dem sinnlosen dauerhaften Patt zwischen Grundstückseigentümer und Besitzer; die Prüfung ihrer Rechte und Pflichten hat ergeben, daß es nicht sachgerecht sein kann, das „nackte" Eigentum zu perpetuieren: In den allermeisten Fällen ist der Besitzer umfassend geschützt und der Eigentümer nicht in der Lage, Vorteile aus seinem Resteigentum zu ziehen42. Das zufäl-

36 Vgl. soeben § 1 1 1 .

37 So auch Süß, 25. 38 S. oben § 6 mit Fn. 16. 39 Vgl. zur Kritik an der Norm oben § 9 VII. 40

Es ist der gesetzlichen Regelung für die genannten Fälle, entgegen der Regelungsabsicht der 2. Kommission, nämlich überhaupt keine Regel zu entnehmen (vgl. Larenz, Methodenlehre, 378 f.). Stammler, 560; Baden, 399; Wank, 100 ff.; Larenz, Methodenlehre, 370 ff.; Engisch, 230-232: Es müsse „denkender Gehorsam" (Heck) gegenüber der wahren Regelungsabsicht des Gesetzgebers geübt werden. - Anders sieht es in einer noch zu besprechenden Fallgruppe aus, der von der Rechtsprechung und weiten Teilen der Literatur zugelassenen Verwirkung der dinglichen Rechtsverwirklichungsansprüche auf Herausgabe oder Berichtigung. Hier besteht keine gesetzliche Lücke; sie wird vielmehr erst nachträglich dadurch geschaffen, daß man entgegen der gesetzgeberischen Absicht auch diese Ansprüche der Verwirkung unterwirft, ohne freilich zu sagen, wie sich das dadurch geschaffene dauerhafte Patt auflösen ließe. Statt eine Lücke erst zu schaffen, ohne sie überhaupt schließen zu wollen, sollte man zunächst das Gesetz anwenden und die „Verwirkungs"probleme systemimmanent lösen. Zum Ganzen unten § 12 V.

II. Das dominium sine re an Grundstücken

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lige Wiedererlangen des Grundstücks ist - im Gegensatz zu Mobilien - schon rechtstatsächlich nicht ins Kalkül zu ziehen und rechtlich kein Argument für die „Kraft" des verbliebenen Eigentumsrechts, da der Eigentümer das Grundstück gerade nicht auf seiner Grundlage erhält 43 . Das Betreibenlassen einer Zwangsversteigerung wird dem Eigentümer in den meisten Fällen - erinnert sei an die Dreiecksverhältnisse - mangels Eintragung im Grundbuch nicht möglich sein, ober aber er macht sich schadensersatzpflichtig gegenüber dem Käufer seines Grundstücks 44. Hielte ein Gericht einen solchen Pattzustand aufrecht, würde es in keiner Weise seiner vornehmsten Aufgabe, rechtsbefriedend zwischen den Parteien zu wirken, gerecht 45. Es ist schließlich auch wirtschaftlich nicht sinnvoll, Verfügungsbefugnis und Grundstücksbesitz dauerhaft zu trennen. Gerade bei in der Regel wirtschaftlich wertvollen Gütern wie Grundstücken ist es ein Postulat der Vernunft, nach einer gewissen Zeit das Gut wieder „unter einen Herrn" zu bringen 46. Abgesehen von den bei einer nuda proprietas möglichen Schwierigkeiten in den Umweltbeziehungen des Grundstücks 47, sind es vor allem „Handel und Wandel", die durch die Anerkennung einer solchen rechtlichen Erscheinung unnötig beeinträchtigt werden 48. Dauerhaft nicht zu verwirklichende Rechte sind sozialordnungswidrig 49. Die Notwendigkeit der Beseitigung eines dominium sine re an einem Grundstück liegt auf der Hand 50 . 2. Will man das dominium sine re auflösen, so sind einem der Beteiligten Eigentum und Besitz am Grundstück zuzusprechen. Im Zweipersonenverhältnis besteht 42

Vgl. oben § 10 II, III und bereits Plancks Antrag in der 1. Kommission, nach Verjährung des Eigentumsanspruchs den Besitzer zum Eigentümer zu machen (Prot. I, 3949; Jakobs / Schubert, SR 1,559). 4 3 Vgl. Walsmann, 82 in Fn. 1. 44

Dazu oben § 10 III. Das Verfahren unterliegt zwar der Maxime der Parteiherrschaft, gleichwohl muß das Gericht auf das Stellen sachdienlicher Anträge hinwirken, die zu einer umfassenden Streitbeilegung führen (§ 139 ZPO). - Angesichts dieses Umstands muß es freilich überraschen, daß sich nur wenige Stimmen im Schrifttum mit der nuda proprietas im Grundstücksrecht auseinandersetzen (vgl. aber immerhin v. Olshausen, 290; Wieling, proprietas, 2530 f.). Davidi Hirsch, 42, schlagen einen richterlichen Interessenausgleich zwischen den Parteien im Falle des dauerhaften Besitzrechts aufgrund der exceptio rei venditae et traditae vor, entsprechend dem Grenzziehungsverfahren in § 920 Abs. 2 BGB. So schon Bähr, Beitrag, 144. 4 ? Dazu oben § 10 II 2 d. 4 « Vgl. Kuhlmann,, 46. 4 9 Stammler, 560; Staudinger/ J. Schmidt, § 242, Rn. 517. Vgl. auch v. Jhering, 25, im Hinblick u. a. auf die Aufhebung eines Rechts durch nonusus: „Das Wesen des Rechts ist praktische Verwirklichung. Eine Rechtsnorm, welche derselben nie teilhaftig geworden oder derselben wieder verlustig gegangen ist, hat auf diesen Namen keinen Anspruch mehr, sie ist eine lahme Feder in der Maschinerie des Rechts geworden, [ . . . ] die man herausnehmen kann, ohne daß sich das mindeste ändert." 45

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Vgl. bereits die Stellungnahmen der Kritik im Gesetzgebungsverfahren oben in § 41.

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hier kein Problem, es kann nur der Besitzer Grundstückseigentümer werden, weil das Resteigentum des Eigentümers wertlos ist. Fraglich ist allerdings, wem das Eigentum im Dreipersonenverhältnis zuerkannt werden muß. Hier konkurrieren die beiden möglichen Publizitätstatbestände, Besitz und Bucheintrag, miteinander; nur einer, der Besitzer oder der Bucheigentümer, kann jedoch Eigentümer werden. Gemeinhin wird dem Besitz im Grundstücksrecht jede eigenständige Bedeutung abgesprochen 51; daß dies nicht zutreffend sein kann, zeigt schon ein Blick auf § 900 BGB, der dem Besitz im Verein mit dem Bucheintrag eine Erwerbsfunktion einräumt 52 . Überdies setzen sich gemäß § 1028 Abs. 1 BGB die tatsächlichen Umstände dann gegenüber der Grundbuchlage durch 53 , wenn eine Anlage die Ausübung einer Grunddienstbarkeit hindert und der Beseitigungsanspruch verjährt ist. Auch bei der Grenzverwirrung ist es in erster Linie der Besitzstand, der maßgeblich ist (§ 920 Abs. 1 S. 1 BGB). Schließlich aber verdeutlicht insbesondere § 927 BGB, daß dem Besitz im Grundstücksrecht, wenn auch nur selten, eine eigenständige Funktion zukommt: Stehen, wie es bei § 927 BGB möglich ist, drei Personen einander gegenüber, also Eigentümer, Bucheigentümer und Besitzer, so soll nicht der Bucheigentümer das Eigentum erwerben können, sondern der Besitzer. Die Konkurrenz der Publizitätstatbestände wird also zu Gunsten des Besitzes aufgelöst: Melior est condicio possidentis 54. Dies ist auch durchaus sachgerecht, wurde doch der Besitzer dreißig Jahre lang von der Außenwelt als Eigentümer wahrgenommen55. I I I . Das Aneignungsrecht des Eigenbesitzers 1. Verschiedene Wege sind denkbar, auf denen eine nuda proprietas an Grundeigentum aufgelöst werden kann. Zunächst kommt ein Anspruch des Eigenbesitzers gegen den Eigentümer auf Übereignung in Betracht. Dieser wäre entweder aus § 242 BGB 5 6 , einer Analogie zu §§ 886, 1169 etc. BGB 5 7 oder - im Falle eines dauerhaften Besitzrechts aufgrund der exceptio rei venditae et traditae nach der Veijährung des schuldrechtlichen Verschaffungsanspruchs - unmittelbar aus dem Verschaffungsanspruch unter Nichtberücksichtigung der eingetretenen Verjährung zu begründen 58. Eine solche Konstruktion hätte aber insbesondere den Nachteil, 51

Vgl. etwa Schwab/Prütting, Rn. 45; Diederichsen, Recht zum Besitz, 143; dagegen aber Wieling I, § 12 V I I I 2 pr. 52 Zu betonen ist, daß in § 900 BGB beide Publizitätstatbestände gleichrangig nebeneinander stehen und nicht etwa der Bucheintrag wichtiger ist als der Besitz (richtig Landsberg, 617; a. A. Hedemann, SR, 92). 53 So zu Recht Philipp, 26,42. 54 Ulpian D. 20, 1, 10; Julian D. 43, 33, 1, 1; Landsberg, 617; Süß, 19. 55 Süß, 19; Krech (oben § 41 a. E.). 56 So v. Olshausen, 290. 57 Flume, Einrede, 341 ff.; v. Olshausen, 290. 58 So David/ Hirsch, 42, die eine richterliche Entscheidung (d. h. Verurteilung zur Auflassung) analog §§ 920 Abs. 2, 1024, 1060, 1090 Abs. 2 BGB vorschlagen, wobei beide Parteien

III. Das Aneignungsrecht des Eigenbesitzers

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daß der Besitzer eine Leistungsklage gegen den Eigentümer anstrengen müßte, obwohl dieser womöglich gar nicht mehr ausfindig zu machen ist 59 . Dabei geht gerade der Grundfall des § 927 BGB davon aus, daß der Eigentümer, der nach Zahlung des Kaufpreises jegliches Interesse an dem Grundstück verloren hat, nicht mehr als Beklagter zur Verfügung steht60. Eine Bereinigung" des Grundbuchs kann also daran scheitern, daß ein Beklagter nicht benannt werden kann; § 58 Abs. 1 ZPO betrifft nur das nach § 928 BGB herrenlose Grundstück. Derselbe Einwand ließe sich gegenüber der Konzeption formulieren, das Eigentum gemäß § 242 BGB oder entsprechend § 900 Abs. 1 BGB sogleich auf den Besitzer übergehen zu lassen. Da das Grundbuchamt diesen nicht ohne weiteres eintragen wird 61 , müßte er gegen den Eigentümer auf Feststellung seines Eigentums klagen und dem Grundbuchamt eine Urteilsausfertigung vorlegen; die Entscheidung, wem das Eigentum zustehe, kann jedenfalls nicht in das Grundbuchverfahren verlagert werden. Nicht überzeugend wäre ferner eine Konstruktion entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Falle, daß der Fiskus auf sein Aneignungsrecht verzichtet und das Grundstück der freien Aneignung entsprechend § 958 Abs. 1 BGB unterliegt 62 . Der entscheidende Unterschied besteht darin, daß dem Grundbuchamt mit dem Verzicht des Aneignungsberechtigten dessen fehlende Berechtigung hinreichend nachgewiesen wird und es deshalb eine Eintragung des Okkupanten ohne weiteres vornehmen kann. 2. De lege lata bleibt in den Fällen einer nuda proprietas nur das vom Gesetz in § 927 BGB vorgesehene Aufgebotsverfahren und Ausschlußurteil; entgegen § 927 Abs. 1 S. 3 BGB darf die Eintragung des gegenwärtigen Eigentümers das Verfahren nicht ausschließen und die Anmeldung bloßen Resteigentums das Ergehen eines Ausschlußurteils nicht hindern. Das Aufgebotsverfahren hat den Vorteil, daß der Besitzer den Eigentümer nicht zu verklagen braucht 63 und dieser ohne weiteres nach § 242 BGB an der Bereinigung ihres Vertragsverhältnisses mitzuwirken hätten. Das kann sich nur darauf beziehen, daß die Veijährungseinrede nicht erhoben werden darf. Der Vorschlag, daß eine solche Verurteilung nur gegen Entschädigung des Eigentümers ausgesprochen werden solle (ähnlich Hofmeister, 361), erscheint freilich nicht folgerichtig: Wenn das Resteigentum so gut wie wertlos ist (vgl. oben § 10 II, III), ist auch eine Entschädigung nicht angezeigt; der Käufer hat bereits mit Zahlung des Kaufpreises das vereinbarte Vermögensopfer erbracht. Dies läßt sich auch gegen Wilhelms Vorschlag, Rn. 594 in Fn. 795, einwenden, nach welchem bei „verfestigten Verhältnissen" analog den Überbauvorschriften die Gewährung eines dinglichen Nutzungsrechts gegen Entschädigung in Betracht komme. 59 Der Besitzer könnte dem Eigentümer die Klage zwar öffentlich zustellen lassen (vgl. §§ 203-207 ZPO), an die Zulässigkeit eines solchen Verfahrens, d. h. an den Nachweis der Unbekanntheit des Aufenthaltsorts des Eigentümers, werden jedoch strenge Anforderungen gestellt (vgl. ZöllerI Stöber, § 203, Rn. 2). Außerdem setzt die öffentliche Zustellung voraus, daß der Besitzer wenigstens weiß, wer der Eigentümer ist. 60

Vgl. etwa die bei Baur/ Stürner, § 53, Rn. 87, und Westermann / Eickmann, § 85 pr., zu § 927 BGB geschilderten Fälle (Auswanderung!). Insbesondere dann nicht, wenn ein anderer Eigentumseintrag noch besteht. 62 Dazu oben § 9 IV 3. 63 Dies betont schon Kuhlmann, 60 f.

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§ 11 Die Auflösung des dominium sine re an Grundstücken

von seinem Eigentum ausgeschlossen wird, wenn er sein Recht nicht anmeldet; die materielle Begründung braucht dann nicht erörtert zu werden. Außerdem dürften die Eigentumsverhältnisse an einem solchen Grundstück regelmäßig nur unter Schwierigkeiten zu ermitteln sein; ein öffentliches Aufgebot ist daher geeignet, weiteren Eigentumsprätendenten die Möglichkeit der Geltendmachung ihres vermeintlichen Rechts zu sichern. Vor allem aber kann das Verfahren mit einem Ausschlußurteil beendet werden, das der Besitzer dem Grundbuchamt vorlegen kann. Problematisch ist die Zulässigkeit des Aufgebots in Zweipersonenverhältnissen, also in Fällen der Vindikationsverjährung trotz Eintragung des Eigentümers und der exceptio rei venditae et traditae. Stellt man hier auf die Voraussetzungen des § 927 Abs. 1 BGB ab, so wäre nur § 927 Abs. 1 S. 3 BGB anwendbar, weil der Eigentümer eingetragen ist. Diese Eintragung darf die Zulässigkeit des Aufgebots jedoch dann nicht hindern, wenn der Besitzer dem Aufgebotsgericht nachweist, daß entweder vor der Eintragung des Eigentümers die Vindikation bereits verjährt war oder daß ein wirksamer Kaufvertrag besteht, er das Grundstück übergeben erhielt und nunmehr sein Verschaffungsanspruch verjährt ist 64 . Dann hat das Aufgebotsgericht den Eigentümer so zu behandeln, als wäre sein Recht nicht eingetragen, und ein Verfahren nach § 927 Abs. 1 S. 1 BGB durch Beschluß zuzulassen65. Vergleichbar ist diese Fallvariante mit dem wegen § 891 BGB erforderlichen Nachweis des Besitzers, der als Eigentümer Eingetragene sei lediglich Bucheigentümer, um ein Verfahren nach § 927 Abs. 1 S. 1 BGB durchzusetzen66. Das „nackte" Eigentumsrecht ist insoweit gleich dem bloßen Bucheigentum zu behandeln. Meldet sich sodann der Eigentümer auf das Aufgebot hin, ist fraglich, ob das Aufgebotsgericht selbst über dessen Ausschluß entscheiden kann oder das Verfahren aussetzen oder ein Vorbehaltsurteil erlassen und die Parteien so auf die Durchführung eines ordentlichen Verfahrens verweisen muß (§ 953 ZPO). Letzteres erscheint deshalb naheliegend, weil es gemeinhin als nicht befugt angesehen wird, die materielle Berechtigung der Parteien zu überprüfen 67. Andererseits kann das Gericht durchaus zu einer materiellen Prüfung berechtigt sein, wenn es für die Überprüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen unabdingbar ist, etwa, wie ausgeführt, im Falle bloßen Bucheigentums. Ferner spricht für die Möglichkeit des Aufgebotsgerichts, selbst über den Ausschluß zu entscheiden, daß die materielle Prüfung, d. h. die Frage, ob der Eigentümer auszuschließen ist, weil er nur noch ein wertloses Resteigentum hat, identisch ist mit derjenigen, ob das Aufgebot zulässig 64 Damit der eingetragene Eigentümer der Möglichkeit eines Gegenbeweises im Hinblick auf die Entstehung eines „nackten" Eigentums nicht beraubt wird, hat ihn das Aufgebotsgericht, wenn möglich, vom Aufgebot zu benachrichtigen, unabhängig von der öffentlichen Bekanntmachung (vgl. auch Daude, 16). 65

Zum Zulassungsbeschluß Daude, 7 f. 66 Dazu oben § 9 II 2 a cc. 67 Daude, 19 f.; Muhr, 153. Eine Aussetzung soll aber nur erfolgen, wenn zugleich die Zulässigkeit des Aufgebots in Frage steht, vgl. oben § 9 III 1.

III. Das Aneignungsrecht des Eigenbesitzers

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ist. Diese aber hat das Gericht bei Zweipersonenverhältnissen bereits bejaht; ein weiteres Verfahren wäre daher impraktikabel und unnötig. Das Aufgebotsgericht kann folglich selbst über den Ausschluß des Eigentümers entscheiden. Anders liegen die Dreipersonenverhältnisse. Hier hat der Besitzer das bloße Bucheigentum des Dritten nachzuweisen, um sodann nach § 927 Abs. 1 S. 1 BGB vorgehen zu können; da der Eigentümer nicht eingetragen ist, steht § 927 Abs. 1 S. 3 BGB nicht entgegen. Zulässig ist ein solches Verfahren ohne weiteres 68. Problematisch ist hier allein der Fall, daß der Eigentümer sein Recht anmeldet. Könnte das Aufgebotsgericht hier über den Ausschluß des Eigentümers entscheiden, träfe es eine materielle Entscheidung, ohne daß diese bereits - wie in den Zweipersonenverhältnissen - in der Zulässigkeitsprüfung erforderlich gewesen wäre. Vor allem aber spricht für die Durchführung eines ordentlichen Verfahrens, daß gegen ein Ausschlußurteil ein Rechtsmittel gemäß § 957 Abs. 1 ZPO nicht stattfindet. Nimmt das Aufgebotsgericht im Zweipersonenverhältnis irrig eine Vindikationsverjährung an, kann eine Anfechtungsklage immerhin noch auf § 957 Abs. 2 Nr. 1 ZPO gestützt werden, weil zugleich die Zulässigkeit des Verfahrens in Frage steht. Im Dreipersonenverhältnis dagegen ist eine Anfechtungsklage wegen der materiellen Frage der Vindikationsverjährung überhaupt nicht möglich. Die fehlende Überprüfungsmöglichkeit der Entscheidung des Aufgebotsgerichts in einer solchen Frage Vindikationsverjährung oder nuda proprietas durch dauerhaftes Besitzrecht - zeigt deutlich, daß das Aufgebot für die Klärung des materiellen Problems nicht geeignet ist. Sobald sich der Eigentümer im Aufgebot meldet, muß das Aufgebotsgericht daher ein Vorbehaltsurteil erlassen 69, und es muß die Wirksamkeit des Eigentumsrechts in einem ordentlichen Erkenntnisverfahren überprüft werden. Gelingt dem Eigenbesitzer freilich der Nachweis, daß ein dominium sine re vorliegt, hat auch das ordentliche Gericht vom Nichtbestehen des Eigentumsrechts auszugehen und ein entsprechendes Urteil zu erlassen. Der Eigenbesitzer kann sich unter Vorlage des Vorbehaltsurteils und des im ordentlichen Prozeßwege erlangten Urteils eintragen lassen, § 927 Abs. 2 BGB. Wie das Gericht seine Entscheidung begründet, ob es einen Eigentumsübergang nach § 242 BGB, analog § 900 Abs. 1 BGB, entsprechend §§ 886, 1196 etc. BGB oder, was eher überzeugt, in offen eingestandener Rechtsfortbildung des vom Gesetzgeber in §§ 898, 900, 902, 927 BGB nur unvollständig geregelten Gesamtkonzeptes annimmt, ist im Grunde genommen gleichgültig 70 .

68 S. oben § 9 II 2 a cc. 69 Da nicht zugleich die Zulässigkeit des Verfahrens in Frage steht, ist eine Aussetzung nicht möglich, vgl. oben in Fn. 67. 70 Man könnte hier auch mit einer Gesamtanalogie (vgl. Larenz, Methodenlehre, 383) zu §§ 900, 927 BGB argumentieren: Aus § 900 Abs. 1 BGB ist die Voraussetzung, daß es zum Eigentumserwerb des Eigenbesitzers der Vindikationsverjährung bedarf, zu folgern, und § 927 BGB zeigt, daß letztlich der Eigenbesitz Vorrang genießt, auch vor einer entgegenstehenden Eintragung.

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Zu klären bleibt die Frage, ob der Eigentumserwerb des Eigenbesitzers ipso iure erfolgt 71 oder erst mit der Rechtskraft des Urteils und mit der nachfolgenden Eintragung. De lege lata erscheint es unmöglich, den Besitzer ohne Urteil und Eintragung als Eigentümer anzusehen, will man das System des § 927 BGB nicht gänzlich verlassen. Aufgrund der Tatsache jedoch, daß der Besitzer nachzuweisen vermag, daß dem Eigentümer nur noch eine nuda proprietas verblieben ist, die wie bloßes Bucheigentum zu behandeln ist, hat der Besitzer im Gegensatz zu den Fällen des § 927 BGB bereits vor Ergehen des Ausschlußurteils ein - ohne Einigung und Eintragung entstehendes72 - Aneignungsrecht am Grundstück: Der Umstand, daß selbst der eingetragene Eigentümer ihm gegenüber nicht mehr befugt ist, sein Eigentumsrecht im Aufgebotsverfahren geltend zu machen, verschafft dem Besitzer bereits eine sichere eigentumsähnliche Position, die, solange der Eigentumserwerb gemäß § 927 Abs. 2 BGB von Urteil und Eintragung abhängt, eben nur „Aneignungsrecht" genannt werden kann. Dieses Recht besteht also nicht erst ab Ergehen des Ausschlußurteils, sondern ab Eintreten der nuda proprietas. Einwenden könnte man gegen ein solches bereits vor dem Ausschluß des Eigentümers entstehendes Aneignungsrecht, daß es sich dabei im Gegensatz zu den Rechten in §§ 927 Abs. 2, 928 Abs. 2 BGB um ein Aneignungsrecht an einer fremden Sache handelt. Ein solches Recht ist der Rechtsordnung aber keineswegs fremd, wie ein Blick etwa auf die §§ 910, 997 oder 956 f. BGB 7 3 zeigt 74 . Zu schützen ist das nach Eintreten einer nuda proprietas entstehende Aneignungsrecht des Eigenbesitzers gegenüber Dritten wie das Eigentumsrecht selbst75. Im Verhältnis zu Eigentümer wie Bucheigentümer 76 ist der Aneignungsberechtigte als der Berechtigte anzusehen. Das bedeutet, daß der Eigentümer dem Besitzer den Grundstücksbesitz selbst dann zurückgewähren muß, wenn er ihn durch Zufall wiedererlangt. Dasselbe gilt, wenn ein Dritter dem Eigentümer statt dem Besitzer (nach einer verbotenen Eigenmacht) den Besitz zurückgibt 77. Nur in dem Fall, daß der Besitzer selbst den Besitz an den Eigentümer herausgibt, verzichtet er stillschweigend auf sein Aneignungsrecht, und der Eigentümer hat wieder voll wirksames Eigentum in Händen. Schadensersatzansprüche gegen Dritte stehen dem Be-

Dann wären Ausschlußurteil und Eintragung nur feststellender Natur. 72 Dazu schon oben § 9 I V 2 vor Fn. 160. 73 Im Falle der §§ 956 f. BGB geht es um eine an den McArbesitzer der Muttersache gerichtete Gestattung. Er erwirbt das Eigentum an den Früchten erst mit der Ergreifung des Besitzes; hat er die Trennung nicht vorgenommen, wurde zunächst der Gestattende Eigentümer (Wolff I Raiser, § 77 IV 1 b). 74 S. v. Tuhr I, 172 f.; Wolff!Raiser, § 79 I; J. v. Gierke, 105; Süß, 32; Wieling I, § 11 IV 2 a. - De lege ferenda ist eine solche komplizierte und nur schwer einsichtige Regelung indessen zu vermeiden; man sollte sich dazu entschließen, dem Besitzer ab Vorliegen eines dominium sine re das Eigentumsrecht ipso iure zuzusprechen (dazu sogleich 3 b). 75 S. oben § 9 IV. 76 Zu letzterem vgl. oben § 11 II 2. 77 Vgl. oben § 10 II 2 a bb.

III. Das Aneignungsrecht des Eigenbesitzers

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sitzer, nicht dem Eigentümer, zu. Beschädigt der Besitzer das Grundstück, so schädigt er nur sich selbst. Abschließend seien noch einige Überlegungen zum Schutz des Besitzers mit Aneignungsrecht in der Zwangsvollstreckung und in der Insolvenz des Eigentümers gemacht. Das Aneignungsrecht ist ein der Vollstreckung durch den persönlichen Gläubiger (von Eigentümer oder Bucheigentümer) entgegenstehendes Recht im Sinne der §§ 37 Nr. 5 ZVG, 771 ZPO 78 . Versäumt es der Eigenbesitzer, sein entgegenstehendes Recht rechtzeitig geltend zu machen, so setzt sich sein Recht am Versteigerungserlös fort (Surrogationsprinzip 79); will er bei der Verteilung berücksichtigt werden, so hat er gegen den Teilungsplan Widerspruch zu erheben, §115 ZVG 8 0 . Sollte freilich auch dies unterbleiben, ist der Eigenbesitzer auf die Geltendmachung eines Bereicherungsanspruchs nach § 812 Abs. 1 S. 1 2. Fall BGB 8 1 gegen den Empfänger, nicht gegen den Ersteher, angewiesen82. Weil der Käufer, an den übergeben, womöglich auch aufgelassen wurde, ohne daß eine Eintragung erfolgt wäre, ebenfalls nach Veijährung seines Verschaffungsanspruchs ein Aneignungsrecht hat, ist insoweit die bislang beinahe einhellige Meinung zu korrigieren, daß ein Besitzrecht aus der exceptio rei venditae et traditae generell nicht zu einem Recht in der Zwangsvollstreckung führen könne 83 . Anders gestaltet sich die Rechtslage, wenn der eingetragene Eigentümer 84 oder der Bucheigentümer das Grundstück gegen die Gewährung eines Darlehens mit einem Grundpfandrecht belastet hat, um so möglichst hohen Profit aus dem Grundstück zu schlagen, das für ihn sonst wegen der Verjährungseinrede des Besitzers nutzlos wäre 85 . Der Aneignungsberechtigte muß zwar entsprechend § 1148 BGB die Zwangsversteigerung in das Grundstück gegen sich gelten lassen, partizipiert aber im Wege der dinglichen Surrogation nach Befriedigung des dinglichen Gläubigers am Versteigerungserlös, anstelle des Eigentümers. Der Eigenbesitzer ist zudem nach §§ 1143, 823, 816 BGB geschützt. So ist ihm analog § 1143 Abs. 1 S. 1 BGB 8 6 die persönliche Forderung gegen den Bucheigentümer zuzugestehen, wenn 78 Auch der Eigentümer kann bei einer Vollstreckung durch den persönlichen Gläubiger des Bucheigentümers in das Grundstück gemäß § 37 Nr. 5 ZVG vorgehen; freilich ist er im Innenverhältnis zum Besitzer nicht mehr als der Berechtigte anzusehen. - Zu betonen ist hier, daß es sich bei dem Besitz des Aneignungsberechtigten nicht um „bloßen" Besitz handelt, der nach zutreffender Auffassung bei der Zwangsvollstreckung in Immobilien nicht gemäß § 771 ZPO geschützt ist. 79 Zellerl Stöber, § 91, Rn. 2.5. so Vgl. Steinerl Teufel, § 37, Rn. 71; ZellerI Stöber, § 115, Rn. 3.4.

β1 So die h. M., die wegen des hoheitlichen Zuschlags nicht von der speziellen Eingriffskondiktion nach § 816 BGB ausgeht, vgl. etwa Schuschke I Walker, Anhang zu § 771, Rn. 2; Pinger, 95 m. w. Nachw. « 83 84 85

Vgl. Steiner/Teufel, § 37, Rn. 71; Zellerl Stöber, § 37, Rn. 6.8; Stöber, Rn. 538. Dazu oben § 10 II 1 a gg. Vgl. oben § 101 vor Fn. 7. Vgl. oben § 10 II 1 a gg.

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§ 11 Die Auflösung des dominium sine re an Grundstücken

dieser das Grundpfandrecht bestellt hat; er kann bei diesem Rückgriff nehmen. Zweifelhaft ist die Anwendbarkeit des § 1143 Abs. 1 S. 1 BGB allerdings in dem Falle, daß der eingetragene Eigentümer das Grundpfandrecht bestellt hat. Prima vista scheint hier eine Identität von persönlichem Schuldner und Eigentümer vorzuliegen und § 1143 BGB daher nicht einschlägig zu sein. Da aber im Innenverhältnis der Eigenbesitzer und nicht der Eigentümer der wirklich Berechtigte ist, ist man an einer entsprechenden Anwendung des § 1143 BGB nicht gehindert; der Eigenbesitzer erhält die persönliche Forderung gegenüber dem Eigentümer/Schuldner. War das Aneignungsrecht schon entstanden, als das Grundpfandrecht bestellt wurde, ist neben dem Rückgriff entsprechend § 1143 Abs. 1 S. 1 BGB an Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB und vor allem aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB zu denken, da der Eigentümer mit der Bestellung des Pfandrechts eine dem Aneignungsberechtigten gegenüber wirksame Verfügung trifft 87 . Erlangt wurde, solange eine Zwangsvollstreckung nicht erfolgt ist, die Belastung des Grundstücks, nicht etwa die Darlehenssumme88. Der Besteller schuldet also die Beseitigung dieser Belastung, etwa indem er den Gläubiger zu einem Austausch der Sicherungsmittel bewegt oder die Darlehenssumme zurückzahlt. Nach Vornahme der Zwangsvollstrekkung ist dies nicht mehr möglich. Da hier eine Personenverschiedenheit von wirklichem Berechtigten und persönlichem Schuldner vorliegt, ist § 1143 BGB, der diesen Spezialfall regelt, einschlägig89. In der Insolvenz des Eigentümers besteht für den aneignungsberechtigten Eigenbesitzer ein Aussonderungsrecht nach § 47 InsO, nach Eröffnung des Zwangsversteigerungsverfahrens die Widerspruchsmöglichkeit nach den §§ 172, 37 Nr. 5 ZVG, 771 ZPO. 3. a) De lege ferenda empfiehlt es sich zunächst, § 927 Abs. 1 S. 3 BGB redaktionell zu verbessern. Das dort vorgesehene Aufgebotsverfahren gegen den nicht eingetragenen Eigentümer, der auch im Hinblick auf die Bewilligung von Eintragungen oder Löschungen sein Grundstück vernachlässigt hat, ist in jedem Fall sinnvoll. Denn damit anerkennt die Rechtsordnung die Wirkung eines langandauernden, dreißigjährigen Besitzes, zum Vollrecht zu erstarken, weil der Eigenbesit86 § 1143 BGB findet auch dann Anwendung, wenn der Gläubiger im Wege der Zwangsvollstreckung aus dem Grundstück befriedigt wird, vgl. Staudinger / Wolf Steiner, § 1181, Rn. 18; § 1143, Rn. 8. 87 Wegen des dinglichen Ersitzungsrechts, das der Eigenbesitzer nach §§ 900, 927 BGB vor der Entstehung des Aneignungsrechts hat (vgl. oben § 10 II 1 c bb), ist er gegenüber einer Verfügung durch den Ztec/teigentümer auch schon vor Entstehung des Aneignungsrechts geschützt.

88 Schuler, 1843; a.A. Pütz, 2332, der aber wie Schuler im Ergebnis davon ausgeht, daß der unberechtigt das Pfandrecht Bestellende die Beseitigung der Belastung des Grundstücks schuldet. 89 Ob man daneben einen Anspruch nach § 816 Abs. 1 S. 1 BGB geben kann, diesmal auf Herausgabe der Darlehenssumme, weil der persönliche Schuldner durch die Befriedigung des Gläubigers aus dem Grundstück diesem gegenüber seine Darlehensschuld getilgt hat, erscheint eher zweifelhaft.

III. Das Aneignungsrecht des Eigenbesitzers

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zer schon längst von der Außenwelt als Eigentümer wahrgenommen wurde. Es gilt hier aber zu betonen, daß der Fall des wirksam verkauften und übergebenen Grundstücks aus dem Anwendungsbereich eines solchen redaktionell verbesserten § 927 Abs. 1 S. 3 BGB herauszunehmen ist. Wie ausgeführt, ist es dann nämlich gleichgültig, ob der Verkäufer/Eigentümer noch eingetragen ist oder nicht, seine nuda proprietas rechtfertigt einen Schutz nicht 90 . Auch die weiteren Fälle eines dominium sine re, bei denen die Vindikation verjährt ist, haben in § 927 Abs. 1 S. 3 BGB keinen Platz. Hierfür muß eine andere Lösung gefunden werden 91. Im Anwendungsbereich des heutigen, redaktionell zu verbessernden § 927 Abs. 1 S. 3 BGB verbleibt also nur der Fall, daß gerade keine nuda proprietas vorliegt, der Besitzer also nicht die exceptio rei venditae et traditae geltend machen kann (etwa weil der Kaufvertrag unwirksam war) oder er sich nicht auf die Verjährung der Vindikation berufen kann. Letzteres ist etwa dann möglich, wenn sich nur ein Eigenbesitzer und ein nicht eingetragener Erbe eines eingetragenen Erblassers gegenüberstehen. Hier kann sich der Erbe gemäß §§ 891, 902 BGB auf die Eintragung seines Erblassers berufen, sein Herausgabeanspruch kann nicht verjähren 92. Wenn in diesem Fall auch künftig ein Aufgebot ermöglicht werden soll, so geschieht dies, um dem allgemeinen Verschweigungsgedanken Rechnung zu tragen, der sich im Fehlen beider Publizitätstatbestände beim Eigentümer niederschlägt: Der wirkliche Eigentümer hat seine Eintragung nicht betrieben und den Besitzer auch nicht zur Herausgabe gezwungen93. Die Formulierung könnte etwa lauten: „Falls der als Eigentümer Eingetragene gestorben oder verschollen ist, ist das Aufgebot zulässig, wenn eine wirksame Eintragung in das Grundbuch, zu welcher der jeweilige Eigentümer seine Zustimmung erklärt hat, seit dreißig Jahren nicht erfolgt ist." 94 Eine solche Redaktion vermeidet nicht nur den berüchtigten sprachlichen Lapsus des heutigen § 927 Abs. 1 S. 3 BGB 9 5 . Sie stellt überdies klar, daß die Zustimmung zu einer Eintragung (oder Löschung) vom jeweiligen Eigentümer erklärt sein darf und unterscheidet diesen so mit der heute h. M. von dem im Eingang des Satzes vorausgesetzten Eigentümer 96. Schließlich wird deutlich, daß nur die tatsächlich erklärte Zustimmung des Eigentümers und das Vorliegen einer wirksamen Grundbucheintragung die Verschweigung hindern. Die Gründe hierfür wurden an anderer Stelle dargelegt 97. b) Ergänzt werden muß § 927 BGB um eine Regelung, die einen ipso iure eintretenden Eigentumsübergang auf den Eigenbesitzer anordnet, wenn eine nuda 90 Vgl. oben § 9 VII. 91 Dazu sogleich unten § 11 III 3 b. 92 Vgl. oben § 91 1. 93 Locher, 184. 94

Vgl. auch Locher, 184. Zu den Änderungen s. die Kritik oben § 9 II 2 b bb. 95 Dazu oben § 5 III 1. 96 Dazu oben § 9 II 2 b bb. 97 Oben § 9 II 2 b bb.

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§ 11 Die Auflösung des dominium sine re an Grundstücken

proprietas vorliegt. Gemeint sind hier zunächst die Fälle, in denen die Vindikation des Eigentümers gegen den Besitzer deshalb verjährt ist, weil ein anderer, ein bloßer Bucheigentümer, im Grundbuch verzeichnet ist (§ 902 Abs. 1 BGB) 9 8 ; ferner kann der Eigentümer auch erst nach der Vindikationsverjährung seine Eintragung erhalten haben, etwa weil der Bucheigentümer auf die Einrede der Verjährung des Berichtigungsanspruchs verzichtet hat 99 oder ihm der Nachweis seines Eigentumsrechts gegenüber dem Grundbuchamt gemäß § 22 GBO gelungen ist. Schließlich bedarf der Fall eines dominium sine re aufgrund der exceptio rei venditae et traditae bei gleichzeitiger Verjährung des schuldrechtlichen Verschaffungsanspruchs des Besitzers einer Regelung, unabhängig davon, ob der Eigentümer/Verkäufer noch eingetragen ist. Es ist kein Grund ersichtlich, das komplizierte Verfahren des § 927 BGB mit Aneignungsrecht und anschließender konstitutiver Grundbucheintragung auch in diesen Fällen aufrechtzuerhalten. Innerhalb des genuinen Anwendungsbereichs des § 927 B G B 1 0 0 ist es nach der Parömie „Contra tabulas non curritpraescriptio" 101 gerechtfertigt, dem Eigentümer eine letzte Möglichkeit einzuräumen, sein Recht geltend zu machen. Nach Entstehen eines dominium sine re hilft ihm auch das nicht mehr. Zudem wird man dann gar nicht sagen können, daß die Ersitzung gegen das Grundbuch gelaufen sei: Entweder ist die Vindikation des nicht eingetragenen Eigentümers verjährt und dieser erst anschließend eingetragen worden, oder aber er selbst hat sich durch wirksame causa und Grundstücksübergabe dauerhaft seinen Herausgabeanspruch gesperrt. Obwohl es sich also, formal besehen, um eine Kontratabularersitzung handelt, sind dies doch nicht die Fälle, welche die genannte Parömie eigentlich ausschließen w i l l 1 0 2 . Auch die Befürchtung der 1. Kommission, die Parteien würden sich Auflassung und Umschreibung ersparen, wenn das Gesetz einen Eigentumserwerb durch Ersitzung ermögliche 103 , kann in heutiger Zeit angesichts des hohen Werts von Grundeigentum und dem daraus resultierenden Bestreben des Erwerbers, sobald als möglich ins Grundbuch zu gelangen, nicht ernstlich eingewendet werden. Die zweite Erwägung des Gesetzgebers, daß der Besitz im Grundstücksrecht keinen Erwerbstatbestand begründen dürfe 104 , ist doktrinär und in letzter Konsequenz nicht durchzuhalten 105. Eine Regelung muß 98 Vgl. oben § 7 I 2. 99 Oben § 7 II. 100

S. soeben a. Dazu rechtsgeschichtlich Hofmeister, 342. κ*2 Auch Süß, 19 f., tritt für eine (beschränkte) Kontratabularersitzung ein. 103 Mot. III, 308 (Mugdan III, 171); dazu Hofmeister, 344 f. 104 Vgl. dazu nur Johows Auffassung (oben § 214). 105 Dagegen hat sich Hofmeister mit seinem Gesetzesvorschlag für das österreichische Recht gegen einen ipso-iure-Erwerb des Besitzers ausgesprochen; dierichterliche Entscheidung, in der auch eine Entschädigung für den Alteigentümer festzusetzen sei, sei aufgrund ihrer Flexibilität vorzugswürdig (353, 361). Sein Vorschlag - der gutgläubige Besitzer soll vom Eigentümer nach dreißig Jahren die Eintragung des Eigentums gegen eine Entschädi101

III. Das Aneignungsrecht des Eigenbesitzers

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daher nicht nur die unsinnige Voraussetzung des Todes oder der Verschollenheit des Eigentümers und des Ablaufs einer Doppelfrist von dreißigjährigem Besitz und dreißigjähriger eintragungsfreier Zeit vermeiden, sondern dem Eigentümer insbesondere die Anmeldung einer bloßen nuda proprietas verweigern 106 . Sicherzustellen ist, daß der nicht eingetragene Eigenbesitzer sein Eigentum auch ohne Klagegegner feststellen lassen kann, um eine Eintragung im Grundbuch zu erreichen. Deshalb erscheint auch in diesem Fall die Durchführung eines Aufgebots als ratsam, dessen Zulässigkeit die zu schaffende Norm gewährleisten und das mit dem Ausschluß des Eigentümers beendet werden muß. Sollte sich dieser im Aufgebot melden, hat - eingedenk der eingeschränkten Rechtsmittel im Aufgebotsverfahren - ein Vorbehaltsurteil zu ergehen und ein ordentliches Gericht den Eigentumserwerb des Besitzers festzustellen und den Vorbehalt zu kassieren. Das Aufgebot des Eigentümers hat hier also nur den Sinn, daß er sein Eigentumsrecht verteidigen kann, indem er das Entstehen einer nuda proprietas widerlegt. Das Urteil und die nachfolgende Eintragung haben keine konstitutive Bedeutung. Ein künftiger § 927 a BGB könnte also lauten: „Der nicht im Grundbuch eingetragene Eigenbesitzer erwirbt das Eigentum, wenn der Eigentumsherausgabeanspruch verjährt ist oder der Eigenbesitzer ein dauerhaftes schuldrechtliches Besitzrecht am Grundstück hat, ohne gegen den Eigentümer einen Anspruch auf Übereignung geltend machen zu können. Er kann nach einem Aufgebot des Eigentümers ein entsprechendes Ausschlußurteil erwirken und das Grundbuch berichtigen lassen."

gung verlangen können, ebenso der sich eine Dienstbarkeit Anmaßende (361) - ist nur vor dem Hintergrund seiner Kritik an der in Österreich immer noch bestehenden gemeinrechtlichen Ersitzung zu verstehen, die eine (Kontratabular-)Ersitzung nach dreißig Jahren gutgläubigen physischen Besitzes ohne jegliche Entschädigung erlaubt (vgl. § 1468 ABGB); insbesondere bei Servituten (etwa Skiabfahrten) haben sich hier durch die entschädigungslose gemeinrechtliche Ersitzung viele Probleme ergeben. Im Gegensatz dazu kennt die deutsche Rechtsordnung zu Recht keine (allgemeine) Kontratabularersitzung und sollte eine solche auch nicht einführen. Wo aber das Grundbuch versagt, d. h. das Grundbuch und die tatsächliche Situation dauerhaft unvereinbar bleiben, erscheint eine sofortige Bereinigung im öffentlichen Interesse geboten, ähnlich wie bei § 900 BGB. Für eine Entschädigungsleistung ist hier kein Raum mehr. 106 Vgl. die Kritik oben § 9 VII. 14 Finkenauer

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§ 12 Die Verwirkbarkeit von Herausgabe- und Berichtigungsanspruch 2. Abschnitt

Das dominium sine re aufgrund Verwirkung § 12 D i e V e r w i r k b a r k e i t von Herausgabeu n d Berichtigungsanspruch I . Die Fälle Der Einwand aus § 242 B G B , der oft als der „königliche Paragraph" oder das „fundamentale Prinzip der gesamten Rechtsordnung" 1 bezeichnet wird, ist nach beinahe einhelliger Auffassung auch gegenüber sachenrechtlichen Ansprüchen zulässig. Zweifelhaft ist diese Auffassung, wenn es beispielsweise nicht lediglich um den nach Treu und Glauben zu bestimmenden Umfang einer Grunddienstbarkeit oder um Einzelheiten des Nachbarrechtsverhältnisses geht, sondern in die sachenrechtliche Zuordnung eingegriffen wird. Dies ist, wie zu zeigen sein wird, der Fall, wenn sich § 242 B G B gegenüber §§ 985, 894 BGB durchsetzt 2 . Nach h. L . und Rechtsprechung können diese Ansprüche „verwirkt" werden 3 , es kann ihnen der Einwand der Arglist 4 oder des Rechtsmißbrauchs entgegengesetzt werden 5 . Der

ι Hedemann, Flucht, 6; Gähler, 99; Gernhuber, Formnichtigkeit, 158; Müller, Rn. 448; OGH, RdL 1950, 31, 33; ganz anders aber E. Wolf,i AT, 113. 2 Die beiden Ansprüche sind ihrem Wesen nach vergleichbar, vgl. Grussendorf440; Naendrup, Verjährung, 305; Mühl, 1661; Timm, 84; Westermann ! Eickmann, § 72 II 1 a; oben § 7 II 3. 3 Von „Verwirkung" spricht man meist nur im Zusammenhang mit der exceptio doli generalis, vgl. etwa Tschischgale, 55; Siebert, Begriff, 2385. Eine Verwirkung wird dann angenommen, wenn neben einem gewissen Zeitablauf (Zeitmoment) der Verpflichtete dem Verhalten des Berechtigten hat entnehmen können, dieser werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen, und der Verpflichtete hierauf vertraut und sich eingerichtet hat, vgl. etwa Kramer, 542 ff.; Staudingerl Peters, Vorbem. zu §§ 194 ff., Rn. 27 ff.; Larenzl Wolf, § 16, Rn. 59. 4

Der Begriff des „Arglisteinwands" mag als Übersetzung von „dolus" unpassend sein (Godow, 176), wird hier aber, weil er sich eingebürgert hat, weiterhin verwendet. 5 Vgl. zum Berichtigungsanspruch Wolff I Raiser, § 46 V; Baurl Stürner, § 18, Rn. 45; Müller, Rn. 875; M. Wolf, SR, Rn. 388; Westermann ! Eickmann, § 72 II 1 b; Schwab / Prütting, Rn. 243; StaudingerI Gursky, § 894, Rn. 110; StaudingerIPeters, Vorbem. zu §§ 194 ff., Rn. 21; Jauernig I Jauernig, § 894, Rn. 9; MK ! Wacke, § 894, Rn. 30; Soergel! SiebertKnopp, 10. Aufl., § 242, Rn. 305; Soergel/Stürner, § 894, Rn. 31; Palandt!Bassenge, § 894, Rn. 13; Kramer, 546; Beitzke, 162; Timm, 84; Stauder, 209 f. Zur Rechtsprechung vgl. die Nachweise bei BGHZ 122, 308 (314). Zum Herausgabeanspruch etwa Wendt, 387, 414; Wolff! Raiser, § 1 III 1; Staudinger ! Gursky, § 985, Rn. 94 ff.; Diederichsen, Recht zum Besitz, 153; Timm, 69, 71; Dette, 41; Zorn, 14; Plambeck, 53, 147; Peters ! Zimmermann, 186, 319; OLG Koblenz, OLG-Report 1998, 498 (499). A. A. Karakantas, 690 f.; Mühl, 1661; Spiro II, 1330 f.; Wieling, proprietas, 2529 ff.; ders. I, § 1 I 3; ders., SR, § 1 I 2, § 20 II 1 a cc; Eckert, Anmerkung, 334 ff.; allg. abl. E. Wolf, AT, 122; OLG München, MDR 1957, 481, 482 (gegenüber dem Herausgabeanspruch bei einer beweglichen Sache); zweifelnd noch

I. Die Fälle

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Arglisteinwand kann durch doloses Verhalten des Klägers bei Vertragsabschluß (exceptio doli specialis, dolus praeteritus) begründet werden oder durch eine langandauernde Nichtgeltendmachung des Anspruchs nach unwirksamem Vertragsschluß, welche ein Vertrauen des Beklagten erzeugt, auch künftig nicht in Anspruch genommen zu werden (