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German Pages 638 [639] Year 2020
Forschungen zum Alten Testament Herausgegeben von
Konrad Schmid (Zürich) ∙ Mark S. Smith (Princeton) Hermann Spieckermann (Göttingen) ∙ Andrew Teeter (Harvard)
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Eigensinn und Entstehung der Hebräischen Bibel Erhard Blum zum siebzigsten Geburtstag Herausgegeben von
Joachim J. Krause, Wolfgang Oswald und Kristin Weingart unter Mitarbeit von
Martin Rahn-Kächele und Desiree Zecha
Mohr Siebeck
Joachim J. Krause, geboren 1978; Studium der Politologie und Evangelischen Theologie in Berlin und Tübingen, mit Studien- und Forschungsaufenthalten an der Hebräischen Universität Jerusalem und in Yale; 2012–2015 Vikariat und Pfarrdienst in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg; 2013 Promotion; 2019 Habilitation; derzeit Leitung eines Projektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft. orcid.org/0000-0002-6156-7698 Wolfgang Oswald, geboren 1958; Studium der Evangelischen Theologie; 1998 Promotion; 2006 Habilitation; seit 2010 apl. Professor für Altes Testament an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen. orcid.org/0000-0002-7193-5634 Kristin Weingart, geboren 1974; Studium der Evangelischen Theologie und Judaistik; 2013 Promotion; 2019 Habilitation; seit 2019 Professorin für Altes Testament an der Ludwig-Maximilians-Universität München. orcid.org/0000-0001-9052-4550
ISBN 978-3-16-156384-3 / eISBN 978-3-16-159269-0 DOI 10.1628/978-3-16-159269-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Mohr Siebeck Tübingen, Germany. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von epline in Böblingen aus der Minion gesetzt, von Druckerei Gulde in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.
Vorwort Im Februar 2020 feiert Erhard Blum seinen siebzigsten Geburtstag. Grund zu feiern haben an diesem Tag viele: zuerst natürlich er selbst und seine Familie, dann auch die Schüler, Kollegen und Freunde, die ihn mit dem vorliegenden Band ehren, darüber hinaus aber alle, die die Hebräische Bibel lesen und verstehen möchten. Denn zur Möglichkeit dieses Verstehens hat Erhard Blum einen Beitrag geleistet, der bleiben und weiterwirken wird. Dazu will der Band sein Teil tun. Er ist der doppelten Frage nach Eigensinn und Entstehung der Hebräischen Bibel gewidmet. Dieser Titel spiegelt etwas von dem exegetischen Arbeiten Erhard Blums, seinem beharrlichen Insistieren auf dem je eigenen Profil, den ‚eigenen‘ Aussagen biblischer Überlieferungen, auch und gerade den widerständigen. Blum lehrt die biblischen Texte als adressatenbezogene Mitteilungsliteratur zu verstehen. So wenig sie selbst akademische Glasperlenspiele sind, so wenig kann es ihre Auslegung sein. Dass die Rede vom ‚Eigensinn‘ für jeden, der ihn kennt, auch an Erhard Blum selbst und sein Engagement in fachlichen Diskursen rührt, steht auf einem anderen Blatt. Aber auch dieses Blatt hat seinen Platz in einer Festschrift. Schiedlicher Einklang ohne Klärung ist seine Sache nicht, die klärende Kontroverse durchaus. Oft und am glücklichsten verbindet sie sich mit einem amikablen Anschlusstermin. Die Einladungen ins gastfreie Haus von Ruthi ( )זכרונה לברכהund Erhard Blum gehören zu den schönsten Erinnerungen an die Tübinger Oberseminare, die sich über die Jahre und dank zahlreicher Gäste – von Jerusalem und Tel Aviv über Stellenbosch bis New York – zu einem bedeutenden informellen Forum des exegetischen Fachgesprächs entwickelt haben. Statt sich auf den Pentateuch, dem die Qualifikationsschriften des Jubilars gewidmet waren und mit dessen Analyse er international besonders stark gewirkt hat, zu beschränken, gilt die Frage dieses Bandes der Hebräischen Bibel im Ganzen. So trägt er der Breite des Werks von Erhard Blum Rechnung, das eben nicht allein dem Pentateuch gewidmet ist, sondern weithin wahrgenommene Impulse auch zu den übrigen Kanonteilen und darüber hinaus gegeben hat. Davon zeugt bereits ein rascher Blick auf das Inhaltsverzeichnis, das nach den Teilen des masoretischen Kanons sowie ferner historischen, linguistischen und hermeneutischen Fragen gegliedert ist. Dies gilt umso mehr, als die epigraphische Frage nach zentralen außerbiblischen Überlieferungen wie denen aus Deir ῾Alla und Kuntillet ῾Adjrud und ihrer eminenten Bedeutung für das Verständnis der Hebräischen Bibel, auf der ein Schwerpunkt der Arbeit Erhard Blums in den vergangenen Jahren lag, hier noch gar nicht berücksichtigt werden konnte.
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Vorwort
Auch das vorliegende Buch hat eine Entstehungsgeschichte, an der viele ihren Anteil hatten. Die spontane Freude, mit der sie ihre Mitarbeit zugesagt haben, und der lange Atem über die zurückliegenden zwei Jahre geben beredtes Zeugnis davon, was ihnen Erhard Blum bedeutet. Ihnen allen gilt unser Dank: den Herausgebern der „Forschungen zum Alten Testament“, den Professoren Konrad Schmid, Mark Smith und Hermann Spieckermann, die den Band in eine Reihe mit den gesammelten Studien des Jubilars gestellt haben; den Autorinnen und Autoren, die einen Beitrag geschrieben haben; Martin Rahn-Kächele und Desiree Zecha, die sich, unterstützt von Kai Krause, um die Form dieser Beiträge verdient gemacht haben; sowie Dres. Henning Ziebritzki und Katharina Gutekunst samt Mitarbeitern beim Verlag Mohr Siebeck, die das Projekt vom ersten Gedanken bis zur letzten Seite auf das Hilfreichste begleitet haben. Für einen namhaften Zuschuss zu den Druckkosten danken wir der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Tübingen und München im Frühjahr 2019
Joachim Krause Wolfgang Oswald Kristin Weingart
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . � V
I. Pentateuch Christof Hardmeier Die Noah-Flut-Erzählung (Gen 6,8–8,20) als Klimax der vorpriesterlichen Urgeschichte und ihre priesterliche Bearbeitung . . . . . . . . � 3 Oliver Dyma Flut und Kalender. Die Datumsangaben im priesterlichen Flutbericht . . . . . � 31 Raik Heckl Die Beschneidung in Genesis 17 – Gebot, Antwort auf das Geschenk des Bundes oder Zeichen? Über eine Präsupposition zur Revision der Thesen von der sogenannten abrahamitischen Ökumene . . . . . . . . . . . . . . . . � 49 Jakob Wöhrle „Gebt mir einen Grabbesitz bei euch.“ Zur Entstehung und Intention der Erzählung von Abrahams Grabkauf in Genesis 23 . . . . . . . . . . . . . . . . . . � 63 Matthias Köckert Die Traumerzählung Genesis 28 im Licht altorientalischer Tempeltheologie und Tempelbaunachrichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . � 77 Konrad Schmid Die Datierung der Josephsgeschichte. Ein Gespräch mit Erhard Blum und Kristin Weingart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . � 99 Wolfgang Oswald Die politische Funktion des Dekalogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . �111 Rainer Albertz Die erstmalige Konstituierung des Pentateuch durch die spät-deuteronomistische Redaktionsschicht (KD bzw. D) . . . . . . . . . . . . . . . . �129
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Inhaltsverzeichnis
Klaus-Peter Adam Purity and Holiness in P: Leviticus 19:11–18 and the Decalogues . . . . . . . . . �147 Thomas B. Dozeman Inner-biblical Interpretation of Gilead in the Wars against Sihon and Og and in the Tribal Territory East of the Jordan River . . . . . . . . . . . . . . �163
II. Vordere Propheten Reinhard G. Kratz Schittim. Eine narrative Verbindung zwischen Numeri und Josua . . . . . . . . �181 Israel Finkelstein Was There an Early Northern (Israelite) Conquest Tradition? . . . . . . . . . . . . �211 Ed Noort Bemerkungen zu einem (un)möglichen Altar (Jos 22,9–34) . . . . . . . . . . . . . . �223 Heinz-Dieter Neef Hannas Lobgesang im Kontext. Beobachtungen zu 1 Samuel 2,1–10 im Kontext der Samuelbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . �241 Thomas Römer Katastrophengeschichte oder Kultgründungslegende? Gedanken zur Funktion der ursprünglichen Ladeerzählung . . . . . . . . . . . . . �259 Omer Sergi On Scribal Tradition in Israel and Judah and the Antiquity of the Historiographical Narratives in the Hebrew Bible . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . �275 Jean Louis Ska Does David Think or Remember? Some Basic Features of David’s Character in 1–2 Samuel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . �301 Kristin Weingart Jerobeam und seine Kulthöhen. Geschichte als Argument im religiösen Diskurs der Perserzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . �315 Sang-Won Lee Der Umgang mit der Kulteinheitsforderung in sekundären Einschreibungen im Deuteronomistischen Geschichtswerk . . . . . . . . . . . . . . �331
Inhaltsverzeichnis
IX
III. Hintere Propheten Martin Leuenberger Die Begründung der Gerichtspräsenz des Königs Jhwh Zebaot in Jesaja 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . �341 Christoph Levin Vom Heil zum Appell. Jesaja 7,1–17 und seine Deutungen . . . . . . . . . . . . . . . �355 Hermann-Josef Stipp Apologetik, Propaganda, Rivalitäten. Zu den Triebkräften der Entstehung des Jeremiabuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . �377 Yair Zakovitch “As a Man Flees …” (Amos 5:19) – On a Proverb and Its Contexts . . . . . . . . �409
IV. Schriften Joachim J. Krause Mundi inversi. Der Topos der verkehrten Welt in Proverbien 30,21–23 und 1 Samuel 2,4–8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . �419 Bernd Janowski „Jhwh tue an euch Güte, wie ihr sie an den Toten und an mir getan habt“ (Rut 1,8). Zum Ethos der Hingabe im Buch Rut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . �441 Louis C. Jonker Holiness and the Levites: Some Reflections on the Relationship between Chronicles and Pentateuchal Traditions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . �457
V. Historische Fragen Regine Hunziker-Rodewald “And God … Created Woman”: Imagined in Terms of a Molding Process . . �477 Herbert Niehr Tartessos – Tarschisch. Von der Iberischen Region zur literarischen Landschaft im Alten Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . �497
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Inhaltsverzeichnis
VI. Linguistische Fragen Walter Groß Syndetische Verbpaare in Kontaktstellung im selben Stichus. Eine Problemanzeige zur Syntax der Psalmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . �529 Jan Joosten Das Verbalsystem des klassischen biblischen Hebräisch . . . . . . . . . . . . . . . . . �541
VII. Hermeneutische Fragen Ernst Michael Dörrfuß „Wende sie hin und wende sie her, denn alles ist darin enthalten“ (Pirqe Abot 5,25). Zur Hermeneutik des Alten Testaments am Beispiel der Psalmenlektüre im Pastoralkolleg der Evangelischen Landeskirche in Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . �555 Hendrik Stoppel Intentio Auctoris – Systematische und philosophische Überlegungen zu einer ahistorischen Kategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . �571 Helmut Utzschneider Lässt sich der „Endtext“ sachgemäß auslegen – und wenn ja, welcher? Ein Gespräch mit Erhard Blum samt einer Auslegung von Exodus 19,20–25 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . �589 Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . �609 Stellen in Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . �613
I. Pentateuch
Die Noah-Flut-Erzählung (Gen 6,8–8,20) als Klimax der vorpriesterlichen Urgeschichte und ihre priesterliche Bearbeitung Christof Hardmeier
In seiner programmatischen Tübinger Antrittsvorlesung im Sommersemester 2001 „Notwendigkeit und Grenzen historischer Exegese“ hat Erhard Blum auf das Problem von „fundamentale[n] Annahmen über den zu untersuchenden Gegenstandsbereich“ aufmerksam gemacht, „die, einmal etabliert, zu unbefragten Selbstverständlichkeiten, zu impliziten Axiomen der disziplinären Arbeit absinken.“1 Zu solchen Annahmen gehört die Quellenscheidung in der NoahFlut-Erzählung (= NFE) von Gen 6,8–8,20, wonach bis heute die Textabschnitte 6,9–22 und 8,15–19 pauschal der Priesterschrift zugeordnet werden. „Jahwistische“ bzw. nicht- oder vorpriesterliche Spuren der NFE (= VP‑NFE) werden demnach nur in 7,1–8,14 vermutet,2 wobei die beiden „Erzählversionen kunstvoll ineinander gearbeitet sind“.3 Doch gibt es für die eigentümliche Verschränkung dieser Erzählstränge bis heute weder in literaturgeschichtlicher Hinsicht eine befriedigende Erklärung, noch sind ihre Textanteile im Einzelnen klar bestimmt. Was die literaturgeschichtlichen Erklärungsmodelle betrifft, hat E. Blum gegenüber der quellentheoretischen Urkundenhypothese und ihren redaktionsgeschichtlichen Modifikationen einen kompositionsgeschichtlichen Ansatz ins Spiel gebracht und gezeigt, dass „es sich bei den priesterlichen Texten aufs Ganze 1 E. Blum, Notwendigkeit und Grenzen historischer Exegese. Plädoyer für eine alttestamentliche „Exegetik“, in: Ders., Grundfragen der historischen Exegese. Methodologische, philologische und hermeneutische Beiträge zum Alten Testament, hg. von W. Oswald und K. Weingart (FAT 95), Tübingen 2015, 1–29, hier 13. 2 Vgl. dazu jüngst J. C. Gertz, Das erste Buch Mose. Genesis. Die Urgeschichte Gen 1–11 (ATD 1), Göttingen 2018, 218–231, und zum literaturgeschichtlichen Verhältnis der priesterlichen und nicht-priesterlichen Textzusammenhänge in Gen 1–11 ebd., 5–18; vgl. ferner dazu den Überblick bei E. Blum, Art. Urgeschichte, TRE 34, 2002, 436–445, M. Witte, Die biblische Urgeschichte. Redaktions- und theologiegeschichtliche Beobachtungen zu Genesis 1,1–11,26 (BZAW 265), Berlin/New York 1998, 130–142 und 177–184, sowie die Diskussion in E. Zenger, Art. Priesterschrift, TRE 27, 1997, 435–446, hier bes. 437–438, und H. Seebass, Art. Pentateuch, TRE 26, 1996, 185–209, bes. 190–196. 3 Blum, Urgeschichte, 438.
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Christof Hardmeier
gesehen um eine nicht-selbständige Textschicht [handelt]“.4 „Z. T. erweisen sich“ dabei „die priesterlichen Texte […] als Bearbeitungen, die in Anlehnung an und im Zusammenspiel mit der vor-priesterlichen Überlieferung“ verstanden und „gedeutet werden wollen, z. T. aber stehen sie distanziert, kontrastierend oder gar korrigierend neben der vorgegebenen Überlieferung, ohne mit dieser harmonisiert werden zu wollen“.5 Damit durchbricht Blum die textpositivistischen Systemzwänge von selbständigen Quellenschriften mit redaktionellen Anpassungen und liefert den heuristischen Schlüssel zu einer literaturgeschichtlich adäquaten Erschließung sowohl der VP‑NFE als auch ihrer priesterlichen Bearbeitung (P‑B) in Gen 6,8–8,22 ohne die forschungsgeschichtliche Vorentscheidung, dass 6,9–22 und 8,15–19 a priori der P‑B zuzuordnen sind.6 In methodologischer Hinsicht beruht die folgende Rekonstruktion auf den sprachphänomenologischen und textempirischen Verfahren einer Lesehermeneutik der Behutsamkeit. Sie geht auf den axiomatischen Grundlagen einer kommunikationspragmatischen Rhetorik und Narratologie im Rahmen einer bibelwissenschaftlichen Exegetik davon aus, dass Texte jeder Art als Artefakte der Kommunikation zu betrachten, textempirisch zu erschließen und demzufolge als Partituren der Sinnbildung zu verstehen sind.7 Nach diesen Verfahren geht es einerseits um die genaue Klärung und Identifikation der Textanteile sowohl der VP‑NFE als auch ihrer P‑B. Andererseits wird zugleich ihre narrative Sinnbildungs-Funktion sowohl im Kontext der VP‑Urgeschichte (= VP‑UG) von Gen 2,4b–9,27 (bzw. 11,9?) als auch der schöpfungs- und menschheitsgeschichtlichen Konzeption der P‑B zu bestimmen sein, die in Gen 1,1–2,4a und Gen 5 angelegt ist.
4 E. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch (BZAW 189), Berlin/New York 1990, 219–285, das Zitat 222. 5 Ebd. (Hervorhebungen im Original). 6 Mit der diachronen Unterscheidung der VP‑NFE von ihrer P‑B wird terminologisch das Ergebnis der heuristischen Texterschließung vorweggenommen. Sie soll im Folgenden nachgezeichnet werden, um dieses Ergebnis zu begründen, und ist deshalb keine Vorausfestlegung. 7 Vgl. C. Hardmeier, Elementarbausteine einer bibelwissenschaftlichen Exegetik mit einer textempirischen Sinnerschließung von Genesis 22, in: J. J. Krause/K. Weingart, Exegetik des Alten Testaments. Bausteine für eine Theorie der Exegese (FAT II), Tübingen (im Erscheinen) sowie Ders., Art. Literaturwissenschaft, biblisch, RGG4 5, 2002, 425–429, und Ders., Textwelten der Bibel entdecken. Grundlagen und Verfahren einer textpragmatischen Literaturwissenschaft der Bibel. Bd.1/1, Gütersloh 2003, Bd.1/2, Gütersloh 2004. Zum zugrundeliegenden Textverständnis vgl. ferner Ders., The Achilles Heel of Reader-Response Criticism and the Concept of Reading Hermeneutics of Caution, in: H. Liss/M. Oeming (Hg.), Literary Construction of Identity in the Ancient World, Winona Lake 2010, 121–133, hier bes. 126–128, und Ders., Die textpragmatische Kohärenz der Tora-Rede (Dtn 1–30) im narrativen Rahmen des Deuteronomiums. Texte als Artefakte der Kommunikation und Gegenstände der Wissenschaft, in: L. Morenz/S. Schorch (Hg.), Was ist ein Text? Alttestamentliche, ägyptologische und altorientalische Perspektiven (BZAW 362), Berlin/New York 2007, 207–257, bes. 213–215.
Die Noah-Flut-Erzählung (Gen 6,8–8,20)
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I. Die Noah-Flut-Erzählung (NFE) in Gen 6,8–8,20* als Klimax der vorpriesterlichen Urgeschichte (VP‑UG) in Gen 2,4b–9,27* 1. Die allumfassende Problemkonstellation der VP‑UG in 2,5 Zur Erfassung der hoch komplexen Textur der VP‑UG ist von der grundlegenden Problemkonstellation auszugehen, dass es in der mythopoetisch erzählten Welt aus zwei Gründen weder (nutzbare) Strauchgewächse ( )ׂשיח הׂשדהnoch (anbaufähige) Nutzpflanzen ( )עׂשב הׂשדהgab (2,5a): zum einen, weil Jhwh Elohim noch nicht hat „regnen lassen auf den Erdboden“ (V. 5bα, לא המטיר יהוה אלהים על )הארץ, zum andern, weil es noch keinen Menschen gab, um das Ackerland zu bearbeiten (V. 5bβγ, )ואדם אין לעבד את האדמה. Beiden Mängeln half Jhwh Elohim insofern unmittelbar ab, als er einerseits zur Bewässerung der Ackerland-Flächen statt Regen vom Himmel Stromwasser aus dem Erdboden hervorquellen ließ (V. 6) und andererseits aus Ackerland-Löss den Menschen schuf (V. 7). Damit blieb in narratologischer Hinsicht jedoch zum einen offen, ob der erschaffene Mensch auch wirklich fähig und in der Lage ist, das Ackerland zu bebauen, und zum andern, ob und wenn ja wann Jhwh Elohim innerhalb der erzählten Welt den dafür notwendigen Regen bringen wird. Beide offenen Fragen werden in der VP‑UG erst in Verbindung mit Noah beantwortet. Erst Noah wird in 7,4a davon in Kenntnis gesetzt, dass Jhwh es vierzig Tage und Nächte „regnen lassen will auf den Erdboden“ ()אנכי ממטיר על הארץ, wobei dann nach 7,12 erstmals auch tatsächlich ein 40-tägiger Dauerregen fiel. Und erst in 9,20 schließt die VP‑UG damit ab, dass Noah als erster Mensch ein tauglicher, sozusagen qualifizierter „Acker-Mann“ ( )איׁש האדמהwar, der mit der witterungs- und jahreszeit-abhängigen Landwirtschaft und mit dem Weinbau „anfing“. Die Voraussetzung dafür war jedoch, dass die Niederschläge zur Bewässerung des Erdbodens nicht in Form einer vernichtenden Regenflut niedergingen, sondern im geregelten Rhythmus der Jahreszeiten, den Jhwh in seiner dritten Selbstreflexion von 8,21–22 auf ewig zu garantieren verspricht (V. 22). Damit ist die allumfassende Problemkonstellation der VP‑UG umrissen, die in 2,5 exponiert und als weitester Spannungsbogen in 8,22 bzw. 9,20 aufgelöst wird. 2. Jhwhs vergebliches Bemühen um das ‚Gute‘ für den Menschen als Ackerbauer (2,8–4,16) und die kainitische Menschheit (4,17–24) Um den erschaffenen Menschen (2,7) zur intelligenten und umsichtigen Bearbeitung des Ackerbodens auszurüsten und zu befähigen, ergriff Jhwh Elohim in 2,8–23 eine Reihe von fürsorglichen Maßnahmen. Er setzte ihn in einen paradiesischen Fruchtgarten (V. 8–9) mit der Aufgabe, diesen sorgsam zu bearbeiten und zu pflegen (V. 15bβ, לעבדה ולׁשמרה, vgl. 2,7). Und zur mühelosen Lebensfristung gewährte er ihm, zur Nahrung von allen Bäumen des Gartens essen zu dür-
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Christof Hardmeier
fen (V. 16). Nur vom Baum der Erkenntnis von ‚Gut‘ und ‚Böse‘ ()הדעת טוב ורע sollte er nicht essen, weil er davon sterben müsste (V. 17). In einem ersten inneren Monolog (V. 18) – wie dann wieder in 6,7 und 8,21– 22 (!) – machte sich Jhwh Elohim weiter fürsorgliche Gedanken über den Menschen, dass es nicht gut für ihn sei, beziehungslos für sich allein zu sein (V. 18a), und entschließt sich deshalb, ihm als Beistand zu einem Gegenüber zu verhelfen, das ihm entspricht (עזר כנגדו, V. 18b). Dazu erschuf er (V. 19aα) die Gesamtheit der Tiere des Feldes ( )כל חית הׂשדהund der Vögel des Himmels ()כל עוף הׁשמים, um zu sehen (V. 19aβ, )לראות, wie der Mensch diese Tiere benennt und sich damit sprachlich zu ihnen ins Verhältnis setzt (V. 20a). Daraus ging jedoch hervor, dass sich unter den Tieren kein dem Menschen entsprechender Beistand fand (V. 20b). Deshalb erschuf Jhwh Elohim aus dem Körper des Menschen die Frau (V. 21–22a) und schaute erneut, was der Mensch dazu sagen würde (V. 22b). Im Unterschied zum Versuch mit den Tieren bestätigte ihm der Mensch in wörtlicher Rede, dass ihm die erschaffene Frau „diesmal ( “)!הפעםals „Bein von meinem Bein“ und „Fleisch von meinem Fleisch“ vollkommen entspricht und dass er als איׁשin ihr als אׁשהein in jeder Beziehung ihm entsprechendes Gegenüber sieht. Somit kommen im Diskurs zwischen Jhwh Elohim und dem Menschen in 2,18–23 sowohl die Urteilsfähigkeit als auch die Entscheidungsfreiheit des Menschen für das ‚Gute‘ zum Tragen, das sich im Dialog mit Gott und seiner gütigen Zuwendung zu ihm (V. 18) zeigt, soweit er dafür empfänglich bleibt (vgl. V. 19aβ und 22b!). In dieser freien Urteilsfähigkeit in Korrespondenz mit Gott und dem Hören auf seine Stimme lebte das erste Menschenpaar im paradiesischen Garten nackt und ohne Scham (2,25) wie alle anderen Tiere auch. Jedoch hielt sich das Menschenpaar nicht an das fürsorgliche Gebot, nicht vom Baum der Erkenntnis von ‚Gut‘ und ‚Böse‘ zu essen (3,1–7). Im Dialog mit der Schlange als Verkörperung der menschlichen Vernunft und Klugheit (3,1) brachte die Frau das vermeintlich Gute der diskursiven Vernunft und Erkenntnisfähigkeit in Erfahrung (V. 6aα), das sich jedoch als zwiespältig und ambivalent erwies. Denn in diesem prekären Vernunftgebrauch (= essen vom Baum der Erkenntnis), der auf der spitzfindigen Selbstklugheit wie im Dialog zwischen der Schlange und der Frau beruht, verschieben sich die Wahrnehmungshorizonte. Und als Resultat dieser Sophistik (= יצר מחׁשבת לבin 6,5b) zeigt sich in der Selbsttäuschung über das ‚Gute‘ als Kehrseite das Schlechte bzw. ‚Böse‘ und Schambehaftete (Nacktheit), was man zu verstecken und zu verdrängen versucht (V. 7). Auf diesen Vernunftgebrauch einer selbstreferenziellen Klugheit ohne korrespondierenden Gottes-Bezug – wie in 3,1–5 im Gegensatz zu 2,18–23 – sprach Jhwh Elohim das Ur-Paar in V. 8–11 an. Dabei wiesen beide in V. 12–13 die Selbstverantwortung für ihre selbstkluge Eigenmächtigkeit weit von sich und schoben die Schuld dafür auf die Schlange. Denn diese hatte mit der Frau in V. 1–5 über den erlaubten bzw. verbotenen Genuss von den Bäumen im Garten so voller gegenseitiger Missverständnisse diskutiert, dass die Frau am Ende meinte,
Die Noah-Flut-Erzählung (Gen 6,8–8,20)
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man könnte auch die Früchte vom Baum der Erkenntnis gefahrlos essen.8 Deshalb stellte Jhwh Elohim in V. 14–19 dem verantwortungslosen Menschenpaar eine Reihe von lebensmindernden Beschwernissen in Aussicht (עצבון, V. 16a und 17bβγ → 5,29), die ihnen das Leben außerhalb des Gartens schwer machen werden. Und daraus vertrieb er sie dann (V. 23a), damit sie statt des Gartens (√ 2,15b) das Ackerland bebauen (לעבד את האדמה, V. 23b √ 2,5bβ). Im Blick auf die abschließende Selbstbesinnung Jhwhs in 8,21aβ1 ist dabei von besonderer Bedeutung, dass in 3,17bα zusätzlich zu den angekündigten Beschwernissen auch das Ackerland selbst mit einem Fluch belegt wird (ארור )האדמה בעבורך, weil der erste Mensch statt auf Jhwhs Gebot von 2,17a auf seine Frau gehört und vom Baum der Erkenntnis gegessen hatte (3,17a → 5,19). Jhwhs fürsorgliches Wohlwollen für den ersten Menschen und die ihm zugestandene Urteilsfähigkeit und Entscheidungsfreiheit im Dialog mit ihm in 2,15–23 wurden damit in 3,1–13 bitter enttäuscht. Weit tiefer war die Enttäuschung Jhwhs in 4,1–16 über den Sohn des ersten Menschenpaars. In 4,6 sprach er Kain fürsorglich auf die große Wut an, die das abgelehnte Opfer ausgelöst hatte (V. 5), und mahnte ihn dazu, seine Herabsetzungs- und Kränkungsgefühle im Griff zu halten (V. 7), um sich nicht zu verheerenden Hass- und Gewalttaten hinreißen zu lassen. Jedoch versagte auch Kain in seiner Wahlfreiheit und brachte zur Kompensation seines tief verletzten Selbstwertgefühls seinen Bruder Abel um (V. 8).9 Wie seine Eltern stellte Jhwh daraufhin auch Kain für das Verschwinden seines Bruders zur Rede (V. 9a), der jedoch seine Hass-Tat rundweg ableugnete (V. 9b). Deshalb wird Kain in 4,11 – weit schärfer als das Ackerland in 3,17bα – selbst als Person verflucht und ganz aus dem Kulturkreis der Acker-Landwirtschaft exkommuniziert. Zum Selbstschutz versah Jhwh ihn nur mit dem Zeichen der eskalierenden Rache- und Gewaltandrohung (V. 12–15). Vollends läuft für Jhwh der Mensch, den er geschaffen hatte, damit aus dem Ruder, dass Kain sich nach 4,16a ganz aus dem dialogischen Kontakt mit ihm verabschiedet hatte ()ויצא קין מלפני יהוה. Damit wurde er zugleich zum Stammvater von Generationen einer kainitischen Menschheit (4,17–24), die sich fernab von jeder Beziehung zu Jhwh und außerhalb des Kulturkreises der Ackerbauer zu einer übermächtigen Gewaltkultur der potenzierten gegenseitigen Abschreckung entwickelte (vgl. V. 23–24, ferner 6,1–4).
8 Vgl. dazu im Einzelnen C. Hardmeier/K. Ott, Naturethik und biblische Schöpfungserzählung. Ein diskurstheoretischer und narrativ-hermeneutischer Brückenschlag, Stuttgart 2015, 302–305, bes. 304. 9 Auch dazu vgl. im Einzelnen ebd., 305–311.
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3. Das Nachdenken Jhwhs über den Menschen (6,5–7 und 8,21–22) angesichts seines Versagens als VP‑Rahmen der NFE Im Rückblick auf sein vergebliches Bemühen um das ‚Gute‘ für den Menschen (2,15–23) stellt Jhwh in 6,5a mit Bestürzung fest, dass die Bösartigkeit des Menschengeschlechts auf der Erde übermächtig geworden war ()רבה רעת האדם. Insbesondere was den ersten Menschen und seine Frau betrifft, stehen in V. 5b die eigenmächtig erworbene Erkenntnisfähigkeit von ‚Gut‘ und ‚Böse‘ und der prekäre Vernunftgebrauch des Ur-Paars im Mittelpunkt seiner Bestürzung. Die mentalen Gebilde seines Herzens (5bα, )וכל יצר מחׁשבת לבו, die aus der selbstreferenziellen Selbstklugheit des menschlichen Denkens resultieren (= יצר מחׁשבת )לב, sind insgesamt und in einem fort nur noch ‚böse‘ i. S. v. verderbt und selbstzerstörerisch geworden (5bβ, )רק רע כל היום. Dabei handelt es sich beim ‚Herzen‘ ( )לבum das Zentralorgan des menschlichen Fühlens und Denkens, das der selbstreflexiven Orientierung im Lebensprozess dient.10 Nach der bestürzenden Einsicht Jhwhs hat das Denkvermögen dieses Zentralorgans ‚Herz‘ nur noch selbstdestruktive Gedanken-Gebilde ( )יצר מחׁשבתhervorgebracht. Angesichts dieser Erkenntnis grämte sich Jhwh und geriet nicht nur in tiefste Selbstzweifel über sein Werk, den Menschen überhaupt geschaffen zu haben (6,6). Vor allem dachte er in der zweiten Selbstreflexion in V. 7 (vgl. 2,18 und 8,21–22) auch über vernichtende Konsequenzen nach, die er daraus zu ziehen beabsichtigt: 6 Da
reute es Jhwh, dass er den Menschen gemacht hatte auf Erden (√ 2,7), und es bekümmerte ihn in seinem Herzen. 7 Und Jhwh sprach / dachte (bei sich, √ 2,18 → 8,21–22): Vertilgen ( מחהqal) will ich den Menschen, den ich geschaffen habe (√ 2,7), weg von der Ackerland-Fläche (→ מעל פני האדמה 7,4b.23aα1) – den Menschen samt dem Vieh, dem Kriechgetier und dem Flugwild des Himmels (→ 7,23aα2), denn es reut mich (כי נחמתי nif.), dass ich sie gemacht habe (כי עׂשיתם, √ 2,7.19 → 7,4b).
Mit dieser zweiten Selbstreflexion Jhwhs gibt der Erzähler zugleich einen Vorblick auf wesentliche Grundzüge der VP‑NFE. Denn erst in 7,4a teilt Jhwh auch Noah selbst mit, dass er es vierzig Tage und Nächte „regnen lassen will auf den Erdboden“ ()אנכי ממטיר על הארץ, was in der allumfassenden Problemkonstellation der VP‑UG als Spannungsbogen bisher noch offengeblieben war (vgl. 2,5bα und oben I.1). Vor allem aber kündigt er Noah in 7,4b zudem seine eigentliche Absicht an, mit der Regenflut alles Bestehende, was er gemacht hatte, von der Ackerland-Fläche weg zu tilgen und damit zu vernichten (ומחיתי את כל היקום אׁשר )עׂשיתי מעל פני האדמה. 10 Vgl. B. Janowski, Das Herz – ein Beziehungsorgan. Zum Personverständnis des Alten Testaments, in: Ders./C. Schwöbel (Hg.), Dimensionen der Leiblichkeit. Theologische Zugänge, Neukirchen-Vluyn 2015, 1–45, und immer noch grundlegend, H. W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, München 1973, 68–95 (Nachdruck 9. Aufl. Kaiser Taschenbücher 91, Gütersloh 2002) sowie jüngst D. Erbele‑Küster, Biblische Anthropologie und Ethik, in: M. Held/M. Roth (Hg.), Was ist Theologische Ethik?, Berlin 2018, 339–351, hier bes. 344–345.
Die Noah-Flut-Erzählung (Gen 6,8–8,20)
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Diese Vernichtungsabsicht wird dann einerseits in 7,23aα – in weitgehend wörtlicher Übereinstimmung von 23aα1 mit V. 4b – als tödliche Wirkung der Regenflut (vgl. V. 22) – schonungslos erzählt ()וימח את כל היקום אׁשר על פני האדמה. Andererseits stimmt sie mit der Selbstreflexion Jhwhs in 6,7 überein, wobei dort in 7aα der Mensch stärker im Mittelpunkt steht ()אמחה את האדם אׁשר בראתי מעל פני האדמה. Auch stimmt die Gesamtheit der Geschöpfe, die nach V. 7aβ von der beabsichtigten Auslöschung bedroht sein wird (מאדם )עד בהמה עד רמׂש ועד עוף הׁשמים, im Wortlaut genau mit der Spezifikation von „allem Bestehenden“ ( כל היקוםvgl. 7,4b) überein, das nach 7,23aα2 in der Regenflut auch tatsächlich umkam. Allerdings sind beide Versteile der P-B zuzuordnen (vgl. 6,20; 7,14; 8,17a* und 19* sowie unten IV.2.4).
Jhwhs Ankündigung seiner Vernichtungsabsicht gegenüber Noah innerhalb der VP‑NFE in 7,4b wird somit weitgehend wörtlich in der rahmenden Selbstreflexion von 6,7a vorweggenommen. Zudem zeigt sie, dass er im Dialog mit Noah wieder den Kontakt zum Menschen gefunden hat, wie er anfänglich in 2,15–23 angelegt (vgl. oben I.2), aber seit Kain und seinen Nachkommen abgebrochen war (4,16a). Weil Noah – wie unten III.1.1 zu zeigen sein wird – zuvor schon Jhwhs Anweisungen in 6,14 zum Bau der Arche und in V. 21a zur Nahrungsvorsorge wohl überlegt nachgekommen war, kommt auch Jhwh in 7,1b zu der Einsicht, dass Noah im Unterschied zur verdorbenen Generation seiner Zeit (vgl. 6,5a!) ein rechtschaffener und vernünftiger Mensch ist (כי אתך ראיתי )צדיק לפני בדור הזה, wie Jhwh Elohim ihn in 2,15–23 gedacht hatte. Noah wird – wie unten in den Abschnitten III.1, IV.1 und V.1 im Einzelnen zu zeigen ist – in der NFE von 6,8–8,20 als Mensch portraitiert, der in lebendiger Korrespondenz mit Gott, d. h. im Hören auf seine Weisungen (6,14.18b–19a.21; 7,1–3 und 8,16–17), diese Impulse aus freier Entscheidung klug und vernünftig in die Tat umsetzt. Dabei ist zu beachten, dass Jhwh sich in der ganzen NFE sowohl in 2,19aβγ als auch in 6,5a und 7,1b jeweils anschaut (√ )ראה, ob und wie sich der Mensch, den er geschaffen hat (2,7), in Korrespondenz zu ihm vernünftig bzw. ganz unvernünftig verhält. Und davon abhängig bildet er sich sein vernichtendes Urteil in 6,5–7 über die in ihrem Vernunftgebrauch total verdorbene Menschheit, während er innerhalb dieser massa perditionis (vgl. 7,1b, )בדור הזהin Noah einen ‚Gerechten‘ ( )צדיקerkennt, der von seiner Vernunft den richtigen, dem Menschen in 2,15–23 zugedachten Gebrauch macht. Deshalb modifiziert Jhwh in der dritten Selbstreflexion in 8,21 sein Urteil von 6,5b: Nicht alle Gedanken-Gebilde ( )כל יצר מחׁשבתdes ‚Menschenherzens‘ sind ausschließlich ( )רקund allezeit (‚ )כל היוםböse‘ ()רע, weil sich für ihn in der VP‑Version von 6,8–8,20 exemplarisch auch eine positive Ausnahme in Gestalt von Noah, dem ‚Gerechten‘, gezeigt hat. Deshalb sind für Jhwh in 8,21 die Gedanken-Gebilde des menschlichen Denkens tendenziell zwar auch nach der Flut noch immer von Jugend auf bösartig ()יצר לב האדם רע מנעריו, aber sie müssen es nicht unbedingt und ausschließlich sein.
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In der NFE zeichnet die VP‑UG somit das Bild eines urteils- und entscheidungsfähigen Menschen, der im Hören auf Gottes Stimme das Richtige und ‚Gute‘ wie anfangs in 2,18–23 zu erkennen vermag und es zu tun weiß. Er ist das positive Gegenbild zur verdorbenen Menschheit seit dem ersten Menschenpaar (3,1–4,25), die sich mit Kain aus der dialogischen Beziehung zu Jhwh ganz verabschiedet hat, und bildet damit die Klimax der ganzen VP‑UG. Demensprechend wird die NFE in der metanarrativen Überschrift in 6,8 mit der Feststellung eingeleitet, dass Noah in den Augen Jhwhs Gunst und Zuneigung gefunden hat ()ונח מצא חן בעיני יהוה, was er ihm in 7,1b dann auch selbst bestätigt.11
II. Die NFE im Rahmen der Noah-( תולדתGen 6,9–9,29) und der schöpfungsgeschichtlichen Konzeption der P‑Bearbeitung (P‑B) Hinter diese Eröffnung der VP‑NFE in 6,8 setzt die P‑B in V. 9 ihre konzeptionelle Überschrift über die Um- und Neugestaltung der VP‑NFE als Lebensgeschichte Noahs (6,9–9,29) אלה תולדת נח. Sie knüpft ihrerseits an das תולדת-Buch von Gen 5,1 ( )ספר תולדתan (vgl. 6,10 mit 5,32). Das Buch listet ebenso knapp wie hochgradig stereotyp die ersten zehn Generationen der Menschheits-Geschichte nach Erschaffung des Menschen (5,1b–2, vgl. 1,26–27) auf, die mit Adam und seinen Nachkommen (5,3–5) beginnt und mit dem Geschlecht Lamechs (5,28–31) und seinem Sohn Noah (vgl. V. 29) endet. Das Weitere der Lebenszeit Noahs im zehnten und letzten Glied der Generationenfolge lässt V. 32 jedoch offen. Dieser offene Listen-Schluss des ganzen תולדת-Buches verlangt nach einer Fortsetzung, die sich exakt in der eigenständigen Noah- תולדתvon 6,9–9,29 findet.12 Der Rahmen der Noah- תולדתfolgt mutatis mutandis genau dem narrativen Schema der neun Vorgänger-Generationen in 5,3–31. Im Anschluss an die Überschrift ( אלה תולדת נחV. 9aα) wird Noah in V. 9aβ – unter Vorwegnahme von 7,1b der VP‑Version – zuerst als „‚gerechter‘ Mann“ ( )איׁש צדיקvorgestellt, der unter seinen Zeitgenossen „vollkommen“ war. Auch „wandelte er mit Elohim“ (9b) wie vor ihm nur Henoch (5,22.24) und darnach kein anderer Mensch mehr.13 11
Zur Schließung dieses Gestaltungsbogens in 8,20–21 vgl. unten V.1.4. Während die zuvor genannten Geschlechter X mit der Angabe der Lebenszeit von n Jahren bis zur Zeugung des ersten Sohnes Y stereotyp nach der Formel: Y ׁשנה ויולדn X ( ויחיwie in 5,3.6.9.12.15.18.21.25 und 28) eingeführt werden, beginnt V. 32 mit der Altersangabe ויהי נח בן חמׁש מאות ׁשנה, als Noah die drei Söhne zeugte. Zudem fehlen alle Folge-Elemente der Stereotypie, die die voraufgehenden Generationen-Sequenzen fortgesetzt und abgeschlossen haben. תולדת נחbedeutet als Nominalbildung mit ת-Präformativ und im Abstrakt-Plural (vgl. GK § 85p und 124d) „Generationenfolge“ und ist in der metakommunikativen Überschrift in 6,9aα wie folgt zu übersetzen: „Dies ist die Generationenfolge(-geschichte) Noahs“. 13 Die Phrase התהלך את אלהיםist im ganzen Tanach nur in Gen 5,22.24 und 6,10 belegt. Inhaltlich fasst die Charakterisierung von vornherein zusammen, was als Vorbildlichkeit Noahs in der ganzen VP‑NFE im Kontrast zur verdorbenen Menschheit narrativ entfaltet wird. 12
Die Noah-Flut-Erzählung (Gen 6,8–8,20)
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V. 10 greift dann die Zeugungs-Notiz von 5,32b mit der Erweiterung ׁשלׁשה בנים wörtlich auf und knüpft damit explizit an das stereotype Listen-Schema der Generationenfolge von Gen 5 an. Damit wird das תולדת-Buch in 6,10 nicht nur fortgesetzt, die P‑B macht das Listen-Schema von Gen 5 als literarisches Gestaltungsprinzip zugleich auch zum narrativen Rahmen der ganzen Noah-תולדת, die in 9,28–29 mutatis mutandis mit den gleichen Stereotypen des Listen-Schemas abgeschlossen wird.14 Somit ist die תולדתNoahs zwar einerseits das zehnte Glied in der MenschheitsGeschichte von Gen 5. Andererseits aber wird seine Geschichte in 6,9–9,29 – im Gegensatz zur dürren Stereotypie der Generationen-Folge im תולדת-Buch – als erste überhaupt auch narrativ breit entfaltet. Darin wiederum wird allein das Flutgeschehen in 7,6–8,14 als schlechthin entscheidendes Ereignis der 950-jährigen Lebenszeit Noahs (vgl. nur noch 9,28–29) auch explizit auf sein Lebensalter bezogen,15 wie sonst im תולדת-Buch von Gen 5 nur die Zeugung der jeweils nächsten Generation.16 Was die universalgeschichtliche Perspektive der P‑B betrifft, bezieht sich das תולדת-Buch in 5,1–2 jedoch auch seinerseits auf die Erschaffung und Segnung des Menschen in Gen 1,27–28 zurück. Damit wird der Buch-Anfang der P‑Menschheitsgeschichte im kosmischen Schöpfungsrahmen einer geordneten, durchschaubaren Welt verankert, die in der Anfangs- תולדותvon Himmel und Erde (1,1–2,4a) narrativ entfaltet und in 1,31 insgesamt als sehr gute Schöpfung erachtet wird וירא אלהים את כל אׁשר עׂשה והנה טוב מאד.17 Wie in 1,31aα betrachtet Elohim zwar auch in 6,12a – in Analogie zu Jhwh in 6,5a – die Verhältnisse auf dem irdischen Festland ()וירא אלהים את הארץ, das er am dritten Schöpfungstag entstehen ließ (1,9–10).18 Jedoch offenbarte sich ihm 14 Im Unterschied zu 5,4–5.7–8.10–11.13–14.16–17.19–20.22–23.26–27 und 30–31 wird in 9,28 Noahs Weiterleben statt nach der verbleibenden Lebenszeit in Jahren „nach der Flut“ gerechnet (vgl. zu dieser Datierung sonst nur noch 10,1.32 und 11,10). Hingegen endet die ganze Noah- תולדתin 9,29 wörtlich mit demselben Schluss-Element (vgl. 5,5 etc.), womit – wie in Gen 5 – die gesamte Lebenszeit des jeweiligen Stammvaters beziffert wird. 15 Die Sintflut ( )מבולnimmt ihren Anfang, als Noah 600 Jahre alt geworden war (7,6) und endet in 8,13a mit der vollständigen Wegtrocknung der Flut-Wasser vom Erdboden am 1.1.601 (vgl. dazu unten Abschn. V.3). 16 Vgl. dazu oben Anm. 14. Nach der Noah-Flut als menschheitsgeschichtlicher Epochenmarke wird in 10,1.32 und 11,10 auch die weitere Ausbreitung der Menschheit mit Konzentration auf die Nachkommen Sems in 10,11 datiert. 17 Gen 2,4a ( )אלה תולדות הׁשמים והארץist aufgrund der Asyndese ebenso als metakommunikative Schluss-Bemerkung des P‑Erzählers zu verstehen, die sich explizit auf die in 1,1–2,3 erzählte Weltschöpfung zurückbezieht (4aβ), wie die metakommunikative, weil asyndetisch eingeführte Überschrift über das Geschichtsbuch der Menschheit in 5,1a. – Zur P‑Schöpfungserzählung von Gen 1,1–2,4a insgesamt vgl. ausführlich Hardmeier/Ott, Naturethik, Kap. IV, 103–167, und zum zentralen Stellenwert von והנה טוב מאדin 1,31aβ insbes. 149–157. 18 Auf dem Hintergrund der schöpfungsgeschichtlichen Perspektive der P‑B übersetzen wir ארץin den P‑Passagen mit „Festland“ in paradigmatischer Opposition zu den Wassern, die sich nach Gen 1,9–10 im „Meer“ gesammelt haben. In der VP‑NFE ist von ארץnur dort die Rede,
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und dem Leser*innen-Publikum dabei nicht wie in 1,31 ein „sehr gut“ der ganzen Schöpfung, sondern im krassen Gegenteil die blanke Verderbnis auf dem Festland ()והנה נׁשחתה, „weil alles fleischliche Wesen seinen Wandel“ darauf „verdorben hatte“ (6,12b, )כי הׁשחית כל בׂשר את דרכו על הארץ. Was im anthropologischen Vorspann der VP‑NFE in 6,5b die selbstdestruktiven Gedanken-Gebilde des pervertierten Vernunftgebrauchs sind ()יצר מחׁשבת לב, die Jhwh zum Entschluss der Flut gebracht hatten, ist im Eröffnungsteil der Noah- תולדתvon 6,11–12 in schöpfungsgeschichtlicher Perspektive die Gewalttätigkeit aller Lebewesen, die das ganze Festland erfasst hatte (V. 11b, ותמלא הארץ )חמס. Der Eröffnungsteil der P‑B (6,9–12) im menschheitsgeschichtlichen Rahmen des תולדת-Buches (V. 9–10) und schöpfungsgeschichtlichen Universalhorizont der Weltschöpfung (V. 11–12) passt sich damit im Anschluss an die Überschrift der VP‑NFE in 6,8 harmonisch in den Duktus der ganzen VP‑UG ein. In den ersten Kapiteln der Genesis wird der erste Teil der VP‑UG (Gen 2,4b– 4,26*) einerseits von der Schöpfungs- תולדותin 1,1–2,4a und andererseits vom Buch-Anfang der Menschheitsgeschichte in 5,1–2 mit der Generationenfolge von Adam bis Noah in 5,3–32 flankiert. In 6,8–8,20 hingegen sind beide Erzählstränge zu einer NFE ineinander verflochten und klingen als VP‑Erzählung mit P‑Begleitung symphonisch zusammen. Dementsprechend stellen wir den folgenden Abschnitten III zu den Gottesreden (6,13–7,5), IV zum Flut-Beginn bis zu ihrem Höchststand (7,6–24) und V zum Flut-Rückgang bis zum Ausstieg aus der Arche (8,1–20) die Übersetzung beider Erzählstimmen in ihrer Verflechtung (mit unterschiedlichen Schrifttypen für VP bzw. P‑B) voran. Damit soll ihre „Symphonie“ nachvollziehbar bleiben, während im Anschluss daran die beiden Stimmen im Blick auf ihre innere Kohärenz getrennt zu betrachten sind.
III. Die VP‑Version und P‑Bearbeitung in den Gottesreden (Gen 6,13–7,5) 13 Und Elohim (/er/ Jhwh) sprach zu Noah: Das Ende aller fleischlichen Wesen (√ 12aα. → 17aβ.19a; 7,15bα.16a.21a; 8,17) ist vor mich gekommen, denn durch sie ist das Festland voller Gewalttat (vgl. Ez 7,2–6*.23; Am 8,2). Und gleich verderbe ich sie mitsamt dem Festland. 14 Mache dir eine Arche aus Goferholz. Mit Kabinen statte die Arche aus. Und dann sollst du sie innen und außen mit Pech abdichten. 15 Und dieses ist es, wie du sie machen sollst: dreihundert Ellen die Länge der Arche, fünfzig Ellen ihre Breite und dreißig Ellen ihre Höhe. 16 Ein Giebeldach sollst du der Arche machen und sie eine Elle obendrüber abrunden, und den Eingang der Arche wo es um das (Regen-)Wasser auf dem gesamten „Erdboden“ geht (vgl. 7,12.17bβ; 8,3a.11bβ.13aβ und 22a), während ihr Haupt-Augenmerk auf der אדמה, d. h. auf dem Schicksal des „Ackerlandes“ liegt.
Die Noah-Flut-Erzählung (Gen 6,8–8,20)
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sollst du an der Seite anbringen. Ein unteres, ein zweites und ein drittes (Stockwerk) sollst du machen. 17 Ich aber, gleich will ich die Sintflut als Wasser(masse) auf das Festland kommen lassen (→ 7,6), um alles fleischliche Wesen unter dem Himmel (√ 12aα.13aα → 19a; 7,15bα.16a.21a; 8,17), das Lebensgeist in sich hat, zu verderben. Alles, was auf dem Festland ist, soll umkommen (→ 7,21). 18a Dann aber will ich meinen Bund aufrichten mit dir. (→ 9,8–17). 18b Und dann sollst du (selbst) in die Arche hineingehen, du und deine Söhne und deine Frau und die Frauen deiner Söhne mit dir (→ 7,7a; 8,16.18). 19a Und von allem Lebendigen (→ 8,21) nämlich von allem fleischlichen Wesen (√ 12aα.13a.17aβ. → 7,15bα.16a.21a; 8,17) sollst du je zwei in die Arche hineinbringen, um sie mit dir zusammen weiter am Leben zu lassen (→ 7,3). 19b Männlich und weiblich sollen sie sein (√ 1,27b → 7,3a.9a.16aα). 20 Vom Flugwild nach seiner Art, vom Vieh nach seiner Art, von allem Kriechgetier des Ackerlandes nach seiner Art sollen je zwei zu dir kommen, um (sie) weiter am Leben zu lassen (√ 1,24–25 → 7,14–16a; 8,17.19). 21a Und du, nimm dir (jetzt) von allen Nahrungsmitteln, die man essen kann, und sammle sie dir ein. 21b Und sie sollen dir und ihnen zur Nahrung dienen (√ 1,29–30). 22 Und Noah machte es, ganz wie Elohim (/Jhwh) es ihm geboten hatte. So machte er es. 7 1 Und Jhwh sprach zu Noah: Geh in die Arche, du und dein ganzes Haus, denn dich (allein) erachte ich als rechtschaffen vor mir unter dieser Generation. 2 Von allem reinen Vieh nimm dir je sieben, ein Männchen und sein Weibchen, vom Großwild aber, das nicht rein ist (→ 7,8; 8,20), (nur) je zwei, ein Männchen und sein Weibchen, 3 auch vom Flugwild des Himmels je sieben, männlich und weiblich (√ 1,27b; 6,19b → 7,9a.16aα), damit Nachkommenschaft am Leben bleibt (√ 6,19a) auf der ganzen Festland-Oberfläche (→ 8,9aβ). 4 Denn noch sieben Tage, dann will ich regnen lassen auf den Erdboden (√ 2,5 → 7,10; 8,2b), vierzig Tage und vierzig Nächte lang (→ 7,12), und will alles Bestehende, das ich gemacht habe, von der Ackerland-Fläche wegtilgen (√ 6,7; → 7,23). 5 Und Noah machte es, ganz wie Jhwh es ihm geboten hatte.
1. Die Anweisungen Jhwhs an Noah in der VP‑Version der Fluterzählung (6,14.18b–19a*.21a und 7,1–5*) Im Anschluss an die erste Selbstreflexion Jhwhs in 2,18 über das Gute für den Menschen erschuf er – wie wir oben I.2 gesehen haben – die „Tiere des Feldes“, um zu sehen, wie er sie anspricht und auf sie als mögliche Gefährten und ihm entsprechendes Gegenüber eingeht (V. 19). Doch erst nach Erschaffung der Frau (V. 21–22) bestätigt ihm der erste Mensch explizit, dass sie – im Unterschied zu den Tieren (vgl. V. 20b) – ein wirklich ebenbürtiges Gegenüber für ihn sei (V. 23). Demgegenüber steht Jhwh in seiner zweiten Selbstreflexion in 6,7 vor dem Dilemma, einerseits die total pervertierte Menschheit auslöschen zu wollen, andererseits aber seinem ursprünglichen Ziel treu zu bleiben, den Menschen geschaffen zu haben, damit er das Ackerland bewirtschaftet (vgl. 2,5bβγ und 7). 1.1 Gen 6,13aα1 und 14. Wie Jhwh sich im Anschluss an die Selbstreflexion in 2,18 an den ersten Menschen wandte, so spricht er deshalb auch im Anschluss an 6,7
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Noah an, der ihm als menschliches Gegenüber trotz seiner Vernichtungsabsichten zur Verwirklichung seines ursprünglichen Ziels verhelfen könnte. Ein erster Schritt dazu ist der Auftrag in 6,14, eine Arche aus Goferholz zu bauen. Dieser Auftrag in wörtlicher Rede ist jedoch als Teil der VP‑NFE im Anschluss an die Überschrift von 6,8 nur denkbar, wenn auch die Redeeinleitung in 6,13aα1 auf die VP‑Version zurückgeht. Vergleicht man die Einleitung mit der VP‑Redeeröffnung in 7,1aα ()ויאמר יהוה לנח, dann liegt die Annahme nahe, dass die P‑B den Jhwh-Namen in V. 13aα1 nicht nur zur Anpassung der Gottesrede in 6,13–21 an die Neugestaltung der NFE in 6,9–12 durch den schöpfungsuniversalistischen Gottesbegriff Elohim ersetzt hat ()ויאמר אלהים לנח. Die Anpassung war auch deshalb erforderlich, weil Elohim in der Fortsetzung in V. 13aα2βb Noah gegenüber von Anfang an auch direkt die Gründe nennt, warum er alle fleischlichen Wesen mitsamt dem Festland zugrunde gehen lassen will ( ׁשחתhif., vgl. V. 11–12 und unten III.2.1). Davon wird jedoch Noah in der VP‑NFE in 6,14 von Jhwh überhaupt nichts mitgeteilt, und nicht einmal in 7,4b erfährt er etwas von den Gründen für Jhwhs Vernichtungsbeschluss. Als Reue und Selbstzweifel Jhwhs sind sie allein dem Leser*innen-Publikum aus 6,5–6 (analog zu 6,11–12) und seiner Selbstreflexion in 6,7b bekannt. Denn für Jhwh bleibt in diesem Dilemma ja weiterhin offen, ob Noah überhaupt ein tauglicher und vernünftiger Mensch unter den pervertierten Zeitgenossen ist, der auf seine Weisungen hört und sie in die Tat umsetzt. Das bestätigt ihm Jhwh als neu gewonnene Einsicht erst in 7,1b (vgl. unten III.1.5). Dass der Auftrag zum Bau der Arche in 6,14 zur VP‑NFE gehört und nicht – wie in der Forschung einhellig angenommen – der P‑B zuzuschreiben ist, bestätigt sich auch an den ganz andersartigen Planvorstellungen von der zu bauenden Arche in 6,15–16. Sie unterscheiden sich allein was die Größe und Komplexität ihrer Architektur betrifft, deutlich vom relativ schlichten Hausboot, das Noah nach V. 14 bauen soll.19 Auch hängt die Anweisung Jhwhs zum Einstieg der Noah-Familie in die Arche in 7,1aβ – was in der Forschung schon immer aufgefallen ist – völlig in der Luft, wenn sie nicht zuvor schon fertig gebaut worden wäre.20 1.2 Gen 6,18b–19a*.21a. Schon in 6,14b erteilt Jhwh Noah eine weitere Anweisung (mit AK-cons), dass er sein Bauwerk nach der Errichtung von innen und 19
Besonders groß ist der Kontrast zwischen den nestartigen Kabinen ()קנים, die Noah nach V. 14aβ vorsehen soll (vgl. ferner 8,6b und unten V.1.2), und den P‑Planvorstellungen in 15b–16 von einem dreistöckigen Hochsee-Schiff mit einer Größe von ca. 130 × 20 × 13 Metern (L‑B-H), vgl. dazu unten III.2.2. 20 Zum traditionsreichen Lücken-Argument gegen eine kohärente und vollständige VP‑NFE, das bis heute auf der petitio principii beruht, dass 6,9–22 pauschal und unhinterfragt P zugeschrieben wird, vgl. zuletzt Gertz, Buch, 228.
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außen mit Pech abdichten bzw. kalfatern soll. Daran schließt sich (mit einer weiteren AK-cons-Form) in V. 18b–19a* nahtlos die Vorschau Jhwhs auf den Verwendungszweck der Arche an. Noah soll nach ihrer Fertigstellung nicht nur mit seiner ganzen Familie einsteigen ()ובאת אל התבה אתה ובניך ואׁשתך ונׁשי בניך, sondern auch „von allem Lebendigen“ ( )מכל החיje ein Paar mit hineinnehmen (V. 19a*). In sprachphänomenologischer Hinsicht ist diese Vorschau eindeutig der VP‑NFE zuzuordnen.21 Parallel zum Auftrag in 6,14, eine Arche zu bauen ()עׂשה לך תבת עצי גפר, fordert Jhwh in 6,21a Noah zudem mit einem zweiten Imperativ ( )קח לךdazu auf, sofort auch mit der Beschaffung von Nahrungsvorräten zu beginnen und sie zu speichern: ואתה קח לך מכל מאכל אׁשר יאכל ואספת אליך. Der VP‑Sprachgebrauch hebt sich auch in dieser zweiten Aufforderung klar von der P‑Paraphrase in 21b ab.22 1.3 Gen 6,22*. In 6,22 wird abschließend festgestellt, dass Noah die beiden Aufträge von V. 14 und 21a auch tatsächlich ausgeführt hat: \ויעׂש נח ככל אׁשר צוה יהוה אלהים. Wie in 6,13aα1 ist davon auszugehen, dass die P‑B im Zuge der Neugestaltung der VP‑NFE auch in V. 22 den Jhwh-Namen durch den schöpfungsuniversalistischen Gottesbegriff Elohim ersetzt hat (vgl. oben III.1.1). Denn bis auf die Gottesbezeichnung bilden sowohl die mit 6,13aα1 gleichlautende Redeeinleitung in 7,1aα ( )ויאמר יהוה לנחals auch die mit 6,22 wörtlich übereinstimmende Feststellung der Taterfüllung in 7,5 ( )ויעׂש נח ככל אׁשר צוהו יהוהden VP‑Original Rahmen der zweiten Jhwh-Rede, der somit auch für die erste VP‑Jhwh-Rede in 6,13–21 vorauszusetzen ist und von der P‑B lediglich hinsichtlich der Gottesbezeichnung überformt und in 6,22 zudem erweitert wurde.23 21 (1) Die Kennzeichnung der Noah-Familie entweder zweitpersonal (אתה ובניך ואׁשתך ונׁשי )בניךwie in 6,18b und 8,16a oder drittpersonal wie in 7,7a und 8,18a ()נח ובניו ואׁשתו ונׁשי בניו אתו
ist deshalb ein zuverlässiges Indiz für den spezifischen Sprachgebrauch der VP‑NFE, weil sie in paradigmatischer Opposition zur eindeutigen P‑Kennzeichnung in 7,13aβ.b steht נח וׁשם וחם ויפת בני נח ואׁשת נח וׁשלׁשת נׁשי בניו אתם, zumal die Söhne Noahs in der VP‑UG überhaupt erst nach der Flut in 9,18 namentlich erwähnt werden. (2) Auch der seltene Allgemeinbegriff כל החיfür „alles Lebendige“, der im ganzen Pentateuch nur in der VP‑UG neben 6,19a in 3,20 und 8,21 begegnet (und sonst noch in Ps 143,2; 145,16; Hi 12,10; 28,21 und 30,23) steht paradigmatisch in Opposition zur typischen P‑Bezeichnung כל נפׁש חיהin 9,12.15 und 16 (vgl. Ez 47,9) bzw. zum term. techn. für „alles fleischliche Wesen“ כל בׂשר, der in Gen 1–50 nur in der Noah-( תולדת6,12–13.17.19; 7,15–16.21; 8,17; 9,3–4.11.15–17 [3 ×]) vorkommt. In 6,19a steht כל בׂשרals P‑Paraphrase direkt neben dem VP‑Allgemeinbegriff כל החי. 22 Während die P‑Paraphrase in 6,21b die Nahrung mit dem P‑Ausdruck אכלהbezeichnet (18 × im Tanach immer mit לund neben Gen 1,29–30 und 9,3 mit Schwerpunkt im Buch Ezechiel [10 ×]), verwendet die VP‑Version dafür in V. 21a den Begriff מאכל, der in der Genesis außer in 40,17 nur in der VP‑UG in 2,9 und 3,6 vorkommt. 23 (1) In der mit 7,5 übereinstimmenden VP‑Erfüllungsformel ויעׂש נח ככל אׁשר צוהו יהוהvon 6,22 kommt zur Unterstreichung am Versende die P‑Paraphrase כן עׂשהhinzu, auf deren Funktion unten III.2.2 und Anm. 27 näher einzugehen ist. (2) Auch unterscheidet sich die VP‑Erfüllungsformel signifikant von der P‑Formel כאׁשר צוה
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1.4 Gen 7,1aβ und 2–3*. Im Rahmen von 7,1aα und 5 greift die zweite Jhwh-Rede die Vorschau von 6,18b–19a auf. Jetzt, nachdem die Arche gebaut ist (vgl. 6,22), fordert Jhwh Noah in V. 1aβ im Imperativ aktuell dazu auf, mit seiner Familie in die Arche einzusteigen בא אתה וכל ביתך אל התבה.24 Ferner soll er beim „Lebendigen“, das er gemäß der Vorschau von 6,19a schlicht „paarweise“ ( )ׁשניםmitnehmen soll, genauer die reinen Tiere von den unreinen unterscheiden. Dabei soll er sich vom „reinen Vieh“ (מכל הבהמה הטהורה, V. 2a) und von den (reinen) „Vögeln des Himmels“ (מעוף הׁשמים, V. 3a) je sieben Paare nehmen (תקח לך ׁשבעה )ׁשבעה, während er vom „unreinen Großwild“ ( )ומן הבהמה אׁשר לא טהרה הואnur je zwei aussuchen soll. Noah hält sich dann nicht nur beim Einstieg in die Arche in V. 8a.bα und 9a genau an diese Vorgaben. In 8,20 bringt er dann nach dem Ausstieg (8,18–19) von allem mitgenommenen „reinen Vieh“ ( )מכל הבהמה הטהורהund von allem „reinen Gefieder“ ( )מכל העוף הטהרauch Brandopfer dar, die Jhwhs Reue und Selbstzweifel von 6,7 besänftigen (8,21a). Darin schwingt zudem auch Noahs Dank für seine rettende Gnade und Anerkennung mit (vgl. unten V.1.4). 1.5 Gen 7,1b und 4. Nachdem Noah die Arche gebaut hatte, fordert Jhwh ihn nicht nur aktuell zum Einstieg auf (7,1aβ). Er zollt ihm dafür in V. 1b auch seine Anerkennung, weil er in ihm im Unterschied zur Generation seiner Zeitgenossen einen rechtschaffenen Menschen erkannt hat כי אתך ראיתי צדיק בדור הזה. Das heißt: Erst Noahs vorbehaltloses Hören auf Jhwhs Anweisungen in 6,14 und 21a und deren erfolgreiche Ausführung brachten Jhwh dazu, ihm mit dieser Anerkennung auch sein Wohlwollen (חן, vgl. 6,8) zu bekunden, indem er ihn in 7,4 auch in sein Flut-Vorhaben einweiht und ihm damit zugleich die bisher angeordneten Maßnahmen in 6,18b–19a und aktuell in 7,1aβ und 2–3 plausibel macht. Noah weiß jetzt, worum es in der wiederhergestellten Dialog-Beziehung mit Jhwh geht (vgl. 2,18–23!), und Jhwh hat zu ihm als Menschen Vertrauen gefunden. Dementsprechend kündigt er ihm in V. 4a die vierzigtägige Regenflut an, die in sieben Tagen losbrechen soll. Und in V. 4b setzt er ihn in Kenntnis, dass er mit der Flut „alles Bestehende“, das er gemacht hat, von der Ackerland-Fläche wegtilgen will: ( ומחיתי את כל היקוםvgl. dazu oben I.3).
אלהים את נח, die sich innerhalb der NFE in 7,9b und mutatis mutandis in 7,16aβ nicht auf den Handlungsvollzug Noahs ( )ויעׂש נחbezieht, sondern nur auf das Gebot von 6,19b.20, die Tiere als zweigeschlechtliche Paare ( )זכר ונקבהin die Arche hineinzuführen. (3) Mit dieser bisexuellen Unterscheidung von זכר ונקבהbezieht sich die P‑B in 6,19b; 7,3a.9a
und 16aα klar auf 1,27b und 5,2a zurück und unterstreicht damit den schöpfungsgeschichtlichen Horizont ihrer Neugestaltung der NFE. 24 Vgl. die AK-cons‑Form ובאתin 6,18b mit dem Imp. באin 7,1aβ. Auch mit dem summarischen Begriff כל ביתךbezieht sich die Rede auf die ausführliche Kennzeichnung der Noah-Familie in 6,18b zurück (vgl. dazu oben Anm. 21[1]).
Die Noah-Flut-Erzählung (Gen 6,8–8,20)
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2. Die schöpfungsgeschichtliche P‑Bearbeitung der VP‑Anweisungen an Noah in den Gottesreden (6,13–7,5*) Im Eröffnungsteil der Noah-( תולדת6,9–12, vgl. oben II.) wird Noah in V. 9a im Unterschied zur VP‑NFE (vgl. 7,1b) von Anfang an als rechtschaffener Mensch ( )איׁש צדיקeingeführt, und als solchen spricht ihn Elohim in 6,13 auch sogleich an. 2.1 Gen 6,13. Darin offenbart er Noah nicht nur seine Entschlossenheit, „sie“, d. h. alle fleischlichen Wesen, „sogleich mitsamt dem Festland zu verderben“ (V. 13b, )והנני מׁשחיתם את הארץ.25 Auch nennt er zuvor in 13aα2β – im Geiste von Ez 7,2– 6*.23 und Am 8,2 – auch sofort den Grund dafür: Das „Ende aller fleischlichen Wesen“ ist gekommen, weil sie festlandweit in maßlose Gewalttätigkeit verstrickt waren ()קץ כל בׂשר בא לפני כי מלאה הארץ חמס מפניהם, die sich gemäß der VP‑UG in der kainitischen Menschheit spiralförmig gesteigert hatte (vgl. 4,23–24). Mit der Übernahme des VP‑Auftrags zum Arche-Bau in 6,14 (vgl. oben III.1.1) wird Noah als untadeliger ‚Gerechter‘ (איׁש צדיק תמים, vgl. 6,9aβ) in der schöpfungsgeschichtlichen Perspektive der P‑B von vornherein als verantwortungsvoller Mandatar in Anspruch genommen, wie er nach 1,26a als Ebenbild Gottes gedacht war. Dementsprechend soll er im bevorstehenden Vernichtungswerk im Sinne von 1,26b seine Mandats-Herrschaft ( )וירדוin Verantwortung vor Elohim sowie für die Tierwelt über das ganze Festland ( )בכל הארץausüben26 und wird deshalb zum Bau der Arche aufgefordert. In diesem schöpfungsgeschichtlichen Horizont hat die P‑B die Jhwh-Anweisungen in 6,14.18b–19a* und 21a in V. 13–21* insgesamt zu einer Art Arbeits- und Auftrags-Besprechung Elohims mit Noah umgestaltet, die dialogisch angelegt ist und sich an ihn a priori als Mandatar und irdischen Sachwalter Gottes richtet. 2.2 Gen 6,15–16. Mit einer metakommunikativen Einlassung ()וזה אׁשר תעׂשה אתה in V. 15a weist Elohim Noah in V. 15b–16 detailliert an, wie er die Arche im Einzelnen planen und bauen soll, und erläutert ihm damit ausführlich den VP‑Bauauftrag von V. 14, der deshalb in literaturgeschichtlicher Hinsicht zwingend vorausgesetzt werden muss. Auch die detaillierten Vorstellungen eines stattlichen Hochsee-Schiffs, das Noah nach V. 15b–16 bauen soll, stehen bautechnisch und architektonisch im deutlichen Kontrast zur schlichten Konstruktion eines Hausbootes mit Kalfaterung. Offensichtlich hat die P‑B eigensprachlich keinen Bauauftrag formuliert, sondern die VP‑Fassung von V. 14 in V. 15–16 nur nach ihren eigenen Vorstellungen näher erläutert.27 25 Zur
Anpassung der Gottesbezeichnung in der VP‑Redeeinleitung in 6,13aα1 an die P‑B vgl. oben III.1.1. 26 Vgl. dazu ausführlich Hardmeier/Ott, Naturethik, 137–144. 27 Diesen Erläuterungen entspricht die P‑Paraphrase כן עׂשהin 6,22 Ende, die im Anschluss
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2.3 Gen 6,17–18a. Die rhetorische Umgestaltung der Jhwh-Anweisungen zu einer Plan-Besprechung Elohims mit Noah geht insbesondere auch aus V. 17–18a hervor. Nach den Planungsanweisungen an Noah in V. 14–16 entfaltet Elohim in V. 17 – pointiert mit „( ואניIch aber“) eingeleitet – seine Zielvorstellungen, wie er seine in V. 13b geäußerte Absicht, alles fleischliche Wesen mitsamt dem Festland zu verderben, umsetzen will. Eine „Sintflut als Wassermassen“ ( )המבול מיםwill er sogleich (vgl. הנני+ Part. in 13b und 17a) „über das Festland“ bringen (הנני מביא )את המבול מים על הארץ, damit „alles fleischliche Wesen“ (כל בׂשר, vgl. V. 13aα2) umkommen wird ()יגוע, das nach V. 17aβ mit „Lebensgeist“ ( )רוח חייםerfüllt ist. Programmatisch nimmt Elohim damit das bevorstehende Flut-Ereignis ()המבול und die spezifische Begrifflichkeit in den Blick, mit der die P‑B die VP‑NFE in 7,6–8,14 aus ihrer schöpfungsgeschichtlichen Perspektive paraphrasiert und umgestaltet.28 Für die konzeptionelle P-Überformung der VP‑Fluterzählung in 7,6–8,14 ist der P‑Leitbegriff המבול, der – abgesehen von Ps 29,10 – im Tanach ausschließlich in Gen 6–11 belegt ist, vor allem als Oberbegriff für das alles entscheidende Sintflut-Ereignis im Leben Noahs von substanzieller Bedeutung. Nach diesem Zentral-Ereignis werden in Gen 9,28; 10,1.32 und 11,10 die generationellen Zeitepochen nach Noah datiert ()אחר המבול. Innerhalb der Noah- תולדתsteht המבולprimär als Allgemein-Begriff sowohl für die vierzigtägige Regenflut als auch für die Ur-Flut, die nach 7,11 am 17.2.600 im Leben Noahs aufbricht. Deshalb ist er syntaktisch immer mehr oder weniger eng mit den Flut-Wassern ( )מיםassoziiert29 – unabhängig davon, woraus sie gespeist werden. Zudem beschränkt sich sein Gebrauch in 7,6–7 und 10 allein auf die Anfangs- und Ausbreitungsphase der Sintflut (7,6–23) und ist auch dort – wie unten Abschn. V.2 näher zu zeigen sein wird – aufs engste mit der Datierung dieser Phasen verknüpft (vgl. bes. 7,10b und 17a). an die VP‑Erfüllungsformel die Präzision unterstreicht, mit der Noah diese Planvorstellungen von 6,15b–16 umgesetzt hat (vgl. oben Anm. 23[1] und [2]). Eine analoge pleonastische Vollzugs-Feststellung wie in 6,22 findet sich auch in Ex 39,32 und 42–43, wobei es dort die Israeliten sind, die nicht nur das Zeltheiligtum gemäß den durch Mose vermittelten Anweisungen Jhwhs fertiggestellt (Ex 32,32), sondern insgesamt ihre Arbeiten am Heiligtums-Bau ‚ganz genau so‘ ausgeführt hatten (V. 42–43). Neben 6,22; Ex 39,32 und 42–43 begegnet der Pleonasmus (כן )עׂשהder exakten Ausführung ( )ככל אׁשרvon Anweisungen Jhwhs im Tanach nur noch als Vollzugs-Feststellung von weiteren, für die Priesterschrift fundamental wichtigen Einrichtungen in Ex 40,16 (Investitur des Priestertums); Num 1,54 (Leviten-Ordnung); 2,34 (Lagerordnung) und 9,5 (Pesach-Feier). 28 (1) Zum Leitbegriff „ כל בׂשרalles fleischliche Wesen“ als Gegenbegriff zum VP‑Allgemeinbegriff כל החיfür „alles Lebendige“ vgl. oben Anm. 21(2). Der P‑Leitbegriff fasst in 7,15bα.16a und 8,17aα nicht nur alles Lebendige zusammen, was in die Arche ein- bzw. nach der Flut aussteigt, sondern in 7,21aα auch, was gemäß der P‑Vorschau von 6,17 darin umkommt (√ )גוע. Das entspricht in der VP‑Version in 7,23 „allem Bestehenden“ (כל יקום, sonst nur noch 7,4b, vgl. 6,7b und dazu oben I.3), das auf der Ackerland-Fläche ( )אדמהvertilgt wird (√ )מחה. (2) Zum Attribut אׁשר בו רוח חייםvon כל בׂשרin 6,17aβ („alle fleischlichen Wesen, die mit Lebensgeist erfüllt sind“, das in 7,22a durch die P‑Einfügung von רוחmit der VP‑Bezeichnung „( נׁשמת חייםLebensodem“) harmonisiert wird, vgl. unten IV.1.2 und Anm. 31. 29 Die Begriffs-Assoziation ist in 6,17 appositionell ()המבול מים, in 7,7.10; 9,11 im st.cs.‑Verhältnis ( )מי המבולsowie äquivalent in 9,15 formuliert und ergibt sich in 7,6 und 17 aus dem Satzkontext.
Die Noah-Flut-Erzählung (Gen 6,8–8,20)
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Insgesamt datiert die metanarrative P-Überschrift in 7,6 den Zeitraum, in welchem die „Sintflut-Wasser“ („ )המבול מיםauf dem Festland“ ( )על הארץwaren, auf das ganze Jahr 600 im Leben Noahs. Dementsprechend waren sie am 1.1.601 nach 8,13a auch wieder ganz „vom Festland“ „weggetrocknet“. Damit nimmt die P‑B in der Ankündigung Elohims in 6,17aα ihre schöpfungsgeschichtliche Umgestaltung der VP‑NFE in 7,6–8,14 als ganze in den Blick, die ihrerseits den ersten Teil der Noah- תולדתbildet. Den zweiten Teil fasst das Versprechen Elohims in 6,18a ins Auge, mit Noah einen Bund aufzurichten, der in 9,8–17 als Bundesschluss narrativ inszeniert wird. 2.4 Gen 6,19b–20 und 21b. In V. 18b–19a greift die P‑B erneut die VP‑Jhwh-Rede von V. 18b–19a auf (vgl. oben III.1.2) und paraphrasiert in 19a den VP‑Allgemeinbegriff „( מכל החיvon allem Lebendigen“) mit dem schöpfungsgeschichtlichen Leitbegriff „( מכל בׂשרvon allem fleischlichen Wesen“), der in 19b bisexuell als זכר „( ונקבהmännlich und weiblich“, vgl. Gen 1,27b und oben Anm. 23[3]) differenziert wird. In V. 20 trägt sie im Rückbezug auf Gen 1,24–25 die genauere Unterscheidung der Tiere nach Arten ( )למינהnach, die Noah mitnehmen soll. Dementsprechend bestimmt sie in 6,21b in den Worten von 1,29b (vgl. 30aβ) auch näher den Zweck der nach V. 21a anzulegenden Nahrungsvorräte: והיה לך ולהם ( לאכלהvgl. oben Anm. 22). Insgesamt gestaltet die P‑B die VP‑Anweisungen in 6,14.18b–19a und 21a zum Prolog der ganzen Noah- תולדתum: In V. 17 blickt sie auf die Flut-Absicht Elohims voraus, die in 7,6–8,14 als Ereignis und dessen Folgen in 8,15–19 und 9,1– 7 erzählt werden, und in 6,18a auf den Bundesschluss in 9,8–17. Ferner dient der Prolog der Präzisierung der VP‑Bau-Anweisung von 6,14 in V. 15–16 und der schöpfungsgeschichtlichen Definition des „Lebendigen“ in V. 19 sowie in 6,20 den Differenzierungen nach Tierarten gemäß Gen 1,24–25, die in die Arche hineingehen sollen. Dementsprechend betont die P‑Ergänzung in 6,22, dass Noah vor allem die detaillierten Planvorstellungen der Arche von V. 15–16 genau so auch umgesetzt hat ()כן עׂשה.30
IV. Beginn der Flut, Einstieg in die Arche und die Ausbreitung der Wasser bis zum Höchststand (Gen 7,6–24) 6 Und
Noah war sechshundert Jahre alt, als die Sintflut als Wasser(masse) auf dem Festland war (√ 6,17). 7 Und Noah – und seine Söhne und seine Frau und die Frauen seiner Söhne mit ihm – ging(en) hinein in die Arche (√ 6,18b → 8,16.18) vor den Wassern der Sintflut. 8 Vom reinen Vieh und vom Großwild, das nicht rein ist (√ 7,2 → 8,20), und vom Flugwild und von allem, was auf dem Ackerland kriecht, 9 kamen sie paarweise zu Noah in die Ar30
Zur VP‑Fassung von 6,22 vgl. oben Anm. 23(1 u. 2) und 27.
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che, männlich und weiblich (√ 1,27b; 6,19b; 7,3a → 7,16aα), wie Elohim es Noah geboten hatte. 10 Und es geschah nach sieben Tagen, da waren die Wasser der Sintflut auf dem Festland. 11 Im sechshundertsten Lebensjahr Noahs, im zweiten Monat, am siebzehnten Tag des Monats, an diesem Tag brachen alle Quellen der großen Ur-Flut auf, und die Schleusen des Himmels öffneten sich (→ 8,2a). 12 Da kam der Regen vierzig Tage und vierzig Nächte auf den Erdboden (√ 7,2 → 8,2b). 13 An eben diesem Tag waren Noah, die Söhne Noahs Sem, Ham und Jafet (√ 6,10), die Frau Noahs und mit ihnen die drei Frauen seiner Söhne in die Arche hineingegangen. 14 Sie und alles Wildgetier nach seiner Art, alles Vieh nach seiner Art und alles Kriechgetier, das sich auf dem Festland regt, nach seiner Art und alles Flugwild nach seiner Art – die ganze Vogelwelt, alles Geflügel: 15 die gingen zu Noah in die Arche, je zwei von allem fleischlichen Wesen (√ 6,12aα.13a.17aβ.19a → 7,16a.21a; 8,17), das Lebensgeist in sich hat. 16a Und (was) die Einziehenden (betrifft) – männlich und weiblich (√ 1,27b; 6,19b; 7,3a.9a) von allem fleischlichen Wesen (√ 6,12aα.13a.17aβ.19a; 7,15bα → 21a; 8,17) waren sie hineingegangen (√ 1,24–25.27b; 6,19b–20 → 8,17.19), wie Elohim es ihm geboten hatte. 16b Und Jhwh schloss hinter ihm zu. 17a Und die Sintflut war vierzig Tage lang auf dem Festland. 17b Da stiegen die Wasser und hoben die Arche an. Und sie hob vom Erdboden ab. 18 Und die Wasser schwollen an und stiegen gewaltig auf dem Festland, und die Arche trieb auf der Wasseroberfläche. 19 Die Wasser aber schwollen immer mächtiger an auf dem Festland, so dass alle hohen Berge, die unter dem ganzen Himmel sind, bedeckt wurden. 20 Fünfzehn Ellen darüber hinaus schwollen die Wasser an, so dass die Berge bedeckt wurden. 21 Da kam alles fleischliche Wesen um (√ 6,12aα.13a.17aβ.19a; 7,15bα.16a → 8,17), das sich auf dem Festland regt, an Flugwild, an Vieh, an Wildgetier und am ganzen Gewimmel, das auf dem Festland wimmelt, auch alle Menschen (√ 6,17). 22 Alles, was Lebens-geist / -odem in seiner Nase hatte (√ 2,7), alles davon, was auf dem Trockenen (→ 8,13) lebte, starb. 23 Und er tilgte alles Bestehende aus, das auf der Ackerland-Fläche war (√ 6,7; 7,4)– vom Menschen bis zum Vieh, zum Kriechgetier und bis zum Flugwild des Himmels. Sie wurden vertilgt vom Erdboden weg. Und übrig blieb allein Noah und was mit ihm in der Arche war. 24 Die Wasser aber schwollen an auf dem Festland, hundertfünfzig Tage lang.
1. Noahs Einstieg (7,7–9a*) und der Beginn der Regen-Flut bis zum Höhepunkt (7,10a.12.16b.17b und 22–23*) in der VP‑Version 1.1 Gen 7,10a.12.16b. Die Primärgestalt einer VP‑Fluterzählung lässt sich leicht aus den Anweisungen Jhwhs in 7,1–3 und der Ankündigung einer Regenflut in V. 4 erschließen. Den zeitlichen Rahmen des Geschehens setzt Jhwh in V. 4a: Zum Einstieg in die Arche (V. 7–9a*) waren noch sieben Tage Zeit (V. 4aα1 → 10a, )ויהי לׁשבעת הימים. Darnach kam ein Dauerregen von 40 Tagen und Nächten auf (V. 4aα2β → V. 12, )ויהי הגׁשם על הארץ ארבעים יום וארבעים לילה, nachdem Jhwh die Arche hinter Noah abgeschlossen hatte (V. 16b, )ויסגר יהוה בעדו. 1.2 Gen 7,17b.22–23*. Der Dauerregen führte – wie bei einer großen Überschwemmung – zu einem mächtigen Hochwasser (V. 17bα1, )וירבו המים, das einerseits die Arche anhob (V. 17bα2, )ויׂשאו את התבה, so dass sie durch Auftrieb vom
Die Noah-Flut-Erzählung (Gen 6,8–8,20)
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Erdboden abhob (V. 17bβ, )ותרם מעל הארץ. Andererseits kamen dabei alle atmenden Lebewesen (V. 22a, )כל אׁשר נׁשמת חיים באפיו31 auf dem Trockenland durch Ertrinken zu Tode (V. 22b, )מכל אׁשר בחרבה מתו, womit Jhwh sein Vernichtungsziel von V. 4b (vgl. 6,7) voll erreicht hatte (V. 23aα1, וימח את היקום אׁשר על פני האדמה, vgl. oben I.3). Nur Noah und die Seinen blieben in der Arche bewahrt (V. 23b). 1.3 Gen 7,7–9a*. Auch der VP‑Bericht vom Einstieg in die Arche in 7,7a.8a.bα und 9a folgt genau den Anweisungen von 7,1aβ und 2–3. Nach V. 7a steigt Noah mit seiner Familie ( )נח ובניו ואׁשתו ונׁשי בניו אתוgemäß 7,1aβ und 6,18b ein.32 Und nach V. 8a.bα und 9a kamen sowohl das reine Vieh ( )הבהמה הטהורהals auch das unreine Großwild ( )הבהמה אׁשר אננה טהרהje zu zweit ( )ׁשנים ׁשניםin die Arche hinein – gemäß der Auswahl, die Noah nach 7,2–3* im Blick auf das Opfer in 8,20 zu treffen hatte. Im Kontrast zur schöpfungsgeschichtlichen Universal-Perspektive der P‑B (vgl. unten IV.2) spricht die VP‑Version vom Beginn der Flut (7,10a.12) bis zu ihrem Höhepunkt (V. 22–23) somit schlicht von einem 40-tägigen Dauerregen (V. 12) und einer Hochwasserflut (V. 17b), in der alle atmenden Lebewesen, soweit sie nicht in der Arche waren (V. 23b), durch Ertrinken zu Tode kamen (V. 22.23a). 2. Beginn und Höhepunkt der kosmischen Ur-Flut (7,6–24*) im schöpfungsgeschichtlichen Horizont der P‑Bearbeitung 2.1 Gen 7,6.7b.8bβ.9b. Die P‑B paraphrasiert den Einstieg der Noah-Familie mit den Tieren in die Arche nur leicht. In 7,7b bezieht sie die Einstiegsphase mit מי המבול מפניauf 6,17a und die metanarrative Überschrift von 7,6 zurück (vgl. oben III.2.3). In V. 8–9 trägt sie ihre Vorstellungen von der bisexuell differenzierten Tierwelt (8bβ und 9aEnde, )זכר ונקבה33 nach, die mit Noah in die Arche kommt. Und V. 9b bestätigt mit der P‑Erfüllungsformel כאׁשר צוה אלהים את נחin Analogie zur VP‑Feststellung in 7,5,34 dass Noah sich an die schöpfungsgeschichtlichen Differenzierungen hielt, die Elohim in 6,19b–20 angeordnet hatte (vgl. oben III.2.4). 2.2 Gen 7,10b–11. Im Unterschied dazu greift die P‑B in 7,10–24 umfassend, aber passgenau in den VP‑Textzusammenhang (vgl. oben IV.1.1 und IV.1.2) ein und gestaltet den Beginn der Flut bis zu ihrem Höhepunkt tiefgreifend nach ihren Vorstellungen einer Ur-Flut um. Zunächst spaltet sie die VP‑Terminierung des 31 נׁשמת חייםist neben 7,22 im ganzen Tanach nur in der VP‑UG in 2,7aβ belegt, worauf sich 7,22 zurückbezieht. Zur P‑Paraphrase mit רוחvon 6,17aβ vgl. oben Anm. 28(2). 32 Zur spezifischen VP‑Kennzeichnung der Noah-Familie im Unterschied zur P‑B vgl. oben Anm. 21(1) und zum Sammelbegriff כל ביתךin 7,1aβ oben III.1.4 und Anm. 24. 33 Zur P-spezifischen, bisexuellen Kennzeichnung זכר ונקבהvgl. oben III.2.4 und Anm. 23(3). 34 Zur P‑Erfüllungsformel כאׁשר צוה אלהים את נחvgl. oben Anm. 23(2).
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Flut-Beginns in V. 10a.12 auf und setzt in V. 11 den Ausbruch der mächtigen UrFlut ( )תהום רבהmit genauem Anfangs-Datum am 17.2.600 im Leben Noahs dazwischen (V. 11b, )נבקעו כל מעינת תהום רבה וארבת הׁשמים נפתחו. Gemäß der P‑Ergänzung in V. 10b ( )ומי המבול היו על הארץbegannen jedoch die Sintflut-Wasser ()מי המבול35 – in Anknüpfung an die VP‑Version von V. 10a – einerseits schon nach sieben Tagen (V. 10a) über das Festland zu kommen. Andererseits aber brach die eigentliche, kosmische Ur-Flut (V. 11b) nach V. 11a erst am 17.2.600 los, obgleich die Sintflut-Wasser nach 7,6 im epochalen Zeithorizont der P‑B zugleich das ganze Jahr 600 Noahs auf dem Festland lagen. Damit definiert die P‑B den 40-tägigen Dauerregen, der nach V. 12 der VP‑Version schon nach sieben Tagen (V. 10a) begann, unmerklich zu einer verhältnismäßig unbedeutenden Vor-Phase vom 1.1. bis zum 17.2.600 (= 30 + 17 Tage) um, bevor die eigentliche Ur-Flut ( )תהום רבהin ihrem Sinne begann. Mit dieser Integration der VP‑Vorstellungen (vgl. oben Abschn. IV.1.2), stellt die P‑B die 40-tägige Regenflut als Vor-Phase zugleich ganz in den Schatten der Wirkungs- und Bedeutungslosigkeit gegenüber den schöpfungsgeschichtlichen Dimensionen, die die Sintflut mit dem Losbrechen der Ur-Flut (7,11) annahm. Denn dadurch wurde zum einen die Wasserscheide vom zweiten Schöpfungstag (1,6–7) außer Kraft gesetzt, als Elohim das Himmelsgewölbe schuf ()רקיע, indem er damit die Wasser der Ur-Flut (1,2, )תהוםin die Schranken wies und zugleich die Wasser oberhalb des Gewölbes von den Wassern unterhalb des Himmels schied, die nun aber nach 7,11b am 17.2.600 als תהוםwieder aus den Schleusen des Himmels durchzubrechen anfingen ()וארבת הׁשמים נפתחו. Zum andern nahm Elohim mit den Sintflut-Wassern ()מי המבול, die im ganzen Jahre 600 Noahs auf dem Festland lagen (vgl. 7,6.10.17.24), seine Anweisung am dritten Schöpfungstag zurück, dass sich die Wasser unter dem Himmel an einem Ort, d. h. im Meer, zu sammeln haben (1,9), damit das Trockene sich zeigen kann ()ותראה היבׁשה, das in V. 10aα „Erde“ ( = ארץFestland) genannt wird.36 2.3 Gen 7,13–16a. In 7,13–16a präzisiert die P‑B nachholend, wer und was als Belegschaft in die Arche hineinging, bevor die Arche – unter Aufnahme der VP‑Version – von Jhwh zugeschlossen wurde (V. 16b) und die Wasser anfingen, bedrohlich anzusteigen (V. 17–24). Neben der P-spezifisch gekennzeichne35 Zum P‑Leitbegriff der Sintflut-Wasser ( )מי המבולvgl. oben Abschn. III.2.3 und Anm. 29 sowie unten Anm. 46. 36 Auch in chronologischer Hinsicht ist die P‑NFE in 7,6–8,14 als temporäre Aufhebung der Wasserscheide von Gen 1,9–10 konzipiert (vgl. dazu unten Abschn. V.3). Im ersten Teil 7,17–24 wird das Festland nach Öffnung der Ur-Flut-Schleusen (V. 11) unter Aufhebung der Wasserscheide total überflutet. Symmetrisch dazu ist der zweite Teil 8,5–14 ganz darauf ausgerichtet, wie die Wasser zurückgingen bis das Festland ( )ארץim Sinne von 1,10 als Trockenland ()היבׁשה wiederhergestellt und dementsprechend nach 8,14 gänzlich trocken war (יבׁשה, vgl. V. 7!), nachdem sich die Schleusen wieder geschlossen hatten (8,2a) und die Spitzen der Berge sichtbar wurden (8,5).
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ten Noah-Familie (V. 13aβ.b) stiegen nach V. 14–15 auch alle Tiere genau gemäß den P‑Anweisungen in 6,19b–20 und den Gattungsordnungen von 1,24–25 in die Arche ein (vgl. dazu oben III.2.4). In V. 16aα wird die zugestiegene Belegschaft insgesamt unter dem P‑Leitbegriff „Gesamtheit der fleischlichen Wesen“ und ihrer bisexuellen Differenzierung als „männlich“ und „weiblich“ zusammengefasst והבאים זכר ונקבה מכל בׂשר באו.37 Wie in 7,9b bezieht sich die P‑Erfüllungsformel כאׁשר צוה אתו אלהיםin 16aβ speziell darauf, dass Noah nach diesen schöpfungsgeschichtlichen Differenzierungen gehandelt hat, und weist ihn damit als Gottebenbildlichen Mandatar aus (6,9, vgl. 1,26 und 5,1b), der im Sinne von 1,24–25 verantwortungsvoll für seine Kreatur sorgt (vgl. oben III.2.1). Mit der Zeitangabe „an eben diesem Tag“ in 7,13aα datiert die P‑B allerdings auch das Ende der Einstiegsphase erst auf den 17.2.600, an dem die Ur-Flut losbrach (V. 11). Dementsprechend war die ganze Belegschaft nicht schon – wie in der VP‑Version (V. 7a.8a.bα und 9a*) – nach sieben Tagen, sondern gemäß der P‑B (V. 13–16a) erst vierzig Tage später vollständig in die Arche eingestiegen, bevor Jhwh sie dann zuschließen konnte (V. 16b). Mit dieser Überblendung der 40-tägigen VP‑Regenflut mit den P‑Vorstellungen einer gewaltigen Ur-Flut, die erst am 17.2. losbrach, verlieren nicht nur die Auswirkungen des Dauerregens und das tödliche Hochwasser rezeptionsästhetisch an Gewicht. Auch wird dadurch der latente Widerspruch geglättet, dass die Einstiegsphase im Prinzip die ganze Zeit des Dauerregens umfasst, in der auch nach seinem Beginn noch Teile der Belegschaft unbeschadet zusteigen konnten, bevor die Wasser zu hoch wurden. Denn V. 13 nennt nur den terminus ad quem, bis zu dem spätestens die ganze, in V. 13–16a spezifizierte Belegschaft eingestiegen war. 2.4 Gen 7,17a.18–24*. Auch im letzten Abschnitt 7,17–24 zieht sich der qualitativ drastische Unterschied zwischen der VP‑Regenflut und der kosmischen Ur-Flut der P‑B durch. In V. 17a greift sie ihre Paraphrase von V. 10b auf, dass die Sintflut-Wasser ( )מי המבולnach sieben Tagen (V. 10a) auf das Festland kamen. Nun aber (V. 17a) sind sie – unter Berücksichtigung der VP‑Version von V. 12 – als Dauerregen bereits vierzig Tage auf dem Festland ויהי המבול ארבעים יום על הארץ, was exakt dem Datum 17.2.600 der P‑Chronologie entspricht. Auf diese Weise integriert die P‑B die VP‑Schilderung der Regenflut in V. 17b in ihre Erzählung (V. 18–24*) von den kosmischen Ausmaßen und Wirkungen der Ur-Flut-Wasser nach dem 17.2.600. Dabei hatte der 40-tägige Dauerregen nach der VP‑Version lediglich zu einem starken Hochwasser geführt (vgl. oben IV.1.2), das die Arche vom Erdboden abhob (V. 17b) und alle atmenden Lebewesen außerhalb des Schutzraums durch Ertrinken zu Tode kommen ließ (V. 22*).
37 Zur
P-spezifischen Kennzeichnung der Noah-Familie vgl. oben Anm. 21(1) sowie zum P‑Leitbegriff כל בׂשרAnm. 21(2) und zur bisexuellen Unterscheidung זכר ונקבהAnm. 23(3).
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In scharfem Kontrast dazu schildert die P‑B in 7,18–20.24 das gewaltige Anwachsen der Sintflut-Wasser in kosmischen Dimensionen des zweiten und dritten Schöpfungstages (vgl. oben IV.2.2). Nach Öffnung der Ur-Flut-Schleusen am 17.2.600 schwollen die Wasser derart mächtig über dem Festland an (V. 18a, ויגברו )המים וירבו מאד על הארץ, dass eine geschlossene Wasseroberfläche von MeeresAusmaß entstand, auf der die Arche dahintrieb (V. 18b, )ותלך התבה על פני המים. Und der weitere, noch mächtigere Anstieg der Ur-Flut-Wasser (V. 19a, והמים גברו )מאד מאד על הארץführte zur Überflutung selbst aller Hochgebirge unter dem ganzen Himmelsgewölbe (V. 19b, )ויכסו כל ההרים הגבהים אׁשר תחת כל הׁשמים, so dass die Wasser den Höchststand von 15 Ellen (= ca. 6m) über den Bergspitzen erreichten (V. 20, )חמׁש עׂשרה אמה מלמעלה גברו המים. In diesen kosmischen Fluten kam – wie in 6,17 angekündigt – die Gesamtheit aller fleischlichen Wesen um (V. 21aAnfang, )ויגוע כל בׂשר, was die P-B in 7,22 ( )רוחund 23aα2β weiter paraphrasiert (vgl. 6,7aβγ und oben I.3). 2.5 Gen 7,24. Nach V. 24 hatten sich die Wasser während 150 Tagen, d. h. fünf Monate lang, gewaltig über dem Festland aufgetürmt: ויגברו המים על הארץ חמׁשים ומאת יום. Damit können jedoch nur die Ur-Flut-Wasser gemeint sein, die am 17.2.600 losbrachen und nach 7,18–21 in kosmischen Dimensionen über dem Festland angestiegen waren (vgl. √ גברin V. 18a.19a und 24a), während die Wasser des 40-tägigen Dauerregens entsprechend der rezeptionsästhetischen Überblendung (vgl. oben IV.2.2) auch in chronologischer Hinsicht irrelevant sind. Denn nach 8,2a.3b versiegten die Wasser am Ende von 150 Tagen (V. 3b, ויחסרו )המים מקצה חמׁשים ומאת יום, weil zugleich auch die Quellen der Ur-Flut und die Schleusen des Himmels wieder verschlossen wurden (V. 2a, ויסכרו מעינת תהום )וארבת הׁשמים. Dabei setzt die P‑B in 8,4 diese Stillung der Ur-Flut-Wasser nach 150 Tagen zudem auch mit dem Datum des 17.7.600 gleich, an dem die Arche auf dem höchsten Bergmassiv des Ararat im armenischen Bergland auf festen Boden zu liegen kam (vgl. dazu unten Abschn. V.3). Das Datum, an dem zugleich die Ur-Flut-Quellen verschlossen wurden (V. 2a) und die Wasser daraus versiegten (V. 3b), liegt somit genau fünf Monate bzw. 150 Tage später als der 17.2.600, an dem sich diese Quellen geöffnet hatten. Der Abschnitt 8,1–4 bildet dabei als Klimax zugleich das Kopfstück der P‑B zum dritten und abschließenden Hauptteil der NFE, der Gen 8,1–20 umfasst.
V. Der Rückgang der Flut-Wasser bis zur Abtrocknung des Erdbodens und der Ausstieg aus der Arche (Gen 8,1–22) 8 1 Da dachte Elohim an Noah und an alles Wildgetier und alles Vieh, das bei ihm in der Arche war. Und Elohim ließ (s)einen Wind(hauch) über das Festland wehen, und die Wasser hielten inne. 2a Und die Quellen der Ur-Flut und die Schleusen des Himmels schlossen sich (√ 7,11b). 2b Alsdann hörte (auch) der Regen vom Himmel auf (√ 7,12a). 3a Und
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die Wasser auf dem Erdboden gingen allmählich zurück. 3b Und die Wasser versiegten nach hundertfünfzig Tagen. 4 Und im siebten Monat, am siebzehnten Tag des Monats, setzte die Arche auf den Bergen von Ararat auf. 5 Und die Wasser nahmen allmählich ab bis zum zehnten Monat. Im zehnten Monat, am ersten des Monats, wurden die Spitzen der Berge sichtbar. 6 Und es geschah nach vierzig Tagen, dass Noah das Fenster der Arche öffnete, das er gemacht hatte. 7 Und er ließ einen Raben hinaus. Der flog hin und her, bis die Wasser auf dem Festland weggetrocknet waren (→ 8,14b). 8 Und er schickte eine Taube von ihm aus hinaus, um zu sehen, ob das Wasser auf der Ackerland-Fläche weniger geworden wäre. 9 Aber die Taube fand keinen Ruheplatz für ihre Fußsohle und sie kehrte zu ihm zur Arche zurück. Denn noch stand das Wasser auf der ganzen Festland-Oberfläche (√ 7,3b). Da streckte er seine Hand aus, griff sie und nahm sie zu sich in die Arche. 10 Dann wartete er noch sieben weitere Tage und schickte die Taube erneut aus der Arche hinaus. 11 Und die Taube kam um die Abendzeit zu ihm zurück, und sieh da, sie hatte ein frisches Öl-Blatt in ihrem Schnabel. Da wusste Noah, dass das Wasser auf dem Erdboden weniger geworden war. 12 Abermals wartete er noch sieben weitere Tage und schickte die Taube erneut hinaus. Da kehrte sie nicht mehr zu ihm zurück. 13a Und als im sechshundertersten Jahr, im ersten Monat am ersten Tag des Monats die Wasser auf dem Erdboden vertrocknet waren (√ 7,22 und 7,6), 13b da entfernte Noah das Dach der Arche und hielt Ausschau, und sieh da, die Ackerland-Fläche war trocken geworden. 14 Und im zweiten Monat, am siebenundzwanzigsten Tag des Monats, war das Festland getrocknet (√ 8,7b). 15 Und Elohim redete zu Noah folgendermaßen: / 15* Und Jhwh sprach zu Noah: 16 Geh aus der Arche hinaus, du und deine Söhne und deine Frau und die Frauen deiner Söhne mit dir (√ 6,18b; 7,7a → 8,18). 17 Alle Tiere, die bei dir sind, von allem fleischlichen Wesen (√ 6,12aα.13a.17aβ.19a; 7,15bα.16a.21a) an Flugwild, an Vieh und an allem Kriechgetier, das sich auf dem Festland regt (√ 6,19b–20), führe mit dir hinaus, und sie sollen wimmeln auf dem Festland und fruchtbar sein und sich mehren auf dem Festland. (√ 1,28; → 9,1.7) 18 Da ging(en) Noah – und seine Söhne und seine Frau und die Frauen seiner Söhne mit ihm – aus der Arche hinaus (√ 6,18b; 7,7a; 8,16). 19 Alle Tiere alles Kriechgetier und alles Flugwild, alles, was sich auf dem Festland regt, nach ihren Gattungen (√ 1,24–25; 6,20; 7,14) gingen aus der Arche. 20 Und Noah baute Jhwh einen Altar. Und er nahm von allem reinen Vieh und von allem reinen Gefieder (√ 7,2.8) und brachte Brandopfer dar auf dem Altar. 21 Und Jhwh roch den Duft der Besänftigung, und Jhwh sprach bei sich selbst: Nicht will ich weiterhin das Ackerland gering achten um des Menschen willen (√ 3,17, vgl. 4,11). Denn die Gebilde des ‚Menschenherzens‘ sind ‚böse‘ von Jugend an (√ 6,5). Und nicht mehr werde ich alles Lebendige (√ 6,19) (tot-)schlagen, wie ich es getan habe (√ 7,23). 22 Solange das Ackerland besteht, sollen nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.
1. Das Regen-Ende (8,2b–3a), Noahs Einsatz während des Wasser-Rückgangs (8,6–13*) und darnach (8,15–20*) in der VP‑Version. 1.1 Gen 8,2b–3a. Auch nach Ende des Dauerregens (8,2b) steht Noah als Prototyp des ‚Gerechten‘, d. h. eines rechtschaffenen Menschen (צדיק, vgl. 7,1b), mit seiner Klugheit, seiner Verantwortungsbereitschaft gegenüber Jhwh und seiner
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Handlungskompetenz im Zentrum des Schluss-Teils der VP‑NFE. In 8,2b wird im Sinne des schlichten Flut-Szenarios (vgl. oben IV.1) nur festgestellt, dass der Regen aus dem Himmel aufgehört hatte ()ויכלא הגׁשם מן הׁשמים, nachdem Jhwhs Ziel der Auslöschung alles bestehenden Lebens erreicht war (V. 23, vgl. 6,7 und 7,4), und deshalb das Wasser auf dem Erdboden allmählich zurückging (V. 3a, )ויׁשבו המים מעל הארץ הלוך וׁשוב. 1.2. Gen 8,6–13*. Im Gegensatz zu dieser knappen Feststellung, erzählt die VP‑Version in 8,6–13 umso breiter davon, wie klug und umsichtig Noah nach vierzig Tagen Wartezeit (V. 6) mit seinem Tauben-Experiment den Stand der zurückgehenden Wasser erkundet (V. 8.9aα.b–12) und die Abtrocknung des Erdbodens bzw. des Ackerlandes in Erfahrung gebracht hat (V. 13aβ.b). Von seiner Klugheit und Umsicht zeugen nicht nur das mehrfache Abwarten (V. 6a.10a und 12a), der sorgfältige Umgang mit der Taube (V. 9b) und die genaue Beobachtung ihres Verhaltens (V. 9aα.11a.12bβ), um den Wasserstand zu erkunden (V. 8b.11b). Auch lässt der VP‑Erzähler technische Details wie die Fenster-Luke (V. 6b) und das abnehmbare Dach der Arche (13bα) in die Darstellung einfließen. Damit unterstreicht er, wie klug und vorausschauend Noah die Arche nach den nur umrisshaften Rohbau-Anweisungen Jhwhs in 6,14 gebaut hatte (vgl. oben III.1.1 und vor allem den Rückverweis in 8,6bβ )החלון אׁשר עׂשה. Emphatisch mit והנה wird dabei in V. 13bβ besonders das Endergebnis seiner klugen Erkundungen (vgl. schon V. 11b) hervorgehoben וירא והנה חרבו פני האדמה.38 1.3 Gen 8,16–17a*.18–20*. In genauer Entsprechung zu den Anweisungen in 6,18b–19a und aktualisiert in 7,1aβ, fordert Jhwh in 8,16–17a Noah dazu auf,39 mit seiner Familie aus der Arche auszusteigen und auch alle Tiere hinauszulassen.40 8,18–19 erzählt dann in denselben Worten die Ausführung der Anweisung. 38 Die VP‑Version bezeichnet das Trockene bzw. die Trocknung stets mit dem Lexem חרב (7,22b und 8,13 [2 ×]), während die P‑Bearbeitung dafür gemäß Gen 1,10 aus ihrer kosmischen Perspektive die Wurzel יבׁשverwendet (8,7bβ und 14b); vgl. oben Anm. 36 und unten V.2.2 sowie Anm. 45. 39 Vergleichbar mit der Redeeinführung in 6,13aα (vgl. oben III.1.1) und der Erfüllungs1 Formel in 6,22 (vgl. oben Anm. 23[1] und 27) hat die P‑Bearbeitung auch die metakommunikative Einführung der VP‑Version in 8,15 ihrer Neugestaltung der Noah-Flut-Erzählung angepasst. An Stelle von „( אמרsprechen“) wie in der VP‑Einführung in 7,1aα ( )ויאמר יהוה לנחbzw. 6,13aα1 verwendet die P‑Bearbeitung deshalb jedoch in 8,15 das Verbum דברpi. („reden“), weil sich Elohim im Rahmen der Noah- תולדתnach der Abtrocknung des Festlandes (V. 14) nicht nur in V. 16–17 an Noah wendet, sondern mehrfach – jeweils eingeleitet durch ויאמר – auch in 9,1.8.12 und 17. 40 Zur VP-spezifischen Kennzeichnung der Noah-Familie ( )נח ובניו ואׁשתו ונׁשי בניו אתוin 8,16 und 18 vgl. oben Anm. 21(1). Die Bezeichnung כל החיהfür die Gesamtheit der Tiere, die in 6,19a; 7,8a.bα und 9a beim Einstieg näher spezifiziert wurden und auf Geheiß Jhwhs in 8,17aα nach V. 19aα1 aussteigen, entspricht zwar auch dem P‑Sprachgebrauch (vgl. u. a. 7,14 und 8,1), doch wird der Sammelbegriff auch in der VP‑UG für die Tiere (des Feldes) verwendet (vgl. 2,19–20; 3,1 und 14) – vergleichbar mit der Bezeichnung כל ביתך, die in der Anweisung zum Ein-
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Abschließend stellt Noah in V. 20 prototypisch auch seine kultische Vorbildlichkeit unter Beweis. Aus freiem Antrieb baute er für Jhwh einen Altar (V. 20a) und brachte darauf als Dank für die erfahrene Gnade von den reinen Tieren Brandopfer dar, die er nach 7,2a auf Geheiß Jhwhs ausgesucht und nach V. 8a. bα in die Arche mitgenommen hatte (vgl. oben III.1.4 und IV.1.3). 1.4 Gen 8,21–22. Im Unterschied zum Opfer Kains (4,5) hat Jhwh nach 8,21aα Noahs Opfer nicht nur wohlwollend angenommen. Es besänftigte auch seine abgründigen Selbstzweifel in Bezug auf den Menschen (6,7). Zudem konnten ihn Noahs Hörbereitschaft und sein kluges Handeln in der abschließenden Selbstreflexion von 8,21aβ.b davon überzeugen, dass der menschliche Vernunftgebrauch doch nicht wie schon beim Ur-Paar völlig pervertiert war (vgl. oben I.2 und I.3.). Deshalb will er auch nicht mehr weiter an der Geringachtung des Ackerlandes „um des Menschen willen“ ( )בעבור האדםfesthalten (V. 21aβ1), das er wegen der selbstklugen Verantwortungslosigkeit des ersten Menschen (3,17a!) verflucht hatte (V. 17bα, )ארורה האדמה בעבורך. Damit erfüllt sich schließlich auch „unsere“ – die Leserinnen und Zuhörer im Sinne des tua res agitur mit einschließende – Hoffnung von 5,29 auf Noah, dass „dieser“ – mit explizitem Rückbezug auf 3,17 (!) – „uns Trost verschaffen wird von unserer Arbeit und den Beschwernissen (עצבון, vgl. 3,17bβ!) unserer Hände vom Ackerbau, den Jhwh verflucht hatte ()מן האדמה אׁשר אררה יהוה.“ Denn Jhwh garantierte nach 8,22 auch den jahreszeitlichen Rhythmus einer witterungsabhängigen Landwirtschaft (vgl. oben I.1). Deshalb konnte Noah nach 9,20 als erster „Ackerlandmann“ ( )איׁש האדמהauch mit dem Anbau von Wein beginnen, der als Genussmittel nach Ps 104,15 zwar das ‚Herz‘ des Menschen (vgl. oben I.3) erfreuen, aber nach Gen 9,21–24 auch prekäre Folgen haben kann. 2. Die Klimax der P‑Bearbeitung (8,1–4*) und das Flut-Ende (8,5–14*). Die P‑B baut das Ende der Flut nicht nur in 8,1–4 zur schöpfungsgeschichtlichen und -theologischen Klimax der NFE aus, sondern paraphrasiert in 8,5–14 in chronologischer Hinsicht den Rückgang der Flutwasser (vgl. oben Anm. 36) und in 8,17–19 den Ausstieg der Tierwelt nach ihren Ordnungsvorstellungen. 2.1 Gen 8,1–4*. Nach den verheerenden Auswirkungen der losgelassenen UrFlut-Wasser (vgl. 7,11.21 und 6,17b), kommt Elohim in 8,1a – analog zu Jhwh in 8,21–22 – zur Besinnung ()ויזכר אלהים, indem er an Noah (V. 1aα), den untadeligen ‚Gerechten‘ (6,9a) denkt (vgl. Ps 8,5!), der als Mensch – nach seinem Bilde geschaffen (1,26 und 5,1) – vollkommen mit ihm wandelte (6,9b). Zudem besinnt stieg in 7,1aβ für die ganze Noah-Familie steht. Zu den P‑Paraphrasen in 8,17 und 19 vgl. unten Abschn. V.3.
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er sich auf die ganze Tierwelt (8,1aβγ), die er nach 1,24–25 (vgl. V. 30) geschaffen hatte und die gemäß 7,14–16a zum Überleben in der Arche war. Im „Wind“, den Elohim deshalb über das Festland hinwegfegen ließ, ist im Sinne von Gen 1,2 das Wirken seines Schöpfer-Geistes zu sehen, der die Ur-Flut-Wasser, die am 17.2.600 aus den Quellen der תהוםlosbrachen (7,11), wieder gebändigt hat (V. 1b, )ויׁשכו המים.41 Demzufolge „versiegten ()ויחסרו42 die Wasser am Ende von 150 Tagen“ (8,3b), weil sich die Ur-Flut-Quellen durch Elohims Geistes-Wirken selbst verschlossen hatten (V. 2a).43 Mit der Schließung der תהום-Quellen (V. 2a) und der daraus resultierenden Stillung der Ur-Flut-Wasser (V. 1bβ.3b) beginnt somit schöpfungsgeschichtlich die chaoskampfmythische restitutio in integrum der kosmischen Wasserscheide des zweiten Schöpfungstags (1,6–7), die Elohim mit 7,11 und 18– 20 temporär aufgelassen hatte. In theologischer Hinsicht gab dazu sein Gedenken an Noah und an die in der Arche bewahrten Land-Geschöpfe in 8,1a den Anstoß, was – intertextuell betrachtet – im Lobpreis von Ps 8 bestaunt und besungen wird. 2.2 Gen 8,5–14*. In 8,4 wird der Zeitpunkt, an dem sich die Ur-Flut-Quellen verschlossen (V. 2a), so dass die Wasser nach 150 Tagen wieder versiegten (V. 3b), auf den 17.7.600 datiert, an dem die Arche im Gebirge Ararat auf festen Boden zu liegen kam (vgl. oben Abschn. IV.2.5). Ab diesem Datum begannen die mächtigen Ur-Flut-Wasser allmählich zu sinken (V. 5aα, )והמים היו הלוך וחסור,44 so dass bis zum 1.10.600 (V. 5aβ.bα) immer mehr Bergspitzen sichtbar wurden (V. 5bβ, )נראו ראׁשי ההרים. An den auftauchenden Bergspitzen begann sich in schöpfungsgeschichtlicher Hinsicht das Trockene ( )היבׁשהzu zeigen, das nach 1,9aβ am dritten Schöpfungstag sichtbar werden sollte ()ותראה היבׁשה, sobald sich die Wasser unter dem Himmelgewölbe (מתחר הׁשמים, V. 9aα2 vgl. 7,19bβ!) auf Elohims Anweisung an ihrem Ort, d. h. im Meer (1,10a) sammeln (vgl. oben Anm. 36). Mit 41 Die Kernbedeutung von ( ׁשכךqal nur noch Jer 5,26; Est 2,1; 7,10 und hif. Num 17,20) ist mit Vorstellungen der Beruhigung, Beschwichtigung und Besänftigung verbunden (vgl. Gesenius18, 1353), so dass die Assoziation mit dem Geist Gottes, der nach Gen 1,2 über den chaotischen Ur-Wassern der תהוםwaberte und diese nach 8,1b erneut still gestellt hatte, sehr viel näher liegt, als die übliche Übersetzung von V. 1b mit: „und die Wasser sanken“. 42 Zur Bedeutung von „ חסרleer werden“/“versiegen“ vgl. 1 Kön 17,14.16 und Gesenius18, 378. 43 Da die P‑Bearbeitung das Regenflut-Szenario der VP‑Erzählung zwar auch in 8,2b.3a in ihre kosmische Flut-Perspektive integriert, aber wie in 7,10–12 (vgl. oben Abschn. IV.2.2) als beiläufiges Flut-Geschehen in chronologischer Hinsicht zugleich ignoriert, spielt es auch keine Rolle, dass die marginalen Regenflut-Wasser nach 8,3a schon am Zurückgehen waren, bevor die weit mächtigeren Ur-Flut-Wasser (vgl. 7,18–20) nach 8,3b versiegten, zumal ja nach V. 2a auch die Himmelsschleusen schon geschlossen waren und damit nach V. 2b auch der Regen aufhörte. 44 Wie in 8,3b kommt auch in V. 5aα das Lexem חסרzur Anwendung. Während jedoch dort die Wasser aus den Ur-Flut-Quellen „versiegten“ (vgl. oben Anm. 42), sind es in 8,5a die Wasser, die jedoch auch nach deren Verschließen auf dem Festland lagen und überhaupt erst darnach allmählich „weniger werden“ bzw. sinken konnten.
Die Noah-Flut-Erzählung (Gen 6,8–8,20)
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dem 1.10.600 beginnt somit für die P‑B nach 8,5 die restitutio in integrum der Wasserscheide unterhalb des Himmelsgewölbes, wie sie in 1,9–10 gedacht war. Dementsprechend lässt Noah nach V. 7 parallel zum VP‑Tauben-Experiment auch einen Raben ausfliegen (V. 7a), der jedoch im Unterschied zur Taube so lange ständig hin und her flog (7bα), „bis die Wasser auf dem Festland weggetrocknet waren“ ()עד יבׁשת המים מעל הארץ, während sie nach V. 9bβ noch nach wie vor „die ganze Festland-Oberfläche“ bedeckten ()כי מים על פני כל הארץ. Mit dem Einsatz des Raben als Sensor für den Wasserstand überbrückt die P‑B elegant den Zeitraum, bis die mächtigen Flutwasser am 1.1.601 vertrocknet (V. 13aα)45 und das Festland nach 8,14 am 27.2.601 vollständig trocken war ()יבׁשה הארץ.46 Erst damit, dass das Festland am 27.2.601 im Sinne von 1,9–10 wieder ganz zum „Trockenen“ ( )היבׁשהwurde, war auch die restitutio in integrum der Wasserscheide abgeschlossen. 3. Die Chronologie der NFE in der P‑Bearbeitung von Gen 7,6–8,14 und der Abschluss (8,15–19) Die P‑B strukturiert die NFE in chronologischer Hinsicht einerseits unter dem Gesichtspunkt, dass die Sintflut-Wasser ( )מי המבולnach 7,6–8,14 im ganzen Jahr 600 Noahs auf dem Festland (7,6) lagen. Nach sieben Tagen (V. 10a) gingen sie als 40-tägiger Dauerregen nieder (V. 12 und 17b), und ab dem 17.2.600, nach Öffnung der תהום-Quellen (V. 11), überfluteten die kosmischen Ur-Wasser während 150 Tagen gigantisch das Festland (V. 18–20.24). Am Ende dieser fünf Monate versiegten die Wasser (8,3b), weil sich die Quellen am 17.7.600 zeitgleich mit dem Aufsetzen der Arche verschlossen und die Wassermassen allmählich abnahmen (8,5–12), bis sie genau nach einem Jahr, am 1.1.601, ganz vom Festland verschwunden waren (8,13a). Andererseits strukturiert die P‑B das Flut-Geschehen unter dem Gesichtspunkt einer temporären Aussetzung der Wasserscheide des zweiten und dritten Schöpfungstages (1,6–7 und 9–10). In symmetrischer Entsprechung zur fünfmonatigen Flutung des Festlandes (7,18–24) durch die Wasser der תהוםvom 17.2. 45 Um das Verschwinden der Sintflut-Wasser zu datieren, fügt die P‑B in 8,13a lediglich das Datum des 1.1.601 in den VP‑Text ein (vgl. oben V.1.2 und Anm. 38 zum spezifischen VP‑Sprachgebrauch von חרבfür das Trockene bzw. die Trocknung in 7,22 und 8,13 im Unterschied zur P‑B, die in 8,7 und 14 יבׁשverwendet). 46 Die P‑B unterscheidet unter dem Oberbegriff der „Sintflut-Wasser“ (מי המבול, vgl. oben Anm. 29 und 35) Kontext-abhängig nicht nur zwischen den Wassern, die vom 40-tägigen Dauerregen herrühren (7,10b.17b und 8,3a), und den Wassern aus den Quellen der ( תהום7,18–20.24 und 8,3b). Sie unterscheidet nach Ende des Regens (8,2b, vgl. 7,10a.12) und Schließung dieser Quellen (8,2a, vgl. 7,11) auch klar zwischen dem Sinken bzw. Wegtrocknen der Sintflut-Wasser (8,3a/5a.7b.8b.9bβ.11b.13a) und dem Trocken-Werden des Ackerlandes (V. 13bβ) bzw. der Wiederherstellung des „Trockenen“ ( )היבׁשהals Festland (V. 14b), das nach 1,9–10 durch die Sammlung der Wasser im Meer entstand und in 7,18–20.24 für 150 Tage erneut unter die Ur-Flut-Wasser geriet.
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(7,11) bis zum 17.7.600 (8,2a.4), dauerte auch die Wiederherstellung „des Trockenen“ als Festland, das sich am 1.10.600 zu zeigen begann (8,5), fünf Monate lang bis zum letzten Tag des zweiten Monats im Jahre 601 (27.2).47 Diese Symmetrie bestätigt auch in chronologischer Hinsicht, dass die Rückbesinnung Elohims auf seine Geschöpfe von 1,24–27 und die Stillung der Ur-Flut-Wasser gemäß 1,6–7 und 9–10 (vgl. oben V.2.1) die Klimax der ganzen P‑NFE bildet. In 8,15–19 paraphrasiert die P‑B komplementär zu 7,7–9 auch das AusstiegsSzenario der VP‑Version nur leicht durch ergänzende Spezifizierungen der Tierwelt ( )כל החיהin V. 17a* und 19aα2β.bα im Sinne von 7,14–15 und 8,1aβγ. Ferner wird in V. 17b die Prokreations-Verheißung für die Gesamtheit der Tiere erneuert (vgl. analog 9,7), die schon in 1,28aβ auch für die Land-Tiere galt,48 während in 9,1 nur Noah und seine Söhne auch den dazu gehörigen Segen erhalten. Nach der restitutio in integrum der Wasserscheide (8,14, vgl. oben V.2.2) ist damit gemäß den Zielvorstellungen Elohims von 6,20b auch die Fortpflanzungsfähigkeit aller Land-Lebewesen in voller Entsprechung zum sechsten Schöpfungstag wieder voll intakt. Davon abgesehen, liegt der Schwerpunkt der Elohim-Reden ab 8,1549 ganz auf der Neuordnung des Mensch-Tierverhältnisses nach der Flut (9,1–7) sowie auf dem Bundesschluss (V. 8–17), der in 6,18a verheißen wird. Deshalb dient die Übernahme und Paraphrasierung des VP‑Szenarios in 8,16–19 vor allem dem Anschluss der P‑Flut-Erzählung von 7,6–8,14 an diesen zweiten Hauptteil der Noah- תולדתin 9,1–17.
47 Wie die P‑B die 40-tägige Dauer der VP‑Regenflut zwar chronologisch berücksichtigt, aber in ihrer Wirkung als Hochwasser gegenüber der gigantischen Ur-Flut ganz in den Schatten der Bedeutungslosigkeit stellt (vgl. oben IV.2.2), so gehen das Ende des Dauerregens und der allmähliche Rückgang der Wasser (8,2b.3a, eigentlich schon nach 40 Tagen) ebenso unmerklich in der P‑Zeitspanne von 150 Tagen auf (8,3b) wie das zwei- bis dreiwöchige Tauben-Experiment nach 40 Tagen (8,6.10a und 12a) in der fünfmonatigen Trockenphase von 8,5–14. 48 Zur Geltung des Prokreations-Segens für alle Landlebewesen in Analogie zu 1,22 vgl. Hardmeier/Ott, Naturethik, 129–136. 49 Zur P-Umgestaltung der Redeeinführung in 8,15 vgl. oben Anm. 39.
Flut und Kalender Die Datumsangaben im priesterlichen Flutbericht Oliver Dyma
Die genauen Datumsangaben im priesterlichen Flutbericht gelten oft als unzugänglich. Der vorliegende Beitrag versucht erneut, sie auf dem Hintergrund des schematischen 364-Tage-Kalenders zu lesen, wie dies bereits A. Jaubert in den 50er-Jahren getan hat.1 Dabei wird für die Angabe der Zeitspanne von 150 Tagen eine mögliche Erklärung geliefert, die die kultischen Aspekte des Kalenders hervorhebt. Auf diese Weise wird insgesamt die Funktion des priesterlichen Flutberichtes in seiner Ausrichtung auf den späteren Kult betont. Innerhalb der Priesterschrift wird die Systematik des Kalenders nicht erläutert.2 Das Vorgehen versteht sich daher heuristisch: Lässt sich unter der Annahme, dass der 364-Tage-Kalender die Basis der Angaben darstellt, eine plausible Deutung der Daten gewinnen, die mit dem Interesse der priesterlichen Autoren kongruent ist und möglicherweise zu einem vertieften Verständnis beiträgt? Da1 A. Jaubert, La date de la cène. Calendrier biblique et liturgie chrétienne (EtB 47), Paris 1957, bes. 31–48; vgl. Dies., Le calendrier des Jubilés et les jours liturgiques de la semaine, VT 7 (1957) 35–61. In jüngerer Zeit P. Guillaume, Land and Calendar. The Priestly Document from Genesis 1 to Joshua 18 (LHBOTS 391), New York 2009, bes. 69–79; Ders., Tracing the Origin of the Sabbatical Calendar in the Priestly Narrative (Genesis 1 to Joshua 5), Journal of Hebrew Scriptures 5 (2005) 1–20. Obwohl ich seiner Grundthese zustimme, der 364-Tage-Kalender bilde die Basis von P, halte ich seine Durchführung für zu weitgehend und im Einzelnen für schlecht begründet. 2 Für C. Westermann, Genesis, 1.: Genesis 1–11 (BKAT I/1), Neukirchen-Vluyn 1974, 581, stammt die Chronologie von P, sie sei nur auf dem Hintergrund des babylonischen Kalenders zu verstehen (mit Verweis auf E. Auerbach, Die babylonische Datierung im Pentateuch und das Alter des Priester-Kodex, VT 2 [1952] 334–342, hier 340 f.) Für Auerbach gilt: „Überall, wo die Monate einfach gezählt sind (erster, zweiter, usw. Monat), ist der babylonische Kalender mit dem Anfang im Frühjahr gemeint“ (ebd., 337). Hingegen meint M. Albani, Israels Feste im Herbst und das Problem des Kalenderwechsels in der Exilszeit, in: E. Blum/R. Lux (Hg.), Festtraditionen in Israel und im Alten Orient (VWGTh 28), Gütersloh 2006, 111–156, „dass die nummerierten Monate zu einem alternativen priesterlichen Kalendersystem gehören, das zwar an der Monatszählung des mesopotamischen Standardkalenders orientiert war, aber mit seiner Sabbatstruktur gerade in Abgrenzung dazu entwickelt wurde“ (126, Hervorhebung im Original); im Anschluss an Albani auch A. Grund, Die Entstehung des Sabbats. Seine Bedeutung für Israels Zeitkonzept und Erinnerungskultur (FAT 75), Tübingen 2011, 298. Vgl. auch S. Stern, Calendars in Antiquity. Empires, States, and Societies, Oxford 2012, 200: Ein fixiertes Kalenderschema sei „a significant departure from Babylonian tradition“.
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bei wird von der Prämisse ausgegangen, dass die Priesterschrift am Kult interessiert ist und kalendarische Fragen essentiell für den Kult und eine Theologie des Kultes sind. Die Ursprünge des 364-Tage-Kalenders sind nicht gesichert. Da er im Astronomischen Buch (1 Hen) belegt ist, wird er gerne ins 3. Jh. datiert.3 Genau genommen ist dies lediglich der terminus ante quem. Andere meinen, er sei mit der Einweihung des Zweiten Tempels als offizieller Kultkalender in Jerusalem eingeführt worden.4 Die priesterschriftliche Fluterzählung ist eines der klassischen Beispiele für die Literarkritik im Pentateuch und wird gerne in Methodenseminaren verwendet.5 Nach der sog. Pentateuchkrise ist unter den Entstehungshypothesen die Priesterschrift noch mit dem größten Konsens ausgestattet, aber essentielle Fragen sind weiter ungeklärt: 1) Umfang und Ende, 2) Verhältnis zum kultischen Material, speziell dem Heiligkeitsgesetz Lev 17–26,6 3) literarischer Status: Stellt die Priesterschrift ein eigenständiges Werk dar oder eine nicht selbstständige Kompositionsschicht? C. Levin und E. Blum haben hierzu 2015 ihre Positionen zugespitzt präsentiert: Levin sieht P als Quelle, d. h. als Text, der ursprünglich als selbständig konzipiert wurde. Dabei sei P mit dem vorpriesterlichen Material früh verbunden worden: „Der meiste Text ist erst nach der Quellenverbindung hinzugekommen.“7 Blum hat seine Idee einer Kompositionsschicht nochmals präzisiert und als zweistufigen Prozess beschrieben. Für ihn ist Kp keine Quelle, sondern auf schon bestehende Texte hin formuliert worden, um diese zu integrieren und fortzuschreiben. 1) In einem ersten Schritt wurde die Grundsubstanz von Kp in Gen, Ex und Lev als separate Größe konzipiert. 2) „In einem nächsten Schritt 3 Zur Entstehung des AB vgl. J. Ben-Dov, Head of All Years. Astronomy and Calendars at Qumran in their Ancient Context (StTDJ 78), Leiden/Boston 2008, 69–77. 4 Vgl. H. Stegemann, Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus (Herder Spektrum 4128), Freiburg i. Br. 61997, 213–236. 5 In Erinnerung an die anregenden Diskussionen in Oberseminaren zu Methodik, Exegetik, Textentstehung und sprachlichen Fragen sei diese Untersuchung dem Jubilar zugeeignet. Ich danke außerdem D. Carr für die Übersendung eines frühen Manuskriptes seines Beitrags On the Meaning and Uses of the Category of „Diachrony“ in Exegesis, in: J. J. Krause/K. Weingart (Hg.), Exegetik des Alten Testaments. Bausteine für eine Theorie der Exegese (FAT II), Tübingen (im Erscheinen). 6 Vgl. T. Hieke, Levitikus 16–27 (HThKAT), Freiburg i. Br. 2014, 612: „Somit stellt sich das Heiligkeitsgesetz als eine theologische ‚Stellungnahme‘ zu P dar.“ Ähnlich C. Nihan, From Priestly Torah to Pentateuch. A Study in the Composition of the Book of Leviticus (FAT II 25), Tübingen 2007, 609: „Instead, Lev 1–16 […] initially made up the conclusion to P’s account of Israel’s origins, before the addition of Lev 17–27 and the inclusion of P into the Torah.“ Gegen die Ausgrenzung des Heiligkeitsgesetzes E. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch (BZAW 189), Berlin 1990, 321 f. 7 C. Levin, Die Priesterschrift als Quelle. Eine Erinnerung, in: F. Hartenstein/K. Schmid (Hg.), Abschied von der Priesterschrift? Zum Stand der Pentateuchdebatte (VWGTh 40), Leipzig 2015, 9–31, hier 31.
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wurden die eigenen priesterlichen Vorarbeiten […] und das zu integrierende nichtpriesterliche Material kompositionell zusammengearbeitet.“8 Dieses Modell kann die priesterliche Prägung des Pentateuch erklären und die bislang ohne Ergebnis geführte Debatte des Endes ad acta legen, da P ohnehin auf die Fortsetzung durch das vorpriesterliche Material angelegt war, das bereits mit dem DtrG verbunden war.9 Allerdings bleibt weiter offen, warum die Verfasser ihre Texte mit Material zusammenarbeiteten, dessen theologische Konzeptionen nicht mit ihren eigenen kongruierten, wie bei der Bundes theologie (Konditionierung) oder der Chronologie der Flut (kultische Ausrichtung). Verfolgen wir P von der Schöpfung bis zur Einrichtung des Kultes am Sinai, so finden wir einen planvollen Aufbau in drei Doppelabschnitten: Schöpfung und Flut bilden den Auftakt, bei den Anfängen der Volksgeschichte fokussiert P auf Abraham als Mann des Bundes und Jakob als Mann des Segens, womit Stichworte aus dem ersten Doppelabschnitt aufgegriffen werden. Den dritten Doppelabschnitt bilden der Exodus und die Gabe des Kultes am Sinai. Sie sind auf vielfältige Weisen mit den vorangehenden Abschnitten verbunden. Im Folgenden geht es um Verbindungen der priesterlichen Flutgeschichte zur Einrichtung des Kultes.
I. 4Q324d und der 364-Tage-Kalender Das Thema Kultkalender erscheint zunächst randständig, führt aber in die Mitte der Tempeltheologie, zu ihrer schöpfungstheologischen Fundierung sowie zu eschatologischen Zeitspekulationen. Für die korrekte Durchführung des Kultes ist nicht nur eine Opfertheologie und eine Konzeption des sakralen Raumes nötig: Im Kultkalender spiegelt sich – wie im sakral gegliederten Raum – die Weltordnung, auf der der Kult basiert und die kultisch stabilisiert wird. Kalendarische Fragen sind daher eminent wichtig. Wo verschiedene religiöse Kalendersysteme miteinander konkurrieren, wird die Einhaltung des Kalenders zu einem Identitätsmarker, dem ähnliche Wichtigkeit zukommt wie der Beschneidung oder den Reinheits- und Speisevorschriften.
8 E. Blum, Noch einmal: Das literargeschichtliche Profil der P-Überlieferung, in: F. Hartenstein/K. Schmid (Hg.), Abschied von der Priesterschrift? Zum Stand der Pentateuchdebatte (VWGTh 40), Leipzig 2015, 32–64, hier 52. 9 Vgl. ebd., 55.
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1. 4Q324d Ende 2017 wurde ein äußerst fragmentiertes, in kryptischer Schrift10 verfasstes Dokument aus Qumran veröffentlicht. E. Ratzon und J. Ben-Dov haben über 40 kleine und kleinste Fragmente in eine grundsätzlich überzeugende Reihenfolge gebracht und in einer ersten Veröffentlichung zugänglich gemacht.11 Davor wurden die Fragmente unterschiedlichen Handschriften zugeordnet, nur einige wurden transkribiert. Als neue Zählung schlagen sie 4Q324d vor (zuvor: 4Q324d–i). Der Text erstreckt sich über sieben Kolumnen mit jeweils bis zu 10 Zeilen. Nennenswerte Überreste sind von den Kolumnen II bis VI erhalten. 4Q324d beinhaltet ein weiteres Exemplar des sog. 364-Tage-Kalenders, der auch in anderen Qumrantexten (z. B. 4QMMTa) belegt ist, sowie Überreste einer Liste priesterlicher Dienste, mišmārōt. Sie zeigt, dass der Kalender aus kultischem Interesse festgehalten wurde.12 4Q324d entspricht der typischen Darstellung: Für die einzelnen Monate werden festgehalten, 1) die Daten, auf welche die Sabbat-Tage fallen, 2) die Daten der Feste des Monats und 3) hier speziell die Wochentage der Monatsenden sowie die Bezeichnung eines neuen Quartals mit der teqūfā-Formel.13 Der siebte Monat ist in kultischer Hinsicht besonders interessant, da in ihn der Versöhnungstag, Yom Kippur, und das Laubhüttenfest, Sukkot, am 10. bzw. 15.7. fallen. Offensichtlich hatte der Schreiber den Yom Kippur zunächst vergessen, sodass er ihn zwischen den Zeilen (hier 9a) nachtragen musste: Der (Beginn des) sechsten (Monats) ist nach dem Sabbat. Am sie]bten [in ihm – Sabbat. Am vierzehnten in ihm – Sabba]t. Am [einundzwanzigsten in ihm – Sabbat. Nach dem Sabbat (ist) das Fest de]s Öl[s. Am] acht[undzwanzigsten in] ihm – Sabbat. [Auf (Wochen)tag zw]ei in [ihm fällt der drei]ßig[ste (Tag des Monats). Der (Beginn des) sieb[t]en (Monats) 9 (ist an) (Wochen)t]ag vie[r] – teqûfâ. Am vierten in ihm – Sabbat. 9a Am] zehnten in ihm – yō[m ha]kkippûrîm. 10 Am elft[en in] ihm – Sabbat. Am fünfzehnten in ihm – das Fest IV 1 sû[kkôt am (Wochen)tag vier.] Am ac[ht]zehnten in [ihm Sabbat III 5 6 7 8
10 Die Schrift „Cryptic A“ ist mehrfach belegt, ihr Zweck ist unklar; vgl. D. Stökl Ben Ezra, Qumran. Die Texte vom Toten Meer und das antike Judentum (UTB 4681), Tübingen/ Stuttgart 2016, 44. 11 E. Ratzon/J. Ben-Dov, A Newly Reconstructed Calendrical Scroll from Qumran in Cryptic Script, JBL 136 (2017) 905–936. 12 Vgl. J. C. VanderKam, Calendars in the Dead Sea Scrolls. Measuring Time (The Literature of the Dead Sea Scrolls), London 1998, 83. 13 Vgl. Ratzon/Ben-Dov, Calendrical Scroll, 929–931: „While on column IV the order is: month name – tequfah – weekday (fourth), the order in column III is: month name – weekday (fourth) – tequfah. It is difficult to determine whether this difference is a simple mistake like other omissions in column III or whether it indicates flexibility – or maybe indeterminacy – of the formula“ (930).
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Mit Ausnahme des Sabbat werden weder Wochentage noch Monate mit Namen bezeichnet, lediglich Ordinalzahlen werden verwendet. 2. Der schematische 364-Tage-Kalender Der hier vorliegende schematische Kalender ist aus anderen Texten gut bekannt, er basiert auf der Sabbatstruktur (vgl. Tab. 1).14 Jedes Jahr besteht aus exakt 52 Wochen. Diese sind in 4 Quartale zu je 3 Monaten aufgeteilt, wobei der erste und zweite Monat jeweils 30 Tage haben; der dritte Monat erhält einen zusätzlichen 31. Tag (in 4Q324d als נואסףbezeichnet). Jedes Quartal besteht aus genau 13 Wochen,15 die Abfolge der Wochentage ist von Quartal zu Quartal und damit auch von Jahr zu Jahr immer gleich. Die Vorteile für die Sabbat-Observanz liegen auf der Hand: Jedes Datum fällt immer auf denselben Wochentag, Festtage nie auf einen Sabbat! Unklar bleibt, ob und wie eine Interkalation stattfand, d. h. eine Anpassung an das Sonnenjahr mit einer Länge von ca. 365,242 Tagen.16 4Q319 und 4Q503 legen vielleicht folgendes Schema nahe: Nach jeweils 7 Jahren wird eine Woche eingefügt, nach 28 Jahren eine zusätzliche Woche. Hierdurch erreicht man eine Annäherung auf 365,25 Tage.17 Jedoch bleibt undeutlich, wie dies mit dem ausgeklügelten sechsjährigen Zyklus der mišmārōt zu vereinbaren ist, ohne eine Familie zu bevorzugen. Der 364-Tage-Kalender ist in Qumran gut bezeugt. Seine kalendarischen Grundlagen sind jedoch älter, denn er wird bereits im Jubiläenbuch und in der Henoch-Literatur verwendet.18 Es ist daher plausibel, dass er auch alttestamentlichen Texten zugrunde liegt, insbesondere dem Kultkalender in Lev 23.19 Literari14
Zur Beschreibung vgl. Ben-Dov, Head, 15–18; Stern, Calendars, 193–203.360–379. besteht ein Bezug zu den 13 Sabbatopferliedern; vgl. M. Albani, Zur Rekonstruktion eines verdrängten Konzepts. Der 364-Tage-Kalender in der gegenwärtigen Forschung, in: M. Albani u. a. (Hg.), Studies in the Book of Jubilees (TSAJ 65), Tübingen 1997, 79– 125, hier 93 f.; VanderKam, Calendars, 49.82; zurückhaltend C. A. Newsom/J. H. Charlesworth, Angelic Liturgy. Songs of the Sabbath Sacrifice (DSS 4B), Tübingen 1999, 4 f. 16 Zur Interkalation vgl. Ben-Dov, Head, 18–20; Albani, Rekonstruktion, 103–110. 17 Guillaume, Land, 56: ((364 × 7 + 7) × 4 + 7) / 28 = 365,25. Er gibt noch eine Spekulation an, die am Lebensalter Abrahams von 175 Jahren (Gen 25,7) und den Maßen der Zeltbahnen von 28 × 4 Ellen (Ex 36,9) ansetzt: alle sieben Jahre Interkalation von einer Woche, alle 28 Jahren einer zusätzlichen; nach 175 Jahren starte der Zyklus von vorne. Damit ergäbe sich eine Abweichung von lediglich 0,385 Tagen in 175 Jahren gegenüber der astronomischen Berechnung. Trifft dies zu, funktionieren die Texte nochmals auf einer ganz anderen Ebene als der reinen Mitteilungsebene. „Pg likewise hides intercalation data in unexpected places, dropping clues for the initiated but leaving the non-initiated clueless“ (62). 18 Vgl. S. Talmon, Art. Calendars and Mishmarot, in: L. H. Schiffman/J. C. VanderKam (Hg.), Encyclopedia of the Dead Sea Scrolls, Oxford 2000, 108–120, hier 114. 19 Der Sieben-Tage-Sabbat steht der Festordnung voran und Bezüge zu den Mondphasen sind getilgt; die Monate tragen keine Namen, sondern sind nummeriert, zudem dominiert der siebte Monat bei den Festen (vgl. Grund, Entstehung, bes. 294–298). Bedauerlich ist, dass bei 15 Möglicherweise
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sche Bezeugung und tatsächliche Anwendung sind nicht in eins zu setzen, jedoch kann man die Ansicht vertreten, dass der 364-Tage-Kalender vom 6. bis zum 2. Jh. auch als Kalender des Jerusalemer Tempels fungierte.20 Die Abspaltung der Gemeinschaft von Qumran hängt dann wohl auch mit der Einführung eines neuen Kultkalenders in Jerusalem zusammen:21 Der im Kult verwendete Kalender ist inhärent auf die Weltordnung bezogen. Ein Kult, der auf dem falschen Kalender beruhte, konnte aus Sicht der Anhänger des alten Kalenders nicht weiter heilvoll wirken. Wohl deshalb finden wir eine so scharfe Polemik gegen den mondbasierten bzw. lunisolaren Kalender, der sich aber durchgesetzt hat.
II. Flut und priesterliche Zeitkonzeption Für P ist der Kult Ausdruck der temporalen Struktur der Schöpfungsordnung. Von den Raumkonzeptionen her gesehen liegt der Tempel im mythischen Mittelpunkt der Schöpfung, am Nabel der Welt oder Weltenberg, „an dem Ort, wo das Chaos zum ersten Mal gebannt wurde und von dem aus der Schöpfergott die Setzung und Erhaltung von ordnenden Grenzen vornahm.“22 Dieser Verortung des Tempels in der räumlichen Struktur entspricht in zeitlicher Hinsicht das Einschwingen in den Weltrhythmus, der in der Schöpfungsordnung grundgelegt ist und der im Kult nachvollzogen und rituell stabilisiert wird. 1. Sabbatstruktur der Schöpfung Die zeitliche Grundstruktur der Welt ist durch den Sabbat gegeben: Die Priesterschrift stellt in Gen 1,1–2,3 dar, wie Gott aus einem chaotischen, lebensfeindlichen Urzustand eine zeitlich und räumlich gegliederte Ordnung erschafft, die mit Leben gefüllt wird. der Behandlung der Feste alternative Kalender oft nicht diskutiert werden: vgl. z. B. die Grafik bei Hieke, Levitikus 16–27, 881. Sie ist als Erläuterung zu Lev 23 misslich, da gerade hier keine Monatsnamen verwendet werden; alternative Kalendersysteme werden nicht thematisiert. Der spätere lunisolare Kalender mit allen daraus resultierenden Schwierigkeiten (bzgl. Omer-Zählen und Datierung des Wochenfestes) ist ein Phänomen der Rezeption der alttestamentlichen Regelungen und sollte die Interpretation nicht allein prägen. Zum Omer-Zählen vgl. die Zusammenstellung bei M. A. Sweeney/Z. Farber, When Does Counting the Omer Begin? (2018), https://thetorah.com/when-does-counting-the-omer-begin/ (17.02.2019). Nach dem Scholion zu Megillat Ta῾anit behaupteten die Sadduzäer, Schavu῾ot falle immer auf einen Sonntag, weil Moses wollte, dass man zwei Feiertage שני ימים טוביםhintereinander hätte (ebd.). 20 Vgl. Albani, Rekonstruktion, 110–115; Ders., Israels Feste, 140–142. 21 Für C. Berner, Jahre, Jahrwochen und Jubiläen. Heptadische Geschichtskonzeptionen im Antiken Judentum (BZAW 363), Berlin/New York 2006, 15, ist es „ein wesentlicher Auslöser für die Entstehung der Qumrangruppierung“. 22 B. Janowski, Tempel und Schöpfung. Schöpfungstheologische Aspekte der priesterlichen Heiligtumskonzeption, in: Ders., Gottes Gegenwart in Israel, Neukirchen-Vluyn 1993, 214–246, hier 221.
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Dabei dienen die Tage 1, 4 und 7 der zeitlichen Strukturierung. Tag 1 benennt die Grundeinheit der Zeitmessung, den Tag; die Gestirne (4. Tag) dienen der Strukturierung der Zeit, der Festsetzung von Terminen und Festzeiten. Der siebte Tag, der auch formal von den anderen „Werktagen“ abgehoben ist, benennt die in der Schöpfungsordnung grundgelegte theologische Dimension der Zeit – die Sabbatordnung. Wenn Israel den Sabbat hält, lebt es im Einklang mit der Schöpfungsordnung. Die Tage 2 und 3 beschreiben die räumliche Strukturierung: Der Himmel, das Firmament trennt die Wasser oberhalb und unterhalb des Himmels am zweiten Tag. Am dritten Tag sammelt sich das Wasser unterhalb des Himmels, sodass das trockene Land sichtbar wird. Diese Räume werden an den Tagen 5 und 6 mit Leben gefüllt. Das Jahr beginnt nach dem 364-Tage-Kalender immer an einem Mittwoch, dem 4. Wochentag. Entsprechend werden am vierten Tag die Gestirne, die für die kalendarischen Berechnungen notwendig sind, erschaffen. Dabei fällt auf, dass bei der Aufzählung der von den Gestirnen abgeleiteten Größen Festzeiten, Tage und Jahre genannt werden, der Monat aber fehlt (1,14). 2. Die priesterlichen Daten der Flut P nennt die folgenden, am Lebensalter Noachs orientierten Daten und zweimal die Zeitspanne von 150 Tagen. Bei der Wichtigkeit, die Kalenderdiskussionen in der Antike zukommt, ist nicht davon auszugehen, dass diese Angaben beliebig sind.23 Im 600. Lebensjahr Noachs, im 2. Monat, 17.2.600 am 17. Tag des Monats, an diesem Tag wurden alle Quellen der gewaltigen Urflut aufgebrochen b und die Schleusen des Himmels wurden geöffnet. … 7,24 Die Wasser waren mächtig auf der Erde hundertfünfzig Tage. 150 Tage 8,1 a Da dachte Elohim an Noach und alle Lebewesen und alles Vieh, aR die mit ihm in der Arche (waren). b Elohim trieb einen Wind über die Erde, c und die Wasser sanken. 8,2 a Die Quellen der Urflut und die Schleusen des Himmels wurden verstopft. 8,3 b Die Wasser nahmen ab am Ende von hundertfünfzig Tagen. 150 Tage
7,11 a
23 Zu schwach ist die Argumentation von G. Fischer, Genesis 1–11 (HThKAT), Freiburg i. Br. 2018, 464, dass die konkreten Daten lediglich die Wichtigkeit der Ereignisse markieren sollen. Auch die Argumentation von D. P. Wright, Profane versus Sacrificial Slaughter. The Priestly Recasting of the Yahwist Flood Story, in: R. E. Gane/A. Taggar-Cohen (Hg.), Current Issues in Priestly and Related Literature (SBL Resources for Biblical Study 82), Atlanta 2015, 125–154, hier 139, die P‑Chronologie „with its calendric precision“ diene dazu, die Flut zu einem glaubhafteren Ereignis zu machen, greift zu kurz.
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8,4
Die Arche setzte im 7. Monat am 17. Tag des Monats auf den Bergen Ararat auf. 8,5 a Die Wasser versickerten und nahmen ab bis zum 10. Monat; b im 10. (Monat) am 1. (Tag) des Monats wurden die Gipfel der Berge sichtbar. … 8,13 a Es war im 601. Jahr im 1. (Monat) am 1. (Tag) des Monats, b (da) waren die Wasser auf der Erde trocken geworden. 8,14 Im 2. Monat am 27. Tag des Monats war die Erde getrocknet.
17.7.600 1.10.600 1.1.601 27.2.601
Zwei Beobachtungen haben die Diskussion geprägt: (1) Aufgrund der zweimaligen Angabe von 150 Tagen in Verbindung mit den Daten 17.2. und 17.7. wurde angenommen, dass ein Kalender mit einer Monatslänge von genau 30 Tagen zugrunde liegen müsse.24 (2) Aus der Ähnlichkeit der Angaben von 7,11 und 8,14 sowie abweichenden Lesarten schloss man auf eine Flutdauer von genau einem Jahr. Im Folgenden werden die Daten nach MT als Grundlage genommen und auf der Basis des 364-Tage-Kalenders interpretiert. Zusätzlich wird angenommen, dass die Daten in Bezug zur Schöpfungswoche der priesterlichen Schöpfungserzählung stehen und ihnen insofern symbolische Bedeutung zukommt. Diese kalendarische Grundlage wurde in der Übersetzung der LXX entweder aus Unkenntnis oder mit Absicht verändert. 3. Gen 7,11 – Beginn der Flut: 17.2.600 Der Beginn der Flut wird auf den 17.2. datiert. Dieses Datum fällt nach dem 364-Tage-Kalender auf den ersten Tag der Woche. An diesem Tag werden „alle Quellen der gewaltigen Urflut aufgebrochen und die Schleusen des Himmels geöffnet“ (Gen 7,11). Damit werden die Trennungen des zweiten und dritten Schöpfungstages zumindest teilweise und vorübergehend rückgängig gemacht und dem Leben Raum und Grundlage entzogen. Die Welt befindet sich wieder in einem Zustand, der weitgehend dem ersten Schöpfungstag entspricht. Als Erklärung für das „verwunderliche“25 Datum wird angeführt, dass der 17.2. der 47. Tag des Jahres ist. Dadurch sollte vielleicht ein Ausgleich zur Chronologie des älteren Flutberichtes mit dem Schema von 40 Tagen und 7 Tagen hergestellt werden.26 24 Vgl. z. B. Fischer, Genesis 1–11, 464; N. C. Baumgart, Die Umkehr des Schöpfergottes. Zu Komposition und religionsgeschichtlichem Hintergrund von Gen 5–9 (HBS 22), Freiburg i. Br. 1999, 64–67, geht strikt von einem systematischen 360-Tage-Kalender aus, ohne andere Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, obwohl er 4Q252 und Jub nennt. 25 J. C. Gertz, Das erste Buch Mose (Genesis). Die Urgeschichte Gen 1–11 (ATD 1), Göttingen 2018, 261. 26 So bereits B. Jacob, Das Buch Genesis, Stuttgart 2000 (1934), 233. 7,6 nennt allerdings
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Die Wochentagssymbolik scheint noch besser geeignet, das Datum zu erklären.27 Hinzu kommen folgende Beobachtungen: Der 17.2. ist im Quartal das einzige mit „sieben“ gebildete Datum, das auf den ersten Wochentag fällt. Er liegt fast genau in der Mitte des Quartals: 46 Tage gehen voran, 44 folgen; er folgt dem siebten Sabbat und liegt in der siebten vollständigen Woche. Im zweiten Monat geraten die Abläufe nicht mit kultischen Terminen in Konflikt.28 Ebenfalls in den zweiten Monat fallen die Ankunft Israels in der Wüste Sin am 15.2. (Ex 16,1), wo Israel die Sabbatordnung kennenlernt,29 der Aufbruch vom Sinai am 20.2. (Num 10,11) sowie der Tempelbau Salomos im 480. Jahr nach dem Auszug (1 Kön 6,1).30 Auch die Darstellung des Berossus datiert den Beginn der Flut in den zweiten Monat (15.2.);31 der zweite Monat war also vielleicht in der babylonischen Tradition verankert. Die kultischen Bezüge vereint mit zahlensymbolischen Spekulationen32 führen dazu, dass der 17.2. als Startdatum sich ideal ergibt, besonders wenn man vom Aufsetzen der Arche nach 150 Tagen als Zielpunkt ausgeht. Später datiert Jub 3,17 die Verführung Evas durch die Schlange ebenfalls auf diesen Tag.33 kein genaues Datum, lediglich das Alter Noachs; 7,10 nennt die Frist von 7 Tagen, eine weitere Frist von 40 Tagen ist eine bloße Annahme. 27 Fischer, Genesis 1–11, 440, meint zwar: „Die Aufnahme mit ‚an diesem Tag‘ […] unterstreicht das genannte Datum als wichtig (ähnlich auch Ex 19,1, Israels Ankunft in der Wüste Sinai; Lev 16,30, der Versöhnungstag; 1 Sam 11,13, Sauls Sieg über die Ammoniter)“ (Hervorhebung im Original). Allerdings macht er nichts aus der konkreten Angabe; vgl. auch zu 7,13 (ebd., 442). 28 Im zweiten Monat ist das sog. zweite Pesach verortet, das jedoch eher eine individuelle Ausweichmöglichkeit bei Unreinheit schafft und an der Verpflichtung zur Teilnahme am Pesach festhält (vgl. dazu S. Chavel, The Second Passover, Pilgrimage, and the Centralized Cult, HTR 102 [2009] 1–24). 29 Ob die Sabbatregelungen zu P gehören, ist umstritten; vgl. zur Diskussion S. Boorer, The Vision of the Priestly Narrative. Its Genre and Hermeneutics of Time (Ancient Israel and Its Literature 27), Atlanta 2016, 56 f., die sie nicht für ursprünglich hält. Dagegen Grund, Enstehung, 252: „Dass Ex 16* einen konstitutiven Bestandteil der frühesten priesterlichen Schicht bildet, zeigen auch die noch weiter zurück weisenden Bezüge, die weit über die Israelgeschichte hinausgreifen bis zur Schöpfungserzählung, und das nicht nur im Blick auf den Sabbat.“ 30 Fischer, Genesis 1–11, 440, nennt noch Num 1,1.18 (Volkszählung, 1.2.) und Num 9,11 (zweites Pesach). 31 FGrH 680 F4b; vgl. G. Darshan, The Calendrical Framework of the Priestly Flood Story in Light of a New Akkadian Text from Ugarit (RS 94.2953), JAOS 136 (2016) 507–514, hier 512 f.; R. E. Gmirkin, Berossus and Genesis, Manetho and Exodus. Hellenistic Histories and the Date of the Pentateuch (LHBOTS 433), New York/London 2006, 111.113. 32 B. Ziemer, Erklärung der Zahlen von Gen 5 aus ihrem kompositionellen Zusammenhang, ZAW 121 (2009) 1–18, hier 8 f., führt noch eine weitere an: er rechnet für MT mit einem Eintrittsjahr der Flut von 1666 nach der Schöpfung, was 17 × 2 × 7 × 7 entspricht. Allerdings wird sonst meist 1656 angegeben (Guillaume, Land, 70; Jacob, Genesis, 158.306). Analog rechnet Ziemer, Erklärung, für das Ende: „Wenn man jeweils die Zeugungsdifferenz von Noah bis Terach einberechnet, ergeben sich 17·2·30 = 1020 Jahre für die Zeit von der Sintflut bis zum Exodus.“ (9) 33 Auch hier liegt eine Addition von 6 + 1 + 40 zugrunde: J. C. VanderKam, Jubilees (Hermeneia), 2 Bde., Minneapolis 2018, I 222 f.
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4. Gen 7,24; 8,3 – 150 Tage Auch die zweifach genannte Zeitspanne von 150 Tagen wurde als Versuch eines Ausgleichs mit der älteren Fluterzählung gesehen; sie entspricht in etwa der Annahme von 3 × 40 + 4 × 7 = 148 Tagen.34 Diese Interpretation hat zwei Schwierigkeiten: Zum einen müssen die sieben Tage vor Beginn der Flut (7,4.10) hinzugerechnet und weitere sieben Tage (zusätzlich zu 8,10.1235) angenommen werden. Zum anderen ist die Rechnung ungenau: die ersten sieben und die letzten vierzig Tage liegen außerhalb des von den Daten bezeichneten Zeitraums von 150 Tagen, und 148 Tage sind nicht gleich 150 Tage. Die Angabe von 150 Tagen, die 5 Monaten entsprechen, ist als Ablehnung eines mondbasierten Kalenders zu verstehen. In diesem umfassen fünf Monate 147 bzw. 148 Tage.36 Oft wird aus 150 Tagen = 5 Monaten ein ebenfalls schematischer 30-Tage-Kalender abgeleitet,37 hierzu gleich mehr. Die Zahl 150 steht in Bezug zur Tiefe der Wasser während der Flut (15 Ellen über den Bergen: 7,20), andererseits zum System der Maße von Arche und Tempel.38 5. Gen 8,4 – Aufsetzen der Arche: 17.7.600 Die zentrale Wende innerhalb der priesterlichen Fluterzählung ist mit Gen 8,1 erreicht: Das Denken Gottes an Noach und alle Lebewesen bezeichnet die heilvolle Zuwendung Gottes und setzt die Rettung in Gang. Die zweifache Nennung der Zeitspanne von 150 Tagen in 7,24 und 8,3 rahmt diese Peripetie mit zwei gegenläufigen Aussagen über die Wasser (– ויגברו ;)ויחסרוdazwischen wird das Zurückgehen der Wasser als direktes Resultat von Gedenken und Treiben der göttlichen ruah thematisiert (8,1c). In der Folge setzt die Arche auf den Bergen Ararat auf ˙ (8,4). 8,5a konstatiert das weitere Abfließen und schließt den Abschnitt ab. Das Ende der 150 Tage von 3b wird meist mit dem Datum des Aufsetzens am 17.7. in 8,4 in eins gesetzt.39 Das ist aber nicht zwingend: Die x-qatal-Sätze in 34 Ein Zeitraum von 40 Tagen wird erwähnt in: Gen 7,12 (Regen), 7,17 (Flut), 8,6 (Abfließen der Wasser, vgl. 8,3). 35 Das wäre möglich aufgrund von 8,10: „weitere sieben Tage“ ()ויחל עוד ׁשבעת ימים אחרים. 36 Vgl. Jaubert, Date, 35. 37 Vgl. nur Gertz, Buch Mose, 260; B. K. Gardner, The Genesis Calendar. The Synchronistic Tradition in Genesis 1–11, Lanham u. a.2001, 183. 38 Im sexagesimalen babylonischen Zahlensystem wird die 150 mit 5 Keilen geschrieben ebenso wie alle Maße des Vorhofs (Ex 27,18); Länge und Breite der Arche (Gen 6,15) sowie alle Maße des Heiligtums zusammen. Für Details vgl. O. Dyma, Schöpfung, Flut und Kult. Zur Tempeltheologie der Priesterschrift, in: A. Michel/N. K. Rüttgers (Hg.), Jeremia, Deuteronomismus und Priesterschrift, FS H.-J. Stipp (ATS.AT 105), St. Ottilien 2019, 3–18. 39 Vgl. nur Baumgart, Umkehr, 64–67. Nicht nachvollziehbar ist die Argumentation von Guillaume, Land, 73 f., der für das Aufsetzen der Arche das Datum von LXX nimmt (27.7.), die Zeitspanne dazwischen als „chronological void“ bezeichnet (73) und die 150 Tage unberück-
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7,22 und 8,5 rahmen eine Reihe von Narrativen, die einen Fortschritt der Ereignisse ausdrücken. Dabei sind die in V. 1 und 2 genannten Ereignisse durch die Rahmung mit 150 Tagen enger verbunden: Das Aufsetzen der Arche in V. 4 kann durchaus an einem anderen Tag stattfinden. Rechnet man nach dem 364-Tage-Kalender genau, so liegen zwischen dem 17.2. und 17.7. wegen der Schalttage im 3. und 6. Monat 152 Tage. Das Ende von 150 Tagen ist daher bereits am 15.7. erreicht.40 Das Denken Gottes an Noach und der Beginn des Abfließens wären dann indirekt über die 150 Tage datiert, das Aufsetzen mit genauer Datumsangabe. Der 15.7. ist zugleich der Beginn des Sukkotfestes, das an einem Mittwoch beginnt. An einem Freitag, 17.7., setzt die Arche dann auf (8,4: )ותנח, bevor sie am Sabbat zur Ruhe kommt. 6. Gen 8,5 – Gipfel der Berge sichtbar: 1.10.600 Das nächste Datum schließt unmittelbar an und ist Resultat der abfließenden Wasser: am 1.10.600 werden die Gipfel der Berge sichtbar.41 Dadurch werden die Trennungen des zweiten und dritten Schöpfungstages zumindest anfangshaft wiederhergestellt. Der 1.10. fällt auf den vierten Tag der Woche und markiert den Beginn des Quartals, das in 4Q324d durch die teqūfā-Formel hervorgehoben wird.42 Die beiden vorherigen Quartalswechsel fallen in die Periode der Flut von 150 Tagen.43 7. Gen 8,13 – Die Wasser sind trocken geworden: 1.1.601 Was weiter im vierten Quartal passiert, wird nicht berichtet, P fährt unmittelbar mit der fast beiläufigen Nennung des nächsten Datums fort: „Es war im 601. Jahr im 1. (Monat) am 1. (Tag) des Monats, (da) waren die Wasser auf der Erde trocken geworden“ (8,13). Am Neujahrstag des 601. Jahres sind somit die ursprünglichen Trennungen des zweiten und dritten Schöpfungstages wieder etabliert, sodass die Welt wieder mit Leben gefüllt werden kann. Der am Ende der Flut erneuerte Schöpfungssegen lautet entsprechend: „Füllt die Erde!“ (9,1).44 sichtigt lässt. Diese seien Teil einer späteren Hinzufügung, die einen Kalender von 12 × 30 Tagen gegen den 364-Tage-Kalender setzen wollte (75). Auch bleibt offen, warum er die Lösung von 4Q252 unberücksichtigt lässt. 40 Diese Beobachtung findet sich bereits bei Jaubert, Date, 35, ohne dass sie auf die Verbindung zum Sukkotfest eingeht. 41 Darshan, Framework, 509–512, weist auf eine ugaritische Parallele zur Freisetzung eines Vogels am Monatsanfang (vgl. Gen 8,7) hin; er geht allerdings von Mondmonaten aus. 42 Die Argumentation von Guillaume, Land, 72, Anm.9, die LXX‑Zählung sei wegen der Erwähnung des 10. Monats in 5a „more logical“, trägt dem Charakter des Kalenders gerade nicht Rechnung. 43 Jub 5,29; 6,26 fügt sie aus kultischem Interesse hinzu (vgl. Jaubert, Date, 36 f. Anm.). 44 Vgl. Westermann, Genesis, 604: „Mit diesem Tag fängt die neue Weltzeit an, der post-
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Auch bei diesem Datum spielt die Zahl Sieben eine wichtige, aber kaum beachtete Rolle: Der 1.1.601 ist der erste Tag des siebten Jahrhunderts! Der Neujahrstag ist im Alten Orient eng mit dem Tempelkult verbunden. Das babylonische Schöpfungsepos Enūma eliš schildert, wie Marduk zum König der Götter aufsteigt, indem er Tiamat tötet, ihren Leib „wie einen Stockfisch aufspannt“ (Theomachie) und daraus die Welt erschafft (Kosmogonie). Nach der Erschaffung von Welt und Menschen wird der Kult eingerichtet. Die Götter selbst bauen den Tempelturm von Babylon, er wird zu Beginn des zweiten Jahres aufgerichtet:45 VI 59 Die Anunnaki / schwangen / die Hacke 60 ein Jahr lang / strichen sie / seine Ziegel. 61 Als das zweite / Jahr / herankam, 62 erhöhten sie Esagilas Haupt, / des Ebenbildes des Apsû. 63 Sie bauten / die hohe Ziqqurrat des Apsû, 64 und für Anu, Enlil, Ea und ihn [Marduk] / richtete[n] sie den Wohnsitz ein.
Dieser Errichtung des Tempels, die aus der Schöpfung und dem Sieg über das Chaos resultiert, wird jährlich kultisch gedacht: Enūma eliš wird beim babylonischen Neujahrsfest rezitiert.46 Die Verbindung von Heiligtum und Neujahrstag wird im Alten Testament explizit in Ex 40 hergestellt: 2 Am
Tag des ersten Monats, am ersten des Monats, sollst du die Wohnung (miškān) des Zelts der Begegnung aufrichten … 17 Und im ersten Monat des zweiten Jahres, am ersten Tag des Monats wurde die Wohnung aufgerichtet.
Der 1.1. wird im Pentateuch neben Gen 8,13 nur hier erwähnt; der erste Monat mehrfach im Kontext von Pesach, allen voran in Ex 12,2.18.47 Am Neujahrstag wird die Weltordnung evoziert und durch kultische Maßnahmen stabilisiert,48 die Weltordnung, die im Tempel und dessen Kult kulminiert.49 diluviale Äon, der dann im 9. Kap. eingesegnet wird und seine Grundordnung in den ihn bestimmenden Gesetzen erhält.“ 45 Übersetzung: K. Hecker, Enūma eliš, in: B. Janowski/D. Schwemer (Hg.), Weisheitstexte, Mythen und Epen (TUAT.NF 8), Gütersloh 2015, 88–132. 46 Vgl. A. Zgoll, Königslauf und Götterrat. Struktur und Deutung des babylonischen Neujahrsfestes, in: E. Blum/R. Lux (Hg.), Festtraditionen in Israel und im Alten Orient (VWGTh 28), Gütersloh 2006, 11–80, hier 48–58. 47 Fischer, Genesis 1–11, 473, bemerkt zwar, dass Ex 40,17 die einzige Parallele sei, geht jedoch auf kultgeschichtliche Verbindungen nicht ein. In Ez 45,18 findet am 1.1. die Entsündigung des Tempels statt, 45,28: Pesach; vgl. auch die Datierungen mit Wortereignisformel in Ez 29,17 (1.1.); 30,20. Erster Monat/Pesach: Lev 23,5; Num 9,1.5; 28,16; 33,3; Jos 4,19 (→ 5,10); vgl. Num 20,1 (Wasser); Est 3,7.12 (Nisan); Esr 7,9; 10,17 (1.1.). 48 Vgl. Westermann, Genesis, 604. 49 Zu Beginn des jüdischen Jahres liegt das Sukkotfest, welches das eigentliche Tempelfest Israels ist. Für P liegt der Jahresbeginn hingegen im Frühjahr (Ex 12,2).
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8. Gen 8,14 – Ende der Flut: 27.2.601 Die Flut ist am 1.1. allerdings noch nicht zu Ende, sondern erst nach über einem Jahr, am 27.2., war die Erde getrocknet (8,14). Wie die Daten 17.2. und 17.7. ist dieses Datum mit der Zahl Sieben gebildet; wie der 1.10. und der 1.1. fällt der 27.2. auf den vierten Tag der Woche. Wie in der Schöpfungswoche kann nun mit der Besiedlung der Lebensräume begonnen werden. Zwischen Ausbruch der Flut und Aufsetzen vergehen 5 Monate, sodass 7 Monate bleiben bis zum völligen Ablaufen der Wasser. Die Symbolik der Wochentage im Verhältnis zur Schöpfungswoche ergibt sich nur, wenn man bei der masoretischen Lesart bleibt. Harmonisiert man die Daten, wie es LXX tut, dann verschwindet diese Symbolik. Nach LXX dauert die Flut genau ein Jahr. Dass sie nach MT zehn Tage länger dauert, kann auch als Hinweis auf den mit 354 Tagen um 10 Tage zu kurzen Mondkalender gewertet werden.50 9. Die Daten in 4Q252 (4QpGena) Eine gewisse Bestätigung findet die Chronologie in der Kommentierung von 4Q252, welches den 364-Tage-Kalender konsequent auf die Flut anwendet. Die biblische Erzählung wird gerafft, hinsichtlich der Daten aber präzisiert.51 Daten und Wochentage werden auch für weitere Ereignisse wie das Öffnen der Arche am 10.11. (I 12–14) angegeben.52 Die Daten im siebten Monat werden wie oben dargestellt berechnet: Die Wasser waren mächtig auf der Erde 150 Tage bis zum 14. Tag des 7. Monats, dem 3. Tag der Woche. Am Ende von 150 Tagen gingen die Wasser zurück für zwei Tage, den vierten Tag und den fünften Tag [der Woche] und am sechsten Tag ruhte die Arche auf den Bergen Hurarat, d[as] war der 17. [Ta]g des 7. Monats. (I 7–10)53
Das Ende der Flut fällt anders als in MT auf den 17.2. (II 1).54 Explizit wird festgehalten, dass die Erde am Ende eines vollständigen Jahres von 364 Tagen (II 2–3: 50 Schon Westermann, Genesis, 582, meint, die Flut habe nach Auffassung von P ein Son-
nenjahr gedauert, wobei er mit Verweis auf E. Kutsch, Der Kalender des Jubiläenbuches und das Alte und das Neue Testament, VT 11 (1961) 39–47, 354+11 Tage rechnet (Anfangs- und Enddatum mit eingerechnet). 51 Vgl. G. J. Brooke, Biblical Interpretation at Qumran, in: J. H. Charlesworth (Hg.), The Bible and the Dead Sea Scrolls. The Second Princeton Symposium on Judaism and Christian Origins, Waco 2006, 287–319, hier 309. 52 Vgl. ausführlicher T. H. Lim, The Chronology of the Flood Story in a Qumran Text (4Q252), JJS 43 (1992) 288–298, hier 293. 53 Lim, Chronology, 297 f., meint, „the Qumran commentator has succeeded in resolving the long-standing anomaly of 150 days of mighty waters and the 17/VII date of the ark’s coming to rest on Ararat“. Vielleicht stellte es für den Kommentator auch gar kein Problem dar, sondern war eine Selbstverständlichkeit. 54 Übersicht über die Daten von MT, LXX, 4Q252 und Jub bei Lim, Chronology, 296;
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)לקץ שנה תמימהgetrocknet sei.55 Die Dauer von einem Jahr und zehn Tagen nach MT könnte hier (wie vielleicht im Jubiläenbuch) bereits als unzulässiges Zugeständnis an ein Mondjahr gewertet oder (wie in LXX56) zu einer runden Zahl harmonisiert worden sein. Jub 5,31 f. löst die Diskrepanz dadurch, dass die Erde am 17.2. getrocknet ist, der Ausstieg aber erst am 27.2. stattfindet.57 10. Flut und Heiligtum Der 364-Tage-Kalender ermöglicht eine konsistente Deutung der Daten in der priesterlichen Fluterzählung und zeigt, dass diese auf den Kult verweisen. Die Datumsangaben sind mit der Zahl Sieben gebildet, keines der Ereignisse fällt auf einen Sabbat. Die temporale Struktur der Weltordnung wurde in keiner Weise durch die Flut tangiert; nirgends wird die geordnete Zeit aufgehoben.58 Vielmehr bildet sie eine Verbindungslinie von der Schöpfung über die Flut zum Tempel mit seinem Kult. In der Fluterzählung ist der kultische Aspekt neben der Sabbatstruktur durch die Fokussierung auf den siebten Monat wie im Festkalender (Lev 23), speziell das Datum des Sukkotfestes, die Nennung des Neujahrstages und ggf. die Quartalswende zu Beginn des zehnten Monats zu erkennen. Auch der zweite Monat verweist möglicherweise auf das Heiligtum. Das temporale Verweissystem wird ergänzt durch die Parallelisierung von Arche und Tempel: Äußerlich werden sie in ihren Ausmaßen quaderförmig beschrieben, wobei die Maße von Arche, Vorhof und Heiligtum miteinander in Beziehung stehen. Die Arche ist dreimal so hoch wie das Heiligtum und dreimal so lang wie der Vorhof. Neben der Arche ist „das Zeltheiligtum, das einzige weitere ‚Bauwerk‘, das im Pentateuch beschrieben wird“59. Zweifach wird in Gen 6,19 f. für die Arche als Funktion festgehalten, sie diene dazu, Leben zu erhalten, beim Tempel wird diese Funktion im Kult realisiert (vgl. nur Lev 17,11). So erscheint es sachlich adäquat, dass in Ex 25–40 Heiligtum und Sabbatordnung miteinander verschränkt werden. „Die heilige Zeit des Sabbats wird gerade auch bei der Errichtung des heiligen Raums vor Profanierung geschützt […] Schließlich werden heilige Zeit und heiliger Ort gleichermaßen ein ‚Heiligtum‘ ( )ק ֹדֶ ׁשgenannt.“60 R. S. Hendel, 4Q252 and the Flood Chronology of Genesis 7–8. A Text-Critical Solution, DSD 2 (1995) 72–79, hier 73 und 76 f. 55 Der Text ist im Folgenden unvollständig, vielleicht aufgrund einer korrupten Vorlage, wie Lim, Chronology, 294, argumentiert. 56 So auch die Argumentation von M. Rösel, Die Chronologie der Flut in Gen 7–8: keine neuen textkritischen Lösungen, ZAW 110 (1998) 590–593, hier 592. Er hält allerdings die genauen Datumsangaben für sekundär; ursprünglich habe P lediglich mit einer Dauer der Flut von 2 × 150 Tagen operiert (593). 57 Vgl. Jaubert, Date, 36 f. 58 Pace Guillaume, Land, 73 f. (vgl. Anm.39). 59 Gertz, Buch Mose, 251, mit weiteren Beobachtungen zur Parallelisierung. 60 Grund, Enstehung, 286; mit Verweis auf „Ex 26,33f u. a.; Ex 31,14d.“ Nach Grund bilden
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Nun wird weder in Gen 1 die Sabbatordnung kultisch begründet, noch in Gen 8 das Sukkotfest. Vielmehr bilden diese Texte die mythologische Folie, auf deren Hintergrund diese Feste zu verstehen sind.61 Die mythischen, schöpfungsbezogenen Elemente des Sukkotfestes sind im Talmud (bSuk 53a–b) noch greifbar einschließlich der Vorstellung, die Wasser aus der Tiefe könnten die Erde überfluten und die Zugänge zu ihnen lägen unter dem Tempel. Die These des Thronbesteigungsfestes wäre von hier aus nochmals zu überprüfen.
III. Fazit Der Kalender berührt zentrale Aspekte alttestamentlicher Theologie: die Schöpfungstheologie und -ordnung, das Funktionieren des Kultes auf theoretischer Ebene, die Verbindung von Mythologie und religiöser Praxis, die Konkretisierung der Opfertheologie. Ob der 364-Tage-Kalender nachexilisch die Basis für den Kult war, ist schwierig zu beantworten, auch wenn einiges dafür spricht.62 Selbst wenn er nicht angewendet worden sein sollte, könnte er dennoch P zugrunde liegen. Die historische Rückfrage bleibt aber unabdingbar: Ohne die historische Frage nach den konkreten Kommunikationssituationen der Einzeltexte (oder sagen wir etwas realistischer: nach den Rahmenbedingungen möglicher Rezeptionen der Texte in der Welt des Alten Testaments) […] fehlt das entscheidende, auf ihren Eigensinn ausgerichtete Regulativ.63
Die vermutete Entstehungszeit von P trifft sich gut mit der Beobachtung, dass sich ab dem 6. Jh. fixierte Kalendersysteme durchsetzen. Diese Entwicklung geht aus vom persischen zoroastrischen Kalender, der 12 Monate zu 30 Tagen plus 5 Schalttage beinhaltete.64 Von der allgemeinen Gültigkeit des 364-Tage-Kalenders die Textstücke Ex 31,12–17 und 35,1–3 „im Zentrum der priesterlichen Sinaierzählung […] den innersten Rahmen der Heiligtumsbauperikope, der sich um die Bundesbruch- und Bundeserneuerungsperikope Ex 32–34 legt“ (273). 61 Zu vorsichtig Westermann, Genesis, 604: „Man kann zwar weder sagen, daß in Gn 2 1–3 der Sabbat, noch in Gn 8–9 (P) das Neujahrsfest begründet wird; denn Kult kann es für P erst vom Sinai an geben; wohl aber wird an diesen beiden Stellen im Urgeschehen der Grund dafür gelegt, daß Sabbat und Neujahr, wenn sie in der Geschichte des Gottesvolkes eingerichtet und zur steten Institution werden, auf das Urgeschehen bezogen werden können“ (meine Hervorhebung). 62 Vgl. Albani, Rekonstruktion, 110–115; Stegemann, Essener, 231–236, behauptet ägyptischen Ursprung. 63 E. Blum, Notwendigkeit und Grenzen historischer Exegese. Plädoyer für eine alttestamentliche „Exegetik“ (2005), in: Ders., Grundfragen der historischen Exegese. Methodologische, philologische und hermeneutische Beiträge zum Alten Testament, hg. von W. Oswald und K. Weingart (FAT 95), Tübingen 2015, 1–29, hier 21 f. 64 Vgl. Stern, Calendars, 167.174–176. Aufgrund der Annahme, dass das Astronomische Buch (1 Hen) im 3. Jh. entstanden ist, also unter ptolemäischer Herrschaft, plädiert Stern für einen ägyptischen Ursprung des 364-Tage-Kalenders (200–203), gibt aber selbst zu bedenken,
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her wäre die Polemik gut zu verstehen, die sich im Jubiläenbuch und bei Daniel gegen eine Kalenderreform unter Antiochos IV.65 sowie die Durchsetzung der Seleukidischen Ära richtete.66 Die Sabbatstruktur des Kalenders bildet schließlich die Grundlage für umfassendere Zeitspekulationen wie die heptadisch ausgerichtete Rhythmisierung der Weltzeit in Jahrwochen, Jubiläen oder Äonen, die eschatologische und apokalyptische Vorstellungen begleiten (Dan, 1 Hen, Jub). Die Sieben-Tage-Woche ist Schöpfungsordnung und Ausdruck des Schöpferwillens zugleich, als zeitliche Grundordnung dem Weltenlauf eingestiftet, der so ganz auf Israels privilegierten Auftrag der Sabbatheiligung ausgerichtet ist.67
P bezieht die räumlichen und zeitlichen Dimensionen der Schöpfung aufeinander.68 Im Kult werden sie rituell gespiegelt: Wie der Tempel als Bauwerk der himmlischen תבניתentspricht, so spiegelt der irdische Kult den himmlischen. Die Feste müssen daher auch zum rechten Zeitpunkt entsprechend dem himmlisch vorgegebenen Kalender gefeiert werden (vgl. Jub 6,18)69 und den damit verbundenen Abfolgen der Priesterdienste: The calendars, with their unalterable rhythms, also expressed the theological or philosophical conviction that the courses of the luminaries and the cycles of festivals and priestly duties operated in a cosmic harmony imposed upon them by the creator God himself.70
Nicht nur die Schöpfungserzählung ist auf den Kult ausgerichtet,71 sondern auch die Fluterzählung. Sie bilden die mythische Folie für die kultische Begehung der Feste.72 Ebenso lassen sich mit C. Leonhard die Exodustexte als Festlegende des dass in Judäa in dieser Zeit der makedonisch-seleukidische Kalender in Benutzung gewesen sei, nicht der ägyptische. Die Orientierung an einem neuen Kalender entspricht dem Bestreben von P, „ihre Kosmogonie und Kosmologie entsprechend den Standards damaliger Wissenschaft zu beschreiben“ (K. Schmid, Der Pentateuch und seine Theologiegeschichte, ZThK 111 [2014] 239–270, hier 262). 65 Vgl. VanderKam, Calendars, 25; P. J. Kosmin, Time and Its Adversaries in the Seleucid Empire, Cambridge, MA / London 2018, 79 f.152 f. 66 Vgl. Kosmin, Time, 79. 67 Berner, Jahre, 513. 68 Vgl. Grund, Enstehung, 286; Albani, Rekonstruktion, 90, weist darüber hinaus auf die Aspekte des gerechten Lebenswandels und des eschatologischen Gerichts hin. 69 Grundlegend dafür ist der Sabbat (vgl. Blum, Komposition, 312), die Regelungen gehen aber darüber hinaus. 70 VanderKam, Calendars, 83. 71 Zu den Bezügen zwischen priesterlichem Schöpfungsbericht (Gen 1,1–2,3) und Errichtung des Heiligtums (Ex 39–40*) vgl. die tabellarische Übersicht bei Grund, Enstehung, 265; E. Blum, Art. Urgeschichte, TRE 34, 2002, 436–445, hier 442; Ders., Komposition, 306. 72 Hinsichtlich der Rezitation von Enūma elīš beim Neujahrsfest spricht Zgoll, Götterlauf, 58, von „‚interaktionalen‘ Beeinflussungen“ zwischen Fest und Mythos; W. Sallaberger, Das Erscheinen Marduks als Vorzeichen. Kultstatue und Neujahrsfest in der Omenserie Šumma ālu, ZA 90 (2000) 227–262, hier 228, von einem Ineinander von mythischer, kultischer und politischer Ebene.
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Pesachfestes lesen.73 Die Texte funktionieren so noch auf einer anderen Ebene als der des unmittelbar Gesagten.74 Um die anfangs aufgeworfene Frage, warum der P‑Text mit einer widerläufigen Chronologie zusammengearbeitet wurde – K. Schmid bezeichnet dies als „eine gewisse Ironie der Überlieferungsgeschichte“75 – zumindest im Ansatz aufzugreifen, seien zwei Aspekte benannt: Auf der einen Seite bezeugt das durchgehende kalendarische System eine selbständige Idee und Konzeption, die nicht als bloße Reaktion auf vorliegendes Material verfasst wurde. Aus den Kohärenzstörungen in 7,11–13 folgert etwa J. Wöhrle, dass hier gerade nicht für einen vorliegenden Kontext formuliert wurde.76 Auf der anderen Seite vermutete bereits L. Schrader für genau diese Stelle Absicht: „Die disharmonische Abfolge wird nicht versehentlich, sondern absichtlich herbeigeführt worden sein. Der priesterliche Redaktor dürfte um V. 12 eine Klammer gelegt haben, um dem Leser zu signalisieren, welche Chronologie gilt und welche nicht.“77 Ebenso rechnet Blum mit der Möglichkeit dezidiert diskontinuierlicher Fügungen […], die in der Perspektive der P-Überlieferung nicht auf harmonisierenden Ausgleich angelegt sind, sondern über die so exponierten P‑Texte die Rezeption des Ganzen lenken.78
Die alten chronologischen Angaben werden „so schlüssig es eben nur geht“79 beibehalten und integriert, um die eigene Position umso deutlicher zu betonen. Dies setzt voraus, dass dem von P verarbeiteten Material bereits eine solche Autorität zukam, dass man sich mit ihm auseinandersetzen musste und es nicht der damnatio memoriae anheimfallen lassen konnte. Wo verschiedene Kalender praktiziert werden und miteinander in Konkurrenz stehen, wird die Observanz 73 C. Leonhard, Die Erzählung Ex 12 als Festlegende für das Pesachfest am Jerusalemer Tempel, JBTh 18 (2003) 233–260. 74 So gilt die Aussage von Blum, Notwendigkeit, 19, analog: Die Texte des AT „stellen in textpragmatischer Hinsicht keine Dichtung dar, sondern adressatenbezogene Mitteilungsliteratur.“ Vgl. auch Ders., Historiographie oder Dichtung? Zur Eigenart alttestamentlicher Geschichtsüberlieferung, in: E. Blum u. a. (Hg.), Das Alte Testament – ein Geschichtsbuch? Beiträge des Symposiums „Das Alte Testament und die Kultur der Moderne“, Heidelberg 2001 (Altes Testament und Moderne 10), Münster 2005, 65–86; O. Dyma, Wahre Geschichten. Zwischen Fiktionalität, Gattung, Weltbild und Geltungsanspruch, in: R. Heckl (Hg.), Methodik im Diskurs. Neue Perspektiven für die Alttestamentliche Exegese (BThSt 156), Neukirchen-Vluyn 2015, 32–51. Nochmals gewendet gilt dies, wenn man Guillaumes These zur Interkalation folgt, s. Anm.17. 75 Schmid, Pentateuch, 260. 76 J. Wöhrle, There’s No Master Key! The Literary Character of the Priestly Stratum and the Formation of the Pentateuch, in: J. C. Gertz u. a. (Hg.), The Formation of the Pentateuch (FAT 111), Tübingen 2016, 391–403, hier 400. 77 L. Schrader, Kommentierende Redaktion im Noah-Sintflut-Komplex der Genesis, ZAW 110 (1998) 489–502, hier 499. Wright, Profane, 147, folgert, „that P knew not just a tradition but J’s text.“ Blum, Komposition, 281, stellt die Störungsfreiheit des rekonstruierten P‑Textes in Frage. 78 Ders., Urgeschichte, 441 (meine Hervorhebung). 79 Ders., Komposition, 283.
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Oliver Dyma
des richtigen Kalenders zum Identitätsmarker. Die Priesterschrift verankert ihren in der Urgeschichte.
Anhang Tabelle 1: Schematische Darstellung des 364-Tage-Kalenders Monate I – IV – VII – X
1 2 3 4 5 6 7 S M D M D F S 5
6
7
3
Monate II – V – VIII – XI
Monate III – VI – IX – XII
1 2 3 4 5 6 7 S M D M D F S
1 2 3 4 5 6 7 S M D M D F S
4
1
2
8
9 10 11
3
4
5
6
7
1
2
8
9
3
4
5
6
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1
2
8
9 10 11 12 13 14
12 13 14 15 16 17 18
10 11 12 13 14 15 16
15 16 17 18 19 20 21
19 20 21 22 23 24 25
17 18 19 20 21 22 23
22 23 24 25 26 27 28
26 27 28 29 30
24 25 26 27 28 29 30
29 30 31
Ein Quartal des 364-Tage-Kalenders beinhaltet 13 Wochen, die auf drei Monate zu zweimal 30 und einmal 31 Tagen fallen. Jedes Quartal weist immer dieselbe Abfolge der Wochentage auf. Die Abkürzungen der Namen der Wochentage sind nur der Übersichtlichkeit halber angegeben. Tabelle 2: Übersicht über die Festtermine 14.1. Pesach 15.1.–21.1. Mazzot 26.1. Omer 14.2. Zweites Pesach 15.3. Schavu῾ot 3.5. Weinernte 22.6. Ölernte 1.7. Gedenktag mit Lärmblasen 10.7. Yom Kippur 15.7.–21.7. Sukkot Vgl. die Übersicht bei Stökl Ben Ezra, Qumran, 291.
Ist die Beschneidung in Genesis 17 Gebot, Antwort auf das Geschenk des Bundes oder Zeichen? Über eine Präsupposition zur Revision der Thesen von der sogenannten abrahamitischen Ökumene Raik Heckl
I. Rekapitulation des Problems und der Diskussion Der priesterliche Bundesschluss mit Abraham (Gen 17) wiederholt das Nomen בריתöfter als jeder andere Textabschnitt in der Hebräischen Bibel. Unschwer ist also am „Leitwortstil“1 zu erkennen, dass die priesterlichen Autoren in dem Text einen Schwerpunkt bei dem Thema Bund setzen wollten. Umstritten ist in der Forschungsdiskussion allerdings, ob darin von Gott ein Gnadenbund ohne Bedingung gewährt wird oder ob es sich um einen konditionierten Bund handelt. Gefragt wurde auch, ob es um eine Individualisierung des Bundesbruches gehe.2 In diesem Beitrag werde ich mich, im Rückgriff auf die Analysen von E. Blum, dem Konzept des Bundes noch einmal zuwenden. Ein unkonditionierter Bund erscheint auch im Blick auf Gen 9 zunächst als plausibel. Widerspricht das Thema der Beschneidung (Gen 17,10–14) dem, sodass man es entweder literarkritisch beseitigen muss – so zuletzt J. Wöhrle3 – oder man es als den ersten und grundsätzlichen Schritt zur Herstellung der Bundesgemeinschaft ansehen muss – so J. J. Krause? Krause formuliert seine These, die hier neben jener von Wöhrle zu korrigieren ist, folgendermaßen:
1 Vgl. zum Begriff M. Buber, Leitwortstil in der Erzählung des Pentateuchs, in: Ders., Werke II. Schriften zur Bibel, München 1964, 1131–1149. Buber hebt das Beispiel in seinem programmatischen Aufsatz und seinen Zusammenhang mit Gen 9 besonders hervor. Vgl. ebd., 1145–1146. 2 Zum Stand der Forschung siehe J. Wöhrle, The Integrative Function of the Law of Circumcision, in: R. Achenbach/R. Albertz/J. Wöhrle (Hg.), The Foreigner and the Law. Perspectives from the Hebrew Bible and the Ancient Near East (BZAR 16), Wiesbaden 2011, 71–87, hier 78, und J. J. Krause, Circumcision and Covenant in Genesis 17, Bib. 99 (2018) 151–165, hier 151–152. 3 Vgl. J. Wöhrle, Fremdlinge im eigenen Land. Zur Entstehung und Intention der priesterlichen Passagen der Vätergeschichte (FRLANT 246), Göttingen 2014, hier 46–50.
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Raik Heckl
Out of ‚grace‘ – to employ the conventional term for a last time – YHWH grants his covenant; and in calling it an everlasting covenant, he also promises that in the end it will prevail over disobedience and failure on the side of his partner. Nevertheless, there is the demand of such obedience. In fact it is part and parcel of the covenant relationship. Having been granted YHWH’s covenant, Abraham and Israel after him are called to keep it and to stay in it. YHWH himself instructs Abraham regarding the first and fundamental step: ‚Every male among you shall be circumcised‘.4
In diesem Beitrag werde ich Zweifel daran anmelden, dass die Beschneidung in Gen 17 eine Forderung von Gehorsam gegen das Geschenk des Bundes ist. Ich bezweifle aber auch, dass es sich um eine nachträgliche d. h. durch eine Fortschreibung hergestellte Konditionierung des Bundes handelt, wie Wöhrle5 gemeint hat. Die Beschneidung steht im Zentrum der priesterlichen Argumentation, und ihre Bedeutung muss erfasst werden, bevor man den Bundesschluss in Gen 17 und das umstrittene Kapitel insgesamt literarisch, theologisch und, wenn nötig,6 literarhistorisch entschlüsseln kann. Für die ältere Forschung war es allerdings noch selbstverständlich, dass die Beschneidung nicht als Gebot und somit nicht als Bedingung anzusehen ist. J. Wellhausen beispielsweise, obwohl er sie als „Symbol der jüdischen Diaspora“7 verstand, vermied die Rede von Gebot oder Gesetz: Folgt die Bundschließung Gottes mit Abram, dessen Namen er jetzt in Abraham umwandelt, und die Anordnung der Beschneidung als Zeichen der Bundeszugehörigkeit; ferner die Ankündigung der Geburt Isaaks von der 90jährigen Sarai, die hinfort Sara heißen soll, und dessen Einsetzung zum Erben des Bundes an Ismaels Stelle (Kap. 17).8
Wellhausen wollte mit dieser Interpretation den Eindruck vermeiden, als sei das Zeichen der Bundeszugehörigkeit ein zu erfüllendes Gebot, da er die drei ersten Bundesschlüsse in P (Adam, Noah, Abraham) nur als „Vorstufen des mosaischen Bundes“9 verstand. In dieser Tradition der Auslegung steht auch E. Blum, der die Argumentationsstruktur von Gen 17 ausführlich durchdiskutiert hat: Das Kapitel setzt mit der Mehrungsverheißung ein, die dem Stammvater gilt, während er „und seine Nachfahren Adressaten der ‚Bundesformel‘ und Landzusage“10 sind. Blum weist darauf hin, dass man fragen könne, wer mit den Nachkommen 4
Krause, Circumcision, 164. Wöhrle, Femdlinge, 48; Ders., Function, 78–81. 6 Die Analysen von Blum und zuletzt von Krause haben deutlich gemacht, dass keines der üblichen Kriterien für die Literarkritik vorliegt. Tendenzkritische Argumentationen wie jene von Wöhrle, Fremdlinge, 47–49, werden im Folgenden auf der Grundlage traditionsgeschichtlicher Überlegungen und der Formulierung einer neuen Gesamtthese entkräftet. 7 J. Wellhausen, Prolegomena zur Geschichte Israels, Berlin 61927, 110. 8 Ebd., 325–326. 9 Ebd., 7. Vgl. dazu unten, Anm.46. 10 E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte (WMANT 57), Neukirchen-Vluyn 1984, 422. 5
Beschneidung in Genesis 17
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gemeint ist und ob darin nicht auch Ismael mit eingeschlossen sei. Seiner Ansicht nach nimmt der Text diese mögliche Rückfrage selbst in den Blick, und daher werde in V. 18–19 geklärt, dass Ismael nicht zur Nachkommenschaft, der der Bund gilt, zählt. Blum schließt folgerichtig, dass „Ismael als einer, der zu Abrahams Haus gehört (V. 12–13), beschnitten werden [muss]; auch Ismaels Beschneidung hat allein für Abraham eine Bedeutung als Bundeszeichen.“11 Die Argumentationsstruktur des Textes enthält keinerlei literarkritisch relevante Probleme,12 wie er entsprechend festgehalten hat: „Die konzeptionelle Geschlossenheit von Gen 17 scheint mir demnach nicht zu bezweifeln zu sein.“13 Einer Literarkritik, die eine einlinige Themenentfaltung und besonders einfache Texte zu rekonstruieren sucht, weil sie annimmt, dass komplexe Konzepte erst durch ein literarisches Wachstum entstanden sein können, mag die Annahme einer literarischen Geschlossenheit freilich selbst bei der Abwesenheit von literarkritischen Argumenten als inkonsequent erscheinen.14 Allerdings ist festzuhalten, dass bei Wöhrle, der den Bund durch die Beschneidung geradezu als „the law of circumcision“15 ansieht, bei Blum, der die Beschneidung als Bundeszeichen versteht, und bei Krause, der sie als „Bekenntniszeichen“16 interpretiert, jeweils bestimmte Aspekte in der Auslegung besonders gewichtet und andere nicht einbezogen werden: Wöhrle wertet den nachfolgenden Charakter der Aufforderung zur Beschneidung als Kondition.17 Blum legt das Gewicht auf והיה לאות בריתin V. 11,18 während Krause V. 14 mit der karetFormel in den Mittelpunkt rückt.19 11 Ebd.
12 C. Levin, Der Jahwist (FRLANT 157), Göttingen 1993, 157, scheint solche zu benennen, indem er die „variierenden Wiederholungen“ und „die Neueinsätze in V. 9 und V. 15“ anführt und auf Gen 21,4 verweist. Doch ist die Erwähnung von Isaaks Beschneidung kein literarkritisches Argument. Denn nach Gen 17,14 ist diese in Gen 21,4 folgerichtig. Wieso Gen 17,15 einen Neueinsatz und damit einen Bruch ergeben soll, ist ebenfalls unklar, denn der Namenswechsel Saras steht nach Gen 17,5 aus. Zu Gen 17,9 vgl. unten, 61. 13 Blum, Vätergeschichte, 422. 14 Der Überblick über die Forschung zur Integrität des Kapitels bei K. Schmid, Gibt es eine „abrahamitische Ökumene“ im Alten Testament. Überlegungen zur religionspolitischen Theologie der Priesterschrift in Genesis 17, in: A. C. Hagedorn/H. Pfeifer (Hg.), Die Erzväter in der biblischen Tradition. FS M. Köckert (BZAW 400), Berlin/New York 2009, 67–92, hier 69– 74, zeigt, dass in der Regel tendenzkritische Argumente vorgetragen werden. 15 Wöhrle, Function, 82. 16 J. J. Krause, Individualisierung des Bundesbruchs? Die neuere Deutung von Gen 17,14 im Licht der Vergleichsbelege, ZAW 129 (2017) 194–204, hier 194. Er spitzt mit dieser Formulierung unter Rückgriff auf G. v. Rad die Auslegung von Blum zu, der an der Stelle nur von „Bundeszeichen“ (Blum, Vätergeschichte, 422) spricht und aufzeigt, wie sich der auf Israel beschränkte Bund und die Beschneidung Abrahams und aller Abrahamnachfahren zueinander verhalten. 17 Wöhrle, Fremdlinge, 48, hebt hervor: „Nach diesen Versen werden sie des Bundes nur unter der Voraussetzung, dass sie sich beschneiden lassen, teilhaftig.“ 18 Vgl. Blum, Vätergeschichte, 431, der einen Zusammenhang mit dem Halten des Sabbats aufzeigt. 19 Vgl. Krause, Individualisierung, 199–202.
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Raik Heckl
Für die von Blum konstatierte „konzeptionelle Geschlossenheit von Gen 17“ spricht auch die Parallelität mit Gen 9. Dort wird der Bund ebenfalls erst eingeführt (Gen 9,9–10) und dann bekräftigt, dass in Zukunft keine Flut mehr die Erde treffen werde (V. 11). Das Zeichen des Bogens wird dem Bund zur Bekräftigung an die Seite gestellt. Es dient dazu, Gott an seinen Bund zu erinnern (Gen 9,15aα: )וזכרתי את בריתי אשר ביני וביניכם. Zwar meint Wöhrle, dass der Regenbogen ein Zeichen sei, das sozusagen für alle Zeit da ist, was für die Beschneidung so nicht ausgesagt werden könne – dies ist eines seiner Argumente für die Annahme einer sekundären Bearbeitung des Abschnittes20 –, doch ist die Gliederung der beiden priesterlichen Bundesschlüsse ganz parallel. Die Bundeszusage und das anschließende Zeichen sowie die folgende ausdrückliche Integration von beidem entsprechen sich strukturell. Am Rande sei erwähnt, dass auch der Leitwortcharakter, über die Erwähnung des Begriffes בריתhinaus, die beiden priesterlichen Abschnitte verbindet.21
II. Die Präsuppositionen in Bezug auf die Beschneidung Die Beschneidung ist Thema in Gen 17,10b–14. Sie wird in V. 10b eingesetzt. V. 10a muss sich auf den zuvor thematisierten Bund zurückbeziehen, was an der nachfolgenden Bezeichnung der Beschneidung als אות בריתin V. 11b deutlich wird. Auf die Thematisierung des Bundesschlusses folgt die Thematisierung des Bundeszeichens. Beide Themen scheinen klar getrennt, an der Schnittstelle fehlt allerdings eine Konjunktion oder Überleitung, die einen konditionalen Charakter von Gen 17,10b–14 belegen könnten.22
המול לכם כל זכר10b ונמלתם את בשר ערלתכם והיה לאות ברית ביני וביניכם11 ובן שמנת ימים ימול לכם כל־זכר לדרתיכם יליד בית ומקנת כסף מכל בן נכר אשר לא מזרעך הוא12 20 Vgl.
Wöhrle, Fremdlinge, 48–49; Ders., Function, 76–77. Buber, Leitwortstil, 1145–1146. 22 Gegen Wöhrle, Fremdlinge, 48: „Die in Gen 17,9–14 vorgebrachte Beschneidungsordnung gibt dann aber doch eine Bedingung für den mit Abraham und seinen Nachkommen geschlossenen Bund an. Nach diesen Versen werden sie des Bundes nur unter der Voraussetzung, dass sie sich beschneiden lassen, teilhaftig. Ansonsten, so Gen 17,14, werden sie aus ihrem Volk ausgeschlossen. Die in Gen 17,9–14 belegte Beschneidungsordnung kann somit gut als nachträgliche Konditionierung des zuvor unkonditioniert vorgebrachten Abrahambundes verstanden werden.“ In seinem älteren Aufsatz unterscheidet er noch zwischen der Aufrichtung des Bundes insgesamt und der individuellen Annahme und formuliert insofern vorsichtiger und ist dabei der o. g. Interpretation von Krause nahe: „That the law of circumcision does not impose a condition on the establishment of the covenant as a whole, but only on the individual acquirement of the covenant, is surely correct. However, it is and remains a remarkable fact that the law of circumcision gives a condition for the acquirement of the covenant at all. And this speaks for the assumption that Gen 17:9–14 is a later insertion, by which the previously unconditional covenant – or rather the individual acquirement of the previously unconditional covenant – was set under the condition of circumcision“ (Wöhrle, Function, 76). 21 Vgl.
Beschneidung in Genesis 17
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המול ימול יליד ביתך ומקנת כספך והיתה בריתי בבשרכם לברית עולם13 וערל זכר אשר לא־ימול את בשר ערלתו ונכרתה הנפש ההוא מעמיה את בריתי הפר14 10b Ihr
sollt euch jeden Männlichen beschneiden. ihr sollt das Fleisch eurer Vorhaut beschneiden. Das soll das Zeichen des Bundes zwischen mir und euch sein. 12 Und jeden Männlichen, der acht Tage alt ist, sollt ihr beschneiden für eure Nachkommen und wer im Hause geboren ist oder mit Silber gekauft von jedem Fremden, der nicht von deinem Samen ist. 13 Beschnitten sei der in deinem Hause geboren ist oder den du mit Silber gekauft hast. Und mein Bund wird sein an eurem Fleisch als ewiger Bund. 14 Ein Männlicher mit Vorhaut, der das Fleisch seiner Vorhaut nicht beschneidet, soll ausgerottet werden aus seinem Volk. Meinen Bund hat er zunichte gemacht. 11 Und
Am Anfang steht mit dem inf. abs. המולdie Aufforderung „Ihr sollt euch jeden Männlichen beschneiden!“ Es werden keine Handlungen eingeführt oder dargestellt, sondern ein terminus technicus wird gebraucht. Es handelt sich also um eine Präsupposition. Auch in V. 11a, wo die Phrase מול בשר ערלהverwendet wird, wird nicht beschrieben oder erklärt. Das Verbum מולkommt generell nur in Bezug auf die Beschneidung oder in deren Metaphorisierung vor. Auch später gibt es keine Umschreibungen. Synonyme werden ebenfalls nicht verwendet. Bei den intendierten Adressaten wird also die Kenntnis der Handlung wie ihre Bedeutung vorausgesetzt.23 Ebenfalls präsupponiert ist aufgrund der mehrfachen ausdrücklichen Nennung der Beschneidung bei Jungen bzw. Männern ()כל זכר, dass die Klitoralbeschneidung bekannt ist. Bei der Beschneidung handelt es sich um eine Praxis, die bis heute weitverbreitet ist. Im Judentum und im Islam sieht man in der Abraham aufgetragenen Handlung ihren Ursprung. Dennoch wird sie auch unabhängig von der jüdischen, christlichen und islamischen Kultur praktiziert, und nicht nur die Beschneidung der Vorhaut, sondern auch der Klitoris waren bereits in der Antike verbreitet.24 Schwerpunkt ist Ägypten, wo die Beschneidung seit dem Alten Reich bezeugt ist. Schon in der Ramessidenzeit wird von den Seevölkern im Unterschied zu den Libyern als Beschnittenen gesprochen.25 Dass man die Beschneidung der Vorhaut als ein Kriterium der kulturellen Unterscheidung an23 Zur Bedeutung der Präsuppositionen für die Auslegung vgl. zuletzt R. Heckl, Neuanfang und Kontinuität in Jerusalem. Studien zu den hermeneutischen Strategien im Esra-Nehemia-Buch (FAT 104), Tübingen 2016, hier 20–25; Ders., Die Interpretation von biblischen Texten als Diskursanalyse von Diskursfragmenten und ihre kulturwissenschaftliche Bedeutung, in: E. W. B. Hess-Lüttich u. a. (Hg.), Diskurs – semiotisch. Aspekte multiformaler Diskurskodierung (Diskursmuster. Discourse Patterns 14), Berlin/Boston 2017, 211–224. 24 S. A. A. Abu-Sahlieh, Male and Female Circumcision. Religious, Medical, Social and Legal Debate, St.‑Sulpice 22012, 15. Zur Klitoralbeschneidung s. W. Westendorf, Beschneidung, LÄ 1 (1975) 727–729, hier 728; A. Jördens, Griechische Texte aus Ägpyten, TUAT NF 5, Gütersloh 2010, 317–350, hier 318.326. 25 Vgl. Westendorf, Beschneidung, 728.
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sieht, ist auch in verschiedenen biblischen Texten erkennbar. Gen 32 sieht die Sichemiten als Unbeschnittene, denen die Jakobssöhne die Beschneidung auferlegen.26 Die Philister scheinen in 1 Sam 18,25–27 (vgl. 2 Sam 3,14) als Unbeschnittene von den anderen Bewohnern der Region unterschieden zu werden.27 Die Hintergründe der Beschneidung von Jungen werden überlagert von späteren Versuchen, sie zu rechtfertigen oder religiös zu legitimieren. Die Praxis im Islam, die im Alter der Adoleszenz geschieht, und der Gebrauch des Begriffes hitan (vgl. hatan „Bräutigam“)28 lassen allerdings einen Zusammenhang mit der ˘ ˘ Sexualität als wahrscheinlich erscheinen. Wenn wir für den priesterlichen Textabschnitt Gen 17 annehmen, dass dieser frühestens in der Zeit des babylonischen Exils, aber wahrscheinlich erst in der Perserzeit für den bzw. beim Abschluss des Pentateuchs abgefasst wurde,29 ist nach den Implikationen der Beschneidung in dieser Zeit und in dem von den Persern bestimmten Kulturraum zu fragen. Ältestes und wichtigstes Zeugnis dafür sind die Historien des Herodot30, wo die Beschneidung als kulturelles Unterscheidungskriterium der Ägypter unter anderen Eigenheiten aufgelistet ist:
26 Dieser Text könnte ebenfalls eine Ätiologie der Verbreitung der Beschneidung in der Levante sein, da hier die Beschneidung vor der Hochzeit auferlegt wird. Vgl. schon Wellhausen, Prolegomena, 339. 27 Der Unterschied zu der Einschätzung in ägyptischen Quellen, dass die Seevölker beschnitten waren, ist signifikant. In dem dtr Text könnte es sich um eine anachronistische Rückprojektion handeln, da man im Alten Israel die Herkunft der Philister im griechischen Bereich sah. Vgl. Dtn 2,23; Jer 47,4. 28 Vgl. Abu-Sahlieh, Circumcision, 15. Zum Ritus unter den Arabern vgl. A. Musil, Moab. Arabia Petraea III. Ethnologischer Reisebericht, Wien 1908, 219–224. Dass im Alten Ägypten die Beschneidung des Heranwachsenden als ein Initiationsritus gilt, der vom Totenpriester vollzogen wurde, weist auf das hohe Alter dieser Deutung. Vgl. W. Westendorf, Handbuch der altägyptischen Medizin I (HdO 36), Leiden/Boston/Köln 1999, hier 468–469: „Die Initiation ist der Übergang von einer Lebensstufe in die andere, dazu gehört das Sterben bzw. Töten der bisherigen Lebensform, wobei der Toten-Priester eine wesentliche Rolle spielt.“ In diese Richtung lässt sich in dem eigentümlichen Text zur Beschneidung von Moses Sohn die Exklamation Zipporas חתן דמים אתה ליverstehen, dass Mose ihr durch ihre Handlung zum Blutbräutigam geworden ist. Vgl. dazu E. Blum/R. Blum, Zippora und ihr חתן דמים, in: E. Blum, Textgestalt und Komposition. Exegetische Beiträge zu Tora und Vordere Propheten, hg. von W. Oswald (FAT 69), Tübingen 2012, 123–136, hier 131. 29 Ich folge hier Blums Konzept der priesterlichen Kompositionsschicht (vgl. E. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch [BZAW 189], Berlin/New York 1990, 229–285) und sehe die priesterlichen Texte selbst als eine literarische Schicht, die interpretierend älteres Material herausgibt und dabei allerdings auch z. T. zentrale Inhalte transformierend reformuliert. Vgl. R. Heckl, Die Exposition des Pentateuchs. Überlegungen zum literarischen und theologischen Konzept von Genesis 1–3, in: A. Berlejung/R. Heckl (Hg.), Ex oriente lux. Studien zur Theologie des Alten Testaments. FS R. Lux (ABG 39), Leipzig 2012, 3–37, hier 32. 30 Geboren wurde Herodot entsprechend einer antiken Notiz ca. 484 v. Chr. Als terminus ante quem der Historien gilt die Aufführung der Acharner des Aristophanes um 425 v. Chr. Vgl. R. Bichler/R. Rollinger, Herodot (Studienbücher Antike 3), Hildesheim/Zürich/New York 42014, 117.
Beschneidung in Genesis 17
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τά αἰδοῖα ὧλλοι μὲν ἐῶσι ὡς ἐγένοντο, πλὴν ὅσοι ἀπὸ τούτων ἔμαθον, Αἰγύπτιοι δὲ περιτάμνονται.31 Andere Völker lassen die Genitalien, wie sie geworden sind. Nur die Ägypter und, die es von ihnen gelernt haben, beschneiden sie.
Die Beschneidung gilt bei Herodot als besonders typisch für Ägypten, was der Tatsache entspricht, dass sie dort seit ältester Zeit praktiziert wird.32 Wenn hier von der Praxis jener die Rede ist, die es von den Ägyptern übernommen haben, so hängt das mit der Weltsicht Herodots zusammen, der – wie es in der griechischen Antike verbreitet vertreten wurde33 – Ägypten als den Ursprung der Kultur ansah. Obwohl Herodot als Grieche die Beschneidung ablehnt, rechtfertigt er sie mit der Erklärung, dass sie aus Gründen der Hygiene eingeführt worden sei: τά τε αἰδοῖα περιτάμνονται καθαρειότητος εἵνεκεν, προτιμῶντες καθαροὶ εἶναι ἢ εὐπρεπέστεροι.34 Die Genitalien beschneiden sie der Reinlichkeit wegen; sie schätzen es höher reinlich als anständig35 zu sein.
Bei der Frage, ob die Kolcher, deren Reich am Schwarzen Meer im Bereich des heutigen Georgiens lag, eigentlich der Herkunft nach Ägypter seien, kommt er ebenfalls auf die Beschneidung zu sprechen: ὅτι μοῦνοι πάντων ἀνθρώπων Κόλχοι καὶ Αἰγύπτιοι καί Αἰθίοπες περιτάμνονται ἀπ’ αρχῆς τὰ αἰδοῖα. Φοίνικες δὲ καὶ Σύριοι οἱ ἐν τῇ Παλαιστίνῃ καί αὐτοὶ ὁμολογέουσι παρ’ Αἰγυπτίων μεμαθηκέναι, Σύριοι δὲ οἱ περὶ Θερμώδοντα ποταμὸν καί Παρθένιον καί Μάκρωνες οἱ τούτοισι ἀστυγείτονες ἐόντες ἀπὸ Κόλχων φασὶ νεωστὶ μεμαθηκέναι· οὗτοι γάρ εἰσι οἱ περιταμνόμενοι ἀνθρώπων μοῦνοι, καὶ οὗτοι Αἰγυπτίοισι φαίνονται ποιεῦντες κατὰ ταὐτά. αὐτῶν δὲ Αἰγυπτίων καί Αἰθιόπων οὐκ ἔχω εἰπεῖν ὁκότεροι παρὰ τῶν ἑτέρων ἐξέμαθον· ἀρχαῖον γὰρ δή τι φαίνεται ἐόν. ὡς δὲ ἐπιμισγόμενοι Αἰγύπτῳ ἐξέμαθον, μέγα μοι καὶ τόδε τεκμήρων γίνεται· Φοινίκων ὁκόσοι τῇ Ἑλλάδι ἐπιμίσγονται, οὐκέτι Αἰγυπτίους μιμέονται (κατὰ τὰ αἰδοῖα), ἀλλὰ τῶν ἐπιγινομένων οὐ περιτάμνουσι τὰ αἰδοῖα.36 Denn allein von allen Menschen beschneiden sich die Kolcher, die Ägypter und die Äthiopier von Anfang an die Genitalien. Die Phönizier und die Syrer in Palästina bekennen selbst, dass sie es von den Ägyptern gelernt haben. Die Syrer, die am Strom Thermodon 31 Hist. II 36.3 (Text: J. Feix, Herodot Historien I. Griechisch-Deutsch, München 1963). Die Beschneidung ist bei den griechischen Adressaten Herodots ebenso vorausgesetzt wie bei den intendierten Adressaten von Gen 17. Allerdings macht Herodot mit seiner Bemerkung, dass die Ägypter die Reinlichkeit höher schätzen als Anständigkeit, deutlich, dass er wenig von ihr hält. Vgl. A. Blaschke, Beschneidung. Zeugnisse der Bibel und verwandter Texte (TANZ 28), Tübingen 1998, 326. 32 Vgl. dazu Jördens, Griechische Texte, 326–330 (Einführung und Zeugnisse). 33 Vgl. dazu R. Heckl, „Deep is the Well of the Past“. Reconsidering the Origins of the Exodus Motif in its Cultural Context, VE 34.2 (2013) http://dx.doi.org/10.4102/ve.v34i2.806. 34 Hist. II 37.2. 35 Der Begriff ruft eine griechische Sicht auf, wonach das beschnittene Glied sowohl ethisch als auch ästhetisch anstößig ist. Vgl. dazu Blaschke, Beschneidung, 324. 36 Hist. II 104.2–4.
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und am Parthenios wohnen, und die Makronen, die nahe bei ihnen leben, sagen, dass sie den Brauch erst unlängst von den Kolchern gelernt haben. Diese sind nämlich die einzigen Menschen, die sich beschneiden lassen; und sie scheinen ihn [den Brauch] den Ägyptern nachzumachen. Ob die Ägypter selbst ihn von den Äthiopiern [gelernt haben]; ich halte es nicht [für möglich] zu sagen, welche ihn von den anderen gelernt haben. Denn er scheint sehr alt zu sein. Wie die, die mit Ägypten Kontakt hatten, es gelernt haben, ist mir [aber] Beweis: Phönizier, die mit Griechenland Kontakt haben, sind nicht mehr den Ägyptern (entsprechend den Genitalien) gefolgt. Vielmehr beschneiden sie die Nachkommen nicht [mehr].
Selbstverständlich ist das Zeugnis des Herodot von den von ihm verwendeten Quellen abhängig. Vielfach gibt er Dinge wieder, die er beim Besuch der Länder, vor allem Ägyptens, durch Befragungen erfahren hat.37 Für unsere Fragestellung entscheidend ist aber, dass man in Palästina und den Phönizierstädten offenbar die Beschneidung praktizierte und dass man sie übergreifend in der Mitte der Perserzeit als ein kulturelles Unterscheidungskriterium ansah.38 Der enge kulturelle Zusammenhang zwischen Syrien/Palästina und Ägypten wurde offenbar als Grund für die Verbreitung dieser Kulturpraxis angesehen und von Herodot entsprechend auch für plausibel gehalten.39 Wenn in diesem Sinne von den Syrern Palästinas die Rede ist, handelt es sich nicht vordergründig um die Juden oder um Israel,40 wohl aber um die Bevölkerung Palästinas insgesamt, die einerseits kulturell mit dem Aramäergebiet, andererseits traditionell als mit Ägypten verbunden galt.41 Herodots Feststellung, 37
Zu Herodots Methoden vgl. Bichler/Rollinger, Herodot, 163–164. Die phönizische Geschichte des Philo von Byblos lässt einen Mythos erkennen, wonach Kronos, d. h. El (zur Identifikation vgl. A. I. Baumgarten, The Phoenician History of Philo of Byblos. A Commentary [EPRO], Boston 1981, 38) sich selbst beschnitt und dies auch seinen Alliierten auferlegte. Text und Übersetzung: H. W. Attridge/R. A. Oden, Philo of Byblos, the Phoenician History. Introduction, Critical Text, Translation, Notes (CBQ 9), Washington 1981, hier 56–57. Entsprechend dem philonischen Euhemerismus wird der Gott des verarbeiteten Mythos als phönizischer König der Vorzeit behandelt. Vgl. Baumgarten, Phoenician History, 222. Spannenderweise hat er die Phönizier und ihre Nachbarn und damit ebenso wie Gen 17 die südliche Levante im Blick. 39 Spannend ist, dass E. Meyer überlegt hat, ob Ex 4,24–26 sich mit der Frage der Übernahme der Beschneidung aus Ägypten auseinandersetzt: „Man könnte annehmen, daß er [der Jahwist, R. H.] mit dieser Erzählung beweisen wollte, daß die Beschneidung unmöglich aus Ägypten stammen kann“ (E. Meyer, Die Israeliten und ihre Nachbarstämme. Alttestamentliche Untersuchungen, Halle 1906, 115). Auch wenn man die Mutmaßungen der älteren Forschung über den sagenhaften Ursprung der Passage zu Recht auf sich beruhen lässt, könnte man überlegen, ob sie eine kulturelle Abhängigkeit Syrien/Palästinas von Ägypten, wie sie auch von Herodot angenommen wird, ins rechte Licht rücken soll. 40 Josephus interpretiert auf Grundlage eines Herodotzitates in Ap 1,171, die Juden seien die einzigen, die die Beschneidung in Palästina praktizierten. Er ignoriert in seiner Auseinandersetzung mit Apion offensichtlich, dass erst seit dem Hellenismus die Praxis der Beschneidung generell zurückgedrängt wurde. 41 Zur Bedeutung dieser Tatsache für die Interpretation von Dtn 26 vgl. R. Heckl, Vom Mythos zur Geschichte. Die priesterliche Konzeption der Volkswerdung Israels in Ex 1,1–14 und ihre Voraussetzungen, in: J. Kotjatko-Reeb/B. Ziemer/S. Schorch (Hg.), Nichts Neues un38
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dass in Nordsyrien die Beschneidung von den Kolchern übernommen worden sei, zeigt auch, dass sie im 5. Jh., als die Endkomposition des Pentateuchs im Entstehen begriffen war, nicht nur bei Juden, sondern auch bei den Nachbarvölkern in weiten Teilen der Levante eine selbstverständliche Praxis war. Allerdings handelt es sich um eine Praxis, die aufgrund des Kulturkontaktes mit Griechenland bei den Phöniziern schon im 5. Jh. unter Druck steht und bei einsetzender Hellenisierung außer Gebrauch geraten kann. Ob damit die Phönizier im Mutterland oder in den Kolonien oder insgesamt gemeint sind, ist allerdings unsicher. Der priesterliche Text Gen 17 setzt ähnlich wie Herodots Historien voraus, dass die Beschneidung der Vorhaut nicht allein ein kulturelles Unterscheidungskriterium für Israel, sondern auch von anderen Völkern ist. Unterschiede in der Praxis sind daher vorausgesetzt: Offenbar kannte man im Alten Israel eine Beschneidung der Klitoris, doch praktizierte man sie nicht. Die Betonung einer Beschneidung am 8. Tag nach der Geburt (Gen 17,12a) setzt voraus, dass es Abweichungen in der konkreten Praxis gibt. Die Historien des Herodot und Gen 17 setzen voraus, dass die Praxis der Beschneidung aufgrund einer kulturellen Abhängigkeit angenommen werden konnte. Die priesterlichen Autoren reflektieren ebenfalls die Möglichkeit, auf die Beschneidung zu verzichten, was Herodot in Bezug auf die Phönizier thematisiert, die im griechischen Kulturkontakt stehen.
III. Über die Präsuppositionen zu den Implikationen Die Erzelterngeschichten waren wahrscheinlich von Anfang an und d. h. auch schon in den verarbeiteten literarischen Vorlagen mythische Überlieferungen über den Ursprung des Volkes Israel und seiner Nachbarn. Sie sind gestaltet als Familiengeschichte, und vor allem deswegen sind viele individuelle, sich aber zum Teil widersprechende Inhalte oder auch Anachronismen in die Darstellungen der Lebensweise eingeflossen.42 Daher tragen die Erzählungen von den eponymen Vorfahren oft einen repräsentativen Charakter: In dem, was von den Erzeltern, den Jakobsöhnen sowie ihren Verwandten, Nachbarn und Feinden etc. ter der Sonne? Zeitvorstellungen im Alten Testament. FS E.‑J. Waschke (BZAW 450), Berlin/ Boston 2014, 113–135, hier 126–131. 42 Eine Annahme, wonach die Stoffe ursprünglich zunächst Familiengeschichten waren, die erst im Zuge der literarischen Ausformulierung einen nationalen Charakter erhielten, rechnet mit einer einlinigen Überlieferungsgeschichte, die sich nicht prüfen lässt. So Levin, Jahwist, 395: „Man geht wohl nicht fehl, in Menschen wie Abraham, Isaak und Jakob und ihren Brüdern, Vettern und Söhnen auch die Träger der Überlieferung zu vermuten. Zwar können die Figuren erfunden sein; aber sie werden mit den Zügen wirklicher Individuen geschildert. ‚Erzväter‘ von nationaler Bedeutung wurden sie erst, als die Erzählungen schon bestanden.“ Da sich für die Annahme einer Überlieferung von z. T. banalen Familiengeschichten kaum ein sinnvolles Szenario ergibt, wird man umgekehrt davon auszugehen haben, dass man von den eponymen Vorfahren u. a. Dinge erzählte, die man selbst erlebt hatte oder in der eigenen Welt erfahren konnte.
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erzählt wird, werden Zusammenhänge gespiegelt oder erklärt, die das spätere Israel in seiner Umwelt betreffen.43 Das ist auch der Grund, warum wir in den Erzelterngeschichten (wie in der Urgeschichte) eine Fülle von ätiologischen Erzählungen oder in den Erzählungen enthaltene ätiologische Elemente finden. Der repräsentative Charakter der Erzelterngeschichten ist eine weitere Präsupposition des Textes. Auch wenn im Einzelfall neue Informationen oder theologische Konzepte präsentiert werden – wie im Fall von Gen 17 das Thema Bund –, so war bei den antiken Adressaten doch von vornherein das Wissen vorausgesetzt, dass es bei der Behandlung von Abraham, Sara und Isaak um Aspekte der eigenen Geschichte und Identität geht. Und im Übrigen wird die Relevanz des Bundesschlusses für das auf Abraham zurückgeführte Volk (Gen 17,19) explizit unterstrichen. Dieser repräsentative Charakter der Erzählung und des Bundesschlusses ist festzuhalten gegen eine Sicht, die in der Darstellung der Handlung des eponymen Vorfahren eine Tendenz zur Individualisierung erkennt.44 Von Abraham aus wird auf die Zukunft geblickt, doch schon der „Nachkomme“, der bereits in Gen 17 als Träger der Verheißung eingeführt wird, repräsentiert Israel. Auch dieser trägt die Beschneidung als Kennzeichen ( )אותfür den Bund zwischen Jhwh und Israel. Es geht hier um Abraham, um seine Beschneidung und um die Verheißung, die seinem Nachkommen gilt, aber es geht dabei von vornherein um die Gottesbeziehung der intendierten Adressaten aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Volk Israel. In ihrer jetzigen Form handelt es sich bei Gen 17 somit um eine Verbindung einer kulturellen Eigenheit mit den Handlungen eines eponymen Vorfahren. Es handelt sich zugleich auch um eine Ätiologie der Beschneidungspraxis in der südlichen Levante. Dabei ist der priesterliche Text der Darstellung des Herodot sehr nahe, was meiner Ansicht nach gegen die Thesen spricht, die die Thematisierung der Beschneidung als eine Antwort auf die Situation in der babylonischen Diaspora begreifen.45 Die Texte haben eindeutig die Verhältnisse in Pa43 Blum, Vätergeschichte, 451, hat darauf hingewiesen, dass abgesehen von Aaron „die Toledot-Elemente nicht über die Genesis hinausreichen“, weil danach „[d]ie Geschichte Israels […] nicht mehr identisch mit der Geschichte eines Mannes oder einer Familie“ war. Die priesterlichen Autoren haben mit der Formel den repräsentativen Charakter der Figuren der Genesis in den Blick genommen, was auch den Gebrauch der Formel in Bezug auf Aaron (und Mose) in Num 3,1 zu erklären vermag. Man vergleiche hier die Genealogie Esras, die in אהרן הכהן הראש mündet, und die samaritanische Hohepriesterkette, die mit Aaron und Mose endet. Siehe dazu M. Gaster, The Chain of Samaritan High Priests. A Synchronistic Synopsis, JRAS 41 (1909) 393–420, hier 412. 44 So der Vermittlungsvorschlag von H.‑J. Stipp, „Meinen Bund hat er gebrochen“ (Gen 17,14). Die Individualisierung des Bundesbruchs in der Priesterschrift, in: Ders., Alttestamentliche Studien. Arbeiten zu Priesterschrift, Deuteronomistischem Geschichtswerk und Prophetie (BZAW 442), Berlin/Boston 2013, 117–136. Mit ihm setzt sich Krause, Individualisierung, auseinander und sucht ihn auf Grundlage des Gebrauchs der karet-Formel in der Hebräischen Bibel zu widerlegen. Vgl. ebd., 199–202. 45 So die seit Wellhausen vertretene These der Herkunft von P. Vgl. Wellhausen, Prolego-
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lästina im Blick. Es handelt sich um eine selbstverständliche Praxis Israels bzw. der Juden und ihrer Nachbarn, die hier quasi von Anfang an zum Kennzeichen des Bundes gemacht wird. Auch wenn, wie bei Herodot, die Möglichkeit, diese Sitte abzulegen, in Betracht gezogen wird, handelt es sich um eine Selbstverständlichkeit, und als solche kommt dem Zeichen des Bundes in Gen 17 eine vergleichbare Bedeutung zu, wie sie der Regenbogen als Zeichen des Bundes in Gen 9 hat. Die Bewahrung des Bundes im Blick auf das Zeichen durch Gott hat in Gen 9 zur Folge, dass dieser seines Bundes gedenkt, sodass nicht wieder generelles Unheil hervorgebracht wird. Wenn man so will, dient der Bogen der Bewahrung des Bundes durch Gott selbst, und so dient auch in Gen 17 das Zeichen des Bundes seiner Bewahrung jetzt durch die eingeschlossenen Menschen. Das geschieht in den Erzelterngeschichten zunächst nur in der Aufrechterhaltung der Gottesbeziehung bzw. jeweils unter Aufrichtung des Bundes (V. 21a: ואת ;בריתי אקים את יצחק אשר תלד לך שרהvgl. V. 19b). Darüber hinaus wird sich das aber schon auf den Fortgang des Pentateuchs und insbesondere auf die Sinaiperikope, in welcher die priesterlichen Texte ihren Schwerpunkt haben, beziehen,46 in die ja der (noch vorpriesterliche) Bundesschlusstext (Ex 24) als Teil des priesterlichen Pentateuchs integriert worden ist. Das Zeichen der Beschneidung dient somit wie der Bogen für alle Zeit der Bewahrung des Bundes. Dabei steht allerdings noch aus, wie die Bewahrung konkret aussehen wird. Allerdings gibt es dazu im Text Implikationen, denn in Gen 17,9, in der an Abraham gerichteten Aufforderung, den Bund zu bewahren ()את בריתי תשמר, wird eine besonders in dtr Texten verwendete und dort auf die Tora bezogene Formulierung gebraucht.47 mena, 391.407. Die priesterlichen Texte mögen in Babylonien entstanden oder konzipiert worden sein, die Beschneidung bezieht sich aber auf die Situation in Palästina. So auch das Ergebnis der Studie von D. A. Bernat, Sign of the Covenant. Circumcision in the Priestly Tradition (SBL Ancient Israel and Its Literature 3), Atlanta 2009, zusammenfassend 132: „Nowhere in the P document is circumcision configured as mark of ethnic identity or communal boundaries that distinguished Israel from the surrounding nations.“ 46 Das ist eine weit verbreitete Sicht in der Forschung, die besonders Wellhausen mit seinem Konzept des Vierbundesbuches vertreten hatte (Prolegomena, 6–7.336–338). W. Zimmerli, Sinaibund und Abrahambund. Ein Beitrag zum Verständnis der Priesterschrift, in: Ders., Gottes Offenbarung. Gesammelte Aufsätze zum Alten Testament (TB 19), München 1963, 205– 216, hier 205, kritisierte an Wellhausens These wie zuvor B. Stade, dass „die Mosegeschichte des P […] nichts von einer Bundschließung Jahwes mit dem am Gottesberg versammelten Volke Israel“ wisse, doch vernachlässigt das Wellhausens Überzeugung, dass P auf der Grundlage der älteren Quellen das mosaische Gesetz mit seinem Höhepunkt im Levitikusbuch als Zentrum geschaffen habe. Dieser schreibt entsprechend: „Die drei Perioden und die entsprechenden drei Bünde der Vorzeit sind Vorstufen zur vierten Periode und zum vierten Bunde. Auf das mosaische Gesetz ist überall das Absehen des Erzählers gerichtet, nach dieser Rücksicht entwirft er den bei ihm so stark hervortretenden Plan seiner Darstellung der Ursprünge. Die Höhenpunkte derselben bilden die Haupt- und Staatsaktionen Elohims mit den Erzvätern“ (Wellhausen, Prolegomena, 338). 47 Vgl. außerdem die Bezeichnung Gottes als ( שמר הבריתDtn 7,9; 1 Kön 8,23 // 2 Chr 6,14; Neh 9,32; Dan 9,4).
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Welche Bedeutung hat dann in unserem Text der drastische Gebrauch der karet-Formel für jene, die die Beschneidung nicht praktizieren? Zunächst hat die Nichtbeschneidung dieselbe Wirkung wie bei Herodot. Man gibt eine Sitte, ein Kennzeichen der eigenen Kultur und Identität auf und stellt sich somit außerhalb des eigenen Volkes und der eigenen Herkunft. Dieser Aspekt gilt für Israeliten und Nichtisraeliten gleichermaßen, weshalb bei diesem Aspekt hintergründig (und anders als bspw. in Ex 31,14 u. ö., wo natürlich ausschließlich Israel gemeint ist) mit der Formel ונכרתה הנפש ההוא מעמיהauch Nichtisraeliten gemeint sind. Deren Handlung betrifft natürlich nicht einen eigenen Bund mit Jhwh,48 wohl aber die Beschneidung als Bundeszeichen für Israels Gottesbeziehung. Das dürfte auch der Grund für die scheinbar unscharfe Formulierung an dieser Stelle sein, denn sonst wäre unklar, wer hier eigentlich den Bund zunichte gemacht hat, der Vater, der seinen Sohn nicht beschneidet oder der Sohn durch die eigene Unbeschnittenheit.49 Abhängig ist dies vom ätiologischen Charakter der Erzählung. Sämtliche Beschneidungspraxis in der südlichen Levante wird auf Abrahams und damit Gottes Handeln zurückgeführt. In der Formulierung zeigen sich allerdings (wie bei Herodot) schon Spuren jener Einflüsse, die 300 Jahre später im 2. Jh. v. Chr. zu den radikalen Auseinandersetzungen mit dem Hellenismus, auch um die Praxis der Beschneidung (vgl. 1 Makk 1,48.52–53.60– 61; 2 Makk 2,46; 6,10), führen werden.
IV. Die Intention von Gen 17 Bei dem priesterlichen Bundesschlusstext, der den älteren Bundesschluss (Gen 15) auf den Begriff und auf den Punkt bringt,50 spielt wie in anderen priesterlichen Texten ein systematisierender Impetus eine Rolle. So wie J. C. Gertz für Gen 1 eine Art „priesterliche[r] Wissenschaftsprosa“51 vermutet, kann man auch weitere priesterliche Texte52 und auch Gen 17 begreifen. Die priesterlichen Autoren präsentieren ein theologisches Konzept, das ihre Welt zugleich analysierend 48
Gegen die Thesen zur sog. abrahamitischen Ökumene, siehe dazu auch unten, Anm.55. Dieses Problem hat schon H. Holzinger, Genesis (KHC 1), Tübingen 1904, 128, notiert: „Im vorliegenden Fall ist auch die Adresse, an die die Drohung geht, wenig sachgemäss: wenn die Beschneidung unterlassen wird, wer sollte dann aus der Gemeinde entfernt werden? Das unbeschnittene Kind oder nicht vielmehr sein pflichtvergessener Vater? Bei aller Pedanterie des Ausdrucks sind die Bestimmungen von P gelegentlich sachlich doch nicht gut durchdacht.“ 50 Zur Abhängigkeit von Gen 15 vgl. Blum, Vätergeschichte, 423. Nach I. Willi-Plein, Das Buch Genesis. Kapitel 12–50 (NSK 1.2), Stuttgart 2011, 75, entfaltet P in Gen 17 den von Gen 15 als unkonditioniert vorgegebenen Bund. 51 J. C. Gertz, Antibabylonische Polemik im priesterlichen Schöpfungsbericht?, ZThK 106 (2009) 137–155, hier 149. 52 Vgl. meine Deutung des priesterlichen Übergangs von der Genesis zum Exodusbuch: Heckl, Mythos, 131–133. 49
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und systematisierend, unter Rückgriff auf aktuelles Wissen, in den Blick nimmt. Doch dieser ‚wissenschaftliche‘ Impetus und das geographische und ethnologische Interesse der priesterlichen Autoren von Gen 17, die die Bildung und Kulturkontakte jener Autoren in der Perserzeit zeigen, sind natürlich nicht mit der Intention des Textes zu verwechseln.53 Das Bundeskonzept von Gen 17 steht im Zusammenhang mit der priesterlichen Aufarbeitung des einflussreichen Konzepts des Deuteronomismus. Es geht nicht mehr um die Frage, wie es zu dem Unheil des Exils gekommen ist und mithin nicht mehr um die Theodizee. Im Kontext des Großreiches der Perser befindet man sich auf dem Wege zu einem theologischen Universalismus aus jüdischer Perspektive, der in nachexilischen Texten an vielen Stellen erkennbar ist. Und angesichts einer solchen Transformation der Jhwh-Verehrung hin zu einem universalen Monotheismus stellt sich natürlich die Frage, warum Israel und Judentum sich von anderen Völkern insbesondere durch ihre religiöse Praxis unterscheiden sollen. Eine der Gottesbeziehung entsprechende Lebensweise wie auch ein Kult am Heiligtum dürfte von den Verfassern für selbstverständlich gehalten worden sein. Doch richtet sich der Text gerade an ein Volk, das diesem Ideal allenfalls teilweise entspricht, und genau das dürfte der Grund sein, warum die priesterlichen Autoren eine übliche Praxis, die ursprünglich ebenso wenig etwas mit der Jhwh-Verehrung zu tun hatte wie der Regenbogen,54 zu einem Bundeszeichen auserkoren und Abraham seine Einführung aufgaben. Diese Adressaten sollten, wie es in Bezug auf Gott in Gen 9 beim Regenbogen ausgesagt ist, die Beschneidung als ein Erinnerungszeichen daran, den Bund zu halten, verstehen, auch wenn der Bund letztlich erst mit der Einhaltung der Tora seine äußere Form erhält. In Gen 17 werden mit der Beschneidung keineswegs weitere Personen in den Bund integriert, und es entsteht nicht im Rahmen der priesterlichen Theologie „eine abrahamitische Ökumene“55. Vielmehr wird die Beschnei53
Zur Intention von Gen 1 vgl. Heckl, Exposition, 28–31. Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund vgl. U. Rüterswörden, Dominium terrae. Studien zur Genese einer alttestamentlichen Vorstellung (BZAW 215), Berlin/New York 1993, 137–139. 55 Schmid, Ökumene, 85, meint, „dass die Priesterschrift den Abrahamkreis in einer Weise beschreibt, die – zwar anachronistisch, aber sachlich zutreffend – als ‚ökumenisch‘ bezeichnet werden kann.“ Hierbei handelt es sich um eine seit dem Ende des 20. Jh. relativ häufig vertretene These. Prominent wurde von A. de Pury, Abraham. The Priestly Writer’s „Ecumenical“ Ancestor, in: S. L. McKenzie/T. Römer (Hg.), Rethinking the Foundations. Historiography in the Ancient World and in the Bible. FS J. Van Seters (BZAW 294), Berlin/New York 2000, 163–181, hier 168, formuliert, dass der Bund zunächst nur Abraham und Ismael gelte. Eine sekundäre Ergänzung habe den noch nicht geborenen Isaak integriert (ebd., 169). Nach Wöhrle, Function, 80, dient die Zufügung des Beschneidungsthemas dazu „to integrate persons into the covenant, who do not belong to Abraham’s descendants.“ Eine weitere Hinzufügung habe mit den V. 23– 27 Ismael integriert: „Thus, Ishmael, too, has the sign of the covenant in his flesh.“ Ähnlich, aber ohne die Betonung von Überarbeitungen sieht Schmid, Ökumene, 75, in Gen 17 einen übergreifenden Bund intendiert, der zunächst Ismael umfasst. Ihm erscheint „die explizite Inklusion Isaaks in V. 19.21 mehr als geboten angesichts des Umstandes, dass er zum Zeitpunkt der Szene54
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dung der Israeliten und ihrer Nachbarvölker zum Zeichen für Israels Bund, was mit E. Blum nur für Israel relevant ist.56 Die priesterliche Theologie von Gen 17 ist also eine Form der Anknüpfungstheologie. Sie will die jüdischen Adressaten zur Einhaltung der Tora anleiten und diese für sie zu einem ebenso selbstverständlichen kulturellen Gut machen, wie es die Beschneidung ist. Die Beschneidung ist also nicht von Anfang an geforderter Gehorsam gegen den Bund. Vielmehr will man mit ihr eine kulturelle Anknüpfungsmöglichkeit und somit Trägerin57 („parcel“) für das Festhalten der Israeliten am Bund gewinnen. Es handelt sich um einen Bund ohne Kondition, „out of grace“, um die Begrifflichkeit von Krause noch einmal zu verwenden, denn er ist natürlich Geschenk, wie er es auch schon im älteren Bezugstext Gen 15 war. Unabhängig, ob und wie die intendierten Adressaten auf die an Abraham – der die Tora ja weder kennt noch praktiziert – gerichtete Aufforderung, den Bund zu bewahren, reagieren, sollen sie an der eigenen Beschneidung erkennen, dass sie bereits Teil des von Gott geschenkten unverbrüchlichen Bundes sind.58
rie von Gen 17 noch gar nicht geboren worden ist“ (ebd., 81). Dazu muss er freilich die an Gott gerichtete Bitte Abrahams in Gen 17,18 ignorieren, die im Zusammenspiel mit der nachfolgenden Gottesrede nur auf eine Einschränkung des Bundes auf Isaak schließen lässt. Zu der These in der Forschungsgeschichte vgl. ebd., 69–71. 56 Vgl. Blum, Vätergeschichte, 422 und oben das Zitat bei Anm.11. 57 M. Köckert, Abraham. Ahnvater – Vorbild – Kultstifter (Biblische Gestalten 31), Leipzig 2017, 126, wählte zuletzt entsprechend treffend nicht den Begriff „Zeichen“ für sie, sondern „Scheck“: „Dazu [zum Bund, R. H.] ordnet er in V. 9–14 die Beschneidung an. Sie begründet also weder den Bund noch die Verheißungen. Gott übergibt mit seinem Bund vielmehr einen Scheck. Insofern ist Gottes Bund bedingungslos. Der Scheck bringt freilich keinen Nutzen, wenn der Empfänger ihn nicht einlöst, indem er sich beschneiden lässt.“ Allerdings bezieht Köckert in die Deutung nicht ein, dass die Beschneidung von den priesterlichen Autoren gerade nicht als Innovation eingeführt wird. Wenn es sich „um einen uralten vorisraelitischen Brauch“ (so auch Köckert, ebd.) handelt, wird er von den Adressaten selbstverständlich praktiziert. Eher wäre in Köckerts Terminologie davon zu sprechen, dass der „Scheck“ durch die Bewahrung des Bundes eingelöst wird, d. h. dass die selbstverständliche Beschneidung erst durch die Bewahrung des Bundes ihre Zeichenwirkung entfaltet. Und das gilt sehr wahrscheinlich auch schon für die Praxis der Beschneidung von Neugeborenen. Gegen Köckert, Abraham, 128. 58 Diejenigen aber, die die Beschneidung aufgrund anderer kultureller Einflüsse im Kontext des Großreiches und darüber hinaus ablehnen, haben ihr Volk und damit den Bund nach Gen 17,14 bereits verlassen.
„Gebt mir einen Grabbesitz bei euch“ Zur Entstehung und Intention der Erzählung von Abrahams Grabkauf in Genesis 23 Jakob Wöhrle
In Gen 23 wird erzählt, wie Abraham nach dem Tod seiner Frau Sarah in Hebron ein Grab kauft. Hierfür wendet sich Abraham an die Hetiter und bittet um eine Grabhöhle, die sich im Besitz des Ephron befindet. Nach längerer Verhandlung kauft Abraham das Grab und bestattet dort seine Tote. Die so skizzierte Erzählung wurde in der alttestamentlichen Forschung häufig behandelt.1 Doch bis heute sind die Entstehung dieser Erzählung – deren literarische Zuordnung und Datierung –, aber auch und vor allem die Intention dieser Erzählung hoch umstritten. Im Folgenden soll die in Gen 23 belegte Erzählung von Abrahams Grabkauf daher nochmals aufs Neue behandelt werden. Es wird zunächst der Entstehung der Erzählung nachgegangen. Zur Erhellung des historischen Hintergrunds wird sodann die Situation in und um Hebron in persischer Zeit betrachtet. Schließlich wird nach der Intention der Erzählung von Abrahams Grabkauf gefragt. Gewidmet sei dieser Aufsatz Erhard Blum, dem verehrten Kollegen und Vorgänger in Tübingen. Im Werk von Erhard Blum ist die Frage nach der Entstehung und Intention der Vätergeschichte stets von besonderer Bedeutung gewesen, ja, er hat wie wohl kein anderer in den vergangenen Jahrzehnten die Forschung zu diesem Textbereich vorangetrieben und auf ein ganz neues Niveau gebracht.2 So hoffe ich, dass ihm die folgenden Überlegungen eine kleine Freude bereiten. 1 Für einen ersten Überblick über die bisherige Forschung zur Entstehung und Intention der Erzählung von Abrahams Grabkauf vgl. etwa C. Levin, Abraham erwirbt seine Grablege (Genesis 23), in: R. Achenbach/M. Arneth (Hg.), „Gerechtigkeit und Recht zu üben“ (Gen 18,19). Studien zur altorientalischen und biblischen Rechtsgeschichte, zur Religionsgeschichte und zur Religionssoziologie, FS E. Otto (BZAR 13), Wiesbaden 2009, 96–113, bes. 96–97, sowie F. Stavrakopoulou, Land of our Fathers. The Roles of Ancestor Veneration in Biblical Land Claims (LHB 473), New York/London 2010. 2 Vgl. nur seine epochale Dissertation E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte (WMANT 57), Neukirchen-Vluyn 1984.
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I. Zur Entstehung von Genesis 23 Die in Gen 23 belegte Erzählung von Abrahams Grabkauf wird klassischerweise und teils bis in die neueste Forschung hinein den priesterlichen Passagen des Pentateuch zugeschrieben.3 Für eine solche Zuweisung wird insbesondere auf inhaltliche und terminologische Gemeinsamkeiten zwischen der hier belegten Erzählung und anderen priesterlichen Passagen verwiesen. So wird in Gen 23 der Tod der Sarah über ihr Lebensalter datiert, was sich – teils mit vergleichbarer Formulierung – in den priesterlichen Passagen der Vätergeschichte auch an anderen Stellen findet.4 In Gen 23,2.19 steht die v. a. in den priesterlichen Passagen der Vätergeschichte belegte Bezeichnung des Landes als ארץ כנען.5 In Gen 23,2 wird Hebron als קרית ארבעbezeichnet, was so nur noch in dem priesterlichen Vers Gen 35,7 belegt ist. Die in Gen 23,3.5.7.10.16.18.20 belegte Bezeichnung der Bewohner des Landes als בני חתerinnert an die in den priesterlichen Versen Gen 26,34; 36,2 belegte Bezeichnung חתי. Sodann wird die Selbstbeschreibung Abrahams als גר ותוׁשבin Gen 23,4 häufig mit der im Rahmen der priesterlichen Fassung des Abrahambundes in Gen 17,8 belegten Beschreibung des Landes als ארץ מגוריםin Verbindung gebracht. Und schließlich erinnert nach gängiger Sicht die in Gen 23,4.9.20 belegte Bezeichnung der Grabhöhle als אחזת קברan die im Rahmen des Abrahambundes in Gen 17,8 belegte Bezeichnung des verheißenen Landes als אחזת עולם. Gerade in neuerer Zeit mehren sich nun aber die Stimmen, die sich trotz der genannten Beobachtungen gegen eine Zuweisung von Gen 23 zu den priester-
3 Vgl. nur T. Nöldeke, Untersuchungen zur Kritik des Alten Testaments, Kiel 1869, 23; J. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, Berlin 41963, 15; H. Gunkel, Genesis (HK 1,1), Göttingen 31910, 273; M. Noth, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart 1948, 10; G. von Rad, Das erste Buch Mose. Genesis (ATD 2–4), Göttingen 101976, 196; C. Westermann, Genesis, Bd.2: Genesis 12–36 (BK 1/2), Neukirchen-Vluyn 1981, 456, sowie in neuerer Zeit etwa J. Van Seters, Abraham in History and Tradition, New Haven/London 1975, 293; T. Pola, Die ursprüngliche Priesterschrift. Beobachtungen zur Literarkritik und Traditionsgeschichte von Pg (WMANT 70), NeukirchenVluyn 1995, 308–309; H. Seebass, Genesis, Bd. II,2: Vätergeschichte II (23,1–36,43), Neukirchen-Vluyn 1999, 232–233; J. Blenkinsopp, Abraham as Paradigm in the Priestly History in Genesis, JBL 128 (2009) 239–240; A. de Pury, Le tombeau des Abrahamides d’Hébron et sa fonction au début de l’époque perse, in: Ders., Die Patriarchen und die Priesterschrift/Les Patriarches et le document sacerdotal, hg. von J.‑D. Macchi u. a. (AThANT 99), Zürich 2010, 217–218; I. Finkelstein/T. Römer, Comments on the Historical Background of the Abraham Narrative, HeBAI 3 (2014) 3–23, hier 20. 4 Vgl. Gen 25,7–8.17; 35,28–29. 5 Die Bezeichnung ארץ כנעןsteht in den priesterlichen Versen Gen 11,31; 12,5; 13,12; 16,3; 17,8; 31,18; 33,18; 35,6; 36,5–6; 37,1; 46,6; 48,3.7. In den Abraham- und Jakoberzählungen findet sich die Bezeichnung sogar nur an den genannten Stellen. Lediglich in der Josefgeschichte ist ארץ כנעןauch in nichtpriesterlichen Texten belegt; vgl. Gen 42,5.7.13.29.32; 44,8; 45,17.25; 46,12.31; 47,1.4.13.14.15; 49,30; 50,5.13.
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lichen Passagen aussprechen.6 Hierfür wird v. a. darauf verwiesen, dass sich die Erzählung auf inhaltlicher Ebene nur schwer mit den priesterlichen Passagen der Vätergeschichte in Verbindung bringen lässt. So wird Abraham in dem priesterlichen Vers Gen 17,8 der Besitz des gesamten Landes Kanaan verheißen. Ja, in Gen 28,4; 35,12 wird sogar (im Perfekt!) vermerkt, dass Abraham das Land zum Besitz erhalten hat. Hierzu passt dann aber die in Gen 23 belegte Vorstellung, dass Abraham eine kleine Parzelle Land per Kauf erwirbt, nur schlecht. Mit Blick auf die literarische Zuweisung von Gen 23 ist nun zunächst – über die gängige Forschung hinaus – zwischen der in Gen 23,1–2 belegten Notiz über den Tod der Sarah und der darauf in Gen 23,3–20 belegten Erzählung über den Kauf der Grabstelle zu differenzieren.7 Zu beachten ist nämlich, dass sich wirklich markante Verbindungen zu anderen priesterlichen Passagen nur bei der Todesnotiz in Gen 23,1–2 finden. Die hier belegte Datierung über das Lebensalter der Sarah, die Bezeichnung Hebrons als קרית ארבעsowie die Bezeichnung des Landes als ארץ כנעןsprechen sehr deutlich dafür, dass diese Notiz tatsächlich den priesterlichen Passagen der Vätergeschichte zuzuweisen ist. Die in der folgenden Erzählung vom Grabkauf in Gen 23,3–20 aufgezeigten Verbindungen zu den priesterlichen Passagen des Pentateuch sind dagegen weit weniger markant. So ist beachtenswert, dass die in Gen 23,3.5.7.10.16.18.20 belegte Bezeichnung בני חתim gesamten Alten Testament nur hier belegt ist; die sicherlich den priesterlichen Passagen zuzuweisenden Verse Gen 26,34; 36,2 verwenden dagegen die ganz übliche Bezeichnung חתי. Für die Selbstbeschreibung Abrahams als גר ותוׁשבin Gen 23,4 finden sich sodann keine Parallelen in klassisch priesterlichen Texten, schon gar nicht in den priesterlichen Texten der Vätergeschichte, sondern nur in den wohl als spätpriesterlich aufzufassenden Texten Lev 25,23.35.47; Num 35,15.8 Schließlich kann die Beschreibung der 6 So schon B. D. Eerdmans, Alttestamentliche Studien, Bd.1: Die Komposition der Genesis, Gießen 1908, 20–21; R. Smend (sen.), Die Erzählung des Hexateuch. Auf ihre Quellen untersucht, Berlin 1912, 10–11; P. Volz, P ist kein Erzähler, in: Ders. / W. Rudolph (Hg.), Der Elohist als Erzähler. Ein Irrweg der Pentateuchkritik. An der Genesis erläutert (BZAW 63), Gießen 1933, 139–140, und in der neueren Forschung R. Rendtorff, Das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch (BZAW 147), Berlin/New York 1977, 128–130; Blum, Komposition, 441–446; I. Knohl, The Sanctuary of Silence. The Priestly Torah and the Holiness School, Minneapolis 1995, 103; D. M. Carr, Reading the Fractures of Genesis. Historical and Literary Approaches, Louisville 1996, 111–112; R. G. Kratz, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments. Grundwissen der Bibelkritik (UTB 2157), Göttingen 2000, 241; M. G. Brett, The Priestly Dissemination of Abraham, HeBAI 3 (2014) 87–107, hier 97; M. Köckert, Abraham. Ahnvater – Vorbild – Kultstifter (Biblische Gestalten 31), Leipzig 2017, 241. 7 Vgl. zum Folgenden auch J. Wöhrle, Fremdlinge im eigenen Land. Zur Entstehung und Intention der priesterlichen Passagen der Vätergeschichte (FRLANT 246), Göttingen 2012, 58– 63. 8 Beachtenswert ist zudem, dass das „Fremdlings-Sein“ von Abraham und seinen Nachkommen in den priesterlichen Passagen der Vätergeschichte mit dem Nomen מגורund dem Verb גור, nicht aber wie hier in Gen 23,4 mit dem Nomen גרzum Ausdruck gebracht wird. Der Begriff תוׁשבist in der gesamten Vätergeschichte überhaupt nur hier in Gen 23,4 belegt. Die For-
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Grabhöhle als אחזת קבר – angesichts der zahlreichen Belege des Terminus אחזה im Alten Testament9 und angesichts der doch sehr spezifischen Formulierung אחזת עולםin der priesterlichen Landverheißung Gen 17,8 – ebenfalls kaum als Argument für die Zuweisung der Erzählung vom Grabkauf zu den priesterlichen Passagen angesehen werden. Als wirklich markante priesterliche Formulierung findet sich in Gen 23,3–20 somit nur die Bezeichnung des Landes als ארץ כנעןin Gen 23,19, was sich aber ohne weiteres als Aufnahme aus Gen 23,2 erklären lässt. Aber mehr noch: Die Notiz über den Tod der Sarah in Gen 23,1–2 und die Erzählung vom Grabkauf in Gen 23,3–20 unterscheiden sich nicht nur dadurch, dass nur die erstere von priesterlicher Terminologie geprägt ist. Es zeigt sich zudem auch eine markante inhaltliche Differenz zwischen diesen beiden Passagen. So steht im Rahmen der Todesnotiz in Gen 23,2 die Ortsangabe קרית ארבע הוא חברון. In der Erzählung vom Grabkauf steht aber in Gen 23,17 die Ortsangabe ממרא, die dann in 23,19 ihrerseits mit חברוןgleichgesetzt wird. Die Todesnotiz in Gen 23,1–2 und die Erzählung vom Grabkauf in Gen 23,3–20 unterscheiden sich also in der konkreten Bezeichnung des Ortes, an dem Sarah gestorben ist bzw. begraben wird. Schon die genannten Beobachtungen sprechen somit sehr deutlich dafür, dass nur die Notiz über den Tod der Sarah in Gen 23,1–2, nicht aber die folgende Erzählung von Abrahams Grabkauf in Gen 23,3–20 den priesterlichen Passagen der Vätergeschichte zuzuweisen ist.10 Und diese Annahme lässt sich sogar noch erhärten, nimmt man die in Gen 25,9–10; 49,29–32; 50,13 belegten Rückverweise auf den Grabkauf hinzu. So ist zunächst zu beachten, dass sich solche Rückverweise nur bei Abraham (Gen 25,9–10) und bei Jakob (Gen 49,29–32; 50,13) finden. Bei Isaak fehlt ein entsprechender Vermerk, dass er in der Höhle Machpela begraben wurde. Zu beachten ist dabei, dass die Notiz über den Tod des Isaak in Gen 35,29 ja zweifellos den priesterlichen Passagen der Vätergeschichte zugehört. Wenn also die genannten Rückverweise auf den Grabkauf in 25,9–10; 49,29–32; 50,13 ebenfalls auf die Autoren der priesterlichen Passagen zurückgehen sollten, so wäre kaum zu erklären, warum diese nicht auch bei ihrer Notiz über den Tod des Isaak einen solchen Vermerk über die Beisetzung in der Höhle Machpela angebracht haben.11 mulierung גר ותוׁשבkann somit keinesfalls als Argument für die Zuweisung der Erzählung vom Grabkauf zu den priesterlichen Passagen der Vätergeschichte gelten. 9 Der Begriff אחזהist im Alten Testament 66 Mal belegt und findet sich auch jenseits des Pentateuch an zahlreichen Stellen (Jos 21,12.41; 22,4.9.19; Ez 44,28; 45,5.6.7.8; 46,16.18; 48,20.21.22; Ps 2,8; Neh 11,3; 1 Chr 7,28; 9,2; 2 Chr 11,14; 31,1). 10 So bislang v. a. Levin, Abraham, 98. Dass Gen 23,1–2, nicht aber Gen 23,3–20 den priesterlichen Passagen des Pentateuch zuzuweisen ist, wurde sodann – allerdings ohne weitere Begründung – auch schon von E. A. Speiser, Genesis. A New Translation with Introduction and Commentary (AncB 1), New Haven/London 1964, 173, vermutet. 11 So auch schon Eerdmans, Studien I, 21; Rendtorff, Problem, 135; Blum, Komposition, 445; Carr, Fractures, 111–112.
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Hinzu kommt schließlich eine bislang stets übersehene inhaltliche Differenz zwischen den priesterlichen Passagen der Vätergeschichte und den genannten Rückverweisen auf den Grabkauf. So haben nach dem priesterlichen Vers Gen 35,29 Jakob und Esau ihren Vater Isaak begraben. Im Rahmen der Rückverweise auf den Grabkauf findet sich dann aber in Gen 49,31 eine kurze Rede des Jakob, nach der „sie“ – also eine nicht näher spezifizierte, von Jakob selbst aber zu unterscheidende Gruppe von Personen – Isaak in der Höhle von Machpela beigesetzt haben. Dies spricht doch aber endgültig dagegen, dass die am Kauf der Höhle Machpela orientierten Texte, also die eigentliche Erzählung vom Grabkauf in Gen 23,3–20 sowie die genannten Rückverweise in Gen 25,9–10; 49,29–32; 50,13, den priesterlichen Passagen zuzuschreiben sind. Wenn nun aber nur die Todesnotiz in Gen 23,1–2, nicht jedoch die folgende Erzählung vom Grabkauf in Gen 23,3–20 den priesterlichen Passagen des Pentateuch zuzuweisen sind, so hat dies bedeutende Konsequenzen für die literarische und historische Einordnung der Erzählung vom Grabkauf. Da die Erzählung in Gen 23,3–20 die vorangehende priesterliche Todesnotiz in 23,1–2 voraussetzt, handelt es sich definitiv um einen nachpriesterlichen Text. Aber mehr noch: Da die Erzählung mit der hier in 23,4 belegten Selbstbezeichnung Abrahams als גר ותוׁשבeine markante Formulierung verwendet, die sich sonst nur im Heiligkeitsgesetz in Lev 25,23.35.47 sowie in dem späten priesterlichen Text Num 35,15 findet, kann auch die Erzählung vom Grabkauf als solch ein spätpriesterlicher Text aufgefasst werden. Ja, die Erzählung vom Grabkauf kann dann mit späten literarischen Prozessen im Pentateuch in Verbindung gebracht werden, die in der neueren Forschung im Anschluss an Israel Knohl – aufgrund der Nähe zum Heiligkeitsgesetz – gerne als Produkt einer spätpriesterlichen „holiness school“ bzw. „holiness redaction“ angesehen werden.12 Da nach gängiger Sicht schon die priesterlichen Passagen des Pentateuch frühestens in die fortgeschrittene Exils zeit, wahrscheinlicher aber noch in die frühe persische Zeit zu datieren sind,13 stammt die Erzählung vom Grabkauf in Gen 23,3–20 somit bereits aus der fortgeschrittenen persischen Zeit. In Gen 23 ist also nur die Notiz über den Tod der Sarah in Gen 23,1–2 den priesterlichen Passagen des Pentateuch zuzuweisen. Die eigentliche Erzählung vom Kauf der Grabhöhle geht dagegen auf eine spätere, mit der „holiness school“ in Verbindung stehende und bereits in die fortgeschrittene persische Zeit zu datierende Bearbeitung zurück. Vor diesem Hintergrund ist nun auf die Gegebenheiten in und um Hebron in persischer Zeit einzugehen. 12 Vgl. hierzu Knohl, Sanctuary. Schon Knohl selbst hat – insbesondere aufgrund der markanten Formulierung גר ותוׁשב – Gen 23 der „holiness school“ zugeschrieben (ebd., 103 mit Anm.150). Eine solche Zuweisung vertritt sodann auch Brett, Dissemination, 97. 13 Zur Datierung der priesterlichen Passagen des Pentateuch vgl. Wöhrle, Fremdlinge, 160–163.
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II. Hebron in persischer Zeit Das antike Hebron weist eine Jahrtausende überdauernde Siedlungsgeschichte auf.14 Auf dem Tell er-Rumeide, dem ursprünglichen Ort der Stadt, finden sich Siedlungsspuren, die bis in die Frühbronzezeit zurückgehen und dann mindestens bis ans Ende der Eisenzeit reichen. Spätestens in hellenistisch-römischer Zeit wurde die Stadt von dort näher an den Talgrund, auf das Gebiet des heutigen Hebron, verlegt. Nach biblischer Darstellung wurde Hebron und sein Umland von David, zunächst sogar als Sitz seiner Residenz, in das von ihm geschaffene Reich integriert (2 Sam 2,1–4.11). Hebron gehörte wohl über die gesamte Königszeit hinweg zu Juda. Dies belegen mittlerweile auch die mehr als 500 lmlk-Stempelabdrücke mit dem Ortsnamen Hebron.15 Umstritten – aber für den vorliegenden Zusammenhang von besonderer Bedeutung – ist die Situation in und um Hebron in babylonischer und persischer Zeit.16 Klar belegt ist, dass Hebron spätestens in hellenistischer Zeit zur Provinz Idumäa gehörte. So steht in 1 Makk 5,65, dass die Hasmonäer Hebron und sein Umland von den „Söhnen Esaus“, also den Edomitern, erobert und in ihr Reich integriert haben. Eine vergleichbare Notiz findet sich auch bei Josephus.17 Die entscheidende Frage ist dann aber, wann und unter welchen Umständen die Judäer das Gebiet um Hebron an die Edomiter verloren haben. In der älteren, teils aber auch noch in der neueren Forschung wurde im Anschluss an Jer 13,19 gerne angenommen, dass die Babylonier unter Nebukadnezar bereits im Rahmen der Strafaktion von 597 das Südland von Juda abgetrennt haben.18 Die so frei gewordenen Gebiete wären dann von den Edomitern in Be14 Zur Siedlungsgeschichte Hebrons vgl. nur A. Ofer, Art. Hebron, NEAEHL 2, 1993, 606– 609; J. R. Chadwick, Hebron, in: D. M. Master (Hg.), The Oxford Encyclopedia of the Bible and Archaeology, Bd.1, Oxford/New York 2013, 485–490; Ders., Art. Hebron (Place), EBR 11, 2015, 694–697; D. Jericke, Art. Hebron, Wibilex, 2016, 4. 15 Vgl. hierzu D. Jericke, Abraham in Mamre. Historische und exegetische Studien zur Region von Hebron und zu Genesis 11,27–19,38 (Culture and History of the Ancient Near East 17), Leiden 2013, 27–31; Ders., Art. Hebron, 4.3; zu den lmlk-Stempelabdrücken siehe auch die umfassenden Darlegungen und Übersichten bei A. G. Vaughn, Theology, History, and Archaeology in the Chronicler’s Account of Hezekiah (ABSt 4), Atlanta 1999, 81–219, und G. M. Grena, LMLK. A Mystery Belonging to the King, Redondo Beach 2004. 16 Vgl. zum Folgenden etwa J. R. Bartlett, Edom and the Fall of Jerusalem, PEQ 114/115 (1982/83) 13–24; Ders., Edomites and Idumaeans, PEQ 131 (1999) 102–114; D. V. Edelman, Edom: A Historical Geography, in: Dies. (Hg.), You Shall not Abhor an Edomite for He Is Your Brother. Edom and Seir in History and Tradition (ABSt 3), Atlanta 1995, 1–11; O. Lipschits, The Fall and Rise of Jerusalem. Judah under Babylonian Rule, Winona Lake 2005, 140–146.230–232; Jericke, Art. Hebron, 4.5. 17 Jos. Ant. 12, 353. 18 So im Anschluss an A. Alt, Judas Gaue unter Josia, in: Ders., Kleine Schriften zur Geschichte des Volkes Israel, Bd.2, München 1953, 276–288, hier 280–281, etwa M. Noth, Geschichte Israels, Göttingen 51963, 256; H. Donner, Geschichte des Volkes Israel und seiner
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sitz genommen worden. Nach dieser Sicht wäre also von einem klar markierten historischen Einschnitt mit Blick auf die Besitzverhältnisse im Süden und so auch in Hebron auszugehen. Ab Ende der Königszeit wären diese Gebiete im Besitz der Edomiter. Eine solche Sicht, so zeigt sich in neuerer Zeit mit zunehmender Deutlichkeit, ist aber vereinfachend.19 So belegen schriftliche und archäologische Quellen, dass ab der späten Königszeit – in einem längeren Prozess – edomitische und arabische Gruppen in den Süden Judas eindrangen und sich dort ansiedelten. Die Arad-Ostraka, aber auch die Befunde in Horvat ῾Uza oder Horvat Qitmit ˙ ˙ zeigen bereits für das späte 7. Jh. die Präsenz von Edomitern im Süden Judas.20 Im Laufe der babylonischen und persischen Zeit stellen edomitische und arabische Gruppen, wie insbesondere das Onomastikon der aus dieser Zeit stammenden Ostraka zeigt, dann den überwiegenden Teil der hier lebenden Bevölkerung.21 Bedeutend ist aber, dass sich im Negeb in babylonischer und persischer Zeit auch weiterhin, wenngleich in geringer Zahl, Judäer aufhalten. Dies zeigt wiederum das Onomastikon der hier gefundenen Ostraka.22 Dies zeigt sodann aber auch die in Neh 11,25–30 belegte Liste, in der Orte jenseits des Gebiets der Provinz Jehud aufgezählt werden, an denen Judäer wohnen.23 Dabei wird in Neh 11,25 sogar eigens auch Kirjat Arba, also Hebron, erwähnt. Im Süden Judas und so auch in und um Hebron ist somit ein prozesshaft von der späten Königszeit bis zur persischen Zeit verlaufener Wandel der hier ansässigen Bevölkerung zu beobachten. Der Anteil an edomitischen und arabischen Gruppen in dieser Region nimmt immer mehr zu. Der Anteil an Judäern geht deutlich zurück. Grund für diese Veränderung der im Südland ansässigen Bevölkerungsgruppen dürfte ein doppelter sein. So ist zum einen davon auszugehen, dass nach Ende der staatlichen Existenz Judas die südlichen Grenzen nicht mehr ausreiNachbarn in Grundzügen, Bd.2: Von der Königszeit bis zu Alexander dem Großen (GAT 4,2), Göttingen 21995, 407, u. a. 19 Siehe hierzu insbesondere Bartlett, Edomites, 102–106; Lipschits, Fall, 140–146. 20 Vgl. hierzu Arad-Ostraka 24 und 40 (Y. Aharoni, Arad Inscriptions [JDS], Jerusalem 1981, 46–49.70–74); zur Datierung des Arad-Ostrakon 40 vgl. etwa N. Na’aman, Ostracon 40 from Arad Reconsidered, in: C. G. den Hertog u. a. (Hg.), Saxa Loquentur. Studien zur Archäologie Palästinas/Israels, FS V. Fritz (AOAT 302), Münster 2002, 199–204. Zu den Befunden in Horvat ῾Uza und Horvat Qitmit vgl. I. Beit-Arieh, New Data on the Relationship between ˙ the End of the Iron Age, in: S. Gitin/W. G. Dever (Hg.), Recent Ex˙ and Edom toward Judah cavations in Israel. Studies in Iron Age Archaeology (AASOR 49), Winona Lake 1989, 125–131. 21 Vgl. I. Eph῾al, Changes in Palestine during the Persian Period in Light of Epigraphic Sources, IEJ 48 (1998) 106–119, hier 110–111; Bartlett, Edomites, 106. 22 Vgl. Lipschits, Fall, 146. 23 Zu Neh 11,25–30 vgl. etwa J. M. Myers, Ezra–Nehemiah (AncB 14), New York u. a.1965, 189–192; J. Blenkinsopp, Ezra–Nehemiah (OTL), London 1989, 327–331; K.‑D. Schunck, Nehemia (BK 23,2), Neukirchen-Vluyn 2009, 332–334.
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chend gesichert werden konnten und eben deshalb fremde Bevölkerungselemente in diese Gebiete eindrangen.24 Hinzu kommt, wie eine neue Studie von Dafna Langgut und Oded Lipschits zeigt, wohl noch ein weiterer Grund.25 Anhand von Pollenanalysen weisen sie nach, dass die südliche Levante am Übergang vom 6. zum 5. Jh. – etwa in den Jahren von 520 bis 450 – von einer langanhaltenden Dürreperiode betroffen war. Die Auswirkungen dieser Dürreperiode trafen dabei gerade das Südland schwer, da in dieser Übergangszone zwischen den regenreicheren Gebieten im Bergland sowie den zum Meer hin gelegenen Ebenen im Norden und der Wüste im Süden schon kleinere Rückgänge in den Niederschlagsmengen ein ertragreiches agrarisches Handeln in Frage stellten. Eine langanhaltende Dürreperiode dürfte deshalb dazu geführt haben, dass diese Gebiete von den angestammten Judäern aufgegeben wurden und diese sich in ertragreichere Regionen im Norden zurückzogen. Und eben dieser Rückzug der angestammten Bevölkerung dürfte dann dazu geführt haben, dass sich neue Bevölkerungsgruppen in dieser Region niederließen. Die zwischen der späten Königszeit und der persischen Zeit erkennbare Veränderung der im Süden und so auch in und um Hebron lebenden Bevölkerungsgruppen kann also nicht, wie in der älteren Forschung noch ganz üblich, als fremde, geradezu feindliche Übernahme dieser Gebiete durch edomitische und arabische Gruppen erklärt werden. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass zum einen der Untergang Judas, zum anderen und vor allem aber eine langanhaltende Dürreperiode und somit wirtschaftliche Gründe dazu führten, dass die hier ansässigen Judäer freiwillig ihre Gebiete verließen, die dann von edomitischen und arabischen Gruppen übernommen wurden.
III. Zur Intention von Genesis 23 Die Intention der in Gen 23 belegten Erzählung von Abrahams Grabkauf ist ausgesprochen umstritten. Auf Grundlage der klassischen Zuweisung zu den priesterlichen Passagen des Pentateuch wurde die Erzählung in der älteren Forschung, teils aber auch noch in neuerer Zeit, gerne so gedeutet, dass Abrahams Grabkauf als teilweise Erfüllung der priesterlichen Landverheißung aus Gen 17,8 zu lesen ist.26 Die von Abraham erworbene Grabhöhle wird so geradezu als Unterpfand der noch ausstehenden Inbesitznahme des gesamten Landes verstan24
So insbesondere Lipschits, Fall, 140–146. D. Langgut/O. Lipschits, Dry Climate during the Early Persian Period and Its Impact on the Establishment of Idumea, TrEu 49 (2017) 135–165. 26 Vgl. etwa Nöldeke, Untersuchungen, 23; J. Wellhausen, Prolegomena zur Geschichte Israels, Berlin 61905, 337; von Rad, Erste Buch Mose, 199, sowie in neuerer Zeit noch Pola, Priesterschrift, 308–309, oder J.‑L. Ska, Essay on the Nature and Meaning of the Abraham Cy25 Vgl.
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den. Gegen diese Deutung wurde aber mit Recht schon mehrfach eingewandt, dass der Kauf einer kleinen Parzelle Land doch nicht als Erfüllung, auch nicht als teilweise Erfüllung, der von Gott zugesagten Übereignung des Landes angesehen werden kann.27 Eine andere, ebenfalls recht häufig vorgetragene Deutung berücksichtigt, dass Abraham ein Grab kauft, in dem nicht nur Sarah, sondern nach der weiteren Vätergeschichte auch Abraham selbst sowie Isaak und Jakob beigesetzt werden. Vor diesem Hintergrund wird die in Gen 23 belegte Erzählung vom Grabkauf dann als Ätiologie eines an der Grabstelle bestehenden Kultortes zur Verehrung oder zum Gedächtnis der Väter gelesen.28 An dieser Sicht auf die Erzählung vom Grabkauf ist nun aber problematisch, dass nichts in der Erzählung selbst oder im weiteren Verlauf der Vätergeschichte darauf hindeutet, dass die Grabstelle als Ort der Ahnenverehrung genutzt wurde.29 Wieder andere Ansätze nehmen ernst, dass in der Erzählung der Kauf eines Stücks Land dargestellt wird. Vor dem Hintergrund der späten, mindestens exilischen, wenn nicht nachexilischen Entstehung des Texts wird dann angenommen, dass mit der in Hebron verorteten Erzählung Gebietsansprüche der Judäer auf zwischenzeitlich an die Edomiter gefallene Gebiete dokumentiert werden sollen, und zwar entweder – ganz allgemein – auf das verlorene Südland Judas oder aber – konkreter – auf das Gebiet der dann wieder als Kultort verstandenen Grabstätte der Väter.30 Dieser Ansatz wird der Erzählung, die ja tatsächlich sehr ausführlich den Kauf eines Stücks Land beschreibt, schon eher gerecht. Doch letztlich bleiben auch bei diesem Ansatz die bei den vorangehenden Deutungen genannten Probleme. Denn auch bei diesem Ansatz wird doch entweder der Kauf der Grabstätte, gewissermaßen pars pro toto, als Zeichen des Anspruchs auf das gesamte (Süd-)Land gelesen. Oder aber die Grabstätte wird wieder als Ort der Ahnenverehrung gedeutet. Beides wird dem vorliegenden Text aber kaum gerecht. cle (Gen 11:29–25:11), in: Ders., The Exegesis of the Pentateuch. Exegetical Studies and Basic Questions (FAT 66), Tübingen 2009, 23–45, hier 30–31. 27 So bereits Gunkel, Genesis, 273; B. Jacob, Das Buch Genesis, Stuttgart (1934) 2000, 512; siehe sodann auch Blum, Komposition, 443: „Sollte man im Ernst annehmen, daß sich die von Gott zugesprochene Übereignung des ganzen Landes zur אחזת עולםdamit zu verwirklichen beginnt, daß Abraham ein kleines Stück den Bewohnern erst für schweres Geld abkaufen muß?“ (Hervorhebung original). 28 Vgl. hierzu Jacob, Genesis, 512–513; N. M. Sarna, Genesis (JPSTC), Jerusalem 1989, 156; Seebass, Genesis II,2, 233–235; de Pury, Tombeau, 217–218; Stavrakopoulou, Land, 29–53. 29 Zur Kritik an dieser These vgl. besonders Van Seters, Abraham, 295; J. S. Bray, Genesis 23 – A Priestly Paradigm for Burial, JSOT 60 (1993) 69–73. 30 So bereits Smend (sen.), Erzählung, 10–11; J. Skinner, A Critical and Exegetical Commentary on Genesis (ICC), Edinburgh 21930, 339; Blum, Komposition, 443–444; P. Guillaume, “Beware of Foreskins”. The Priestly Writer as Matchmaker in Genesis 27,46–28,8, in: J.‑D. Macchi/T. Römer (Hg.), Jacob. Commentaire à plusieurs voix de Gen 25–36, FS A. de Pury, Genf 2001, 69–76, hier 73–74; Levin, Abraham, 113; Köckert, Abraham, 248.
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Über die bisherige Forschung hinaus ist nun zu beachten, dass mit der in Gen 23 belegten Erzählung von Abrahams Grabkauf ja nicht nur der Kauf und somit die Übereignung eines Stücks Land dokumentiert wird. Es wird hier auch ganz umfassend der Vorgang dieses Kaufs, Abrahams Auftreten vor und seine Verhandlung mit den Hetitern, dargestellt. Gerade die lange Verhandlung zwischen Abraham und den Hetitern, die ja den eigentlichen Kern der Erzählung ausmacht, kann doch nicht einfach – wie bisweilen etwas unsachlich vermerkt – als Ausdruck orientalischer Kultur abgetan werden.31 Die Verhandlung ist zum Verständnis der Erzählung vielmehr von ganz entscheidender Bedeutung. Bemerkenswert ist zunächst die in Gen 23,4 belegte Selbstvorstellung Abrahams: Ein Fremdling und ein Beisasse ( )גר ותוׁשבbin ich bei euch ()עמכם. Gebt mir einen Grabbesitz bei euch ()עמכם, damit ich meine Tote hinausbringe und begrabe.
In diesem Vers stellt sich Abraham im Gegenüber zu den Hetitern, und somit im Gegenüber zu den Angehörigen einer anderen Volksgruppe, als „Fremdling und Beisasse“ ( )גר ותוׁשבvor. Er beschreibt sich somit als einer, der zwar dauerhaft, aber doch als von außen hinzugekommener Fremder unter den hier ansässigen Bewohnern lebt. Eben dies wird durch das zweifache „bei euch“ ()עמכם noch unterstrichen. Das heißt doch aber, dass in der Erzählung vom Grabkauf Abraham als der Fremde, die Hetiter hingegen als die eigentliche, im Land ansässige Bevölkerung und somit auch als die legitimen Besitzer des von ihnen bewohnten Landes vorgestellt werden. Hinzu kommt, dass die Hetiter in der Erzählung gleich mehrfach als das „Volk des Landes“ ( )עם הארץbezeichnet werden (Gen 23,7.12.13). Auch dies stellt klar, dass eben sie die hier ansässigen und somit auch legitimen Bewohner des Landes sind. Vor diesem Hintergrund ist auch die folgende Aussage Abrahams in Gen 23,8–9 beachtenswert, mit der er die Hetiter darum bittet, dass sie bei Ephron dafür eintreten, ihm die Grabhöhle zu verkaufen: 8 Er sprach zu ihnen: Wenn es euch gefällt, dass ich meine Tote hinausbringe und begrabe,
dann hört auf mich und tretet für mich ein bei Ephron, dem Sohn des Zohar, 9 dass er mir die Höhle Machpela gebe, die ihm gehört ()אׁשר לו, die am Ende seines Feldes liegt. Für den vollen Preis ( )כסף מלאsoll er sie mir in eurer Mitte als Grabbesitz geben.
Bei der hier belegten Aussage ist zunächst interessant, dass Abraham eigens erwähnt, dass die Grabhöhle Ephron gehört ()אׁשר לו. Es wird also explizit betont, dass es sich bei der Grabhöhle um den Besitz Ephrons handelt. Damit wird doch aber, etwas allgemeiner gefasst, einmal mehr festgehalten, dass eben die Hetiter die legitimen Eigentümer des von ihnen bewohnten Landes sind. 31 Vgl.
etwa Gunkel, Genesis, 275: „Die Weitläufigkeit der ganzen Verhandlung ist dem Orientalen, der mehr Zeit hat als wir, nicht seltsam, sondern ganz natürlich.“
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Dazu passt, dass Abraham ganz selbstverständlich anbietet, ja, darauf besteht, dass er die Grabhöhle kaufen will. Aber mehr noch: Er betont von vornherein, dass er den „vollen Preis“ ( )כסף מלאfür das Grab bezahlen will. Nicht zuletzt aufgrund der an dieser Stelle belegten Rede vom „vollen Preis“ wurde die in Gen 23 belegte Erzählung vom Grabkauf schon häufiger mit mesopotamischen Rechtsurkunden, insbesondere mit den sogenannten „Zwiegesprächsurkunden“, in Verbindung gebracht.32 Bei den mesopotamischen Zwiegesprächsurkunden handelt es sich um (zumindest teilweise) in Dialogform gestaltete Verträge, die für verschiedene Vorgänge, darunter auch Kaufgeschäfte, verwandt wurden. Und in diesen Zwiegesprächsurkunden – wie in anderen Vertragsformen auch – wird nun häufig festgehalten, dass der „volle Preis“ für das verkaufte Gut bezahlt worden ist. Beachtenswert ist aber, dass in den Zwiegesprächsurkunden nicht schon zu Beginn, bei der Darstellung der Verhandlung über eine Sache, die Bezahlung des „vollen Preises“ erwähnt wird. Vielmehr wird erst am Ende dieser Urkunden vermerkt, dass der „volle Preis“ bezahlt worden ist, was dann den erfolgreichen Abschluss des Geschäfts dokumentiert.33 Dass nun in Gen 23, anders als in mesopotamischen Vertragsdokumenten wie den Zwiegesprächsurkunden, nicht erst am Ende, sondern schon zu Beginn, im Rahmen der Verhandlung, erwähnt wird, dass Abraham den „vollen Preis“ für das Feld bezahlen will, heißt doch aber, dass mit der hier belegten Erzählung eben nicht nur herausgestellt werden soll, dass Abraham die Grabstelle gekauft und so in seinen Besitz gebracht hat. Mit der gleich zu Beginn vorgebrachten Aussage, dass Abraham den „vollen Preis“ zahlen will, wird einmal mehr anerkannt und festgehalten, dass die Hetiter die legitimen Eigentümer des Landes sind, weshalb Abraham natürlich den „vollen Preis“ für die Grabstelle zu bezahlen hat. Und eben dies geschieht dann nach dem weiteren Verlauf der Erzählung auch. Ephron bietet Abraham zunächst an, die Grabhöhle umsonst zu nutzen, was dieser ablehnt (Gen 23,10–13). Den dann von Ephron genannten Preis – der mit 400 Schekel Silber wohl weit über den Wert der Grabhöhle und des mit ihr verkauften Feldes hinausgeht34 – ist Abraham umgehend zu bezahlen bereit (23,14–16). Und so kann am Ende der Erzählung festgestellt werden, dass das Feld mit der Grabhöhle vor den versammelten Hetitern von Ephron in den Besitz des Abraham übergegangen ist (23,17–20). 32 Vgl. etwa J. J. Rabinowitz, Neo-Babylonian Legal Documents and Jewish Law, JJP 13 (1961) 131–175; H. Petschow, Die neubabylonische Zwiegesprächsurkunde und Genesis 23, JCS 19 (1965) 103–120; R. Westbrook, Property and the Family in Biblical Law (JSOT.S 113), Sheffield 1991, 24–35; E. Sand, Two Dialogue Documents in the Bible. Genesis Chapter 23:3–18 and 1 Kings Chapter 5:15–25, ZAR 8 (2002) 88–130, hier 92–112. 33 Vgl. hierzu etwa den bei Petschow, Zwiegesprächsurkunde, 117, zitierten und mit Gen 23 verglichenen Kaufvertrag UET IV 27. 34 Vgl. hierzu etwa von Rad, Erste Buch Mose, 198; Westermann, Genesis II, 459; Köckert, Abraham, 245.
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Die in Gen 23 belegte Erzählung vom Grabkauf ist also nicht nur daran orientiert, die Übereignung des Grabes an Abraham zu dokumentieren. Die Erzählung kann deshalb auch nicht einfach so verstanden werden, dass mit ihr Besitzansprüche des späteren, von Abraham herkommenden Volkes auf das Südland im Allgemeinen oder auf das Ahnengrab im Besonderen festgehalten werden sollen. Derartige Deutungen lesen die Erzählung vom Grabkauf allein von ihrem Ende, von dem am Ende der Erzählung vermerkten Kauf des Grabes, her. Die Erzählung als Ganze, insbesondere die hier belegte Verhandlung zwischen Abraham und den Hetitern, stellt demgegenüber auf mehrfache Weise klar, dass das Grab, ja, letztlich das gesamte Gebiet um Hebron als legitimer Besitz der Hetiter und somit einer anderen, von Abraham und seinen Nachfahren zu unterscheidenden Volksgruppe anzusehen ist. Die Erzählung hält somit gerade nicht die Besitzansprüche des eigenen, von Abraham herkommenden Volkes fest. Im Gegenteil: Die Erzählung hält die Besitzansprüche einer anderen Bevölkerungsgruppe fest! Ja, die Erzählung hält fest, dass die Besitzrechte dieser anderen, in und um Hebron lebenden Bevölkerungsgruppe zu achten sind, weshalb schon die kleinste Parzelle Land in einem regulären Kaufverfahren erworben werden muss.35 Vor dem Hintergrund der zuvor beschriebenen Situation in und um Hebron zur fortgeschrittenen persischen Zeit erhält die in Gen 23 belegte Erzählung vom Grabkauf dann aber eine ganz besondere Brisanz. Denn mit der Erzählung wird doch am Gegenüber von Abraham und den Hetitern letztlich nichts anderes herausgestellt, als dass die Gebiete im Südland – die von den Judäern vermutlich freiwillig, aufgrund einer längeren Dürrenot, aufgegeben wurden und dann von fremden, edomitischen und arabischen Bevölkerungsgruppen in Besitz genommen wurden – nun dauerhaft in den Besitz dieser neu hier angesiedelten Bevölkerungsgruppen übergegangen sind. Die Judäer, die noch in diesem Gebiet leben oder sich hier – vielleicht nach Ende der Dürrephase – neu ansiedeln wollen, 35 In der bisherigen Forschung hat insbesondere Brett, Dissemination, 97–98, gesehen, dass bei der in Gen 23 belegten Erzählung der hier geschilderte Vorgang des Landkaufs von entscheidender Bedeutung ist. Ja, Brett hat sogar gesehen, dass hier am Gegenüber von Abraham und den Hetitern herausgestellt werden soll, dass auch Fremde das Recht haben, eigenes Land zu besitzen. Doch geht Brett davon aus, dass Abraham, der sich ja als „Fremdling und Beisasse“ vorstellt, hier gewissermaßen als der exemplarische Fremde erscheint, an dessen Person den Angehörigen des späteren Volkes vorgeführt wird, dass auch Fremde Land erwerben können. So meint Brett: „It seems that H has adopted no lesser person than Abraham to assert that it is indeed possible for a non-Israelite to purchase an אחזה.“ (ebd., 97). Diese letzte Überlegung dürfte der Erzählung aufgrund der inhaltlichen Anlage der Vätergeschichte jedoch eher nicht gerecht werden. Denn in der Vätergeschichte werden die Väter doch konsequent als Ahnherrn des eigenen Volkes vorgestellt und stehen so auch beispiel- und vorbildhaft für das Tun und Ergehen der Angehörigen des eigenen Volkes. Wahrscheinlicher dürfte also sein, dass in Gen 23 nicht anhand der Person des Abraham, sondern anhand der Hetiter – die ja konsequent als legitime Eigentümer des Landes erscheinen – für die Besitzrechte von Angehörigen anderer Bevölkerungsgruppen eingetreten wird.
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haben keine besonderen Rechte mehr an diesem Gebiet. Wollen sie Teile dieses Gebiets wieder in ihren Besitz bringen, so haben sie dies der zwischenzeitlich hier ansässig gewordenen Bevölkerung abzukaufen. Die spätpriesterliche Erzählung von Abrahams Grabkauf ergänzt die werdende Vätergeschichte somit um einen neuen Aspekt. Auf den älteren Entstehungsstufen war die Vätergeschichte ja vor allem von der Verheißung des Landes in seiner Gesamtheit bestimmt. So wird am Beginn der – wohl noch unabhängig überlieferten – nichtpriesterlichen Vätergeschichte in Gen 12,6–9 dargestellt, wie Abraham das Land von Nord nach Süd, von Sichem über Bethel/Ai bis in den Süden, durchzieht und ihm daraufhin in Gen 13,14–17 das Land zugesagt wird.36 In den priesterlichen Passagen der Vätergeschichte wird Abraham und seinen Nachfahren in Gen 17,8 gar der Besitz des „gesamten Landes Kanaan“ (כל ארץ )כנעןverheißen. Mit der in Gen 23 ergänzten Erzählung von Abrahams Grabkauf wird dann erstmals dezidiert die Frage thematisiert, wie vor dem Hintergrund der Landverheißung mit den Besitzansprüchen anderer, in diesem Land lebender Bevölkerungsgruppen umzugehen ist. Die Erzählung hält fest, dass solche Besitzansprüche zu achten sind, so dass selbst das kleinste Stückchen Land, wie etwa ein Grab, nur durch Kauf in den eigenen Besitz gebracht werden kann.37
IV. Fazit Die Entstehung und Intention der in Gen 23 belegten Erzählung von Abrahams Grabkauf wurde in der bisherigen Forschung noch unzureichend bestimmt. Anders als häufig angenommen, ist nur die anfängliche Notiz über den Tod der Sarah in Gen 23,1–2 den priesterlichen Passagen des Pentateuch zuzuweisen. Die eigentliche Erzählung vom Grabkauf in Gen 23,3–20 ist demgegenüber einer spätpriesterlichen, wohl mit der „holiness school“ in Verbindung zu bringenden 36 Vgl. hierzu die grundlegenden Einsichten zur Komposition der nichtpriesterlichen Vätergeschichte von M. Köckert, Vätergott und Väterverheißungen. Eine Auseinandersetzung mit Albrecht Alt und seinen Erben (FRLANT 142), Göttingen 1988, 250–255. 37 Wie an anderer Stelle ausgeführt, wird schon in den priesterlichen Passagen der Vätergeschichte das Problem reflektiert, dass das Volk in einem auch von anderen Bevölkerungsgruppen bewohnten Land lebt; vgl. hierzu Wöhrle, The Un-Empty Land. The Concept of Exile and Land in P, in: E. Ben Zvi/C. Levin (Hg.), The Concept of Exile in Ancient Israel and Its Historical Contexts (BZAW 404), Berlin/New York 2010, 189–206; Ders., Fremdlinge, 189– 202.215–222. Dies zeigt sich etwa an der Rede vom „Land der Fremdlingschaft“ (Gen 17,8; 28,4; 36,7; 37,1), an der priesterlichen Bezeichnung des Landes als „Land Kanaan“ oder auch an dem in Gen 27,46–28,9 ausgeführten Verbot der Mischehe mit den „Töchtern des Landes“. Die spätpriesterliche Erzählung vom Grabkauf in Gen 23,3–18 geht nun aber insofern über die priesterlichen Texte hinaus, als hier eben explizit die Frage nach dem Besitzrecht solch anderer im Land lebender Bevölkerungsgruppen behandelt wird.
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Überarbeitung zuzuweisen, die dann schon in die fortgeschrittene persische Zeit zu datieren ist. In dieser Zeit wurde das Gebiet um Hebron vor allem von edomitischen und arabischen Gruppen bewohnt; Judäer lebten nur noch vereinzelt in dieser Region. Dies war aber nicht, wie lange Zeit angenommen, Folge einer feindlichen Übernahme dieser Gebiete. Vielmehr wurde das Südland Judas wohl am Beginn der persischen Zeit aufgrund einer längeren Dürreperiode von den Judäern freiwillig aufgegeben und ist so in den Besitz der nun vermehrt einrückenden edomitischen und arabischen Gruppen gekommen. Vor dem Hintergrund dieser neuen Situation sichert die in Gen 23 belegte Erzählung die Besitzrechte solch anderer, im Land ansässig gewordener Bevölkerungsgruppen. Die Erzählung hält fest, dass die Angehörigen solch anderer Bevölkerungsgruppen legitime Eigentümer ihres Landes sind. Trotz der in der Vätergeschichte belegten Landverheißung kann daher das eigene, von den Vätern herkommende Volk deren Land nicht einfach nehmen. Es kann dies allenfalls in einem regulären Kaufverfahren erwerben.
Die Traumerzählung Genesis 28 im Licht altorientalischer Tempeltheologie und Tempelbaunachrichten Matthias Köckert
Erhard Blum hat 1984 in seiner bahnbrechenden Untersuchung zur Komposition der Vätergeschichte eine eingehende Analyse der Betel-Erzählung Gen 28,10– 22 vorgelegt. Dort kam er zu dem Ergebnis, dass die in Gen 28 eingestellte ursprüngliche Traumerzählung aus dem gegenwärtigen Textbestand nur die Verse 11–13a1.16–19a, aber weder die verheißende Gottesrede (V. 13a2b–14.15) noch das Gelübde (V. 20–22) enthalten habe.1 Ihr älterer Anfang sei freilich in V. 10 durch die Einbindung in den gegenwärtigen Kontext ersetzt worden.2 Die Erzählung zielte also ursprünglich nicht wie die Gottesrede in all ihren Teilen auf das Geschick Jakobs und der Seinen, sondern auf die Begründung des Jhwh-Heiligtums in Betel mit der Entdeckung der Gegenwart Jhwhs an diesem heiligen Ort durch den Ahnvater Israels. Ihr Verständnis als Ätiologie eines Heiligtums lässt sich mit dem Traumbild und dessen Deutung auf dem Hintergrund altorientalischer Nachrichten zur Tempelsymbolik und zu Träumen anlässlich von Tempelbauten weiter erhärten. Daraus ergeben sich auch Gesichtspunkte für die Auseinandersetzung mit neueren Versuchen, die Erzählung historisch einzuordnen.3
1 E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte (WMANT 57), Neukirchen-Vluyn 1984, 7–35. Zur Auseinandersetzung mit den seitherigen Modifikationen, nicht zuletzt durch Blum selbst, s. M. Köckert, Was träumte Jakob in Gen 28? Möglichkeiten und Grenzen historischer Exegese, in: J. J. Krause/K. Weingart (Hg.), Exegetik des Alten Testaments. Bausteine für eine Theorie der Exegese (FAT II), Tübingen (im Erscheinen). 2 Man sehe nur die Rücksicht, die V. 10 auf den Aufenthalt der Familie Jakobs in Beerscheba (26,23–33) und auf Jakobs Reiseziel Harran (27,43) nimmt, das sich nicht mit dem „Land der Ostleute“ (29,1) und erst recht nicht mit Paddan Aram (28,2.6) verträgt. 3 N. Na᾽aman, The Jacob Story and the Formation of Biblical Israel, TA 41 (2014) 95–125; I. Finkelstein/T. Römer, Comments on the Historical Background of the Jacob Narrative in Genesis, ZAW 126 (2014) 317–338, hier 323.
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I. Die ursprüngliche Traumerzählung in Gen 28,10–13a1.16–19a Zu Beginn der Traumerzählung stellen V. 10*–11 die Szenerie für den Traum (eine bestimmte Stätte, nach Sonnenuntergang, Übernachtung und Schlaf) und die Requisiten (einen „Stein“) bereit, die im Fortgang der Erzählung eine Rolle spielen: 10 Jakob
… [hütete Schafe,]4 stieß (er) auf eine Stätte und übernachtete dort; denn die Sonne war untergegangen. Er nahm einen von den Steinen der Stätte, setzte ihn an sein Kopfende und legte sich an jener Stätte schlafen. 11 (da)
Im Zentrum der Erzählung stehen Jakobs Traum (V. 12–13a*) und seine Deutung (V. 16–17). Der Traum besteht aus einem Bild, das in drei Sätzen gezeichnet wird, die den Blick des Träumers unaufhaltsam von seinem irdischen Schlafplatz in den geöffneten Himmel ziehen: 12 Er
träumte: Siehe, eine Treppe ( )סלםwar auf die Erde gestellt und rührte oben an den Himmel; und siehe, die Engel Gottes stiegen auf ihr hinauf und hernieder; 13 und siehe da, Jhwh stand darüber.5
Die Treppe zwischen Erde und Himmel markiert eine vertikale Achse, die ihr Ziel in einem geöffneten Himmel hat. Das Bild ist stumm, aber voller Bewegung, denn zwischen Erde und Himmel bilden die hinauf- und herniedersteigenden Engel Gottes eine fortwährende Kommunikation ab. Der Blick des Träumers kommt jedoch erst im geöffneten Himmel zur Ruhe, in dem Jhwh über der von den Engeln begangenen Treppe steht. Auf ihn zielt die gesamte Inszenierung des Traums mit Himmelstreppe und Engelprozession. Nach seinem Erwachen deutet Jakob in V. 16–17 das Traumbild rückläufig zu dem, was er gesehen hat: 16 Da erwachte Jakob von seinem Schlaf und sagte: Wahrhaftig, Jhwh ist an dieser Stätte, und ich, ich wusste es nicht.
Seine Überraschung darüber, dass Jhwh an diesem Ort anwesend ist (V. 16), mündet sogleich in einen heiligen Schauder über die numinose Qualität dieser Stätte (V. 17).6
4 Um sich vorzustellen, wie die ursprüngliche Erzählung vor ihrer Einbindung in den Kontext angefangen haben könnte, ersetze man (mit Blum, Komposition, 26, Anm. 77) probeweise V. 10 durch Ex 3,1a1: 10… ויפגע במקום וילן שם11 )יעקב (היה רעה את הצאן. 5 Zu dieser Übersetzung von עליוs. Köckert, Was träumte, II.1.1. 6 Vgl. Ex 3,6b*.
Die Traumerzählung Genesis 28
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17 Furcht
überkam ihn und er sagte: Wie furchtbar ist doch diese Stätte. Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist das Tor des Himmels.
Mit dieser Deutung identifiziert Jakob die Stätte als den Ort, an dem der himmlische Palast des Gottes Jhwh sein irdisches Gegenstück hat und der Himmel auf Erden ist. Deshalb antwortet Jakob am Ende (V. 18–19a) auf das, was er gesehen und gedeutet hat, indem er diesen Platz auszeichnet. Er setzt den Stein, in dessen Schutz er geträumt hat, als Mazzebe7 und salbt deren Spitze mit Öl: 18 Früh
am Morgen stand Jakob auf, nahm den Stein, den er an sein Kopfende gesetzt hatte, richtete ihn als Mazzebe auf und goss Öl über seine Spitze. 19 Er nannte jene Stätte Bet-El.
Die Mazzebe ist sichtbares Zeichen für Gottes Anwesenheit an dieser Stätte.8 Jakob benennt sie denn auch mit einem Namen, der das Traumbild aufnimmt ( )בית אלהיםund ihm entspricht: „Haus Gottes“ ( בית אלV. 19a). Diese Benennung des Ortes greift den vorgegebenen Ortsnamen auf und gibt dem Jhwh-Heiligtum zu Betel eine solenne Ursprungsgeschichte, indem sie dessen Gründung auf Jhwh selbst zurückführt, der die Stätte seiner Gegenwart dem Erzvater Jakob im Traum bezeichnet hat. Die Erzählung ist symmetrisch strukturiert9 und von Leitwörtern, Motiven und Themen durchzogen, die ihr ein besonderes Gepräge geben und ihre unterschiedlichen Teile miteinander verbinden.10 Da ist zunächst von המקוםdie Rede, also von einer ganz bestimmten Stätte (V. 11a. b.c / 16.17.19a), deren Identität in V. 19a mit der Benennung als Bet-El geklärt wird.11 Da ist sodann אבן, einer „von den Steinen“ jener Stätte, den Jakob „nimmt“ und zu seinen Häupten ()מראשתיו 7 Die Größe des Steins spielt in der gesamten Erzählung keine Rolle; deshalb bedarf es auch keiner übermenschlichen Stärke, ihn aufzurichten – gegen V. Maag, Zum Hieros Logos von Beth-El (1951), in: Ders., Kultur, Kulturkontakt und Religion. Gesammelte Studien zur allgemeinen und alttestamentlichen Religionsgeschichte, Göttingen 1980, 29–37, hier 35, der daraus sogar auf einen vor-kanaanäischen Ursprung der Betel-Erzählung in einer MegalithKultur schließt. 8 Der Stein ist jedoch weder Symbol für einen Tempelturm noch Repräsentation Jhwhs, der vor Jakob steht, was C. Houtman, What Did Jacob See in His Dream at Bethel? Some Remarks on Genesis 28:10–22, VT 27 (1977) 337–351 annimmt. Eher visualisiert er wie die mesopotamischen Tempeltürme die kosmologische Achse. 9 J.‑M. Husser, Dreams and Dream Narratives in the Biblical World (BS 63), Sheffield 1999, 128–131, hier 129. 10 J. P. Fokkelman, Narrative Art in Genesis. Specimens of Stylistic and Structural Analysis (SSN 17), Assen 1975, 46–81; Blum, Komposition, 9–19. 11 Das ist in 28,11 ff. allerdings kein Hinweis auf eine Inkubation, wie zuweilen gemeint wird; denn Jakob stößt zufällig (!) auf diesen bestimmten Ort und hat ihn nicht absichtsvoll aufgesucht, um ein Orakel zu erhalten (gegen zuletzt wieder J. Lanckau, Der Herr der Träume.
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„setzt“ (V. 11), bevor er sich zum Schlafen niederlegt. Am Morgen „nimmt“ er ihn dann von seinen Häupten ()מראשתיו, „setzt“ ihn als Mazzebe (V. 18) und gießt „über ihre Spitze“ ( )על ראשהÖl aus. Mit der „Spitze“ ( )ראשder „Mazzebe“ wird wiederum die Treppe aufgegriffen, die in V. 12 auf die Erde „gestellt“ war ( )מצבund „deren Spitze“ ( )ראשוan den Himmel rührt und über der Jhwh „steht“ ( נצבV. 13a). So ist fast alles in jener ursprünglichen Traumerzählung miteinander verzahnt, während die Gottesrede außerhalb steht und Jakobs Gelübde in V. 22a mit einem Rückverweis und einer bezeichnenden Verschiebung an die Traumerzählung anknüpft.12
II. Traumbild und Deutung Das Traumbild (V. 12–13a) setzt in seinen Einzelheiten wie in seiner Gesamtheit mesopotamische Tempeltheologie ins Bild, wenn auch auf eine in der Bibel singuläre Weise. Jakob fasst sie in seiner Deutung (V. 16.17) in entsprechende Worte. (1) Zur altorientalischen Tempeltheologie gehört eine kosmische Dimension.13 In Gen 28 visualisiert der סלם, der – auf die Erde gestellt – mit seiner Spitze an den Himmel rührt, die vertikale Verbindung zwischen irdischer und himmlischer Welt. Das vielleicht eindrücklichste Beispiel für die kosmische Dimension eines mesopotamischen Tempels findet sich in Enuma elisch, das Ende des 2. Jt.s zusammengestellt wurde. Nach dem Sieg über Tiamat richtet Marduk die Welt in ihren kosmischen Bereichen mit den entsprechenden Götterpalästen ein (IV 135–146): Im höchsten Himmel lässt er Anu, im mittleren mit dem escharra Enlil Wohnung nehmen, im unterirdischen Grundwasserozean apsu residiert Ea. Sich selbst will er dagegen, so teilt er den Göttern mit (V 119–124), ein Heiligtum als seine Wohnstatt im Zentrum des Kosmos begründen: 119 oberhalb
des Apsu, der smaragdenen Wohnstatt, Escharra, das ich für euch baute, 121 unterhalb der himmlischen Teile, deren Boden ich stark machte, 122 will ich ein Haus als meine luxuriöse Wohnstatt bauen. 120 gegenüber
Eine Studie zur Funktion des Traumes in der Josefsgeschichte der Hebräischen Bibel [AThANT 85], Zürich 2006, 290). 12 Zum Gelübde und zu V. 15 s. Köckert, Was träumte. 13 Vgl. die Beispiele bei V. Hurowitz, I Have Built You an Exalted House (JSOT.S 115), Sheffield 1992, 335–337, und die neue detaillierte Untersuchung des babylonischen Vergleichsmaterials bei C. Koch, Gottes himmlische Wohnstatt. Transformationen im Verhältnis von Gott und Himmel in tempeltheologischen Entwürfen des Alten Testaments in der Exilszeit (FAT 119), Tübingen 2018. Ich danke Herrn Kollegen Christoph Koch, dass er mir den Gen 28 betreffenden Teil seines damals noch im Druck befindlichen Manuskripts zugänglich gemacht hat. Deshalb konnte ich ihn noch vor dem Druck meines Beitrags lesen. Er hat mir hinsichtlich der mesopotamischen Analogien zu größerer Klarheit verholfen.
Die Traumerzählung Genesis 28
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123 Darin 124 mein
will ich sein Heiligtum begründen, Gemach anlegen und mein Königtum etablieren.14
Marduks Palast Esagila steht also auf der Erde („oberhalb des Apsu … gegenüber Escharra“). Er verbindet alle kosmischen Bereiche und dient deshalb zugleich als Ruheplatz für die Götter, die hier Marduk als ihrem König alljährlich ihre Aufwartung machen (V 125–130): 125 Wenn
zur Versammlung ihr heraufsteigt vom Apsu, dort euer Nachtlager vor eurer Versammlung! 127 Wenn zur Versammlung ihr herabsteigt vom Himmel, 128 sei dort euer Nachtlager vor eurer Versammlung! 129 Ich will [seinen] Namen [Babylon] nennen: „Häuser der großen Götter“, 130 und wir, wir werden darin F[est]e begehen!15 126 sei
Das Heiligtum Esagila und die Stadt Babylon erscheinen als Einheit.16 Auch in der Komposition Tintir wird Babylon „das Haus der Götter“ genannt, weil Gottes Tempelpalast nicht von seiner Stadt zu trennen ist.17 Da Esagila das „irdische Abbild des im Himmel gelegenen Palastes der himmlischen Götter und […] des Palastes der in der Erde beheimateten Götter“18 ist, befindet sich Babylon mit dem Tempel Marduks im Zentrum jener von den Götterpalästen im Himmel, auf der Erde und in der Erde gebildeten kosmischen Achse. Diese wurde architektonisch in jenem berühmten siebenstufigen Tempelturm realisiert, der den Namen „Haus, Fundament von Himmel und Erde“ (E-temen-an-ki) trug. Zusammen mit dem Heiligtum Esagila, das die Götter als Entsprechung des Apsu19 erbaut hatten, der wiederum unter Esagila in der Erde vorgestellt wurde, bildete er diese mythische kosmische Achse in der real-gegenwärtigen Welt ab. Die Dimension des Apsu bzw. der Unterwelt fehlt freilich in Gen 28. Zwar hat man zuweilen in der Formulierung „eine Treppe war auf die Erde/erdwärts ( )ארצהgestellt“ (28,12a) Anklänge daran finden wollen, weil ארץmitunter auch in der Bibel die Unterwelt bezeichnen kann.20 Doch fehlen in Gen 28 weitere Hinweise, die dort eine derartige Bedeutung nahelegen könnten. Mit dem Ge14
Übersetzung von W. G. Lambert, TUAT III/4, Gütersloh 1994, 590. Übersetzung von K. Hecker, TUAT NF Bd. 8, Gütersloh 2015, 117. 16 Vgl. En. el. VI 72: „Dies ist Babylon, der Wohnsitz eurer Gründung.“ Dort findet die Götterversammlung statt, in der die Weltordnung festgelegt wird. 17 Darauf hat Koch, Wohnstatt, 75, im Anschluss an George, Babylon, 140, hingewiesen. 18 S. M. Maul, Das Haus des Götterkönigs. Gedanken zur Konzeption überregionaler Heiligtümer im Alten Orient, in: K. Kaniuth u. a. (Hg.), Tempel im Alten Orient (CDOG 7), Wiesbaden 2013, 314; vgl. Ders., Die altorientalische Hauptstadt – Abbild und Nabel der Welt, in: G. Wilhelm (Hg.), Die orientalische Stadt. Kontinuität, Wandel, Bruch (CDOG 1), Saarbrücken 1997, 109–124, hier 114. 19 En. el. VI 61–62. 20 V. Hurowitz, Babylon in Bethel – New Light on Jacob’s Dream, in: S. W. Holloway (Hg.), Orientalism, Assyriology and the Bible (HBM 10), Sheffield 2007, 437; Koch, Wohnstatt, 15
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brauch von ארץbzw. אדמהin 28,13–15 kann man weder so noch so argumentieren, weil die Gottesrede in allen Teilen nicht zur ältesten Schicht gehört. Überdies war eine alternative Formulierung zu ארצהin V. 12 nicht möglich.21 (2) Bei dem Hapaxlegomenon סלםhandelt es sich wahrscheinlich um ein Synonym22 zu dem akkadischen simmiltu, was „Treppe“ oder „Stufenrampe“ bedeutet.23 Eine mit diesem Wort bezeichnete Installation begegnet auch in der neuassyrischen Version des Mythos von Nergal und Ereschkigal.24 Sie wurde auf einer ungebrannten Schülertafel überliefert. Offenbar diente der Mythos auch zu Schreibübungen. Mehrfach ist in ihm von der „langen Treppe des Himmels“ (simmelat schamami) die Rede, die den Himmel mit der Unterwelt verbindet und auf der die Götterboten Kakka und Namtar sowie der Gott Nergal hinaufund hinabsteigen, um „das Tor der Ereschkigal“ bzw. „das Tor von Anu, Enlil und Ea“ zu erreichen. Die Treppe verbindet Himmel und Unterwelt und endet jeweils am Tor der beiden kosmischen Bereiche. „Treppe“ und „Tor“ verbinden mit Gen 28. Allerdings unterscheiden sich die kosmologischen Konzepte: Während im Mythos von Nergal und Ereschkigal die Erde keine Rolle spielt, fehlt in Gen 28 die Dimension der Unterwelt. Das Wort simmiltu begegnet auch in einem altbabylonischen Hymnus auf Schamasch: Shamash, you opened the bolt of the doors of heaven (da-la-at scha-me-e). You ascended the stairway (si-mi-la-at) of pure lapis.25
Hier steigt der Sonnengott auf der „Treppe“ aus Lapislazuli26 auf, nachdem er den Riegel des „Himmelstores“ geöffnet hat. Lapis war ein den Göttern (und Königen) vorbehaltenes Material und erinnert mit seiner blauen Farbe an den Taghimmel. Dieser „stairway“ hat jedoch weder etwas mit der Treppe in Gen 28 noch mit jener aus der Unterwelt in den Himmel zu tun, von dem im Mythos Nergal und Ereschkigal die Rede ist. 83–84, weist für diese Bedeutung auf Ex 15,12; Jes 26,19; Jer 17,13; 31,37; Jon 2,7; Ps 22,30; 71,20 hin, trägt aber den originellen Gedanken aus den babylonischen Analogien in Gen 28,12 ein. 21 Die Verwendung von מקוםscheidet in diesem Zusammenhang aus, weil damit nie der Gegenpol zu שמיםausgedrückt wird, auf den es doch hier gerade ankommt. 22 Vgl. Hurowitz, Babylon, 437, Anm. 4. 23 AHw 1045; erst die LXX lässt mit κλίμαξ an Treppe denken. Die Etymologie von סלםist jedoch nicht gesichert. 24 G. W. Müller, TUAT III/4, Gütersloh 1994, 769–780 (Kol I 16, IV 26–27, V 42–43, VI 18–19); M. Hutter, Altorientalische Vorstellungen von der Unterwelt. Literar- und religionsgeschichtliche Überlegungen zu „Nergal und Ereskigal“ (OBO 63), Freiburg (Schweiz) 1985. Der Mythos war weit verbreitet, wie die drei erhaltenen Versionen aus Amarna, Sultantepe und Uruk zwischen 1400 und 400 v. Chr. zeigen. Sie erzählen, wie der Gott Nergal zum Unterweltsgott wurde. 25 Zit. bei W. Horowitz, Mesopotamian Cosmic Geography (MC 8), Winona Lake 1998, 66. 26 Deshalb kann es sich hier nicht um eine bewegliche „Leiter“ handeln.
Die Traumerzählung Genesis 28
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Näher bei Gen 28 steht zweifellos ein Text aus neubabylonischer Zeit, den Victor Avigdor Hurowitz in die Diskussion gebracht hat. Es handelt sich um eine Passage auf dem Imgur-Enlil-Zylinder,27 in der Nabopolassar (gest. 605) den Bau der Mauer mit Namen Imgur-Enlil feiert, die innerhalb Babylons den Tempelbezirk von der Stadt abgrenzt. Nabopolassar rühmt in II 8–21 die mythischen Dimensionen der Mauer. In Z. 15 erscheint sie als Zentrum des Kosmos: 8 Imgur-Enlil,
die große Mauer von Babylon: Grenzwache, berühmt von Anbeginn der Zeit, 10 feste Sperre, so alt wie die undenkliche Zeit, 11 hochragender Horst, so hoch wie die Himmel, 12 starker Schild, der den Zutritt der Feindländer versperrt, 13 die weite Anlage der Igigi (= Götter des Himmels), 14 der geräumige Hof der Anunnaki (= Götter der Unterwelt), 15 Aufstieg zum Himmel (melit schamami), Treppe hinab in die Unterwelt (simmilat ganzir).28 9 Uralte
Wie in Gen 28,12–13a vermischen sich auch hier irdische und kosmische Dimensionen. Die seltenen poetischen Wörter in Z. 15 für die Unterwelt, in der die Mauer gegründet ist, und für den Himmel, in den die Mauerkrone ragt, bezeichnen kosmische Größen, nicht das, was sonst „Himmel“ und „Erde“ genannt wird.29 Wie gesehen fehlt in Jakobs Traum die Dimension der Unterwelt völlig. Auch nimmt Jakob mit der Errichtung der Mazzebe nicht wie der königliche Bauherr Nabopolassar Aufgaben wahr, welche im Uranfang in der Hand der Götter lagen.30 Wahrscheinlich ist bei סלם/simmiltu an eine Treppe gedacht, vielleicht an die Freitreppe eines mehrstufigen Tempelturms. So heißt die Ziqqurat von Sippar „Haus, reine Treppe des Himmels“.31 Diese mit Treppen versehenen Tempeltürme bilden vielleicht die architektonische Entsprechung zu dem Bild, das Jakob träumt. So ist im Traumbild mit dem heiligen Ort sogleich das Heiligtum auf dem Plan. (3) Die „Engel Gottes“ ()מלאכי אלהים, die auf der Treppe „hinauf- und herniedersteigen“, tanzen weder noch sollen sie „die Offenbarung vermitteln“, wie Wellhausen annahm.32 Anders als im Mythos von Nergal und Ereschkigal handelt es 27 Erstveröffentlichung: Iraq 47, 1985, 1–13; engl. Übersetzung von P.‑A. Beaulieu in: The Context of Scripture II, Leiden 2000, 307–308. 28 Text des Abschnitts in Umschrift und engl. Übersetzung bei Hurowitz, Babylon, 439. 29 Hinweis bei Hurowitz, Babylon, 441. 30 Vgl. En. el. VI 59: Die Anunnaki greifen selbst zur Hacke und formen die Ziegel zum Bau. 31 A. R. George, House of Most High. The Temples of Ancient Mesopotamia (MC 5), Winona Lake 1993, Nr. 672; vgl. C. Uehlinger, Art. Himmelsleiter, NBL 2, 1995, 161. 32 J. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, Berlin 41963, 30.
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sich bei den Engeln auch nicht um Boten, die mit der Übermittlung von Nachrichten betraut sind. Sie gehören vielmehr wie in Ps 103,20; 104,4; 148,2; vgl. 29,1 zu Gottes Gefolge und markieren dessen himmlische Sphäre. Indem die einen auf der Treppe hinauf- und die andern zur gleichen Zeit herniedersteigen, visualisieren die Engel den ständigen Verkehr zwischen der himmlischen und der irdischen Welt an diesem Ort. Ihm eignet deshalb nicht nur eine einmalige oder zeitweilige numinose Qualität. Die von den auf- und absteigenden Engeln vermittelte dauerhafte Präsenz Jhwhs macht diesen Ort bleibend zu einem heiligen Ort.33 (4) In seiner Deutung fasst Jakob die Qualität dieses Ortes in die Worte „Haus Gottes“ ( )בית אלהיםund „Tor des Himmels“ ()שער השמים. Die Bedeutung beider Fügungen hängt von der Antwort auf zwei Fragen ab: (a) Warum ist אלהיםhier wie in Ri 17,5 gegen die überwiegende Mehrzahl der Belege dieser Wendung sonst nicht determiniert? Das könnte damit zusammenhängen, dass die Wendung im Blick auf den Jerusalemer Tempel stets determiniert gebraucht wird, während es hier um Betel geht. Indes kann אלהיםunmittelbar nach V. 16 ohnehin keinen anderen Gott als Jhwh meinen. (b) Worauf beziehen sich die beiden Demonstrativa ?זהDas erste kann im Leseablauf nur die in V. 16 genannte „Stätte“ meinen: Sie ist „Haus Gottes“. Bezieht sich auch das zweite זהauf diese „Stätte“ oder auf eine dritte Größe, wie einige mit Verweis auf die Grammatik meinen?34 Ex 3,15 und Hld 5,16 zeigen dagegen, dass auch beim zweiten זהdie erste Lösung grammatisch möglich ist. Sie liegt kontextuell am nächsten und ist sachlich nicht zu beanstanden. Die durch Jhwhs Anwesenheit geheiligte Stätte ist also beides, „Haus Gottes“ und „Tor des Himmels“.35 Was ist damit gemeint? „Haus (des Gottes N. N.)“ bezeichnet im alten Israel wie in Mesopotamien nicht nur ein gewöhnliches Wohngebäude oder einen königlichen Palast, sondern auch das, was wir „Heiligtum“ oder „Tempel“ 33 M. Köckert, Divine Messengers and Mysterious Men in the Patriarchal Narratives of the Book of Genesis, in: F. V. Reiterer u. a. (Hg.), Deuterocanonical and Cognate Literature Yearbook. Angels – The Concept of Celestial Beings – Origins, Development and Reception, Berlin u. a. 2007, 51–78, hier 57. 34 Ges.‑K. § 136a. So schon A. de Pury, Promesse divine et légende culturelle dans le cycle de Jacob: Genèse 28 et les traditions patriarcales (Études bibliques), Paris 1972, 424–430, der das erste זהauf den Stein, das zweite auf den סלםbezieht, und zuletzt M. Oblath, ‚To sleep, perchance to dream …‘ What Jacob Saw at Bethel (Genesis 28.10–22), JSOT 95 (2001) 117–126, der das erste auf die Stätte, das zweite aber auf den סלםbezieht, den Jakob folglich als „Tor des Himmels“ deute. Die beiden Gegenbeispiele führt Oblath leider gar nicht erst auf. 35 Der im Kontext am nächsten liegende Bezug beider Verweise auf den מקוםspricht auch gegen die Deutung des Traumbildes durch Hartenstein: Jhwh stehe aufrecht auf der Himmelstreppe „vor dem Himmelstor“ (F. Hartenstein, Wolkendunkel und Himmelsfeste. Zur Genese und Kosmologie der Vorstellung des himmlischen Heiligtums JHWHs, in: B. Janowski/B. Ego [Hg.], Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kontexte [FAT 32], Tübingen 2001, 125–179, hier 160).
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nennen.36 Jakob nimmt in seiner Deutung vorweg, was diese Stätte einmal sein wird. Dass hier ein Ort und kein Heiligtum als „Haus Gottes“ bezeichnet wird, befremdet nur auf den ersten Blick, denn die dabei vorausgesetzte scharfe Unterscheidung zwischen dem heiligen Ort und dem Heiligtum in Betel geht an der Erzählung vorbei, die als Gründungslegende von der Fiktion lebt, dass die Heiligkeit der Stätte vom Ahn Jakob zwar schon entdeckt wurde, das Heiligtum aber erst noch gebaut werden muss.37 Der Erzähler trägt dem Rechnung, indem er Jakob den Stein als Mazzebe setzen lässt, die den Ort der Anwesenheit Jhwhs auszeichnet, aber in der erzählerischen Fiktion zugleich für den erst später gebauten Tempel steht. Die Fügung „Tor des Himmels“ begegnet in der Bibel nur hier.38 „Himmel“ meint hier nicht den sichtbaren Himmel, den Ort meteorologischer Phänomene, sondern den transzendenten Ort Gottes, der den Menschen entzogen ist.39 Er wird als Palast mit einem Tor vorgestellt. Wenn Jakob in V. 17 „diese“ Stätte mit dem „Tor des Himmels“ identifiziert, ist an dieser durch Gottes Anwesenheit geheiligten Stätte der Himmel auf Erden. Dieser kurze Durchgang durch die Topoi der Traumschilderung zeigt, wie stark alle Einzelheiten des Traums von altorientalischer Tempelsymbolik durchdrungen sind. Das später angefügte Gelübde (V. 20–22) knüpft mit dem Versprechen, an dieser Stätte ein „Gotteshaus“ zu bauen, daran an. Die noch jüngere Gottesrede (V. 13b–15) lässt jedoch diesen Horizont weit hinter sich. Das spricht einmal mehr gegen die zuweilen behauptete ursprüngliche Einheit von Traumerzählung, Verheißung (wenigstens von V. 15*) und Gelübde.40
III. Traum und Gottesrede in altorientalischen Tempelbaunachrichten Nachrichten darüber, wie eine Gottheit ihren Wunsch nach einem Tempel an einem noch unbebauten Ort kundtut, sind im Alten Orient selten, da Tempel in der Regel auf den Fundamenten des Vorgängerbaus errichtet wurden, wenn er 36 Vgl. En. el. V 129; בית יהוהin Ex 23,19; 34,26; Dtn 23,19 usw. und die Belege für Tempel anderer Gottheiten im Alten Orient in ThWAT I, 1973, 631–634; zu Mesopotamien bes. Maul, Haus, 311–312. 37 Dieser Einwand stellt die von Koch beobachtete Nähe der im Alten Testament singulären Anwendung auf einen Ort mit der Qualifikation Babylons in En. el. V 129 in Frage (Koch, Wohnstatt, 76); obwohl es in der mythischen Vergangenheit die Stadt Babylon in ihrer irdischrealen Gestalt noch nicht gab, wird sie in En. el. VI 72 ausdrücklich genannt. Das geschieht mit Betel in Gen 28,17 gerade nicht; erst V. 19 identifiziert sekundär „jene Stätte“ mit der Stadt. 38 Vgl. die Tore der Unterwelt in Hi 36,17; Jes 38,10 u. ö. 39 Nur in besonderen Ausnahmefällen gelangen Menschen dorthin, wie die Mythen von Nergal und Ereschkigal, von Adapa und von Etana zeigen. Vgl. zur Geographie des Himmels und seiner Tore Horowitz, Cosmic Geography, 266–267. 40 Vgl. die Auseinandersetzung bei Köckert, Was träumte.
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verfallen war oder als nicht mehr als ausreichend erachtet wurde. Außerdem galt jedes Heiligtum idealiter als von den Göttern selbst in unvordenklicher Zeit gebaut.41 „Der Bau oder die Renovierung eines Tempels war daher stets die Wiederherstellung eines in mythischer Zeit erschaffenen Urbildes.“42 Deshalb kann es sich bei einem Tempelbau immer nur um einen Wiederaufbau handeln, aber auch der darf nicht ohne ausdrückliche Autorisierung durch die Gottheit in Angriff genommen werden. Für den Wiederaufbau oder die Erweiterung eines bereits bestehenden Tempels holt der König den Willen der Gottheit durch Inkubation, durch Omina oder durch Orakelpriester ein.43 Als Tukulti-Ninurta I. beim Wiederaufbau des Tempels für Ischtar in Assur den Grundriss und die Ausrichtung verändert, weist er auf den ausdrücklichen Wunsch der Göttin hin: Damals, zu Beginn meiner Königsherrschaft, wünschte sich Ischtar, meine Herrin, von mir ein anderes Haus, noch heiliger als ihren früheren Tempel.44
Eigenmächtige Bauarbeiten an Tempeln, sogar Umbauten, hatten für den königlichen Verursacher schlimme Folgen: 47 Ebabbar, sein Tempel, welcher in Sippar (gelegen), 48 den Nabu-kudurri-usur, ein König früherer Zeit, gebaut und 49 dessen alte Gründung er gesucht, aber nicht gefunden hat – 50 f. diesen Tempel hat er (dann aber trotzdem) gebaut und daher sanken (schon) nach 45 Jahren die Mauern dieses Tempels um.45
Nabonid dagegen sucht solange, bis er die alte Gründung gefunden hat – die Gründung Naram-Sins, 57 des Sohnes Scharrum-kins, die 3200 Jahre lang kein König, 58 f. der mir vorausging, gesehen hatte –
und baut dann zu einem Termin, den Schamasch und Adad ihm „durch Opferschau“ enthüllten, „über der Gründung Naram-Sins … nicht um Finger(sbreite) hinaus, nicht um Finger(sbreite) hinein“ den Tempel wieder auf. Von einem Neubau an einem vordem unbesiedelten Ort ist mir nur der Bau des Assur-Tempels durch Tukulti-Ninurta I. in der von ihm neu gegründeten 41
Maul, Hauptstadt, 113–114. C. Ambos, Rituale beim Abriß und Wiederaufbau eines Tempels, in: K. Kaniuth u. a. (Hg.), Tempel im Alten Orient (CDOG 7), Wiesbaden 2013, 19–31, hier 22. 43 Beispiele bei Hurowitz, House, 149–152; vgl. die Opferschau vor dem Wiederaufbau des Ebabbar für Schamasch in Sippar durch Nabonid (H. Schaudig, Die Inschriften Nabonids von Babylon und Kyros’ des Großen samt den in ihrem Umfeld entstandenen Tendenzschriften. Textausgabe und Grammatik [AOAT 256], Münster 2001, 2.9 Ex. 1 I 24–29; 2.12 II 60–66; 2.13 II 24–29; 2.14 Ex. 2 II 50–56) oder bei der Erneuerung der Tore von Esangil (2.23 8ʹ–11ʹ); vgl. den Larsa-Zyl. (2.11 II 41–51). 44 Ambos, Rituale, 25. 45 Man sehe nur Nabonids Berichte über Nebukadnezzar, der „aus eigenem Antrieb“ das Ebabbar in Sippar wiederaufgebaut hatte, das daraufhin einstürzte, bei Schaudig, Inschriften, Nr. 2.12 (II 47–52); Nr. 2.13 (I 46ʹ–II 29) u. ö. 42
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Hauptstadt Kar-Tukulti-Ninurta (3 km östlich von Assur) bekannt, von der der König mehrfach in Verbindung mit seinen militärischen Erfolgen berichtet.46 Auf einer Steintafel47 aus dem Bereich des Tempelturms heißt es: 88–90 In
diesen Tagen verlangte Assur, mein Herr, auf dem jenseitigen Ufer meiner Stadt, der Stadt, die die Götter suchen, einen Kultort von mir und 90–91 befahl mir, ein Heiligtum für ihn zu erbauen. 91–92 Auf das Geheiß von Assur, dem Gott, der mich liebt, 99 erbaute ich fürwahr 92–94 … auf unkultiviertem Gelände 95–98 … eine Stadt für Assur. 99–109 … 110–113 In diesen Tagen errichtete ich in meiner Stadt Kar-Tukulti-Ninurta, den Kultort, den ich erbaute, einen heiligen Tempel (und) ehrfurchtgebietendes Heiligtum als Wohnung für Assur, meinen Herrn …48
Auf welche Weise der König vom Wunsch des Gottes Assur Kenntnis erhielt, berichtet die Tafel freilich nicht. In der Regel teilt die Gottheit ihre Wünsche in einem Traum mit, in dem sie den Träumer anredet. Belege dafür gibt es m. W. vom Ende des 3. Jt. bis in die hellenistisch-römische Zeit.49 Träume sind im Alten Orient und deshalb auch in der Bibel ein beliebtes Medium, durch das die Gottheit Kontakt mit Menschen aufnimmt.50 Gottes Gedanken äußern sich in dem, was der Mensch träumt. Zum Verständnis derartiger Traumerzählungen ist die Unterscheidung zwischen „primärem Trauminhalt“ und dem „dahinter liegenden Traumgedanken“ zu beherzigen, die Annette Zgoll in ihrer detaillierten Untersuchung mesopotamischer Träume herausgearbeitet hat. Die Träume sind in der Bibel wie auch sonst im Alten Orient als literarische (!) Texte überliefert, in denen „ausschließlich die im Traum erkannte Botschaft, der gedeutete und für wichtig erkannte Kern des Traumes interessiert“.51 Wir haben es in den Texten also immer mit schon gedeuteten und durch die Wirklichkeit beglaubigten Traumgedanken zu tun, nicht mit den primären Trauminhalten und ihren Ambivalenzen.
46 Herr Kollege Johannes Renger (Berlin) macht mich brieflich darauf aufmerksam, dass Tukulti-Ninurta I., nachdem der ältere Ischtar-Tempel in Assur verfallen war, den Nachfolgebau an einem neuen Standort neben dem alten errichtet hat, aber in seiner Bauinschrift (RIMA I A. 0 78.11) nicht von einem neuen Standort redet. 47 Übersetzt von K. Hecker in: TUAT NF Bd. 6, Gütersloh 2011, 26–27. 48 Freilich war der Verlagerung der Hauptstadt und des Assur-Tempels kein Erfolg beschieden. Schon nach dem Tod des Königs wurde die neue Residenz mitsamt dem neuen Tempel Assurs aufgegeben. 49 Eine kleine Zusammenstellung der vorhellenistischen Beispiele findet sich bei Hurowitz, House, 143–149. Ihm folgt auch D. Lipton, Revisions of the Night. Politics and Promises in the Patriarchal Dreams of Genesis (JSOT.S 288), Sheffield 1999, 86–92, die Gudeas Traum aus dem Tempelbau-Zylinder A für Gen 28 auswertet. 50 Hi 4,12–16; 33,14–16; zu Träumen in mesopotamischen Texten s. A. L. Oppenheim, The Interpretation of Dreams in the Ancient Near East, Philadelphia 1956; A. Zgoll, Traum und Welterleben im antiken Mesopotamien (AOAT 333), Münster 2006; Lanckau, Herr der Träume. 51 Zgoll, Traum, 243–244.
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1. Die Tempelbauhymne Gudeas von Lagasch Genaueres über den Inhalt eines derartigen Traumes erfahren wir aus der Tempelbauhymne Gudeas von Lagasch (2122–2102 v. Chr.), die auf zwei Tonzylindern auf uns gekommen ist.52 Hier schildert der Herrscher von Lagasch die Wiederherstellung des Tempels Ningirsus, des Stadtgottes der Hauptstadt Girsu. Das vom Vorgänger gegründete Heiligtum war entweder baufällig geworden oder entsprach nicht mehr den Ansprüchen Gudeas, wir wissen es nicht. Jedenfalls erweiterte es der König zu einer sechsstufigen Terrassenanlage auf dem alten Grundriss von 60 × 60 m. Zylinder A berichtet vom Bau und wie es zu diesem Bau gekommen ist, Zylinder B handelt dagegen von der Einweihung des Neubaus, verbunden mit zahlreichen Riten. Der Text beginnt in der mythischen Urzeit, „als die Schicksale im Himmel und auf Erden entschieden wurden“. Nach einem kurzen Rückblick auf die Wohltaten für seine Stadt sagt Ningirsu den Bau seines Tempels durch den Stadtfürsten, einen „Menschen mit weitem Verstand“, voraus (I 10–16): 15 Der
vom Schicksal bestimmte Ziegel wird vor ihm das Haupt erheben um das reine Haus zu bauen, vor ihm seine Schultern heben.
16 und,
Noch am selben Tag teilt ihm der Gott seinen Wunsch in einem Traum mit. Was Gudea träumt, erfahren wir hier noch nicht; wir lesen nur, dass er Ningirsu sah, der ihm vor Augen stellt, „wie groß der Tempel und seine göttlichen Kräfte sind“ (I 17–21). Doch die in Gudeas „Traumgedanken“ begegnenden „Gottesgedanken“ verstehen sich für den König offenbar nicht von selbst; denn er sagt: 25 Den
Sinn des mir im nächtlichen Traum Gebrachten verstehe ich nicht.
Der Traum bedarf der Deutung, will sagen: der Vergewisserung. Deshalb bedenkt der König die Sache und beschließt, zur Göttin Nansche, der „Traumdeuterin der Götter“, zu reisen (I 22–IV 6). Ihr schildert er, was er im Traum gesehen hat (IV 14–V 10): Eine Person, iv 15 „riesig war sie wie der Himmel, riesig war sie wie die Erde“, ein Mischwesen mit göttlichem Haupt, mit Armen wie die Schwingen des Sturmvogels und mit einem Unterleib wie die Flut, flankiert von Löwen. 20 Die
Person „redete zu mir über das Bauen eines Hauses. Den Sinn verstand ich nicht.“ Weiter sah er: 22 „Eine Sonne ging vor mir am Horizont auf. Es war eine Frau. Wer war sie nicht, wer war sie doch?“ Sie nahm einen silbernen Griffel in die Hand und konsultierte eine Tafel mit den Himmelssternen auf ihren Knien. 52 Ich folge der Übersetzung von W. Heimpel in: K. Volk (Hg.), Erzählungen aus dem Land Sumer, Wiesbaden 2015, 119–165; vgl. auch die Übersetzung mit kurzen Erläuterungen bei A. Falkenstein/W. von Soden, SAHG Nr. 32; und W. H. P. Römer, Die Zylinderinschriften von Gudea (AOAT 376), Münster 2010.
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Außerdem war noch ein Recke anwesend. Er v 4 „war dabei, den Grundriß eines Hauses“ auf eine Schreibtafel aus Lapislazuli zu setzen. Schließlich stand vor Gudea ein v 5 „Tragkorb. 6 Eine reine Ziegelform war hergerichtet. vom Schicksal bestimmter Ziegel befand sich in der Ziegelform“.
7 Ein
Überdies sangen Vögel in einer Pappel, und ein Eselshengst scharrte 10 „an der rechten Seite meines Gebieters den Boden“.
Mögen manche Einzelheiten auch unverständlich sein, so war doch damals jedem bewusst, dass jene merkwürdigen Wesen nur Gottheiten sein konnten. Deutlich war auch, dass der Gewaltige mit Adlerarmen kein anderer als der Sturm- und Wettergott Ningirsu selber sein musste. Seine kosmischen Dimensionen – „riesig wie der Himmel“ und „riesig wie die Erde“ – spiegeln sich in der Tempelsymbolik. Dass der Grundriss für ein Haus, den der Recke auf die Tafel aus Lapislazuli setzte, nicht der Planung eines gewöhnlichen Gebäudes, sondern eines Tempels galt, geht schon aus dem Material der Tafel hervor. Schließlich bestimmen Tragkorb und Ziegelform für den rituellen ersten Ziegel den königlichen Träumer unübersehbar zum Bauherrn. Die anschließende Deutung der Einzelheiten des Traums durch die Göttin Nansche (V 11–VI 13) bringt großenteils nur das in Worte, was sich Gudea schon selber sagen konnte. Die Deutung hat also den Charakter einer Vergewisserung des göttlichen Auftrags: Die riesige Person war Ningirsu, der über den Bau seines Tempels redete. v 20 „Dein [Schutz-]Gott Ningischzida ging vor dir wie eine Sonne am Horizont auf.“ Die junge Frau mit dem silbernen Griffel war v 25 „meine Schwester Nissaba. vi 1 Über die reinen Sterne für das Bauen dieses Hauses sprach sie zu dir“. Der Recke mit der Schreibtafel „vi 5 war Ninduba. Er war dabei, sie (die Sterne) dem Grundriss des Hauses anzupassen.“ Der Tragkorb mit der Ziegelform enthielt den Gründungsziegel für den Tempel. Das Singen der Vögel zeigt an, dass vi 11 „guter Schlaf nicht über dich kommen wird, solange das Haus gebaut wird“. Der Eselshengst „warst du. vi 13 Wie ein Fohlen aus bestem Gestüt wirst du für das Haus den Boden scharren.“
Daraufhin berät Nansche den König über Geschenke für die Götter, die er alsbald anfertigt und den im Traum erschienenen Gottheiten darbringt. Mit der Planierung und kultischen Reinigung des Baugrunds bereitet Gudea die Bauarbeiten vor. Vor deren Beginn bringt der König nochmals Opfer dar und bittet Ningirsu um weitere Auskünfte. Die Einleitung stilisiert das Folgende als Inkubation am heiligen Ort. Der Gott erscheint in einem zweiten Traum. Aufschlüsse über Einzelheiten des Baus gibt der Gott freilich nicht, dafür spricht er über sich und seine Stellung unter den Göttern. Als Dank für den Bau des Heiligtums versichert er schließlich den König seiner himmlischen Gaben: Regen, Reichtum und gute Erträge.
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Vom Traum erwacht, erschrickt Gudea und senkt ehrfürchtig sein Haupt. Eine Leberschau bestätigt, dass der König nun mit dem Bau beginnen kann: xii 12 Gudea
stand auf. Es war ein tiefer Schlaf. Er war erschrocken. Es war ein Traum. 14 Vor den von Ningirsu gesprochenen Worten senkte er das Haupt. 16 Indem er ein weißes Böckchen untersuchte, ergriff er ein Vorzeichen, und sein Vorzeichen war gut. 18 Die Absicht Ningirsus ging Gudea auf wie die Sonne (XII 12–19).
Mit Gen 28 verbindet zunächst das auf den Zweck abgestimmte Traumbild (hier der Auftrag zum Bau des Heiligtums, dort die Entdeckung des heiligen Ortes), sodann die Reaktion des Träumers (Erschrecken und Ehrfurcht). Schließlich entspricht dem Bau des Heiligtums durch Gudea die Aufrichtung des Steins zur Mazzebe als Zeichen für Jhwhs Gegenwart an diesem Ort durch Jakob. Diana Lipton geht noch weiter, indem sie Treppe und Mazzebe von Gen 28 mit dem Grundriss und dem Gründungsziegel im Traum Gudeas deutet: The vision of the ladder provides God’s authorization to build a temple, as well as the blueprint for its design, while the pillar is the foundation stone, representing Jacob’s commitment to fulfilling God’s command.53
Dann entspräche die Aufrichtung des Steines und dessen Ölung altorientalischen Ritualen zur Weihe, beispielsweise der Tempeltore.54 Allerdings geht Liptons Beurteilung als „blueprint“ für die Gestalt des Tempels zu weit; denn erst Ex 25,9; Num 8,4 und 1 Chr 28,19 geben ausdrückliche Hinweise auf ein von Gott gezeigtes Modell. Auch geht die Deutung der Mazzebe als „the foundation stone“ nicht aus der Traumerzählung hervor. 2. Nachrichten von Tempelbauten Nabonids Von Träumen im Zusammenhang mit Restaurierungen von Tempeln berichten auch einige Inschriften Nabonids (556–539 v. Chr.).55 Es handelt sich zunächst um drei Texte zum Wiederaufbau des Tempels für Sin in Harran. Auf dem Ehulhul-Zylinder,56 einer zurückblickenden Sammelinschrift über den Bau verschiedener Heiligtümer in Harran und Sippar, berichtet Nabonid von einem Traum zu Beginn seiner Königsherrschaft:
53
Lipton, Revisions, 88. Hurowitz, House, 278, weist auf Nabonids Weihe des Ebabbar für Schamasch hin: „… Riegel und Türen ließ ich triefen von Salböl“ (Schaudig, Inschriften, Nr. 2.9 II 13–14). 55 Übersetzungen bei Schaudig, Inschriften. 56 Ebd., Nr. 2.12. 54
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16 Marduk,
der große Herr, und Sin, die Leuchte des Himmels und der Erden, 17 traten beide hin, (und) Marduk sprach zu mir: 18 Nabunaid, König von Babil, mit deinen Reitpferden 19 f. bring Ziegel (heran), baue Ehulhul und laß Sin, den großen Herrn, darin seine Wohnung aufschlagen!
Der Traum ist auf das bloße Erscheinen der beiden Götter, auf Marduks Auftrag zum Bau des Tempels für Sin und auf ein Gespräch mit Nabonid reduziert. Der König gibt zu bedenken, dass Sins Heiligtum in Harran in der Hand der Meder sei. Doch Marduk zerstreut Nabonids Bedenken mit der Ankündigung, dass es den Mederhaufen in Harran bald nicht mehr geben werde. Und in der Tat, drei Jahre später hatte Kyros von Anschan die Meder besiegt. Daraufhin macht sich Nabonid sofort ans Werk (Z. 41 ff.). – Der Bauauftrag mit dem Dialog zwischen König und Marduk findet sich auch auf dem Harran-Zylinder.57 In der jüngsten Version, auf der Harran-Stele,58 ist Sin schon zum „Herrn der Götter und Göttinnen“ aufgestiegen. Jetzt ist allein er derjenige, der Nabonid „des Nachts einen Traum sehen“ lässt und ihn auf diese Weise mit dem Wiederaufbau des Tempels beauftragt (I 6–14). Auf einer weiteren Sammelinschrift59 berichtet Nabonid vom Wiederaufbau des verödeten „E’ulmasch zu Sippar-Anunitu“. Auch hier empfängt er den göttlichen Auftrag „im Traum, des Nachts“. Schließlich gibt Nabonid auf der Babylon-Stele,60 die ursprünglich an der Prozessionsstraße vor dem Ischtar-Tor aufgestellt war, einen umfassenden Rückblick von der Zerstörung Babylons durch Sanherib 698 v. Chr. bis zur Wiederherstellung der Tempel für Marduk in Babylon und für Sin in Harran samt deren Götterstatuen. Allerdings verrät keine der Inschriften Nabonids, was der König im Traum sah; sie teilen stets nur den göttlichen Auftrag zum Bau mit. 3. Nachrichten aus hellenistischer Zeit Auch in hellenistischer Zeit waren Träume ein beliebtes göttliches Kommunikationsmittel, um die Errichtung eines Heiligtums oder eines Götterbildes zu veranlassen.61 So findet sich in Priene an der Südseite des Turmes neben dem sog. Quellentor über einer heute leeren Kultnische eine Inschrift aus der zweiten Häfte des 4. Jh. v. Chr. Sie berichtet, dass ein gewisser Philios – offenbar während einer Inkubation – einen Traum hatte: Er sah 57
Ebd., Nr. 2.19. Ebd., Nr. 3.1. 59 Ebd., Nr. 2.14. 60 Ebd., Nr. 3.3. 61 Die Kenntnis dieser Texte aus der Zeit zwischen 350 und 250 v. Chr., verbunden mit wertvollen Hinweisen, verdanke ich Herrn Kollegen Hans-Ulrich Wiemer (Erlangen). 58
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den Naulochos und die gesetzbringenden, ehrwürdigen Herrinnen in weißen Gewändern; in drei Traumgesichten befahlen sie, diesen Heros62 als Schützer der Stadt zu verehren, und zeigten die Stelle an. Deswegen stellte Philios diesen Gott (als Bild) auf.63
Bei den „ehrwürdigen Herrinnen“ handelt es sich um hier nicht namentlich genannte Göttinnen, die an der Mykale nordwestlich von Priene ein Heiligtum hatten.64 Die Inschrift belegt den selten dokumentierten Fall, dass die Himmlischen nicht nur den Wunsch nach einem Heiligtum äußern, sondern darüber hinaus auch den Ort dafür bestimmen. Leider erfahren wir nur, dass das in mehreren Traumgesichten geschah, nicht aber was der Träumer sah. Auch eine Weihinschrift aus dem Demeter-Heiligtum auf Knidos um 350 v. Chr. führt den Bau eines Heiligtums mit einem Kultbild auf eine nächtliche Erscheinung zurück.65 Sie berichtet davon, dass eine gewisse Chrysina für Kura und Damater ein Haus und ein Standbild aufstellte, nachdem sie in der Nacht eine göttliche Erscheinung gesehen hatte: Hermes nämlich sagte, dass sie den Göttinnen in Tathne als Priesterin dienen soll.
Mit den eingangs genannten Göttinnen sind Demeter und Kore gemeint. Aufschlussreich ist ein Brief aus den Zenon-Papyri.66 Zoilos, ein Diener des Sarapis, schreibt 258/257 v. Chr. an den ägyptischen Finanzminister Apollonios: Es widerfuhr mir, als ich vor Sarapis gottesdienstlich für Deine Gesundheit eintrat und für Deinen Erfolg beim König Ptolemaios, daß der Sarapis mich mehrfach im Schlafe anwies, ich solle zu Dir hinüberfahren und [Dir] ku[ndtun dies]e Weisung: es müsse i[hm von Dir ein Sarapistempel] errichtet werden und ein heiliger Hain im Hellenenviertel beim Hafen, auch müsse ein P[riester] darüber amtieren u[nd] auf dem Altar für Euch opfern.
Es folgt die Schilderung von allerlei Schwierigkeiten: Zoilos will zunächst von der Aufgabe entbunden werden; daraufhin erkrankt er schwer – ein deutlicher Wink des Gottes. Während Zoilos krank darniederliegt, erscheint plötzlich ein Nobody aus Knidos, um Sarapis ein Heiligtum zu bauen. Da greift der Gott wieder ein und untersagt ihm das. Offenbar will Sarapis sein Heiligtum nur von dem prominenten und viel mächtigeren Apollonios erbaut haben. Zoilos macht sich endlich auf die Reise nach Alexandria. Dort angekommen zögert er aber, den großen Apollonios mit dieser Angelegenheit zu behelligen. Doch Sarapis gibt Zoilos mit einem Rückfall in seine Krankheit deutlich zu verstehen, was er von 62 „Heros“ ist hier gleichbedeutend mit „Gott“ (vgl. letzte Zeile) und bezieht sich auf Naulochos. 63 Text, Übersetzung und Kommentar in: W. Blümel/R. Merkelbach (Hg.), Die Inschriften von Priene (Inschriften griechischer Städte aus Kleinasien 69), Bonn 2014, Nr. 195. Der Gott Naulochos („Schützer des Ankerplatzes“) begegnet auch anderwärts (s. Komm.). 64 Blümel verweist dafür auf Herodot 9,97. Vielleicht waren Demeter und Kore gemeint. 65 Text bei: W. Blümel (Hg.), Die Inschriften von Knidos (Inschriften griechischer Städte aus Kleinasien 41), Bonn 1992, Nr. 131. 66 Text, Übersetzung und Kommentar bei: A. Deissmann, Licht vom Osten. Das Neue Testament und die neuentdeckten Texte der hellenistisch-römischen Welt, Tübingen 31923, 121–128.
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diesem Verhalten hält. Zoilos setzt schließlich sein Schreiben auf. Es endet mit dem durch die eigene Erkrankung nur umso dringlicher gemachten Rat: Es wäre nun gut, Apollonios, wenn Du den Befehlen vom Gotte nachkommen wolltest, auf daß der Sarapis Dir wohlgeneigt sei und Dich noch viel größer beim König mache und noch berühmter, nicht zu vergessen Deines Leibes Gesundheit. So erschrick denn nicht über die Ausgabe, weil sie Dich viel kosten werde. Vielmehr soll sie Dir von ganz beträchtlichem Nutzen sein; denn ich für meine Person werde bei alledem mitamtieren …67
Auch hier teilt also die Gottheit ihren Wunsch nach einem offiziellen Tempel mit Kulthain und einem ordentlich bestellten Priester in mehrfachen Träumen („im Schlafe“) mit und nennt darüber hinaus sogar den Ort für das künftige Heiligtum, für das natürlich nur die beste Lage in Frage kommt: „am Hafen“. Als letztes Beispiel sei die Sarapisaretalogie genannt, die Ende des 3. Jh. v. Chr. auf einer Säule vor dem bescheidenen Sarapistempel in Delos stand.68 Der Aretalogie ist ein Prosabericht vorangestellt, der erzählt, wie es zu dem Sarapistempel in Delos gekommen ist. Der ägyptische Priester Apollonios, der Großvater des Erbauers, war aus Memphis ausgewandert und hatte eine kleine Statue seines Gottes Sarapis aus der Heimat mitgebracht, die er in seiner Mietswohnung in Delos aufstellte. Allmählich sammelte zunächst er, dann sein Sohn Demetrius, der ihm als Priester gefolgt war, eine kleine Schar von Verehrern des Sarapis in der angemieteten Wohnung. Inzwischen hatte der Enkel, Apollonios jun., das Priesteramt übernommen. Die Wohnung war für die Menge der Verehrer längst zu klein geworden, da (so berichtet der Enkel) 14 offenbarte mir der Gott im Schlaf, dass ein ihm gehörendes Sarapeion 15 geweiht werden
müsse und nicht mehr 16 gemietet werden solle wie früher. Er selbst werde den Ort finden, dem es gebaut werden solle, und den Ort bezeichnen, 18 was auch geschah.
17 an
Zwar erwies sich der vom Gott gewiesene Ort als ein Schuttplatz, aber er war gerade auf der Agora zum Verkauf ausgeschrieben und konnte deshalb auch erworben werden: 21 Weil 23 in
der Gott es wollte, wurde der Kauf ausgeführt 22 und das Heiligtum ohne weiteres 6 Monaten gebaut.
So hatte Sarapis alles wohl gefügt. Des Gottes Hilfe war freilich auch weiterhin erforderlich; denn eine Gruppe von Feinden reichte eine Klage gegen Apollonios und den Tempel ein. Wahrscheinlich stieß der neue Kult bei den alteingesessenen Anhängern Apollos in Delos auf Widerstand. Aber Sarapis ließ die Seinen nicht im Stich: 67 Deissmann, Licht, weist darauf hin, dass Zoilos den Tempelbau nicht als eine profane Arbeit, sondern als „heilige Liturgie“ auffasst (S. 123, Anm. 1). 68 Griech. Text und Kommentar bei H. Engelmann, Die Delische Sarapisaretalogie herausgegeben und erklärt (BKP 15), Meisenheim 1964.
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25 Gott
versprach mir im Schlaf, dass wir siegen werden.
Der Prozess ging denn auch zu Gunsten der Beklagten aus, so dass die Erzählung mit Preis und Dank endet und von einem anderen Verfasser mit einer kunstvollen Aretalogie der Taten des Gottes in Versen gekrönt wird, die freilich hinsichtlich der Umstände des Tempelbaus keine neuen Informationen mitteilt. In stärkerem Maße als in den Beispielen zuvor erscheinen hier alle Belange der Verehrung des Sarapis von der Gottheit selbst auf wunderbare Weise gelenkt und gefügt: Der Gott teilt nicht nur seinen Wunsch nach einem offiziellen Heiligtum an prominenter Stelle mit, er bezeichnet auch den Platz, indem er ein zum Verkauf stehendes Grundstück finden lässt, auf dem der Bau in erstaunlich kurzer Zeit vollendet werden kann, und er setzt seinen Willen gegen alle Widerstände durch. Natürlich ist es am Ende Apollonios, der ins Werk setzen muss, was Sarapis ihn im Traum zu tun heißt. Aber was er tut, ist – weil von Sarapis angewiesen und gefügt – wohlgetan.
IV. Zur historischen Einordnung der Traumerzählung in Gen 28 In allen Fällen, von Gudea bis zu den Beispielen aus hellenistischer Zeit, haben die göttlichen Traumoffenbarungen auch die Funktion, die Heiligtümer zu legitimieren. Ihr Ort (und ihre Gestalt) entsprechen dem Willen der hier verehrten Gottheit. Leider erfahren wir meist nicht, was der Schläfer träumte. Das hängt sicher auch mit der Gattung der Texte zusammen; denn allermeist handelt es sich um Inschriften, die am Ergebnis orientiert sind und deshalb nur den Bau und seine göttliche Veranlassung im Traum mitteilen. Diese Texte verstärken die Deutung der Erzählung von Jakobs Traum in Gen 28 als einer Ätiologie des Jhwh-Heiligtums zu Betel. Jhwh selbst, der Staatsgott des Nordreichs Israel, hat im Traum dem Ahn den Ort bezeichnet, an dem er auf Erden für ihn und seine Nachkommen fortan gegenwärtig sein will. Solenner als durch den Staatsgott und durch den Ahnvater lässt sich das „Reichsheiligtum“ (Am 7,13) nicht legitimieren. Es kann deshalb kaum verwundern, dass man lange Zeit annahm, die literarische Gestalt dieser Gründungserzählung stamme aus der Königszeit, vielleicht sogar aus „vorprophetischer Zeit“,69 in jedem Fall noch vor dem Ende des Nordreichs durch die assyrische Eroberung,70 spätestens aber aus dem ausgehenden 8. oder frühen 7. Jh. v. Chr.71 Zuweilen rechnete man dabei aufgrund des mit El gebildeten Ortsnamens und der Mazzebe, die in der Erzählung eine zentrale 69 H. Gunkel,
Genesis übersetzt und erklärt, Göttingen 91977, 321. So z. B. Blum, Komposition, 178–181; K. Koenen, Bethel. Geschichte, Kult und Theologie (OBO 192), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 2003, 166–167, und viele andere. 71 Koch, Wohnstatt, 67–68. 70
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Rolle spielt, mit der Aufnahme wenigstens einer älteren „Orts- bzw. Tempeltradition“,72 wenn nicht mit einer „Heiligtumsätiologie“ aus vor-israelitischer und vor-jahwistischer,73 ja sogar aus „vorkanaanäisch[er]“74 Zeit. Dabei ist es freilich nicht geblieben. Inzwischen sehen manche die BetelErzählung „in der Nachbarschaft der frühen dtr. Literatur“; sie sei als „theologischer Reflexionstext aus frühexilischer Zeit […] unter dem Eindruck der prophetischen Auseinandersetzung mit Bet-El“, gleichsam als ihr positiver Kontratext formuliert worden, der als „dezidierte Reaktion auf Am 5,5“ verstanden werden müsse.75 Andere verstehen Gen 28 aus einer vorausgesetzten Konkurrenz zwischen Betel und Jerusalem in frühnachexilischer Zeit: Israels Gott habe nicht Jerusalem, sondern Betel „zu seinem ‚Haus‘ erwählt“.76 Die eine wie die andere Spätansetzung der Betel-Erzählung setzt voraus, dass das Heiligtum vor allem nach 586 eine große Bedeutung hatte. Diese Voraussetzung entspricht jedoch weder den Texten noch dem archäologischen Befund, denn Betel war offensichtlich nur im 8. Jh. v. Chr. ein prosperierender Ort.77 Der von Knauf behauptete Aufstieg Betels zum kulturellen und kultischen Zentrum nach 586 kann archäologisch nicht gestützt werden.78 Derartige Aktivitäten hätten Spuren in der Keramik und Besiedlung hinterlassen müssen, die aber fehlen für die neubabylonische Zeit. Blenkinsopps Lösung, das Heiligtum außerhalb des Ortes östlich in burg betin zu lokalisieren, scheitert ebenfalls am archäologischen Befund.79 Lässt man die spekulativen Vermutungen zu einer möglichen vorisraelitischen Vorgeschichte Betels beiseite, spricht m. E. auch heute noch viel für eine Ansetzung des Grundbestands in die Königszeit; denn warum und zu 72
Ebd., 67.
73 C. Westermann, Genesis. 2. Teilband: Genesis 12–36 (BK I/2), Neukirchen-Vluyn 1981,
552.
74 A. Graupner,
Der Elohist. Gegenwart und Wirksamkeit des transzendenten Gottes in der Geschichte (WMANT 97), Neukirchen-Vluyn 2002, 237; Maag hat hinter ihr sogar eine vorkanaanäische „Gigantenerzählung“ entdeckt (Maag, Hieros Logos, 35). 75 So M. Köhlmoos, Bet-El – Erinnerungen an eine Stadt. Perspektiven der alttestamentlichen Bet-El-Überlieferung (FAT 49), Tübingen 2006, die Zitate finden sich auf S. 241, 247 und 314. 76 So U. Becker, Jakob in Bet-El und Sichem, in: A. C. Hagedorn/H. Pfeiffer (Hg.), Die Erzväter in der biblischen Tradition, FS M. Köckert (BZAW 400), Berlin u. a. 2009, 159–185, hier 181, vgl. die zeitliche Einordnung S. 168–169. 77 I. Finkelstein/L. Singer-Avitz, Reevaluating Bethel, ZDPV 125 (2009) 33–48, hier 45: „The only possible period for the supposed strong scribal activity at Bethel is the Iron Age IIB, in the 8th century B. C. E., probably before the fall of the Northern Kingdom.“ Das passt durchaus zu den Erwähnungen Betels in Am und Hos. 78 E. A. Knauf, Bethel. The Israelite Impact on Judean Language and Literatur, in: O. Lipschits/M. Oeming (Hg.), Judah and the Judeans in the Persian Period, Winona Lake 2006, 291–349, hier 319. 79 Finkelstein/Singer-Avitz, Reevaluating, 43, Anm. 122 zu: J. Blenkinsopp, Bethel in the Neo-Babylonian Period, in: O. Lipschits/J. Blenkinsopp (Hg.), Judah and the Judeans in the Neo-Babylonian Period, Winona Lake 2003, 93–107.
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welchem Zweck sollte man so massiv die Gegenwart Jhwhs ausgerechnet in Betel propagieren, nachdem das Nordreich samt seinem Staatsheiligtum untergegangen und der Tempel auf dem Zion zum dominanten Jhwh-Heiligtum aufgestiegen war? Lassen sich aus dem Traumbild Argumente zur Datierung gewinnen? Derartige Versuche haben jüngst Israel Finkelstein und Thomas Römer, andrerseits Nadav Na᾽aman unternommen.80 Finkelstein und Römer finden im Traumbild die Vorstellung eines himmlischen Hofstaates81 und das ikonographische Konzept der Einführungsszenen: Das Tor des Himmels und die Treppe in den Himmel setzen einen unsichtbar im Himmel thronenden El voraus, während der persönliche Gott Jhwh neben Jakob ( )עליוstehe, um ihn vor El zu führen. Die göttliche Assistenz werde durch die Beistandszusage „Ich bin mit dir“ im Munde Jhwhs ausgedrückt, die ihr nächstes Seitenstück in den neuassyrischen Orakeln Ischtars von Arbela an Assurbanipal habe. Leider beruht diese ikonographische Deutung des Traumbildes auf Daten, die erst in den Text hineingelesen werden müssen. Dass die Treppe zu einem unsichtbar im Himmel thronenden El führe, verdankt sich der Kombination von Gen 28 mit Vorstellungen, die zwar anderwärts bekannt sind, in Jakobs Traum aber fehlen. Für die Konstellation Jhwh – El kann man allenfalls auf Jakobs Benennung des Ortes als Bet-El verweisen, an dem ihm Jhwh erschienen ist. Doch erklärt sich die Namensgebung viel einfacher dadurch, dass dem Erzähler der ältere Ortsname vorgegebenen war. Ein Hinweis darauf, dass Jhwh den Träumer zu El führe, sucht man in der Traumerzählung vergebens. Außerdem legt das Textgefälle gerade nicht nahe, עליוin V. 13 auf Jakob zu beziehen82 und so Jhwh neben den Träumer zu plazieren. Vielmehr wird Jhwh über/auf der Treppe vorgestellt.83 Damit entfallen alle für eine Einführungsszene notwendigen Voraussetzungen. Umgekehrt hat zuletzt Nadav Na᾽aman gerade mit dem Traumbild eine Spätansetzung von Gen 28 ins 6. Jh. v. Chr. begründen wollen.84 Er verweist auf die von Victor Avigdor Hurowitz in die Diskussion gebrachten Texte, die oben zur kosmischen Dimension eines Heiligtums und zur „Himmelstreppe“ vorgestellt worden sind. Besonders wichtig für seine Deutung ist eine Passage auf dem Imgur-Enlil-Zylinder.85 Na᾽aman behauptet, das Traumbild der Betel-Erzählung sei speziell von diesem neubabylonischen Text beeinflusst worden; deshalb könne
80
Finkelstein/Römer, Comments, 323. Vgl. Dtn 32,8 in der ursprünglichen Lesart, die in LXX und in Qumran erhalten geblieben ist. 82 Zur Diskussion vgl. Köckert, Was träumte. 83 Vgl. die Diskussion ebd., II.1.1. 84 Na᾽aman, Jacob Story, 100–101. 85 S. o. II.1.2. 81
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die Traumerzählung nicht älter sein. Sie stamme aus Betel, das im 6. Jh. v. Chr. auf „a kind of temple-city“ geschrumpft sei.86 Der herangezogene neubabylonische Text ist jedoch weder der einzige noch der älteste, in dem die kosmische Achse mythisch aufgeladen wird. Hurowitz verweist dazu auch auf Enuma elisch, V 119–130. Er sieht starke Berührungen mit Gen 28,12: Auch hier finde sich ein gleichzeitiges Hinauf- und Herabsteigen, auch hier werde das Hinaufsteigen vor dem Herabsteigen genannt. Außerdem gebe Marduk dem Heiligtum in Z. 129 einen Namen, dem die Deutung des Traumbildes durch Jakob in 28,17 entspricht („Das ist nichts anderes als Gottes Haus“) und die in der Benennung der Stätte mit „Bet-El“ in 28,19 aufgenommen wird. Freilich ist die Bezeichnung „Haus des Gottes N. N.“ eine in den Texten des alten Mesopotamien durchaus übliche Bezeichnung für einen Tempel.87 Hurowitz übersieht außerdem, dass sich die kosmologischen Konzepte beider Texte tiefgreifend unterscheiden: In Betel fehlt die Dimension der Unterwelt (apsu) wie auch die Vorstellung des irdischen Tempels als Ruhe- und Versammlungsort für die Götter. Auch entspricht das Hinaufsteigen aus dem Apsu unter der Erde und das Herabsteigen vom Himmel über der Erde keineswegs der gleichzeitigen Bewegung der Engel zwischen Erde und Himmel. Schließlich trifft die Behauptung nicht zu, außerhalb mythologischer Texte werde allein Babylon „Tor des Himmels“ genannt, während Vorstellung und Bezeichnung einer Stadt als „Band von Himmel und Erde“ o. ä. für Nippur, Babylon und Assur begegnen. Christoph Koch zitiert ein neuassyrisches Preislied auf Arbela, in dem der Ort als „erhabene Kultstätte, Hochsitz der Schicksalsbestimmungen, Tor des Himmels“ besungen wird.88 Die weiteren angeblichen Analogien beruhen auf punktuellen Assoziationen ohne inhaltliche Bezüge.89 Hurowitz schließt aus dem Imgur-Enlil-Zylinder und aus Enuma elisch, Gen 28,10–22 enthalte kaum ein Detail „without some prominent linguistic or thematic parallel to Babylon in general and the myth of its primeval foundation in particular“.90 Davon kann freilich nicht ohne weiteres die Rede sein, man müsste denn eine tiefgreifende Umarbeitung der übernommenen babylonischen Motive in Betel annehmen, die jene behauptete Analogie geradezu unkenntlich gemacht hat. Auf diese Weise ist jedoch eine Analogie nicht mehr beweisbar. 86 Na᾽aman, Jacob Story, 101. Gegen Na᾽amans These und deren neuerliche Verteidigung (Ders., Does Archaeology Really Deserve the Status of a ‚High Court‘ in Biblical Historical Research, OTS 59 [2010] 165–183) s. I. Finkelstein, Archaeology as a High Court in Ancient Israelite History. A Reply to Nadav Na᾽aman, JHS 10 (2010) 1–9. 87 Maul, Haus, 311–312. 88 Koch, Wohnstatt, 78, aus K. Hecker, TUAT II, Gütersloh 1991, 769. 89 So sei das Verb „ ליןübernachten“ (Gen 28,11) das Äquivalent zur akkad. Wurzel batu, die in mubattu „Nachtlager“ (En. el. V 128) steckt. Noch weniger überzeugt die angebliche Analogie zwischen akkad. aschruschschu/aschrata und dem Leitwort מקוםin Gen 28,11.16.17.19. 90 Hurowitz, Babylon, 443.
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Zweifellos sind in die Traumschilderung von Gen 28 Motive mesopotamischer Tempeltheologie eingegangen, auch mag in Gen 28 Betel als Spiegelbild Babylons gezeichnet sein. Doch folgt daraus nicht ohne weiteres eine Datierung von Gen 28 erst ins 6. Jh. v. Chr.; denn Enuma elisch wurde wohl schon am Ende des 2. Jt.s zusammengestellt.91 Hurowitz rechnet denn auch mit der Möglichkeit eines kulturellen Einflusses spezifisch babylonischer Motive seit der Zeit Nebukadnezzars I. (1125–1104 v. Chr.) Dann wäre – selbst wenn man die von Hurowitz und Na᾽aman angenommenen Berührungen als zutreffend voraussetzt – eine Datierung der Traumerzählung ins 8. Jh. v. Chr. durchaus denkbar. Deren Ansetzung in neuassyrische Zeit hat jüngst Christoph Koch mit dem Nachweis der Verbreitung der babylonischen kosmologischen Vorstellungen und Heiligtumskonzeption im 1. Jt. v. Chr. gestützt. Er verweist auf die assyrische Rezension des Enuma elisch, in der die kosmologischen Vorstellungen von Babylon auf Assur übertragen werden, und auf die Bezeichnung Arbelas als „Tor des Himmels“.92 Die Verbreitung derartiger Vorstellungen wurde zweifellos auch dadurch gefördert, dass Enuma elisch in den Schreiberschulen prominent war. Es spricht also manches dafür, dass babylonische Mythologeme nicht erst in neubabylonischer Zeit nach Westen gelangt sind. Gegen eine Ansetzung der Traumerzählung als Ätiologie des Jhwh-Heiligtums von Betel im 8./7. Jh. v. Chr. kann man schwerlich die Archäologie ins Feld führen, die bislang keine Hinweise auf einen Tempel zu Tage gefördert hat. Zwar konnte bisher nur ein, wenn auch durchaus repräsentativer Teil des Ortes93 erforscht werden, doch wird man bei seiner Bedeutung in der Königszeit die Existenz eines Heiligtums voraussetzen dürfen. Dafür sprechen nicht zuletzt Texte wie Am 4,4; 5,4; Hos 8,4–6*; 10,5–7*, unabhängig davon, ob sie noch im 8. oder erst im 7. Jh. v. Chr. entstanden sind. Auf das noch unzerstörte „Staatsheiligtum“ des Nordreichs bezieht sich auch Am 9,1.94
91 W. G. Lambert in: TUAT III, Gütersloh 1997, 565. Die ältesten Fragmente werden paläographisch zwischen 1100 und 700 v. Chr. datiert. 92 Koch, Wohnstatt, 78–79. 93 Finkelstein/Singer-Avitz, Bethel, 44–45. 94 J. Jeremias, Das unzugängliche Heiligtum. Zur letzten Vision des Amos (Am 9,1–4), in: Ders., Hosea und Amos. Studien zu den Anfängen des Dodekapropheton (FAT 13), Tübingen 1996, 244–256.
Die Datierung der Josephsgeschichte Ein Gespräch mit Erhard Blum und Kristin Weingart Konrad Schmid
I. Die These: Die Josephsgeschichte als politisches Dokument aus dem Nordreich Im Jahr 2017 erschien in der ZAW ein Beitrag von Erhard Blum und Kristin Weingart1 zur Entstehung der Josephsgeschichte, der gegen den von ihnen erkannten Trend der neueren Forschung zur Josephsgeschichte, der diese als nachexilische Diasporanovelle interpretiert,2 die Auffassung vertritt, dass es sich bei ihr um eine vorexilische Komposition aus dem Nordreich handle, die wahrscheinlich unter Jerobeam II. entstanden sei. Blum und Weingart bekräftigen damit eine Position, die beide bereits in ihren – allerdings zeitlich weit auseinanderliegenden – Dissertationen vertreten haben.3 1 E. Blum/K. Weingart, The Joseph Story: Diaspora Novella or North Israelite Narrative? ZAW 129 (2017) 501–521. Vgl. zu den literarischen Fragen in Gen 37–50 auch E. Blum, Zwischen Literarkritik und Stilkritik. Die diachrone Analyse der literarischen Verbindung von Genesis und Exodus – im Gespräch mit Ludwig Schmidt, ZAW 124 (2012) 492–515 = Ders., in: Grundfragen der historischen Exegese. Methodologische, philologische und hermeneutische Beiträge zum Alten Testament, hg. von W. Oswald und K. Weingart (FAT 95), Tübingen 2015, 105–127. 2 Vgl. A. Meinhold, Die Gattung der Josephsgeschichte und des Estherbuches. Diasporanovelle, I, ZAW 87 (1975) 306–324, II, ZAW 88 (1976) 72–93; R. Lux, Josef. Der Auserwählte unter seinen Brüdern (Biblische Gestalten 1), Leipzig 2001, 237–239; J. Ebach, Genesis 37–50 (HThKAT), Freiburg i. Br. u. a. 2007, 692–693; K. Schmid, Die Josephsgeschichte im Pentateuch, in: J. C. Gertz u. a. (Hg.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion (BZAW 315), Berlin/New York 2002, 83–118. Vgl. bereits A. Rosenthal, Die Josephsgeschichte mit den Büchern Ester und Daniel verglichen, ZAW 15 (1895) 278–284; Ders., Nochmals der Vergleich Ester, Joseph, Daniel, ZAW 17 (1897) 125–128. 3 Vgl. E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte (WMANT 57), Neukirchen-Vluyn 1984, 234–244, dort allerdings nicht mit genauer Festlegung auf die Zeit Jerobeams II.; K. Weingart, Stämmevolk – Staatsvolk – Gottesvolk? Studien zur Verwendung des Israel-Namens im Alten Testament (FAT II 68), Tübingen 2014, 244–266. R. Albertz, Die Josephsgeschichte im Pentateuch, in: T. Naumann/R. Hunziker-Rodewald (Hg.), Diasynchron. Beiträge zur Exegese, Theologie und Rezeption der Hebräischen Bibel. Walter Dietrich zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2009, 11–36, hier 20.25, setzt den Grundbestand von Gen 37–50 ähnlich wie Weingart und Blum „noch vor dem Untergang des Nordreichs“ (25) an. J. Wöhrle, Joseph in Egypt. Living under Foreign Rule according to the Joseph Story and its Early Intra- and Extra-Bibli-
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Der folgende Beitrag will mit Blum und Weingart in ein Gespräch eintreten. Blum und Weingart betonen für ihren Datierungsvorschlag die Verbindung des im Vordergrund stehenden Brüderpaars Joseph und Benjamin mit dem Nordreich und mit dem strittigen Status von Benjamin zwischen Nord und Süd. Die Ägyptenthematik in der Josephsgeschichte interpretieren sie als literarisches Motiv, das ohne textexterne Erfahrungsbezüge zu erklären sei: Dass ein Israelit an einem fremden Königshof aufsteige, setze keine Exilserfahrung – weder von Nordisraeliten noch von Judäern – voraus, sondern sei ein Motiv, das sich prominent in der Sinuhe-Erzählung finde und von dort her inspiriert sei.4 Im Folgenden wird nicht davon ausgegangen, dass sich anhand von Beobachtungen und Argumenten eine klare und eindeutige Datierung der Josephsgeschichte – bzw. ihrer Texte – herbeiführen ließe. Wäre dies möglich, so wäre es schon lange geschehen. Die Spannbreite der in der Forschung vorgetragenen Vorschläge zur historischen Kontextualisierung der Entstehung der Josephsgeschichte decken im Wesentlichen die gesamte mögliche Entstehungszeit alttestamentlicher Texte überhaupt ab: von der frühen Königszeit, ja zum Teil sogar von der vorstaatlichen Zeit an bis in das hellenistische Zeitalter.5 Natürlich sind manche dieser Positionen besser begründet als andere, doch ihre Divergenz lässt vermuten, dass sich die Datierungsfrage der Josephsgeschichte nicht more geometrico lösen lassen wird. Der Dissens betrifft nicht nur die alttestamentliche, sondern auch die ägyptologische Forschung. Die Nachfrage nach dem Ägyptenbild, das für den oder die Verfasser der Josephsgeschichte vorausgesetzt ist, hat weit auseinanderliegende Resultate ergeben: Man hat wohl davon auszugehen, dass die Art und Weise, wie die Josephsgeschichte Ägypten repräsentiert, auf einem Amalgam verschiedener Informationen und Vorstellungen beruht, die eher weniger als mehr mit tatsächlichen Erfahrungen von in Ägypten ansässigen Israeliten oder Judäern zu tun haben.6 Auch der sprachliche Befund deutet weder zwingend darauf hin, dass die Josephsgeschichte in Ägypten entstanden sein muss, noch schließt er cal Receptions, in: R. Albertz/J. Wöhrle (Hg.), Between Cooperation and Hostility. Multiple Identities in Ancient Judaism and the Interaction with Foreign Powers (Journal of Ancient Judaism Supplements 11), Göttingen 2013, 53–72, folgt Albertz in dieser Datierung, erkennt aber in dem aus seiner Sicht exilischen Zusatz Gen 39 zur Josephsgeschichte sogar ein diasporakritisches Element: „By adding Gen 39, probably in the time of the exile, the original Joseph story focusing upon the conflict between Joseph and his brothers takes on a diaspora-critical overtone. In its opening scenes the Joseph story now speaks to the unpredictable risks posed by the people of a foreign land, and it warns about life in such a foreign land.“ (59) 4 Vgl. zu den Berührungen zwischen der Josephsgeschichte und der Sinuhe-Erzählung die Lit. bei Blum/Weingart, Joseph Story, 513 Anm. 52. 5 Vgl. Weingart, Stämmevolk, 262, Anm. 460–463. Siehe auch T. Römer, The Joseph Story in the Book of Genesis: Pre-P or Post-P?, in: F. Giuntoli/K. Schmid (Hg.), The Post-Priestly Pentateuch. New Perspectives on its Redactional Development and Theological Profiles (FAT 101), Tübingen 2015, 185–201, hier 189 Anm. 22–23. 6 Vgl. die Diskussion in Auseinandersetzung v. a. mit D. B. Redford, A Study of the Bibli-
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dies aus: Der Umstand, dass die Josephsgeschichte weitgehend in einer Sprachgestalt verfasst ist, die als „Classical Biblical Hebrew“ (CBH) bezeichnet werden kann, führt nicht notwendigerweise auf ein vorexilisches Datum, da der Gebrauch von CBH nicht exklusiv auf diese Zeit beschränkt werden kann und archaisierende Tendenzen bei der Abfassung der Josephsgeschichte nicht von vornherein auszuschließen sind.7 Zudem bietet die Josephsgeschichte nur sehr wenige Lehnwörter aus dem Ägyptischen („ אחוRiedgras“ Gen 41,2.18; „ ששLeinen“ Gen 41,42), ihre Anzahl wird von denjenigen aus dem Akkadischen oder Aramäischen übertroffen.8 In methodischer Hinsicht benennen Blum und Weingart für Datierungsfragen drei zu berücksichtigende Dimensionen. Erstens ist die diachrone Stratigraphie eines Textes zu bedenken. Von Belang sind zweitens die Beziehungen von Texten zu datierbaren Befunden, wie etwa ihre sprachgeschichtliche Prägung oder die Voraussetzung bzw. Nichtvoraussetzung bestimmter Realia. Schließlich ist drittens die pragmatische Funktion eines Textes für ein bestimmtes historisches Auditorium zu bedenken (502): Lässt sich eine spezifische Verwendung eines Textes in einer bestimmten historischen Situation wahrscheinlich machen? Blums und Weingarts Zugang zur Datierung der Josephsgeschichte gliedert sich in drei Hauptteile. Der erste beschäftigt sich mit der literarischen Schichtung der Josephsgeschichte (503: „The Joseph Story and its ‚stratigraphic‘ context“), der zweite ist mit „The historical context of the Joseph Story“ überschrieben (511) und im dritten werden die voranstehenden Überlegungen als „Conclusions“ gebündelt. Die literarische Grundschicht der Josephsgeschichte, die Blum und Weingart als in sich geschlossene Erzählung gilt, wird im Wesentlichen nach dem Subtraktionsprinzp erhoben: Nichtursprüngliche Bestandteile der Josephsgeschichte erkennen sie in Gen 48,21–22; 50,22–26* (504: „post-P‑Hexateuch redaction“), 37,1–2*, 41,46; 47,8–10.11*.27–28; 48,4–7; 49,29–33*; 50,12–13.22a.26a* (505: „Priestly layer“), 46,1–5a (506: „a link to the patriarchal narratives“), Gen 38 (508: „the Judah-Tamar episode“) sowie Gen 48 (509: „Joseph’s blessing“).9 Zusätzlich nehmen Blum und Weingart an, dass die Josephsgeschichte konzeptiocal Story of Joseph (Genesis 37–50) (VT.S 20), Leiden 1970, bei Blum/Weingart, Joseph Story, 502 Anm. 4. 7 Vgl. ausführlich E. Blum, The Linguistic Dating of Biblical Texts. An Approach with Methodological Limitations, in: J. C. Gertz u. a. (Hg.), The Formation of the Pentateuch. Bridging the Academic Cultures Between Europe, Israel, and North America (FAT 111), Tübingen 2016, 303–326, hier besonders 312. 8 Hinweis meines Mitarbeiters S. Arnet. 9 Zu Gen 39 vgl. die Diskussion 510 Anm. 35, anders F. Ede, Die Josefsgeschichte. Literarkritische und redaktionsgeschichtliche Untersuchungen zur Entstehung von Gen 37–50 (BZAW 485), Berlin/Boston 2016, 105. Die kleinräumige literarkritische Zergliederung der Josephsgeschichte, wie sie Ede vorschlägt, wird von Blum und Weingart kritisch beurteilt, vgl. 504 Anm. 7. Zur Forschungsgeschichte vgl. C. Paap, Die Josephsgeschichte Genesis 37–50. Bestimmungen ihrer literarischen Gattung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (EHS.T XXIII
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nell sowohl die vorangehende Vätergeschichte als auch die nachfolgende Exodusgeschichte voraussetzt. Der zweite Teil des Aufsatzes ist eine kritische Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Josephsgeschichte als nachexilische Diasporanovelle einzustufen ist, wie dies in der neueren Forschung mehr und mehr vertreten wird:10 Die Josephsgeschichte stehe für die legitime Möglichkeit eines Lebens von Juden in der Diaspora ein (512–513). Blum und Weingart bezweifeln allerdings, ob die inhaltliche Ausrichtung der Josephsgeschichte so korrekt erfasst sei: But is this really the message of the story? Its own aim seems rather to be that survival was in this case only possible in Egypt due to divine providence (Gen 45:5 ff.; 50:20 f.). Gen eralizing and applying such an understanding to the Diaspora, would completely twist the meaning of the exile from an act of judgement to an act of salvation history. (513)
Das Zentralstück des Aufsatzes dann besteht in der Diskussion der Sinuhe- Erzählung, die von Blum und Weingart als Falsifikation der These angeführt wird, dass das „motif of a long stay in a foreign country must be based on the experience of a collective exile“ (513). The Sinuhe Story is set abroad, its protagonist travels to a foreign country, rises to a position of power at a foreign court and raises a family there. Nevertheless, no one would search for an Egyptian Diaspora in the Levant in order to account for its existence. (516)
Josephs Ägyptenaufenthalt wird damit als literarisches Motiv interpretiert, das nicht auf eine entsprechende Realität hin transparent sein muss. So entfällt für Blum und Weingart grundsätzlich die Notwendigkeit, die Datierung der Josephsgeschichte nach der Exilierung von Israeliten (Fall des Nordreichs 722 v. Chr.) oder von Judäern (Fall des Südreichs 587 v. Chr.) anzusetzen. Darüber hinaus erkennen Blum und Weingart wichtige Differenzen zwischen der Josephsgeschichte und anerkannter perserzeitlicher Diasporaliteratur wie dem Esther- oder dem Danielbuch: Die besonderen Gesetze der Juden spielen keine Rolle in der Josephsgeschichte, auch die besondere religiöse Identität von Joseph und seiner Familie wird nie thematisiert, ja, zwischen dem Gott Josephs und dem Gott Pharaos wird überhaupt nicht unterschieden. Zusammenfassend halten Blum und Weingart fest: „In sum, the widespread dating of the Joseph Story to the Persian period has to be called into question.“ (516) Als zentrales Thema der Josephsgeschichte erkennen sie die Vorrangstellung Josephs vor seinen Brüdern, die sich historisch mit keinem bekannten Diasporakontext verbinden lasse: „The issue of Joseph’s primacy among the brothers, which is substantial to the story, does not fit into any interpretation involving the Diaspora.“ (517) Besondere Bedeutung kommt dabei der Figur Ben534), Frankfurt a. M. 1994; F. W. Golka, Genesis 37–50. Joseph Story or Israel-Joseph Story?, CBR 2.2 (2004) 153–177. 10 Vgl. oben Anm. 2.
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jamins zu: Die in der Josephsgeschichte vertretene Position, dass Benjamin zu Joseph gehört und dass dies von Juda und den weiteren Brüdern anerkannt wird, passe am besten in ein territorialgeschichtliches und politisches Setting zur Zeit Jerobeams II. (519: „[…] fit well with Northern Israelite ambitions for political hegemony over all of Israel, including Judah and Benjamin.“).
II. Die Antithese: Die Josephsgeschichte als Diasporanovelle Blum und Weingart haben eine kraftvolle Deutung der Josephsgeschichte vorgelegt, die vor allem über den Vorzug verfügt, die herausgehobene Position Josephs gegenüber seinen Brüdern und die enge Verbindung zwischen Joseph und Benjamin verständlich zu machen: Vor dem Hintergrund eines prosperierenden Nordreichs und der umstrittenen politischen Stellung Benjamins ist die personelle Konstellation der Josephsgeschichte politisch in der Tat nachvollziehbar und verständlich. Die Josephsgeschichte wird so als ein politisch geprägtes Dokument des 8. Jahrhunderts v. Chr. interpretiert – entstanden im Norden, aber mit einer gesamtisraelitischen Perspektive ausgestattet. Ebenfalls gebührt Blum und Weingart das Verdienst, die auffälligen Parallelen der Josephsgeschichte zur Sinuhe-Erzählung der Forschung wieder in Erinnerung gerufen zu haben.11 Worin aber liegen die Schwierigkeiten dieses Vorschlags? Der erste Punkt betrifft das Ägyptenthema. Weshalb beschäftigt sich eine Erzählung wie die Josephsgeschichte, die sich – nach dem Vorschlag von Blum und Weingart – binnenpolitischen Problemen der Levante widmet, derart prominent mit Ägypten? Ihre Szenerie spielt zum weitaus größten Teil in Ägypten, das hier nicht einfach eine Landschaft ist, sondern als politisches Gebilde in den Blick kommt, mit dem Joseph interagiert, ja, in welches er sich sogar integriert. Aus der Sicht von Blum und Weingart folgt die Josephsgeschichte hier strukturell ihrem literarischen Vorbild, der Sinuhe-Erzählung: Das Thema des Aufstiegs an einem fremden Hof sowie des Überlebens im Ausland ist literarischer Natur und besitzt keinen realgeschichtlichen Hintergrund. Die Lokalisierung des Auslandsaufenthalts Josephs und seiner Familie ergibt sich nachgerade zwingend aus der Funktion der Josephsgeschichte als „Zwischenstück zwischen Erzelternerzählungen und Exodus“:12 Das Wissen um die konzeptionelle Fortführung der Josephsgeschichte mittels der Exodusdarstellung erklärt die Wahl Ägyptens als erzählerischer Szenerie. Diese Argumentation ist nicht unmöglich, sie hat jedoch mit einer Reihe gegenläufiger Indizien zu kämpfen. Zunächst ist die supponierte konzeptionelle Abfolge von Erzeltern und Exodus in der mittleren Königszeit keineswegs frag11 12
Vgl. oben Anm. 4. Weingart, Stämmevolk, 265.
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los vorauszusetzen, zumal wenn man damit rechnet, dass eine literarische Verbindung dieser Themen frühestens in das 6. Jahrhundert anzusetzen ist.13 Weiter scheint das Ägyptenthema in der Josephsgeschichte inhaltlich doch deutlich stärker profiliert zu sein, als man dies erwarten würde, wenn es „nur“ der Einpassung in die konzeptionelle Abfolge von Erzeltern- und Exodus-Tradition geschuldet wäre. Die Heirat Josephs mit Asenat, der Tochter eines ägyptischen Priesters (Gen 41,45), präsentiert und legitimiert eine Mischehe, die Joseph in den Wirkungskreis der ägyptischen Religion einrückt (bekanntlich wurde dies in der frühjüdischen Schrift „Joseph und Asenet“ als schwerwiegendes Problem empfunden, so dass Asenet sich vor der Heirat zuerst zum Judentum zu bekehren hat). Mehr noch, Josephs Söhne Manasse und Ephraim, die dieser Verbindung entspringen, werden zu halben Ägyptern (Gen 41,50–52). Auch kleinere Erzählzüge, etwa die Expertise Josephs in der Lekanomantie (Gen 44,5) oder seine Einbalsamierung nach seinem Tod (Gen 50,3), weisen auf konkretere Aussageabsichten bezüglich des Ägyptenthemas hin – sie scheinen nicht bloß als Ergebnis literarischer Konstruktion zu interpetieren sein.14 Ja, sie korrigieren sogar in entscheidender Weise die Perspektiven auf Ägypten, die von der Darstellung des Auszugs aus Ägypten an entwickelt wurden. Ägypten ist nicht nur Feindesland oder – als Volk bzw. Militär15 – massa perditionis, sondern auch ein Ort der jüdischen Akkulturation, ein Ort des Handelns und Wirkens des Gottes Israels; ägyptische Frauen kommen als Heiratspartnerinnen für Israeliten in Frage, und der König von Ägypten ist kein Despot oder Tyrann, sondern ein weiser Herrscher. Es fällt schwer, dieses elaborierte Ägyptenbild wahrzunehmen, ohne dabei die Schlussfolgerung zu ziehen, dass die Autoren der Josephsgeschichte Ambitionen verfolgten, Ägypten als möglichen Lebensraum für Israel zu zeichnen. Dabei spielt keine Rolle, ob man diese Autoren für in der Levante oder in Ägypten ansässig hält: Eine diasporafreundliche Perspektive kann auch im Land selber formuliert worden sein. Der Abweis erfahrungsgeschichtlicher Hintergründe für die Ägyptenthematik in der Josephsgeschichte durch Blum und Weingart erscheint insofern besonders schwierig, da sie solche Hintergründe umso entschiedener für das Thema des Verhältnisses zwischen Joseph und seinen Brüdern, besonders Benjamin, in 13 Vgl. E. Blum, Die literarische Verbindung von Erzvätern und Exodus. Ein Gespräch mit neueren Endredaktionshypothesen, in: J. C. Gertz u. a. (Hg.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion (BZAW 315), Berlin/New York 2002, 119–156. 14 Vgl. Römer, Joseph Story, 192. 15 Vgl. zu dieser Unterscheidung v. a. innerhalb der priesterschriftlichen Literatur K. Schmid, Taming Egypt. The Impact of Persian Imperial Ideology and Politics on the Biblical Exodus Account, in: M. Popović u. a. (Hg.), Jewish Cultural Encounters in the Ancient Mediterranean and Near Eastern World (JSJ.S 178), Leiden 2017, 13–29 sowie Ders., Ägypten als Chaosmacht. Die Vernichtung des ägyptischen Heers am Schilfmeer als Begründung der Herrlichkeit Gottes im perserzeitlichen Exodusbuch, Aegyptiaca 3 (2018) 149–157.
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Anschlag bringen. Dies markiert den zweiten Problempunkt. So ist zu fragen, ob die von Blum und Weingart verfolgte Form methodischer Eklektik möglich ist. Sind grundsätzlich realgeschichtlich ausdeutbare Züge einer Erzählung einmal als Reflexe entsprechender politischer Konstellationen und einmal als Resultat der Anwendung literarischer Motive zu interpretieren? Die Frage stellt sich umso drängender, da sich gerade für das Motiv des Verhältnisses der Brüder untereinander vielfache literarische Analogien nennen ließen.16 Bezüglich der von Blum und Weingart besonders betonten Rolle Benjamins ist zudem zu bedenken, dass die in der historischen Auslegung der Josephsgeschichte in den Vordergrund gestellte Frage, ob Benjamin nun zu Israel oder Juda gehöre, im Plot sich so nicht identifizieren lässt:17 Am Verhalten der Brüder zu Benjamin soll sich, wie zuvor in Bezug auf Simeon, zeigen, ob diese nach ihrem Mordanschlag gegenüber Joseph andere geworden sind. Die Josephsgeschichte zeichnet die Gefährdungen von Benjamin und Simeon in Analogie zu denjenigen Josephs selbst: Die durch die Brüder verschuldete Todesverfallenheit Josephs in der Zisterne (Gen 37), die sich dann zur Knechtschaft wandelt, präfiguriert – mit einer gewissen sachlichen Verschiebung – die Ereignisse um den Becherfund bei Benjamin (Gen 44). Benjamin wird so in eine Gefahrensituation gebracht, in der sich auch Joseph befand: Hatte Joseph zunächst den Tod vor Augen, wandelte sich seine Situation zur Knechtschaft. Ähnliches gilt für die Parallelisierung von Joseph und Simeon: Wie der bereits nach Ägypten verschleppte Joseph dort im Gefängnis ausharren muss, so ergeht es auch Simeon, der nach der ersten Reise der Brüder als Pfand bei Joseph in Ägypten bleiben muss. Dass Benjamin nach Ausweis der Josephsgeschichte vor allem Joseph zugehörig sein soll, wird zudem durch die zentrale Rede Judas in Gen 44,18–34 konterkariert: Juda anerbietet sich selbst für Benjamin als Sklave Josephs. Als politische Allegorie gelesen, wäre die Josephsgeschichte auch geeignet, die Zugehörigkeit Benjamins zu Juda zu legitimieren.18 Im Rahmen der Brüderthematik bleibt auch unerklärt, weshalb Joseph anfänglich als verzärtelter Jüngling gezeichnet wird.19 Ein drittes Problem ergibt sich aus der besonderen Akzentuierung des politischen Themas des Königtums in der Josephsgeschichte. Entsprechend der Exposition in Gen 37 geht es in der Erzählung in der Tat um die Hegemonie Josephs über seine Brüder. Ja, gemäß Gen 37,8 befürchten die Brüder sogar, dass Joseph „als König“ über sie herrschen wolle. Tatsächlich aber wird Joseph weder 16 Vgl. W. Wettengel, Die Erzählung von den beiden Brüdern. Der Papyrus d’Orbiney und die Königsideologie der Ramessiden (OBO 195), Freiburg i. Ue. / Göttingen 2003. 17 Vgl. auch Römer, Joseph Story, 191. 18 Vgl. Römer, Joseph Story, 191. 19 Vgl. dazu und zur Wandlung Josephs in Gen 37–50 K. Schmid, Josephs zweiter Traum. Beobachtungen zu seiner literarischen Funktion und sachlichen Bedeutung in der Josephsgeschichte (Gen 37–50), ZAW 128 (2016) 374–388.
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König über die Brüder noch König über Ägypten, er steigt lediglich zum zweiten Mann im Staat auf. Politisch läuft die Josephsgeschichte nicht auf die Begründung einer staatlichen Struktur oder Administration hinaus,20 sondern vielmehr auf den Zusammenhalt der zwölf Stämme jenseits einer evidenten identitätsstiftenden politischen Struktur. Viertens ist zu beachten, dass die alttestamentliche Überlieferung außerhalb von Gen 37–50 über die Josephsgeschichte weitgehend schweigt. Die ausführlichste Aufnahme findet sich in Ps 105,21 der allerdings bereits die Verbindung von priesterlichen und nichtpriesterlichen Texten im Pentateuch voraussetzt. Implizit scheint Gen 50,15–21 in Jes 40,2,22 Gen 37,34–35 in Jer 31,1523 sowie Gen 50,24 in Jer 29,1024 vorausgesetzt zu sein, aber diese Texte führen auch nicht vor das 6. Jahrhundert v. Chr. Die Josephsgeschichte, datiert man sie ins 8. Jahrhundert v. Chr., wäre also in der weiteren Literaturgeschichte des Alten Testaments weitestgehend unbeachtet geblieben; dies ist einer frühen Ansetzung nicht unbedingt günstig, wenn auch natürlich solche argumenta e silentio mit Vorsicht zu bedenken sind. Schließlich ist fünftens auf die besondere weisheitliche und geschichtstheologische Prägung der Josephsgeschichte hinzuweisen. Die Nähe der Josephsgeschichte zur Weisheit wurde forschungsgeschichtlich wirksam durch Gerhard von Rad dargestellt, der die Josephsgeschichte als Ausdruck höfischer Weisheit der Salomozeit interpretierte.25 In der Forschungsdiskussion wurde jedoch alsbald deutlich, dass die weisheitliche Prägung von Gen 37–50 nicht in den historischen Kontext der traditionellen Weisheit weist, wie man ihr etwa in den älteren Passagen des Sprüchebuchs begegnet, sondern dass sie eher Berührungen mit der mantischen Weisheit, wie sie sich etwa in den Danielerzählungen findet, aufweist.26 Im Rahmen der frühen Weisheitsliteratur nimmt sich die Vor20 Vgl. F. Crüsemann, Der Widerstand gegen das Königtum. Die antiköniglichen Texte des Alten Testamentes und der Kampf um den frühen israelitischen Staat (WMANT 49), Neukirchen-Vluyn 1978, 143–155. Vgl. weiter zum Herrschaftsthema J.‑D. Döhling, Die Herrschaft erträumen, die Träume beherrschen. Herrschaft, Traum und Wirklichkeit in den Josefsträumen (Gen 37,5–11) und der Israel-Josefsgeschichte, BZ 50 (2006) 1–30. 21 Vgl. dazu Lux, Josef, 249–250; K. Schmid, Erzväter und Exodus. Untersuchungen zur doppelten Begründung der Ursprünge Israels in den Geschichtsbüchern des Alten Testaments (WMANT 81), Neukirchen-Vluyn 1999, 311–312. 22 Vgl. R. G. Kratz, Der Anfang des Zweiten Jesaja in Jes 40,1 f. und seine literarischen Horizonte, ZAW 105 (1993) 400–419. 23 Vgl. K. Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches. Redaktion und Rezeption von Jer 30– 33 im Kontext des Buches (WMANT 81), Neukirchen-Vluyn 1999, 133–135. 24 Schmid, Buchgestalten, 227–228. 25 Vgl. G. von Rad, Josephsgeschichte und ältere Chokma (1953), in: Ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament (TB 8), München 1958, 272–280; Ders., Die Josephsgeschichte (1954), in: Ders. / O. H. Steck (Hg.), Gottes Wirken in Israel. Vorträge zum Alten Testament, Neukirchen-Vluyn 1974, 22–41. 26 Vgl. M. Fox, Wisdom in the Joseph Story, VT 51 (2001) 25–41, hier 40: “The concept of
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stellung, dass die Untat der Brüder ein geheimes Werkzeug im Heilsplan Gottes zur Rettung seines Volkes vor der Hungersnot sei,27 erratisch aus. Eine solche Theologie der geheimen Lenkung der Geschichte ist für die Zeit Jerobeams II. literaturgeschichtlich schwierig zu plausibilisieren. Auch die monotheistische Prägung der Josephsgeschichte lässt sich kaum für das 8. Jahrhundert v. Chr. wahrscheinlich machen. Dies gilt besonders, wenn man mit Blum und Weingart Gen 39 zur ursprünglichen Josephsgeschichte zählt. In Gen 39,2–6 wird nicht nur vorausgesetzt, dass Jhwh, der Gott Israels, in Ägypten wirkt, sondern auch, dass er zugunsten eines Ägypters handelt und dass es diesem Ägypter gar möglich ist, Josephs göttlichen Beistand als Beistand Jhwhs zu erkennen: „Und sein Herr sah, dass Jhwh mit ihm war und dass Jhwh alles, was er tat, in seiner Hand gelingen ließ“ (Gen 39,3). Die nächsten Parallelen zu einer solchen Vorstellung finden sich in den Kyros-Aussagen in Jes 45,1–7 oder – negativ gewendet – in den Pharao-Aussagen in Ex 7–11. Weder Jes 45 noch die entsprechende Überarbeitungsgestalt von Ex 7–11 lassen sich ohne weiteres in theologiegeschichtlicher Hinsicht mit der Epoche Jerobeams II. in Verbindung bringen.
III. Ist eine Synthese möglich? Bedenkt man den Vorschlag von Blum und Weingart im Lichte seiner möglichen Schwierigkeiten, so fällt eine Auswertung nicht einfach. Die Josephsgeschichte kann nicht gleichzeitig ein vorexilisches Dokument aus dem Nordreich und eine nachexilische Diasporanovelle sein. Allerdings sollte man die Deutung der Josephsgeschichte als Diasporanovelle nicht zwingend mit einer nachexilischen Datierung verbinden: Eine Diasporanovelle mit realgeschichtlichem Hintergrund ist seit dem Untergang des Nordreichs 722 v. Chr. denkbar. Auch die Annahme einer redaktionsgeschichtlichen Staffelung einer älteren Josephsgeschichte, die der Legitimation des Nordreichs diente, und einer späteren Ausarbeitung zu einer Diasporanovelle verbietet sich: Die literarkritische Umgrenzung der Josephsgeschichte nach Blum und Weingart ist gut gesichert und (bis auf die Frage der Zugehörigkeit von Gen 39) vergleichsweise breit anerkannt – es lässt sich hinter Gen 37–50 keine ältere Erzählung herausschälen, die erst sekundär zu einer Diasporanovelle ausgestaltet worden wäre. Blum und Weingart erheben zumindest ausweislich der sprachlichen Gestaltung ihres Beitrags nicht den Anspruch, die Entstehung der Josephsgeschichte more geometrico vordemonstriert zu haben: Sie passe („fit“) zur Zeit Jerobeams wisdom in the Joseph story is affiliated with the pietistic and inspired wisdom of Daniel rather than with the ethical and practical wisdom of Wisdom literature.“ 27 Vgl. J. Ebach, „Ja bin denn ich an Gottes Stelle?“ (Genesis 50:19). Beobachtungen und Überlegungen zu einem Schlüsselsatz der Josefsgeschichte und den vielfachen Konsequenzen aus einer rhetorischen Frage, BibInt 11 (2003) 602–616.
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II., und die Deutung als perserzeitliche Diasporanovelle müsse hinterfragt werden („needs to be called into question“). Welches Fazit lässt sich aufgrund der voranstehenden Überlegungen formulieren, wenn man versucht, Gemeinsamkeiten sowie verbleibende Probleme zu benennen? 1. Die Josephsgeschichte ist eine literarische Erzählung, die gewisse politische Assoziationen hervorruft und entsprechend wohl auf bestimmte zeitgeschichtliche Realitäten hin transparent ist. Ihre literarische Prägung verdankt sich nicht nur der immanenten Logik der Welt ihrer Erzählung, sondern ist auch Resultat der Erfahrungslagen der Welt ihrer Erzähler. 2. Das Ägyptenthema in der Josephsgeschichte ist zu diffus dargestellt, als dass sich daraus eindeutige Datierungsanhalte ableiten ließen. Gleichzeitig finden sich sehr spezifische erzählerische Züge zum Ägyptenaufenthalt Josephs und seiner Familie, so dass es schwerfällt, dem Ägyptenthema keine spezifische pragmatische Rolle im Blick auf die Leserschaft der Josephsgeschichte zuzuweisen. 3. Der sprachgeschichtliche Befund führt auf keine eindeutigen Resultate. Die Josephsgeschichte ist in „Classical Biblical Hebrew“ (CBH) abgefasst, doch es ist umstritten, auf welchen terminus ante quem dieses Urteil führt, da die historische Reichweite von CBH ungesichert und die Frage der archaisierenden Imitation von CBH umstritten ist. 4. Nicht gut untereinander auszugleichen als historisch relevante Themen der Josephsgeschichte sind die Hervorhebung Josephs einerseits und der Ägyptenaufenthalt der Jakobsippe andererseits.28 Es liegt auf der Hand, dass die Betonung Josephs – politisch gelesen – umso schwieriger zu erklären ist, je weiter man sich von der Existenz des Nordreichs geschichtlich entfernt. Umgekehrt ist das Motiv des Aufstiegs eines Israeliten an einem fremden Königshof, wenn man sich nicht auf die Sinuhe-Parallele als speisendes Motiv beschränken will, einfacher zu deuten, wenn das Ende des Nordreichs bei der Abfassung der Josephsgeschichte bereits vorauszusetzen ist. Wer die Beobachtung der Vorrangstellung Josephs unter seinen Brüdern privilegiert, wird Schwierigkeiten haben, die Josephsgeschichte als Diasporanovelle zu interpretieren; wer den Aufstieg Josephs am ägyptischen Hof und seine politische Funktion dort in den Vordergrund rückt, wird die Josephsgeschichte nicht älter ansetzen als die Entstehung einer jüdischen Diaspora in Ägypten. 5. Blum und Weingart sehen keine grundsätzlichen Schwierigkeiten darin, komplexe und umfangreiche Literaturwerke bereits in der frühen und mitt28 Zum Wechsel von Israel und Jakob in Gen 37–50 vgl. K. Schmid, „Israel“ in the Joseph Story (Gen 37–50), in: O. Lipschits/Y. Gadot/M. J. Adams (Hg.), Rethinking Israel. Studies in the History and Archaeology of Ancient Israel in Honor of Israel Finkelstein, Winona Lake 2017, 355–364.
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leren Königszeit anzusetzen.29 Im Rahmen ihrer Gesamtentwürfe zur Geistes- und Literaturgeschichte des Pentateuch ist ihr Vorschlag zur Interpretation der Josephsgeschichte weiterführend und schlüssig. Sie rechnen mit einem frühen Vorliegen einer konzeptionellen Verbindung von Erzeltern- und Exodusüberlieferung; wer diese Grundüberzeugung nicht teilt, wird wohl auch im Fall der Josephsgeschichte anders urteilen, als dies Blum und Weingart vorschlagen. Es zeigt sich auch in dieser Diskussion, dass Plausibilitäten in der Exegese sowohl von Analysen im Kleinen wie auch von der Theoriebildung im Großen abhängen – beides muss miteinander vermittelt werden. Die alttestamentliche Wissenschaft ist allerdings eine „weiche“ Wissenschaft: Aufgrund der vergleichsweise bescheidenen externen Datenlage für die Geschichte des antiken Israel und Juda und des Fehlens von Primärquellen für die biblischen Texte lässt sie der historischen Forschungsdiskussion notwendigerweise große Spielräume.
29
Vgl. dazu M. Richelle, Elusive Scrolls. Could Any Hebrew Literature Have Been Written Prior to the Eighth Century BCE?, VT 66 (2016) 556–594.
Die politische Funktion des Dekalogs Wolfgang Oswald
I. Was meint „politische Funktion des Dekalogs“? Die Frage nach der politischen Funktion ist zunächst einmal historisch zu verstehen. In Frage steht nicht, ob der Dekalog heute eine politische Funktion haben könnte oder sollte, sondern, ob er eine solche in der Phase seiner erstmaligen Abfassung und ggf. in den Phasen seiner Fortschreibung hatte. Mit anderen Worten: Hatte der Dekalog im Raum eines israelitischen bzw. judäischen Staates oder Gemeinwesens eine beschreibbare öffentliche Funktion? 1. Der Dekalog zwischen Ethik, Recht und Politik Zunächst ist zu klären, ob und inwiefern der Staat im Dekalog vorkommt. Nach Matthias Köckert ist dies zu verneinen, ja, schon die Frage ist falsch gestellt: Es fällt auf, dass der Staat in den Zehn Geboten überhaupt nicht vorkommt. Früher galt dieser negative Befund als Ausweis ihrer vorstaatlichen Herkunft, heute wird er dagegen eher als Argument für deren nachstaatliche Provenienz benutzt. Bei Lichte besehen taugt die unbestreitbare Beobachtung als Argument weder für das eine noch für das andere. Denn der Dekalog ist allein am Verhältnis des Menschen zum Mitmenschen („dein Nächster“) vor Gott orientiert.1
Köckerts Auffassung liegt durchaus im Mainstream der Rezeption des Dekalogs. Wo man die angeblich „unbestreitbare Beobachtung“, dass der Staat nicht vorkommt, als Mangel empfand, hat man das Problem meist so gelöst, dass man den Staat in Gestalt der Obrigkeit im Elterngebot untergebracht hat. So etwa lautet Luthers Erklärung des Elterngebots im Kleinen Katechismus: Wir sollen Gott fürchten und lieben, das wir unsere Eltern und Herrn nicht verachten noch erzürnen, sondern sie in ehren halten, inen dienen, gehorchen, lieb und werth haben.2
1
M. Köckert, Die Zehn Gebote (C. H. Beck Wissen), München 2007, 40.
2 I. Dingel (Hg.), Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollstän-
dige Neuedition, Göttingen 2014, 864.
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Die Zehn Gebote in der Katechismusfassung erhalten in diesem Sinne eine politische Funktion, indem sie – zusätzlich zum „Verhältnis des Menschen zum Mitmenschen“ (Köckert) – auch das Verhältnis des Menschen zu den Trägern der staatlichen Gewalt regeln. Keinesfalls aber regelt der Dekalog (in der Katechismusfassung) das staatliche Handeln der Obrigkeit selbst, noch ist er Ausdruck eines staatlichen Regelungswillens. Um wie viel mehr muss das für den biblischen Dekalog gelten, der ja die spätere Ausweitung des Elterngebotes auf die „Herrn“ noch gar nicht kennt. Die Verneinung einer politischen Funktion des Dekalogs hängt auch mit seiner Charakterisierung als Ethik zusammen. Schon seit der alten Kirche wird der Dekalog als ethisches Kompendium verstanden3 und die Katechismen führten diese Linie bis in unsere Zeit fort. Auch die vielen modernen Adaptionen des Dekalogs verstehen sowohl diesen als auch die jeweilige Aktualisierung als Ethik.4 Will man den Dekalog so auslegen, muss freilich ein ganz grundsätzliches Problem gelöst bzw. umschifft werden, und zwar die überwiegend negative Formulierungsweise in Prohibitiven, die zwar einer Rechtsordnung angemessen wäre, nicht aber einer Ethik. Den Prohibitiven werden von den Auslegern bzw. Aktualisierern üblicherweise positive Formulierungen an die Seite gestellt, zudem wird das starke „Du musst“ des hebräischen Textes durch ein milderes „Du sollst“ ersetzt. Beispielhaft ist auch hier der Kleine Katechismus Martin Luthers: Das Fünffte Gebot: Du solt nicht tödten. Was ist das? Antwort: Wir sollen Gott fürchten und lieben, das wir unserm Nechsten an seinem leibe keinen schaden noch leidt thun, Sondern im helffen und fördern in allen leibes nöten.5
Diese beiden Maßnahmen verändern den Charakter des Dekalogs nachhaltig und verstärken den Eindruck, es handle sich um Ethik. Eine moderne Variante dieser Vorgehensweise finden wir etwa in der vom Lutherischen Verlagshaus herausgegebenen Reihe „Einfach Evangelisch“. Das Bändchen zum Dekalog stammt von Margot Käßmann und trägt den Titel „Du darfst. Die Zehn Gebote“. Sie schreibt: Sie [die zehn Gebote] sind ja weniger Ver-bote, wie viele meinen, sondern eben Ge-bote, die uns ermutigen, so zu leben, dass die Welt ein lebenswerter Ort ist.6
Nun kann man aber sowohl von Luthers als auch von Käßmanns Auslegung sagen, dass eine politische Wirksamkeit des Dekalogs impliziert ist. Wenn die Menschen so leben, wie im Dekalog bzw. in seinen Aktualisierungen angemahnt, dann hat das eine Wirkung auf das Gemeinwesen bzw. auf den Staat. Zwar handelt der Dekalog an sich ganz basal von zwischenmenschlicher Ethik, diese ver3
Köckert, Gebote, 98–105. Als Klassiker dieser Auslegungsrichtung mag genannt werden J. M. Lochman, Wegweisung der Freiheit. Abriß der Ethik in der Perspektive des Dekalogs (GTBS 340), Gütersloh 1979. 5 Dingel, Bekenntnisschriften, 864. 6 M. Kässmann, Du darfst. Die zehn Gebote (Einfach Evangelisch 1), Hannover 2009, 36. 4
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mag aber als solche eine gesellschaftliche und damit auch politische Wirkung zu entfalten. Dem kann man sicher zustimmen, aber die Frage nach der „politischen Funktion“ des Dekalogs, die hier ansteht, geht in zweierlei Hinsicht darüber hinaus: Zum einen ist zu fragen, ob die Dekalogregeln nicht eine genuin politische Abzweckung hatten, und zum anderen, ob der Dekalog nicht primär einen politischen Sitz im Leben hatte. 2. Der „Sitz im Leben“ des Dekalogs Schon während der Reformationszeit wurde diskutiert, ob der Dekalog statt auf die Kanzel nicht besser auf das Rathaus gehöre. Dieses Wort wird oft Martin Luther zugesprochen, aber in dieser Form ist das nicht zu verifizieren. In einem Brief an den Pfarrer Caspar Guettel aus dem Jahr 1539 schreibt der Reformator über die „newen geister, so das Gesetz Gottes oder zehen gebot aus der kirchen zu stossen und auffs Rathaus zu weisen sich unterstanden haben“7, fügt aber sogleich hinzu: „Welcher geisterey ich mich hette nimer mehr versehen.“ Dass der Dekalog auch auf das Rathaus gehöre, war durchaus im Sinne Luthers. Denn tatsächlich malte Lucas Cranach im Jahr 1516 die Zehn Gebote für die Gerichtsstube im Rathaus zu Wittenberg (heute zu sehen im Refektorium des Lutherhauses). Insofern ist der Satz, die Zehn Gebote gehörten aufs Rathaus, durchaus zutreffend. Aber Luther war eben darüber hinaus der Meinung, dass sie selbstverständlich auch auf die Kanzel bzw. in die kirchliche Katechismusunterweisung gehören. Doch wie sehen die historischen Szenarien diesbezüglich aus? Die meisten Fachveröffentlichungen verzichten auf die Rekonstruktion der ursprünglichen Verwendungsumstände des Dekalogs. Matthias Köckert weist lediglich darauf hin, dass der Dekalog der „Sozialisation innerhalb der Familie“8 gedient habe. Josef Wehrle beschränkt sich auf den Hinweis, dass der Dekalog das „Ergebnis eines langen Überlieferungsprozesses“9 war. Werner H. Schmidt setzt sich mit einigen älteren Vorschlägen auseinander, die einen ursprünglich kultischen (und zugleich vor- bzw. frühstaatlichen) Gebrauch postulieren, kommt dann aber zu dem Schluss, der Dekalog intendiert in seinen Formulierungen Allgemeingültigkeit, [und] weist darum über seinen ursprünglich möglichen ‚Sitz im Leben‘ oder die ehemalige soziale Verwurzelung hinaus.10 7
M. Luther, WA 50, 468. Köckert, Gebote, 22. 9 J. Wehrle, Der Dekalog. Text, Theologie und Ethik (Bibel und Ethik 7), Berlin 2015, 180. 10 W. H. Schmidt, Die Zehn Gebote im Rahmen alttestamentlicher Ethik (EdF 281), Darmstadt 1993, 34. 8
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Frank Crüsemann greift in seiner Studie „Bewahrung der Freiheit“ auf die klassischen kultischen Modelle zurück, nicht zuletzt, weil er die von Schmidt behauptete Allgemeingültigkeit des Dekalogs bestreitet: Mehr, als daß der Dekalog im Rahmen regelmäßiger, mehr oder weniger kultischer Begehungen gelebt und Gestalt gewonnen hat, kann man mit wirklicher Sicherheit nicht sagen. Immerhin sollte man aber soviel als ein sicheres Minimalergebnis der vielen formgeschichtlich orientierten Arbeiten doch mit Nachdruck festhalten, auch gegen wiederholte neuere Versuche, selbst darauf zu verzichten und den Dekalog – mit einem methodischen Rückschritt ins 19. Jahrhundert – als Ergebnis rein literarischer Produktivität zu verstehen.11
Auch Rainer Albertz hält an der Vorstellung eines kultischen Gebrauchs des Dekalogs fest. Er schreibt im ersten Band seiner Religionsgeschichte: In unzähligen Laienunterweisungen erfolgreich verwendet, verdrängte er das Bundesbuch der hiskianischen Reform aus der gottesdienstlichen Lesung […]. [Seine Verfasser] schufen […] in ihm ein kleines katechismusartiges Kompendium.12
Bemerkenswert ist, dass Albertz und Crüsemann den vermuteten kultischen Gebrauch des Dekalogs nicht wie die ältere Forschung in die Vor- und Frühzeit Israels verlagern, sondern für die späte Königszeit für wahrscheinlich halten. Bemerkenswert ist weiter, dass beide davon ausgehen, dass es in Israel bzw. Juda „Gottesdienste“, und weiter, dass es bei diesen vermuteten Gottesdiensten „Lesungen“ gegeben habe. Es ist aber keineswegs gesichert, ja sogar sehr unsicher, ob es in vorhellenistischer Zeit in Juda kultische Begehungen gab, die dem, was wir seit der Spätantike als Gottesdienst kennen, auch nur annähernd entsprochen haben, von gottesdienstlichen Lesungen ganz zu schweigen.13 Wichtig ist auch, dass sich alle Autoren in ihren Überlegungen zu einem frühen Gebrauch des Dekalogs immer auf den Dekalog allein beziehen, also auf eine Version des Dekalogs, die noch nicht im narrativen Kontext der Gottesberg-Perikope verankert war. Aber auch die Gegenposition, wonach der Dekalog zusammen mit seinem narrativen Kontext entstand, wurde in jüngerer Zeit vertreten. Nach Cornelis Houtman ist der Dekalog „the basic law, the constitution, to govern the interpretation of these laws“14. Er wurde als „literary creation“ geschaffen und daher gebe es keinen Grund, nach einem Sitz im Leben zu fragen. In ähnlicher Weise versteht Reinhard G. Kratz den Dekalog als schriftgelehrtes Extrakt aus dem Bundesbuch (Ex 20,22/24–23,19/33), wobei jedem Verbot 11 F. Crüsemann, Bewahrung der Freiheit. Das Thema des Dekalogs in sozialgeschichtlicher Perspektive (KT 128), Gütersloh 1993 (= KT 87, München 1983), 14. 12 R. Albertz, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit (GAT 8/1), Göttingen 1992, 335. 13 Vgl. dazu C. Auffarth, Art. Gottesdienst, II. Historisch, 1. Antike, RGG4 3, 1174–1175; G. Braulik, Art. Gottesdienst, II. Historisch, 2. Altes Testament, RGG4 3, 1175–1176. 14 C. Houtman, Exodus (HCOT), Bd.3, Leuven 2000, 11.
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bzw. Gebot des Dekalogs ein Gesetz des Bundesbuches entspreche.15 Das sind die Szenarien, die Crüsemann unter „rein literarischer Produktivität“ versteht und verwirft.16 3. Vorläufiges Fazit und Ausblick Aufschlussreich sind die Korrelationen, die hier von allen Diskutanten vorausgesetzt werden. Wenn der Dekalog für seinen jetzigen literarischen Kontext geschaffen wurde, dann sei er ein rein literarisches Produkt. Nur wenn er unabhängig davon entstanden ist, könne man über einen außerliterarischen Sitz im Leben sprechen. Diese Korrelationen sind jedoch nicht sachgemäß. Ob es eine frühe Vorstufe des Dekalogs gegeben hat, die unabhängig vom literarischen Kontext der Gottesberg-Perikope in Gebrauch war, lässt sich nur sehr hypothetisch sagen. Erhard Blum hat dazu einen Vorschlag vorgelegt.17 Aber da wir über die Verwendungsumstände einer solchen Vorstufe ohne narrativen Kontext nichts wissen, mag diese Möglichkeit in den Raum gestellt bleiben. Ein Reihung von Verboten, die den Namen „Dekalog“ verdient, also eine Abfolge aus dem exodusbezogenen Prolog und einer wie auch immer zu Stande kommenden Zehnzahl, eine solche Reihung hat es – und hier folge ich wieder Blum – außerhalb des narrativen Kontexts der Gottesberg-Perikope nie gegeben.18 Sollte die erste als Dekalog identifizierbare Gestalt im Rahmen der Gottesberg-Perikope entstanden sein, bedeutet das aber nicht, dass der Dekalog ein Auszug aus dem Bundesbuch ist. Und es heißt auch nicht, dass der Dekalog ein rein literarisches Gebilde gewesen sein muss, das außerhalb der Gottesberg-Perikope niemals verwendet wurde. Die Pentateuchtexte legen m. E. etwas Anderes nahe. (1) Die besondere Kommunikationsweise des Dekalogs deutet eher darauf hin, dass er, nachdem er als Teil der Gottesberg-Perikope in einer Erstfassung geschaffen worden war, auch als eigenständiges Stück in Gebrauch kam. Dafür gibt es sogar handfeste literarische Hinweise, nämlich seine en bloc-Zitierung in Dtn 5 und seine Verwendung als Katechismusstück im Papyrus Nash.19 (2) Die Ge- und Verbote des Dekalogs sind in sachlicher Hinsicht weder ein Auszug aus dem Bundesbuch noch ein 15 R. G. Kratz, Der Dekalog im Exodusbuch, VT 44 (1994) 205–238, ähnlich auch W. H. Propp, Exodus 19–40 (AncB), New York 2006, 305–306; L. Schwienhorst-Schönberger, Präskriptive Texte, in: H. Utzschneider/E. Blum (Hg.), Lesarten der Bibel. Untersuchungen zu einer Theorie der Exegese des Alten Testaments, Stuttgart 2006, 117–126, hier 123–125. 16 S. o. Anm. 11. 17 E. Blum, The Decalogue and the Composition History of the Pentateuch, in: T. B. Dozeman/K. Schmid/B. J. Schwartz (Hg.), The Pentateuch. International Perspectives on Current Research (FAT 78), Tübingen 2011, 289–301, hier 299. 18 Ebd., 297. 19 Zum Papyrus Nash s. Köckert, Gebote, 92–94.
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Kompendium universaler Ethik. Die Auswahl der Vorschriften ergibt sich vielmehr aus dem Zweck der Gottesberg-Perikope als Ganzer. Doch um was geht es in der Gottesberg-Perikope? Damit sind wir wieder beim Thema „Staat“, der, wenn wir Matthias Köckert Glauben schenken wollen, im Dekalog angeblich unbestreitbar nicht vorkommt. Das ist insofern richtig, als der Dekalog tatsächlich den Staat als eine distinkte Größe neben anderen gesellschaftlichen Strukturen nicht kennt. Auch gibt es kein Einzelgebot, das das Verhältnis zum Staat regeln würde, als ob der Staat eine von den angeredeten Personen zu unterscheidende Größe wäre. Es ist vielmehr anders: Die angeredeten Personen sind der Staat und dessen Verfassung ist zunächst einmal nichts anderes als das, was im Dekalog gesagt wird. Um dies zu substantiieren, soll zunächst geklärt werden, was denn im Pentateuch ein Staat ist.
II. Was ist ein Staat und wie entsteht er? In der alttestamentlichen Forschung spricht man meistens von vorstaatlicher, staatlicher und nachstaatlicher Zeit. Dabei werden die vorstaatliche Zeit wahlweise mit der Väter-, der Wüstenwanderungs- und der Richterzeit identifiziert, die staatliche mit der Königszeit und die nachstaatliche Zeit mit der babylonischen und der persischen Epoche. Daran ist eines richtig: Im Alten Orient war die Monarchie die Normalform des Staates. Aber schon hier muss differenziert werden: Eine altorientalische Monarchie war in der Regel Teil eines größeren Machtgeflechts, d. h. viele Könige waren in unterschiedlichen Formen von Vasallität an mächtigere Herrscher gebunden. Staatlichkeit ist also nicht, weder damals noch heute, an vollständige Souveränität gebunden. Das sei im Blick auf alle Epochen der Geschichte Israels seit der assyrischen gesagt. Nun kennt aber die alte Welt noch eine weitere Form des Staates, und zwar den konstitutionellen Personenverband oder auch gesetzesbasierten Bürgerstaat. Dieser Typ von Staat war im gesamten Mittelmeerraum verbreitet, auch wenn die Zeugnisse dafür überwiegend aus dem griechischen Raum stammen. Was macht Staaten dieses Typs aus? Aristoteles sagt: „Als Staat (πόλις) bezeichnen wir, um es allgemein zu sagen, eine Anzahl (πλῆθος) von Bürgern“ (Arist. Pol. 1275b,20–21). Oder mit den Worten von Max Weber: Der antike Staat ist ein „anstaltsmäßig vergesellschafteter Bürgerverband“20. Wie ist die Entstehung derartiger Bürgerstaaten abgelaufen? Karl-Wilhelm Welwei schreibt: Es ist freilich nicht möglich, die Anfänge des Polisstaates chronologisch zu fixieren. Hierzu fehlt es an dem erforderlichen Quellenmaterial. Die einzelnen Poleis sind zudem nicht 20
M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 52002, 743.
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in einem verfassungsgebenden Akt konstituiert worden, sondern haben in ihrer Entwicklung gleichsam in unterschiedlichem Tempo verschiedene Phasen durchlaufen, die ineinander übergehen.21
Die griechischen Quellen verweisen auf diese beiden Aspekte. Man hat einerseits die epigraphischen Quellen, die frühen Gesetzesinschriften, die ein sehr disparates und leider auch nur fragmentarisches Bild von einer lang anhaltenden Entwicklung aufzeigen.22 Und man hat die Erzählungen über die legendären Gesetzgeber, allen voran Lykurg von Sparta, Zaleukos von Lokroi, Charondas von Katane und Solon von Athen.23 In diesen legendären Erzählungen wird die Konstitution oder auch die Reformation der Polis auf einen markanten gesetzgeberischen Akt zurückgeführt. Im Alten Testament haben wir auch diese beiden literarischen Gattungen von Quellen, hier aber in einem literarischen Kontext. Zum einen die frühen Gesetze in den verschiedenen Gesetzeskorpora bzw. in den älteren Teilsammlungen, die diesen Gesetzeskorpora zu Grunde liegen. Und zum andern die Erzählungen, in denen die Konstitution des Gemeinwesens auf einen Akt konzentriert wird, an dem Mose, das Volk und der Gott Israels beteiligt sind (Ex 18–24; Dtn 5–29, vgl. auch Neh 8–10, dort mit Esra statt Mose). Das heißt, was sich in historischer Perspektive über einen längeren Zeitraum ereignet hat, wird in diesen Erzählungen zu einer idealtypischen Szene komprimiert. In den griechischen Erzählungen über die Gesetzgebung werden die Gesetze meist ganz pauschal erwähnt. So etwas wie ein Grundgesetz oder eine Verfassung, die den weiteren Gesetzen vorgeordnet ist, gibt es in diesen Erzählungen, aber auch im inschriftlichen Befund nicht – mit zwei Ausnahmen. Die eine ist die Erzählung über den Spartanischen Gesetzgeber Lykurg, worin zwischen den allgemeinen Gesetzen, die Lykurg aus Kreta mitgebracht hat, und der sog. Großen Rhetra, die direkt aus dem Mund der Pythia von Delphi stammte und grundlegende Bestimmungen enthält, differenziert wird.24 Die zweite Ausnahme sind die sog. Bürgereide – dazu mehr in Abschnitt IV. Erstaunlicherweise ist die Auffassung vom Dekalog als einer Art Verfassung zwar nur selten in der deutschsprachigen Exegese, aber doch häufiger in der englischsprachigen anzutreffen. Cornelis Houtman definiert den Dekalog schlicht 21 K.‑W. Welwei, Die griechische Polis. Verfassung und Gesellschaft in archaischer und klassischer Zeit, Stuttgart 21998, 35. 22 Vgl. K.‑J. Hölkeskamp, Schiedsrichter, Gesetzgeber und Gesetzgebung im archaischen Griechenland (Hist.E 131), Stuttgart 1999. 23 Eine vergleichende Darstellung der griechischen Gesetzgeberlegenden bietet A. Szegedy-Maszak, Legends of the Greek Lawgivers, GRBS 19 (1978) 199–209. Der abschließende Vergleich zwischen Griechenland und Israel (208–209) ist allerdings irreführend, da die Konzeptionen der Pentateuchtexte nicht wahrgenommen werden. Siehe auch Hölkeskamp, Schiedsrichter, 44–59. 24 M. Meier, Art. Rhetra, Der Neue Pauly, http://dx.doi.org/10.1163/1574-9347_dnp_ e1022400 (Zugriffsdatum: 28.8.2018). Erstmals online veröffentlicht: 2006.
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als „the constitution“,25 für Thomas Dozeman ist er „constitutional law“.26 Carol Meyers schreibt, beim Dekalog handle es sich um „foundational precepts that are not laws themselves but provide the basis for the community’s statutory and common (case) regulations.“27 Patrick Miller hat dem Thema einen ganzen Aufsatz gewidmet: „They [die Zehn Gebote] are, like the Constitution, the fundamental principles.“28 Dominik Markl schließlich stellt den Dekalog in einen rechtsphilosophischen und verfassungsrechtlichen Bezugsrahmen: „Innerhalb der erzählten Welt der Sinaiperikope nimmt der Dekalog eine Bedeutung für das Volk ein, die sich in wesentlichen Punkten analog zur Funktion heutiger Verfassungen verhält.“29 Markl fragt dann weiter, wie dieses literarische Geschehen für die Adressaten der Erzählung wirksam werden konnte. Die Antwort: „Identifiziert sich eine Gemeinschaft mit ihnen, kann sie in dieser Erzählung ihre geschichtliche Ursprungs-Konstitution sehen.“30 Markl arbeitet seine Beobachtungen am Endtext heraus und interpretiert diesen mit Hilfe moderner verfassungsrechtlicher Kategorien. Im Anschluss daran, aber auch im Unterschied dazu soll im Folgenden eine rekonstruierte Frühfassung des Dekalogs im Rahmen der vor-dtr Gottesberg-Perikope interpretiert werden, und zwar im Schnittpunkt von altorientalischem Herrschafts- und frühgriechischem Verfassungsdenken.
III. Der Dekalog als Verfassung eines Bürgerstaates 1. Der Dekalog in der Exodus-Gottesberg-Erzählung Gegenstand der folgenden Überlegungen ist die Gottesberg-Perikope und damit auch der Dekalog in ihrer bzw. seiner vorpriesterlichen und vordeuteronomistischen Gestalt.31 Gegenüber dem Endtext hat die rekonstruierte Fassung zwei Besonderheiten: Zum einen spricht Gott das Volk direkt und ohne Vermittlung 25
Houtman, Exodus 3, 11. T. B. Dozeman, Exodus (ECCo), Grand Rapids 2009, 478. 27 C. Meyers, Exodus (NCBiC), Cambridge 2005, 166. 28 P. D. Miller, The Place of the Decalogue in the Old Testament and Its Law, in: Ders., The Way of the Lord. Essays in Old Testament Theology (FAT 39), Tübingen 2004, 3–16, hier 5. 29 D. Markl, Der Dekalog als Verfassung des Gottesvolkes. Die Brennpunkte einer Rechtshermeneutik des Pentateuch in Exodus 19–24 und Deuteronomium 5 (HBS 49), Freiburg i. Br. 2007, 163–169. 30 Ebd., 168. 31 Zur Rekonstruktion dieser Erzählung s. W. Oswald, Staatstheorie im Alten Israel, Der politische Diskurs im Pentateuch und in den Geschichtsbüchern des Alten Testaments, Stuttgart 2009, 86; Ders., Lawgiving at the Mountain of God (Exodus 19–24), in: T. B. Dozeman/C. A. Evans/J. N. Lohr (Hg.), The Book of Exodus. Composition, Reception, and Interpretation (VT.S 164), Leiden 2014, 169–192. 26
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Moses an, zum andern weist diese Vorform des Dekalogs stärkere Merkmale von Mündlichkeit auf als der endgestaltliche Dekalog. Was den Dekalog als solchen angeht, folge ich in etwa der Rekonstruktion von Erhard Blum.32 19,16 Und es war am Morgen des dritten Tages, und Donner und Blitze und eine schwere Wolke waren auf dem Berg und ein sehr starker Schall eines Schofars. Und es zitterte das gesamte Volk, das im Lager war. 17 Und Mose führte das Volk aus dem Lager hinaus dem Gott entgegen, und sie stellten sich an das Unterteil des Berges. Und der gesamte Berg zitterte sehr, … 19a und der Schall des Schofars wurde laufend stärker. 20,1 Und Gott redete alle diese Worte: „2 Ich bin Jhwh, dein Gott, der ich dich herausgeführt habe aus dem Land Ägypten, aus einem Sklavenhaus. 3 (i) Du darfst keine anderen Götter haben vor meinem Angesicht. … 5a (ii) Du darfst dich vor ihnen nicht niederwerfen (iii) und du darfst ihnen nicht dienen. … 7a (iv) Du darfst den Namen Jhwhs, deines Gottes, nicht zum Trug aussprechen, [7b denn Jhwh wird den nicht freisprechen, der seinen Namen zum Trug ausspricht (?)]. … 13 (v) Du darfst nicht morden. 14 (vi) Du darfst nicht ehebrechen. 15 (vii) Du darfst nicht stehlen. 16 (viii) Du darfst gegen deinen Mitbürger nicht als Lügenzeuge aussagen. 17 (ix) Du darfst nicht begehren das Haus deines Mitbürgers. (x) Du darfst nicht begehren die Frau deines Mitbürgers, noch seinen Knecht, noch seine Magd, weder sein Rind noch seinen Esel, noch irgendetwas, was deinem Mitbürger gehört.“ … 20,18b Und das Volk fürchtete sich und sie wankten und stellten sich in der Ferne auf.
Die hier vorgelegte Rekonstruktion des Dekalogs erinnert in ihrer Art ein wenig an die traditionellen Vorschläge eines „Urdekalogs“, der sich durch folgende Eigenschaften auszeichnete: Kürze, Einfachheit und Gleichförmigkeit und damit Memorabilität. Tatsächlich knüpft diese Rekonstruktion daran an, allerdings nicht in dem Sinne, dass ein langer mündlicher Gebrauch schließlich in der Verschriftlichung und damit verbunden in der Literarisierung mündete. Vielmehr wurde der Dekalog im Rahmen der Gottesberg-Perikope so abgefasst, dass er anschließend separat mündlich verwendet werden konnte. Kürze, Gleichförmigkeit und Zehnzahl des Dekalogs gehen mithin auf das Konto des Verfassers der Exodus-Gottesberg-Erzählung, dem es wohl tatsächlich um Memorabilität ging. Von Einfachheit sollte man dagegen nicht sprechen, denn der Prolog und damit die Exodustheologie war von Anfang an Teil des Dekalogs. Zudem ist der Dekalog auf die Situation des Verfassungsaktes der Gottesberg-Perikope bezogen und hat insofern von vornherein eine staatstheoretische Qualität. 2. Der Prolog und das Fremdgötterverbot (20,2–3.5a) Schon rein sprachlich-textgrammatisch kann das erste Gebot nicht ohne den Prolog stehen, da sonst die Pronomina, und zwar sowohl das Ich wie auch das 32 Blum, Decalogue, 299, mit leichten Abweichungen. Der Doppelprohibitiv Ex 20,5a ist als Explikation zum grundlegenden Prohibitiv Ex 20,3 zu verstehen und war wohl schon Teil der Grundform des Dekalogs. Dagegen ist die Zugehörigkeit der Begründung des Namensmissbrauchsverbots Ex 20,7b zur Grundform des Dekalogs fraglich und steht daher in Klammern.
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Du, ohne Bezugspunkt wären. Die Sonderstellung des Bilderverbotes (V. 4) als spätere Einfügung ergibt sich dagegen aus einer einfachen textgrammatischen Beobachtung: Es ist singularisch formuliert, während das Fremdgötterverbot im Plural gehalten ist. V. 5a „Du darfst dich vor ihnen nicht niederwerfen und du darfst ihnen nicht dienen“ gehört dagegen wieder zum Fremdgötterverbot.33 Das erkennt man zum einen an den pluralischen Suffixen, und zum andern an den verbotenen Tätigkeiten. Man dient nicht Statuen, sondern Göttern.34 Die konkreten Verbote („niederwerfen“, „dienen“) machen deutlich, dass es nicht nur um eine Geisteshaltung geht – das wohl auch –, sondern um die kultische Verehrung anderer Götter. Die Alternative, es gehe allein um eine Geisteshaltung, die in der späteren Rezeption bis in unsere Zeit meist alternativlos angenommen wird, ist anachronistisch. Gemeint ist wohl: Man darf keine Kultbilder anderer Götter in einem Jhwh-Heiligtum aufstellen und darf diese auch nicht verehren. Aber warum nicht? Diese Nachfrage bringt dann doch die Geisteshaltung ins Spiel, die impliziert ist. Bezieht man das Alleinverehrungsgebot für Jhwh auf den Akt der Verfassungs- und Gesetzgebung, dann ist diese Exklusivität schlicht notwendig. Die Gültigkeit der Verfassung für das Volk hängt natürlich daran, dass alle diesen Gott als den einzig zu verehrenden akzeptieren. Wer andere Götter verehrt, steht nicht in Loyalitätspflicht zum Gott dieses Gemeinwesens und damit auch nicht zu diesem Gemeinwesen mit seinen Gesetzen. Das Fremdgötterverbot ist also nicht Ausdruck von religiöser Intoleranz, vielmehr ist es das theologisch notwendige Korrelat zur gegenseitigen Verpflichtung der Volksgenossen auf die Gesetze. Wenn einer daraus ausschert, geht die auf Gegenseitigkeit basierende Gemeinschaft zu Bruch. Das Fremdgötterverbot im Verbund mit dem Prolog hat also zwei Funktionen: Positiv verpflichtet es das Gemeinwesen auf den Gott, der die Ordnung des Gemeinwesens begründet und garantiert. Negativ verbietet es die gemeinschaftliche kultische Verehrung anderer Götter und die damit verbundene Aufgabe der eigenen Rechtsordnung. 3. Das Namensmissbrauchsverbot (20,7a) Die Position dieses Gebotes im Anschluss an das Fremdgötterverbot legt nahe, dass es hier um das sakrale Gerichtsverfahren geht (vgl. Ex 21,6; 22,6–8). Dafür spricht auch die Erläuterung „denn Jhwh wird den nicht freisprechen, der seinen Namen zum Trug ausspricht“ (V. 7b, vgl. Ps 26,6a), gleich, ob diese Erläuterung zum Grundbestand gehört hat oder nicht. In einem sakralen Gerichtsverfah33 Siehe
Schmidt, Die Zehn Gebote, 65–66. Die Frage, ob man den schwierigen masoretischen Hofal תָ ָעבְדֵ םbeibehält oder einen Hifil תַ ֲעבְדֵ םemendiert, ist dabei ohne Belang. 34
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ren lassen sich mehrere Verstöße denken: falsche Anklage, falsche Zeugenaussage, falsche Unschuldsbeteuerung, Fälschung des Gottesurteils. Da es sich auf jeden Fall um öffentliche Verfahren am kommunalen Heiligtum handelt, besteht hier ein allgemein verbindlicher Regelungsbedarf. Man kann wohl auch den Abschluss von Verträgen hierunter subsumieren, wenn man annimmt, dass der Abschluss von bestimmten Verträgen am Heiligtum vorgenommen wurde (vgl. etwa die Sklavenregelung im Bundesbuch Ex 21,5–6). 4. Die drei Kurzprohibitive (20,13–15) Auf die ausführlichen und durch später hinzugefügte Erweiterungen noch ausführlicher gemachten Bestimmungen zu Handlungen am Heiligtum folgen in der rekonstruierten Urform des Dekalogs drei ganz kurze Bestimmungen. Sie betreffen das alltägliche Leben und haben daher keine Umstandsbestimmungen. Aber nicht nur dies, die Kurzprohibitive haben auch kein Objekt bei sich, d. h. der Kreis derer, die nicht bestohlen oder ermordet werden dürfen, ist – anders als bei den folgenden Verboten – nicht eingeschränkt. In der Rezeptionsgeschichte wurde diese Grundsätzlichkeit meist mit einem universalen Ethos korreliert, sogar mit den Menschenrechten oder zumindest den Besitz- und Persönlichkeitsrechten eines jeden Menschen. Das ist sicher nicht abwegig, aber vielleicht waren die Kurzprohibitive ursprünglich doch sehr viel gemeinwesenbezogener gemeint. Wenn ein Mitglied des Gemeinwesens einen Mord begeht – und sei es an einem Auswärtigen oder an einem Sklaven –, dann bringt das Unfrieden und Unruhe für alle. Die Verfolgung des Täters durch Auswärtige zieht das gesamte Gemeinwesen in die Angelegenheit mit hinein: Soll man den Mitbürger schützen oder ausliefern? Muss das Gemeinwesen als Ganzes mit Angriffen der geschädigten Partei rechnen? Die Kurzprohibitive sind also zugleich Ausdruck von Menschenrechten und vom Streben nach Rechtsfrieden im Gemeinwesen. 5. Das Falschzeugnisverbot (20,16) Das Verbot, als Zeuge falsche Aussagen zu machen, betrifft das Gericht als zentrale Institution eines jeden Gemeinwesens, nicht nur das sakrale Gericht am Heiligtum, sondern auch das Ortsgericht im Tor. Die Grenze zwischen Zeuge und Ankläger ist in vielen Texten nicht scharf (vgl. etwa Ps 27,12; 35,11), so dass wohl auch die falsche Anklage unter das Verbot fällt.35
35
Crüsemann, Bewahrung, 73–74.
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6. Die Begehrensverbote (20,17) Der Sinn der Begehrensverbote wurde über Jahrhunderte hinweg darin gesehen, dass man die Begehrlichkeit, die concupiscentia, bekämpfen solle.36 Aber spätestens seit Crüsemanns Darlegungen ist klar, dass es um die Bewahrung der ökonomischen Selbstständigkeit eines jeden Haushalts geht.37 Das Verbot beginnt mit der Generalbestimmung zum Hausstand – so ist in der Exodusfassung ַבי ִת bajit „Haus“ wohl zu übersetzen – und fährt fort mit der Aufzählung wichtiger Bestandteile eines Hausstandes. Verboten wird die Besitzakkumulation einzelner Wohlhabender auf Kosten von Armen. Die Subsistenz aller Mitglieder des Gemeinwesens soll bewahrt bleiben. Dieses Anliegen ist aus der prophetischen Tradition Israels in den Dekalog übernommen worden (vgl. Jes 5,8; Mi 2,2). Schwierig ist zu entscheiden, was der Begriff rēa῾ ֵר ַעhier genau bedeutet, denn zu vielfältig ist seine Verwendung im Alten Testament insgesamt.38 Möglicherweise umfasst er den Vollbürger (᾽ ֶאז ְָרחæzrāh) und den Metöken ( ּגֵרgēr) und ˙ damit alle Personen, mit denen man zusammenlebt. Dieses Verständnis geht in Richtung der üblichen Übersetzung „Nächster“. Dagegen spricht aber die Erwähnung des Feldes in der Deuteronomium-Fassung des Dekalogs (Dtn 5,21), denn der Ger/Metöke hatte wohl keinen Grundbesitz. Sollte diese Überlegung zutreffen, ist im Dekalog mit rēa῾ der Mitbürger, genauer der Mitvollbürger,39 gemeint, zumal der Begriff ᾽æzrāh, der ebenfalls diese Bedeutung hat, erst in den ˙ priesterlichen Texten des Pentateuch verwendet wird. 7. Der Dekalog als Ganzer Betrachtet man die zehn Verbote als Ganzes, dann ist es sicher nicht zu weit gegriffen, wenn man sagt, dass hier Handlungen verboten werden, die das Zusammenleben und die Ordnung eines personenverbandlichen Gemeinwesens gefährden würden. Aber warum ausgerechnet eines personenverbandlichen Gemeinwesens, warum nicht eines jeden? Nach allem, was wir von altorientalischen Monarchien wissen, oblag es in diesen Staaten allein dem König, Recht zu setzen. Die Zustimmung des Volkes war dazu nicht nur nicht erforderlich, vielmehr spielte das Volk im Prozess der Rechtsetzung überhaupt keine Rolle. Was das Volk betrifft, so war die Loyalität zum König und ggf. zu seinen Beamten das zentrale Element, das den Zusammenhalt der gesamten Gesellschaft garantierte, und zwar sowohl im ethischen 36 Ganz ausgeprägt etwa im Katechismus der Katholischen Kirche, München 2003, 634– 639 (Absatz 2534–2557). 37 Crüsemann, Bewahrung, 75–78. 38 Vgl. dazu J. Kühlewein, Art. ע ַ ֵרrēa῾ Nächster, THAT II, 786–791; HALAT3, s. v. II ֵר ַע. 39 H. Gese, Der Dekalog als Ganzheit betrachtet, in: Ders., Vom Sinai zum Zion. Alttestamentliche Beiträge zur biblischen Theologie (BEvT 64), München 31990, 63–80, hier 74; vgl. BDB s. v. “ ֵר ַעfellow-citizen”.
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wie auch im rechtlichen Sinne.40 In Stammesgesellschaften würde an der Stelle des Königs der Häuptling oder der Sippenälteste gestanden haben. Diejenigen aber, denen der Dekalog gilt, verpflichten sich nicht zur Loyalität gegenüber einem Regenten, sondern zur Loyalität gegenüber dem Gesetz und damit zugleich zur gegenseitigen Loyalität. Eine solche Verpflichtungsstruktur ist aber nur aus personenverbandlichen Gemeinwesen bekannt. Hilfreich wäre, wenn Analogien zum Dekalog namhaft gemacht werden könnten, aber in dieser Hinsicht ist bislang wenig zu Tage getreten. Gelegentlich werden die Unschuldsbeteuerungen des ägyptischen Totenbuches genannt, aber eine wirkliche Parallele ist das nicht.41 Generell kann man sagen: Texte, die eine ähnliche literarische Struktur wie der Dekalog haben, sind bislang nicht gefunden worden, Texte mit inhaltlichen Berührungspunkten gibt es dagegen viele. Tötungsdelikte, Diebstahl oder Ehebruch werden in vielen alttestamentlichen, altorientalischen und frühgriechischen Texten thematisiert, desgleichen Meineid und Falschaussage vor Gericht. Diese Anliegen werden aber in anderer literarischer Gestalt behandelt: in Gesetzen, Weisheitslehren oder Verpflichtungen.
IV. Die frühgriechischen Bürgereide und der Dekalog Da Texte mit ähnlicher literarischer Struktur außerhalb des Alten Testaments bislang nicht vorliegen, soll hier der Versuch unternommen werden, eine funktionale Parallele zum Dekalog ausfindig zu machen. Ab dem 5. Jahrhundert sind in den mediterranen personenverbandlichen Gemeinwesen, die wir gemeinhin unter dem Begriff Polis subsumieren, sogenannte Bürgereide belegt, und zwar sowohl im kollektiven als auch im individuellen Sinne. D. h. der Eid wurde einerseits bei der Gründung von allen Bürgern gesprochen und andererseits später individuell von Beitretenden. Nur wenige Eide sind im Wortlaut überliefert, etwas häufiger wird in Texten auf den Eid hingewiesen, freilich ohne dass sein Wortlaut zitiert würde. 1. Einige Belege aus frühgriechischen Inschriften Eine Art Grundsatzbestimmung findet sich etwa in dem Gesetz über die Landaufteilung für Neusiedler aus Naupaktos, einer Stadt am Nordufer des Golfes von Korinth aus den 520er-Jahren: 40 J. Assmann, Sakralkönigtum und Gemeinschaftskunst. Der Alte Orient und das Politische, in: K. Junge/D. Šuber/G. Gerber (Hg.), Erleben Erleiden Erfahren. Die Konstitution sozialen Sinns jenseits instrumenteller Vernunft, Bielefeld 2008, 357–371. 41 M. Köckert, Art. Dekalog/Zehn Gebote (AT), in: Das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (www.wibilex.de), letzte Änderung August 2012 (Zugriffsdatum: 29.8.2018), 1.2.
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Jeder, der eine Aufteilung (des Landes) beantragt oder zur Abstimmung stellt in Preiga (= Ältestenrat) oder Polis (= Versammlung) oder Apoklesia (= Ausschuss) oder der eine Unruhe anzettelt betreffs der Landaufteilung, soll selbst verflucht sein und sein Geschlecht auf alle Zeit, sein Vermögen soll eingezogen und sein Haus zerstört werden gemäß der für Mörder (geltenden) Satzung. Diese Satzung soll heilig sein dem Apollo Pythios und den mit ihm den Tempel teilenden (Göttern) (συννάον). Treffen soll den, der dies übertritt, Untergang, ihn und sein Geschlecht und sein Vermögen; dem, der es achtet, möge (der Gott) gnädig sein.42
Am Anfang des zitierten Auszugs geht es darum, dass das vorliegende Gesetz nicht geändert werden darf.43 Aus den weiteren Passagen geht hervor, dass diese Tafel wie fast alle frühgriechischen Gesetze in einem Heiligtum aufgestellt war; hier ist es wohl das lokale Apolloheiligtum von Naupaktos. Das Verständnis des Ausdrucks συννάος ist umstritten; die Übersetzungen dieser Inschrift gehen von weiteren Gottheiten aus, die zusammen mit Apollo im lokalen Heiligtum verehrt werden. Hier wird also der Fall, der durch das erste Gebot des Dekalogs ausgeschlossen werden soll, vorausgesetzt. Allerdings ist die Regelung aus Naupaktos nicht einfach das Gegenteil dessen, was der Dekalog vorschreibt. Weder ist die Gesetzesgrundlage eine rein säkulare, noch sind es beliebige Götter, die das Gesetz garantieren sollen. Es ist ganz dezidiert der Gott des Gemeinwesens, Apollo Pythios mitsamt seinen Paredroi, und nur dieser Gott, auf den sich die Politen verpflichten und von dem erwartet wird, dass er durch Aufrichtung von Fluch und Segen das Gesetz durchsetzt. Interessant ist auch ein Ephebeneid aus Plataiai in Südboiotien aus dem Jahr 479: Götter! Der Priester des Ares und der Athena Areia, Dion Sohn des Dion aus (dem Demos) Acharnai hat (dies) geweiht. Herkömmlicher Eid der Epheben (= Jungmänner), den schwören müssen die Epheben: Ich werde nicht entehren die heiligen Waffen und werde nicht verlassen meinen Kampfgenossen, wo immer ich aufgestellt sein werde. Ich werde kämpfen für den Schutz des Heiligen und Geheiligten und werde nicht geringer übergeben das Vaterland, sondern größer und besser, sowohl mit meinen (eigenen) Kräften als auch zusammen mit allen, und ich werde gehorchen denen, die jeweils herrschen, mit Bedacht, und den Satzungen, die eingesetzt sind, und denen, die künftig eingesetzt werden, mit Bedacht. Wenn jemand sie aufheben will, werde ich es nicht zulassen, sowohl mit
42 Nach K. Brodersen/W. Günther/H. H. Schmitt (Hg.), Historische griechische Inschriften in Übersetzung, Bd. I (HGIÜ I), Darmstadt 1992, Nr.19; vgl. R. Koerner, Inschriftliche Gesetzestexte der frühen griechischen Polis. Aus dem Nachlaß von Reinhard Koerner, hg. von K. Hallof (Akten der Gesellschaft für griechische und hellenistische Rechtsgeschichte 9), Köln 1993, Nr.47. 43 Zum Verbot der Gesetzesänderung vgl. u. a. den Eid von Plataiai (Brodersen/Günther/Schmitt, HGIÜ I, Nr.40), das Gesetz über umstrittenen Besitz aus Halikarnassos (ebd., Nr.52; Koerner, Gesetzestexte, Nr.84), weiter die Gesetzgebung Solons (Aristoteles, Athenaion Politeia, 7.2; Plutarch, Solon, 25) sowie schließlich Dtn 4,2; 13,1.
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meinen Kräften als auch zusammen mit allen, und werde ehren die traditionellen Heiligtümer.44
Der Schwur auf die Gesetze ist in allen diesen Gemeinwesen obligatorisch, vielfach wird in den Texten darauf referiert, aber nur ganz selten ist der Wortlaut der Eide erhalten geblieben. Im vorliegenden Fall handelt es sich aber nicht um den allgemeinen Bürgereid, sondern um den Eid der Epheben, also der jungen Männer in der Ausbildung, die noch keine Vollbürger waren und die deshalb „denen, die herrschen“ zu Gehorsam verpflichtet waren. Dieser Gehorsam galt aber nicht nur den Archonten, sondern in gleicher Weise auch den Gesetzen, zu deren Schutz sich die Epheben verpflichten. Schließlich werden auch die lokalen Heiligtümer erwähnt, die geschützt werden müssen. Dem entspricht der Anfang der Inschrift, wo die Götter angerufen werden. Notierenswert im Blick auf den Dekalog sind die mehrfachen negativen Formulierungen „Ich werde nicht entehren …, ich werde nicht verlassen“. Der Eid endet im Übrigen mit einer Liste von Segen und Flüchen, ein Motiv, das in vielen frühgriechischen Gesetzen und auch im Dekalog (Ex 20,5b–6) vorkommt. Aus dem kleinasiatischen Teos ist ein Auszug aus dem Bürgereid überliefert, die sog. „Teiorum Dirae“: Ich werde nicht zu einem Aufstand raten noch einen Aufstand machen noch Bürgerkrieg entfachen noch (jemanden) anklagen noch sein Vermögen konfiszieren noch ihn festnehmen noch ihn töten lassen, außer in Teos mit 200 oder mehr (Bürgern) und nur, wenn er aufgrund eines Gesetzes der Stadt verurteilt ist; in Abdera nur zusammen mit 500 oder mehr (Bürgern). – Einen Aisymneten werde ich nicht einsetzen weder mit vielen (Bürgern zusammen noch mit) …45
Dieser Eid besteht überwiegend aus einer Reihung von negativen Verpflichtungen. Ihr Ziel ist die Bewahrung des inneren Friedens des Gemeinwesens. Schließlich sei noch auf die Eidesvereinbarung der Siedler von Kyrene hingewiesen: Gott! Gutes Glück! Damis, Sohn des Bathykles stellte den Antrag: Betrifft das, was die Theraier, (nämlich) Kleudamas Sohn des Euthykles, vorbringen, (nämlich) dass, damit die Stadt gefördert werde und es dem Volk der Kyrenaier wohlergehe, man gewähren solle den Theraiern das Bürgerrecht gemäß dem Herkommen, das die Vorfahren begründet haben, und zwar die, die Kyrene besiedelt haben von Thera aus, wie auch die, die in Thera geblieben sind – wie einst Apollon dem Battos und den Theraiern, die Kyrene besiedelten, Wohlergehen verhieß, wenn sie bei den Eidesvereinbarungen blieben, die die Vorfahren miteinander geschlossen hatten, als sie die Apoikie aussandten gemäß der Anordnung des Apollon Archegetes. Mit gutem Glück soll es (deshalb) Beschluss des Volks sein: Bleiben soll den Theraiern das gleiche Bürgerrecht auch in Kyrene ebenso. Ablegen sollen alle Theraier, die wohnhaft sind in Kyrene, denselben Eid, den die anderen einst geschworen haben, und eingeteilt werden sollen sie in eine Phyle, eine Patra (= Phratrie) und in neun 44 Nach 45
Brodersen/Günther/Schmitt, HGIÜ I, Nr.40. Ebd., Nr.47.
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Hetairien (= kleinere Einheiten). Aufschreiben soll man diesen Beschluss auf einer Stele aus Marmor, und aufstellen soll man die Stele im (von den) Vorfahren (begründeten) Heiligtum des Apollon Pythios. … Unter diesen Bedingungen haben die Eideszeremonie durchgeführt die, die am Ort (= Thera) blieben und die, die um zu siedeln fortzogen; und sie sprachen Flüche aus gegen die, die das Beschworene überträten und nicht daran festhielten, seien dies Leute von denen, die in Libyen siedelten, oder von denen, die hier blieben. Sie formten dazu wächserne Figuren und verbrannten sie unter Fluchformeln, nachdem alle zusammengekommen waren, Männer, Frauen, Jungen und Mädchen: Wer nicht bei diesen Eidbestimmungen bleibe, sondern sie übertrete, solle so zerschmelzen und zerrinnen wie die Figuren, er selbst, sein Geschlecht und sein Vermögen; für die aber, die bei diesen Eidesbestimmungen blieben, sowohl die, die nach Libyen zögen als auch die, die in Thera blieben, solle es viel Gutes geben für sie selbst und ihr Geschlecht.46
Einige Elemente sind bereits bekannt, weil sie immer wiederkehren: Der Hinweis auf den Gott oder die Götter und damit verbunden die Heiligkeit des Eides, sodann die Fluch- und ggf. Segensformeln am Ende. Interessant ist hier der Brückenschlag zwischen denjenigen, die den Eid erstmals abgelegt haben, und jenen, die es in der Gegenwart und in der Zukunft tun. 2. Schlussfolgerungen Der markanteste Unterschied zwischen den frühgriechischen Eiden und dem Dekalog ist die Sprechhaltung. Die Eide sind als Selbstverpflichtungen gestaltet, also „Ich werde nicht …“ Der Dekalog dagegen als Gottesrede „Du sollst bzw. du darfst nicht …“. Die Frage ist aber, wie der Dekalog verwendet, d. h. performiert wurde. Ausgehend von seiner Gestaltung als Gottesrede wurde immer wieder der Kult vermutet. In einem solchen Szenario hätte dann ein Kultbeamter die Sprechrolle Gottes eingenommen. Aber die Zehnzahl und die memorabile Textgestalt legen nahe, dass der Dekalog auch – und vermutlich sogar primär – zur Reproduktion durch die Bürger gedacht war. Das ist zwar ein kommunikationstheoretisch komplizierter, gleichwohl seit Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden üblicher Vollzug, den wir etwa im Konfirmationsgottesdienst erleben. Der eigentlich Angeredete, im Beispiel der Konfirmand, spricht den Text, der an ihn gerichtet ist, selbst. Während der Dekalog in seinem literarischen Kontext ein direktiver Sprechakt ist, wird er in der Performanz durch Menschen zum kommissiven Sprechakt. Wenn also ein Bürger sagt: „Du sollst nicht töten!“, dann ist gemeint „Ich verpflichte mich, nicht zu töten“ oder ausführlicher „Ich mache mir das Gebot Gottes, nicht zu töten, zu eigen.“ Der indirekte Sprechakt bei der Dekalog-Performanz entspricht dem direkten bei der Performanz der Bürgereide. Ein Hinweis, dass Texte wie der Dekalog für eine solche Performanz geschaffen wurden, ergibt sich aus Dtn 6,6–7: 46
Ebd., Nr.6.
Die politische Funktion des Dekalogs
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6,6 Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollen in deinem Herzen sein. 7 Und du sollst
sie deinen Söhnen wiederholen, und du sollst sie sprechen, wenn du in deinem Hause sitzt und wenn du auf dem Weg gehst, wenn du dich hinlegst und wenn du aufstehst.
Die Worte, die zunächst Gott gesprochen hat, sollen später regelmäßig von den ursprünglich Angeredeten gesprochen werden. Die Worte, um die es hier geht, ist das sog. „Schema Jisrael“ (Dtn 6,4–5),47 das in seinem ersten Teil pluralisch gestaltet ist („unser Gott“) und in seinem zweiten Teil als Direktive („du sollst“). Obwohl von seiner Sprechhaltung ganz anders angelegt, wurde dieser Text zunächst als Selbstverpflichtung und dann als Bekenntnis rezipiert und reproduziert. Auch der oben bereits erwähnte Papyrus Nash, der den Dekalog und das Schema Jisrael enthält, belegt diese Art des Gebrauchs dieser Texte.48 Somit ergibt sich eine zweifache Verbindung zwischen dem Dekalog und den frühgriechischen Bürgereiden: zum einen der Sprechakt der Selbstverpflichtung, einmal als direkter, das andere Mal als indirekter Sprechakt; zum anderen das Thema, in beiden Fällen der Rechtsfrieden im Gemeinwesen. Daraus lässt sich folgendes Szenario für den Dekalog erschließen: Die Adressaten des Dekalogs sind die Mitglieder des judäischen Bürgerstaates der babylonischen und/oder persischen Epoche. Eben dadurch, dass diese Personen diese Worte hören und sich durch Nachsprechen zu eigen machen, werden sie zu einem Gemeinwesen. Und das Gemeinwesen ist nichts anderes als die Menge derer, die sich den Dekalog zu eigen machen. Wollte man den Dekalog wie die Frau Weisheit personifizieren, müsste man ihm in den Mund legen: „L’état, c’est moi.“
47 Zur Diskussion über die Referenz von „diese Worte“ s. E. Otto, Deuteronomium 1–11. Zweiter Teilband: 4,44–11,32 (HThKAT), Freiburg i. Br. 2012, 803–805. 48 Damit erscheint auch die Diskussion um die Frage, ob es sich beim Dekalog um Recht oder um Ethik handelt, als zu eng geführt. Es handelt sich um eine als indirekter Sprechakt realisierte Selbstverpflichtung.
Die erstmalige Konstituierung des Pentateuch durch die spät-deuteronomistische Redaktionsschicht (KD bzw. D) Rainer Albertz
Erhard Blum, dem ich mit diesem Beitrag zu seinem 70. Geburtstag herzlich gratulieren und ihn ehren möchte, hat in der neueren Pentateuchforschung ganz Außergewöhnliches geleistet. Sein erstes Buch zur Komposition der Genesis, mit dem er sein kompositions- und redaktionsgeschichtliches Modell begründete,1 hat eine Vielzahl neuerer Entwürfe zur Pentateuchentstehung beeinflusst.2 Sein zweites Buch, das den Pentateuch aus der spannungsreichen Vereinigung zweier Großkompositionen erklärt, einer spät-deuteronomistischen KD und einer priesterlichen KP,3 hat international eine außergewöhnlich breite Beachtung gefunden. Ich stieß dazu auf nicht weniger als 14 Buchbesprechungen und ausführlichere Auseinandersetzungen.4 Jean-Luis Ska etwa fand die These des Buches 1
E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte (WMANT 57), Neukirchen-Vluyn 1984. Vgl. nur die Entwürfe von E. Zenger u. a. (Hg.), Einleitung in das Alte Testament (Kohlhammer Studienbücher 1,1), Stuttgart 51995, 105; D. M. Carr, Reading the Fractures of Genesis. Historical and Literary Approaches, Louisville 1996, 150–151; R. G. Kratz, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments (UTB 2157), Göttingen 2000, 331; E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch. Studien zur Literaturgeschichte von Pentateuch und Hexateuch im Lichte des Deuteronomiumrahmens (FAT 30), Tübingen 2000, 264; R. Albertz, Pentateuchstudien (FAT 117), Tübingen 2018, 485, u. a. 3 E. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch (BZAW 189), Berlin/New York 1990. 4 Vgl. W. Gross, Review, ThQ 171 (1991) 132–133; H.‑C. Schmitt, Review, ZAW 103 (1991) 148–149; J. Blenkinsopp, Review, CBQ 54 (1992) 312–313; H. Seebass, Review, ThRev 88 (1992) 17–21; J. Van Seters, Review, JBL 111 (1992) 122–144; G. I. Davies, Review, VT 43 (1993) 135–137; dazu: T. Römer, L’école de Heidelberg a 15 ans … À propos de deux ouvrages sur une nouvelle approche de la formation du Pentateuque, ÉTR 67 (1991) 77–81; J.‑L. Ska, Un nouveau Wellhausen?, Bib. 72 (1991) 253–263; E. Otto, Kritik der Pentateuchkomposition, ThR 60 (1995) 163–191; G. I. Davies, The Composition of the Book of Exodus. Reflections on the Theses of Erhard Blum, in: M. V. Fox u. a. (Hg.), Texts, Temples, and Traditions. A Tribute to Menachem Haran, Winona Lake 1996, 71–85; H. Ausloos, The Need for Linguistic Criteria in Characterising Biblical Pericopes as Deuteronomistic. A Critical Note to Erhard Blum’s Methodology, JNSL 23 (1997) 47–56; D. M. Carr, Controversy and Convergence in Recent Studies of the Formation of the Pentateuch, Religious Studies Review 23 (1997) 22–29; G. I. Davies, KD in Exodus. An Assessment of E. Blum’s Proposal, in: M. Vervenne/J. Lust (Hg.), Deuteronomy and Deuteronomic Literature. FS C. H. W. Brekelmans (BEThL 133), Leuven 1997, 407–420; 2
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so bestechend,5 dass er seinen Beitrag mit der respektvollen Frage „Un nouveau Wellhausen?“ überschrieb.
I. Blums epochale KD‑Hypothese und ihr merkwürdiges Verschwinden aus den meisten neueren Pentateuchmodellen So anregend Blums Überlegungen zum literarischen Charakter der priesterlichen Komposition (KP) gewesen sind,6 so darf doch, wie schon Graham I. Davies 1997 feststellte, Blums „thesis of a wide-ranging ‚D‑Komposition‘ in Exodus an Numbers (as well as in Genesis) […] be regarded as his main new contribution.“7 Bei einem engen Blick auf die Forschungsgeschichte könnte man zwar meinen, Blum habe hier nur eine These ausformuliert und besser begründet, die sein Lehrer Rolf Rendtorff zuvor noch recht vage und vorsichtig angedacht hatte – war dieser doch bei seiner Untersuchung der Verheißungen in der Genesis auf eine Gruppe von Landgabeschwüren an die Erzväter gestoßen (Gen 22,16; 24,7; 26,3; 50,24), die sprachlich den typisch dtn. Landverheißungen entsprachen (Dtn 1,8.35; 6,10.18.23 u. ö.) und sich ebenfalls über die Bücher Exodus (Ex 13,5.11; 32,13; 33,1) und Numeri (Num 11,12; 14,23; 32,11) hinweg zogen.8 Doch blickt man auf die gesamte Forschungsgeschichte zur Thematik, wie sie Hans Ausloos detailreich, wenn auch leider aus einer etwas engen Perspektive, nachgezeichnet hat,9 dann erkennt man, dass Blums KD‑Hypothese die sehr respektable Lösung eines uralten Problems darstellt, um das seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts gerungen wird: Wie nämlich die von Rendtorff beobachteten und viele weitere Textpassagen in Gen–Num, die Anklänge an die dtn./dtr. Sprache und Gedankenwelt erkennen lassen, aus der Entstehungsgeschichte des Pentateuch heraus erklärt werden können. Hier ist nicht der Ort, diese Forschungsgeschichte im Einzelnen nachzuzeichnen, der deutliche Fortschritt, den die Blum’sche Hypothese darstellt, zeigt sich jedoch genügend, wenn man sie mit einigen vorausgehenden Positionen verJ. Van Seters, The Deuteronomistic Redaction of the Pentateuch. The Case against It, in: Vervenne/Lust, Deuteronomy and Deuteronomic Literature, 301–319. 5 Siehe Ska, Un nouveau, 257: „L’idée centrale de cette thèse, celle de deux compositions principales dans le Pentateuque, est séduisante à plus d’un égard.“ 6 Vgl. seine Einschätzung „Weder ‚Quelle‘ noch ‚Redaktion‘“, Blum, Studien, 229–285. Zur anhaltenden Diskussion vgl. Albertz, Pentateuchstudien, 255–276. 7 So Davies, KD in Exodus, 407. 8 R. Rendtorff, Das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch (BZAW 147), Berlin/New York 1976, 75–79.163–173. 9 H. Ausloos, The Deuteronomist’s History. The Role of the Deuteronomist in HistoricalCritical Research into Genesis–Numbers (OTS 67), Leiden/Boston 2015. Da Ausloos selber auf eine proto-dtn. Erklärung festgelegt ist, kann er Blums Lösung des Problems kaum angemessen würdigen, vgl. ebd., 209–219.
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gleicht. Julius Wellhausen konnte im Rahmen seiner Drei-Quellentheorie mit den besagten Passagen nicht recht etwas anfangen. Er erklärte sie entweder aus der Geistesverwandtschaft, die der die Quellen J und E zusammenfügende Jehowist mit dem Deuteronomium geteilt, oder aber aus der Redaktionsarbeit des Deuteronomisten, der das Deuteronomium in den Hexateuch eingesetzt habe.10 Doch kann er nicht aufzeigen, wie letzteres stattgefunden hat, schwankt nicht selten zwischen beiden Erklärungsmöglichkeiten und zeigt kein Interesse, stilistische oder konzeptionelle Zusammenhänge zwischen den betreffenden Passagen aufzuzeigen. Geradezu in Widersprüche verwickelte sich Martin Noth, der zwar konsequenter als andere nicht weniger als acht gewichtige „deuteronomistisch stilisierte Zusätze“ im Buch Exodus aufspürte,11 dennoch aber auf der Meinung beharrte: „In den Büchern Gen.‑Num. fehlt jede Spur einer ‚deuteronomistischen Redaktion‘,“12 wohl um deren Differenz zu dem von ihm entdeckten Deuteronomistischen Geschichtswerk (DtrG) in Dtn–2 Kön herauszustreichen. Bei dieser Unsicherheit in der Forschung verwundert es nicht, dass die beiden Entwürfe, die vor und neben Blum den Pentateuch ebenfalls aus der Verbindung eines deuteronomistischen und eines priesterlichen Werks erklären wollten, nämlich die von Ivan Engnell und Joseph Blenkinsopp,13 sowohl bei der textlichen Zuweisung als auch bei der zeitlichen Ansetzung recht vage bleiben. Auch die Skizze einer Endredaktion aus prophetischem oder spät-dtr. Geiste, die Hans-Christoph Schmitt über Rendtorff hinausgehend anhand einiger Motivlinien in dtr. klingenden Passagen entwarf, konnte, was die Bestimmung des Charakters und den Umfang einer solchen Redaktion betraf, noch keine Sicherheit gewinnen.14 10 Vgl. J. Wellhausen, Die Composition des Hexateuch und der historischen Bücher des Alten Testaments, Leipzig 31899 = Berlin 41963, 74.79.86.94 mit Anm.2.115.205–206 mit Anm.1. 11 Vgl. M. Noth, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart 21948, 32–33. Das Zitat findet sich in Anm.106. Es handelt sich um Ex 12,24–27; 13; 15,25b–26; 16,4bβ.28; 19,3b–9a. (9b); in Ders., Das zweite Buch Mose. Exodus (ATD 5), Göttingen 41968, 156.200.215, kommen dann noch Ex 23,20–33; 32,9–14; 34,11b–13 hinzu. 12 M. Noth, Überlieferungsgeschichtliche Studien. Die sammelnden und bearbeitenden Geschichtswerke im Alten Testament, Tübingen 31967, 13. 13 Siehe I. Engnell, The Pentateuch, in: Ders., A Rigid Scrunity. Critical Essays on the Old Testament, Nashville 1969, 50–67. J. Blenkinsopp, The Pentateuch. An Introduction to the first Five Books of the Bible (The Anchor Bible Reference Library), New York u. a.1992, 229–241; Ders., Deuteronomic Contribution to the Narrative in Genesis–Numbers. A Test Case, in: L. S. Shearing/S. L. McKenzie (Hg.), Those Elusive Deuteronomists. The Phenomenon of PanDeuteronomism (JSOT.S 268), Sheffield 1999, 84–115. Letzterer war weniger von Blum als von Rendtorff angeregt. 14 Vgl. H.‑C. Schmitt, Redaktion des Pentateuch im Geiste der Prophetie. Beobachtungen zur Bedeutung der „Glaubens“-Thematik innerhalb der Theologie des Pentateuch, in: Ders., Theologie in Prophetie und Pentateuch. Gesammelte Schriften (BZAW 310), Berlin/New York 2001, 220–237, von 1982 mit Ders., Das spätdeuterononomistische Geschichtswerk Gen I – 2 Regum XXV und seine theologische Intention, ebd., 277–294, von 1997.
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In dieser eher verworrenen Diskussionslage ist es Erhard Blum mit seiner KD‑Hypothese erstmals gelungen, einen großen Teil der im Pentateuch schon seit langer Zeit beobachteten Passagen mit dtn. oder dtr. Sprachmerkmalen als Teil einer einheitlichen Redaktion wahrscheinlich zu machen, welche die vorgegebenen Erzähl- und Gesetzesüberlieferungen von Gen–Dtn untereinander verbindet, durch eigene Texte ergänzt und teilweise neu gestaltet. Blum kann den Umfang der D‑Komposition klar benennen, sie reicht von Gen 15 bis Dtn 34,10, d. h. von der Vätergeschichte der Genesis bis zum Ende des Deuteronomiums. Und im Unterschied zu Rendtorff, der sich hinsichtlich der zeitlichen Ansetzung noch vorsichtig zurückhielt, kann Blum einen eindeutigen terminus a quo für die von ihm rekonstruierte Komposition bestimmen: Da die von ihr geschaffene Motivlinie vom Begegnungszelt außerhalb des Lagers (Ex 33,7–11; Num 11,14– 17.24b–30; 12,4–8) mit Dtn 31,14–15.23 in das Dtn hineinreicht und hier klar eine Ergänzung zum schon dtr. gerahmten Gesetzeswerk darstellt, ist KD zeitlich nach dem DtrG, d. h. schon in die frühnachexilische Zeit anzusetzen, was sich auch durch traditionsgeschichtliche Untersuchungen wichtiger KD‑Passagen (z. B. Ex 19,3–9) bestätigen lasse.15 Dadurch war nicht nur die proto-dtn. Datierung der betreffenden Passagen abgewiesen, wie sie unter der Ägide der Quellentheorie üblich war,16 sondern auch ihre Herleitung von den Verfassern des DtrG. Blum will die D‑Komposition ausdrücklich unter den Erben der klassischen dtr. Schule beheimaten, die sich in Sprache und theologischer Orientierung ein Stück weit von dieser unterscheiden.17 Die Bestimmung des terminus ad quem, d. h. die vor-priesterliche Ansetzung von KD, die Blum im Anschluss an Rendtorff vornahm, war demgegenüber schon 1990 weniger eindeutig.18 Besser als allen vor ihm gelang es Blum, durchlaufende Anliegen der D‑Komposition zu benennen: die Wichtigkeit der Verheißungen, insbesondere der Landverheißungen an die Erzväter,19 die große Bedeutung des Glaubens Israels 15 Vgl.
Blum, Studien, 85–87.164–172. Ausloos, History, 113–166. Ders., Need, missversteht Blum, wenn er meint, dieser wolle die Stilkritik generell ablehnen. Dieser weist nur auf, dass eine solche ohne redaktionskritische Kriterien uneindeutig bleibt, vgl. Blum, Komposition, 373–375; Ders. Studien, 167–168. Interessant ist, dass Ausloos’ Doktorvater, M. Vervenne, The Question of ‚Deuteronomic‘ Elements in Genesis to Numbers, in: F. García Martínez u. a. (Hg.), Studies in Deuteronomy. FS C. J. Labuschagne (VT.S 53), Leiden/New York/Köln 1994, 243–268, hier 266, durchaus seine Sympathie für Blums Lösung des Problems ausdrücken konnte, obwohl er einer proto-dtn. Einordnung der Stellen zuneigte und im Einzelfall Zweifel an seiner Zuweisung von Ex 14,13–14 zur nach-dtr. D‑Komposition hegt. 17 E. Blum, Israël à la montagne de Dieu. Remarques sur Ex 19–24; 32–34 et sur le contexte littéraire et historique de sa composition, in: A. de Pury (Hg.), Le Pentateuque en question. Les origines et la composition des cinq premiers livres de la Bible à la lumière des recherches récentes, Genève 1989, 271–295, hier 288–290. 18 Vgl. das frühe Plädoyer einer nach-priesterlichen Ansetzung von Gen 15 eines weiteren Rendtorff-Schülers, T. Römer, Genesis 15 und Genesis 17. Beobachtungen und Anfragen zu einem Dogma der „neueren“ und „neusten“ Pentateuchkritik, DBAT 26 (1989/90) 32–47. 19 Gen 15; 22,15–18; 24,7; 26,3bβ–5.24*; Ex 13,5.11; 32,13; 33,1; Num 11,12; 14,16.23; Dtn 34,4*. 16 Vgl.
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an Gottes Verheißungen und an Mose als Rettungs- und Offenbarungsmittler20 und schließlich die alle Priester und Propheten überragende Rolle des Mose als der Übermittler der göttlichen Gesetze, erst am Sinai und dann am Begegnungszelt.21 Vor allem Blums präzise und einfühlsame Nachzeichnung der kompositionellen Erzähllinie der Exodus- und Sinai-Texte (Ex 1–14; 19–24; 32–34), welche durch die Quellenscheidung oft verstellt worden war, hat viele Exegeten beeindruckt. Graham I. Davies, eigentlich ein Anhänger der Quellentheorie, konnte einräumen, „at the very least Blum’s approach sheds a fresh light on the dominant themes of this material as a whole and promises a way out of the impasse of previous source-critical debates.“22 Und Thomas Römer wagte sogar trotz einiger kritischer Einwände an der These seines früheren Heidelberger Kollegen die Prognose, „le modèle de l’,école de Heidelberg‘ s’imposera peut-être à une grande partie des exégètes vétérotestamentaires, probablement dans une version revue et corrigée.“23 Doch diese Prognose hat sich in der weiteren Forschungsgeschichte nicht erfüllt. Trotz ihres beträchtlichen und anfangs auch gewürdigten innovativen Potentials wurde Blums KD‑Hypothese in den neueren Entwürfen zur Entstehung des Pentateuch kaum rezipiert.24 John Van Seters sah keinen Bedarf an einer „so-called Dtr redaction in the Pentateuch“25 und Christoph Levin bestritt sogar vehement deren Existenz.26 In der Darstellung der aktuellen Forschung von Reinhard G. Kratz auf dem Pentateuchkongress in Zürich von 2011 spielt Blums KD‑Hypothese fast gar keine Rolle mehr. Er nennt sie nicht unter den wichtigen Thesen, die einen möglichen Forschungskonsens tragen könnten, sondern erwähnt sie nur noch beiläufig und zudem kritisch.27 Nach seinem eigenen Modell handelt es sich bei den dtr. klingenden Passagen um vereinzelte spät- oder nach-dtr. Ergänzungen, die in zwei Schüben in der exilischen und nachexilischen Zeit in den Hexateuch eingefügt worden seien, was wieder an die Mutmaßungen Wellhausens erinnert.28 Im Pentateuchmodell von Eckart Otto fehlt KD 20
Gen 15,6; Ex 4,1.8.9.31; 14,31; 19,9; Num 14,11.22. Ex 19,9; 33,7–11; Num 11,14–17.24b–30; 12,4–8; Dtn 31,14–15.23; 34,10. 22 Davies, Composition, 84. 23 Römer, L’école, 81. 24 Daran konnte auch mein Versuch wenig ändern, die Hypothese in R. Albertz, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, 2 Bde. (GAT 8,1–2), Göttingen 21996/1997, 504– 516, zu popularisieren und der D‑Komposition im nachexilischen Selbstverwaltungsgremium „Ältestenrat“ einen institutionellen Hintergrund (vgl. Num 11,16–17.24–25) zu verschaffen. 25 Siehe J. Van Seters, The So-Called Deuteronomistic Redaction of the Pentateuch, in: J. A. Emerton (Hg.), Congress Volume. Leuven 1989 (VT.S 43), Leiden u. a. 1991, 58–77, hier 77; vgl. Ders., Case, 319. 26 Siehe C. Levin, Der Jahwist (FRLANT 157), Göttingen 1993, 436. 27 Siehe R. G. Kratz, The Pentateuch in Current Research. Consensus and Debate, in: T. Dozeman/K. Schmid/B. J. Schwartz (Hg.), The Pentateuch. International Perspectives on Current Research (FAT 78), Tübingen 2011, 31–61, hier 41–42 und 54, Anm.73. 28 So Kratz, Komposition, 312–313. 21
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vollständig. Die Einbindung des Deuteronomiums (plus Josua) wird hier von der nach-priesterliche Hexateuchredaktion übernommen, die Gestaltung der Sinaiperikope erfolgt gar erst durch die Pentateuchredaktion, die sich „in nicht geringem Maß dtr Sprachklischees“ bediene.29 Selbst in den neueren Arbeiten von Thomas Römer spielt Blums KD nur noch eine begrenzte und untergeordnete Rolle. Zwar rechnet er noch, besonders in Ex 1–14, mit einer „composition deutéronomiste“,30 doch weist er inzwischen immer mehr Passagen, die Blum für die D‑Komposition in Anspruch genommen hatte, der abschließenden Pentateuchredaktion zu.31 So ist die innovative Hypothese aus den neueren Modellen zur Entstehung des Pentateuch fast verschwunden.
II. Gründe für die spärliche Rezeption der KD‑Hypothese Fragt man, was wohl die Gründe für die erstaunlich spärliche Rezeption von Blums KD‑Hypothese gewesen sein könnten, so lassen sich aus meiner Sicht zumindest drei benennen: erstens ihre inneren Schwachstellen, zweitens ihre Konkurrenz zu Alternativmodellen, drittens ihr nachträglicher Umbau, mit dem Blum selber ihren Geltungsbereich einschränkte. 1. Innere Schwachstellen Bei aller Würdigung der beachtlichen Syntheseleistung, die Erhard Blum mit seiner KD‑Hypothese vollbracht hatte, wurden schon von den Rezensenten einige Schwachstellen benannt, die sie in der 1990 präsentierten Form aufweise: Erstens wurde vielfach Blums Verzicht bedauert, die der D‑Komposition vorgegebenen Erzähl- und Gesetzesüberlieferungen genauer zu bestimmen, wodurch auch die Textzuweisungen an KD nicht immer zwingend erscheinen würden.32 D. h. es würde nicht kritisch genug überprüft, ob die aufgewiesenen kompositionellen Linien wirklich alle auf derselben Redaktionsebene angesiedelt sind. Zweitens 29 Das Zitat findet sich in Otto, Kritik, 180. Vgl. sonst die zusammenfassende Darstellung des Modells in Ders., Deuteronomiumstudien III. Die literarische Entstehung und Geschichte des Buches Deuteronomium als Teil der Tora, ZAR 17 (2011) 79–132, hier 99–108. 30 So T. Römer, Moïse en version originale. Enqête sur le récit de la sortie d’Égypte (Exode 1–15), Montrouge Cedex/Genève 2015, 20–22. 31 Vgl. im neusten Studienbuch T. Römer, Der Pentateuch, in: W. Dietrich/H.‑P. Mathys/T. Römer/R. Smend (Hg.), Die Entstehung des Pentateuch. Neuausgabe (ThW 1), Stuttgart 2014, 53–166, hier bes. 86–87.98.115–116, darunter Gen 15; Gen 50,24; Ex 4,1–17; 14,31; 19,9; 32,13; 33,1; Dtn 34,4*.10–12. 32 Vgl. Blenkinsopp, Review, 312; Gross, Review, 132; Otto, Kritik, 165; Römer, L’école, 78–79; Van Seters, Review, 124; vgl. J.‑L. Ska, Introduction to Reading the Pentateuch, Winona Lake 2006, 136. Blum, Studien, 214–218, begründet seine Zurückhaltung an dieser Stelle ausführlich methodisch, aber der einzige Rezensent, der sie positiv würdigt, ist Carr, Controversy, 25.
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wurde auf das Problem hingewiesen, dass bei der Moseberufung in Ex 3,8 nicht auf die Landverheißungen an die Erzväter zurückverwiesen würde, mit denen KD die Vätergeschichte strukturiert hatte.33 Wenn die Moseberufung durchweg von KD formuliert worden ist, wie Blum annimmt, wäre das sehr merkwürdig. Stand damit die Kohärenz der D‑Komposition über Genesis und Exodus hinweg auf dem Spiel, auch wenn solche Rückverweise dann in Ex 32,13 und 33,1 sehr wohl auftauchen? Oder stammte Ex 3 nicht insgesamt von KD? Immerhin war ja für Rendtorff das auffällige Phänomen ein Grund, die ursprüngliche Eigenständigkeit der Exoduserzählung gegenüber der Vätererzählung anzunehmen.34 Drittens wurde von Römer bemängelt, dass die Hypothese im Numeribuch noch nicht voll ausgearbeitet sei und hier Korrekturen nötig sein könnten.35 Und viertens wurde schließlich von ihm, Hans-Christoph Schmitt und besonders von Eckart Otto die vor-priesterliche Datierung von KD in Frage gestellt.36 So gab es einige Punkte, die Anlass zu einer weiteren Ausarbeitung und besseren Absicherung der These geboten hätten. 2. Konkurrenz zu Alternativmodellen Während alle Pentateuchmodelle einen Platz für die priesterlichen Texte bereithalten, so herrscht auf Seiten der nicht-priesterlichen Texte an konkurrierenden Erklärungshypothesen kein Mangel. Als Blum seine KD‑Hypothese veröffentlichte, hatte John Van Seters die Herausforderungen, welche die erneute Wahrnehmung zahlreicher dtn./dtr. klingender Wendungen in den Büchern Gen– Num an die klassische Quellentheorie stellten, dadurch aufzunehmen versucht, dass er den Jahwisten in die Exilszeit nach der Entstehung des DtrG datierte.37 Dieser späte jahwistische Historiker, der dtr. Sprachklischees verwenden kann, aber unter Aufnahme älteren Materials seine eigenen Anliegen vertritt, hat manche Ähnlichkeit mit dem Verfasser von Blums D‑Komposition und macht für Van Seters eine gesonderte spät-dtr. Redaktion überflüssig. Doch es bleibt die Frage, ob Blums sorgfältige Beobachtung der Kompositionsbögen, welche die Urgeschichte Gen 1–11 nicht einbeziehen,38 und seine Charakterisierung der Gesamtkomposition als Autorität heischendes „Torabuch“ des Mose39 dem wer33 Vgl. dazu ausführlich Ska, Un nouveau, 258–259; sodann Römer, L’école, 81, der erstmals einen Beginn von KD in Ex 1 erwog. Blum, Studien, 189–190, hatte gemeint, KD wolle mit dieser Eigenheit „eine zweite eigengewichtige Fundierung der Gottesbindung an Israel“ (190) profilieren. Doch ist das Argument offensichtlich nicht so ganz überzeugend. 34 Vgl. Rendtorff, Problem, 66–67. 35 So Römer, L’école, 81. 36 Vgl. Römer, L’école, 81; Schmitt, Review, 149; und ausführlich Otto, Kritik, 172–180. 37 Vgl. J. Van Seters, Prologue to History. The Yahwist as Historian in Genesis, Louisville 1992; Ders., The Life of Moses. The Yahwist as Historian in Exodus–Numbers, Louisville 1994. 38 So Blum, Studien, 107–108. 39 So ebd., 88.
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denden Pentateuch nicht besser gerecht werden als Van Seters Sicht von einem selbstverständlich mit der Schöpfung beginnenden „prologue to the national history of DtrH“, der niemals als ein gesondertes Werk existiert habe.40 Ein Beispiel dafür, dass Blums KD‑Hypothese sehr wohl rezipiert wurde, aber unter dem Mantel einer abweichenden Hypothese völlig verschwand, liefert das Pentateuchmodell von David M. Carr. Er rekonstruierte eine „Post-D Hexateuchal Compositional layer“, die sich aus dem schriftgelehrten Bemühen um Harmonisierung des Tetrateuch mit dem ursprünglich zum DtrG gehörenden Deuteronomium erklären lasse.41 Hinsichtlich Textauswahl und vor-priesterlicher Ansetzung stimmt dieses Werk weitgehend mit KD überein. Carr beharrt nur auf einer Einbeziehung des Josuabuches, weil er die Differenzierung zwischen KD und einer nach-priesterlichen „Jos-24-Bearbeitung“, die Blum gegenüber seinem ersten Buch vorgenommen hatte, nicht mitging.42 Doch stellt sich die Frage, ob Carr dem Abschluss, den der Preis des Mose als „Superpropheten“ für alle Zeiten in Dtn 34,10 darstellt, wirklich gerecht wird.43 Ein Beispiel dafür, dass Blums Hypothese allein schon wegen der vor-priesterlichen Ansetzung der D‑Komposition zurückgewiesen wird, liefert Eckart Otto. Seiner Ansicht nach hat erst der Pentateuchredaktor die Komposition der nichtpriesterlichen Texte in Ex 19–24 und 32–34 unter Verwendung von Dekalog und Bundesbuch geschaffen. Auffällig ist nun, dass Otto der von Blum herausgearbeiteten „redaktionellen Höhenlinie“ weitgehend folgt, jedoch meint, ihre Zugehörigkeit zu KD bestreiten zu müssen, indem er für einzelne Passagen aufzeigt, dass sie schon die Kenntnis der priesterlichen Texte voraussetzen. Damit erweise sich das Ganze aber als Produkt der nach-priesterlichen Pentateuchredaktion.44 Aufgrund nach-priesterlicher Ansetzungen schreibt auch Thomas Römer eine 40 So
Van Seters, Case, 302–303. D. M. Carr, The Formation of the Hebrew Bible. A New Reconstruction, Oxford 2011, 256–285; Ders., Scribal Processes of Coordination/Harmonization and the Formation of the First Hexateuch(s), in: T. Dozeman/K. Schmid/B. J. Schwartz (Hg.), The Pentateuch. International Perspectives on Current Research (FAT 78), Tübingen 2011, 63–83, hier 75–82. 42 Vgl. Blum, Studien, 363–365, gegenüber Ders., Komposition, 255–257.392. Für Carr könnte sprechen, dass in Gen 50,24–26 der Landschwur an die Erzväter und das Motiv von den Josephgebeinen, das auf Jos 24,32 zielt, kombiniert vorkommen. Blum hat zuerst allein Gen 50,25–26 für die Jos-24-Bearbeitung in Anspruch genommen, später aber konsequenter die ganze zusammenhängende Passage der Hexateuch-Bearbeitung zugeschrieben, vgl. Ders., Die literarische Verbindung von Erzvätern und Exodus. Ein Gespräch mit neueren Endredaktionshypothesen, in: Ders., Textgestalt und Komposition. Exegetische Beiträge zu Tora und Vordere Propheten (FAT 69), Tübingen, 2010, 85–121, hier 114–117. 43 Carr, Formation, 270, schreibt: „The superlative emphasis on Moses may point to a particular emphasis on Moses in the post-D Hexateuch rather than an effort to conclude a particular composition.“ 44 Vgl. Otto, Kritik, 176–177.179–180. Diese Zuweisung ist allerdings schon aus dem Grund nicht zwingend, weil sich diese Redaktion nach Otto nicht über bestimmte Sprachstile identifizieren lässt; sie verwende sowohl dtr. als auch priesterliche Sprachklischees. 41 Vgl.
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immer größer werdende Zahl von KD‑Passagen der Pentateuchredaktion zu.45 Mögen Otto und Römer bei der relativen Chronologie der Texte zuweilen richtig liegen, so stellt sich doch die Frage, ob man mit einer nach-priesterlichen Einordnung gleich schon an das Ende der Entstehungsgeschichte des Pentateuch gerät. Immerhin liegen zwischen der Priesterschrift am Ende des 6. Jahrhunderts und dem Abschluss des Pentateuch am Anfang des 4. Jahrhunderts v. Chr. nach traditioneller Sicht über hundert Jahre! 3. Schwächender Umbau der Hypothese Nachdem Konrad Schmid und Jan Christian Gertz unabhängig voneinander nachgewiesen hatten, dass der literarische Übergang zwischen der Väterund der Exodusgeschichte nicht schon von KD, sondern erst durch die priesterlichen Texte geschaffen worden ist,46 sah sich Blum im Jahr 2002 veranlasst, seine KD‑Hypothese tiefgreifend umzubauen.47 Er begrenzte den Umfang der D‑Komposition auf Ex 1–Dtn 34 und ordnete nun die Landgabeschwüre an die Erzväter in der Genesis und darüber hinaus (Gen 15,7–21*; 22,15–18; 24,7?; 26,3bβ–5; Ex 13,5.11; 32,13; 33,1b u. ö.) sowie das Glaubensmotiv (Gen 15,1–6; Ex 4,1–17.27–31; 14,31; 19,9 u. ö.) einer „nachpriesterlichen Fortschreibung“ von KD zu. Dagegen beschränkte er die „Hauptschicht“ von KD auf die kompositionelle Gestaltung der Exodus-Sinai-Geschichte (Ex 3–14; 19–24; 32–34) samt dem verkettenden Motiv vom Begegnungszelt und Moses überragender Offenbarungsmittlerschaft (Ex 33,7–11; 34*; Num 11*; 12*; Dtn 31,14–15.23; 34,10).48 Es gereicht Erhard Blum zur Ehre, dass er sich von anderen Exegeten überzeugen ließ, dass Teile der von ihm rekonstruierten D‑Komposition nach-priesterlich einzuordnen sind. Doch hat er damit selber zur Schwächung seiner Hypothese beigetragen, zumal er die KD-„Fortschreibung“ bisher kaum genauer profiliert hat. Doch ob allein schon durch den Verlust an Überzeugungskraft der KD‑Hypothese die alternativen Modelle zur Erklärung der dtn./dtr. klingenden Passagen in Gen–Num überzeugender werden, ist doch sehr die Frage.
45 Vgl. T. Römer, Provisorische Überlegungen zur Entstehung von Ex 18–24, in: R. Achenbach/M. Arneth (Hg.), „Gerechtigkeit und Recht zu üben“ (Gen 18,19). Studien zur altorientalischen und biblischen Rechtsgeschichte, zur Religionsgeschichte Israels und zur Religionssoziologie. FS E. Otto (BZAR 13), Wiesbaden 2009, 128–154, hier 132–152. 46 Vgl. K. Schmid, Erzväter und Exodus. Untersuchungen zur doppelten Begründung der Ursprünge Israels innerhalb der Geschichtsbücher des Alten Testaments (WMANT 81), Neukirchen-Vluyn 1999, 69–73.152–153; J. C. Gertz, Tradition und Redaktion in der Exoduserzählung. Untersuchungen zur Endredaktion des Pentateuch (FRLANT 186), Göttingen 2000, 357– 366. 47 Vgl. Blum, Verbindung, 99–121. 48 So ebd., 101.119–121.
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III. Wer hat den Pentateuch zum ersten Mal konstituiert? Angesichts der diffusen Diskussionslage soll im Folgenden versucht werden, nach einer klareren literaturgeschichtlichen Einordnung der D‑Komposition zu fahnden. Von Wellhausen bis Carr wurde immer wieder vermutet, dass die dtn./ dtr. klingenden Passagen in den Büchern Gen–Num mit der Einbindung des Buches Deuteronomium in den werdenden Pentateuch zusammenhängen. Dadurch erklärt sich die Anpassung der Väterverheißungen an den im Dtn üblichen Landgabeschwur. Auch die Aufwertung Moses zum alle weit überragenden Offenbarungs- und Gesetzesmittler mitsamt dem zugehörigen Motiv vom Zelt der Begegnung findet nicht zuletzt vom Dtn her ihren Sinn. Ist dieses Buch doch – anders als die vorangehenden Bücher, die viele Gottesreden enthalten – ausschließlich als Rede des Mose stilisiert, in der dieser die von Gott empfangenen Gesetzesoffenbarungen vollmächtig auslegt. Aufgrund der vorgenommenen Aufwertung kann niemand mehr bezweifeln, dass Mose im Dtn den Gotteswillen authentisch verkündet. Auch der Ausbau des Glaubensmotivs zum Leitfaden für die Gründungsgeschichte Israels könnte vom Dtn her veranlasst sein (vgl. Dtn 1,32; 9,23?). Hinzu kommen viele kleinere terminologische und sachliche Verklammerungen wie die Einführung der dtn. Bezeichnung für den Sinai, „Horeb“, schon in Ex 3,1; 17,6; 33,6 und die Einfügung der drei Patriarchennamen ins Dtn.49 Geht man davon aus, dass ein wesentliches Anliegen der Redaktion darin bestand, das Buch Deuteronomium, das eigentlich zu einem anderen literarischen Zusammenhang, dem DtrG, gehörte,50 in den entstehenden Pentateuch einzubeziehen, dann bekommen die schon erwähnten literarischen Klammern zwischen dem Dtn und den vorangehenden Büchern, die Blum in Dtn 31,14– 15.23 und 34,10 aufzeigen konnte,51 eine entscheidende Bedeutung. Sind sie auf der nicht-priesterlichen Textebene doch die sichersten Belege, an denen sich der redaktionelle Vorgang der Verklammerung konkret ablesen lässt. An ihnen muss sich darum zeigen, wer hinter der vereinenden Redaktion stand und wie sie zeitlich einzuordnen ist. Die kleine Szene von der Amtseinführung Josuas im Zelt der Begegnung (Dtn 31,14–15.23) stellt eindeutig ein fremdes Element im Dtn dar. Der אהל מועד 49 Vgl. Dtn 1,8; 6,10; 9,5.27; 29,12; 30,20; 34,4; dass diese erst nachträglich zu einigen der dtn. Landgabeschwüre, die nur allgemein die Väter nennen, hinzugefügt worden sind, hat T. Römer, Israels Väter. Untersuchungen zur Väterthematik im Deuteronomium und in der deuteronomistischen Tradition (OBO 99), Freiburg i. Ue. / Göttingen, 1990, 196–206.251–256.269– 271.390–394, nachgewiesen. 50 So bekanntlich Noth, Studien, 12–18. Die Einschätzung von Kratz, Pentateuch, 40–41, dass auch Blums KD‑Hypothese keinen Ausgleich zwischen Noths DtrG‑Hypothese und der kanonischen Abtrennung des Pentateuchs habe schaffen können, ist nicht zutreffend. Erklärt sie doch gerade, wie das Dtn aus dem DtrG in ein neu entstehendes Werk hinübergezogen wurde. 51 Siehe Blum, Studien, 85–88.109.
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kommt in diesem Buch sonst nicht vor; selbst die Rede-Einleitung „Da sprach Jhwh zu Mose“ ()ויאמר יהוה אל־מׁשה, die in den Büchern Ex–Num nicht weniger als 64-mal begegnet, erscheint im ganzen Dtn nur hier in 31,14 und davon abgeleitet in V. 16. Dass die Szene sekundär an Dtn 31,1–13 angehängt wurde, wird daran erkennbar, dass die Beauftragung Josuas durch Gott in V. 23 eine Doublette zu seiner Beauftragung durch Mose in V. 7–8 darstellt. Allerdings wurde die sekundäre Szene durch den Einschub der Einleitung zum Moselied in V. 16–22 nachträglich aufgesprengt, wodurch das ungenannte Subjekt von V. 23 undeutlich geworden ist. Nach V. 22 würde man an Mose denken, es ist aber, wie die Zusage „Ich werde mit dir sein“ zeigt, eindeutig der in V. 15 genannte Jhwh gemeint. Die Identität des Verfassers dieser kleinen Szene hat Blum meiner Meinung nach immer noch am überzeugendsten bestimmt: Es ist der Autor, von dem die ganze nicht-priesterliche Motivkette von einem Offenbarungszelt außerhalb des Lagers (Ex 33,7–11; Num 11,14–17.24b–30; 12,4–8) stammt, auch wenn die Theophanieschilderung in Dtn 31,15 etwas vom Üblichen abweicht.52 Schon dadurch, dass er in Ex 33,11 Josua eine enge Affinität zu diesem Zelt zuschrieb, bereitete er dessen Amtseinführung dort vor. Hier zeigt sich eindeutig ein kompositionelles Konzept: Das Zelt, das Moses einzigartig direkte Kommunikation mit Gott auch fern vom Sinai sichern sollte, ermöglicht auch, dass Josua von Gott selber ausdrücklich zum Nachfolger des Mose bestimmt werden kann, um das Befreiungswerk zum Abschluss zu bringen. Auch mit seinen letzten Worten (Dtn 31,7–8) drückt Mose nichts anderes als den Willen Gottes aus (V. 23). Was die Datierung der expliziten Verklammerung betrifft, so ist Blums Schlussfolgerung zwingend, dass die Szene das DtrG voraussetzt, da sie nicht nur nachträglich in es eingeschoben ist, sondern auch dessen Fortgang der Handlung als göttliche Zusage für die Zukunft neu gestaltet und sich auch sprachlich in Dtn 31,23 eng an die vorgegebene Amtsübertragung in V. 7–8 anlehnt. Nun könnte man meinen, dass V. 15 mit der Formulierung, dass „Jhwh im“ oder besser „am Zelt erschienen sei“ ( ראהni.), schon an die spät-priesterliche Vorstellung anspielen wolle, dass die Herrlichkeit Gottes in Konfliktsituationen regelmäßig im Zelt der Begegnung erschienen sei (ebenfalls mit ראהni.; Num 14,10; vgl. 16,19; 17,7; 20,6). Doch fehlt das entscheidende Stichwort כבוד יהוה, die Anlässe sind zu unterschiedlich, und der Text von Dtn 31,15 ist nicht ganz sicher über52 Während in Ex 33,9 und Num 12,5 davon die Rede ist, dass Jhwh in der Wolkensäule herabfährt und an den Eingang des Zeltes der Begegnung tritt, heißt es in Dtn 31,15, dass Jhwh am (?) Zelt in einer Wolkensäule erscheint und die Wolkensäule über dem Eingang des Zeltes steht. Auffällig ist בָאהלneben ;בְעמוד ענןersteres kann kaum „im Zelt“ bedeuteten, da die Wolkensäule im zweiten Versteil außen über den Eingang steht. Vielleicht liegt ein Textfehler vor, da die LXX den ersten Versteil nach Num 12,5 angleicht, vgl. R. N. Nelson, Deuteronomy. A Commentary (OTL), Louisville/London 2002, 354. Da sich aber Mose und Josua eindeutig im Zelt befinden (vgl. Ex 33,8.11), bleibt die Zugehörigkeit zur nicht-priesterlichen Offenbarungszeltvorstellung gewahrt. Auch in Num 11,25 weicht die Terminologie leicht ab.
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liefert.53 So ist ein terminus ad quem aus dieser verklammernden Szene nicht zu gewinnen. Doch setzt allein schon die Tatsache, dass sie durch die Einführung des Moseliedes in V. 16–22 nachträglich in zwei Teile aufgespalten wurde, hinter eine Zuweisung an die Pentateuchredaktion ein dickes Fragezeichen. Ist doch das Buch Dtn auch noch nach Einfügung der Szene nachweislich angewachsen (Dtn 32; 33). Eine eindeutigere Auskunft lässt sich aus den das Buch abschließenden Versen Dtn 34,10–12 entnehmen. Blum hat mit guten Gründen insbesondere den V. 10 der D‑Komposition zugewiesen, führt er doch mit der feierlichen Feststellung, dass Mose alle vergangenen und zukünftigen Propheten überragt, die Motivlinie von der einzigartigen Offenbarungsmittlerschaft des Mose (vgl. Num 12,6–8) zu ihrem Abschluss und verweist in ihrer Begründung explizit auf die face-to-face Kommunikation mit Gott im Zelt der Begegnung zurück (Ex 33,11). „Das ‚Torabuch‘ des Mose klingt mit einem neuen kräftigen Akkord aus.“54 Dadurch wird nach dem Tod des Mose ein feierlicher Abschluss in den fortlaufenden Erzählfluss des DtrG gesetzt. Allerdings blieb Blum hinsichtlich der Zuweisung der noch folgenden Verse Dtn 34,11–12 unentschieden, mal nahm er sie in Klammern dazu,55 mal meinte er, ihre von einigen Exegeten vertretene literarkritische Abtrennung könne „für unsere Diskussion […] auf sich beruhen.“56 Doch möglicherweise hat Blum damals die Bedeutung der Frage unterschätzt. Dtn 34,11–12 wenden wortreich den Blick auf die großen Zeichen und Wunder zurück, die Mose im göttlichen Auftrag in Ägypten getan hat. Sie wollen damit dem Dtn eine kompositionelle Abrundung in Richtung auf die Exodusereignisse verschaffen, von denen in den vorangehenden Büchern die Rede ist und damit dieses Buch noch klarer, als es V. 10 gekonnt hatte, vom Josuabuch abgrenzen. Die Verse 11–12 kann man mit Fug und Recht einem Pentateuchredaktor zuweisen, der die Bücher Gen–Dtn gegenüber dem DtrG als eigene literarische Einheit konstituieren wollte. Wenn auch V. 10 zu ihnen gehören würde, dann löste sich die D‑Komposition in der Pentateuchredaktion auf. So ist es kein Wunder, dass die Exegeten, die die Blum’sche KD mehr oder weniger durchgreifend durch die Pentateuchredaktion ersetzen, Dtn 34,10–12 als eine literarische Einheit auffassen.57 Otto möchte die Einheit der Verse damit begründen, dass die Worte „in Israel“ in V. 10a und „vor den Augen Israels“ in V. 12b einen Rahmen um sie bilden würden. Doch ist das ein relativ schwa53 Otto, Deuteronomium, 187–188, will die Szene dem Pentateuchredaktor zuschreiben, weil Dtn 31,15 angeblich wörtlich an Num 14,14 anknüpfe. Doch ist in diesem Vers vom Zelt der Begegnung gar nicht die Rede. 54 So Blum, Studien, 88. 55 Ebd., 76.110. 56 Ebd., 88, Anm.189. 57 Vgl. Römer, Moïse, 130–131; Ders., Pentateuch, 86; Otto, Deuteronomium, 228–233; Ders., Deuteronomium 12–34. Zweiter Teilband: 23,16–34,12 (HThKAT), Freiburg i. Br. / Basel/ Wien 2017, 2279.2284–2285.
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ches Argument, da die Wendungen nicht identisch und wenig spezifisch sind. Eher könnte man schon die parallelen Relativsätze in allen drei Versen als verbindendes Strukturelement werten, wobei allerdings auffällt, dass die ersten beiden Jhwh und der letzte Mose zum Subjekt haben. Es ist nun allerdings der ausgesprochen lockere, wenn nicht brüchige syntaktische Anschluss von V. 11 und 12 durch zwei mit spezifizierendem לvorangestellte Objekte („in Bezug auf all’ die Zeichen und Wunder“ und „in Bezug auf all’ die starke Hand“),58 welche eine ganze Reihe von Exegeten an der ursprünglichen Zusammengehörigkeit der Verse zweifeln lassen.59 Die beiden Verse wollen offenbar die preisende Aussage über Moses überlegene Wortoffenbarung in V. 10a auf weitere Tätigkeitsfelder des Mose umlenken. Der syntaktisch komplizierte Rückgriff ist aber nur deswegen nötig, weil in V. 10b ein Subjektwechsel erfolgt, wodurch plötzlich Jhwhs außergewöhnliches Handeln an Mose im Fokus steht. Darum fühlt sich der Autor von V. 11 zu der gezwungen klingenden Formulierung veranlasst, dass Jhwh Mose die Wunder in Ägypten zu tun gesandt habe, bis er schließlich in V. 12 bei dem von ihm eigentlich intendierten Lobpreis angekommen ist, dass Mose all’ die Macht- und Wundertaten vor Zeugen getan hat. D. h. die syntaktisch komplizierten und wortreichen Ausführungen von V. 11–12 lassen sich am besten daraus erklären, dass ihrem Verfasser das wuchtige Statement über Mose in V. 10 schon vorgegeben war. Die Motive, die er verwendet, sind weitgehend aus dem Deuteronomium gewonnen,60 wobei sie dort durchgängig das göttliche Handeln beschreiben. So wird Mose in dieser Schlussapotheose auch im Bereich des magischen Handelns in einer Weise Gott angenähert, die den Texten der D‑Komposition fremd ist.61 Da Dtn 34,11–12 eine stilistisch und thematisch abweichende Ergänzung zum Schlussvers der D‑Komposition in Dtn 34,10 darstellt, ist diese klar von einer Pentateuchredaktion zu trennen; sie geht einer solchen eindeutig voran. Damit ist auch ein relativer terminus ad quem für sie gewonnen. Ist damit die Identität der D‑Komposition deutlicher abgegrenzt, so lässt sich ihre relative zeitliche Einordnung noch genauer bestimmen. Denn die Einbeziehung des Dtn in den entstehenden Pentateuch durch die kompositorischen Klammern Dtn 31,14–15.23 und 34,10 ist auf die Motivkette vom Offenbarungs58 Vgl. B. C. Waltke/M. O’Connor, An Introduction to Biblical Syntax, Winona Lake 1990, 206–207: § 11.2.10d. Als Beispiel nennen die Autoren Gen 17,20. 59 Vgl. C. Steuernagel, Das Deuteronomium (HK I,3,1), Göttingen 21923, 183; L. Perlitt, Mose als Prophet, EvTh 31 (1971) 588–608, hier 591, Anm.14; J. Blenkinsopp, Prophecy and Canon. A Contribution to the Study of Jewish Origins (Center for the Study of Judaism and Christianity in Antiquity 3), Notre Dame/London 1977, 86–89. 60 Vgl. Dtn 4,34; 26,8; 29,1–2; die Ausdrücke „Zeichen und Wunder“ (Ex 7,3) und „starke Hand“ (Ex 3,19; 6,1; 13,9) kommen auch im Exodusbuch vor. 61 Zwar arbeitet die D‑Komposition in Ex 4,1–17 auch die magischen Fähigkeiten des Mose heraus, doch „zum Gott“ wird er gegenüber Aaron nur bezüglich seiner Wortoffenbarungen (V. 16).
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zelt angewiesen, die ausgehend von Ex 33,7–11 über Num 11 und Num 12 verläuft. Nun setzt aber die Wachtelerzählung Num 11,4–35, die vom D‑Autor zu einer Geschichte von der Verleihung eines Anteils des mosaischen Geistes an die 70 Ältesten umgestaltet wurde, wie ich an anderer Stelle gezeigt habe,62 die priesterliche Manna-Erzählung von Ex 16 eindeutig voraus, wird doch in Num 11,6– 9 ausdrücklich auf die regelmäßige Gabe des Mannas am Morgen jeden Tages zurückverwiesen und dabei speziell priesterliche Motive wie das Kochen des Mannas (Ex 16,23) und das dort verwendete seltene Leitwort für das Sammeln ( ;לקטV. 16–18.21.26–27) aufgegriffen (Num 11,8). Für Num 12,1–16 hat Römer wahrscheinlich gemacht, dass der Bearbeiter hier eine Erzählung verwendet hat, welche die priesterlichen Bestimmungen über den Aussatz in Lev 13–14 voraussetzt.63 Nun hatte Blum die gesamte Motivkette einschließlich der beiden Numeri-Erzählungen beim Umbau seiner Hypothese noch der vor-priesterlichen Hauptschicht von KD zugerechnet,64 wohl hauptsächlich darum, weil er ihren Ausgangspunkt Ex 33,7–11 als originären Bestandteil der sicher in ihrem Kern vor-priesterlichen Kapitel Ex 33–34 ansah. Doch wurde dies inzwischen von vielen Forschern angezweifelt, ist doch der Einwand des Mose in Ex 33,12 unmittelbar auf den göttlichen Aufbruchsbefehl in V. 1a.3 zurückbezogen. Ich selber habe nachzuweisen versucht, dass das ganze Konzept eines speziellen Offenbarungszeltes außerhalb des Lagers das priesterliche Kultzelt von Ex 25–31; 35–40 und Lev 9 voraussetzt.65 Da nun Blum inzwischen schon selber eine beträchtliche Anzahl seiner KD‑Belege nach-priesterlich ansetzt, darunter Ex 32,13 und 33,1b, die einzigen, die wie 33,7–11 über das Exodusbuch hinausweisen, spricht einiges dafür, auch die Motivkette vom Offenbarungszelt diesem späteren Strang zuzuweisen. Da dann aber erst die nach-priesterliche Schicht die kompositorische Einbindung des Dtn leistet, legt es sich nahe, Blums KD‑Fortschreibung zur nach-priesterlich anzusetzenden Hauptschicht der D‑Komposition zu erklären.66 Der vor-priesterliche Rest, der sich damit ganz auf das Exodusbuch beschränkt, lässt sich dagegen nach meinen Untersuchungen besser einer vorgegebenen Ex62 Siehe
Albertz, Pentateuchstudien, 221–223. T. Römer, Nombres 11–12 et la question d’une rédaction deutéronomique dans le Pentateuque, in: M. Vervenne/J. Lust (Hg.), Deuteronomy and Deuteronomic Literature. FS C. H. W. Brekelmans (BEThL 133), Leuven 1997, 481–498, hier 492–493. Nach Römers Urteil können Num 11 und 12 keiner zusammenhängenden Kompositionsschicht angehört haben, weil sie seiner Meinung nach gegensätzliche Tendenzen vertreten würden: Num 11 leite in V. 27–29 die Prophetie vom Geist des Mose her, Num 12,6 stelle ihn dagegen über alle Propheten. Doch geht es in Num 11 vornehmlich um die Vermittlung einer theologischen Kompetenz an die Ältesten, an der auch einige Propheten Anteil haben, in Num 12 dagegen um eine den Propheten und Priestern überlegene Offenbarungsqualität. Das verbindende Motiv vom Zelt der Begegnung wird von Römer eigenartigerweise gar nicht gewürdigt. 64 Vgl. Blum, Verbindung, 119–120. 65 Vgl. Albertz, Pentateuchstudien, 225–248. 66 Vgl. meine Rekonstruktion der spät-deuteronomistischen Redaktion D in Albertz, Pentateuchstudien, 478–479; ich datiere sie etwa in die Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. 63
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oduskomposition (KEX) zuschreiben,67 die allerdings auch schon das DtrG voraussetzt.68 Viele der guten Beobachtungen, die Blum für deren Aufbau gemacht hat, behalten weiter ihre Gültigkeit. Von den Vorteilen dieser Lösung seien hier nur zwei wichtige genannt: Erstens, die D‑Komposition umfasst wieder den ganzen Pentateuch von der Genesis bis zum Buch Deuteronomium, wie es sich für eine Kompositionsschicht, die das Dtn in ein neu entstehendes Werk einbinden will, gehört. Zweitens, die irritierende Tatsache, dass die erste Landverheißung des Exodusbuches in Ex 3,8 nicht auf die Landgabeschwüre der Vätergeschichte zurückverweist, erklärt sich einfach dadurch, dass diese Stelle der vorgegebenen Exoduskomposition angehört, die einmal eigenständig gewesen ist.
IV. Lohnt es sich, an der KD‑Hypothese festzuhalten? Sofern man sich entschließt, die D‑Komposition, wie oben skizziert, zeitlich etwas später anzusetzen und sie von der kleinteiligen Komposition der Exodus-Sinai-Erzählung (Ex 1–34*) zu entlasten, möchte ich diese Frage gegen den Trend der jüngsten Forschungsgeschichte eindeutig bejahen. Durch diese Modifikation wird die Kompositionsarbeit dieser Schicht deutlich homogener, sie beschränkt sich in Genesis, Exodus und im Deuteronomium großteils auf kleinere redaktionelle Einschübe und steuert hier nur selten ganze Kapitel (Gen 15*; Ex 4*; 13*) und grundlegende Passagen (Ex 12,21–27; 33,7–11) bei. Erst im Buch Numeri scheint sie aus mehreren Einzelüberlieferungen eine lockere Kette von Erzählungen geschaffen zu haben (zumindest Num 11; 12; 13–14*). Sie ist darum mehr als eine reine Redaktionsschicht.69 Die leistungsstarke These von Erhard Blum macht konkret beschreibbar, wann und auf welche Weise das Buch Deuteronomium in den entstehenden Pentateuch einbezogen und damit ein Stück weit aus dem DtrG herausgelöst wurde, worüber ohne sie nur Mutmaßungen angestellt werden könnten. Bei einer schematisch „nach-priesterlichen“ Datierung scheint nun allerdings das Problem aufzutauchen, dass diese Integrationsleistung möglicherweise einer vorgängigen priesterlichen Redaktion zugeschrieben werden müsste, deren redaktionellen Klammern in Dtn 1,3; 32,48–52 nachweisbar sind. Doch muss auf Seiten der priesterlichen Texte sehr wahrscheinlich eine stärkere zeitliche Differenzierung vorgenommen werden, als sie Blum mit seiner KP‑Hypothese vorschwebte.70 67 Vgl. ebd., 187–205; dazu R. Albertz, Exodus 1–18 (ZBK.AT 2.1), Zürich 22017; Ders., Exodus 19–40 (ZBK.AT 2.2), Zürich 2015. 68 Siehe Albertz, Exodus 19–40, 323–324. 69 Vgl. meine Rekonstruktion in Albertz, Pentateuchstudien, 346–348. 70 Vgl. Blum, Studien, 223–228, wo dieser mit einer einheitlichen priesterlichen Kompositionsschicht rechnet, die bis Num 27 laufe und damit auch das Heiligkeitsgesetz (Lev 17–26) umgreife. Kritische Anfragen hierzu finden sich schon früh, vgl. etwa Ska, Un nouveau, 260–
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Denn die priesterlichen Texte, welche die D‑Komposition schon voraussetzt, beschränken sich allesamt auf den Bereich Gen–Lev. Dagegen scheinen die priesterlichen Texte des Numeribuches ihrerseits wieder die D‑Komposition vorauszusetzen, wie beispielhaft die priesterliche Meriba-Erzählung von Num 20,1–13 verdeutlicht, die in V. 12 das typische Glaubensmotiv aus der D‑Komposition aufgreift. Auf Num 20 bezieht sich wiederum Dtn 32,48–52 zurück. So war der Autor der D‑Komposition sehr wahrscheinlich wirklich der Erste, der die redaktionelle Integration des Dtn in den Pentateuch vorgenommen hat. Die These Blums bewährt sich also auch bei ihrer veränderten zeitlichen Ansetzung. Der vollen Leistungskraft der Blum’schen Hypothese wird die Forschung wohl erst ansichtig werden, wenn sie den grundlegenden Einsichten von Eckart Otto und Thomas Römer folgt, dass der Pentateuch aus zwei Kristallisationskernen entstanden ist, den stark priesterlich redigierten Büchern Genesis–Leviticus einerseits und dem Buch Deuteronomium andererseits, zwischen denen das Buch Numeri eine spätere Brücke darstellt.71 Denn wenn die erste priesterliche Komposition nur bis Lev 16 und die zweite nur bis Lev 26 reichte, wie ich herauszuarbeiten versucht habe,72 dann war es der Autor der D‑Komposition, der überhaupt zum ersten Mal eine literarische Brücke zum DtrG schlug, um diesem mit dem Dtn sein normatives Kopfstück zu entwinden. Dann entpuppt sich dieser spät-dtr. Autor als Schöpfer des gesamten Pentateuchkonzeptes, der, indem er die Idee von einem „Torabuch des Mose“ vom Deuteronomium auf die gesamte nicht-priesterliche und priesterliche Sinaigesetzgebung ausweitete, die beiden bis dahin konkurrierenden Gründungsgeschichten Israels, die priesterlich redigierte (Gen–Lev) und die dtn./dtr. (Dtn), in einem Werk miteinander verknüpfte. Aus dieser Perspektive markiert die D‑Komposition eine entscheidende Entwicklungsstufe; sie hat den Pentateuch überhaupt zum ersten Mal konstituiert. Zwar werden bis zur Fertigstellung des Pentateuch noch eine ganze Reihe weiterer Bearbeitungen folgen, von denen zwei ebenfalls mehr oder minder starke spät- oder nach-dtr. Einflüsse erkennen lassen: nämlich die sog. Mal᾽akredaktion, die bis in die Richterzeit ausgriff (Ri 2,1–5) und die Hexateuchredaktion, die aus dem DtrG noch das Josuabuch in die Gründungsgeschichte einbeziehen wollte (Jos 24). Auch hierzu hat Blum, was zuweilen übersehen wird, Pionierarbeit geleistet.73 Aber schließlich wird sich am Ende das schon von der D‑Kom261. Allerdings sieht auch Blum in Lev 26 eine wichtige thematische Linie von KP, die schon in Gen 1 beginnt, zum Abschluss kommen (Studien, 326). 71 Vgl. Otto, Deuteronomiumstudien III, 99–104; T. Römer, Das Buch Numeri und das Ende des Jahwisten. Anfragen zur ‚Quellenscheidung‘ im vierten Buch des Pentateuch, in: J. C. Gertz/K. Schmid/M. Witte (Hg.) Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion (BZAW 315), Berlin/New York 2002, 215–231, hier 220–224. 72 Albertz, Pentateuchstudien, 297–326. 73 Vgl. Blum, Studien, 363–378; dazu Ders., Der kompositionelle Knoten am Übergang von Josua und Richter. Ein Entflechtungsvorschlag, in: Ders., Textgestalt und Komposition. Exegetische Beiträge zu Tora und Vordere Propheten (FAT 69), Tübingen, 2010, 249–280, hier
Die erstmalige Konstituierung des Pentateuch
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position entwickelte Konzept durchsetzen, die normative Gründungsgeschichte Israels mit dem Tode des Mose enden zu lassen. In der langen Entstehungsgeschichte des Pentateuch war kaum eine Bearbeitungsschicht einflussreicher!
256–274; Ders., Verbindung, 110–119. Es trifft somit keineswegs zu, wie zuweilen unterstellt wird (vgl. Kratz, Pentateuch, 54, Anm.73), dass Blum die dtr. klingenden Passagen in Gen– Num alle derselben literarischen Schicht zuweisen wolle.
Purity and Holiness in P Leviticus 19:11–18 and the Decalogues Klaus-Peter Adam
The correlation between H and P1 is an often studied theme that may serve as a test case for the persuasive power of the conceptualization of a priestly work as a composition rather than a typical source. To this compositional understanding of a multilayered P the use of sources is critical. Specifically, the emergence of a P-layer created with the use of external source documents, without following neither the theme nor the vocabulary of those documents,2 offers room for a variety of voices in the realm of P. An example for an inclusion of source material in the composition of H is the row of 12 prohibitives in Lev 19:11–18. Assumingly based on sources, this passage in H does not cover specifically cultic or priestly themes and instead speaks to a number of areas of daily life with the intention of establishing acceptable ways of interaction. For instance, the row of prohibitives includes fundamental aspects of communal life, such as in another field of daily life, Lev 183 and 20 describe the limits for sexual relations between clan members. Among other things, in Lev 19:11–18 H includes typical rules for everyday conflict in any kinship-based community. In one of the longest rows of prohibitives in the Hebrew Bible, one central intention is de-escalation in typical conflict constellations. By ways of comparing the passage with parallels, the following seeks to clarify the form and function of Lev 19:11–18 in H and in KP by ways of considering what genre of legal text Lev 19:11–18 might be related to. 1 See E. Blum, Issues and Problems in the Contemporary Debate Regarding the Priestly Writings, in: S. Shectman/J. S. Baden (eds.), The Strata of the Priestly Writings: Contemporary Debate and Future Directions (AThANT 95), Zürich 2009, 31–44, here 33–39, with further bibliography. 2 E. Blum, Noch einmal: Jakobs Traum in Bethel – Genesis 28,10–22, in: S. L. McKenzie/T. Römer/H. H. Schmid (eds.), Rethinking the Foundations: Historiography in the Ancient World and in the Bible: Essays in Honour of John Van Seters (BZAW 294), Berlin 2000, 33–54, here 52. 3 See, for instance, the row of twelve prohibitives “you shall not expose” Lev 18:7–17 in K. Elliger, Leviticus (HAT I/4), Tübingen 1966, 234. Blum identifies precursors of lists or collections as hypothetical Vorlagen in the background of Lev 17–26; if sometimes such sourcecritical identifications were made overly confidently, as E. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch (BZAW 189) Berlin 1990, 321, note 131, points out.
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I. Reading Lev 19:11–18 in Light of the Decalogues The thematic and formal overlap of Lev 19:11–18 with the Decalogues4, widely recognized,5 presents itself as an opportunity to consider their intention and origin and offers a vantage point to describe these laws in relation to comparable legal tradition. Thematically, a preponderance of the prohibitives relates to daily conflicts in both the Decalogues and in Lev 19:11–18. Also, Lev 19 shares with the Decalogues two positive commands of keeping the Sabbath and of honoring the parents in Lev 19:3–4.6 In detail, the Sabbath command in Lev 19:3a features the characteristic plural and the personal singular suffix “my Sabbaths”7; different from Exod 20:8 and Deut 5:12. The positive parent command, the second parallel between H and the Decalogues, points to an emphasis of traditional kinship institutions, a topic that presents a focus of the laws in Lev 18 and 20 that present values of the kinship structure. Lev 19:3a is to be read in this context that supports the patriarchal and matriarchal honor in traditional kinship structures.8 Again, in comparison with the Decalogues, Lev 19:3a adds an undertone that shifts the theme from “honoring” ( ככדExod 20:12; Deut 5:16) the patriarchal authority to the demand to “fear” ( )יראthe parents and thereby emphasizes the respect of paternal kinship authority.9 A most obvious thematic parallel between both legal texts are the prohibitives with their shared focus on everyday conflicts, which has led to source-critical analyses of both rows of prohibitives.10 For instance, Erhard Blum’s source4 Another close thematic and lexicographic parallel of Lev 19:11–18 is Ezek 22:1–12. A comparison between Ezek 22 and Lev 19 is beyond the scope. See, preliminarily on Ezek 22:6–12 K.‑P. Adam, Bloodshed and Hate: The Judgment Oracle in Ezek 22:6–12 and the Legal Discourse in Lev 19:11–18, in: M. Grohmann/H. C. P. Kim (eds.), Second Wave Intertextuality and the Hebrew Bible, Atlanta 2019, 91–111. 5 See, for instance the overview in C. Nihan, From Priestly Torah to Pentateuch: A Study in the Composition of the Book of Leviticus (FAT II 25), Tübingen 2007, 472–473; J. Milgrom, Leviticus 17–22: A New Translation with Introduction and Commentary (The Anchor Yale Bible Commentaries 3), New Haven/London 2000, 1723, suggests that Lev 19 in effect writes a new Decalogue. 6 Cf. on the parallels among many others, Nihan, Priestly Torah, 467. 7 Cf. this form also in the judgment oracle Ezek 22:8. 8 This is also a concern in Lev 18:7; 20:9 as is the protection of the vulnerable status of young women through the patriarchal order in Lev 19:29. 9 The latter is used in H for reverence of the deity (see Lev 19:14, 32; 25:17, 36, 43 with “your God”) and for “my sanctuary” ( מקדשׁיLev 19:30; 26:2). 10 See, among others, Elliger’s isolation of an older row of singular prohibitives in a Dodecalogue: v. 13a the prohibition to oppress, to snatch away; 13b to withhold the wage of day laborer; 14aα to curse in front of deaf; 14aβ to throw a stumbling block for the blind; 15aβ to favor the poor, 15γ to favor the great, 16aα to go as accuser among your people, 16aβ to stand up against the blood of a companion, 17a to hate your brother in your heart; 18aα to take revenge or bear a grudge. A redaction combined it with an older Decalogue that used plural forms in Lev 19:11–12a (theft, deception, swearing false oaths) and v. 15aα (injustice in court in general). Elliger, Leviticus, 251–252, here 249.
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critical reconstruction of the Decalogue corroborates the focus on typical every day conflict settlement. He suggests seven prohibitives of a Vorlage all of which reflect standard themes of conflict settlement, with an introduction, the prohibition of other gods, the misuse of name, homicide, breaking marriage, stealing, false witness, coveting; that was preceded by a hypothetical list of a traditional series consisting of five prohibitives of the misuse of name, homicide, breaking the marriage, stealing, testifying as a false witness.11 The thematic parallel in the field of conflict settlement between Lev 19:11–18 and the Decalogues presents itself as vantage point to more precisely describe the ethical mindset of Lev 19:11–18. This is even more so, as the Decalogues and Lev 19:11–18 exhibit a similar conceptual framework of their ethical mindset. Lev 19:11–18 defines holiness as an ethically grounded character feature shaped namely by the relation between community members. Holiness according to H is a quality that is to be acquired and to be claimed through specific behavioral standards. Lev 19:11– 18 defines it as refraining from unfair behavior that is directed against fellow companions, against neighbors, brothers and descendants of one’s people. Conceptually, this is to some degree analogous to the Decalogues which, in their final form, exhibit a row of predominantly prohibitives that follow a preamble. A brief overview of Lev 19:11–18 demonstrates the outline of the passage. It breaks down into four rows of prohibitives with distinct thematic foci, separated through the self-introductory formula “I am holy” in vv. 11–12, 13–14, 15–16, 17–18. The four passages denote four categories of members of the community: Brother, sons of your people, companion/neighbor, fellow-countryman. Thematically, they move from general patterns of deceptive interactions to specifically the oppression of less honorable members and proceed further to conflict settlement and general rules for the interaction with community members. The arrangement may be outlined as follows: vv. 11–12 vv. 13–14 vv. 15–16 vv. 17–18
deceptive interactions with fellow-countrymen in general oppression of the socially weak (deaf; blind) fair and just conflict settlement modes of interaction with a “brother” in general: rejection of mutual malevolence (hate); urge to mutual benevolence (love)
If this thematic analysis of Lev 19:11–18 holds true, the concluding double verses 17–18 in an abstraction frame the categorical opposites of mutual benevolence (“love”) and of malevolence (“hate”). These abstract terms also function as the hermeneutical key to read vv. 11–18 at large: The aforementioned rules address typical patterns of interaction in a community with the final verse pair 17–18 11 E. Blum, The Decalogue and the Composition History of the Pentateuch, in: T. B. Dozeman/K. Schmid/B. J. Schwartz (eds.), The Pentateuch: International Perspectives on Current Research (FAT 78), Tübingen 2011, 289–301, here 299.
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pointing to the ideal of mutual benevolence as general maxim. Mutual benevolence is also in the foreground in the first of the double rows vv. 11–12 urging community members to abstain from ordinary quarrels, such as stealing, lying, betrayal, false oaths, or neighborly oppression. Seen through the lens of vv. 17– 18, the retention of wages of day laborers in vv. 13 and the default contempt for the deaf and the blind (v. 14) serve as additional examples of a typical pattern of repression. Remarkably, Lev 19 extends the intent to ensure fair interaction in conflict settlement beyond the average community members. It includes less honorable groups, namely the deaf and the blind. This sensitivity towards disadvantaged groups shapes a certain posture that this row of laws requires from their alleged audience. Lev 19 expects members of the community to model a particular commitment to each other. These laws are therefore best explained as driven by the aim to establish rules for interaction in a closely knit, intimate community. In parts, Lev 19 shares this intent with the Decalogues. The latter also indirectly seek to protect marginal groups with their injunctions of unfair interactions among their addressees, such as stealing and false swearing that would hurt vulnerable members of the society. At the same time, compared with the Decalogues, Lev 19 exceeds the stipulations. Lev 19:11–18 reflect in more detail on the wide field of social interaction between members of the community. Consider theft and homicide.12 In comparison with the laws on theft in Exod 20:15; Deut 5:19 the passage Lev 19:11b adds details. It specifies the protection of disadvantaged members of the society, the blind and the deaf, and it includes a warning against the itinerant slanderer (v. 16 )הלך רכיל, all of which are absent in the Decalogues. With regard to homicide in a community, the injunction in Exod 20:13; Deut 5:17 ( )רצחbans it while Lev 19:16 explicitly refers to the legal practice of killing someone by ways of “standing up against the blood” as reference to an extreme outcome of a trial. The Decalogues refer to lying and false testimony (Exod 20:16; Deut 5:20); in comparison Lev 19:16 here details the procedural aspect of standing in trial ()עמד. Altogether, the rules for conflict settlement in a community allude to similar constellations between two private enemies in both the Decalogues and in Lev 19. And, this significant parallel and the extensive overlap between both texts supports the assumption that these prohibitives address the internal life in a community with Lev 19:11–18 offering a more detailed picture on the specifics of this communal life. In sum, Lev 19:11– 18 exceeds in four ways the rules of the Decalogues.13 First, it narrows down the 12 Another example is the prohibition of omitting the injunction against itinerant slander and against withholding a day laborer’s wage. 13 At the same time, Exod 20:14; Deut 5:18 include the breaking of the marriage which is omitted in Lev 19:11–18. This poses the question for what reason the Decalogues would include the prohibition of breaking the marriage.
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formal procedure of conflict settlement, for instance, a confrontation between enemies in trial (vv. 15–16; though cf. Exod 20:16; Deut 5:20). Second, it lists disadvantaged members of a community, calling upon average members to honor the day laborer, the deaf and the blind that were thought to be vulnerable and therefore were in need of protection. Third, Lev 19:11–18 details specific scenarios of accusations, such as itinerant slander (v. 16). Fourth, Lev 19 categorizes the community members in detail as “brothers, sons of your people, compatriots or, neighbors/companions”. The Decalogues use “your neighbor/companion” Exod 20:16–17 (3 ×), Deut 5:20–21 (3 ×). By doing so Lev 19:11–18 specifies the type of community through a number of descriptors, drawing on categories of kinship and ethnic ties and altogether creates the impression of a relatively closely knit group.
II. Lev 19:11–18 in the Tradition of Laws on Conflict Settlement This comparative reading of the rules for conflict settlement in the Decalogues and Lev 19:11–18 offers an interesting vantage point that illustrates how Lev 19:11– 18 may be mapped within the larger evolution of biblical law about conflict settlement and how it is based on and also exceeds older concepts of conflict settlement. A few examples may suffice. H builds on older rules on conflict settlement, for instance, in Exod 23:1–12 and Deut 22:1–12.14 In detail, Lev 19:13 relates to Deut 24:14–15, but the prohibition of “exploitation” or of “oppression” ( )עשׁקincludes fellow Israelites in general without specifying the hired, needy and poor as in Deut 24:14. Beyond this, the prohibition of “snatching away” ()גזל in Lev 19:13 lacks any parallel in D.15 Lev 19:14 has a partial parallel in Deut 27:18; and Lev 19:15–18 reframe the rules for fair trial in Exod 23:1–8 (and to some degree also Deut 16:18–20). H iterates the prohibition of CC against being partial in favor of the poor (Exod 23:3) but it adds an injunction against “honoring the great”. This latter injunction suggests a bias against the authorities. The admonition against “walking as a slanderer among one’s own people”, that is, against accusing members of one’s own community in Lev 19:16a, closely relates to other corresponding laws on private enmity between members of a community in Exod 23:1–8 and Deut 16:18–20. Yet, seen against the backdrop of those laws, the specific terminology of Lev 19:16 becomes more apparent. First, “to walk as a slanderer among your people” addresses a particular, legally relevant behavio14 The connection between these two passages has frequently been drawn; cf. including earlier approaches Nihan, Priestly Torah, 475. 15 G. Barbiero, L’asino del nemico: Rinuncia alla vendetta e amore del nemico nella legislazione dell’Antico Testamento (Es 23,4–5; Dt 22,1–4; Lv 19,17–18) (Analecta biblica 128), Roma 1991, 252–253.
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ral pattern, namely the role of the notorious slanderer ()רכיל, that is, an overly litigious individual raising accusations against their own fellows as members of the society and thus is causing life-threatening harm.16 Second, the injunctions Lev 19:15b–16a define the social space of the destructive endeavors of such behavior specifically as the inner social circle of fellow-citizen ()עמית, that is, as the community of “your people” ()עמך. The precise terminology for the social space of the addressed community that is apparent in Lev 19:16 and in the four designations for community members is far from random; rather, the description of these internal factions within the community in Lev 19 is driven by the intent to precisely locate the social space of the community in which a conflict unfolds. Already the introduction of Lev 19 specifies the social space. It directs Lev 19 “to the entire community of Israel”, that is, it unequivocally points to the interior as the social space to which the subsequent laws relate. In this context of a community, with its rebuttal of hate and with its urge to mutual benevolence between community members, Lev 19:17–18 emphasizes the necessity for an impulse to exercise the responsibility of each of the members to commit to mutual benevolence. This includes, for instance, a commitment to reprimand each other, highlighted through the figura etymologica “you shall surely reprimand …” V. 17b adds a precise explanation of exactly this counter-movement of mutual reprimanding. V. 17b requires community members to take up their responsibility and to reprimand each other in order to limit the damaging aspects of conflict between individuals. This implies that a community member would urge a companion to reproach another with regard to his problematic behavior,17 lest he incurs blood on behalf of another. These laws urge individuals to solve simmering conflicts between members of their own community. V. 17a summarizes this attitude with the key term of brotherly hate and v. 18a concludes this movement of thought through a reference to patterns of revenge ( )נקםand of carrying grudges ( )נטרagainst one’s compatriots. With both terms not typically found in the legal collections of the Pentateuch,18 Lev 19 detaches its injunction from specific categories of actions and refrains from singling out individual legal steps. Rather than referring to particular reciprocal acts or to specific chains of individual retribution, vv. 11–18 refer to the overarching pattern of vindication and oppose to it the attitude of overcoming malevolence and conflict patterns. The emphasis is on mutual benevolence ()אהב as opposed to mutual hate ()שׂנא.19 This nature of the circumscription of an atti16
The effects of such behavior can be deadly, cf. Ezek 22:9; cf. also Jer 6:28. Nihan, Priestly Torah, 472. 18 With the exception of נקםin the slavery law Exod 21:20. 19 In detail, the specific wording of Lev 19:18 raises many questions. For instance, the command’s unusual form of “love towards” אהב לwithout mentioning a direct object. See on this, for instance, P. Mendes-Flohr, Love, Accusative and Dative: Reflections on Leviticus 19:18 17
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tude underlying a conflict pattern rather than pointing to a specific sequence of individual conflicts altogether highlights the relevance of the ethical standards of the community as a trust network of the “holy ones” as pivotal for a society to properly function. The posture of individuals is decisive for the community that Lev 19:11–18 envisions. Consequently, mapping vv. 11–18 in the context of preceding legal tradition best explains it as the result of developing further the rules for conflict settlement in a community. At the same time, the refinement of the mechanisms of mutual conflict resolution apparent in Lev 19:11–18 also illustrates an emphasis specifically on the constructive conflict settlement with community members. Already the prohibitives in the Decalogues focus on conflict de-escalation and, while they might have addressed the citizens of an urban community, Lev 19:11–18 takes further the need for de-escalation. Notably, Lev 19 assigns the jurisdiction of individual disputes to the leaders of an established kin.20 And the specifics of the alleged socio-historical contexts of dispute settlement addressed in Lev 19 add further evidence to the relevance of established conflict solution in a kinship based society. Lev 19 highlights dispute settlement among community members or “companions”21, as the other three terms used in Lev 19, “brothers, fellow-citizen, sons of your people” demonstrate. The conflicts to which Lev 19 refers are led among community members. The degree of transgression makes sense in particular in light of the setting of these rules in a closely knit c ommunity. That said, the methodological question is how the (B. G. Rudolph Lectures in Judaic Studies 4), Syracuse 2007; A. Schuele, “Denn er ist wie Du”: Zu Übersetzung und Verständnis des alttestamentlichen Liebesgebots Lev 19,18, ZAW 113 (2001) 515–534, with the suggestion to read as a comparative. On the contrary E. Gass, “Heilige sollt ihr werden. Denn heilig bin ich, Jahwe, euer Gott.”: Zur Begründungsstruktur in Lev 19, MThZ 64 (2013) 214–231, assumes the elision of an object “the good” in the sentence, translating: “to love (the good) for your neighbor as you (love the good) for yourself.” 20 In the assembly of the Israelites addressed in Lev 19:2, this order of kinship authorities rooted in the respect for maternal and paternal authority appears to be corrupted and flawed, as the imperatives in Lev 19:3aα demonstrate. Likewise, the deference to traditionally honored old citizens, a sign of fear of God ()יראת מאלהים, is lacking, as Lev 19:32 suggests. The unusually high level of responsibility of individuals for dispute settlement among members of the community is striking and it finds few explicit parallels, since the assignments of duties is not at the center in collections of biblical law. In particular, the expectation that community members would “rebuke” each other ( יכחhi) seems peculiar. Such high degree of responsibility for dispute settlement of the community members has close parallels for the degree of mutual responsibility for dispute settlement and for authoritative judgment expected in a community. The origin of an ideal of a community in which individuals would take over the role of authoritative judgment is interestingly also reflected in parts of Proverbs, for instance, 3:12; 24:25; 28:23. Typically such task of reprimanding was successful, while the fractious לץwould consider himself above the law and refuse to accept a verdict, Prov 9:7–8; 15:12; 19:25. 21 רעoscillates between “neighbor” / “companion”. The context of Lev 19:11–18 suggests that the term here is not specifically used for a person living in spatial proximity to another community member, but instead designates a companion in the sense of community member.
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structure and the content of Lev 19:11–18 as such relates to the context of the ethics of H at large.22
III. Envisioning the Addressees of Lev 19:11–18. The typical parenetic urge of H is also at the basis of Lev 19:11–18.23 It is apparent in the passage’s outline, including in its very form as row of prohibitives and it is also apparent in the sequence of the exhortation.24 Lev 17–26 reflect on “purity and sanctification”25, yet the traditions of H gain their plausibility specifically when they are seen as rooted in the historiographic identity of Israel as their background. H construes Israel’s identity as a collective journeying through the desert. In the logic of this narrative H confers to the Israelites in the legal status of asylum seekers. This identification of the addressees as itinerant nomadic desert sojourners26 offers an unequivocal metaphor that illustrates the backdrop of the ethics of the laws of H. The itinerant nomadic desert sojourners as ideal-typical group isolate themselves by ways of a separatist ethos as a way to highlight their difference from the ethos of surrounding cultures. The historical correlative of this separatist ethos may be attributed to a whole variety of historical epochs, yet the understanding of Israel as desert-sojourners certainly is plausible in Achaemenid Persia.27 How could this separatist 22 Determining further the nature of the group for which Lev 19:11–18 defines conflict settlement it seems plausible that this group separated itself from surrounding cultures. H’s involvement with foreign culture in a separatist move also is evident from the composition of Lev 19. Scholarship over the last two decades has outlined the chapter as a symmetrically arranged composition of two panels, vv. 3–18, 19aβ–36aβ; cf. E. Otto, Das Heiligkeitsgesetz Leviticus 17–26 in der Pentateuchredaktion, in: P. Mommer/W. Thiel (eds.), Altes Testament – Forschung und Wirkung. Festschrift für Henning Graf Reventlow, Neukirchen-Vluyn 1994, 65–80, here 73; Idem, Theologische Ethik des Alten Testaments (ThW 3), Stuttgart/Berlin/Köln 1994, 245–246, cf. Nihan, Priestly Torah, 461–462. Alternative outlines are found in D. Luciani, “Soyez saints, car je suis saint”, NRTh 114 (1992) 212–236, here 222: 19:2–37 as a concentric structure with 2 × 3 + 1 center piece in vv. 19–22; cf. J. Magonet, The Structure and Meaning of Lev 19, HAR 7 (1983) 151–167; Barbiero, L’asino del nemico, 238–243, with a chiastic arrangement A‑B-A’. Compositionally, vv. 11–18 and vv. 26–32 are two juxtaposed, formally corresponding sets of laws with diverse content. Lev 19:11–18 lists the typical default themes of conflict management; the subsection vv. 26–32 targets cultural customs that were known from surrounding communities as foreign. In a separatist move, H rejects them as foreign to their own culture. Models of conflict settlement different from Lev 19:11–18 are also rejected as foreign to the community. 23 Milgrom, Leviticus 17–22, 1629–1630; Nihan, Priestly Torah, 475. 24 Blum, Komposition, 319. 25 Ibid, 318. 26 J. Joosten, People and Land in the Holiness Code: An Exegetical Study of the Ideational Framework of the Law in Leviticus 17–26 (VT.S 67), Leiden/New York/Köln 1996, 181.188. 27 Blum, Komposition, 356, for KP during the Achaemenid period, namely at the time of Darius I (522–486 BCE); pre-exilic origin was suggested by I. Knohl, Sanctuary of Silence: The
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ethos be embedded into the larger understanding of P? When considering the priestly material in general, in a systematic overview, E. Blum suggested KP’s key theme at large would be the “deity’s closeness or affinity”. He sees the layer carry out this theme through three sub-themes. First, the creation of the world and its subsequent impairment, second, Israel’s partial restitution and, finally, H adds the sub-theme of an emphasis on purity and sanctification.28 The aspect of an alterity of the Israelite community would in particular be of relevance in the context of H. Representing the core theme of H’s priestly concept in separation from Israel’s unclean surroundings, purity and sanctification are critical to its understanding. The overlap of the prohibitives in Lev 19:11–18 with the Decalogue is remarkable, insofar as both passages refer in large parts to mechanisms of conflict settlement in a kinship based society. In light of the above characterization, the typically alleged social context of the writings of H in a rural assembly29 of lay people and priests who as an ideal-typical group of desert nomads would embrace a purity ideal that provides the backdrop against which the exclusion of sexual violations in the kin and the avoidance of the pollution of the land30 need to be seen.
IV. Towards a Reconstruction of the Ethical Concept of Lev 19:11–18 This larger context of the ethics of H of an Israel separating itself from the surrounding cultures poses the question whether these separatist tendencies may also be found in the sources of the composition of H. The following considerations seek to delineate in more detail the genre and the tradition history of the row of prohibitives Lev 19:11–18. I ask whether the circle of the addressees and the corresponding validity claims of the passage 19:11–18 that have often been debated with regard to the command to love your neighbor or “companion” in the final passage of Lev 19:18,31 can be specified further. As became apparent, conceptually the row of prohibitives Lev 19:11–18 limits the mutually beneficial Priestly Tora and the Holiness School, Minneapolis 1995, 209, between 743–701 BCE; and Milgrom, Leviticus 17–22, 1361–1364. 28 Blum, Komposition, 289.293.318. 29 A number of reasons substantiate this, for instance, the imposition of laws on the sojourner 19:33; the prohibitions on food and on kinship law; the regulation of the release of slaves in the jubilee 25:39–43; the imposition of the death penalty 20:9–15; 24:23; see most explicitly Joosten, People and Land, 137–192. 30 In the tradition of D, cf. Milgrom, Leviticus 17–22, 1404. 31 See among the many contributions, H. P. Mathys, Liebe Deinen Nächsten wie dich selbst: Untersuchungen zum alttestamentlichen Gebot der Nächstenliebe (Lev 19,18) (OBO 71), Freiburg i. Ue. 1986; M. Köckert, Gottesfurcht und Nächstenliebe: Die Zusammenfassung der Willensoffenbarung Gottes am Sinai in Lev 19, in: Idem, Leben in Gottes Gegenwart: Studien zum Verständnis des Gesetzes im Alten Testament (FAT 43), Tübingen 2004, 155–166; Gass, “Heilige”, 214–231.
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interactions strictly to one’s own community. This limitation to an inner circle of the addressees of the Holiness Code is supported by two pivotal aspects, one from its macro context already mentioned, namely the ideal-typical addressee of Lev 19:2, the “entire congregation of Israel” that H uses only here. The other is given with the conceptual theme of “holiness”, that is, with the appeal to a community to separate itself from others which includes certain behavioral standards within the group. 1. Religious Associations Seen through the lens of a wider comparison with related laws and legal tradition32 it is remarkable that the prohibitives Lev 19:11–18 and in the Decalogues overlap thematically with the rules of religious or cultic associations, dated as early as 6th century bce Egypt. While the cultural influence of a Greek33 custom specifically for Hellenistic Egypt is widely discussed,34 the tradition of religious associations in Egypt dates back much further.35 More specifically of relevance 32
Ezek 22:1–12 is a critical text, see above note 4. became more prominent were later Hellenistic versions from the Greco-Roman world. For classical Athens, a quotation assumingly from Solon’s law, retrospectively compiled in the early 6th century bce, known as “law of associations”, mentions a number of entities: “If a deme or members of a phratry or of a rural society or of a ship-command or messmates or members of a burial society or revelers or people going abroad for plunder or for commerce make an arrangement concerning these matters (i. e., matters appropriate to their own organization) among themselves, it is to be valid unless the written statutes of the People forbid.” Translation from N. F. Jones, The Associations of Classical Athens: The Response to Democracy, New York/Oxford 1999, 34. A central passage is Aristotle’s Nicomachean Ethics, 8.9.4–6: 1160a the reflection on the koinoniai of the polis and its component parts that form various koinoniai that share diverse purposes; cf. Jones, Associations, 223, and earlier G. M. Calhoun, Athenian Clubs in Politics and Litigation, Austin 1913. Such “clubs” were found in urban and rural areas, a private society of upper-class males that would pursue activity among themselves, mostly set in the private homes, assumingly therefore limited to an intimate circle of members. Religious associations were typically named after the day or month on which the membership celebrated the rites of the patron divinity, e. g., Noumeniastai, Tetradistai, Hebdomaistai, Dekadistai, Eikadeis; R. Parker, Athenian Religion: A History, Oxford 1996, 335–337. Evidence of so-called “hell-fire” clubs, assumingly inversions of legitimate and explicitly cultic organizations that expose a religious or cultic orientation, were Autolekythoi, Ithyphalloi, Kakodaimonistai, Triballoi; cf. Jones, Associations, 225. 34 See, for instance, E. R. Bevan, A History of Egypt under the Ptolemaic Dynasty, London 1927, 90: “One thing probably new in Egypt, which came in with the Greek population, were those voluntary associations with the cult of some deity as the ostensible object, though serving really the purposes of a convivial club or trade guild, which sprang up everywhere, in the times after Alexander, over the Greek world, called thiasoi, or synodoi.” 35 In particular, some associations known from Athens have pre-Hellenistic origin. One type of association were the phratries, a new entity in the citizen body of Athens. The Athenian people were reorganized afresh into 139 or 140 demes, that is, village-like units in the countryside or sectors within the city of Athens. The demes ran their own affairs as local communities. The deme was originally a group of persons and not territorially defined; to a certain extent 33 What
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for Lev 19:11–18 were rules that were drafted for closely-knit communities, such as associations from Egypt that expose a number of features comparable to voluntarily joined communities.36 The oldest example, a 6th century BCE association of funerary workers from Thebes, was still active in the 4th century BCE.37 Excavations in Tebtunis yielded the majority of the papyri that relate to religious associations. From this evidence we know the designation of the associations. They used various titles for self-reference; in Demotic the most common term for “association” was “the house”, a more specific term would refer to the professional and the religious associations. An Egyptian technical term for specifically professional and religious associations is swn.t. The word has two meanings. First, it designates the corporation of the guild38 which is the most frequent meaning of the term. Second, it can also designate the actual assembly or the meeting of the guild.39 Based on the level of social coherence, historians describe the ethics and the economics of these religious associations in Ptolemaic time as “trust networks”.40 Examples from the rules well illustrate the level of commitment to a religious association. Members were required to engage in collaborative activities41 and to based on kinship, as individuals settling in a particular area tended to be interrelated. Before and after Cleisthenes, the citizens also belonged to another set of groups, the phratries. The institution was viewed as part of the shared Ionian heritage. The word “brother” is a cognate of phrater. S. D. Lambert, The Phratries of Attica (Michigan Monographs in Classical Antiquity), Ann Arbor 1993, 3–4. Partly this evidence stems from inscriptions from the time period; partly it originates from the late fifth and fourth century Attic orators, in particular, the defense speeches of Isaeus (420–350 bce) and Demosthenes (384–322 bce). 36 L. Fried suggested that these associations are in the background of Persian time biblical texts. Namely the voluntariness of joining associations and the members’ adoption of committal rules in a form of a covenantal agreement has a parallel in the biblical record of the community as mentioned in Neh 10. She suggests that the term אמנהin Neh 10:1 alludes to a “covenant” that exposes features of religious associations and that Neh 10 refers to a covenant oath. L. S. Fried, A Religious Association in Second Temple Judah? A Comment on Neh 10, Transeuphratène 30 (2005) 77–96. 37 Such associations did not exist before Saïtic Egypt; cf. F. de Cenival, Les associations religieuses en Égypte d’après les documents démotiques (Bibliothèque d’étude 46), Le Caire 1972, 141; M. Muszynski, Les “associations religieuses” en Égypte d’après les sources hiéroglyphiques, démotiques et grecques, OLP 8 (1977) 145–163, here 159. 38 This meaning is found, for instance in Papyrus Berlin 3115, col. 4,1: “The coachytes of the necropolis of Djeme agreed to do in order to establish the guild of Amenope.” Equally, in references to the guild as an association in which one would inscribe (col. 2b,2), or references to “the men who are inscribed in the house” in col. 4,5 of the same papyrus. 39 This denotation is less frequent. Most clearly, in Papyrus Lille 29 9: “the man of us who is summoned to the assembly and he does not come …”; G. R. Hughes, The Sixth Day of the Lunar Month and the Demotic Word for “Cult Guild”, MDAIK 16 (1958) 147–160, here 157. 40 This sociological term was coined by C. Tilly, Trust and Rule: Studies in Comparative Politics, Cambridge 2005, and is used by A. Monson to describe the structures of the community in Qumran. 41 See on the associations E. Lüddeckens, Gottesdienstliche Gemeinschaften im pharaonischen, ptolemäischen und christlichen Ägypten, ZRGG 20 (1968) 193–211; and Muszyn-
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commit to a set schedule, that is, to take up tasks and to subscribe to certain ethical rules. Valid for one year and annually rewritten,42 the rules of religious associations underwent regular revisions and changes as is known from examples of the Ptolemaic period Egypt, written in Demotic. Among the range of aspects that the statutes cover,43 they focus on the potential or on the actual complications caused through conflicts between members of the association. Disciplinary regulations about the gatherings, disturbances, insults and violence against members are habitual reasons for internal conflicts. In particular, the rules for the associations share their basic focus on essential themes of communal living and on the default fields of conflict in kinship-based ski, Les “associations religieuses”, 145–163. On the rules and on access to the associations see B. Muhs, Membership in Private Associations in Ptolemaic Tebtunis, JESHO 44 (2001) 1–21. Comparisons of Hellenistic religious associations with community rules have mostly focused on the community at Qumran, see the overview in E. W. Larson, Greco-Roman Guilds, in: L. Schiffman/J. C. VanderKam, Encyclopedia of the Dead Sea Scrolls: Volume 1, Oxford 2000, 321–323. The results of the comparison vary. M. Weinfeld, The Organizational Pattern and the Penal Code of the Qumran Sect: A Comparison with Guilds and Religious Associations of the Hellenistic-Roman Period (NTOA 2), Freiburg i. Ue./Göttingen 1986, compares the Manual of Discipline (1QS) and the Damascus Covenant (CDC) with Greek, Roman, Christian, and Rabbinic groups and in particular with Hellenistic Egyptian groups. He suggests major differences in the organizational structures between 1QS and the Hellenistic statutes. See further Y. M. Gillihan, Civic Ideology, Organization, and Law in the Rule Scrolls: A Comparative Study of the Covenanters’ Sect and Contemporary Voluntary Associations in Political Context (StTDJ 97), Leiden/Boston 2012, with the observation that the associations seek to imitate civic structures. The typology distinguishes “assimilative associations,” with the intent of incorporation of small groups into civic bodies, and “alternate civic associations,” that claim superiority to the state. The community at Qumran distinguishes between citizens and outsiders, full members, resident aliens, and the priestly hierarchies and sees itself as superior to the general Judean community. R. Herrmann, Die Gemeinderegel von Qumran und das antike Vereinswesen, in: J. Frey/D. R. Schwartz/S. Gripentrog (eds.), Jewish Identity in the GrecoRoman World: Jüdische Identität in der griechisch-römischen Welt (Ancient Judaism and Early Christianity 71), Leiden/Boston 2007, 161–203, compares the communities under several rubrics of self-designations; communal bylaws; membership at large; officials; founders of the groups; entrance, maintenance of membership, and exclusion; community of goods; possessions; punishments; and fines. M. Klinghardt, The Manual of Discipline in the Light of Statutes of Hellenistic Associations, in: J. J. Collins/M. Wise/N. Golb/D. Pardee (eds.), Methods of Investigation of the Dead Sea Scrolls and the Khirbet Qumran Site: Present Realities and Future Prospects (Annals of the New York Academy of Sciences 722), New York 1994, 256, concludes that the description of the communal life in 1QS fully fits into the organizational structure of associations. Klinghardt compares the bylaws of Hellenistic associations and the Manual of Discipline (1QS) substantiating a relation in genre and content. Beyond Weinfeld’s more narrow focus on rules from Hellenistic Egypt, Klinghardt, based on the assumption of a wide variety of rules, includes more diverse sources. 42 The majority of the rules for these associations originates from the Fayyum, dating to the Ptolemaic period. 43 The admissions procedure, the disciplinary regulations about the gatherings, ethical teachings and, jurisdictional regulations within the group, namely the membership in the court of the association. Classification from Klinghardt, Manual, 251–270, esp. 252.
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societies: the disrespect of parental authority, the conflicts between community members particularly around a variety of forms of theft and of homicide in the community. 2. The Ethos of a Closely Knit Group in H As has been seen, the ethics in H are innovative in the context of P insofar as they redefine ethics as expression of personal mutual loyalty in interpersonal relationships rather than grounding them on the criteria of dietary laws, for instance, in Exod 22:30, Deut 14, or deriving them from rules to destroy non-Yahwistic cultic objects, for instance in Deut 7:5–6.44 Interestingly, Lev 19:3, 30 highlight the Sabbath and 19:11–18 highlight themes of conflict settlement as pivotal for their separatist ethos. I limit the following considerations to these two themes. The focus on the Sabbath as the festival day in Lev 19:3, 30 (and Ezek 22:8, 26) is the product of a separatist ethos. In analogy, in the rules of religious associations, the appointment of a festival day of an association is pivotal for their efforts of marking an association’s identity. The members’ commitment to a particular festival day is at the same time an expression of their veneration of the deity as it demonstrates the rejection of other deities and their festival days. The emphasis on the Sabbath in the composition of Lev 19:3, 30 (and Ezek 22:8, 26) as part of a separatist ethos45 mirrors the weight of the festival day in religious associations. The associations would go as far as to impose a fine on members who would sow discord with regard to the day of “delivering” (P. Lille 29:11) and they would do so if members would fail to join a convocation (P. Lille 29:9) or fail to appear in the procession to which they had committed to walk behind the “head of the falcon” and the other “heads” of the “house”.46 The regulation of conflict settlement of members of associations is an interesting parallel between H and the rules for associations. The theme may be broken down to two aspects of interaction. First, conflict settlement in specif44 This point has been made (with regards to vv. 11–13) by Milgrom, Leviticus 17–22, 1629– 1630, and Knohl, The Sanctuary of Silence, 180–186. 45 The urge to keep the Sabbath days is not limited to these two passages; the participation on “my Sabbaths”, with the typical plural and the 1st person suffix is also a signature feature of Lev 19:3. Formally, in the Sabbath command the object stands before the predicate, adding emphasis on the Sabbath; see Milgrom, Leviticus 17–22, 1611. In the rules of cultic associations see references to appointed days, for instance, Papyrus Démotique Caire 31179 6: “les jours que ceux de la ‘maison’ auront fixés comme jours de sessions”; Papyrus Démotique Caire 30605 4: “qui tiennent assemblée devant Sebek et les dieux de Sebek, lors des fêtes et des processions de Sebek et des dieux de Sebek”; cf. 5–6: “Nous nous assemblerons devant Sebek et les dieux de Sebek, lors des fêtes et des processions de Sebek … et les jours que ceux de la ‘maison’ auront fixés comme jours de sessions.” Papyri are quoted from de Cenival, Associations; cf. also F. de Cenival, Papyrus démotiques de Lille (Mémoires/Institut français d’archéologie orientale 110), Le Caire 1984. 46 P. Lille 29 11–12.
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ic fields and forms of interaction, second, conflict settlement as it applies in a more fundamental sense to the general ways of interacting, namely the urge of establishing mutual benevolence and the exclusion of malevolence between community members. The rules of religious associations prohibit several forms of mutually hateful engagement between members. For instance, they exclude hate in an assumingly informal conflict. More broadly, they exclude mutually hateful relations that, when taken outside the association, would erupt in some form of a public conflict settlement or trial. Typically, as trust networks, associations would seek to avoid such eruption and, consequently, the rules strengthen instead the role and authority of internal conflict management.47 Comparable rules of conflict settlement are extant in Lev 19:11–18. Members are called upon to reprimand each other ( יכחhi v. 17b), to limit quarrels from being perpetuated (נקם, נטרv. 18a) and, beyond, they are called to practice mutual benevolence, rather than hate ( שנאv. 17a, אהבv. 18aβ). Procedural aspects of handling conflict settlement in an association are in a remarkable way similar in Lev 19:11–18 and in the rules of religious associations. Further parallels in their approach to conflict settlement can be found in their approach to typical conflict inducing behavior. The rules of cultic associations known from demotic sources harshly reject insults.48 They also ban stealing and falsely witnessing against a “companion”.49 Rather than endlessly acting out personal quarrels in the community, the rules expect members to settle their disputes with the help of the members of the association. Consequently, the rules urge to internal dispute settlement, and punish attempts of external dispute settlement between community members. Accusations may not be brought outside the “house”, neither to a court of the “military”, nor to an official authority such as “the police”.50 The rebuttal of a ver47 For assumptions about the priority of internal litigation and trial in Qumran, see Herrmann, Gemeinderegel, 191–193. 1QS VI, 24 – VII, 25 attest to the sole responsibility of courts in the community. 48 Superior and co-members are not to be insulted P. Lille 29 13–14: “Celui d’entre nous qui insultera le ‘supérieur-général’ du faucon de la ‘maison’ …”; Papyrus Démotique Caire 30605 20–21, prohibits insults and in such cases administers a fine on a sliding scale for insults of a comrade, a chief, a “second”, or an ordinary priest or of insults of something he commits himself of 25–90 deben. Papyrus Démotique Caire 30605 21, prohibits from physical battery: “Celui d’entre nous qui battra l’un de nous …” 49 P. Lille 29 14–15: “[Celui d’entre nous] qui trouvera l’un d’entre nous en procès, qui se dérobera à lui et qui portera témoignage contre lui, dans la mesure où il peut le faire” cf. Lev 19:11 ;גנב19:13 ;גזלcf. Lev 19:12 false swearing; 19:16 / Ezek 22:9 slanderer among your people/stand up against your neighbor’s blood; Lev 19:17–18a no hate, no revenge; Ezek 22:29 oppression. 50 P. Lille 29 23–24: “Celui d’entre nous qui portera plainte contre l’un de nous auprès de l’autorité militaire ou policière (?) sans avoir porté plainte devant ceux de la ‘maison’ auparavant son amende sera de 2 kite”; cf. Papyrus Démotique Caire 30605 19: “Celui d’entre nous qui calomniera l’un de nous devant l’autorité militaire, civile ou la gendarmerie (?) …”; cf. Lev 19:17: “reprimand ( )הוכח תוכיחyour companion”; love instead of hatred Lev 19:18; bloodshed Ezek 22:2–4, 12, 25, 27.
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dict spoken in the community was prohibited.51 Members were instead expected to give positive testimony on behalf of each other and to appeal for a member in order to free them, for instance, from prison.52 In particular, in trials against fellow members of the association they would be expected to witness in their favor.53 This effectively rules out any long term enmity between private members of the association. Lev 19:18 draws this same consequence on a more conceptual level with its stark exclusion of mutual malevolence, “hate”, among community members and its urge to long term mutual benevolence, “love”.54
V. Outlook The examples of parallels between Lev 19:11–1855 and the rules of religious associations mirror in many ways the binding character of the groups for whom such rules were drafted. Lev 19 expresses the firm and personal character of such social spaces also through references to community members with the typical second person singular pronoun, your brother, your companion, sons of your people, your compatriot. The content parallels between Lev 19:11–18 and the rules of religious associations also shed light on the understanding of the passage in H as laws for relationships within the group. Notably, H in Lev 19 frames the rules for an insider ethos with prohibitives that reflect strict cultural distinction from their surroundings. This separatist ethos illustrates in impressive ways how the relationship of religious groups to their outside world may substantially differ from their insider ethos. With regard to the religious associations, not much information about their outside interaction from the 6th century bce is known. Yet it is telling that one of the few rec51 Papyrus Démotique Caire 30605 19–20: whoever enters into a dispute by appealing to the court without having first requested internal conflict settlement in the association, has to pay a fine of 50 deben. 52 P. Lille 29 16. 53 Otherwise he is fined 50 deben; Papyrus Prague 20. In the case of justified imprisonment positive witness for the imprisoned is expected, Papyrus Prague 26. 54 The comparison between Lev 19:11–18 and the rules of religious associations would require more thorough reflection. It holds beyond these conceptual parallels and also applies to more specific rules relevant for a kinship-based Judean society to which the Decalogues speak. For instance, the rules for associations explicitly prohibit adultery with a companion’s wife, as do the Decalogues, cf. P. Lille 29 10: “Celui d’entre nous qui … la femme d’un de ses collègues …”; Papyrus Démotique Caire 31179 22: “Celui d’entre nous qui ira trouver la femme de l’un de nous …”; the latter imposes a fine and expulsion from the association. Ezek 22:11 considers such behavior an “abomination”. While family law is not in the focus of Lev 19, v. 29 also refers to issues of family law protecting daughters against what is seen as unfair patriarchal marriage politics. 55 Especially when they are seen in their larger compositional context in parallel with vv. 26–32 and in relation to Lev 19:3, 30.
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ords that mention outside activities of a religious association from the time of the 26th dynasty, that is, approximately around the time H may have been drafted, provides an impressive example of aggressive and harmful behavior led by an association against an opponent.56
56 See G. Vittmann, Der demotische Papyus Rylands 9, Teil 1, Text und Übersetzung, Wiesbaden 1998. In detail, the papyrus renders on 25 columns the history of a community of priests over multiple generations. The petition begins with the time of the 9th year of Dareios I 513 bce in col. 1. Col. II reports the torture of the claimant’s ancestor during a transport on a ship to Herakleopolis. Furthermore, this ancestor’s petitions to the official in Memphis, the minister of finances, were thwarted through bribes of the priestly association (col. III). The income of the claimant’s father was based on his office as a prophet of Amun and of sixteen other Gods, as he points out (col. III). The draft of a complaint that the plaintiff writes is the object of the mockery of the priests who, in the course of the procedure set his house at home on fire (col. IV). The petition includes a detailed report about the substantiations of the claims to the minister of finances (col. V). The claimant’s father receives the right to temporarily be re-installed as priest of Amun (col. IX) and his successor can even retrieve the undivided official power (col. X), the aggressive and violent acts of the priests continue in the 31st year of Psammetichos I 634 bce with the killing of two brothers, grand children of the claimant, on the occasion on the distribution of grain (col. XI). Further conflicts between the priests and the harbormaster’s family that follow include the bribing of judges (col. XV) and revenge measures of the priestly association including the rejection of the payment of the sinecure the plaintiff sees himself entitled to receive (col. XXI).
Inner-biblical Interpretation of Gilead in the Wars against Sihon and Og and in the Tribal Territory East of the Jordan River* Thomas B. Dozeman
The conquest of Sihon and Og and the distribution of their kingdoms to the eastern tribes are closely related in the present form of the Hebrew Bible. Three times the tribal territory east of the Jordan River is identified with the kingdoms of Sihon and Og. Num 32 outlines the borders of the eastern tribes as encompassing the kingdoms of Sihon and Og (32:33). Deut 3 states that the eastern tribal territory includes the land of “the two kings of the Amorites” (3:7). Josh 13 also equates the eastern tribal territory with the kingdoms of Sihon and Og (13:10– 12). The identification of the eastern tribal territory with the Amorite kings is reinforced when each account of land distribution in Numbers, Deuteronomy and Joshua is also preceded by a separate story of the wars against Sihon and Og. The account of war in Num 21:21–35 prepares for land distribution in Num 32; the same pattern repeats in Deuteronomy and Joshua with stories of war in Deut 2:24–3:7 and Josh 12:1–6 also leading to accounts of land distribution in Deut 3:8–17 and Josh 13.1 The repeating pattern suggests that the varied accounts of war against Sihon and Og are aimed at clarifying the identity and the territorial boundaries of the eastern tribes.2 This insight has not fully influenced the study of composition, * It is a pleasure to contribute to the Festschrift of my colleague Erhard Blum, whose work has contributed in so many ways to my research. 1 Judg 11:19–28 also links the war against Sihon with the general claim of Israelite land possession east of the Jordan, but it does not include the tribal distribution of land and therefore is bracketed off from the present study. For discussion of the inner-biblical relationships among the three accounts of war against Sihon in Num 21:21–32, Deut 2:24–3:5 and Judg 11:19–28 see among many others J. Van Seters, The Conquest of Sihon’s Kingdom: A Literary Re-examination, JBL 91 (1972) 182–197; J. R. Bartlett, The Conquest of Sihon’s Kingdom: A Literary Re-Examination, JBL 97 (1978) 347–351; J. Van Seters, Once Again – The Conquest of Sihon’s Kingdom, JBL 97 (1980) 117–119; R. Achenbach, Die Vollendung der Tora: Studien zur Redaktionsgeschichte des Numeribuches im Kontext von Hexateuch und Pentateuch (BZAR 3), Wiesbaden 2003, 358–366. 2 Other themes may also be present in the account of war against Sihon, including the avoidance of war against Moab (S. R. Driver, Deuteronomy: A Critical and Exegetical Commentary [ICC], Edinburgh 31902, 43–46); the explanation of why the Israelites enter Canaan
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which has tended to downplay the role of geography in the stories. In a recent study of Num 20–21, for example, J. Baden acknowledges that geography is a descriptive literary construction in the Pentateuch, yet he concludes that the study of the composition of Israel’s travel east of the Jordan and its war with Sihon in Num 20–21 must be undertaken independently from geographical detail until the underlying sources are isolated.3 Such an approach fails to recognize the changing geographical setting of the wars against Sihon and Og as an influence in the history of composition and thus leaves unexplained the strikingly different descriptions of the eastern tribal territory linked to these conquest stories.4 Num 32 and Deut 3 mix the territories of Reuben and Gad into one region, while Josh 13 clearly separates the two. Num 32 identifies tribal territory with cities, all of which are absent in Deut 3. And the meaning of Gilead changes so radically throughout the accounts of war and land distribution that M. Ottosson cautions the reader the “[g]eneral meaning [of Gilead] is vague and we are only able to determine its actual significance in context.”5 I will focus on the meaning of Gilead to evaluate broader geographical changes in the wars against Sihon and Og and in the eastern tribal territories. The initial interpretation of Numbers and Deuteronomy will provide background for clarifying the dependence of Joshua on the pentateuchal versions.
from the east across the Jordan River rather than from the south (J. Baden, The Narratives of Numbers 20–21, CBQ 76 [2014] 634–652, here 646); and the extension of the boundaries of the promised land from the western to the eastern side of the Jordan River (A. Roskop Erisman, Transjordan in Deuteronomy: The Promised Land and the Formation of the Pentateuch, JBL 132 [2013] 769–789). 3 Baden, Narratives, 634. 4 For an analysis of literary problems in composition when geography is not included in a study of composition see Roskop Erisman, Transjordan in Deuteronomy, 769–789, esp. 772 n. 9. 5 M. Ottosson, Gilead: Tradition and History (ConBOT 3), Lund 1969, 9. See the overview in B. MacDonald, “East of the Jordan”: Territories and Sites of the Hebrew Scriptures (ASOR 6), Boston 2000, 195–208; R. G. Nelson, Deuteronomy (OTL), Louisville 2002, 53–54, also comments on the confusion surrounding the meaning of Gilead in Deuteronomy. Z. Kallai, Historical Geography of the Bible: The Tribal Territories of Israel, Jerusalem/Leiden 1986, 241, also notes that Gilead “seems to be narrower in some texts and broader in others.” M. Wüst, Untersuchungen zu siedlungsgeographischen Texten des Alten Testaments: 1. Ostjordanland (TAVO Beihefte B/9) Wiesbaden 1975, 110–115, notes the problems and provides an overview of the different meanings of Gilead in the stories of the conquest and the land division of the eastern territory (Num 32:1, 26, 29, 39, 40; Deut 2:36; 3:10, 12, 13, 15, 16; Josh 12:2, 5; 13:11, 25, 31a; 17:1, 5, 6). He argues that the core tradition of Gilead is in Josh 12:2, 5 and Num 32:39. I will argue the reverse that the use of Gilead in Josh 12:2, 5 represents the latest development in the tradition.
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I. Numbers and Deuteronomy The study of geography and composition will begin with the accounts of war against Sihon and Og before relating these stories to the various versions of land distribution to the eastern tribes. The literary study of Sihon and Og has been shaped by past historical research, in which interpreters have assumed that Sihon ruled in Heshbon, that he was defeated by tribal Israel, and that the tribes of Reuben and Gad settled within the boundaries of his kingdom.6 These assumptions have influenced the interpretation of the geography east of the Jordan River both in Numbers and in Deuteronomy; it has prompted interpreters to evaluate the kingdoms of Sihon and Og as representations of historical geography, even though the individual accounts lacked adequate geographical detail and the different versions of land distribution varied widely.7 Research on the geopolitical history east of the Jordan has called into question the historical assumptions of the wars against Sihon and Og and of the distribution of their land to the eastern tribes in the Late Bronze Age. The research on Tell Heshbon, for example, has clarified that Heshbon could not have been the capital of an Amorite king in the late Bronze Age. Heshbon peaked as an urban center in the seventh to the sixth centuries, before it was destroyed at the end of this period. Heshbon did not reappear in the Persian period but emerged only in the Late Hellenistic period.8 The historical research clarifies that the Mosaic conquest of Sihon and Og and the distribution of their land to the eastern tribes are not deeply rooted traditions, but legendary stories composed in the wake of the destruction of Heshbon. 1. Sihon and Og The earliest version of the conquest east of the Jordan River is of Sihon, not Og; the story appears in both Num 21:21–32 and Deut 2:24–36.9 The two accounts are similar. Both include the following events: (1) messengers are sent to Sihon for 6 See for example, J. A. Soggin, A History of Ancient Israel, Louisville 1984, 149; J. Bright, A History of Israel, Louisville 42000, 141–142; M. Noth, The History of Israel, London 21983, 148–149.159–160; and N. K. Gottwald, The Tribes of Yahweh: A Sociology of the Religion of Liberated Israel, 1250–1050 B. C. E., Maryknoll 1979, 215.431–433.501–502 et passim. 7 See for example Z. Kallai, Historical Geography, 241. 8 See L. T. Geraty, “Hesban,” in: E. M. Meyers (ed.) The Oxford Encyclopedia of Archaeology in the Near East 3, New York 1997, 19–22; L. T. Geraty/D. Merling, Hesban after Twenty-Five Years, Berrien Springs 1994. See the summary of research in MacDonald, “East of the Jordan,” 92–93. 9 The evidence for interpreting the legend of Sihon as functioning independently from the legend of Og rests on the history of composition and on the independent functioning of Sihon in Judg 11 and in Jer 48:45. The independent function of the war against Sihon at an early stage in Numbers may also account for the reference in Num 22:1 to Israel’s defeat of a single Amorite king. For discussion see M. Noth, Numbers (OTL), Louisville 1968, 162–166.
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permission to cross his kingdom (Num 21:21–22; Deut 26:29); (2) Sihon’s refusal leads to war at Jahaz (Num 21:23–24; Deut 2:30–35); and (3) the conquered territory is described (Num 21:24b–26; Deut 2:36). Both accounts also include geopolitical information on Moab south of the Arnon (Num 21:13; Deut 2:29) and on the Ammonites north of the Jabbok (Num 21:24; Deut 2:37). Interpreters have long recognized the similarity between the two accounts as evidence of innerbiblical influence in composition, although the direction of the literary dependence is debated.10 The differences in geographical details provide minimal help in determining literary dependence between Num 21:21–32 and Deut 2:24–36. The most significant differences are (1) the identification of Kedemoth in Deut 2:26 as the location from where the messengers traveled to address Sihon (absent in Num 21);11 (2) the statement in Num 21:32 that Moses sent spies to Jazer after the defeat of Sihon (absent in Deut 2);12 and (3) the description of the geographical boundaries of Sihon’s kingdom. Num 21:24 employs the phrase, “from the Arnon to the Jabbok”;13 Deut 2:36 describes the same territory but clarifies the borders somewhat differently as extending “from Aroer on the edge of the Wadi Arnon … as far as Gilead,” where Gilead refers to the land occupied by the Ammonites north of the Jabbok River (Deut 2:37).14 The last comparison introduces Gilead as a 10 Classical source criticism has tended to attribute an original form of Num 21:21–35 to J (J. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, Berlin 21889, 110–111), or E (A. Kuenen, The Historico-Critical Inquiry into the Origin and Composition of the Hexateuch [Pentateuch and Book of Joshua], New York 1886, 154), with the further conclusion that the original form of Num 21:21–35 influenced Deut 2:24–3:5. More recent interpreters identify Num 21:21–35 as a Deuteronmistic composition (V. Fritz, Israel in der Wüste: Traditionsgeschichtliche Untersuchung der Wüstenüberlieferung des Jahwisten [MTS 7], Marburg 1970, 28–30), which has led to the reversal of the literary relationship between Num 21:21–35 and Deut 2:24–3:5 (e. g., Van Seters, Conquest, 182–197). Noth, Numbers, 162– 166, argued that the inner-biblical relationships move in both directions; Numbers influences Deuteronomy in the account of the war against Sihon, while the account of Og in Deut 3:1–3 influences Num 21:33–35. The mutual influence between Numbers and Deuteronomy provides the model for the present study. Interpreters have also proposed a variety of literary relationships between Josh 12–13 and the pentateuchal texts. R. D. Nelson, Joshua (OTL), Louisville 1997, 159.171, detects the literary dependence of Josh 12 and 13 on Deut 3; S. Mowinckel, Zur Frage nach dokumentarischen Quellen in Josh 13–19, Oslo 1946, 7; and Ottosson, Gilead, 129, interpret Josh 13 to be dependent on Num 32:32–42. E. A. Knauf, Josua (ZBK.AT 6), Zürich 2008, 126–135, provides the point of departure for the present study when he concludes that Josh 13 is a late compilation of all the previous geographical texts on the eastern tribes. 11 For discussion of Kedemoth see MacDonald, “East of the Jordan,” 93–95. 12 For discussion of Jazer see ibid., 106–108. 13 For discussion of the formula “from … to” ( )מן … עדsee M. Saebø, Grenzbeschreibung und Landideal im Alten Testament mit besonderer Berücksichtigung der min -‘ad-Formel, ZDPV 90 (1974), 14–37; see also the discussion of spatial merism in N. Wazana, All the Boundaries of the Land: The Promised Land in Biblical Thought in Light of the Ancient Near East, Winona Lake 2013, 58–82. 14 For discussion of Aroer see MacDonald, “East of the Jordan,” 96–97; Ottosson, Gilead, 107–108.
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northern region in Deuteronomy. Deuteronomy also contains more information concerning the borders of Sihon’s kingdom, including the reference to Aroer in the south and the identification of Gilead as the land north of the Jabbok,15 which may indicate the expansion of geography in Deuteronomy.16 The conquest east of the Jordan is expanded from the defeat of Sihon to include the territory of Og north of the Jabbok River in Num 21:33–35 and in Deut 3:1– 5. These accounts are also similar. Both versions include (1) travel north to Bashan (Num 21:33a; Deut 3:1a);17 (2) the battle against Og at Edrei (Num 21:33b; Deut 3:1b);18 (3) the divine command to Moses that Israel should not fear Og with the promise of victory similar to Sihon (Num 21:34; Deut 3:2–3); and (4) the summary of victory and land possession (Num 21:34; Deut 3:4–5). Most scholars agree that the two texts are interdependent and that the direction of composition is from Deut 3:1–5 to Num 21:33–35.19 The first person account of the conquest of Og in Deut 3:1–5 is closely tied in rhetorical style with the preceding story of Sihon so that it continues seamlessly from one battle to the next.20 Num 21:33–35, on the other hand, appears to be a rewritten version of Deut 3:1–5 in which first person speech is transformed into third person narrative, contrasting to the account of the previous war with Sihon.21 The inner-biblical rewriting brings Numbers into conformity with Deuteronomy, so that the conquered territory now includes both the kingdom of Sihon south of the Jabbok River as well as that of Og north. Both versions identify this northern territory as Bashan (Num 21:33; Deut 3:1).22 Deuteronomy further identifies the northern territory as the “whole region of Argob” (Deut 3:4–5).23 15 Gilead does not refer to land north and south of the Jabbok River in Deut 2:36–37 as argued by Driver, Deuteronomy, 46; Ottosson, Gilead, 107 (but see the qualification on p. 110). 16 Wüst, Untersuchungen, 10–12, follows S. Mittmann, Deuteronomium 1,1–6,3 literarkritisch und traditionsgeschichtlich untersucht (BZAW 139), Berlin 1975, 70–78, in recognizing that the description of geography in Deut 2:36–37 may be an expansion. 17 For discussion of Bashan see MacDonald, “East of the Jordan,” 128–131. 18 Edrei is a fixed motif in the battle against Og, appearing in Num 21:33–35; Deut 3:10; and Josh 12:4. 19 See already G. B. Gray, Numbers (ICC), Edinburgh 1903, 306; followed by Noth, Numbers, 166 and many others (e. g., V. Fritz; L. Perlitt; E. Otto; R. Achenbach; R. D. Nelson). 20 Ottosson, Gilead, 111, underscores how the accounts of Sihon and Og are parallel descriptions that reinforce the simplified style of the Deuteronomist. W. A. Sumner, Israel’s Encounters with Edom, Moab, Ammon, Sihon, and Og according to the Deuteronomist, VT 18 (1968) 216–228 argues that the style of the Deuteronomist is based on earlier tradition. Compare M. Noth, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart 1948, 35–36, who attributes the entire tradition of Og to Deuteronomistic tradition. 21 E. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch (BZAW 189), Berlin/New York 1990, 127, states the opinion of the majority of researchers “dass [Num 21:33–35] als weitgehend wörtliche Übernahme von bzw. Anlehnung an Dtn 3,1–3 zu sehen sind.” Compare Ottosson, Gilead, 69–70. 22 For discussion of Bashan see MacDonald, “East of the Jordan,” 128–131. 23 Argob is limited to Deuteronomistic literature see ibid., 126–128.
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The comparison of Num 21:21–35 and Deut 2:24–3:7 indicates inner-biblical influence in the geographical description of the kingdoms of Sihon and Og. In the account of war against Sihon, Deut 2:24–36 appears to be dependent on Num 21:21–32; it agrees with the general borders of Sihon’s kingdom while expanding the geographical details with the addition of Aroer in the south and the identification of Gilead as the land north of the Jabbok. The inner-biblical composition moves in the reverse direction in the account of war against Og, where Num 21:33–35 is dependent on Deut 3:1–5. In this instance, Num 21:33–35 confines the kingdom of Og to Bashan (Num 21:33; Deut 3:1), eliminating the reference to the Argob (Deut 3:4–5). The most significant geographical difference in the two accounts of war is the identification of Gilead as the northern territory in Deuteronomy, which as we will see is at odds with land distribution in Num 32 where Gilead designates the region south of the Jabbok River. 2. Land Distribution East of the Jordan River The expansion of the war against Sihon (Num 21:21–32; Deut 2:24–36) to include the more northern territory of Og (Num 21:33–35; Deut 3:1–5) is also evident in the accounts of land distribution in Num 32 and Deut 3:8–17. The study will begin with Num 32 before turning to Deut 3:8–17, although the inner-biblical influence moves in both directions. Num 32 contains a history of composition.24 The chapter recounts the distribution of land in the introduction (Num 32:1–5) and in the conclusion (Num 32:33–42); the Reubenites and the Gadites request the land of Jazer and Gilead (Num 32:1, 5), which Moses gives to them (Num 32:33). Thus Reuben and Gad share the same territory, with each possessing distinct towns. Both Jazer and 24 The central issues of the literary analysis of Num 32 were established early. Gray, Numbers, 426, represents the view that a source-critical analysis is not possible; he argues instead that Num 32:1–38 is a free formed composition based on material from JE and P, with Num 32:39–42 representing fragments of tradition from a separate source. The perspective of Gray continues into the present with Blum, Studien, 112–113. Wellhausen, Composition, 115– 117, identified P (32:16–16, 24, 28–30 perhaps with vv. 31–32 as additions) and JE (32:1–5, 20– 27, perhaps also part of v. 17) sources, while also noting the close literary relationship between Num 32:6–15 and Deuteronomistic literature (esp. in Deut 1–4). Subsequent source-critical studies have sought to refine the separation between two sources. See for example J. Baden, J, E, and the Redaction of the Pentateuch (FAT 68), Tübingen 2009, 141–153; and L. M. Marquis, The Composition of Numbers 32: A New Proposal, VT 63 (2013) 408–432. The identification of sources tends to focus on the conflict of themes in the confrontation of Moses, Reuben and Gad concentrated in Num 32:6–33; geography plays no role in this analysis. A variety of redactioncritical solutions have also emerged, most notably L. Schmidt, Die Ansiedlung von Ruben und Gad im Ostjordanland in Numeri 32,1–38, ZAW 114 (2002) 497–510; H. Seebass, Erwägungen zu Numeri 32:1–18, JBL 118 (1999) 33–48; Achenbach, Die Vollendung der Torah, 366–388; and O. Artus, Numbers 32: The Problem of the Two and a Half Transjordanian Tribes and the Final Composition of the Book of Numbers, in: C. Frevel/T. Pola/A. Schart (eds.), Torah and the Book of Numbers (FAT II 62), Tübingen 2013, 367–382.
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Gilead represent territory south of the Jabbok River and the list of cities attributed to Reuben and Gad reinforces the southern location (Num 32:3, 34–35).25 The introduction (Num 32:1–5) and conclusion (Num 32:33–42) frame an extended story (Num 32:6–32), in which Moses initially resists the request of Gad and Reuben, because of the past failure to conquer the land from the story of the spies (Num 13–14). Moses eventually agrees to their request if they participate in the conquest west of the Jordan River (Num 32:29–30). The resistance of Moses is most likely an addition to the original version of land distribution and it creates tension in the theme of whether Moses gives the land immediately (Num 32:33) or makes the gift contingent upon the participation of Reuben and Gad in the conquest of the land west of the Jordan River (Num 32:20–22). This conflict in theme does not change the geography of land distribution; twice in this section Gilead is reaffirmed as a southern location assigned to Reuben and Gad (Num 32:26, 29). Num 32 undergoes an additional stage of composition in which the geography of land distribution changes – influenced in part by Deut 2:24–3:17. This revision is concentrated in the conclusion of Num 32:33–42.26 The additions are tied to the expansion of the conquest northward to include the kingdom of Og of Bashan (Num 32:33). The northern territory is described further in Num 32:39– 42, which includes separate conquest traditions of Machir, Jair and Nobah – all associated with Manasseh.27 The addition of northern territory also redefines the location of Gilead as a territory north of the Jabbok River: Machir invades the northern territory of Gilead, which Moses then gives to him (Num 32:39). The relocation of Gilead to a more northern location belonging to Machir brings the account of land distribution in Num 32 into conformity with Deut 3:17, when Moses states: “To Machir I gave Gilead.” 25 Num 32:3 lists nine locations associated with Reuben and Gad: Ataroth (perhaps the same location at Atroth-shophan), Dibon, Jazer, Nimrah (perhaps the same location as Bethnimrah), Heshbon, Elealeh, Sebam (perhaps the same location as Sibmah), Nebo, and Beon (perhaps the same location as Baal-meon). Num 32:34–35 lists eight locations as territory of Gad; four or five repeat locations from Num 32:3: Dibon, Ataroth (perhaps the same location as Atroth-shophan), Jazer, Beth-nimrah (perhaps the same locations as Nimrah); and three or four are new locations: Aroer, Atroth-shophan (perhaps the same location as Ataroth), Jogbehah, Beth-haran. Num 32:36–37 lists six locations as the territory of Reuben; five repeat locations from Num 32:3: Heshbon, Elealeh, Nebo, Baal-meon (perhaps same location as Beon), and Sibmah (perhaps the same location as Sebam); and at least one new location: Kiriathaim. For a review of the different locations see MacDonald, “East of the Jordan,” 84–87.91–93.112–123. 26 The original account of land distribution to Reuben and Gad in Num 32:33–38 likely included the list of cities in Num 32:34–38, introduced by Num 32:33 – minus the references to “the half-tribe of Manasseh son of Joseph” and “the kingdom of Og of Bashan.” 27 The conquest tradition is associated primarily with Machir in Num 32:39–42, but also includes Jair and Nobah; these traditions do not fit the context of Num 32, in which the defeat of Og is already completed. Noth, Numbers, 240, describes the unit as an “appendix”; for discussion see Wüst, Untersuchungen, 60; and R. de Vaux, The Early History of Israel, Louisville 1978, 312.585–590.784–787.
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The composition of Num 32 results in a complex account of land distribution. The expansion of the eastern territory to include the kingdom of Og of Bashan under the influence of Deut 3:1–5 introduces confusion in the identity of Gilead, since it is now identified as both a southern territory occupied by Reuben and Gad (Num 32:1–5) and as a northern territory which Moses gives to Machir son of Manasseh (Num 32:3 [part], 39–42). This revision brings Num 32 into conformity with the parallel account in Deut 2:24–3:17, even though it also creates an internal conflict with the southern location of Gilead throughout Num 32. The contradiction in the location of Gilead and in the tribal residents of Gilead remains unresolved in Num 32. Deut 3:8–17 also contains a history of composition, which is most evident in the repetition of land distribution in vv. 12–13a and in vv. 15–17, where Gilead once again undergoes a change in meaning.28 In Deut 3:15–17 Gilead is a northern territory confined to the kingdom of Og; while in Deut 3:12–13a Gilead is divided between the kingdoms of Sihon and Og. In Deut 3:15–17 Machir acquires Gilead; while in Deut 3:12–13a the two halves of Gilead are divided between the half-tribe of Manasseh and Reuben-Gad. The review of composition will illustrate that the identification of Gilead as a northern region (3:15–17) is the original form of the story conforming to the accounts of conquest in Deut 2:24–3:7, and that the redefinition of Gilead (3:12–13a) as two regions is a reinterpretation, best described as a pentateuchal redaction aimed at relating the conflicting accounts of land distribution in Numbers and in Deuteronomy. The original version of land distribution includes Deut 3:8–11, 13b–17. This story begins in v. 8 with the temporal clause, “at that time we took the land” (ונקח )בעת ההוא את הארץ. The text divides between the description of the kingdoms of Sihon and Og (3:8–11, 13b–14) and the allocation of the land to the tribes (3:15– 17). The kingdoms of Sihon and Og extend “from the Wadi Arnon to Mount Hermon” (3:8) encompassing three regions: “all of the tableland, all of Gilead, and all of Bashan to Salecah and Edrei” (3:10).29 A commentary is interspersed (3:8, 11, 13b–14) to clarify Hermon and Rephaim: Hermon is Sirion and Senir (3:9); and 28 The identification of the two accounts of land distribution has long been noted, but the literary relationship between Deut 3:12–13a and 14–17 is usually reversed; vv. 12–13a is judged to be the original and vv. 14–17 the later addition based on two assumptions: (1) the information on Machir and Jair is dependent on an older version in Num 32:39–42; and (2) the division of Gilead is dependent on an older version in Josh 12:2–3. See C. Steuernagel, Deuteronomium, Göttingen 1900, 13; Driver, Deuteronomy, 54–55; G. von Rad, Deuteronomy, Louisville 1966, 44; G. Seitz, Redaktionsgeschichtliche Studien zum Deuteronomium (BWANT 13), Stuttgart 1971, 27; Mittmann, Deuteronomium 1,1–6,3, 12–13; Ottosson, Gilead, 113–117; A. D. H. Mayes, Deuteronomy, London 1979, 144–146; and Achenbach, Die Vollendung der Tora, 370. 29 The reference to Edrei fits loosely in this context. See Steuernagel, Deuteronomium, 12; M. Noth, Beiträge zur Geschichte des Ostjordanlandes. I. Das Land Gilead als Siedlungsgebiet israelitischer Sippen, PJB 37 (1941) 50–101, here 54–55; Mittmann, Deuteronomium 1,1– 6,3, 83; and Mayes, Deuteronomy, 144.
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Rephaim is a northern land renamed as Argob (vv. 13b–14) and it also defines the character of Og (3:11).30 Deut 3:15–17 completes this version of land distribution by describing the allocation of the land in which Gilead is a region north of the Jabbok River: Machir receives Gilead (3:15); Reuben and Gad receive the southern land “from Gilead to the Wadi Arnon” (3:16). The distribution of land in Deut 3:8–11, 13b–17 corresponds to the accounts of conquest in Deut 2:24–3:7. In the stories of conquest, the kingdom of Sihon is located south of Gilead, “from Aroer on the edge of the Wadi Arnon … as far as Gilead” (2:36), which is further clarified as south of the Jabbok River (2:37). This is the same general territory acquired by Reuben and Gad “from Gilead to the Wadi Arnon” (3:16). Og’s kingdom is Bashan (3:1) also identified as Argob (3:4). These locations repeat in the account of land distribution, where Og’s kingdom includes “the whole region of Argob: all that portion of Bashan” (3:13b, see also 3:10, 14). The distribution of Og’s kingdom to Machir includes the further identification of this region as Gilead, “To Machir I gave Gilead,” (3:15), which conforms to its northern location in the story of the conquest of Sihon (2:36). The original version of the conquest of Sihon and Og (Deut 2:24–3:7) and the distribution of their land to the eastern tribes (3:8–11, 13b–17) follow the same geographical descriptions throughout, with Gilead identifying all or part of the kingdom of Og, located north of the Jabbok River; while Reuben and Gad inherit the kingdom of Sihon south of the region of Gilead. Given the clear designation, there is no reason to read the reference to “all of Gilead” (3:10) as anything other than the same territory north of the Jabbok River.31 The meaning of Gilead in Deut 3:8–11, 13b–14 as the region north of the Jabbok River contrasts to its southern location in Num 32:1–32. The contrast in the meaning of Gilead provides a window into broader comparisons concerning the distribution of land to the eastern tribes in the two texts. Both accounts agree that the distribution of land east of the Jordan River is in two sections corresponding to the kingdoms of Sihon and Og: the kingdom of Og is occupied by Machir (and other members of the clan of Manasseh); and the kingdom of Sihon is occupied jointly by Reuben and Gad without clear territorial separation. Beyond this general agreement, the two accounts have little in common. Deuteronomy focuses on topography and regions,32 but not cities; the only cities mentioned are tied to 30 For discussion of the composition of the commentary (3:8, 11, 13b–14) within the narrative of Deut 3:8–11, 13b–17 see Steuernagel, Deuteronomium, 12; Driver, Deuteronomy, 53– 54; Mayes, Deuteronomy, 144; and Nelson, Deuteronomy, 52. 31 Many interpreters judge Gilead in Deut 3:10 to represent territory both north and south of the Jabbok, based on the reading of Deut 3:12–13a as the original description. See for example, Ottosson, Gilead, 113; Mayes, Deuteronomy, 144; Nelson, Deuteronomy, 52. 32 Deut 3:7–11b and 13b–17 includes nine references to topography: Arnon (3:8, 16), Jabbok (3:16), Mount Hermon (3:8), Tableland (3:10), Arabah (3:17), Jordan River (3:17), Chinereth (3:17), Sea of Arabah = Dead Sea (3:17), Slopes of Pisgah (3:17); and five references to regions: Gilead (3:10, 15, 16), Bashan (3:10), land of Rephaim (3:13b), Havvoth-Jair (3:14), and Argob
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the kingdom of Og (Edrei, Salecah) or to the location of his bed (Rabbah), not to the location of the Israelite tribes. Numbers, on the other hand, focuses almost exclusively on cities in identifying the distribution of land, with no reference to topography and only minimal reference to regions, which are the southern territories of Jazer and Gilead.33 Deut 3:12–13a is an addition that once again redefines the territory of Gilead, this time with the aim of bridging the conflicting accounts of land distribution in Num 32 and in Deut 3:8–17. The addition is signaled in v. 12 by the repetition from v. 8 of the temporal phrase “at that time” ()בעת ההוא. The inverted word order of v. 12 ( )ואת הארץ הזאת ירשנו בעת ההואplaces the emphasis on “this land,” thus setting the stage for the re-description of the territory east of the Jordan River. The most significant change is the division of Gilead; it remains a northern region as in the larger narrative of Deut 2:24–3:17, but it is now also extended southward as in Num 32. The result is that Reuben and Gad receive portions of Gilead as tribal property, as compared to the restriction of Gilead to Machir in Deut 3:15. The territory of Reuben and Gad includes “from Aroer which is on the Wadi Arnon” as before (3:16), but now it also includes “half of the hill country of Gilead and its towns” (3:12). The “remainder of Gilead and all of Bashan” is the land now given to the half-tribe of Manasseh. The tribal identification of the halftribe of Manasseh is an innovation in this addition and it replaces the previous focus on Machir.34 The insertion of Deut 3:12–13a with its re-description of Gilead as a territory extending both north and south of the Jabbok creates conflict with the more narrow definition of Gilead in Deut 2:24–3:17 as a territory north of the river, in much the same way that the identification of Gilead as northern territory given to Machir (Num 32:33–42) conflicted with Num 32:1–32.35 The literary horizon of the second account of land distribution in Deut 3:12– 13a exceeds the book of Deuteronomy; it is aimed at bridging the conflicting accounts of land distribution, in which Num 32 locates Gilead in the kingdom of Sihon as land given to Reuben and Gad, while Deut 3:7–11, 13b–17 places it in the kingdom of Og as land given to Machir. The addition of Deut 3:12–13a bridges the differences by introducing a division in the region of Gilead that encompasses parts of the kingdoms of both Sihon and Og. Although the identification of Gilead as a territory south of the Jabbok River departs from the geography of (3:14). The only cities listed in Deut 2:24–3:17 are those either belonging to or associated with Og – Edrei, Selacah, and Rabbah of Ammon (Deut 3:10, 11). The absence of cities in Deuteronomy contrasts sharply with Num 32. 33 Num 32 lists seventeen or nineteen cities, depending on whether or not variations of city names indicate the same location. See the list of cities in n. 33. Num 32 contains no references to topography and only two references to regions: Gilead (32:1) and Jazer (32:1). 34 The identification of the half-tribe of Manasseh is a late addition in both Numbers (32:33; 34:13) and Deuteronomy (3:12–13a; 29:7). See Artus, Numbers 32, 367–382. 35 Compare Ottosson, Gilead, 115–116, who interprets Deut 3:16–17 as a repetition with more detail than Deut 3:12.
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Deut 2:24–3:17, in so doing it also forges links to the geography of Num 32. The additional notice in Deut 3:12 that Gilead contains “towns” further acknowledges the focus on cities in Num 32, which are absent in Deut 2:24–3:17.36 The revision in Deut 3:12–13a allows Gilead to designate both the land south of the Jabbok River in possession of Reuben and Gad (Num 32) and the land north of the Jabbok River (Deut 3:15–16), with the caveat that the general term for the tribes occupying the northern territory is the half-tribe of Manasseh, not Machir.
II. Joshua The conquest of Sihon and Og and the distribution of land to the eastern tribes are closely related in the book of Joshua, as is the case in Numbers and Deuteronomy. The conquest is recounted in Josh 12:1–6 and the distribution of land to the eastern tribes follows in Josh 13. The book of Joshua also recounts the defeat of Sihon and Og in speeches by Rahab (2:10) and the Gibeonites (9:10). The study will begin with the accounts of war against Sihon and Og (2:10; 9:10; 12:1–6), before turning to the distribution of land to the eastern tribes (Josh 13). The interpretation will illustrate the close literary relationship between the accounts of war (12:1–6) and land distribution (Josh 13) and the dependency of both on the Pentateuch. 1. Sihon and Og The statements by Rahab (2:10) and the Gibeonite (9:10) concerning the defeat of Sihon and Og and the extended summary of their downfall (Josh 12:1–6) indicate the influence of the Pentateuch on the composition of these stories. The following summary provides illustration. The first reference to Sihon and Og is in the speech of Rahab; she notes the fear of the indigenous nations upon hearing of the destruction of the two Amorite kings (2:10). Her confession is echoed by the Gibeonites, who include the additional information that Og of Bashan lived in Ashtaroth and Edrei (9:10).37 Edrei is a common motif in the core stories of the Pentateuch; it is the location of the battle with Og in Num 21:33 and in Deut 3:1; it is also identified as Og’s city in the account of land distribution in Deut 3:10. But the identification of Og with Ashtaroth is absent in the pentateuchal accounts of war (Num 21:21–35, Deut 3:24–3:7) and land distribution (Num 32; Deut 3:8–17). Thus, the presence of Ashtaroth in the speech of the Gibeonites is an innova36
See n. 41. The statements by Rahab (Josh 2:9–11) and the Gibeonites (9:10) are related. See already C. Steuernagel, Das Buch Josua (HKAT 3), Göttingen 1923, 212–213; followed by M. Noth, Das Buch Josua (HAT 7), Tübingen 31971, 29.53–57. For review of the history of composition in Josh 2 and 9 as well as the relationship of the two texts in the larger context of Josh 1–12 see T. B. Dozeman, Joshua 1–12 (AYB 6B), New Haven 2015, 234–237.407–415. 37
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tion in Joshua beyond the core pentateuchal stories. Ashtaroth does appear in the Pentateuch, but only once in the opening section of the book of Deuteronomy, where Og is described as reigning in both Edrei and Ashtaroth (1:4).38 The appearance of Ashtaroth in the Gibeonite speech (9:10) indicates that the author of Joshua has expanded the core pentateuchal stories of war (Num 21:21–35; Deut 3:24–3:7) to include the additional information from Deut 1:4.39 The same expansion appears in the summary of the defeat of Sihon and Og in Josh 12:1–6. Here too, Og is identified with both the cities of Ashtaroth and Edrei: “This was after he had defeated King Sihon of the Amorites, who reigned in Heshbon, and King Og of Bashan, who reigned in Ashtaroth and in Edrei” (12:4). The consistent appearance of Ashtaroth as one of Og’s cities in the speech of the Gibeonites (9:10) and in the summary of the war (12:1–6) reinforces the conclusion that the additional information is an expansion in the book of Joshua to provide a comprehensive account of all available information on Og from the Pentateuch, including the core pentateuchal versions (Num 21:21–35; Deut 2:24– 3:7) and the late additional information on Og from Deut 1:4. The influence of the Pentateuch on Joshua is also evident in the geographical description of Sihon and Og’s kingdoms in Josh 12:1–6. This account shares many of the standard geographical motifs from Num 21:21–35 and Deut 2:24–3:17 such as the Wadi Arnon as the southernmost border of Sihon’s kingdom (Num 21:24; Deut 2:24), the Jabbok River as Sihon’s northern border with the Ammonites (Num 21:24; Deut 2:36), Bashan as Og’s land (Num 21:33; Deut 3:1) with Mount Hermon as his northernmost border (Deut 3:8) and so forth.40 But this account also describes Gilead as two regions spanning territory north and south of the Jabbok River, with the further identification of the half-tribe of Manasseh as possessing the northern half of Gilead. King Sihon’s kingdom includes the standard geographical motifs such as Heshbon, Aroer, the Wadi Arnon and the Jabbok River; but the author also states that this territory constitutes half of Gilead: “that is, half of Gilead” (12:2). In the same manner, Og’s kingdom includes Ashtaroth, Edrei, Mount Hermon, Salecah and Bashan and “half of Gilead to the boundary of King Sihon” (12:4–5). 38 Interpreters agree that Deut 1:1–5 represents late additions to the book of Deuteronomy. Von Rad, Deuteronomy, 16, identifies Priestly influence in the emphasis on dating in 1:3 as compared to the focus on legendary material in 1:4. Mayes, Deuteronomy, 116, interprets 1:4 as a continuation of 1:1a. 39 Mittmann, Deuteronomium 1,1–6,3, 12–13, notes the awkward syntax of Deut 1:4, in which Edrei is written in apposition to Ashtaroth, with the result that Edrei as the place of battle in previous accounts of war (Num 21:33; Deut 3:1) now becomes the city of Og. This syntactical problem is absent in Joshua. 40 Interpreters agree that Josh 12:1–6 reflects Deuteronomistic tradition in the description of the defeat of Sihon and Og. See for example Steuernagel, Josua, 253. But this is not evidence of later additions to the text, especially given the dependence of the author of Joshua on the Pentateuch. The integration of Sihon and Og throughout the book of Joshua suggests that Josh 12:1–6 is original to the chapter; see Nelson, Joshua, 159–161; and Dozeman, Joshua 1–12, 493.
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The motifs of half of Gilead (12:2, 5), the half-tribe of Manasseh (12:6) and the city of Ashtaroth (12:4) indicate the dependence of the author of Josh 12:1–6 on both Deut 3:12–13a and Deut 1:4 in fashioning the description of Sihon and Og’s kingdoms. The motifs, moreover, are thoroughly integrated into the composition of Josh 12:1–6; they are not later additions to the text.41 The re-description of Gilead, in particular, into northern and southern regions provides the framework for the author of Joshua to incorporate geographical information from both Num 32 and Deut 3:8–17 into a new account of land distribution in Josh 13:8–33. 2. Land Distribution East of the Jordan River Josh 13 represents the most detailed account of the land distribution to the eastern tribes in the Hebrew Bible. The chapter begins with a broad description of unconquered territory (13:1–7),42 before turning to the distribution of the conquered land to the eastern tribes (13:8–33). The description of tribal territory separates between a general summary of the territory of Sihon and Og (13:8–14) and the more detailed accounts of land distribution to Reuben (13:15–23), Gad (13:24–28) and the half-tribe of Manasseh (13:29–31).43 The land distribution to the eastern tribes (13:8–33) corresponds to the central motifs in the accounts of conquest (2:10; 9:10; 12:1–6). All three distinctive motifs from the stories of war reappear. Ashtaroth, as Og’s city, is stated both in the introductory summary (13:8–13, cf. v. 12) and in the more detailed accounts of land distribution (13:29–31, cf. v. 31). Gilead, as divided territory, also continues in the 41 Compare Noth, Josua, 71, who judges the description of geography in 12:2b–3 and 5 as later additions to the Josh 12:1–6. 42 For discussion of the unconquered land in Josh 13:2–6 as a later insertion see among many others Noth, Josua, 75; and R. Smend, Das Gesetz und die Völker: Ein Beitrag zur deuteronomistischen Redaktionsgeschichte, in: H. W. Wolff (ed.), Probleme biblischer Theologie: Gerhard von Rad zu, 70. Geburtstag, München 1971, 494–509, here 497–500. 43 The composition of Josh 13:8–33 is debated with regard to the geographical resources available to the author and its literary unity. The thorough analysis of whether the author of Josh 13 had other source material than the pentateuchal accounts exceeds the more limited focus of the present study to demonstrate the dependence of Josh 13 on the pentateuchal versions. Past interpreters have sought to locate the full extent of the geographical material of Jos 13 in the Priestly source (see S. Mowinckel, Zur Frage nach dokumentarischen Quellen in Josua 13–19, Oslo 1946, 11–190); in an independent document (see Noth, Josua, 70–79), in a combination of source material and the Priestly source (see Cortese, Josua 13–21: Ein priesterschriftlicher Abschnitt im deuteronomistischen Geschichtswerk [OBO 94], Freiburg i. Ue./Göttingen 1990, 15 et passim); or in a variety of source materials combined by the author using ancient Near Eastern literary conventions of writing border descriptions (see Wazana, Boundaries, 240–76). Researchers also debate whether the general description of the land east of the Jordan in Josh 13:8–14 represents a distinct level of composition from the detailed account of tribal distribution in Josh 13:15–33. See for example Noth, Josua, 74, who identifies Josh 13:8bb–13 as a later addition. It is noteworthy, however, that both Num 32 and Deut 3:8–17 also include general descriptions of the conquered land (Num 32:1–3; Deut 3:8–11) before the more detailed accounts of allotment (Num 32:33–42; Deut 3:12–13a, 13b–17).
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description of Og’s kingdom as “half of Gilead” (13:31), while other uses of Gilead reflect the same broad distribution, designating territory both north (13:11) and south (13:25) of the Jabbok River. Finally, the half-tribe of Manasseh is firmly established as the recipient of Og’s kingdom both in the general introduction (13:8) and in the more detailed account of land distribution (13:29 [twice]). In fact it is the book of Joshua that solidifies the half-tribe of Manasseh as the occupant of Og’s kingdom, underscoring its central role as an eastern tribe seventeen times throughout the book.44 The prominent role of the half-tribe of Manasseh in Joshua contrasts to its limited (and late) appearance in Numbers (32:33; 34:13) and in Deuteronomy (3:13; 29:8).45 The author of Joshua includes the further clarification beyond the pentateuchal resources that the half-tribe of Manasseh is the same as half of Machir (13:31). The continuity of the unique geographical details in the conquest (12:1–6) and in the distribution of land (13:8–31) indicates the dependence of Joshua on the pentateuchal versions in Number and Deuteronomy. But it is the re-description of Gilead as consisting of two half-regions that provides the framework for the author of Joshua to create a more detailed account of land distribution that includes the prominence of cities from Num 32, the focus on topography and regions from Deut 3:8–17, and the geographical innovation absent in the pentateuchal accounts, in which Gad and Reuben become separate territories. The land distribution of the eastern tribes in Joshua includes all of the topographical,46 regional,47 and city48 notices from Deuteronomy, with the exception of Argob (Deut 3:4, 14) and Havvoth-jair (Deut 3:14). The listing of the cities of the eastern tribes is extensive in Josh 13:8–31 with many more locations than Num 32. Yet selective similarities do appear in the two texts: Gad (Josh 13:24–28) includes 44 In the book of Joshua the half-tribe of Manasseh is a leader in the invasion into the land west of the Jordan River (1:12; 4:12); the recipient of Og’s territory (12:6; 13:7, 8, 29 [twice]; 18:7); the location for the Levitical cities (21:5, 6, 25, 27); and a member of the eastern tribes who build an altar (22:9, 10, 13, 15, 21). 45 The half-tribe of Manasseh is also prominent in 1 Chr as warriors (1 Chr 5:18; 12:37); as possessing land (1 Chr 5:23); as the location of Levitical cities (1 Chr 6:61, 70, 71); as being in service to David (1 Chr 12:31; 26:32); and as exiles (1 Chr 5:23). 46 The topographical notices in Deut 3:8–17 include Arnon (Deut 3:8, 12, 16; see Josh 12:1, 2; 13:9, 16); the Jabbok River (Deut 3:16; see Josh 12:2); Mount Hermon (Deut 3:8; see Josh 12:1, 5); the tableland (Deut 3:10; see Josh 13:9, 16, 21); the Arabah (Deut 3:17; see Josh 12:3); the Jordan River (Deut 3:17; see Josh 13:8, 23, 27, 32); Chinnereth (Deut 3:17; see Josh 12:3); the Sea of Arabah = Dead Sea (Deut 3:17; see Josh 12:3); and the Slopes of Pisgah (Deut 3:17; see Josh 12:3; 13:20). 47 The regions in Deut 3:8–17 include Gilead (Deut 3:10, 15, 16; see Josh 13:11, 25); half of Gilead (Deut 3:12; see Josh 12:2, 5; 13:21); Ammonite land or border (Deut 3:16; see Josh 12:2; 13:10, 25); Bashan (Deut 1, 10; see Josh 12:4; 13:11, 12, 30, 31); Geshur (Deut 3:14; see Josh 13:13); Maacath (Deut 3:14; see Josh 13:13. 48 The cities in Deut 3:8–17 include Edrei (Deut 3:1, 10; see Josh 12:4; 13:12, 21); Salecah (Deut 3:10; see Josh 12:5; 13:11); Rabbah of Ammon (Deut 3:11); see Rabbah in Josh 13:25); and Aroer (Deut 3:12; see different locations in Josh 12:2; 13:9, 16).
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Jazer (13:25); Beth-nimrah (13:27); and Beth-haran (13:27);49 while Reuben (13:15– 23) includes Heshbon (13:17); Baal-meon (13:17); and Sibmah (13:18). These similarities alone do not point to the dependence of the author of Joshua on Num 32. But, as pointed out by Wüst, the description of Gad as including the “territory of Jazer and all the towns of Gilead” (13:25 , )הגבול יעזר וכל־ערי הגלעדdoes appear to be a rewriting of Num 32:1, “the land of Jazer and the land of Gilead” (את־ארץ )יעזר ואת־ארץ גלעד.50 Further comparison indicates additional reinterpretation in Josh 13 also concentrated on the territory of Gad: Dibon (13:17) and Aroer (13:16), both cities of Gad in Num 32:34, are reassigned to Reuben; the city of Jazer (Num 32:35) is restricted to a territory in Josh 13:24 as compared to its designation as a city in Num 32:35; Aroer east of Rabbah is added as a new city (13:25) perhaps replacing the transfer of the southern Aroer to Reuben (13:16); and Heshbon is also tied to the territory of Gad as a point of termination (13:26) even though it is assigned to Reuben (Num 32:36; Josh 13:17). The selective use and reassignment of the cities from Num 32 can be attributed to the most significant innovation in Josh 13 – the separation of Reuben and Gad into distinct regions. This innovation contrasts to Num 32 and Deut 3:8–17 where Gad and Reuben share the same territory. The concentration of changes in the description of Gad’s territory alerts the reader to the aim of the author to carve out a new region (גבול, Josh 13:24, 26, 27) for Gad that is distinct from Reuben. The innovation is not only evident in the reassignment of the cities of Gad from Num 32; it is also evident from the description of Gad’s territory with the repeated use of the extremities formula, “from … to” ()מן … עד.51 This formula is not intended to define the borders of Gad; it is rather meant to carve out the new territory of Gad, which did not exist in the pentateuchal accounts of land distribution. The innovation of the author of Joshua in separating Reuben and Gad into distinct regions becomes the standard description of the eastern tribes, replacing the pentateuchal accounts of land distribution.
III. Conclusion The study has followed the lead of Ottosson that the “[g]eneral meaning [of Gilead] is vague and we are only able to determine its actual significance in context.”52 We have seen that Gilead shifts in meaning in the pentateuchal accounts of war against Sihon and Og and of land distribution to the eastern tribes. In 49
120.
50
For comparison of Beth-haran and Beth-haram see MacDonald, “East of the Jordan,”
Wüst, Untersuchungen, 165–166. For discussion of גבולand the extremities formula to designate territory rather than borders see Wüst, Untersuchungen, 119–132. 52 See above note 5. 51
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Numbers, Gilead is a region south of the Jabbok River in the war against Sihon (Num 21:21–32) and in the distribution of land to Reuben and Gad (Num 32:1– 32). In Deuteronomy, Gilead is a region north of the Jabbok River in the wars against Sihon and Og (Deut 2:24–3:7) and in the distribution of land to Machir (Deut 3:8–11, 13b–17). The identification of Gilead as both northern and southern territory in Deut 3:12–13a is intended to bridge the conflicting accounts of land distribution in Num 32 and Deut 3:8–17. The author of Joshua builds on the re-description of Gilead in Deut 3:12–13a, assigning the northern half to the half-tribe of Manasseh and the southern half to Gad, thus separating Gad geographically from Reuben for the first time. The success of the author of Joshua is evident in 1 Chr 5:1–26. This text follows the geography of Joshua, rather than the Pentateuch; it too describes Reuben and Gad as occupying separate regions. But in this version Gilead undergoes yet a further reinterpretation. Now the northern region of Gilead is the territory of Gad (1 Chr 5:16) and the southern half is the residency of Reuben (1 Chr 5:9–10). This text illustrates that the innovation of the author of Joshua has become fixed tradition. But the “general meaning of Gilead” continues to undergo reinterpretation in the “new context” of 1 Chr 5. In 1 Chr 5:1–26, the two halves of Gilead designate the territory of Gad and Reuben, while now signifying frontier territory that the exiles lost.53
53 For discussion of Gilead and the entire Transjordan as a borderland or frontier region see R. Havrelock, River Jordan: The Mythology of a Dividing Line, Chicago 2011, 72–84; and J. Hutton, The Transjordanian Palimpsest: The Overwritten Texts of Personal Exile and Transformation in the Deuteronomistic History (BZAW 396), Berlin/New York 2009, 43 et passim.
II. Vordere Propheten
Schittim Eine narrative Verbindung zwischen Numeri und Josua Reinhard G. Kratz
I. Schittim In der Erzählung der Hebräischen Bibel erreicht das Volk Israel unter Führung des Mose nach dem Auszug aus Ägypten und der Wanderung durch die Wüste in Num 25,1a seine letzte Station vor dem Eintritt in das gelobte Land: „Und Israel lagerte in Schittim“. In Jos 2–3 bricht das Volk Israel unter Führung des Josua von demselben Ort auf, um den Jordan zu überqueren und das gelobte Land zunächst zu erkunden und anschließend einzunehmen: „Und Josua, der Sohn Nuns, sandte von Schittim zwei Männer heimlich als Kundschafter aus“ (Jos 2,1); „Und Josua machte sich früh auf, und sie zogen aus von Schittim und kamen an den Jordan, er und alle Israeliten, und blieben dort über Nacht, ehe sie hinüberzogen“ (Jos 3,1). Bevor es dazu kommt, werden in Num 25–36 und im Buch Deuteronomium noch allerlei Vorbereitungen getroffen und vor allem lange Reden gehalten. Die diversen Episoden, Gesetze und Listen in Num 25–36 sowie die Abschiedsrede des Mose im Deuteronomium setzen sich aus unterschiedlichem Material zusammen und führen die Szene breit aus. Das Gerüst der Handlung besteht aus dem Itinerar in Num 25,1a und der Notiz vom Tod des Mose in Dtn 34,5–6, die nach dem Muster von Num 20,1, der Lagerung in Kadesch und dem Tod der Mirjam, Num 25,1a fortsetzt: „Und Israel lagerte in Schittim …, und dort starb Mose und sie begruben ihn.“ Nach dem Tod des Mose übernimmt Josua, der Diener des Mose, auf Befehl des Herrn das Kommando (Jos 1,2–3). Der Ort השטיםheißt vermutlich vollständig „ אבל השטיםAkazienau“ oder auch „Akazienbach“ (Num 33,49) und liegt nach dem Zeugnis seiner biblischen Erwähnungen1 im Lande Moab, am östlichen Ufer des Jordan gegenüber Jericho. In dieselbe Gegend führt das Itinerar in Num 21,10–13 und Num 22, sowie die Notiz vom Begräbnis des Mose in Dtn 34,6. Die genaue Ortslage ist nicht bekannt, für gewöhnlich wird Schittim mit dem Tell el-Hammām am Wādi el˙ 1 Num 25,1; 33,49; Jos 2,1; 3,1; Mi 6,5; eine andere, judäische Ortslage scheint das נחל השטים in Joel 4,18 zu sein. Der Einfachheit halber behalte ich im Deutschen die Schreibung „Schittim“ für das hebräische Ha-Schittim bei.
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Reinhard G. Kratz
Meqta῾a identifiziert.2 Doch für die innere Stimmigkeit der biblischen Erzählung spielt die genaue Ortslage keine Rolle. In der historia sacra ist es der Ort, an dem sich der Epochenwechsel von der Ära des Mose zur Ära des Josua und der Übergang über den Jordan vollziehen. Die Forschung hat sich mit diesem schlüssigen Erzählverlauf stets schwer getan, will er doch nicht recht in die gängigen literarhistorischen Hypothesen passen. Am leichtesten fiel es den Vertretern der klassischen Quellenhypothese, die noch mit einem Hexateuch rechneten, den Zusammenhang zu erklären, obwohl auch sie in Num und Jos immer mehr in Verlegenheit gerieten. So setzt sich nach Wellhausen, nicht zuletzt wegen der narrativen Verbindung von Num 25,1a und Jos 2,1; 3,1, in Jos 2–6 das „herrliche Erzählungsbuch“ (JE) fort, das mit dem Segen Bileams, dem Fragment Num 25,1–5 sowie Resten in Dtn 34 abgebrochen sei.3 In Smends Analyse wird die Verbindung der Quelle J1, in Eissfeldts Hexateuchsynopse der Quelle L zugewiesen.4 Der genaue Verlauf der Erzählung, insbesondere der Übergang von Num zu Jos und der Zusammenhang mit dem Tod des Mose in Dtn 34,5–6, blieb aufgrund des Systemzwangs der Quellenhypothese jedoch unbestimmt. Schwieriger stellte sich die Sachlage dar, nachdem Noth die Quellenhypothese für Jos preisgegeben und an ihre Stelle seine Hypothese eines die Bücher Dtn– Kön umfassenden Deuteronomistischen Geschichtswerkes gesetzt hatte.5 Indem Noth das Buch Josua der Erzählung des Pentateuchs kategorisch absprach und seinem Deuteronomistischen Geschichtswerk zuwies, riss er den narrativen Zusammenhang der biblischen Erzählung von Exodus und Landnahme und damit auch die durch die Ortsangaben in Num 25,1a und Jos 2,1; 3,1 hergestellte narrative Verbindung auseinander. Demzufolge dürfen die Ortsangaben nicht auf einer Ebene liegen und müssen entweder hier oder dort oder an beiden Stellen nachgetragen sein. So rechnet Noth Num 25,1a unter Vorbehalt der Quelle J zu und erwägt, dass die Ortsangabe „ein später Zusatz mit Rücksicht auf Jos. 2,1; 3,1“ sei.6 Die Verbindung zwischen Num 25,1a und Jos 2,1; 3,1 geriet in der Folge immer mehr aus dem Blick.7 2 Vgl. M. Noth, Das Buch Josua (HAT I/7), Tübingen 31971, 29; V. Fritz, Das Buch Josua (HAT I/7), Tübingen 1994, 35. 3 J. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, Berlin 41963, 111.116.117. 4 R. Smend, Die Erzählung des Hexateuch auf ihre Quellen untersucht, Berlin 1912, 231.281.284; O. Eissfeldt, Hexateuch-Synopse, Darmstadt 1983 (Nachdruck der 1. Aufl. Leipzig 1922), 64.67.190*.203*.206*. 5 Vgl. dazu R. G. Kratz, Das Problem des Deuteronomistischen Geschichtswerkes (erscheint 2020 in der Festschrift für Christoph Levin zum 70. Geburtstag). 6 M. Noth, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart 1948, 35 mit Anm. 125; anders jedoch Ders., Das 4. Buch Mose. Numeri (ATD 7), Göttingen 41982, 171. 7 Die Aporie, in die das Nebeneinander der Quellenhypothese für den Tetrateuch und der Hypothese des Deuteronomistischen Geschichtswerkes führt, zeigt – wider Willen – C. Levin,
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Der verehrte Jubilar, der die Quellenhypothese auch für den Tetrateuch aufgegeben hat, aber an Noths Hypothese des Deuteronomistischen Geschichtswerkes festhält, hat sich für die andere Option entschieden. Er rechnet Num 25,1–5 seiner – vom Deuteronomium und dem Deuteronomistischen Geschichtswerk inspirierten – D‑Komposition (klassisch in etwa JE) zu8 und scheidet kurzerhand den gesamten Textkomplex in Jos 2,1–3,1 als späten, nachexilischen Zusatz mit Rücksicht auf Num 25,1–5 aus.9 Die Ausscheidung ergibt sich aus den literarhistorischen Voraussetzungen Blums. Zum einen postuliert er einen ursprünglichen, durchlaufenden deuteronomistischen Faden im Josuabuch im Rahmen des Deuteronomistischen Geschichtswerkes, der keine ältere narrative und schon gar keine literarische Verbindung zwischen Num 25,1a und Jos 2,1; 3,1 duldet. Zum anderen geht er von der literarischen Einheitlichkeit sowohl von Num 25,1–5 als auch von Jos 2 aus. In diesem Beitrag zu Ehren von Erhard Blum möchte ich mich der kühnen These des Jubilars stellen und damit das Gespräch fortsetzen, das er und sein Schüler Joachim Krause in Reaktion auf neuere Versuche der Wiederbelebung der nach Noth in Vergessenheit geratenen Hexateuchhypothese und nicht zuletzt auf meinen Vorschlag einer vorpriesterschriftlichen und vordeuteronomi stischen Exodus-Landnahme-Erzählung in Ex–Jos in Gang gesetzt haben.10 Bei allen methodischen und exegetischen Differenzen sehe ich das Ziel dieses Gesprächs in dem gemeinsamen Versuch, unter den Bedingungen der vom Jubilar so eindrucksvoll begründeten Bestreitung der Quellenhypothese für die Komposition des (vorpriesterschriftlichen) Tetrateuchs nun auch die durch Noths HypoNach siebzig Jahren. Martin Noths Überlieferungsgeschichtliche Studien, ZAW 125 (2013) 72– 92, hier bes. 89–92. 8 E. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch (BZAW 189), Berlin/New York 1990, 114–116. 9 E. Blum, Beschneidung und Passa in Kanaan. Beobachtungen und Mutmaßungen zu Jos 5 (2003), in: Ders., Textgestalt und Komposition. Exegetische Beiträge zu Tora und Vordere Propheten, hg. von W. Oswald (FAT 69), Tübingen 2010, 219–248; Ders., Pentateuch – Hexateuch – Enneateuch? Oder: Woran erkennt man ein literarisches Werk in der Hebräischen Bibel? (2007), in: Ders., Textgestalt, 375–404. Ausführlich ausgearbeitet wurde die These von J. J. Krause, Exodus und Eisodus. Komposition und Theologie von Josua 1–5 (VT.S 161), Leiden/ Boston 2014, hier bes. 135–195. 10 Vgl. R. G. Kratz, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments. Grundwissen der Bibelkritik (UTB 2157), Göttingen 2000 (Englische Übersetzung: The Composition of the Narrative Books of the Old Testament, London/New York 2005); Ders., Der literarische Ort des Deuteronomiums, in: R. G. Kratz/H. Spieckermann (Hg.), Liebe und Gebot. Studien zum Deuteronomium. Festschrift zum 70. Geburtstag von Lothar Perlitt (FRLANT 190), Göttingen 2000, 101–120; Ders., Der vor- und der nachpriesterschriftliche Hexateuch, in: J. C. Gertz u. a. (Hg.), Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion (BZAW 315), Berlin/New York 2002, 295–323; Ders., The Pentateuch in Current Research. Consensus and Debate, in: T. B. Dozeman u. a. (Hg.), The Pentateuch: International Perspectives on Current Research (FAT 78), Tübingen 2011, 31–61; Ders., The Analysis of the Pentateuch. An Attempt to Overcome Barriers of Thinking, ZAW 128 (2016) 529–561.
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these des Deuteronomistischen Geschichtswerkes aufgeworfenen Probleme am Übergang vom Pentateuch zu den Vorderen Propheten einer plausiblen Lösung zuzuführen. Neben der Analyse und dem literarischen Ort des Buches Deuteronomium spielt dabei der durch die Ortsangabe „Schittim“ hergestellte narrative Zusammenhang von Num 25,1a und Jos 2,1; 3,1 eine nicht unwichtige Rolle.
II. Drei Tage Die Ausscheidung von Jos 2,1–3,1 wird von Blum und Krause im Wesentlichen damit begründet, dass der in Jos 1,10–11 greifbare, vermeintlich nahtlose und ursprüngliche deuteronomistische Erzählfaden in Jos 3,2–3 fortgesetzt werde, wobei Jos 3,2 nicht unmittelbar an Jos 1,10–11, sondern an Jos 1,18 angeschlossen haben soll.11 Neben der Zeitangabe Jos 1,1a wird den Versen Jos 1,10–11 „eine tragende Funktion für das Kapitel“ zugesprochen.12 Der narrative Anschluss in Jos 3,2–3 sei der Beweis dafür, dass die Episode in Jos 2, die durch Jos 2,1 und 3,1 gerahmt sei, ein literarischer Einschub sein müsse. Dieser Schluss werde dadurch bestätigt, dass die als einheitlich betrachtete Episode sowohl chronologisch als auch thematisch nicht in Einklang mit dem Kontext stehe. 1. Jos 1,10–11 und 3,2–4 Die Beobachtung des Anschlusses von Jos 3,2 an Jos 1,10–11 ist nicht neu, sondern ein Relikt der alten Quellenhypothese. Das muss nicht heißen, dass die Beobachtung falsch ist. Doch ebenso wie im Falle des Anschlusses von Jos 2,1; 3,1 und Num 25,1a sollte die narrative Verbindung aus sich selbst und nicht nach dem Systemzwang der Quellenhypothese begründet werden. Dass damit selbst die Vertreter der Quellenhypothese ihre Schwierigkeiten hatten, sollte eine Warnung sein, ihnen nicht unbesehen zu folgen. Während Jos 2,1–3,1 wegen der Ortsangabe der Quelle J (oder Eissfeldts L) zugeschrieben wurde, hat man den Anschluss von Jos 3,2–3 an Jos 1,10–11 wegen der Zeitangabe der „drei Tage“ sowie der ausnahmslos nur hier wie dort agierenden „Amtleute“ im „Lager“ der Quelle E zugewiesen.13 Wellhausen und in seinem Gefolge Noth haben erkannt, dass die Aufteilung in einzelne Quellen in Josua nicht möglich ist und darum eine Erklärung mittels der Ergänzungshypothese vorgeschlagen. Ihnen zufolge handelt es sich bei Jos 1,10–11 und Jos 1 im Ganzen sowie Jos 3,2–3 um deuteronomistische Bearbeitungen eines älteren Erzählfadens (JE)14 bzw. einer älteren 11
Krause, Exodus, 73–74.141.206. Ebd., 73. 13 Vgl. Smend, Erzählung, 279; Eissfeldt, Hexateuch-Synopse, 66–67. 14 Wellhausen, Composition, 118. 12
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Landnahmeüberlieferung in Jos 2.15 Blum und Krause kehren das Verhältnis um und erklären die deuteronomistische Bearbeitung – im Sinne der alten Quellenhypothese – zu einem durchlaufenden Erzählfaden, in dem sie – gegen Noth – keine ältere Überlieferung, sondern allein die literarische Grundschicht des Josuabuches im Rahmen des Deuteronomistischen Geschichtswerkes erkennen. Der kurze Forschungsrückblick macht deutlich, dass die literarkritischen Beobachtungen der Quellenhypothese auch unter den Bedingungen der Ergänzungshypothese oft ihre Berechtigung behalten, nur anders erklärt werden müssen. Das gilt für den Anschluss von Jos 2,1; 3,1 und Num 25,1a ebenso wie für den Anschluss von Jos 3,2–3 an Jos 1,10–11. Doch stellt sich im Rahmen der Ergänzungshypothese die Frage, welcher der beiden Anschlüsse älter und welcher jünger ist. Wie in der Textkritik ist zu prüfen, welche Variante sich am ehesten aus der jeweils anderen erklären lässt. Von entscheidender Bedeutung hierfür sind die Zeitangaben in Jos 1,11; 2,16.22 und 3,2. Um sie richtig beurteilen zu können, wird man zunächst an die Bedenken der Vertreter der alten Quellenhypothese erinnern müssen, die sich dessen bewusst waren, dass es sich bei dem Anschluss von Jos 3,2–3 an Jos 1,10– 11 um eine „freilich nicht ganz unmittelbare Fortsetzung“ handelt.16 Der Grund für die Bedenken wird nicht genannt und, soweit ich sehe, auch von Blum und Krause übersehen.17 Doch er ist offensichtlich: In Jos 1,10–11 weist Josua die Amtleute an, in das Lager zu gehen und das Volk über die „in noch drei Tagen“ bevorstehende Überquerung des Jordan zu informieren; in Jos 3,2–3 hingegen begeben sich die Amtleute „nach drei Tagen“ in das Lager, um das Volk über den unmittelbar bevorstehenden Aufbruch und seine Modalitäten zu informieren. Die von den alten Quellenkritikern mit Bedacht unter Vorbehalt aufeinander bezogenen, von Blum und Krause als tragende Pfeiler ihrer literarkritischen Hypothese vorgestellten chronologischen Angaben stimmen also, genau besehen, nicht überein. Zwar ist der Verweiszusammenhang als solcher offenkundig, doch passen Anweisung und Ausführung nicht zusammen. Der Unterschied ist keine Petitesse, ist doch die Ankündigung „in noch drei Tagen“ dafür bestimmt, dass sich das Volk mit Proviant versorgen kann, was nach dem verspäteten Eintreffen der Amtleute im Lager in Jos 3,2–3 schlechterdings nicht mehr möglich ist. Von einem „deutlich markierten Verweiszusammenhang zwischen der Angabe, in noch drei Tagen werde das Volk durch den Jordan ziehen (Jos 1,11b), und der entsprechenden Durchführung (Jos 3,2)“18 kann somit keine Rede sein. 15 M. Noth, Überlieferungsgeschichtliche Studien. Die sammelnden und bearbeitenden Geschichtswerke im Alten Testament, Halle 1943 (Nachdruck Tübingen 1957), 41–42. 16 Eissfeldt, Hexateuch-Synopse, 66. 17 Von anderer Art sind die Einwände, die Krause, Exodus, 141–142 in den Fußnoten abhandelt. 18 Krause, Exodus, 73–74.
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Auch inhaltlich zielen die beiden fraglichen Stellen auf etwas vollkommen anderes ab. Geht es in Jos 1,10–11 um den Aufbruch des Volkes und dessen Vorbereitung, so in Jos 3,2–3 um die Vorhut der von levitischen Priestern getragenen Bundeslade bei der Überquerung des Jordan. Natürlich lassen sich die beiden Stellen dahingehend harmonisieren, dass es in Jos 1,10–11 generell um den Aufbruch und als Weiterführung dessen in Jos 3,2–3 um die näheren Modalitäten des Aufbruchs gehe.19 Doch zum einen lässt die Formulierung in Jos 1,10– 11 keine Vorhut durch die Priester und die Bundeslade erwarten, zum anderen kann man in diesem Fall nicht behaupten, dass Jos 3,2–3 die „Durchführung“ von Jos 1,10–11 sei. So will Jos 3,2–3 zwar in der Tat den Eindruck erwecken, die Durchführung von Jos 1,10–11 zu sein, ist es, wie sich bei genauerem Zusehen zeigt, jedoch nicht. Es legt sich daher der Verdacht nahe, dass der Verweiszusammenhang sekundär ist. Während Jos 1,10–11 in sich verständlich ist, setzt Jos 3,2–3 den Befehl zum Aufbruch und folglich die Kenntnis von Jos 1,10–11 voraus. Das Verhältnis ist daher am einfachsten so zu erklären, dass Jos 3,2–3 auf einer jüngeren literarischen Ebene den Verweiszusammenhang herstellt, um auf diese Weise die Priester und die Bundeslade als Vorhut des Volkes bei der Überquerung des Jordan ins Spiel zu bringen. Die Unstimmigkeit der Handlungssequenz wird dabei in Kauf genommen bzw. erklärt sich vielleicht durch eine harmonisierende Lesart des Ergänzers: Der Leser soll sich denken, dass die Amtleute den ihnen in Jos 1,10–11 erteilten Auftrag bereits ausgeführt haben, das Volk sich unterdessen also mit ausreichend Proviant versorgen konnte, bevor die Amtleute „nach drei Tagen“ erneut in das Lager gingen und nun die näheren Modalitäten mitteilten, auf die es dem Ergänzer ankam. Das steht zwar so nicht im Text und ist von Jos 1,10–11 her auch nicht zu erwarten, doch wenn man möchte, kann man die unstimmige Handlungsfolge von Jos 3,2–3 her so lesen. Wie es scheint, können wir somit in Jos 3,2–3 die (vorsichtiger formuliert: eine) literarische Fuge greifen, mittels derer die Überquerung des Jordan durch das Volk in Jos 3–4 zu einer von der – hier ganz unvermittelt eingeführten – Lade bzw. den sie tragenden Priestern angeführten feierlichen Prozession umgestaltet wurde.20 Dass es sich dabei insgesamt um Nachträge handelt, kann man 19 Vgl. K. Bieberstein, Josua – Jordan – Jericho. Archäologie, Geschichte und Theologie der Landnahmeerzählungen Josua 1–6 (OBO 143), Freiburg i. Ue./Göttingen 1995, 187, der den Unterschied gesehen hat. Harald Samuel verdanke ich den Hinweis auf einen weiteren Unterschied in der Schreibkonvention: מן השטיםin Jos 2,1 und מהשטיםin Jos 3,1, wobei die Assimilation des נvor dem Artikel die ungewöhnlichere Form darstellt. Derselbe Unterschied begegnet auch im Verhältnis von מן המדברin Dtn 11,24 und מהמדברin Jos 1,4. 20 Vgl. E. Vogt, Die Erzählung vom Jordanübergang. Josue 3–4, Bib. 46 (1965) 125–148; Bieberstein, Josua, 135–194; P. Porzig, Die Lade Jahwes im Alten Testament und in den Texten vom Toten Meer (BZAW 397), Berlin/New York 2009, 57–66; S. Germany, The Exodus-Conquest Narrative. The Composition of the Non-Priestly Narratives in Exodus–Joshua (FAT 115), Tübingen 2017, 322–337, hier bes. 328–329 zur postpriesterschriftlichen Datierung von Jos 3,2–3.
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auch in Jos 3,14–15 sehen, wo sich zunächst das Volk aufmacht, um über den Jordan zu ziehen, und anschließend wiederum die Vorhut der Priester ergänzt ist, die hier – anders als in Jos 3,2–3 – nach dem Aufbruch des Volkes erwähnt wird, damit die Füße der Priester gemäß der Ankündigung in Jos 3,13 das Wunder in Jos 3,16 bewirken. 2. Jos 2,16.22 Das Verhältnis von Jos 1,10–11 und 3,2–3 zu den „drei Tagen“ in Jos 2,16.22 ist nicht leicht zu bestimmen. Klar ist, dass die chronologischen Angaben nicht zusammenstimmen. Der Aufenthalt im Haus der Hure Rahab und die drei Tage im Gebirge übersteigen die Zeitspanne von drei Tagen in Jos 1,10–11 und 3,2–3 um wenigstens einen Tag. Die Frage ist allerdings, wer für diese Unstimmigkeit verantwortlich ist. In der neueren Forschung hat sich die Ansicht von Van Seters eingebürgert, dass sie durch den sekundären Einschub von Jos 2 verursacht sei.21 Die Zeitangabe in Jos 2,16.22 wäre demnach entweder als das unbedacht stehenAnders Krause, Exodus, 197–212, der, von ein paar Nachträgen abgesehen, nahezu den gesamten Textbestand in Jos 3–4 zur „deuteronomistischen“ Grundschicht des Josuabuches rechnet. Der Begriff des „Deuteronomismus“ wird dabei sehr weit gedehnt und geht noch über Noth, Studien, 42; Ders., Josua, 31 ff. hinaus, wobei auch die von Noth der „alten Überlieferung“ zugerechneten sakralen Züge wie „die heilige Lade“ kurzerhand für „deuteronomistisch“ erklärt werden. Die literarhistorische Differenzierung des Deuteronomiums und der deuteronomistischen Redaktion in den Vorderen Propheten bleibt dabei unberücksichtigt oder wird im Nachgang zur eigenen Sicht bestritten (Krause, Exodus, 212 ff.); woher die Lade in Jos 3–4 kommt, wird nicht erklärt, vielmehr wird sie als „unableitbar“ bezeichnet und in einer höchst ‚kreativen‘ Art und Weise „vermutungsweise“ aus den „uns erhaltenen (!) vor-priesterlichen Überlieferungen im Pentateuch“ rekonstruiert (ebd., 214, Anm. 88), was nichts anderes heißt als aufgrund einer uns nicht (!) erhaltenen vorpriesterschriftlichen Überlieferung postuliert. Im Hintergrund stehen offenbar Vorannahmen zu den höheren Zielen der Erzählung in Jos 1+3–4, bei der es von Anfang an um den „Jordandurchzug als Epochenwechsel“ und vor allem „um Josua als Nachfolger des Mose und seine Anerkennung durch ganz Israel“ gegangen sei (ebd., 218 u. ö.). So lässt sich die Analyse von gewissen konzeptionellen Profillinien des vorliegenden Texts – wie etwa der Beglaubigung Josuas vor dem Volk, die er nach der göttlichen Legitimation in Dtn 3,27–28; 31,1–2.7–8 und Jos 1,1–2.5–6 (ebd., 94 ff.) eigentlich gar nicht mehr nötig hat – leiten. Dass der „Epochenwechsel“ im Laufe der Textentstehung auf verschiedene Weise gedacht und dargestellt worden sein kann, wird nicht geprüft. Und dass die Überquerung des Jordans hauptsächlich darum inszeniert wird, um „Josua als Nachfolger des Mose und seine Anerkennung durch ganz Israel“ darzustellen, nicht etwa, um nach dem Auszug aus Ägypten und der Wanderung durch die Wüste erst einmal das gelobte Land zu erreichen, ist wenig plausibel. So scheint es mir in methodischer Hinsicht nach wie vor sinnvoll, in der Analyse zuerst das tragende narrative Gerüst zu eruieren und anschließend zu fragen, welche theologischen oder sonstigen konzeptionellen Profile es selbst impliziert oder ihm nach und nach – im Sinne des Worts – zugeschrieben wurden. 21 Vgl. J. Van Seters, In Search of History. Historiography in the Ancient World and the Origins of Biblical History, New Haven/London 1983, 325; Ders., Joshua’s Campaign of Canaan and Near Eastern Historiography, SJOT 4 (1990) 1–12, hier 3–4.12; Bieberstein, Josua, 301–303 (Modell II und III); Ders., Das Buch Josua und seine Horizonte, in: H.‑J. Stipp (Hg.), Das deuteronomistische Geschichtswerk (ÖBS 39), Frankfurt a. M. 2011, 151–176, hier 155; Germany, Narrative, 319; Krause, Exodus, 147–148.
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gebliebene Relikt einer ehemals unabhängigen Überlieferung anzusehen oder als der mehr oder weniger geglückte Versuch, die Episode von der Erkundung Jerichos mit der Chronologie von Jos 1,10–11 und 3,2–3 in Einklang zu bringen. Diese Ansicht setzt allerdings die literarische Priorität von Jos 1,10–11 und 3,2–3 bereits voraus, die aus der chronologischen Unstimmigkeit selbst nicht hervorgeht. Darum ist auch die andere Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass es sich bei Jos 1,10–11 ebenso wie bei Jos 3,2–3 um einen Nachtrag handelt, der gegenüber Jos 2 sekundär ist und in Rücksicht auf die hier vorgefundenen drei Tage, in denen sich die Kundschafter im Gebirge befinden, nachträglich eine Frist von drei Tagen bis zum Aufbruch des Volkes einführt und dadurch die Unstimmigkeit produziert.22 Ich kann mir beide Möglichkeiten vorstellen. Die Entscheidung hängt an der Analyse und Relation der literarischen Schichten in Jos 1–2. 3. Jos 3,1 Mit oder ohne Jos 2 schließt der oben identifizierte Nachtrag in Jos 3,2–3 jedenfalls nicht unmittelbar an Jos 1,10–11 (oder 1,18), sondern an Jos 3,1 an. Der Wechsel der Erzählperspektive vom Anfang zum Ende der drei Tage erklärt sich am einfachsten aus der Ortsveränderung von Schittim an den Jordan in Jos 3,1, die gemäß der Lesart des Ergänzers gegen Ende, genauer am dritten der in Jos 1,10– 11 angekündigten und in Jos 2,16.22 erwähnten „drei Tage“ stattgefunden haben muss. Auf diesen Zeitpunkt dürfte er auch die Bemerkung der Übernachtung in Jos 3,1 bezogen haben. „Nach drei Tagen“ in Jos 3,2 meint somit nach Ablauf der drei Tage, d. h. am vierten Tag. Das umgekehrte Abhängigkeitsverhältnis hat weniger Plausibilität für sich. Vergeblich sucht man nach einer Erklärung, warum ein Ergänzer den vermeintlich nahtlosen Anschluss von Jos 3,2–3 an Jos 1,10–11 (bzw. 1,18) durch die überflüssige Wiederaufnahme der Ortsangabe Jos 2,1 in Jos 3,1, die mit der Ortsveränderung von Schittim an den Jordan einhergeht, oder auch nur durch Jos 3,1 (ohne Jos 2)23 derart ungeschickt gestört haben soll, um ohne jeden Anhalt im Kontext, „zusammenhangslos eingekeilt in die völlig konsistente Haupterzählung“,24 einen intertextuellen Bezug zu der in einem völlig anderen Werkzusammenhang überlieferten Episode in Num 25,1–5 herzustellen. Hier kann ich dem verehrten Jubilar nur zustimmen: „Redaktionsgeschichtlich ergibt dies keinen Sinn.“25 22 Vgl. Bieberstein, Josua, 302–303 (Modell III), der die Entscheidung offen hält, vgl. ebd.,
431–432. Krause, Exodus, 146–147 geht darauf nicht ein, sondern weicht auf die Diskussion der literarhistorischen Voraussetzungen (Quellen oder DtrG) aus; für ihn steht die Priorität des deuteronomistischen Josuabuchs bereits fest. 23 Vgl. Bieberstein, Josua, 134–135.297–298; Ders., Horizonte, 154–158; Germany, Narrative, 319; dazu s. im Folgenden. 24 Blum, Pentateuch, 389. 25 Ebd. Die Auskunft von Krause, Exodus, 236, Jos 3,1 bilde „eine ‚Überleitung von der Rahab-Geschichte zum Jordandurchzug‘ [so mit Blum, Pentateuch, 390], die […] den Einschub
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4. Jos 3,5 Anders gelagert ist der Fall von Jos 3,5, mit dem sich ein weiteres chronologisches Problem verbindet. Das „morgen“ verträgt sich nicht mit den Anweisungen von Jos 3,2–4 und 3,6–8, die am Tag des Aufbruchs gegeben werden, wie aus der Ausführungsnotiz in Jos 3,6b und dem „heute“ in 3,7 (und 4,14) hervorgeht.26 Im Übrigen erregt die doppelte Redeeinführung in Jos 3,5 und 3,6 den Verdacht, dass die beiden Verse nicht von einer Hand stammen. Üblicherweise wird 3,5 mit Jos 3,1 zusammengeschlossen und einer Schicht zugeordnet, die um Jos 3,2– 4.6–8 ergänzt worden sei.27 Dem folgen auch Blum und Krause, nur dass sie das Verhältnis umkehren. Sie sehen in Jos 3,1 und 3,5 Nachträge ein und derselben Hand, die zusammen mit dem Einschub von Jos 2 den ursprünglichen (deuteronomistischen) Erzählfaden in Jos 1,1–18+3,2–4.6–8 unterbrechen. Jos 3,5 habe die Funktion, den Aufbruch um einen Tag zu verschieben, um „den gesprengten Rahmen wieder zu kitten“.28 Sowohl die eine wie die andere Erklärung bereitet jedoch große Schwierigkeiten. Zum einen kommt die Anweisung des Josua in Jos 3,5 so oder so zu spät. Das Volk hat nach Jos 3,1 bereits eine Nacht am Jordan zugebracht, und im Folgenden ist nirgends ein Tageswechsel angezeigt, wie es die Formulierung in Jos 3,5 erwarten lässt. Insofern sind der Satz „Und sie übernachteten dort“ in Jos 3,1 und die Ankündigung des Aufbruchs für „morgen“ in 3,5 keineswegs so passgenau aufeinander abgestimmt, wie angenommen wird. Zum anderen ist es wenig plausibel, dass ein und derselbe Ergänzer in Jos 3,5 einen am Tag des Aufbruchs datierten älteren Erzählfaden mitten in der Erzählsequenz unterbricht und eine weitere Störung produziert, um die von ihm selbst verursachte frühere Störung zu glätten. Auch hier gilt: „Redaktionsgeschichtlich ergibt dies keinen Sinn.“ Hätte ein Ergänzer „den gesprengten Rahmen kitten“ wollen, hätte er eher auf die Übernachtung in Jos 3,1 und den zusätzlichen Tag verzichten oder wenigstens am Anfang von Jos 3,6 einen Tageswechsel notieren müssen. Somit will es in diesem Fall nicht gelingen, Jos 3,5 in Relation zu den anderen Schichten in Jos 3 zu setzen.29 Klar scheint nur, dass Jos 3,5 weder mit 3,1 noch von Jos 2 in die vorgegebene Struktur der Landnahmeerzählung einbettet“, ist für eine Fortschreibung wenig plausibel und klingt gerade so, als hätte man es mit einer unabhängigen Überlieferung zu tun, die in den Kontext eingefügt wurde. Vor allem leuchtet nicht ein, warum der Ergänzer von Jos 2,1–3,1 nach den drei Tagen im Gebirge (Jos 2,16.22) auch noch eine Übernachtung hinzugefügt und damit das chronologische Gerüst völlig aus dem Lot gebracht haben soll, um nach Jos 3,2 überzuleiten. 26 Es sei denn, die Formulierung „Heute will ich anfangen …“ wäre mit Rücksicht auf das „morgen“ in Jos 3,5 gewählt. In diesem Fall ließe sich nur aus Jos 3,6b erschließen, dass die Reden in Jos 3,6–13 am Tag des Aufbruchs gehalten wurden. 27 Vgl. Wellhausen, Composition, 118; Noth, Josua, 33; Bieberstein, Josua, 170– 173.186–187. 28 Vgl. Blum, Pentateuch, 390; Krause, Exodus, 236–237, Zitat 237. 29 Vgl. Germany, Narrative, 323.334.
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mit 3,2–4.6–8 auf dieselbe literarische Ebene gehören kann. So drängt sich die – zugegebenermaßen unbefriedigende – Annahme einer isolierten Glosse auf, die ohne Rücksicht auf die chronologische Stimmigkeit entweder an Jos 3,1 angefügt und anschließend um Jos 3,2–4.6 ff. ergänzt oder zwischen Jos 3,1.2–4 und 3,6 ff. angebracht wurde.30 In beiden Fällen bietet die singuläre Ausführungsnotiz in Jos 3,6b einen Anhalt für den Leser, sich einen Tageswechsel zu denken; sie mag daher entweder mit Rücksicht auf Jos 3,5 so formuliert oder der Grund für die Platzierung der Glosse an dieser Stelle gewesen sein. 5. Fazit Ziehen wir ein erstes Fazit: Jos 1,1–11 und Jos 3,2–4 bilden keinen einheitlichen, stimmigen Erzählfaden. Bei Jos 3,2–3 handelt es sich um einen späten Nachtrag in Aufnahme von Jos 1,10–11, um die Vorhut der Lade und der Priester einzutragen. Die Frist der „drei Tage“ in Jos 1,10–11 und 3,2–3 kann als solche nicht als Grund für die Ausscheidung Jos 2,1–3,1 dienen, sofern nicht anderweitig die Priorität von Jos 1,10–11 und 3,2–3 nachgewiesen wird. Es ist auch die andere Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass die Frist mit Rücksicht auf Jos 2,16.22 nachträglich eingeführt wurde. Der Wechsel der Szene vom Anfang der drei Tage in Jos 1,10–11 zum Ende der drei Tage in 3,2–4 setzt die Ortsveränderung in 3,1 als Anschluss für Jos 3,2–4 voraus. Für eine gezielt vorgenommene Störung des vermeintlich nahtlosen Überganges von Jos 1,10–11 (bzw. 1,18) und 3,2–3 durch die Einfügung von Jos 2,1–3,1 oder auch nur von Jos 3,1 fehlt jeglicher Grund. Jos 3,5 ist ebenfalls ein Zusatz, der aber weder mit Jos 3,1 noch mit Jos 3,2–4.6–8 auf einer Ebene liegt.
III. Die Hure Rahab Ein weiterer Pfeiler in der Argumentation von Blum und Krause ist die postulierte literarische Einheitlichkeit der Rahab-Erzählung in Jos 2.31 Sie wird nicht begründet, sondern – unter Berufung auf Noth32 und „neuere Analysen“33 – vorausgesetzt und gegen anderslautende Analysen behauptet, um das Bekenntnis der Rahab zum Gott Israels in Jos 2,9–11 zum Schlüssel für die Entstehung 30 Es
mag in diesem Zusammenhang von Interesse sein, dass der Vers laut BrookeMcLean-Thackery (Bd. 1.4, 682) in einer griechischen Handschrift komplett fehlt. 31 Blum, Beschneidung, 220–227; Ders., Pentateuch, 388–389; Krause, Exodus, 135–195; ausführlich dazu V. Haarmann, JHWH‑Verehrer der Völker. Die Hinwendung von Nichtisraeliten zum Gott Israels in alttestamentlichen Überlieferungen (AThANT 91), Zürich 2008, 100–131. 32 Noth, Josua, 29: „Die literarische Einheitlichkeit des Ganzen zu bezweifeln, liegt kein Anlaß vor.“ 33 Krause, Exodus, 137–138. Vgl. auch Germany, Narrative, 318–322.
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und Redaktionsgeschichte der Erzählung erklären zu können. Auf dieser Basis wird Jos 2 als Gegengeschichte zur deuteronomisch-deuteronomistischen Bannvorschrift (Dtn 7,1–6; 20,16–18; Jos 6,17.21) und zugleich – über die Ortsangabe „Schittim“ und das Stichwort „Hure“ – als Gegengeschichte zur Episode von der Verehrung des Baal Peor in Num 25,1–5 gedeutet. Eine beabsichtigte Parallele zur Kundschaftergeschichte in Num 13–14 und Dtn 1,19–46 wird hingegen in Abrede gestellt. 1. Das Bekenntnis der Rahab Diese Deutung wirft eine Fülle von Fragen auf. Das Hauptproblem besteht darin, dass der Plot der Erzählung auf das Bekenntnis der Rahab verkürzt wird. So ist nur im Bekenntnis der Rahab von dem drohenden „Bann“ die Rede. Die Rahmenhandlung thematisiert hingegen nicht die Furcht des Königs von Jericho vor dem „Bann“, sondern allein die Gefährdung der beiden Kundschafter, die durch die List (und nicht durch das Bekenntnis) der Hure Rahab gerettet werden. Umgekehrt käme niemand auf die Idee, allein aufgrund der Ortsangabe „Schittim“, die auch in Num 33,49 und Mi 6,5 ohne weitere Hintergedanken genannt ist, und aufgrund der Einleitung der Erzählung in Jos 2,1–7 an die Baal-Peor-Episode in Num 25,1–5 zu denken. In dieser Hinsicht sind Hos 9,10 und Ps 106,28 sehr viel eindeutiger, doch ist hier gerade nicht Schittim, sondern Baal Peor beim Namen genannt. Doch auch mit dem Bekenntnis der Rahab kommt man nur auf Umwegen auf die Episode in Num 25,1–5: zum einen, indem man die Begründung für den „Bann“ in Dtn 7,1–6 und 20,16–18 assoziiert, zum anderen, indem man die „Hure“ als Gegenbild zum „Huren“ der Israeliten hinter fremden Göttern liest. Letzteres wirkt ziemlich gezwungen, ist doch mit keiner Silbe angedeutet, dass die Hure Rahab wie die moabitischen Frauen in Num 25,1–5 eine Gefahr darstellt, zu den fremden Göttern abzufallen;34 die Gefahr besteht vielmehr darin, dass sie die Kundschafter verraten könnte (Jos 2,14.20). Und schließlich geht es in der Erzählung – trotz der dem Beruf der Rahab geschuldeten erotischen Atmosphäre – ja keineswegs darum, dass die beiden Männer Rahab zur Frau nehmen und dies vielleicht auch ihren israelitischen Brüdern empfehlen wollten, womit der von Krause unternommene Versuch der historischen Kontextualisierung in den (nach Maßgabe der biblischen Darstellung imaginierten) Konflikten der nachexilischen Zeit um die Mischehenfrage nur wenig austrägt.35 Dass die Hure Rahab so „tut, ‚als habe sie den ganzen Pentateuch gelesen‘“36, weist ebenso wie die Bezugstexte ihres Bekenntnisses im Pentateuch sicher auf eine späte Zeit 34
Dies liest Krause, Exodus, 153 in den Text von Jos 2 hinein. Krause, Exodus, 150–151.179–180. 36 Wellhausen, Composition, 117. Woher die in Anführungszeichen gesetzte Redewendung stammt, konnte ich nicht eruieren. 35 Vgl.
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und verdankt sich dem innerbiblischen Diskurs über das Bekenntnis von Ausländern zum einen Gott (1 Kön 5; Ruth; Jona; Dan 1–6). Solche expliziten Verweise nehmen in der Überlieferung der biblischen historia sacra zu, je mehr sich die Bücher verselbständigen und durch intertextuelle Bezüge aufeinander bezogen werden.37 Wer die Autoren und wer die Gegner im perserzeitlichen oder hellenistischen Juda waren, lässt sich aus den biblischen Zeugnissen allein nicht entnehmen, hier sind vielmehr die außerbiblischen Quellen zu befragen, die von einem Konflikt um die Mischehenfrage oder Übertritte von Nicht-Israeliten allerdings nichts wissen. So gelangt man zu dem Schluss, dass sich die Erzählung in Jos 2 zwar durchaus als Gegenbeispiel zur (spät-)deuteronomistischen Bann-Theologie und Beispielgeschichte für das Bekenntnis von Nicht-Israeliten sowie, wenn man möchte, auch als Gegengeschichte zur Baal-Peor-Episode und verwandten Texten lesen lässt, dies alles aber nur in dem Bekenntnis der Rahab anklingt, ansonsten jedoch durch nichts angezeigt ist und, wie die Auslegung von Blum und Krause zeigt, zur möglichen Rezeptionsgeschichte gehört. Insoweit ist das Verhältnis von Jos 2 zu Num 25,1–5 dem zur Kundschaftergeschichte in Num 13–14 durchaus vergleichbar.38 Der eigentliche Plot der Erzählung, die Gefährdung der Kundschafter und ihre wundersame Rettung (Jos 2,1–7.15–16.22–23), lässt von dem allem nichts erkennen. Dass die Erzählung „Im Ganzen […] als paradigmatisches Gegenbeispiel zu Num 25,1–5 konzipiert“ sei,39 kann man demnach nicht sagen. 2. Die Rahmenhandlung Angesichts dieses Befundes stellt sich die Frage, ob die Handlung der Erzählung auch außerhalb des Bekenntnisses der Rahab eine sinntragende Bedeutung für die Exodus-Landnahme-Erzählung hat und – trotz Noth und mancher „neuerer Analysen“ – vielleicht literarisch nicht einheitlich ist. Hierzu ist auf „neuere Analysen“ zu verweisen, die der älteren Forschung folgen und nicht nur einzelne Bestandteile,40 sondern das gesamte Bekenntnis, in dem Rahab „so tut, als habe sie den ganzen Pentateuch gelesen“, und alles, was es in Jos 2 und 6 nach sich zieht, also Jos 2,(7.)8–14.(16.)17–21.24; 6,17.22–23.25, als sekundäre Zufügung ausscheiden.41 Der Hauptgrund für die literarhistorische Differenzierung 37 Vgl. Dtn 1–9; Jos 24; 1 Sam 12. Mit der Kompositionsgeschichte der biblischen historia sacra hat dies nichts zu tun. Die Bezüge stellen den narrativen und literarischen Zusammenhang der biblischen Erzählung, sei es Pentateuch, Hexateuch oder Enneateuch, nicht her, sondern setzen ihn voraus und rufen ihn angesichts der zunehmenden Verselbständigung der Bücher (Rollen) in Erinnerung. 38 Gegen Krause, Exodus, 184–195 vgl. Germany, Narrative, 320–321. 39 Krause, Exodus, 177. 40 Vgl. Bieberstein, Josua, 124–135. 41 J. P. Floss, Kunden oder Kundschafter? Literaturwissenschaftliche Untersuchung zu
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besteht darin, dass die Szene auf dem Dach in Jos 2,8–14 sowie die Unterhaltung in Jos 2,16–21 den Handlungszusammenhang von V. 1–7.14.22–23 unterbrechen. Die Unterbrechung geht an beiden Stellen mit syntaktischen und inhaltlichen Unstimmigkeiten einher. Die Rede der Rahab in V. 9 wird durch eine sehr umständliche und in V. 7 auch recht ungelenk formulierte Hintergrundschilderung in Jos 2,6–8 eingeleitet.42 V. 8 führt einen neuen Handlungsgang ein und ahmt V. 6 nach ( והיא+ עלה הגגה/ )על הגג. Die Auskunft, dass die Männer sich gerade schlafen legen wollten ( שכבwie V. 1), stößt sich sowohl mit dem in V. 6 genannten Grund ihres Aufenthalts auf dem Dach als auch mit dem Ziel der Handlung, den Männern so schnell wie möglich zur Flucht zu verhelfen, was im Übrigen auch durch die lange Rede der Rahab völlig aus den Augen gerät. In V. 8 befinden sich schließlich alle Akteure auf dem Dach, was den Übergang zur Abseilaktion durch ein Fenster des Hauses sehr abrupt erscheinen lässt. Syntaktisch schließt V. 15 am einfachsten an V. 6 an: „Sie“ (Rahab) hatte die in V. 4–6 genannten Männer auf dem Dach versteckt (V. 6 im Rückgriff auf V. 4) und lässt sie nun durch das Fenster entkommen (V. 15). Von der Handlung her könnte auch V. 7 als weitere Hintergrundschilderung noch zu dem ursprünglichen Erzählfaden gehören, doch wird der Vers meist mit V. 8 zusammengenommen und könnte als nachholende Weiterführung der Handlung von V. 5 ebenso die Überleitung zu dem Einschub in V. 8 ff. sein: als man „die Männer“ verfolgte,43 „sie“ (die Männer) sich gerade schlafen legten und „sie“ (Rahab) sich zu ihnen aufs Dach begab, da sprach sie „zu den Männern“. Kaum ist das Gespräch beendet, lässt Rahab die Männer in V. 15 durch das Fenster entkommen. Das anschließende Gespräch in V. 16.17–21 kommt zu spät. Jedenfalls die V. 17–21, die an die Rede der Rahab in V. 9–14 anknüpfen und die entsprechenden Zusätze in Jos 6 vorbereiten, sind nachgetragen.44 Möglicherweise gehört aber auch schon die Anweisung in V. 16, die auf V. 22 vorausblickt, zu dem Nachtrag, um das Gespräch nach dem bereits erfolgten Abseilen noch einmal in Gang zusetzen. Schließlich dürfte auch V. 24 nachgetragen sein, der nach dem vollständigen Bericht in V. 23 nachklappt und aus der Rede der Rahab in V. 9–10 sowie wie diese aus Ex 15 zitiert.45 Jos 2, I. Text, Schichtung, Überlieferung (ATSAT 16), St. Ottilien 1982; II. Komposition, Redaktion, Intention (ATSAT 26), St. Ottilien 1986; Kratz, Komposition, 208–209; ähnlich auch Fritz, Josua, 31–41. 42 Vgl. Noth, Josua, 24 z. St.; Bieberstein, Josua, 125–127. 43 Auch in Jos 2,7 sind mit „den Männern“ die Kundschafter gemeint, die Subjekt des zusammengesetzten Nominalsatzes sind, das in dem folgenden Suffix wiederaufgenommen ist; so Noth, Josua, 24 z. St., anders Fritz, Josua, 31, der „die Männer“ in V. 7 mit den Verfolgern identifiziert. 44 Vgl. Bieberstein, Josua, 130–132 sowie 282–283.287–289.292; für Josua 6 auch Germany, Narrative, 355 mit weiteren literarischen und konzeptionellen Differenzierungen. 45 Vgl. die Besprechung der Stelle bei Bieberstein, Josua, 132–133, der sich jedoch gegen
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Nach allem zeichnet sich in Jos 2,1–6.(7).15.(16).22–23 eine Grunderzählung ab, die von der Aussendung, Gefährdung und wundersamen (auch amüsanten) Rettung zweier Kundschafter berichtet und damit Israel und den Leser darauf einstimmt, welche Gefahren Israel in dem gelobten Land bevorstehen. Die Grunderzählung ist eine Bewahrungsgeschichte. Erst vor dem Hintergrund der theologischen Ansprüche und Diskurse der deuteronomistischen und nachdeuteronomistischen Schreiber stellte sich die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass eine Hure im kanaanäischen Jericho, an dem in Jos 6,17.21 gemäß Dtn 7 und 20 der Bann vollstreckt werden sollte, die Kundschafter Israels rettete und unter welchen Umständen sie dem Bann entgehen konnte. Auf diese Fragen geben die Ergänzungen in Jos 2 und 6 eine Antwort, die für Jhwh-Verehrer aus den Völkern, sprich Proselyten, eine Ausnahme von der deuteronomistischen Regel formulieren. Auch den theologischen Ansprüchen von Blum und Krause genügt die Grunderzählung nicht. Aus diesem Grund haben sie gegen die literarkritische und konzeptionelle Differenzierung eingewandt, dass es sich bei der rekonstruierten Grundschicht um „eine Art Potemkinsche Erzählung“ handele, die „rein profan, bar jeder theologischer Thematik“ sei46 und „in einer derart reduzierten Form ohne jeden Belang ist, von Bedeutung weder für Israel noch für Rahab noch für die Rezipienten“, und bei der offen bleibe, „warum Rahab die Kundschafter rettet.“47 Nun lässt sich über unsere Erwartungen an eine biblische Erzählung und die Frage, was in ihr von „Belang“ und „Bedeutung“ sei, durchaus streiten. Ist die Gefährdung zweier Kundschafter aus dem Volk Israel, das sich gerade anschickt, das gelobte Land zu betreten, nicht von „Belang“ und „Bedeutung“? Wenn es nach den strengen theologischen Maßstäben von Blum und Krause (und der späten Deuteronomisten) ginge, müsste man nicht wenigen Erzählungen der Hebräischen Bibel „Belang“ und „Bedeutung“ absprechen. Ich erinnere nur an die Geschichte von der Gefährdung der Ahnfrau in Gen 26,6–11 oder in Gen 12,10–20, der erst in Nachträgen (Gen 26,2–5), in Gen 20 und im aramäischen Genesis-Apokryphon eine explizite „theologische Thematik“ eingeschrieben wurde. Oder an die diversen Episoden, die sich an das Itinerar der Wüstenwanderung nach dem Exodus angelagert haben, wie Ex 15,20–25a und 15,27, die erst durch Ex 15,25b–26 ein theologische Licht aufgesetzt bekommen haben, oder die Kriegerzählungen in Num 20,14–21 und 21,21–25, die ebenfalls nachträglich „theologisch“ bearbeitet wurden. Und was soll man von den Saul- und David-Erzählungen, der Josefgeschichte und dem Buch Ester halten, die auf weieine Ausscheidung ausspricht, nicht zuletzt, weil er Teile der Rede Rahabs in 2,9–14 für ursprünglich hält. 46 Blum, Pentateuch, 388–389. 47 Krause, Exodus, 137.
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te Strecken, letzteres im Ganzen „rein profan, bar jeglicher theologischer Thematik“ sind? Auch die „Warum“-Frage ließe sich an manche Erzählung stellen: Warum lassen der König der Edomiter und die Könige Sihon und Og das Volk Israel nicht durch ihr Land ziehen? Warum nimmt der König von Moab die Familie Davids bei sich auf (1 Sam 22,3–4)? Im Falle von Jos 2 legt sich zumindest eine Vermutung nahe: Rahab wird als „Hure“ bezeichnet, warum sollte sie ihre Kunden verraten und ausliefern? Doch kommt es der Grunderzählung (noch) gar nicht auf das „warum“ sondern auf das „dass“ der Rettung der Kundschafter im gelobten Land an. Dass ausgerechnet eine kanaanäische Hure den beiden hilft, darin besteht das Wundersame der Rettung. Stammt die vorliegende, ergänzte Fassung von Jos 2 sicher aus später Zeit, kann die rekonstruierte Grundfassung m. E. ohne Weiteres zu einem älteren, vordeuteronomistischen Stratum einer Exodus-Landnahme-Erzählung gehört haben, die mit der Ortsangabe „Schittim“ in Jos 2,1 an das Itinerar in Num 25,1a anknüpfte. Dies schließt – entgegen meiner früheren Einschätzung48 – nicht aus, dass die Erzählung sekundär eingeschrieben wurde, und zwar nicht erst in ihrer vorliegenden, sondern in der rekonstruierten ältesten Gestalt. Wie wir oben sahen, kann dafür allerdings weder die Chronologie noch der vermeintlich nahtlose Anschluss von Jos 3,2–4 an Jos 1,10–11 als Argument dienen. Vielmehr spricht für einen Zusatz zum einen die doppelte Ortsangabe „von Schittim“ in Jos 2,1 und 3,1, die keinen Rahmen um Jos 2 legt49 und auch nicht, wie von mir einst vermutet, der Einfügung des Deuteronomiums geschuldet ist, sondern eine umgekehrte Wiederaufnahme oder Vorwegnahme in Jos 2,1 mit Jos 3,1 als Vorlage ist.50 Zum anderen spricht für eine sekundäre Einfügung von Jos 2 die narrative Kohärenz: Nach dem Tod des Mose in Dtn 34,5–6 und der Beauftragung des Josua in Jos 1 (1,1–2) erwartet man keine Kundschaftergeschichte, sondern den Aufbruch des Volks ins gelobte Land. Die Kundschaftergeschichte dürfte sich folglich wie die Episoden in der Wüste sekundär an das ursprüngliche Itinerar angelagert haben, um den Weg aus Ägypten ins gelobte Land dramatischer zu gestalten und die historische Erfahrung der Gefährdung Israels und Judas durch die Nachbarn bereits in der Ursprungslegende Israels zu verankern.
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Kratz, Komposition, 208. Krause, Exodus, 236. 50 Vgl. Bieberstein, Horizonte, 156–157. Krause, Exodus, 236–237, Anm. 174 gibt den Vorwurf der petitio principii, den Bieberstein gegen Blum erhebt, zurück, geht jedoch nicht auf das Argument ein, dass „die Einfügung [von Jos 2] nicht zwingend den Anfang der Jordan-Erzählung von Jos 3,1 mit umfasst“ (Bieberstein, Horizonte, 156), sondern diese Annahme anderen Voraussetzungen folgt und die Frage, woran Jos 3,1 ursprünglich angeschlossen hat, folglich nicht mit der Analyse von Jos 2 oder der vorausgesetzten Annahme eines vermeintlich nahtlosen deuteronomistischen Grundtextes in Jos 1,10–11 und Jos 3,2–4 beantwortet werden kann. 49 So
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3. Fazit Ziehen wir ein weiteres Zwischenfazit: Die Erzählung von der Hure Rahab in Jos 2 lässt sich in ihrer vorliegenden Gestalt als Beispielgeschichte für die Bewahrung einer Konvertitin vor dem Banngebot sowie als Gegenbeispiel für das „Huren“ der Israeliten hinter anderen Göttern lesen. Diese Lesart lässt sich – mit etwas Phantasie und rezeptionsgeschichtlicher Kombinatorik – dem Bekenntnis der Rahab im Rahmen der Szene auf dem Dach in Jos 2,9–14 entnehmen. Das Gerüst der Erzählung und die eigentliche Handlung lassen davon nichts erkennen. Sie erzählen von der wundersamen Rettung zweier Kundschafter aus dem Volk Israel, kurz vor dem Übertritt in das gelobte Land. Dies und verschiedene Indizien im Text legen eine literarhistorische Differenzierung in eine Grunderzählung und eine spät- oder nachdeuteronomistische Bearbeitung nahe. Die Grunderzählung dürfte sekundär in den Kontext der Erzählung von der Überquerung des Jordan als erster Akt des Aufbruchs „von Schittim“ (Jos 2,1; 3,1) eingeschrieben worden sein. Mit der literarischen Ausscheidung von Jos 2, ob in der vorliegenden ergänzten oder in der rekonstruierten, ursprünglichen Gestalt, ist jedoch keineswegs auch die Itinerarnotiz in Jos 3,1 automatisch mit ausgeschieden. Im Gegenteil: Der frühe Aufbruch Josuas und der Ortswechsel des Volkes von Schittim an den Jordan in Jos 3,151 markiert – nachdem sich sowohl Jos 3,2 ff. als auch Jos 2 als jünger erwiesen haben – den ältesten erreichbaren Anfang der Erzählung von der Jordanüberquerung (Jos 3,14a.16; 4,19b) und anschließenden Eroberung Jerichos in Jos 3–4 und 6.52 Wo dieser Anfang, der kein absoluter Anfang ist, sondern eine Erzählung fortsetzt, ursprünglich angeschlossen hat, hängt von der Analyse von Jos 1 und der Verbindung mit dem vorausgehenden Kontext im Pentateuch ab.
IV. Josua, die Amtleute und die ostjordanischen Stämme Für Blum und Krause steht von Anfang an fest: „Jos 1 ist rein deuteronomistisch, d. h. von dem Schriftsteller, der das deuteron. Gesetz in die Geschichte eingefügt und die Geschichte nach dem deuteron. Gesetz bearbeitet hat, von dem Deuteronomisten, wie man ihn im Unterschied von dem Autor des eigentlichen Deut. bezeichnen kann.“53 Diese Voraussetzung verbinden sie mit der weiteren Voraussetzung, dass „der Deuteronomist“ Wellhausens identisch ist mit dem Redaktor und Autor des von Noth postulierten, Dtn–Kön umfassenden Deu51 Zum Personenwechsel und der textgeschichtlichen Problematik von Jos 3,1 vgl. Bieberstein, Josua, 170–171; Germany, Narrative, 322–323. 52 Bieberstein, Josua, 297–298.305–344, bes. 331; Ders., Horizonte, 154–160; Germany, Narrative, 322–323.328.333–334.362.448. 53 Wellhausen, Composition, 117.
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teronomistischen Geschichtswerkes, auf den Noth Jos 1 mehr oder weniger in Gänze zurückführt: „Die Einführung [sc. der dtr. Darstellung der Landnahme] liegt in Jos 1 vor; es gibt keinen Grund, in diesem in seiner Sprache durch und durch deuteronomistischen Kapitel einer schon vorher feststehenden literarkritischen Hypothese zuliebe das Vorhandensein vordeuteronomistischer Elemente zu postulieren. Von den Voraussetzungen von Dtr aus [sic!] erklären sich alle Einzelheiten zwanglos.“54 Mit denselben „Voraussetzungen“55 analysiert Krause Jos 1 und kommt – „einer schon vorher feststehenden literarkritischen Hypothese zuliebe“ – zu dem wenig überraschenden Ergebnis, dass das Kapitel mit wenigen Ausnahmen (V. 4*, V. 7–9), deren Ausscheidung unter Vorbehalt gestellt werden, literarisch einheitlich sei und der deuteronomistischen Grundschicht des Josuabuches und des Deuteronomistischen Werkes angehöre. Entscheidend für dieses Urteil sind nicht zuletzt die in allen drei Redegängen (V. 1–9.10–11.12– 18) anzutreffenden wörtlichen Parallelen mit dem Deuteronomium, das in seiner Endgestalt als Vorlage „des Deuteronomisten“ angesehen wird. Inhaltlich gehe es in dem Kapitel ebenso wie in der folgenden Darstellung der Jordanüberquerung in Jos 3–4 „im Einzelnen wie im Ganzen um Josua als Nachfolger des Mose und seine Anerkennung durch ganz Israel.“56 Die Analyse ist von den genannten Voraussetzungen her konsequent, birgt jedoch eine Fülle von Problemen in sich. Viele der literarkritischen Entscheidungen werden nicht aus dem Text von Jos 1 und seiner narrativen und konzeptionellen Kohärenz, sondern nur anhand der literarischen Bezüge zum Deuteronomium begründet, was wiederum voraussetzt, dass das Deuteronomium in seiner vorliegenden Gestalt Teil des Deuteronomistischen Geschichtswerkes und damit Zeuge „des Deuteronomisten“ ist. Doch so wenig das Deuteronomium von einer einzigen deuteronomistischen Hand bearbeitet wurde, so wenig stammt auch alles, was in Josua irgendwie „deuteronomistisch“ klingt, ohne Weiteres von einer Hand. Die Diskussion der Differenzierung des „Deuteronomismus“ im Deuteronomium und in den Vorderen Propheten kann im Rahmen dieses Beitrags nicht aufgenommen werden. Darum beschränke ich mich auf einige wenige Hinweise zur Stimmigkeit der internen Analyse von Jos 1. 1. Die ostjordanischen Stämme (Jos 1,12–18) Ich beginne am Ende, bei der Rede Josuas an die ostjordanischen Stämme in Jos 1,12–18. Dass der Abschnitt – zusammen mit seinen Referenztexten (Num 32 und Dtn 3,12–20) – die Antwort auf die Frage gibt, warum auch im Ostjordan54 55
Noth, Studien, 41; vgl. Ders., Josua, 27. Krause, Exodus 70; vgl. ebd., 132: „durch und durch dtr Exposition der Josua-Erzäh-
lung“. 56 Krause, Exodus 69–133, Zitat ebd., 132. Vgl. zum inhaltlichen Profil bereits oben Anm. 20.
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land Israeliten wohnen und wie sich dieser Teil Israels zu dem Anspruch „ganz Israels“ verhält, den Jordan als Grenze zum gelobten Land zu überschreiten,57 ist evident, doch ist völlig offen, wann, unter welchen Bedingungen und vor allem von wem die Frage thematisiert und an dieser Stelle literarisch beantwortet wurde. Spekulationen über mögliche historische Konstellationen tragen dazu nichts aus, wie das Beispiel des Buches Tobit lehrt, das sich zum ersten Mal nach langem Schweigen in hellenistischer Zeit wieder um das Schicksal der verlorenen Stämme des Nordens sorgt. Es handelt sich um ein exegetisches Problem, das sich aus der innerbiblischen Geschichtsauffassung ergibt und die Vorstellung voraussetzt, dass „ganz Israel“ mit zwölf Stämmen identisch sei. Die Lösung besteht neben der göttlichen Gabe der Wohngebiete an die ostjordanischen Stämme in der Waffenhilfe bei der Einnahme des gelobten Landes. Innerhalb von Josua 1 taucht das Thema völlig überraschend auf und ist durch nichts vorbereitet. Jos 1,1–9 rechnen mit der Landnahme des „ganzen Volkes“ ohne Gliederung in Stämme, und auch im Folgenden der Landnahme ist – mit Ausnahme des expliziten Rückbezugs auf Jos 1 in Jos 4,12–13 und natürlich Jos 13,15–32 und 22,1–6 im Rahmen der Landverteilung an die Stämme Jos 13– 2258 – von einer Teilung in west- und ostjordanische Stämme des Volkes nicht die Rede. Lediglich Jos 1,10–11 implizieren mit den Amtleuten ein nach Stämmen gegliedertes Volk. Auch das Motiv der Anerkennung und Bestätigung Josuas als Nachfolger des Mose durch das Volk, hier allerdings allein durch die zweieinhalb Stämme, ist nicht vorbereitet. Schließlich hebt sich das Stück auch stilistisch vom vorausgehenden Kontext ab, indem es die Anweisung nicht mit einem Imperativ, sondern mit absolutem Infinitiv (V. 13) einleitet.59 Die Terminologie für die Landnahme ( ירשqal) folgt Jos 1,10–11 und gehört ebenso wie das Motiv der „Ruhe“ (נוח, nicht שקטvgl. Jos 11,23) zum spät- bzw. nachdeuteronomistischen Sprachgebrauch im Josuabuch.60 Auch der Referenztext Dtn 3, der auf Num 32 beruht, repräsentiert nicht gerade das älteste Stratum „des Deuteronomisten“, weswegen sich Krause gezwungen sieht, eine literarische Beziehung zu Num 32 zu bestreiten und das Verhältnis traditionsgeschichtlich zu erklären.61 Des Weiteren verdient Erwähnung, dass in Jos 1 nur der Abschnitt Jos 1,12–18 explizit auf ein „Wort“ des Mose verweist und es Josua regelrecht zitieren lässt. Ansonsten sind die Bezüge zum Deuteronomium implizit oder ganz 57
Ebd., 127. Letztere wird von Noth, Studien, 45–46 aus literarkritischen Gründen als nachdeuteronomistisch beurteilt. 59 Vgl. dazu Bieberstein, Josua, 98–99. 60 Zu ירשvgl. noch Jos 12,1; 13,1; 18,3; 19,47; 21,43; zu נוחJos 21,44; 22,4; 23,1; zur Einordnung der Kapitel s. o. Anm. 58. So erweist sich das Motiv, „Dass Jhwh Israel Ruhe verschafft“, in der Tat „als zentrale Deutekategorie der dtr Erzählung“ (Krause, Exodus, 110), allerdings auf einer relativ späten Ebene der Erzählung, wie nicht zuletzt der Vergleich mit Jos 11,23 und seiner Aufnahme in der „dtr Erzählung“ des Richterbuches zeigt. 61 Krause, Exodus, 110–117; vgl. dagegen Germany, Narrative, 317. 58
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pauschal (Jos 1,7–8).62 Schließlich zeigt die Wiederaufnahme von Jos 1,5 sowie 1,6.7.9 in 1,17–18 an, dass es sich in Jos 1,12–18 insgesamt um eine sekundäre Erweiterung handelt, die das Spezialproblem der ostjordanischen Stämme thematisiert. Es sind nach allem nicht nur eine „konzeptionelle Überlegung“,63 sondern Indizien der narrativen Kohärenz, der Sprachgebrauch, der besondere Umgang mit dem Referenztext in Dtn 3 und nicht zuletzt die Technik der Wiederaufnahme, die diesen Schluss nahelegen. 2. Die Amtleute (Jos 1,10–11) Auch die Amtleute treten in Jos 1,10–11 als Adressaten einer Rede des Josua völlig überraschend auf. Nach Krause kommt den beiden Versen eine „tragende Funktion für das Kapitel zu: Indem sie die Handlung progressiv entwickeln, bilden sie den Rahmen für die wesentlich reflexive Wiedergabe der großen Reden.“ Und weiter: „Jos 1,10–11 präsentiert sich so als Bindeglied zwischen Jhwhs Aufforderung an Josua, durch den Jordan zu ziehen, und dem Ereignis selbst, mithin als tragender Bestandteil der dtr Erzählung“, womit ausgemacht sei, dass in Jos 1 kein vordeuteronomistisches Material zu finden sei.64 Die Einschätzung basiert zum einen auf der traditionellen Quellenkritik, die Jos 1,10–11 mit der alles tragenden Einleitung in Jos 1,1–2 verbunden hat, zum anderen auf der ebenfalls aus der traditionellen Quellenkritik stammenden Annahme, dass Jos 3,2 die nahtlose Fortsetzung und „Durchführung“ von Jos 1,10– 11 (bzw. 1,18) sei, und schließlich wohl auch darauf, dass die Terminologie, die „Amtleute des Volkes“ ( )שטרי העםund ירשqal, als ur-deuteronomistisch angesehen wird und die Amtleute (für bzw. nach den Stämmen!) in Dtn 1,15 eingesetzt worden sind. So erklärt Krause die alte Quelle kurzerhand zum deuteronomistischen Grundbestand von Jos 1. Ob Jos 1,10–11 denn auch tatsächlich mit 1,1–2 bzw. 1,1–9 auf einer literarischen Ebene liegt, wird gar nicht erst geprüft. Doch die Prüfung lohnt sich. Für den Fortgang der Handlung braucht es Jos 1,10–11 nach 1,1–2 nicht. Im Gegenteil: Nach der Beauftragung Josuas durch Jhwh erwartet man, dass dieser sich ans Werk macht, weswegen die Rahab-Episode in Jos 2, die die Handlung aufhält, ein Nachtrag sein dürfte. Aber auch Jos 1,10–11 ist ein retardierendes Element, das im Folgenden zu nichts führt. Nirgends wird berichtet, wie die Amtleute die Anweisung an das Volk weitergeben oder das Volk sich mit Proviant versorgt. Die Amtleute kommen nur hier und in Jos 3,2 vor, doch tun sie dort – ohne vorherigen Auftrag von Josua – etwas ganz anderes, als was ihnen in Jos 1,10–11 aufgetragen wurde. Wie wir oben sa62 Auch das Zitat von Dtn 11,24–25 in Jos 1,3–5 ist nicht als Zitat des Mose im Deuteronomium, sondern explizit als Zitat Jhwhs eingeführt, das demnach – in der Fiktion der Erzählung – der Wiedergabe durch Mose in Dtn 11 vorausliegt. 63 So Krause, Exodus, 127. 64 Ebd., 73–74.
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hen, ist Jos 3,2–4 nicht zuletzt deswegen gegenüber Jos 1,10–11 sekundär. Jos 8,33 hält selbst Krause für einen Nachtrag.65 Somit scheint Jos 1,10–11 ins Nichts zu laufen, es sei denn, die Anweisung an die Amtleute, das Volk drei Tage lang damit zu beschäftigen, sich mit Proviant zu versorgen, bevor es losgeht, wird mit Rücksicht auf die mittlerweile zugefügte Episode in Jos 2 und die dort erwähnten „drei Tage“ erteilt. Ob die Angaben zusammenstimmen und die Kundschafter am dritten Tag oder erst nach drei Tagen, d. h. am vierten Tag, zurückgekehrt sind, ist eine Frage, die den modernen Exegeten quält, den antiken Schreiber und Leser aber offenbar nicht: Jos 3,2 („nach drei Tagen“) und wahrscheinlich auch Jos 3,5 („morgen“) haben jedenfalls mit insgesamt „drei Tagen“ gerechnet. Was man nach der Beauftragung durch Jhwh in Jos 1,1–9 sicher nicht erwartet, ist, dass Josua die Last seines Amtes mit anderen teilt. Genauso gut hätte er selbst das Volk dazu anhalten können, sich drei Tage lang mit Proviant zu versorgen, bis die Kundschafter zurückgekehrt sind.66 Doch die Einführung der Amtleute hat offenbar noch einen anderen Zweck. Sie impliziert ein anderes Konzept vom „ganzen Volk“. Die „Amtleute“, die Mose in Dtn 1,15 einsetzt, sind „für eure Stämme“ da und setzen somit ein nach Stämmen gegliedertes „ganzes Volk“ voraus. Ob dies auch in Jos 1,1–2 der Fall ist, wie Krause und andere offenbar wie selbstverständlich annehmen, ist keineswegs ausgemacht. Die Stämmeordnung ist – wenigstens im Buch Josua (Jos 13 ff.) – ein nachdeuteronomistisches Konzept, wie auch die Terminologie von Jos 1,10–11 ( ירשqal, )בקרב המחנהspät- bzw. nachdeuteronomistisch ist.67 Hierzu fügen sich auch die Belege für die „Amtleute“ in Jos 23,2 und 24,1. Nach allem legt sich der Schluss nahe, dass auch Jos 1,10–11 sekundär ist und mit Jos 1,1–2 bzw. 1,1–9 nicht auf einer literarischen Ebene liegt.68 3. Das Gesetz des Mose (Jos 1,7–9) Zur Ausscheidung von Jos 1,7–9 hat Smend die entscheidenden Gründe genannt.69 Der vorsichtige Versuch von Krause, die Ausscheidung in Frage zu stel65
Ebd., 74, Anm. 29. rekonstruiert Germany, Narrative, 316–317, indem er die „Amtleute des Volkes“ streicht und den Auftrag Josua selbst erteilen lässt. Damit ist allerdings nicht viel gewonnen, es bleibt das retardierende Moment. 67 Zu ירשqal s. o. Anm. 60; zu בקרב המחנהvgl. Num 14,44; Dtn 2,14; 23,15; 29,10; Ps 78,28, und eben die beiden einzigen Stellen in Jos 1,11 und 3,2. Überall scheint die Vorstellung von „ganz Israel“ als „Lager“ vorzuherrschen, vgl. bes. Dtn 28,9–11, wo die Amtleute und Stämme „inmitten des Lagers“ mit dem ganzen Volk gleichgesetzt sind. Vgl. zur nachpriesterschriftlichen Ansetzung von Jos 1,10–11 und Unterscheidung von Jos 1,1–2 Germany, Narrative, 316– 317. 68 Einen gewissen Vorbehalt gegen die übliche Verbindung von Jos 1,1–2 und 1,10–11 äußert auch schon Germany, Narrative, 314–315. 69 R. Smend, Das Gesetz und die Völker. Ein Beitrag zur deuteronomistischen Redaktionsgeschichte, in: H. W. Wolff (Hg.), Probleme biblischer Theologie. Gerhard von Rad zum 70. Geburtstag, München 1971, 494–509. Vgl. auch Bieberstein, Josua, 95–97, zu Noths Schwanken ebd., 97, Anm. 68. 66 So
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len oder wenigstens zu relativieren, hat mich nicht überzeugt.70 Er basiert auf einem weit gefassten Begriff des „Deuteronomistischen“, der alles und noch mehr umfasst, was Noth seinem Deuteronomisten zugeschrieben und die neuere Forschung nach und nach literarhistorisch differenziert hat. Natürlich lässt sich alles irgendwie in ein gemeinsames Konzept integrieren, wenn man späte Texte wie Jos 23, Dtn 17,18–20 oder die „bundestheologische Struktur des dtr Dtn“71 zum Maßstab macht. Auch die von Krause vorgeschlagene Alternative bedient sich einer der jüngsten deuteronomistischen Schichten in 2 Kön 22–23, die er zum Schlüssel des Ganzen erklärt und in die Anfänge der deuteronomistischen Redaktion einträgt. Es ist allerdings nicht einerlei, ob Kultzentralisation, Erstes Gebot oder Torabuch des Mose der Maßstab der deuteronomistischen Geschichtsdeutung sind.72 Das Kriterium der Reichs- und Kulteinheit oder das Erste Gebot ließen sich auch ohne literarischen oder expliziten Bezug auf das Torabuch des Mose anwenden, so dass die „erzählerische Einführung des Torabuchs als Element der ‚Geschichte Israels‘ nach Mose“ keineswegs „unverzichtbar“ war, wie ein weiteres Postulat von Krause lautet.73 Dass das lange „Torabuch-Schweigen“ mit dem Buchfund unter Josia eine Erklärung bekommt, ist evident, doch dass gerade darin die „Pointe“ der deuteronomistischen Darstellung liegen soll,74 von der vorher behauptet wird, dass für sie die erzählerische Einführung des Torbuches „unverzichtbar“ sei, kann ich nicht nachvollziehen. Nirgends wird erzählt, dass das Torabuch des Mose im Tempel deponiert wurde und daher nicht mehr bekannt war. Und im Richterbuch heißt es, dass die nächste Generation Jhwh und seine Taten, nicht etwa das Torabuch des Mose, nicht mehr kannten. Der Bezug auf das deuteronomische Gesetz des Mose bedurfte solange keiner expliziten Erwähnung, solange der Zusammenhang sachlich oder literarisch realisiert wurde. Erst in dem Moment, in dem sich die Bücher verselbständigten, das Buch Deuteronomium zum Abschluss des Pentateuchs und die Tora des Mose als solche zum Maßstab aller Dinge wurde, wurde der explizite Verweis nötig. Doch damit bewegen wir uns auf einer der spätesten Ebenen der deuteronomistischen Redaktion, wie nicht zuletzt die Chronik zeigt, die diese Entwicklung fortführt. 4. Die Beauftragung Josuas (Jos 1,1–6) Unverzichtbar und tragend für die Erzählung ist allein die Beauftragung Josuas in Jos 1,1–6. Hier wird für gewöhnlich die Geographie des gelobten Landes in V. 3–4 ausgeschieden, die aus Dtn 11,24–25 stammt, nicht zuletzt wegen des auf70
Krause, Exodus, 82–94. Ebd., 85. 72 Krause ebd., 89–90. 73 Ebd., 90. 74 Ebd., 92. 71
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fälligen Numeruswechsels in der Rede Jhwhs an Josua.75 Dagegen hat Bieberstein eingewandt, dass das Zitat von Dtn 11,24–25 auch Jos 1,5a mit umfasst, wo der MT wieder in die Anrede Josuas im Singular übergeht. Die Septuaginta hat auch in V. 5a den Plural, doch dürfte dies eine Angleichung an die zitierte Stelle in Dtn 11 sein.76 Da weder der Numeruswechsel noch das Zitat als solches als Argument für eine literarkritische Ausscheidung dienen kann, scheidet Bieberstein V. 3–5a letztlich aus formkritischen Erwägungen aus.77 Demgegenüber begnügt sich Krause mit der Ausscheidung des „eufratischen Israel“ sowohl in V. 4 („und bis zum großen Strom Eufrat, das ganze Land der Hetiter“) als auch in den Referenztexten Dtn 1,7 und 11,24 und behält V. 3–5a ansonsten als bewusste Umformung des Zitats in der (deuteronomistischen) Grundschicht von Jos 1 bei.78 Auch hier schlägt wieder die Voraussetzung durch, dass alles, was im Deuteronomium eine Parallele oder wörtliche Entsprechung hat, zum deuteronomistischen Grundbestand von Jos 1 gehören soll. Doch das Zitat als solches erlaubt diese Schlussfolgerung nicht, es kann auf jeder Stufe der Textentstehung von Jos 1 eingetragen worden sein. Auch der Rückbezug von Jos 21,43–45 auf Jos 1,5a79 beweist nichts, außer dass das relativ junge, spätdeuteronomistische Resümee in Jos 21, das jünger ist als 11,23, die Stelle Jos 1,5a voraussetzt. Im Übrigen wäre zu zeigen, dass die Referenztexte von Jos 1,3–5a zum ältesten Stratum des deuteronomistischen Deuteronomiums gehören. Ausschlaggebend scheint mir darum ein internes Kriterium zu sein, nämlich die narrative Kohärenz. Die Beschreibung der Grenzen des Landes in Jos 1,3– 5a unterbricht den Zusammenhang von Jos 1,1–2.5b–6, in dem es nicht um das in V. 2 und 6 erwähnte Land, sondern um die persönliche Beauftragung Josuas durch Jhwh, den Beistand Jhwhs und die Nachfolge des Mose geht und der nach der Vorlage in Dtn 31,1–2.7–8 gestaltet ist. Das Zitat aus Dtn 11 reißt insbesondere den Bezug von Jos 1,2b (Einnahme des Landes) und 1,5b–6 (Verteilung des Landes) auf Dtn 31,7 auseinander. Zwar ist das Zitat von Dtn 11,24–25 mit der vorgezogenen und abgewandelten Zitationsformel („wie er euch gesagt hat“ / „wie ich zu Mose gesagt habe“) sowie dem Übergang in die direkte Anrede in V. 5a geschickt in diesen Zusammenhang eingefügt, doch zeigt gerade dieser Kunstgriff, der weder von dem Zitat selbst noch vom Inhalt her motiviert ist, die redaktionelle Fuge an, die in der Septuaginta geglättet wurde. Folglich dürfte es sich insgesamt um einen Nachtrag handeln, der seinerseits in V. 4 im Sinne des „eufratischen Israel“ glossiert wurde. 75 Vgl.
Germany, Narrrative, 315. Bieberstein, Josua, 88. 77 Ebd., 93–95. 78 Krause, Exodus, 74–81, bes. 80–81; der Ausdruck „eufratisches Israel“ ebd. 77 nach D. Diepold, Israels Land (BWANT 95), Stuttgart 1972, 31 Anm. 2. 79 Ebd., 79. 76
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Die Ausscheidung von Jos 1,3–5a wird indirekt durch die Handlungssequenz in Jos 1,1–2.5b–6 bestätigt, die an die Notiz vom Tod des Mose in Dtn 34,5–6 anknüpft und sich an der Sequenz in Dtn 31,1–2.7–8 orientiert: Mose kündigt seinen Tod an und beruft vor ganz Israel Josua zu seinem Nachfolger, dem er den Beistand Jhwhs zusichert bei seiner Aufgabe, das Volk ins Land zu führen und dieses zu verteilen (Dtn 31,1–2.7–8). Nach seinem Tod (Dtn 34,5–6) ergreift Jhwh das Wort und beauftragt Josua damit, das ganze Volk ins Land zu führen und dieses zu verteilen und sichert ihm bei dieser Gelegenheit seinen Beistand zu (Jos 1,1–2.5–6). Die parallele Sequenz und die Berührungen im Wortlaut sind derart eng, dass die beiden Stellen nicht unabhängig von einander entstanden sein können, sei es, dass sie von ein und derselben Hand stammen, sei es, dass sie sekundär aufeinander hin formuliert wurden. Zu diesem Handlungsfaden gehören auch die Stellen Dtn 1,37–38 und 3,27–28, in denen Jhwh Josua zum Nachfolger des Mose bestimmt und Mose auffordert, ihm Mut zu machen. In der Forschung seit Noth werden alle diese Stellen für gewöhnlich einem Verfasser zugeschrieben, der damit eine narrative und literarische Verbindung der Bücher Deuteronomium und Josua im Rahmen des Deuteronomistischen Geschichtswerkes hergestellt habe. Dem schließt sich auch Krause an, dem der Zusammenhang von Dtn 3,27–28; 31,1–2.7–8 und Jos 1,1–2.5–6 als Bestätigung der Voraussetzung, dass alle diese Stellen zum Grundbestand des Deuteronomistischen Geschichtswerkes gehören, besonders wichtig ist.80 Macht man die Hypothese des Deuteronomistischen Geschichtswerkes jedoch nicht a priori zur Voraussetzung und geht unbefangen an die Sache heran, stellt sich der Sachverhalt etwas verwickelter dar. Die nächste Verbindung besteht zwischen der Notiz vom Tode des Mose in Dtn 34,5–6 und der Beauftragung Josuas durch Jhwh in Jos 1,1–2: Mose, der Knecht Jhwhs, stirbt, und nach dem Tod des Mose, des Knechtes Jhwhs, beauftragt Jhwh Josua, den Diener des Mose, mit dem ganzen Volk den Jordan zu überschreiten in das Land, das er ihnen gegeben habe. Josua wird in Jos 1,1–2 mit Vaternamen und Titel eingeführt und über den Titel mit Mose in Verbindung gebracht, so, als wäre er vorher nicht genannt. Die Verbindung zu Dtn 31 wird primär nicht durch Jos 1,1–2, sondern durch die Verse Jos 1,5–6 hergestellt, die den Wortlaut von Dtn 31,7–8 aufnehmen. Zusammen mit Jos 1,1–2 entsteht so die gemeinsame Handlungssequenz: Nach dem Tod des Mose (Dtn 31,1–2; Jos 1,1–2) soll Josua zusammen mit dem Volk das Land betreten und verteilen (Dtn 31,7–8; Jos 1,2.5–6). Dabei ist auffällig, dass die beiden Teilaufgaben (Einnahme und Verteilung des Landes) in Dtn 31,7–8 in einem Atemzuge genannt sind, in Jos 1 hingegen auf V. 2b und – nach der Ermutigung im Zitat von Dtn 31,7 – V. 6 verteilt sind. Des Weiteren ist auffällig, dass für den Eintritt in das Land unterschiedliche Verbformen ( בואbzw. )עברund 80
Vgl. ebd., 95–105 u. ö.
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Formulierungen gebraucht werden und sich der Hinweis auf den Väterschwur in Dtn 31,7 an den ersten Schritt (Eintritt in das Land) anschließt, wofür in Jos 1,2 die einfache Landgabeformel (mit )נתןsteht, in Jos 1,5–6 hingegen an den zweiten Schritt der Landverteilung, womit sich gegenüber Jos 1,1–2 auch eine gewisse Doppelung ergibt („das ich ihnen gegeben habe“, „wie ich ihren Vätern geschworen habe, es ihnen zu geben“). Einen bewussten Gestaltungswillen kann ich in diesen Unterschieden beim besten Willen nicht erkennen. Natürlich ist ein Autor frei, seine Formulierungen zu variieren, doch ist und bleibt auffällig, dass die Unterschiede besonders zu Jos 1,1–2 bestehen, während Jos 1,5–6 bemüht ist, sie auszugleichen und alles nachzuholen, was in Dtn 31,7 gesagt ist. Daher legt sich der Verdacht nahe, dass die Verse Jos 1,5b–6 gegenüber Jos 1,1–2 sekundär sind. Der Nachtrag dürfte damit zusammenhängen, dass – nach Noth – die Landverteilung, auf die Dtn 31,7–8 und Jos 1,6 zielen, im Josuabuch (Jos 13–22) sekundär ist. Bei der Gelegenheit wurde die Autorität des Josua in der Nachfolge des Mose eigens unterstrichen und als neues Thema eingeführt. Ein weiterer Unterschied zwischen Dtn 31 und Jos 1 besteht darin, dass in Dtn 31 Mose, in Jos 1 Jhwh selbst den Auftrag an Josua erteilt und ihm Mut zuspricht. Obwohl Mose im Deuteronomium – der narrativen Fiktion zufolge – ohnehin nur sagt, was ihm von Jhwh auf dem Berg Horeb (Sinai) und in der Wüste offenbart wurde, hat dies einen oder mehrere Schreiber, die ihre Sache besonders genau genommen haben, veranlasst, in dem Rückblick Dtn 1–3 und 4 genau dies auch noch einmal eigens zu berichten. Deshalb haben sie in Dtn 1,37– 38 und 3,27–28 sowie 4,21–22 sowohl den nahenden Tod des Mose als auch die Beauftragung des Josua durch Mose auf eine früher ergangene göttliche Mittelung zurückgeführt (vgl. Num 20,12; 27,12–23). Dtn 3,21 und 31,23 greifen sogar der göttlichen Beauftragung Josuas in Jos 1,1–2 vor. Auffallend ist, dass Dtn 1,38 (בוא, נחלhif) und Dtn 31,23 ( בואhif, Schwur) in der Formulierung mit Dtn 31,7– 8 (und Jos 1,5–6) gehen, während Dtn 3,21.27–28 wie Jos 1,2 das Verbum עבר verwenden, wenn auch in einer jeweils anderen Wendung, und in Dtn 3,27– 28 mit Dtn 31,7–8 und Jos 1,5–6 die Landverteilung ( נחלhif) im Vordergrund steht.81 Dass diese Stellen zwar nicht alle auf einer Ebene liegen, aber allesamt sekundär gegenüber Dtn 31 und Jos 1 sind, kann man auch an Dtn 31,2b sehen, wo Mose selbst – nachträglich – auf eine entsprechende Ankündigung Jhwhs und folglich auf die einschlägigen Stellen in (Num und) Dtn 1–4 verweist, dem noch zwei weitere Ankündigungen folgen (Dtn 31,14.23; 32,48–52).82 81 Wieder anders Jos 1,11: Das Vebum עברbezeichnet hier sowohl das Hinübergehen der Amtleute in die Mitte des Lagers als auch das Überschreiten „dieses Jordans“ (wie Dtn 3,21.27– 28; Jos 1,2), welches weitergeführt wird mit ( לבואvgl. Dtn 1,37–38; Dtn 31,7.23); die Landgabeformel aus Jos 1,2 wird – sekundär – um לרשתהerweitert, das allerdings in der Septuaginta fehlt, aber auch vorher schon als Zweck des „Kommens“ genannt ist. 82 Vgl. Kratz, Ort, 102–103 und passim.
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Auch Krause vermisst für die Beauftragung Josuas durch Mose in Dtn 31 die göttliche Beauftragung und legt darum allergrößten Wert auf die Feststellung, dass in Dtn 3,27–28; 31,1–2.7–8 und Jos 1,1–6 (einschließlich dem dazwischen eingeschalteten Zitat aus Dtn 11 in V. 3–5a!) ein einheitlicher, kohärenter und ursprünglicher (deuteronomistischer) Erzählfaden zu finden sei, der die Verbindung der Bücher Deuteronomium und Josua im Rahmen des Deuteronomistischen Geschichtswerkes konstituiere.83 Gegen die Ansicht, dass die diversen Rück- und Vorverweise in Dtn 1–3 und 4 und der historische Rückblick in Dtn 1–3 insgesamt jünger sind als die Verbindung von Dtn 31 und Jos 1 und die Funktion haben, eine Buchgrenze zu markieren, wendet Krause zweierlei ein: Zum einen müsse man sich die Frage stellen, „weshalb der vermeintliche Nachtrag [gemeint ist Dtn 3,27–28] ohne Not so formuliert ist, dass er unvermeidlich im Zusammenhang mit den korrespondierenden Belegen in Dtn 31 und Jos 1 gelesen werden muss – ein Zusammenhang, der nicht nachdrücklicher über das Deuteronomium hinausweisen könnte.“ Zum anderen – und dies wiege sogar noch schwerer – werfe die Verbindung von Dtn 31 und Jos 1 ein „literarkritisches Problem“ auf, nämlich, dass „der alte Mose eigenmächtig bei sich beschlossen“ habe, Josua mit der Führung des Volkes zu beauftragen, und „Jhwh sich dann gleichsam der normativen Kraft des Faktischen gebeugt und dem von Mose ernannten Anführer nolens volens seinen Segen erteilt“ habe. Darum bedürfe „die Erzählung vor Dtn 31,7–8 notwendig einer Vorbereitung wie sie Dtn 3,27–28 bietet.“84 Beide Argumente sind jedoch nicht durchschlagend. Das erste Argument ist schlechterdings falsch: Dtn 3,27–28 hat sicher Jos 1 im Blick, weist aber gerade nicht auf die göttliche Beauftragung in Jos 1, sondern allein auf die Beauftragung durch Mose in Dtn 31. Das bedeutet, der Rückblick auf den Befehl Jhwhs in Dtn 3,27–28 bewegt sich von der narrativen Strategie her in der Binnenerzählung des Deuteronomiums und soll in der Erzählfiktion gerade nicht auf Jos 1 bezogen werden. Hingegen erinnert Dtn 3,27–28 auf eine vorausgehende Rede Jhwhs, die nicht im Deuteronomium steht, und weist damit vielmehr in den Kontext des Numeribuchs zurück (Num 20,12; 27,12–23). Was dies für die relative und absolute Datierung des Rückblicks Dtn 1–3 heißt, kann sich jeder Kundige selbst denken. Das zweite Argument ist kein „literarkritisches Problem“, sondern eine Frage der Voraussetzungen und Erwartungen des Exegeten im Umgang mit dem biblischen Text. Ginge es nach Krause, dürfte auch der „junge Josua“ in Jos 1,10–11 seinen göttlichen Auftrag nicht eigenmächtig auf mehrere Schultern verteilen und die Amtleute beauftragen. Auch dieser Akt braucht nach der göttlichen Le83 Die anderen Vor- und Rückverweise bleiben dabei weitgehend unberücksichtigt, zu Dtn 1,37–38 vgl. Krause, Exodus, 97. 84 Krause, Exodus, 103.
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gitimation in Jos 1–6, mit der Josua dem Mose gleichgestellt wird, offenbar nicht „notwendig eine Vorbereitung“. Was für Josua recht ist, sollte für Mose billig sein, zumal er nach der narrativen Fiktion des Deuteronomiums – auch ohne den Rückblick in Dtn 1–3 – nur weitergibt, was er von Gott empfangen hat. Doch Krauses Einwände machen auf einen Sachverhalt aufmerksam, der in der Tat von allergrößter Wichtigkeit ist. Die Beauftragung Josuas durch Jhwh in Jos 1,1–2 greift nicht etwa die Ankündigung des Mose in Dtn 31,7–8 auf, sondern ist so formuliert, als ob der Leser nicht wüsste, wer Josua ist und dass er die Nachfolge Moses antreten soll. Lediglich der Tod des Mose ist als bekannt vorausgesetzt. Doch Josua wird mit Vaternamen und Titel „Diener des Mose“85 regelrecht eingeführt. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass Jos 1,1–2, wovon alles Weitere in Jos 1 abhängt, der Verbindung von Dtn 31 und Jos 1 bereits vorgegeben war und diese erst durch Moses’ Ankündigung in Dtn 31,1–2.7–8 und die darauf abgestimmte Weiterführung von Jos 1,1–2 in Jos 1,5b–6 hergestellt wurde. Dazu passt, dass Jos 1,1–2, wie oben notiert, als Hauptaufgabe den Eintritt ins Land definiert und die Aufgabe der Landverteilung in Jos 1,5–6 nachklappt, während in Dtn 31,7 beide Aufgaben organisch miteinander verbunden sind. Auf anderem Wege gelangen wir damit – in Abweichung von meiner früheren Ansicht – zu dem Vorschlag von Germany, der in Jos 1,1–2 (abzüglich einiger später Elemente) „the only potentially pre-Deuteronomistic and pre-priestly material in the chapter“ sieht.86 5. Fazit Als Fazit unseres Durchgangs durch das Einleitungskapitel können wir Folgendes festhalten: Josua 1 ist literarisch nicht einheitlich. Der älteste Kern ist in den alles Weitere tragenden Eingangsversen Jos 1,1–2 zu greifen, die an die Notiz vom Tod Mose in Dtn 34,5–6 anknüpfen und Josua regelrecht einführen, so, als wäre er bis dahin nicht bekannt. An diesen Kern wurden zunächst die Verse Jos 1,5b– 6 sekundär angefügt, die Jos 1,1–2.5b–6 an Dtn 31,1–2.7–8 angleichen und eine weitere literarische Verbindung zum Buch Deuteronomium herstellen. Alles Weitere wurde nach und nach ergänzt: die Landbeschreibung nach Dtn 11,24–25 in Jos 1,3–5a, die Gesetzesparänese in Jos 1,7–9, die Beauftragung der Amtleute in Jos 1,10–11, die Spezialregelung für die ostjordanischen Stämme in Jos 1,12–18 nach Num 32 und Dtn 3,12–20. Das Kapitel ist „durch und durch“ deuteronomistisch geprägt, bewegt sich jedoch auf mehreren Ebenen der vielfältigen, lang anhaltenden Geschichte der deuteronomistischen Redaktion im Deuteronomium und in den Vorderen Propheten. Die Hypothese eines Deuteronomistischen 85
So nur noch in Ex 24,13; Num 11,28; anders Dtn 1,38. Germany, Narrative, 317. Anders noch Kratz, Komposition, 198–199.207, wo ich Jos 1,1–2 der ältesten Schicht der deuteronomistischen Redaktion in Dtn 31,1–2.7–8 und Jos 1,1– 2.5–6 zugerechnet habe. 86
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Geschichtswerkes lässt sich von Jos 1 her weder verifizieren noch falsifizieren und kann darum für die Analyse von Jos 1 nicht als Erklärungsrahmen vorausgesetzt werden. Jos 1,1–2 und 1,5b–6 konstituieren jeweils eine Verbindung zum Schluss des Deuteronomiums, doch liegen die beiden Verbindungen nicht auf derselben literarischen Ebene. Zum Abschluss dieses Beitrag wollen wir uns der ältesten dieser beiden Verbindungsstücke in Jos 1,1–2 noch kurz zuwenden.
V. Mose und Josua in Schittim Nimmt man die Beobachtungen zu den „drei Jahren“ in Jos 1–3, der Erzählung von der Hure Rahab in Jos 2 und dem Einleitungskapitel Jos 1 sowie die Schlüsse, die wir aus ihnen gezogen haben, zusammen, setzt die Schilderung der Landnahme in Jos 1,1–2 mit der Beauftragung Josuas durch Jhwh ein und setzt sich ursprünglich in Jos 3,1 mit dem Aufbruch zur Jordandurchquerung in Jos 3–4 und der anschließenden Eroberung Jerichos in Jos 6 fort: Als Mose [der Knecht Jhwhs] tot war, sprach der Herr zu Josua, dem Sohn Nuns, dem Diener des Mose: Mose (mein Knecht) ist tot, und jetzt, mach dich auf und zieh über [diesen] den Jordan, du und dieses ganze Volk, in das Land, das ich ihnen gegeben habe [den Söhnen Israels]. Und Josua machte sich früh am Morgen auf, und sie brachen auf von Schittim und kamen zum Jordan [er und alle Söhne Israels], und sie übernachteten dort, bevor sie hinüberzogen.
Die eingeklammerten Bestandteile sind Zusätze im masoretischen Text, die bis auf ( ) in der Septuaginta noch fehlen und zur Verdeutlichung oder Harmonisierung mit anderen Textstellen nachgetragen wurden.87 Erst diese Zusätze geben mit der Bezeichnung des Mose als „Knecht Jhwhs“, die den Text mit Dtn 34,5 korreliert, und der Angleichung an den Kontext von Jos 1 durch die Zufügung des Demonstrativums hier und in V. 4 (nach Jos 1,11) einen gewissen deuteronomistischen Anstrich.88 Ansonsten vermag ich nichts spezifisch „Deuteronomistisches“ in den beiden Eingangsversen zu entdecken. Auch der Titel Josuas, „Diener des Mose“ ()משרת משה, ist undeuteronomistisch (vgl. Dtn 1,38) und entweder an dieser Stelle entstanden oder aus den späteren Stellen (Ex 24,13; 87 Zur Textkritik vgl. Bieberstein, Josua, 84–87.146–147. Bieberstein behält in Jos 1,1–2 nur das überschüssige הזהbei, in Jos 3,1 vermisst er das Subjekt und hält darum MT für ursprünglich, was sich allerdings mit unserer Rekonstruktion erledigt. Aus Jos 1,1–2 und dem auf das Volk bezogenen Pluralsuffix geht eindeutig hervor, wer das Subjekt der pluralischen Verben ist, das Nebeneinander von Josua und Volk („sie“) verbindet die beiden Stellen miteinander. Die Zufügung in 3,1 wurde erst durch den Einschub von Jos 2 und die Erweiterungen in Jos 1 nötig. 88 Zu dem Demonstrativum vgl. Krause, Exodus, 73, der sich um der einheitlichen Komposition willen denjenigen anschließt, die das Plus für ursprünglich und das Fehlen in der Septuaginta mit der Nachlässigkeit des Übersetzers erklären. Zu den anderen Details der Textgeschichte von Jos 1,1–2 setzt er sich, wenn ich nichts übersehen habe, gar nicht erst auseinander.
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Num 11,28) hier eingetragen.89 Erst die Zufügung von Jos 1,5b–6 und alle weiteren Fortschreibungen von Jos 1 drücken dem Einleitungskapitel des Josuabuchs nach und nach seinen deuteronomistischen Stempel auf. Mit Jos 1,1–2 kann ein separates Buch (Rolle) begonnen haben (vgl. Ri 1,1), doch sind die Verse ebenso wenig wie Jos 3,1 ein absoluter Erzählanfang. Beide Stellen setzen einen vorausgehenden Kontext voraus: Jos 1,1–2 die Notiz vom Tode des Mose in Dtn 34,5 und eine Erzählung, in der Mose eine entscheidende Rolle gespielt hat; Jos 3,1 den Aufenthalt in Schittim, d. h. Num 25,1a. Dieser Befund kann auf zweierlei Weise erklärt werden: Entweder setzt die Landnahmeerzählung, die mit Jos 1,1–2; 3,1 beginnt, bereits die Bücher Numeri und Deuteronomium in einem wie auch immer zu bestimmenden Umfang voraus, oder in Num 25,1a und Dtn 34,5–6 haben sich Elemente einer älteren Erzählung erhalten, die Num 25–36 und das Deuteronomium noch nicht enthielt. Da einerseits Jos 1,1–2 die Gestalt des Josua regelrecht einführt, so, als wäre er vorher noch nicht genannt, andererseits in der Forschung Num 25–36 allgemein als späte Nachträge gelten und das Deuteronomium als Größe sui generis angesehen wird, die erst nachträglich in die biblische Erzählung vom Exodus und der Landnahme eingebaut wurde, halte ich die zweite Möglichkeit zumindest für prüfenswert. Die Analyse von Dtn 34 und Num 25 kann im Rahmen dieses Beitrages nicht geleistet werden. Doch so viel sei gesagt, dass sowohl die Notiz vom Tod des Mose in Dtn 34,5–6 als auch die Itinerarnotiz in Num 25,1a in der Forschung seit eh und je Schwierigkeiten bereiteten und sich nicht recht der einen oder anderen Quelle zuordnen ließen.90 Sieht man von den jeweils leitenden Hypothesen (Quellenhypothese bzw. Hypothese des DtrG) ab und betrachtet die beiden Stellen als das, was sie sind, nämlich das tragende und unverzichtbare Gerüst der Erzählung, von dem alles Weitere abhängt, sehe ich keinen Grund, sie der nichtpriesterschriftlichen Grunderzählung vom Exodus unter der Führung des Mose bis zu seinem Tod abzusprechen, die im Laufe der Zeit massiv ergänzt wurde und an der sich sowohl die historischen Rahmenstücke des Deuteronomium (D und Dtr) als auch die Priesterschrift (P) orientiert haben. 89 Letzteres
scheint Germany, Narrative, 318 anzunehmen, der in seiner Textwiedergabe den Titel ebenso wie die Überschüsse des MT gegenüber der Septuaginta einklammert. 90 Vgl. Wellhausen, Composition, 116 (Reste von JE); Smend, Erzählung, 232.270 (Num 25,1a J1, V. 1b J2; Dtn 34,5f J2); Eissfeldt, Hexateuch-Synopse, 64.67.190*.201*.279–280* (Num 25,1a.4a L, V. 1b.2.3b.4 J; Dtn 34,1*.2–6 J); C. Steuernagel, Das Deuteronomium (Göttinger Handkommentar zum AT I/3), Göttingen 21923, 182 (Dtn 34: P und E oder D2a); Noth, Überlieferungsgeschichte, 35 zu Num 25,1a (Zusatz zu J), ebd., 16.19.176.186–191 zu Dtn 34 (Dtr und P, V. 6 alte Mosetradition); Ders., Studien, 212–213. Ebd., 213, Anm. 1 erklärt Noth: „Nur unter dem Zwang der Vorstellung, daß die alten Quellen in Dtn 34 vertreten sein müssen, kann man die rein deuteronomistische Herkunft von V. 4–6 bezweifeln“. Zum Beweis führt er für V. 5 lediglich den „Knecht Jhwhs“ mit Verweis auf Jos 1,1 und die Ortsangabe in V. 6 mit Verweis auf Dtn 3,29; 4,46 an.
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Wie Num 25,1a in V. 1b.2 ff. sekundär fortgeschrieben wurde, so wurde auch die Notiz vom Tode des Mose in Dtn 34,5–6 glossiert und im Kontext von Dtn 34 fortgeschrieben. In Dtn 34,5 ist der „Knecht Jhwhs“ ebenso sekundär wie in Jos 1,2, wo er in der Septuaginta noch fehlt und darum gerade nicht als Beweis für die deuteronomistische Herkunft von Dtn 34,5 dienen kann; auch die Ortsangabe „im Lande Moab nach dem Befehl des Herrn“, die nach dem „dort“ am Anfang von V. 5 überflüssig ist und auf die verschiedenen Ankündigungen des Todes Mose in Num und Dtn zurückverweist, ist sekundär. Ob V. 6 ursprünglich dazugehörte, ist unsicher, in V. 6a ist jedenfalls die Angabe „im Lande Moab“ mit der Septuaginta zu streichen, V. 6b könnte im Blick auf den mythischen Charakter der Figur des Mose ursprünglich oder nachgetragen sein: Niemand weiß so recht, woher er gekommen ist (Ex 2,1–2), und niemand weiß, wo er geblieben ist (Dtn 34,6b). Doch wo starb Mose, sprich: worauf bezieht sich das „dort“ in Dtn 34,5? Im vorliegenden Text bezieht es sich auf die Ortsangaben in Dtn 34,1, wobei der Bezug durch die sekundäre Gebietsbeschreibung in V. 1bβ–4 überlagert ist.91 Dtn 34,1 ist mit dem Berg Pisga seinerseits ein Rückverweis auf Dtn 3,27 und setzt folglich die Einschaltung des Deuteronomiums in die Grunderzählung voraus. Sieht man davon und von den Nachträgen in Num 25–36 ab, stößt man als nächstes auf Schittim in der Intinerarnotiz in Num 25,1a.92 Diese verbindet sich mit der Bemerkung „und dort starb Mose“ in Dtn 34,5 zu einer Einheit, die in ihrer Struktur und Formulierung exakt der Itinerarnotiz vom Halt in Kadesch und dem Tod der Mirjam in Num 20,1 entspricht: „Und sie lagerten in Schittim, und dort starb Mose, und sie begruben ihn im Tal gegenüber Bet Peor.“ Mose starb demnach ursprünglich in Schittim, demselben Ort, an dem Josua von Jhwh zum Nachfolger des Mose bestellt wird (Jos 1,1–2) und von dem aus das ganze Volk in Richtung Jordan losmarschiert und den Jordan in Richtung Jericho überquert (Jos 3,1.14a.16). Als Ergebnis unserer Untersuchung von Jos 1–3 können wir somit festhalten, dass der Ortsname „Schittim“ nicht nur eine zufällige topographische Übereinstimmung93 und auch nicht einen – wie auch immer motivierten – intertextuellen Bezug innerhalb verschiedener, separater Überlieferungen ohne jegliche kompositorische Funktion darstellt.94 Vielmehr konstituiert die Orstbezeich91 Vgl. Noth, Studien, 213, Anm. 1. Beachtung verdienen hier die kürzere Lesart des Samaritanus sowie das Verhältnis zu Jos 1,3–4. 92 Anders Germany, Narrative, 448, der Num 25,1–5 mit Jos 2 insgesamt als nachpriesterlich einstuft (dazu ebd., 320) und Dtn 34,5 an Num 22,1b (dazu ebd., 285) anschließen möchte; vgl. jedoch auch ebd., 455. 93 So H. Seebass, Numeri, Bd. 3: Num. 2–36,13 (BK IV/3), Neukirchen-Vluyn 2007, 137, der die narrative und literarische Verbindung mit Jos 2,1; 3,1 bestreitet, um anschließend einzuräumen: „Eine Beziehung zum Buch Josua wird man besser nicht ausschließen, die ohnehin ab Num 26 häufiger begegnet.“ 94 So die These von Blum und Krause.
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nung eine narrative und literarische Verbindung zwischen Numeri 25,1a und Jos 3,1 (auf einer späteren Stufe Jos 2,1) im Rahmen der biblischen Exodus-Landnahme-Erzählung, die sowohl intratextuell, d. h. im selben literarischen Kontext oder „Werkzusammenhang“, als auch intertextuell in den später separat überlieferten „Büchern“ bzw. Rollen dieselbe Funktion innehat, die letzte Station der Wüstenwanderung wie den Aufbruchsort der Jordanüberquerung und anschließenden Einnahme Jerichos zu bezeichnen. Das Ergebnis weicht insofern erheblich von der Hypothese von Blum und Krause ab. Es führt uns an die Anfänge und das älteste erreichbare Stratum der Exodus-Landnahme-Erzählung in Ex–Jos, die die Matrize für alle weiteren (in sich keineswegs einheitlichen) vordeuteronomistischen, deuteronomisch-deuteronomistischen, priesterschriftlichen und nachpriesterschriftlichen Bearbeitungen im Pentateuch und den Vorderen Propheten bildete. Die von Blum und Krause vorgeschlagene Lektüre von Jos 1 und der Komposition Jos 1–6 im ganzen ist eine mögliche Variante, den vorliegenden (im weitesten Sinne deuteronomistischen, teils vor-, teils nachpriesterschriftlichen) Text zu verstehen, basiert jedoch – literarhistorisch und konzeptionell betrachtet – auf späten Bearbeitungen, die sehr viel über die Theologiegeschichte der biblischen Traditionsbildung, aber nichts über die Genese der Komposition aussagen, sondern diese bereits voraussetzen.
Was There an Early Northern (Israelite) Conquest Tradition?* Israel Finkelstein
I. Introduction In two recent articles, I dealt with biblical texts that seem to portray the territorial ideology of the Northern Kingdom. In the first,1 based on the geographical setting behind the saviors tales and minor judges notes in the Book of Judges, I delineated the territory considered in the North as the ancient core of Israel and the Israelites. It included the central highlands north of Jerusalem, the Gilead north and south of the Jabbok River, the Jezreel-Beth-shean Valley and the hills overlooking the valley from the north. This territory corresponds to the area ruled by the Northern Kingdom in its early days, before the expansion of the Omrides. Other early North Israelite traditions are also restricted to this territory. In the second article,2 I noted that this core-territory of Israel does not have a conquest tradition in the Book of Joshua. I proposed that the conquest narrative in Joshua “completes” or “expands” the territory of Israel from its core-area to the highlands of Benjamin, the Judean highlands and Shephelah and the Galilee. Against this background, and taking into consideration that Joshua – the hero of the conquest narrative – is described as an Ephraimite (Josh 19:50; 24:30), I suggested that the conquest story, including the part on the Judean highlands and Shephelah, originated in the Northern Kingdom. I proposed that the conquest narrative represents the maximal land ruled, or dominated by Israel in its peak periods of territorial expansion, and that it advances a Northern United Monarchy ideology, that is, rule of Israel over the entire area of Israel and Judah combined. I asserted that this ideology represents the time of Jeroboam II in the first * Erhard Blum, the honoree of this Festschrift, dealt with the subject of this article in several works. Notably, Blum observed the connection of the Joshua conquest tradition to the North: E. Blum, Überlegungen zur Kompositionsgeschichte des Josuabuches, in: E. Noort (ed.), The Book of Joshua (BEThL 250), Leuven 2012, 155–156. It is with great pleasure, that I present this paper to Erhard – a great scholar and a friend. 1 I. Finkelstein, Major Saviors, Minor Judges: The Historical Background of the Northern Accounts in the Book of Judges, JSOT 41 (2016) 431–449. 2 I. Finkelstein, A Corpus of North Israelite Texts in the Days of Jeroboam II?, HeBAI 6 (2017) 262–289.
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half of the 8th century and that the tales could have been committed to writing in his time. The conquest narrative was appropriated by a Deuteronomistic author and put to the service of the territorial ideology of Judah in the days of Josiah, after Assyria’s pullout from the region.3 In this period, when Israel was no more, the Judahite author turned around the idea of a United Monarchy – from the rule of Israel from Samaria to the rule of the Davidic kings from Jerusalem. Yet, a thorough inspection of the geography of the stories reveals that the conquest narrative in the Book of Joshua does not cover the maximal territory of Israel and Judah combined – neither east nor west of the Jordan River. As is wellknown, missing from the former are: a) the mishor, that is, northern Moab down to the northern branch of the Arnon River, which, according to the Mesha Stele was captured by the Omrides in the first half of the 9th century BCE; b) areas north of the Yarmuk River, which were probably conquered by Israel in the days of Jeroboam II (Amos 6:13). For Cisjordan, the Beer-sheba Valley in the south of Judah is missing. Parallel to my own work, Nadav Na᾽aman suggested that conquest traditions in the Bible originated from the Northern Kingdom.4 Na᾽aman listed as such the Bethel and Bezek tales in Judg 1;5 a possible reference to the conquest of Shechem in Jacob’s blessing of Joseph in Gen 48:22 (which may be connected to the Bezek episode in Judg 1); the battle of the Waters of Merom in Josh 11; and the tradition on the expansion of the House of Joseph in the central highlands in Josh 17. Na᾽aman therefore reconstructed Northern conquest or expansion traditions that cover the central highlands from Bethel to Shechem/Bezek and the Galilee. There are remnants of three additional conquest traditions in the Bible:6 1) The victory over “the Canaanite, the king of Arad, who dwelt in the Negeb” (Num 21:1–3; also Num 14:45; Deut 1:44; Judg 1:17); the story relates to the southern territory of Judah.7 3 I. Finkelstein/N. A. Silberman, The Bible Unearthed: Archaeology’s New Vision of Ancient Israel and the Origin of Its Sacred Texts, New York 2001, 94–96. 4 N. Na᾽aman, Rediscovering a Lost North Israelite Conquest Story, in: O. Lip schits/Y. Gadot/M. J. Adams (eds.), Rethinking Israel: Studies in the History and Archaeology of Ancient Israel in Honor of Israel Finkelstein, Winona Lake 2017, 287–302. 5 This chapter was composed in post-exilic times (references in Na᾽aman, Rediscovering, 291; for its composition see also M. Rake, “Juda wird aufsteigen!”: Untersuchungen zum ersten Kapitel des Richterbuches [BZAW 367], Berlin/New York 2006; G. Wong, Compositional Strategy of the Book of Judges: An Inductive Rhetorical Study [VT.S 111], Leiden/Boston 2006; W. Gross, Richter [HThKAT], Freiburg i. Br. 2009, 102–154; E. A. Knauf, Richter [ZBK.AT], Zürich 2016), but parts of it may certainly include early traditions. Other conquest references in Judg 1 speak about places mentioned in the Josh 10 story and could have borrowed from it – here one depends on the dating of the Judg 1 texts. For the story of the Gibeonites, see below. 6 I exclude tales dealing with places/territory mentioned in Josh 10 (n. 5 above); Judg 1:18 is evidently late in date. 7 For the reference to Hormah and its location and for Arad possibly being a late insertion, see, N. Na᾽aman, The Inheritance of the Sons of Simeon, ZDPV 96 (1980) 136–152; B. A. Le-
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2–3) The traditions regarding the conquest of the lands of Sihon king of Heshbon and Og king of Ashtaroth,8 both in Transjordan (Num 21:21–26, 33–35; also Deut 1:4; 3: 8–16; Josh 9:10; 12:1–5; 13:7–16, 30–31). It is probably not a coincidence that the Sihon and Og traditions refer to territories which at a certain period in history were taken over by the Northern Kingdom (more below).9 It seems that the original old stories, especially the two regarding Transjordan, can be found in Num 21,10 a chapter which preserves old North Israelite traditions.11 It is possible that behind them stands an even older, now missing text; this is alluded to by the statement (Deut 1:4 and Josh 12:4; 13:12, 31), that the seat of Og was at Ashtaroth, not mentioned in Numbers. Ashtaroth was an important Late Bronze city-state,12 probably the most significant in the Bashan, which could have survived until the late Iron I, if not slightly later.13 All this calls for a fresh look at the conquest traditions, including those that do not appear in the Book of Joshua. The question is, did the varied conquest tales originally belong to one narrative (which could have been composed of different stories), from which later authors borrowed and inserted stories in different locations in the Bible, or did they represent local (written or oral) traditions that have never been combined into one saga. Several observations seem to support the former possibility and hint that the original narrative, possibly a written text, originated from the Northern Kingdom. I have no intention of discussing the linguistic and redaction details of each and every conquest story; as read today all or most of these tales belong to the Deuteronomistic (and later) literature. Rather, my aim is to understand: a) the vine, Numbers 21–36: A New Translation with Introduction and Commentary (AB 4A), New Haven 2000, 84. 8 It does not concern me here if the names Sihon and Og are genuine or legendary (e. g., E. A. Knauf, Hesbon, Sihons Stadt, ZDPV 106 [1990] 135–144). 9 Which makes it difficult to accept the possibility that the Og story in Num 21:31–33 is a copy of the Sihon tradition in the same chapter (R. Rendtorff, Sihon, Og und das israelitische “Credo”, in: M. Weippert/S. Timm [eds.], Meilenstein: Festgabe für Herbert Donner zum 16. Februar 1995 [ÄAT 30], Wiesbaden 1995, 198–203, here 202). 10 M. Noth, Numbers: A Commentary (OTL 7), London 1968, 166, saw Deut 3 as the original. 11 I. Finkelstein/T. Römer, Early North Israelite “Memories” on Moab, in: J. C. Gertz/B. M. Levinson/D. Rom-Shiloni/K. Schmid (eds.), The Formation of the Pentateuch: Bridging the Academic Cultures of Europe, Israel, and North America (FAT 111), Tübingen 2016, 711–727, with references to previous literature; for this chapter see recently C. Frevel, Understanding the Pentateuch by Structuring the Desert: Numbers 21 as Compositional Joint, in: J. van Ruiten/C. de Vos (eds.), The Land of Israel in Bible, History and Theology: Studies in Honor of Ed Noort (VT.S 124), Leiden 2009, 111–136, and bibliography. 12 Y. Goren/I. Finkelstein/N. Na᾽aman, Inscribed in Clay: Provenance Study of the Amarna Tablets and other Ancient Near Eastern Texts (MSIA 23), Tel Aviv 2004, 218. 13 For the latest surviving “Canaanite” city-states see I. Finkelstein, What the Biblical Authors Knew about Canaan before and in the Early Days of the Hebrew Kingdoms, UF 48 (2017), 173–198.
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geographic logic of the stories – the map that they create; b) the historical background behind their authors.
II. Two Conquest Genres The conquest traditions in the Bible can be divided into two genres: a conquest of a single city and a battle which ended with conquest of a territory.14 The former includes the tales of Jericho and Ai in Joshua, Bethel in Judg 1, and if one accepts Na᾽aman’s proposal,15 Shechem in Gen 48:22 (which may be related to the tale of Bezek in Judg 1). The latter – a battle which decides the faith of a region – includes: – The victory over the kings of the southern highlands and the Shephelah in Josh 10 (the reference to Gibeon as the place where the battle was fought seems to be a later addition and in this case the original location of the battle is lost – more below); – The battle of the Waters of Merom and consequent takeover of the north in Josh 11; – The battle of Jahaz and takeover of the land of Sihon, whose seat was at Heshbon; – The battle of Edrei (Num 21: 33) and resulting conquest of the land of Og, whose seat was probably at Ashtaroth;16 – The story of the battle of Hormah, which also speaks about “their cities” – in plural. Of the two genres, the conquest of single city tales all relate to the territory of core-Israel in the central highlands of Cisjordan. The battle stories “extend” the territory delineated in the Northern tales in the Book of Judges as core-Israel to the actual borders of Israel in its peak territorial expansion, including domination over the kingdom of Judah. Let me start with the latter. 1. Battles Followed by Conquest of Territories In the battle of the Waters of Merom, the adversaries are the kings of Hazor in the upper Jordan Valley, a city which traditionally dominated the mountainous 14 In the Book of Joshua, the two genres correspond to the division of the conquest narrative into two, separated by the Mount Ebal altar story in 8:30–35 (A. Wénin, Josué 1–12 comme récit, in: Noort, The Book of Joshua, 109–135). 15 Na᾽aman, Rediscovering. 16 The original Transjordan traditions regarding the conquest of the lands of Sihon and Og refer to areas located far from each other – in northern Moab and north of the Yarmuk. The idea that the entire territory of Transjordan was divided between these kings is a later interpretation (e. g., J. R. Bartlett, Sihon and Og, Kings of the Amorites, VT 20 [1970] 257–277).
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Galilee;17 Madon = Merom, probably to be located in the mountainous Upper Galilee;18 Achshaph in the Acco coastal plain, probably to be identified with Tell Keisan; and Shimron in the northwestern Jezreel Valley, which must have dominated the western Lower Galilee.19 After the battle, the Israelites chase the defeated Canaanites “as far as Great Sidon and Misrephoth-maim, and eastward as far as the valley of Mizpeh” (v. 8), which is “under Hermon” (v. 3). The valley of Mizpeh is probably to be identified with Marj Ayyun.20 The story deals therefore with the territory of the mountainous Galilee, upper Jordan Valley, the Acco Plain, and if Dor is included (v. 2), the coast of the Carmel.21 Most of this territory became part of the Northern Kingdom during the rule of the Omride Dynasty;22 but the northern tip of the Jordan Valley near Dan, and possibly areas further to the north, were taken over in the time of Jeroboam II.23 Whether the story commemorates a genuine battle during the days of either the Omrides or Jeroboam II is impossible to say. The battle of Edrei (Der῾a) is fought against the king of the southern Bashan, whose seat is probably at Ashtaroth.24 The meaning is the conquest of an area north of the Yarmuk River “to the boundary of the Geshurites and the Maacathites” (Deut 3:14, Josh 12:5) in the north, and “to Salecah” (Josh 13:11) in the east; note that these boundaries do not appear in Num 21 – seemingly the original tale. Amos 6:13 hints at the conquest of Lo-debar (= Lidbir) and Karnaim south and north of the Yarmuk River respectively, probably in the time of Jeroboam II.25 Lidbir, possibly to be identified with the mound of el-Husn south of Irbid,26 17 For the Late Bronze Age see I. Finkelstein, The Territorio-Political System of Canaan in the Late Bronze Age, UF 28 (1996) 221–255. 18 El-Khirbeh near Marun er-Ras – Y. Aharoni, The Land of the Bible: A Historical Geography, Philadelphia 1979, 225–226; for another identification, with Tel Qarnei Hittin = the mound of the Horns of Hattin in the eastern Lower Galilee, see N. Na᾽aman, Borders and Districts in Biblical Historiography (JBS 4), Jerusalem 1986, 119–143; for the site see Z. Gal, Lower Galilee during the Iron Age (ASORDS 8), Winona Lake 1992, 44–47. 19 For the Late Bronze Age see Finkelstein, Territorio-Political. 20 Aharoni, Land, 239; Na᾽aman, Rediscovering, rightly noted that the detailed geography expressed in the story is not typical of a Deuteronomistic author in Jerusalem; this is one of his reasons for associating this tradition with the North. 21 Regardless of the meaning of the enigmatic word naphot. 22 I. Finkelstein, Stages in the Territorial Expansion of the Northern Kingdom, VT 61 (2011) 227–242. 23 See the chronistic 2 Kings 14:28; for Dan, see E. Arie, Reconstructing the Iron Age II Strata at Tel Dan: Archaeological and Historical Implications, Tel Aviv 35 (2008) 6–64; see also Finkelstein, Stages. 24 The large mound of Tell Ashtara 22 km to the northwest of Derʽa – see E. Lipiński, The Aramaeans: Their Ancient History, Culture, Religion (OLA 100), Leuven 2000, 365; S. Hafthorsson, A Passing Power: An Examination of the Sources for the History of Aram-Damascus in the Second Half of the Ninth Century B. C. (CB.OT 54), Stockholm 2006, 196–199. 25 For the expansion of Jeroboam II see, e. g., Lipiński, Aramaeans, 401–402. 26 I. Finkelstein/I. Koch/O. Lipschits, The Biblical Gilead: Observations on Identifications, Geographic Divisions and Territorial History, UF 43 (2012) 131–159.
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stands for the Irbid-Ramoth Plateau. Karnaim, identified with Sheikh Sa῾ad near Tell Ashtara,27 refers to the southern Bashan near the Yarmuk River. The battle of Jahaz (Num 21:23) led to the conquest of Heshbon and the rest of the mishor, that is, the northern part of Moab. Jahaz is identified with Khirbet Mudeineh eth-Themed in the valley of the northern tributary of the Arnon.28 The Mesha Stele reports the domination of the Omrides in this territory: Jahaz and Ataroth (Khirbet ῾Atarus to the northwest of Dhiban) were established by Israel as forts along its southern front in Transjordan.29 Josh 10 speaks about a battle that took place at Gibeon (v. 10) and a chase of the defeated Canaanites via Beth-horon “as far as Azekah and Makkedah” in the Shephelah (v. 10). As a result, the entire southern highlands (Jerusalem, Hebron and Debir) and Shephelah (Jarmuth, Lachish, Eglon, Makkedah, Libnah and Gezer) were conquered – meaning (at least until 720 BCE and in fact even later, until Assyria’s pullout from the region about a century later) the entire settled territory of the kingdom of Judah, except for the Beer-sheba Valley. As far as I can judge, the episode of the Gibeonites in Josh 9 does not belong to the conquest narrative.30 It seems to be a Deuteronomistic legitimacy for incorporating deportees from the east (who were settled by Assyria north of Jerusalem after 720 BCE) into Judah when the kingdom expanded as far to the north as Bethel in the days of Josiah, after the Assyrian withdrawal from the region.31 Hence the location of the battle at Gibeon – and the tale of the ascent of Beth-horon – are probably also late, connected with the Gibeonite episode.32 In this case, the location of the battle in the original story is unknown. Noteworthy in this connection is Joash of Israel’s defeat of Amaziah of Judah in the battle of Beth-shemesh in the early 8th century. This event paved the way for Israel to dominate Jerusalem in particular and Judah in general (see the chronistic verses in 2 Kgs 14:11–13), a situation that must have lasted until the decline of Israel following the death of Jeroboam II.33 27
For the site: Lipiński, Aramaeans, 356–366; Hafthorsson, Passing, 199–200. J. A. Dearman, The Location of Jahaz, ZDPV 100 (1984) 122–126, accepted by many, see e. g., E. Lipiński, On the Skirts of Canaan in the Iron Age: Historical and Topographical Research (OLA 153), Leuven 2006, 328–329. 29 For the archaeology of the sites, P. M. M. Daviau, Hirbet el-Mudēyine in Its Landscape, Iron Age Towns, Forts and Shrines, ZDPV 122 (2006) 14–30; C.‑H. Ji, The Early Iron Age II Temple at Hirbet Atarus and Its Architecture and Selected Cultic Objects, in: J. Kamlah (ed.), Temple Building and Temple Cult: Architecture and Cultic Paraphernalia of Temples in the Levant (2.–1. Mill. B. C. E.) (ADPV 41), Wiesbaden 2012, 204–222; for elements of Omride architecture, I. Finkelstein/O. Lipschits, Omride Architecture in Moab: Jahaz and Ataroth, ZDPV 126 (2010) 29–42. 30 For the story being different from the tales of Jericho and Ai and for Joshua’s secondary role in it, see A. Soggin, Joshua: A Commentary (OTL), London 1972, 109, 111 respectively; for the Deuteronomistic nature of this chapter see R. D. Nelson, Joshua: A Commentary (OTL), Louisville 1997, 124; H. N. Rösel, Joshua (HCOT), Leuven 2011, 143. 31 Finkelstein/Silberman, Bible, 93. 32 Nelson, Joshua, 142, argues that vv. 12b–13a are not part of the original context. 33 I find it difficult to identify the background of the Gibeon battle tale in the Sennacherib 28
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The story of the battle of Hormah adds the Beer-sheba Valley in the south of Judah to the map of the conquest of Canaan. Judging from the finds of Kuntillet Ajrud in northwestern Sinai, one can assume that in the days of Jeroboam II the Beer-sheba Valley was dominated by Israel.34 Na᾽aman proposed that Beer-sheba could have been the location of the temple of Yhwh of Teman,35 a term mentioned in the Kuntillet Ajrud inscriptions. Plotting the five battles reported in the Books of Joshua and Numbers on a map together with the core-territory of Israel as portrayed in the Book of Judges, one gets a map of the maximal territory of the Northern Kingdom in its peak prosperity periods – under the Omrides and Joash and Jeroboam II combined (or better said – accumulated), from Dan (in fact north of Dan) to Beer-sheba in Cisjordan, and from Karnaim north of the Yarmuk River to the Arnon in Transjordan (the reference “to Mount Hermon” in Deut 3:8, Josh 12:1 is a Deuteronomistic addition).36 2. Conquest of Single Cities As I have already mentioned, the traditions regarding conquest of single cities – Jericho and Ai in Joshua, Bethel in Judg 1 (and possibly Shechem in Gen 48 and Judg 137) – deal only with the central highlands, that is, the core-territory of the Israelites. The question is, whether they too (in an early form) originated from the North, or if they are Deuteronomistic, Judahite additions (some may date even later). According to the former possibility, there were different conquest genres in the North: conquest of cities for the core-Israelite areas and battles and conquest of large regions for the “new” Israelite territories. But other core-areas of Israel – the Gilead and the Jezreel-Beth-shean Valley – remain without conquest traditions. It seems better to assume, then, that the core-territory of Israel had no conquest traditions (or, there were such traditions, but when the assumed campaign (N. Na᾽aman, The “Conquest of Canaan” in the Book of Joshua and in History, in: I. Finkelstein/N. Na᾽aman [eds.], From Nomadism to Monarchy: Archaeological and Historical Aspects of Early Israel, Jerusalem 1994, 218–281, here 255–256), first and foremost because the Assyrians did not engage the highlands of Judah. 34 Archaeologically, note L. Singer-Avitz, The Date of Kuntillet ῾Ajrud, Tel Aviv 33 (2006) 196–228; J. Gunneweg/I. Perlman/Z. Meshel, The Origin of the Pottery of Kuntillet ῾Ajrud, IEJ 35 (1985) 270–283; Y. Goren, Petrographic Analyses of Horvat Teiman (Kuntillet ῾Ajrud) Pottery, Tel Aviv 22 (1995) 206–207. 35 N. Na᾽aman, In Search of the Temples of YHWH of Samaria and YHWH of Teman, Journal of Ancient Near Eastern Religions 17 (2017) 76–95. 36 Also noteworthy are the areas not represented in the conquest traditions – the coastland of Philistia and Phoenicia. Indeed, to differ from the coast of the Carmel and Sharon, the citystates located there were never ruled by Israel (the story of the Land of Cabul in 1 Kgs 9:13 seems to “explain” this situation). A later author was aware of this situation and presented these areas as “the land that yet remains” (to be taken – Josh 13:1–6). 37 The latter as per Na᾽aman, Rediscovering.
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Northern text was composed, this area was intentionally left without such tales). If so, the Deuteronomistic author/s noticed this lacuna and “added” conquest traditions for Jericho (to fit the entrance to western Canaan), Ai and possibly Bethel (the latter two traditions could have dealt with the same location). These places correspond to the territory actually ruled by Josiah after the pullout of Assyria.38 If one adheres to this scenario, it is not surprising that in Judg 1 the tribes of Judah and Simeon, not Joseph, are the ones which fought the battle of Bezek and that the story connects Adoni-bezek with Jerusalem.39 Also, it is not surprising that the Gilead is left with no city-conquest tradition, as Transjordan is not part of the Deuteronomistic conquest narrative in the Book of Joshua. This solution – that the single city tales were added by a Deuteronomistic author – seems to be supported by the Deuteronomistic summary list in Josh 12. Much of the list summarizes the places in Cisjordan mentioned in the conquest narrative in Joshua and Numbers: Jericho and Ai; the cities of the Judean highlands (“Geder”, probably Gedor in the highlands [Josh 15:58] north of Bethzur, is added) and the Shephelah; the cities referred to in the Galilee story in Josh 11 (Kedesh is added – it is difficult to know which of the places carrying this name); and Hormah and Arad.40 But several places mentioned in the list do not appear in the Joshua narrative. These are Tapuah, Hepher and Aphek (vv. 17– 18), Ta῾anach, Megiddo and Jokneam (vv. 21–22) and Tirzah (v. 24). Except for Aphek, they are all located in the core area of Israel west of the Jordan River – in the central highlands and Jezreel Valley. It seems that they too were added by a Deuteronomistic author, who observed the lacuna in the conquest traditions.41 Bezek (or Shechem) does not appear in the list, which may hint that the tradition is post-Deuteronomistic.
38 See, T. Römer, The Rise and Fall of Josiah, in: Lipschits/Gadot/Adams (eds.), Rethinking Israel, 329–339, here 331. 39 Note that 1 Sam 11:8 describes military activity of Saul at Bezek. Two battle stories connected to a place of secondary importance can hardly be a coincidence. It is beyond the scope of this article to explain this. 40 The latter possibly a Deuteronomistic addition to the original story – Na᾽aman, Inheritance. 41 V. Fritz, Die sogenannte Liste der besiegten Könige in Josua 12, ZDPV 85 (1969) 136– 161; Rösel, Joshua, 196. And this supports my reconstruction suggested here, compared to that of J. Briend, The Sources of the Deuteronomistic History: Research on Joshua 1–12, in: A. de Pury/T. Römer/J.‑D. Maachi (eds.), Israel Constructs Its History: Deuteronomistic Historiography in Recent Research, Sheffield 2000, 360–386, who argued that the Jericho, Ai and Gibeonite traditions are those which represent the original pre-Deuteronomistic layer of the conquest narrative.
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III. Discussion The Northern conquest tradition seems to be of an “accumulative” nature, depicting the maximal borders of the North, partly achieved during the rule of the Omrides and partly during the time of Jeroboam II.42 Since the mishor was lost to Mesha after the defeat of Israel at the hands of Hazael and never recovered, there had never been a moment when both the territory of northern Moab and the area north of the Yarmuk River were ruled by Israel. Therefore, had there been a Northern conquest text, it was a territorio-ideological manifesto rather than a reflection of the situation at a given moment. The longing for the mishor in northern Moab may have stemmed from the Moses tradition in the North, including memories of a temple of Yhwh at Nebo, which is attested to in the Mesha Inscription.43 Still, as suggested above some of the traditions in this assumed Northern conquest text, especially the battle tales, seem to relate to actual events in the history of the Northern Kingdom. This Northern conquest of Canaan could have been depicted as being led by a single Northern leader, the Ephraimite Joshua.44 Alternatively, it could have been composed of local traditions (some, at least in their present form, of etiological nature), which were assembled in order to create one narrative.45 In the latter sense, the original could have been similar to Richter’s Book of Saviors in Judges.46 Had there been a Northern conquest text, its composition would have taken place during the reign of Jeroboam II. His is the time when Israel reached its maximal territory and economic prosperity. The expansion in the north and domination over Judah in the south could have made territorial legitimacy ne cessary. Moreover, at that time the kingdom had already possessed the infrastructure necessary for composing complex texts, as manifested by the Deir Alla 42 For the idea that the conquest tradition in Joshua conceals a pre-Deuteronomistic text see e. g., Nelson, Joshua, 7; Briend, Sources. 43 The importance of YHWH in the north at that time is clear from the Kuntillet Ajrud inscriptions – S. Ahituv/E. Eshel/Z. Meshel, The Inscriptions, in: Z. Meshel (ed.), Kuntillet ῾Ajrud (Horvat Teman): An Iron Age II Religious Site on the Judah-Sinai Border, Jerusalem 2012, 73–142, here 127–133; Na᾽aman, Search; see also M. Köckert, YHWH in the Northern and Southern Kingdom, in: R. G. Kratz/H. Spieckermann (eds.), One God – One Cult – One Nation: Archaeological and Biblical Perspectives (BZAW 405), Berlin/New York 2010, 357– 394; T. Römer, The Invention of God, Cambridge, MA 2015, 104–123. 44 Nelson, Joshua, 21, saw him as a later-introduced, unifying figure, perhaps related to Josianic ideology – Idem, Josiah in the Book of Joshua, JBL 100 (1981) 531–540. 45 See, e. g., Z. I. Farber, Timnat Heres and the Origins of the Joshua Tradition, in: Noort, The Book of Joshua, 301–311, who understands Joshua as a hero of Mount Heres; A. Alt, Kleine Schriften zur Geschichte des Volkes Israel I, Munich 1953, 192, saw Joshua as the hero of the Gibeon-Beth-horon conflict. 46 For these see W. Richter, Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zum Richterbuch (BBB 18), Bonn 1966; P. Guillaume, Waiting for Josiah (JSOT.S 385), London 2004.
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and Kuntillet Ajrud literary inscriptions.47 Both date to the first half of the 8th century.48 A Northern conquest text could have been a component in a northern corpus of origin, royal and heroic traditions.49 Had there been such a text, it should be considered together with the description of “Solomon’s” districts in 1 Kgs 4. The latter fits the administration of Israel in the days of Jeroboam II,50 including domination of Judah (vv. 19–20).51 Both seem to represent a United Monarchy territorial ideology in Israel. I refer to a royal concept according to which Israel and Judah combined, from Dan to Beer-sheba, are ruled from Samaria by the king of Israel. If the core-territory of Israel in the central highlands, the Gilead and the Jezreel-Beth-shean Valley did not have a Northern (that is, pre-720 BCE) conquest tradition, one could ask if the Northern Kingdom perceived its core people – the “true Israelites” – as having been autochthonous to the land. Needless to say, the answer must be negative, because the Exodus tradition also comes from the North.52 This point emphasizes the nature of the Northern conquest tradition: rather than creating an origin story, it served to provide legitimacy for the rule over areas not included in core-Israel and taken by force starting in the period of the Omrides; they were inhabited by Phoenicians, Arameans, Moabites and Judahites. This is not surprising: to differ from the “new” territories in the Galilee and Transjordan, the core-land of Israel was perceived as being inhabited by homogeneous Israelites (whatever their true origin) long enough, and not threatened by neighbors, and therefore in no need of legitimacy. The assumed Northern corpus of origin, royal and heroic texts, including a Northern conquest narrative, could have been brought to Judah after the fall of Israel in 722/720 BCE.53 Needless to say, the original Northern conquest text did 47 For the former, S. Ahituv, Echoes from the Past: Hebrew and Cognate Inscriptions from the Biblical Period, Jerusalem 2008: 433–465, with bibliography on p. 465; for the latter, Ahituv/Eshel/Meshel, Inscriptions, 110–114; N. Na᾽aman, The Inscriptions of Kuntillet ῾Ajrud through the Lens of Historical Research, UF 43 (2012) 1–43. 48 For Kuntillet Ajrud, A. Lemaire, Date et origine des inscriptions hebraïques et pheniciennes de Kuntillet ῾Ajrud, Studi Epigrafici e Linguistici 1 (1984) 131–143; E. Ayalon, The Iron Age II Pottery Assemblage from Horvat Teiman (Kuntillet ῾Ajrud), Tel Aviv 22 (1995) 141–205; I. Finkelstein/E. Piasetzky, The Date of Kuntillet ῾Ajrud: The 14C Perspective, Tel Aviv 35 (2008) 175–185. 49 Finkelstein, Corpus. 50 I. Finkelstein/N. A. Silberman, David and Solomon: In Search of the Bible’s Sacred Kings and the Roots of Western Tradition, New York 2006, 161–162. 51 See N. Na᾽aman, Solomon’s District List (1 Kings 4:7–19) and the Assyrian Province System in Palestine, UF 33 (2001) 419–436, here 422–423, with discussion and reference to previous works. 52 E. g., Y. Hoffman, A North Israelite Typological Myth and a Judaean Historical Tradition: The Exodus in Hosea and Amos, VT 39 (1989) 169–182. 53 For Israelites in Judah see K. Van der Toorn, Family Religion in Babylonia, Syria and Israel: Continuity and Change in the Forms of Religious Life (SHANE 7), Leiden 1996, 339– 372; W. M. Schniedewind, How the Bible Became a Book: The Textualization of Ancient Is-
Was There an Early Northern (Israelite) Conquest Tradition?
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not survive. But in Judah, in the next decades, it served as a source for materials that were used by Deuteronomistic author/s to advance the territorial ideology of the Southern Kingdom in the days of King Josiah.54 We must take into consideration the possibility that certain components of the old Northern text were lost all together, or intentionally omitted from the later compositions for ideological reasons. A Deuteronomistic author used parts of the Northern conquest story in his Book of Joshua narrative (Chapters 6–11), which deals with Cisjordan only; in the summary, he made sure to emphasize that the focus is “… on the west side of the Jordan …” (Josh 12:7). Theoretically, this may be interpreted as hinting at a post-exilic date, when rule over Transjordan could no longer have been perceived as a viable goal. But other clues seem to point to the late 7th century BCE. The author – influenced by Assyrian conquest inscriptions55 – flipped the main message of the tale/s; it now became a territorial program for the idea of a Southern dominated all-Israel: the territories of Israel and Judah combined, from Dan to Beer-sheba, ruled by a Davidide from Jerusalem. And he portrayed the leader of the conquest, Joshua, in terms similar to those used for King Josiah.56 Since it was important for him to include the central highlands and Jezreel Valley too as targets of the “conquest to be”, he added a tale or two of conquests of cities in these areas, and especially registered towns located in these territories in his summary list.
rael, Cambridge 2004; I. Finkelstein/N. A. Silberman, Temple and Dynasty: Hezekiah, the Remaking of Judah and the Rise of the Pan-Israelite Ideology, JSOT 30 (2006) 259–285; W. Schütte, Israels Exil in Juda: Untersuchungen zur Entstehung der Schriftprophetie (OBO 279), Freiburg i. Ue. / Göttingen 2016. Different opinion in N. Na᾽aman, Dismissing the Myth of a Flood of Israelite Refugees in the Late Eighth Century BCE, ZAW 126 (2014) 1–14; E. A. Knauf, Was there a Refugee Crisis in the 8th/7th Centuries BCE?, in: Lipschits/Gadot/Adams (eds.), Rethinking Israel, 159–172; see the rejoinder to Na᾽aman, which is good for Knauf ’s article too, in I. Finkelstein, Migration of Israelites into Judah after 720 BCE: An Answer and an Update, ZAW 127 (2015) 188–206. 54 Whether post-Deuteronomistic authors borrowed directly from this supposed Northern text or from the Deuteronomistic writings is difficult to say. Considering the late date of Numbers (T. Römer, Israel’s Sojourn in the Wilderness and the Construction of the Book of Numbers, in: R. Rezetko [ed.], Reflection and Refraction: Studies in Biblical Historiography in Honour of A. Graeme Auld [VT.S 113], Leiden 2007, 419–445; R. Achenbach, Die Vollendung der Tora: Studien zur Redaktionsgeschichte des Numeribuches im Kontext von Hexateuch und Pentateuch [BZAR 3], Wiesbaden 2008), the latter possibility seems more viable. 55 J. Van Seters, Joshua’s Campaign of Canaan and Near Eastern Historiography, SJOT 4 (1990) 1–12; V. Fritz, Das Buch Josua (HAT 1, 7), Tübingen 1994, 17. For a longer-term Ancient Near Eastern conquest genres see K. L. Younger, Ancient Conquest Accounts: A Study in Ancient Near Eastern and Biblical History Writing (JSOT.S 8), Sheffield 1990. 56 Nelson, Josiah; see also Knauf, Josua, 17–18.
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Im Zuge der neu entflammten Diskussion um Hexateuch, Enneateuch und das einst so geschätzte Deuteronomistische Geschichtswerk steht das Josuabuch wieder voll im Rampenlicht. Zugleich zeigen die unterschiedlichen Vorschläge, dass die Forschung in diesem Bereich hinsichtlich der Literargeschichte noch weit von einem Konsens entfernt ist. In der jüngsten Bestandsaufnahme über die Buchnähte zwischen Josua und Richter1 mit einem wertvollen Beitrag des Jubilars2 konkludiert Frevel: „All three papers make considerable progress, but in very different respects. Although all three share various observations on textual problems, their arguments are almost incommensurable, and all lead to different conclusions.“3 Zugleich sieht Frevel die Notwendigkeit, zwischen den narrativen Aspekten und der Rekonstruktion des literarischen Wachstums zu differenzieren und konstatiert, dass der Konsens bei der ersten Fragestellung größer sei als bei der zweiten.4 Deswegen wende ich mich im Folgenden den narrativen Aspekten einer Erzählung aus dem Josuabuch zu, die (I) der populären Rezeption des Buches zuwider läuft, (III) nicht ohne die Fragestellung der Verortung auskommt, (IV und V) thematisch im Rahmen einer literarischen Disputation erstaunliche Ansichten bietet, und in den oben genannten literarhistorischen Großentwürfen keine Rolle spielt, weil sie als später Text (II) die diskutierten Hypothesen nicht tangiert. Es handelt sich um die Erzählung über die Errichtung eines Altars nach der Rückkehr der ostjordanischen Stämme Jos 22,9–34.5 1 C. Berner/H. Samuel (Hg.), Book-Seams in the Hexateuch I. The Literary Transitions between the Books of Genesis/Exodus and Joshua/Judges (FAT 120), Tübingen 2018. 2 E. Blum, Once Again: The Compositional Knot at the Transition between Joshua and Judges, in: Berner/Samuel (Hg.), Book-Seams, 221–240. 3 C. Frevel, On Untying Tangles and Tying Knots in Joshua 23 – Judges 2. A Response to Erhard Blum, Reinhard G. Kratz and Sarah Schulz, in: Berner/Samuel (Hg.), Book-Seams, 281–294. 4 Ebd., 293–294. 5 Der Artikel von P. Y. Yoo, Delegitimizing a Witness. Composition and Revision in Joshua 22, JHS 18, 1–20, wurde einige Tage nach der Abgabe des vorliegenden Beitrags publiziert und konnte nicht mehr berücksichtigt werden; dafür aber im IEKAT/IECOT Kommentar (in Bearbeitung).
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Einen gewissen Eigensinn kann man dieser merkwürdigen Erzählung über den drohenden Bürgerkrieg nach der Rückkehr der ostjordanischen Stämme wirklich nicht absprechen. Im Josuabuch spielen die ostjordanischen Stämme eine wichtige Rolle (Jos 1,12–18; 4,12; 22,1–6.7–8). Ihre Bereitschaft und ihre Teilnahme an der Eroberung des Westjordanlandes sowie die Begründung und die Bedingungen dafür werden ausführlich dargestellt. Schließlich darf auch ihre Rückkehr in ihr Stammesgebiet nicht fehlen.6 Dennoch weist nach der dtr Verabschiedung durch Josua in Jos 22,1–6.7–8 nichts auf den drohenden Konflikt hin. Bemerkenswert ist erstens Josuas Verschwinden von der narrativen Bühne, um im MT nicht mehr und in der LXX erst bei der Namensgebung des Altars (22,34) zurückzukehren. Seine Rolle als Anführer wird vom zelotischen Priester Pinhas übernommen, dessen vorheriges Auftreten (Num 25,1–5.6–10; 31,6) nichts Gutes für die Ostjordanier vermuten lässt, falls die Gerüchte und deren westjordanische Interpretation stimmen. Zweitens ist die Erzählung 22,9–34 über die Legitimität des Altars nur ein Anlass für die zentrale Frage, wer wo in Zukunft „einen Anteil an Jhwh“ (22,25.27) haben wird. Die Frage, um die es letztendlich geht, ist die Bejahung oder die mögliche Verneinung einer JhwhBeziehung in der Diaspora. Rösel ist darin zuzustimmen, dass „the significance of this story does not lay in the narrative plot itself, but in its ideas, conceptions and ideology.“7 Und diese werden mihilfe einer Palette weitgestreuter Texte formuliert: „The westerners invoke the book of Numbers, and the easterners reply by recalling Psalms and Genesis.“8 Drittens schwanken die Argumente für und gegen den Altarbau in merkwürdiger Weise: Der Anlass ist der Bau eines Altars, der das Monopol des Schilo-Altars streitig machen könnte (22,10). In der Argumentation spielt dann die Sorge vor einer göttlichen Kollektivstrafe wegen der Vergehen Einzelner eine Rolle (22,18.20). Außerdem steht die Möglichkeit der Unreinheit des Landes jenseits des Jordans im Raum (22,19). Die Ostjordanier dagegen haben mit der Altarerrichtung etwas unternommen, um in Zukunft beweisen zu können, dass sie zur Jhwh-Gemeinschaft gehören (22,26.27). Denn der Altar sei kein Opferaltar, sondern nur ein „Zeuge“ (22,27) für künftige Generationen diesseits und jenseits des Jordans. Wie sehr sich hier der Blick auf die Zukunft richtet, zeigt das Wechselspiel zwischen מחר, היוםund עד היום הזה, das die Anklage, die Verteidigung und das Ergebnis in diesem Streit prägt. Laut den Vorwürfen in 22,16.18 haben die Ostjordanier sich heute von Jhwh abgewendet und sich heute gegen ihn auf6 Mit Krause (J. J. Krause, Exodus und Eisodus. Komposition und Theologie von Josua 1–5 [VT.S 161], Leiden/Boston 2014, 126–133) dürfen 1,12–18 und das Gegenstück 22,1–6 zur dtr Hauptschicht gerechnet werden. Für die Diskussion um eine sekundäre Schichtung der „ostjordanischen“ Texte, ebd., 127, Anm. 271. 7 H. N. Rösel, Joshua (HCOT), Leuven/Paris/Walpole 2011, 347. 8 A. G. Auld, Re-telling the Disputed „Altar“ in Joshua 22, in: E. Noort (Hg.), The Book of Joshua (BETL 250), Leuven/Paris/Walpole 2012, 281–294, hier 286.
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gelehnt.9 Die Ostjordanier betonen das heute 22,22 in ihrer Eidesformel. Aber ab diesem Punkt der Erzählung geht es um die Zukunft („morgen werden eure Söhne …“ [22,24.27.28]). Wegen dieser Zukunft werden sich die Ostjordanier nicht heute von Jhwh abwenden. Daher kann Pinhas in 22,31 feststellen, „dass Jhwh heute in unserer Mitte ist“.
I Es wird oft übersehen, dass Jos 22,9–34 auch zur Diskussion über göttlich legitimierte Gewalt im Josuabuch beitragen kann. Die heutige Diskussion um die Rolle autoritativer Texte in Bezug auf Religion und Gewalt hat vor allem in der „public theology“ ihren Sitz und wurde durch die sogenannte „Monotheismus“Debatte kräftig angeheizt.10 Akademische Theologie ist sich der Problemstellung zwar bewusst,11 hat es aber kaum geschafft, mit exegetischen oder systematischen Studien zum großen Publikum durchzudringen.12 Die unter anderem von Gunneweg aufgeworfene Frage „Ist der Gott, der Josua und den Israeliten in blutigen Schlachten voranmarschiert, der die Feinde zu ‚bannen‘ befiehlt, der Gott Jesu Christi?“13 würde heute im christlichen Kontext wahrscheinlich zu einem hohen Prozentsatz in einem marcionitischen Sinne beantwortet werden oder in einer säkularisierten Gesellschaft auf Unverständnis stoßen. In Bezug auf Josua wird meistens darauf verwiesen, dass abgesehen von Fiktionalität, historischer Distanz etc. die Banngebote des Deuteronomiums in Josua nur teilweise ausgeführt werden, wofür immer wieder zwei Ausnahmen angeführt werden: zum einen Rahab und zum anderen die Gibeoniter.14 Ob der Autor von Jos 22,9–34 9 So auch in dem Rückverweis nach Peor (22,17) mit der Nicht-Reinigung bis zum heutigen Tag. Die Folge wird sein, dass der Zorn Jhwhs morgen die ganze Gemeinde Israels trifft (22,18) wie damals mit Achan (22,20). 10 J. Assmann, Moses the Egyptian. The Memory of Egypt in Western Monotheism, Cambridge, MA 1997; Ders., Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus, München 2003; P. B. Cliteur, The Secular Outlook. In Defence of Moral and Political Secularism, Chichester 2010; S. Janse, Is het de schuld van de ENE?. In gesprek met Paul Cliteur en anderen over monotheïsme en geweld, Soest 2016. 11 U. a. W. Dietrich/C. Link, Die dunklen Seiten Gottes I + II, Neukirchen-Vluyn 1995, 2000; F. Schweitzer (Hg.), Religion, Politik, und Gewalt, Gütersloh 2006; T. R. Elssner, Josua und seine Kriege in jüdischer und christlicher Rezeptionsgeschichte (Theologie und Frieden 37), Stuttgart 2008; E. Noort, Biblical Violence and the Task of the Exegete, in: K. Spronk (Hg.), The Present State of Old Testament Studies in the Low Countries (OTS 69), Leiden/Boston 2016, 180–191. 12 Im Gegensatz dazu wird im angelsächsischen Bereich im Rahmen der „public theology“ darüber eine intensive Debatte geführt, z. B. J. Sacks, Not in God’s Name. Confronting Religious Violence, New York 2015. 13 A. H. J. Gunneweg, Vom Verstehen des Alten Testaments. Eine Hermeneutik (GAT 5), Göttingen 21988, 186. 14 E. A. Knauf, Joshua (Book and Person), EBR 14, 2017, 757–762, hier 761: „One could well call Joshua a kind of ‚subversive exegesis‘ of some problematical passages of the Torah. In terms
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sich bewusst war, dass er eine „subversive“ Exegese betreibt, muss wohl offen bleiben. Immerhin ist die Tatsache beachtenswert, dass sich am Ende des kanonischen Buches ein später Text über die letzte Aktion Israels vor den Abschiedsreden Josuas einen Platz erobert hat. Die Erzählungen über den Zug durch den Jordan, den Fall Jerichos oder die Schlacht bei Gibeon mögen spektakulärer, die Geschichten von Rahab und von den trickreichen Gibeonitern besser erzählt sein, der Text 22,9–34 aber hat eine eigene Funktion als Abschluss der Eroberungsgeschichten und der Landverteilung. Der interne Konflikt, in dem es für beide Parteien um ihre religiöse Identität geht, wird durch eine Disputation und durch Verhandlungen, nicht aber durch den drohenden Bürgerkrieg gelöst.
II Dass Jos 22,9–34 zu den spätesten Texten des Josuabuches zu rechnen sei, ist seit dem 19. Jhdt. mehr oder weniger Forschungskonsens. Hatte Wellhausen noch 22,9–34 insgesamt P zugewiesen,15 zeigte Kuenen, dass die Erzählung tatsächlich nicht im Sinne der Quellenscheidung P zugeteilt werden kann, sondern einem von P abhängigen, späteren priesterlichen Bearbeiter des Hexateuchs zuzuschreiben sei.16 135 Jahre später hat sich an dieser Ansicht nur wenig geändert. Abgesehen von sprachlichen und thematischen Indizien bezeugen schon die Verweise auf die Baal-Peor-Szene (Num 25) und die Achan-Erzählung (Jos 7) die späte Entstehung. Stellvertretend für eine Vielzahl von Forschern – wobei deren Ansichten hinsichtlich eines mehr oder weniger feststehenden und abgetrennten Pentateuch schwanken – ordnet Albertz Jos 22,7–34 den priesterlichen Anpassungen des Josuabuches an den bereits kanonisierten Pentateuch in der ersten Hälfte des 4. Jhdt.s zu.17 Wie gelegentlich schon die Forschung vor ihm18 verortet Knauf19 die Erzählung im späten 5. Jhdt. unter Verweis auf die Elephantine-Korrespondenz. Darin wird die Wiedererrichtung des verwüsteten Tempels (410) dahingehend speziof its time and place in intellectual history, the book must be regarded as a serious attempt to ‚demilitarize‘, humanise and contain war.“ 15 J. Wellhausen, Die Composition des Hexateuch, JDTh 21 (1876) 601: „Von V. 9 an läßt sich nirgends mehr eine Spur des Deuteronomisten erkennen, die Vorstellungen und Ausdrücke sind hier rein die von Q.“ 16 A. Kuenen, Historisch-critisch onderzoek naar het ontstaan en de verzameling van de boeken des Ouden Verbonds, dl. I, Amsterdam 21885, 106.329 (deutsch: Leipzig 1887, 103.326). 17 R. Albertz, Pentateuchstudien (FAT 117), hg. von J. Wöhrle, Tübingen 2018, 483; E. Blum, Überlegungen zur Kompositionsgeschichte des Josuabuches, in Noort (Hg.), Book of Joshua, 148, Anm. 47. 18 J. G. Vink, The Date and Origin of the Priestly Code in the Old Testament, OTS 15 (1969) 1–144, hier 76–77, der allerdings Jos 22 mit der Mission Esras verbindet. 19 E. A. Knauf, Josua (ZBK.AT), Zürich 2008, 183–184.
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fiziert, dass auf dem Altar Speise- und Räucheropfer dargebracht werden dürfen, die Schlachtopfer aber geflissentlich übergangen werden (TADAE A4.9). Dies wird in Elephantine als Verbot aufgefasst. Der entscheidende Punkt hierbei ist, dass nachweislich ein Unterschied in der kultischen Nutzung gemacht wird zwischen den Altären in Jerusalem und Samaria(!) einerseits und den Altären außerhalb des Landes andererseits. Den Hertog20 und Goldstein21 wiederum verbinden Jos 22 mit den Missionen Esras und Nehemias und verweisen für die in Jos 22 geschilderten Gegensätze auf die Terminologie in Neh 2,20 im Rahmen des Mauerbaus: „Ihr (Sanballat, Tobija, Geschem) habt weder Anteil ( חלק// Jos 22,25.27) noch Anrecht ( )צדקהnoch Erinnerung ( )זכרוןin Jerusalem.“ Eine genauere zeitliche Verortung als das späte 5. oder frühe 4. Jhdt. ist wohl nicht in Sicht, weil die Elephantine-Korrespondenz zwar zu datieren ist, aber keine Auskunft darüber gibt, ab wann ein Unterschied bei den auf den jeweiligen Altären durchgeführten Opferarten zwischen Jerusalem/Samaria und der Diaspora gemacht wurde. Die Spätdatierung bedeutet jedoch nicht, dass nicht der Versuch unternommen wurde, aus dem vorliegenden Text einen älteren Kern herauszuschälen oder die Erzählung ganz in die Frühzeit zu datieren.22 Eine literarkritische Lösung hat aber zurecht keinen Konsens gefunden, weshalb auch Kloppenborg zu dem Ergebnis kommt, „it may be concluded that there existed a pre-exilic tradition […] about a functional Yahwistic altar situated on the Jordan,“23 aber „the editorial (priestly) overriding of the earlier tradition is so great that the original character of the account is only partially visible“24. Versuchen wie denen von Frankel25 und den Hertog26 ist zwar ein gewisser Charme zu eigen, weil sie literarkritisch eine Erzählung ohne Widersprüche rekonstruieren, z. B. ohne den Kontrast zwischen V. 10 und V. 11 (Lokalisierung) oder ohne die Unvereinbarkeit zwischen der Vorstellung einer dtr Landgabe ab dem Arnon (Dtn 2,24) einerseits und der Möglichkeit, dass dieses Land unrein ist (Jos 22,19) andrerseits. Tatsächlich handelt es sich aber um eine Erzählung, die die Deuteronomistik und große Teile der priesterlichen Literatur bereits vorliegen hatte, und die Motive und Themen so zusammenbringt, dass sie als Argumente in einer Disputation dienen können. 20 G. C. den Hertog, Der geschichtliche Hintergrund der Erzählung Jos 22, in: Ders./ U. Hübner/S. Münger (Hg.), Saxa loquentur. Studien zur Archäologie Palästinas/Israels, FS Volkmar Fritz (AOAT 302), Münster 2003, 61–83. 21 R. Goldstein, Joshua 22,9–34: A Priestly Narrative from the Second Temple Period, Shnaton 13 (2002) 43–81 (hebr.). 22 P. M. A. Pitkänen, Joshua (AOTC 6), Nottingham 2010, 363–380. 23 J. S. Kloppenborg, Joshua 22: The Priestly Editing of an Ancient Tradition, Bib. 62 (1981) 347–371, hier 370. 24 Ebd., 371. 25 D. Frankel, The Land of Canaan and the Destiny of Israel. Theologies of Territory in the Hebrew Bible (Siphrut 4), Winona Lake 2011, 182–185, hier 189. 26 den Hertog, Hintergrund, 61–83.
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Dabei entstehen Gegensätze und Motivunterschiede, die im Florilegium der Argumente ihren Platz finden. Das hat zur Folge, dass in dieser Erzählung nur vereinzelte Ergänzungen wahrzunehmen sind, hingegen keine unterschiedlichen Redaktionsschichten.
III Sowohl die anklagenden Beschuldigungen als auch die verteidigenden Argumente sind in einem fließenden Übergang mit der Lokalisierung des Altars verbunden.27 An sie knüpfen die unterschiedlichen Fäden der Erzählung an. Der Gegensatz zwischen V. 10 und V. 11 hängt letztendlich an V. 10aβ, der die Steinkreise am Jordan בארץ כנען, also westlich des Jordans lokalisiert. V. 11 bietet zwei nähere geographische Bestimmungen: אל־מול+ „Land Kanaan“ und „Steinkreise des Jordans“ sowie אל־עבר+ „Söhne Israels“. אל־מולwird in priesterlichem Kontext für die Herstellung der Stiftshütte, ihr Mobiliar, das Ephod und die Kleidung des Hohenpriesters (Ex 26,9; 28,25.37; 39,18; Lev 8,9; Num 8,2) verwendet und bedeutet dort „Vorderseite“. Das könnte in diesem Kontext auf den östlichen Rand Kanaans bzw. der Steinkreise im Westjordanland hinweisen. Obwohl demgegenüber אל־עברzweifellos auf die gegenüberliegende Seite hinweist, ist es bemerkenswert, wie Gemser zurecht konstatiert, „that the supposed clear meaning had to be specified so many times by expressions like מזרחהand others.“28 Solche Näherbestimmungen wären notwendig, weil אל־עברauch „auf der Seite von“ bedeuten kann, in diesem Fall „auf der Seite der Israeliten“.29 Ohne V. 10aβ „im Lande Kanaan“30 wäre also eine Verortung auf der Ostseite naheliegender. Die Terminologie lässt das möglich erscheinen und der Schauplatz der Disputation (22,13.32 „Land Gilead“) sogar als wahrscheinlich. Der Altar auf der Westseite aber wird narrativ zum casus belli, als Konkurrenzaltar zu dem für Schilo postulierten Monopolanspruch. Die offen zur Sprache gebrachte Kultzentralisation ist Teil der Argumentation und wird auch von den Ostjordaniern anerkannt. Das Angebot an die Ostjordanier, sich westlich des Jordans anzusiedeln, geht einher mit der Forderung, sich nicht aufzulehnen, „indem ihr euch einen Altar baut zusätzlich zu dem Altar Jhwhs, unseres Gottes“ (Jos 22,19). Die ganze Verteidigungsstrategie der Ostjordanier besteht darin, diese Anschuldigung zu widerlegen. Die Widerlegung Jos 22,29 bestreitet diesen Vorwurf teilweise mit derselben Wortwahl. Es gehe nicht um einen Opfer27
Frankel, Land, 178.185–188. B. Gemser, Be῾ēber hajjardēn. In Jordan’s Borderland, VT 2 (1952) 349–355, hier 350–351. 29 Für ein Plädoyer für die Westseite (und Gilgal) anhand der Textzeugen, siehe N. H. Snaith, The Altar at Gilgal: Joshua XXII 23–29, VT 28 (1978) 330–335. 30 Hier würde sich nach wie vor die altbekannte Lösung einer Glosse nahelegen, die das Problem eines zweiten Altars als Verletzung der Kultzentralisation betont. 28
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altar neben „dem Altar Jhwhs, unseres(!) Gottes, der vor seiner Wohnung steht“. Vielmehr sei er Abbild und Zeuge (22,28), verbunden mit der nochmaligen Versicherung „weder für ein Brandopfer noch für ein Schlachtopfer“ (vgl. V. 26). Vor diesem Hintergrund ist V. 27 positiv in dem Sinne zu deuten, dass die Ostjordanier selbstverständlich davon ausgehen, dass sie mit ihren „Brand-, Schlachtund Dankopfern“ den „Dienst Jhwhs vor seinem Angesicht ausführen“, d. h. am Zentralheiligtum in Schilo.31 Fowler hat zwar darauf hingewiesen, dass die Formulierung לפני יהוהnicht immer mit einem Heiligtum verbunden sei,32 aber gerade die drei Belege im Josuabuch 18,6 ()לפני יהוה אלהינו, 8,10 und 19,51 zeigen die Verbindung mit Schilo.33 Auch wenn V. 27 nicht frei von Ambivalenz ist, gehen die Ostjordanier doch davon aus, dass sie in Schilo opfern werden. Auch die figura etymologica עבד ( עבדהV. 27) ist mit kultischer Tätigkeit am Zelt verbunden (Num 4,30; 8,11; 16,9 usw.). Die von den Ostjordaniern angebotene Funktionsbeschreibung des von ihnen gebauten Altars (V. 28) – wie fremdartig sie auch sein mag – ist die passende Antwort auf die Beschuldigung, einen konkurrierenden Opferaltar bauen zu wollen und damit den Alleinstellungsanspruch Schilos zu verletzen. Ohne die in V. 10aβ explizit formulierte Lokalisierung des Altars auf der Westseite des Jordans und der damit thematisierten und zudem unterstellten Monopolverletzung ließe V. 11 auch eine Lokalisierung auf der Ostseite zu. Sowohl אל־מולals auch אל־עברkönnten in dieser Weise interpretiert werden: „dem Land Kanaan gegenüber“ und „jenseits (des Gebietes) der Israeliten“. Es macht daher Sinn, den Anlass des Konflikts auf ostjordanischem Boden zu suchen. Schon in Jos 22,9 ist das Ziel der aufbrechenden zweieinhalb Stämme „das Land Gilead“. Darüber hinaus wird die Delegation unter Leitung von Pinhas ebenfalls ins Land Gilead geschickt (22,13), wo die Verhandlungen geführt werden (22,15) und von dort kehrt sie ins Land Kanaan zurück (22,32). Für den Fall, dass die Verhandlungen mit einem für die westjordanischen Stämme unerwünschten Ergebnis ausgegangen wären, hätten sie das Land der Ostjordanier – zusammen mit dem Altar? – verwüstet (22,33). Aber nicht nur der Altar, auch das Land Gilead wirft weitere Fragen auf. Auch wenn für die Orte עינן, שפםund הרבלה, die gemäß Num 34,10–12 im nördlichen Bereich der Ostgrenze liegen, keine allseits überzeugenden Lokalisierungen vorliegen,34 wird für den Gilead betreffenden Teil deutlich: Der Jordan bildet die Ostgrenze Kanaans. Dies wird anschließend durch den späteren Zusatz 34,13–15 neu gedeutet, wo in einer Moserede die Gottesrede so ausgelegt wird, dass sie 31 E. Ballhorn, Israel am Jordan. Narrative Topographie im Buch Josua (BBB 162), Göttingen 2011, 443, Anm. 1030; Knauf, Josua, 186–187. 32 M. D. Fowler, The Meaning of lip ¯nê YHWH in the Old Testament, ZAW 99 (1987) 384– 390. 33 Ebd., 387. 34 H. Seebass, Numeri (BK 4/3), Neukirchen-Vluyn 2007, 403–405.411.
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sich nur auf die neuneinhalb Stämme bezieht, weil Ruben, Gad und Halb-Manasse ihren Erbteil schon im Ostjordanland empfangen haben. Ein solcher Ausgleich findet sich hingegen in Ez 47,18 nicht; der Jordan wird ausdrücklich als die Grenze zwischen dem Land Israel und Gilead bestimmt. Ein Ausgleich ist auch nicht nötig, wohnt doch in dieser Zukunftsvision ganz Israel vereint im Westjordanland. Ruben als Ältestem wird in der תרומהder Platz direkt neben Juda zugewiesen (Ez 48,6–7). Der vereinte Stamm Manasse wird zwischen Naphtali und Ephraim platziert (48,4–5). Gad wird schließlich ganz im Süden neben Sebulon angesiedelt (48,27–28). Zimmerli hat zurecht darauf hingewiesen, dass es sich hier nicht um eine nachexilische „Verzichtpolitik“ handelt, denn mit dem „großen Meer“ (47,20) als Westgrenze werden Gebiete für die Stämme beansprucht, die Israel nie im Besitz gehalten hat.35 Also denkt auch Ez 48 weiträumig ohne topographischen Bezug zur Realität. Diese priesterliche Linie (Num/Ez) sieht das verheißene Land – wie auch das Josuabuch im Allgemeinen – im Westjordanland.36 In Verbindung damit steht das Ziel der Gottesnähe als Hauptanliegen der priesterlichen Komposition (Ex 29,42–46) und ihrer Fortführung.37 Die Einbindung des Ostjordanlandes in Jos 22,9–34 widerspricht daher auf jeden Fall Ez 47–48. Jos 22,9–34 tut dies nicht nur aus Gründen der Kulteinheit, sondern auch wegen der vorliegenden dtr Tradition das Ostjordanland betreffend. Sowohl das Deuteronomium als auch das Josuabuch in ihrer dtr Grundschicht sehen den Jordandurchzug als den entscheidenden Schritt ins verheißene Land.38 Das bezeugen der Gottesbefehl Jos 1,12 ()קום עבר את־הירדן הזה, die breit angelegte Erzählung des Jordandurchzugs in Jos 3–4 sowie der Neubeginn in Jos 5. Ein anderes Konzept findet sich aber in Dtn 2,24 ()קומו סעו ועברו את־נחל ארנן, wo die Überquerung des Arnon (Wādī el-Mōğib) in das Gebiet der beiden legendären Könige Sihon von Heschbon und Og von Basan führt, die als die ostjordanischen Amoriter (2,24; 3,8) bezeichnet, historisiert, besiegt und gebannt werden können, damit ihr Land vom Arnon bis zum Hermon flächendeckend den ostjordanischen Stämmen gegeben werden kann (3,12–22). Das alles bezweckt einerseits, den ehemaligen ostjordanischen Besitz israelitischer Stämme zu erklären. Andererseits geriet man auf diese Weise nicht in Konflikt mit der Nicht-Inbesitznahme der schon vergebenen Gebiete der „Brudervölker“ Edom, Moab und Ammon (2,1–23). Eine reale Geographie darf man hier nicht erwarten, denn der Arnon war ein Fluss im Innern Moabs, nicht seine 35
W. Zimmerli, Ezechiel (BK 12/2), Neukirchen-Vluyn 21979, 1217. Vgl. schon A. Alt, Die Staatenbildung der Israeliten in Palästina (1930), in: Ders., Kleine Schriften II, München 41978, 54, Anm. 1. 37 E. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch (BZAW 189), Berlin/New York 1990: „II. Das Verlangen des Schöpfers nach Gemeinschaft oder: ‚Gottesnähe‘ als Leitthema der priesterlichen Komposition“, 287–332, hier 297–299 sowie 287 (Zitat). 38 N. Wazana, All the Boundaries of the Land. The Promised Land in Biblical Thought in Light of the Ancient Near East, Winona Lake 2013. 36
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nördliche Grenze. Trotzdem wird hier das Ostjordanland mit der Überschreitung des Arnons analog zur Durchquerung des Jordans als ein an Israel übergebenes Land beansprucht. Dies geschieht aber ohne das tatsächliche Hauptziel der dtr Darstellung aus dem Auge zu verlieren, wie die Moserede 2,29b bezeugt: „… bis ich (Mose) den Jordan überschreiten werde hin zu dem Land, das Jhwh unser Gott uns geben will.“ Lothar Perlitt hatte schon angedeutet, dass selbst im Gegenentwurf in Dtn 2,24 das Ostjordanland nicht eindeutig als Verheißungsland betrachtet wird.39 Krause geht hier einen Schritt weiter und schließt aus den drei Voraussetzungen, (1) das Verheißungsland liegt westlich des Jordans, (2) ein Teil Israels hat im Ostjordanland gelebt und (3) „ganz Israel“ hat das Verheißungsland erobert, dass „nicht ‚der Status von Israels Land‘ im Ostjordanland […]‚ der Kern des Problems‘ [ist], von dem die Ostjordanier-Texte handeln, sondern der Status von Israeliten im Ostjordanland.“40 Für Jos 22,9–34 ist aber eine weitere Differenzierung nötig, wobei zu fragen ist, ob Land und Bewohner in dieser Erzählung voneinander zu trennen sind. In der Symbiose von Land und Bewohner geht es auch um den religiösen Status der künftigen Ostjordanier. Explizit wird im vorliegenden Text Kanaan Gilead gegenübergestellt (22,9.32). Weiter wird eine mögliche Unreinheit des Landes östlich des Jordans erwogen (22,19), sowie dass der Jordan die Grenze sein könnte, östlich derer man keinen Anteil an Jhwh hat (22,25.27). Nicht zuletzt steht eine Verwüstung des Landes (Gilead) im Raum, sollten die Verhandlungen nicht das erwünschte Ergebnis bringen. Wie der Verweis auf Baal Peor (22,17) zeigt, geht es in der Anschuldigung um mehr als den Verstoß gegen das Monopol des einen Altars in Schilo. Mit dem Namen Pinhas und dem Topos Peor werden der Abfall von Jhwh und Fremdgötterdienst im ostjordanischen Schittim aufgerufen.41 Eine Bestätigung dieser Sicht findet sich in 1 Chr 5,25, wo Fremdgötterdienst als Grund für die Exilierung der Ostjordanier angegeben wird. Auch Josephus interpretiert die (falsche) Anklage der Westjordanier in dieser Weise (AJ 5:101, 107). Die unklare Rede von der „Sünde von Peor, von der wir uns bis zum heutigen Tag noch nicht gereinigt haben“ (Jos 22,17) könnte sich einem Vorschlag Knaufs zufolge auf den nach der Plage von Num 25,9 noch nicht wieder wettgemachten Bevölkerungsverlust beziehen.42
39 L. Perlitt, Deuteronomium 1–6* (BK V/1), Neukirchen-Vluyn 2013, 207: „Hier [sc. am Arnon] beginnt das (ostjordanische) Amoriterland, das Israels Land werden soll.“, aber 215: „Dtn 2,29b ist der schönste Beweis für die mangelnde Konsequenz des Entwurfs: Wenn es theologisch ernst wird, beginnt das Verheißungsland mit der Überschreitung des Jordans in w Richtung.“ 40 Krause, Exodus und Eisodus, 126–133, hier 131. 41 So auch Frankel, Land, 188. 42 Knauf, Josua, 186.
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IV Der eine Punkt der Anklage ist die Verletzung der Kultzentralisation. Für die Ostjordanier ist die Formulierung „neben dem Altar unseres Gottes Jhwh“ (22,19) gleichbedeutend mit „neben dem Altar unseres Gottes Jhwh, der vor seiner Wohnung steht“ (22,29). Damit wird unmissverständlich gesagt, dass auch die Ostjordanier anerkennen, dass der einzige Opferaltar in Schilo steht. Deswegen ist ihr Altar nur ein תבניתund עד. Letztendlich sagt die Bezeichnung als תבניתin diesem Kontext nicht mehr aus, als dass dieser Altar kein Opferaltar ist. Die Unmöglichkeit einer solchen Funktion für einen Altar wurde in der Forschung immer wieder betont. „An altar not for sacrifice is a contradiction in terms“ formuliert Kloppenborg43 und Frankel fügt hinzu: „The very idea of an altar that serves merely as a sign and never as a medium for actual sacrifice seems extremely contrived and highly suspicious.“44 Beides ist aber von einem funktionierenden Kultsystem her gedacht und lässt andere Aspekte unberücksichtigt, die Altäre auch haben können. Die Altarbaunotizen der Vätergeschichten45 berichten vom Altarbau Abrahams in Sichem ( )ויבן שם מזבח ליהוהnach einer Gotteserscheinung (Gen 12,7), zwischen Bethel und Ai (12,8; Rückverweis 13,4) und bei den ( אלוני ממרא13,18). Ebenfalls nach einer Gotteserscheinung errichtet auch Isaak einen Altar (26,25). Darüber hinaus erfüllt das Pflanzen einer Tamariske durch Abraham in Beerscheba die gleiche Funktion wie die Altäre in den Vätergeschichten (21,33). Laut MT baut Jakob in Gen 33,20 einen Altar, aber wegen der Verwendung des für einen Altar singulären נצבhif. statt בנהwird zurecht vermutet, dass die ursprüngliche מצבהzu מזבחkorrigiert wurde.46 Und schließlich ist es wiederum Jakob, der in Gen 35,7 – nun wieder mit der üblichen Formulierung – einen Altar baut. Ausdrücklich ליהוהsind diese Altäre in 12,7 und 8, indirekt auch 13,4. Die auf den Altarbau selbst folgenden Handlungen sind das Anrufen der namentlich genannten Gottheit ()ויקרא בשם יהוה, so in Gen 12,8; 13,4; 21,33 ()יהוה אל עולם und 26,25, oder die Benennung des Altars (Gen 33,20; 35,7) bzw. der Massebe (33,20). Die Opferfunktion eines Altars spielt in keinem der Belege eine Rolle. Ausgeschlossen werden kann sie zwar nicht, aber erwähnt wird sie nirgends. Blum hat ebenfalls nach der Bedeutung der Altäre gefragt und dabei auf Cassuto verwiesen, der in den Altarbauten eine zeichenhafte Inbesitznahme des Landes sah.47 Diese Deutung hat Deurloo aufgegriffen und mit einem theo-geographi43
Kloppenborg, Joshua 22, 366. Frankel, Land, 179. 45 E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte (WMANT 57), Neukirchen-Vluyn 1984, 331–338.383. 46 Blum, Komposition, 61, Anm. 1; 65, Anm. 15; H. Seebass, Genesis II/2. Vätergeschichte II (23,1–36,43), Neukirchen-Vluyn 1999, 415. 47 Blum, Komposition, 338, Anm. 31. 44
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schen Schema (Norden/Zentrum/Süden) gezeigt, dass die Altarbauten die Inbesitznahme des Landes für Jhwh bezeugen.48 Zuvor hat dies bereits Jacob in seinem Genesis-Kommentar unmissverständlich zum Ausdruck gebracht: Mit dem ersten Altar (12,7) habe Abraham „die Flagge seines Gottes über dem Lande Kanaan gehißt“, und der zweite Altar (12,8) „soll Abrahams Altar sein und dokumentieren, dass Zelt und Altar, Menschenwohnung und Gottesstätte zusammengehören […] Der Altar soll ein Denkmal sein“49. Damit wird der Aspekt sichtbar, den Blum als „die Beanspruchung des Landes für Abraham (‚Israel‘) und Jhwh!“50 charakterisiert. Noch einen Schritt weiter kann gefragt werden, ob die Altäre hier nicht den Ersatz für die problematisch gewordenen Masseben darstellen. Dafür gibt es aber – unter Ausnahme von Gen 33,20 – keinen Anhalt in der Textüberlieferung. An den genannten Stellen im Buch Genesis stehen ätiologische Fragen nicht im Vordergrund und auch um Opfer geht es hier nicht, sondern um Jhwh, sein und Israels Land. Der erste Altar, mit dem Mose und Josua narrativ verbunden wurden, findet sich in Ex 17,8–16. Diese von späten Deuteronomisten stammende51 Erzählung dient als Rahmen für die Einführung und Betonung der militärischen Rolle Josuas und findet einen Nachklang in Ex 32,17 neben dem kultisch betonten ( משרתEx 33,11; Num 11,28). Sie wurde auf Dtn 25,17–19 hin verfasst, nicht nur wegen der künftigen Vernichtung Amaleks (Ex 17,14), sondern auch wegen des Ergebnisses dieses ersten Kampfes unter Josuas Führung. Das in 17,13 verwendete Verbum „ חלשschwächen“, wo man eigentlich נכהhif. oder הרגerwarten würde, deutet trotz לפי־חרבeinen nicht vollständigen Sieg an. Der viel diskutierte V. 14 ist der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Erzählung.52 Hier bahnt sich die Ablösung des Mose und die Rolle Josuas als Nachfolger im militärischen Bereich sowie die Rolle der Verschriftlichung in der Kommunikationsstruktur an. Die letzte Handlung findet sich V. 15: „Da baute Mose einen Altar und nannte ihn: ‚Jhwh mein Panier‘“.53 Dieser Altar als Erinnerungsmal – betont durch זכר und זכרוןin V. 14 – soll ein Geschehen und eine Zusage Jhwhs für die Zukunft narrativ festzuhalten. Der Altar hat dabei nicht das Opfern zum Ziel, sondern 48 K. Deurloo, Narrative Geography in the Abraham Cycle, OTS 26 (1990) 48–62; Ders., The Way of Abraham. Routes and Localities as Narrative Data in Gen. 11:27–25:11, in: M. Kessler (Hg.), Voices from Amsterdam. A Modern Tradition of Reading Biblical Narrative (Semeia Studies 26), Atlanta 1994, 95–112. 49 B. Jacob, Das erste Buch der Tora: Genesis, Berlin 1934, 345–346. 50 Blum, Komposition, 338, Anm. 34. 51 H.‑C. Schmitt, Die Geschichte vom Sieg über die Amalekiter Ex 17,8–16, ZAW 102 (1990) 335–344. 52 E. Noort, Josua und Amalek: Exodus 17:8–16, in: R. Roukema (Hg.), The Interpretation of Exodus. Studies in Honour of Cornelis Houtman (CBET 44), Leuven/Paris/Dudley 2006, 155–170, hier 169. 53 Für eine Übersicht der Interpretationen von 17,15b.16a in den Versionen und in der kommentierenden Literatur: C. Houtman, Exodus II (COT), Kampen 1989, 348–351.
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dient gerade durch die Benennung und die Zusage Jhwhs als Denkmal für die Zukunft Israels. Im Buch Josua selbst findet sich eine Altarerzählung die inhaltlich und kompositionell eine ganz besondere Position einnimmt: Jos 8,30–35.54 Nicht nur wegen ihrer Abhängigkeit von der komplexen Vorlage Dtn 27,4.8.5–7.2–3, sondern auch wegen der bewussten Veränderungen, die in Jos 8,33 sichtbar werden. Dtn 27,4.8 wiederholt die Anweisung Moses aus V. 2b.3a „Du sollst große Steine aufrichten, sie mit Kalk tünchen und darauf alle Worte dieser Tora schreiben.“ In Dtn 27,2 wird aber besonders der Zeitpunkt betont: ביום אשר תעברו את־הירדן. Unmittelbar nach dem Zug durch den Jordan ist das Augenmerk in 27,4 auf den Ort gerichtet. Laut M, G, V, S, To soll der Altar auf dem Ebal, laut Samaritanus aber auf dem Garizim errichtet werden. Die wichtigsten Textzeugen sprechen also für die Lesung, dass der Altar auf dem Ebal gebaut werden soll. Trotzdem lautete die ursprüngliche Lesung wahrscheinlich „Garizim“.55 Zwischen den V. 4 und 8 erscheint nun der Auftrag, gemäß Ex 20,25 einen Altar zu bauen, der ליהוה אלהיךfür Brand- und Dankopfer bestimmt ist. Dtn 27,5 ist durch שם, „dort“ mit V. 4 verknüpft. Ein Argument für die Priorisierung von 27,1–3 in der Dublette 27,2–3 // 27,4.8 bietet Nihan mit dem Hinweis auf den Rückverweis האבנים האלה 27,4)a) auf die אבנים גדלותin 27,2b.56 האלהverweist ins Leere, wenn die Steine nicht vorher schon genannt wurden. Ob 27,4–8 redaktionell aus einem Guss ist, bleibt aber unsicher. Festzuhalten sind die unterschiedlichen Ausrichtungen, die Betonung des Zeitpunktes einerseits, die Lokalisierung andererseits. Jede Handlung in diesen fünf Versen wird autorisiert mit einem Verweis auf direkte Befehle Moses oder dessen verschriftlichte Tora. Der Bau des Altars in Jos 8,30 wird begründet mit dem im „Buch der Tora des Mose“ niedergeschriebenen Gebot (V. 31). Die Brand- und Dankopfer aus Dtn 27,5–7 kehren daraufhin in Jos 8,31 wieder. Die Abschrift der Tora, die Josua 54 M. N. van der Meer, Formation and Reformulation. The Redaction of the Book of Joshua in the Light of the Oldest Textual Witnesses (VT.S 102), Leiden/Boston 2004, 511–514; C. Nihan, The Torah between Samaria and Judah, in: G. N. Knoppers/B. M. Levinson (Hg.), The Pentateuch as Torah. New Models for Understanding its Promulgation and Acceptance, Winona Lake 2007, 187–222; Krause, Exodus und Eisodus, 275–296; E. Noort, Die Tora auf dem Altar. Die denkwürdige Sicht von Josua 8,30–35, Sacra Scripta 15 (2017) 129–140 (FS Luz). 55 Ich hatte ursprünglich eher dem Ebal „the benefit of the doubt“ gegeben wegen der Verwendung von Dtn 27,2–7 in Smr Ex 20,17a. Aufgrund der weiteren Überlegung, dass klare Belege für eine pro-Garizim-Redaktion vorhanden sind, für die umgekehrte Richtung aber nicht (E. Noort, The Traditions of Ebal and Gerizim, in M. Vervenne/J. Lust [Hg.], Deuteronomy and Deuteronomic Literature, FS C. H. W. Brekelmans [BETL 133], Leuven 1997, 161–180, hier 167–168) und dass deswegen die Änderung von dem ursprünglichen Ebal in Garizim etwas wahrscheinlicher wäre als umgekehrt, sprachen die Indizien aus meiner Sicht für diese Lösung. Inzwischen neige ich zur Lesung „Garizim“, da über die Jhwh verehrenden Samarier und die Datierung ihres Heiligtums auf dem Garizim neue Erkenntnisse bekannt geworden sind und daher die Waage leicht auf die andere Seite zeigt (Literatur: B. Hensel, Juda und Samaria. Zum Verhältnis zweier nach-exilischer Jahwismen [FAT 110], Tübingen 2016). 56 Nihan, Torah, 203.
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anschließend anfertigt, wurde zuvor von Mose selbst verschriftlicht (Dtn 31,24– 26). Die folgende Segenszeremonie geht ebenfalls auf Moses Gebot zurück (8,33), und die abschließende Rezitation der Tora lässt nichts von dem aus, was Mose geboten hatte (8,34–35). „Alles wird exakt so ausgeführt wie Mose es befohlen oder geschrieben hat. Gerade bei dieser behaupteten Übereinstimmung geht es darum zu überprüfen, ob und welche Abweichungen es vom Prätext gibt.“57 Die mit Kalk getünchten ( אבנים גדלותDtn 27,2 und 4) als Untergrund für die Niederschrift der Tora werden in Jos 8,32 nicht erwähnt. V. 32 mit שם על־האבנים kann sich deswegen im heutigen Kontext nur auf die „unversehrten Steine“ des Altars von V. 31 beziehen. Die verschiedenen Deutungen variieren von einer redaktionellen Unachtsamkeit bis hin zur bewussten Umdeutung der Vorlage. Im ersten Fall sind „selbstverständlich“ die getünchten Steine von Dtn 27,2–3 gemeint, denn alles andere wäre real nicht vorstellbar. Es stellt sich aber die Frage, ob Realität in einer ideologisch aufgeladenen Szene wie dieser eine derart große Rolle spielt. Deswegen ist die zweite Möglichkeit einer bewussten Umdeutung der gesondert aufgestellten Steinen zu den Steinen des Altars wahrscheinlicher. Freilich bleibt dies hypothetisch, aber es kann mindestens festgehalten werden, dass die Szene auf dem (Ebal/)Garizim den Opferaltar und die verschriftlichte und rezitierte Tora so zusammenbringt, dass die Tora den Kult übertrumpft. Die Bedeutung der verschriftlichten Tora wird, wie Krause gezeigt hat, verstärkt durch das neue – nicht in Dtn 27 enthaltene – Element der Rezitation.58 Das Qumran-Fragment 4QJosha hat das gleiche Anliegen.59 Wahrscheinlich angeregt durch die Betonung des Zeitpunktes in Dtn 27,2 (ביום אשר תעברו )את־הירדןdirekt nach dem Jordandurchzug, platziert die Rolle Jos 8,34–35 direkt vor der Beschneidung in Jos 5,2. Die vorhergehenden Verse in Jos 8,30–33 sind nicht vorhanden. Ob Jos 8,30–35 in 4QJosha ursprünglich vollständig erhalten war, wissen wir nicht, ebensowenig, ob Jos 8,30–35 insgesamt von seinem Ort im MT relokalisiert wurde oder ob die Verse in Jos 5 ein Duplikat der Szene bzw. Teile davon darstellen.60 Deutlich ist jedoch, dass 4QJosha höchsten Wert darauf legt, die Rezitation des Gesetzes (wo und wann denn auch immer niedergeschrieben) direkt nach der Ankunft im verheißenen Land stattfinden zu lassen. So ergibt sich eine steigende Tendenz – von Rofé als nomistisch benannt –,61 Israel im Verheißungsland nie ohne die anwesende, verschriftlichte und rezitierte 57
Noort, Tora, 132. Krause, Exodus und Eisodus, 288–293. 59 E. Ulrich, 4QJosha, in: Ders. u. a., Qumran Cave 4, Part 9, Deuteronomy, Joshua, Judges and Kings (DJD 14), Oxford 1995, 143–152. 60 E. Tov, The Literary Development of the Book of Joshua as Reflected in the MT, the LXX, and 4QJosha, in: Noort (Hg.), Joshua, 79–85. 61 A. Rofé, The Editing of the Book of Joshua in the Light of 4QJosha, in G. J. Brooke/F. García Martínez (Hg.), New Qumran Texts and Studies. Proceedings of the First Meeting of the International Organization for Qumran Studies (STDJ 15), Leiden/Boston 1994, 73– 80. 58
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Tora sein zu lassen. „Torah und Land werden untrennbar miteinander verbunden: Was einst weit weg gesagt wurde, wurde an der Schwelle wiederholt und erklang aufs Neue, nachdem die ersten Schritte in das Land gesetzt waren.“62 Wie stark diese Betonung der unmittelbar nach dem Durchzug erfolgten Rezitation nachgewirkt hat, wird in Dtn 11,30 und in der nachbiblischen Rezeption sichtbar, in der die Berge Ebal und Garizim in die Umgebung von Jericho/Gilgal umgesiedelt wurden.63 Entscheidend für die Bedeutung der Szene in Jos 8,30–35 ist V. 33: Ganz Israel mit seinen Ältesten, den Amtleuten und seinen Richtern. stand zu beiden Seiten der Lade, den levitischen Priestern gegenüber, die die Lade des Bundes Jhwhs trugen, sowohl גרals auch gebürtiger Israelit, die eine Hälfte zum Berg Garizim hin, und die andere Hälfte zum Berge Ebal hin, wie Mose, der Knecht Jhwhs, geboten hatte, das Volk Israel zum ersten Mal zu segnen.
In diesem überladenen Vers geht es um ganz Israel, nicht mehr um die einzeln aufgelisteten Stämme wie in Dtn 27,12–13. Ganz Israel (V. 35 )כל־קהל ישראל wird stattdessen nach Ämtern aufgegliedert: seine Ältesten, seine Richter und die wahrscheinlich nachgetragenen שטרים. Der Vers atmet Inklusivität, גריםwie Eingeborene sind in das Geschehen eingebunden. V. 35 nennt neben den גרים außerdem noch Frauen und Kinder. Jos 8,30–32 spielt sich auf dem Berg Garizim/Ebal ab und auch die Vorlage Dtn 27,11–14 situiert die Stämme auf den Bergen. „Jetzt steht Israel aber im Tal zu den beiden Bergen hin und vor diesem Hintergrund wird die ganze Tora verlesen. Und hinter der Symbolik der beiden Berge werden zwar beide Gruppen Judäer und Samarier sichtbar, aber der Fokus ist auf ganz Israel.“64 Jos 8,30–35 betont gegenüber Jehud und Samaria die Einheit der gemeinsamen Tora. Dies geschieht nicht zuletzt durch die Überlagerung des Opferaltars durch die niedergeschriebene Tora, die danach im Ganzen und für alle rezitiert wird. Das letzte Beispiel als Parallele zu Jos 22,9–34 findet sich in Jes 19,16–25.65 Die mittels des sechsfachen ( ביום ההוא19,16.18.19.21.23.24) zusammengehaltene Komposition aus unterschiedlichen Reflexionen beschreibt ein zunehmend positives Verhältnis zwischen Jhwh und Ägypten. Das negative Urteil über Ägyp62
Noort, Tora, 138. E. Noort, The Traditions of Ebal and Gerizim. Theological Positions in the Book of Joshua, in: Vervenne/Lust (Hg.), Deuteronomy, 161–180; Krause, Exodus und Eisodus, 285– 286. 64 Noort, Tora, 138. 65 C. Balogh, The Stele of YHWH in Egypt. The Prophecies of Isaiah 18–20 Concerning Egypt and Kush (OTS 60), Leiden/Boston 2011; H. Barth, Die Jesaja-Worte in der Josiazeit. Israel und Assur als Thema einer produktiven Neuinterpretation der Jesajaüberlieferung (WMANT 48), Neukirchen-Vluyn 1977, 291–292. 63
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ten (19,16–17) wandelt sich ab V. 18 und endet darin, dass Assur, Ägypten und Israel ein beispiellos ebenbürtiges Verhältnis zu Jhwh haben (19,24–25). Nach 19,19 wird da „an jenem Tage“ ein מזבח ליהוהin der Mitte des Landes Ägypten sein und eine מצבה … ליהוהan dessen Grenze. Altar und Massebe, beide „für Jhwh“, stehen hier problemlos nebeneinander, beide beanspruchen das Land für Jhwh. Ihre Funktion wird charakterisiert als „Zeichen“ ( )אותund „Zeuge“ („ )עדfür Jhwh“ (Jes 19,20 // Jos 22,28). Im Gegensatz zu Jos 22 soll der Altar von Jes 19,19 zwar dem Opferkult dienen, aber im Vordergrund stehen dabei die Beanspruchung des Landes Ägypten und seine Bekehrung zu Jhwh mit dem Altar und der Massebe als Zeichen und Zeuge. Die hier genannten Beispiele kommen aus verschiedenen Traditionen und Textbereichen. Sie sind nicht miteinander verwandt, haben kein gemeinsames Thema und gehören allesamt der Spätzeit der Bearbeitungen in der Überlieferung der Hebräischen Bibel an. Was ihnen aber gemeinsam ist, ist die Tatsache, dass ein מזבחauch außerhalb des regulären Opferkults, der das kultische Leben Israels im Tempel bestimmte, in ganz anderen Kontexten Erwähnung findet. Die Väter-Altäre zielten auf die Beanspruchung des Landes für Jhwh und Israel, ohne eine Opferfunktion zu erwähnen. Der Altar nach dem Kampf mit Amalek gipfelt in eine Jhwh-Benennung, auch hier ist von Opfer keine Rede. Der mit der Tora überschriebene Altar von Jos 8 dient zwar noch dem Opferkult, stellt aber die Rezitation der Tora für ganz Israel, Jehud und Samaria, in den Vordergrund. Der Altar von Jes 19 schließlich soll Zeichen und Zeuge sein. Bei dieser weiten Streuung von Sonderfunktionen kann der Altar von Jos 22 nicht als eine contradictio in terminis abgetan werden. Innovativ ja, aber im vorliegenden Austausch der Argumente gilt eine theologische Realität, die beiden Anschuldigungen der Westjordanier – Verletzung der Kultzentralisation und Fremdgötterdienst – widerspricht.
V Die zweite Anschuldigung seitens der westjordanischen Stämme ist der Fremdgötterdienst, die mit dem Verweis auf die Baal-Peor-Szene (Num 25,1–5.6–10) vorgebracht wird. Der fließende Übergang zwischen beiden Vorwürfen wird durch die eventuelle Unreinheit66 des ostjordanischen Landes (22,19) bewerkstelligt. Es ist nicht so, dass von westlicher Seite einfach konstatiert würde, dass das Ostjordanland unrein sei, vielmehr wird mit der Möglichkeit gerechnet, dass 66 G μικρὰ; VL si vobis pusilla es terra possessionis Domini, siehe A. Schenker, Altar oder Altarmodell? Textgeschichte von Jos 22,9–34, in: Ders., Anfänge der Textgeschichte des Alten Testaments. Studien zu Entstehung und Verhältnis der frühesten Textformen (BWANT 194), Stuttgart 2011, 49–58. Siehe van der Meer, Formation and Reformulation, 235, zu μιαρά „polluted“.
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dies in den Augen der Ostjordanier selbst so sein könnte. Diese mögliche Unreinheit steht nicht im Widerspruch zu den übrigen Vorwürfen. Unrein wird ein Land durch die Handlungen seiner Bewohner, wobei sich nach Lev 18,25–28 das Land selbst wehrt und seine Bewohner ausspeit. In Jer 2,7 ist es Israel, das Jhwhs נחלהverunreinigt, und auch das Gerichtswort an Amazja (Am 7,17) setzt voraus, dass auf dem dort gemeinten „unreinen Boden“ Fremdgötterdienst betrieben wird. Dieser Gefahr kann abgeholfen werden durch eine Rückkehr ins Westjordanland, wo die Wohnung Jhwhs steht. Über alldem hängt der Schatten der hier nicht zu diskutierenden Frage der Kollektivstrafe. Beide im Text angeführten Beispiele, sowohl Peor als auch Achan, betonen, dass die Handlungen Einzelner katastrophale Folgen für die Gemeinschaft haben. In Num 25,9 sollen 24 000 Personen bestraft werden und in Jos 7 stirbt nicht nur Achan mit seinen Nachkommen, vielmehr wird er zudem als Ursache für Israels erste Niederlage in Ai verantwortlich gemacht (Jos 7,4–5.12). Die Verteidigungsrede der ostjordanischen Stämme widerspricht beiden Beschuldigungen. Mit der zweifachen emphatischen Anrufung: אל אלהים יהוה, „Gott der Götter: Jhwh!“ (22,22) bringen die Ostjordanier zum Ausdruck, dass aus ihrer Sicht von Fremdgötterdienst keine Rede sein kann: Jhwh ist der alles bestimmende Gott. Er und kein anderer wird der richtende Richter sein. Vielmehr geht es ihnen um ihre Beziehung zu Jhwh. Jhwh habe den Jordan als Grenze zwischen West- und Ostjordanier gestellt und deswegen könnte der Schluss künftiger Generationen sein: ( אין־לכם חלק ביהוה22,25). Dies alles steht unter der vorwurfsvollen Eingangsfrage: „Was habt ihr mit dem Gott Israels zu tun?“ (22,24). Der Ausdruck „keinen Anteil an Jhwh haben“ kommt in der Hebräischen Bibel nur an dieser Stelle vor. חלקin Verbindung mit Land bedeutet schlicht „Land“ oder „Acker“ und erscheint in Zusammenhang mit der Gabe des Landes oft zusammen mit נחלה. Dass Leviten weder einen Anteil am Landbesitz noch eine נחלהhaben, wird metaphorisch gelöst: Jhwh selbst ist Levis ( חלקDtn 10,9). Die nachexilische Neuordnung des Priester- und Levitentums und deren Versorgung wird in Bezug auf Aaron mit einer Mischung aus wörtlicher und metaphorischer Aufnahme von Num 18,20 theologisch begründet. In der Jhwh-Rede an Aaron heißt es: „In ihrem Land sollst du keine נחלהantreten und kein חלקsoll dir gehören in ihrer Mitte. Ich bin dein חלקund deine נחלהunter den Israeliten.“ Die metaphorische Redewendung vom Anteil an Jhwh in Bezug auf die Landterminologie findet sich auch im Vertrauenspsalm Ps 16,5–6: „Jhwh ist mein חלקund mein Becher. Du hältst meinen גורל. Die חבליםsind für mich auf נעמים gefallen. Ja, meine נחלהgefällt mir.“67 Der Beter, der auf Jhwh selbst als Lebens67 B. Janowski, Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Neukirchen-Vluyn 42013, 312–322. „Die mit dem Land verbundene Vorstellung einer Beheimatung wird hier so umgeformt, dass nicht ein bestimmtes Stück Land, sondern Jhwh selbst und er allein der dem Beter zugeteilte ‚Erbbesitz‘ ist […]“ (321).
Bemerkungen zu einem (un)möglichen Altar (Jos 22,9–34)
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raum vertraut, steht im Gegensatz zu denen, die einem anderen Gott nachlaufen (16,4). Jhwh rettet den Beter aus der Scheol (16,10) und zeigt ihm den Weg des Lebens (16,11). Auch die Rettung aus einer Todesgefahr wird nach einer Klage im Vertrauen auf Jhwh als „mein Teil im Land der Lebenden“ erhofft (Ps 142,6). Ps 73,26 konstatiert, dass es den Frevlern im Gegensatz zu den Gerechten gut geht. Der Tun-Ergehen-Zusammenhang funktioniert nicht, aber der Beter vertraut darauf, dass es nach dem Tod Gerechtigkeit geben wird. Der Weisheitspsalm greift auf eine räumliche Terminologie wie Himmel und Erde (73,25) zurück, aber die Dimension des חלקerstreckt sich jetzt für den Beter auf die Zeit: ( חלקי … לעולם73,26).68 Dabei überschreitet לעולםdie Grenzen von Leben und Tod;69 der Beter hofft auf eine Gemeinschaft mit Gott auch nach dem Tod. Diese Landmetaphorik70 in den Psalmen geht deutlich weiter als die Verwendung bei der oben genannten Neuordnung des Priester- und Levitentums. Nicht nur die Aaroniden und nicht nur die Leviten haben ihren חלקin Jhwh. Für alle Betenden dieser Psalmen besteht ihre Hoffnung auf Rettung aus Bedrohung und Verfolgung darin, dass Jhwh ihr Teil ist. Hat der Erzähler von Jos 22,9–34 diese Weite der Metaphorisierung gekannt und eingesetzt, um die Beziehung zu Jhwh in der Negativformulierung „kein Anteil an Jhwh“ (22,25.27) zu betonen? Die Möglichkeit muss offenbleiben, aber eine gewisse Vertrautheit mit den Psalmen wird den Ostjordaniern in Jos 22 sehr wohl zugeschrieben. Die Anrufung mit dem zweifachen „ אל אלהים יהוהGott der Götter: Jhwh“ (Jos 22,22) findet sich, wie Auld gezeigt hat, auch noch in Ps 50,1.71 Der Psalm besingt Gott als Richter (50,6), der die Frevler beschuldigt, gegen ihre Brüder vorzugehen (50,19–20a).72 Dies aus dem Mund der Transjordanier zu den Westjordaniern, erinnert an das Sprichwort: Wem der Schuh passt, ziehe ihn an. Der Text macht Anklage und Verteidigung zu einem Duell mit Bibelzitaten, Anspielungen und Verweisen mit mehrfachem Boden. Mag auch die Anschuldigung die Möglichkeit des Fremdgötterdienstes in den Raum stellen, ausschlaggebend ist die beschworene Jhwh-Treue der Ostjordanier. Pinhas sagt in Gilead(!), dass „heute Jhwh in unserer Mitte ist“ (22,31); und der Altar, vom dem nur bekannt ist, dass er einen Namen trägt, bezeugt, dass (nur) Jhwh Gott ist (22,34). Auch hier haben die Ostjordanier und der Erzähler die Unterstützung von Josephus.73 Schon der Kommentar am Anfang der 68
In diesem elohistisch redigierten Teil ist Jhwh zu lesen statt Elohim. H. Delkurt, „Der Mensch ist dem Vieh gleich, das vertilgt wird.“ Tod und Hoffnung gegen den Tod in Ps 49 und bei Kohelet (BthSt 50), Neukirchen-Vluyn 2005, 70–75. 70 Janowski, Konfliktgespräche, 321 Anm. 49. 71 Auld, Re-telling, 285; Ders., Pluralism where Least Expected? Joshua 22 in Biblical Context, ET 122 (2011) 374–379. 72 Für weitere Beispiele Auld, Re-telling, 283: הוא ידע, איש אחד, גדול למראה. 73 E. Noort, Der Streit um den Altar. Josua 22 und seine Rezeptionsgeschichte, in: R. Albertz (Hg.), Kult, Konflikt und Versöhnung. Beiträge zur kultischen Sühne in religiösen, sozialen und politischen Auseinandersetzungen des antiken Mittelmeerraumes (AOAT 285), Müns69
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Ed Noort
Erzählung (AJ 5:100)74 stellt sich an die Seite der Transjordanier und übernimmt die Erklärung von Jos 22,27: Die Ostjordanier bauten einen Altar als „Gedenkzeichen für die Nachkommen, [als Symbol] ihrer Verwandtschaft mit denen, die auf der anderen Seite (des Jordans) lebten“ (AJ 5:100). Und schon in der Abschiedsrede zu den Transjordaniern habe Josua betont, dass der Jordan keine Trennung sein dürfe, weil alle diesseits und jenseits des Jordans Nachkommen Abrahams seien (AJ 5:97). Die zentrale Frage der Disputation war, wer wo in der Zukunft ein חלק ביהוה haben kann. Vordergründig geht es um die Exklusivität des einzigen Heiligtums und dessen Altar. Die Antwort der Ostjordanier ist nicht ein Opferaltar, sondern das Abbild eines Altars als Zeichen für die Einhaltung der Exklusivität des in den Mantel von Schilo gehüllten Jerusalemer Tempels und für die unbedingte Jhwh-Treue, die auch jenseits des Jordans gilt und die in der verwendeten Psalmensprache mitklingt. Die Einführung des (un)möglichen Altars greift die weiteren Funktionen, die ein Altar über seine Opferfunktion hinaus in weiten Textbereichen haben kann, auf, und charakterisiert ihn so als תבנית. Durch die Disputation wird ein drohender Bürgerkrieg abgewendet und der Konflikt friedlich gelöst.
ter 2001, 151–174; C. T. Begg, Josephus’ and Pseudo-Philo’s Rewritings of the Book of Joshua, in: Noort (Hg.), Book of Joshua, 555–588. 74 Σύμβολον wurde wahrscheinlich später von AJ 5:112 aus eingefügt.
Hannas Lobgesang im Kontext Beobachtungen zu 1 Samuel 2,1–10 im Kontext der Samuelbücher Heinz-Dieter Neef
Hannas Lobgesang findet sich mitten in der Erzählung der Jugendgeschichte Samuels. Er folgt unmittelbar auf 1 Sam 1 mit seinem Proömium (1,1–3), der Beschreibung der Kränkungen Peninnas gegenüber Hanna (1,4–8), Hannas Gelübde (1,9–11), dem Zusammentreffen von Hanna und Eli (1,12–18), der Rückkehr Hannas und der Geburt Samuels (1,19 f.) sowie der Übergabe Samuels an das Heiligtum in Silo (1,21–28). Im Anschluss an den Lobgesang wird von der Bosheit der Eliden gesprochen (2,12–17), dem Dienst Samuels vor Jahwe und Hannas Glück (2,18–21), den Schandtaten der Söhne Elis (2,22–26), dem Besuch des Gottesmannes bei Eli (2,27–34) sowie der Offenbarung Jahwes an Samuel (3,1–21).1 Die Frage nach dem Verhältnis dieses Psalms zu seiner Umgebung wird in der gegenwärtigen Samuelforschung zurecht dahingehend beantwortet, dass er den Inhalt der Samuelbücher im Wesentlichen voraussetze und somit im Kontext von 1 Sam 1–3 sekundär hinzugefügt worden sei. So begründet Hans Joachim Stoebe diese Sichtweise vor allem inhaltlich:
1 Die vorliegende Studie führt die Beobachtungen weiter, die gemacht wurden in: H.‑D. Neef, Hannas Lobgesang (1 Sam 2,1–10). Beobachtungen zu Text, Sprache und Komposition, in: A. Grund u. a. (Hg.), Ich will dir danken unter den Völkern. Studien zur israelitischen und altorientalischen Gebetsliteratur. Festschrift für Bernd Janowski zum 70. Geburtstag, Gütersloh 2013, 340–355; Ders., Der unvergleichliche Gott – Psalm 113 im Spiegel von 1 Sam 2:1– 10, VT 66 (2016) 245–260. – Zur Jugendgeschichte Samuels siehe u. a. O. Eissfeldt, Die Komposition der Samuelisbücher, Leipzig 1931, 4–5.34; M. Noth, Samuel und Silo (1963), in: Ders., Aufsätze zur biblischen Landes- und Altertumskunde I, hg. von H. W.Wolff, Neukirchen 1971, 148–156; J. T. Willis, An Anti-Elide Narrative Tradition. From a Prophetic Circle at The Ramah Sanctuary, JBL 90 (1971) 288–308; K. Budde, Die Bücher Samuel (KHC VIII), Tübingen 1902, 17; J. Dus, Die Geburtslegende Samuels I Sam 1 (Eine traditionsgeschichtliche Untersuchung zu I Sam. 1–3), RSO 48 (1968) 163–194; W. Brueggemann, I Samuel 1. A Sense of a Beginning, ZAW 102 (1990) 33–58; R. Polzin, The Speaking Person and his Voice in 1 Samuel, in: Congress Volume Salamanca 1983 (VT.S 36), Leiden 1985, 218–229; M. Newman, The Prophetic Call of Samuel, in: B. W. Anderson (Hg.), Israel’s Prophetic Heritage. Essays in Honor of J. Muilenburg, London 1962, 86–97; P. Mommer, Samuel. Geschichte und Überlieferung (WMANT 65), Neukirchen-Vluyn 1991, 5–31; H. Bezzel, Saul. Israels König in Tradition, Redaktion und früher Rezeption (FAT 97), Tübingen 2015.
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Heinz-Dieter Neef
Mit diesem Psalm, der der Mutter Samuels bei der „Darbringung im Tempel“ in den Mund gelegt wird, ist die ganze darauf abfolgende Geschichte als Ausfluß und Manifestierung der Weisheit Gottes (V. 2 u. 3) herausgestellt, und das ist eine theologisch absolut richtige Beurteilung des Handelns des geschichtsmächtigen Gottes. […] Wie die Jugendgeschichte Samuels, so setzt auch dieser Psalm den Inhalt der Samuelbücher im Wesentlichen voraus.2
Diese Sicht wird auch von R. Wonneberger übernommen. Er weist darauf hin, dass poetische Stücke mehrfach in den normalen Ablauf von Geschichten eingefügt wurden. Er nennt das Dankgebet Hiskias Jes 38,10–20 und Davids Dankund Siegeslied in 2 Sam 23 als Beispiele. Dieses Verfahren der Einfügung bezeichnet er als „choosing“.3 Es basiere auf einem Anknüpfungspunkt, der den Zusammenhang zwischen einzufügendem Text und erzählter Handlung darstelle. Er sieht diesen Anknüpfungspunkt in der Aussage, dass die Unfruchtbare gebäre und die Kinderreiche dahinwelke (1 Sam 2,5). H.‑P. Mathys teilt diese Sicht auch. Er sieht in 1 Sam 2,1–10 ein „spätnachexilisches Kunstprodukt“4, das unter Aufnahme verschiedener älterer Elemente eigens für den Einsatz nach 1 Sam 1 verfasst worden sei. Das Lied, das in Hannas Mund nicht unpassend wirke, enthalte eine prophetische und weisheitliche Deutung des in den Samuelbüchern berichteten Geschehens. Einige Aussagen des Psalms weisen allerdings keinen Bezug zu 1–2 Sam auf; in den meisten Fällen handele es sich um Theologumena aus spätnachexilischer Zeit. Das Hannalied enthalte eine prophetische, aber stark verhüllte Deutung der in 1–2 Sam erzählten Geschichte.5 Jürg Hutzli begründet in seinen detaillierten Untersuchungen zu 1 Sam 1 f. den Einschub des Hannaliedes in den Kontext von 1 Sam 1–3 mit Hinweisen auf GB und 4QSama. In LXX sei mit dem Bezug des Personalpronomens „ihn“ auf Samuel (2,11) deutlich, dass 2,11 unmittelbar auf 1,28 folgte. Dass sich das Lied in M, LXX einerseits und in 4QSama anderseits an je einem anderen Ort finde, erkläre sich mit dem späten Zeitpunkt der Einfügung des Psalms.6 Walter Dietrich erkennt im Hannalied im Kontext der Jugendgeschichte Samuels deshalb ein sekundäres Element, weil es den Horizont der Erzählung weit überschreite. Dies sei ein deutliches Zeichen für eine literarische Bearbeitung. „Hier muss jemand am Werk gewesen sein, der nicht nur die Geschichte von Hanna und Samuel, sondern die gesamten Samuelbücher vor Augen hatte.“7 2
H. J. Stoebe, Das erste Buch Samuelis (KAT VIII/1), Gütersloh 1973, 107. Redaktion. Studien zur Textfortschreibung im Alten Testament, entwickelt am Beispiel der Samuel-Überlieferung (FRLANT 156), Göttingen 1992, 225. 4 H.‑P. Mathys, Dichter und Beter. Theologien aus spätalttestamentlicher Zeit (OBO 132), Freiburg i. Ue. u. a. 1994, 128 f. 5 Ebd., 130. 6 J. Hutzli, Die Erzählung von Hanna und Samuel. Textkritische und literarische Analyse von 1. Samuel 1–2 unter Berücksichtigung des Kontextes (AThANT 89), Zürich 2007, 154 f. 7 W. Dietrich, Samuel, Teilband 1: 1 Sam 1–12 (BK VIII/1), Neukirchen-Vluyn 2011, 75. 3 R. Wonneberger,
Hannas Lobgesang im Kontext
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Da das Lied in der hebräischen Textüberlieferung an einer anderen Stelle als in der griechischen stehe, nimmt Dietrich an, dass 1 Sam 2,1–10 einst am Rand einer Ur-Handschrift notiert gewesen sei, bevor das Lied voll in den Text integriert wurde. Damit scheide bereits die Möglichkeit aus, das Hanna-Lied einer der älteren Redaktionen (deuteronomistisch oder vor-deuteronomistisch) zuzuschreiben. Zugleich eröffne sich im Blick auf das Alter des Textes eine Alternative: Entweder wurde das Gedicht von vornherein auf seinen jetzigen Kontext hin verfasst oder es existierte zunächst für sich und wurde dann Hanna nachträglich in den Mund gelegt. Auf diesem Hintergrund sollen im Folgenden Argumente gesammelt und dargestellt werden, die für die sekundäre Einfügung des Lobgesangs der Hanna in den Kontext der Jugendgeschichte Samuels sprechen.
I. 1 Sam 1,28 und 1 Sam 2,1.11 Im letzten Abschnitt von 1 Sam 1, in V. 21–28, geht es um die Entwöhnung Samuels und seine Übergabe an das Heiligtum in Silo durch seine Mutter Hanna. In V. 21 ist davon die Rede, dass Elkana und sein Haus hinaufzogen, um Jahwe das jährliche Opfer und seine Gelübde(opfer) darzubringen. Der Vers knüpft damit an das Proömium in V. 1–3 sowie an V. 4 und V. 11 an. V. 3 und V. 21 sind in ähnlicher Weise formuliert, denn hier wie dort geht es um das Hinaufziehen Elkanas nach Schilo, um Jahwe Opfer darzubringen. Mit dem Stichwort „Gelübde“ weist V. 21 zudem auf V. 11 zurück. V. 22 f. geben einen Dialog zwischen Hanna und Elkana wieder. Hanna sagt ihrem Mann, dass sie nicht mit nach Schilo ziehen möchte, denn der kleine Samuel müsse erst entwöhnt werden. Elkana geht auf den Plan seiner Frau rücksichtsvoll ein, was an V. 5.8 erinnert, wo die besondere Fürsorge und Liebe Elkanas zu seiner Frau zum Ausdruck gebracht wird. Von daher kann man V. 23a kaum im Sinne eines Misstrauens Elkanas gegenüber Hanna deuten oder ihr einen leichtfertigen Umgang mit Gelübden unterstellen.8 V. 25 f. nehmen deutlich Bezug auf 1,9.11, in denen es um Hannas Gelübde geht. Es besteht aus zwei Teilen: Situationsschilderung (V. 10) und eigentliches Gelübde (V. 11). Im ersten Teil wird ihre ausweglose Situation geschildert, weshalb sie sich an ihren Gott wendet. Im zweiten Teil geht es um das eigentliche Gelübde, das folgenden Aufbau zeigt:
8
Diese Deutung erörtert Dietrich, ebd., 54.
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1. Verb mit Subjekt + inneres Objekt + Redeeinleitung;9 2. Protasis mit drei Bitten: Beachten der notvollen Situation – Erinnerung – männlicher Nachkomme; 3. Apodosis: Übergabe des Sohnes an das Heiligtum. Hanna wendet sich in ihrer größten Not an Jahwe Zebaoth mit der Bitte um Beistand und der Geburt eines Sohnes. Mit ihrem Gelübde legt sie ihr Schicksal in Gottes Hände. Ihr Gelübde hat die Form eines Gebetes (V. 10b). V. 27 f. nehmen das Stichwort „beten ( פללhitp.)“ auf und lenken mit dem Verb „erbeten“ den Blick auf Samuel. Viermal wird in den beiden Versen das Verb „erbeten“ genannt. Samuel ist ein von Gott „Erbetener“. Nach Dietrich wird hier bewusst das passive Partizip Qal des Verbs verwendet, um eine Beziehung zu „Saul“, dem ersten König Israels herzustellen. „Der Satz wirkt ungelenk, fast unförmig. Doch in ihm tritt buchstäblich der künftige König in den Text.“10 Diese Anspielung auf „Saul“ ist sicherlich gegeben, doch spielt sie an dieser Stelle m. E. keine große Rolle. Im Vordergrund steht vielmehr die Bitte Hannas um einen Sohn, Samuel ist ein von Hanna für Jahwe „Erbetener“. Dies weist wieder zurück auf 1 Sam 1,11. In V. 28 wird noch einmal die lebenslange Übergabe an das Heiligtum betont: „alle Tage“. So heißt es im Gelübde der Hanna (1 Sam 1,11), dass der Erbetene für „alle Tage seines Lebens“ an Jahwe übergeben wird. 1 Sam 2,11 ist als Vers der Verknüpfung der Geburtsgeschichte Samuels mit der Sündengeschichte der Elidensöhne zu verstehen. In V. 11a ist davon die Rede, dass Elkana wieder in sein Haus in Rama zurückkehrt. Der Vers zeigt eine große Nähe zu 1 Sam 1,21, wo vom Zug Elkanas und seines Hauses nach Schilo gesprochen wird. Nun (1 Sam 2,11) kehrt er wieder in sein Haus in Rama zurück. V. 11b leitet dann zu dem Bericht über die Bosheit der Eliden über. Damit schließt sich der Kreis des in 1 Sam 1 berichteten Geschehens. Elkana und sein Haus gehen von Rama nach Schilo und von Schilo nach Rama.11 Blickt man von hier aus auf den Hannapsalm, so hinterlässt er den Eindruck einer Einfügung in einen schon bestehenden Erzählzusammenhang und Erzähltext. Dafür spricht auch die Einleitung in den Psalm „Und Hanna betete und sprach …“ (V. 1aα). 1 Sam 1,28 zeigt den Abschluss des ersten Kapitels an, denn Hannas Gebet ist eigentlich abgeschlossen. Überraschend fügt sich nun ein langes hymnisches Lobgebet an.
9 In der Redeeinleitung wechseln sich die finiten Verbformen und der Infinitiv constructus ab (vgl. mit Infinitiv constructus Gen 28,20; 2 Sam 15,7 f.; mit finiter Verbform: Num 21,2; Ri 11,30). 10 Dietrich, 1 Sam 1–12, 29. 11 Die gleiche überleitende Funktion wie 1 Sam 2,11 übernehmen 2,18 und 3,1. An allen drei Stellen ist vom Dienen Samuels vor Jahwe die Rede.
Hannas Lobgesang im Kontext
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II. Der Hannapsalm im Kontext der Samuelbücher Im folgenden Abschnitt sollen Bezüge des Hanna-Psalms zur Samuel-Erzählung in 1 Sam 1–3 und auch darüber hinaus gesammelt werden. 1. 1 Sam 2,1 V. 1aα setzt ein mit Hannas Freude an Jahwe. Der Psalm verwendet dazu das Verb עלץ, das außer hier im Alten Testament noch sieben Mal begegnet.12 Das Verb steht an einigen Stellen im Kontext der Gegenüberstellung von Gottlosen und Gerechten.13 Während die Gottlosen ständig auf der Flucht sind, oft ihre Herren wechseln, den Geringen bedrücken, die Tora missachten und die Frommen verführen,14 sind die Gerechten verständig, unsträflich, sie bewahren die Tora.15 Die Freude ist ein Attribut der Gerechten, die sowohl den Aussendenden als auch den Empfängern zu einer unbeschreiblichen Zierde und Herrlichkeit gereicht. V. 1aα lässt sich von diesem Verständnis des Verbs her auf 1,4–8, wo Hanna als eine Gerechte beschrieben wird, ebenso auf 1,13, wo von Hannas „Herz“ die Rede ist, sowie auf den Schlussabschnitt 1,20–28, wo Hannas Freude und Stolz an dem kleinen Samuel anschaulich beschrieben werden, beziehen. V. 1aα interpretiert insofern 1 Sam 1, indem er Hannas Weg bis zur Geburt des kleinen Samuel als einen geglückten und dankbaren Weg unter dem Schutz Jahwes interpretiert. V. 1aβ spricht von dem „Horn Hannas“, das hoch in Jahwe ragt. Das „Horn“ steht hier symbolhaft für die schöpferische und tragende Kraft, die von Jahwe ausgeht. Es ist als Zeichen von Kraft und Stärke vor allem in den Psalmen eine viel und gern verwendete Metapher. Der letzte Vers des Hanna-Liedes nimmt das Stichwort „Horn“ auf und spricht von dem Erhöhen des „Hornes seines Gesalbten“. In 2 Sam 22,3 (= Ps 18,3); Ps 92,11 preisen die Beter Jahwe als Schild und Horn ihres Heils.16 Die Rede vom Erhöhen der Kraft Hannas setzt Schwachheit und Leid voraus. Davon ist in 1 Sam 1 oft die Rede: Peninna kränkt Hanna wegen ihrer Kinderlosigkeit (1,6); Elkana fragt Hanna, warum ihr Herz so traurig sei (1,7); der Erzähler beschreibt, dass Hannas „Herz verbittert sei“ (1,10); in ihrem Gelübde spricht Hanna von ihrem „Elend“ (1,11; ähnlich 1,15); Eli deutet ihr Gebet als Trunken12
Ps 5,12; 9,3; 25,2; 68,4; Prov 11,10; 28,10; 1 Chr 16,32. Prov 11,10; 28,12; Ps 68,4. 14 Prov 11,2.5.7.9. 15 Prov 28,12. 16 Neben der Verwendung als Symbol für Kraft und Stärke bezeichnet „Horn“ im Alten Testament konkret das Tierhorn (Gen 22,13 u. ö.), Elfenbein (Ez 27,15), einen Sporn- bzw. Berghang (Jes 5,1), ein Blasinstrument (Jos 6,5), ein Gefäß (1 Sam 16,1.13), Altarhörner (Ex 27,2 u. ö.) und noch einen Ortsnamen in Am 6,13. 13
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heit (1,14) und dreimal wird von Hannas Weinen berichtet (1,7.8.10). Wenn in 2,1aβ vom Aufragen des „Hornes“ die Rede ist, dann wird damit die Befreiung Hannas aus ihrer schwierigen Lage gerühmt. V. 1bα: In den Aussagen der Psalmen über die Feinde lassen sich zwei Gruppen unterscheiden: Zum einen finden sich Aussagen, in denen davon die Rede ist, dass Gott bzw. der Beter die Feinde zerschlagen und verjagen werden.17 Zum anderen finden sich Aussagen, in denen der Beter über die Verfolgung durch die Feinde klagt.18 Er klagt, dass er vor seinen Feinden zum Spott geworden sei19 und dass sie ihm nach dem Leben trachten.20 1 Sam 2,1 ist in die erste Gruppe zu rechnen, da hier aus einem Gefühl des Triumphs und einer Position der Stärke heraus gegen die Feinde Drohungen ausgesprochen werden.21 Dieser Versteil ist lose mit 1 Sam 1 in Verbindung zu bringen. Von „Feinden“ ist hier nicht die Rede, man könnte zwar an Peninna denken, aber sie ist nur eine Einzelperson. Auch wenn Peninna nicht als „Feindin (Hannas)“ bezeichnet wird, so ist sie es faktisch doch. So geht V. 1bα deutlich über die Samuel-Erzählung hinaus. V. 1bβ: Der Hinweis auf die Hilfe und Rettung Jahwes ist vor allem in den Psalmen ein beliebtes Motiv (vgl. etwa Ps 88,2.27; 140,8). Sie wird vor allem mit den Verben ( גיל9,15; 13,6) und ( רנן20,6) zum Ausdruck gebracht. Der Vers beschreibt Hannas Vertrauen und Zuversicht. V. 1bβ lässt sich insofern gut auf 1 Sam 1 beziehen, als Jahwe es ist, der Hanna aus ihrem Leid und den Beleidigungen durch Peninna herausholt. 2. 1 Sam 2,2 Der Vers wird bestimmt durch die dreimalige Negation „es gibt nicht“ sowie den dreifachen Gottesbezug „Jahwe – außer dir – unser Gott“. Die Aussage von Gott als dem „Heiligen“ findet sich auffallend oft im Kontext des Heiligkeitsgesetzes (Lev 19,2 u. ö.) und im Jesajabuch, wo Gott als der „Heilige Israels“ bezeichnet wird (Jes 1,4 u. ö.). In den Psalmen wird Jahwe ebenfalls gerne als „heilig“ bezeichnet (Ps 99,5.9) bzw. sein Name als „heilig“ gepriesen (99,3).22 Die Kennzeichnung Gottes als „Fels“ ist im Alten Testament eine geläufige Metapher, die vor allem in der Psalmensprache Verwendung findet. Gott wird als „mein Fels“ (2 Sam 22,3.47; Ps 19,15 u. ö.), „unser Fels“ (Dtn 32,31) oder „ihr 17
Gott: Ps 3,8; 68,2.22; 92,10 f.; 97,3; 143,12 – Beter: 18,38; 27,6. Ps 13,3; 43,2; 56,2. 19 Ps 31,12; 80,7. 20 Ps 143,3. 21 Vgl. zu dieser Problematik immer noch O. Keel, Feinde und Gottesleugner. Studien zum Image der Widersacher in den Individualpsalmen (SBM 7), Stuttgart 1969. 22 Zur Rede von der „Heiligkeit“ im Alten Testament vgl. D. Kellermann, Art.: Heiligkeit, TRE 14, 1985, 697–703. 18
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(= Israels) Fels“ (Ps 78,35) charakterisiert. Außer dem Gott Israels kann niemand den Titel „Fels“ für sich beanspruchen. Er ist der Fels, der ewig seinem Volk Israel beistehen wird (Jes 26,4). Verbindungslinien von V. 2 lassen sich zu zwei Stellen in den Samuelbüchern ziehen. In 1 Sam 6,20 werden die Leute von Beth-Schemesch zitiert, die fragen: „Wer kann bestehen vor dem Herrn, diesem heiligen Gott?“ Im Danklied Davids (2 Sam 22,2.47) spricht David von dem Herrn als „mein Fels … und mein Erretter“ und als dem „Fels meines Heils.“ Der Bezug des Hannaliedes zum Danklied Davids dürfte kein Zufall sein, bilden doch beide Psalmen einen Rahmen um die Samuelbücher. 3. 1 Sam 2,3 V. 3aα setzt mit einem Vetitiv ein, um vor hochmütigem Reden zu warnen: „Ihr sollt nicht auf das Hochmütigste reden.“ Es ist nicht recht deutlich, welche Gruppe damit angeredet werden soll. V. 1 wird dominiert von der 1. Person Singular (Hanna), V. 2 redet in der 1. Plural und nun wechselt die Rede in die 2. Plural. Ob damit die Reihe der Herrscher von Antiochus IV. (175–164) an gemeint sein soll, scheint aus chronologischen Gründen unwahrscheinlich.23 M. E. werden damit Widersacher angesprochen, die das rechte Wort nicht finden. Die Mahnung setzt ja voraus, dass Hochmütiges geredet wurde, deshalb müssen die, die so daherreden, ermahnt werden. Die Wiederholung des Nomens bzw. Adjektivs muss als Steigerung verstanden werden.24 Das Nomen „Vermessenes“ ( )עתקin V. 1bß liegt auf gleicher Ebene wie die Aussage in V. 1aα. Es begegnet nur viermal im Alten Testament, die nächste Parallele ist Ps 75,5–8. Hier werden die Gottlosen ermahnt: „… redet nicht so halsstarrig.“ Man kann es auch mit „trotzig“ oder „rechthaberisch“ übersetzen.25 V. 3b: Der Versteil enthält gewichtige Aussagen über Jahwe. Er wird als „allwissender Gott“ und als „einer, der Taten prüft“ charakterisiert.26 Das Nomen „Taten“ ( )עלילהwird im Alten Testament zur Umschreibung der guten Taten Gottes27 und der gottlosen Taten der Menschen verwendet.28 In die letztgenannte Kategorie ist die Aussage von 1 Sam 2,3bβ einzuordnen. In Dtn 22,14.17 erscheint es im Kontext der Gesetze über Ehe und Sittlichkeit: Der Mann, der einem Mädchen „Schändliches“ nachsagt, soll dafür bestraft werden. 23
So u. a. Hutzli, Die Erzählung von Hanna und Samuel, 166. Koh 7,24; Prov 20,14; Jes 6,3; Gen 7,19; Num 14,7; Ex 1,7; Ez 42,15; – W. Gesenius’, Hebräische Grammatik, völlig umgearbeitet von E. Kautzsch, Leipzig 1909 = Hildesheim u. a. 1977, § 133 k. 25 Vgl. noch Ps 32,19; 75,6; 94,4. 26 Die Wendung „allwissender Gott“ begegnet im Alten Testament nur hier. In Hiob 36,4 wird der Plural von „Wissen“ nicht auf Jahwe bezogen. 27 Jes 12,4; Ps 9,12; 66,5; 77,13; 78,11; 103,7; 105,1; 1 Chr 16,8. 28 Ez 20,43 f.; 21,29; 24,14; 36,17.19; Zeph 3,7.11; Ps 14,1; 99,8; 141,4. 24 Vgl.
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V. 3 lässt sich durchaus mit 1 Sam 1,6 f. verbinden, wo Peninna als „Feindin“ Hannas beschrieben wird. Die Kränkungen Hannas durch Peninna sind am ehesten mit Worten denkbar. Man kann zudem Beziehungen zu dem frechen Reden der Elisöhne (1 Sam 2,12–17) in Anschlag bringen. Ob die in V. 3aα verwendete Wurzel „ גבהּhoch sein“ eine Verbindung zu der Größe Sauls zeigt (1 Sam 9,2; 16,7) und ebenso an Goliath denken lasse (1 Sam 17,4), scheint mir nicht ohne weiteres möglich.29 4. 1 Sam 2,4 V. 4 lebt von dem Gegensatz zwischen den „Heldenbögen“, die zerbrochen sind, und den Strauchelnden, die neue Kraft schöpfen. Der Bogen ist im Alten Testament fast durchweg Symbol für Kampf und Stärke.30 Er wird gerne zusammen mit Pfeil,31 Speer32 sowie Schwert und Krieg33 genannt. Neben seiner kriegerisch-militärischen Funktion ist im Alten Testament aber auch vom Bogen als Jagdgerät34 und vom Regenbogen35 die Rede. Der markanteste Bezug von V. 4 ist nicht derjenige zur Erzählung von Samuels Jugend und Berufung in 1 Sam 1–3, sondern zum sog. Bogenlied in 2 Sam 1,18: „Und er sprach: ‚Lehrt Judas Söhne den Bogenkampf.‘ Aufgezeichnet ist dieser im Buch der Heldenlieder.“ Die Bedeutung des Bogenkampfes wird in 1 Sam 22,35 mit der Rede vom „ehernen Bogen“ deutlich. In 1 Sam 31,3 „sind es philistäische Bogenschützen, die durch ihre überlegene Bewaffnung Saul in panischen Schrecken versetzen.“36 Es ist wohl auch kein Zufall, dass Jonathan im Unterschied zu Saul als der Mann mit dem Bogen erscheint.37 Man muss allerdings zugestehen, dass V. 4 recht allgemein formuliert ist und man keine Hinweise darauf findet, wer nun konkret diese „Helden“ sind. 5. 1 Sam 2,5 V. 5aα: Die Rede von den „Satten“ bzw. dem „Sattsein“ begegnet hier im wörtlichen Sinn. Ansonsten steht das Adjektiv meist im Kontext einer Altersangabe.38 Die Kombination von „Brot“ und dem Nif῾al des Verbs שׂכרist einmalig im Alten Testament. 29
Dies erwägt Mathys, Dichter und Beter, 133. Vgl. 2 Sam 22,35; Ps 18,35; Hiob 20,24. 31 Vgl. u. a. 2 Kön 13,15 u. ö. 32 Vgl. u. a. Jer 6,23 u. ö. 33 Vgl. u. a. Gen 48,22; Jes 41,2 u. ö. 34 Vgl. Gen 37,3. 35 Vgl. Gen 9,13 f. 16. 36 H. J. Stoebe, Das zweite Buch Samuelis (KAT VIII/2), Gütersloh 1994, 94. 37 1 Sam 18,4. 38 Vgl. Gen 25,8; 35,29; Hi 42,17; 1 Chr 29,28. 30
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V. 5aβ: Hier werden antithetisch den „Satten“ die „Hungrigen“ gegenübergestellt. Letztere begegnen im Alten Testament u. a. zusammen mit den „Müden“39 und den „Durstigen“40. In Prov 27,7 werden beide Gruppen zusammengenannt: „Ein Satter tritt Honigseim mit Füßen; aber einem Hungrigen ist alles Bittere süß.“ V. 5b: Der Versteil wechselt von der Rede von den „Satten“ und „Hungrigen“ zu der „unfruchtbaren Frau“ und „derjenigen, die viele Kinder hat“. Das Bild von der Mutter mit den sieben Söhnen findet sich auch in Jer 15,9: „… eine Mutter von sieben Söhnen sank um ( אמלpul.), verlor ihre Sinne …“ Es geht in Jer 15 um die Antwort Gottes auf das von Jeremia im Namen der Gemeinschaft vorgetragene Klagegebet. Es ist interessant, dass Jahwes Antwort mit den Hinweisen auf Mose und Samuel (!) eröffnet wird: „… selbst wenn Mose und Samuel vor mich träten, hätte ich kein Herz für dieses Volk …“ Der historische Hintergrund der Aussage ist möglicherweise die Belagerung Jerusalems 598/97. Jer 15,7 formuliert deutlich Gottes Gericht an seinem treulosen Volk. Mit der Rede von den „sieben Söhnen“ wird offenbar das umfassende Mutterglück beschrieben. So heißt es in Rut 4,15: „… sie (sc. Rut) ist dir mehr wert als sieben Söhne!“ Die Rede von den „sieben Söhnen“, die eine Unfruchtbare bekommt, weist zudem auf Gott und seinen Segen hin. Fruchtbarkeit ist die Konkretisierung göttlichen Segens.41 V. 5b ist sehr gut auf die Erzählung von Samuels Geburt zu beziehen.42 Die „Unfruchtbare“ ist in diesem Kontext Hanna, von der es heißt, sie habe keine Kinder (1,2), weil Jahwe ihren Mutterschoß verschlossen habe (1,5 f.). Diejenige „die viele Kinder hat“, ist Peninna, denn von ihr heißt es, sie habe „Kinder“ (Plural, 1,2). 6. 1 Sam 2,6 V. 6 eröffnet eine Reihe von Aussagen über Gottes Tun. Es sprengt alle menschlichen Vorstellungen, denn er ist einer, der tötet, und einer, der lebendig macht, d. h. er ist Herr über Leben und Tod. Die Aussage des Verses weist deutlich in die Psalmen hinein. So dankt der Beter Gott dafür, dass er ihn von den Toten heraufgeholt und ihn so am Leben erhalten habe (Ps 30,4 עלהhif.). Ähnlich ist in Ps 43,16 die Rede davon, dass Gott den Beter erlösen und aus der Gewalt des Todes erlösen werde. In Ps 86,13 dankt der Beter Gott dafür, dass er ihn aus der Tiefe des Todes errettet hat.43 39
Vgl. 2 Sam 17,29. Vgl. 2 Sam 17,29; Hi 5,5; 22,7; Jes 29,8; Ps 107,5.9. 41 Vgl. Dtn 7,14. 42 Mathys, Dichter und Beter, 130. 43 Vgl. noch Ps 116,3. 40
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Das Partizip Pi. von חיהbegegnet mit „Gott“ als Subjekt nur noch in Neh 9,6 im Kontext des großen Bußgebetes. Hier wird Jahwe als Schöpfer des Himmels und der Erde mitsamt allen Lebewesen auf ihr beschrieben und dabei gerühmt: „Du gibst ihnen allen Leben.“ Die Rede vom tötenden und lebendig machenden Herrn in V. 6a wird in V. 6b mit dem Hinweis auf den in die Scheol führenden und aus ihr herausführenden Herrn konkretisiert und damit präzisiert. In Ps 119 bittet der Beter mehrfach Gott darum: „Lass mich am Leben!“44 Die Rede vom Herausführen aus der Scheol hat eine auffallende Parallele in Hiob 7,9. Hier formuliert Hiob im Gespräch mit Eliphas die Aussage, dass derjenige, der in die Scheol hinuntergehe, nicht mehr aus ihr herauskomme. Die Totenwelt gilt hier als „Land ohne Rückkehr“.45 Eine direkte Verbindung zur Jugendgeschichte Samuels lässt sich mit diesem Vers nicht herstellen. W. Dietrich verbindet ihn mit der Erzählung in 1 Sam 28.46 Hier ist allerdings nicht Jahwe, sondern die Frau aus En-Dor Subjekt. 7. 1 Sam 2,7 Es geht in diesem Vers um Armut und Reichtum. Ähnliche Aussagen finden sich in der Weisheit und in den Psalmen. So ist in Prov 10,22 die Rede davon, dass der Segen Jahwes reich mache. In Ps 75,8 wird auf Gott, den Richter, hingewiesen, der den einen erniedrigen ( שׁפלhif.) und den anderen erhöhen kann ( רוםhif.). Der Vers bleibt insofern unbestimmt, als nicht gesagt wird, wen Jahwe erniedrigt und wen er erhöht. In diesem Punkt unterscheidet er sich von den Psalmen, wo u. a. davon die Rede ist, dass Jahwe die Gottlosen erniedrigt. Die Motive, die hier genannt werden, lassen sich alle in den Psalmen wiederfinden. Ein direkter Bezug zur Jugendgeschichte Samuels lässt sich jedoch nicht herstellen. Man könnte allenfalls die Rede von „reich und arm machen“ und von „erniedrigen und erhöhen“ durch Jahwe auf die Situation von Hanna und Peninna beziehen, denn bei beiden Frauen werden die Welten auf den Kopf gestellt. 8. 1 Sam 2,8 Die in V. 7 begonnene Partizipialkonstruktion wird in V. 8 weitergeführt. Die Themen Armut und Reichtum, Erhöhung und Erniedrigung werden mit anderen Bildern weitergeführt. V. 8a hat die Armen und Bedürftigen im Blick, die aus dem Staub und der Aschengrube herausgeholt werden. Beide Personengruppen werden oft in den Psalmen genannt. So wird in Ps 41,2 derjenige gepriesen, der sich der Armen ( )דלannimmt. Der Bedürftige ( )אביוןwird nicht weniger häufig 44
Ps 119, 25.37.40.88.107.149.154.156.159. Vgl. F. Horst, Hiob, 1. Teilband Hiob 1–19 (BK XVI/1), 117. 46 Dietrich, 1 Sam 1–12, 72. 45
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in den Psalmen genannt.47 Beiden Gruppen wird in den Psalmen die Rettung durch Gott zugesprochen (Ps 72,13; 82,4). Mit einer Infinitivkonstruktion wird als Ziel der Erhebung der Armen deren Wohnen bei „Edlen“ und das Geschenk eines Ehrenthrones genannt. Mit den „Edlen“ sind offenkundig die Repräsentanten der Völker gemeint. So heißt es in Ps 47,10: „Die Edlen der Völker haben sich versammelt, das Volk des Gottes Abrahams …“ Mit dem „Ehrenthron“ dürfte allgemein eine Ehrenstellung oder ein Ehrensitz bezeichnet werden (Jes 22,22).48 Erniedrigten Menschen wird die Ehre zuteil, eine Ehrenstellung zu bekommen. V. 8 wird mit einer schöpfungstheologischen Aussage abgeschlossen. Jahwe wird als Gründer und Erhalter des Erdkreises gerühmt. Ähnliche Aussagen finden sich vor allem in den Psalmen (Ps 9,9; 24,1; 89,12; 93,1; 96,10.13 u. ö.). Eine direkte Verbindung mit der Samuel- und Hannaerzählung lässt sich hier nur im allgemeinen Sinn herstellen, indem man in „Hanna“ eine Arme und Bedürftige sieht, die „erhoben“ wird und eine Ehrenstellung bekommt. H. J. Stoebe sieht in der Rede vom „Ehrenthron“ eine Anspielung an den „Thron Davids“ (2 Sam 3,10). Diese Anspielung würde jedoch voraussetzen, in David einen „Armen und Bedürftigen“ zu sehen, was er nach der Überlieferung der Samuelbücher nicht ist. „Der Verfasser hat in David keinen Armenmessias gesehen, wie V. 10 deutlich macht.“49 9. 1 Sam 2,9 In V. 9 wird Jahwe als Bewahrer seiner Frommen und als Richter der Gottlosen beschrieben. Die Rede vom Bewahren der Frommen (V. 9aα) findet sich etwa in Prov 2,8, wo es heißt, dass er „den Weg seiner Frommen bewahrt.“ In Ps 37,28 begegnen ähnlich wie in 1 Sam 2,9 die Frommen und die Gottlosen nebeneinander: „Denn Jahwe … verlässt seine Frommen nicht …, aber die Nachkommen der Gottlosen werden ausgetilgt.“ In Ps 97,10 ist vom Bewahren der „Seelen seiner Frommen“ die Rede. V. 9aβ: In diesem Vers geht es um den Untergang der Gottlosen. Eine ähnliche Aussage findet sich in Prov 15,29, wo betont wird, dass Jahwe fern von den Gottlosen sei. V. 9b: Eine inhaltliche ähnliche Aussage findet sich in dem Wort Jahwes an Serubbabel in Sach 4,6: „Nicht durch Heeresmacht und nicht durch Gewalt, son47 Aus der Fülle der Belege seien nur genannt: Ps 9,19; 72,12 f.; 109,16.22 u. ö. – Zu dieser Thematik vgl. die grundlegende Studie von J. Bremer, Strukturbeobachtungen zur Armentheologie des Psalters, in: M. Saur (Hg.), Die kleine Biblia. Beiträge zur Theologie der Psalmen und des Psalters (BThSt 148), Neukirchen-Vluyn 2014, 1–36. 48 Die Verbindungen mit „Thronsitz“ als nomen regens sind vielfältig: „der Thron seines Königreiches“ (Dtn 17,18); „der Thron Davids“ (2 Sam 3,10); „der Thron Israels“ (1 Kön 2,4); „der Thron des Herrn“ (Jer 3,17). 49 Mathys, Dichter und Beter, 134.
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dern durch meinen Geist, spricht Jahwe der Heerscharen.“ Die Aussage ist die, dass alles durch den Willen Gottes geschieht. Von daher lässt sich der Vers paraphrasieren mit „Nicht durch eigene Kraft, sondern allein durch Gottes Geist und Kraft wird ein Mann stark.“ V. 9a lässt sich durchaus auf die Samuelerzählung beziehen. So verhält sich Samuel wie ein Gerechter und Frommer, die Elisöhne dagegen wie Gottlose. H.‑P. Mathys findet darüber hinaus noch einen Bezug auf das Verhalten Davids Saul gegenüber. So spricht Saul davon, dass David „gerechter als er“ (1 Sam 24,18) sei. „Das erste Samuelbuch wird nicht müde zu betonen, dass David sich dem ersten König Israels gegenüber immer gerecht verhalten habe. Ihn hat Gott behütet, während Saul umgekommen ist.“50 10. 1 Sam 2,10 V. 10aαβ: Es geht in diesem Vers um Jahwes Feinde. Er wendet sich gegen sie mit all seiner irdischen und himmlischen Macht. Das Verb רעםhif. „donnern lassen“ wird mit Jahwe als Subjekt noch in 2 Sam 22,14 verwendet: „Vom Himmel her donnert der Herr …“ Die Aussage ähnelt durchaus derjenigen in 1 Sam 2,10. Das Erheben der Stimme Jahwes zum Donnern scheint ein fester Topos in der Charakterisierung Jahwes zu sein: 1 Sam 7,10; Hiob 37,4 f. V. 10aγ: Dass Jahwe die Völker, die Heiden und den Erdkreis richtet, ist eine Überzeugung, die vor allem in den Psalmen zum Ausdruck gebracht wird. Völker: Ps 7,9; 96,10; Hiob 36,31; Erdkreis: Ps 9,9; Heiden: Ps 110,6. V. 10b: Die Kraft als Geschenk Gottes ist ein beliebtes Psalmenmotiv: Ps 29,11; 140,8 u. ö. Mit der Rede vom Erheben des Horns greift der Psalm wieder an seinen Anfang zurück (V. 1). Die Rede vom „Gesalbten“ bezieht sich deutlich auf Saul und David. In der Begegnung Davids mit Saul in der Höhle von En-Gedi begründet David sein Verhalten gegenüber Saul damit: „… denn er ist der Gesalbte des Herrn.“ (1 Sam 24,11). Saul wird noch als der „Gesalbte des Herrn“ in 1 Sam 26,9.11.16.23; 24,7; 2 Sam 1,14.16 beschrieben. In 2 Sam 22,51 ist davon die Rede, dass Gott seinem Gesalbten (sc. David) Gnade erweist. So weist dieser Titel deutlich in das ganze Samuelbuch hinein.
III. Zusammenfassung Abschließend sollen die Argumente zusammengefasst werden, die dafür sprechen, dass der Hannapsalm an dieser Stelle eingefügt wurde. Zugleich soll gezeigt werden, dass er z. T. die Ereignisse des Samuelbuches vorbereitet. In seinem Kommentar zum Hannalied schreibt J. P. Fokkelman: 50
Ebd., 133.
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In 2:11 we meet the father, the boy, the priest, and God – but where is Hannah? A highly remarkable ellipsis omits her from the text. It is as if she has to remain present in the song and the immediate vicinity, in the place where she put into words the destiny of her child twice and implied it once in an exceptional poem; in the place where, from now on, the consecrated Samuel is to live and grow: Shiloh.“51
Fokkelman beobachtet hier zurecht, dass ab 2,11 Hanna nicht mehr im Zentrum der Erzählung steht. Von hier aus ist verständlich, dass der Hannapsalm gerade an der Stelle zwischen 1,28 und 2,11 eingefügt wurde. Es gibt keinen besseren Ort als diesen. 1 Sam 1,28 zeigt den Abschluss des ersten Kapitels an, denn Hannas Gebet ist eigentlich abgeschlossen. Dass jetzt noch ein hymnisches Lobgebet folgt, ist überraschend. Für eine Einfügung spricht die LXX-Überlieferung. In 1 Sam 1,28 heißt es: „Und ich stelle ihn dem Herrn zur Verfügung alle Tage, die er lebt, als Leihgabe für den Herrn.“ Und in 1 Sam 2,11 wird mit „ihn“ daran angeknüpft: „Und sie ließen ihn (αὐτὸν) dort vor dem Herrn …“ Der Hannapsalm weist folgende Bezüge zur Jugendgeschichte Samuels auf: ȤȤ 1 Sam 2,2aα lässt sich sowohl auf 1,4–8, wo Hanna als eine Gerechte beschrieben wird, als auch auf 1,13, wo von Hannas „Herz“ die Rede ist, sowie auf 1,20– 28, wo Hannas Freude über den kleinen Samuel ausgedrückt wird, beziehen. Ȥ Die Rede vom Erhöhen der Kraft Hannas in 1 Sam 2,1aβ setzt Schwachheit und Leid voraus, wovon in 1 Sam 1 mehrfach die Rede ist (1,6.7.10.11.14 f.). ȤȤ 2,1aβ lässt sich zudem lose mit 1 Sam 1 in Verbindung bringen, da Peninna als Feindin Hannas erscheint. ȤȤ 2,1bβ lässt sich insofern gut auf 1 Sam 1 beziehen, als Jahwe es ist, der Hanna aus ihrem Leid und den Beleidigungen durch Peninna herausholt. ȤȤ 2,3 lässt sich mit 1,6 f. in Verbindung bringen, denn die Beleidigungen Peninnas sind am ehesten durch Worte denkbar. ȤȤ 2,5b ist sehr gut auf die Erzählung von Samuels Geburt zu beziehen. Die „Unfruchtbare“ kann mit Hanna in Verbindung gebracht werden: 1,2.5 f. ȤȤ Die in 2,7 genannten Motive kann man auf die Situation von Hanna und Peninna beziehen, denn bei beiden Frauen werden die Welten gleichsam auf den Kopf gestellt. Vom Hannapsalm aus lassen sich zahlreiche Verbindungslinien in die Samuelbücher ziehen: ȤȤ 2,1aβ: Die Rede vom „Horn“ begegnet in 2 Sam 22,3 (= Ps 18,3); hier wird davon gesprochen, dass die Beter Jahwe als Schild und Horn ihres Heils preisen. 51 J. P. Fokkelman, Narrative Art and Poetry in the Books of Samuel. A full interpretation based on stylistic and structural analysis (SNN), Volume IV: Vow and Desire (I Sam. 1–12), Assen 1993, 111.
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ȤȤ 2,2: In 1 Sam 6,20 werden die Leute von Beth-Schemesch zitiert: „Wer kann bestehen vor dem Herrn, diesem heiligen Gott?“ – Im Danklied Davids spricht David von dem Herrn als „dem Fels meines Heils“ (2 Sam 22,2). ȤȤ 2,3: Hier wird Jahwe charakterisiert als „allwissender Gott“ und als „einer, der Taten prüft“. Es liegt nahe, hier an die Beleidigungen Peninnas gegenüber Hanna und das rücksichtslose Verhalten der Elisöhne zu denken. ȤȤ 2,4: Die Rede vom „Bogen“ lässt eine Verbindung zu Saul herstellen, der durch philistäische Bogenschützen in Angst und Schrecken versetzt wurde (1 Sam 31,3). Ebenso kann man eine Beziehung zum sog. Bogenlied in 2 Sam 1,18 herstellen. In 1 Sam 18,4 wird Jonathan als Mann mit dem Bogen beschrieben. ȤȤ 2,5: Dieser Vers erlaubt nicht nur eine Verbindung zu Hanna, sondern auch zur Rede von der Mutter mit den sieben Söhnen in Jer 15. ȤȤ 2,6: Der Vers führt wie kein anderer in die Welt der Psalmen hinein, wo Jahwe oft als der Herr über Leben und Tod beschrieben wird. ȤȤ 2,7: Die in diesem Vers genannten Bilder von Armut und Reichtum führen ebenso direkt in die Welt der Psalmen. ȤȤ 2,8: Ähnliche schöpfungstheologische Aussagen wie hier finden sich zahlreich in den Psalmen. ȤȤ 2,10: Die Rede vom „Gesalbten des Herrn“ führt direkt zu Saul, der an vielen Stellen im Samuelbuch als „der Gesalbte des Herrn“ beschrieben wird. Die Beziehungen des Hannapsalms zur Jugendgeschichte Samuels, vor allem zu 1 Sam 1, sind sehr eng. Darüber hinaus lassen sich Verbindungslinien in die Samuelbücher ziehen, d. h. die Saul- und Davidüberlieferung muss bereits vorgelegen haben. Genauere Angaben lassen sich allerdings angesichts der eher punktuellen Bezüge leider nicht machen.
IV. Erwägungen zur Datierung des Hannapsalms Bevor ein Schlussfazit aus den Beobachtungen gezogen wird, soll noch ein Abschnitt über eine mögliche Datierung des Liedes eingeschoben werden. Dabei ist deutlich, dass hier nur sehr vorsichtig vorgegangen werden kann, denn Datierungen von Psalmen sind notorisch schwierig, aber dennoch muss es zur Situierung des Psalms versucht werden.52 52 In jüngsten Publikationen zu den Psalmen wird nicht selten auf eine Datierung ganz verzichtet. So etwa in der wichtigen Studie von S. Eder, Identifikationspotenziale in den Psalmen. Emotionen, Metaphern und Textdynamik in den Psalmen 30, 64, 90 und 147 (BBB 183), Göttingen 2018. – Zu den Schwierigkeiten bezüglich Datierungsfragen vgl. die – freilich sich auf Erzählungen beziehenden – wichtigen Bemerkungen von E. Blum/K. Weingart, The Joseph Story. Diaspora Novelle or North-Israelite Narrative?, ZAW 129 (2017) 501–521, bes. 501 f.
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M. E. ist ein Datum aufgrund des Inhaltes des Psalms nicht zu hinterfragen: Da der Psalm vom „König Jahwes“ spricht, ist eine vorkönigliche Entstehung ausgeschlossen. Terminus a quo des Psalms ist die Königszeit. Eine extrem frühe Datierung hat im Unterschied dazu J. T. Willis erwogen. Er hält sogar eine Entstehung zwischen dem 13. Jh. v. Chr. und 10. Jh. v. Chr. für möglich. Er verweist dabei auf die alten Lieder Ex 15,1–18 und Ri 5.53 Hier sieht er inhaltlich eine große Nähe des Hannaliedes zu diesen Psalmen. Es seien nordisraelitische Psalmen, die dann vom Jerusalemer Kult übernommen worden seien. Im Unterschied zu Willis erwägt Jürg Hutzli eine extrem späte Entstehung des Psalms, den er in persischer oder hellenistischer Zeit ansetzt. Aufgrund der erwähnten Bezüge zu Stellen in 1–2 Samuel und des angenommenen Motivs des Verfassers, mit seiner Dichtung eine Lesehilfe für die Lektüre der Samuelbücher zu schaffen, ist eine Entstehung in persischer oder hellenistischer Zeit wahrscheinlich. Bei genaueren Hinsehen gibt es im Hannalied einzelne Motive und Aussagen, die gut in die Zeit des Hellenismus, möglicherweise in die Zeit Antiochus IV. Epiphanes passen würden […].54
Er begründet dies mit V. 1.10 und dem dort genannten Horn und verweist dabei auf griechische Münztypen mit Darstellungen von hellenistischen Herrschern mit Hörnerschmuck. Den Ausdruck in V. 10 „der gegen ihn (Jahwe) Streitende“ bezieht er auf Antiochus IV. Epiphanes, der „als Inbegriff des Bösen“55 angesehen worden sei. Ebenso bezieht er V. 3 auf Antiochus IV. Epiphanes, weil er für sein Reden von „ungeheuerlichen“ Dingen bekannt gewesen sei. Ebenso sieht er in V. 2.8 Bezüge zu diesem Herrscher. Dieser Datierungsvorschlag ist höchst originell, aber er trifft m. E. keineswegs die Situation des Psalms. Das Problem extremer Spätdatierungen betrifft zudem die Textüberlieferung und das mögliche Verhältnis zur Septuaginta. H.‑P. Mathys sieht in dem Psalm ein spätnachexilisches Kunstprodukt, das eigens für den Einsatz nach 1 Sam 1 verfasst worden sei. Er sieht das Lied im Kontext der beiden Samuelbücher, wobei jedoch nur zu einigen ausgewählten Stellen in 1–2 Sam Bezug genommen würde.56 Walter Dietrich unterteilt das Lied in einen Text I und Text II. Text I deutet er als Königslied „aus der (judäischen) Königszeit“57. Sitz im Leben könnte gut die Inthronisation eines Herrschers (wohl im Tempel von Jerusalem) sein. Text II dagegen sei das Lied eines Frommen aus nachexilischer Zeit. Das Thema von Text II sei das Wesen und Wirkens Jahwes, der alles wisse und alles könne. Darüber hinaus gehe es um das Verhalten der Menschen und nicht mehr nur des 53 J. T. Willis, The Song of Hannah and Psalm 113 (CBQ 35) 1973, 139–154. Vgl. dazu ausführlicher H.‑D. Neef, Der unvergleichliche Gott, 253 f. 54 Hutzli, Die Erzählung von Hanna und Samuel, 163. 55 Ebd., 165. 56 Mathys, Dichter und Beter, 126–146. 57 Dietrich, 1 Sam 1–12, 79.
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Königs. Die Vereinigung der beiden Texte zu dem einen Hannalied gebe eine Antwort auf die Frage, „wie die Samuelbücher in einer nichtköniglichen Zeit gelesen werden können und welche Bedeutung sie für Menschen haben mögen, die nichts oder höchstens von ferne mit Königshöfen und Staatsgeschäften zu tun haben.“58 Wie lässt sich das Hannalied datieren? Die Vorschläge der Ausleger driften extrem weit auseinander: 13. Jahrhundert v. Chr. bis 2. Jahrhundert v. Chr. Ausgangspunkt der Datierung soll die Frage nach dem historischen Hintergrund der Jugendgeschichte Samuels sein. Im Proömium des Samuelbuches 1 Sam 1,1–3 finden sich eine Reihe von konkreten Angaben, die singulär sind und die daher kaum erfunden worden sind. Elkana wird mit drei Angaben eingeführt: Heimatort – Sippe – Gebiet. Elkanas Heimatort ist „Ramathajim“; der Ort wird hier mit Artikel eingeführt. Die Endung -ajim sieht zwar aus wie ein Dual, doch lässt sich bei vielen der auf -ajim endenden nomina loci nur sehr schwer eine Dualbedeutung nachweisen.59 Man wird in ihr vielleicht eine alte Lokalendung erkennen können.60 Der Ort selbst wird meist mit Rentis (152.159) identifiziert.61 Als weitere Angabe erscheint die allgemeine Angabe „Gebirge Ephraim“, die im Alten Testament entweder das ganze mittelpalästinische Bergland62 oder nur dessen südlichen Teil bezeichnet.63 Die persönliche Vorstellung des Mannes aus Ramathajim wird in V. 1b durch die Bekanntgabe seines Namens und seiner Herkunft abgeschlossen. Mit insgesamt vier genealogischen Elementen sowie einem Gentilicium wird seine Herkunft bezeichnet. Sie entsprechen den drei Elementen in V. 1a, die seine geographische Herkunft angeben, wobei sich das letzte Glied entspricht: Gebirge Ephraim – Ephratiter. Die vierfache Ahnenkette soll nicht nur „Bedeutung und Würde“64 signalisieren, sondern spiegelt eine neue Generation wider: vier Väter = 25 Jahre für eine Generation, das entspricht 100 Jahre für eine gänzlich neue Generation. V. 2 nennt dann die beiden Frauen Elkanas: Peninna und Hanna, in V. 3a wird auf die jährliche Wallfahrt des Mannes mit seiner Familie nach Schilo hingewiesen. Der Hintergrund dieser Wallfahrt ist das jährliche Pilgern zum Heiligtum von Schilo, um dort65 das Herbstfest zu feiern (Ri 21,19–23). Zu diesem 58 Ebd.,
81. Vgl. etwa Ephraim; Mahanajim; Kirjathajim u. a. 60 So mit J. Barth, Die Nominalbildung in den semitischen Sprachen, Leipzig 18942 (Nachdruck Hildesheim 1967), 319 f.; H. Bauer/P. Leander, Historische Grammatik der hebräischen Sprache des Alten Testaments, Halle 1922 (Nachdruck Hildesheim 1962), § 63. 61 Vgl. C. Möller/G. Schmitt, Siedlungen Palästinas nach Flavius Josephus (BTAVO Reihe B Nr. 14), Wiesbaden 1976, 158 f. (mit Literaturangaben). 62 Jos 20,7; 21,21 u. ö.eg. 63 Jos 17,15; 19,50 u. ö. 64 Dietrich, 1 Sam 1–12, 35. 65 Vgl. dazu die immer noch lesenswerte Studie von Noth, Samuel und Silo. 59
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Fest gehörten Speise, Trank, Tanz und gewiss auch der Kult mit Lied, Opfer und Gebet. Diese präzisen Angaben müssen doch wohl auf geschichtlich zuverlässige Nachrichten zurückgeführt werden. Hier ist eine schilonische Tradition greifbar, die zeigen wollte, dass Samuel von dem gesamtisraelitischen Heiligtum von Schilo seinen Ausgangspunkt nahm. Im Lied der Hanna wird nun von einem judäisch-jerusalemischen Standpunkt aus auf die lange Dauer der davidischen Dynastie geschaut. In 1 Sam 2,35 ist von einem „beständigen Haus“ die Rede, ebenso von einem „treuen Priester“, der vor dem Gesalbten Gottes einhergehen werde. Die hier greifbare Theologie ist in exilischer Zeit kaum denkbar. Terminus a quo könnte die Josianische Reform sein. Und in dieser Zeit ab 622 v. Chr. könnte der Hannapsalm in den letzten Jahrzehnten des 7. Jahrhunderts v. Chr. entstanden sein.66 Der Psalm übernimmt diese schilonische Tradition, um im Mund Hannas Jahwe als den einzigen Gott zu rühmen.67 In diese geschichtliche Skizze fügt sich auch gut der Vergleich zwischen 1 Sam 2,1–10 und Ps 113 ein. Der Abschnitt Ps 113,7–9 liest sich wie ein Zitat aus 1 Sam 2,8. Ps 113 ist literarisch wohl von 1 Sam 2,1–10 abhängig. Ps 113,9 lässt sich mit der Rede von der Rehabilitierung der Unfruchtbaren (V. 9) am besten auf dem Hintergrund des Hannapsalms verstehen. Ohne diesen Rückbezug bliebe Ps 113,9 nicht recht verständlich. Der Hannapsalm ist älter als Ps 113. Die Nennung des Königs in V. 10 spricht für die vorexilische Entstehung des Psalms. Ps 113 ist dagegen jünger und wohl in die nachexilische Zeit einzuordnen.68
V. Der Hannapsalm als Prophetie Der Psalm der Hanna hat eine doppelte Aufgabe. Zum einen beschreibt er den hinter den Ereignissen von 1 Sam 1–3 stehenden Gott. Jahwe wird als Allwissender, als Schöpfer und als der gerechte Richter der Welt beschrieben. Er war es, der Hannas Lebensweg ins Glück führte und Samuel zum Wegbereiter des Königtums in Israel und Juda machte.69 Zum anderen blickt der Psalm auch in die Samuelbücher hinein, indem er Hanna wie eine Prophetin auftreten lässt, die das Königtum in Israel und Juda vorhersagt und ihm den Beistand Jahwes zusagt. 66 In diese Zeit datiert auch J. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, Berlin 19634 (= 31899) den Psalm 1, Sam 2 und auch 1 Sam 2,27–36. – Es ist m. E. denkbar, dass diese schilonische Tradition nach dem Untergang des Nordreiches ins Südreich gelangte und dort weiter gepflegt wurde. 67 M. E. ist der Hannapsalm kein „Kunstprodukt“, sondern ein im Gottesdienst geformter und gesprochener Psalm. 68 Zur weiteren Begründung siehe Neef, Der unvergleichliche Gott, 258–260. 69 Die These Brueggemanns, I Samuel 1, 48, nach der es Hanna war, die Israel zur Macht und David zum Thron sang, scheint mir unzutreffend zu sein, denn das Hannalied blickt in allererster Linie auf Jahwe. Hanna hat in dem Lied eine prophetisch-mittlerische Aufgabe.
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Der Hannapsalm ist von daher weit mehr als eine „Lesehilfe“ am Anfang des Samuelbuches.70 Er ist vielmehr als „theologische Exegese“ der Jugendgeschichte Samuels und der Entstehung des Königtums zu verstehen.71 Es ist von daher kein Zufall, dass Targum Jonathan 1 Sam 2,1 mit den Worten wiedergibt: „Und Hanna betete mit dem ‚Geist der Prophetie‘ ( )נבואה ברוחund sagte …“
70 So
Hutzli, Die Erzählung von Hanna und Samuel, 159 ff. Diesen Begriff übernehme ich von E. Tov, Die Septuaginta in ihrem theologischen und traditionsgeschichtlichen Verhältnis zur hebräischen Bibel, in: M. Klopfenstein et al. (Hg.), Mitte der Schrift? Ein jüdisch-christliches Gespräch (JudChr 11), Bern u. a. 1987, 237–265, bes. 242–260. 71
Katastrophengeschichte oder Kultgründungslegende? Gedanken zur Funktion der ursprünglichen Ladeerzählung Thomas Römer
Neben seinen wegweisenden und neuen Grund legenden Beiträgen zur Entstehung des Pentateuchs1 hat sich Erhard Blum, unter vielem anderen, auch mit der Frage der Geschichtsschreibung in den Samuel- und Königebüchern befasst. In verschiedenen Aufsätzen hat er den Unterschied zwischen der hebräischen und griechischen Darstellung von Geschichte aufgezeigt, welcher besonders im Fehlen eines auktorialen Ichs in den narrativen Texten der Hebräischen Bibel zutage tritt.2 Demnach sind die biblischen Darstellungen der Geschichte des Königtums von einer „Unmittelbarkeit von Erzähler und Rezipient gegenüber dem Erzählten“ geprägt.3 Die biblischen Texte „tragen zwar für uns Merkmale fiktionaler Literatur, wären aber in ihrem intendierten Wirklichkeits- und Rezipientenbezug weder als fiktionale noch als nicht-fiktionale Texte zutreffend beschrieben“.4 Es ist mir eine große Ehre und Freude, dem hoch geschätzten Kollegen die folgenden Überlegungen zur Ladeerzählung als einen kleinen Beitrag zur Diskussion um die geschichtlichen Überlieferungen des alten Israels zu widmen. 1 Vor allem E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte (WMANT 57), NeukirchenVluyn 1984; Ders., Studien zur Komposition des Pentateuch (BZAW 189), Berlin/New York 1990. Vgl. weiter Ders., Gibt es die Endgestalt des Pentateuch?, in: J. A. Emerton (Hg.), Congress Volume Leuven 1989 (VT.S 43), Leiden u. a. 1991, 46–57; Ders., Pentateuch – Hexateuch – Enneateuch? oder: Woran erkennt man ein literarisches Werk in der hebräischen Bibel?, in: T. Römer/K. Schmid (Hg.), Les dernières rédactions du Pentateuque, de l’Hexateuque et de l’Ennéateuque (BEThL 203), Leuven u. a. 2007, 67–97; Ders., Noch einmal: Das literargeschichtliche Profil der P-Überlieferung, in: F. Hartenstein/K. Schmid (Hg.), Abschied von der Priesterschrift? Zum Stand der Pentateuchdebatte (VWGTh 40), Leipzig 2015, 32–64. 2 E. Blum, Ein Anfang der Geschichtsschreibung? Anmerkungen zur sog. Thronfolgegeschichte und zum Umgang mit Geschichte im alten Israel, in: A. de Pury/T. Römer (Hg.), Die sogenannte Thronfolgegeschichte Davids. Neue Einsichten und Anfragen (OBO 176), Freiburg i. Ue. / Göttingen 2000, 4–37; Ders., Historiographie oder Dichtung? Zur Eigenart alttestamentlicher Prosaüberlieferung, in: Ders. u. a. (Hg.), Das Alte Testament – ein Geschichtsbuch? Beiträge des Symposiums „Das Alte Testament und die Kultur der Moderne“ anlässlich des 100. Geburtstags von Gerhard von Rad (1901–1971), Heidelberg, 18.–21. Oktober 2001 (Altes Testament und Moderne 10), Münster 2005, 65–86. 3 Blum, Anfang, 10. 4 Ebd., 16–17.
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I. Die Theorie einer selbstständigen Ladeerzählung In seiner Untersuchung über die Überlieferung von der Thronnachfolge Davids stellte Leonhard Rost die Theorie auf, dass den Verfassern der Samuelbücher ältere schriftliche Überlieferungen vorlagen, welche sie in ihre Darstellung der Ursprünge des israelitischen Königtums übernahmen. Neben den großen Erzählzyklen der Aufstiegs- und Thronfolgegeschichte Davids postulierte er ebenfalls die Existenz einer ursprünglichen selbstständigen Laderzählung in 1 Sam 4,1b–7,1 und 2 Sam 6 (genauer: 1 Sam 4,1b–18a.19–21; 5,1–11b1.12; 6,1– 3b1,4.10–14.16.19–7,1; 2 Sam 6,1–15.17–20a).5 Nach Rost zeichnen sich diese Kapitel durch eine „strenge Geschlossenheit“ aus,6 die auch im Stil und in der Wortwahl von 1 Sam 4,1–7,1 und 2 Sam 6 zum Ausdruck komme. Verfasst worden sei diese „Erzählung über die Geschicke der Lade“ von einem Augenzeugen aus der Ladepriesterschaft in Jerusalem „zur Zeit Davids bzw. im Anfang der Regierung Salomos“, welche nach Jerusalem kommende Pilger über die Herkunft der Lade und der mit ihr verbundenen wirkmächtigen Zeichen in Kenntnis setzen sollte.7 Schnell wurde nach Rost die Ladeerzählung mit der Aufstiegsgeschichte Davids zu einer literarischen Einheit verbunden.8 Rosts Theorie einer selbstständigen Ladeerzählung wurde zunächst weitgehend zustimmend rezipiert.9 Allerdings fand die Idee, dass die Ladeerzählung als Einleitung zur Aufstiegsgeschichte tradiert worden sei, kaum Zustimmung, da, wie E. Blum betont, die Erzählweise der Thronfolgegeschichte sich nicht „mit der völlig anders gearteten Ladeerzählung als Eröffnung [verträgt]. Das Resultat wäre ein erzählerisches Ungetüm.“10 Relativ schnell stellte sich auch die Frage, ob die Überführung der Lade nach Jerusalem in 2 Sam 6 wirklich den ur5 L. Rost, Die Überlieferung von der Thronnachfolge Davids (BWANT 42), Stuttgart 1926 = Ders., Das kleine Credo und andere Studien zum Alten Testament, Heidelberg 1965, 119–253. Dabei hat er in Bezug auf 1 Sam 4,1b–7,1 einen Vorläufer in M. Löhr, Die Bücher Samuels erklärt von O. Thenius. Dritte vollständig neugearbeitete Auflage von M. Löhr (KEH 4), Leipzig 31898, XVIII, der diese Kapitel einer selbstständigen ephraimitischen Quelle zuschrieb, die von „altertümlichem Charakter und historischem Wert“ sei (ebd.). 6 Rost, Überlieferung, 149. 7 Ebd., 149 und 152. 8 Ebd., 159–176. 9 H. W. Hertzberg, Die Samuelbücher (ATD 10), Göttingen 1956, 47–48; M. Noth, Überlieferungsgeschichtliche Studien. Die sammelnden und bearbeitenden Geschichtswerke im Alten Testament (1943), Darmstadt 31967, 55 und 64. Vgl. weiter die Darstellung der Forschungsgeschichte (mit Bibliographie) bei W. Dietrich/T. Naumann, Die Samuelbücher (EdF 287), Darmstadt 1995, 122–127; die Autoren bleiben der Rostschen These im Wesentlichen treu, ebenso wie Eynikel, der ebenfalls die Diskussion über die Existenz einer Ladeerzählung nachzeichnet, vgl. E. Eynikel, The Relation between the Eli Narratives (1 Sam. 1–4) and the Ark Narrative (1 Sam. 1–6; 2 Sam. 6:1–19), in: J. C. de Moor/H. F. Van Roy (Hg.), Past, Present, Future. The Deuteronomistic History and the Prophets (OTS 44), Leiden u. a. 2000, 88–106. 10 Blum, Anfang, 19. Blum verweist auf H. Gressmanns Besprechung von Rosts Buch in ZAW 44 (1926) 309–310.
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sprünglichen Abschluss der Ladeerzählung darstellte. Bereits Wellhausen hatte auf die zwischen 1 Sam 4,1–7,1 und 2 Sam 6 bestehenden Unterschiede aufmerksam gemacht und festgestellt, dass die Beziehung von 2 Sam 6 zu 1 Sam 4,1–7,1 „nur eine sachliche, keine literarische“ ist.11 In der Tat finden sich zu Anfang von 2 Sam 6 unterschiedliche Namen der Akteure und Orte. Im Gegensatz zu Rost, der 1 Sam 4,1–7,1 und 2 Sam 6 durch denselben Stil und Wortschatz geprägt sah, wies Klaus-Dietrich Schunck, gefolgt von Franz Schicklberger und Christa Schäfer-Lichtenberger, nach, dass nur vier der 54 von Rost angeführten Wörter und Wendungen sowohl in 1 Sam 4,1–7,1 als auch in 2 Sam 6 belegt sind,12 und dass „erhebliche stilistische Differenzen zwischen 1 Sam 4,1b–7,1 und 2 Sam 6 bestehen.“13 Dazu kommt, dass, wenn 2 Sam 6 die ursprüngliche Fortsetzung von 1 Sam 7,1 (bzw. 7,2) gewesen wäre, David ohne jegliche erzählerische Vorbereitung erschiene. Wenn man die Ladeerzählung als ein „ἱερὸς λὸγος des Jerusalemer Ladeheiligtum“ betrachtet,14 ist es doch sehr erstaunlich, dass 1 Sam 4,1–7,1 keinerlei Andeutungen enthält, die darauf hinweisen könnten, dass der Jerusalemer Tempel als das eigentliche Heiligtum für die Lade betrachtet worden sei.15 Weiter steht 2 Sam 6 nicht allein, sondern ist mit der Nathansverheißung in 2 Sam 7 verbunden, was auch Rost gesehen hatte.16 Zieht man aus diesen Beobachtungen die Konsequenz, so kann diese nur lauten, dass 2 Sam 6 nicht der Abschluss einer selbstständigen Ladeerzählung war, sondern dass diese in 1 Sam 7,1 zu ihrem ursprünglichen Ende kam.17 Damit stellt sich die Frage, was die Intention und Funktion einer Erzählung sein könnte, die mit einer Überführung der Lade nach Kirjat-Jearim endet. Wäre es nicht viel logischer, wenn die von den Philistern erbeutete Lade am Ende der Erzählung an ihr ursprüngliches Heiligtum Schilo zurückkehrte?
11 J. Wellhausen, Prolegomena zur Geschichte Israels, Berlin 61927 (Neudruck 2001), 238–239.254 (dort das Zitat). 12 K.‑D. Schunck, Benjamin. Untersuchungen zur Entstehung und Geschichte eines israelitischen Stammes (BZAW 86), Berlin 1963, 97; F. Schicklberger, Die Ladeerzählungen des ersten Samuel-Buches. Eine literaturwissenschaftliche und theologiegeschichtliche Untersuchung (FzB 7), Würzburg 1973, 12–13. 13 C. Schäfer-Lichtenberger, Beobachtungen zur Ladegeschichte und zur Komposition der Samuelbücher, in: C. Hardmeier/R. Kessler/A. Ruwe (Hg.), Freiheit und Recht. FS F. Crüsemann, Gütersloh 1995, 323–338, hier 328. 14 So Rost, Überlieferung, 159. 15 Vgl. die ähnlichen Überlegungen bei P. Porzig, Die Lade Jahwes im Alten Testament und in den Texten vom Toten Meer (BZAW 397), Berlin/New York 2009, 135. 16 Vgl. Schunck, Benjamin, 98; Blum, Anfang, 19. 17 So z. B. P. D. Miller/J. J. M. Roberts, The Hand of the Lord. A Reassessment of the „Ark Narrative“ of 1 Samuel, Baltimore/London 1977, 23–26; A. Stirrup, „Why has Yahweh Defeated Us Today Before the Philistines?“ The Question of the Ark Narrative, TynB 51 (2000) 81–100, hier 87 und 100.
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Bevor wir uns dieser Frage zuwenden, muss jedoch geklärt werden, wo Anfang und Ende der ursprünglichen Ladeerzählung zu verorten sind bzw. ob es je eine selbstständige Ladeerzählung gegeben hat.
II. Der Umfang der ursprünglichen Ladeerzählung Bisweilen wird angenommen, dass die Erwähnung Elis und seiner Söhne in 1 Sam 4 einer Vorbereitung bedürfe. So postulieren Miller und Roberts den ursprünglichen Beginn der Ladegeschichte in 1 Sam 2,12–17.22–25.27–36. Diese Abschnitte, welche die Söhne Elis als des Priesteramts unwürdig schildern und Eli als einen schwachen Vater, der seine Söhne nicht in den Griff bekommt, hätten den ursprünglichen Anfang der Ladeerzählung dargestellt und seien von einem Redaktor nachträglich mit der Samuelüberlieferung verbunden worden.18 Diese Theorie schafft jedoch mehr Probleme als sie löst. Zum einen ist 1 Sam 2,12 („Die Söhne Elis aber waren Söhne Belials. Sie kannten Jhwh nicht“) als Erzähleinsatz denkbar ungeeignet. Dies haben auch W. Dietrich und T. Naumann bemerkt, die als möglichen Einsatz 1 Sam 1,3b erwägen („die beiden Söhne Elis, Chofni und Pinechas, waren dort [= in Schilo] Priester vor Jhwh“).19 Aber auch dieser Erzählbeginn bleibt abrupt, zumal im MT nur Elis Söhne als Priester bezeichnet werden,20 nach 1 Sam 4 Eli aber die Priesterfunktion noch inne hat. Zum anderen lässt sich das Orakel gegen die Eliden in 1 Sam 2,27–31 leicht als ein dtr21 bzw. nach-dtr Einschub22 erkennen und kann demnach nicht zu einer vordtr Ladeerzählung gehören. Das wichtigste Argument gegen eine Zugehörigkeit der Nennung der Elidensöhne in 1 Sam 2 besteht aber darin, dass in 1 Sam 4 weder Eli noch seine Söhne in einem negativen Licht erscheinen:23 „Weder sind die 18
Miller/Roberts, Hand, 20–21. Dietrich/Naumann, Samuelbücher, 126. Vgl. auch W. Dietrich, 1 Samuel 1–12 (BK 8/1), Neukirchen-Vluyn 2010, 125 und 216. 20 Dietrich, 1 Samuel 1–12, 14, korrigiert den Text nach LXX, wo sich jedoch die lectio facilior findet. 21 So z. B. T. Veijola, Die ewige Dynastie. David und die Entstehung seiner Dynastie nach der deuteronomistischen Darstellung (STAT 193), Helsinki 1975, 35–37; R. W. Klein, 1 Samuel (WBC 10), Waco 1983, 24; M. Brettler, The Composition of 1 Samuel 1–2, JBL 116 (1997) 601– 612, hier 605 und 612; S. L. McKenzie, 1 and 2 Samuel, in: M. D. Coogan (Hg.), The New Oxford Annotated Bible, New York 52018, 405–492, hier 410. Bisweilen wird ein älterer, dtr überarbeiteter Text postuliert, vgl. Dietrich, 1 Samuel 1–12, 123–125 mit weiterer Bibliographie. 22 G. B. Caird, The First and Second Book of Samuel (IntB 2), New York/Nashville 1953, 853–1176, hier 863: „late midrash“; J. Hutzli, Die Erzählung von Hanna und Samuel. Textkritische und literarische Analyse von 1. Samuel 1–2 unter Berücksichtigung des Kontextes (AThANT 89), Zürich 2007, 268–269; J. Rückl, A Sure House. Studies on the Dynastic Promise to David in the Books of Samuel and Kings (OBO 281), Freiburg i. Ue. / Göttingen 2016, 219–231: „postexilic“, „using some dtr clichés“ (231). 23 So bereits K. Budde, Die Bücher Samuel (KHC 8), Tübingen/Leipzig 1902, 17. 19
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Eliden als Bösewichte gezeichnet, noch ist ihr Tod als Strafe Gottes gedeutet oder zu verstehen.“24 Da sich die Abschnitte 1 Sam 2,12–17.22–25 sowie 27–36 leicht aus ihrem jetzigen Kontext herauslösen lassen,25 kann man annehmen, dass sie nachträglich (in verschiedenen Überlieferungsstadien?) eingefügt wurden,26 um den Tod Elis und seiner Söhne in 1 Sam 4 theologisch zu legitimieren. Damit bleibt als Einsatz für die Ladeerzählung, wie bereits von Rost angenommen, 1 Sam 4,1b. Nun wird jedoch auch dieser Erzähleinsatz bestritten, bzw. die Existenz einer selbstständigen Ladeerzählung in Frage gestellt.27 So behauptet N. Na᾽aman, dass „the ark narrative is inseparable from both the story of Eli and Samuel in chaps. 1–3 and from the episode of Samuel’s victory over the Philistines in chap. 7; it was never an independent entity“.28 Im Rahmen der Ladeerzählung in 1 Sam 4,1b – 1 Sam 7,1 erscheint Samuel jedoch niemals. Die einzige Verbindung zwischen Samuel und der Lade findet sich in 1 Sam 3,3, wo Samuel neben der Lade schläft, ein Vers, der in 4QSama fehlt und so gut wie einhellig als redaktionelle Einfügung verstanden wird.29 Weiter bemerkt Na᾽aman, dass „the narrative cannot abruptly start in 4:1b.“30 Allerdings bietet Basileion I 4,1 einen durchaus passenden Erzählanfang: „Es begab sich in jenen Tagen, dass sich die Philister31 zum Krieg gegen Israel versammelten. Und Israel zog in den Krieg gegen die Philister.“ Das griechische Καὶ ἐγενήθη ἐν ταῖς ἡμέραις ἐκείναις entspricht der hebräischen Wendung ויהי בימים ההם, die in Ex 2,11, Ri 19,1 und 1 Sam 28,1 als Einsatz einer neuen, selbstständigen Erzählung fungiert. Im Gegensatz zum masoretischen Text (1 Sam 4,1a) ist im griechischen Text Samuel nicht erwähnt, was darauf hindeutet, dass er in MT erst später eingefügt wurde, um eine Verbindung zwischen der Samuel- und der Ladeerzählung her24
Schicklberger, Ladeerzählungen, 63. Miller/Roberts, Hand, 20–21. 26 In diese Richtung geht Brettler, Composition, 607–612. Anders Hutzli, Erzählung, der von einer „Hophni-Pinchas-Ergänzungsschicht spricht, zu der er allerdings auch deren Erwähnungen in 1 Sam 4 rechnet (vgl. ebd., 182–188). Dabei werden jedoch die Unterschiede zwischen 1 Sam 2 und 1 Sam 4 verwischt. 27 Z. B. von J. T. Willis, An Anti-Elide Narrative Tradition from a Prophetic Circle at the Ramah Sanctuary, JBL 90 (1971) 288–309, der 1 Sam 1–7 als eine einheitliche Erzählung ansieht, die von pro-zadokidischen Kreisen in Rama verfasst wurde. Vgl. ähnlich Y. Gitay, Reflections on the Poetics of the Samuel Narrative. The Question of the Ark Narrative, CBQ 54 (1992) 221– 230. Für J. Van Seters, In Search of History. History in the Ancient World and the Origin of Biblical History, New Haven/London 1983, 347–353, sind 1 Sam 1–7 das Werk des Deuteronomisten, hinter welches man überlieferungsgeschichtlich nicht zurückgehen kann. Vgl. ähnlich K. A. D. Smelik, The Ark Narrative Reconsidered, in: A. S. van der Woude (Hg.), New Avenues in the Study of the Old Testament. A Collection of Old Testament Studies (OTS 25), Leiden 1989, 128–144, und N. Na᾽aman, The Pre-Deuteronomistic Story of King Saul and Its Historical Significance, CBQ 54 (1992) 638–658. 28 Na᾽aman, Story, 654. 29 So mit vielen anderen Hutzli, Erzählung, 37 und 187. 30 Na᾽aman, Story, 654. Vgl. ähnlich Miller/Roberts, Hand, 18–19. 31 Wörtlich: die „Ausländer“ (αλλοφυλοι). 25
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zustellen. Auch kann 4,1MT, nach welchem die Initiative des Krieges bei den Israeliten und nicht bei den Philistern liegt, als theologische Korrektur erklärt werden, die den Verlust der Lade durch die Eigeninitiative Israels erklären soll.32 Die Geschichte der Geburt und Berufung Samuels am Heiligtum von Schilo in 1 Sam 1–3 lässt nirgends einen kriegerischen Kontext erkennen, wie er in 1 Sam 4 vorausgesetzt wird. Die Selbstständigkeit der Ladeerzählung wird weiter dadurch gestützt, dass in den vorlaufenden Erzählungen nicht erzählt wird, wie die Lade nach Schilo kam. Am Ende des Richterbuches befindet sich die Lade in Bethel (Ri 20,27). Schilo wird in den nachpriesterlichen Texten in Jos 18–22 als Standort des „Zelts der Begegnung“ erwähnt. Ri 18,31 spricht vom „Haus Gottes“ in Schilo und in Ri 21,12.19 und 21 wird der Ort ebenfalls genannt. Keiner dieser Texte thematisiert die Lade. Die spät-priesterlichen Texte am Ende des Josua- und Richterbuches wollen unter anderem die Existenz eines Heiligtums in Schilo vorbereiten, welches in 1 Sam 4 als das Ladeheiligtum erscheint. Die in 1 Sam 4,1 beginnende Ladeerzählung geht demnach auf eine alte Tradition eines jahwistischen Heiligtums in Schilo zurück, in welchem Jhwh als sich in der Lade befindender kriegerischer Gott verehrt und bei militärischen Auseinandersetzungen auf das Kampffeld mitgeführt wurde. Die Annahme einer selbstständigen Ladeerzählung in 1 Sam 4,1–7,1* bleibt also weiterhin eine plausible Hypothese.33
III. Die Theorie einer ursprünglichen Katastrophenerzählung Die Erzählung vom Verlust der Lade in 1 Sam 4 wird bisweilen als die älteste Tradition über die Lade angesehen. In Aufnahme älterer Arbeiten34 charakterisiert F. Schicklberger 1 Sam 4* als eine selbstständige „Katastrophenerzählung“,35 die ursprünglich mündlich von einem Bewohner Schilos „sicher bald nach den Geschehnissen“ überliefert wurde.36 Diese Theorie wurde u. a. von Porzig37 und Dietrich38 aufgenommen.39 Nach Dietrich hätte diese Erzählung „ihren Horizont 32
Dietrich, 1 Samuel 1–12, 199. Auch N. Na᾽aman scheint diesbezüglich seine Meinung geändert zu haben, denn in N. Na᾽aman, A Hidden Anti-David Polemic in 2 Samuel 6:2, in: D. S. Vanderhooft/A. Winitzer (Hg.), Literature as Politics, Politics as Literature. Essays on the Ancient Near East in Honor of Peter Machinist, Winona Lake 2013, 321–328, geht er wieder von einer selbstständigen Ladeerzählung aus. 34 J. Dus, Die Erzählung über den Verlust der Lade, VT 13 (1963) 333–337; J. Maier, Das altisraelitische Ladeheiligtum (BZAW 93), Berlin 1965, 47–48. 35 Schicklberger, Ladeerzählungen, 70. 36 Ebd., 71–73 (Zitat 72). 37 Porzig, Lade, 136–142. 38 Dietrich, 1 Samuel 1–12, 213. 39 Vgl. ferner A. Caquot/P. de Robert, Les livres de Samuel (CAT VI), Genève 1994, 82–83. 33
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in sich selbst. Sie fordert keine Vor- und keine Nachgeschichte. Die Lade geht verloren, ohne dass die Möglichkeit ihrer Rückkehr erwogen würde.“40 Diese selbstständige Ladeerzählung hätte 4,1b–2a*.10a*–17*.18 umfasst.41 Eine solche Rekonstruktion macht jedoch skeptisch. Zunächst ist festzustellen, dass die zwei so eruierten Erzählabschnitte einen entgegengesetzten narrativen Stil aufweisen. Die Niederlage Israels wird knapp und emotionslos berichtet, die Lade erst nachholend in V. 11 erwähnt, wobei im Gegenteil die Erzählung vom Tode Elis durch Details (dem Boten aus Benjamin, der Beschreibung des Zutodekommens Elis) dramatisiert wird. Dass ein und derselbe Erzähler bzw. dieselbe mündliche Tradition stilistisch so unterschiedlich berichten sollte, leuchtet nicht ein. Man muss sich ebenfalls fragen, was die Funktion und der „Sitz im Leben“ einer solchen Ladeerzählung gewesen sein sollte. Wo hätte man eine solche Erzählung überliefert? Nach Caquot und de Robert interessiert sich diese Erzählung „essentiellement aux conséquences de la prise de la arche pour la famille élide de Silo.“42 Porzig resümiert seine Katastrophengeschichte lakonisch: „Klappe zu, Lade weg, Eli tot“43 und bemerkt, dass die Lade „nicht aus sich heraus handelt“, keine Wunder bewirkt und den Sieg der Philister nicht verhindern kann.44 Eine solche Behauptung ist jedoch nur möglich, wenn man zuvor die Verse 3–9 (10) literarkritisch eliminiert. Zur Struktur und diachronen Analyse von 1 Sam 4: Der jetzt (in MT und LXX unterschiedlich) vorliegende Text ist nicht von einer Hand und weist deutlich Spuren von Bearbeitung auf. Die doppelte Erwähnung der Söhne Elis in V. 4 und 10 sollte man jedoch nicht als Grund für literarkritische Optionen nehmen,45 um die V. 3–9 späteren Händen zuzuschreiben. Die Behauptung, V. 3 verzögere den Handlungsablauf, ist unzutreffend,46 da dieser Vers unbedingt notwendig ist, um die Lade einzuführen. In einem „Urtext“, dessen Anfang nur die Verse 1–2* und 10–12* erhielt, würde die Lade nur en passant genannt, was in Bezug auf die folgende Szene kaum Sinn ergibt. Weiter bliebe dann unerwähnt, dass sich die Lade im Heiligtum von Schilo befindet, von welchem ja in den Versen 1–2 noch nicht berichtet wird. Die Entscheidung der Israeliten in V. 3, die Lade auf das Kampffeld zu bringen, ist demnach ein unabdingbarer Bestandteil der Erzählung. Dasselbe gilt dann auch für V. 4, der die Überführung der Lade47 40
Dietrich, 1 Samuel 1–12, 213–214. Porzig, Lade, 136–141, der weitgehend R. G. Kratz, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments. Grundwissen der Bibelkritik (UTB 2157), Göttingen 2000, 179, folgt. Nach Schicklberger, Ladeerzählungen, 42, umfasst die Grunderzählung V. 1(LXX).2– 4.10–12.13*.14b–18a.19–21 und nach Dietrich, 1 Samuel 1–12, XX, die Verse 1b.6a.9–21. 42 Caquot/de Robert, Samuel, 83. 43 Porzig, Lade, 139. 44 Ebd., 140–141. 45 So z. B. W. Nowack, Richter, Ruth und Bücher Samuelis (HAT I/4), Göttingen 1902, 22. 46 So Porzig, Lade, 137 mit Anm. 157. 47 Auf das Problem der verschiedenen Ladetitulaturen kann hier nicht eingegangen werden. Diese differieren zwischen MT und LXX auf sehr beträchtliche Weise. Die sehr barocke Bezeichnung „Lade des Bundes Jhwhs Zebaot, der über den Kerubim thront“ ist sicher nicht ursprünglich (vgl. auch das Fehlen mancher Elemente dieses Titels in LXX‑Handschriften). In 41 So
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berichtet,48 die von den Priestern Chofni und Pinechas eskortiert wird. Desgleichen steigern die Freude der Israeliten und die Reaktion der Philister die Spannung der Erzählung, sodass es keine triftigen Gründe für eine Entfernung des gesamten Passus V. 5–9 aus der ursprünglichen Erzählung49 gibt. Allerdings finden sich in der bzw. den kollektiven Rede(n) der Philister in V. 7–9 Anzeichen für eine Überarbeitung. Darauf deutet die Wiederaufnahme des „Wehe uns“ aus V. 7b in V. 8a hin, wodurch sich V. 8 als ein Zusatz erweist, der die Ladeerzählung mit der Exodustradition korrelieren50 will.51 Ähnliche Überarbeitungen finden sich auch in 1 Sam 5 und 6. Die Anspielung auf den Aufenthalt Israels in Ägypten setzt sich in V. 9a fort, nach welchem die Philister nicht zu den Sklaven der Hebräer werden wollen ()פן תעבדו לעברים. Damit dürfte der ursprüngliche V. 9 gelautet haben: „Fasst Mut, seid Männer, ihr Philister, und kämpft“ (vgl. die Wiederaufnahme „seid Männer“ zu Anfang von V. 9b, die zusammen mit „damit ihr nicht den Hebräern dienen müsst, wie sie euch gedient haben“52 eingefügt wurde). Der erste Teil der Erzählung endet mit der dramatischen Niederlage der Israeliten,53 dem Verlust der Lade und dem Tod der Söhne Elis. Chofni und Pinechas, die nach V. 4 die Lade in den Kampf begleiteten, kommen dort um. Damit rahmen die Elidensöhne die erste Szene der Erzählung vom Verlust der Lade. Interessanterweise wird der Verlust der Lade passivisch ausgedrückt („die Lade wurde genommen“), sodass unklar bleibt, wer hinter den Ereignissen steht. Ist es wirklich die militärische Überlegenheit der Philister, die zur Erbeutung der Lade geführt hat, oder ein (noch) nicht verständliches Handeln Jhwhs, der die Entführung seines Palladiums zuließ?54 der ursprünglichen Erzählung hieß die Lade „Lade Jhwhs“ bzw. „Lade Gottes“ bzw. die „göttliche Lade“. Vgl. auch die textkritischen Anmerkungen bei P. K. McCarter, I Samuel (AB 8), Garden City 1980, 103–104. 48 Vgl. auch Schicklberger, Ladeerzählungen, 29. 49 So z. B. Schicklberger, Ladeerzählung, 29–31; Caquot/de Robert, Samuel, 78. Die Bemerkung, dass diese Verse „Wendungen, Motive und Vorstellungen aus 1 Sam 5 und 1 Sam 6“ enthalten (so Schicklberger, Ladeerzählung, 99, und ähnlich Caquot/de Robert, Samuel, 48: „bien des éléments se retrouvent dans les ch. 5–6“) ist ein zirkuläres Argument, das allein auf der Annahme einer selbstständigen Katastrophenerzählung beruht. 50 Gleichzeitig erscheinen die Philister in V. 8 im Gegensatz zu V. 7 als „Polytheisten“, ein weiteres Indiz, dass V. 8 einer anderen Hand zuzuschreiben ist. 51 Vgl. ähnlich F. Stolz, Das erste und zweite Buch Samuel (ZBK.AT 9), Zürich 1981, 42. Dietrich, 1 Samuel 1–12, 212, will 1 Sam 4,6b–8 mit folgendem Argument ausscheiden: „Lässt man den Passus 6b–8 probeweise einmal beiseite, bleibt ein durchaus schlüssiger Erzählzusammenhang zurück.“ Ob der Übergang von V. 6a zu V. 9 allerdings wirklich „schlüssig“ ist, sei dahingestellt. 52 Dieser Abschnitt fehlt übrigens auch in LXXB, vgl. S. Pisano, Additions or Omissions in the Books of Samuel. The Significant Pluses and Minuses in the Massoretic, LXX and Qumran Texts (OBO 57), Freiburg i. Ue. / Göttingen 1984, 248–249. 53 Nach V. 10b fielen 30000 Mann von Israels Fußvolk. Diese unwahrscheinliche Zahlenangabe wird bisweilen damit erklärt, dass אלףhier nicht „tausend“ bedeute, sondern eine Kampfgruppe von vier bis zwölf Personen bezeichne (so McCarter, I Samuel, 107). Diese auch oft für Num 1–4 und 26 angewandte Deutung impliziert die Idee, dass der Erzähler rationalistisch akzeptierbare Zahlen überliefern wollte. In V. 10b geht es darum, (nachträglich?) zu betonen, dass die Verluste weitaus höher waren als die 4000 Gefallenen in V. 2 (ebenfalls eine historisch „unglaubwürdige“ Zahlenangabe, vgl. Stolz, Samuel, 40, und Jos 8,3). Die Zahl 30000 begegnet in 1 Sam 11,8; 13,5; 2 Sam 6,1 und 1 Kön 5,27 ebenfalls in militärischen Kontexten. 54 In 1 Sam 5,1 wird betont, dass die Philister die Lade deportiert haben. Dabei handelt es sich aber wohl um ein „redaktionelles Verbindungsstück“ (Dietrich, 1 Samuel 1–12, 269).
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Die zweite Szene (V. 12–18) erzählt vom Tode Elis und damit vom Ende der Priesterschaft Schilos. Hier werden Elemente aus der ersten Szene aufgenommen: Das Eintreffen des benjaminitischen Boten55 auf dem Schlachtfeld provoziert in Schilo ein Schreien wie das Kommen der Lade auf das Schlachtfeld.56 Und so wie sich die Philister nach der Ursache des Lärms erkundigen, so tut das ebenfalls Eli. Die erste Szene endet mit der Niederlage der israelitischen Armee, des Todes der Söhne Elis und dem Verlust der Lade; und eben diese Informationen, die der Bote Eli in einer Art Hiobsbotschaft mitteilt,57 führen in der zweiten Szene zum Tode Elis. Die Aufzählung ist somit weder „überfüllt“, noch sind die Verbindungen der Katastrophen durch „ וגםeines späteren Einschubs verdächtig“;58 sie sind Zeichen von Erzählkunst. Damit ist die vom Tode Elis berichtende Szene literarisch wohl einheitlich, mit Ausnahme der Notiz in V. 18b, die Eli als „Richter“ Israels bezeichnet und ihm eine vierzigjährige Amtstätigkeit zuschreibt.59 Dagegen ist die Notiz in V. 19–22, die von der Geburt Ikabods berichtet, ein Nachtrag.60 Dieser Passus, der in gewisser Weise eine Fortdauer der Elidendynastie durch einen Sohn des Pinchas suggerieren will, setzt wohl bereits 1 Sam 2,27–36 voraus und steht am Anfang einer Konstruktion, die mit 1 Sam 14,2 sowie 1 Sam 22,9 und 20 aus dem Priester Abjathar einen Eliden der vierten Generation macht. V. 19–22, die den Namen Ikabod mit der Exilierung ( )גלהder „Herrlichkeit“ ( )כבודerklären, setzten die Zerstörung Jerusalems und das babylonische Exil voraus.61 In der Tat hat man die Ladeerzählung in der babylonischen bzw. frühen Perserzeit als Symbol des Exils und der erhofften Rückkehr lesen können.62 Dies war aber nicht die ursprüngliche Intention der ursprünglichen Ladeerzählung, für welche sich eine vorexilische Ansetzung ergibt. 55 Die Charakterisierung des Boten als Benjamiten, die in der rabbinischen Tradition dazu geführt hat, ihn mit Saul zu identifizieren, kann nicht endgültig geklärt werden. Diese Notiz suggeriert für die israelitische Armee eine Koalition von Stämmen, zu denen auch Benjamin gehörte (so Caquot/de Robert, Samuel, 79). Wenn 1 Sam 4,1–7,1* einmal eine Kultätiologie für das ursprünglich zu Benjamin gehörende Kirjat-Jearim war (s. u.), könnte das Erscheinen eines Benjaminiten eine Anspielung auf den neuen Ort der Lade darstellen. 56 Allerdings werden zwei unterschiedliche Wörter benutzt: תרועהund צעקה. 57 Wie in Hiob 1 steht das schlimmste Ereignis am Ende, das aber in 1 Sam 4 nicht der Tod der Kinder ist, sondern der Verlust der Lade. Enge wörtliche Beziehungen bestehen weiter zu 2 Sam 1. Es ist möglich, dass beide Texte ein literarisches Motiv aufnehmen (McCarter, I Samuel, 113) wie auch der Autor von Hiob 1, oder dass zwischen beiden Texten eine literarische Abhängigkeit besteht (so z. B. Dietrich, 1 Samuel 1–12, 239–240). 58 Gegen Porzig, Lade, 139. In der Tat fehlen die Namen Chofni und Pinechas in LXX, die aber ebenfalls von Elis Söhnen spricht (υἱοί σου). Selbst wenn MT die Eigennamen nachgetragen hat (so McCarter, I Samuel, 112), erwähnte die ursprüngliche Erzählung die beiden Söhne Elis. 59 So bereits Wellhausen, Prolegomena, 242; McCarter, I Samuel, 114–115; Caquot/de Robert, Samuel, 80 u. a. Oft wird diese Notiz als „deuteronomistisch“ betrachtet, durch welche Eli als „unmittelbarer Vorgänger von Samuel“ „unter die von Jahwe berufenen Führer des Gottesvolkes gezählt“ wird (Stolz, Samuel, 44). Wenn dem so ist, würde dies bedeuten, dass die negativen Abschnitte gegen Eli in 1 Sam 2 als „post-dtr“ einzustufen sind. 60 So auch Porzig, Lade, 140–141. Schicklberger, Ladeerzählungen, 41–42, bemerkt zu Recht die Selbstständigkeit des Abschnittes 4,19–22, welcher für den jetzigen Kontext konzipiert wurde; er bestimmt aber nur V. 22 als Zusatz. 61 So auch S. Schroer, Die Samuelbücher (NSK.AT), Stuttgart 1992, 49, und Porzig, Lade, 140–141, die beide auf Parallelen aus dem Ezechielbuch hinweisen. Weiter ist auf 2 Kön 17,23; 24,14 und 25,21 zu verweisen. 62 So auch H. Timm, Die Ladeerzählung (1. Sam. 4–6; 2. Sam. 6) und das Kerygma des deuteronomistischen Geschichtswerks, EvTh 26 (1966) 509–529, und Smelik, Narrative, gefolgt
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Die Erzählung vom Verlust der Lade und dem Ende der Eliden kann keine selbstständige Katastrophenerzählung darstellen.63 Andere „Katastrophenerzählungen“ in der Hebräischen Bibel, wie das sogenannte „Deuteronomistische Geschichtswerk“, enthalten die Gründe für die abschließende Katastrophe und bereiten die Adressaten darauf vor. Im Unterschied dazu ist 1 Sam 4 auf eine Fortsetzung angewiesen, da die zwei Szenen einen Spannungsbogen aufbauen, der auf Lösungen angewiesen ist: Bleibt die Lade für immer verloren und die Philister Sieger über Israel? Und kann die Lade nach Schilo zurückkommen, nachdem die Ladepriester allesamt gestorben sind? Die Antworten auf diese Fragen finden sich in 1 Sam 5,2–7,1*.
IV. Von Schilo nach Kirjat-Jearim Die ursprüngliche Ladeerzählung64 berichtete nach 1 Sam 4* in 1 Sam 5,2–7,1*65 von der Aufstellung der Lade im Tempel Dagons in Aschdod, vom Fall Dagons,66 den Plagen,67 welche die Lade dort und dann in Gat und Ekron bewirkt und welvon R. Rezetko, Source and Revision in the Narratives of David’s Transfer of the Ark. Text, Language, and Story in 2 Samuel 6 and 1 Chronicles 13, 15–16 (LHB 470), New York u. a. 2007, 16–17 und E.‑W. Lee, Crossing the Jordan. Diachrony Versus Synchrony in the Book of Joshua (LHB 578), New York 2013, 127, die allerdings die gesamte Ladeerzählung in die exilische Zeit datieren. 63 Vgl. auch die Kritik einer selbstständigen Katastrophenerzählung in Miller/Roberts, Hand, 4–5. 64 Relativ isoliert blieb die Ideen von Schicklberger, Ladeerzählung, 100–129, derzufolge die Ladeerzählung nach Integration der „Katastrophengeschichte“ in 1 Sam 6,12–14.16 geendet haben soll. Dieses Ende sei als ein judäischer Anspruch auf die Stadt Beth-Schemesch zu verstehen. 1 Sam 6,20–7,1, wo der Transfer der Lade nach Kirjat-Jearim berichtet wird, sei aus 2 Sam 6 herausgesponnen. Diese komplizierte Theorie erklärt nicht, woher dann der Verfasser von 2 Sam 6 seine Ortsangaben hat. Weiter deutet nichts in 1 Sam 6 darauf hin, dass Beth-Schemesch als (selbst vorläufiger) Standort der Lade präsentiert wird. Eher könnte man umgekehrt überlegen, ob die Beth-Schemesch-Episode nicht nachträglich in die Ladeerzählung integriert wurde. 65 Die Struktur und Diachronie dieser Kapitel können hier nicht diskutiert werden. Dies soll andernorts geschehen. 66 Eine Zerstörung des Tempel Dagons durch den Makkabäer Jonathan wird in 1 Makk 10,83 berichtet. Dies darf man jedoch nicht mit W. Zwickel, Dagons abgeschlagener Kopf (1 Samuel V 3–4), VT 44 (1994) 239–244, zum Anlass nehmen, die Episode vom Fall der Statue Dagons in die Makkabäerzeit zu datieren. 67 In Bezug auf die Plagen scheinen MT und LXX verschiedene Erzähltraditionen widerzuspiegeln. Während in LXX Mäuse bzw. Ratten die Städte und das Land heimsuchen, ist im hebräischen Text von „Geschwüren“ (Pest?) die Rede, welche die Massoreten als Hämorriden vokalisiert haben. Eine Deutung von ῾opalîm als sexuelle Impotenz wurde von Aren Maeir vorgeschlagen, aufgrund bei der Ausgrabung von Gat gefundener Darstellungen von Penissen, die vielleicht als Votivgaben gedient haben, vgl. A. Maeir, A New Interpretation of the Term ῾opalim ( )עפליםin the Light of Recent Archaeological Finds from Philistia, JSOT 32 (2007) 23–40. Zur Diskussion der Varianten von MT und LXX vgl. auch Schicklberger, Ladeerzählungen, 108–117; Dietrich, 1 Samuel 1–12, 274–277.
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che die Philister letztendlich dazu bewegen, die Lade mit Entschädigungsgaben in israelitisches Gebiet zurückzuschicken. Wie M. Delcor richtig beobachtet hat, ist das Motiv der Deportierung und Rückführung der Lade mit mesopotamischen Praktiken, die seit dem Ende des zweiten Jahrtausends und bis in die Perserzeit belegt sind, in Verbindung zu bringen.68 Der Verfasser von 1 Sam 5 nimmt diese Praktik sowie auch die des Zerstörens von Kultbildern69 auf und macht daraus eine „counter-history“.70 Der in der Lade präsente Jhwh wird im Tempel Dagons keineswegs zu einem Vasall des philistäischen Gottes, sondern triumphiert über denselben. Kurioserweise wird die Lade jedoch nicht nach Schilo zurückgebracht, sondern findet in Kirjat-Jearim ihre neue Unterkunft. Die Erzählung suggeriert damit, dass Schilo als Heiligtum für die Lade nicht mehr in Frage kommt. Allerdings wird nicht erklärt, warum. Die Ladeerzählung berichtet nichts vom Schicksal dieser Stätte. Israel Finkelstein hat aufgrund seiner Ausgrabungen eine (philistäische) Zerstörung im 11. Jh. v. Chr. postuliert. Danach sei der Ort, dessen Heiligtum noch nicht gefunden wurde, im 8.–7. Jh. nur sehr dünn wieder besiedelt worden.71 Im Buch Jeremia wird eine Zerstörung Schilos eindeutig vorausgesetzt. In der deuteronomistisch bearbeiteten Tempelrede72 in Jer 7 wird die angekündigte Zerstörung des Tempels von Jerusalem mit dem Schicksal Schilos verglichen und die Zerstörung beider Orte als Tat Jhwhs interpretiert: 12 Geht doch zu meiner Stätte ( )מקומיin Schilo, wo ich anfangs meinen Namen habe woh-
nen lassen ()אשר שכנתי שמי שם בראשונה, und seht, was ich ihr angetan habe wegen der Bosheit meines Volks Israel. 13 Und nun, weil ihr all diese Taten begeht, Spruch Jhwhs, obwohl ich zu euch geredet habe, immer wieder eifrig geredet habe, und ihr nicht gehört habt und ich euch rief und ihr nicht geantwortet habt: 14 So werde ich mit dem Haus, 68 M. Delcor, Jahweh et Dagon (ou le Jahwisme face à la religion des Philistins, d’après 1 Sam. V), VT 14 (1964) 136–154. Diese Beobachtung wurde u. a. von Miller/Roberts, Hand, 95–105, aufgenommen, die die wichtigsten Texte in Umschrift und Übersetzung anführen. 69 M. A. Brandes, Destruction et mutilation des statues en Mésopotamie, Accadia 16 (1980) 28–41. 70 Zum Konzept vgl. A. Funkenstein, History, Counter-History and Memory, in: S. Friedlander (Hg.), Probing the Limits of Representation. Nazism and the „Final Solution“, Cambridge, MA / London 1992, 66–81. Zur Anwendung auf biblische Erzählungen vgl. T. Römer, The Concepts of „Counter-History“ and Menomohistory Applied to Biblical Studies, in: J. M. Keady/T. Klutz/C. A. Strine (Hg.), Scripture as Social Discourse. Social-Scientific Perspectives on Early Jewish and Christian Writings (T&T Clark Biblical Studies), London/New York 2018, 37–50. 71 I. Finkelstein, Seilun, Khirbet, ABD 5, 1992, 1069–1072; Ders. / B. Brandl, Shiloh. The Archaeology of a Biblical Site (MSIA 10), Tel Aviv 1993. 72 Obwohl in letzter Zeit die Annahme durchgehender dtr Redaktionen im Jeremiabuch vielerorts bestritten wird, gibt es m. E. gute Gründe, an dieser Theorie festzuhalten, vgl. T. Römer, The „Deuteronomistic“ Character of the Book of Jeremiah. A Response to Christl M. Maier, in: H. Najman/K. Schmid (Hg.), Jeremiah’s Scriptures. Production, Reception, Interaction and Transformation (JSJ.S 173), Leiden/Boston 2016, 124–131.
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über dem mein Name ausgerufen ist und auf das ihr vertraut, und der Stätte ()ולמקום, die ich euch und euren Vätern gegeben habe, so handeln wie mit Schilo ()כאשר עשיתי לשלו (Jer 7,12–14; vgl. auch Jer 26,6 [ ]ונתתי את הבית הזה כשלהund Ps 78,60–61 []ויטש משכן שלו73).
Nach Jer 7,12–14 ist Schilo der Vorgänger Jerusalems. In diesem Text wird Dtn 12,5 im Sinne einer sukzessiven Erwählungstheologie interpretiert und Schilo (obwohl im Norden) als erstes Jhwh-Heiligtum legitimiert.74 Auf welche Zerstörung Schilos Jer 7 anspielt, ist schwer auszumachen. 1 Kön 14 setzt ein funktionierendes Heiligtum in Schilo voraus. Jer 7 geht davon aus, dass man die Ruinen dieser Kultstätte besichtigen kann.75 Deswegen wurde bisweilen die These vertreten, dass die Zerstörung Schilos später als im 11. Jh. geschehen sei.76 Vielleicht können hier die zur Zeit stattfindenden Ausgrabungen in Schilo mehr Auskunft geben; bisher liegen jedoch noch keine Grabungsberichte vor.77 Das Nichtfunktionieren des Heiligtums von Schilo wird in der Ladeerzählung stillschweigend vorausgesetzt, denn die Lade kommt über Beth-Schemesch nach Kiriath-Jearim. Die mehrfach überarbeitete Erzählung78 in 1 Sam 6,10–21 will zeigen, dass die Einwohner von Beth-Schemesch nicht würdig sind, der Lade eine neue Unterkunft zu gewähren.79 Beth-Schemesch erscheint in 1 Kön 4,9 als 73 V. 61 („er gab seine Kraft in Gefangenschaft“) wird bisweilen als Anspielung auf die Ladeerzählung angesehen. Sicher ist das jedoch nicht. Vgl. S. Ramond, Les leçons et les énigmes du passé. Une exégèse intra-biblique des psaumes historiques (BZAW 459), Berlin/New York 2014, 60–62, die darauf hinweist, dass zwischen Ps 78,60–61 und 1 Sam 4 keine literarischen Beziehungen bestehen. Sie datiert den Psalm in die Perserzeit (ebd., 80–84). Vgl. weiter K. Weingart, Juda als Sachwalter Israels. Geschichtstheologie nach dem Ende des Nordreiches in Hos 13 und Ps 78, ZAW 127 (2015) 440–458, hier 452, die ebd., 452–454, auch verschiedene Vorschläge zur Datierung des Psalms diskutiert und ihn nach dem Untergang des Nordreichs in die Zeit Hiskijas nach 701 v. Chr. ansetzt. 74 Dies entspricht auch der Darstellung Schilos in der Ladeerzählung bzw. im „deuteronomistischen Geschichtswerk“, wo Schilo keineswegs als illegitimes Heiligtum (wie später Dan und Bethel) dargestellt wird. 75 Jer 41,5 erwähnt „Männer aus Schechem, aus Schilo und aus Samaria, achtzig Mann, mit abgeschnittenem Bart und zerrissenen Kleidern und Schnittwunden … und sie hatten Opfergaben und Weihrauch bei sich, um sie zum Haus Jhwhs zu bringen“. 76 R. A. Pearce, Shiloh and Jer. vii 12,14&15, VT 23 (1973) 105–108; Klein, 1 Samuel, 43. 77 Diese Ausgrabungen werden von fundamentalistischen amerikanischen Christen durchgeführt: http://www.biblearchaeology.org/page/Shiloh-Excavation-Reports.aspx. Laut mündlicher Mitteilung von I. Finkelstein gäbe es nach diesen Ausgrabungen stärkere Indizien für eine Besiedlung des Ortes im 9.–8. Jh. v. Chr. 78 Zu den Überarbeitungen gehören sicher 6,15, wo im Gegensatz zu V. 14 (und zur gesamten Ladeerzählung) Leviten als Verantwortliche der Lade und der Opfer genannt werden. 6,16– 18a tragen wie in V. 4 die Idee einer philistäischen Pentapolis in den Text ein und V. 17 erwähnt neben Aschdod, Gat und Ekron noch Gaza und Aschkelon, die sonst in der Erzählung nicht vorkommen. Im Übrigen schließt die ätiologische Notiz über den heiligen Stein von Beth-Schemesch in V. 18b passend an V. 14 an. 79 Nach 6,19a MT schlägt die Lade bzw. Jhwh 70 Männer von Beth-Schemesch (die „fünfzigtausend“ sind leicht als Glosse erkennbar), die in (?) die Lade geschaut hatten (vgl. D. Barthélemy, Critique textuelle de l’Ancien Testament: 1. Josué, Juges, Ruth, Samuel, Rois, Chroniques, Esdras, Néhémie, Esther [OBO 50/1], Freiburg i. Ue. / Göttingen 1982, 156, der für diese
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Ort des salomonischen Distriktsystems, in Jos 15,10 als eine zu Juda gehörige Stadt; der Name fehlt jedoch in der judäischen Städteliste in Jos 15,20–63, was zur Annahme geführt hat, dass diese Stadt zeitweilig unter philistäischer Kontrolle stand.80 Dazu passt auch die hohe Anzahl philistäischer Keramik, hauptsächlich aus der frühen Eisenzeit. Eine Intention der Beth-Schemesch-Episode ist es dann wohl zu zeigen, dass Beth-Schemesch eine israelitische bzw. judäische Stadt ist,81 denn die Regenten der Philister, die die Lade begleiten, bleiben an der Stadtgrenze stehen (V. 12). Im jetzigen Zusammenhang wird jedoch Beth-Schemesch ebenfalls zugunsten von Kirjat-Jearim abgewertet.82 Nach 1 Sam 7,1 wird Kirjat-Jearim zum neuen Ladeheiligtum: Und die Männer von Kirjat-Jearim kamen, holten die Lade Jhwhs herauf und brachten sie in das Haus des Abinadab auf dem Hügel ()בגבעה. Elasar, seinen Sohn, weihten sie, damit er sich um die Lade Jhwhs kümmere.
Elasar wird hier als Priester geheiligt (zu קדשוvgl. Lev 8,10),83 der damit die Elidenpriester von Schilo ablöst. Ist es Zufall, dass der neue Ladepriester Elasar denselben Namen trägt wie der Sohn Aarons? Vielleicht will der Erzähler die levitische Herkunft dieses Priesters unterstreichen. Der Name Elasar ist des Öfteren in der Hebräischen Bibel belegt; von den sieben Namensträgern84 sind fünf Leviten bzw. Priester. Der Name des Vaters Abinadab wird weiter getragen von einem Bruder Davids, einem Sohn Sauls und einem Schwiegersohn Salomos.85 Ob beide Namen in 1 Sam 7,1 erfunden wurden, ist daher zumindest fraglich.86 Interpretation auch rabbinische Kommentatoren zitiert). Nach LXX freuten sich die Söhne Jechonjas nicht über die Lade. Dieser Jechonja kann vielleicht mit dem Jojakin in Verbindung gebracht werden, der auf einem in Beth-Schemesch gefunden Henkel in einem Siegel aus dem Ende des 8. Jh. v. Chr. erscheint (N. Avigad/B. Sass, Corpus of West Semitic Stamp seals [FRJS], Jerusalem 1997, n. 663). Jedoch ist Beth-Schemesch nicht der Herstellungsort dieses Gefäßes gewesen (mündliche Mitteilung von Benjamin Sass). Zur Diskussion der beiden Varianten vgl. auch Dietrich, 1 Samuel 1–12, 290–292. 80 Nach 2 Chr 28,18 hätten die Philister unter König Achas Beth-Schemesch und andere Städte unter ihre Oberherrschaft gebracht. Vgl. auch J. C. de Vos, Das Los Judas. Über Entstehung und Ziele der Landbeschreibung in Josua 15 (VT.S 95), Leiden/Boston 2003, 472–475. 81 Nach de Vos, Los, 472–475, gehörte Beth-Schemesch zunächst zu Israel. 82 Die Beth-Schemesch-Episode lässt noch viele Fragen offen. Stolz, Samuel, 49, hat richtig gesehen, dass sich der Aufenthalt der Lade in Beth-Schemesch mit der Erzählung von der Lade bei den Philistern stößt. Er geht davon aus, dass die Lade ursprünglich von Schilo in das damals philistäische Beth-Schemesch kam und erst später die Legende von der Wanderung der Lade durch die Philisterstädte angefügt wurde, wodurch Beth-Schemesch zu einer „Zwischenstation“ wurde. Man kann jedoch auch umgekehrt räsonieren und die Erzählung der Lade in Beth-Schemesch als spätere Einfügung betrachten. 83 Vgl. auch die Wurzel ׁשמרund dazu A. Cody, A History of Old Testament Priesthood (AnBib 35), Rom 1969, 81. 84 C. Nihan, Eleazar 1–7, EBR 7, 2013, 601–608. 85 K. A. D. Smelik, Abinadab, EBR 1, 2009, 96–97. 86 So. z. B. Nihan, Eleazar, 604: „Eleazar, son of Abinadab should be viewed as a literary
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Die Identifikation von Kirjat-Jearim mit dem heutigen Deir El-Azar (das vielleicht noch die Erinnerung an den Namen Elasar bewahrt) in der unmittelbaren Nähe von Abu Gosh ist gesichert.87 Kirjat-Jearim erscheint in Jos 9,17 als eine Stadt der gibeonitischen Stämme,88 in Jos 18,14 als benjaminitische Stadt, in Jos 15,9–10 gehört der Ort zu Juda.89 So ist wohl davon auszugehen, dass KirjatJearim ein Grenzort war und zur Zeit der Abfassung der Liste von Jos 15 zu Juda gelangt war. Bisweilen wird Kirjat-Jearim mit qiryat ba῾al identifiziert (Jos 15,60; 18,14). In anderen Stellen findet sich Baala (Jos 15,9; 2 Sam 6,2 4QSama;90 1 Chr 13,6). Da in 1 Sam 7,1 (sowie in 2 Sam 6,1–2) betont vom Hinaufbringen bzw. Hinaufziehen auf den Hügel ( )גבעהdie Rede ist, kann man annehmen, dass Qiryat Baal spezifisch die „Höhe“ des Ortes bezeichnet, auf welchem sich ein (ursprünglich einem „Baal“ gewidmetes) Heiligtum befand, das nach 1 Sam 7,1 zum Heiligtum der Lade wurde.91 Heute befindet sich auf dem Hügel eine nach dem ersten Weltkrieg gebaute Basilika „Notre Dame de l’Arche d’Alliance“, die auf den Resten einer byzantinischen Kirche gebaut wurde, deren Mosaike man heute noch besichtigen kann. Es ist durchaus möglich, dass die byzantinische Kirche über den Resten eines vorchristlichen Heiligtums erbaut wurde. Die „Shmunis Family Ausgrabung“, die 2017 in Deir El-Azar von der Universität Tel Aviv sowie dem Collège de France ausgeführt wurde, hat erbracht, dass der Ort im der Eisenzeit II intensiv besiedelt war. Eine Mauer wurde entdeckt, welche die Plattform umgibt, auf der sich die heutige Kirche und das Kloster befinden und die demnach keine Stadtmauer sein kann. Diese Mauer muss einen weitaus kleineren Bezirk umgeben und geschützt haben, in dem sich vielleicht ein Heiligtum befand. Durch Optical Stimulated Luminescence (OSL) konnte die Mauer in das 9. oder 8. Jh. v. Chr. datiert werden.92
figure and not a historical one.“ Allerdings kann man darauf verweisen, dass ein anderer Sohn Aarons den Namen Nadab trägt. 87 F. T. Cooke, The Site of Kirjath-Jearim, AASOR 5 (1923–1924) 105–120; I. Koch, KiriathJearim, EBR 15, 2017, 344. 88 Ob man hieraus jedoch eine Theorie über den „gibeonitischen“ Charakter der Stadt machen kann (so J. Blenkinsopp, Kiriath-Jearim and the Ark, JBL 88 [1964] 143–156) ist mehr als fraglich, da Kirjat-Jearim in 9,17 zusammen mit Städten erscheint, die in Esr 2,25 und Neh 7,29 belegt sind, und sich somit 9,17 als nachexilische Überarbeitung erklärt (V. Fritz, Das Buch Josua [HAT I/7], Tübingen 1994, 105). 89 Zur Diskussion aller Vorkommen des Namens vgl. I. Finkelstein u. a., Excavations at Kiriath-jearim Near Jerusalem, 2017: Preliminary Report, Sem. 60 (2018) 31–83, hier 33–38. 90 MT: מבעלי יהודהgefolgt von LXX: τῶν άρχόντων Ιουδα. 91 Dazu ausführlich I. Finkelstein/T. Römer, Kiriath-jearim, Kiriath-baal/Baalah, Gibeah. A Geographical-History Challenge, in I. Koch/T. Römer/O. Sergi (Hg.), FS C. Edenburg, Leuven (erscheint 2019). 92 Steine dieser Mauer wurden in der hellenistischen und römischen Zeit wiederverwendet. Vgl. dazu ausführlich Finkelstein u. a., Excavations, 43–65.
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So scheint es archäologisch durchaus Hinweise zu geben, dass sich auf dem Hügel von Kirjat-Jearim in der Eisenzeit ein Heiligtum befand. Demnach war die Lade vielleicht viel länger in Kirjat-Jearim als die in dem redaktionellen Vers 1 Sam 7,293 angegebenen zwanzig Jahre.94
V. Die Ladeerzählung als Kultgründungslegende von Kirjat-Jearim Den vorausgehenden Überlegungen zufolge wurde die ursprüngliche Ladeerzählung als Kultgründungslegende eines Heiligtums in Kirjat-Jearim verfasst. Die genauen geschichtlichen und politischen Hintergründe ihrer Abfassungszeit bleiben unklar. Es gibt jedoch einige Indizien, die erste Version von 1 Sam 4,1– 7,1* in das 9. oder 8. Jh. v. Chr. anzusetzen. Die in 1 Sam 5 genannten Philisterstädte hatten ihre Blütenzeit zwischen dem 10. und 8. Jh. v. Chr.;95 dazu passen auch die in 1 Sam 4 genannte Orte Afek und Izbet Sartah (Eben ha-Eser).96 Die ˙ ˙ diachrone Analyse hat ergeben, dass die ursprüngliche Ladeerzählung vor-dtr ist und später überarbeitet wurde, um die von der Lade ausgehenden Plagen mit der Exodustradition in Verbindung zu bringen. Der Transfer der Lade von Schilo nach Kirjat-Jearim setzt eine Zerstörung bzw. Aufgabe des Heiligtums von Schilo voraus, die vor dem 7. Jh. anzusetzen ist. Da Schilo ein Heiligtum des Nordreichs war, ist es möglich, dass zur Zeit der Abfassung der ursprünglichen 93 Der redaktionelle Charakter von 1 Sam 7,2 ist weitgehend anerkannt; vgl. Klein, 1 Samuel, 65–66; Dietrich, 1 Samuel 1–12, 315. Die zwanzig Jahre beziehen sich aber vielleicht nicht auf die gesamte Zeit der Lade in Kirjat-Jearim, sie erlauben zunächst Samuel, „vom Jüngling, als der er in 1 Sam 3 geschildert ist, zum Mann zu reifen.“ (ebd.). 94 Damit stellt sich die Frage, wann die Lade dann nach Jerusalem kam. Dieser Problematik kann hier nicht weiter nachgegangen werden. Nur Folgendes sei angedeutet: Nach dem Bericht der Königebücher erfährt man nichts mehr über das weitere Geschick der Lade, nachdem Salomo sie in den Jerusalemer Tempel gestellt hat. Dieses „Ladeschweigen“ erklärt sich vielleicht dadurch, dass die Verfasser der Königebücher nicht viel von der Lade zu berichten wussten, da diese erst gegen Ende der Königszeit nach Jerusalem kam. Ein möglicher Kandidat für diese Überführung wäre Joschija, der das Gebiet von Benjamin annektieren konnte und im Rahmen seiner Kultzentralisation vielleicht auch die Lade nach Jerusalem brachte (2 Sam 6 wäre dann zur Zeit Josias verfasst worden). In der Tat findet sich in der chronistischen Version der Reform Joschijas folgender erstaunlicher Vers: „Und zu den Leviten, die ganz Israel unterwiesen und die Jhwh heilig waren, sagte er: Stellt die heilige Lade in das Haus, das Salomo, der Sohn Davids, der König von Israel, gebaut hat. Ihr müsst die Last jetzt nicht mehr auf der Schulter tragen.“ (2 Chr 35,3) Bewahrt dieser Vers noch eine Erinnerung daran, dass die Lade erst unter Joschija in den Tempel Salomos gestellt wurde? Vgl. zu dieser Annahme auch J. Gutmann, The History of the Ark, ZAW 83 (1971) 22–30, der allerdings die Existenz von drei verschiedenen Laden annimmt. 95 Dies gilt auch für die Darstellung Aschdods als die wichtigste der drei Städte der Philister. 96 In Afek wurde philistäische Keramik gefunden, die ungefähr auf das 9. Jh. v. Chr. datiert werden kann; vgl. Dietrich, 1 Samuel 1–12, 223, und zu Izbeth Sarta I. Finkelstein, ῾Izbet Sarta, ABD 3, 1992, 588–589 und L. Mykytiuk, Is Hophni in the Izbeth Sarta Ostracon?, AUSS ˙ (1998) ˙ 36 69–80.
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Ladeerzählung Kirjat-Jearim noch zu Benjamin und zu Israel gehörte. Dann könnte man tentativ die Zeit Jeroboams II. als Zeit der Überführung der Lade nach Kirjat-Jearim und als Abfassungszeit der Ladeerzählung ansetzen, da dieser ca. 40 Jahre lang regierende König Israels sicher Benjamin kontrollierte und durchaus die Möglichkeit hatte, Kirjat-Jearim als ein im Süden gelegenes Grenzheiligtum zu etablieren.97 Diese Hypothese bedarf noch weiterer Argumente, sicher erscheint mir jedoch die Annahme, dass die ursprüngliche Ladeerzählung keine „Katastrophengeschichte“, sondern eine das Heiligtum von Kirjat-Jearim legitimierende Erzählung aus der Königszeit war.
97 Zur Ausdehnung Israels unter Jeroboams II. und zur Regierungszeit dieses in der Bibel nur wenig beachteten Königs vgl. E. A. Knauf, Jeroboam ben Nimshi. The Biblical Evidence, HeBAI 6 (2017) 290–307, und I. Finkelstein, A Corpus of North Israelite Texts in the Days of Jeroboam II, HeBAI 6 (2017) 262–289.
On Scribal Tradition in Israel and Judah and the Antiquity of the Historiographical Narratives in the Hebrew Bible Omer Sergi
I. Introduction The past few decades have witnessed an overall change in two deeply related, yet independent, academic disciplines – that of biblical studies and that of the archaeology and history of the southern Levant in the “biblical periods” (Late Bronze Age – Persian period). Old and longstanding paradigms regarding the formation of the Pentateuch and the Former Prophets on the one hand, and regarding the historicity of pre- and early monarchic Israel on the other, were dismissed as “naïve”, paving the way for more complex reconstructions. This parallel development was not accidental. New paradigms regarding the formation of the Pentateuch and the Former Prophets went hand in hand with increasing doubts regarding the historicity of the pre- and early monarchic periods as depicted in these books. In a nutshell, the Documentary Hypothesis, which governed the study of the Pentateuch from the 19th century, has been almost completely abandoned in the past five decades.1 With it, gone are the old assumptions about the relatively consistent narrative works, encompassing the entire mythic history in Genesis–Numbers, which were mostly dated to the Iron Age.2 Instead, most scholars agree now that the narrative blocks of the Pentateuch (i. e., the Ancestors’ story, the Exodus) were composed in different times and places, and it was not before the Persian period that they were compiled and redacted in order to form the relatively coherent narrative in Genesis–Numbers. Furthermore, scholars seem to agree that the redaction process was long and extensive, as it was related to the formation of the entire narrative recounting the history of ancient Israel in 1 See, for instance, various articles in T. B. Dozeman/K. Schmid (eds.), A Farewell to the Yahwist? The Composition of the Pentateuch in Recent European Interpretation (SBL Symposium Series 34), Atlanta 2006. 2 T. Römer, The Elusive Yahwist: A Short History of Research, in: Dozeman/Schmid, Farewell, 9–27.
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Genesis–2 Kings.3 This major shift in what once was the most common paradigm of biblical studies has also affected the way we understand the formation of the Former Prophets (Joshua–Kings), and accordingly, even the well-known hypothesis of Martin Noth about the Deuteronomistic History was put to the test of criticism. While some scholars doubt it altogether, others stress – as opposed to the original Nothian paradigm about a unified redaction of the corpus – the long process of the compilation and redaction of this literary work, much of it now dated to the Persian period.4 These developments in biblical scholarship went hand in hand with the revolution brought by the ever-growing body of archaeological and epigraphic data: the entire history of pre- and early monarchic Israel was re-written5 when it became clear that the kingdoms of Israel and Judah had emerged separately side by side and that Israel had overshadowed Judah throughout its existence.6 It also became clear that it was not before the 9th century that the two territorial polities emerged in the central Canaanite hill country,7 and thus, it was not before that period that they could maintain an active scribal community skilled in high-level literary production (see below). Such conclusions, especially with their implications for the historicity of much of the narrative in Samuel and Kings, also impacted any discussion of the date and origin of the narrative texts in the Hebrew Bible.8 In light of the above, one may point to a growing consensus in scholarly discussion of the origins of the Pentateuch and the Former Prophets, which may be outlined as follows: (1) the narrative in Joshua–Samuel is largely unreliable for a reconstruction of the pre- and early monarchic periods; (2) this is, at least partially, due to the long period of time that elapsed between the occurrence and the recording of the events, as extensive text production in Israel and Judah did not pre-date the 8th century BCE (but see below); (3) accordingly, and since Israel 3 See,
for instance, various articles in T. B. Dozeman/T. Römer/K. Schmid (eds.), Pentateuch, Hexateuch, or Enneateuch? Identifying Literary Works in Genesis through Kings (Ancient Israel and Its Literature 8), Atlanta 2011; J. C. Gertz/B. M. Levinson/D. Rom-Shiloni/K. Schmid (eds.), The Formation of the Pentateuch: Bridging the Academic Cultures of Europe, Israel, and North America (FAT 111), Tübingen 2016. 4 For discussion with history of research, see T. Römer, The So-Called Deuteronomistic History: A Sociological, Historical and Literary Introduction, London 2005, 13–43. 5 E. g., I. Finkelstein, The Archaeology of the Israelite Settlement, Jerusalem 1988; D. Fleming, The Legacy of Israel in Judah’s Bible: History, Politics and the Reinscribing of Tradition, Cambridge 2012. 6 I. Finkelstein, A Great United Monarchy? Archaeological and Historical Perspectives, in: R. G. Kratz/H. Spieckermann (eds.), One God – One Cult – One Nation (BZAW 405), Berlin/New York 2010, 3–28; Idem, The Forgotten Kingdom: The Archaeology and History of Northern Israel (Ancient Near Eastern Monographs 5), Atlanta 2013. 7 E. g., N. Na᾽aman, The Northern Kingdom in the Late 10th–9th Centuries BCE, in: H. G. M. Williamson (ed.), Understanding the History of Ancient Israel (PBA 143), Oxford 2007, 399–418; O. Sergi, Judah’s Expansion in Historical Context, Tel Aviv 40 (2013) 226–246. 8 Cf. R. G. Kratz, Historisches und biblisches Israel: Drei Überblicke zum Alten Testament, Tübingen 2013.
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and Judah were never politically united, it was only in the Persian period – long after the two monarchies were gone – that a more unified narrative regarding the history of ancient Israel was compiled and redacted on the basis of earlier source material. It is in this context that current trends in biblical scholarship attribute much of the formation of the Pentateuch and the Former Prophets to the Persian period. It seems to me, however, that sometimes “the baby is thrown out with the bathwater”: scholars all too often and too easily assign blocks of the historiographic literature in Genesis–Kings to the Persian period, even when they do reflect the monarchic reality, ideology and interests. Thus, for instance, the narrative known as the “Succession Narrative” (2 Sam 9–20; 1 Kgs 1–2), which provides quite a vivid picture of court life, is sometimes dated – in total or for the most part – to the Persian period (see discussion below). Some scholars attribute the stories of the rise of David (1 Sam 16–2 Sam 5) to post-monarchic periods9 in spite of their clear monarchic ideology (below). In a similar manner, even the monarchic origin of texts like the Song of Deborah (Judg 5), long considered to be an old poem,10 and consequently the Iron Age origin of the Israelite tribal system are questioned, and are dated to the Persian period, far removed from any geo-political reality they might reflect.11 According to these views, little of the material that was eventually compiled in the Pentateuch and the Former Prophets was in fact written in Israel and Judah, but only some fragmented short narratives, mostly disconnected from any specific historical setting.12 Furthermore, scholars often discredit the ability of scribes in both monarchies to compile extensive literary works (such as the pre-Deuteronomistic Israelite version of the Book of Judges or the early versions of Samuel and Kings) on the basis of earlier textual sources.13 Much of the biblical “story telling” is viewed, accordingly, as the product of highly talented scribes residing in the small temple city of Persian period Jerusalem, who seem to have been much more productive than their predecessors, the royal scribes of the Davidic court in late Iron Age Judah. 9 E. g., K. P. Adam, Saul und David in der jüdischen Geschichtschreibung: Studien zu 1 Samuel 16–2 Samuel 5 (FAT 51), Tübingen 2006. 10 E. g., W. Groẞ, Richter (HThKAT), Freiburg i. Br. 2009, 295–297.344–349. 11 E. g., C. Levin, Das System der zwölf Stämme Israels, in: J. A. Emerton (ed.), Congress Volume: Paris 1992 (VT.S 61), Leiden 1995, 163–178; Idem, Das Alter des Deboralieds, in: Idem (ed.), Fortschreibungen: Gesammelte Studien zum Alten Testament (BZAW 316), Berlin/New York 2003, 124–141. 12 E. g., T. A. Rudnig, Davids Thron: Redaktionskritische Studien zur Geschichte von der Thronnachfolge Davids (BZAW 358), Berlin/New York 2006, here especially 360–363. 13 E. g., U. Becker, Richterzeit und Königtum: Redaktionsgeschichtliche Studien zum Richterbuch (BZAW 192), Berlin/New York 1990. Regarding the late date assigned for Samuel–Kings, see below, footnote 68. In addition, cf. the late dating of “monarchic legitimation” according to R. Müller, Herrschaftslegitimation in den Königtümern Israel und Juda: Eine Spurensuche im Alten Testament, in: C. Levin / R. Müller (eds.), Herrschaftslegitimation in vorderorientalischen Reichen der Eisenzeit (ORA 21), Tübingen 2017, 189–230.
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To be sure, it is not my intention to disregard current textual and literary observations regarding the formation of the Pentateuch and the Former Prophets. Nor do I mean to argue against the widely accepted hypothesis that attributes much of the formation of Genesis–Kings to extensive redactional work in the Persian period. It is the discrediting of Israel and Judah as sources for high-level literary texts that I would call into question. After all, there is more than enough evidence – archaeological, epigraphic and even literary – to indicate that both kingdoms supported highly skilled and educated scribal communities, yet hardly any extensive, coherent literary work is attributed to these scribal communities. The entire Iron Age – as depicted or reflected in Genesis–Kings – is seen as the literary product of the Persian period, from which we have only meagre epigraphic finds. It is to this anomaly that I wish to relate in this paper, and again, not in order to dismiss the importance of current biblical studies, but in order to suggest a more historically and archaeologically oriented approach to the question of the date and the origin of the historiographic literature in the Hebrew Bible. In various articles Erhard Blum has dealt extensively with the date and origin of biblical prose, arguing for the antiquity of much of the historiographic narratives in Genesis–Kings on methodological,14 historical15 and literary grounds.16 In his studies Blum presents a broad perspective, both geographical and chronological, integrating epigraphic, archaeological and historical data within the broader context of literary production in antiquity, in order to discuss the biblical text.17 I am honoured to have learnt so much from Erhard Blum regarding the Hebrew Bible and its formation, but more than anything he taught me how to approach the text. It is, therefore, with great pleasure that I dedicate this study to him, in the hope that he will appreciate one more contribution to the ongoing debate about the origins of biblical historiography.
14 E. g., E. Blum, Historiography or Poetry: The Nature of the Hebrew Bible Prose Tradition, in: S. C. Barton/L. T. Stuckenbruck/B. G. Wold (eds.), Memory in the Bible and Antiquity, Tübingen 2007, 25–45. 15 E. g., E. Blum, Die altaramäischen Wandinschriften vom Tell Deir ῾Alla und ihr institutioneller Kontext, in: F. E. Focken/M. R. Ott (eds.), Metatexte: Erzählungen von schrifttragenden Artefakten in der alttestamentlichen und mittelalterlichen Literatur (Materiale Textkulturen 15), Berlin 2016, 21–52; Idem, Institutionelle und kulturelle Voraussetzungen der israelitischen Traditionsliteratur, in: R. Ebach/M. Leuenberger (Hg.), Tradition(en) im alten Israel. Konstruktion, Transmission und Transformation (FAT 127), Tübingen 2019, 3–44. 16 E. g., E. Blum, Solomon and the United Monarchy: Some Textual Evidence, in: Kratz/ Spieckermann, One God, 59–78. 17 A nice example for such a broad perspective is provided, for instance, in E. Blum, Ein Anfang der Geschichtschreibung? Anmerkungen zur sog. Thronfolgegeschichte und zum Umgang mit Geschichte im alten Israel, in: A. de Pury/T. Römer (eds.), Die sogenannte Thronfolgegeschichte Davids: Neue Ansichten und Anfragen (OBO 176), Freiburg i. Ue. 2000, 4–37.
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II. “Writing and the State Goes Hand in Hand” In the ancient Near East, the consolidation of political power and the emergence of political entities were accompanied by an increase of text production, and especially by the composition of historiographical literature or, at the very least, literature that in many different respects and genres refers to the past, be it ima gined or more historically accurate.18 In this sense, writing, indeed, goes hand in hand with the state: it was needed as means of storage, “record keeping,” in order to organize, control and plan a large, complex economy.19 However, the very need for an administrative apparatus resulted in the establishment of infrastructure supporting literacy as a whole: a literate class of scribes serving as state officials. At the same time, establishing, reinforcing and maintaining political hegemony over the fragmented kin-based society of the ancient Near East, gave rise to the need to construct a collective identity based on shared knowledge and shared memories.20 Hence, the emergence of territorial polities brings with it alongside the practical texts for daily communication, the gradual composition of literary texts referring to the past as a means of self-definition,21 and it is for this reason that royal interest in the past increased in periods of political conso lidation.22 In this context, the royal interest in the past was occupied with providing legitimacy not only to a reigning king (and dynasty) but also to the very nature of dynastic monarchy and a centralized political power as stable institutions enduring throughout history.23 18 See for instance, B. Routledge, Moab in the Iron Age: Hegemony, Polity, Archaeology (Archaeology, Culture, and Society), Philadelphia 2004, especially 37–38.133–153. 19 E. g., H. Wang, Writing and the Ancient State: Early China in Comparative Perspective, Cambridge 2014, 1–6, with further literature. See also J. Assmann, Religion and Cultural Memory: Ten Studies, Stanford 2006, 85. 20 On collective identity see J. Assmann, Cultural Memory and Early Civilizations: Writing, Remembrance and Political Imagination, Cambridge 2011, 24–28.111–141. 21 Ibid., 114. On historiographic text production accompanying political centralization, see also P. Machinist, Literature as Politics: The Tukulti-Ninurta Epic and the Bible, CBQ 38 (1976) 455–482; D. M. Carr, Writing on the Tablet of the Heart: Origins of Scripture and Literature, Oxford 2005, 31–32.68–71; Assmann, Religion, 40–41.87.94. 22 E. g., D. B. Redford, Pharaonic King Lists, Annals and Day Books: A Contribution to the Study of the Egyptian Sense of History (Society of the Study of Egyptian Antiquities 4), Mississauga 1986, 165–168; P. Michalowski, Charisma and Control: On Continuity and Change in Early Mesopotamian Bureaucratic Systems, in: M. Gibson/R. Biggs (eds.), The Organization of Power: Aspects of Bureaucracy in the Ancient Near East (SAOC 46), Chicago 1991, 45–58; S. Yamada, The Editorial History of the Assyrian King List, ZA 84 (1994) 11–37; J. J. Glassner, Mesopotamian Chronicles (Writings from the Ancient World 19), Atlanta 2003, 4–6.95– 99; Assmann, Religion, 90–93. 23 E. g., P. Michalowski, History as Charter: Some Observations on the Sumerian King List, JAOS 103 (1983) 237–248; S. N. Kramer, The Sage in the Sumerian Literature: A Composite Portrait, in: J. G. Gammie/L. G. Perdue (eds.), The Sage in Israel and the Ancient Near East, Winona Lake 1990, 31–44, here 40–43; Glassner, Mesopotamian Chronicles, 56.89.95–
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Cultural knowledge reinforcing hegemony had to be transmitted and institutionalized, and this role was filled by scribes trained and educated for the service of the state.24 Scribes were trained to memorize and recite texts, by which they acquired a common stock of ideas and phrases that could be used for further text production. By doing so they also acquired the cultural knowledge that made them not just copyists but intellectuals.25 Education was, therefore, an act of socialization meant to form a small upper class of administrators considered intellectually superior,26 and united by similar political, religious, ethical and legal ideas that served as the mortar binding together a political entity.27 In other words, scribal education was the mechanism by which the intellectual products of the state were not only produced but also utilized in order to form political and social unity.28 Writing was, therefore, essential as a means for establishing and maintaining political hegemony, and accordingly the production of literary texts was inherent to the very nature of the Near Eastern “state”. At least since the third millennium, almost every Near Eastern kingdom that ever existed left behind textual remains; without them, we could in fact hardly reconstruct the political history of the region. Hence, it may even be argued that the near eastern polities existed first and foremost in the writings, and this was no less true for the Iron Age Levant. The territorial polities that emerged throughout the Levant in the early Iron Age (12th–9th centuries BCE) were independent, kin-based political entities ruled by local dynasties.29 It was the demise of the former (i. e., Late Bronze Age) socio-political system, which was based on urban elites strongly related to regional powers (i. e., Egypt) that allowed the rise of new elites, of different origin, who found their legitimacy in a kin-based social structure.30 Territorial-political formation was the outcome of integrating different groups under the rule of 99; O. Sergi, The Alleged Judahite King List: Its Historical Setting and Possible Date, Sem. 56 (2014) 233–247. 24 Kramer, Sage, 31–40; R. J. Williams, The Sages in Egyptian Literature, in Gammie/ Perdue, Sage, 19–30; K. van der Toorn, Scribal Culture and the Making of the Hebrew Bible, Cambridge 2007, 59–62. 25 Carr, Writing, 3–14.27–47.34–37.71–75.127–142; van der Toorn, Scribal Culture, 56– 57. 26 Michalowski, Charisma, 51–56; Assmann, Religion, 111–112; Idem, Cultural Memory, 124–129; van der Toorn, Scribal Culture, 56–73. 27 Michalowski, Charisma, 51–53; Kramer, Sage, 37; Carr, Writing, 83. 28 For intellectual products of state formation, see Routledge, Moab, 37–38. 29 T. Bryce, The World of the Neo-Hittite Kingdoms: A Political and Military History, Oxford 2012, 202–204. 30 On the question of state formation in the Iron Age Levant, see: O. Sergi/I. de-Hulster, Some Historical and Methodological Considerations Regarding the Question of Political, Social and Cultural Interaction between Aram and Israel in the Early Iron Age, in: O. Sergi/M. Oeming/I. de-Hulster (eds.), In Search for Aram and Israel: Politics, Culture and Identity (ORA 20), Tübingen 2016, 1–14 (with further literature).
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the newly rising elites. The Levantine territorial polities were, therefore, not centralized in the bureaucratic, administrative sense of the word. Rather, they were based on a network of patron-client relations, centred on ruling elites, often residing in a palace.31 It is this social context – newly rising elites in the constant need to establish political hegemony over fragmented society – that generated the need for writing not only as a means to practice and maintain political hegemony (by bureaucratic/administrative control), but also as a means to legitimize it by forming a shared identity. It is in this context that we should see the appearance of the Levantine royal display inscriptions from the 9th century BCE and onwards. Their appearance, throughout the Levant, goes hand in hand with the emergence of new centralized polities that had autonomous scribal education and central administration.32 They mark another difference between the local ruling elites of the Iron Age Levant and their Late Bronze Age predecessors. No such inscriptions were found in the Late Bronze Age Levant, when writing seems to have been largely restricted to administrative purposes. The appearance of royal inscriptions was therefore a relatively new media chosen by new elites as another source of their political legitimation. The content of these inscriptions creates the notion of culturally and politically unified territorial kingdoms, under the rule of local dynasties. It demonstrates the further employment of writing and script in the service of state formation, and in a much broader sense – in the construction of new political identities and cultural memories, at least among the ruling elites.33 The appearance of Levantine royal inscriptions in the 9th century BCE attests, therefore, to the wide spread of well trained and educated scribal communities under the auspices of royal courts. It is only reasonable to believe that these scribal communities had at their disposal some scrolls containing (religious/historiographic) literary texts, on the base of which they relied while preparing the royal inscriptions.34 If so, it may be concluded that by the 9th century BCE the Levantine scribes were already in the process of collecting and composing literary texts in the service of monarchic powers. That, in turn, means that the ruling elites in the Iron Age Levant were eager to generate, to legitimate and to manifest 31 E. g., J. D. Schloen, The House of the Father as Fact and Symbol, Winona Lake 2001; Idem, Economy and Society in Iron Age Israel and Judah: An Archaeological Perspective, in: S. Niditich (ed.), The Willy Black Companion to Ancient Israel, Chichester 2016, 433–544; E. Pfoh, Dealing with Tribes and States in Ancient Palestine: A Critique of the Use of State Formation Theories in the Archaeology of Israel, SJOT 22 (2008) 86–113. 32 H. Gzella, A Cultural History of Aramaic from the Beginnings to the Advent of Islam (HdO 111), Leiden 2015, 60–61. 33 E. g., Routledge, Moab, 133–153. This subject is discussed at length in O. Sergi, State Formation, Religion and “Collective Identity” in the Southern Levant, HeBAI 4 (2015) 56–67. 34 For the epigraphic evidence for the existence of cursive writing with ink by the late Iron IIA, see B. Sass, Aram and Israel during the 10th–9th centuries BCE or the Iron IIA: The Alphabet, in: Sergi/Oeming/de-Hulster, Search, 199–227, and cf. Blum, Wandinschriften vom Tell Deir ῾Alla, 21–52.
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their political power in the form of writings. In this sense, the royal inscriptions reflect the very essence of the Iron Age Levantine polity – it could only exist if you write it down. Israel and Judah were no different than any other polity that rose to power in the Iron Age Levant, which means that literary texts must have been produced in both kingdoms. Fortunately, there is abundance of archaeological and epigraphical evidence to support such a conclusion.
III. Scribal Tradition in Israel and Judah: The Archaeological and the Epigraphic Evidence As early as the beginning of the late Iron IIA (early 9th century BCE) evidence exists for extensive urbanism,35 palatial architecture,36 and some sort of central administrative system in northern Canaan,37 all reflect the emergence of Israel as a territorial polity, encompassing Northern Samaria and the adjacent valleys (Jezreel, Beth-Shean and the central Jordan Valleys).38 The archaeological remains are accompanied by contemporaneous extra-biblical sources, according to which the kings from the House of Omri, who ruled the Israelite polity, extended their hegemony as far as the central Transjordan; they were engaged in interregional-Levantine alliances; and have participated military campaigns in remote regions.39 In light of the archaeological and textual data it is difficult to imagine that the Omrides could effectively manage their resources and to administer the rule over remote communities and territories without the active participation of a scribal community.40 As far as the epigraphic evidence goes, an ostracon recently discovered in Iron IIA Megiddo (level Q5, dated to the late 10th or early 9th century BCE) may imply that by the very early 9th century BCE the alphabet was already in use within some kind of local (Israelite?) administration.41 Larger quantities of Iron IIA epigraphic finds (consisting of ink written ostraca and inscriptions incised 35 Z. Herzog/L. Singer-Avitz, Sub-Dividing the Iron Age IIA in Northern Israel: A Suggested Solution to the Chronological Debate, Tel Aviv 33 (2006) 163–195. 36 O. Sergi/Y. Gadot, Omride Palatial Architecture as Symbol in Action: Between State Formation, Obliteration and Heritage, JNES 76 (2017) 103–111. 37 A. Kleiman, A North Israelite Royal Administrative System and Its Impact on Late-Monarchic Judah, HeBAI 6 (2017) 354–371. 38 Finkelstein, Forgotten Kingdom, 83–118. 39 Na᾽aman, Northern Kingdom, 226–246. 40 J. Whisenant, Let the Stone Speak! Document Production by Iron Age West Semitic Scribal Institutions and the Question of Biblical Sources, in: B. Schmidt (ed.), Contextualizing Israel’s Sacred Writings: Ancient Literacy, Orality and Literary Production (Ancient Israel and Its Literature 22), Atlanta 2015, 133–158, here 141–145. See also B. Sass/I. Finkelstein, The Swan Song of Proto-Canaanite in the 9th century BCE in Light of Alphabetic Inscription from Megiddo, Semitica et Classica 9 (2016) 19–42, here 38. 41 Sass/Finkelstein, Swan Song, 19–42.
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on ceramic vessels) were found up till now only in sites located in the Beth-Shean Valley, and specifically in Tel Rehov, where the earliest evidence for the use of the ˙ Old Hebrew script was found.42 Attempts to argue that Tel Rehov and the Beth-Shean Valley were not in˙ tegrated in the Omride polity are difficult to accept.43 If the Omrides ruled the Jezreel Valley west of the Beth-Shean Valley,44 and fought in the Gilead east of it (2 Kings 8:28–29; 9:14–15),45 it is hard to imagine that the rulers of the territory in between were hostile or not-loyal to the Omrides. Considering the segmented structure of the Levantine polities, even if Tel Rehov was self-governed, it is more ˙ likely that its rulers came to terms with the Omrides from Samaria. The fact that the 2–3 inscriptions from Tel Rehov and the nearby Tel ῾Amal bear the name ˙ Nimshi indicates that the Nimshides were an important ruling family in the re46 gion. According to 2 Kgs 9–10 at least one of the leading figures in the Nimshide family, Jehu son of Jehoshaphat, was the commander of the Omride army (who later usurped the Omride throne). It seems, therefore, that the Nimshides, a ruling family from the Beth-Shean Valley, were allied with the Omrides from Samaria, and if so, the important role of Tel Rehov and the Beth-Shean Valley ˙ in the formation of the Omride kingdom is only highlighted.47 In any case, evidence indicates that a relatively centralized administrative system, utilizing the alphabetic script, was in use in the Omride kingdom.48 As for Judah, indications for the emergence of a centralized political rule in Jerusalem appear as early as the early Iron IIA, but throughout most of the Iron IIA, Judah was a highland polity, centred on Jerusalem and encompassing 42 I. Finkelstein/B. Sass, The West Semitic Alphabet Inscriptions, Late Bronze II to Iron IIA: Archaeological Context, Distribution and Chronology, HeBAI 2 (2013) 149–220; S. Ahituv/A. Mazar, The Inscriptions from Tel Rehov and Their Contribution to the Study of ˙ and Writing during Iron Age IIA, in: E. Eshel/Y. Levin ˙ Script (eds.), “See, I will bring a scroll recounting what befell me” (Ps. 40:8): Epigraphy and Daily Life from the Bible to the Talmud, Göttingen 2014, 39–68; Sass/Finkelstein, Swan Song, 33 (Table 1). 43 That was argued recently by I. Finkelstein, Does Rehob of the Beth-Shean Valley Appear in the Bible?, BN 169 (2016) 3–10; and by E. Arie, The Omride Annexation of the BethShean Valley, in: O. Lipschits/Y. Gadot/M. J. Adams (eds.), Rethinking Israel: Studies in the History and Archaeology of Ancient Israel in Honor of Israel Finkelstein, Winona Lake 2017, 1–18. As argued below, this suggestion is hard to accept; see already A. Mazar, Culture, Identity and Politics Related to Tel Rehov in the 10th– 9th Centuries BCE, in: Sergi/Oeming/de-Hul˙ ster, Search, 89–119, here 115–116. 44 Finkelstein, Forgotten Kingdom, 83–118. 45 O. Sergi, The Battle of Ramoth-gilead and the Rise of the Aramean Hegemony in the Southern Levant during the Second Half of the 9th Century BCE, in: A. Berlejung/A. M. Maeir/A. Schüle (eds.), Wandering Arameans: Arameans Outside Syria: Textual and Archaeological Perspectives (LAOS 5), Wiesbaden 2017, 81–97. 46 Ahituv/Mazar, Inscriptions, 64. ˙Sergi, The Formation of the Israelite Identity in the Central Canaanite Highlands in 47 O. the Iron I–IIA, NEA 82 (2019) 42–51; Idem, Israelite Identity and the Formation of the Israelite Polities in the Iron I–IIA Central Canaanite Highlands, WdO (forthcoming). 48 Kleiman, Administrative System, 354–371.
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mainly the Judean hill country and the Benjamin Plateau.49 It was not before the final phases of the late Iron IIA, during the second half of the 9th century BCE (and possibly even later, in the last third of that century) that the political power of the House of David extended to the lowlands of south-west Canaan and to the southern desert fringe, in the Beer-sheba and Arad Valleys. This is well demonstrated by the erection of Judahite royal towns, administrative centres and military outposts in these regions.50 Doubtless, by that period, a scribal community was already in the service of the Davidic kings. This conclusion is well supported by the epigraphic finds: evidence for scribal practice exist in the lowlands of south-west Canaan as early as the early Iron IIA.51 During the Iron IIA, Tell es-Safi/Gath, which grew to be the largest and ˙ most prosperous urban centre in south-west Canaan, yielded a fair quantity of alphabetic inscriptions, some of them bare the Old Hebrew script.52 One of these (bearing a name abtm/abym/ab᾽am), well dated to the late Iron IIA, was inscribed with a red ink on a jar that was produced in the region of Jerusalem.53 Alphabetic knowledge was well known in south-west Canaan since the Late Bronze Age, and its regional distribution only grew throughout the Iron I–IIA. Accordingly, and since the Iron IIA material remains attest to a broad social and economic exchange between Gath and Jerusalem during this period,54 there is no wonder that an alphabetic inscription (though enigmatic) incised on a jar was found also in the Ophel excavations in Jerusalem.55 The inscription was written in a developed form of the proto-Canaanite script (also known as “Phoenician script”),56 which certainly precedes the Old Hebrew script. It was found in a fill below floor, in which the latest shred should be dated to the late Iron IIA. Judging 49 O. Sergi, The Emergence of Judah as a Political Entity between Jerusalem and Benjamin,
ZDPV 133 (2017) 1–23. 50 Z. Herzog/L. Singer-Avitz, Redefining the Centre: The Emergence of State in Judah, Tel Aviv 31 (2004) 209–244; Sergi, Judah’s Expansion, 226–246. 51 As may be demonstrated by the Kh. Qeiyafa Ostracon and the Gezer Calender, and see Blum, Voraussetzungen der israelitischen Traditionsliteratur, 10–13. 52 A. M. Maeir et al., A Late Iron Age I/early Iron Age IIA Old Canaanite Inscription from Tell es-Safi/Gath, Israel: Palaeography, Dating, and Historical-Cultural Significance, BASOR 351 (2008) ˙59–62; A. M Maeir/E. Eshel, Four Short Alphabetic Inscriptions from Late Iron Age IIa Tell es-Safi/Gath and their Implications for the Development of Literacy in Iron Age Philistia ˙ in: Eshel/Levin, Epigraphy and Daily Life, 69–88. and Environs, 53 I would like to thank Prof. A. M. Maeir for sharing with me this information. 54 E. g., A. Cohen-Weinberger/N. Szanton/J. Uziel, Petrographic Analysis as a Tool for Illuminating Cultural Interactions and Trade Relations between Judah and Philistia during the Iron Age II, BASOR 377 (2017) 1–20, and see also above. 55 E. Mazar/D. Ben-Shlomo/S. Ahituv, An Inscribed Pithos from the Ophel, Jerusalem, ˙ IEJ 63 (2013) 39–49. 56 On the “Phoenician Script,” see C. A. Rollston, Writing and Literacy in the World of Ancient Israel: Epigraphic Evidence from the Iron Age (ABSt 11), Atlanta 2010, 19–46. For a different view regarding the origin of the standardized script tradition, see Finkelstein/Sass, West Semitic Alphabet Inscriptions, 149–220.
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from the script and from the jar’s typology, the inscription should not be dated earlier than the late 10th–early 9th century BCE, and it may demonstrate that by the late 10th century BCE the knowledge of alphabetic writing was introduced in Jerusalem. This, of course, is not enough to argue for the existence of an educated and well trained scribal community. The evidence for a more elaborated scribal apparatus appear, however, in the late 9th or early 8th century BCE: A hoard of ca. 170 broken bullae, significant amount of which sealed papyrus documents, were found in a late Iron IIA/early Iron IIB fill in the “rock-cut pool” in the City of David.57 The bullae (all of which were produced in the region of Jerusalem) attest to the existence of an administrative system, employing the knowledge of writing, in the service of Jerusalem’s ruling elite.58 That the appearance of an administrative system in Jerusalem is concurrent with the foundation of royal Judahite towns in south-west Canaan (Lachish IV, Beth-Shemesh III) and in the Beersheba and Arad Valleys (Beerhsheba V, Arad XI) should come as no surprise: the development of a Jerusalemite scribal apparatus goes hand in hand with the expansion of Davidic political hegemony from Jerusalem and the Judean hills to the lowlands surrounding it. This is also demonstrated by the fact that the earliest stratified Old Hebrew inscription from Judah – a late Iron IIA ink inscription on a pottery sherd – was found in the remote Judahite desert fortress at Arad.59 All in all, the epigraphic evidence dated to the late Iron IIA and the early Iron IIB both in Israel and in Judah, attests for the existence of a standardized scribal curriculum, which kept developing throughout the Iron IIB–C.60 Indeed, the existence of royal scribes in late Iron IIA Israel and Judah does not necessarily mean that these scribes were capable of producing high-level literary texts. However, as was demonstrated by Blum in various articles, the fact that inscriptions with high-level literary texts dated to the late 9th/early 8th century BCE were found throughout the southern Levant suggests otherwise.61 Thus, 57 For the bullae found in the City of David, see R. Reich/E. Shukrun/O. Lerner, Recent Discoveries in the City of David, IEJ 57 (2007) 153–169. For the date see A. De Groot/A. Fadida, The Pottery Assemblage from the Rock Cut Pool near the Gihon Spring, Tel Aviv 38 (2011) 158–166. 58 Y. Goren/S. Gurwin/E. Arie, Messages Impressed in Clay: Scientific Study of Iron Age Judahite Bullae from Jerusalem, in: M. Martinón-Torres (ed.), Craft and Science: International Perspectives on Archaeological Ceramics, Doha 2014, http://dx.doi.org/10.5339/ uclq.2014.cas.ch16. 59 Finkelstein/Sass, West Semitic Alphabet Inscriptions, 169. 60 For details, see C. A. Rollston, Scribal Curriculum during the First Temple Period: Epigraphic Hebrew and Biblical Evidence, in: Schmidt, Contextualizing, 71–101. 61 E. Blum, Die Kombination I der Wandinschrift vom Tell Deir῾Alla: Vorschläge zur Rekonstruktion mit historisch-kritischen Anmerkungen, in: I. Kottsieper/R. Schmitt/J. Wöhrle (eds.), Berührungspunkte: Studien zur Sozial- und Religionsgeschichte Israels und seiner Umwelt, FS R. Albertz, Münster 2008, 573–601; Idem, “Verstehst du dich nicht auf die Schreibkunst …?” Ein weisheitlicher Dialog über Vergänglichkeit und Verantwortung: Kombination
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for instance, Blum demonstrated that the ca. 800 BCE Tell Deir ῾Alla Plaster Inscription and the contemporaneous Kuntillet ῾Ajrud Inscriptions present fine examples of elegant literary writing and scribal handicraft, and they both provide a direct evidence for scribal education. That means that no later than the late 9th century BCE well trained and educated scribes, capable of producing high-level literary texts, were employed in the service of the southern Levantine states (but not exclusively). Even when the epigraphic evidence itself does not stem directly from the courts of Jerusalem or Samaria (but see Kuntillet ῾Ajrud, which is commonly related to the court of Samaria under the reign of Jeroboam II), they still demonstrate that by the late Iron IIA the knowledge of composing, redacting and probably also collecting literary texts was quite common in the southern Levant, even in remote desert polities, like Moab.62 In this context the Mesha Inscription is noteworthy: it provides the most direct evidence for historiographic literature stemming from the process of state formation, the outcome of consolidating political power (in this case, the power of Mesha the Dibonite) over the fragmented society of the late Iron IIA central Transjordanian Plateau.63 The Mesha Inscription was found in a remote desert site, and thus proves that regardless of the wealth accumulated by a certain society, and regardless of whether it was fully sedentarized or not – political consolidation in the Iron Age Levant, even in its most arid zones, was accompanied by extensive literary production. There is no reason to think that late Iron IIA Judah or Israel were different from their Moabite neighbour. In fact, the Mesha Inscription has been subjected more than any other text to analogies with biblical historiography. Scholars have noted that it shares royal ideology, theological concepts and even similar phrasing with many different historiographical texts in the Hebrew Bible, especially in Joshua and Samuel.64 Taking that into consideration, together with the fact that the Mesha Inscription was written in the II der Wandinschrift vom Tell Deir ῾Alla, in: M. Bauks/K. Liess/P. Riede (eds.), Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst? (Psalm 8,5). Aspekte einer theologischen Anthropologie, FS B. Janowski, Neukirchen-Vluyn 2008, 33–53; Idem, Die Wandinschriften 4.2 und 4.6 sowie die Pithos-Inschrift 3.9 aus Kuntillet ῾Ajrud, ZDPV 129 (2013) 21–54; Idem, Wandinschriften vom Tell Deir ῾Alla, 21–52; Idem, Solomon, 65–67; Idem, Voraussetzungen der israelitischen Traditionsliteratur, 3–44. 62 Whisenant, Document Production, 141–145. 63 E. A. Knauf, The Cultural Impact of Secondary State Formation: The Cases of Edomites and Moabites, in: P. Bienkowski (ed.), Early Edom and Moab: The Beginning of Iron Age in Southern Jordan (Sheffield Archaeological Monographs 7), Sheffield 1992, 47–54; Routledge, Moab, 133–153; Sergi, State, 70–75, with further literature. 64 For some of the recent studies, see S. Kreuzer, “… und der Herr half David in allem, was er unternahm”. Die Davidgeschichte in ihrem inneren Zusammenhang und im Licht der westsemitischen Königsinschriften, in: A. Graupner (ed.), Verbindungslinien, FS W. H. Schmidt, Neukirchen-Vluyn 2000, 187–205; Routledge, Moab, 155–159; C. Molke, Der Text der Mescha-Stele und die biblische Geschichtsschreibung (Beiträge zur Erforschung der antiken Moabitis [Ard el-Kerak] 5), Frankfurt a. M. 2006, 56–64; Sergi, State, 70–75, with further literature.
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Old Hebrew script (the same script used in Israel and Judah from the late Iron IIA) may even attest that the royal scribes in the southern Levant shared scribal knowledge, practices and education. One may think of the Omride hegemony over both Judah and Moab in the first half of the 9th century BCE as the historical context for the development of such south Levantine scribal tradition. Be that as it may, there should be little doubt that scribal communities engaged in composing and collecting literary texts, were at the service of Israel (the Omrides) from the first half of the 9th century BCE, and at the service of Judah (the House of David) from the second half of the 9th century BCE. As far as the epigraphic evidence is considered in the attempt to date biblical texts, there is no reason to doubt the assumption that high-level literary works could have been composed in both Israel (e. g., the pre-Priestly Jacob cycle)65 and Judah (e. g., the stories of David’s rise) by the early 8th century BCE.66
IV. The Question of Extensive Literary Composition, Compilation and Redaction in Late Monarchic Judah Beside doubts regarding the capability of Judahite and Israelite scribes to compose high-level literary texts prior to the late 8th century BCE, current biblical scholarship doubts also the attribution of more ambitious literary works to late monarchic Judah. This question relates specifically to the early versions of the books of Samuel and Kings, to the so called “Ur-Deuteronomium”, and maybe also to some early version of Joshua. In spite of the strong monarchic ideology conveyed throughout these books, and in spite of the fact that cult centralization (as a core theme in Deuteronomy and Kings) makes sense only in the context of centralized cultic institutions under monarchic auspice,67 current trends in biblical scholarship doubt the possibility that these books were first compiled in late monarchic Judah, and assigns most of them to the Babylonian or the Persian periods.68 65 E. g., E. Blum, The Jacob Tradition, in: C. E. Evans/J. N. Lohr/D. L. Petersen (eds.), The Book of Genesis: Composition, Reception and Interpretation (VT.S 152), Leiden/Boston 2012, 181–211. 66 E. g., N. Na᾽aman, Sources and Composition in the History of David, in: V. Fritz/P. R. Davies (eds.), The Origins of the Ancient Israelite States (JSOT.S 228), Sheffield 1996, 170–186; Idem, In Search of Reality behind the Account of David’s Wars with Israel’s Neighbours, IEJ 52 (2002) 200–224. 67 For many examples from the ancient Near East, see N. Na᾽aman, The King Leading Cult Reforms in His Kingdom: Josiah and Other Kings in the Ancient Near East, ZAR 12 (2006) 131–168. 68 E. g., E. Aurelius, Zukunft jenseits des Gerichts: Eine redaktionsgeschichtliche Studie zum Enneateuch (BZAW 319), Berlin/New York 2003; J. Pakkala, The Date of the Oldest Edition of Deuteronomy, ZAW 121 (2009) 388–401; Idem, Deuteronomy and 1–2 Kings in the Re-
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Judging again from the epigraphic evidence, it is noteworthy that there is no parallel to the extent and quantity of epigraphic finds from Iron IIB–C Judah any time before the 2nd century BCE. An ever growing number of administrative and economic inscriptions as well as inscribed bullae, seals, weights and stamp impressions found all over Judah – in the main urban centres (e. g., Lachish, Jerusalem) and in remote desert fortresses (e. g., Arad, Horvat ῾Uza) – ˙ attest to the increasing exploitation of writing by the state agents, but also for the practice of archive keeping.69 The evidence suggests that the exploitation of writing during this period was not restricted to state agents, but infiltrated also to the more private spheres.70 In addition, epigraphic finds are not restricted to administrative and economic texts, as evidence also exists for scribal education employing literary texts even in a remote desert fortress like Horvat ῾Uza.71 ˙ In an attempt to reflect on the question whether late monarchic Judahite scribal culture could be credited with the extensive redaction of ambitious literary works, 16 ink inscriptions found in the desert fortress of Arad (out of an archive of more than 100 inscriptions), dated ca. 600 BCE, were examined using novel image processing and machine learning algorithms.72 These techniques reveal a minimum of six authors within the examined inscriptions, which indicates that in this remote fort literacy had spread throughout the military hierarchy, down to the quartermaster and probably even below that rank. Widespread literacy offers a better background for the composition of ambitious works such as the book of Deuteronomy and the monarchic history in Samuel–Kings, especially in light of the fact that a similar level of literacy in this area is attested again only 400 years later, ca. 200 BCE.73 The last point is crucial, as it attests to the thorniest anomaly in biblical studies: not a single securely dated Hebrew inscription has been found in the Judean province of Yahud for the period between 586 and ca. 350 BCE. This should come as no surprise, because the destruction of Judah brought about the collapse of the kingdom’s bureaucracy and deportation of many of the literati. Yet, it is to this period that biblical scholars assign the formation of the prose narratives in the Hebrew Bible, including the Pentateuch, the Former Prophets and Ezra–Nehemiah. Moreover, in spite of the undisputable evidence for widedaction of the Pentateuch and Former Prophets, in: K. Schmid/R. Person (eds.), Deuteronomy in the Pentateuch, Hexateuch, and the Deuteronomistic History (FAT II 56), Tübingen 2011, 134–162. 69 Rollston, Writing, 91–113; N. Na᾽aman, Literacy in the Negev of the Late Monarchic Period, in: Schmidt, Contextualizing, 47–70; Whisenant, Document Production, 145–147. 70 Whisenant, Document Production, 150–152. 71 N. Na᾽aman, A Sapiential Composition from Horvat ῾Uza, HeBAI 2 (2013) 221–233. 72 S. Faigenbaum-Golovin et al., Algorithmic Handwriting Analysis of Judah’s Military Correspondence Sheds Light on Composition of Biblical Texts, PNAS 113/17 (2016) 4664–4669. 73 Ibid., 4666–4667.
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spread literacy and extensive exploitation of writing by well-educated scribes in late monarchic Judah, current trends attribute very little of the biblical texts to that period, and almost completely exclude the possibility that larger literary works were compiled and redacted in late monarchic Judah, even when they do convey strong monarchic ideology and theology. This is not to argue that in light of the epigraphic evidence (or actually, for the Persian Period, the lack of such evidence) the late dating assigned for the final stages of the formation of the Pentateuch or the Former Prophets should be reconsidered. Quite to the contrary, there are strong arguments in favour of the assumption that the extensive redaction of the coherent narrative recounting the history of ancient Israel in Genesis–Kings took place only in the Persian Period, long after the kingdoms of both Israel and Judah ceased to exist. Taking into consideration the perishable materials used for writing and the fact that the composition of high-level literary works was the prerogative of a small circle of temple scribes in Jerusalem, the lack of evidence for widespread literacy is not enough to argue against extensive literary production in the Persian period.74 On the other hand, there is no way to explain how the highly developed scribal tradition that is credited with the formation of Genesis–Kings could emerge in a period which in terms of literacy was so poor. In order to maintain the (reasonable) assumption which assigns much of the formation of the Hebrew Bible to the Persian period, we have to assume that the scribes capable of it participated in a longstanding scribal tradition. Since late monarchic Judah provides the sole evidence for extensive use of writings by educated scribes, it also provides the “missing” cultural link to the scribal tradition of the Persian period, which lacks such evidence. In other words, the only way out of this anomaly is to consider the possibility that much of the narrative blocks of the Pentateuch and the Former Prophets were composed during the monarchic period (below) and that the compilation of these narrative blocks into more encompassing literary works begun already in late monarchic Judah (Deuteronomy, Joshua, Samuel–Kings).75 The fact that many of the literary, historiographic-like narratives in the Pentateuch and even more so in the Former Prophets reflect the monarchic period support this assumption, as will be demonstrated below.
74 For an analogy from archaic and classic Greece, where complex literary works are dated to periods that demonstrate only limited evidence for literacy, see Blum, Voraussetzungen der israelitischen Traditionsliteratur, 9–10. 75 As is argued, for instance, by Römer, Deuteronomistic History, 45–106.
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V. Historical Setting and Allegorical Reading of Biblical Historiographic Narratives In many cases, the late dating assigned to a given historiographic narrative is based almost entirely on its literary and theological reading, while its historical context is dismissed or subdued to literary/theological considerations. The dating of a text relating to the monarchic period to a post-monarchic period is maintained by taking the text out of its immediate historical context, which is consequently regarded as an allegory,76 using “past memories” from the monarchic period in order to convey theological messages to post monarchic communities. Doubtless, in certain cases there are good reasons to dismiss the historical setting of specific texts in light of literary and theological considerations (e. g., 1 Kgs 18–19), especially when the text contains anachronisms of any kind (lingual, historical, theological). However, these cases only highlight how important it is to consider the historical settings of a given text when discussing its date and origin. Especially when discussing historiographical texts, answering the question “what were the socio-political realia known to the authors” should be a major consideration. One needs very strong arguments in order to dismiss the historical context of a given text, and to read it as an allegory to different social realia than those it actually depicts. In the following, I would like to demonstrate this point by referring to two examples from the book of Samuel: the stories about David’s rise to power in 1 Sam 16–2 Sam 5, and the so called “Succession Narrative” in 2 Sam 9–20 and 1 Kgs 1–2. Both narratives were subdued to complex literary development, and accordingly they are seen as the outcome of a long process of composition and redaction, mostly dated to post-monarchic periods. Yet, as will be demonstrated, they are well embedded within the monarchic reality and they reflect the royal interest and ideology, which calls their late dating into question, and consequently also the relationship between literary growth and dating should be reconsidered. 1. The History of David’s Rise: Historical Setting vs. Allegorical Reading The stories about David’s rise are embedded in 1 Sam 16–2 Sam 5 and they include many different narrative strands that were quite loosely put together by a pre-Deuteronomistic scribe. These narratives tell about David’s service in Saul’s court (1 Sam 16:14–23; 17–19); David’s flight from Saul (1 Sam 20–26); his consequent service for the king of Gath (1 Sam 27–2 Sam 1) until the death of Saul (1 Sam 31–2 Sam 1); and David’s coronation first over Judah (2 Sam 2:1–4) and later over Israel (2 Sam 5:1–3). Of course, the extent and literary growth of this 76
Blum, Historiography, 35–36, and on the problem of allegorical reading see also Idem, Jacob, 186.
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composition is disputed, and there is little doubt that some of the narratives embedded in it are relatively late (e. g., 1 Sam 16). For the purpose of this study suffice it to stress that in spite of its mosaic nature, it is still painted with a unifying royal, pro-Davidic ideology, suggesting that its authors were not mere compilers.77 The conventional wisdom that rules contemporary scholarship regards the stories in 1 Sam 16 – 2 Sam 5 as a Judahite composition written some time after the fall of Samaria (ca. 720 BCE) in the 7th century BCE. It was meant to link Saul, the first king of Israel, with David, the first king of Judah, in order to present Judah as the political and cultural successor of the former kingdom of Israel.78 In other words, the dating of the story to the late monarchic period, in spite of the fact that the narrative itself relates to the early monarchic period, is maintained by its allegorical reading: the figures of the defeated Saul and the victorious David are read as an allegory to the history of Israel and Judah in the late 8th – late 7th centuries BCE. The main problem with this reading is the fact that the stories about David’s rise are well embedded in the social and political realia of southern Canaan in the early Iron Age,79 and therefore there is no real reason to read them as allegories. Rather, we should at least try to read them for what they are – an attempt to portray the rise of the Israelite monarchy. The geographical scope of the stories about David’s rise to power is restricted to south Canaan, and focused on the southern parts of the central Canaanite hill country and its foothills. According to the narrative, the Philistines control the western Shephelah, and David is quite independent (as a leader of a warriors’ band) whenever he acts in the Judean hill country and its foothills (1 Sam 23–26 and 2 Sam 5), but he is at the service of the king of Gath whenever he crosses to the west or the south (cf. 1 Sam 27; 29–30). This geo-political scenario is further highlighted by the importance of Gath in these stories (1 Sam 17:4, 23, 52; 21:11, 13; 27:2–4, 11). The excavations in Tell es-Safi/Gath demonstrated that it reached ˙ its zenith during the 10th–9th centuries BCE, when it became by far the biggest and the most prosperous city in southern Canaan. However, it was utterly destroyed in the last third of the 9th century and never regained its former power.80 77 For survey of past research with further literature see, W. Dietrich, The Early Monarchy in Israel: The Tenth Century BCE (Biblical Encyclopedia 3), Atlanta 2007, 240–255. 78 For only some of the many studies supporting this hypothesis, see, R. G. Kratz, The Composition of the Narrative Books of the Old Testament, London 2005, 181–182; I. Finkelstein, Saul, Benjamin and the Emergence of Biblical Israel: An Alternative View, ZAW 123 (2011) 348–367; Dietrich, Early Monarchy, 247–248.304–308; J. L. Wright, David, King of Israel and Caleb in Biblical Memory, Cambridge 2014, 39–50.141–146, but see N. Na᾽aman, Saul, Benjamin and the Emergence of Biblical Israel, ZAW 121 (2009) 211–224.335–349, who already challenged this perception. 79 Na᾽aman, Sources, 170–186; Idem, Search, 200–224; I. Finkelstein, Geographical and Historical Realities behind the Earliest Layer in the David Story, SJOT 27 (2013) 131–150. 80 A. M. Maeir, The Tell es-Safi/Gath Archaeological Project 1996–2010: Introduction, ˙˙
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The stories in 1 Sam 16–2 Sam 5 are, therefore, consistent with the social and political reality in south Canaan during the 10th–9th centuries BCE and prior to the Judahite expansion to the Shephelah, as is also evidenced by the fact that all these traditions fail to mention Lachish – the main royal Judahite town in the Shephelah from the second half of the 9th century BCE.81 It may be argued that the fact that a story is based on a certain political reality does not necessarily indicate that it was also composed during the same period. Indeed, there are some cases in which stories were utilizing the memory of the past in order to relate to a much later present. Arguing for such a scenario, however, requires strong evidence for the late dating of the story, which in this case is completely absent. The stories about David’s rise present an intimate knowledge of the socio-political realia in the early Iron Age. Thus, for instance, the memory of Gath is not just a vague memory of its past glory (as it appears for example in Amos 6:2), but a vivid and intimate one: the narrator was acquainted with specific Philistines’ warrior groups and the related terminology, which was long forgotten in later biblical narratives.82 In addition, the stories reflect the extent of the political hegemony of Iron IIA Gath quite accurately.83 Furthermore, the social conditions described in several episodes seem to predate this period of consolidation of the Jerusalemite regional hegemony, when the region was ruled by one urban center, with various kin-based groups (Amalekites, Israelites, David’s band) situated on and within the margins of the urban based polity, and practicing different levels of loyalty and hostility with it; lastly, the stories contain memories of toponyms that were not settled after the Iron IIA/B.84 This intimate acquaintance with the socio-political realia of southern Canaan in the Iron IIA is accompanied by the fact that some of the cultic practices depicted in these stories (e. g., David’s direct inquiry of Yhwh in 1 Sam 23:2, 4; 30:8; 2 Sam 2:1; 5:19, 23– 24; the use of Ephod and Teraphim in 1 Sam 19:13, 16; 23:9–12; looting the Philistine idols in 2 Sam 5:21) reflect the period prior to the institutionalization of the Judahite royal Yhwistic cult in the Iron IIB–C.85 Overview and Synopsis of Results, in: Idem (ed.), Tell es-Safi/Gath I: The 1996–2005 Seasons, ˙˙ Part 1, Text (ÄAT 69), Wiesbaden 2012, 26–49. 81 Sergi, Judah’s Expansion, 226–246. 82 I. Koch, On Philistines and Early Israelite Kings: Memories and Perceptions, in: J. J. Krause/O. Sergi/K. Weingart (eds.), Saul, Benjamin and the Emergence of Monarchy in Israel: Biblical and Archaeological Perspectives (AIL), Atlanta (forthcoming). 83 Cf. G. Lehmann/H. M. Niemann, When Did the Shephelah Become Judahite?, Tel Aviv 41 (2014) 77–94; E. Ben-Yosef/O. Sergi, The Destruction Of Gath By Hazael and The Arabah Copper Industry: A Reassessment, in: I. Shai et al. (eds.), Tell it in Gath: Studies in the History and Archaeology of Israel, Essays in Honor of Aren M. Maeir on the Occasion of his Sixtieth Birthday (ÄAT 90), Münster, 461–480. 84 N. Na᾽aman, The Date of the List of Towns that Received the Spoil of Amalek (1 Sam 30:26–31), Tel Aviv 37 (2010) 175–187; Finkelstein, Geographical and Historical Realities, 131–150. 85 For details, see, Sergi, State, 64–70.
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Having said that, it is also noteworthy that nothing in the stories about David’s rise even resembles the socio-political realia of the Iron IIB–C, the period to which most scholars date them. Not one of the centres that Judah founded during the late Iron IIA in the Shephelah or the Beersheba-Arad Valley is mentioned in these stories. They do not reflect the Judahite hegemony in the region during the Iron IIB, the prominence of the kingdom of Ekron during the Iron IIC or the Assyrian invasion and its consequences. In fact, throughout the Iron IIB–C the Neo-Assyrian Empire casted its heavy shadow over the entire southern Levant. The Assyrian army (unlike that of the Philistine) was that of a powerful empire that destroyed many local territorial kingdoms, changing entirely the social and political structure of Canaan. It cannot be equated with the local Philistine garrison trying to control the highland population (e. g., 1 Sam 10:5; 13:3; 14:1–13). Hence, in light of the fact that the stories about David’s rise demonstrate detailed and intimate knowledge of Iron IIA southern Canaan, but lack any kind of anachronisms which may reflect later periods, they should not be dated much later than the reality they reflect. That means that at least in their earliest version, the stories about David’s rise were composed no later than the early 8th century BCE, and in any case before the Assyrian invasions to the southern Levant in the second half of that century.86 The stories about David’s rise are well embedded in the socio-political realia of Iron IIA southern Canaan, and therefore they should not be read as an allegory for an assumed late monarchic Judahite wish to inherit the northern kingdom of Israel. They should be read for what they are – a story about the rise of the Israelite monarchy, where both Saul and David are portrayed as newly formed ruling elites, rising to power among their own kinsmen, by means of agricultural wealth, military skills and familial relationships. This depiction correlates well with the way we understand the social evolution that generated state formation in the Iron Age Levant.87 If the above analysis holds true, the stories about David’s rise to power were probably composed not long after the expansion of the Davidic political hegemony from the Judean hills to the lowlands. Hence, they may be accounted among the earliest Judahite literary compositions, and in great similarity to the Mesha Inscription, they may also be seen as an intellectual product of state formation.
86 The same conclusion may be drawn in regard to the Saul traditions in 1 Sam 9–14, which reflect a very similar reality; see, O. Sergi, Rethinking Israel and the Kingdom of Saul, in: Lip schits/Gadot/Adams, Rethinking, 371–388. 87 For a detailed discussion, see O. Sergi, Saul, David and the Formation of the Israelite Monarchy: Revisiting the Historical and Literary Context of 1 Samuel 9–2 Samuel 5, in: Krause/ Sergi/Weingart, Saul, Benjamin and the Emergence of Monarchy in Israel (forthcoming).
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2. The Succession Narrative: Historical Settings, Allegorical Reading and the Question of “Fortschreibung” The story of Absalom and Sheba’s revolts (2 Sam 15–20) recounts how David’s throne was threatened twice. In both cases, it was “Israel” that rebelled, once under the leadership of David’s son Absalom, and once under the Benjaminite Sheba son of Bichri. The story is centered on the account of the battle between David’s followers and the Israelites in the forest of Ephraim (2 Sam 18:1–19:9), which is framed with a narrative depicting David’s flight from Jerusalem to Mahanaim (2 Sam 15:14–17:29) and his return to Jerusalem after the revolt was put down (2 Sam 19:10–44).88 The return narrative concludes with conflict between Israel and Judah (2 Sam 19:10–16, 41–44), which leads directly to the second Israelite revolt led by the Benjaminite Sheba (2 Sam 20:1–22). This story is usually seen as a part of the so-called “Succession Narrative”, identified in 2 Sam 9–20 and 1 Kgs 1–2. In the wake of Rost’s seminal study,89 the thesis that this material forms an independent narrative with a peculiar style and purpose about the succession to the throne of David has been broadly accepted in biblical scholarship, even when the extent of this narrative, its main theme, and its literary unity were criticized and modified.90 Accordingly, the early date in the 10th century BCE originally assigned by Rost to this narrative has been abandoned and scholars agree today that the author of the Succession Narrative was not an eyewitness to the events he described.91 Yet, and in spite of the strong monarchic tendency of the story – after all, it is a story about court life and monarchic power92 – more and more scholars argue for its late, Persian period date. To be sure, the attempt to date the story as a whole to the Persian period, based on supposedly anti-monarchic ideology embedded in it,93 did not gain much 88 For
discussion, see D. M. Gunn, The Story of King David: Genre and Interpretation (JSOT.S 6), Sheffield 1978, 88–111; A. A. Fischer, Flucht und Heimkehr Davids als integraler Rahmen der Abschalomerzählung, in: R. Lux (ed.), Ideales Königtum: Studien zu David und Solomon (ABG 16), Leipzig 2006, 43–69, here 44–48. 89 L. Rost, Die Überlieferung von der Thronnachfolge Davids (BWANT 42), Stuttgart 1926, but see already J. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, Berlin 1899, 258–263. 90 For a recent summary of past research on this matter, see O. Sergi, The United Monarchy and the Kingdom of Jeroboam II in the Story of Absalom and Sheba’s Revolts (2 Samuel 15–20), HeBAI 6 (2017) 329–353, here 329– 334. 91 E. g., Gunn, Story, 37–62; Blum, Anfang, 4–17; Idem, Solomon, 60–62; W. Dietrich, Das Ende der Thronfolgegeschichte, in: de Pury/Römer, Thronfolgegeschichte, 40–63, here 59–60. 92 E. g., Gunn, Story, 88–111; Blum, Anfang, 22–23; Fischer, Flucht, 44–45; K. P. Adam, Motivik, Figuren und Konzeption der Erzählung vom Absalomaufstand, in: M. Witte et al. (eds.), Die deuteronomistischen Geschichtswerke: Redaktions- und religionsgeschichtliche Perspektiven zur “Deuteronomismus”-Diskussion in Tora und Vorderen Propheten (BZAW 365), Berlin/New York 2006, 183–212, here 184–186.205–210. 93 E. g., J. Van Seters, The Biblical Saga of King David, Winona Lake 2009.
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consensus. It has become increasingly popular, however, to see the composition of the Succession Narrative as a successive process of text production, known in scholarly literature as Fortschreibung, that is, the constant literary expansion of an original core narrative. This “supplementary” approach was first taken by F. Langlamet who suggested that the Benjaminite episodes embedded in the narrative of David’s flight and return were secondary.94 It was R. G. Kratz who first argued that the entire narrative of David’s flight and return expanded a core story that contained only the beginning of Absalom’s revolt (2 Sam 15:1–6, 13) and the account of the battle in the forest of Ephraim (2 Sam 18:1–19:9).95 Kratz’s conclusions were based on a thorough textual and literary study, but he did not date the flight and return narrative. This was done by his followers, who relied on an entirely allegorical reading of the story, arguing that the narratives about David’s flight from Jerusalem and his later return to the city reflect the exile of 586 BCE and the return to the city in the early Persian period. Consequently, most of the Succession Narrative was dated to the late 6th or 5th centuries BCE, leaving only some minor battle accounts to the monarchic period.96 A particularly extreme case was argued by T. A. Rudnig, who reconstructed up to 12–13 redactional layers, with only a few verses attributed to monarchic Judah, while he dated the rest of the process to the period between the 6th and the 2nd centuries BCE.97 Indeed, David’s flight from Jerusalem is portrayed as a “mourning procession” (2 Sam 15:23, 30), but this does not necessarily mean that it reflects the exile, especially when considering its literary context: David had to leave his capital, which he himself had taken and built (2 Sam 5:6–11), because his son rebelled against him. Nothing in this scenario points to the Babylonian exile, since the story of Absalom’s revolt does not allude to the destruction of the city or to the revolt against a foreign and distant empire. Furthermore, Mahanaim, the destination of David’s flight, was understood to be part and parcel of the kingdom of Israel, and it was mentioned as the capital of Saul’s son and heir, Ishboshet, from which he fought David over the throne of Israel (2 Sam 2:8, 12, 29). Could a site that was considered to be at the heart of Israel’s territory and tradition be equated with the Babylonian exile? In order to more adequately date the narrative of David’s flight and return, as well as the entire story of Absalom and Sheba’s revolts, the geo-political con94 F. Langlamet,
David et la maison de Saül: Les épisodes “benjaminites” des II Sam. IX; XVI, 1–14; XIX, 17–31; I Rois, II, 36–46, RB 86 (1979) 194–213.385–436.481–513; and see the subsequent discussions in RB 87 (1980) 161–210; and RB 88 (1981) 321–332. 95 Kratz, Composition, 174–176. 96 E. Aurelius, Davids Unschuld: Die Hofgeschichte und Psalm 7, in: M. Witte (ed.), Gott und Mensch im Dialog: Festschrift für Otto Kaiser zum 80. Geburtstag (BZAW 345/1), Berlin/New York 2004, 396–400; Adam, Motivik, 199–200; Rudnig, Davids Thron, 255– 280.315–317; Fischer, Flucht, 49–55; Wright, David, 99–101. 97 Rudnig, Davids Thron, 360–363.
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text presupposed by its authors should be taken into account. I have recently discussed this issue in detail, demonstrating that the Succession Narrative, and especially the stories about the revolts of Absalom and Sheba are based on the geo-political realities of the 8th century BCE, and that they seem to allude to the kingdom of Israel under the reign of Jeroboam II.98 For the purpose of this study I shall only briefly outline the main arguments supporting this conclusion. To begin with, the northern toponyms mentioned in the story – Mahanaim, Abel Beth-Maacah and Lidbir (Lo-Dabar) – where only affiliated with Israel during the first half of the 8th century BCE. This is especially true in regard to Lidbir and Abel Beth-Maacah (the latter is presented as the northernmost Israelite city), both located in regions to which Israel did not expand before the early 8th century BCE. Furthermore, the territory attributed to David in the Absalom story (2 Sam 17:11) “from Dan to Beersheba” (and also in 2 Sam 3:10; 24:5, 12; cf. the extent of the Solomonic kingdom in 1 Kgs 5:5) actually reflects the territories of both Israel and Judah in the first half of the 8th century BCE,99 when the northern border of Israel reached Dan and the southern border of Judah was in the Beersheba and Arad Valleys. Lastly, also the memory of the Kingdom of Geshur (2 Sam 13:37–38, 14:32, 15:8), probably referring to a local polity located along the eastern shores of the Sea of Galilee whose centre was in et-Tell, reflects the geo-political circumstances of the first half of the 8th century BCE.100 Naturally, the fact that the story presupposes the geo-political circumstances of the 8th century BCE does not mean that it was also composed during this period. Yet the acquaintance with distinctive geo-political details of the time (like the memory of Geshur or Lidbir) makes it hard to date it much later than the 7th century BCE, and certainly rules out any date in the Babylonian or Persian Periods. A hint for a slightly later date than the reign of Jeroboam II may be found in the story of Sheba’s revolt: When Joab arrived with his forces to Abel Beth-Maacah, he besieged it and cast up a siege ramp against the city (2 Sam 20:15). The use of siege ramps is known in ancient Near Eastern warfare as early as the 3rd millennium BCE, but it was restricted to the Mesopotamian-Anatolian region.101 In the southern Levant, siege warfare using battering ramps was not known prior 98
Sergi, United Monarchy, 329–353. extent of David’s kingdom from Dan to Beersheba is first narrated in 2 Sam 3:10, which many scholars see as an integral part of the succession narrative, and it seems to be especially related to the narrative of David’s flight and return. This phrase is mentioned also in Judg 20:1; 1 Chr 21:2; 2 Chr 30:5, which are commonly viewed as late, post-exilic texts. On the territorial reality reflecting the days of Jeroboam II, see also Finkelstein, Forgotten Kingdom, 129–131. 100 O. Sergi/A. Kleiman, The Kingdom of Geshur and the Expansion of Aram-Damascus into the Northern Jordan Valley: Archaeological and Historical Perspectives, BASOR 379 (2018) 1–18. 101 I. Eph᾽al, The City Besieged: Siege and Its Manifestation in the Ancient Near East (Culture and History of the Near East 36), Leiden 2009, 82. 99 The
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to the Assyrian military campaigns to the region during the years 734–701 BCE. The earliest evidence for the use of siege ramps in Israel or Judah comes from Assyrian reliefs depicting the conquest of Lachish during Sennacherib’s campaign to Judah in 701 BCE, which finds support in the material remains from the destruction of level III at the site.102 It is therefore not surprising that the Hebrew term solelāh used to describe Joab’s siege ramp (2 Sam 20:15) is mentioned also in relation to Sennacherib’s campaign to Judah (2 Kgs 19:32; Isa 37:33); otherwise, it is only mentioned in prophetic literature from the 6th century BCE or later (Jer 6:6; 32:24; 33:4; Ezek 4:2; 17:17; 21:27; 26:8; Dan 11:15). Taking all the above into account, it seems that the Absalom and Sheba’s revolts story is well acquainted with the geo-political settings of the southern Levant in the 8th century BCE, before and after the Assyrian domination. It is noteworthy that this acquaintance is not restricted to the core narrative which scholars usually reconstruct as the early layer of the Absalom story (2 Sam 18:1– 19:9). In fact, it is mainly apparent in the geo-political details provided by the narrative of David’s flight and return and the story of Sheba’s revolt. Thus, even if a core story about the battle against Absalom in the forest of Ephraim can be reconstructed, it seems that most of the narrative components embedded in 2 Sam 15–20 could not have been composed long after the early 7th century BCE. Such a conclusion gives weight to the assumption that the revolts story in 2 Sam 15–20 is a relatively unified literary work,103 and casts doubt on the alleged extensive Fortschreibung. All the above does not mean to dismiss the important textual, literary and conceptual observations, based on which scholars attempt to reconstruct the literary growth of a certain narrative. Yet the fact that literary growth may be detected does not necessarily mean that decades or even centuries elapsed between the various stages of composition and redaction. The Succession Narrative discussed above may provide a good example: even if the original story contained only the account of the battle in the forest of Ephraim, and was expanded in the subsequent process by framing it with the narrative of David’s flight and return, the available evidence points to the conclusion that this process begun and ended during the 8th and 7th centuries BCE, and there is no reason to assume that it continued also in the Babylonian or the Persian Periods.
102 D. Ussishkin, The Conquest of Lachish by Sennacherib (Publication of the Institute of Archaeology 6), Tel Aviv 1982. 103 For further arguments, see W. Dietrich, Davids Fünfte Kolonne beim Abschalom-Aufstand, in: Idem, Die Samuelbücher im deuteronomistischen Geschichtswerk: Studien zu den Geschichtsüberlieferungen des Alten Testaments II (BWANT 201), Stuttgart 2012, 227–253, here 244–248, who claimed that reconstructing a core narrative containing just the battle account leaves the story without purpose or clear intention. See also Idem, Ende, 59–66; Blum, Anfang, 4–37; Idem, Solomon, 63–64.
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In sum, both narratives discussed above demonstrate the problems of dating historiographic literature, which refers to the monarchic period and conveys strong monarchic ideology, to post-monarchic periods on literary and theological grounds. The historical setting of a given text, especially a text which refers to the past, is crucial in any attempt to date it.
VI. Summary and Conclusions The act of writing – composing a relatively accurate or entirely fictional piece of literature, which in many ways refers to the past – was inherent to the very process of establishing and maintaining political hegemony in the ancient Near East. Taking this into consideration, together with the fact that by the second half of the 9th century BCE educated scribes were already employed in the service of the ruling elites in Israel and Judah, it becomes almost impossible to argue that these kingdoms ultimately produced nothing more than short narrative accounts, mostly disconnected from any specific historical context. As demonstrated by the Mesha Inscription, such fragmentary narratives were not the kind of literary texts produced by royal scribes in the southern Levant. Rather, they produced more complex historiographical narratives presenting a coherent picture of a specific socio-political reality and conveying a strong royal ideology. In this sense, the question whether complex literary works were produced in Israel and Judah is not a matter of probability, as it relates to the essence of the Levantine territorial polities, where the constant need to maintain centralized rule over a fragmented, kin-based social structure could be realized in the form of historiographic literature. It is for this reason that so many of the narrative blocks in the Pentateuch and Former Prophets are well embedded in the socio-political reality of the monarchic period in Israel and Judah. I would therefore largely include among the narrative blocks composed in Israel and Judah throughout the monarchic period (late Iron IIA to Iron IIC), at the very least, the pre-Priestly Jacob story (Gen 25– 35), probably also the Joseph story (Gen 39–46), the heroic tales in the Book of Judges (Judg 3–11), the Saul stories (1 Sam 9–14), the stories about David’s rise to power (1 Sam 16 – 2 Sam 5), the Succession Narrative (2 Sam 9–20, 1 Kings 1–2) and the Israelite and Judahite king lists, along with some other narrative sources embedded in Kings (e. g., 1 Kings 15:17–22; 21). Not only is there no other way to explain how come these narrative blocks are acquainted with intimate details from the Iron Age, but they were also necessary in the process of forming political identity and cultural memory. In light of the endurance of the monarchic institutions in Israel and especially in Judah, there should also be little doubt that their royal scribes were engaged in the compilation and redaction of previously composed narrative blocks
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into more comprehensive literary works. The extent and diversity of epigraphic finds from late monarchic Judah, attesting to widespread literacy throughout the kingdom’s institutions, provide the infrastructure for such extensive literary activity. Hence, the earliest compilation and redaction of ambitious literary works, reflecting the monarchic politics and ideology or the centralized cultic institutions, should be attributed to late monarchic Judah (Deuteronomy, Joshua and Samuel–Kings, although the same may be argued for the compilation of the pre-Deuteronomistic Israelite version of the book of Judges, which began in late monarchic Israel). It was the scribal culture of late monarchic Judah that laid the foundations for the scribal tradition that endured in Jerusalem throughout the Persian period, during which literacy was relatively limited. Consequently, it is also the early formation of the Judahite monarchic corpuses – Deuteronomy, Joshua, and Samuel–Kings – that established the literary base upon which the entire Israelite history in Genesis–Kings was further formed during the Persian period.
Does David Think or Remember? Some Basic Features of David’s Character in 1–2 Samuel Jean Louis Ska
It is an honor and a pleasure to dedicate these few lines to a personality who has been a source of inspiration during all my teaching activity, especially in the field of the Pentateuch, but not only. In this short paper, I would like to offer a modest contribution to one topic broached by Erhard Blum in his long career, namely the personality of David in 1–2 Sam.1 “David sees and acts. As far as the narrative is concerned, he does not think.”2 This remark by a literary critic, David Wood, may startle many biblical scholars. However, as we will see, this aspect of David’s personality is related to another facet of most biblical narratives, namely the paucity of long-range unified plots. This lack of inclusive, over-arching, elements and transversal connections on the level of plot in biblical narratives is often noted by specialists in the field.3 Single stories are well-wrought pieces of narrative art, as many recent studies have confirmed.4 The same holds true for short “novellas” as, for instance, the Book of Ruth or the Book of Jonah. Longer narrative blocks, on the contrary, are much less unified. To use an image, we have more often to deal with slides or series of 1 E. Blum, Ein Anfang der Geschichtsschreibung? Anmerkungen zur sog. Thronfolge geschichte und zum Umgang mit Geschichte im Alten Israel, Trumah 5 (1996) 9–46 = Idem, Textgestalt und Komposition: Exegetische Beiträge zu Tora und Vordere Propheten, hg. von W. Oswald (FAT 69), Tübingen 2010, 281–318. Our contribution is a revised and much amplified version of a short paper presented at the Biblical Congress in Leuven on 1–2 Samuel, on the 7th August 2014. 2 J. Wood, How Fiction Works, London 2008, 143. 3 See, among many others, the discussion in M. Sternberg, Time and Space in Biblical (Hi)story Telling: The Grand Chronology, in: R. M. Schwartz (ed.), The Book and the Text: The Bible and Literary Theory, Oxford 1990, 81–145, who, however, defends a “grand chronology”. In my opinion, the real problem is to understand which the connections between the different parts of the “grand chronology” are. Are they only chronological or logical as well? Have we a chronicle or a narrative? 4 See, among the pioneers of this kind of exegesis, J. P. Fokkelman, Narrative Art in Genesis: Specimens of Stylistic and Structural Analysis (SSN 17), Assen 1975 ([BiSe 12], Sheffield 21991); R. Alter, The Art of Biblical Narrative, New York 1981; M. Sternberg, The Poetics of Biblical Narrative: Ideological Literature and the Drama of Reading (ISBL), Bloomington 1985; S. Bar-Efrat, Narrative Art in the Bible (JSOTS 70), Sheffield 1989.
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slides than with well-composed films. The link between the “slides”, the single narratives, is, in many cases, external and not inherent in the plot. Another aspect of several biblical narratives is the impact of the divine figure upon human actors.5 Most of the time, the main actor is God, who pulls the strings of the narrative, launches, guides, controls, judges and sanctions the main actions. The unifying factor is, most of the time, God’s design. For this very reason, human actors have less room to develop their personality, and this is also the case with David.6 According to David Wood, “In a sense, the story-teller is God, who is writing fate’s script. David does not have a mind, as we understand modern subjectivity. He has no past, to speak of, and no memory, for it is God’s memory that counts, which never forgets”7. David’s horizon is limited to the immediate action or to a short series of actions, and this feature entails the absence of long-term planning and, at the same time, of fully developed unified plots. Planning, in 1–2 Sam, is almost exclusively God’s monopoly. As we will see, there are a few exceptions, for instance in 1 Sam 15–19. It will come as no surprise that God remains in the wings in these chapters. For David Wood, very few biblical characters really “remember” events of the past. In most cases, they live in a short span of time and the action develops without clear connections with a remote past and with only a few glimpses into the future. The one biblical character that really remembers is God. Among the few exceptions to the rule, we may mention Joseph who remembers his dreams (Gen 42:9).8 We can also observe that God is not present in the Joseph story and the plot is one of the most unified in the Book of Genesis.9
I. Some Narrative Threads: David’s Election and His Military Victories David, as character, follows the rule. One could say, for instance, that David lives in most narratives in the present time, with little memory of the past and little projection into the future.10 This kind of sweeping statement requires how 5 This is well analyzed with respect to the Book of Genesis by R. L. Cohn, Narrative Structure and Canonical Perspective in Genesis, JSOT 25 (1983) 3–16 (= in: J. W. Rogerson, The Pentateuch: A Sheffield Reader [BiSe 39], Sheffield 1996, 89–102). 6 On the different aspects of King David, see the insightful volume by W. Dietrich, David, der Herrscher mit der Harfe (Biblische Gestalten 14), Leipzig 2006; cf. also, from a different perspective, B. Green, David’s Capacity for Compassion: A Literary-Hermeneutical Study of 1–2 Samuel (LHB 641), London 2017. 7 Wood, Fiction, 142. 8 Cf. also 2 Kgs 8:5, where Gehazi tells the kings the miracles performed by Elisha; Esth 6:2 where King Assuerus remembers Mardochai’s intervention when one reads to him the chronicles of his reign. 9 See Cohn, Structure, 98–101. 10 On the contrasting aspects of the character of David in 1–2 Sam, see the seminal work by D. M. Gunn, The Story of King David: Genre and Interpretation (JSOTS 6), Sheffield 1978.
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ever, as we will see, a certain number of nuances. David remembers in a certain number of circumstances and there are also a few instances of networks uniting a couple of narratives. A first correction to David Wood’s statement is that two key elements are remembered by different characters in 1–2 Sam, and by David himself in one circumstance, namely (1) the king’s divine election and (2) his victories against the Philistines. First, king David is chosen by God to be Saul’s successor or Saul’s substitute.11 This is said and repeated by several characters within the narrative. In 1 Sam 16:1– 13, God sends Samuel to anoint David, and the reader is among the very few who know about this divine choice.12 This event is not remembered as such, however, but several characters will speak of God’s election of David. Jonathan is the first person who recognized God’s choice albeit he is himself the natural successor of Saul on the throne (1 Sam 23:17).13 This is also the meaning of the symbolic gesture in 1 Sam 18:4, when Jonathan gives to David his mantle, his sword, his bow and his girdle. Saul himself acknowledges in two instances that David will reign on Israel (1 Sam 24:21; 26:25). Abigail follows suit in 1 Sam 25:30, justifying her decision to abandon or even betray her husband in favor of David.14 Even the ghost of Samuel reminds Saul of God’s choice (1 Sam 28:17).15
11 On this point, see J. R. Short, The Surprising Election and Confirmation of King David (HThS 63), Cambridge, MA 2010. 12 This anointment is privy to Samuel and Jesse’s family, as most of the authors noticed. See, among many others, K. Bodner, 1 Samuel: A Narrative Commentary (HBM 19), Sheffield 2008, 171: “Whether anyone outside the family circle knows about the anointing is not stated, but one guesses that there is an air of secrecy around the ceremony”; R. Alter, The David Story: A Translation with Commentary of 1 and 2 Samuel, New York/London 1999, 97: “The anointment takes place within the family circle and is a clandestine act”; W. Dietrich, Samuel: 1 Sam 13–26 (BK VIII/2), Neukirchen-Vluyn 2015, 210: only Samuel, David and his family know about the anointment in the world of narrative. For more details, see, for instance, A. Garofalo, L’unzione di Davide (1 Sam 16,1–13). Prologo profetico al ciclo dell’ascesa, Napoli 2012. 13 For more details on the relationship between David and Jonathan, see, among others, J. E. Harding, The Love of David and Jonathan: Ideology, Text, Reception, London/New York 2013. 14 On this narrative, see, among others, E. van Wolde, A Leader Led by a Lady: David and Abigail in I Samuel 25, ZAW 114 (2002) 355–375; K. Emmerich, Machtverhältnisse in einer Dreiecksbeziehung: Die Erzählung von Abigajil, Nabal und David in 1 Sam 25 (ATSAT 84), St. Ottilien 2007; D. Bodi (ed.), Abigail, Wife of David, and Other Ancient Oriental Women (HBM 60), Sheffield 2013. See also the influential study by A. Berlin, Characterization in Biblical Narrative: David’s Wives, JSOT 23 (1982) 69–85. 15 On this narrative, see, for instance, M. Kleiner, Saul in En-Dor: Wahrsagung oder Totenbeschwörung? Eine synchrone und diachrone Untersuchung zu 1 Sam 28 (EThSt 66), Leipzig 1995; J. Blenkinsopp, Saul and the Mistress of the Spirits (1 Samuel 28,3–25), in: A. G. Hunter (ed.), Sense and Sensitivity, FS Robert P. Carroll (JSOTS 348), London/New York 2002, 49–62; G. J. R. Kent, Say It Again, Sam: A Literary and Filmic Study of Narrative Repetition in 1 Sam uel 28, Cambridge 2011; W. Bührer, Die Totenbefragung in 1 Sam 28 in ihrem literarischen und religionsgeschichtlichen Kontext, BZ 61 (2017) 203–218.
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Abner, Saul’s military commander-in-chief, is of the same opinion when passing from Saul’s camp to David’s (2 Sam 3:9–10).16 When the tribes of Israel anoint David as king, they justify their decision in reference to God’s election of David as shepherd and “ruler” ( )נגידover Israel (2 Sam 5:2). Later, David himself affirms God’s choice ( )בחרwhen confronting a despiteful Mikal (2 Sam 6:21– 22).17 In Nathan’s oracle, the divine verdict is mentioned as the first in a long list of favors on behalf of David (2 Sam 7:8).18 A few chapters later, when the same Nathan condemns David after the assassination of Uriah, he records this event again (2 Sam 12:7–8). 2 Sam 12:7 is the only time the anointment is remembered (אנכי מׁשחתיך למלך).19 We may notice that David himself recalls God’s option only once, in front of Mikal, in 2 Sam 6:21, and this happens post factum. It seems that, most of the time, outsiders are more convinced of his election than David in person. Second, David defeated the Philistines and is celebrated more than once for these victories. The refrain of a song is repeated on three different occasions in 1 Sam 18:7; 21:12; 29:5. David’s prowess against “the Philistine” is mentioned by Jonathan in front of his father Saul in 1 Sam 19:5 and by the priest Ahimelek, in the shrine of Nob, in 1 Sam 21:10. There is an allusion to David’s victories against the enemies of Israel in general, but without explicit mention of the Philistines, in Nathan’s oracle (2 Sam 7:8). These traits have the same function as the adjectives in Homeric poems. They are, especially in the second case, something like a basso continuo, a recurrent theme or a refrain, but they do not contribute to the progress of the plot. They 16 On Abner and 2 Samuel 3, see, for instance, P. Hugo, Die Morde an Abner und Amasa: Literarische Dimensionen textlicher Abweichungen zwischen dem Masoretischem Text und der Septuaginta in der David-Geschichte?, in W. Dietrich (ed.), Seitenblicke: Literarische und historische Studien zu Nebenfiguren im zweiten Samuelbuch (OBO 249), Freiburg i. Ue./Göttingen 2011, 24–52 (the author shows that the Masoretic Text was probably revised to enhance the positive side of David’s portrait); F. H. Polak, King, Spear and Arrow in the Saul-David Narratives, in: Dietrich (ed.), Seitenblicke, 53–70, espec. 59–61; S. L. McKenzie, The Sons of Zeruiah, in: Dietrich (ed.), Seitenblicke, 293–313, espec. 301–307 (The text underlines that “David is blameless of any wrongdoing” [307]). 17 On David and Mikal, see, for instance, R. Baziomo, La famille de Saül dans le conflit Saül versus David: Étude de la construction narrative des personnages de Jonathan, Mérav et Mikal (FAT II 78), Tübingen 2015; cf. also B. Morse, The Defense of Michal: Pre-Raphaelite Persuasion in 2 Samuel 6, BibInt 21 (2013) 19–32. 18 This text is very much studied. See, for instance, M. Avioz, Nathan’s Oracle (2 Samuel 7) and Its Interpreters (La Bible dans l’histoire 5), New York/Oxford 2005; P. Kasari, Nathan’s Promise in 2 Samuel 7 and Related Texts (Publications of the Finnish Exegetical Society 97), Helsinki 2009; W. Oswald, Nathan der Prophet. Eine Untersuchung zu 2. Samuel 7 und 12 und 1. Könige 1 (AThANT 94), Zürich 2008. See also the synchronic study of the narratives related to Nathan by I. Ababi, Natan et la succession de David. Une étude synchronique de 2 Samuel 7 et 12 et 1 Rois 1 (BToSt 32), Leuven 2017. 19 On 2 Sam 11–12, see, for instance, R. C. Bailey, David in Love and War: The Pursuit of Power in 2 Samuel 10–12 (JSOTS 75), Sheffield 1990, and Wolfgang Oswald’s monograph quoted in the previous footnote.
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simply recall that the different narratives in which they appear portray the same David, (future) king of Israel and defeater of the Philistines. These two themes create something like a common thread uniting different pearls, a transversal line going through several narratives, but this is not exactly what I would call a plotline. In other words, these elements are “constants”, but they do not signal stages in the development of the plot.20
II. God Remembers and Plans Instead of David There are a few texts with a wider horizon considering the whole of David’s ca reer. These texts are, in most instances, divine or prophetic oracles or, in one case, a discourse delivered in very special circumstances, on a deathbed. David, for his part, rarely expresses himself about his projects and does not reflect about his destiny.21 God, instead, is responsible for the overarching structure of David’s narrative. These texts are four in all, 1 Sam 16; 2 Sam 7; 2 Sam 12 and 1 Kgs 2. In 1 Sam 16:1–13, a text we already met, God takes the initiative of sending Samuel to Bethlehem and of having David anointed king. David is completely passive in this scene, and this is one of the main points of this chapter. Moreover, nobody ever remembers the event, David less than anyone else. He will be anointed two more times, in 2 Sam 2:4 and in 5:3. In other words, only the reader remembers the first event.22 Even when David flees to Samuel in 1 Sam 19:18–24, the narrative does not hint in any way to 16:1–13. The anointment that could be the most important confirmation of David’s election as king is never mentioned as such after 1 Sam 16:1–13.23 The narrative is intended for an attentive reader, and this is most probably its first intention. In other words, David has no memory, but the reader must have a memory, and a good one. The reader’s role is also to create the missing con20 See
Sternberg, The Poetics of Biblical Narrative, 328–341 on the use of epithets. See this reflection by Alter, David Story, 114, on 1 Sam 18:15: “Saul’s feelings and motives remain perfectly transparent […]. At the same time, David is pointedly left opaque. No word of his is reported when Jonathan gives him his cloak and battle gear. We know that Saul is afraid of David but not whether David is afraid of Saul, who, after all, has tried to kill him. And when David speaks in the next scene, it will be manifestly a speech framed for a public occasion which leaves his real motives uncertain”. 22 The only possible connection is in 2 Sam 6:22–23. But David speaks of his election, not of his unction. 23 See K. L. Noll, The Faces of David (JSOTS 242), Sheffield 1997, 45: “[…] what Yahweh sees in David’s heart (1 Sam 16.7) is never revealed. As Robert Polzin put it, David is introduced as ‘the quintessential winner’, whose worthiness of divine patronage is never really explained, and, in fact, becomes increasingly questionable as the story advances.” Cf. R. Polzin, Samuel and the Deuteronomist: A Literary Study of the Deuteronomic History, Part II: 1 Samuel (Indiana Studies in Biblical Literature), San Francisco 1989, 156. 21
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nections between the single stories and to organize them as the “story of David, anointed by God as king of Israel”. In the second case, in 2 Sam 7:1–17, David’s future and the future of the dyn asty is not his own planning, it is God’s design. The past and the future belong to God only as in other cases. First, God reminds David of some basic events of Israel’s history, as for instance the Exodus (2 Sam 7:4), the time of Joshua and the period of the Judges (2 Sam 7:7). David himself seems to be unaware of his people’s past.24 Second, the future belongs to God as well. The prospect of a stable dynasty and the decision of building a temple are parts of God’s plan, not of David’s projects (2 Sam 7:8–16). David’s decision must be modified (2 Sam 7:1–3 and 7:5, 13) and the final decision is God’s. Third, the problem of a stable dynasty, condition of political stability, is definitely the concern of every monarch, but this thought does not seem to cross David’s mind. Time and eternity belong to God and therefore only God can grant David a stable dynasty. David’s concerns are much more limited in scope. Nathan’s oracle in 2 Sam 12:7–14, our third text, corroborates what we just observed. This time, David is condemned, and the following chapters describe in details David’s trials that, according to the prophet Nathan, struck David because of his crime, the murder of Uriah. About the events recounted in 2 Sam 11– 12, we may notice that all reflections about the morality of David’s deeds are contained either in the narrator’s aside in 2 Sam 11:27b, “But the thing that David had done displeased Yhwh” or in Nathan’s oracle (2 Sam 12:7–14). David himself does not reflect, he acts. He “sees” Bathsheba, he “inquires” about her and “takes” her (2 Sam 11:2–4). There is no hint whatsoever at any kind of possible hesitation before acting. There is no inner debate and David proceeds instinctively, as if he had neither scruples nor conscience. The critical judgment comes afterwards when Nathan, telling his parable, opens David’s eyes (2 Sam 12:1–7).25 There is a possible allusion to David’s anointment in 2 Sam 12:7. The verb “to anoint” ( )מׁשךis used by the prophet Nathan, but without any clear reference to the circumstances of 1 Sam 16:1–13, and especially without reference to Samuel’s role. This passage is therefore too general to be an allusion to David’s first anointment. More important, this statement is part of a divine discourse and this substantiates David Wood’s opinion, namely that God (or a prophet) remembers rather than David. Nathan’s oracle (2 Sam 12:7–14) also foresees a gloomy future for David whereas the latter had never pondered the possible consequences of his behavior. Up to 2 Sam 20, David must deal with a series of crimes and bloody rebellions. 24
See note 18 for further bibliography on this text. Gunn, King David, 99: “There is nothing here about David’s emotions, nothing about ‘love’ or other feeling for Bathsheba, only that he comforted her after the death of the child of adultery.” 25
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Two of his sons, the heirs on the throne, will die in gruesome circumstances and David will face two rebellions, that of Absalom (2 Sam 15–19), his son, and that of Sheba (2 Sam 20). One feature of these narratives is astonishing, however. Neither David nor the narrator remember Nathan’s oracle. Not even when Absalom decides to sleep with David’s concubines does the narrator make a connection with Nathan’s oracle on this point (2 Sam 12:11 and 16:21–22). The connection is left, once again, to the reader.26 The purpose of the divine oracle is to create, in the reader’s mind, a logical association of cause and effect, of crime and punishment, between two series of events i. e., on the one side, David’s adultery and Uriah’s violent death and, on the other side, Absalom’s rebellion and all its consequences. The logical link is theological and external rather than inherent in the narrative itself.27 The fourth text is David’s testament in 2 Kgs 2:1–9. This time we do not have a divine discourse, but the literary genre of the “last words” or “testament” implies a retrospective on an individual’s existence and some wishes for the future. David’s testament is composite. After a series of general recommendations in a typical deuteronomic/deuteronomistic style (1 Kgs 2:1–4), David becomes more concrete and asks Solomon to put to death Joab (1 Kgs 2:5–6) and Shimei (1 Kgs 2:8–9), but to keep his favor to Barzillai’s sons (1 Kgs 2:7).28 The first part is particularly interesting since David remembers God’s promise to establish his dynasty forever. This may be an allusion to Nathan’s oracle in 2 Sam 7:11–16, but the wording and the content are different. First, God’s promise in 2 Sam 7:11–16 is unconditioned, whereas, in 2 Kgs 2:3–4, the throne’s stability is conditioned by the fidelity of David’s and Solomon’s descendants to the Law of Moses. Moreover, David does not mention the construction of the temple (cf. 2 Sam 7:13), while Solomon himself mentions it in 2 Kgs 5:19 (see Sir 47:13). We have here a typical “nomistic” Deuteronomistic theology.29 26 This may be explained by recourse to the history of composition of these chapters. See commentaries on this point, for instance, P. K. McCarter, II Samuel: A New Translation with Introduction, Notes & Commentary (AncB), Garden City 1984, 300–301 and 384–385. It is possible that 2 Sam 16:21–22 precedes 2 Sam 12:7–14, and that the former text was used to compose Nathan’s oracle on that point. 27 Gunn, King David, 108: “If the connection between David’s adultery and the murder of Uriah, on the one hand, and the subsequent events, on the other, is seen as the working of a kind of nemesis, it is not a nameless, impersonal, nemesis but the operation of Yahweh’s retribution. […] How Yahweh achieves this, however, is never made clear.” 28 See already C. F. Burney, Notes on the Hebrew Text of the Books of Kings: With an Introduction and Appendix, Oxford 1903, 13–15; M. A. Sweeney, I & II Kings: A Commentary (OTL), Louisville 2007, 59–61; J. Van Seters, The Biblical Saga of King David, Winona Lake 2009, 267–268; M. Nobile, 1–2 Re. Nuova versione, introduzione e commento (I Libri Biblici – Primo Testamento 9), Milano 2010, 55–56. 29 For a recent presentation of the problems of the Deuteronomistic History, see A. de Pury/T. Römer/J.‑D. Macchi (eds.), Israël construit son histoire: L’historiographie deutéronomiste à la lumière des recherches récentes (MdB 34), Geneva 1996 = Israel Constructs its History: Deuteronomistic History in Recent Research (JSOTS 306), Sheffield 2000; see especially,
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In the rest of the chapter, David remembers Shimei, Barzillai and Joab, but only to ask his son Solomon to perform vengeance on his enemies and spare his friends and allies. We have one more example of ruthless Realpolitik. This is well encapsulated in Robert Alter’s observation on this discourse:30 In fact, David’s deathbed implacability, which the later editor tries to mitigate by first placing noble sentiments in his mouth, is powerfully consistent with both the characterization and the imagination of politics in the preceding narrative. The all too human David on the brink of the grave is still smarting from the grief and humiliation that Joab’s violent acts caused him and from the public shame Shimei heaped on him, and he wants Solomon to do what he himself was prevented from doing by fear in the one case and by an inhibiting vow in the other. In practical politic terms, moreover, either Joab, just recently a supporter of the usurper Adonijah, or Shimei, the disaffected Benjaminite, might threaten Solomon’s hold on power, and so should be eliminated.
In this case, David has a memory and plans for the immediate future, but he is a cold-blooded politician who is concerned, first of all, in the safety of his son and successor. There is no real vision or deep reflection on the kingdom’s and dynasty’s vocation in this discourse. There is no mention of the basic values of national and international politics, and surely no theological insights either. We deal with a down-to-earth old king with very limited interests. The mention of Barzillai is the only positive element in David’s last will.
III. A Few Instances of David’s Memory In a few circumstances, David shows that he keeps a memory of certain events that touch him directly, and here we must also nuance David Wood’s judgment. First, in 2 Sam 2:4–7, David remembers Saul’s fate, but for his own use. “Another shrewd political maneuver”, as Robert Alter aptly observes, since David has just been anointed king of Judah in Hebron.31 Second, he remembers Mikal when Abner proposes his services to the future king (2 Sam 3:13). This is again a political operation to keep a close eye on all the members of Saul’s family. Third, he remembers Mephiboshet, Jonathan’s son and Saul’s grandson, because of his oath to Jonathan (2 Sam 9:1–3; 21:7). Once more, David’s generous gesture can be understood as a way of maintaining Saul’s descendant under constant surveillance. These latter texts refer to David’s oath in 1 Sam 20:12–17, 41–43.
in the latter volume, A. de Pury/T. Römer, Deuteronomistic Historiography (DH): History of Research and Debated Issues, 24–141; T. Römer, The So-called Deuteronomistic History. A Sociological, Historical and Literary Introduction, London 2005. Cf., for another opinion, E. Cortese, C’è una redazione ‘nomistica’ nell’opera deuteronomistica?, Liber annus 45 (1995) 45–68. 30 Alter, David Story, 374–375. 31 Alter, ibid., 203.
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On the other hand, David does not remember his oath to Bathsheba, saying that her son, Solomon, should be his heir on the throne (1 Kgs 1:13, 17). This time, however, there are good reasons to believe that this oath was never sworn by David. In any case, there is no trace of it in the extant narratives in our possession. The text may even contain a kind of pun, a play on the root ׁשבע, “to swear”, and the name Bathsheba, בת־ׁשבע.32 David does not remember his oath to Saul in 1 Sam 24:22–23 either, when he swears that “[he] you will not cut off [Saul’s] offspring after [him], and that [he] will not destroy [Saul’s] name out of [his] father’s house”. Now, David does exactly that in 2 Sam 21 when he executes Saul’s descendants, apart from Mephibosheth (2 Sam 21:7), in order to comply with the Gibeonites’ request.33 Why does David remember his oath to Jonathan (1 Sam 20:14–16, 42) and not his oath to Saul (1 Sam 24:23)? This is a question that requires a more sophisticated answer and this answer will be most probably of diachronic nature.
IV. The Construction of David’s Narratives The only tightly connected series of narratives about David is found in 2 Sam 15– 19, the chapters dedicated to Absalom’s rebellion. In this case, every episode prepares for the following, and is supposed by the preceding.34 Absalom’s rebellion is the cause of David’s flight, David’s flight is the cause of Absalom’s decision to pursue his father, Absalom’s pursuit is the cause of the battle between David’s army and Absalom’s army, this battle is the cause of Absalom’s death, and Absalom’s death is the cause of David’s grief. In 2 Sam 19, we have a few scenes in which David shows a clear memory of a recent past. Shimei asks David “not to remember how your servant did wrong on the day my lord the king left Jerusalem” (2 Sam 19:20; English 19:19; cf. 16:5–16). David complies with Shimei’s request despite Abishai’s intervention. David also meets with Mephibosheth (2 Sam 19:25–31) and Barzillai (2 Sam 19:26–40), and, in these two cases too, there is a memory of what happened not long time before, in 2 Sam 16:1–4, with 32 See Gunn, King David, 106: “The strong possibility exists […] that we are witnessing an act of deliberate deception, an ingenious ploy by the Solomonic party.” 33 On this text, see, for instance, E. E. Kozlova, Maternal Grief in the Hebrew Bible (Oxford Theology and Religion Monographs), Oxford/New York 2017; J. Hutzli, Elaborated Literary Violence: Genre and Ideology of the Two Stories I Sam 22,6–23 and II Sam 21,1–14, in: U. Becker/H. Bezzel (eds.), Rereading the Relecture? The Question of (Post)chronistic Influence in the Latest Redactions of the Book of Samuel (FAT II 66), Tübingen 2014, 147–165; J. Van Seters, David and the Gibeonites, ZAW 123 (2011) 535–552. 34 G. von Rad, Der Anfang der Geschichtsschreibung im alten Israel, AKuG 32 (1944) 1–42 = Idem, Gesammelte Studien zum Alten Testament (TB 8), München 1958, 148–188; English translation: The Beginning of History Writing in Ancient Israel, in: Idem, Problems of the Hexateuch and Other Essays. Translated by E. W. Trueman Dicken, New York 1966, 166–204.
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Ziba, Mephibosheth’s servant, and Barzillai (2 Sam 17:27–29). All these events, however, take place within a short span of narrative time and within four chapters of narration time. David remembers some events, of course, but his very fate was at stake in every one of these episodes. In several other cases, narratives are juxtaposed without explicit logical link age. The most striking example is probably the three versions of David’s presentation to Saul in 1 Sam 16:14–23, as musician; in 1 Sam 17:32–39, before facing Goliath; in 1 Sam 17:55–58, after defeating Goliath.35 In these cases, neither Saul nor David are aware of any preceding meeting. In other cases, as for instance in 1 Sam 24–27, we also have a series of episodes without any clear connection with each other.36 David spares Saul a first time in 1 Sam 24, and the story finishes with a kind of mutual agreement of nonaggression (1 Sam 24:17–23). In 1 Sam 25, the story of David, Nabal, and Abigail, Saul is absent, and David seems to be able to move freely, without any impediment. There is a possible, but veiled, allusion to Saul in Abigail’s discourse when she speaks of David’s enemies (1 Sam 25:26) and of those who persecute him (1 Sam 25:29). These verses are sometimes attributed to a different hand. More startling is the beginning of 1 Sam 26, where Saul reappears on the stage as if he had completely forgotten what he had said in 1 Sam 24:17–22. David himself never alludes to this episode in this second version of his magnanimity towards his rival as well. 1 Sam 26 ends in the same way as 1 Sam 24, namely with a kind of reconciliation, or at least in a very friendly way (1 Sam 26:17–25). In 35 See Bar-Efrat, Narrative Art, 134: “The combination of isolated narratives into one extensive block can lead to duplication or even inconsistencies”. Cf. Alter, David Story, 110: “A reasonable conclusion is that for the ancient audience, and for the redactor, these contradictions would have been inconsequential in comparison with the advantage gained in providing a double perspective on David.” What matters, it seems, is to give the reader all the available pieces of information on the encounter of David with Saul. Cf. also Alter, ibid., 329, on 2 Sam 21–24: “It should […] be kept in mind that creating a collage of disparate sources was an established literary technique used by the ancient Hebrew editors and sometimes by the original writers themselves.” These two authors are, to be sure, staunch defenders of a literary and synchronic reading of biblical narratives. For a thorough and convincing treatment of this question, see Dietrich, 1 Sam 13–26, 201–205. For this author, the narrator’s or composer’s purpose was to present the different and complementary aspects of David, the future king: as chosen and anointed by Samuel in God’s name, as artist and musician, and eventually as undaunted and successful warrior. 36 See A. F. Campbell, Diachrony and Synchrony: I Sam 24 and 26, in: W. Dietrich (ed.), David und Saul im Widerstreit: Diachronie und Synchronie im Wettstreit (OBO 206), Freiburg i. Ue. / Göttingen 2004, 226–231; S. Ramond, Leçon de non-violence pour David: Une analyse narrative et littéraire de 1 Samuel 24–26, Postface de Jean-Pierre Sonnet (LiBi 145), Paris 2007; W. Dietrich, Die zweifache Verschonung Sauls (1 Sam 24 und 1 Sam 26): Zur “diachronen Synchronisierung” zweier Erzählungen, in: Idem, Die Samuelbücher im deuteronomistischen Geschichtswerk: Studien zu den Geschichtsüberlieferungen des Alten Testaments II (BWANT 201), Stuttgart 2012, 171–190. See also Idem, 1 Sam 13–26, 688–698, who insists on the cumulative effect of these chapters. Saul is weaker and weaker, more and more unstable, and David is more and more magnanimous.
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1 Sam 27:1, David is again diffident and decides to flee to the Philistines. The Philistines, for their part, do not remember that David is their arch-enemy. They remember this only when they decide to wage war against Saul (1 Sam 29:2). Examples of this kind could be multiplied, but this will be sufficient, I think, to show that the biblical David has, to use a modern expression, a very selective memory.
V. An Archive or a Novel? All in all, David has some glimpses of memory, but his memory is limited in time and in scope. Generally, his career or his interests are directly concerned. His internal life itself remains opaque most of the time, a feature noticed by many commentators.37 The complexity of his personality appears in several occasions, nonetheless, especially when reacting after the death of some of his rivals. Mental processes, internal debates or inner evolutions are, however, almost completely absent from the narratives in 1–2 Sam and 1 Kgs 1–2. This also contributes to create a certain mystery around this fascinating figure. The fact is largely due, in my opinion, to the very nature of literature we find in the Books of Samuel, namely a collection of narratives arranged in a chronological order and according to certain important motifs. The overarching connections are, for the most part, external to the short narratives or the short series of narratives. This feature prevents the characters from fully developing and from remembering distant experiences. Memory and psychological development require time, and therefore longer, unified, literary works. A series of short stories does not offer enough room for creating such literary features. For all these reasons, the narrative in 1–2 Sam is often closer to a chronicle than to a well-organized and unified plot. As Kurt Noll remarks, we have in 1–2 Sam, to a great extent, something like an archive.38 This archive is organized 37 For instance, we rarely know how David answers questions. Thera are many “unrevealed responses”. In 1 Sam 18:10, Saul fears David, and David? (Alter, David Story, 114); in 1 Sam 18:17, Saul secretly wants the Philistines to kill David, but David does not react to Saul’s proposal to give him his daughter Merab (ibid., 115); in 1 Sam 19:12, Michal reveals her design, but David does not react (ibid., 120); in 1 Sam 20:1, David’s discourse is a political statement; there is nothing personal in it – “David speaks to Jonathan less as an intimate friend than as a courtier” (ibid., 123); in 1 Sam 23:17, in the second pact of Jonathan with David, there is no response from David (ibid., 143); in 1 Sam 30:6, “David’s real emotions remain opaque” when he learns that the Amalekites had plundered his camp and had taken away his wives and children (ibid., 184). There are only a few exceptions, for instance in 2 Sam 19, when David hears about his son Absalom’s death (Gunn, King David, 103). On these chapter, see C. Conroy, Absalom, Absalom! Narrative and Language in 2 Sam 13–20 (AncB 81), Rome 1978. 38 Noll, Faces of David, 26: “[…] the Hebrew narratives are viewed roughly as archives rather than as literature.” He refers to T. L. Thompson, Early History of the Israelite People from the Written and Archaeological Sources (SHANE 4), Leiden 1992, 366–372, who considers biblical writers as “librarians” with an antiquarian bend and trying to preserve as many documents
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in a chronological way and develops, as commentators have noticed, around the rivalry between Saul and David, David’s rise to power and the problems of succession. This feature is probably one of the fascinating aspects of this splendid narrative since it leaves so many gaps to be filled in by the reader. The idea of “archives” is not really new. It was already expressed by Richard Simon (1638–1712) in a reflection about the so-called Former Prophets, and therefore about 1–2 Sam. He mentions in this respect his well-known theory of some “public writers” who kept in the “archives of the republic [of Israel]” the records of the important events of the nation’s history. They modified, abbreviated or completed them regularly.39 These archives contain, most of the time, abridged versions of the facts and only those facts that mattered more for a popular audience. We find the same opinion about the nature of biblical texts in Johann Gottfried Eichhorn (1752–1827) some two centuries later:40 When the different and single parts [of the Biblical Books] were finally compiled and bound, then the process was very simple: without judgment or critical sense, what was found was assembled word by word, as it was found. […] One preferred to present the sources themselves that were found, the narratives were juxtaposed next to each other where they diverged, and the reader’s choice and judgment was not anticipated. There was no inclination to take position for every fact that was introduced into one’s historical work. [The compilers] were convinced to be praised and thanked by everyone when reproducing faithfully, until the last word, what was read on old monuments.
For Eichhorn, this procedure explains the juxtaposition of different sources in the Pentateuch. It is surely possible to apply the same idea to the Books of Samuel, as we have seen. Karl-David Ilgen (1763–1834) holds a similar view not long time afterwards. We should remember that Ilgen’s project bore an evocative title: Die Urkunden des Jerusalemischen Tempelarchivs in ihrer Urgestalt, als Beytrag as possible but not concerned to create a completely coherent literary work. On libraries and archives, see O. Pedersén, Archives and Libraries in the Ancient Near East, 1500–300 B. C., Bethesda 1998; K. L. Sparks, Near Eastern Archives and Libraries, in: Idem, Ancient Texts for the Study of the Hebrew Bible: A Guide to the Background Literature, Peabody 2005, 25–55. On the Bible, see J. S. du Toit, Textual Memory: Ancient Archives, Libraries and the Hebrew Bible (The Social World of Biblical Antiquity 2 6), Sheffield 2011. 39 R. Simon, Histoire critique du Vieux Testament (1678) suivi de Lettre sur l’inspiration. Nouvelle édition annotée et introduite par Pierre Gibert, Paris 2008, 157–158; cf. 160.162. 40 J. G. Eichhorn, Einleitung in das Alte Testament I, Göttingen 1780–1783, 41823, 38: “Werden aber endlich die einzelnen Aufsätze gesammelt und gebunden, so ist die Verfahrungsart zuerst wieder ganz einfach: ohne Urtheil und Kritik stellt man wörtlich zusammen, was, und wie man es findet. […] Man gab lieber die Quellen, die man vorfand, selbst, stellte ihre Erzählungen, wo sie voneinander abwichen, neben einander, und griff dem Leser durch Wahl und Urtheil nicht vor; man ließ sich’s nicht beyfallen, daß man für jeden Umstand, den man in sein historisches Werk eintrug, einzustehen habe, sondern glaubte Lob und Dank bey allen zu verdienen, wenn man bis auf jedes Wort recht treulich abschrieb, was man in alten Monumenten las.”
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zur Berichtigung der Geschichte der Religion und Politik aus dem Hebräischen mit kritischen und erklärenden Bemerkungen, auch mancherley dazu gehörenden Abhandlungen. There existed, in Jerusalem, an archive in the temple where the documents of the nation were preserved and transmitted from generation to generation. Ilgen is also of the opinion that the documents were not reworked, but sorted, classified and put side by side, without being unified in a new literary work. This is one of the main differences between Greek and Roman historians, on the one side, and biblical writers, on the other:41 […] the old documents were compiled in their original form, piecemeal, and juxtaposed to each other. This was done not only in certain places or in certain parts, so that somebody, whom we could call author, could create connections. On the contrary, [this was the usual procedure] from beginning till the end of the book and, in this way, nobody presents himself somewhere [in the work] as a [unique] reference. [For this reason], it is not possible to say that the work has an author, but only that somebody put it together, compiling and organizing it.
This is said, obviously, of the Book of Genesis but applies appropriately to the Books of Samuel. This aspect is underlined by more recent authors as well, as, for instance, by Gerhard von Rad in his often-quoted article “The Beginning of History Writing in Israel”42. We should not be surprised that the part of 1–2 Sam where von Rad discovers the “beginning of history writing” is precisely 1 Sam 15– 19, the piece of literature we analyzed above. In this part of 1–2 Sam, we may adopt without hesitation von Rad’s judgment: “Events unwind themselves according to the laws of their own nature.”43 For the other parts of the narratives, it seems more appropriate to lean towards this other line of thought: “The fact that the narrator follows up so many of his characters through the years until the time of their death is a weighty argument against the hypothesis that this is actually one single great narrative.”44 A last confirmation can be found in an insightful article by John Barton entitled “What is a Book?”45 After interrogating the traditional Jewish exegesis on 41 K. D. Ilgen, Die Urkunden des ersten Buchs von Moses in ihrer Urgestalt zum bessern Verständniß und richtigern Gebrauch derselben in ihrer gegenwärtigen Form aus dem hebräischen mit kritischen Anmerkungen und Nachweisungen auch einer Abhandlung über die Trennung der Urkunden, Halle 1798, 344: “[…] es sind vielmehr die ältern Denkmahle selbst in ihrer Urform in Stücken zusammengestellt, und an einander gereihet, und zwar nicht an einzelnen Stellen, und nur durch gewisse Theile hindurch, daß doch Übergänge von jemand, den man würde Verfasser nennen können, gemacht wären; sondern von Anfange bis zu Ende des Buches ohne daß irgendwo sich jemand als Referent angekündiget, so, daß man gar nicht sagen kann, daß das Werk einen Verfasser, sondern nur, daß es einen Zusammensetzer, einen Zusammenordner, einen Sammler habe.” 42 Von Rad, Beginning, 166–204. 43 Ibid., 201. 44 Ibid., 191. 45 J. Barton, What is a Book? Modern Exegesis and the Literary Conventions of Ancient Israel, in: J. C. de Moor (ed.), Intertextuality in Ugarit and Israel (OTS 40), Leiden 1998, 1–14.
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this point, he comes to the conclusion that “The compilers of the biblical books were not trying to produce ‘works’ in the literary sense, with a clear theme or plot and a high degree of closure, but rather anthologies of material which could be dipped into at any point.”46 John Barton speaks of “anthologies” where others aforementioned authors speak of “archives”. Moreover, this way of composing or compiling “books” or literary works was usual and in no way exceptional: “What can be said, however, is that it was evidently acceptable in Israel to produce such composite books: they fell within the definition of a book.”47 This also means that the composition of a book hardly corresponds to the creation of a completely original and unified work: “Composing a book, for [the ancient biblical authors], might have been simply putting together pieces of text without any presumption that they would form a new unity, characterized by coherence and closure, even if the pieces of text had been written by the author himself.”48 There is perhaps some kind of unity in some parts of the Books of Samuel, but, as we saw, our remarks coincide for the major part with the gist of John Barton’s acute observations.
VI. Conclusion These characteristics of the Books of Samuel contribute to create the opaque, mysterious and, somehow, unfathomable figure of David. Exploring all the hidden and secret aspects of one of the more fascinating personalities of the Old Testament is left to the reader. To put it with a famous literary critique, Erich Auerbach, the biblical David is, as Abraham in Gen 22, “fraught with background”49.
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Ibid., 6. 7. 48 Ibid., 10. 49 E. Auerbach, Mimesis: Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, Bern 1946; English translation: Mimesis: The Representation of Reality in Western Literature, Princeton 1953, first chapter “Odysseus’ Scar”. 47 Ibid.,
Jerobeam und seine Kulthöhen Geschichte als Argument im religiösen Diskurs der Perserzeit Kristin Weingart
„Good historians, […] whether they think about it or not, have the future in their bones. Besides the question ‚why‘, the historian also asks the question ‚whither‘.“ So formulierte Edward Carr schon in den 1960er Jahren, in seiner ebenso kontroversen wie einflussreichen Vorlesungsreihe What is History?,1 in der es ihm um das Wesen historischer Fakten, die Perspektivität des Historikers und moralische Urteile in der Geschichtsschreibung ging. Seither hat sich die Erkenntnis weithin durchgesetzt, dass Fragen der Gegenwart bzw. Vorstellungen, Wünsche und Befürchtungen für die Zukunft ganz wesentlich mitbestimmen, wie Geschichte erinnert und auf welche Weise sie dargestellt wird. Ein alttestamentliches Beispiel dafür, wie die Frage nach dem whither, also dem Wohin, Eingang in die Geschichtsdarstellung gefunden hat und – umgekehrt – die Darstellung damit zu einem Argument im aktuellen Diskurs wird, liefern die verschiedenen Verständnisse der sog. „Sünden Jerobeams“. Die folgenden Überlegungen bauen ganz wesentlich auf dem ebenso profilierten wie überzeugenden „Lesevorschlag“ auf, den der Jubilar für die einigermaßen rätselhafte Erzählung vom Gottesmann aus Juda in Bethel (1 Kön 13) im Jahr 2000 vorgelegt hat.2 Dort ist nach einer synchronen Lesung und deren diachroner Fundierung noch eine „Problemanzeige“ notiert: die ausstehende Klärung weiterer mit 1 Kön 13 verbundener „(literar-) historische[r] Fragehorizonte“.3 Darauf zielt dieser Beitrag – verbunden mit vielfachem Dank und der Hoffnung, dass er zu erfreuen vermag.
1 E. H. Carr, What is History? The George Macaulay Trevelyan Lectures delivered in the University of Cambridge January–March 1961, New York 1962, 143. 2 E. Blum, Die Lüge des Propheten. Ein Lesevorschlag zu einer befremdlichen Geschichte (I Reg 13), in: Ders., Textgestalt und Komposition. Exegetische Beiträge zu Tora und Vorderen Propheten, hg. von W. Oswald (FAT 69), Tübingen 2010, 319–338 (= E. Blum [Hg.], Mincha [FS R. Rendtorff], Neukirchen-Vluyn 2000, 27–46). 3 Ebd., 337.
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I. Jerobeam, Bethel und die Kulthöhen – 1 Kön 12,26–32 Kaum ein König hatte so unter den Händen der Deuteronomisten zu leiden wie Jerobeam I. Seine Reputation als Reichs- und Kultgründer im Nordreich Israel ist verwirkt, sein Name geradezu untrennbar mit den „Sünden Jerobeams“ verbunden. Nach der Darstellung der Königebücher war es Jerobeams Kultpolitik, die von Anfang an die Axt an die Wurzel des neugegründeten Reiches legte. Volk und Könige jeder folgenden Generation fügten mit dem Festhalten an den „Sünden Jerobeams“ nur noch Schlag um Schlag in die gleiche Kerbe hinzu, bis alles vorbei und das Königreich Israel am Ende war. 2 Kön 17,21–23 kann dann die Essenz der Geschichte des Nordreichs in drei Versen zusammenfassen und führt dabei wiederum die „Sünden Jerobeams“ (17,22) als zentralen Grund für Israels Deportation an. Was aber sind die „Sünden Jerobeams“ ()חטאות ירבעם4? In 1 Kön 12,26–32 werden sie eingeführt, mit zwei Facetten, von denen – wie sich zeigen wird – nur eine ursprünglich ist: das Aufstellen der Stierbilder in Bethel und Dan und ihre Identifikation mit den „Göttern, die Israel aus Ägypten geführt haben“. Der betreffende Abschnitt in 12,26–305 hat eine klare Struktur: eine motivierende 4 An drei Stellen wird die Verbindung חטאת ירבעםim Singular gebraucht (1 Kön 15,26.34; 16,19), üblicher ist der Plural חטאות ירבעם. Zur Verteilung und möglichen Erklärungen für die Variation, vgl. S.‑W. Lee, „Den Ort, den JHWH erwählen wird …, sollt ihr aufsuchen“ (Dtn 12,5). Die Forderung der Kulteinheit im Deuteronomistischen Geschichtswerk, Diss. Tübingen 2015, 113–114. 5 Traditionell wurde der Abschnitt meist Dtr zugeschrieben (vgl. etwa E. Würthwein, Das erste Buch der Könige. Kapitel 1–16 [ATD 11,1], Göttingen 1977, 161–165). Er ist aber auch Gegenstand verschiedenartiger literarkritischer Analysen bzw. redaktionsgeschichtlicher Modellbildungen. Die ältere Diskussion zur Stelle konzentrierte sich auf die Frage, ob bzw. welche älteren Vorlagen Dtr verarbeitet haben könnte, so etwa in neuerer Zeit auch H. Pfeiffer, Das Heiligtum von Bethel im Spiegel des Hoseabuches (FRLANT 183), Göttingen 1999, 26–31, der in 1 Kön 12,25.28*.29.33b unpolemisches „annalistisches Material aus dem Nordreich“ (31) findet (vgl. auch J. Pakkala, Jeroboam’s Sins and Bethel in 1Kgs 12:25–33, BN 112 [2002] 86– 94, noch ohne genaue Rekonstruktion bzw. Ders., Jeroboam without Bulls, ZAW 120 [2008] 501–525, mit der These, dass die Stierbilder sekundär eingefügt seien). In der neueren Diskussion hat sich der Focus hin zur Annahme nach-dtr Redaktionsarbeit verschoben, so z. B. bei F. Ueberschaer, Vom Gründungsmythos zur Untergangssymphonie. Eine text- und literargeschichtliche Untersuchung zu 1Kön 11–14 [BZAW 481], Berlin/Boston 2015, 197–201, der innerhalb von 1 Kön 12,26–33 drei literarische Schichten sowie zwei Glossen (12,30a.33) sieht: In 12,*28–29 sei ein alter positiver Bericht über die Aufstellung zweier Kälber in Bethel und Dan sowie eine Prozession greifbar, welchen ein exilischer (aber nicht dtr) Historiker H so überarbeitet habe, dass Jerobeam in einem schlechten Licht erscheint. 12,31–32 gehen schließlich auf einen dtr beeinflussten Redaktor N zurück. 12,33 diene der Einbettung von 1 Kön 13. Ohne dass das bei Ueberschaer entwickelte redaktionsgeschichtliche Modell für 1 Kön 11–14 insgesamt hier diskutiert werden kann, sei lediglich auf zwei Probleme aus dem vorliegenden Zusammenhang hingewiesen. (1) Die von Ueberschaer aus 12,26–28 rekonstruierte unpolemische Notiz über die Aufstellung zweier „goldener Kälber“ erinnert zwar an die neutrale Darstellung von Baumaßnahmen in V. 25. Aber das reicht in religionsgeschichtlicher Hinsicht für die Einrichtung eines Tempels oder Götterbilds im altorientalischen Kontext nicht aus: Es fehlt die entscheidende Be-
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Problemlage in V. 26–27, die Implementierung einer Lösung V. 28–29; die Bewertung und Qualifikation dieser Lösung als „Sünde“ V. 30.6 Die Darstellung ist unverkennbar polemisch, aber narrativ schlüssig abgerundet! Die „Sünden Jerobeams“ sind hier das Aufstellen der Kultbilder. In der weiteren Darstellung bis hin zum Ende des Nordreiches werden Jerobeams kultische Verfehlungen lediglich über das Stichwort „Sünde/Sünden Jerobeams“ eingespielt. Nur zwei Stellen bieten inhaltlich gefüllte Rückbezüge: Das Dynastie-Orakel gegen Jerobeam, das in 1 Kön 14,7–10 als ein begründetes Unheilswort ergeht, nennt in seiner Begründung (14,9) das Anfertigen von Gussbildern. Die Beurteilung Jehus in 2 Kön 10,28–29 rekurriert bezüglich der „Sünde Jerobeams“ auf die Stierbilder.7 Das ist ganz auf der Linie von 1 Kön 12,26–30. auftragung oder Motivation durch den betreffenden Gott (dazu A. Berlejung, Twisting Traditions. Programmatic Absence-Theology for the Northern Kingdom in 1 Kgs 12:26–33* [The „Sin of Jeroboam“], JNSL 35 [2009] 1–42, hier 8–12). Das Ganze erinnert vielmehr an die polemische Darstellung der Wiederaufnahme des Jhwh-Kultes im ehemaligen Nordreich in 2 Kön 17 (dazu K. Weingart, Stämmevolk – Staatsvolk – Gottesvolk? Studien zur Verwendung des Israel-Namens im Alten Testament [FAT II 68], Tübingen 2014, 54–59). (2) Bei 12,30a kann es sich kaum um eine aus 13,34 eingetragene Glosse handeln; zum einen liegt hier mit der Inclusio zwischen 12,30 und 13,34 eine Wiederaufnahme vor, die der Einbettung von 1 Kön 13 dient (dazu i. F.), zum anderen ist der Vers für die übergreifenden Verweisstrukturen in den dtr Königebüchern unverzichtbar (dazu die folgende Anm.). 6 In V. 30b wird häufig unter Verweis auf LXXL „und vor dem anderen nach Bethel“ ergänzt (so etwa I. Benzinger, Die Bücher der Könige [KHC], Freiburg i. Br. u. a. 1899, 90; Würthwein, Könige, 162; J. Gray, I & II Kings. A Commentary [OTL], London 31980, 289; G. N. Knoppers, Two Nations Under God. The Deuteronomistic History of Solomon and the Dual Monarchies, Bd. 2: The Reign of Jeroboam, the Fall of Israel, and the Reign of Josiah [HSM 53], Atlanta 1994, 34), was ein Verständnis von הלך לפניals Wallfahrt impliziert. Das entspricht jedoch nicht dem Gebrauch der Wendung (dazu M. Noth, Könige [BK 9,1], Neukirchen-Vluyn 1968, 268.285, sowie Lee, Ort, 111; vgl. Ueberschaer, Gründungsmythos, 196), so dass eher an eine Prozession zur Aufstellung des Kultbilds in Dan zu denken ist. Auch V. 30a steht bereits länger unter dem Verdacht, eine nachträgliche Ergänzung bzw. Glosse zu sein. Der Verdacht scheint sich noch zu erhärten, versteht man V. 30b als Prozession, da dann der Zusammenhang von Stiftung des Kultbildes und seiner Überführung unterbrochen würde (so Würthwein, Könige, 162). Für die Ursprünglichkeit von 30a spricht jedoch, dass hier die Grundlage für den wiederkehrenden Rückbezug ( אשר החטיא את ישראל1 Kön 14,16; 15,26.30.34; 16,19.26; 22,53; 2 Kön 3,3; 10,29.31; 13,2.6.11; 14,24; 15,9.18.24. 28; 23,15) auf die „Sünden Jerobeams“ als ein Vergehen, welches das gesamte Volk involviert, gelegt wird. Sachlich kann es dabei ebenfalls nur um die Stierbilder gehen. Die Maßnahmen aus 12,31–32 bzw. 13,33, kommen hierfür kaum in Frage (so bereits A. Šanda, Die Bücher der Könige [EHAT 9,1], Münster 1911 f., 358). 7 Zum inhaltlichen Rekurs auf die Stierbilder an den genannten Stellen vgl. auch Pakkala, Bulls, 512, der beide aber zusammen mit 2 Kön 17,6 zu Glossen bzw. nachträglichen Ergänzungen erklären muss, da er die Stierbilder in 1 Kön 12 für sekundär hält. Pakkalas literargeschichtlicher Versuch, Jerobeam I. die Stierbilder abzusprechen, koinzidiert mit einem breiteren Trend, die Darstellung von 1 Kön 12 als einen Reflex der Zeit Jerobeams II. zu sehen (vgl. u. a. Berlejung, Traditions, 23; E. A. Knauf, 1 Könige 1–14 [HThKAT 11], Freiburg i. Br. u. a. 2016, 374) bzw. Jerobeam I. insgesamt als Fiktion zu deuten (so dezidiert C. Frevel, Geschichte Israels [KStTh 1,1], Stuttgart 2016, 158–159, für eine kritische Diskussion vgl. L. L. Grabbe, Jeroboam I? Jeroboam II? Or Jeroboam 0? Jeroboam in History and Tradition, in: O. Lipschits/Y. Gadot/M. J. Adams [Hg.], Rethinking Israel. Studies in the History and Archaeology of Ancient
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Nachdem in 1 Kön 12 der erste Bericht mit V. 30 zu einem Abschluss kommt, bringen V. 31–32 aber noch eine andere Facette ins Spiel: Jerobeam baut Höhenhäuser ()בתי במות8 und setzt nicht-levitische Priester – Priester aus dem Volk ()כהנים מקצות העם אשר לא היו מבני לוי – für die Höhen ein.9 Nach der Erzählung vom Gottesmann aus Juda, die in 1 Kön 13 breit entfaltet ist, bestätigen 1 Kön 13,33–34 noch einmal, was 12,32 schon nannte: Jerobeam setzt Höhenpriester aus dem Volk ein. Das Ganze wird zur Sünde – allerdings nun für das Haus Jerobeams, dessen Ende entsprechend besiegelt ist. 13,34 nimmt den Faden von 12,30 wieder auf10 und greift zugleich mit der Unheilsankündigung dem Dynastie-Orakel gegen Jerobeam vor. Die ausschließliche Identifikation der „Sünden Jerobeams“ mit den Stierbildern sowohl im Dynastieorakel als auch bei Jehu sowie der notierte nachklappende Charakter von 1 Kön 12,31–32 sind erste Hinweise darauf, dass die zweite Facette ein Nachtrag ist.11 Der Eindruck bestätigt sich, betrachtet man die intertextuellen Bezüge, die sich von 1 Kön 12,31–32 und 13,33–34 ergeben. Israel in Honor of Israel Finkelstein, Winona Lake 2017, 115–123, bzw. K. Weingart, Jeroboam and Benjamin. Pragmatics and Date of 1Kgs 11:26–40 and 12:1–20, in: J. J. Krause/O. Sergi/K. Weingart [Hg.], Saul, Benjamin and the Emergence of Monarchy in Israel. Biblical and Archaeological Perspectives [AIL], Atlanta [im Druck]). 8 Die Lesart des MT את בית במותist schwierig. LXX hat den Plural οἴκους, allerdings verbunden mit ἐφ᾿ ὑψηλῶν, was nicht der üblichen Wiedergabe einer Constructus-Verbindung entspricht (vgl. ἐπὶ τοὺς οἴκους τοὺς ὑψηλοὺς 13,32). Die meisten Kommentatoren ändern auch im MT zum Plural oder setzen ein entsprechendes Verständnis voraus (vgl. schon C. F. Burney, Notes on the Hebrew Text of the Books of Kings, Oxford 1903, 178; Šanda, Könige, 344; oder auch Noth, Könige, 268, der von einer „pluralisch gemeinte[n] Genitivverbindung“ spricht). Das אתvor einer indeterminierten Verbindung gilt weithin als Schreibfehler, so Burney, Notes, 178; Šanda, Könige, 344; Pakkala, Bulls, 507, u. a. m. Ueberschaer, Gründungsmythos, 93 mit Anm. 306, geht daher für den Gesamtbefund von Textverderbnis aus. A. Schenker, Älteste Textgeschichte der Königsbücher. Die hebräische Vorlage der ursprünglichen Septuaginta als älteste Textform der Königsbücher (OBO 199), Freiburg i. Ue./Göttingen 2004, 36–40, hält LXX für ursprünglich und möchte im MT eine bewusste Änderung sehen, die den Gegensatz von בית במותund בית יהוהin Jerusalem betonen soll (vgl. B. Hensel, Das JHWH‑Heiligtum am Garizim. Ein archäologischer Befund und seine literar- und theologiegeschichtliche Einordnung, VT 68 [2018] 73–93, hier 88, der den analogen Singular in 17,29.31 auf den GarizimTempel bezieht). 9 מקצותmeint, wie schon Burney, Notes, 178, und nun auch wieder Knauf, Könige, 355, betonen, nicht ‚von den Rändern‘, sondern „aus der breiten Masse des Volkes“. 10 Dazu B. Schmitz, Prophetie und Königtum. Eine narratologisch-historische Methodologie entwickelt an den Königsbüchern (FAT 60), Tübingen 2008, 130. Mit den Bezügen nach vorn (12,30) und nach hinten (14,7–10) dient der Vers ganz offensichtlich der Vernetzung mit dem vorliegenden Kontext. 11 Dass 12,31–32 aus israelitischen Annalen stammen (so Šanda, Könige, 348) oder auf der „Kenntnis der Vorgänge“ beruhen würden (so Noth, Könige, 270–271), wird heute kaum noch vertreten. Schon für Würthwein, Könige, 165, sind 12,31–32 Zusätze, nämlich eine „sukzessive Anhäufung von Vorwürfen“ (vgl. auch A. Jepsen, Die Quellen des Königsbuches, Halle 1953, 6.60–61.102; I. W. Provan, Hezekiah and Book of Kings. A Contribution to the Debate about the Composition of the Deuteronomistic History [BZAW 172], Berlin/New York 1988, 81–84; F. Blanco Wissmann, „Er tat das Rechte …“. Beurteilungskriterien und Deuterono-
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II. Gottesmänner, Löwen und Höhenhäuser – 1 Kön 13, 2 Kön 17 und 2 Kön 23 Die eben betrachteten Schlussverse von Kapitel 12 einerseits und Kapitel 13 andererseits liegen wie ein Rahmen um die Erzählung 1 Kön 13 und betten diese in kompositioneller Hinsicht in den Erzählbogen von 1 Kön 11–14 ein.12 12,31–32 bereiten mittels allgemeiner Hintergrundinformationen13 die Bühne vor, sie liefern Zeit und Ort, d. h. das Fest14 und den Altar. 12,33 bildet das Scharnier zur konkreten Situation von 1 Kön 13: Jerobeam steht just in dem Moment auf dem Altar, als der Gottesmann erscheint und den Altar anredet. Darüber hinaus führen 12,31–32 das nötige Personal ein, d. h. die Höhenpriester, auf die der Gottesmann in seinem Wort Bezug nimmt, welches in 13,1–2 die Erzählung eröffnet.15 13,31–34 übernehmen eine ähnliche kompositionelle Funktion am Schluss, schlagen die Brücke zurück zur allgemeinen Ausgangssituation am Ende von Kapitel 12 und bilden einen äußeren Rahmen. 13,31–32, insbesondere V. 32b, diemismus in 1Kön 12 – 2Kön 25 [AThANT 93], Zürich 2008, 118–119), Knauf, Könige, 383–385, weist 12,*30–32 seiner proto-chronistischen Prophetenredaktion zu. 12 So schon M. Noth, Überlieferungsgeschichtliche Studien. Die sammelnden und bearbeitenden Geschichtswerke im Alten Testament (1943), Darmstadt 21957, 81 (vgl. Ders., Könige, 293–294), der allerdings 1 Kön 13 zum vom Dtr übernommenen Material rechnet, das hier eingebaut und mit 2 Kön 23 verklammert wurde. Die Erzählung für deren „Grundbestand […] die völlige Namenlosigkeit bezeichnend“ ist (294), sei entweder von Dtr (so Ders., Überlieferungsgeschichtliche Studien, 81) oder schon zuvor (so Ders., Könige, 293) mit Jerobeam I. verbunden worden. 13 Dies wird an והעמידin V. 32b deutlich. Das we-qatal lässt sich hier nur als Iterativ bzw. Frequentativ verstehen (vgl. Šanda, Könige, 351; Noth, Könige, 286–287; Lee, Ort, 108). Es geht um ein wiederholtes Geschehen, während 12,33 ein bestimmtes Einzelereignis betrifft. Schmitz, Prophetie, 144–145, notiert zusätzlich einen Wechsel des fokalisierenden Subjekts, in 12,33 ist der Blick auf den Altar durch Jerobeam gelenkt, in 13,1 durch den Gottesmann. 14 Zur Erklärung des Festdatums werden zwei Möglichkeiten diskutiert: (1) Es handelt sich um das Laubhüttenfest, das im Norden aufgrund einer späteren Erntezeit später angesetzt ist (so z. B. G. Dalman, Arbeit und Sitte in Palästina, Bd. 1,1: Jahreslauf und Tageslauf, Herbst und Winter, Gütersloh 1928, 41, bzw. aktuell wieder Knauf, Könige, 383–384, dagegen schon Šanda, Könige, 346). (2) Es geht um eine Analogie zur Einweihung des Jerusalemer Tempels, welche nach 1 Kön 8,2 im Monat Etanim, d. h. dem 7. Monat stattfand (so u. a. J. Werlitz, Die Bücher der Könige [NSK], Stuttgart 2002, 133; D. Miano, Shadow on the Steps. Time Measurement in Ancient Israel [RBSt 64], Leiden/Boston 2011, 40). Das im Zusammenhang mit der Tempelweihe gefeierte Fest (1 Kön 8,65–66) wird zumeist ebenfalls mit dem Laubhüttenfest identifiziert (Würthwein, Könige, 102), so dass beide Überlegungen letztlich zum selben Ergebnis führen. Ob sich 1 Kön 12,32–33 mit S. Talmon, Divergences in Calendar Reckoning in Ephraim and Judah, VT 8 (1958) 48–74, hier 53–58; J. Hughes, Secrets of the Times. Myth and History in Biblical Chronology (JSOT.S 66), Sheffield 1990, 164–165, oder M. Cogan, 1 Kings (AncB 10), New York u. a. 2000, 360, als Indiz für einen abweichenden Kalender im Nordreich deuten lassen, ist jedoch fraglich, schließlich soll im argumentativen Gefälle von 1 Kön 12,31–33 gerade die Eigenmächtigkeit Jerobeams betont werden (so u. a. Noth, Könige, 286). 15 Zur chiastischen Aufnahme von Elementen aus 12,32 in 12,33–13,1 vgl. Blum, Lüge, 333 mit Anm. 57.
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nen als ein inneres Scharnier zwischen jenem Rahmen und dem Abschluss der konkreten Erzählung von 1 Kön 13.16 1. 1 Kön 13 Die Erzählung vom Gottesmann aus Juda gehört zweifellos zu den rätselhaftesten Erzählungen im Alten Testament. Ein Gottesmann kommt aus Juda nach Bethel, kündigt dort das Gericht über den Altar an und vollbringt ein Heilungswunder an Jerobeam – nur um auf dem Rückweg von einem Propheten aus Bethel mit einem vorgetäuschten Jhwh-Wort eingeladen und vom rechten Weg gelockt zu werden. Hatte ihm Jhwh doch geboten, in Bethel weder zu essen noch zu trinken, noch auf demselben Weg zurückzukehren, auf dem er gekommen ist. Jerobeams Versuch, den Gottesmann zum Bleiben zu überreden, scheitert, dem Propheten gelingt es mit einer Lüge. Am Ende bezahlt der Gottesmann mit seinem Leben und bleibt doch im Tod ein Wundertäter – der Löwe, der ihn auf Jhwhs Befehl hin reißt, frisst ihn nicht, sondern hält die Totenwache (für ihn und seinen Esel), bis der Leichnam begraben wird. Die Erzählung hat vielfältige starke Urteile17 und ganz verschiedene Deutungsvorschläge provoziert,18 die zwar fast alle mit dem Stichwort Prophetie verbunden sind, aber doch ganz unterschiedlich ausfallen: Geht es hier um wahre und falsche Prophetie,19 das Wesen des Gotteswortes,20 die Solidarität zwischen 16 Angesichts dieser deutlichen Einbettung und der fließenden Übergänge ist es nicht verwunderlich, dass eine genaue Abgrenzung von Rahmen und Erzählung schwerfällt. Der Einsatz der Erzählung wird daher unterschiedlich bestimmt: in 12,32 (so J. A. Montgomery/H. S. Gehman, The Books of Kings [ICC], Edinburgh 1960, 259–260, oder M. A. Klopfenstein, 1. Könige 13. Vom Erwählen und Verwerfen Gottes, in: Ders., Leben aus dem Wort. Beiträge zum Alten Testament, hg. von W. Dietrich, Bern u. a. 1996, 75–116, hier 90); in 12,33 (so z. B. Noth, Könige, 295; Würthwein, Könige, 166, oder Gray, I & II Kings, 324); in 13,1 (so Schmitz, Prophetie, 142–146, vgl. auch J. T. Walsh, The Contexts of 1 Kings XIII, VT 39 [1989] 355–370, hier 362). 17 Extreme markieren diesbezüglich wohl H. Gressmann, Die älteste Geschichtsschreibung und Prophetie Israels (von Samuel bis Amos und Hosea) (SAT 2), Göttingen 21921, 245: „religiös und sittlich betrachtet minderwertig“ und K. Barth, Die Kirchliche Dogmatik, Bd. II/2: Die Lehre von Gott, Zürich 1948, 452: die „vielleicht ausdrucksvollste und jedenfalls umfassendste und reichste Prophetengeschichte des Alten Testaments“ (zu Barths Auslegung der Erzählung vgl. Klopfenstein, 1. Könige 13). 18 Noth, Könige, 306, schien letztlich zu kapitulieren: „Gewiß darf man diese Erzählung, […] die eine offensichtliche Freude an der Darstellung überraschender, wechselvoller Vorgänge und Szenen hat, nicht überfordern hinsichtlich der Konsequenz einer strengen Gedankenführung.“ Einen älteren Überblick bietet A. H. J. Gunneweg, Die Prophetenlegende I Reg 13 – Mißdeutung, Umdeutung, Bedeutung, in: V. Fritz/K.‑F. Pohlmann/H.‑C. Schmitt (Hg.), Prophet und Prophetenbuch, FS O. Kaiser (BZAW 185), Berlin/New York 1989, 73–81, hier 73–78. 19 So Schmitz, Prophetie, 385–386; zuvor schon T. Dozeman, The Way of the Man of God from Judah. True and False Prophecy in the Pre-Deuteronomistic Legend of 1 Kings 13, CBQ 44 (1982) 379–393, hier 379; oder auch M. Sweeney, I & II Kings. A Commentary (OTL), Louisville/London 2007, 181. 20 Cogan, 1 Kings, 374: „This north Israelite prophetic tale […], though critical of Jero-
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nord-israelitischer und judäischer Prophetie?21 Wird die Prophetie kritisiert22 oder gar lächerlich gemacht?23 Das Problem dieser auf die Prophetie bezogenen Deutungsversuche bleibt, dass sie die Auflagen, die der Gottesmann erhält – keine Tischgemeinschaft in Bethel, keine Rückkehr auf dem gleichen Weg – und die ausweislich der dreimaligen Wiederholung innerhalb der Erzählung (13,8– 9.16–17.21–22) großes Gewicht haben, letztlich nicht erklären können.24 Eine Deutung, der es gelingt, diese Erzählzüge zu integrieren, hat Erhard Blum vorgelegt.25 Danach geht es hier gar nicht primär um die Prophetie, ihr Wesen oder boam’s cult reform […], contained another focus: the ‚word of YHWH‘, its lasting force, and the role of its carriers.“ 21 Für Noth, Könige, 306 ist diese in der gemeinsamen Ablehnung des Staatskults in Bethel begründet, vgl. Würthwein, Könige, 170, bzw. dezidiert Gunneweg, Prophetenlegende, 80– 81: „Eine Gemeinsamkeit mit dem schismatischen Königtum Israels und seinem Altar ist kompromißlos ausgeschlossen. […] Aber trotz dieser Trennung bleibt die geistige Gemeinsamkeit von Gottesmann aus Juda und dem alten Propheten von Bethel erhalten. Zum Zeichen dafür saßen sie an einem Tisch, ehe sie im Tode für immer vereint in einem Grabe beigesetzt wurden“ (Hervorhebung i. O.). 22 Ueberschaer, Gründungsmythos spricht von einer „Antiprophetenerzählung“ (220), die eine „kritische Haltung gegenüber Gottesmännern, Propheten und anderen Menschen […], die ihre Aussagen unüberprüfbar unmittelbar auf Gott zurückgeführt haben“, spiegelt, vgl. Werlitz, Könige, 138; U. Simon, A Prophetic Sign Overcomes Those Who Would Defy It. The King of Israel, the Prophet from Bethel, and the Man of God from Judah, in: Ders., Reading Prophetic Narratives (Indiana Studies in Biblical Literature), Bloomington/Indianapolis 1997, 130–154, hier 131. 23 So D. Marcus, From Balaam to Jonah. Anti-Prophetic Satire in the Hebrew Bible (BJSt 301), Atlanta 1995, 91: „A satirical reading indicates that the principal concern of the story is to satirize its targets, the man of God and the prophet of Bethel. They are satirized […] because of their behavior: for foolishness, lying, and concern with petty values“. 24 Daher finden sich vielfältige Versuche, die Komplexität literarkritisch aufzulösen, so z. B. Würthwein, Könige, 168–171: Eine Kombination aus zwei älteren Legenden und zahlreichen Zusätzen, durch die „die alte, einlinig verlaufende Grabtradition […] einen gebrochenen Charakter“ erhält (171); vgl. auch G. Hentschel, 1 Könige (NEB), Würzburg 1984, 86–88; M. Rehm, Das erste Buch der Könige. Ein Kommentar, Würzburg 1982, 142, und besonders E. Eynikel, Prophecy and Fulfillment in the Deuteronomistic History. 1Kgs 13; 2Kgs 23,16–18, in: C. Brekelmans/J. Lust (Hg.), Pentateuchal and Deuteronomistic Studies. Papers Read at the XIIIth IOSOT Congress Leuven 1989 (BEThL 94), Leuven 1990, 227–237; neuerdings auch wieder Ueberschaer, Gründungsmythos, 205–207, der v. a. den Anfang des Textes 13,1–5 für stärker überarbeitet hält und eine Grundschicht (13.1a.2aα.4), einen Zusatz (13,3.5) und eine pro-Josia-Redaktion (13,2aβ.b.21b.32) rekonstruiert. Da sich sonst eine kaum nachvollziehbare Leerstelle ergäbe, muss er allerdings annehmen, dass ein ursprüngliches Gotteswort ausgefallen ist bzw. durch 13,2 ersetzt wurde. 25 Blum, Lüge. Ausführliche narratologische Analysen finden sich u. a. bei W. Gross, Lying Prophet and Disobedient Man of God in 1 Kings 13. Role Analysis, Semeia 15 (1979) 97– 135; Dozeman, Way, und neuerdings Schmitz, Prophetie, 146–225. Schmitz blendet mögliche historische Hintergründe allerdings programmatisch aus und kommt daher am Ende zu eher allegorischen Deutungen, so z. B. für das Verbot des selben Rückwegs: „Welchen Weg soll der Gottesmann nehmen? […] 1 Kön 13 wird zu einer Beispielgeschichte, in der die Frage nach den einzuschlagenden Wegen vor JHWH in dem Moment und an dem Ort thematisiert wird, an dem gerade eine für das Schicksal des Nordreiches entscheidende Weichenstellung mit der Einweihung eines neuen Altars geschieht. […] Das Nordreich soll seinen eigenen Weg
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ihre Träger, sondern vielmehr um Bethel-Kritik. Dies ist offensichtlich in Wort und Zeichenhandlung des Gottesmannes,26 steht aber auch hinter den Verboten von Essen und Trinken in Bethel und selbem Rückweg. Diese zielen vor allem auf die Diskreditierung von Bethel als Wallfahrtsort. Die Reise des Gottesmannes soll kein Vorbild sein: „Alle drei göttlichen Auflagen für den Gottesmann sind offenbar darauf angelegt, jeder auch nur indirekten Legitimation Bethels als Wallfahrtsort, sei es auch durch den Gerichtspropheten aus Juda, zu wehren.“27 Vor diesem Hintergrund erscheinen nun aber jene Elemente innerhalb der rahmenden Einbettung in einem anderen Licht, die nicht unmittelbar auf die Gottesmannerzählung bezogen sind. Diese sind: 1. Die in 1 Kön 12,31 von Jerobeam installierten Höhenhäuser בתי במות: Sie spielen in der Erzählung keine Rolle, dort geht es allein um Bethel.28 Das Gerichtswort des Gottesmannes in 13,2 betrifft sie ebenfalls nicht. In der Aufnahme des Gerichtswortes im Mund des Propheten im abschließenden Scharniervers 13,32 sind sie aber plötzlich da: ועל כל בתי הבמות אשר בערי שמרון.29 2. Die nicht-levitischen Priester: 1 Kön 12,31 hält ausdrücklich fest, dass Jerobeam Priester „ מקצות העםaus dem Volk“ einsetzt. In der Erzählung wird zwar auch vorausgesetzt, dass es Kultpersonal gibt, allerdings ohne etwas über dessen ohne das Südreich gehen. Dazu war Jerobeam in der Begegnung mit Ahija legitimiert worden (1 Kön 11,29–39). Die Erzählstimme engt diesen Weg aber nur auf den politisch, nicht aber auf den kultisch-religiös selbständigen Weg ein. Auf diese Weise erscheint der Weg, den Jerobeam nun einschlägt, als ein selbst erdachter Weg, zu dem er keine Legitimierung hat“ (172–173). 26 Hier besteht weitgehend Konsens, vgl. z. B. Šanda, Könige, 359; Würthwein, Könige, 172; Gray, I & II Kings, 323; R. D. Nelson, The Double Redaction of the Deuteronomistic History (JSOT.S 18), Sheffield 1981, 82, oder Sweeney, I & II Kings, 168.179. 27 Blum, Lüge, 326–328, das Zitat 328. Mit dem „Gerichtspropheten aus Juda“ in Bethel ergibt sich eine motivische Nähe zu Am 7,10–17, die schon J. Wellhausen, Die Composi tion des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments (31899), Berlin 41963, 277, bemerkte („eine Reminiszenz […] an Amos von Thekoa“) und O. Eissfeldt, Amos und Jona in volkstümlicher Überlieferung, in: Ders., Kleine Schriften IV, hg. von R. Sellheim und F. Maass, Tübingen 1968, 137–142, hier 138–139, zur These eines Grabes des Amos in Bethel führte, mit dem die Erzählung verknüpft sei. C. Levin, Amos und Jerobeam I., VT 45 (1995) 307–317, greift die Frage wieder auf und postuliert wechselseitige literarische Abhängigkeiten, die von Am 7 zu 1 Kön 13 und dann wieder zu Am 9,8 laufen. Auch wenn die Belege für direkte Abhängigkeiten nicht ausreichen mögen, ist doch nicht ausgeschlossen, dass das Amosbild in die Zeichnung des Gottesmannes eingeflossen ist. 28 Das notiert auch Simon, Prophetic Sign, 131. 29 13,32 wird gelegentlich für eine spätere Ergänzung gehalten, so etwa bei Würthwein, Könige, 168, Anm. 11: „Glosse aus 2.Kön. 23,19“. Dagegen spricht jedoch die oben beschriebene Rahmenstruktur und kompositionelle Funktion des Halbverses. Dagegen ist mit H.‑J. Stipp, Elischa – Propheten – Gottesmänner. Die Kompositionsgeschichte des Elischazyklus und verwandter Texte, rekonstruiert auf der Basis von Text- und Literarkritik zu 1 Kön 20.22 und 2 Kön 2–7 (ATSAT 24), St. Ottilien 1987, 413, und auch Ueberschaer, Gründungsmythos, 208, festzuhalten, dass 13,32b tatsächlich über 13,2 hinausgeht und nicht nur „eine sachgemäße Interpretation des Gerichtswort von 13,2“ darstellt (so Blum, Lüge, 334, Anm. 60). In diesem Überschuss scheint gerade die Pointe zu liegen.
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Herkunft verlauten zu lassen.30 Die nicht-levitischen Priester aus dem Volk tauchen ganz ausdrücklich in 13,33 wieder auf. Gegenüber der Erzählung selbst zeigt sich in der einbettenden Rahmung eine Übertragung und Ausweitung ihres kritischen Potentials. Was in 1 Kön 13 für den Altar in Bethel galt, trifft nun ganz allgemein Höhenhäuser im Norden und nicht-levitische Priester. 2. 2 Kön 23,16–20 Die Erzählung bleibt in 1 Kön 13 unvollendet, zwei lose Enden weisen über sie hinaus. Das eine ist die Ankündigung der Zerstörung des Altars durch Josia in 13,2, das andere sind die Konsequenzen aus dem Auftrag des Propheten zur gemeinsamen Bestattung mit dem Gottesmann. Beides wird zusammengeführt im Epilog 2 Kön 23,16–20.31 Nachdem der Altar in Bethel schon in 23,15 zerschlagen und zermahlen ist, berichtet 23,16 noch einmal und unter direktem Rückbezug auf 1 Kön 13 von dessen Entweihung durch Josia.32 Damit ist die erste Linie am Ziel. Die gemeinsame Bestattung rettet nicht nur den Gottesmann, sondern zugleich mit ihm den Propheten aus Samaria vor der Schändung seines Grabs. Die 30 Alternativ wäre zu erwägen, ob das „Schlachten der Höhenpriester“ in 1 Kön 13,2 (וזבח )עליך את כהני הבמות המקטרים עליךerst im Zusammenhang mit der kompositionellen Rahmung
im Prophetenwort ergänzt wurde. Innerhalb der Erzählung, d. h. als Hintergrund für die gemeinsame Bestattung von Prophet und Gottesmann (13,31) und die narrative Schließung dieser Erzählgestalt in 2 Kön 23,16–18 reicht das Verbrennen von Menschengebeinen auf dem Altar völlig aus. Zudem spielen die Priester in der Geschichte gar keine Rolle, der König steigt immerhin selbst auf den Altar, um dort zu opfern. 31 Der Zusammenhang ist offensichtlich und hat u. a. zu der These geführt, eine ältere Erzählung sei hier nachträglich aufgespalten worden (so etwa W. Dietrich, Prophetie und Geschichte. Eine redaktionsgeschichtliche Untersuchung zum deuteronomistischen Geschichtswerk [FRLANT 108], Göttingen 1972, 120, oder Simon, Prophetic Sign, 131–132). Dozeman, Way, 381–382, sieht beide als ursprünglich nicht zusammengehörig, weil in 2 Kön 23,18 von einem „Propheten aus Samaria“ die Rede sei, während dieser in 1 Kön 13 aus Bethel komme. שומרוןwird aber in 1 Kön 13 als Bezeichnung für eine Region, d. h. das Gebiet des Nordreiches verwendet (dazu i. F.), sodass sich kein Widerspruch ergibt. Die Herkunftsangabe in 23,18 הנביא אשר בא משמרוןhat zudem eine kompositionelle Funktion; sie schlägt den Bogen zurück zu 1 Kön 13,1 ( איש אלהים בא מיהודהBlum, Lüge, 336). 32 Dass es sich bei 2 Kön 23,16–20 um eine jüngere Ergänzung handelt, ist weitgehend Konsens, vgl. schon Jepsen, Quellen, 26.102, bzw. C. Hardmeier, König Joschija in der Klimax des DtrG (2Reg 22 f.) und das vordtr Dokument einer Kultreform am Residenzort (23,4–15*). Quellenkritik, Vorstufenrekonstruktion und Geschichtstheologie in 2Reg 22 f., in: R. Lux (Hg.), Erzählte Geschichte. Beiträge zur narrativen Kultur im alten Israel (BThSt 40), NeukirchenVluyn 2000, 81–145, hier 118–120, oder M. Pietsch, Die Kultreform Josias. Studien zur Religionsgeschichte Israels in der späten Königszeit (FAT 86), Tübingen 2013, 431. Wie schon bei 12,31–33 zeigt ein Nachklappen die Ergänzung an, mithin ein Hinweis auf die gleiche redaktionelle Technik wie dort. Die Einheitlichkeit von 23,16–20 ist gelegentlich bestritten worden (vgl. etwa Nelson, Double Redaction, 82–83, oder Eynikel, Prophecy, 236, bei dem sich die literarkritische Differenzierung innerhalb von 2 Kön 23 aber v. a. aus seinem komplexen Redaktionsmodell für 1 Kön 13 ergibt.)
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zweite Linie aus 1 Kön 13 ist geschlossen. 23,19–20 greifen schließlich jene Züge auf, die der rahmenden Einbettung in 1 Kön 12 und 13 so wichtig waren – die Höhenhäuser und ihre Priester. Damit ist nicht nur die Ankündigung des Gottesmannes selbst in 1 Kön 13,2 eingeholt, sondern auch ihre erweiterte Reformulierung durch den Propheten in 13,32.33 3. 2 Kön 17 Zu den zwei Ankerpunkten in 1 Kön 12.13 und 2 Kön 23 gesellt sich ein dritter: 2 Kön 17,24–41. An die Geschichtsreflexion nach dem Ende des Nordreichs in 17,7–23 schließt sich eine Darstellung an, die von den kultischen Zuständen im Gebiet des ehemaligen Nordreiches berichtet, nachdem – so das hier vermittelte Geschichtsbild – alle Israeliten deportiert und neue Völker angesiedelt sind.34 Diese bringen ihre eigenen Götter mit, werden aber auch zu Jhwh-Verehrern, wobei sie bei der Jhwh-Verehrung da weitermachen, wo die Nord-Israeliten aufgehört hatten. Jhwh plagt sie mit Löwen, bis sie einen deportierten Priester aus Bethel zurückholen, der dort den früheren Kult wieder aufnimmt.35 Zusätzlich nutzen sie die Höhenhäuser (17,29.32) der Israeliten weiter und setzen für ihren Jhwh-Kult dort Priester ein, nun freilich aus ihrer Mitte ( מקצותם17,32). Die beschriebenen Zustände dauern nach 17,34.41 an „bis auf diesen Tag“ עד היום הזה.36 Die thematischen Verknüpfungen zwischen den drei Ankerpunkten ruhen auf einem Fundament längst beobachteter sprachlicher Besonderheiten:37 Ȥ Höhenheiligtümer werden hier nicht wie sonst üblich und überaus häufig als במהbzw. במותbezeichnet, sondern als „ בתי במותHöhenhäuser“. Diese Verbindung ist äußerst selten. Sie begegnet insgesamt nur fünf Mal im gesamten Alten Testament, und zwar allein in unseren Texten (1 Kön 12,31; 13,32; 2 Kön 17,29.32; 23,19). 33 Auf diese Weise löst sich das Problem von Stipp, Elischa, 413, der aus der Tatsache, dass zwischen 13,2 und 13,32b ein Unterschied zwischen der Verurteilung Bethels bzw. der Verurteilung Bethels und der Höhenhäuser besteht, Maßnahmen gegen beide in 23,16–20 aber widerspruchsfrei nebeneinander stehen, die These ableitete, dass 1 Kön 13 und 2 Kön 23,16–18 literarisch nicht auf einer Ebene liegen könnten. Wenn 2 Kön 23,16–20 auf 1 Kön 13 inklusive der einbettenden und das Gericht ausweitenden Rahmung bezogen sind, ergibt sich ein spannungsfreier Zusammenhang. 34 Für eine detaillierte Auslegung von 2 Kön 17,24–41 vgl. Weingart, Stämmevolk, 54–66. 35 Über das Motiv des Löwen als Jhwhs Gerichtswerkzeug ergibt sich ebenfalls eine Brücke zu 1 Kön 13. 36 Ähnlich wie bei 2 Kön 23,16–20 besteht auch für 2 Kön 17,24–41 ein breiter Konsens, dass es sich bei dem Abschnitt um eine relativ junge Einschreibung in die Königebücher handelt, vgl. dazu Weingart, Stämmevolk, 62–64 (Lit.). Die viel diskutierte Frage, ob 17,24–33 und 17,34–41 auf einer Ebene liegen, kann hier auf sich beruhen. 37 Diese sind bereits bei Jepsen, Quellen, 102, zusammengestellt.
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Ȥ Die genannten Texte verbindet ebenfalls die Verwendung von ערי שמרון, „Städte Samarias“, als Bezeichnung des Gebietes des Nordreiches. „Samaria“ referiert hier also nicht, wie sonst in den Königebüchern üblich, konkret auf die Stadt Samaria.38 Zugleich zeigt sich ein grober Anachronismus: Die Stadt Samaria wurde nach 1 Kön 16,24 erst von Omri gegründet; zur Zeit Jerobeams I. oder des „Propheten aus Samaria“ (2 Kön 23,18) gab es sie noch gar nicht. Diese und andere sprachliche Indizien39 stützen den Befund, dass es sich bei diesen Texten um spätere Einschreibungen aus der fortgeschrittenen nachexilischen Zeit handelt. Sie waren nicht Teil des älteren Erzählzusammenhangs der Königebücher bzw. des Deuteronomistischen Geschichtswerks. In literargeschichtlicher Hinsicht lässt sich schlussfolgern: ȤȤ Mittels des Rahmens 1 Kön 12,31–32 und 13,33–34 und der Scharniere in 12,33 und 13,32 wurde die Bethel-kritische Erzählung 1 Kön 13 in die ältere Darstellung der Regierung Jerobeams I. eingebettet. ȤȤ Im Zusammenhang mit dieser Einbettung wurde der Epilog in 2 Kön 23,16– 20 geschaffen, der die Linien aus Erzählung und Rahmen aufnimmt und abschließt. ȤȤ Der genannte Prozess liegt auf einer Ebene mit der Einschreibung von 2 Kön 17,24–41 im Anschluss an die ältere deuteronomistische Reflexion in 17,7–23. 1 Kön 13 samt Rahmen liefern in narrativer Hinsicht die inhaltlichen Voraussetzungen – Höhen neben Bethel, Priester aus dem Volk – für die dort gebotene Darstellung der kultischen Verhältnisse auf dem Gebiet des ehemaligen Nordreiches. Letztere wiederum sind bei Josia, also in 2 Kön 23,16–20, vorausgesetzt.40 38 Der älteste bekannte außerbiblische Beleg für „Samaria“ findet sich m. W. in einer vom Ende des 8. Jh.s stammenden assyrischen Steleninschrift aus Tell er-Rimāh, in welcher IIa-᾽a-su ˙ kurSa-mì-ri-na-a, Joasch von Samaria, als Tributzahler gelistet ist, vgl. M. Weippert, Historisches Textbuch zum Alten Testament (GAT), Göttingen 2010, 275. Biblische Belege für diesen Sprachgebrauch sind selten, vgl. 1 Kön 21,1; 2 Kön 1,3; Jer 23,13; Neh 3,34 und vielleicht Hos 8,6; 14,1 (dazu H. W. Wolff, Dodekapropheton 1. Hosea [BK 14,1], Neukirchen-Vluyn 31976, 179– 180). 39 Dazu gehören (1) die Verwendung von בדאund nicht עשהo. ä. in 1 Kön 12,33 (so schon Wellhausen, Composition, 277; vgl. Blum, Lüge, 336); (2) der gehäufte Gebrauch des Partizips als Prädikatsnomen, der für das spätere Hebräisch typisch ist, in 2 Kön 17,24–41 (dazu Weingart, Stämmevolk, 62; Hensel, JHWH‑Heiligtum, 84–85), oder (3) die Verwendung von יראim Fremdgötterkontext in 2 Kön 17 (dazu G. Baena, El vocabulario de II Reyes 17,7– 23.35–39, EstB 32 [1973] 357–384, hier 367–368). 40 Neben den beiden bisher besprochenen Texten weist auch 1 Kön 20,35–37 eine große sprachliche wie inhaltliche Nähe zu 1 Kön 13 auf. Diese zeigt sich an der Verwendung des seltenen Ausdrucks בדבר יהוה, dem Motiv des Löwen als Strafwerkzeug Jhwhs sowie im gemeinsamen Thema Gehorsam bzw. Ungehorsam gegenüber einem Prophetenwort (Blum, Lüge, 335). Innerhalb von 1 Kön 20 insgesamt sind V. 35–37 ein sekundäres Element, das nur sehr locker im Kontext verankert ist (dazu E. Würthwein, Die Bücher der Könige. 1. Kön. 17–2. Kön. 25 [ATD], Göttingen 1984, 242–243; Stipp, Elischa, 253; Blum, Lüge, 335 mit Anm. 63). Blum (ebd.) hat daher in Aufnahme von Überlegungen von Stipp, Elischa, 375–379.399–403,
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III. Die Neujustierung der deuteronomistischen Sünden-Systematik und die Zukunft der Jhwh-Tempel Die genannten Beobachtungen sind nicht neu, aber bisher selten in ihrer Konsequenz bedacht. Sie implizieren eine deutliche Neujustierung in der deuteronomistischen Sündensystematik: Erkennt man diese Texte als Einschreibungen, ist die kultische Sünde des Nordens ursprünglich allein die Aufstellung und Verehrung der Stierbilder in Bethel und Dan.41 Davon, dass im Nordreich Kulthöhen angelegt wurden und nicht-levitische Priester amtierten, ist keine Rede – bei Jerobeam nicht und auch nicht in der weiteren Darstellung der Geschichte des Nordreiches.42 Ganz anders im Südreich, wo die Kulthöhen seit ihrer Einrichtung durch das Volk (1 Kön 14,23) in der Zeit Rehabeams bestehen und der Umgang mit ihnen zum zentralen Differenzierungskriterium zwischen positiv und nur eingeschränkt positiv beurteilten Königen wird.43 Allein die Kultreformer Hiskia (2 Kön 18,4) und Josia (2 Kön 23,5.8.13) beseitigen die Höhen, alle anderen Könige behalten sie bei. Erst im Ergebnis der hier vorliegenden Einschreibung sind die Höhen nun auch im Norden präsent und treten als zweites Element neben den Stierkult in „hier und in Kap. 13 dieselben Tradenten vermutet“. Das ist durchaus möglich. Allerdings fällt andererseits auf, dass die zentralen Themen und die in 2 Kön 17.23 bzw. der kompositionellen Rahmung in 1 Kön 12.13 erkennbare textpragmatische Motivation hinter dem Einbau von 1 Kön 13 in 1 Kön 20 keinen Widerhall findet. Insofern ist auch denkbar, dass der Ergänzer von 1 Kön 20,35–37 sich sprachlich wie motivisch bei 1 Kön 13 bedient hat, es ihm aber vor allem auf einen Sonderaspekt ankam: den Gehorsam gegenüber dem Prophetenwort, selbst wenn das Geforderte gegenüber dem Propheten respektlos erscheint. Im Übrigen bewähren sich vor dem Hintergrund der hier vorgeschlagenen Pragmatik die von Blum, Lüge, 335–337, vorgetragenen Überlegungen zur zeitlichen Verortung von 1 Kön 13 in „deutlich nachexilische[r] Zeit“ (336) auch ohne einen gemeinsamen Verfasser von 1 Kön 13 und 20,35–37. 41 Noth, Könige, 285, versucht zu vermitteln und fragt, ob sich die Höhen von 12,31 nur auf Bethel und Dan oder noch weitere Höhenhäuser beziehen und konstatiert, „geschichtlich zutreffend dürfte wohl nur das erstere sein, aber gemeint und jedenfalls später verstanden worden ist die Aussage vermutlich im letzteren Sinne“. Auch Blanco Wissmann, Beurteilungskriterien, 118–119, hält 12,31–33 für sekundär. Für ihn stehen die Verse im Zusammenhang mit 1 Kön 13 und zielen auf eine Neudeutung der „Sünde Jerobeams“. Diese beschränkt sich bei Blanco Wißmann allerdings auf „die eigenmächtige Priesterinvestitur“. Das Problem der Höhen im Norden spielt in seinen Überlegungen – auch zum Verständnis der Höhen im Süden – keine Rolle. 42 Anders H.‑D. Hoffmann, Reform und Reformen. Untersuchungen zu einem Grundthema der deuteronomistischen Geschichtsschreibung (AThANT 66), Zürich 1980, 41–42, der Höhenheiligtümer und „Sünde Jerobeams“ ohne weitere Begründung gleichsetzt, oder auch Lee, Ort, 112.136, die 1 Kön 12,31b–32 zum dtr Grundbestand rechnet – mit den entsprechenden Konsequenzen für ihre Rekonstruktion der übergreifenden Systematik. Trotzdem betont sie, dass der „Hauptkritikpunkt“ an Jerobeam nicht der als Verstoß gegen die Kultzentralisationsforderung gewertete Höhenkult, sondern vielmehr der „Stierbild-Kult [sei], der hier ins ‚Zwielicht der Abgötterei‘ gerückt wird“ (113). 43 Dies wird zunächst bei Asa exemplifiziert und ist in den folgenden Beurteilungen vorausgesetzt (dazu Lee, Ort, 22–24.134–135 [Lit.]).
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Bethel. Das bedeutet für die ursprüngliche Systematik, dass die „Kardinalsünde“ im Norden, der von einem König, Jerobeam I., initiierte Stierkult war – beibehalten vom Volk.44 Für Juda gilt eine umgekehrte Dynamik: Die Hauptsünde ist hier der Höhenkult, initiiert vom Volk (1 Kön 14,23) und beibehalten von den Königen.45 Hinzu kommen in beiden Fällen weitere kultische Vergehen, die im Laufe der Geschichte eingeführt, abgeschafft und wieder neu eingeführt werden können. Im Falle des Nordreiches handelt es sich hierbei um das Aufstellen einer Aschera bzw. einer Mazzebe für Baal.46 Die Fundamente der Sündengeschichte und damit das Grundgerüst für die Königsbeurteilungen sind aber die Kulthöhen im Süden und die „Sünde Jerobeams“, d. h. der Stierkult, im Norden. Eine letzte Bestätigung für diese Struktur bietet 2 Kön 17,7–23, die Geschichtsreflexion nach dem Ende des Nordreiches. Dort kommt der Höhenkult Israels47 in 17,9 zur Sprache, allerdings in Formulierung und Kontexteinbettung in einer Art und Weise, wie sie für die Darstellung kultischer Verhältnisse im Südreich Juda charakteristisch ist: Die Höhen werden hier als במותbezeichnet und gerade nicht als בתי במותbzw. בית במותwie in den genannten Texten zum Höhenkult im Norden. Zudem ist die Kombination aus Errichtung von Höhen, dem Aufstellen von Mazzeben sowie Ascherim und dem Räuchern auf den Höhen, die 17,9–10 bietet, ein charakteristischer Vorwurf an die judäische Kultpraxis (vgl. 1 Kön 14,23; 2 Kön 23,14–15 oder auch 2 Kön 21,3), spielt aber keine Rolle im Norden.48 Hier zeigt sich im konkreten Einzelfall etwas, das für die Reflexion in 2 Kön 17,7–23 insgesamt charakteristisch ist. Sie hat die gesamte Königszeit in Nord- und Südreich im Blick und versammelt daher Vergehen aus beiden Reichen49 und nicht dem Nordreich Israel allein – darunter viele, die erst später bei Manasse narrativ eingeholt werden.50 2 Kön 17 bietet daher nicht nur keinen Be44 Vgl. die wiederkehrende Feststellung ( ירבעם … החטיא את ישראלso in 1 Kön 14,16; 15,26. 30.34; 16,2.13.19.26; 21,22; 22,53; 2 Kön 3,3; 10,29.31; 13,2.6.11; 14,24; 15,9.18.24.28; 17,21; 23,15). 45 Auch wenn vorausgesetzt ist, dass das Volk auf den Höhen opfert, wird ihre Beibehaltung durchgängig den Königen vorgeworfen (1 Kön 14,23; 15,14; 22,44; 2 Kön 12,4; 14,4; 15,4.35; 16,4, vgl. 2 Kön 18,4; 21,3). 46 Ahab fertigt eine Aschera an (1 Kön 16,32) sowie nach 2 Kön 3 auch eine Mazzebe des Baal. Letztere wird von Jehu beseitig (2 Kön 10,26), während die Aschera erhalten bleibt (2 Kön 13,6). 2 Kön 17,16 listet diese Aschera neben den Götterbildern als Vergehen des Nordreiches. 47 Der Gebrauch des Israel-Namens ist innerhalb von 2 Kön 17,7–23 variabel: In 17,13.19.21– 23 bezeichnet er das Nordreich, in V. 18.20 dagegen ein Gesamt-Israel das Juda einschließt. Gleiches gilt auch für den Rückblick auf Exodus und Landnahme in 17,7–9. 48 Dass es hier um das Südreich geht, zeigt sich im Übrigen auch daran, dass von ( אשריםPl.) die Rede ist. Die eine (von Ahab) aufgestellte Aschera (Sg.) wird eigens in 17,16bα thematisiert, hier neben den „Kälbern“, also im Nordreich-Kontext. 49 Dazu Weingart, Stämmevolk, 64 mit Anm. 39. 50 Das ist schon bei Dietrich, Prophetie, 45, bzw. Hoffmann, Reform, 133, notiert, der daraus schließt, dass „in 2 K 17 auch das Ende des Südreiches vorwegnehmend mit interpretiert wird“.
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leg für einen Höhenkult in Norden, sondern ordnet letzteren vielmehr den problematischen Kultpraktiken in Juda zu. Nach diesen Überlegungen zu den literarhistorischen Horizonten, in die Jerobeams Höhenkult führt, steht nun der zweite Teil der eingangs zitierten Problemanzeige E. Blums noch aus: die Klärung der historischen Horizonte. Geht es allein um den Blick in die Vergangenheit, also eine nachträgliche Gleichschaltung nord-israelitischer und judäischer Sündenkataloge? Dagegen spricht das wiederholte Insistieren von 2 Kön 17, die angesprochene Praxis bestehe עד היום הזה. Angesichts der unverkennbar delegitimatorischen Pragmatik der Texte stellt sich die Frage, wann es so wichtig war, die Jhwh-Verehrung in „Höhenhäusern“ Samarias und dort amtierende Priester auf diese Weise zu desavouieren. Bezüglich der Priester führt 2 Chr 13,4–12 auf die entscheidende Spur. 2 Chr 13 gehört zum chronistischen Sondergut. 13,4–12 berichten von einer aufwühlenden Rede, gehalten vom judäischen König Abia und situiert auf dem Schlachtfeld, auf dem sich Judäer unter Abia und Nord-Israeliten unter Jerobeam I. gegenüberstehen. Es gilt, die Judäer zu ermutigen und die Israeliten zu demotivieren. Abias zentrales Argument ist auf unzähligen Schlachtfeldern zu hören gewesen: Gott ist mit uns und nicht mit euch. Interessant ist hier die Begründung: Abia hält den Nord-Israeliten vor, Jhwh verlassen zu haben, während Juda seine Gebote bewahrt hätte (13,11). Als Beleg dafür führt er an, dass die Nord-Israeliten Aaroniden und Leviten verstoßen und statt ihrer eigene Priester eingesetzt hätten (13,9). In Juda, d. h. in Jerusalem, amtieren Aaroniden und Leviten und sorgen für die ordnungsgemäße Durchführung des Jhwh-Kultes, dessen Vollzüge 13,10 im Detail entfaltet. Nach 2 Chr 13 sind allein Leviten und Aaroniden legitime JhwhPriester. Sie sind der Ausweis der Treue gegenüber Jhwh und seinen Geboten. Auch die Chronik projiziert ihre Argumentation zurück in die Geschichte, ist dabei jedoch auffällig transparent für ihre perserzeitliche Gegenwart. Das zeigt sich in den vielen kultbezogenen Details, die auf dem Schlachtfeld vermutlich eher uninteressant gewesen wären. Daneben wird es aber auch in dem Wortspiel mit der Wurzel שמרoffenbar, über das in 13,11 eine Spitze gegen die שמרניםausgeteilt wird: „ כי שומרים אנחנו את משמרת יהוה אלהינו ואתם עזבתם אתוwir sind es, die die Gebote Jhwhs, unseres Gottes, bewahren, ihr aber habt ihn verlassen“.51 Damit liegt aber auch die Stoßrichtung der Polemik gegen die Kulthöhen neben Bethel auf der Hand. Sie erschließt sich ebenfalls vor dem Hintergrund der kultischen Verhältnisse der Perserzeit. Neben dem Jerusalemer Tempel bestand spätestens seit der Mitte des 5. Jahrhunderts das Heiligtum auf dem Garizim, das ausweislich der zahlreichen Weihinschriften zweifellos ein Jhwh-Tempel 51 Vgl. hierzu bereits die Überlegungen bei G. N. Knoppers, Mt. Gerizim and Mt. Zion. A Study in the Early History of the Samaritans and Jews, SR 34 (2005) 309–338, hier 315–321, der auch hinter den genauen Angaben zur Investitur der Priester in 13,9 den Reflex einer samarischen Praxis vermutet.
Jerobeam und seine Kulthöhen
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war.52 Aus Jerusalemer Perspektive und vor allem aus Sicht der dort maßgeblichen levitischen Priesterschaft dürften also der Tempel auf dem Garizim und seine Priesterschaft das Ärgernis gewesen sein, gegen das sich die delegitimatorische Pragmatik der festgestellten Einschreibungen richtet.53 Die Kritik am Bethel-Kult war vorhanden und altbekannt, lief aber in der Perserzeit wahrscheinlich ins Leere.54 Aktualisiert und mittels der Einschreibungen in 1 Kön 12.13 und ihrer Seitenstücke ausgeweitet strahlt sie nun aus auf jedes zur Jhwh-Verehrung bestimmte „Höhenhaus in den Städten Samarias“ und trifft damit auch das eine und entscheidende. 52 Zum archäologischen Befund vgl. Y. Magen, Mt. Gerizim. A Temple City, Qad. 33 (2000) 74–118, oder Ders., The Dating of the First Phase of the Samaritan Temple on Mount Gerizim in Light of the Archaeological Evidence, in: O. Lipschits/G. N. Knoppers/R. Albertz (Hg.), Judah and the Judeans in the Fourth Century B. C. E., Winona Lake 2007, 157–211, bzw. Ders. / H. Misgav/L. Tsfania (Hg.), Mount Gerizim Excavations, Bd. 2: A Temple City (JSP 8), Jerusalem 2008; J. Zangenberg, The Sanctuary on Mount Gerizim. Observations on the Results of 20 Years of Excavation, in: J. Kamlah (Hg.), Temple Building and Temple Cult. Architecture and Cultic Paraphernalia of Temples in the Levant (2.–1. Mill. B. C. E.). Proceedings of a Conference on the Occasion of the 50th Anniversary of the Institute of Biblical Archaeology at the University of Tübingen (28–30 May 2010) (ADPV 41), Wiesbaden 2012, 399–420, bzw. den Überblick bei Hensel, JHWH‑Heiligtum. 53 In diese Richtung gehen auch die Andeutung bei Knauf, Könige, 375, bzw. die Überlegungen von Hensel, JHWH‑Heiligtum, 82–89, anhand von 2 Kön 17 und 2 Chr 13. Zum Diskurs um den Jhwh-Tempel und seinen Folgen für das Israel-Verständnis in der Perserzeit vgl. ausführlich Weingart, Stämmevolk, 296–340. 54 Für kultische Aktivitäten in Bethel in nachexilischer Zeit, wie sie vielfach angenommen werden (vgl. T. Veijola, Verheissung in der Krise. Studien zur Literatur und Theologie der Exilszeit anhand des 89. Psalms [STAT 220], Helsinki 1982, 197; J. Blenkinsopp, The Judean Priesthood during the Neo-Babylonian and Achaemenid Periods. A Hypothetical Reconstruction, CBQ 60 [1998] 25–43, hier 30–34, bzw. Ders., Bethel in the Neo-Babylonian Period, in: O. Lipschits/J. Blenkinsopp [Hg.], Judah and the Judeans in the Neo-Babylonian Period, Winona Lake 2003, 93–107; Pfeiffer, Heiligtum, 80–81; E. A. Knauf, Bethel. The Israelite Impact on Judean Language and Literature, in: O. Lipschits/M. Oeming [Hg.], Judah and the Judeans in the Persian Period, Winona Lake 2006, 291–349), fehlen bisher jegliche Belege. Die dafür immer wieder angeführten Texte Jer 41,5 bzw. Sach 7,2 sind nicht einschlägig (dazu E. Blum, Das exilische deuteronomistische Geschichtswerk, in: H.‑J. Stipp [Hg.], Das deuteronomistische Geschichtswerk [ÖBS 39], Frankfurt a. M. 2011, 269–295, hier 274–275 mit Anm. 31; zur kritischen Auseinandersetzung auch K. Koenen, Bethel. Geschichte, Kult und Theologie [OBO 192], Freiburg i. Ue. / Göttingen 2003, 59–64). Auch die archäologischen Untersuchungen (einen Überblick über Grabungsgeschichte und -ergebnisse im üblicherweise mit Bethel identifizierten Bētīn bietet M. Köhlmoos, Bet-El – Erinnerungen an eine Stadt. Perspektiven der alttestamentlichen Bet-El-Überlieferung [FAT 49], Tübingen 2006, 45–83) bleiben bislang jeden Beleg schuldig, vgl. I. Finkelstein/L. Singer-Avitz, Reevaluating Bethel, ZDPV 125 (2009) 33–48. Daran haben auch die neuesten Grabungen von A. Tavgar in einem benachbarten Areal, in dem er die Kultstätte vermutet, bislang nichts geändert (A. Tavgar, E. P. 914 East of Beitin and the Location of the Ancient Cult Site of Bethel, The Highland’s Depth. Ephraim Range and Binyamin Research Studies 5 [2015] 49–69), die jüngste bisher gefundene Keramik stammt aus dem 9.–8. Jh. v. Chr. (O. Lipschits, Bethel Revisited, in: Ders. / Y. Gadot/M. J. Adams [Hg.], Rethinking Israel. Studies in the History and Archaeology of Ancient Israel in Honor of Israel Finkelstein, Winona Lake 2017, 233–246, hier 243).
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Bei all dem geht es also um die Zukunft, und ganz im Sinne E. Carrs konkret um die Frage, wohin – räumlich wie zeitlich – es gehen soll mit der Jhwh-Verehrung in Israel. Die Antwort kommt als Geschichte, damit die Geschichte die Antwort geben kann: nach Jerusalem und Jerusalem allein.
Der Umgang mit der Kulteinheitsforderung in sekundären Einschreibungen im Deuteronomistischen Geschichtswerk Sang-Won Lee
In der aktuellen Diskussion zur Literargeschichte des Textbereichs, der mit Martin Noths These eines „Deuteronomistischen Geschichtswerks“ (DtrG) angesprochen ist (Dtn–2 Kön), zeichnet sich ein deutlicher Trend zur Diversifizierung in der Hypothesenbildung ab. So postulieren zahlreiche Ausleger eine sukzessive Abfolge mehrerer (deuteronomistischer) Geschichtswerke, zumeist auf der Basis einer literargeschichtlichen Differenzierung im Blick auf diejenigen Konzepte, die für M. Noth tragende Säulen des DtrG darstellten, d. h. der Forderungen nach Kulteinheit und Kultreinheit. So ist zwar weitgehend Konsens, dass der במות-Kult einer der Hauptgegenstände der dtr Kritik darstellt. Ob er jedoch konzeptionell als Jhwh-Kult und damit als Verstoß gegen die Forderung nach Kulteinheit oder aber als Fremdgötterkult und Verstoß gegen das Gebot der Kultreinheit zu fassen ist, ist in der Diskussion bzw. bildet, je nach Entscheidung, die Grundlage für die Zuweisung einschlägiger Texte an unterschiedliche Hände.1 Gleichermaßen führt die Unterscheidung der Verantwortlichen, d. h. (bestimmte) Könige oder das Volk, zu diachronen Scheidungen.2 Gegen diesen Trend – und mit guten Gründen – hält Erhard Blum daran fest, dass die beiden Forderungen nach Kulteinheit und Kultreinheit gemeinsam konzeptionelle Eckpfeiler im exilischen DtrG darstellen und dass auch zwischen Königen und Volk
1 Vgl. A. Jepsen, Die Quellen des Königsbuches, Halle 1953, 81; I. W. Provan, Hezekiah and the Books of Kings. A Contribution to the Debate about the Composition of the Deuteronomistic History (BZAW 172), Berlin/New York 1988, 70–77; B. D. Thomas, Hezekiah and the Compositional History of the Book Kings (FAT 2. 63), Tübingen 2014, 178–207 u. a. m. 2 Stellvertretend vgl. K. Schmid, Das Deuteronomium innerhalb der „deuteronomistischen Geschichtswerke“ in Gen–2 Kön, in: E. Otto/R. Achenbach (Hg.), Das Deuteronomium zwischen Pentateuch und Deuteronomistischem Geschichtswerk (FRLANT 206), Göttingen 2004, 193–211; Ders., Hatte Wellhausen Recht? Das Problem der literarhistorischen Anfänge des Deuteronomismus in den Königsbüchern, in: M. Witte u. a. (Hg.), Die deuteronomistischen Geschichtswerke. Redaktions- und religionsgeschichtliche Perspektiven zur „Deuteronomismus“Diskussion in Tora und Vorderen Propheten (BZAW 365), Berlin/New York 2006, 19–43.
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Sang-Won Lee
als Verantwortlichen für die Einhaltung der Forderungen im DtrG nicht diachron differenziert werden kann.3 Eigene Untersuchungen der sog. Beurteilungstexte in den Vorderen Propheten kamen zu einem ähnlichen Ergebnis,4 zeigten aber auch eine konzeptionelle Periodisierung innerhalb des exilischen DtrG auf: die Forderung der Kulteinheit tritt innerhalb der Geschichtsdarstellung erst nach dem salomonischen Tempelbau in den Vordergrund, wird dann aber für die Folgeperioden zu einer Grundlage der Beurteilung von Königen und Volk. So ist in der Darstellung der Zeit vor dem Tempelbau vielfach von diversen Jhwh-Kultstätten die Rede (Schilo, Gilgal, Mizpa, Gibeon u. a.). Jene Kultstätten außerhalb von Jerusalem bzw. der hier stattfindende Kult werden jedoch nicht verurteilt, sondern stillschweigend in die Darstellung integriert. Als illegitim werden sie erst nach dem Bau des Tempels in Jerusalem angesehen, denn erst jetzt greift nach dtr Logik die Kulteinheitsforderung, d. h. die Israeliten dürfen Jhwh nicht mehr an verschiedenen Kultstätten, sondern nur an dem einen Ort, den Jhwh erwählt hat, um dort seinen Namen zu wohnen zu lassen, opfern (vgl. Dtn 12,2–12). Dieser kleine Beitrag wendet sich nun Texten zu, die dem exilischen DtrG nachträglich hinzugefügt wurden. Er fragt danach, welche Rolle das Kriterium der Kulteinheit in diesen Texten spielt. Findet sich hier Polemik gegen oder Kritik an Jhwh-Kultstätten außerhalb von Jerusalem? Wie verhalten sich die Nachträge zu der genannten Periodisierung im Blick auf die Kulteinheitsforderung? Zunächst stehen hierbei Nachträge innerhalb der dtr Königsbeurteilungen im Fokus (I), dann folgen Überlegungen zu sekundären Erwähnungen von JhwhKultstätten im Bereich der Vorderen Propheten (II).
I. Nachträge innerhalb der dtr Königsbeurteilungen Die sog. „Sünde Jerobeams“ dient in den Königsbüchern unverkennbar als ein Leitmotiv in der Darstellung der Geschichte des Nordreiches Israel. Fast allen israelitischen Königen wird das „Festhalten an der/n Sünde/n Jerobeams“ zur Last gelegt. Eine Ausnahme bildet Simri, der nur sieben Tage regierte und für den weder eine Beurteilungsformel geboten noch ein Beurteilungsgrund genannt wird. Lediglich in 1 Kön 16,19 findet sich ein Urteil, das zwar auf die „Sünde Jerobeams“ Bezug nimmt, sich aber in der Formulierung von den üblichen und stark formalisierten Urteilsformeln unterscheidet. Der Vers ist daher schon lange als 3 Vgl. E. Blum, Das exilische deuteronomistische Geschichtswerk, in: H.‑J. Stipp (Hg.), Das deuteronomistische Geschichtswerk (ÖBS 39), Frankfurt a. M. 2011, 269–295. 4 S. W. Lee, Die Königsbeurteilungen und die Literargeschichte des Deuteronomistischen Geschichtswerks. Anmerkungen zu einer kontroversen Diskussion, VT 68 (2018) 581–605, bzw. Dies., „Den Ort, den Jhwh erwählen wird …, sollt ihr aufsuchen“ (Dtn 12,5). Die Forderung der Kulteinheit im Deuteronomistischen Geschichtswerk, Diss. Tübingen 2015.
Der Umgang mit der Kulteinheitsforderung in sekundären Einschreibungen
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Nachtrag erkannt, der die vermisste Beurteilung für Simri nachholen soll.5 Auch in 2 Kön 13,6 findet sich ein Nachtrag: Der israelitische König Joahas wird schon im vorangehenden V. 2 wegen des Festhaltens an der „Sünde Jerobeams“ getadelt. V. 6 verurteilt dann aber das Volk des Nordreiches wegen des Festhaltens an der Jerobeam-Dynastie, nicht jedoch wegen der „Sünde Jerobeams“.6 Darüber hinaus ist hier, wie in anderen späteren Ergänzungen (1 Kön 9,6–9; 14,15)7 die Perspektive vom König auf das Volk verschoben.8 Neben den genannten finden sich Nachträge auch am Anfang und am Ende der Darstellung der Geschichte des Nordreiches Israel: So wird die dtr Darstellung der Kultmaßnahmen Jerobeams (1 Kön 12,26–29.30b–32) durch eine Bewertung unterbrochen (V. 30a).9 Der Vers stellt klar, dass Jerobeam mit den Stierbildern gegen die Forderung nach Alleinverehrung Jhwhs verstoßen hat.10 Auch im Epilog der Geschichte Israels in 2 Kön 17,7–23 finden sich diverse Nachträge. Dazu gehören V. 7b–8, die wegen ihres spezifischen Sprachgebrauchs derselben Hand wie 17,24–41 zuzuschreiben sind; V. 13–14, in denen wie in den sekundären 2 Kön 21,8–9 Israel und Juda gemeinsam in Blick kommen, und V. 19–20, die schon lange als sekundär gegenüber dem dtr Grundbestand erkannt sind.11 In Bezug auf die Beurteilungskriterien sind in diesen Nachträgen allerdings keine Unterschiede zur dtr Hauptlinie zu erkennen; mit der „Sünde Jerobeams“ ist auch hier durchgängig der Stierbilder-Kult angesprochen. Bei den Einschrei5 Vgl. M. Noth, Könige I (BK 9,1), Neukirchen-Vluyn 1968, 349–350; vgl. noch G. Hentschel, 1 Könige (NEB.AT 10), Würzburg 1984, 101; G. H. Jones, 1 and 2 Kings, Bd. I, 1 Kings 1–16:34, Grand Rapids u. a. 1984, 294. 6 Eine Verurteilung der Jerobeam-Dynastie findet sich im ebenfalls späten 1 Kön 13,34, wo unter Wiederaufnahme der vorangehenden dtr Verse 12,31–32 die illegitime Einsetzung der Priester thematisiert ist. Zur Datierung von 1 Kön 13,34 vgl. E. Blum, Die Lüge des Propheten. Ein Lesevorschlag zu einer befremdlichen Geschichte (1 Reg 13), in: Ders., Textgestalt und Komposition. Exegetische Beiträge zu Tora und Vordere Propheten, hg. von W. Oswald (FAT 69), Tübingen 2010, 319–338, hier 332–334. 7 Zu 1 Kön 9,6–9 vgl. J. Gray, I & II Kings. A Commentary (OTL), London 1964, 219.221: E. Würthwein, Die Bücher der Könige, Kapitel 1–16 (ATD 11,1), Göttingen 1977, 104–105; P. S. F. van Keulen, Manasseh through the Eyes of the Deuteronomists (OTS 38), Leiden u. a. 1996, 180; Blum, Geschichtswerk, 281; zu 14,15 vgl. M. A. O’Brien, The Deuteronomistic History Hypothesis. A Reassessment (OBO 92), Freiburg i. Ue. / Göttingen 1989, 190–191; J. Pakkala, Intolerant Monolatry in the Deuteronomistic History (SESJ 76), Helsinki 1999, 158. 8 Zur inneren Systematik der Vorwürfe gegen Könige bzw. Volk innerhalb des exilischen DtrG vgl. Lee, Königsbeurteilungen, 586–594. 9 Zum sekundären Charakter vgl. schon J. Debus, Die Sünde Jerobeams. Studien zur Darstellung Jerobeams und der Geschichte des Nordreiches in der deuteronomistischen Geschichtsschreibung (FRLANT 93), Göttingen 1967, 38; Noth, Könige, 269.272; Hentschel, Könige, 84; Jones, Kings, 259–260. 10 In Lee, Königsbeurteilungen, 595, Anm. 52, vermutete ich, dass 1 Kön 12,30a im Zusammenhang mit 13,34 eingefügt wurde. Alternativ ist auch denkbar (in Anlehnung an Blum, Lüge, 334), dass 1 Kön 12,30a literargeschichtlich vor 13,34 zu datieren ist und vielmehr im Zusammenhang mit 1 Kön 3,2 steht. Zu 1 Kön 3,2 s. u. 11 Hierzu ausführlich Lee, Königsbeurteilungen, 591 (mit Lit.).
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bungen handelt sich also entweder um schlichte Ergänzungen oder Erläuterungen (1 Kön 12,30a; 16,19; 2 Kön 13,6) oder sie dienen als Anker für spezifische Anliegen (so z. B. die antisamarische Polemik in 2 Kön 17,7b–8 bzw. V. 24–41). Neuakzentuierungen sind weder im Blick auf Verstöße gegen das Erste Gebot im Stierbilder-Kult noch bezüglich Vergehen gegen die Forderung nach Kulteinheit erkennbar. Gleiches gilt für die wenigen Nachträge innerhalb der Beurteilungen für die Könige des Südreiches Juda (z. B. 1 Kön 14,24a; 15,5*[ab ;]רק2 Kön 21,8–9.15 usw.). Auch sie bleiben auf der Linie des Umgangs mit dem במות-Kult im exilischen DtrG. Auch 1 Kön 3,2 fügt sich in die Reihe ein – hier nun nicht im engeren Zusammenhang der dtr Königsbeurteilungen, aber in vergleichbarem Kontext. Der Vers stellt analog zu 1 Kön 12,30a eine nachträgliche Erläuterung dar.12 Was in der Darstellung des DtrG implizit gegeben war, wird hier ausdrücklich genannt – eine Periodisierung in die Epochen vor bzw. nach dem Tempelbau. Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Nachträge, die nach der dtr Hauptkomposition in die Königsbeurteilungen eingefügt worden sind und in denen die Thematik der Kulteinheit eine Rolle spielt, fügen sich in konzeptioneller Hinsicht in die dtr Darstellung der Geschichte Israels bzw. Judas ein. Sie setzen in Bezug auf die Forderung nach Kulteinheit keine neuen Akzente, sondern bestärken und vertiefen vielmehr die vorliegende Konzeption.
II. Jhwh-Kultstätten in den Vorderen Propheten Betrachtet man die Nachrichten über Jhwh-Kultstätten (abgesehen von Jerusalem) innerhalb der Vorderen Propheten, fällt zunächst die große Zahl an verschiedenen Orten lokalisierter Kultorte auf. Die übergroße Mehrzahl der Belege findet sich – kaum überraschend – in der Darstellung der Epochen vor dem Tempelbau. Die einzige Ausnahme ist der Altar auf dem Karmel in 1 Kön 18,30. Die Bezeichnungen, über die Orte als Kultstätten ausgewiesen werden, variieren: An bestimmten Orten geschehen kultische Vollzüge ( לפני יהוהz. B. Schilo: 1 Sam 1,12.15.19, Gilgal: 1 Sam 11,15; 15,33, Mizpa: 1 Sam 7,6; 10,19), es gibt einen ( מזבח ליהוהz. B. Rama: 1 Sam 7,17) bzw. es werden Opfer für Jhwh dargebracht (z. B. Schilo: 1 Sam 1–2, Gilgal: 1 Sam 10,8; 11,15; 13,8–9; 15,21, Gibeon: 1 Kön 3,4, Mizpa: 1 Sam 7,5–11). Daneben ist natürlich von במותals Jhwh-Kultstätten die Rede (vgl. 1 Sam 9,12.13.14.19.25; 10,5.13; 1 Kön 3,4). Die במהin 1 Sam 9–10 ist mit Samuel verbunden, jene in 1 Kön 3 ist der Ort, an dem Jhwh Salomo im Traum erscheint.
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So schon Noth, Könige I, 35. Der Vers unterbricht den Zusammenhang, zudem fehlt anders als z. B. in 3,3b eine schlüssige Anknüpfung für das einschränkende רקin 3,2.
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Bezeichnungen wie בית יהוהoder היכל יהוה, die auch für den Tempel in Jerusalem verwendet werden, sind dagegen selten und finden sich lediglich für das Heiligtum von Schilo, das ( בית יהוה1 Sam 1,7.24) oder ( היכל יהוה1 Sam 1,9; 3,3) genannt wird. היכל יהוהbegegnet sonst nur in 2 Kön 18,16; 23,4; 24,13.13 Insgesamt zeigt sich folgender Bestand an Kultstätten: Schilo
בית יהוה בית האלהים היכל יהוה אהל מועד לפני יהוה חג יהוה
Sichem
מזבח ליהוהJos 8,30–31 (Opferkult, Berg Ebal) מקדש יהוהJos 24,26
Bethel
Jos 6,24(?); Ri 19,18(?); 1 Sam 1,7.24; 3,15 Ri 18,31 1 Sam 1,9; 3,3 Jos 18,1; 19,51; 1 Sam 2,22 Jos 18,6.8.10; 19,51; 1 Sam 1,12.15.19 (Opferkult) Ri 21,19
לפני יהוהRi 20,23.26 (Opferkult) לפני האלהיםRi 21,2 מזבחRi 21,4 (Opferkult)
Gilgal
לפני יהוה1 Sam 11,15 (Opferkult: noch 10,8; 13,8–9; 15,21); 15,33
Mizpa
לפני יהוהRi 11,11; 1 Sam 7,6 (Opferkult); 10,19.25(?)
Gibeon
לפני יהוה2 Sam 21,9 במה1 Kön 3,4 (Opferkult) מזבח יהוהJos 9,27 (mit der kurzen Erwählungsformel)
Hebron
לפני יהוה2 Sam 5,3
Nob
לפני יהוה1 Sam 21,8
Ophra
מזבח ליהוהRi 6,24.26
Rama
מזבח ליהוה1 Sam 7,17
Aijalon (?)
מזבח ליהוה1 Sam 14,35
Tenne Araunas
מזבח ליהוה2 Sam 24,21.25
Berg Karmel Bochim
מזבח יהוה1 Kön 18,30 (vgl. auch מזבחתיךin 1 Kön 19,10.14) Opferkult
Ri 2,5
Freilich sind nicht alle diese Nachrichten Bestandteil des exilischen DtrG, einige gehen auf jene nachträglichen Eingriffe zurück, die hier besonders interessieren. 13 Die Bezeichnung היכל יהוהist wahrscheinlich vor-dtr. Zu 2 Kön 18,16 vgl. M. Noth, Überlieferungsgeschichtliche Studien. Die sammelnden und bearbeitenden Geschichtswerke im Alten Testament, Tübingen 1967, 76–77 (mit Anm. 6); C. Hardmeier, Prophetie im Streit vor dem Untergang Judas. Erzählkommunikative Studien zur Entstehungssituation der Jesajaund Jeremiaerzählungen in II Reg 18–20 und Jer 37–40 (BZAW 187), Berlin/New York 1990, 108–109.114–115.119.197; N. Na᾽aman, Updating the Messages. Hezekiah’s Second Prophetic Story (2 Kings 19.9b–35) and the Community of Babylonian Deportees, in: L. L. Grabbe (Hg.), „Like a Bird in a Cage“. The Invasion of Sennacherib in 701 BCE (JSOT.S 363), Sheffield 2003, 201–220, hier 201–204 (mit Lit.).
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Bei den Notizen zu Schilo fallen z. B. die für das DtrG ungewöhnlichen Bezeichnungen ( בית האלהיםRi 18,31), ( חג יהוהRi 21,9) und ( אהל מועדJos 18,1; 19,51; 1 Sam 2,22) auf. Die drei Ausdrücke finden sich innerhalb der Vorderen Propheten nur in späteren Texten14 und auch hier nur auf Schilo bezogen. Alle diese Texte finden sich in den jüngeren Bestandteilen des Josua- bzw. Richterbuches.15 Allerdings steht in diesen Ergänzungen die Frage der Kultstätte gar nicht im Fokus, es geht vielmehr um die Eroberung bzw. Verteilung des Landes.16 Anders als Schilo kommt Sichem innerhalb des exilischen DtrG als Kultstätte gar nicht vor. In Jos 8,30–35 ist der Ort des Altars mit V. 33 im Tal von Sichem zu lokalisieren,17 aber das Stück stört inhaltlich und geographisch den Zusammenhang der dtr Landnahmeerzählung und ist ein Nachtrag.18 Gleiches gilt für die zweite Erwähnung eines Heiligtums in Sichem in Jos 24,26. Jos 24,26 handelt vom Schreiben eines „Torabuches Gottes“ ( )ספר תורת אלהיםund gehört in den Kontext einer nachexilischen „Hexateuch-Fortschreibung“.19 Auch hier wird die Problematik der Kulteinheit nicht zum eigentlichen Thema, im Vordergrund steht die Torathematik. Bethel spielt im exilischen DtrG vor dem Tempelbau in Jerusalem als Kultstätte keine Rolle. In der dtr Hauptkomposition baut bekanntlich Jerobeam das Heiligtum von Bethel als Alternative zum Jerusalemer Tempel (1 Kön 12,26– 29.30b–32). Ri 20–21 berichten schon zuvor von Klageriten und Opfern in Bethel. Aber auch hier handelt es sich um jüngere Ergänzungen; gemeinsam mit Ri 1 bilden Ri 20–21 einen sekundären Rahmen um das Richterbuch.20 Klageriten und Opfer spielen auch schon Ri 2,1–5 eine Rolle, hier jedoch lokalisiert in Bochim. Es tritt ein Mal᾽ak auf, der die Israeliten vor einem Bund mit den Völkern des Landes warnt. Literarisch steht hier bereits das post-DtrG‑Konzept des nicht vollständig eroberten Landes im Hintergrund.21 Auch bei Ri 2,1–5 14 Der בית האלהיםbegegnet noch in 1 Chr 6,33, passim; 2 Chr 3,3, passim; Esra 3,8, passim; Neh 6,10, passim; Koh 4,17; Dan 1,2, חג יהוהnoch in Ex 10,9; Lev 23,39; Hos 9,5, אהל מועדnoch in Ex 28,43, passim; Lev 1,3, passim; Num 2,17, passim; 1 Kön 8,4; 1 Chr 6,17; 23,32; 2 Chr 1,3.13; 5,5. 15 Zu Ri 18 vgl. Noth, Studien, 54 mit Anm. 2, bzw. W. Gross, Richter (HThKAT), Freiburg i. Br. u. a. 2009, 91–92; zu Jos 18.19 vgl. E. A. Knauf, Josua (ZBK.AT), Zürich 2008, 155. 16 Zu Ri 20–21 vgl. E. Blum, Der kompositionelle Knoten am Übergang von Josua zu Richter. Ein Entflechtungsvorschlag, in: Ders., Textgestalt, 249–280, hier 274–276, der diese Kapitel auf die Richterbuch-Fortschreibung zurückführt; zu Jos 18,1; 19,51; 1 Sam 2,22 vgl. Ders., Studien zur Komposition des Pentateuch (BZAW 189), Berlin/New York 1990, 227–228; Ders., Beschneidung und Passa in Kanaan. Beobachtungen und Mutmaßungen zu Jos 5, in: Ders., Textgestalt, 219–248, hier 242; Ders., Pentateuch – Hexateuch – Enneateuch? Oder: Woran erkennt man ein literarisches Werk in der Hebräischen Bibel?, in: Ders., Textgestalt, 375–404, hier 380. 17 Vgl. Blum, Knoten, 271 mit Anm. 106. 18 Zu dem späteren Stück Jos 8,30–35 vgl. Lee, Ort, 152–153 (mit Lit.). 19 Vgl. Blum, Knoten, 272–273. 20 Vgl. Lee, Ort, 274–276, bzw. Gross, Richter, 91–93. 21 Lee, Ort, 256–262.
Der Umgang mit der Kulteinheitsforderung in sekundären Einschreibungen
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handelt sich daher um einen redaktionellen Einschub in den älteren DtrG‑Zusammenhang.22 Inhaltlich geht es in allen genannten Texten nicht primär um die Kultstätten, diese werden lediglich en passant erwähnt, aber auch nicht problematisiert.23 Schließlich ist noch der Altar auf dem Berg Karmel (1 Kön 18,30 ff.) zu nennen. Auch hier bewegen wir uns im Kontext einer nachexilischen Fortschreibung.24 Im Unterschied zu den bisher genannten Jhwh-Kultstätten, die in der Darstellung in der Epoche vor dem Tempelbau angesiedelt sind, geht es hier um einen Jhwh-Altar neben dem bestehenden Tempel in Jerusalem. Innerhalb der Erzählung von 1 Kön 18 ist offenkundig, dass dieser Altar nicht als problematisch angesehen werden kann. Jhwh selbst entzündet das Opfer, als Reaktion wenden sich die Israeliten von Baal ab und Jhwh zu. Mit der dtr Forderung nach Kulteinheit ist das Geschehen daher schwer vereinbar, auch wenn man mit E. Blum unter Verweis auf 1 Kön 19,10.14 davon ausgeht, dass der Altar Elias, der „als Stätte eines Opfers [dient], das Jhwh selbst entzündet, […] bekanntlich völlig verzehrt“25 wird. Überdies ist die tragende Thematik von 1 Kön 17–19 der Konflikt um die Alleinverehrung Jhwhs, nicht um die Kultstätten. Auffällig ist immerhin, dass alle nachträglich eingeführten Kultstätten im ehemaligen Nordreich lokalisiert sind. Es scheint vorausgesetzt, dass sie, dem narrativen Zusammenhang des DtrG entsprechend, entweder bei der Eroberung des Nordreiches (2 Kön 17) oder aber später durch Josia (2 Kön 23) zerstört wurden. Insgesamt zeigt sich: In den genannten Texten, die allesamt sekundär zur dtr Hauptkomposition der Vorderen Propheten sind, ist durchaus von verschiedenen Kultstätten die Rede. Sofern es um vor dem Tempelbau angesiedelte Geschehnisse geht, ergibt sich auf Grund der inhärenten Periodisierung im Blick auf die Forderung Kulteinheit kein Widerspruch zur Konzeption im exilischen DtrG. Mit 1 Kön 18 findet sich aber auch ein Beleg für eine nach-dtr Einschreibung, die von einem Jhwh-Altar neben dem Jerusalemer Tempel handelt und diesen nicht verurteilt. Auch wenn diese Texte sicher nicht alle auf einer Linie liegen, zeigt sich: Die Forderung nach Kulteinheit und die mit ihr verbundene Periodisierung sind ein 22 Vgl. E. Blum, Das sog. „Privilegrecht“ in Exodus 34,11–26, in: Ders., Textgestalt, 157– 176, hier 171. 23 So ist es auch nicht verwunderlich, dass für keine dieser Kultstätten eine der dtr Erwählungsformel ähnelnde Aussage getroffen wird. Die einzige Ausnahme bildet Jos 9,27 (ולמזבח )יהוה עד היום הזה ולמקום אשר יבחר. Diese weicht aber in der Formulierung von der üblichen Erwählungsformel ab und gehört ebenfalls in den Kontext eines späteren Eintrags, vgl. Blum, Privilegrecht, 171, Anm. 55. 24 E. Blum, Der Prophet und das Verderben Israels. Eine ganzheitliche, historisch-kritische Lektüre von 1 Kön 17–19, in: Ders., Textgestalt, 339–353, hier 352. 25 Ebd., 352.
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tragendes Strukturelement für das exilische DtrG. Die genannten Erweiterungen hatten ihre je eigenen Anliegen und Aussageintentionen. Die Durchsetzung der Kulteinheit gehörte offensichtlich nicht (mehr) dazu.
III. Hintere Propheten
Die Begründung der Gerichtspräsenz des Königs Jhwh Zebaot in Jesaja 6 Martin Leuenberger
Die Berufungs- oder Thronratsvision in Jes 6, die als Kopfstück der sog. Denkschrift (Jes 6–8*) fungiert, handelt nach der treffenden Formulierung E. Blums1 von „der Konfrontation des heiligen ‚Königs Jhwh Zebaoth‘ mit dem ‚Volk unreiner Lippen‘“2. Es handelt sich anerkanntermaßen um einen konzeptionellen Schlüsseltext der Jesaja-Überlieferung, der ein unverwechselbares (zions)theologisches Profil aufweist. Der folgende Beitrag widmet sich der sorgfältigen Erschließung dieses Eigensinns, wofür m. E. der Begründung von Jhwhs Gerichtspräsenz ein besonderes, in der Forschung bisher noch nicht voll gewürdigtes Gewicht zukommt: Denn dass der gemäß der Zionstradition in Jerusalem permanent anwesende Königsgott Jhwh in der Schau Jesajas nunmehr plötzlich Welt, Tempel, Stadt und Land grundlegend erschütternde und „richtende“ Konsequenzen zeitigt, ist höchst erklärungsbedürftig. Der übliche Rekurs auf den – anerkanntermaßen weithin traditionskonformen – Visionsgehalt des thronenden Königsgottes bleibt m. E. unzureichend. Vielmehr vermag er die Gerichtsfolgen erst angesichts der spezifischen jesajanischen Gegenwartsanalyse, die abbreviaturhaft als das von einem „Volk unreiner Lippen“ bewohnte Jerusalem umrissen werden kann, schlüssig zu begründen. Dies soll im Folgenden ausgeführt und damit ein punktueller Beitrag zur präzisen Rekonstruktion sowohl der Jesaja-Überlieferung als auch der Geschichte der Zionstheologie geleistet werden.
1
Mit dem Beitrag danke ich dem geschätzten Kollegen für die ebenso intensive wie sachbezogene Zusammenarbeit in Tübingen in den zurückliegenden Jahren, die sich fortsetzen möge: ad multos annos! 2 E. Blum, Jesajas prophetisches Testament. Beobachtungen zu Jes 1–11, Teil I: ZAW 108 (1996), 547–568; Teil II: ZAW 109 (1997), 12–29, hier Teil II, 27, s. auch Teil I, 552. Literargeschichtlich schätzt er Jes 6 näherhin als redaktionelle Eröffnung ein, die aus der Abfassungssituation des „Testaments“ 701 v. Chr. formuliert sei (s. Teil I, 555; Teil II, 23–27).
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I. Hinführung und Übersetzung von Jes 6,1–5 Theologiegeschichtlich gilt es einleitend festzuhalten, dass die frühen Jesaja-Texte gegenüber der offiziellen Tempel- und Zionstheologie, wie sie etwa die Zionspsalmen 46 und 48 dokumentieren, eine kritisch differenzierende Position einnehmen: Zunächst ist weithin anerkannt, dass Jesaja als Angehöriger der Jerusalemer Elite grundlegend von der dort traditionsreichen Tempel- und Zionstheologie beeinflusst ist.3 Er greift auf die Vorstellung von der schützendstabilisierenden Präsenz des Königsgottes Jhwh im Tempel, „die heilvolle Seite des göttlichen Wirkens[, welche der Tempelkult] in den Mittelpunkt [stellt]“4, zurück, rezipiert sie jedoch von einem unheilsprophetischen Standpunkt aus höchst kritisch. Denn die Tradition erfährt nun „eine tiefgreifende Modifikation“5, indem „[d]as bisherige, seiner Erwählung entsprechende Heilshandeln Jahwes am Zion […] radikal umgekehrt“6 wird. Näherhin wird die Zionstradition unheilsprophetisch umgebogen und zionskritisch gebrochen, wenn Jhwhs Gegenwart nun neu als Gerichtspräsenz gegen Zion/Jerusalem und gegen das „Volk unreiner Lippen“ gedeutet wird – wegen dessen Schuld und Verfehlung. So resultiert eine „negative“ Zionstheologie, in der Jhwh zwar weiterhin vor Ort präsent ist, jetzt aber zum Gerichtsvollzug im Tempel thront und sich dabei – jedenfalls für eine längere, generationenübergreifende (wenn auch wohl nicht unbefristete) Zeit (s. u. IV mit Anm. 47–48) – unnahbar im Tempel verbirgt und so unzugänglich macht. Religionssoziologisch ist dabei besonders interessant, dass Jesaja und seine frühen Tradenten trotz ihrer Herkunft aus der staatstragenden Oberschicht Jerusalems eine königs- und staatskritische, oppositionelle (Zions-) Theologie vertreten (können). Darin besteht die spezifisch unheilsprophetische Eigenart und Charakteristik der frühen Jesaja-Tradition. E. Blum ist nicht müde geworden, immer wieder mit Verve zu betonen und auch am Textmaterial vorzuführen, dass es in der Exegese darum geht, diesen genuinen Eigensinn präzis zu erfassen. In diesem Sinn soll in diesem Beitrag der unverwechselbaren Kon3 Vgl. klassisch O. H. Steck, Friedensvorstellungen im alten Jerusalem. Psalmen. Jesaja. Deuterojesaja (ThSt 111), Zürich 1972, 53–64, und in der neueren Diskussion den Konsens von U. Becker (Jesaja – von der Botschaft zum Buch [FRLANT 178], Göttingen 1997, 89, mit Lit.) bis zu der wichtigsten Monographie zu Jes 6 von F. Hartenstein (Die Unzugänglichkeit Gottes im Heiligtum. Jesaja 6 und der Wohnort JHWHs in der Jerusalemer Kulttradition [WMANT 75], Neukirchen-Vluyn 1997, 110); ebenso etwa K. Schmid, Literaturgeschichte des Alten Testaments. Eine Einführung, Darmstadt 2008, 77, oder J. Dekker, Zion’s Rock-Solid Foundations. An Exegetical Study of the Zion Text in Isaiah 28:16 (OTS 54), Leiden u. a. 2007, 282–318, der allerdings die Zionstradition im Jesajabuch m. E. viel zu statisch beschreibt (s. besonders 318–324). 4 So R. Müller, Jahwe als Wettergott. Studien zur althebräischen Kultlyrik anhand ausgewählter Psalmen (BZAW 387), Berlin u. a. 2008, 245. 5 Steck, Friedensvorstellungen, 53. 6 E. Rohland, Die Bedeutung der Erwählungstraditionen Israels für die Eschatologie der alttestamentlichen Propheten (Diss. theol. [masch.]), Heidelberg 1956, 152–153.
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tur von Jes 6 mit ihrer unheilsprophetischen Begründung durch Jhwhs Gerichtspräsenz genauer nachgegangen werden. Die Berufungs- oder Thronratsvision in Jes 6 ist grundlegend für die eben grob umrissene jesajanische Ausprägung der Zionstheologie. Denn hier wird Jesaja von Jhwh als Gerichtsprophet beauftragt, und zwar gegen „das Volk unreiner Lippen“ in Juda und Jerusalem, wie sich sachlich aus Jes 6 und dem Kontext der Denkschrift in 6,1–8,18*7 ergibt (s. a. die späteren Überschriften 1,1; 2,1). Dabei zeigt sich sowohl die prinzipiell zionstheologische Prägung des Jerusalemers Jesaja als auch die spezifisch unheilsprophetische Ausgestaltung der Zionstheologie, wie sie für die vorexilische Jesaja-Überlieferung – jedenfalls seit der ersten literarischen Verschriftung, welche die erfahrene Ablehnung substanziell einarbeitet8 – charakteristisch ist. Für die hier verfolgte theologiegeschichtliche Zugangsweise ist es gerade nicht so, dass „es keine entscheidende Rolle [spielt], ob und in welchem Ausmaß hier einzelne Vorstellungen in modifizierter Gestalt auftreten“9 – vielmehr ist es einer (zions)theologiegeschichtlichen Fragestellung ganz wesentlich um eine präzise Verhältnisbestimmung von Tradition und Innovation zu tun. Für die Erhellung dieser Fragestellung entscheidend ist in Jes 6 der erste Abschnitt (V. 1–5) des eigentlichen, mit dem Reinigungs- und Entschuldungsakt endenden, Visionsteils V. 1–7, sodass sich die folgende Übersetzung darauf beschränkt. ׁשנַת־מֹות ַה ֶּמלְֶך ֻעּזִּי ָהּו ָוא ְֶראֶה ְ ִּב6,1 Im Todesjahr des Königs Ussijahu, da sah ich den Allherrn: אֶת־אֲדֹנָי ּשָא ׂ ִיֹׁשֵב עַל־ ִּכּסֵא ָרם ְונ Er saß auf einem hochragenden und erhabenen וְׁשּולָיו ְמ ֵלאִים אֶת־ ַההֵיכָל ׂש ְָרפִים עֹמְדִ ים ִמ ַּמעַל לֹו2
Thron, und seine (Gewand-)Säume füllten den Tempel(saal). Seraphen standen über ihm –
7 S. zu ihr aktuell T. Wagner, Gottes Herrschaft. Eine Analyse der Denkschrift (Jes 6,1– 9,6) (VT.S 108), Leiden 2006, 18–38; Ders., Art. Jesaja-Denkschrift, 2006, http://www. bibelwissenschaft.de (17.9.2018); F. Hartenstein, Das Archiv des verborgenen Gottes. Studien zur Unheilsprophetie Jesajas und zur Zionstheologie der Psalmen in assyrischer Zeit (BThSt 74), Neukirchen-Vluyn 2011, X–XI.1–6, und zuletzt A. V. Prokhorov, The Isaianic Denkschrift and a Socio-Cultural Crisis in Yehud. A Rereading of Isaiah 6:1–9:6[7] (FRLANT 261), Göttingen 2015, der sie freilich für ein frühnachexilisches, literarisch einheitliches Redaktionsprodukt hält, was in keiner Weise überzeugt. 8 So die sog. Rückprojizierungsthese, wie sie spätestens seit F. Hesse, Das Verstockungsproblem im Alten Testament. Eine frömmigkeitsgeschichtliche Untersuchung (BZAW 74), Berlin 1955, vertreten wird; s. weiterführend besonders O. H. Steck, Bemerkungen zu Jesaja 6, in: Ders., Wahrnehmungen Gottes im Alten Testament. Gesammelte Studien (ThB 70), München 1982, 149–170, das neuere Referat von Becker, Jesaja, 70–74, und M. Leuenberger, Gott in Bewegung. Religions- und theologiegeschichtliche Beiträge zu Gottesvorstellungen im alten Israel (FAT 76), Tübingen 2011, 207.209–210; R. Müller, Ausgebliebene Einsicht. Jesajas „Verstockungsauftrag“ (Jes 6,9–11) und die judäische Politik am Ende des 8. Jahrhunderts (BThSt 124), Neukirchen-Vluyn 2012, 32–45.85–94. 9 Becker, Jesaja, 89, s. auch 93.
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ׁשֵׁש ְּכנָ ַפי ִם ׁשֵׁש ְּכנָ ַפי ִם ְל ֶאחָד ִּבׁשְּתַ י ִם י ְ ַכּסֶה ָפנָיו ּו ִבׁשְּתַ י ִם י ְ ַכּסֶה ַרגְלָיו ּו ִבׁשְּתַ י ִם י ְעֹופֵף ְוק ָָרא זֶה אֶל־זֶה וְָאמַר3 קָדֹוׁש קָדֹוׁש קָדֹוׁש י ְהוָה ְצבָאֹות ָָארץ ּכְבֹודֹו ֶ מְֹלא כָל־ה ַּקֹורא ֵ ַוּיָנֻעּו אַּמֹות ַה ִּסּפִים מִּקֹול ה4 ְו ַה ַּבי ִת י ִ ָּמלֵא ָעׁשָן וָאֹמַר5 אֹוי־לִי כִי־נִדְ מֵיתִ י ׂשפָתַ י ִם ָאנֹכִי ְ ּכִי אִיׁש ְטמֵא־ ׂשפָתַ י ִם ָאנֹכִי יֹוׁשֵב ְ ּובְתֹוְך עַם־ ְטמֵא ּכִי אֶת־ ַה ֶּמלְֶך י ְהוָה ְצבָאֹות ָראּו עֵינָי
je sechs Flügel hatte ein jeder: mit zweien bedeckte er sein Angesicht und mit zweien bedeckte er seine Füße und mit zweien flog er. Und einer rief (jeweils) zum andern und sprach: „Heilig, heilig, heilig ist Jhwh Zebaot!“ Die Fülle der ganzen Erde ist seine Herrlichkeit. Und es erzitterten die Türzapfen der Schwellen vor der Stimme des Rufers, und das Haus füllte sich mit Rauch. Und ich sprach: „Wehe mir: Denn ich bin vernichtet! Denn ein Mensch unreiner Lippen bin ich, und inmitten eines Volkes unreiner Lippen wohne ich! Denn den König Jhwh Zebaot haben meine Augen gesehen!“
II. Zu Text, Gliederung und Entstehung Jes 6 ist textgeschichtlich überaus solide überliefert, in V. 1–5 weist MT keine nennenswerten Probleme auf,10 wie auch ein Vergleich mit 1QIsa bestätigt.11 Dennoch sind einige Bemerkungen zu Text und Übersetzung hilfreich: V. 1–2: Zu den einen dauerhaften Zustand beschreibenden Partizipialformulierungen s. u. beim Gliederungsvorschlag. Teilweise anders gibt G die Tempora wieder, was eine eigene Analyse und Auswertung erforderte. – Man kann erwägen, ob הֵיכָל – im Unterschied zu ַּבי ִתals Gesamtbezeichnung des Tempelgebäudes in V. 4 – genauer den mittleren Tempelsaal zwischen Vorhalle und Allerheiligstem (Cella) im Blick hat; dann würde auf der horizontalen Ebene eine differenzierende Vermittlung zwischen der Welt außen und dem thronenden Königsgott im Innersten vorgenommen, doch lässt sich dies nicht wirklich erhärten und spielt an dieser Stelle auch keine Rolle. V. 2: Die Umstandsangabe in V. 2 führt die Seraphen als königliche Entourage ein,12 die den König ehrt und – in keineswegs üblicher, sondern sowohl hinsichtlich der Wiederholung als auch hinsichtlich des Bezugs auf Jhwh in pointierter Weise13 – dessen Heiligkeit bezeugt (vor der sich die Seraphen nun schützen müssen, wogegen sie in der Tradition als Schutzwesen fungieren). Es handelt sich wohl um sechsflüglige Uräusschlangen (und nicht um löwenartige Keruben, auf denen Jhwh sonst thront und wie sie für Königsthrone 10
S. dazu W. A. M. Beuken, Jesaja 1–12. Übersetzt und ausgelegt. Unter Mitwirkung und in Übersetzung aus dem Niederländischen von U. Berges (HThKAT), Freiburg i. Br. u. a. 2003, 161; Hartenstein, Unzugänglichkeit, 30–37. 11 Abgesehen von plene-Schreibungen (und dem nur einmal stehenden „sechs Flügel“) ist v. a. V. 3a auffällig, wo – gegen G – der Plural gebraucht wird, jedoch „und er sprach“ fehlt sowie auch „heilig“ nur zweimal steht. 12 S. hierzu bes. Hartenstein, Unzugänglichkeit, 182–195. 13 So bes. O. Keel, Jahwe-Visionen und Siegelkunst. Eine neue Deutung der Majestätsschilderungen in Jes 6, Ez 1 und 10 und Sach 4 (SBS 84/85), Stuttgart 1977, 116–121.
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gut belegt sind). – Der Bezug von ִמ ַּמעַל לֹוbleibt offen und kann Jhwh, den Thron oder den Tempel meinen, was m. E. allerdings in der Sache nur Nuancen sind. Der Bildgehalt der Szene spricht in erster Linie für den sitzenden König Jhwh, über und d. h. um den herum (so G: κύκλῳ αὐτοῦ) die Seraphen stehen;14 näherhin kann man sie dann durchaus über dem im Tempel aufruhenden, himmlischen Gottesthron verorten. In jedem Fall geht es entscheidend um die höfische Entourage des Königs Jhwh. In V. 3b ist die nominale Vokalisierung מְֹלאlectio difficilior (und nicht mit BHK verbal zu vokalisieren), wofür auch der Nominalsatz in G spricht. Zur Deutung als identifizierender Nominalsatz s. u. III.1 mit Anm. 23.
Gliedern lässt sich unser Ausschnitt aus Jes 6 weitgehend konsensfähig: Die explizit zeitliche und implizit räumliche Verortung im Todesjahr des Jerusalemer Königs Ussija (ca. 736/735/734 v. Chr.) leitet den – rückblickenden und (wie sich am Verstockungsauftrag zeigt) dezidiert von diesem Standpunkt aus perspektivierten – Bericht einer Geschehniskette ein, die einen visionär (V. 1–7) und einen auditiv (V. 8–11/12–13) geprägten Teil umfasst. Der so eingeleitete erste Abschnitt V. 1–5 des eigentlichen Visionsteils (s. a. ראהV. 1/5) lässt sich syntaktisch und inhaltlich untergliedern in die stativische Schilderung des thronenden Königsgottes Jhwh (V. 1aβ*–3) und den dynamischen Ereignisbericht in V. 4–5, der das Erzittern der Tempel türen und das Gefülltwerden des Tempels mit Rauch (V. 4) schildert, auf welchen Vorgang Jesaja mit einem entsetzten Weheruf reagiert (V. 5). An Letzteren fügt sich im weiteren Verlauf die Reinigung des Propheten in V. 6–7 (für die das dominante Handlungssubjekt zum Seraphen wechselt) mit der Überleitung zum auditiven Teil V. 8–13 an, der die eigentliche Beauftragung Jesajas (V. 8) mitsamt der Verstockungsbotschaft und -aufgabe (V. 9–10) – für eine längere, aber dennoch wohl begrenzte Zeitdauer (V. 11; s. u. IV mit Anm. 47–48) – ausführt und mit einer (sekundären) Unheilsdetaillierung (V. 12–13) endet. Näherhin bringen in unserem Abschnitt die (zu V. 1aα Gleichzeitigkeit aussagenden) Partizipialformulierungen in V. 1 in Bezug auf Jhwh selbst und asyndetisch angeschlossen in V. 2 in Bezug auf die Seraphen (deren übliche Stellung und Haltung breit mit drei generellen Imperfektformen umschrieben wird) die dauerhafte, permanent gültige Konstellation ebenso zum Ausdruck wie das in Nominalsätzen formulierte Seraphenlob Jhwhs in V. 3aβ.b, das sich iterativ wiederholt (w-qatal V. 3aα).15 Nicht ganz eindeutig lässt sich die Reichweite des Seraphen„gesangs“ bestimmen: Als wörtliches Zitat verstanden dürfte es sich auf die Heiligpreisung Jhwh Zebaots beschränken; doch weil das Zitat in einem Bericht referiert wird, gestaltet sich der Übergang zum Erzählerurteil, das die ganze Erde von der göttlichen Herrlichkeit erfüllt sieht, fließend, sodass die Schlusszeichen auch am Ende von V. 3 denkbar sind. 14 So etwa J. Barthel, Prophetenwort und Geschichte. Die Jesajaüberlieferung in Jes 6–8 und 28–31 (FAT 19), Tübingen 1997, 67; Beuken, Jesaja 1–12, 169. 15 So besonders Hartenstein, Unzugänglichkeit, 31.35.
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Demgegenüber berichten V. 4–5 im Narrativ (bzw. w-x-yiqtol V. 4b) von einem singulären, dynamischen Ereignis:16 Das im Narrativ berichtete Erzittern der Tempeltüren geschieht punktuell und stellt einen abgeschlossenen Vorgang dar, während das (dadurch ausgelöste?) imperfektische Gefülltwerden und dann Angefülltsein des (gesamten) Tempels ( ) ַּבי ִתmit Rauch einen anhaltende Folgen zeitigenden und insofern noch unabgeschlossenen „Vorgang“ bzw. daraus resultierenden „Zustand“ ausdrückt.17 Auf diesen die Gegenwart maßgeblich bestimmenden Sachverhalt, auf dem das Gewicht liegt, reagiert Jesaja in V. 5, woraus sich im Folgenden seine gesamte Unheilsbotschaft ergibt. Entstehungsgeschichtlich gehört Jes 6 nach breitem Konsens zur ältesten Fassung des Jesaja„buches“, ist also wahrscheinlich im letzten Drittel des 8. Jh. zu verorten und literarisch vermutlich spätestens im Umfeld von 701 v. Chr. aufgezeichnet worden.18 Zu dieser Fassung zählen nicht nur V. 1–8,19 sondern auch V. 9–11, die szenisch und konzeptionell nicht entbehrlich sind, die aber inhaltlich offenkundig aus der Warte der Verschriftungsgegenwart der Denkschrift die bis dahin erfahrene Ablehnung fundamental mit einbeziehen.20 Demgegenüber stellt V. 12–13 vermutlich eine Fortschreibung dar,21 was hier aber nur angemerkt sei.
16 S. entsprechend die durchgängigen Aoriste in G. – So gehört V. 4 m. E. noch zur eigentlichen Visionsschilderung, die hier nun dynamisch-dramatische Züge annimmt, während die eigentliche „Wirkung“ (so B. Janowski, Die heilige Wohnung des Höchsten. Kosmologische Implikationen der Jerusalemer Tempeltheologie, in: O. Keel/E. Zenger [Hg.], Gottesstadt und Gottesgarten. Zu Geschichte und Theologie des Jerusalemer Tempels [QD 191], Freiburg i. Br. u. a. 2002, 24–68, hier 37, für V. 4–5a; s. auch Beuken, Jesaja 1–12, 163: „Reaktion des Tempels [V 4]“) erst mit der prophetischen Reaktion in V. 5 folgt, wie es auch das kleine 5 mm-Spatium in 1QJesa andeuten mag (so mit textanalytischer Begründung H. Irsigler, Gott als König in Berufung und Verkündigung Jesajas, in: F. V. Reiterer [Hg.], Ein Gott, eine Offenbarung. Beiträge zur biblischen Exegese, Theologie und Spiritualität, FS für N. Füglister OSB zum 60. Geburtstag, Würzburg 1991, 127–154, hier 131; Hartenstein, Unzugänglichkeit, 38). 17 So Hartenstein, Unzugänglichkeit, 36.136, der zudem eine „punktuelle Gleichzeitigkeit“ (36) von V. 4a und V. 4b annimmt, was näher zu erörtern wäre, im Ergebnis aber keine wesentlichen Auswirkungen hat. 18 S. dazu o. Anm. 2 und 7; Leuenberger, Gott, 207.210, sowie Müller, Verstockungsauftrag, der aufgrund von V. 9–11 und weiteren Beobachtungen ebenfalls den Kontext des Sanherib-Feldzuges 701 vermutet. 19 So v. a. Becker, Jesaja, 81–89. – Nicht zu überzeugen vermag zudem die Ausgrenzung von V. 5aβ (so Becker, ebd., 87–88), die sich lediglich auf die kollektive Perspektive stützt, oder von V. 5b (so C. Levin, Der Sturz der Königin Atalja. Ein Kapitel zur Geschichte Judas im 9. Jahrhundert v. Chr. [SBS 105], Stuttgart 1982, 76, Anm. 39), der kompositionell wie konzeptionell zentral ist und sich auch traditionsgeschichtlich nicht beanstanden lässt (s. dazu auch Müller, Verstockungsauftrag, 11–12, der unentschieden bleibt). 20 S. hierzu jetzt ausführlich Müller, Verstockungsauftrag, 18–25. 21 S. statt vieler Hartenstein, Unzugänglichkeit, 167–168, Anm. 162; anders für V. 12–13bα etwa Beuken, Jesaja 1–12, 164.
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III. Die Zionstheologie von Jes 6 und ihre innovative unheilsprophetische Wendung Die Präsentation des im Tempel permanent thronenden Königsgottes Jhwh Zebaot, die V. 1–3 als Ausgangspunkt für das dramatische Geschehen in V. 4–5(.6f.) bieten, betrifft offenkundig ein, ja das Kernelement der frühen Jerusalemer Tempel- und Zionstheologie. Hier sollen nun textgestützt die konkreten Konturen der Szenerie von Jes 6 in ihrer sachlichen Bedeutung, Auswahl und Zusammenordnung betrachtet werden (III.1). Auf dieser Basis lässt sich sodann die unheilsprophetische Innovation Jesajas sachgemäß erschließen (III.2), denn Jes 6 formuliert „mit sowohl traditioneller wie auch origineller Sprache“22. 1. Weltbild und Königsgott a) Das auf das Zentrum fokussierte Weltbild Jes 6 steht auf dem Boden eines traditionellen tempeltheologischen Weltbildes, das mithilfe vertikaler und horizontaler Differenzierungen den Kosmos orientierend strukturiert. Dabei wird konkret bes. stark auf die Weltmitte fokussiert und es liegt insofern eine betonte Symbolik des Zentrums vor, als der hier anwesende Königsgott alles dominiert. Er ist universaler Weltkönig, wie in horizontaler Perspektive der Seraphengesang V. 3b traditionskonform konstatiert: „Die Fülle der ganzen Erde ist seine Herrlichkeit.“ Die beiden determinierten Größen werden syntaktisch unverbunden zusammengesehen, sodass ein identifizierender Nominalsatz vorliegt,23 der nach V. 3a ausführt, inwiefern Jhwh Zebaot „heilig“ ist. Die Fülle der Welt bezeichnet ausweislich des Konkordanzbefundes zunächst schlicht das, was die Welt anfüllt. Damit sind m. E. am ehesten umfassend alle Lebewesen gemeint, welche die Erde bevölkern, ohne sich auf die Menschen beschränken zu müssen.24 Solche Fülleaussagen mit im Einzelnen unterschiedlichen inhaltlichen Bedeutungen, die durchaus strittig sind und auf die hier nicht 22
Beuken, ebd., 163. Vgl. dazu genauer Hartenstein, Unzugänglichkeit, 78–79; Beuken, Jesaja 1–12, 172 mit Anm. 38. 24 S. Beuken, ebd., 172, sowie die Belege bei R. C. Van Leeuven, Why do the Seraphim Sing, „The Fullness of all the Earth is his Glory“? (Isaiah 6:3), The Covenant Quarterly 63 (2005) 3–21, und Hartenstein, Unzugänglichkeit, 82–99, der auch die Beheimatung in der Jerusalemer Tradition und den formelhaften Charakter von V. 3b deutlich herausarbeitet (101–107). Da solar oder lunar konnotierte Begriffe sowie überhaupt Lichtmetaphorik fehlen, ist m. E. keineswegs deutlich, dass „das Bild des welterfüllenden Sonnenlichts“ vorliegt (so B. Janowski, Hymnen und Gebete in Israel und in seiner Umwelt. Komparatistische Aspekte [Mit einem bibliographischen Anhang], BZ 62 [2018], 197–221, hier 207, für Ps 36,6–7, auch dort freilich, „[o]hne dass terminologisch vom Licht der Sonne gesprochen wird“). Im schöpfungs- und (Jhwh-)königstheologischen Kontext von Jes 6 liegt m. E. die oben angedeutete Deutungsperspektive näher. 23
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eingegangen werden kann, finden sich gehäuft in der Jerusalemer Tempeltheologie. Im vorliegenden Zusammenhang ist lediglich die universale Dimension wichtig: Wenn nach V. 3b in der Weltfülle der königliche Herrlichkeitsglanz Jhwhs25 zum Ausdruck kommt, liegt offenbar eine universale Eigentumsdeklaration26 vor, und näherhin wird Jhwh als König der gesamten Welt verstanden (s. u. III.1.b).27 Dabei entsprechen sich die den Tempel(saal) füllenden königlichen Gewandsäume im Zentrum (Innenperspektive) und die die Welt belebende Fülle (Außenperspektive): So erstreckt sich die königliche Präsenz sowohl auf den Tempel als auch auf die Welt insgesamt. Wie einschlägige Paralleltexte zeigen, stellt dieser Universalismus eine traditionelle Komponente der Jerusalemer Tempeltheologie dar, die auch Jes 6 prägt und hier ohne näher erläuternde, begründende oder weiterführende Kommentierung „aufgerufen“ wird. Daher bleibt die horizontale Dimension – komplementär etwa zur ungefähr zeitgenössischen Inschrift aus Hirbet Bet Layy – vergleichsweise blass und konventionell. ˙ Sie wird aber immerhin erwähnt und dokumentiert das Vorliegen eines horizontal-vertikal strukturierten Wirklichkeitsverständnisses, wiewohl in Jes 6 das Gewicht ungleich stärker auf der vertikalen Zentrumsachse liegt, wie vorab die appositionelle Klassifizierung Jhwhs als auf „einem hochragenden und erhabenen Thron sitzend“ (V. 1aβ) belegt, womit implizit, aber doch deutlich Jhwh nicht nur im Tempel, sondern auch im Himmel28 als König präsentiert wird. Dass die (untersten) Säume des Königsgewandes den Tempel(saal) im Weltzentrum füllen, unterstreicht dies, und auch die Seraphen in V. 2–3 werden auf der Vertikalen oben (sei es relativ zum Tempel oder zum dort fußenden Gottesthron) lokali25
Die königliche Konnotation von ּכָבֹודist dabei unstrittig und wiederum in der Jerusalemer Tempeltheologie besonders gut belegt (s. nur Ps 24,7–10; 29,1–3), wie Hartenstein, Unzugänglichkeit, 81, summiert: „Eine Vielzahl konzeptionell festliegender Bedeutungsaspekte von כבודdient der Akzentuierung des göttlichen Königtums.“ 26 S. zu Parallelaussagen Hartenstein, ebd., 86–99.108; Beuken, Jesaja 1–12, 172; die universale Dimension, die weit über den Tempel hinausreicht, unterstreicht auch Irsigler, König, 134, der V. 3b als Prädikat-Subjekt-Folge liest. 27 In diesem Sinne kann man dann auch sagen, dass mit dem „die Welt erfüllenden kābôd […] einem Auseinanderbrechen von göttlicher Sphäre als totaliter aliter und der Empirie gewehrt“ wird (E. Otto, Grenzüberschreitung. Ein Prophet mit unreinen Lippen auf dem Weg in die himmlische Welt. Eine Überlegung zu Reinheit und Unreinheit in Jesaja 6 und 53 sowie Levitikus 16, in: A. Malinar/M. Vöhler [Hg.], Un/Reinheit. Konzepte und Praktiken im Kulturvergleich, München 2009, 151–167, hier 156; s. auch 158 mit Anm. 20). 28 So mit Steck, Jesaja 6, 156, Anm. 21, Keel, Jahwe-Visionen, 52–53, und Janowski, Wohnung, 41, Anm. 58, der mit Recht die These kritisiert, „daß die Vorstellung von der Präsenz JHWHs im Himmel erst in exilisch-nachexilischer Zeit entstanden“ sei (s. dazu F. Hartenstein, Wolkendunkel und Himmelsfeste. Zur Genese und Kosmologie der Vorstellung des himmlischen Heiligtums JHWHs, in: B. Janowski/B. Ego [Hg.], Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kontexte [FAT 32], Tübingen 2001, 125–179, und jetzt ausführlich C. Koch, Gottes himmlische Wohnstatt. Transformationen im Verhältnis von Gott und Himmel in tempeltheologischen Entwürfen des Alten Testaments in der Exilszeit [FAT 119], Tübingen 2018, bes. 20–27 sowie 15–44 u. ö.).
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siert. So wird auf dieser vertikalen Weltachse – neben der traditionell formulierten Verortung des Tempels auf ihr – v. a. der himmlische Bereich akzentuiert. b) Der Königsgott Jhwh Zebaot Genau hier nämlich thront der Königsgott Jhwh Zebaot, der somit raumbezogen als Ortsgott und zeitbezogen als deus praesens eingeführt und dessen königliche Heiligkeit29 stark akzentuiert wird. Fünf Aspekte gilt es knapp hervorzuheben: (1) Am explizitesten sind natürlich die Gottesbezeichnungen אֲדֹנָיund ֶמלְֶך י ְהוָה ְצבָאֹותin V. 1/5, die die „Schau“ ja rahmen.30 Während אֲדֹנָיeinführend den generellen Hoheitscharakter angibt, bringt die Schlussformulierung die JhwhKönig-Konzeption gleichsam auf den Begriff, sodass hier deutlich „der Höhepunkt der Erzählung“ vorliegt.31 (2) Szenisch wird dieser Horizont freilich ebenfalls gleich von Beginn an aufgespannt, indem der Allherr als Thronender ( )יׁשבgeschaut wird, der auf einem hochragenden und erhabenen Thron sitzt (V. 1aβ), wie es in exklusiv jesajanischer Kombination heißt. Damit wird die Königsvorstellung wie gesehen (s. o. bei Anm. 28) in ihrer vertikal-räumlichen Dimension eindrücklich vor Augen geführt (ohne dass man auf einen entsprechend erhöhten Thron im Debir des Jerusalemer Tempels schließen könnte).32 (3) Dazu fügt sich der auf dieser Vertikalachse liegende Residenzort Jhwhs: der königliche Tempel bzw. Palast ( הֵיכָלV. 1, s. a. ַּבי ִתV. 4). Hier, wo sich Himmel und Erde berühren, hat die irdische Präsenz des himmlischen Königs ihren präzisen Ort, und hier ist der König Jhwh daher – im Prinzip und mit den gebührenden Vorkehrungen – zugänglich, wie die Grundüberzeugung der Jerusalemer Tempeltheologie vor und neben Jesaja lautet. (4) Zur Sphäre der königlichen Präsenz gehören auch, wie schon deutlich wurde, die Gewandsäume des Königsmantels im Tempel sowie die machtvollherrliche Ausstrahlung der Königsherrschaft in die Welt, die sich in den Lebewesen der ganzen Erde manifestiert (s. o. III.1.a). (5) Schließlich spielt der himmlische Hofstaat Jhwhs in Gestalt der Seraphen, die die Heiligkeit des Allherrn und dessen universalen Herrlichkeitsglanz ehrfurchtsvoll bezeugen, eine zentrale Rolle. Dieses eindrucksvolle königstheologische Gemälde, das V. 1–3 entfalten, stellt eine spezifische Konkretion der Gottesvorstellung der Jerusalemer Tempel theo29 Dies hat bes. Keel, Jahwe-Visionen, 15.46–124, prägnant herausgearbeitet. Auch diese Kombination von Königsvorstellung und Heiligkeit wurzelt in der Jerusalemer Tradition (s. Beuken, Jesaja 1–12, 171). 30 Die Begriffe – besonders auch die Kombination צבָאֹות ְ אֲדֹנָי י ְהוִה/הָָאדֹון – haben in Jes 1–11 auch kompositionelle Bedeutung (s. Blum, Testament, 559). 31 So mit Recht Beuken, Jesaja 1–12, 173; s. auch Janowski, Wohnung, 38. 32 S. dazu mit Recht Keel, Jahwe-Visionen, 60–70.
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logie dar, wie sie seit der frühen Staatszeit wahrscheinlich zu machen und in der mittleren Königszeit auch in den Psalmen mehrfach greifbar wird. 2. Jesajas Innovation: Unheilsprophetische Zionstheologie So steht der Jerusalemer Jesaja also substanziell in dieser Tradition, die er nun freilich durch für ihn charakteristische Innovationen fundamental in der Weise transformiert, dass seine unheilsprophetische Zionstheologie resultiert. In unserem Text lässt sich diese Wandlung hauptsächlich in V. 4 verfolgen, auf den Jesaja dann mit dem Weheruf in V. 5 reagiert. Hier wird nämlich die statische Szenerie der heilvollen Präsenz des Königsgottes Jhwh im Tempel (V. 1–3)33 dynamischdramatisch umgebrochen: Indem der Tempel erschüttert wurde und sich mit Rauch gefüllt hat, ist der geordnete Kosmos aus den Fugen geraten und v. a. der deus praesens (jedenfalls vorübergehend) für die Menschen unzugänglich und somit unverfügbar geworden. Die heilvolle Gegenwart im Tempel, wie sie für die Jerusalemer Tradition grundlegend ist, wandelt sich so zur (sonst die Feinde in der Ferne ereilenden) welterschütternden Gerichtspräsenz des thronenden Jhwh,34 der zwar den Tempel nicht verlässt, sich aber dem menschlichen Kontakt entzieht. Genau darin besteht die unheilsprophetische Wende der Zionstheologie, die für Jesaja charakteristisch ist. Somit besitzt V. 4 „eine entscheidende Funktion für die erste Visionsszene“35. Eine erste, auch als Problemanzeige zu lesende Überlegung muss sich der schwierigen Frage nach der Ursache dieser Unheilswende widmen: Im Textablauf wird diese Wende ja zunächst wie beobachtet (s. o. II) schlicht im Narrativ (V. 4a.5 bzw. mit w-x-yiqtol V. 4b) berichtet. Als Grund wird dann immerhin angeführt, dass die Erschütterung ַּקֹורא ֵ „ מִּקֹול הvor/aufgrund/wegen/durch der/die Stimme des Rufers“ geschieht. Unabhängig davon, ob man מִןstärker räumlich („vor“) oder mehr oder weniger strikt kausal („aufgrund/wegen/durch“) fasst36 – beides lässt sich nur anhand der geschilderten Situation begründen –, löst also der Rufer die Erschütterung aus, wie die obige Übersetzung mit dem offenen „vor“ zum Ausdruck bringen will. Wie ist das aber zu verstehen? Der Rufer bezeichnet im Kontext nach V. 3 offenkundig den Seraphen, der eben „ruft“ ( קראV. 3 / V. 4).37 Dass dabei die „Stimme“ auf den (furchteinflößenden) Klang und Laut („tosende Donnerstim33 Erst von V. 4 f. her – und nicht schon aufgrund von V. 1–3 – kann man daher von einer „Szene eben beschlossenen Gerichts, derzufolge Jahwe zum Vernichtungsentscheid den Thron bestiegen hat“, sprechen (so Steck, Jesaja 6, 156 [Hervorhebung M. L.]; s. u. Anm. 40–41). 34 Diesen Ortswechsel von „Jahwes gerichtstheophaner Präsenz“, die „nicht wie in der Tradition auf die Frevler an ihrem Ort“ trifft, „sondern im Heiligtum selbst“ auftritt, betont Steck, Jesaja 6, 157, Anm. 22 zu Recht. 35 Hartenstein, Unzugänglichkeit, 37. 36 S. nur HAL, 565–566. 37 S. Janowski, Wohnung, 39.
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me“) abhebt und nicht auf den Inhalt des Seraphenrufs,38 lässt sich m. E. hingegen nicht erschließen; vielmehr gehört beides zusammen: Der Seraphengesang gehört zur theophanen Erscheinung des Königsgottes und bezeugt dessen universale Heiligkeit. So oder so bleibt aber zu klären, weshalb dieser permanente Seraphengesang aus V. 3 in V. 4 nun plötzlich singuläre Unheilsfolgen zeitigt!39 Eine direkte und explizite Antwort bietet Jes 6 nicht; indirekten und impliziten Aufschluss liefert aber der auf die unheilsprophetische Welterschütterung von V. 4 reagierende Weheruf in V. 5, der auf die Unreinheit des Propheten inmitten des Volks verweist. Im Verbund mit den weiteren Gerichtsanklagen des Propheten wird so deutlich: Nicht die permanente Gegenwart des Königs Jhwh Zebaot im Tempel „inmitten“ Jerusalems ist an sich das Problem,40 und auch eine Steigerung der Schau Jhwhs als König auf „einem überdimensionalen Gottesthron“ stellt schwerlich die Pointe dar.41 Vielmehr besteht das Neue darin, diese Gottespräsenz angesichts der von Jesaja angeprangerten Schuld und Unreinheit der Jerusalemer wahrzunehmen. Erst und exakt diese situativen Umstände lassen die Gegenwart Gottes in seinem Tempel – die „Schau“ enthält in der Tat „weitgehend nur Züge […], die zu den allbekannten Gehalten der Jerusalemer Kulttheologie gehören“, und das gilt m. E. auch für den Visionsinhalt42 – zur Gerichtspräsenz gegenüber seinem Volk mit unreinen Lippen werden. Im Kontext dieser unheilvollen „Umstände, unter denen er artikuliert wird“, transformiert sich aber der „an sich positive Inhalt“ des Seraphengesangs43 zur Gerichtsdoxologie über das Jhwh verfehlende Volk und über die Stadt Zion/Jerusalem. Nur wenn man die sachliche Argumentation von Jes 6,1–3.4–5(.6f.) in dieser Weise 38 So
Keel, Jahwe-Visionen, 123. Vgl. zu diesem Konnex die Übersetzung von Hartenstein, Unzugänglichkeit, 30: „Da erzitterten die Zapfen …“ (Hervorhebung M. L.). 40 Insofern vermag hier die Differenzierung zwischen verschiedenen Anwesenheitsweisen von Keel, Jahwe-Visionen, 54, nicht zu überzeugen: „Der Prophet erfährt die sonst verborgene Anwesenheit Jhwhs im Jerusalemer Heiligtum als eine Präsenz von derselben intensiven Gestalt, die der unverhüllten himmlischen Heiligkeit Jahwes eignet.“ Auch Otto, Grenzüberschreitung, 157–158, deutet die Vision m. E. zu statisch, wenn er die menschliche Unreinheit in V. 5 im permanenten Gegensatz zur göttlichen Heiligkeit in V. (1–)3 liest und dabei die kompositionelle Dynamik von V. 4–5 kaum berücksichtigt. 41 So Irsigler, König, 142, der darin einen „Begründungswert“ (134) für die legitimierende Funktion der Unheilsbotschaft gegenüber Jesaja selbst und seinen Kreis sieht (vgl. ebd., 149–151). 42 Steck, Jesaja 6, 157, Anm. 22, der den Inhalt der traditionsgemäßen Schau gegenüberstellt und meint: Es „muß vielmehr am Inhalt der Vision Außergewöhnliches sein“, was er dann ja in „Jahwes gerichtstheophaner Präsenz“ sieht (ebd.; s. oben Anm. 34). Diese betrifft m. E. aber gerade nicht den eigentlichen Visionsinhalt, sondern die kontextuelle und situative Verumständung der Vision, die sich inmitten des unreinen Volkes ereignet. 43 So die präzise Analyse von Hartenstein, Unzugänglichkeit, 131, Anm. 390; s. auch 204. In diesem Sinn kann man dann Jhwhs Darstellung als Thronenden (V. 1) auf den Vorgang der Rechtsprechung beziehen (s. Steck, Jesaja 6, 157, Anm. 22; s. nochmals oben Anm. 32–33), doch ergibt sich dies erst aus dem Kontext und nicht schon aus der umfassenderen Vorstellung des königlichen Thronens selbst. 39
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situativ und womöglich auch literarisch kontextualisiert rekonstruiert, lässt sich m. E. die von Jesaja vorgenommene unheilsprophetische Wende der Zionstheologie angemessen verstehen und das Sachgefälle des Textes mit seiner impliziten Argumentation präzis erfassen. Konkret formuliert V. 4 diese Wende mit zwei tempeltheologischen Gerichtsbildern aus, die nun kurz zu betrachten sind. Wie F. Hartenstein ausführlich nachgewiesen hat, bringen sie höchst dramatisch den Abbruch des Gotteskontaktes im Tempel und damit die Unzugänglichkeit Gottes zum Ausdruck. Dabei betrifft die Erschütterung der Türzapfen in den unteren Schwellen den Tempel in seinen Fundamenten: Es handelt sich um ein massives, erdbebenartiges Erzittern des Tempels in seinen Grundfesten, sodass der Zugang zum Tempel und dem dort residierenden Königsgott nicht mehr gesichert, vielmehr sistiert und gleichsam eingestürzt und verstellt ist. Näherhin wird נוע – im Unterschied zum kosmologischen רעׁש, das in der Jerusalemer Tempeltheologie häufiger ist (s. für den Tempel besonders auch Am 9,1) – meist von Lebewesen benutzt und ist negativ emotional („angstbesetzt“) aufgeladen, sodass möglicherweise die Türzapfen entsprechend personifiziert werden44 und derart auf eine Linie mit den Personen in V. 5 zu stehen kommen. Wenn diese Personifizierung so zutrifft, nimmt sie die Wehe-Reaktion Jesajas aus V. 5 gleichsam tempeltheologisch vorweg. Wie dem auch sei, in räumlicher Hinsicht jedenfalls korrespondieren die basalen Tempelschwellen dem in der Höhe thronenden Jhwh, sodass erneut die – nun aber erschütterte, instabile – Vertikalachse im Blick steht. Zusammengenommen zeigt sich so, dass der Tempel und mit ihm der gesamte Kosmos in seinen Grundfesten erschüttert wird und aus den Fugen gerät. Der Tempel und der dort präsente Jhwh werden so mindestens für einen längeren Zeitraum unzugänglich, wie auch das zweite, weiterführende Bild der sich mit Rauch füllenden Tempelanlage drastisch vor Augen führt. Der mit ָעׁשָןbezeichnete dichte Brandrauch ist meist negativ konnotiert und bei einem Bezug auf Jhwh oft mit dem Gotteszorn verbunden.45 Ob sich eine Zuordnung zum Motiv der Jerusalemer Tempeltheologie, wonach der Wettergott im transzendenten, unzugänglichen Wolkendunkel (ע ֲָרפֶל, s. auch )! ָענָןwohnt,46 vornehmen lässt, bleibt m. E. unsicher. Dann würde die unverfügbare und bei theophanem Erscheinen extrem gefährliche Dimension des alten Wettergottes, die in Jerusa44 S. zum Ganzen Hartenstein, Unzugänglichkeit, 110–136, bes. 128–134. Es muss aber offen bleiben, ob die hinter רעׁשstehende Theophanietradition (s. M Leuenberger, Haggai. Übersetzt und ausgelegt [HThKAT], Freiburg i. Br. u. a. 2015, 168–169; Keel, Jahwe-Visionen, 121, statuiert knapp: „Das Beben und der Rauch sind normale Reaktionen auf eine Theophanie“) auch auf נועübergeht, zumal sie im vorliegenden Kontext dann konzeptionell in einer gewissen Spannung zur Jhwh-König-Vorstellung stehen würde. Es bleibt freilich möglich, dass dieser Hintergrund aufgenommen wird, um die königliche Präsenz nun in der spezifischen Konstellation im Gegenüber zum unreinen Volk neu und unheilsprophetisch akzentuiert zu fassen. 45 Vgl. Hartenstein, Unzugänglichkeit, 136–166. 46 So ebd., 140–150.
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lem dann tempeltheologisch gebändigt worden war, von Jesaja unter neuen Bedingungen wieder freigesetzt. Während diese subtile theologiegeschichtliche Rekonstruktion spekulativ bleibt, ist die metaphorische Kraft des mit Brandrauch gefüllten Tempels offensichtlich: Damit wird der Tempel und der in ihm wohnende Jhwh unzugänglich, und zwar für längere Zeit, wie die unabgeschlossene x-yiqtol-Formulierung, die auf einen länger anhaltenden Zustand des Gefülltseins hinausläuft, zeigt. Sei es als direkte Folge des Bebens, sei es als Parallelvorgang dazu, der Zugang zu Jhwh ist – jedenfalls soweit überschaubar – fundamental gestört.
IV. Kurzes Fazit Gemäß der vorgetragenen Rekonstruktion des Sachgefälles von Jes 6,1–5 beschreibt der Schlüsselvers 6,4 die den Tempel und die geordnete, stabile Welt in ihren Grundfesten erschütternde Gerichtspräsenz des Königs Jhwh Zebaot. Mit dem Tempel wird auch der dort residierende Gott unzugänglich: Der Gotteskontakt bricht ab, wird sistiert – und zwar für längere Zeit (V. 11; s. auch 8,17 u. a.), wenn auch wohl nicht definitiv.47 Im folgenden Dialog ab V. 8 erhält Jesaja ja den Verstockungsauftrag (V. 9–10; s. auch 28,13.21; 29,9–10.14; 30,9–16* und für Jhwh als Urheber 8,14), verbunden mit einer entsprechenden Unheilsverkündigung, die er dann in seinen (in der Denkschrift sowie im Assur-Zyklus 28,1–31,3*48 im Rückblick dokumentierend zusammengestellten) Worten ausführt. Wichtig für die jesajanische Zionstheologie ist aber, dass Jhwh in Jes 6 den Tempel nicht verlässt,49 sondern grundsätzlich auf dem Berg Zion „wohnen“ bleibt (8,18; s. 28,16, später 31,4), also dort, wo auch das Volk unreiner Lippen 47 Die kontroverse Frage, ob V. 11 (sowie weitere frühe Jesaja-Passagen wie 8,7–8.17 [?]; 28,16–17) über ein – zunächst v. a. als umfassend gezeichnetes – Gericht hinaus auch eine Beschränkung der Entzogenheit und Verborgenheit Jhwh erhoffen, muss hier nicht entschieden werden, auch wenn m. E. einiges dafür spricht und so die weitere Geschichte der Jesaja-Überlieferung besser verständlich wird (so etwa Blum, Testament, 25–29; Müller, Verstockungsauftrag, 72, während Hartenstein, Unzugänglichkeit, 168–169, zurückhaltend bleibt; umgekehrt ist es sicher zu abgeschwächt, wenn Beuken, Jesaja 1–12, 172, zur göttlichen Präsenz im Tempel meint: „in V 5 zeitigt sie positive Folgen“). 48 S. hierzu besonders Barthel, Prophetenwort, 245–454, und neuerdings J. Kreuch, Unheil und Heil bei Jesaja. Studien zur Entstehung des Assur-Zyklus Jesaja 28–31 (WMANT 130), Neukirchen-Vluyn 2011, der m. E. allerdings die frühen Textbestände etwas gar umfangreich bestimmt; s. alternativ namentlich M. de Jong, Isaiah among the Ancient Near Eastern Prophets. A Comparative Study of the Earliest Stages of the Isaiah Tradition and the Neo-Assyrian Prophecies (VT.S 117), Leiden u. a. 2007, 83–123; R. G. Kratz, Jesaja 28–31 als Fortschreibung, in: Ders., Prophetenstudien. Kleine Schriften II (FAT 74), Tübingen 2011, 177–197, und Becker, Jesaja, 223–226.263–268, der freilich nur 28,1*.3.7b–10 gegen das Nordreich als Kern bestimmt und alles Übrige nachexilisch ansetzt. Zu 31,1–3 jetzt auch Müller, Verstockungsauftrag, 46– 52, der hier ebenfalls einen jesajanischen Kern ausmacht. 49 Anders dann bekanntlich etwa Ez 10–11/43 im Blick auf das Exil. Verwiesen sei auch auf
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„wohnt“ (8,14; 10,24; 30,19)! Etwas zugespitzt formuliert, bleibt bei Jesaja also – im Unterschied etwa zu Micha – die exzeptionelle Relation Jhwhs zu seinem Ort und zu seiner Stadt Zion/Jerusalem sowie zu der dortigen Bevölkerung bestehen, auch wenn der Zugang der Menschen zu und ihr Kontakt mit Jhwh nunmehr fundamental gestört und bis auf Weiteres sistiert ist. Auch in weiteren frühen Jesaja-Texten der Denkschrift, des Assur-Zyklus und des von E. Blum herausgearbeiteten sog. Testaments Jesajas (Jes 1–11*), auf die an dieser Stelle nur verwiesen werden kann, wird die hier anhand des programmatischen Eröffnungstextes von Jes 6 in einer theologiegeschichtlichen Rekonstruktion erschlossene unheilsprophetische Zionstheologie greifbar. Letztere dient in den Worten E. Blums dazu, die „Naherwartung eines radikalen Gottesgerichts über Jerusalem“ zu entfalten,50 und dabei werden im Blick auf diese Konfrontation insbes. „in differenzierten Schuldaufweisen deren Gründe und Dimensionen auf[ge]deckt“.51
einige religionsgeschichtliche Belege für ihren Tempel verlassende Gottheiten (s. hierzu Hartenstein, Unzugänglichkeit, 150–161). 50 Blum, Testament, 21. 51 Ebd., 27.
Vom Heil zum Appell Jesaja 7,1–17 und seine Deutungen Christoph Levin
In Jes 1–12, dem ersten Teil des Buchs Jesaja, bilden die Kapitel 6–8 „das Zentrum der Komposition“1, ob man sie mit Budde „Denkschrift“ nennt oder nicht.2 Sie schildern die Berufung des Propheten im Tempel, die Begegnung mit König Ahas und die Geburt der Söhne, die jeweils vorbedeutende Namen erhalten. Das mittlere Kapitel Jes 7 ist freilich ein Fremdkörper, wie schon Gesenius gesehen hat: „Dieses Stück ist das erste der Sammlung, bey welchem ein gewisser Verdacht entsteht, daß es nicht so vom Propheten selbst aufgezeichnet, sondern vielmehr eine von einem andern verfaßte Relation de Jesaia sey.“3 Entschiedener urteilte Cheyne: „It will be observed that chap. vii. does not claim to be the work of Isaiah. There is also a looseness in the connection, and an occasional feebleness of style, which make even the editorship of Isaiah difficult to realise.“4 Jesajas Berufung in Jes 6 und die zeichenhafte Zeugung des Sohnes RaubebaldEilebeute in Jes 8 werden in der Ich-Rede des Propheten erzählt und stehen in engem Zusammenhang. „Chapters 6 and 8 are obviously very closely related in their original form.“5 In Jes 7 hingegen berichtet ein anderer, was Jesaja getan und gesagt haben soll. Die Störung ist so heftig, dass Budde und Duhm sich veranlasst sahen, in den Text einzugreifen und die Ankündigung der Geburt des 1 E. Blum, Jesajas prophetisches Testament. Beobachtungen zu Jes 1–11, ZAW 108 (1996) 547–568; 109 (1997) 12–29, hier 552. 2 Vgl. K. Budde, Jesaja’s Erleben. Eine gemeinverständliche Auslegung der Denkschrift des Propheten (Kap. 6,1–9,6), Gotha 1928. Zur Denkschrift-Hypothese vgl. die kritischen Berichte von J. Werlitz, Studien zur literarkritischen Methode. Gericht und Heil in Jesaja 7,1–17 und 29,1–8 (BZAW 204), Berlin/New York 1992, 106–115; von J. Barthel, Prophetenwort und Geschichte. Die Jesajaüberlieferung in Jes 6–8 und 28–31 (FAT 19), Tübingen 1997, 37–43; und von U. Becker, Jesaja – von der Botschaft zum Buch (FRLANT 178), Göttingen 1997, 21–24. 3 W. Gesenius, Philologisch-kritischer und historischer Commentar über den Jesaia, I,1, Leipzig 1821, 270. 4 T. K. Cheyne, The Prophecies of Isaiah. A New Translation with Commentary and Appendix, Bd. 1, London 1880, 40–41. 5 H. G. M. Williamson, A Critical and Exegetical Commentary on Isaiah 1–27 (ICC), Bd. 2, London/New York 2018, 103; vgl. auch Becker, Jesaja, 94–102: „Jes 8,1–4 als ursprüngliche Fortsetzung von 6,1–8“.
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Immanuel ebenfalls auf eine Ich-Rede zurückzuführen.6 Der Vorschlag hat großen Anklang gefunden.7 Er hat aber gegen sich, dass man keinen Grund nennen kann, weshalb der Text geändert worden sein sollte. „There is absolutely no text-critical justification whatsoever for making the present chapter first person as well.“8 Dieses Zwischen-Kapitel gehört auf eine andere literarische Ebene als Jes 6 und 8. Jes 7 ist kein einheitlicher Text. Die Verknüpfungsformeln in V. 18.20.21.23 weisen den letzten Teil als eine Kette von Fortschreibungen aus, „die im Rahmen der Endgestalt offensichtlich als Explikation der Ankündigung von V. 17 zu lesen sind“9. Hingegen ist die häufig vorgenommene Aufgliederung in zwei Szenen V. 1–9 und V. 10–17 ein Missverständnis. „Mit einer Progressform wie ויוסףbeginnt keine neue Einheit.“10 Die Verse 1–17 müssen im Zusammenhang gelesen werden.11 Jes 7 hat eine unübersehbare Zahl von Auslegungen erfahren, nicht zuletzt veranlasst durch die christologische Deutung in Mt 1,23. Wegen seiner verwirrenden Mehrdeutigkeit fordert der Abschnitt aber auch an sich selbst die Exegese heraus. Nach allem, was wir zur Entstehung der Schriften des Alten Testaments beobachten können, bedeutet diese Mehrdeutigkeit: Was uns vorliegt, ist das Ergebnis eines andauernden theologischen Diskurses, der sich als literarischer Prozess niedergeschlagen hat. Dass „die Quellen von Kohärenzstörungen auf der vorliterarischen Ebene zu suchen“12 sind, kann man ausschließen. Die Störungen wären im Lauf der mündlichen Weitergabe ausgeglichen worden, spätestens aber bei der Verschriftung. Stattdessen ist der heutige Text als immer neue Auslegung aus dem jeweils vorliegenden Bestand herausgewachsen. Bei Jes 7 wird sich sogar zeigen, dass schon am Anfang eine Auslegung gestanden hat.
6 K. Budde, Ueber das siebente Capitel des Buches Jesaja, in: Études archéologiques, linguistiques et historiques; dédiées à Mr. le Dr. C. Leemans, Leiden 1885, 121–126, hier 125; B. Duhm, Das Buch Jesaia (HK III,1), Göttingen 1892, 49.52. 7 Vgl. bes. K. Marti, Der jesajanische Kern in Jes 6,1–9,6, in: Ders. (Hg.), Beiträge zur alttestamentlichen Wissenschaft. Karl Budde zum siebzigsten Geburtstag (BZAW 34), Gießen 1920, 113–121, hier 115. Die Änderungsvorschläge finden sich noch im Apparat der BHS, obwohl es dafür keine Textzeugen gibt. 8 Williamson, Isaiah 1–27, 103. 9 Barthel, Prophetenwort, 125. Vgl. das Fazit von H.‑J. Stipp, Vom Heil zum Gericht. Die Selbstinterpretation Jesajas in der Denkschrift, in: Ders., Alttestamentliche Studien (BZAW 442), Berlin/Boston 2013, 455–485, hier 459, Anm. 10: „Dem Blick in die Literatur ist leicht zu entnehmen, dass über die Sekundarität dieser Stücke in der kritischen Exegese Konsens herrscht“. 10 R. Bartelmus, Jes 7,1–17 und das Stilprinzip des Kontrastes, ZAW 96 (1984) 50–66, hier 55–56. 11 So nachdrücklich auch H. Wildberger, Jesaja. 1. Teilband Jesaja 1–12 (BK X/1), Neukirchen-Vluyn 1972, 268. 12 So Stipp, Vom Heil zum Gericht, 459.
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I. Der Text13 1 Es geschah zur Zeit des Ahas, des Sohnes Jotams, des Sohnes Usijas, des Königs von Juda (← 2 Kön 16,1), da zog herauf Rezin, der König von Aram, und Pekach, der Sohn Remaljas, der König von Israel, nach Jerusalem, um gegen sie (sc. die Stadt) zu kämpfen. (← 2 Kön 16,5) Er konnte14 aber nicht gegen sie kämpfen. (← V. 1a) 2 Da wurde dem Haus Davids mitgeteilt: Aram hat sich gelagert gegen Ephraim. Da schwankte sein Herz und das Herz seines Kriegsvolks, wie Waldbäume schwanken im Wind. 3 Und Jahwe sprach zu Jesaja: Geh hinaus, Ahas entgegen du und dein Sohn Schear-Jaschub (← Jes 10,21) an das Ende der Wasserleitung des oberen Teichs, zur Straße beim Acker des Walkers, (← Jes 36,2) 4 und sprich zu ihm: Hüte dich und bleibe still! Fürchte dich nicht, und dein Herz verzage nicht vor diesen zwei qualmenden Brandscheitstummeln, bei der Zornesglut Rezins und Arams und des Sohnes Remaljas! 5 Weil Aram gegen dich Böses geplant hat, Ephraim und der Sohn Remaljas, nämlich: 6 Wir wollen hinaufziehen gegen Juda und ihm Furcht einjagen und es für uns erobern und in seiner Mitte den Sohn 15 zum König machen – 7 so spricht der Herr Jahwe: Es wird nicht zustande kommen und nicht geschehen! 8 Denn Damaskus (← Jes 8,4) ist das Haupt Arams, und Rezin ist das Haupt von Damaskus. Binnen fünfundsechzig Jahren wird Ephraim so zerbrochen sein, dass es kein Volk mehr ist. 9 Und Samaria (← Jes 8,4) ist das Haupt Ephraims, und der Sohn Remaljas ist das Haupt Samarias. Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht. 10 Und Jahwe fuhr fort, zu Ahas zu reden, und sprach: 11 Erbitte dir ein Zeichen von deinem Gott Jahwe, es sei tief 16 oder hoch in der Höhe! 12 Aber Ahas sprach: Ich will’s nicht erbitten und Jahwe nicht auf die Probe stellen. 13 Und er sprach: Hört doch, Haus Davids: Ist’s euch zu wenig, Menschen zu ermüden, dass ihr auch meinen Gott ermüdet? 14 Darum wird euch 17 von sich aus ein Zeichen geben. Siehe, die junge Frau ist schwanger18 und wird einen Sohn gebären, den 19 Immanuel nennen. (← Jes 8,3) 13 Die Übersetzung ist nach literarischen Schichten gestaffelt. Übernahmen, soweit nachweisbar, sind durch Kursive gekennzeichnet, mit der Ursprungsstelle in Klammern. 14 Gegen 2 Kön 16,5, 1QIsaa, Septuaginta, Peschitta und Vulgata ist der Singular zu belassen, vgl. das vorangehende ָעלָה. 15 So mit Septuaginta, Peschitta und Vulgata (באֵל ְ „ ָטEl/Gott ist gut“). Die masoretische Vokalisation „ ָטבְאַלTaugenichts“ ist tendenziös. 16 Mit Aquila, Symmachos, Theodotion, Septuaginta und Vulgata ist sinngemäß שְׁאֹלָהzu vokalisieren. 17 So mit 1QIsaa. Vgl. Williamson, Isaiah 1–27, 139. 18 Gegen die Septuaginta ist die Wendung nicht futurisch zu lesen, vgl. das sehr ähnliche Geburtsorakel in Gen 16,11, das Hagars bestehende Schwangerschaft voraussetzt. 19 Der Konsonantentext ist mehrdeutig. Die Masoreten vokalisieren wie in Gen 16,11 ְוק ָָראת
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15 Rahm
und Honig wird er essen, (← V. 22) dass er lernt, Böses zu verwerfen und Gutes zu wählen. (← V. 16) 16 Denn ehe der Knabe lernt (← Jes 8,4), Böses zu verwerfen und Gutes zu wählen, wird das Land, vor dessen zwei Königen dir graut, verlassen sein 17 Jahwe wird über dich, über dein Volk und über dein Vaterhaus eine Zeit kommen lassen, wie sie nicht gekommen ist seit dem Tag, an dem Ephraim sich von Juda getrennt hat. den König von Assur. (← Jes 8,4)
II. Anzeichen des literarischen Wachstums Der Auftakt des Kapitels „findet sich fast wörtlich in 2Kön 16,5 wieder. Beide Verse sind einander so ähnlich, daß nur eine literarische Abhängigkeit in Frage kommt“20. Jes 7,1
ַויְהִי בִּימֵי ָאחָז בֶּן־יוֹתָ ם בֶּן־ ֻעזִּיּ ָהוּ ֶמלְֶך י ְהוּדָ ה ָעלָה ְרצִין ֶמלְֶך־א ֲָרם ֶן־ר ַמ ְלי ָהוּ ֶמלְֶך־יִשׂ ְָראֵל ְ וּ ֶפקַח בּ י ְרוּשָׁלַ ִם ַל ִמּ ְל ָחמָה ָעלֶי ָה :ָוְֹלא י ָכ ֹל ְל ִה ָלּחֵם ָעלֶיה
2 Kön 16,5
ָאז י ַ ֲעלֶה ְרצִין ֶמלְֶך־א ֲָרם ֶן־ר ַמ ְלי ָהוּ ֶמלְֶך־יִשׂ ְָראֵל ְ וּ ֶפקַח בּ י ְרוּשָׁלַ ִם ַל ִמּ ְל ָחמָה ַויָּצֻרוּ עַל־ָאחָז :וְֹלא יָכְלוּ ְל ִה ָלּחֵם
Es besteht weites Einvernehmen, dass 2 Kön 16,5 der gebende Text gewesen ist. Das sicherste Indiz ist, dass die historische Notiz, an ihrer Art gemessen, zu den Regesten des Tempels gehört hat, aus denen die Redaktion des Deuteronomistischen Geschichtswerks an mehreren Stellen Auszüge in die Königebücher übernommen hat.21 Das Quellenfragment setzt sich überdies in den Versen 8.9aβγb fort, die in Jes 7 nicht wiederkehren: 5 Damals zog Rezin, der König von Aram, und Pekach ben Remalja, der König von Israel, herauf nach Jerusalem zum Kampf. … 8 Da nahm Ahas das Silber und das Gold, das sich im Hause Jahwes und in den Schätzen des Königshauses fand, und sandte dem König von Assur ein Huldigungsgeschenk. 9 Und der König von Assur zog herauf gegen Damaskus, eroberte es und deportierte es …,22 und den Rezin tötete er.
„und du (f.) sollst nennen“. Doch anders als dort ist die Schwangere nicht auf der Szene. Nach der Vorlage in 8,3 kann man ebenso gut ָ„ ְוק ָָראתund du (m.) sollst nennen“ lesen (vgl. Septuaginta: καὶ καλέσεις) und den Befehl wie dort auf den Propheten beziehen, oder – sehr unwahrscheinlich – auf den König. Zum Duktus der Verheißung passt besser der Indikativ: „und sie (f.) wird nennen“. Dafür müsste man ְוק ָָראתals Nebenform zu ְוק ְָרָאהverstehen (so GesK § 74g; Bauer-Leander § 54r). 20 Becker, Jesaja, 36. 21 Vgl. 1 Kön 14,25–26aα; 15,17.18*.20aβγbα.21; 2 Kön 12,18–19aα*.bβ; 14,8–9.11aβ*.13bα.14*; 18,13.14b–15; 24,13a*. 22 Der hebräische Text ergänzt ִירה ָ „ קnach Kir“, vgl. Am 1,5.
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Das Zitat wurde in Jes 7,1 aber nicht nur gekürzt, sondern auch erweitert. An die Stelle der temporalen Partikel „ ָאזdamals“, die ihren Bezug in dem Rahmenschema 2 Kön 16,1–3a hat,23 trat die Zeitbestimmung: „Es geschah zur Zeit des Ahas, des Sohnes Jotams, des Sohnes Usijas, des Königs von Juda.“ Sie unterscheidet sich von den Datierungen der Königebücher, weil für den König nicht nur wie üblich der Vatersname, sondern auch der Großvater Usija genannt wird. Man erkennt darin einen Bezug auf die Datierung in Jes 6,1. Demnach war die Szene von Jes 7 von vornherein auf den heutigen Kontext bezogen. Am Schluss des übernommenen Textes wurde die feindliche Stoßrichtung hervorgehoben, indem an „ ַל ִמּ ְל ָחמָהzum Kampf “ – etwas ungeschickt – „ ָעלֶי ָהgegen sie“ angehängt wurde. Noch deutlicher als in 2 Kön 16,5 richtet sich der Angriff gegen die Stadt Jerusalem, nicht gegen die Person des Königs. Die mit V. 1a gegebene Inszenierung bildet für die gesamte Perikope den unentbehrlichen Ausgangspunkt.24 „The first verse serves as a summary introduction to the whole passage.“25 Der anschließende Text bietet indessen erhebliche Unebenheiten. V. 1b ist deutlich ein Zusatz. Das zeigt die Wiederaufnahme „ ְל ִה ָלּחֵם ָעלֶי ָהum gegen sie zu kämpfen“, die auch die sprachliche Ungeschicklichkeit heilt, indem sie das Nomen durch den Infinitiv ersetzt.26 „Der unpassende Zusatz – עליה ולא יכלder die nachher beschriebene Angst des Königs und die beruhigende Versicherung des Propheten als überflüssig erscheinen liesse“27, nimmt allem Folgenden den Anlass. Der Grund dieser Ergänzung wird unten zu erörtern sein. V. 2a führt einen neuen Aktanten ein: die David-Dynastie. Das steht nicht in Einklang mit dem weiteren Kapitel, wo König Ahas der Adressat des Propheten ist. Nur in V. 13–14a wird das Haus Davids noch einmal angesprochen, auch dort irritierend, weil der Leser stattdessen erwartet, dass die Antwort auf Ahabs Rede (V. 12) an den König ergeht. Die Wendung … לֵאמ ֹר-„ ַויֻּגַּד ְלund es wurde dem N. N. mitgeteilt folgendermaßen“ ist ein häufiges Mittel, um Szenen zu verknüpfen oder Neben-Gesichtspunkte einzuführen.28 In diesem Fall bezieht sie sich auf das in V. 1a berichtete Geschehen, das eigentümlich umgedeutet wird: „Aram hat sich gelagert gegen Ephraim.“ Statt von den beiden Königen Rezin und Pe23
Vgl. 2 Kön 12,18; 14,8; 15,16. zuletzt S. Rudnig-Zelt, Glaube im Alten Testament. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung von Jes 7,1–17; Dtn 1–3; Num 13–14 und Gen 22,1–19 (BZAW 452), Berlin/Boston 2017, 35–36. Zu den Versuchen, Jes 7,1 auszuscheiden, um auf diese Weise den weiteren Text auf Jesaja selbst zurückführen zu können, vgl. Werlitz, Studien, 127–130. 25 Williamson, Isaiah 1–27, 110, unter Verweis auf Bartelmus, Stilprinzip, 56. 26 Die entsprechende Aussage in 2 Kön 16,5bβ ist später hinzugefügt worden, um die Parallele anzugleichen, vgl. Becker, Jesaja, 38. 27 G. Studer, Zur Textkritik des Jesaia. Zweiter Artikel. Das Wechselverhältniss zwischen Kap. 7 und 8, JPTh 5 (1879) 63–94, hier 78. 28 Gen 22,20; 38,13.24; Jos 10,17; 1 Sam 15,12; 19,19; 2 Sam 6,12; 1 Kön 1,51; 2 Kön 6,13; 8,7. 24 Vgl.
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kach ist jetzt von Aram und Ephraim die Rede, und zwischen ihnen deutet sich vielleicht sogar ein Konflikt an. Zwischen V. 2a und 2b liegt eine weitere Fuge; denn die Suffixe von ְלבָבוֹund עַמּוֹkönnen nicht das Haus Davids meinen.29 Stattdessen ließe die furchtsame Reaktion sich mit V. 1b verbinden und könnte den König von Aram zum Subjekt haben: „Er konnte aber nicht gegen es kämpfen. … Da schwankte sein Herz.“ Wahrscheinlicher ist es aber Ahas, der auf den in V. 1a berichteten Angriff reagiert haben soll: „nach Jerusalem, um gegen es zu kämpfen. … Da schwankte sein Herz und das Herz seines Kriegsvolks, wie Waldbäume schwanken im Wind.“ Zwar wurde Ahas bisher nur in V. 1a für die Datierung genannt. Er ist als handelnde Person noch nicht eingeführt.30 Dieser Gedankensprung lässt sich aber damit erklären, dass V. 1a nicht der Wortlaut des Verfassers ist, sondern Zitat. Der szenische Einsatz in V. 3 bringt Jahwe und den Propheten ins Spiel. Da Jesaja sich an den bedrängten König Ahas richten soll, kann seine Botschaft sich weder auf V. 1b beziehen, der von der Unfähigkeit Rezins handelt, noch auf V. 2a, wo die David-Dynastie der Adressat ist. Es bleiben zwei Möglichkeiten: Entweder schließt das Heilsorakel wie in der heutigen Textfolge an V. 2b an. Das würde voraussetzen, dass dort die Angst des Ahas und seiner Truppe gemeint ist. Im anderen Fall könnte das Prophetenwort auch unmittelbar auf die Situationsbeschreibung in V. 1a folgen. Jahwe weist den Propheten nicht einfach an, zum König zu gehen, sondern Jesaja soll ihm entgegengehen ()יצא ִלק ְַראת. Demnach weilt Ahas nicht in der königlichen Burg, sondern befindet sich irgendwo auf dem Weg. Deshalb ist die Angabe unerlässlich, dass Jesaja sich „an das Ende der Wasserleitung des oberen Teichs, zur Straße beim Acker des Walkers“ begeben soll.31 Wie allgemein gesehen, hat die Ortsangabe in Jes 36,2 ← 2 Kön 18,17 eine wörtliche Parallele: Jes 7,3
Jes 36,2
אֶל־ ְקצֵא תְּ ָעלַת ַהבּ ְֵרכָה ָה ֶעלְיוֹנָה :אֶל־ ְמ ִסלַּת שְׂדֵ ה כוֹבֵס
ַויַּעֲמ ֹד בִּתְ ָעלַת ַהבּ ְֵרכָה ָה ֶעלְיוֹנָה :ִבּ ְמ ִסלַּת שְׂדֵ ה כוֹבֵס
Auch in diesem Fall liegt literarische Entlehnung vor. Denn anders als in Jes 36 für den Auftritt des assyrischen Rabschake bleibt der Schauplatz für die Szene belanglos. „Die Lokalisierung in Jes 7,3 kann daher gar keine andere als eine symbolische Bedeutung haben.“32 Die aramäische Bedrohung soll der assyri29 Vgl.
Barthel, Prophetenwort, 133. Werlitz, Studien, 131, Anm. 35: „Erzähltechnisch dient eine Datierung mit Person wohl kaum der Einführung der Person“. 31 Zu den Versuchen, die Ortsangabe als Zusatz auszuscheiden, vgl. Werlitz, Studien, 137–140. 32 W. Oswald, Textwelt, Kontextbezug und historische Situation in Jesaja 7, Bib. 89 (2008) 201–220, hier 211. 30 Vgl.
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schen entsprechen.33 Jesajas Heilsorakel an Ahas in 7,4–9* soll wie sein Heilsorakel an Hiskia in 37,6–7 auf eine Lage geantwortet haben, wie sie in der Hohnrede des Rabschake (Jes 36,4–10*.13–20) zum Ausdruck gekommen ist.34 Weil der Befehl Jahwes an Jesaja die Szene eröffnet, lässt sich an dieser Einzelheit ablesen, dass Jes 7 von Anfang an die aus 2 Kön 18–20 entlehnten Jesaja-Legenden in Jes 36–38 voraussetzt, wenigstens deren Kern.35 In V. 3aβ wird Jesaja überdies angewiesen, seinen Sohn Schear-Jaschub mit sich zu nehmen. Von diesem ersten Sohn des Propheten erfährt man einzig und unvermittelt an dieser Stelle. Die Apposition steht sperrig im Satz, „insofern hier auf die Richtungsangabe ‚dem Ahas entgegen‘ erneut eine Nennung des Propheten erfolgt, diesmal in Verbindung mit seinem Sohn, bevor in V. 3b die Richtungsangabe zu Ende geführt wird.“ Im Zusammenspiel mit der inhaltlichen Aussage folgt daraus: „Der Passus ‚du und dein Sohn Schear-Jaschub‘ in V. 3a ist daher das Werk eines Bearbeiters.“36 Das Heilsorakel beginnt gattungswidrig nicht mit der Beruhigungsformel, die erst an zweiter Stelle folgt, sondern mit einer scharfen Warnung und Mahnung: ׁשקֵט ְ ׁשמֵר ְו ַה ָ ּ „ ִהHüte dich und bleibe still!“37 „Es ist ja erstaunlich, daß das heilvolle ‚fürchte dich nicht‘ keineswegs (wie in 37,6) das erste Wort des Propheten an den König ist.“38 Wovor Ahas sich hüten soll, ist nicht gesagt. Es geht aber aus der Mahnung hervor, sich still zu verhalten: Der König soll im Angesicht der Feinde auf alles eigene Handeln verzichten. Die Beruhigungsformel „Fürchte dich nicht, und dein Herz verzage nicht!“ ist demgegenüber von ganz anderer Art. Die Kriegsansprache in Dtn 20,3–4, die mit derselben Wendung das Volk zum Kampf aufruft, zeigt, dass eine „quiestistische Auslegung“ fern liegt.39 Da die Beruhigungsformel für das Weitere grundlegend ist, gerät die Warnung literarkritisch unter Verdacht.40 33 Vgl. 34 Das
Becker, Jesaja, 44. muss nicht bedeuten, dass die Rede des Rabschake bereits in voller Länge vorhan-
den war. 35 Bereits Studer, Zur Textkritik des Jesaia, 76, wies Jes 7; 20 und 36–39 einer eigenen Sammlung von Prophetenerzählungen zu, vgl. zuvor Gesenius, Commentar, 271. Diese Hypothese wurde jetzt von Williamson, Isaiah 1–27, 104, erneuert: „all three started out as (part of?) a composition later than the lifetime of Isaiah that showed particular interest in the person of the prophet and his remarkable words and deeds.“ 36 E. Haag, Das Immanuelzeichen in Jesaja 7, TThZ 100 (1991) 3–22, hier 5; zuvor J. Schreiner, Zur Textgestalt von Jes 6 und 7,1–17, BZ NF 22 (1978) 92–97, hier 95. 37 Die Wendung lautet in der Regel פּן־ ֶ ׁשמֶר לְָך ָ ּ „ ִהHüte dich davor, dass du …“, vgl. Gen 24,6; 31,24; Ex 34,12; Dtn 4,23; 6,12; 8,11; 11,16; 12,13.19.30; 15,9. 38 Becker, Jesaja, 49. 39 R. Kilian, Die Verheißung Immanuels Jes 7,14 (SBS 35), Stuttgart 1968, 18. 40 Haag, Immanuelzeichen, 5: „In V. 4a stehen die beiden Imperative ‚hüte dich und verhalte dich ruhig‘ in einer logischen Spannung zu den Vetitiven ‚fürchte dich nicht, und dein Herz verzage nicht‘, insofern die letzteren auf eine Ermutigung, die ersteren dagegen auf eine Verwarnung des Ahas bezogen sind.“
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Der Anlass der Furcht wird doppelt benannt: „vor diesen zwei qualmenden Brandscheitstummeln“ (V. 4aβ), und: „bei der Zornesglut Rezins und Arams und des Sohnes Remaljas!“ (V. 4b). Der Widerspruch ist offensichtlich: Entweder sind die beiden Könige nur noch qualmende Brandscheite, oder sie glühen gefährlich vor Zorn. Zudem ist die zweite Bestimmung „attached awkwardly by the ְ „ ָבּח ֳִרי־אַף ְרצִין ַוא ֲָרם וּבbei preposition “ב.41 Man hat darum die Wendung ֶן־ר ַמ ְלי ָהוּ der Zornesglut Rezins und Arams und des Sohnes Remaljas“ häufig als Nachtrag bestimmt, „an explanation […] of the figure of the smouldering stumps in the previous clause“42. Doch viel wahrscheinlicher ist, dass umgekehrt die vor Zorn glühenden Gegner als nur noch qualmende Brandscheitstummel verharmlost werden.43 V. 4b ist nicht einheitlich: „The combination of the terms Reson, Syria, Remaliah’s son is curious.“44 Das letzte Glied ֶן־ר ַמ ְלי ָהוּ ְ וּבsieht wie ein˙ Nachtrag aus. Auch in V. 5a dominiert nämlich Aram den kriegerischen Angriff, und ֶאפ ְַרי ִם ֶן־ר ַמ ְלי ָהוּ ְ „ וּבEphraim und der Sohn Remaljas“ (V. 5b) hängt unübersehbar nach.45 Daraus erwächst die weitere Frage, ob das mit לֵאמ ֹרeingeleitete wörtliche Zitat in V. 6, das die feindlichen Pläne offenlegt, allein Aram zum Sprecher gehabt hat, ְ ֶאפ ְַרי ִם וּבV. 5b zusammenhängt. Für die oder ob es mit der Erweiterung ֶן־ר ַמ ְלי ָהוּ zweite Möglichkeit spricht nicht nur die gegebene Textfolge, sondern auch der auffallende Umstand, dass der Sohn Tabe᾽els, der in Juda auf den Thron gehoben werden soll, genau wie der Sohn Remaljas keinen eigenen Namen trägt. Womöglich wird in V. 5b–6 und dem Zusatz ֶן־ר ַמ ְלי ָהוּ ְ וּבam Ende von V. 4 eine Textebene greifbar, die die Situation nachträglich auf den Gegensatz zwischen Ephraim und Juda zuspitzt. Der Satz „und das Haupt Ephraims ist Samaria, und das Haupt Samarias ist der Sohn Remaljas“ in V. 9a folgt so passgenau auf V. 8a, dass die dazwischen stehende Drohung in V. 8b, Ephraim werde in fünfundsechzig Jahren zerbrochen sein, anmutet, als sei sie zwischen die Zeilen geschrieben.46 Sie wird seit langem 41 Williamson, Isaiah 1–27, 127. Die Verbindung בּח ֳִרי־אַף ָ „in brennendem Zorn“ ist allerdings stereotyp: Ex 11,8; 1 Sam 20,34; Klgl 2,3; 2 Chr 25,10. Ein ähnlicher Gebrauch der Präposition ְבּfindet sich in 9,8b (vgl. Duhm, Das Buch Jesaia, 51). 42 G. B. Gray, A Critical and Exegetical Commentary on the Book of Isaiah 1–39 (ICC), Bd. 1, Edinburgh 1912, 118; ebenso u. a. Marti, Der jesajanische Kern, 117; Wildberger, Jesaja 1–12, 265; Schreiner, Textgestalt, 95; H. Irsigler, Zeichen und Bezeichnetes in Jes 7,1–17, BN 29 (1985) 75–114, hier 81; P. Höffken, Grundfragen von Jesaja 7,1–17 im Spiegel neuerer Literatur, BZ NF 33 (1989) 25–42, hier 31; Becker, Jesaja, 38. 43 Vgl. B. Duhm, Das Buch Jesaia (HK III,1), Göttingen 21902, 48: „v. 4b zu streichen liegt kein Grund vor.“ 44 Gray, Isaiah 1–39, 118. 45 Wildberger, Jesaja 1–12, 266: „Bei אפרים ובן־רמליהוdürfte es sich um eine (sachlich richtige) Glosse handeln“. Ebenso u. a. Schreiner, Textgestalt, 95; Irsigler, Zeichen, 81; Höffken, Grundfragen, 31; Becker, Jesaja, 38. 46 R. Lowth, Isaiah. A New Translation: with a Preliminary Dissertation, and Notes, Criti-
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einhellig als Zusatz bestimmt.47 „Keine Stelle des A. Test. ist so gewiss ein Glossem, wie diese.“48 Mit dem berühmten Satz „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht“ in V. 9b wechselt die Anrede unvermittelt in den Plural. „Er fällt schlicht aus dem Rahmen.“49 Ernst Würthwein hat zeigen können, dass hier das Haus Davids angesprochen wird. In der bedingten Drohung klingt nämlich die Dynastie-Verheißung aus 2 Sam 7,16 an: „Dein Haus und dein Königtum sollen fest stehen für immer.“ Dass Jes 7,9b „die davidische Dynastie und diese ihr gegebene Verheißung im Sinne hat, wird bis in den Wortlaut hinein spürbar, da in dem תֵ ָאמֵנוּvon V 9b das entscheidende Stichwort der Nathanweissagung – נאמן – aufgenommen wird“50. Auch in V. 13–14a richtet sich die Rede an das Haus Davids, nunmehr ausdrücklich. Deshalb gehört diese fragende Anklage wahrscheinlich auf dieselbe Ebene. Die neue Redeeinleitung: „Und er sprach: Hört doch, Haus Davids“, hat indessen nicht an V. 9b angeschlossen, sondern an V. 10–12. Dort lehnt Ahas es ab, von Jahwe ein Zeichen zu fordern, woraufhin der Prophet nun ankündigt: „Darum wird Jahwe euch von sich aus ein Zeichen geben.“ „V. 13 und 14“ sind „ohne V. 11–12 textsyntaktisch und semantisch überhaupt nicht zu verstehen.“51 Wenn V. 10–12 in V. 13–14a vorausgesetzt sind und diese mit V. 9b zusammengehören, kann die Redeeinleitung in V. 10: „Und Jahwe fuhr fort, zu Ahas zu reden, und sprach“, nicht an V. 9b angeschlossen haben. Stattdessen will diese Rede das mit V. 7 eröffnete Botenwort fortsetzen. Die Fortsetzung ist aber nicht glatt; denn mit dem Wechsel in die unmittelbare Gottesrede wird die Botenrede verlassen. Der szenische Neueinsatz setzt überdies voraus, dass Jesaja den Redebefehl „ וְָאמ ְַרתָּ ֵאלָיוund sprich zu ihm“ aus V. 4a umgesetzt hat – was aber nicht erzählt wird.52 Auch nach hinten bleibt die Szene unvollständig. Da nämlich V. 13–14a auf eine jüngere Ebene gehören, fehlt in V. 14b eine Einleitung. Dort setzt die Rede des Propheten sich fort, obwohl in V. 12 zuletzt der König gesprochen hat. Das Zeichen, das zu fordern Ahas sich weigert, ist die Schwangerschaft der jungen Frau, die in V. 14b–17 festgestellt und gedeutet wird. Über diesen Teil des cal, Philological, and Explanatory, Perth 1793, Notes S. 60–61, rechnete mit einem Schreiberversehen und stellte V. 8b hinter V. 9a. 47 Seit J. G. Eichhorn, Einleitung ins Alte Testament, III, Reutlingen 21790, 92–93. Vgl. auch die ausführliche Behandlung der Stelle bei Gesenius, Commentar, 283–293. 48 F. Hitzig, Der Prophet Jesaja, übersetzt und ausgelegt, Heidelberg 1833, 79. 49 Höffken, Grundfragen, 34. 50 E. Würthwein, Jesaja 7,1–9. Ein Beitrag zu dem Thema: Prophet und Politik (1954), in: Ders., Wort und Existenz, Göttingen 1970, 127–143, hier 141. 51 H. Irsigler, Der Aufstieg des Immanuel. Jes 7,1–17 und die Rezeption des Immanuelworts in Jes 7–11, in: Ders., Vom Adamssohn zum Immanuel (ATSAT 58), St. Ottilien 1997, 101–152, hier 106. 52 Irsigler, Aufstieg, 104–105: „Der relative erzählerische Neueinsatz in V. 10 setzt […] diese tatsächliche Ausführung des Redetextes voraus.“
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Textes ist ohne einen Vergleich mit Jes 8,1–4 nicht zu urteilen. „Die Parallelfügung“ ist „kaum zu übersehen: Jeweils geht es um den Namen eines Kindes als prophetisches Zeichen eingebunden in die Ansage von Unheil für Aram und Nordisrael und Heil/Unheil für Juda im Kontext des ‚syrisch-ephraimitischen Krieges‘“53. Die Verheißung der Geburt des Immanuel „bears a peculiar resemblance to the event related by Isaiah himself, speaking in the first person, in Is. 8:1 f. The son in whom the cryptic prophecy ‚Booty is hurrying, spoil is hastening‘ takes on flesh and blood, is also a symbol of the end of Aram and Ephraim. The close kinship of the phraseology and thought of 8:4 and 7:16 is apparent at the first glance.“54 Jes 7
ִהנֵּה ָה ַע ְלמָה ה ָָרה וְיֹלֶדֶ ת בֵּן14b … :ְוק ָָראת שְׁמוֹ ִעמָּנוּ אֵל כִּי ְבּט ֶֶרם י ֵדַ ע ַהנַּעַר16 מָא ֹס בּ ָָרע וּבָח ֹר בַּטּוֹב תֵּ ָעזֵב ָהאֲדָ מָה … :ָשׁנֵי ְמ ָלכֶיה ְ ֲאשֶׁר אַתָּ ה קָץ ִמ ְפּנֵי : אֵת ֶמלְֶך אַשּׁוּר17b
Jes 8
ָו ֶאק ְַרב אֶל־ ַהנְּבִיָאה3 וַתַּ הַר וַתֵּ לֶד בֵּן וַיּ ֹאמֶר י ְהוָה ֵאלַי :שׁלָל חָשׁ בַּז ָ ק ְָרא שְׁמוֹ ַמהֵר כִּי ְבּט ֶֶרם י ֵדַ ע ַהנַּעַר4 קְר ֹא ָאבִי ְו ִאמִּי יִשָּׂא אֶת־חֵיל דַּ ֶמּשֶׂק שׁלַל שֹׁמְרוֹן ְ ְואֵת :ִל ְפנֵי ֶמלְֶך אַשּׁוּר
Der Vergleich bestätigt, dass Jes 7 auch diesmal der nehmende Text gewesen ist. „The two figures differ in the first place in that the one is an abstract prediction while the other is a concrete historical instance, and in the second place in that Immanuel emphasizes a present grave crisis for Judah and the certainty of help for this country in such a crisis, whereas Maher-shalal-hash-baz is devoid of any such patriotic emphasis.“55 In 8,3–4 wird erzählt, wie Jesaja die Prophetin begattet und sie einen Sohn gebiert. Nach der Geburt ergeht ein weiteres Jahwewort, das dem Propheten befiehlt, dem Kind einen vorbedeutenden Namen zu geben. Die Parallele 7,14b–17 hingegen verbleibt durchgehend im Gestus der Rede. Die Schwangerschaft der jungen Frau ist bereits vorausgesetzt, die Geburt steht bevor. Es ist, als würde sich 7,14a.16 mitten in den Ablauf von 8,3–4 einschalten. In beiden Fällen soll das Kind einen symbolischen Namen erhalten, weil an der Entwicklung des Kindes der Untergang der Feinde abzulesen sein werde. Die Einführung „ כִּי ְבּט ֶֶרם י ֵדַ ע ַהנַּעַרdenn ehe der Knabe lernt“ ist dieselbe. In diesem Gefüge bilden V. 15 und 17 einen Überschuss. Die Voraussage, dass der Knabe Rahm und Honig essen werde, unterbricht den Zusammenhang. 53
Blum, Jesajas prophetisches Testament, 553. E. G. Kraeling, The Immanuel Prophecy, JBL 50 (1931) 277–297, hier 297, der daraufhin mit Recht annimmt, dass Jes 7 spätere Nachahmung ist. Auch O. Kaiser, Das Buch des Propheten Jesaja. Kapitel 1–12 (ATD 17), Göttingen 1981, 177, Anm. 13, erklärt die Übereinstimmung damit, „daß sich der Verfasser der Immanuelweissagung 8,3 f. zum Vorbild genommen hat.“ 55 Kraeling, Immanuel Prophecy, 297. 54
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„Lässt man […] den 15. Vers als Einschiebsel aus, so begründet Vers 16 sehr gut den dem Knaben Vers 14 gegebenen Namen Immanuel“.56 „Die auffallende Namengebung erfordert in unmittelbarer Folge eine Begründung […], die durch 15 in keiner Weise gegeben wird, aber, mit כיeingeleitet, in 16 folgt.“57 Dass V. 15 später eingefügt wurde, wird deshalb von den meisten anerkannt.58 Ähnlich steht es mit V. 17. „v. 17 ist ebenso asyndetisch angehängt wie v. 15, aber doch von anderer Art.“59 Die Deutung des Namens „Immanuel“ ist mit V. 16 abgeschlossen und kommt ohne V. 17 aus. „The abruptness of the transition is remarkable.“60 Der Vers „bereitet der Deutung und Einordnung […] nicht geringe Schwierigkeiten.“61 Die Aussage wird oft als Drohung gedeutet. Der Wortlaut lässt sich hingegen viel eher als Verheißung verstehen. Das wird unten zu entscheiden sein. Ein Sonderfall sind die drei Worte von V. 17b: „ אֵת ֶמלְֶך אַּׁשּורden König von Assur“. Sie werden schon immer als Glosse bestimmt.62 Tatsächlich wirkt der Halbvers so erratisch, dass sich dieses Urteil von selbst ergibt. Indes genügt es nicht, mutmaßliche Text-Störungen zu beseitigen, wenn man deren Grund nicht benennen kann. Wer den Schreibern „Gedankenlosigkeit“ unterstellt,63 hat womöglich den Text nicht verstanden.64 Berücksichtigt man nämlich, dass schon V. 17a ein Zusatz ist, ergibt sich für V. 16 und 17b eine Abfolge, die der Vorlage in 8,4 genau parallel geht.65 Leider ist der Anschluss nicht glatt. Die Partikel אֶת hängt in der Luft. Das könnte indes dem zwischenein gekommenen Text geschuldet sein. Die mutmaßliche Glosse kann zum Grundtext der Einheit gehört haben. 56
Studer, Zur Textkritik des Jesaja, 81. Vgl. zuvor Hitzig, Der Prophet Jesaja, 86–88 (mit ausführlicher Begründung). Ebenso u. a. Duhm, Das Buch Jesaia1, 54; T. K. Cheyne, Einleitung in das Buch Jesaja, Gießen 1897, 34; Marti, Der jesajanische Kern, 118. 57 Wildberger, Jesaja 1–12, 269. 58 Vgl. in jüngerer Zeit u. a. W. McKane, The Interpretation of Isaiah vii 14–25, VT 17 (1967) 208–219, hier 212–213; J. Vermeylen, Du Prophète Isaïe à l’Apocalyptique, I, Paris 1977, 210; Blum, Jesajas prophetisches Testament, 553, Anm. 20; Barthel, Prophetenwort, 142; Becker, Jesaja, 40. Anders Werlitz, Studien, 182–186, aber gegen ihn Williamson, Isaiah 1–27, 163. 59 Duhm, Das Buch Jesaia1, 54. Vgl. auch Cheyne, Einleitung, 35; K. Marti, Das Buch Jesaja (KHC 10), Tübingen 1900, 79; K. Elliger, Prophet und Politik (1935), in: Ders., Kleine Schriften zum Alten Testament (TB 32), München 1966, 119–140, hier 139 Anm. 28. 60 Cheyne, Prophecies, 49. 61 Wildberger, Jesaja 1–12, 297. 62 Lowth, Isaiah, Notes, 66, unter Verweis auf C.‑F. Houbigant, Biblia Hebraica. Prophetae posteriores, Paris 1753. Seither u. a. Eichhorn, Einleitung, 93; Gesenius, Commentar, 315; und später fast alle. 63 So Duhm, Das Buch Jesaia1, 55. 64 Dass die Nennung des Königs von Assur auch in den später zugesetzten Worten 7,20 und 8,7 aus dem Zusammenhang fällt, muss für 7,17b nichts besagen. Anders H. Barth, Die JesajaWorte in der Josiazeit (WMANT 48), Neukirchen-Vluyn 1977, 198–200. 65 Barth, Jesaja-Worte, 198, Anm. 49, erwägt, dass מלְֶך אּׁשּור ֶ ִל ְפנֵיauch in 8,4 ein Zusatz ist. Eine solche Literarkritik würde die Aussage zerstören.
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Die Menge der Verwerfungen in Jes 7,1–17, von denen die meisten während der letzten beiden Jahrhunderte, einzelne schon früher bemerkt worden sind, führt die Exegese, „wenn sie die Komplexität des Gegenstandes ernst nimmt, […] auf die diachronen Dimensionen“66. Zugleich gilt: „Innerhalb des Abschnitts sind keine Brüche zu erkennen, die auf ursprünglich selbständige Einheiten hinweisen.“67 Es ist daher unabweisbar, dass uns ein Textwachstum „von beachtlicher Komplexität“ vorliegt, wobei die literarischen Härten der Beweis sind, dass die „Bearbeiter […] den vorgefundenen literarischen Bestand im Wesentlichen intakt gelassen und lediglich ausgeweitet“ haben.68 Der Grund dafür war augenscheinlich ihre Ehrfurcht vor dem überlieferten Text, den sie nur zu ergänzen, aber nicht zu verändern wagten. Wäre es anders gewesen, sollte, was uns vorliegt, wesentlich glatter zu lesen sein. Die Eingriffe der modernen Konjekturalkritik sind der beste Beleg. Deshalb können wir mit einiger Zuversicht versuchen, die Veränderungen Schicht um Schicht wieder abzutragen. Dabei kann es nicht genügen, einen hypothetischen Grundtext von Glossen zu reinigen, wie es in der älteren Exegese üblich gewesen ist. Es gilt, die theologischen Beweggründe zu erkennen und aus ihnen eine Folge gezielter Bearbeitungen zu erschließen. Diese Synthese kann freilich immer nur ein Versuch sein, dessen Plausibilität je und je zu prüfen ist. Für definitive Feststellungen ist der Befund zu wirr und sind der Möglichkeiten zu viele.
III. Der Grundtext Als mögliche Grundlage von Jes 7,1–17 ergibt sich der folgende Bestand: 1 Es
geschah zur Zeit des Ahas, des Sohnes Jotams, des Sohnes Usijas, des Königs von Juda (← 2 Kön 16,1), da zog herauf Rezin, der König von Aram, und Pekach, der Sohn Remaljas, der König von Israel, nach Jerusalem, um gegen sie (sc. die Stadt) zu kämpfen. (← 2 Kön 16,5) … 2b Da schwankte sein Herz und das Herz seines Kriegsvolks, wie Waldbäume schwanken im Wind. 3 Und Jahwe sprach zu Jesaja: Geh hinaus, Ahas entgegen … an das Ende der Wasserleitung des oberen Teichs, zur Straße beim Acker des Walkers, (← Jes 36,2) 4 und sprich zu ihm: … Fürchte dich nicht, und dein Herz verzage nicht … bei der Zornesglut Rezins und Arams! … 5 Darum weil Aram gegen dich Böses geplant hat, … 7 so spricht der Herr Jahwe: Es wird nicht zustande kommen und nicht geschehen! 8 Denn das Haupt Arams ist Damaskus (← Jes 8,4), und das Haupt von Damaskus ist Rezin, … 9und das Haupt Ephraims ist Samaria (← Jes 8,4) und das Haupt Samarias ist der Sohn Remaljas. … 14b Siehe, die junge Frau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den Immanuel nennen. (← Jes 8,3) … 16 Denn ehe der Knabe lernt, (← Jes 8,4) Böses zu verwerfen 66
Blum, Jesajas prophetisches Testament, 548. C. Dohmen, Das Immanuelzeichen. Ein jesajanisches Drohwort und seine inneralttestamentliche Rezeption, Bib. 68 (1987) 305–329, hier 308. 68 So mit und gegen Stipp, Vom Heil zum Gericht, 458. 67
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und Gutes zu wählen, wird das Land, vor dessen zwei Königen dir graut, verlassen sein … 17b … den König von Assur. (← Jes 8,4)
Die Verse, die sich zu dieser Auftrittsskizze zusammenfügen, beruhen zu einem nicht geringen Teil auf Entlehnungen. 2 Kön 16,1.5; Jes 36,2 und Jes 8,3– 4 werden im Wortlaut aufgenommen. Die Königebücher sind in einer fortentwickelten Gestalt vorausgesetzt. Jes 7 kann deshalb nicht vor der persischen Zeit entstanden sein. Die prophetische Zeichenhandlung von der Geburt eines Sohnes in 8,1–4, die ursprünglich unmittelbar auf Jesajas Berufung gefolgt ist, wird vorausnehmend wiederholt; genauer: sie wird angekündigt. Denn ab V. 3 verbleibt der ganze Abschnitt im Gestus der Gottesrede. Dass Jesaja die Botschaft weitergegeben habe, wird nicht mehr erzählt. Anders als in Jes 6 und 8 lesen wir keinen Selbstbericht des Propheten, sondern der Verfasser berichtet über ihn im Rückblick. Die Ankündigung der Geburt ist Bestandteil eines Heilsorakels, mit dem Jesaja dem Ahas, wie später dem Hiskia, die Rettung vor seinen Feinden verkündet haben soll (vgl. Jes 37,6–7). Dafür wird mit Hilfe des Textes der Königebücher die historische Situation angeführt, die in 8,1–4 nur im Hintergrund gestanden hat, und nach dem Muster von Jes 36 (← 2 Kön 18) wird eine Begegnung zwischen Prophet und König entworfen, die am Ende der Wasserleitung des oberen Teichs stattgefunden haben soll.69 Die Botschaft, die Jesaja dem König dort ausrichten soll, beginnt mit der Beruhigungsformel.70 Um den Nachdruck zu erhöhen, ist sie verdoppelt: „Fürchte dich nicht, und dein Herz verzage nicht!“ Wie häufig leitet die Formel ein Heilsorakel ein.71 Die Furcht, die es abzuwehren gilt, hat ihren Anlass in der „Zornesglut Rezins und Arams“. Auf diese Lage antwortet ein zweigliedriges Prophetenwort aus Begründung und Folge, das für die Feinde Anklage und Drohung, hingegen für Ahas eine Verheißung ist. Die Begründung beginnt in V. 5 mit der Partikel „ יַעַן כִּיdarum weil“.72 Sie bezichtigt Aram, gegen den König von Juda Böses ( ) ָרעָהim Schilde zu führen. Darauf folgt in V. 7 die Voraussage, nachdrück69 J. Stromberg, Isaiah after Exile. The Author of Third Isaiah as Reader and Redactor of the Book, Oxford 2011, 222, listet die Übereinstimmungen zwischen Jes 7 und Jes 36 ff. auf: „in both, a Judean king faces the threat of a foreign army invading Jerusalem […]. Both narratives give the same location within Jerusalem […]. In both, the king responds to the threat with great distress […]. In response, both kings are given assurance and told to ‚fear not‘ […]. And both are given a divine ‚sign‘ ( )אותas confirmation […].“ 70 Vgl. M. Nissinen, Fear Not. A Study on an Ancient Near Eastern Phrase, in: M. A. Sweeney/E. Ben Zvi (Hg.), The Changing Face of Form Criticism for the Twenty-First Century, Grand Rapids 2003, 122–161. Nissinen bietet zugleich einen Überblick über die ältere Forschung. 71 Dazu vgl. vor allem M. Weippert, Assyrische Prophetien der Zeit Asarhaddons und Assurbanipals (1981), in: Ders., Götterwort in Menschenmund (FRLANT 252), Göttingen 2014, 9–47; Ders., Die Herkunft des Heilsorakels für Israel bei Deuterojesaja (1982), ebd., 48–59. 72 Vgl. Num 11,20; 1 Kön 13,21; Jes 3,16; 8,6; 29,13. In 1 Kön 21,19 leitet die Partikel die Begründung eines Heilsworts ein.
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lich eingeführt mit der Botenformel: „So spricht der Herr Jahwe: Es wird nicht zustande kommen und nicht geschehen ( “!)ֹלא תָ קוּם וְֹלא תִ ְהי ֶהAuch wenn „sich V. 7 nicht mit einem einleitenden ‚darum‘ (wie 8,7; 28,16; 29,14) ausdrücklich auf das Vorangehende“ bezieht, „ist der Zusammenhang von V. 4–6 mit V. 7–9 […] unzerreißbar“73. Die Aussage hat später in dem Völkerwort 8,9–10 ein Echo gefunden: „Beschließt einen Plan – er wird zerbrechen. Beredet etwas – es wird nicht zustande kommen ( ;)וְֹלא י ָקוּםdenn mit uns ist Gott () ִעמָּנוּ אֵל.“74 Auf den ersten Blick rätselhaft ist allerdings die weitere Begründung, die das Drohwort gegen Aram durch V. 8a.9a erhält. Was sie benennt, versteht sich von selbst: dass Damaskus die Hauptstadt von Aram und Rezin der Herrscher in Damaskus gewesen ist, ebenso wie Samaria die Hauptstadt von Ephraim und der Sohn Remaljas der Herrscher in Samaria. Wie kann eine derart obsolete Feststellung ein Kausalsatz sein?75 Deshalb hat M. Sæbø vorgeschlagen, V. 8a.9a als Subjektsätze zu V. 7b zu lesen.76 So verstanden würde der Prophet voraussagen, dass die Herrschaft Rezins in Damaskus keinen Bestand haben werde, ebenso wenig wie die Herrschaft, die der Sohn Remaljas in Samaria über Ephraim ausübt. Die Syntax spricht aber gegen diese Lösung, da „das Prädikat eines Subjektsatzes offenbar niemals im fem. steht“.77 Gleichwohl hat Sæbø womöglich etwas Richtiges getroffen. Das zeigt sich, wenn man 8,3–4 heranzieht, die Vorlage für die Ankündigung der Geburt des Immanuel. Damaskus und Samaria sind dort – im näheren Umkreis nur dort – schon einmal erwähnt, und zwar als die Opfer der assyrischen Expansion: „Ehe der Knabe ‚Vater‘ und ‚Mutter‘ rufen kann, trägt man den Reichtum von Damaskus und die Beute von Samaria vor den König von Assur.“ Wenn 7,8a feststellt, dass Rezin für Damaskus und Aram sowie der Sohn Remaljas für Samaria und Ephraim steht, kann diese Selbstverständlichkeit erwähnenswert gewesen sein, um die Drohung aus 8,4 auf die in 7,1a namentlich genannten Könige Rezin und (Pekach,) den Sohn Remaljas zu beziehen. So verstanden leitet כִּיeinen exegetischen Verweis ein, der die Voraussage: „Es wird nicht zustande kommen und nicht geschehen!“, bekräftigt und begründet. Das Rätselraten um die junge Frau und den Sohn, den sie gebären wird, wird sich kaum je beenden lassen.78 Ein neuer Gesichtspunkt ergibt sich indes, weil 73 H. W. Wolff, Frieden ohne Ende. Jesaja 7,1–17 und 9,1–6 ausgelegt (BSt 35), Neukirchen-Vluyn 1962, 20–21. 74 Vgl. auch die erläuternde Übersetzung der Septuaginta: οὐ μὴ ἐμμείνη ἡ βουλὴ αὕτη οὐδὲ ἔσται „Dieser Beschluss wird keinen Bestand haben und nicht zustande kommen“. Zu Jes 8,9– 10 als einer „bewußten Weiterinterpretation“ vgl. Barthel, Prophetenwort, 129 und 208–215. Dieses Wort hat womöglich einmal an 8,4 angeschlossen. Es setzt die Immanuel-Weissagung 7,1–17* voraus und bezieht sie nochmals auf die Zeichenhandlung 8,1–4. 75 Werlitz, Studien, 153–158, referiert die umfangreiche Debatte. Vgl. auch Barthel, Prophetenwort, 127–129. 76 M. Sæbø, Formgeschichtliche Erwägungen zu Jes. 7:3–9, StTh 14 (1969) 54–69, hier 61–64. 77 Barthel, Prophetenwort, 129. 78 Williamson, Isaiah 1–27, 155–160, gibt einen Überblick über die vertretenen Deutungen.
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7,14b.16 die Szene aus 8,3–4 teilweise wörtlich vorwegnimmt. Die junge Frau ( ) ָה ַע ְלמָהwird in einer Weise erwähnt, als wäre sie dem Leser bekannt, und sie ist bereits schwanger. So besteht die Möglichkeit, dass mit ihr keine andere gemeint ist als die Prophetin ( ) ַהנְּבִיָאהaus 8,3. Für diesen Fall wäre auch der Sohn, den sie gebären wird, derselbe Raubebald Eilebeute, der nunmehr einen weiteren Namen erhalten soll. So oder so wird die Geburt in Jes 7 lediglich angekündigt. Erst in Jes 8 wird sie erzählt. Der Name „Immanuel“ lässt sich unschwer ableiten. Er ist nichts anderes als eine Variante der Beistandsformel, wie sie in dem mit V. 4 eingeleiteten Heilsorakel regelhaft zu erwarten ist: „Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir!“ Hier hat sie, wohl auch unter dem Eindruck der Voraussage, dass es mit den Feinden in absehbarer Zeit ein Ende haben wird, sogleich die Form des Vertrauensbekenntnisses angenommen, das auf die empfangene Zusage antwortet: „ ִעמָּנוּ אֵלmit uns ist Gott“. Nicht anders als in 8,4 soll sich an diesem Kind das Schicksal der Feinde Judas ablesen lassen, diesmal nicht an seiner sprachlichen Entwicklung, sondern, weniger greifbar, an seinem Urteilsvermögen. Weil Ahas samt seinen Kriegern vor Rezin und Pekach zittert (V. 2b), wird ihm das Heilsorakel zugesprochen. Die Feinde werden nicht mehr nur damit bedroht, dass die Assyrer die Beute davontragen werden, sondern mit der Deportation: Das Land der beiden Könige wird verlassen werden (2 Kön 16,9; 17,6). Der sachliche Zusammenhang mit der Erwähnung des Königs von Assur in V. 17b ist offenkundig, leider nicht (mehr) der syntaktische. Anders als die Voraussage in 8,4 und entgegen der in 7,1a erinnerten historischen Situation konzentriert sich Jes 7 in seiner ursprünglichen Form auf die Gegnerschaft Arams.79 Es ist die Zornesglut Rezins und Arams, vor denen Ahas sich nicht fürchten soll, und es sind die bösen Pläne Arams, die nicht zustande kommen werden. Nur Rezin wird stets mit Namen genannt, Pekach hingegen wird abgesehen von dem Zitat in V. 1a nur als der Sohn Remaljas erwähnt.
IV. Ephraim wird zerbrechen Jes 7 wurde nachträglich auf die Auseinandersetzung mit Ephraim zugespitzt. Die meisten dieser Zusätze sind seit langem bekannt und anerkannt. Sie sind nicht lediglich Glossen, sondern bilden eine zusammenhängende Bearbeitung. 2a Da
wurde dem Haus David überbracht: Aram hat sich gelagert gegen Ephraim. und dein Sohn Schear-Jaschub (← 10,21)
3aβ du
79 Der Befund wäre noch eindeutiger, wenn V. 9a, der Samaria, Ephraim und den Sohn Remaljas einbezieht, eine nachträgliche Analogiebildung zu V. 8b wäre, die im Zuge der EphraimBearbeitung (s. u.) hinzugefügt worden wäre. Für diese Möglichkeit lassen sich aber keine formalen Gründe nennen.
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4b* und
des Sohnes Remaljas und der Sohn Remaljas, nämlich: 6 Wir wollen hinaufziehen gegen Juda und ihm Furcht einjagen und es für uns erobern und in seiner Mitte den Sohn des zum König machen. 8b Binnen fünfundsechzig Jahren wird Ephraim so zerbrochen sein, dass es kein Volk mehr ist. 15 Rahm und Honig wird er essen, (← V. 22) dass er lernt, Böses zu verwerfen und Gutes zu wählen. (← V. 16) 17a Jahwe wird über dich, über dein Volk und über dein Vaterhaus eine Zeit kommen lassen, wie sie nicht gekommen ist seit dem Tag, an dem Ephraim sich von Juda getrennt hat. 5b Ephraim
Die Auseinandersetzung zwischen Nord und Süd, die sich mit Unterbrechungen durch die gesamte Geschichte Israels und Judas gezogen hat, gewann in der späten persischen und in der hellenistischen Zeit eine besondere Schärfe. Seither bedachten die Judäer, die den Anspruch erhoben, das Gottesvolk Israel zu sein, den Norden nur noch mit dem Landschaftsnamen Ephraim.80 In Jes 7 findet sich der Name Israel nur in V. 1a, wo er aus 2 Kön 16,5 übernommen ist. Den Ergänzern diente der Konflikt aus dem 8. Jahrhundert, den der Grundtext, ausgehend von 2 Kön 16 und Jes 8,1–4, immer noch spiegelt, als Matrix, um die Botschaft Jesajas auf die Auseinandersetzungen ihrer eigenen Zeit zu beziehen. In diesem Fall könnte es sogar einen historischen Anlass gegeben haben; denn die Absicht, einen Klientelkönig in Juda auf den Thron zu bringen, die in V. 6 Ephraim (und Aram) in den Mund gelegt wird, ist zu genau, um gänzlich erfunden zu sein. Ebenso bestimmt ist die Voraussage in V. 8b, Ephraim werde die kommenden 65 Jahre als Volk nicht überstehen. Vielleicht lässt mit dieser Aussicht die Aussage in V. 2a verbinden, dass Aram sich gegen Ephraim gelagert habe. Die Wendung „ נוח עַלsich lagern gegen“ hat, wörtlich genommen, einen feindlichen Sinn (vgl. bes. 2 Sam 17,12). „ נוּ ַחkann an der vorliegenden Stelle durchaus wie in 19 oder Ex 10,4; 2S 17,12; 21,10 im Sinn von ‚sich niederlassen auf, herfallen über‘ verstanden werden, so daß sich jede Textänderung erübrigt.“81 Im näheren Kontext wird נוחauch in V. 19 für eine feindliche Invasion gebraucht.82 Vielleicht erwartete der Bearbeiter einen Angriff auf Ephraim von Norden her. Bisher werden diese Vorgänge meist im 8. Jahrhundert gesucht. Das wird durch die Entwicklung des Textes, wie sie sich nunmehr darstellt, ausgeschlossen. Stattdessen ist an die frühe hellenistische Zeit zu denken. Was wir aus dem Text erfahren, lässt sich leider ohne Kenntnis der Umstände nicht verstehen. Solange weitere Hinweise fehlen, ist es sinnlos, die Spekulationen zu vermehren. 80 Vgl. sonst Jes 9,8.20; 11,13; 17,3; 28,1.3. Dasselbe beobachtet man umfangreich im Buch Hosea. 81 Wildberger, Jesaja 1–12, 265. 82 Es liegt in der Natur der Sache, dass die Wendung Gegenstand einer ausgedehnten Debatte gewesen ist und allerlei Emendationen provoziert hat. Williamson, Isaiah 1–27, 91–95, gibt einen Überblick.
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Der Strafe für Ephraim steht in V. 17a der Lohn für das bedrängte Juda gegenüber: Jahwe wird für Ahas, für sein Volk und für seine Dynastie jene Zeitverhältnisse heraufführen, wie sie vor der Abspaltung des Nordens gewesen sind. „Es kommen so heilvolle Tage, wie es solche seit der Zeit des noch vereinigten Königreiches unter David und Salomo nicht mehr gegeben hat.“83 Der Vers wird meist als Gerichtswort gegen Juda gedeutet.84 Doch die Voraussage künftiger Zeitverhältnisse ( בוא+ )יָמִיםhat von sich aus einen heilsprophetischen Grundton85 und kann im Zusammenhang mit den übrigen Aussagen über Ephraim nur als Verheißung verstanden werden.86 Der Alleinvertretungsanspruch der Judäer wird nicht mehr bestritten werden, und zugleich wird die ideale Heilszeit unter David und Salomo wiederkehren. „The Davidic house and Judah will enjoy a period of prosperity and well-being such as they have not known since the disruption of the United Kingdom in the reign of Rehoboam.“87 Die Verheißung V. 15 ist „eine dem V. 16a zugefügte Ergänzung, die unter umständlicher Hinzuziehung von V. 22b das Verständigwerden des Kindes mit dem Genuß von Milch und Honig erklärt.“88 „Rahm und Honig wird er essen, dass er lernt,89 Böses zu verwerfen und Gutes zu wählen.“ Damit soll gesagt sein, dass, ebenso wie sich an der Entwicklung des Kindes der Untergang der Feinde ablesen lässt, so auch die Erfüllung der Verheißung in V. 22b: „Rahm und Honig wird essen, wer immer übrig geblieben sein wird inmitten des Landes.“ Das lässt sich unschwer mit der salomonischen Heilszeit in Verbindung bringen, die in V. 17a angekündigt wird, vgl. 1 Kön 4,20; 5,4–5. Ob V. 15 der Ephraim-Bearbeitung zugerechnet werden kann, muss aber einer Untersuchung vorbehalten bleiben, wie die Fortschreibungskette 7,18–25 sich zur inneren Entwicklung von 7,1–17 verhält. Ein ähnlicher Vorbehalt gilt für die Einfügung des Sohnes Schear-Jaschub in V. 4, den Jesaja mit sich genommen haben soll, als er zur Begegnung mit dem Kö83 So
Wildberger, Jesaja 1–12, 297, der diese Deutung aber ablehnt. So besonders nachdrücklich von Kilian, Die Verheißung Immanuels, 45–46, gegen die Deutung als Verheißung durch J. Lindblom, S. Mowinckel, E. Hammershaimb und W. McKane. Vgl. auch Werlitz, Studien, 194. 85 Vgl. C. Levin, Die Verheißung des neuen Bundes (FRLANT 137), Göttingen 1985, 22–23. 86 Für die unheilsprophetische Deutung wird oft die Verbindung הבִיא עַל ֵ ins Feld geführt und dazu auf die häufige Wendung ֵהבִיא ָרעָה עַלverwiesen. Aber abgesehen davon, dass ָרעָהin Jes 7 fehlt, beschränkt sich die Wendung auf einen bestimmten Traditionsbereich (vgl. W. Dietrich, Prophetie und Geschichte [FRLANT 108], Göttingen 1972, 72–73; H.‑J. Stipp, Deuterojeremianische Konkordanz [ATSAT 63], St. Ottilien 1998, 23–24) und ist deshalb für den allgemeinen Sprachgebrauch nicht so repräsentativ, dass er die heilsprophetischen Belege Gen 18,19; Jer 32,42 und Jos 23,15 (qal) zu absoluten Ausnahmen machen würde. 87 McKane, Interpretation, 215. 88 Wolff, Frieden ohne Ende, 44. Vgl. McKane, Interpretation, 212: „a gloss compounded of v. 16a and v. 22a.“ Eine ausführliche Begründung der Literarkritik findet sich auch bei Stromberg, Isaiah after Exile, 223–224. 89 Der ungelenke finale Infinitiv לְדַ עְתּוֹdient lediglich dazu, den aus V. 22 und aus V. 16 übernommenen Wortlaut zu verknüpfen. 84
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nig aufbrach. Ebenso wie Immanuel und Raubebald-Eilebeute symbolisiert auch dieser Sohn eine Verheißung: „Ein Rest wird umkehren.“90 Sein vollkommen unvermitteltes Auftreten lässt sich wiederum nur als Verweis verstehen.91 „Der Name des Sohnes ist eine Adaption der Verheißung aus 10,21“,92 wo die Verbindung שְָׁאר י ָשׁוּבdas einzige Mal und genau in derselben Wortfolge wiederkehrt: „Ein Rest wird umkehren, der Rest Jakobs, zu dem starken Gott.“ Auch das lässt sich mit Vorbehalt der Ephraim-Bearbeitung zuordnen: Während Ephraim als Ganzes in Zukunft kein Volk mehr sein wird, wird ein Rest Jakobs sich dem Zion wieder zuwenden.
V. Ahas will Jahwe nicht auf die Probe stellen Ein Zusatz eigener Art sind die Verse 10–12, die mit „ וַיּוֹסֶף יהוה דַּ בֵּרund Jahwe fuhr fort zu reden“ wie eine Fortschreibung eingeleitet werden:93 10 Und Jahwe fuhr fort, zu Ahas zu reden, und sprach: 11 Erbitte dir ein Zeichen von deinem Gott Jahwe, es sei tief oder hoch in der Höhe! 12 Aber Ahas sprach: Ich will’s nicht erbitten und Jahwe nicht auf die Probe stellen.
Anders als die meisten Exegeten es verstehen, wird Ahas hier als frommer König geschildert. Der Anlass liegt in der theologischen Arithmetik. Da der König ein Heilsorakel erhalten hat, das sich überdies bewahrheitet hat, muss er getan haben, was Jahwe wohlgefiel – sogar gegen das Urteil des deuteronomistischen Historikers, dass Ahas „nicht tat, was seinem Gott Jahwe wohlgefiel, wie sein Vater David, und auf dem Weg der Könige von Israel wandelte“ (2 Kön 16,2b–3a).94 Einen Sünder hätte Jahwe nicht vor seinen Feinden errettet.95 „Es ist ein wahres Unglück, daß die meisten Exegeten […] sich beharrlich weigern, dem König Ahas zu glauben, daß er wirklich meint, was er sagt, und sich verpflichtet fühlen, 90 Die mögliche unheilsprophetische Bedeutung „nur ein Rest wird zurückkehren“ ist für Jes 7 auszuschließen. 91 Vgl. Wolff, Frieden ohne Ende, 17: „der Jüngerkreis weiß ja um die Bedeutung des Namens“, richtiger: die Leser des Buchs Jesaja. 92 Oswald, Textwelt, 213. 93 Vgl. die ähnliche Einleitung in 8,5, die womöglich auf jüngerer Stufe 7,10 voraussetzt (עוֹד „nochmals“). 94 Der weitere Text in 2 Kön 16,3b–4 ist später hinzugefügt worden, vgl. C. Levin, Die Frömmigkeit der Könige von Israel und Juda (2008), in: Ders., Verheißung und Rechtfertigung (BZAW 431), Berlin/Boston 2013, 144–177, hier 158–159. Ob die Erweiterung, die Ahas das Kinderopfer und das Räuchern auf den Höhen vorwirft, dem Ergänzer von Jes 7 schon vorlag, können wir offen lassen. 95 Vergleichbar ist, wie die Ergänzer in 2 Kön 16,10–16 den Altar, an dem Ahas geopfert hat, von Damaskus nach Jerusalem versetzt haben, um zu verhindern, dass der König gegen das Gebot der Kultzentralisation verstoßen hat. Vgl. C. Levin, Der neue Altar unter Ahas von Juda, in: Ders., Verheißung und Rechtfertigung, 196–215, bes. 202–214.
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alle guten und schlechten Künste spielen zu lassen, um den Beweis zu erbringen, daß er als Hörer der Anrede Jesajas vollkommen versage.“96 Die Art, wie der König seine Frömmigkeit unter Beweis stellt, ist ein Beispiel früher Midrasch-Exegese. Ausgangspunkt ist die Geburt des Immanuel, die jetzt als beweiskräftiges Wunderzeichen ( )אוֹתgilt. Der Ergänzer entnimmt dem Text, dass Ahas dieses Zeichen nicht eingefordert hat, und schließt aus der Leerstelle, dass der König das Gebot Dtn 6,16 befolgt habe, dass man Jahwe nicht auf die Probe stellen darf. Damit, so soll man hinzudenken, gleicht Ahas seinem Sohn und Nachfolger Hiskia, der in seiner Krankheit von Jahwe ungefordert ein Zeichen erhielt (Jes 38,7–8), und unterscheidet sich vollkommen von den Israeliten, die Jahwe in der Wüste versuchten (Ex 17,2),97 und besonders von Gideon, der vor dem Kampf gegen die Midianiter zweimal ein Wunderzeichen verlangte (Ri 6,36–40).98 Die drei Verse sprengen die Szene. Sie werden als Fortsetzung einer Gottesrede eingeführt, obwohl ihnen nur die Botenrede (V. 7) vorangeht.99 Entgegen dieser Einleitung geschieht der Dialog zwischen Jesaja und Ahas. Von Jahwe wird in 3. Person gesprochen. Im Anschluss setzt sich in V. 14b die mit V. 4 begonnene Rede Jesajas unvermittelt fort, obwohl zuletzt Ahas das Wort hatte. Als Überleitung könnte man notfalls die Redeeinleitung in V. 13 als Teil der Ergänzung betrachten: „ וַיּ ֹאמֶרund er (sc. Jesaja) sprach“. Sie gehört aber eher zum folgenden Text. So lesen sich die drei Verse V. 10–12 wie eine mangelhaft integrierte Marginalie. Das hat nicht gehindert, dass sie auf späterer Ebene von V. 13–14a vorausgesetzt werden.
VI. Der Glaube als Bedingung Schon der erste Vers zeigt, dass Jes 7,1–17 nie ohne den Seitenblick auf 2 Kön 16 gelesen worden ist, wenn auch zunächst noch nicht in dessen heutiger Form. Von dort kam nachträglich ein Motiv ins Spiel, das sich in späten Ergänzungen der Königebücher, in der Chronik,100 aber auch an etlichen Stellen im Protojesaja zu Wort meldet: das strikte Verbot, sich im Fall militärischer Bedrohung mit auswärtigen Mächten einzulassen, statt einzig und allein auf die Hilfe Jahwes zu 96 G. Quell, Wahre und falsche Propheten. Versuch einer Interpretation, Gütersloh 1952, 171, Anm. 2. 97 Das Motiv ist neben Ri 6,39 auf Ex 17,2.7 und die Rückverweise in Num 14,22; Dtn 6,16; 33,8; Ps 78,18.41.56; 95,9; 106,14 beschränkt. 98 Vgl. Bartelmus, Stilprinzip, 57–58. 99 Für die Lesart עי ָהוּ ְשׁ ַ ְ יstatt ( יהוהso Wildberger, Jesaja 1–12, 266–267, BHS und andere) gibt es keine nennenswerte Überlieferung. Der vorliegende Text wird überdies von der Parallele 8,5 bestätigt. 100 Dazu T. Yamaga, König Joschafat und seine Außenpolitik in den Chronikbüchern, AJBI 27 (2001) 59–154.
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vertrauen.101 „In Stillehalten und Vertrauen (שׁקֵט וּ ְב ִב ְטחָה ְ ) ְבּ ַהliegt eure Stärke. Doch ihr wolltet nicht.“ (Jes 30,15; vgl. 30,1–5; 31,1–3) Nach dem Quellenfragment 2 Kön 16,5a.8.9aβb hatte Ahas an Tiglat-Pileser ein Huldigungsgeschenk gesandt, das diesen veranlasst haben soll, Aram anzugreifen.102 Dieses Vorgehen galt den Theologen in der Spätzeit als schwere Verfehlung. Mit einem Nachtrag, der den angeblichen Wortlaut des Gesuchs bietet, haben sie das Wesen dieser Sünde gekennzeichnet: „Ich bin dein Knecht und dein Sohn. Zieh herauf und errette mich aus der Hand des Königs von Aram und aus der Hand des Königs von Israel, die aufgestanden sind gegen mich“ (2 Kön 16,7). Die Unterwerfung unter den Großkönig soll nicht weniger bedeutet haben, als dass Ahas die Verheißung ausgeschlagen hat, die Jahwe einst dem David für Salomo und die weitere Dynastie gegeben hat: „Ich will sein Vater sein, und er soll mein Sohn sein“ (2 Sam 7,14).103 Ein solches Verhalten riskierte den Bestand der Dynastie. „Thiglath-Pileser zu Hilfe rufen heißt, die Verheißungen, die den Davididen gegeben sind, als belanglos auf die Seite schieben.“104 Diese Deutung hat auch auf Jes 7 eingewirkt.105 Es konnte nicht anders gewesen sein: Jesaja musste auf die Verfehlung des Ahas reagiert haben. Von nun an ergeht die Verheißung nicht mehr bedingungslos. 1b Er
konnte aber nicht gegen sie (die Stadt) kämpfen. dich und bleibe still! 4aβ vor diesen zwei qualmenden Brandscheitstummeln. 9b Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht. 13 Und er sprach: Hört doch, Haus David: Ist’s euch zu wenig, Menschen zu ermüden, dass ihr auch meinen Gott ermüdet? 14a Darum wird euch der Herr von sich aus ein Zeichen geben. 4aα* Hüte
Dem Heilsorakel geht in V. 4aα* eine nachdrückliche Warnung und die Mahnung zur Passivität voraus: „Hüte dich und bleibe still (ׁשקֵט ְ ׁשמֵר ְו ַה ָ ּ ) ִה.“ Sie erinnert unmittelbar an Jes 30,15, aber auch an Ex 14,14b: „Jahwe wird für euch kämpfen. Ihr aber sollt still sein!“ Das gilt umso mehr, als die Bedrohung gar nicht bestanden haben soll. Ein Zusatz in V. 1b stellt fest, dass Rezin nicht in der Lage gewesen sei, Jerusalem anzugreifen.106 In V. 4aβ wird hinzugefügt, dass die vor Zorn glühenden Feinde nichts als die Reste von zwei qualmenden Scheiten gewesen seien, die keinen Schaden mehr anrichten konnten. „Eine wirkliche Ge101 G. von Rad, Der Heilige Krieg im alten Israel, Göttingen 21952, 56–62, hat das Motiv treffend beschrieben, wenn auch unter anderen traditionsgeschichtlichen Voraussetzungen. 102 S. o. bei Anm. 21. Assyrische Quellen erwähnen den Tribut des Ahas erst nach der Eroberung von Damaskus und lediglich in Verbindung mit dem Tribut etlicher weiterer Fürsten aus der Levante. 103 Becker, Jesaja, 44: „Was zur Sprachregelung zwischen dem davidischen König und Jahwe gehört, wird hier auf den assyrischen König übertragen.“ 104 Wildberger, Jesaja 1–12, 281. 105 Vgl. Becker, Jesaja, 53. 106 Die Parallele in 2 Kön 16,5bβ stammt umgekehrt aus Jes 7,1b, s. o. Anm. 26.
Vom Heil zum Appell
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fahr, so soll der Leser wissen, stellen die beiden Staaten nicht dar.“107 Das Hilfegesuch an Tiglat-Pileser, mit dem Ahas die Dynastieverheißung in den Wind schlug, soll keinen wirklichen Anlass gehabt haben. Daraufhin wendet sich der Prophet an die Dynastie, warnt und bedroht sie: „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht ()אִם ֹלא תַ ֲאמִינוּ כִּי ֹלא תֵ ָאמֵנוּ.“ Diese Bedingung beruht auf der Zusage in 2 Sam 7,16: „Dein Haus und dein Königtum sollen fest stehen ( ) ְונֶ ְאמַן בֵּיתְ ָך וּ ַמ ְמ ַלכְתְּ ָךfür immer.“108 Sie bedeutet: Wenn ihr Jahwe nicht vertraut, wird die Dynastieverheißung hinfällig werden. „‚Glaube‘ bei Jesaja ist […] eine aus dem Wissen um Gott und seine Verheißungen sich ergebende Haltung der Festigkeit, der Zuversicht und des Vertrauens angesichts der Bedrohlichkeit der konkreten Situation,“109 kurz gesagt: das vorbehaltlose SichVerlassen auf eine gegebene Verheißung. Von Jes 7,9b ausgehend hat sich die besondere alttestamentliche Vorstellung des Glaubens entwickelt, die schließlich dazu geführt hat, die jüdische und die christliche Religion überhaupt als „Glaube“ zu verstehen.110 Die Dynastie, die in V. 9b bereits angeredet war, wird in V. 13–14a namentlich angesprochen und verwarnt. Eindringlich appelliert der Prophet: „Hört doch, Haus Davids!“ Mit den Menschen, die von den Davididen bis zur Erschöpfung strapaziert worden seien, soll der Prophet womöglich sich selbst und sein vergebliches Mahnen gemeint haben; denn er spricht in der Fortsetzung auffallend von Jahwe als „meinem Gott“, den die Davididen zu ermüden im Begriff seien. Das Zeichen der Geburt des Immanuel ist nun keine Verheißung mehr, sondern wird mit „ ָלכֵןdarum“ dem Unglauben der Davididen entgegensetzt, um die Mahnung zu illustrieren. Unversehens erhielt dabei auch die fromme Weigerung des Ahas, von Jahwe ein Zeichen zu fordern, den Anschein, als habe er den Glauben verweigert. So entstand das eigentümliche Schweben zwischen Verheißung und Mahnung, zwischen Heil und Appell, das den heutigen Text bestimmt. Es hat viele Exegeten veranlasst, Jes 7,1–17 als Drohung zu lesen. Aber damit wäre nicht nur der Grundtext, sondern auch die Absicht der Bearbeiter missverstanden.
107
Becker, Jesaja, 37. S. o. bei Anm. 50. 109 H. Wildberger, „Glauben“. Erwägungen zu h᾽myn, in: B. Hartmann u. a. (Hg.), Hebräische Wortforschung. Festschrift zum 80. Geburtstag von W. Baumgartner (VT.S 16), Leiden 1967, 372–386, hier 377. 110 Vgl. C. Levin, Glaube im Alten Testament, in: F. W. Horn (Hg.), Glaube, Themen der Theologie 13 (UTB 5034), Tübingen 2018, 9–31. 108
Apologetik, Propaganda, Rivalitäten Zu den Triebkräften der Entstehung des Jeremiabuchs Hermann-Josef Stipp
Fragen um die Entstehung und redaktionelle Weiterentwicklung der prophetischen Literatur im Alten Testament haben die Forschung in den letzten Jahrzehnten intensiv beschäftigt.1 Das Interesse gilt namentlich den Triebkräften bei der Niederschrift von Prophetie und damit ihrer Konservierung für künftige Generationen überhaupt sowie weiterhin den prägenden Eigenarten der redaktionellen Fortschreibung prophetischer Literatur. Dabei haben das Studium des altvorderorientalischen Schreiberwesens2 wie auch interne Analysen prophetischer Bücher das Augenmerk auf die Rolle der Schriftgelehrsamkeit bei der Genese der alttestamentlichen Literatursammlung gelenkt. Eine hervorgehobene Rolle in der Debatte spielen ferner die intertextuellen Qualitäten des alttestamentlichen Materials, denn ihnen wird ein erheblicher literatursoziologischer Quellenwert zugetraut, insofern sie helfen sollen, das gesellschaftliche Milieu sowohl der Autoren und Redaktoren als auch ihrer implizierten Adressaten zu bestimmen. Seine Sicht des Diskussionsstands zusammenfassend, hat Konrad Schmid in seiner „Literaturgeschichte des Alten Testaments“ erklärt, dass die alttestamentliche Literatur über weite Strecken von Schriftgelehrten für Schriftgelehrte – seien sie nun am Tempel oder am Palast beschäftigt – geschrieben worden ist, das Publikum also im Wesentlichen mit der Autorschaft zusammenfällt. Das ergibt sich vor allem aufgrund des hohen Intertextualitätsgrades der alttestamentlichen Literatur, die offenbar auf eine besonders ausgebildete Rezipientenschaft hin ausgerichtet ist.3
Da Schriftgelehrsamkeit weitaus mehr verlangt als bloßen Alphabetismus – verstanden als die Fähigkeit zum Lesen und Abfassen einfacher Texte –, muss demnach nicht nur die alttestamentliche Literaturproduktion, sondern auch ihre Re1 Für Literatur zum Thema s. H.‑J. Stipp, Jeremia 25–52 (HAT I/12,2), Tübingen 2019, dort zu Jer 36. – Die vorliegende Untersuchung wurde im Frühjahr 2018 während eines Forschungsund Lehraufenthalts an der Universität Stellenbosch (Südafrika) erarbeitet. 2 Vgl. v. a. K. van der Toorn, Scribal Culture and the Making of the Hebrew Bible, Cambridge, MA / London 2007; D. M. Carr, Writing on the Tablet of the Heart. Origins of Scripture and Literature, Oxford 2005; deutsch: Schrift und Erinnerungskultur. Die Entstehung der Bibel und der antiken Literatur im Rahmen der Schreiberausbildung (AThANT 107), Zürich 2015. 3 K. Schmid, Literaturgeschichte des Alten Testaments. Eine Einführung, Darmstadt 2008, 49.
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zeption in hohem Maß ein elitäres, auf einen eng begrenzten Zirkel limitiertes Unternehmen gewesen sein. Neuere Stimmen zur Prophetenforschung bestehen auf der Korrektheit solcher Beschreibungen für ihr Arbeitsfeld. Odil Hannes Steck dehnte ihren Geltungsanspruch ausdrücklich auf den gesamten literarischen Werdegang der alttestamentlichen Prophetenbücher aus. Für ihn sind in der formativen Phase der Prophetenbücher bis hin zu den Schlußformationen produktive Tradenten und unmittelbare Rezipienten dieser Größen identisch […] Bei den Prophetenschriften handelt es sich […] primär um internes Vergewisserungstextgut im selben professionellen Rahmen.4
Speziell das Jeremiabuch will Georg Fischer im Zuge ausgedehnter Kommentierung als „ein Werk äußerst komplexer, schriftgelehrter Arbeit“ aus dem 4. Jahrhundert erkannt haben.5 Laut Eckart Otto eröffnet die Analyse der intertextuellen Bezugsnetze des Buches die Möglichkeit, dessen Verständnis erheblich zu vertiefen: Die Jeremiaforschung gewinnt eine Fülle neuer Gesichtspunkte, wenn sie sich […] aus der Bindung an die Buchgrenzen und Grenzen der Kanonsteile löst und die literarische Verflechtung des Buches in die Literaturgeschichte der Hebräischen Bibel, insbesondere auch der Diskurse mit der Tora, einbezieht.6
Nun wird kaum jemand, der sich mit dem Alten Testament vertieft beschäftigt hat, die grundsätzliche Bedeutung intertextueller Phänomene in diesem Korpus bestreiten. Die Frage lautet, wie ihr Ausmaß gegenstandsgerecht zu bestimmen ist und welche literatursoziologischen Schlüsse sie gestatten. Da man, aufs Ganze des Alten Testaments gesehen, vorsichtshalber mit einer vielgestaltigen Befundlage rechnen wird, greifen die zitierten Aussagen zwangsläufig zu recht vagen Ausdrucksweisen wie „über weite Strecken“, „primär“ oder „eine Fülle neuer Gesichtspunkte“, deren Dehnbarkeit es enorm erschwert, über ihre Angemes4 O. H. Steck, Die Prophetenbücher und ihr theologisches Zeugnis. Wege der Nachfrage und Fährten zur Antwort, Tübingen 1996, 15 (Hervorhebung im Original). 5 G. Fischer, Jeremia. Der Stand der theologischen Diskussion, Darmstadt 2007, 162. Auf der Basis der Prämisse, dass nahezu jede Übereinstimmung von Jer mit Passagen aus anderen alttestamentlichen Büchern eine Anleihe oder Anspielung darstellt, erklärt Ders., Das Jeremiabuch als Spiegel der Schrift- und Lesekultur in Israel (2010), in: Ders., Der Prophet wie Mose. Studien zum Jeremiabuch (BZAR 15), Wiesbaden 2011, 209–227, hier 222: „Jeremia erscheint […] als ein Werk, das durchgängig, vom Anfang bis zum Ende, in Prosa und Poesie, auf andere biblische Schriften zugreift und sie häufig kombiniert und komplexer verwendet. In diesem ‚intertextuellen Arbeitsstil‘ spiegelt sich eine hochstehende Lese- und Schriftkultur; der Autor von Jeremia ist nicht nur mit einer Vielzahl von Büchern vertraut, sondern vermag sie auch in seinem Schreiben aufzunehmen und nochmals tiefer zu verarbeiten.“ 6 E. Otto, Jeremia und die Tora. Ein nachexilischer Diskurs (2007), in: Ders., Die Tora. Studien zum Pentateuch. Gesammelte Schriften (BZAR 9), Wiesbaden 2009, 515–560, hier 559– 560.
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senheit zu befinden. Schon Schriftgelehrsamkeit ist eine Eigenschaft, über deren präzise Definition kaum Einvernehmen zu erzielen sein dürfte. Die literatursoziologische Verortung alttestamentlicher Literatur muss indes auch ihre enorme Breitenwirkung erklären, denn immerhin stieg sie zur kanonischen Heiligen Schrift auf, um die jüdische (wie später auch die christliche) Religion umfassend zu prägen. Beschränkt man jedoch nicht nur die Produktion, sondern auch die Rezeption alttestamentlicher Bücher auf kleine elitäre Zirkel, erscheint schwer vorstellbar, wie das Alte Testament seine manifesten Effekte zu erzielen vermocht haben soll. Deshalb wünschte man sich, Aussagen der oben zitierten Art würden wenigstens einmal versuchsweise in konkrete Zahlen übersetzt. Wann etwa könnte der Kreis aus Tradenten und Rezipienten der Vorstufen des Alten Testaments eine dreistellige Größe erreicht haben? Was ferner die Intertextualität als literatursoziologisches Leitfossil angeht, so ist der vorliegende Aufsatz von dem Eindruck veranlasst, dass die Intertextualitätsforschung als trendige Teildisziplin der alttestamentlichen Exegese derzeit im Überschwang der Entdeckerfreude vielfach die gebotene Vorsicht vermissen lässt und der methodenkritischen Einhegung bedarf, soll das Studium der Intertextualität nicht ähnlich in Verruf geraten, wie es in den vergangenen Jahrzehnten mit der Vorstufenrekonstruktion geschehen ist. Die folgenden Erwägungen sind namentlich durch Erfahrungen am Jeremiabuch angeregt, wo sich mir die oben wiedergegebenen Urteile nicht bestätigen, jedenfalls was den Grad der erhobenen Geltungsansprüche betrifft. Insbesondere haben exemplarische Kontrollen an einschlägigen Arbeiten meine Skepsis genährt. Wie ich an anderen Stellen zu zeigen versucht habe, sind häufig schon die vorgeblich intendierten intertextuellen Verweise mangels hinreichender Spezifität nicht glaubhaft. Hinzu kommt die Neigung, einzelne vermeintlich stützende Textmerkmale für die Erhebung des Gesamtsinns unzulässig zu privilegieren und ihnen obendrein implausible Funktionen zuzuschreiben, während andere wichtige Eigenarten heruntergespielt oder gar gänzlich ausgeblendet werden.7 Aufschlussreich erscheint hierbei der Vergleich
7 K. Schmid, Nebukadnezars Antritt der Weltherrschaft und der Abbruch der Davidsdynastie. Innerbiblische Schriftauslegung und universalgeschichtliche Konstruktion im Jeremiabuch (2009), wieder abgedruckt in seinem programmatisch betitelten Sammelband: Schriftgelehrte Traditionsliteratur. Fallstudien zur innerbiblischen Schriftauslegung im Alten Testament (FAT 77), Tübingen 2011, 223–241, und dazu H.‑J. Stipp, Nebukadnezzar und die Davididen. Kritische Lektüre einer These von Konrad Schmid, in: H. Rechenmacher (Hg.), In Memoriam Wolfgang Richter (ATSAT 100), St. Ottilien 2016, 369–400; H. Knobloch, Die nachexilische Prophetentheorie des Jeremiabuches (BZAR 12), Wiesbaden 2009, und dazu H.‑J. Stipp, Die Erkennbarkeit intentionaler innerbiblischer Intertextualität am Beispiel von Jer 26 und 36, in: J. J. Krause/K. Weingart (Hg.), Exegetik des Alten Testaments. Bausteine für eine Theorie der Exegese (FAT II), Tübingen (im Erscheinen). Vgl. ferner H.‑J. Stipp, Die Verfasserschaft der Trostschrift Jer 30–31*, ZAW 123 (2011) 184–206.
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zwischen zwei Untersuchungen zu demselben Text (Jer 36), da sie zu völlig divergenten Ergebnissen gelangen.8 Ich erlaube mir daher, nach Abschluss eines Kommentars zu Jer 25–529 die eingangs genannten Thesen anhand der im Zuge der Kommentierung gesammelten Erfahrungen zu überprüfen. Meine Überlegungen sind zu verstehen als ein weiterer Versuch, der Forderung Erhard Blums nach einer “alttestamentliche[n] Exegetik im Sinne einer verstetigten Metareflexion des exegetischen Geschäfts”10 zu entsprechen.11 Man mag einwenden, die zweite Hälfte des Jeremiabuchs sei, da überwiegend aus Erzählungen und Fremdvölkersprüchen bestehend, nicht hinreichend repräsentativ, um Generaltheorien zur prophetischen Literatur daran zu testen. Generaltheorien zum Corpus propheticum mit seinen 233 Kapiteln müssen sich jedoch auch an einem Teilkorpus von 28 Kapiteln bewähren. Da die Sammlung ferner so unterschiedliche Schriften wie etwa Jes, Ez, Hos, Joel, Ob, Jona und Sach einschließt, fragt man sich, wie eine generelle Typik alttestamentlicher Prophetenbücher überhaupt aussehen sollte – über den Allgemeinplatz hinaus, dass sie ihren Inhalt als Worte von oder Berichte über Propheten präsentieren. Was ferner die Fremdvölkerorakel angeht, so nehmen sie nicht weniger als ein rundes Siebtel der prophetischen Literatur ein.12 Sollte zudem ins Feld geführt werden, dass die nachstehenden Feststellungen auf den Urteilen eines einzelnen Auslegers beruhen, sei daran erinnert, dass dies für sämtliche konkurrierenden Analysen ebenso gilt. Themen wie die Triebkräfte hinter der Genese biblischer Bücher, das soziologische Milieu der Autoren, Redaktoren und implizierten Adressaten oder die Eigenart und Bedeutung intertextueller Verfahren lassen sich zwangsläufig nur im Rahmen eines vorgängigen literargeschichtlichen Modells erörtern. Deshalb ist es eine bloße Selbstverständlichkeit, wenn hinfort Vorstufenrekonstruktionen und Exegesen vorausgesetzt werden, die andernorts eingehender begründet werden, sei es in dem genannten Kommentar oder in monographischen Arbeiten. – Die folgenden Beispiele sind überwiegend nach dem Alter geordnet, das ihnen zugeschrieben wird.13 8 S. in Anm. 7 den Aufsatz von K. Schmid und die Ausführungen zu Jer 36 in der Arbeit von H. Knobloch. 9 S. o. Anm. 1. 10 E. Blum, Notwendigkeit und Grenzen historischer Exegese. Plädoyer für eine alttestamentliche „Exegetik“ (2005), in: Ders., Grundfragen der historischen Exegese. Methodologische, philologische und hermeneutische Beiträge zum Alten Testament, hg. von W. Oswald und K. Weingart (FAT 95), Tübingen 2015, 1–29, hier 3. 11 Vgl. schon Stipp, Erkennbarkeit. 12 M. K. Chae, Theological Reflections on the Oracles Against the Nations, HBT 37 (2015) 158–169, hier 159. 13 Aus den älteren Bestandteilen von Jer 25–52 bleibt im Folgenden die originale Trostschrift *30,4–31,26 ausgeklammert, weil ihre intertextuellen Eigenarten Probleme aufwerfen, die einer detaillierten Erörterung bedürfen, wie sie in der oben Anm. 7 genannten Arbeit Stipp, Verfasserschaft, versucht wird.
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I. Die authentischen Fremdvölkersprüche Die Fremdvölkersprüche von Ägypten bis Kedar und Hazor nach dem masoretischen Bucharrangement (46,2–49,33)14 gehen bis auf einige jüngere Einschübe auf Jeremia zurück, wie eine Fülle von Merkmalen seines Idiolekts belegen, dazu das für Jeremia typische Babelschweigen, also das Sprachtabu, das verbietet, die Babylonier und ihre Exponenten mit Klarnamen zu bezeichnen, und nur Andeutungen und Umschreibungen wie die Rede vom „Feind aus dem Norden“ zulässt. Zusätzlich untermauern bestimmte Weisen des Bezugs auf zeitgenössische Vorgänge die jeremianische Verfasserschaft: Das erste Ägyptengedicht (46,3– 12) wird durch die sekundären Bestandteile seiner Überschrift (V. 2*) mit der Schlacht bei Karkemisch (605) verknüpft, eine Zuordnung, deren Korrektheit der Spruch uneingeschränkt bestätigt (vgl. V. 6.10). Im zweiten Gedicht (46,14– 24) sind die Merkmale des Babelschweigens besonders ausgeprägt, wenn es die Eroberung Ägyptens durch einen anonymen Angreifer aus dem Norden prophezeit (V. 20.24), der die Bevölkerung deportieren wird (V. 19). Eine Okkupation Ägyptens der angekündigten Art ist den Babyloniern jedoch niemals gelungen; folglich bildet der Spruch kein vaticinium ex eventu, sondern bezieht sich auf einen im Gang befindlichen oder vielleicht auch bloß erwarteten Feldzug. Die sekundäre Überschrift in V. 13 nennt im Gegensatz zu V. 2 kein Datum. Erst eine prämasoretische Hand hat den erwähnten „König von Babel“ mit Nebukadnezzar identifiziert, der allerdings auch der einzige babylonische Herrscher gewesen ist, der Kampagnen gegen das Nilland geführt hat. Sein erster Vorstoß nach Ägypten 601/0 scheiterte schon nahe der Grenze am Ostrand des Deltas. Über seinen zweiten Versuch im Jahr 568 ist wenig bekannt, doch vermochte der Großkönig seinen gefährlichsten Rivalen um die Macht über den Vorderen Orient jedenfalls nicht dauerhaft zu unterwerfen. Es spricht nichts dagegen, das zweite Ägyptengedicht mit dem Feldzug von 601/0 zu verbinden (vgl. auch V. 17 AlT), eine mit der Autorschaft Jeremias kompatible Datierung. An der Edomkomposition (49,7–22) fällt das Fehlen jener Rachsucht auf, die den Edomitern in exilischen und nachexilischen Quellen entgegenschlägt, weil man ihnen opportunistischen Verrat an ihren judäischen Brüdern im Gefolge des babylonischen Sieges vorwarf.15 Offenbar waren diese Erfahrungen bei Abfassung noch nicht bekannt, was entschieden für einen vorexilischen Ursprung plädiert und somit ebenfalls die jeremianische Autorschaft unterstützt. Weil der Prophet bereits wenige Monate nach der Niederlage Judas das Land verlassen haben soll (Jer 41,1; 43,5–7; vgl. 2 Kön 25,2–4), müssen seine Fremdvölkerge14 Vgl. hierzu insbesondere die gründliche Studie von B. Huwyler, Jeremia und die Völker. Untersuchungen zu den Völkersprüchen in Jeremia 46–49 (FAT 20), Tübingen 1997. 15 Ez 25,12–14; 35; 36,4–5; Joel 4,19; Ob 9–20; Ps 137,7; Klgl 4,21–22; vgl. Jes 34,8.
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dichte – wie seine übrigen Schöpfungen – schon zuvor niedergeschrieben worden sein. Leitet man diese Korpora von Jeremia her, steht ferner fest, dass ihr Verfasser weder am Tempel noch bei Hofe verankert war. Die authentischen Fremdvölkerorakel sollten die Judäer vor illusionären Hoffnungen auf erfolgreiche Abwehr des babylonischen Imperialismus durch Militärallianzen mit Nachbarstaaten warnen, indem sie diesen Anrainern den Untergang von der Hand eines Angreifers aus dem Norden prophezeiten, der zwar nicht namentlich identifiziert wird, aber auf Anhieb als die Babylonier zu erkennen war.16 Was verraten innere Merkmale über die implizierten Adressaten? Kenntnisse anderer auf uns gekommener Texte setzt das Korpus nicht voraus. An spezifisch jahwistischen Theologumena begegnet einzig die polemische Abgrenzung von den Kulten anderer Götter,17 ein Zug, bei dem Jeremia offenbar auf das Einverständnis seines Publikums zählen konnte. Die Moabgedichte in Jer 48 enthalten umfangreiche Parallelen mit ihren Gegenstücken in Jes 15–16, allerdings von einer Art, die eher auf Zitation aus dem Gedächtnis als auf Kopien aus einer schriftlichen Quelle weist (vgl. auch 49,1b–3 mit Am 1,13–15). So schöpfte Jeremia zwar – wahrscheinlich indirekt – aus Vorlagen, aber nichts deutet darauf hin, dass er die Vertrautheit mit den Quellen auch bei seinen Adressaten voraussetzte bzw. dass solches Vorwissen das Verständnis seiner eigenen Fassungen maßgeblich beeinflussen würde. Und wie die jeremianischen Fremdvölkersprüche vorgeprägtes Gut absorbierten, so dienten sie ihrerseits als Spender für jüngere Exemplare der Gattung, wenn Passagen aus den Edomgedichten in den Babelworten des Werkes18 sowie im Buch Obadja19 wiederkehren. Angesichts dieser Befunde ist niemals auszuschließen, dass auch die übrigen Fremdvölkersprüche (wie der Rest des Jeremiabuchs bzw. die Bibel insgesamt) vorgefertigte Passagen aufgenommen haben, die wir nicht mehr identifizieren können, weil literarkritische Indizien fehlen und die Vorlagen verlorengegangen sind. In den authentischen Fremdvölkerorakeln des Jeremiabuchs handelt es sich bei solchen Phänomenen indes kaum um intentionale Intertextualität, die auf ein schriftgelehrtes Publikum zielte, sondern um freie, von keinem Urheberrecht behinderte Wiederverwertung umlaufenden Materials, also um Vorgänge, die eher der Arbeitsersparnis dienten und auf keine Quellenkenntnis seitens der Adressaten angewiesen waren. Anders ist es mit der recht breiten Allgemeinbildung in profanen Belangen, von der die Fremdvölkerorakel in Jer ausgehen. Namentlich auf den Gebieten der Geografie20 und der politischen Rahmensituation des Vorderen Orients 16 Vgl. etwa 46,6.10.19.20.24; 47,2; 48,1c–5.7–8.11–12.15.18–20.32; 49,3.7–8.20.23–24. Zu 49,30de s. die Ausführungen in dem oben Anm. 1 genannten Kommentar z. St. 17 46,15 AlT; 48,7.35; 49,1.3 AlT; vgl. die jüngeren Zutaten 46,25; 48,13.46 sowie in den Babelsprüchen 50,2hi.38; 51,17–18.52; MT 50,2jk.36; 51,44.47. 18 Vgl. 49,17–21 mit 50,13.40.44–46. 19 Vgl. Jer 49,7–10 mit Ob 5–9; Jer 49,14–16 mit Ob 1–4. 20 Vgl. für das gesamte Buch G. Fischer, Gottes universale Horizonte. Die Völker der Welt
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werden Kenntnisse vorausgesetzt, wie sie damals nur die Oberschicht besessen haben dürfte. Die Gedichte erwähnen zahlreiche Städte von Memfis im Süden (46,14.19) bis Arpad im Norden (49,23) und erwarten, dass die Rezipienten damit etwas anfangen können. In der Moabkomposition (Jer 48) wurde der Reichtum an geografischen Termini anscheinend künstlich in die Höhe getrieben, offenbar mit Blick auf ein Publikum, das mit der moabitischen Topografie gründlich vertraut war. Weiterhin sollten die Adressaten über den babylonischen Imperialismus und Ereignisse wie die Schlacht bei Karkemisch sowie Nebukadnezzars Feldzüge gegen Ägypten (s. o.) und die Philister (Jer 47) informiert sein, dazu über einen alten Territorialstreit Israels mit den Ammonitern (49,1–2). Der damaszenische Herrschername Ben-Hadad brauchte nicht erläutert zu werden (49,27). Bei den Nachbarn verehrte Gottheiten bedurften keiner Vorstellung; so der Apis-Stier (46,15 AlT), Kemosch (48,7) und Milkom (49,1.3 AlT).21 Sodann rekurrieren die Gedichte vielfach auf das Vorwissen von stereotypen oder klischierten Eigenarten der betroffenen Nachbarstaaten und ihrer Siedlungsräume; zu nennen sind hier die Bedeutung des Nils für Ägypten (46,7– 8), die Söldnerkontingente in den ägyptischen Streitkräften mit ihren als wohlbekannt behandelten Herkunftsländern Kusch, Put und Lud (46,9.16.21), dazu die phönizischen Kolonien in Übersee (47,4 AlT), der Weinbau der Moabiter (48,11–12.32–33), die Weisheit der Edomiter (49,7), der Hochmut der Moabiter und Edomiter (48,14.18.29–30.42; 49,16) sowie ihre natürlichen Bastionen über den Steilhängen des ostjordanischen Plateaus (48,1.18.28.41; 49,16), schließlich die Lebensweise, Wirtschaft und Haartracht der Araber (49,29.31–32). Nach dem Zeugnis des Alten Testaments waren Fremdvölkersprüche ein besonders fruchtbares Feld textlichen Recyclings, was wohl mit ihrer immerwährenden Aktualität in einer Welt ständiger Gefahr von Seiten äußerer Gegner zusammenhing. Lediglich wenn in Jer 50,41–43 das Orakel vom Kommen des Feindes aus dem Norden 6,22–24, das Jerusalem bedroht, auf Babylon umgewidmet wird, trägt das Verfahren für kundige Rezipienten dazu bei, den auch in anderen Textmerkmalen manifesten talionischen Charakter der Bestrafung der mesopotamischen Unterdrücker (vgl. v. a. 50,15.29) zusätzlich hervorzuheben. Dem unterstellten Bildungsstand und der politischen Zielsetzung zufolge waren Jeremias Fremdvölkersprüche für die Führungskreise in Juda bestimmt, die über den politischen Kurs des Staates entschieden. Allerdings konnte Bedarf an solchen Orakeln nur entstehen, wenn das implizierte Publikum die Überzeugungen Jeremias gerade nicht teilte, sondern erst dafür gewonnen werden musste. Es lag daher im Interesse des Propheten, sich auf den Verständnishorizont seiner Adressaten einzulassen. Soweit wir sehen, hat er dabei keine Textkenntund ihre Geschichte in der Sicht des Jeremiabuches, in: M. Milani/M. Zappella (Hg.), „Ricercare la sapienza di tutti gli antichi“ (Sir 39,1), FS G. L. Prato (SRivBib 56), Bologna 2013, 313– 328. 21 Zu jüngeren Nachträgen s. Anm. 17.
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nisse vorausgesetzt, sondern vor allem profane Bildungsgehalte politischer und landeskundlicher Art.
II. Die Apologie Jeremias Die „Apologie Jeremias“ (AJ) bildet die Grundschicht von Jer 37–39 etwa im Umfang von 34,7; 37,3.6.9–10; 38,1.3–17.21–23.28ab; 39,3.14*.22 Sie schildert Begebenheiten um den Propheten, die sich während der Belagerung Jerusalems und unmittelbar nach dem babylonischen Sieg zugetragen haben sollen. Das kleine Erzählwerk schaut bereits auf die Schleifung Jerusalems zurück (vgl. 37,10; 38,17), verrät aber noch keine Kenntnis von der Ermordung Gedaljas und dürfte dementsprechend überaus ereignisnah im Zeitraum August (2 Kön 25,8 || Jer 52,12) bis September/Oktober 587 (Jer 41,1) verfasst worden sein, um Jeremia gegen Vorwürfe der hochverräterischen Unterstützung des babylonischen Imperialismus in Schutz zu nehmen. Die Schrift erweist sich nach Stoffauswahl und Tendenz als eine Replik auf die „Erzählung von der assyrischen Bedrohung und der Befreiung Jerusalems“ (ABBJ‑Erzählung), die Grundschicht von 2 Kön 18–19 im Umfang von etwa 2 Kön 18,17–19,9b.36c–37, die, wie in differenzierter Adaption der Analyse von Christof Hardmeier anzunehmen ist, während einer kritischen Phase der babylonischen Belagerung Jerusalems abgefasst wurde mit dem Ziel, Jeremia (und Ezechiel) als Komplizen des feindlichen Herrschaftsanspruchs zu verunglimpfen.23 Die AJ stellte dem die Lesart bestimmter Vorgänge aus der Sicht der Gruppe um Jeremia entgegen und richtete sich somit an Adressaten, die die ABBJ‑Erzählung kannten. Die intendierte Intertextualität erstreckte sich folglich auf ein Dokument, das zwar später in das DtrG und schließlich ins Alte Testament einging, damals aber noch eine selbstständige Kampfschrift darstellte, die zumindest unter den Führungskreisen Judas zirkulierte und hinreichendes Aufsehen erregt hatte, um nach der Niederlage eine literarische Gegenwehr des Kreises um Jeremia zu provozieren, die u. a. die Bestätigung des Propheten durch den Gang der Ereignisse aktenkundig machte. Sollte die AJ auf weitere Intertexte verwiesen haben, sind diese jedenfalls verschollen und endgültig unseren Blicken entzogen. Dabei ist zu betonen: Wäre die ABBJ‑Erzählung verlorengegangen, könnten wir deren Existenz aus der AJ nicht erschließen. Allem Anschein nach genügte es für ein angemessenes Verständnis der AJ, über 22 Zur
Rekonstruktion s. H.‑J. Stipp, Jeremia im Parteienstreit. Studien zur Textentwicklung von Jer 26, 36–43 und 45 als Beitrag zur Geschichte Jeremias, seines Buches und judäischer Parteien im 6. Jahrhundert (BBB 82), Frankfurt a. M. 1992, 152–181 (dort noch unter dem Namen „Erzählung von der Haft und Befreiung Jeremias“ bzw. „HBJ‑Erzählung“). 23 C. Hardmeier, Prophetie im Streit vor dem Untergang Judas. Erzählkommunikative Studien zur Entstehungssituation der Jesaja- und Jeremiaerzählungen in II Reg 18–20 und Jer 37–40 (BZAW 187), Berlin/New York 1990.
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Jeremias Haltung zum babylonischen Reich und die gegen ihn erhobenen Vorwürfe im Bilde zu sein. Streng genommen verlangte das Werk also nicht einmal die Kenntnis der ABBJ‑Erzählung. Selbst hat die AJ möglicherweise durch 38,22 eine Formulierung in Ob 7 angeregt; bzw. wahrscheinlicher: Dies hat ein Werk getan, in das die AJ später einging, also die „Erzählung vom Untergang des palästinischen Judäertums“ (UPJ‑Erzählung; s. u. IV) oder eher noch die babylonische Fortschreibung des Jeremiabuchs (s. u. VI). Zugleich klafften in der Schrift gravierende Informationslücken, die der Füllung durch die Rezipienten bedurften und ihnen ein umfängliches Vorwissen abforderten. In wichtigen Hinsichten meinte der Verfasser, seine Mitteilungen zu den Hintergründen der berichteten Vorgänge auf knappe Andeutungen beschränken zu können. Dies gilt insbesondere für die gegensätzlichen Standpunkte in den Kontroversen, die die Hofkreise um den richtigen politischen und religiösen Umgang mit der aktuellen Krise ausfochten und die Jeremia in ihren Strudel rissen. Daraus resultiert ein theologisch besonders auffälliger Zug der AJ: Wie die Fremdvölkersprüche ist sie eine eher schweigsame Zeugin hinsichtlich der jahwistischen Theologien, um die damals gestritten wurde, sodass wir diese aus anderen Quellen erschließen müssen. Jeremia prophezeit den babylonischen Sieg, aber er erklärt nicht, warum Jhwh dies so verfügt hat (37,9–10; 38,3.17.21–22). Ebenso wenig thematisiert die Schrift ihren konzeptionellen Widerpart, die Zionstheologie, die, wie neben der ABBJ‑Erzählung noch weitere Dokumente belegen,24 seinerzeit in einer stark fanatisierten Ausprägung in Juda den Ton angab. Und so dramatisch die als Kulisse dienende Belagerung Jerusalems verlief, streifte der Autor ihren Fortgang nach der einleitenden Exposition (34,7) nur noch beiläufig (38,7–8.28; 39,3), weil ihm im Interesse seiner Aussageziele (dazu sogleich) daran gelegen war, das immense Leid, das die Babylonier den Judäern zufügten, möglichst herunterzuspielen. Sodann hielt er es für ausreichend, seine Figuren einzig mit ihren Namen zu charakterisieren (37,3; 38,1.7); nur bei dem Oberpriester Zefanja ben Maaseja setzte er noch den Titel hinzu (37,3). Die Leerstellen in der Schilderung bestätigen die Ereignisnähe des Verfassers und seiner Adressaten, deren unabdingbares Vorwissen sich auf die judäische Geschichte der letzten Jahre mit ihren religiös-politischen Richtungskämpfen und die in der AJ erwähnten Akteure bezog. Was das Profil des Autors angeht, so war er des Schreibens kundig und hatte Einblick in die Vorgänge bei Hofe und unter den Jerusalemer Führungskreisen, wo auch die angezielten Empfänger seiner Botschaft zu suchen sind. Vielleicht hat hier Baruch zur Feder gegriffen, denn das Buch charakterisiert ihn als Jeremias Schreiber bzw. als seinen Vertrauten (32,11–16; 43,3.6; 45), der Kontakte in 24 Vgl. insbesondere die sog. Assur-Redaktion des Proto-Jesajabuchs und hierzu H. Barth, Die Jesaja-Worte in der Josiazeit. Israel und Assur als Thema einer produktiven Neuinterpretation der Jesajaüberlieferung (WMANT 48), Neukirchen-Vluyn 1977; J. Barthel, Prophetenwort und Geschichte. Die Jesajaüberlieferung in Jes 6–8 und 28–31 (FAT 19), Tübingen 1997.
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die judäische Oberschicht unterhielt (Kap. 36). Außerdem sei sein Bruder Seraja als Diplomat im Auftrag Zidkijas tätig gewesen (51,59), eine Nachricht, die indirekt Baruch selbst der Oberschicht zurechnet. Ob er allerdings ebenfalls zumindest zeitweilig in königlichen Diensten stand, ist nicht mehr zu klären; nach dem von Kap. 36 gezeichneten Bild traf dies unter König Jojakim zur Zeit der Schlacht von Karkemisch nicht zu. Jedenfalls präsentierte sich der Verfasser der AJ, wer immer es war, in seinem Werk nicht als Schriftgelehrter, und bei seinem Publikum gibt es noch weniger Recht, es auf diese Zunft zu reduzieren. Die AJ war wie ihr literarischer Antipode, die ABBJ‑Erzählung, und ebenso wie die Fremdvölkersprüche ein Text, der bei den politischen und religiösen Entscheidern etwas bewegen sollte: Die AJ rief sie auf anzuerkennen, dass Jeremia, wie die Bewahrheitung seiner Ansagen bewies, trotz seiner weithin angefeindeten Verkündigung schon immer der authentische Sprecher Jhwhs gewesen war. Die Dokumentation seiner Prophetie während der Belagerung sollte demonstrieren, dass er entgegen den Anwürfen seiner Widersacher (38,4) konstruktive, realistische Absichten zum Heil der Judäer verfolgte (38,17.21–23). Hatten ihm daher seine Feinde vor dem Fall Jerusalems schwerstes Unrecht angetan (38,1.3–6.9), sollte man jetzt endlich seinen Aufrufen zu einem auskömmlichen Arrangement mit der von Jhwh berufenen Siegermacht Gehör schenken, um die verbliebenen Heilschancen zu nutzen. Da die AJ über das Schicksal von Jeremias Gegnern nach der Niederlage nichts verlauten lässt, dürfte sie zusätzlich auf den Appell hinausgelaufen sein, diese Leute ihrer verdienten Strafe zuzuführen. Der Verfasser war im Interesse seiner pragmatischen Ziele gehalten, der Verständlichkeit seines Werkes keine Hürden in den Weg stellen, was der Sublimität seiner literarischen Verfahren Grenzen zog. Bei der AJ ist die apologetische Orientierung derart ausgeprägt, dass es angezeigt erscheint, diesen Zug über den wissenschaftlichen Namen der Schrift als ihr Schlüsselmerkmal zu deklarieren. Mit der apologetischen Tendenz, der Polemik gegen Kontrahenten und der Propaganda für ein konkretes politisches Anliegen hat der Autor seinem Werk einen Charakter verliehen, der für die Entwicklung des Jeremiabuchs nachgerade typisch werden sollte.
III. Das Jischmael-Dossier Das Jischmael-Dossier (JD) 40,13–14 + *41,1–15 bildet unter den Quellen des Jeremiabuchs insofern einen radikalen Sonderfall, als es mit Jeremia gar nichts zu tun hatte und einen rein profanen Charakter trug.25 Es gelangte lediglich deshalb in die prophetische Literatur, weil der Autor der UPJ‑Erzählung (s. u. IV) es in 25
Für eine Analyse des JD vgl. H.‑J. Stipp, Gedalja und die Kolonie von Mizpa, in: Ders., Studien zum Jeremiabuch. Text und Redaktion (FAT 96), Tübingen 2015, 409–432.
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sein Werk einbaute, da es ihm einen Bericht von dem Mordanschlag auf Gedalja zur Verfügung stellte. Das JD stammt aus Kreisen der „Truppenobersten“ (ׂשרי החילים40,7 ff.), judäischen Militärkommandeuren, die mit ihren Einheiten nach dem babylonischen Sieg aktiv geblieben waren. Das Dokument sollte jede Mitschuld der Truppenobersten am Tod Gedaljas abstreiten, während es die Verantwortung ausschließlich dem mittlerweile ins Ausland entkommenen (41,15) Jischmael ben Netanja und seinen wenigen Spießgesellen (41,1.15) in die Schuhe schob. Die bloße Existenz des Pamphlets bezeugt, dass die Adressaten da ihre Zweifel hegten, und dies wohl mit guten Gründen.26 Die kleine Schrift dürfte bereits binnen Wochen nach dem Tod Gedaljas verfasst worden sein, denn wie die UPJ‑Erzählung berichtet, suchten die Truppenobersten wenig später ihr Heil in der Flucht nach Ägypten (43,5–7), womit der Bedarf an einer solchen Rechtfertigung entfiel. Weiterhin befand es der Autor nicht für nötig, seine Leser in die historische Rahmensituation einzuführen, und stellte seine Figuren bloß mit ihren Namen und Status vor, was die extrem ereignisnahe Datierung erhärtet. Das JD arbeitete wie die AJ mit der tendenziösen Darstellung von Geschichte und veranschaulicht auf seine Weise, welche Bedeutung der Apologetik in jenen konfliktgeladenen Zeiten zukam. Mit Schriftgelehrsamkeit hatte das Werk schon aufgrund seiner Herkunft nichts gemein. Es gibt keinen Grund, die Truppenobersten mit dem Tempel zu verbinden, doch müssen sie dem Jerusalemer Königshof unterstanden haben, solange dieser existierte, zumal 40,8 den Schluss nahelegt, dass der davidische Attentäter Jischmael ben Netanja entgegen dem von JD geschürten Eindruck, die Truppenobersten hätten nichts mit ihm zu tun gehabt, in Wahrheit ihr Oberkommandierender gewesen ist. Dann wird man diesen Militärs jenen Grad an Alphabetismus zutrauen dürfen, wie er nach dem Zeugnis der Lachisch-Briefe seinerzeit unter judäischen Offizieren üblich war. Intertextuelle Verweise sind weder erkennbar noch auch nur zu erwarten; und das Bemühen um ausgefeilte Techniken lag dem Autor des schlichten Stücks Zweckliteratur naturgemäß fern. Die Apologie der Truppenobersten war ebenfalls für politische Entscheider bestimmt, und das können zur fraglichen Zeit bloß die Babylonier gewesen sein. Vermutlich sollte die Schrift dem örtlichen babylonischen Oberbefehlshaber in akkadischer Übersetzung vorgetragen werden. So steuert die Quelle zwar nur ein bescheidenes Mosaikstück zur Frage nach den Ursprüngen der Jeremialiteratur bei, wirft aber ein vielsagendes Schlaglicht auf die Schriftkultur jener Epoche: Wenn man sogar im kriegszerstörten Juda bald nach der Katastrophe abseits schriftgelehrter Kreise propagandistische Traktate mit rein politischer Zielsetzung produzierte, liefert dies ein Indiz für das Ausmaß, das der Alphabetismus damals bereits erlangt hatte. 26
Für den näheren Nachweisversuch ist auf die in Anm. 25 genannte Untersuchung zu verweisen.
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IV. Die Erzählung vom Untergang des palästinischen Judäertums Auf die UPJ‑Erzählung geht der novellenartige Erzählkomplex 34,7 + *37,3– 43,7b abzüglich einiger jüngerer Nachträge zurück. Das Werk baute auf der Apologie Jeremias auf, indem es deren Darstellung des Geschicks Jeremias während der babylonischen Belagerung Jerusalems um weitere Details und Aspekte vermehrte und vor allem den Bericht bis zur Flucht sämtlicher nichtexilierter Judäer nach Ägypten im Gefolge der Ermordung Gedaljas ausdehnte. Für die Schilderung der Ereignisse um Gedaljas Tod flocht der Verfasser das Jischmael-Dossier ein. Im Unterschied zu ihren Quellen ist die UPJ‑Erzählung allerdings im Exil entstanden, da die Fiktion der Totalemigration einen judäischen Ursprung ausschließt; ferner kommt angesichts der kategorischen Verdammung der Auswanderer eine ägyptische Herkunft genauso wenig in Betracht. Allerdings ist die UPJ‑Erzählung ebenfalls noch ereignisnah entstanden, jedenfalls kaum später als 570, da der Anhang 43,7c–13 ein Abfassungsdatum recht bald nach 568 voraussetzt. Laut 42,12 erhoffte der Autor die Erlaubnis zur Heimkehr überdies vom König von Babylon; folglich galt bei Niederschrift die babylonische Macht als unerschütterlich und war deren künftige Bedrohung seitens der Perser noch nicht zu erahnen. Weiterhin werden neu eingeführte Figuren ähnlich wie in der AJ nur mit ihren Namen oder allenfalls mit dem Titel „ ׂשר החיליםTruppenoberster“ vorgestellt, was voraussetzt, dass das implizierte Publikum die betreffenden Männer kannte. Obendrein wurde die UPJ‑Erzählung von jener deuteronomistischen Redaktion verarbeitet, die die babylonische Fortschreibung des Jeremiabuchs Jer *26–44 hervorbrachte und nach wie vor nichts von einem Niedergang des babylonischen Reiches wusste (s. u. VI). Auch bei der UPJ‑Erzählung ist die apologetische und polemische Orientierung mit Händen zu greifen. Hatte die AJ nur einzelne, namentlich aufgeführte Mitglieder der Führungskreise als gewalttätige Widersacher Jeremias verurteilt (38,1.3–4; vgl. 37,3), erweiterte die UPJ‑Erzählung die Front gegen ihn auf sämtliche judäischen ( ׂשריםAngehörige der führenden Oberschichtsfamilien, Patrizier; 37,11–16.20; 38,24–27). Obendrein nahm das Dokument den Propheten gegen die Kritik in Schutz, mit den judäischen Überläufern auf babylonischer Seite unter einer Decke zu stecken, ein Vorwurf, den laut der Erzählung speziell die Patrizier erhoben (37,13–16; 38,19–20). In der zweiten Hälfte der Schrift (*40,7–43,7b), die der Verfasser, soweit erkennbar, selbst gestaltet hat – vom Einbau des JD abgesehen –, richtete sich seine Polemik gegen die Ägyptenemigranten, denen er bescheinigte, aus einem Akt des offenen Ungehorsams gegen den ausdrücklichen Befehl Jhwhs, im Land zu verbleiben, hervorgegangen zu sein (*42,1–43,7b). Indem der Autor die Existenz einer heimischen Restbevölkerung leugnete und der ägyptischen Diaspora den Untergang ansagte, propagierte er den exklusiven Anspruch der babylonischen Gola auf die Fortsetzung der judäischen
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Heilslinie. Implizit appellierte er damit an seine Mitgefangenen, ihrer unvertretbaren heilsgeschichtlichen Rolle als einzige mögliche Erben des vorexilischen Juda gerecht zu werden. Zugleich zeichnete er die Siegermacht nochmals freundlicher, als dies schon die AJ getan hatte (40,9–10.12cd; 42,10?.11–12), und legte Jhwh sogar die Verheißung in den Mund, der König von Babel werde den Judäern die Erlaubnis zur Heimkehr erteilen (42,12). Dieses sympathische Porträt wird als Einladung an die Adressaten zu verstehen sein, eine konstruktive Haltung zu den Babyloniern einzunehmen, weil sie nur so die ihnen zugefallene Aufgabe erfüllen konnten, den Fortbestand Judas zu sichern. Anscheinend wollte der Autor die Exilanten bewegen, aussichtslose Obstruktion aufzugeben,27 um die Spielräume zur Gestaltung ihres Lebens optimal zu nutzen und die vorhandenen Hoffnungsperspektiven für die Zukunft offenzuhalten. Die Werbung für seine Sicht der Lage war selbstredend nur erforderlich, wenn seine Position bei vielen Deportierten auf Ablehnung stieß. Dann legt sich eine Antwort auf die Frage nahe, warum der Verfasser so nachdrücklich die Distanz Jeremias zu den Überläufern betonte und damit implizit seine eigene Abneigung gegen diese Leute hervorkehrte: Seine Bereitschaft zur Kooperation mit den Babyloniern bezahlte der Autor mit dem Vorwurf der hochverräterischen Kollaboration, den er hiermit abzuwehren trachtete. So dürfte er im Gewand der Verteidigung des Propheten seine eigene Apologetik betrieben haben. Intertextuelle Verweise der UPJ‑Erzählung auf andere Schriften sind nicht ersichtlich. Das vorausgesetzte Wissen bezieht sich wie bei der AJ auf die rezente Geschichte Judas, Jeremias Haltung zur babylonischen Großmacht und die Akteure des Geschehens. Wenn der Verfasser hoffte, mit seiner Behauptung der Totalemigration auf Glauben zu treffen, rechnete er sogar umgekehrt mit einem begrenzten Informationsstand seiner Adressaten. Und gleich der AJ verrät die UPJ‑Erzählung nichts Näheres über die von den Kontrahenten vertretenen theologischen Konzeptionen; so schweigt sie ebenfalls über die zionstheologische Prägung von Jeremias patrizischen Gegenspielern. Dem Propheten legte der Autor Worte in den Mund, wonach das Schicksal Jerusalems vor Jhwh besiegelt sei, aber man erhält weiterhin keine Auskunft, warum dies so sein müsse (37,7–8.17). Im konzeptionellen Kernstück der UPJ‑Erzählung, der großen Prophetenrede *42,10–22, übermittelt Jeremia den angehenden Ägyptenemigranten die göttliche Warnung, dass am Nil der Untergang durch Krieg und Hunger auf sie warte (42,15–16).28 Doch auch hier reicht die theologische Motivation nicht über den Anspruch hinaus, Jhwh fordere eben den Verbleib der Nichtexilierten im Lande und werde ihre Furcht vor den Babyloniern als unbegründet erweisen (42,11–12).29 Das ist ein eklatanter Unterschied zur deuteronomistischen Dublet27
Die Virulenz solcher Einstellungen unter den Exilanten wird durch Jer 29,21–23 belegt. Vgl. ferner die mutmaßlich nachgetragenen V. 17–19.22. 29 Vgl. ferner den mutmaßlich nachgetragenen V. 10. 28
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te dieser Prophetenrede in Kap. 44, die Ägypten immerhin als einen Ort kennzeichnet, wo die Auswanderer unausweichlich ihre hartnäckigen Verstöße gegen das Erste Gebot fortsetzen werden (44,7–8.15–25). Der Mangel an spezifisch jahwistischen Theologumena in der UPJ‑Erzählung tritt insbesondere im Verzicht auf jegliche Anspielungen auf die Traditionen von Exodus und Landgabe zutage. Dies gilt auch für spätere Erweiterungen: Anders als bisweilen behauptet, lassen die an Jer 41–44 beteiligten Autoren keinerlei Versuch erkennen, die Flucht nach Ägypten als Anti-Exodus zu stilisieren.30 Die UPJ‑Erzählung diente wie die zuvor charakterisierten Quellen primär der Propaganda für konkrete politische Ziele. Dazu wandte sich der Verfasser an jene führenden Mitexilanten, die in der Frage des gebotenen Umgangs mit den Babyloniern fundamental anderer Meinung waren. Angesichts des Argwohns, der ihm entgegenschlug, sah er sich genötigt, unter der Maske der Entlastung des Propheten seine eigene Apologetik zu betreiben. Hatte er es schon schwer genug, ein widerstrebendes Publikum für seine Anliegen zu gewinnen, konnte er sich erst recht nicht leisten, den Zugang zu seinem Text durch hermetische Verweistechniken zu erschweren. Indem er freilich den exklusiven Heilsanspruch der babylonischen Gola verfocht, befeuerte er die Rivalität zwischen den verschleppten Judäern und jenen zu Hause sowie in Ägypten, eine Konkurrenz, die, wie mehrere Zeugnisse im Alten Testament belegen, mit den Deportationen ausgebrochen war.31
V. Die Kampfschrift gegen die antibabylonischen Falschpropheten Jer 27–29 geht zurück auf eine ehemals selbstständige Kampfschrift gegen Falschpropheten im Umfang von *27,2–29,23 AlT, die wahrscheinlich wie die UPJ‑Erzählung unter Einbau älterer Quellen in der Gola komponiert wurde. Für exilische Herkunft spricht der Aufbau des Werkes, das erst mit den Falschpropheten in den Nachbarstaaten (*27,2–11) und sodann mit jenen in Juda befasst ist (*27,12–28,14), bevor es sich an der privilegierten Schlussposition den Falschpropheten unter den Verschleppten zuwendet (*29,1–23). Auf denselben Ursprung 30 Anders z. B. J. M. Abrego, Jeremías y el final de reino. Lectura sincronica de Jer 36–45 (EstAT 3), Valencia 1983, 202–206; J. M. Abrego de Lacy, Jr 36–45: El anti-Éxodo y su teología, in: J. R. Ayaso Martínez u. a. (Hg.), IV Simposio Bíblico Español (I Ibero-Americano). Biblia y Culturas I, Granada 1993, 69–74; A. Rayappan, Out of Egypt. Bondage and Liberation in Jeremiah, in: S. Paganini/C. Paganini/D. Markl (Hg.), Führe mein Volk heraus. Zur innerbiblischen Rezeption der Exodusthematik, FS G. Fischer, Frankfurt a. M. 2004, 37–53, hier 48–49; G. Fischer, Zurück nach Ägypten? Exodusmotivik im Jeremiabuch, in: H. Ausloos/B. Lemmelijn (Hg.), A Pillar of Cloud to Guide, FS M. Vervenne (BEThL 269), Leuven 2014, 73–92, hier 85–87. 31 Vgl. Jer 13,1–11; Ez 11,14–16; 33,23–29, sowie an späten Reflexen Jer 24 und 29,16–20.
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deutet die Tatsache, dass das Werk aus dem Brief Jeremias an die Exilanten zitiert (29,5–7.15.21–23abe), der den Autoren mithin vorlag. Den terminus post quem markiert die Verarbeitung von Dokumenten, die bereits auf die Niederlage von 587 zurückschauten (27,8.11.19–22 AlT). Die untere Grenze zieht die im Jeremiabrief aufgeworfene Frage nach der Dauer des Exils (29,5–6), die mit dem Anbruch der Perserherrschaft erledigt war. Außerdem werden die Falschpropheten durchgehend als antibabylonische Agitatoren verstanden, was ein Abfassungsdatum vor den 540er Jahren verlangt, als die Perser mit ihrer Expansion nach Kleinasien zu einem gefährlichen Konkurrenten der Großmacht aufstiegen. Das diachrone Verhältnis zur UPJ‑Erzählung ist nicht zu bestimmen. Ganz wie die vorweg besprochenen Quellen zielte auch die Kampfschrift gegen die antibabylonischen Falschpropheten auf einen Einstellungswandel in politischen Belangen bei Adressaten, die sich dem Standpunkt der Autoren bzw. Redaktoren des Dokuments widersetzten. Im Dienste seiner propagandistischen Abzweckung stimmte das Werk in die Apologetik Jeremias ein, indem es seine Glaubwürdigkeit durch Zitate seiner mittlerweile bewahrheiteten Prophetenworte verteidigte (AlT 27,6–10.16–22; 28,12–14; 29,21–23), um zugleich gegen seine gescheiterten Kontrahenten zu polemisieren, indem es ihnen Lüge und heimtückischen Verrat an den Judäern vorwarf (27,14–18; 28,13–14; 29,8–9.21– 23). Abermals ist das implizierte Publikum vorrangig unter jenen einflussreichen Männern zu suchen, die über den politischen Kurs entschieden. Diese Annahme kann sich im gegebenen Fall auf den Vorspann zum Exzerpt aus dem Jeremiabrief stützen, der als Adressaten „die Ältesten der Verbannten und die Priester, die Propheten und das ganze Volk“ aufzählt (29,1 AlT). Das erste Glied der Reihe gebraucht mit den „Ältesten der Verbannten“ ( )ז ִ ְקנֵי הַּג ֹולָהeine im Alten Testament singuläre Verbindung, was für die Annahme spricht, dass die Wendung dem Brief selbst entstammt und die Empfänger im technischen Sinne benannte, denen das Schreiben auszuhändigen war und von denen erwartet wurde, dass sie es lesen konnten, und sei es zunächst mit Hilfe des überbringenden Boten. Wenn anschließend die übrigen Glieder, seien sie original oder redaktionell ergänzt, den Empfängerkreis formelhaft32 auf sämtliche Exilanten ausdehnen, bezeichnen sie jene Gruppen, denen gegenüber „die Ältesten der Verbannten“ als Multiplikatoren auftreten sollten, weil die Botschaft des Briefes die gesamte judäische Gola anging. Bei einer solchen Sachlage erscheint eine Differenzierung geboten, die sich auch für weitere hier zu besprechende Texte empfiehlt, nämlich die Unterscheidung zwischen den intendierten Lesern und den intendierten Adressaten. Bei der gegebenen Verbreitung des Alphabetismus konnte der Kreis der intendierten Adressaten die potenzielle Leserschaft weit übersteigen. Dann waren die Texte für kompetente Leser bestimmt in der Erwartung, dass sie die 32 Vgl.
162.
H.‑J. Stipp, Deuterojeremianische Konkordanz (ATSAT 63), St. Ottilien 1998, 160–
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Botschaft per oraler Kommunikation an die intendierten Adressaten weitervermittelten. Das Vorwissen, auf dem die Kampfschrift gegen die antibabylonischen Falschpropheten aufbaute, erstreckte sich erneut auf die allseits vertraute rezente Geschichte Judas. Spezifischere Kenntnisse waren lediglich im Hinblick auf die antibabylonische Konferenz in Jerusalem unter Vorsitz Zidkijas gefordert (27,2– 11), deren Zweck nicht erläutert wird. Wenn 29,2 die exilischen Empfänger des Jeremiabriefs ausdrücklich mit den Opfern der ersten Verschleppung von 597 identifiziert, geht der Text sogar von einem überraschend niedrigen Bildungsstand aus.33 Hier ist anscheinend später noch eine an 2 Kön 24,12–16 angelehnte Information nachgetragen worden, um schwindende Geschichtskenntnisse zu kompensieren. Schlüsse auf die supponierten Vorkenntnisse erlaubt ferner die Art, wie das Dokument die namentlich identifizierten Figuren vorstellt. Bei den beiden judäischen Diplomaten Elasa ben Schafan und Gemarja ben Hilkija in 29,3 genügte die Angabe von Name und Filiation; Anlass und Zweck ihrer Reise nach Babylon erschienen keiner Erklärung bedürftig. Ähnlich sparsam wurde mit den drei prominenten prophetischen Gegenspielern Jeremias verfahren. Bei Hananja in Jerusalem, der in 28,1 mit Filiation und Herkunftsort eingeführt wird, dürfte die Annahme nicht fehlgehen, dass er als Wortführer des zionstheologischen Enthusiasmus ein wohlbekannter Mann gewesen ist. Allerdings büßt die um seine Person kreisende Erzählung auch ohne dieses Wissen nichts an Verständlichkeit ein. Die Kampfschrift untergrub Hananjas Glaubwürdigkeit durch die Wiedergabe seiner inzwischen falsifizierten Ankündigungen (28,2–4.11; vgl. V. 14; s. weiterhin unten IX).34 Jeremias exilische Widersacher Ahab und Zidkija tragen in AlT nicht einmal Filiationen, und der antibabylonische Charakter ihrer Botschaften geht nur aus dem Kontext hervor. Die Darstellungsweise ist auf ein Publikum zugeschnitten, das sich noch eine längere Weile an die beiden erinnerte. Das Dokument diskreditierte Ahab und Zidkija mit dem Zitat aus dem Jeremiabrief, der ihr Falschprophetentum an der Terrorstrafe ablas, die die Babylonier als Jhwhs Vollstrecker über sie verhängt hatten (29,15.21–22). Dazu kam der vernichtende Vorwurf – dessen Wahrheitsgehalt natürlich offenbleiben muss –, dass die beiden ihre Mitgefangenen gehörnt hätten (29,23). Die praktische Konsequenz lag auf der Hand: Die Exilanten sollten den offenbar fortdauernden antibabylonischen Schalmeienklängen aus ihren Reihen die Gefolgschaft verweigern und das Heil in der Kooperation mit der Siegermacht suchen. Auch die Kampfschrift gegen die anti33 Der Vers kann nicht dazu gedient haben, die Verschleppung im Jahr 597 von weiteren, uns unbekannten Deportationsschüben vor 587 zu unterscheiden, da deren Opfer ebenfalls zu den intendierten Adressaten des Briefes gezählt hätten. 34 Die V. 15–17 sind jüngeren Datums, unterstützen aber dasselbe Anliegen durch die Nachricht von dem durch Jeremia korrekt prophezeiten baldigen Tod Hananjas.
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babylonischen Falschpropheten erhob also Forderungen, die zwar religiös per Rekurs auf den Gotteswillen begründet waren, aber konkretes politisches Handeln verlangten. Hierzu entlieh sie ihren Quellen eine Polemik, die bei der Wahl ihrer Mittel nicht gerade zimperlich war. Und wiederum mussten die Autoren die Verständnishürden niedrig halten.
VI. Die deuteronomistischen Redaktionen I und II Die dtr Redaktionen I und II (JerDtr I und II) bezeichnen jene Schritte im literarischen Werdegang des Buches, die das Werk erstmals dem heutigen Erscheinungsbild annäherten, indem dtr Redaktoren ältere Einzeltexte und Sammlungen mit Eigenbeiträgen zu größeren Kompositionen vereinten. Zuerst schuf JerDtr I auf heimischem Boden das judäische Jeremiabuch im Umfang von *1,1– 25,13;35 einige Jahre später verlängerte JerDtr II diesen Bestand im Exil um die babylonische Fortschreibung bzw. das babylonische Jeremiabuch mit den Kapiteln *26,1–44,28.36 Auch der zweite Redaktionsschub deutet noch keine Kenntnis vom Niedergang des babylonischen Reiches an, fand also ebenfalls zu Zeiten statt, bevor das babylonische Reich ernstliche Symptome von Schwäche zu zeigen begann. Die dtr Redaktoren verwandelten Jeremia in einen Sprecher für ihr Hauptanliegen, die Erklärung der Katastrophe von 587 als göttlicher Strafe für den permanenten Fremdgötterdienst, verschärft durch das soziale Unrecht, das damit einherging. Dazu ließen sie Jhwh bzw. seinen Propheten immerfort den 35 Zu JerDtr I werden hier gerechnet: 1,11–19; 2,28; 5,19; 7,2d–8,3; 9,12–15; 11,1–14.17; 13,1–14; 14,11–16; 15,1–3; 16,2–13.16–18; 19,1–13; 22,1–6a.8–9; *25,1–13a2 AlT. 36 Zu JerDtr II werden hier gerechnet: 26,1–6.8*–9.17–23; 34; 44,1–28. – Entgegen verbreiteten Behauptungen wurde Jer 44 nicht deutlich später verfasst und ist auch keiner separaten Redaktionsschicht wie der „golaorientierten Redaktion“ zuzuschreiben, die es nicht gegeben hat (es sei denn, man appliziert das Etikett auf JerDtr II); die dafür angeführten Indizien sind Eigenarten von JerDtr II und seiner ebenfalls im Exil entstandenen Quellen: der UPJ‑Erzählung und der Kampfschrift gegen die Falschpropheten. Den terminus ante quem von Jer 44* markiert das Erweiszeichen 44,29–30, das dem Kapitel nachträglich angefügt wurde und den gewaltsamen Tod des Pharaos Hofra (gräzisiert Apriës) im Jahr 567 prophezeit; vgl. A. Schütze, Art. Apries (erstellt: April 2010), WiBiLex (permanenter Link: https://www.bibelwissenschaft.de/ de/stichwort/13565/). Wie der Rekurs auf dieses vergleichsweise unbedeutende Ereignis zeigt, wusste der Autor noch nichts von der Eroberung Ägyptens durch Kambyses (525) und dem Tod des letzten saïtischen Pharaos Psammetich III. (523). Dies zu K.‑F. Pohlmann, Studien zum Jeremiabuch. Ein Beitrag zur Frage nach der Entstehung des Jeremiabuches (FRLANT 118), Göttingen 1978, 191; Ders., Das „Heil“ des Landes – Erwägungen zu Jer 29,5–7, in: A. Lange/ H. Lichtenberger/D. Römheld (Hg.), Mythos im Alten Testament und seiner Umwelt (BZAW 278), Berlin/New York 1999, 144–164, hier 146, Anm. 15; F. Kuhn, Less than 300 Years. A Response to Hermann-Josef Stipp, in: H. Najman/K. Schmid (Hg.), Jeremiah’s Scriptures. Production, Reception, Interaction, and Transformation (JSJ.S 173), Leiden/Boston 2017, 191– 196.
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Götzenkult,37 mehrmals auch die wirtschaftliche Ausbeutung38 anprangern, sei es in Form der Anklage oder der Mahnung zum Rechttun. Maßgeblich für die Frage nach den Adressaten solcher Texte sind die Vorstellungen der jeremianischen Deuteronomisten vom Kreis der Verantwortlichen und von den Konsequenzen, die deren Handeln hervorgerufen hatte. In den Augen der Deuteronomisten hatten sich sämtliche Judäer versündigt und so das Schicksal des ganzen Volkes besiegelt. Wenn die Redaktoren daher die Schuldigen, die Schauplätze ihrer Vergehen und die Orte des hereingebrochenen Unheils benannten, griffen sie fortwährend zu Vollständigkeitsfloskeln, die das ganze Land nach Bevölkerung und Territorium abdeckten, wie etwa „die Städte Judas und die Gassen Jerusalems“ (7,17.34; 11,12–13; 44,6.17.21), „das Land Juda und die Gassen Jerusalems“ (44,9), „Jerusalem und die Städte Judas“ (1,15; 44,2), „die Städte Judas und die Bewohner Jerusalems“ (11,12), „die Männer Judas und die Bewohner Jerusalems“ (11,9), „die Söhne Judas“ (7,30), „dieses Volk“ (16,5; vgl. 13,10), „dieses Volk und diese Stadt“ (19,11) oder das judäische Volk mit seinen Ständen (13,13; 34,19; 44,9.17.21). Folgerichtig soll auch die Aufklärung über die Ursachen der Not ausnahmslos sämtliche Judäer erreichen. Wenn deshalb Jhwh seinem Propheten einen Verkündigungsauftrag erteilt, benennt er als Adressaten beispielsweise „die Männer Judas und die Bewohner Jerusalems“ (11,2), „ganz Juda“ (7,2), „das ganze Volk Judas“ (25,1),39 „dieses Volk“ (16,10) oder das judäische Volk, aufgefächert nach seinen Ständen (1,17–18; 22,2). Dementsprechend befiehlt Jhwh, Jeremia solle seine Botschaft in „den Städten Judas und den Gassen Jerusalems“ verkünden (11,6) oder stark frequentierte Orte nutzen wie den Eingang zum Königspalast (22,1) und den Vorhof des Tempels (26,1; vgl. 7,2 MT). Dazu konstruieren die Redaktoren ideale Auditorien wie „alle [Städte] Judas, die kommen, um sich im Haus Jhwhs niederzuwerfen“ (26,2) oder „das ganze Volk“ (26,8; vgl. V. 17). Wird Jeremia zu einem Auftritt ins Tal Ben-Hinnom bzw. ans Scherbentor beordert, also an einen Schauplatz, der weniger Publikumsverkehr aufzuweisen hat, aber besondere Symbolkraft besitzt, soll er prominente Zeitgenossen „von den Ältesten des Volkes und von [den Ältesten] der Priester“ mitbringen (19,1–2), die man sich offenbar in der Rolle von Multiplikatoren vorstellen darf. Wenn die Prophetenreden das Publikum direkt ansprechen, benutzen sie Ausdrücke von umfassender Bedeutung wie „Juda“ (2,28), „ganz Juda“ (7,2), „Könige von Juda und Bewohner Jerusalems“ (19,3) und „König von Juda …, du, deine Knechte und dein Volk, die durch diese Tore kommen“ (22,2). Noch bei dem Disput, den Jeremia laut Kap. 44 mit den Ägyptenemigranten ausfocht, unterstreichen inständige Wiederholungen, dass sämtliche 37
1,16; 2,28; 5,19; 7,6.9.17–19; 11,12–13; 13,10; 16,12–13; 19,4–5.13; 22,9; 25,6–7; 44,2–6.20–23. 7,5–6.9; 22,3; 34,8–16. 39 25,2 ist sekundär; s. Anm. 9 (z. St.). 38
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judäischen Auswanderer zugegen und Zielscheibe der Unheilsansagen gewesen seien (44,1.15.20.24 MT.26–28).40 Die dtr Redaktoren boten also massive Ausdrucksmittel auf, um das gesamte Volk als Adressat ihrer Botschaft kenntlich zu machen. Die Totalität der Ansprache ergab sich zwangsläufig aus der Natur ihres Kerygmas: Die dtr Maximen waren für alle Judäer ohne Ausnahme verbindlich, und an ihrer Observanz entschied sich nichts weniger als das Wohl und Wehe des ganzen Volkes, wie in dtr Sicht die Geschichte von Nord- und Südstaat überdeutlich erwiesen hatte. Hier ging es um schlechterdings alles. Deshalb waren im Kampf um das Überleben Israels gerade jene zu überzeugen, die sich weiterhin der Einsicht in den Ernst der Lage verschlossen und die unerlässlichen Konsequenzen verweigerten. Bei den dtr Schichten ist die Behauptung, sie seien für einen exklusiven Kreis von Gelehrten bestimmt gewesen, besonders schwer zu glauben. Folglich galt für die dtr Redaktoren umso mehr, was schon wiederholt für die Verfasser ihrer Quellen festzustellen war: Sie mussten die Verständnishürden niedrig halten. Denn während der von den Quellen verlangte Sinneswandel primär politischer Art war und darum vor allem die führenden Entscheider anging, beanspruchten die dtr Forderungen, jeden einzelnen Judäer zu verpflichten, und das mit tiefen Eingriffen in seine religiöse Praxis. Dabei können die jeremianischen Deuteronomisten natürlich so wenig wie die anderen hier besprochenen Autoren erwartet haben, dass ihr Buch von breiten Schichten gelesen würde; dies schloss neben dem Stand des Alphabetismus allein schon das allenfalls schmale Angebot an Kopien aus. Mithin waren die intendierten Leser gehalten, ihrer Aufgabe gegenüber den intendierten Adressaten nachzukommen. Angesichts der pragmatischen Ziele des Werkes und der literatursoziologischen Rahmenbedingungen werden die dtr Jeremiabücher als Versuche zu werten sein, einen Kreis von Multiplikatoren heranzubilden und in seiner missionarischen Arbeit zu unterstützen. Das Verfahren führte sowohl die typisch deuteronomistische katechetische Lehr- und Lernkultur41 als auch den Brauch der Deuteronomisten weiter, in ihrer gesamten erhaltenen Literaturproduktion ihre Lehren bekanntermaßen nur zu geringem Teil mit der auktorialen Stimme zu propagieren, sondern sie weit überwiegend in den Mund autoritativer Sprecher zu verlegen, die predigtartige Reden vortrugen.42 40 Jüngere Schichten in deuterojeremianischer Tradition haben diese Praxis fortgesetzt; vgl. etwa 35,13; 36,2.6d.9–10. 41 Vgl. z. B. Ex 12,26–27; 13,8.14; Dtn 4,1.5.10.14; 5,1.31; 6,1.20–25; 11,19; 14,23; 17,9–11.19; 24,8; 31,12–13.19.22; 33,10; Jos 4,6–7.21–24 u. a. sowie die Gerichtsbegründung nach dem Frage-Antwort-Schema (Jer 5,19; 16,10–13). 42 Für eine Predigttätigkeit der Deuteronomisten plädieren in verschiedenen Varianten z. B. E. Janssen, Juda in der Exilszeit. Ein Beitrag zur Frage der Entstehung des Judentums (FRLANT 69), Göttingen 1956; E. W. Nicholson, Preaching to the Exiles. A Study of the Prose Tradition in the Book of Jeremiah, Oxford 1970; W. Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1–25 (WMANT 41), Neukirchen-Vluyn 1973, 290–293; E. S. Gerstenberger, Deu-
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Die sprachlichen Eigenarten deuteronomistischer und deuterojeremianischer Erzeugnisse sowie deren normalerweise paränetische Daseinszwecke ergaben im Blick auf die Finesse ihrer literarischen Verfahren ein eigenartiges Paradox: Einerseits bedingte ihr außerordentlich klischiertes Vokabular, dazu die Häufigkeit solcher Schöpfungen im Alten Testament und schließlich deren intensive Nachwirkungen, dass solche Texte zu jenen zählen, die die höchsten Grade an Intertextualität in der erhaltenen antiken jüdisch-christlichen Literatur überhaupt erreichen. Andererseits durften die Autoren nicht riskieren, ihre pragmatischen Ziele durch die Sublimität ihrer literarischen Arbeitstechniken zu gefährden. Ohnehin war die hier betroffene geprägte Sprache dem Einsatz intendierter Intertextualität geradezu hinderlich, weil sie ein Überangebot an Parallelen hervorbrachte, das die vielfältigsten Querbezüge ermöglichte und so die kontrollierte Steuerung der Rezeption erschwerte. Hierbei ist selbstredend von der Ungültigkeit des verbreiteten, aber nie offen ausgesprochenen Vollständigkeitsaxioms auszugehen, also der unreflektierten Gleichsetzung der uns überkommenen Literatur aus biblischer Zeit mit dem Gesamt der einschlägigen Produktion.43 Deshalb darf der Stellenwert intendierter Intertextualität in diesem Korpus nicht überschätzt werden, wie die Kontrolle gegenteiliger Thesen erwartungsgemäß bestätigt.44 Die Forderung, das Ausmaß der intendierten Intertextualität realistisch zu taxieren, ist natürlich nicht mit der Behauptung zu verwechseln, die dtr Redaktoren hätten derlei Techniken überhaupt nicht benutzt. Im Gegenteil enthalten die dtr Anteile des babylonischen Jeremiabuchs besonders eindeutige Beispiele: In 26,18 berufen sich die Verteidiger Jeremias auf Mi 3,12 und weisen ihr Zitat explizit als solches aus. Demnach erwartete der Verfasser, dass sogar verbleibende Gegner Jeremias eine damals umlaufende Vorform des Buches Mi kannten und als Autorität in Ehren hielten, sodass sie die Stimme Michas über die Parteiengrenzen in religiös-politischen Richtungskämpfen hinweg als ausschlaggebendes Argument akzeptieren würden. Weiterhin führt 34,13–14 das deuteronomische Sklavengesetz mit einem variierten Zitat aus Dtn 15,12 als verpflichtende Norm an, und zwar vorweg ausdrücklich deklariert als Bestandteil des Exodusbundes. Folglich nahm der Autor an, dass sein Publikum sich des betreffenden Gebots bewusst war und es ebenfalls als bindend erachtete. Seinen unmittelbaren Adressaten traute er also durchaus eine gewisse Schriftkenntnis zu. Allerdings verließ teronomistische Predigt. Mutmaßungen über ihren „Sitz im Leben“, in: P. Mommer/A. Scherer (Hg.), Geschichte Israels und deuteronomistisches Geschichtsdenken, FS W. Thiel (AOAT 380), Münster 2010, 106–118. Skeptisch: C. M. Maier, The Nature of Deutero-Jeremianic Texts, in: H. Najman/K. Schmid (Hg.), Jeremiah’s Scriptures. Production, Reception, Interaction, and Transformation (JSJ.S 173), Leiden/Boston 2017, 103–123. 43 Oder mit Erhard Blum: „die Gleichsetzung der uns überkommenen Traditionsliteratur und der Traditionswelt des alten Israel“; so Blum, Notwendigkeit, 16 (Hervorhebungen im Original). 44 S. o. Anm. 7.
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er sich nicht darauf, dass seine Leser die intertextuellen Verweise selbstständig identifizieren würden, sondern er machte sie eigens als solche kenntlich, indem er ihnen klärende Einleitungen voranschickte. Die dtr Redaktoren des Jeremiabuchs verfolgten also vorrangig propagandistische bzw. missionarische Ziele: die Werbung für die typisch dtr Theologumena und Lebensregeln. Daneben spielten jedoch auch Rivalitäten und Polemik eine tragende Rolle: Der Schöpfer des judäischen Jeremiabuchs prophezeite den Exilanten den Untergang (8,3; 9,15; 13,1–11; 16,13); der Urheber der babylonischen Fortsetzung tat dasselbe mit der Ägypten-Diaspora (Kap. 44). Wenn JerDtr II zudem die Kampfschrift gegen die antibabylonischen Falschpropheten und die UPJ‑Erzählung in sein Werk aufnahm, unterstützte er obendrein die theopolitischen Ziele seiner Vorlagen: Durch die Auswahl seiner Quellen propagierte er weiterhin die Ansicht, dass einzig die mesopotamischen Exilanten das Erbe des vorexilischen Juda antreten könnten, sofern sie sich auf ein kooperatives Verhältnis zu den Babyloniern einließen. Weniger deutlich ist, inwieweit zudem Apologetik die Feder führte. So dient die Erzählung von Jeremias Tempelprozess und dem Mord an Urija ben Schemaja (26*) zuvorderst der Gerichtsdoxologie bzw. der Theodizee, indem sie an narrativen Beispielen die Schuld der vorexilischen Judäer exemplifizierte, um daran das Recht von Jhwhs Strafhandeln aufzuweisen. Die Verteidigung Jeremias mit dem Votum eines älteren, bereits autoritativen Propheten weckt jedoch die Frage, ob der Autor es nach wie vor für erfordert hielt, zählebige Vorbehalte gegen seinen Helden zu bekämpfen. Derselbe Erklärungsweg kommt für die Einheit 34,1–6 in Betracht, der zufolge Jeremia während der Belagerung Jerusalems ein Heilswort für Zidkija verkündete, das dem König einen friedvollen Tod verhieß, merkwürdigerweise jedoch ohne das zu erwartende Thema der standesgemäßen Beisetzung in der davidischen Grablege anzuschneiden. Anscheinend hat der Verfasser ein überliefertes Orakel zitiert, allerdings auf jenen Anteil verkürzt, der in Zidkijas Exil tatsächlich eingetroffen war (V. 5). Vermutlich wollte der Autor auch damit die Glaubwürdigkeit Jeremias gegen anhaltende Gegnerschaft in Schutz nehmen.45 Bleiben hier noch Fragezeichen, ist jedenfalls die grundlegende Orientierung der dtr Redaktionen gesichert, die über den eigenen Kreis hinaus auf andere zielte, die es zu überzeugen galt.
45 H.‑J. Stipp, „In Frieden wirst du sterben.“ Jeremias Heilswort für Zidkija in Jer 34,5, in: S. J. Wimmer/G. Gafus (Hg.), „Vom Leben umfangen“. Ägypten, das Alte Testament und das Gespräch der Religionen. Gedenkschrift für Manfred Görg (AOAT 80), Münster 2014, 171–183.
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VII. Die patrizische Redaktion Die patrizische Redaktion (PR)46 mit ihren Hauptbestandteilen 26,7.10–16.24; 35,1–37,2 und 40,1–6 steht durch ihren Gebrauch geprägter Sprache fest in der deuterojeremianischen Tradition, unterscheidet sich jedoch von den dtr Anteilen durch ihre Parteinahme für die judäischen Patrizier ()ׂש ִָרים. Weitere hervorstechende, erklärungsbedürftige Besonderheiten bilden die Vorliebe für Schauplätze im Tempelareal und deren ständige Übercharakterisierung, die weit über die Bedürfnisse der jeweiligen Stoffe hinausgeht (26,10; 35,4; 36,10). Der redaktionelle Charakter und die post-dtr Position in der Stratigraphie des Buches sind an der Art des Einbaus in die Kontexte ablesbar: 26,7.10–16.24 erweitern die dtr Einheit Jer 26*, und der Block 35,1–37,2 unterbricht den originären Zusammenhang zwischen dem dtr Kap. 34 und dem Erzählkomplex 37,3 ff. Die leitenden Intentionen der PR gehen aus dem freundlichen Porträt der Patrizier, den Orten der Nachträge und den Schauplätzen der berichteten Ereignisse hervor: Die Einschübe in die Erzählung von Jeremias Tempelprozess (Jer 26) sollten die Patrizier als die maßgeblichen Unterstützer des Propheten erweisen, die ihn – im Bündnis mit dem „ganzen Volk“ (26,11.12.16) – vor dem sicheren Tod bewahrten. Zusätzlich relativierte die Bearbeitung damit vorweg die Nachricht in 26,21 AlT, dass die Patrizier zu den Todfeinden von Jeremias prophetischem Mitstreiter Urija ben Schemaja gehörten. Der Block 35,1–37,2 ist den Kap. *37–38 vorgeschaltet, die das gewalttätige Vorgehen von Patriziern gegen Jeremia schildern, wobei die Zutaten des Verfassers der UPJ‑Erzählung sämtliche Mitglieder dieses Standes als eine kollektive Front gegen Jeremia charakterisieren.47 Speziell das unmittelbar davor eingefügte Kap. 36 sollte dem abträglichen Bild der judäischen Führungskreise durch ein narratives Kontrastbeispiel zuvorkommen, in dem die Patrizier sowohl dem Propheten als auch seiner Prophetie durch den rechtzeitigen Rat zur Flucht das Überleben sichern (36,19). Wie die UPJ‑Erzählung die Feindschaft einzelner Patrizier gegen Jeremia auf die gesamte soziale Schicht erweiterte, so dehnte die PR umgekehrt die Solidarität einzelner Patrizier mit Jeremia auf die komplette Gruppe aus. Da die Patrizier nicht selbst von ihrem untadeligen Verhalten gegenüber dem mittlerweile von der Geschichte bestätigten und anerkannten Propheten überzeugt zu werden brauchten, sind die Adressaten der Redaktion abermals außerhalb des eigenen Kreises zu suchen, anscheinend bei dem in den Zusätzen zu Kap. 26 so schmeichelhaft typisierten judäischen Volk, sprich: weiteren bedeutenden Entscheidungsträgern neben den Patriziern selbst. 46 H.‑J. Stipp, Jeremia, der Tempel und die Aristokratie. Die patrizische (schafanidische) Redaktion des Jeremiabuches (Kleine Arbeiten zum Alten und Neuen Testament 1), Waltrop 2000. 47 37,11–21; 38,19–20.24–27.
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Für die Gründe, warum die Patrizier ihr Image gegenüber diesem Forum aufzuhellen versuchten, liefern die auffälligen übergenauen Ortsangaben im Tempelbezirk einen Fingerzeig: Die PR wandte sich anscheinend gegen Bestrebungen der Priesterschaft, im Zuge des Tempelneubaus die Zugangsrechte von Laien gegenüber der vorexilischen Rechtslage nachhaltig zu beschneiden. Diese Stoßrichtung erklärt auch, warum die patrizischen Erweiterungen in Kap. 26 gegen die Priester und Propheten polemisieren, indem sie ihnen die Rolle der Negativfiguren übertragen, die für Jeremia das Todesurteil fordern. Ist dies richtig, wird die Entstehungszeit der PR auf die Jahre des nachexilischen Tempelbaus eingegrenzt. Wie sich weiterhin ergibt, verfolgte die PR ebenfalls ein konkretes politisches Ziel und sollte dazu „das Volk“ – im soeben präzisierten Sinne – für ihr Anliegen gewinnen, um den Priestern eine möglichst breite Front des Widerstands entgegenzusetzen. Wie Jer 35 andeutet, haben die Patrizier hierbei auch den Schulterschluss mit Bundesgenossen gesucht, nämlich mit den Anhängern des Gottesmannes Hanan ben Jigdalja, die ebenfalls ihre Rechte im Tempelareal zu verlieren fürchteten (V. 4), sowie mit den Rechabitern, die nach der Abkehr von ihrem traditionellen Wanderhirtentum einen neuen Broterwerb im Tempeldienst suchten (V. 18–19). Aber welche Vorhaben auch immer die PR propagandistisch unterstützen sollte, steht jedenfalls fest, dass die judäischen Patrizier ihre Imagepflege nicht vor sich selbst betreiben wollten.
VIII. Jer 36* Abschließend sei noch auf zwei Texte eingegangen, die zwar zu den ältesten hier zu behandelnden Quellen zählen, aber erst jetzt nach Art von Anhängen zur Sprache kommen, weil sie sich in einer maßgeblichen Hinsicht grundlegend von den anderen Beispielen unterschieden: Die Grundschichten von Jer 28 und 36 waren ihrer Eigenart nach nicht für ein externes Publikum bestimmt, sondern dienten der Selbstvergewisserung des Kreises um Jeremia in kritischen Situationen.48 Wie sie dokumentieren, schuf das Geschick des Propheten auch bei seinen Anhängern einen Bedarf an Erklärung und Apologetik, der dazu beitrug, die Entstehung früher Jeremia-Literatur anzuregen. Die ältere der beiden Erzählungen, Jer 36*, wurde von dem patrizischen Redaktor nur in Teilen übernommen und ist daher bloß fragmentarisch erhalten; ihr dürften neben weiteren Bruchstücken mit einiger Sicherheit die alexandrinischen Fassungen der V. 14–16 und 20–30 entstammen. In 36,30 prophezeit Jeremia dem König Jojakim, dass ihm ein Thronfolger aus dem Kreis seiner Söhne und ein ordnungsgemäßes Begräbnis verweigert bleiben würden (vgl. 22,19.30). 48
H.‑J. Stipp, Zwei alte Jeremia-Erzählungen: Jer 28* und 36*. Fallstudien zum Ursprung der Jeremia-Erzähltradition, Bib. 96 (2015) 321–350.
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Die Ansagen sind nicht eingetroffen, weswegen die Erzählung vor dem Tod Jojakims 598 niedergeschrieben worden sein muss. Den terminus post quem bezeichnet der 9. Monat (Kislew = November/Dezember) des 5. Regierungsjahrs Jojakims, also der Winter 604/3, in dem der König die Schriftrolle mit den Jeremiaworten verbrannt haben soll (vgl. 36,9 MT mit V. 22). Dieses Datum ist zugleich eine der tragenden Stützen der Frühdatierung, denn laut der Babylonischen Chronik legte zu gleicher Zeit Nebukadnezzar II. die Stadt Aschkelon in Schutt und Asche.49 Der babylonische Sieg in der unmittelbaren Nachbarschaft Judas bildete wahrscheinlich die historische Kulisse von Jojakims spektakulärer Aktion, allerdings ohne dass dieser Hintergrund in der Erzählung erwähnt würde. Das Schweigen zu dem Geschehnis, das damals in Juda enormes Aufsehen erregt haben muss und auch einen plausiblen Anlass für den in den V. 6 und 9 erwähnten Fasttag bietet, erlaubt zwei Schlüsse: Zum einen wurde die Grundschicht für ein zeitnahes Publikum verfasst, das die Zerstörung Aschkelons noch fest mit dem 5. Regierungsjahr Jojakims assoziierte. Dies allein ermöglichte freilich bloß die Nichterwähnung und erklärt sie noch nicht. Dafür ist zweitens folgende Annahme vonnöten: Die Diskretion entsprang der Verlegenheit, die der Gang der Ereignisse dem Autor beschert hatte. Denn der in dem Zitat aus der Schriftrolle V. 29e–g angekündigte babylonische Angriff auf Jerusalem war trotz des himmelschreienden königlichen Frevels an den Gottesworten ausgeblieben, obwohl die babylonischen Streitkräfte in nächster Nähe operiert hatten. In solche Erklärungsnöte konnte der Erzähler allerdings nur vor dem Jahr 587 geraten, was die Frühdatierung zusätzlich erhärtet. Die besagte Verlegenheit beantwortet zugleich die Fragen nach den Adressaten und dem Motiv der Abfassung: Der Autor wollte die verunsicherten Jünger Jeremias durch das abschließende Gerichtswort über Jojakim in den V. 29– 30 mit der Botschaft bestärken, dass Jhwh die Schändung der Schriftrolle mit Gottesworten und die öffentliche Demütigung seines Propheten mit einer drakonischen Strafe für den König ahnden werde. Typisch für die prekäre Situation des Verfassers und seines Helden, verlangte die ursprüngliche Einleitung des Gerichtsworts in V. 29a AlT nicht einmal die Übermittlung der Unheilsansage an Jojakim. Die Entstehung der Grundschicht noch zu Lebzeiten Jojakims wird durch das Figureninventar weiter untermauert, da dort Männer auftreten, bei denen nicht zu sehen ist, wie das Interesse an ihnen längere Zeit überdauert haben sollte; so der mit der längsten Filiation des Buches bedachte Jehudi ben Netanja ben Schelemja ben Kuschi (V. 14.21.23) und der Prinz Jerachmeël (V. 26). In Gestalt von Jer 36* begegnet also tatsächlich in der frühen Jeremialiteratur einmal „internes Vergewisserungstextgut“50 eines geschlossenen Kreises, von dem 49 BM 21946 vs. 15–20; A. K. Grayson, Assyrian and Babylonian Chronicles (TCS 5), Locust Valley 1975, 100; HTAT 258, 416. 50 S. o. Anm. 4.
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allerdings nicht erkennbar ist, dass er aus Schriftgelehrten bestanden hätte, denn das vorausgesetzte Wissen bezog sich abermals auf die judäische Zeitgeschichte und ihre Protagonisten. Dabei enthält die Grundschicht von Jer 36 ein Beispiel, an dem sich die Rolle intentionaler Intertextualität im Alten Testament und die Methodik ihrer Identifikation studieren lassen. V. 24 beschreibt, wie unangemessen Jojakim und seine Entourage auf die Verlesung der Schriftrolle reagierten: הַשּׁ ֹ ְמעִים אֵת כָּל־הַדְּ ב ִָרים ָה ֵאלֶּה וְֹלא ָפחֲדוּ \ דָ ְרׁשּו וְֹלא ק ְָרעוּ אֶת־ ִבּגְדֵ יהֶם ַה ֶמּלְֶך ְוכָל־ ֲעבָדָ יו Sie aber erschraken (AlT: befragten) nicht und rissen nicht ihre Kleider ein – weder der König noch alle seine Diener, die alle diese Worte gehört hatten.
Für Veröffentlichungen zu Jer 36 gehört es nachgerade zum Pflichtprogramm, die Kontrastparallele zwischen Jer 36,24 und 2 Kön 22,11.13 hervorzuheben: ַתֹּורה ַויִּק ְַרע אֶת־ ְבּגָדָ יו ָ ַויְהִי ִכּשְׁמ ֹ ַע ַה ֶמּלְֶך אֶת־דִּ ב ְֵרי ֵספֶר ה11 … לְכוּ דִ ְרשׁוּ אֶת־י ְהוָה ַבּעֲדִ י וּ ְבעַד־ ָהעָם13 Als der König (Joschija) die Worte des Buches der Tora hörte, riss er seine Kleider ein … (und erteilte den Auftrag:) Geht, befragt Jhwh für mich und für das Volk …
Auf der Ebene des vollendeten Alten Testaments bilden die beiden Passagen in der Tat eine Kontrastparallele: Joschija reagierte auf die Verlesung des „Buches der Tora“ in vorbildlicher Weise, indem er durch das Einreißen seines Gewandes seine Bestürzung bekundete und umgehend eine prophetische Befragung Jhwhs veranlasste. Dagegen taten Jojakim und sein Hofstaat bei der Rezitation der Schriftrolle mit den Worten Jeremias nichts dergleichen. Aber war die Parallele bei Abfassung von Jer 36* beabsichtigt? Die Frage ist deshalb von Belang, weil sich daran wesentlich entscheidet, ob intertextuelle Verfahren zum literarischen Instrumentarium des Autors gehörten. Sollte er gewünscht haben, einen Querverweis auf den Bericht von der joschijanischen Reform herzustellen, muss verwundern, in welchem Maße er von seinem Vorbild abwich. So führte er mit פחדein neues Verb ein, das in 2 Kön 22–23 (wie in 1–2 Kön insgesamt) nicht vorkommt.51 Dafür überging er aus 2 Kön 22,13 das Verb דרׁשund überließ es einem Kopisten in der alexandrinischen Texttradition, nachträglich ָפחֲדּוdurch דָ ְרׁשּו zu ersetzen. Demnach erkannte jener Schreiber zwar eine Parallele zu 2 Kön 22, fand sie aber ungenügend realisiert. Von ׁשמעbildete der Verfasser keinen Infinitivus constructus, sondern ein Partizip. Und während Joschija „die Worte des Buches …“ vernahm, hörten Jojakim und sein Gefolge „alle diese Worte“. Weiterhin redet 2 Kön 22–23 konstant mit elf Belegen von einem „Buch“ () ֵספֶר,52 51 פחדkehrt dagegen in Jer 36,16 MT wieder, wo das Verb allerdings spät zwecks Angleichung an V. 24 eine Form von יעץersetzt hat, wie AlT (G* ἐζήτησαν) belegt. 52 2 Kön 22,8(2 ×).10.11.13(2 ×).16; 23,2.3.21.24.
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während Jer 36* von einer „Schriftrolle“ ( ) ְמגִּלָהsprach,53 ein Substantiv, das seinerseits in 2 Kön 22–23 nicht vorkommt. Wenn der Verfasser von Jer 36* den Gegensatz zwischen den Reaktionen Joschijas und Jojakims hervorheben wollte, wieso schöpfte er dann das Potenzial seines Verweistextes nicht weiter aus und ließ stattdessen einem alexandrinischen Tradenten Raum zum Nachbessern? Für die Bewertung des Befundes ist ferner die fast gänzlich ignorierte Tatsache zu beachten, dass 36,24 einen innertextlichen Rückbezug zu V. 23 vollzieht: ְאַר ָבּעָה יִק ְָר ֶע ָה בְּתַ עַר הַסֹּפֵר ְ ַויְהִי ִכּקְרֹוא י ְהוּדִ י שָֹׁלשׁ דְּ לָתֹות ו Sooft Jehudi drei oder vier Spalten verlesen hatte, zerschnitt er sie (d. h. die Schriftrolle) (regelmäßig) mit dem Schreibermesser.
Beim Hören von Jeremias Drohworten „zerschnitt“ – bzw. wörtlich: „zerriss“ ()קרע – Jehudi als Handlanger Jojakims die Schriftrolle mit einem Schreibermesser (oder Jojakim tat dies selbst; der Wortlaut lässt beide Interpretationen zu). Dabei hätten Jojakim und sein Hofstaat in Wahrheit ihre Kleider „einreißen“ ( )קרעmüssen (V. 24). Sie offenbarten ihre fundamentale Fehlorientierung, indem sie die Aktivität des Zerreißens auf das falsche Objekt richteten. Der lexikalische Konnex zwischen den Versen 23 und 24 bildet einen Querverweis im unmittelbaren Nahbereich, der gegenüber einem Fernverweis, zumal über Buchgrenzen hinweg, immer den Vorzug verdient, weil er erheblich geringere Ansprüche an die Rezipienten stellt. Da nun ein solcher Nahbezug existiert, ist für den Verfasser umso mehr zu bezweifeln, dass er zugleich (!) auf einen externen Intertext anspielen wollte.54 Eine gegenstandsgerechte Methodik hat zusätzlich zu bedenken, dass die Beschreibung ähnlicher Vorgänge in althebräischer Prosa auch ohne literarische Abhängigkeit rein zufällig ähnliche Formulierungen hervorbringen konnte. Doch sollte der Autor von Jer 36* wider die Wahrscheinlichkeit beabsichtigt haben, einen solchen Doppelbezug herzustellen, er53 Belege in Jer 36,14–16.20–30: V. 14(2 ×).20.21.23.25.27.28(2 ×).29. Erst der patrizische Redaktor ging für die beschriftete Rolle zu ֵספֶרüber. 54 Die Problematik der Annahme eines verfasserseitig intendierten intertextuellen Verweises auf 2 Kön 22,11 illustriert auf seine Weise K. Schmid, Schrift und Schriftmetaphorik in der Prophetie des Jeremiabuchs, in: F.‑E. Focken/M. R. Ott (Hg.), Metatexte. Erzählungen von schrifttragenden Artefakten in der alttestamentlichen und mittelalterlichen Literatur (Materiale Textkulturen 15), Berlin 2016, 123–144, wenn er erklärt, dass das „Motiv des Nichtzerreißens der Kleider in Jer 36,24 […] in Jer 36 ein blindes Motiv darstellt, aber ein klares Gegenbild zu 2 Kön 22,11 aufbaut“ (134). Damit geht er deutlich über eine frühere Äußerung hinaus: Schmid, Nebukadnezars Antritt, sprach nur von einem „etwas blind wirkende[n] Motiv“ (226). Ein blindes Motiv böte V. 24 nicht einmal dann, wenn der (bei Schmid nicht erwähnte) Rückbezug zu V. 23 fehlte, denn das Einreißen der Kleidung ist in jedem Fall eine situationsgerechte Antwort auf den Inhalt der Schriftrolle, wie in 29e–g exemplarisch zitiert. Schmids Behauptung verrät indes ein Gespür für die Fraglichkeit der These eines originären Querverweises auf 2 Kön 22, die einer Stütztheorie bedarf, und sei sie noch so weit hergeholt. – Seine Bewertung von Jer 36,24 als „blindes Motiv“ findet sogar Zustimmung: N. Mastnjak, Deuteronomy and the Emergence of Textual Authority in Jeremiah (FAT II 87), Tübingen 2016, 78.
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geben sich daraus für die Datierung der Grundschicht keine Probleme, sofern man anerkennt, dass größere Teile von 2 Kön 22–23 und namentlich der Passus 2 Kön 22,8–13 bereits dem originalen Deuteronomistischen Geschichtswerk angehörten, das als Werbe- und Warnschrift (abermals mit externer Orientierung) im Umfeld der joschijanischen Reform entstand und sie begleitete.55
IX. Jer 28* Die Erzählung von Jeremia und Hananja ist von den Redaktoren der Kampfschrift gegen die antibabylonischen Falschpropheten (s. o. V.) allem Anschein nach in Jer 28,1–14 weitgehend unversehrt übernommen worden. Lediglich der Anfang wurde durch Kap. 27* ersetzt, weil dort ebenfalls von einer Zeichenhandlung des Propheten mit Jochgeschirren die Rede ist (Reste dürften in 27,2 eingegangen sein). Außerdem wurde der heutige Beginn mit Rücksicht auf Kap. 27 von einem Er- in einen Ich-Bericht verwandelt („zu mir“ 28,1), und in den V. 15– 17 hat ein späterer Redaktor ein Gerichtswort über Hananja angefügt. Wie eindeutige Indikatoren erweisen, gehört Jer 28* wie 36* zu den vorexilisch entstandenen Jeremia-Erzählungen: Der Autor machte allein den Falschpropheten Hananja für das in V. 13–14 angedrohte Unheil verantwortlich, das auch nicht im Schicksal Judas mit der Exilskatastrophe bestand, sondern in der Verhärtung der babylonischen Herrschaft über alle Völker zur Tyrannei. Hier liegt eine Polemik vor, die ganz individuell auf den antibabylonischen Heilspropheten Hananja ben Asur zugeschnitten ist und ihn mit der ausgebliebenen Erfüllung seiner Ansage diskreditierte, Jhwh werde „das Joch des Königs von Babel zerbrechen“ und die 597 verschleppten Tempelgeräte, König Jojachin und seine Mitexilanten würden binnen kurzer Frist heimkehren (V. 2–4), was konkret bedeutete: Das babylonische Reich werde alsbald zusammenbrechen. Die Argumentationsstrategie des Berichts verrät noch keine Kenntnis der Niederlage von 587, denn hätte der Verfasser nach jenem Schlüsseldatum geschrieben, hätte er niemals versäumt, diese noch viel drastischere Falsifikation von Hananjas Heilsbotschaft und den Echtheitserweis von Jeremias Unheilsprophetie hervorzukehren. Jer 28* ist allerdings jünger als 36*, weil sich der Konflikt Jeremias mit seinem Antipoden im vierten Regierungsjahr Zidkijas zugetragen haben soll (28,1 AlT). Die implizierten Adressaten der Erzählung sind an Merkmalen ablesbar, die prägnante Gemeinsamkeiten mit Jer 36* aufweisen. Wie 36* berichtet 28* von einer öffentlichen Demütigung Jeremias vonseiten eines Widersachers, die 55 Vgl. H.‑J. Stipp, Ende bei Joschija. Zur Frage nach dem ursprünglichen Ende der Königsbücher bzw. des Deuteronomistischen Geschichtswerks, in: Ders., Alttestamentliche Studien. Arbeiten zu Priesterschrift, Deuteronomistischem Geschichtswerk und Prophetie (BZAW 442), Berlin/New York 2013, 391–439.
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durch eine später offenbarte Unheilsansage über jenen Gegner aufgewogen wird. Dabei umfasst die Einleitung zu dem Orakel für Hananja (28,13b) im Gegensatz zu dem korrespondierenden Gerichtswort für Jojakim (36,29a AlT) zwar schon ursprünglich einen Befehl zur Ausrichtung, aber der mangelnde Ausführungsbericht verhindert, dass man sich die Übermittlung vor einem solch großen Publikum vorstellen kann, wie es der Autor unermüdlich hervorhob, als er den Streit der beiden Kontrahenten schilderte, der in die Niederlage Jeremias mündete (V. 1.5.7.11). Deshalb sind die angezielten Adressaten und die auktoriale Intention in den Grundzügen ebenso zu bestimmen wie bei 36*: Erneut wollte der Verfasser die Jünger Jeremias mit der Botschaft bestärken, dass Jhwh die Erniedrigung seines Propheten nicht ungesühnt auf sich beruhen lassen würde. Jer 28* war also ebenfalls ursprünglich für die interne Verständigung eines geschlossenen Kreises bestimmt und von apologetischen Interessen getrieben. Die engen Übereinstimmungen zwischen 28,12 und 36,27 lassen gemeinsame Verfasserschaft denkbar erscheinen. Trotz der Bestimmung für Adressaten, die Jeremia nahestanden, gibt die Quelle den Blick frei auf ein apologetisches Narrativ, das auch bei der Außendarstellung des Propheten eine wichtige Rolle gespielt haben dürfte. In 28,8–9 werden Jeremia folgende Kriterien für die Unterscheidung zwischen Wahr- und Falschprophetie in den Mund gelegt: Die Propheten, die es vor mir und vor dir seit jeher gegeben hat, sie prophezeiten über viele Länder und große Königreiche Krieg, [Unheil und Seuche]. Der Prophet jedoch, der Heil prophezeit – (für den gilt:) am Eintreffen des Wortes [des Propheten] erkennt man den Propheten, den Jhwh wirklich gesandt hat.
Souverän Jahrhunderte prophetischer Praxis in Israel ignorierend (um von anderen Völkern gar nicht zu reden), erklärt Jeremia, es habe bisher allein die für ihn typische Unheilsprophetie gegeben, während Hananjas Heilsprophetie eine radikale Novität darstelle. So wird Jeremias unpopuläre Botschaft mit dem Anspruch verteidigt, sie halte unbeirrt der Tradition die Treue, während Hananja als fahrlässiger Neuerer erscheint, der sich mit halsbrecherischem Leichtsinn über das Altbewährte hinwegsetzt. Das Argument wuchert mit dem Hang konservativer Gesellschaften zum Überkommenen und taugte daher auch zur Apologetik Jeremias nach außen hin. Vermutlich hat es dort ebenfalls Verwendung gefunden. Weiterhin werden Jeremias Worte häufig als intertextueller Verweis auf die Schlussbestimmung des deuteronomischen Prophetengesetzes in Dtn 18,21–22 gedeutet56 oder gar auf eine dtr Bearbeitung zurückgeführt.57 Trifft dies zu, muss Jer 28* notwendig jünger sein als Dtn 18,21–22: 56 Z. B. W. L. Holladay, Jeremiah 2. A Commentary on the Book of the Prophet Jeremiah Chapters 26–52 (Hermeneia), Minneapolis 1989, 127–128; G. Fischer, Jeremia 26–52 (HThKAT), Freiburg i. Br. 2005, 74.82; M. Leuchter, The Polemics of Exile in Jeremiah 26–45, New York
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Wenn du in deinem Herzen sagst: Wie können wir das Wort erkennen, das Jhwh nicht geredet hat?, (dann sollst du wissen:) Wenn der Prophet im Namen Jhwhs redet und das Wort erfüllt sich nicht und trifft nicht ein – dies ist das Wort, das Jhwh nicht geredet hat …
Beide Passagen propagieren das Erfüllungskriterium. Dieser Gemeinsamkeit stehen jedoch ausgeprägte Divergenzen gegenüber. Jer 28,8–9 operiert mit der Unterscheidung von Heils- und Unheilsprophetie, um sie nach zweierlei Ellen zu messen: Die Unheilsprophetie unterliegt einem Traditionskriterium,58 das sie längst unanfechtbar legitimiert hat aufgrund ihres ehrwürdigen Alters, während das Erfüllungskriterium nur für die als Innovation hingestellte Heilsprophetie gilt, die sich erst durch korrekte Vorhersagen bewähren muss. Dtn 18 hingegen kennt keine derartige Unterteilung der Prophetie nach Sorten und weiß folglich auch nichts von doppelten Standards des Echtheitserweises. Ferner dient das Erfüllungskriterium in der Fassung von Jer 28 dem Zweck, den authentischen Propheten zu identifizieren („den Jhwh wirklich gesandt hat“), während es in Dtn das falsche Prophetenwort entlarven soll („das Jhwh nicht geredet hat“). Wie die gewählten Formulierungen weiterhin implizieren, zielt das Erfüllungskriterium in Jer 28 auf die Verifikation, in Dtn 18 hingegen auf die Falsifikation. Selbst wenn dies nur aspektuelle Gegensätze sind, die im praktischen Gebrauch auf dasselbe hinauslaufen, sind die abweichenden Sprechweisen und die Betrachtung aus konträren Blickwinkeln relevant für die Frage, ob der Autor von Jer 28* die Aufmerksamkeit seines Publikums auf das deuteronomische Prophetengesetz lenken wollte. Wäre dies tatsächlich seine Absicht gewesen, wäre es seinen Interessen zuwidergelaufen, den Adressaten die Identifikation des Intertextes durch Abweichungen zu erschweren, zumal wenn diese auch dann vermeidbar waren, sollte er die verbindlichen Maximen zwecks Anwendung auf den gegebenen Fall in gewissem Maß zu modifizieren gewünscht haben.59 Die wichtigste Differenz wurzelt indes in den unterschiedlichen literarischen Gattungen mit ihren verschiedengradigen Geltungsansprüchen: Dtn 18,21–22 ist 2008, 46; Knobloch, Prophetentheorie, 248–249; G. Fischer, Der Einfluss des Deuteronomiums auf das Jeremiabuch, in: Ders/D. Markl/S. Paganini (Hg.), Deuteronomium – Tora für eine neue Generation (BZAR 17), Wiesbaden 2011, 247–269, hier 265; J. T. Hibbard, True and False Prophecy. Jeremiah’s Revision of Deuteronomy, JSOT 35 (2011) 339–358, hier 346–349. 57 Z. B. Nicholson, Preaching to the Exiles, 96–97 (der das ganze Kapitel für durchgreifend dtr überformt hält); W. McKane, A Critical and Exegetical Commentary on Jeremiah. Bd. 2: Commentary on Jeremiah XXVI–LII (ICC), Edinburgh 1996, 723–725; R. Goldstein, The Life of Jeremiah. Traditions about the Prophet and Their Evolution in Biblical Times (hebr.), Jerusalem 2013, 229–231; Mastnjak, Deuteronomy, 71–75. 58 G. Wanke, Jeremia. Teilbd. 2: Jeremia 25,15–52,34 (ZBK.AT 20,2), Zürich 2003, 252. 59 M. de Jong, The Fallacy of ‚True and False‘ in Prophecy Illustrated by Jer 28:8–9, JHS 12/10 (2012) 11–13, hebt weitere lexikalische Differenzen zwischen Jer 28,8–9 und Dtn 18,21–22 hervor, die gegen eine literarische Abhängigkeit sprechen. Zu problematischen Aspekten von de Jongs Exegese von Jer 28,8–9 s. Stipp, Jeremia-Erzählungen, 331, Anm. 25; Mastnjak, Deuteronomy, 73–74.
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ein Gesetz, das einen allgemeingültigen, situationsenthobenen Prüfstein zur Unterscheidung von Wahr- und Falschprophetie bereitstellen soll. Jer 28,8–9 hingegen fungiert als Teil einer Erzählung, die dazu bestimmt war, über zwei prophetische Rivalen mit unvereinbaren Positionen zu richten, indem sie Hananja als Scharlatan bloßstellte und Jeremia legitimierte. Deshalb ist die Kriteriologie ganz individuell auf die beiden Antipoden zugeschnitten und so konzipiert, dass Jeremia automatisch gerechtfertigt ist, während Hananja notwendig daran scheitern muss. Der Autor profilierte die beiden Gegenspieler als Vertreter der Heils- und der Unheilsprophetie und knüpfte daran einen doppelten Standard: Die Unheilsprophetie stellte er als schon immer durch die Tradition beglaubigt hin, sodass Jeremia mit seiner Botschaft keiner Legitimation bedurfte. Dem Erfüllungskriterium hingegen unterwarf er allein die Heilsprophetie, und das ist der Grund, warum er Hananja mit den Worten zitierte, seine Verheißung werde „binnen zwei Jahren“ eintreffen (V. 3; MT V. 11). Daran ist abzulesen, dass die Frist bei Abfassung der Erzählung verstrichen war, sodass Hananja mittlerweile als Betrüger dastand. Aufgrund seiner Parteilichkeit für Jeremia war der Erzähler bestrebt, die Prophetie seines Helden der Erfolgskontrolle zu entziehen, weswegen die Berufung auf Dtn 18,21–22 gar nicht seinen Intentionen entsprochen hätte, sollte das Gesetz damals bereits ausformuliert vorgelegen haben. Die Exemtion der Unheilsprophetie vom Erfüllungskriterium ist ein weiterer Beleg für den spätvorexilischen Ursprung von Jer 28*, denn nach 587 wäre sie nicht nur überflüssig, sondern geradezu kontraproduktiv gewesen. Mithin ist zu folgern: Die Gemeinsamkeiten von Jer 28,8–9 und Dtn 18,21–22 nötigen nicht zum Schluss auf literarische Abhängigkeit, sondern sie kamen zustande, weil die beiden Passagen – mit unterschiedlichen, von ihren Zielsetzungen bestimmten Akzenten – dasselbe Problem behandeln. Obendrein dürften sie Zweige eines distinkten Reflexionsstrangs im Nachsinnen über die Erfahrungen mit kollidierenden prophetischen Ansprüchen darstellen. Dieser Denkweg suchte angesichts der Kakophonie widerstreitender prophetischer Stimmen Abhilfe beim Erfüllungskriterium, das sich freilich je nach Bedarf recht flexibel konkretisieren ließ. Die Übereinstimmungen lassen sich nicht als Beleg für den Gebrauch intertextueller Techniken durch den Verfasser anführen und sprechen nicht gegen den vorexilischen Ursprung der Erzählung, die keine Kenntnis des deuteronomischen Prophetengesetzes voraussetzte.
X. Ergebnisse Ich breche an dieser Stelle ab, weil dieser Aufsatz nur eine begrenzte Anzahl von Beispielen erörtern kann. Wie sich gezeigt hat, waren die untersuchten Quellen, von den letzten beiden abgesehen, nach außen orientiert, d. h. sie zielten über die Grenzen des eigenen Trägerkreises hinaus auf Adressaten, die den propagierten
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Botschaften nicht zustimmten und dafür gewonnen werden sollten. Insbesondere bei den dtr Redaktionen liegt klar zutage, dass das angezielte Publikum nicht bei der potenziellen Leserschaft endete, der vielmehr die Rolle zugedacht war, die Anliegen der dtr Theologen in oraler Kommunikation weiterzutragen. Die hier erörterten Zeugnisse dienten überwiegend nicht der internen Verständigung und Bestärkung von Überzeugungsgemeinschaften, sondern sie fungierten als Instrumente politischer Theologie, mit denen die Verfasser auf öffentlicher Bühne für konkrete Ziele kämpften, indem sie andere davon zu überzeugen suchten. Die konfliktreichen Zeitläufte, die Rivalitäten der Interessengruppen und die zu überwindenden Widerstände sorgten ferner dafür, dass Apologetik und Polemik in der Jeremia-Literatur einen beachtlichen Stellenwert einnahmen. Die propagandistische Ausrichtung nötigte die Autoren, der Sublimität ihrer literarischen Techniken, darunter vor allem den intertextuellen Verweisen, Grenzen zu ziehen, wollten sie den Erfolg ihrer Anstrengungen nicht eigenhändig gefährden. Komplexere intertextuelle Bezugssysteme verlangten ohnehin die fortgeschrittene Verfestigung eines Kanons, der sich in entsprechend gebildeten Zirkeln als gemeinsames Reservoir für Anspielungen nutzen ließ. Wenig überraschend gehören Dubletten von und Konflationen mit Parallelen innerhalb und außerhalb des Buches zu den Markenzeichen der jüngsten Wachstumsstufe des Jeremiabuchs, des masoretischen Sonderguts. Den eingangs zitierten Urteilen wird damit nicht rundweg das Recht abgesprochen. Es sind jedoch die Grenzen ihrer Gültigkeit zu beachten, und es ist zur Vorsicht gegenüber Verallgemeinerungen von Thesen zu mahnen, die an Teilkorpora des Prophetenkanons entwickelt wurden.
“As a Man Flees …” (Amos 5:19) On a Proverb and Its Contexts Yair Zakovitch I. The proverb in Amos 5:19 – כאשר ינוס איש מפני הארי ופגעו הדב ובא הבית וסמך ידו על הקיר ונשכו הנחש, “As a man flees from a lion, but a bear met him, and then got home and leaned his hand on the wall, and a snake bit him!” – is written for a specific context, for the purpose of both comparison and exemplification.1 Nonetheless, this saying is easily recognizable as a folk proverb which stands by itself – a kind of short story concerning the impossibility of escaping one’s fate. Let us examine, then, the isolated proverb itself: a person runs for his life from a terrifying predatory animal – a lion – only to be confronted by another – a bear. The lion and bear are a pair often found together in varied literary contexts, for example: David attempts to convince Saul of his ability to fight Goliath by recounting, “when a lion came or you2 – a bear – and carried off a lamb from the flock, I would go after it and strike it down …” (1 Sam 17:34–35; see further, there, verse 37); the mourner in Lamentations (3:10) describes the Lord, who is lying in wait for him, as “a lurking bear He is to me, a lion in hiding”; the sage compares the wicked ruler to “a roaring lion and a prowling bear” (Prov 28:15).3 The verb which the text uses to define the confrontation with the bear – ופגעו – is ambiguous. The verbal root פגעcan mean “to meet, encounter” (as in Exod 23:4 and 1 Sam 10:5), and on unpleasant encounters with a bear, see, for instance, the aphorism, “Sooner meet a bereaved bear than a fool with his nonsense” (Prov 17:12), and God’s self-portrayal as such a bear in Hosea’s prophecy 1 For the history of scholarship on this proverb and an extensive bibliography, see A. Nahkola, Amos Animalizing: Lion, Bear and Snake in Amos 5:19, in: A. C. Hagedorn/A. Mein (eds.), Aspects of Amos: Exegesis and Interpretation (LHB 536), New York 2011, 83–104. Note that all translations here are based upon the New Jewish Publication Society (NJPS) translation – JPS Hebrew–English Tanakh, Philadelphia 1999 – with adjustments when deemed necessary by the author. 2 ובא הארי ואתה הדבis a poetic parallelism for אתה/ בואacting as synonyms, see Mic 4:8. The emendation here is in accord with F. Perles, Analekten zur Textkritik des Alten Testaments, München 1895, ad loc. 3 The lion and bear are the first two animals in the portrayal of the four kingdoms in Dan 7:4–5.
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of calamity, “Like a bereaved bear I will meet them, and rip open the casing of their hearts …” (Hos 13:8).4 A second meaning of the verb פגעis “to cause harm, attack” (as in Judg 15:12 and 2 Sam 22:18), which raises the possibility that the one who is fleeing did not escape the bear as he managed to avoid the lion – but did suffer a wound. As the verse continues, it appears that the one who is fleeing is saved, for he has reached his home which provides protection from his pursuers, ובא הבית. Here, too, the text is ambiguous, for one does not know if באmeans “he arrived” (as in 2 Kgs 10:7) and is still standing outside the door of his house, or perhaps he has already entered (as in 2 Kgs 4:4) his home and he apparently feels that he is now safe – either one or the other. “And leaned his hand on the wall” – leaned (as in Judg 16:29; 2 Kgs 18:21; Isa 36:6) against the sturdy wall in order to catch his breath and revive his spirit, although Rabbi Joseph Caspi (France, 1280–1345) comments, “and he placed his hand on the wall to lean against it because he was wounded by the bear”. However, the man’s secure feeling was proven false as ונשכו הנחש, “and a snake bit him” (the common wording when a snake bites a man, for example, Num 21:6, 9; Prov 23:32) – and, the implication is clear, he dies. The proverb is constructed on the basis of the literary pattern “three – four” (three plus one):5 in the first two parts, the one who is fleeing is endangered by predatory beasts; the third part depicts a change of fortune – he succeeds in reaching the safety of his house; but the fourth part is an ironic surprise – in the very home he is convinced he will be safe, his end awaits him in the ambush of yet another deadly creature, the snake. The first and third members are elongated, and describe the actions of the man trying to escape danger, כאשר ינוס איש מפני הארי, “As a man flees from a lion”, ובא הבית וסמך ידו על הקיר, “and then got home and leaned his hand on the wall”. In the second and fourth, short members, the one fleeing is not acting, but his pursuers are: ופגעו הדב, “but a bear met him”, ונשכו הנחש, “and a snake bit him”. The brief character of members two and four convey the lightning speed of the shock by which the predators’ attacks overtake him. The proverb by itself matches a widespread concept in Greek thought and literature – a person is unable to escape his fate, one’s moira.6 A prominent parallel to our proverb in Amos appears in Aesop’s fables (#45), “The Murderer”:7 4
For another mention of a vicious bereaved bear, see 2 Sam 17:8. For the literary pattern “three – four” (three plus one) and its multiple occurrences in the Hebrew Bible in accord with its different categories, see Y. Zakovitch, “For Three … and for Four”, Jerusalem 1979 (Hebrew). 6 On the idea of fate, the “moira,” in Greek literature, see W. C. Greene, Moira: Fate, Good and Evil in Greek Thought, New York 1963. 7 The English translation here of the fable and its moral appears in Aesop, The Complete Fables, transl. and intr. by O. and R. Temple, London 1998, 36. 5
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A man who had committed a murder was being pursued by the parents of his victim. Arriving at the edge of the Nile, he came face to face with a wolf. He was so scared that he climbed up into a tree at the waterside, where he hid himself. But there he caught site of a huge serpent [drakontas], which was slithering its way towards him. So he dropped down into the river, but in the river a crocodile ate him up.
This Greek fable articulates the principle of retribution: a murderer cannot avoid his fate – as the moral of the story explicitly states, “This fable shows that criminals pursued by the gods are not safe in any element, whether earth, air or water.”
II. Let us now examine the proverb within its context in Amos. The proverb is placed within surrounding verses concerned with “the Day of the Lord”: “Ah, you who wish for the day of the Lord! Why should you want the day of the Lord? It shall be darkness, not light!” (5:18); “Surely, the day of the Lord shall be darkness and not light, blackest night without a glimmer” (v. 20). The reiteration at the beginning of verse 20 – הלא חשך יום ה׳ ולא אור – of the end of verse 18 – יום ה׳ הוא חשך ולא אור – serves witness that the literary phenomenon of the repetitive resumption lies before us, which, in turn, is evidence that verse 19 is an addition.8 Therefore, prior to the addition, the verses read, “Ah, you who wish for the day of the Lord! Why should you want the day of the Lord? It shall be darkness, not light (v. 18), blackest night without a glimmer! (v. 20b).” The occurrence of the secondary interweaving of folk proverbs in different literary contexts is well known.9 However, our interest is the interlacing of proverbs using the word כאשרand the creation of a repetitive resumption following the proverb. This phenomenon has several examples in the Hebrew Bible, but we shall limit ourselves to two: a. When challenging Saul about his pursuit, David protests, “May the Lord judge between you and me! And may He take vengeance on you, but my hand will never touch you – וידי לא תהיה בך. As – כאשר – the proverb of the Kedemites has it: ‘Wicked deeds come from wicked men!’ My hand will never touch you – ( ”וידי לא תהיה בך1 Sam 24:13–14). The primary intent of this proverb attributed to the Kedemites, who were famous for their wisdom,10 is that one can only expect from the wicked one thing – wickedness. The literary context, however, gives the maxim a new meaning – from the wicked shall emerge an evil that will devour them, in similarity to Yotam’s proverb, “But if not, may fire issue from Abimelech and consume the citizens of Shechem and Beth-millo, and may fire issue from 8
C. Kuhl, Die “Wiederaufnahme” – ein literarkritisches Prinzip?, ZAW 64 (1952) 1–11. See, for example, T. Forti, Two Cases of Secondary Interpretation Fauna Images in Wisdom Literature, RB 116 (2009) 232–245. 10 See 1 Kgs 5:10. Cf. further Num 23:5; Job 1:3. 9
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the citizens of Shechem and Beth-millo and consume Abimelech!” (Judg 9:20). Furthermore, the context in Samuel coats the adage with a religious veneer: God is the one who will bring punishment upon the wicked, “May the Lord judge between me and you …” (v. 13), “May the Lord be arbiter and may He judge between me and you …” (v. 16). The intertwining of the axiom into his speech affords David the opportunity to state something he would never dare to say to Saul directly: Saul is wicked! b. The prophet Isaiah describes the sudden, wondrous rescue of the inhabitants from the siege of Jerusalem (29:5–8). The disappearance of the enemy nations in a blink of the eye is compared to waking up from a nightmare, “Then, like a dream, a vision of the night, shall be the multitude of nations that war upon Ariel – כל הגוים הצבאים על אריאל. And all her besiegers, and the siegeworks against her,11 and those who harass her” (v. 7). At this juncture, a proverb is introduced that focuses on dreaming and awakening from it: “Like one who is hungry when – והיה כאשר – he dreams he is eating, but wakes to find himself empty; and like one who is thirsty when – כאשר – he dreams he is drinking, but wakes to find himself faint with thirst12 and utterly parched – so shall be the multitude of nations that war upon Mount Zion – ”כל הגוים הצבאים על הר ציון (v. 8). In this example, also, as in its two predecessors, the proverb embedded in the repetitive resumption opens with words of comparison, והיה כאשר, “(and it will be as) when …” Clear proof of the proverb’s secondary nature is found in the character of the dream: while in the body of the prophecy the siege is a nightmare from which one awakens to rescue and wellbeing, the inserted proverb is a satisfying dream and waking up from it brings disappointment. Interpreters who sensed the inconsistency (but did not understand that the proverb was added) found themselves pushed into the perspective that the dream was that of the enemies. So, for example, Rabbi Eliezer of Beaugency (12th century) comments: “So shall be the multitude of nations who desire to capture Zion, who are strongly convinced that it is surely in their power – as if they have already seized it – and upon waking up in the morning discover that all their mighty men and officers are corpses strewn upon the earth. Suddenly, they are empty of desire.”13 We shall now return to the placement of the proverb within its context in Amos. A question naturally arises: why was the proverb implanted within a context which speaks about the coming “Day of the Lord” and the evil that accompanies it – a day of “darkness, not light” (5:18)? Whoever added it assumed that the evil is an attempt to flee that will end badly, and that supposition is based upon a 11
וכל צביה ומצדתהshould perhaps be emended to וכל צריה ומצרתיהon the basis of 29:3. עיףwith the meaning of thirst, see, for example, Ps 63:2; Job 22:7. See also HALOT,
12 For
820.
13 For another example of a proverb that represents one of Aesop’s abbreviated fables, see Jer 13:23 and Y. Zakovitch, An Introduction to Inner-Biblical Interpretation, Even-Yehudah 1992 (Hebrew), 113.
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prophecy from a different prophet – Isaiah. Chapter 13 there contains a detailed description of that same fast-approaching, miserable day, expressed as follows: “Then like gazelles that are chased, and like sheep that no man gathers, each man shall turn back to his people; they shall flee everyone to his land” (Isa 13:14). Before the proverb was inserted in Amos, the reference to the “Day of the Lord” – the only reference that appears in the Book of Amos, was limited to 5:18 which is itself a verse that is not well-based in the text and apparently is of secondary nature in the chapter.14 If the author of verse 18 intended to place it next to verses 14–17, it is possible that he found in these verses an intimation of a depiction of the Day of the Lord. Verse 18 commences with a call to lament, “Woe” (see, for example, 1 Kgs 13:30; Jer 22:18). Verses 16–17 also speak of lamenting, “… And the farmhand shall be called to mourn, and those skilled in wailing to lament – ;מספדfor there shall be lamenting – מספד – in every vineyard, too …” Lamenting also appears in the detailed portrayal of the “Day of the Lord” in the neighboring book of the prophet Joel, who looks forward to the people returning in repentance: “‘Yet even now’ – says the Lord – ‘Turn back to me with all your hearts, and with fasting, weeping, and lamenting – ( ”’מספדJoel 2:12). Joel, in his continued depiction of the “Day of the Lord,” opens the door to the possibility that God will accept the people’s repentance, “Who knows but He may turn and relent, and leave a blessing after Him …” (2:14). A similar idea appears in Amos 5:15, “Hate evil and love good, and establish justice in the gate. Perhaps the Lord, the God of Hosts, will be gracious to the remnant of Joseph.” Nonetheless, it is conceivable that the prophecy of the “Day of the Lord” in Amos (5:18) was inserted originally as an addition to verses 8–9.15 The latter speak of the darkening of the light of the sun, “He who made the Pleiades and Orion, who turns deep darkness into dawn and darkens day into night …” (v. 8), which matches the content of verse 18, “Why should you want the day of the Lord? It shall be darkness, not light!” The turning of light into darkness is also the focus of the description of the “Day of the Lord” in Joel, “… for the day of the Lord has come! It is close – a day of darkness and gloom, a day of densest cloud spread like soot over the hills …” (Joel 2:1–2); “… sun and moon are darkened, and stars withdraw their brightness” (v. 10, there = 4:15); “The sun shall turn into darkness and the moon into blood” (3:4). See also Isa 13:10, “The stars and constellations of heaven shall not give off their light; the sun shall be dark when it rises, and the moon shall diffuse no glow,” and Ezek 30:3, “For a day is near (and 14
Thus, the appearance of the concept of the “Day of the Lord” in Amos is not its first mention in the Bible – contra, for example, M. Weiss, The Book of Amos, Vol. 1, Jerusalem 1992 (Hebrew), 165 and J. Jeremias, The Book of Amos (OTL), Louisville 1998, 99. Its presence in the Book of Amos is a late addition as a result of its appearances elsewhere in prophetic literature, particularly in its prophetic neighbor, the Book of Joel. 15 Verses 8–9 for their part disturb the continuity between verses 7 and 10. See, for example, Weiss, Amos, 153.
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a day is near)16 for the Lord. It will be a day of cloud …” Amos also talks of darkness “in that day” (8:9). Whether the prophecy of the “Day of the Lord” in Amos (5:18) was written as an expansion and reaction to verses 14–17 or verses 8–9, our focus is on its own enlargement by means of the proverb (v. 19). On reflection, it seems probable that the proverb was written originally as a reaction and a completion to another literary unit in Amos – the description of the prophet’s fifth vision (9:1–4), which contends that escape from the Lord’s judgment is impossible, for the fate of the sinners has been decreed. At the beginning of the vision, the Lord informs us that no one will be spared, “… And I will slay the last of them with the sword – ( ”בחרב אהרג9:1), and these words are repeated at its end, “And if they go into captivity before their enemies, there I shall command the sword to slay them – ( ”החרב והרגתם9:4). Between the opening and the closing of the vision (vv. 1b–3), the attempt of those who rebelled against God to flee is portrayed as doomed to failure: Not one of them shall escape, and not one of them shall survive. If they burrow down to Sheol, from there My hand shall take them; and if they ascend to heaven, from there I shall bring them down. And if they hide on the top of Carmel, there I will search them out and seize them; and if they conceal themselves from My sight at the bottom of the sea, there I will command the serpent to bite them.
It is important to note that the end of the prophecy, “And if they go into captivity …” (v. 4) – even though its wording fits well into the attempt to flee away – is actually no longer an active flight, but passively being taken captive. The depiction of the flight itself is constructed on the basis of the literary pattern three–four. The first two directions create a pair: even if those who are running away reach, as it were, the boundaries of the world (which no living human can achieve) – to Sheol and the heavens – the Lord will catch up with them. The next two members also speak about ascending and descending. However, while the first pair starts with the lower place and ends with the higher, the second pair begins with the higher and closes with the lower. Thereby, a chiastic order is generated between the two pairs. The second pair deliberately explains the purpose of the ascent and the descent – “and if they hide,” “and if they conceal themselves.” Since those who are trying to escape are concealing themselves, God makes a special effort to find them. In the third member, the turning point, “there I will search them out and seize them,” while the fourth member, the climax of the structure, no longer mentions “taking” (as in the first and third members) or bringing down (as in the second member). Rather, because here it is stated explicitly that they seek to conceal themselves from His eyes, He will harm them by 16
The words within the parenthesis are a dittography and do not appear in the Septuagint (see BHS).
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way of an agent – “there I will command the serpent – הנחש,” the mythological sea serpent (see Isa 27:1) to bite them. The description of the flight in Amor 9, then, opens with “not one of them shall escape ”לא ינוס להם נסand ends with “… the serpent to bite them – הנחש ”ונשכם – precisely like the proverb under discussion: “”כאשר ינוס … ונשכו הנחש. Further, both of them are constructed in accord with the three–four literary pattern. Apparently, the prophecy of doom in the fifth vision prompted a reader to remember the well-known literary-wisdom proverb, and to record it on the margins of the scroll. How then was the proverb uprooted from the prophecy for which it was written – Amos’ fifth vision – and became joined to the prophecy of the “Day of the Lord”? It is possible that the change of position was caused by a copyist’s error: a copyist might have seen the proverb on the margins of the scroll and assumed that it had been omitted from the “Day of the Lord” prophecy – a motif which uses flight and darkness as characteristic expressions. On the other hand, it is quite conceivable that no mistake occurred here, but a highly intentional act: the one who removed the proverb from the margins may well have sought to thereby fatten up the content of the “Day of the Lord” prophecy, which itself is tersely written in its current location. Whether this way or that, the repetitive resumption in 5:20 was designed to firmly fasten the proverb into its new position within the “Day of the Lord” prophecy.
IV. Schriften
Mundi inversi Der Topos der verkehrten Welt in Proverbien 30,21–23 und 1 Samuel 2,4–8 Joachim J. Krause
I. Der Topos der verkehrten Welt Einst erkrankte R. Joseph, Sohn des R. Jehoschua b. Levi, und verfiel in eine Lethargie. Als er zu sich kam, fragte ihn sein Vater, was er gesehen habe, und dieser erwiderte: Ich habe eine verkehrte Welt ( )עולם הפוךgesehen; die Oberen unten und die Unteren oben (עליונים )למטה ותחתונים למעלה. Jener entgegnete: Mein Sohn, du hast eine lautere Welt ()עולם ברור gesehen. (bPes 50a1)
Die Oberen unten und die Unteren oben – eine verkehrte Welt, ein mundus inversus. Was im babylonischen Talmud mit Jehoschua b. Levi, einem für seine ‚soziale Ader‘ bekannten Rabbi,2 verbunden wird, ist nicht so originell, wie es vielleicht klingt. Es handelt sich um einen Topos, der sich längs und quer durch die Kulturgeschichte der Menschheit verfolgen lässt, diachron der Zeitachse entlang und über die Grenzen ganz unterschiedlicher Kulturen hinweg. So könnten der Talmud-Passage Parallelen aus ägyptischen Werken des Mittleren Reiches3 ebenso wie aus den Carmina Burana oder dem Märchen vom Schlaraffenland zur Seite gestellt werden.4 Aber nicht nur als literarisches und ikonographisches Prinzip,5 auch in der rituellen Praxis spielt die Vorstellung, dass die Ordnung einmal umgekehrt wird, eine ausgesprochen produktive Rolle.6 Für die griechisch-römische Antike fällt der Blick zunächst auf Kronos-Fei1
141.
Par. bBB 10b; Deutsch in Anlehnung an L. Goldschmidt. E. Gutwirth, The ‚World Upside Down‘ in Hebrew, OrSuec 30 (1981) 141–147, hier
2 Vgl. 3
Zu ihnen s. i. F. E. R. Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Tübingen/Basel 111993, 104–108. 5 Diesbezüglich vgl. z. B. noch L. Castagna/G. Vogt-Spira (Hg.), Pervertere: Ästhetik der Verkehrung. Literatur und Kultur neronischer Zeit und ihre Rezeption (BzA 151), München/ Leipzig 2002; J. Kenworthy (Hg.), Ordo inversus (Colloquium Helveticum 29), Bern 2001, und die Beiträge des ersten Teils „Inversion in Image“ in B. A. Babcock (Hg.), The Reversible World. Symbolic Inversion in Art and Society, Ithaca/London 1978. 6 Teil zwei „Inversion in Action“ in Babcock, Reversible World. 4 Vgl.
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ern und besonders Saturnalien,7 von hier aus auf karnevaleske Riten überhaupt.8 Doch auch die Struktur ganzer religiöser Bewegungen geht auf diese Vorstellung zurück. So hoffen die Anhänger der indigenen Cargo-Kulte, die sich auf dem Boden traditionaler Religion in Papua-Neuguinea entwickelt haben, auf einen umfassenden Rollentausch mit den fremden Weißen.9 Nicht nur, dass die Weißen den Einheimischen dereinst dienen werden, sie werden auch die Hautfarbe mit ihnen wechseln. Wenn v. a. letztere Erwartung zunehmend auf ein Leben nach dem Tod verschoben wird, verweist dies zugleich auf den dezidiert eschatologischen Zug, den die Vorstellung auch andernorts oft aufweist. Im Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe findet sich folgende Definition: „Der Begriff ‚verkehrte Welt‘ bezeichnet die Vorstellung von gesellschaftlichen Verhältnissen, bei denen die in der sozialen Realität erlebten Beziehungen umgekehrt sind.“10 Um diese primär aus religionswissenschaftlicher Sicht entwickelte Definition für die alttestamentliche Exegese fruchtbar zu machen, bedarf es einiger theoretischer Vorüberlegungen – die allerdings direkt zur Sache führen. Im Wesentlichen geht es darum, die Vielgestaltigkeit der überlieferten Vorstellungen nicht per definitionem zu begradigen. Denn der hier gebrauchte Begriff „verkehrte Welt“ kommt in keinem der untersuchten Texte aus dem Alten Testament und seiner Umwelt vor. Das ist an sich nicht ungewöhnlich; angesichts der oft und mit Recht gerühmten Konkretheit gerade des biblischen Hebräisch sind nolens volens von den Exegeten selbst geprägte Begriffe keine Ausnahme, sondern die Regel. Nur kommt es eben darauf an, sie so zu prägen, dass sie den Eigensinn des jeweiligen Materials zur Sprache bringen. In diesem Fall scheinen mir dabei vor allem zwei Aspekte von Bedeutung zu sein; an den Beispielen wird sich dann zeigen, warum. „Verkehrte Welt“ impliziert zunächst die Umkehrung einer bestehenden Ordnung: die Letzten werden die Ersten, mithin die Ersten die Letzten sein. Daneben, und oft genug in Verbindung damit, findet sich aber auch die Vorstellung einer Nivellierung aller Rangordnungen.11 Das eine schließt, streng genommen, 7 Dazu H. Kenner, Das Phänomen der verkehrten Welt in der griechisch-römischen Antike (Aus Forschung und Kunst 8), Klagenfurt/Bonn 1970, 88–89, ferner etwa W. E. Mühlmann, Das Mythologem von der verkehrten Welt, KZSS 13 (1961) 614–624, hier 616; kritisch H. Jebens, Art. Verkehrte Welt, HRWG V, 2001, 323–327, hier 326. 8 Vgl. S. Döpp (Hg.), Karnevaleske Phänomene in antiken und nachantiken Kulturen und Literaturen (Bochumer Altertumswissenschaftliches Colloquium 13), Trier 1993, für die hebräische Bibel und ihre mutmaßliche Nachgeschichte S. Schorch, Die Propheten und der Karneval. Marzeach – Maioumas – Maimuna, VT 53 (2003) 397–415. 9 Zum Folgenden s. Jebens, Verkehrte Welt, 325, und die dort verzeichnete Literatur. 10 Jebens, Verkehrte Welt, 323. 11 Vgl. dazu Kenner, Phänomen, 74–75.82–89 mit Anm. 305, und J. Assmann, Königsdogma und Heilserwartung. Politische und kultische Chaosbeschreibungen in ägyptischen Texten, in: D. Hellholm (Hg.), Apocalypticism in the Mediterranean World and the Near East. Proceedings of the International Colloquium on Apocalypticism, Uppsala, August 12–17, 1979, Tübingen 1983, 345–377, hier 348–349.
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das andere aus.12 Aber wenn die Überlieferung beide Vorstellungen miteinander verbinden kann, sollte es eine Definition nicht besser wissen wollen.13 Zugleich bedeutet, und das ist das andere, die Umkehrung einer Ordnung der Logik nach gerade nicht ihre Aufhebung. Die Opposition lautet demnach nicht Ordnung :: Chaos, sondern Ordnung :: Anti-Ordnung. Wenn die Oberen jetzt unten sind und die Unteren oben, dann gibt es ein Oben und Unten. Ja, durch die Thematisierung dieser Struktur wird die Ordnung als solche nur verfestigt.14 Eine solche Logik hängt freilich elementar an den jeweiligen Verstehensvoraussetzungen und Plausibilitätsstrukturen. So muss in altorientalisch-weisheitlicher Perspektive, wie sie durch den Spruch in Prov 30,21–23 repräsentiert wird, eine Umkehrung der Ordnung per se als problematisch erscheinen. Denn bei der Welt, die verkehrt wird, handelt sich ja um einen Kosmos, einen Mundus, um eine „gut“ geschaffene Ordnung. Die Inversion der Ordnung steht in dieser Perspektive jedenfalls auf derselben Seite wie das Chaos. Aber eben: in dieser Perspektive. Aus anderer Warte kann man das auch anders sehen, wie der Psalm der Hanna zeigen wird. Damit stehen wir schon bei der hebräischen Bibel. Auch hier ist der Topos der verkehrten Welt gut belegt. Er ist bislang nur nicht gut genug erforscht. So ist ein religionswissenschaftliches Handbuch wie das oben zitierte eigentlich nicht die erste Orientierungsgröße bei der exegetischen Arbeit. Aber Artikel in den einschlägigen exegetischen Handbüchern und Lexika fehlen durchweg; für die groß angelegte Encyclopedia of the Bible and Its Reception bleibt immerhin abzuwarten, ob es einen Eintrag „World upside down“ oder „Topsy-turvy world“ geben wird. Entsprechend stellt sich der Befund in den maßgeblichen Kommentaren dar. Selbst im Fall von Prov 30,21–23 ist, von Ausnahmen abgesehen,15 meist gar nicht bewusst, dass die Gestaltung des Spruches von einem geprägten 12 So die Problemanzeige bei S. Luria, Die Ersten werden die Letzten sein. Zur ‚sozialen Revolution‘ im Altertum, Klio 22 (1929) 405–431, hier 417–418. 13 Wo freilich distinkte eigene Topoi mit eigenem Motivinventar und traditionsgeschichtlichem Hintergrund in den Blick kommen (Beispiel: Tierfriede), dient es der analytischen Klarheit, sie auch als solche zu behandeln; gegen die häufig, zum Beispiel von P. A. Kruger, Mundus inversus in the Hebrew Bible. A Kaleidoscopic Ancient Near Eastern topos, in: M. Pietsch/F. Hartenstein (Hg.), Israel zwischen den Mächten. Festschrift für Stefan Timm zum 65. Geburtstag (AOAT 364), Münster 2009, 173–193, hier 183, vorgenommene Einordnung von Jes 11,6 ff. als verkehrte Welt. Ähnliches gilt für die flächige Subsummierung dystopischer Schilderungen unterschiedlichsten Profils unter das Schlagwort „mundus inversus“; vgl. Ders., Disaster and the topos of the World Upside Down. Selected Cases from the Ancient Near Eastern World, in: A. Berlejung (Hg.), Disaster and Relief Management – Katastrophen und ihre Bewältigung (FAT 81), Tübingen 2012, 391–424; Ders., A World Turned on Its Head in Ancient Near Eastern Prophetic Literature. A Powerful Strategy to Depict Chaotic Scenarios, VT 62 (2012) 58–76. Je mehr der Begriff umfassen soll, desto weniger erfasst er. 14 So mit Recht auch Jebens, Verkehrte Welt, 324. 15 Namentlich M. V. Fox, Proverbs 10–31. A New Translation with Introduction and Commentary (AYB 18B), New Haven 2011, 874, unter Aufnahme von R. C. Van Leeuwen, Proverbs 30:21–23 and the Biblical World Upside Down, JBL 105 (1986) 599–610.
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Topos bestimmt ist, mit z. T. gravierenden Folgen für die Auslegung.16 So gilt immer noch, was R. Van Leeuwen schon 1986 bemerkt hat: „A comprehensive treatment of this topos in the Bible and the ancient Near East remains to be written.“17 Diese Lücke wird natürlich auch der folgende Beitrag nicht schließen können. Wohl aber will er eine Grundlage dafür legen – durch die systematische Durchdringung der vielgestaltigen Traditionsgeschichte anhand zweier besonders prägnanter Beispiele.
II. Zum Beispiel Proverbien 30,21–23 In Prov 30,21–23 lesen wir: 21 Unter drei Dingen erbebt die Erde, und unter vieren kann sie es nicht aushalten: 22 unter einem Knecht, wenn er König wird, und unter einem Toren, wenn er sich satt isst, 23 unter einer verhassten Ehefrau, wenn sie die Vorherrschaft übernimmt,18 und unter einer Sklavin, wenn sie ihre Herrin verdrängt.
Prov 30 gehört gemeinsam mit Kap. 31 zu den sog. Anhängen zum Proverbienbuch. Diese werden auf zwei arabische Weise zurückgeführt, nach der Überschrift in 31,1 auf einen gewissen Lemuel, König von Massa, und nach 30,1 auf Agur, den Sohn des Jake. Wenn man Kap. 30 als kompositionelle Einheit ansähe,19 wäre der uns interessierende Spruch also ein Agur-Spruch. Aber auffällige Unterschiede zwischen dem vorderen Teil und dem von der Form des gestaffelten Zahlenspruchs geprägten hinteren raten eher dazu, das Kapitel in zwei Anhänge zu untergliedern; so schon in der Septuaginta, wo V. 1–14 vor, V. 15–33 nach der Sammlung 24,23–34 stehen. Zwar bleibt aus diversen Gründen fraglich, ob man den Übergang zwischen den beiden Teilen tatsächlich dort oder nicht besser an anderer Stelle suchen sollte.20 Das ändert aber nichts daran, dass bei16 Exemplarisch
wird das an Auslegungen wie denen von W. McKane, Proverbs. A New Approach (OTL), London 1970, oder O. Plöger, Sprüche Salomos (Proverbia) (BK XVII), Neukirchen-Vluyn 1984, deutlich; vgl. die Hinweise i. F. 17 Van Leeuwen, Proverbs 30:21–23, 602, Anm. 13. In der jüngeren Forschung hat sich namentlich P. A. Kruger durch eine ganze Reihe von Spezialuntersuchungen um das Thema verdient gemacht; grundsätzlich und zusammenfassend vgl. Kruger, Mundus inversus. 18 Das Verb תבעלwird hier gegen die masoretische Punktierung als Qal-Form gelesen; zur Begründung s. u. z. St. 19 Wie von G. Sauer, Die Sprüche Agurs. Untersuchungen zur Herkunft, Verbreitung und Bedeutung einer biblischen Stilform unter besonderer Berücksichtigung von Proverbia c. 30 (BWANT 84), Stuttgart 1963, vertreten. 20 Zur Diskussion s. v. a. Fox, Proverbs 10–31, 849–851, und M. Sæbø, Sprüche (ATD 16,1), Göttingen 2012, 357–358 (mit Lit.). Beide sprechen sich dafür aus, zwischen V. 1–9 und 10–33 zu unterscheiden.
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de wohl vergleichsweise spät, eben als Anhänge zum Proverbienbuch hinzugekommen sind. Dafür sprechen im vorderen Teil bereits die mehr oder weniger klaren Anspielungen auf Gebote des Dekalogs.21 Ebenso klar ist, dass von einem solchen kompositionellen Kontext kaum ein genaueres Datum für einen Einzelspruch wie den uns vorliegenden zu gewinnen ist. Er präsentiert sich als Spruch im strengen Sinne: als sprachlich verdichteter Niederschlag von Erfahrungswerten, die gerade nicht zeitlich und örtlich gebunden, sondern immer und überall gültig zu sein scheinen. Es geht es um die gute Ordnung der Welt, die via negationis beschrieben und in ihrer Bedeutung profiliert wird. Anhand von vier paradigmatischen Fällen werden dabei die wesentlichen Bereiche des menschlichen Zusammenlebens in den Blick gefasst: politische (V. 22a), ökonomische (V. 22b) und familiäre (Macht-)Verhältnisse (V. 23).22 Der erste der vier Fälle scheint nicht nur der klarste zu sein, ihn meinen auch jene Ausleger, die den Spruch ansonsten eher für einen satirischen Aphorismus halten, in seinem sachlichen Gehalt ernst nehmen zu können. „If a slave became a king, the foundations of society might be shaken,“ konzediert etwa W. McKane.23 Nach O. Plöger beschreibt der Fall des Knechtes, der König wird, eine „Revolution“, „die das Land erschüttert und in Unruhe versetzt“.24 Insofern „Revolution“ an einen regelrechten Klassenkampf denken lässt, erscheint die Diagnose zwar anachronistisch; eher ist an eine Usurpation ohne ideologischen Überbau gedacht, wie M. Fox mit Recht einschränkt.25 Aber wie sehr auch ein solcher Machtwechsel dem konservativen weisheitlichen Weltbild zuwiderlief, belegen die einschlägigen Parallelen. Über Oberste ( )שריםzu herrschen, steht einem Sklaven ( )עבדnicht an, mahnt Prov 19,10, und in dieses Horn stößt auch Qohelet:26 „Ich habe Knechte ( )עבדיםauf Pferden gesehen und Oberste ()שרים, die wie Knechte zu Fuß gingen“ – „ein Übel unter der Sonne“ (Koh 10,5–7).27 Nicht ganz so klar erscheint der Fall des Toren, der sich satt isst – zumindest, wenn man ihn für sich betrachtet. „[A] fool filled with food“ ist keine Gefahr für die Stabilität einer Gesellschaft, befindet McKane.28 Aber der Fall wird ja in einem Atemzug aufgezählt mit dem des Knechts, der König wird. Wie also soll der Hörer bzw. Leser ihn verstehen? Ein Weg wäre, mit W. Roth und gegen die traditionelle, von der griechischen Wiedergabe mit ἄφρων herkommende in21 Vgl.
A. Meinhold, Die Sprüche, 2 Bde. (ZBK.AT 16), Zürich 1991, 495–496. Dagegen urteilt McKane, Proverbs, 659, unter Zustimmung von Plöger, Sprüche, 365, die vier genannten Fälle böten „a quite random selection“. 23 McKane, Proverbs, 659. 24 Plöger, Sprüche, 364. 25 Fox, Proverbs 10–31, 652–653 (zu Prov 19,10). 26 Vgl. M. V. Fox, Qohelet and His Contradictions (JSOT.S 71), Sheffield 1989, 267. 27 „[A slave] is believed to be unfit by nature and position to rule over others“, fasst Fox, Proverbs 10–31, 875, die Aussage von Prov 30,22a zusammen. 28 McKane, Proverbs, 660. 22
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tellektualistische Engführung den Ton auf die blasphemische Außenseiterexistenz des נבלzu legen.29 Anders als im Fall des Knechts, mit dem er parallelisiert wird (und ebenso abweichend von den beiden folgenden Fällen), wäre nach dieser Lesart schon der Nabal selbst das Problem und nicht erst die aus Sicht des Verfassers unangemessene Position, in die er gelangt. Aber wenn man den Fall konsequent aus weisheitlicher Perspektive betrachtet, erschließt er sich einfacher und dem Kontext entsprechend. Im Grunde reicht es, sich das in Prov 28,19 par. 12,11 gleich zweimal wortgleich belegte Diktum in Erinnerung zu rufen: „Wer seinen Ackerboden bebaut, der kann sich satt essen“ ()עבד אדמתו ישבע לחם – im Unterschied zu dem, der „nichtigen Dingen nachjagt“.30 Und eben in diesem Sinne bietet Prov 19,10, dessen vordere Hälfte wir eben schon für den ersten Fall herangezogen haben, in seinen beiden Teilen eine aufschlussreiche Parallele zu 30,22;31 vollständig lautet der Vers: „Wohlleben steht einem Toren (hier: )כסיל nicht an, wieviel weniger einem Sklaven, über Oberste zu herrschen!“ Lebt der Tor dann aber doch wohl, drohen die gesellschaftlichen, genauer gesagt ökonomischen Verhältnisse aus den Fugen zu geraten.32 Ist den Bereichen des Politischen und Ökonomischen je ein Fall gewidmet, so schließlich dem Bereich der familiären Machtverhältnisse zwei. Das entspricht der Form des gestaffelten Zahlenspruchs (x/x + 1), in dem häufig das letzte Glied (+ 1) betont wird.33 Ja, man kann fragen, ob es sich in V. 23 überhaupt um zwei Fälle handelt und nicht eher um komplementäre Aspekte ein und desselben Falles.34 Angesichts des so angelegten Achtergewichts erscheint es durchaus nicht abwegig, wenn Fox hier in V. 23 (und nicht in V. 22a) den für die adressatenbezogene Wirkabsicht wichtigsten Teil vermutet,35 in geradem Gegensatz zu McKane, für den der Spruch hier endgültig in misogyne Satire abdriftet.36
29
W. M. W. Roth, NBL, VT 10 (1960) 394–409, hier 403–404. Auf diese Vergleichsstellen hat schon W. M. W. Roth, Numerical Sayings in the Old Testament. A Form-Critical Study (VT.S 13), Leiden 1965, 36, mit Recht aufmerksam gemacht. Vgl. des Weiteren Prov 6,6–11; 24,30–34 und dazu L. G. Perdue, Proverbs (Int.), Louisville 2000, 264. 31 So u. a. auch Meinhold, Sprüche, 510. 32 Fox, Proverbs 10–31, 874: „public morale is undermined.“ Vgl. ebd., 652, zu Prov 19,10: „Luxury or pleasure, like all good things, should be earned and deserved. When a fool comes into wealth and can indulge himself, it is an affront to those who achieve such things through the application of intelligence and effort – or who never do acquire them.“ 33 Vgl. Y. Zakovitch, For Three … and for Four, Jerusalem 1979 (hebr.). 34 In diesem Sinne könnte man auch die Anordnung in LXX deuten, wo die beiden Teilverse einander in umgekehrter Reihenfolge zugeordnet sind; vermutlich, um die Parallele von οἰκέτης (V. 22ainit) und οἰκέτις (V. 23ainit) hervorzuheben. 35 Fox, Proverbs 10–31, 874: „The fourth case […] is probably meant to be the most shocking“. 36 McKane, Proverbs, 659–660. 30
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Ich beginne mit V. 23b, der Sklavin, die ihre Herrin verdrängt ( ירׁשQal).37 Was ist damit gemeint? Die Kommentare verweisen in der Regel und wohl mit Recht auf Fälle wie den von Sara und Hagar (Gen 16 und 21,8–13).38 Vorzustellen wäre demnach ein Haushalt, in dem eine Sklavin vom pater familias als Nebenfrau genommen wird, sei es, um zu Nachwuchs zu kommen, sei es schlicht aufgrund sexueller Attraktion.39 So oder so liegt es nahe, dass die Sklavin sich über ihre Herrin erhebt, je nach Konstellation möglicherweise auch unter Billigung des Mannes. Jedenfalls zeigt Dtn 21,15–17, dass durchaus der Bedarf entstehen konnte, die Rechte (auch und gerade Erbrechte) einer nicht (mehr) in der Gunst des pater familias stehenden Ehefrau bzw. ihrer Nachkommenschaft zu schützen. Das ist gewiss kein Witz,40 sondern betrifft unmittelbar die systemische Stabilität der Familie, von Sozialpolitikern aller Zeiten als Keimzelle der Gesellschaft gerühmt und geschützt. Damit sind wir schon bei V. 23a, denn in diesem ersten Teil des Verses geht es genau um den Fall einer Ehefrau, die die Gunst ihres Mannes verloren oder, wie Lea, nie genossen hat. Um das zu erkennen, müssen wir uns hier allerdings etwas eingehender mit dem hebräischen Text beschäftigen. Das Partizip passiv ׂשְנּוָאהbedeutet wörtlich „eine gehasste Frau“. Darüber, wer sie hasst, warum, und welchen Status sie besitzt, sagt das Wort an sich nichts aus. Diese Fragen scheinen dann aber durch das auf die Frau bezogene Verb von der Wurzel בעל geklärt zu werden. Die Masoreten punktieren es als Nifal. Dann wäre der Satz so zu lesen, wie er in sämtlichen modernen Bibelübersetzungen steht: „unter einer verschmähten Frau, wenn sie [doch noch] geehelicht wird“.41 Es ginge demnach, und diese Lesart ist tatsächlich misogyn, um „eine Frau, die aufgrund ihrer äußeren Erscheinung und ihres Charakters keine Anerkennung gefunden hat“, dann aber – besser spät als nie – „durch Heirat an das Ziel ihrer Wünsche gelangt“.42 Die Lesart wirft aber zwei gravierende Probleme auf.43 Das erste betrifft den Ausdruck ׂשְנּוָאה. Er ist in der hebräischen Bibel in unterschiedlichen Kontexten belegt, bezeichnet aber an keiner Stelle eine alte Jungfer wider Willen. Vielmehr 37 Im App. crit. der BHS wird noch (aufgegeben in BHQ) vorgeschlagen, angesichts der griechischen Wiedergabe mit ἐκβάλλω das Verb entweder im Hifil oder stattdessen תְ ג ֵָרׁשzu lesen. Aber das ist unnötig, vgl. Gesenius18 s. v. ירׁש. 38 Perdue, Proverbs, 265. 39 Letzteren Fall belegt wohl die oft angezogene babylonische Parallele aus den sog. Counsels of Wisdom; in der Übersetzung von W. G. Lambert, Babylonian Wisdom Literature, Oxford 1960, 103, lautet sie: „Do not honour a slave girl in your house; / She shall not rule [i-be-el = hebr. tib῾al!] [your] bedroom like a wife.“ 40 Fox, Proverbs 10–31, 874: „the disinheriting of an older wife is no joke.“ Vgl. dagegen McKane, Proverbs, 659: „I doubt whether there is any implication that such a supplanting of the wife threatens the stability of the home“. 41 So die Lutherübersetzung in der 2017 revidierten Fassung. 42 Plöger, Sprüche, 365. 43 Zum Folgenden s. Van Leeuwen, Proverbs 30:21–23, 608–609.
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geht es jeweils um eine Frau, die in einer polygamen Konstellation lebt und, aus welchen Gründen auch immer, weniger oder keine Gunst bei ihrem Ehemann genießt. Im Kontext der erzählenden Literatur ist die Schilderung von Lea und Rahel (Gen 29,31–33) einschlägig, in der Rechtsüberlieferung die bereits herangezogene Regelung zum Erstgeburts- bzw. Erbrecht in Dtn 21,15–17, in der die gehasste Frau ( )ׂשְנּוָאהeiner geliebten ( )אֲהּובָהgegenübergestellt wird. Das andere Problem betrifft die Verbform bzw. den damit zum Ausdruck gebrachten Statuswechsel. Wenn dieser schlicht darin bestehen sollte, dass eine Frau geheiratet wird, dann bliebe tatsächlich rätselhaft, was an dem Fall bedrohlich sein sollte,44 und anders als in den drei übrigen Fällen ginge es auch nicht darum, dass eine bestehende Ordnung auf den Kopf gestellt wird. Beide Probleme lassen sich aber mit einer einzigen exegetischen Entscheidung lösen; und dazu muss man nicht einmal in den Konsonantentext eingreifen, sondern ihn nur anders lesen: nicht „ תִ ָּבעֵלsie wird geheiratet“ (wörtlich: „wird beherrscht“), sondern תִ ְבעַל, „sie beherrscht“.45 Dass mit dem Verb in diesem Fall auch die Konnotation eines selbstbewusst-selbstbestimmten Umgangs der Frau mit ihrer Sexualität anklingt, ist wahrscheinlich kein Zufall.46 So betrachtet, zeigen die beiden Fälle in V. 23 zwei Seiten einer Medaille: nämlich der Struktur eines polygamen Haushalts, in der unterschiedliche Rollen und mit ihnen verbundene Rechte für die Frauen vorgesehen sind. Die Ehefrau ist Herrin des Hauses ()גבירה, und sie bleibt es auch, wenn ihr Mann nicht mehr sie, sondern ihre Sklavin ( )שפחהliebt. Zwar steht es ihr nicht zu, das Haus unbotmäßig zu dominieren oder gar die Hosen des pater familias anziehen zu wollen ( בעלQal). Aber aus ihrer Stellung verdrängt werden ( )ירׁשdarf sie ebenso wenig – was im Umkehrschluss für die Sklavin bedeutet, dass sie sich mit der Zuneigung des Hausherrn bescheiden muss; Sklavin bleibt Sklavin. Alle vier Fälle werden als Negativfolie geschildert: so soll es nicht sein. Damit weist der Spruch den Hörerinnen und Hörern klar definierte Plätze an in der Ordnung der Welt, wie sie ist und nach Ansicht des Sprechers sein soll.47 Wer seinen Platz verlässt und die Ordnung verkehrt, schadet deshalb nicht nur sich selbst und den von der jeweiligen Verkehrung direkt Betroffenen, sondern der Ordnung als solcher. Eben dies bringt die bislang ausgesparte Einleitung in V. 21 zum Ausdruck. Dort heißt es, dass unter den drei bzw. vier Fällen, die wir betrachtet haben, die Erde erbebt ()רגזה ארץ. Dieser Ausdruck bezeichnet sonst Erdbeben, die wiederum unter vormodernen Denkvoraussetzungen unwei44
McKane, Proverbs, 660. von J. P. M. van der Ploeg, Spreuken (BOT VIII/1), Roermond 1952, 103; übernommen von Van Leeuwen, Proverbs 30:21–23, 609, und Fox, Proverbs 10–31, 876. 46 Fox, Proverbs 10–31, 876–877. 47 „[E]ach individual has an ascribed status within structure, and any attempt to step outside it was considered loathsome“ (M. Malul, Knowledge, Control and Sex. Studies in Biblical Thought, Culture and Worldview, Tel Aviv-Jaffa 2002, 478–479; Hervorhebung im Original). 45 Vorgeschlagen
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gerlich mit göttlichem Handeln verbunden werden.48 Mit anderen Worten, die beschriebenen Umkehrungen von sozialen Ordnungen haben eine kosmische Dimension. Damit ist der Bogen endgültig überspannt für Ausleger, die die geschilderten Sachverhalte für sich zu verstehen suchen anstatt als Teil eines geprägten Topos. „[U]nter einem gefräßigen Narren [wird] die Erde kaum erbeben,“ rätselt etwa Plöger.49 Aber dieser Narr steht eben nicht für sich, sondern exemplarisch für eine umfassende Verkehrung der herkömmlichen, als gut angesehenen Ordnung der Welt – für einen mundus inversus. Dass und wie eine derartige Verkehrung der sozialen Ordnung auf die Ordnung der Welt, auf den Kosmos insgesamt durchschlagen kann, bestätigt ein eindringlicher literarischer Text, der sozusagen in der Nachbarschaft der hebräischen Bibel ausgegraben worden ist. Die Rede ist von der Wandinschrift über den Götterseher Bileam bar Beor vom Tell Deir ῾Alla.50 Bileam, dessen Figur und besondere visionäre Begabung auch in Num 22–24 (dort bes. 24,4.16) bezeugt ist, schaut einen Beschluss des Götterrates, demzufolge die Sonnengöttin eine kosmische Katastrophe herbeiführen wird. Sie wird die „Schleusen des Himmels“ mit Gewölk verstopfen, dort wird „Finsternis“ sein „und nicht Glanz“ (Z. 6–8);51 die Folgen für das Leben auf der Erde kann sich jedes Kind ausmalen. Die Inschrift erzählt zunächst, wie Bileam diese Vision „seinen Leuten“ (Z. 4) mitteilt. Dann folgt, angeschlossen durch ky, die Darstellung eines mundus inversus, wie er im Buche steht. Es geht drunter und drüber, in der Tierwelt nicht weniger als bei den Menschen.52 Das Verständnis dieses – diachron wahrscheinlich als weisheitliche Fortschreibung einer Prophetenerzählung zu erklärenden53 – Zusammenhangs entscheidet sich daran, wie sich die im hinteren Teil geschilderten Zustände zu dem Beschluss des Götterrates im vorderen verhalten. Zwar sind unterschiedliche Antworten auf diese Frage möglich.54 Am nächsten liegt aber die von E. Blum begründete Deutung: Die Schilderung des mundus inversus gibt den Grund für das Handeln – mithin ein Gerichtshandeln – der Götter an.55 M. a. W., göttlicher Zorn über eine verkehrte Welt manifestiert sich in einer kosmischen Katastrophe. 48
Vgl. etwa 1 Sam 14,15; Ps 18,8 par. 2 Sam 22,8; Hi 9,5–6; Jes 5,25; 13,13. Plöger, Sprüche, 364. 50 E. Blum, Die aramäischen Wandinschriften von Tell Deir ῾Alla, TUAT NF 8 (2015) 459– 474. 51 Übersetzung nach Blum, ebd., 467. 52 Jeweils erscheint „die soziale Ordnung […] auf den Kopf gestellt“ (ebd., 463). 53 So mit Blum, ebd., 463. 54 Ausführlich erwogen bei E. Blum, Israels Prophetie im altorientalischen Kontext. Anmerkungen zu neueren religionsgeschichtlichen Thesen, in: I. Cornelius/L. C. Jonker (Hg.), ‚From Ebla to Stellenbosch‘. Syro-Palestinian Religions and the Hebrew Bible (ADPV 37), Wiesbaden 2008, 81–115, hier 92–94 (mit Lit.). 55 Demgegenüber fasst Kruger, World, 65–68, die Verkehrung der Verhältnisse als Folge des Handelns der Götter auf. 49
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Das ist die kosmische Dimension, die auch in Prov 30,21 angesprochen wird. Dass nicht jeder einzelne Fall, in dem eine soziale Ordnung auf den Kopf gestellt wird, ein Erdbeben zur Folge hat, steht auf einem anderen Blatt, und dergleichen behauptet der hyperbolisch formulierte Spruch auch nicht. Sehr wohl behauptet er hingegen, dass die Weltordnung eben nicht unabhängig von den Ordnungen in der Welt ist. Oder mit L. Perdue: „For the sages, the social and cosmic worlds were inextricably linked.“56 Paränetisch rezipiert, bringt unser Spruch damit einen Grundgedanken weisheitlichen Denkens im alten Orient zum Ausdruck.57 Er lautet: Die Welt ist gut geordnet, sie gründet in einer guten Ordnung; es gilt, diese dem Kosmos eingestiftete Ordnung zu erkennen und ihr entsprechend zu leben, jede und jeder am gegebenen Ort. Dass sich, will man diesen Grundgedanken zum Ausdruck bringen, der Topos der verkehrten Welt geradezu aufdrängt, liegt auf der Hand, und es bestätigt sich auch andernorts – wie so oft, wenn es um weisheitliche Traditionen geht, in Ägypten.58 Einschlägig sind die großen literarischen Klagen aus der Zeit des Mittleren Reiches, in Sonderheit die sog. Prophezeiungen des Neferti und die Mahnworte des Ipuwer.59 Neferti etwa führt aus:60 Ich zeige dir das Land in schwerer Krankheit: der Kraftlose ist jetzt kraftvoll, man grüßt den, der (sonst) grüßte. Ich zeige dir das Unterste zuoberst, was auf dem Rücken war, hat jetzt den Bauch unten. Man lebt, wo die Toten sind, der Bettler häuft Schätze auf, der Reiche (bettelt), um zu leben. Die Armen haben reichlich Brot, die Dienenden sind obenauf.
Die Armen haben reichlich Brot – Neferti beklagt es! Warum? Weil es Teil einer umfassenden Verkehrung der bekannten, wohl geordneten Welt ist.61 Die Ägyp56 Perdue, Proverbs, 264; vgl. dazu auch Ders., Wisdom Literature. A Theological History, Louisville/London 2007, 72–73. 57 Zur neueren Diskussion vgl. M. R. Sneed (Hg.), Was There a Wisdom Tradition? New Prospects in Israelite Wisdom Studies (Ancient Israel and Its Literature 23), Atlanta 2015, hier besonders die Beiträge von M. Sneed, M. Fox und A. Schellenberg. 58 Vgl. zuletzt etwa N. Shupak, The Contribution of Egyptian Wisdom to the Study of Biblical Wisdom Literature, in: Sneed, Was There a Wisdom Tradition?, 265–304. 59 Vgl. u. a. N. Shupak, Egyptian ‚Prophetic‘ Writings and Biblical Wisdom Literature, BN 54 (1990) 81–102, hier 87–88. 60 Übersetzung nach E. Hornung, Gesänge vom Nil. Dichtung am Hofe der Pharaonen, Zürich/München 1990, 110; vgl. M. Lichtheim, Ancient Egyptian Literature. A Book of Readings. Bd. 1: The Old and Middle Kingdoms, Berkeley/Los Angeles/London 1973, 143. 61 „Wahrlich, die Welt dreht sich wie eine Töpferscheibe“, fasst Ipuwer den beklagten Wandel zusammen (Lichtheim, Ancient Egyptian Literature, 151; Übersetzung nach Hornung, Gesänge vom Nil, 84).
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tologen diskutieren, ob hier konkrete historische Erfahrungen (namentlich der Ersten Zwischenzeit) verarbeitet werden oder die Schilderungen primär als literarische Auseinandersetzungen mit als problematisch wahrgenommenen Phänomenen gesellschaftlichen Wandels zu interpretieren sind.62 So oder so bieten sie eindrückliche Belege für die Sicht, dass die Welt, wie sie ist, grundsätzlich gut geordnet ist – sozusagen die Normalposition in einem altorientalischen,63 zumal einem weisheitlich geprägten Kontext. Und in diesem Kontext belegt der Spruch in Prov 30,21–23 eben die normale, zu erwartende Verwendung unseres Topos: Wo die Anschauung von einem guten ordo mundi vorherrscht, kann die Vorstellung von einer Umkehrung dieser Ordnung, von einer verkehrten Welt, nur als Bedrohung wahrgenommen werden. So weit, so wenig überraschend.
III. Vergleich mit 1 Samuel 2,4–8 Aber kommen wir zu unserem zweiten Beispiel, dem Psalm der Hanna nach 1 Sam 2. Er ist eingebettet in die Erzählung, die in 1 Sam 1 anhebt. Da ist Hanna, eine der beiden Frauen des Elkana. Sie hat bislang keine Kinder bekommen, ihre Konkurrentin Peninna dagegen schon. Peninna kränkt Hanna, Hanna weint. Aber sie lässt den Mut nicht sinken. Anlässlich der jährlichen Wallfahrt der Familie nach Schilo betet sie zu Jhwh. Sie bittet ihn, ihr einen Sohn zu schenken, und gelobt, diesen Sohn in seinen Dienst zu stellen. Tatsächlich wird Hanna schwanger, bringt einen Sohn zur Welt, nämlich Samuel, und als dieser alt genug ist, bringt ihn Hanna, ihrem Gelübde entsprechend, an den Tempel zu Schilo. An dieser Stelle64 nun stimmt sie ihren Psalm an: ein Dank- und Loblied.65 Es lautet folgendermaßen:66 62 Zur Einführung vgl. G. Moers, Art. Klagen des Ipuwer, WiBiLex, 2011, hier § 5, und die dort verzeichnete Literatur, ferner v. a. die differenzierende Bewertung bei Assmann, Königsdogma und Heilserwartung, 346–351.357–361. 63 Vgl. Malul, Knowledge, 92–93 und passim. 64 Zu den auf Griechisch und in Qumran bezeugten Varianten in 1 Sam 1,28 und 2,11 und ihrer kompositionsgeschichtlichen Bedeutung s. u. bei Anm. 109. 65 Dass es nicht gelingen will, die Frage der Gattung unzweideutig zu klären (vgl. F.‑L. Hossfeld, Die Aufwertung Hannas durch ihren Lobgesang 1 Sam 2,1–10, in: I. Riedel-Spangenberger/E. Zenger [Hg.], ‚Gott bin ich, kein Mann‘. Beiträge zur Hermeneutik der biblischen Gottesrede, Festschrift für Helen Schüngel-Straumann zum 65. Geburtstag, Paderborn/München 2006, 246–258, hier 247–248, und W. Dietrich, Samuel. Bd. 1: 1 Sam 1–12 [BK VIII/1], Neukirchen-Vluyn 2011, 70, mit Forschungsüberblick), haben schon H. J. Stoebe, Das erste Buch Samuelis (KAT VIII/1), Gütersloh 1973, 105–106, und H.‑P. Mathys, Dichter und Beter. Theologen aus spätalttestamentlicher Zeit (OBO 132), Freiburg i. Ue. / Göttingen 1994, 129, als Zeichen für „eine sekundäre Komposition“ bzw. ein „Kunstprodukt“ gewertet. Zur literarhistorischen Einordnung s. u. S. 436 ff. 66 Die in der Übersetzung durch Einrückung angedeutete Gliederung des Psalms erfolgt in Anlehnung an J. P. Fokkelman, Narrative Art and Poetry in the Books of Samuel. Bd. IV: Vow and Desire (I Sam. 1–12) (SSN), Assen 1993, 75.
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1a Froh ist mein Herz dank Jhwh, erhöht ist mein Horn dank Jhwh! 1b Weit aufgetan hat sich mein Mund gegen meine Feinde, denn ich freue mich über deine Hilfe. 2 Keiner ist heilig wie Jhwh; ja, es ist keiner außer dir, und keiner ist ein Fels wie unser Gott. 3a Redet nicht so viel hochmütiges Zeug, nichts67 Vermessenes gehe aus eurem Mund; 3b denn ein Gott der Erkenntnis ist Jhwh, und von ihm sind (immer schon) Taten geprüft worden.68 4 Der Gewaltigen Bogen ist zerbrochen,69 aber Strauchelnde haben sich mit Kraft gegürtet. 5a Satte haben sich um Brot verdingt, aber Hungerleider haben endgültig Feierabend gemacht.70 5b Die Unfruchtbare hat sieben geboren, aber die Kinderreiche welkt dahin. 6 Jhwh tötet und macht lebendig, lässt hinabsteigen ins Totenreich und hat (auch schon) heraufgeführt. 7 Jhwh macht arm und reich, erniedrigt und erhöht. 8a Er richtet den Geringen auf aus dem Staub, aus dem Abfall erhöht er den Armen, um ihnen einen Sitz zu geben bei den Edlen und sie einen Ehrenthron erben zu lassen. 8b Fürwahr, Jhwh gehören die Säulen der Erde, und er hat den Erdkreis auf sie gestellt. 9a Die Füße seiner Frommen71 bewahrt er, aber die Frevler kommen um in der Finsternis.72 9b Fürwahr, durch (eigene) Kraft ist niemand stark. 10a Die gegen Jhwh streiten,73 werden zerbrochen. 67 Die Negation von V. 3aα scheint sich auf beide Aussagen zu beziehen ( אלin Double Duty; vgl. Ps 38,2); anders J. Hutzli, Die Erzählung von Hanna und Samuel. Textkritische und literarische Analyse von 1. Samuel 1–2 unter Berücksichtigung des Kontextes (AThANT 89), Zürich 2007, 157. 68 Zu den Problemen des Stichos und unterschiedlichen Lösungsmöglichkeiten s. Stoebe, Buch Samuelis, 101–102; Hutzli, Erzählung, 93–94; Dietrich, Samuel, 68. 69 Aufgefasst als Constructio ad sensum, s. u. z. St. 70 Gliederung gegen die masoretischen Akzente; dazu und zu den damit verbundenen Fragen s. u. z. St. 71 Lesung nach dem Qere. 72 In LXX fehlt der gesamte Zusammenhang V. 8b–9a. Erklärt man dies mit einem Augensprung des Übersetzers von V. 8b zu 9b, die beide mit כיbeginnen (R. W. Klein, 1 Samuel [WBC 10], Nashville u. a. 22008, 13), entfällt die Grundlage für die Rekonstruktion einer Urfassung ohne die beiden Bikola (E. Tov, Different Editions of the Song of Hannah and of Its Narrative Framework, in: Ders., The Greek and Hebrew Bible. Collected Essays on the Septuagint [VT.S 72], Leiden/Boston/Köln 1999, 433–455, hier 442–445, vgl. A. G. Auld, I & II Samuel. A Commentary [OTL], Louisville 2011, 38–39). 73 Lesung nach dem Qere.
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Der Höchste74 donnert im Himmel, Jhwh richtet die Enden der Erde. Er verleihe Macht seinem König und erhöhe das Horn seines Gesalbten!
Das Lied bringt Hannas persönliche Erfahrung zum Klingen, übersteigt diese aber zugleich um ein Vielfaches. Dieser doppelte Eindruck rührt an die alte Frage nach dem Verhältnis des Psalms zur Erzählung, mit der sich unschwer ein eigener Beitrag bestreiten ließe. So, wie er jetzt eingebettet ist, muss der Psalm jedenfalls unweigerlich als theologisches Interpretament gelesen werden, und zwar nicht allein für den näheren Kontext der Erzählung von Hanna und Samuel, sondern auch und gerade für den weiteren der Samuelbücher, wie zuletzt H.‑D. Neef in einer sorgfältigen Studie aufgewiesen hat.75 Diesen weiten Horizont zeigt schon die Coda in V. 10b an, in der Hanna für den Gesalbten Jhwhs bittet. Ihr Sohn Samuel selbst wird es ja sein, der zunächst Saul (1 Sam 9–10) und dann David (1 Sam 16) zum König salbt.76 Für unsere Frage nach dem Topos der verkehrten Welt sind die V. 4–8 von Bedeutung, das Herzstück des Psalms. Hier fällt der Blick zunächst auf die drei Fälle von staunenswerten Umkehrungen der sozialen Ordnung, mit denen der Hörer und die Leserin in V. 4–5 konfrontiert werden – denn sie erinnern unweigerlich an Prov 30,21–23. Mehr oder weniger deutlich werden dieselben drei Bereiche des menschlichen Zusammenlebens angesprochen: politische (V. 4), ökonomische (V. 5a) und familiäre (Macht-)Verhältnisse (V. 5b). Vor allem aber geht es auch hier um eine Umkehrung dieser Verhältnisse, die nun sogar in beide Richtungen durchbuchstabiert wird: als „a transition from state X to state minus X“ und vice versa, wie J. P. Fokkelman es formuliert.77 V. 4 beginnt medias in res: Der „Bogen“ der גבריםist „zerbrochen“. גבורwird der „Respekt gebietende Mann“78 genannt, der aufgrund seiner Körperkraft, wirtschaftlichen Potenz oder, wie in diesem Bild, seiner Waffengewalt „stark“ ist (vgl. V. 9b). Passenderweise steht der Bogen hier metonymisch für die Gewaltigen selbst, wie die Constructio ad sensum – grammatisch kongruent müsste der Satz ja lauten, wie ihn der Schreiber von 4QSama wohl auch tatsächlich79 überliefert hat: קשת גברים חתה – unterstreicht.80 Aber der Bogen ist zerbrochen, die Ge74 Tentative Lesung mit langer Tradition, vgl. Stoebe, Buch Samuelis, 102 (Lit.), ferner Dietrich, Samuel, 69. 75 H.‑D. Neef, Hannas Lobgesang im Kontext. Beobachtungen zu 1 Samuel 2,1–10 im Kontext der Samuelbücher (in diesem Band). Aus der Fülle der Literatur sei ansonsten nur auf die einflussreiche Studie von Mathys, Dichter und Beter, hier 126–135, sowie die sie ergänzenden Beobachtungen bei Hutzli, Erzählung, 160–161, verwiesen. 76 Klein, 1 Samuel, 19: „his life is spent bringing in the monarchy.“ 77 Fokkelman, Narrative Art, 89. Vgl. auch Klein, 1 Samuel, 16. 78 So mit der Formulierung von Dietrich, Samuel, 88. 79 Von V. 4a ist immerhin das Wort חתה ̇ erhalten. 80 So u. a. S. Bar-Efrat, Das Erste Buch Samuel. Ein narratologisch-philologischer Kom-
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waltigen sind nicht mehr gewaltig. An ihrer Stelle haben sich „Strauchelnde mit Kraft gegürtet“ – auch dies ein Denkbild. Wer strauchelt und außer Tritt gerät, ist gerade nicht aufgrund eigener Kraft stark. Aber jetzt sind die, die das betraf, stark geworden; „sie wurden mit Kraft erfüllt“, wie S. Bar-Efrat treffend paraphrasiert.81 Auch diese Aussage lädt in ihrer poetischen Offenheit dazu ein, sich das Bild selbst auszumalen: von physischer und dann auch militärischer Kraft bis zu wirtschaftlichem Vermögen reicht das Bedeutungsspektrum von חיל. Wichtig ist, wer nun mit dieser Kraft angetan ist: nämlich die eigentlich Unterlegenen.82 Einander im antithetischen Parallelismus gegenübergestellt, bieten die beiden Kola zwei komplementäre Aussagen oder ein Bild: das einer glatten Umkehrung der Machtverhältnisse im Bereich des – im weitesten Sinne – Politischen. Im engeren, ganz habhaften Sinn um die ökonomischen Verhältnisse geht es im zweiten Fall (V. 5b). Die, die vormals satt geworden sind, ohne dafür gearbeitet zu haben – so jedenfalls scheint es sich vom Standpunkt der Sprecherin auszunehmen –, haben sich „um Brot verdingt“. Ihr Status hat sich von X zu Minus-X umgekehrt. Dem korrespondiert das spiegelbildliche Gegenteil im zweiten Glied des Parallelismus: Die, die vormals Hunger litten, haben jetzt „endgültig Feierabend gemacht“ ()חדלו עד. Dieses Verständnis des zweiten Gliedes basiert auf einer Textgliederung, die von der der Masoreten abweicht. Dort wird das Wort עדzum folgenden V. 5b gezogen, wo es aber keinen klar ersichtlichen Sinn ergibt.83 Die wesentliche Alternative zu der Deutung auf einen „endgültigen Feierabend“ lautet, mit einer Wurzel חדלII „fett werden“ im Sinne von „wohlleben“ zu rechnen.84 Für unsere Frage macht das keinen Unterschied,85 so oder so wird eine verkehrte Welt geschildert; mit den Worten von F. Stolz: „sozial Mächtige, Besitzende einerseits, Macht- und Mittellose andererseits […] vertauschen ihre Rollen.“86 Den dritten Fall in V. 5b habe ich eben unter die Überschrift „familiäre Machtverhältnisse“ gestellt. Wenn eine bislang unfruchtbare Frau doch noch mit mentar (BWANT 176), Stuttgart 2007, 78; vgl. Stoebe, Buch Samuelis, 102, mit Verweis auf GK § 146a. 81 Bar-Efrat, Samuel, 79 (im Original ohne Hervorhebung). 82 So mit F. Stolz, Das erste und zweite Buch Samuel (ZBK.AT 9), Zürich 1981, 30. 83 Gegen S. Becker-Spörl, ‚Und Hanna betete, und sie sprach …‘. Literarische Untersuchungen zu 1 Sam 2, 1–10 (THLI 2), Tübingen 1992, 14; vgl. aber auch J. Wellhausen, Der Text der Bücher Samuelis, Göttingen 1871, 43. 84 So etwa Klein, 1 Samuel, 17, unter Aufnahme eines vom Altarabischen herkommenden Vorschlags von D. W. Thomas u. a., vgl. Gesenius18 s. v. Weitere Deutungsansätze referieren Stoebe, Buch Samuelis, 102, und Dietrich, Samuel, 68. 85 Hingegen passte eine Wiedergabe von חדלוmit „wird es nicht mehr geben“ wie in Dtn 15,11 (so der Vorschlag von J. Hutzli, mitgeteilt von Dietrich, Samuel, 68; s. etwa auch Bar-Efrat, Samuel, 79) nicht in die Systematik des Kontextes. Möglicherweise war diese Auffassung Grundlage der masoretischen Versabgrenzung, aber das ursprüngliche Verständnis dürfte damit eher nicht getroffen sein. 86 Stolz, Samuel, 30.
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Kinderreichtum – sieben ist die symbolische Vollzahl – gesegnet wird, so geht es dabei eben nicht bloß um persönliches Glück, sondern ganz wesentlich um den Status dieser Frau, um ihr Standing innerhalb der Familie.87 Das ist der lebensweltliche Hintergrund der bereits zu Prov 30,23 herangezogenen Erzählungen von Rahel oder Sara, die man auch hier unwillkürlich assoziiert. In Geschichten wie den genannten geht es typischerweise nicht um eine Frau allein, sondern um zwei, eben um Konkurrentinnen. Diejenige unter ihnen, die Kinder und zumal Söhne zur Welt bringt, sorgt für den Fortbestand der Familie – und umgekehrt. Unter Voraussetzung eines polygam organisierten Eherechts sind damit Konflikte und Rangstreitigkeiten zwischen den Frauen eines Mannes sozusagen systemisch angelegt. Genau dieser Problemzusammenhang kommt ja auch in der Erzählung von Hanna zur Sprache. Mit der späten Geburt des Samuel wird nicht nur ihre Sehnsucht nach einem Kind erfüllt, es wird auch ihr Status in der Familie gefestigt und, nicht zuletzt, ihrer Widersacherin Peninna das Maul gestopft. In dergestalt übertragenem Sinne ist dann vielleicht auch das Gegenbild des zweiten Gliedes – „die Kinderreiche welkt dahin“ – am treffendsten gedeutet. Das gilt zumal im Kontext der Rahmenerzählung, in die der Psalm nach einer weithin geteilten Vermutung gerade aufgrund dieser die Erfahrung der Hanna beschreibenden Schicksalswende eingearbeitet worden ist.88 Aber nicht allein durch diese Inversionen der sozialen Ordnung erinnert der Psalm der Hanna an Prov 30,21–23. Vielmehr schließt die Darstellung des mundus inversus auch hier einen Hinweis auf dessen kosmische Dimension ein. Er findet sich in V. 8b, dem Schlusspunkt der Schilderung in V. 4–8; auf 6–7 und v. a. 8a komme ich gleich zu sprechen. V. 8b lautet: „Fürwahr, Jhwh gehören die Säulen89 der Erde, und er hat den Erdkreis auf sie gestellt.“ Dass der Vers, ebenso wie 9a, in LXX fehlt, dürfte an einem Augensprung des Übersetzers von 8b zu 9b liegen, die beide mit כיbeginnen, geht also wohl nicht auf eine ursprüngliche Fassung ohne unseren Vers zurück.90 Umso weniger können wir uns der Frage entziehen, was diese Aussage über die schöpfungsmäßige Konstitution der Welt mit der Schilderung der sozialen Umkehrungen, die sie beschließt, zu tun haben soll. J. Wellhausen war schnell mit ihr fertig: Die Aussage „überfüllt den Vers, liegt dem Zusammenhange nicht nahe und fehlt mit Recht in LXX“.91 Ebenso argumentiert, um nur ein Beispiel aus der neueren Literatur anzuführen, etwa noch E. Tov: „It [sc. V. 8b] represents a causal clause, supposedly explaining the previous ones, although in actuality it does not provide an explanation or back87
Vgl. dazu etwa Klein, 1 Samuel, 17; Dietrich, Samuel, 89–90, mit weiterer Lit. Statt vieler s. Bar-Efrat, Samuel, 76. 89 Herkunft und genaue Bedeutung des Wortes מצקsind unsicher, was das Verständnis des Verses insgesamt aber nicht wesentlich beeinträchtigt; zur Diskussion vgl. etwa Klein, 1 Samuel, 18. 90 S. o. Anm. 72. 91 Wellhausen, Text, 43. 88
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ground for them.“92 Angesichts der Übereinstimmung mit Prov 30,21 drängt sich indes eher die Vermutung auf, dass dergleichen zum erweiterten Motivinventar des Topos der verkehrten Welt gehört. Hier freilich wird das Motiv ganz anders eingesetzt als dort. Es steht in Jhwhs Hand, die Welt umzugestalten, so der Psalm, weil er selbst sie geschaffen hat; und eben deshalb bedroht eine Umkehrung von Ordnungen in der Welt nicht die Stabilität und den Bestand der Welt. Diese Deutung bewährt sich auch in Ps 75,93 wo eine ganz ähnliche Aussage Jhwh selbst in den Mund gelegt wird: 3 4
Wenn meine Zeit gekommen ist, werde ich gerecht richten. Mag wanken die Erde mit all ihren Bewohnern, ich selbst habe ihre Säulen festgemacht.
Dieses Wort wird einem Psalm vorausgeschickt, der Jhwh dezidiert als „Richter“ charakterisiert, „der diesen erniedrigt und jenen erhöht“ ( ;זה ישפיל וזה יריםV. 8). Spätestens damit sind wir aber bei den Unterschieden, die die verkehrte Welt in 1 Sam 2,4–8 gegenüber der von Prov 30,21–23 auszeichnen. Der Hauptunterschied ist – Jhwh. Seine mit aller Entschiedenheit akzentuierte Rolle als Akteur ist das überschießende Element im Vergleich der beiden Darstellungen. Gewiss, in den bislang betrachteten V. 4–5 wird er nicht genannt. Aber „ein stärkeres passivum divinum kann man sich […] nicht vorstellen“, hat H.‑P. Mathys mit Recht bemerkt.94 Das beweisen die V. 6–7, wo die Darstellung durch die glatte Verdoppelung der Geschwindigkeit – in einem regelrechten Stakkato95 bietet hier jeder einzelne Stichos in sich eine Antithese – emphatisch gesteigert wird. Denn diese Steigerung hat eine Pointe: die Attribution aller Umkehrungen an Jhwh.96 In seiner minutiösen Untersuchung der literarischen Gestalt hat Fokkelman herausgearbeitet, wie der Gottesname, „on which there has been a deliberate silence“ in V. 4–5, „appears triumphantly“ in den V. 6–7,97 die er durch die markante Anapher und nicht weniger als acht hymnisch gereihte Prädikate regiert – mit dem Ziel, die absolute Macht Jhwhs herauszustellen.98 Angesichts dieses sorgfältig gestalteten Zusammenhangs erscheint es wenig plausibel, wenn W. Dietrich einen literarkritisch auszuwertenden Widerspruch zwischen den V. 4–5, in denen 92 Tov, Editions, 443. Für eine abgewogenere Einschätzung vgl. z. B. Stoebe, Buch Samuelis, 105. 93 Zu diesem Vergleich etwa auch Klein, 1 Samuel, 18. 94 Mathys, Dichter und Beter, 145. 95 Fokkelman, Narrative Art, 89. 96 Vgl. etwa noch Stoebe, Buch Samuelis, 104; Klein, 1 Samuel, 17–18; ferner auch F. C. Fensham, The Change of the Situation of a Person in Ancient Near Eastern and Biblical Wisdom Literature, AION 21 (1971) 155–164, hier 161. 97 Fokkelman, Narrative Art, 92; vgl. Bar-Efrat, Samuel, 79. 98 Fokkelman, Narrative Art, 92. Treffend beschreibt er das Hannalied als „the song of the great Reverser“ (ebd., 110).
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„menschliche Kräfte selber Subjekt der Veränderung“ seien, und 6–7, in denen „Jhwh alles bewirkt“, konstruiert.99 Mit einem Wort: Nach dem Zeugnis des Hannalieds ist es Jhwh, der für die Umkehrung der Ordnung verantwortlich zeichnet – um den durch diese Ordnung minderprivilegierten Mitgliedern der Gesellschaft zu Hilfe zu kommen.100 Und eben dies ist der andere wesentliche Unterschied: der Standpunkt, von dem aus die Umkehrung der Ordnung in den Blick gefasst wird. Während Prov 30,21– 23 die als Gefahr beschworene Verkehrung aus der Perspektive derjenigen betrachtet, die dabei etwas zu verlieren haben, ist die Blickrichtung in 1 Sam 2,4–8 genau entgegengesetzt. Folglich wird die Verkehrung hier begrüßt. Allerdings: Was bis dahin klingen könnte wie der reine Revanchismus der Entrechteten, den wir aus einschlägigen Gebeten im Psalter durchaus kennen,101 erweist sich bei näherem Zusehen als etwas komplexere Vorstellung. Das zeigt sich am konzeptionellen Zielpunkt in V. 8a. Dass die Darstellung in diesem Vers ihr Ziel erreicht, wird schon auf der Textoberfläche deutlich, nämlich durch die bewusste Entschleunigung nach dem Stakkato von V. 6–7. Werden dort in vier Bikola acht eigenständige Aussagen gemacht, so hier im Grunde nur eine einzige.102 Vor allem aber stechen die parallel gebrauchten Bezeichnungen דלund אביוןins Auge, die je später, desto charakteristischer in den Kontext einer spezifischen Armenfrömmigkeit gehören. Denn mit ihnen dürften die mutmaßlich intendierten Adressaten angesprochen sein. Jhwh richtet diese Geringen und Armen auf aus dem Staub und erhöht sie aus dem Abfall – „um ihnen einen Sitz zu geben bei den Edlen“ (V. 8a),103 mitten unter den Aristokraten ()נדיבים. Neben der in V. 4–5 beschriebenen Umkehrung gesellschaftlicher Rangordnungen und rein logisch nicht ohne weiteres mit dieser zu vereinbaren steht also die versöhnlichere Vorstellung von der Nivellierung solcher Rangordnungen, steht das Bild einer Gemeinschaft über die Standesgrenzen hinweg.104
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Dietrich, Samuel, 77. Das Lied preist „the God who […] upsets the status quo, and offers particular protection to the most vulnerable members of society“ (J. E. Cook, Hannah’s Desire, God’s Design. Early Interpretations of the Story of Hannah [JSOT.S 282], Sheffield 1999, 40). 101 Vgl. dazu nur R. Albertz, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit. Bd. 2: Vom Exil bis zu den Makkabäern (GAT 8/2), Göttingen 21997, 574 mit Anm. 82 und 83. 102 Fokkelman, Narrative Art, 93. 103 Der Passus findet sich nahezu wortgleich auch in Ps 113,7–8, von einer direkten literarischen Beziehung ist auszugehen (anders etwa Klein, 1 Samuel, 18, der eine „standard formula“ vermutet). Der Psalm scheint vom Lied der Hanna abhängig zu sein; so mit G. T. M. Prinsloo, Yahweh and the Poor in Psalm 113. Literary Motif and/or Theological Reality?, OTEs 9 (1996) 465–485, hier 479; zur Forschungsgeschichte vgl. ebd., 468–469, und zuletzt H.‑D. Neef, Der unvergleichliche Gott – Psalm 113 im Spiegel von 1 Sam 2:1–10, VT 66 (2016) 245–260, hier 253– 255. Für eine Auslegung von Ps 113,7–8(9) unter der Frage nach dem Topos der verkehrten Welt vgl. A. Basson, Two Instances of Mundus Inversus in Psalm 113, VeEc 30 (2009) 1–14. 104 „Auf diese Weise endet der Abschnitt positiv“ (Bar-Efrat, Samuel, 80). 100
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Die Vermutung, dass mit דלund אביוןdie intendierten Adressaten angesprochen sind, bietet zugleich einen Anhalt zur literarhistorischen Einordnung des Hannaliedes in seiner vorliegenden Form: und zwar in das Umfeld einer reflektierten Armenfrömmigkeit, wie sie ihre ausgebildete Gestalt im Jehud der fortgeschrittenen Perserzeit gefunden hat;105 ich komme darauf zurück.106 Für eine solche vergleichsweise späte Datierung sprechen auch andere Indizien.107 Hingewiesen sei nur auf das streng monotheistische Bekenntnis in V. 2aβ sowie besonders die eingangs erwähnte Beobachtung, dass das Lied eine Art Leseanleitung für die Samuelbücher insgesamt bietet, dies im Tandem mit seinem „Doppelgänger“, dem Danklied des David in 2 Sam 22.108 Das gilt, wie gesagt, für die vorliegende Form des Liedes. Doch schon die Tatsache, dass die maßgeblichen Zeugen (LXX, 4QSama und MT) auffällig voneinander abweichen, was die kontextuelle Einbindung des Liedes in die Erzählung angeht,109 verstärkt in kompositionsgeschichtlicher Hinsicht den Verdacht, dass wir mit einer eigenständigen und dann möglicherweise auch diachron zu differenzierenden Entstehungsgeschichte zu rechnen haben. Einen Psalm, den man von Anfang an zu dem Zweck gedichtet hätte, ihn Hanna in den Mund zu legen, hätte man jedenfalls anders und passgenauer zu dichten gewusst; und da sind die sieben Kinder, die die Unfruchtbare geboren hat, noch eines der geringeren Probleme.110 Die neuere Diskussion des damit angesprochenen Problemkreises ist wesentlich angeregt worden durch das profilierte Entstehungsmodell, das W. Dietrich vorgelegt hat. Dieser rechnet mit der Kompilation zweier Quellen: eines königszeitlichen Liedes anlässlich der Inthronisation eines neuen Regenten, das in V. 1.3a.4–5.9b.10 zu finden sei, und des Liedes eines armentheologisch bewegten Frommen aus nachexilischer Zeit in V. 2.3b.6–9a.111 Diese beiden nahezu vollständig und im Wortlaut erhaltenen Lieder, die sich im Generalthema des „renversement“ träfen, seien „gleichsam ineinander geschoben“ worden.112 Ein tragendes Argument dieser Analyse bietet die bereits erwähnte Wahrnehmung, V. 6–7 stünden aufgrund der dezidierten Attribution an Jhwh in Widerspruch zu V. 4–5. 105 Zur Sache s. Albertz, Religionsgeschichte, Bd. 2, 569–576, für eine entsprechende Einordnung des Hannalieds etwa Hossfeld, Aufwertung, 255–257. 106 S. u., Abschn. V. 107 Zusammengestellt bei Dietrich, Samuel, 76. 108 S. dazu v. a. Mathys, Dichter und Beter, 126 ff., ferner etwa Hossfeld, Aufwertung, 250–252 (mit dem Zitat ebd., 252). 109 E. Tov, Some Sequence Differences between the Masoretic Text and the Septuagint and Their Ramifications for Literary Criticism, in: Ders., The Greek and Hebrew Bible. Collected Essays on the Septuagint (VT.S 72), Leiden/Boston/Köln 1999, 411–418, hier 416, und Ders., Editions, 434–436. 110 Vgl. etwa (mit je unterschiedlichen Aspekten) Klein, 1 Samuel, 14; Dietrich, Samuel, 79; Bar-Efrat, Samuel, 75. 111 Dietrich, Samuel, 77–82. 112 Ebd., 78–79.
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Gerade im Blick auf V. 4–5 wäre freilich, wenn man sie dem Kasus Amtsantritt eines Königs zurechnen wollte, erst noch zu klären, wie die Darstellung der verkehrten Welt in diesem Kontext überhaupt gemeint war. Nach Dietrichs Auffassung als Anspruch an den neuen Machthaber: Er soll die als segensreiche „Wiederherstellung der Ordnung“113 beschriebenen Umwälzungen bewirken. Doch dagegen sprechen schon die qātal-Formen: Die Hungerleider haben ˙ bereits Feierabend gemacht. In Dietrichs Übersetzung werden die Formen zwar durchgängig mit Präsens wiedergegeben. Aber auch in dieser Hinsicht ist der von ihm zum Vergleich herangezogene Krönungshymnus in Ps 72114 aufschlussreich: Die einschlägigen Aussagen (vgl. bes. V. 2–4.12–14) sind dort mit yiqtol ˙ formuliert. Wie lautet die Alternative? Der mundus inversus von 1 Sam 2,4–5 könnte ursprünglich durchaus auch zu einer Schilderung von Missständen gehört haben, deren Abstellung dem König ins Stammbuch geschrieben wird. Eben dies ist jedenfalls die Pointe des Neferti.115 Aber ein solcher Einsatz des Topos, demzufolge die Vorstufe des Textes das genaue Gegenteil der jetzt vorliegenden Fassung ausgesagt hätte, muss eine reichlich vage Vermutung bleiben, und Gleiches gilt für die Annahme einer stufenweisen Entstehung des Psalms selbst. Die These eines ursprünglichen Königsliedes mag manches für sich haben, es sind aber auch gegenläufige Argumente zu nennen, auch und gerade im Blick auf die Thematisierung des Königtums. Denn mehr als jedes andere passt dieses Thema zu einer Ouvertüre der Samuelbücher. Unter der auch von Dietrich geteilten Annahme, dass dem Hannalied in seiner vorliegenden Form eine solche Funktion zukommt, kann die Ausrichtung auf das Königtum daher gerade nicht als Argument für ein ursprüngliches Königslied in Anspruch genommen werden. Vor allem aber darf die thematische Komplexität des Hannaliedes nicht den Blick dafür verstellen, wie sorgfältig es komponiert ist. Die rahmende Inclusio, die das Motiv des erhöhten Horns bildet (V. 1a.10b), und das damit verbundene Leitwort ( רוםV. 1a.7b.8a.10b) sind nur zwei Beispiele dafür.116 So kommt etwa F.‑L. Hossfeld in seiner Auseinandersetzung mit Dietrichs Analyse zu dem Ergebnis, das Hannalied sei wohl doch eher als ein „in sich geschlossene[r] Psalm“ anzusprechen.117
113
Ebd., 80; vgl. ebd., 79: „das In-Ordnung-Kommen in Unordnung geratener Zustände“. Zu dieser Einordnung und dem Vergleich s. ebd., 79–80. 115 Lichtheim, Ancient Egyptian Literature, 143–144; Hornung, Gesänge vom Nil, 110– 114
111.
116 S. etwa Mathys, Dichter und Beter, 129. Vgl. ferner die eingehenden Untersuchungen der literarischen Gestalt von Becker-Spörl, Hanna, und v. a. Fokkelman, Narrative Art. 117 Hossfeld, Aufwertung, 248. Für einen instruktiven Vergleich mit dem oben bereits herangezogenen Ps 75 vgl. ebd., 249–250, unter Rekurs auf R. J. Tournay, Seeing and Hearing God with the Psalms. The Prophetic Liturgy of the Second Temple in Jerusalem (JSOT.S 118), Sheffield 1991, 183–184.
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Dieser Psalm stimmt einen bildgewaltigen Lobpreis an: auf eine verkehrte Welt, in der die Ohnmächtigen mächtig gemacht werden, und auf Jhwh, der solchen Wechsel ins Werk setzt.118
IV. Ergebnis Der Topos der verkehrten Welt ist in der hebräischen Bibel nicht nur gut belegt, er wird hier auf mehr als eine Weise verwendet, wie unser Vergleich der beiden Beispiele in Prov 30,21–23 und 1 Sam 2,4–8 ergeben hat. Zur Unterscheidung der zwei Verwendungsweisen, die sich hier zeigen,119 sind zwei Leitfragen zu stellen. Die eine ist die nach dem Standpunkt der Autoren bzw. Adressaten: Wie stellt sich ihre soziale Situation dar, wo ist ihr Platz in der tatsächlich erfahrenen Lebenswelt? Und wie verhält sich dazu ihr Platz in der vorgestellten verkehrten Welt? Die andere Frage ist auf die Akteure bzw. den Akteur gerichtet: Wer verkehrt die Welt? Systematisch reformuliert, geht es dabei letztlich um das leitende Paradigma hinter der Darstellung: eine Theologie der Weltordnung versus eine Theologie des geschichtsmächtigen Gottes.120 So betrachtet zeigt sich, dass die beiden herausgearbeiteten Verwendungsweisen des Topos genau gegensätzlich ausgerichtet sind: Hier die verkehrte Welt als gefährliche Perversion der bekannten, wohl geordneten Welt, verkehrt von innerweltlichen Subjekten, die besser an ihrem Platz geblieben wären – in den Augen derer, die bei einer solchen Umkehrung der Verhältnisse nur verlieren können; da der mundus inversus als bildgewordener Wunsch nach einer anderen, besseren Welt – besser für die, die jetzt schlechter dran sind, herbeigeführt von dem, der allein eine solche Verwandlung bewirken kann. Anachronistisch pointiert könnte man von einer konservativen und einer revolutionären Verwendung des Topos sprechen.121 Treffender, weil am Eigensinn der Überlieferungen orientiert und unbelastet von der erst zu klärenden Frage nach der pragmatischen 118 Es zeichnet, mit Dietrich, Samuel, 87, „das Bild eines revolutionären Gottes, der die Verhältnisse nicht so belässt, wie sie sind.“ 119 Eine dritte ist die Beschreibung einer Intervention bzw. temporären Abwesenheit der Gottheit als ursächlich für die Verkehrung guter (d. h. als gut wahrgenommener) Ordnungen wie etwa in Jes 3,4 ff.; vgl. dazu Kruger, World, 61–72 (wenngleich nicht alle hier aufgeführten Beispiele einschlägig erscheinen). 120 Letztere wird in der Untersuchung von Malul, Knowledge, massiv in ihrer Bedeutung unterschätzt bzw. gar nicht als eigenständiges Leitbild in Betracht gezogen, vgl. ebd., 473.478– 479.482–484 und passim. 121 Während das Etikett „konservativ“ der weisheitlichen Weltsicht aufs Ganze gesehen gewiss nicht Unrecht tut (vgl. z. B. Fox, Proverbs 10–31, 652, in seinem Kommentar zu Prov 19,10), könnte von einer im strengen Sinne „revolutionären“ Vorstellung allenfalls im Sinne bewusster Rückprojektion die Rede sein, in Israel und Juda ebenso wie andernorts in der alten Welt. Zur Diskussion vgl. Luria, Die Ersten werden die Letzten sein.
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Dimension, erscheint es mir vorläufig, die beiden mundi inversi als weisheitlichordnungstheologisch und visionär-geschichtstheologisch zu kategorisieren.
V. Weiterführende Fragen Während die Provenienz des ordnungstheologischen Paradigmas kaum strittig erscheint, kann es die Deutung der je individuellen Texte durchaus sein. So z. B. in Deir ῾Alla: Ist der dort geschilderte mundus inversus tatsächlich der Grund für das Eingreifen der Götter – oder dessen Folge?122 Ganz säuberlich lassen sich diese beiden Grundoptionen ohnehin nicht auseinanderhalten. Die konkreten Maßnahmen der Sonnengöttin bestehen ja ihrerseits in einer Inversion, der von Lichtglanz in Finsternis – in talionischer Entsprechung zu den verkehrten Verhältnissen unter Mensch und Tier? Dass die Verwandlung von Licht in Finsternis bis in die Wortwahl hinein an die Tradition vom Tag Jhwhs in der israelitischen Unheilsprophetie seit Amos erinnert (vgl. Am 5,18.20),123 unterstreicht jedenfalls, welch wichtiges Desiderat die exegetische und komparative Klärung solcher weithin offenen Fragen im Umkreis der mundus-inversus-Vorstellung weisheitlicher Prägung darstellt. Noch mehr Fragen, weil in der bisherigen Forschung viel weniger bedacht, wirft indes das visionär-geschichtstheologische Paradigma auf. Zwei Hauptaufgaben seien festgehalten. Zunächst und grundlegend ist da die Frage nach der Ausbildung des Paradigmas: Wann, wo und mit welcher Absicht wird die Vorstellung einer von Gott verwandelten Welt als hoffnungsvolle Alternative zur vorfindlichen Lebenswelt entwickelt? Immerhin die elementare Voraussetzung dafür lässt sich benennen: nämlich ein profunder und prinzipieller Zweifel an der Wohlordnung der bestehenden Verhältnisse bei einem wesentlichen Teil der Gesellschaft. Näher besehen sind wohl drei Schritte zu unterscheiden: erstens eine sozio-ökonomische Entwicklung, die die Ausbildung einer regelrechten Unterschicht zur Folge hatte; zweitens die Formierung dieser Schicht als Gruppe, was in erster Linie die Ausbildung eines Bewusstseins der eigenen Lage bedeutet; drittens eine intellektuelle, d. h. in diesem Fall vor allem theologische Bearbeitung dieses Bewusstseins. Im Sinne einer weiterführenden (oder auch: tastenden) Frage sei vor diesem Hintergrund die These zur Diskussion gestellt: In der ausgeprägten Form, in der sie uns im Psalm der Hanna begegnet, gehört die Adaption und entschiedene Umformung der mundus-inversus-Vorstellung 122
Zur Diskussion s. o. S. 427 mit Anm. 54 und 55. Dazu etwa A. Scherer, Vom Sinn prophetischer Gerichtsverkündigung bei Amos und Hosea, Bib. 86 (2005) 1–19, hier 12–13, und nun v. a. B. Janowski, Eine Welt ohne Licht. Zur Chaostopik von Jer 4:23–28 und verwandten Texten, in: A. Berlejung (Hg.), Disaster and Relief Management – Katastrophen und ihre Bewältigung (FAT 81), Tübingen 2012, 119–141, hier 130–132. 123
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in den Kontext der Armenfrömmigkeit, wie sie sich in Jehud im Zuge der sozialen Krise ab der zweiten Hälfte des 5. Jh. entwickelt und gerade in eindringlichen Psalmgebeten niedergeschlagen hat.124 Die Entwicklung des Paradigmas ist das eine, seine Wirkung das andere Desiderat. Denn in dieser innovativen, gleichsam das Verkehrte verkehrenden Verwendung können Bedeutung und generatives Potential des Topos kaum überschätzt werden. Das führt schon ein flüchtiger Ausblick auf die Rezeptionsgeschichte vor Augen, für die das Echo, das der Lobgesang Hannas in dem der Maria findet (Lk 1,46–55), nur das augenfälligste Beispiel ist. Zugleich zeigt dieser Ausblick, dass die von Gott zum Guten verkehrte Welt je später, desto exklusiver eschatologisch vorgestellt worden ist: als die kommende Welt. Die Letzten werden die Ersten sein (Mt 19,30; 20,16; Lk 13,30), nämlich „bei der Wiedergeburt (ἐν τῇ παλιγγενεσίᾳ),125 wenn sich der Menschensohn auf den Thron seiner Herrlichkeit gesetzt hat“, wie es in Mt 19,28 verheißen wird. Entsprechendes gilt für die eingangs zitierte Vision des Sohnes von Rabbi Jehoschua b. Levi in bPes 50a und bBB 10b: Die verkehrte Welt ()עולם הפוך, die er im Fiebertraum sieht und in der sein Vater eine lautere Welt ( )עולם ברורerkennt, ist die kommende Welt ()העולם הבא. So oder so: Diese Vorstellung von einer verkehrten Welt ist nichts anderes als die Keimzelle kritischer Theologie.126
124 Zum Ganzen s. Albertz, Religionsgeschichte, Bd. 2, 536–576, bes. 569–576, zur Diskussion um die Armenfrömmigkeit vgl. v. a. noch N. Lohfink, Von der ‚Anawim-Partei‘ zur ‚Kirche der Armen‘. Die bibelwissenschaftliche Ahnentafel eines Hauptbegriffs der ‚Theologie der Befreiung‘, Bib. 67 (1986) 153–176 (mit Referat der älteren Forschung) und C. Levin, The Poor in the Old Testament. Some Observations (2001), in: Ders., Fortschreibungen. Gesammelte Studien zum Alten Testament (BZAW 316), Berlin/New York 2003, 322–338, zum Befund im Psalter jüngst, unter Weiterführung der Ansätze von F.‑L. Hossfeld und E. Zenger, J. Bremer, Die Armentheologie als eine Grundlinie einer Theologie des Psalters, HeBAI 5 (2016) 350–390; Ders., Wo Gott sich auf die Armen einlässt. Der sozio-ökonomische Hintergrund der achämenidischen Provinz Yәhūd und seine Implikationen für die Armentheologie des Psalters (BBB 174), Göttingen 2016, hier bes. 454–470. Bei Bremer ist rekurrent, soweit ich sehe aber ohne nähere Bestimmung von einem „Revolutionsmotiv“ (meist in Anführungszeichen) in den Armenpsalmen die Rede. Möglicherweise ließe sich dieser Aspekt in dem hier eröffneten Horizont präziser fassen? 125 Womit nach M. Konradt, Das Evangelium nach Matthäus (NTD 1), Göttingen 2015, 307, der dafür auf Jes 65,17; 66,22; 2 Petr 3,13 und Offb 21,1 verweist, „die Neuschöpfung der Welt“ gemeint sein dürfte. 126 Das betont mit Recht auch M. Rose, ‚Was einem gut erscheint, ist wertlos vor Gott‘ (‚Ludlul bēl nēmeqi‘, Babylon, 13. Jahrh.), in: J. Kenworthy (Hg.), Ordo inversus (Colloquium Helveticum 29), Bern 2001, 43–65, hier 64.
„Jhwh tue an euch Güte, wie ihr sie an den Toten und an mir getan habt“ (Rut 1,8) Zum Ethos der Hingabe im Buch Rut Bernd Janowski
Ebenso wie die Josephsgeschichte und das Jonabuch ist das perserzeitliche Buch Rut (5./4. Jh. v. Chr.) ein Kleinod althebräischer Erzählkunst und zugleich ein Grundtext alttestamentlicher Anthropologie.1 In nur vier Kapiteln entwirft es ein Panorama menschlicher Verhaltensweisen, die nicht nur anthropologisch beispielhaft sind, sondern die auch ein helles Licht auf die Geschichte Gottes mit seinem Volk werfen. Und dabei, so will es die Erzählung, ist Rut eine Moabiterin, also eine Ausländerin, aber eine Ausländerin, die zum zweiten Mal einen Judäer heiratet2 und die nach der Genealogie des Perez zur Mutter Obeds, des Vaters Isais, des Vaters Davids wird: Und diese sind die Abstammungen des Perez: Perez zeugte Hezron. Und Hezron zeugte Ram, und Ram zeugte Amminadab. Und Amminadab zeugte Nahšon, und Nahšon zeugte Salma. ˙ ˙ Und Salmon zeugte Boas, und Boas zeugte Obed. Und Obed zeugte Isai, und Isai zeugte David. (Rut 4,18–22) 1 S. dazu S. Niditch, The Responsive Self. Personal Religion in Biblical Literature of the Neo-Babylonian and Persian Periods, New Haven/London 2015, 120–128 und B. Janowski, Anthropologie des Alten Testaments. Grundfragen – Kontexte – Themenfelder, Tübingen 2019, 191–196. Zur Datierung und Redaktionsgeschichte des Rutbuches s. außer den Kommentaren noch E. Zenger/C. Frevel, Das Buch Rut, in: E. Zenger u. a., Einleitung in das Alte Testament, hg. von C. Frevel (KStTh 1,1), Stuttgart 92016, 282–285 und F. Fechter, Die Familie in der Nachexilszeit. Untersuchungen zur Bedeutung der Verwandtschaft in ausgewählten Texten des Alten Testaments (BZAW 264), Berlin/New York 1998, 239–278. – Die folgenden Überlegungen sind Erhard Blum zu seinem runden Geburtstag gewidmet. In unterschiedlichen theologischen Milieus sozialisiert – er in Heidelberg, wohin ich 1991 ging und bis 1995 blieb, ich in Tübingen, wohin er zum SoSe 2000 von Augsburg aus kam – waren wir uns in der gemeinsamen Tübinger Zeit (2000 bis 2011) immer darin einig, dass es in Forschung und Lehre um den „Eigensinn des Alten Testaments“ und dessen Bedeutung für Kirche und Gesellschaft gehen müsse. In diesem Sinne meinen herzlichen Glückwunsch und ad multos annos! 2 M. Köhlmoos, Ruth (ATD 9/3), Göttingen 2010, XIV, Anm. 17, spricht dabei nicht von einer „Mischehe“, sondern von einer „Fremdehe“. Zur Herkunft Ruts sowie zur Fremdenthematik s. A. Beyer, Hoffnung in Bethlehem. Innerbiblische Querbezüge als Deutungshorizonte im Ruthbuch (BZAW 463), Berlin/Boston 2014, 36–40.49–64.
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Das ist eine weitreichende heilsgeschichtliche Perspektive. Im Folgenden geht es aber nicht um diese Perspektive, sondern um die narrative Anthropologie des Buches Rut. Im Mittelpunkt steht dabei der Begriff der „Hingabe“ (hæsæd) und ˙ die ihn charakterisierenden Aspekte der Verbundenheit und Gegenseitigkeit, wie sie in der Titelformulierung dieses Beitrags – dem Wunsch Naomis gegenüber ihren beiden Schwiegertöchtern – bündig zum Ausdruck kommen.
I. Von Bethlehem nach Moab – und zurück Am märchenhaften Anfang des Rutbuches – „Und es geschah zu der Zeit, als die Richter regierten“ (1,1) – steht eine bittere Hungersnot und eine Familie, die sich deswegen aus Bethlehem in die Gefilde Moabs begab, wo sie ihr Auskommen fand.3 Die beiden Söhne Machlon und Kiljon heirateten dort die Moabiterinnen Orpa und Rut. Als Elimelech und seine beiden Söhne starben, machte sich seine Witwe Naomi auf, um nach dem Ende der Hungersnot nach Bethlehem zurückzukehren.4 Während Orpa in Moab blieb, wollte Rut ihre Schwiegermutter nicht allein ziehen lassen, sondern sprach die berühmten Sätze von 1,16 f. und handelte danach. Im Zentrum dieser kleinen poetischen Einheit steht die nominale Paraphrase des sog. Bundesformel von Dtn 26,16–19 u. ö., die im äußeren Ring von einem Aufforderungs- und einem Schwursatz sowie im inneren Ring von mehreren, auf den gemeinsamen Lebensweg von Naomi und Rut („gehen“ / „übernachten“ / „sterben“ / „begraben werden“) bezogenen Verbalsätzen gerahmt wird: 16 Und Rut sprach: „Zwing mich nicht, dich zu verlassen (῾āzab), indem ich zurückkehre, von dir weg! Fürwahr: Wohin du gehst, gehe ich (hin) und wo du übernachtest, übernachte ich. Dein Volk – mein Volk und dein Gott – mein Gott. 17 Wo du stirbst, sterbe ich, und dort will ich begraben werden. Jhwh möge mir tun, was er will – fürwahr: Der Tod allein wird mich von dir trennen!“
Aufforderungssatz: Abwehr Naomis Verbalsätze (Du – Ich): gehen/übernachten Nominalsätze: Paraphrase der Bundesformel Verbalsätze (Du – Ich): sterben/begraben werden Schwursatz: Unbedingtheitsaussage
3 Zu den geographischen und klimatischen Gegebenheiten s. W. Zwickel, „Ein Mann von Bethlehem zog aus in das Land der Moabiter“ (Rut 1,1). Überlegungen zu den Lebensbedingungen in Juda und Moab im Altertum, in: Ders., Studien zur Geschichte Israels (SBAB 59), Stuttgart 2015, 241–250. 4 Die Personennamen des Rutbuchs sind „sprechend“ und enthalten jeweils eine auf die Erzählung abgestimmte Botschaft, s. dazu I. Fischer, Rut (HThKAT), Freiburg i. Br. u. a. 2001, 33–36; K. Seybold, Poetik der erzählenden Literatur im Alten Testament, Stuttgart 2006, 168, und Köhlmoos, Ruth, 5.7.
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Dieser Text ist, wie auch die Rückbezüge in 2,6–7.11; 3,10 zeigen,5 aus mehreren Gründen zentral. Zum einen nimmt die Ausländerin Rut hier zum ersten und einzigen Mal den Namen Jhwhs in den Mund (1,17b), und zum anderen begegnet in 1,16 – wie auch in 2,11 (s. im Folgenden) – als Gegenbegriff zu dābaq „anhängen“ (1,14: „Rut aber hängte sich an sie“, vgl. 2,8.21.23) das Verb ῾āzab „verlassen“, das zu den Leitwörtern des Rutbuchs gehört.6 Beide Verben begegnen auch in Gen 2,24, wo es als Begründung der sog. Verwandtschaftsformel von V. 23 heißt: 23 Da sagte der Mensch: „Diese endlich ist Gebein von meinen Gebeinen und Fleisch von meinem Fleisch, und diese soll ᾽iššāh („Frau“) genannt werden, denn vom ᾽îš („Mann“) ist diese genommen. 24 Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen (῾āzab) und seiner Frau anhängen (dābaq), und sie werden zu einem Fleisch.“
Die Verwandtschaftsformel V. 237 besagt, dass der Mensch nicht dem Tier, sondern nur dem Menschen verwandt ist und der Mann allein in der Frau und diese in ihm sein/ihr „Gegenüber“ hat. Dieser Formel wird in V. 24 eine Metareflexion angehängt, die davon spricht, dass ein Mann seine Eltern „verlässt“ (῾āzab) und seiner Frau „anhängt“ (dābaq, vgl. Gen 34,3 u. ö.) und sie beide zu „einem Fleisch“ (bāśār ᾽æhād) werden. V. 25 formuliert schließlich ein Summarium und ˙ bildet gleichzeitig den Übergang zur Paradieserzählung in Gen 3. Der mit begründendem „darum“ eingeleitete Satz V. 24 widerspricht nicht der patrilinear organisierten Gesellschaft des alten Israel8 und ist auch kein Plädoyer für eine matrilokale Eheform. Vielmehr verweist der Text auf die elementare Kraft der Liebe zwischen Mann und Frau und will vermutlich […] nicht an vorfindliche Lebensverhältnisse anschließen, sondern dazu eine Gegenwelt entwerfen. Der Liebe zwischen Mann und Frau eignet eine Intimität, die soziale Konventionen übersteigt und im Garten Eden ihren eigentlichen, wenngleich imaginären Ort findet.9
Darüber hinaus gibt es einen interessanten intertextuellen Zusammenhang zwischen Gen 2,24 und Rut 2,11. Denn nur in diesen beiden Texten begegnet die Wendung „Vater und Mutter verlassen (῾āzab)“, zum einen in Bezug auf den erst5
S. dazu die Übersicht unten Abb. 2 und Köhlmoos, Ruth, 17–18. S. dazu auch Fischer, Rut, 37 und Köhlmoos, Ruth, 16–18. 7 Zu dieser Formel und ihren Abwandlungen s. noch Gen 29,14; Ri 9,2; 2 Sam 5,9; 19,13 f.; 1 Chr 11,1 und W. Bührer, Am Anfang … Untersuchungen zur Textgenese und zur relativchronologischen Einordnung von Gen 1–3 (FRLANT 256), Göttingen 2014, 227, Anm. 279. 8 Zur Patrilinearität s. H. Utzschneider, Patrilinearität im alten Israel – eine Studie zur Familie und ihrer Religion, BN 56 (1991) 60–97. 9 A. Schüle, Der Prolog der hebräischen Bibel. Der literar- und theologiegeschichtliche Diskurs der Urgeschichte (Genesis 1–11) (AThANT 86), Zürich 2006, 172, s. dazu auch O. Keel, Das Hohelied (ZBK.AT 18), Zürich 1991, 41–42 und Bührer, Anfang, 230–231. 6
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erschaffenen Menschen/Mann (Gen 2,24) und zum anderen in Bezug auf Rut (Rut 2,11), der Boas bei ihrer ersten Begegnung auf ihre Frage nach dem Grund für seine „Gunst“ antwortet: Verkündet, ja verkündet wurde mir alles, was du für deine Schwiegermutter getan hast nach dem Tod deines Mannes: Du hast deinen Vater und deine Mutter und das Land deiner Verwandtschaft verlassen und bist zu einem Volk gegangen, das du zuvor nicht gekannt hast. (2,11)
Dieser Text kombiniert Gen 2,24 und Gen 12,110 miteinander und besagt, „dass das Verlassen von Vater und Mutter in andere – aber ebenso gottgewollte – Beziehungen führen kann als in eine Ehe“11. Anschließend an die Erzählung von der Rückkehr Naomis (und ihrer beiden Schwiegertöchter bzw. Ruts) nach Juda (1,7–19a) folgen die Schilderung der Ankunft der beiden Frauen in Bethlehem (1,19b–21) und die zusammenfassende Rückblende (1,22), die das Eingangskapitel abschließen. Die persönliche und soziale Desintegration, die dabei in Naomis Klage zum Ausdruck kommt, ist „inhaltlich wie atmosphärisch der vollständige Kontrast zu Ruts Schwur in V. 16– 17“12: Ich – erfüllt bin ich gegangen, aber leer hat mich Jhwh zurückkehren lassen. Wozu solltet ihr mich Naomi nennen? Hat doch Jhwh mich gedemütigt und Šaddaj mir Böses angetan! (1,21)
Abb. 1: Arbeitsteilung bei der Gerstenernte (äg. Grabmalerei, 19. Dyn.)
Das zweite Kapitel zeigt Rut auf dem Feld von Boas, einem Verwandten aus der Sippe Elimelechs, zu Beginn der Gerstenernte im Mai/Juni (2,1–23, s. Abb. 1).13 10 „Geh aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft und aus dem Haus deines Vaters in das Land, das ich dir zeigen werde!“ Zum gegenseitigen Bezug von Rut 2,11 und Gen 12,1 s. auch Fischer, Rut, 37. 11 Köhlmoos, Ruth, 42, vgl. Fischer, Rut, 176–177. 12 Köhlmoos, Ruth, 24, s. dazu auch Beyer, Hoffnung, 81–84. 13 Zur Gerstenernte s. Fischer, Rut, 160–164 und Köhlmoos, Ruth, 31–32.
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Jedes der vier Kapitel, die spiegelbildlich angeordnet sind (außen: Kap. 1 und 4, innen: Kap. 2 und 3),14 enthält einen zentralen Dialog zweier Figuren, der die Handlung thematisch und erzählerisch vorantreibt (1,8 ff.; 2,4 ff.; 3,9 ff.; 4,1 ff.). Diese Dialoge tragen zur indirekten Charakterisierung der Erzählfiguren bei,15 die damit zu „ethischen Modellen“16 mit entsprechenden Identifikationsangeboten werden. Im Unterschied zur direkten Charakterisierung mit ihrer Beschreibung der äußeren Erscheinung und der charakteristischen Wesenszüge ist die indirekte Charakterisierung aus den Aussagen/Dialogen der Personen, ihren Handlungen und den Nebenfiguren ablesbar.17 Das Rutbuch ist dafür ein großartiges Beispiel.
II. Rut als personifizierte Hingabe Rut ist die Hingabe in Person, die personifizierte hæsæd („Hingabe, Güte, ˙ Freundlichkeit“). Bereits im ersten Dialog (1,8–17) begegnet das Stichwort hæsæd, und zwar aus dem Mund Naomis, die ihre beiden Schwiegertöchter zur ˙ Rückkehr nach Moab auffordert: Geht, kehrt zurück, jede in das Haus ihrer Mutter! Jhwh tue an euch Güte (hæsæd), wie ˙ ihr sie an den Toten und an mir getan habt. (1,8)
Das ist eine sehr gewichtige Aussage. Denn der Begriff hæsæd „Hingabe, Güte, ˙ Freundlichkeit“ meint eine Lebenshaltung, die man als „respondierendes Verhalten“18 oder als „gegenseitige Hochschätzung“19 bezeichnen kann, bei dem/ der immer das Moment des Tuns intendiert und das/die durch Beständigkeit charakterisiert ist.20 J. Jeremias hat diese Bedeutung von hæsæd folgendermaßen ˙ beschrieben: 14 Zur Buchkomposition s. die Übersicht bei Fischer, Rut, 24–25, und ausführlich Beyer, Hoffnung, 68–139. 15 Zu den literarischen Stilmitteln des Buchs s. A. Berlin, Poetics and Interpretation of Biblical Narrative, Winona Lake 1994, 83–110; Fischer, Rut, 24–40; Seybold, Poetik, 165–169; Köhlmoos, Ruth, XI–XIII, und grundsätzlich zum biblischen Erzählen T. Naumann, Art. Biblisches Erzählen, in: D. Weidner (Hg.), Handbuch Literatur und Religion, Stuttgart 2016, 241–245. 16 B. Kowalski, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, in: H. Baranzke u. a., Handeln verantworten. Grundlagen – Kriterien – Kompetenzen (TheoMod 11), Freiburg i. Br. u. a. 2010, 95– 143, hier 95. 17 S. dazu Kowalski, Gerechtigkeit, 95–97.101–106 und Niditch, Self, 124–128. 18 So D. Michel, hæsæd w e᾽æmæt, in: A. Wagner (Hg.), Studien zur hebräischen Gram˙ matik (OBO 156), Freiburg i. Ue. / Göttingen 1997, 73–82, hier 74 f.: „Wir wollen dieses Verhalten (sc. hæsæd) anders als (N.) Glueck (‚gemeinschaftsgemäße Verhaltensweise‘) lieber nennen: ˙ ‚respondierendes Verhalten‘ – denn darum geht es: auf eine erwiesene Wohltat hat man […] entsprechend zu antworten.“ 19 R. Oberforcher, Das Buch Micha (NSK.AT 24/2), Stuttgart 1995, 131, vgl. zur Gegenseitigkeit des hæsæd-Erweises auch H.‑J. Zobel, Art. hæsæd, ThWAT 3, 1982, 48–71, hier 52–53. ˙ 20 S. dazu˙ ebd., 53.56–59.
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Hæsæd („Hingabe“, „Güte“, „Huld“) ist ein Relationsbegriff, üblicherweise für zwischen˙ menschliche Beziehungen. Er bezeichnet ein Handeln, das der Verpflichtung zu Rücksichtnahme und Hilfe in vorgefundenen oder einmal eingegangenen Bindungen – Familie, Sippe, Beruf, Stadt, Staat – voll nachkommt, und zwar in einer dauerhaften und verlässlichen Weise […] Solche selbstverständliche, keinen Schwankungen unterlegene, gefühlsmäßige und willentliche Verbundenheit mit anderen orientiert sich nicht an Pflichtenkatalogen, sondern schließt unerwartete und unverdienbare Großherzigkeit, Güte und Liebe ein und ist nie Ausdruck bloßer Gesinnung, sondern äußert sich stets in der Tat. Sie ist primär auf Menschen bezogen, betrifft aber ebendarin auch Gott, weil sich in Vollzug oder aber Unterlassung solchen Tuns intaktes oder zerbrochenes Gottesverhältnis widerspiegelt.21
Anders gesagt: hæsæd ist die konnektive Kraft, die der Gemeinschaft Sinn und ˙ Zusammenhalt verleiht, weil sie verlässlich ist und „dem anderen mehr gibt, als rechtlich gefordert ist“22. Dieses Mehr kommt in dem spätnachexilischen locus classicus Mi 6,8 auf eine besonders prägnante Weise zum Ausdruck: Man hat dir gesagt, Mensch, was gut ist und was Jhwh von dir fordert: nichts als Recht (mišpāt) tun und Hingabe (hæsæd) lieben und einsichtsvoll gehen˙ (hasnea῾ lækæt) mit ˙deinem Gott.23 ˙
In Rut 1,8 kommt der Wunsch Naomis – „Jhwh tue an euch Güte (hæsæd), wie ˙ ihr sie an den Toten und an mir getan habt“ – aus dem Mund einer Judäerin, die damit der Wertschätzung ihrer beiden Schwiegertöchter Ausdruck verleiht. Darüber hinaus stattet sie „die beiden Moabiterinnen mit einer zentralen Eigenschaft Jhwhs aus. Dem Schreckgespenst der moabitischen Frauen, das durch die atl. Literatur geistert, wird hier der Abschied gegeben“24. Damit erhält die Erzählung von Anfang an eine Färbung, die nicht mehr verblasst, sondern die nach und nach ausgestaltet und intensiviert wird. 1. Aufmerksamkeit gegenüber einer Ausländerin Das zweite Kapitel beginnt dann damit, dass Rut auf dem Feld des Boas Nachlese bei der Gerstenernte halten will und zwar „hinter demjenigen her, in dessen Auge ich Gunst (hen) finde“ (2,2).25 Obwohl sie eine Ausländerin ist, der das ˙ 21 J. Jeremias, Der Prophet Hosea (ATD 24/1), Göttingen 1983, 60–61, vgl. auch H. Gese, Der Johannesprolog, in: Ders., Zur biblischen Theologie, Tübingen 31989, 152–201, hier 186, und J. Dietrich, Sozialanthropologie des Alten Testaments. Grundfragen zur Relationalität und Sozialität des Menschen im alten Israel, ZAW 127 (2015) 224–243, hier 240 f. 22 R. Kessler, Micha (HThKAT), Freiburg i. Br. u. a. 1999, 271, vgl. Jeremias, Hosea, 203– 204. 23 Zu diesem Text s. Janowski, Anthropologie, 187–191. 24 Köhlmoos, Ruth, 14. 25 Nach I. Willi-Plein, hn. Ein Übersetzungsproblem, VT 23 (1973) 90–99, ist hen „im˙ oder Person liebenswert sein oder erscheinen lässt“ (ebd., ˙ mer etwas […], das eine Sache 95). Man kann das als Sympathie bezeichnen.
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Nachleseprivileg eigentlich nicht zusteht (vgl. Lev 19,9 f.; Dtn 24,19), findet sie Gunst in den Augen des Boas (2,8 f.) und reagiert darauf mit Erstaunen, ja Ungläubigkeit: Da fiel sie auf ihr Angesicht und verneigte sich bis zur Erde und sagte zu ihm: „Warum habe ich Gunst (hen) gefunden in deinen Augen, dass du mich ˙ hif.)? Ich bin doch eine Ausländerin (nåkrîjjāh)!“ (2,10) aufmerksam betrachtest (nkr
Das Erstaunen Ruts könnte nicht größer sein: Sie ist, wie sie einwendet, doch eine „Ausländerin“, also hätte Boas eigentlich allen Grund, sie zu übersehen. Das Gegenteil ist aber der Fall, denn er begegnet ihr mit Respekt und Aufmerksamkeit. Das Wortspiel zwischen nkr hif. „aufmerksam, genau betrachten“ (vgl. 2,19)26 und nåkrîjjāh „Ausländerin“ ist vom Erzähler beabsichtigt und demonstriert die Macht der Anerkennung an einem Fall, der, weil er die Grenze des Familienund Nachbarschaftsethos überschreitet, exemplarisch ist: am Fall des/r Fremden (nåkrî, nåkrîjjāh), der/die in nachexilischer Zeit abwertend behandelt wird (vgl. Neh 13,23–30 u. ö.).27 Wenn also Rut zu Boas sagt, dass er sie „aufmerksam, genau betrachtet“ habe, dann „verwendet sie den Begriff für das genaue Hinsehen, das hinter der äußeren Erscheinung das wahre Wesen des Gegenübers zu erkennen vermag (Gen 27,23; 42,7 f.; Hi 2,12)“28. Einige Textbeispiele sollen das Gesagte vertiefen. Exkurs 1: Zur Bedeutung von nkr hif. Die Grundbedeutung von nkr hif. ist „aufmerksam betrachten, genau hinsehen, identifizieren“. In vielen Fällen handelt es sich um Zusammenhänge, bei denen das Sehen bzw. Gesehen-Werden eine zentrale, auf die Identität eines Menschen oder Gegenstandes bezogene Rolle spielt. a) nkr hif. „genau betrachten, identifizieren“ In der Episode von Tamar und Juda in Gen 38,12–26 wird berichtet, dass Tamar, um zu beweisen, dass Juda sie geschwängert habe, diesem das Siegel mit der Schnur und den Stab gezeigt hat, die er ihr als Pfandstücke nach der Tat überlassen hatte. Diese, so fordert sie ihren Schwiegervater auf, solle er genau betrachten und identifizieren: 25 Als man sie hinausführte (sc. um sie wegen ihrer angeblichen Hurerei zu verbrennen), schickte sie ihrem Schwiegervater folgende Botschaft: „Von dem Mann, dem dies gehört, 26 S. dazu Ges18, 819, s. v. nkr hif. und B. Lang/H. Ringgren, Art. nkr usw., ThWAT 5, 1986, 454–463, hier 462 f. Zu den Belegen im Rutbuch s. E. Zenger, Das Buch Ruth (ZBK.AT 8), Zürich 1986, 56; Y. Zakovitch, Das Buch Rut. Ein jüdischer Kommentar (SBS 177), Stuttgart 1999, 117; Fischer, Rut, 175, und Köhlmoos, Ruth, 41. 27 S. dazu Fischer, Rut, 58–61.63–64.75. Skeptisch demgegenüber Beyer, Hoffnung, 36– 40.49–64. 28 Köhlmoos, Ruth, 41.
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bin ich schwanger.“ Und sie sagte: „Identifiziere (nkr hif.) doch, wem dieses Siegel und diese Schnüre und dieser Stab gehören!“ 26 Und Juda identifizierte (nkr hif.) sie und sagte: „Sie hat gerecht gehandelt im Verhältnis zu mir! Es ist ja so, dass ich sie meinem Sohn Schela nicht gegeben habe.“ Und er wurde nicht noch einmal intim mit ihr.
Das Urteil Judas in V. 26 ist „keine persönliche Meinung, sondern eine Rechtssetzung“29: „Sie hat gerecht gehandelt im Verhältnis zu mir!“ Damit ist die Identifikationsszene abgeschlossen. In Gen 37,32 f., der Identifikation von Josephs blutgetränktem Gewand durch Jakob, gibt es dazu eine buchinterne, aber vom Kontext her gegenläufige Entsprechung.30 Der Akt der Identifizierung begegnet ebenfalls mit nkr hif. dann noch einmal, nämlich bei der ersten Begegnung Josephs mit seinen Brüdern in Gen 42,7 f.31 b) nkr hif. „wahrnehmen, erkennen“ Eine Bedeutungsnuance von nkr hif. „aufmerksam, genau betrachten, identifizieren“ liegt an den Stellen vor, in denen es um die Wahrnehmung bzw. das Erkennen einer Person oder Sache geht. Besonders im Dunkeln bzw. in der Nacht erkennt man weder einander noch die Dinge um sich her, so z. B. in Rut 3,14: Da legte sie (sc. Rut) sich an sein (sc. Boas’) Fußende bis zum Morgen. Und dann erhob sie sich, bevor man jemanden wahrnehmen konnte (nkr hif.). Da sprach er (sc. Boas): „Man darf nicht wissen (jāda῾), dass die Frau zur Tenne gekommen ist!“32
Nach Hi 2,12 ist Hiobs Aussehen so entstellt, dass seine Freunde ihn nicht wieder erkennen, vgl. Hi 4,16; 7,10. Auch an der Stimme kann man jemanden erkennen (Ri 18,3; 1 Sam 26,17). c) nkr hif. (+ pānîm „Angesicht“) „die Person ansehen, parteiisch sein“ Ausschlaggebend für die altisraelitische Rechtsprechung ist die Intention, nicht einer abstrakten Vorstellung von Gerechtigkeit zu genügen, sondern „Streitigkeiten zu schlichten und das Wohl der Gemeinschaft zu wahren. Richten heißt für sie schlichten“33. Das kommt in besonderer Weise im abschließenden Urteilsspruch zum Ausdruck. In Spr 24,23b–25, wo ein solcher Urteilsspruch wörtlich zitiert wird (V. 23b), begegnet er in einem Kontext, in dem es um einen Richter geht, der jemanden, der Unrecht getan hat, fälschlicherweise für unschuldig erklärt: 29
J. Ebach, Genesis 37–50 (HThKAT) Freiburg i. Br. u. a. 2007, 141.145–149. S. dazu die Tabelle bei Blum, Komposition, 245, und Ebach, Genesis 37–50, 106.108.142. 31 S. dazu ebd., 142.280.281–283. Außerhalb von Gen 37–50 begegnet das Verb nkr hif. in der Bedeutung „identifizieren“ noch in Gen 27,23 (negiert) und in Gen 31,32, s. dazu ebd., 143– 144. 32 Vgl. auch die nkr hif.‑Belege in 1 Kön 18,7; 20,41 u. a. 33 L. Köhler, Der hebräische Mensch. Eine Skizze, Darmstadt 1976, 150, vgl. H.‑J. Boecker, Recht und Gesetz im Alten Testament und im Alten Orient, Neukirchen-Vluyn 21984, 29–30. 30
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23b Das Ansehen der Person (nkr hif. + pānîm) bei Gericht ist nicht gut. 24 Wer zum Frevler sagt: „Gerecht bist du!“ (saddîq ᾽attāh), den werden Völker ˙ verfluchen, dem werden Nationen Verwünschungen aussprechen. 25 Aber für diejenigen, die zurechtweisen (jkh hif.), wird es angenehm sein, ˙ und auf sie wird der Segen des Guten kommen.
Der Text beginnt in V. 23b mit dem rechtsanthropologischen Motiv der Ansehung der Person (vgl. Dtn 1,17; 16,19; Spr 28,21; Sir 38,10), das mit dem substantivierten Infinitiv hakker (nkr hif.) + pānîm „Angesicht“ ausgedrückt wird. Im Unterschied zur Wendung vom „Aufheben (nāśā᾽) des Angesichts“, die ursprünglich „nach bestandenem Gericht aufstehen lassen“ (Spr 18,5) bedeutet, heißt nkr hif. + pānîm „freundlich ansehen, Rücksicht nehmen auf, beschönigen“.34 Die parallele Aufforderung „Seht nicht freundlich an im Gericht!“ (Dtn 1,17, vgl. Dtn 16,19) lässt sich auch mit „Seid unparteiisch im Gericht!“ übersetzen. Es geht also um das Gebot der Unparteilichkeit. Dieses Gebot wird nach V. 24 durch den Freispruch des Frevlers unterlaufen. Das richtige Verhalten, auf dem „der Segen des Guten“ liegen wird, besteht demgegenüber in der entschlossenen „Zurechtweisung“ (jkh ˙ hif.)35 des Frevlers. Damit ist ein Rechtsgrundsatz formuliert, der auch bei den Völkern // Nationen Anerkennung findet (V. 25). (Ende des Exkurses) Wie die Ausführungen zur Bedeutung von nkr hif. unterstreichen, nimmt der nkr Hifil-Beleg von 2,10 (und seine Wiederaufnahme in 2,19) eine Schlüsselstellung im Rutbuch ein. Und zwar auch deswegen, weil hier mit hen „Gunst, Sym˙ pathie, Freundlichkeit“ ein weiterer sozialanthropologischer Grundbegriff des Alten Testaments begegnet. Dieser Begriff erscheint auch in der Reaktion Ruts (2,13) auf die Antwort des Boas (2,11 f.), der als Grund für sein Verhalten das Verhalten Ruts gegenüber Naomi (vgl. 1,8) angibt und dann einen Wunsch anschließt: 11 Und Boas antwortete und sagte zu ihr: „Verkündet, ja verkündet wurde mir alles, was du
deiner Schwiegermutter getan hast nach dem Tod deines Mannes: Du hast deinen Vater und deine Mutter und das Land deiner Abstammung verlassen (῾āzab) und bist zu einem Volk gegangen, das du nie zuvor gekannt hast. 12 Es vergelte dir Jhwh dein Tun und dein Lohn sei vollständig von Jhwh, dem Gott Israels, zu dem du gekommen bist, um dich unter seinen Flügeln zu bergen.“ 13 Da sagte sie: „Möge ich weiterhin Gunst (hen) finden in ˙ zu Herzen deinen Augen, mein Herr! Denn du hast mich getröstet und hast deiner Magd geredet. Aber ich, ich bin nicht wie eine deiner Mägde!“ (2,11–13) 34 S.
dazu I. L. Seeligmann, Zur Terminologie für das Gerichtsverfahren im Wortschatz des biblischen Hebräisch, in: Ders., Gesammelte Studien zur Hebräischen Bibel (FAT 41), hg. von E. Blum, Tübingen 2004, 293–317, hier 310–312, und A. Meinhold, Die Sprüche. Teil 2: Sprüche Kapitel 16–31 (ZBK.AT 16.2), Zürich 1991, 299. 35 Ursprünglich bedeutet jkh hif. „feststellen, was recht ist“, s. dazu H.‑J. Boecker, Rede˙ Testament (WMANT 14), Neukirchen-Vluyn 21970, 45–47, formen des Rechtslebens im Alten und Seeligmann, Terminologie, 306–308.
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Die anschließende Szene bestätigt das gewachsene Vertrauensverhältnis zwischen Rut und Boas durch dessen Einladung zum gemeinsamen Mittagsmahl. Exkurs 2: Gastfreundschaft Das Rutbuch ist auch eine Erzählung über die Gastfreundschaft. Die Geste, mit der Boas die Moabiterin Rut zum gemeinsamen Essen mit den Schnittern einlädt, besticht durch ihre Selbstverständlichkeit: Und Boas sprach zu ihr zur Essenszeit: „Komm hierher und iss von dem Brot und tauche deinen Bissen in die Tunke!“ Und sie setzte sich an die Seite der Schnitter. Und er reicht ihr Röstkorn, und sie aß und wurde satt und behielt noch etwas übrig. (2,14)
Eingerahmt wird diese Urszene der Gastfreundschaft mit der Darreichung von Brot (læhæm), Tunke (homæs „Essiglimonade“) und Röstkorn (qālî) durch die ˙ ˙ ˙ Rut widerfahrene Anerkennung durch Boas (2,8–13) und dessen Vermahnung an seine jungen Männer, sie bei der Nachlese nicht verächtlich zu behandeln (klm hif.) und zu beschimpfen (gā῾ar) (2,15–16). „Die kleine Szene zeigt, wie weit Ruths Integration schon fortgeschritten ist, wenn der Herr, die Arbeitskräfte und die ausländische Nachleserin gemeinsam Seite an Seite essen.“36 Die hier gewährte Gastfreundschaft mündet denn auch in ein dauerhaftes Bindungsverhältnis (4,13–17). Elementare Regeln der Gastfreundschaft gibt es nicht nur in Mesopotamien, sondern auch in Griechenland und Rom.37 Was nach dem Alten Testament zum „Ritual“ der Gastfreundschaft gehörte, lässt sich etwa anhand der Bewirtung der drei Männer durch Abraham in Gen 18,1–838 ablesen. Es wird ihnen zunächst Wasser zum Waschen der staubigen Füße gereicht, sie ruhen abgestützt an einem der Schatten spendenden Bäume, und der Gastgeber bereitet ihnen ein köstliches Mahl zu, um sie für die Weiterreise zu stärken. Dabei steht er respektvoll abseits, ohne mit ihnen zusammen zu essen: 1 Da
erschien ihm (sc. Abraham) Jhwh bei den Terebinthen von Mamre, als er während der Hitze des Tages im Eingang des Zeltes saß. 2 Und er erhob seine Augen und siehe, drei Männer standen vor ihm. Als er das sah, lief er ihnen vom Zelteingang her entgegen. Und er verneigte sich zur Erde 3 und sagte: „Meine Herren, wenn ich in euren Augen Gunst (hen)39 finde, zieht nicht an eurem Diener vorüber! 4 Es möge ein wenig Wasser genom˙ werden, und so wascht eure Füße und ruht aufgestützt unter dem Baum! 5 Ich will men
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Köhlmoos, Ruth, 45, vgl. Fischer, Rut, 181–182. S. dazu H. Felber u. a., Art. Gastfreundschaft, DNP 4, 1998, 793–797. 38 Zur vorexilischen Abraham-Lot-Erzählung Gen 13*.18f* (8./7. Jh. v. Chr. [?]) s. außer H. Seebass, Genesis II (11,27 – 22,24), Neukirchen-Vluyn 1997, 121–123, u. a. besonders E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte (WMANT 57), Neukirchen-Vluyn 1984, 273– 289.282–283.287–288. 39 Zu hen „Gunst, Sympathie, Freundlichkeit“ s. oben Anm. 25. ˙ 37
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einen Bissen holen und euer Herz (leb)40 stärken, danach mögt ihr weiterziehen; denn dazu seid ihr an eurem Diener vorübergekommen.“ Sie sagten: „Ja, du magst tun, wie du gesagt hast.“ 6 Da eilte Abraham zu Sara ins Zelt und sagte: „Beeil dich, knete drei Se᾽a Mehl (Feinmehl) und mach Fladenbrote!“ 7 Und Abraham lief zum Vieh und nahm ein zartes und schönes Kalb und gab es dem Knecht und eilte, es zuzubereiten. 8 Dann nahm er Dickmilch und Milch sowie das Kalb, das er zubereitet hatte, und legte es ihnen vor. Er aber blieb unter dem Baum neben ihnen stehen, während sie aßen. (Gen 18,1–8)
Dann folgt – als Gastgeschenk der/des göttlichen Besucher/s – die Ankündigung der Geburt eines Sohns (V. 9–15) und die Überleitung zur Sodomgeschichte (V. 16*). Auffallend nach der wortreichen Einladung (V. 3–5a) und der knappen Antwort der drei Männer (V. 5b) ist das eilige Bemühen Abrahams (vgl. V. 2.6.7), seinen Gästen ein üppiges und feines Mahl zu bereiten. Dieses besteht aus Fladenbroten, die aus drei Se῾a Mehl41 gebacken werden, Fleisch vom geschlachteten Kalb sowie Dickmilch/Rahm und Milch. Die Erzählung vom beispielhaften Gastgeber Abraham hat in der nachfolgenden Sodomgeschichte Gen 19 ein Gegenstück – allerdings mit einer unverhofften Wendung und einem überraschenden Ausgang.42 Zunächst setzt die Geschichte mit einem eindrücklichen Bild ein, das an die Eingangszene von Gen 18 erinnert.43 Aber im Unterschied dazu spielt sie hier am Abend, so dass Lot seine beiden Gäste nötigt, mit ihm in sein Haus zu kommen: 1 Und es kamen die zwei Boten am Abend nach Sodom, als Lot im Tor(raum) von Sodom saß. Als Lot (sie) sah, erhob er sich ihnen entgegen und warf sich mit seiner Nase bis zur Erde nieder 2 und sagte: „Seht doch, meine Herren, biegt doch ab zum Haus eures Knechts und bleibt über Nacht und wascht eure Füße und brecht am Morgen auf und geht (dann) eures Weges!“ Sie aber sagten: „Nein, sondern wir übernachten auf dem Platz (sc. innen vor dem Tor).“ 3 Da drang er sehr in sie, und so bogen sie ab zu ihm und gingen in sein Haus. Er aber bereitete ihnen ein Gastmahl (mištæh) und buk Mazzen (massôt), und sie ˙˙ aßen. (Gen 19,1–3)
Der Fortgang der Geschichte mit dem brutalen Missbrauch des Gastrechts durch die Bewohner von Sodom und dessen Folgen ist bekannt.44 (Ende des Exkurses) 40 Im
Herzen konzentrieren sich nicht nur die emotionalen, kognitiven und voluntativen Fähigkeiten des Menschen (s. dazu Janowski, Anthropologie, 148–155), sondern auch sein leibliches Wesen (vgl. Spr 4,23; 25,13), das gelabt bzw. „gestützt“ werden muss, in der Regel mit Brot (Ri 19,5.8, vgl. Gen 18,5; 1 Kön 21,7; Ps 102,5). 41 Nach K. Jaroš, Art. Maße und Gewichte, NBL II, 1995, 731–735, hier 734, entspricht das der riesigen Menge von 3 × 7,3 Liter! 42 S. dazu O. Keel, Die Geschichte Jerusalems und die Entstehung des Monotheismus, Teil 1–2, Göttingen 2007, 278–281; T. Römer, Lot, l’hospitalité et l’inceste, in: J.‑M. Durand u. a. (Hg.), Tabou et transgressions (OBO 274), Freiburg i. Ue. / Göttingen 2015, 135–144, und B. Janowski, Die „Übernachtung“ der Gerechtigkeit. Zum Gottes- und Menschenbild in Jes 1,21–26, in: J. van Oorschot/A. Wagner (Hg.), Gott und Mensch im Alten Testament. Zum Verhältnis von Gottes- und Menschenbild (VWGTh 52), Leipzig 2018, 163–177, hier 169–174. 43 Zum Vergleich der beiden Texte s. Blum, Komposition, 280–281. 44 S. dazu Janowski, „Übernachtung“, 169–174.
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2. Rechtsschutz für eine Moabiterin Kehren wir wieder zum Rutbuch zurück. Die Rut erwiesene Gunst, die von Boas gegenüber den Schnittern mit negiertem klm hif. „verächtlich behandeln“ und negiertem gā῾ar „beschimpfen“ noch einmal eingeschärft wird (2,15 f.), ermutigt diese in der folgenden Szene (3,1–18), den entscheidenden Schritt zu wagen und sich nachts auf der Tenne zu Boas zu legen und ihn um Rechtsschutz zu bitten. Als er sie um Mitternacht an seinem Fußende bemerkt, schreckt er auf, beugt sich vor, sieht sie und fragt, wer sie sei: 7 Und Boas aß und trank und war zufrieden. Dann kam er, um sich hinzulegen am Ende des Kornhaufens. Und da kam sie heimlich und deckte sein Fußende auf und legte sich hin. 8 Und da geschah es um Mitternacht: Da erschauderte der Mann und tastete um sich und siehe da – eine Frau an seinem Fußende! 9 Da sagte er: „Wer bist du?“ Und sie sagte: „Ich bin Rut, deine Dienerin! Breite deinen Gewandsaum (kānāp) über deine Dienerin, denn Löser bist du!“ 10 Da sagte er: „Sei gesegnet von Jhwh, meine Tochter! Du hast jetzt noch größere Güte (hæsæd) gezeigt als zuvor, weil du nicht hinter den Jünglingen her˙ arm oder reich.“ (3,7–10) gelaufen bist, seien sie
Diese Szene, die noch bis 3,15 reicht, ist „erzählerisch und inhaltlich die intensivste des Rutbuches und gleichzeitig eine der intimsten Szenen des Alten Testaments“45. Allerdings ist ihre Interpretation umstritten. So wird das masoretische kenāpækā in 3,9 von I. Fischer als defektiv geschriebener Plural gedeutet und mit „deine Gewandsäume“ übersetzt, während M. Köhlmoos beim Singular kānāp bleibt, dieses Wort mit „Flügel“ wiedergibt und ihm eine „symbolisch-theologische“ Bedeutung beilegt.46 Ausschlaggebend für ihre Interpretation ist dabei der Bezug zu Ez 16,8. Ob 3,9 unter Anspielung auf Ez 16,8: „Und ich [sc. Jhwh] breitete meinen Gewandsaum (kānāp) über dich und bedeckte deine Blöße. Und ich schwor dir und trat ein in einen Bund mit dir, Spruch des Herrn Jhwh, und du gehörtest mir“ von Heirat spricht (so die übliche Interpretation), ist u. E. fraglich, weil von Heirat erst in 4,13 die Rede ist und es in Ez 16,8 eher um eine Schutzmaßnahme Jhwhs und um eine durch dessen Schwur motivierte Eigentumsdeklaration geht.47 Ebenso dürfte es sich in 3,9 um eine Bitte um Rechtsschutz handeln, der konkret in der Ehe zur Geltung kommt, hier aber vorerst erbeten wird.48 Auch ein direkter Bezug von 3,9 auf 2,12 (Boas zu Rut: „Es vergelte Jhwh dein Tun und dein Lohn sei vollständig von Jhwh, dem Gott Israels, zu dem du gekommen bist, 45
Köhlmoos, Ruth, 65. dazu ebd., 61 f. Zu kānāp in der Bedeutung „Gewandsaum/-zipfel“ s. Dtn 22,12; Num 15,38; 1 Sam 15,27; 2 Sam 24,5f; Jer 2,34; Ez 5,3 und zur Sache B. Janowski, Persönlichkeitszeichen. Ein Beitrag zum Personverständnis des Alten Testaments, in: A. Wagner/J. van Oorschot (Hg.), Individualität und Selbstreflexion in den Literaturen des Alten Testaments (VWGTh 48), Leipzig 2017, 315–340, hier 336, Anm. 70. 47 Vgl. H. Weippert, Art. Kleidung, NBL II, 1995, 495–499, hier 496. 48 Vgl. Fischer, Rut, 211 f. 46 S.
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um dich unter seinen Flügeln zu bergen!“), der von Köhlmoos konstruiert wird,49 liegt m. E. nicht vor, weil dort von den „Flügeln Jhwhs“ (kānāp im Dual) und hier vom „Flügel“ bzw. „Gewandsaum“ des Boas (kānāp im Singular) gesprochen wird. Deshalb ist Ruts Bitte m. E. weder „symbolisch-theologisch“50 noch konkret sexuell (so die übliche Auslegung), sondern rechtssymbolisch zu verstehen. Köhlmoos scheint das gemäß ihrer Bemerkung, Rut bitte Boas „für sie die Rolle Jhwhs einzunehmen und sie schützend und anerkennend unter seine Fittiche zu nehmen“51, ebenso zu sehen. Die Begründung dieser Bitte „denn Löser bist du!“ (3,9) sowie die dem Heilsorakel entstammende Formel „Fürchte dich nicht!“ (3,11) dürften das bestätigen. Dass zwischen 2,12 und 3,9 dennoch ein buchinterner Zusammenhang besteht, der aber unterschiedlich perspektiviert ist – dort aus der Sicht des Boas, hier aus der Sicht Ruts –, ist dagegen unbestritten. Mit dem guten Ende der Nachtszene in 3,15 ist jedenfalls die Entscheidung für den öffentlichen Vorgang des „Lösens“ gefallen, der dann in 4,1–12 erzählt wird. Diese Szene spielt am Tor von Bethlehem und nennt als beteiligte Personen Boas, den anonymen Löser, die Ältesten der Stadt und das „ganze Volk“. „Boas“, so beginnt der Text, 1 aber stieg zum Tor hinauf und blieb dort. Und siehe: Der Löser (go᾽el) ging vorüber, von dem Boas gesprochen hatte. Und er sagte „Bieg ab, bleib hier, Soundso!“ Und er bog ab und blieb. 2 Und er nahm zehn Männer von den Ältesten der Stadt und sagte: „Bleibt hier!“ Und sie blieben. 3 Und er sagte zu dem Löser: „Den Anteil des Feldes, der unserem Bruder Elimelech gehörte, will Naomi, die Rückkehrerin aus dem Feld Moabs, verkaufen. 4 Ich sagte mir darum: Ich will folgendes vor deinem Ohr aufdecken: Erwirb es in Gegenwart der Hiergebliebenen und in Gegenwart der Ältesten meines Volkes! Wenn du lösen (gā᾽al)52 willst, dann löse. Wenn du aber nicht lösen willst, dann künde es mir, damit ich es erkenne. Denn es gibt keinen außer dir zum Lösen; ich aber komme nach dir.“ Da sagte er: „Ich, ich löse es!“ 5 Da sagte Boas: „An dem Tag, an dem du das Feld aus der Hand Naomis erwirbst, erwirbst du auch Rut, die Moabiterin, die Frau des Toten, um den Namen des Toten auf seinem Erbbesitz erstehen zu lassen.“ (4,1–5)
In diesem Augenblick tritt der anonyme Löser, der das Vorkaufsrecht für das Feld der Naomi hatte (vgl. 3,12 f.), aber davon zurück, weil er das damit verbundene Levirat mit Rut nicht eingehen will. Der Text sagt nicht, warum. Er verbindet aber den Verzicht des anonymen Lösers mit dem Brauch des Schuhausziehens: 6 Da
sagte der Löser: „Ich kann nicht für mich lösen, damit ich nicht meinen Erbbesitz (nahalāh) schädige. Löse du für dich meine Lösung, denn ich kann nicht lösen!“ 7 Und ˙
49 S. dazu Köhlmoos, Ruth, 62: „Was für Boas eine Wallfahrt unter die Flügel Jhwhs war, wird von Ruth jetzt in eine Bitte umgesetzt, an ihr die Erwählung Israels durch Jhwh nachzuvollziehen“, vgl. ebd., 63. 50 Ebd., 62. 51 Ebd. 52 Zum Leitwort gā᾽al „lösen“ s. Beyer, Hoffnung, 120–123 u. a.
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dies war früher Brauch in Israel bei einer Lösung und beim Tauschgeschäft: Um jegliche Angelegenheit zu ratifizieren (qjm pi.),53 zog ein Mann seine Sandale aus und gab sie seinem Nächsten. Und dies war die Bestätigung in Israel. 8 Da sagte der Löser zu Boas: „Erwirb für dich!“ Und er zog seine Sandale aus. (4,6–8)54
Damit ist der Rechtsfall entschieden: 9 Da sagte Boas zu den Ältesten und zum ganzen Volk: „Zeugen seid ihr heute, dass ich alles erwerbe, was Elimelech gehörte, und alles, was Kiljon und Machlon gehörte, aus der Hand Naomis! 10 Und auch Rut, die Moabiterin, die Frau Machlons, erwerbe ich für mich zur Frau, um den Namen des Toten erstehen zu lassen auf seinem Erbbesitz, damit der Name des Toten nicht ausgetilgt werde unter seinen Brüdern und aus dem Tor seines Ortes. Zeugen seid ihr heute!“ 11 Da sagte das ganze Volk, das im Tor war, samt den Ältesten: „Zeugen (sind wir)! Es gebe Jhwh, dass die Frau, die in dein Haus kommt, wie Rahel und Lea werde, die zwei, die das Haus Israel auferbaut haben! Sei fähig in Ephrata und rufe deinen Namen aus in Bethlehem! 12 Es sei dein Haus wie das Haus des Perez, den Tamar dem Juda gebar, vom Samen, den Jhwh dir von dieser jungen Frau geben wird!“ (4,9–12)55
Das ist der solenne Schluss der Ruterzählung, die mit dem Hinweis auf Rahel und Lea (4,11) theologisch an den Beginn der Heilsgeschichte zurücklenkt und damit den Bogen noch über die Richterzeit (1,1) hinaus spannt.
III. Eine narrative Anthropologie Wie bereits eingangs bemerkt, ist das Rutbuch ein Kleinod althebräischer Erzählkunst. Seine Sprache ist einfach und doch von einer anthropologischen und theologischen Tiefe, die ihresgleichen sucht. Israel ist, wie auch das Rutbuch demonstriert, eine Erzählgemeinschaft, in der die kollektive wie die individuelle Rettungserfahrung erinnert und für die lebenden wie die künftigen Generationen vergegenwärtigt wird. Als Versuch, kollektive wie individuelle Erlebnisse zu ordnen und in sinnvolle Zusammenhänge zu bringen, ist das Erzählen ein grundlegender Modus, um Wirklichkeit zu bewältigen. Woher kommt dieser Impuls zur Vergegenwärtigung durch Erzählen? „Im Unterschied zu Erzähltraditionen anderer Kulturen“, so schreibt K. Seybold, ist der hebräischen Erzählkultur ein Impuls eigen, sich selbst zu erhalten und sich durch die Zeiten hindurch zu festigen. Nach eigenem, späteren Zeugnis ist dieser Impuls von religiöser Art und wird auf die Initiative Jhwhs zurückgeführt. Von ihm wird gesagt, dass 53 Zu qjm pi. „für gültig erklären, ratifizieren“ s. E. Otto, Biblische Altersversorgung im altorientalischen Rechtsvergleich, ZAR 1 (1995) 83–110, hier 109, Anm. 150. 54 Die Sandale (na῾al) ist hier ebenso wie in Dtn 25,9 f. und Ps 60,10 par. Ps 108,10 ein Persönlichkeitszeichen: Sie vertritt rechtssymbolisch die Person, der sie gehört, und setzt den mit ihr vollzogenen Rechtsakt performativ in Kraft, s. dazu Janowski, Persönlichkeitszeichen, 332– 337. Zum Metakommentar in Rut 4,7 s. Köhlmoos, Ruth, 79. 55 Zum Verständnis von V. 10aβ und V. 12 als Glossen s. ebd., 79 f.
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er selbst ein „Gedächtnis seiner Wunder gestiftet hat“ (Ps 111,4), wozu – wie die Verwendung der hebräischen Vokabel für „erzählen“ (spr pi.) an verschiedenen Stellen zeigt – das mündliche Weitergeben des Erlebten an die folgenden Generationen und „für alle Zeit“ wesentlich gehört.56
Im Buch Rut, das um das Thema „Hingabe“ kreist, wird dieses Thema nicht wie in Mi 6,8 („Man hat dir gesagt, Mensch, was gut ist …“) normativ gesetzt, sondern in den Dialogen und Handlungen der Hauptpersonen narrativ entfaltet. Dieses Thema enthält einen aktiven („Hingabe, Güte üben“) und einen passiven Aspekt („Gunst finden“, „Achtung erlangen“). Beide Aspekte sind aufeinander bezogen und werden durch buchinterne Rückbezüge immer wieder miteinander verknüpft. Dadurch entsteht ein dichtes Geflecht, wie am Vorkommen der entsprechenden Leitwörter zu erkennen ist: Naomi, Boas, Vorabeiter 1,8
Naomi zu ihren Schwiegertöchtern (hæsæd Jhwhs und der Schwiegertöchter) ˙
2,6 f.
2,11
Vorarbeiter zu Boas (Rückbezug auf 1,8.16 f.)57 Boas zu Rut (Rückbezug auf 1,8.16 f.)
2,15 f. Boas zu den Schnittern (klm hif., gā῾ar, jeweils negiert) 2,19 Naomi zu Rut (nkr hif., Rückbezug auf 2,10) 2,20 Naomi zu Rut (hæsæd Jhwhs) ˙ 3,10 Boas zu Rut (hæsæd Ruts, Rückbezug auf ˙ 1,8.16 f.)
Rut
1,16 f. Rut zu Naomi (ohne den 2,2 Begriff hæsæd) Rut im ˙Selbstgespräch (hen) ˙ 2,10 2,10
Rut zu Boas (hen) ˙ hif.) Rut zu Boas (nkr
2,13
Rut zu Boas (hen) ˙
Worterklärungen: gā῾ar „beschimpfen“; hen „Gunst, Sympathie, Freundlichkeit“; hæsæd ˙ „Hingabe, Güte, Freundlichkeit“; nkr hif.˙„aufmerksam, genau betrachten, identifizieren“; klm hif. „verächtlich behandeln“. Abb. 2: Leitwörter zum Thema „Hingabe“ im Rutbuch
56
Seybold, Poetik, 24, s. dazu auch Naumann, Biblisches Erzählen, 241–245. Der Vorarbeiter ist der erste, der Rut ausdrücklich anerkennt: „(5) Und Boas sagte zu seinem jungen Mann, der den Schnittern vorstand: ‚Zu wem gehört diese junge Frau da?‘ (6) Und der junge Mann, der den Schnittern vorstand, antwortete und sagte: ‚Sie ist eine moabitische junge Frau, die zurückgekehrt ist mit Naomi aus dem Gefilde Moabs. (7) Und sie sprach: Ich will lesen und einsammeln hinter den Schnittern her! Und da kam sie und war auf den Beinen vom Morgen bis jetzt; jetzt hat sie sich ein wenig hingesetzt‘“, s. dazu Köhlmoos, Ruth, 36–37.46. 57
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Jhwhs impliziter (1,8; 2,20) und Ruts expliziter hæsæd-Erweis (1,8, vgl. 1,16 f. ˙ ohne den hæsæd-Begriff) sind, wie diese Übersicht noch einmal verdeutlicht, ˙ die grundlegenden Handlungen, die alles Weitere in Gang setzen und die durch die Akte der Anerkennung und Großherzigkeit seitens des Vorarbeiters, aber vor allem des Boas „beantwortet“ werden. Diese Antwort wird in 2,2.10.13 mit der Wendung „jemandes Gunst (hen) finden“ ausgedrückt: „Doch hen und hæsæd ˙ ˙ ˙ sind zwei Seiten derselben Medaille; wer hen findet, dem wird hæsæd erwiesen“58 ˙ ˙ oder m. E. besser: Wer „Hingabe“ (hæsæd) erweist, der wird „Gunst“ (hen) fin˙ ˙ den. So erzählt das spätnachexilische Rutbuch eine Beispielgeschichte der Achtung gegenüber dem anderen, der überdies ein Fremder bzw. eine Fremde/Ausländerin ist, im Gewand einer Familiengeschichte. Indem es die Ereignisse in die Richterzeit verlegt (1,1), schafft es eine übergreifende Perspektive, die mehrere Jahrhunderte umfasst und die die ethischen Maßstäbe seiner Protagonistin als Identifikationsmöglichkeit vor Augen stellt – für die Zeit des Erzählers und weit darüber hinaus. Quellennachweis zu den Abbildungen: 1 O. Keel, Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen, Göttingen 51996, 88, Abb. 128.
58
Beyer, Hoffnung, 176, vgl. ebd., 224–227.
Holiness and the Levites Some Reflections on the Relationship between Chronicles and Pentateuchal Traditions Louis C. Jonker
In recent years, some scholars have started arguing that Pentateuch and Chronicles scholarship should be brought closer to one another, for the benefit of both.1 These scholars argue that the Chronicler2 was one of the earliest readers of the Pentateuch (in whichever form), because the final phases of editing of the Pentateuch happened in close temporal (and probably also geographical) proximity to the origin of the book of Chronicles. If the results of scholarship in these specialized fields can be brought into conversation with one another, it could potentially lead to deeper insights into the literature formation processes in the late Achaemenid and early Hellenistic periods.3 1 See, e.g, L. C. Jonker, Within Hearing Distance? Recent Developments in Pentateuch and Chronicles Research, OTE 27 (2014) 123–46; Idem, From Paraleipomenon to Early Reader: The Implications of Recent Chronicles Studies for Pentateuchal Criticism, in: C. M. Maier (ed.), Congress Volume Munich 2013 (VT.S 163), Leiden 2014, 217–254. 2 The term “Chronicler” is used here, not as an indication of an individual author of the book Chronicles, but rather as an indication of the collective authorship that brought about this book. In Chronicles scholarship it is assumed by the majority that the book had its origin among the literati in Jerusalem – probably in Levite circles – during the middle to end of the 4th century BCE. For more comprehensive discussions of the date and authorship of Chronicles, see L. C. Jonker, 1 & 2 Chronicles, Grand Rapids 2013, 6–10; Idem, Defining All-Israel in Chronicles: Multi-Levelled Identity Negotiation in Late Persian Period Yehud (FAT 106), Tübingen 2016, 66–71. 3 The same argument applies to the relationship between Chronicles and the so-called Deuteronomistic History. Although it is common knowledge that the Chronicler based his construction of All-Israel’s (mainly Judah’s) history on the Deuteronomistic History (more specifically, on Samuel-Kings), it is only recently that scholars have started investigating the literary-historical relationship between these historiographical works in more depth. See, e. g., A. G. Auld, What Was the Main Source of the Books of Chronicles?, in: M. P. Graham/S. L. McKenzie (eds.), The Chronicler as Author: Studies in Text and Texture, Sheffield 1999, 91–99; A. G. Auld, What If the Chronicler Did Use the Deuteronomic History?, BibInt 8 (2000) 137–150; C. Nihan, Textual Fluidity and Rewriting in Parallel Traditions: The Case in Samuel and Chronicles, JAJ 4 (2013) 186–209; U. Becker/H. Bezzel (eds.), Rereading the Relecture? The Question of (Post) Chronistic Influence in the Latest Redactions of the Books of Samuel (FAT.2 66), Tübingen 2014; E. Ben Zvi, Chronicles and Samuel-Kings: Two Interacting Aspects of One Memory System in the Late Persian/Early Hellenistic Period, in: Becker/Bezzel (eds.), Rereading the Relecture?,
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The present paper wants to contribute towards this discussion by focusing on how holiness is understood in the Pentateuchal traditions and in Chronicles, and how it is related to the Levites in these textual corpora.4 The theme of holiness appears prominently, not only in the Pentateuchal legal traditions (particularly in the priestly literature), but also in Chronicles. Furthermore, the Levites also receive extensive attention in both these textual corpora, and it is highly probable that Chronicles wanted to give prominent status to them.5 I will structure my argument as follows: First, I will start with a very brief methodological comment on studying holiness in the Old Testament, and will provide a short overview of the distribution of the terminology. Secondly, I will provide a discussion of how the concept of holiness is used in the Pentateuch (by focusing on some Priestly texts), and how the Levites are related to this concept. In a third section, I will turn the attention to holiness in Chronicles, and will study how holiness is related to the Levites in this book.6 In a fourth section the insights from the previous sections will be used to synthesise my results within a specific historical context into a coherent diachronic hypothesis. The conclusion will explain how the use of holiness in these textual corpora leads us to take a specific view on the Chronicler’s presentation of the priesthood and the Levites. 41–56. See also my contribution on the relationship between Chronicles and Judges in L. C. Jonker, Chronicles and Judges: Any Relationship?, in: A. Michel/N. K. Rüttgers (eds.), Je remia, Deuteronomismus und Priesterschrift: Beiträge zur Literatur- und Theologiegeschichte des Alten Testaments, Festschrift für H.‑J. Stipp zum 65. Geburtstag (ATSAT 105), Sankt-Otti lien 2019, 179–200. 4 The focus on the Levites is prompted from the textual material of the Pentateuch and Chronicles, but also from discussions that I witnessed while attending some Oberseminar sessions at the University of Tübingen. My gracious host who received me as Alexander von Humboldt scholar on more than one occasion in Tübingen, was Erhard Blum, who is also the celebrant of this volume. I consider it a privilege to honour him in this way, and I am thankful for all his input in my own scholarship. I always considered him a breath of fresh methodological air in German-speaking scholarship (see L. C. Jonker, Winds of Change? Recent Developments in Exegetical Methodology in Germany, NGTT 45 [2004] 599–608), and I wish him well for the next part of his scholarly career. 5 One of the discussions we had in Tübingen was on the profile of the Levites in Chronicles, compared to the priestly portrayal. In response to my point of view that the Chronicler claims an equal position and status for the Levites over against the Aaronide priesthood, Erhard Blum insisted that this does not apply to the bringing of sacrifices. His point of view was that the Chronicler upholds the position expressed in priestly laws that only the priests were allowed to perform sacrifices. This question will again be dealt with in the present contribution. For other discussions on this issue, see e. g., G. N. Knoppers, Hierodules, Priests, or Janitors? The Levites in Chronicles and the History of the Israelite Priesthood, JBL 118 (1999) 49–72; M. Leuchter/J. M. Hutton (eds.), Levites and Priests in Biblical History and Tradition (AIL 9), Atlanta 2011. 6 Within the limited scope of this contribution it will not be possible to go into the finer details of scholarship on either the Priestly literature or Chronicles. I will therefore limit the discussion to some key texts in both textual corpora that are important for the development of my argument.
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I. Holiness in the Old Testament Many longer and shorter studies have already been completed on the understanding of the concept of holiness in the Old Testament.7 Many of them have used insights from other fields, such as phenomenology and anthropology, to explain how the concept should be interpreted in the Old Testament. My intention is not to repeat those studies here, but rather to focus on how this concept, with related terminology, is used in the Pentateuch and in Chronicles respectively. In doing so, I will heed to Rogerson’s reminder in his attempt to answer the question “What is Holiness?”, namely: [T]he best place from which to construct an overall framework for approaching the subject of holiness in the Old Testament is a critical reading of the Old Testament narratives, rather than generalized theories of “holiness”, however impressive and distinguished they may be. […] [I]f the Old Testament is allowed to speak for itself and is not forced into patterns prescribed by phenomenological or anthropological theories (although Old Testament interpretation can learn much from these), it has much to contribute to the question “what is holiness?” It exhibits a “situational flexibility” and articulates a critique of holiness as conceived in impersonal terms.8
With regard to the Pentateuch, I will therefore focus on the corpus of texts where the concept of holiness occurs most frequently, namely the legal traditions of the Pentateuch. Furthermore, those narratives in Chronicles where the concept occurs will be studied and presented here. The Hebrew terms related to holiness show an interesting distribution in the Hebrew Bible.9 The verb with the root קדשׁoccurs 28 times in Exodus, 31 times in Leviticus, 11 times in Numbers, and 15 times in Ezekiel. These frequencies are as expected, given the fact that these books contain mainly priestly materials and perspectives. However, it is surprising that this verb occurs 32 times in Chronicles, as the book with the highest frequency in the Hebrew Bible. The same pattern applies to the noun, with 70 occurrences in Exodus, 92 in Leviticus, 57 each in Numbers and Ezekiel, and 47 occurrences in Chronicles.10 The adjective קדושׁ follows another pattern, however. Isaiah has the majority (38 times), followed by Leviticus (20), Numbers (7), Exodus (2), and Chronicles contains only a single occurrence in 2 Chr 35:3.11 The Pentateuchal occurrences of the concept are mainly in Priestly literature. 7 See e. g., P. P. Jenson, Graded Holiness: A Key to the Priestly Conception of the World, Sheffield 1992; Idem, Holiness in the Priestly Writings of the Old Testament, in: S. C. Barton (ed.), Holiness: Past and Present, London 2003, 93–121; J. W. Rogerson, What Is Holiness?, in: Barton (ed.), Holiness, 3–21; A. L. Mittleman (ed.), Holiness in Jewish Thought, Oxford 2018. 8 Rogerson, What Is Holiness?, 21. 9 Statistics according to searches on the Stuttgarter Elektronische Studienbibel in Logos software. 10 The noun also occurs 45 times in Psalms. 11 See also the discussions in D. Kellermann, Art. Heiligkeit II, TRE 14, 1985, 697–703;
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II. Holiness and the Levites in the Priestly Pentateuch There are two key passages in the Priestly literature that deserve more discussion within the context of the present study. The first is an influential section of the Priestly material, namely the so-called Holiness Legislation in Lev 17–26.12 Since the time of August Klostermann in the second half of the nineteenth century, it has been recognized that the corpus in these chapters are distinct from its surrounding texts.13 In recent years, this corpus, and particularly its role in the final composition of the Pentateuch, has come under scrutiny again.14 Israeli scholars, Israel Knohl and Jacob Milgrom, advanced the theory that – although H is also priestly in character – the Holiness Legislation is a later addition to the Priestly material in the Pentateuch. According to these scholars, this addition was already done in the pre-exilic period.15 The most recent scholarship also sees H as separate and independent from the Priestly corpus, but the addition happened only much later, presumably in the second half of the 5th century BCE.16 This point of view is particularly represented in the publications of Eckart Otto and ChrisD. P. Wright, Art. Holiness: Old Testament, AncBD 3, 1992, 237–250; E. Otto, Art. Heiligkeitsgesetz, RGG4 3, 2000, 1570–1571; H.‑P. Müller, Art. קדׁשQdš Heilig, THAT6 2, 2004, 589– 609; W. Kornfeld/H. Ringgren, Art. Qdš, Holy, TDOT 12, 2003, 521–546. 12 At the SBL International Meeting in Berlin in 2017, I presented a paper in which I investigated the possible relationships between the Holiness Legislation and the Darius Testament of Naqš-i-Ruštam (particularly the DNb inscription). The present discussion builds on aspects of that discussion which is still to be published. 13 Klostermann also coined the term ‘Holiness Code’ or H as reference to Lev 17–26. See A. Klostermann, Beiträge zur Entstehungsgeschichte des Pentateuchs, ZLThK 38 (1877) 401– 445. 14 For good overviews of the debates on the Priestly material in general and H in particular, see C. Nihan, From Priestly Torah to Pentateuch: A Study in the Composition of the Book of Leviticus (FAT.2 25), Tübingen 2007, 4–11; E. Zenger (ed.), Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 72008, 156–175; E. E. Meyer, Leviticus 17, Where P, H and D Meet: Priorities and Presuppositions of Jacob Milgrom and Eckart Otto, in: R. E. Gane/A. Taggar-Cohen (eds.), Current Issues in Priestly and Related Literature: The Legacy of Jacob Milgrom and Beyond, Atlanta 2015, 349–368; K. Schmid, Post-Priestly Additions in the Pentateuch: A Survey of Scholarship, in: J. C. Gertz et al. (eds.), The Formation of the Pentateuch: Bridging the Academic Cultures of Europe, Israel, and North America (FAT 111), Tübingen 2016, 589–604. 15 See I. Knohl, The Priestly Torah Versus the Holiness School: Sabbath and the Festivals, HUCA 58 (1987) 65–117; Idem, The Sanctuary of Silence: The Priestly Torah and the Holiness School, Minneapolis 1995; J. Milgrom, Leviticus 1–16: A New Translation with Introduction and Commentary (AncB 3), New York 1991; Idem, Leviticus 17–22: A New Translation with Introduction and Commentary (AncB 3A), New York 2000; Idem, Leviticus 23–27: A New Translation with Introduction and Commentary (AncB 3B), New York 2001. 16 When it comes to the dating of H and its contribution to the final form of the Pentateuch, Christophe Nihan follows Eckart Otto by placing it “probably in the second half of the fifth century BCE” (Nihan, From Priestly Torah, 548). He argues as follows: “[O]nce the post-P and post-D origin of this collection is acknowledged, the historical and literary context for such a process of systematic reception and inner-biblical exegesis should be sought in a first edition of the Torah in the Persian period, as argued by Otto, probably in the second half of the fifth century BCE. The frequent mixture of Priestly and Deuteronomistic phraseologies and concepts
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tophe Nihan. They view Lev 17–26 as separate and later than the Priestly corpus that ends, according to them, in Leviticus 16.17 However, the point that Otto and Nihan make, is not only about relative dating, but about the unique character of H in contradistinction to P. Some other studies seeing H as post-P suggested that Lev 17–26 were further extensions of the Priestly material, at a later stage.18 Otto and Nihan are however of the opinion that H is rather an attempt to combine the Priestly and non-Priestly (including Deuteronomic) traditions, at a later stage. Their view therefore also places emphasis on the character of the Holiness Legislation, in addition to the fact that it is later than P. Nihan puts it as follows: In the Pentateuch, the so-called “Holiness Code” (=H) in Leviticus 17–26/27 is singled out by its proximity to both P and D. On the one hand, coming after the instructions on sacrifices and ritual purification in Lev 1–16, it concludes the book (scroll) of Leviticus, which represents in many respects the very center of the P work in the Torah. On the other hand, however, the form, structure and language of H offer numerous parallels with the other Pentateuchal codes, especially with D. […] More generally, the model attributing the composition of Lev 17–26(27) to P is unable to account for the combined influence of P and dtr traditions throughout the H legislation.19
Nihan therefore hypothesizes: [T]his phenomenon is best explained as reflecting the attempt to synthesize the P promises with the deuteronomistic tradition of making the covenant between Yhwh and Israel conditional upon strict obedience by the people. This conclusion is all the more evident since Lev 26 was clearly intended to parallel Deuteronomy 28, the original conclusion to the D code. It implies that H is unlikely to stem from the same hand as P, and is best explained as a post-P composition, which presupposes P but corrects it, in particular in order to harmonize it with the D tradition.20
Otto and Nihan furthermore call attention to the fact that a distinct rhetorical twist can be observed between the Priestly corpus and the Holiness Legislation. Meyer summarizes their view well when he says: “One of the arguments […] for the distinction between H and P is the fact that, whereas P is focused on the cult found throughout H characteristically reflects the attempt by the editors of the Torah to mediate between the major traditions received.” 17 E. Otto, Innerbiblische Exegese im Heiligkeitsgesetz Levitikus 17–26, in: H.‑J. Fabry/ H.‑W. Jüngling (eds.), Levitikus als Buch (BBB 119), Berlin 1999, 125–196; Nihan, From Priestly Torah. 18 See e. g., K. Grünwaldt, Das Heiligkeitsgesetz Leviticus 17–26: Ursprüngliche Gestalt, Tradition und Theologie (BZAW 271), Berlin 1999; J. Stackert, Rewriting the Torah: Literary Revision in Deuteronomy and the Holiness Legislation (FAT 52), Tübingen 2007. 19 C. Nihan, The Holiness Code between D and P: Some Comments on the Function and Significance of Leviticus 17–26 in the Composition of the Torah, in: E. Otto/R. Achenbach (eds.), Das Deuteronomium zwischen Pentateuch und Deuteronomistischem Geschichtswerk (FRLANT 206), Göttingen 2004, 81–122, here 103. For a more elaborate treatment of the problems involved in the traditional views on H, see Nihan, From Priestly Torah, 395–401. See also E. E. Meyer, Leviticus 17 as a Bridge between P and H, with a Twist of D?, JSem 21 (2012) 106–124. 20 Nihan, Holiness Code, 102–103.
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itself and the rituals aimed at maintaining the cult, H broadens its horizons to include what we might call ‘ethics’.”21 Elsewhere he adds: “Thus H is an attempt to move from the cult to the community, but also an attempt to move the community (or actually concern for inter-human relationships) into the cult.”22 The focus of many of these discussions is on Lev 19, a crucial part of the Holiness Legislation. Holiness is related in Lev 1–16 mainly to cultic matters. However, the issue of Yahweh’s holiness as motivation for human conduct, occurs only three times in Leviticus, namely in Lev 11:44–45 (which are normally associated with H), as well as in Lev 19:2 and 20:7–8 (which are part of H).23 Israel is already seen as a holy community in earlier Pentateuchal traditions, such as in the Covenant Code (Exod 22:30) and in Deuteronomy (see 7:6; 14:1–2, 21), but nowhere in the Priestly corpus. It therefore seems that this development in H is a way to negotiate between the Priestly and non-Priestly (especially Deuteronomic) traditions on the conception of holiness. Not all scholars agree with this theory, however.24 Erhard Blum summarizes his criticism against this theory as follows: In short, the much-discussed characteristics of Leviticus 17–26 are neither exclusive to this corpus nor do they demand diachronic solutions. On the contrary, Leviticus 17–26* form an essential part in the overall conception of P. The main Priestly strand from Exodus to Leviticus is, therefore, consistent and coherent in its compositional design. The given differences are due to and in accordance with the internal logic of God’s implementation of his berît with Abraham/Israel in P. Certainly, the composers had to build their work by integrating quite diverse material. But, all in all, they succeeded in making the best out of it. Any diachronic decomposition, because it ignores the overall design, will be – in my opinion – on the wrong track.25
Although one should express appreciation for Blum’s reticence to resort too quickly to diachronic solutions, it seems that his insistence on the coherence 21 E. E. Meyer, From Cult to Community: The Two Halves of Leviticus, VeEc 34 (2013) 1–7, here 1. See also Idem, The Reinterpretation of the Decalogue in Leviticus 19 and the Centrality of the Cult, SJOT 30 (2016) 198–214; B. D. Bibb, Ritual Words and Narrative Worlds in the Book of Leviticus (LHB 480), New York 2009. There are, of course, also further factors leading scholars to hypothesize the distinction between P and H. Nihan, e. g., indicates that it is not only the shift in theological focus, but also a distinction in phraseology and signs of revision of P in H, that lead him to take this point of view. For an in-depth discussion on these issues, see Nihan, From Priestly Torah. 22 Meyer, Reinterpretation, 204. 23 See Meyer’s discussion of these texts in Meyer, From Cult to Community, 3. 24 The following scholars still see H as an integral part of P: F. Crüsemann, Die Tora: Theologie und Sozialgeschichte des Alttestamentlichen Gesetzes, München 1992; A. Ruwe, “Heiligkeitsgesetz” und “Priesterschrift”: Literaturgeschichtliche und rechtssystematische Untersuchungen zu Leviticus 17,1–26,2, (FAT 26), Tübingen 1999; E. Blum, Issues and Problems in the Contemporary Debate Regarding the Priestly Writings, in: S. Shectman/J. S. Baden (eds.), The Strata to the Priestly Writings: Contemporary Debate and Future Directions (AThANT 95), Zürich 2009, 31–44. 25 Blum, Issues and Problems, 39.
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and consistency of the Priestly corpus is overstated. However, in my opinion, one should judge the validity of the more recent views on H not in isolation, but rather in conjunction with newer studies on the book of Numbers. This leads us then to a second important passage for our discussion, namely Num 16–18.26 In earlier studies Num 16–18 were considered – with the exception of some minor parts – to be part of the Priestly strand of Pentateuchal material.27 They contain the so-called Korah-Levite legend in which the superior status of the Zadokite priesthood over-against the Levitical priesthood is legitimated. Reinhard Achenbach, in his influential and convincing recent study on Numbers,28 argues, however, that these chapters are part of a late theocratic reworking (ThB) in the fourth century BCE. He indicates: Ausgangspunkt sind für die somit einsetzende hierokratisch eingestellte […] theokratische Bearbeitung (ThB) die Priesterordnungen der Zadokiten des Ezechielkreises in Ez 44. Die alte Legende vom Scheitern des altisraelitischen Priestertums wird in die Tora zurückprojiziert und als Legende vom Scheitern der Aaroniden (Lev 10) neu gefaßt. Die Zadokiten gelten als “levitisches Priestertum” (i. S. von HexRed und PentRed), aber die übrigen “Leviten” haben das Volk in die Irre geführt. Zum Nachweis in der Tora entsteht die Korach-Leviten-Legende (Num 16 f.). Durch sie wird der Führungsanspruch der Zadokiten über alle übrigen Leviten begründet, durch die sich an sie anlagernde Legende vom Aaronstab aber auch der Führungsanspruch über alle Stämme Israels, sodann kann einerseits eine Ämter- und Abgabenordnung für das Heiligtum entworfen werden (Num 18), aber auch ein Ausbau der Ursprungslegende der Theokratie um das Wüstenheiligtum herum erfolgen (Num 1–4).29
In Num 16 – as part of this late comprehensive theocratic reworking – the contentious issue is that Korah and the Reubenites quarrelled with Moses and Aaron about their understanding of who could be considered holy/consecrated ()קדשים.30 According to the narrative, Korah and the Reubenites accused Moses and Aaron as follows: “You have gone too far! For all in the congregation are holy, every one of them, and the Lord is among them. Why then do you exalt yourselves above the assembly of the Lord?” (Num 16:3 ESV). 26 For a more extensive discussion of the book of Numbers in relation to Chronicles, see L. C. Jonker, Numbers and Chronicles: False Friends or Close Relatives?, HeBAI 8/2 (2019) 332–377. The present discussion builds on the analyses provided there. 27 See e. g., P. J. Budd, Numbers (WBC 5), Dallas 1984. 28 R. Achenbach, Die Vollendung der Tora: Studien zur Redaktionsgeschichte des Numeribuches im Kontext von Hexateuch und Pentateuch (BZAR 3), Wiesbaden 2003. 29 Achenbach, Vollendung, 633. See also C. Frevel, Ending with the High Priest: The Hierarchy of Priests and Levites in the Book of Numbers, in: C. Frevel/T. Pola/A. Schart (eds.), Torah and the Book of Numbers, (FAT.2 62), Tübingen 2013, 139–140. 30 See the ruling made about the Levites in Ezek 44:13 (ESV): “They [the Levites] shall not come near to me, to serve me as priest, nor come near any of my holy things and the things that are most holy []על־כל־קדשׁי אל־קדשׁי הקדשׁים, but they shall bear their shame and the abominations that they have committed.”
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Moses responded that Yahweh himself would show them in the morning who is holy/consecrated (v. 5). He indicates that Korah and the Levites misunderstand their own separateness from the other tribes as holiness, a quality that only belongs to the priests. Korah’s accusation is therefore interpreted as an attempt to usurp the priesthood, or at least to gain access to it. This is considered to be a transgression against Yahweh himself (vv. 8–11). The showdown of the next morning between Aaron and Moses on the one side, and Korah, Dathan and Abiram on the other, indicates clearly that Yahweh agrees that Korah and his supporters are the ones who have gone too far by claiming holiness for themselves. As punishment, the earth opens beneath them, and they are buried alive. The narrative therefore states clearly that holiness is not a quality of the whole assembly as alleged in verse 3 ()כל־העדה כלם קדשים, but is a quality that can only be claimed by Aaron and the priesthood (as is confirmed by the following narrative of the budding of Aaron’s staff in ch. 17). The Levite claim towards holiness (equal to the Aaronide/Zadokite priests) is therefore thwarted comprehensively. From these short discussions of scholarship on the Holiness Legislation and the late theocratic reworkings in the book of Numbers, one gets the impression that the rhetorical twist of H to open up the notion of holiness to wider application – not only in cultic matters, but also in everyday human conduct – could have had an influence on the discourses about the position of the Levites in Numbers. Korah – as representative of the Levites – argues in the crucial section in Num 16 that Moses and Aaron – representing the Aaronide priesthood and leadership – have gone too far to claim that holiness is a quality that applies only to the Aaronide priests, and not to the whole congregation as well. This discourse simply does not make sense in a literary context where contrasting views about holiness were not already known. However, before coming to final conclusions on the Pentateuchal texts, the use of the concept holiness in Chronicles, as well as the portrayal of the Levites in this book, should also be investigated.
III. Holiness and the Levites in Chronicles As indicated earlier, the concept “holiness” occurs frequently in Chronicles – 32 times as verb (mostly in Hiphil or Hithpael), 47 times as noun, and once as adjective. It seems, however, that there is a development in Chronicles in the associations made with the issue of consecration and holiness. In the earlier parts of the book, 1 Chr 23:13 is programmatic: The sons of Amram: Aaron and Moses. Aaron was set apart ( )בדלto dedicate ( )קדשthe most holy things, that he and his sons forever ( )עד־עולםshould make offerings before the Lord and minister to him and pronounce blessings in his name forever ()עד־עולם. (ESV)
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This verse confirms that Aaron and his descendants are set apart to deal with the holy things and that they were supposed to bring the offerings and pronounce the blessings – even ( עד־עולםused twice). This view continues into the narrative of Solomon’s dedication of the temple in Jerusalem. Although it is indicated (in 2 Chr 5:5, 7) that the Levites carried the ark, the tent of meeting, and the consecrated utensils into the temple – and even into the holy of holies – 2 Chr 5:11 clearly states that the priests consecrated themselves and that the Levites stood nearby lending support services (vv. 12 ff.). The first indication of the Levites being consecrated comes in 2 Chr 23:6 where it is indicated that only those priests and Levites who were on duty could enter the temple because they were קדש. A contrast to this is, however, found in 2 Chr 26:18 where it is indicated that king Uzziah wanted to perform some priestly functions, and that Azariah and other priests reprimanded him and told him that only the priests, the descendants of Aaron, who have been consecrated may burn incense at the altar. From 2 Chr 29, in the narrative about king Hezekiah’s reign, the tide turns, however. From now on, the term ( קדשas verb and noun) is used frequently – 26 times in the Hezekiah narrative (2 Chr 29–32), and four times in the Josiah narrative (2 Chr 34–35). In 2 Chr 29:5 ff. the king commands the Levites to consecrate themselves to perform the purification of the temple. The same happens (in 2 Chr 35:6) when Josiah instructs the Levites to consecrate themselves and to slaughter the lambs for the Passover offering. 2 Chr 29:34 even constructs a contrast between the priests and Levites by indicating that the latter were more conscientious in consecrating themselves than the priests. The contrast continues into the narrative of the celebration of Passover in Hezekiah’s days. The Passover had to be postponed till the second month due to the fact that there were not enough consecrated priests to perform the offerings (2 Chr 30:3). Another interesting turn of events occurs when a very large crowd of people start slaughtering the Passover lamb (2 Chr 30:13–15). The priests and the Levites were put to shame by this, and they therefore consecrated themselves and brought burnt offerings. For those in the crowd who were not consecrated, the Levites performed the slaughtering of the Passover lambs (2 Chr 30:17). After the whole assembly insisted to continue with the feast for another seven days, a great number of priests consecrated themselves (2 Chr 30:24). After an abundance of freewill offerings were brought to the temple, the distribution started taking place according to those enrolled in the family lists. Interestingly enough, it is indicated in 2 Chr 31:18 They [male Levites and priests] were enrolled with all their little children, their wives, their sons, and their daughters, the whole assembly, for they were faithful in keeping themselves holy ()כי באמונתם יתקדשׁו־קדשׁ. (ESV – my emphasis)
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This is unique in Chronicles, because Levites are never called “holy” in the Priestly literature and in Ezekiel.31 The development is thus clear: Whereas the book of Chronicles reflects in its earlier parts the ideological position that the priests were the consecrated ones and that the Levites played a supporting role, the position changes particularly from the Hezekiah narrative where the Levites become the primary consecrated ones who assist in the slaughtering and offering of the Passover lambs. There are even glimpses (in 2 Chr 30:15 and 31:18) of community members being viewed as holy. It therefore seems that the relationship between the Aaronide priests and the Levites grows from a position of subordination to a coordinate relationship.32 Towards the end of the book, particularly as seen in the Passover narratives in 2 Chr 30 and 35, the Levites occupy at least an equal position with the Aaronide priests, and in some cases are seen as more obedient in terms of their consecration. As indicated in other studies, the Passover narratives in these chapters are used as a literary device in Chronicles – in parallel to the preparation for temple building under David, to the construction and inauguration under Solomon – to develop the overall narrative to a climax.33 It seems that the development of the Levites’ profile is facilitated through the same literary device. On account of this development, Chronicles scholars generally come to the conclusion that the book is not exclusively pro-priestly, but also not exclusively pro-Levite. Knoppers states this perspective as follows: To be sure, the Chronicler does not jettison all distinctions between the two. The Aaronic priests have a distinct status within the tribe of Levi (secured by birth) and a different function – to officiate within the Temple and to make offerings (1 Chr 23:30–32). The sons of Aaron are “officers of the sanctuary and officers of God” (1 Chr 24:5). There is no firm evidence to suggest that the Chronicler holds to an absolute equality between priests and Levites. Nevertheless, the author does not emphasize hierarchy. Both the priests and the Levites are essential to the success of the Temple cultus. Rather than constituting evidence for a pro-Priestly author or redactor of Chronicles, the summary of levitical duties is ev-
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Knoppers, Hierodules, Priests, or Janitors?, 71. Both Knoppers and Klein point out that the expression in 1 Chron 23:28 (literally “at the hand of the Aaronides”) already emphasizes a coordinate relationship and not subordination. According to Knoppers, Hierodules, Priests, or Janitors?, 59 and R. W. Klein, 1 Chronicles: A Commentary (Hermeneia), Minneapolis 2006, 455, subordination would have been indicated with the Hebrew expression ῾al yad (instead of leyad, used in this verse), a term that is used in quite a few other instances in Chronicles. Dirksen does not agree with this view. He is of the opinion that the expression indeed denotes subordination. But he adds: “Of course this does not mean less respect. The writer holds that priests and Levites both have their indispensable function within the order of the cult, while emphasizing only the prerogatives of the priests” (P. B. Dirksen, 1 Chronicles [HCOT], Leuven 2005, 286). 33 For further discussion of this point of view, see L. C. Jonker, Completing the Temple with the Celebration of Josiah’s Passover?, OTE 15 (2002) 381–397; Idem, Reflections of King Josiah in Chronicles: Late Stages of the Josiah Reception in II Chr. 34 f., Gütersloh 2003. 32
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idence for the Chronicler’s own distinctive stance, a via media between the positions of Deuteronomy, the Priestly source, and Ezekiel.34
However, after our review of some Pentateuchal texts in which the concept “holiness” is used in relation to the Levites, one could perhaps even go further than the perspective offered by Knoppers above. One may even hypothesize a relationship between the Holiness Legislation and Chronicles. Almost all Chronicles commentaries agree with Knoppers that it was part of the Chronicler’s rhetorical strategy to negotiate a via media between the priestly and deuteronomic-deuteronomistic traditions. However, we have seen above that a similar tendency emerges in the Holiness Legislation. It is exactly this characteristic of the Holiness Legislation which distinguishes it from other Priestly materials. Nihan and others have shown convincingly that there is a tendency in Lev 17–26 to merge – or, at least, combine – priestly views with deuteronomic-deuteronomistic ideas. Although critics of the idea of a separate and later Holiness Legislation (such as Erhard Blum) are right that these chapters are still consistent with Priestly theo logy, they ignore the fact that this corpus also reflects deuteronomic-deuteronomistic ideas in some parts. This aspect will be revisited in the synthesis below. The relationship between Chronicles and Numbers seems to be different. If the narrative in Num 16 is taken as measuring rod, the Chronicler moves (in its initial narratives) from a position which respects the strong stance in favour of the priests (and against the Levites) taken in Num 16, to a point (from 2 Chr 29 onwards) where the Chronicler’s portrayals clearly reflect transgressions of the same scale as those of Korah and the Levites in Num 16. This factor will also be taken into account in the synthesis below. Although not the focus of the present study, one should take into account that the relationship between Chronicles and the book of Judges is also heavily influenced by the respective views on the Levites.35 Since the classic Noth theory of a Deuteronomistic History has come under pressure lately, and since the individual books of this corpus are nowadays studied each on its own merit, the relationship between Chronicles and the so-called Deuteronomistic History should also be revisited. It is simply no longer sufficient to indicate that the Chronicler made use of the Deuteronomistic History as Vorlage. With reference to the book of Judges, the theory that this book (or, at least, parts of it) forms some of the latest stages in the development of a so-called Deuteronomistic History (with the frame in chs. 1 and 17–21 only added during the late post-exilic period), and that Judges served as a bridge between Deuteronomy-Joshua on the one side and Samuel-Kings on the other,36 emphasizes that the literary history of this block 34
Knoppers, Hierodules, Priests, or Janitors?, 70–71. the contribution on the relationship between Chronicles and Judges in Jonker, Chronicles and Judges. 36 See e. g., E. Blum, Der kompositionelle Knoten am Übergang von Josua zu Richter: Ein Entflechtungsversuch, in: M. Vervenne/J. Lust (eds.), Deuteronomy and Deuteronom35 See
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of literature should also be taken into account when the relationship between Chronicles and Pentateuch traditions is considered. However, these relationships will be the focus of the next section.
IV. Synthesis: Historical Context and a Diachronic Hypothesis I start this synthesis by first referring to the post-exilic Persian period context within which the finalization of the Pentateuch and its becoming Torah happened, but also the finalization of the so-called Deuteronomistic History and the writing of Chronicles. In other publications,37 I have indicated that the temporal and geographical proximity of these various processes of literary formation render it plausible to assume some sort of interaction among these textual corpora during this period. I have also discussed elsewhere that the context of the late Achaemenid era in which these processes of literary formation are normally situated in scholarly investigations, was characterized by a multi-levelled sociohistorical existence.38 Imperial, provincial, tribal, and cultic dynamics provide the backdrop to this era, with resultant complex discourses taking place during this period. One of the issues which can be better explained with reference to this multilevelled socio-historical existence, is the matter of (what has become known as) the imperial authorization of Torah. Without providing a detailed discussion of ic Literature: Festschrift C. H. W. Brekelmans (BEThL 133), Leuven 1997, 181–212; R. G. Kratz, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testament, Göttingen 2000; A. Scherer, Überlieferungen von Religion und Krieg: Exegetische und religionsgeschichtliche Untersuchungen zu Richter 3–8 und verwandten Texten, Neukirchen-Vluyn 2005; M. Rake, Juda wird aufsteigen! Untersuchungen zum ersten Kapitel des Richterbuches (BZAW 367), Berlin 2006; H.‑J. Stipp, Richter 19 – ein frühes Beispiel schriftgestützter politischer Propaganda in Israel, in: S. Gillmayr-Bucher/A. Giercke/C. Niessen (eds.), Ein Herz so weit wie der Sand am Ufer des Meeres: Festschrift für Georg Hentschel, Würzburg 2006, 127–164; K. Spronk, The Book of Judges as a Late Construct, in: L. C. Jonker (ed.), Historiography and Identity (Re)Formulation in Second Temple Historiographical Literature, London 2010, 15–28; E. Blum, Das exilische Deuteronomistische Geschichtswerk, in: H.‑J. Stipp (ed.), Das Deuteronomistische Geschichtswerk (ÖBS 39), Frankfurt 2011, 269–295; W. Gross, Das Richterbuch zwischen Deuteronomischem Geschichtswerk und Enneateuch, in: Stipp (ed.), Geschichtswerk, 177–206; T. C. Römer, Das Deuteronomistische Geschichtswerk und die Wüstentraditionen der Hebräischen Bibel, in: Stipp (ed.), Geschichtswerk, 55–88; H.‑J. Stipp, Richter 19: Schriftgestützte Politische Propaganda im Davidischen Israel, in: Idem (ed.), Alttestamentliche Studien: Arbeiten zu Priesterschrift, Deuteronomistischem Geschichtswerk und Prophetie (BZAW 442), Berlin 2013, 171–244; T. C. Römer, The Current Discussion on the So-Called Deuteronomistic History: Literary Criticism and Theological Consequences, Humanities: Christianity and Culture 46 (2015) 46–66. 37 See L. C. Jonker, Achaemenid understanding of law and justice in Darius I’s tomb inscriptions: Any connections with Hebrew Bible Pentateuchal conceptions?, SJOT 33/1 (2019) 23–40; Idem, Numbers and Chronicles; Idem, Chronicles and Judges. 38 See particularly ch. 3 in Jonker, Defining All-Israel in Chronicles.
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the matter here,39 it could be summarized that scholars generally no longer accept the initial Frey hypothesis that the Pentateuch was formally authorized by the Persian imperial government to serve as Torah for the Persian province of Yehud. However, the role of the Persian imperial context is also not totally ignored. The most recent discussions have emphasized that both internal processes in the cult in Jerusalem, but also external imperial politics, contributed to the growing authority of the Pentateuch. Erhard Blum summarized the issue well: Die Hybridkomposition des Pentateuch ist aus endogenen Prozessen allein nicht hinreichend zu erklären. Damit kommen wir wieder zurück zur Frage nach den äußeren Rahmenbedingungen der Perserzeit bei der Herausbildung des Pentateuch, näherhin zur sog. “Reichsautorisation”. Tatsächlich läßt sich die bezeichnete Erklärungslücke schließen. Die Grundüberlegung ist ganz einfach: Sollte so etwas wie eine offizielle Autorisierung einer jüdischen Rechtsüberlieferung durch eine persische Instanz erfolgen, dann konnte dies nur auf Basis einer von jüdischer Seite erstellten Vorlage geschehen. Diese Vorlage mußte wiederum zwei trivialen Voraussetzungen genügen: (a) sie konnte nur ein schriftliches Werk umfassen; (b) sie mußte für wichtige innerjüdische Gruppierungen konsensfähig sein. Eben dies trifft auf den Pentateuch (dagegen auf keine seiner Vorstufen!) zu, für dessen hybride Bildung wiederum irgendeine Art von wirkungsvollem Einigungsdruck zu postulieren ist. […] Freilich sind diese Folgerungen nicht im Sinne einer monokausalen Herleitung zu verstehen. Vielmehr geht es um einen Prozeß der Textbildung, in dem endogene Entwicklungen und exogene Bedingungen in einem sehr elementaren Sinne konvergierten […]40
What applies to the final phases of the formation of the Pentateuch certainly applies to Chronicles (as reinterpretation of Samuel-Kings) as well. One may assume that a combination of internal factors (the cultic and literary diversity in Jerusalem in the Achaemenid period), and the external political landscape (the Persian imperial dynamics in terms of religion and politics) prompted some discourses that aimed at reaching consensus among the different literary and cultic traditions.41 The sensitivity of the situation in Jerusalem should be grasped: internal strifes and debates were important for internal identity negotiation, but could not be allowed to jeopardize the fairly independent existence of a province within the Persian empire. The pressure towards consensus of the imperial context would give birth to hybridity in the literary products of the time. This hybridity can be observed in the Holiness Legislation (which contains both P and 39 For a comprehensive discussion, see Jonker, Within Hearing Distance?, as well as the literature indicated there. 40 E. Blum, Esra, die Mosethora und die Persische Politik, in: R. G. Kratz (ed.), Religion und Religionskontakte im Zeitalter der Achämeniden (VWGTh 22), Gütersloh 2001, 246–247 (his emphasis). See further Idem, Studien zur Komposition des Pentateuch (BZAW 189), Berlin/ New York 1990, 333–360. 41 For a more detailed discussion on the religious conditions in the Persian empire, as well as in Yehud in the late phases of the imperial rule, see ch. 3 in Jonker, Defining All-Israel in Chronicles.
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D lines of thought), in the book of Numbers (and therefore in the Pentateuch as a whole), but also in Chronicles (which also represents a merging of P and D traditions, but also advocates the equality of priests and Levites). What would the diachronic relationship be between these phases of literary formation? And how could the process of literary formation during the late Persian period in Yehud be visualized? The following view represents an attempt to answer these questions. It is offered not as a final answer, but rather as a provisional hypothesis which could bring together the fairly isolated scholarly investigations into the late stages of the Pentateuch formation, of the formation of the so-called Deuteronomistic History, and of Chronicles. It is our contention that the merging of these scholarly discourses could potentially lead to deeper insight into the literary formation of this literature. In formulating this hypothetical description, I particularly take my cue from the work of Nihan (on H), Achenbach (on Numbers) and Groß (on Judges)42 in order to show the relationships of literary formation of these textual corpora with Chronicles. I do so while accepting Blum’s description of a context in the late Persian period which prompted the inclusion of (what he called) hybridity and consensus in the literature of the time – be it in the final editings of existing literature, or in the composition of new literature. The intellectual context shared by those final editors of the Pentateuch and of the so-called Deuteronomistic History, as well as those who wrote Chronicles, resulted into common terminology being used and themes being discussed in this literature. However, one should indicate from the start that the communality of terminology and themes does not necessarily imply that the same point of view was shared by all these redactors and authors. In some issues – as will be pointed out below – opposing points of view were taken on the same issues. In his description of the relationship between H and Numbers, Nihan agrees with Knohl that the introduction of H in Lev 17–26 and the subsequent closure of Leviticus triggered a complex redactional and editorial process that informs much of what is usually referred to as “late Priestly” and “post-Priestly” materials in the Pentateuch. But the way this process worked appears to have been distinct from one book to the next, so that we need to think much more in terms of the relationship between post-H material and the compositional closure of a given book. Achenbach’s theory of a post-H “theocratic” edition that would
42 Since the relationship between Chronicles and the Deuteronomistic History was not the focus of the present study, I did not include an in-depth explanation here of the formation of the book of Judges within that corpus. However, see Jonker, Chronicles and Judges, for a more elaborate discussion. I rely there heavily on the diachronic description of the formation of Judges as formulated by Walter Groß in his Judges commentary. See W. Gross, Richter (HThKAT), Freiburg i. Br. 2009.
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be responsible for the final shaping of the book of Numbers offers an important insight in this respect […]43
I start my synthetic description also with the addition of H to the priestly corpus. This addition prompted a complex redactional and editorial process in the Pentateuch. From the contents of H it becomes clear that the so-called Holiness School had at least two intentions: (a) they wanted to merge ideas from the Priestly traditions with some from the deuteronomic-deuteronomistic tradition, most probably under the pressure of the Persian period (as described above); and (b) they wanted to redefine “holiness” as a quality that does not apply exclusively to cultic rituals, places and officials, but also to all conduct of God’s people. In this way, H brought about a so-called “ethical turn” in the application of earlier legal materials, in which this literature succeeded in linking the cultic and the general human spheres of life to one another. The late-priestly or post-priestly inclusion of H into the priestly corpus, and the tendency to bring the main competing traditions nearer to one another, gave rise to at least two stages of theocratic reworkings of the core materials (priestly and non-priestly) in Numbers.44 The intention of these reworkings were to bring the Torah to completion, by linking the traditions of Genesis (or, Exodus) – Leviticus to Deuteronomy.45 Achenbach is convinced that a form of “theocratic” government in which a high priest played a leading role was already in place in the temple in Jerusalem by the end of the Achaemenid period in Yehud, and that that context forms the backdrop to these reworkings. Achenbach argues that this theocratic system developed within the context where the political and economic power was situated outside Yehud, in the imperial centre. The theocratic ideology envisioned God as ruler, and that the high priest had the task of implementing the divine rule in Jerusalem and Yehud through the proper ordering of the priesthood and the cult. The idea of exclusive access to God through the high priest necessitated a sophisticated system of cultic regulations. This particularly applied to the purity laws.46 43 C. Nihan, The Priestly Laws of Numbers, the Holiness Legislation, and the Pentateuch, in: Frevel/Pola/Schart (eds.), Torah and the Book of Numbers, 133. 44 For a detailed description of these processes, see Achenbach, Vollendung. 45 See e. g., Römer who considers Numbers to be a late bridge between the priestly and deuteronomic-deuteronomistic corpora: T. C. Römer, Das Buch Numeri und das Ende des Jahwisten: Anfragen zur ‘Quellenscheidung’ im vierten Buch des Pentateuch, in: J. C. Gertz/K. Schmid/M. Witte (eds.), Abschied vom Jahwisten: Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion (BZAW 315), Berlin 2002, 215–231. See also: C. Frevel, The Book of Numbers – Formation, Composition, and Interpretation of a Late Part of the Torah: Some Introductory Remarks, in: Frevel/Pola/Schart (eds.), Torah and the Book of Numbers, 1–38; Idem, Alte Stücke – späte Brücke? Zur Rolle des Buches Numeri in der jüngeren Pentateuchdiskussion, in: Maier (ed.), Congress Volume Munich, 255–299 for good overviews of scholarship on the matter. 46 See also Frevel, Ending with the High Priest.
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It might, however, be that the very latest reworking of Numbers, which included Num 16–18, happened in response to another literary work that developed during this time, namely the book of Chronicles. This work was created in the middle to late 4th century BCE by priestly (mainly, Levitical) literati at the temple in Jerusalem. Their main intention was to provide an updated account of the historiographical traditions of old, namely those from the protoPentateuch and proto-Deuteronomistic History. While Chronicles was also the product of the late Persian period, the tendency to merge Priestly and deuteronomic-deuteronomistic traditions can also be observed very clearly in this work. It therefore seems that the somewhat earlier creation of the Holiness Legislation could have been influential in prompting the origin of Chronicles as well. Comparative investigations of Chronicles and its Vorlagen indicate that the writer(s) must have had access to at least the following: The Priestly corpus from the proto-Pentateuch (including some priestly genealogies from Genesis, as well as the Holiness Legislation), a probably incomplete form of Numbers (see further discussion below), and a deuteronomic-deuteronomistic corpus (including Deuteronomy, Joshua, an incomplete form of Judges [see below], and Samuel-Kings). Among others, the Chronicler particularly took some cues from the Holiness Legislation on how the P and D traditions could be combined, but also on how “holiness” should be understood. In light of the mediating tendency during the historical context of the time, the Chronicler included in his overall narrative a development in the understanding of “holiness”. He did so by using the position of the Levites as illustration. Although the more traditional Priestly view on the Levites still prevail in the earlier parts of the Chronicler’s overall narrative, it is particularly towards the end – with the narratives of Hezekiah and Josiah – that the Levites emerge as on a par with the Aaronide priests. The author(s) of Chronicles, who were most probably closely affiliated to the Levitical priesthood, used the so-called “ethical turn” in the Holiness Legislation to legitimate the ascending profile of this priestly group in Jerusalem. If holiness is something which does not characterize (Aaronide) priests exclusively, but is motivated through the seeking of Yahweh’s commandments, then the Levites in Chronicles – and even lay people – could perform some cultic actions that were previously reserved for the Aaronide priesthood. This very open understanding of “holiness” and of the position of the Levites in Chronicles – in line with the view of H – prompted further editing processes of the latest parts of the Pentateuch (Numbers) and the so-called Deuteronomistic History (Judges). In both these books some post-Chronistic editings can be observed. The very latest theocratic editing of Numbers included the so-called Korah legend and accompanying narratives in Num 16–18. This addition could be understood as a backlash against the Holiness Legislation, as interpreted and furthered in Chronicles. Korah, one of the most prominent Levite family members according to the Chronicler’s genealogies, together with the Reube-
Holiness and the Levites
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nites, are portrayed in Numbers as having “gone too far” by claiming “holiness” for themselves. The “text of terror” in Judg 19–21 – equally seen as one of the latest additions to Judges according to Walter Groß – portrays the Levites in a very bad light and serves as illustration of what would happen if “everybody would do what was good in his own eyes”. This section seems to participate in the debate about the “ethical turn” of H and takes position against the understandings of Chronicles, and thereby against the Holiness Legislation. This description of the literary developments in late Persian period Yehud emphasizes that one should not view these processes as consecutive stages of older material influencing younger material, but that one should rather reckon with the dovetailing (“Verzahnung”) of these literary formation processes which allowed for bi-directional relationships between the different traditions. This also allows for the hypothesis that some post-Chronistic editings were done to the Pentateuch and the Deuteronomistic History.
V. Conclusion Concluding this essay, I would like to indicate what impact this dynamic description of the phases of literature formation during the late Persian period has on our understanding of the Levites and of holiness in Chronicles. It became clear from this study that the portrayal of the Levites and their association with the concept of holiness served as main rhetorical strategy of the Chronicler to mediate between different traditions of the past. In this sense, the Chronicler thoroughly contributed towards “reforming history”.47 The development of the tradition concerning the Levites and particularly of the theme of holiness – from the Priestly corpus to the Holiness Legislation – was used as latching point by the Chronicler to advance his own vision of the Levites functioning alongside the Aaronide priests, as their equals and not subservient to them. When Chronicles approaches its literary climax in the two narratives about Passover celebration during Hezekiah’s and Josiah’s reign, it is made clear that holiness is a quality which is acquired by being obedient to Yahweh’s commandments, and that the Levites – and even lay people of All-Israel – could also show this quality. In contrast, Aaronide priests do not possess the quality automatically on account of their office, and could even lose the quality when not adhering loyally to Yahweh’s commandment (as clearly portrayed in the concession Passover celebration during Hezekiah’s time). The above portrayal rests, however, on the assumption that the Holiness Legislation did indeed exist as late-priestly or post-priestly corpus. If this hypothesis 47
L. C. Jonker, Reforming History: The Hermeneutical Significance of the Books of Chronicles, VT 57 (2007) 21–44.
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is not accepted – like in the case of Erhard Blum – one would have difficulty in explaining the development of the Levite profile in Chronicles. The Chronicler’s narrative insists that there was a time when the Levites had to take over the Aaronide priests’ function in the bringing of certain sacrifices, because the Levites were more holy than their priestly colleagues: But the priests were too few and could not flay all the burnt offerings ()העלות, so until other priests had consecrated themselves ( קדשׁHithp.), their brothers the Levites helped them ( חזקPi.), until the work was finished – for the Levites were more upright in heart ( )ישׁרי לבבthan the priests in consecrating themselves ( קדשׁHithp.). (2 Chr 29:34 ESV)
The narrative continues to indicate that they (i. e. the Levites from the previous verse) brought other offerings as well, and by doing so, the temple service was restored: Besides the great number of burnt offerings, there was the fat of the peace offerings (חלבי )השׁלמים, and there were the drink offerings ( )הנסכיםfor the burnt offerings. Thus the service of the house of the Lord was restored ( כוןNiph.).48 (2 Chr 29:35 ESV)
This tendency continues with the Levites performing the Passover sacrifices on behalf of the lay people and priests who were not consecrated (2 Chr 30:17), and the Levites receiving the assignment from King Josiah to carry the “holy ark” to its place in the temple and to perform the slaughtering of the Passover lamb (2 Chr 35:3–6). The actual performing of the assignment is reported later in the narrative (2 Chr 35:10–11). Admittedly, the offerings mentioned in connection with the Levites in Chronicles (פסח, נסכים, שׁלמים, )עלותare those kinds of sacrifices that could – according to priestly tradition – be brought by lay people and congregation members. The one type of offering which is always linked to priestly activity (cf. Lev 4), and never to Levitic performance, is the so-called “sin/purification offering” ()חטאת, which also remains the domain of the Aaronide priests alone in Chronicles (see 2 Chr 29:20–24). The development indicated above is therefore not necessarily linked to the fact that the Levites perform these sacrificial rituals. However, the contrast that the Chronicler constructs between Aaronide priests and Levites in terms of holiness, remains a unique element of this literature. We can thus conclude that the relationship between holiness and the Levites in Chronicles provide us with valuable insight into the Chronicler’s engagement in the discourses of his own time. It also helps us to understand the literature formation processes of the late Persian period better.
48 For
a discussion of the structuring function of the verb כוןin Chronicles, see Jonker, Completing the Temple; Idem, Reflections.
V. Historische Fragen
“And God … Created Woman” Imagined in Terms of a Molding Process* Regine Hunziker-Rodewald
In spring 2015, an experimental archaeology workshop took place, organized by the author of this article in collaboration with the Archaeology Departments of the Universities of Strasbourg (France) and Freiburg (Germany) as well as with the Visual Arts Department of the University of Strasbourg, and directed by two professional potters and a specialist in prehistoric ceramic technology. The project included the construction of an updraft pottery kiln after the plans of a kiln excavated in Mari by archaeologists of the University of Strasbourg.1 The main goal was to understand the intricacies of raw material preparation, to analyze various forming technologies in ancient ceramic figurine manufacture, to explore methods of mold production from a master figurine, and to understand the complexities of kiln firing.2 RTI images3 and good photographs of female figurines from Mesopotamia and Syro-Palestine of the 2nd and 1st millennium BCE served as models for the realization of the replicas. During this workshop which, due to the drying periods of the prototypes, molds and replicas, lasted more than six weeks, the moment when the first figurine cast was taken out from the mold became the trigger for a new understanding of the creation of Woman as it is told in Gen 2:18–23.4 * For Erhard Blum on the occasion of his 70th birthday, with gratitude. 1 D. Beyer/F. Laroche-Traunecker, Nouveaux fours de potiers dans le secteur des temples de Mari: notes préliminaires, in: P. Butterlin (ed.), Les espaces syro-mésopotamiens: Dimensions de l’expérience humaine au Proche-Orient ancien, Volume d’hommage offert à JeanClaude Margueron (Subartu 17), Turnhout 2006, 305–311. 2 R. Hunziker-Rodewald, Experimental Archaeology Workshop: Terracotta Female Figurines from the Ancient Near East (The Levant and Mesopotamia, II–I Millennium B. C. E.), Les Carnets de l’ACoSt 14 (2016), http://acost.revues.org/818 and https://vimeo.com/150722204 (accessed March 14th, 2019); for the Franco-German Figurines Project FGFP see R. HunzikerRodewald/A. Nunn/T. Graichen, The Franco-German Figurines Project (FGFP), ADAJ 59 (2018) 517–530. 3 R. Hunziker-Rodewald/P. Fornaro, RTI Images for Documentation in Archaeology: The Case of the Iron Age Female Terracotta Figurines from Busayra, Jordan, JEMAHS 7.2 (2019). See also the application http://figurines21.di.unistra.fr/ and ˙https://truvis.ch/examples/ index.html, https://www.youtube.com/watch?v=dDoWcwFHuh4 (accessed March 14th, 2019). 4 The title of this article is inspired by the movie title “Et Dieu … créa la femme” (R. Vadim, 1956).
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I. Introduction Hand-modeled and unfired, or sometimes probably only accidentally fired, clay figurines are known already from the Upper Paleolithic (from c. 50 000 BCE),5 while intentionally fired figurines, in kilns, appear only from the Neolithic onwards (from c. 10 000 BCE).6 Since the Early Bronze Age (from c. 3300 BCE), the hand-modelling technique7 was supplemented by the reproduction of figures and figurative scenes by means of shallow univalve molds. This new technique, developed in the tradition of the small modeled low-relief sculpture,8 represents during the 2nd millennium BCE an integral part in the Ancient Near Eastern inventory of clay artifacts. The Bronze Age molded females were impressed in bas-relief on oblong plaques of clay, which extended beyond the shape of the figurine on all sides.9 Towards the end of the 2nd millennium and at the beginning of the 1st millennium – the transition is fluid and the technical development is not straightforward 5 See A. Caubet, Les figurines antiques de terre cuite, Perspective 1 (2009) 43 Fig. 1 (bisons, Cave Tuc d’Audoubert, France, c. 15 000 BCE, unfired clay); A. Verpoorte, Places of Art, Traces of Fire: A Contextual Approach to Anthropomorphic Representations in the Pavlovian (Central Europe, 29–24 kyr BP), PhD, Leiden 2001, 95–100 (on the Pavlovian ‘ceramics’; amongst others, female figurines from c. 29 000–24 000 BCE). 6 R. Ayobi, Les objets en terre du Levant néolithique avant l’invention de la céramique: cuisson intentionnelle ou accidentelle?, Syria 91 (2014) 7–34; F. Brunet, Les figurines en Asie centrale du Chalcolithique au Bronze ancien (Ve–IVe millénaire): Étude techno-typologique d’ateliers de production au Turkménistan, in: S. Donnat/R. Hunziker-Rodewald/I. Weygand (eds.), Figurines féminines nues. Proche-Orient, Égypte, Nubie, Méditerranée orientale, Asie centrale (VIIIe millénaire av. J.‑C. – IVe siècle ap. J.‑C.). Actes du colloque de Strasbourg (25–26 juin 2015), Paris 2019, 131–148 (in print); see also the female terracotta figurines Reg. Nr. AO 15327, AO 15329, AO 15325, AO 14442a from Tello, Lower Mesopotamia, 4700–4200 BCE, Louvre online collection. 7 See the unfired clay figurines Reg. Nr. 1998,0713.31 from Bab ed-Dhra, Transjordan, 3300– 3100 BCE, British Museum online collection. 8 The beginnings of this technique can be traced back to Mesopotamian stamped bricks and seal impressions on tablets or jar stoppers, see M.‑T. Barrelet, Figurines et reliefs en terre cuite de la Mésopotamie antique, tome I: Potiers, termes de métier, procédés de fabrication et production, Paris 1968, 27.41–48.86–127 (spec. 89–90) and 425–426, and N. Wrede, Terrakotten (AUWE 4), Mainz 1991, 156 n. 39 (late 3rd mill. BCE); cf. C. Ziegler, Die Terrakotten von Warka (AUW 6), Berlin 1962, 200–204, pl. 7–12 (early 2nd mill. BCE, mostly molded); Caubet, Figurines, 46 Fig. 5; the terracotta plaques Reg. Nr. AO 12454, AO 12457, AO 12453 from Eshnunna, Central Mesopotamia, 1st half of 2nd mill. BCE, Louvre online collection; R. Opifi cius, Das altbabylonische Terrakottarelief (UAVA 2), Berlin 1961, 249–272, pl. 1–24; for Syria see L. Badre, Les figurines anthropomorphes en terre cuite à l’âge du Bronze en Syrie (IFAPO BAH CIII), Paris 1980, 118–120.138–142 and passim, pl. VII–LX (2nd half of 2nd mill. BCE). 9 See the plaque figurine Reg. Nr. A17672 from Ishchali, Diyala, Iraq, early 2nd mill. BCE, Oriental Institute Chicago online collection; I. Cornelius, The Many Faces of the Goddess: The Iconography of the Syro-Palestinian Goddesses Anat, Astarte, Qedeshet, and Asherah c. 1500– 1000 BCE (OBO 204), Freiburg i. Ue./Göttingen 2008, 5.24–25, 5.31–62; S. Böhm, Die ‘Nackte Göttin’: Zur Ikonographie und Deutung unbekleideter weiblicher Figuren in der frühgriechischen Kunst, Mainz 1990, pl. 22–42.
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Fig. 1 (left and center): Female figurine, terracotta, Megiddo Stratum IV, Iron Age IIA–B, 128 × 51 × 36 mm, lateral excess of clay trimmed, A19023, © Courtesy of the Oriental Institute of the University of Chicago.11 Fig. 2 (right): Female figurine, terracotta, probably from Amman Citadel, Iron Age II; 146 × 55 × 38 mm, body contours smoothed; Amman, Jordan Archaeological Museum TJ (Transjordan) 1639, © Department of Antiquities Amman via FGFP, photo: T. Graichen.
in the geographic area primarily concerned in this article (Syro-Palestine) – the mold imprint became deeper, the lateral excess of clay around the molded figurines was reduced and the back gently rounded (Fig. 1).11 Finally, during the 9th–6th centuries BCE, the frontal body contours of these females made in univalve molds was most often perfectly smoothed (Fig. 2). The figurines appear in high-relief with a finger- or tool-trimmed back which, in the side view, retains 10 Item detail and photo archive record: https://oi-idb.uchicago.edu/id/1bd804cb-3fa546f0-b443-a4415b64f529 (online collection of the Oriental Institute of the University of Chicago, accessed December 5th, 2018); L. A. Peri, Figurative Clay Artefacts, in: I. Finkelstein/ D. Ussishkin/E. H. Cline (eds.), Megiddo V. The 2004–2008 Seasons. Vol. III (Monograph Series 31), Winona Lake 2013, 1051 No. AB.III.11. 11 The process of reducing the excess of clay shows itself with a frequently attested molded figurine type from Ugarit, 14th–13th century BCE (Louvre online collection, and Badre, Figurines, pl. LX): some of the examples of this type are still full plaques, while in others the head of the figurine protrudes over the plaque (ibid., e. g., the Nrs. 13.15 and 11.12.14).
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additional clay behind the body. In most of the cases, the feet depicted show that these figurines were not meant to be free-standing.12 In this article, the issues of local, regional or transregional classification of the iconographical features of these figurines,13 the typological development and relative chronology, the interrelations and interdependencies of the different centers of terracotta figurine production in the Orient and Occident (Mesopotamia, Levant, Cyprus, Greece etc.) as well as the controversial interpretation of these figurines cannot be discussed. The interest is focused on the well-attested existence of single-molded female figures in the southern Levant, west and east of the River Jordan, during the (second and) first millennium BCE which is, amongst other things, the period of the origins of the biblical traditions and therefore also of the story of the creation of Woman (Gen 2:18–23).14 But before we tackle this topic properly, a few thoughts about the milieu in which terracotta figures were made are necessary.
II. Potters Fashioning Figurines As ethnoarchaeological evidence from modern Cyprus shows,15 pottery vessels and figurines, as well as cult objects, can be made from the same clay, created in the same workshop and fired in the same kiln. In traditional potters’ cooperatives, it appears that the regular cookware, small decorative pots, incense burners and figurines belong to the general repertoire of a workshop or cooperative, but not necessarily to the repertoire of every potter, man or woman16 who belongs to
12 In Jordan, as far as can be seen at present, only slightly more than 5 % of the Iron Age female terracotta figurines (c. 460 items) have bell-shaped bodies with wheel-made or modeled bases which characterize them as free-standing. Excluded from this number are at least 21, mostly poorly preserved and much greater hollow statues from WT-13: P. M. M. Daviau, A Wayside Shrine in Northern Moab: Excavations in Wadi ath-Thamad (Wadi ath-Thamad Project I), Oxford 2017, 108–128. 13 Dressed or nude, body proportions, gesture of hands, adornment, hairstyle, facial features etc., cf. R. Hunziker-Rodewald, ‘Biblical World’: Diversity within Unity: Female Iron Age Faces in Palestine/Israel, in: K. Finsterbusch/A. Lange (eds.), What is Bible? (CBET 67), Leuven 2012, 131–149. 14 I am very grateful to my colleagues for their helpful comments on different issues addressed in this study: Michèle Daviau (Waterloo), Erin Darby (Tennessee Knoxville), MariaLouise Sidoroff (New York), Anne-Caroline Rendu-Loisel (Strasbourg), Ulrike Steinert (Mainz), Pascal Attinger (Bern), Manuel Ceccarelli (Bern), Sebastian Fink (Innsbruck/Helsinki), Ziony Zevit (Berkeley). 15 My sincere thanks for manifold suggestions go to Gloria London (Seattle) who has been conducting long-term ethnoarchaeological studies on traditional potters in Cyprus. 16 On women as potters see C. Meyers, Women’s Daily Life (Iron Age Israel), in: S. L. Budin/J. M. Turfa (eds.), Women in Antiquity: Real Women Across the Ancient World, London/New York 2016, 488–500, here 491.
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that same cooperative.17 Different members of the family18 or of the community can be involved. The same is most probably true for the Ancient Levant. Although the workspaces and firing structures were often abandoned or destroyed after the clay-related activities of each year,19 it might be supposed (even if it is difficult to prove) that the fabrication of anthropomorphic figurines reflected, to a certain extent, the professional knowledge and ability of at least certain specialized members of one and the same workshop.20 The activities of potters were the same in ancient times as they are today for example in Cyprus, between spring and autumn, on the margins of villages and towns, their smoking kilns are part of the everyday experience. It is very likely that the Ancient Near Eastern elite too, the scribes, priests and prophets (cf. Jer 18:1–6) were, both from observation and education, somehow familiar with the crafts of pottery and particularly with its theological interpretation.21 It can therefore be assumed that reflexes of these activities appear also in the collected traditions of the largest text source from the Southern Levant rooted in the first millennium BCE: the Hebrew Bible.
17 On the notion of workshops see the groups of potters fashioning vessels on seal impressions from Susa (4th / 3rd mill. BCE), Barrelet, Figurines, 20–21 Fig. 3a.b. To this day, in Cypriote cooperatives for example, decorated or composite clay artifacts are made by a subset of potters, see G. London, Ancient Cookware from the Levant: An Ethnoarchaeological Perspective (Worlds of the Ancient Near East and Mediterranean), Sheffield/Bristol 2016, 38– 39.61. 18 On the evidence for instructing children in pottery production see J. Ebeling, Women’s Daily life in Bronze Age Canaan, in: Budin/Turfa, Women, 465–475, here 470. 19 For traditional village pottery production in Cyprus see London, Cookware, 45–46.101 et passim; on the disappearance of traces of pottery activity in the off months see Ebeling, Daily Life, 469–470. A rare find is a Late-Bronze Age pottery workshop in a cave that obviously was not cleared at the end of the potter’s season, see A. Middleton/P. Magrill/S. Humphrey, A Late Bronze Age Potter’s Workshop at Lachish, Israel, Internet Archaeology 9 (2000), https:// intarch.ac.uk/journal/issue9/lachish_toc.html (accessed December 5th, 2018). Thanks to Michèle Daviau who brought this cave to my attention. 20 Large scale petrographic studies of the Judean Pillar Figurines (JPF) from Jerusalem’s southeastern hill revealed that the figurines were locally produced from clays immediately adjacent to the site and to a considerable extent also used for regular pottery vessels, see E. Darby, Interpreting Judean Pillar Figurines: Gender and Empire in Judean Apotropaic Ritual (FAT II 69), Tübingen 2014, 183–212. See also the assemblage of a mold fragment, figurines and vessels in the potter’s cave workshop in Lachish (Middleton/Magrill/Humphrey, Workshop, sect. 2 fig. 2.3.9). 21 On the idea of gods as potters in Mesopotamian literature see Barrelet, Figurines, 7–11; cf. for Ancient Egypt R. K. Ritner, The Mechanics of Ancient Egyptian Magical Practice (SAOC 54), Chicago (1993) 42008, 138–139 note 614; P. F. Dorman, Faces in Clay: Technique, Imagery, and Allusion in a Corpus of Ceramic Sculpture from Ancient Egypt (MÄS 52), Mainz 2002, 82.114–130 (gods working at the wheel); E. Waraksa, Female Figurines from the Mut Precinct: Context and Ritual Function (OBO 240), Freiburg i. Ue. / Göttingen 2009, 92–93 and notes 384–388.
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III. God Shaping His People In certain biblical texts, the act of smashing (Hebrew שׁבר, כתת, )נבץearthenware objects into pieces stands for God’s power of judgment and for an acute danger to life (Isa 30:1422; cf. Jer 19:1–2, 10–11, Lam 4:2 and Ps 2:9).23 Everybody who has experienced the scattered pottery sherds lying in the Near East all over excavation sites understands the timeless reference of crushed pottery to the fragility and transience of human existence and power (cf. also Dan 2:34, 35a; Aramaic )דקק. In other biblical texts, the freedom of a potter to shape the clay according to his will refers transparently to God as the people’s “shaper” ()יוצר24 whose skills can never be questioned and who intervenes at his own discretion, for which he cannot be called to account (Isa 29:1625; cf. 45:9 and 64:7). A similar relation between potter and clay is reflected in Jer 18:1–6, but with one main difference: while working at his wheel, the potter can decide anytime to destroy a failed vessel with the intention of reshaping and improving it.26 The focus here is placed on a certain aspect of God’s sovereignty, namely on the warning that a failure in God’s eyes will be “reshaped”.27
IV. God Created the Human … In the literary unit Gen 2:4b–3:2428, Yhwh God acts not only like a potter, but while creating the human ()האדם29, he is presented as a potter. Gen 2:6–7a reads: “(6) and a spring would well up from the earth to water all the surface of the 22 Isa 30:14 “… its breaking is like that of a potter’s vessel that is smashed so ruthlessly that among its fragments not a sherd is found for taking fire from the hearth, or dipping water out of the cistern” (unless otherwise specified, the Biblical texts are quoted from the NRSV 1989). 23 A similar motif appears in Mesopotamian literature (3rd–1st mill. BCE), see Barrelet, Figurines, 17. 24 The participle present active of the Hebrew root “ יצרto form, shape, mold, fashion” stands in the Hebrew Bible for “potter”; on the use of יצרassociated with clay terminology see Darby, Interpreting, 261–277. 25 Isa 29:16 “Shall the potter be regarded as the clay? Shall the thing made say of its maker, ‘He did not make me’; or the thing formed say of the one who formed it, ‘He has no understanding’?” 26 Jer 18:4, 6 “The vessel he was making of clay was spoiled in the potter’s hand, and he reworked it into another vessel, as seemed good to him … Can I not do with you, O house of Israel, just as this potter has done? … Just like the clay in the potter’s hand, so are you in my hand, O house of Israel.” 27 On Jer 18:1–6, 7–10, 11 see D. A. Frese, Lessons from the Potter’s Workshop: A New Look at Jeremiah 18.1–11, JSOT 37 (2013) 371–388. 28 As an example, we refer here to M. C. A. Korpel/J. C. de Moor, Adam, Eve, and the Devil: A New Beginning (HBM 65), Sheffield 2014, 116.121–124, who date the final edition of these chapters in exilic time or even later, among other things because of the Greek conception of the woman as the root of all evil. 29 The human or “earthling” (C. Meyers, Rediscovering Eve: Ancient Israelite Women in
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ground, (7a) then Yhwh God fashioned the human – clay from the ground ()עפר מן־האדמה – and blew into his nostrils a breath of life.”30 The wordplay אדמה–אדםin 2:7a leaves no doubt concerning the human’s “earthly” origins: it is about the creation of the very first figurine, hand-modeled ( )יצרfrom humidified clay and, in 2:7b, the vivification of this figurine. The curious syntax of 2:7a “Yhwh God fashioned the human, clay from the ground”31 probably anticipates the nominal clause introducing the sentence in 3:19 “you are clay (and to clay you shall return)”.32 In the background of this accentuation of clay as a material, it is noticeable that the animals, which were not considered as counterparts for the human (2:20: )לא־מצא עזר כנגדו, were fashioned not from clay, but from the ground (2:19: )מן־האדמה. This applies to the flora as well, at least to the trees (2:9: )כל־עץwhich come from the ground ()מן־האדמה. The ground thus represents the common creation materia that the human shares with other living beings, but from which he also slightly differs ()עפר מן־האדמה. The contrast of clay and breath of life appears in three letters of a Phoenician city-state ruler, ῾Ammunīra, addressed to Pharaoh in the late 2nd millennium BCE.33 In EA 141,1–5, ῾Ammunīra calls himself “your [sc. Pharaoh’s] servant, aparu at your feet” – which reveals a stereotype self-humiliation in the context of Context, New York 2013, 72; for האדםas a sexually undifferentiated earth creature see already P. Trible, God and the Rhetoric of Sexuality, Philadelphia 1978, 80) calls himself “man” ()אישׁ not until Gen 2:23. Nevertheless, J. Day, From Creation to Babel: Studies in Genesis 1–11 (LHB/ OTS 592), London 2013, 32–33, claims that האדםclearly cannot be sexless but “is certainly a man, though with one more rib than subsequently!” 30 Translation RHR. The rendering of עפרtakes the imagery of figurine making (2:7a) into account: “ עפרclay” is here primary materia, in contrast to processed potting clay (טיט//חמר, Isa 41:25; Nah 3:14; in Job 10:9, עפרis the dry aggregate state of )חמר. On the misleading translation of עפרas (powdery) dust, see Meyers, Eve, 71, who, however, places the agricultural imagery in the foreground (before Gen 3:23, the imagery is horticultural, RHR) and renders עפרby “clods” or “clumps of loose soil” broken by plowing or hoeing before crops (sic) could be grown. 31 On the origins of the double object in Gen 2:7a see P. Joüon/T. Muraoka, A Grammar of Biblical Hebrew (SubBi 27), Rome 2006, § 125 v. 32 Cf. Gen 3:19 in the Septuagint: γῆ and the translation of עפרin the French Bible de Jérusalem 1973: “glaise” and in the German Lutherbibel 1984.1999: “Erde”. The motif of man made from clay/earth is attested in Mesopotamian creation myths, see M. Ceccarelli, Enki und Ninmah: Eine mythische Erzählung in sumerischer Sprache (ORA 16), Tübingen 2016, 7.24– ˘ 35.62.159–162 et passim; J. J. W. Lisman, Cosmogony, Theogony and Anthropogeny in Sumerian Texts (AOAT 409), Münster 2013, 192–194.200–201.205.220–221 et passim; U. Steinert, Aspekte des Menschseins im Alten Mesopotamien: Eine Studie zu Person und Identität im 2. und 1. Jt. v. Chr. (CM 44), Leiden/Boston 2012, 50–57. Similar stories containing the same motif from all over the world are probably mere “playbacks” of the biblical account, see T. H. Gaster, Myth, Legend, and Custom in the Old Testament: A Comparative Study, London 1969, 8–19.22; S. Thompson, Motif-Index of Folk-Literature: A Classification of Narrative Elements in Folktales, Ballads, Myths, Fables, Mediaeval Romances, Exempla, Fabliaux, Jest-books and Local Legends, vol. 1, Bloomington 1955–1958, A1241; J. G. Frazer, Folk-Lore in the Old Testament: Studies in Comparative Religion, Legend and Law, vol. 1, London 1919, 6–9.12.29. 33 EA 141–143, A. F. Rainey, The El-Amarna Correspondence, 2 vols, Leiden/Boston 2015.
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diplomatic correspondence –, while “breath of my life (ša-ri TIL.LA-ia)” is, together with “my lord, my sun god, my deity”, one of the epithets which the local king ascribes to Pharaoh. The imagery in this figure of speech is about the binary opposition of inferior and superior, of human and divine. This very opposition is used in Gen 2:4b–3:24 for an ontological definition of the human nature. The clay component of the ground ()עפר מן־האדמה, as a primary materia used for the creation of the human (2:7aα) is supplemented in a second step: the modelled “earthly” human form becomes the receptacle of breath and is thus brought to life (2:7aβ.b).34 After this initialization of life by the endowment of the human with breath, neither the breathing of the animals (2:19) nor of Woman (2:22) is explicitly set in motion.35 According to Gen 2, life was only given once. In contrast to Mesopotamian anthropogony, blood as an element of life36 does not play any role in Gen 1–2.37 The biblical combination of clay and breath, instead of clay and (divine) blood/flesh, in the creation of the human corresponds to a concept of performance of the divine in the medium of breath.38 In this model, however, Yhwh is only one of the names amongst the Levantine references to the divine, El, Eloah and Šadday.39 On the flesh as primary materia of Woman’s creation see below.
34 Darby, Interpreting, 260 n. 6, claims that the use of the term “ עפרdry dust” evokes the association of death as the human’s destiny. In the text world of Gen 2, however, the components עפרand נשׁמה, “substrate” and “life”, are brought together so that the human can till the garden (2:8, 15), and 3:14–20 is also about life and returning to the “substrate” עפר, but not about death; however, see the later reflection on giving and withdrawing breath in Job 34:14 ( רוחand )נשׁמה, cf. Ps 104:29 ()רוח. 35 C. Uehlinger, Eva als “lebendiges Kunstwerk”: Traditionsgeschichtliches zu Gen 2,21– 22(23–24) und 3,20, BN 43 (1988) 90–99, here 98–99, claims with reference to Sumerian love songs that Eva as a quasi-divine being was, so to speak, alive by nature. For a (quasi-)divine status of the woman though, there is no hint in Gen 2; on the liveliness of Woman see below VI. 36 Ceccarelli, Enki, 7.20.24–35.43; ibid., 33: “Der Mensch wurde aus Lehm erschaffen und ist doch lebendig, da ihm ein göttliches Element, das Blut, innewohnt”; Lisman, Cosmogony, 205–206.220–221; Steinert, Aspekte, 50–57; cf. Enūma elîš VI,33. According to the Atramhasīs Epic (I,208–230), the divine mind (tēmu) and spirit (etemmu) were transmitted with ˘ blood (and flesh) to the created human, ˙ the divine see Steinert,˙ Aspekte, 53–54.324–328. 37 But see later Gen 4:10–11; 9:4; and e. g., Lev 17:11 and Deut 12:23. 38 According to this concept, the divine breath ( )נשׁמהbrings life ( נשׁמת חייםGen 2:7, cf. Isa 42:5) but it also constitutes, as an expression of God’s wrath, a deadly danger (נשׁמת רוח אפו 2 Sam 22:16 // Ps 18:16, cf. Job 4:9; Isa 30:33). 39 Job 4:9; 32:8; 33:4; 37:10; these rather late references reflect nevertheless North-West Semitic divine names, see K. van der Toorn/B. Becking/P. W. van der Horst (eds.), Dictionary of Deities and Demons in the Bible, Leiden 1999, 274b–280a (W. Herrmann), 285a–288a (D. Pardee), 749b–753a (E. A. Knauf).
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V. … and God Created Woman ַויִּבֶן י ְהוָה22 ַויַּפֵּל י ְהוָה אֱֹלהִים תַּ ְרדֵּ מָה עַל־הָאָדָ ם ַויּ ִישָׁן ַויִּקַּח אַחַת ִמ ַצּלְע ֹתָ יו ַויִּסְגּ ֹר ָבּשָׂר תַּ חְתֶּ נָּה׃21 וַיּ ֹאמֶר הָאָדָ ם ז ֹאת ַה ַפּעַם ֶעצֶם ֵמ ֲע ָצמַי23 אֱֹלהִים אֶת־ ַה ֵצּלָע ֲאשֶׁר־ ָלקַח מִן־הָאָדָ ם ְל ִאשָּׁה ַוי ְ ִב ֶא ָה אֶל־הָאָדָ ם׃ 40קחָה־זּ ֹאת׃ ֳ וּ ָבשָׂר ִמ ְבּשׂ ִָרי לְז ֹאת יִקּ ֵָרא ִאשָּׁה כִּי ֵמאִישׁ ֻל 21 And
Yhwh God caused a deep sleep to fall upon the human, and he slept. And he took one of his sides/ribs and closed over with flesh in place thereof. 22 And Yhwh God built the side/rib that he had taken from the human into a woman. And he brought her to the human. 23 And the human said: This one, this time / bone of my bones / and flesh of my flesh // This one shall be called Woman / for from Man / was taken this one.41
The traditional interpretation of the “building” of Woman from an element of bone taken out from the first human’s body in Gen 2:21bα ()ויקח אחת מצלעתיו seems to fit thematically rather well with the phrase “bone of my bones” in 2:23a ()עצם מעצמי. However, this view of the narrated events can be scrutinized in three respects: 1) the unique mutation of God from a potter to a “surgeon”, 2) the unique understanding of the biblical Hebrew term צלעas “rib” and 3) the unique use of the Hebrew verb “ בנהto build” for the divine act of the creation of a human being.42 To begin with, the phrase “bone of my bones” (Gen 2:23a) is an idiomatic formula for kinship that appears in different contexts, see, for example, Laban’s words to Jacob: “Surely you are my bone and my flesh!”43 The rhythmic design and poetic form of the exclamation “this one, this time / bone of my bones / and flesh of my flesh”44 point to a literary formula. It has been suggested that this formula, taken literally by the author of 2:21–22, gave the impetus for the invention of the rib motif which is not known elsewhere in the Ancient Near East.45 But 40
Hebrew Text (BHS), highlights added by the present author. Translation by the author. 42 As distinguished from “ בראto bring out” (Lisman, Cosmogony, 206–207 n. 928) used for the primary act of creation (Gen 1–6), “ בנהto build, construct” in 2:22 is used for a second act of creation, associated to a new materia (2:21b )בשׂרand a new concept (2:22a )אשׁה, see below VI. 43 Gen 29:14, cf. Judg 9:2–3, 2 Sam 5:1 and 19:13–14. On the kinship formula see C. Westermann, Genesis (BK), Neukirchen-Vluyn 41999, 314–316, referring to W. Reiser, Die Verwandtschaftsformel in Gen. 2:23, ThZ (1960) 1–4, here 4. 44 The phrase literally continues: “// this one shall be called Woman / for from Man / is taken this one”. 45 J. C. Gertz, The Formation of the Primeval History, in: C. A. Evans/J. N. Lohr/D. L. Petersen (eds.), The Book of Genesis: Composition, Reception, and Interpretation (VT.S 152), Leiden/Boston 2012, 107–135, here 128, referring to K. Schmid, Die Unteilbarkeit der Weisheit: Überlegungen zur sogenannten Paradieserzählung Gen 2 f. und ihrer theologischen Tendenz, ZAW 114 (2002) 21–39, here 25 n. 29, and E. Blum, Von Gottesunmittelbarkeit zu Gottähnlichkeit: Überlegungen zur theologischen Anthropologie der Paradieserzählung, in: G. Eberhardt/K. Liess (eds.), Gottes Nähe im Alten Testament (SBS 202), Stuttgart 2004, 9–29, here 12. The kinship formula has been literally taken as well by Z. Zevit, Was Eve Made from Adam’s Rib – or His Baculum?, BAR 41 (2015) 32–35; Idem, What Really Happened in the Garden of 41
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this redaction/literary-historical thesis too cannot explain why a rib, of all bones, should have been involved in the “building” of Woman.46 We come back to the story’s first narrated event to be scrutinized, the mutation of God-potter to God-surgeon. The idea that Woman was made from a bone goes back to the Septuagint. It is not primarily about the rendering of צלע by πλευρά “side, rib”, but about the Greek translation of the Hebrew verb-preposition combination “ לקח מןto take from” in order to express the idea of the provenance of πλευρά/γυνή (2:22, 23): 21 καὶ ἐπέβαλεν ὁ θεὸς ἔκστασιν ἐπὶ τὸν Ἀδάμ, καὶ ὕπνωσεν· καὶ ἔλαβεν μίαν τῶν πλευρῶν
αὐτοῦ καὶ ἀνεπλήρωσεν σάρκα ἀντ᾿αὐτῆς. 22 καὶ ᾠκοδόμησεν κύριος ὁ θεὸς τὴν πλευράν, ἣν ἔλαβεν ἀπὸ τοῦ Ἀδάμ, εἰς γυναῖκα, καὶ ἤγαγεν αὐτὴν πρὸς τὸν Ἀδάμ. 23 καὶ εἶπεν Ἀδάμ Τοῦτο νῦν ὀστοῦν ἐκ τῶν ὀστέων μου καὶ σὰρξ ἐκ τῆς σαρκός μου αὕτη κληθήσεται γυνή, ὅτι ἐκ τοῦ ἀνδρὸς αὐτῆς ἐλήμφθη.47
21 And God cast a trance upon Adam, and he slept, and he took one of his ribs and filled up
flesh in its place. 22 And the rib that he had taken from Adam the Lord God fashioned into a woman and brought her to Adam. 23 And Adam said, “This now is bone of my bones and flesh of my flesh; this one shall be called Woman, for out of her husband she was taken.”48
While the grammatical-syntactic construction ἣν ἔλαβεν ἀπὸ in v. 22a corresponds to the Hebrew “ אשׁר לקח מן־which he had taken from”, the same verbpreposition combination לקח מןin v. 23b is harmonized in the Septuagint with the nominal-clause wording of the kinship formula (… ἐκ τῶν ὀστέων μου … ἐκ τῆς σαρκός μου … ἐκ τοῦ ἀνδρὸς αὐτῆς ἐλήμφθη).49 The Greek text stresses, on the one hand, the ties between the sexes in terms of a possessive relation: Woman was not, as in the Hebrew version of 2:23b, taken from Man ( )מאישׁbut out of her husband (ἐκ τοῦ ἀνδρὸς αὐτῆς).50 On the other hand, the choice of the preposition ἐκ (v. 23b) instead of ἀπὸ (v. 22a), probably for reasons of verse-internal coherence,51 constitutes the small but crucial difference in the wording which Eden?, New Haven/London 2013, 75–84, who suggests the removal not of a rib from the human’s body but of the baculum (the only bone, compared to animals, missing in the male body). 46 The advocates of the theory that the rib motif in 2:21b–22a was spun out of the literally taken kinship formula in 2:23a (see above n. 45) leave entirely aside the part “flesh of my flesh”. However, Cassuto’s claim that God “took together with the bone also the flesh attached to it” finds no clue to the text (U. Cassuto, A Commentary on the Book of Genesis, Jerusalem 1978, 134). 47 Göttingen Septuaginta, vol. 1 Genesis (LXXG‑GEN), by J. W. Wevers, Göttingen 1974.2008 (OakTree Software 2010, Version 1.4), highlights added by the present author. 48 A. Pietersma/B. G. Wright (ed.), A New English Translation of the Septuagint and the Other Greek Translations Traditionally Included Under That Title, New York/Oxford 2007, 7. 49 Cf. Gen 29:14LXX. 50 “… for out of her husband she was taken” (Pietersma/Wright, Septuagint, 7). But cf. … os ex ossibus meis et caro de carne mea … de viro sumpta est (Biblia Sacra Iuxta Vulgatam Versionem, 5th rev. ed., by Roger Gryson, 2007). 51 The Greek text witnesses attest the distinction between ἐκ (v. 23b) and ἀπὸ (v. 22a) consistently (the prepositions therefore do not seem to be exchangeable); the only exception is
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moves the interpretation from “side” to “rib”, because not a side, but only a rib can be taken out. This interpretation has been adopted almost completely in the reception history of Gen 2:21–23.52 With this view, two distinct modes of creation have been established by the readers of Gen 2: the divine potter, who modelled ( )יצרthe human and the animals, acts only two verses later as a plastic surgeon as he removes a rib from the human and “builds” Woman out of it (Gen 2:7, 19, 21–22). Certainly, metaphors can be merged, for example in Ps 23, where Yhwh is first addressed as a shepherd (v. 1–4) and then as a host (v. 5–6), but are we really confronted with a mixed metaphor in the story of Woman’s creation? This point of our argumentation concerns the unique understanding of the biblical Hebrew term צלעas “rib”. In the Hebrew Bible, the term צלעrefers to a lateral element of an object with a certain extension: it can be a side of the tabernacle, of the ark or of an altar, a board, plank, beam, door leaf, and also the slope of a mountain.53 The Hebrew word is obviously a technical term belonging to the field of architecture, and it is only in Gen 2:21–22 that צלעis supposed, according to the traditional interpretation,54 to denote a specific bone of a human being.55 Symmachus: οτι απο ανδρος ελημφθη (23b) who probably squares the use of the preposition in v. 23b with the one in v. 22a, A. E. Brooke/N. McLean, The Old Testament in Greek, Cambridge 1906, 6. 52 But see the understanding of צלעas “side” in GenR VIII,1 (and XVII,6–7), B. L. Visotzky, Genesis in Rabbinic Interpretation, in: Evans/Lohr/Peterson, The Book of Genesis, 579– 606, here 587 (the androgynous Adam is sawed in two), and by Philo, Questions on Genesis, transl. by R. Marcus, Loeb Classical Library 380, Cambridge 1953, I, 25 (woman is a half-section of man). – The Christian iconographical reception of Gen 2:21–22 reflects as well the difference between “rib” and “side”; see for example the mosaic in the Cappella Palatina, Palermo (mid 12th cent.), where God lets Eve come out from Adam’s side (tulit Evam de costis eius) and the mosaic in the Basilica di San Marco, Venice (early 13th cent.), where God is taking out a rib from Adam’s chest (tulit unam de costis eius). 53 DCH, vol. VII, 126; cf. Ug. sl῾ “rib piece of animal” (A. J. Militarev/L. E. Kogan, Se ˙ [AOAT 278], Münster 2000, 243–244); Akk. sēlu, sellu mitic Etymological Dictionary, Vol. I ˙ vol. ˙ 16, “side”, “side of chest”, “rib” (of animals; for humans very rare and only in Plural, CAD, 125–126). 54 Apart from the Rabbinic and Kabbalistic reading of the creation of Woman (M. A. Sweeney, Genesis in the Context of Jewish Thought, in: Evans/Lohr/Petersen, The Book of Genesis, 657–682, here 665: “a gender differentiation of the primal human being”; see above n. 50), the understanding of צלעas “side” in Gen 2 is rare (F. Schwally, Die biblischen Schöpfungsberichte [ARW 9], Leipzig 1906, 175 [referring to Plato and Rashi]; Meyers, Eve, 74–76 [referring to GenR and Philo]); Korpel/de Moor, Adam, 126.131 [referring uncommented to A. La Cocque, The Trial of Innocence: Adam, Eve and the Yahwist, Eugene 2006, 117–130, who in turn refers to Rashi and the Jewish Tradition [120]); all these interpretations have to deal with the question of androgyny. 55 Westermann, Genesis, 313, refers to the Jericho heads fashioned by clay on bone (R. Amiran, Myths of Creation of Man and the Jericho Statues, BASOR 167 [1962] 23–25), arguing that artists at that time could use bone for their artworks; cf. Uehlinger, Eva, 90–99,
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To understand the divine manipulation associated with צלעin the Hebrew text of the creation story of Woman, two points are to be defined: a) the extent of the text segment in which the story is built up and closed and b) the keyword around which the story is constructed. a) The story develops from Yhwh God’s decision in 2:18 to provide to the human who is “on his own” ( )לבדוa companion “as his counterpart” ()כנגדו56 and it has two outcomes: a story-internal popular etymology (v. 23b) and a metacommunicative etiological remark (v. 24). The popular etymology57 אשּׁה- אישׁspecifies the correspondence of the divinely conceived counterpart ( אשּׁהv. 22), and the etiological remark, introduced by על־כן, actualizes the story from a story-external, exclusively androcentric point of view by mentioning everyman’s father, mother and wife and adding a general explanation of the (fatal)58 sexual attraction of Woman to Man. b) In the core segment 2:18–23, the adverbial “ כנגדוas his counterpart” reappears again after v. 18 in the short failure report (v. 20, )לא מצא עזר כנגדוwhich triggers the divine manipulation associated with ( צלעv. 21–22), that results in the idiomatic phrase declaring kinship (v. 23a) and is completed by the folk etymology (v. 23b) which confirms by name assignment (קרא, cf. vv. 19, 20a) the correspondence of אשּׁהwith אישׁ. It seems obvious that Gen 2:18–23 is constructed around the contrasting adverbials כנגדוand לבדו, which both determine, as an adverbial phrase, the relational state of the human. The point of reference of both suffixes in the 3rd person masculine singular (לבדו, )כנגדוis the human.
who points to Mesopotamian bone statuettes as pieces of art; but that the making of “something aesthetically pleasing” (A. Schüle, Theology from the Beginning: Essays on the Primeval History and Its Canonical Context [FAT 113], Tübingen 2017, 42) really hits the story’s plot is more than doubtful! For the understanding of אשּׁה/Eve in 2,21–23; 3,20 Westermann, Genesis, 314, relies on the idea of the adoption of a Sumerian popular etymology (TI “rib” / TI[L] “to make alive” in “Enki and Ninhursag”), presupposes a lost Sumerian original of Gen 2–3 and claims ˘ several cuneiform signs, see J. Feldmann, Paradies und Sündenthe erroneous reading of fall, Münster 1913, 241–244; K. Oberhuber, “Eva, aus Adams ‘Rippe’ genommen – Mutter des Lebens”: Nochmals zu Genesis 2, 21–23 und 3, 20, in: W. Meid et al. (eds.), Studien zur Namenkunde und Sprachgeographie. Festschrift für Karl Finsterwalder zum 70. Geburtstag (IBKW 16), Innsbruck 1971, 457–460. 56 The semantic value of “ עזרhelper” is not pertinent in Gen 2:18–23, the contrast built up between “ לבדוon his own” and “ כנגדוas his counterpart” is determined not by assistance but by correspondence. In this context, a suitable translation of עזרwould be “companion”. 57 Etymologically, אישׁgoes back to West Semitic ᾽īš and אשּׁהto Semitic ᾽antatu (see Ges18). ˙ 58 By completing the sense of “flesh” ( )בשׂרin the kinship formula in v. 23a with a new symbolic meaning, v. 24 adds allusions that go far beyond the story in Gen 2: both the abandonment of the parents (cf. Exod 20:12) and the verb “ דבקto cling” (cf. Gen 34:3) imply negative connotations; “ בשׂרflesh” is in Gen 6–7 a key term for creatures to be destroyed.
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In Gen 2:18–23, Yhwh God is thus in search of a corresponding counterpart59 of the figurine which he had modelled by hand and brought to life (2:7a). A counterpart is not a duplicate, as it only corresponds in some respects to the prototype. Vv. 19, 20a seem to define a criterion of the correspondence God is looking for: the naming of the requested being by the human as an act in which the correspondence itself becomes evident (v. 23). The first, unsuccessful attempt to find such a counterpart (vv. 19–20) remains within the framework of the potter-creator paradigm. As pointed out above, the sudden mutation of Yhwh God from a potter to a “surgeon” in the traditional understanding of the word צלעin 2:21–22 is philologically based on the Greek text and has thematically been explained by a literal understanding of the kinship formula (2:23a). An indicator, in the Hebrew text itself, of a switch of imagery could be the mention of a new materia, flesh (2:21b), which, nevertheless, does not contradict the potter-creator paradigms such as for example in the Akkadian Atramhasīs myth, in which the goddess Nin-tu, in her various forms of appearance, Belet-ili/Mami/Aruru, mixed clay with divine flesh, blood and saliva as the raw material for the creation of mankind.60 Hereafter it shall be assumed that the author of the Hebrew text retained the potter’s metaphor (cf. 2:6–7, 19) and thus relied on a potter’s practice when he explained the process of taking the impression of one of the human’s sides ()צלעות, establishing a flesh-equivalent ( )תחתנהfor the side taken and processing it into Woman (vv. 21b, 22a). Based on this hermeneutic assumption, the story will be retold. As a part of this retelling, the unique use of the Hebrew verb בנה “to build” will also be explained.
VI. A New Reading of the Story of the Creation of Woman The basic idea to start from is that a potter who wants to create a figurine which should correspond to a hand-modelled prototype first makes a mold of that prototype (Fig. 3–4).61 The manufacture of a univalve clay mold is a simple impression of an existing figurine, the prototype. The making and use of a mold are a procedure in three steps:
59 J. Blenkinsopp, Treasures Old and New: Essays in the Theology of the Pentateuch, Grand Rapids 2004, 95, calls it a kind of mirror image of the human. 60 Atramhasīs I, 190–247, cf. Lisman, Cosmogony, 192–194.205–206 and above n. 36. 61 On the process of molding see Barrelet, Figurines, 41–44 and A. Muller (ed.), Le moulage en terre cuite dans l’Antiquité: Création et production dérivée, fabrication et diffusion, Lille 1997.
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Fig. 3–4: Mold (on the left: inside [impression in hollow], on the right: backside, with the incised letter “b”, probably a potter’s mark), Karak region; 106 × 47 × 23 mm; Karak Archaeological Museum, Jordan, © Department of Antiquities Amman via FGFP/photo: T. Graichen.
1) Taking an impression of one of the sides of the prototype62 2) Closing the negative of the impressed side with clay 3) Removing the positive clay cast from the mold and finishing details by hand. The initial impression (1) is obtained by pressing a slab of moist clay over one of the sides of the prototype. This manipulation will create a negative shape of the impressed side of the prototype in the slab.63 Once dried or fired, this impressed cavity which mirrors the original in the negative (Fig. 5–6) serves as a mold to create positive casts, i. e., identical replicas of the prototype. 62 In the real world, between step 1 and 2, at least a drying term, better a firing term, would be added. The side chosen to produce an impression is normally the front side, see above fig. 3. 63 A rare example of a prototype preserved together with two of its molds is the so-called Sun God Tablet (9th cent. BCE; BM 91000, British Museum, collection online). It was found in an earthenware box which contained, along with the original, two impressions/clay molds (BM 91001, BM 91002) of the sculptured bas-relief displayed on the upper part of the tablet. The inscription on the back of one of the molds, BM 91002, identifies it as a “duplicate / copy / impression” (Akk. gabarû, CAD vol. 5 G, 2–3a), see Barrelet, Figurines, 39–40 with Fig. 11.
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Fig. 5–6: Mold (profile view, on the left: top, on the right: bottom, Karak region; 106 × 47 × 23 mm; Karak Archaeological Museum, Jordan, © Department of Antiquities Amman via FGFP/photo: T. Graichen.
To create a positive cast (2) from such a mold, the potter will fill the mold’s cavity by pressing moist clay into it and closing over the back with more clay (Fig. 7). After having taken out (3) the cast from the mold, the potter has a replica of one of the prototype’s sides in his hand (Fig. 8–9.10). Before firing, he can finish the cast, for example by smoothening the surface and completing certain required details (shape, aesthetic refinement, adornment etc.). This procedure in three steps that makes a clay mold to produce a replica of an existing prototype corresponds approximately to the three steps in Gen 2:21b–22a, in which Yhwh God is occupied, in the proper sense, with the shape, the materia and the concept (Woman) of the second phase64 of the creation of mankind. This divine act can be read in terms of a molding process: 21a And
Yhwh God caused a deep sleep to fall upon the human, and he slept. 1) 21b And he took ( )ויקחone of his sides 2) and closed over ( )ויסגרwith flesh in place thereof. 3) 22a And Yhwh God built ( )ויבןthe side that he had taken from the human into a woman. 22b And he brought her to the human. 23 And the human said: This one, this time / bone of my bones / and flesh of my flesh // This one shall be called Woman / for from Man / was taken this one.
The process imagined in Gen 2:21b–22a is to be commented as follows: (1) “And he took one of his sides” ()ויקח אחת מצלעתיו. The manipulation of Yhwh God, the potter, when obtaining the impression in negative of one of the sides of the immobilized human is not explained, but only summarized by the technical shortcut “taking a side”. As the human had been modelled in the round 64 On a similar two-phase creation of mankind in the Atramhasīs Epic, first of a human prototype (from a mixture of clay, blood and flesh of the slaughtered god Aw-ilu) and then of gendered human beings (from clay only), see U. Steinert, Created to Bleed: Blood, Women’s Bodies and Gender in Ancient Mesopotamian Medicine (forthcoming; many thanks to the author for generously giving access to the unpublished manuscript).
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Fig. 7–8: above left: Filling clay into the cavity of the (fired) mold, closing over its back with more clay and trimming the back with the finger; above right: Starting to take out the cast from the mold. Experimental Archaeology Workshop Strasbourg 2015, © FGFP/photos: J.‑Ch. Mougel.
Fig. 9–10: above left: Continuing to take out the cast from the mold; above right: The moist cast is ready to be finished by hand; Experimental Archaeology Workshop Strasbourg 2015, © FGFP/photos: J.‑Ch. Mougel. For more pictures concerning the steps described see https://vimeo.com/150722204 (accessed December 5th, 2018).
(2:7a), the side taken is only one of several sides of his body, it will determine the shape of Woman’s body. The creation of mankind by means of a mold is to date attested only once in the Ancient Near Eastern sources: in the Sumerian “Hymn to the Hoe” from the Old Babylonian period.65 The composition of 109 lines is documented in over 65 ETCSL 5.5.4, University of Oxford, online corpus; G. Farber, The Song of the Hoe (1.157), in: W. W. Hallo/K. L. Younger Jr. (eds.), The Context of Scripture, vol. 1: Canonical Compositions from the Biblical World, Leiden 2002, 511–513; J. Black et al. (eds.), The Litera-
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ninety separate copies,66 as a whole and in excerpts; it thus might have been used as a didactic poem for advanced scribal education. The hymn is an example of philological virtuosity, packed with puns, alliterations and word games,67 whose meaning is not easy to understand for modern interpreters. But what can be identified with certainty is a praise to the god Enlil and his tool, made of gold, silver and lapis lazuli, for brick production, the hoe, which is involved, among other things, in the creation of mankind. In the lines 18–19 the text reads: Here, “Where Flesh Came Forth”, he set this very hoe to work, he had it place the first model of mankind in the brick mold.68
After this act, the people of Sumer start to sprout out of the ground (lines 20–21). While the traditions of creation such as emersio (growing like plants) and formatio (being crafted) are well attested in Mesopotamian mythology,69 the processing of the first model / concept / form (saĝnam)70 of a human with tools which are normally used for brick making is unique. The utensils mentioned, the hoe (al) to cut off the loam and the brick mold (u3-šub), clearly imply clay as a creation materia, but the molding process as such remains unexplained.71 Molds for brickmaking normally consisted of a simple rectangular wooden frame. But when the bricks had to be stamped with an image in bas-relief, a mold with a base was used in which the requested motif, the brick stamp, was incised.72 It is conceivable that “placing” the human concept in the wooden brick mold is tantamount to the impression of a human shape on the base inside the ture of Ancient Sumer, Oxford 2004, 311–315; Lisman, Cosmogony, 57–59; G. Farber, Das Lied von der Hacke, in: K. Volk (ed.), Erzählungen aus dem Land Sumer, Wiesbaden 2015, 69–76; C. Halton/S. Svärd, Women’s Writing of Ancient Mesopotamia: An Anthology of the Earliest Female Authors, Cambridge 2018, 46–50. 66 P. Delnero, Variation in Sumerian Literary Compositions: A Case Study Based on the Decad, PhD, Philadelphia 2006, 2021–2108 (partition). 67 P. Michalowski, Where’s Al? Humor and Poetics in the Hymn to the Hoe, in: A. Kleinerman/J. M. Sasson (eds.), Why Should Someone Who Knows Something Conceal It? Cuneiform Studies in Honor of D. I. Owen on His 70th Birthday, Bethesda 2010, 195–200. 68 “Where Flesh Grows/Grew” is the name of a sacred site inside Nippur, probably in the area of Enlil’s temple, see Steinert, Aspekte, 49; Ceccarelli, Enki, 6–7. 69 Steinert, Aspekte, 48–57; Ceccarelli, Enki, 6–8. 70 G. J. Selz, A Mesopotamian Path to Abstraction? On Sumerian “Ontologies”– Introduction, in: S. Fink/R. Rollinger (eds.), Conceptualizing Past, Present and Future: Proceedings of the Ninth Symposium of the Melammu Project Held in Helsinki/Tartu, May 18–24, 2015 (Melammu Symposia 9), Münster 2018, 409–433. 71 Whether the text alludes to a human-like form of the mold (so Farber, Lied, 69) cannot be decided. But see in the Old Babylonian Turtle Incantation VAT 8341,5 the reference to a (plano-convex) brick in the shape of a turtle carapace which could allude to the existence of non-rectangular molds (J. Peterson, A Study of Sumerian Faunal Conception with a Focus on the Terms Pertaining to the Order Testudines, PhD, Philadelphia 2007, 412.424–425). Neo-assyrian texts mention ritual models made of ivory CAD N/1, 200 f. s. v. nalbattu. 72 See A. Salonen, Die Ziegeleien im Alten Mesopotamien (Annales Academiae Scientiarum Fennicae Ser. B Tom. 171), Helsinki 1972, 87–102 Tf. 6; Barrelet, Figurines, 90–91 Fig. 62–
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mold which will be represented on all the bricks produced in this mold. Even if the process in “The Hymn to the Hoe”, lines 18–19, is not clear in all details, the association of a mold and the concept of a human being is significant for our interpretation of Gen 2:21b–22a. (2) “… and closed over with flesh in place thereof ” (ויסגר בשׂר תחתנה, Gen 2:21bβ). Only minimal information is also provided for the second working step, the closing of the cavity which had been produced by taking one of the human’s sides. The act of replacing ( )תחתנהthe three-dimensional hollow shape73 of the human’s side is, again, only described by a technical shortcut: “closing over in place thereof ”. The filling material, “flesh” ()בשׂר, which appears in 2:21bβ for the first time in the Creation story, quasi in Yhwh God’s hand, is a new materia, but the text is completely silent about its provenance. In Mesopotamian anthropogony traditions, the flesh (and/or blood) which conveys life to the human creatures74 is of divine origin, but clearly different from Gen 2, the flesh or blood is always taken from one or more gods which had been slaughtered for the purpose of its collection.75 In 2:21bβ, the use of the verb סגרcan be transitive or intransitive: a) flesh was somehow at the creator’s, Yhwh God’s, disposal when he replaced the first human’s side in the mold or b) flesh closed over the impressed cavity by replacing the first human’s side in the mold.76 So, the verbal form ויסגרin 2:21bβ contains a certain ambiguity between the formatio and emersio traditions;77 the former presents creation as a craft production and the latter could allude to a growing procedure.78 The important element for our interpretation of Gen 2:21b–22a is Yhwh God’s manipulation with the shape of one of the human’s sides and a new materia which as such implies, against a common Ancient Near Eastern background, the vitality of the creature to be fashioned.79 As in other Near Eastern 63; A. Falkenstein/W. von Soden (eds.), Sumerische und Akkadische Hymnen und Gebete (Die Bibliothek der Alten Welt), Zürich 1953, 150–151. 73 See the expression סגור לבin Hos 13:8 indicating the rib cage, literally the case/enclosure of the heart. 74 See above n. 36. 75 See KAR 4 obverse 18–20 (blood of two slaughtered gods that makes mankind grow, see Lisman, Cosmogony, 60–61); Enūma elîš VI 31–34 (blood of Kingu, the leader of Thiamat’s army, see Steinert, Aspekte, 54–55; T. R. Kämmerer/K. A. Metzler [eds.], Das babylonische Weltschöpfungsepos Enūma elîš [AOAT 375], Münster 2012, 252–253); Atramhasīs I 208–226 ˘ (flesh and blood of a slain Igigū-god, see Steinert, Aspekte, 53–54); Enki und Ninmah a29–37 ˘ (menstruation blood of Namma?, see Ceccarelli, Enki, 24–30). 76
Cf. the intransitive use of the verb סגרin Judg 3:22 “and the fat closed over the blade”. See above n. 69. 78 Certain elements of an emersio tradition, but related to cosmogony, are present also in Gen 2:6, 10–14 (a spring and rivers rising up from the earth). 79 Pace Uehlinger, Eva, 95.98, who insists on the fact that for the creation of Woman no flesh has just been used, so that it is quite difficult to explain Woman’s vitality (93) if not by its quasi-divine nature (98–99). 77
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traditions, the creation of mankind from clay and/or from flesh remains within the scope of the creator-potter model.80 (3) “And Yhwh God built the side that he had taken from the human into a woman (ויבן יהוה אלהים את־הצלע אשׁר־לקח מן־האדם לאשּׁה, Gen 2:22a).” Apart from all its occurrences where “ בנהto build” associated with the preposition ל means the construction of an architectural structure (tower, house, wall, altar, town etc.) for someone, god or man, there is only one other verse in the Hebrew Bible where the verb means “to build as”, implying a second level of a working process:81 an already prepared object or structure will be processed in a second step. Taking the impression of one of the human’s sides and shaping by means of a mold an equivalent counterpart of that side prepared the “object” that would finally be processed ( )ויבןinto Woman ()לאשּׁה. The semantic value of the Hebrew “ בנהto build” in the field of craft terminology corresponds perfectly to the architectural term “ צלעside”. When Gen 2:21b–22a is read, as we propose, within the paradigm of a molding process, the equivalent counterpart of the human’s side, made of flesh, was adapted in a second step to a new concept: “ אשּׁהWoman”. According to the textinternal narrator, this concept had been defined in advance by Yhwh God himself (2:22a) and was later confirmed in direct speech by the human protagonist (2:23).
VII. Conclusion The plot in Gen 2:18–23 culminates, in accordance with the specification כנגדוas a “counterpart” (2:18, 20), in a recognition of kinship (2:23a) but not of identity. The human had expressly fallen asleep ( ויישׁן2:21a) before Yhwh God took one of his sides and then processed its flesh equivalent into Woman. The human cannot have any knowledge of what happened while he slept. When Woman finally was brought to him ( ויבאה2:22b), he could only express, as the story goes, what he now saw: her shape corresponding to his own shape. From 2:23bβ it appears that, in this text, correspondence is defined by a general match in shape – which is itself part of the molding paradigm!82 In Gen 2:21b, 22a, according to our interpretation, the creation of Woman started from the human’s shape, was realized in a new materia and became the visible outcome of a new divine concept. In 2:22a, the correspondence in shape 80
See the references in n. 75. 1 Kgs 6:16 “and he built this within as an inner sanctuary, as the most holy place”. 82 When working with mold links in the corpus of the 460 female terracotta figurines from Iron Age Transjordan, it became obvious that casts taken from the same mold are never identical; they differ especially by their finish (paint, decorative dots and lines applied by tools, surface treatment, etc.). 81
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is emphasized a second time (“the side that he had taken from the human”), directly before a new term appears on the world stage, אשּׁהwhich, like בשׂר, had never been mentioned before in the Creation story. Shortly thereafter, when stating the correspondence of shape, the human protagonist expresses his gendered perception of humankind by creating the term “ אישׁMan” (2:23bβ) which appears in the Hebrew Bible only after the term ( אשּׁה2:22a, 23bα) – while the popular etymology, in accordance with the story’s plot, inverts the logical order (2:23b “this one shall be called Woman [ ]אשּׁה/ for from Man [ ]אישׁ/ was taken this one”). The proposed understanding of Gen 2:21–23 follows the inner logic of the text and corresponds to a coherent view of its pictorial and metaphorical world and language. Nevertheless, in the long run, this explanatory model of the origins, the similarities and differences of Man and Woman was obviously not satisfactory and needed, for reasons that cannot be discussed here, a theological update. In Gen 1:26–27,83 which was written later, an alternate vision of the creation of humanity is emphasized: the only prototype is God, in his image ( )צלםhe created them, male and female, both as “near-replicas”84 of himself (cf. Gen 3:22!).
83 Gen 1:27 “So God created humankind ( )האדםin his image, in the image of God he created them; male and female he created them”, cf. 5,2 “Male and female he created them, and he blessed them and named them ‘Humankind’ ( )אדםwhen they were created.” 84 A. Brenner-Idan, The Israelite Woman: Social Role and Literary Type in Biblical Narrative (Cornerstones Series), London (1985) 22015, 127. For the relation of Gen 1:5 and Gen 2–3 see also J. Barr, One Man, or all Humanity? A Question in the Anthropology of Genesis 1, in: A. Brenner/J. W. van Henten (eds.), Recycling Biblical Figures: Papers read at a NOSTER Colloquium in Amsterdam, 12–13 May 1997 (Studies in Theology and Religion 1), Leiden 1999, 3–21; and the response by D. J. A. Clines, אדם, the Hebrew for “Human, Humanity”: A Response to James Barr, VT 53 (2003) 297–310.
Tartessos – Tarschisch Von der Iberischen Region zur literarischen Landschaft im Alten Testament Herbert Niehr*
I. Einführung Ausgehend von der Region Tartessos auf der Iberischen Halbinsel1 soll im Folgenden dargelegt werden, wie Tartessos im Rahmen der phönizisch-israelitischen Handelsbeziehungen in der Levante bekannt und im Laufe der weiteren Zeit als literarische Landschaft unter dem Namen Tarschisch in das Alte Testament rezipiert wurde.
II. Die Region Tartessos auf der Iberischen Halbinsel Das antike Tartessos, dessen Grenzen im strikten Sinne nicht auszumachen sind, ist ungefähr auf dem Gebiet der heutigen Provinzen Cádiz, Huelva, Sevilla und Córdoba zu beiden Seiten des Rio Guadalquivir zu verorten. Dabei handelt es sich um das Kerngebiet von Tartessos, von dem die größere Region Tartessos zwischen der Algarve und der spanischen Levanteküste zu unterscheiden ist.2 * Für ihre Unterstützung bei der Abfassung dieses Beitrags danke ich meinen Mitarbeiterinnen Florence Berg, Janca Brenner und Susanne Maier sowie für wichtige Hinweise meinen Kollegen Martin Bartelheim und Dagmar Kühn. 1 Zum aktuellen Stand der Erforschung von Tartessos vgl. neben den Artikeln im Sammelband Instituto de Arqueología y Prehistoria Universidad de Barcelona (Hg.), Tartessos y sus Problemas. V Symposium Internacional de Prehistoria Peninsular, Barcelona 1969, besonders M. E. Aubet, The Phoenicians and the West. Politics, Colonies, and Trade, Cambridge 22001, 257–291; M. Blech, Tartessos, in: Ders. / M. Koch/M. Kunst (Hg.), Denkmäler der Frühzeit (Hispania Antiqua 5), Mainz 2001, 305–348; M. Torres Ortiz, Tartessos (Bibliotheca Archaeologica Hispana 14; Studia Hispano-Phoenicia 1), Madrid 2002; S. Celestino Pérez, Tarteso. Viaje a los confines del Mundo Antiguo, Madrid 2014; M. Bartelheim, Art. Tartessos, in: A.‑M. Wittke (Hg.), Frühgeschichte der Mittelmeerkulturen. Historisch-archäologisches Handbuch (DNP Suppl. 10), Stuttgart/Weimar 2015, 161–166. 2 Zur Frage der Ausdehnung von Tartessos vgl. die Angaben und Überlegungen bei M. E. Aubet Semmler, Die Phönizier, Tartessos und das frühe Iberien, in: U. Gehrig/H. G. Niemeyer (Hg.), Die Phönizier im Zeitalter Homers, Mainz 1990, 65–73, hier 66–67; M. Koch,
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Die Blütezeit von Tartessos lässt sich ungefähr auf die Zeit 750 bis 700 v. Chr. ansetzen. In der neueren Forschung ist eine gewisse Zurückhaltung gegenüber der Bezeichnung von Tartessos als „Königreich“ zu bemerken. Die Bevölkerung war nämlich erst auf dem Weg zur Adelsgesellschaft. Insofern ist es vorzuziehen, unter Umgehung einer näheren politischen Festlegung in einem allgemeinen Sinn von der Kultur- bzw. Wirtschaftsregion Tartessos zu sprechen.3 Drei bedeutende Faktoren waren für das Aufblühen dieser Wirtschaftsregion in der Antike verantwortlich. Zum einen war es der Rio Guadalquivir, der einen Transport von Handelsgütern von Nordosten bis nach Südwesten zum Atlantik hin gestattete. Hinzu kamen die fruchtbaren Böden zu beiden Seiten des Flusses, die nicht nur eine gute Selbstversorgung, sondern auch den Export von landwirtschaftlichen Produkten erlaubten.4 Der entscheidende Punkt jedoch für das wirtschaftliche Aufblühen der Region Tartessos lag in den Bodenschätzen. In den Minen zu beiden Seiten des Rio Guadalquivir wurden primär Silber, dann aber auch Gold, Kupfer, Blei, Eisen und Zinn zutage gefördert. Zudem gab es Vorkommen von Edelsteinen.5 Da im 1. Jahrtausend v. Chr. im gesamten Mittelmeergebiet ein hoher Bedarf an diesen Metallen existierte und auch Edelsteine begehrt waren, war die Region Tartessos ein beliebter Handelspartner. Über die o. g. Metalle hinaus ist der weitere Handel mit Salz, Tierhäuten und Fellen sowie mit Sklaven und landwirtschaftlichen Produkten, wie z. B. Getreide, an denen die Phönizier ebenfalls großes Interesse hatten, keineswegs zu übersehen.6 Die Kontakte zwischen Tartessos und der Levante verliefen über die Phönizier. Die entscheidende Rolle in dieser Verbindung zwischen der Levante und der Iberischen Halbinsel spielte das Königreich Tyros, da nach den Umwälzungen von 1200 v. Chr. Tyros das spätbronzezeitliche Byblos als die bedeutendste Handelsmetropole ersetzt hatte. Der handelspolitischen Dominanz von Tyros im 1. Jahrtausend v. Chr. waren Rivalitäten zwischen den Hafenstädten des LibaTarschisch und Hispanien. Historisch-geographische und namenkundliche Untersuchungen zur phönikischen Kolonisation der Iberischen Halbinsel (Madrider Forschungen 14), Berlin 1984, 112, Karte 6; Blech, Tartessos, 312, Karte 27; A.‑M. Wittke/E. Olshausen/R. Szydlak, Historischer Atlas der antiken Welt (DNP Suppl. 3), Stuttgart/Weimar 2007, 63; Celestino Pérez, Tarteso, 94; S. Celestino/C. López-Ruiz, Tartessos and the Phoenicians in Iberia, Oxford 2016, 173–182. 3 Vgl. Blech, Tartessos, 322–324; Aubet, Phönizier, 67–68; Bartelheim, Art. Tartessos, 161,164. 4 Vgl. Torres Ortiz, Tartessos, 98–100, und Celestino Pérez, Tarteso, 85–85.142–146. 5 Zu diesen drei Faktoren vgl. Aubet, Phönizier; Dies., Phoenicians, 279–285; H. Schubart, Die Phönizier an den Küsten der Iberischen Halbinsel, in: Blech/Koch/Kunst (Hg.), Denkmäler, 283–304, besonders 300–304; Torres Ortiz, Tartessos, 105–111; A. Neville, Mountains of Silver and Rivers of Gold: The Phoenicians in Iberia (University of British Columbia Studies in the Ancient World 1), Oxford 2007, 135–158; J. M. Campos/J. Alvar, Tarteso. El emporio de metal, Cordoba 2013; Celestino Pérez, Tarteso, 131–142; Celestino/LópezRuiz, Tartessos, 191–198; M. Bartelheim, Art. Iberische Halbinsel. Überblick, in: Wittke (Hg.), Frühgeschichte, 135–143, bes. 137–138; Ders., Art. Tartessos, 162. 6 Vgl. Aubet, Phoenicians, 287.
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non vorausgegangen, die sich dank der Amarna-Korrespondenz bis in die Spätbronzezeit zurück verfolgen lassen.7 Im Hintergrund dieser neuen Entwicklung in der Levante des 1. Jahrtausends v. Chr. stehen zwei Phänomene: Zum einen ermöglichte der Untergang der Palastkultur der Spätbronzezeit um 1200 v. Chr. das Aufkommen einer dynamischen Handwerker- und Händlerelite, die die bis dahin das gesamte Wirtschaftsleben dominierende Palastökonomie ablöste.8 Zum anderen hatte bereits seit dem 13. Jahrhundert v. Chr. die Schiffsbautechnik einen enormen Fortschritt durchlaufen, was im 1. Jahrtausend v. Chr. die Ausweitung der Seefahrt über das Mittelmeer bis weit in den Westen hinein ermöglichte.9 Eine phönizische Präsenz in Tartessos lässt sich ab der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts v. Chr., insbesondere dann im 8. Jahrhundert v. Chr. nachweisen. Den Phöniziern auf der Iberischen Halbinsel ging es nicht um das Projekt einer Kolonisation, wie sie etwa im Mittelmeerraum von den Griechen betrieben wurde, sondern um die Gründung diverser Handelsniederlassungen,10 deren älteste archäologisch unter dem heutigen Cádiz, dem phönizischen Gadir, nachgewiesen ist.11 7 Vgl. A. Altman, The Struggle among the Lebanese Port-Cities, UF 45 (2014) 11–33. Die Vorrangstellung von Tyros vor den anderen Hafenstädten des Libanon wird auch aus dem Vertrag zwischen den Königen Asarhaddon und Ba῾al von Tyros (SAA II 5) 676 v. Chr. ersichtlich; vgl. S. Parpola/K. Watanabe, Neo-Assyrian Treaties and Loyalty Oaths (SAA II), Helsinki 1988, XIXX.24–27. 8 Zur levantinischen Palastwirtschaft, ihrem Untergang und zum Aufkommen einer neuen Händlerelite vgl. besonders M. E. Aubet, El mercader, in: J. Á. Zamora (Hg.), El hombre fenicio. Estudios y materiales (Serie Arqueológica 9), Rom 2003, 173–183; M. Sommer, Die Phönizier. Handelsherren zwischen Orient und Okzident, Stuttgart 2005, 30–41.72–143; K. Sommer, Der 21. Januar 1192 v. Chr.: Der Untergang Ugarits (Münchener Studien zur Alten Welt 14), München 2016, 80–95.211; M. Liverani, Antico Oriente. Storia, società, economia (Biblioteca Storica), Rom/Bari 42017, 597–605. 9 Dazu B. Cunliffe, On the Ocean. The Mediterranean and the Atlantic from Prehistory to AD 1500, Oxford 2017, 211–285, und C. Broodbank, Die Geburt der mediterranen Welt. Von den Anfängen bis zum klassischen Zeitalter, München 2018, 604–606. 10 Zur Diskussion dieses Themas vgl. etwa Sommer, Phönizier, 141–143, und B. Schweitzer/F. Schön, Art. Besiedlung und Mobilität, in: Wittke (Hg.), Frühgeschichte, 831–851, sowie die in Anm. 20 genannte Literatur. 11 Zu den Phöniziern auf der Iberischen Halbinsel, insbes. in Tartessos, vgl. besonders J. M. Solà Solé, Miscelanea Punico-Hispana II, Sefarad 17 (1957) 18–35, hier 23–35; P. Cintas, Tarsis – Tartessos – Gadès, Sem 16 (1966) 5–37; J. M. Blázquez, Tartessos y los orígenes de la colonización fenicia en Occidente, Salamanca 21975; M. G. Guzzo Amadasi, Remarques sur la présence phénico-punique en Espagne d’après la documentation écrite, in: M. Galley (Hg.), Actes du Deuxième Congrès International d’ Étude des Cultures de la Méditerranée Occidentale II, Algier 1978, 33–42; G. Bunnens, L’expansion phénicienne en Méditerranée. Essai d’interprétation fondée sur une analyse des traditions littéraires (Études de Philologie, d’Archéologie et d’Histoire Anciennes XVII), Brüssel/Rom 1979, 330–348; M. Elat, Tarshish and the Problem of Phoenician Colonisation in the Western Mediterranean, OLP 13 (1982) 55–69; H. Schubart, Phönizische Niederlassungen an der Iberischen Südküste, in: H. G. Niemeyer (Hg.), Phönizier im Westen. Die Beiträge des Internationalen Symposiums „Die Phönizische Expansion im west-
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Sucht man nach einer Verhältnisbestimmung zwischen der Niederlassung von Cádiz und der Region Tartessos, so ist letztere als das Hinterland von Cádiz anzusetzen. Cádiz seinerseits stellte den Konzentrationspunkt für die Exporte aus Tartessos dar, die von Cádiz aus in die Levante verhandelt wurden. Ebenso gelangten die phönizischen Importe aus der Levante über Cádiz nach Tartessos.12 Die Präsenz von Phöniziern in Tartessos war sowohl für die Oberschicht von Tartessos als auch für die Phönizier von Vorteil. Die Oberschicht von Tartessos war eingebunden in die sog. orientalisierende Epoche des Mittelmeerraums; sie profitierte von den phönizischen Importen wie Elfenbein, Purpurstoffen, Gegenständen des Kunsthandwerks, Weihrauch und Spezereien, Zedernholz, Öl, Wein, Kosmetika sowie von den mit Öl, Wein, und Kosmetika gefüllten Gefäßen aus Glas, Terrakotta und Alabaster, aber auch von dem durch die Phönizier initiierten Anbau von Wein und Oliven.13 Ihrerseits profitierten die Phönizier primär von den Bodenschätzen der Region Tartessos, d. h. von Edelmetallen, Eisen und Edelsteinen, Güter, die sie bis in die Levante und darüber hinaus bis hin nach Mesopotamien verhandelten. Dazu kamen sekundär die landwirtschaftlichen Produkte der Iberischen Halbinsel. Der Höhepunkt für die tartessisch-phölichen Mittelmeerraum“ in Köln vom 24. bis 27. April 1979 (Madrider Beiträge 8), Mainz 1982, 207–234; C. Bonnet, Melqart. Cultes et Mythes de l’Héraclès Tyrien en Méditerranée (Studia Phoenicia VIII), Leuven/Namur 1988, 203–230; S. Moscati, Tra Tiro e Cadice. Temi e problemi degli studi fenici (Studia Punica 5), Rom 1989, 141–149; Aubet, Phönizer; Dies., Phoenicians, 257–279; M. Fernández-Miranda, Les Phéniciens en Occident et la réalité tartessique, in: Istituto per la Civiltà Fenicia e Punica (Hg.), I Fenici: Ieri Oggi Domani. Ricerche, scoperte, progetti (Roma 3–5 marzo 1994), Rom 1995, 395–407; M. Koch, Überlegungen zur Geschichte der Iberischen Halbinsel im 1. Jahrtausend v. Chr., in: Blech/Ders. / Kunst (Hg.), Denkmäler, 235–274, besonders 237–245; Schubart, Phönizier; Torres Ortiz, Tartessos, 82– 93; E. Lipiński, Itineraria Phoenicia (OLA 127; Studia Phoenicia XVIII), Leuven/Paris/Dudley 2004, 225–265; Neville, Mountains of Silver; M. B. Deamos, Phoenicians in Tartessos, in: M. Dietler/C. López-Ruiz (Hg.), Colonial Encounters in Ancient Iberia: Phoenician, Greek, and Indigenous Relations, Chicago 2009, 193–228; M. Almagro-Gorbea/M. Torres Ortiz (Hg.), La escultura fenicia en Hispania (Bibliotheca Archaeologica Hispana 32; Studia Hispano-Phoenicia 6), Madrid 2010; Celestino Pérez, Tarteso, 75–95; D. Marzoli, Phönizier auf der Iberischen Halbinsel, in: Wittke (Hg.), Frühgeschichte, 179–188; Celestino/LópezRuiz, Tartessos; E. Lipiński, Phoenicians at Huelva, Anabasis. Studia Classica et Orientalia 7 (2016) 7–18; Cunliffe, Ocean, 223–246, sowie die Beiträge in S. Helas/D. Marzoli (Hg.), Phönizisches und punisches Städtewesen. Akten der internationalen Tagung in Rom vom 21. bis 23. Februar 2007 (Iberia Archaeologica 13), Mainz 2009, 437–543, und in M. Álvarez Martí-Aguilar (Hg.), Fenicios en Tartesos: nuevas perspectivas (BAR International Series 2245), Oxford 2011. 12 Vgl. Aubet, Phoenicians, 285–291; Neville, Mountains, 105–134; Celestino Pérez, Tarteso, 88–95. 13 Zu den phönizischen Importen nach Tartessos sowie zur phönizischen Landwirtschaft in Tartessos vgl. C. G. Wagner/J. Alvar, Fenicios en Occidente. La colonización agrícola, RSF 17 (1989) 61–102, besonders 88–99; Aubet, Phoenicians, 287–288; Neville, Mountains, 116–120; Celestino/López-Ruiz, Tartessos, 191–198; Torres Ortiz, Tartessos, 98–99. Im Alten Testament nimmt Ez 27,12 phönizische Importe in die Levante sehr allgemein in den Blick.
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nizische Handelskooperation lag in der Zeit zwischen 800 und 650 v. Chr., ihr Ende im 6. Jahrhundert v. Chr.14 Da Handelswege immer auch Transportwege für Kulte waren,15 muss der Import von Kulten phönizischer Gottheiten nach Tartessos ebenfalls angesprochen werden. Es mag in diesem Zusammenhang genügen, auf die Tempel und Kulte des Melqart, des Hauptgottes von Tyros,16 sowie die Tempel und Kulte der Astarte, der höchsten Göttin diverser phönizischer Panthea,17 hinzuweisen.18 Auch wenn – wie oben gesagt – die Phönizier nicht als Kolonisatoren auf die Iberische Halbinsel kamen, so ist in der Forschung der Handel mit den Phöniziern in Tartessos als „unfair exchange“ charakterisiert worden,19 bei dem die Phönizier den größten Profit machten und die Tartessier eine gewisse Ausbeutung erdulden mussten. Letzteres galt vor allem für die arbeitende Unterschicht, kaum aber für die am Luxus der Phönizier partizipierende Oberschicht von Tartessos.20 Will man nun den Hintergrund dieser Entwicklung von der Grün14 Zu den internen und externen Faktoren für das Ende der tartessisch-phönizischen Handelskooperation vgl. Neville, Mountains of Silver, 159–170, und zum Niedergang von Tyros vgl. H. J. Katzenstein, The History of Tyre. From the Beginning of the Second Millennium B. C. E. until the Fall of the Neo-Babylonian Empire in 538 B. C. E., Jerusalem 1973, 295–347; E. Lipiński, On the Skirts of Canaan in the Iron Age (OLA 153), Leuven/Paris/Dudley 2006, 197–201; J. B. Peckham, Phoenicia. Episodes and Anecdotes from the Ancient Mediterranean, Winona Lake 2014, 369–451; J. Elayi, Histoire de la Phénicie, Paris 2013, 204–213. 15 So B. Gladigow, Mögliche Gegenstände und notwendige Quellen einer Religionsgeschichte, in: H. Beck/D. Ellmers/K. Schier (Hg.), Germanische Religionsgeschichte. Quellen und Quellenprobleme (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 5), Berlin/New York 1992, 3–26, hier 22. 16 Dazu Bonnet, Melqart, 207–225; Aubet, Phoenicians, 273–279; J. C. Quinn, In Search of the Phoenicians, Princeton/Oxford 2018, 113–131. 17 Dazu Bonnet, Melqart, 225–226, und Dies., Astarté. Dossier documentaire et perspectives historiques (Collezione di Studi Fenici 37), Rom 1996, 127–133. 18 Weitere Angaben und Literatur zum Thema bei J. M.a Blázquez, El legado fenicio en la formación de la religión ibera, in: Istituto per la Civiltà Fenicia e Punica (Hg.), I Fenici: Ieri Oggi Domani. Ricerche, scoperte, progetti (Roma 3–5 marzo 1994), Rom 1995, 107–117; Torres Ortiz, Tartessos, 332–342; Neville, Mountains of Silver, 84–92; M.a Cruz Marín Ceballos, Cultos y ritos de la Gadir fenicia (Monografías Historia y Arte), Cádiz 2011; Dies., La singularidad religiosa de Gadir en el mundo fenicio-púnico, in: M. Álvarez Martí-Aguilar (Hg.), Fenicios en Tartesos. nuevas perspectivas (BAR International Series 2245), Oxford 2011, 213–222; Celestino Pérez, Tarteso, 166–175.205–216; Marzoli, Phönizier, 181; Celestino/López-Ruiz, Tartessos, 214–226. 19 So Aubet, Phoenicians, 285–291. 20 Zu den damit verbundenen konzeptionellen Fragen vgl. Aubet, Phoenicians, 285–291; P. van Dommelen, Colonial Interactions and Hybrid Practices. Phoenician and Carthaginian Settlement in the Ancient Mediterranean, in: G. J. Stein (Hg.), The Archaeology of Colonial Encounters, Santa Fe 2005, 109–141; J. L. Escacena Carrasco, Cantos de Sirena. La precolonización fenicia de Tartessos, in: S. Celestino/N. Rafel/X.‑L. Armada (Hg.), Contacto cultural entre el Mediterráneo y el Atlántico (siglos XII – VIII ane). La precolonización a debate (Serie Arqueológica 11), Madrid 2008, 301–322; S. Celestino Pérez, Precolonization and Colonization in the Interior of Tartessos, in: M. Dietler/C. López-Ruiz (Hg.), Colonial Encounters in Ancient Iberia. Phoenician, Greek, and Indigenous Relations, Chicago 2009, 229–
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dung phönizischer Handelsniederlassungen bis hin zur Ausbeutung von Tartessos verstehen, so ist von Tartessos aus der Blick in den fernen Osten zu richten, wo die Assyrer ihr die gesamte Levante umfassendes Weltreich errichtet hatten. Dem assyrischen Imperialismus21 waren auch die phönizische Handelsmächte des Libanon unterworfen, die deshalb ihren wirtschaftlichen Druck bis hin zum äußersten Westen verstärkten, um den Assyrern die dringend benötigten Metalle und Luxusgüter liefern zu können, weil die Phönizier nur auf diese Weise ihr eigenes Überleben sichern konnten.22
III. Geographische Aspekte Die gelegentlich in der Forschung unternommenen Versuche, Tartessos bzw. Tarschisch mit dem anatolischen Tarsos zu identifizieren,23 sind nicht überzeugend. Hiergegen sprechen schon die diversen Ortsnamen: Tarz/trz für Tarsos in Kilikien und tarsīsi/tršš/taršîš für die Region auf der Iberischen Halbinsel.24 Zudem machen einige literarische Belege in den orientalischen Quellen deutlich, dass sich Tartessos bzw. Tarschisch am entferntesten Punkt des Mittelmeeres im äußersten Westen befunden haben muss.25 Zur Klärung dieses geographischen Sachverhalts sind drei Quellentexte in den Blick zu fassen. 251; C. G. Wagner, Fenicios en Tartessos. ¿Interacción o colonialismo?, in: Álvarez Martí-Aguilar (Hg.), Fenicios en Tartesos, 119–128; Celestino/López-Ruiz, Tartessos, 125–172. 21 Zum assyrischen Imperialismus hat zuletzt M. Liverani, Assiri. La preistoria dell’imperialismo, Bari/Rom 2017, eine eingehende Studie vorgelegt. 22 Zu diesem Zusammenhang von assyrischem Imperialismus und phönizischer Wirtschaftsmacht vgl. S. Frankenstein, The Phoenicians in the Far West. A Function of Neo-Assyrian Imperialism, in: M. T. Larsen (Hg.), Power and Propaganda. A Symposium on Ancient Empires (Mes. 7), Kopenhagen 1979, 263–294; Liverani, Oriente, 605–611; M. E. Aubet, Commerce and Colonization in the Ancient Near East, Cambridge 2013. 23 Dies geht zurück auf Flavius Josephus (37 – ca. 100 n. Chr.), Ant. Jud. I 127 und IX 208; vgl. H. S. J. Thackeray, Jewish Antiquities, Books I–IV (LCL 242), Cambridge/London 1967, 60–63, und R. Marcus, Jewish Antiquities, Books IX–XI (LCL 326), London/Cambridge 1966, 108–111. Aus der neueren Forschung vgl. etwa A. van der Kooij, The Oracle of Tyre. The Septuagint of Isaiah XXIII as Version and Vision (VT.S 71), Leiden/Boston 1998, 40–47; A. Lemaire, Tarshish – Tarsisi. Problème de topographie historique biblique et assyrienne, in: G. Galil/M. Weinfeld (Hg.), Studies in Historical Geography and Biblical Historiography Presented to Zecharia Kallai (VT.S 81), Leiden/Boston/Köln 2000, 44–62; R. R. Lessing, Isaiah’s Use of Satire in His Tyre Oracle, SJOT 28 (2003) 89–112; A. M. Bagg, Die Orts- und Gewässernamen der neuassyrischen Zeit 1: Die Levante (BTAVO 7/1/1; RGTC 7/1), Wiesbaden 2007, 251, s. v. Tarsisi; F. Briquel-Chatonnet, Art. Taršiš, DBS XIV, 2008, 1–8, hier 6–7. 24 Vgl. etwa K. Galling, Der Weg der Phöniker nach Tarsis in literarischer und archäologischer Sicht, ZDPV 88 (1972) 1–18, hier 7; E. Lipiński, Art. taršîš, ThWAT 8, 1994–1995, 780– 781; Ders., Itineraria, 248–252.261–265; R. Rollinger, Assyria and the Far West. The Aegean World, in: E. Frahm (Hg.), A Companion to Assyria (Blackwell Companions to the Ancient World), Hoboken 2017, 275–285, hier 278–279; zurückhaltend auch J. N. Postgate, Art. Tarsos, RlA 13, 2011–2013, 466–467, hier 467. 25 Vgl. Lipiński, Itineraria, 226–231; C. López-Ruiz, Tarshish and Tartessos Revisited, in:
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Der aus paläographischen Gründen an das Ende des 9. Jahrhunderts v. Chr. zu datierende Nora-Stein26 aus dem südlichen Sardinien weist den ältesten epigraphischen Beleg für tršš auf. Der phönizische Text besagt in Übersetzung: 1 …
in /aus27 Tarschisch er wurde vertrieben 3 nach Sardinien. Si 4 cher ist er. Sich 5 er ist die Truppe der Kö 6 nigin. Bau, 7 den / an dem der ngr gebaut hat, 8 für Pumay. (KAI 46) 2 und
Auch wenn der Beginn der Inschrift fehlt, so ist doch klar, dass ein aus Tarschisch kommendes Schiff mit einer nicht namentlich bekannten Person nach Sardinien verschlagen worden war.28 Das Verschlagen eines Schiffes von Tarschisch nach Sardinien wird auf dem Hintergrund der Seerouten durch das Mittelmeer klar: Die Seeströmungen und Winde im Mittelmeerbecken erforderten eine Rückfahrt von Tartessos nach Osten durch die Meerenge von Gibraltar entlang der afrikanischen Küste und nicht an Sardinien vorbei.29 Das Schiff und seine Besatzung waren in Sicherheit (Z. 1–6a). Anschließend wird eine Baumaßnahme (nbn) des ngr, d. h. des für das Transportwesen und M. Dietler/C. López-Ruiz (Hg.), Colonial Encounters in Ancient Iberia. Phoenician, Greek and Indigenous Relations, Chicago 2009, 255–280; J. Day, Where was Tarshish?, in: I. Provan/M. J. Boda (Hg.), Let us Go up to Zion. Essays in Honour of H. G. M. Williamson on the Occasion of his Sixty-Fifth Birthday (VT.S 153), Leiden/Boston 2012, 359–369; Celestino Pérez, Tarteso, 48–53. 26 Zum Nora-Stein und seiner Inschrift vgl. W. F. Albright, New Light on the Early History of Phoenician Colonization, BASOR 83 (1941) 14–22, hier 17–22 (allerdings ist seine Lokalisierung von Tarschisch in Nora auf Sardinien abzulehnen); M. G. Guzzo Amadasi, Le iscrizioni fenicie dell’Occidente, Rom 1967, 84–86; Bunnens, Expansion, 30–41; E. Lipiński, Carthage et Tarshish, BO 45 (1988) 60–81, hier 63; Ders., Itineraria, 234–247; P. Schmitz, The Phoenician Diaspora. Epigraphic and Historical Studies, Winona Lake 2012, 15–31. Die Überlegungen bei A. del Castillo, Tarsis en la Estela de Nora. ¿un topónimo de Occidente?, Sefarad 63 (2003) 3–32, der Tarschisch in die Gegend des Roten Meeres verlegen möchte, sind hingegen nicht überzeugend. Ähnliches gilt auch für die älteren Arbeiten von U. Täckholm, Tarsis, Tartessos und die Säulen des Herakles, in: Opuscula Romana V (Skrifter Utgivna av Svenska Institutet i Rom XXIII), Lund 1965, 143–196, und Ders., Neue Studien zum Tarsis-Tartessos-Problem, in: Opuscula Romana X (Skrifter Utgivna av Svenska Institutet i Rom XXXIV), Stockholm 1974–1975, 41–57. 27 Zur Ambiguität der Präposition b als „in“ und „aus“ in den westsemitischen Sprachen vgl. R. Meyer, Gegensinn und Mehrdeutigkeit in der althebräischen Wort- und Begriffsbildung, UF 11 (1979) 601–612, bes. 606–610. 28 Anders ist das Verständnis der Nora-Inschrift bei Schmitz, Diaspora, 15–31, der überlegt, ob tršš nicht als Toponym, sondern als nautischer Terminus „Ruderboot“ aufzufassen sei. 29 Zu den Strömungen und Winden im Mittelmeerbecken s. zusätzlich zu Abb. 2 noch Cunliffe, Ocean, 41–48 mit Karte 2.4; zu den Seerouten der Phönizier vgl. ebd., 231, Karte 6.10, und s. u. die Angaben in Anm. 127.
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Abb. 2: Strömungen, Winde, Sichtkontaktzonen im Mittelmeerraum
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die Steuern Verantwortlichen,30 für den Gott Pumay erwähnt (Z. 6b–8). Hierbei kann es sich nur um Baumaßnahmen an einem Tempel bzw. um einen Tempelbau handeln. Der Assyrerkönig Asarhaddon (680–669 v. Chr.) berichtet auf einer Alabaster-Inschrift aus Assur von Kriegszügen und Beuteleistungen. Im Hinblick auf Tribute aus dem Westen heißt es: Ich schrieb allen Königen, die in der Mitte des Meeres sind, von Yadnāna (und) Jonia bis Tarsīsi; sie alle warfen sich mir zu Füßen. Ich nahm ihren schweren Tribut entgegen. (RINAP 4 no. 60, 9–11).31
Diese Inschrift ist deshalb von grundsätzlichem Interesse, da sie das geographische Wissen in Assur zur Zeit Asarhaddons zeigt. Dieses Wissen ist im Vergleich zum geographischen Wissen der Zeit davor von einer bedeutenden Ausweitung des Weltbildes nach Westen hin geprägt. Der Blick der Asarhaddon-Inschrift geht von Ost nach West und führt von Yadnāna (Zypern) über Ionien (Ägäis und das griechische Festland) bis hin nach Tarsīsi (Tartessos) weit in den Westen hinein.32 Die in Gen 10 vorliegende Völkertafel der Priestergrundschrift basiert auf einer anthropomorphen Geographie, die räumliche Beziehungen als Abstammung darstellt.33 In Gen 10,4 heißt es: Und die Söhne Jawans sind Elischa und Tarschisch, die Kittäer und die Rodaniter.
Übersetzt man dies in geographische Begriffe, so steht Jawan für Ionien und die Ägäis, Elischa für Alašiya, d. h. Zypern, und Tarschisch für Tartessos.34 Die Nen30 Zu diesem Amt vgl. L. Sassmannshausen, Funktion und Stellung der Herolde (nigir/ nāgiru) im Alten Orient, BaM 26 (1995) 85–194, besonders 158–160 zu seiner Funktion bei der Durchführung von Transporten. Speziell zu ngr in der Nora-Inschrift s. Lipiński, Itineraria, 240–241. 31 Der Text bei E. Leichty, The Royal Inscriptions of Esarhaddon, King of Assyria (680– 669 BC) (RINAP 4) Winona Lake 2011, 134–137, hier 135. 32 So auch Galling, Weg, 7; Koch, Tarschisch, 103–109; Lipiński, Art. taršîš, 780; Ders., Itineraria, 226–227; R. Rollinger, Überlegungen zur Frage der Lokalisation von Jawan in neuassyrischer Zeit, SAAB XVI (2007) 63–90, hier 72–89; Ders, Assyria, 278–279; R. Rollinger/K. Ruffing, World View and Perception of Space, in: N. Zenzen/T. Hölscher/K. Trampedach (Hg.), Aneignung und Abgrenzung. Wechselnde Perspektiven auf die Antithese von ‚Ost‘ und ‚West‘ in der griechischen Antike (Oikumene. Studien zur antiken Weltgeschichte 10), Heidelberg 2013, 93–161, hier 113–115; Celestino Pérez, Tarteso, 52; Day, Tarshish, 360. Nicht überzeugend ist die Interpretation der Inschrift bei A. del Castillo, Tarshish in the Asarhaddon Inscription and the Book of Genesis, BeO 46 (2004) 193–206, aufgrund seiner geographisch unzutreffenden Ansetzung von Tarschisch am Roten Meer. 33 So treffend H. Cancik, „Das ganze Land Het“. „Hethiter“ und die luwischen Staaten ˙ der Bundesrepublik Deutschland in der Bibel, in: Kunst- und Ausstellungshalle (Hg.), Die Hethiter und ihr Reich. Das Volk der 1000 Götter, Stuttgart 2002, 30–33, hier 32. 34 Immer noch grundlegend ist E. Dhorme, Les peuples issus de Japhet d’après le chapitre X de la Genèse, Syria 13 (1932) 28–49; vgl. auch E. Lipiński, Les Japhétites selon Gen 10,2–4 et 1 Chr 1,5–7, ZAH 3 (1990) 40–53, hier 50–52.
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nung der Kittäer und der Rodaniter, d. h. der Bewohner Zyperns und von Rhodos,35 verdankt sich – wie mehrfach gesehen – einem Nachtrag.36 Es ist bemerkenswert, dass die in Gen 10,4 anzutreffende Verbindung von Tarschisch mit Jawan sich bereits in der oben zitierten Alabaster-Inschrift des Assyrerkönigs Asarhaddon finden ließ. Allerdings wird in Gen 10,4 Tarschisch als einer der Söhne Jawans angeführt, worin sich die nach dem Untergang von Tyros im 6. Jahrhundert v. Chr. auswirkende griechische Kolonisation der südlichen Iberischen Halbinsel spiegelt.37 Von Interesse sind des Weiteren die Stellen im Alten Testament, die in der Version der Septuaginta das hebräische taršîš mit „Karthago“ widergeben. Dies ist damit zu erklären, dass mit Karthago nicht einfach die Stadt in Nordafrika gemeint ist, sondern das gesamte punische Gebiet der Iberischen Halbinsel.38 Auch dieser Vorgang weist wieder auf die Ansetzung von Tartessos auf der Iberischen Halbinsel hin und spricht deutlich gegen eine Identifikation von Tartessos mit dem kleinasiatischen Tarsos.
IV. Die Tartessos-Rezeption im Alten Testament Mit Gen 10,4 wurde bereits ein erster alttestamentlicher Text zur Tartessos-Rezeption vorgestellt.39 Im Folgenden soll es um dessen historischen Haftpunkt in der Geschichte Israels und um den Ausbau der Tartessos-Rezeption zu einer literarischen Landschaft im Alten Testament gehen. 35
Dazu auch Dhorme, Peuples, 46–49, und Lipiński, Japhétites, 52–53. So mit E. Zenger, Gottes Bogen in den Wolken (SBS 112), Stuttgart 1983, 194, und J. C. Gertz, Das erste Buch Mose (Genesis). Die Urgeschichte Gen 1–11 (ATD. Neues Göttinger Bibelwerk 1), Göttingen 2018, 296.309. Zur Rezeption und Weiterentwicklung des Tarschisch-Belegs von Gen 10,4 im ersten Buch der Chronik (1 Chr 1,7; 7,10) vgl. S. Japhet, 1 Chronik (HThKAT), Freiburg i. Br. / Basel/Wien 2002, 85–86.186–188 und T. Willi, Chronik. 1. Teilband: 1. Chronik 1,1 – 10,14 (BK XXIV/1), Neukirchen-Vluyn 2009, 28–29.31.252–253. Auf der Basis der Genesis- und Chronikbelege wird Tarschisch als Personenname gesehen; dies dürfte sich jedoch dem Konzept der anthropomorphen Geographie verdanken, so dass Tarschisch nie einen Bestandteil des hebräischen Onomastikons gebildet hat. Zudem beruht die Verwendung von Tarschisch als Personenname in Est 1,14 auf einer Verlesung bzw. einem Missverständnis altpersischer Namen; vgl. Lipiński, Art. taršîš, 781. 37 So auch Koch, Tartessos, 85–86, und Day, Tarshish, 364. 38 Jes 23,1.6.10.14; Ez 27,12.25; 38,13. Vgl. zu diesen Belegen Galling, Weg, 1, Anm. 1, und Lipiński, Itineraria, 253–260. 39 Zu Tarschisch im Alten Testament liegen bereits etliche Arbeiten vor. Vgl. neben der Vielzahl von Lexikonartikeln und etlichen Abhandlungen zu Einzelfragen etwa U. Täckholm, El concepto de Tarschisch en el Antiguo Testamento y sus problemas, in: Instituto de Arqueología y Prehistoria Universidad de Barcelona (Hg.), Tartessos y sus Problemas. V Symposium internacional de Prehistoria Peninsular, Barcelona 1969, 79–90; W. Tyloch, Le problème de Taršîš à la lumière de la philologie et de l’exégèse, in: M. Galley (Hg.), Actes du Deuxième Congrès International d’Étude des Cultures de la Méditerranée Occidentale II, 36
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1. Der historische Haftpunkt Die Bestimmung eines historischen Haftpunktes für die Handelsbeziehungen zwischen Juda/Israel und Tarschisch verläuft in der Forschung bis heute über den zweiten König von Juda, Salomo. Von diesem wird ausgesagt: Silber wurde in den Tagen Salomos gering geschätzt; denn der König hatte eine Tarschisch-Flotte auf dem Meer zusammen mit der Flotte Hirams. Einmal in drei Jahren kam die Tarschisch-Flotte und brachte Gold und Silber, Elfenbein und Affen und Pfauen (1 Kön 10,21b–22).
Etlichen Historikern zufolge ist hiermit der historische Ausgangspunkt für den phönizisch-judäischen Mittelmeerhandel gegeben.40 Es ist allerdings schon seit längerem gesehen worden, dass sich mit dieser Aussage diverse Probleme stellen. Zunächst ist König Salomo selbst das Problem. Dieser Sohn und Nachfolger Davids, des Begründers der judäischen Königsdynastie, ist als historische Persönlichkeit in der neueren historischen Forschung zur Geschichte Israels nur schwer in den Griff zu bekommen. Dies hängt damit zusammen, dass es im 10. Jahrhundert v. Chr. noch keine Annalistik in Jerusalem gab und Salomo außerdem im Unterschied zu seinem Vater David in keinem Text außerhalb des Alten Testaments genannt wird.41 Dass bedeutende Aktivitäten anachronistisch auf Salomo bezogen werden, findet sich auch sonst im Alten Testament: Man denke nur an die Aussagen über die Kupferverhüttung des Königs Salomo (1 Kön 7,46), die aus historischen Gründen in eine spätere Zeit zu transferieren sind.42 EbenAlgier 1978, 46–51; Bunnens, L’expansion, 57–91.331–334.346–347; J. Alvar, Aportaciones al estudio del Tarshish bíblico, RSF 10 (1982) 211–230; Koch, Tarschisch, 9–101; C. G. Wagner, Tartessos y las tradiciones literarias, RSF 14 (1986) 201–228; Briquel-Chatonnet, Taršiš, 1–3; Day, Tarshish. 40 So etwa bei Täckholm, Tarsis, 145–146; Galling, Weg, 11–15; Bunnens, Expansion, 57–66; Alvar, Aportaciones, 217–219; Koch, Tarschisch, 9–23; Ders., Überlegungen, 238–240; F. Briquel-Chatonnet, Les relations entre les cités de la côte phénicienne et les royaumes d’Israël et de Juda (OLA 46; Studia Phoenicia XII), Leuven 1992, 40–58; H. Donner, Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn in Grundzügen (GAT 4/2), Göttingen 1995, 245–247; H. J. Katzenstein, Some Reflections on the „Tarshish Ship“, in: E. Acquaro (Hg.), Alle Soglie della Classicità. Il Mediterraneo tra tradizione e innovazione. Studi in onore di Sabatino Moscati I. Storia e culture, Pisa/Rom 1996, 237–248, hier 244–245; J. Elayi, Histoire de la Phénicie, Paris 2013, 130–134; Cunliffe, Ocean, 217.227–228. 41 Zu Salomo in der neueren Forschung vgl. M. Liverani, Oltre la Bibbia. Storia antica di Israel, Bari/Rom 52006, 340–357.360–364, und die Beiträge in L. K. Handy (Hg.), The Age of Solomon. Scholarship at the Turn of the Millennium (SHCANE 11), Leiden/New York/Köln 1997. 42 Vgl. E. A. Knauf, King Solomon’s Copper Supply, in: E. Lipiński (Hg.), Phoenicia and the Bible. Proceedings of the Conference held at the University of Leuven on the 15th and 16th of March 1990 (OLA 44; Studia Phoenicia XI), Leuven 1991, 167–186; jetzt in: E. A. Knauf, Data and Debates. Essays in the History and Culture of Israel and Its Neighbors in Antiquity/Daten und Debatten. Aufsätze zur Kulturgeschichte des antiken Israel und seiner Nachbarn (AOAT 407), Münster 2013, 85–100; I. Finkelstein, Das vergessene Königreich. Israel und die verborgenen Ursprünge der Bibel, München 2014, 146; N. Naʼaman, Judah and Edom in the Book of
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so verweist die Erzählung vom Besuch der Königin von Saba (1 Kön 10,1–13) auf eine jüngere Zeit als die des Königs Salomo.43 Das zweite Problem ist mit Juda gegeben, da Juda während der gesamten Königszeit über keinen einzigen Mittelmeerhafen verfügte. Diese Häfen waren alle in der Hand der Philister bzw. des Königreichs Israel.44 Aus diesem Grund begegnet bezeichnenderweise in Ex 23,31 das Mittelmeer unter dem Namen „Philistermeer“ (yam pelištîm).45 Das dritte Problem stellt die Reihe der Handelsgüter dar: Mögen Gold und Silber aus Tarschisch stammen, so weisen Elfenbein und Affen46 eindeutig auf Afrika hin. Anstatt der zumeist übersetzten „Pfauen“ sind vielleicht Paviane gemeint,47 so dass auch hier ein Tier aus Afrika genannt wäre. Das vierte Problem stellt sich mit der Präsenz der Phönizier in Tartessos, da sich diese erst ab dem ausgehenden 9., eher aber ab dem 8. Jahrhundert v. Chr.48 festmachen lässt. König Salomo regierte jedoch in der Mitte des 10. Jahrhunderts v. Chr., so dass eine gemeinsame Tartessos-Flotte zusammen mit den Phöniziern in dieser Zeit nicht nachweisbar ist. Ein fünftes Problem ist gegeben mit der Nennung des Königs Hiram von Tyros, da ein Hiram in den Königsbüchern sowohl als König wie auch als Metallhandwerker von Tyros auftritt.49 Man hat den Eindruck, dass „Hiram“ für den Mann aus Tyros par excellence steht, jedoch nicht eine bestimmte historische Gestalt gemeint ist. Es kommt hinzu, dass, was die Geschichte von Tyros angeht, ein König Hiram I., der zur Zeit der Könige David und Salomo gelebt haben soll, Kings and in Historical Reality, in: R. I. Thelle et al. (Hg.), New Perspectives on Old Testament Prophecy and History. Essays in Honour of Hans M. Barstad (VT.S 168), Leiden/Boston 2016, 197–211, hier 201–205. 43 Vgl. J. Briend, Art. Sheba I. Dans la Bible, DBS XII, 1996, 1043–1046, hier 1045–1046; N. Naʼaman, Sources and Composition in the History of Solomon, in: L. K. Handy (Hg.), The Age of Solomon. Scholarship at the Turn of the Millennium (SHCANE 11), Leiden/New York/ Köln 1997, 57–80, hier 72–74; J. Retsö, The Arabs in Antiquity. Their history from the Assyrians to the Umayyads, London/New York 2003, 173–176; E. Lipiński, Toponymes et gentilices bibliques face à l’histoire (OLA 267), Leuven/Paris/Bristol 2018, 82–88. 44 Vgl. die Karte des Königreichs Juda in: Wittke/Olshausen/Szydlak (Hg.), Atlas, 45. 45 Dieser Sachverhalt liegt auch Zeph 2,4–6 zugrunde. 46 Der Bezug von Affen aus Afrika ist sonst aus assyrischen Quellen seit Tiglath-Pilesar I. (1115–1076 v. Chr.) bekannt; als Vermittler kommen wohl nur die Phönizier in Frage. Vgl. dazu G. Bunnens, Le luxe phénicien d’après les inscriptions royales assyriennes, in: E. Lipiński (Hg.), Phoenicia and Its Neighbours. Proceedings of the Colloquium held on the 9th and 10th of December 1983 at the „Vrije Universiteit Brussel“, in cooperation with the „Centrum voor Myceense en Archaïsch-Griekse Cultuur“ (Studia Phoenicia III), Leuven 1985, 121–133, besonders 124.126.129–130. 47 So mit M. Noth, Könige. 1. Teilband: I Könige 1–16 (BK IX/1), Neukirchen-Vluyn 21983, 205. 48 Zu den Phöniziern in Tartessos s. o. die in Anm. 11 genannte Literatur. 49 Zum König Hiram vgl. 2 Sam 5,11; 1 Kön 5,15–26; 9,10–14.26–28; 10,11.22; 2 Chr 2,2–15; 8,17–18; zum Metallhandwerker Hiram vgl. 1 Kön 7,13–46 und 2 Chr 2,6–16, wo er als HiramAbi begegnet.
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nur aus alttestamentlichen Angaben rekonstruierbar ist. Phönizische Quellen zur Existenz dieses Königs lassen sich nicht beibringen.50 Andererseits ist zu sehen, dass der Anwendung des Tarschisch-Themas auf König Salomo in 1 Kön 10,22 ein weisheitliches Motiv zugrunde liegt: Zum weisen König Salomo gehört, dass er auch wirtschaftlichen Erfolg verzeichnen konnte, ein Erfolg, der später König Joschafat versagt blieb (1 Kön 22,49–50; 2 Chr 20,35–37).51 Alles in allem muss man davon ausgehen, dass es zur Zeit König Salomos von Jerusalem im 10. Jahrhundert v. Chr. einen phönizisch-judäischen Mittelmeerhandel nicht gegeben hat. Jedoch darf man nicht übersehen, dass dem Text von 1 Kön 10,21b˗22 trotz aller vorgebrachter Argumente eine particula veri zugrunde liegt. Diese particula veri ist gegeben mit der gemeinsamen Handelsaktivität zwischen Israel/ Juda auf der einen und Tyros auf der anderen Seite. Mit der Nennung von Tyros ist somit der Lösungsweg vorgezeichnet, wenn man nach einem historischen Haftpunkt für derartige Aktionen fragt. Dabei kommt man allerdings mit dem 8. Jahrhundert v. Chr. in eine etwas spätere Zeit und man muss gleichzeitig den geographischen Fokus von Jerusalem in die Hauptstadt des Königreiches Israel, Samaria, verschieben. Im Unterschied zur Zeit des Königs Salomo gab es mittlerweile eine Annalistik am Königshof von Samaria, der wir – trotz aller Veränderungen durch die Deuteronomisten Jerusalems – einige entscheidende Informationen verdanken, die sich zusammen mit den Angaben aus der zeitgenössischen archäologischen Befundlage und Epigraphik zu einem plausiblen Bild verdichten. Das 8. Jahrhundert v. Chr. stellt die größte Blütezeit des Königreiches Israel dar. Aus dieser Epoche ist vor allem die lange Herrschaftszeit Jerobeams II. von Israel (787–747 v. Chr.) anzusprechen.52 In dieser Zeit sind zudem die 50 Zum
Thema Salomo und Hiram vgl. E. Lipiński, Hiram of Tyre and Solomon, in: A. Lemaire/B. Halpern (Hg.), The Books of Kings. Sources, Composition, Historiography and Reception (VT.S 129), Leiden/Boston 2010, 251–272; H. Niehr/P. Merlo, Art. Hiram, in: A. Ercolani/P. Xella (Hg.), Encyclopaedic Dictionary of Phoenician Culture I. Historical Characters, Leuven/Paris/Bristol 2018, 126–127; Dies., Art. Solomon, ebd., 234. 51 Vgl. dazu T. Forti/D. A. Glatt-Gilad, At the Intersection of Intellect and Insolence. The Historical Significance of Solomon’s and Jehoshaphat’s „Tarshish Ships“ in the Light of a Wisdom Motif, in: A. Baruch-Unna et al. (Hg.), „Now It Happened in Those Days“. Studies in Biblical, Assyrian, and Other Ancient Near Eastern Historiography Presented to Mordechai Cogan on His 75th Birthday 1, Winona Lake 2017, 67–80. Zur Weisheit des Königs Salomo vgl. noch L. Kalugila, The Wise King. Studies in Royal Wisdom as Divine Revelation in the Old Testament and Its Environment (CB OTS 15), Lund 1990, 106–122. 52 Zur Zeit Jerobeams II. vgl. etwa Donner, Geschichte, 312–314; S. Hasegawa, Aram and Israel during the Jehuite Dynasty (BZAW 434), Berlin 2012, 123–147; Finkelstein, Königreich, 149–162; H. Niehr, The Relations between the Kingdoms of Hamath and Israel (10th to 8th Centuries BCE), in: A. Berlejung/A. Maeir (Hg.), Dependency and Autonomy in Intercultural Relations. Israel and Aram as a Case Study (ORA 34/RIAB 1), Tübingen 2019, 391–412 und
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Beziehungen zwischen Samaria und Tyros sehr gut gewesen. Ihren Anfang hatten diese guten Beziehungen bereits mit diplomatischen Beziehungen während der Zeit der omridischen Dynastie (z. B. der Heirat des Ahab mit Isebel von Sidon; 1 Kön 16,31) genommen; ebenso lassen sich Kulturkontakte, die auf kunstgeschichtlicher Ebene z. B. in den Elfenbeinarbeiten und ebenso in der Architektur des Königreiches Israel bemerkbar sind, ausmachen.53 Diese von den Omriden etablierten Kontakte mit den Phöniziern des südlichen Libanon setzten sich trotz der Revolution des Jehu bis in das 8. Jahrhundert v. Chr. fort. Als der assyrische König Adad-Nirari III. (811–783 v. Chr.) in den Jahren 803 und 796 v. Chr. zwei Feldzüge gegen Damaskus unternahm, führte dies in den letzten Jahren des Königs Hazael (840–803 v. Chr.) und während der Anfangszeit seines Nachfolgers, Bar-Hadad II. (ca. 803–775 v. Chr.) zu einem stetig anwachsenden assyrischen Druck auf das Königreich von Aram.54 Aus dieser Notlage von Damaskus zog Jerobeam II. von Israel seinen Vorteil. Israel wuchs zu einer neuen Größe an, die selbst die Omriden nicht erreicht hatten.55 Aus diesem Grund kann das Alte Testament über Jerobeam II. schreiben: Er war es, der das Gebiet Israels von Lebo-Hamath bis zum Meer der Arabah wieder herstellte. (2 Kön 14,25; vgl. Am 6,14)
Der genaue Grenzverlauf im Norden ist deshalb klar, da Lebo-Hamath, welches sich im modernen arabischen Ort namens Labweh wiederfindet, eine Ortslage in der nördlichen Beqa῾ darstellt. Diese Stadt wird in assyrischen Quellen auch als Laba᾽um bezeichnet.56 Das Meer der Arabah meint das Tote Meer, so dass hier die Artikel in: I. Finkelstein/K. Schmid (Hg.), Jeroboam, Hebrew Bible and Ancient Israel 6 (2017) 259–382. 53 Zu den Beziehungen zwischen Tyros und Israel vgl. Briquel-Chatonnet, Relations, 59–180; R. Liwak, Art. Phönizien und Israel, TRE 26 (1996) 581–586; jetzt in: R. Liwak, Israel in der Alten Welt. Gesammelte Studien zur Kultur- und Religionsgeschichte des Alten Israel, hg. von D. Pruin und M. Witte (BZAW 444), Berlin 2013, 152–162; M. Witte/J. Diehl (Hg.), Israeliten und Phönizier. Ihre Beziehungen im Spiegel der Archäologie und der Literatur des Alten Testaments und seiner Umwelt (OBO 235), Freiburg i. Ue. / Göttingen 2008. 54 Zu diesen beiden Feldzügen vgl. A. O. 104.6,11–20; 104.7,4–8; 104. 8,15.21; die Inschriften bei A. K. Grayson, Assyrian Rulers of the Early First Millennium BC II (858–745 BC) (RIMAP 3), Toronto 1996, 208–209.211.213. Generell zu den Feldzügen Adad-Niraris III. vgl. M. Weippert, Die Feldzüge Adadnararis III. nach Syrien. Voraussetzungen, Verlauf, Folgen, ZDPV 108 (1992) 42–67, und A. M. Bagg, Die Assyrer und das Westland. Studien zur historischen Geographie und Herrschaftspraxis in der Levante im 1. Jt. v. u. Z. (OLA 216), Leuven/Paris/Walpole 2011, 205–211 und Karte 4.15. 55 Vgl. dazu I. Finkelstein, Stages in the Territorial Expansion of the Northern Kingdom, VT 61 (2011) 227–242, bes. 240–242; Ders., Königreich, 123–127; Ders., A Corpus of North Israelite Texts in the Days of Jeroboam II?, in: Finkelstein/Schmid (Hg.), Jeroboam, 262–289, besonders 264–268; O. Sergi, The United Monarchy and the Kingdom of Jeroboam II in the Story of Absalom and Sheba’s Revolts (2 Samuel 15–20), Hebrew Bible and Ancient Israel 6 (2017) 329–353, bes. 335–342. 56 Vgl. W. Röllig, Art. Labaʼum, RlA 6, 1980–1983, 410.
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das Jordantal bis hin nach Jericho in den Fokus kommt.57 Zudem stand dem Königreich Israel zur Zeit Jerobeams II. im Unterschied zum Königreich Juda mit Dor eine Hafenstadt als Ausgangsort für den Mittelmeerhandel zur Verfügung.58 Zur Zeit Jerobeams II. regierte in Jerusalem König Azarja (Ussia) von Juda (ca. 773–736 v. Chr.). Dieser hatte die Hafenstadt Elat am Roten Meer wieder dem Königreich Juda hinzugefügt und sie wiederaufbauen lassen (2 Kön 14,22). Aus diesem Grund richtete Jerobeam II. zusammen mit Azarja den Handel mit Ostafrika, Ophir und Ägypten ein59 und legte dafür seinerseits die Handelsstation Kuntillet ῾Ağrud im Negev an.60 Es ist kein Zufall, dass sich in Kuntillet῾Ağrud vor allem hebräisch-israelitische und phönizische Inschriften fanden,61 die einen wichtigen Blick auf die israelitisch-phönizische Handelskooperation nach dem Süden hin gestatten.62 So wie Tyros Jerobeam II. am Mittelmeerhandel bis hin nach Tartessos teilhaben ließ, so ließ Jerobeam II. seinerseits Tyros am Handel mit den Regionen im Süden partizipieren.63 Auf der literarischen Ebene des Alten Testaments erwuchs aus den handelspolitischen Aktivitäten Jerobeams II. mit Tarschisch und Ophir eine kombinierte Darstellung von beiden Gegebenheiten. Dies zeigen neben den König Salomo zugeschriebenen Handelsaktivitäten (1 Kön 10,21b–22) auch einige weitere Stel57 Vgl.
Donner, Geschichte, 313. Vgl. die Karten des Königreichs Israel in: Wittke/Olshausen/Szydlak, Atlas, 44–45, und bei Finkelstein, Königreich, 93, Abb. 18 sowie ebd., 126. 59 Vgl. A. Lemaire, Les Phéniciens et le commerce entre la Mer Rouge et la Mer Méditerranée, in: E. Lipiński (Hg.), Phoenicia and the East Mediterranean in the First Millennium B. C. (OLA 22; Studia Phoenicia V), Leuven 1987, 49–60; N. Na᾽aman, Azariah of Judah and Jeroboam II of Israel, VT 43 (1993) 227–234; Ders., Judah, 209–210. 60 Zur Gründung von Kuntillet ῾Ağrud durch Jerobeam II. vgl. N. Na᾽aman, The Inscriptions of Kuntillet ῾Ajrud through the Lens of Historical Research, UF 43 (2011) 291–324, besonders 313; Ders., Judah, 209; I. Finkelstein, Notes on the Historical Setting of Kuntillet ῾Ajrud, in: B. B. Schmidt (Hg.), Kuntillet ῾Ajrud: Iron Age Inscriptions and Iconography, Maarav 20/1 (2013) 13–25, besonders 15–17.22; Ders., Königreich, 158–159.170–171; H. Niehr, Kuntillet ῾Ajrud and the Networks of Phoenician Trade, in: B. B. Schmidt (Hg.), Kuntillet ῾Ajrud: Iron Age Inscriptions and Iconography, Maarav 20/1 (2013) 27–38, hier 29–31; zu Kuntillet ῾Ağrud als königlicher Gründung vgl. T. Ornan, The Drawings and Wall Paintings of Kuntillet ῾Ajrud Revisited, TA 43 (2016) 3–26, hier 8. Zu den Funden und Befunden von Kuntillet ῾Ağrud vgl. Z. Meshel (Hg.), Kuntillet ῾Ajrud (Horvat Teman). An Iron Age II Religious Site on the Judah-Sinai-Border, Jerusalem 2012. ˙ 61 Zu den Inschriften aus Kuntillet ῾Ağrud vgl. S. Ahituv/E. Eshel/Z. Meshel, The In˙ scriptions, in: Meshel (Hg.), Kuntillet ῾Ajrud, 73–152; E. Blum, Die Wandinschriften 4.2 und 4.6 sowie die Pithos-Inschrift 3.9 aus Kuntillet ῾Ağrud, ZDPV 129 (2013) 21–54; A. Lemaire, Remarques sur les inscriptions phéniciennes de Kuntillet ῾Ajrud, Sem 55 (2013) 83–99; Ders., The Kuntillet ῾Ajrud Inscriptions Forty Years after Their Discovery, in: I. Finkelstein/C. Robin/T. Römer (Hg.), Alphabets, Texts and Artifacts in the Ancient Near East. Studies Presented to Benjamin Sass, Paris 2016, 196–208. 62 Zu Israeliten und Phöniziern in Kuntillet ῾Ağrud vgl. B. Mastin, Who Built and Who Used the Buildings at Kuntillet ῾Ajrud?, in: J. K. Aitken et al. (Hg.), On Stone and Scroll. Essays in Honour of Graham Ivor Davies (BZAW 420), Berlin/New York 2011, 69–85. 63 Vgl. dazu Niehr, Kuntillet ῾Ajrud, 32–36. 58
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len.64 Außerhalb des Alten Testaments ist ein hebräisches Ostrakon vom Handelsplatz Tel Qasile, welches auf das Ende des 8. Jahrhunderts datiert wird, anzuführen, da auf diesem „Gold aus Ophir“ genannt wird.65 Angesichts der Expansion Israels unter Jerobeam II. und der guten Kontakte zu Tyros auf der einen Seite und der phönizischen Präsenz in Tartessos ab dem ausgehenden 9. bzw. dem beginnenden 8. Jahrhundert v. Chr. auf der anderen Seite dürfte klar sein, dass sich Jerobeam II. und seine Zeit als historischer Haftpunkt für die in Zusammenarbeit mit Tyros verlaufenden Handelsbeziehungen zwischen Israel und Tartessos anbieten. Es kommt hinzu, dass zur Zeit des Königs Jerobeam II. in Tyros ein Mann mit dem Namen Hiram auf dem Thron saß. Es handelt sich hierbei um König Hiram II. (ca. 784–761 v. Chr.).66 Auf diesem Hintergrund wird auch die Übertragung auf die Zeit des Salomo deutlich. Die alttestamentlichen Autoren versuchten auf Kosten der Könige Israels die Zeit des Königs Salomo prachtvoller auszugestalten und schrieben deshalb Salomo Aspekte des internationalen Handels zu, die erst von späteren Königen so betrieben worden sind. Dieses Procedere einer Aufwertung der Gestalt König Salomos unter Heranziehung bzw. Übertragung von Ereignissen und Gegebenheiten aus der Zeit Jeroboams II. lässt sich auch festhalten für den Ausbau der Königsstädte Hazor, Megiddo und Gezer (1 Kön 9,15–17), den Pferdebesitz und -handel Salomos (1 Kön 10,26–29; 2 Chr 9,25) und die Behauptung einer gemeinsamen Grenze seines Königreichs mit Tyros (1 Kön 9,11–13).67 Insofern ist es auch nicht weiter erstaunlich, dass in der von den Deuteronomisten bearbeiteten Quelle über Jerobeam II. in 2 Kön 14,23–29 alle Hinweise auf den zusammen mit Tyros betriebenen Tartessos-Handel Israels fehlen, da dieses bedeutende wirtschaftsgeschichtliche Ereignis bereits für König Salomo in Anspruch genommen worden war. 2. Handel und Handelsgüter Der Überseehandel mit Tartessos seitens der Phönizier und der Israeliten war auf Häfen und Schiffe angewiesen. Was die Häfen betrifft, so sind neben dem 64
Vgl. Jer 10,9; Ps 72,10; Dan 10,5–6 (hier ist Ophirgold zu lesen). J. Renz/W. Röllig, Handbuch der althebräischen Epigraphik I, Darmstadt 1995, 229–231. 66 Zu Hiram II. von Tyros vgl. Katzenstein, History, 204–219; Lipiński, Carthage, 63; Ders., Itineraria, 46–48; Niehr/Merlo, Art. Hiram; Elayi, Histoire, 154–155, hat diesen König übersehen. 67 Zu diesen diversen Themenblöcken vgl. z. B. D. O. Cantrell/I. Finkelstein, A Kingdom for a Horse. The Megiddo Stables and Eighth Century Israel, in: I. Finkelstein/D. Ussishkin/B. Halpern (Hg.), Megiddo IV. The 1998–2002 Seasons (Tel Aviv University Institute of Archaeology Monograph Series 24), Tel Aviv 2006, 643–665; Naʼaman, Judah, 67–72; Finkelstein, Corpus, 283–286, bes. 286; E. A. Knauf, Jeroboam ben Nimshi. The Biblical Evidence, Hebrew Bible and Ancient Israel 6 (2017) 290–307, besonders 300–304. 65 Vgl.
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schon genannten Hafen Dor in Israel die Häfen von Tyros anzusprechen. Die Stadt verfügte über einen Nord- und einen Südhafen, die bei jedem Wetter angelaufen werden konnten. Beide Häfen sind in den letzten Jahren archäologisch erforscht worden.68 Die hochseetauglichen Schiffe werden im Alten Testament nach ihrem westlichen Zielort Tarschisch-Schiffe genannnt.69 Dabei lässt sich eine semantische Verschiebung der Terminologie beobachten, da unter die Kategorie der Tarschisch-Schiffe nicht nur Schiffe mit dem Zielort Tarschisch fallen, sondern mehrfach deutlich wird, dass Tarschisch-Schiffe auch nach Ophir, d. h. nach Ostafrika fuhren.70 Der Ausgangshafen dieser Schiffe war Ezion-Geber, das entweder mit der Insel Ezion-Geber (Gezirat Firaun) im Roten Meer71 oder mit dem Tell el-Kheleife, dem Hafen am Roten Meer, identifiziert wird.72 Somit hatte im Laufe der Zeit der Terminus „Tarschisch-Schiff “ die allgemeine Bedeutung von „hochseetauglichem Schiff “ angenommen und war nicht ausschließlich auf die Mittelmeerflotte anwendbar.73 Die Abschnitte zur Region Tartessos (s. o. II.) sowie zum historischen Haftpunkt des Tartessos-Handels im Alten Testament (s. o. IV. 1.) gaben als Handelsgüter, die von Tartessos in die Levante gelangten, diverse Metalle an: Kupfer, Silber, Gold und Eisen. Genau diese Objekte zählt auch das Alte Testament immer wieder auf bzw. sie begegnen als Fracht der Tarschisch-Schiffe (1 Kön 10,22; Jer 10,9). Dazu kommen dem Alten Testament zufolge noch Zinn und Blei (Ez 27,12).74 Zum Silber als Handelsgut aus Tartessos liegt außerhalb des Alten Testaments ein Beleg auf einem hebräischen Ostrakon vor. Hier wird Silber aus Tarschisch 68 Vgl. die Beiträge in C. Morhange/M. Saghieh-Beydoun (Hg.), La Mobilité des Paysages. Portuaires Antiques du Liban (BAAL. Hors Série II), Beyrouth 2005, 45–132. 69 Vgl. 1 Kön 10,22; 22,49–50; Jes 2,16; 23,1.14; 60,9; Ez 27,25; Ps 48,8; 2 Chr 9,21; 20,36–37. Zu den Tarschisch-Schiffen vgl. etwa Täckholm, Tarsis, 146–154.160–166; Katzenstein, Reflections; Koch, Tarschisch, 9–60, und generell zur Schiffsthematik in der alttestamentlichen Literatur J. Middlemas, Ships and Other Seafaring Vessels in the Old Testament, in: I. Provan/M. J. Boda (Hg.), Let us Go up to Zion. Essays in Honour of H. G. M. Williamson on the Occasion of his Sixty-Fifth Birthday (VT.S 153), Leiden/Boston 2012, 407–421. 70 Zu Ophir und der Diskussion seiner Lokalisierung vgl. etwa G. Ryckmans, Art. Ophir, DBS XVI (1960) 744–751, und H. von Wissmann, Art. Ōphīr und Hawīla (Ma῾mal und ˙ Haulān), das westarabische Goldland, Dedan und Hegra, Paulys Real-Encyclopädie der classi˘ schen Altertumswissenschaft. Supplementband 12, 1970, 906–980. Die hingegen von Lipiński, Itineraria, 191–201, und Ders., Hiram, 266–267, vertretene Ansetzung von Ophir in Libyen trifft nicht zu. 71 Vgl. dazu M. Weippert, Archäologischer Jahresbericht, ZDPV 82 (1966) 274–330, besonders 279–281, und J. Bartlett, „Ezion-Geber, which is near Elath on the Shore of the Red Sea“ (I Kings IX 26), in: A. S. van der Woude (Hg.), In Quest of the Past. Studies on Religion, Literature and Prophetism (OTS 26), Leiden 1990, 1–16, besonders 1–10. 72 Vgl. dazu Finkelstein, Notes, 23–25. 73 Vgl. auch Koch, Tarschisch, 14–18, und Lipiński, Art. taršîš, 781. 74 In Ez 27,12 ist vom Handel mit Tyros die Rede.
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genannt, welches für den Tempel bestimmt sei.75 Allerdings stellen sich Fragen in Bezug auf die Echtheit dieses im Handel erworbenen Ostrakons.76 Sodann nennt das Alte Testament Edelsteine, die unter der Bezeichnung „Tarschisch“ laufen.77 Dies hängt damit zusammen, dass in der Tat Edelsteine aus Tartessos nach Israel verhandelt wurden.78 Vergleichbar mit dieser Sprachpraxis der Benennung eines Handelsobjektes nach seinem Herkunftsland ist z. B. in der Antike die Bezeichnung von Papyrus als biblos in Griechenland nach seinem Hauptumschlagshafen Byblos im Libanon oder in der Neuzeit die Bezeichnung von Kaffee als „Mocca“ nach der yemenitischen Hafenstadt al-Muha oder ˘ der englische Terminus „china“ für „Porzellan“. In all diesen Fällen wird entweder der Hauptumschlagshafen bzw. das Herkunftsland eines Exportprodukts als Name für dieses Produkt verwendet. Diese Benennung wird mangels eines eigenen Namens hierfür im Ankunftsland vorgenommen. Was den Tarschisch-Edelstein angeht, so ist mineralogisch gesehen der Edelstein, der dafür in Frage kommt, der gelbe Topas (auch Citrin genannt), dessen Vorkommen bei Córdoba gesichert ist.79 Die Widergabe des Tarschisch-Edelsteins in der Septuaginta divergiert an einigen Stellen. So begegnen etwa ἂνθραξ bzw. χρυσόλιθοϛ.80 Allerdings helfen diese griechischen Termini nicht weiter zur genaueren mineralogischen Bestimmung dieses aus Tarschisch in die Levante exportierten Edelsteins. Diese Tarschisch-Edelsteine begegnen im Alten Testament in zwei benachbarten Kontexten. Zum einen treten sie zusammen mit anderen Edelsteinen als Teile des hohepriesterlichen Pektorales im Exodusbuch auf,81 zum anderen bilden sie ebenfalls mit anderen Edelsteinen den Schmuck der Räder des JahweThronwagens in den Visionen des Buches Ezechiel.82 Des Weiteren begegnen im Ezechielbuch Tarschisch-Edelsteine im Orakelspruch gegen den König von 75 Vgl. P. Bordreuil/F. Israel/D. Pardee, Deux ostraca paléo-hébreux de la Collection Sh. Moussaïeff, Sem 46 (1996) 51–76, hier 51–61, und Dies., King’s Command and Widow’s Plea. Two New Hebrew Ostraca of the Biblical Period, NEA 61 (1998) 2–13, hier 2–7. 76 Vgl. A. Berlejung/A. Schüle, Erwägungen zu den neuen Ostraka aus der Sammlung Moussaïeff, ZAH 11 (1998) 68–73, und I. Eph῾al/J. Naveh, Remarks on the Recently Published Moussaieff Ostraca, IEJ 48 (1998) 269–273, die das Ostrakon als Fälschung ansehen. 77 Vgl. Ex 28,20; 39,13; Ez 1,16; 10,9; 28,13; Hld 5,14; Dan 10,6. 78 Vgl. Galling, Weg, 11; Lipiński, Art. taršîš, 779; W. Zwickel, Die Edelsteine im Brustschild des Hohenpriesters und beim himmlischen Jerusalem, in: Ders. (Hg.), Edelsteine in der Bibel, Mainz 2002, 50–70, hier 61. 79 Vgl. Lipiński, Art. taršîš, 780, und Zwickel, Edelsteine, 61. 80 Vgl. Lipiński, Art. taršîš, 779–780 zur Übersicht der alten Übersetzungen. 81 So in Ex 28,20 und 39,13. Vgl. dazu etwa A. Hermann, Art. Edelsteine, RAC 4 (1959) 505–552, hier 515–518, und C. Nihan, Le pectoral d’Aaron et la figure du grand-prêtre dans les traditions sacerdotales du Pentateuque, in: L. C. Jonker/G. R. Kotzé / C. M. Maier (Hg.), Congress Volume Stellenbosch 2016 (VT.S 177), Leiden/Boston 2017, 23–55, hier 33–40. 82 So in Ez 1,16 und 10,9. Vgl. dazu O. Keel, Jahwe-Visionen und Siegelkunst. Eine neue Deutung der Majestätsschilderungen in Jes 6, Ez 1 und 10 und Sach 4 (SBS 84/85), Stuttgart 1977, 263–267.
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Tyros.83 Darüber hinaus wird in einer Vision des Danielbuches der Leib eines himmlischen Wesens als einem taršîš-Stein gleichend geschildert (Dan 10,6); ebenso werden im Hohenlied die Hände des Geliebten als mit Steinen aus Tarschisch besetzt beschrieben (Hld 5,14). Dies alles berechtigt aber noch nicht dazu, den Herkunftsort dieser Edelsteine, Tartessos, als „Schatzinsel“ o. ä. zu bezeichnen, wie es verschiedentlich in der Forschung vorgeschlagen worden war, ohne aber wirklich rezipiert worden zu sein.84 Die Kehrseite der Handelsbeziehungen der Levante mit der Iberischen Halbinsel und den damit verbundenen Luxusgütern besteht darin, dass die Kaufleute, die Tarschisch-Schiffe und die Stadt Tyros des Hochmuts gescholten und mit dem Untergang bedroht werden. Dies zeigt sich neben den entsprechenden Passagen in Jes 2,6–2285 und in Ez 2786 vor allem in der in Jes 23 vorliegenden Prophetie über Tyros, in der Tyros im Wesentlichen unter dem Aspekt seiner überseeischen Beziehungen zu Tarschisch und zu Zypern gesehen und getadelt wird.87 Eine Besonderheit von Jes 23 besteht in der in V. 10 vorliegenden Bezeichnung bat taršîš („die Tochter Tarschisch“), die im gesamten Alten Testament nur hier belegt ist.88 Aufgrund der textkritischen Schwierigkeiten des Verses wird die bat taršîš gelegentlich zugunsten einer anderen, wenn auch nicht überzeugenden, Lesung aufgegeben.89 Hiergegen wurde zu Recht Widerspruch laut.90 Im Kontext der Drohrede gegen Tyros wird das Iberische Tarschisch als „Tochter“, 83
Ez 28,11–19. Vgl. dazu Nihan, Pectoral, 40–46. etwa vorgeschlagen von M. Görg, Ophir, Tarschisch und Atlantis. Einige Gedanken zur symbolischen Topographie, BN 15 (1981) 76–86, hier 81–82. C. H. Gordon, The WineDark-Sea, JNES 37 (1981) 51–52, will Tarschisch im Hinblick auf die offene See verstehen, da er in dem Ortsnamen eine ursprüngliche Farbbezeichnung erblickt. 85 Zu Text und Auslegung vgl. etwa H. Wildberger, Jesaja. 1. Teilband: Jesaja 1–12 (BK X/1), Neukirchen-Vluyn 21980, 91–115, und W. A. M. Beuken, Jesaja 1–12 (HThKAT), Freiburg i. Br. / Basel/Wien 2003, 97–106. 86 Zu Text und Auslegung vgl. etwa M. Saur, Der Tyroszyklus des Ezechielbuchs (BZAW 386), Berlin/New York 2008. 87 Zu Text und Auslegung von Jes 23 vgl. etwa H. Wildberger, Jesaja. 2. Teilband: Jesaja 13–27 (BK X/2), Neukirchen-Vluyn 1978, 853–884; W. A. M. Beuken, Jesaja 13–27 (HThKAT), Freiburg i. Br. / Basel/Wien 2007, 284–309; A. Hagedorn, Tyre and the Mediterranean in the Book of Isaiah, in: I. Provan/M. J. Boda (Hg.), Let us Go up to Zion. Essays in Honour of H. G. M. Williamson on the Occasion of His Sixty-Fifth Birthday (VT.S 153), Leiden/Boston 2012, 127–142. Zur LXX‑Version von Jes 23 vgl. A. van der Kooij, The Oracle of Tyre. The Septuagint of Isaiah XXIII as Version and Vision (VT.S 71), Leiden/Boston/Köln 1998. Die ebd., 40–47, angestellten Überlegungen zu Tarschisch sind jedoch einseitig von der LXX‑Perspektive bestimmt und werden der historischen und geographischen Realität von Tarschisch nicht gerecht. 88 Zur Formation bat + geographische Bezeichnung vgl. allgemein D. W. Dobbs-Allsopp, The Syntagma of bat Followed by a Geographical Name in the Hebrew Bible. A Reconsideration of Its Meaning and Grammar, CBQ 57 (1995) 451–470. 89 So etwa bei Wildberger, Jesaja I, 854.857. 90 So etwa bei Koch, Tarschisch, 67, Anm. 14. Zur textkritischen Diskussion vgl. bes. 84 So
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d. h. als Filialgründung angesprochen, so wie im selben Text auch das von Tyros unterworfene Sidon als „Tochter“ begegnet (V. 12). 3. Tarschisch als Element der literarischen Landschaft des Alten Testaments Über die Daten der Wirtschaftsgeschichte hinaus, die für die Klärung des historischen Haftpunktes der Tartessos-/Tarschisch-Rezeption in der Zeit König Jerobeams II. wichtig sind, zeigt das Alte Testament in seiner poetischen Literatur, d. h. in den Psalmen und in den prophetischen Büchern, ebenfalls ein Interesse an Tarschisch. Dass und wie Tarschisch einen Bestandteil der literarischen Landschaft des Alten Testaments bildet, wird in denjenigen Texten deutlich, die Tarschisch in den Rahmen des alttestamentlichen Weltbilds einordnen. Über das alttestamentliche bzw. das altorientalische Weltbild ist vielfach geschrieben worden.91 Wichtig für den vorliegenden Artikel ist dabei der in der Forschung häufig übersehene Aspekt der horizontalen Ebene des Weltbildes, der zugunsten der Vertikale, die den Konnex von Himmel und Erde betont, gerne vernachlässigt wird. Aber nur auf der horizontalen Ebene sind der den Menschen umgebende Lebensraum und sein Raumverständnis zu erfassen.92 Die entscheidenden Faktoren für das Interesse an Tarschisch in der poetischen Literatur des Alten Testaments sind gegeben mit der Lage von Tarschisch am äußersten Westen der bekannten Welt und dem damit gegebenen Gegenpol zum Osten. Diese Sicht auf die Welt lässt Jerusalem in die geographische Mitte zwischen Mesopotamien und der Iberischen Halbinsel, und damit ins Zentrum der Welt rücken. Dazu kommt als weiteres Element der Reichtum und die Exotik, die die Nennung von Tarschisch im Alten Testament aufgrund der damit verbundenen Handelstradition mit sich bringt. So wird die geographische Ausdehnung der Herrschaft des idealen Königs von Jerusalem mit folgenden Aussagen gekennzeichnet: Und er herrsche von Meer zu Meer und vom Strom bis an die Enden der Erde. Vor seinem Angesicht sollen sich beugen die Bewohner der Wüste,93 D. Barthelémy, Critique Textuelle de l’Ancien Testament. 2. Isaïe, Jérémie, Lamentations (OBO 50/2), Freiburg i. Ue. / Göttingen 1986, 167–170. 91 Vgl. etwa die Beiträge in: B. Janowski/B. Ego (Hg.), Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kontexte (FAT 32), Tübingen 2001. 92 Dazu B. Pongratz-Leisten, Ina Šulmi Īrub. Die kulttopographische und ideologische Programmatik der akītu-Prozession in Babylonien und Assyrien im I. Jahrtausend v. Chr. (BaF 16), Mainz 1994, 7–36, und Dies., Mental Map und Weltbild in Mesopotamien, in: Janowski/ Ego (Hg.), Das biblische Weltbild, 261–279, besonders 272–276. Zur politischen und wirtschaftlichen Raumkonzeption des Assyrerreichs vgl. Liverani, Assiria, 35–74. 93 Zu diesem Verständnis von sî vgl. H.‑P. Müller, Art. sî, ThWAT 6, 1987–1989, 987–991, ˙ ˙ hier 990.
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und seine Feinde sollen Staub lecken vor ihm. Die Könige von Tarschisch und von den Küsten sollen Gaben darbringen, die Könige von Scheba und Seba sollen Tribut geben. Und es sollen sich niederwerfen vor ihm alle Könige, alle Völker sollen ihm dienen. (Ps 72,8–11)
Diese Verse gehören nach Ausweis diverser neuerer Untersuchungen zu Psalm 72 nicht zum Grundbestand des Psalms, sondern sie sind zusammen mit einigen weiteren Einzelversen zwei Überarbeitungen mit universalistischer Tendenz zuzuweisen. Diese Bearbeitung entstammt der nachexilischen Zeit.94 Mittels dieser Erweiterung des vorexilischen Psalms 72 wird die Jerusalemer Königsideologie um einen Blick auf die literarische Landschaft des Alten Testaments bereichert. Die Bestandteile dieser Erweiterung speisen sich aus der Salomotradition des ersten Buches der Könige, da der Bezug auf Tarschisch aus 1 Kön 10,21b–22 und der auf Saba aus 1 Kön 10,1–3 stammt. Somit ist der in Ps 72 vorgestellte ideale König ein Herrscher nach dem Vorbild Salomos. Ist mit Scheba und Seba der äußerste Süden und mit Tarschisch der äußerste Westen angesprochen, so passt dies zum weiteren Fortgang des Textes, in dem der Herrschaftsbereich des Königs von Jerusalem mit dem Merismus „von Meer zu Meer“ umrissen wird. Dahinter verbirgt sich die aus den assyrischen Texten bekannte Aufteilung des Meeres in ein „oberes Meer“ (tâmtu elītu) und „unteres Meer“ (tâmtu šaplītu), d. h. die Unterscheidung zwischen dem Mittelmeer und dem Persischen Golf.95 Bei dieser Konzeption liegt das assyrische Reich inmitten der von Ozeanen begrenzten Welt. Eine vergleichbare Vorstellung liegt auch Ps 72 zugrunde, da ihm zufolge Jerusalem, der Sitz Jhwhs und des Königs, im Zentrum der Welt lokalisiert ist. Damit stimmt der zweite Stichos von Ps 72,8 überein: „Vom Strom bis an die Enden der Erde.“ Mit dem Strom ist der Euphrat gemeint, die Enden der Erde sind im Westen bei der Iberischen Halbinsel zu verorten. V. 10 nennt die dem König von Jerusalem zu überbringenden Tribute. Diese kommen von Tarschisch und den Inseln, d. h. von der Iberischen Halbinsel und den Mittelmeerinseln bzw. den Küsten der Mittelmeerländer,96 sowie von Scheba (= Saba) und Seba, d. h. aus dem südarabischen Raum.97 94 Dazu zuletzt R. S. Salo, Die judäische Königsideologie im Kontext der Nachbarkulturen (ORA 25), Tübingen 2017, 218–223, und die ebd., 218, Anm. 53, gemachten Angaben. 95 Zur Unterscheidung von oberem und unterem Meer vgl. D. O. Edzard, Art. Meer. A. Mesopotamien, RlA 8, 1993–1997, 1–3, hier 2, und K. Yamada, „From the Upper Sea to the Lower Sea“. The Development of the Names of Seas in the Assyrian Royal Inscriptions, Orient 40 (2005) 31–55. 96 Zur Semantik von hebr. ᾽ym als „Insel“ und „Küstenland“ vgl. Koch, Tarschisch, 157– 160; E. Ruprecht, Wer sind die „Könige der Inseln“, ZAW 110 (1998) 607–609; Salo, Königsideologie, 206, Anm. 10. 97 Zu Saba vgl. J. Briend/C. Robin, Art. Sheba, DBS XII, 1996, 1043–1254, und W. W. Müller, Art. Saba, NBL III, 2001, 387–388, sowie die Beiträge in: Staatliches Museum für Völ-
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Gut ersichtlich ist der Bezug von Ps 72 zu 1 Kön 10, in dem der Besuch der Königin von Saba (V. 1–13) kombiniert wird mit den Angaben über die TarschischFlotte des Königs Hiram von Tyros (V. 21–22). Von Ps 72,8–11 führt ein direkter Weg zu Jes 60, einem weiteren nachexilischen Text, der den Zion in Jerusalem zum Licht der Völker und zum Zentrum der Welt macht. Erhebe ringsum deine Augen und sieh: Sie alle versammeln sich, kommen zu dir. Deine Söhne kommen von fern, deine Töchter werden auf der Hüfte getragen. Da wirst du schauen und strahlen, erbeben und weiten wird sich dein Herz. Denn die Fülle des Meeres wendet sich dir zu, der Reichtum der Nationen kommt zu dir. Eine Menge von Kamelen bedeckt dich, Kamelfüllen aus Midian und Efa. Sie alle kommen aus Scheba, Gold und Weihrauch bringen sie und die Ruhmestaten des Herrn verkünden sie. Alle Schafe von Kedar sammeln sich bei dir, die Widder von Nebajot dienen dir. Sie steigen zum Wohlgefallen auf meinen Altar; und ich verherrliche das Haus meiner Herrlichkeit. Wer sind, die fliegen wie eine Wolke, wie Tauben zu ihren Schlägen? Denn auf mich warten die Küsten, und die Schiffe von Tarschisch an der Spitze, um deine Söhne aus der Ferne zu bringen, ihr Silber und ihr Gold mit ihnen, zum Namen Jhwhs, deines Gottes, und zwar des Heiligen Israels, denn er macht dich herrlich (Jes 60,4–9).
In diesem Textabschnitt, der ebenfalls die Parallelisierung von Arabien mit Tarschisch aufweist, werden die arabische Halbinsel mit Midian und dem Stamm Efa98 kerkunde München (Hg.), Im Land der Königin von Saba. Kunstschätze aus dem antiken Jemen, München 1999. Die Nennung von Seba verdankt sich Gen 10,7; vgl. Müller, Art. Saba, 387. Nach Lipiński, Itineraria, 227–228, ist Seba mit dem im Sudan gelegenen Soba zu identifizieren. Zu den Beziehungen zwischen Saba und Juda vgl. P. Stein, Sabäer in Juda, Juden in Saba, in: U. Hübner/H. Niehr (Hg.), Sprachen in Palästina im 2. und 1. Jahrtausend v. Chr. Kolloquium des Deutschen Vereins zur Erforschung Palästinas, 02.–04.11.2012, Mainz (ADPV 43), Wiesbaden 2017, 91–120. 98 Zu Midian vgl. E. A. Knauf, Midian. Untersuchungen zur Geschichte Palästinas und Nordarabiens am Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. (ADPV 10), Wiesbaden 1988; zum Stammesnamen Efa vgl. ebd., 83.85.
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sowie Scheba (= Saba)99 und ihren Gaben Gold und Weihrauch auf der einen Seite und die Inseln und die Schiffe von Tarschisch mit ihren Gaben Gold und Silber auf der anderen Seite stellvertretend für die gesamte Welt genannt. Dies war auch schon in Ps 72,8–11 der Fall. Im Mittelpunkt steht Jerusalem, die Stadt des Tempels Jhwhs. Hierhin kommen die Menschen und ihre Tribute.100 In umgekehrter Richtung denkt ein Abschnitt aus Jesaja 66: Ich werde bei ihnen ein Zeichen aufstellen und schicke von ihnen Entronnene zu den Nationen: Tarschisch, Pul und Lud, Meschek und Ros, Tubal und Jawan, zu den fernen Küsten, die keine Kunde von mir gehört und meine Herrlichkeit nicht gesehen haben. Sie sollen meine Herrlichkeit unter den Nationen verkünden (Jes 66,19).
In V. 19 stehen Tarschisch und Jawan für die Weite der Welt von West nach Ost. Im Einzelnen ergibt sich dabei die geographisch korrekte Abfolge von der Iberischen Halbinsel über Puglia/Apulien101 nach Anatolien mit den Regionen Lydien, Muschku und Ros,102 Tabal und Ionien. Wie schon in Ps 72,10 steht ᾽ym für die Küstenländer der Mittelmeerregion. In die hier genannten Gegenden ist die Kunde vom Gott Jhwh und seiner Herrlichkeit nicht gelangt. Ist einmal diese Verkündigung erfolgt, so sollen alle Nationen Opfergaben für den Tempel in Jerusalem herbeibringen (Jes 66,20– 23). Im Jonabuch spielt Tarschisch ebenfalls eine wichtige Rolle. Der Prophet Jona wurde aufgefordert, in die letzte Hauptstadt des Assyrerreiches, Ninive, zu gehen, um dort das Gericht Jhwhs zu verkünden: Dann machte sich Jona auf, um nach Tarschisch zu fliehen, weg von Jhwh. Er ging hinab nach Jafo und fand dort ein Schiff, das nach Tarschisch abging. Er bezahlte seinen Preis und bestieg es, um mit ihnen nach Tarschisch zu gelangen, weg von Jhwh (Jon 1,3).
Hier werden der Osten mit Ninive und der Westen mit Tarschisch als maximale Extremitäten einander gegenübergestellt.103 Dazu lässt sich im Einzelnen Folgendes sagen. Ninive, die letzte Hauptstadt des Assyrerreiches, begegnet im Alten Testament zum einen als Symbol der assyrischen Macht, zum anderen infolge seiner 99
Zu Saba s. o. Anm. 97. Vgl. auch Koch, Tarschisch, 56–60. 101 Dazu Lipiński, Toponymes, 218–219. 102 Zu Meschek/Muschku vgl. A.‑M. Wittke, Mušker und Phryger. Ein Beitrag zur Geschichte Anatoliens vom 12. bis zum 7. Jh. v. Chr. (BTAVO B 99), Wiesbaden 2004, 25–184, und E. Lipiński, Toponymes, 192–195. Hingegen ist die Bedeutung von Ros nach wie vor nicht geklärt; vgl. etwa J. Simons, The Geographical and Topographical Texts of the Old Testament. A Concise Commentary in XXXII Chapters (Studia Francisci Scholten Memoriae Dicata II), Leiden 1959, 81, § 216, und Koch, Tarschisch, 96. 103 So auch Koch, Tarschisch, 90–95, und Day, Tarshish, 360. Nicht überzeugend hingegen A. del Castillo, Tarshish in the Book of Jona, RB 114 (2007) 481–498, der Tarschisch in die Gegend des Roten Meeres verlegen will. S. zu diesem Autor auch oben Anm. 32. 100
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Zerstörung 612 v. Chr. als Zeichen des Gerichtes. Damit fungierte Ninive auch als Spiegelbild Jerusalems.104 Was den Westen angeht, so hat man im Gefolge von Jes 66,19 daran gedacht, dass auch das Jonabuch auf das Nichtbekanntsein Jhwhs im äußersten Westen der Welt anspielt,105 bzw. dass mit Tarschisch in Jes 66,19 und in Ps 72,10 einfach das Ende der Welt gemeint sei.106 Wie dem auch sei, Jona gelangte jedenfalls nicht dorthin. Die früher geführte Diskussion, ob eine direkte Schiffsverbindung von Jafo nach Tarschisch führte,107 muss hier nicht weiter verfolgt werden, da zur Zeit der Abfassung des Jonabuches in der nachexilischen Epoche, Jafo zum phönizischen Königreich von Sidon gehörte (vgl. KAI 14,19) und Ninive seit 612 v. Chr. zerstört war. Eine Mythologisierung von Tarschisch innerhalb der literarischen Landschaft des Alten Testaments lässt sich ausgehend von Ez 27 feststellen: Die Schiffe von Tarschisch waren deine Karawanen (für) deine Tauschwaren. So fülltest du dich, wurdest sehr schwer im Herzen der Meere. Über gewaltige Wasser brachten dich deine Ruderer. Der Ostwind zerbrach dich im Herzen der Meere. Dein Reichtum, deine Waren, dein Handelsgut, deine Schiffsleute und deine Seeleute, die Männer, die deine Risse dichten, die deine Tauschwaren eintauschen, alle deine Kriegsleute auf dir und in deinem ganzen Aufgebot, die in deiner Mitte sind, sie fallen in das Herz der Meere am Tag deines Falles (Ez 27,25–27).
In dieser Totenklage über Tyros wird u. a. ausgesagt, dass der Ostwind Tyros als Handelsstadt zerbricht. Ihr Reichtum war von Tarschisch-Schiffen herangebracht worden, deren Besatzung im Mittelmeer unterging (V. 25–27). Der Text spielt mit der Gleichsetzung eines Schiffes mit der Insel Tyros, die beide untergehen und von ihrer Besatzung verlassen werden. Das Kapitel 38 des Ezechielbuches enthält eine Drohrede gegen Gog in Magog, der auch als Großfürst von Meschek/Muschku und Tubal bezeichnet wird. Historisch formuliert, ist die Rede gegen Gyges, den König von Lydien (ca. 680– 644 v. Chr.), unter Einbeziehung Phrygiens und Tabals gerichtet.108 Aus diesem Kapitel ist für die Frage nach Tarschisch V. 13 mit der Aufzählung von Scheba 104 Zur Ninivesymbolik im Alten Testament vgl. P. Weimar, Jona (HThKAT), Freiburg i. Br. / Basel/Wien 2017, 84–93. 105 So H. W. Wolff, Dodekapropheton. 3. Obadja, Jona (BK XIV/3), Neukirchen-Vluyn 1977, 78, und Weimar, Jona, 97–99. 106 So E. A. Knauf, Jona, in: T. Römer/J.‑D. Macchi/C. Nihan (Hg.), Einleitung in das Alte Testament, Zürich 2013, 474–480, hier 475. 107 So Galling, Weg, 8, der von einer „Schiffsroute sidonischer Reeder nach Tarsis“ spricht, und eher zurückhaltend Koch, Tarschisch, 90–95. 108 Zu Tabal, den Mušku und den Phrygern vgl. S. Aro, Tabal. Zur Geschichte und materiellen Kultur des zentralanatolischen Hochplateaus von 1200 bis 600 v. Chr., Diss. Helsinki 1998; Wittke, Mušker; Lipiński, Toponymes, 191–202.
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(= Saba), Dedan und Tarschisch von Interesse, da der Text zunächst vom Süden der arabischen Halbinsel (Scheba)109 nach Norden (Dedan) vorgeht. Im Zentrum des Interesses steht das namentlich nicht genannte Jerusalem (V. 11–12). Ist die Kombination von Saba und Tarschisch bereits aus 1 Kön 10, Ps 72,8–11 und Jes 60,4–9 bekannt, so tritt die nordarabische Oase Dedan (al ῾Ulâ) neu hinzu.110 In Ez 38, einem Text aus hellenistischer Zeit,111 verdankt sich die Nennung von Tarschisch 1 Kön 10 und Ps 72, ohne dass jedoch zeitgenössische Handelsbeziehungen mit der Iberischen Halbinsel im Hintergrund stünden. Das in Ez 27 gewählte Motiv des Zerbrechens der Handelsschiffe wird in Psalm 48 aufgegriffen: Mit Sturm aus dem Osten zerbrichst du die Schiffe von Tarschisch. Wie wir es gehört haben, so haben wir es gesehen in der Stadt des Jhwh Sebaoth, in der Stadt unseres Gottes. Gott macht sie fest auf ˙ewig (Ps 48,8–9).
Die V. 8–9 stellen einen Zusatz zu Psalm 48 dar.112 Dieser Zusatz kann sich nicht auf das Lob des Sion beziehen, sondern er nennt die Feinde Jerusalems.113 Durch diesen Zusatz wird die ursprüngliche kosmologische Dimension des Psalms verändert. Sion steht im Zentrum des Geschehens, Tarschisch für den Westen und der Ostwind für die entgegengesetzte Himmelsrichtung. In einigen Texten des Alten Testament ist jedoch auch ein allmähliches Verschwinden der genauen geographischen Vorstellung von Tartessos/Tarschisch als Bestandteil der Iberischen Halbinsel zu beobachten. Dies zeigt sich in 2 Chr 9,21 und 20,36–37, wo Tarschisch südlich von Juda angesiedelt wird. Dies ist daraus ersichtlich, dass Ophir als Zielhafen genannt ist und somit der Chronist seine Vorlagen in den Königsbüchern missverstanden hat.114 Dann sind die Stellen in der Septuaginta zu nennen, die anstelle des aufgrund des hebräischen Textes zu erwartenden Terminus „Tarschisch“ stattdessen von „Karthago“ oder den „Karthagern“ sprechen.115 Ähnliches zeigt sich in Jes 2,16LXX, wo die TarschischSchiffe der hebräischen Vorlage als „jedes Schiff auf dem Meer“ aufgefasst werden. Im Hintergrund solcher Übertragungen stehen zwei Phänomene: Einerseits gab es auf der Iberischen Halbinsel seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. keine Region Tartessos mehr, so dass der Name Tartessos/Tarschisch bedeutungslos geworden 109
Zu Saba s. o. Anm. 97. Zu Dedan (al ῾Ulâ) vgl. etwa M. Görg, Art. Dedan, NBL I, 1991, 400, und A. F. al Said, Dédân (al-῾Ulâ), in: A. I. al-Ghabban et al. (Hg.), Routes d’Arabie. Archéologie et Histoire du Royaume d’Arabie Saoudite, Paris 2010, 262–269. 111 Vgl. dazu C. Nihan, Ezechiel, in: Römer/Macchi/Ders. (Hg.), Einleitung, 412–430. 112 Zur literarkritischen Begründung des Zusatzcharakters dieser Verse vgl. H. Spieckermann, Heilsgegenwart. Eine Theologie der Psalmen (FRLANT 148), Göttingen 1989, 188–189. 113 Vgl. ebd., 189. 114 Dazu Day, Tarshish, 368–369. 115 S. o. Anm. 38. 110
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war116 bzw. nicht mehr verstanden wurde,117 andererseits spiegelt sich in dieser Septuaginta-Übersetzung die Präsenz der Punier Karthagos auf der Iberischen Halbinsel,118 womit ein zeitgenössisches Kolorit in der Septuaginta auftritt.
V. Ergebnis und Ausblick Die Erkenntnisse und Perspektiven aus den vorangehenden Untersuchungen lassen sich wie folgt zusammenfassen. Nachdem sich die Phönizier von Tyros im Iberischen Kulturraum von Tartessos ab 900 v. Chr. in Handelsniederlassungen angesiedelt hatten und einen schwunghaften Handel mit der Levante trieben, wurde auch das Königreich Israel zur Zeit des Königs Jerobeam II. (887–847 v. Chr.) in dieses Handelsnetz mit einbezogen. Zum Ausgleich hierfür gewährte Jerobeam II. dem König und den Handelsleuten von Tyros Zugang zum Südhandel. Ausgehend von diesem historischen Haftpunkt im 8. Jahrhundert v. Chr. und den diversen Handelsaspekten bereichert Tartessos/Tarschisch auch die literarische Landschaft des Alten Testaments. Dazu trug seine Lage am äußersten westlichen Ende des Mittelmeeres sowie der Ruf des Exotischen bei. Interessant ist dabei ein Vergleich mit den assyrischen Quellen, da in ihnen Tarschisch nur ein einziges Mal in der Zeit des Königs Asarhaddon im 7. Jahrhundert v. Chr. belegt ist. Dieser Assyrerkönig hatte auf seinen Westfeldzügen die Levanteküste unterworfen, die anatolischen Eroberungen weiter nach Westen ausgedehnt und Yadnāna (Zypern) erobert.119 Ausweislich einer Inschrift des Königs Asarhaddon120 war damit eine Ausweitung des assyrischen Weltbildes bis hin nach Tartessos am äußersten Rande der bewohnten Welt erfolgt, da die assyrische Weltsicht jetzt das gesamte Mittelmeer umfasste. Dies lässt sich besonders gut im Vergleich mit den Inschriften der Vorgänger Asarhaddons auf dem Thron Assyriens aufzeigen.121 Im Unterschied hierzu steht die Vielfalt der Tartessos- / Tarschisch-Rezeption im Alten Testament. Diese erklärt sich mit der geographischen Lage Israels und Judas an der Levanteküste, d. h. beide Königreiche waren weiter im Westen gelegen als der assyrische Kernbereich, und zudem mit den Handelsbeziehun116 Vgl.
Lipiński, Itineraria, 253–260. Wildberger, Jesaja I, 94. 118 Zu den Karthagern auf der Iberischen Halbinsel vgl. Koch, Überlegungen, 268–274. 119 Vgl. dazu Bagg, Assyrer, 252–261 und Karte 4.34. 120 S. o. III. 121 Vgl. R. Rollinger, Das altorientalische Weltbild und der ferne Westen in neuassyrischer Zeit, in: P. Mauritsch et al. (Hg.), Antike Lebenswelten. Konstanz – Wandel – Wirkungsmacht. Festschrift für Ingomar Weiler zum 70. Geburtstag (Philippika. Marburger altertumskundliche Abhandlungen 25), Wiesbaden 2008, 683–695; Ders., Überlegungen; Ders. / Ruffing, World View; Ders., Assyria. 117 So
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gen, die Israel – und im Anschluss daran auch Juda – ab der Zeit Jerobeams II. im 8. Jahrhundert v. Chr. mit Tartessos/Tarschisch hatten. Durch diese Kontakte in den äußersten Westen wurde das Weltbild Israels und Judas in seinem Blick nach Westen mitgeprägt. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass infolge dessen in Israel und Juda im Unterschied zur assyrischen Literatur Tartessos/Tarschisch in die literarische Landschaft des Alten Testaments eingehen konnte. Allerdings belegt das Alte Testament in seinen jüngeren Quellen auch ein Verblassen der realen Beziehungen der Levante nach Tartessos und somit eine Vagheit in der Größe Tarschisch. In den Texten, die Tarschisch als Teil der literarischen Landschaft des Alten Testaments aufscheinen lassen, ist der starke Bezug zur Jhwh-Religion Jerusalems nicht zu übersehen. Damit gelangen wir in den Bereich der Religionsgeographie.122 Im Rahmen der alttestamentlichen Wissenschaft sind religionsgeographische Fragestellungen immer wieder bearbeitet worden. Aufgrund ihrer Schlussfolgerungen ist vor allem die Arbeit von H.‑P. Müller zum Libanon hilfreich.123 Hieraus sei nur kurz Folgendes zitiert: Auch zur Topographie gilt, daß Dichtung die Wirklichkeit nicht beschreiben will, wie sie ist, sondern vielmehr an ihr eine Art sublimierender Verwandlung ins Spiel bringt. […] Auch gegenüber Orten, Gebirgen, Wasserflächen usw. nehmen (mythische) Religion und (lyrische) Dichtung darum zumindest eine feiernde Haltung ein; freilich kann die Bewunderung ins Ambivalente umschlagen.124
Konkret bedeutet dies, dass in den Texten des Alten Testaments – ob explizit oder implizit – Jerusalem als das Zentrum der bekannten Welt dargestellt wird. Dies zeigt sich z. B. daran, dass der Prophet Jona „hinabgeht“ nach Jafo, um nach Tarschisch zu gelangen (Jon 1,3), wobei das „Hinabgehen“ (yārad) das Weggehen von Jerusalem meint. Erst dann geht er in die entgegengesetzte Richtung nach Osten, um nach Ninive zu gelangen. Des Weiteren stellt nach Ps 72,8–11 Jerusalem das Zentrum der Welt dar, zu dem alle Könige mit ihren Gaben und Tributen kommen, ja dem sogar alle Völker untertan sind. Diese Konzeption liegt auch Jes 60,4–9 zugrunde. Die mit diesen und anderen Angaben angezeigte symbolische Geographie kann hier nur angedeutet werden.125 Auffällig ist auf jeden Fall, dass das die Levante von Tartessos trennende Mittelmeer als eine widerständige und zu bändigende Macht in den Texten nur sehr am Rande angesprochen wird. Dies ist ver122 Dazu grundlegend K. Hoheisel, Art. Religionsgeographie, in: H. Cancik/B. Gladigow/M. Laubscher (Hg.), Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe I, Stuttgart 1988, 108–120. 123 H.‑P. Müller, Der Libanon in altorientalischen Quellen und im Hohenlied. Paradigma einer poetischen Topographie, ZDPV 117 (2001) 116–128. 124 Müller, Libanon, 123–124. 125 Vgl. dazu auch N. Wyatt, Symbolic Geography in West Semitic Religious Thought, UF 19 (1987) 375– 389.
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mutlich deshalb der Fall, weil das Thema des Kampfes mit der See in den Bereich der Wettergotttheologie und der Königsideologie gehört.126 Mit den von den Phöniziern bis hin nach Tartessos realisierten Handelsbeziehungen und Kulturkontakten, die über die Säulen des Herakles hinaus führten, sowie ihren Niederlassungen von Kition auf Zypern über Kommos auf Kreta, Malta, Sizilien, Sardinien, Ibiza, Malaga und Gadir (Cádiz) auf der Iberischen Halbinsel,127 um nur die wichtigsten zu nennen, wird bereits das Konzept des Mare Nostrum vorweggenommen, ohne dass dieses eine politische Dominanz des Mittelmeerbeckens durch die Phönizier beinhaltet hätte. Trotzdem wurde hiermit das zweite mediterrane Zeitalter inauguriert, dessen Laufzeit von 1000 v. Chr. bis 600 n. Chr. angesetzt wird, nachdem das erste mediterrane Zeitalter durch die Wirren der Umbruchszeit um 1200 v. Chr. zugrunde gegangen war.128 An den durch die Phönizier in die Wege geleiteten Handelsbeziehungen und Kulturkontakten hatten auch die Königreiche Israel und Juda teil. Insofern sind Zeugnisse von Tartessos/Tarschisch im Alten Testament erhalten. Die in diesem Artikel vorgebrachten Überlegungen zur Rezeption von Tartessos/Tarschisch im Alten Testament sollen in bescheidenem Maße dazu beitragen, die alttestamentliche Wissenschaft bei aller Verankerung im levantinischen Raum auch für den Horizont der Mediterranistik zu öffnen.129
126 Vgl.
dazu J. Töyräänvuori, Sea and the Combat Myth. North West Semitic Political Mythology in the Hebrew Bible (AOAT 457), Münster 2018. 127 Zu den Voraussetzungen des Seewegs der Phönizier von der Levante zur Iberischen Halbinsel s. o. Abb. 2 sowie die Angaben in Anm. 29 und vgl. des Weiteren H. G. Niemeyer, Die phönizischen Niederlassungen im Mittelmeerraum, in: U. Gehrig/H. G. Niemeyer (Hg.), Die Phönizier im Zeitalter Homers, Mainz 1990, 45–64; Ders., Die Phönizier auf dem Weg nach Westen, in: M. Blech/M. Koch/M. Kunst (Hg.), Denkmäler der Frühzeit (Hispania Antiqua 5), Mainz 2001, 275–282 und hier bes. 276–277 mit Karte 22; Aubet, Phoenicians, 159–193; Wittke/Olshausen/Szydlak, Atlas, 69. 128 Zu diesem zweiten mediterranen Zeitalter vgl. D. Abulafia, Das Mittelmeer. Eine Biographie, Frankfurt 2013, 105–319. 129 Als grundlegende Werke zur Mediterranistik vgl. vor allem F. Braudel, La Méditerranée et le monde méditerranéen à l’époque de Philippe II, Paris 41979; Ders. Les mémoires de la Méditerranée. Préhistoire et antiquité, Paris 1998; P. Horden/N. Purcell, The Corrupting Sea: A Study of Mediterranean History, Oxford 2000; W. V. Harris (Hg.), Rethinking the Medi terranean, Oxford 2005; I. Malkin (Hg.), Mediterranean Paradigms and Classical Antiquity, London/New York 2005; Abulafia, Mittelmeer; M. Dabag/D. Haller/N. Jaspert/A. Lichtenberger (Hg.), Handbuch der Mediterranistik. Systematische Mittelmeerforschung und disziplinäre Zugänge (Mittelmeerstudien 8), Paderborn 2015; Dies. (Hg.), New Horizons. Mediterranean Research in the 21st Century (Mittelmeerstudien 10), Paderborn 2016; A.‑M. Wittke (Hg.), Frühgeschichte der Mittelmeerkulturen. Historisch-archäologisches Handbuch (DNP Suppl. 10), Stuttgart/Weimar 2015; Cunliffe, Ocean; Broodbank, Geburt.
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Herbert Niehr
Verzeichnis der Abbildungen Abb. 1: Die Region Tartessos, aus: S. Celestino/C. López-Ruiz, Tartessos and the Phoenicians in Iberia, Oxford 2016, 175, Karte 7 © Esther Rodríguez. Abb. 2: Strömungen, Winde, Sichtkontaktzonen im Mittelmeerraum, aus: A.‑M. Wittke (Hg.), Frühgeschichte der Mittelmeerkulturen. Historisch-archäologisches Handbuch (DNP Suppl. 10), Stuttgart/Weimar 2015, 39–42, Karte 3.
VI. Linguistische Fragen
Syndetische Verbpaare in Kontaktstellung im selben Stichus Eine Problemanzeige zur Syntax der Psalmen* Walter Groß
Verbpaare, die syntaktisch gleichgeordnet in Kontaktstellung1 jeweils im selben Stichus auftreten,2 sind im Psalter keineswegs selten, nur gelegentlich asyndetisch, überwiegend syndetisch bezeugt: Koh w=Koh, Imp w=Imp, PK w=PK, SK w=SK.3 Ein gemeinsamer Satzteil geht ihnen in der Mehrzahl der Belege voraus (z. B. Subjekt, Vokativ, Konjunktion) oder folgt ihnen (z. B. direktes oder präpositionales Objekt). Nahezu ausnahmslos sind die Verbpaare synonym oder beschreiben jeweils denselben komplexen Vorgang unter zwei zusammengehörigen Aspekten. Koh w=Koh, Imp w=Imp und PKKF w=PKKF sind syn* Mit dieser quaestiuncula danke ich Erhard Blum für lange und fortdauernde intensive Zusammenarbeit in syntaktischen Fragen. 1 Sie können ein ePP als Objekt bei sich haben. Das stört die Kontaktstellung, wie sie hier verstanden wird, nicht. 2 Der Stichus wird im Folgenden nur als heuristische Größe verwendet; das ist möglich, weil die hier gesammelten Belege von koordinierten gleichartigen Verbformen in Kontaktstellung tatsächlich in je einem Stichus des Druckbildes sowohl der BHK als auch der BHS auftreten. Es wird nicht vorausgesetzt, dass diese Stichen eine syntaktische Bedeutung haben, von den biblischen Autoren als solche intendiert waren, in alten hebräischen Handschriften graphisch ausgewiesen wurden etc. Was ein Stichus im Psalter ist, nach welchen Kriterien er erkennbar oder konstruierbar ist, ob die Stichenform im Psalter nach Gattungen variiert, wie die Sticheneinteilung sich zu den hebräischen Akzenten verhält und wie Parallelismus so zu definieren ist, dass er auf die Psalmen tatsächlich zutrifft und die Definition im Fall des sog. synthetischen Parallelismus nicht der Äquivokation zum Opfer fällt, ist Gegenstand einer heftigen und unabgeschlossenen wissenschaftlichen Diskussion, die hier und speziell bezogen auf die hier untersuchten Belege nicht aufgegriffen werden kann. Vgl. dazu K. Seybold, Poetik der Psalmen (Poetologische Studien zum Alten Testament 1), Stuttgart 2003, und J. Luchsinger, Poetik der alttestamentlichen Spruchweisheit (Poetologische Studien zum Alten Testament 3), Stuttgart 2010. Im Gegensatz zur Verseinteilung stimmt die Sticheneinteilung in BHK und BHS, vor allem wo parallelismus membrorum kaum oder gar nicht erkennbar ist, bzw. in der Zahl angenommener Tricola nicht durchwegs überein; diese beiden wissenschaftlichen Editionen des hebräischen Textes enthalten auch kontraintuitive Stichengrenzen, wie sich an solchen deutschen wissenschaftlichen Kommentaren zeigt, die in ihren Übersetzungen die hebräische Sticheneinteilung wiedergeben wollen und – wie z. B. F. Delitzsch, Biblischer Commentar über die Psalmen. Neue Ausarbeitung (BC 4,1), Leipzig 1867 und B. Duhm, Die Psalmen (KHC 14), Tübingen 21922 – dennoch in nicht wenigen Fällen (z. B. mit den hebräischen Akzenten) davon abweichen. 3 Für die Abkürzungen vgl. den Schlüssel am Ende des Beitrags.
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Walter Groß
taktisch unauffällig. Sie werden mit aufgeführt zum Beweis, dass hier ein übliches stilistisches Verfahren in Poesie vorliegt. Bei den Paaren PKLF w=PKLF und SK w=SK bereitet das jeweils zweite Verb syntaktische Probleme: w=PKLF, weil es diese Verbformation nach den etablierten Inversionsregeln gar nicht geben sollte, w=SK, weil diese Verbformation zwar als Glied des Inversionspaares für imperfektiven Aspekt w=qatal-x//x-yiqtol LF weit verbreitet ist, nach den Inversionsregeln aber nicht in identischer Funktion mit einfacher SK, die zum Inversionspaar für perfektiven Aspekt wa=yiqtol//(w=)x-qatal gehört, vorkommen sollte. Diese Fälle interessieren im Folgenden. Solche problematische w=PKLF und w=SK kommen in den Psalmen auch jeweils in getrennten Stichen vor. Aber das syntaktische Problem stellt sich bei Kontaktstellung im selben Stichus besonders deutlich.
I. Kohortativ w=Kohortativ Folgende Paare von koordinierten Koh w=Koh4 im selben Stichus finden sich in Ps 9,3; 21,14; 27,6; 31,8; 32,8;5 40,6; 42,5; 50,21; 55,18;6 57,8; 91,15; 108,2; 118,24.7 Ps 21,14; 27,6; 57,8; 108,2 einerseits, 31,8 und 118,24 andererseits kombinieren jeweils die gleichen Verben, es handelt sich somit um vorgeprägte Wortpaare. Diese finden sich auch in außerhebräischer Literatur.8 Die Verbpaare sind entweder synonym, wie „freuen und frohlocken“; „künden und reden“; „einsichtig machen und belehren“; „seufzen und stöhnen“,9 oder sie beschreiben eine komplexe Handlung, wie „singen und spielen“; „gedenken und die Seele ausschütten“; „rügen und vor Augen stellen“.10 Dass die Verbpaare nicht voneinander isolierbare Handlungen, sondern ein und dieselbe, nur mehrfach ausgedrückte Hand4 Wenn Koh ePP bei sich haben, sind sie morphologisch nicht von (Äquivalenten von) PKKF oder nicht-modaler PKLF unterscheidbar. In diesen Fällen muss vom Kontext her entschieden werden, bzw. es gilt die Regel: „grundsätzlich gehören w e=PK der 1.Pers. zum Kohortativ“ (E. Blum, Das althebräische Verbalsystem – eine synchrone Analyse, in: O. Dyma/A. Michel [Hg.], Sprachliche Tiefe – theologische Weite [BThSt 91], Neukirchen-Vluyn 2008, 91–142, hier 104). Vgl. aber unten zu Ps 42,3. 5 Der morphologisch kenntliche Koh im folgenden Stichus spricht dafür, auch die beiden PK+ePP als Koh zu deuten. 6 Bei Verba III-vocalis übernimmt in der Regel PKLF auch die Funktion des Koh. 7 In Ps 4,9 folgt w=PK(LF) auf den Koh, nach Delitzsch, Psalmen, 80 „in gleichfalls cohortativem Sinne“. In Ps 60,8 = 108,8 folgen die beiden Koh asyndetisch aufeinander (LXX und Vulgata ergänzen das „und“, während Hieronymus im Psalterium iuxta Hebraeos dem hebräischen Wortlaut folgt). Die beiden Koh bezeichnen mit „frohlocken“ und „verteilen“ unterschiedliche Handlungen. 8 Vgl. Y. Avishur, Stylistic Studies of Word-pairs in Biblical and Ancient Semitic Literatures (AOAT 210), Neukirchen-Vluyn 1984, 404–405.574–576. 9 Ps 9,3; 31,8; 32,8; 40,6; 55,18. 10 Ps 27,6; 42,5; 50,21.
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lung bezeichnen, zeigt sich besonders dort, wo sich beide Verben des jeweiligen Paares auf denselben vorausgehenden oder folgenden Satzteil beziehen, so z. B. in Ps 55,18: ע ֶֶרב וָבֹקֶר ְו ָצה ֳַרי ִם ָאׂשִיחָה ְו ֶא ֱהמֶה Ps 9,3: ׂש ְמחָה ְו ֶא ֶע ְלצָה בְָך ְ ֶא.11 Ohne Bezug auf einen weiteren gemeinsamen Satzteil: Ps 40,6; 57,8; 108,2. Ps 42,5 fällt aus dem Rahmen und gehört nicht zur obigen Sammlung; hier folgen sich syndetisch zwei Sätze, der erste mit zugehörigem vorausgehendem Satzteil (Objekt), der zweite mit zwei nachfolgenden Satzteilen.
II. Imperativ w=Imperativ Die Imperativpaare bieten mehrere Varianten: (a) Synonymes Imperativpaar, gemeinsam bezogen auf den folgenden Satzteil: Ps 144,11: ְּפ ֵצנִי ְו ַהּצִי ֵלנִי ִמּי ַד ְּבנֵי־נֵכָר Soweit die beiden Verben in den folgenden Belegen nicht synonym sind, benennen sie überwiegend zwei Aspekte derselben komplexen Handlung. (b) Die beiden Verben haben jeweils nur ein ePP bei sich, das sich auf dieselbe Person bezieht: Ps 26,11: ;פְּדֵ נִי ְו ָחנֵּנִי27,7; 41,11. (c) Nur der zweite Imp hat ein ePP bei sich, aber auch der erste Imp bezieht sich auf dieselbe Person: Ps 71,11. (d) Beide Imp beziehen sich auf einen Satzteil oder Satz nach dem zweiten Imp: Ps 34,9:
ִי־ט ֹוב י ְהוָה ְ ; ַטעֲמּו35,23 ֣ ּוראּו ּכ
(e) Nur das zweite Verb bezieht sich auf einen folgenden Satzteil/Satz: 45,1112; 46,11; 66,5;13 79,9;14 83,5. Gelegentlich wird wegen eines Wechsels der Persondeixis der zweite Imp durch syndetische PK(KF) ersetzt: Ps 27,14: ; ְוי ַ ֲאמֵץ ִלּבֶָך ֲחז ַק31,25 Nicht einschlägig für die Thematik dieses Aufsatzes sind die Fälle von Imp + syndetischem Koh, die einen finalen Zusammenhang signalisieren.15 Daneben sind Imperative in asyndetischen Folgen bezeugt: 11
Entsprechend Ps 27,6; 31,8; 50,21; 118,24. In einer Reihe von vier Imperativen. 13 In Ps 66,5 und 83,5 fungiert der erste Imp in adverbieller Verwendung desemantisiert als Aufforderungssignal. 14 In einer Reihe von drei Imperativen. 15 Ps 66,16 (vgl. E. König, Die Psalmen, eingeleitet, übersetzt und erklärt, Gütersloh 1927, z. St.); 80,8 (vgl. ebd., z. St.); 119,34.73.117.144. 12
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Imp, Imp: Ps 66,16; 143,716: ַמהֵר ֲענֵנִי Imp, PK/Koh: Ps 79,8: ; ַמהֵר יְקַּדְ מּונּו ַר ֲחמֶיָך95,617; 119,73. ֶ ; 119,146; 141,1. SK, Imp: Ps 119,86: ׁשקֶר ְרדָ פּונִי ָעז ְֵרנִי
III. Paare von PK Zahlreich sind Paare PK w=PK im selben Stichus. Bis auf einen Beleg ist morphologisch nicht erkennbar, ob es sich um (Äquivalente von) PKKF oder (von) PKLF handelt. Welche von beiden Formen vorliegt, muss aus dem Kontext erschlossen werden. Wie bei den Imp- und Koh-Paaren ist auch bei PKKF‑Paaren die Syndese syntaktisch unauffällig. Dagegen ist w=PKLF problematisch, weil diese Verbformation, zumindest abstrakt, ohne Rücksicht auf den syntaktischen Kontext betrachtet, den Inversionsregeln widerspricht. 1. PKKF w=PKKF Ps 72,1518: ׁשבָא ְ וִיחִי ְוי ִּתֶ ן ֹלו ִמּזְהַב Ps 6,1119; 22,2820; 35,4; 35,26=40,15=70,3; 35,27; 40,17=70,5; 67,2.5; 129,5. Die PKKF‑Paare sind jeweils synonym (Ps 35,4; 35,26=40,15=70,3): „zuschanden und beschämt werden“; 35,27: „jubeln und sich freuen“¸ 40,17=70,5: „frohlocken und sich freuen“, oder sie bezeichnen eine komplexe Handlung, wobei die Grenze zwischen beiden mitunter schwer zu ziehen ist (Ps 6,11: „zuschanden und verstört werden“; 67,2:“gnädig sein und segnen“; 129,5: „zuschanden werden und zurückweichen“). Außerdem beziehen sie sich je gemeinsam auf ihr folgendes oder (in Ps 67,2) vorausgehendes Subjekt. Das gilt nicht für Ps 22,28 mit Verben unterschiedlicher Bedeutung („gedenken und umkehren“) und für Ps 72,15: Sowohl die Verbinhalte als auch die Subjekte sind verschieden. Der Zusammenhang ist undeutlich, wie sich auch darin zeigt, dass die Kommentatoren in der Frage, wer in den drei Sätzen des Verses Subjekt ist, weit auseinander gehen. Außerdem wird in unterschiedlichem Ausmaß mit Zitaten gerechnet. König sieht in 72,15a einen finalen Anschluss an das Vorhergehende.21 Der Vers ist syntaktisch unauffällig, gehört aber nicht zu den oben charakterisierten PKKF‑Paaren. 16
Hier hat das zweite Verb deutlicher als im vorausgenannten Beleg Hilfsverbfunktion. PKLF von III-vocalis in Koh-Funktion. 18 In den beiden anschließenden Stichen folgen zwei weitere PK(KF). 19 Als PKKF aufgefasst von LXX, Vulgata, Hieronymus Iuxta Hebraeos, König, Psalmen, z. St., und H. Gunkel, Die Psalmen. Übersetzt und erklärt, Göttingen 51968, z. St. 20 Vgl. König, Psalmen, z. St.; Gunkel, Psalmen, z. St. 21 König, Psalmen, und Ders., Historisch-kritisches Lehrgebäude der Hebräischen Sprache. Mit comparativer Berücksichtigung des Semitischen überhaupt. Zweite Hälfte 2. (Schluss-) Theil. Syntax, Leipzig 1897, 505 § 364c. 17
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Dagegen entsprechen Ps 6,11cd; 68,4;22 71,13 diesen PKKF‑Paaren, mit dem Unterschied, dass hier die beiden PKKF asyndetisch aufeinander folgen. Ps 22,32 ist nicht einschlägig, da י ָב ֹאּוasyndetischer RS zu לַּד ֹורim vorausgehenden Vers ist.23 2. PKLF w=PKLF Die Verbformation w=PKLF ist für indikativische Aussagesätze problematisch, da sie der hebräischen Verbformensystematik und ihren Inversionsregeln widerspricht. Die folgenden Belege sind aber zu zahlreich, als dass man sie für fehlerhaft überliefert erklären könnte. Sie können folgendermaßen erklärt werden: Wenn von zwei syndetischen PKLF der ersten ein Satzteil als x vorausgeht und die zweite, syndetisch angeschlossene sich inhaltlich ebenfalls auf diesen vorausgehenden Satzteil bezieht, wirkt dieser vorausgehende Satzteil virtuell auch für sie als x. Die Folge ist somit regelkonform zu analysieren als x-yiqtol LF w=(x)yiqtol LF.24 Ps 41,3: ׁשמ ְֵרהּו וִי ַחּי ֵהּו ְ ִ י ְהוָה י Ps 9,4;25 31,4;26 42,3;27 52,7;28 65,4;29 71,2;30 78,6;31 86,9; 119,74.32 22
PKKF: vgl. z. St. Delitzsch, Psalmen; Duhm, Psalmen. Vgl. LXX; Vulgata; sowie z. St. Gunkel, Psalmen; Duhm, Psalmen. 24 Vgl. Blum, Verbalsystem, 111–112; J. Joosten, The Verbal System of Biblical Hebrew. A New Synthesis Elaborated on the Basis of Classical Prose (JBS 10), Jerusalem 2012, 426–429, Stichwort: „Ellipsis“; beide mit Verweis auf W. Gross, Verbform und Funktion. wayyiqtol für die Gegenwart? Ein Beitrag zur Syntax poetischer althebräischer Texte (ATSAT 1), St. Ottilien 1976, 148. Vgl. zu w=PKLF in Num 22,6 (in Kontrast zu 22,11) bereits Ders., Bileam. Literarund formkritische Untersuchung der Prosa in Num 22–24 (StANT 38), München 1974, 188. 25 Delitzsch, Psalmen, 107: „In die Stelle der Infinitivconstr. treten 4b Finita ein.“ König, Syntax, 605 § 413e. Da beide PK gleichermaßen die Präpositionalverbindung fortsetzen, kann diese auch für beide als im Satz vorausgehender Satzteil x angesetzt werden. 26 „Um deines Namens willen“ ist das x für die beiden synonymen PK(LF) 2. Pers. Sg. Entweder liegt eine zuversichtliche zukünftige Aussage vor (so z. B. LXX; Duhm, Psalmen; M. Buber, Das Buch der Preisungen. Verdeutscht, Köln o. J.) oder ein starker Wunsch in der modalen Funktion der PKLF; vgl. Joosten, Verbal System, 428; dies deuten wohl Kommentare an, die übersetzen: „mögest du mich leiten und führen“ (Gunkel), „mögest du mich führen und ruhen lassen“ (König). 27 Ist die Sticheneinteilung korrekt? ְוא ֵָראֶהist modale PKLF: „und wann kann ich erscheinen“? Oder ist Koh in finaler Verknüpfung gemeint: „Wann kann ich kommen, um zu erscheinen“? 28 Vgl. Joosten, Verbal System, 427. Selten im Psalter, wird das PKLF‑Paar regelkonform durch w=qatal-x fortgeführt. 29 Die beiden Verben bilden einen asyndetischen Relativsatz und dessen syndetische Fortführung. Das Bezugswort „der Mann, der“ wäre das gemeinsame vorausgehende x, es ist allerdings nur mitverstanden. Insofern kann der Beleg hier nur mit Vorbehalt eingereiht werden. 30 Da zwei Imp folgen, könnte man versucht sein, die beiden PK als Jussive: PKKF zu verstehen. Das ist aber bei 2. Pers. eigentlich ausgeschlossen. P. Joüon, Grammaire de l’hébreu biblique, édition photomécanique corrigée, Rom 1965, 306 § 113 m, erklärt sie dagegen als mo23
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Die Verben der PKLF‑Paare sind entweder synonym (Ps 31,4: „leiten und führen“; 52,7: „wegnehmen und herausreißen“; 71,2: „retten und befreien“), oder sie beschreiben einen komplexen Vorgang unter zwei Aspekten (Ps 9,4: „straucheln und zugrundegehen“; 41,3: „behüten und am Leben erhalten“; 65,4: „erwählen und nahen lassen“; 86,9: „kommen und sich niederwerfen“; 119,74: „sehen und sich freuen“). In Ps 2,12 liegen unterschiedliche Subjekte vor, der Beleg bildet daher einen Sonderfall, jedoch funktioniert die Konjunktion ּפֶןals x für beide Verben. In Ps 21,10 sind zwar die Verben synonym („verschlingen und fressen“), aber die Subjekte (beim ersten Verb vorausgehend, beim zweiten folgend) sind verschieden; dennoch kann das dem ersten Verb zusätzlich vorausgehende „in seinem Zorn“ sinngemäß für das zweite Verb als x weiterwirken. Allerdings ist dies ein Grenzfall. Auch in Ps 102,27 haben die beiden Verben unterschiedliche Subjekte; sie beschreiben denselben Vorgang aus zwei Perspektiven („von Jhwh gewechselt werden“ und „vergehen“), für beide ist jedoch das vorausgehende „wie ein Kleid“ das gemeinsame x.33 Ps 73,8 hat zwar mit „sie höhnen und sprechen in Bosheit“ ein synonymes Verbpaar, aber da kein Satzteil vorausgeht, greift die Erklärung durch Ellipse nicht. Vielleicht lag ein asyndetisches Verbpaar nach Analogie von Ps 94,4 vor und die Syndese des zweiten Verbs ist fälschlich durch Dittographie des waw entstanden, mit dem das erste Verb endet. Die Grammatiken gehen auf diese Verbpaare PKLF w=PKLF nicht oder nur sehr sporadisch ein. König macht das „Streben nach Rhythmus“ für die Zusammenstellung zweier gleichgeformter PKLF in Ps 78,6 verantwortlich.34 Joüon betont die modale Färbung der zwei PKLF 2. Pers. vor Imp in Ps 71,2,35 geht aber nicht auf ihre Koordination ein. Anlässlich Ps 2,12 erklärt er die Verbformationen w=PKLF, die „assez rares“ seien, als „waw faible et futur“, gibt jedoch keine weiteren Beispiele. Offensichtlich wurden keine einschlägigen Listen geführt. Joosten erklärt Ps 31,4; 52,7 und 119,74 w=PK durch Ellipsis.36 Aber auch er führt keine Liste. Die Verwendungsweisen von PKLF harren noch einer umfassenden dal gefärbte PKLF: „Assez souvent un yiqtol de prière, de demande, d’ordre etc. équivaut à un impératif, notamment après un impérativ […] Avant un impératif: Ps 71,2.“ König, Psalmen, versucht, dies in seiner Übersetzung auszudrücken: „Vermöge deiner Gerechtigkeit wollest du mich erretten und freimachen!“ Vgl. zur Funktion von (w=)PKLF 2. Pers. auch oben Ps 31,4 mit Anm. 26. 31 Das PKLF‑Paar führt den מעַן ַ ְל-Satz weiter. 32 Vgl. Joosten, Verbal System, 428, Anm. 35. 33 Vgl. Joosten, Verbal System, 428, Anm. 35. Dass auch beim zweiten Verb des Verbpaares „wie ein Kleid“ als Vergleich mitverstanden ist, zeigt der unmittelbar vorausgehende sinngleiche Satz „sie zerfallen wie ein Gewand“. 34 König, Syntax, 529 § 370k (ebenso, mit Fragezeichen, zu Ps 2,12). 35 Vgl. o. Anm. 30. 36 Joosten, Verbal System, 427–428 mit Anm. 35.
Syndetische Verbpaare in Kontaktstellung im selben Stichus
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Untersuchung. Dies Verhalten der Grammatiker erstaunt. Im Fall von SK w=SK ist dies anders. Neben den syndetischen Verbpaaren PKLF w=PKLF sind ohne Bedeutungsunterschied auch asyndetische Verbpaare PKLF PKLF belegt. Bei ihnen stellt sich das oben diskutierte syntaktische Problem nicht: Ps 88,11: ִם־ר ָפאִים י ָקּומּו י ֹודּוָך ְ א Ps 22,18; 56,7; 71,20 (2 ×); 94,4.
IV. SK w=SK Am häufigsten wird SK im Psalter je im selben Stichus, wie in Prosa üblich, durch wayyiqtol gefolgt: Ps 20,9; 22,5.30; 33,9 (2 ×); 44,10; 76,9; 77,19; 78,3; 81,8; 89,39; 105,31.34.40; 114,3; 119,26.73.106.131.163; 120,1; 139,1. Daneben ist auch die asyndetische Folge SK SK bezeugt: Ps 14,1;37 38,6.7; 48,6; 60,3; 73,19; 106,6.13. Schließlich findet sich, je im selben Stichus koordinierend, das Verbpaar SK w=SK. Es bereitet Probleme, da nach den Inversionsregeln w=SK-(x) zusammen mit (w)=x-PKLF ein Paar (für den imperfektiven Aspekt) bildet, nicht aber zusammen mit SK (für den perfektiven Aspekt): Ps 20,9; 22,6; 27,2; 34,11; 35,15; 38,9; 50,21; 53,2;38 76,9; 86,17; 148,5. Die Verbpaare sind überwiegend jeweils synonym (Ps 20,9: „sinken und fallen“;39 27,2:“straucheln und fallen“; 34,11: „darben und hungern“; 38,9: „erschöpft und zerschlagen sein“; 53,2: „schlecht handeln und abscheulich handeln“), oder sie beschreiben zwei Aspekte eines komplexen Vorgangs (Ps 22,6: „schreien und gerettet werden“; 76,9: „sich fürchten und verstummen“; kann man Ps 35,15: „freuten sich und versammelten sich“ noch als komplexen Vorgang bewerten?40). Darin kommen sie mit den asyndetischen Verbpaaren überein (syno37
In Ps 53,2 begegnet dieselbe Wendung als SK w=SK! Ps 14,1 begegnet dieselbe Wendung als asyndetisches Verbpaar. Stilistische Variante oder Haplo-/Dittographieproblem? LXX, Vulg und Hieronymus Iuxta Hebraeos haben in beiden Fällen Syndese. 39 Der folgende Stichus ist mit betont vorausgestelltem Subjekt=sPP und ebenfalls synonymem Verbpaar („aufgestanden sein und sich aufrecht halten“) als formvollendete (inhaltlich antithetische) Parallele gestaltet, hat jedoch die Abfolge SK wayyiqtol. Das zeigt deutlich die stilistische Freiheit des Autors. 40 Vgl. aber König, Psalmen 391, Anm. 4: „Haben … eine … lautfröhliche Versammlung veranstaltet“. 38 In
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nym: Ps 38,7: „verstört sein und gedrückt sein“; 73,19: „verschwinden und vergehen“; 86,17: „helfen und trösten“; 106,6: „Unrecht tun und freveln“; komplexer Vorgang: Ps 48,6: „erschreckt werden und ängstlich davonlaufen“;41 60,3: „verstoßen, gegen jden einbrechen“; 106,16: „schnell vergessen“), allerdings auch mit nahezu allen Belegen von SK+wayyiqtol im selben Stichus. Die Autoren wählen frei unter ihren stilistischen Möglichkeiten. Die Mehrzahl der Fälle von SK w=SK kann mit Ellipse erklärt werden, insofern dem jeweiligen Verbpaar ein gemeinsamer Satzteil vorausgeht: Ps 20,9; 22,6; 27,2; 34,11; 35,15; 76,9; 148,5.42 Unter dieser Voraussetzung fungiert w=SK wie SK in den asyndetischen Verbpaaren; w=SK steht für w=(x-)SK, und beide Verben dieser Paare von SK w=SK bezeichnen gleichermaßen den perfektiven Aspekt. Vier Belege sperren sich gegen eine solche Erklärung: Ps 38,943 und 53,2, weil kein vorausgehendes x vorhanden ist; Ps 148,5 und 50,21, weil nur die erste SK, nicht aber w=SK sich auf den vorausgehenden Satzteil bezieht (vielleicht liegt in 50,21 gar kein Satzpaar vor44). Die Grammatiken gehen mit unterschiedlichen Erklärungen auf diese Belege ein: König45 schlägt „mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit“ als Grund dafür, dass w=SK in Ps 20,9; 22,6; 27,2; 34,11; 38,9; 76,9; 86,17 (mit Fragezeichen) wie einfache SK funktioniert, die Synonymität der Wortpaare bzw. den Umstand, dass hier „Parallelacte in formell entsprechenden Sentenzen“ bezeichnet werden, oder lediglich „das Streben nach Rhythmus“ vor. 41 So geben es auch einige Übersetzungen wieder: König, Psalmen: „erschraken, wurden von Unruhe gepackt“; Delitzsch, Psalmen: „verstört entflohn sie“; Duhm, Psalmen: „wurden bestürzt, erschreckt“. 42 Das könnte nur dann auch auf Ps 38,9 zutreffen, wenn man annähme, dass V. 9 den ּכִי-Satz V. 8 fortführt und daher ּכִיals x für das Verbpaar zu Beginn von V. 9 fungiert. König, Psalmen, deutet diese Auffassung durch seine Zeichensetzung (das Semikolon am Ende von V. 8) an. 43 Vgl. aber die Einschränkung in der vorausgehenden Anmerkung. 44 Die Satzbezüge dieses Verses sind höchst umstritten. Mehrheitlich wird angenommen, dass mit w=SK ein Interdependenzgefüge beginnt. Dann liegt kein Satzpaar SK w=SK im selben Stichus vor. König, Psalmen: „Diese Dinge hast du getan, und schwiege ich, so würdest du meinen, ich sei durchaus dir gleich.“ Ähnlich Gunkel, Psalmen; Buber, Preisungen; H.‑J. Kraus, Psalmen (BKAT XV/1+2), Neukirchen-Vluyn 51978. Delitzsch, Psalmen: „Solches thust du und, weil ich schweige, Meinst du, ich sei gleich als wie du.“ Anders dagegen: Duhm, Psalmen: „Dies tatest du, und ich schwieg – Du hast gedacht, ich sei wie du!“; K. Seybold, Die Psalmen (HAT 15), Tübingen 1996: „dies hast du getan, und ich sollte schweigen? Du denkst, ich sei ganz wie du?“ Bezüglich der Wahl der Verbformen herrscht nach G. Bergsträsser, Hebräische Grammatik. Mit Benutzung der von E. Kautzsch bearbeiteten 28. Auflage von Wilhelm Gese nius’ hebräischer Grammatik. II. Teil: Verbum, Leipzig 1929, 32 § 7e „regelloses Durcheinander“, typisch für die „jüngere Dichtung“. Zu dem hier möglicherweise vorliegenden, an das Vorhergehende syndetisch angeschlossene Interdependenzgefüge (w=)qatal qatal vgl. W. Gross, Das Interdependenzgefüge, in: H. Rechenmacher (Hg.), In Memoriam Wolfgang Richter (ATSAT 100), 113–127, hier 114–115; K. Beyer, Semitische Syntax im Neuen Testament. Bd. 1: Satzlehre Teil 1 (StUNT 1), Göttingen 21968, 233–234. 45 König, Syntax, 529 § 370e+f+k. Ps 148,5 hält er ebd., 530 § 370q, für unerklärbar.
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Driver sieht in Ps 20,9; 27,2; 34,11; 38,9; 86,17 Perfectum copulativum, insofern „a writer wishes to place two facts in co-ordination with one another, to exhibit the second as simultaneous with the first rather than as succeeding it; for instance, in the conjunction of two synonymous or similar ideas.“46 Ps 22,6; 35,15 und 148,5 seien dagegen jung und zeigten wohl aramäischen Einfluss; es sind „isolated irregularities, of which no entirely adequate explanation can be offered.“47 Gesenius-Kautzsch zufolge zeigt Ps 22,6 „frequentatives Perf. consec. nach Perfekt.“48 Bergsträsser bemerkt zu Ps 20,9; 22,6; 38,9; 148,5: „Perf. mit וin der gewöhnlichen perfektischen Bedeutung – findet sich […] b) po. häufig.“ und spricht von „Perfectum copulativum“49. Ps 27,2 erklärt er dagegen abweichend: „Gelegentlich scheint, besonders po., einfaches Perfekt vor Perfectum consecutivum die Bedeutung des Perf. cons. zu haben.“50 Ps 22,6; 148,5 dagegen ordnet er als so jung ein, dass sich bereits Einfluss des damals gesprochenen Aramäisch bemerkbar mache.51 Bombeck, gestützt auf die Belegsammlungen von Gesenius-Kautzsch und Bergsträsser, behauptet, w=SK habe bezüglich „einfacher Sachverhalte“ „die Funktion, eben die Kategorie des ‚Un-Progreß‘, des ‚Stillstands‘, des ‚daneben‘ und ‚nicht danach‘ zu bezeichnen“.52 Ps 20,9; 38,9; 50,21 gehören zu den Belegen, durch die „ein Sachverhalt mit zwei Verben dargestellt wird oder zwei Sachverhalte in Relation zueinander gleichzeitig sind“.53 Überraschend stellt er dennoch Belege, unter ihnen Ps 22,6; 76,9; 148,5, unter der Überschrift: „einfacher Sach46 S. R. Driver, A Treatise on the Use of the Tenses in Hebrew. And Some Other Syntactical Questions, Norwich 31969, 159 § 131. Vgl. ebd., 159–160 § 132. Auch A. B. Davidson, Hebrew Syntax (Introductory Hebrew Grammar), Edinburgh 31985, 84, führt unter der Überschrift „Perf. and Impf. with simple vav (copulative)“ u. a. zu Ps 20,9; 27,2; 38,9 aus: „In the classical language, however, vav with perf. occasionally expresses an action not consequential or successive to what precedes, but co-ordinate with it. (a) When the second verb merely repeats the idea of the first, being synonymous, or in some way parallel with it.“ 47 Driver, Tenses, 161 § 133. 48 W. Gesenius, Hebräische Grammatik, völlig umgearbeitet von E. Kautzsch, Leipzig 281929, 345 § 112 h. Er kennt auch „erzählendes Perfekt mit וcopulat.“ (ebd., 320 § 106 e) unter dem „Einfluß aramäischer Redeweise“ neben „offenbarer Textverderbnis“ und inkorrekten Ausdrücken (352–353 § 412 pp bis uu), geht aber auf die Psalmen nicht ein. Auch Joüon, Grammaire, 336–337 § 120, erwähnt ein qatal mit „Waw de coordination“, „waw […] purement coordinatif “ für „une action qui est censée simultanée“, geht aber nicht näher darauf ein. 49 Bergsträsser, Grammatik II, 44–45 § 9 n. 50 Ebd., 44 § 9 l. 51 Ebd., 44–45 § 9 n; Driver, Tenses, 158–162 § 131–133. Entsprechend Davidson, Syntax, 84 § 58 zu Ps 20,9; 27,2; 38,9. 52 S. Bombeck, Das althebräische w-Perf. für Gegenwart und Vergangenheit in den hinteren Propheten und Psalmen, in: R. Bartelmus/N. Nebes (Hg.), Sachverhalt und Zeitbezug. Semitistische und alttestamentliche Studien, FS Adolf Denz (Jenaer Beiträge zum Vorderen Orient 4), Wiesbaden 2001, 21–34, hier 33. 53 Ebd., 26.28.
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verhalt mit Progreß“ zusammen,54 bemerkt aber dazu vorsichtig, diese Sachverhalte seien „möglicherweise als progreßlos dargestellt“.55 Joosten hebt hervor: In Ps 20,9; 22,6; 27,2; 38,9; 50,21;56 53,2; 86,17; 148,5 hat w=SK dieselbe Funktion wie SK und unterscheidet sich radikal von der Verbformation w=SK im Inversionspaar w=qatal//(w)-x-yiqtol LF. Es handelt sich jeweils um „two simultaneous actions“. Er sieht darin Zeichen des sprachlichen Übergangs vom älteren zum jüngeren hebräischen Verbalsystem.57 Die Grammatiken suchen somit, soweit sie nicht lediglich die verschiedenen bezeugten Verwendungsweisen von w=SK aufzählen, überwiegend eine Deutung dieses w=qatal als „Perfectum copulativum“: In diesen Fällen funktioniere w=SK wie einfache SK, stehe somit für den perfektiven Aspekt, hier sei das „schwache waw“ am Werk, während für w=SK im Inversionspaar für imperfektiven Aspekt, das „starke waw“ anzusetzen sei. Grund oder Anlass für diese Verwendung sehen sie, soweit sie nicht ein jüngeres Sprachstadium postulieren, in dem die Inversionsregeln nicht mehr voll funktionieren, darin, dass diese Belege synonyme Wortpaare, parallele bzw. gleichzeitige Aktionen bezeichnen. Diese Lösung hat einen großen Schönheitsfehler: Obwohl die grundlegende Dichotomie des hebräischen Verbalsystems lautet: perfektiver oder imperfektiver Aspekt, soll w=SK mal den perfektiven, mal den imperfektiven Aspekt bezeichnen.58 Oben wurde versucht, die perfektive Funktion solcher w=SK ohne Perfectum copulativum, nämlich durch kontextgebundene Ellipse bei virtueller Fortwirkung des x vor der ersten SK zu rechtfertigen, das Verbpaar somit als x-qatal w=(x)-qatal zu deuten. Diese Erklärung, parallel zu den Fällen von w=PKLF, ist möglich, kann aber nicht auf alle Belege angewendet werden. Selten und nur je für einen Ps-Beleg wird das w=qatal im Verbpaar SK w=SK als „Perfectum consecutivum“ dem imperfektiven Aspekt zugewiesen: von König zu Ps 22,6 (Perfectum consecutivum in frequentativer Funktion) und von Bergsträsser zu Ps 27,2 (w=SK wirkt so auf die vorausgehende SK zurück, dass auch diese wie w=SK für imperfektiven Aspekt steht). Eine grundsätzliche und einheitliche Deutung aller oben diskutierten Belege von w=SK lässt Erhard Blum als wahrscheinlich erscheinen. Er integriert die Beobachtungen der Grammatiken zur Synonymität etc. der einschlägigen Belege in seine Konzeption des imperfektiven Aspekts und bestimmt als eine Hauptfunk54
Ebd., 29–31. Ebd., 32. 56 Joosten, Verbal System, 293 mit Anm. 88, bietet für das w=qatal von Ps 50,21 eine entgegengesetzte Deutung im Rahmen des Inversionspaares an: „WEQATAL often introduces the future-modal time frame after a clause with a different temporal orientation.“ Er denkt wohl an Übersetzungen nach Art von Seybold (vgl. oben Anm. 44). 57 Ebd., 223–225. 58 Ebd., 223: „w e + QATAL and WEQATAL are grammatical homonyms […] Use and meaning of the two are nevertheless entirely distinct.“ 55
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tion des Inversionspaares für imperfektiven Aspekt „die relative Gleichzeitigkeit des betreffenden Vorgangs oder Sachverhalts zu einem anderen Vorgang/Sachverhalt der dargestellten Handlung. Näher besehen bezeichnen die sprachlichen Ausdrücke diese (definitorische) Gleichzeitigkeit nicht unmittelbar, sondern vermittelt durch die Bedeutung des imperfektiven Aspekts.“59 So „erschließen sich von der skizzierten temporalen Struktur weitere typische Verwendungen der ‚Imperfektiv‘-Formen. Dazu gehört die erstaunlich große Zahl von Belegen, in denen ein und derselbe Sachverhalt entweder in redundanter Synonymie oder in mehr oder weniger stark differierenden Perspektiven/Nuancen dargestellt wird. In allen diesen Fällen ist temporal die ‚relative Gleichzeitigkeit‘ gleichsam per se gegeben (was nicht bedeutet, dass sie in jedem Fall zum Ausdruck gebracht werden müsste!).“60 Er deutet auch bereits an, dass diese „Möglichkeit einer Bezeichnung der relativen Gleichzeitigkeit mit Hilfe des imperfektiven Inversionspaares und die Gleichzeitigkeit als temporales Korrelat einer ‚mehrfachen‘, (partiell) synonymen Darstellung des gleichen Sachverhalts“ den Wechsel zwischen SK und PKLF im Parallelismus von Psalmenversen verstehbar machen.61 Dieses Erklärungsmuster lässt sich besonders auf die hier untersuchten Verbpaare anwenden: Im Verbpaar SK w=SK steht die SK für den perfektiven Aspekt, und w=SK als Vertreter des imperfektiven Aspektes ergänzt die Beschreibung desselben Vorgangs in „relativer Gleichzeitigkeit“. Diese Deutung kann auf alle obigen Belege von SK w=SK angewendet werden. Auch diese Verbpaare funktionierten somit regelgemäß im Sinne der Inversionspaare. Diese weiterführende Konzeption des imperfektiven Aspekts bedarf einer umfassenden Diskussion. Bezüglich der Belege mit vorausgehendem gemeinsamen Satzteil bleibt aber des ungeachtet die (im Fall von PKLF w=PKLF einzig zutreffende) alternative Erklärung von SK w=SK durch Ellipse des x und somit beider Verbformen des Verbpaares als Vertreter des perfektiven Aspekts möglich. Abkürzungen ePP enklitisches Personalpronomen Imp Imperativ Koh Kohortativ PK Präfixkonjugation PKKF Präfixkonjugation Kurzform PKLF Präfixkonjugation Langform RS Relativsatz SK Suffixkonjugation sPP selbstständiges Personalpronomen
59 Blum,
Verbalsystem, 125. Ebd., 127. 61 Ebd., 128. 60
Das Verbalsystem des klassischen biblischen Hebräisch* Jan Joosten
Dass der Gebrauch der Verbalformen in der hebräischen Bibel ein Rätsel darstellt, ist weithin anerkannt. Es bildet zum einen ein pädagogisches Problem. Schauen wir als Beispiel auf die Funktionen der Suffixkonjugation: Ȥ Die Suffixkonjugation (im Folgenden: qatal) drückt normalerweise Vergangenheit aus: „ הלכתיich bin gegangen“. Ȥ Aber mit waw weist diese Form in die Zukunft: ( והלכתיmit Endbetonung, milra῾) „und ich werde gehen“. ȤȤ Es sei denn, sie begegnet, mit waw, in vergangenheitlichem Zusammenhang und stellt eine wiederholte Handlung dar: Am 4,7 ְו ִה ְמט ְַרּתִ י עַל־עִיר ֶאחָת ְועַל־עִיר ַאחַת ֹלא ַא ְמטִיר … und ich ließ regnen auf die eine Stadt, aber auf die andere nicht.
Ȥ Schließlich gibt es auch Stellen, an denen qatal mit waw einfache Vergangenheit ausdrückt, so wie ׁש ֶב ָה ֹּלו צְדָ קָה ְ ְו ֶה ֱאמִן ּבַיהוָה ַוּי ַ ְח, „Und Abram glaubte dem Herrn, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit“ (Gen 15,6).1 Wer Studierenden diese Funktionen, die im biblischen Hebräisch ganz regulär sind, zu lehren vermag, ist wahrlich ein ausgezeichneter Lehrer, eine ausgezeichnete Lehrerin. Ähnliches gilt für andere Verbalformen. Aber das Problem ist nicht nur ein pädagogisches. Es gilt zu verstehen, warum das System so eigenartig aussieht, und was die genaue Bedeutung der einzelnen Formen ist. Sehr viele und sehr begabte Hebraisten und Semitisten haben sich um diese Fragen bemüht und tun es noch. Ganz unterschiedliche Hypothesen sind vorgeschlagen worden, was zu einer gewissen Resignation führen kann. Dieser sollte man aber widerstehen. Und es gibt noch eine Versuchung, der man widerstehen sollte, nämlich die der Suche nach einem Wundermittel, das mit einem Schlag das ganze Problem aus der Welt zu schaffen hilft. Zum Beispiel führen die Fragen nach „Aspekt“ und „Textgrammatik“ auf fruchtbare Konzepte, denen ein wichtiger Platz in der theoretischen Annäherung an das hebräische * Eine frühere Fassung dieses Aufsatzes wurde am 16. Juli 2014 im Oberseminar von Erhard Blum auf Englisch vorgetragen und eingehend diskutiert. Die deutsche Fassung ist von Christl Maier sprachlich überarbeitet worden. Ihr und den Herausgebern des vorliegenden Bandes gilt mein aufrichtiger Dank. 1 Die Endbetonung unterbleibt in diesen Fällen, z. B.: 1 Kön 3,11 ׁשּפָט ְ ְוׁשַָאלְּתָ ּלְָך ָהבִין ִלׁשְמ ֹ ַע ִמ.
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Verbalsystem gebührt. Aber sie geben keinen magischen Schlüssel an die Hand, der alle offenen Fragen löst. Stattdessen brauchen wir eine pragmatische Methode, die das in der Forschungsgeschichte erarbeitete Gute behält, das weniger Gute beiseite schiebt und das Fehlende hinzufügt.2 Eine letzte Vorbemerkung ist erforderlich: Das biblische Hebräisch ist bekanntermaßen nicht eine Sprache, oder präziser, es ist nicht nur eine Sprache. Die hebräische Bibel ist eine Sammlung von Texten unterschiedlichen Datums und vielleicht auch unterschiedlicher geographischer Herkunft. Um ein möglichst einheitliches Korpus abzugrenzen, empfiehlt es sich, in erster Linie Prosatexte des Pentateuch und der Vorderen Propheten zu berücksichtigen. Die Prosa der Bücher Genesis bis 2 Könige ist hinreichend homogen für unsere Fragestellung. Poetische Texte sollten ausgeklammert bleiben, bis die Verhältnisse in Prosatexten geklärt sind. In späten Texten wie Esra-Nehemia, Chronik, Esther, Daniel und Prediger ist ein anderer Gebrauch der Verbalformen zu beobachten: die Sprache entwickelte sich offensichtlich weiter. Die Phänomene des späten biblischen Hebräisch sollten daher gesondert untersucht werden.3
I. Ergebnisse der Forschungsgeschichte Eine umfassende Darstellung der Forschungsgeschichte würde den hier zur Verfügung stehenden Raum sprengen. Ich beschränke mich daher auf die wichtigsten tatsächlichen Fortschritte. Mehrere Beobachtungen zum hebräischen Verbalsystem haben sich im Lauf der Forschung bewährt: ȤȤ Die Präfixkonjugation ist nicht einheitlich, sondern zerfällt in „volitive“ und „nicht-volitive“ (oder „jussivische“ und „nicht-jussivische“) Formen;4 die volitiven Formen – Jussiv, Kohortativ, Imperativ – bilden zusammen ein Bedeutungssystem.5 Volitive und nicht-volitive Formen sind nur in bestimmten Fällen formal getrennt: z. B. „ יְהִיer möge sein“ versus „ י ִ ְהי ֶהer wird sein“. Aber auch, wo sie 2 Der vorliegende Aufsatz fußt auf meiner Monographie: J. Joosten, The Verbal System of Biblical Hebrew. A New Synthesis Elaborated on the Basis of Classical Prose (JBS 10), Jerusalem 2012. Neuere Literatur: T. Notarius, The Verb in Archaic Biblical Poetry. A Discursive, Typological, and Historical Investigation of the Tense System (SSLL 68), Leiden 2013; F. Matheus, Text and Time. A Functional Approach to the Biblical Hebrew Verbal System (Wissenschaftliche Schriften der WWU Münster, 2. Reihe 7), Münster 2014; E. Robar, The Verb and the Paragraph in Biblical Hebrew. A Cognitive-Linguistic Approach (SSLL 78), Leiden 2015; P. Streitenberger, Das Verbalsystem im biblischen Hebräisch, Ingolstadt 2016. 3 O. Cohen, The Verbal Tense System in Late Biblical Hebrew Prose (HSS 63), Winona Lake 2013. 4 W. Gesenius, Ausführliches grammatisch-kritisches Lehrgebäude der hebräischen Sprache, Leipzig 1817, 282–289. 5 G. Bergsträsser, Hebräische Grammatik, 2. Bd., Leipzig 1929, § 10a.
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zusammenfallen, unterscheiden sie sich auf syntaktischer Ebene: Volitive Formen stehen fast immer am Satzbeginn, weil nicht-volitives yiqtol normalerweise im Inneren des Satzes begegnet:6 Dtn 17,13 ׁשמְעּו ְ ִ ְוכָל־ ָהעָם י Das ganze Volk wird es hören
ְ ִי 1 Sam 13,3 ׁשמְעּו ָה ִעב ְִרים Die Hebräer sollen es hören
ȤȤ Die Präfixkonjugation in der Narrativform, wayyiqtol, ist nicht identisch mit der gewöhnlichen, nicht-volitiven Langform (yiqtol); erstgenannte ist vergleichbar dem akkadischen Präteritum iprus und dem arabischen majzûm in der Wendung lam yaf῾al „er tat nicht“.7 Ȥ Waw mit Suffixkonjugation in modal-futurischer Funktion, weqatal, hat seinen Ursprung in der Apodosis von Konditionalsätzen, wie man im Phönizischen und in der Sprache der Amarnabriefe sehen kann;8 weqatal ist die „Grammatikalisation“ einer modalen Bedeutungsnuance, die in qatal verschlossen lag (z. B. Gen 18,12 „ ַאח ֲֵרי בְֹלתִ י ָהי ְתָ ה־ּלִי עֶדְ נָהNachdem ich verblüht bin, soll mir noch Wonne zuteil werden!“). Dieses weqatal ist hinsichtlich seiner Bedeutung kaum zu unterscheiden von yiqtol, der Langform der Suffixkonjugation; beide Formen drücken aus: – Futurum, mehr oder weniger modal gefärbt; – Wiederholung in der Vergangenheit; – allgemeine und sprichwörtliche Aussagen. Der Unterschied zwischen weqatal und yiqtol ist vor allem ein syntaktischer: weqatal steht am Beginn der Satz, yiqtol folgt auf ein sonstiges Element (x – yiqtol). Die Formen bilden ein Inversionspaar.9 ȤȤ Das Verhältnis zwischen wayyiqtol und qatal wird oft ähnlich dargestellt: die zwei Formen würden angeblich ein Inversionspaar bilden, wie es weqatal und yiqtol tun: gleiche Funktion, andere Syntax. Dies stimmt aber nicht mit der Beobachtung überein, dass wayyiqtol zur Gattung der „erzählten Welt“ gehört, qatal jedoch zur Gattung der „besprochenen Welt“:10 6 A. Niccacci, A Neglected Point of Hebrew Syntax. Yiqtol and Position in the Sentence, LA 37 (1987) 7–19. 7 W. Wright, Lectures on the Comparative Grammar of the Semitic Languages, Cambridge 1890, 191–193. 8 C. R. Krahmalkov, The Qatal with Future Tense Reference in Phoenician, JSS 31 (1986) 5–10; W. Moran, The Hebrew Language in Its Northwest Semitic Background, in: G. E. Wright (Hg.), The Bible and the Ancient Near East, Garden City 1961, 54–71, hier 64–65. 9 W. Gross, Verbform und Funktion. ‚wayyiqtol‘ für die Gegenwart? Ein Beitrag zur Syntax poetischer althebräischer Texte (ATSAT 1), St. Ottilien 1976, 15–54. 10 H. J. Polotsky, A Note on the Sequential Verb-Form in Ramesside Egyptian and Biblical Hebrew, in: S. Israelit-Groll (Hg.), Pharaonic Egypt, the Bible and Christianity, Jerusalem 1985, 157–161.
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2 Sam 12,26 ַוּי ִ ָּלחֶם יֹוָאב ּב ְַרּבַת ְּבנֵי עַּמֹון ַוּיִלְּכ ֹד אֶת־עִיר ַהּמְלּוכָה Joab aber stritt wider Rabba der Ammoniter und gewann die königliche Stadt. 2 Sam 12,27 נִ ְל ַחמְּתִ י ב ְַרּבָה ּגַם־ ָלכַדְ ּתִ י אֶת־עִיר ַה ָּמי ִם Ich habe wider Rabba gestritten und auch die Wasserstadt genommen.
Die Formen überlappen sich teilweise, aber sie haben grundsätzlich ihre je eigene Funktion. ȤȤ Neben den finiten Verbalformen kommt auch dem Partizip ein Platz im System zu.11 In manchen Sätzen drückt das Partizip nicht, wie von einem Adjektiv zu erwarten, eine Eigenschaft aus, sondern einen Prozess: Gen 4,10 קֹול ּדְ מֵי ָאחִיָך צ ֹ ֲעקִים ֵאלַי מִן־ ָהאֲדָ מָה Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde.
Das Partizip ist hier „grammatikalisiert“ als ein vollwertiger Bestandteil des Verbalsystems. Seine Funktionen, insbesondere die, „echtes Präsens“ auszudrücken, können nicht von finiten Formen übernommen werden. Es wäre eine Übertreibung zu behaupten, dass die aufgelisteten Ergebnisse in der Forschung allgemeine Anerkennung genießen. Der hier verfolgte schrittweise und pragmatische Ansatz ist leider nicht „sexy“. Doch liegt meines Ersehens auf diesem Weg die Lösung des Rätsels des hebräischen Verbums: Das System ist schwer zu verstehen, weil es komplex ist. Diese Komplexität zu analysieren ist die Aufgabe.
II. Das System in Grundzügen Viele Darstellungen des hebräischen Verbums gehen von der Idee aus, dass das System irgendwie binär ist. Man bestimmt, wie qatal sich zu yiqtol verhält oder wie das Inversionspaar qatal/wayyiqtol sich zu yiqtol/weqatal verhält, und meint, das Problem damit im Wesentlichen gelöst zu haben. Solche Zugänge implizieren eine unzulässige Vereinfachung. In Vergleich mit europäischen Sprachen ist das biblische Hebräisch arm an Verbalformen, dennoch hat es weit mehr als zwei! Das Kernsystem besteht wenigstens aus den folgenden Formen und Formengruppen: qatal, wayyiqtol, das verbalisierte Partizip, das Inversionspaar yiqtol/weqatal und das volitive Subsystem; also aus acht Formen, gegliedert in fünf funktionale Kategorien. Weitere Bildungen sowie „periphrastische“ Formen mit היהund Partizip oder Infinitive in prädikativer Funktion sind sehr viel seltener bezeugt und weniger wichtig. Die fünf Kategorien lassen sich wie folgt in ein System bringen: 11 R. Bartelmus,
HYH. Bedeutung und Funktion eines hebräischen „Allerweltswortes“ – zugleich ein Beitrag zur Frage des hebräischen Tempussystems (ATSAT 17), St. Ottilien 1982.
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INDIKATIV Präteritum Zeitbezug vorzeitig gleichzeitig wayyiqtol qatal Partizip imperfektivisch perfektivisch Subj.‑Ptzp. Ptzp.‑Subj.
MODUS prospektiv
volitiv
yiqtol/weqatal Juss., Koh., Imp.
Wayyiqtol, qatal und Partizipsätze sind indikativisch, sie stellen einen Prozess als wirklich geschehen oder wirklich geschehend dar, yiqtol/weqatal und Volitive sind modal, sie stellen einen Prozess als möglich, unausweichlich, gewünscht etc. dar. ȤȤ Wayyiqtol ist ein Präteritum: die Form weist in Prosatexten fast immer in die Vergangenheit. Demgegenüber sind qatal und Partizip nicht zeitlich (in grammatischem Sinne) begrenzt: beide erscheinen in vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Zusammenhängen. ȤȤ Der Unterschied zwischen qatal und dem Partizip liegt auf der Ebene des Zeitbezugs (Englisch: „time reference“ oder „taxis“). Beide Formen drücken „relative Zeit“ aus, präziser: Vor- und Gleichzeitigkeit mit einem Referenzpunkt. Qatal weist auf vorzeitige Sachverhalte, das Partizip auf gleichzeitige. ȤȤ Im Gegensatz zu finiten Formen fordert das verbalisierte Partizip normalerweise ein explizites Subjekt; die Folge von Partizip und Subjekt variiert: in etwa 90 Prozent der Fälle findet man die Folge Subjekt – Partizip, in etwa 10 Prozent die umgekehrte Folge; die häufigere Folge drückt aktuelle Gleichzeitigkeit aus, die weniger häufige stellt den Prozess als ein schlichtes Faktum dar.12 ȤȤ Im modalen Bereich stehen sich yiqtol/weqatal und Volitive gegenüber: Beide Kategorien stellen einen Prozess als nicht-wirklich dar, aber die Volitive fügen eine willentliche Nuance des Sprechers hinzu. Ein solches Schema ist natürlich nicht beweisbar. Es ist nur eine mehr oder weniger systematische Darstellung der sprachlichen Phänomene. Dennoch lässt es erahnen, wie die unterschiedlichen Formen interagieren. Die Funktion einer jeder Form ist begrenzt durch die Funktion der anderen Formen. Verbale Funktionen sollten nicht hypostasiert werden. Sie sind flexibel und passen sich an ihren sprachlichen Kontext sowie an die Sprechsituation an. Verbformen sind wie Schalter: sie lenken die Kommunikation in bestimmte Richtungen. Im vorliegenden Aufsatz kann nicht jeder Teil des hebräischen Verbalsystems in Einzelheiten diskutiert werden. Ich beschränke mich daher auf den neuralgischen Bereich der yiqtol-Form. Zweihundert Jahre lang, von Heinrich Ewald bis zu Dennis Pardee, ist yiqtol als imperfektivisch beschrieben worden, als ein Aus12
Joosten, Verbal System, 230–239.
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druck des Aspekts.13 Aber im obigen Schema stellt yiqtol nur noch eine Modalform dar. Damit ist das Pendel zurückgeschwungen: Vor Ewald war yiqtol schon einmal, viele Jahrhunderte lang, der traditionellen jüdischen Grammatik entsprechend, ein῾atid – „Futurum“. Der hier vertretene neue Ansatz soll im Folgenden begründet werden. Zusätzlich sollen einige syntaktische Eigenarten dieser Verbform aufgedeckt werden.
III. Die Bedeutung von yiqtol Yiqtol, die Langform der Präfixkonjugation, begegnet sehr häufig in der hebräischen Bibel. Trotzdem hat es sich als schwierig erwiesen ihre Bedeutung zu bestimmen. Der Mehrheitsmeinung nach drückt yiqtol einen imperfektivischen Aspekt aus. Aspekte sind nicht leicht zu definieren. Gleichwohl impliziert die Bestimmung von yiqtol als Imperfekt, dass die Form einen Prozess in seinem Verlauf darstellt: Man beobachtet sozusagen den Prozess von innen.14 Einfacher gesagt, imperfektivisches yiqtol ähnelt dem deutschen Präsens und mehr noch dem englischen present progressive: „he is going“; nur ist yiqtol nicht an die Gegenwart gebunden und kann auch Prozesse in der Vergangenheit oder der Zukunft ausdrücken: „He was going“, „he will be going“. In dieser Sicht steht yiqtol als Imperfekt dem perfektivischen qatal gegenüber, das einen Prozess in seiner Globalität darstellt und ihn von außen beobachtet. Ein gravierendes Problem dieses Ansatzes ist, dass yiqtol fast nie in Aussagen begegnet, die gegenwärtige Sachverhalte betreffen. Es handelt sich hier um ein argumentum e silentio, das aber trotzdem stichhaltig ist. Wie viele Linguisten gesehen haben, ist das Präsens naturgemäß imperfektivisch. Wenn sich ein Prozess im Moment der Rede in der Entwicklung befindet, ist es selbstverständlich, dass man ihn von innen heraus beobachtet: „Ich spreche gerade zu Ihnen, und Sie hören mir zu“, „I’m standing here lecturing, and you are listening to me.“ In Sprachen mit verbalem Aspekt dient ausnahmslos das Imperfekt zur Darstellung gegenwärtiger Sachverhalte – das heißt, zur Darstellung des „echten Präsens“ im Gegensatz zu allgemeinen oder sprichwörtlichen Aussagen, für die auch das Perfekt zulässig ist. Im biblischen Hebräisch aber werden solche Aussagen mit dem Partizip gebildet: Num 11,27 ֶאלְּדָ ד ּומֵידָ ד מִתְ נַ ְּבאִים ַּב ַּמ ֲחנֶה Eldad und Medad weissagen im Lager! Eldad and Medad are prophesying in the camp! 13 J. A. Cook, Time and the Biblical Hebrew Verb. The Expression of Tense, Aspect, and Modality in Biblical Hebrew (Linguistic Studies in Ancient West Semitic 7), Winona Lake 2012. 14 Grundlegend: B. Comrie, Aspect. An Introduction to the Study of Verbal Aspect and Related Problems, Cambridge 1976.
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Zur Beschreibung von sich „direkt vor den Augen“ entfaltenden Prozessen findet man praktisch nie yiqtol. Stattdessen verweist yiqtol am häufigsten auf noch nicht begonnene Prozesse. Diese Tatsache deutet darauf hin, dass yiqtol nicht einen imperfektivischen Aspekt, sondern einen nicht-indikativischen Modus ausdrückt: yiqtol ist „prospektiv“. Vermutlich war die Form im Proto-Hebräischen tatsächlich imperfektivisch, aber in historischer Zeit hat sie sich zu einer Modalform entwickelt. Die Entwicklung von präsentischen Imperfekten zu Modalformen mit futurischeventueller Bedeutung ist in manchen Sprachfamilien bezeugt.15 Eine ganz ähnliche Entwicklung nimmt auch die aramäische Präfixkonjugation im Laufe des ersten Jahrtausends v. Chr. Neben dieser negativen Begründung, weshalb yiqtol nicht als imperfektivisch eingeschätzt werden sollte, gibt es auch mehrere positive Argumente. Deren nenne ich zwei. Erstens ist es aufschlussreich zu beobachten, was mit yiqtol geschieht, wenn es mit Interjektionen und Adverbien kombiniert wird, die die Aktualität und Relevanz eines Sachverhalts unterstreichen. Ȥ Das Adverb „ עתהjetzt“ findet sich nur in der Rede, nie in der Erzählung. Es richtet sich auf den Moment der Rede und ist oft verbunden mit der rhetorischen Funktion, eine praktische Schlussfolgerung zu ziehen. Es geht über hundert Mal einer yiqtol-Form voraus, aber der Prozess ist niemals ein in Entwicklung begriffener. Stattdessen beinhaltet die Aussage ausnahmslos, was danach geschehen wird: Ex 6,1 עַּתָ ה תִ ְראֶה ֲאׁשֶר ֶא ֱעׂשֶה ְלפ ְַרע ֹה
Nun sollst du sehen, was ich dem Pharao tun will!
Zum Ausdruck gegenwärtiger Prozesse werden andere Verbalformen benutzt, insbesondere das Partizip: 2 Sam 17,9 עַּתָ ה הּוא־נֶ ְחּבָא ּבְַאחַת ַה ְּפחָתִ ים
In diesem Augenblick versteckt er sich in der Höhle. At this very moment he is hiding out in one of the caves.
Ȥ Die Interjektion „ הנהsiehe“ begegnet in jeder Zeitstufe (Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft) und unterstreicht immer die Relevanz einer Tatsache aus Sicht des Sprechers oder eines Aktanten. Dennoch rekurriert הנהmit yiqtol nie auf gleichzeitige Prozesse (die einzige Ausnahme ist Gen 37,7, aber die Wendung steht ganz isoliert). Stattdessen verweist הנהmit yiqtol auf die Zukunft oder hat eine konditionale Bedeutung: 1 Sam 20,21 ׁשלַח אֶת־ ַהּנַעַר ְ ְו ִהּנֵה ֶא
Und siehe, dann werde ich den Knaben schicken.
1 Sam 9,7 ְו ִהנֵּה נֵלְֵך וּמַה־נָּבִיא ָלאִישׁ
Siehe, wenn wir hingehen, was bringen wir dem Mann? 15
Viele Beispiele finden sich in D. Cohen, L’aspect verbal, Paris 1989.
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Für gleichzeitige Prozesse wird das Partizip benutzt: 1 Sam 12,2 ְועַּתָ ה ִהּנֵה ַה ֶּמלְֶך מִתְ ַהּלְֵך ִל ְפנֵיכֶם
Und nun siehe, da geht euer König vor euch her.
Man sollte erwarten, dass diese Partikel die imperfektivische Funktion hervorheben, wie es mit dem Partizip der Fall ist. Mit yiqtol haben sie jedoch nicht diese Wirkung. Yiqtol deutet damit auf nicht begonnene Prozesse, ungeachtet der Anwesenheit von עתהoder הנה. Zweitens lohnt es sich zu bedenken, dass yiqtol die Normalform in Finalsätzen mit Konjunktionen wie למעןoder בעבורist: Dtn 16,20 צֶדֶ ק צֶדֶ ק ּתִ ְרּד ֹף ְל ַמעַן ּתִ ְחי ֶה Der Gerechtigkeit, ja der Gerechtigkeit jage nach, dass du leben mögest (LXX ἵνα ζῆτε).
Sprachen, die wie das Deutsche und das Griechische über Modalformen verfügen, benutzen sie in dieser Art von Satz. Der Gebrauch von yiqtol in Finalsätzen deutet darauf hin, dass es eine Modalform ist.16
IV. Iterative und frequentative Funktionen von yiqtol Die Behauptung, dass yiqtol nicht-indikativische Modalität ausdrückt, stößt früher oder später auf den Einwand, es gebe auch unbestreitbar imperfektivische Verwendungen dieser Verbform. Die Funktion, die man in diesen Zusammenhang stets anführt, ist die iterativ-frequentative. Diese Funktion ist tatsächlich gut belegt: 1 Sam 2,19 ּו ְמעִיל קָט ֹן ּתַ ֲעׂשֶה־ּלֹו אִּמֹו ְו ַה ַעלְתָ ה לֹו ִמּיָמִים יָמִימָה Dazu machte ihm seine Mutter ein kleines Oberkleid und brachte es ihm jährlich mit. His mother used to make him a small robe and bring it up to him each year. Sa mère lui faisait chaque année une petite robe, et la lui apportait.
Iteratives yiqtol ist über 100-mal belegt in Genesis bis 2 Könige, in der Erzählung und in direkter Rede, in Haupt- und Nebensatz. Die Zeitspanne, in der sich der Prozess wiederholt, kann einige Jahre umfassen wie in dem obigen Beispiel aus der Samuelgeschichte oder eine kürzere Zeit: Wenn Mose seine Hände hochhebt, siegt Israel, aber wenn er sie sinken lässt, siegt Amalek (Ex 17,11), schließlich auch eine noch längere Zeit: vor der Sintflut kommen die Söhne Gottes zu den Töchtern der Menschen, und diese gebären ihnen Kinder (Gen 6,4). Die iterativ-frequentative Funktion wird in vielen Sprachen mit imperfektivischen Formen ausgedrückt. Zum Beispiel findet man in französischen Übersetzungen von 1 Sam 2,19 das Imparfait („Sa mère lui faisait chaque année une petite 16
Im Arabischen und im Äthiopischen wird in Finalsätzen mit Konjunktionen immer die modale Form der Präfixkonjugation benutzt.
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robe“, Segond). Indessen ist die Beziehung zwischen wiederholten Sachverhalten und imperfektivischem Aspekt nicht selbstverständlich. Das Imperfekt folgt einem Prozess in seinen Verlauf. Das wird von iterativen Aussagen nicht geleistet. So überrascht die Beobachtung nicht, dass andere Sprachen nicht-imperfektivische Formen in solchen Aussagen verwenden. Sehr viele Sprachen der Welt bilden iterativ-frequentative Sätze mit Modalformen. Im Englischen kann man die would-Form benutzen. 1 Sam 2,19 könnte übersetzt werden mit: „His mother would make him a small robe each year, and would bring it up to him.“ Im klassischen Griechisch verwendet man den Optativ in Nebensätzen zum Ausdruck von wiederholten Sachverhalten in der Vergangenheit. Ähnliche Phänomene begegnen im Syrischen, Russischen, Bengalischen, Serbokroatischen und in anderen Sprachen.17 Hebräisches yiqtol gehört auch in diese Kategorie. Es ist eine modale Form, die meistens eine prospektive Funktion hat und in vergangenen Kontexten wiederholte Prozesse darstellen kann. Dieses Ergebnis lässt sich noch von zwei Seiten erhärten. Zum einen ist klar, dass yiqtol in iterativ-frequentativen Aussagen oft mit weqatal zusammengeht (siehe im obigen Beispiel). Wenn man yiqtol hier für imperfektivisch halten möchte, muss man weqatal in gleicher Weise erklären. Dass weqatal imperfektivischen Aspekt ausdrückt, ist aber unwahrscheinlich. Zweitens sollte eine Grenze des Bedeutungspotentials von yiqtol in vergangenen Kontexten beachtet werden. Was yiqtol nicht leisten kann, ist, einen Prozess auszudrücken, der tatsächlich andauert, während ein anderer Prozess sich ereignet. Eine solche Konstellation erfordert das Partizip: Gen 19,1 ׁשעַר־סְד ֹם ַ ׁשנֵי ַה ַּמלְָאכִים סְדֹמָה ָּבע ֶֶרב וְלֹוט יֹׁשֵב ְּב ְ ַוּי ָב ֹאּו Und die zwei Engel kamen am Abend nach Sodom. Lot aber saß zu Sodom im Tor. The two angels came to Sodom in the evening; and Lot was sitting in the gate of Sodom.
Man sieht hier erneut, wie beim echten Präsens, dass Funktionen, die offenkundig imperfektivisch sind, nicht von yiqtol, sondern vom Partizip übernommen werden.
V. Yiqtol, Jussiv und Wortstellung in der klassischen Prosa Obwohl yiqtol und Jussiv unterschiedliche Formen mit je eigener Bedeutung sind, gleichen sie sich auf formaler und semantischer Ebene. Die Syntax ist hier, wie oben angedeutet, eine große Hilfe. Yiqtol begegnet nur ausnahmsweise am Beginn eines Satzes, während der Jussiv hier seinen normalen Platz hat. 17 Z. B. S. Mønnesland, The Slavonic Frequentative Habitual, in: C. de Groot/H. Tommola (Hg.), Aspect Bound. A Voyage into the Realm of Germanic, Slavonic and Finno-Ugrian Aspectology, Dordrecht 1984, 53–76.
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Gen 27,41 וַּי ֹאמֶר ֵעׂשָו ְּבלִּבֹו יִק ְְרבּו יְמֵי ֵאבֶל ָאבִי וְַאה ְַרגָה אֶת־יַעֲק ֹב ָאחִי Dieser Satz bedeutet nicht: Und Esau sprach in seinem Herzen: Es wird die Zeit bald kommen, da man um meinen Vater Leid tragen muss, dann will ich meinen Bruder Jakob erschlagen. Sondern: … Möge die Zeit bald kommen da man um meinen Vater Leid tragen muss, damit ich meinen Bruder Jakob erschlage. … Let the days of my father’s mourning draw nigh, that I may slay my brother Jacob.
Die Syntax zeigt, dass יקרבוhier ein Jussiv mit volitiver Bedeutung ist. Esau hasst sein Bruder mehr als er seinen Vater liebt. Er wünscht, der Vater möge sterben, damit er die Freiheit habe, seinen Bruder zu ermorden. Ausnahmen mit yiqtol (oder waw + yiqtol) am Beginn des Satzes gibt es nur wenige, von denen einige textkritisch unsicher sind. Es gibt aber zwei nennenswerte Sonderfälle. Erstens findet man interessante Beispiele mit yiqtol in erster Position dank einer speziellen Art Ellipse:18 Gen 15,15 וְאַתָּ ה תָּ בֹוא אֶל־אֲב ֹתֶ יָך ְבּשָׁלֹום תִּ ָקּבֵר ְבּשֵׂיבָה טֹובָה Und du sollst in Frieden zu deinen Vätern hinfahren und in gutem Alter begraben werden.
Die Form תקברsteht am Beginn des Satzes, aber sie ist kaum als Jussiv zu deuten. Der ganze Vers ist eine Zusage Gottes. Die Lösung des Problems findet sich im vorhergehenden Satz. Das betonte ואתהhat „double duty“, das heißt, es steht virtuell auch vor der zweiten Verbform. Ähnlich verhält es sich in den folgenden Beispielen: Ex 23,8 כִּי הַשֹּׁחַד י ְ ַעוֵּר ִפּ ְקחִים וִי ַסלֵּף דִּ ב ְֵרי צַדִּ יקִים Denn das Geschenk macht die Sehenden blind und verkehrt die Sache der Gerechten.
ְ ְל ַמעַן י ָנּו ַח Ex 23,12 ׁשֹורָך ַוחֲמ ֶֹרָך ְויִּנָפֵׁש ּבֶן־ ֲאמָתְ ָך ְו ַהּגֵר Damit dein Ochs und dein Esel ausruhen und deiner Magd Sohn und der Fremdling sich erholen.
Beweisen kann man diese Sicht nicht. Aber der Vergleich von poetischen Texte mit und ohne Ellipse gibt einen Hinweis: Ps 13,2 ׁש ָּכ ֵחנִי נֶצַח עַד־ָאנָה ּתַ סְּתִ יר אֶת־ ָּפנֶיָך ִמ ֶּמּנִי ְ ִעַד־ָאנָה י ְהוָה ּת Ps 79,5 עַד־מָה י ְהוָה ּתֶ ֱאנַף ָלנֶצַח ּתִ ְבעַר ּכְמֹו־אֵׁש ִקנְָאתֶ ָך
Die Syntax ist gleich, egal ob man das hervorgehobene Element wiederholt (wie in Ps 13,2) oder nicht (wie in Ps 79,5). Man spürt die Anwesenheit dieses Elements im zweiten Satz, auch wenn es materialiter nicht begegnet.19 18 E. Blum, Das althebräische Verbalsystem – Eine synchrone Analyse, in: O. Dyma/A. Michel (Hg.), Sprachliche Tiefe – Theologische Weite (BThSt 91), Neukirchen-Vluyn 2008, 91– 142, hier 111. 19 Gross, Verbform, 148.
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Zweitens findet sich eine Handvoll Stellen mit markiertem yiqtol in bittender Funktion: Gen 27,31 יָקֻם ָאבִי וְי ֹאכַל ִמּצֵיד ּבְנֹו Mein Vater stehe auf, und esse von dem Wildbret seines Sohnes. 2 Sam 14,17 י ִ ְהי ֶה־נָּא דְּ בַר־אֲדֹנִי ַה ֶמּלְֶך ִלמְנוּחָה Meines Herrn, des Königs Wort möge mir ein Trost sein.
Man erwartet hier Jussiv: yåqom und yehi. Es könnte sich um Fehler handeln. Weil sich aber auch in poetischen Texten Fälle dieser Art finden, und weil es sich in allen Fällen um eine Anrede an Gott, Vater oder König handelt, bevorzuge ich, das Phänomen als eine genuine Möglichkeit der Sprache anzusehen. Die Langform in erster Position scheint eine gemilderte Form der Willensäußerung auszudrücken.20
VI. Abschließende Bemerkungen Im vorliegenden Aufsatz bin ich davon ausgegangen, dass hebräische Verbformen eine Bedeutung haben, die strukturell determiniert ist und sich mit Kategorien wie Tempus, Zeitbezug, Aspekt und Modus beschreiben lässt. Alle diese Annahmen sind auch angefochten worden, zuweilen mit guten Argumenten. Zum Beispiel haben mehrere Hebraisten in jüngerer Zeit versucht, das hebräische Verbalsystem in rein textgrammatischer Perspektive zu beschreiben.21 Alexander Andrason behauptet in einer Reihe neuester Aufsätze, dass hebräische Verbformen nicht eine einzige, sondern eine Reihe unterschiedlicher Bedeutungen haben.22 Die Forschungslage gebietet Bescheidenheit in der Hypothesenbildung. Trotzdem scheint mir das strukturelle Vorgehen, das bei der Morphosyntax ansetzt und von dort nach textgrammatischen Ebenen weiterfragt, hilfreich. Dieses Verfahren ist leider nicht sehr spektakulär. Es zeigt sich in der Forschungsgeschichte derzeit eine Tendenz zu neuen, „revolutionären“ Theorien, die das Problem des hebräischen Verbalsystems über Nacht verschwinden lassen zu können meinen. Die meisten dieser Theorien sind der komplexen Lage der sprachlichen Phänomene aber völlig unangemessen. Stattdessen ist ein differenziertes Vorgehen erforderlich, das die Komplexität des Systems anerkennt. Dabei sollte man sich nicht scheuen, ausführliche Analysen zu Bereichen und Teilbereichen des hebräischen Verbalsystems zu entwickeln. Mehrere Analysen 20
Joosten, Verbal System, 433–434. Z. B. A. Niccacci, The Syntax of the Verb in Classical Hebrew Prose (JSOT.S 86), Sheffield 1990. 22 A. Andrason, Toward the Ocean of the Biblical Hebrew Verbal System, FO 52 (2015) 15–36, mit Verzeichnis früherer Studien ebd., 35. 21
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dieser Art wurden bereits von unseren Vorgängern erstellt und verdienen einen Platz im System.23 Mein eigenes, oben umrissenes Vorgehen ist wenigstens in einem Punkt innovativ: Gegen die Mehrheit der Grammatiker behaupte ich, dass yiqtol, die Langform der Präfixkonjugation, nicht Ausdruck des Imperfekts ist, sondern eine Modalform mit prospektiver Funktion. Ich stehe nicht ganz allein mit dieser Ansicht. Beat Zuber hat Ähnliches schon 1985 vorgeschlagen, und auch Galia Hatav hat sich in ihrem beachtenswerten Buch von 1997 für diese Sicht ausgesprochen.24 Wir sind eine kleine Minderheit. Dennoch ist das Fazit unausweichlich: Wenn man Prosa und Poesie gesondert behandelt, wenn man konsequent synchron arbeitet und wenn man mehr auf die Textbefunde achtet als auf die Lehrbücher, kommt man zu der Schlussfolgerung, dass yiqtol prospektiv ist, nicht imperfektivisch. Wie oben bemerkt, war das schon die Sicht der mittelalterlichen jüdischen Grammatiker, die yiqtol nicht für ein Präsens, sondern für ein Futurum, ῾atid, hielten. Es gibt eben nichts Neues unter der Sonne.25
23
S. o., Anm. 4–12.
24 B. Zuber, Das Tempussystem des biblischen Hebräisch (BZAW 164), Berlin 1985; G. Ha-
tav, The Semantics of Aspect and Modality. Evidence from English and Biblical Hebrew, Amsterdam/Philadelphia 1997. 25 Wenn yiqtol nicht imperfektivisch ist, ist qatal auch nicht perfektivisch: Die Sprache bildet ein System.
VII. Hermeneutische Fragen
„Wende sie hin und wende sie her, denn alles ist darin enthalten“ (Pirqe Abot 5,25) Zur Hermeneutik des Alten Testaments am Beispiel der Psalmenlektüre im Pastoralkolleg der Evangelischen Landeskirche in Württemberg Ernst Michael Dörrfuß
In seiner Tübinger Antrittsvorlesung im Sommersemester 2001 hat Erhard Blum sein flammendes Plädoyer für eine Exegetik des Alten Testaments mit der Frage nach Chancen und Grenzen der historischen Bibelauslegung verbunden.1 Seine Abschiedsvorlesung im Wintersemester 2018 hat damals gegebene Impulse fortgeführt, Fragestellungen präzisiert und neu zugespitzt. Vor dem Hintergrund der so gelegten Fährten – und zahlreicher Anregungen, die der Verfasser Erhard Blum verdankt – reflektieren die folgenden Überlegungen die exegetische Arbeit am Pastoralkolleg der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Sie stellen dabei Auftrag, historische Wurzeln sowie zentrale Elemente der Arbeit des Pastoralkollegs in gebotener Kürze vor (I.) und skizzieren Verfahren sowie Hermeneutik der dort praktizierten Psalmenlektüre (II.), um schließlich nach deren Konsequenzen für das Miteinander von wissenschaftlichuniversitärer Exegese und ihrer Reflektion sowie Anwendung in pfarramtlicher Alltagspraxis zu fragen (III.).
I. Vertiefung in Gottes lebendiges Wort 1. Einladung zum „Gemeinsamen Leben auf Zeit“ Als Fortbildungseinrichtung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg richtet sich das Pastoralkolleg seit seiner Gründung 1952 an alle württembergischen Pfarrer und Pfarrerinnen.2 In einem derzeit 7-jährigen Rhythmus wird 1 Vgl. E. Blum, Notwendigkeit und Grenzen historischer Exegese. Plädoyer für eine alttestamentliche „Exegetik“ (2005), in: Ders., Grundfragen der historischen Exegese, hg. von W. Oswald und K. Weingart (FAT 95), Tübingen 2015, 1–29. 2 Ausweislich der Gästebücher des Pastoralkollegs fand im Herbst 1954 ein erster Kurs mit 13 sog. Pfarrvikarinnen statt, dem im Oktober 1957 ein zweiter Kurs für Theologinnen folgte.
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zu in der Regel zwölftägigen Kursen nach Bad Urach eingeladen. Diese eröffnen Räume, zunächst drei Schritte aus dem pastoralen Alltag zurückzutreten und den gegenwärtigen Standort im Blick auf die Person, auf Amt und Beruf und die persönlichen Lebenskontexte zu bestimmen. In einem zweiten Schritt geht es darum, im Blick auf die genannten Dimensionen Perspektiven zu entwickeln. Zum ersten Kurs des damals in Freudenstadt angesiedelten Kollegs im September 1952 lud der damalige Landesbischof D. Martin Haug mit einem werbenden Brief ein. In ihm versprach er seinen „Amtsbrüdern“ Gelegenheiten und Räume zu „Ausspannung und Erquickung“, zur „Vertiefung in Gottes lebendiges Wort“ sowie zur „Begegnung von Brüdern im gleichen Amt“, Räume zum „Austausch guter und schlechter Erfahrungen“, Räume schließlich zur „gründlichen gemeinsamen Besinnung über das Ziel und die Wege unseres Dienstes“3. Bis heute kommen im Pastoralkolleg gelebte Frömmigkeit und theologisches Denken zu ihrem Recht. Drei Tagzeitengebete geben einen spirituellen Rahmen vor. Pastoraltheologische Fragestellungen werden aufgenommen durch unterschiedlich thematisierte und angeleitete Reflexion der beruflichen und persönlichen Situation sowie kollegiale Beratungsrunden – ganz konkret wird hier nicht zuletzt Seelsorge von Seelsorgenden an Seelsorgenden praktiziert. Das theologische Gespräch findet seine Orte in der unten näher in den Blick genommenen Bibellektüre, durch thematische Impulse oder beim Studientag, zu dem ein Mitglied der Tübinger Fakultät als Gast kommt und Einblicke in seine Arbeitsfelder und neuere Fragestellungen seiner Disziplin sowie Ergebnisse aktueller universitär-theologischer Forschung gibt.4 Zum langen Weg von Theologinnen ins Pfarramt – die Ordination von Frauen wurde in der Evang. Landeskirche in Württemberg durch die sog. „Theologinnenordnung“ am 15.11.1968 eingeführt – vgl. C. Rivuzumwami, „Mittendrin – erlöst und frei, lachen, singen und gestalten. Gott erleben und Zeugin Jesu sein“. Pfarrerinnen in Württemberg, in: H. Zweigle (Hg.), Zwischen Beständigkeit und Wandel. Die württembergische Pfarrerschaft in Geschichte und Gegenwart (Kleine Schriften des Vereins für württembergische Kirchengeschichte 23), Stuttgart 2017, 197–214. 3 Vgl. Brief vom 22.8.1952 (Nr. A. 10334/4). 4 Elisabeth Gräb-Schmidt hat dazu im Rückblick auf das im Jahr 2017 auch in der württembergischen Landeskirche gefeierte Reformationsjubiläum formuliert: „Neben eindrucksvollen akademischen Veranstaltungen habe ich Gespräche im Pastoralkolleg in Bad Urach als Höhepunkt erlebt. Dort bin ich jährlich und darf die Pfarrerinnen und Pfarrer auf ihrem ‚Retreat‘ an einem Tag mit theologischen Reflexionen begleiten. In Bad Urach ist es immer etwas ganz Besonderes, Theologie zu treiben, denn hier kommt das Nachdenken über den Glauben aus der Muße heraus, und es kann daher aufs Ganze gehen. Dazu haben wir uns an jenem Tag im Reformationssommer 2017 aufgemacht. Es wurde deutlich: Feiern kann man auf vielfältige Weise. Im Pastoralkolleg dachten wir ganz neu darüber nach, was die Botschaft der Reformation ist. ‚Was wollte Luther wirklich?‘, so haben wir nach Luthers ursprünglichen Wollen und Denken gefragt, um damit auch unserem eigenen Glauben neu auf die Sprünge zu helfen.“ (E. Gräb-Schmidt, in: Herkunft –Auskunft –Zukunft. Impulse des Reformationsjubiläums in Württemberg, hg. von C. Kohler-Weiss [Evangelisch in Württemberg 7], Stuttgart 2018, 118).
„Wende sie hin und wende sie her, denn alles ist darin enthalten“
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Es wird gelebt, was Martin Luther in den Schmalkaldischen Artikeln „mutuum colloquium et consolatio fratrum“ nennt: die gegenseitige tröstende Beratung und Vermahnung – aber eben auch: Ermutigung – unter Brüdern und Schwestern.5 „Gemeinschaft leben und für sich sein dürfen“, „lachen können und miteinander beten“, „Kirche einmal ganz anders erleben“, „Perspektiven gewinnen“, „neu die Menschenfreundlichkeit Gottes spüren“, „freundlich angesehen werden“, „neu hinschauen können“, „den Schatz (wieder) entdecken, den ich in meinen Kolleginnen und Kollegen habe“, „in aller Unterschiedlichkeit einander als Schwestern und Brüder erleben“ – so und so ähnlich können die Teilnehmenden in der Schlussrunde formulieren, was sie während der Kurstage erlebt und erfahren haben.
Als Fortbildungseinrichtung besonderer Art dient das württembergische Pastoralkolleg gleichermaßen der theologischen Vertiefung und der geistlichen Vergewisserung. Es ist ein Ort, an dem der Prozess lebenslangen Lernens Heimat finden und facettenreich gelebt werden kann, ein „Lehrhaus“6, in dem das dem Leben dienende Studium der Schrift(en) ebenso Raum nimmt wie der von der Schrift inspirierte theologische Diskurs und das, was der überkommene Begriff der „gottesgelahrtheit“7 bezeichnet: theologische Bildung in einem ebenso elementaren wie umfassenden Sinn. Weil das Pastoralkolleg von seinem Selbstverständnis her nicht zweckorientierte, berufskompetenzerweiternde pastorale Fortbildung sein will (und sein muss), sondern sich als personzentrierte und damit biographieorientierte8 Fortbildungseinrichtung begreift, steht über keinem der Kurse ein spezifisches Thema oder eine immer neu zu formulierende und zu findende thematische Überschrift. Es geht ganz allgemein – und zugleich höchst persönlich – um „Pastorale Identität“. Um dem auf die Spur zu kommen, was das bedeutet, hilft in besonderer Weise das Angebot des „Gemeinsamen Lebens auf Zeit“. 2. Dietrich Bonhoeffer: „Gemeinsames Leben“ Der Begriff des „Gemeinsamen Lebens auf Zeit“ ist Hinweis darauf, dass Konzeption und Selbstverständnis des Pastoralkollegs nicht zuletzt auf Dietrich Bonhoeffer zurückgehen. Der hatte 1939 ein von ihm im Auftrag des Bruderrates der Altpreußischen Union begründetes und geleitetes Projekt reflektiert: das zunächst in Zingst und später in Finkenwalde angesiedelte Predigerseminar der Bekennenden Kirche in Berlin-Brandenburg sowie das im Zusammenhang mit 5 Vgl.
M. Luther, Schmalkaldische Artikel, BSLK 449. dazu G. Begrich, „Keine Torah – kein Mehl“. Das Pastoralkolleg als evangelisches Lehrhaus, Lernort Gemeinde 20 (2002) 29–31. 7 S. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 8, Leipzig 1958, 1246. 8 Vgl. dazu C. Eyselein, Gewiss und überraschend. Der Pfarrberuf und das Pastoralkolleg, ThBeitr 43 (2012) 161–175, hier 174. 6 Vgl.
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diesem entstandene „Bruderhaus“9. Mit beiden Einrichtungen wollte Bonhoeffer der nationalsozialistischen Ideologie entgegentreten, die die Evangelische Kirche seiner Überzeugung nach in ihrem Kern gefährdete. Nicht zuletzt lag ihm daran, der im Protestantismus seiner Überzeugung nach verbreiteten „Vereinzelung“ die Idee einer verbindlichen Gemeinschaft von Brüdern an die Seite und eben auch: entgegenzustellen – und dabei im Medium des „Gemeinsamen Lebens“ unterwegs zu sein. In dieses Konzept sind ganz unterschiedliche Lebenserfahrungen Bonhoeffers eingeflossen: Angefangen von einer Romreise im Jahr 1924 über die Wanderungen und Freizeiten mit Konfirmanden, die er in Berlin und von Berlin aus organisierte, bis hin zu Freizeiten mit Studierenden der Berliner Universität, auf denen mit „Morgen- und Abendandachten, stiller Zeit, viel Singen und ausgiebigem theologischen Gespräch […] der Aufriß des gemeinsamen Lebens für Finkenwalde im wesentlichen gegeben“10 war. Ziel des Projektes war nicht etwa „klösterliche Abgeschiedenheit, sondern innerste Konzentration für den Dienst nach außen“ – so jedenfalls formuliert es Bonhoeffer im September 1935 in einem „Antrag für die ‚Einrichtung eines Bruderhauses im Predigerseminar Finkenwalde‘“. In ihm sollte nicht zuletzt der „vereinzelt im Amt stehende Pfarrer […] ein geistliches Refugium“ erhalten, „in dem er sich in strenger christlicher Lebensführung in Gebet, Meditation, Schriftstudium und brüderlicher Aussprache für sein Amt stärkt“11. Mit Bonhoeffers Projekt verband sich scharfe – nicht „etwa mit Geringschätzung der Wissenschaft“ zu verwechselnde12 – Kritik an der seinerzeitigen universitären Ausbildung von Theologen, der er ein steiles, hier trotz seiner Problematik nicht näher zu diskutierendes Ausbildungskonzept gegenüberstellte: An die Universität glaube ich nicht mehr, habe ja eigentlich nie daran geglaubt – zu Ihrem Ärger. Die gesamte Ausbildung des Theologennachwuchses gehört heute in kirchlichklösterliche Schulen, in denen die reine Lehre, die Bergpredigt und der Kultus ernst genommen wird – was gerade alles drei auf der Universität nicht der Fall ist und unter den gegenwärtigen Umständen unmöglich ist.13
Zu den in Finkenwalde eingeübten Elementen des Gemeinsamen Lebens zählten zwei Andachten, bei denen dem Psalmengebet eine zentrale Rolle zukam. In 9 Vgl.
D. Bonhoeffer, Gemeinsames Leben (DBW 5), München 1987. Bonhoeffer, Gemeinsames Leben. Nachwort der Herausgeber, 133–175, hier 133. Vgl. ebd. den Hinweis, dass Bonhoeffer während seiner Jahre im Londoner Pfarramt „in anglikanischen Klöstern und freikirchlichen Gemeinschaften“ in Erfahrung zu bringen suchte, „(w)ie ein geordnetes Leben in einer festen christlichen Gemeinschaft aussehen kann“. 11 D. Bonhoeffer, Antrag für die „Einrichtung eines Bruderhauses im Predigerseminar Finkenwalde“, DBW 14, München 1996, 75–80, hier 77. 12 K.‑A. Bauer/M. Josuttis, Daß Du dem Kopf nicht das Herz abschlägst. Theologie als Erfahrung. Erwägungen zum Pastoralkolleg als Ort erfahrungsbezogener Theologie. Mit einem Geleitwort von Eberhard Bethge, Breklum 1996, 39. 13 Dietrich Bonhoeffer, Brief an Erwin Sutz vom 11.9.1934 (DBW 13), 204–206, hier 204. 10
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der täglichen Meditation waren die Kandidaten dazu angehalten, morgens „nach dem Frühstück eine halbe Stunde lang allein über einen Text aus der Luther-Bibel nach[zu]denken“ – und zwar eine Woche lang über denselben Text.14 Die Schriftmeditation gehörte zum dreifachen Gebrauch der Heiligen Schrift, die Bonhoeffer vertrat: dem theologisch-wissenschaftlichen Gebrauch: die Bibel auf dem „Studiertisch“, dem kerygmatischen Gebrauch: die Bibel auf der „Kanzel“, dem meditativen Gebrauch: die Bibel auf dem „Betpult“.15
Durch diesen dreifachen Schriftgebrauch wird „praktisch die von der historischkritischen Exegese angenommene Verzahnung von Text, Autor und historischer Situation nicht aufgehoben, aber aufgebrochen“ – und dem Text „das Recht ein[geräumt], als Gesprächspartner in der Gegenwart zu Wort zu kommen […] mit dem Ziel, daß sich der Hörende vor Gott vom Text auslegen läßt.“16 Wir setzen uns dem einzelnen Satz und Wort so lange aus, bis wir persönlich von ihm getroffen sind. Damit tun wir nichts anderes, als was der schlichteste, ungelehrteste Christ täglich tut, wir lesen Gottes Wort als Gottes Wort für uns. Wir fragen also nicht, was dieser Text andern Menschen zu sagen habe, für uns Prediger heißt das, wir fragen nicht, was wir über den Text predigen oder unterrichten würden, sondern was er uns selbst ganz persönlich zu sagen hat. Daß wir dazu den Text erst einmal seinem Inhalt nach verstanden haben müssen, ist gewiß, aber wir treiben hier nicht Textauslegung, nicht Predigtvorbereitung, nicht Bibelstudium irgendwelcher Art, sondern wir warten auf Gottes Wort an uns. Es ist kein leeres Warten, sondern ein Warten auf klare Verheißung hin.17
3. Georg Merz: Aus der Schriftlektüre erwachsende vita communis Die Bezeichnung „Pastoralkolleg“ für die Evangelische Kirche neu- bzw. wiederentdeckt18 hat 1945, wenige Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, Georg Merz, einst Schriftleiter bei „Zwischen den Zeiten“, von 1930–1935 Dozent für Praktische Theologie sowie Kirchen- und Konfessionskunde an der Theo14 F. Schlingensiepen, Dietrich Bonhoeffer 1906–1945. Eine Biographie, München 2006, 198. Klösterlicher Tradition entsprechend verfolgte Bonhoeffer durchaus das Ziel, in einer Woche den gesamten Psalter zu beten. Zum besonderen Gewicht, das Bonhoeffer der Psalmenlektüre beimisst, vgl. Ders., GL, 138 ff. und seine 1940 erstmals erschienene, nur wenige Seiten umfassende Schrift „Das Gebetbuch der Bibel. Eine Einführung in die Psalmen“, DBW 5, München 1987, in der Bonhoeffer eine bis heute herausfordernde christologische Auslegung des Psalters vorlegt. 15 Bauer/Josuttis, Kopf, 41–42. 16 Ebd., 42. 17 Bonhoeffer, Gemeinsames Leben, 70. 18 Vgl. dazu D. Voll, Kein bayerischer Eigenbau. Überblick über die Entstehung anderer Pastoralkollegs, in: Ders. (Hg.), Damit auch Pfarrer zu sich kommen. Das Pastoralkolleg Neuendettelsau und die „Fortbildung in den besten Amtsjahren“. Geschichte und Gegenwart, Neuendettelsau 1982, 76–77, hier 76: „Eine geschichtliche Wurzel der Pastoralkollegs sind die pietistischen, also privaten ‚Pastoral-Konferenzen‘ des 18. Jahrhunderts, die in Württemberg ‚Pastoralkollegialitäten‘ hießen.“
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logischen Schule in Bethel und ab 1942 Dekan von Würzburg.19 Das „Pastoralkolleg“ soll – so hält es Merz im Rückblick fest – den aus Krieg und Gefangenschaft heimgekehrten Pfarrern das Wiedereinleben im Amt erleichtern und einer verunsicherten Pfarrerschaft Orientierung vermitteln.20 Merz knüpft bei der Entwicklung seines Projekts an die im Zusammenhang mit der ersten Bekenntnissynode von Barmen 1934 entstandene „Erklärung zur praktischen Arbeit der Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche“, insbesondere deren ersten Teil zum „Dienst am Pfarrerstande“21, ebenso an wie an seine an der Theologischen Schule von Bethel gemachten Erfahrungen. Dietrich Bonhoeffers Ansätze scheinen dort durch, wo Merz sich überzeugt davon gibt, „daß sowohl die Aus- als auch die Fortbildung der Pfarrer und Pfarrerinnen […] auf eine aus dem Umgang mit der Hl. Schrift erwachsende, Glauben und Denken umgreifende vita communis ziele“.22 Konstitutiv für die Arbeit des Kollegs sind für Merz die „brüderliche Gemeinschaft“ und der „theologische[n] Dienst“. Es geht darum, „untereinander und miteinander [zu] versuchen auf das zu hören, was das Wort Gottes sagt und das Zeugnis der Kirche im Bekenntnis wiederholt.“23 Für Merz, der in Pfarrern vor allem „Hermeneuten“ sieht, „die methodisch nachvollziehbar, in Verbindung mit den Bekenntnissen der Kirche, die Bibel auslegen“24, muss „die Mitte der Pastoralkollegsarbeit die Schriftauslegung sein“25. Sie geschieht in Gemeinschaft, wobei eine ausführliche Zeit der individuellen Vorbereitung auf den jeweiligen Schriftabschnitt vorangestellt wird – und auch für die individuelle Nachbereitung Zeit eingeräumt wird.26 19 Vgl. zu Georg Merz umfangreich M. M. Lichtenfeld, Georg Merz. Pastoraltheologe zwischen den Zeiten (Die Lutherische Kirche, Geschichte und Gestalten 18), Gütersloh 1997. 20 Vgl. dazu K.‑H. Röhlin, Das Pastoralkolleg als Ort geistlicher Begleitung, in: D. Greiner (Hg.), Wenn die Seele zu atmen beginnt … Geistliche Begleitung in evangelischer Perspektive, Leipzig 22007, 287–298, hier 288–289. 21 Der Text findet sich in: Die Barmer Theologische Erklärung. Einführung und Dokumentation. Mit einem Geleitwort von E. Lohse, hg. von A. Burgsmüller und R. Weth, Neukirchen-Vluyn 41984. Zur Entstehungsgeschichte der Erklärung und ihren unterschiedlichen Fassungen vgl. A. Burgsmüller, Der Ausschuss für praktische Arbeit auf der Bekenntnissynode von Barmen, ZKG 104 (1993) 49–85. 22 K.‑A. Bauer, Art. Pastoralkolleg, RGG4 6, 2003, 992–993, hier 992. 23 G. Merz, Die Verantwortung der Kirche für die Ausbildung ihrer Pfarrer, München 1948, 34. 24 Röhlin, Pastoralkolleg, 290. 25 Merz, Verantwortung, 35. 26 Vgl. G. Merz, Vorschläge über die Gestaltung von Pfarrerfortbildungskursen. Schreiben vom 23.6.1945 an den Landeskirchenrat in Ansbach, in: D. Voll (Hg.), Lesebuch zur Geschichte des Pastoralkollegs Neuendettelsau, Ms. masch. o. O. [Neuendettelsau], o. J. [1977], 5–9, hier 6: „Man wird gut daran tun, zwei Stunden des Tages auf eine gemeinsame Betrachtung des Schriftwortes zu verwenden und die doppelte Zeit frei zu lassen für die Vorbereitung auf den jeweiligen Schriftabschnitt und die persönliche Verarbeitung dessen, was im gemeinsamen Forschen gefunden wurde.“
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Nach der Überzeugung von Merz eröffnet die „Schriftauslegung […] gleichsam einen Raum, in dem sich vor dem Text ein gemeinsames und persönliches Hören und Reden, Streiten und Stellungnehmen, Korrigieren und Ergänzen zu entfalten vermag. […] Im Ernstnehmen des biblischen Textes bis in seine hebräische und griechische Sprachgestalt hinein und im Erwägen der den Menschen bewegenden Fragen vollzog sich die Auslegung. Die Regeln der Hermeneutik wurden nicht an den Text herangetragen, sondern an ihm gelernt und geübt“.27
II. „Gang über die Psalmbrücke“ (Wilhelm Bruners) 1. Vielfalt entdecken Die im Gründungsbrief des württembergischen Pastoralkollegs genannte „Vertiefung in Gottes lebendiges Wort“ gehört bis heute zu dessen Grundkonstitutiva. Sie verbindet sich nicht allein mit dem Anliegen, in einem ganz allgemeinen Sinn „eine gemeinschaftliche Orientierung an der Schrift zu befördern“28. Es geht zudem darum, die in der württembergischen Pfarrerschaft vorfindlichen, unterschiedlichen – und oft: konträren – Leseweisen der Bibel ins Gespräch zu bringen, die in der Vielfalt „verschiedener Methoden, Nicht-Methoden oder persönlicher Erfahrungen“ begründete „Vielzahl unterschiedlicher Lesemöglichkeiten unzähliger Texte“29 wahrzunehmen und sich darüber auszutauschen – ohne dabei einer Beliebigkeit das Wort zu reden. Die gemeinsame Bibellektüre lässt die Teilnehmenden so im Wortsinn zu „Kolleginnen und Kollegen“ werden – „colligentes“, die sammeln und zusammenlegen, was sie bewegt, wenn sie sich einem biblischen Text ohne „Verwertungszwänge“ oder „Nützlichkeitserwägungen“ anvertrauen.30 Wenn sie einander ins Hören bringen im Blick auf theologischen Fragen, die sie umtreiben, im Dass für Merz auch bei der exegetischen Arbeit „die Erinnerung an die theologischen Methoden“ nicht im Zentrum steht, „so sehr es erwünscht sein mag, […] die handwerklichen Grundlagen des homiletischen und katechetischen Handelns neu bewusst“ zu machen, erklärt sich mit seinem Grundanliegen, dass ein Pfarrer aus dem Pastoralkolleg „mit getroster Zuversicht auf die Verheißung, die über seinem Amte ruht, in sein Pfarramt zurückkehrt.“ (ebd., 5). 27 Bauer/Josuttis, Kopf, 65. 28 F. Nüssel, Zusammenschau. Schriftauslegung als Projekt der Theologie, in: Dies. (Hg.), Schriftauslegung (Themen der Theologie 8), Tübingen 2014, 239–254, hier 240. 29 U. Luz, Theologische Hermeneutik des Neuen Testaments, Neukirchen-Vluyn 2014, 9. 30 Vgl. dazu Begrich, Lehrhaus, der „Gespräch“ und „Dialog“ als „Voraussetzung und Grundstruktur der Schriftauslegung“ benennt (ebd., 29), den „doppelten Reichtum“ festhält, der sich mit dem Bibelgespräch verbindet, in dem die daran Teilnehmenden „beschenkt [werden] durch die Schrift“ sowie „einander durch das Gespräch“ etwas zu geben vermögen (ebd., 30) – und schließlich bilanziert: „Dafür steht das Pastoralkolleg als Lehrhaus: Gemeinsam gebeugt über der Schrift suchen wir Sein Leben schaffendes Wort, das unsere Herzen und Sinne aufschließt und uns die Welt sehen lässt in Seinem Licht.“ (ebd.)
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Blick auf das, was sie beschäftigt – im Blick auf die Menschen, die ihnen anvertraut sind, und im Blick auf sie selbst.31 Konkret findet der „Primat der Schriftauslegung“ seit Jahrzehnten seinen Ausdruck darin, dass in den Kursen jeweils ein Psalm bedacht wird. Bewusst wird der Lektüre also ein alttestamentlicher Text zugrunde gelegt. Das mag vordergründig damit zu tun haben, dass Texte aus dem ersten Teil der christlichen Bibel auch Pfarrerinnen und Pfarrern weniger vertraut scheinen – und der Welt der alttestamentlichen Texte, trotz oder gerade wegen der ihnen mit einigem Recht attestierten Diesseitigkeit oder Weltlichkeit eine größere Fremdheit eignet als den scheinbar vertrauten – oder eben vertrauter anmutenden – neutestamentlichen Texten. Die Entscheidung, ein Kapitel aus dem ersten Teil der christlichen Bibel in den Blick zu nehmen, führt immer wieder neu zur Reflektion der Relevanz des Alten Testaments für den christlichen Glauben, die christliche Kirche und die christliche Theologie.32 So kann zudem danach gefragt werden, inwieweit dem traditionellen Verständnis christlicher Theologie, dass das Alte vom Neuen Testament her zu lesen sei, aus guten Gründen immer wieder neu eine Lektüre des Neuen Testaments vom Alten Testament her an die Seite zu stellen ist33 – und kann immer wieder neu der Eigenwert des „Alten Testaments“34 ins Bewusstsein gerufen werden. Auch oft sogenannt sperrige Themen – seien es Aussagen zu Gottes Zorn, die Rede von der Vernichtung der Feinde Gottes, oder aber die Gegenüberstellung 31 Vgl. dazu T. Söding, Wegweiser der Heiligen Schrift. Der Kanon im Streit der Interpretationen, JBTh 31 (2016), Göttingen 2018, 3–23, hier 7–8: „In der Lektüre der Bibel kommt es darauf an, die vielen Leerstellen, die der Text lässt, nicht zuzukitten, sondern offenzulegen, die vielen Fragen, die er aufnimmt, nicht sogleich zu beantworten, sondern zunächst hören zu lassen, die vielen Zweifel, denen er Raum gibt, nicht zu verdächtigen, sondern zu verstehen. Es ist die Aufgabe der Exegese, die Augen beim Lesen gerade für diese Stellen im Buch der Bücher zu öffnen. Die Bibel will beim Lesen nicht ruhigstellen, sondern aufrütteln und den Weg zur Umkehr weisen.“ Dass in diesem Zusammenhang immer wieder auch jüdische Auslegung der Schrift bedacht und ins Gespräch gebracht wird, legt sich von deren ebenso knapper wie luzider Charakterisierung durch Erhard Blum nahe: „Im Sinne der semantischen Entschränkung des Kanons können hier etwa die einzelnen Textelemente: Wörter, Sätze etc. als autonome Bedeutungsträger rekontextualisiert werden. Dem kanonischen Text wird so ein nicht zu erschöpfendes Sinnpotential unterstellt, dass [sic!] es für die jeweilige Gegenwart produktiv zu realisieren gilt.“ (Blum, Notwendigkeit, 24–25). 32 Zu dieser Trias vgl. z. B. M. Witte, Zur Bedeutung des Alten Testaments für den christlichen Glauben, die christliche Kirche und die christliche Theologie, in: Ders., Vom Gott des Lebens. Predigten über Texte aus dem Alten Testament. Mit einer Einführung in seine Bedeutung für Glaube, Theologie und Kirche, Neukirchen-Vluyn 2015, 1–26. 33 Vgl. dazu neben anderen Thomas Södings Plädoyer für eine „dialogische Hermeneutik […], die nicht nur das Alte Testament im Licht des Neuen Testaments, sondern ebenso das Neue Testament im Licht des Alten Testaments deutet – und diesen Prozess nicht beendet, sondern immer neu beginnt.“ (Söding, Wegweiser, 13–14). 34 So mit E. Haag, Vom Eigenwert des Alten Testaments, ThQ 160 (1980) 2–16.
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von Gerechten und „Gottlosen“, „Frevlern“ oder „Schurken“ – werden im Licht der biblischen Überlieferung erörtert. Dabei zeigt sich, dass der erste Teil des christlichen Kanons „der Rede von Gott eine besondere anthropologische und kosmologische Tiefe“ zu geben vermag. Das Alte Testament bietet einen „Rahmen für die Rede von Gott als einer in der Zeit wahrnehmbaren, Zeit strukturierenden und die Zeit vollendenden Größe“ und hebt „den relationalen und dialogischen Charakter der Gottesbeziehung“ hervor. „Mittels seiner entschiedenen Rede von Gott als Befreier und Erlöser einzelner Menschen wie ganzer Völker“ wirkt es als ein „stetes Korrektiv zu Erfahrungen menschlicher Unfreiheit und Ohnmacht“35. So führen Bibellektüre und Schriftauslegung zur Auseinandersetzung mit theologischen Grundfragen und Grundthemen der Theologie, noch einmal anders formuliert: mit „Kernfragen des Glaubens“36. Bewusst wird der Lektüre ein poetischer Text zugrunde gelegt. Der nicht allein die hebräische Poesie charakterisierende Parallelismus membrorum kann dabei als ein Mittel begriffen werden, „der geordneten Welt der Erfahrung angemessenen Ausdruck“37 zu verleihen. In die Schriftlektüre kann der poetischen Texten eigene „Grundzug einer poetischen Beachtung und Verarbeitung der fundamentalen Daseinsdialektik des Menschen“38 einfließen. Durch ihre Mehrdeutigkeit39 und die damit verbundene Bedeutungsvielfalt eröffnen poetische Texte in besonderer Weise Räume, eigene Erfahrungen und Vorstellung assoziativ ins Gespräch einzubringen.40 Die Auswahl der für die Lektüre vorgeschlagenen Psalmen kann sich, wo sinnvoll, am Kirchenjahr orientieren, wenn in der Epiphaniaszeit Ps 100, in der Passionszeit Ps 22 und gegen Ende des Kirchenjahres Ps 126 gelesen werden. Gelegentlich wird etwa mit Ps 92 ein Psalm in den Blick genommen, der im synagogalen Abendgebet, an dem die Kurse dank der Gastfreundschaft der Is35
Witte, Bedeutung, 17. Vgl. dazu V. H. Drecoll, Allein die Schrift. Drei Anregungen aus der Kirchengeschichte, in: C. Landmesser/H. Zweigle (Hg.), Allein die Schrift. Die Bedeutung der Bibel für Theologie und Pfarramt (Theologie interdisziplinär 15), Neukirchen-Vluyn 2013, 50–58, hier 57–58. 37 K. Seybold, Art. Poesie I. Altes Testament, TRE 26, 1996, 743–748, hier 745. 38 R. Strunk, Poetische Theologie. Grundlagen – Bausteine – Perspektiven, NeukirchenVluyn 2008, 115. 39 Vgl. dazu B. Weber, Entwurf einer Poetologie der Psalmen, in: H. Utzschneider/E. Blum (Hg.), Lesarten der Bibel. Untersuchungen zur einer Theorie der Exegese des Alten Testaments, Stuttgart 2006, 127–154, hier 136: „Die Knappheit und damit auch Offenheit der Sprache ist ein Mittel, Mehrdeutigkeit zu erzielen bzw. offen zu halten“. 40 Vgl. dazu E. Blum, Von Gott reden, zu Gott reden. Aspekte im Alten Testament, in: H. Lichtenberger/H. Zweigle (Hg.), Als Theologen von Gott reden und das Reden zu Gott. Theologie in Gottesdienst und Gesellschaft (Theologie interdisziplinär 10), Neukirchen-Vluyn 2011, 21–31, hier 22: „Gleichwohl haben alttestamentliche Erzählungen, Prophetenworte und Psalmlieder etwas, was sie verbindet: Sie sind entweder auf konkrete geschichtliche und lebensweltliche Zusammenhänge hin formuliert oder – wie die Mehrzahl der Psalmen – Angebote für Aneignung und Meditation in individuellen lebensgeschichtlichen Situationen.“ 36
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raelitischen Kultusgemeinde Augsburg-Oberschwaben in guter Regelmäßigkeit teilnehmen können, gebetet wird. Darüber hinaus sind alle Psalmen geeignet, die in Klage und Bitte, Lob und Dank die Vielfalt menschlicher Existenz vor Gott zum Ausdruck bringen. 2. Lesen, was dasteht Ungeachtet der Hochschätzung anderer „Methoden“ der Bibellektüre oder alternativer „Zugänge“ zur Bibel – erwähnt sei beispielhaft das sog. „Bibelteilen“41 – wird der Lektüre bewusst der hebräische Text zugrunde gelegt. So wird zunächst angeknüpft an einst erworbene – durch den zeitlichen Abstand zur exegetischen Arbeit in universitären Kontexten jedoch oft verschüttete – Wissensschätze. Die Lektüre des hebräischen Textes sowie die Thematisierung textgeschichtlicher Fragestellungen dient zudem der Erinnerung daran, „dass wir die Bibel als ein vom Himmel gefallenes Buch noch nie gehabt haben“42 – und führt die Notwendigkeit einer Verständigung darüber vor Augen, welchen Text wir eigentlich jeweils lesen und auslegen. Am Anfang steht das gemeinsame laute Lesen des Textes oder eines Verses. Es verbindet sich mit der Erinnerung daran, dass hebr. קרא – „rezitieren, lesen“ (vgl. 2 Kön 22,8.10) – von seiner Grundbedeutung her eben „laut rufen“ bedeutet.43 Die durch die Kursleitung angeleitete philologische Erschließung eines Verses verbindet sich idealerweise mit ersten Runden von vom Text ausgehenden Assoziationen auf unterschiedlichen Ebenen. Ganz elementar wird zunächst danach gefragt bzw. erläutert, in welchen Kontexten und Zusammenhängen bestimmte Vokabeln, Redewendungen, Metaphern oder Vorstellungen auch andernorts im Psalter oder den alttestamentlichen Schriften zu finden sind – und wird gemeinsam bedacht, was dieser Befund für eine mögliche Auslegung und auch Übertragung in die Gegenwart bedeuten kann. Drei Beispiele mögen andeuten, um was es konkret gehen kann: Die in Ps 22,4 überlieferte Aussage von Jhwh, der auf – oder in? – den Lobgesängen Israels thront, öffnet Raum für unterschiedliche Deutungen. Ebenso nüchtern wie phantasielos meinte Bernhard Duhm in seinem Psalmenkommentar einst fragen zu müssen: 41 Zu dieser aus der Ökumene stammenden Leseweise biblischer Texte vgl. z. B. O. Hirmer/G. Steins, Gemeinschaft im Wort. Werkbuch zum Bibel-Teilen, München 1999. 42 K. W. Müller, Zwischen allen Stühlen. Theologische Existenz zwischen Universität und Pfarramt, DrPfBl 112 (2012) 317–321, hier 321. 43 Vgl. C. J. Labuschagne, Art. קרא, THAT II (1984), 666–674, hier 672: „Aus der Bedeutungsnuance ‚proklamieren, verkündigen‘ hat sich die Bed. ‚lesen’ ergeben, offenbar weil ‚lesen‘ anfangs ‚vorlesen‘ in der Öffentlichkeit war.“ Zur Frage des lauten Lesens in der Antike vgl. auch C. Burfeind, Wen hörte Philippus? Leises Lesen und lautes Vorlesen in der Antike, ZNW 93 (2002) 138–145; Luz, Hermeneutik, 163–164.
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„Wie kann jemand, und wäre es ein Gott, auf Liedern sitzen?“44 Der Blick auf andere alttestamentliche Aussagen zum Thron Gottes im Alten Testament und vor allem im Psalter45 zeigt, was die Formulierung tatsächlich zu Gehör bringt: „Gottes Macht und seine Herrschaft gründen auf den Lobgesängen Israels, die sein Thron sind.“46 Wenn so „der hymnische Akt […] Gott seinen Thron bereitet und Gott wirklich Gott sein lässt“, ergeben sich weitreichende Konsequenzen für die biblische Rede von Gott, von dem „nicht anders als poetisch-metaphorisch“ und „von dessen Bewahrungsmacht nicht anders als hymnisch gesprochen werden kann“47. Aus einem anderen Blickwinkel stellt sich die Frage, ob tatsächlich nicht allein der Mensch auf Gott, sondern auch Gott auf den Menschen angewiesen sei angesichts des beispielsweise in Ps 34,2 belegten Gebrauchs von ברךmit Objekt „Gott Israels“. Das Ringen um eine sachgemäße Übertragung der Wendung48 kann überkommene Gottesbilder in Frage stellen – und zugleich lebhafte Debatten über den Brauch des Segnens in pastoraler Praxis auslösen. Wenn das betende Ich49 den Gott Israels in Ps 92,11 für seine Rettung mit den Worten preist: „Doch mein Horn hast du erhöht wie das des Büffels; du hast mich mit sprudelndem Öl durchfeuchtet“ und in V. 12a als Konsequenz benennt: „So konnte sich mein Auge auf meine Widersacher richten“, dann lässt sich dieser Gedanke u.a mit Verweis auf die Königstheologie und die nordsyrische Bildwelt deuten.50 Das Textgespräch im Kreis von KollegInnen kann darüber hinaus dazu führen, den Text als Resilienztext zu begreifen: Das betende Ich weiß sich vom Gott Israels neu auf- und ausgerichtet. Mit erhobenem Blick und durch lebensförderndes Öl gestärkt, kann es die Welt wieder in den Blick nehmen.
Am Ende der Erschließung eines Verses steht der Vergleich unterschiedlicher (Gebrauchs-)Übersetzungen, nicht zuletzt auch von jüdischen Autoren wie Leopold Zunz oder Samson Raphael Hirsch. Immer wieder lässt ein solcher Vergleich die Prägung der unterschiedlichen Übersetzungen durch theologischhermeneutische Vorentscheidungen augenfällig werden.51 Der Übersetzungsvergleich erschließt die Bedeutung des von Jürgen Ebach unter Bezugnahme auf Karl Kraus überlieferten Bonmots „übersetzen – üb er44
B. Duhm, Die Psalmen erklärt (KHC 14), Tübingen 1899, 92. Zur Diskussion vgl. D. Bester, Körperbilder in den Psalmen. Studien zu Psalm 22 und verwandten Texten (FAT II 24), Tübingen 2007, 114–118. 46 Ebd., 117. 47 Strunk, Poetische Theologie, 118. 48 Vgl. dazu M. Frettlöh, Gott segnen. Systematisch-theologische Überlegungen zur Mitarbeit des Menschen an der Erlösung im Anschluß an Psalm 115, EvTh 56 (1996) 482–510; Dies., Theologie des Segens. Biblische und dogmatische Wahrnehmungen, Gütersloh 52005. 49 Vgl. zu dieser Bezeichnung Bester, Körperbilder, 95–98. 50 Vgl. dazu F.‑L. Hossfeld/E. Zenger, Psalmen 51–100 (HThK), Freiburg i. Br. u.a 2000, 636. 51 Das betrifft neben der oben exemplarisch benannten Frage des „Segnens“ beispielsweise auch die Übertragung von Ps 27,4, wo die lutherische Übersetzungstradition bis hin zur Revision von 2017 von „den schönen Gottesdiensten des Herrn“ zu sagen weiß, wohl weil sich Martin Luther zufolge die Freundlichkeit Gottes, von der der hebräische Text spricht (und wie er übrigens auch Septuaginta und Vulgata!), in „Wort und Sakrament“ ereignet. 45
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setzen“52 und kann dazu ermutigen, bibelbezogener Arbeit im pfarramtlichen Alltag nicht nur eine Übersetzung zugrunde zu legen. Zur Psalmenlektüre gehört immer auch ein Blick auf die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte. Dabei werden bevorzugt unterschiedliche Vertonungen zu Gehör gebracht sowie Illustrationen zu den gelesenen Psalmen vor Augen gestellt. Dass die Psalmenlektüre weder unter Zeitdruck steht noch auf Vollständigkeit zielt, kann einerseits in oft überraschendem Sinn Horizonte erweitern,53 andererseits beispielhaft zu fragmentarischem Denken ermutigen, konkret dazu, die der eigenen Auslegung gesetzten Grenzen zu erkennen und sie heiter einzugestehen.54
III. Kirchlich-theologische Schriftauslegung 1. Die Notwendigkeit historischer Exegese Neben den Tagzeitengebeten bildet die Schriftlektüre gleichsam eine zweite Herzkammer des württembergischen Pastoralkollegs. Als gemeinschaftliche Bibellektüre ist sie von der durch Dietrich Bonhoeffer angeregten Bibelmeditation unterschieden. Als ohne je eigene Vorbereitungszeit gestaltetes gemeinschaftliches Gespräch über der Bibel unterscheidet sie sich von der durch Georg Merz geübten Praxis. Die vorgestellte Schriftauslegung geht von der Überzeugung aus, dass Pfarrerinnen und Pfarrer mit einer Vielfalt von Zugängen zur Bibel vertraut sind und diese in unterschiedlicher Intensität und Auswahl auch praktizieren und leben. Zugleich liegt der skizzierten Schriftauslegung die Überzeugung zugrunde, dass 52 Vgl. J. Ebach, Das Alte Testament als Klangraum des evangelischen Gottesdienstes, Gütersloh 2016, 166; dort auch der Hinweis: „Jede Übersetzung ist eine Ersetzungsübung und kaum je reicht eine Ersetzung an das Original heran.“ 53 Dass die Deutung der Überschrift eines Psalms gelegentlich eine ganze Arbeitseinheit in Anspruch nimmt, sorgt dann und wann für Erstaunen, ist aber überraschend ertragreich. Nicht nur, weil ausgehend von der einschlägigen Terminologie vortrefflich das Thema „Musik in der Bibel“ bedacht werden kann – und sich neben bibelkundlichen Rekapitulationen etwa die ausweislich der genealogischen Verortung der Leier- und Flötenspieler in Gen 4,21 fundamentale Bedeutung der Musikkultur im Alten Israel oder (musik)archäologische Befunde und von diesen her gewonnene Einsichten vor Augen führen lassen. Hier ist zudem auch einer der Orte zum Austausch über „Musik im Gottesdienst“ sowie die Bedeutung von Musik für pfarramtliche Praxis allgemein, etwa im Sinne des Sprichwortes „Wer singt, betet doppelt“. Und manche/r nimmt nach solchen Gesprächen das lange Zeit in der Ecke stehende Instrument wieder zur Hand. 54 Vgl. dazu nochmals Begrich, Lehrhaus, 30: „Und wir haben Zeit. Zeit zum Gebet; Zeit zum Reden; Zeit zum Schweigen; Zeit, um bei einem Text zu verweilen bis er sich dem wachen Verstand und dem Hören den [sic!] Herzen eröffnet und erschließt. Hier muss nichts geschafft werden […]. Das Studium der Schrift verlangt Muße!“
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theologisch verantwortete Schriftlektüre auf den durch die historische Methode erschlossenen Ansatz nicht verzichten kann. Dabei geht es nicht darum, die oft so genannten „Methodenschritte“55 abzuarbeiten. Ansatz, Intention und methodisches Instrumentarium historischer Exegese sind vielmehr für das angemessene Verstehen eines biblischen Textes unerlässlich. Sie verorten den Text in seiner historischen Situation und erlauben es, Ergebnisse des Textgesprächs oder die Plausibilität der durch den Text ausgelösten Assoziationen (selbst)kritisch zu überprüfen. Dass solche Assoziationen auch dort ihren Eigenwert geltend machen können, wo sie nach den Maßstäben kritischer Exegese keinen unmittelbaren Anhalt am historischen Text beanspruchen können, bleibt von dieser Einsicht unberührt. 2. Theologisch verantwortet Bibel lesen Ungeachtet der gewichtigen Gründe, die sich für eine Unterscheidung zwischen akademisch-theologischer Schriftauslegung einerseits und kirchlicher Auslegung der Bibel andererseits56 ebenso wie für eine „produktive Differenzierung zwischen akademischer und kirchlicher Theologie“57 ins Feld führen lassen, nimmt die Bibellektüre am Pastoralkolleg für sich in Anspruch, akademisch-theologische Schriftauslegung mit dem zusammenzuführen, was hier versuchsweise als „kirchlich-theologische Schriftauslegung“ bezeichnet werden soll. Diese verbindet die mit historischer Exegese notwendig einhergehende „Distanzierung“ der biblischen Texte von unmittelbar-unreflektierter Aneignung mit der von den biblischen Texten selbst geforderten „existentiellen Applikation“58. Zugleich bindet sie die von der akademisch-theologischen Schriftauslegung zu leistende „kritisch-konstruktive Orientierungsleistung für die Gestaltung und Wahrnehmung kirchlicher Aufgaben“59 mit der Frage nach „einer an der Schrift orientierten Lebensführung und […] Gestaltung des kirchlichen Lebens“60 zusammen. Ungeachtet des vielfach beobachteten, oft beklagten und immer wieder kritisierten „Verlust[es] des Lebensbezugs von Theologie im Allgemeinen und von Bibelwissenschaft im Besonderen“61 und ungeachtet der Tatsache, dass die „[r]eligiöse Applikation biblischer Texte innerhalb einer Glaubensgemeinschaft […] per se nicht auf wissenschaftliche Exegese angewiesen“ ist,62 halte ich dafür, dass von Theologinnen und Theologen getriebene Schriftauslegung deren pro55
Vgl. zu dieser Bezeichnung kritisch Blum, Notwendigkeit, 3–4, Anm. 5.6. So z. B. Nüssel, Zusammenschau, 240–242. 57 Ebd., 242. 58 Luz, Hermeneutik, 11. 59 Nüssel, Zusammenschau, 242. 60 Ebd., 240. 61 Luz, Hermeneutik, VI. 62 Blum, Notwendigkeit, 24. 56
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prium sichtbar werden lassen wird – über die Grenzen und Begrenzungen der eingangs beschriebenen Vielfalt von Leseweisen und Zugängen hinaus. Dieses proprium hilft insbesondere, den Charakter aller biblischen Texte als dem Lesenden gegenüberstehende Größe63 – im Sinn des „extra nos“ bzw. „extra me“ reformatorischer Theologie – zu bewahren. Es evoziert zugleich die Frage, wie die jeweiligen Texte der Bibel verstanden werden wollen64 und kann dazu helfen, vor dem Hintergrund der Wirkungsgeschichte eines Textes und seiner unterschiedlichen Aneignungen im Verlauf der Kirchengeschichte ebenso wie seiner jüdischen Rezeption in Vergangenheit und Gegenwart65 sowie seiner einschlägigen dogmatischen Rezeption, Impulse der kirchlichen Tradition aufzunehmen und verantwortet nach dem Gegenwartssinn zu fragen. Die skizzierte Form der Bibellektüre verhilft, so meine ich, dem oft so genannten Schriftprinzip zu seinem Recht und vermag deutlich zu machen, dass sich auch heute noch mit guten Gründen sagen lässt, die Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments sei „iudex, norma et regula“ sowie „Lydius lapis“ – Richterin, Regel und Richtschnur sowie „Probierstein“66 – allen theologischen Redens sowie kirchlichen Handelns. In Anlehnung an die von den Rabbinen ausgehend von Ps 62,12 entwickelte Überzeugung, dass es mehr als einen Schriftsinn gibt, ist solche Auslegung dann schriftgemäß, wenn sie die bis zu Widersprüchen reichenden Spannungen in der „Schrift“ selbst wahrnimmt und sich zugleich auf eben die verbindliche Vielfalt einzulassen vermag, welche der Kanon der „Schrift“ zeitigt,67 – und wenn sie sachgemäß Grenzen der Interpretation im Blick behält: 63
Vgl. dazu Luz, Hermeneutik, 19–20. Vgl. dazu knapp und konzise ebd., 22–23. 65 Vgl. dazu grundlegend das Lehrgesprächsdokument „Kirche und Israel“ der Leuenberger Kirchengemeinschaft (jetzt: Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa): „Die jüdische, also nicht durch den Glauben an das Christusgeschehen bestimmte Auslegung der Heiligen Schriften Israels enthält eine auch für die christliche Auslegung nicht nur legitime, sondern sogar notwendige Perspektive. Nur so ist es möglich, den eigenen Sinn der Texte der Heiligen Schriften Israels zu erkennen; andernfalls bestünde die Gefahr, daß die christliche Auslegung in den Texten des Alten Testaments nur noch sich selbst wiederentdecken würde. Durch das Lesen der jüdischen Auslegung des Alten Testaments und durch ihren Dialog mit Juden wird die Kirche in ihrer Theologie bereichert.“ (Kirche und Israel. Ein Beitrag der reformatorischen Kirchen Europas zum Verhältnis von Christen und Juden, hg. von H. Schwier [Leuenberger Texte 6], Frankfurt a. M. 2001, 57). Diese Aussage nimmt die Synode der EKD in ihrer viel beachteten Erklärung „Martin Luther und die Juden“ von 2015 auf: „Wir erkennen in der jüdischen Auslegung des Tenach ‚eine auch für die christliche Auslegung nicht nur legitime, sondern sogar notwendige Perspektive‘ (Kirche und Israel [Leuenberger Texte 6], II, 2.2.7). Die Wahrnehmung jüdischer Bibelauslegung erschließt uns tiefer den Reichtum der Heiligen Schrift.“ (https://archiv.ekd.de/ synode2015_bremen/beschluesse/s15_04_iv_7_kundgebung_martin_luther_und_die_juden. html [abgerufen am 16.1.2019]). 66 BSLK, 769. 67 Vgl. dazu Ebach, Klangraum, 23: „‚Schriftgemäß‘ ist eine Lektüre und Auslegung der Bibel, die der ‚Schrift‘ selbst gemäß ist, indem sie wahr nimmt, dass es in der Bibel oft mehr als 64
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Gleichwohl ist diese kreative Rezeption nicht beliebig, sondern geleitet durch regulative Kriterien der Interpretationsgemeinschaft, die sich im Spannungsfeld von zu bewältigender Lebenswelt und Bewahrung der Identität bewegen, wobei letztere ihrerseits schon durch die Wirkungsgeschichte der kanonischen Überlieferung bestimmt ist.68
Dem Anliegen der Schrift gemäß ist diese Auslegung nicht zuletzt dann, wenn sie Pfarrerinnen und Pfarrer über die Kurszeit im Pastoralkolleg hinaus zur Vertiefung in Gottes lebendiges Wort ermutigt, das in Ewigkeit bleibt (Jes 40,8; 1 Petr 1,25).
nur eine Antwort auf die Fragen von Leben und Glauben gibt und dass die nicht selten bis zu Widersprüchen reichende Vielfalt dieser Antworten im Kanon der ‚Schrift‘ nebeneinander, gegeneinander und so miteinander zu stehen kommen.“ 68 Blum, Notwendigkeit, 25.
Intentio auctoris – Systematische und philosophische Überlegungen zu einer ahistorischen Kategorie Hendrik Stoppel
I. Die Wahrheit des Alten Testaments Welche Assoziationen ruft diese Überschrift hervor? Möglicherweise die Frage nach dem „wahren Wort Gottes“, aus Verbalinspiration entsprungen oder besser „transkribiert“; eine Interpretation in christozentrischer Perspektive, die erst im Neuen Testament ihren Höhepunkt erlebt; oder die Erhebung tiefer spiritueller Wahrheiten aus den allegorisch verstandenen Geschichten der Hebräischen Bibel. Sicher, ganz verschiedene Wahrheitsbegriffe stecken dahinter, doch soll die pontisch-pilatische Frage hier gar nicht Thema sein. Auch eine Gesamtinterpretation des Alten Testaments unter allen oben genannten Aspekten soll hier unterbleiben. Wie schon der Titel dieses Bandes für meinen geschätzten Doktorvater wissen lässt, hat die historisch-kritische Exegese ihren eigenen, wissenschaftlich fundierten, Anspruch auf eine Wahrheit: nämlich den historischen Eigensinn der Texte, gefasst als der Sinn, den der Autor des jeweiligen Textes in ihm vermittelt, „authentisch zum Ausdruck“1 gebracht wissen wollte, oder auch die intentio auctoris. Neben und nach allen Fragen nach Umständen, Hintergründen und Vorgeschichten der Texte, steht doch am Ende einer erfolgreichen Exegese genau dies – natürlich nicht unter Absehung von allen Unwägbarkeiten historischen Arbeitens, aber eben als plausibilisierbare These –, nämlich den Text so verstehen zu können, wie sein Autor ihn verstanden haben wollte.2 Bei aller inhaltlicher Unterschiedenheit (und Tauglichkeit für den akademischen Betrieb) der aufgeführten „Wahrheiten“, haben sie doch eine strukturelle Gemeinsamkeit – die Bezogenheit auf ein Subjekt, das als „Garant“ der Wahr1 E. Blum, Die Stimme des Autors in den Geschichtsüberlieferungen des Alten Testaments, in: K.‑P. Adam (Hg.), Historiographie in der Antike (BZAW 373), Berlin/New York 2008, 107– 130, hier 109 (= in: E. Blum, Grundfragen der historischen Exegese. Methodologische, philologische und hermeneutische Beiträge zum Alten Testament, hg. von W. Oswald und K. Weingart [FAT 95], Tübingen 2015, 83–103). 2 Vgl., nur exemplarisch für die neueren Methodenlehren, H. Utzschneider/S. A. Nitsche, Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung. Eine Methodenlehre zur Exegese des Alten Testaments, Gütersloh 2001, 216.
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heit für diese einzutreten hat. Sei es der theistische Gott, der – als Supersubjekt3 – für jegliche Wahrheit, im Besonderen aber für die Wahrheit eben seines Wortes in Form der biblischen Texte sorgt; sei es Jesus Christus als wahrheitsstiftende (und -scheidende) Referenz und eigentliche Offenbarung, die den verweisenden Texten ihre abgeleitete Wahrheit zukommen lässt;4 oder eben der jeweilige religiös gestimmte Rezipient, der sich selbst seine eigene Wahrheit zusprechen muss (oder zugesprochen bekommt, was er sich dennoch als Wahrheit erst aneignen muss).5 Wahrheit und Subjekt scheinen eine intime Beziehung zu pflegen, und unabhängig davon, ob man Wahrheit für gemacht, für offenbart oder für nur entdeckt hält, muss sie immer mit einem Subjekt in Beziehung stehen. Die Lehre von der Verbalinspiration und die historisch-kritische Exegese können als Anfangs- und (vorläufiger) Endpunkt einer intradisziplinären Entwicklung gesehen werden. Schließlich hat erstere, überhaupt ja erst in der lutherischen Orthodoxie wirklich als Lehre ausformuliert, gerade die Konzentration auf den Literalsinn gefördert und damit die Frage nach historischen Umständen und schließlich nach ebenfalls historischer Binnendifferenzierung unvermeidlich werden lassen,6 die in der historisch-kritischen Exegese ihren ausdifferenzierten und methodisch kontrollierten Ausdruck gefunden hat. Entlang dieser Kontinuität lässt sich nun aber eine zweite beschreiben, die einer immer weitergehenden Verlagerung der Wahrheit „sichernden“ Subjektivität von Gott hin zum Menschen – entlang einer noch allgemeineren geistesgeschichtlichen Fokussierung auf das rationale, autonome menschliche Subjekt, wie es in Humanismus und Aufklärung schließlich zu vollem Recht gekommen ist. Vor diesem Hintergrund ist die Frage nach dem Autor – dem Auctor, dem Urheber – von Wahrheit weder verwunderlich noch abwegig. Wer historisch arbeiten will, und der historisch-kritische Exeget ist diesem Willen verpflichtet, tut gut daran, sich mit der Figur des „Autors“ auseinanderzusetzen und die eigenen Erkenntnisse anhand seiner zu explizieren. Als Ort der Wahrheit von Texten, von denen den Exegeten Jahrhunderte trennen, kann die „Garantiefunktion“ des Autors nur eine kritische sein. Positive Zuschreibungen sind Sache der Hypothesenbildung, die sich aber daran messen lassen, dass sie sich plausibel der kritischen Instanz des Autors zuschreiben lassen. Wo nicht leichtfertigerweise eine deckungsgleiche Passung der eigenen Hypothese mit dieser 3 Vgl. im Überblick I. U. Dalferth, Art. Theismus, TRE 33, 2002, 169–205; ein ausführlicher aktueller Entwurf des theistischen Gottesgedankens bei F. Hermanni, Metaphysik. Versuche über letzte Fragen (Collegium Metaphysicum 1), Tübingen 2011. 4 Vgl. WA DB VII, 385. 5 Vgl. das „Religion – Philosophie – Lebenshilfe“-Regal einer beliebigen Buchhandlung. Oder lieber nicht. 6 Vgl. H. Karpp, Art. Bibel IV. Die Funktion der Bibel in der Kirche, TRE 6, 1980, 48–93, hier 77 f.
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Instanz angenommen oder hergestellt wird, hat er schließlich eine dauerhaft irritierende Funktion, die genau diese endgültige Passung verunmöglicht und die Bewegung der wissenschaftlichen Hypothesenbildung offenhält.7
II. Autor und Intention, oder – Subjekt und Freiheit Bei dieser Hochschätzung, warum also der Vorwurf der Ahistorizität? Ein Vorwurf schließlich, der, würde er anerkannt, zum Ausschluss aus dem historischkritischen Methodenkatalog führen müsste. Wird hier nun also der „Tod des Autors“8 propagiert? Nun, das kommt sehr darauf an, was man unter einem „Autor“ versteht, doch dazu gleich. Die These der Ahistorizität bezieht sich aber zentral auf die intentio, auf die Dimension einer Aussageabsicht des Autors. Nicht die Annahme, dass dieser eine solche im Kopf hatte, sondern sie zum Ankerpunkt historischer Analyse machen zu wollen, ist gerade nicht historisch gedacht, sondern importiert notwendigerweise eine ahistorische Dimension in das eigentlich geschichtlich orientierte Vorgehen. Bevor diese These plausibel gemacht werden kann, muss in einem ersten Schritt aber beschrieben werden, in welchem Sinne und unter welchem Verständnis so etwas wie ein Autor in der Exegese eine sinnvolle Größe darstellen kann. Gegenüber dem postulierten Tod des Autors könnte man den Autor in seiner höchsten Lebendigkeit stellen – oder besser, das Konzept eines mit äußerster Lebenskraft versehenen Autors, das passenderweise mit der Epoche des „Sturm und Drang“ verbunden ist. Möglicherweise prägt die Vorstellung des „Genies“ noch immer breite Züge der Vorstellung eines Schreibenden. In der Vorstellung der Epoche, deren Leitidee geradezu die Genialität war, wurde in einer radikalen Emanzipation aus Philosophie und Metaphysik und aus den ihnen zugeordneten „schönen Künsten“ das G[enie] endgültig zum Begriff der ursprünglichen, originalen, an keine Voraussetzungen und Vorgegebenheiten gebundenen „Subjektivität“9.
Oder wie eines dieser jungen Genies, Goethe, es selbst fasste, „alles Schreibens Anfang und Ende“ bestehe in der „Reproduktion der Welt um mich durch die innere Welt, die alles packt, verbindet, neu schafft, knetet und in eigner Form, Manier wieder hinstellt.“10 7 Darin liegt auch ein großer Vorteil gegenüber einer bestimmten Spielart rezeptionsästhetischer Lektüren, die kein Gegenüber ihrer Rezeption mehr kennt – allerdings tatsächlich nur bestimmter Spielarten, denn auch ein nicht unter historischen Aspekten gelesener Text kann ein gar widerspenstig Ding sein. 8 R. Barthes, La mort de l’auteur, in: Ders., Oeuvres complètes, Tome III. 1968–1971, hg. von É. Marty, Paris 22002, 40–45. 9 J. Ritter, Art. Genie III, HWPh 3, 1974, 285–309, hier 294. 10 J. W. v. Goethe, Brief an F. H. Jacobi (21. August 1774), zitiert nach Ders., Noch ein
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Ist ein großer Teil des Geniegedankens vor allem mit der ästhetischen, „schönen“, Gestaltung verbunden und findet darin seinen höchsten Ausdruck,11 ist es die Verknüpfung mit der Subjektivität, und ihr Bezug auf ein „Außen“, den auch Goethe beschreibt, der auf den aufklärerischen Gedanken des autonomen Subjektes verweist, der für alle Bereiche, nicht nur die „schönen Künste“, seither von unabweisbarer Bedeutung ist. Es ist Immanuel Kant, der den Gedanken eines „autonomen“ Subjekts am dichtesten durchdacht hat. Diese Autonomie liege darin, dass der Mensch „ausschließlich den Gesetzen der Vernunft gehorcht, die in seinem Inneren angelegt sind und die er als zugleich eigene und allgemeingültige Prinzipien erkennt und anerkennt.“12 Die von Goethe in Worte „gepackte“ Umgestaltung der Welt im eigenen Innen ist da schon gar nicht mehr weit entfernt vom Kantischen Gedanken, daß, wenn wir unser Subject […] aufheben, alle die Beschaffenheit […] verschwinden würde […], und als Erscheinungen nicht an sich selbst, sondern nur in uns existiren können13.
Bei aller Hochachtung, die auch die alttestamentliche Exegese den „schriftstellerischen Persönlichkeiten“14, lange Zeit vor allem in Gestalt von J und E, entgegenbrachte und bringt, die völlige Schranken- und Fessellosigkeit eines Genies konnte sie – und zwar zu jeglicher Zeit – für die Schreibenden der biblischen Texte nicht annehmen. Im strengen Denken einer direkten „Inspiration“ ist der genius des ingenium für Gott reserviert; ein Gedanke, der möglicherweise in seiner Transformation selbst die Rede vom Dichter-Genie entscheidend geprägt hat. Auch mit der Abkehr vom Inspirationsgedanken am Beginn historisch-kritischen Arbeitens trat an den Ursprung der biblischen Texte kein genialischer Autor,15 sondern altes Überlieferungsgut, das den späteren Autoren vorgegeben war. Das mag einerseits durchaus als Kritik gemeint gewesen sein, als Aufweis, dass in den Texten kaum höhere geistige Leistungen zu finden wären, meist aber wohl doch als Beleg des Ursprungs zumindest der Stoffe in frühesten Zeiten verstanden worden sein. In seiner „klassischen“ Form jedenfalls ist das Genie zu eng mit dem „Dichter“ und damit der Fiktionalität verbunden.16 Nun kann man naWort für junge Dichter, in: Ders., Schriften zur Kunst und Literatur. Maximen und Reflexionen (Werke. Hamburger Ausgabe. Bd. 12), München 1999, 360 f., hier Anm. zu 360,10 ff., 723. 11 Ritter, Genie, 295. 12 P. V. Zima, Theorie des Subjekts (utb 2176), Tübingen 42017, 100. 13 I. Kant, Kritik der reinen Vernunft. Zweite Auflage 1787 (Gesammelte Schriften, hg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Werke. Bd. III), Berlin 1904, 65. 14 A. Bertholet, Art. Elohist, RGG1 2, 1910, 306; Ders., Art. Jahvist, RGG1 3, 1912, 234. 15 Möglicherweise allerdings als „böser“ genius, in der spätestens bei Lukrez (beeinflusst von Epikur) wichtigen These des „Priesterbetrugs“ zum Beispiel, die noch Nietzsche argumentativ eindrücklich nutzen konnte (vgl. F. Nietzsche, Der Antichrist, in: Ders., Der Fall Wagner u. a. [Kritische Gesamtausgabe. Werke. Bd. 6,3], Berlin 1969, 167–251, hier 172 f. und 176 f.). 16 Vgl. E. Blum, Notwendigkeit und Grenzen historischer Exegese. Plädoyer für eine alttestamentliche „Exegetik“, in: B. Janowski (Hg.), Theologie und Exegese des Alten Testaments,
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türlich die Fiktionalität der Texte annehmen, das würfe dann aber noch einmal ganz andere Fragen und Verwerfungen auf, als hier behandelt werden können.17 Die Auffassung des autonomen Subjekts im Sinne Kants und der Aufklärung und damit das dort angelegte zwischen „Innen-“ und „Außenwelt“ teilt die Exegese durchaus. Ob Bertholet nach dem Verhältnis von traditionellem Erzählgut und theologischer Reflexion fragt,18 oder Blum nach der spezifischen Sicht auf die Welt eines Autors,19 immer ist die Trennung in Subjekt und „Objekt“ konstitutiv. Es gibt die Welt da draußen, jedenfalls wenn wir zunächst simplifizierend materielle Gegebenheiten und Überlieferungen schlicht anhand ihrer Position im „Außen“ zusammenfassen, und das Subjekt des Autors, der mindestens seinen Verstand, im besten Falle aber auch die Vernunft anwendet, diese Gegebenheiten wahrzunehmen, zu durchdenken, umzuformen oder ihnen auch zu widersprechen. Dieses Gegenüber schafft überhaupt erst die Möglichkeit, von so etwas wie einer intentio zu sprechen: als die bedingt freie Entscheidung, auf welche „Objekte“ zugegriffen wird und wie sie geordnet werden sollen. Neben dieser notwendigen Voraussetzung für das Vorliegen einer Intention gibt es für deren Rekonstruierbarkeit eine weitere: dass die Bedingungen dieser Autonomie dieselben sind wie die unserer autonomen Rekonstruktion, dass also die Vernunft übergeschichtlich unverändert dieselbe ist, was ja auch der Grundannahme Kants entspricht.20 Nicht in dem Sinne, dass der Exeget dem Autor (oder gar sich selbst) prima vista einen makellosen Gebrauch der Vernunft zuspricht, sondern dass er an ihrem Maßstab, der auch unserer ist, entlang zu verstehen ist. Dagegen ist das erste Bündel an Thesen zur Kritik an der intentio vorläufig dieses: dass die Bedingtheit des Subjektes eine größere ist als oben angenommen und dass die Modi der Bedingtheit selbst jeweils geschichtlich bedingt sind. Eine größere Bedingtheit als „nur“ durch die als überzeitlich angenommene Vernunft. Sonst wäre, wie gezeigt werden wird, historisches Arbeiten unmöglich. Nicht aber die Annahme völliger Fremdheit, von Bedingungen gänzlich anders als unsere eigenen, denn dann wäre jegliche Art der Rekonstruktion unmöglich. der Hebräischen Bibel. Zwischenbilanz und Zukunftsperspektiven (SBS 200), Stuttgart 2005, 11– 40, hier 30 (= in: E. Blum, Grundfragen der historischen Exegese. Methodologische, philologische und hermeneutische Beiträge zum Alten Testament, hg. von W. Oswald und K. Weingart [FAT 95], Tübingen 2015, 1–29), für eine Kritik der Auffassung alttestamentlicher Texte als „autonome Literatur“ im Sinne von „schöne[r] Literatur“. 17 Zur Kategorie der Fiktionalität und ihr Verhältnis zu den biblischen Texten vgl. E. Blum, Historiographie oder Dichtung? Zur Eigenart alttestamentlicher Geschichtsüberlieferung, in: Ders., Grundfragen, 31–54, hier 42–44. 18 Bertholet, Elohist, 306 und Ders., Jahvist, 234. 19 Blum, Stimme, 85. 20 Eine ähnliche Grundvoraussetzung hat F. D. E. Schleiermacher in seiner Hermeneutik, in der die divinatorische Methode eine „Empfänglichkeit“ oder in heutiger Terminologie vielleicht ‚Einfühlungsvermögen‘ für „alle andern“ (F. D. E. Schleiermacher, Hermeneutik, hg. von H. Kimmerle, Heidelberg 1959, 109) voraussetzt.
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Sondern ein genaues Hinschauen auf den Raum der Differenzen zwischen Identität und absoluter Fremdheit. Diese Thesen in ihrer vollen Breite auszuleuchten, erforderte eine eingehendere Beschäftigung mit den Bedingungen und der Konstitution von Subjekten überhaupt, als an dieser Stelle geleistet werden kann. Es kann also hier nur um Subjekte als Autoren gehen und um deren Bedingtheiten und exemplarisch um Autoren alttestamentlicher Texte im Rahmen historischer Exegese. Dabei soll gezeigt werden, dass die historische Exegese immer schon implizit ein Verständnis von Autorschaft hat, das vom oben geschilderten unterschieden ist – und es auch haben muss, damit historisches Arbeiten überhaupt möglich ist. Dieses Verständnis zu explizieren und an einigen Stellen möglicherweise noch konsequenter zu fassen, soll die Aufgabe des Folgenden sein.
III. Autor und Subjekt Der Autor als Genie, als unbeschränkter Ausdruck angenommener autonomer Subjektivität, kann noch aus einem anderen Grund nicht von historisch-kritischer Exegese in den Blick genommen werden. Seine „Genialität“ besteht gerade darin, überzeitlichen Sinn und unbedingte Wahrheit in unvergleichliche Form zu bringen. Für einen Literaten wäre das sicher eine der höchsten Formen des Preises. Für die Exegese, die gerade durch ein feines Gespür für Unterschiede, also durch Vergleichen, den historischen Ort des Autors bestimmen möchte, um die von ihm getroffenen Aussagen aus ihrer Zeit und Situation heraus verstehen zu können, bleibt das Überzeitliche und Unvergleichliche schlechterdings unsichtbar, ihn anzunehmen erforderte eine gänzlich andere Form der Exegese. Der Text eines Autors, der zu jeder Zeit alles sagen kann, kann nicht Ausgangspunkt einer historischen Rekonstruktion sein. Da die Autoren der Texte des Alten Testaments eben nicht bekannt sind, kann die historische Verortung nicht anhand der mit ihnen verbundenen Daten geschehen, sondern die Erhebung der historischen Situation und die Frage nach dem Autor und damit nach der Aussageabsicht des Textes sind ineinander verschränkt.21 Zumal die Frage nach dem Autor eben nur anhand von Indizien zu beantworten versucht werden kann, denn „der seinem Werk gegenübertretende Autor“22 fehlt in den Texten so gut wie immer. So ist die historische Frage methodisch die Frage nach Brüchen, Verschiebungen, Differenzen in den Aussagen des Textes, die entlang zu bestimmender Linien auf verschiedene historische Situationen und damit auf verschiedene Autoren verweisen, also die Kunst des Unterscheidens. Unterschieden werden kann aber nur das Nicht-Unbedingte, das 21 Vgl. 22
Blum, Stimme, 108. Ders., Historiographie, 39.
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Bedingte. Der Exeget muss also seine Hoffnung – auch wenn er nicht davon ausgeht, dass jede einzelne Aussage determiniert ist – darauf richten, möglichst viele historisch bedingte Aussagen und den Modus ihrer Bedingung identifizieren zu können. Dabei ist die Figur des Autors, der all diesen Bedingtheiten ausgesetzt ist und sie an seine Aussagen weitergibt, von großem analytischem Nutzen. Hilfreiches Instrumentarium zur Beschreibung dieser Bedingtheiten und für ihren Bezug zum Autor bietet sich von für Exegeten eventuell ungewohnter Seite an. Der französische Philosoph Michel Foucault hat in seinem Buch „Archäologie des Wissens“23 eine umfassende Beschreibung der Strukturen von historischen Bedingtheiten von Aussagenzusammenhängen vorgelegt, die unter der Bezeichnung „Diskursanalyse“ unter anderem als Methode in der Literaturwissenschaft große Bedeutung erlangt hat. In ihrer Anlage ist diese „Analyse“ aber weder eine geschlossene Methode noch ist sie auf Literatur im Sinne der belles lettres bezogen. Ihr Anwendungsgebiet ist zunächst die Geistesgeschichte und sie ist dezidiert historisch angelegt, wie der Titel der „Archäologie“ schon andeutet. Auch wenn die Rede von der „Textarchäologie“ für die alttestamentliche Exegese durchaus zu problematisieren ist,24 weist der Begriff auf eine nicht gänzlich verschiedene Einstellung historisch zu untersuchenden Mitteilungen gegenüber hin. Der zentrale Begriff Foucaults ist dabei der des „Diskurses“. Diskurse sind dabei definiert „als Praktiken […], die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen.“25 Sie bezieht sich „auf die Gesamtheit der Regeln […], die es erlauben, [Aussagen] als Gegenstände eines Diskurses zu bilden, und somit ihre Bedingungen des historischen Erscheinens konstituieren.“26 Mit anderen Worten, die Analyse von Diskursen untersucht die historischen Gegebenheiten, die die Produktion von Sinn bedingen, reglementieren.27 Das Mittel zur Erhebung dieser Regeln oder Bedingtheiten ist für Foucault die Suche nach „Unterbrechungen, deren Statut und Natur sehr unterschiedlich sind.“28 Diese Haltung, dieses Hauptaugenmerk teilt die Diskursanalyse also mit 23
M. Foucault, Archäologie des Wissens (stw 356), Frankfurt am Main 132008. Blum, Notwendigkeit, 24. 25 Foucault, Archäologie, 74. Dieser spezielle Diskursbegriff unterscheidet sich von dem im deutschen Kontext möglicherweise geläufigeren Verständnis Habermas’scher Prägung als eine Abfolge von Äußerungen mit dem Ziel der gegenseitigen Verständigung über den Wahrheitsgehalt (J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns Band 1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung [es 502,1], Frankfurt am Main 41987, 387). 26 Foucault, Archäologie, 72. 27 Der Begriff der „Regel“ muss hier mehrdeutig aufgefasst werden: Zum einen im Sinne von „Règlement“, da er den Diskurs zwingend strukturiert und bestimmte Formationen verlangt oder verunmöglicht, zum anderen im Sinne von „Regelmäßigkeit“, da er ein dem Diskurs inhärentes Moment beschreibt, das von ihm selbst gebildet wird, nämlich in den herauszuarbeitenden Beziehungen der Aussagen zueinander. Insofern gibt es keine Regeln, die dem Diskurs als allgemeingültig übergeordnet oder äußerlich wären, sie sind jeweils spezifisch, aber innerhalb des jeweiligen Diskurses normativ. 28 Foucault, Archäologie, 10–11. 24 Vgl.
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der Exegese in ihrem literarkritischen Vorgehen. Die Konzentration auf die Bedingungen, wie sie sich innerhalb eines Aussagezusammenhangs zeigen, stellt für Foucault eine methodische Beschränkung dar, die darin liegt, die für die von ihm untersuchten historischen Diskurse vielfältig vorliegenden Erkenntnisse über geschichtliche Umstände nicht von außen an die Diskurse heranzutragen, sondern genau hinzusehen. Für die Exegese ist das eine prinzipielle Beschränkung, da – von wenigen Ausnahmen abgesehen – die vorliegenden Kenntnisse über geschichtliche Umstände primär überhaupt erst aus den Texten gewonnen werden können, auf die sie bezogen werden sollen. Nach der Logik der Diskursanalyse heißt das: Wenn in einem bestimmten Zusammenhang Äußerungen auf eine bestimmte Art und Weise bedingt sind, lässt sich aus den vorliegenden Äußerungen auf die Struktur ihrer Bedingtheit schließen, die sich im besten Falle auf eine bestimmte Zeitspanne der Geschichte beziehen lässt. Die Figur des Autors ist in dieser Sicht aber keineswegs obsolet, die „Hervorbringung“ der Aussagen durch das Règlement des Diskurses nicht als eine Art der Autopoiesis zu denken. Als Origo29 der Aussagen ist der Autor zentral, „[e]s wäre sicherlich absurd, die Existenz des schreibenden und erfindenden Individuums zu leugnen“30. Die hier zu verhandelnde Frage nach dem Autor eines biblischen Textes ist also, in der Diktion der Diskursanalyse, die nach dem Subjekt im Diskurs. Dabei ist auch der Autor als Subjekt im Diskurs den Bedingtheiten desselben unterworfen. Der Autor ist Origo nicht als freies, ungebundenes Individuum, als autonomes Subjekt, nur der überzeitlichen Vernunft verpflichtet. Dabei ist in diesem Zusammenhang „Subjekt“ schon vom Sprachgebrauch her nicht das klassische autonome Subjekt in der Tradition von Kant. Der von Foucault verwendete französische Begriff ist „sujet“, dem im Gegensatz zum Deutschen immer auch die Bedeutung „Untertan“ anhaftet, ebenso wie die des „Themas“ oder des „Gegenstandes“ einer bestimmten Beschäftigung.31 So hat das Subjekt die Dimension des Handelnden – die im nächsten Abschnitt genauer in den Blick kommen wird –, aber auch die Dimension des „unterworfen Seins“ und die Dimension des „thematisiert Werdens“, indem seine genaue Gestalt immer erst durch die Thematisierung des Diskurses hervorgebracht wird. Erhard Blum hat für die alttestamentlichen Texte ausführlich den Zusammenhang zwischen Textgattung, ihrer Pragmatik und der Thematisierung des Autors beschrieben. So tritt in den biblischen Texten der „reale“ Autor textimmanent nur in Ausnahmefällen in Erscheinung,32 er tritt zurück „hinter bzw. in seinen 29 Vgl. C. Hardmeier, Texttheorie und Texterschließung. Grundlagen einer empirischtextpragmatischen Exegese, in: H. Utzschneider/E. Blum (Hg.), Lesarten der Bibel. Untersuchungen zu einer Theorie der Exegese des Alten Testaments, Stuttgart 2006, 13–44, hier 20 f. 30 M. Foucault, Die Ordnung des Diskurses. Mit einem Essay von Ralf Konersmann, Frankfurt am Main 112010, 21. 31 Vgl. analog dazu auch das englische ‚subject‘. 32 Vgl. Blum, Historiographie, 39. Auch die gelegentlichen Ich-Berichte verweisen nur auf
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Text“33. Für die alttestamentlichen Texte bedeutet das „einen gleichsam selbstverständlichen Geltungsanspruch“, der nicht „über das ‚vorgeschaltete‘ urteilende Subjekt des Erzählers vermittelt“34 wird. Der Autor ist kein Gegenüber der Texte, sondern als Tradent selbst Teil ihrer Überlieferung. Die Geltung macht sich an einer „umfassendere[n] Verlässlichkeit“35 fest, die der Tradition und ihrer Bedeutung für das Leben, nicht am „Autor“. Nur für die historische Untersuchung der Exegese scheint der Autor ausschließlich als dem Text äußerliches Subjekt „Garant“ der Geltung (als angemessene historische Rekonstruktion) zu sein. Der von Blum gestellten Aufgabe, diese Einsichten in der wissenschaftlichen Exegese positiv aufzunehmen, ohne den „methodischen Ausgangspunkt bei dem in der Moderne Selbstverständlichen“ aufzugeben, kann hier kaum in Gänze nachgekommen werden. Möglicherweise können aber einige allgemeine Grundzüge der Strukturen aufgezeigt werden, entlang derer das „israelitische Paradigma“36 mit unserem wissenschaftlichen Paradigma, jedenfalls in Bezug auf die Frage nach dem Autor, in eine fruchtvolle Auseinandersetzung gebracht werden kann: Die übergeordnete Geltung der Traditionsliteratur mit dem Autor als Ankerpunkt des modernen Textverständnisses. Der Autor als Origo heißt dann, wieder im analytischen Blick dieser Untersuchung: als Kreuzungspunkt der geschichtlichen Bedingtheiten, die ihn an diesem Ort als Autor überhaupt erst auftreten lassen und die Wahl seiner Aussagen gleichfalls bedingen.37 Hier liegt ein bedeutender Unterschied zu einer Rede vom Autor als Origo, wie sie Christof Hardmeier eingeführt hat und vertritt. Wenn er vom „Sinnangebot“38 aus der „subjektiven Wirklichkeit des Autors“39 heraus spricht, muss zumindest präzisiert werden, dass der Autor hierin eben nicht frei ist und seine Wahrnehmung der Wirklichkeit keine rein individuelle ist, sondern in dem Sinne subjektiv, als das Subjekt immer schon den Bedingtheiten des Zusammenhangs unterworfen ist, in dem es auftritt. Die erste Teilfrage zur Annäherung an das Phänomen des Autors in diesem Verständnis ist „Wer spricht?“40 oder genauer: Wer kann hier sprechen und wer darf hier sprechen? Oder: wer kann überhaupt den Ort eines Autors einnehmen? Zur Beantwortung dieser Frage können je nach Art des Zusammenhangs einen Erzähler, soweit er selbst Teil des Geschehens ist, nicht einen externen Autor (mit ebd., 40 f. und Ders., Stimme, 98). 33 Ders., Historiographie, 40. 34 Ders., Stimme, 123. 35 Ders., Historiographie, 40. 36 Ebd., 39. 37 Vgl. Ders., Notwendigkeit, 31, zur Bedeutung der „Autorperspektive“ für diachrone Exegese. Die hier vorgelegten Ausführungen können als Versuch verstanden werden, die Konstitution dieser Perspektive zu beschreiben. 38 Hardmeier, Texttheorie, 17. 39 Ebd., 18. 40 Foucault, Archäologie, 75.
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verschiedene Aspekte befragt werden. Welche Personen verfügen über die nötigen Kenntnisse, um innerhalb des Diskurses Aussagen zu treffen? Wem wird innerhalb des Diskurses überhaupt erst das Recht dazu eingeräumt? Welche Gruppe kann einen fundierten Wahrheitsanspruch für ein bestimmtes Gebiet in Anspruch nehmen? Es gilt, dass „niemand […] in die Ordnung des Diskurses eintreten [kann], wenn er nicht gewissen Erfordernissen genügt, wenn er nicht von vornherein dazu qualifiziert ist.“41 Die Bedingungen, unter denen jemand den Ort eines Autors einnehmen kann und unter denen er bestimmte Aussage treffen kann, treffen muss oder nicht treffen darf, mögen sehr weit oder streng reglementiert sein,42 auf jeden Fall müssen sie als Möglichkeitsbedingungen von Aussagen herausgearbeitet und beschrieben werden. Diese Bedingungen sind Teil der Regeln, die den Diskurs strukturieren und damit sein integraler, integrierender Bestandteil. Der Status als Autor, der dem Subjekt innerhalb des Diskurses zugestanden wird, ist jedoch so wenig unabhängig von dessen Position außerhalb seiner Einbindung in einen bestimmten diskursiven Zusammenhang wie er mit dieser identisch ist. Der Status eines Subjektes außerhalb des Diskurses bedingt in vielen Fällen, ob die Qualifikation, am Diskurs teilzunehmen, erreicht werden kann. Mögliche Kriterien sind zum Beispiel der Zugang zu Bildung und die Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum (beides ist in vielen Gesellschaftsformen auf engste verbunden), Ansehen und Macht, sei es persönlich oder als Angehöriger einer bestimmten Gruppe oder (physischer) Zugang zu bestimmten Kommunikationswegen. Denkbar ist aber auch, dass in bestimmten Konfigurationen der Zugang zum notwendigen Wissen nach eigenen Regeln beschränkt ist, zum Beispiel bei Geheimgesellschaften oder Mysterienkulten. Der Status im Diskurs kann aber auch konträr zum gesellschaftlichen sein. Es ist zum Beispiel ein „umstürzlerischer“ Diskurs denkbar, in dem gerade die realen Machthaber vom Diskurs ausgeschlossen werden oder zumindest werden sollen. Wie genau sich also die möglichen Status innerhalb und außerhalb des Diskurses verhalten, ist Teil der Analyse des Subjektes im Diskurs und beide dürfen nicht vorschnell gleichgesetzt werden. So erhalten möglicherweise bestimmte prophetische Traditionen und deren Autoren gerade in ihrem Widerspruch zu den gesellschaftlich privilegierten Kreisen Legitimität. Die zweite Teilfrage ist also die nach den „institutionellen Plätzen“43, von denen aus ein Subjekt sprechen kann, die bestimmte Aussagen ermöglichen, aber andere ebenso ausschließen. Auch sie vermitteln noch einmal Zugang zu Wissen, Zugriff auf Mittel zur Verifikation und Absicherung von Aussagen (sei es weil sie zum Beispiel dem Arzt ein Laboratorium zur Verfügung stellen44 oder 41
Ders., Ordnung, 26. Vgl. ebd. 43 Foucault, Archäologie, 76. 44 Vgl. ebd., 78. 42
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einem Priester die Berechtigung, heilige Texte autoritativ auszulegen) und Bezug zu bestimmten Gegenständen. Schließlich wird das Subjekt auch in seiner Position bestimmt, die es zu bestimmten Bereichen oder Gruppen von Objekten des Diskurses einnehmen kann.45 Es kann als Wissenschaftler seinen Gegenständen fragend gegenüber stehen, kann sie rein empirisch-aufzeichnend behandeln oder definitorische Vollmacht über sie besitzen, zum Beispiel als Gesetzgeber über die Einordnung bestimmter Handlungen als Verbrechen. Es kann aber auch in größerer Distanz zu seinem Gegenstand stehen, bis dahin, dass es auf diesen nur vermittels zwischengeschalteter Instanzen Zugriff hat. Diese verschiedenen Positionen sind nicht einem einzelnen Subjekt dauerhaft zugeschrieben, sondern jedes Subjekt kann im Raum desselben Diskurses mehrere, verschiedene Positionen einnehmen, aber auch in verschiedenen Diskursen dieselbe oder verschiedene Positionen einnehmen. All dies zeigt, dass das Subjekt als Autor ein Teil des Diskurses ist. Es ist an die Möglichkeitsbedingungen des Sprechens im Diskurs gebunden und kann nur unter diesen Bedingungen als Autor in Erscheinung treten. Dies steht in einem großen Gegensatz zum herkömmlichen Autorbegriff, in dem das Subjekt frei und nur sich selbst und der Vernunft verpflichtet über jeden beliebigen Gegenstand seiner Welt wahre Aussagen treffen kann. Es ist gebunden an die vielfältigen Regeln des Diskurses, wie Aussagen getätigt werden müssen, um als wahr zu gelten, ist gebunden an Aussagen, die innerhalb des Diskurses bereits den Status von Wahrheit erhalten haben und muss schließlich die Zugangsvoraussetzungen zum Diskurs überhaupt erfüllen. Diese Auffassung des Autors als Subjekt im Diskurs ermöglicht für die Exegese erst die Befragung der biblischen Texte auf die historische Verortung der Autoren, die in ihnen auftreten. Denn als autonomes Subjekt kann er nicht rekonstruiert werden. Wenn er wirklich keiner der erläuterten Möglichkeitsbedingungen seines Sprechens verpflichtet wäre, nicht seiner Funktion im Diskurs, seiner Position im extra-diskursiven Raum, den Regeln, nach denen Aussagen erscheinen können, dann könnte er von jedem beliebigen Punkt in Zeit oder Raum zu uns reden. Jede nähere Bestimmung ist von vornherein utopisch. Ist das Subjekt jedoch gerade darin in dem beschränkt, was es sagen kann, was es sagen muss und was es nicht sagen darf, ist es ein Subjekt, das am Diskurs nur in einer bestimmten Funktion, einer bestimmten Position und gegebenenfalls nur in einem bestimmten Bereich teilnehmen darf, so ist das Vorliegen einer räumlichen, zeitlichen und gesellschaftlichen Verortung gesichert. Wenn diese Verortung beschränkt, was gesagt werden kann, muss oder eben nicht gesagt werden darf, erlaubt das Rückschlüsse auf die Situation des Subjekts, wenn auch nicht auf dem Niveau der Beweiskraft, so doch der Plausibilisierung. 45
Vgl. ebd.
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Innerhalb der Exegese wird sich diese Erkenntnis schon lange zunutze gemacht und zur historischen Verortung von Texten und ihrer Subjekte herangezogen. Am beispielhaftesten kann dies wohl an der Herausarbeitung der Priester„schrift“ (wie auch immer sie genau bestimmt wird, ob als Dokument oder Komposition) gezeigt werden. Sie wird eben auch über jene Auffassung abgegrenzt, dass bestimmte Aussagen innerhalb des Diskurses nur von Subjekten getroffen werden können, die von ihrem Status innerhalb der Priesterschaft aus agieren und so über die nötigen Qualifikationen, wie zum Beispiel eine genaue Kenntnis des Kultes, aber auch eine definitorische Hoheit über ihn, verfügen. Nimmt man dagegen ein völlig freies Subjekt innerhalb von Diskursen an, könnten die betreffenden Aussagen schlechterdings von jedem stammen. Dabei ist nota bene von Bedingtheiten die Rede, nicht von Determination. Die Teilnahme am Diskurs, also die Möglichkeit, sich als Autor zu äußern, ist nicht von vornherein auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt, unveränderlich oder auch nur notwendigerweise schwierig zu erlangen. Jede Teilnahme hat aber mit ihr verbundene Bedingtheiten, die erhoben werden können und müssen, um historisches Arbeiten zu ermöglichen. Soweit zum „sujet“ als „Untertan“ der Bedingtheiten und als „Thema“ historischen Arbeitens.
IV. Intentio als Wahl Nun muss aber noch die Dimension des handelnden Subjektes in den Blick kommen, ohne die eine Rede vom „Autor“ schlechterdings keinen Sinn ergäbe. Auch nach seinem Eintritt in den Diskurs ist das Individuum als Subjekt – für unseren Zusammenhang als Autor – nicht selbst nun determiniert in seinen Aussagen, es spricht nicht der Diskurs, sondern durchaus das Autorsubjekt. Auch in diesem Fall gibt es zwischen Determination und postulierter Autonomie ein weites Feld der Bedingtheiten, die es herauszuarbeiten, zu bedenken und für die historische Analyse nutzbar zu machen gilt. Ausgangspunkt für die Bearbeitung dieser Dimension in der weiterhin als Denkmöglichkeit herangezogenen Diskursanalyse ist die wenig überraschende Tatsache, dass in einem Diskurs nicht all das, was nach seinen Regeln46 gesagt werden kann, auch tatsächlich gesagt wird, oder mit Foucault, dass die tatsächlich getätigten Aussagen „nicht das ganze mögliche Volumen, das ihr die Formationssysteme ihrer Gegenstände, ihrer Äußerungen, ihrer Begriffe mit Recht öffnen“47, besetzen. Das Verhältnis zwischen den Möglichkeiten, Aussagen zu treffen und den tatsächlich getroffenen Aussagen ist das
46 Deren Spielarten weit über die hier herangezogene Dimension des Subjekts hinausgehen, vgl. dazu im Ganzen Foucault, Archäologie. 47 Ebd., 99.
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der „strategischen Wahl“48, deren Bedingtheiten ebenfalls beschrieben und analysiert werden können. Am deutlichsten wird die Bedeutung dieser Wahl an dem Punkt, an dem sich ein neuer, von seinem Ausgangspunkt getrennter Aussagenzusammenhang – Diskurs – bildet. Dieser Punkt ist deshalb von so großer Bedeutung, weil sich dort zeigen lässt, wie unter nicht autonomen Bedingungen (sondern eben bedingten) Neues entstehen kann. Und „Neues“ heißt unter den hier vertretenen Annahmen auch immer, dass sich das Gefüge der Bedingtheiten ändert. Am Anfang eines neuen Diskurses steht diejenige strategische Wahl, die ihn konstituiert, indem er ihn aus einem anderen herauslöst. Diese erste Wahl gehört auf verschiedenen Ebenen beiden Diskursen an: Sie bildet eine Aussage unter den Bedingtheiten des ursprünglichen Diskurses und konstituiert gleichzeitig mit dieser Aussage einen neuen. Eine solche Aussage bildet den „Bruchpunkt des Diskurses“49. Dieser Punkt ist zuerst ein Punkt der „Inkompatibilität“50, an dem zwei Aussagen, sei es ihrer Äußerungsform, ihres Gegenstandes oder ihres Begriffes nach, nicht Teil desselben Aussagezusammenhangs sein können, ohne in einen offensichtlichen Widerspruch zueinander zu geraten.51 Die Inkompatibilität alleine hat aber zunächst nur den Ausschluss einer Aussage aus dem Diskurs zur Folge, noch nicht aber die Bildung eines neuen solchen. Dazu müssen die beiden inkompatiblen Aussagen zusätzlich äquivalent sein, das heißt, auf der derselben Ebene und nach denselben Formationsregeln gebildet sein, so dass sie nicht nur in irgendeiner Art und Weise im Widerspruch zueinander stehen, sondern zueinander Alternativen bilden.52 Und schließlich müssen sie, um einen tatsächlichen Zusammenhang zu bilden, „Aufhängungspunkte“53 für weitere Aussagen und Aussagegruppen werden, die von ihnen ausgehend und nach den nun neuen, eigenen Regeln gebildet werden. Das heißt positiv gewendet, und für historische Arbeit von großer Bedeutung, dass die Bedingtheit des Autors durch die Regeln nicht notwendigerweise heißt, dass jede „Nicht-Passung“ der Analyse verloren geht, sondern dass gerade diese Bedingtheiten, die Möglichkeitsbedingungen zu Neuem, selbst natürlich wieder bedingt, sind. Der alttestamentlichen Exegese ist diese Fragerichtung nicht unvertraut. Besonders deutlich wird das in der Beschäftigung mit der für die Literarkritik der Schriftpropheten wichtigen Differenz zwischen Heils- und Unheilsprophetie.54 48 Ebd. 49
Foucault, Archäologie, 96.
50 Ebd. 51
Vgl. ebd. Vgl. ebd. 53 Vgl. ebd. 54 Vgl. E. Zenger, F. Die Bücher der Prophetie, in: Ders., Einleitung in das Alte Testament (KStTh 1,1), Stuttgart 72008, 417–586, hier 241, über die „Dialektik Unheil – Heil“, die auch das Verhältnis von „ursprüngliche[r] Gerichtsprophetie“ und der kompositorischen heilseschatolo52
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Unabhängig davon, ob das in jedem Falle wirklich ein plausibles Kriterium für literarkritische Operationen ist, zeigt die immer wiederkehrende Beschäftigung mit der Frage nach ihrem Unterschied und ihrer möglicher Kompatibilität oder Inkompatibilität die Bedeutung mit den oben beschriebenen Mechanismen. Wo also ein neuer Diskurs sich bildet, öffnet sich nun ebenfalls ein Möglichkeitsraum, dessen tatsächliche Ausschöpfung wiederum von der strategischen Wahl bestimmt wird. Eine Instanz dieser Entscheidungen ist die übergeordnete Konstellation von diskursiven Formationen, die das Verhältnis der einzelnen Formationen zu den benachbarten und gleichzeitigen beschreibt.55 Diese Konstellation kann das Aussehen eines formalen Systems annehmen,56 wie es beispielsweise die universitäre Enzyklopädie und ihre Aufteilung der Gegenstände auf verschiedene Fachbereiche darstellt. Sie kann aber auch den Charakter eines Modells57 haben, an das andere Formationen sich gebunden haben. Ebenso können sie sich in der Beziehung von Analogie, Opposition oder Komplementarität zueinander verhalten oder mit einem benachbarten Gebiet in gegenseitiger Abgrenzung der Aussagegebiete verbunden sein.58 Hier ist nun endgültig der Kern historisch-kritischen Arbeitens betroffen, nämlich die Zuordnung der durch die Erhebung ihrer verschiedenen geschichtlichen Bedingtheiten herausgearbeiteten „Schichten“ zueinander. Hier scheinen die verschiedenen Modelle aus den oben, auch nur exemplarisch, aufgeführten Möglichkeiten in vielen Fällen eine Option zu privilegieren oder gar als einzig mögliche anzusehen. Dies kann dem Zusammenhang hier geschuldet nur in aller Kürze und notgedrungen grob verkürzt dargestellt werden. So kann die Urkundenhypothese, in ihrer klassischen und neueren Form, verstanden werden als die Annahme, mehrere – grundlegend meist vier – zu unterscheidende, aber sich überschneidende und in der Überschneidung parallel laufende „Diskurse“ seien im Laufe der Literargeschichte unter Ausgleichs- und Angleichungsbewegungen in einen gemeinsamen Diskurs überführt worden.59 Dagegen gehen Mogischen Perspektive umfasst. Vgl. auch die exemplarische Thematisierung bei O. Eissfeldt, Einleitung in das Alte Testament. Unter Einschluss der Apokryphen und Pseudepigraphen sowie der apokryphen- und pseudepigraphenartigen Qumrān-Schriften. Entstehungsgeschichte des Alten Testaments (NTG), Tübingen 31964, 200 f. 55 Vgl. Foucault, Archäologie, 97. 56 Vgl. ebd. 57 Vgl. ebd., 98. 58 Vgl. ebd. 59 Vgl. die kompakte Darstellung nach W. H. Schmidt in E. Zenger, C. Die Bücher der Tora/des Pentateuchs, in: Ders., Einleitung in das Alte Testament (KStTh 1,1), Stuttgart 72008, 60–187, hier 93–95 und die vielleicht letzte große Einleitung im Sinne dieser Hypothese bei ebd., 208–226. Die Grundannahme ist so stark, dass die Grenze der Methode die Grenze möglicher Erkenntnis darstellt (vgl. ebd., 241). Die dominante Metapher, auch in der Darstellung Eißfeldts eigener Hypothese ist die des „Fadens“, die also auf das Bild des Webens anspielt (besonders deutlich zum Beispiel in der Rede vom „fallen gelassenen Faden“ [vgl. ebd., 249]).
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delle einer streng aufgefassten „Redaktionsgeschichte“ davon aus, dass bestimmte Großkorpora grundlegend einen Diskurs bilden, also alle Aussagen, die im Laufe der Geschichte hinzukamen, für eben diesen Diskurs, als „Fortschreibung“ überhaupt erst gebildet wurden.60 Der literarkritischen Arbeit innerhalb dieser Modelle muss also die Annahme zugrunde liegen, dass erkennbare Diskontinuitäten gerade in einer (vom Autor nicht beabsichtigten?) Verletzung der Bedingtheiten und Regeln des Diskurses begründet sind,61 ohne aber die Bedingtheiten der identifizierten Diskontinuität positiv darlegen zu können. Wesentlich differenzierter ist das Modell einer „Komposition“ von Erhard Blum.62 Hier wird die Möglichkeit einer Vielzahl von Relationen zwischen den verschiedenen rekonstruierten Diskursen offengehalten, die jeweils aus den Texten selbst heraus zu beschreiben ist. Explizit rechnet er mit gewollten Diskontinuitäten, deren Beschreibung sich nicht in der Feststellung einer solchen erschöpfen kann und darf.63 Alle diese Konstellationen bedingen also Möglichkeiten für das Treffen von Aussagen unter Umständen in verschiedenem Maße, sind aber noch nicht ausreichende Erklärung für die tatsächlich getroffenen Entscheidungen hinter einzelnen, konkreten Aussagen. Zu deren Bedingungen gehört zum einen „die Funktion[, die der Diskurs] in einem Feld nicht-diskursiver Praktiken ausüben muß“64, in dem er sich bewegt. So könnte man für einige Zusammenhänge der biblischen Prophetie sicherlich zeigen, dass sie eine wichtige Rolle gegenüber politischen Entscheidungsträgern und deren Handeln einnahm, „[s]ie treten auf, wo die Institutionen faulen“65. Von dieser Funktion her waren die betreffenden Propheten in der Wahl ihrer Gegenstände und auch ihrer Formulierungen bestimmt. Neben diesem Beispiel ist natürlich noch ein weiter Raum möglicher anderer Funktionen von Diskursen denkbar. So spricht Wolfgang Oswald von einem möglichen zweipoligen Feld von „rekonstruktiven“66 Funktionen, die er 60 Vgl. R. G. Kratz, Redaktionsgeschichte/Redaktionskritik. I. Altes Testament, TRE 28, 1997, 376–378, besonders 368–370. Er kann „literarische […] Neuproduktion“ tatsächlich nur „in einem vorgegebenen Kontext (sog. Fortschreibung)“ denken (ebd., 369), und unter dem Stichwort der „innerbiblischen Auslegung“ (ebd., 370). Zur Kritik an der „Fortschreibung“ als dominantem Axiom vgl. Blum, Notwendigkeit, 24. 61 Damit ist eindeutig eine qualitative Wertung verbunden. So spricht Eißfeldt für Passagen, die aus den großen „Fäden“ herausfallen, von „sekundären Zutaten“ (Eissfeldt, Einleitung, 225) oder gar von „verstümmelte[n]“ Erzählungen (ebd., 248). Das Ideal bleibt „ein von einem Autor nach bewußtem Plan angelegtes einheitliches und geschlossenes Buch“ (ebd., 223), nota bene auf Quellen-, nicht auf Endtextebene. 62 Vgl. die paradigmatische Darstellung der priesterlichen Komposition (KP) bei E. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch (BZAW 189), Berlin/New York 1990, 229–232. 63 Vgl. Blum, Studien, 232. 64 Foucault, Archäologie, 99. 65 H. W. Wolff, Prophet und Institution im Alten Testament, in: T. Rendtorff (Hg.), Charisma und Institution. Dokumentation ihres V. Europäischen Theologenkongresses 24.– 28. September 1984 in Zürich (VWGTh 4), Gütersloh 1985, 87–101, hier 92. 66 W. Oswald, Staatstheorie im Alten Israel. Der politische Diskurs im Pentateuch und in den Geschichtsbüchern des Alten Testaments, Stuttgart 2009, 9.
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in der rein berichtenden Geschichtsschreibung sieht und „konstruktiven und instruktiven“67, wie er sie für die von ihm herausgearbeiteten möglichen Verfassungsentwürfe innerhalb des Pentateuchs annimmt. Auch Blums These einer Entstehung von KP oder beider großer Kompositionen (KP und KD) „mit der Perspektive eine ‚Reichsautorisation‘ durch die persische Zentralgewalt“68 gehört zu den Anwendungsmöglichkeiten dieses Gedankens. Dieser Punkt ist allerdings im Rahmen der Exegese je nach zu untersuchendem Textbereich unterschiedlich erfolgversprechend. Er hängt stark davon ab, wie deutlich äußere Umstände sich in den Text eingetragen haben, wie gut sie aus der Perspektive des Exegeten erkennbar sind, und – im besten Falle – davon, ob und in welchem Ausmaß sich von den biblischen Texten unabhängige Zeugnisse geschichtlicher Verhältnisse finden und zuordnen lassen. Die zweite Bedingung ist die Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Individuen, denen man außerhalb des betreffenden Zusammenhangs den „Besitz des Diskurses“69 zugesteht, das heißt, die Möglichkeit und das Recht einräumt, an ihm teilzunehmen, in ihm zu sprechen, aber auch Zugriff auf bereits Gesprochenes zu haben, und vor allem, ihn im Rahmen der oben erwähnten nicht-diskursiven Praktiken einzusetzen, zum Beispiel um Entscheidungen zu treffen und zu begründen.70 Je nach Diskurs kann diese Gruppe sehr beschränkt und sogar formal reglementiert sein oder aber recht weit. Die dann tatsächlich getroffenen Wahlen dürfen nicht gleichgesetzt werden mit den „Interessen“ oder „Absichten“ eines außerhalb des Diskurses autonom sich entscheidenden Individuums. Sie sind nur unter, aber auch nur durch die Bedingtheiten möglich. Wie es sinnlos ist, die Existenz des schreibenden Individuums zu leugnen,71 wäre ebenso sinnlos, abzustreiten, dass die am Diskurs teilnehmenden Subjekte mit persönlichen Interessen, Absichten und Ansichten ausgestattet sind, die Foucault unter dem Begriff des „Verlangens“72 zusammenfasst. Aber dass dieses Verlangen, auch ein mögliches kollektives, sich unmittelbar in den Wirkweisen des Diskurses abbildet, ist nur eins der möglichen Verhältnisse zwischen Verlangen und Diskurs. Möglich sind unter anderem auch eine symbolische Abhandlung und eine abgeleitete Befriedigung bestimmter Interessen oder auch ihr Verbot oder Schmähung.73
67
Oswald, Staatstheorie, 9. Blum, Studien, 360. 69 Foucault, Archäologie, 100. 70 Vgl. ebd. 71 Vgl. Foucault, Ordnung, 21 und das Zitat oben. 72 Ders., Archäologie, 100. 73 Ebd. 68 Vgl.
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V. Der Rest. Der Rest? Ist also die intentio des Autors, um die es uns ja hier zu tun ist, in der Beschreibung der „strategischen Wahl“ als Analogie hinlänglich bestimmt? Ist mit dem Ausdruck nur dies gemeint, eben das Ausagieren der geschichtlichen Bedingtheiten durch den Autor? In diesem Fall ist die Annahme leitend, dass die Absicht des Autors verlustfrei in den existierenden Text umgesetzt wurde, dieser also mit dem Ganzen der Intention identisch ist. Eine angenommene Identität macht dann allerdings die Fügung intentio auctoris zu einer Tautologie, wenn beide nur einen Kreuzungspunkt der jeweils gleichen geschichtlichen Bedingtheiten beschreiben. Dem oben beschriebenen genialischen Autor mag diese verlustfreie und reibungslose Umsetzung zugetraut werden, für die historischen Autoren der alttestamentlichen Texte scheint „es freilich trivial“, „[d]ass der/die reale Autor/in nicht unmittelbar zugänglich ist“, sondern nur insoweit er mit der Umsetzung seiner Aussageintention „mehr oder weniger Erfolg“ hat.74 Hier ist die zugrundeliegende Annahme also eine Absicht hinter dem produzierten Text des Autors, es gibt bei geringem Erfolg Aspekte dieser Absicht, die nicht in den Text gelangt oder dort zumindest auch für die ersten Leser nicht erkenntlich waren. Ist also intentio die zusammenfassende Beschreibung von zwei hier analytisch geschiedenen Größen, der im Diskurs bestimmbaren Wahl und des ihm zuvor liegenden Verlangens? Ersteres stellt den Erfolgsfall dar, die intentio geht in den tatsächlichen Aussagen eines Textes auf und die Mechanismen der Wahl sind beschreibbar. In diesem Fall ist allerdings die intentio als eigene Analysekategorie redundant. Sie soll ja gerade die Absicht des Autors im Ganzen, also auch das über das tatsächlich Gesagte Hinausgehende, beschreiben. Der eigentliche Bewährungsfall für die intentio liegt also in ihrem Misserfolg, dem nicht Passenden, in dem, dem die Geschichte die Geltung verweigert hat, dem gescheiterten Versuch der Intervention. Wir können sie annehmen, diese Intention, es gibt sie ganz sicher. Auch diesseits der Fiktion eines autonomen Subjektes muss ein „Ich“, das als Subjekt konstituiert wird und dennoch nie ganz darin aufgeht, nicht negiert werden. Man kann die Frage nach genau diesem Aspekt mit einigem Recht für die eigentlich Spannende halten. Die Idiosynkrasien, die Abweichungen, die Fehlleistungen haben ihre ganz eigene Faszination. Und nachdem rekonstruiert ist, was gesagt wurde, drängt sich das Interesse nach dem, was gerade nicht gesagt wurde, geradezu auf. Nur historisch zugänglich ist es nicht, es ist gerade das, was es nicht in die Geschichte geschafft hat. Es gehört der Kategorie des „Verlangens“ an, die Foucault aufruft. Dass er sie aufruft, zeigt, dass man nicht nichts über das Verlangen sagen kann. Berücksichtigt man, dass im französischen Original désir steht, erhält man einen Hinweis, 74
Blum, Stimme, 109.
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in welchen methodischen Zusammenhängen davon zu sprechen ist. Denn désir ist primär die französische Übersetzung des „Begehrens“. Der Verweis geht also in Richtung der Psychoanalyse, die auch im Hintergrund der Arbeit Foucaults steht. Hier kann über Gestalten, Transformationen, Glücken und Unglück(en) des Begehrens gesprochen werden. Und auch hier würde man wieder mit einem ganzen Bündel an Bedingtheiten konfrontiert werden, die Subjektivität wäre wiederum in ganz anderen Zusammenhängen zu problematisieren. Zu den Wissenschaften mit dem Ziel historischer Rekonstruktion gehört die Psychoanalyse allerdings kaum und entsprechend schwer vereinbar mit dem Methodenkanon der historisch-kritischen Exegese wäre die Frage nach diesem „Rest“ der intentio, der dann tatsächlich außerhalb des und hinter dem Text steht.
Lässt sich der „Endtext“ sachgemäß auslegen – und wenn ja, welcher? Ein Gespräch mit Erhard Blum samt einer Auslegung von Exodus 19,20–25 Helmut Utzschneider
Im Schlusssatz seiner bahnbrechenden Habilitationsschrift von 1990 „Studien zur Komposition des Pentateuch“ hat Erhard Blum seine Intention als Autor prägnant zusammengefasst. Er wollte sein Werk als „(notwendige) Prolegomena zu einer sachgemäßen Auslegung der Endgestalt“1 verstanden wissen. Erhard Blum und der Autor dieser Zeilen haben in den vergangenen mehr als 20 Jahren zu mancherlei Gelegenheiten – in den Neuendettelsauer Kolloquien zur „Theorie der Exegese“2 ebenso wie im Herausgeberkreis der Kommentarreihe „Internationaler exegetischer Kommentar zum Alten Testament“ – über eben diesen Fragekreis diskutiert: Was ist unter „Endtext“ bzw. „Endgestalt“ zu verstehen, um welche Art von Text handelt es sich dabei und vor allem: Ist er sachgemäß auszulegen? Dabei habe ich viel von Erhard Blum gelernt, von seiner souveränen Text- und Literaturkenntnis, seinem scharfen analytischen Verstand und seinem ebenso klaren wie engagierten Diskussionsstil. In der Sache sind dazu auf meiner Seite Fragen und unterschiedliche Sichtweisen geblieben, über die ich mit ihm – in freundschaftlicher Verbundenheit – noch einmal in ein Gespräch eintreten möchte. Dazu werde ich in einem ersten Abschnitt kurz zusammenzufassen versuchen, wie ich seine Position zu der Frage heute verstehe. Dies wird anhand der drei Gesichtspunkte „Art der Literatur“, „Synchronie“ und „Endtext“ geschehen (I.). Im zweiten Abschnitt werde ich meine Sicht der Dinge dazu anhand derselben drei Gesichtspunkte (in etwas veränderter Reihenfolge) formulieren (II.). In einem dritten und letzten Abschnitt werde ich dann davon ausgehend eine sachgemäße Auslegung des Endtextes (den ich dann „Jetzttext“ nennen werde) von Ex 19,20–25 zur Diskussion stellen (III.). 1 E. Blum,
382.
Studien zur Komposition des Pentateuch (BZAW 189), Berlin/New York 1990,
2 Vgl. dazu den Band H. Utzschneider/E. Blum (Hg.), Lesarten der Bibel. Untersuchungen zu einer Theorie der Exegese des Alten Testaments, Stuttgart 2006, der einen Eindruck der Diskussionen dieses Kolloquiums gibt.
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I. Der Endtext und die Intention der Autoren Die Kategorie „Endtext“ bzw. „Endgestalt“ hatte in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts „Konjunktur“. Ich beleuchte dazu exemplarisch und gewiss holzschnittartig einen kleinen Ausschnitt der damaligen „Szene“. Nicht zuletzt Rolf Rendtorff, Erhard Blums Heidelberger Lehrer, hat die Idee einer EndtextExegese aufgegriffen. In einem Vortrag, den er 1986 auf dem IOSOT‑Kongress in Jerusalem unter dem Titel „Between Historical Criticism and Holistic Interpretation: New Trends in Old Testament Exegesis“ hielt, ist eine tastende, aber erwartungsvolle Haltung gegenüber dem „Trend“ spürbar, den „vorliegenden Text“ für Exegese und Theologie in den Blick zu nehmen. Dabei spielt Rendtorff in einem Atemzug auf vier zentrale Ansätze der damaligen Endtext-Exegese an, den „literary“3 und den „canonical approach“, das „close reading“ sowie die „holistische Exegese“: „Ich glaube aber“, meinte Rendtorff, „daß es eine fruchtbare Wechselbeziehung zwischen den unterschiedlichen Ansätzen eines erneuerten ‚close reading‘ des biblischen Textes in seiner jetzt vorliegenden Form geben könnte, ob man dies nun eine Betrachtung des Textes als ‚Literatur‘ oder als ‚Kanon‘ nennen möchte. Die Stärke des kanonischen Ansatzes scheint mir u. a. darin zu liegen, dass er sein Interesse auf größere Einheiten richtet […], oder eben auf den Kanon als ganzen. So erhält die ‚holistische‘ Betrachtungsweise der Bibel […] die Aufmerksamkeit, die sie verdient.“4 Das Label „holistische Exegese“ geht wohl auf Moshe Greenbergs großen Ezechielkommmentar zurück. Für Greenberg war „holistische Exegese“ wesentlich Interpretation des masoretischen Textes, den er als deren „letztes wackliges Fundament“5 bezeichnete. Worauf zielten – vor diesem Hintergrund – Erhard Blums „notwendige Prolegomena“? Er schrieb: „Will man nicht wesentliche Dimensionen der Endgestalt unterschlagen, wird man […] zu berücksichtigen haben, daß diese als Ganzheit nicht nur eine Bedeutungsebene einschließt, sondern mehrere neben- und ineinander. Sie bildet […] eine Landschaft, die in ihrem Relief zugleich ihre Geschichte darstellt. Eine Interpretation, des überlieferten Textes wird in dem Maße, in dem sie sich um Textnähe (‚close reading‘) bemüht, auch diese Reliefstruktur mit zu integrieren haben.“6 Kurz: Eine Interpretation des überlieferten 3 Vgl. auch die Darstellung des „literary approach“ bei A. Käser, Literaturwissenschaftliche Interpretation und historische Exegese. Die Erzählung von David und Batseba als Fallbeispiel (BWANT 211), Stuttgart 2016, 17–105. 4 Der Vortrag ist später unter R. Rendtorff, Zwischen historisch-kritischer Methode und holistischer Interpretation. Neue Entwicklungen in der alttestamentlichen Forschung, in: Ders., Kanon und Theologie. Vorarbeiten zu einer Theologie des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 1991, 23–28 erschienen (die Zitate hier 27–28). 5 M. Greenberg, Ezekiel 1–20 (AncB 22), New York 1983; in dt. Übersetzung: Ders., Ezechiel 1–20 (HThKAT), Freiburg i. Br. u. a. 2001, 37. 6 Blum, Studien, 382 (Hervorhebung H. U.). Vgl. auch einen Kongressbeitrag Blums aus Leuven 1989: E. Blum, Gibt es die Endgestalt des Pentateuch? (1991), in: Ders., Textgestalt und
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Textes ist, wenn überhaupt, so jedenfalls nicht ohne die Erhellung von dessen (Vor-)Geschichte möglich. Erhard Blum wurde in der Folgezeit – auch in der Diskussion mit dem Autor dieses Beitrages – nicht müde, diesen Grundsatz weiter zu entfalten und zu bekräftigen. Vor allem drei Fragestellungen waren bzw. sind dabei in meiner Wahrnehmung maßgebend. 1. „Schöne Literatur“ oder „adressatenbezogene Mitteilungsliteratur“7 – Um welche Art Literatur handelt es sich im Alten Testament? Zunächst hielt Blum einer endtext-spezifischen, „synchronen“ Exegese vor, sie gehe vom neuzeitlichen Begriff einer „schönen Literatur“ aus, die zugleich fiktional, autonom, und a-chron, also ohne Bezug auf geschichtliche Kommunikationssituationen, ist.8 Keine der Eigenschaften treffe auf die Literatur des Alten Israel zu, aus der das Alten Testaments hervorgegangen ist. Fiktional ist sie nicht, weil sie „ihre Aussagen etc. nicht von der assertorischen etc. Referenz auf Wirklichkeit suspendieren und den intendierten Leserinnen eine solche Suspendierung auch nicht freistellen.“9 Autonom und a-chron ist sie nicht, weil sie kommunikativen Zwecken diente. Deshalb ist „ohne die historische Frage nach den konkreten Kommunikationssituationen der Einzeltexte“ die alttestamentliche Literatur weder zu verstehen noch auszulegen, und zwar schon deshalb nicht, weil sonst „die Kriterien […] für ihre Konstitution (Umfang, Anfang-Ende etc.)“ und damit „das entscheidende, auf ihren Eigensinn ausgerichtete Regulativ“10 fehlen. Das heißt dann im Ergebnis, dass „kein Weg an der Intention der Autoren, bzw. der intendierten Leserschaft vorbei[führt].“ Diese Intentionalität ist nichts weniger als eine „regulative Idee“.11 Fragt man allerdings genauer nach, wodurch die Aussageabsicht der Autoren bestimmt ist, finden sich differenzierte Antworten.12 Komposition. Exegetische Beiträge zu Tora und Vordere Propheten, hg. von W. Oswald (FAT 69), Tübingen 2010, 207–217. 7 E. Blum, Notwendigkeit und Grenzen historischer Exegese. Plädoyer für eine alttestamentliche „Exegetik“ (2005), in: Ders., Grundfragen der historischen Exegese. Methodologische, philologische und hermeneutische Beiträge zum Alten Testament, hg. von W. Oswald und K. Weingart (FAT 95), Tübingen 2015, 1–29, hier 19. 8 Vgl. dazu z. B. E. Blum, Historiographie oder Dichtung. Zur Eigenart alttestamentlicher Geschichtsüberlieferung (2005), in: Ders., Grundfragen, 31–54, vgl. vor allem 44. 9 E. Blum, Von Sinn und Nutzen der Kategorie „Synchronie“ in der Exegese (2004), in: Ders., Grundfragen, 53–68, hier 60, Anm. 15. 10 Blum, Notwendigkeit, 21–22 (Hervorhebung im Original). 11 Blum, Sinn und Nutzen, 62–63. In der Anwendung dieses Kant’schen Begriffs auf die Autorenintention ist sich Erhard Blum mit Eckart Otto einig (vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und im Hexateuch. Studien zur Literaturgeschichte von Pentateuch und Hexateuch [FAT 30], Tübingen 2000, 267, Anm. 94). 12 Schon in der Pentateuch-Studie (Blum, Studien, 381) ist die Autorenintention ziemlich weit gefasst: Es gehe „nicht notwendig um bewußte Autorenintention, sondern die in der Textgestaltung zu Ausdruck gebrachte(n) ‚Intention(en)‘ die aber – dies als Korrektiv gegenüber
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2. Was heißt „Synchronie“in der Exegese? Gesondert wandte sich Blum dem Begriff der „Synchronie“ in Abgrenzung zu und in Verbindung mit dem Begriff Diachronie zu. Er verwies zunächst und zurecht darauf, dass der Begriff „synchron“ im strengen Sinn, wie er auf F. de Saussures „Cours de linguistique général“ zurückgeht, nicht exklusiv auf eine Zeitebene zu beziehen ist.13 Noch weniger ist er auf a-historische, zeitlos gegebene Phänomene anwendbar. Also tauge der Begriff auch nicht, wie es sich in der Fachsprache weitgehend eingebürgert hat, zur Bezeichnung der Exegese des Endtextes. Gleichwohl habe der Begriff Synchronie „Sinn und Nutzen“ für die Exegese. Ja, eigentlich könne jede Exegese, die sich „relational“ auf ein rekonstruiertes oder gegebenes Stadium des Textes in seiner Textentstehung bezieht, „synchron“ genannt werden.14 Wenn die Begriffe „synchron“ und „diachron“ in der Exegese einen Sinn haben, dann als Bezeichnungen für jeweils bestimmte Frageperspektiven und „Fokussierung[en] ihrer Textwahrnehmung“. Dabei gehen beide Perspektiven von einer Sachfrage aus: der „Frage der Textkohärenz“15. In synchroner Perspektive ist die Analyse darauf gerichtet, „aufzuspüren, worin die spezifische Kohärenzbildung des spezifischen Textes im Horizont seines semantischen und kommunikativen Gesamtprogramms besteht.“16 Die diachrone Perspektive, näherhin ihr analytischer Teil, die Literarkritik, richtet ihre Aufmerksamkeit „auf mögliche Befunde von Inkohärenz, die in der Regel als Anzeichen diachroner Uneinheitlichkeit interpretiert werden.“17 Diese bereiten dann den „Neuarrangements ‚kohärenter‘ Zusammenhange aus Textteilen“18 den Weg, aus denen quellenhafte oder redaktionelle Texte und letztlich auch die „Reliefs“ rekonstruiert werden, deren Geschichte Blums Pentateuch-Studie abbildet. Die synchrone Textwahrnehmung in diesem Sinne habe sogar methodische Priorität vor der diachronen, bleibe aber eingebunden in einen Regelkreis mit der diachronen, einer wechselseitigen korrektive Interdependenz. Eine „synchrone“ einer ungeschichtlichen Sinnbildung – zumindest als mögliche (!) Intention(en) der geschichtlichen Tradenten wahrscheinlich zu machen ist (sind).“. Ähnlich Blum, Endgestalt, 209. Der Aufsatz E. Blum, Die Stimme des Autors in den Geschichtsüberlieferungen des Alten Testaments (2008), in: Ders., Grundfragen, 82–103, hier 100, fragt u. a., warum in alttestamentlichen Texten, anders als in griechischen, das auktoriale Ich der Erzähler nicht in Erscheinung tritt. Blum führt dies „auf das primäre Medium traditionaler Narration, den mündlichen Vortrag“ zurück. Der Erzähler brauche sich „schlicht deshalb nicht […] vorzustellen, weil er leibhaftig präsent ist“. Diese „grundsätzliche kommunikative Konstellation“ bleibe erhalten, wenn die Texte schriftlich tradiert werden. 13 Vgl. Blum, Sinn und Nutzen, 56–57. 14 Vgl. Blum, Sinn und Nutzen, vor allem 63–64. 15 Ebd., 66. 16 Ebd., 67. 17 Ebd. 18 Ebd., 68.
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Auslegung des Endtextes im Sinne eines eigenständigen interpretativen Verfahrens gibt es nach Erhard Blum nicht.19 3. Die Endgestalt als Postulat der exegetischen Vernunft Schließlich dekonstruiert Blum auch die Vorstellung des Endtextes bzw. der Endgestalt. Schon 1989, noch vor Erscheinen der Pentateuch-Studie, wagte er die „Prognose, dass es die eine Endgestalt nie geben wird, sondern viele Endgestalten.“20 Immerhin aber sei „die Existenz der ‚Endgestalt‘ ein notwendiges Postulat der exegetischen Vernunft“, und zwar „als Bedingung exegetischer Urteilsbildung.“21 Wo aber ist dieses Postulat konkret – als vorweisbarer, interpretierbarer Text – zu finden? Es sind gleich mehrere Schwierigkeiten, auf die Blum dazu verweist. Zunächst ist der Text der Hebräischen Bibel und des Alten Testaments ja in einer Mehrzahl von Texturkunden (Endtexten?) überliefert, hinter denen eine noch größere Zahl an Texttraditionen steht. Sie haben sich in der Tat als so vielfältig erwiesen, dass die Suche nach dem „Urtext“, also der einen Textgestalt, mit der die Entstehung eines alttestamentlichen Textes zum Abschluss gekommen ist, obsolet geworden ist.22 Der Ausweg der „apriorische[n] Festlegung auf den masoretischen Text (Entsprechendes gälte für den alexandrinischen etc.)“, den wie viele andere auch M. Greenberg (s. o.) beschritten hat, erscheint Blum „dogmatisch oder dezisionistisch“23 (das Erstere spielt wohl auf den „canonical approach“ an, zu Letzterem siehe gleich). Und weiter: Die Buchgrenzen der kanonischen Urkunden markieren meist nicht oder nur sehr bedingt „reale“ Textanfänge bzw. -enden.24 Welchem Umfang haben also die „Endtexte“? Und schließlich: Die überlieferten Texte sind „Komposittexte“ mit „diskontinuierlichen Kommentierungen, Korrekturen oder Gegendarstellungen“,25 die in keine geschlossene Werkintention zu integrieren, sondern nur durch die divergierenden Intentionen der jeweiligen Autoren zu erklären sind, nicht aber – auf das Stichwort wird gleich zurückzukommen sein – durch eine wie immer geartete „intentio operis“ des Endtextes.
19 Vgl. auch ebd., 59: „Demgegenüber soll hier die These vertreten werden, dass eine konsequent synchrone Interpretation, die sich keine Rechenschaft über grundlegende diachrone Parameter ihres Gegenstandes gibt, methodisch gar nicht durchführbar ist […]“. 20 Blum, Endgestalt, 217. 21 Ebd. 22 Vgl. H.‑J. Fabry, Der Text und seine Geschichte, in: E. Zenger, Einleitung in das Alte Testament, hg. von C. Frevel, Stuttgart 82012, 37–66, hier 58. 23 Blum, Sinn und Nutzen, 59 mit Anm. 12. 24 Vgl. ebd., 59. 25 Ebd., 62.
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II. Das Werk und die Leser – zum Gespräch mit Erhard Blum Wie für Erhard Blum fallen auch für mich die Weichenstellungen meines wissenschaftlichen Weges in die 1980er und 90er Jahre. Eine der persönlich wichtigsten war die Auseinandersetzung mit der sog. „Rezeptionsästhetik“, also der Frage, welche Rolle Leserinnen und Leser bzw. Hörerinnen und Hörer bei der „Bedeutungskonstitution“ biblischer Texte zukommt. Der Ansatz von Wolfgang Iser und besonders die Auseinandersetzung mit den Arbeiten von Umberto Eco haben mich dabei beeinflusst. Auch Erhard Blum ist dies keineswegs fremd, wie eine Passage aus einem frühen Aufsatz verdeutlicht: „Eine Gestalt, d. h. eine bedeutungsvolle Größe, entsteht daraus [scil. dem graphischen Substrat eines Textes, H. U.] erst in der Wahrnehmung des Interpreten. Und dabei handelt es sich eben nicht um einen bloß rezeptiven Vorgang, sondern um eine Interaktion mit dem Text, in der die Leser/Leserinnen die Textbedeutung generieren.“26 Dass sich die rezeptionsästhetische Frage für biblische Texte und ihre „Applikationen“ (vgl. dazu IV. Schlussgedanke) in besonderer Weise stellt, liegt auf der Hand. Synagogen und Kirchen messen ihrem jeweiligen Kanon biblischer Schriften einen normativer Anspruch bei, sie gestalten Liturgien und Gebete mit Bibeltexten, und so wirken die Texte bis in die individuelle Frömmigkeit hinein.27 Der kulturelle Einfluss der biblischen Schriften reicht noch weit d arüber hinaus, in den alltäglichen Sprachgebrauch, die nationalen Literaturen,28 die bildenden Künste sowie in die Musik. In all diesen Rezeptionen ist das Alte Testament in Textgestalten präsent, die mehr „Jetzttexte“ sind als „Endtexte“. 1. „Endtext“ und „Jetzttext“ In der exegetischen Literatur firmieren der „Endtext“ bzw. die „Endgestalt“ unter weiteren „Alias“-Bezeichnungen, wie etwa „vorliegender“ und/oder „überlieferter“ Text, auch der Terminus „Standardtext“ gehört dazu. Genau besehen sind dies freilich keine Synonyme für „Endtext“ bzw. „Endgestalt“. Während diese Begriffe von der Entstehung und der Produktion her gedacht sind, gehen jene von den Rezipienten aus, den Lesern und Leserinnen, denen der Text überliefert ist und jeweils vorliegt, und auch von den Hörerinnen und Hörern, die ihn gera26 Blum, Endgestalt, 207. Vgl. den schon 1980 erschienen Aufsatz E. Blum, Die Komplexität der Überlieferung. Zur diachronen und synchronen Auslegung von Gen 32,23–33, in: Ders., Textgestalt, 43–84, hier 79 und 64. 27 Vgl. dazu neuerdings J. Ebach, Das Alte Testament als Klangraum des evangelischen Gottesdienstes, Gütersloh 2016. 28 Vgl. etwa N. Frye, The Great Code. The Bible and Literature, San Diego/New York/London 1983.
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de hören. Man kann diesen Text, wie gesagt, auch eine „Jetztgestalt“29 bzw. einen Jetzttext der Hebräischen Bibel nennen. Die vielen „Jetzttexte“ lassen sich zurückführen auf einen „Jetzttext“ par excellence, einen Standardtext, und dies ist der Masoretische Text (MT) der Hebräischen Bibel.30 Der MT ist freilich nicht, und darin ist wiederum Erhard Blum rechtzugeben, der Endtext. Er stellt wohl in der Tat nur eine Version der Endgestalt unter vielen dar. Aus der Perspektive der Rezipienten, und zwar auch der wissenschaftlichen Rezipienten indessen ist dieser Text samt seinen modernen Editionen die einzige vollständige, zugängliche und weltweit verfügbare Quelle des hebräischen Bibeltextes. Als solche hat der MT wie kein anderer eine Referenz- und Brückenfunktion. Einerseits gewährt er den Zugang zur antiken Überlieferung des Textes einschließlich der literargeschichtlichen Vorstufen, die in ihn eingegangen sind. In der Zusammenschau mit anderen Textzeugen und Quellen erschließt er die Kultur und Religion des Alten Israel und des antiken Judentums. Für die wissenschaftliche Exegese ist der MT zwar nicht die normative Textgestalt, er ist aber der Referenztext, auf dessen Basis die Hypothesen zu anderen möglichen Endgestalten und deren Vorstufen dargestellt und diskutiert werden. Andererseits ist der MT auch die Grundlage der einflussreichsten christlichen Übersetzungen des Alten Testaments in der Neuzeit,31 wie der Lutherbibel, der King-James-Bibel, der Zürcher Bibel und neuerdings auch der katholischen „Einheitsübersetzung“.32 Für Übersetzungen im jüdischen Raum gilt dies ohnehin. Manche dieser Bibelübersetzungen haben ihrerseits den Rang von „kanonischen“ Standardtexten und literarischen Denkmälern in ihrem jeweiligen 29
Der Begriff könnte auf G. von Rad, Das erste Buch Mose. Kap 1–12,9 (ATD 2), Göttingen 1949, 7, zurückgehen. 30 Konkret ist damit die Textgestalt gemeint, wie sie die großen mittelalterlichen Kodizes, der Kodex Leningradensis bzw. der Aleppo-Kodex der Ben Ascher-Familie überliefern und wie sie den maßgebenden modernen Druck-Editionen, der „Biblia Hebraica Stuttgartensia bzw. Quinta“ oder der „Hebrew University Bible“ zugrunde liegen. Bemerkenswert ist, dass sich ein derartiger Standardtext für die griechische Bibel bisher noch nicht durchsetzen konnte, auch wenn die Edition der Göttinger Akademie der Wissenschaften diesen Anspruch erhebt. Vgl. dazu H. Utzschneider, Auf Augenhöhe mit dem Text. Überlegungen zum wissenschaftlichen Standort einer Übersetzung der Septuaginta ins Deutsche (2001), in: Ders., Gottes Vorstellung. Untersuchungen zur literarischen Ästhetik und ästhetischen Theologie des Alten Testaments (BWANT 175), Stuttgart 2007, 134–169, hier 142–143. 31 Zu den neueren deutschen Bibelübersetzungen vgl. M. Lange/M. Rösel (Hg.), „Was Dolmetschen für Kunst und Arbeit sei“. Die Lutherbibel und andere deutsche Übersetzungen. Beiträge der Rostocker Konferenz 2013, Stuttgart 2014. Andere Standardtexte wie Septuaginta und Vulgata haben auf diese Übersetzungen zwar Einfluss, aber eher als Hilfsmittel in sachlichen und sprachlichen Zweifelsfällen. Vgl. exemplarisch H. Utzschneider, Nach der Revision ist vor der Revision. Ein Werkstattbericht zur Durchsicht der Lutherbibel (Altes Testament) am Beispiel des Buches Exodus, EvTh 76 (2016) 266–278. 32 Vgl. J. Wanke, Die Revision der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift von 1979. Ein Zwischenbericht (Stand Oktober 2013), in: Lange/Rösel, Dolmetschen, 331–339, besonders 337.
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Sprachraum erlangt. Ungeachtet ihres religiösen und kulturellen Eigengewichts wird ihre „Zuverlässigkeit“ nach wie vor daran gemessen, ob und wie sie den MT wiedergeben. Kurz: Der MT ist nicht der Endtext, aber der Referenz- und der Standardtext für die wissenschaftliche ebenso wie die religiöse und kulturelle Rezeption der Hebräischen Bibel. 2. Der Jetzttext und seine Lesarten als Literatur Die Reichweite der Interpretationsoptionen von der Rekonstruktion seiner Entstehung im Alten Israel bis heute sowie die Diversität seiner Rezeptionsgestalten als literar- und religionsgeschichtlicher Quellentext, als kanonischer Text für Judentum und Christentum sowie als literarisches Kulturgut machen es m. E. unwahrscheinlich, dass der MT mit einem Literaturbegriff hinreichend zu beschreiben ist. Schon allein die Vielfalt der Funktionen unterscheidet diesen biblischen Jetzttext von der „schönen Literatur“ der Moderne. Wir haben drei grundlegende Lesarten vorgeschlagen, die den Jetzttext zur Literatur machen: die kanonische, die historische und die literarisch-ästhetische.33 Wir verstehen diese drei Lesarten nicht als alternative, sondern als ergänzende Möglichkeiten, die zudem methodische Schnittmengen gemeinsam haben. Für die historische Lesart stimme ich mit Erhard Blum darin überein, dass das Postulat eingrenzbarer Kommunikationssituationen, d. h. Hörer- bzw. Leserschaften und darauf bezogener Autorenintentionen, für die Rekonstruktion der Vorstufentexte, aus deren Komposition die Endtexte hervorgegangen sind, unverzichtbar ist.34 Unstrittig ist auch, dass die Vorstellungen von den Autoren und Bearbeitern der alttestamentlichen Traditionsliteratur von den Autoren schon der griechischen Literatur und noch mehr der Moderne erheblich differiert. Anfragen habe ich aber an Blums Sicht des Wirklichkeitsbezuges der alttestamentlichen „Mitteilungstexte“. Kann man wirklich sagen, dass sie auf die Vorgänge und Umstände, die sie darstellen, „assertorisch“ referieren und dasselbe von den Adressaten erwarten, vulgo: dass sie das Gesagte für „bare Münze nehmen (sollen)“? (s. o. 1a) Die Texte etwa der Sinaiperikope beschreiben keineswegs nur Vorgänge in einer Wüstengegend, sondern in der Darstellung dieser Vorgänge, der Landschaft, in der sie situiert werden, und vor allem in den agierenden Personen spiegeln sich Konzepte sozialen und religiösen Verhaltens: rechte und unrechte Gottesverehrung, die Utopie eines künftigen (und zugleich untergegangenen) Heiligtums, die Priesterhierarchie. Der Wirklichkeitsbezug der Texte ist also zumindest metaphorisch aufgeladen35 und provoziert damit die Frage, was 33 Vgl. dazu H. Utzschneider, Was ist alttestamentliche Literatur? – Kanon, Quelle und literarische Ästhetik als LesArts alttestamentlicher Literatur (2006), in: Ders., Gottes Vorstellung, 83–100. 34 Utzschneider, Literatur, 92. 35 Vgl. dazu exemplarisch H. Utzschneider, Himmlischer Raum auf Erden. Die „Stifts-
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mit dem unmittelbar Gesagten „eigentlich“ gemeint ist (vgl. dazu auch 3.). Die Texte haben komplexe Bezüge von der textinternen Wirklichkeit zu den textexternen Wirklichkeiten und sind insofern nicht „fiktional“ im Sinne der modernen schönen Literatur, wenn deren „Haupteigenschaft“ nach René Welleks und Austin Warrens „Theorie der Literatur“ „der besondere Bezug zur Wirklichkeit, der ‚Schein‘“36 sein soll. 3. Die literarisch-ästhetische Lesart des Jetzttexts und die synchrone Auslegung Mit Erhard Blum bin ich auch einig darin, dass synchrone Auslegung auf die Wahrnehmung von Kohärenz und Inkohärenz der Texte fokussiert ist, oder anders gesagt: Kohärenz und Inkohärenz sind „Kriterien der Texthaftigkeit“.37 Dabei spielen formale, inhaltliche und pragmatische Gesichtspunkte eine Rolle. Kein Dissens besteht grundsätzlich auch darüber, dass „‚synchron‘ […] jede Exegese heißen [kann], die irgendeinen Text ohne Rücksicht auf seine literargeschichtliche Genese in einem bestimmten – synchronen – Kommunikationskontext untersucht.“38 Insofern war und ist es zumindest verkürzend, die Endtext-Exegese exklusiv als „synchron“ zu bezeichnen.39 Dennoch ist die synchrone Auslegung des End- oder besser: Jetzttextes eine Sache sui generis. Das liegt aber nicht daran, dass sie „synchron“ ist, sondern an ihrem Gegenstand, dem MT als „Jetzttext“. Auch als „Komposittext“, d. h. als ein Text in den – aus historischer Sicht – eine Mehrzahl von Vorgängertexten eingegangen sind und der mehrfach überarbeitet wurde, treten im MT die „Autoren“ noch mehr in den Hintergrund als in den Vorgängertexten, die die historische Exegese als solche durch die Zuordnung zu einer Autorenintention mehr oder minder sicher identifiziert. Ungeachtet dessen spricht der Jetzttext, mit all seinen Kohärenzen und Inkohärenzen, seine Leserinnen und Lesern an. Sie nehmen ihn intellektuell und emotional auf, machen seine Redensarten und Bilder zu den ihren. Ich habe diese Eigenschaft des Jetzttextes, seine Leserinnen und Leser ohne Endinstanz eines menschlichen Sprechers oder Autors anzusprechen, begrifflich zu fassen versucht, indem ich ihn „literarisch-ästhetisches Subjekt“ genannt habe.40 Den Jetzttext unter diehütte (Ex 25–40*) als theologische Metapher, in: M. Hopf/W. Oswald/S. Seiler (Hg.), Heiliger Raum. Exegese und Rezeption der Heiligtumstexte in Ex 24–40 (TA 8), Stuttgart 2016, 19–36. 36 R. Wellek/A. Warren, Theorie der Literatur (Ullstein Buch 4320/421), Berlin 1968, 20 (engl. Theory of Literature, 1942, 31962). 37 So auch H. Utzschneider/S. A. Nitsche, Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung. Eine Methodenlehre zur Exegese des Alten Testaments, Gütersloh 42014, 69–78, hier 69. 38 Ebd., 23. 39 Wenn der Terminus nach wie vor so gebraucht wird, dann aus dem rein pragmatischen Grund, dass er sich im Fachjargon eingebürgert hat. 40 H. Utzschneider, Text – Leser – Autor. Bestandsaufnahme und Prolegomena zu einer
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sem Gesichtspunkt auszulegen, ist die Aufgabe der literarisch-ästhetischen Lesart. Sie befindet sich dabei gewissermaßen zwischen zwei Brennpunkten: dem Text mit seinen formalen, semantischen und pragmatischen Gehalten und den Rezipienten, die dem Text jeweils eine bedeutungsvolle Gestalt geben. Die Auslegung im Sinne der literarisch-ästhetischen Lesart hat dabei gleichsam eine Vermittlerrolle zwischen beiden Brennpunkten, für die ich von Umberto Eco die Begriffe der „intentio operis“ bzw. der „intentio lectoris“ entlehnt habe.41 In diesen beiden Brennpunkten der Auslegung spiegelt sich die oben angesprochene Brückenfunktion des MT als Jetzttext. Er ist einerseits ein gegenwärtig gelesener Text und andererseits bleibt er ein antiker Text. Er ist in antiken Sprachen verfasst, durch Rede- und Denkformen des Alten Israel und seiner Umwelt geprägt und spiegelt historische Vorgänge und Lebensweisen wider. All dies gehört in den Bereich der „intentio operis“. Insofern ist die literarisch-ästhetische Auslegung nicht a-historisch, sondern hat erhebliche Schnittmengen mit der historischen Auslegung. Den gegenwärtigen Leserinnen und Lesern kommt die literarisch-ästhetische Lesart und die ihr entsprechende synchrone Auslegung zunächst darin entgegen, dass sie die Poesie der biblischen Texte herausarbeitet und dabei auch neuere literaturwissenschaftliche Kategorien und Methoden, vor allem in der Narrativik, heranzieht. Insbesondere aber bemüht sie sich, den Text dort zu öffnen, wo er die „Mitarbeit“ der Leser und Leserinnen erfordert, ja provoziert. Es gehört gewissermaßen zum rezeptionsästhetischen „Kerngeschäft“ der literarisch-ästhetischen Auslegung, jene Strukturen und Strategien im Text zu erschließen, die die Rezipienten lenken und dabei ihre Interpretationen hervorrufen. Sie sind Anhaltspunkte für die Leser, den Text nach ihrem Verständnis zu interpretieren, etwa ihn in einen kanonischen Rahmen zu stellen oder ihn auf ihre persönliche Situation zu beziehen. Zugleich muss es der Auslegung aber auch darum gehen, die Grenzen dieser Interpretationen zu beschreiben, indem sie die „intentio operis“ zur Geltung bringt.42 Auch hier gibt es Schnittmengen zur historischen Interpretation. Erhard Blum hat mehrfach auf „Inkonsistenzen“ im Endtext hingewiesen, die nicht nur nicht ausgeglichen sind, sondern deren „Diskontinuität intendiert“43 ist. Diese Inkohärenzen sind literargeschichtlich bedingt und formen das diachrone „Relief “ des Textes. Das ist unbenommen. Nur – was bedeutet das für den Leser der Theorie der Exegese (1999), in: Ders., Gottes Vorstellung, 72–73. Utzschneider/Nitsche, Arbeitsbuch, 68. Vielleicht ist dies eher eine Metapher als ein diskursiver Begriff. 41 U. Eco, Die Grenzen der Interpretation, München 1990, 35–46. Vgl. Utzschneider, Text – Leser – Autor, 74; Utzschneider/Nitsche, Arbeitsbuch, 23.68–69. 42 Vgl. dazu etwa S. Gehrig, Leserlenkung und Grenzen der Interpretation. Ein Beitrag zur Rezeptionsästhetik am Beispiel des Ezechielbuches (BWANT 190), Stuttgart 2013, insbesondere 13–81, mit einer ausführlichen Darstellung zur Rezeptionsästhetik in der Theologie und zur Interpretationstheorie U. Ecos. 43 Vgl. z. B. Blum, Endgestalt, 210.
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Jetztgestalt? Will man diese Fragestellung nicht überhaupt aus der wissenschaftlichen Exegese ausschließen, so liegt es nahe, die Lösung auf rezeptionsästhetischem Wege zu suchen. Ein Beispiel dafür ist Thomas Dozemans Auslegung des Gottesberges in den Sinaitexten. Er fand in ihnen zwei Konzeptionen, in denen die Gottesgegenwart dargestellt wird. Eine von der Zionstheologie beeinflusste, in der „der Berg“ unmittelbar die Gottesgegenwart repräsentiert, und eine zweite, die deuteronomistische, in der der Berg („Horeb“) eine Metonymie für die lehrhafte, durch die Tora vermittelte Gottesgegenwart ist. Dozeman nannte diese beiden Konzeptionen ein „ungrounded doubling“,44 also zwei nicht vereinbare Konzeptionen, wobei die zweite eine Kritik der ersten impliziert. Die priesterlichen Tradenten schließlich hätten diesen Widerspruch zwar erkannt, aber nicht ausgeglichen. Dozeman führt dies auf ihr Kanonbewusstsein („canon conciousness“) zurück dessen Ziel es sei, „not to solve but to heighten the demand for interpretation“.45 Daraus lässt sich zweierlei entnehmen: Inkonsistenzen im „diachronen Relief “ biblischer Texte sind schon in diesen selbst Anlass zu einer inhaltlichen Fortschreibung. Daran kann der gegenwärtige Leser anknüpfen und seinerseits den Jetzttext fortschreiben. Das heißt auch, dass eine literarisch-ästhetische Lesart eigentlich kein Interesse daran haben kann, den Text zu harmonisieren, wie dies der synchronen Auslegung des Jetzttextes immer wieder vorgehalten wird. Soweit mein Gespräch mit Erhard Blum. Wir haben immer Wert darauf gelegt, nicht nur Theorien zu diskutieren, sondern diese auch an Texten zu erproben. Daran möchte ich auch hier festhalten und das Gesagte wenigstens andeutungsweise an einen Text herantragen. Ich habe dazu Ex 19,20–25 gewählt.
III. Ex 19,20–25 in synchroner, historisch-diachroner und literarisch-ästhetischer Auslegung des „Jetzttextes“ Mit den beiden Eckversen zur Andeutung des Kontexts geben wir die Perikope wie folgt wieder: 19 … und die Stimme des Schofar war immer noch sehr stark. Mose pflegte zu reden und der Gott antwortete ihm (jeweils) als Stimme. 20 Da fuhr Jhwh auf den Berg Sinai herab, auf den Gipfel des Berges, und Jhwh berief Mose zum Gipfel des Berges. Und Mose stieg hinauf. 44 T. B. Dozeman, God on the Mountain. A Study of Redaction, Theology and Canon in Exodus 19–24 (SBLMS 37), Atlanta 1989, 153. 45 Dozeman, Mountain, 159, unter Aufnahme eines Zitates aus G. T. Sheppard, Canonization. Hearing the Voice of the Same God through Historically Dissimilar Traditions, Interp. 36 (1982) 21–33, hier 23.
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21 Da
sprach Jhwh zu Mose: „Steig hinab, warne das Volk, dass sie nicht zu Jhwh durchbrechen, um zu sehen, und (dass dann) eine Vielzahl von ihnen falle. 22 Und auch die Priester, die sich Jhwh nahen, sollen sich heiligen, damit Jhwh nicht unter sie einbreche.“ 23 Da sprach Mose zu Jhwh: „Das Volk ist nicht in der Lage, zum Berg Sinai hinaufzusteigen. Du hast uns doch gewarnt und gesagt: ‚Zieh eine Grenze um den Berg und heilige ihn.‘“ 24 Da sprach Jhwh zu ihm: „Geh’ steig hinab und steig (wieder) herauf, du und Aaron mit dir. Die Priester und das Volk aber soll nicht durchbrechen, um zu Jhwh hinaufzusteigen, damit er nicht unter sie einbreche.“ 25 Da stieg Mose hinab und sprach zu ihnen. 20,1 Da redete Gott alle diese Worte: … (folgt Dekalog).
1. Synchrone Auslegung Zunächst können historische und literarisch-ästhetische Auslegung – wie oben gesagt – ein gutes Stück Weg gemeinsam gehen, nämlich in der auf die Textkohärenz und Inkohärenz fokussierten synchronen Textwahrnehmung. Dabei sehen wir zunächst auf die Perikope in sich und dann auf deren Verhältnis zu den Kontexten. Die Szene ist, bis auf den Schlusssatz (V. 25b), in sich schlüssig erzählt. Sie ist zusammengesetzt aus einem kurzen erzählenden Rahmen und einem Dialog. Nachdem Jhwh selbst auf den Berg Sinai herabgestiegen ist, ruft er Mose zu sich herauf, was dieser befolgt (V. 20). In V. 21 fordert er Mose auf (und bekräftigt es in V. 24), wieder zum Volk hinabzusteigen. Eben dies erzählt V. 25a und rundet damit das Geschehen ab. In diesen Rahmen fügt sich der Dialog zwischen Jhwh und Mose. Zunächst (V. 21–22) fordert Jhwh Mose auf, sich (alsbald) wieder hinab zum Volk zu begeben und es davor zu warnen, zu Jhwh „durchzubrechen ()הרס, um zu sehen“. Es würde viele das Leben kosten. Das Lexem הרסimpliziert die Vorstellung einer gewaltsamen Überwindung einer Mauer oder Grenze. Die Gruppe „der Priester, die sich Jhwh nahen“ (scil. für gewöhnlich, Pt.; V. 22), sollen sich „heiligen“, also rituell vorbereiten, um zu verhindern, dass Jhwh seinerseits unter sie „einbreche“ ()פרץ. Dieses Lexem hat ganz ähnliche Konnotationen wie das auf das Volk bezogene „durchbrechen“. Die Vorstellung ist also wohl die, dass Jhwh androht, von sich aus die Grenze zu durchbrechen und die Priester anzugreifen. Im Zentrum des Dialogs steht ein Einwand des Mose
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(V. 23). Er, Jhwh, habe das Volk doch schon daran gehindert, „auf den Berg zu steigen“, indem er ihm, Mose, aufgetragen habe, „eine Grenze um den Berg“ zu ziehen. In seiner Antwort (V. 24) geht Jhwh auf den Einwand nicht ein, sondern fordert Mose auf, ein weiteres Mal heraufzusteigen, diesmal aber soll „Aaron mit dir“ sein. V. 24 schließt mit einer Art Zusammenfassung und Bekräftigung von V. 21–22 und wiederholt die Stichworte: Das Volk und die Priester, sollen nicht „durchbrechen“ ()הרס, damit er, Jhwh, nicht unter sie „einbreche“ ()פרץ. Für sich genommen ist auch der Dialog kohärent gestaltet (vgl. die Kursivierungen in der Übersetzung). Wesentlich differenzierter werden Kohärenz- bzw. Inkohärenzverhältnisse, wenn man den Text im Kontext betrachtet. Fragen stellen sich zunächst für den Erzählfortgang von der Theophanieszene in Ex 19,16–19. V. 18 schildert, nicht als Erzählhandlung (wayyiqtol), sondern als Hintergrundbeschriebung (NoS und x-qatal), dass Jhwh bereits auf den Berg herabgestiegen sei, allerdings באׁש, „im“ oder, als ב-essentiae gelesen, „als Feuer“. In der Szene V. 20–25 tritt Jhwh ohne diese theophane Verhüllung auf.46 Er spricht unmittelbar zu Mose, etwa wie er im Begegnungszelt vor dem Lager „wie ein Mann zu seinem Freund“ (Ex 33,11) sprechen wird. Vielleicht knüpft die Szene auch an V. 19b („Mose sprach und Gott antwortete ihm als Stimme“) an. Der Dialog der V. 21–24 bietet zumindest zwei narrative Rück- bzw. Vorverweise (Ana- bzw. Prolepse).47 Der deutlichste Rückverweis findet sich in V. 23. Mose stellt einen ausdrücklichen Bezug zur Gottesrede in Ex 19,12–13 her48 und gibt damit zu erkennen, dass die Szene 19,20–25 insgesamt als Wiederholung im Erzählzusammenhang verstanden werden soll. Es liegt in der Intention des Textes, dass Mose den Berg ein weiteres Mal bestiegen hat. Auch inhaltlich knüpft der Dialog an Ex 19,12–13 an. Hier wie dort ergeht ein Verbot, die Grenze am Fuß des Berges zu überschreiten. Dabei sind gegenüber 19,12–13 leise, aber nicht unbedeutende Veränderungen der Szenerie erkennbar: Dort ist von einer „Grenze um das Volk“ die Rede, während hier der Berg eingegrenzt sein soll. Die Szene knüpft damit einerseits an Ex 19,12–13 an, betont dabei aber den Berg als numinosen Ort und Jhwh als Akteur. Hier beruft Jhwh Mose nicht einfach auf „den Berg“, sondern auf den „Berg Sinai“ (V. 20.23) und dort sogar auf dessen „Gipfel“ (V. 20). Auch die Vorstellungen von der Grenzüberschreitung des Volkes differieren, nach V. 12–13 genügt eine Berührung des Berges aus welchem Motiv auch immer, um das betreffende Wesen durch Stein46 Dies zeigt m. E., dass V. 20 nicht als einfache und anachronistische Doublette zu V. 18 (im Sinne von: „Jhwh ist doch schon auf dem Berg!“) zu lesen ist. So z. B. Blum, Studien, 48; R. Albertz, Exodus 19–40 (ZBK.AT 2.2), Zürich 2015, 34. Mit Mose verkehrt Jhwh in anderer Weise als in den Theophanie-Erscheinungen, die sich vor aller Augen ereignen. 47 Vgl. Utzschneider/Nitsche, Arbeitsbuch, 154–156. 48 Beispiele für solche textinternen Zitationen finden sich bei B. S. Childs, Exodus (OTL), London 1974, 361–364.
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schlag o. ä. zu töten. In V. 21–22.24 sind die allfälligen „Übergriffe“ des Volkes zu Jhwh gewaltsam und motiviert gedacht: Sie „brechen durch, um zu sehen“ und „um hinaufzusteigen“. Die tödlichen Folgen gehen von Jhwh selbst aus. Ins Auge fällt schließlich die Einbeziehung der „Priester, die Gott nahen“ ()הנגׁשים in das Verbot. In den Heiligtumstexten wird mit נגׁשder Zutritt Aarons und seiner Priester-Söhne zum Dienst im Heiligtum bezeichnet (Ex 28,43; 30,20). Inkohärent ist die Einbeziehung der Priester weniger im engeren Kontext von Ex 19 als vielmehr dadurch, dass im größeren Zusammenhang des Exodusbuches ein Priesterstand erst ab Ex 28 ins Blickfeld kommt. Ein klarer Gegensatz besteht zwischen V. 13b, wo dem Volk ein Aufstieg zum Berg in Aussicht gestellt wird („Wenn das Widderhorn ‚ziehend‘ ertönt, werden/mögen sie auf den Berg hinaufsteigen“), und unserer Perikope. Allerdings wird der Vorverweis in V. 13b im vorliegenden „Jetzttext“ nirgends eingelöst. Einen weiteren Vorverweis impliziert die Aufforderung Jhwhs an Mose, (alsbald wieder) auf den Berg Sinai zu steigen (V. 24). Dabei soll er nicht alleine sein, sondern Aaron soll mit ihm sein, nicht aber das Volk und die Priester.49 Dazu stellen sich vor allem zwei Fragen: In welcher Eigenschaft wird Aaron dabei sein, wenn Mose auf den Berg steigt, als sein Bruder und Begleiter im analeptischen Bezug (Ex 4,14; 6,26; 7,2) und/oder proleptisch als künftiger Hohepriester (Ex 28 ff.). – Die zweite Frage ist, ob und wo im Kontext dieser Auftrag erfüllt wird. Bisweilen wird dazu auf Ex 24,1–2.9–11 verwiesen, mit der Schwierigkeit allerdings, dass nach 24,9 keineswegs Mose und Aaron allein „hinaufsteigen“. Schließlich V. 25b, der Schlusssatz:50 Die Erzählung fährt hier fort mit einer Redeeinleitung, die erwarten lässt, dass Mose zum Volk spricht, das am Fuß des Berges zurückgeblieben ist. Was er allerdings spricht, bleibt scheinbar (?) ungesagt. Es gibt mehrere Vorschläge, diese Inkohärenz zu „beheben“. Liest man die Redeeinleitung mit analeptischem Bezug, so müsste ein Pronomen „es“ ergänzt werden. Mose hätte also dem Volk von seiner Unterredung mit Jhwh berichtet. Auch eine kataleptische Lesart wird vorgeschlagen. Dann bezieht sich Redeeinleitung auf den Dekalog samt seiner Redeeinleitung („Da sprach Gott alle diese Worte …“) und schließt die Gottesrede in eine Rede des Mose ein, so dass dieser bei seiner Rückkehr dem Volk den Dekalog übermittelt hätte. Wann aber hätte Gott ihm den mitgeteilt? Schließlich ist es auch möglich, die Inkohärenz von 49 Schon Rashi machte darauf aufmerksam, dass der Wortlaut auch syntaktisch anders aufgeteilt wird, nämlich so, dass auch den Priestern der Aufstieg erlaubt ist. S. Bamberger (Hg.) Raschis Kommentar zum Pentateuch, Basel 41994, z. St. 50 Vgl. dazu die Diskussion der Lösungsmöglichkeiten bei W. Oswald, Israel am Gottesberg. Eine Untersuchung zur Literargeschichte der vorderen Sinaiperikope Ex 19–24 und deren historischem Hintergrund (OBO 159), Freiburg i. Ue. / Göttingen 1998, 46–48, sowie bei M. Konkel, Was hörte Israel am Sinai? Methodische Anmerkungen zur Kontextanalyse des Dekalogs, in: C. Frevel/M. Konkel/J. Schnocks (Hg.), Die Zehn Worte. Der Dekalog als Testfall der Pentateuchkritik (QD 212), Freiburg i. Br. u. a. 2005, 11–42, hier 25–28.
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19,25b zu 20,1 ff. als Hiatus im Erzählfortgang zu lesen, so als wäre Gott Mose ins Wort gefallen, noch bevor dieser zu seiner Rede ansetzen konnte. Nachdem der Dekalog proklamiert ist, greift die Erzählung auf die voraufgehende Theophanieszene Ex 19,16–19 zurück (Ex 20,18a), stimmt dabei aber mit unserer Szene durchaus zusammen. Mose ist beim Volk, das Volk ist – im Einklang mit den Verboten in Ex 19 – vor der Theophanie zurückgewichen ist und steht nun „fernab“ (scil. vom Berg, Ex 20,18b). Ziehen wir eine Zwischenbilanz der synchronen Analyse: Es ist deutlich, dass die in sich kohärente Szene im Erzählduktus der Sinaiperikope gelesen werden will. Dabei modifiziert sie sowohl die Akteure wie auch den Ort der Handlung und bringt damit Momente von Inkohärenz ein. Die Priester als Akteure werden – bezieht man sie analeptisch auf Ex 19,6 – in das Volk von Priestern integriert ohne das Privileg der Gottesnähe, das ihnen im weiteren Verlauf der Sinaierzählung zugesprochen werden wird. Liest man die Szene jedoch in dieser kataleptischen Perspektive, so deutet sie auf eben dieses Heiligtum voraus. In dieser zweifachen Perspektive kann auch die Erwähnung Aarons gelesen werden. Dies legt die Vermutung nahe, dass die Szene auf zwei Bezugsebenen gelesen werden kann, auf einer narrativen im engeren Duktus von Ex 19 und 20, und auf einer zweiten, metaphorischen, die die Szene auf die Heiligtumstexte transparent werden lässt, ja – auf dieser Ebene – „eigentlich“ das Heiligtum meint. Dazu passt die Modifikation, die den Berg als numinosen Ort hervorhebt. Es wird sich zeigen, dass diese metaphorisch-metonymische Deutungsebene sowohl in der historischen wie auch in der literarisch-ästhetischen Auslegung eine Rolle spielt. 2. Zur diachron-historischen Auslegung Das Erkenntnisinteresse der diachronen Exegese und der Literarkritik als ihrem methodischen Instrumentarium legen den Focus auf die Inkohärenzen im jeweiligen Text. Im Fall unserer Perikope hat das zu ziemlich knappen und pauschalen Einschätzungen geführt. Nach Martin Noth hat man es „mit Nachträgen zu tun, die post festum noch einige Einzelheiten zum Thema der Annäherung am Berg hinzufügen.“51 In der Sache ähnlich, in der Sprache angepasst an das Gebirgsszenario hält Christoph Levin die Verse für „ein Geröll verschiedener Zusätze, die die Szene so durcheinander bringen, daß Mose sich im entscheidenden Augenblick (xx 1) beim Volk und nicht auf dem Berg wiederfindet (xix 25)“.52 Erhard Blums sehr viel eingehendere Auslegung der kurzen Perikope sieht sehr genau, wie eng und mannigfach diese mit ihrem Kontext in Ex 19, insbesondere den V. 10–19 „verknotet“53 ist. Aufgrund dessen „lassen sich die Verse in 51 M. Noth,
Das zweite Buch Mose, Exodus (ATD 5), Göttingen 1959, 124. Der Dekalog am Sinai, VT 35 (1985) 165–191, hier 185. 53 Blum, Studien, 48. 52 C. Levin,
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allen Elementen als weiterführende und korrigierende Auslegung von 19,10–19 verstehen“.54 Sie konkretisieren und explizieren, was Mose und Gott miteinander reden, sie weisen die Möglichkeit, die V. 13b andeutet, zurück und verstärken das Verbot der V. 10–13, den Berg zu besteigen, indem sie es auf die Priester – Aaron ausgenommen – ausdehnen.55 Hier werde auch „die spätere kultische Sonderstellung des Hohepriesters in der Ursprungstradition verankert.“56 So versteht E. Blum unsere Szene als midraschartige „Arbeit eines Tradenten, dem es nicht auf erzählerische Kohärenz ankam“,57 ohne diesen literarhistorisch näher zu verorten. M. E. ist dieses Verständnis inhaltlich und im Kontext durchaus gerechtfertigt, das bedeutet aber nicht, dass der Text mit der story-line von Ex 20–21 nicht zu verbinden wäre. Es gibt, wie gleich zu zeigen sein wird, durchaus Kohärenzmomente, die die Szene narrativ in den Kontext integrieren. Als eine vor allem (kult)theologisch motivierte Digression, die den vorgegebenen, kohärent(eren) narrativen Zusammenhang unterbricht, verstehen Ex 19,20–25 auch jene neueren Auslegungen und Kommentare, die den Text priester(schrift)lichen Überlieferungskreisen zuordnen. Wir denken hier vor allem an Wolfgang Oswald, Thomas B. Dozeman und Rainer Albertz.58 Alle drei Autoren verstehen den Text metaphorisch, ja metonymisch. Die Bergszenerie meint „eigentlich“ das Heilige bzw. das Heiligtum als Ort der Gegenwart Gottes sowie die Zugangsregeln für die Priester dazu. Nach Wolfgang Oswald übernimmt „die Spitze des Berges als Ort der Gegenwart Gottes […] die Funktion des Allerheiligsten. Und ganz analog zur Regelung im Zeltheiligtum wird nun der Berg zur Sperrzone für Laien“.59 Mose und Aaron werden als die Mittler eingesetzt: „Der Kontakt mit Gott ist für Israel an das aus dem Berg abgeleitete Heiligtum gebunden.“60 Für Thomas Dozeman (vgl. dazu schon oben II.3) steht 54
Ebd. (Kursivierung im Original). Vgl. ebd., 48–49. 56 Ebd., 48. 57 Ebd. 58 Oswald, Israel, 212–213, der Ex 20–25 seiner Rpd-Redaktion zugewiesen hat, die die „vorliegende Erzählung […] im Sinne priesterlicher Theologie überarbeitet“ und dabei „das Gesetz in den Tempel integriert.“ (214); T. B. Dozeman, Exodus (ECC), Grand Rapids 2009, 474–477, der den Text als P‑Text einordnet (s. o. zu Ders., God on the Mountain); Albertz, Exodus 19–40, 49–51 geht literargeschichtlich sehr weit auf der Zeitskala herunter und schreibt den Text einer chronistischen Ergänzung zu, die er im „späteren 4. Jahrhundert“ verortet (17). 59 Oswald, Israel, 213. 60 Ebd., 214. In diesem Sinne hat schon J. Milgrom, Studies in Levitical Terminology, Eugene 2016 (1. Aufl. 1970), 44–45, den Berg Sinai und in diesem Zusammenhang auch Ex 19,20– 25 interpretiert: „For P, Mount Sinai is the archetype of the Tabernacle and is similarily divided in three graduations of holiness. Its summit is the Holy of Holies […] Mose alone is privileged to ascend to the top (Exod. 19:20b […]) […] The second division of Sinai is the equivalent of the outer shrine, marked off from the mountain by being enveloped in a cloud (Exod 20,21 […]) […] Thus, below the cloud is the third division, called ‚the bottom of the mountain‘ (19:17; 24:4) […] It is equivalent to the courtyard […].“ Vgl. auch C. Dohmen, Exodus 19–40 (HThKAT), Freiburg i. Br. 2004, 71.74. 55
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die Szene für das priesterliche Verständnis von Heiligkeit. Der nicht-priesterlichen (dtr.) Tradition zufolge erschließt sich die Heiligkeit Gottes dem Volk unmittelbar durch die Anrede, hier in der Dekalogrede. In unserer Szene begrenzt der priesterliche Text den unmittelbaren Zugang zum Berg und damit zu Gottes Heiligkeit auf Mose und Aaron, „thus restricting even the priestly class from the realm oft he sacred (V. 24)“.61 Ganz konkret historisch verortet ist der Bezug, den R. Albertz’ chronistische Ergänzung herstellt: „Damit hatte der chronistische Theologe mit göttlicher Autorität im Rücken geklärt, dass – abgesehen von Mose – allein dem Hohepriester, der durch Aaron repräsentiert wurde, der Zutritt zum Allerheiligsten erlaubt war.“ Dies sei „die gängige […] Praxis am nachexilischen Jerusalemer Tempel gewesen […].“62 3. Bemerkungen zu einer literarisch-ästhetischen Interpretation des Jetzttextes Bei der synchronen Auslegung des Jetzttextes und dessen literarisch-ästhetischer Gestalt geht es m. E. im Falle des Exodusbuches vor allem um „die Darstellung des narrativen Profils“63 der Einzeltexte in ihren engeren und weiteren Kontexten. Von besonderer Bedeutung sind dabei Motive, die – wie in der synchronen Analyse bereits angesprochen – einen Rückverweis (Analepse) oder Vorweis (Prolepse) in den engeren oder weiteren Kontext implizieren. Sie verweben die Szene mit den Kontexten und generieren unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten. So beginnen wir mit der Frage, wie die Szene Ex 19,20–25 in narrativer Hinsicht im Kontext zu stehen kommt. Zunächst ist noch einmal daran zu erinnern (s. o. III.1), dass die Analepse in V. 23 signalisiert, dass sie im Erzählduktus, der story-line des Kontextes zu sehen ist. Sie ist kein Kommentar außerhalb des erzählten Geschehens. Ähnlich wie in 19,3–6 und 19,9–13 entwirft die Szene eine exklusive Begegnung Gottes mit Mose, zeichnet dabei aber die Details und die Figuren schärfer und intensiver – sie treibt sie gewissermaßen auf die Spitze. Sie lässt Gott nicht in Wolkendunkel, Blitz, Feuer und Donner gehüllt über, am oder um den Berg anwesend sein, sondern Jhwh selbst steigt auf den Berg herunter, und zwar nicht irgendwohin, sondern genau auf dessen Gipfel (anders noch in 19,3, wo er Mose „vom Berg her“ zuruft). Genau dorthin (und nicht nur „zu dem Gott hinauf “ V. 3) ruft er dann auch Mose. Auch die beiden Reden Gottes sind schärfer gezeichnet und dehnen, wie schon gesagt, die Reichweite des Verbotes aus. Wie in 19,12–13 wird auch in den V. 22–24 dem Volk der Zutritt zum Berg untersagt. Es geht aber nicht nur um eine mögliche Berührung, die auch zufällig oder – wie durch ein Stück Vieh – ohne Absicht erfolgen könnte. Der Text traut dem Volk vielmehr zu, dass es sich 61
Dozeman, Exodus, 477. Albertz, Exodus 19–40, 51. 63 H. Utzschneider/W. Oswald, Exodus 1–15 (IEKAT), Stuttgart 2013, 20. 62
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gewaltsam Zutritt zu Jhwh verschaffen könnte, um „zu sehen.“ (Dies ist m. E. eher ein Verweis auf Ex 33,20b „… kein Mensch wird leben, der mich sieht“, als auf die Schau der „Edlen Israels“ Ex 24,11) Die tödliche Folge der Grenzüberschreitung wird dann auch nicht mittelbar, durch einen Steinschlag oder Sturz (V. 13), eintreten. Vielmehr wird Jhwh selbst einem solchen Versuch gewaltsam entgegentreten: „unter sie einbrechen“ (V. 22). Die Ausdehnung des Verbotes auf die Priester, „die sich Jhwh nahen“, kommt überraschend; als Figuren neben dem Volk sind sie bisher noch nicht aufgetreten. Erst ab Ex 28–29 / Lev 8 auf der Bildfläche, werden sie als vom Volk abgesonderte, mit besonderen Privilegien ausgestattete Gruppe gekennzeichnet (vgl. dazu schon oben III.1). Von Priestern ist im engeren Kontext aber sehr wohl die Rede, nämlich in 19,6, wo den Israeliten verheißen wird, sie sollen „ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein“, wenn sie nur den ihnen angebotenen Bund bewahren. Den Priestern als abgesonderter Gruppe wird hier zugemutet, sich wie das gewöhnliche Volk zu heiligen und vom Gottesberg fernzuhalten. Hier ist ganz Israel, ob Priester oder nicht, Volk. Die Figur der Priester kann hier in analeptischer Perspektive zu Ex 19,6 und in proleptischer Perspektive zu Ex 28–29 gesehen werden. Die Frage ist angesichts dessen, ob, wie Erhard Blum meinte, „die Einsetzung einer ausgesonderten Priesterschaft“ wirklich „das Ende des in Ex 19,6 für Israel vorgesehenen und in Ex 24,3–8 verwirklichten ‚allgemeinen Priestertums‘“64 bedeutet. Wird das Priesterprivileg durch unsere Szene nicht gerade relativiert? In einer ganz ähnlichen Weise, unter sowohl analeptischer wie proleptischer Perspektive, kann die Aaronfigur in unserer Szene gesehen werden. Aaron ist hier ohne jedes weitere Attribut einfach als Begleiter des Mose bezeichnet, nicht als der künftige (Hohe-)Priester, nicht einmal als Bruder des Mose wie in Ex 4,14 und 7,1–2. Selbstverständlich haben ein Leser oder eine Leserin, die von den Heiligtumstexten zurückblicken, Aaron als Hohepriester vor Augen; der schnörkellose Aaron unserer Szene kann sie aber daran erinnern, dass er seine Würde einem unmittelbaren Anruf Gottes und der Gelegenheit als Begleiter des Mose zu verdanken hat. Die Blickrichtung auf die Heiligtumstexte hin ermöglicht es auch, die Bergszenerie im Jetzttext metaphorisch auf das Heilige oder das Heiligtum zu beziehen (vgl. dazu oben II.3, III.2). Die Metaphorik ist freilich nicht eindeutig, sondern lässt unterschiedliche Deutungen offen, wie die oben (III.2) skizzierten Auslegungen zeigen, ja sie macht deutlich, dass die „absolute Metapher“ (Hans Blumenberg) der Einwohnung Gottes im Heiligtum (vgl. etwa Ex 25,8–9; 40,35– 36) nur eine der Möglichkeit ist, in denen die Bibel von der Gottesgegenwart sprechen kann.65 64 65
Blum, Studien, 56. Vgl. dazu Utzschneider, Raum, besonders 32–35.
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Wie schließlich ist die Szene in den engsten Kontext des Jetzttextes narrativ eingebunden? Wie oben angedeutet, sind in 19,20–25 und 20,18–21 Mose und das Volk jeweils am Fuß des Berges anwesend. V. 18a blendet auf die theophanen Ereignisse, die in 19,16–19 geschildert werden, zurück. Sie gingen, in der Wahrnehmung des Volkes, weiter, während Mose entsprechend Ex 19,20–25a auf der Spitze des Berges weilte. Als Mose nach Ex 19,25b sich ans Volk wenden will, blendet der Text abrupt ab und richtet den Fokus auf die Dekalogrede. Nur diese Rede erreicht den Leser und die Leserin, die näheren Umstände der Erzählung „vor Ort“ bleiben verborgen. Damit bleibt auch offen, ob (im Umkehrschluss) nur der Leser oder die Leserin die Dekalogrede Gottes wahrnimmt.66 Der Rückblick in V. 18a legt nahe, dass bei den Israeliten zwar die Sinneseindrücke aus der Theophanie ankommen, und zwar so überwältigend, dass sie vom Berg zurückweichen. Ob sie aber aus den קולות, den Donnergeräuschen (19,16; 20,18), und der קול הׁשפר, dem Schofarklang der Theophanie, die קול, die menschlichen Ohren vernehmbare Stimme Jhwhs, heraushören,67 das bleibt offen. Ebenfalls offen bleibt sogar, ob Mose die Dekalogrede hört und versteht. Freilich traut ihm das Volk (und mit ihm die Leser) dies zu, denn sie bitten Mose, dass zukünftig er zu ihnen reden möge, was Gott ihnen zu sagen hat. Auch dies kann metaphorisch auf die Heiligtumstexte bezogen werden, wenn dort davon die Rede ist, dass Gott dem Mose im Allerheiligsten begegnet, um mit Mose „von der kapporät herab zwischen den beiden Keruben, die auf der Lade des Gesetzes ist“ zu den Israeliten zu reden (Ex 25,22). Was bedeutet nun aber die Szene Ex 19,20–25 im Plot des Jetzttexts von Ex 19– 20? Dass Mose auf die Spitze des Berges beordert wird, dass Jhwh – bei fortdauernder Theophanie – dort selbst mit ihm spricht, dass er die Mahnung an das Volk, sich dem Berg nicht zu nähern, erneuert und verstärkt, dass er die Priester in dieses Verbot einbezieht, all dies sind m. E. Vorzeichen dafür, dass mit der Dekalogrede eine neue, unerhörte Weise der Präsenz Gottes Ereignis wird, seine Präsenz in der Tora.68 Der Hiatus, den die unvermittelt einsetzende Gottesrede erzeugt, hält den Erzählfluss einen Augenblick lang an und zwingt den Leser, vor diesem Ereignis ebenfalls innezuhalten.
66 So etwa Dohmen, Exodus, 19–40, 101–102. Dagegen wendet sich in einem eigenen Exkurs „Warum Israel den Dekalog am Sinai verstanden hat“ D. Markl, Der Dekalog als Verfassung des Gottesvolkes. Die Brennpunkte einer Rechtshermeneutik des Pentateuch in Exodus 19–24 und Deuteronomium 5 (HBS 49), Freiburg i. Br. u. a. 2007, 129–130. 67 Vgl. dazu T. Krüger, Die Stimme Gottes. Eine ästhetisch-theologische Skizze, in: S. Gehrig/S. Seiler (Hg.), Gottes Wahrnehmungen, Helmut Utzschneider zum 60. Geburtstag, Stuttgart 2009, 41–65, hier vor allem 41–44 und 59–63. 68 Vgl. ähnliche Überlegungen bei U. Cassuto, Commentary on Exodus, Jerusalem 1997, 233: „it was necessary to repeat the warning at the crucial moment when the revelation was about to take place (see Mekhilta)“; B. S. Childs, Exodus, 233.
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IV. Schlussgedanke Ich komme noch einmal auf das virtuelle Gespräch mit Erhard Blum zurück. In dem Aufsatz zu „Notwendigkeit und Grenzen historischer Exegese“, der auf seine Tübinger Antrittsvorlesung von 2001 zurückgeht, hat er sich auch zum Verhältnis der historischen und allgemeiner noch der wissenschaftlichen Exegese zur „religiösen Applikation der biblischen Texte“ geäußert und bemerkt, dass diese „per se nicht auf wissenschaftliche Exegese angewiesen“69 sei. Sie sei „kreativ“, „leserorientiert“, ja eine Art „Midrasch-Exegese“, für die „die exegetische Forschung kein Instrumentarium“70 habe. Auch dem stimme ich grundsätzlich zu, meine aber zugleich, dass eine wissenschaftliche Jetzttext-Exegese geeignet ist und dazu helfen kann, einerseits texteigene Ansatzpunkte für eine kreative Exegese zu erschließen und andererseits textgegebene Grenzen dafür zu markieren. Eine wissenschaftliche Exegese indessen, die die Bande zur „religiösen Applikation“ lösen und sich auf den innerakademischen Diskurs beschränken wollte, würde sich m. E. selbst den Boden entziehen.
69 70
Blum, Notwendigkeit, 24. Ebd., 25.
Die Autorinnen und Autoren Klaus-Peter Adam ist Associate Professor of Old Testament an der Lutheran School of Theology at Chicago. Rainer Albertz ist Professor a. D. für Altes Testament an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Ernst Michael Dörrfuss ist Leiter des Pastoralkollegs der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Thomas B. Dozeman ist Professor of Old Testament am United Theological Seminary Dayton. Oliver Dyma ist Professor für Biblische Theologie an der Katholischen Stiftungshochschule München, Campus Benediktbeuern. Israel Finkelstein ist Professor emeritus of the Archaeology of Israel in the Bronze and Iron Ages an der Tel Aviv University. Walter Gross ist Professor emeritus für Altes Testament an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Christof Hardmeier ist Professor emeritus für Altes Testament an der Universität Greifswald. Raik Heckl ist apl. Professor für Altes Testament an der Universität Leipzig. Regine Hunziker-Rodewald ist Professeur d’Ancien Testament an der Université de Strasbourg. Bernd Janowski ist Professor emeritus für Altes Testament an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Louis C. Jonker ist Professor of Old Testament an der Stellenbosch University. Jan Joosten ist Regius Professor of Hebrew an der University of Oxford. Matthias Köckert ist Professor i. R. für Altes Testament an der HumboldtUniversität zu Berlin. Reinhard G. Kratz ist Professor für Altes Testament an der Georg-AugustUniversität Göttingen.
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Die Autorinnen und Autoren
Joachim J. Krause ist Privatdozent für Altes Testament an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Sang-Won Lee lehrt am Presbyterian University Theological Seminary, Seoul. Martin Leuenberger ist Professor für Altes Testament an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Christoph Levin ist Professor emeritus für Altes Testament an der LudwigMaximilians-Universität München. Heinz-Dieter Neef ist apl. Professor für Altes Testament an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Herbert Niehr ist Professor für Biblische Einleitung und Zeitgeschichte an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Ed Noort ist Professor emeritus of Ancient Hebrew Literature and the History of Religion of Ancient Israel an der University of Groningen. Wolfgang Oswald ist apl. Professor für Altes Testament an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Thomas Römer ist Professeur ordinaire de Bible hébraïque an der Université de Lausanne und Nommé Professeur de la chaire Milieux bibliques am Collège de France, Paris. Konrad Schmid ist Professor für alttestamentliche Wissenschaft und frühjüdische Religionsgeschichte an der Universität Zürich. Omer Sergi ist Lecturer am Department of Archaeology and Ancient Near Eastern Cultures an der Tel Aviv University. Jean Louis Ska ist Professor emeritus für Exegese des Alten Testaments am Pontificio Istituto Biblico Roma. Hermann-Josef Stipp ist Professor emeritus für Altes Testament an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Hendrik Stoppel ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ruprecht-KarlsUniversität Heidelberg. Helmut Utzschneider ist Professor emeritus für Altes Testament an der Augustana Hochschule Neuendettelsau. Kristin Weingart ist Professorin für Altes Testament an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Die Autorinnen und Autoren
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Jakob Wöhrle ist Professor für Altes Testament an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Yair Zakovitch ist Professor emeritus in Biblical Studies an der Hebrew University of Jerusalem.
Stellen in Auswahl Hebräische Bibel Genesis 1 45 1,1–2,3 36, 4671 2,1–3 4561 2,5 5 2,6 f. 482–4 2,8–23 5 2,18–23 6, 488 f. 2,18 488 2,20 488 2,21–23 485–487, 491–496 2,23 443, 495 2,24 443 f. 3 443 3,1–7 6 3,14–19 7 4,1–16 7 4,10 544 4,21 56653 6,4 548 6,5–7 8 f. 6,9 10 6,10 11 6,11 f. 11 f. 6,13 f. 13 f. 6,13 17 6,15 f. 17 6,15 4038 6,17 f. 18 6,18 f. 14 f. 6,19–21 19 6,19 f. 44 6,21 f. 14 f. 7,1–3 16 7,4 16, 40 7,6–9 21 7,6 3824 7,7–9 21 7,10 f. 21 f.
7,10 20, 3926, 40 7,11–13 47 7,11 37–39 7,12 20, 4034, 47 7,13–16 22 f. 7,13 3927 7,16 20 7,17–24 23 f. 7,17 20 f., 4034 7,20 40 7,22 f. 20 f. 7,22 41 7,24 24, 37, 40 8–9 4561 8 45 8,1–5 37 f., 40 f. 8,1–4 27 f. 8,1 40 f. 8,2 f. 25 f. 8,3 40 8,4 40 f. 8,5–14 28 f. 8,5 40 f. 8,6–13 26 8,6 4034 8,7 4141 8,10 40 8,12 40 8,13 f. 38 8,13 41 8,14 43 8,15–19 30 8,16–20 26 f. 8,21 f. 5, 27 8,21 9 9,1 41 9,9 f. 52 9,20 5 10,4 506 f.
614 10,7 51997 12,1 443 12,7 f. 232 f. 12,10–20 194 13,4 232 13,18 232 15 132, 143 15,6 541 15,15 550 16 425 16,11 35718 17,8 64 f. 17,9 59 17,10–14 52 17,21 59 18,1–8 450 f. 18,9–15 451 18,12 543 18,16 451 19,1–3 451 19,1 549 21,8–13 425 21,33 232 22 314 23 63–76 23,1 f. 65 23,2 64 23,3–20 64 f. 25–35 298 25,7 f. 644 25,7 3517 25,17 644 26,2–5 194 26,6–11 194 26,25 232 26,34 64 27,23 447, 44831 27,31 551 27,41 550 28,4 65 28,12 f. 80, 83 28,20–22 85 29,31–33 426 31,32 44831 33,20 232 f. 34,3 443 35,7 232 35,12 65
Stellen in Auswahl
35,28 f. 64 36,2 64 37–50 99 37 105 37,1 f. 101 37,8 105 37,32 f. 448 37,34 f. 106 38 101 38,12–26 447 39–46 298 39 993, 107 39,2–6 107 41,2 101 41,18 101 41,42 101 41,45 104 41,46 101 41,50–52 104 42,7 f. 447 f. 42,9 302 44,5 104 44,18–34 105 45,5 ff. 102 46,1–5 101 47,8–10 101 47,11 101 47,27 f. 101 48 101, 217 48,4–7 101 48,21 f. 101 48,22 212, 214 49,29–33 101 50,3 104 50,12–23 101 50,15–21 106 50,20 f. 102 50,22–26 101 50,24 106 50,26 101 Exodus 2,11 263 3,8 135, 143 4 143 6,1 547 7–11 107 12,2 42
12,18 42 12,21–27 143 13 143 14,14 374 15 193 15,1–18 255 15,20–25 194 15,27 194 15,25 f. 194 16 3929 16,1 39 17,2 373 17,8–16 233 17,11 548 19,1 3927 19,10–19 603 f. 19,10–13 604 19,12 f. 601, 605 19,20–25 599–606 19,25 602 20,2 f. 119 20,5 119 20,7 120 20,8 148 20,12 148 20,13–15 121; 150 f. 20,16 f. 151 20,16 121, 150 f. 20,17 122, 23455 20,18–21 607 20,18 603 20,25 234 21,20 15218 22,30 159, 462 23,1–12 151 23,3 151 23,4 409 23,8 550 23,12 550 23,31 509 24,13 207 25–40 44 25,22 607 26,9 228 26,33 f. 4460 27,18 4038 28–29 606 28,20 51577, 81
Hebräische Bibel
28,25 228 28,37 228 29,42–46 230 31,12–17 4560 31,14 4460 32–34 4560 32,13 142 32,17 233 33,1 142 33,7–11 132, 137, 142 f. 33,11 233 35,1–3 4560 36,9 3517 39–40 4671 39,13 51577, 81 39,18 228 40,2 42 40,17 42 Leviticus 1–16 326 4 474 8,9 228 8,10 271 11,44 f. 462 16,30 3927 17–27 326 17–26 32, 1473, 460 f., 467, 470 17,11 44 18 147 f. 18,7–17 1473 18,7 1488 18,25–28 238 19 1484, 1485, 15422, 462 19,2 15320, 156, 462 19,3 f. 148 19,3 15320, 159, 16155 19,9 f. 447 19,11–18 147–162 19,14 1489 19,26–32 16155 19,29 1488 19,30 1489, 159 19,32 1489, 15320 19,33 15529, 16155 20 147 f. 20,7 462 20,9–15 15529
615
616 20,9 1488 23 35, 3619, 44 24,23 15529 25,17 1489 25,36 1489 25,39–43 15529 25,43 1489 26,2 1489 Numeri 1,18 3929 8,2 228 9,11 3929 10,11 39 11 132, 137, 139, 142 f. 11,27 546 11,28 208, 233 12 132, 137, 139 f., 142 f. 13–14 143, 191 f. 14,45 212 16 463, 467 16,3 464 16,5 464 16,8–11 464 16–18 463, 472 17 464 18,20 238 20–21 164 20,1–13 144 20,1 181, 209 20,12 204 f. 20,14–21 194 21 215 21,1–3 212 21,6 410 21,10–13 181 21,21–35 163 21,21–32 165 f., 168, 178 21,21–26 213 21,21–25 194 21,23 216 21,33–35 167 f., 213 21,33 214 22–24 427 22 181 24,4 427 24,16 427 25–36 181, 208 f.
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25 226 25,1–5 182 f., 188, 191 f., 224, 237 25,1 181–183, 185, 195, 209 f. 25,2 ff. 209 25,6–10 224, 237 25,9 231 27,12–23 204 f. 31,6 224 32 163 f., 168–170, 197 f., 206 32,1–32 178 33,49 181, 191 34,10–12 229 34,13–15 229 Deuteronomium 1–9 19237 1–3 204–206 1,3 143 1,4 174, 213 1,7 201 1,15 199 f. 1,17 449 1,19–46 191 1,37 f. 203 f. 1,38 207 1,44 212 2,1–23 230 2,24–3,17 172 f. 2,24–3,7 171, 178 2,24–36 165 f., 168 2,24 227, 230 f. 2,29 231 3 163 f., 198 f. 3,1–5 167 f. 3,8–17 170, 178 3,8–16 213 3,8 217, 230 3,12–22 230 3,12–20 197, 206 3,14 215 3,21 204 3,27 f. 18720, 203–205 3,27 209 4 204 f. 4,21 f. 204 5,12 148 5,16 148 5,17 150
Hebräische Bibel
5,18 15013 5,19 150 5,20 f. 150 f. 6,4 f. 127 6,6 f. 126 6,16 373 7 194 7,1–6 191 7,5 f. 159 7,6 462 10,9 238 11,24 f. 19962, 201 f., 206 11,30 236 12,5 270 14 159 14,1 f. 462 15,11 43285 16,18–20 151 16,19 449 16,20 548 17,13 543 17,18–20 201 18,21 f. 404–406 20 194 20,3 361 20,16–18 191 21 462 21,15–17 425 f. 22,1–12 151 22,14 247 22,17 247 24,14 f. 151 24,19 447 25,9 f. 45454 25,17–19 233 26,16–19 442 27,2–8 234 f. 27,11–14 236 27,18 151 31 205 31,1 f. 18720, 201, 205 f. 31,7 f. 139, 18720, 201, 204–206 31,7 204 31,14 f. 132, 137–141 31,23 132, 137–141, 204 31,24–26 235 32,48–52 143 f. 34 182
617
34,1 209 34,5 f. 181 f., 195, 203, 206–209 34,10–12 140 f. 34,10 132, 137–141 Josua 1–6 206 1–3 207 1 184, 196 f., 206 1,1–18 189 1,1–11 190 1,1–9 197 f., 200 1,1–6 201, 205 1,1 f. 18720, 195, 199 f., 203 f., 206– 208 1,1 184 1,3–5 202 f. 1,4 197 1,5 f. 18720, 199, 202–204, 206– 208 1,7–9 197, 199 f., 206 1,10 f. 184–188, 195, 197–200, 205, 207 1,12–18 197, 206, 224 1,12 230 1,17 f. 199 1,18 188, 190, 199 2–6 182 2–3 181 2 184 f., 188, 190–192, 194, 196, 200, 207 2,1–3,1 183 f., 18925, 190 2,1–7 192 2,1 181–185, 188, 195 f., 210 2,1–7 191 2,6–8 193 2,8–14 192 f. 2,9–14 196 2,9–11 190 2,9 f. 193 2,10 173 2,14 191 2,15 f. 192 2,16 185, 187–190 2,16–21 192 f. 2,20 191 2,22 f. 192 2,22 185, 187–190, 193
618
Stellen in Auswahl
2,24 192 f. 3–4 186, 18720, 196, 207, 230 3 189 3,1 181–185, 188–190, 195 f., 207– 210 3,2–4 184, 189 f., 195, 200 3,2 f. 184–188, 190 3,2 188, 199 f. 3,5 190, 200 3,6–13 189 f. 3,13 187 3,14 f. 187 3,14 196, 209 3,16 187, 196, 209 4,12 f. 198 4,12 224 4,14 189 4,19 196 5 230 5,2 235 6–11 221 6 192, 194, 196, 207 6,17 191 f., 194 6,21 191, 194 6,22 f. 192 6,25 192 7 226 7,4 f. 238 7,12 238 8,10 229 8,30–35 214, 234–236, 336 8,33 200 9 216 9,1 213 9,10 173 f., 210 9,17 272 10 214, 216 10,10 216 11 212, 214 11,2 215 11,3 215 11,8 215 11,17 f. 218 11,21 f. 218 11,23 198, 202 11,24 218 12 218 12,1–6 163, 173–175
12,1–5 213 12,1 217 12,5 215 12,7 221 13–22 204 13 ff. 200 13 163 f. 13,1–6 21736 13,7–16 213 13,8–33 175 13,8–31 176 13,11 215 13,15–32 198 13,30 f. 213 15,9 f. 271 f. 15,20–63 271 15,58 218 15,60 272 17 212 18–22 264 18,1 336 18,6 229 18,14 272 19,50 211 19,51 229, 336 21,43–45 202 22,1–6 198, 224 22,7 f. 224 22,7–34 226 22,9–34 223–240 23 201 23,2 200 24 144, 19237 24,1 200 24,26 336 24,30 211 Richter 1 212, 214, 217, 467 1,1 208 1,17 212 2,1–5 144, 336 f. 3–11 298 5 255, 277 6,36–40 373 9,20 412 15,12 410 16,29 410
17–21 467 18,3 448 18,31 264, 336 19–21 473 19,1 263 19,5 45140 19,8 45140 20,27 264 21,9 336 21,12 264 21,19–23 256 21,19 264 21,21 264 1 Samuel 1 Sam–2 Sam 311 f. 1–3 241 f., 245, 264 1 241, 245, 429 1,1–3 256 1,3 262 1,9–11 243 f. 1,21–28 243 1,27 f. 244 1,28 242–244, 253 2,1–10 241–258 2,1 243 f. 2,4–8 429–438 2,11 242–244, 253 2,12–17 241, 248 2,12 262 2,18–21 241 2,18 24411 2,19 548 2,22–26 241 2,22 336 2,27–36 267 2,27–34 241 2,27–31 262 2,35 257 3,1–21 241 3,1 24411 3,3 263 4 262–264 4,1–7,1 260 f., 263, 273 4,1 263 4,3–9 265 4,5–9 266 4,12–18 267
Hebräische Bibel
4,19–22 267 5 266, 269, 273 5,2–7,1 268 6 266 6,10–21 270 6,20 247, 254 7,1 f. 261, 271–273 7,10 252 9–14 298 9–10 431 9,2 248 9,7 547 10,5 409 11,8 218 11,13 3927 12 19237 12,2 548 13,3 543 14,2 267 15–19 302, 313 16–2 Sam 5 277, 290–292, 298 16 291, 305, 431 16,1–13 303, 305 f. 16,7 248 16,14–23 290, 310 17,4 248, 291 17,23 291 17,32–39 310 17,34 f. 409 17,37 409 17,52 291 17,55–58 310 18,4 254, 303 18,7 304 18,10 31137 18,15 30521 18,17 31137 18,25–27 54 19,5 304 19,12 31137 19,13 292 19,16 292 19,18–24 305 20–26 290 20,1 31137 20,12–17 308 20,14–16 309 20,21 547
619
620
Stellen in Auswahl
20,41–43 308 f. 21,10 304 21,11 291 21,12 304 21,13 291 22,3 f. 195 22,9 267 22,20 267 22,35 248 23–26 291 23,2 292 23,4 292 23,9–12 292 23,17 303, 31137 24–27 310 24,11 252 24,13 f. 411 24,13 412 24,16 412 24,17–23 310 24,18 252 24,21 303 24,22 f. 309 25,26 310 25,29 310 25,30 303 26 310 26,17–25 310 26,17 448 26,25 303 27–2 Sam 1 290 27 291 27,1 311 27,2–4 291 27,11 291 28 250 28,1 263 28,17 303 29–30 291 29,2 311 29,5 304 30,6 31137 30,8 292 31–2 Sam 1 290 31,3 248, 254 2 Samuel 1,18
248, 254
2,1–4 290 2,1 292 2,4–7 308 2,4 305 2,8 295 2,12 295 2,29 295 3 30416 3,9 f. 304 3,10 251, 296 3,13 308 5 291 5,1–3 290 5,2 304 5,3 305 5,6–11 295 5,19 292 5,21 292 5,23 f. 292 6 260 f. 6,1 f. 272 6,2 272 6,21 f. 304 6,22 f. 30522 7 261, 305 7,1–17 306 7,8 304 7,11–16 307 7,13 307 7,16 375 9–20 277, 290, 298 9,1–3 308 11–12 30419, 306 11,2–4 306 11,27 306 12 305 12,1–7 306 12,7 f. 304 12,7–14 306, 30726 12,11 307 12,26 f. 544 13,37 f. 296 14,17 551 14,32 296 15–20 294, 297 15–19 307, 309 15,1–6 295 15,8 296
15,13 295 15,14–17,29 294 15,23 295 15,30 295 16,1–4 309 16,5–16 309 16,21 f. 307 17,9 547 17,11 296 17,27–29 310 18,1–19,9 294 f., 297 19 31137 19,10–44 294 19,10–16 294 19,20 309 19,25–31 309 19,26–40 309 19,41–44 294 20 306 f. 20,1–22 294 20,15 296 f. 21–24 31035 21,7 308 f. 22 436 22,2 247, 254 22,3 245, 253 22,14 252 22,18 410 22,47 247 22,51 252 23 242 24,5 296 24,12 296 1 Könige 1 Kön–2 Kön 311 f. 1–2 277, 290, 298 1,13 309 1,17 309 2 305 2,1–9 307 3,2 334 3,11 5411 4 220 4,9 270 4,19 f. 220 5 192 5,5 296
Hebräische Bibel
5,15–26 50949 6,1 39 7,13–46 50949 7,46 508 9,10–14 50949 9,11–13 513 9,13 21736 9,15–17 513 9,26–28 50949 10 519, 522 10,1–13 509 10,1–3 518 10,11 50947 10,21 f. 508, 510, 512, 518 10,22 50949, 510, 514 10,26–29 513 12 318 12,26–32 316 f. 12,30 3176, 318, 333 f. 12,31 f. 318 f., 322, 325 12,33 319, 325 13 315, 320 13,1 f. 319 13,2 322, 32330 13,8 f. 321 13,16 f. 321 13,21 f. 321 13,30 413 13,31–34 319, 322 f., 325 14 270 14,7–10 317 14,23 326 f. 15,17–22 298 15,26 3164 15,34 3164 16,19 3164, 332 16,24 325 16,31 511 18–19 290 18,30 ff. 337 20,35–37 32540 21,1 32538 21,7 45140 22,49 f. 510, 51469 23,19 f. 324 2 Könige 1,3 32538
621
622 2,22 f. 201 4,4 410 5,19 307 8,5 3028 8,28 f. 283 9–10 283 9,14 f. 283 10,7 410 10,28 f. 317 13,6 333 14,11–13 216 14,22 512 14,23–29 513 14,25 511 14,28 21523 16 373 16,1 357, 367 16,5 357 f., 367, 370 17,7–23 327, 333 17,9 327 17,21–23 316 17,24–41 324 f. 18,4 326 18,18 360 18,21 410 21,3 327 22,8 564 22,10 564 22,11 401 22,13 401 23,5 326 23,8 326 23,13 326 23,24 f. 327 23,16–20 325 23,19 324 Jesaja 1–11 354 1,1 343 2,1 343 2,6–22 516 2,16 51469, 522 3,4 ff. 438119 6–8 341, 355 6,1–8,18 343 6,1–8 346 6,1–5 343–346
Stellen in Auswahl
6,1–3 357–350 6,4 349 f., 352 f. 6,5 349, 351 f. 6,9–11 346 6,9 f. 353 6,11 345, 353 6,12 f. 345 f. 7 355 f. 7,1–17 356, 366 7,1 358 f. 7,2 359 7,3 360 7,4 374 7,9 375 7,10–12 372 7,13 f. 375 7,14–17 364 7,15 371 7,17 371 7,18 356 7,20 356 7,21 356 7,23 356 8,1–4 364, 367, 370 8,3 f. 367 8,3 357 8,4 357 f., 369 8,7 f. 35347 8,9 f. 368 8,14 353 f. 8,17 353 8,18 353 10,21 357 10,24 354 11,6 ff. 42113 13,10 413 13,14 413 19,16–25 236 f. 22,22 251 23 516 23,1 50738, 51469 23,6 50738 23,10 50738 23,14 50738, 51469 23,16–20 323 27,1 415 28,1–31,3 353 28,13 353
Hebräische Bibel
28,16 f. 35347 28,16 353 28,21 353 29,5–8 412 29,9 f. 353 29,14 353 30,9–16 353 30,15 374 30,19 354 31,3 35348 31,4 353 36,2 357, 360, 367 36,4–10 361 36,4 f. 362 36,6 410 36,8 362 36,9 363 36,10–12 363 36,13–20 361 36,13 f. 363 37,6 f. 367 37,33 297 38,7 f. 373 38,10–20 242 40,2 106 40,8 569 45,1–7 107 60,4–9 519, 524 60,9 51469 66,19 520 f. 66,20–23 520
27–29 388 27,2–11 392 28 403 28,8 f. 404–406 28,12 404 29,2 392 29,3 392 29,10 106 31,15 106 32,24 297 33,4 297 34,1–6 397 34,7 388 34,13 f. 396 35 399 35,1–37,2 398 36 399 36,23 402 36,24 401 f. 36,27 404 36,29 f. 400 37–39 384 37,3–43,7 388 40,1–6 398 40,13 f. 386 41,1–15 386 46,3–12 381 46,14–24 381 48 382 f. 49,7–22 381 50,41–43 383
Jeremia 1,1–25,13 393 2,7 238 6,6 297 6,28 15216 7 269 7,12–14 270 10,9 51364, 514 15 254 15,9 249 22,18 413 23,13 32538 26 397 f. 26,1–44,28 393 26,6 270 26,18 396
Ezechiel 1,16 51577, 82 4,2 297 10–11 35349 10,9 51577, 82 16,8 452 17,17 297 21,27 297 22 1484 22,1–12 1484, 15632 22,8 1487, 159 22,9 15216 22,11 16154 22,26 159 26,8 297 27 516, 522
623
624 27,12 50113, 50738, 514 27,25–27 521 27,25 50738, 51469 28,11–19 51683 28,13 51577 30,3 413 38 521 f. 38,13 50738 43 35349 44,13 46330 45,18 4247 45,28 4247 47,18 230 47,20 230 48,4 f. 230 48,6 f. 230 48,27 f. 230 Hosea 8,6 32538 9,10 191 13,8 410 Joel 2,1 f. 413 2,1 1811 2,10 413 2,12 413 2,14 413 3,4 413 4,15 413 Amos 4,7 541 5,8 f. 413 f. 5,14–17 413 f. 5,15 413 5,18 411–414, 439 5,19 409 5,20 411, 415, 439 6,2 292 6,13 212, 215 6,14 511 7,10–17 322 7,17 238 8,9 414 9 415 9,1–4 414
Stellen in Auswahl
9,1 352 Jona 1–4 192 1,3 520, 524 Micha 3,12 396 4,8 4092 6,5 181, 191 6,8 446, 455 Zephanja 2,4–6 50945 Sacharja 4,6 251 Psalmen 2,12 534 6,11 532 9,3 531 9,4 533 13,2 550 14,1 535 16,5 f. 238 16,10 239 16,11 239 18,3 245, 253 20,9 536–538 21,10 534 22 563 22,4 564 22,6 536 f. 22,28 532 22,32 533 24,7–10 34825 26,11 531 27,2 536–538 27,4 56551 27,14 531 29,1–3 34825 30,4 249 31,4 533 34,2 565 34,9 531 34,11 536 f. 36,6 f. 34724
37,28 251 38,9 536–538 41,2 250 41,3 533 42,3 533 42,5 531 43,16 249 45,11 531 46 342 47,10 251 48 342 48,8 f. 522 48,8 51469 50,1 239 50,6 239 50,19 f. 239 50,21 536–538 52,7 533 53,2 535, 538 55,18 531 60,10 45454 62,12 568 65,4 533 66,5 531 66,16 532 68,4 533 71,2 533 72 437, 519, 522 72,2–4 437 72,8–11 518, 520, 524 72,10 51364, 521 72,12–14 437 72,13 251 72,15 532 73,8 534 73,25 239 73,26 239 75 437117 75,3 f. 434 75,5–8 247 75,8 250, 434 76,9 536 f. 78,6 533 79,5 550 79,8 532 79,9 531 82,4 251 86,13 249
Hebräische Bibel
86,17 536–538 88,11 535 92 563 92,11 245, 565 92,12 565 95,6 532 97,10 251 100 563 102,5 45140 102,27 534 105 106 106,28 191 108,10 45454 113,7–9 257 113,7 f. 435103 119 250 119,74 533 119,86 532 126 563 142,6 239 144,11 531 148,5 536–538 Hiob 1 267 2,12 447 f. 4,16 448 7,9 250 7,10 448 37,4 f. 252 Proverbien 2,8 251 3,12 15320 4,23 45140 6,6–11 42430 9,7 f. 15320 10,22 250 12,11 424 15,12 15320 15,29 251 17,12 409 18,5 449 19,10 423 f., 438121 19,25 15320 23,32 410 24,23–25 448 f. 24,25 15320
625
626 24,30–34 42430 25,13 45140 27,7 249 28,15 409 28,19 424 28,23 15320 28,31 449 30 422 30,1–14 422 30,1 422 30,10–33 422 30,21–23 421–429, 431 30,23–34 422 31 422 31,1 422 Rut 1,1 442, 454, 456 1,8–17 445 1,8 441, 446, 449, 456 1,14 443 1,16 f. 442 f., 456 1,21 444 2,1–23 444 2,2 446, 456 2,4 ff. 445 2,6 f. 443 2,8–13 450 2,8 f. 447 2,8 443 2,10 447, 449, 456 2,11–13 449 2,11 443 f. 2,12 452 f. 2,13 456 2,14 450 2,15 f. 450, 452 2,19 447, 449 2,20 456 2,21 443 2,23 443 3,1–18 452 3,9 ff. 445 3,9 452 f. 3,10 443 3,11 453 3,12 f. 453 3,14 448
Stellen in Auswahl
4,1 ff. 445 4,1–12 453 f. 4,7 45454 4,10 45455 4,11 454 4,12 45455 4,13–17 450 4,13 452 4,15 249 4,18–22 441 Hoheslied 5,14 51577, 516 Kohelet 10,5–7 423 Klagelieder 3,10 409 Esther 1,14 50736 6,2 3028 Daniel 1–12 46 1–6 192 10,5 f. 51364 10,6 51577, 516 11,15 297 Nehemia 2,20 227 3,34 32538 9,6 250 10,1 15736 13,23–30 447 1 Chronik 1,7 50736 5,1–26 178 5,25 231 7,10 50736 13,6 272 23,13 464 2 Chronik 2,2–15 50949
2,6–16 50949 5,5 465 5,7 465 5,11 465 5,12 ff. 465 8,17 f. 50949 9,21 51469, 522 9,25 513 13,4–12 328 13,11 328 20,35–37 510 20,36 f. 51469, 522 23,6 465 26,18 465 28,18 27118 29–32 465 29 467
627
Neues Testament
29,5 ff. 465 29,20–24 474 29,34 465, 474 29,35 474 30 466 30,3 465 30,13–15 465 30,15 466 30,17 465, 474 30,24 465 31,18 465 f. 34–35 465 35 466 35,3–6 474 35,3 459 35,6 465 35,10 f. 474
Septuaginta 1 Makkabäer 10,83 26866
Jesus Sirach 38,10 449 47,13 307
Qumran 4Q252 3824, 4139, 43 f. 4Q319 35 4Q324d 33–36, 41
4Q503 35 4QMMTa 34 1QS 15841
Jüdische Schriften Jubiläenbuch 3824, 46 3,17 39 5,29 4143 5,31 f. 44
6,18 46 6,26 4143 1 Henoch
32, 46
Neues Testament Matthäus 1,23 356
19,28 440 19,30 440
628
Stellen in Auswahl
20,16 440
13,30 440
Lukas 1,46–55 440
1 Petrus 1,25 569
Josephus, Jüdische Altertümer 1:127 50323 5:97 240 5:100 240
5:101 231 5:107 231 9:208 50323
Rabbinische Literatur Pirqe Avot mAv 5,25
Babylonischer Talmud bSuk 53a–b 45 bPes 50a 419, 440 bBB 10b 4191, 440
555
Altorientalische Texte Bileam-Inschrift aus Deir ‘Alla 427, 439 Enuma eliš 42, 4672, 80, 81, 97 Imgur-Enlil-Zylinder 83 Ehulhul-Zylinder 90 Harran-Stele 91
Mahnworte des Ipuwer 428 Prophezeiungen des Neferti 428 Stele von Nora 504 Tempelbauhymne Gudeas von Lagasch 88–90
Antike Schriftsteller Aristoteles, Politeia 1275b,20–21 116
Herodot, Historien II 36.3 5531 II 37.2 5534 II 104.2–4 5536