Drydens Fabeln und ihre Quellen [Reprint 2020 ed.] 9783112392805, 9783112392799


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Drydens Fabeln und ihre Quellen [Reprint 2020 ed.]
 9783112392805, 9783112392799

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D r y d e n s Fabeln und ihre Quellen

Von

Wolfgang Jünemann

I Friederichsen, de Gruyter & Co. m. b. H./Hamburg 1932

Niemann t MoscNnskl, Hamturg 23, Kantstr. 18

Britannica In Verbindung mit dem S e m i n a r für englische Sprache und Kultur an der Hamburgischen Universität herausgegeben von Emil

Wolff

Heft 5

Einleitung. Dichtung ift Ausdruck der Kultur, ift Sinnbild der Zeit. Die Aufgabe diefer Arbeit befteht in der Unterfuchung, inwiefern John Drydert als Dichter des englifchen Barock aus feinem Innern und zugleich aus der Bedingtheit der Zeit heraus die Überfetzungen der mittelalterlichen Canterbury-Tales zu eigenen Schöpfungen, Werken feines eigenen Selbft wie feiner befonderen Zeit, umgeftaltete oder umgeftalten mußte. Nicht Dryden allein ift es gewefen, der den Verfuch wagte, die Canterbury-Tales einem fpäteren Jahrhundert wieder zugänglich zu machen. Nach ihm haben fich Pope und Wordsworth das gleiche Ziel gefetzt. Die getreuefte Uberfetzung lieferte Wordsworth, der als Romantiker den neuen Standpunkt einer unbedingten Treue gegenüber dem Original vertrat. Die Vorlagen geändert haben Dryden und Pope. Dryden arbeitet, wenn auch auf einer anderen Sprachebene, in Szenen wie Chaucer, er fieht finnlidi-naturaliftifch: "With eyes half closed and gasping mouth he lay, And grim as when he breathed his sullen soul away." (Palamon and Arcite II. V. 578—579.) Die Unmittelbarkeit und die Gewalt der Bewegung, das fließende Ineinander- und Auseinanderftreben der Gebärden bedingt auch zumeift äußerlich fchon den größeren Umfang der Drydenfchen Erzählungen. Popes Überfetzungen dagegen find durchweg nicht durch die Szene, fondern die Sprachlinie beftimmt; Pope fieht nicht finnlich, fondern geiftig. Die Wirkung feiner Gedichte liegt im Wort, in der ungeheuren Knappheit des Ausdrucks. Die Gedrängtheit der Popefchen Sprache bedingt zugleich, daß ihr zuweilen wundervolle Stellen der Vorlage zum Opfer fallen. Im P r o l o g d e r F r a u v o n B a t h werden die Verfe: 1

" M e n may devyne, and glosen up and doun, But wel I woot, expres, withoute lye, G o d bad us for to wexe and multiplye; T h a t gentil text kan I wel understonde. Eek, wel I woot, he seyde myn housbonde Sholde lete fader and mooder, and take me; But of no nombre mencioun made he, O f bigamye, or of octogamye; W h y sholde men speke of it v i l e y n y e ? " (V. 2 6 — 3 3 ) in zwei Couplets gebracht, wobei das zweite Couplet nicht mehr den feinen humoriftiienen Z u g befitzt, den die entfprechenden V e r f c bei Chaucer auf weif en: "Encrease and multiply", was heav'n's command, A n d that's a text I clearly understand. T h i s too, " L e t men their sires and mothers leave, A n d to their dearer wives for ever cleave." (Pope, V . 1 7 — 2 0 . ) Die allzu deutlichen Sätze der Frau von Bath läßt Pope ohne weiteres fort; doch auch die V e r i e , die er übernimmt, erhalten in der Knappheit der gehämmerten Sprachgebung ein ganz anderes A u s feilen. Die Zeilen: " A n d , by my f e y , I tolde of it no stoor; T h e y had me yiven hir lond and hir tresoor, M e neded nat do lenger diligence T o w y n n e hir love, or doon hem reverence: T h e y loved me so wel,, by G o d above, T h a t I ne tolde no deyntee of hir love! A w y s womman wol sette hire, ever in oon, T o gete hire love ther as she hath noon; But sith I hadde hem hoolly in myn hond, A n d sith they hadde me yeven all hir lond. W h a t sholde I taken heede hem for to plese, But it were for my profit and myn ese? I sette hem so a werke, by m y fey, T h a t many a nyght they songen " w e i l a w e y ! " T h e bacoun was nat fet for hem, I trowe, T h a t som men han in Essexe at Dunmowc. I governed hem so wel after my lawe, T h a t edi of hem ful blisful was and f a w e T o brynge me gaye thynges f r o the f a y r e ; T h e y were ful glad whan I spak to hem faire, For, G o d it woot, I chidde hem spitously" (Chaucer, V . 2 0 3 — 2 2 3 ) bringt Pope in vier Couplets: " B u t since their wealth, the best they had, was mine. T h e rest, without much loss, I could resign. Sure to be loved, I took no pains to please, Y e t had more pleasure f a r than they had ease. 2

Presents flowed in apace: with show'rs of gold, They made their court, like Jupiter of old. If I but smiled, a sudden youth they found, And a new palsy seized them when I frowned" (Pope, V . 60—67) deren prägnante Kürze befonders der zweite Doppelzeiler offenbart. Jeder Vers ift bei Pope eigenhändig in feiner abfoluten Klarheit und Abrundung, ftrömt nicht wie der Drydenfche Vers in den nädiften hinüber; er ift knapp, komprimiert, zieht fich zufammen, während Drydens Sprache in immer neuen Wendungen fich reich entfaltet. Die Knappheit des Ausdrucks trägt in fich die Beherrfchung der Form, die Pope ein Couplet gelingen läßt wie diefes: " F o r gold we love the impotent and old, And heave, and pant, and kiss, and cling, for gold" (Pope, V . 1 7 5 — 1 7 6 ) dem bei Chaucer nur allgemeiner entfpridit: " F o r wynnyng wolde I al his lust endure And make me a feyned appetit." (Chaucer, V. 4 1 6 — 4 1 7 . ) Diefe Beherrfchung der Form wird befonders deutlich an einem Vers, der fich von der Vorlage finngemäß überhaupt nicht entfernt, doch rein durch die Form, durch die harte Antithetik des Wortes eine ganz andere Wirkung erhält als das Chaucerfche Couplet: " H o w sore I galled him, only heav'n could know, And he that felt, and I that caused the woe." (Pope, V . 241—242.) " T h e r was no wight save God and he that wiste In many wise how soore I hym twiste." (Chaucer, V . 493—494.) Ein Meifterftück Popefcher Sprachkunil, im Reiditum der Wortgebung an Dryden anklingend (1. und 3. Zeile) ift der folgende Abschnitt, der wiederum die ungeheure, gefpannte Knappheit der Verfe beweift, während Chaucers Zeilen ohne das Moment der dramatifchen Spannung rein epifch darfteilen: "Long time I heard, and swelled, and blushed, and frowned; But when no end of these vile tales I found, When still he read, and laughed, and read again, And half the night was .thus consumed in vain; Provoked to vengeance, three large leaves I tore, And, with one buffet, felled him on the floor." (Pope, V. 4 1 1 — 4 1 6 . ) " A n d whan I saugh he wolde never f y n e T o reden on this cursed book al nyght, Al sodeynly thre leves have I plyght Out of his book, right as he radde, and eke I with my fest so took hym on the cheke, That in oure f y r he fil bakward adoun." (Chaucer, V . 788—793.) 3

In Popes Abfchnitt bringt die erfte Zeile das Bild der aufgebrachten Frau. Mit dem Worte "but" erfolgt der Umfchlag, die dritte und vierte Zeile erhöhen die Spannung, die mit der zweiten Zeile erregt war; das letzte Couplet treibt diefe Spannung auf den Gipfel, in der zweiten Hälfte des vorletzten Verfes erfolgt die Löfung, die, fofort überfteigert, im Ausgang ihre Krönung erhält. Die Gedrängtheit der Popeichen Sprachform wird klar an zwei Vergleichen: die dritte und vierte Zeile bei Chaucer faßt Pope in fünf Worte zufammen; ebenfo werden die Chaucerfchen Schlußzeilen bei Pope in einen einzigen Vers gepreßt. Die Konzentriertheit des Gedankens, diefe äußerfte Zufpitzung des Ausdrucks, in der jedes einzelne Wort ein Dolchftoß ift, ftellt Pope neben La Fontaine. Ein Vergleich des Fabliaus "Le Berceau" aus den "Contes et Nouvelles"* mit der Reeve's Tale ergibt wiederum die meilericharfe, vom Primat des Geiftes beftimmte Wortgeftaltung auf der einen Seite, auf der anderen die vom Primat der Szene beftimmte, naiv berichtende, konkrete Chaucerfche Dichtungsart. "Disant ces mots, auprès de cet ami, Elle se met. Fol ne fut, n'étourdi, Le compagnon, dedans un tel rencontre; La mit en oeuvre, et, sans témoigner rien, Il fit l'époux; mais il le fit trop bien. Trop bien! je faux, et c'est tout le contraire, Il le fit mal; car qui le veut bien faire, Doit en besogne aller plus doucement. Aussi, l'hôtesse eut quelque étonnement " (La Fontaine, St. 74.) "And nyste wher she was, for it was derk, But faire and wel she creepe in to the clerk; And lith ful stille and wolde han caught a sleepe leepe, So myrie a fit ne hadde she nat ful yoore; He priketh harde and soore as he were mad." (Chaucer, V. 4225—4231.) Nur der Schluß des Prologs hat bei Pope eine Erweiterung erfahren: aus dem einfachen Segenswunfeh der Frau von Bath bei Chauccr: " I prey to God, that sit in magestee, So blesse his soule for his mercy deere" (Chaucer, V. 826—827) werden unter Popes Hand zwei Couplets, die in der Trockenheit ihres Humors die ganze Einfachheit und Schmucklofigkeit feiner Sprache offenbaren, eine Einfachheit, die eben Knappheit und Klarheit der Form bedingt, und die im deutlichen Gegenfatz zur Drydenfchen Spradikunft fteht: *) Contes et Nouvelles de La Fontaine, Paris 1858. 4

" N o w heav'n, on all my husbands gone, bestow Pleasures above, for tortures feit below: That rest they wished for, grant them in the grave, And bless those souls my conduct helped to save!" (Pope, V . 436—439-.) Denn Drydens Stil iil ein beftändiges Spiel mit den Bildern, ihre Spiegelung undWiderfpiegelung, ift beftändiges Werden und Wadifen. Und doch ift der Drydenfche Vers nicht reine Spielerei, ein reiner Prunk der Form. Zum Problem des Barock gehört, daß hinter der fcheinbaren Wirre Maß und Ordnung fteht. Vollkommene Beherrfchtheit überragt die unendliche Fülle, überlegene Bewußtheit verleiht dem bewegtellen Gedankenfpiel noch Haltepunkt und Ziel. Während Pope und Wordsworth fich nur wenigen Proben und Erzählungen zuwandten, die als Frühwerke neben den felbftändigen Dichtungen nur eine unbedeutende Stellung einnehmen, hat Dryden durch die Neugeftaltung von vier Canterbury-Tales fowie des Pfeudo-Chaucer-Gedichts " T h e Flower and the L e a f " und fdiließlich von drei Erzählungen aus Boccaccios "Decamerone" am Ausgang des Lebens in der geklärten Reife feines Menfchentums den reichen Bau des Gefamtwerks abfchließend gekrönt. Schon vor einigen Jahrzehnten bemühten fich zwei Arbeiten um die Unterfuchung der Drydenfchen Fabeln im Verhältnis zu ihren Quellen. Die jüngere Arbeit, eine Züricher Diilertation aus dem Jahre 1903, gelangt allerdings in fehr einfeitiger Frageftellung zu für Dryden höchft ungünftigen ErgebnifTen, indem fie dem Reftaurationsdiditer fogar das Recht abfpricht, an den Vorlagen außer in fprachlidier Beziehung überhaupt Änderungen vorzunehmen (St. 1 5 3 ) und diefe daher als „ungerechtfertigte Vcrftümmelung" (St. 17$) bezeichnet. Rzesnitzeks faft ausfchließlich ftofflich-inhaltliche Unterfuchung geht, die Chaucerfche Dichtung als gegebene Norm hinftellend, von der Frage aus: Bedeuten Drydens Bearbeitungen eine Verfchlechterung oder VerbeiTerung des Urtextes? Doch ift es wohl nicht mehr die Aufgabe der Literaturgefchichte, zu urteilen, ob eine Dichtung beiTer oder fchlechter ift als die andere, zu richten im Hochmut eines fchiedsriditerlichen Standpunktes, zu loben und zu verdammen (vgl. Anm. St. 9, 22, 66, u. a.). Vielmehr heißt es doch, demütig und dienend die deutlicheren und leiferen Eigenheiten und Befonderheiten des Drydenfchen Werkes an Hand der Vorlage zu erfailen und zugleich in ihre tieferen geiftigen Zufammenhänge und Gründe zurückzuführen, aus denen alle Lebensäußerungen letzten Endes immer wieder auffteigen. Ruhiger und damit gerechter fteht Schoepke in der älteren Unterfuchung (Anglia II. und III.) den beiden Dichtern gegenüber. Dodi auch er geht von Chaucers Gedichten aus, die er als gegeben betrachtet, um nach ihnen 1. „Veränderungen", 2. „Weglaifungen" und 3. „Einfchiebungen" gründlich und etwas äußerlich zu konftatieren. Zu f a f t gleichen ErgebnifTen gelangt Williams in der 5

Unterfudiung der Erzählung: "Palamon and Arcite". Eben darum jedoch, weil es fidi, wie Sdioepke feftftellt, um „freie, im Geifte ihrer Zeit ausgeführte Übertragungen", weil es fich überhaupt nicht fo fehr um Übertragungen wie um Nach-, Um- und Neudichtungen handelt, muß eine Unterfuchung, die fich das Thema: „Drydens Fabeln und ihre Quellen" ftellt, die Reftaurationsdiditung als erfte, grundlegende Tatfache hinnehmen, von der aus dann eine ErfaiTung ihrer ganz befonderen Eigenart in Gehalt und Form durdi die Gegenüberftellung der verfchiedenen Werke allein möglich fein kann. U n d d i e f e d u r c h a u s n i c h t e i n f e i t i g e , f o n d e r n fehr problemreidie, vielfältige und vielfinnige E i g e n a r t des D r y d e n f d i e n W o r t k u n f t w e r k s , das über G e h a l t und F o r m h i n a u s z u m W e f e n s z u g des D i c h t e r s u n d w e i t e r f e i n e r Z e i t fich fteigert, herausz u f d i ä l e n u n d zu u m d e u t e n , w a r das Ziel der v o r liegenden Unterfuchung. Tiefer Dank gebührt meinem verehrten Lehrer, Herrn Profeffor Dr. W o 1 f f , der der Arbeit von Anfang an beratend zur Seite itand.

ü

1. Palamon and Arcite. Chaucer teilt feine Erzählung in vier Bücher ein, Dryden trennt fie dagegen in drei Abfchnitte und löft dadurch den in der Handlung fehr ichwachen dritten Teil auf, der bei Chaucer nur den Auftakt zum letzten Buch darilellt. Mit feiner neuen Einteilung rückt Dryden die drei Zufammenftöße zwifchen Palamon und Arcite in den Mittelpunkt des Gefchehens, indem er fie jeweils in den Rahmen zweier Szenen fpannt, fo daß fich folgendes Bild ergibt: I. Buch: Gefangenfchaft — Erfter Zufammenftoß zwifchen Palamon und Arcite — Arcites Aufenthalt in Theben. II. Buch: Flucht des Palamon — Zweiter Zufammenfloß — Befchreibung des Kampfplatzes. III. Buch: Einzug und Gebete — K a m p f zwifchen Palamon und Arcite — Thefeusrede.

I. Buch. Schon der Einfatz der Dichtung zeigt die verfchiedene Stilart des gotifchen Chaucer und des barocken Dryden. "Whilom, as olde stories teilen us, Ther was a due that highte Theseus; Of Atthenes he was lord and governour, And in his tyme swich a conquerour . . . " (Chaucer, V. 859 ff.) Die naive Urfprünglichkeit Chaücers nennt zuerft den Helden, feinen Namen und Wohnort, um dann, nachdem feine Geftalt äußerlich feft umriflen ift, auf feine Taten und feinen Ruhm überzugehen. Dryden übernimmt diefen Vorwurf, um ihn zu drehen 'und zu wenden: " I n days of old there lived, of mighty fame, A valiant Prince, and Theseus was his name; A chief, who more in feats of arms excelled, The rising nor the setting sun beheld. Of Athens he was lord; much land he won And added foreign countries to his crown." (Dryden, V. 1 ff.) 7

Zuerft die glänzende Ericheinung eines edlen Ritters: "of mighty fame, a valiant Prince", fo daß der Lefer unwillkürlich von der Frage weitergeriilcn wird: wer war dicier Krieger? Dryden antwortet: "Theseus was his name", um aber fofort umzufchlagen: " a chief, who more . . . " und in einer gewaltigen Geile: "the rising nor the setting sun . . ." die ganze Geftalt zu erfailen. Erft jetzt, nachdem der Held mitten in die Weite der Welt, zwifchen ihre beiden Pole geftellt ift, endet Dryden mit den Worten: "of Athens he was lord . . . " und ichließt fo mit kühnem Bogen den Kreis des Bildes ab, führt in die Wirklichkeit zurück. Was bei Chaucer in einfacher, unbewußter Steigerung zur Höhe geführt wird, verwandelt fich bei Dryden fchon in diefen wenigen Zeilen zu einem bewußten Auf und Ab, zu einem gewollten Spiel mit der Form. " I n Scythia with the warrior Queen he strove, Whom first by force he conquered, then by love; He brought in triumph back the beauteous daine, With whom her sister, fair Emilia, came With honour to his home let Theseus ride, With Love to friend, and Fortune for his guide, And his victorious army at his side." (Dryden, V. 7 ff.) Chaucers Vorliebe für perfönliche Anmerkungen, wie hier: "that whilom was y-cleped Scithia" fchaltet Dryden ohne weiteres aus, fodaß in der Vorlage jetzt Eroberung und Heirat unmittelbar hintereinander fliehen. Doch verbindet Dryden die beiden Themen nicht mehr durch die einfache Gegenüberilellung wie Chaucer, er fügt nicht das Wort "weddede" hinzu, fondern gebraucht allein das Verbum to conquer und hat fo die Möglichkeit gefchaffen, eine geiftreiche Antithetik an die Stelle der Tatfachenerzählung zu fetzen. Dem Bericht, Thefeus führe die Amazonenkönigin als Gemahlin heim, fügt Dryden die Bemerkung an, audi deren Schweiler befinde (ich in der Begleitung. Dadurch, daß Dryden diefen Satz nicht wie Chaucer an das Ende bringt, vermeidet er einmal, den Vers allzufehr zu ifolieren, wie es bei Chaucer der Fall ift, auf der anderen Seite bietet fich Dryden jetzt die Gelegenheit, die Chaucerfchen Worte: "with muchel glorie . . ." in echt barockem Bewegungsprunk zu zwei Zeilen auszudehnen. Der Satz: die Liebe ift ihm hold, wird weitergeführt: nicht nur die Liebe, auch das Glück fchützt ihn, wobei die Antithetik noch verborgen liegt, denn Glück und Liebe ergänzen fidi wechfelfeitig, bis plötzlich das Wortfpiel offenbart: an feiner Seite fcRritt das Siegesheer. Das Liebesglück wandelt fich in Waffenglück. " I pass their warlike pomp, their proud array, Their shouts, their songs, their welcome on the w a y . " (Dryden, V. 14 f.) "Warlike pomp" und "proud array" find noch einfach nebeneinander geftellte, in ihrer Bedeutung gleichwertige Attribute, wie fie Chaucer auch gebraucht: "with victorie and with melodye", dann aber formt Dryden den gefchickt gefteigerten, plaftifch erfaßten Vers: "their 8

shouts, their songs . . ." (V. 15), aus den frohen Rufen werden freudige Lieder; ein Bild, das jedoch nicht zu einem noch höheren Zielpunkt hinführt, fondern umwendend fich fpiegelt in dem Willkommenstaumel des Volkes. " T h e Prince I mentioned, full of high renown, In this array drew near the Athenian town; When, in his pomp and utmost of his pride Marching, he chanced to cast his eye aside, And saw a quire of mourning dames, who lay By two and two across the common w a y . " (Dryden, V . 37 ff.) Dryden gebraucht in feiner „Vorrede zu den Fabeln" von Chaucer das Bild eines ungefchliffenen Diamanten. Wie das zu verftehen ift, wird deutlich, beachtet man, wie die naiv berichtenden Zeilen der Vorlage unter Drydens Hand ein ganz anderes Gefleht erhalten. Aus dem Satz: "he caste his eye aside" wird ein: "he chanced to cast . . .", die einfache Ausfage verwandelt fleh in überrafchende Bewegung. Ganz deutlich wird jedoch der Stilunterfchied in den nächften Zeilen. Chaucer erzählt fofort, daß die Frauen knien, er be ichreibt ihre Stellung, hintereinander liegen fie zu zweien den Weg entlang, dann erft gibt Chaucer die Farbe des Bildes, die Frauen find fchwarz gekleidet. Dryden geht umgekehrt vor: Thefeus reitet heran, er erblickt zunächft nur die zufammengedrängte Schar von "mourning dames", die Atmofphäre ift gegeben, jetzt erfolgt die Bewegung, " w h o lay by two . . ." Die Frauen liegen nicht mehr hintereinander, fondern nebeneinander quer über den Weg. Aus der gerade emporfteigenden, gotifchen Linie ift das verfdilungene, barocke Liniengewirr geworden"'. "But swich a cry and swidi a wo they make That in this world nys creature lyvynge That herde swich another waymentynge." (Chaucer, V . 900 ff.) " A t his approach they raised a rueful cry, And beat their breasts, and held their hands on high, Creeping and crying, till they seized at last His courser's bridle and his feet embraced." (Dryden, V . 43 f.) Mit aller Macht fetzt Chaucer ein, aber feine Bilder find ohne Bewegung, fie verblallen fchließlich in ihrer Regungslofigkeit. Hier tritt der Bewegungsdrang, der Realismus des Barock in Dryden zutage. Sein erftes Wort ift nicht "but swich a cry", fondern in langfamem Anfteigen wächft die Zeile bis zu dem voll tönenden "rueful c r y " empor. In den nädiften zwei Verfen wendet Dryden genau die gleiche Technik an: Die Frauen fchlagen fich an die Bruft, dann erfolgt das Emporwerfen der Arme — fie kriechen auf dem Boden, *) Rzesnitzek fpridit hier, Dryden verkennend, von einer Änderung, kaum als eine VerbeiTerung angeiehen werden kann", a a. O. St. 25.

„die

9

dann heben fie flehend und fdireiend die K ö p f e zu ihm an. Die letzte Zeile bringt eine ähnliche Wendung, jetzt zur Abrundung in umgekehrter Bewegung: flehend fallen fie dem Pferde in die Zügel, dann finken de nieder, um die Füße des Königs zu küilen. Aus der Frage des Thefeus nach dem Grunde der Trauer, bei Chaucer eine Nebeneinanderftellung der einzelnen Abfchnitte, wird bei Dryden ein finnvolles Ineinander, indem die erfte Frage " T e i l me, what and whence you are" (die fchon im Gegenfatz zu den Worten " W h a t folk been y e " dem Ganzen eine andere Stimmung verleiht) und die letzte Bitte " N a m e your request . . fich gegenfeitig ergänzen und ausfüllen. " T h e eldeste lady of hem alle spak Whan she hadde swowned with a deedly cheere, That is was routhe for to seen and heere And seyde . . . " (Chaucer, V . 9 1 2 ff.) " T h e most in years of all the mourning train Began; but swounded first away for pain; Then scarce recovered spoke . . . " (Dryden, V . 55 ff.) Aus der einfachen Folge zweier Bildflächen werden bei Dryden drei plaftifche Szenen: A n f a t z — Stockung — Durchführung. Die Rede felbft zeigt Drydens ganze Verskunft in der fteten Bewegung und Gegenfätzlichkeit, Weiterführung und plötzlichen Wendung. " N o w help us, lord, sith it is in thy myght. I wrecche, whidi that wepe and waille thus Was whilom w y f to kyng Cappaneus, That starf at Thebes; cursed be that d a y . " (Chaucer, V . 930 ff.) "Relieve the oppressed, and wipe the widows' tears. I, wretched I, have other fortune seen, The wife of Capaneus, and once a Queen; At Thebes he fell; cursed be the fatal d a y ! " (Dryden, V . 74.) Das wichtigfte Wort in diefem Abichnitt ift der Name „Theben", er ichließt alle Verwicklungen in iich ein. Mit einem etwas gewaltiamen Sprung geht Chaucer von dem allgemeinen Hilferuf zu der Zeile " I wrecdie . . . " über, von der Frau kommt er unmittelbar auf den König Capaneus, der in Theben ftarb. Was tut Dryden? Von dem Wort " w i d o w s " aus ift ein leichter Ubergang geichaffen zu einer einzelnen, der Sprecherin, der Frau des Capaneus; hier aber ftockt Dryden. Noch fällt der Name Theben nicht, das Augenmerk wird noch einmal auf die Witwe geleitet: "Once a Queen!", und dann fetzt mit einem ungeheuren Bruch ein: " A t Thebes he fell", nicht etwa das weit fdiwächere: " T h a t starf at Thebes." Nicht nur die Satzftellung, audi der verfchiedene Wortgebrauch ift charakteriftifch f ü r die unterfchiedliche Versbehandlung. Statt " s t a r f " heißt es vorausdeutend auf die Erzählung " f e i l " , ftatt " d a y " wird " f a t a l d a y " gefetzt, das fchwere " t h a t " ausgeladen und 10

ftattdeflen der einfache Artikel verwendet, der die Wucht des " f a t a l d a y " felber nicht mehr durch das eigene Gewicht beeinträchtigt. Ebenfo fällt das " t h a t " am Anfang fort, zwiichen den beiden bedeutungsfchweren Worten "Thebes" und " f e i l " kann nur das kurze, gleitende " h e " ftehen. "But Creon, old and impious, who commands The Theban city, and usurps the lands, Denies the rites of funeral fires to those Whose breathless bodies yet he calls his foes. Unburned, unburied, on a heap they lie; Such is their fate, and such his tyranny; N o friend has leave to bear away the dead, But with their lifeless limbs his hounds are fed." (Dryden, V . 81 ff.) Aus der langatmigen, paufenlofen Erzählung Chaucers fchafft Dryden einen genau gegliederten, feilen Abfdinitt, ohne jene von Chaucer gern angewandten Ausrufe, wie " w e y l a w a y " oder "alias". Von Creon ausgehend, der einmal durch den konkreten Begriff des Thebanerkönigs gezeichnet wird, dann mehr abftrakt als Landeroberer, gelangt Dryden fdion in der dritten Zeile zum eigentlichen Mittelpunkt, um diefen nun in vielfachen Wendungen zu variieren und zu umfallen, ganz im Gegeniatz zu Chaucer, der eril im vorletzten Abfchnitt in echt gotifchem Aufbau zu den Worten: "neither to been y-buryed nor y-brent" (V. 946) kommt. Mit der fünften Zeile beginnt die erfte Abwandlung des Themas in dreifacher Ausmalung. In der fechften erfolgt die Rückführung auf die beiden Themen: a) die erfchlagenen Helden, b) der graufame König. Darauf fetzt die zweite Abwandlung ein, gefteigert, denn vorher lagen die Helden tot auf dem Felde, jetzt wird der Wille der Freunde, fie fortzutragen, gewaltfam unterdrückt. Ebenfo wie oben erfolgt in der letzten Zeile eine Rückführung von den Helden zu Creon, mit dem die Strophe begann, aber nicht mehr in äußerlicher Gegenüberftellung der beiden Pole: "such is their fate, and such his tyranny", fondern zu einem Einzigen verfchmolzen, droht die innere Antithefe den Satz f a l l zu fprengen und macht fich Lufr in der ungeheuren Wucht der Silben: "But with their lifeless limbs . . . " Bei Chaucer erfolgt nach einem Übergang von zwei Zeilen fofort eine neue direkte Rede, Dryden aber läßt die Wirkung feiner Verfe langfam ausklingen, dadurch wieder ein weitbewegtes Bild f chaffend: " A t this she shrieked aloud; the mournful train Echoed her grief, and grovelling on the plain, With groans, and hands up held . . . T h e Prince was touched, his tears began to flow, And, as his tender heart would break in two, He sighed; and could not but their fate deplore, 11

So wretched now, so fortunate before. Then lightly from his lofty steed he flew, And raising one by one the suppliant crew, T o comfort each, full solemnly he swore, That by the faith which knights to knighthood bore. And whate'er else to chivalry belongs, He would not cease, till he revenged their wrongs!" (Dryden, V . 89 ff.) Der Aufbau dieies Abfchnitts, bei Chaucer unklar, id genau durchgeführt. Bis zur vierten Zeile ein ruhiges Dahinfließen der Verfe; die Antithetik "so wretched now, so fortunate before" (bei Chaucer fchon vorhanden, aber nicht fo wirkungsvoll infolge der Ausdehnung auf zwei Zeilen) fcheint den König gleichfam aus feinen Gedanken zu reißen, denn von der fünften Zeile an werden die Verfe plötzlich lebhaft. Das Wort "lightly" (bei Chaucer fehlend) ift hier von tragender Bedeutung einmal f ü r den Wechfel des Rhythmus, ar.de rerfeits als Charakterifierungsmittel für das Kavaliertum der Reftaurationszeit in feiner fprudelnden Lebendigkeit, die nun durch die Verfe jagt: "that by the faith . . ." " A l l day he marched, and all the ensuing night, And saw the city with returning light." (Dryden, V . 1 2 1 f.) Diefe Zeilen hat Dryden weientlich geändert. Bei Chaucer reitet der König, bei Dryden marfchiert er, Symbol für den Marfchtritt des gefamten Heeres. Die Zeitangabe fehlt bei Chaucer gänzlich, es heißt nur: "til that he cam to Thebes" (V. 983), Dryden aber macht eine gefchickte dreiteilige Steigerung daraus: der Satz: er marfchierte den ganzen Tag, wird überhöht: und die ganze folgende Nacht; fchließlich weiter ausgebaut (mit Rückführung auf das Thema des erften Teils: " d a y " , jetzt als "light"): Thefeus fieht die Stadt vor fidi liegen; nicht daß er etwa Theben fchon erreicht, wie bei Chaucer, Dryden wählt den Moment des barocken Kontrapofts, den Augenblick der höchften Spannung. " H o w Theseus conquered, and how Creon fell; Or after, how by storm the walls were won, Or how the victor sacked and burned the town." (Dryden, V . 124 ff.) Dreiteilung ift das Wefen der Drydenfchen Antithetik, die fich nicht genug tun kann in dem Spielenlaffen von Polen und Gegenpolen: „Thefeus erobert" die Thefe, „Creon f ä l l t " die Antithefe. Beide werden Verfehlungen in der nächften Zeile, doch die Vereinigung ift nur fcheinbar, fchon der nächfte Vers bringt die Auflöfung; nun aber abgewandelt und verftärkt, ftehen fich nicht mehr Thefe und Antithefe der erften Zeile, fondern Thefe der erften und gefamte Antithefe der zweiten Zeile, die gefetzt war als Gegenfpiel gegen die erfte Zeile, hart gegenüber. Deutlich wird die dreifache Steigerung audi an der nächften Strophe, die bei Chaucer heißt: 12

Dry den:

" T h e grete clamour and the waymentynge That the ladyes made at the brennynge Of the bodies . . ." (Chaucer, V . 995 ff.)

" I spare the widow's tears, their woful cries, And howling at their husbands' obsequies." (Dryden, V . 1 3 1 f.) Die Verfchnörkelung und Malerei des Themas fdieint im erften Augenblick willkürlich, fo frei und ungehindert entwickelt (ich eines aus dem anderen, im Gegenfatz zu Chaucer, wo "clamour" und "waymentynge" auf einer Linie ftehen. Aus den Tränen der Witwen werden Schreie; Barock indeilen heißt Uberfluß, "cries" allein genügt nicht, das Attribut " w o f u l " muß hinzutreten. Auch hier ift wieder im Vergleich zu Chaucer die Wortwahl bezeichnend: Dryden benutzt das malerifche " w o f u l " , Chaucer das nichtsfagende "grete" und bringt es dann in den erften Teil, nicht wie Dryden in die Steigerung! Bis hierher fdieint der Dryden fdie Vers reine Spielerei, ein reiner Prunk der Geftaltung; nun aber wird aus diefer Vielfalt des Ausdrucks Maß und Ordnung, denn die zweite Zeile bringt, noch finnlidier, noch naturaliftiicher durch das "howling", als letztes Wort Ziel und zugleich Bafis der ganzen Strophe. Was fcheinbar ins Maßlofe auseinanderzubiegen drohte, findet fchließlich feine Synthefe und Einheit. Meifterhaft ift Drydens Bild von der Auffindung der Brüder Palamon und Arcite, die ihrem genauen Verwandtfchaftsgrad nach eigentlich Vettern find. Chaucer gebraucht hier fechzehn Zeilen, während Dryden zweiundzwanzig benötigt, um die malerifchen Möglichkeiten des Stoffes voll entfalten und auskoften zu können. "There, in a heap of slain, among the rest T w o youthful knights they found beneath a load oppressed Of slaughtered foes, whom first to death they sent, The trophies of their strength, a bloody monument. Both fair, and both of royal blood they seemed, Whom kinsmen to the crown the heralds deemed, That day in equal arms they fought for fame; Their swords, their shields, their surcoats were the same: Close by each other laid they pressed the ground, Their manly bosoms pierced with many a grisly wound; N o r well alive nor wholly dead they were, But some faint signs of feeble life appear; The wandering breath was on the wing to part, Weak was the pulse, and hardly heaved the heart. These two were sisters' sons; and Arcite one, Much famed in fields, with valiant Palamon. From these their costly arms the spoilers rent, And softly both conveyed to Theseus' tent: Whom, known of Creon's line and cured with care, He to his city sent as prisoners of the war;

Hopeless of ransom, and condemned to lie In durance, doomed a lingering death to die." (Dryden, V . 1 4 1 ff.) Dryden fetzt ein mit der Befchreibung der zwei Helden, ihre Tapferkeit aber beginnt er nicht wie Chaucer zu fchildern: "thurghgirt with many a grevous, blody wounde . . . . " (V. 1 0 1 0 ) , fondern läßt fie in echt barocker Manier (ich in den erfchlagenen Gegnern fpiegeln; das Thema ergänzend und erhöhend, werden die Toten zum Monument der Brüder! Jetzt hat Dryden die Atmofphäre gefchaffen, fofort geht er zu den Brüdern felbft über, auf Seitenwegen gelangt er zum Höhepunkt: die fünfte und fechfte Zeile künden ihre gemeiniame gefellfdiaftlidie Stellung, die fiebente Zeile betont die Gemein famkeit ihrer Waffen, in der aditen gleichfam ein Stocken in der dreifachen Uberhöhung des Vorhergefagten; und dann erft, in der neunten Zeile, (bei Chaucer in der dritten!) der Gipfelpunkt: "close by each other laid they pressed the ground". Ein lang fames Ausklingen in den beiden folgenden Zeilen, um dann mit den Worten: " B u t some faint signs of feeble life appear" wieder anzuwachfen zu den wundervollen Verfen: " T h e wandering breath was on the wing to part, Weak was the pulse, and hardly heaved the heart." Bei genauer Betrachtung ergibt fich f ü r diefen Abfchnitt folgendes Bild: insgefamt find es zweiundzwanzig Zeilen, ein Aufgefang in acht Verfen, Mittel- und Höhepunkt in fedis, der Abgefahg wiederum in acht Verfen. Der Mittelpunkt wird alfo umrahmt von dem Atmofphäre fchaffenden Aufgefang und dem gewiilermaßen das Tatfächliche gebenden Abgefang. Ein Beweis ift es z. B., daß Chaucer, dem diefes heimliche Spiel mit der Form natürlich nicht eignet, die Namen der beiden Brüder fchon im fünften und fechften Vers diefes Abfdinittes angibt, Dryden aber genau zu Beginn des nadigewiefenen Abgefanges. "This done, he marched away with warlike sound"', And to his Athens turned with laurels crowned, Where happy long he lived, much loved, and more renowned. But in a tower, and never to be loosed, The woful captive kinsmen are enclosed." (Dryden, V . 163 ff.) Chaucer braucht für den gleichen Abfdinitt acht Zeilen, Dryden nur f ü n f , deren erfte beiden das Glück des Königs befchreiben, deren letzte beiden das Unglück der Brüder fchildern. Genau in der Mitte fteht das Wort "much loved", dem dann bereits das fpitze "more renowned" folgt, als Ubergang zu der auch in der Lautmalerei und Wortwahl weit dunkleren Strophenhälfte. *) R z e s n i t z e k bemerkt hier: „ T h r f e u s " R ü c k z u g mit K r i e g s m u f i k ftatt." a. a. O . S t . 2 7 .

14

findet

bei D r y d e n

natürlidi

Eine wundervolle Gelegenheit zur Einietzung feines ganzen Könnens bietet fich Dryden in dem Frühlingsgedicht. Die Vorlage umfaßt dreiundzwanzig Zeilen, Dryden erweitert fie um zehn Zeilen. Im Anfang (Ich noch eng an Chaucer haltend, läßt er von den Verfen: "Each gentle breast . . . " (V. 178) ab leine eigene Phantafie ipielen, der Ton ändert fich fofort, Bewegung und Klarheit, iüdlicher Frühling und füdliche Sonne, Flattern des Haares im Winde, Aurora am purpurfarbenen Himmel, all das liegt gewiß bei Chaucer fchon zwifchen den Zeilen, bleibt indeilen noch unausgefprochen, Drydens Meifterfchaft erft findet die Worte, die in ihrer Farbenfülle, ihrer Leichtigkeit und Grazie das barocke Bild erftehen laflen. " A t every turn she made a little stand, And thrust among the thorns her lily hand T o draw the rose; and every rose she drew, She shook the stalk, and brushed away the dew." (Dryden, V. 191 ff.) Diefe Szene fehlt bei Chaucer ganz, köftlich in der Unmittelbarkeit der Bewegung, in dem fließenden Ineinander der einzelnen Gebärden. " A n d as an aungel hevenysshly she soong" (V. 105$) heißt es bei Chaucer. Was macht Dryden daraus? " T h i s done, she sung and carolled out so clear, That men and angels might rejoice to hear; Even wondering Philomel forgot to sing And learned from her to welcome in the spring." (Dryden, V . 197 ff.) In feiner gewohnten dreiteiligen Antithetik läßt er das Thema der erften Zeile in der zweiten fich ipiegeln, dann aber führt Dryden Philomel ein; überfteigert hört diefer nicht nur zu wie die Menfchen und Engel, fondern vergißt über dem Gefang der Emilia den eigenen! Die folgende Turmfzene ift ein Meifterftück feelifcher Durchdringung des Stoffes. Fail doppelt fo viele Zeilen als Chaucer benötigt hier Dryden, um Stufe für Stufe langfam zum Höhepunkt zu gelangen. Zuerft fleht Palamon haßerfüllt von feinem Turmfenfter aus über die Zinnen und Türme der Stadt: " H e sighed, and turned his eyes, because he knew T w a s but a larger jail he had in view." (Dryden, V . 216 f.) Dann wandert fein Blick hinunter zu den Gärten, die ihm zu Füßen liegen. Den H a ß gegen die Feinde wendet er gegen fich felbft: "Himself an object of the public scorn And often wished he never had been born." (Dryden, V . 22J f.) Auf und ab geht er im Turmzimmer, fchließlich fällt fein Blick durch ein kleines Fenfter auf Emilia. Der ganze Rhythmus ift plötzlich aufgewühlt, die fcharfen Zifchlaute der erften Zeile zucken wie Blitze; stung, struck, started ftehen jedesmal als Ausdruck der explofiven Erregung am Anfang der folgenden drei Zeilen; fchließlich erfolgt die Löfung in dem grellen Auffchrei der Vokale: "cried 15

aloud" (V. 236). Dieie vier Zeilen offenbaren die unglaubliche Wortkunft, mit der Dryden zu arbeiten gewohnt ift, ohne, was dieie Stelle feiner Uberfetzung anbetrifft, auch nur das kleinfte Vorbild bei Chaucer zu haben. Der Autor der Canterbury-Tales fagt in fehr konventioneller Weife: " H e cast his eyen upon Emelya A n d therwithal he bleynte and cride: A ! " (Chaucer, V . 1078 f.) Palamon ift von Emiliens Erfcheinung völlig verzaubert: " A glance of some new goddess gave the wound, Whom, like Actaeon, unaware I found." (Dryden, V . 2$7 f.) Chaucers Satz: " T h e fairnesse of that lady that I see" (V. 1098) läßt Dryden ohne weiteres fort, Emilia ift f ü r Palamon kein irdifches Wefen, alio ift es unmöglich, von einer „ l a d y " zu fprechen. StattdelTen führt Dryden antike Geftalten ein, während fleh Chaucer mit der Anführung der Liebesgöttin begnügt. In den Verfen, in denen Arcite Emilia erblickt und gleichfalls in Liebe zu ihr entbrennt, hält fich Dryden eng an Chaucer, nur hier und da mit einem leichten Pinfelftrich aufhellend, mit einem fdiwungvollen Nachziehen der Konturen den Geftalten eine deutlichere Prägung verleihend: Chaucer: " A n d with that sighte her beautee hurte him so . . . " (V. 1 1 1 4 . ) Dryden: " A n d deep within his heart infixed the wound . . . " (V. 273.) Chaucer: " A n d with a sigh he seyde pitously . . . " (V. 1 1 1 7 . ) Dryden: " T h e n from his inmost soul he sighed, and said . . . " (V. 276.) Der folgende Abfchnitt gehört mit zu den fchönften Beifpielen barocker Verskunft. Die gleich lange Vorlage verbleibt im fachlichen Bericht, mit dem Schlußwort: "ther is namoore to seye" (V. 1 1 2 2 ) die Chaucer eigentümliche Formel anwendend. Hier fetzt Dryden ein, um ohne weitfchweifige Schnörkel ein gerade in der Befchränkung und Konzentration ganz großes Seelengemälde zu geben: " T h e beauty I behold has struck me dead: Unknowingly she strikes, and kills by chance; Poison is in her eyes, and death in every glance. Oh, I must ask; nor ask alone, but move H e r mind to mercy, or must die for love." (Dryden, V . 276 ff.) Die gedankliche Antithetik fpielt mit den Polen Liebe und Tod. Abgewandelt, verftärkt und wiederholt in den verfchiedenften Ausdrücken: beauty — dead, poison — eye, death — glance, mercy — die. Die erfte Zeile gibt ein Hauptthema und ein Seitenthema: Liebe und T o d — Plötzlichkeit. In der zweiten Zeile wird nicht etwa das Haupt-, fondern das Seitenthema aufgenommen, und erweitert: 16

"unknowingly she strikes", verftärkt und zugleich zum Hauptthema hingeführt: "kills by chance". Dieies Thema wird in der dritten Zeile, dem Höhepunkt, durchgeführt, in doppelter Polarität: poisoneyes, erweitert und ins Unendliche gebracht: death — every glance. Und nun fetzt in einer unglaublichen Bewegtheit von Spiel und Gegenipiel das Finale ein: " I must a s k " ; verneint: "nor ask alone"; polarifiert: "but move her mind to mercy"; umgewendet: " o r must die for love". Es folgt das berühmte Streitgefpräch zwifchen Palamon und Arcite, bei Chaucer vierunddreißig, bei Dryden vierzig Zeilen lang. Die Dreiteilung des Themas bringt fchon Chaucer: Verehrung — Leidenfchaft; Liebe — Gefetz; Liebe — Wirklichkeit. Im erften und dritten Teil überfetzt Dryden verhältnismäßig genau, nur kann er es fich natürlidi nicht verfagen, als Dichter der Reftauration die Verfe: " T h y n is affeccioun of hoolynesse, A n d myn is love as to a creature" (Chaucer, V . 1 1 5 8 f.) abzuändern in: " T h i n e was devotion to the blest above, I saw the woman, and desired her love." (Dryden, V . 3 1 9 f.) Das vorfichtigere und harmlofere "as to a creature" weicht, um den weit eindeutigeren Worten "desire" und " w o m a n " Platz zu machen. Am wichtigften indeffen ift der mittlere Teil, der Liebe und Gefetz gegenüberftellt. Dem Staatsmann und Menfdien Dryden, dauernd in politifche Angelegenheiten verwickelt, bietet (ich hier eine günftige Gelegenheit, in geiftreicher Tändelei feine Gedanken fpielen zu lallen. Zugleich offenbart fich der Ariftokrat, der Verächter der Maffe wie der Tyrannen: " L a w s f o r defence of civil rights are placed, Love throws the fences down, and makes a general waste." (Dryden, V . 333 f.) Echt barock ift die Zweideutigkeit, die Dryden hier in die Verfe legt; es befteht die Möglichkeit, love ebenfofehr mit Liebe wie mit Fanatismus und Willkür zu über fetzen, denn love fteht antithetifch law gegenüber, während Chaucer die Liebe als Steigerung des Gefetzes und doch als Gefetz erfaßt. Die Möglichkeit, einen Hinterfinn hinter dem eigentlichen Sinn zu fuchen, gibt es f ü r Chaucer in diefer Art wohl noch nicht. Wenn er fagt: "love is a gretter lawe", fo ift der Satz in feiner abfoluten Geradheit aufzufallen und zu deuten. Diefe Geradheit und Offenheit führt bei Chaucer auf der anderen Seite zu einem manchmal etwas plötzlichen Sturz aus der Illufion, bei dem allerdings die Frage, wie weit er nodi naiv oder doch fchon ganz bewußte Formrede ift, durchaus offen fteht. "Great was the strif, and long, bitwix hem tweye, If that I hadde leyser for to seye." (Chaucer, V . 1 1 8 7 f.) 17

Die edit epifchen Randbemerkungen, die in den Rahmen der Canterbury-Novellen als eigenwilliges Geftaltungselement fich glänzend einfügen und in ähnlicher Art bei Chaucer immer und nicht nur in den „ T a l e s " fich wiederholen, waren f ü r Drydens kurze Verserzählungen weniger brauchbar, wenn fie auch manchmal als Mittel zur epifchen Diftanz von Dryden verwandt werden. Nimmt er im Anfang feiner Uberfetzung diefe ganz perfönlichen Bemerkungen noch öfters mit, läßt er fie mit dem Fortfchreiten der Arbeit immer mehr bei feite und gibt ftattdellen wie hier ein bewegungsreiches, gebärdenerfülltes Bild: "Great was their strife, which hourly was renewed, Till each with mortal hate his rival viewed: N o w friends no more, nor walking hand in hand; But when they met, they made a surly stand, And glared like angry lions as they passed, And wished that every look might be their last." (Dryden, V . 3 J 2 ff.) Arcite wird durch die Fürfpradie eines Freundes von Thefeus begnadigt. Er foil in feine Heimat zurückkehren und fo zugleich Emilia nicht mehr täglich fehen dürfen. Die Klagerede ift im wefentlidien von Chaucer bereits gegeben, nur zuweilen wirft Dryden Glanzftücke feiner Verskunft mit leichter Handbewegung hinein: "Heaven is not but where Emily abides, And where she's absent, all is hell besides." (Dryden, V. 389 f.) " T h e n farewell youth, and all the joys that dwell With youth and life, and life itself, farewell!" (Dryden, V . 418 f.) Barock heißt ewige Spannung, ewige Uberfteigerung, ein beftändiges Hin und Her in quälender Bipolarität. Das Gefühl des Barock verftrömt fich in unendlichem Spiel, und der Verftand des Barock treibt diefes Spiel bis zu den letzten Grenzen, da das Spielerifche wieder in das Starre umzufchlagen droht. "Some pray for riches; riches they obtain; But, watched by robbers, for their wealth are slain" (Dryden, V . 424—425) heißt es bei Dryden nach der Vorlage: "Som man desireth for to han ridiesse, That cause is of his moerdre, or greet siknesse" (Chaucer, V . 1255 — 1 2 5 6 ) und hinter der f a i l maniriert glatten, gläfern klaren Form der Drydenfchen Verfe tobt der Gegenfatz aller Lebenskräfte, wiederum beruhigt und im Gleichgewicht gehalten auf der Waage des Couplets durch das ichmale, leife zitternde Zeigerzünglein "but". 18

"Some pray from prison to be freed; and come, When guilty of their vows, to fall at home; Murdered by those they trusted with their life, A favoured servant or a bosom w i f e . " (Dryden, V . 426—429.) " A n d som man wolde out of his prisoun fayn, That in his hous is of his meynee slayn." (Chaucer, V . 1 2 5 7 — 1 2 5 8 . ) Auch diefe Verfe zeigen bei Chaucer die einfache Gegenüberfldlung und bei Dryden das völlige Zuendegehcn in den Gegenfätzen und Zugrundegehen an den Gegenfätzen, die im letzten Couplet fymbolhaft am Eingang und Ende flehen, es eröffnen und fchließen: murdered — bosom wife. In "infinite harmes" offenbart fidi das Wefen der Welt, fagt Chaucer offen (V. 1259), Dryden jedoch verdeckt fich und fpricht von "dear-bought blessings" (V. 430): er fpielt mit dem eigenen Schmerz; denn Barock fpielt noch mit dem Letzten und Schwerften, ift ein lächelndes Grauen und ein Grauen voll Lächeln. " W e seken faste after felicitee, But we goon wrong ful often, trewely. Thus may we seyen alle, and namely I, That wende and hadde a greet opinioun That if I myghte escapen from prisoun, Thanne hadde I been in joye and perfit heele, Ther now I am exiled fro my wele. Syn that I may nat seen you, Emelye, I nam but deed, there nys no remedye! (Chaucer, V . 1266—1274.) " T h u s all seek happiness; but few can find, For f a r the greater part of men are blind. This is my case, who thought our utmost good Was in one word of freedom understood: The fatal blessing came: from prison free, I starve abroad, and lose the sight of Emily." (Dryden, V . 436—441.) Dem ungehemmt expreffiven und expanfiven Element fieht in Dryden edit barock antithetifch die ganz in fich felbft konzentrierte Form des in zehn klaren Hammerfdilägen ertönenden Couplets entgegen. Chaucers neun Zeilen zwingt Dryden in drei Couplets, die von dem epigrammatifch geformten erden Couplet über den mittleren Zweizeiler der perfönlichen Mitteilung zum Schlußcouplet gelangen, das (in fich in lauter Antithefen gebrochen: fatal-blessing, prison-free) zwifchen dem eigentlichen Ergebnis, welches polar geteilt ift einmal in feiner Stellung am Anfang und Ende und zweitens in feiner zuerft abftrakten und dann konkreten Faffung, fchließlich in feinem Kern noch eine Antithefe trägt in der Gegenüberftellung von zweiter Couplethälfte der erften und erfter Couplethälfte der zweiten Zeile. 19

Maßlos überfteigerter und auch äußerlicher Barock, der eben Barock ift in feiner Verkrampftheit und Glätte, in diefem gläfern fpiegelnden Ausdruck tobender Verzweiflung, lebt auch in diefen Verfen: " H e swells with wrath; he makes outrageous moan; H e frets, he fumes, he stares, he stamps the ground"; und " T h e rage of jealousy then fired his soul, A n d his face kindled like a burning coal: N o w cold despair, succeeding in her stead, T o livid paleness turns the glowing red. His blood, scarce liquid, creeps within his veins, Like water which the freezing wind constrains." (Dryden, V . 445 f. und V . 464 ff.) Bevor die Verserzählung dazu übergeht, das Leben des befreiten und zugleich verbannten Arcitc zu beichreiben, offenbart Dryden noch einmal ein Kabinettftück feiner Kunft. Chaucer bringt hier fchon die einfache Gegenüberftellung der neuen Lebensverhältniile der beiden Brüder, damit aber kann Dryden fich nicht begnügen. " T h e lengthened night gave length of misery, Both to the captive lover and the free: For Palamon in endless prison mourns, A n d Arcite forfeits life if he returns; T h e banished never hopes his love to see N o r hopes the captive lord his liberty. 'Tis hard to say who suffers greater pains; One sees his love, but cannot break his chains; One free, and all his motions uncontrolled, Beholds whate'er he would but what he would behold." (Dryden, V . j o 6 ff.) Chaucer gibt eine kompakte, gewillermaßen maffive, gedrungene Antithetik, fie ift greifbar, liegt auf der Hand, alles ift in abfoluter Ruhe begründet (V. 1347 fr.). Das gleiche Thema wird bei Dryden zur bewegten Gefte, zum reinen Gebärden- und Sinnfpiel. Denn es handelt (ich nicht nur um eine bloße Erweiterung der antithetifdien Beifpiele, fondern um eine kunftvolle Verfchnörkelung immer desfelben Stoffes, zur fcheinbaren Unentwirrbarkeit hin, bis fchließlich alles in die klare Beftimmtheit der einfachen Polarität fich auflöft. Die erfte Zeile bringt in bewußtem Gegenfatz zu den folgenden keine Antithetik, fondern die überfinnliche Krönung des finnlichen Begriffs "lengthened night" durch den Begriff "length of misery". Die zweite Zeile, mit der erften noch verbunden, beginnt fchon das polare Thema anzufchlagen. Und nun hebt das Spiel an, einfetzend mit Palamon, übergehend zu Arcite; dann indeffen wird nicht etwa dasfelbe wiederholt, fondern gewendet: anknüpfend an Arcite, übergehend zu Palamon, endlich fich in der fiebenten wie oben in der zweiten Zeile wiederfindend. Der Schluß klingt langiam aus, mit 20

epigrammatiicher Kürze und einem darken Formwillen die ganze Spannung feiner malerifchen und in ihrer Nüchternheit wiederum f a i l mathematifchen Natur in die Dichtung zwingend. Arcite ift nach Theben zurückgekehrt. Chaucer, der hiermit fein zweites Buch eröffnet (vgl. o.), fchildert nun das Bild des mit fich und der Welt zerfallenen Ritters. Aber er geht in feiner Charakterifierung feiten über Konventionelles hinaus. Sein Arcite hat Liebesfchmerzen. Einen Menfchen in diefer Verfaflung zu umreißen, hat Chaucer einen ganz beftimmten Wortfehatz, den er hier anwendet: " F u l ofte a day he swelte and seyde, Alias!" (Chaucer, V. 1 3 56.) Chaucers " A l i a s " läßt Dryden in feiner Ueberfetzung fort, ebenfo den folgenden, epifch diflanzierenden Satz: " A n d shortly to concluden al his wo . . . " (V. 1358). Wie überhaupt Dryden aus den Andeutungen und Anfätzen, die Chaucer gewiß gibt, ein Bild des leidenden Menfchen erflehen läßt, das erfüllt ift von Realismus und naturaliftifcher Aktualität. " D r y sorrow in his stupid eyes appears . . . " (V. J24.) " H i s eyeballs in their hollow sockets sink, Bereft of sleep . . . " (V. 526 f.) " H e withers at his heart, and looks as wan As the pale spectre of a murdered man." (V. $28 f.) Das find Sätze, deren Anfchaulichkeit man erft ganz zu würdigen vermag, vergleicht man fie mit den betreffenden Stellen der Vorlage: " H i s eyen holwe, and grisly to biholde, His hewe falow, and pale as asshen colde . . . " (Chaucer, V . 1363 f.) Diefe Chaucer gegenüber neue Anfchaulichkeit wird deutlich auch in der Traum fzene, in der Hermes (bei Chaucer Merkur genannt) dem Arcite erfcheint: " A n d with that word Arcite wook and sterte . . . " ( V - 1 393.) heißt es bei Chaucer. Dryden kann diefe äußere Befchreibung nicht genügen; nicht allein, daß er diefe verflärkt, er gibt dem Bilde die eigentliche Plaflik erft durch die Befchreibung der f e e 1 i f ch e n E r g r i f f e n h e i t des Arcite in der nächften Zeile: "Against his bosom bounced his heaving heart." (V. 556.) Sehr wefentlich weichen die folgenden Zweizeiler voneinander ab: " A n d with that word he caughte a greet mirour And saugh, that chaunged was al his colour." (Chaucer, V . 1399 f.) " B y chance he spied a mirror, while he spoke, And gazing there beheld his altered look . . ." (Dryden, V . j 6 i f.) Bei Chaucer greift Arcite bewußt nach einem Spiegel, er fieht ein Geficht von "another kynde"; fofort kommt ihm der Gedanke, das in Athen auszunutzen. Dryden läßt indeffen Arcite in den Spiegel, der an der Wand hängen mag, nur zufällig blicken. Erftaunt fieht 21

der Ritter feine veränderten Züge (von einer Gemütsbewegung erfahren wir bei Chaucer gar nichts), dann aber fteigt in Arcite der Plan auf, deilen Mitteilung Dryden um der weit eindringlicheren Wirkung willen in die direkte Rede bringt, auch hier wieder in der ihm eigenen Steigerung beginnend:"' "Since I in Arcite cannot Arcite find, The world may search in vain with all their eyes, But never penetrate through this disguise." (Dryden, V. 566 ff.) Arcite tritt als Philoftratus in den Dienft des Königs The feus. Er übernimmt die niedrigften Dienfte, die er bei Chaucer ohne weiteres ausführt; Dryden jedoch erinnert leife daran, daß diefe Stellung dem edlen Jüngling eigentlich nicht zieme: "But from deep wells with engines water drew, And used his noble hands the wood to hew." (V. 587 f.) Der eindeutige, naive Geift Chaucers und der ewig zweifelnde, zynifdie Geift des Barockdichters tritt offen zutage, wenn Chaucer davon fpricht, daß Arcite fich Geld fchicken läßt, um ftandesgemäß zu leben, denn durch feinen rechtfchaffenen Dienft ift er inzwifchen zu einigem Anfehen gelangt: "But honestly and slyly he it spente That noman wondred how that he it hadde." (Chaucer, V . 1444 f.) Chaucer betont: "honestly" verfährt Arcite mit dem Gelde, das " s l y l y " bezieht fich nur auf die von Arcite beobachtete Vorficht, daß niemand feine wahre Perfon entdecke. Dryden aber kennt den Hof feiner Zeit, hat am eigenen Leibe Günftlingswirtfchaft, Korruption, Beftechung und Verleumdung höflicher Kreife erfahren müffen; fo ift es aus diefer Atmofphäre heraus nicht verwunderlich, wenn fein Arcite das ihm heimlich aus der Heimat zugewendete Geld benutzt, um fich Freunde und Ruf zu erkaufen. Chaucer verfichert, Arcite verwendet fein Geld "honestly"; Drydpn nennt das Tun feines Helden "well employed" (V. 605).

*) Rzesnitzek: „Drydens Z u f a t z ,By diance' und die Ausladung des Beiwortes entfpricht der Situation nicht, und die Änderung muß danach als eine verfehlte angefehen werden. Während Chaucer in der Erzählung f o r t f ä h r t , hält Dryden es für zweckmäßig, Arcit ein Selbftgefpräch halten zu lailen, in welchem er feine A b ficht, fidi zu verkleiden, kundgibt und wobei er in den Fehler des Wortgeklingels v e r f ä l l t . " a. a. O. St. 30.

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II. Buch. Das zweite Buch der Drydenfchen Verserzählung wird mit der Beitreibung von Palamons Elend eröffnet. Die Chaucerichen Verfe: " W h o koude ryme in Englyssh proprely His martirdom? For sothe it am nat I; Therfore I passe as lightly as I m a y " (Chauccr, V . 1459 ff.) läßt Dryden fort, um durch eines feiner gefchickten Bilder die ganze Antithetik feines Stils deutlich zu machen: " F o r six long years immured, the captive knight Had dragged his chains, and scarcely seen the light: Lost liberty and love at once he bore; His prison pained him much, his passion more: N o r dares he hope his fetters to remove, Nor ever wishes to be free from love." (Dryden, V. 2 ff.) Chaucer fetzt additiv eine Tatfache an die andere, bei Dryden iff eines die P o t e n z des anderen. Die erften beiden Zeilen geben den Einfatz, hier fchon antithetifch fidi pofitiv und negativ gegenüberftehend. Mit der dritten Zeile erfcheint das eigentliche Thema des Abfchnitts; und im felben Augenblick beginnt nun die Abwandlung über drei Verfe hinweg. Was im Hauptthema der dritten Zeile abftrakt gegeben wurde, wird konkret in "prison" und "passion" in der vierten Zeile gefaßt, zugleich erfolgt in der Form der zweiten Zeile die Gcgenüberftellung von negativer und pofitiver Seite. Die vierte Zeile bringt einerfeits die Abwandlung der vorhergehenden, andererfeits den pofitiven Pol gegenüber dem negativen der fünften und fechften Zeile. Drydens pompöfer Sprachftil ift auch im einzelnen zu erkennen, nicht nur antithetifch im Gefamtaufbau gedanklich zufammengehöriger Versabfchnitte. Der nächfte Vers heißt z. B. bei Chaucer: " I t fei that in the seventhe yer, in May . . . " (V. 1462). Die einfache, epifche Zeitorientierung „im fiebenten J a h r e " kann Dryden in diefer Form nicht gebrauchen, bei ihm wird aus der zweckbewußten Einführung ein tönender, felbftbewußter Schnörkel, niemals hohl, aber immer barock: " B u t when the sixth revolving year was run . . . " Daß es Dryden allein um die Schönheit diefes Verfes zu tun war, geht aus dem entfpredienden Reim hervor. Denn um ein Reimwort zu " r u n " zu haben, muß Dryden einen kleinen Kunftgriff anwenden und einen Satz einfehieben, der bei Chaucer überhaupt nicht fteht: "And May within the Twins received the sun"; auch diefe Gelegenheit wiederum zur Unterbringung feiner ailronomifchen Kenntniffe nicht unbenutzt vorübergehen laifend. Während Dryden auf der anderen Seite ihm überflüffig fcheinende Attribute wiederum ausläßt. "With nercotikes, and opie of Thebes f y n " (V. 1472) heißt es bei Chaucer; Dryden ichreibt: "with added store of opium." Und gerade durch diefe abfolute Befchrän23

kung auf das allein und unumgänglich Notwendige einer ieits, auf der anderen Seite durch die unbedingte Ausnutzung aller Möglichkeiten, durch die eine ftärkere Schattierung und Nuancierung zu erlangen ift, entfteht die Drydenfche barocke Spannung, die ein Bild wie das des fchlafenden Wächters (in den folgenden Zeilen) zu einer ungeahnten Wirklichkeitstreue fteigert, während bei Chaucer, fo lebhaft bei ihm manche Geilalten gefehen find — gerade im Vergleich zu Dryden tritt das befonders hervor —, alles fchwächer und alles Flache bleibt. Seine Figuren flehen mit harten, deutlichen Konturen holzfchnittartig vor uns, gedrungen und markig. Drydens Bilder aber haben Farbe, jedes Wort ift gefättigt in Gebärde: " T o his keeper this he brought, Who swallowed unaware the sleepy draught, And snored secure till morn, his senses bound In slumber, and in long oblivion drowned." (Dryden, V . 17 f.) Diefes Gebärden- und Bewegungsfpiel ift Dryden in jedem Wort eigen, fobald er fich nur von feiner Vorlage freimacht. " T h u s while his thoughts the lingering day beguile, T o gentle Arcite let us turn our style." (Dryden, V . 33 f.) Der erfte Vers fehlt bei Chaucer, ift auch nicht angedeutet, er ift Drydens eigenfte Schöpfung, denn bei Chaucer heißt es nur epifch fouverän (vgl. St. 1 7 ) : " N o w wol I turne to Arcite ageyn . . ." (V. 1488.) Aber gerade diefe kleinen Wendungen flüchtig hineingeftreuter Gedanken verleihen dem Dichtwerk erft feinen Wert. Hier z. B. ift in acht Worten die ganze Situation fchlagliditartig beleuchtet. Chaucers große Eingänge mit den unvergleichlichen Naturfchilderungen läßt Dryden in voller Erkenntnis ihrer Schönheit ehrfurchtsvoll flehen. " T h e bisy larke, messager of day, Salueth in her song the morwe gray, And firy Phebus riseth up so brighte, T h a t al the orient laugheth of the lighte, And with his stremes dryeth in the greves The silver dropes, hangynge on the leves." (Chaucer, V . 1491 ff.) Hier überfetzt Dryden genau, feine Einfügung " H e with his tepid rays the rose renews" (V. 4 1 ) mag aus dem Bedürfnis entftanden fein, dem Abfchnitt die gleiche Länge zu geben, wie er fie bei Chaucer befitzt. Dryden hatte ganz richtig gefühlt, daß der Ubergang zu dem fich anfchließenden Bericht fonft zu kurz geworden wäre. Manches indeflen verbleibt bei Chaucer in der erften Andeutung; das Mailied des Arcite ift bei ihm nur drei Zeilen lang und der letzte Vers: " I n hope that I som grene gete m a y " (V. 1 5 1 2 ) nicht befonders dichterifch. Drydens Lied wird Heben Zeilen länger, die 24

graziöfe Anmut der Feenwelt erklingt, Arcite ichreitet über blühende Wiefen wie freundlicher Schäfer und tändelnde Schäferin. " F o r thee, sweet month, the groves green liveries wear, If not the first, the fairest of the year . . . " (Dryden, V . j 3 f.) Drydens Eigenart beruht in jener höchften Spannung der Form einmal in der bewußten, dauernden Überfteigerung der Vorlage, die dann wiederum durch die Polarifation, durch die Antithetik zufammengehalten und zur Synthefe gebracht wird. " F u l little thought of him the gentle knight, Who flying death had there concealed his flight, In brakes and brambles hid, and shunning mortal sight; And less he knew him for his hated foe, But feared him as a man he did not k n o w . " (Dryden, V . 66 ff.) Wieder zeigt fidi das beftändige Drehen und Wenden des einen Gedankens, der aber doch nicht derfelbe bleibt, fondern immer neue Ausblicke gewährt und zu neuen hinführt. Die erfte Zeile gibt das Thema, die zweite fügt fich attributiv an, in fich felbft mit verfchiedenen Vorzeichen: "flying death" negativ, "concealed his flight" poiitiv. Die nächfte Zeile gibt die Erweiterung des gleichen Gedankens, wiederum mit verfchiedenen Vorzeichen, nur in anderer Reihenfolge: zuerft poiitiv, dann negativ. Wie fo o f t bei Dryden fteht die Antithetik in der Mitte des Abfchnitts unmittelbar nebeneinander in einer einzigen Zeile, während iie am Schluß (Ich gleichfam verfließend über zwei Zeilen ausdehnt, fo fchon im geänderten Rhythmus auf das Ende hinweifend. Die gleiche Erfcheinung auch hier in der fünften und fechften Zeile, w o die Antithetik beide V e r f e einnimmt, die Vorzeichen find zum zweiten Male geändert, jetzt wieder zuerft negativ, dann pofitiv. Es ergibt fich alio ein dreiteiliges Bild: i . Antithetik: negativ — pofitiv; 2. A.: pofitiv — negativ; 3. A.: negativ — pofitiv. Die Steigerung diefer Antithefen erfolgt folgendermaßen: 1. A.: abftrakt (Tod — Flucht); 2. A.: konkret (Verfteck — Menfchenantlitz); 3. A . : perfönlich (Arcite als Nebenbuhler — Arcite als Verfolger). " B u t on the sudden stopped and silent stood . . . " (Dryden, V . 79.) Alles, was die Unmittelbarkeit des Eindrucks ftören könnte, läßt Dryden aus, um auf diefe Weife um f o eindringlicher die Wirkungsk r a f t der Dichtung herausholen zu können. Die entfprechende Zeile heißt bei Chaucer: "Into a Studie he fil al sodeynly" (V. 1530). Diefer Vers hebt fich aus den anderen nicht durch befonderen Rhythmus hervor, Dryden aber ändert das Vermaß; wir haben fchon einmal gefehen, wie er in foldien Fällen gern den Stabreim verwendet, fo auch hier. Die fcharfen s und st wirken um fo greller, als fie zwifchen zwei Verfen ftehen, die durch eine auffallend weiche Klangfülle ("roundelay" und " o f t e n muse") ausgezeichnet find. 25

Die wundervollen Verie: " N o w high as heaven, and then low as hell, N o w up, now down, as buckets in a well" (Dryden, V . 81 f.) ftehen ähnlich bei Chaucer; ihre eigentliche Gewalt und ungeheure Spannweite aber erhalten Tie erft durch die Klarheit der Drydenfchen Formgebung. Es ift bezeichnend, daß Dryden das längere Verweilen Chaucers bei dem Venustag, dem Freitag, übergeht. Seine Kunft, die, wie wir oben andeuteten, auf die Geftaltung des Menfchen ausgeht, fleht ihre Aufgabe auf anderen Wegen. Den Beweis bringen die nächften vier Zeilen. Zwei V e r f e entiprechen ihnen bei Chaucer: " W h a n that Arcite had songe, he gan to sike, And sette hym doun withouten any moore." (V. 1J40 f.) Chaucer läßt Arcite fich „ohne weiteres" fetzen. Der Arcite des Barockmeifters aber f i n k t nieder, fein Antlitz hat fidi verfärbt, "altered hue"; Chaucer ichreibt: "he gan to sike", Dryden: "and from his bosom drew a desperate sigh, accusing Heaven and Fate." (V. 86 f.) W o hier die größere Geftaltungskraft zu fuchen ift, darüber kann kaum ein Zweifel herrfchen. Ein Glanzftück Dryden fcher Verskunft, das deutlich den Abftand zwifdien den beiden behandelten Dichtungen darlegt, ift; die Klagerede des Arcite. Immer wieder bleibt Chaucer in den erften Anfängen ftecken, was ichon kund wird durch das viermalige "alias", von denen Dryden keines in fein Werk übernimmt. Aus dem Chaucerfchen Satz: "Alias that day that I was bore!" (V. 1 J 4 2 ) wird bei Dryden ein in feiner Selbftzerfleifchung erfchütternder Fluch: "Cursed be the day when first I did appear; Let it be blotted from the calendar, Lest it pollute the month, and poison all the year." (Dryden, V . 89 ff.) Chaucer berichtet: " T h e blood roial of Cadme and Amphioun . . . " ; fein naiver Ausfpruch "Of his lynage am I, and his ofspryng . . ." (V. i j jo) wird von Dryden kunftvoll mit Arcite verbunden und gefteigert. Zu eigener Schöpfung entfchließt (ich Dryden auf dem Höhepunkt: "Fierce love has pierced me with his fiery dart, He fries within, and hisses at my heart. Your eyes, fair Emily, my fate pursue, I suffer for the rest, I die for you." (Dryden, V . 1 1 1 ff.) Vom Pfeil der Liebe fpricht fchon Chaucer, fein Diditertum aber hält o f t nicht durch; bei genauer Unterfudiung zeigt fich, daß feine Bilder zuweilen in Flachheit enden. Hier fetzte eben bewußt oder unbewußt Drydens felbftändige Arbeit ein. 26

Im Entwurf ift die Gegenrede des Palamon fchon bei Chaucer zu finden, die eigentliche F o r m gehört Dryden, lo der eindrucksvolle Vers: " A m here without my sword or pointed lance." Die letzte Zeile heißt bei Chaucer: "Chees which thou wolt, for thou shah nat asterte!" Dryden fetzt den Verfen gewiilermaßen die Krone auf, indem er an das Ende den ftolzen Ausruf bringt: " F o r I am Palamon, thy mortal f o e " , eine Zeile, deren Wirkung bei Chaucer gar nicht hervortritt, da fie (ich inmitten des Abfchnitts faft völlig verliert. Die eigentliche Antithetik des Abichnittes: "as false to me, so false thou art to him, who set thee free" (V. 1 3 3 ) findet fich bei Chaucer noch nicht. Der Unterfchied zwifchen Chaucers additiver u n d D r y d e n s m u 1 1 i p 1 a t i v e r T e ch n i k g e h t a u s F o l gendem hervor: " B y God, that sit above, Nere it that thou art sik and wood for love, And eek that thow no wepne hast in this place . . ." (Chaucer, V . 1599 ff.) Von einer Steigerung kann man hier kaum fpredien, denn Chaucer nimmt die eigentliche Höhe voraus und ergänzt dann nur nodi: „und auch, daß du . . ." " N o w , by the gods who govern heaven above, Wert thou not weak with hunger, mad with love, That word had been thy last . . ." (Dryden, V. 143 ff.) Dryden läßt eines aus dem anderen entliehen, ein Wort treibt das andere, das Bild "weak with hunger" wandelt fich zu größeren Ausmaßen: "mad with love", um dann in dem knappen "that word had been thy last" feinen Abichluß zu finden. Ähnlich verhält es fich mit dem Vers: "What, verray fool, thynk wel that love is f r e ! " (V. 1606). Chaucer ftellt einfach die pofitive Tatfadie auf, Dryden benötigt hier zwei Zeilen, um eine Antithetik zu bringen, die jedoch äußerlich bleibt, denn die erile Zeile fagt nur negativ, was die zweite pofitiv ausfpricht: "Fool, not to know that love endures no tie, And J o v e but laughs at lovers' perjury!" (Dryden, V . 148 f.) Die fcheinbare Antithetik ift in Wirklichkeit nichts als eine maßlofe Erweiterung des Irdifdien ins Metaphyfliehe, Göttliche. Zugleich wieder Zeugnis f ü r Drydens Belefenheit, der diefen Vers aus Tibull entlehnte. Ziemlich genau hat Dryden das Bild des thrazifchen Hirten übernommen, das den Zweikampf der beiden Brüder eröffnet. N u r ift charakteriftifch, daß Dryden den Chaucerfchen Verfen noch drei eigene anhängt: "This while he thinks, he lifts aloft his dart; A generous dullness seizes every part, The vains pour back the blood, and fortify the heart." (Dryden, V . 187 ff.) 27

Die Wiedergabe diefes Bildes der höchften Spannung konnte fich Dryden nicht entgehen lailen. Die Beichreibung des eigentlichen Kampfes bietet Dryden wieder eine willkommene Gelegenheit, all fein Können ungehindert zu entfalten. So ift es denn kein Wunder, daß diefer Abfchnitt bei ihm doppelt fo lang wird wie bei Chaucer. Ausdrücke wie "their eyes with f u r y burn" und "in dumb surliness" geben die Atmofphäre. Auf dem Höhepunkt feiner Schilderung ftellt Dryden einfach Verb neben Verb, wir beobachteten das fchon o f t : " T h e y lash, they foin, they pass, they strive to bore . . ." (V. 196). Am Ende läßt Dryden den fürchterlichen Kampf fich im Widerhall ipiegeln, auch ein Kunftgriff, den er gern anwendet, um auf diefe Weife ein w a h r h a f t plaftifches, abgerundetes Bild zu erhalten: "With grunts and groans the forest rings around" (V. 207). Die ganz eigentümliche Spannung des Barock, diefe Bipolarität begegnet uns auf Schritt und Tritt. Drydens Verfe, in denen Thefeus dem Kampf Einhalt gebietet, kennzeichnen die beftändige, bewußte Überbietung der Chaucerfchen Vorlage einerfeits und offenbaren auf der anderen Seite wieder jene Mäßigung und fichere Ordnung im Aufbau, in der Hinführung zum Höhepunkt. Schwerter, die bei Chaucer blank find, flammen bei Dryden wie Blitze; aus dem einfachen und ficherlich dramatifcheren " a n d at a stert he was bitwix hem t w o " (V. 170$) werden bei Dryden zwei Zeilen: " T h e minute ended that began the race, So soon he was betwixt them on the place." (Dryden, V . 2 j i f.) Aus „ m a y " wird „jolly m a y " , aus „bed" ein „easy couch", aus „grene" „lovely green", aus „hert" „royal hart". W o bei Chaucer keine Attribute flehen, fetzt Dryden fie hin; wo auch Chaucer fchon welche verwendet, werden fie von Dryden überboten und überfteigert. Auf der anderen Seite fteht die abfolute, genau berechnete Mäßigung, die mathematifche Genauigkeit und Sparfamkeit, mit der Dryden feine Ausdrucksmittel einzufetzen weiß. Chaucer ift knapper, dramatifcher, läßt Thefeus, kaum daß er die beiden Kämpfenden gefehen, mitten unter fie fprengen, läßt ihn im gleichen Augenblick in direkter Rede zu den Brüdern fprechen und begibt fich fo aller Steigerungsmöglichkeiten. Die Glätte und Flüffigkeit des Barockftils tritt hier wieder zutage. Dryden teilt den Vorgang in berichtende Erzählung und unmittelbare Rede. Man kann bezweifeln, ob die Szene dadurch an Anfchaulichkeit gewonnen hat, indeffen behält fich Dryden durch diefen Kunftgriff vor, die größte Wirkung, eben die unmittelbare Rede, erft am Schluß das Ganze fteigernd auszufpielen. Die Szene baut fich alio bei Chaucer folgendermaßen auf: 28

1. Erblicken der Kämpfer; 2. Trennen der Kämpfer; 3. Rede an die Kämpfer. Durch zwei Abwandlungen, die Beobachtung des Kampfes und die Unterfcheidung zwifchen indirektem Befehl und direkter Frage, werden bei Dryden aus drei Bewegungsmomenten fünf, die nun nicht mehr hart nebeneinander liehen, fondern einer aus dem anderen (ich langfam entwickeln. Den Mittelpunkt des ganzen Epos haben wir in der Rede des Palamon vor Thefeus und der Erwiderung des Königs zu erblicken. Mit einer großartigen Bewegung: "for look the world around" (V. 263) fetzt die Rede ein, in der Dryden fich verhältnismäßig eng an die Vorlage hält, nur daß bei Chaucer die naturrechtliche Berufung auf die Freiheit fehlt. Statt Zorn und Gnade flehen fich nun im Zeitalter der Aufklärung Vernunft und Leidenfchaft gegenüber, und diefe befonnen wägende Vernunft zieht nach (ich eine ganz eigentümliche Verhaltenheit und Ruhe, alles greift ineinander, der ruhige, beiinnliche Rhythmus der Verie, das langfame Gleiten der Geilalten und Szenen; fo heißt es auch jetzt: " H e paused a while, stood silent in his mood" (V. 328). Und auch die einzigartige Zeile: "Offence? Of what? To whom? Who judged the cause?" (V. 336), Symbol für die Verfunkenheit des Königs, ift einbezogen in das tiefe Gleichmaß der Verfe, das durch das Wort "thus pondering" (V. 340) fchon in Gehalt und Geilalt beflimmt ift. Großartig ift der Einiatz, mit dem Dryden die Thefeusrede des zweiten Buches eröffnet: "The power of Love In earth, and seas, and air, and heaven above, Rules, unresisted, with an awful nod, By daily miracles declared a god. He blinds the wise, gives eye-sight to the blind; And moulds and stamps anew the lover's mind." (Dryden, V. 3J0 ff.) In den letzten Zeilen befonders tritt der echte Dryden in feiner Polarität und Synthefe, in feiner Gegenüberftellung und Verbindung des Auseinanderftrebenden hervor. Die Rede felbft hat Dryden weder im Aufbau noch gedanklich wefentlich geändert. Ganz neu find lediglich zwei Zeilen: "The proverb holds, that to be wise and love, Is hardly granted to the gods above." (Dryden, V. 364 f.) Ob das Sprichwort bei Publius Syrus (vgl. Globe-Ed.) "amare et sapere, vix deo conceditur" oder "a deo conceditur" heißt, ift hier gleichgültig, genug, daß Dryden es aufnimmt. Die entfprechenden Verfe bei Chaucer lauten: "Who may been a fole, but if he love?" (V. 1799)29

Dryden führt noch weiter aus: "Lo! their obedience, and their monarch's pay! Yet, as in duty bound, they serve him on; And ask the fools, they think it wisely done; Nor ease nor wealth nor life it self regard, For 'tis their maxim, love is love's reward." (V. 369 ff.) Der König Thefeus ift für Dryden ein gleich unumfchränkter Herrfdier wie für Chaucer; und doch ift der Ton hier gedämpfter, der Klang feiner Rede ein ganz anderer: dort ein König mit feinen Lehnsleuten, hier ein König mit feinen Hofkavalieren. Bei Chaucer heißt es: " M y wyl is this, for plat conclusioun Withouten any repplicacioun . . ." (V. 1845 f.), während Dryden feinen König verbindlicher, feiner fprechen läßt: " N o w hear the award, and happy may it prove, T o her, and him, wo best deserves her love. Depart from hence in peace, and free as air, Search the wide world, and where you please repair." (Dryden, V. 403 ff.) Diefer Unterfdiied tritt auch am Ende hervor, wo Chaucers Thefeus feine Rede mit den Worten be ichließt: "And if you thynketh this is weel y-sayd, Seyeth youre avys and holdeth you apayd. This is youre ende and youre conclusioun" (Chaucer, V. 1867 ff.) während Dryden mit dem letzten Vers ein bewegtes Bild bringt: " I f both are satisfied with this accord, Swear by the laws of knighthood on my sword." (V. 424 f.) Das Echo, das des Königs weifer Schiedsspruch auslöft, ift von Dryden in einem ganz meifterhaften Abfchnitt geftaltet worden. Sein kunstvoller und finnreicher Aufbau ift völlig Drydens Werk. Die erften beiden Zeilen ftimmen noch mit Chaucer i. a. überein, die weitere Steigerung weicht von der Vorlage gänzlich ab. Bei Chaucer fieht Palamon jetzt fröhlich aus, und Arcite fpringt freudig empor. Bei Dryden aber, edit barock, gerät Palamon außer fidi vor Jubel, und der begeifterte Arcite fdieint den Himmel zu berühren (V. 427). Von den beiden Brüdern geht Dryden zu der Menge über, die auf die Knie fällt und ihren König preift. Hat Dryden fo den König und feine Begleitung umrifTen, dient der nächfte Satz dazu, den König mit den Brüdern zu verbinden; fdiließlich bleibt nur noch Emilia zurück, die Chaucer an diefer Stelle überhaupt nicht erwähnt, Dryden jedoch zu einer köftlichen Szene benutzt! "On Emily with equal ardour look, And from her eyes their inspiration took . . ." (Dryden, V. 432 f.) Endlich erfolgt mit den beiden nächften Zeilen der Ausklang, die Brüder kehren nach Theben zurück. 30

Chaucer geht nun zur Befdireibung des Kampffeldes über. Dryden fchließt iidi feiner Vorlage genau an, nur hier und da offenbart fich plötzlich d i e g a n z e W e f e n s v e r f c h i e d e n h e i t d e r D i c h t e r , w e n n S t a r r h e i t a u f e i n m a l in B e w e g u n g , S t a t i k in D y n a m i k f i c h w a n d e l t . "Estward ther stood a gate of marbul whit . . ." (V. 1893). "Eastward was built a gate of marble white . . ." (V. 448). Bei Chaucer fteht das Tor, bei Dryden wird es gebaut; das Chaucerfche "shortly to concluden" (V. 1895) läßt Dryden ganz fort, und wenn es bei Chaucer heißt: foldi einen Bau gab es ionft nirgends auf der Welt, io wird dieier Ausfprudi bei Dryden zur Aktivität, zur Bewegung gefteigert: „Rom fah io etwas noch nidit!" (V. 4 J i ) . Dieie Dynamik und ewige Flüffigkeit des Gefdiehenden, des Werdenden liegt auch in den Verien: "So rose within the compass of the year An age's work, a glorious theatre." (Dryden, V. 4$6 f.) Sie find eine Hinzufügung Drydens wie die beiden Zeilen: " A n altar stood below; on either hand A priest whit roses crowned, who held a myrtle wand." (Dryden, V. 460 f.) Wir fahen fchon, daß Dryden die epifch perfönlichen Bemerkungen Chaucers oft übergeht, fo auch jetzt: "But yet hadde I forgeten to devyse" (V. 1914), fie ftören, zu häufig verwandt, die Illufion und die künftlerifdie Wirkung der neuen „Fabeln", um deretwillen Dryden auch manchen fehr naiven Ausfpruch nicht in feine Überfetzung übernimmt; wenn Chaucer z. B. erzählt, der Tempel des Mars habe Thefeus viele Fuhren Gold gekoftet. In der Befdireibung des Venustempels entfaltet Dryden die ganze unerfdiöpfliche Pracht feiner Sprachkunft. Chaucer begnügt fich mit einer reinen Aufzählung, ohne den Verfuch einer plaftifdien Geftaltung zu wagen. Was bei Chaucer von der Statik gebunden ift, wird unter Drydens Hand zur erregten Gebärde, zu einer ewig gefpannten Geilikulation: "And issuing sighs that smoked along the w a l l . . . " (V. 474). "And Jealousy suffused, with jaundice in her eyes, Discolouring all she viewed, in tawny dressed, Down-looked, and with a cuckow on her fist." (Dryden, V. 487 ff.) Bei der Befdireibung der Göttin Venus felber wächft Dryden, fich ganz von Chaucer löfend, zu der Üppigkeit und Schwelgerei barocker Gemälde auf*: "From ocean as she first began to rise, And smoothed the ruffled seas, and cleared the skies, She trod the brine, all bare below the breast, And the green waves but ill concealed the rest." (Dryden, V. j 13 ff.) *) Audi Rzesnitzek ftellt feft, „daß Drydens Darfteilung der Venus im Vergleich mit derjenigen Chaucers eine finnlidiere ift". a. a. O. St. 37.

3'

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Gerade diefe Götterbilder laden erkennen, von was für einander völlig fremden Stilgefetzen Chaucer und Dryden ausgehen. Gerade hier, wo die reine Wortkunft nicht von einer äußeren Handlung den Antrieb erhält, wird deutlich, wie Chaucer Stein für Stein feines Mofaiks nebeneinander fetzt, ohne daß eines eine wefentlidie Beziehung zum anderen hat, ohne daß, wie bei Dryden, eines nur durch das andere lebt, eines aus dem anderen notwendig herauswächit, um zu diefer eigenen Spannung einer inneren, fteten Bewegung und einer äußeren, f che inbaren Ruhe zu gelangen. Diefe höchfte Spannung zwifdien Stand und Fluß erreicht Dryden durdi die bis ins Letzte erfchöpfende Einfetzung feiner Ausdrucksmittel: " A rattling tempest through the branches went" (V. j38), " A mountain stood threatening from high, and overlooked the wood" (V. 542), " A n d treason labouring in the traitor's thought" (V. $61), "Silence fled the place" (V. j / j ) . Es find (lets Bilder, a b e r d i e f e B i l d e r f i n d z u g l e i c h G e b ä r d e n , Z u c k u n g e n , A u f r u h r des Barock: "With eyes half closed and gaping mouth he lay, And grim as when he breathed his sullen soul away." (Dryden, V. $78 f.) Diefe Zeilen drängen einem förmlich den Vergleich mit Andreas Schlüters Masken auf. Veranfchaulicht das Bild der Venus die Ü p p i g k e i t u n d S i n n l i c h k e i t d e s B a r o c k und das Bild des Kriegsgottes fein Pat

os.

« f h e f o r m Q f Mars high on a chariot stood, All sheathed in arm, and gruffly looked the god; T w o geomantic figures were displayed Above his head, a warrior and a maid, One when direct, and one when retrograde" (Dryden, V. 612 ff.) zeigt uns das dritte Bild in der Darfteilung der Diana feine keufdie, u n k ö r p e r l i c h e und a b f o l u t e Schönheit. Ganz deutlich wird hier die Wortkunft Drydens in dem von Chaucer übernommenen und doch in der Form völlig neuen Diana"The graceful goddess was arrayed in green; About her feet were little beagles seen, That watdied with upward eyes the motions of their Queen. Her legs were buskined, and the left before In act to shoot; a silver bow she bore, And at her back a painted quiver wore. She trod a wexing moon, that soon would wane, And drinking borrowed light, be filled again; With downcast eyes, as seeming to survey The dark dominions, her alternate sway." (Dryden, V. 643 ff.) *) Rzesnitzek fdireibt: „ N a c h J o h n Warton's Anficht verdient die urfprüngliche Darfteilung den V o r z u g , welche Meinung auch wir teilen." a . a . O . St. 38.

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Hier verfließt alles in einer Bewegung, die nicht mehr wie vorher zu der Statik des Bildes im Gegenfatz fteht, fondern fie verfchmelzcnd in fich aufgenommen hat. Von den kleinen, fpielenden Hunden fließen gleichfam unendliche Wellen zur Geilalt der Königin hinüber, von dort teilt (ich die leife Bewegung dem wachfenden Mond mit, und fchließlich reiht fich die Unterwelt, "her alternate sway", ein in diefes ewige Kreifen.

III. Buch. Wenn Chaucer fchreibt (V. 2 1 3 1 ff.): "The cercles of his eyen in his heed, The gloweden bitwyxen yelow and reed; And lik a grifphon looked he aboute", iiberfetzt Dry den: "The balls of his broad eyes rolled in his head, And glared betwixt a yellow and a red; He looked a lion with a gloomy stare." (V. 41 ff.) Auffallend ift das Fehlen {amtlicher Attribute bei Chaucer, daneben aber tritt deutlich die ganz andere Reihung der Akzente, der unterichiedliche Satzbau und die verfchiedene Wortwahl hervor. Wir fahen fchon im zweiten Buch, wie Dryden in die Bilder ein Pathos und eine Pofe legt, die bei Chaucer gar nicht oder doch nur in den beicheidenflen Ausmaßen vorhanden ift. Ähnlich verhält es fich hier mit der Befchreibung des Lycurgus: "Ful hye upon a chaar of gold stood he, With foure white boles in the trays." (Chaucer, V. 2138.) Gerade diefer Satz ift bezeichnend für Chaucers prägnante Knappheit der Wortwahl. Dryden jedoch beginnt malerifcher, fchwungvoller, mit den „milchweißen" Stieren, die den Wagen von "burnished gold" ziehen; dann erft geht er vom Wagen zum Fahrer über: "upright he stood and bore aloft his shield" (V. 49). In zwei Linien gehen die Worte empor: „upright" und „aloft", das Thema fpiegelt fich im parallelen Nebenthema, und dann erfolgt wieder diefes Dryden eigentümliche Erweitern und Verbreiten: "conspicuous from afar, and overlooked the field." D;e nächfte Zeile bringt von neuem den Beweis, wie hinter diefer Breite ftets die ftärkfte Konzentration fteht. "In stede of cote-armure, over his harnays With nayles yelewe, and brighte as any gold, He hadde a beres skyn, col-blak, for-old" (V. 2140 ff.) heißt es weitfehweifig über drei Zeilen hin bei Chaucer; Dryden preßt den Satz in eine einzige Zeile hinein: "His surcoat was a bear-skin on his back" (V. J I ) . Diefe Konzentration äußert fich zugleich wieder in einer unendlichen Bewegungsfülle. 33

" T e n brace, and more, of grey hounds, snowy fair, And tall as stags, ran loose, and coursed around his chair." (Dryden, V. $5 f.) Dryden bringt zwei Verben, denen bei Chaucer das unbeftimmte "wenten" (V. 2148) gegenüberfteht. Wenn Chaucer "white" ichreibt, heißt es bei Dryden "snowy fair"; ftatt Chaucers etwas plumpem Attribut "as grete as any steer" (V. 2149) fetzt Dryden "and tall as stags". Eine ähnliche Unmittelbarkeit der Wirkung wie bei dem Bilde des Lycurgus erzielt Dryden bei der Befchreibung des Emetrius. Mit einem faft nüchternen Realismus fetzt Dryden Zug an Zug: " H i s awful presence did the crowd surprise, Nor durst the rash spectator meet his eyes; Eyes that confessed him born for kingly sway." (Dryden, V. 78 ff.) In der erften Zeile flehen fich die Erfdieinung des Herrfchers und die erftaunte und befangene Menge gegenüber. In der nächften Zeile wird das Volk individualifiert, das Bild des Herrfdiers konzentriert fidi auf die Eindringlichkeit feines Blicks; die Antithetik ift in der äußeren Stellung jetzt umgedreht (vorher Herr feher — Volk, jetzt Volk — Herrfcher), wie fie es in der inneren ift: die erfte Zeile bringt die pofitive, die nächfte die negative Ausfage, die dritte und letzte Zeile knüpft mit dem erften Wort an die vorhergehende an, um nun erweiternd alles zufammenzufallen: "born for kingly sway!" Wenn Drydens Kunft einerfeits eine ftarke Tendenz zur Konzentration und Synthefe eignet, kommt andererfeits feine Neigung zur malerifchen Spielerei (auch ein Kennzeichen barocker Breite) nicht zu kurz. " F o r kings, and dukes, and barons you might see, Like sparkling stars, though different in degree." (Dryden, V. 94 f.) Die Ritter muß Dryden mit fdiimmernden Sternen vergleichen. Doch wenn die fen Attributen be fonders hier durch die Abftufung der Lichter je nadi Verdienft und Rang immer etwas Konventionelles und Unverbindliches anhaftet, fo beweifen dodi die kleinen, leicht hingeworfenen Sätze, wie: "and troop of lions innocently play" (V. 98) Dry4ens Dichtertum in diefem einfachen, hingehauchten Bild, das in den Schlußzeilen des Abfchnittes dann fein antithetifdies Widerfpiel erfährt durch das von Dryden hinzugefügte Gemälde vom indifchen Bacchuszug. Diefe kleinen, wirklich erfühlten Impreffionen ftehen unmittelbar den überladenen, durch Drydens Wortkunft aber ftets großartigen Bildern gegenüber. " E r e day began to spring, T h e tuneful lark already stretched her wing, And flickering on her nest,, made short essays to sing" (Dryden, V . 121 ff.) 31

heißt es bei Dryden, und man fpürt die Aufrichtigkeit eines warmen Gefühls; und dann folgen am Eingang von Palamons Gebet die pompöfen Verfe: "Creator Venus, genial power of love, The bliss of men below, and gods above!" (Dryden, V. 129 f.) die auf einer ganz anderen äilhetifchen Linie flehen. Der gleiche Eindruck entfteht, vergleicht man in demielben Gebet bei Dryden die in kräftigen Farben erfaßten Verfe: "For thee the lion loathes the taste of blood, And roaring hunts his female through the wood, For thee the bulls rebellow through the groves, And tempt the stream, and snuff their absent loves" (Dryden, V. 138 ff.) mit den innigen Worten: "Light sufferings give us leisure to complain; We groan, but cannot speak, in greater pain. O Goddess, tell thy self what I would say! Thou knowest it, and I feel too much to pray." (Dryden, V. I J I ff.) Ein Meiilerilück Drydenfcher Wortkunft ift die Beitreibung der Dianaerfdieinung: "Then shook the sacred shrine, and sudden light Sprung through the vaulted roof, and made the temple bright. The Power, behold! the Power in glory shone, By her bent bow and her keen arrows known; The rest, a huntress issuing from the wood, Reclining on her cornel spear she stood." (Dryden, V. 265 ff.) "Shook — shone — stood", langiam zieht Dryden Schleier um Schleier vom Bilde ab, bis die Göttin deutlich vor uns fleht, "reclining on her cornel spear". Sehr charakteriftifch ift die darauf folgende Rede der Diana, die bei Dryden iehr offen von einem Streit der Götter fpricht (der fpäter noch näher ausgeführt werden wird), während Chaucer von einem himmlifdien Intrigenfpiel hier noch nichts andeutet. Emilia begibt (ich nach ihrem Gebet heim. Chaucer fagt: "And hoom she goth anon the nexte weye. This is theffect, ther is namoore to seye" (Chaucer, V. 236$ f.) während Drydens Verfe in tieferer feelifcher Durchdringung befchreiben (V. 288): "Then sighing she returned; but smiled betwixt, With hopes, and fears, and joys with sorrows mixt." Zugleich ein Beifpiel für das Widerfpiel von Thefe und Antitheie, (ich gegenüberftehend in der erilen Zeile, umgekehrt und verdoppelt in der nächilen. Arcites Gebet an Mars erweitert Dryden im Ein fatz beträchtlich, die doppelte Anzahl von Zeilen benötigt er, um den Ruhm des 35

Kriegsgottes zu preifen. Doch erft in den Sdilußverfen entfaltet er fein ganzes Können; in einem einzigartigen, eng an Chaucer angelehnten und doch in der Eindringlichkeit der dufteren Atmofphäre ganz neuen Finale geilaltet er die Vifion des Mars: " A hollow groan; a murmuring wind arose; The rings of iron, that on the doors were hung, Sent out a jarring sound, and harshly rung; The bolted gates flew open at the blast, The storm rushed in, and Arcite stood aghast: The flames were blown aside, yet shone they bright, Fanned by the wind, and gave a ruffled light." (Dryden, V . 358 ff.) In der Wortwahl, in der Reihung der Akzente und Steigerung der Ton werte: " a hollow groan — a jarring sound — the storm rushed in" ill hier ein Bild geidiaffen, das mit zu den eindrucksv o l l e n der Versdichtung gehört: " A t length the nodding statue clashed his arms, And with a sullen sound and feeble cry Half sunk and half pronounced the word of Victory." (Dryden, V . 370 ff.) Uber den Ausgang des Kampfes entfpinnt (ich unter den Göttern ein heftiger Streit, den Chaucer jedodi fehr fchnell von Saturn fchliditen läßt, während Dryden mit innigem Behagen das Menfdilidie in einer himmlifchen Welt befchreibt, wo Venus und Mars mit fpitziindigen Gründen ihre Rechte gegeneinander geltend madien. "She, granting first, had right of time to plead; But he had granted too, nor would recede." (Dryden, V . 377 f-) Jupiter, der im Herzen auf der Seite der Göttin fteht, hält (ich zurück, da er iidi vor feiner Gemahlin fürchtet: ein wahres Intrigenfpiel des Himmels. Saturn vermittelt fchließlich. Er ift bei Chaucer allein der Gott der Kälte, "the pale Saturnus the colde" (V. 2443), der Gott des Schreckens und Grauens. Die Florentiner Geniebewegung ging im Quattrocento zurück auf den Glauben der Antike, der einer feits dem Saturn eine geheime Größe als dem alten, geftürzten Gott zufprach, ihn zugleich in feiner inneren Polarität zwifchen Gut und Böfe erfaßte, andererfeits mit dem Begriff der Melancholie verband, die im Altertum zum Wefen des Genies gehörte, während das Mittelalter an Ariftoteles vorbeiging und die Melancholie nur als das häßlichfte der vier Temperamente oder als Krankheit gelten ließ. Diefe beiden Erfcheinungen, die in der Renaiilance neu auftraten: Saturn in feinem Schwanken zwifchen Gut und Böfe, Saturn in der Verbindung mit der Melancholie, finden fich bei Dryden wieder: " H e seldom does a good with good intent" (V. 384) " H e soothed the Goddess, while he gulled the G o d " (V. 393) und auf der anderen Seite: "Cold shivering agues, m e l a n c h o l y care" (V. 403). 36

In den folgenden Zeilen idiildert Chaucer die Vorbereitung des Kampfes. Dryden läßt die Götter mitwirken, doch nicht als göttliche Kräfte, fondern wie Men fchen unter Menfchen lehnen fie fich über die Sterne und fchauen dem irdifdien Treiben gefpannt zu. Weit ausholend beginnt die erde Zeile: "the dawning day began to spring" (V. 436), die zweite leitet über auf die vom Volk durchfluteten Straßen, und dann malt Dryden das wundervolle Bild des Himmels: Mars weckt die Götter, die herantreten, um fidi die Kämpfe anzufdiauen: "sharpening their sights and leaning from their stars" (V. 442). Mit den Blicken der Götter gleitet die Dichtung wieder hinunter zur Erde; in tönenden, klirrenden Verfen fchildert Dryden die Vorbereitungen zum Streit. Diefe beftändige Bewegung der Verfe in ihrem ewigen Bildwechiel ift eine der Haupteigentümlichkeiten Drydenfcher Technik. "The trumpets, next the gate, in order placed, Attend the sign to sound the martial blast: The palace yard is filled with floating tides, And the last comers bear the former to the sides. The throng is in the midst; the common crew Shut out, the hall admits the better few." (Dryden, V. 464 ff.) Barock ift beftändiges Spiel mit den Bildern, ihre Spiegelung und Widerfpiegelung, ift beftändiges Werden und Wachien. Jedes Bild, das vorhergehende in (ich aufnehmend, wirft fchon wieder darüber hinaus dem nächften feine Strahlen zu. "The herald ends: the vaulted firmament With loud acclaims and vast applause is rent: Heaven guard a Prince so gracious and so good, So just, and yet so provident of blood! This was the general cry. The trumpets sound, And warlike symphony is heard around." (Dryden, V. $24 ff.) Der Herold hat die Botfdiaft des Königs mitgeteilt. In plötzlichem Umfdilag heißt es: "the vaulted firmament . . ." Mit der dritten Zeile linken die Verfe wieder hinab, um in der fünften und fediften den allgemeinen Jubel zu befchreiben. Jetzt kann die Schilderung des Zuges ein fetzen; doch nicht in gerader Linie, fondern immer von einem anderen Standpunkt aus, fo daß fich erft durch die fes dauernde Hin und Her die anfchaulidie Plaftik des Bildes ergibt: " A rain of flowers is from the windows rolled. The casements are with golden tissue spread, And horses' hoofs, for earth, on silken tapestry tread." (Dryden, V. 533 ff.) Diefe Dynamik der Bewegung durchzittert die ganze Dichtung: " N o w changed the jarring noise to whispers low, As winds forsaking seas more softly blow . . ." (Dryden, V. j 5 4 f.) 37

"Waved by the wanton winds, his banner flies, All maiden white, and shares the people's eyes. From east to west, look all the world around . . . " (Dryden, V. j64 ff.) Nidit nur unmittelbar äußert fidi die ftete Unruhe, indem der Wind die Fahnen baufcht, das Volk fidi um die Plätze ichlägt: " I n rushed at once a rude promiscuous crowd" (V. J J I ) , fonderft audi mittelbar, wenn Dryden die Bewegung von den fliegenden Fahnen zu den Men fdien gleiten läßt, die von einer Partei zur anderen fehen und (ich vor Staunen nicht zu faden vermögen. Für die Schilderung des eigentlichen Kampfes gebraucht Chaucer fünfzig Zeilen, Dryden über achtzig. Auf diefe Weife ift es Dryden möglich, mit der Heftigkeit des Kampfes nicht fofort einzufetzen; ganz allmählich fteigert fidi die Wucht der Worte, an den antithetifdien Gegenüberftellungen fidi gleidifam gegenfeitig emporhebend: " T w o troops in fair array one moment showed, The next, a field with fallen bodies strowed." (V. 595 f.) " T h e knights unhorsed, on foot renew the fight; The glittering fauchions cast a gleaming light." (V. 601 f.) Die Verfe fteigern fidi zur größeren Heftigkeit: "One rolls along, a football to his foes, One with a broken truncheon deals his blows." (V. 6 1 1 f.) Doch nodi einmal erfolgt eine Ruhepaufe, der Kampf (lockt: " B y fits they cease, and leaning on the lance, Take breath a while, and to new fight advance." (V. 617 f.) Wie bei Dryden jede Stimmungsänderung fofort im Wortklang zu fpüren ift, fo auch hier. Der Klangwert, die Tongebung ift weidier und ruhiger geworden. Dann aber fetzt Dryden mit ganzer Macht zum Finale ein: "So when a tiger sucks the bullock's blood, A famished lion issuing from the wood Roars lordly fierce, and challenges the food." (V. 629 ff.) Statt des Couplet ein Triplet, wodurch diefe Stelle, mit der die Entfcheidung anhebt, nur noch mehr betont wird. Es ift eine Eigentümlichkeit des Barock, daß Thefe und Antithefe, die fich dem Anfdiein nadi polar gegenüberftehen, derart ineinander Verfehlungen find, daß die Thefe fdiließlich nur noch den Grund der Antithefe, die Antithefe nur nodi den Gipfel der Thefe darftellt. "The royal judge on his tribunal placed, Who had beheld the fight from first to last, Bad cease the war; pronouncing from on high, Arcite of Thebes had won the beauteous Emily. The sound of trumpets to the voice replied, And round the royal lists the heralds cried, 'Arcite of Thebes has won the beauteous bride!'" (Dryden, V. 6$8 ff.) 38

Zweimal ericheint der R u f : "Arcite of Thebes . . .", einmal (ich gegen ieitig bedingend, da die Herolde den Spruch des Königs aufnehmen, dann fich gegenüberftehend: hier entfcheidet der König, dort rufen die Herolde Emilia fchon nicht mehr bei ihrem Namen, fondern bezeichnen fie als „bride". Die Steigerung wird wieder hervorgehoben durch das Triplet. Dryden verliert fich nie in feinem Werk, ftets weiß er feine Ergriffenheit wieder durch eine ironifche Wendung auszugleichen. Es gibt für ihn nichts Hohes, das nicht zugleich audi fein Tiefes hat. Weit entfernt von der abfoluten Gläubigkeit Chaucers, ift Drydens Weltanfchauung relativ bedingt. Daher (lammt fein fchwerer P e f f i m i s m u s , vor deflen Zweifel der Himmel fo wenig wie die Erde gefchützt ift. " A l l own the chief, when Fortune owns the cause" (V. 666) fpridit der greife, enttäufchte Dichter. Mars lacht voller Hohn, Venus weint. "Arcite is owned even by the gods above, And conquering Mars insults the Queen of Love. So laughed he when the rightful Titan failed, And Jove's usurping arms in heaven prevailed. Laughed all the powers who favour tyranny, And all the standing army of the sky. (Dryden, V. 667 ff.) Der dreiteilige Abfchnitt in feiner Steigerung, Abfchweifung und Verallgemeinerung ift echter Barock. Auch die Worte, mit denen Saturn die Göttin beruhigt, find völlig in Drydens Stil gefchrieben, in einer ü b e r k r e u z t e n A n t i t h e t i k , die mit Mars beginnt, auf feinen Schützling Arcite übergeht, um fchließlich wieder mit dem Kriegsgott zu enden: "His boon is given; his knight has gained the day, But lost the prize; the arrears are yet to pay." (Dryden, V. 679 f.) Dryden verleiht den einzelnen Szenen nicht nur eine größere Pracht und Farbenfülle; durch feinen Naturalismus, der ein ganz anderer ift als der Chaucers und weit feiner wirkt, indem er von der groben Umrißzeichnung zur feelifdien Tiefe vorftößt, erreicht er eine weit unmittelbarere Lebendigkeit. "Help was at hand: they reared him from the ground, Und from his cumbrous arms his limbs unbound. Then lanced a vein, and watched returning breath; It came, but clogged with symptoms of his death. The saddle-bow the noble parts had prest, All bruised and mortified his manly breast. Him still entranced, and in a litter laid, They bore from field, and to his bed conveyed. At length he waked; and with a feeble cry, The word he first pronounced was Emily." (Dryden, V. 707 ff.) 39

Chaucers entfprechende Verie lauten: "Anon he was y-born out of the place, With herte soor, to Theseus paleys. Tho was he korven out of his harneys, And in a bed y-brought ful faire and blyve; For he was yet in memorie and alyve And alwey criynge after Emilye." (Chaucer, V. 2694 ff.) Jedes einzelne Wort fchafft bei Dryden Atmofphäre. Schon der kurze Satz: "help was at hand" bedeutet einen von Chaucer völlig verfchiedenen Einfatz, der (ich dann langiam fteigert: "and watched returning breath"; fchließlich klingt der Abfchnitt mit der Zeile aus: "The word he first pronounced was Emily." Bei Dryden heißt es, Arcites erftes Wort war Emilia, bei Chaucer fchreit Arcite beftändig nach feiner Braut! Das Spiel mit Polen und Gegenpolen führt Dryden notwendig zu einem epigrammatifchen Stil. Die Zeile: "Her will refused, which grieves a woman most" (V. 67j) war keine reine Maxime, da die erde Hälfte der Zeile fich noch perfönlich auf Venus bezog und die allgemeine Reflexion fich nicht in einem eigenen Satz verfelbftändigt hatte. Doch finden fidi kurze, treffende Epigramme fehr häufig bei Dryden, wie fchon die nädiften Verie beweifen: "Force is of brutes, but honour is of man." "For envy never dwells in noble hearts."

(V. 742.) (V. 746.)

Am ftärkften weichen Chaucer und Dryden in der großen Sterbe fzene voneinander ab. Bei Chaucer klagt Arcite über feinen frühen Tod und vertraut fchließlich Emilia feinem Bruder an, von Reue über ihren Streit ift nicht die Rede. Das aber ift das Thema des großartigen, faft doppelt io langen Drydenfchen Abfdinittes. Arcite wädift über fidi felbft hinaus, aus der passio der dunklen Empfindung wird die actio freier Willensbetätigung. "Unseen, unheard, sha)l hover at your side; Nor fright you waking, nor your sleep offend, But wait officious, and your steps attend" (Dryden, V. 783 ff.) fpricht er in reiner, heißer Liebe. Doch er fühlt unabwendbar das Ende nahen, Entfagung und Leidenfdiaft kämpfen miteinander: "And much I doubt, should Heaven my life prolong, I should return to justify my wrong; For while my former flames remain within, Repentance is but want of power to sin." (Dryden, V. 810 ff.) Arcite erkennt des Bruders Recht an: " H e had a moment's right in point of time" (V. 820), bäumt fich noch einmal auf: " H a d I seen first, then his had been the Crime" und ergibt fich fchließlich: "Fate made it mine, and justified his right" (V. 822). 40

Nach der wundervollen Melodik der Verie: "Then upward to the seat of life he goes Sense fled before him, what he touched he froze; Yet could he not his closing eyes withdraw, Though less and less of Emily he saw; So, speechless, for a little space he lay; Then grasped the hand he held, and sighed his soul away"* (Dryden, V. 838 ff.) fetzt die Reflexion über das Leben nach dem Tode ein. Chaucer geht darüber kurz hinweg, während Drydens reife Menfchlichkeit und liberale Weltanfchauung in den Verfen zutage tritt: "Divines can say but what themselves believe; Strong proofs they have, but not demonstrative; For, were all plain, then all sides must agree, And faith itself be lost in certainty. T o live uprightly then is sure the best; To save ourselves, and not to damn the rest." (Dryden, V. 846 f f ) Zweifellos knüpft hier Dryden an die Anfdiauung an, die er in der „Religio Laici" vertritt. Dort heißt es in der Vorrede: "And now for what concerns the holy bishop Athanasius, the Preface of whose Creed seems inconsistent with my opinion, which is, that heathens may possibly be saved: in the first place, I desire it may be considered that it is the Preface only, not the Creed itself, which, till I am better informed, is of too hard a digestion for my charity."** Und in der Dichtung felber ichreibt er: "They who the written rule had never known Were to themselves both rule and law alone, T o Nature's plain indictment they shall plead And by their conscience be condemned or freed. Most righteous doom! because a rule revealed Is none to those from whom it was concealed. Then those who followed Reason's dictates right, Lived up, and lifted high their natural l i g h t . . ."*** In der Szene der Totenfeier hält (ich Dryden verhältnismäßig eng an Chaucer. Nur das antike Motiv des Baumkataloges kürzt er fehr ftark und fügt, wie fdion Spenfer in feiner „Faerie Queene", ausführliche Attribute hinzu. BlaiTer und bei weitem nicht fo eindringlich wie bei Chaucer wirkt bei Dryden die Befdireibung der ihrer Verftiecke beraubten Waldgötter. Verglichen mit der Natürlichkeit und Einfachheit der Chaucerfchen Verfe: *) Bemerkenswert id, daß C h a u c e r das Motiv der Himmelfahrt, das er von Boccaccio übernahm, n i di t hier, fondern im „Troilus" verwendet. * * ) Dryden: Religio Laici, The Preface, St. 186. * * • ) Religio Laici, St. 196. V. 202—209. 41

" N e how the goddes ronnen up and doun, Disherited of hire habitacioun, In whidie they woneden in reste and pees, Nymphes, fawnes, and amadriades; Ne how the beestes and the briddes alle Fledden for fere, whan the wode was falle; Ne how the ground agast was of the light, That was not wont to seen the sonne bright" (Chaucer, V. 292 j ff.) klingen Drydens Verfe konventionell und steif: Nor how the Dryads and the woodland train, Disherited, ran howling o'er the plain: Nor how the birds to foreign seats repaired, Or beasts, that bolted out and saw the forest bared: Nor how the ground now cleared with ghastly fright Beheld the sudden sun, a stranger to the light." (Dryden, V. 967 ff.) Ein Meifteritück Drydenfcher Einfätze ill die Einleitung zur großen Schlußrede des The feus; Gebärde und Klang gleiten, eng ineinander Verfehlungen, von einem Bild zum anderen: "So called, she came, the senate rose, and paid Becoming reverence to the royal maid. And first, soft whispers through the assembly went; With silent wonder then they watched the event." (Dryden, V. 1016 ff.) Das antike Bild der Liebeskette als dem weltverbindenden Prinzip, einem Thema, das von Chaucer über Spenfer und Dryden bis zu Pope reicht, ift bei Chaucer fchon angedeutet (V. 2988); Dryden jedoch bringt darüber hinaus das eigentliche Bild, wobei es bezeichnend ift, daß Chaucer die Kette "faire", Dryden fie "golden" nennt: " T h e chain still holds; for though the forms decay, Eternal matter never wears away." (V. 1030.)* Hineinflicht Dryden in die um Gott und den Weltfinn ringenden Verfe die Idee der ariftotelifchen Mitte, die Tugend als Ausgleich zweier extremer Leidenfchaften: "Ordain we then two sorrows to combine, And in one point the extremes of grief to join." (V. 1 1 1 j f.) Wie Dryden in diefer philofophifchen Betrachtung durch die Klarheit und Ausgewogenheit feines reifen Stils aus aen Chaucerfdien Ausführungen etwas ganz Neues und Eigenes fdiafft, läßt er auch den Schluß eine we fentliche Änderung erfahren. Den Wunfeh, Palamon mit Emilia zu verbinden, teilt Thefeus bei Dryden nicht unmittelbar feiner Tochter, fondem der Verfammlung mit. Dann erft wendet fidi der König an Emilia, wodurch die lange Chaucerfche Anrede vermieden wird. Gleichzeitig erhält das Bild feine Abrundung und größere Lebendigkeit durch Drydens Seitenblick: *) vgl. audi St. 88. 42

" H e said; she blushed; and as o'erawed by might, Semed to give Theseus what she gave the knight." (V. I I 3 J f.) Die letzten Zeilen find wieder ganz fpielerifdier Barock, das fchwere Pathos der Rede wird aufgelöft und gekrönt; dem gewaltigen Bau verleiht Dryden den fchwungvollen Schnörkel: "Smiled Venus, to behold her own true knight Obtain the conquest, though he lost the fight; And blessed with nuptial bliss the sweet laborious night. Eros and Anteros on either side, One fired the bridegroom, and one warmed the bride. And long-attending Hymen from above Showered on the bed the whole Idalian grove." (Dryden, V. 1 1 4 1 if.)

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2. The Cock and the Fox. "There lived, as authors tell, in days of yore A widow, somewhat old, and very poor: Deep in a cell her cottage lonely stood, Well thatched, and under covert of a wood." (Dryden, V. 1—4.) Die Erzählung fetzt mit dem gleichen getragenen Pathos ein, mit dem Dryden das Gedidit "Palamon and Arcite" eröffnete. Nicht wie bei Chaucer zu Beginn der erften Zeile, fondern am Anfang der zweiten fleht das Wort widow, während in der erften der Gefang mit weitausholender, malerifcher Geile anhebt, (ich dann auf die Geilalt der Witwe konzentriert, um fchließlich in der dritten und vierten Zeile das malerifche Bild ihrer kleinen Hütte zu geben. Der nächfte Abfatz bringt die erften Züge des Frauenbildes, das in der Einleitung des Gedichtes gezeichnet wird. Seine eigentliche Charakteriftik offenbart Chaucers additive Technik, der einen Zug neben den anderen fetzt, ohne daß der eine in wefentlicher Beziehung zum anderen fteht. Das aber ift Drydenfcher Stil in diefem beftändigen Hin und Her zwifchen naturaliftifcher Schilderung des Augenblicks und prunkvollem Glanz des Allgemeinen. Aus dem einzelnen Chaucerfdien Vers: "Ful sooty was hir bour, and eek hire halle" (V. 4022) werden bei Dryden drei: "Her parlour window stuck with herbs around Of savoury smell; and rushes strewed the ground. A maple dresser in her hall she had . . ." (Dryden, V . I J — 1 7 . ) Das C o u p l e t ift wie kein anderer Vers in diefem Spiel der zwei Zeilenhälften auf der einen Seite, diefem Widerfpiel der zwei Zeilen auf der anderen Seite geeignet für die Aufftellung von Thefe und Antithefe und ihrer endlichen luftvollen, zuweilen ironifchen Löfung. "Before the day was done, her work she sped, And never went by candlelight to bed." (Dryden, V. 2j—26.) 44

Diefe Zeilen, die bei Chaucer nicht ftehen, find ein treffendes Beifpiel für die plötzliche Auflöiung der Spannung, die in fich aber ichon wieder infofern antithetiich barock in Begriff und Wirklichkeit gefpalten ift, als das Bild felber durdi die komifche Situation eines mit Kerze und Nachthaube zu Bette gehenden alten Weibes feine Wirkung erhält, diefes Bild aber in Wirklichkeit wieder verneint wird, da die Frau ja aus Sparfamkeitsgründen oder Geiz mit den Hühnern fchlafen zu gehen die Gewohnheit hat. K a r i k a t u r e n in ihrer inneren Zwiefpältigkeit zwifchen Satire und Sympathie, in ihrer feelifchen Durchdringung, find Schöpfungen des Barock. Chaucers Frau ift fchon humorvoll erfaßt, aber es fehlt noch die Deutlichkeit der Pointe, d a s U b e r r a f c h e n d e d e s g e w o l l t b i z a r r e n E i n f a l l s . Dry den läßt Chaucers Sätze ftehen, doch überall hängt er noch einen befreienden, darüber hinaus das Vorhergegangene wieder umwerfenden Schnörkel an. Der Ruhe des Chaucerfchen Ernftes fteht die Unruhe Drydenfchen Zweifels gegenüber; diefe Spannung muß fich befreien und löft fich auf in der Freiheit von Komik und Ironie: " B r o w n bread, and milk (but first she skimmed her bowls), And rashers of singed bacon on the coals. On holy days, an egg or two at most; But her ambition never reached to roast" (Dryden, V . 3 3 — 3 6 ) während Chaucer an der entfprechenden Stelle nur den Tatfachenbericht gibt: " M i l k and broun breed, — in which she foond no lak; Seynd bacoun and somtyme an1 ey or tweye, For she was, as it were, a maner deye. (Chaucer, V . 4034—4036.) Zu Beginn der eigentlichen Erzählung, die mit der Befchreibung des Hühnerhofes einfetzt, hält Dryden fich eng an Chaucer, nur an einer Stelle geht er wefentlich über die Vorlage hinaus: " H i s nayles whiter than the lylye flour, And lyk the burned gold was his colour." (Chaucer, V . 4053—4054.) "White were his nails, like silver to behold, His body glittering like the burnished gold." (Dryden, V. 53—54.) Den durch den Reim erzwungenen Vergleich: "lylye flour" er fetzt Dryden durch das geichmackvollere "silver to behold"; die zweite Zeile aber bringt ftatt des allgemeinen und abftrakten "colour" das Wort " b o d y " , das nun in bezug auf den Hahn feine ganz eigentümliche Klang- und Farbwirkung durch das Attribut "glittering" erhält. " T n i s gentle cock, for solace of his life Six misses had beside his lawful life; Scandal, that spares no king, though ne'er so good, Says they were all of his own flesh and blood . . .'•' (Dryden, V . 55 — 58.) 4 45

Hier offenbart (ich plötzlich D r y d e n s Z y n i s m u s , der die naiven Chaucer fchen vier Zeilen: "This gentil cok hadde in his governaunce Sevene hennes for to doon al his plesaunce, Whiche were his sustres and his paramours, And wonder lyk to hym, as of colours" (Chaucer, V. 4055—58) mit Vergnügen aufnimmt, um in dreifacher Erweiterung diefen "scandal" auszumalen, zugleich in den letzten Verfen: "Some lines have been maintained by this alone, Which by their common ugliness are known" (Dryden, V. 65—66) pointierend aktuell einen kleinen Seitenblick auf die habsburgifche Unterlippe werfend. "But passing this as from our tale apart" (V. 67) fährt Dryden in plötzlicher Icherzählung fort. Diefes Desillufionieren vermied er, wie wir fahen, im "Palamon and Arcite". Denn dort, analog dem " H e r o i c P i a y", konnte Dryden diefe Wendungen nicht gebrauchen; hier aber haben wir wie in den L u f t f p i e l e n d e r R e f t a u r a t i o n die andere Seite der Zeit in ihrer ungehemmten Frivolität und Sinnlichkeit. "Dame Partlet was the sovereign of his heart: Ardent in love, outrageous in his play, He feathered her a hundred times a day; And she, that was not only passing fair, But was withal discreet and debonair, Resolved the passive doctrine to fulfil, Though loth, and let him work his wicked will: At board and bed was affable and kind, According as their marriage-vow did bind, And as the Church's precept had enjoined." (Dryden, V. 68—77.) Hier wie in den folgenden Zeilen fällt die forgfame Kleinmalerei des Dichters auf, die unendliche Sorgfalt, mit der er Bewegung an Bewegung reiht: "She was his only joy, and he her pride: She, when he walked, went pecking by his side; If, spurning up the ground, he sprung a corn, The tribute in his bill to her was borne." (Dryden, V. 83—86.) Diefe Verfe fehlen bei Chaucer, ebenfo die Zeile: "Stretching his neck, and warbling in his throat . . ." (Dryden, V. 89), die dem Bilde erft die eigentliche, durch die unmittelbare Erfaflung von Gebärde und Klangfarbe lebendige Abrundung verleiht. 46

" I t happed that perching on the parlour-beam Amidst his wives, he had a deadly dream, Just at the dawn; and sighed and groaned so fast, As every breath he drew would be his last. Dame Partlet, ever nearest to his side, Heard all his piteous moan, and how he cried For help from gods and men, and sore aghast She pecked and pulled, and wakened him at last." (Dryden, V . 93—100.) Diefer Abfchnitt ift in Aufbau und Sprachgeftaltung wieder ein Meifterftück Drydenfcher Verskunft. In allmählicher Steigerung gelangt Dryden zum Höhepunkt der vierten Zeile. Dann fpiegelt fich das Thema, um in wiederum vier Zeilen zu dem bewegten letzten Verfe hinzuführen, der in anmutigem Gegenfatz fleht zu den tönenden Zeilen: "he cried for help . . . " Den Traum des Hahnes erzählt Dryden genau nach der V o r lage; die größere Lebendigkeit feiner Verfe beruht in der unmittelbareren Anfchauung, die durch folche wirklichkeitsgetreuen Beobachtungen entfteht, wie: " E v e n still I run all over in a s w e a t . . . " (Dryden, V . 107.) " K n o w , dame, I dreamt within my troubled b r e a s t . . . " (V- " 3 0 "Deep in his front were sunk his glowing e y e s . . . " (V. 122.) Wundervoll ift der Ausklang des Abfchnittes, der den Abftand zwifdien Chaucer und Dryden befonders deutlich macht: in einem glänzenden Couplet, das (ich an keine Vorlage mehr an ichließt, liegt plötzlich, wiederum im reizvollen Gegenfpiel zwifchen der Unmittelbarkeit des Gefchaffenen und der Ironie des Schöpfers, die ganze Hilflofigkeit eines menfchlichen Herzens vor uns bloß: "Reach out your hand, I drop with clammy sweat, And lay it to my heart, and feel it beat." (Dryden, V . 1 2 4 — 1 2 5 . ) Befonders offenbar wird die Eigentümlichkeit des Drydenfchen Stils in folchen Fällen, wo der Dichter Chaucers V e r f e ohne die geringfte Änderung übernimmt, wie in den folgenden Zeilen: " H o w dorste ye seyn, for shame, unto your love T h a t any thing myghte make yow aferd? H a v e ye no mannes herte, and han a berd?" (Chaucer, V . 4 1 0 8 — 4 1 1 0 . ) " H o w darest thou talk of love, and darest not fight? H o w darest thou tell thy dame thou art affered? Hast thou no manly heart, and hast a beard?" (Dryden, V . 135 — 1 3 7.) Bei Chaucer fteht Begriff neben Begriff, Dryden indeffen verkettet eine Zeile mit der anderen, fodaß erft die Dreiheit des Abfchnitts das 4

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gefchloftene Bild ergibt in der negativen Ausfage der erften, der poiitiven Ausfage der zweiten Zeile, und fchließlidi der unmittelbaren Gegenüberftellung beider in der letzten, die wiederum mit der erften die innere Antithetik der beiden Vershälften gemein hat. Die fchon bei Chaucer fehr ausführliche Entgegnung der Henne erweitert Dryden nicht beträchtlich, die Änderungen find ftiliftifdi wie gehaltlich jedoch fehr bedeutend: " L o , Catoun, which that was so wys a man, Seyde he nat thus, "ne do no fors of dremes"? " N o w , sire" quod she, "whan we flee f r o the bemes, For Goddes love, as taak som laxatyf. U p peril of my soule, and of my l y f , I conseille you the beste, I wol nat lye, T h a t bothe of colere and of malencolye, Y e purge y o w , and, for ye shal nat tarie, Though in this toun is noon apothecarie, I shal myself to herbes techen yow T h a t shul been for youre hele, and for youre p r o w . " (Chaucer, V . 4 1 3 0 — 4 1 4 0 . ) " C a t o was in his time accounted wise, And he condemns them all for empty lies. T a k e my advice, and when we fly to ground, With laxatives preserve your body sound, And purge the peccant humours that abound. I should be loth to lay you on a bier; And though there lives no 'pothecary near, I dare f o r once prescribe for your disease, And save long bills, and a damned doctor's fees." (Dryden, V . 1 6 2 — 1 7 0 . ) Die erften beiden Zeilen bei Dryden unterfcheiden fich von der Chaucerfdien Vorlage durch die weit klarere Formgebung; die nächften vier V e r f e bringen das Thema, jedesmal jedodi von einem anderen Blickpunkt aus; bewußt fteht am Ende der ftärkfte Satz: " I should be loth . . Chaucer aber führt nur zweimal das Thema an: " A s taak som l a x a t i f " und daran anfchließend: "that bothe of colere . . . " ; dazwifchen flehen nichts als Beteuerungen, die zu dem energiiehen Wefen der Henne gar nicht paflen. Diefen herrifchen Charakter, der (ich in der kläglichen Verfailung des Hahnes eindrucksvoll fpiegelt, hebt Dryden im Gegeniatz zu Chaucer beionders hervor. Sehr deutlich vermag die Henne ihren Standpunkt über des "damned doctor's fees" klarzulegen, ebenfo energifai wendet fie (ich an ihren verzweifelten Gatten: " . . . but obey, And for the love of Heaven make no delay." (Dryden, V . 17 j — 1 7 6 . ) Die komifchen Züge in der Erzählung gehören nicht fo fehr Chaucer wie gerade Dryden. Mit plötzlichem Umfchwung folgt dem 48

erniten Verfe: " I should be loth . . . " die Komik der letzten Zeilen des angeführten Abfatzes. Chaucer nutzt die Situation des dauernden Wedifels zwifchen Menich und Tier und der dadurch entftehenden merkwürdig v e r z e r r t e n P e r f p e k t i v e n nicht derart aus wie Dryden. " A day or two ye shul have digestyves Of wormes, er ye take your laxatives . . . " (Chaucer, V . 4 1 5 1 — 4 1 J 2 ) heißt es bei Chaucer, und " T a k e just three worms, nor under nor above, Because the gods unequal numbers love, These digestives prepare you for your purge" (Dryden, V . 1 8 7 — 1 8 8 ) ichreibt Dryden und ipringt überrafdiender, einfallsreicher von der Altweiberweisheit der erften Zeile zu den Göttern über, die „ungerade Zahlen lieben", was wiederum in der dritten Zeile dem Magen des Hahnes zum Vorteil gereichen ioli. Weit mehr jedoch als diefie Zeilen hat die Erzählung von den beiden Freunden unter Drydens Hand ein anderes Geficht erhalten. " I t happened so, that, when the sun was down, They just arrived by twilight at a town: T h a t day had been the baiting of a bull, ' T w a s at a feast, and every inn so full, T h a t no void room in chamber or on ground, And but one sorry bed, was to be found, And that so little it would hold but one, Though till this hour they never lay alone." (Dryden, V . 2 1 3 — 2 2 0 . ) Chaucer fagt nur, daß fie eine Stadt erreichten, in der das Volk zufammengelaufen war'. Die malerifche Wirkung, die in dieier ausführlichen, bis ins Letzte gehenden Kleinarbeit ruht, ift bei Chaucer nicht zu finden; bei Dryden jedoch atmet alles Leben, befindet fich alles in fteter Bewegung: " H i s fellow sought what lodging he could find; A t last he found a stall where oxen stood, A n d that he rather diose than lie abroad. ' T w a s in a farther yard without a door; But, for his ease, well littered was the floor." (Dryden, V . 222—226.) Demgegenüber lieht das unbewegte Bild Chaucers: " T h a t oon of hem was logged in a stalle, Fer in a yeerd, with oxen of the plough, T h a t oother man was logged wel ynough . . . " (Chaucer, V . 4 1 8 6 — 4 1 8 8 ) wobei nodi auffällt, daß nur Dryden dem Lefer verftändlich zu machen fudit, warum der eine der Brüder im Stall übernächtigt, indem er in der dritten und in der letzten Zeile den Aufenthalt als erträglich fchildert. 49

Beionders deutlich wird Drydens „Bearbeitung", die keine Uberletzung mehr ift, in den folgenden Zeilen: " H i s fellow, who the narrow bed had kept, Was weary, and without a rocker slept: Supine he snored; but in the dead of night He dreamt his friend appeared before his sight, Who, with a ghastly look and doleful cry, Said, " H e l p me, brother, or this night I die: Arise and help, before all help be vain, Or in an ox's stall I shall be slain." (Dryden, V . 227—234.) Die Steigerung diefes Abichnitts, feine ganze Spannung in der Eindringlichkeit der dreifachen Befdiwörung ift nur bei Dryden vorhanden, denn weder die Geftalt des fchlafenden Bruders in der zweiten und dritten Zeile, nodi die des erfcheinenden Geiftes in der fünften Zeile hat bei Chaucer ein Vorbild. Der zweite Abfchnitt bringt einen ganz anderen Aufbau: "Roused from his rest, he wakened at a start, Shivering with horror, and with aching heart: At lenght to cure himself by reason tries; 'Tis but a dream, and what are dreams but lies? So thinking changed his side, and closed his eyes. His dream returns; his friend appears again: " T h e murderers come, now help, or I am slain": " T w a s but a vision still, and visions are but vain," (Dryden, V . 235—242.) Dramatifche Erregung atmen die beiden erften Zeilen, dann erfolgt eine Beruhigung: "'tis but a dream . . . " , um wieder anzufchwellen mit den Worten: "his dream r e t u r n s . . . " ; der Höhepunkt liegt in der vorletzten Zeile in dem lauten Auffchrei: " n o w help or I am slain!"; dann erfolgt der gcwaltfame Umbruch mit dem Schlußvers, damit das Thema des erften HalbfchluiTes in der vierten Zeile wieder aufnehmend, nur heißt es verftärkt ftatt "dream" jetzt "vision". Wie hier, geht Dryden im dritten Abfchnitt weit über Chaucer hinaus. Im Aufbau ganz ähnlich wie oben fetzt Dryden mit voller Macht ein: " H e dreamt the third: but now his friend appeared Pale, naked, pierced with wounds, with blood besmeared." (V. 243—244.) Mit dem Verfe: " T a r d y of aid, unseal thy heavy eyes. . . " (V. 247) tritt eine Beruhigung ein, die am Schluß wieder gefteigert und dramatifch geballt wird, nun aber nicht mehr mit der Gewalt des Anfangs, fondern in erfchütternder Stille entgleiten die Verfe wie die Erfcheinung des unglücklichen Bruders: "Then showed his grisly wounds; and last he drew A piteous sigh, and took a long adieu." (Dryden, V . 255—256.) 50

Wir haben bei Dryden auf der einen Seite den größeren Glanz und Prunk, auf der anderen Seite den fchärferen Naturalismus, der jede Bewegung von ihrer pfychologifdien Seite her erfaßt. "Sire, youre felawe is agon; As soone as day he wente out of the toun" (Chaucer, V . 4 2 2 0 — 4 2 2 1 ) fagt Chaucer und gibt auf dieie Weife nur die nackte Tatfache. "Muttering he went . . . by morning light, And much complained of his ill rest by night" (Dryden, V . 2 6 1 — 2 6 2 ) fpricht der Wirt bei Dryden; hier wie dort find es zwei Zeilen, und trotzdem gelingt es dem Barockdichter, dem Bilde einen tieferen Hintergrund zu geben. Ähnlich verhält es (ich mit den folgenden Zeilen: " T h e mob came roaring out, and thronged the place. All in a trice they cast the cart to ground, And in the dung the murdered body found; Though breathless, warm and reeking from the wound." (Dryden, V . 277—280.) Chaucer fagt hier: " T h e peple out sterte and caste the cart to grounde, And in die myddel of the dong they founde The dede man, that mordred was al newe." (V. 4237—4239.) Man erkennt, wie die plötzlich einfetzende Bewegung in den Chaucerfchen Verfen allmählich erftickt, während iie bei Dryden durch alle vier Zeilen fließt; wie andererfeits dieie Bewegung ihren eigentlichen Antrieb erft durch die Plaftik der finnlichen und malerifcnen Wortgebung erhält. Die zweite vom Hahn erzählte Gefdiichte ift die von den beiden Kaufleuten, die wiederum im Vergleich zu der Vorlage zwei Eigentümlichkeiten erkennen läßt: d e n m a l e r i f c h e n P r u n k u n d d i e m a t h e m a t i f che K l a r h e i t d e r F o r m g e b u n g : " A man, he thought, stood frowning at his side, Who warned him for his safety to provide, N o t put to sea, but safe on shore abide. " I come, thy genius, to command thy stay; Trust not the winds, for fatal is the day, And death unhoped attends the watery w a y . " (Dryden, V . 309—314-) Diefer Prunk in der Wortwahl und Satzführung offenbart fich von der erften bis zur letzten Zeile: "stood frowning at his side . . .", "not put to sea, but safe on shore abide"; großartig klingt der Abfchnitt mit den letzten zwei Zeilen aus, denen bei Chaucer entfprechend gegenüberfteht: " I f thou tomorwe wende, Thou shalt be dreynt, my tale ist at an ende." (Chaucer, V . 4 2 7 1 — 4 2 7 2 . ) 51

Hinter dem Prunk aber fteht die Klarheit der Form, die den H a n g zum Überfluß und Weitfchweifigen bändigt und konzentriert, ihm den Schein des Notwendigen gibt. Der Abfchnitt ift in zweimal drei Verfe eingeteilt. Im erften Teil erfolgt in der erften Zeile durch das "he thought" eine Brechung der Klanglinie, die dann in der zweiten Zeile ohne Stocken dahingleitet und fchließlich in der dritten Zeile auf dem Höhepunkt durch die fcharfe Z ä i u r ("but"!) in zwei Parallelen emporgeführt wird. Im zweiten Teil, gefteigert durch die direkte Rede, erfolgt wie im erften in der Anfangszeile eine Brechung der Klanglinie durch das "thy genius", nun aber gewandelt fteigt die Melodienführung fchon in der zweiten Zeile, getrennt durch die Zäfur,, zum Hönepunkt hinauf, um am Schluß im ruhigen Rhythmus der zweiten Zeile des erften Teils auszuklingen. Zu malerifdiem Prunk und mathematiicher Klarheit kommt ein drittes: d i e B e wegung: " T h e vision said, and vanished from his sight; The dreamer wakened in a mortal fright; Then pulled his drowsy neighbour, and declared What in his slumber he had seen and heard. His friend smiled scornful, and, with proud contempt Rejects as idle what his fellow dreamt." (Dryden, V . 31 j — 3 2 0 . ) Der Abfchnitt bringt in drei Couplets das Ineinander von Bewegung und Gegenbewegung. Im erften Couplet: Bewegung: "the vision vanished" — Gegenbewegung: "the dreamer wakened". Das zweite Couplet nimmt diefe Gegenbewegung in der erften Zeile auf, die zweite Zeile ftellt fich dagegen, indem fie auf die erfte Zeile des erften Couplets zurückgeht. Im dritten Couplet wird gewandelt nun nidit diefe letzte Bewegung, fondern die der erften Zeile des zweiten Couplets aufgegriffen, um dann in der letzten Zeile in der Gegenbewegung: " w h a t his fellow dreamt" auszuklingen. Prunk, Klarheit und Bewegung, die drei Momente, die in ihrer Dreiheit fich zugleich wieder bedingen, um in ihrer hödiften Wirkung zur Einheit zu gelangen, fprechen aus jeder Drydenfchen Zeile: " A n d many monstrous forms in sleep we see, That neither were nor are nor e'er can be." (Dryden, V . 331 — 332.) "Men dreme of thyng that never was ne shal." (Chaucer, V . 4284.) Hier tritt neben der Chaucerfdien Einfachheit der Prunk des Drydenfchen Stils heraus, ein Prunk, der Klarheit und Bewegung in fich fchließt, wie in der zweiten Zeile diefer Strophe, w o in der Akzentverteilung auf die drei Stufen: were — are — e'er can be in der gefteigerten Klangfärbung und Tonfülle alles malerifches Spiel und alles Berechnung ift. 52

Die weitere Erzählung des Hahnes gibt Dryden mit einigen unwefentlichen Änderungen wieder; ganz verläßt er die Vorlage, als er, plötzlich den Ernft aufgebend, über die Ärzte herzieht: "But neither pills nor laxatives I like, They only serve to make the well-man sick: Of these his gain the sharp physician makes, And often gives a purge, but seldom takes; They not correct, but poison all the blood, And ne'er did any but the doctors good. Their tribe, trade, trinkets, I defy them all, With every work of 'Pothecarics' H a l l . " (Dryden, V . 400—407.) D r y d e n s K l e i n m a l e r e i , feine Verfenkung in das Leben und Weben der heimlichen Dinge, unterfcheidet fidi fehr deutlich von der Chaucerfchen Art, mit kleinen Zügen das Bild abzurunden: " H e said, and downward flew from off the beam, For daylight now began apace to spring, The thrush to whistle, and the lark to sing. Then crowing clapped his wings, the appointed call, T o chuck his wives together in the hall." (Dryden, V . 426—430.) " A n d with that word he fly doun fro the beem, For it was day, and eke his hennes alle; And with a chuk he gan hem for to calle, For he hadde founde a corn, lay in the yerd." (Chaucer, V . 4363—4366.) Die dritte Zeile mit ihrem wundervollen, leichten D u f t fteht überhaupt nicht in der Vorlage. Ganz offenbar jedoch wird die verfchiedene Behandlung des Stoffes in den Schlußzeilen, w o Chaucer mit dem etwas banalen Vers: " F o r he hadde founde a com . . ." endet, eine Wendung, die Dryden hier aufgibt und dann wenig fpäter als kleine Epifode felbftändig behandelt: " N o w roaming in the yard, he spurned the ground, And gave to Partlet the first grain he found." (Dryden, V . 435—436 ) Diefe launige Schilderung fteigert er dann gefchickt: "Then often feathered her with wanton play, And trod her twenty times ere prime of d a y " (Dryden, V . 4 3 7 - 4 3 « ) um dann mit dem köftlichen Couplet abzufchließen: " A n d took by turns and gave so much delight, Her sisters pined with envy at the sight." (Dryden, V . 439—440.) Diefes beftändige Hin und Her zwifchen Scherz und Ernft ifl das Kennzeichen der Drydenfchen Erzählung. 53

Das Frühlingsgedicht: "See, my dear, H o w lavish nature has adorned the year; H o w the pale primrose and blue violet spring, And birds essay their theoats disused to sing: A l l these are ours; and I with pleasure see Man strutting on t w o legs, and aping me: A n unfledged creature of a lumpish frame, Endued with f e w e r particles of flame: Our dame sits cowering o'er a kitchen fire, I d r a w fresh air, and Nature's works admire; And even this day in more delight abound, T h a n , since I was an egg, I ever f o u n d " (Dryden, V . 455—466) beginnt mit einem ähnlichen, befdiwingten Klingen wie der Frühlingsgeiang in " P a l a m o n and Arcite", f ä l l t mit den Worten: " a l l these are o u r s . . . " unvermerkt in feine Ironie um, wandelt (ich wieder in den beiden vorletzten Zeilen, um dann mit einem fchalkhaften Lächeln zum zweiten Male allen Ernft in Komik übergehen zu lailen: " T h a n , since I was an egg . . . " Leichtigkeit und Befchwingtheit charakterifieren auch die nächften beiden Strophen; ein Ernft, der kein Ernft mehr ift, und ein Scherz, hinter dem tiefer Ernft (Ich birgt: " J o v e made not him his masterpiece below, A n d learn the latter end of joy is w o e . " (Dryden, V . 4 7 0 — 4 7 1 . ) " Y e wise, d r a w near, and hearken to my tale, Which proves that o f t the proud by flattery f a l l ; T h e legend is as true, I undertake, As Tristram is, and Launcelot of the Lake: Which all our ladies in such reverence hold, As if in Book of Martyrs it were told." (Dryden, V . 474—479.) Nach diefen heiter geftimmten V e r f e n erfolgt plötzlich der U m fdilag, in (fcheinbar) düfterem, geheimnisvollem Rhythmus hebt der nächfte Abfchnitt an: " A f o x full fraught with seeming sanctity, T h a t feared an oath, but, like the devil, would lie; W h o looked like Lent, and had the holy leer, And durst not sin before he said his prayer; This pious dieat, that never sucked the blood N o r chawed the flesh of lambs, but when he could, H a d passed three summers in the neighbouring w o o d . " (Dryden, V . 480—486.) 54

Diefes Bild, in feiner bifiigen und zugleich wieder lächelnden, iympathifch-humorvollen Zeichnung ganz Drydens Werk, nimmt über ieine aktuelle Anfpielung* hinaus den Lefer gefangen durdi die meiilerhafte Formgebung der zwei Couplets, an die fich als betonter Abfchluß noch ein Triplet fügt. Die innere Antithetik erfolgt in den beiden Couplets wie im Triplet mit der erften Zeile: "seeming sanctity", "holy leer", "pious cheat", die äußere, durch die Z ä f u r getrennte Antithetik in den Couplets mit der Schlußzeile, im Triplet mit der zweiten Zeile, an die fich dann ausklingend der Endvers des ganzen Abfchnitts anfchließt. Vollen Ernft jedoch atmen wieder Drydens Verfe über Gott und Welt. Chaucer ichlägt das Thema fchon an, bricht jedoch nach einem verzweifelten Hin und Her nach fiebenzehn Verfen ab: " I wil nat han to do of swich mateere, M y tale is of a cok, as ye may heere . . . " (Chaucer, V . 4441—4442) während Dryden über vierzig V e r f e hin über Freiheit und Unfreiheit des menfchlichen Willens reflektiert. Erfchütternd klagt er an: " F o r how can that eternal Power be just T o punish man, who sins because he must? Or, how can he reward a virtuous deed, Which is not done by us, but first decreed?" (Dryden, V . 519—522.) Ruhiger heißt es weiter unten: "Heaven made us agents free to good or ill, And forced it not, though he foresaw the will. Freedom was first bestowed on human race, And prescience only held the second place" (Dryden, V . 538 — j 4 i ) um endlich zu diefem wundervollen Triplet zu gelangen: " H e made us to his image, all agree; That image is the soul, and that must be Or not the Maker's image or be free." (Dryden, V . 546—548.) Doch Dryden fühlt, daß eine letzte Löfung nicht möglich ift; entmutigt, entfagend gelangt er fchließlich nicht über Chaucer hinaus: "But whether it were better man had been By nature bound to good, not free to sin, I wave, for fear of splitting on a rock. The tale I tell is only of a Cock." (Dryden, V . 549—552.) *) Prof. Wolff entdeckte die enge Beziehung des Gedichts auf die Affäre des " P o p i s h P 1 o t", wonach der Hahn und der Fuchs die Porträts von Karl II. und Shaftesbury darftellten! Bezeichnend auch hier die fubtile Ironie, die mit den Dingen fpielt, ohne fie ganz greifbar werden zu laden.

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Doch fdiwenkt Dryden aus dem Peffimismus der letzten zwei Zeilen des angeführten Abfchnitts zur leichteren, freieren Ironie um: " F o r women, with a mischief to their kind, Pervert with bad advice our better mind" (Dryden, V . J J J — 5 5 6 ) während Chaucer nur ichreibt: "Wommenes conseils been f u l ofte colde" (V. 4446) um dann wie Chaucer in der A u f l ö f u n g aller fdimerzlidi gebundenen Spannung mit einem leichten Lächeln, dem aber immer noch ein leifer Schmerz innewohnt, alle Gedanken fich in nichts verflüchtigen zu lailen: " B u t I my self presume, and let it pass" (Dryden, V . J64). " N o w to continue what my tale begun: L a y madam Partlet basking in the sun, B r e a s t - h i g h in sand; her sisters, i n a r o w , E n j o y e d the beams above, the w a r m t h below. T h e cock, that of his flesh was ever free, Sung merrier than the mermaid in the sea; A n d so befel, that as he cast his eye Among the colworts on a butterfly, H e saw false Reynard where he lay f u l l low; I need not swear, he had no list to crow; But cried, cock, cock, and gave a sudden start, As sore d i s m a y e d and f r i g h t e d at his heart. For birds and beasts, i n f o r m e d by nature, k n o w K i n d s o p p o s i t e to theirs, a n d f l y t h e i r foe. So C h a n t i c l e e r , who n e v e r saw a fox, Y e t s h u n n e d h i m as a s a i l o r s h u n s t h e r o c k s . " (Dryden, V . 5 7 3 — j88.) Die V e r f e offenbaren in der Freiheit ihrer Bewegung und der Bewußtheit der Gebärden wiederum Drydens Spiel zwifchen den Polen, zwifchen Unendlichkeit und Vollendung in einer Befdiwingtheit, die in der Dichtigkeit des Bildes, obwohl es (ich verhältnismäßig eng an Chauer anlehnt, weit über die Vorlage hinausgeht. Die Bewegung beginnt wie Chaucer mit dem Bilde der Lieblingshenne, geht zu dem der anderen Hühner über und fchließt mit der Zeichnung des Hahnes den Kreis. Die Befchreibung von Partlet und den Hühnern nimmt genau drei Zeilen ein, der Hahn zwei befondere Zeilen, während in der Vorlage die beiden Linien ineinander übergehen; jetzt fpringt die Bewegung plötzlich aus der vorgefchriebenen Richtung, mit dem Blick des Hahnes wandert fie im nächften Couplet (Zeile 7 und 8) zum Grünkohl auf dem Felde hinüber, das Wort "butterfly" gibt zugleich die harmlos fröhliche Stimmung; dann erfolgt der gewaltiame Umbruch in der neunten Zeile, nicht im ganzen Couplet, wie der Blitz taucht die Erfcheinung auf und verfchwindet wieder, im Herzen des Hahnes leife nachhallend (zehnte Zeile). Die Wirkung bricht in der elften und zwölften Zeile hervor, die Aufregung hat hier ihren Höhepunkt erreicht; überwölbt und 56

beruhigt wird das Bild im folgenden Couplet, deffen ironifche Anipielung bei Dryden eindringlicher geilaltet ift (Zeile 13 und 14), um in der fünfzehnten und fechzehnten Zeile in gemeilenem Rhythmus mit einem bei Chaucer nicht vorhandenen Gleichnis zu enden. Von einem wunderbaren Schmelz und Wohllaut ift die Rede des Fuchies. Schon die Einleitung befitzt diefen gleitenden, einfchmeichelnden Wortklang, dem jedoch zugleich etwas Berechnendes, Schleichendes eignet und darüber hinaus fich wieder das fein ironifche Element zugefellt: " I were a beast . . " I hope, my lord, "said he," I not offend; Are you afraid of me that am your friend? I were a beast in deed to do you wrong, I, who have loved and honoured you so long: Stay, gentle Sir, nor take a false alarm, For, on my soul, I never meant you harm! I come no spy, nor as a traitor press, T o learn the secrets of your soft recess: Far be from Reynard so profane a thought, But by the sweetness of your voice was brought: For, as I bid my beads, by chance I heard The song as of an angel in the yard; A song that would have charmed the infernal gods, And banished horror from the dark abodes: Had Orpheus sung it in the nether sphere, So much the hymn had pleased the tyrant's ear, The wife had been detained, to keep the husband there." (Dryden, V . 591—607.) Der Abfdinitt ift in zwei Teile gegliedert, in je vier Couplets, von denen das letzte durch einen angehängten Vers zum Triplet erweitert ift. Der erfte Teil bringt die Verficherung der Freundfchaft durch zwei Coupletpaare hindurch, die in (ich antithetifch durch die pofitive und negative Ausfage geftellt find. Mit dem zweiten Teil wird die Rede eindringlicher, der Fuchs geht zum Angriff über: der "sweetness" des erften Couplets entfpricht in jedesmal gefteigerter Form in den folgenden: "song as of an angel" — "charmed the infernal gods" — "had Orpheus sung . . . " Diefes fchmeichelnde und zugleich fdileichende Element birgt auch der nächfte Abfchnitt in fich. Wie Dryden fdion im vorigen A b f a t z weit über die Vorlage hinausgeht, hält er fich auch hier nur inhaltlich an Chaucer, der in vier Zeilen folgendermaßen berichtet: "My And Han And

lord youre fader, — God his soule blesse! eek youre mooder, of hire gentilesse, in myn hous y-been to my greet ese, certes, sire, ful f a y n wolde I yow plese." (Chaucer, V . 448$— 4488.) 57

Dry den macht nun in einer Sprache, die des durchtriebenften H o f manns würdig gewefen wäre, eine wiederum zweigeteilte Rede daraus, deren erfter Teil wie oben nur die fchnörkelhaft gewundene und durch allerlei blendende Allüren verdeckte Hinführung auf den zweiten, den Haupt- und Zweckteil ift. Das erfte Couplet beginnt mit dem Vater des Hahnes und endet mit einer Verbeugung vor dieiem felber, das zweite Couplet des erften Teils beginnt mit der Mutter und fdilägt am Schluß das eigentliche Thema an: der Fuchs fteht in der Mitte der Betrachtung im ganzen zweiten Teil. Und nun entfaltet fleh ungehindert ein fchmeichelhaft fpöttifches Bild nach dem anderen: " S o sweetly would he wake the winter-day, T h a t matrons to the church mistook their way, And thought they heard the merry organ play." (Dryden, V . 620—622.) " B y this, in song he never had his peer, From sweet Cecilia down to Chanticleer." (Dryden, V . 6 3 1 — 6 3 2 . ) Der Fuchs lobt den Vater des Hahnes und weiß, er lobt zugleich ihn. Noch aber ift die letzte Steigerung nicht ausgefpielt: die direkte Anrede, zu der er am Ende des vierten Satzes übergeht: " N o w sing, my lord, if not f o r love of me, Yet for the sake of sweet Saint-Charity; Make hills and dales, and earth and heaven, rejoice, And emulate your father's angel-voice." (Dryden, V . 647—650.) Hier ift das Pathos bis zum äußerften bewußt gefteigert und ironifiert; denn diefe Sätze find falfch in ihrem Spott und ihrer Lüge; andererfeits birgt diefes Pathos in fich durch die Klarheit und Strenge der Formgebung die künftlerifche Echtheit Dryden fcher Verskunft. Die Wirkung, die die Rede im Innern des Hahnes macht, befchreibt Chaucer in drei Zeilen: "This Chauntecleer his wynges gan to bete, As man that koude his traysoun nat espie, So was he ravysshed with his flaterie." (Chaucer, V . 4 5 1 2 — 4 5 1 4 . ) Dryden aber bringt in vier Couplets in wundervoller Steigerung die Schilderung des immer mehr zunehmenden Größenwahnfinns: " T h e cock was pleased to hear him speak so fair, And proud beside, as solar people are; N o r could the treason from the truth descry, So was he ravished with this flattery: So much the more, as from a little elf, He had a high opinion of him self; Though sickly, slender, and not large of limb Concluding all the wold was made for him." (Dryden, V . 651—658.) 58

In erften Couplet freut fidi der Hahn, folche Worte zu hören, im zweiten ift er entzückt von diefer Schmeichelei, im dritten Couplet von fidi felbft, im vierten glaubt er, die ganze Welt fei für ihn allein gefchaffen. Die Ermahnung an die Fürften, fidi nicht von Heuchlern betrügen zu lailen, fteht fchon bei Chaucer, der jedoch auf irgendwelche Anfpielungen verzichtet und daher das allgemeine " f a l s flatour" (V. 4 j i j ) verwendet, während Dryden i n f e i n e r N e i g u n g z u a k t u e l l e n P a r a l l e l e n über die Hofpoeten herzieht: " Y e princes, raised by poets to the gods, And Alexandered up in lying odes . . ." (Dryden, V . 6j9—660.) Die Schilderung der eigentlichen Uberliilung des Hahnes ift, in Aufbau und plafti icher Geftaltung Drydens eigentliches Werk, inhaltlich in der Chaucerfchen Vorlage fchon vorhanden: " T h i s Chanticleer, of whom the story sings, Stood high upon his toes, and clapped his wings; Then stretched his neck, and winked with both his eyes, Ambitious as he sought the Olympic prize, B u t w h i l e he p a i n e d h i m s e l f to r a i s e his n o t e , False Reynard rushed, and caught him by the throat. Then on his back he laid the precious load, And sought his wonted shelter of the wood; S w i f t l y he made his w a y , the mischief done, Of all unheeded, and pursued by none." (Dryden, V . 665—674.) Der Abfchnitt zerfällt in drei Teile: den Aufgefang in vier Zeilen, den Mittelpunkt in zwei, den Abgefang in vier Zeilen. Der A u f gefang gehört dem Hahn, der Abgefang dem Fuchs. Der Aufgefang: in einzelnen Stößen, die das erregte Gebaren des Hahnes widerfpiegeln (2. und 3. Zeile), führt uns Dryden zum Höhepunkt der vierten Zeile. Mit dem Worte " b u t " geht ein Riß durch die Strophe, wir werden aus der Himmelshöhe der vorhergehenden Zeile zur Erde zurückgeführt; doch noch willen wir nicht, was der Grund diefes plötzlichen Stimmungswechfels ift, der (ich auch im Rhythmus der weit ruhigeren fünften Zeile ausdrückt, bis dann in der fechften Zeile die mit dramatifcher Wucht in einen einzigen Vers gepreßte Auslöfung der Spannung erfolgt. Der Abgefang ift durch einen ra fchen, haftigen Fluß charakterifiert, wir fpüren die fliehenden, lautlofen Bewegungen im gleitenden Klang der Sprache. Die nädiften Zeilen bringen die Klage an Venus, von Dryden auf Grund feiner aftronomifchen Kenntniile umfangreich erweitert. Aus feiner Betrachtung heraus kommt er zu wirklich malerifdier und dramatifcher Geftaltung jedoch erft wieder mit den Verfen: 59

" N o t louder cries, when Ilium was in flames, Were sent to heaven by woful Trojan dames, When Pyrrhus tossed on high his burnished blade, And offered Priam to his father's shade, Than f o r the cock the widowed poultry made." (Dryden, V . 699—703.) In prunkvollem Uberfluß reiht fleh jetzt Bild an Bild: sovereign shrieks (V. 705), smouldering flames (V. 708), doleful cry (V. 7 1 4 ) ; dazwifchen aber blitzt mutwillig die Luft auf, alles Pathos mit einem leifen Lächeln in Frage zu (teilen und zu zerflören: "Willing into the fires she plunged her head, With greater ease than others seek their bed." (Dryden, V . 7 1 0 — 7 1 1 . ) Unmittelbare Vereinigung erfahren diefe beiden Elemente, Pathos und Entpathetifierung, im nächften Abfchnitt: " T h e trembling widow, and her daughters twain, This woful cackling cry with horror heard, Of those distracted damsels in the yard; And starting up, beheld the heavy sight, H o w Reynard to the forest took his flight, And cross his back, as in triumphant scorn, The hope and pillar of the house was borne." (Dryden, V . 7 1 7 — 7 2 3 . ) "Trembling widow", "distracted damsels", " h e a v y sight", aus allen Worten fpricht ein heimlicher Spott, der nicht ganz deutlich wird, denn ftets ift er überfchattet von der ernften Wahrhaftigkeit der natürlichen Schilderung, bis er fidi dann in der letzten Zeile doch freimacht und völlig heraustritt in der gewollt uniinnigen, ins Unmögliche geführten U b e r f t e i g e r u n g . Die Jagdfzene, in ihrer Lebendigkeit der Höhepunkt der ganzen Erzählung, ift ichon bei Chaucer von eindrucksvoller Unmittelbarkeit und Plaftik. Dryden konnte (ich hier alio eng an feine Vorlage halten; gleichwohl find einige Erweiterungen bemerkenswert, fowohl nach der Seite des Pathetifch-Prunkvollen, wie nach der des Komifch-Ironiichen hin. Das fchönfte komifche Bild, und gerade diefes fleht nicht bei Chaucer, bringt folgendes Couplet: "With many a deadly grunt and doleful squeak, Poor swine, as if their pretty hearts would break." (Dryden, V . 7 3 2 — 7 3 3 . ) Die Chaucerfche Zeile: " T h e dokes cryden, as men wolde hem quelle" (V. 4580) erweitert Dryden auf zwei ganze Couplets: " T h e ducks, that heard the proclamation cried, And feared a persecution might betide, Full twenty mile from town their voyage take, Obscure in rushes of the liquid lake." (Dryden, V . 736—739-) 60

Auf der Seite des Pathetifch-Prunkvollen wird aus einem einfachen Vers wie diefem: " I t semed as that hevene sholde f a l l e " (V. 4 5 9 1 ) ein malerifdi überladenes Triplet: " N o t when the welkin rung with one and all; And echoes bounded back from Fox's hall; Earth seemed to sink beneath, and heaven above to f a l l " (Dryden, V . 746—748)

und ebenfo find die Zeilen: " O f bras they broghten bemes, and of box, Of horn, of boon, in which they blewe and powped, And therwithal they skriked and they howped" (Chaucer, V . 4588—4J90) in zwei tönende Couplets gewandelt: " W i t h might and main they chased the murderous Fox, With brazen trumpets, and inflated box, T o kindle Mars with military sounds, N o r wanted horns to inspire sagacious hounds." (Dryden, V . 7 4 9 — 7 j 2 . ) ßis zu dem Augenblick, da der Hahn den Fuchs zu Überliften vermag, überfetzt Dryden verhältnismäßig getreu, nur hier und da das Chauceridie Bild, dem die Form immer nur von außen aufgedrückt ift, von innenher belebend und abrundend. So heißt es jetzt ftatt: " T h i s cok, that lay upon the foxes bak . . ." (Chaucer, V . 4595) " T h e captive cock, who scarce could draw his breath, A n d lay within the very jaws of death." (Dryden, V . 75 j — 7 5 6 . ) In der gleichen Linie liegt Drydens Hinzufügung: " Y e t in this agony his f a n c y wrought, A n d fear supplied him with this happy thought. . . " (Dryden, V . 7 5 7 - 7 5 « - ) Die gleiche E r f a f f u n g der Geftalten von innen her bewog Dryden auch, die Erregung und den Ärger des überlifteten Liftigen in einem befonderen Abfchnitt darzuftellen: " W h o m , when traitor safe on tree beheld, H e cursed the gods, with shame and sorrow filled: Shame f o r his f o l l y ; sorrow out of time, For plotting an unprofitable crime: Y e t , mastering both, the artificer of lies Renew the assault, and his last battery tries." (Dryden, V . 7 7 2 — 7 7 7 . ) Während Chaucer fofort zu der Rede des Fuchfen übergeht: " B u t , sire, I dide it of no wikke entente. C o m doun, and I shal telle y o w what I mente." (Chaucer, V . 4 6 1 3 — 4 6 1 4 . ) 6

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In dicfer Rede, in der Dryden die Vorlage wieder weit hinter fich läßt, erreicht er den hödiften Grad der K o m i k ; die Unverfchämtheit und Ruhe, mit der der Fuchs feine Handlung erklärt, ift einfach bodenlos: " T h e appearance is against me, I confess, Who seemingly have put you in distress . . . (Dryden, V . 780—781.) I practised it, to make you taste your cheer With double pleasure, first prepared by fear." (Dryden, V. 788—789.) Der Hahn aber ift gewarnt: " A n honest man may take a knave's advice, But idiots only may be cozened twice: Once warned is well bewared; not flattering lies Shall soothe me more to sing with winking eyes, And open mouth, for fear of catdiing flies'" (Dryden, V . 7 9 7 — 8 0 1 ) fagt Dryden in der Klarheit und dem glitzernden Schimmer feines Stils und nähert fich erft mit dem nädiften Couplet wieder der Vorlage: " W h o blindfold walks upon a river's brim, When he should see, has he deserved to swim!" (Dryden, V . 802—803.) " F o r he that wynketh, whan he sholde see, Al wilfully, God lat him never thee!" (Chaucer, V . 4621—4622.) Das Gedicht befchließt bei Chaucer der Fuchs mit den Zeilen: " N a y , quod the f o x , "but God yeve hym meschaunce, T h a t is so undiscreet of governaunce T h a t jangleth whan he sholde holde his pees." (Chaucer, V . 4623—4625.) Dryden begnügt fidi nicht damit; er empfand diefen Schluß als unvollftändig, da er nicht die ficherc Entfcheidung bringt: nie mehr wird der Hahn fich übertölpeln lailen. So erklärt fich die Drydenfche Anfügung: " A peace with all my soul," said Chanticleer, "But, with your favour, I will treat it here: And lest the truce with treason should be mixed, 'Tis my concern to have the tree betwixt." (Dryden, V . 806—809.) Chaucer wie Dryden laflen der eigentlichen Verserzählung noch eine Moral folgen. Während Chaucers Strophe aber in der Bitte um Gottes Gnade endet: " A n d brynge us to his heighe blisse! Amen" (V. 4636), rückt im Zeitalter der Aufklärung ein Vers in den Mittelpunkt, der bei Chaucer fchon vorhanden ift, jedoch immer nur im Hinblick auf die Lehre des Dogmas erfaßt wird: "Taketh the fruyt and lat the chaf be stille." 62

(V. 4633.)

Diefer Vers ift jetzt des dogmatifchen Untergrunds entkleidet, er foil nicht mehr den unvollkommenen Menfchen zur Lehre der A l l weisheit hinführen: " F o r S e i n t P a u l seith that al that writen is, T o oure doctrine it is y - w r i t e y - w i s " ( V . 4630), fondern im Sinne jenes docere et delectare in der A b w e n d u n g v o m kirchlichen D o g m a und in der H i n w e n d u n g zur Antike, zu H o r a z , durch lein erbauliches und erziehliches Moment einer zu immer größerer Vollkommenheit (Ich aufschwingenden Menfchheit, die das Göttliche nicht mehr über fich, fondern um (ich und in fich fpürt, in angenehmer Schale den nützlichen K e r n darbieten: " A n d in a heathen author w e m a y find, T h a t pleasure with instruction should be joined; So take the corn, and leave the chaff behind." (Dryden, V. 8 1 9 — 8 2 1 . )



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3. The Wife of Bath her Tale. Wir verfuchten fchon in den vorhergehenden Kapiteln, die beständige A n t i t h e t i k b a r o c k e r S p a n n u n g e n u n d i h r e f p i e l e r i i c h e L ö f u n g in Drydens Werk deutlich zu machen. Die Verserzählung " T h e W i f e of Bath her T a l e " offenbart wiederum dieien ewigen Wider ftreit, das Gegenüber und Gegeneinander der Antithefen und zugleich ihre Auflockerung und Auflöfung in einem Spiel, das die Gegeniätze zu einer Einheit zufammenfaßt; einer Einheit, die jedoch ftets fcheinbar bleibt, denn immer find die Thefen bereit, bei einem neuen Anftoß gewandelt herauszutreten und den Kampf noch einmal zu beginnen. So ift Barock der Stil der fteten Bewegung. Er kennt keine Ruhe, denn hinter jeder Synthefe, die im Moment ihrer Aufftellung Klarheit und Bewegungslofigkeit bedeutet, pocht die Polarität der letztlich unvereinbaren Spannungen. Barock ift nicht nur Bewegung; er ift audi Ruhe und Klarheit, er ift Polarität und Synthefe. Denn ift die eine Antithetik durch Vereinigung zur Löfung gebracht, fteht der neuen Einheit fogleich ein neues Widerfpiel entgegen. Wie in den großem Stil:

vorhergehenden

Versepen

beginnt

Dryden

in

" I n days of old, when Arthur filled the throne, Whose acts and fame to foreign lands were blown . . . " (Dryden, V . 1 — 2 . ) Dieies Pathos ift aber nidit fteif und ftarr, fondern von einer mächtigen Bewegung erfüllt: " t o foreign lands were blown . . . " , während Chaucer hier nur fchreibt: "of which that Britons speken greet honour" (V. 858). Das zweite Couplet indeiTen verläßt plötzlich, obwohl mit dem vorhergehenden eng verbunden, das Pathos der erften zwei Zeilen, und in überrafchendem Umfchlag gleitet der Rhythmus leichtflüffig und zart dahin: " T h e king of elves and little fairy queen Gambolled on heaths, and danced on every green." (Dryden, V . 3—4.) 64

Der genauen Gegenüberftellung zwei io verfchiedener Couplets entfprechen in der Vorlage nur drei Zeilen, denn den beiden Anfangszeilen fügt Chaucer nur noch diefen Vers an: " A l l was this land fulfild of f a i r y e " (V. 859). In zwölf weiteren Zeilen malt Dryden mit leichten, hingehauchten Zügen den nächtlichen Elfentanz, während Chaucer iich mit zwei Verfen begnügt. Bei den Worten " I speak of ancient times" (V. 16) knüpft Dryden wieder an Chaucer an: " I speke of manye hundred yeres ago" (V. 863), aber nur, um ihn fofort wieder zu verladen und den eigenen Reichtum feiner ftimmungsvollen, köftlichen Bilder auszufchütten: "She sighs, and shakes her empty shoes in vain, N o silver penny to reward her pain . . . " (Dryden, V . 22—23.) Er ft jetzt kehrt Dryden zu feiner Vorlage zurück, um fich für die nächften Zeilen verhältnismäßig eng an fie zu halten, hier und da die kleinen Geften eines eindringlichen, grotesken Naturalismus einfügend: " T h e midnight parson posting o'er the green With gown tucked up to wakes, for Sunday next With humming ale encouraging his text." (Dryden, V . 36—38.) Man hört den Geiftlichen förmlich im Klang der abgehackten Worte über die Felder dampfen. Ein Meifterftück Drydenicher Formkunft iil der Abfchnitt über das Vergehen des Ritters, deilen gefdiickte Steigerung in der dramatifchen Linie ohne Vorbild ift: " I t so befel in this King Arthur's reign, A lusty knight was pricking o'er the plain; A bachelor he was, and of the courtly train, It happened as he rode, a damsel gay In russet robes to market took her w a y ; Soon on the girl he cast an amorous eye, So straight she walked, and on her pasterns high: If seeing her behind he liked her pace, N o w turning short he better liked her face. He lights in haste, and, full of youthful fire, By force accomplished his obscene desire. This done, away he rode, not unespied, For swarming at his bads the country cried: And once in view they never lost the sight, But seized, and pinioned brought to court the knight." (Dryden, V . 46—60.) Das Triplet am Anfang gibt die Einleitung, zugleich aber fchon mit der Mittelzeile in die Handlung hineinführend. Die vierte und fünfte Zeile tragen das zweite Motiv, das im nächften Couplet von beiden Seiten aus gefteigert wird. Aus dem "it happened, as he . . . " 65

wird das "he cast an amorous eye . . .", ftatt von der "damsel g a y " fpridit Dryden jetzt von ihren "pasterns high". Die Bewegung befchleunigt fich in der aditen und neunten Zeile: "now turning s h o r t . . . " , die Spannung iil bis zum äußerften gediegen, aufgeregt und nervös flackert die nächfte Zeile, um dann mit dem kräftigen "by force" den Höhepunkt zu erreichen*. Die nächften beiden Couplets bringen das Ende, noch haftig und unruhig durch das Bild der Flucht und Verfolgung, dann weicher im Ausklang der ganzen Strophe. In den folgenden acht Zeilen ergeht (ich Dryden in einer kräftigen, aktuellen Anfpielung, feine Ironie und fein Spott brechen durch. Es wäre für Chaucer ein leichtes gewefen, folche Zwifchenbemerkungen in feinen T e x t einzuichalten; daß Chaucer indefTen es nidit tut, Dryden aber, wo immer es ihm möglich ift (vgl. St. 23), das ift das Bezeichnende und gibt jedem der beiden Dichter feine ganz beftimmte Zeitftellung. "Then courts of kings were held in high renown, Ere made the common brothels of the town; There virgins honourable vows received, But chaste as maids in monasteries lived: The king himself, to nuptial ties a slave, N o bad example to his poets gave; And they, not bad, but in a vicious age, Had not to please the prince debauched the stage." (Dryden, V . 61—68.) Die Szene der Verurteilung des Ritters ift bei Chaucer von einer geraden Einfachheit, ohne menfchliche Hintergründe, ohne irgendeinen inneren Kampf. Dryden aber läßt feinen King Arthur hin und her ichwanken; der Herrfcher liebt den Ritter, "but sovereign monarchs are the source of right" (V. 70), er fieht fich gezwungen, um der allgemeinen Empörung gerecht zu werden, den Ritter zum Tode zu verurteilen (1. und 2. Couplet, V . 69—72). — Jetzt erfolgt der Gegenftoß, die Königin bittet f ü r den Ritter, ihr wird das Urteil überlailen; Wendung und neue Spannung (3. und 4. Couplet). — Die Königin berät fich mit ihren Damen, ein Motiv, das bei Chaucer vollkommen fehlt, denn dort fällt die Königin fofort ohne Zaudern ihr Urteil (j. Couplet und Triplet). — Schließlich erfolgt im 7. und 8. Couplet die Verkündigung des BefchluiTes; diefes Bild in feinem Prunk ift ganz Drydens Eigentum: die Bewegung beginnt in der Tiefe: *) Rzesnitzek fchreibt: „Den bezeichnenden Nebenumftand, daß das Mädchcn mutterfeelenallein ("allone as she was born", Ch. V . 885) auf dem P f a d e ging, läßt Dryden zum Nachteil der Schilderung fort, denn es id anzunehmen, daß gerade diefer Umftand den Ritter zu feinem Vergehen gereizt habe. . . . Es ift unzweifelhaft, daß die ernftere Darftellungsart des älteren Dichters den Vorzug vor der leiditgefdiürzten Mufe Drydens verdient." a . a . O . St. 1 1 7 . 66

" A t last agreed, they call him by consent Before the Queen and female parliament" (Dryden, V . 82—83) wölbt fich empor: " A n d the fair Speaker, rising from the chair" (V. 84), ienkt fich wieder hinab: " D i d thus the judgment of the House declare" (V. 8$). Für die Rede felbft benötigt Dryden doppelt fo viele Verfe wie Chaucer, wodurch es ihm möglich ift, die Spannung der einzelnen Motive geichickt über den ganzenAbfchnitt zu verteilen. Denn während Chaucer fchon in der dritten Zeile fagt: " I grante thec l y f " (V. 904) und fofort die Bedingung anhängt: " I f thou kanst teilen me, What thyng is it that wommen moost desiren . . ." (Chaucer, V . 904—905) heißt es bei Dryden erft in der Mitte des zweiten Coupletpaares: " I grant thee life" (V. 92). Und genau entfprechend fteht in der Mitte des nächften, dritten Couplets das Wort "question" (V. 96), an das fich dann in der folgenden Zeile die direkte Frage anfchließt: " I s what the sex of women most desire?" (V. 97). In der vierzehnten Zeile erfolgt die Ermahnung: "Beware, for on thy wit depends thy life" (Dryden, V. 99), die fchon bei Chaucer fteht, allerdings eine ganz andere Atmofphäre fchaffend: " B e war, and keepe thy nekke-boon from iren" (V. 906), und endlich erfolgt in der (iebzehnten Zeile das Gebot: " A year is thine to wander at thy will; And learn from others, if thou wantst the skill." (Dryden, V . 103—104.) Die Darftellung des feelifchen Zwiefpaltes, wie wir es oben fchon beim König Arthur fahen, ift auch hier das Werk Drydens: " H i s leave thus taken, on his way he went With heavy heart, and full of discontent, Misdoubting much, and fearful of the event." (Dryden, V. 1 1 4 — 1 1 6 . ) Bei Chaucer fteht nur der erfte Teil des Triplets: " A n d taketh his leve, and wendeth forth his weye." (Chaucer, V . 918.) Ebenfo verhält es fich mit den folgenden Zeilen, in denen Dryden die Chaucerfche Vorlage " H e seketh every hous and every place" (Chaucer, V . 919) 67

in die Verie umwandelt: "Still anxious more and more, Asked all he met, and knocked at every door; Inquired of m e n . . . " (Dryden, V . 1 1 9 — 1 2 1 . ) In den nächften Sätzen geht Dryden nicht weit über Chaucer hinaus, entfernt fich jedoch in der Midaserzählung wieder von der Vorlage. "Midas the king, as in his book appears, By Phoebus was endowed with ass's ears, Which under his long locks he well concealed (As monarch's vices must not be revealed), For fear the people have 'em in the wind, Who long ago were neither dumb nor blind; Nor apt to think from heaven their title springs, Since J o v e and Mars left off begetting kings." (Dryden, V . i j 7 — 1 6 4 . ) Die beißende Ironie in den Anfpielungen der vierten Zeile und vor allem der folgenden, wo Dryden für das unterdrückte Volk gegen den radikalen Abiolutismus der Könige Partei ergreift, ift bei Chaucer überhaupt nicht vorhanden. Drydens ariftokratifche Einftellung hatten wir fchon Gelegenheit, aus feinen Ausfällen gegen den Pöbel herauszufühlen, ebenfo aber, wie hier, feinen Widerwillen gegen Willkür und Rechtlofigkeit (vgl. St. 16). Der offene Hohn der letzten Zeile zieht als feine Ironie durch die ganze Strophe: " A n d sacred sure is every woman's oath. . . " (Dryden, V . 174). Diefe Ironie ift eine ganz andere als die Chaucers, denn dort liegt iie allein in der Handlung, in der Situation, daß eine Frau das ihr anvertraute Geheimnis nidit bei fich zu behalten vermag. Unvermittelt ftehen Verbot und Verrat nebeneinander: "She nolde nat telle it for hier owene shame; But natheless hir thoughte that she dyde, That she so longe sholde a conseil hyde." (Chaucer, V . 964—966.) Dryden aber geftaltet wieder einen M e n f ch e n in all feinem Hangen und Bangen, in feinem. Wollen und Niditanderskönnen. Hin und ner gehen die Verfe: " T h e counsel rumbled till it found a vent. The thing she knew she was obliged to hide By interest and by oath the wife was tied, But if she told it not, the woman died. Loath to betray a husband and a prince, But she must burst, or b l a b . . . " (Dryden, V . 1 7 8 — 1 8 3 . ) Großartig ift die Erfailung dieier allerkleinften, menfchlichften Züge, die nun ganz ohne Pathos in ihrer Ironie nicht lachen machen, fondern wirklich rührend wirken: 68

"Thither she ran, and held her breath for fear, Lest if a word she spoke of any thing, T h a t word might be the secret of the king. Thus full of counsel to the fen she went, Griped all the way, and longing for a vent; Arrived, by pure necessity compelled, On her majestic mary-bones she kneeled; Then to the water's brink she laid her head, And as a bittour bumps within a reed, " T o thee alone, O lake," she said, " I tell, (And, as thy queen, command thee to conceal), Beneath his lodes, the king my husband wears A goodly royal pair of ass's ears." (Dryden, V . 1 8 6 — 1 9 8 . ) Charakterifti ich für die beiden Dichter ift audi der verichiedene Schluß: " N o w is myn herte all hool, now is it oute, I myghte no lenger kepe it, out of doute." (Chaucer, V . 978—979.) " N o w I have eased my bosom of the pain T i l l the next longing fit return again." (Dryden, V . 1 9 9 - 200.) Chaucer greift in der letzten Zeile noch einmal auf das Vorhergegangene zurück und rundet fo die Erzählung zu eir-em feilen Ganzen ab, Dryden aber ftellt in barocker Überhöhung über die wirkliche Handlung eine zukünftige, an die Stelle des feften Zielpunktes tritt die Zielloiigkeit, das unendliche Spiel, die barocke Weite. Im Gegenfatz zu Chaucer find bei Dryden Gehalt und Form, d. h. Sinnzufammenhang und Tonführung durchaus aufeinander abgeftimmt. " T h e knight with heavy cheer; Wandering in vain, had now consumed the year; One day was only left to solve the doubt, Y e t knew no more than when he first set out." (Dryden, V . 203—206.) Weit lebendiger und perfönlicher wirken dieie Verfe als die entfpredienden Zeilen bei Chaucer: " T h i s knyght, of which my tale is specially, Whan that he saugh he myghte nat come therby, T h a t is to seye, what wommen love moost, Withinne his brest ful sorweful was the goost." (Chaucer, V . 983—986.) 69

Der fdiwere, melancholiiche erfährt eine leife Aufhellung:

Rhythmus

der

Drydenfchen

Verie

" I n this despairing state he happed to ride, As fortune led him, by a forest side; Lonely the vale, and full of horror stood, Brown with the shade of a religious wood." (Dryden, V . 209—212.) Dieie Worte find nicht mehr wuchtig, haben aber noch den fchwermütigen Klang der vorhergehenden; doch auch diefer ichwindet, ein frohes Leuchten verleiht den Verfen neuen, leichtbefchwingten Glanz: "When full before him at the noon of night, (The moon was up, and shot a gleamy light), H e saw a quire of ladies in a round T h a t featly footing seemed to skim the ground; Thus dancing hand in hand, so light they were, He knew not where they trod, on earth or air." (Dryden, V . 2 1 3 — 2 1 8 . ) Das Pathos hat fich verflüchtigt im zarten Hauch eines malerifchen, leicht bewegten Bildes; im gleichen Augenblick erfolgt der Umichlag und die überrafdiende Löfung in einem grotesken Naturalismus: "One only hag remained: but fouler f a r Then grandame apes in Indian forests are: Against a withered oak she leaned her weight, Propped on her trusty staff, not half upright, And dropped an awkward courtesy to the knight." (Dryden, V . 224—228.) Chaucer fagt hier nur: " S a v e on the grene he saugh sittynge a w y f ; A fouler wight ther may no man devyse." (Chaucer, V . 998—999.) Während Chaucer aber in den folgenden vier Zeilen in feinem fchwereren Ton beharrt: "Thise olde folk kan mudiel thyng, "quod she" (V. 1004), fteht nun die Rede der Hexe bei Dryden in auffallendem Gegenfatz zu ihrer abflößenden Erfcheinung: "Perhaps good counsel may your grief assuage, Then tell your pain, for wisdom is in age." (Dryden, V . 235—236.) Aus Chaucers Schlußfatz formt fich unwillkürlich das Bild einer alten Hexe, Dryden läßt die Frau in feinem klaren, ruhigen Stil reden. Der Lefer fühlt den Widerfpruch zwifdien der Häßlichkeit der " h a g " und der Schönheit des letzten Couplets. Dicfe Hexe kann keine Hexe fein. Und damit wird innerlich das Ende der Erzählung vorbereitet; eine Technik, die Chaucer noch nicht kennt, wie wir fchon bei der LTnterfuchung von "Palamon and Arcite" feftzuftellen die Gelegenheit hatten (vgl. St. 35, V. 288). 70

Chaucer ift kurz und bündig in feiner Sprache, er w i r k t neben dem glatten Dryden o f t rauh: " I nam but deed but if that I kan seyn What thyng it is that wommen moost desire." (Chaucer, V . 1 0 0 6 — 1 0 0 7 . ) " M y life must with to-morrow's light expire, Unless I tell w h a t women most desire." (Dryden, V . 2 3 9 — 2 4 0 . ) Auch Dryden benötigt hier nur zwei Zeilen, und doch verleiht der gefchwungene Schnörkel feines Stils den wenigen Worten einen ganz anderen Stimmungsgehalt; a u f f a l l e n d ift dabei die vollkommene Ausgewogenheit der beiden Coupletzeilen, während Chaucers eigentliche Ausfage fchon mit den erden vier Worten erledigt ift. Das fchnörkelhafte Element des Drydenfchen Stils bedeutet einen Uberfluß und einen Prunk, der niemals unnötig, iondern ftets bedingt ift von der naturaliftifch plaftifchen Geftaltung der einzelnen Szenen. V o n diefer Seite her ift die wefentliche Änderung zu verftehen, die Dryden mit dem Hexenritt vornimmt. Bei Chaucer fteht nur: " T h o rowned she a pistel in his ere, A n d bad hym to be glad and have no fere." (Chaucer, V . 1 0 2 1 — 1 0 2 2 . ) Dryden aber fchreibt: " W i t h that she spread her mantle on the ground, And, first inquiring whither he was bound, Bade him not fear, though long and rough the w a y , A t court he should arrive ere break of d a y : His horse should find the w a y whithout a guide. She said: with f u r y they began to ride, H e on the midst, the beldam at his side. T h e horse, w h a t devil drove I cannot tell, But only this, they sped their journey w e l l . " (Dryden, V . 2 5 5 — 2 6 3 . ) Z u einem w a h r h a f t k l a f f i f d i e n Pathos geht Dryden in den nädiften Zeilen über: " T h e female senate was assembled soon, With all the mob of women in the town: T h e Queen sat lord chief justice of the hall, A n d bade the crier cite the criminal. T h e knight appeared; and silence they proclaim: T h e n first the culprit answered to his name; A n d , a f t e r forms of laws, was last required T o name the thing that women most desired." (Dryden, V . 2 6 8 — 2 7 5 . ) 71

Die Bewegung fetzt mit dem "female senate" ein, fteigt im nächften Couplet zur "Queen" auf, geht zum Ritter über und erreicht ihre höchfte Spannung in der letzten Zeile, deren Löfung dann in dem wundervollen Couplet der Antwort: " A blunt plain truth, the sex aspires to sway, Y o u to rule all, while we, like slaves obey" (Dryden, V . 285—286) erfolgt. Dryden fetzt diefe Zeilen als flärkile Steigerung an das Ende, während die Entgegnung des Ritters bei Chaucer durch den ab fchweif enden Schluß diefe Wirkung nicht erreicht: "This is youre mooste desir, thogh ye me kille. Dooth as yow list, I am heer at youre wille." (Chaucer, V . 1 0 4 1 — 1 0 4 2 . ) An das prunkvolle Pathos feiner Verfe fügt Dryden wiederum mit leifem Lächeln eine kleine Epifode an: " E v e n fair Geneura with a blush confessed The man had found what women loved the best" (Dryden, V . 289—290) um fo ftärker wirkt der Donnerfchlag der plötzlichen Umkehrung: " U p starts the beldam, who was there unseen, And, reverence made, accosted thus the queen . . . " (Dryden, V . 291—292.) Aufgeregt ergießt iich der Redefchwall der Hexe über die verblüffte Verfammlung: " M y liege, said she, "before the court arise, May I, poor wretch, find favour in your eyes, T o grant my just request: 'twas I who taught The knight this answer, and inquired his thought." (Dryden, V . 293—296.) In hinreißender Beredfamkeit heißt es: " N o n e but a woman could a man direct T o tell us women what we most affect." (Dryden, V . 297—298.) An die Stelle des Pathos ist die Groteske getreten: " T h e more he spoke, the more she stretdied her throat." (Dryden, V . 316.) In übermütiger Laune fetzt Dryden neben den Vers: " A n d , old and ugly as I am, and poor . . . " (Dryden, V. 323) die einfdimeichelnden Worte: " A n d I thy loving and obedient w i f e " (Dryden, V . 326), zu denen die höfliche Aufforderung des Ritters: " A v a u n t , old witch! for I renounce thy bed" (Dryden, V . 3 3 1 ) in beluftigendem Gegen iatz fteht. 72

" T o bed they went, the bridegroom and the bride: Was never such an ill-paired couple tied: Restless he tossed, and tumbled to and fro, And rolled, and wriggled further off for woe. T h e good old wife lay smiling by his side, And caught him in her quivering arms, and c r i e d . . ." (Dryden, V . 342—347.) Die maßlofe Uberfteigerung dieier draftifchen Szene ift in der Vorlage natürlich nicht zu finden; z. B. fagt Chaucer entfprechend den letzten Drydenichen Zeilen nur: " H e walweth, and he turneth to and fro, His olde w y f lay smylynge evermo." (Chaucer, V . 1085—1086.) Beide Zeilen verdoppelt Dryden und erreicht erft in der Erweiterung diefe unerhört burleske Situationswirkung, die in dem "rolled and wriggled" und dem melancholifchen " w o e " ebenfo fehr zum Ausdruck kommt wie in den "quivering arms" der Hexe. Und diefe Hexe fpridit dann den wundervoll leichten Vers: " Y o u r loving, lawful, and complying w i f e ! " (V. 354.) Heimlich fdileicht fich wieder der E m i l in die Dichtung ein; er liegt fchon verborgen in den Zeilen: " I f not your wife, let reason's rule persuade, Name but my fault, amends shall soon be made" (Dryden, V . 3 6 3 - 3 6 4 ) wird jedodi noch einmal unterdrückt durch die fchmollende, trotzig komifche Antwort des Ritters: " W h a t wonder, madam, if I move my side, When, if I turn, I turn to such a bride." (Dryden, V . 3 7 0 — 3 7 1 . ) Dann aber tritt der tiefe Ernft deutlich heraus, das groteske Gewand ift abgeftreift: "But, for you say a long descended race, And wealth, and dignity, and power, and place, Make gentlemen, and that your high degree Is mudi disparaged to be matched with me; K n o w this, my lord, nobility of blood Is but a glittering and fallacious good . . . " (Dryden, V . 3 7 8 - 3 8 3 - ) In dem eigenen Pathos feines Stils, das von einem durchaus echten und würdevollen Rhythmus erfüllt ift, gelangt Dryden hier zu Sätzen, deren Formvollendung fich mit der Vorlage nicht mehr vergleichen läßt: " T h e nobleman is he whose noble mind Is filled with inborn worth, unborrowed from his kind." (Dryden, V . 384—385.) 73

Völlig entfernt fich Dryden von Chaucer in der philofophifdien Reflexion über Freiheit und Notwendigkeit: "Chance gave us being, and by chance we live. Such as our atoms were, even such are we, Or call it Chance, or strong Necessity: Thus loaded with dead weight, the will is free. And thus it needs must be." (Dryden, V . 4 2 1 — 4 2 5 . ) Doch auch dort, wo Dryden Chaucerfche Sätze übernimmt, wird es klar, daß der Unter fchied der beiden Dichter nicht nur in der Geftaltung der Form liegt, fondern daß diefe in der größeren Klarheit und in ihrem größeren Sdiwung zugleich eine Änderung des gedanklichen Gehalts bedingt, fodaß die Bilder in kühneren und weiteren Ausmaßen eine ganz andere Tiefe der Welt in die Dichtung einzufchließen vermögen. " H e nys nat gentil, be he due or erl; For vileyns synful dedes make a cherl; For gentillesse nys but renomee Of thyne auncestres, for hire heigh bountee Which is a strange thyng to thy persone." (Chaucer, V . 1 1 5 7 — 1 1 6 1 . ) " T h e line is gone, no longer duke or earl; But, by himself degraded, turns a churl. Nobility of blood is but renown Of thy great fathers by their virtue known, And a long trail of light to thee descending down, If in thy smoke it ends, their glories shine; But infamy and villanage are thine." (Dryden, V . 437—443.) Im Rahmen der zwei Couplets, deren Thema durch die Worte "churl" und " i n f a m y " gekennzeichnet ift, fteht das wundervolle Triplet als edit barock fdiweifendes Bild mit feinem Glanz und Schwung. Und eben das ift das Bezeichende für Dryden wie für den Barock, wie diefe unendliche Bewegung zwifchen Himmel und Erde, Ahnen und Nachfahren zugleich Maß und Ziel erhält durch das fichere Gebundenfein am Anfang und Ende. " T h e hye God, on whom that we bileeve, In wilful poverte chees to lyve his l y f , And certes, every man, mayden, or w y f , May understonde that Jhesus, hevene kyng, N e wolde nat chese a vicious l y v y n g . " (Chaucer, V . 1 1 7 8 — 1 1 8 2 . ) " I f poverty be my upbraided crime, And you believe in Heaven, there was a time When He, the great controller of our fate, Deigned to be man, and lived in low estate; Which He who had the world at His dispose, If poverty were vice, would never choose." (Dryden, V . 458—463.) 74

D r y d e n hält fich hier lehr eng an Chaucer, ein kleiner Zug jedoch weicht völlig von der V o r l a g e ab; in der erften Zeile des Chaucerfchen Abfchnitts w i r d die f r o m m e Gläubigkeit nicht nur Chauccrs, fondern feiner ganzen Zeit deutlich, hier ift keine Einfchränkung gemacht, denn es ift ielbftverftändlich f ü r ihn, daß man an G o t t glaubt. Drydens Abfchnitt beginnt mit dem charakteriftifchen " I f " : "if you believe in H e a v e n " ; der Rationalismus der A u f k l ä r u n g nimmt das D a f e i n Gottes nicht mehr ftillfchweigend hin, er relativiert, bedingt. Neben der fchwungvollen Klarheit Drydenfcher V e r f e fteht ihr unmittelbares E r f a f l e n von bewegten Geften, die in ihrer Sachlichkeit und ihrem Naturalismus an die klotzigen Szenen des BauernBrueghel erinnern: " B u t the base miser starves amidst his store, Broods on his gold, and griping still at more, Sits sadly pining, and believes he's p o o r . " (Dryden, V . 468—470.) Meifterhaft ift hier die Bewegung in die kauernde Statik des Bildes verflochten: in der erften Zeile fchrumpft fie gleidifam mit dem geizigen Alten z u f a m m e n und verfinkt in (ich felbft; dumpf w i r d fie mit dem W o r t e " b r o o d s " aufgerüttelt, mit einem heftigen Zucken fchnellt fie in dem fchrillen V o k a l des " g r i p i n g " empor und finkt ftumm zurück: "sits sadly p i n i n g " ; immer ferner, fchwerer, dunkler verhallen Bewegung, Gebärde und Bild. Die beiden nächften Zeilen: " T h e ragged beggar, though he wants relief, H a s nought to lose, and sings before the t h i e f " (Dryden, V . 4 7 1 — 4 7 2 ) gehen über den Naturalismus der beiden vorhergehenden fchon wieder hinaus in das abgeklärte K r e u z f p i e l von T h e f c und Antithefe, ihrer Spannung in der Polarität von zweiter Vershälfte der erften Zeile und erfter V e r s h ä l f t e der zweiten Zeile und ihrer harmonifchen L ö f u n g in der S y n t h e f e von erfter Vershälfte der erften, und zweiter V e r s h ä l f t e der zweiten Zeile. In der V o r l a g e heißt es hier: " T h e poure man, whan he goth by the weye, B i f o r e the theves he may synge und pleye." (Chaucer, V . 1 1 9 3 — 1 1 9 4 . ) Der S p i e l t r i e b d e s B a r o c k ift es, der die einfache Linie abwandelt, fich damit aber nicht genügen läßt, fondern fie durch eine dritte Linie ins Unendliche fteigert. " A n d be to y o w a trewe, humble w y f , A n d never you displese in al my l y f " (Chaucer, V .

1221—1222) 75

heißt es bei Chaucer. Dryden macht daraus drei Zeilen, fetzt ftatt der zwei Chaucerfchen Attribute der erften Zeile drei und geftaltet die letzte im gleichen Sinne nun ganz um. Jedoch eben dadurch, daß die dreifache Überhöhung der erften Zeile fich in der dritten wiederholt und ihre Parallele erhält, wird aus dem Uberfluß M a ß , die Weitfchweifigkeit wandelt fidi unverfehens in Konzentration; die drei Zeilen gleichen jetzt dem Umriß eines barocken Kirchenbaus, in drei Stufen auf der einen Seite emporftrebend, auf der anderen fleh wieder fenkend, in der Mitte der weite Bogen der Kuppelwölbung: " A careful, tender and obedient w i f e , In all I can contribute to your ease, And not in deed, or word, or thought displease." (Dryden, V . j o o — J 0 2 . ) Alles Pathos indeilen löft fidi auf und v e r f d i w i m m t in einem leifen D u f t von Lächeln und Grazie; mit den V e r i e n : "Since I am turned the husband, you the w i f e : T h e matrimonial victory is mine, Which, having f a i r l y gained, I will resign" (Dryden, V . 5 2 0 — $ 2 2 ) * ift der Ernft vorbei. Auch Chaucers Gedicht ändert hier den T o n , doch feine Komik wirkt neben dem zierlichen Spiel Drydens beinahe grob: " A thousand tyme arewe he gan hire kisse, And she obeyed hym in every thyng T h a t myghte doon hym plesance or l i k y n g . " (Chaucer, V . 1 2 5 4 — 1 2 5 6 . ) Dagegen mag Dryden noch fo anzüglich werden, fein Witz bleibt leidner und anmutsvoller: " H e a v e n send the maids young husbands fresh in bed." (V. 542.) Befonders bemerkenswert ift auch in diefer Erzählung der Schluß der beiden Dichter: " A n d thus they l y v e unto hir lyves ende In parfit joye; and Jhesu Christ us sende Housbondes meeke, yonge, fresh a-bedde, And grace toverbyde hem that we wedde, A n d eek, I praye Jhesu to shorte hir lyves T h a t nat wol be governed by hir w y v e s : A n d olde and angry nygardes of dispence, G o d sende hem soone verray pestilence!" (Chaucer, V . 1 2 5 7 — 1 2 6 4 . ) *) Rzesnitzek bemerkt hier: „ T r o t z d e m der Ritter nur die Entfcheidung zu [einen Gunften erbittet (Dryden, V . 5 1 J — 5 1 8 ) , f a ß t das Weib dodi das Verhalten desfelben als einen Sieg über ihn auf (Dr., V . j 1 9 — 5 2 2 ) und trifft die Entfcheidung zu dellen Gunften, indem es ihn des Liebesglücks teilhaftig macht. W o bleibt die poetifche Gerechtigkeit?" a . a . O . St. 1 ) 2 . 76

Chaucer nimmt keinen Anftoß daran, den Namen Gottes auch bei diefem Thema anzuführen. Dryden jedoch hat nicht mehr die Naivität des Mittelalters, er weiß, daß er etwas Frivol-Leichtfinniges fagt, und will es auch tagen. In dem oben angeführten Drydenfchen Satz ift es gerade deshalb nicht unbewußt, wenn er bittet, der Himmel möchte die rechte Vorforge treffen, fondern die Krönung einer Frivolität, um derentwillen er in der letzten Zeile fchließlich bewußt nicht den Namen "Jhesu" und "God" beibehält; denn Dryden wollte nur einen Witz machen, während Chaucer in der dreimaligen Erwähnung des göttlichen Namens nur den unerfchütterlichen Glauben feiner Zeit zum Ausdruck bringt: daß das Walten des unfichtbaren Jenfeits in alles und jedes irdifche Tun untrennbar verflochten ift.

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4. The Flower and the Leaf. Barock ift Bewegung. Eine Bewegung, die, in fidi gefangen und bis zum äußerften mit auseinanderftrahlenden Energien gefüllt, ihre Feilein jeden Augenblick zu iprengen droht; Barock ift ichwellende Dynamik, ill der Moment der Kriiis in jener Spannung zwifdien Bewegungsabficht und Bewegungsausführung. " T h e n , at their call emboldened out they come, And swell the gems and burst the narrow room, Broader and broader yet their blooms display, Salute the welcome sun, and entertain the day. Then from their breathing souls the sweets repair T o scent the skies and purge the unwholesome air: J o y spreads the heart, and with a general song Spring issues out, and leads the jolly months along." (Dryden, V . 1 2 — 1 9 . ) Im erften Couplet fteigt der Frühling fchwellend empor, die Mauern berften unter dem gewaltigen Druck. Im nächften Couplet breitet fich die Bewegung weithin aus, das ganze Land hallt wider von den Klängen heimlicher Melodie. Brachte das erfte Coupletpaar die Entwicklung in die Breite, hebt fich die Bewegung im zweiten hinauf zu den Wolken, alles umfallend, der Frühling wandert fingend und klingend vor dem Jahre her über die erwachenden Felder. Diefes Erwachen, Sichdehnen, Schwellen und Aufundniederfteigen ift in der einfinnigen Bewegung der Vorlage, die Dryden noch Chaucer zufchrieb*, ohne jene fpielerifche Gelöftheit. "With newe green, and maketh smalle floures T o springen here and there in field and mede; So very good and wholsome be the shoures, T h a t it renueth that was old and dede In winters time; and out of lovery sede Springeth the hearbe, so that every wight Of this season wexeth ful glad and light." (Ps.-Chaucer, V . 8—14**.) f ) vgl. Eleanor Prescott Hammond, Ph. D.: "Chaucer, A Bibliographical Manual", New York 1908, St. 4 1 } — 4 2 4 . '••') Chaucer, edited by Richard Morris, London, o. J . Zeilenangabe.

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Die Dynamik der Drydenfchen Verfe wird beftändig gebändigt durch das rhythmifche Spiel von T h e f e und Antitnefe, durdi die tiefe Verfchlingung beider, die gegeneinanderftehen, fich einen, um dann doch wieder abgewandelt auseinanderzufließen. " T h e painted birds, companions of the Spring, Hopping from spray to spray, were heard to sing. Both eyes and ears received a like delight, Enchanting music, and a charming sight." (Dryden, V . 46—49.) In der Vorlage heißt es hier: "Which, as me thoughte, was right a plesant sight; And eke the briddes songes f o r to here Would have rejoyced any earthly wight." (Ps.-Chaucer, V . 36—38.) Drydens erftes Couplet gibt den Einfatz, befonders wirkungsvoll durch die in der Vorlage fehlende malerifche und klangliche Unmittelbarkeit des "hopping from spray to spray", dem antithetifdi das zweite Couplet gegenüberfteht, jedoch wiederum in feiner Polarität das erfte Couplet in feinem zweiten V e r f e aufnehmend und widerfpiegelnd. Diefes zweite Couplet beweift zugleich einerfeits in feinem Ausfdilag von Zeilenhälfte gegen Zeilenhälfte, andererfeits in dem Gegeneinander von Zeile gegen Zeile, wie hier fchon die Form das Z w i e f p i e l d e s B a r o c k fymbolhaft offenbart. Diefes Gegeneinander aber wandelt (ich ilets in ein harmonifches Ineinander. In dem wundervollen Drydenfchen Couplet: " I looked and looked, and still with new delight; Such joy my soul, such pleasures filled my sight" (Dryden, V . 94—95) geht in der erften Zeile die zweite Vershälfte über die erfte hinaus, wird vertieft durch die erfte H ä l f t e der zweiten Zeile, der in der letzten H ä l f t e die Antithefe gegenüberfteht, die über Kreuz das Thema der erften Vershälfte der erften Zeile wieder aufnimmt, deren Polarität indeiTen aufgelöft wird, da in der ganzen Coupletzeile der erfte Teil nur die Krönung des letzten ift, fo daß (ich auch hier aus zwei Zeilen der fchwungvolle Bogen einer emporftrebenden Wölbung aufbaut in ihrem Aufwärtsfchnellen, ihrer Verftärkung, Krönung und ihrem Niederiinken. Das ftete Gleiten der Gedankenführung bedingt zugleich die unmittelbare Lebendigkeit der einzelnen Gebärden und Tonwerte. "Thus as I mused, I cast aside my eye, And saw a medlar-tree was planted nigh. The spreading branches made a goodly show, And full of opening blooms was every bough: A goldfinch there I saw with gaudy pride

O f p a i n t e d plumes, t h a t h o p p e d f r o m side to side S t i l l pecking as she passed; a n d still she d r e w T h e s w e e t s f r o m e v e r y flower, a n d sucked the d e w : S u f f i c e d a t length, she w a r b l e d in her t h r o a t , A n d t u n e d her v o i c e to m a n y a m e r r y note . . . " (Dryden, V .

102—in.)

V o n d e r P e r f o n des E r z ä h l e r s ziehen fich die feinen F ä d e n der L i n i e n f ü h r u n g z u m B a u m e , w e b e n fich um d a s B i l d des V o g e l s und l ö f e n fich ichließlich in feinem G e f a n g e a u f . A n d a s ruhig g r o ß e B i l d des B a u m e s m i t feinen f d i w e r e n V o k a l e n : " S p r e a d i n g b r a n c h e s " fchließt fich die kleine, v e r g n ü g t e V o g e l f z e n e an, in ihrer h ü p f e n den, s p r i n g l e b e n d i g e n T o n m a l e r e i : " h o p p e d " — "pecking" — " s u c k e d " , u n d v o r allem in jenem quirlenden K l a n g : " s h e w a r b l e d in her t h r o a t " ; u m fdiließlidi abgelöft z u w e r d e n v o n der weichen, verfließenden M e l o d i e : " t u n e d her v o i c e " . In der V o r l a g e heißt es in reichlich fteifer W e n d u n g : " A n d as I stood a n d cast aside mine eie, I w a s of w a r e the fairest medler tree, T h a t e v e r y e t in all m y life I sie, A s f u l l o f blossomes as it mighte be; T h e r e i n a goldfinch leeping pretile F r o b o u g h to b o u g h ; a n d , as him list, g a n eete O f b u d d e s here a n d there a n d floures s w e e t e . . . A n d a t the last the brid began to singe W h e n he h a d eaten, w h a t he eate w o l d e . . . " (Ps.-Chaucer, V .

8j—95.)

D e r D r y d e n f d i e P r u n k des W o r t k l a n g e s , das heimliche S c h w e l g e n in d e r M u f i k d e s W o r t e s , in der letzten Z e i l e des a n g e f ü h r t e n A b f c h n i t t s a u f g e n o m m e n , w i r d jetzt v o l l e n t f a l t e t : " S o s w e e t , so shrill, so v a r i o u s l y she sung, T h a t the p r o v e echoed, a n d the v a l l e y s r u n g , A n d I so r a v i s h e d w i t h her h e a v e n l y note, I stood entranced, a n d h a d no room f o r t h o u g h t , B u t all o ' e r p o w e r e d w i t h ecstasy of bliss, W a s in a pleasing d r e a m of P a r a d i s e . " (Dryden, V .

116—121.)

Schon in der z w e i t e n Z e i l e w i r d das T h e m a der erften m i t einer p r u n k v o l l e n O b e r f t e i g e r u n g g e k r ö n t , findet d a n n fich f p i e g e l n d im nächften C o u p l e t z u fich felbft zurück, um nun noch einmal w e i t über die E i n z i g a r t i g k e i t des z w e i t e n V e r f e s hinaus z u dem echten P a t h o s barocker M a ß l o f i g k e i t des A u s d r u c k s fich e m p o r z u f d i w i n g e n . D i e f e s E l e m e n t d e r B e w e g u n g in dem S p i e l d e r A u f l ö f u n g eines B i l d e s i m n ä c h f t e n ift der tieffte W e f e n s z u g der D r y d e n f d i e n D i c h t u n g e n u n d fleht gerade deshalb immer w i e d e r im G e g e n f a t z z u r V o r l a g e . V e r f e , die durch die G e g e n ü b e r f t e l l u n g beinahe nüchtern w i r k e n :

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" A n d as I sat, the birddess harkening thus, Me thoughte that I hearde voices sodainly, The most sweetest and most delicious That ever any wight, I trow truly; Heard in here life; for sothe the armony And sweet accord was in so good musike, That the voices to angels most was like" (Ps.-Chaucer, V . 1 2 7 — 1 3 3 ) erhalten durch den Barockdichter ein völlig anderes, eben Drydenfches Antlitz: " A l l suddenly I heard the approaching sound Of vocal music on the enchanted ground; An host of saints it seemed, so full the quire, As if the blessed above did all conspire T o join their voices, and neglect the lyre." (Dryden, V . 1 4 8 — 1 5 2 . ) Hier ift die Antithetik der zwei Bilder befonders deutlich: das erfte, finnliche Bild (in dem es wiederum bezeichnend ift, daß jedes der drei Subftantive je ein Attribut erhält) wird überfinnlich polarifiert durch das Bild der Götter. Echt barock ift es indefTen, daß diefe Polarität in Wirklichkeit keine ift, fondern einer feits das zweite Bild Bafis des vorhergehenden, andererfeits deilen Krönung ift. Barock ift Bewegung, ift abiolute Auflöfung aller Statik in beftändigen Fluß, in unendliche Melodie. Uberall dort, w o Dryden die Möglichkeit gegeben ift, feinen unerfchöpfliehen Melodienreichtum zu entfalten, gelingen ihm Verfe, die in ihrem einzigartigen Widerfpiel von gefchlollener Form und verklärter, grenzenlofer Klangwirkung, von malerifchem und mufikalifchem Überfluß und deutlich gewahrtem Maß echte Kinder des Barock find und gerade darin von der Vorlage abweichen, die vorgangsmäßig dasfelbe bietet. "Admired, adored by all the circling crowd, For wheresoe'er she turned her face, they bowed: And as she danced, a roundelay she sung, In honour of the laurel, ever young: She raised her voice on high, and sung so clear, The fawns came scudding from the groves to hear: And all the bending forest lent an ear. A t every close she made, the attending throng Replied, and bore the burden of the song: So just, so small, yet in so sweet a note, It seemed the music melted in the throat." (Dryden, V . 190—200.) Im Aufgefang der erften beiden Couplets fchwingt der leichte Rhythmus tänzelnder Elfenfchritte durch die Verfe, aus der verfließenden Zartheit der Bewegung fteigt die Melodie auf, wird felbftändig im Triplet, umrahmt von dem Bilde des laufchenden Rehs und des fich hinneigenden Waldes. Der Abgefang bringt im erften

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Couplet das Echo, die Elfen fingen den Kehrreim, wundervoll geftaltet in den Worten: "and bore the burden of the song". Das zweite Couplet faßt das ganze Bild noch einmal zufammen, ausklingend, verfließend in der weichen Vokalgebung und dem fanften Sdimelz der beiden „ m " . Das aber ift das Barocke und zugleich das echt Drydenfche Element, daß diefes impreffioniftiiche, fkizzenhaft aufgelöfte Moment der Dichtung im gleichen Augenblick wieder (ich wandelt in einen Naturalismus, der durch die Gewalt und die maßlofe K r a f t feiner Dynamik zum Pathos fich fteigert: " N o t long I had observed, when from a f a r I heard a sudden symphony of war; The neighing coursers, and the soldier's cry, And sounding trumps that seemed to tear the sky. I saw soon after this, behind the grove From whence the ladies did in order move, Come issuing out in arms a warrior-train, That like a deluge poured upon the plain: On barbed steeds they rode in proud array, Thick as the college ot the bees in May, When swarming o'er the dusky fields they fly, N e w to the flowers, and intercept the sky. So fierce they drove, their coursers were so fleet, That the turf trembled underneath their feet." (Dryden, V . 209—222.) In vier Stufen fchildert Dryden, dem Sinne nach eng an die Vorlage angelehnt, in Wort- und Bildgeftaltung jedoch ganz felbftändig, in pomphaften Bildern den Zug des Heeres. Die Bewegung fchnellt in die Höhe (die Trompetenklänge fdieinen den Himmel zu zerreißen), fie ergießt iich in die Weite (Wogen fluten über das Feld); die dritte Bewegungsphafe faßt verftärkt Höhe und Weite zufammen (Schwärme verdunkeln Erde und Himmel); und jetzt erft nach der dreifachen Überhöhung entfaltet fich das eigentlich finnliche Bild (der Boden erbebt unter den dampfenden Hufen der Roile). Der Autor der Vorlage ift fich des Unterfchiedes zwifchen diefen beiden Elementen, dem l y r i f c h g e l ö f t e n und dem p a t h e t i ich g e f p a n n t e n Moment, noch nicht bewußt. Beide flehen unvermittelt nebeneinander, beide erhalten die gleichen Anmerkungen des Autors; und eben diefe Tatfache erbringt den Beweis, daß der VerfafTer die abfolute Wefensverfchiedenheit der Kriegs- und der Elfenbilder noch nicht in dem Maße wie Dryden erkannt hatte: "But one there yede in mid the company, Soole by her selfe; but alle followede the pace Which that she kepte, whose heavenely faire face So pleasant w a s . . . " (Ps.-Chaucer, V . 1 6 4 — 1 6 7 . ) 82

"Some brake his spere, some drew down horst and manne; Aboute the field astray the steedes ranne; And to beheld here rule and governaunce I you ensure, it was a great pleasaunce . . . (Ps.-Chaucer, V . 284—287.) And forth they yede togider, twain and twain, That to beohld it was a worthy sight, Toward the ladies on the greene planie." (Ps.-Chaucer, V. 295—297.) Dryden aber fühlt diefe Gegenfätze, und gerade darum fucht er fie ineinander zu verfchlingen, eines unmerklich aus dem anderen entliehen zu laiTen. Aus der Statik eines fchroffen Nebeneinander wird ein alle Grenzen überwindendes Ineinander, das trotzdem stets ein Gegeneinander bleibt. " A n hour and more, like tides in equal sway, They rushed, and won by turns and lost the day: A t lenght the nine (who still together held) Their fainting foes to shameful flight compelled, And with resistless force o'erran the field. Thus, to their fame, when finished was the fight, The victors from their lofty steeds alight: Like them dismounted all the warlike train, And two by two proceeded o'er the plain: Till to the fair assembly they advanced, Who near the secret arbour sung and danced." (Dryden, V. 298—308.) Bis zum fünften Vers des Abfdinitts wird das Pathos, das mit dem Einzug der Kriegerichar ein fetzte, beibehalten. Dann jedoch erfolgt eine unmerkliche Akzentverfchiebung, weicher gleiten die Verfe: "when finished was the fight", doch fofort ichwindet der leichte Schimmer, der wie ein fernes Wetterleuchten die Verfe erhellte, dumpfer hallt es: "warlike train". Mit dem letzten Worte ift der tieffte Tonpunkt erreicht, der Atem (lockt unwillkürlich, in plötzlichem Aufklingen fetzt die Melodie des lyrifdi gelöften Barodv ein, mit anmutigen, befchwingten Schritten nähern fich höfliche Ritter zierlichen Damen. Drydens Sprache ift ein beftändiger Wechfel zwifchen Mufik und Malerei, zwifchen reinem Schwelgen im abftrakten Klang und tiefem Aufgehen in konkreter Bildgeilaltung. " A n d then the band of flutes began to play, T o which a lady sung a virelay: And still at every close she would repeat The burden of the song, The daisy is so sweet. The daisy is so sweet, when she begun, The troop of knights and dames continued on." (Dryden, V . 364—369.) 83

Das Spielerifche diefer Zeilen, ganz in Melodie aufgegangen, leitet die Verie weiter: "But soon their pleasure passed: at noon of day The sun with sultry beams began to play." (Dryden, V . 3 7 1 — 3 7 2 . ) Und fofort hat fich eine neue Szene auf getan: "Then drooped' the fading flowers (their beauty fled) And closed their sickly eyes, and hung the head, And rivelled up with heat, lay dying in their bed." (Dryden, V . 3 7 6 - 3 7 8 ) Der Glanz der Sonne wird zur verzehrenden, vernichtenden Glut. Der T o d lieht auf: " A n d after this the gathering clouds amain Poured down a storm of rattling hail and rain; And lightning flashed betwixt; the field and flowers, Burnt up before, were buried in the showers." (Dryden, V . 283—286.) Doch der Ernft löft fich allmählich wieder, der komifche Anblick der verregneten Damen und Herren läßt die düftere Atmofphärc fchwinden: " T h e ladies and the knights, no shelter nigh, Bare to the weather and the wintry sky, Were dropping wet, disconsolate, and wan, And through their thin array received the rain." (Dryden, V . 387—390.) Voller Anmut und Grazie heißt es wieder: " T h e queen in white array, before her band, Saluting, took her rival by the hand; So did the knights and dames, with courtly grace, And with behaviour sweet their foes embrace." (Dryden, V . 397—400.) Der Aufbau all diefer Bilder, ihre ganze Formgebung und Spradigeftaltung ift Drydens Schöpfung. Dem wundervollen Triplet "Then drooped the fading flowers. . . " entfprechen in der Vorlage die Verfe: " T h e pretie tendre floures hadde lost the beautie of her freshe colours . . . The knightes swelte, for lack of shade nie shent. (Ps.-Chaucer, V . 356—357 u. V . 360.) Ebenfo macht Dryden aus dem einen Vers: " T h e wind began so sturdily to blowe" das wundervolle Sturmesbild: " A n d after this the gathering clouds amain Poured down a storm of rattling hail and rain; And lightning flashed betwixt; the field and flowers, Burnt up before, were buried in the showers" (Dryden, V . 383—386) 84

das feine tiefe Wirkung erft durch die Dynamik der malerifch wie lautlich höchft eindrucksvollen Wortwahl erreicht. Wefentlich erweitert hat Dryden die Rede der Blattfee, die, von der vollkommenen Harmonie eines klafftfchen Geiftes getragen, durch ihren epigrammatifchen Stil, in dem kein Wort zu viel und keines zu wenig fleht, in dem alles bis ins Letzte hinein ausgewogen und endgültig ifl, gleichermaßen von der Leichtigkeit eines fpielerifdien Impreffionismus wie von einer wuchtigen Pathetik entfernt fteht. " O u r souls, not yet prepared for upper light, Till doomsday wander in the shades of night." (Dryden, V . 484—485.) "But knights in knightly deeds should persevere And still continue what at first the were; Continue, and proceed in honour's fair career. N o room for cowardice, or dull delay; From good to better they should urge their w a y . " (Dryden, V . 571 — 575.) Wie weit Dryden hier über feine Vorlage hinausgegangen ifl, möge ein Vergleich der letzten Zeilen der Rede darlegen. Dryden fdiließt: "Propped by the spring, it lifts aloft the head, But of a sickly beauty, soon to shed; In summer living, and in wiriter dead. For things of tender kind, for pleasure made, Shcot up with swift increase, and sudden are decayed." (Dryden, V . 591 — 595.) Triplet wie Couplet find echt Drydenfche Schöpfungen. Die erfte Zeile ftellt die Thefe auf, die, in der erilen Zeilenhälftc noch p a f f i v , in der zweiten fich aktivierend Eigenbewegung gewinnt; die zweite Zeile ift der erften antithetifch gegenübergeftellt, im Aufbau wieder durch die erfte paffive und die zweite aktive Zeilenhälfte unterfchieden; fchließlich ift die fcheinbar unvereinbare Polarität beider Zeilen in der dritten zur Synthefe gebracht, die eine Einheit darfteilt gegenüber den beiden vorhergegangenen Zeilen; in fich aber im barocken Spiel von aufgehobenen Polen und zweideutigen Einheiten ift die Löfung der Spannung wiederum eine fragwürdige in der Gegenfchwingung von Zeilenhälfte zu Zeilenhälfte. Das Schlußcouplet bringt die Wiederholung und Erweiterung des Gedankens; was von den Blumen galt, gilt jetzt von allen Dingen, " f o r pleasure made" heißt es noch einmal verftärkt, und um fo furchtbarer wirkt der unverföhnliche Gegenfatz der letzten Zeile. In der Vorlage heißt es an der entfprechenden Stelle nur: " A n d every storme will blow hem soone awaye, N e laste they not but for oon season; That is the cause, the very trouth to saye, That they maye not, by not way of reason, Be put to no such occupation." (Ps.-Chaucer, V . 561 — 565.) 86

In der Schlußizene, die von Dryden nicht geändert ift, werden die antiken Motive des Paris- und Herkulesurteils mit ihrer Unterfcheidung zwifchen der vita activa und der vita contemplativa aufgenommen; in beiden Fällen entfcheidet fich die Befragte fofort für die vita activa, f ü r das Blatt; nur ift bezeichnend, daß Dryden hier an die Stelle unmittelbarer Rede zugunften eines ruhigeren, gewählteren Stils die indirekte Erzählung fetzt: "But to whom do ye owe Your service? And which wolle ye honoure, Tel me I pray, this yere, the Leaf e or the Floure?" "Madame", quod I, "though I be least worthy, Unto the Leafe I owe mine observaunce." " T h a t is", quod she, "right well done certainly . . ." (Ps.-Chaucer, V . 572—577.) " A n d she, to prove what profit I had made Of mystic truth, in fables first conveyed, Demanded till the next returning May, Whether the Leaf or Flower I would obey? I chose the Leaf; she smiled with sober cheer, And wished me fair adventure for the year . . . " (Dryden, V . 600—605.) Eine geringfügige Änderung, die in ihrer Geringfügigkeit jedoch die icharfe ErfaiTung der kleinften, fcheinbar nebenlächlichften, aber gerade deswegen fo unmittelbar lebendigen und menfchlichen Züge verdeutlicht, geftattet fidi Dryden noch in den letzten Zeilen. Die Vorlage fchildert: " A n d I drow homeward, for it was nigh nighte, And put all that I hadde seene in writing Under support of hem that lust it to rede." (Ps.-Chaucer, V . 588—590.) Dryden ingeilen begnügt fich nicht mit dem einfachen Tatfachenbericht, alles gewinnt Leben um ihn, erhält Farbe, atmet und regt fich, Landfchaft und Feen und Menfchen: " I homeward sped my way, Bewildered in the wood till dawn of day: And met the merry crew who danced about the May. Then late refreshed with sleep, I rose to write The visionary vigils of the night." (Dryden, V. 6 1 0 — 6 1 4 . )

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5. "The Character of a Good Parson". "Dryden believes in nothing, is interested in nothing, except it be good verses*." So fchlagend und geiftreich diefer Satz im erften Augenblick erfcheinen mag, er erfchöpft nicht die Tiefe des Drydenfchen Dichtertums, Grierson fpürt nicht hinter der Klarheit und Glätte der klaffifchen Formgebung den unruhigen Herzfchlag des Barock, der fich in nie zu befriedigendem Zweifel und heimlichem Peffimismus nicht genug tun kann in der Häufung und Überfteigerung feines Spiels. Der Uberfetzung aus dem Chaucerichen Prolog eignet in befonderem Maße eine erftaunliche Ausgeglichenheit und Abgeklärtheit; fie aber ift, und das bedeutet die Verneinung des Zitates, das wir eingangs brachten, nie hohles Pathos, fondern von einer tiefen, abgedämpften Einfachheit und Reinheit, wie fie nur dem alten Dryden als Ausklang feines reichen Schaffens möglich fein konnte**. Zugleich aber taucht immer wieder hier und da der innere Zwiefpalt des Barock auf, wenn der Dichter plötzlich dem unendlichen Reichtum feines Schöpferdranges freien Lauf läßt, und dann fchließlich doch der Widerftreit von Thefe und Antithefe aufgelöft wird in der letzten Klarheit eines reifen Alters. So werden die Verfe: "Lightnings and thunder (Heaven's artillery) As harbingers before the Almighty fly: Those but proclaim his style, and disappear; The stiller sound succeeds, and God is there" (Dryden, V. 38—41) unverfehens zum Lebensfymbol des Dichters; der Kampf der Seele neigt fich dem Ende zu, unendliche Stille breitet fich aus. Erfchiitternd greifen die letzten Worte ans Herz: "And God is there." — Dryden believes in nothing? — Drydens Dafein war ein unaufhörliches *•) H . J . C . Grierson: "Cross Currents in English Literature of the X V I I t h C e n t u r y " , London 1929, St. 3 1 7 . a > " ) Rzesnitzek urteilt: „ A u s dem idealen Charakterbilde des Originals ift ein verzerrtes, kirdilich-politifches Tendenzftück g e w o r d e n . . . " a . a . O . St. 1 7 1 .

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Ringen um die W e l t und ihre Sinngebung, war ein unaufhörliches Suchen, das ihn fchließlich hinein in die Arme des Katholizismus trieb, war ein unaufhörliches Zweifeln und Verzweifeln am menfehlichen Erkenntnisvermögen. Das Letzte aber ift nicht der Glaube, der in dem äußerlichen Gepränge irgend einer chriftlichen Lehre Genüge findet, fondern das ftille Menfchentum einer geläuterten Seele. Dryden braucht nicht mehr das Heilslicht, das ihm von einem irdifchen Altar, aus einer in der Materie befangenen Kirche entgegenglänzt; aus der T i e f e des eigenen, rätfelhaften, nie zu erkennenden und doch von einem harmoniieh gefetzmäßigen Rhythmus beftimmten Seins leuchtet ihm von innen her ein Licht der Gnade und Verheißung auf. Am Ende der Erzählung fteht ein Vers, der von diefem Gefichtspunkt her feine finnvolle Bedeutung erhält; hier fprechen keine Figuren mehr, hier fpricht der Dichter, der an feinem Lebensabend mit fidi und dem Gotte in fich felber Zwiefprache hält: " H e needs no foil, but shines by his own proper light" ( V . 140). Dryden hat die Chaucer iche Vorlage we fentlich erweitert, wie er hier wieder das Bild von der platonifchen Kette bringt: ^'Though harsh the precept, yet the preacher charmed; For, letting down the golden chain from high, H e drew his audience upward to the sky: And oft with holy hymns he charmed their ears (A music more melodious than the spheres). (Dryden, V . 18—2 2.)::" Am Schluß hat Dryden das Bild eines "non-juror's" hinzugefügt**; und was er von Chaucer übernimmt, wird unter feiner H a n d zu etwas ganz Eigenem: " A n d though he hooly were and vertuous, H e was to synful man nat despitous, N e of his speche daungerous ne digne, But in his teehyng discret and benygne T o drawen folk to hevene by f a i r n e s s e . . ." (Chaucer, V . 51 j — 5 1 9 . ) " T o threats the stubborn sinner oft is hard, Wrapped in his crimes, against the storm prepared; But when the milder beams of mercy play, H e melts, and throws his cumbrous cloak a w a y . " (Dryden, V . 3 4 — 3 7 - ) W a s jedoch aus diefen Verfen immer wieder den Leier heimlich anfpridit, das ift etwas anderes, das ift diefe eigenartige, unmittelbare Beziehung zum Dichter felbft: *) Das Motiv der Catena, das fidi fchon einmal bei Dryden fand (vgl. St 42), ift hier in der Abwandlung gebracht, die Dionysius Areopagita in (einem Werk: " D e D i v i n i s N o m i n i b u s " III verwendet: an der Kette und durch die Kette ziehen die Menfchen Gott zu (ich nieder und fich zu Gott empor. i;> ) Sir John Hawkins glaubt in der Geftalt der Dichtung den Bifchof Ken zu erkennen. Vgl. Anm. Dryden, Globe-Ed.

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"But he ne lafte nat for reyn ne thonder, In siknesse nor in meschief to visite The ferreste in his parisshe, muche and lite, Upon his feet, and in his hand a staf." (Chaucer, V . 492—495.) "Wide was his parish; not contracted close In streets, but here and there a straggling house: Yet still he was at hand, without request, T o serve the sick, to succour the distressed; Tempting, on foot, alone, without affright, The dangers of a dark tempestuous night." (Dryden, V . 60—65.) Bei Chaucer fehen wir einen frommen, mildtätigen Priefter vor uns, bei Dryden aber fteht hinter dem Porträt eines non-jurors, das zu fdiaffen der Wille des Diditers gewefen war, unbeabfichtigt, aber gerade darum iymbolhaft das e i g e n e Bild. " F o r priests, he said, are patterns for the rest; (The gold of heaven, who bear the God impressed;) But when the precious coin is kept unclean, The sovereign's image is no longer seen. If they be foul on whom the people trust, Well may the baser brass contact a rust." (Dryden, V . 81 — 86.) Der Vergleich, in der Vorlage fchon in drei Zeilen vorhanden, erhält erft unter Drydens Hand feine endgültige, voll durchgeführte Geftalt. Leicht könnte man ftatt "priest" hier "poet" fetzen. Nicht daß Drydens Leben ein in jeder Beziehung vorbildliches gewefen; in mancherlei Irrtümer war er in der Bewegtheit feiner Zeit verftrickt worden, jetzt aber wird dem f a f t Siebzigjährigen in großartiger Offenbarung die Sendung des Dichters deutlich: " N o w , through the land, his cure of souls he stretched, And like a primitive apostle preached. Still cheerful; ever constant to his call; By many followed; loved by most, admired by all. With what he begged, his brethren he relieved! And gave the charities himself received; Gave, while he taught; and edified the more, Because he showed by proof 'twas easy to be poor." (Dryden, V . 1 2 7 — 1 3 4 . ) Auch in diefen Zeilen, die in ihrem formvollendeten A u f b a u mit zu den fchönften gehören, die Dryden gefchaffen hat, blickt uns hinter dem eigentlichen Bilde des Bifdiofs Ken das Antlitz des greifen Schöpfers entgegen. Der einzigartige Vers: " B y many followed; loved by most, admired by a l l " erfchüttert in feiner vifionären K r a f t durch den Vergleich mit dem Begräbnis des Diditers felbft, das uns 89

Christie in feinem "Memoir of Dryden" folgendermaßen be ichreibt"': "The funeral took place on May 1 3 ; it was preceded by a ceremony at the College, in the course of which Garth delivered a funeral oration in Latin, and the Ode of Horace beginning "Exegi monumentum aere perennius", was sung to music. Then there was a long procession from the College to Westminster Abbey, Dryden's friends who attended filling nearly fifty carriages, and the whole number of carriages that followed being about a hundred; music preceded the hearse, drawn by six horses. Dryden was buried in Poets' Coiner, by the graves of Chaucer and Cowley." Die beiden letzten Couplets der angeführteh Strophe finden ihre Betätigung in der veriländnisvollen, tiefen Widmung, die Congreve ein Jahr nach dem Tode des Dichters der Ausgabe der dramatifchen Werke beifügte"""": " H e was of a nature exceedingly humane and compassionate; easily forgiving injuries, and capable of a prompt and sincere reconciliation with them who had offended him . . . His friendship, where he professed it, went much beyond his professions: and I have been told of strong and generous instances of it by the persons themselves who received them; though his hereditary income was little more than a bare competancy." Diefe Erzählung oder Charakteriftik ift gleichfam Drydens Teftament, der Dichter ichließt mit der Welt ab, feine Tagewerk ift getan: "God saw his image lively was expressed; And his own work, as in creation, blessed." (Dryden, V. 104—105.)

*) W. D. Christie: "Memoir of Dryden" (The Poetical Works of Dryden, Globe-Ed. 1925, St. 80). *"•) Nad> „Dryden" (David Nidiol Smith, Oxford, Clarendon Press, St. .). 90

John 1925,

6. Sigismonda and Guiscardo.* Neben den Chaucerfchen Erzählungen bearbeitete Dryden drei Novellen aus Boccaccios Decamerone. Auch im Vergleich mit dem Dichter der italienifchen VorrenaiiTance tritt der barocke Zug D r y dens klar in Ericheinung: die Steigerung und Überfteigerung der Form, in ihrer beftändigen Spannung zwifchen Überfluß und Maß, die unendlich beherrichte und gekonnte Sprache, deren ganze Melodienfülle in dem weiten Bereich zwifchen der Gewalt des Pathos und der Verfunkenheit weicher Lyrik, zwifchen tiefem Ernft und ironifchem Zweifel dem Dichter zur Verfügung fteht. Eine Gegenüberftellung der Drydenfchen Verserzählung "Sigismonda and Guiscardo" und der erften Novelle des vierten Tages im "Decamerone" offenbart nun, wie das, was wir bisher als barock und als Drydens Eigenheit hinftellten, feine auffallende Betätigung findet. Dryden erweitert die Profaerzählung Boccaccios um ein beträchtliches. Diefe Erweiterung aber ift begründet in der Art, mit der Dryden eine Szene zur Darftellung bringt, in diefem Sidieinwühlen in den Gegenftand, um ihn dann von innen her Stück um Stück zu entfalten und gerade durch diefe allmähliche Steigerung zu unmittelbarer Lebendigkeit und Wirklichkeitsnähe zu gelangen. Boccaccio fchildert die Liebe und den Untergang zweier Menfchen. Doch fchon das Entftehen diefer Liebe wird von den beiden Dichtern völlig verfchieden gefdiildert: "with whom she became violently in love**" (Z. 22) heißt es kurz und fachlich in der *) C l . Sherwoods und K . Wieruszowskis Unterfuchungen der Drydcnfchen Boccacciogedichte gelangen beide zu dem (fehr wahrfcheinlidien) Ergebnis, daß Dryden der Boccacciotext im Original vorgelegen hat. Wieruszowskis eingehende Diflertation kann als Fortfetzung diefer Arbeit gelten. Sie b e t ä t i g t i. a. alle hier herausgeftellten Probleme, ohne fleh allerdings um eine Gefamtinterpretation des als ein eigenwertiges, abgerundetes Ganzes anzufehenden Drydenfchen Dichtwerks zu bemühen, wie es bisher alle Unterfuchungen diefer A r t unterließen. **) T e x t : " T h e Decameron or Ten D a y s ' Entertainment of Boccaccio", with Introduction by Thomas Wright, F. S. A . , London, o. J .

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Vorlage. Dryden jedoch geht über den Bericht des Zuftandes hinaus zur Geftaltung des f i c h e n t w i c k e l n d e n V o r g a n g e s : " Y e t hitherto she kept her love concealed, And with close glances every day beheld T h e graceful youth; and every day increased T h e raging fire that burned within her breast; Some secret charm did all his acts attend, And what his fortune wanted hers could mend; Till, at the fire will force its outward way, Or in the prison pent, consume the prey, So long her earnest eyes on his were set, A t lenght their twisted rays together met; A n d he, surprised with humble joy, surveyed One sweet regard, shot by the royal maid. N o t well assured, while doubtful hopes he nursed, A second glance came gliding like the first; And he, who saw the sharpness of the dart, Without defence received it in his heart." (Dryden, V . 55—70.) Die Flamme erwacht, fteigt auf, wird zur verzehrenden Glut. Köftlich in der Darfteilung der erften, zögernden Verftändigung, in dem Hin und Her der drei letzten Couplets bis zu dem leifen Ausklang: Guiscardos Herz, ganz aufgetan und hingegeben, empfängt die heimliche Botfchaft der Liebe. Boccaccio fdireibt hier: "and by often seeing him, and evermore commending his manner and behaviour, he soon became sensible of it, and devoted himself entirely to the love of her" (Z. 22 ff.). Das erfte Zufammentreffen der beiden Liebenden, das Boccaccio mit den Worten fchildert: "she opened the door and descended into the grotto, where they met to their mutual satisfaction" (Z. 58 ff.), wird bei Dryden zu einem kleinen Kunftwerk voll feiner, lächelnd ironifcher Züge: " H e came, and knocking thrice, without delay The longing lady heard, and turned the key; A t once invaded him with all her charms, And the first step he made was in her arms: The leathern outside, boistrous as it was, G a v e w a y , and bent beneath her strict embrace: On either side the kisses flew so thick, That neither he nor she had breath to speak." (Dryden, V . 1 5 5 — 1 6 2 . ) Und die gleiche Luft am Spiel, die in dem zweiten Couplet liegt, zeigt fich auch in der großartigen Figur des Priefters, die eine felbftändige Einführung Drydens ift: 92

" T h e holy man, amazed at what he saw, Made haste to sanctify the bliss by law; And muttered fast the matrimony o'er, For fear committed sin should get before. His work performed, he left the pair alone, Because he knew he could not go too soon; His presence odious, when his task was done. What thoughts he had beseems not me to say, Though some surmise he went to fast and pray, And needed bot to drive the tempting thoughts a w a y . " (Dryden, V . 1 6 3 — 1 7 2 ) Die wundervolle Leichtigkeit diefes Spottes ift hier fchon mit einem leifen Anzeichen von Sinnlichkeit gepaart, einer Sinnlichkeit, die in den nächften Zeilen nicht mehr herausbrechende, erfühlte Leidenfchaft ift, fondern bewußte Freude an der gemächlichen, breiten Ausmalung des Stoffes. " T h e foe once gone, they took their full delight; ' T w a s restless rage and tempest all the night; For greedy love each moment would employ, And grudged the shortest pauses of their j o y . " (Dryden, V . 1 7 3 — 1 7 6 . ) Diefem bewußten Schwelgen im Sinnlichen fteht die ruhige Klarheit Boccaccios gegenüber: "From thence she shewed him the w a y to her chamber, where they were together the greatest part of the day . . . " (Z. 60). Dryden jedoch als Kind feiner Zeit koftet diefe Szene voll aus: " T h e cave was now become a common w a y , The wicket, often opened, knew the key. Love rioted secure, and long enjoyed, Was ever eager, and was never cloyed." (Dryden, V . 1 8 1 — 184.) Die langfame Steigerung der drohenden Kataftrophe, das gefchickte Dehnen der furchtbaren Spannung in der Schlafzimmerfzene, in der der Vater das Paar überrafcht, ift erft in Drydens Erzählung zu finden. " I t happened once, that when in heat of day He tried to sleep, as was his usual w a y , The balmy slumber fled his wakeful eyes, And forced him, in his own despite, to rise: Of sleep forsaken, to relieve his care, H e sought the conversation of the f a i r . " (Dryden, V . 195—200.) Das von Dryden v e r d o p p e l t e Motiv des Schlafes verftärkt den Eindruck eines unglücklichen Zufalls oder unerbittlichen Schickfals, das den König in das Schlafzimmer feiner Tochter treten heißt: 7

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"And slumber, which forgot, When called before, to come, now came unsought." (Dryden, V. 20$—206.) Über zwanzig Verfe hinweg fpannt Dryden die Erwartung bis zum äußerften an, dann ertönen hohl und unheilverkündend die Verfe: "Thrice with a doleful sound the jarring grate Rung deaf and hollow, and presaged their fate." (Dryden, V. 227—228.) Sie leiten die eigentlidie Szene ein, die in der furchtbaren Oberfteigerung des Gegenübers von nichtsahnendem, felbftvergeffenem Liebespaar und argwöhnifchem, unheilfinnendem Beobachter in der e n g e n V e r e i n i g u n g von luftvoller Gelöftheit und grauf a m e r V e r k r a m p f t h e i t ein edites Bild des Barock ift. "So, like a lion that unheeded lay, Dissembling sleep, and watdiful to betray, With inward rage he meditates his prey. The thoughtless pair, indulging their desires, Alternate kindled and then quenched their fires; Nor thinking in the shades of death they played, Full of themselves, themselves alone surveyed, And, too secure, were by themselves betrayed. Long time dissolved in pleasure thus they lay, Till nature could no more suffice their play; Then rose the youth, and through cave again Returned; the princess mingled with her train." (Dryden, V. 242—253.) Bei Boccaccio heißt es an der betreffenden Stelle: "The lovers stayed together their usual time, without perceiving anything of Tancred, who, after they were departed, got out o f the window into the garden, old as he was, and went, without being seen by any one, very sorrowful to his chamber" (2. 85 ff.). Den Zuftandsberidit der Vorlage wandelt Dryden in die unmittelbare Erfaffung des Vorgangs. Wenn es bei Boccaccio heißt: "The next night, according to his orders, Guiscard was seized by two men as he was coming out of the cave, and carried by them in his leathern doublet to Tancred . . ." (Z. 88), wird in Drydens Verfen die epiiche Diftanz plötzlich überwunden und in dramatifche Handlung überfetzt, aus der Statik des Bildes ift die D y n a m i k d e r S z e n e geworden: "Scarce had unwary Guiscard set his foot Within the farmost entrance of the grot, When thefe in secret ambush ready lay, And, rushing on the sudden, seized the prey. Encumbered with his frock, without defence, An easy prize, they led the prisoner thence, And, as commanded, brought before the Prince." (Dryden, V. 263—269.) 94

Der gemeilene Rhythmus des erften Couplets wird in der dritten Zeile unruhig, um in der vierten — erfüllt von den harten, kalten Tonwerten: "rushing" und "sudden" — in jagendem Tempo zum Höhepunkt zu führen. Dann erfolgt der langfame Ausklang, fich am Schluß noch einmal zufammenraffend in den Worten: "brought b e f o r e . . .", die die graufame Macht des Defpoten in der abgehackten Akzentuierung der letzten Zeilen ahnen lailen. Stand hinter diefen Verien die furchtbare Kälte eines Tyrannen, fo bebt in den folgenden feine wüfte, lauernde Leidenfchaft: " T h e gloomy sire, too sensible of wrong T o vent his rage in words, restrained his tongue, And only said . . . " (Dryden, V . 270—272), eine Leidenichaft, die, mühfam unterdrückt, die Rede des Königs durchzittert: " T h u s servants are preferred And trusted, thus their sovereigns they reward; H a d I not seen, had not these eyes received T o o clear a proof, I could not have believed." (Dryden, V . 272—275.) Dryden ift hier weit über feine Vorlage hinausgegangen, denn Boccaccio läßt feinen w e i n e n d e n König nur fprechen: "Guiscard, you have ill requited my kindness towards you by this outrage and shame which you have brought upon me, and of which this very day I have been an eyewitness" (Z. 92 ff.). Die Antwort: "Sir, love hath greater power than either you or I " (Z. 95 f.), wird bei Dryden zu einem bedeutungsvollen Gegenftück gegen die erregte Anklage in dem zuverfichtlichen Klang jugendlicher Unbekümmertheit. Die Statik des Zuftandes wandelt fich bei Dryden in die Dynamik des Vorganges. Jede Szene ift von einer unaufhörlich gleitenden Bewegung erfüllt: " T h e sullen tyrant slept not all the night, But lonely walking by a winking light, Sobbed, wept, and groaned, and beat his withered breast, But would not violate his daughter's rest; Who long expecting lay, for bliss prepared, Listening f o r noise, and grieved that none she heard; O f t rose, and o f t in vain employed the key, And o f t accused her lover of delay, And passed the tedious hours in anxious thoughts a w a y . " (Dryden, V . 288—296.) Die erften drei Zeilen malen das Bild des Königs, in feinem unruhigen A u f - und Niederfchreiten, in feinem wilden Aufbegehren; in der vierten Zeile ift der Versfluß fdion beiinnlicher, das Bild führt zur Tochter hinüber; die laute Verzweiflung hat einem ftillen, tiefen Schmerz Platz gemadit. 7* 95

Audi der König ift ruhiger geworden, Tränen haben feinen Grimm gelöft: "But all at once his grief and rage appeared, And floods of tears ran trickling down his beard. " O Sigismonda," he began to say; Thrice he began, and thrice was forced to stay, Till words with often trying found their w a y . " (Dryden, V . 303—307.) An die Stelle der Wut ift dumpfe Refignation getreten: " A h ! Why Should man, when nature calls, not choose to die; Rather than stretch the span of life, to find Such ills as Fate has wisely cast behind, For those to feel, whom fond desire to live Makes covetous of more than life can give!" (Dryden, V . 325—330.) Er kann keinen Ausweg aus diefer Not finden und legt das Schickfal der Tochter in ihre eigenen Hände: " A s I have loved, and yet I love thee more Than ever father loved a child before; So that indulgence draws me to forgive: Nature, that gave thee life, would have thee live, But, as a public parent of the state, M y justice and thy crime requires thy fate. Fain would I choose a middle course to steer; Nature's too kind, and justice too severe; Speak for us both, and to the balance bring On either side the father and the king." (Dryden, V . 354—363-) In einem Meifteritück Drydenfcher Formkunft beweifen diefe Zeilen die vollkommene Beherrfdhtheit, die hinter der unendlichen Fülle fteht, das überlegene Maß, das auch noch dem bewegteften Gedankenipiel innewohnt. Ganz ichlicht fetzen die Verfe ein: " A s I have l o v e d . . . " , werden gefteigert und erhalten die pathetifche Krönung in der zweiten Zeile. Langiam hebt (ich das erfle Thema empor: "Nature, that g a v e . . . " ; im gleichen Rhythmus erfcheint das Gegenthema: " M y justice and thy . . . " Die erfte Vereinigung der beiden Antithefen wird verfucht: "Fain would I . . . " , aber noch immer ftehen fich die Gegenfätze in der nächften Zeile fteil und unverföhnlich gegenüber; erft das letzte Couplet bringt die großartige Syntheie. Aus den Worten des Königs fpricht ein tiefer Adel. Es ift die gleiche vornehme Gefinnung, die auch in der Antwort des Guiscardo zum Ausdruck kam (V. 281), derfelbe feelifche Adel, der auch der Rede der Tochter die hohe Wirkung verleiht: 96

' That I have loved, I own; that still I love I call to witness all the powers above: Y e t more I own; to Guiscard's love I give The small remaining time I have to live; And if beyond this life desire can be, N o t Fate it self shall set my passion free." (Dryden, V . 396—401.) Dem Sinn nach find dieie Zeilen genau von Boccaccio übernommen: " ' T i s most true that I have loved, and do still love, Guiscard: and whilst I live, which will not be long, shall continue to love him; and if such a thing as love be after death, even that shall not dissolve it" (Z. 1 3 2 ff.). Der klare Aufbau des Abfchnitts in feiner wundervollen Steigerung von Couplet zu Couplet, von der befonnenen, faft trotzig klingenden erften Zeile bis zu der alle Feilein der Scheu abflreifenden, die tiefe Liebe der Tochter ganz offenbarenden Schlußzeile dagegen ift Drydens eigenftes Werk. Die große Verteidigungsrede, die bei Dryden einen Umfang von über neunzig Zeilen erreicht, gegenüber fechsunddreißig Profazeilen bei Boccaccio, wiederholt in ihren fchönften Verfen, von der tiefen, ieelifchen Lauterkeit des greifen Dichters getragen, Gedanken, die Dryden idion in der Erzählung " T h e W i f e of Bath her T a l e " ausfprach. " T h e same Almighty Power inspired the frame With kindled life, and formed the souls the same: The faculties of intellect and will Dispensed with equal hand, disposed with equal skill, Like liberty indulged with choice of good or ill. Thus born alike, from virtue first began The difference that distinguished man from man: He claimed no title from descent of blood, But that which made him noble made him good" (Dryden, V . 505 — 5 1 3 ) heißt es jetzt in der reinen Klarheit Drydenfcher Versgebung, die ihr Vorbild nicht fo fehr in der Profa des Boccaccio hat: " T h e first difference amongst mankind was made by virtue; they who were virtuous were deemed noble, and the rest were all accounted otherwise" (Z. 141 ff.), wie der inneren Überzeugung des Dichters felber entftammt, denn ähnlich fchon führte er in " T h e W i f e of Bath her T a l e " aus: " T h e King of Heaven was in a manger laid, And took his earth but from an humble maid: Then what can birth, or mortal men, bestow, Since floods no higher than their fountains flow? We who for name and empty honour strive Our true nobility from him derive." (Dryden, St. 602, V . 486 ff.) 97

Und wenn Dryden ichreibt: "Now lay the line; and measure all thy court By inward virtue, not external port, And find whom justly to prefer above The man on whom my judgment placed my love" (Dryden, V. 523—526) id wiederum der eigentliche Gehalt diefer Zeilen nidit bei Boccaccio zu finden: "If you then alone regard the worth and virtues of your courtiers, and consider that of Guiscard, you will find him the only noble person, and the others a set of poltroons" (Z. 146 ff.), fondern allein bei Dryden, der an anderer Stelle ("The Wife of Bath her Tale") analog fagt: "The nobleman is he whose noble mind Is filled with inborn worth, unborrowed from his kind." (Dryden, St. 602, V. 384 f.) Ebenfo verhält es fich mit den Verfen:

und

"'Tis false; for 'tis not baseness to be poor: His poverty augments thy crime the more" (Dryden, V. 547—548) "Even mighty monarchs oft are meanly born, And kings by birth to lowest rank return" (Dryden, V. 557—55«)

die in "The Wife of Bath her Tale" den Verfen entfprechen: "If poverty be my upbraided crime, And you believe in Heaven, there was a time When He, the great controller of our fate, Deigned to be man, and lived in low estate; Which He who had the world at His dispose, If poverty were vice, would never choose" (Dryden, St. 603, V. 458 ff.) und

"The father sinks within his son, we see, And often rises in the third begree." (Dryden, St. 602, V. 418 f.)

Die Menfchen find unter Drydens Hand zügellofer in ihrer Leidenfdiaft, maßlofer und wilder geworden. Immer noch in würdevoller Haltung, aber doch in einem Ton, der in der Härte und Kälte des Ausdrucks weit über Boccaccios Stil hinausgeht, fordert Sigismonda in ihrer trotzigen, höhnifchen Verzweiflung den König heraus: "If in thy doting and decrepit age Thy soul, a stranger in thy youth to rage, Begins in cruel deads to take d e l i g h t . . . " (Dryden, V. 567—569) 98

bis dann diefer furchtbare Affektausbruch einer dummen Schickfalsergebenheit im letzten Couplet Platz macht: " O r save or slay us both this present hour, 'Tis all that Fate has left within thy power." (Dryden, V. 580—581.) So überfchattet fchon die edle Ruhe der großen Rede der wüfte Sturm einer leidverwirrten Natur. Wie die Leidenfchaft der beiden Liebenden keine Grenzen kennt, ift audi die dunkel drohende Wut, der graufame Zorn des Königs, der fich fchon in den Worten: "The gloomy sire, too sensible of w r o n g . . . " (V. 270) dumpf ankündigte, nicht durch die ftolze Sprache Sigismondas befänftigt und gebändigt worden. Schreckensvoll bricht der Sturm plötzlich durch die Verfe: "Strangling was chosen, and the night the time; A mute revenge, and blind as was the crime: His faithful heart, a bloody sacrifice, Torn from his breast, to glut the tyrant's eyes, Closed the severe c o m m a n d . . . " (Dryden, V. 592—596.) Noch einmal fchwillt die Spannung an, Dryden ichweift wie gleichgültig in einer aktuellen Anfpielung ab, dann indeffen offenbart (ich die ganze Ungezügeltheit des Barockmenfchen. Auch der Renaiilancemenfch ift graufam, aber er findet Erlöfung in der Graufamkeit feiner Tat; der Barockmenfch jedoch muß die Graufamkeit immer noch höher hinaufpeitfehen, er muß fich einwühlen in die Wüftheit des Gedankens, muß feine Verruchtheit bis zum letzten Grunde auskoften, bevor es für ihn eine Entfpannung gibt. " N o w , though the sullen sire had eased his mind, The pomp of his revenge was yet behind, A pomp prepared to grace the present he designed. A goblet rich with gems, and rough with gold, Of depth and breadth the precious pledge to hold, With cruel care he chose; the hollow part Enclosed, the lid concealed the lover's heart." (Dryden, V. 606—612.) Boccaccio fchreibt: "And the next day he called for a golden cup, and putting the heart into it, he had it conveyed by a trusty servant to his daughter.. ." (Z. 170 ff.). Drydens König indeffen fchwelgt im erften Triplet noch einmal in der Ausführung der Tat, dann fucht er (mittleres Couplet) mit der größten Sorgfalt felber den koftbarften Becher; das letzte Couplet bringt nach weiterer Überfteigerung ganz am Ende die furchtbare Löfung: "the lover's heart." Von der gleichen M a ß l o f i g k e i t d e s G e f ü h l s ift Sigismonda beherrfcht. Im Anfang fucht fie fich noch zu bezwingen, aber 99

gerade dadurch verraten in der dramatifch bis zum äußer den zugefpitzten Situation das verhaltene Beben der V e r f e und die unheimliche Kühle der Worte die innere Verzweiflung des liebenden Mädchens: "Then smiled severe; nor with a troubled look, Or trembling hand, the funeral present took; Even kept her countenance, when the lid removed Disclosed the heart, unfortunately loved. She needed not be told within whose breast It lodged; the message had explained the rest. Or not amazed, or hiding her surprise, She sternly on the bearer fixed her eyes." (Dryden, V . 627—634.) Erfchütternd wirkt die ganz ichlichte, einfache Szene: " A t this she curbed a groan, that else had come, And pausing, viewed the present in the tomb; Then to the heart adored devoutly glued Her lips . . . " (Dryden, V . 639—642.) Dann jedoch vermag der krampfhaft unterdrückte Schmerz fidi nicht mehr zurückzuhalten: "Source of my life, and lord of my desires, In whom I lived, with whom my soul expires! Poor heart, no more the spring of vital heat, Cursed be the hands that tore thee from thy seat." (Dryden, V . 6 5 1 — 6 5 4 . ) Weit über Boccaccio hinausgehend, bei dem diefe V e r f e dem Sinne nach ftets fdion ftehen, fchwelgt Dryden in immer neuen Wendungen und Abwandlungen in diefen Bildern der Qual und des Sdireckens: "For, bending o'er the Seemed by the posture O'er-filled before; and T o the cold heart) she

cup, the tears she shed to discharge her head, o f t (her mouth applied kissed at once, and cried" (Dryden, V . 687—690) bis er fchließlich mit der Todesfzene zu Boccaccio zurückfindet: Sigismonda trinkt aus dem Pokal, der das Herz des Geliebten birgt, das erlöfende G i f t . Die fchmerzvolle Spannung hat ihre Löfung gefunden, in barock monumentalem Pathos klingt das Gedicht in fdiweren, gemeilenen Rhythmen aus: "This done, she mounts the genial bed, and there (Her body first composed with honest care) Attends the welcome rest; her hands yet hold Close to her heart the monumental gold; Nor farther word she spoke, but closed her sight, And quiet sought the covert of the night." (Dryden, V . 7 1 1 — 7 1 6 . ) 100

Boccaccio bleibt ftets ruhig und einfach: '"But if any part of that love now remain in you, which you once had for me, the last request I shall make is, that as you would not suffer us to be happy together whilst living, that our two bodies (wherever you have disposed of his) may be publicly interred together when dead.' Extreme grief would suffer him to make no reply: when finding herself drawing near her end, she strained the heart strongly to her breast, saying, 'Receive us, Heaven, I die!' Then closing her eyes, all sense forsook her, and she departed this miserable life." (Z. 230 ff.) Wie aber das erhabene Pathos des Barock Drydens Erzählung in der höchften Spannung der Form beftimmte, verleiht es auch dem Finale den eigenen, pomphaften Charakter: " T h e secret love which I so long enjoyed, And still concealed to gratify thy pride, Thou hast disjoined; but, with my dying breath, Seek not, I beg thee, to disjoin our death: Where'er his corps by thy command is laid, Thither let mine in public be conveyed; Exposed in open view, and side by side, Acknowledged as a bridegroom and a bride." (Dryden, V . 736—743.) In einer Schlichtheit, die durch ihre Größe zugleich Pathos ift, und in einem Pathos, das durch feine Schlichtheit zugleich Größe ift, werden die Schlußworte des letzten Boccacciozitats in Drydens neuer Geftaltung zu einer ergreifenden Schlußapotheofe: " A n d she, who felt her fate approaching nigh, Seized the cold heart, and heaving to her breast, "Here, precious pledge," she said, "securely rest." These accents were her last; the creeping death Benumbed her senses first, then stopped her breath." (Dryden, V . 74^—749.)

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Literatur. "The Poetical Works of John Dryden", hgg. London 1925. "The Works of Geoffrey Chaucer", hgg. v. A. 1928. "Chaucer", hgg. v. Richard Morris, London o. "The Decameron or Ten Days' Entertainment

v. W. D. Christie, W. Pollard, London J. of Boccaccio" with

Introduction by Thomas Wright, F.S.A. London o. J . "Contes et Nouvelles de la Fontaine", Paris 1858. "The Works of Alexander Pope", London 1871 — 1889. David Nichol Smith: "Dryden", Oxford 1925. Eleanor Prescott Hammond, Ph. D.: "Chaucer, A Bibliographical Manual", New York 1908. G. Saintsbury: "Dryden", London 1902. H. J. C. Grierson: "Cross Currents in English Literature of the X V I I t h Century", London 1929. Schöpke, Otto: „Dryden's Übertragungen Chaucer's im Verhältnis zu ihren Originalen." Leipziger Diff., Halle a. d. S. 1878 (Anglia II u. III). Rzesnitzek, Florian: „Das Verhältnis der Fables von John Dryden zu den entfprechenden mittelenglifdien Vorlagen." Züricher Diff., Ratibor 1903. Williams, W. H.: "'Palamon and Arcite' and 'The Knightes Tale'". The Modern Language Review Vol. IX., 1914. Wieruszowski, K.: „Unterfuchungen über John Drydens BoccaccioParaphrafen". Bonner Dill., Bonn 1904. Sherwood, Clarence: „Die neuenglikhen Bearbeitungen der Erzählung Boccaccios von Ghismonda und Guiscardo". Berliner Diff., Berlin 1892.

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