Drei Dramen aus dem Spanischen des Tirso de Molina: Vorgelegt und für die ‚,Vorträge und Schriften‘‘ angenommen in der Plenarsitzung am 30.12.1950 [Reprint 2022 ed.] 9783112620328, 9783112620311


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German Pages 332 [333] Year 1954

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Drei Dramen aus dem Spanischen des Tirso de Molina: Vorgelegt und für die ‚,Vorträge und Schriften‘‘ angenommen in der Plenarsitzung am 30.12.1950 [Reprint 2022 ed.]
 9783112620328, 9783112620311

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DEUTSCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN VORTRÄGE UND SCHRIFTEN H E F T 45

DREI DRAMEN AUS DEM SPANISCHEN DES TIRSO DE MOLINA von Karl Vossler f

1953 AKADEMIE-VERLAG

BERLIN

Vorgelegt und für die „Vorträge und Schriften" angenommen in der Plenarsitzung am 30. 12. 1950

Copyright 1953 by Akademie-Verlag GmbH., Berlin Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten

Erschienen im Akademie« Verlag GmbH., Berlin NW 7, Schiffbauer da mm 19 Veröffentlicht unter der Lizenznummer 1218 des Amtes für Literatur und Verlagswesen der Deutschen Demokratischen Republik Satz und Druck der Druckerei „Thomas Müntzer" Langensalza, Werk Langensalza Bestell- und Verlag9nummer 2003/45 Preist DM 18,—

VORBEMERKUNG Die drei hinterlassenen Übersetzungen sind das Ergebnis der Beschäftigung Karl Yosslers mit dem großen spanischen Dramatiker Tirso de Molina (Fray Gabriel Téllez, 1571 ? bis 1648). Auch diesmal stellte Karl Vossler seine vielerprobte Sprachbegabung in den Dienst seiner Auslegung einer dichterischen Erscheinung. Die Erprobung des fremdsprachlichen Kunstwerks an der eigenen Sprache begleitete seine gesamte literarhistorische Arbeit, und schon die Auswahl der drei übersetzten Stücke verrät die besonderen Akzente über dem neuen Tirsobiid, das uns Karl Vossler geschenkt hat. Zwei dieser Stücke genossen schon Weltruf. Aber die Bedeutung des dritten, „Das verkehrte Weltreich" (La república al revés), war seiner bisherigen Forschung entgangen. Die Beschäftigung mit Tirso de Molina verrät zuerst ein Aufsatz Vosslers aas dem Jahre 1939, „Ein spanischer Totentanz aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts", erschienen in „Aus der Romanischen Welt II", Leipzig 1940, S. 104. Der erste Entwurf einer Monographie aus dem gleichen Jahre findet sich zunächst im Jahresbericht der Kaiser-WilhelmGesellschaft 1940, S. 60—84, und später in erweiterter und endgültiger Fassung in „Corona" X/1941, wieder aufgelegt in „Südliche Romanía" Teil V, Leipzig 1950, S. 185—204. Vossler fand wenig verwertbare Vorarbeiten für seine Studien. Der Wert der biographischen Bemühungen von Bianca de los Rios ist nicht ohne Anfechtung geblieben, und die Arbeit von A. H.Bushee, „Three Centuries of Tirso de Molina", Philadelphia 1939, erscheint als eine Anhäufung bibliographischer Tatsachen, deren Verdienst nur der professionelle Hispanologe würdigt. Eine stattliche Anzahl gelehrter Betrachl

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tungen kreist um die Einzelprobleme von Tirsos Theater. Insbesondere kann die Flut der Don Juan berührenden Untersuchungen schon im Hinblick auf diesen Helden als eine Sintflut gelten. Von Karl Vossler war uns allein die hier vorangestellte Einführung in Tirsos religiöses Drama erhalten. Zweifellos war es in seiner Absicht gelegen, den Zugang zu den beiden anderen Tirso'schen Stücken auf eine ähnliche eindringliche Weise zu schaffen. Die von Vossler gelassene Lücke kann natürlich auch der Versuch nicht mehr schließen, dem Verständnis auch dieser beiden übersetzten Dramen durch eine ergänzende Einführung aufzuhelfen. Immerhin war dafür die 'Grundauffassung Karl Vosslers durch die Wiedergabe der charakteristischen Sätze aus seiner Tirsobiographie belegbar.

DER KLEINMÜTIGE von Tirso de Molina Übersetzung und Einführung von Karl Yossler Däs Schauspiel „El condenado por desconfiado" (eigentlich „Aus Kleinmut verdammt") hat einfache, klare und tiefe Grundgedanken und einen übersichtlichen Aufbau. Umso geheimnisvoller seine Entstehung. Im Jahre 1635 erschien es gedruckt. Wann und wo die ersten Aufführungen stattfanden, wissen wir nicht, vermutlich aber lange vor 1635. Nach 1626 hat Tirso de Molina kaum mehr für die Bühne gearbeitet. Die Freude am Theaterwesen war ihm allmählich vergangen, nachdem er drei bis vierhundert Stücke, von denen uns 86 erhalten sind, für wandernde Schauspielertruppen geschrieben, große Erfolge errungen und manche Enttäuschung und Anfeindung erfahren hatte. Tirso war sein Théatername. Eigentlich hieß er Gabriel Téllez, war ein frommer Mönch und gehörte dein Mercedarier-Orden an, in den er am 14. November 1600 als Novize eingetreten war, und in dessen Dienst er am 12. März 1648 als Comendador und Superior des Klosters in dem altkastilischen Städtchen Soria starb. Das Jahr seiner Geburt ist unsicher. In Madrid erblickte er das Licht der Welt, über seine Eltern wissen wir nichts. Bevor er Mönch wurde, studierte er in Alcalá de Henares, wo er sich die Grundlagen seiner humanistischen und schöngeistigen Bildung erwerben konnte. Nachrichten über sein persönliches Leben fließen sehr spärlich. Zwei Jahre lang, etwa 1616—18, lehrte und predigte er in Santo Domingo auf Haiti und wunderte und freute sich über die geistige Behendigkeit der Eingeborenen. Außerdem war er in Guadalajara, in Toledo, in Madrid, Salamanca, Trujillo, vielleicht auch in Portugal im Auftrag seines Ordens tätig. Der ritterliche,

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opferfrohe und abenteuerliche Geist dieses zu Anfang des 13. Jahrhunderts auf Grund der Augustinerregel gestifteten Ordo BeataeMariae demercede redemptionis captivorum entsprach den Anlagen und Neigungen des hochherzigen Dichtermönches aufs beste. Bruder Gabriel liebte es, die Helden dieses Ordens, Petrus Nolascus, Pedro Guillen Armengol und andere in Gedichten, Erzählungen, Schauspielen, wie auch in der Chronik des Ordens, an der er mitarbeitete, zu verherrlichen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß er bald nach seinem Eintritt in das Kloster zur Erbauung und Unterhaltung der Mönche göttliche Gnadenwunder und teuflische Schrecken und Possen dramatisierte und daß sein Bühnengenius zuerst in Sakristeien und Refektorien sich übte, bevor er in der breiten Öffentlichkeit seine großen Erfolge erntete. Jedenfalls besitzen wir kein Schauspiel von ihm, dessen Abfassimg vor 1600 erwiesen wäre. Wohl aber kann sein Drama vom Einsiedler und Bösewicht als einer seiner frühen Versuche angesetzt werden. Eine gewisse dramaturgische Unerfahrenheit, Härten in der Führung der Dialoge, Übertreibungen und Nachlässigkeiten sind unverkennbar. Vielleicht ist von Abschreibern und Schauspielern oder von Mitarbeitern in den Text hineingepfuscht worden. Aber das theologisch Lehrhafte, Symbolistische und exemplarisch Angeordnete kann nicht nachträglich hinzugefügt sein. Es gehört zum Wesen dieser Dichtung, die etwas vom Auto sacramental an sich hat. Man vergleiche z.B. Tirsos Auto de nuestra Senora del Rosario, la madrina del Cielo, das an dramatischer Kraft und dichterischem Leben freilich weit hinter dem Condenado zurücksteht. Aber beide sind lehrhaft angelegt als eine Kasuistik der Seelenrettung mit einem Nebeneinander von Verworfenen und Erwählten. In der spanischen Bühnendichtung findet sich dergleichen auch vor und nach Tirso. — Ja, wir dürfen es unsern Lesern nicht verschweigen, daß von bewährten Sachkennern Bedenken und Zweifel gegen Tirso als wirklichen und einzigen Schöpfer des Condenado erhoben werden. Es bestehen nämlich Anzeichen,

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daß in den Sammelband, in dem der Condenado zum ersten Mal erschien (segunda parte de las comedias del Maestro Tirso de Molina, recogidas por su sobrino D. Francisco Lucas de Avila, Madrid 1635), einige Stücke aufgenommen wurden, die nicht von Tirso stammen, oder an denen er nur teilweise mitgearbeitet hatte. Man nahm es mit dem geistigen Eigentum im goldenen Zeit alter der spanischen Dichtung nicht so genau. Besonders was mündlich überliefert Wirde, Romanzen, Volkslieder und beliebte Schauspiele betrachtete man als Gemeingut, an dem jeder wegnehmen oder hinzufügen konnte, was ihm gerade gefiel. So hat auch Tirso, was ihm gewiß niemand verübelte, die schönen Verse, mit denen der alte Anareto im 3. Auftritt des 2. Aufzuges des Condenado seinem Sohne Heinrich Ratschläge für die Ehe erteilt, wörtlich aus Lope de Vega's Remedio en la desdicha I. 9 herübergeholt. Bei dieser Leichtigkeit formaler Entlehnungen und Anpassungen wäre es gewagt, mit rein stilistischen Beweismitteln die Verfasserfrage entscheiden zu wollen. Wir müssen den Kern zu fassen suchen und müssen prüfen, ob das Grundmotiv des Dramas, ob die Fragen der göttlichen Gnade und menschlichen Willensfreiheit, des Gott Vertrauens und der Zweifelsucht unseren Dichter inniger berührten und lebhafter beschäftigten als andere Bühnendichter, die etwa in Betracht kommen könnten. Ich wüßte aber keinen, der so tief und so ehrlich wie Bruder Gabriel Töllez davon ergriffen und bewegt wurde. Man könnte neben ihm höchstens noch Antonio Mira de Amescua, den Dichter des „Esclavo del demonio" in Betracht ziehen, der, wie manche vermuten, vielleicht am Condenado mitgearbeitet hat. An dramatischem Schwung aber kann er sich kaum mit Tirso messen. Die Fabel von dem übereifrigen Einsiedler Paulus, der sich in Kasteiungen und Gebeten nicht genug tun kann, weil ihm die innere Sicherheit fehlt, und dem der Teufel einflüstert, sich ein Beispiel an dem resoluten Heinrich zu nehmen, was er denn zu seinem ewigen Schaden auch tut, indes der wilde Heinrich

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aus Leichtsinn und dämmernder Zuversicht zur Reue und zum seelischen Aufstieg erwacht, diese Doppelfabel war ein beliebtes Schulbeispiel in den theologischen Streitigkeiten, die in Spanien um die Wende des 16. Jahrhunderts höchst leidenschaftlich entbrannten. Immer wieder konnte Tirso aus dem Munde disputierender Ordensbrüder dieses Exemplum vernehmen. Er kann es auch gelesen haben, etwa in jenem Magnum speculum exemplorum des Johannes Maior, aus dem er später eine fromme Kindergeschichte übersetzte. Er selbst gibt den Bellarmino und die Verfasser der Vitae Patrum als Gewährsmänner an, freilich durch den Mund des Spaßmachers Pedrisco. Er liebte es, die Zuhörer, ich will nicht sagen zu täuschen, aber auf andre Quellen zu verweisen als die, aus denen er getrunken hatte. Den stärkenden Trunk aber dürfte ihm in aller Stille der so tapfere wie bescheidene Streiter und Gottesgelehrte Luis de Molina gereicht haben, der Verfasser des berühmten und damals heiß umkämpften Werkes über die Eintracht unserer Willensfreiheit mit Gottes Gnadenwahl: Liberi arbitrii concordia cum gratiae donis, 1588. Am 12. Oktober 1600 war Luis de Molina in Madrid gestorben, am 14. November desselben Jahres trat Gabriel Téllez in dem benachbarten Guadalajara ins Kloster. Wäre es nun gar so abwegig, anzunehmen, daß er bei Abfassung seiner ersten frommen Schauspiele sich den Decknamen Tirso de Molina beigelegt habe, womit er sich so bescheiden wie keck als den weltlichen Hirtendichter des großen Theologen bekannte, von dessen Lehre er sich durchdrungen und getragen fühlte ? Molinas Lehre, daß die göttliche Gnade zwar jeden Sterblichen mit dem gleichen Sonnenlicht bestrahlt, aber doch nur den erretten kann, der sich ihr freiwillig erschließt und vertrauensfest folgt, wurde von den Dominikanern als eine Verkleinerung der göttlichen Allmacht bemängelt. Es entspann sich ein Streit, an dem im Jahr 1602 das ganze spanische Volk so heftig teilnahm, daß die päpstliche Kurie beschwichtigend eingreifen mußte. Damals etwa könnte Tirsos Schauspiel ent-

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standen sein. Im Buchdruck wurde es, wahrscheinlich aus Vorsicht, erst viel später veröffentlicht. Nicht daß es ein dogmatisches Tendenzstück wäre, keineswegs! Aber von den aufgeregten Gemütern, die den vermeintlichen Sieg der Molinisten und Jesuiten mit festlichen Umzügen, Musik, Aufführungen und Stierkämpfen feierten, konnte es als solches empfunden werden. — Der Eckstein der Gnadenlehre des Molina war der Begriff der göttlichen Scientia media, vermöge deren der Schöpfer voraussieht, welchen Entschluß wir Menschen aus unserem freien Willen heraus jeweils treffen werden, ohne daß Gottes Vorwissen uns dabei irgendwie beeinflußt. Nun wohl, dieser Begriff, um den so eifervoll gerungen wurde, spielt in Tirsos Dichtung so gut wie keine Rolle. Ein einzig Mal nur klingt er, leise und klug gedämpft, in dem Klagelied des Hirtenknaben im Schlußakt auf, wo er dem verlorenen Schäflein nachtrauert. Meinem Gutsherrn bring ich die traurige Botschaft, auf daß er es wisse (obgleich er's schon weiß) — „Obgleich er's schon weiß" — das ist alles, was Tirso über Gottes Scientia media oder scientia futurorum contingentium laut werden läßt, denn er ist ein Dichter, kein Dogmatiker. Viel stärker als das Verhältnis der Allwissenheit Gottes zu seiner Allmacht bewegt ihn die Einheit des Menschen mit sich selbst. Paulus, der Büßer, und Heinrich, der Räuber, sie leben und sterben, jeder nach seinem eigensten Gesetz, nach seinem innersten, heimlichen, erst spät ins klare Bewußtsein tretenden Willen. Ich kenne keinen spanischen Bühnendichter neben Tirso, den der Untergrund der menschlichen Seele, das, was wir heute das Unterbewußte, das Verdrängte nennen, so anhaltend beschäftigt, so mannigfaltig anzieht. Doch ist es bei ihm keine psychologische Neugier und kein analytischer Drang. Seelsorge, Sorge um die Seele ist es, und Andacht und Verehrung

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für die geheimnisvoll heilige Werkstatt, in der Charaktere geprägt und verworfen werden. Freude ist es an der Erzeugung und Ausformung von Persönlichkeiten, wie sie aus der einträchtigen Schmelz- und Schmiedearbeit zwischen göttlicher Gnadenwahl und menschlicher Willkür hervorgehen. Über alles liebt Tirso die außergewöhnlichen Kerle, die Käuze und Sonderlinge, Pechvögel und Glückskinder, Außenseiter und Einzelgänger, die Hintergründigen und Unentwegten — und, was er am besten kennt, das unberechenbare Wesen der Mädchen und Frauen. Auch davon gibt er uns in der Gestalt von Heinrichs Freundin Celia eine kleine bittersüß gewürzte Kostprobe. Wie vielfach dieses unausgeglichene und so große Schauspiel und hohe Lied des Gottvertrauens als des Glaubens an den göttlichen Keim in uns selbst nachgeahmt, verzerrt und mißdeutet wurde, wollen wir nicht erörtern.

DER KLEINMÜTIGE Tirso de Molina: (El condenado por desconfiado) Übersetzung von Karl Vossler Der Schauplatz ist in Neapel und Umgebung I. A U F Z U G

1. A u f t r i t t Hochgebirge, Wald, zwischen steilen Felsen zwei Höhlen P a u l u s als Einsiedler

Mein Trost und Zufluchtsort, du heitere und stille Einsamkeit, du gibst mir Lagerstatt von frischem Gras und bleichen Ginsterblüten. Jetzt, da im Morgendämmer smaragdnes Laubwerk glitzert wie Kristall der Sonne zum Willkommen, die durch das Dickicht dringt mit ihrem Strahl und jede Schattenspur der letzten Nacht im Licht zunichte macht, jetzt tret ich aus der Höhle, die zwischen aufgetürmten Felsen hier mit Wolken Zwiesprach pflegt, da sich bei Tag und Nacht rings im Revier der Hochgebirgsnatur kein andrer Zuspruch regt, und schau zum Himmel auf, zum Teppich, der die schönsten Füße trägt. Du himmlisch Lichtgewebe, oh, wem durch einen Riß nur, einen kleinen, ein Durchblick sich ergäbe!

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Wer weiß ? Doch wehe mir! es führt zum Wahnsinn. Unmögliches Begehren! Weiß ich mich doch, o Herr, von Dir gesehn von Deinem Throne aus, der unnahbar, um den in Glanz und Ehren die Engel dienend stehn und schöner strahlen als das Licht der Sonne. Ich dank Dir tausendmal für all die Gnade, die Du mir erweisest und die ich nicht verdiene, daß Du dem Weltgetriebe mich entreißest, dem lärmenden am Tor und auf der Schwelle zu der letzten Tiefe. Mein Herr und Gott, wie kann mein Unwert Dir es danken, daß Du mich zurückführst auf die Bahn, die, wenn ich weiterschreite, sicherlich zu Dir mich bringt —^ und dann in diesen Wäldern solche Herrlichkeit! Die Vöglein üben sich in Liebesliedern hier und mahnen mich bei Thymian und Binsen an Dich, und zu mir selber sprech ich dann: wenn solches schon auf Erden, wie wird die Herrlichkeit im Himmel werden! Und wie die Bächlein hier sich glitzernd durch das Grün der Wiesen schlängeln, beruhigt sich mein Gemüt, sie wenden es zu Dir. Wie sie so lieblich rauschen, ist es ein Seelentrost, dem Klang zu lauschen. Von Waldes Blumenduft geschwängert streicht der flücht'ge Wind vorbei und aus dem ungepflegten Boden ruft

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er Farben vielerlei, so prächtig und so reich, kein morgenländischer Teppich kommt ihm gleich. Für alle diese Gaben, für dieses Glück und diese Freuden hier sei tausendmal gepriesen, Du großer Gott, und soviel schenkst Du mir! Drum hoff ich Dir zu dienen und hab zu meinem Glück die Welt verlassen. Hier will ich jetzt Dir folgen, und niemals soll ein Fieberwahn der Welt, wie sehr er i h r gefällt, mit seinen Truggebilden mich verführen. In Demut auf den Knien, mein Herr und Gott, fleh ich Dich an: bewahre erbarmungsvoll mich immer auf diesem Weg, bedenke, wie so schwächlich der Mensch geschaffen ward aus niedrem Stoff, aus Kot, und wie zerbrechlich. (Er geht in eine der Höhlen)

2. A u f t r i t t P e d r i s o o mit einem B u n d H e u

Wie wenn ich ein Esel war komme ich mit Heu beladen, das dort oben reichlich wächst. Wenn ichs schlucke, wirds mir schaden. Böses Ende, wehe mir! Ich soll mich von Gras ernähren, das der Himmel doch erschuf auf daß Viecher es verzehren! Gebe mir der Himmel denn auch Geduld in dieser Not! Als mein' Mutter mich gebar,

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sagte sie: Pedrisco mein, mögest einst ein Heiliger sein! Wenn uns Mütter solches wünschen, was wird eine Schwiegermutter, eine Tante wünschen ? Freilich, heilig sein ist Glück und Würde, doch der Hunger eine Bürde. Herr, verzeih mir meine Narrheit und mein törichtes Beginnen. Da Du meine Art und Weise kennst, so zürne nicht, wenn ich bitte, daß Du mir im Magen stillst den Hunger — oder laß mich der Heiligkeit entsagen. Kann es aber gar geschehn durch die Allmacht Deiner Liebe, die den Widerspruch besiegt, daß er auch zu essen kriegt unser Heiliger, desto besser. — Vor zehn Jahren ungefähr holte Paulus aus der Heimat mich in dies Gebirge her. Er bewohnt die Höhle dort, ich die andre nebenan, und so büßen wir nun beide. Gras ist unsre ganze Weide, und zuweilen denken wir an das Viele, das wir ließen, um das Wenige zu genießen. — Zu des Gießbachs lautem Tosen dort am steilen Wasserfall, wo die schattigen Ulmen stehen, ruf ich meinem fernen Schinken: Liebling du, erbarme dich! Als ich einst noch in der Stadt,

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ach, und nicht in Felsenschluchten Studien trieb, — es ist zum Weinen, warst du hilfreich meinem Hunger selbst im Einzelnen und Kleinen. Ja, du warst ein treuer Schinken, dir zum Lobe sei's gesagt. Du verdienst, daß wir dich rühmen, wenn du auch von u n s r e m Hunger selber gar nicht wirst geplagt. — Das ist alles jetzt dahin, und betrübt schluck ich mein Heu, und von all den vielen Blüten, es ist kaum mehr zu verhüten, treibt mir noch ein Maienstrauß zu dem vollen Leib heraus. Dort kommt Paulus aus dem Dunkel. Ich geh in mein finstres Loch und zum Essen. (Er geht ab)

Paul.:

3. A u f t r i t t Ach, was ist es doch ein böses unvermeidliches Geschick! Mich überfiel der Schlaf, und da leibhaftig, vielleicht auch nur in schauervollem Bild, der Tod vor mir, so grimmig, daß ich ganz die fromme Zuflucht zum Gebet vergaß. UndgleichnachdiesemTraumbild noch einsolches! —ein Zeichen freilich, daß mein Gott mir grollt — es sei denn, daß vielleicht der böse Feind mir eine Täuschung vorgegaukelt hat. Kurzum ich sah, o Gott, vor mir den Tod, ein fürchterlicher Anblick, wehe mir!

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Wenn schon sein Traumgesicht ein solches Schreckbild, was kann, wer ihn im Wachen sieht, noch hoffen ? Mit seinem rechten Arm erreicht er mich, nicht mit der Sense, zu dem Bogen greift er. Die Rechte hält den Pfeil, und in der Linken seh ich den Stolzbezwinger, seinen Bogen. Er schoß mich in das Herz: ich fühle mich getroffen, werfe meinen Körper ab, daß ihn die Mutter Erde als ihr Teil ergreife und die Seele laß ich fahren. Im Flug entschlüpfte sie, und augenblicklich und gegenwärtig sah ich Gott. Ob, wer Ihn so nicht sehen müßte! Schrecklich war Er, ein blitzendes und scharfgeschliffnes Richtschwert in seiner Rechten. Drohend Ihm zur Seite, in seines Amtes strenger Haltung, sah ich den Ankläger der Seelen, wie er auch im Siege seines Rechtes immer grollt. Er las die Liste meiner Schuld, dann las mein heiliger Anwalt meine guten Werke. Der höchste Richter, der das üble Reich der Hölle zittern, macht, legte sodann in zwei Wagschalen gut und böse Werke. Mein Schuld und Unrecht aber überwiegt die guten Werke so sehr, daß der Richter mich zu dem Schreckensreich der Nacht verdammt. In dieser Furcht und Qual erwachte ich und zitterte noch immer und sah nichts als meine Schuld, und bin so ganz verstört und weiß nicht, liegts an meinem Mißgeschick, ists eine List, ein Streich des bösen Feindes, der mich verfolgt mit seinem Feuerschwert ? Wie soll ich es verstehen, heiliger Gott ? Erkläre Du mir meines Schreckens Grund.

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Werd ich verurteilt, o mein Grottesgott, so wie mir träumte, oder werde ich im strahlenden Palast des Himmels wohnen ? Dies mußt Du mir, mein Herr, zuliebe t u n , daß ich mein Schicksal sehe. Da ich doch auf gutem Wege bin, so wolle nicht in dieser Wirrnis, ewiger Gott, mich lassen. Ob Himmel oder Hölle mir beschieden ? Nun bin ich dreißig Jahre alt und hause die letzten zehn in dieser Wüste schon, und lebt' ich hundert, ein Jahrhundert wollt ich so weiterhausen, Herr, das sag ich Euch. Und wenn ich dies mit K r a f t und Lust erfülle, wo f ü h r t mich das am Ende hin ? Ich weine! Antworte mir, mein ewiger Herr und Gott, in Deinen Himmel, oder in die Hölle ?

4. A u f t r i t t Der S a t a n erscheint auf einer Felsenspitze, unsichtbar für P a u l u s

Sat.:

Schon im zehnten J a h r verfolg ich diesen Mönch jetzt in der Wildnis und erwecke ihm vergangne Bilder und Erinnerungen. Bisher war er immer standhaft. Heute zweifelt er, ja Zweifel hat er jetzt gehegt am Glauben. Denn der Christ muß glauben, daß Gottesdienst und gute Werke ihm zur Seligkeit in Gott helfen werden, wenn er stirbt. Dieser, ob er gleich so fromm war, wankt im Glauben und verlangt,

Vossler, Drei Dramen

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wie wir sehn, vom Herrgott selber Auskunft über seine Zweifel. Außerdem hat er durch Stolz sich versündigt, das ist sicher; keiner weiß das so wie ich, weil der Stolz mein Leiden ist. Auch durch seinen Kleinmut hat er Gott beleidigt, da er nämlich kein Vertrauen hat zu Ihm und am Glauben nicht mehr festhält. Und der Grund war nur ein Traum. Einem Traum den Vorzug geben vor dem Gottesglauben, wahrlich, das ist offenkundig Sünde. Deshalb gab der höchste Richter, der gerechte, mir Erlaubnis, daß ich ihn mit meinen Künsten nochmals in Versuchung führe. Mag er sich nun tüchtig halten in den Kämpfen, die ich biete, da im Kleinmut er so tüchtig und wie ich im Hochmut war! Flicken muß er das Verbrechen jener an den Herrn gestellten Frage, denn an diese Frage knüpf ich meine neue Täuschung. Die Gestalt von einem Engel nehm ich an und geb ihm Auskunft derart, daß es ihm Verdammnis einträgt, wenn es mir gelingt. ( E r wird als Engel sichtbar)

Paul.:

Großer Gott, ich fleh Dich an: nur das Eine: rett ich mich ? werd ich Deiner Glorie teilhaft ? Deiner Antwort harre ich.

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Sat.: Paul.: Sat.:

Paul.: Sat.:

Paul.:

Sat.: Paul.: Sat.:

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Paulus, Gott hat dich erhört, hat dein Weinen auch gesehn. F a s t vergehe ich vor Schreck! Oh, sein Anblick macht mich blind. Aufgetragen ist es mir, daß ich deine Wirrnis schlichte. Feindlich täuschende Gesichte seien endlich ferne dir! Nach Neapel mach dich auf und durchs „Tor am Meer", so heißt es, kommst du in die Stadt und siehest, welches Glück dir zukommt . . . oder Unglück, denn du siehst dort gleich in der Nähe . . . jetzt gib acht, einen Mann . . . Willkommnen Trost reichst du mir mit deiner Auskunft. Einen Mann mit Namen Heinrich, Sohn des edlen Anareto. Unschwer wirst du ihn erkennen. Merkmal: er ist Edelmann, hochgewachsen, schmuck und stattlich. Weitres brauch ich nicht zu sagen, da du alsbald, wenn du hinkommst, ihn erblickst. Nur möcht ich wissen, wie ich ihn befragen soll, wenn ich ihn gefunden habe. Eines nur hast du zu tun. Und das wäre ? Schaun und schweigen. (Er verschwindet)

Paul.:

Höchst geheimnisvolle Weisung! Wer mag dieser Heinrich sein ? I h n zu sehen treibt es mich. 2»

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Was muß das ein Liebling Gottes zweifelsohne sein, ein Held!

5. A u f t r i t t Pedrisco,

Paulus

Immer hilft Fortuna doch Pedr.: (für sich) auch dem schwächsten Herzen noch. Hübsch geschmeckt hat mir die Mahlzeit, und ich kann zufrieden sein. He, Pedrisco! Paul.: Eure Füße Pedr.: küß ich, Herr. Paul.: Zur rechten Zeit kommst du, denn wir müssen beide sogleich eine Reise tun. Ei, da hüpf ich vor Vergnügen, Pedr.: und wohin solls gehen, Paulus 1 Nach Neapel. Paul.: Pedr.: Was nicht gar! und wozu denn ? Paul.: Unterwegs wirds dem Pilgrim offenbar. Gebe Gott uns Glück dazu. Pedr.: Ob die Freunde und Bekannten dort uns noch erkennen werden ? Niemand wird uns mehr erkennen, Paul.: Fremde sind wir dort geworden: andre Tracht, und auch gealtert. J a , zehn Jahre sind es her, Pedr.: und wir können sicher gehn. Heut braucht solche Sicherheit etwa eine Stunde Zeit: schon kennt dich der Freund nicht mehr.

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Paul.: Pedr.: Paul.:

Pedr.:

Gehn wir. Gott geleite mich. Meine Seele weint vor Glück. Dir gehorsam müh ich mich, Herrgott, daß ich nicht versage und den Weg, den Du willst, wage, jenes Heinrichs Glück zu sehn. Muß ein großer Heiliger sein! Ja, und ich darf mit dir gehn (und da fehlt es sicher nicht, daß mir Wunderbares winkt und man herrlich ißt und trinkt. Bei Juana kehr ich ein und beim Wirt zum krummen Bein). (Beide ab)

6. A u f t r i t t Der

Satan

Trefflich hab ichs eingeleitet, daß noch heut der Skrupulant, der so schwach im Gottvertrauen, sich das Ende kann beschauen, wie er selber sichs bereitet. (ab)

7. A u f t r i t t C e l i a s Haus in Neapel mit Hof und Galerie. I n der Vorhalle Oc t a v i o u n d L i s a n d r o.

Lis.: Oct.: Lis.:

So berühmt ist diese Dame, daß michs herzog, sie zu sehn. Wie berühmt ? Man sagte mir, Freund Octavio, sie sei geistreich wie kein ander Weib

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Oct.:

Lis.: Oct.:

Lis.: Oct.:

Lis.: Oct.:

Karl Vossler

in der weltlichen Gesellschaft unsres Königreichs Neapel. Und man hat euch gut berichtet, aber diese Geistesgabe ist der Köder ihrer Laster, um die Dummen zu betrügen und die Gecken zu beschwindeln. Mit Oktaven und Sonetten, die in pikareskem Stil sie gelegentlich verfaßt, fängt sie tausend arme Kerle, die, um geistreich zu erscheinen, dieses Weibes Kunstgriff preisen, ihre Sprache, ihren Witz. Merkwürdige Dinge hab ich über sie gehört. Schon gut. Hat euch, der's euch sagte, auch von dem Haus gesprochen, wo sie alles, was nur fesch ist, aufnimmt ? Immer stehn die Tore offen für die Reichen aus Neapel und für Deutsche, Engeländer, Ungarn, Inder und Armenier, ja sogar auch für die Spanier, die doch niemand in Neapel leiden mag. Und so was gibt es ? Wahrlich ja, das sag ich euch, wie auch wahrlich Ihr von ihr eingenommen seid. Gewiß bin ich es von ihrem Rufe. Dann noch etwas . . .

Drei Dramen des Tirso de Molina

Lis.:

Guter Freund, sag es!

Oct.:

Lis.:

Oct.: Lis.: Oct.:

Lis.:

Einen Burschen hat sie, einen Liebsten, wie es keinen übleren in ganz Neapel je gegeben. Heinrich ist's wohl, Sohn des alten Anareto, der vier Jahre oder fünf schon gelähmt im Bette liegt, ein bedauernswerter Greis. Ja, der ists. Von diesem Jungen hab ich Kunde. Oh Lisandro, ich versichre euch, es gibt keinen schlimmem in der Stadt, und das Frauenzimmer schenkt ihm was sie hat, und wenn sein Laster ihn bedrängt, die Spielwut, läuft er zu ihr, ohrfeigt sie und nimmt Ringe, Arm- und Halsschmuck mit. Arme Frau!

Oct.:

Sie hat schon auch ihre abgefeimten Kniffe, um so manchen unerfahrenen Minnediener mit dem Blendwerk ihrer Verse auszubeutein.

Lis.:

Nun ihr mich so gut belehrt habt, Freund und Meister, sollt ihr sehn, wie ich euch da drinnen helfe.

Oct.:

Ich geh mit euch, aber Achtung auf die Börse, lieber Freund! Einen Vorwand brauchen wir.

Lis.:

23

24 Oct.:

Lis.: Oct.:

Lis.: Oct.:

Lis.: Oct.: Lis.:

Karl Vossler

Sagt ihr, daß man euch von ihrer eleganten Kunst erzählt hat, und sie soll an eure Dame Verse schreiben . . . so im Werte eines Ringleins. Guter Vorschlag. Ich begleite euch und sage ihr das Gleiche ungefähr. Dies ihr Haus. Mir scheint, sie ist dort im Hof. Wenn aber Heinrich uns bei ihr betreffen sollte, fürcht ich, kanns gefährlich werden. Kommt er nicht allein ? Gewiß. Der kann mir nicht imponieren.

8. A u f t r i t t C e l i a , einen Brief lesend, u n d die Z o f e L i d o r a , Schreibzeug hereintragend, b e t r e t e n d a s Proszenium. O c t a v i o und L i s a n d r o im Hintergrund

Cel.: Lid.: Cel.: Lid.: Cel.: Oct.: Lis.:

Gut geschrieben ist der Brief. Severino hat Geschmack, nur, daß man es ihm nicht ansieht. Sagtest du nicht: gut geschrieben ? Freilich, gut ist seine Handschrift, aber plump sind die Gedanken. Jetzt, Lisandro, forsch ins Zeug! Ach, wie schön sie ist! Wahrhaftig, so etwas ist äußerst selten: Schönheit und Verstand zugleich und vereint in einem Wesen.

Drei Dramen des Tirso de Molina

Lid.:

Eben sind zwei Herrn gekommen, wenigstens der Kleidung nach sind es Herrn. Cel.: Was wollen sie ? Lid.: Das Gewohnte. Oct.z. Lis.: Sie schaut her. Cel.: Was befehlen Euer Gnaden ? Lis.: Wir sind keck hereingetreten, denn in herrschaftlichen Häusern und bei Dichtern pflegt der Zutritt niemandem versagt zu werden. Lid. Wie geduldig, daß sie sich (für sich): einen Dichter nennen läßt und nicht muckst! Ich hab gehört, Lis.: daß Ihr durch Geschmack und Geist den Homer und den Ovid an Berühmtheit überstrahlt, drum bin ich mit diesem Freunde, der mir Euern Genius preist, um die Wette hergeeilt, daß Ihr mir für eine Dame etwas schreibt, die, meiner Liebe rasch vergessend, ohne Liebe sich vermählt hat. — Jetzo weih ich Preis und Ehre E u r e r Schönheit, wenn es Preis und Ehre ist, daß ich E u c h mein Herz gelobe. Lid. (leise Meint er wohl, du seist Belerma ? zu Cel.): Oct.:

Um dasselbe Euch zu bitten komm auch ich, denn Euer hoher Genius verpflichtet jeden, der Geschmack hat, edle Frau.

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Karl Vossler

Cel.:

Über was soll es denn sein 1

Oct.:

(Zu Lid.) Lis.:

Eine Dame, die mich liebte und mich dann verlassen mußte, als sie meine Armut sah und bequemer leben wollte. (Die hat viel Geschmack bewiesen.) Heute t r i f f t sichs gut f ü r euch, denn ich wollte eben jetzt einen Brief beantworten. Da ich nun, wie ihr behauptet, den Ovidius übertreffe, will ich leisten: mehr als er! und zu gleicher Zeit diktier ich eure Briefe und den meinen. Gib uns allen, bitte, Schreibzeug. Tapfrer Geist!

Oct.: Lid.: Cel.:

J a , wunderbar! Hier ist Tinte und Papier. Also schreibt!

Lid.: Cel.:

(Celia,

Lis.: Cel.: Lis.: Cel.: Oct.: Cel.:

L i s a n d r o u n d O c t a v i o setzen sich an den Tisch )

Wir sind bereit. Einer Dame also, sagst du, die vermählt ist . . . J a , so sagt ich. Du an eine, die dich aufgab, weil du ihr nicht reich genug warst. Richtig. Und hier schreibe ich: Antwort an Don Severino.

( O e l i a schreibt für sich u n d diktiert zu gleicher Zeit L i s a n d r o und dem O c t a v i o )

dem

Drei Dramen des Tirso de Molina

27

9. A u f t r i t t H e i n r i c h und G a l v ä n treten, beide b e w a f f n e t mit D e g e n und Schild, in das Zimmer zu den Schreibenden

Heinr.:

W a s haben die Herrn in diesem Haus verloren ? Lis.: Nichts verloren. Es stand offen, und da sind wir. Heinr.: K e n n t ihr mich ? Lis.: Das kann schon sein. Heinr.: Also scheret euch zum Henker! denn bei Gott, wenn ich mich ärgere . . . Celia, blinzle mich nicht an, Oct.: (Ein Verrückter ohnegleichen) Heinr.: . . . will ich sie hinaus ins Meer schmeißen, und wenns noch so weit ist! Cel.(leise:) Liebster, mir zulieb gib Ruhe. Heinr.: Wie, du wagst, mir nah zu kommen ? Geh mir aus dem Weg, bei Gott, eine Ohrfeige kannst haben. Oct.: Lis.: Heinr.: Gal.:

Wenn wir euch hier lästig fallen, können wir uns ja entfernen. Seid ihr etwa ein Verwandter, gar ein Bruder dieser Dame ? Bin der Satan! H a b schon alles beieinander in der Hand. Schlage los!

Oct.: Cel.:

So laßt's doch bleiben! Ach, um Gottes willen, Liebster!

Oct.:

Nicht mit sinnlichen Begierden haben wir dies Haus betreten, sondern u m uns einige Briefe aufsetzen zu lassen.

28 Heinr.:

Oct.: Heinr.:

Karl Vossler

Also ihr mit eurer Eleganz könnt nicht schreiben ? Mäßigt doch euren Ärger. Mäßigen ? Was für Briefe sind es ?

Oct. (gibt sie ihm): Hier. Heinr. (zerreißt sie): Holt sie später wieder ab, jetzt ist nicht der Augenblick. Celia: Hast du sie zerrissen ? Heinr.: Freilich! und wenn ich mich ärgre . . . Cel.: Liebling! . . . Heinr.: so zerreiß ich ihnen auch die Visage. Lis.: J e t z t genug! Heinr.: So wie's mir beliebt, so halt ichs, und in allem was ich will. Und wenn ihr, Herr Edelmann, mirs verwehren wollt, so steht ihr bald nicht mehr auf euren Beinen, denn vor Leuten eures Schlages hab ich mich noch nie gefürchtet. Lis.: Unerträglich! Oct.: Schweig doch still! Heinr.: So was will als Mannsbild gelten und hat Weiberherz im Leib. Wollt ihr Siegespalmen pflücken, eurem Namen R u h m erwerben, wehrt euch gegen meinen Degen! ( H e i n r i c h u n d G a l v ä n fechten gegen L i s a n d r o und O c t a v i o )

Drei Dramen des Tirso de Molina

Cel.: Heinr.: Cel.: Heinr.: Cel.:

Mein Geliebter! Weg! Halt ein! Nichts und niemand kann mich halten! Welch ein Unglück, wehe mir! ( O o t a v i o und L i s a n d r o entfliehen)

10. A u f t r i t t Celia, Heinrich, Lidora,

Lid.: Gal.: Heinr.: Cel.: Heinr.:

Lid.: (zu Cel.) Galv.:

Heinr.: Cel.: Heinr.:

Galvän

Wie sie laufen, das ist herrlich! D e m hab ich 'nen Schmiß versetzt! Oh ihr Feiglinge, ist das eure ganze Kunst im Fechten ? Freund, was tatest du ? Lappalie! Tüchtig habe ich dem größern von den beiden eine Schmarre aufgeschlitzt in seinem Fleisch. Schöner Lohn für deine Gäste! Meine Klinge traf den Kleinen, daß er gleich zwölf Pfund von seiner Wolle fahren ließ und einen fürchterlichen Furz dazu. Celia, mußt du mich doch immer ärgern. Laß es endlich gut sein und gib Ruh, bei meiner Seele. Hab ich es dir nicht gesagt, daß ich solche Junker mit Kräuselhaar und Zwirbelbärtchen hier im Haus nicht leiden mag ? Und was können sie dir nützen

29

30

Cel.: Heinr.: Cel.:

Heinr.: Cel.: Heinr.: Lid.: Heinr.: Galv.: Lid.: Cel.:

Heinr.:

Karl Vossler

oder bieten oder schenken diese Gecken, die nichts andres tun als sich die Haare wellen ? Hart wie Fels und Eichenholz sind sie, wenns zu schenken gilt, und ihr Beutel hält sich streng an die Franziskanerregel. Also wozu gibst du ihnen Einlaß und empfängst sie hier ? Hab ich dich umsonst gewarnt ? Du wirst es noch soweit bringen, daß ich tobe. Laß es gut sein. Heb dich weg! So hör doch, Liebster, überzeug dich, daß auch diese manchmal etwas springen lassen. Diesen Ring und diese Kette haben mir die zwei geschenkt. Zeig! — Die Kette kann ich brauchen, sie scheint wirklich gut zu sein. Nur die Kette ? Und der Ring, ja, der hat mir noch gefehlt. Laß doch etwas für die Herrin. Kann sie mich nicht darum bitten ? Warum bittest du für sie ? Weil.sie immer schwatzen muß. (Wehe, wer mit euch sich einläßt, Kupplerknechte, Beelzebubs!) Alles ist ja dein, Geliebter, und da ich dir ganz gehöre, hör mich an. Ich bin ganz Ohr.

Drei Dramen des Tirso de Molina

Cel.:

Heinr.: Cel.: Heinr.:

Galv.: Heinr.:

Lid.: Galv.: Cel.: Heinr.:

Cel.:

Nur das eine möchte ich, daß du heute Nachmittag uns ans Tor zum Meere führst. Gut, nimm deinen Umhang mit. Ich will sorgen, daß wir dort vespern können. Hör, Galvän, geh und melde es sofort unsern Freunden Escalante, und Cherinos und Roldan, daß mit Celia ich komme. Gut . . . , u r d daß beim Tor am Meere sie mit ihren Mädeln uns bald erwarten. Schöner Plan! Wird ein lustig Treiben geben und am End auch Rauferei ? Sollen wir verschleiert gehen ? Nein, das will ich eben nicht; unverhüllt sollt ihr euch zeigen, denn ich will, daß heut einmal alle sehen, daß du mein bist. Wie es dir beliebt, ich folge. Gehn wir. ( H e i n r i c h und G a l v a n schicken sich an zu gehn und sprechen miteinander, indem sie abtreten)

Lid.z.Cel.: Cel.: Galv.:

Welche Einfalt! hast du allen Schmuck ihm denn gegeben ? Alles ist bei einem tapfern Mann wie diesem gut verwendet. Aber hast du denn vergessen, daß man gestern dir bestellte, eine Tötung zu vollstrecken 1

32

Heinr.: Galv.: Heinr.:

Galv.: Heinr.:

Karl Vossler

Eingenommen und verbraucht ist das Geld dafür zur Hälfte. Wozu gehst du dann ans Meer ? Später fädeln wir das ein. H a b jetzt keine Lust dazu. Ich besitz ja Ring und Kette, das Geschenk von dieser Dame, also Geld im Überfluß. Will nun gleich die Freunde holen. Freue sich der arme Mann, frei von Sorge und von Pein, K e t t e will verjubelt sein, und der Auftrag ist getan.

11. A u f t r i t t B e i m Tor z u m Meer mit Ausblick auf Neapel. P a u l u s u n d P e d r i s c o , später H e i n r i e h , C e l i a , R o l d & n und C h e r i n o s .

Pedr.: Paul.: Pedr.:

Paul.:

Pedr.: Paul.: Pedr.:

Ein solch Ereignis dünkt mich wunderbar. Geheimnisse des Herrn. So daß euch also das gleiche Ende, lieber Pater, winkt wie jenem Heinrich ? J a , denn Gottes Wort ist unfehlbar. Sein Engel sagte mir, wenn Heinerich verworfen werde, dann auch ich; und wenn er seine Seele rette, so ich die meine. Ohne Zweifel, Vater, ist dieser Heinrich ein gar heiliger Mann. So denk ich mir es auch. Hier ist das Tor, das man „zum Meere" nennt.

Drei Dramen des Tirso de Molina

Paul.: Pedr.:

Paul.:

Pedr.: Paul.: Pedr.: Paul.:

Pedr.:

Paul.: Pedr.: Paul.: Pedr.:

Paul.: Heinr.: Paul.:

33

Hier soll ich warten, befahl der Engel mir. Hier lebte einst ein wohlbeleibter Gastwirt, Pater, den ich manches liebe Mal besuchen ging. Und weiter dort — erinnert ihr euch noch ? — war jene blonde, bochgewachsne Dirne zuhaus, die aussah wie ein Wachtsoldat und sehr dem Wirt gefiel. Der böse Feind setzt mir mit sündigen Gedanken zu. 0 schwaches Fleisch! Mein Bruder hör! Ich höre. Erinnerung an frühere Wollust weckt der böse Feind in mir. (er wirft sich zu Boden) Was macht ihr denn ? Ich werf mich nieder, siehst du, auf die Erde, damit du mich zu Boden tretest. Komm und t r i t t mich tüchtig. Also ich gehorche und trete, lieber Pater, wie ich kann. (er tritt) Ist es so recht ? Jawohl. Tut das nicht weh ? Tritt nur und kümmere dich nicht. Mich kümmern ? Weshalb soll ich denn Kummer haben, Pater ? Ich t r e t und trete wieder, bester Vater, und fürchte nur, ihr könntet mir zerplatzen. So t r i t t doch, Bruder! (Rolandhinter der Szene:) Heinerich, halt ein! Ins Meer, bei Gott, muß ich den Menschen werfen. Ich höre Heinrich rufen. ( H e i n r i c h hinter der Szene:) Bettelvolk, wozu das auf der Welt ?

Vossler. Drei D r a m e n

¡1

34 Cherinos

Karl Vossler

0 haltet ein! Jawohl, wenn du ihn wirfst, dann halt ich ein. Wo eilst du hin ? halt ein! Da hilft nun nichts. Wenn ich aus solcher Armut dich befreie, ists höchste Wohltat. Was habt ihr getan!

(hinter der Szene:)

H e i n r i c h (hinter der Szene:)

Cel.: Heinr.:

Rol.:

12. A u f t r i t t H e i n r i c h , Celia, L i d o r a , G a l v ü n , Rold&n, E s c a l a n t e , C h e r i n o s — ( P a u l u s u n d P e d r i s c o h a l t e n sich b e o b a c h t e n d abseits, indes die a n d e r n d e n V o r d e r g r u n d in der Mitte einnehmen)

Heinr.:

Paul.: Heinr.: Pedr.: Cel.: Heinr.: Escal.:

K a m da ein Armer, bettelte mich an, ein Jammerbild von Elend, das mir weh tat. Damit er künftig nicht noch Andern so zum Anstoß würde, hob ich ihn empor und warf ihn in das Meer. (Maßlose Untat!) Jetzt ist er nicht mehr arm, stell ich mir vor. (Ein Teufel hätte dich anbetteln sollen!) Mußt immer wüten, du! Kein Wort mehr, oder ich machs mit dir und allen jetzt genau so. Wir wollen das genug sein lassen, bitte. Freund Heinrich, setzen wir uns hier zusammen.

Paul, (zu Pedr.): Zu diesem sagt er Heinrich. Pedr.: Wird ja wohl ein andrer sein. Du willst doch nicht, daß dieser lebendige Teufelsbraten d e i n e r sei \ Wir wollen schaun und warten, wie das endet. Heinr.: Ich bitte euer Gnaden, Platz zu nehmen. Wir wollen uns unterhalten.

Drei Dramen des Tirso de Molina

35

Guter Vorschlag. Escal. : Hier Celia, nimm Platz. Heinr. : Da sitz ich schon. Cel.: Escal. : Und du zu mir, Lidora. Lid.: Einverstanden. Cher. : Hierher Roldan. Rold. Ich komme schon, Cherinos. Pedr. (zu Paul.): Wie' lieb sie sind und freundlich, schaut doch, Pater, und tretet näher, daß euch nichts entgehe. Wo nur mein Heinrich bleibt ? Paul. : Paßt auf und schweigt, Pedr. : sonst schmeißt zuletzt uns dieser rohe Kerl, dieweil wir arm sind, noch ins Meer. Jetzt möcht ich, Heinr. : daß jeder von den Herren die Taten, die im Leben er vollbracht hat, uns erzählt; ich meine Taten, als da sind: ein Raub, ein Diebstahl, Messerstiche, Wunden, Totschlag, auch Überfälle und dergleichen mehr. Vortrefflich Heinrichs Vorschlag! Escal. : Wer sodann Heinr. die größten Missetaten aufweist, soll sofort mit Lorbeerkranz gekrönt und mit Musik und Lobgesang gefeiert werden. Ich bins zufrieden. Escal. : Heinr. Also ihr fangt an. Paul. : (Das duldet Gott ? Pedr. : Laßt euch von nichts erschüttern.) Escal. : Ich sag euch jetzt . . . Pedr. : (Wie froh und stolz er tut!) Escal. : Getötet hab ich fünfundzwanzig Kerle, sechs Einbrüche, und dreißig Wunden hab ich geschlagen mit dem Dolch. 3*

Karl Vossler

36

Pedr.: Heinr.: Pedr.: Cher.: Heinr.: Cher.: Heinr.: Cher.: Heinr.: Cher.: Heinr.: Cher.: Pedr.: Cel.: Heinr.: Escal.: Heinr.: Galv.: Pedr.: Paul.: Heinr.: Cel.: Pedr.: 1)

(Daß man dich doch am Galgen sehen könnte Sprünge machen)! Jetzt soll Cherinos sprechen. (Übler Name Cherinos, und was heißt das schon ? Ich sage: getötet hab ich niemand, aber mehr als hundert Messerstiche ausgeteilt. Und keiner tödlich ? Glück hatten die Leute. Von Mänteln, die ich stahl und dann verkaufte, ist schon ein Kleiderhändler reich geworden. Verkauft sie dieser ? Freilich. Merkt das niemand ? Die Merkmale zu tilgen, ändert er die Mäntel um in Jäckchen und in Hosen. Habt ihr noch mehr getan ? Ich habs vergessen. (Ob das ihn freispricht von der Stehlerei ?) Und deine Taten, Heinrich ? Hört mich an! Daß man uns keine Märchen biete. Ich habe noch nie gelogen. Das versteht sich. (Wollt ihr nicht hören, Pater, was er sagt ? Ich schau nach Heinrich, ob er denn nicht kommt.) So merket auf! Es soll dich niemand stören. (Das ist ein Prediger, den muß man hören.)

Vielleicht denkt Pedrisco an ein Wortspiel mit chirimboloPlunder, oder chirinola-Posse, Lapperei oder cherinol - Räuberhauptmann.

Drei Dramen dea Tirso de Molina

Heinr.:

Bös veranlagt von Geburt bin ich, wie die Früchte meines Lebenslaufes zeigen, den ich hiemit euch berichten will. Sorglos wuchs ich in Neapel auf; ihr kennt ja, glaub ich, meinen Vater, der zwar nicht von Adel, noch von ritterlichem Rang, aber sehr bemittelt war und das ist, scheint mir, heutzutag doch die höchste Eigenschaft, daß der Mensch etwas besitzt. So verwöhnt wuchs ich heran wie gesagt bei meinem Vater, war als Kind ein kleiner Schelm und ein großer Narr als Jüngling. Meines alten Vaters Koffer, seine Kisten brach ich auf, stahl ihm seine Kleider weg, Schmucksachen und seine Taler. Ich ergab dem Spiel mich, — Spiel, müßt ihr wissen, ist von allen Lastern, die es gibt, der Urahn. Bald in Armut ohne gar nichts übte ich die Kunst des Stehlens, holte mir von Haus zu Haus Säe heichen von wenig Wert, spielte wieder und verlor, und so wuchsen meine Laster. Bald fand ich mich in Gesellschaft räuberischer Zunftgenossen. Wir erstiegen sieben Häuser, töteten die Eigentümer, teilten unter uns die Beute, um das Spiel zu finanzieren.

37

Karl Vossler

Von den Fünfen, die wir waren, wurden doch nur vier geschnappt. Keiner hat mich angezeigt, ob man gleich sie folterte. Auf dem Richtplatz büßten sie ihr Verbrechen, aber ich war gewitzigt und beschloß, jetzt allein zu operieren. Und so ging ich jede Nacht ganz alleine nach dem Spielhaus, wartete daselbst am Tor, bis heraus die Spieler kamen. Höflich bat ich sie um Anteil am Gewinn, und wenn sie willig ihre Beutel für mich zogen, dann zog ich den harten Stahl, tauchte unbarmherzig ihn in die Brust der Ahnungslosen und verschaffte mit Gewalt mir den Gewinn, den sie verloren. Mäntel raubte ich bei Nacht, hatte auch verschiedne Eisen, jeglich Tor damit zu öffnen und den Hausherrn zu bezwingen. Ich begaunerte die Weiber, wenn sie mir ihr Geld nicht gaben, machte stracks mein Messer ihnen eine Zeichnung ins Gesicht. Solcherlei verübte ich, da ich noch ein Jüngling war. Aber hört jetzt und erfahret Taten meines Mannesalters. Dreißig Unglücksmänner haben i c h allein und diese Klinge, meine Todesschaffnerin,

Drei Dramen des Tirso de Molina

aus der Welt hinweggeschafft, zehn davon aus eigner Lust, und die andern zwanzig brachten jeder mir ein Goldstück ein. Ein geringer Preis! sagt ihr. Zugegeben, doch bei Gott, wenn es mir an Geld fehlt, sollt ich für ein Goldstück dann nicht jeden, der sich mit mir einläßt, töten ? An sechs Jungfern übt ich Notzucht, und ich kann mich glücklich preisen, daß ich sechs hab finden können, heutzutag will das was heißen! Einer herrschaftlich Vermählten war ich zugetan und heimlich war ich in ihr Haus geschlichen, meine Lust an ihr zu stillen. Doch sie schrie. Der Gatte kam. Ich, im Zorn sofort entschlossen, wurde handgemein mit ihm, preßte ihn mit beiden Armen, daß der Boden unter ihm schwand, und alsbald wie ichs merke, werf ich vom Balkon ihn ab: unten lag er totgeschmettert. Schreie stieß die Dame aus, und ich zückte meine Klinge, bohrt sie fünf Mal oder sechs in den blendend weißen Busen, daß rubinrot sich ein Ausgang auf den leuchtend schönen Hügeln auftat für die Seele, die fliehend diese Welt verließ. Nur um Böses zu vollbringen, schwur ich manchen falschen Eid,

Karl Vossler

baute Truggebilde auf und erfand verschlungne Ränke. Einen Priester, der in heiligem Eifer deshalb mich zurechtwies, gab ich einen Backenstreich, daß er umsank, halb entseelt. Als ich in Erfahrung brachte, daß ein Feind von mir im Hause eines armen Alten steckte, legt ich Feuer an das Haus. Da war keine Rettung möglich, es verbrannten alle drin, selbst zwei kleine Brüderlein wurden ganz und gar zu Asche. — Niemals sage ich ein Wort, ohne einen Fluch dazu mit „zum Teufel" oder „Sakra", weil ich weiß, es kränkt den Himmel. Niemals hört ich eine Messe, beichtete auch nicht einmal in der äußersten Gefahr und rief Gott den Herrn nicht an. Niemals, auch wenn ich viel Geld hatte, gab ich Almosen, vielmehr setzte ich den Armen, wie ihr just gesehn habt, zu. Unsern Geistlichen zum Hohn hab aus Kirchen ich und Tempeln schon sechs Kelche weggenommen und noch andres, das zum Schmuck heiliger Altäre dient. Auch das Recht ist mir verächtlich, trotz ich ihm doch tausendfach und erschlage seine Diener, so daß, um mich einzufangen,

Drei Dramen des Tirso de Molina

ihre Kühnheit nicht mehr ausreicht. — Schließlich bin ich ja gefangen von den schönen Augen Celia's, die hier gegenwärtig ist. Jedermann erweist ihr Ehre m i r zulieb, der sie vergöttert. Wenn ich weiß, daß sie bei Geld ist, gibt sie mir, wenn auch nur spärlich, Unterhalt für meinen Vater, den ihr ja bei seinem Namen Anareto doch wohl kennt. Seit fünf Jahren liegt er mir schon gelähmt in seinem Bett, und ich hab mit ihm Erbarmen, weil er arm, der gute Alte, und weil er durch meine Schuld schließlich soweit kam, da ich sein Vermögen ihm verspielte als ich noch ein Jüngling war. — Wahr bei Gott ist alles, was ich sagte, denn ich lüge nicht. Gebt jetzt euern Urteilsspruch, w e m der erste Preis gebührt. Pedr.:

Escal.: Rold.: Cher.: Cel.: Heinr.: Cel.:

(Sicherlich, mein guter Pater, kann auf Grund von solchen Diensten dieser Mensch bei Hofe sich präsentieren.) Ich bekenne: du verdienst den Lorbeerkranz. Und auch ich bekenne das. Wir sind alle dieser Meinung. Dir will ich den Lorbeer reichen. Lange lebe Celia! (indem sie Heinrich bekränzt)

Nimm, mein Liebster, diesen Kranz.

41

42

Galv.: Cel.: Alle: Heinr.:

Karl Vossler

Jetzt erwartet uns das Vesper, gehn wir! Gut hast du's gemacht. Alles rufe nun: Heil Heinrich! Heil dem Sohne Anaretos! Laßt uns sogleich alle gehn und uns fröhlich unterhalten. (Heinrich mit den Seinen ab.)

13. A u f t r i t t Paulus,

Paul.:

Pedr.: Paul.:

Pedr.: Paul.: Pedr.: Paul.:

Pedr.: Paul.:

Pedrisco

Fließet, meine Tränen, fließt ohne Scheu und machet eilends dem bedrängten Herzen Luft. Ach, welch unheilvolle Fügung! Vater, was ist euch ? Ach Bruder, Qual und Unglück leide ich. Dieser böse Mensch, der hier war, das ist Heinrich. Wie ists möglich ? Die der Engel gab, die Zeichen, sind die seinen. Ist das sicher ? Ja, denn, wie der Engel sagte, ists der Sohn von Anareto, — dieser sagt von sich dasselbe. Oh, der brennt ja schon lebendig in der Hölle. Wehemir! Das ists, was ich einzig fürchte, denn der Engel Gottes sagte, daß, wenn dieser in die Hölle

Drei Dramen des Tirso de Molina

Pedr.:

Paul.:

Pedr.: Paul.:

fährt, auch ich zur Hölle muß, — und zum Himmel, nur wenn dieser. Wie soll aber, Bruder, dieser mit der offenkundigen Bosheit, die ihm anhängt, mit dem Raub und mit seinen Grausamkeiten, Dieberein und Niedertracht, d i e s e r in den Himmel kommen ? Wer kann hier noch Zweifel hegen ? Dieser fährt zur Holl so sicher wie der Speisemeister Judas. Großer Gott in Ewigkeit, warum strafst Du ohne Grenzen mich mit solcher Züchtigung ? Seit zehn Jahren schon und länger leb ich in der Einsamkeit, nähre mich von bittern Kräutern, trinke heilsam klares Wasser, nur damit mir Du, o Herr, gnädig, weise und gerecht meine Sünden mögst verzeihn. Und wie anders seh ichs jetzt! In die Hölle soll ich fahren! Und ich fühle, scheint mir, schon, wie die Teufelsflammen gierig meinen armen Leib versengen. Oh wie schrecklich! Hab Geduld. Was soll einer, der doch weiß, daß er in die Hölle muß, noch Geduld und Langmut haben ?. In die Hölle, in das tiefste Dunkel, wo die Qualen ewig dauern, so wie Gott der Ewige! Ach um Himmelswillen, immer

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Pedr.: Paul.:

Pedr.: Paul.:

Karl Vossler

sollen dort die Seelen brennen, immer lodern, wehe mir! (Schon vom Zuhörn wird mir bang.) Gehn wir wieder in die Berge. Laß uns dorthin wieder gehn, aber nicht zum Bußetun, denn es hilft ja doch nichts mehr. Gott hat mir gesagt: wenn d i e s e r himmelan steigt, dann auch ich — stürzt er aber, dann auch ich. Da's nun so ist, will ich auch ihm im Leben folgen. Möge Gott die Keckheit mir verzeihn. Wenn ich enden soll wie jener, will ich auch sein Leben führen, denn es ziemt sich nicht, daß ich Buße übe im Gebirge, während jener in der Stadt sich's vergnüglich wohl sein läßt und, daß wir im Tode dann e i n s sind. Euer Ausgleich, Pater, scheint mir sinnreich, ihr habt recht. I n den Bergen gibt es Räuber, und ein Räuber will ich werden, daß ich meinen Lebensstil dem von Heinrich ähnlich mache. Haben wir dasselbe Ende, will ich auch so bös wie er, ja noch böser sein, womöglich. Da wir beide schon verdammt zu der Hölle sind, gehört sich's , daß wir, eh wir dorthin gehen, uns auf dieser Welt schon rächen. — Gott, wer hätte das gedacht!

Drei Dramen des Tirso de Molina

Pedr.:

Paul.:

Pedr.: Paul.: Pedr.: Paul.:

Pedr.:

Denk nicht dran, und gehn wir jetzt. Unsre alten Kleider wollen wir an diese Bäume hängen. J a ! flott mußt du dich jetzt kleiden. Denn ich will jetzt, daß man Furcht vor dem Mann empfinde, der zwar gerecht und doch verdammt ist. Höllenblitz will ich hier sein! Aber ohne Geld, wie geht das ? Selbst dem Teufel nehm ichs ab, wenn er wirklich eines hat. Gehn wir also. Herr vergib mir, wenn ich mich zu Unrecht räche. Jetzt hast du mich ja verworfen, und Dein Wort, das ist gewiß, kann nicht widerrufen werden. Da es sich nun so verhält, laß ich mir auf dieser Welt, eh das Ende kommt mit Schrecken, noch ein gutes Leben schmecken, so wie Heinrich. (Voller Angst seh ich mich an dich geklammert, wenn du drunten angelangst).

II. A U F Z U G

1. A u f t r i t t Saal in A n a r e t o s Haus, im Hintergrund ein Alkoven mit vorgezogenem Vorhang. — H e i n r i c h und G a 1 v & n

Heinr.: Galv.:

Der Teufel hol dich, Spiel, hast mich so schlecht behandelt! Mußt immer Unglück haben.

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Heinr.: Galv.: Heinr.: Galv.: Heinr.: Galv.: Heinr.:

Galv.:

Heinr.: Galv.: Heinr.:

Galv.: Heinr.:

Galv.:

Karl Vossler

Verfluchte Hände ihr, ins Feuer steck ich euch! Die umgetauschten Lose waren schuld. Spiel ich sie rechts, verlier ich, tausch ich sie um, verlier ich. Es ist ein närrisch Spiel. Hier diese rechte Hand hat mich zu Grund gerichtet und neun und neunzig Gulden mich gekostet. Und darum willst du trauern ? bekamst sie doch umsonst. So schnell sind sie entflogen! Hast du das je gesehn ? Ein solcher Schwärm von Losen! Mit derlei Kummer willst du dich befassen und an nichts andres denken ? Denk an Albano, den du töten sollst, wofür dir Lauras Bruder schon den halben Lohn bezahlt hat. Hab keinen Heller mehr, drum will ichs tun! Und heute Nacht mit Heinrich, Cherinos, Escalante . . . ? Ein wichtig Unternehmen, da helf ich gerne mit. Das Haus des Genuesen Octavio gilts zu plündern ? J a , so ist es. Ich will der Erste sein, der den Balkon erklettert. Wo's solche Dinge gilt, da muß ich mich hervortun. Sag ihnen, daß ich warte. Jawohl, ich eile flugs. Bist doch ein Kerl in allem. (Galvin ab)

Drei Dramen des Tirso de Molina

2. A u f t r i t t Heinrich

Heinr.:

Nun, solang sie sich verweilen, bis die Nacht mit finstrem Mantel kommt, um ihnen Schutz zu spenden, schau ich nach dem alten Vater zwischen dieses Hauses Wänden. Seit fünf Jahren liegt er schon von der Gicht gelähmt im Bett. Ich bin zwar auf üblem Wege, doch ich muß ihn hoch verehren und besorge seine Pflege. Was an Wert mir Celia schenkt, was ich ihr entreißen kann, bring ich her und wend es an, um die Lebenskraft des Alten, die entschwindet, aufzuhalten. Auch was nächtens ich aus Häusern da und dort mit Angst und Fleiß mir zusammenplündre, das dient für seinen Unterhalt. Manchmal bleib ich ohne was. Dies ist ja die einz'ge Tugend, die ich im zerfahrnen Leben mir im Herzen noch bewahre, daß der Sohn mit seinem Vater im Gehorsam treu verfahre. Nie hab ich ihm weh getan, nie ihm irgendwas zuleid, immer was er mir befahl, war ich gern zu tun bereit, seit ich mir nur denken kann. Denn von meinen Lumpereien, Bubenstücken, Narreteien drang ihm noch kein Laut zu Ohren.

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Karl Vossler

Wüßte er darum, wahrhaftig, soviel ist mir ganz gewiß, daß ich trotz der wilden Art meines Herzens, das so hart, trotz der Unerbittlichkeit des versteinerten Gemütes i h m zuliebe davon ließe. Doch ich hielt ihm allezeit jeden fern, der davon wußte, und so k a m zu ihm kein Leid, und es h a t ihn nichts betrübt. (Er schlägt die Vorhänge des Alkovens zurück, und man sieht Anareto schlafend in einem Lehnstuhl)

3. A u f t r i t t Anareto,

Heinr.:

Anar.: Heinr.:

Anar.: Heinr.: Anar.: Heinr.:

Heinrich

Hier ist er, ich will ihn sehn, eingeschlafen, wie es scheint. Vater! 0 mein lieber Heinrich. Wenn ich mich vergessen habe, hoff ich, daß ihr mir verzeiht, Vater, lieber Vater mein. Ists zu spät ? 0 nein, mein Sohn. Ärgern möcht ich euch gewiß nicht. Dich zu sehn macht mir schon Freude. Freundlicher als Morgenrot, wenn die Sonne klar hervorbricht aus der Finsternis der Nacht, die das Glück des Lichts erwartet, für den jungen Tag erscheint: so kommt ihr, o Herr, mir vor,

Drei Dramen des Tirso de Molina

der ihr meine Sonne seid, und die Strahlen, die ihr sendet als ein göttlich Morgenlicht, sind die Silberhaare eures ehrenwerten Haupts. Anar.: Heinr.: Anar.: Heinr.: Anar.:

Heinr.:

Anar.:

Du bist echter Tugend wahrer Prüfstein. H a b t ihr schon gespeist ? Noch nicht. D a n n habt ihr wohl Hunger. Da ich dich jetzt sehen durfte, ist er gestillt. Mit diesem Grunde Vater, der aus eurer großen Liebe zu mir kommt, kann ich jetzt mich nicht beruhigen lassen. I h r müßt essen, es ist zwei Uhr Nachmittag. Den Tisch will ich sogleich herrichten für euch. Tut mir leid, daß du dich mühst.

Heinr.:

Dies und mehr noch hat zu leisten, wer gehorsam heißen will. (Von dem Geld, das ich verspielte, hab ich einen Gulden übrig mir behalten für sein Essen. Kommt das Spiel dabei zu kurz, meiner Pflicht muß ich genügen.) Hier in diesem Tüchlein, Vater, bring ich euch etwas zu essen. — Tadelt meinen Eifer nicht.

Anar.:

Sei gelobt, mein Herr und Gott, auf der Erde wie im Himmel, daß Du solchen Sohn mir schenktest

Vossler, Drei Dramen

50

Heinr. Aliar. :

Heinr. Anar. : Heinr.

Anar. : Heinr.

Anar. : Heinr. :

Karl Vossler

als Du sahst, wie ich gelähmt bin, daß er Fuß und Hand mir sei. Laßt mich sehen, daß ihr esset. Arme, müde Glieder, ach, helft mir, daß ich mich erhebe. I c h , mein Vater, will euch helfen. Ja, dein Arm verleiht mir K r a f t . Könnt ich doch ein neues Leben euch mit diesen Armen schenken! Neues Leben, Vater, sag ich, weil so eine große Schwäche schon ein Bild des Todes ist. Möge Gottes Wille denn sich vollziehn. Das Essen, Vater, wartet. Soll ich euch den Tisch näher rücken ? Nein, mein Sohn, mich befällt der Schlaf. Wahrhaftig ? also schlaft.

Anar. : schüttelt mich.

Ein großer Frost

Decken.

Ich bringe euch

Heinr. : Anar. : Heinr. Anar. :

Schlafet.

Nicht mehr nötig jetzt.

Heinerich, ich möchte, da ich jedesmal, daß ich dich erblicke, fürchten muß, dich zum letzten Mal zu sehn . . . weil mich gar so grausam jetzt meine Krankheit plagt, so möcht ich dich im Stand der Ehe wissen.

Drei Dramen dea Tirso de Molina

Heinr.:

Anar.: Heinr.: Anar.: Heinr.:

Anar.:

Heiner.: Anar.:

51

Das macht dir zu schaffen ? nun, so geschehe denn dein Wille. Morgen werd ich Heirat schließen. (Muß ihm doch den Wunsch erfüllen — wenigstens so tun.) Das gibt mir neue Kraft. Es ist in Ordnung, daß ich dein Gebot befolge. Dann kann ich in Frieden sterben. Dir den Willen tun in allem, ist mein Vorsatz, du sollst sehn, daß ich einzig aus Gehorsam mich der Ehe unterwerfe. Also, Heinrich, höre an Rat von einem alten Mann: wähl dir nicht die Schönste aus, denn es bringt Gefahr und Pein, Wächter einer Schönheit sein. Unbefestigt ist dein Haus, und die Kränkimg bleibt nicht aus. Heinrich, merke auf! So sprich. Daß dein Weib nur niemals dich zweifeln sieht an ihrem Sinne! Wird sie dessen einmal inne, macht sie alles liederlich. Halte sie dir selber gleich, lieb sie, hilf ihr, mach sie reich, quäl mit Eifersucht sie nie. Jede Frau, sobald man sie schlecht beurteilt, wird sie's leicht. Halt zurück, weirns in dir siedet, (Er schläft ein)

dann . . . 4»

52

Heinr.:

Karl Vossler

Der Schlaf hat ihn besiegt, der die Sinne unterkriegt mitten in dem besten Ratschlag. Will nur gleich die Decken holen und ihn dann alleine lassen, bis er ausgeschlafen. (Er deckt ihn zu)

4. A u f t r i t t Galv&n,

Galv.:

Heinr. Galv.: Heinr. Galv.: Heinr. Galv.: Heinr.

Galv.: Heinr.

Heinrich.

Schon hab ich alles vorbereitet. Und paß auf, durch unsre Gasse kommt Albano. Wer? Albano, den du umzubringen hast. Ich soll jetzt so grausam sein ? Wie das ? Und ich soll ihn töten wegen einer Lumperei ? Hast du Angst ? Schau dort, Galvän, zwei vom Schlaf geschlossne Augen, die mich fürchten lassen, daß sie aufgeweckt mich wachsam anschaun, flößen diese Angst mir ein. Zwar mein Name ist berühmt, hat auch seinen stolzen Klang und im Schrifttum seinen Platz, doch ein solch Verbrechen kann ich, wo der Mann hier schläft, nicht wagen. Und wer ists ? Ein großer Mann, ja der einz'ge, den ich fürchte

Drei Dramen des Tirso de Molina

und in diesem Leben ehre, denn auf einen klugen Sohn wirkt sein Vater mächtig ein. War er immer mir so nahe, niemals h ä t t ich die Verbrechen, die ich hassen muß, gewagt, ja, sein Anblick hätte mich noch zu rechter Zeit gehemmt. — Darum zieh den Vorhang vor. Seh ich ihn nicht mehr, kann sein, daß ich wieder härter werde, da sein Anblick mich so weich macht und, wie jetzt, zu Mitleid neigend. ( G a l v An zieht die Vorhänge des Alkovens vor)

Galv. : Heinr.

Galv. :

Heinr. Galv.:

J e t z t ist's zu. Und jetzt, Galvan, da ich ihn nicht mehr erblicke und sein Auge mir nicht leuchtet, können wir, wenn du es wünschest, gleich die ganze Welt ermorden. Wie gesagt, Albano kommt jetzt, und für Lauras Bruder ist es nötig, daß du ihn erledigst. Wenn er so dem Tod ins Garn läuft, ist es rasch getan. Natürlich.

5. A u f t r i t t A l b a n o , dann H e i n ri oh und G a l v An Alb.:

(geht über die Bühne)

Abend wirds, die Sonne neigt sich, und mit mir gehts ebenso. —

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Karl Vossler

Meine Frau macht sich wohl Sorge, wo ich bleibe.

Heinr.: Galv.: Heinr.:

Galv.: Heinr.: Galv.: Heinr.:

(ihm unbeweglich

(Er geht ab) nachschauend)

Halt, mein Arm! Worauf wartest du noch, Heinrich ? Seh ich hier nicht einen Mann, ein lebendig Spiegelbild des von mir so hoch Verehrten ? Tu ich diesem hier Gewalt an, kränk ich damit nicht den Vater ? Heut, Albano, sollen meine rohen Hände, weil du alt bist, ritterlich mit dir verfahren. Deine Silberhaare flehen ohne Worte fromm für dich. Zieh in Frieden. Meine Ehre läßt mich so die Dinge sehn, sei's nun wirklich oder nicht, daß ich Vatermörder wäre, wenn ich dich ermordete. — Graue Haare, wer euch haßt, kann euch heute schätzen lernen statt euch ärgerlich zu finden, da ihr Sicherheit gewähret auch dem Feinde gegenüber. Wahrlich, ich versteh dich nicht, du bist nicht mehr der du warst. Tapfer bleib ich nach wie vor. Hättest ihn doch töten können! Darauf kommt es mir nicht an. Niemand hab ich je gefürchtet, manche Missetat beging ich, war ein wilder Menschenschlächter. Jede Bosheit nehme ich gerne auf in meine Brust,

Drei Dramen des Tirso de Molina

Galv.:

Heinr.: Galv.: Heinr.: Galv.:

aber als mir weiße Haare, wie ich sie an meinem Vater ehre, zu Gesichte kamen, unterdrückt ich wilde Wallung, Hochachtung dem Greis erweisend. Hätte ich Albanos Alter vorher schon gewußt, so hätt ich nimmermehr dem Bruder Lauras eine solche Tat versprochen. Eitler, törichter Respekt! Das empfangne Geld wirst du ihm zurückerstatten müssen, da Albano ja nicht starb. Kann schon sein. Wieso kann sein ? Kann schon sein, wenn's mir beliebt. Eben kommt er.

6. A u f t r i t t Octavio,

Oct.:

Heinrich,

Galv&n.

Lebend ist und gesund wie ich Albano. Heinr.: Glaub ich wohl. Oct.: Ich dachte mir, daß das Wort, das Euer Würden mir gegeben, ihn zu töten, ebenso genau erfüllt würde, wie von mir die Zahlung. Handelt so ein Ehrenmann ? Galv. (für sich): (Den gelüstet wohl nach einem scharf geschnittnen Backenstreich ?) Heinr.: Alte Leute töt ich nicht. Hat Albano euch beleidigt,

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Oct.: Heinr.:

Karl Vossler

ei, so tötet ihn geschwinde. Ich will dann zufrieden sein mit dem halben Lohn dafür. Den müßt ihr zurückerstatten. Gott befohlen, gnäd'ger Herr, wollt mich, bitte, nicht erzürnen, denn, das schwör ich euch . . . ( O c t a v i o und H e i n r i c h ziehn v o m Leder)

Galv.: Oct.: Heinr.: Oct.: Heinr.: Oct.: Heinr.: Galv.: Heinr.:

Sie kämpfen, und schon ist der Teufel los. Meine Gulden will ich wieder! Und ich rück sie nicht heraus! Bist ein Feigling. Du ein Lügner! (Er stößt ihn nieder) Weh, ich sterbe. Tuts dir leid ? War er doch zu Bett gegangen. Männer, die so dreist wie du, töte ich, nicht alte Leute, deren Silberhaar und Weisheit riesenmutigen Trotz bezwingen. Solltest du erproben wollen, wie ich solchen Plan vollstrecke, bitte Gott, wenn ers gewährt, daß er nochmals dich erwecke —: nochmals bring ich dich zur Strecke.

7. A u f t r i t t Der Statthalter mit Häschern und Volk, H e i n r i c h , G a l v A n . Noch hinter der Szene ruft

d. Statth.: Ergreift und tötet ihn! Galv.: Jetzt wirds gefährlich: der Statthalter mit mehr als hundert Leuten, um dich zu fangen.

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Drei Dramen des Tirso de Molina

Heinr.:

Galv.: Heinr.: Galv.: Heinr.:

Meinethalb sechshundert. Wenn sie mich fangen, ists mein sichrer Tod, wenn ich mich wehre, läßt vielleicht mein Glück mich mit dem Leben ihnen noch entschlüpfen, doch lieber sterb ich ehrenvoll und rühmlich. — Hier steh ich, Feiglinge, was zaudert ihr ? Sie haben dich umringt von allen Seiten. Und mitten unter sie, bei Gott, will ich mich stürzen. Auf den Fersen folg ich dir. Verlasse dich auf Casars Glück und komm! (Der Statthalter u n d Gefolge treten auf, H e i n r i c h u n d G a l v Ä n fallen über sie her)

Statth.: Heinr.: Statth.: Heinr.: Galv.:

Bist du ein Satan ? Ich bin nur ein Mensch und will dem Tod entgehn. Ergib dich also, und dann errett ich dich. So mein ichs nicht, im Kampf müßt ihr mich greifen. Feiglinge! ( H e i n r i c h verfolgt die Häscher, der Statthalter stellt sich dazwischen und H e i n r i c h stößt ihn mit d e m Degen nieder. Die Häscher lassen Heinrich und G a l v i n entkommen. Der Statthalter, in die Arme seiner Leute sinkend):

Statth.: Weh mir, ich sterbe! 1. Häscher: Welch ein Mißgeschick! Der Statthalter ist t o t . 2. Häscher: Ein böses Wort!

(Alle ab)

8. A u f t r i t t Strand a m Meer. H e i n r i c h ,

Heinr.:

Galvan

Wenn selbst die Erde ihren Schoß mir öffnet, u m mich zu bergen, so ists doch nicht möglich,

Karl Vossler

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Galv.:

daß ich entkomme. — Stolzes Meer, so nimm mich du in deinen Schutz! Ich muß mich mit dem Schwert im Mund in deine Wellen werfen. Erbarm dich meiner Seele, großer Gott! Gewiß bin ich ein schlechter, böser Mensch, und dennoch kenn ich Deine heilige Botschaft des Glaubens. — Aber halt, was will ich denn? Ins Meer mich stürzen und den alten Mann im Elend ohne Trost und Hilfe lassen ? Zurück will ich zu meinem lieben Vater und will ihn mit mir tragen, will Äneas meinem Anchises sein. Wohin ? halt ein!

S t i m m e : (hint.

d. Szene) Galv.: Heinr.:

Galv. : Heinr. : Galv. : Heinr. :

Galv. : Heinr. :

Mir nach, hierher. So rette doch dein Leben! Verzeiht, mein Herzensvater, wenn ich euch jetzt nicht in meinen Armen tragen kann. In meiner Seele, ja, da trag ich euch. Galvän, komm mit. Gewiß, ich folge dir. Zu Lande können wir uns nicht mehr retten. Dann stürz ich mich ins Meer. Sein wilder Schoß soll mich begraben. Ach, geliebter Vater, wie weh tuts mir, euch zu verlassen! Komm. Ein Feigling bin ich, wenn ich dir nicht folge. (Beide ab)

9. A u f t r i t t Waldgebirge. P a u l u s u n d P e d r i s c o als Räuber. Andere Räuber bringen drei gefangene Wanderer

1. Raub.: Tapfrer Paulus, nur von dir, dem wir alle zu gehorchen

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uns verpflichtet, wird das Urteil über Tod und Leben dieser drei Gefangenen erwartet. Paul.: Gaben sie uns schon ihr Geld ? Pedr.: Keinen Heller gaben sie. Paul.: Worauf wartest du dann, Dummkopf. Pedr.: J a , wir nahmens ihnen weg. Paul.: Und sie gabens nicht von selbst 1 Also fälle ich das Urteil. Pedr.: Wie das sein wird, wolln wir sehn! 1. Wand.: Hab Erbarmen doch mit uns. Paul.: Hängt sie auf an dieser Eiche! Die drei Wand.: Großer Herr! Pedr.: Jetzt könnt ihr strampeln und ein Leckerbissen werden hier im abgelegnen Wald für das ganze Raubgevögel. Paul, zu Pedr.: Laß von meiner Härte dich nicht erschrecken. Pedr.: Mich erschreckt schon gar nichts mehr, seitdem ich sehe, wie du gestern, brünstig fastend, ganz in das Gebet versunken und von deinem Gott ergriffen, ihn um Mut und Gnade anflehst, um in Buße immerzu deine Tage hinzubringen; und wie heute du im tiefen Wald als Hauptmann von Banditen Reisende gar grausam mordest und sie vorher noch beraubst. Was soll man noch mehr erwarten ? Nichts mehr kann mich jetzt erschrecken

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Karl Vossler

noch verwundern. Paul.:

Pedr.:

Paul.:

Pedr.: Paul.:

Heinerichs Freveltaten eifr' ich nach, sie zu übertreffen tracht ich. Gott verzeih mir, wenns ihn kränkt. Haben wir das gleiche Ende, ist's gerecht. Ich weiß Bescheid. Einem, der die Trepp hinunter rollte, sagten so die andern, die ihn abwärts rollen sahen. Hab ich Gott doch so verehrt, galt ich doch als heiliger Mann in der Gegend dieser Berge: — und geschwinde bricht der Engel durch des Himmels klare Wölbung, treibt mit seiner Stimme mich ab von diesem guten Wege und verspricht mir bösen Lohn. Heute mag der Himmel sehn, ob ich an Verruchtheit nicht Heinrich gleiche. Armer Mensch! Feuer sprüht aus meinen Augen. Wilde Tiere, die ihr gerne an den Küsten, in den Bergen von Neapel haust und nistet, schaut jetzt, wie mein Herz an Hochmut den Phaeton übertrifft! Bäume, die ihr das Gefieder unsrer Erde seid und grün wie die Wilden euch verkleidet, jetzt wird euer neuer Gast manche Schmach an euch verüben. Mehr als die Natur muß ich, um berühmt zu werden, leisten.

Drei Dramen des Tirso de Molina

Jeden Tag an jedem Aste soll zu höhrer Herrlichkeit eines Menschen Kopf mir hangen. Ihr in eurer stillen Würde tragt dem Menschen süße Früchte, aber ich will büschelweise reichste Früchte euch bescheren, daran Rab und Geier zehren, und im Winter wie im Sommer soll euch diese Frucht gedeihn. Und vermöchte ich noch mehr, tat ichs. Pedr.:

Du stolzierest sehr stattlich in die Holl hinein. Paul.: Geh und hänge sie geschwind an den Eichbaum. Pedr.:: Wie der Wind. 1. Wand.: Hört mich! Paul.: Keinen Widerspruch, wenn ihr nicht noch härtere Züchtigung erfahren wollt! Pedr.: Kommt ihr drei. 2. Wand.: Ach wehe mir! Pedr.: Henker spielen muß ich hier, weil es so mein Schicksal lenkt, daß ichs andre lehren kann, wenn man mich dereinst erhängt. ( P e d r i s o o und alle Räuber ab bis auf zwei, v o n denen die drei Wanderer abgeführt werden)

10. A u f t r i t t P a u l u s und zwei Räuber

Paul. (für sich):

Heinrich, wenn auf diesem Weg ich mit dir zu wandeln habe,

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Karl Vossler

wenn Verdammnis dich erwartet, dann nimm doch auch mich mit dir. Niemals will ich dich verlassen, eines Engels Stimme treibt mich, und ich folge deiner Bahn. Wenn der ew'ge Richter uns in die Hölle wird verdammen, haben wirs dann auch verdient. Niemand soll verzweifeln, niemand, auch kein Sünder noch so groß an der Allbarmherzigkeit, die erstrahlt in Gottes Schoß. Wer ist diese Sängerstimme ? Paul.: 1. Räub.: Herr, die Eichen stehen hier so gedrängt und sind so viele, daß man es nicht sehen kann. Gesang: Reumütig und fest entschlossen, gegen Gott nicht stolz zu sein, nahe demutvoll der Sünder, und der Herr wird ihm verzeihn. Steigt den Berg hinauf, ihr zwei, Paul.: schauet, ob vielleicht ein Hirte dieses Liedchens Sänger ist. 2. Räub.: Nachzusehen gehen wir. Gesang: Seine Herrscherstimme ruft nach dem Sünder, der verzagt, daß er komme und erbitte, was er keinem je versagt. (Gesang hinter der Bühne):

11. A u f t r i t t Ein H i r t e n k n a b e , an einem Blumenkranz flechtend, erscheint auf der Höhe des Gebirges. Paulus

Paul.:

Hirtenknabe, steig herab, deine Mahnungen verwirren

Drei Dramen des Tirso de Molina

mich, bei Gott, doch deine Stimme klingt so schön und wunderbar. Wer hat dich das Lied gelehrt, das mich ängstigt, wenn ichs höre, denn ich glaub, es spricht aus dir meine eigne Phantasie ? Hirtenkn.: Meines Liedes Text, o Herr, hat mich Gtott gelehret. Paul.: Gott ? Hirtenkn.: Oder seine Braut, die Kirche, der er seine Macht hienieden hat verliehen. Paul.: Recht hast du. Denn ich glaube, mußt du wissen, Hirte: fest an Gott und weiß genau, bin ich auch ein schlichter Hirt nur, alle seine zehn Gebote, die er uns zur Lehre gab. Gott soll also einem Menschen, Paul.: der mit Taten und mit Worten und Gedanken ihn beleidigt, noch verzeihen ? Hirtenkn.: Etwa nicht ? Seien der Beleidigungen noch so viele, mehr als Stäubchen in der Sonne, Stern am Himmel, Strahlen aus dem Mond versendet, Fische, die im salzigen Meer und in seinen Buchten wimmeln. Das ist göttliches Erbarmen! Sagt zum Herrn der reuige Sünder: Ach, so oft hab ich gesündigt! nimmt der Herr in seine Arme liebevoll ihn wieder auf. So ist Gottes echte Art.

Karl Vossler

War es anders, hätte Er, als den Menschen Er erschuf, ihn nicht gar so hinfällig von Natur aus schon erschaffen. Denn wenn Gottes höchste Güte aus dem Nichts den Menschen formte, seine Glorie ihm zu reichen, dann wars freilich keine Ehre für die höchste Majestät, ihn so mangelhaft zu machen. Willensfreiheit drum verlieh ihm Gott und auch Gebrechlichkeit seinem Körper und der Seele: folglich Möglichkeit und K r a f t , sich Erbarmen zu erbitten, welches Gott ihm nie versagt. Würde gegen eines Menschen Sünde immer die gerechte Strenge walten, freilich dann wäre kleiner wohl die Zahl derer, die vor Gottes Thron selig in Betrachtung weilen. Äußerst hinfällig der Körper, denn, wenn er sich kaum bewegt, schon ein Blick unkeuscher Lust kann Beleidigung vor Gott werden. — Muß nun aber deshalb dieser schwache arme Sünder, der mit seiner schlechten Neigung einmal, zweimal sich verging, gleich von Gott verurteilt werden ? So verhält es sich gewiß nicht, denn der Herrgott ist barmherzig, läßt den größten Sünder gelten, da ja einer wie der andre,

Drei Dramen des Tirso de Molina

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alle gleich, ihn Schweiß gekostet, wie ihr wißt, und Er sein Blut freigebig vergoß für sie, seines Leibes unerschöpflich Blut, in Liebe hingeströmt fünffach aus den offnen Wunden des vom Geist geformten Körpers, in neun Monden in dem Schöße j e n e r , die als Mutter sich jungfräulichen Wert verdiente und das Licht der Morgensonne rein wie helles Glas empfing, ohne daß es sie verletzte. — Sind euch Beispiele vonnöten, so bedenkt: hat nicht auch Petrus schwer gesündigt und verdiente dann das Amt des Seelenhirten ? Und Matthäus, sein Chronist, hat er Ihn nicht auch beleidigt ? Ward er dann nicht sein Apostel und erhielt den großen Auftrag ? War der heilige Franz kein Sünder, und verzieh der Herr ihm nicht ? Drückt' er ihm als Ehrenzeichen nicht die heiligen Stigmata auf den Leib, die hohe Zierde, und gewährte ihm den Ruhm, solch ein Wappenschild zu tragen ? Magdalena, die bekannte Sünderin in Palästina, wurde sie durch ihre Reue nicht zur Heiligen erhoben ? — Tausend Fälle könnt ich euch nennen, Herr, hätt ich nur Zeit, aber meine Herde wartet Vossler, Drei Dramen

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Paul.: Hirte:

Paul.: Hirte: Paul.: Hirte:

Karl Vossler

allzu lange schon auf mich. Bleibe Hirte, geh nicht fort! Bleiben, nein, das kann ich nicht, denn ich hab durch diese Täler ein verirrtes Schäflein, das von der Herde sich getrennt hat, freundlich wieder einzubringen. Seht ihr, dieser Kranz, an dem ich mit so großer Liebe flechte, ist fürs Schäflein, wann es heimkommt. So hats mir der Oberhirte aufgetragen, der es wert hält nach dem Preis, den's ihn gekostet. — Und wer Gott beleidigt hat, bitte Ihn auch um Verzeihung, denn barmherzig ist der Herr und hat keinem sie verweigert. Hirte, warte doch! Ich kann nicht. Dann halt ich dich mit Gewalt. Halten wollen mich, das hieße ja den Lauf der Sonne hemmen. ( E r geht ihm zwischen den H ä n d e n hindurch)

12. A u f t r i t t Paulus

Paul.:

Dieser Hirte wollte mir in geschmückten geistlichen, überird'schen Worten sagen, daß ich Gott erzürnet habe durch kleinmütiges Verzagen. Seine Güte, das ist klar, seine Beispiele dazu

Drei Dramen des Tirso de Molina

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künden teilnahmsvoll mir an, daß der Mensch, wenn er bereut, Gottes Gnade finden kann. Kann nicht Heinrich also auch, da er sündhaft ist, Vergebung finden ? Oh, jetzt wird mir klar, daß ich schwer im Irrtum war! — Aber wie soll Gott verzeihen einem, der, oh wehe mir! als der schlimmste aller Menschen in der Welt berüchtigt ist! Hirte, der du mir entflohen, staune nicht, wenn ich erschrecke. Hätte Heinrich je den Vorsatz, irgend einmal zu bereuen, ja, dann träte unschwer ein, was mir trügerisch erscheint, und ich könnte glücklich sein. Warum willst du, Hirtenknabe, daß durch Gottes Milde er halbwegs noch zu retten sei ? Nur den einen Ausweg gibts noch: uns verdammen alle zwei.

13. A u f t r i t t Pedrisoo,

Pedr.:

Paulus

Hör und laß dir sagen, Paulus, eine fabelhafte Sache, die du leicht für Schwindel hältst, ein so sonderbar Ereignis wie du's nie gesehen hast. Dort am grünen Uferland, 5*

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Karl Vossler

wo viel wilde Tiere hausen, wo des Meeres klare Welle Klippen spiegelt und umbrandet und die armen schrecklich peitscht, hatten wir die drei gefangnen Wanderer erhängt und standen, Celio und ich, beisammen, als wir eine laute Stimme hörten und beinah erschraken. „Ich ertrinke!" riefs. Wir spähten und erkannten draußen zwei Schwimmer, die sich tapfer regten. Einer hielt im Mund den Degen. Sie zu retten eilten wir. Da das Meer in seinem Sturme nach dem Blut von Opfern dürstet, tobte es, sie zu ertränken, heftet sie bald an die Sterne, schmettert sie bald in die Tiefe. Auf dem Spiel der Wellen konnte man die Köpfe der zwei Opfer rollen sehen wie auf einem Brett des Blutgerüstes, wo die Enthaupteten verenden. Tapfer, wie ich sagte, kamen endlich sie heraus ans Land. Doch ich will dich nicht ermüden, nur dir sagen, daß der eine Heinrich ist. Paul.: Pedr.: Paul.: Pedr.: Paul.:

Ich kanns nicht glauben. Zweifle nicht, ich sag es dir, und ich hab doch meine Augen. Hast du ihn gesehen % Ja. Und was tat er, als er ankam ?

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Drei Dramen des Tirso de Molina

Ped.:

Paul.: (für sich)

Pedr.: Paul.:

Fluch und Lästrung stieß er aus, dieses war sein Dank zu Gott, der ihn doch gerettet hatte. Und der Hirte wird nun sagen, (j a ß jbm Gott der Herr verzeihn muß. Mir verschlägt es den Verstand. Doch was kann ich viel verlieren, da ich ihm nun hier begegne, wenn ich seine Absicht prüfe ? Deine Truppe bringt ihn schon. Höre also, was du tun sollst. (Er spricht abseits mit P e d r i s c o )

14. A u f t r i t t H e i n r i c h und G a l v & n , durchnäßt und mit gefesselten Händen von Räubern hereingeführt. P a u l u s , P e d r i s c o

Heinr.: Wo bringt ihr mich also hin ? 1. Raub.: Unser Hauptmann hier wird euch die gewünschte Auskunft geben. Paul.: All das tust du. (zu P e d r . ) :

Pedr.:

Wird gemacht.

(P a u 1 u s ab)

1. Räub.: Wie ? der Hauptmann geht! Pedr.: Jawohl. (z.Heinr.) Wohin wollten Euer Gnaden, daß ihr so in die Gefahren einer Wasserwandrung kämet ? Keine Antwort ? Heinr.: In die Hölle! Pedr.: Wozu dann die Anstrengung, wo's doch flinke Teufel gibt, die euch gern umsonst hinbringen ?

70 Heinr. Pedr. :

Heinr. Pedr. :

Heinr. :

Pedr. :

Karl Vossler

Möcht mich nicht bedanken müssen. Euer Gnaden haben Recht, und ihr handelt sehr verständig, wenn ihr dem nicht dankt für Dienste, die doch ihm zugute kommen. Und wie heißen euer Gnaden ? Satan heiß ich. Also darum habt ihr euch ins Meer gestürzt, um das Feuer naß zu machen. Woher seid ihr ? Hätt ich nicht, müd von Kampf mit Wind und Wellen, in das Meer mein Schwert geworfen, gab ich rasch auf eure dummen Fragen eine schneidige Antwort. Hör er, Ritter, nicht so heftig und gemach mit eurer Grobheit! Denn wenn ich erst mich erhitze, bohr ich siebenhundert Löcher euch bei Gott ins Leder, außer denen, die ihr sowieso von Natur im Leibe habt. Merkt euch: ihr seid mein Gefangner. Seid ihr tapfer, gut, und ich bin so tapfer wie ein Hektor. Habt ihr Leute umgebracht, merkt euch: umgebracht hab ich vielen Hunger, viele Lichter, viele Flöhe totgeklatscht. Seid ihr Räuber, bin ich Räuber, und potz Wetter . . . !

1. Raub. : Das ist gut. Heinr. : Das muß ich mir bieten lassen ? (für sich)

Drei Dramen des Tirso de Molina

Pedr.:

J e t z t wird er an einen Baum festgeschnallt.

Heinr.:

Ich wehr mich nicht, macht mit mir, was euch beliebt.

Pedr.:

Der da auch.

(zu G a l v . )

Galv.:

Das ist mein Ende.

(für sich)

Pedr.: Eurer Miene nach habt ihr (zu Galv.) Schurkenstreiche auf dem Kerbholz. Vorwärts, bringt sie her zum binden, unser Hauptmann will es so. (ZU Heinr.)Tretet an den Baum. Heinr.:

Daß dieses mir der Himmel zugedacht! (Die R ä u b e r binden H e i n r i c h u n d d a n n G a l v An a n einen B a u m . )

Pedr.:

Her auch ihr!

(zu G a l v ä n )

Galv.:

Erbarmet euch!

Pedr.:

Jetzt laß ich den beiden noch ihre Augen gut verbinden.

Galv.: .

(Unerhörte bittre Not!) Wollt bedenken euer Gnaden, daß ich ein Kollege bin und wie ihr als Räuber lebe.

Pedr.:

Nun, so wird ja der Justiz ihre Mühe abgenommen und dem Henker sein Vergnügen.

1. Räub. (meldet:) Beide an- und zugebunden. Pedr.:

Bogen jetzt und Pfeile her! Nur zwei Dutzend Schuß, nicht mehr, einem jeden in den Leib!

72

Karl Vossler

1. Räub.: Vorwärts also. Pedr.: (leise zu den

Räubern)

Nur zum Schein.

Daß mir keiner sie berühre! 1. Räub. (leise)

Pedr.:

Unser Hauptmann kennt sie wohl. Gehn wir, lassen wir sie so. ( P e d r i s c o u. die Räuber ab)

15. A u f t r i t t H e i n r i c h u. G a l v & n an den B a u m gebunden.

Galv. : Heinr. : Galv. : Heinr. :

Jetzt beschießen sie uns gleich. Dennoch will ich keinerlei Schwäche zu erkennen geben. Mir ist schon als spürte ich einen Wurfspieß im Gedärm. Straf mich der gerechte Himmel! Reue möcht ich fühlen, Reue, ach, und kann nicht wie ich will.

16. A u f t r i t t P a u l u s als Eremit mit Kreuz und Rosenkranz H e i n r i c h , Galv&n

Paul.: (für sich)

Heinr.: (für sich)

Galv.: (für sich)

Dieser Anschlag soll mir zeigen, ob sich Heinerich erinnert, daß er Gott beleidigt hat. So sein Leben zu verlieren, ungesehen, ungehört! Jede Mücke, die vorbeifliegt, kommt mir vor als wärs ein Pfeil.

Drei Dramen des Tirso de Molina

Heinr.:

Paul.:

Ausgebrannt ist dieses Herz, meine Kräfte unterliegen, oh, es war ein karges Glück! Lob sei unserm Herrn und Gott!

Heinr.:

Lob sei Ihm in Ewigkeit.

Paul.:

Tragt mit eurer Tapferkeit diesen Schlag des zürnenden Schicksals. Es ist streng mit mir. Wer seid ihr, daß ihr mich mahnet ? Als ein Mönch bewohne ich diese Wüste, wo der Tod euch erwartet. Also gut, und was wollt ihr nun von uns ? Von den Männern, die euch banden und sich jetzt die Waffen holen, euch zu töten, habe ich untertänig mir erbeten, daß sie; eh sie euch so grausam morden, mir erlauben möchten, euch zu sprechen. Und wozu 1

Heinr.: Paul.:

Heinr.: Paul.:

Heinr.: Paul.:

Euch die Beichte abzunehmen, wenn ihrs braucht, Ihr seid doch gläubig ?

Heinr.:

Ihr könnt ruhig nach Haus gehn, Pater, oder wer ihr seid. Was sagt ihr ? seid ihr denn kein Christ ? Jawohl.

Paul.: Heinr.: Paul.:

Nein, wenn ihr das höchste Gut mir zurückweist, seid ihr keiner. Warum nehmt ihr es nicht an ?

Heinr.:

Weil ich es nicht will.

73

74

Paul.:

Karl Vossler

Paul.:

(Weh mir! Eben dies war meine Ahnung.) Seht ihr nicht, daß man euch sogleich töten wird ? Wollt ihr nicht schweigen, Bruder, und mich jetzt verlassen ? Wenn die Herren hier, die Räuber, mich ermorden: ich bin da. Schreckliche Verwirrung greift

(für sich)

a n

Heinr.:

Heinr.: Paul.: Heinr.:

Paul.:

Heinr.: Paul.:

die

Seele

m

j

r

Ich habe niemand Rechenschaft zu geben. Außer Gott. Da Gott mich ja kennt als gar so großen Sünder, was brauchts noch ? Ihr frevelt schrecklich! Daß doch seine heilige Liebe euch Vergebung schließlich sichre! Pater, jetzt kann ich nicht tun, • was ich vorher nie getan. Hart wie Fels ist seine Brust.

(für sich)

Heinr.: Galv.: Paul.: Heinr.: Paul.: Heinr.:

Galvän, was mag unser Fräulein Celia machen ? Wie kann man noch in unsrer Not dran denken ? Denk doch nicht an solche Dinge! Guter Pater, ihr seid lästig. Meine teilnahmsvollen Worte ärgern euch ? Langweilig ists. Wenn ich nicht gefesselt wäre, hätte ich mit einem Fußtritt euch jetzt schon ins Meer geworfen

Drei Dramen des Tirso de Molina

Paul.: Heinr.: G-alv.: Heinr.: Paul.:

Denkt doch, daß man euch jetzt t ö t e t ! Bin schon müde, drauf zu warten. Pater, höret m e i n e Beichte, denn mir ists als sterb ich schon. Nehmet uns die Binde ab, Pater. J a , das will ich tun. (Er nimmt H e i n r i c h und dann auch G a l v 4 n die Binde ab)

Heinr.:

Gott sei Dank, ich sehe wieder.

Galv.: Paul.:

Mir jetzt auch. Soll gleich geschehen. Und jetzt blicket dorthin auf die Vollstrecker eures Endes.

17. A u f t r i t t Räuber mit Büchse und Armbrust bewaffnet, die Vorigen

Heinr.:

Worauf warten sie denn noch ?

Pedr.:

Da er nun sein Ende sieht, warum beichtet er jetzt nicht ?

Heinr.: Pedr.:

Weil ich keine Beichte will. Celio, schieß ihn durch die Brust!

(z. 1 Raub.)

Paul.: Pedr.: Paul.:

Heinr.: Pedr.:

Laßt mich noch einmal mit ihm reden, er ist in Verzweiflung. Macht euch fertig, ihn zu töten. Haltet ein! (o Schmerz und Leid! Wenn sich dieser die Verdammnis holt, dann furcht ich umso mehr). Ihr seid feige, kommt doch her! Wollt ihr mir die Brust nicht öffnen ? J e t z t wird nicht mehr lang gezögert.

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Paul.:

Heinr.: Paul.: Heinr.: Paul.:

Karl Vossler

Wartet noch, denn wenn ihr schießt, bringt ihr mich in größte Wirrnis. Schau, mein Sohn, ein Sünder bist du. Ja, ich weiß, der größte gar auf der Welt. Ich will dein Bestes, so bekenne doch. Ich mag nicht, Prediger, langweiliger du. Jetzo müssen Tränen fließen mir von Herzen, wenn nicht Ströme, doch so viele Tränen, daß sich die Seele drin ertränkt, weil mein Gottvertrauen schwindet. Mönchsgewand, du sollst nicht mehr mich bedecken, mein Gefühl sagt mir, daß in Gold gefaßt falscher Edelstein nicht paßt. (Er legt die Kutte ab)

Ich versink in meine Schmach, ahme gar die Schlange nach — doch das Gleichnis ist verfehlt, denn, wenn sich die Schlange schält, wird sie besser, — ich werd schlecht. Böses Ende! mir ists recht. Des zum Zeichen will ich auch teuflische Gewänder tragen, mich der christlichen entschlagen. Und die Kutte, bleibe hier, daß sie sage (wehe mir!): Paulus hat mich im Dickicht aufgehängt, er fühlt sich nicht würdig meiner frommen Zier. Reicht den Dolch mir und das Schwert. Dieses Kreuz da könnt ihr haben.

Drei Dramen des Tirso de Molina

Nichts ist mehr die Hoffnung wert, Christi Blut kann mich nicht laben. — Löst die Fesseln! (Die Räuber binden H e i n r i c h und G a l v i n los)

Heinr.: Galv.: Heinr.: Paul.:

Heinr.: Paul.:

Heinr.: Paul.:

Ich bin frei. Was ich seh, kann ich nicht glauben. Dank dem Himmel! sage ich. Was dran wahr ist, möcht ich wissen. O, wie unglücklich bin ich! Heinrich, wärst du nie geboren! Hätte deine Mutter dich nie ans Licht gebracht, wo du Ursach meines Unheils wurdest! Oder, war schon Leib und Seele dir verliehen, hätte Gott doch erlaubt, daß dich die Amme tötete in ihren Armen, daß ein Löwe dich zerriß, eine Bärin deinen zarten Kinderleib zerstückelte, oder daß vom höchsten Söller deines Hauses du gestürzt wärst, ehe du den letzten Faden meiner Hoffnung mir durchschnittest. Neu und schrecklich deine Worte. Ich bin Paulus Eremit, ich verließ mit wenig über fünfzehn Jahre meine Heimat, und in diesen finstem Bergen diente ich dem Herrn zehn Jahre. Welches Glück! Und welch ein Unglück! Brach ein Engel durch den Vorhang gold- und silbernen Gewölkes, denn ich hatte Gott gefragt,

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wie es mit mir enden werde. Sprach der Engel: Merke auf, geh zur Stadt und schau auf Heinrich, Sohn des edeln Anareto, wohlbekannt in ganz Neapel. Achte wohl auf Heinrichs Taten, überleg dir seine Worte, denn, wenn e r zum Himmel steigt, ist auch dir bestimmt der Himmel, wenn zur Holl, auch du zur Hölle. Alsbald bildet ich mir ein, Heinrich sei ja wohl ein Heiliger, — doch mit Wünschen täuscht man sich. Dich zu sehn an Ort und Stelle ging ich und erfuhr aus deinem Mund und dem der Fama, daß du schlechter warst als alle Welt. Um wie du zu enden, warf ich ab die Kutte, nahm die Waffen und erhielt sofort die Führung dieser räuberischen Truppe. Deinen Sinn wollt ich ergründen, ob du in der Todesstunde dich an Gott erinnern möchtest. — Doch es war ein eitel Nichts! Nochmals lege ich die Kutte ab, wie du hier siehst, und gebe Trauerbotschaft meiner armen schon von Gott verworfnen Seele. Heinr.:

Worte, die der Herrgott spricht durch des Engels Mund, sind Worte, o Freund Paulus, deren Inhalt Menschen nicht erfassen können. Ich an deiner Stelle hätte nie den frühern Weg verlassen,

Drei Dramen des Tirso de Molina

denn vielleicht kann dieses Wagnis dich in die Verdammnis führen. Aus Verzweiflung hasts getan und aus Rachsucht gegen Gottes Urteilspruch in einem wilden Aufbegehren wider seine unaussprechliche Gewalt. — Daraus nun, daß Er das Schwert der Gerechtigkeit nicht zückt gegen deinen Eigensinn, seh ich, daß Er deine Rettung wünscht, und was vermag nicht jene göttliche Barmherzigkeit, seines Ruhmes höchste Zierde! Ich, das schlechteste Geschöpf, das die menschliche Natur auf der Erde je erzeugt hat, der noch nie ein Wort gesprochen ohne Fluch, der so viel Menschen grausam hingemordet hat, der noch niemals seine vielen Missetaten beichtete, der sich nie an Gott erinnert, noch an Gottes heilige Mutter, der es jetzt nicht einmal wollte, als auf meine tapfre Brust sich die Waffen richteten, habe doch noch immer Hoffnung, daß ich meine Seele rette, Hoffnung, die sich aber nicht auf die eignen Werke gründet, sondern auf das Wissen um Gottes Menschlichkeit mit großen Sündern, die sein Mitleid rettet. — Aber Paulus, da du so

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vorschnell warst, so sinne jetzt, wie wir fröhlich und zufrieden beide hier in diesen Bergen ein vergnüglich Leben führen bis ans Ende dieses Daseins. Unser Schicksal ist gemeinsam, und wenn unser Unglück uns ausschließt von der gottgewollten Herrlichkeit der Tugendhaften, gibt es Trost im Leid der Vielen. Doch ich hab Vertrauen in Gottes Milde, weil sie stärker ist als seine heilige Rache. Paul.: Du beruhigst mich doch ein wenig. Galv.: Mir ists höchst verwunderlich. Paul.: Gehn wir, daß ihr euch erholet. Heinr.: (0 mein heißgeliebter Vater!) In der Stadt vergessen liegt mir, lieber Paulus, ein Juwel. Zwar hab ich Gesetzes Strenge zu befürchten, wenn ich hingeh, doch ich muß es holen, wenn ich auch dabei zugrunde geh. Ein Soldat aus deiner Truppe kann mich ja begleiten. Paul.: Gut, nimm den mutigen Pedrisco. Pedr.: (Hätt mich wahrlich sehr gewundert, wenn er mich vergessen hätte.) Galv.: Ich will in den Bergen hier (zu Pedr.) deinen Dienst versehn. Pedr.: Und ich geh und zahl mit meiner Haut, was du dort verbrochen hast. Heinr.: Lebewohl, mein Freund.

Drei Dramen des Tirso de Molina

Paul.: Heinr.: Paul.:

Heinr.: Paul.: Heinr.:

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Dies Wort ist mir wert, dich zu umarmen. Bin ein schlechter Mensch, doch hab ich Gottvertraun. Ich hab es nicht, meine Sünden sind zu viele, und ich bin so ganz verzagt. Dieser Kleinmut wird dich noch zum verworfnen Menschen machen. Bin es schon, doch was verschlägts! Heinrich, wärst du nie geboren! Du hast recht. Doch meine Hoffnung auf den Herrgott wird zur Nachsicht Ihn in meiner Sache stimmen. III. AKT

1. A u f t r i t t Gefängnis mit einem Gitterfenster im Hintergrund, durch das man auf die Gasse sieht. H e i n r i c h und P e d r i s c o .

Pedr.: Heinr.: Pedr.:

Heinr.: Pedr.: Heinr.:

Pedr.:

Gut sind wir zwei eingerichtet. Was zum Teufel jammerst du ? Was ich jammere, zum Teufel ? Darf ich Sünden nicht beklagen, die ich büßen soll, und bin doch schuldlos ? Ist's kein zaubrisch Leben ? Donnerwetter, zaubrisch Leben! Fehlt dir hier etwa das Essen ? hast du nicht zu jeder Stunde Tischlein deck dich ? Und was hilft das, wenn ich nur das Tischlein sehe, aber nichts zu beißen kriege ?

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82 Heinr. Pedr. : Heinr. Pedr. :

Heinr. Pedr. :

Heinr. Pedr. :

Heinr. : Pedr. : Heinr. Pedr. :

Heinr.

Karl Vossler

Spar das törichte Gerede. Rücke du heraus die Mahlzeit. Kannst nicht dulden, so wie ich ? Zahle, wer gesündigt hat, so heißt der bekannte Spruch, aber ich hab keine Schulden, wozu sollte ich nun dulden ? Peter, sei doch endlich still. Heiner, ja, ich werde schweigen, doch am Ende wird der Hunger Tote noch zum Reden bringen und zum Schweigen Leute, die mehr als eine Briefpost schwatzten. Denkst wohl schon, du kommst nicht lebend aus dem Kerker ? Falsch geraten! Seit dem Tag da ich hereintrat, hat die Ahnung mich erfaßt, daß wir beide noch hinaus . . . Was bekümmern wir uns also ? auf den Richtplatz kommen werden, wenn der Herrgott uns nicht hilft. Hab doch keine Angst! Schon gut. Doch das Herz hat Angst, daß wir tanzen müssen ohne Fiedel. Unser Schicksal meint es besser.

2. A u f t r i t t C e l i a und L i d o r a draußen auf der Gasse. H e i n r i c h u n d P e d r i s o o im Kerker. C e l i a macht bei dem Gitterfenster halt

Celia.:

Lieber war mir, nicht zu zweit . . . ob ich gleich niemanden fürchte, uns zu zeigen.

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Drei Dramen des Tirso de Molina

Lido.: Heinr.:

Ich kann doch euch als Dienerin begleiten. Still, das ist ja Celia.

Pedr.: Heinr.: Pedr.: Heinr.:

Pedr.:

Wer ? Sie, die mehr als sich mich liebt. Meine Rettung kommt mit ihr . Mächtig setzt der Hunger mir jetzo zu. Hast du vielleicht etwas, wo ich all das Geld, das mir Celia bringt, hineintu ? Trotz des Hungers, den ich leide, fällt es mir bei Gott noch ein, daß ich einen Sack hier habe. (Er zieht einen Sack hervor)

Heinr.:

Klemer Beutel.

Pedr.:

Mir will scheinen, daß wir beide Narren sind, du im Fordern, ich im Geben.

Heinr.:

Celia, Schönheit meines Lebens!

Cel.:

Wehe mir, ich bin verloren. Der da ruft, ist Heinerich. (Sie tritt Oh, Herr Heinrich! Herr sagt sie ? So viel Ehre ist nicht gut.

(für sich)

(zu Lidora)

Pedr.: Heinr.: Cel.: Heinr.:

Cel.:

ans Fenster)

Celia, so viel Güte hätte ich mir wirklich nicht erwartet. Und womit kann ich euch dienen ? und wie gehts euch, Heinrich 1 Gut, und noch besser, seit ich jetzt um den Preis von tausend Seufzern deine ernsten Augen sehe. Ja, ich geb euch . . .

84 Pedr.:

Heinr.: Cel.: Heinr.: Pedr.: Cel.: Pedr.: Heinr.: Pedr.: Cel.: Heinr.: Pedr.: Heinr.: Cel.: Heinr.: Cel.:

Lid.:

K a r l Vossler

Feine Sache! Oh wie schön ist diese Frau und wie sanft sind ihre Worte! Achtung, hier der Sack, ich fürchte, daß er soviel gar nicht faßt. Celia, laß mich wissen, bitte, was du bringst. Ich geb dir gleich, was dich frei von Sorgen macht. . . Siehst du wohl. Das nenn ich Glück! . . . nämlich Nachricht, daß man euch morgen auf den Richtplatz bringt. Jetzt ist unser Sack schon voll, und wir brauchen einen neuen. Solche Botschaft bringst du mir, Celia, höre! Das ist gut! Ich bin jetzt verheiratet. Herrgott! Sei doch still. Was zaudr' ich ? Mit wem, Celia ? Mit Lisardo, und bin wirklich gut versorgt. D e n ermord ich. Laßt das bleiben! und versöhnet euch mit Gott, das ist wichtiger für euch. Gehn wir.

(zu Celia)

Heinr.: Cel.:

Ich werd noch verrückt! Celia, schau. . . Ich habe Eile.

Pedr.:

Meiner Seel, es ist zum lachen.

Drei Dramen des Tirso de Molina

Cel.:

Heinr. Lid.: Heinr. Pedr.: Cel.: Heinr.

Weiß schon, was ihr sagen wollt. Man soll Messen für euch lesen. Ja, das tu ich, Gott befohlen. Soll doch gleich dies Gitter bersten! Celia, höre doch nicht zu wie er jammert. Gehen wir. Solche Rohheit, und das duld ich ? Uff, wie ist der Sack so schwer! Oh der Wildling! Blind bin ich! Diese unerhörte Frechheit! ( C e l i a und L i d o r a ab)

3. A u f t r i t t Heinrich,

Pedr.:

Heinr.

Pedt. : Heinr.

Pedr. : Heinr.

Pedrisco

Ich versteh mich auf die Münze in dem Beutel hier nicht recht, denn sie wiegt bei Gott nicht einen Strohhalm. Heiliger Himmel, daß ich mich so verhöhnen lasse und die Eisen hier nicht breche und herunterreiß das Gitter! Halt doch! Dummkopf, laß mich los, dieses Gitter muß ich brechen, meine Eifersucht will Rache! Die Torwächter. Laß sie kommen 1

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4. A u f t r i t t Torwächter, Gefangene, die Vorigen.

1. Torw.: Hat er den Verstand verloren, dieser Raubmörder, vielleicht ? Eh ichs dulde, sterb ich lieber. Heinr. : Diese Kette sei mein Schwert. ( E r zerreißt die Kette, mit der er gefesselt war und geht auf den Wächter und die Gefangenen los)

Pedr. : Bitte, mäßige dich doch! 1. Torw.: Haltet ihn und schlagt ihn tot! Heinr. : Schändliches Gesindel, diesmal zeig ich euch die ganze Wucht eifersüchtiger Verzweiflung. (Der 1. Torwächter und die Gefangenen fliehen. H e i n r i c h ihnen nach.)

2. Torw.: Von der Kette hat ein Ring mich erwischt und umgeschmissen. Heinr.: Feiglinge, was lauft ihr weg ?

(zurückkommend)

Pedr.: Stimme:

Einer von den Wächtern tot. Schlagt ihn nieder!

Heinr.:

Niederschlagen ? Fehlt das ritterliche Schwert, kann ich auch mit dieser Kette gegen Unbill mich noch wehren. Warum flieht ihr denn vor mir ? Aufgeweckt vom Zank und Lärm, kommt der Kerkermeister jetzt.

(hinter der Szene)

Pedr. :

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5. A u f t r i t t Kerkermeister, Gefängniswärter, H e i n r i c h , der Torwächter

Pedrisco,

Kerkerm.: Holla, halt! was gibt es hier ? (Die Gefängniswärter überwältigen Heinrich)

Torw.:

Dieser Räuber hat Fidelio umgebracht. Kerkerm.: Wahrhaftig, wenn ich nicht wüßte, daß du morgen öffentlich zur Warnung dienend aufgehängt am Galgen stirbst, bohrt ich dir mit meinem Dolche tausend Löcher in die Brust. Heinr.:

Ewiger Gott, das muß ich leiden, daß man s o schlecht mich behandelt! Feuer sprüht mir aus den Augen. Denk nicht, schuftiger Kerkermeister, daß ich deines Amtes halber irgendwie dich respektiere, — nur weil mir die Kraft versagt. Hätt ich Kraft, zum Donnerwetter, riß ich in zweitausend Fetzen dich in diesen meinen Armen, brockenweise wollt ich dann den zerstückten Leib verzehren und noch wär mirs nicht genug, meinen Grimm zu sättigen.

Kerkerm.: Morgen früh um zehn Uhr wird sichs weisen, wie der Henker deine ganzen Kräfte überwältigt. — Legt ihm neue Ketten an! Heinr.: Gut so, wenn die Kette klirrt und ein Mensch gefesselt wird, der so sträflich sich verirrt.

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Kerkerm.: Bringt ihn ins Verlies hinunter! Heinr.: Ein gerechter Lohn ists, traun, denn ein gottvergeßner Mensch braucht den Himmel nicht zu schaun. (Er wird abgeführt)

Pedr.: Torw.:

Armer Heinrich, Unglücksmann! Unglücklicher ist der Tote, dem mit Kettenschlag das Hirn auf die Erde ward geschmettert. Pedr.: Jetzt wird Essen hergebracht, ein Wärt.: Kommt, ihr Jungen, kommt zum Essen. Pedr.: Jetzt ist noch die rechte Stunde, denn ich fürchte, daß man morgen mir den Schlund zusammenschnürt. Darum wird es schicklich sein, mit gefülltem Schnappsack gleich bei dem Eintritt in die Hölle den Herrn Teufeln aufzuwarten. (Alle ab)

6. A u f t r i t t Unterirdisches Verlies. H e i n r i c h

Heinr.:

Stimme im Hintergrd.:

Heinr.:

Jetzt, mein tapfrer Heinrich, siehst du rings verworrne Dunkelheit, laß dich aber nicht erschrecken, bleibe standhaft allezeit. Das ist die Gelegenheit, deinen Hochsinn zu bewähren, deines Namens Ruhm zu mehren. Heinerich! Wer hat gerufen ? Diese Stimme macht mir bang, meine Haare sträuben sich,

Drei Dramen des Tirso de Molina

Stimme: Heinr.:

Stimme: Heinr.:

und ich zittere vor Furcht. Wo bleibt der bewährte Hochsinn, meine Heldentaten, wo ? Heinrich! Schwere Sorge lastet auf der Seele. Heiliger Himmel, wem gehört die Stimme, die meine Seele so erschreckt ? Heinrich! Immer wieder ruft sie. Wie kann nur so bang mir werden ? Hier besonders klingt die Stimme, die mir solche Furcht erregt. Kommt vielleicht von einem Häftling, angeschmiedet an die Kette. Oh bei Gott, der tut mir leid.

7. A u f t r i t t H e i n r i c h , Der Satan (für Heinrich unsichtbar)

Satan (für Dein bedauernswertes Unglück Heinr.un- tut mir leid. sichtbar):

Heinr.:

Satan: Heinr.:

Oh dieser Abgrund, wo ich selbst mich nicht mehr kenne und das Herz kein Ruhe findet und mit Flügeln flattert wie ein geängstet Vögelein. Soll das Mut sein, Heiijerich ? Horch, schon wieder ein Getöse. Freiheit dir zu schenken tracht ich. Stimme, wie soll ich dir glauben, wenn ich nicht erfahren kann, wer du bist, woher du kommst ?

90 Sat.:

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Gut, so sollst du mich jetzt sehen. (Er erscheint in Gestalt eines Schattens)

Heinr. Sat.: Heinr. Sat.: Heinr. Sat.: Heinr.

Lieber sähe ich dich gar nicht. Fürchte nicht. Wie kalter Schweiß fließt es mir durch meine Adern. Heut kannst neuen Ruhm gewinnen. Meinen Kräften trau ich nicht mehr. Nicht so nahe! Welche Torheit, die Gelegenheit zu scheuen. So beruhige dich, mein Herz. (Auf einen W i n k des Satans öffnet sich in der W a n d eine Seitentüre)

Sat.: Heinr. Sat.:

Siehst die Hintertüre ?

Ja. Dann geh hier hinaus, und so bist du nicht mehr im Gefängnis. Heinr. W e r bist du? Sat.: So geh doch schnell! Frag nicht lange, wer ich bin. Bin doch selber ein Gefangner und ich möchte, daß du frei wirst. Heinr. : Wenn ich selbst mich frage: soll ich mich befreien ? — ja, natürlich! Dazu treibt ja auch die Angst vor dem Tod, der mir bevorsteht. Also geh ich — doch was hör ich ? Eine andere Stimme warnt. Gesang h, Halt den heftigen Schritt zurück. d. Bühne Schau, es wird dir besser sein, statt zu fliehen aus der Haft, in dem Kerker auszuharren. Eine Stimme in der Luft Heinr. : höre ich das Gegenteil

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Drei Dramen des Tirso de Molina

Sat.: Heinr.: Gesang:

Heinr.:

Sat.: Heinr.: Sat.:

mir empfehlen, und sie hemmt meinen Schritt, den du beschleunigst. Besser ist es, sagt sie mir, auszuharren in dem Kerker. Das ist eine Täuschung, Heinrich, von der Angst dir vorgegaukelt. Wenn ich bleibe, muß ich sterben. Also geh ich, du hast recht. Halt, betrogner Heinerich, fliehe aus dem Kerker nicht. Gehst du weg, so ists dein Tod, harrst du aus, so ist ers nicht. Geh ich weg, so muß ich sterben, bleib ich da, so werd ich leben, sagt die Stimme, die ich hörte. Kurzum, du willst nicht hinaus ? Bleiben ist für mich das Beste. Solches bläst die Angst dir ein. Da du so verblendet bist, bleib gefangen, du wirst sehen: schlechter könnt es dir nicht gehen.

8. A u f t r i t t Heinrich

Heinr.:

Weggeschwunden ist der Schatten, und verstört bleib ich zurück. — Ist das nicht die Hintertüre ? Nein! wie wunderlich und schrecklich! War ich blind ? ich sah doch hier in der Wand ein Hintertürchen. — Staunen muß ich über diese große Bangigkeit in mir. — Kann ich jetzt nicht mehr hinaus ?

(ab)

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Freilich kann ich noch hinaus. — Angst hat diese Stimme mir eingejagt. Ein großes Leid läßt mein Unruhe mich ahnen. Doch was tuts ? nun bin ich hier und erwarte, wie's mich trifft.

9. A u f t r i t t Der Kerkermeister m i t d e m Urteil, H e i n r i c h

Kerkerm.: Ich allein habe den Zutritt, und die Andern bleiben draußen. Heinrich! Heinr.: Was befehlt ihr mir ? Kerkerm.: In dem Ernste schwerer Stunden tritt der echte Mut zutag. Merket auf und hört. Heinr.: So sprecht. Kerkerm.: (Sein Gesicht noch unverändert.) „Verfahren des Staatsanwaltes Seiner zur Zeit abwesenden Majestät gegen den Angeklagten Heinrich, Sohn des Anareto, welcher sich verschiedener, nachstehend aufgeführter Verbrechen schuldig gemacht hat als ein gewalttätiger unverbesserlicher Schädling usw. Geprüft usw. — Wir entscheiden, daß der Verurteilte mit einem Strick um den Hals und von Ausrufern begleitet, die vor ihm her seine Vergehen verkünden, auf den öffentlichen Richtplatz geführt werde, allwo er an dem aufgerichteten Galgen ordnungsgemäß aufgehängt werden soll. Und niemand soll wagen, ihn ohne unsere Erlaubnis und Anordnung herabzuholen. — Für Verkündigung und Vollstreckung dieses endgültigen Urteils der Unterfertigte usw."

Drei Dramen des Tirso de Molina

Heinr.: So was höre ich mir an! Kerkerm.: Was sagst du ? Heinr.: So schau doch, Narr, wie du schwächlich dastehst gegen meinen mutgeschwellten Arm, und ich könnte leicht, wenn ich. . . Kerkerm.: Heinerich, mit Anmaßung ist hier nichts mehr auszurichten. Wichtig ist für euch nur, daß ihr euern Frieden sucht mit Gott. Heinr.: Bringst mir jetzt noch eine Predigt zu dem Wortlaut der Sentenz ? Euch muß ich den Garaus machen. Kerkerm.: So behüt euch denn der Teufel. (Er geht ab) 10. Auftritt Heinrich

Heinr.:

Jetzt bin ich zum Tod verurteilt, und mein elend Leben hat nur zwei Stunden Galgenfrist. Stimme, das hast du getan. Sangst du nicht, mein Leben sei, wenn ich im Gefängnis bleibe, sicher ? —'s ist ein traurig Los, das du mir verschuldet hast. Läßt mich sterben als Gefangnen, wo ich mich doch retten konnte. 11. A u f t r i t t Torwächter, H e i n r i c h

Torw.:

Sind zwei Franziskaner da, euch die Beichte abzunehmen, warten draußen.

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Heinr.:

Torw.: Heinr.: Torw.: Heinr.:

Torw.: Heinr.:

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Das ist gut und bei Gott ein feiner Scherz! Sagt den Brüdern, daß sie stracks heimgehn sollen in ihr Kloster, wenn sie nicht von dieser Kette einen Streich verschmecken wollen. Denk doch, daß du sterben mußt. Sterben werd ich ohne Beichte. Nimmt doch niemand auch die Pein, die ich ausstehn muß, mir ab. Schlimmer kanns kein Heide treiben. Schon genug hab ich gesagt. Und bei Gott, wenn ich mich ärgre, kriegt ihr auf den Leib die Spuren meiner Kette eingezeichnet. Sogleich geh ich. (Er geht ab) Ihr tut gut. 12. A u f t r i t t Heinrich

Heinr.:

Was für Rechenschaft kann ich jetzt vor Gott erstatten, da meine letzte Stunde naht ? Daß ich etwa beichten sollte, kommt mir vor wie eine Torheit. Wer kann heute sich so vieler alter Sünden noch erinnern ? Kein Gedächtnis reichte aus, um die Frevel aufzuzählen, die ich gegen Gott beging. Besser, nicht daran zu rühren. Gott ist groß und ist barmherzig, seine Gnade will ich loben, nur durch sie kann ich mich retten.

Drei Dramen des Tirso de Molina

13. A u f t r i t t Pedrisco,

Pedr.:

Heinr.: Pedr.: Heinr.:

Pedr.: Heinr.:

Pedr.: Heinr.: Pedr.:

Heinrich

Denke, daß du sterben mußt und daß draußen die zwei Patres müde sind, so lang zu warten. Sagt ich denn, sie sollen warten ? Glaubst du nicht an Gott ? Ich schwör dir, daß mir schon die Galle hochsteigt, und an dir und deinen Patres laß ich dann den Ärger aus. Teufel ihr, was quält ihr mich ? Eher dächt ich, es sind Engel, die euch diesen Zuspruch bringen. Bring mich nicht aus Rand und Band, bis ich dich mit einem Fußtritt aus dem Kerker schmeiß, bei Gott! Dank dir schön für die Bemühung. Geh hinaus, werd mir nicht lästig! Oh mein Heinrich, du fährst stattlich in die Hölle, wie ein Pater. (Er geht ab)

14. A u f t r i t t Heinrich

Heinr.:

Stimme, die mir zum Verderben in der Luft hier oben sangest, kamst du mir von irgendeinem Feinde, der auf Rache sann 1 Sagtest du nicht, für mein Leben sei es nötig auszuharren im Gefängnis ? Sag mir jetzt, wie es kommt, daß man hinaus

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mich zum Galgen führt ? Du warst trügerisch — und ich war feige: denn ich konnte ja hinaus, jeder Rache mich entziehend. — Dunkler Schatten, der du hilfreich mir den wahren Rat erteiltest, komm noch e i n mal, du sollst sehen, wie ich jetzt mit kecker Brust, deiner Schreckensstimme folgend, alle Finsternis durchschreite. — Leute hör ich, ohne Zweifel ists mein Ende.

15. A u f t r i t t A n a r e t o , Torwächter,

Torw.:

Anar.:

Heinrich

Sprecht mit ihm, ob nicht eure weißen Haare doch sein starres Herz bewegen. Heinerich, geliebter Sohn, wie es mich betrübt, dich so angekettet hier zu sehen, ist mirs doch der höchste Trost, daß du abzahlst deine Sünde. Heil der Seele, die hienieden ihre Schulden büßt und dann reuevoll hinübergeht. Irdische Folter ist nur bildlich im Vergleich mit der im Jenseits. — Ich hab mich vom Bett erhoben und, auf diesen Stab gestützt, komm ich, Heinerich, zu dir in dem Drang des Augenblickes.

Drei Dramen des Tirso de Molina

Heinr. Anar. :

Heinx. Anar. : Heinr. Anar. :

Heinx. Anar. :

0 mein Vater! Ich weiß nicht, Heinrich, ob mir dieser Name jetzt noch angebracht erscheint, magst dus noch so h a r t empfinden. K a n n das eines Vaters Wort sein ? Wenn der Sohn an Gott nicht glaubt, soll er mich nicht Vater nennen. Vater, Vater, oh was sagst du ? Nein, ihr seid mein Sohn nicht mehr, da ihr meinen Glauben aufgebt. — Wir sind jetzt allein, wir zwei. Ich versteh euch nicht mehr. Heinrich, deine tolle Denkungsart müh ich mich zu bändigen, a n den Tod erinnr ich dich, den ich dir so nahe seh. Heute wirst du hingerichtet, und die Beichte willst du nicht! Schönes Christentum fürwahr! Nun, den Schaden erntest du und das Herzeleid dazu. Das heißt Rache nehmen wollen an des Herrgotts Herrlichkeit, die im höchsten Himmel thront, in der Hölle wird so tollen fernen Hoffnungen gelohnt. Wer sich so zu rächen meint, streitet gegen einen Berg oder Fels und greift den Feind heftig mit den Armen an, aber weh t u t s nur dem Mann, 's ist wie wenn in blinder Wut einer in den Himmel speit,

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dem ers gerne tat zuleid, doch den Himmel trifft er nicht, spuckt sich selber ins Gesicht. — Schon ist dir das Los gefallen, daß du heut zu sterben hast: beichte! deine Sünden wird unser Herrgott dir vergeben, und der Tod führt dich zum Leben. Heinrich, wenn du wirklich mir Sohn willst sein, tu, was ich sage, oder — oh der tiefe Kummer! — darfst dich meinen Sohn nicht nennen, und ich darf dich nicht mehr kennen. Heinr.:

Lieber Vater, laßt es gut sein. Euer Kummer liegt mir schwerer auf der Seele, das weiß Gott, als was mich an Unheil noch treffen und betrüben kann. Ich gestehe auch mein Unrecht, Vater, aber jetzt will ich meine Sünden beichten und dann durch Demut gegen jeden meinen Glauben auch beweisen. Ihr befehlt es, das genügt, Vater, euch zuliebe sei es.

Anar.:

Jetzt erkenn ich meinen Sohn.

Heinr.:

Möcht euch wahrlich nicht erzürnen.

Anar.:

Gehen wir, auf daß du beichtest.

Heinr.:

0, wie schwer, euch zu verlassen!

Anar.:

Und für mich, dich zu verlieren.

Heinr.:

Vateraugen waren mir klare Spiegel, sternenhell. Soll ihr Licht mir jetzt verblassen 1 Auf, mein Sohn!

Anar.:

Drei Dramen des Tirso de Molina

Heinr.: Anar.: Heinr.: Anar.: Heinr.:

Zu sterben geh ich, habe allen Mut verloren. Mein Verstand, mein Herz erstarrt. Lieber Vater, bleibet noch! Oh, ich unglücklicher Mensch! Ewiger, barmherziger Herr, dessen Burg auf Bergen von silberklaren Sternen steht, hör mein flehentlich Gebet. Ich, der schlechteste von allen Menschen, die das Sonnenlicht je bestrahlte, habe mehr Sünden gegen dich begangen, als es Sand im Weltmeer gibt. — Deine Gnade, Herr, ist größer. — Um die Menschen zu erlösen, um der Sünde Adams willen ließest an ein Kreuz Dich schlagen. 0, daß ich erlangen könnte einen Tropfen wenigstens jenes königlichen Blutes! — Morgenröte Du des Himmels, holde Jungfrau, rings umgeben von den Engeln, die Du Dich Helferin der Sünder nennest: ich bin einer, bitt für mich. Sag dem heiigen Herrn und Gott, daß Er sich erinnern möge, wie Er einst auf unsre Erde pilgernd kam, wie viel Er duldet', um die Armen zu erretten, die in ihrer Unschuld büßten, was ein Anderer verbrach. Sagt Ihm, daß ich, ach wie gerne, seit ich Einsicht und Vernunft

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Anar. : Heinr. : Anar. : Heinr. : (für sich)

Anar. : Heinr. :

Anar. : Heinr. :

Anar. : Heinr. :

Karl Vossler

segensreich in mir verspüre, lieber tausend Tode sterbe, als Ihn je gekränkt zu haben. Draußen mahnt man mich zur Eile. Großer Gott, erbarme Dich! Mehr vermag ich nicht zu sagen. Dies als Vater zu erleben! Jetzt verstehe ich das Rätsel mit der Stimme und dem Schatten; eines Engels war die Stimme, und der Schatten war des Teufels. Auf, mein Sohn! Wer kann den Namen Sohn vernehmen, ohne daß ihm die Augen Übergehn ? Vater mein, entfernt euch nicht, ehe ich den letzten Atemzug getan. Hab keine Furcht. Gott behüte dich! Das wird Er. Grenzenlos ist sein Erbarmen, bin ich gleich wie abgestorben. Fasse Mut. Auf Gott vertrau ich. Gehn wir Vater dorthin, wo man des Daseins mich beraubt, das ihr mir gegeben habt. (Beide ab)

16. A u f t r i t t Waldgebirge,

Paulus

Müde komme ich vom Streifen durch das dichte Waldgebirg, lasse hinter mir die Truppe, .

Drei Dramen des Tirso de Molina

die mit fremdem Geld ich zahle. Hier am Fuß der grünen Weide will ich jetzt ein wenig rasten, ob vielleicht der Kummer mir aus dem Sinne sich verliert. Murmelquelle, die du munter über Kieselsteine gleitest und mit deinem flücht'gen Rauschen Gras und Vögelein erheiterst, gib auch mir von deiner Freude und erfrische mir das Herz mit der Kühlung deiner Wellen und dem Plätschern deines Sprudels. Schmeichlerische Vogelscharen, auch wenn niemand euch erhört, trillert ihr und jubilieret zwischen Thymian und Binsen: drum erleichtert auch und zieret mir mit schmetternden Fanfaren und mit lieblichem Geflöte meinen Kummer, meine Nöte. Auf dem grünen Grunde hier, den das klare Bächlein schmückt, suche ich Befreiung mir von der Ahnung, die mich drückt. (Er legt sich nieder und schläft. Der Hirtenknabe des II. Aktes tritt auf und zerpflückt den Kranz, den er damals band)

17. A u f t r i t t Hirtenknabe, P a u l u s

Hirtenkn. ¡Verwachsene Wälder und grünende Pappeln,

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mit Hoffnung beschenkt aus dem Füllhorn des Frühlings, quellende Bächlein über niedliche Kiesel und samtenen Sand, ich komme nun nochmals, den Wald zu sehn, das Tal zu durchwandern, wo so v i e l ich verlor. Ich habe als Hirte in glücklichen Zeiten an eueren Ufern Schaflein gehütet. Ihr schimmerndes Vließ zwischen grünem Gebüsch erschien meinen Augen wie Silberbesatz. Als tüchtiger Wächter wurd ich von vielen Hirten beneidet im Revier dieses Waldes. Mein Gutsherr, der meistens in der Fremde lebt, war mir äußerst gewogen, denn ich brachte ihm, wenn er sie sehen wollte, seine Schäflein so weiß wie flockigen Schnee. Aber seit jenem Tag. da eines, das beste meiner Herde, entlief, erstick ich in Tränen, und all meine Freude verkehrt sich in Trauer, lebendig Vergnügen

Drei Dramen des Tirso de Molina

in totes Gedächtnis. Einst sang ich im Tal meine Lieder und Sprüchlein und jetzt nur in Trauer meinen Klaggesang. Ich hatte das Schäflein so lieb und begann ihm den Kranz hier zu flechten auf blumigter Au. — Es wollte ihn nicht. Betrogen und töricht verließ es den Freund, der so treu ihm gesinnt war. Und da es den Kranz mir verschmäht hat, so muß ich gerechtermaßen ihn heute zerpflücken. Paul.:

Hirte, schon e i n m a l sah ich dich hier. — Zwar warst du nicht fröhlich, aber nicht so schmerzvoll wie heut du mich anschaust.

Hirte:

O weh, du Verlornes, was so herrlich ist, fliehst du und gleitest ins Elend!

Paul.:

Hast du da nicht den Kranz, den du damals so fleißig auf diesen Gefilden zu flechten begannest ?

Hirte:

Derselbige ist es. Das törichte Schäflein jedoch kommt nicht heim, das Geschenk sich zu holen, und also zerpflück ichs.

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Paul.:

Hirte:

Paul.: Hirte:

Paul.:

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Wenn es doch nun noch käme, du freundlicher Knabe, begrüßtest dus nicht ? Ich ärgre mich zwar, aber gütige Langmut meines Gutsherrn befiehlt, daß, wenn die Verlaufnen auch völlig verschmutzt zu der Herde sich finden, ich mit offenen Armen, als war nichts geschehen, sie freundlich empfange mit zärtlichen Worten. Und da er der Herr ist, so mußt du gehorchen. Ich werde gehorchen, doch das Lamm will nicht kommen, meiner Lockung nicht folgen, ist verblendet im Laster. Zwischen zackigen Felsen der Berge dort oben hab ich's mit Pfeifen und mit Winken gelockt. Dann ging ich es suchen durch Dornengestrüpp und wildes Gehölz. War d a s eine Plage! Die Fußsohlen sind mir von allerlei Strauchwerk, von Stacheln und Dornen zerrissen und bluten. Jetzt kann ich nicht mehr. Von rührenden Tränen die schönen Wangen des Hirten so feucht! —

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Drei Dramen des Tirso de Molina

Hirte:

Wenn das Lamm dich mißachtet, so laß es, vergiß es und weine nicht mehr! Ich kann wohl nicht anders. So kehret zur Erde zurück, ihr Blümlein; eure Schönheit fand keinen würdigen Träger. — Ob man drüben den Schäflein so schönen, so reichen Kranz wohl bereitet, das wollen wir sehen. — Meine Berge und Täler, meine weiten Gefilde, ich laß euch, lebt wohl! Meinem Gutsherrn bring ich die traurige Botschaft, auf daß er es wisse, (obgleich er's schon weiß). Ihn schmerzt die Vermindrung der Herde und nicht der Frevel an Ihm, so groß auch der Frevel. Beschämt und verängstet geh ich zu Ihm, und was Er dann sagt, muß mir Kummer bereiten. Mein Bursch, wird Er sagen, so hütest du also, was dir vertraut worden von mir ? — Und ich Armer, ich antworte dann . . . ich find keine Antwort als meine Tränen.

(Er geht ab)

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Karl Vossler

18. A u f t r i t t Paulus

Paul.:

Ist's die Geschichte meines eigenen Lebens ? Was soll ich von diesem Hirten nur halten ? Er spricht mir in Worten, die auf dunkles Geheimnis zu deuten scheinen. . . Doch welch ein Licht, das so hell wie die Sonne plötzlich erstrahlt ? (Musik erklingt und man sieht, wie zwei Engel die Seele H e i n r i c h s in den Himmel tragen)

Himmlische Töne erklingen im Äther und, soviel ich erkenne, tragen zwei Engel eine erlesene Seele ins erhabene Reich. Tausendmal glückliche, die du heute zum Ziel und freudigen Ende deiner Mühsal gelangst! (Die Erscheinung verschwindet. P a u l u s fährt fort)

Früchte, ländliche Gewächse, die der Frost verkümmern läßt, seht ihr, wie der Himmel jetzt seine Vorhänge zerreißt ? Und durch dichte Nebelschwaden und durch Schleierwolken brichst du, Seele, glückliche, und steigst strahlend auf ins Himmelreich. Wirst die Palme dort empfangen, deines Schicksals Glücksgeschenk.

Drei Dramen des Tirso de Molina

Wer, was du dir wohl verdient hast, n i c h t verdient, ist zu beklagen.

19. A u f t r i t t Galvän,

Galv.:

Paul.: Galv.:

Paul.: Galv.:

Paul.: Galv.: Paul.: Galv.: Paul.: Galv.:

Paulus

Vielgerühmter Paulus, wisse, daß ein Aufgebot von Volk, stark bewaffnet und sehr zahlreich, nur um uns zu fangen kommt aus den Bergen. Wenn du nicht dich dem Tod zu weihen Lust hast, Paulus, dann kann nur die rasche Flucht uns aus der Klemme helfen. Aufgebot sagst du ? Gewiß. Schon erkennt man dort die Rotte mit der Trommel und dem Banner. Tod oder gefangen bist du, wenn du zögerst. Und wer führt sie ? Bauern sind es, wie mir scheint. Weil wir so viel Schaden stiften hier im abgelegnen Bergland, rotten sich die Nachbardörfer jetzt zusammen. Schlagt sie tot! Wie ? du wagst, sie zu erwarten ? Nicht sehr hoch denkst du von Paulus. Die Gefahr liegt auf der Hand. Gut, jedoch vergiß nicht, daß E i n e r , wenns ein Kerl ist, ausreicht gegen vierzig hundert Bauern. Hörst sie trommeln ?

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Karl Vossler

Paul.:

Auf zum Angriff! Laß dir nur nicht bange machen. Eh ich ward zum Eremiten hab ich brav im Feld gestritten.

20. A u f t r i t t Ein Richter, bewaffnete Bauern, P a u l u s ,

Galv&n

Richter:

Heute büßt ihr die verübten Missetaten im Gebirg.

Paul.:

Wut entflammt mein Herz, und grausam

fühl ich mich wie Heinerich. ein Bauer: Jetzt ergebt euch, Raubgesindel! Galv.: Lieber, glaub ich, sterben wir, und noch lieber möcht ich fliehn, dazu hab ich Mut in mir. ( G a l v i n flieht und wird von vielen Bauern verfolgt. P a u l u s geht fechtend gegen die Hauptmasse vor. Alle ab. Hinter der Bühne ruft P a u l u s )

Paul.:

Pfeile schießt ihr jetzt auf mich und seid in der Überzahl, mehr als zweimal hundert rückt ihr aus zur Jagd auf zwanzig Mann.

Richter:

Dort am Berghang läuft er jetzt.

(hint.d.Büh.) ( P a u l u s rollt blutüberströmt den Berg herab)

Paul.:

Schon versagen Fuß und Hände. Bauernlümmel bringen mich um. Oh, daß ich so feig sein kann! D o c h will ich sie niederzwingen. . . Ach, ich kann nicht, wehe mir! Da den Himmel ich beleidigt, rächt er sich auf diese Art.

Drei Dramen des Tirso de Molina

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21. A u f t r i t t Pedrisco,

Pedr.:

Paul.:

P a u l u s . P e d r i s c o (ohne den sterbend a m Boden liegenden P a u l u s zu sehn)

Da die Richter mich nicht schuldig an den Taten Heinrichs fanden, als sie öffentlich zum Tode ihn verdammten, haben sie mich zur Tür hinausgeworfen, und so komm ich in die Berge. Und was seh ich ? Aufruhr tobt überall durch Wald und Berge. Dort seh ich zwei Bauern laufen mit den Schwertern in den Händen, dort, verwundet, geht Fineo, Celio und Fabio fliehen. — Aber hier, oh schweres Unglück, hingestreckt der starke Paulus. Kommt ihr noch einmal, ihr Bauern ? Seht das Schwert in meiner Faust! Noch bin ich nicht tot, ich lebe, wenn ich schon nur mühsam atme.

Pedr.: Paul.: Pedr.: Paul.:

Ich bins, Paulus, dein Pedrisco. Komm an meine Brust, Pedrisco! Sag, was ist mit dir ? Owehe! Bauern bringen mich ums Leben. Und da ich im Sterben liege, möcht ich wissen, Freund, von dir, wie's mit Heinrich jetzt bestellt ist.

Pedr.:

Auf dem Richtplatz in Neapel hat man ihn gehängt. Nun also, wer kann zweifeln, daß er jetzt zu der Hölle schon verdammt ist ?

Paul.:

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Pedr.:

Paul.: Pedr.: Paul.:

Pedr.: Paul.: Pedr.:

Paul.:

Pedr.:

Karl Vossler

Vorsicht, Paulus, mit den Worten, denn als Christ ist er gestorben, beichtete, nahm Abendmahl, hielt im Arm ein Christusbild, das er immerzu betrachtet, um Verzeihung und Erbarmen unter heißen Tränen flehend. Die es sahen, wie er weinte, waren voll Verwunderung. Und sodann, als er verschied, tönte in den hellen Lüften eine göttliche Musik, und als offenkundig Zeichen eines höhern Wunders sah man deutlich zwei beflügelte Wesen, wie sie Heinrichs Seele zwischen sich gen Himmel trugen. Heinerichs, des schlimmsten Menschen, den Natur erschaffen hat ? Das befremdet dich, wo doch Gott so allbarmherzig ist ? Täuschung wars, Pedrisco, Täuschung! Eines Andern Seele sah man und nicht Heinrichs. Heiliger Herrgott, überzeug ihn du! Ich sterbe. Denk, daß Heinrich jetzt in Gott selig ist und bitte Gott um Vergebung. Wie soll Er einem, der wie ich Ihn kränkte, gnädig sein ? Was zweifelst du ? Hat Er Heinrich nicht verziehen 1

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Drei Dramen des Tirso de Molina

Paul.: Pedr.: Paul.: Pedr.: Paul.:

Pedr.:

Gott ist gütig. . . Ganz gewiß. Aber nicht mit solchen Menschen. Ich vergehe . . . halte mich! Sorg, daß du wie Heinrich stirbst. Gott hat mir sein Wort gegeben. Wenn sich Heinrich retten konnte, kann auch Rettung ich erwarten. Viel verwundet von Geschossen, tot der unglückselige Mann. Und die Lose sind vertauscht. Heinerich, so bös er war, ist gerettet, — und verdammt dieser als zu schwach im Glauben. Seine Leiche zuzudecken,

(Er stirbt.)

schneid ich Zweige von den Weiden. (Er tut es.) Doch was kommen da für Leute ?

22. A u f t r i t t Der Richter, die Bauern, G a 1 v ä n als Gefangener, P e d r i s c o , P a u l u s tot unter Baumzweigen.

Richter:

Das war schlechte Wachsamkeit, daß der Hauptmann uns entschlüpft ist. ein Bauer: Ich sah ihn vom steilen Felshang abwärts rollen, wohl von tausend Pfeilen war sein Leib durchbohrt. Richter: Nehmt mir diesen Mann hier fest, (auf P e d r . deutend)

Pedr.:

(Unglückseliger Pedrisco, diesmal kriegst du deinen Wischer.) 2. Bauer: Dieser ist des Paulus Diener, (auf G a l v . Spießgeselle seiner Frevel,

deutend)

112 Galv. : Pedr.: (leise zu Galvàn)

Richter (zu Gàlv.)

Pedr. : Richter : Pedr. :

Richter : Pedr.:

Karl Vossler

Wie ein Bauer lügst du das. Diener war ich nur bei Heinrich. Ich auch, Brüderchen Galvan. — Stelle mich um Gotteswillen jetzt nicht bloß! Wenn du mir etwa sagen kannst, wo sich der Hauptmann, den man sucht, versteckt hält, dann lasse ich dich frei. So sprich. Ihn zu suchen, ist vergeblich, da er tot ist. Tot, wieso ? Herr, von Spießen und viel Pfeilen hab ich ihn durchbohrt gefunden, wie er mit dem Tode rang eben hier an dieser Stelle. Und wo ist er ? Mit Gezweig deckt ich ihn. . . jedoch wie schrecklich, (Er beseitigt die Zweige, und P a u l u s

erscheint,

von F l a m m e n umlodert)

Paul. :

was mir plötzlich hier erscheint! Wenn ihr Paulus suchen kommt, könnt ihr Paulus hier betrachten. Feuer gürtet seinen Leib, Schlangen ringeln sich um ihn. Keinem Andern geb ich Schuld an den Qualen, die ich leide, nur mir selber geb ich Schuld. Ich bin meines Unglücks Ursach, denn von Gott verlangte ich, daß Er mir das End sollt sagen, das ich fand nach meinem Tod. Damit kränkt ich Ihn, natürlich, und der Feind der Seelen sah

Drei Dramen des Tirso de Molina

diese Kränkung: und versuchte, reizte und verfolgte mich mit betrügerischen Künsten, stellte sich als Engel mir dar, — und war ich klug gewesen, hätt' mich sein Betrug gerettet. Aber kleingläubig war ich, zweifelte an Gottes Gnade. Heut kam ich vor Sein Gericht, und Er sprach: Hinaus, Verworfner meines Vaters, in die Tiefe wilder, abgründiger Nacht, wo du Strafe leiden mußt. — Meinen Eltern tausend Fluch, daß sie mich ans Licht gebracht! Und ich selber will verflucht sein, der ich klein im Glauben war. ( E r versinkt, und aus der E r d e schlägt F e u e r hervor)

Richter :

Gottes Ratschluß, unergründlich.

Galv. :

Armer, unglücklicher Paulus . .

Pedr.:

und glückseliger Heinerich, der sich seines Gottes freut. Daß es euch zur Warnung diene, will ich euch jetzt nicht bestrafen, und ich schenk euch zwein die Freiheit. Mögst du tausend Jahre leben! — Bruderherz Galvan, da wir dieses überstanden haben, sag, was denkst du jetzt zu tun ? Fortan leben als ein Heiliger.

Richter :

Pedr. :

Galv. : Pedr.:

Meine Augen sehn schon jetzt: du wirst nicht viel Wunder wirken.

Galv. :

Hoffen wir zu Gott.

Pedr. : Vossler, Drei Dramen

Ja, Freund,

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Richter: Pedr.:

Karl Vossler

wer die Zuversicht verliert, mag sich hier ein Beispiel nehmen. Jetzt genug, auf nach Neapel, dies Ereignis zu berichten. Und da dieser Fall gewichtig und nicht leicht zu glauben ist und in Wirklichkeit geschah, mag, wer Nähres wissen will, schriftlich es beglaubigt suchen in dem Buch des Bellarmino, und wenn dort nicht, kann er es in der Vida de los Padres leicht noch ausführlicher finden. — So beenden wir das Schauspiel von dem größten Glaubensschwächling zwischen Paradies und Hölle. — Mag der Himmel euch behüten.

DAS V E R K E H R T E

WELTREICH

8*

VORBEMERKUNG Die erste spanische Ausgabe der „República al revés" erschien im fünften Teil der gesammelten Komödien von Tirso de Molina, 1636. 1733 veröffentlichte Teresa de Guzmán einen Neudruck der dramatischen Werke Tirsos, unter denen sich auch „La república al revés" befindet. Die dritte und letzte Ausgabe ist die von Cotarelo y Mori besorgte Sammlung der Komödien Tirso de Molinas, Ausgabe „Nueva Biblioteca de Autores Españoles". Aus einer kurzen Vorbemerkung ist ersichtlich, daß noch keine e m s t h a f t e n Vorarbeiten für die Lösung der schwierigen Quellenfrage bestehen. Cotarelo y Mori bewertet das Werk nicht hoch: „Die Komödie erscheint uns, bis auf die eine oder andere Szene, als mittelmäßig." Adolf Schaffer h a t t e in der „Geschichte des Spanischen Nationaldramas", I, S. 366, an dem Werk vor allem getadelt, daß „der Stoff die Handlung erdrücke" und „keinen künstlerischen Genuß aufkommen" lasse. Größeres Verständnis zeigt Adolph Friedrich von Schack für die Eigena r t dieses Werkes, über das er in der „Geschichte der dramatischen Literatur und Kunst in Spanien", Berlin 1845, II, S. 594folgendes a u s f ü h r t : „ I n „La República al revés" sind mit großer K r a f t und Lebendigkeit die Unruhen und Familienzwiste a m Hofe des Constantin Porphyrogenitus behandelt. Constantin stößt seine Mutter vom Thron, verbannt sie und gibt den Befehl, ihr das Leben zu nehmen. Er vermählt sich mit Carola, der Tochter des Königs von Cypern, verliebt sich aber bald darauf in eine Hofdame und läßt die Kaiserin ins Gefängnis werfen. Da er deshalb von dem Vater und Bruder Carolas zur Rede gestellt wird, weiß er Streit zwischen diesen beiden zu erregen, so daß sie sich gegenseitig umbringen. E r gibt den Räuberbanden

Drei Dramen des Tirso de Molina

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Erlaubnis, ihr Handwerk offen zu treiben, ordnet an, daß die Ehen von vier zu vier Jahren annulliert werden können, löst den Senat auf, zwingt die Senatoren, um sie zu besehimpfen, Weiberkleidung anzulegen, und erneuert die Ketzerei der Bilderstürmer. Zuletzt empören sich die Griechen gegen den wahnsinnigen Tyrannen, rufen die verbannte Irene zur Herrscherin aus und bemächtigen sich des Constantin, der von seiner Mutter zur Blendung und beständigen Kerkerhaft verurteilt wird." Schon Cotarelo hatte in seiner Ausgabe die Aufmerksamkeit auf die Verkleidung des Autors in der Schäferrolle des Tarso gerichtet. Von dieser Tatsache ausgehend, gelangte Vossler zu einer völligen Neubewertung des Stückes: „Nur sechsmal, soviel ich sehe, hat er sich selbst als dramatische Person auf die Bretter gestellt, wobei er offenbar seinem großen Vorbild Lope de Vega nacheifert. Wie dieser es liebte, sich als Belardo hirtenmäßig verkleidet humorvoll auftreten zu lassen, so zeigt sich Bruder Gabriel zuweilen unter dem Namen Tirso de Molina oder Tarso auf der Bühne als Bauer, Schäfer, Schweinehirt oder auch als Sakristan und Sekretär, immer freundlich, gütig, ehrlich, witzig bis zur Derbheit: ein bescheidener, herzhafter, hilfreicher, treuherziger, schelmischer Bursche. Am bemerkenswertesten ohne Zweifel seine Rolle in der „República al revés". Das wenig bekannte und von seinen Herausgebern unterschätzte Schauspiel zeigt uns das byzantinische Kaiserreich am Ende des 8. Jahrhunderts als ein Staatswesen, das unter den gewalttätigen Narrheiten Konstantins VI. aus den Fugen geht. Der Selbstherrscher spricht Gauner und Diebe frei, zerstört das Gesetz der Ehe, läßt Kruzifixe verbrennen, schändet und verbietet die Heiligenbilder, stellt seiner Gattin und seiner Mutter Irene nach dem Leben. Unterwürfigkeit, Schmeichelei, Verrat, Denunziation und Blutdurst ergreifen wie ein Rausch die Umgebung des jungen Kaisers. Nur in den Bergen noch ist

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Karl Vossler

Treue und Lauterkeit bei guten Hirten zu finden. Als ein solcher schaltet Tirso unter dem Namen Tarso sich selbst in die wilde, symbolisch gesteigerte Handlung ein. Er, der bescheidene, entschlossene, ehrliche Mann, der sich freimacht von der niederen Liebe zu irgendeiner honigsüßen Melisa, rettet der Kaiserinmutter Irene, der Friedenskaiserin, mit Einsatz des eigenen Lebens das Leben und den Thron. Tarso, el pastor que dió la vida a Irene. Das theatralisch aufgemachte Stück ist nicht ohne innige Poesie, wie mir scheint. Kein Geringerer als Baltasar Gracián hat sich seiner erinnert, als er seinen großen symbolischen Roman „El Criticón" verfaßte. Für uns liegt die Bedeutung der „República al revés" zunächst darin, daß der Dichter hier mit besonderer Klarheit seine Stellung zu der weltlichen Welt bestimmt und abspiegelt als eine mutige, bejahende, hilfreiche Abkehr von ihr: ohne Verachtung noch Haß, mit der guten Laune des Verzichtenden, der erkannt hat, daß ihm das bessere Los zuteil wurde." Die Stelle ist Vosslers Arbeit über Tirso de Molina entnommen: „Corona" X/1942, 154f; wieder abgedruckt in „Südliche Romanía" Leipzig 1950, S. 185.

DAS VERKEHRTE WELTREICH Tirso de Molina: (LA REPÚBLICA AL REVÉS) Übersetzung von K a r l V o s s l e r I. A K T

1. S z e n e Soldaten marschieren auf, gefolgt von der Kaiserin I r e n e mit Szepter und Kaiserkrone

Irene:

Laßt's genug sein jetzt mit Blasen und mit Trommeln, ihr Soldaten Griechenlands, zerbrecht die Pfeifen und die schmetternden Trompeten, holet die Standarten nieder, statt sie in der Luft zu schwingen, denn die Freude meiner Siege hat in Kummer sich gewandelt. Stadt des Konstantin, Stiefmutter deinen Kindern, undankbare, das ist der Empfang, den du zum Triumphe mir bereitest ? So belohnst du Heldentaten, die ich auf dem Siegeswagen zwischen jubelnden Soldaten feierlich dir bringen wollte ? Unter einem Thronhimmel sollt ich, dacht ich, zur SophienKirche reiten und zu Fuß der Senat mich hingeleiten zwischen Mauern, ausgeschmückt

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Karl Vossler

mit Damast und Brokatell, über Wege voller Blumen, wie die Wege eines Gärtchens. Jetzt, da ich Glückwunsch erwarten darf f ü r so viel Königreiche, deren Szepter ich gewonnen und zerbrochen habe, jetzt nimmst, undankbarer Senat und verwildert Griechenvolk, mir die Krone weg, auf daß sich mein Sohn daran erfreue. — Gut, ich will ihn krönen, weil ihr es also haben wollt. So enthülle denn der Hof herr den erhabnen Thron, und ich fleh zum Himmel, daß er euch, griechische Vasallen, lenke und das Reich so gut beschütze, daß ihr mein nicht mehr bedürfet. (Musik — ein Vorhang geht auf, und man sieht unter einem Thronhimmel K o n s t a n t i n , ihm zur Seite stehen L e o n c i o , A n d r o n i o , M a c r i n o u. a. Daneben auf einem Tischlein eine Schüssel mit Krone, Herrseherstab und Reichsapfel)

2. S z e n e Konstantin,

Konst.:

L e o n c i o , A n d r o n i o und sowie die Vorigen

Ungerechte Klage führst du, Mutter, gegen Griechenlands Volkstum und Senat und zeigst, wie du dieses Reiches Herrin voller Ehrgeiz bisher warst. Wie viel heftiger zu klagen

Macrino,

Drei Dramen des Tirso de Molina

hättest du, wenn du bei deiner triumphalen Rückkehr hier einen fremden Kaiser fändest auf dem Thron statt deines Sohnes! Ist's ein gar so schlechter Lohn, Mutter, wenn das Reich am Tage deiner siegumstrahlten Heimkehr seine kaiserliche Krone darbringt deinem eignen Sohn ? Dein Gerede, unbedacht, anders kann ich es nicht nennen, hat mir Schande eingebracht. Das genügt, mir taugt gewiß keine Frau Semiramis. Während du im Sturme streitest, über Menschenleiber schreitest und des Krieges Flammen blitzen, sollte ich zu Hause sitzen und mit deinen Zofen spinnen ? Nein, auf kriegerische Ehren geht jetzt deines Sohnes Sinnen. Du magst jetzt nach Leinwand spähen: für die Frau schickt sich's, zu nähen, nicht, sich mit dem Spieß zu wehren. Irene:

Wäre doch im Reich ein Mann aufgestanden, es zu schützen, Konstantin, dann säß Irene als Penelope am Webstuhl, wär nicht in den Krieg gezogen. Aber als die Perser kamen, sollte ich da Gold und Perlen auf erlesne Stoffe sticken ? Und wer warf die Reiterscharen aus dem Lande, Konstantin ? Sicher nicht die Männer, die

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Karl Vossler

weiblichen Vergnügungen sich zum Zeitvertreib ergaben, Spinnerei sardanapalisch wie die Frauenzimmer trieben. (Musik. I r e n e erhebt sich und setzt ihrem Sohn die Krone auf das Haupt)

Mache Gott zu einem großen Herrscher dich, und dieser Kranz strahle wie der Sonne Glanz weit hinaus bis zu den Heiden, und die Parze muß es leiden. (Sie reicht i h m den Degen)

Nimm diesen geschärften Degen und mit ihm dein Kaiserreich rein und ungeschützt entgegen, daß du hilfreich ihm sogleich beistehst, wie ich bisher stehe. Sei gerecht und bleibe wahr, wenn du richtest immerdar. Leidenschaft soll dich nicht schwächen, kein Geschenk dich je bestechen. Tausendfache Streitigkeit kommt von Richters Käuflichkeit. Wenn der Zorn dich überfällt, laß dich durch dies Kreuz a m Degen zur Barmherzigkeit bewegen und betrachte, wie im Bilde mit der Schärfe hier die Milde sich in diesem Schwert gesellt. (sie reicht i h m d e n Globus)

Hier der Globus, deines Reiches Abbild! Sei ein Riese: Atlas oder Herkules. Auf deinen Schultern ruht die ganze Welt. Dabei sollst du immer auch

Drei Dramen des Tirso de Molina

den gezückten Degen halten, denn wenn, dir das Schwert entfällt, rollt dir auch der Globus weg. Und was hilft's, wenn du Tyrannen stürzest und dich dann entwaffnest ? Ohne Waffen gleitet dir deine Herrschaft aus den Händen. Halt sie fest und sei behutsam, nur mit Klugheit kannst du recht der Regierungskunst genügen, denn die Welt ist eine Kugel, und im Nu entfällt sie dir. Auf der Kugel, siehst du, steht auch ein Kreuz: Gottes Gesetz. Ehre es, gehorche ihm, weil der Herrgott über alles in dem ganzen Weltreich geht. Mit drei Kreuzen wird belohnt, wer als Imperator thront, und ein jedes lastet schwer: Kreuz am Griffe deines Degens, auf dem Globus, auf der Krone. Himmel, hilf, daß soviel Kreuz, wenn Fortuna dich umkreist, dich nicht in das Unheil reißt. Konst.:

Hör jetzt auf mit deinen Sprüchen, Mutter, ich werd ungeduldig, kann ich mir doch selber helfen, und wenn ich schon fallen sollte, komm ich wieder auf die Beine, bin ich doch und heiße auch Konstantin: beharrlich, also mach dir weiter keine Sorgen. So wie du dich hast gehalten, werd auch ich als Mann mich halten.

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Karl Vossler

Auf, ihr Freunde, schaut die Welt mir zu Füßen dargestellt, • seht, wie leicht läßt sie sich wenden unter meinen starken Händen. — Doch bei Gott, ich glaub, sie fällt . . . (Er steht auf, und wie er die Stufen des Thrones herabsteigt, stürzt er, wobei ihm der D e g e n zerbricht und Globus und Krone wegrollen.)

Irene: Leon.: Konst.:

Irene:

Konst.:

Abgestürzt bin ich, das Schwert ist zerbrochen. Mir wird bange vor dem Schicksal, das uns droht. Schau, die Krone liegt am Boden und der Globus. Das macht nichts, denn so herrlich steigt mein Flug, daß, wenn ich durch diesen Sturz mich nicht an die Erde hielte, ich den Himmel angegriffen und f ü r mich erobert hätte. Eine andre Deutung bietet mir sich im Gemüt. Ich will jetzt in ein Dorf gehn, Konstantin, auf das Land, zwei Meilen weit, zwischen Wäldern friedlich leben, häuslich, nicht mehr kriegerisch, denn des Hofes bin ich müde, und von Mars sag ich mich los wie Diocletian, der Kaiser, der das Purpurkleid verschmähte und als Gärtner in Dalmatien ein bescheiden Dasein führte. Recht hast du, dort draußen kannst du ruhiger als Witwe leben. Geh mit Gott.

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Drei Dramen des Tirso de Molina

Irene:

Nach meinem ersten Sturz vom Thron hab ich genug, möchte nicht noch einmal fallen. Auf dem Thron dort oben saß ich, mein Gewicht war wohl zu groß und der Sitz so hoch und wankend, 's ist ein Wunder, daß ich mir nicht den Kopf zerschlagen habe. Gehst du endlich ? Nur auf deinen Gruß noch wart ich. Lebe wohl. 's ist schon spät, begleitet sie. Griechisch Reich, der Herr beschütze dich, denn dunkel ist dein Weg. (Sie

Konst.: Irene: Konst.: Irene:

geht

ab)

3. S z e n e (Zwei Diener treten auf. Die Vorigen außer Irene)

1. Dien.:

Konst.:

2. Dien.:

Konst.:

Eine Flotte kommt herein und wirft Anker in dem Hafen, lustig lassen die Matrosen ihre Wimpel wehn im Winde. Wenn es meine Braut ist, soll sie festlich mir willkommen sein, s i e erwart ich. Eben kommt jetzt Carola, Herr, die schöne Königstochter an das Ufer. Meine Braut ? Holla, die Pferde! (Alle ab bis auf L e o n c i o, und der Globus liegt noch a m Boden)

126

Karl Vossler 4. S z e n e Leoncio

Leon. :

So verächtlich läßt man also hier dich liegen, Welt, am Boden ? Wenig Ehre, doch kein Wunder, daß sie dich mißhandeln für die Vielen, die du schon gestürzt hast. Soll ich dich erheben ? Ja! Zwar bezahlst du schlecht, und dennoch baue ich auf deinen Aufstieg. Da ich also dich erhebe, Welt, so sollst auch du mir helfen. Doch wenn mir der Sturz beschieden, dann laß lieber mich in Frieden, denn es macht zuviel Beschwerden: steigen, um gestürzt zu werden.

(Stimme hinter der Bühne:) Griechen-Kaiser ist Leoncio. (der Globus öffnet sich u. eine Hand mit Lorbeer-

Leon. :

kranz geht aus ihm hervor)

Auf getan hat sich der Globus, eine Hand, hervorgereckt, reicht den kaiserlichen Lorbeer mir zum Gruße und erschreckt mich im Traum. — Nein, ich bin wach. Das bedeutet Glück und Heil, schlägt's nicht um ins Gegenteil. Auf, o Welt, ich will dich tragen dir zum Dank auf meinem Rücken, mag auch dein Gewicht mich drücken.

( I m Hintergrund Landungslärm und Rufe): Cypern! . . . Stambul! . . . Griechenland! Ein See- Legt die Landungsbrücke an! mann :

Drei Dramen des Tirso de Molina

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5. S z e n e (Durch ein Tor treten auf: K o n s t a n t i n , L e o n c i o , A n d r o n i o u n d M a c r i n o . . . Auf der andern Seite wird v o n einem Hinterschiff aus eine Landungsbrücke hereingeschoben, auf der die I n f a n t i n C a r o l a , ihre D a m e L i d o r a , ihr Bruder R o s e l i o u . a . h e r a b s t e i g e n )

Konst. : Ros.:

Car.: Ros. Mac. Ros. Car. Lid. Car. Lid. Car.: Konst. : Car.:

F ü r die Infantin und die Damen bringt uns die Zelter, Hofstallmeister. Wie berechtigt ist doch der Weltruhm dieser Stadt, wie gut hat Konstantin der Große sie geehrt mit seinem Namen, seinem Reich und Thron! Wie wunderbar der Hafen und der Strand, ganz anders als bei uns in Famagusta. So etwas gibts in ganz Europa nicht. Die künftige Kaiserin ist schon am Land. Der Kaiser kommt. 0 Gott, bring mir dies Kleid in Ordnung, schnell Lidora, und den Kragen. Streng dich nicht an, es sitzt schon alles richtig. Und die Frisur % Ist tadellos. Das Haar . . . Gewähre eure Schönheit mir die Hand. Es wäre besser, hoher Herr, daß ich die eure mir erbäte.

Konst. :

Wie bekam die Reise eurer Hoheit ?

Car. :

Dankbar bin ich dem Meer, daß es so ruhig mich hergetragen zu eurer Hoheit.

Konst. :

Zürnen wird das Meer, weil jetzt die Erde eure Schönheit trägt, und ohne euch, Prinzessin, ist es arm.

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Ros.:

Konst.: Ros.: Konst.: Ros.: Konst.: Car.:

Karl Yossler

Zum wenigsten k a n n es uns jetzt mit Recht die Gunst mißgönnen, unbesiegter Kaiser des ganzen Orients, die meine Schwester, die glückliche, an diesen Ufern findet, und gar die reiche Gnade, die dabei von eurer Majestät auch mir zuteil wird. Die Füße küß ich dir, erhabner Kaiser. Roselio, Prinz, steht auf! Hier ist mein Platz. Der König war gesund bei eurer Abfahrt ? Zu dienen, Herr, er wars. Und Ariodante ? Der Prinz, mein Bruder, ärgert sich, daß eine Gelegenheit wie diese, euch zu dienen und nah zu kommen, ihm von unsrem Vater verwehrt wird . . .Heb den Handschuh auf, Lidora. (Sie läßt einen Handschuh fallen, L i d o r a hebt ihn auf und reicht ihn knieend ihrer Herrin. Bei L i d o r a s .

Konst.: Leon.: And.: Leon.: Car.: Konst.:

Anblick verliert K o n s t a n t i n die Fassung.)

Und gibts denn keine Diener hier ? Erhebt euch vom Boden, Gnädige . . . Hast du gehört und siehst du, wie der Kaiser sie bewundert ? Die Dame hat auch gar ein reizendes Gehaben. Das auch mir zu Herzen geht. Was ist geschehn, Herr, daß ihr plötzlich so verstört ausschaut, was h a t euch denn betroffen ? (Beim Himmel, wie mir dieser sanfte Blick das Herz ergreift und alle Sinne fesselt. Ists möglich, daß mit ihrem ersten Strahl mich diese Augen blitzend so entzünden und mir das Herze stillsteht und der Atem nicht einen Seufzer mehr vermag! So geht es den Mordgesellen, wenn der Richter ihnen

Drei Dramen des Tirso de Molina

Car.: Konst.: Car.: Konst.:

Car.:

Konst.: Car.: Konst.:

Car.: Konst.: Leon.:

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ins Haus tritt, um sie zu ergreifen und das ganze Haus davon erschüttert wird, so hat die Liebe mir die Brust erfaßt.) Wollt ihr mir, Herr, nicht sagen, was euch stört ? Ich weiß es nicht, es traf mich plötzlich etwas, das mich beunruhigt, etwas . . . Ists jetzt besser ? Ein wenig, ja. Doch jetzt geziemt es sich, daß ihr, indes der Hof und der Senat euch Statuen errichten, Tore schmücken und ehrenhaften Einzug vorbereiten, noch außerhalb der Stadt verweilt. Dort oben hab ich ein Schloß, ein Wunder Griechenlands, nur eine Meile von der Stadt, mit Gärten am Meeresufer, rings so schön bespült, daß ihr die Gärten Cyperns dort vergeßt. (Dort will ich ein Tarquinius werden, wenn Lidora zur Lucretia wird, und mag mir Griechenland dabei wie Rom zergehn.) Wenn ich bei euch nur leben darf, vergeß ich die Fluren und die Gärten Cyperns gerne. Ihr seid der Kaiser meines Herzens, und mit euch wird jede Wüste mir zur Heimat. Du Sonne meines dunkeln Tages, wehe, ich sterbe, wenn ich dich nicht haben kann. Muß ich unglücklich werden, hoher Herr, ist euch nicht wohl ? was fehlt euch % Es ist nichts. Kommt mit, Infantin, griechische Feste sollen erfreuen meine Gattin in dem Landhaus. (Zur Last sind alle Festlichkeiten mir, bis ich den Grund von dieser Störung kenne.) (Heut faßt mich mächtig, Amor, deine Hand.) Leoncio, ach! Was hast du ?

Vossler, Drei Dramen

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Karl Vossler

Konst.: Leon.:

Konst.:

Leon.:

Konst.:

Leon.: Konst.: Leon.: Konst.: Leon.:

Paßt Lidora nicht besser auf den Thron als ihre Herrin ? Wohl ist ihr große Schönheit eigen, aber so große doch nicht, daß man der Infantin sie vorziehen muß. Nur der Infantin, meinst du ? der Sonne sag ich, die dem Leben leuchtet! Zur Kaisrin mach ich sie. Wenn sie dich so bezaubert, kannst du sie ja haben ohne die Kaiserkrone. Ists denn schmählich, wenn ich mein Reich der Herrin meines Herzens schenke ? Bei Gott, Leoncio, die Schönheit, die du mir an Carola rühmst, ist mir verhaßt. (Und mich, der ich - doch sonst so kühl bin, hat die einzige Lidora ganz entflammt.) Was murmelst du ? Ich fürchte, daß sie's dir mit Zauberkünsten antat. Du hast recht. Mit einem Blick hat sie mein Herz verhext. Gehn wir. Wenn dieser Zustand anhält, werd ich an ihrer Schönheit noch zu Grunde gehn. 6. S z e n e

(DieHirten.

Din.:

Tar.:

Estretenauf: D i n a m p o , F l o r i n o , und M e l i s a )

Alt bin ich und hab Erfahrung. Hierher will aufs Land die Kaisrin % Uns soll sie willkommen sein, dem Gemeinderat ein Fest. Und wozu das Fest ? Wer kommt denn in das Dorf ?

Tarso

Drei Dramen des Tirso de Molina

Flor.: Tar.: Flor.: Tar.: Flor.: Tar.: Din.: Tar.: Din.: Tar.: Din.: Mel.: Tar.: Flor.: Tar.:

Din.: Tar.: Din.: Flor.: Tar.:

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Die Kaiserin. Wann denn ? Sogleich. Jetzt ? Ja. Unsre Kaiserin Irene kommt ? wozu denn ? Um zu leben hier in ihrem stillen Häuslein. Und das Kaisertum ? Als Frau konnte sie es nicht mehr tragen. Schweres Amt. Für wen hat sie drauf verzichtet ? Konstantin. Welch ein ungeheurer Fehlgriff! Mög es Gott zum Guten wenden. Soll ein rechter Wirrkopf sein. Lassen wir das, kommt mit mir, denn wenn jetzt die Herrin kommt, werd ich ihr gar sehr vertraut sein. Also kennt sie euch ? Gewiß. Dann kann sie euch sehr viel nützen. Gutes Leben. Etwa Laster ? Nein, ich will nur mit ihr reden. (Alle ab)

7. S z e n e L i d o r a und K o n s t a n t i n

Lid.:

Beherrsche deine Hoheit, tapfrer Kaiser, so sehr mich diese Liebe ehrt, so bleibt es doch einer Dienerin verwehrt, daß sie 9*

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Konst.: Lid.:

Konst.:

Karl Vossler

der eignen Herrin vorgezogen werde. So warte nur: in ihrer Gegenwart ist all mein Liebesfeuer bald erstarrt. Doch die Erfahrung zeigt im Gegenteil, mit welcher Eile ihr zur Trauung schreitet. Wenn kühlend ihre Schönheit auf euch wirkte, so würdet ihr doch warten in der Stadt, da es sofort nicht gar so dringlich ist, bis meine Herrin euch die Hand zur Ehe hochherzig reichte. Da ich aber sehe, wie in gebirgiger Einsamkeit ihr rasch mit meiner Herrin euch vermählen wolltet, so wart ihr jedem Aufschub ganz abhold. — Je schneller, desto besser, meint ihr. Freilich, ein kalter Freier hätt es nicht so eilig. Wer glüht und wartet, findet alles spät, doch wenn das Kommende uns widersteht, ein ganz Jahrhundert uns im Nu vergeht. Als ihr den Handschuh aufhobt und mir reichtet und ich euch anschaut', unterlag ich seufzend und suchte nun nach einem Mittel, daß ich mich nicht so ganz an euch verlieren müsse. Und da zur Abwehr gegen heftge Liebe nur neue Liebe helfen kann, so wollt' ich mit solcher Arzenei mich heilen und mich gleich vermählen, denn man hatte mir gesagt, daß Hymen zwischen Frau und Mann den Knoten saftig schnürt. Ich schloß die Ehe: und Abscheu und Erkältung faßten mich. Ich hab sie nicht besessen, und doch fühl ich die Reue in mir über das Geschehne. Wenn doch das Ehebett in dieser Nacht, in der es mich erwartet, möcht verbrennen! Lidora, und wie könnt ich euch, wenn ich Carola liebte, meine Seele schenken ?

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Lid.:

Konst.:

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Die wahre Flamme und die echte Liebe kennt nur ein einzig Ziel, nach dem sie strebt, und auf nichts andres richtet sich ihr Sinn. Wenn sie sich teilt, verdient sie nicht den Namen der Liebe mehr, denn ihr Gesetz ist eng und streng . . . Jedoch den Königen, o Herr, sind vielerlei Begierden und Gelüste geläufig, nicht ein einzig Ziel allein. In ihrer Liebe herrscht Veränderung, und alles sehen sie in ihrem Umgang, und aus dem Sehen geht sodann, wenn das Objekt gefällt, die Lust dazu hervor. Und leicht ist es zu haben, denn die Fürsten erreichen, was sie wollen; ihre Laster und ihr Gelüsten gleichen sich. Kein Wunder, wenn aus Erfahrung mir Gewißheit kommt, daß eure Hoheit meine Herrin lieben, die Kaiserin, und jetzt zugleich auch mich noch zu gewinnen suchen. Gut gefolgert und doch nicht schlüssig, denn du mußt verstehn, daß einzig deine Reize mich dir dienstbar und hörig machen und daß ich Carola verachte, dich nur haben will und liebe und deiner Schönheit heute Nacht den Vorzug vor jener gebe, darum schau, daß unter dem schwarzen Mantel dieser Nacht mein Herz am Feuer deiner Schönheit sich erquicke. Du sollst das Haupt in meinem Reiche sein, in lieblicher Gefangenschaft bei dir wird meine Seele friedlich, und ich will den Erdkreis dir zu Füßen legen, und kein Neid soll unser großes Glück zerstören. Und deine Herrin, auch als Kaiserin,

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Lid.:

Konst.

Lid.: Konst.

Lid.: Konst.

Lid.:

Karl Vossler

soll dir, Lidora, dienstbar sein, und nur dem Namen nach mag sie als Fürstin gelten. Wie viel uns doch ein Liebender verspricht, solang er wirbt, und nachher hält ers nicht. Wenn deine Glut sich legt, was wird schon sein ? Ich wieder Zofe, ärmlich und allein, Carola Kaiserin, und so verweht dein Wort im Wind, sobald die Lust vergeht. Tu ich dir deinen Willen, steh ich dumm und häßlich da. Wer klug ist, hält darum die Erstlingsfrucht als Lohn und Zins zurück für Sakrament und dauerhaftes Glück. Der echten Schönheit wird man niemals müde, und nach genossner Lust in echter Liebe« wird nur ergebener der treue Freund, in milder Ruhe nur beständiger. Bleibt doch, was gut ist, immer wünschenswert. Das wirklich Gute, ja, ist große Gnade, im Dienst der Sünde aber großer Schade. Du kluge Schöne, du besiegst mich, ach! und immer hast du recht. Ich liebe dich. Obschon ich deine wunderbaren Arme geschwind noch heute überwältigen könnte, macht mir erzwungne Liebe keine Freude, die freie aber stellt sich mir entgegen. Da braucht's ein Mittel, ich verzehre mich, oh du mein Alles! Langsam, Konstantin. Wenn du mich liebst, soll dir der Orient all seine Schätze, seine Perlen schenken, sollst Herrin Griechenlands, die einzige sein, Carola unter dir. Gewinnsucht, wilde, du siegst allmählich, mächtig stellst du mir mit deinen Netzen nach.

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Konst. Lid.:

Konst. : Lid.:

Erwiderst du mein Werben ? gib mir Antwort. Da du nicht mich mit Gewalt genommen hast, so nehm ich dich in mein Herz aus freiem Willen auf. So lebe denn Lidora, meine Schöne, daß ich mich an mein sichres Glück gewöhne! Leb wohl, bedenke, wie wirs machen wollen. Ich muß mich beinah schämen, wie die Welt in allem auf den eignen Vorteil hält. (Sie tritt ab)

8. S z e n e K o n s t a n t i n allein

Konst. :

Wenn Samson, Herakles, Sardanapal sich ganz im Frauendienst verlieren, was brauch dann ich mich dieses Mal noch lang zu wundern und zu zieren ? 9. S z e ne K o n s t a n t i n und L e o n c i o

Leon. :

Konst. : Leon. : Konst. :

(Mit einem Kaiser ich im Wettstreit werben um seine Dame, ist das möglich % Aber warum nicht, wenn ich um sein Reich mit ihm rivalisiere. Eine holde Stimme rief mich als Kaiser an. Wenn ich das Weltreich begehre, dann kann ich wohl auch Lidora als Beigabe begehren. Toller Ehrgeiz! Ich furcht, das bringt mich noch um den Verstand.) Leoncio! Hoher Herr ? Schon hat Lidora das Jawort, das erhoffte, mir gegeben. Noch heute Nacht soll in Carolas Bett,

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Leon. : Konst. Leon. :

Konst.

Leon. :

Konst.

Karl Vossler

das hergerichtet ist für unsre Ehe, die Cyperische Venus bei mir liegen. Was hör ich, und was wird aus deiner Gattin ? Sprich nicht von ihr, sie kehrt zurück nach Cypern zu ihrem Vater. Hoher Herr, was sagst du ? Hast heut dich erst mit ihr vermählt und willst sie schon mit Schimpf und Schande wieder heim zu ihrem Vater schicken ? Wie kann sie beschimpft sein, wenn ich unberührt und rein dem Vater sie zurückerstatte ? Du kommst schmählich in der Leute Mund. Ihr Vater kann dir mit gutem Recht den Krieg erklären. Bedenk auch, Herr, daß hier an deinem Hof Roselio, ihr Bruder, weilt. Wenn er den Schimpf erfährt, den du ihr antun willst, wird er des Alten Rache auf dich hetzen. Keine Gefahr. Ich bring ihn weg von hier, laß ihn in fernen Ländern kämpfen, wo er von meiner Absicht nichts erfährt. Ein Heer steht in Ägypten ohne General den Türken gegenüber; dies Kommando bringt ihn in Ehren weg von hier, und dort wird er durch Gift uns aus dem Weg geräumt. Mehr Schwierigkeit macht meine Mutter, die lebendig und in Freiheit ist; ich fürchte, wenn sie mein tolles Treiben sieht, wird sie die Freiheit und die Herrschaft mir entziehen, denn die Soldaten von ganz Griechenland vergöttern sie. Man sagt mir, daß sie weinen, weil sie vom Thron zurückgetreten ist. Jedoch, wenn ihre Haft mir Freiheit schafft, verhaft ich sie.

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Leon. : Konst. :

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Im Ernst ? Und warum sollt ich nicht Vater, Mutter und die ganze Sippe gefangen setzen meiner Lust zuliebe ? Dann hab ich endlich Ruh und Sicherheit. Als Vorwand zur Gefangennahme diene versuchter Aufruhr. — Rufe mir Andronio, daß er die Mutter mir im Turm verschließe, und nimm auch diesen Schlüssel meines Zimmers. Carola täuschend, sorge, daß Lidora statt ihrer heute Nacht die meine wird. Ich will indessen schnell noch nach Ägypten Roselio schicken. Er muß fort von hier, damit mir mein Vergnügen nicht gestört wird. (Er t r i t t ab)

10. S z e ne Leoncio

Leon.:

Weh dir, verblendeter, verrückter Kaiser! Daß du heut Nacht mit meiner Liebsten dich vergnügst, erlaubt der Himmel nicht, noch ich. Den Schlüssel hab ich hier zu deinem Zimmer und schön Lidora sollst du glauben, daß dich dort in deinem Lotterbett erwartet, und legst du dich hinein, so liegst du bei der armen Kaiserin, die du verabscheust. Das geht im Dunkel und in aller Stille, und von Lidora glaubst du dich erwartet, mein kluger Streich bleibt unbemerkt , und unter dem Namen Kaiser Konstantins will ich mich diese Nacht vergnügen mit Lidora. Ein gutes Ränkespiel, wenn es gelingt. Ich führ es aus, und kostet's mich das Leben, so ists um solchen Preis nicht schlecht vergeben.

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Karl Vossler

11. S z e n e ( E s treten auf die H i r t e n : F l o r i l o , D i n a m p o , I t a l i o , T a r s o u n d M e l i s a , hinter diesen I r e n e , die sich niedersetzt)

Tar.:

Wolln verzeihen euer Gnaden eures Volkes plumpen Gruß und den guten Willen eher gelten lassen als die Gabe. Wäre sie so reich wie dieser, brächte sie euch eine Liebe an den Tag, die größer wäre als das ganze Kaiserreich. Schultheiß und Gemeinderat und die Leute aus dem Volk schicken eurer Herrlichkeit ein bescheidenes Geschenk, doch ein wirkliches und echtes. Vorne sechs geputzte hübsche Mädchen, die auf sechs erlesnen Schüsseln von der besten Sorte Honigküchlein euch servieren, die, mit Blumen rings geschmückt, heute zubereitet wurden von der Tochter unsres Hufschmieds. Auch ein wenig Eingemachtes bringen sie, nicht viel, es ist teuer; gestern hat der Pfarrer in Konstantinopel einen halben Korb davon erstanden. Alsbald folgen sechs gar fesche reiche Burschen, alle in neuen Pelz gekleidet, und alle tragen blonde Bärtchen, bringen mit bedächtigen Schritten tausend Gaben, die an Stangen

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baumeln: Hasen und Kaninchen, Vögel auch und hinter ihnen hundert Zicklein, tausendfarbig, blendender als Schnee die einen und die anderen gefleckt. Mitten unter ihnen zwei Kälbchen, ausgezeichnet durch goldne Glöcklein, die an ihren runzeligen Hälsen hängen. Alsdann kommt ein Dutzend Knaben und gerade soviel Mädchen, schwerbeladen beide mit fettem Käse, süßen Waben, Dauerkäse, Quark und Butter, frischem und gedörrtem Obst, Mispeln gar und Vogelbeeren. Dieses alles bringt das Land eurer Hoheit dar in Demut, arm an Werken, reich im Glauben, der ihm seine Größe gibt, und ich selber weih euch meine Seele froh und rein wie Gold und geräumig wie das Landhaus, das ihr hier bewohnen sollt. Mel.: Din.: Flor.:

Teufelskerl, wie gut er das hergeschnauzt hat. Sehr diskret. Wie ein Dichter.

Din.:

Ein Poet ist er und ein Mann mit Bart.

Irene:

Vielmals dank ich eurem Land, daß es solche Müh sich gibt, mit Geschenken mich zu ehren und den Willkommgruß mir bietet.

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Din.:

Irene:

Tar.: Irene: Tar.:

Irene: Tar.:

Mel.:

Tar.:

Karl Vossler

Diese Huldigung vergelt ich eurem Land und mach es frei für die Zeit von zwanzig Jahren von der Steuer. Nochmal zwanzig, nein, noch zwanzigtausend Jahre Leben und Gesundheit wünsch ich eurer Hoheit. Ja, im Frieden dieses Frühlings kann es sein, doch bei Hof, wo man am Ehrgeiz sich betrinkt, wird auch das längste Leben nur ein kurzer Rausch. Hier zu Lande lebt man langsam. Viele Tage sind es schon, Tarso, daß wir uns nicht sahen. Seit daß eure Schritte über Fürstentümer, Kaiserreiche stürmten und ihr uns verließet, sah ich euch nicht mehr. Warum nicht ? Weil ich dachte, daß bei Hof ihr mich doch vergessen würdet. Mit dem Amte steigt der Umgang, und des Kaisers Purpurmantel kümmert sich nicht um den Kittel. Auf dem Gipfel standet ihr, da war niemand so verwegen, euch zu sprechen, aber hier kommt uns Zeit und Ort entgegen. Jetzt will ich von ihr erbitten, daß du richtig mich sollst lieben, sehen will ich, ob das hilft. Nein Melisa, du bist wahrlich wie ein Wohnhaus ohne Zimmer.

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12. S z e n e ( A n d r o n i o mit einem Trupp Leute. Die Vorigen/

Andr.:

Flor.: Din.:

Irene: Andr.: Irene:

Andr.: Irene:

Andr.: Irene: Andr.: Tar.: Flor.: Irene: Andr.: Irene:

Hier, so sagt man, lebe sie auf erblühtem Feld und nicht mehr unter Waffen. Schau Dinampo die Soldaten, die hier kommen. Teufel auch, was die jetzt wollen ? Schickt man uns Soldaten her, gibts nicht Weib noch Rinder mehr. Was ist los, Andronio ? Herrin! Eben will ich euch schon danken für die Treue, die ihr zeigt, daß ihr hier als erster mich zu besuchen seid gekommen. Doch warum seid ihr so traurig und müßt euch die Augen trocknen ? Was gibts Neues ? Tausend Leid, Hoheit, das ihr nicht verdient. Wozu schickt euch Konstantin ? Daß ich so euch sehe, gibt mir nichts Erfreuliches zu ahnen. Das weiß Gott, wie schwer michs drückt, daß man m i r das aufgetragen. W a s hat er euch aufgetragen ? Daß in einen Turm ich eure Hoheit stecke. Was sagt er ? „Turm einstecke" hörte ich. So nimmt mich mein Sohn gefangen ? So ist's, Hoheit. Guter Sohn!

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Karl Vossler

Andr.:

Ja, in einem Turm will er, daß ich euch bewachen lasse.

Irene:

Was sagt man ihm über mich ?

Andr.: Irene:

Weiß ich nicht. Ich aber weiß es, und es ist nicht schwer zu sehen, wie er Neros Beispiel folgt. Nicht, daß er mich böse wähnt, sondern weil er selbst es sein will, läßt er mich gefangen setzen; s e i n Gelüste nur soll frei sein, denn ein Warnungsblick kann manchmal tausendfachen Leichtsinn zügeln. Weil ich seine Laster fessle, läßt er mich in Fesseln legen und will s e i n e Fessel sprengen, um nur zügellos zu rennen. — Laßt ihn rennen, meine Schmach rächt an ihm sich Streich auf Streich . . . rennen seinen Lüsten nach, bis er stürzt samt seinem Eeich. Wo ist Konstantin zu finden ?

Andr.:

Auf dem Landschloß im Gebirg,

Irene:

Bringt mich hin, ich muß zuerst mit ihm reden.

Andr. :

Darin kann ich, — und das schmerzt mich in der Seele, euch nicht dienen, denn sofort muß ich euch zum Turm, befiehlt er, bringen, Herrin, und ich darf euch nicht gestatten, ihn zu sehn. Das hat er befohlen ?

Irene: Andr.:

Könnt ich euch um Himmelswillen helfen!

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Drei Dramen des Tirso de Molina

Irene:

Tar.: Irene:

Nur Geduld, da er so will, gehn wir. Freunde, lebet wohl! Herrin, ich will mit euch gehn, ihr sollt mich als euern Diener immer in der Nähe haben. Tarso, nein. Der Himmel fügt es eines Tages, daß ich komme und euch besser wiedersehe. Ohne euch hab ich nur Kummer. Lebet wohl! und gehen wir.

Din.: Tar.:

Das ein Sohn ? oder ein Satan ? Satan ja, jedoch kein Sohn.

Tar.:

Irene:

(Sie wird weggetragen)

13. S z e n e C a r o l a allein

Car.:

Fest und echt wie Diamant wollen diese Männer sein, doch es gibt, ich hab's erkannt, viel gefälschten Edelstein. Mögen sie im Dienst der Minne manchmal sich als treu bewähren: heut wurd ich am Kaiser inne, wie die Wege sich verkehren. War er ganz mir zugetan, schaute er mich inniger an. Könnte er mich gar nicht leiden, hätte er f ü r spätre Zeiten die Vermählung aufgeschoben. Schenkt, ihr ewigen Mächte droben, Licht und Ordnung mir im wirren eifersüchtigen Spähn und Irren. — Konstantin ist fürchterlich, denn er liebt mich ohne mich.

(Alle ab)

Karl Vossler

14. S z e n e L i d o r a tritt auf — C a r o l a

(Liebe, wohin treibst du mich ? Was heut Nacht mit mir geschah, soll vielleicht kein Fehltritt sein ? Wenn ich meine Jungfemehre gab für eine Fürstenkrone, lassen wir die Leute schwatzen, ich will Gattin eines Kaisers um den Preis der Liebe werden.) Wie seid ihr so wirr und schwankend und so aufgeregt, Lidora ? Ungewöhnliche Gedanken treiben mich so wie den Phaethon hoch hinaus. Dem Phaethon also strebt ihr nach ? Der Hochmut will ihm es gleichtun. Und ihr fürchtet nicht, noch tiefer abzustürzen ? Werde mich zu halten wissen. Solche Sicherheit ist schädlich. Achtung! denkt an Luzifer, der den fremden Stuhl begehrte. Das f ü h r t zum gewissen Absturz. Fremd ? und welches Vorrecht gibt Zeugnis, daß der Stuhl von einem fremden Herren schon besetzt ist 1 Welches Vorrecht ? Gilt euch denn nichts das Heiligtum der Ehe ? Lieber Gott, das ist vorerst noch unreif, und ein besseres weiß ich in den Seelen, die durch Liebe

Drei Dramen des Tirso de Molina

sich verbunden fühlen, das ist Erstgeburtsrecht. Car.:

Oh Lidora, schau, wohin du kommst. Bedenke, daß der Herrgott dich, wenn du ihn ärgerst, streng bestraft, und wisse: mein Gemahl, der Kaiser, ist es, den ich mit der Seele liebe.

Lid.:

Da zum Herrschen du nicht taugst, wie ich sehe, möchtest du dich im Predigen bewähren. Sei nicht lästig.

Car.:

Schon beherrscht die verlorne Ehre dich. Niemand wird dich übertreffen, denn wer keine Ehre hat, ist auch frei von Schamgefühl.

Lid.:

Zügle deine Zunge, oder, um Respekt dir beizubringen, stutz ich dir sie bis zur Wurzel. Dirne! Deiner Kaiserin ?

Car.: Lid.:

Kaiserin ? Erhabner Name! Laß den Dünkel, bist's ja nur titelmäßig, abgetane Kaiserin, und ich genieße den Ertrag. Der Himmel könnte darum auch auf m e i n e Stirne deine Krone übertragen.

Car.:

Da die Welt im Kreis sich dreht und auch manchmal rückwärts geht, kanns schon sein, daß du, die Zofe, Kaiserin noch wirst am Hofe: höchste Ehre auch für mich, dann bedient zu sein durch dich.

Vossler. Drei D r a m e n

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Karl Vossler

Lid.:

Lid.:

Diese Ehre gönn ich dir. Deinen Titel führ dann ich. Bisher tat ich Dienst bei dir, aber jetzt bedienst du mich. Närrin schmutzige, ich dich ? Wenn das Schicksal mir die Krone wegnimmt, bleibt doch königlich mein Geschlecht. Und deines ? Schweig! Wenn der Zorn mich überfällt, wirds dich reuen, dafür sorg ich. Dirne du, von Griechenland hergelaufene. Nimm das!

Car.:

Weh, ein Backenstreich!

Car.:

Lid.:

Car.:

(Sie gibt ihr eine Ohrfeige.)

15. S z e n e (Bs treten auf:

Konst.: Lid.: (für sich)

Konst.: Lid.:

Konst.: Car.:

K o n s t a n t i n , Leoncio, Andronio. Die Vorigen)

Was gibts da ? Konstantin ists. Ich will tun, als hätte i c h den Backenstreich, den ich gab, gekriegt. — Au weh! Mein Lidorchen! Euretwegen darf man mich so schlecht behandeln ? mich beleidigen und schmähen, eine Straßendirne nennen, darf mich die Infantin schlagen ins Gesicht ? Nein, sterben muß sie. Unerhörte Frechheit das.

Drei Dramen des Tirso de Molina

(für

sich):

(Laut)

Konst.:

Car.: Konst.: Leon.:

Konst.:

Lid.:

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Da nun schon in dieser Sache alles schief zu gehen hat, wundert es mich nicht, daß die da heult und klagt, indessen ich ihren Backenstreich bekomme. Immerhin ists besser so: ob ich gleich geschlagen wurde, soll die Welt nur denken, daß ich meiner Zofe einen gab und ihn nicht von ihr bekam. Wahr ists, ich hab sie gezüchtigt, weil sie gar so überheblich und der eignen Herrin sich ungehörig widersetzte. So hast du dies holde Wesen zu mißhandeln dir erlaubt, und der Himmel läßts geschehen ? Ist es denn so unerhört, daß die Frau ihr Mädchen züchtigt ? Schweig, du Schreckbild! Führt sie weg ins Gefängnis! Herrin, faßt euch in Geduld. (Der Kaiser darf nicht merken, daß ich heute Nacht mit Lidora mich vergnügte.) Gehen wir, daß ich die Schmach, die erlittne, von euch nehme, in ein Ehrenkleid euch hülle und bei einem reichen Fest euch zu meiner Gattin mache. Eure Leidenszeit ist um, meine Liebste, komm mit mir. Kann man auch so feierlich eine Ohrfeige vergessen ? ( K o n s t a n t i n und L i d o r a treten ab) 10*

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Karl Vossler

16. S z e n e Carola und Leoncio

Car.: Leon.:

Car.:

Gehn wir, da der Kaiser wünscht, daß ich im Gefängnis schmachte. Bis sein Zorn verraucht, Infantin, tragt den strengen Spruch, den ich sehr bedaure. Lauf der Welt, wie entstellt bist du doch heute! Herrin einst und jetzt verachtet und die Dienerin erhöht, die Beleidigte im Kerker, die Verräterin geehrt. So hat sich im neuen Reich unsre alte Welt verkehrt.

II. AKT

1. S z e n e L i d o r a und C l o d i o im Wanderkleid

Clod.:

So bedrückt von schwerem Kummer blieb ich, als du gingst, zurück, und es ist ein Wunder, daß ich nicht daran gestorben bin. Griechenland verfluchte ich und verfluchte die Infantin, die zu dieser schmerzerfüllten Trennung uns den Anstoß gab. Durch Zerstreuung suchte ich meine Trauer zu erleichtern, übte Spiele, die doch sinnlos ohne deine Nähe waren.

Drei Dramen des Tirso de Molina

Tausendmal zog ich hinaus auf die Jagd, und jedesmal kam ich heim, von schrecklichen Vorstellungen mattgehetzt. Wenn ich spielte, dann verlor ich, so wie Cypern deine holde Gegenwart verloren hatte, und verlor dabei mich selbst. Meine Freunde wollten mich geistvoll unterhalten, um meine Schwermut zu erleichtern, aber wie der Dumme immer ärgerlich dem Klugen wird, der Bescheidene dem Stolzen und dem Geizigen der Arme, so dem Liebenden der Freie. — Mit andern schönen Frauen hofft' ich die Glut zu mildern, die dein Anblick im Herzen mir entzündet hatte. Doch damit nährt' ich nur das Feuer, denn töricht ist es zu behaupten, daß auch die treuste Liebe sich verjagen läßt durch neue Liebe. — All die Mittel, die Ovid, der verbannte Dichter, in seiner Ars amandi schreibt, nahm ich vor und macht' sie durch. Aber wie dem Todgeweihten die verschiedenen Arzneien, die der Arzt ihm zubereitet, lediglich zur Qual gereichen, so wurd' mir nur immer schlechter. Sei verflucht, wer uns als Mittel, um die Liebste zu vergessen, Trennung von ihr anempfiehlt!

Karl Vossler

Ach, wie oft umstreifte ich die beglückten Mauern, hinter denen du in deiner Kammer meine Liebesklage hörtest! Deine freundlich holden Worte, deine lieblichen Geschenke waren mir in meinem Schiffbruch die erwünschte Rettungsplanke. Dieses alles aber war, da ich dich nun nicht mehr sah, wie das Sterben einer Kerze, die in Flammen sich verzehrt. Schließlich wurd' ich derart krank und so hoffnungslos geschwächt, daß ich eine Pilgerfahrt unternahm zu deinem Antlitz. Nach Konstantinopel kam ich, sprang vom Schiff ans Land und sah, wie ein Luchs die Augen schärfend: Dich auf einem Wagen zwischen Perlen, Elfenbein und Gold unter reichem Baldachin. Das ist Täuschung, dacht ich traurig und befragte einen Mann: Ist die Dame nicht Carola, Tochter von dem König Cyperns ? Die Prinzessin, war die Antwort, ist es nicht, die hat kein Glück, denn sie brachte selbst das Unheil, dem sie unterliegt, hieher. Eine ihrer Zofen ist es, der der Kaiser, ganz verzaubert, sich ergibt samt seinem Reich. — Staunend, beinah leblos sah ich, wie das Volk dich hemmungslos

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mit Verwünschungen bewarf — hätt' ihm gern dabei geholfen, denn der Tod war mir gewiß, meine Hoffnung jetzt unmöglich. Ehe sie mir ganz verwelkte, suchte ich Gelegenheit, dir zum Kranz auf deinem Kopf einen Glückwunsch unerbittlich wie Busiris darzureichen. Zweifellos, wenn du auf Cypern mich in Liebe um dich hattest einstens als Adonis — jetzt werd' ich hier Thersites sein. Über Gold und Perlen, über Diamanten und Rubine schreitest du und trittst zugleich meine Seligkeit in Scherben. Möge dich der Himmel strafen — nein, nicht strafen soll er, nur mich von allem diesen Elend durch den Tod befreien endlich. Lid.:

Welch ein Labsal ohnegleichen ist es mir, mein Clodio, deinem Liebesweh zu lauschen, das mir tief zu Herzen geht. Wenn ein treues, lang getrenntes Liebespaar in Eifersucht ausgesöhnt sich wiederfindet, das gibt eine helle Freude! Sei von Herzen mir willkommen, laß die feige Ängstlichkeit. Ob ich schon als Fürstin throne, kann ich doch das ABC nicht vergessen, das du mir in die Seele prägtest, als ich

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Clod.:

Lid.: Clod.:

Karl Vossler

noch auf Cypern deine Sklavin war nnd deine Kette trug. Gib dich aus als meinen Bruder, stell dich so: ich werde dann die Regierung dir verschaffen. Meine dunkle und verwirrte Eifersucht hat sich gelichtet. Lege jetzo, mich beglückend, deinen Arm um meinen Hals, denn in dir erblicke ich heut das Wunder eines Weibes, das beständig ist und weiblich. Clodio, der Kaiser kommt. Wie du sprichst, so werd ich handeln.

2. S z e n e E s treten a u f : K o n s t a n t i n , der alte Senator H o n o r a t o L e o n c i o , M a c r i n o , A n d r o n i o u. a. die Vorigen

Konst.: Honor.: Konst.: Honor.:

Also, was begehrt von mir der Senat ? Was billig ist, Herr, ich sag's dir, wenn's dir recht ist. Sag es. Erstens bittet dich im Namen von ganz Griechenland der Senat, daß du zur Feier des von Gott verliehnen Amtes — falls du Gottes Würde schätzest — einen frohen Tag uns schenkst und die Kaiserin, deine Mutter, wiederum in Freiheit setzest. Dem Senat liegt viel daran, daß dus tust, jedoch bedenke,

Drei Dramen des Tirso de Molina

Konst.: Honor.:

daß noch mehr für dich dran liegt. Denn das Volk und die Soldaten, die so viele Siege unter ihrer Kaiserin erfochten, klagen öffentlich und murren, daß es für das Volk der Griechen eine Schmach und Schande sei, wenn es sich gefallen läßt, daß die Retterin des Reiches im Gefängnis büßen soll. Das tut allen leid, und da sie höchst beliebt ist, muß ich fürchten, daß, wenn dieser Zustand dauert, eine Volkserhebung ausbricht. Will man mehr noch ? J a , daß du der Infantin Cyperns, deiner Gattin, die so klug und taktvoll und so ehrbar ist und fromm, Stand und Namen gibst, den eine andre ihr genommen hat. Da du dich mit ihr vermählt hast, muß dir klar sein, daß du nicht, während sie am Leben ist, dir als Frau Lidora halten kannst, denn du vergehst dich damit gegen göttliches Gebot, das dem Christen untersagt, mit zwei Frauen eine Ehe einzugehn und so zu leben. Diesem wohlerwognen Rat stattzugeben, bittet dich, hoher Herr, dein Volk. Erlaube nicht das untragbare Unrecht der Gefangenschaft Irenes.

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Konst.:

Honor.:

Konst.:

Karl Vossler

Ist Irene, deine Mutter, doch die Stütze dieses Reiches, das zum Untergang schon neigt. Nur zur Milde ruf' ich auf, drum versäum' nicht, sie zu üben. Großer Herrscher, schau' nur . . . Schweig! Jetzt kein Wort mehr, alter Narr. Eine nette Petition zur Regierung meines Staates! Jetzt soll der Senat in mir einen Commodus und Nero kennen lernen. Er regiert m i c h ? Ist's nicht die verkehrte Welt ? Sag das nicht und rege dich nicht so auf, denn wenn er dir Bitten vorlegt, wie ich sie vorgetragen, so geschieht es, Herr, nicht um dich zu regieren, sondern um dich zu beraten. Welcher Fürst wird einen Ratschlag, wenn er klug ist, je verschmähen ? Ich bin Manns genug und kann Griechenland allein regieren. Der Senat hat ungebeten keine Meinung mir zu sagen. Nur gehorchen ist sein Amt und das meinige: befehlen. Ihre leichtfertigen Sprüche zeigen, daß sie nichts verstehen, diese Herren im Senat, ein Senat von Weibern, ja! Märchenhaft, daß alte Leute mir mit windigem Gerede gegen meine Lust und Neigung

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Honor.: Konst.:

Honor.: Konst.:

eine Ehefrau bestimmen. In Gewahrsam halt' ich meine Mutter, damit unser Land friedlich lebe. Der Senat, dem die Haft mißfällt, muß wissen, daß, wenn ich ihr Freiheit gebe, sie mich zu verraten sucht. Weiß ich's doch, sie trachtet wieder nach dem Kaiserthron und möchte mit dem Kranz, den sie verlor, ihre Stirne wieder krönen. Schau doch, Herr . . . Es ist schon spät, und ich kenne eure Absicht: da muß schnell geholfen werden. Geh, Macrino, mit Soldaten meiner Wache und leg diesem ganzen törichten Senat, der uns solchen Unsinn anstellt, Weiberröcke an und Hauben, und mit Kunkeln statt des Degens laß sie heut den ganzen Tag zur Erheiterung des Volkes auf dem Marktplatz stehn, damit offenkundig anspruchsvoll ihre Narrheit sich erweise. Und so mögen sie als Weiber zusehn, wie ein Weib die Herrschaft führen kann, nach der sie trachten. Und am selben Platze häng' mir diesen alten Narren auf, dem ich damit seine Dummheit oder seinen Rat bezahle. Herr . . . Nur fort mit ihnen!

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156 Honor.: Konst.: Honor.:

Konst.: Mac.: Honor.:

Karl Vossler

Hör mich. Holla! bring sie weg von hier. So vollziehe denn an mir diese Strafe, diesen Tod, aber den Senat gib frei, denn er ist in deinem Reiche Rat und Spiegel aller Klugheit. Ja, das hat er schön bewiesen. Führ' sie ab, was zögerst du ? Hoher Herrscher, ich gehorche. Guter Rat muß Strafe leiden, wehe dem verkehrten Reich! ( M a c r i n o ab mit H o n o r a t o )

3. S z e n e Die Vorigen außer H o n o r a t o u. M a c r i n o

Konst.: Andr.: Konst.:

Andr.: Konst.: Andr.: Konst.:

Andr.:

Andronio! Mein Herr ? Geh schnell zum Gefängnis meiner Mutter und erledige geschwind sie im Turm mit einem Eisen um den Hals. Was sagst du, deine Mutter ? Holla! dieser muß gleichfalls hingerichtet werden. Ich ? Du brauchst dich nicht zu wundern. Töte meine Mutter — oder stirb. Ich werde dein Gebot, Herr, vollbringen. — Arme Welt, wie verkehrt läuft deine Bahn! (Er tritt

ab)

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4. S z e n e Die Vorigen außer A n d r o n i o

Wenn mir schon das Reich gebührt, will ich auch auf meine Weise Sicherheit des Thrones schaffen, und ich bin gewiß der erste Sohn nicht, der die Mutter tötet, (zu Leon.:) Geh und schau mir nach Carola. Leon.: Wohl, ich gehe. (Leoncio Konst.:

5. S z e n e Die Vorigen außer L e o n c i o

Konst.:

Sie soll heimkehren, und ihr Vater mag mich dann bekriegen, mag die Welt gegen mich die Fahnen schwingen. Was heißt Welt ? Ich fürcht sie nicht, seit sie mir zu Füßen fiel. Zähmen muß man mit Gewalt dieses Scheusal, und ich will, so wie Nero t a t mit Rom, ihr ein Feuer zubereiten. 6. S z e n e L i d o r a , K o n s t a n t i n und C l o d i o

Lid.: Konst.:

Lid.: Konst.:

Gar so grimmig, edler Herr ? Deine schönen Augen haben meinen Ärger schon verjagt, und vorüber ist die Wut. Gegen wen war't ihr erzürnt ? Gegen Leute, die von dir mich entfernen möchten. Muß ich da nicht zürnen ?

158 Lid.: Konst.

Lid.: Konst.

Clod.: Konst. Lid.:

Karl Vossler

Aber wie denn ? Sie behaupteten, du könnest meine Frau nicht sein, so lange die Infantin lebt. Da wäre leicht zu helfen: tötet sie. Für so grausam möcht' ich aber doch nicht gelten. Ihrem Vater schick ich sie zurück und schaue, daß der Patriarch Dispens uns zur Heirat gibt. — Wer ist es, Herrin, der euch hier begleitet ? Bruder von Lidora bin ich. Laßt mich eure Füße küssen. Wie ist das ? Er ist mein Bruder, und zu deinen Diensten kommt er jetzt aus Cypern.

Konst.

Daß ers ist, zeigt sein Wuchs und seine Anmut. Da er nun mein Schwager ist, muß ich ihm sofort die Ehre eines hohen Amtes antun und ernenne ihn zum Staatssekretär.

Clod.:

Dein Name strahle unvergänglich immerdar. Deine Füße laß uns küssen. Sag, wie heißt du denn ?

Lid.: Konst. Clod.:

Konst.

Liberio (Bin ein andrer Mann geworden, brauch auch einen andern Namen.) Du sollst mir das Reich regieren.

Drei Dramen des Tirso de Molina

7. S z e n e L e o n c i o und C a r o l a , die Vorigen.

Leon.: Konst.:

Hier ist die Infantin, Herr. Seid willkommen, Frau, nehmt Platz.

Car.:

Möchte doch, mein Gott! dies Leben endigen in all der Pein. Jetzt erfährt der Kaiser meinen Streich, und wenn ich seiner Strafe mich nicht rasch entziehe, bringt mich seine Strenge um das Leben. Lebe wohl, unnütze Hofgunst, andre Rettung weiß ich nicht, als mich weit von hier entfernen. Griechenland, leb wohl, nur so kann ich mir ein freies Dasein sichern, denn es droht Gefahr, wo die ganze Welt verrückt ist. (er geht ab)

(die drei setzen sich)

Leon.: (für sich)

8. S z e n e die Vorigen außer L e o n c i o

Konst.:

Wahrlich, ich bedaure sehr, Frau Prinzessin, daß ich eurer gutgesinnten Neigung nicht, wie ich möcht', entsprechen kann. Bis hierher aus Cypern kamt ihr, gabt zur Ehe mir die Hand, und es fehlte nichts zum Glück, wenn, wie mein Verstand euch hochschätzt, auch mein Wille sich ergäbe und euch nach dem Werte eurer echten Schönheit lieben könnte. Aber Amor, wie ein Kind,

159

160

Karl Vossler

folgt nur seinen eignen Grillen, und um dieses Fehlers willen malt der Künstler ihn als blind. Ist es doch der Liebe Art, daß sie mit gewisser Kraft gegenseitiger Leidenschaft zwei verschiedne Herzen paart, und der Himmel hat gewollt, daß bei euch und auch bei mir solche Kraft uns fehlen sollt, und der blinde Gott hat hier mir zur Ehefrau Lidora ausgewählt. Dies muß nun sein, und ihr werdet mir verzeihn. Kehret heim in euer Reich! Eine Schönheit, eure Hoheit gibt euch, Herrin, die Gewähr, daß ihr den verlornen Trost alsbald wieder finden werdet an der Seite eines andern Königs, der euch glücklich macht. Eurem Vater hab' ich brieflich unsern Fall geschildert und glaube, daß bei seiner Klugheit er sich leicht zufrieden gibt. Wenn der Prinz dann, euer Bruder, aus dem Türkenkrieg zurückkommt, zeichne ich ihn eigenhändig aus und schick' ihn heim zu euch. — Wann gedenkt ihr abzufahren ? Car.:

Wann das Leben mich verläßt, das schon übervoll von Leid mir in Seufzern sich verströmt. Herr des ganzen Orientes, teurer Gatte und Gebieter,

Drei Dramen dea Tirso de Molina

diesen Titel schuld' ich dir, wenn ihn gleich die andre wegnahm, was ich in Geduld ertrage, was ich leide, was ich klage, mög' es deine Härte brechen und für meine Liebe sprechen. Man berichtet, daß mein Bild, das du sahst, dir Anlaß gab, meine Hand bei meinem Vater für die Ehe zu erbitten. Fluch dem Pinsel, Fluch der Wand und den Farben und der Hand, die das Bild zum Leben brachten und mein Leben jetzt umnachten. Mag wohl sein, daß jener Maler mit der Schönheit dich betrog, und als du die Täuschung merktest, deine Liebe sich verzog. Eigenlob ist wohl berechtigt, wenn ein Gegner uns verdächtigt, und ihr wißt in Griechenland wie als schön ich war bekannt, einer Rahel gleichgeachtet und von Fürsten viel umschmachtet. Und ich wählte unter allen dich — nicht, weil du Kaiser bist, sondern weil ich dir verfallen und mein Herz dein Diener ist. Herrlich wie ein Absalon bist durch deine Schönheit schon — warum willst du obendrein streng und spröd wie jener sein ? — Doch mein armes Herze kann sich nicht überzeugen lassen, daß du wirklich es verschmähst. Vossler, Drei D r a m e n

161

Karl Voasler

Oder doch 1 — Wahrhaftig nein Wolltest du mich nur erproben, ob ich in Geduld und Treue wirklich zuverlässig bin, nun so hab ich's dir bewiesen. In der ehelichen Liebe übertrifft mich keine noch so weltberühmte treue Frau, nicht Penelope noch Porcia. Drum erlaub es nicht, mein Kaiser, daß ich heimgeschickt nach Cypern ehrlos und geschändet vor meinen Vater treten muß. Offne lieber mir die Brust: hier wirst du dein Bild erkennen, wie die Liebe mir es malt. So vergieße denn mein Blut. Aber weh, ich fürchte gar, daß, weil ich zu sterben wünsche, du die Ausführung verzögerst. Da das Glück mir gar nicht hold ist und ich nicht einmal den Tod mir erbitten kann, so werf' ich (sie tut es) dir, Lidora, mich zu Füßen und ich fleh' dich an: erbitte meinen Tod von Konstantin. Alsdann könnt ihr beide ja euch mit gutem Recht gehören. — Schauet, wie sich unsre Welt auf verkehrtes Wesen stellt. Wenn ich hier am Boden liege und mich deinem Fußtritt schmiege, das ist nach dem Backenstreich, den du gabst, mir völlig gleich. (Sie steht wieder a u f )

Drei Dramen des Tirso de Molina

Konst. : Car.: Konst. : Car. :

Konst.

Lid.: Car.:

K53

Himmel, nicht einmal der Tod ist mir Unglückskind vergönnt. Doch ich will dir, o mein Gatte, als ein braves Weib gehorchen, schicke mich, wohin du willst, gèrne geh ich wieder heim, denn, wenn du mich auch verschmähst und mein Vater sich gekränkt fühlt, bin ich fröhlich, weil ich merke, daß der Himmel mir zum Trost Frucht gewährt von meiner Jangfernblüte, die im Ehebett du gepflückt hast wie ein Räuber, ob du gleich der rechte Herr warst. In den Eingeweiden spüre ich dein Pfand, und gebe Gott ihm das Licht . . . Ein Pfand von mir ? Wie ists möglich ? Etwa nicht ? So besinn dich doch, Infantin, wann hab ich dich je berührt ? Leugnest du auch dieses noch ? Meine Furcht war nicht umsonst. Jene Nacht, in der der Himmel mich mit dir verband, die dunkle, weiß, daß ich die Wahrheit sage. Hier ist ein Verrat im Spiel. Warst nicht du, Lidora, es, die in jener Brautnacht mich glücklich machte % Herr, ich war es. Wie % Was muß ich hören, Himmel, solches Zeugnis bringt man auf, meine Ehre zu beflecken % 11

164

Karl Vossler

Jetzt geht die Geduld mir aus. Welt, ich kenne dich, du Scheusal, und ihr zwei legt mir, das seh ich, Ehebruch zur Last, damit ihr eure üble Buhlerei scheinbar vor der Welt entschuld'gen und für euch genießen könnt. Deshalb seid ihr so behutsam eingetreten als Verräter damals in der Unglücksnacht. Jetzt versteh ich erst das Spiel, das mich damals so verwirrte, als ihr mich Lidora und mit derselben Stimme eure Sonne nanntet, ja das tatet ihr, nur um mich zu betrügen. Konst.: Unbegreifliche Verwirrung! Ruft Leoncio, wo steckt er ? 1. Soldat: Herr, ich eile, ihn zu holen. Car.: Der soll dir nun wohl als Zeuge, wenn auch falscher Zeuge, dienen ? Das erschreckt mich nicht: es gab ja auch Zeugen gegen Gott. Gut geschürzt deine Intrige, doch für mich genügen solche Kniffe nicht, ich kenne dich. 1. Soldat: Niemand findet in dem ganzen kommtj^ zu- Hause den Leoncio, Herr. Nur der Pferdebursche sagt, daß er vor nicht langer Zeit habe satteln lassen und mit entfärbtem Angesicht weggeritten sei, allein. Konst.: Er hat mich verraten. Sendet sogleich Boten nach ihm aus.

Drei Dramen des Tirso de Molina

Wer ihn tot oder lebendig mir herbeibringt, dem versprech ich einen Platz als Kammerherr. - 1. Soldat: Jedermann am Hofe wird heute solchen Preis begehren. (Er geht ab) Konst.: Man verbreite diesen Aufruf. Wenn ich lebend ihn erwische, eh die Erde ihn verschlingt, soll sein Tod ein schrecklich warnend Beispiel für Verräter werden. In ein Zimmer meines Schlosses ziehet euch zurück, Infantin, während ich dem König, eurem Vater, diesen Fall berichte. Dort wünsch' ich, daß ihr gefangen bleibet. Stellt die Wachen auf. Car.: Gott, der du die Unschuld schützest, decke diesen Anschlag auf. (Sie wird abgeführt) 9. S z e n e K o n s t a n t i n , Lidora, Clodio

Konst.:

Lid.:

/ Clod.:

Komm Lidora, teure Freundin, jetzt ist uns der Weg geebnet, daß wir miteinander glücklich werden, wie es mir gefällt. (Alles geht nach Wunsch, mein hoher Sekretär, verkappter Bruder, Herzensschatz, noch heute sollst du erfahren, wie getreu ich zur ersten Liebe halte.) (Welche Schicksalswendung! ich, Clodio, bin Sekretär ? Das ist so der Lauf der Welt und kein Wunder.)

165

166 Lid.: Clod.:

Karl Vossler

Kommst du ? Ja. Ich des Kaisers Sekretär ? Helf uns Gott, daß wir nicht fallen. (Sie t r e t e n ab)

10. S z e n e E s t r e t e n auf T a r s o m i t e i n e m o f f e n e n K o r b , I t a l i o u n d H i r t e n .

Tar.:

Laß mich.

Ital.:

Deinethalb, du Bauer, soll Melisa mich verachten 1 Ich gedenke ihrer noch so, wie ich ans erste Hemdlein meines Daseins mich eriimre. Und in mir ist Eifersucht so lebendig, daß, solange du noch lebst, ichs nicht ertrage. Wilde Rücksicht.

Tar.:

Ital.:

Tar.: Ital.:

Tar.:

Wenn du nicht aus dem Lande gehst, so kostet's dich das Leben. Nur das Leben ? Hab ja eines noch im Kasten. Gteh mit Gott, du bist verrückt. Es genügt, wenn ich dir sage, daß Melisa mir zuwider und daß ich in eurer Liebe euch nicht störe. Höher trachtet m e i n e r Liebe Flug, wenngleich mein Verdienst ein Nichts ist, strebt sie doch empor bis zu Irene. Hier bring ich ihr ein Geschenk. Gott befohlen denn, Italio.

167

Drei Dramen des Tirso de Molina

Ital.:

Nein, wenn ihr hier beide lebt, halt ich das nicht länger aus. Wenig hilft es, spröder Tarso, daß du meine Hirtin scheust, wenn sie lechzt nach deiner Nähe. Denn solange du am Leben bist, muß meine Hoffnung sterben: (Er zieht seinen Dolch)

Tar.:

drum stirb du, damit sie lebe. Deine Narrheit macht mich zornig, und da reißt mir die Geduld. (Er zieht seinen Dolch u. ersticht den I t a l i o )

Ital.: Tar.:

Nimm, da dir am Leben so wenig liegt. Oweh! Dein Unmaß bringt dich um, und besser tot als in wilder Sucht lebendig. Er ist tot, ich muß entfliehen, ehe die Gerechtigkeit von dem Täter Nachricht hat. Meine Zuflucht sei Irene.

11. S z e n e Leoncio

Leon.:

Träge Füße, flieht, was ist euch ? Wer verwirrt, betäubt und lähmt euch ? Ist mir doch, als hätte man Fußschellen euch angelegt. Wehe, daß, wer Böses tut, von der Furcht ergriffen wird, und um seinen Gang zu lähmen,

(ab)

Karl Vossler

ist die Furcht die stärkste Fessel. So behindert fühlt' ich mich von den Häschern, die mich jagten, daß ich meinem Pferd die Fesseln durchschnitt und mich in dem Buschwerk dieses Bergs verbarg. Jedoch — was kann helfen, wenn mein Glück mir versagt und wenn der Kaiser mich zu töten trachtet — wo bin ich meines Lebens sicher ? Wie ein Gott ist so ein Herrscher, niemand kann sich ihm verbergen. (Er stößt auf die Leiche Italios)

Jesus, mitten auf dem Weg schlafend oder tot ein Mann liegt vor mir, als wär's ein Vorzeichen meines Endes, fürcht' ich! Will versuchen, ob er aufwacht. Heda! schläfst du ? doch was frag ich ? wenn ich schon gesehen habe, daß er schläft im Totenbett. Herrgott, hilf mir jetzt, ich ahne meines Daseins schwarzen Schlußpunkt, seit mir ein Verstorbener auf dem Weg entgegenkommt und den Schritt mir zeigt, der aus dem Leben zu dem Tode führt. Doch nur Mut, mein Herz, die Not macht uns auch erfinderisch, und in diesem Waldgebüsch kann der Mann mit seinem Tod heute noch mir für mein Leben ein willkommnes Mittel geben. (Er geht ab mit der Leiche)

Drei Dramen des Tirso de Molina

169

12. S z e n e Hirten u n d zwei Wachsoldaten des Kaisers, D ä m o n als Alcalde.

1. Soldat: Tracht und Zeichen sagt' ich euch. Dämon: Ja, die kenn' ich, zweifelt nicht. Florilo: Der muß hier verborgen kauern wie ein Hase zwischen Felsen. 2. Soldat: Wenn ihr ihn erwischt, ernennt euch zu Kammerherrn der Kaiser. Dämon: Kaiserlicher Kammerherr ? Dieses Amt gefällt mir gar nicht. Florilo: Mag der Teufel solche Kammerdienste tun. Dämon: Die schenk'ich euch. Bin ich dann bei seiner Kammer, will er, daß ich ihm auch diene. 1. Soldat: Eine hohe Würde ist es. Dämon: Das mag sein, doch riecht sie übel. 1. Soldat: Und der höchste Herr der Kammer hat den Schlüssel in Verwahrung. Schaut, ob das kein Vorzug ist. Dämon: G-ibt der Herr nun seinen Schlüssel her, so kann er nie sein Zimmer ohne diesen richten lassen. Sapperlot, wenn's mir sich fügt, daß man mich zum Kämmrer macht, geh' ich gleich nach Rom zum Papst in die Camera caritatis. (Alle ab)

13. S z e n e L e o n c i o bringt den Toten, dessen Gesicht u. Hände blutüberströmt u. dessen Kleider vertauscht sind

Leon.:

Sein Gesicht hab ich zerschunden und mein Kleid ihm angezogen,

170

Karl Vossler

jetzt ist er Leoncio, ich ein Hirte in Verkleidung. Hier wird er nicht lange bleiben. Wenn die Wachen und die Richter gierig nach Leoncio fahnden, finden sie etwas dergleichen. Leb' denn wohl, in dieser Wildnis stellen wir Lebendiges dar: ich den Toten, der noch lebt, du den Lebenden, der tot ist.

14. S z e n e Die Hirten und die Waohsoldaten

Florilo: Dämon:

Horch! Geräusch in dieser Richtung. Langsam, daß er nicht erschrickt •und uns wegläuft. Florilo: Oh, ein Mensch! Ausgestreckt am Boden liegt er. Dämon: Packt ihn gleich und haltet ihn fest von beiden Seiten. Florilo: Der soll büßen. Dämon: Namen des Gesetzes! . . . der ist tot. 1. Soldat: Mein Gott, was seh' ich, ist das nicht Leoncio ? 2. Soldat: Ja, er ists. 1. Soldat: Wer bracht ihn um ? Florilo: Ganz zerschunden sein Gesicht. Dämon: Meiner Treu, wie häßlich ist er! Florilo: Auch die Hände, welche Schmach! Dämon: Wie Sankt Bartholomäus.

(ab)

Drei Dramen des Tirso de Molina

1. Soldat: Ob er's ist, ob ich mich täusche ? Aber dies ist ja sein Anzug, dieses Kleid und diese Kette kenn' ich. 2. Soldat: Aber wer hat ihn so gehaßt und zugerichtet, daß der Anblick schon mir weh tut 1 1. Soldat: Drum bezweifl' ich, ob er's ist. 2. Soldat: Schau doch nach in seinen Taschen, dann kannst du dich vergewissern. 1. Soldat: Ah, hier find ich einen Brief. 2. Soldat: Der kann dir das Nähere weisen. 1. Soldat: Schauen wir, was er besagt: „An Leoncio, obersten kaiserlichen Kammerherrn.'' Dämon: Nein, ich will zu keiner Kammer, wenn es mich das Leben kostet. 1. Soldat: Ohne Zweifel hat der Mörder gleich beritten sich gemacht, um zum Hofe zu gelangen und die Prämie für das grause Abenteuer einzuheimsen. Dämon: Dafür wollen wir ihm diesmal gerne unsern Segen geben. Florilo: Dämon: Florilo:

Dämon:

Und schon seid ihr Kammermeister. Schönes Amt, das! Donnerwetter. Möge euch die Würde treiben innerlich. Ihr seid des Kaisers Kämmerling. Gewiß, ich habe Dienst, sooft er sich purgiert.

(Sie gehn u. tragen die Leiche weg)

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172

Karl Vossler

15. S z e n e A n d r o n i o und T a r s o

Tar.: Andr.:

Tar.: Andr.:

Gewähr' mir diese Gnade, Herr.

Du bist ein treuer Hirte, offenbar. Ich lasse dich mit Irene sprechen. Geh hinein und mach es kurz. Von heut an dien' ich dir als Sklave. Schau nur, daß du bald zurückkommst. (Tarso a b )

16. S z e n e Andronio

Andr.:

Daß mir ein solch Verbrechen nahe kommt, daß mich zum rohen Mörder seiner Mutter und seiner Herrin dieser Kaiser macht! Die ihm das Leben gab, soll es durch mich verlieren! aber jetzo bietet sich Gelegenheit für Liebe, Treue, Furcht in meiner Brust, daß ich ermorde und vergöttere die nämliche Irene. Ists möglich, daß der kurze Umgang mich so sehr beeindruckt hat, daß Liebe zu Irene meinen freien Willen hemmt ? Irene, von der ganzen Welt bewundert, und ich will sie besitzen und Vernunft vermag nicht mehr den Trieb in mir zu zügeln ? Die Leidenschaft zerriß mir alle Taue, auf unbekanntem Meer treibt mein Gelüste und blind der Steuermann des armen Schiffleins. . Kommt ihm das Feuer nah, verbrennt der Zunder, in Diebes Nähe ist das Gold nicht sicher,

173

Drei Dramen des Tirso de Molina

im Spiel und auf dem Meere gibts nichts Festes, und ich vergöttere die Schönheit meiner Gefangenen, vergesse Scham und Treue und will an meinem Glück mich erst vergnügen und dann sie töten, da die Liebe und der Kaiser diese Konjunktur mir bieten. Es kommt mir wie ein seltsam Wagnis vor, doch da sie sterben muß, wird niemand je um meinen Frevel wissen. Schon wirds dunkel, und jetzt schaff' ich für Konstantin und für mein Liebesfeuer die Befriedigung . . . Doch weh, wie frevelhaft ist diese Tat, die ich verräterisch verliebt begehe. Wenn ich jedoch den Lauf der Welt besehe, geht nur der Dumme auf dem rechten Pfad. (Er geht ab)

17. S z e n e I r e n e und T a r s o

Tar.:

Irene:

Weiß ich doch, der Kaiser hat anbefohlen, dich zu töten, aber leicht zu retten bist du, wenn du dich als Hirte kleidest und statt meiner in die freie Nacht hinausgehst, die uns jeden Trug gestattet. Darum auf! wechseln wir die Kleider! Tarso, Griechenland muß dir die Palme als dem treuesten aller Menschen in der Welt von heute reichen. Aber ich, wenn's dich auch wundert, gehe lieber in den Tod als erlauben, daß die Welt

174

Tar.:

Irene:

Karl Vossler

einen Mann wie dich verliert. Geh mit Gott, mir tut es leid, und es war' ein bittrer Lohn, daß ein Fremder mich erretten sollte von dem eignen Sohn. Wenn du es verschmähst, zu fliehen, muß ich selbst den Tod mir geben. Und da ich so oder so sterben muß, so nütze, Herrin, jetzo die gelegne Zeit. Rette dich um Gottes willen. Wozu sollen zwei verenden, wenn doch eines leben kann. Wenn du lange zauderst, mach' ich gleich mit mir ein jähes Ende. Mitten unter so viel Bösen solch ein braver Mensch! ists möglich ? (beide ab)

18. S z e n e K o n s t a n t i n u n d der K ö n i g v o n Cypern

König:

Du schreibst mir, hoher Herr, daß meine Tochter mit Leichtsinn meine Ehre hat geschändet und wunderst dich, daß ich die Reise mache. Hab' ich die Infamie erst festgestellt, dann wirst du sehen, wie in ihrem Blute ich diesen Schandfleck ihrer Ehre wasche. Doch wie ists möglich, mächtiger Kaiser, daß, die einst ein Vorbild für die Frauen war, jetzt ihrem alten Vater Schande bringt ? Carola Ehebrecherin ? unmöglich! Durch Ehebruch soll sie geschwängert sein \ Erlaub mir, hier zu zweifeln ist gerecht. Carola, in der ganzen Welt gefeiert,

Drei Dramen des Tirso de Molina

Konst.:

König:

da sie ein Mädchen war, als keusche Vesta, soll buhlerisch jetzt in der Ehe sein ? Unmöglich tausendmal ist deine Klage, verzeih mir, wenn ich Schwierigkeiten mache, denn Leidenschaft springt über alles weg. War diese Schandtat, König, nicht gewiß, bin ich der Mann, sie zu bestätigen ? Das sagt dir Griechenland, 's ist kein Geheimnis. D u hättest Recht, daran zu zweifeln, wäre ich nicht der Kaiser und die Tat geheim und nicht beredet schon auf allen Gassen. Behandle deinen Kaiser mit Respekt, s t a t t ehrfurchtlos an meinem Wort zu zweifeln, sonst straf ich dich. Du siehst a n deinem Hofe mich nur als Untertan und ohne Rückhalt. Ich weiß, du sprächest mir in andrer Tonart, wenn du mich kriegerisch begleitet fändest. Doch, Konstantin, beachte wohl den Grund, der mich zu zweifeln und zu fürchten zwingt, denn groß ist er und stark ist mein Verdacht. Am selben Tag, da meine Tochter dich zum Gatten nahm •— oh, h ä t t ' sie's nie getan — entbranntest du in brünstiger Begierde nach einem zauberhaft gemeinen Weibsbild, wie man mir sagt. Dazu ersannest du dann dieses fabelhafte Hirngespinst, warfst grausam ins Gefängnis deine Mutter, damit sie diese Buhlerei nicht störe. Du hattest Angst, obgleich sie eine Frau ist. Das Kind, das meine Tochter jetzt erwartet, erhabner Kaiser, ist ein Pfand von dir. Warum entehrst du so mein Greisenalter ? Hör' auf mit Lügen! Tausend Zeugen sprechen für ihre Unschuld und beweisen, daß

176

Konst.:

König:

Konst.:

Karl Vossler

man dich betrügt und daß du mich betrügst. Dem kleinen Volk und den Patriziern gilt Carola als die Herrin — und wer weiß, wie sie jetzt murren über deine Laster! Da deine Mutter du gefangen hältst, die doch ein heller Tugendspiegel ist, und meiner Tochter die Lidora vorziehst und deinen eigenen Senat verhöhnest, den Beistand deiner griechischen Regierung, der dir den rechten Weg geraten hatte, so nimmt's nicht Wunder, daß du solche Lügen und falschen Ehebruch erfinden mußt. An deinem Schmerz und deinen weißen Haaren erkenn' ich, daß du nicht bei Sinnen bist, sonst hätte ich wohl Grund, dich hart zu strafen. Wenn der Anstifter dieses Ehebruchs, der schuldige Leoncio, entfloh, ist das dir kein genügender Beweis ? Laß das und dank mir, daß ich dich nicht strafe. Ich dankte Gott, wenn du mich töten ließest und ich nicht hier in Schmach und Wirrnis lebte, hab ich zwei Söhne doch in meinem Unglück, um mich zu rächen. Glaub mir doch, daß ich die Wahrheit sage, König, merke wohl: ich zeig' dir heute Nacht noch deine Schande, und im Verborgnen sollst du selber sehn und Zeuge sein, wie schwer man dich beleidigt. Nicht nur der niederträchtige Leoncio befleckt Carolas ehrenvollen Namen als der Aeneas dieser keuschen Dido: es ist auch offenkundig, daß sie mit dem Wächter im Gefängnis sich vergeht. Du selber kannst davon dich überzeugen. Verbirg dich hinter ihres Bettes Vorhang

177

Drei Dramen des Tirso de Molina

König:

und schau mit eignen Augen ihr Gebaren und ihre buhlerische Brunst dir an. Bestrafe ihre sittenlose Lust! Wenn ich dir bisher dies verschwiegen habe, geschah's, um deinen Ärger nicht zu steigern. Herrgott im Himmel! soweit ists gekommen mit meiner Schande. Da ich dies erlebe, nimm mit der Ehre mir auch den Verstand. Ich bin bereit, die Schandtat anzuschauen, nur sorge, Caesar, daß man es nicht merkt. Dann siehst du bald, wie grimmig ich mich räche. Einstweilen friste ich mein elend Leben, daß es mir nicht erlösche, ehe ich die niederträchtige Tochter töte und mit meiner Rache dann mein Ende finde. ( E r geht ab)

19. S z e n e E s t r e t e n a u f : C l o d i o u. L i d o r a .

Konst.:

Lid.:

K o n s t a n t i n i m Hintergrund

Jetzt steck ich in einem Knäuel. Wer hat so zu lügen mir beigebracht, und wie besteht mein Ansehn und mein' Hinterlist ? Heute Nacht erfüllt sich dir, Clodio, die gehegte Hoffnung, wenn du kommst, wie ich dir sage, ganz allein und durch den Saal eintrittst, wo in Haft Carola weilt. Nur eine Türe führt dann in mein Gemach herüber. Hier hast du dazu den Schlüssel, den des Herzens gab dir schon meine Liebe.

Vossler, Drei Dramen

12

178

Clod.:

Lid.: Clod.: Lid.: Clod.: Lid.: Clod.:

Karl Vossler

Vielen Dank. Wird denn meine Pein, Lidora, dort die Ruhe finden ? Ja. Still, der Kaiser steht dort hinten. Hat er dich gesehen ? Nein. Geh. Leb wohl. Ich eile, daß schneller mir die träge Nacht kommen möge.

(er geht ab)

20. S z e n e K o n s t a n t i n , L i d o r a , dann ein Diener

Lid.:

Konstantin!

Konst.:

Meine liebe schöne Gattin!

Lid.:

So versunken in Gedanken und so traurig und verblüfft ? Einen Plan ersinn' ich, Liebste, um den Cyprer zu beseitigen, daß wir endlich Ruhe haben.

Konst.:

(Trommelwirbel, ein Diener)

Diener:

Konst.:

Was ist los ? Erhabner Kaiser, siegreich kommt Roselio aus Ägypten und vom Sultan. Sehr gelegen kommt er, seine Tapferkeit verdient den Preis. Ihn beim Einzug zu begrüßen, diesen großen Feldherrn, gehn wir. Eine List hab ich ersonnen, daß die zwei sich töten müssen.

(Alle ab)

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Drei Dramen des Tirso de Molina

21. S z e n e I r e n e als Hirte verkleidet, A n d r o n i o

Irene:

Andr.: Irene: Andr.: Irene:

Staunenswert ist deine Treue, und unsterblich soll dein Ruhm sein, und verewigt soll dein Name, • edler Hirt, auf Marmor strahlen. Gehst du ? Ja, der Weg ist weit bis zum Dorf, und 's ist schon spät. Geh mit Gott. Er schütze dich und verhelfe mir ins Freie. (Sie

tritt ab)

22. S z e n e Andr.:

In Not und Liebe mit verstörtem Sinn verüb' ich Mord an meiner Kaiserin, vergöttre sie und töte sie zugleich, du falsche Welt, weh, du verkehrtes Reich!

23. S z e n e Soldaten tragen einen Tisch heraus, eine Kerze und Würfel und spielen

1. Soldat: Legt das Geld heraus, Soldaten. 2. Soldat: Tiefe Nacht schon ist's. 1. Soldat: Was macht das ? lange Nacht ist kurze Nacht, wenn man spielt. Die Würfel her! Über neun. 2. Soldat: Die Übertreff ich: drei zu elf. 12»

180

Karl Vossler

1. Soldat : 4. Soldat : 2. Soldat : 1. Soldat : 3. Soldat : 2. Soldat : 1. Soldat: 4. Soldat : 2. Soldat : 1. Soldat :

Ich werfe jetzt : da und da. Bei Gott — ich habe ja gewonnen. Ich verloren. Einst war meine Hand so glücklich. Werfet. Acht muß ich erreichen. Vorwärts, nehmt es nicht so schwer. Diese Kerze muß man putzen. Ja, das mach ich. Achtung. Zufall. Sieben, holen. Hole mich der Teufel, wenn ich jetzt verliere.

24. S z e n e Die Vorigen, T a r s o in I r e n e s Kleidung, A n d r o n i o

Andr.:

Tar.:

Liebende sind immer toll, blind, o Herrin, ist die Liebe. Gebt euch mir, bei Gott, dann will ich vor dem wilden Muttermörder euer Leben retten, und beide wollen wir entfliehen. Wozu ich imstande bin, seht ihr nun, drum gebt mir Antwort. Um das Unrecht voll zu machen, hat nur dieses noch gefehlt. Es wird Tag, die Maske fällt. Mut! ich will dem blinden Räuber gleich das Schwert vom Leibe reißen. (Er nimmt ihm das Schwert)

Du kannst jetzt kein Mann mehr heißen,

Drei Dramen des Tirso de Molina

Andr.:

da ein Mann als Frau verkleidet sich als echter Mann erweist und das Ende dir bereitet. Frei, durch mein Verdienst entkommen ist Irene. He, Soldaten, lasset die verdammten Würfel, schlagt mir den Verräter tot. (Alle dringen auf T a r s o ein)

1. Soldat: Ein Verräter ? das ist doch eine Frau. Tar.: Und war es eine, würde auch ein Weib genügen gegen euch und euresgleichen. Andr.: Sterben muß der Hirtenlümmel. Tar.: Euch kann nur die Flucht noch helfen, mit Irenes Kleidung hab ich ihren Mut mir angelegt. (Er geht mitten durch die Soldaten ab)

Andr.: Feiglinge, verfolgt ihn doch! 1. Soldat: Gehn wir. (die Soldaten treten ab) Andr.: Wehe mir, der Kaiser wird mich fürchterlich bestrafen. Besser, ich erwart' ihn nicht. Fliehn wir, retten wir das liebe Leben aus der großen Not. Ein gelungner, ach! und böser Streich wird da gespielt mit mir! (ab)

25. S z e n e R o s e 1 i o und K o n s t a n t i n

Ros.:

So hat meine Schwester durch Leichtsinn ihr Geschlecht entehrt ?

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Karl Vossler

Konst.:

Eos.:

Konst.:

meine Schwester, meine Schwester ? Träum' ich das ? doch weh, 's ist wahr. J a , Roselio, dorthin bring ich euch, wo ihr besagten Frevel selber sehn und diese Venus packen könnt samt ihrem Buhlen. Achtung jetzt, verlorne Ehre, daß dir deine Rache werde. Doch mein Vater darf nicht wissen, Herr, von meiner trüben Heimkehr, bis er durch mich selbst erfährt, daß der Himmel ihm gewährt einen Sohn, der ihn befreit von der Tochter Schändlichkeit. (Er tritt ab) So muß diese List gelingen. •— Lassen wir die Leute reden — daß, nachdem es Nacht geworden, Sohn und Vater sich ermorden. (Er tritt ab)

26. S z e n e Der König von Cypern, dann R o s e l i o , dann C l o d i o

König:

Dieses ist das Welttheater, wo man in der Dunkelheit unsres Stammes Schande darstellt, deine Rache, Ehre und meine Strenge. Deine Rolle ist die bessre, sag sie her, Dunkelheit macht sie nicht schwer, denn die Rachegeister sind überall und immer blind. Ros.: Hieher hat der Kaiser mich (vonderan-in die Dunkelheit geführt, dern Seite) ¿ a ß ^ w i e e j n Luchs betrachte

Drei Dramen des Tirso de Molina

König:

meine Schande. Böse Welt! Und im Dunkeln nehm' ich Rache, bis mein Zorn zu Tage tritt, doch die Nacht hüllt beides ein: Sündenlust und ihre Pein. Schon hör' ich des Ehebrechers Schritte, die mir Schmach bereiten. Frostig Herz, ermanne dich! Da die Schande blutig ist, braucht es Blut, um sie zu tilgen. ( E r zückt den Dolch)

Ros.:

Sei bereit, mein Rächerdolch, wenn der Feind vorbeikommt, reiße ihm die Lebenspforten auf! So verlangt es meine Ehre. Weiß bei Gott nicht, was ich tun soll. Zittern muß ich — aber wo bleibt mein Mut, mein Ehrgefühl ? ( E r zückt den Dolch)

Schwacher Arm, was zitterst du ? doch es zittert auch der Zorn, und die Furcht muß vor ihm fliehn. ( C l o d i o t r i t t zwischen den beiden hervor)

Clod.:

König:

Dieses ist die frohe Stunde, anberaumt für unser Glück, dies das Zimmer mit der Türe, wo Lidora mich erwartet. Hier in Haft wohnt die Infantin. Die Gelegenheit zu nützen, öffne ich. Jetzo, mein Herz, keine Schwachheit. Sterben muß der Verbrecher.

183

184 Ros.:

Karl Vossler

Nieder mit ihm! (Sie erdolchen ihn, der eine von hinten, der andre von vorne)

Clod.:

Weh, ich sterbe. Confesión!

27. S z e n e K o n s t a n t i n , die Vorigen

Konst.:

Daß die zwei sich umgebracht, nehm ich an. Die List war trefflich. Wache, he! bringt Fackeln, Leute. (Fackeln kommen)

Ros.: König: Konst.:

Was ist das ? Mein Vater!

Sohn! Umgewandelt meine Freude, alle beide noch am Leben. Alles läuft verkehrt, zum Teufel! Ros. z. König: Herr und König. König: Prinz, wie kamst du nur hieher ? Ros.: Um dich zu rächen. König: Hab mich jetzt schon selbst gerächt. Sicherlich, erhabner Kaiser, hast du meinen Schaden mir angekündet, und ich habe den Verräter auch getötet. Aber meine Strenge gibt sich solcher Blutschuld gegenüber doch so leicht noch nicht zufrieden. Soll's mit e i n e m Tod genug sein ? Nein, Carola auch muß sterben. (Die beiden treten ab)

Ros.:

Ja, und mit ihr diese Schande.

185

Drei Dramen des Tirso de Molina

Konst.:

Wenn sie tot ist, kann ich sicher mich erfreun an Reich und Gattin. — Ach, unseliger Liberio, du hast es bezahlen müssen. Wer hat dich hiehergeführt in den rettungslosen Tod 1 Bringt ihn weg. Wie geizig war ihm der Himmel — ach Lidora, und wie teuer kommt dir nun deine Liebe und dies Reich.

28. S z e n e C a r o l a , halb nackt

Car.:

Schreckliches Geschick, jetzt kannst du mich nicht weiter mehr verfolgen. Ist dirs immer nicht genug, da ich noch am Leben bin ? Nur die Ehre hält mich hier noch zurück. Wenn ich in Ehren sterben könnte, täte ich es. Diese Pforte führt ins Meer. Fischlein, werdet ihr mich schützen wollen gegen die Verfolgung ? Was hab' alles ich auf einmal, trügerische Welt, verloren! Reich und Ehemann und Ehre, Vater, Bruder und die Kleider. Beinah nackend lief ich weg vor dem Tod und jetzo fliehn wir, arme Füße, in das Meer, ob vielleicht in seiner Flut noch die Welt geordnet ruht, denn auf Festland läuft sie quer.

(ab)

186

Karl Vossler III. A K T

1. S z e n e I r e n e als Hirte gekleidet.

Irene:

Du stolzer Berg, der hinter grauen Wolken die Sternenkrone trägt, wie Nimrot auf zur Sonnenhöhe strebt, zum Himmel sich erhebt, wenn du die Wahrheit, dort wohin sie sich zurückgezogen hat und wo sie thront, erblickst, erkläre ihr, daß jetzt auf Erden schnöde Bosheit haust und kein Gerechter wohnt, und daß es so in unsrem Reiche steht und durcheinander geht. Die Mutter wird bedroht vom eignen Sohne grausam mit dem Tod. Vergebens suchst du nach Erbarmen hier, bei Menschen gibt es das nicht, nur beim Tier.

2. S z e n e T a r s o , als Hirte I r e n e , C a r o l a , ein Seemann

Tars.:

Bei deinen Tieren, bei den Menschen nicht, in deinem Walddickicht such ich Erbarmen, wilde Bergnatur. I h r Tiere, andre Namen gebühren euch, da sie der Mensch ja nur mißbraucht. I n Raserei wollte ein Herrscher seine Mutter morden: die ist n u n flüchtig worden vor seiner Tyrannei. Jetzt komm ich, im Gebirge hier zu leben und will dir Kunde geben:

Drei Dramen des Tirso de Molina

Irene:

Tar.:

Irene: Tar.:

Irene:

187

Heut wohnt in deinem felsigen Revier Tarso, der Hirt, Irenes Schutz, bei dir. Bei Gott, was höre ich ? Jetzt macht mir Mißgeschick schon keine Furcht mehr. Du stattlicher Beschützer in meines Daseins mühevollen Kämpfen, dein Anblick schon erleichtert mir die Zukunft. Ist's möglich, schöne Herrin, daß hieher dich der Himmel hat geführt ? Ich fürcht', es ist ein Traum, doch gibt dein Anblick Leben. Bist du in Freiheit, Tarso ? Frei und lebend. Was man dir antat, rächte ich mutig, da ich deine Kleider trug. Da so zum Frieden sich das Kriegsglück wendet, sei, gütiger Herr, das Elend jetzt beendet. (Hinter der Bühne rufen C a r o l a und ein Seemann)

Car.: Genug der Not! um Gotteswillen Hilfe! Seemann: Nur Mut, o Herrin, denn das Land ist nah. Car.: Wie zornig stürmt das Meer! Gewährt mir euren Schutz, Jungfrau, und Ruhe im Gedräng der Wogen! Seemann: Jetzt ist nichts mehr zu fürchten. Nimm dieses Tau und ziehe. Irene: Tarso, horch: vom Meer her Klagelaute.

3. S z e n e Ein Seemann, triefend naß, zieht an einem Seil, an das C a r o l a, auf einem Brette liegend, sich klammert

Car.:

Ach, ich sterbe.

188 Irene :

Seemann Car.: Irene :

Car. : Irene : Car.: Irene : Car.: Irene :

Karl Vossler

Schau dort: ein Seemann und ein Weib, das sich a n jener Tafel festhält und rührt sich nicht und schweigt. Dem Meer bist du entkommen, Weib, steh auf. Verfolgte ich, unglückliche Infantin! Verfolgte und unglückliche Infantin! ? Welch Unglück bringt in solche Drangsal dich ? Was frag ich lang, wenn e r , der mörderisch mir nachstellt, ohne Sinn und Ordnung lebt ? Carola mein! Infantin, ach! Wer r u f t mich ? Irene bin ich.

Du? Die Unglücksfrau. Die Mutter meines Gatten ? Und ich gäbe, um's nicht zu sein, mein Leben, dem er nachstellt. Car.: I n deiner Gegenwart jetzt sterb' ich glücklich. Umarme mich. Irene : Verhüte es der Himmel, daß meine Augen solch ein Unglück sehen. Seemann : Bei Gott, Irene ist das und Carola, Mutter und Frau des griechischen Monarchen 1 Gewiß sind sie aus Furcht der H a f t entsprungen, aus dem Gefängnis ausgebrochen und entfliehen jetzt. Was warte ich noch lang und meld' es nicht sofort dem Konstantin ? Wenn ich ihm sag, daß sie sich hier verbergen, werd' ich ein großer Herr durch seine Gnade und bin kein Fischer mehr. Lebt wohl, ihr Herren, ich habe die Infantin, ohne sie zu kennen, jetzt gerettet, und bei euch ist sie in Sicherheit und frei. Ich gehe zu meinen Kameraden, die mit mir

189

Drei Dramen des Tirso de Molina

ins Wasser sprangen, als das Schiff im Sturm an überschwemmten Felsen sich zerfetzte. Car.: Noch hab ich nichts, um dir den Dienst zu zahlen, den du mir tatest, doch der Himmel gebe, daß ich dir bald die Hilfe lohnen kann. Seemann: Lebt wohl. (Ich eile, es dem Kaiser melden.) (Ab)

Irene: Car.:

Tar.:

Irene: Car.: Irene:

Du arme Frau! was für ein grausam Schicksal verfolgt uns beide. Dieses Ungeheuer, das unser Unglück dir zum Sohne gab, log meinem Vater vor und meinem Bruder, ich treibe Ehebruch zu ihrer Schmach und fliehe jetzt vor ihrem Zorn. — O weh! welch fürchterlicher Schmerz! Jesus, ich sterbe. Nimm deine Kraft zusammen, laß nicht aus und gehn wir, Herrin, in des Berges Buschwerk, uns Hütten baun aus seinen grünen Zweigen und Betten, wenn auch grobe, aus dem Laub. Mein Feuerstein und Zunder geben Flamme, du kannst die Kleider trocknen und dich wärmen, und mit Gefahr des eignen Lebens will ich hinuntergehn ins nächste Dorf und schauen, was ich zu essen holen kann, wenns gleich ein Kleid mich kostet. Gehen wir schön langsam. Jesus, wie weh das tut! Mein närr'scher Sohn! (Alle ab)

4. S z e n e K o n s t a n t i n , Macrino, Lidora

Konst.:

Jetzt ist wohl Carola tot. Als vor ihrem Vater und

190

Lid.:

Konst.:

Karl Vossler

Bruder durch die Gartentüre sie ins Meer floh, waren diese hinterher, und es ist klar, daß sie sichre Rache nahmen. Meine Mutter auch entwischte; sichrer war' es zwar gewesen, sie zu töten, doch mir ist es recht, wenn's andre Hände tun. — Wird sich finden, wer durch ihren Tod mir die Regierung sichert — und dann treibt sein Ehrgeiz ihn außer Lands, und ich hab' Ruhe. Schließlich würde auch Liberios Tod, trotz seiner Schändlichkeit, Grund, daß wir, schöne Lidora, jetzt in Sicherheit vereinigt das Imperium genießen. Herr, ich kann den Schmerz dir nicht leugnen, den ich, ach, vergebens u m den Bruder fühle, seine Liebe war mir mehr als Bruderliebe, war mir enge Freundschaft. Doch, so wehe es mir t u t , euch zuliebe füg' ich mich und verschmerze seinen Heimgang, und da es mich sehr viel kostet, könnt ihr sehn, wie ich euch liebe. Ja, ihr liebt, seit ich euch liebe. Jetzt kann ich, Gott sei bedankt, mein Imperium regieren, * ohne daß mir Frau und Mutter Furcht und Kümmernis bereiten. Von dem heutigen Tage an will ich unter meinem Namen wie Lykurg Gesetze geben,

191

Drei Dramen des Tifso de Molina

die dann konstantinische heißen. Rufe mir, Macrino, alle die Gefangnen zur Audienz. Da ich den Senat, der bisher Richter in Prozessen war, aufgelöst hab', ist es gut, daß ich selbst das Strafrecht übe. Mac.:

Sogleich geh ich.

(Er tritt ab)

Lid.:

Solche Übung, Liebster, macht in Griechenland euch als Richter offenbar, der die Tugenden verehrt und den Lastern Strafe zuteilt.

Konst.:

Setzt euch hieher. Eure Liebe soll mich führen.

(sie setzen sich)

( M a c r i n o kommt mit einem Berichterstatter)

Mac.:

Herr, schon hast du die Gefangenen vor dir, denen du Audienz gewährst.

5. S z e n e Die Vorigen, die Gefangenen, die vortreten, wie man sie aufruft

Konst.: Ref.:

Konst.: Ref.:

Sage mir der Referent: weshalb ist der Mann gefangen ? Das ist ein berühmter Räuber, der, wie in den Akten steht, schon einmal verurteilt worden an den Galgen. Nur für das ? J a , denn hohe Werte stahl er in dem Laufe e i n e s Jahres aus Konstantinopel weg.

192

Karl Vossler

Konst.:

Mög es ihm recht gut bekommen, laßt ihn frei und tut ihm nichts. Der spartanische Lykurg, dessen klugem Rat ich folge, ordnete wohlweislich an, daß man nie für einen Diebstahl einen Dieb bestrafen soll. Dieser Rechtsordnung zufolge sag' ich: laßt ihn frei, denn groß ist das Risiko des Räubers, daß ihn der Bestohlene samt der Beute noch erwischt.

Mac.:

Schöne Richter!

Ref.:

Überfeine!

Mac.:

Räuber macht ein solcher Freibrief aus den ehrenvollsten Leuten.

Konst.:

Unachtsame Leute sollen Strafe finden unter mir, aber nicht aus Furcht sollt ihr Diebstahl meiden.

Räuber:

Deinem Reiche Heil vom Tiber bis zum Indus! (er tritt ab)

Konst.:

Geh' mit Gott in deine Freiheit.

Mac.:

(Was soll ich mir dabei denken ?)

Konst.:

Bringt den Nächsten.

Ref.:

Dieser Bursche steckt seit einem Monat jetzt im Gefängnis.

Konst.: Ref.:

Und wofür ? Weil er, da er Schneider ist, unverhohlen sich von allem, was er schneidert, gleich die Hälfte wegnimmt.

Drei Dramen des Tirso de Molina

Lid.:

Konst. :

Das ist ein uraltes Laster, das mich nicht mehr wundert, denn sie nähn an ihrem Banner, und das wächst dann immer mehr. Diesem Schaden helf' ich ab, daß kein Trug mehr möglich ist und man niemand dafür einsperrt. Künftig müssen alle Schneider nach Gewicht und Maß ihr Tuch holen, und wenn es vernäht ist und sie's abzuliefern kommen, soll das Kleid gewogen werden, und so können sie nicht stehlen. (der Schneider t r i t t ab)

Lid.: Konst. Ref.:

Geistvoll hast du das erdacht. Weiter. Hier ein Ehemann, der mit seiner Frau seit einem Jahr nicht mehr zusammen lebt und den man mit einer Dirne zweimal jetzt bei Nacht ertappt hat. Konst. : Leichte Sünde. Sag, seit wann bist vermählt oder gequält und verköstigst Frau und Haus ? Ehemann: Herr, zehn Jahre sinds und mehr. Konst.: Zehn, du Ärmster ? Ehemann: Und noch mehr. Konst.:

Zweie hätten schon genügt, um dir Höllenpein zu schaffen; bist ein Märtyrer des Weibes. Geh mit Gott und laß dich nicht mehr auf ein paarweis Leben ein. (der E h e m a n n t r i t t ab)

Man verkünde jetzt in meinem Namen durch das ganze Reich, Vossler, D r e i Dramen

194

Ref.: Konst.

Mac. : Konst.

Ref.:

Konst. :

Ref.:

Karl Vossler

daß der Mann in jedem vierten J a h r sein Weib zu wechseln hat. Mag die Welt darüber staunen. Gegen Christi Lehre geht ihr ? Tut nichts, eine andre Lehre sagt mir, wie gesund es wäre: wie ein frisches Hemd am Leib, all acht Tag ein andres Weib. Griechenland, wie soll das enden! Die Erfahrung bringt mir bei, daß ich es so halten muß. Eheliches Einerlei ist ein schwerer Klotz a m Fuß. — Warum bist denn du gefangen ? Herr, man sah, wie er ein Christus bild in einen Feuerofen warf mit ketzerischer Wut, und dazu versichert er, wie der gotteslästerliche Kaiser Leo, daß ein Jeder, der zu heiligen Bildern betet, Götzendienerei betreibe. Damit sagt er reinste Wahrheit, wie sie mein Gesetz verordnet. Gott im Himmel ist allein anzubeten und kein Götze, tote Säule oder Holz. Gleich verkünde man im Lande, daß es blinde Ketzerei ist, Scheingebilde zu verehren. Mit den Heiligenbildern soll man ein gewaltig Feuer machen öffentlich •— bei Todesstrafe. Großer Herr, besinn dich doch!

Drei Dramen des Tirso de Molina

Konst.: Ref.:

195

So erweis ich Gott die Ehre, und da widersprichst du ? Ja. Höre, Kaiser, und bedenke: Die Verehrung, die man darbringt einem Bild als schmuckem Pfände unsres Menschenschicksals, gilt ja nicht dem Bild, noch seinem Stoff, sondern dem, was es bedeutet. Solch ein Bild ist wie Erzählung, die uns in katholischen Tempeln wunderbare beispielhafte Taten derer, die im Himmel thronen, ins Gedächtnis ruft. Wenn der Christenglaube Bilder, weil sie hölzern oder silbern sind, anbetete und nicht seine Frömmigkeit vertiefte, dann wär' ohne Zweifel heidnisch jeder, der ein bloßes Bild heilig hielte, ein Stück Holz oder Brett vergötterte und um dessen Gunst sich mühte. So wie man dein Herrscher-Siegel gelten läßt um deinetwillen, nicht etwa, weil es aus Gold ist, sondern deiner kaiserlichen Würde halber, die es darstellt, und wer d i e mißachtete und sie in die Flammen würfe, der verletzte deine Würde, deine eigenste Person wie ein närrischer Übeltäter. So verehrt denn auch das Volk, das von seinen himmelhohen 13«

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Karl Vossler

Heiligen ferne weilen muß, deren Angedenken in ihren frommen Bildern nur. Wenn du nun in blindem Wahne deines Volkes Heiligenbilder läßt verbrennen, ists dasselbe, wie wenn du die Heiligen auch ins Feuer werfen ließest. (alle e r h e b e n sich)

Konst.:

Nehmt mir diesen Schwätzer fest und laßt sehn, obs einen Heiligen gibt, der ihm zu Hilfe kommt. Gebt ihm solang nichts zu essen, wie er diese Bilder hochhält. Ich will sie mit Füßen treten. Götzendiener, wer sie ehrt! Damit zeigst du, Griechenland, dich als das verkehrte Reich. 6. S z e n e Der K ö n i g v o n C y p e r n u n d R o s e Ii o.

Ros.:

Wie der Seemann uns gesagt hat, haben wohl des Meeres Wellen, Vater, bitterlich die Schande unsres Stammes weggeschwemmt, und in ihrer Tiefe bergen sie das buhlerische Weib und verdecken deine Schmach, daß die Welt nichts mehr erfährt. Kannst zurück nach Cypern kehren. Wenn Carola ihre Ehre fleckig werden ließ, so hat jetzt das Meer durch ihren Tod alles wieder rein gewaschen.

(Alle a b )

Drei Dramen des Tirso de Molina

König:

Wie soll denn das Meer mir meinen tiefen Schmerz verwaschen können, wenn sein Wasser kaum genügt, Ehrenflecken auszutilgen ? Ach, Roselio, ich kann mir gar nicht denken, daß Carola solche Schmach begangen hat, und ich fürcht', es ist Erfindung des gewissenlosen Kaisers.

Ros.:

Eben das ist der Verdacht, der auch mir die Sieele lähmt. Horch, ein Hirte kommt herbei, und ich möchte gern erfahren, wo wir sind in dieser Wüste.

König:

7. S z e n e L e o n o i o als H i r t e und die Vorigen.

Leon.:

Himmel, wohin soll ich gehn und auf wen die Hoffnung setzen ? Welches Mißgeschick verfolgt mich ? Vor wem flieh ich, wenn ich doch selbst mein größter Gegner bin und ein rechter Unglücksrabe % Soll nun dies die Ruhe sein, für Leoncio zubereitet ? Dies das griechische Kaiserreich und die freie Welt für mich ? Spiel und Foppereien treibst du, Welt, mit deinem falschen Schein; deine Ehren waren Flitter, und dein Hohn ist scharf und bitter.

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198

König:

Karl Vossler

Welch ein froher Tag ist heute, da der Himmel mir erlaubt, daß mit eigner Hand ich räche Eure Schmach und auch die meine! (beide erfassen ihn und zücken ihre Dolche)

Leon.: Ros.: König: Leon.:

Ha, Verräter, hier bezahlst du mir dein Unrecht und entkommst nicht, denn der Herrgott kennt und macht das Geheimste offenbar. Hier Roselio und der König ? Halt und hört mich doch zuvor! Was hab' ich dir je getan, daß du so mein Blut entehrst ? Ehrenräuber du, ich lege dir für immer jetzt das Handwerk. Wenn du dich zu Recht mit meinem Tod entschädigst, sterb' ich gern; aber höre mich zuvor und laß dir Genüge tun. Deinen Groll kann ich mir denken, und er kommt wohl davon her, daß ich dich hab' glauben lassen, du seist schwer beleidigt worden. Als sich Konstantin vermählte mit Carola, wollte er in der Brautnacht statt der Gattin eine andre Dame haben. Davon setzt' er mich in Kenntnis und befahl, dafür zu sorgen, daß von diesem schnöden Trug die Infantin nichts bemerke. Ich jedoch, der in der Liebe zu Lidora ganz entflammt war, legte alles anders an und vertauschte Bett und Kammer.

Drei Dramen dea Tirso de Molina

König:

Ros.: König:

Leon.: König:

Bei der Gattin schlief der Kaiser, die er für Lidora nahm, und zur gleichen Zeit verstellt' ich mich als Konstantin und hatte meine Freude an Lidoras Schönheit in des Kaisers Namen; und so rächte ich zugleich die Infantin, meine Herrin. Da ich fürchtete, man könnte meine List entdecken, hüllt' ich mich zum Schutz in Hirtenkleidung. Siehst du darin eine Kränkung, König, töte mich, doch glaub' ich nicht, daß du es so beurteilst. Nein, im Gegenteil, Leoncio, am Gesicht seh' ich's dir an und bin sicher, daß du Wahrheit mir erzählt hast, denn im Innern meines Herzens hier hab' ich es schon ahnend so erfaßt. — Sag, Roselio, was meinst du, hatte ich nicht recht, zu zweifeln ? Ich bin überrascht. Verräter Konstantin, jetzt zeigt es sich, daß du Grieche bist und abstammst von Odysseus' Lügenkünsten. Möge mir die Parze meinen Lebensfaden jetzt im hohen Alter so lang noch verschonen, bis ich dir dein Reich zerstöre und den Tod der Tochter räche. Carola tot! Um Gottes Willen! J a , mein Freund, sie ist gestorben, doch in mir lebt ihre Rache.

199

200

Karl Vossler

Leon.:

Die ist dir gewiß, wenn du gleich zurückkehrst in dein Reich, dann mit Waffen und Soldaten plötzlich über Griechenland auf den Zinnen von Stambul, wo sich unser Feind verbirgt, deine Kriegsstandarten aufpflanzst. Während du dein Lager rüstest, fahr' ich in Person hinüber zu den Truppen nach Armenien, wo sie ohne Führer warten, reize sie zur Meuterei gegen diesen Unbedachten, der uns alle will verachten. Diese Truppen sind nicht schwer zu gewinnen, denn schon lange sehn sie sich von ihm vergessen, und seit einem Jahre schon zahlt er ihren Sold nicht mehr und läßt alle ohne Lohn.

König:

Gut, mit dieser Hoffnung will ich reisen. Und ich ebenso.

Leon.: . König:

Laß mir, Tod, noch so lang Zeit, bis die Rache mir gedeiht.

(beide ab)

8. S z e n e Lidora sitzt vor dem Spiegel am Toilettentisch; C a m i l a , ihre Zofe

Cam.: Lid.:

Welches Kleid willst du dir anziehn ? Irgendems — das violette und durchbrochene aus Leinwand.

Cam.:

Damit siehst du traurig aus.

D r e i Dramen des Tirso de Molina

Lid.: Cam.: Lid.: Cam.:

Lid.:

Cam.: Lid.: Cam.: Lid.: Cam.: Lid.: Cam.: Lid.: Cam.: Lid.: Cam.: Lid.: Cam.: Lid.: Cam.:

Traurig ? Kein Gedank' von Trauer. Violett ist doch die Liebe ? J a , doch ist es auch die Farbe für Quaresima und Advent. Dann heraus das türkisch-blaue! Überlaß das Blau dem Himmel und vermeide Eifersucht. Mattes Rosa wäre gut und ist eine ernste Farbe. Laß doch deinen Eigensinn. Rosa paßt nicht für mein Alter, weder matt gefärbt noch welk. Dann das Kleid in rosmarin. J a , die Farbe ist vorzüglich, doch den Namen mag ich nicht. Magst du nicht ? — Ich mag ihn nicht. Und warum nicht ? — Merkst du nicht, wie er ärmlich riecht und schmeckt, wie ein Arme-Leute-Pulver ? Dann bring ich das dunkelgrüne. Dunkelgrün! wie wandelt da meine Hoffnung sich in Trauer! Nicht mehr sicher meine Liebe ? Zieh das weiße an. Ein Neuling bin ich dann, der sich bewaffnet. Strohgelb ? Bin doch nicht verzweifelt. Hochrot ? Das ist mir zu grausam. Meergrün ?

201

202 Lid.:

Cam. Lid.: Cam. Lid.:

Karl Vossler

Macht mir keine Freude, denn wenn Hoffnung auf dem Meer schwimmt, dann muß sie ertrinken oder Sturm und Ungewitter dulden. Leonfarbig — das gefällt mir. Heiß' doch ich nicht Leonore und bin nicht danach gestimmt. Zieh das schwarze an. Das ist doch die beste aller Farben, drum bin ich damit zufrieden, denn auf schwarzem Grunde nimmt sich jeder Prunk vorzüglich aus. Setz' die goldnen Knöpfe drauf, daß man's nicht für Trauer hält. 9. S z e n e ( K o n s t a n t i n tritt auf)

Konst.:

Lid.:

Konst.

Meine Sehnsucht, dir ergeben, kommt, um dir zu huldigen. Meinen Sitzungssaal, wo tausend Unterhändler und Gesandte wichtige Geschäfte fördern, hab' ich deinethalb verlassen, denn mit dir hat meine Seele tausend Dinge zu verhandeln und ist friedlos ohne dich. Laß doch erst mich putzen, Liebling, mußt du meine Fehler sehen, statt zu warten, bis ich schmuck bin ?! Ja, man sagt, die Frauen haben zwei Gesichter: schön das eine, und das andere sei häßlich. Schön, wenn sie gut hergerichtet,

203

Drei Dramen des Tirso de Molina

Lid.: Konst.: Lid.: Konst.: Lid.: Konst.: Lid.:

Konst.:

Lid.:

dem Geschmack vergnüglich schmeichelt und die Sinne uns erfrischt. Aber wenn sie morgens aufsteht, sagt man, ist sie fürchterlich: ein Gesicht, nur roh skizziert, wirkt nicht lieblich, sondern schreckhaft. So hätt' ich auch dich beurteilt, hätt' ich jetzt dich nicht gesehen. J a , ich weiß, obgleich ein Weib, hast du nur dein einzig Antlitz. Hast mir Spaß gemacht. Ein wenig höher bitte diesen Spiegel. So ? Jawohl. Halt' fest die Haare. Sonnenstrahlen, willst du sagen. Nun, gefall ich dir ? Jawohl. Weiß nicht, wie es kommt, daß ich nicht mehr in den Spiegel schau' und nur dir mich anvertrau', und in dir da spiegl' ich mich. Laß ein paar von diesen Haaren ungebunden; es ist lieblich anzusehen, wenn im Lufthauch sie dir um das Antlitz spielen. — Jetzo ist dein Putz vollbracht, sieh dich an, geliebte Frau. Hat sie sich nicht schön gemacht mir zu ehrenvoller Schau ? Nein, wahrhaftig, mehr verdienst du, häßlich ist sie, dumm und plump. Schau doch du dein Bild dir an und wirst sehn: das ist ein Mann! ( K o n s t a n t i n blickt in den Spiegel und zuckt entsetzt zurück)

204

Karl Vossler

Konst.: Lid.: Konst.:

Lid.: Konst.: Lid.:

Konst.:

Weh! Was ist ? Ein Mann in Waffen, sein Gesicht und Körper ganz wie Leoncio, der mich töten möchte. Du bist spaßig. Willst du mich vielleicht zum besten haben ? Wäre ich dann so bestürzt ? H a b ' ihn doch genau gesehen! J a , Leoncio, den Toten, hat man dir hieher gebracht. Schweig, das ist ja Faselei. Wehe, schaff' ihn doch beiseite! Siehst du ihn nicht, wie er dasteht ? (er b e s p i e g e l t sich n o c h m a l s )

Lid.: Konst.:

Nur mein Spiegelbild seh ich. Irgendeine Hexe trachtet mir mit solchen Zauberkünsten nach dem Leben, aber diese Listen können mich nicht schrecken. Darin bin ich wie Odysseus. Da Leoncio schon tot ist, wie soll er mir schaden ?

10. S z e n e (Ein Seemann und M a c r i n o treten auf.

Die V o r i g e n )

Seemann: Darf ich ? Mac.: Warte draußen, Unerzogner! Seemann: Wenn der Kaiser da ist, h a b ' ich ihn zu sprechen. Herr, ich bin nur ein armer Seemann und weiß, daß du Belohnung zahlst,

205

Drei Dramen des Tirso de Molina

wenn von Kaiserin Irene man dir eine Nachricht bringt. Konst.: Hast du eine ? Seemann: J a , vernimm: In den nächsten Bergen bei Stambul weilt sie, und du kannst sie und auch Carola leicht fangen, denn ein Hirte nur ist ihr einziger Beschützer. Konst.: Ungemessner Lohn gebührt dir, meine Gunst gibt dir den Preis. Deine ganze Lebenshaltung soll sich heben, meiner Treu! R u f t mir sogleich meine Jäger, denn ich will hinaus zur Jagd. Dabei muß ich euch begleiten; Lid.: eine solche J a g d verspricht eine wunderbare Beute. Jagd muß sein auf meine Mutter, Konst.: denn ihr Leben ist mein Tod. Um zu leben, töt' ich sie. Bring das Flügelkleid, Camila, Lid.: mir, das Grün mit Silberblättern.

11. S z e n e ( L e o n c i o als Hirte und Soldaten)

Leon.:

Griechenlands Soldaten, ihr, und ihr tapfren Offiziere, eures Vaterlandes Schutz, eurer Gegner Schreck und Staunen, die ihr schon so manchesmal Mohrenbanner ohne Zahl, allen Christen ein Entsetzen,

(ab)

206

Karl Vossler

weggerissen habt in Fetzen, ihr, die Sieger über Scharen ferne wohnender Barbaren, Perser, Ungarn und Tartaren, Polen auch und gotische Heiden, ihr Hellenen, wollt ihr leiden, daß ein Bube euch regiert ? ein verwirrter Narr und Schwätzer • euer Kaiser sei, ein Ketzer ? Denkt an euren hohen Wert, an den großen Konstantin, seinen Thron und seinen Lorbeer! Wißt ihr, wem sie jetzt gewähren diese Lorbeern, diese Ehren ? Wollt ihr seine Taten kennen 1 Hört mich an, ich will sie nennen. Eure Kaiserin Irene, die im Feld euch alle führte, tapferer, obgleich ein Weib, als der große Alexander, wollte er gefangen halten und ermorden, doch sie floh in verlassne Wüsteneien, wo bei Tigern sie und Bären jetzt in der Verbannung haust. Mit des Cypernkönigs Tochter ließ er ehelich sich trauen, dann verschmähte er sie schnöde in der Hochzeitsnacht und nahm ihre Zofe sich zur Gattin, gegen göttliches Gesetz. Den Senat hat er gemordet, in Verbannung lebt Andronio. Einen Preis auf meinen Kopf setzt' er, und ich flieh' als Bauer.

Drei Dramen des Tirso de Molina

Dies ist aber alles gar nichts, denn mit Schrecken sehe ich, wie er Gott den Herrn nicht ehrt. Christi und Maria und aller Heiligen Andachtsbilder wirft er wütend in das Feuer und verbietet ihren Kult. Kerker, unterirdische Zwinger sind mit Gläubigen gefüllt, die als Märtyrer entschlossen widerstehn den Blasphemien dieses rasenden Barbaren. Der soll euer Kaiser sein, diesen wollt ihr leben lassen, ihr im Kampf erprobte Krieger ?! Liegt euch etwas an den Schätzen, die er unter euch verteilt ? Sicher nicht, denn diese gönnt er nur den Schmeichlern, Dirnen, Schelmen, Spießgesellen seiner Laster, denn seit einem Jahr schon seid ihr unbesoldet und verachtet. Auf denn, vielgerühmte Krieger, schüttelt diese üble Last ab von euren wackern Schultern! Tod dem griechischen Tyrannen, der ein Schandfleck in der Welt ist! Eine Stimme: Alle: Leon.:

Alle:

Unser Kaiser sei Leoncio, er soll herrschen. Hoch Leoncio! Nein, Soldaten, einen Andern gibt's, des ehrenvollen Amtes würdigern. Leoncio hoch!

207

208

Karl Vossler

Leon.: Alle: Leon.:

Eine Stimme: Alle:

Heut in eure Hände lege, Ost-Legionen, ich mein Leben. Hoch Leoncio! Hoch Leoncio! Da ihr mich zum Kaiser macht, übernehm ich's, eure Sache zu verteidigen. Marschiert alle auf Konstantinopel, dort erwartet mich der Cyprier mit Bewaffneten, die ihm die erlittne Unbill rächen. Gütiger, barmherziger Himmel, schon gewiß und schon vollendet seh' ich das verheißne Glück meines Reichs, erlaube nicht, daß es jämmerlich zerfällt. Auf nach Griechenland, Soldaten! Reiche Beute winkt euch dort. Tod dem Narren Konstantin! Hoch Leoncio! Hoch Leoncio! (sie tragen ihn auf

den A r m e n ; i m Hintergrund L ä r m u n d Geschrei einer J a g d )

12. S z e n e ( K o n s t a n t i n , M a c r i n o u n d andere, d a n n L i d o r a )

Konst.:

Nicht wilde Tiere jage ich, noch will ich, daß hinter Bär und Tiger Hunde bellen. Seid still, betäubt mir nicht die ganze Gegend, denn diese Jagd hat einen andern Sinn. Wollt ihr mir eine Freude machen, jaget anstatt dem Eber meiner Mutter nach. Nach dieser Beute nur steht mir der Sinn.

Drei Dramen des Tirso de Molina

Lid.:

209

Was macht ihr, Jäger, liefert mir Carola!

(Im Jagdkostüm)

Konst. :

Lid.: Konst. :

Lid.:

Du neue Diana, könnte Phöbus dich in diesem Aufzug sehen, müßte er als seine Daphne dich wie einst verfolgen und dich zum zweiten Mal genießen wollen. Da ich an euch nur mich erquicken kann, müßt ich Apollos Liebe scheu vermeiden. Der Gott der Sonne wird beleidigt sein, wenn er das hört und wird an euch sich rächen mit seines Lichtes heißer Übermacht. Drum laßt euch, Liebste, dort am Fuß der Eiche ein Zelt errichten, während ich, solang ihr weg seid, euch zulieb nach meinem Plan erjage meine Mutter samt Carola. Erhascht ihr die Infantin, will ich's euch mit neuen Gunstbeweisen wahrlich lohnen. Und da Apoll sich zum Zenit erhebt, so lebe wohl, mein Gatte!

Konst. :

Lebe wohl! Und jetzt durchsucht mir, Freunde, Busch und Fels! Wer heute meine Mutter finden kann, den mache ich zum ersten Jägersmann.

1. Jäger:

2. Jäger:

Wem das gelingt, der kann sich glücklich preisen. So gehe jeder seinen eignen Weg und suche in dem dichtesten Gebüsch. Du hast wohl recht, drum gehe ich allein.

Konst. :

Ich habe Lust, zu schlafen.

Mac.:

Lege dich am Rande dort des klaren Bächleins nieder oder im Schatten jener Buchen dort. Ich will dir Wache halten.

Vossler, Drei Dramen

14

210

Karl Vossler

Konst.: Mac.:

Geh nicht fort.

(er legt sich schlafen)

Das stille, buschumhegte Plätzchen mit Gezweig von Reben und von Tamarisken lädt ein zur Ruhe. Gute Nacht, er schläft schon. Ich geh' zu meinem Dornenbusch, dort nistet die Nachtigall, ein freundliches Quartier. Wie doch der Schlaf den Menschen so verändert! Man sagt mit Recht: er ist des Todes Abbild. (er legt sich schlafen)

13. S z e n e ( B s erscheint ein großes B a d , unten der schlafende K o n s t a n t i n , auf d e m Gipfel sitzt I r e n e , b e w a f f n e t mit Schwert, E r d k u g e l und K r o n e , auf der einen Seite aufsteigend C a r o l a , auf der andern L e o n c i o , den K o p f nach unten wie i m Sturze, abseits F o r t u n a mit verbundenen A u g e n ; sie spricht zuerst a u s d e m Hintergrunde)

Fortuna: He, Konstantin! Konst.: Wer stört im Schlafe mich ? Fort.: Die wandelbarer als der Mond ist und beim besten Wetter sprunghaft sich verändert. Konst.: Was willst du, blinde, unerwünschte Göttin ? Fort.: Den Stuhl, der viel zu hoch für dich ist, stürzen. Konst.: Was ist das für ein Rad ? Fort.: Das Rad Fortunas. Konst.: Ich saß doch oben, wetterwendisch Rad, und soll jetzt unten sein ? Fort.: Es dreht sich eben. Konst.: Wer ist dann die, die auf der Höhe jetzt den Thron, den ich erobert', hält besetzt ? Fort.: Irene ist's, die strenge Kaiserin, die deiner sich als Mutter schämen muß, und bald wirst du erfahren, wie ihr Sinn dich straft für all den Ärger und Verdruß,

Drei Dramen des Tirso de Molina

Konst.: Fort.: Konst.: Fort.:

Konst.:

Fort.: Konst.:

Fort.: Konst.: Fort.: Konst.:

211

der Heiligen, im Bild von dir geschändet, so daß sie dir die scheelen Augen blendet. Schreckliche Aussicht! Närrische Fortuna, so schwere Strafe für so leichte Schuld! Für das, was du verdienst, ist es noch wenig. Wer ist dann diese, die zu meinem Neid an deinem Rad nach oben sich bewegt ? Carola ist's, die schuldlose Infantin, der lächelnd ihr verschämtes Glück soeben zum Aufstieg hilfreich hat die Hand gegeben. Sie ist es wert. Und wer ist der Soldat, dem du die kaiserliche Krone gabst und so behende wieder abnimmst und den du zu Boden wirfst aus solcher Höhe ? Leoncio ist es, der das Reich dir wegnahm und den Irene faßt. So teilst denn du den Absturz und den Aufstieg aus. Ist's sicher, daß er der Kaiser ? Ja. Also nicht tot ? Zu deinem Schaden ist er wild lebendig und kommt jetzt, dich zu fangen. Heda, Wache! (Die Vision verschwindet)

Philipo, Lesbio, Alessio, kommt denn niemand ? Macrino ?!

14. S z e n e ( K o n s t a n t i n und M a c r i n o )

Mac.: Konst.:

Herr, wer macht dir solche Angst ? Ergreif Leoncio! zieh dein Schwert und töte Irene! 14*

212 Mac.: Konst.: Mac.: Konst.: Mac.: Konst.: Mac.: Konst.:

Mac.: Konst.:

Karl Vossler

Schau, ich hab' es schon gezogen. Carola töte! Herr, beruhige dich! Siehst du Leoncio nicht als Griechenkaiser ? Du träumst, es ist ja hier kein einziger Mensch, den du in irgend etwas fürchten müßtest. Dann siehst Fortunas Rad du also nicht ? Was für ein Rad ? Ich sah Fortunas Rad, und auf dem Gipfel in des Mondes Höhe thront' meine Mutter als die Oberste. Carola steigt empor, Leoncio stürzt, und ich am Boden fürchte das Gefängnis. Laß ab, beruhige dich, mein hoher Herr, an Träume glauben hat ja keinen Sinn. Leoncio auf meinem griechischen Thron ?!

15. S z e n e Zwei Diener, einer nach dem anderen treten auf, die Vorigen

1. Diener: Entflieh' dem Tode, tapfrer Konstantin! Leoncio mit armenischen Soldaten verfolgt dich. Konst.: Also siehst du doch, Macrino, wie recht ich träumte. 1. Diener: Alle deine Leute begrüßen ihn als Kaiser des Orientes. Er ist in Stambul eingezogen, und der Patriarch reicht ihm die Krone dar, und da er weiß, daß du zur Jagd hierherkamst, betreibt er deinen Tod. 2. Diener: Mein großer Herrscher, der Cypernkönig sperrt das Meer am Fuße der Berge hier und wirft uns eine Menge bewaffnet Volk ans Land mit Kriegsgeschrei.

213

Drei Dramen des Tirso de Molina

Konst.:

Und alle gegen mich. Mich wundert's nicht, war ich doch gegen alle. Und wie kann ich dem Tod entgehen, wenn der heilige Himmel mir feindlich ist und seine Gunst mir weigert ? Ich folgte meinen Lastern, bis sie unter dein Rad mich warfen, trügerische Fortuna. Aus welchem Grund willst du mich jetzt verdammen ? Doch weh! Ich warf die Heiligen in die Flammen. (ab)

16. S z e n e (Carola, in Tierfelle gekleidet, tritt auf)

Car.:

Zürnende Fortuna, wenn ich unter Tieren lebe, dacht' ich, wärest du zufrieden und ließest mich in meinem Unglück. Da du aber immer noch mich verfolgst, so brauchst du wohl meinen Tod — wozu denn nur ? Wann willst du ein Ende machen, sprich, mit deiner wilden Rache ? Habe Mitleid doch mit mir, bin ja auch ein Weib wie du. Aber ach, ich glaube, jetzt ist mein Ende schon gekommen. (Hinter der Bühne Trommelwirbel)

17. S z e n e L e o n c i o mit marschierenden Soldaten, C a r o l a

Leon.:

Kaiser bin ich nicht, solange dieser Konstantin noch lebt. Suchet ihn, ich will mit Strenge

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Car.:

Leon.:

Car.: Leon.: Car.:

Karl Vossler

ihn zu seinem Schimpf und Schaden auf der Jagd nach diesem Jäger jagen durch das ganze Reich. Doch was ist das hier für eine Frau, die traurig einsam weint ? Himmel, ist es nicht Carola, die Infantin ? Cypern jubelt, wenn ihr's seid, und Botenlohn zahlen wir für solches Glück. Was ist das ? Leoncio, kommst du, um das Leben mir zu nehmen ? Schickt nach mir dich etwa Kaiser Konstantin ? Oh Herrin, jetzt bin der Kaiser ich allein. Euch gefallen, das gefällt mir! Griechenland gab mir die Krone für den ganzen Orient, und von eurer Unschuld ist Cyperns König unterrichtet. Zu gerechter Rache kommt er jetzt mit seinem Heer für mich. Wenn er wie Roselio euch tot glaubt, konnte ich ihn doch glücklich machen mit der Botschaft eurer großen Tapferkeit. Steht gereinigt meine Ehre wieder auf, war's wenig Schaden. Wie habt ihr allein in dieser Öde euch ernähren können ? Glücklich fügte es mein Schicksal, daß ich, beinah' tot, entkam aus dem Meere und am Land mir Irene Lebenskraft spendete. Sie hatte hier

Drei Dramen des Tirso de Molina

in Begleitung eines Hirten auf der Flucht vor Konstantin in der Wüste bessern Schutz als bei ihrem eignen Sohn. Leon.: Für verloren halt' ich mich, (für sich) zeigt Irene sich im Lager. Wenn ich Kaiser sein will, muß ich ihr sofort das Leben nehmen, ehe man sie noch erkennt, (laut) Sagt mir, wo sie ist, Infantin. Car.: Und was ist dann deine Absicht ? Leon.: Ehre ihr als meiner Herrin will ich antun, denn sie hat Leben mir und Stand gesichert, (für sich) Doch mein Herz hat andre Absicht. Car.: Gehn wir dorthin, wo sie sich vor dem eignen Sohn verbirgt. Leon.: Jetzt befürchte ich mein Unglück. (Rufe im Hintergrund)

Alle: Leon.: Alle: Eine Stimme:

Hoch Irene, hoch Irene! Tückisches Glück, was soll das werden ? Hoch Irene! Sie soll leben! Ihr sei unser Reich gegeben!

18. S z e n e Ein Soldat tritt auf, die Vorigen

Soldat:

Herr, dein ganzes Lager meutert. Schau, wie du dich retten kamist. Im Gebirge, wo Irene sich verbarg mit einem Hirten, wurde sie vom Heer erkannt und als Kais'rin ausgerufen,

215

216

Leon.:

Alle: Leon.: Eine Stimme: Car.:

Karl Vossler

und beschimpft wird schon dein Name und sogar dein Tod gewünscht. Unbeständige Fortuna, ach, wie kurz war deine R u h e ; hast auf deinem schnöden Rade mich zum Kreis des Monds erhoben, und schon beugst und schmähst du mich. Hoch Irene, sie soll leben! Warum ließest du mich steigen, wenn du mich so schnell erniedrigst ? Hoch die Kaiserin Irene! Nieder mit Leoncio! Himmel, da Irene herrscht, worauf wart ich ? Doch da kommt sie.

19. S z e n e Irene und Soldaten treten auf. D i e Vorigen

Irene:

Hört, Soldaten, wer Verrat übt an seinem Kaiser, muß mindestens Gefängnis leiden. Wenn er dann als Grund mir angibt, daß des Kaisers Wahnsinn ihn zwang zum Ungehorsam und zur Beseitigung seiner Herrschaft, sage ich, daß kein Gesetz einem Lehensmann erlaubt, seinen König abzusetzen, sei auch dieser noch so schlimm. — Nicht mit Tod will ich dich strafen, wenn dein Fehltritt es auch fordert, da des Kaisers Ketzerei dich so weit hat bringen können.

Drei Dramen des Tirso de Molina

Leon.:

Irene:

Car.:

217

Aber mit Gefängnishaft will ich deinen Treubruch strafen. Laß mich deine Füße küssen, ich gestehe meine Tollheit. Mögest tausend Jahre lang du am Erdkreis dich erfreuen, der dich jetzt zum zweiten Mal anerkennt als seine Herrin. Jetzt, Infantin, sind die Leiden unsrer Flucht beendigt, und über uns ist klarer Himmel. Neben mir sollt ihr regieren. Seid willkommen! Schon betracht' ich überstandnes Weh als Glück.

Irene:

Holet mir den Feind herbei! Züchtigen will ich die Bosheit, die er Vielen angetan hat. Bin zwar seine Mutter, doch die m e i n e ist Gerechtigkeit. Was ist los ? (Trommelwirbel)

20. S z e n e Marschierend treten auf: der König von Cypern, R o s e l i o und Soldaten. Sie bringen L i d o r a und den entwaffneten K o n s t a n t i n . Andronio, Tarso

König Tyrann und Mörder! v. Cypem: Nero du in deinem Reiche und vor Gott Diocletian! Da der Himmel dich verfolgt, zwang er mich, daß ich hier lande und das Unrecht räche, das du mir getan.

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Konst.: Car.:

König:

Ros.: Car.:

König:

Tar.: Car.: König: Car.:

König:

Karl Vossler

Unselige Jagd! Ist das nicht mein Vater hier ? Himmel, und mit meinem Bruder! Vater! Wenn die Sehnsucht mich nicht verwirrt — ist das Carola ? Aber nein, sie ist ja tot. Schöne Schwester, bist du's ? lebst du ? Nur mein Unglück ist gestorben. Mein von euch verfolgtes Leben hat das Meer mir doch gelassen. Späte Jahre, graue Haare, Freude ist euch noch beschieden. Schlinge, Tochter, deine Arme um dies greisenhafte Haupt, daß ich sterben kann in Frieden. Glückliche und frohe Jagd! Grüß die griechische Kaiserin. Wen ? Irene, die uns heute so viel Gutes hat gebracht, daß das griechische Volk mit Freuden ihr zum zweiten Mal die Herrschaft überträgt. Ihr hohe Frau ? Auf dem Gipfel meines Glückes ist mein Alter angelangt. Da der Himmel nun gewollt hat, daß ihr nochmals wunderbar zum Imperium emporsteigt, da es der Tyrann verlor, sollt jetzt ihr ihn richten, Herrin. Zwar hab' ich ihn im Versteck aufgestöbert, und ich dachte mich an ihm zu rächen, aber

Drei Dramen des Tirso de Molina

Irene:

Car.:

Irene:

da euch Gott das Richteramt gab, so müßt jetzt ihr ihn strafen mit Barmherzigkeit als Mutter und mit Strenge als sein Richter. Ebenso muß diese Närrin jetzt von euch gerichtet werden, wenn sie auch als junges Weib mir bedauernswert erscheint. Weiser König, die Gefangnen übernehme ich von euch, und wie einst Trajan in Rom, will ich ans Gesetz mich halten und in Griechenland ein Beispiel geben, das der Welt entspricht. Mutter bin ich, doch den Sohn, der Verrat übt, laß ich blenden. Tut das nicht, wenn es erlaubt ist, daß für Konstantin in dieser Sache seine Gattin sich flehend euch zu Füßen werfe. Wenn ich's wert bin, so verzeiht ihm. Beide knieen wir vor euch. Richterin in Gottes Sache muß ich sein, durch Bitten werd' ich nicht erweicht. Führet ihn ab in den Turm und legt mir alle seine vielen Laster vor, daß der Rechtsspruch gut bekräftigt, nicht erweicht durch Frauentränen, so gedeihe, daß der Welt und dem Herrgott und den Heiligen ihre gute Rache wird. — Dieses Weib, das euch bedient hat, werde jetzt von euch bestraft. Da sie eure Zofe war

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Car.:

Irene:

Leon.: Lid.: Irene:

Tar.: Irene: Tar.: König:

Karl Vossler

und als solche euch gekränkt hat, weiß ich keine bess're Strafe, als sie ihrem größten Feind, euch, Infantin, auszuliefern. Nein, in diesem Falle darf ich so zu ihr mich jetzt nicht stellen. Wenn dagegen meine Bitte noch etwas vermag bei euch, möcht' ich für Leoncio jetzt Verzeihung gleich erreichen, falls er, wenn es euch gefällt, mit Lidora sich vermählt. Recht ist's, daß sie sich verbinden Kaiser waren sie ja beide gleicherzeit und sind gestürzt aus der Höhe ihrer Ehrsucht. Sie sei seine Gattin — und wenn er nicht will — tötet ihn! Herrin, ja, ich will Lidora. Einverstanden! Blindes Glück! Tarso, erster Sekretär sollst du werden, und dies Amt wird uns deinen Wert beweisen, den die Welt beneiden muß. Deinen Füßen meinen Kuß! Doch ich bin noch nicht zufrieden, besser will ich dich belohnen. So bezeugst du deine Größe. Herrin, ich bin reich genug. Nun will ich euch auch noch bitten um Verzeihung für Andronio. Gebt ihm seine Stellung wieder. Auf der Flucht vor Konstantin suchte Hilfe er bei mir.

Drei Dramen des Tirso de Molina

Tar.:

Irene : König: Irene : Tar.:

Irene :

Car.:

Irene :

Ros. : Irene :

Alle: Eine Stimme : Alle:

Mag's genug sein an dem Streiche, den ich ihm, als Frau verkleidet, strafend spielte. Gern gewähr ich, König, was ihr wollt. Und ich bin euch tausendfach verpflichtet. Tarso, wo habt ihr mein Enkelkind gelassen ? Wohl verborgen hab' ich es in einer Eiche vor der tödlichen Bedrängnis, als uns Konstantin verfolgte. In des Enkels Namen will ich das Imperium inne haben. Geh' ihn holen, und nach Stambul bringen wir ihn zu der Taufe. Dann mit ihm und meinem Vater kehre ich zurück nach Cypern, denn ich kann es nicht ertragen, hier im griechischen Reich zu leben, das der Kerker Konstantins ist. Bleibe sonach der Infant hier als General und Kriegsherr mir im ganzen Reich und Land. Dieses wichtige Amt entspricht seinem Wert. Zu deinen Diensten. Auf Soldaten, in die Stadt! Dort empfangt ihr euren Lohn, wie ihr ihn verdient, von mir. Herrin, alle huldigen dir! Hoch Irene ! Hoch Irene !

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DER S T E I N E R N E GAST

VORBEMERKUNG Die Literatur über das Don-Juan-Problem ist Legion, wie das Thema in der Literatur und möglicherweise in der menschlichen Natur aus unerschöpflichen Quellen zu fließen scheint. E s kann sich hier zunächst nur darum handeln, ein paar Richtpunkte für die Entstehungsprobleme von Tirso de Molinas „Burlador de Sevilla" (Der Betrüger von Sevilla), dem UrDon-Juan, zu geben. Als eine unter den „Zwölf neuen Komödien von Lope de Vega und anderen Autoren" wurde der „Burlador von Sevilla" im Jahre 1630 in Barcelona mit dem Vermerk der Verfasserschaft Tirsos gedruckt und erschien dann 1649 in Madrid im 6. Bande der „Ausgewählten Komödien der größten Geister Spaniens". Diese beiden Ausgaben galten als die ältesten Drucke des „Burlador", bis man im J a h r e 1878 eine sogenannte „suelta" entdeckte, einen für praktische Bühnenzwecke hergestellten Einzeldruck unter dem Titel „Tan largo me lo fiays", ohne Jahres- und Ortsangabe, als deren Verfasser Calderón angegeben war. Diese allerdings verstümmelte Fassung können wir nun mit ziemlicher Sicherheit als Original des Werkes ansehen. I n späterer Zeit häufen sich die spanischen Nachdrucke wie auch die Übersetzungen und Nachahmungen des „Don J u a n " in allen Sprachbereichen. Der schlechte Zustand des überkommenen Urtextes führte lange zu einer unbegreiflichen Verkennung der glänzenden epigrammatisch geschürzten und in einem rasenden Wirbel und Kehraus sich steigernden Rhythmik dieser Vers- und Dialogkunst. Ein Umschwung hat sich hier erst in neuerer Zeit vollzogen. I n seiner Literaturgeschichte würdigte Lorenzo Conde die in ihrer Beschwingtheit meisterhafte Szenen-

Drei Dramen des Tirso de Molina

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führung des „Burlador". („Letras españolas", Barcelona 1936, p. 931 ff.) Der spanische Dichter Azorin hat einmal den Eindruck der spanischen Komödien mit dem flüchtigen Nachhall des Stampfens galoppierender Pferde verglichen. Im „Burlador" scheint sich dieser Rhythmus orgiastisch zu steigern und schließlich aufzulösen: ein Wirbeltanz im Angesicht des schon gespenstisch grauenden Aschermittwochs, der Kehraus eines Karnevalsprinzen, auf dessen verzückter Stirn sich Leben und Sterben küssen. Der „Burlador de Sevilla" gehört zu den wenigen Fällen, in denen das Stilkriterium die sonst unlösbar verwirrte Verfasserfrage eindeutig zu klären vermochte, und zwar zugunsten der Vaterschaft von Tirso de Molina. Durch die verderbte Textüberlieferung schimmern alle auch sonst bewunderten Eigenschaften in der Dialogführung dieses Komödiendichters hindurch. Das gilt vor allem gegenüber dem Versuch von von Th. S c h r ö d e r , den „Burlador" für ein Jugendwerk des Calderón auszugeben. („Die dramatischen Bearbeitungen der Don-Juan-Sage", Halle 1912). Wie bei der Dialogkunst, so hat man auch bei der Handlungsführung die typischen Merkmale dieses dramatischen Genius übersehen: die lückenlose Folge und das atemraubende überstürzte Tempo, die keiner der ebenbürtigen und auch überlegenen Rivalen der spanischen Szene dem Tirso nachzumachen verstand. Ferner hat man behauptet, der große Charakterbildner hätte in diesem Stück den Ansatz zu einem tragischen Charakter schon deshalb verfehlt, weil Don Juan nicht an sich selbst zugrundegeht, sondern lediglich durch den mirakulösen Eingriff der rächenden Statue des von ihm gemeuchelten Komturen aus seiner irdischen Laufbahn gerissen wird. Zwar haben die Netze der irdischen Polizei für den verwöhnten Sohn des spanischen Granden recht weite Maschen. Der himmlischen Polizei, die ihn durch das Standbild des Komturen ereilt, überliefert sich Don Juan selbst. Es Vossler, Drei Dramen

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Karl Vossler

ist gerade seine Tragik, daß ihm die erste Tat zum Verderben wird, mit der er sich vom Makel des Wortbruchs und der Feigheit reinigen wollte. Und doch streift der in Bewegung gesetzte himmlische Mechanismus der Rache ein wenig ans Burleske. Don Juan ist treulos; sein Wesen ist die Unrast; er ist von der flüchtigen Natur, die das Wesen der Zeit macht. Nur das Prinzip der Dauer kann den rastlos Bewegten zur Strecke bringen; das Sittengesetz der Gesellschaft, das jeden Verletzer über kurz oder lang zu Fall bringt. Jedoch kann die Dauer den Flüchtigen nur fesseln, wenn sie sich selbst in Bewegung setzt und damit ihre statuarische Würde preisgibt. Der Höllensturz des Don Juan kann nur durch die groteske Rückverwandlung der Statue ins menschliche Leben bewerkstelligt werden. Fray Gabriel T611ez, über dessen skandalöse Schriftstellerei sein eigener Orden Klage führte, treibt auch sonst zuweilen ein seltsames Possenspiel mit überirdischen Mächten und Begriffen, was aber den Ernst seiner theologischen Reflexionen nicht ausschließt. Gerade im „Burlador"glaubt man die emeuteStellungnahme Fray Gabriel Töllez' zum Streit um die Gnadenmittel erkennen zu müssen. Ein bedeutender spanischer Literaturkenner, E. Gomez deBaquero, nimmt in seinem Aufsatz , ,Der,Kleinmütige' und sein Verfasser'' in der Madrider Zeitung „El Sol" (1923) Stellung zur theologischen Frage: Nach seiner Auffassung stellen beide Stücke, „Der Kleinmütige" und der „Burlador von Sevilla", die Teile eines Diptychons dar, aus deren antithetischer Stellung sich eine Versöhnung ergibt, die zum Heil der Seele zwischen der Prädestinationslehre und der Entscheidung des freien Willens herbeigeführt wurde. Tirso de Molina nimmt also eine vermittelnde Stellung ein und entwirft in den zentralen Gestalten der beiden Stücke ein Bild der theologischen Zeitkämpfe. Einzelne Wesenszüge des „Burlador" glaubte man hier und dort im spanischen Drama seit Beginn des 16. Jahrhunderts zu finden. Zunächst im „Infamador" (Verleumder) von Juan

Drei Dramen des Tirso de Molina

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de la Cueva (1588), aber auch im „Rufián dichoso" (1597 ?) von Cervantes, in „Dineros son Calidad" von Lope de Vega oder in „El esclavo del demonio" von Mira de Amescúa (1612). Aber die geniale Schöpfung des sinnlichen Charakters ist doch wohl etwas völlig anderes als die Summe dieser verschiedenen Charakter- und Handlungszüge. Es war ein wahrhaft entscheidender Umschwung in der Forschung, als unter dem Anstoß des heutigen Altmeisters der spanischen Philologie, Don Ramón Menéndez Pidal, der Literaturhistoriker Victor S a i d A r m e s t o einen neuen Weg für die Erforschung des Ursprungs der Don-Juan-H a n d 1 u n g beschritt, indem er den Anklang an eine ganze Gruppe spanischer Romanzen an die Legende der redenden Statue beweisen konnte („La Leyenda de Don Juan", Madrid 1908). Diese redende Statue erscheint gewiß schon in spätgriechischen Sagen und Novellen. Die Herausforderung eines Toten durch einen tolldreisten oder unbesonnenen Jüngling war aber in den asturisch-galizischen Romanzen besonders häufig belegbar. Auch hier geht es um ein Motiv, das dem spiritistischen Aberglauben oder der okkulten Scheinerfahrung aller Völker angehört, das aber gerade im Bereich der galizisch-spanischen Volks litera tur sich besonders auffällig verdichtet. Erhärtet wird dieser Zusammenhang noch durch einen Vergleich des Betrügers von Sevilla mit anderen Werken des Meisters Tirso de Molina, die seine besondere Neigung für die Folklore und die ans Portugiesische anklingende Mundart der galizischen Landschaft verraten. Das Geschlecht der Tenorio, dessen ungeratenster Sproß Don Juan gewesen sein soll, hat seine Wurzeln gleichfalls in jener spanischen Landschaft. Die moderne spanische Literaturgeschichte erkennt den Geniestreich Tirso de Molinas in der Verschmelzung der spiritistischen Romanzenhandlung mit dem sinnlichen Charakter des Helden. Der Einschlag der Romanzen in die Volkskunst des spanischen Theaters ist eine der wichtigsten Erkenntnisse der neueren Literaturgeschichte. 15»

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Karl Vossler

Aber was hat dieser Don Juan zu bedeuten ? Zur Methode gemacht, bedeutet der Don-Juanismus den Bruch aller sittlichen Bande und den Umsturz der solidarischen Ordnung, die nur die Verstärkung der irdischen durch die himmlische Polizei wieder einzurenken vermag. Als ein Fall der verletzten Natur- und Gesellschaftsordnung gleicht der Stoff dieses Schauspiels nicht nur der Handlung des vorher abgedruckten Stückes, der „República al revés", sondern er trägt damit auch den Grundzug aller dramatischen Handlungen an sich, mit dem die Fragestellung des barocken Theaters aller Nationen in der Zeit des siegreichen Absolutismus bestimmt wird. Für die besondere spanische Fassung dieses Problems ist nun die zeitgeschichtliche Bestimmung des „Burladors von Sevilla" genau zu beachten. Das Stück spielt am Anfang des 14. Jahrhunderts unter dem König Alfons XI., der sich des aus dem hundertjährigen Besitz Andalusiens bereicherten und immer trotziger aufbegehrenden Feudaladels noch zu erwehren verstand. Der schwelende Bürgerkrieg sollte jedoch schon unter Alfons' XI. Nachfolger und Sohn zur Entscheidung führen. Der Prätendent der feudalen Partei gewinnt durch die Schlacht von Montiel (1369) den Thron für die anarchische Herrschaft des Adels. Während nunmehr die offizielle Geschichtsschreibung der siegreichen Partei sofort den unterlegenen König zum Tyrannen machte — „Peter der Grausame" —, besannen sich die Romanzen der Sympathien des gemeinen Spanien für Peter, den sie den Gerechten nannten. Diese Romanzen gewannen nicht zufällig einen starken Einfluß auf das Theater zur Zeit von Lope de Vega, nach dessen Eingeständnis der dramatische Dichter dem Volk, das ihn bezahlte, auch zu Gefallen redet. Daraus ergibt sich die gewissermaßen gesellschaftskritische Konstellation, unter der das Treiben des Grandensohnes Don Juan Tenorio beachtet werden muß. Gewiß darf man durchaus nicht verkennen, daß Don Juan schließlich auch von der eigenen Kaste

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wie ein schwer erziehbares oder mißratenes Subjekt verleugnet wird, aber sein Auftritt wirkt doch wie das Aufflackern eines beginnenden Brandes. Don Juan nimmt das urfeudale Jus Primae Noctis als Jagdrecht für sich in Anspruch, und in diesem Charakter erscheint die traditionelle Kritik am Treiben des feudalen Herrensohns aufs Äußerste übersteigert. Man braucht nur an Schöpfungen wie Lope de Vegas „Fuente Ovejuna", Lopes und Calderóns „Alcalde de Zalamea" und an das Tirso de Molina zugeschriebene Schauspiel „Las Audiencias del Rey Don Pedro" zu denken, um den Zusammenhang des „Burlador" mit dieser Grundgesinnung des spanischen Theaters , und der spanischen Literatur überhaupt seit dem „Cantar de Mio Cid" (Cid-Epos) zu vernehmen. Dennoch läßt sich die Ambivalenz in der blendenden Darstellung der „sinnlichen Genialität" nicht leugnen. Ist Don Juan ein Schwerenöter und Übeltäter, so ist er doch ein Held und benimmt sich als solcher, solange die Erde ihn trägt. In der Mischung verwegener Sinnlichkeit und eines beständig provozierenden Mutes erkennt und liebt gerade das volkhafte Spanien seine eigene Schwäche. Don Juan ist nicht nur der Verführer aller spanischen Frauen, sondern auch der Verführer des spanischen Volkes. Auch die fatalste und brutalste Klassenherrschaft muß sich zu solchen Verführungskünsten bequemen, wenn sie versuchen will, ihr Bestehen im Volkscharakter wie eine Naturordnung zu verankern. Daß sich das spanische Volk mit diesem Räuber seiner Frauen versöhnte, zeigt der Erfolg von Zorrillas „Don Juan", der alljährlich am Allerseelentag auf allen Theatern die spanischen Menschen bezaubert. Der romantische Don Juan hat den barocken seit dem Siegeszug von Zorrillas Jugendwerk („Don-Juan Tenorio" 1844) in seinem Ursprungsland überlagert. Molière und Mozart bezeichnen die späten Gipfel auf dem Triumphweg des spanischen Stoffes durch alle Nationen. Aber der Vorzug des Urbilds vor allen später geschaffenen Verkörperungen wurde von Vossler trotz der veränderten geistigen Maße nicht

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übersehen. Tirso de Molina „hat sich gehütet, seinen Don Juan ins Mythische und Dämonische zu steigern", was doch ein so billiger, naheliegender Effekt gewesen wäre. Er hat es den italienischen und französischen Bearbeitern, den Librettisten und Romantikern überlassen, einen Empörer, Gottesleugner, Freigeist oder gar einen Heuchler oder, das ist das Neueste, einen unbewußt sexuell Invertierten aus ihm zu machen. Kur sehr schnellebig, flink, sinnlich, tapfer, leichtfüßig und hemmungslos an den Genuß des Augenblicks hingegeben läßt er ihn sein: ein gedankenloser Andalusier, ein Eintagsmensch, ein Blender, ins Edelmännische erhoben, der keine Zeit hat, sich zu besinnen. Im Grund, bei allem Glanz, der ihn umrauscht, bei aller Schneid, die er tatsächlich hat, eine triebhafte, gemeine Natur. Darüber, wie Tirso ihn sieht und verstanden haben will, kann kein Zweifel obwalten, denn immer wieder, in allen Tonarten, läßt er ihn das berühmt gewordene Kennwort sagen: „Tan largo me lo fiáis!" — ärgerlich, ungeduldig, gelangweilt, leise abwehrend, liebenswürdig, beruhigend und mit frecher Herausforderung. „Tan largo me lo fiáis!" Wir können es kaum verdeutschen, so spanisch ist das Wort. Die heutigen Spanier pflegen „mañana" dafür zu sagen: „Kommen Sie morgen wieder!" Dem Wortlaute nach gehört „tan largo me o fiáis" in die Sprache des Zahlungsverkehrs und Kreditwesens. Fiar largo ist langfristige Bürgschaft oder Anleihe. Nun beachte man wohl, wie Don Juan das Wort immer nur dann gebraucht, wenn man ihn an den j e n s e i t i g e n Zahltag, an Tod, Gott und Rechenschaft in der Ewigkeit erinnert. Bis dorthin, meint er dann jedesmal, habe es noch gute Weile, wie ein Spieler oder ein Räuber, der es darauf ankommen läßt und einstweilen auf Borg oder vom Raube lebt. Der Einwand, ob denn ein solcher Schwindler, Verführer und Betrüger jedes Mädchens, jeder Frau, die ihm in den Weg kommt, ob ein solcher Hochstapler der Liebe und Ehre noch Stoff zu wirklicher Tragik in sich habe, muß nun freilich er-

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wogen werden. Aber der Dichter hat es verstanden, seinem Helden nicht etwa mildernde Umstände, wohl aber Gewicht und Größe in ihm selbst zu geben. Sein Don Juan ist, wenn ich es auf eine Formel bringen darf, das Gegenstück zu seinem „Condenado por desconfiado": ein Verdammter, nicht aus Klein-, sondern aus Großgläubigkeit. Sein anmaßendes Vertrauen auf Gottes Langmut bricht ihm den Hals. Er kennt keinen Zweifel und hat keine Angst. Er fürchtet sich nicht vor Spuk und Gespenstern, an die er doch glaubt. Er zittert auch nicht vor dem Comendador Gonzalo de Ulloa, den er doch selbst im Zweikampf getötet hat und dessen Geist und Steinbild er höhnt, zum Abendessen einlädt und bewirtet, und der ihn seinerseits als Gegendienst in die Grabkapelle zu sich bittet. Er nimmt an, obgleich ihm der höllisch glühende Druck dieser steinernen Hand noch durch alle Nerven zuckt. Der Tote soll ihn nicht ehrlos schelten dürfen. Diesem wenigstens will er Wort halten. Doch das sind ja nur Gedanken, in die Einbildung aus Angst aufgestiegen. Tote fürchten ? Ist ein niederträchtig Bangen. Wenn ein herrlicher lebendiger Körper voller Sinn und Kraft, ein beseelter uns nicht schreckt, sollten's tote Körper dann ? Morgen geh ich zur Kapelle, wo er mich geladen hat. Staunen und bewundern soll ganz Sevilla meine Tat. Er geht. Erst im letzten Augenblick, da der Tod ihm ans Herz greift, ruft er nach Beichte und Absolution: „No hay lugar, ya acuerdas tarde!" Hier jetzt nicht — zu spät erwachst du! antwortet der Steinerne.

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Von Anfang bis zum Ende der Handlung jagt Lebensgier den Helden in blindem Kraftgefühl und Seibatvertrauen von Abenteuer zu Abenteuer. Im Vorbeigehen, im Nu beleidigt, betrügt, verführt und verlacht er seine Opfer. Er kann und darf nicht verweilen, weil er keine feste Bahn und keinen Halt hat und nur in der Geschwindigkeit, im Schwung, mit dem er die anderen überholt und narrt, die Bestätigung seiner selbst, die Befriedigung seines Hochmutes, die Erfüllung seiner Großgläubigkeit gewinnt. Das Zufällige, Flüchtige, Abgerissene der einzelnen Auftritte, das verhältnismäßig Unbestimmte oder auch Verzerrte in der Zeichnung der Gestalten, mit denen der Held zusammentrifft, das Improvisierte gehört zu der Natur der dichterischen Vision und kann nur von unverständigen Kritikern bemängelt werden. Vielmehr muß man die Sparsamkeit bewundern, mit der es sich Tirso versagt hat, Liebeswirren und Frauengestalten, d. h. seine allerbeste Spezialität, die er doch hier in Menge hätte anbringen können, zu häufen und auszukosten. Es ist staunenswert, wie zurückhaltend streng diese überquellende barocke Begabung manchmal arbeitet, wenn etwas dichterisch Wesentliches auf dem Spiel steht.

DER STEINERNE GAST von Tirso de Molina. Übersetzung von K a r l V o s s l e r I. A U F Z U G

1.Auftritt D o n J u a n T e n o r i o , Herzogin I s a b e l l a

Isabella: Don Juan: Isabella:

Don Juan: Isabella: Don Juan: Isabella: Don Juan: Isabella: Don Juan: Isabella: Don Juan: Isabella: Don Juan:

Hier hinaus, Herzog Octavio, ist der Weg am sichersten. Herzogin, der Liebe Jawort euch zu halten, schwör ich nochmals. Wird mir wirklich Glück und Glanz, Angebot, Versprechungen, Prachtgeschenk und Huldigungen, Neigung, Freundschaft echt und ganz ? Ja, mein Lieb. Ich will ein Licht holen. Und wozu denn das ? Daß die Seele anerkenne, was ich meinen Reichtum nenne. Und das Licht lösch ich dir aus. Herr des Himmels, Mensch, wer bist du ? Irgendeiner ohne Namen. Du bist nicht der Herzog ? Nein. Heda! Burgwache! Sei still! Herzogin, gib mir die Hand.

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Isabella:

Rühre mich nicht an, du Flegel! Heda, Wache! Burgsoldaten!

2. A u f t r i t t Die Vorigen, der König von Neapel mit einem Leuchter

König: Was ist los ? Isabella: (Der König, wehe!) König: Wer da ? Don Juan: Nun, wer wird's schon sein ? Nur ein Mann und eine Frau. König: (Hier kommt es auf Vorsicht an.) Heda, Wache, nehmet diesen Mann hier fest! Isabella: (Verlorne Ehre!) (Sie geht ab)

3. A u f t r i t t Die Wache, der spanische Botschafter D o n P e d r o T e n o r i o , der König von Neapel, D o n J u a n T e n o r i o

Don Pedro: Hoher Herr, in deinen Zimmern solche Schreie ? wer ist schuld ? König: Don Pedro Tenorio, euch übergeb' ich diesen Häftling. Ich mach's schnell, drum müßt ihr langsam schauen, wer die beiden sind, und geheim muß es geschehen, denn es kann nichts Gutes sein, und, misch ich mich einmal drein, bleibt mir nichts mehr nachzusehen. (ab)

Drei Dramen des Tirso de Mol ina

4. A u f t r i t t D o n P e d r o , D o n J u a n , Wache

Don Pedro: Nehmt ihn fest. Don Juan: Wer darf es wagen ? Zwar kann's mich das Leben kosten, doch so hoch will ich's verkaufen, daß es manchem Manne leid tut. Don Pedro: Schlagt ihn tot! Don Juan: Seid ihr verblendet ? Todentschlossen steh ich hier, denn ich bin ein Kavalier unsres spanischen Gesandten. Einem nur ergeb' ich mich. Mag er kommen. Don Pedro: Geht hinaus in das Nebenzimmer alle dort zu jener Frau hinüber. (die Wache tritt ab)

5. A u f t r i t t Don P e d r o , Don J u a n

Don Pedro: Jetzt sind wir allein zu zweit. Hier zeig deine Tapferkeit. Don Juan: Tapferkeit, die habe ich, Oheim, aber nicht für dich. Don Pedro: Sag, wer bist ? Don Juan: Ich sag es ja. Bin dein Neffe. Don Pedro: (Oh, mir ahnt irgendeine Büberei!) Was hast du getan, du Schlingel ? Wie hast du dich hergerichtet 1 Sprich sofort, was ist geschehn ?

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Unfolgsamer, dreister Bursche! Bin im Stand und bring dich um. Wirds bald ? Hör mich, Herr und Oheim, Juan: ich bin jung, und du warst jung, hast die Liebe auch erfahren, das sei mir Entschuldigung. . Da du willst, daß ich gestehe, so vernimm: die Herzogin Isabella täuschte ich und verführte sie. Pedro: Nicht weiter! Schweig! — Wie täuschtest du sie ? Dies sag mir leis und halt den Mund. Juan: Den Herzog Octavio spielt' ich. Pedro: Schon genug! sprich nur nicht weiter. (Wenn der König d a s erfährt, bin ich ein verlorner Mann. Nur Geschicklichkeit kann mir in so heikler Lage helfen.) Sag, du Kerl, war's nicht genug, daß du wütend mit Gewalt schon in Spanien eine edle Dame so verraten hast ? Mußtest auch noch in Neapel, in des Königs Schlosse, dich an so hoher Frau vergehn ? Züchtige der Himmel dich! Aus Kastilien hat dein Vater nach Neapel dich geschickt, und Italien hat dich gastlich an dem meerumschäumten Strande aufgenommen in Erwartung, daß du dankbar dich erweisest, und nun kränkest du die Ehre

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dieses Lands in der Person einer hochgestellten Dame! Doch in dieser Sache wird uns jeder Aufschub zum Verhängnis. Darum schau, was du zu tun hast. Don Juan: Meine Schuld will ich nicht von mir wälzen, bittre Buße leist' ich. Euch gehört mein Blut. Vergießt es, Herr, daß dies die Sühne sei. Euch zu Füßen liefr' ich mich, und hier habt ihr meinen Degen. Don Pedro: Stehe auf und zeig dich tapfer, deine Demut hat gesiegt. — Traust du dich, hinabzuturnen vom Balkon hier ? Don Juan: Ja, ich trau' mich. Dir zuliebe hab ich Flügel. Don Pedro: Dann will ich dir weiterhelfen. Nach Sizilien oder Mailand geh und halt dich dort verborgen. Don Juan: Sogleich geh ich. Don Pedro: Sicher ? Don Juan: Ja. Don Pedro: Dann laß ich dich brieflich wissen, wie die leidige Geschichte, die du angestellt hast, ausgeht. Don Juan: (Freudige für mich, kannst sagen!) Meine Schuld ists, ich geb's zu. Don Pedro: Ja, die Jugend führt' dich irre. Jetzt, hinunter am Balkon! Don Juan: (Drum mit jugendlichem Anspruch (im Abgehn mache ich mich auf nach Spanien.) für sich)

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6. A u f t r i t t Der König, D o n P e d r o

Don Pedro: Hoher Herr, dein strenges Recht hab ich an dem Mann vollstreckt. König: Ist er tot ? Don Pedro: Er ist entflohen vor dem stürmischen Streich der Klingen. König: Wie wars möglich ? Don Pedro: Das ging so: kaum, daß du den Auftrag gäbest, faßt er ohne weiteres mit der Faust sein Schwert und wickelt seinen Mantel um den Arm, fällt mit Schwung und Kraft behende deine Wachsoldaten an, muß sich dann verteidigen, sieht sein letztes Stündlein nahe, wirft verzweifelt vom Balkon sich hinunter in den Garten. . Voller Eifer folgten deine Leute, und als sie durch jene Türe in das Freie traten, sahen sie, wie er verendend sich wie eine Schlange krümmte. Er erhob sich und beim Rufe der Soldaten: Nieder mit ihn>! war er blutenden Gesichtes mit entschlossner Schnelligkeit plötzlich weg. Ich mußte staunen. Und die Frau — ich muß dir sagen, daß es Isabella ist — dort versteckt im Nebenzimmer. Von Herzog Octavio sagt sie,

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daß er mit Betrug und Arglist sie entehrt hat. König: Was sagst du ? Don Pedro: Nichts, als was sie selbst gesteht. König: Arme Ehre! du, die Seele unsres Wertes, warum läßt man dich in eines Weibes Obhut, das so schwach und unbeständig 1 Heda!

7. A u f t r i t t Die Vorigen, ein Diener, sodann I s a b e l l a

Diener: König:

Hoher Herr . . .

Isabella :

Wie besteh' ich vor dem König ?

König:

Geht und haltet Wache draußen vor der Türe. — Sag mir, Weib, welch ein wilder böser Stern hat dich aufgereizt, daß du mit dem Hochmut deiner Schönheit meines Schlosses Schwelle schändest ? Ach, mein Herr . . . Nein, schweig, mit Worten läßt sich nicht beschönigen, was dein Fehltritt mir getan hat. War der Mann Herzog Octavio ? Herr . . .

Man bringe jenes Weib mir vor die Augen. Don Pedro: Dort, mein hoher Herr, kommt schon eine Wache mit ihr her. (Die Wache f ü h r t I s a b e l l a herein) (für sich)

Isabella : König :

Isabella :

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König:

Es schützt keine Gewalt, keine Wachen, Diener, Mauern, keine noch so festen Zinnen gegen Liebe, die ein Kind ist und durch alle Steine dringt. Don Pedro Tenorio, führet dieses Weib sofort gefangen in den Turm und sorget, daß man heimlich auch den Herzog festnimmt, denn ich will, daß er erfülle, was er ihr versprochen hat. Isabella: Würdigt, Herr, mich eines Blickes. König: Wer mich hinter meinem Rücken kränkt, dem wende ich zur Strafe und mit Recht den Rücken zu. Don Pedro: Gehn wir, Herzogin. Isabella: Ich weiß nichts, das mich entschuldigen kann, doch vielleicht wird noch der Fehltritt durch Octavio mir gemildert.

(ab)

(Don Pedro u. Isabella ab)

8. A u f t r i t t Herzog O c t a v i o , Ripio, sodann ein Diener

Ripio: Octavio:

Gar so früh schon auf den Beinen ? Finde ich doch keine Ruhe, die das Feuer meiner Liebe in der Brust mir stillen kann, denn die Lieb' hat kindischen Sinn, will nicht weich im Bettlein liegen, sich in Hollands Linnen schmiegen unter weißem Hermelin. Zwar sie legt sich, aber still

Drei Dramen des Tirso de Molina

Ripio: Octavio: Ripio:

Octavio: Ripio: Octavio: Ripio: Octavio: Ripio:

Octavio:

mag sie niemals lange bleiben, immer muß sie etwas treiben, wie ein Kind, das spielen will. — Darum, Ripio, denk ich immer hin und her an Isabella, und sie lebt in meiner Seele, und der Leib hat keine Ruh, aus der Ferne, aus der Nähe wach ich über ihrer Ehre. Deine Liebe, nimms nicht übel, ist ein ungehörig Lieben. Dummkopf, was sagst du ? Ich sage: ungehörig ist die Art, wie du liebst. Willst du mich hören ? Sprich nur. Also spreche ich. Hat dich Isabella lieb ? Daran kannst du zweifeln, Dummkopf ? Nein, ich stelle nur die Frage. Hast auch du sie lieb ? Jawohl. Nun, müßt ich kein Einfaltspinsel von erlauchtem Stamme sein, wollt ich meine Ruh verlieren für mein Liebchen, wenns mich liebt ? Freilich, wenn sie dich nicht liebte, dann wärs gut, ihr zuzusetzen mit Geschenk und Huldigung solang, bis sie sich erweichte. Doch wenn ihr euch mit demselben Feuereifer beide lieb habt, sag mir, woran hängt es dann, daß ihr euch nicht stracks vermählet ? Narr, das gäbe eine Hochzeit

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wie zwischen Lakai und Waschweib. Ein Diener: Eben steigt der spanische Botschafter im Hausflur ab und verlangt mit Ungestüm und befremdlichem Gebaren dich zu sprechen, und wenn ich recht verstand, gehts um Verhaftung. Octavio: Wie ? Verhaftung, und wozu ? Laßt ihn kommen.

9. A u f t r i t t Die Vorigen, D o n P e d r o m i t Wachsoldaten

Don Pedro:

Wer so sorglos schlafen kann, hat sicherlich ein Gewissen ohne Makel. Octavio: Eure Exzellenz erweisen Gunst und Ehre mir, da wär es Unrecht, wenn ich schlafen wollte. Wachen will ich all mein Lebtag. Wem verdank ich den Besuch ? Don Pedro: Hergeschickt hat mich der König. Octavio: Wenn mein Herr und König sich meiner Wenigkeit erinnert, ist es recht und angemessen, daß ich ihm mein Leben opfre. Sagt mir, bitte, welches Glück, welcher Stern hat es gefügt, daß der König mein gedenkt ? Don Pedro: Herzog, eurer Unstern war es, und der König schickt mich her, daß ich euch die Botschaft bringe. Octavio: Nichts kann mich erschüttern, Herr, sagt sie mir, ich bin gefaßt.

Drei Dramen des Tirso de Molina

Don Pedro: Euch gefangen nehmen soll ich, will der König, wehrt euch nicht. Octavio: Mich läßt er durch euch verhaften %! Und was legt man mir zur Last % Don Pedro: Wißt ihrs besser doch als ich. Sollt ich aber je mich täuschen, nun so lasset euch berichten, weshalb mich der König herschickt. — Als die schwarzen Schattenriesen ihre finstern Zelte schon niederholten auf der Flucht vor der Morgendämmerung, hatte ich mit seiner Hoheit in Geschäften zu verhandeln, denn die mächtigen Herrn sind immer Gegenfüßler von der Sonne. Da — von einer Frauenstimme wiederholte Hilferufe, deren Widerhall gedämpft durch den Wandschmuck zu uns drang. Diesen Rufen, diesem Lärm eilte in Person der König nach, und Isabellen fand er in den Armen eines Herrn . . . Doch wer sich so hoch vergreift, ist gewiß ein Ungeheuer. Zur Verhaftung gab der König mir Befehl. Ich schickt mich an, diesen Herren zu entwaffnen. Doch ich glaub, der Teufel steckte ihm im Leib, denn eingehüllt zwischen Rauch und Staub hinunter stürzte er sich beim Balkon zu den Füßen jener Ulmen, die den Säulen des Palastes

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eine schöne Krönung geben. Die gefangne Herzogin sagte dann vor allen Leuten, daß Octavio, der Herzog, sie als Ehgemahl umarmt hat. Octavio: Was sagst du 1 Don Pedro: Ich sage nur, was schon jedermann bekannt ist und so klar a m Tage liegt. Nämlich Isabella hat . . . Octavio:

Schon genug! Erlasset mir Isabellas Hochverrat. — Doch, wenn sie aus Vorsicht etwa . . . ? Redet weiter. Warum schweigt ihr ? Gebt ihr mir ein Gift vielleicht, u m ein starkes Herz zu rühren und zum Schwatzen mich zu bringen und das Wiesel nachzuahmen, das durchs Ohr sich schwängern läßt und dann niederkommt durchs Maul ? Kann es sein, daß Isabella mich, die gute, so vergaß und mich tötet ? Freilich, Traum nur ist das Glück, und Leid ist Wachsein. — Sagt, Herr Markgraf, ist es möglich, daß mich Isabella täuscht, daß sie meiner Liebe spottet ? Ist es doch nicht auszudenken. Oh die Weiber! Und der strenge Ehrenpunkt . . . wen soll ich nur fordern ? . . . Und verletz ich nicht

V o m Wiesel ging die Sage, daß es durchs Ohr konzipiere u. durchs Maul gebäre. Siehe Covarrubias, Tesoro de la lengua castellana o española, Madrid, 1611, sub voce „comadreja"

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ihre Ehre und die Vorsicht 1 Gestern Nacht bei ihr im Schlosse war ein Mann! — Ich werd verrückt! Don Pedro: So gewiß wie in den Lüften Vögel und im Wasser Fische und in allen Elementen viele Lebewesen wimmeln und die Seligen in den Himmeln, so gewiß wie Freundes Treue und des Feindes Tücke ist und bei Nacht die Dunkelheit und die Helligkeit bei Tage, so gewiß ist, was ich sage. Octavio:

Markgraf, euch will ich es glauben, und es soll mich nichts mehr wundern, denn die treueste der Frauen ist im Grunde eine Frau. Soviel seh ich jetzt genau, und der Schimpf ist offenbar. Don Pedro: Da ihr klug seid und verständig, nehmt den besten Ausweg wahr. Octavio: Mich entfernen ist das Beste. Don Pedro: Und das rasch, Herzog Octavio. Octavio: Mit dem Schiff will ich nach Spanien segeln und mein Leid vergessen. Don Pedro: Durch die Gartentüre könnt ihr der Verhaftung euch entziehn. Octavio: Wetterfahne! schwaches Rohr! Oh, wie seid ihr ärgerlich! Euren Künsten seh ich mich in der Fremde bald entrückt. Lebet wohl! Ein Mann im Schlosse war bei ihr ? Ich werd verrückt! (Beide ab)

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10. A u f t r i t t Die Fischerin T i s b e a mit einer Angelrute, am Strand vonTarragona

Tisbea:

Von allen Mädchen, deren Jasmin- und Rosen-Füßchen an dieses Meeres Ufern die flüchtige Welle küßt, bin ich allein zum Glücke noch unberührt von Liebe und halt mich herrisch frei von ihrem Narrenseil. Hier wo die Sonne schimmert auf schläferigen Wellen und blau erglänzen läßt, die sich im Dunkeln duckten, hier auf dem feinen Sand, der bald wie Perlen leuchtet und bald wie goldner Staub, lausch ich den Liebesklagen der Vöglein über mir und unter mir dem Kampfspiel des Wassers mit den Klippen. Wie meine Angelrute sich biegt bei leichter Last, wenn dran ein dummes Fischlein aus salzigem Wasser zappelt, und wie das Wurfgarn sich in tiefe Buchten senkt und Muscheltiere dort am Meeresgrunde fängt, das ist mir Unterhaltung und läßt mich unbeschwert, weil keine Liebesschlange mit Gift mein Herz versehrt. Auf kleinem Nachen fahr ich mit andern Mädchen manchmal

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und kämme eifrig rudernd des Meeres Kräuselhaar, und wenn sie schier verzweifelt in Liebesklagen schwelgen, verlach ich alle Burschen, beneidet von den Mädchen. Bin glücklich tausendfach, Amor, daß du mich schonest, nur sollst du meine Hütte nicht meiden, weil sie arm ist. Es krönen Obelisken aus Stroh mir meinen Bau, Cikaden nisten drauf und lustige Turteltäubchen. Im Stroh verwahr ich auch wie frisches Obst, wie Glas, daß sie mir nicht zerbreche, die jungfräuliche Ehre. Den Fischern allen, die das Feuer unsrer Wächter vor Tarragona gegen Piraten schützt, am Strande, bin ich die Zauberin, verachte ihre Seufzer, erhör ihr Flehen nicht, verschmähe ihr Versprechen. Anfriso, den der Himmel mit mächtiger Hand erschuf, an Leib und Seel ein Wunder, vollkommen ausgestattet , in seinen Worten maßvoll, in seinem Tun gewandt, in seinem Groll geduldig, in seihem Schmerz bescheiden, er schweift in kalten Nächten

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um meine Hütte her, und morgens ist das Stroh auf meiner Schwelle frisch mit grünen Ulmenzweigen, die er geschnitten hat, umgeben und geschmückt, sogar bei schlechtem Wetter. Mit sanftem Leierspiel, mit zarter Hirtenflöte bringt er mir Ständchen dar, und all das gern umsonst, weil ich in keuscher Strenge der Liebe Herrin bin. Er duldet Höllenqualen mit Seligkeit und Wollust. Die Mädchen alle schmachten nach ihm, den ich mit spröder Zurückweisung betrübe. So ist die Art der Liebe: wo man sie abweist, wirbt sie, wo man sie schmäht, gedeiht sie, tut man ihr Gutes, stirbt sie, tut man ihr weh, verzeiht sie. So gehn mit heitern Tagen lind ohne Schwärmerei die jugendlichen Jahre an Amor mir vorbei. — Doch soll mir dies Geschwatze jetzt mein Geschäft nicht stören und mich nicht unterhalten mit Dingen, die mir gleich sind. Die Angelrute streck ich hinaus, den Köder werf ich dem Fischlein in das Maul. — Zwei Männer stürzen dort

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ins Wasser sich vom Schiff, bevor 's im Meer versinkt. Es schwimmt noch auf den Wellen und stößt an einen Fels, und bläht sich wie ein Pfau, schlägt Rad mit seinen Segeln, damit die Steuerleute nur alle es betrachten. Jetzt wühlt es in den Wogen und wiegt sich stolz und prächtig in seiner Eitelkeit. Auf e i n e r Seite füllt sichs mit Wasser. — Es versinkt. Um seinen Mastkorb braust der Wind und fängt sich drin wie Tobsucht in der Zelle. ( S c h r e i h i n t e r der S z e n e : Z u H i l f e , ich e r t r i n k e !)

Dort hilft ein Mann dem andern, der „ich ertrinke"! ruft. Beherzte Artigkeit! Er nimmt ihn auf die Schulter. Anchises wird Aeneas, da Troja Wasser wurde. Mit starken Armen teilt er die Wellen jetzt und schwimmt . A m Strand ist aber niemand, der ihm zu Hilfe eilte. Da muß ich rufen: Tirseus! Anfriso! Alfred! holla! Es schauen Fischer her, ich hoff, sie hören mich. Doch wunderbar, schon haben die zwei den Strand erreicht, der Schwimmer atemlos, und seine Last noch lebend.

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11. A u f t r i t t C a t a l i n o n trägt D o n J u a n auf den Armen ans Land. Beide durchnäßt — T i s b e a

Catalinon: Hilf mir, Kananäerin, oh wie salzig schmeckt das Meer! Hier am Strande schwimmt sichs leicht, wenn sich einer retten will, doch dort drinnen ists gefährlich, dort geht es dem Tod entgegen, wo der Herrgott soviel Wasser anhäuft und gar keinen Wein. Salzig Wasser, feine Sache, wenn man nicht ein Fischer ist! Schon das frische Wasser ist schlimm genug, und erst das salzige! Oh, wer Wein zu schaffen wüßte, Wein, auch wenn er feurig wäre! Wenn das heut geschluckte Wasser mich nicht umbringt: nie mehr Wasser! Ich entsage ihm ab heute und gelobe, daß ichs meide, es nicht anschau, es nicht trinke, nicht einmal mehr das geweihte. — Armer Herr, er ist ganz kalt und am Ende gar schon tot ? Ungehörigkeit des Meeres, ja, und meine Torheit auch! Fluch dem Mann und seinem Wahn, der das erste Schiff erbaute und dem schwachen Holz vertraute und durchmaß den Ozean! Fluch dem niederträchtgen Schneider, der mit Nadel vom Magnete an dem Tuch des Meeres nähte

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Tisbea: Catalinon:

Tisbea: Catalinon: Tisbea: Catalinon: Tisbea: Catalinon: Tisbea: Catalinon: Tisbea: Catalinon:

Tisbea:

zu so großem Unheil, leider! Und verflucht sei des Jason Schiffahrt, um das Vließ zu rauben! Er ist tot, 's ist nicht zu glauben. Trauriger Catalinon. Und was nun 1 Was hast du vor in so unglücklicher Lage ? Viele Übel, Fischerin, und nichts Gutes steht vor mir. Wie ich selbst mich retten will, seh ich leblos meinen Herrn. Schau ihn an. Er atmet ja. Wo denn % hier vielleicht ? Natürlich! wo denn sonst ? Er könnte ja auch durch andre Stellen atmen. Dummheit. Deiner weißen Hände kalten Schnee möchte ich küssen. Geh und ruf die Fischer, die dort in jener Hütte wohnen. Und sie kommen, wenn ich rufe ? Unverzüglich, zweifle nicht. — Wer ist dieser Kavalier ? Dieser Herr von mir ist Sohn von dem ersten Kammerherrn unsres Königs, und ich hoffe, daß wir schon in einigen Tagen in Sevilla uns als Graf bei der königlichen Hoheit, die uns wohl will, sehen lassen. Und wie heißt er ?

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Catalinon:

Don Juan Tenorio.

Tisbea: Catalinon:

Ruf meine Leute. Sogleich geh ich.

(Er geht ab, und T i s b e a nimmt D o n J u a n auf ihren Schoß)

12. A u f t r i t t Tisbea, Don Juan

Tisbea:

Stattlich ist dieser edle junge Mann. — Auf! besinnet euch, Herr Ritter. Don Juan: Wo bin ich ? Tisbea: Ihr seht es ja, in den Armen eines Weibes. Don Juan: Hier mein Leben, dort mein Tod. Die Besorgnis, zu ertrinken, ist auf einmal mir entschwunden, aus des Meeres Höllennacht hab ich Licht bei euch gefunden. Ein gewaltiger Orkan warf mein Schifflein aus der Bahn, schleuderte mich auf den Strand: euch zu Füßen ist mein Land, ist ein göttlicher Orient, Neugeburt am nahen Grabe, wie die Liebe und die Labe kaum durch einen Laut getrennt. Tisbea: Atemlos seid ihr gelandet und schon wieder gut bei Atem und nach schwerer Wassernot bringt ihr große neue Not. Ja, das Meer mit seinen Wogen kann gar grausam uns umschlingen,

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doch mir scheint, daß eure Worte einem andern Drang entspringen. Freilich habt ihr ohne Zweifel aus dem Meere Salz geleckt, da so gut mit Salz gewürzt eure Schmeichelrede schmeckt. Ihr sagt viel, auch ohne Worte. Und wenn ihr wie abgestorben daliegt, fühlt ihr mancherlei. Gebe Gott, daß es so sei! Wie das griechische Pferd vor Troja taucht ihr auf zu meinen Füßen, meergebornes Ungeheuer und im Innersten voll Feuer. Ganz durchnäßt seid ihr und doch gar so feuerig dabei, große Glut versprecht ihr noch. Gebe Gott, daß es so sei! Don J u a n : Hätt der Himmel doch gewollt, daß ich gleich ertrunken wäre als ein stiller Mann im Meere, eh ich mich vernarren sollt. Denn der Welle Silberflut hätte kühlen Tod gewährt, Mädchen, aber jetzt verzehrt mich die Flamme, mich die Glut. Diese Kunst hast du gemein mit der Sonne, daß sie sticht, und bist doch wie Schnee so licht und so heiß für mich dein Schein. Tisbea: Wenn ihr kalt habt, so genüget Glut, die in euch selber steckt und durch mich wird aufgeweckt. Gebe Gott, daß ihr nicht lüget!

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13. A u f t r i t t C a t a l i n o n und die Fischer C o r i d o n und A n f r i s o , T i s b e a , Don Juan

Catalinon: Alle kommen schon herbei. Tisbea: Und dein Herr ist wieder munter. Don Juan: Ja, in deiner Nähe kommt mir der vorlorne Atem wieder. Coridon: Was befiehlst du ? Tisbea: Coridon und Anfriso, Freunde! Coridon: Alle wollen wir auf jede Weise dir gefällig sein und helfen. Sag was du befiehlst, Tisbea. Deine Rosenlippen werden kaum den Auftrag ausgesprochen haben, und der dir ergebne, dienstbeflissne Knecht wird sogleich über Berg und Täler eilen, Meer durchpflügen, Land verwüsten, Luft und Wind und Feuer meistern. Tisbea: (Ach, wie solche Schmeichelreden (für sich) mir noch gestern hohl erschienen, und nun muß ich heut entdecken, daß sie nicht gelogen waren.) — Als ich hier am Felsenufer fischte, sah ich dort ein Schiff, Freunde, wie es unterging, und zwei Männer in den Wellen schwimmen, es war zum Erbarmen, und ich rief, und niemand hört mich. Schließlich kam in all dem Jammer, aus der Wut des Meers befreit, auf den Schultern seines Dieners,

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Anfriso:

Tisbea:

Catalinon: Don Juan: Catalinon: Don Juan: Catalinon:

Don Juan:

Catalinon: Don Juan: Coridon:

Anfriso: Don Juan: Tisbea:

ohne Leben, fast ertrunken, dieser Edelmann ans Land, und in meiner Not und Angst schickte ich sofort nach euch. Da wir hier sind, so befiehl uns auszuführen, was du je wünschen und erdenken kannst. Daß wir sie in meine Hütte bringen und willkommen heißen, ihre Kleider trocknen und sie bewirten, dieses will ich. Milde üben, sagt mein Vater, sei uns eine liebe Pflicht. Übermäßig schön das Mädel! Horch, was ich dir flüstre. Nun ? Wenn sie fragt, wer ich denn bin, sag, du weißt es nicht. Und mir glaubst du beibringen zu müssen, was ich tun soll ?! Ich verschmachte nach der schönen Fischerin. Diese Nacht muß ich sie haben. Aber wie ? Sei still \ind komm. Freund Anfriso, sorge, daß die Fischer uns in einer Stunde mit Gesang und Tanz erfreuen. Los! daß wir uns heute Abend tüchtig tummeln, fesch uns zeigen. Ich vergehe. Doch ihr geht ?

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Don Juan: J a , mit Schmerzen, wie ihr seht. Tisbea: Ihr sagt viel . . . Don Juan: wenns euch genügt . . . Tisbea: Gebe Gott, daß ihr nicht lügt! (Alle ab)

14. A u f t r i t t D o n G o n z a l o d e U l l o a und der König D o n A l o n s o von Kastilien

König:

Wie ist es euch ergangen mit der Botschaft ? Erzählt, Komtur.

D. Gonzalo:

Ich traf in Lissabon den König, deinen Vetter, dreißig Schiffe zur Ausfahrt rüstend.

König: D. Gönz.:

König:

D. Gönz.:

König:

Und wohin ? Er sagte nach Goa, doch es will mir scheinen, daß er ein andres, leichtres Unternehmen vorhat. Auf Ceuta oder Tanger, glaub ich, hat ers für diesen Sommer abgesehen. Möge ihn Gott bestärken und mit Ruhm belohnen. Was habt ihr ausgemacht ? Er will die Plätze von Serpa, Mora, Olivencia und Toro, wofür er Villaverde dir zurückgibt und Almendrai, Herrera, Mertola im Grenzgebiet Kastilien-Portugal. Wir wollen den Vertrag gleich unterschreiben, doch sagt mir vorher, wie die Reise war. Ihr werdet müde sein vom weiten Weg und habt auch viel erlebt.

Drei Dramen des Tirso de Molina

D. Gönz.:

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In deinem Dienst, o Herr, ermüd ich nie.

König:

Ist Lissabon ein guter Ort ?

D. Gönz.:

König: D. Gönz.:

Die größte Stadt Hispaniens. Befiehlst du, daß ich schildre, was ich sah an Macht und Glanz, so will ich dir ein Abbild sogleich, wie sichs gehört, vor Augen stellen. Das hör ich gerne. Gebt mir einen Sessel. Ein achtes Weltwunder ist Lissabon. Aus dem Innern von Iberia, aus dem Hügelland bei Cuenca kommt der wasserreiche Tajo und durchquert das halbe Spanien. Er erreicht den Ozean bei den heiligen Gestaden auf der Mittagseite dieser Stadt, jedoch bevor er seinen Lauf und seinen hohen Namen aufgibt, bildet er ein Becken zwischen Bergen für die Barken, Kara wellen und für alle Schiffe aus der ganzen Welt, deren dort so viele liegen, daß vom Lande aus man meint, hier sei des Neptunus Hauptstadt. Gegen Westen schützen zwei starke Bollwerke den Hafen bei Cascaes und San Julián, wohl die mächtigsten des Landes. Etwa eine halbe Meile von der großen Stadt entfernt liegt Belén, das Kloster des heiligen Hieronymus, dem der Löwe Wache hält,

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Karl Vossi er und in ewiger Ruhe wohnen hier die christ-katholischen Könige und Königinnen. Alsdann dehnt die große Stadt sich vom Alcántara hinüber, eine starke Meile weit, bis zum Kloster von Jabregas. I n der Mitte liegt ein Tal, eingefaßt und überragt von drei Höhen, die Apelles kaum im Stand war abzumalen, denn von weitem gleichen sie perlbesetzten Pinienzapfen, die a m Saum des Himmels hängen. Rom ist zehnmal ausgedrückt im Bereiche dieser Stadt, seis durch Klöster und durch Kirchen, seis durch Straßen und Paläste, seis durch Adel und durch Ämter, Geisteskraft und Heldentum, strengeste Gerechtigkeit, wie auch durch Barmherzigkeit, die a n ihren Ufern blüht, ehrenvoll für ganz Hispanien und ein vorbildliches Werk ist. Noch besonders rühmenswert an dem Bauplan dieser Hauptstadt ist, daß man von e i n e r Burg aus in Entfernimg von sechs Meilen sechzig Orte sehen kann, wie sie sich im Meer bespiegeln. Einer davon ist das große Nonnenkloster Odivelas, das sechshundert dreißig Zellen, die ich selbst gesehen habe,

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birgt und mehr als zwölfmal hundert Nonnen samt den frommen Mägden. Und von dort bis Lissabon liegen auf der kurzen Strecke tausend und einhundert dreißig Villen, die man hierzulande Höfe nennt, und alle haben ihre Gärten und Alleen. In dem Mittelpunkt der Stadt liegt ein mmdervoller Platz, den man den Rocio nennt, groß und kunstvoll angelegt, der vor mehr als hundert Jahren noch vom Sand des Meeres feucht war, während jetzt von dort zum Meer hin dreißig tausend Häuser stehn, denn des Meeres Strömimg hat sich in der Zwischenzeit verlagert. Eine Straße ist daselbst Rua Nova, Neue Straße, wo die Schätze und die Pracht aus dem Orient sich derart häufen, daß, wie mir der König sagte, dort ein Kaufmann seine Gelder nicht mehr zählen kann und sie scheffelweise abschätzt. Am Gestade vor des Königs portugiesischer Hofburg liegen ungezählte Schiffe, immer schwer beladen mit Getreide: Weizen, Korn und Gerste aus Frankreich und aus Engeland. Dieses königliche Schloß, von des Tajo Flut umschmeichelt, kann sich hoher Abkunft rühmen,

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da Ulyxes es erbaut hat, und von ihm erhielt die Stadt ihren Namen in lateinischer Sprache: Ulissibona. Und im Wappen führt sie eine Sphäre und darüber jene Wundmale, die Gott der Herr einst dem König Don Alfonso Enriquez im Feld verlieh. — In dem großen Zeughaus stehen zwischen vielen Schiffen auch die der christlichen Erobrung, die so hoch sind, daß man, wenn man sie von unten her betrachtet, glaubt, sie streifen an die Sterne. — Noch etwas Besonderes muß ich dir berichten: nämlich, daß die Leute bei der Mahlzeit schon vom Tisch aus Büschel von frischgefangnen Fischen sehn, wie sie in den Netzen zappeln und hereingezogen werden. Und vor allem kommen jeden Abend mehr als tausend Barken an das Ufer, voll mit Waren aller Art und Lebensmittel, Brot und Öl und Wein und Holz und ein Vielerlei von Früchten, dazu Schnee vom Sterngebirge, den sie mit Geschrei durch alle Straßen auf dem Kopfe tragen und verkaufen. — Doch genug. Wenn ich auch nur einen Teil dieser reichen Stadt beschreiben wollte, wärs, wie wenn am Himmel

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ich die Sterne zählen müßte. Hundert dreißig tausend Menschen, sagt man, zähle Lissabon, und, um dich nicht zu ermüden, einen König, der dir huldigt. König: Eure bündige Erzählung, Don Gonzalo, hör ich lieber, als wenn ich mit eignen Augen alles das gesehen hätte. Habt ihr Kinder ? D. Gönz.: Eine Tochter, hübsch und schön, o Herr, ihr Antlitz ist ein Wunder der Natur. König: Einen Edelmann für sie bring ich euch. D. Gönz.: Wenn es dein Wunsch ist, hoher Herr, nehm ich ihn an für die Ehe meiner Tochter. Und wer ist es, den du wählst ? König: Er ist jetzt nicht hier, doch stammt er aus Sevilla und er heißt Don Juan Tenorio. D. Gönz.: Sogleich will ich's Doña Anna sagen. König: Lebet wohl und bringt mir dann eure Antwort, Don Gonzalo.

15. A u f t r i t t A m Strand bei Tarragona D o n J u a n und C a t a l i n ö n

Don Juan: Die zwei Stuten laß jetzt kommen, die gesattelt schon bereit stehn. Catalinön: Bin ich auch Catalinön, Herr, so doch ein braver Mann,

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Don J u a n :

Catalinon: Don J u a n :

Catalinon: Don Juan: Catalinon: Don Juan: Catalinon:

Don Juan:

Catalinon:

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und von mir sagte noch niemand: dieser ist ein Katharinlein. Du weißt wohl, daß dieser Name ganz und gar nicht paßt auf mich 1 ). Jetzt, solang die Fischer festlich in der Lustbarkeit sich tummeln, schaff du die zwei Stuten her. Nur ihr fliegender Galopp kann den Trug vollbringen helfen. Also willst du an Tisbea dich betrügerisch vergnügen ? Anders bin ichs nicht gewöhnt. Wozu fragst du ? kennst ja doch meine Art. Ich kenn dich freilich als die Zuchtrute der Weiber. Ich verschmachte nach Tisbea, 's ist ein prächtig Mädel. Schön zahlst du ihr die Gastfreundschaft! Dummkopf, trieb es doch Äneas mit der Dido auch nicht anders. Die ihr solchen Trug und Schwindel an der Weiblichkeit verübt, werdet's mit dem Tod bezahlen. Damit hats noch gute Weile. Deinen Namen Katharinlein führst du doch mit Recht. So mach halt, was dich freut. Im Weiberprellen will ich gern Kathrinchen sein. Sieh, da kommt das arme Ding.

') una Catalina, eine Katharine, nennt man im Spanischen einen jungen Papagei, so daß catalinon wohl einen weibischen Schwätzer bezeichnen konnte.

Drei Dramen des Tirso de Molina

Don Juan : Geh und hole mir die Pferde. Catalinón : Unglücksmädel, oh wie reichlich zahlt man dir die Gastlichkeit! ( C a t a l i n ö n ab)

16. A u f t r i t t Tisbea, Don Juan

Tisbea : Don Juan : Tisbea : Don Juan : Tisbea : Don Juan : Tisbea : Don Juan:

Tisbea : Don Juan:

Tisbea :

Wo ich dich entbehren muß, werde ich mir selber fremd. Ja, das sagst du so zum Schein, und ich kann es dir nicht glauben. Warum nicht ? Wenn du mich liebtest, würdest meinem Herzen helfen. Ich bin dein. Dann sag, worauf wartest du ? was hält dich noch ? Der Gedanke, daß durch dich Amor mich hat strafen wollen. Liebste, leb ich doch in dir und gewähr dir, was du willst. Müßte ich in deinem Dienst auch das Leben lassen, gerne geb ich es dahin — für dich. Ich gelobe dir die Ehe. Ebenbürtig bin ich aber deinem Stande nicht. Der König Amor macht mit gutem Recht Samt und Drilch einander gleich. Gar so gern möcht ich dir glauben, doch ihr Männer seid so treulos.

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Don Juan: Ist es möglich, Schatz, daß du meine Werbung so mißdeutest ? •und umstrickst mir heut die Seele ganz mit deinen Lockenhaaren. Tisbea: Dir ergeb ich mich, du wirst jetzt durch Wort und Hand mein Mann. Don Juan: Euch, ihr mördrisch schönen Augen, schwör ich, Ehgemahl zu sein. Tisbea: Denke, Schatz, an Gott und — Tod. Don Juan: Damit hats noch gute Weile. Solang Gott mich leben läßt, will ich euer Sklave sein. Meine Hand, mein Wort darauf. Tisbea: Dir's zu lohnen bin ich dann auch nicht spröde. Don Juan: Machst mich unruhig. Tisbea: Komm nur in die Hütte, wo meine Liebe treu und eifrig unser Hochzeitsbett bereitet. Vorher halte dich verborgen dort im Schilfrohr, bis es Zeit ist. Don Juan: Und wie find ich dann hinein ? Tisbea: Komm, ich zeige dir den Eingang. Don Juan: Schatz, du gibst mir Seligkeit. Tisbea: Mög's dich mahnen an dein Wort, und wenn nicht, so straf dich Gott. Don Juan: Damit hats noch gute Zeit. (Beide ab) 17. A u f t r i t t C o r i d ö n , A n f r i s o , B e i i s a und Musikanten

Coridon:

Vorwärts, ruft Tisbea her und die Burschen ruft herbei, daß in seiner Einsamkeit unser Gast ein Fest erlebe.

Drei Dramen des Tirso de Molina

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He, Tisbea, Clara, Atandra! — (Ach, was ist das eine Qual. Unglückseliger, der so für ein frostig Wesen glüht!) Eh wir unsern Tanz beginnen, lassen wir's Tisbea wissen. Gehen wir sie rufen. Beiisa : Coridón : Gehn wir! Beiisa: Dort zu ihrer Hütte hin. Coridón : Die wird aber jetzt besetzt sein durch die fremden Gäste, die man tausendfach darum beneidet. Neid gibts immer um Tisbea. Anfriso: Singt ein Liedchen, bis sie kommt, Beiisa: daß wir danach tanzen können. (Wie soll ein Gemüt sich freuen, Anfriso: (für sich) das von Eifersucht geplagt ist ?) : Alle singen Fischlein fangen ging das Mädel, hat mit seinem Netz gefischt, und anstatt der Fischlein hat sie viele Herzen sich erwischt.

Anfriso :

18. A u f t r i t t T i s b e a , h a s t i g hereineilend, die V o r i g e n

Tisbea:

Feuer, Feuer, ich verbrenne! Meine Hütte steht in Flammen! Freunde, schwingt die Feuerglocke, Wasser stürzt mir aus den Augen, meine Hütte bricht zusammen. Bringt Wasser, Freunde, Wasser! alles brennt! Sei gnädig, Amor, mir verbrennt die Seele! Hütte, Werkzeug des Betruges, meiner Schande, meiner Schmach,

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Coridon: Anfriso:

Coridon:

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Räuberhöhle, die dem Dieb meiner Ehre Schutz gewährest! Falscher Fremdling, der du schimpflich ein verlassnes Weib entehrest! Das Feuer rast, bringt Wasser, Freunde, Wasser! Sei gnädig, Amor, mir verbrennt das Herz! Immer h a t t e ich die Männer nur zum Narren: und wer immer andere zum Narren hat, wird a m Ende selbst genarrt. J a , genarrt hat mich der Ritter, hat die Ehe mir versprochen, meine jungfräuliche Reinheit und mein Bett hat er entweiht. Er benützte mich. Ich selbst gab dem Unhold die zwei Stuten, die ich aufgezogen hatte. Er entflieht damit und n a r r t mich. Eilt ihm nach, erhaschet ihn! — Doch wozu 1 lasset ihn laufen. Rache muß ich in des Königs Gegenwart mir selbst erbitten. Oh Freunde, Feuer, Feuer! Wasser, Wasser! Sei gnädig, Amor, mir verbrennt die Seele! (ab) Fangt den niederträchtigen Ritter! (Schweig und leide, armes Herz! Doch, bei Gott, an i h m will ich ihr den Undank noch vergelten.) Voll Verzweiflung geht sie fort, folgen wir ihr alle nach, denn sie könnte sich vielleicht in noch größres Unglück stürzen. So gehts, wenn man gar so stolz ist, im Vertrauen und im Wahn so verblendet!

Drei Dramen des Tirso de Molina

Tisbea:

Feuer, Feuer!

(hinter der Bühne)

Anfriso: Coridon: Tisbea:

Weh! sie stürzt sich in das Meer. Halt, Tisbea! halt zurück! O Freunde, Feuer, Feuer! Wasser, Wasser! Sei gnädig, Amor, mir verbrennt die Seele!

II. AUFZUG

1. A u f t r i t t I m Palast in Sevilla König A l f o n s o XI., D o n D i e g o T e n o r i o

König: Ist's möglich ? Don Diego: 's ist die reine Wahrheit, Herr, wie dein Gesandter, der mein Bruder ist, in diesem Briefe hier den Fall berichtet. I m Saal des Königs fanden sie den Burschen bei einer schönen Dame des Palastes. König: Von hohem Range % Don Diego: Es war Isabella, die Herzogin. König: Herzogin Isabella ? Don Diego: Gewiß. König: Ein freches Wagstück! Und wo ist er zur Zeit 1 Don Diego: Ich darf dir, königlicher Herr, die Wahrheit nicht verbergen. Gestern Nacht kam er mit einem Diener nach Sevilla. König: I h r wißt, Tenorio, ich schätze euch und will sofort den König unterrichten. Mit Isabella wird der Bursch vermählt. Herzog Octavio, der schuldlos leidet,

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wird sich beruhigen, und ihr sorgt dafür, daß Don Juan sofort das Land verläßt. Don Diego: Wo soll er hin ? König: Mein Zorn verbannt ihn aus Sevilla. Heute Nacht noch soll er nach Lebrija gehn, und diese milde Strafe verdankt er den Verdiensten seines Vaters. — Allein, wie machen wir es jetzt nur mit Gonzalo de Ulloa, dessen Tochter ich eurem Sohne zugesprochen hatte ? Ich seh kein Mittel. Don Diego: Hoher Herr, ich bin bereit zu tun, was du erdenken und befehlen magst zu Ehren dieser Dame, der Tochter solchen Vaters. König: Ihn zu trösten und zu entschädigen hab ich jetzt ein Mittel: (Ein Diener tritt ein)

ich mache ihn zum ersten Majordomus. Ein Edelmann auf Reisen ist gekommen und sagt, er sei Herzog Octavio. König: Octavio, der Herzog ? Diener: Ja, so sagt er. König: Gewiß erfuhr er Don Juans dummen Streich und kommt nun rachedurstig, um von mir Erlaubnis für den Zweikampf zu erbitten. Don Diego: In deine starken Hände, hoher Herr, leg ich mein Leben, denn mein wahres Leben ist dieses unfolgsamen Sohnes Leben, der zwar noch jung, doch stark und mutig ist, und seine Kameraden nennen ihn den Hektor von Sevilla, denn er hat schon manche seltne Heldentat vollbracht. " Vernunft ist stark.Verhindre drum, wenn möglich, daß es zum Zweikampf kommt. Diener:

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König:

Schon gut, Tenorio, ich kann's verstehn, ihr seid ein wackrer Vater. Der Herzog trete ein. Don Diego: Du überschüttest mit Gnaden mich, o Herr, wie dank ich dir!

2. A u f t r i t t Die Vorigen, Herzog O e t a v i o im Reiseanzug.

Octavio:

König:

Zu euren Füßen wirft sich, hoher Herr, ein armer und verbannter Pilger, dem der Weg auf seiner Wanderschaft durch euch erleichtert wird. Herzog Octavio!

Octavio:

Von grimmigem Leichtsinn eines Weibs und von nicht vorstellbarer Untat eines Ritters zur Flucht genötigt, steh ich so vor euch und beuge mich zu euern Füßen, Herr.

König:

Ich weiß, Herzog, daß ihr nicht schuldig seid und will dem König schreiben, daß er euch in euern vorigen Zustand wieder einsetzt und ihr nicht Schaden habt von eurem Abgang. Und in Sevilla will ich euch vermählen, wenn ers erlaubt und einverstanden ist. Mag Isabella schön sein wie ein Engel, vor d e r , die ich euch geben will, verblaßt sie. Gonzalo de Ulloa, Groß-Komtur von Calatrava, ist ein Ritter, den die Mauren, die ihn fürchten müssen, preisen, wie Feiglinge ja immer gerne schmeicheln. Und eine Tochter hat er, deren Tugend wie ihre reiche Mitgift kostbar ist, und ihre Schönheit strahlt so wunderbar

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wie Sonne an Kastiliens Sternenhimmel. Und diese will ich euch zur Gattin geben. Octavio: Hätt ich zu solchem Zweck allein die Reise getan, sie wäre mir zum Heil gediehen, indem ich eure Wahl und Gunst erfahre. König zu Don Diego: Der Herzog wird bei euch zu Gaste sein und beste Pflege finden. Octavio: Wer auf euch, o Herr, die Hoffnung setzt, wird reich belohnt. Als elfter Alfons bleibt ihr doch der erste. (Der König und Don Diego ab. R i p i o tritt auf)

3. A u f t r i t t Herzog O c t a v i o , R i p i o

Ripio: Octavio:

Nun, wie steht es ? So, daß ich das erlittne Mißgeschick, wie es über mich ergangen, jetzt für einen Glücksfall halte. Es erhörte, sah und ehrte mich der König. Ich, wie Cäsar, kam zu ihm und sah und siegte, und er führt mir eine Gattin zu und will sofort den König von Neapel mir versöhnen, daß der Bannstrahl mich nicht treffe.

Ripio:

Er verdient mit Recht den Namen „edelmütiger Kastilier". Und so weit ging er sogar, daß er eine Frau dir gibt ?

Drei Dramen des Tirso de Molina

Octavio:

J a , mein Freund, und aus Sevilla. Und Sevilla, davon kannst du, wenn du willst, dich überzeugen, bietet dir — es ist zum Staunen — starke, wohlgestalte Männer und gar anmutvolle Frauen: durch den Schleier wohlverhüllte sonnige Lebendigkeit, nirgends findet man sie wie in Sevilla. Meine Freude läßt den Kummer mich vergessen.

4. A u f t r i t t D o n J u a n und C a t a l i n c n , die Vorigen.

Catalinon: Vorsicht, Herr, der Herzog ists, Isabellas ahnungsloser Sagittarius oder besser Capricornus. Don J u a n : Laß nichts merken. Cat.: (Wem er schön tut, den verkauft er.) (für sich)

Don J u a n : Als Neapel ich verließ, weil mein König nach mir schickte und ich eiligst gehen mußte, denn sein Wunsch ist mir Befehl, blieb mir wahrlich keine Zeit mehr, mich von euch, Octavio, zu verabschieden. Octavio: Und so darf ich heute in Sevilla, wo wir uns zusammenfinden, mich als euern Freund bekennen, Don J u a n .

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Don J u a n :

Wer h ä t t gedacht, Herzog, daß ich in Sevilla euch begegnen und euch dienen dürfte, wie ichs mir gewünscht. Ihr verlaßt Neapel, eine doch so vorzügliche Stadt, da kann freilich nur Sevilla euch noch locken, edler Freund. Octavio: H ä t t e t ihr mir das schon früher, eh ich hieher kam, gesagt, schwerlich h ä t t ich es geglaubt, h ä t t a m Ende gar gelacht. Aber jetzt, seit ich hier lebe und so Vieles mir zuteil wird, find ich jedes Lob, das ihr für Sevilla habt, gering. — Schaut, es kommt jemand. Wer ist es ? Don J u a n : Das ist Markgraf de la Mota, und ich muß unhöflich euch lassen . . . Wenn ihr je von mir etwas braucht: mein Schwert, mein Arm stehn euch zu Gebot. Cat.: (Wenns sein muß, (für sich) wird er auch in Herzogs Namen noch ein ehrlich Weib mißbrauchen.) Octavio: Das genügt, ich dank euch sehr. Catalinon: Sollte euch Catalinon irgendwie von Nutzen sein, meine Herrn, so findet ihr jederzeit mich dienstbereit.. Ripio: Wo denn 1 Catalinon: I n dem vorzüglichen Weinhaus zu den Sperlingen. (Octavio und Ripio ab)

Drei Dramen des Tirso de Molina

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5. A u f t r i t t D o n J u a n , C a t a l i n ó n , Markgraf d e l a M o t a und sein Diener

Mota:

Don Juan: Catalinón: (für sich)

Don Juan: Mota: Don Juan: Mota: Don Juan: Mota: Don Juan: Mota: Don Juan: Mota:

Schon den ganzen Tag lang such ich heut nach euch und find euch nicht. Wie, Don Juan, ihr seid hier, und da quält sich euer Freund, daß ihr immer noch nicht da seid ? Ja bei Gott, mein Freund, das müßt ihr mir zuliebe auf euch nehmen. (Wenn ihr ihm nicht grad ein Fräulein oder Weibsbild anvertraut, könnt ihr euch auf ihn verlassen. Räuberisch in diesem Punkt nur, ist er sonst ein Edelmann.) Was gibts Neues ? Alles hat sich in Sevilla schnell verändert. Auch die Weiber ? Selbstverständlich. Inés ? Geht zurück nach Vejél Gutes Ruheplätzchen für eine hochgeborne Dame. Ja, die Jahre treiben sie nach Vejél. Um dort zu sterben. Und Constanza ? Die schaut arg aus, völlig kahl an Stirn und Brauen. „Velha" sagt der Portugiese, und sie meint, das heiße „schön".

Vejer de la Frontera bei Cadiz. Vossler, Drei Dramen

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Don Juan: Freilich, portugiesisch velha heißt kastilisch vieja, Alte. — Theodora ? Mota: Diesen Sommer hat sie von französischer Krankheit sich erholt durch tüchtiges Schwitzen und ist jetzt so zart und frisch, daß sie zwischen blumigen Worten gestern einen Zahn mir zuwarf. Don Juan: Julia, die vom Candilejo ? x) Mota: Wehrt sich tapfer mit dem Schminktopf. Don Juan: Immer zart noch, wie Forelle ? Mota: Jetzt schon eher Kabeljau. Don Juan: Und die Vorstadt Cantarranas ist noch immer gut bevölkert ? Mota: Meistens jetzt mit Sumpfgetier. Don Juan: Leben dort noch die zwei Schwestern ? Mota: Samt der Äffin aus Tolü 2) mit der Mutter Celestina, ihrer frommen Lehrerin. Don Juan: Oh, die alte Teufelsvettel ? Und wie gehts der älteren ? Mota: Bianca ? ohne blanken Heller, fastet jetzt für einen Heiligen. Don Juan: Wirft sich auf Vigilien ? Mota: 's ist ein standhaft frommes Weib. Don Juan: Und die andre ? Mota: Die ist klüger und verwertet jedes Bruchstück. Don Juan: Wie ein guter Maurermeister. Und was gibts an Foppereien ? So hieß eine Straße in Sevilla. Tolü, eine Hafenstadt inColombia, sprichwörtlich bekannt durch die Affen, die man dort zu kaufen pflegte. 2)

Drei Dramen des Tirso de Molina

Mota:

Ich und Pedro d'Esquivel stellten gestern eine an, die war grausam, und heut Nacht gibt's noch zwei. Don J u a n : Da komm ich mit und will auch ein Nest besuchen, wo ich etwas hinterlegte für uns beide. — Und wie geht es in der Liebe unterm Fenster ? Mota: Daran sterb ich nicht, ich habe höhre Sorgen als zu fensterin. Don J u a n : Nämlich ? Mota: Über meine Kraft. Don Juan: Zeigt sie keine Gegenliebe ? Mota: Sie erweist mir Gunst und Achtung. Don Juan: Und wer ist es ? Mota: Meine Base Alma, erst seit kurzem hier. Don Juan: Wo war sie ? Mota: In Lissabon mit dem Vater, dem Gesandten. Don J u a n : Ist sie schön ? Mota: Gar sehr, denn in Dona Anna de Ulloa hat Natur sich selbst besiegt. Don Juan: Derart schön ist dieses Weib ? Dann muß ich, bei Gott, sie sehn! Mota: Dann seht ihr die höchste Schönheit in dem ganzen Königreich. Don J u a n : So vermählt euch doch mit ihr. Mota:

Schon vermählt hat sie der König, doch man weiß noch nicht, mit wem. Don Juan: Ist sie euch nicht hold ? Mota: Sie schreibt mir .

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Catalinon: (Sprich nicht weiter. Er betrügt dich, dieser große Spötter Spaniens.) Don Juan: Also habt ihr gute Hoffnung. Mota:

Jetzt erwarte ich ihr letztes Wort, das die Entscheidung bringt. Don Juan: Drum versäumt die Stunde nicht. Ich will hier solange warten. (Er geht ab) Mota: Gleich bin ich zurück. Catalinon: (zu Motas Diener) Herr Viereck oder Rundlich, Gott befohlen. Diener:

Lebet wohl.

Don Juan:

Da nun wir zwei hier geblieben sind, mein Freund, so geh du dem Markgraf nach, der dort im Palast verschwindet. (Catalinon ab)

6. A u f t r i t t D o n J u a n , im Hintergrund an einem Fenstergitter erscheint eine Frau

die Frau: Don Juan: die Frau:

Pst! pst! hört mich an. Wer ruft ?

Ihr seid klug und ritterlich und sein Freund, drum übergebt diesen Brief sofort dem Markgraf und bedenkt: es geht dabei um die Ruhe einer Dame. Don Juan: Ja, ich bin sein Freund und Ritter, und den Brief werd ich ihm geben. die Frau: Das genügt, Herr Unbekannter, lebet wohl. (Sie verschwindet)

Drei Dramen des Tirso de Molina

7. A u f t r i t t D o n J u a n allein

Don Juan:

Weg ist die Stimme. Wie durch Zauberei geschah, was im Augenblick sich machte. Ist ein Brieflein plötzlich da, das des Windes Post mir brachte. Ohne Zweifel schriebs die Dame, deren Lob der Markgraf sang. Hei! das ist ein feiner Fang! So bewährt sich mir der Name des Betrügers, den die Stadt neckisch mir gegeben hat. Besser schmeckt mir kein Vergnügen, als ein junges Weib betrügen. — Jetzt, bei Gott, muß ich den Brief öffnen, da ich außer Sicht bin. Steckt am End ein Trug dahinter ? Lachen möcht ich, wenn ichs denke. Schon ist offen unser Brieflein, und von i h r , jawohl, die Handschrift, Dona Anna unterzeichnet. Und da heißt es: „Treulos hat im Geheimen mich mein Vater gegen meinen Wunsch vermählt und mich in den Tod gestürzt. Wie soll ich es überleben \ Wenn du, wie es sich gehört, meine Liebe, meinen Willen hochhältst und mich wirklich lieb hast, so beweis es, jetzt ists Zeit. Willst du sehn, wie ich dich schätze, komm heut Nacht an meine Türe, die um elf Uhr offen steht,

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Vetter, daß du deine Hoffnung, deiner Liebe Ziel erreichest. Als Erkennungszeichen für Lenchen und die Dienerinnen sollst du, Liebster, einen hellen Mantel tragen. Meine ganze Liebe liegt in deinen Händen. Lebe wohl!" — Der arme Liebling! Eine Fügung ohnegleichen! Das ist mir ein Streich zum Lachen, wahrlich, die werd ich mir holen mit demselben Kunstgriff wie in Neapel Isabella.

8. A u f t r i t t C a t a l i n o n zurückkehrend, D o n J u a n

Catalinon: Eben kommt der Markgraf. Don Juan: Diese Nacht gibts Arbeit für uns zwei. Catalinon: Einen neuen Anschlag wieder ? Don Juan: Einen großartigen! Catalinon: Nein! Du wirst es noch so weit treiben, Herr, daß die Genarrten w i r sind. Denn wer immer andre narrt, der muß, selbst genarrt am Ende, alles, was er angerichtet, zahlen. Don Juan: Predigst du schon wieder, lästiger Schwätzer ? Diesmal noch warn ich dich zum letzten Mal. Catalinon: Gut, in Zukunft werde ich schweigend tun, was du befiehlst.

Drei Dramen des Tirso de Molina

Dir zur Seite zwinge ich Tiger dann und Elefant. Selbst mit einem Prior nehm ioh's auf, wenn du befiehlst, und wortlos will ich ihn bezwingen, Herr, ohne eine Gegenrede. Don Juan: Sei jetzt still, der Markgraf kommt. Catalinon: Und soll d e r bezwungen werden 1

9. A u f t r i t t Die Vorigen, der Markgraf d e l a M o t a .

Don Juan: Markgraf, eine höfische Botschaft wurde mir für euch gegeben dort durch jenes Gitter, wo ich den, der sprach, nicht sehen konnte. An der Stimme nur erkannt ich, daß es eine Frau sein mußte. Kurz, sie bittet dich, um zwölf Uhr heimlich an das Tor zu kommen, das ab elf Uhr offen steht. Dort wird das erhoffte Glück deiner Liebe dir zuteil. Als Erkennungszeichen für Lenchen und die Mägde sollst du einen hellen Mantel tragen. Mota: W i e war das ? Don Juan: Die Botschaft wurde durch ein Fenster mir gesagt. Niemand war zu sehn. Mota: Man brauchte Fassung in so heikler Sache. — Oh, mein Freund, in dir nur konnte

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Don J u a n :

Mota:

Don J u a n : Mota:

Don J u a n :

Catalinon:

meine Hoffnung neu erstehn! Deine Füße küß ich. Schau, nicht in mir hast du dein Bäs'chen. Du, nur du sollst dich a n ihr liebend laben, — und du küssest mir die Füße ? J a , vor Freude bin ich außer Rand und Band. Sonne, spute dich, geh unter! Sieh, die Sonne senkt sich schon. Freunde, gehen wir nach Hause, uns zu rüsten für die Nacht. Ich bin närrisch! (Ja, das merkt man, und ich weiß, daß du u m zwölf Uhr dich noch toller wirst gebärden.) (Beim Barmherzigen, für sein Bäs'chen möcht ich keinen Heller geben!) (der Markgraf geht ab)

10. A u f t r i t t Don Diego Tenorio, Don Juan, Catalinön

Don Diego: Don J u a n ! Catalinon: Dein Vater ruft. Don J u a n : Was ist euer Wunsch, Herr Vater ? Don Diego: Daß du ein vernünftiger, braver Mensch von gutem Ruf wirst. Muß ich deinetwegen immer kummervoll zu Tod mich sorgen ? Don J u a n : Warum bist du so verstört ? Don Diego: Dein Betragen, deine Streiche . . . Kurz, der König hat befohlen, aus der Stadt dich zu verweisen,

Drei Dramen des Tirso de Molina

denn mit Recht ist er empört über deine Büberei. Zwar hast du es mir verborgen, doch schon weiß es in Sevilla unser König: — ein Verbrechen, dir's zu sagen, scheu ich mich. In dem königlichen Schloß ein Verrat am eignen Freund! Geb der Herrgott dir den Lohn, Erzverräter, der dir zukommt! Denkst, daß Gott dirs hingehn läßt und noch wartet, wie es scheint. Seine Strafe aber kommt ohne Säumnis und erreicht euch, die ihr seinen Namen schändet, denn er ist ein scharfer Richter in der Todesstunde. Don J u a n :

Dann erst ? Damit hats noch gute Zeit, und der Weg dorthin ist weit. Don Diego: Kurz wird er dir noch erscheinen. Don J u a n : Und der Weg in die Verbannung, die der König mir beschert, ist er ebenfalls so weit ? Don Diego: Bis Octavio, der Herzog, sich Genugtuung verschafft hat und bis in Neapel sich der Skandal um Isabella, den du angerichtet hast, ganz beglichen ist, sollst du in Lebrija dich verbergen, will der König. Leichte Strafe für Verrat und Hinterlist.

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Catalinon: (Wüßte er den Fall der armen Fischerin, der gute Alte müßte sich noch mehr erzürnen.) Don Diego: Da dich nichts erschüttern kann, was ich tun und sagen mag, nun, so strafe dich der Herrgott. (Er geht ab)

11. A u f t r i t t D o n J u a n und C a t a l i n ö n

Catalinon: Schmelzend geht der Alte weg. Don Juan: Wie die Tränen fließt er hin nach der Art der alten Leute. Gehn wir, es ist Nacht geworden, unsern Markgraf suchen. Catalinon: Gehn wir, schließlich kriegst du dann sein Fräulein. Don Juan: Das gibt einen Meisterstreich. Catalinon: Lasse uns der Himmel heil draus hervorgehn! Don Juan: Bist halt eine Katharme! Catalinon: Du, mein Herr, bist der Weiber Schreckgespenst, und durch öffentlichen Ausruf sollte man verkünden lassen — weil von dir, wenn du erscheinest, jedes jungfräuliche Wesen ausdrücklich zu warnen wäre —: auf der Hut sein vor dem Mann, der die Frauen hintergeht und Verführer Spaniens heißt! Don Juan: Gibst mir einen feinen Namen.

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12. A u f t r i t t Der Markgraf in nächtlicher Tracht mit Musikanten und Gesang. Die Vorigen

Gesang:

Wer sein Liebesglück erwartet, der verzweifelt, wenn er wartet. Don Juan: Was ist das ? Catalinon: Es ist Musik. Mota: Mir will scheinen, daß der Dichter mich gemeint hat . . . Wer da ? Don Juan: Freunde. Mota: Ihr, Don Juan ? Don J u a n : Ihr, Herr Markgraf ? Mota: Wer solls anders sein als ich ? Don Juan: Gleich als ich den Mantel sah, war mir klar, daß ihr es seid. Mota: Singt jetzt eines für Don Juan! Gesang:

Wer sein Liebesglück erwartet, der verzweifelt, wenn er wartet. Don J u a n : Wer wohnt dort in jenem Haus ? Mota: Don Gonzalo de Ulloa. Don J u a n : Jetzt wohin ? Mota: Nach Lissabon. Don Juan: Wie ? wir sind doch in Sevilla. Mota: Und ihr wundert euch und wißt nicht, daß auch in Kastilien portugiesische Liebesmägde sich recht wohl zuhause fühlen ? Don J u a n : Wo denn ? Mota: In der Schlangengasse, wo man unsre Adamssöhne, von der portugiesischen Eva durch die Sündenfrucht bezaubert, sehen kann und ausgebeutelt.

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Catalinon: Doch bei Nacht möcht ich durch diese Schlangengasse nicht spazieren, denn, was ihr bei Tag als Honig dort genießt, wird K o t bei Nacht. Leider hat sich nächtlings dort etwas über mich ergossen, das mich merken ließ, wie schlecht portugiesische Salbe riecht. Don Juan: Während ihr nun dorthin geht, spiel ich rasch noch einen Streich. Mota: Mich erwartet in der Nähe hier ein Kerl. Don Juan: Wenn ihr jetzt weggeht, Markgraf, werdet ihr erfahren, wie man mir so leicht nicht auskommt. Mota: Legt euch meinen Mantel um, daß der Streich noch besser glücke. Don Juan: Guter Rat. Jetzt zeigt mir noch, wo sich jenes Haus befindet. Mota: Während ihr es ausführt, müßt ihr Stimm und Sprache gut verstellen. Seht ihr dort das Fenstergitter ? Don Juan: Ja, ich sehs. Mota: Dort geht ihr hin, tretet ein und ruft: Beatrix! Don Juan: Und wie ist sie ? Mota: Frisch und rosig. Catalinon: Wie ein irdner Wasserkrug. Mota:

Unser Treffpunkt, bei den Stufen.

Don Juan: Markgraf, lebet wohl. Catalinon:

Wohin jetzt ?

Don Juan: Schweig jetzt, schweig doch. Dorthin, wo meinen eignen Streich ich spiele. Catalinon: Dir kommt wahrlich niemand aus.

Drei Dramen des Tirso de Molina

Don J u a n : F ü r vertauschte Rollen schwärm ich. Catalinon: Warfst dem Stier den Mantel zu. Don J u a n : Nein, der Stier den Mantel mir. (Don J u a n u n d C a t a l . ab)

Mota:

Jenes Weib wird glauben, daß ich es bin. Musikant: Ein netter Schwindel. Mota: Das heißt treffen aus Versehen. Musikant: I r r t u m ist das ganze Leben. Gesang: Wer sein Liebesglück erwartet, der verzweifelt, wenn er wartet.

13. A u f t r i t t Saal i m H a u s des D o n G o n z a l o d e U l l o a

Doña Anna: Lügner, du bist nicht der Markgraf! (h. d. Bühne) D u betrügst mich! Don J u a n : Ich versichre, (h. d. Bühne) daß ichs bin. Doña Anna:

Du lügst, du lügst, Schurke!

D. Gönz.:

Das ist Annas Stimme,

(mit gezücktem Degen)

Doña Anna :Ist denn niemand da, der diesen Gauner meiner Ehre totschlägt ?! D. Gönz.: Möglich, daß es jemand wagt, sie der Ehre zu berauben! Weh mir, und so Tinbesonnen ruft sies in die Welt hinaus. Doña Anna : Schlagt ihn t o t ! (Don Juan u. Catal. treten mit gezücktem D e g e n auf)

Donjuán:

Wer hält mich auf ?

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D. Gönz.:

Don Juan: D. Gönz.: Don Juan: D. Gönz.: Don Juan: D. Gönz.: Don Juan:

Karl Vossler

Meiner Ehre Turm und Festung hast du mir verräterisch umgerissen, und der Burgvogt steht für sie mit seinem Leben. Laß mich durch. Du willst vorbei ? Nur durch dieses Degens Spitze. 's wird dein Tod sein. Ist mir gleich. Schau, du zwingst mich, dich zu töten. Stirb, Verräter! Sterben ? . . . so nur. (sie fechten)

Catalinön: (Komm ich diesmal heil davon, nie mehr Fopperei noch Kirch weih!) D. Gönz.: Tödlich hast du mich getroffen. Don Juan: Nahmst du selbst dir doch das Leben. D. Gönz.: Wozu diente es mir noch ? Don Juan: Fliehn wir! (D- Juan u. Catal. ab) D. Gönz.: Flieh, Verräter, feiger! Meine Rache, meine Wut folgt dir nach und holt dich ein, schon erstarrt im Tod mein Blut und wird dir gefährlich sein. (Er stirbt)

14. A u f t r i t t D o n G o n z a l o wird tot hinausgetragen. Der Markgraf d e l a M o t a mit Musikanten, sodann D o n J u a n und C a t a l i n ö n .

Mota:

Sogleich wird es zwölf Uhr schlagen, und Don Juan kommt noch nicht. Welche Qual dies Wartenmüssen! (Don J u a n u. C a t a l i n ö n treten auf)

Don Juan: Ists der Markgraf ?

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Drei Dramen des Tirso de Molina

Mota: Ists Don Juan ? Don Juan: Ich bins. Hier ist euer Mantel. Mota: Und der Streich ? Don Juan: Ein böses Ende! Einen Toten hats gegeben. Catalinon: Und der Tote ist gefährlich. Mota: Ists dein Ernst ? Was tu ich dann ? Catalinon: Ihr seid auch dabei gefoppt. Don Juan: 's ist ein teurer Spaß gewesen . . . Mota: den ich gern bezahlen will, Freund, denn über mich wird ja sich das Weib beklagen. Don Juan: Gut, lebet wohl. Catalinon: Der arme Herr kommt in eine saubre Lage. Don Juan: Fliehn wir. Catalinon: Herr, ich lauf so flink, daß kein Adler mich erreicht. (Beide ab)

15. A u f t r i t t M o t a , die Musikanten.

Mota:

Ihr könnt alle jetzt nach Hause gehn, ich mach den Weg allein. Musiker: Gott erschuf die Nacht zum schlafen. Stimme hinter der Bühne: Hat man je ein solches Unglück, eine solche Not gesehn ? Mota: Gott im Himmel! Stimmen hör ich auf dem Platz vor dem Alcazar, in so später Nacht, was ist das ? Es durchschauert mir die Brust. Wie der Brand von Troja leuchtets

(ab)

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Karl Vossler

bis herüber, so viel Lichter flammen auf: ein Feuer-Riese. Und ein ganzer Schwärm von Fackeln nähert sich, ein Sterngeflimmer, das in Scharen sich verteilt. Was da los ist, muß ich wissen.

16. A u f t r i t t D o n D i e g o T e n o r i o und die Wache mit Fackeln. M o t a

Don Diego: Wer da ? Mota: Einer, der den Grund dieses aufgeregten Lärmes oder Aufruhrs wissen möchte. Don Diego: Nehmt ihn fest. Mota: Verhaftung mir ? (er greift an den Degen)

Don Diego: Laßt den Degen in der Scheide! Echte Tapferkeit braucht nicht nach der Waffe gleich zu greifen. Mota: Wie 1 dem Markgraf de la Mota diese Sprache ? Don Diego: Gebt mir euern Degen, 's ist Befehl des Königs. Mota: Unerhört!

17. A u f t r i t t Der König mit Gefolge. Die Vorigen

König:

I m ganzen Spanien darf f ü r ihn kein Platz sein, noch in Italien, falls er hingeht. Don Diego: Hoher Herr, hier ist der Markgraf.

Drei Dramen des Tirso de Molina

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Mota:

Eure Hoheit wollen, daß man mich festnimmt ? König Führt ihn ab mit der Fessel um den Hals. — Wie kannst du vor mir dich zeigen ? — Strenge Herrlichkeit der Liebe, Mota: die so leicht vorüberrauscht und so schwer sich trägt im Leben. J a , der Weise sah wohl recht: zwischen Lipp und Bechers Rand die Gefahr, — und doch erschreckt mich unsres Königs jäher Zorn. Ich gefangen, und warum denn ? Don Diego: Niemand weiß es besser als euer Gnaden. Mota: Ich, wieso ? Don Diego: Gehn wir. Mota: Sonderbare Wirrnis! König: Das Verfahren gegen Mota soll beschleunigt werden, und morgen wird er dann geköpft. Dem Komtur wird ein Begräbnis feierlich und würdig, wie es für die hohe Geistlichkeit und das Königshaus sich ziemt, und aus Erz und Stein ein Grabmal mit der Statue soll er haben, wo in Mosaik und in großen Buchstaben zu seiner Rache aufgefordert wird. Grabmal, Beisetzung und Standbild, all das geht auf meine Kosten. — Doch wohin ging Dona Anna ? Don Diego: Schutz und Zuflucht suchen bei der Herrin, unsrer Königin. Vossler, Drei Dramen

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290 König:

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Trauern wird Kastilien, Calatrava wird beweinen den Verlust des großen Helden.

(Alle ab)

18. A u f t r i t t Landschaft bei Dos Hermanas, südlich von Sevilla. B a t r i c i o mit seiner Braut A m i n t a , der alte G a s e n o , B e i i s a und musizierende Hirten

Die Hirten singen: Lieblich tritt die Sonne vor aus des Frühlings Blütenflor, der sie sternenhaft umkränzt, schöner noch Aminta glänzt. Batricio: Auf dem Wiesenteppich hier, wo des Tages junges Licht in dem Tau der Blumen flimmert, laßt euch nieder; freundlich schimmert uns das Lager, säumet nicht. Aminta: Singet meinem Bräutigam tausend Huldigung im Chor. Gesang: Lieblich tritt die Sonne vor aus des Frühlings Blütenflor, der sie sternenhaft umkränzt, schöner noch Aminta glänzt. Gaseno: Sehr gut habt ihrs abgestimmt, reicher klingt kein Kyrie. Batricio: Wenn ihr purpurroter Mund schamhaft leise zu mir spricht, wird ihr lieber Sinn mir kund, wie des Frühlings Morgenlicht. Aminta: Dank, Batricio, meinen Dank für die windigen Schmeichelein, machst mich wie den Mond so blank,

Drei Dramen des Tirso de Molina

Gesang:

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du mit deinem Sonnenschein , der mir neues Wachstum b r i n g t . Vorher hab ich abgenommen, jetzt ist Morgenlicht gekommen, das dir den Willkommen singt. Lieblich tritt die Sonne vor aus des Frühlings Blütenflor usw.

19. A u f t r i t t C a t a l i n o n i m Reiseanzug, die Vorigen

Catalinon: Herrschaften, zur Hochzeitfeier kommen Gäste, euch zu grüßen. Gaseno: Mag die ganze Welt doch unsre Festesfreude kennen lernen! Und wer kommt ? Catalinon: Don J u a n Tenorio. Gaseno: Ists der Alte ? Catalinon: Nein, Don Juan. Beiisa: Also wohl sein hübscher Sohn ? Batricio: Hübsch und Edelmann, das sagt (für sich) mir nichts Gutes, stört die Freude und führt leicht zur Eifersucht. Woher habt ihr denn die Nachricht meiner Hochzeit % Catalinon: Auf dem Wege nach Lebrija hörten wirs. Batricio: ( D e n schickt wohl der Teufel her. Doch, was nehm ich es so schwer ? Schicke denn zum holden Feste mir das Weltall tausend Gäste . . . doch mit solchem Edelmann kündet sich nichts Gutes an.) 19*

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Gaseno:

Beiisa: Batricio:

Karl Vossler

Und wenn der Koloß von Rhodos und der Papst, der Mohrenkaiser, unser König Alfons samt seinem Hofstaat kommen: hier finden sie fürstlich Quartier. Berge gibts von Brot bei mir, Wein wie ein Guadalquivir, Hühner, Tauben scharenweise, Vögel, eine saftige Speise, gut gespickt: zu diesem Zweck babylonische Türme Speck. Komme denn der Edelmann heut in Dos Hermanas an, ehren wirds uns jedenfalls. 's ist der Sohn des Seneschalls. (Mir kann das nichts Gutes bringen. Neben meiner Frau wird man ihm den Ehrenplatz gewähren. Und noch eh sie mir zu eigen, muß mich Eifersucht verzehren. Das ist Liebe: dulden, schweigen.)

20. A u f t r i t t D o n J u a n , die Vorigen

Don J u a n : Zufällig vorüberreitend, höre ich: hier gibt es Hochzeit, und da mir das Glück so hold ist, möcht ich gerne auch dabei sein. Gaseno: Euer Gnaden bringen uns hohe Festlichkeit und Ehre. Batricio:

(Ich, der Herr des Fests, verwünsche in der Stille euer Kommen.)

Drei Dramen des Tirso de Molina

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Gaseno:

Wollt ihr diesem Kavalier keinen Platz anweisen ? Don J u a n : Hier will ich mit Verlaub mich setzen. (Er setzt sich neben die Braut)

Batricio:

Wenn ihr euch für mich hiehersetzt, seid ja i h r der Bräutigam. Gaseno zu Don J u a n : Dieser ist der Bräutigam! Don J u a n : 0 , das wüßt ich nicht, Verzeihung. Catalinon: (Unglücklicher Ehemann.) Don J u a n zu Catalinon: Er wird böse. Catalinon: J a , das seh ich, doch wenn es zum Stierkampf kommt, muß der Stier ja wohl gereizt sein. Für sein Weib und seine Ehre möcht ich keinen Heller geben. Armer Kerl, daß du dem Teufel in die Hände laufen mußtest! Don J u a n : Ist es möglich, meine Dame, daß mir solches Glück zuteil wird ? Euern Mann beneide ich. Aminta: Wie mir scheint, seid ihr ein Schmeichler. Batricio: (Recht hab ich gehabt: ein Junker auf der Hochzeit bringt nichts Gutes.) Gaseno:

Vorwärts, gehen wir zum Essen, denn der gnädige Herr wird wohl noch ein wenig ruhen wollen.

Don J u a n (will die Hand der Braut ergreifen) Eure H a n d ? Aminta: Gaseno: Beiisa:

Behalt ich selbst, (entzieht sie ihm) Gehn wir. Singt uns noch ein Lied.

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Don Juan zu Catalinon: Nun, was sagst du ? Catalinon: Angst hab ich, hier den Bauerntod zu sterben. Don Juan: Lichte Augen, weiße Hände! glühend brenne ich danach. Catalinon: Auszeichnen und dann: beiseite! diese wird die vierte sein. Don Juan: Komm, sie schaun mich alle an. Batricio: (Hochzeit und der Kavalier, schlimme Aussicht!) Gaseno: Singt! Batricio: Weh mir! Catalinon: Erst ein Singen, dann ein Weinen. (Alle

III. AUFZUG

1. A u f t r i t t In Gaseno's Haus. B a t r i c i o nachdenklich

Batricio:

Eifersucht, du Quälerin, machst mir Sorge immerzu, keine Stunde hab ich Ruh, seit ich dir verfallen bin. Eifersucht, wie bist du blöd, keiner Freude dir bewußt, nimmst mir alle Lebenslust, bist so stark und bist so öd. Hör doch auf, mir zuzusetzen, deine Art ist mir nicht neu. Jedesmal, wenn Lieb und Treu mich erquickt, mußt du's verletzen. — Was verfolgt ihr mich, Herr Ritter ? warum quält ihr mich so sehr %

Drei Dramen des Tirso de Molina

Als ich ihn beim Fest erblickte, sagt ich gleich: ein böses Zeichen. Setzt sich da — ist das nicht stark ? •— neben meine Braut zum Essen, läßt in meine eigne Schüssel nicht einmal die Hand mich tauchen. Jedesmal, daß ich mir einen Bissen holte, schob er mir weg die Hand und sagte: das ist ungehörig, ungehörig! Wenn ich bei den Andern dann mich beklagte, lachten sie und erwiderten: ihr habt keinen Grund, euch zu beklagen, 's ist ja nicht der Rede wert, und zu fürchten braucht ihr nichts, nehmt's in Ruhe, denn so ist es wohl bei Hofe Brauch und Sitte. Schöner Brauch das, feine Sitte! Nicht einmal in Sodom würde mit der Braut ein Andrer speisen und der Bräutigam sich kasteien. Und der Andre, dieser Spitzbub, wenn ich etwas essen wollte, fragte: wie ? das essen Sie nicht ? Schade, Herr, das ist was Gutes, — und im selben Augenblick nahm ers weg. Ich bin empört, denn statt einer Hochzeit wahrlich war es schnöde Prellerei. Daß man unter Christenmenschen so etwas ertragen soll! Und ob nach dem Essen dann er zum Schlafen auch noch mitkommt und das Spiel so weitergeht

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zwischen uns, und daß es heißt, wenn ich meinem Weib mich nähere: „Ungehörig, ungehörig! ?" — Schau, er kommt. Ich halts nicht aus. Hier versteck ich mich vor ihm. Doch es geht nicht, denn er hat, glaube ich, mich schon gesehn.

2. A u f t r i t t Don Juan, Batricio

Don Juan: He, Batricio. Batricio: Euer Gnaden wünschen ? Don Juan: Euch zu wissen tun . . . Batricio:

(Was kann es schon andres sein, als für mich ein neues Unglück ?) Don Juan: Daß ich schon seit vielen Tagen in Aminta ganz verliebt bin und auch ihre . . . Batricio: Ehre ? Don Juan: Ja! Batricio: Damit ist ja klar erwiesen, was der Augenschein gezeigt hat. Denn, war s i e ihm nicht gewogen, war er nie ins Haus gekommen. Schließlich ist sie halt ein Weibchen. Don Juan: Kurz, Aminta, eifersüchtig und verzweifelt, da sie sich schon vergessen sah von mir, einem Fremden zugesprochen, schrieb mir diesen Brief, ich solle kommen. Da versprach ich ihr,

Drei Dramen des Tirso de Molina

Batricio:

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was das Herze sich erträumte: Liebesglück. Nun ists geschehn, und da gibt es nichts zu ändern. Schaut, wie ihr das Leben rettet, denn wer meinem Glück im Weg steht, den erleg ich unfehlbar. Wenn du's meiner Wahl anheimstellst, will ich dir den Willen tun, denn im Mund der Leute können Weib und Ehre nur verlieren. Fraun, die ins Gerede kommen, haben nichts mehr zu gewinnen, und man schätzt sie wie die Glocken nach dem Ton, den sie ergeben. Die Erfahrung lehrt es ja, daß von jedem Weib der Ruf unrein wird, wenn er wie eine angebrochne Glocke klingt. Drum will ich, da meine Liebe nicht mehr gilt wie sichs gehört, keine Frau, die hin und her zwischen gut und schlecht mir schillert. Mögest du dich tausend Jahre ihrer freun! Ich steh zurück, lieber sterbe ich enttäuscht, als von Täuschungen zu leben. (Er geht ab)

3. A u f t r i t t Don

Juan

Don J u a n : Ehre half das Spiel gewinnen, denn die Bauern haben immer ihre Ehre bei der Hand und betrachten sich darin. —

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J a , in diesem Weltgetriebe müssen wir verstehn und glauben, daß die Ehre aus der Stadt sich aufs Land geflüchtet hat. — E h ich jetzt das Unheil stifte, muß ich es beschönigen, mit des Mädchens Vater sprechen, daß der Trug ein Ansehn kriegt. Gut hab ich es eingefädelt, heute Nacht noch wird sie mein. Näher rückt die Nacht, ich will ihren alten Vater rufen. — Sterne ihr in Helligkeit, laßt mich diesen Trug gewinnen! Soll der Tod den Lohn mir bringen, nun, so hats noch gute Zeit. (Er geht ab)

4. A u f t r i t t A m i n t a und B e i i s a

Beiisa: Aminta:

Schau, dein Ehemann kommt gleich, geh hinein und zieh dich aus. Diese Unglückshochzeit hat mich so verwirrt gemacht, Beiisa. Mein Batricio war den ganzen Tag in Schwermut eingehüllt. Eifersüchtig und verstört ist er, schau, was für ein Unglück! Sag, was ist das für ein Ritter, der mir meinen Mann entfremdet ? H a t in Spanien man die Frechheit in den Ritterstand erhoben ? Laß mich, ich bin außer mir,

Drei Dramen des Tirso de Molina

Beiisa:

Aminta: Beiisa: Aminta:

laß mich, ich bin wutentbrannt! Fluch dem Rittersmann, der mir all mein Glück und Freude nimmt! Still, ich glaub, dein Gatte kommt, denn kein andrer stapft so laut durch das Haus der Neuvermählten. Leb denn wohl, meine Beiisa. Mach ihn froh in deinen Armen. Geb der Himmel, daß ihm meine Seufzer Schmeichelwort bedeuten und Liebkosung meine Tränen. (Beide ab) 5. A u f t r i t t D o n Juan, Catalinon, Gaseno

Don Juan: Gott befohlen, Herr Gaseno. Gaseno: Gerne möcht ich euch begleiten, um zu dieser günstigen Fügung meiner Tochter Glück zu wünschen. Don Juan: Dazu ist noch morgen Zeit. Gaseno: Ihr habt recht. Mit meinem Herzen soll das Mädel euch gehören. Don Juan: Als Gemahlin. (Gaseno ab) 6. A u f t r i t t D o n J u a n und C a t a l i n o n

Don Juan:

Mach die Pferde fertig.

Catalinon: Bis zu welcher Stunde ? Don Juan: Bis zum Frührot, daß es morgen sich zu Tode lachen kann um den Reinfall. Catalinon : In Lebrija, Herr, erwartet uns noch eine

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Don Juan: Catalinon: Don Juan:

Catalinon:

Don Juan: Catalinon: Don Juan: Catalinon:

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Hochzeit, darum spute dich, daß du fertig wirst mit dieser. Diese soll das best erlesne Possenspiel von allen werden. Kämen wir aus allen nur gut heraus. Dieweil mein Vater oberster Gerichtsherr ist und des Königs Gunst besitzt, fürchtest du ? An Günstlingen pflegt der Herrgott sich zu rächen, wenn sie Missetäter schonen, wie beim Spiel, auch wer nur zuschaut, manchmal seinen Schaden findet. Ich war Kiebitz bei dem deinen und ich möchte nicht, daß deshalb mich ein Strahl des Himmels träfe und in Rauchfleisch mich verwandelt. Geh und sattle. Morgen will ich übernachten in Sevilla. In Sevilla ? Ja.

Ists möglich ? Denk doch, was du dort getan hast, und daß auch vom längsten Leben bis zum Tod ein kurzer Schritt ist, und daß dann die Hölle kommt. Don Juan: Wenn du mir so lange Frist gibst, reicht's zu manchem Streich noch. Catalinon: Herr . . .! Don Juan: Geh, du langweilst mich mit deiner närrischen Angstmacherei. (Catalinon ab)

Drei Dramsn des Tirso de Molina

7. A u f t r i t t Don J u a n allein Don J u a n : I n schwarzem Schweigen liegt die Nacht und zwischen Sternenbüscheln steigen a m weiten Himmelsraum empor zum Scheitelpunkte die Pleiaden. — Ich setze den Betrug ins Werk. Die Liebe führt, die Neigung treibt mich, kein Mensch vermag zu widerstehn. So gehe ich zum Hochzeitsbett. Aminta! . 8. A u f t r i t t A m i n t a im Nachtgewand, D o n J u a n Aminta: Don J u a n : Aminta: Don J u a n : Aminta: Don J u a n : Aminta:

Don J u a n :

J a , wer ruft Aminta ? mein Batricio ? Ich bin nicht dein Batricio. Wer denn % Schau dir einmal an, wer's ist. Weh, ich bin verloren! Ihr, nachts in meiner Kemenate % Ist die Nacht doch meine Zeit. Geht hinaus, ich rufe Leute! Und verletzt die Achtung nicht, die man meinem Gatten schuldet. Auch in Dos Hermanas gibts noch römische Emilien, rächende Lukrezien. Nur zwei Worte, hör mich an, und verbirg das edle Rot deiner Wangen in dem Herzen, wo du's köstlich zubereitest.

302 Aminta: Don J u a n : Aminta: Don J u a n : Aminta: Don J u a n : Aminta: Don J u a n : Aminta: Don J u a n : Aminta: Don J u a n : Aminta: Don J u a n : Aminta: Don J u a n : Aminta: Don J u a n : Aminta: Don J u a n :

Karl Vossler

Mach dich f o r t ! mein Gatte kommt. Der bin ich. Das mindert dich ? Du ? seit wann ? Seit eben jetzt. Wer hat das bestimmt ? Mein Glück. Wer hat uns getraut ? Dein Auge. Welche Macht ? Die Macht des Anblicks. Weiß das auch Batricio ? Ja, er vergißt dich. Er vergißt mich ? J a , und ich vergöttre dich. Wie ? Mit beiden Armen. Laß das! K a n n ich denn, wenn ich vor Liebe sterbe ? Oh die große Lüge! Hör mich an, Aminta, daß ich dir die Wahrheit sage, wenn du sie erfahren willst, denn ihr Frauen seid der Wahrheit hold. Ich bin Edelmann und Ritter und Familienoberhaupt der Tenorios, die dereinst unsre Stadt Sebilia mit erobern halfen, und nächst dem König ehrt und schätzt man an dem Hofe meinen Vater, Richter über Tod und Leben. Zufällig hab ich a m Wege dich zu sehn bekommen. Amor

Drei Dramen des Tirso de Mo) ina

Aminta:

Don Juan: Aminta: Don Juan: Aminta: Don Juan: Aminta: Don Juan: Aminta:

fädelt ja die Dinge manchmal planlos ein und weiß es selbst nicht. Und so sah und liebt ich dich derart, daß es mich nicht losläßt, bis ich mich mit dir vermähle. Schau, das muß nun eben sein. Mag das Volk darüber murren, mag der König widersprechen, mag mein Vater sich erzürnen und es drohend mir verbieten: trotzdem werde ich dein Gatte. Meinst du nicht ? Was soll ich sagen, da mit rednerischen Künsten du die Wahrheit überdeckst ? Bin ich doch, wie alle wissen, mit Batricio vermählt, und die Ehe ist nicht lösbar, nicht einmal, wenn er verzichtet. Da sie nicht vollzogen wurde, sei's aus Irrtum, sei's aus Tücke, wird sie nichtig. Doch Batricio war in allem schlicht und echt. Das mag sein. Gib mir die Hand und bekräftige dein Jawort. Ob du mich nicht doch betrügst ? Würde ja mich selbst betrügen. Schwöre also, daß du mir das Versprochene erfüllst. Herrin, ja, beim frischen Schnee deiner Hand, dem höllischen Wunder schwör ich dir, mein Wort zu halten. Schwör zu Gott, daß er dir fluche, wenn du's nicht erfüllst.

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Karl Vossler

Don J u a n :

Wenn etwa dir mein Treuwort sollte brüchig werden, bitte ich den Herrgott, daß verräterisch und meuchlings mich ein Mann — (ein toter —) töte (kein lebendiger, bei Gott!) Aminta: Gut, auf diesen Eid hin bin ich deine Gattin. Don J u a n : Meine Seele schenk ich dir, laß dich umarmen. Aminta: Dein bin ich mit Leib und Seele. Don J u a n : Du mein Augenstern, Aminta! Morgen sollen goldbeschlagne und mit Silbersternen reich aufgeschmückte Damenschuhe deine schönen Füße kleiden, deinen Alabasterhals sollen Perlenbänder gürten, Ringe, die von Edelsteinen leuchten, sollen dir die Finger glitzernd und beweglich zieren. Aminta: Deinem Willen, lieber Gatte, beugt fortan der meine sich. Ich bin dein. Don J u a n : (Wie schlecht kennst du den Verführer von Sevilla.) (Beide ab)

9. A u f t r i t t A m U f e r bei Tarragona.

Isabella:

I s a b e l l a und F a b i o i m Reiseanzug

Daß ein Verräter mich des liebsten Herrn und Freundes mußt berauben! Wie streng, wie fürchterlich ist Wahrheit, wenn wir an das Falsche glauben!

Drei Dramen des Tirso de Molina

Fabio:

Isabella: Fabio:

Isabella:

Fabio:

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Weh, wer der Nacht vertraut, der Gegnerin des Lichts, des Traumes Braut! Was willst du, Herzogin, mit Trauer und mit Tränen dich betrüben ? Amor hat tückischen Sinn, aus Groll kann er Beleidigung verüben, wer heute mit ihm lacht, den hat er bald zum Weinen auch gebracht. Das Meer ist aufgeregt, es droht gefährlich ein gewaltiger Sturm, schon haben angelegt Galeeren dort und suchen Schutz beim Turm, der aufragt übers Land. Wo sind wir denn ? An Tarragonas Strand. Und bald gelangen wir dann zu Valencias sonnenhaftem Garten, es ist nicht weit von hier, dort kannst du fröhlich ein paar Tage warten, bis daß du weiterziehst und Weltenwunder in Sevilla siehst. Octavio, dir verloren, — doch stattlicher ist Juan Tenorio. Drum traure nicht. Erkoren hat dir der König aus dem Haus Tenorio den Gatten, der als Sohn des alten Diego nahe steht dem Thron. Die Ehe mit Don Juan bedrückt mich nicht, denn überall ist er bekannt als Edelmann, doch kränkt mich das Gerede um so mehr, und die erlittne Schmach geht mir, solang ich leben werde, nach. Sieh dort die Fischerin, die herzbewegend seufzt, und wie sie klagt

Vosaler, Drei Dramen

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und weinet vor sich hin. Sie kommt gewiß zu dir. Was sie wohl sagt ? Ich eile nach den Deinen, indessen könnt ihr sanft zu zweien weinen. (Fabio ab)

10. A u f t r i t t Tisbea,

Tisbea:

Isabella: Tisbea:

Isabella: Tisbea:

Isabella

Es braust an Spaniens Strand das Meer mit Flammenschwall und Feuersflut, mein Hüttchen steht in Brand. Aus innern Tiefen quillt abgründige Glut, und bittre Wasser fließen daraus hervor, und Tränen sich ergießen. Verflucht der erste Kiel, der über See die Unheilsstraße fand, Medeas Sehnsuchtsziel. Verflucht der Hanf, aus dem man Taue wand. Dem windigen Segeltuch, dem Werkzeug des Verrates, meinen Fluch! Was klagst du nur so herzlich am Strand des Meeres, schöne Fischerin ? Das Meer ist mir gar schmerzlich. Ihr lacht, wie es jetzt stürmt, darüber hin, dieweil ihr glücklich seid. Auch ich hab Klage mit dem Meer und Leid. Wo seid ihr her ? Von dort, wo ihr die windzerzausten Hütten seht. Der Sturm riß Stücke fort von ihren Wänden, und was jetzt noch steht ist Trümmerwerk und Grauen, darin die Vögel ihre Nester bauen. — Der lieblichen Europa seid ihr vergleichbar, die der Stier entführte.

Drei Dramen des Tirso de Molina

Isabella: Tisbea:

Isabella:

Tisbea: Isabella: Tisbea: Isabella: Tisbea:

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Man bringt mich nach Sevilla, wo unerwünschte Heirat mich erwartet. Wenn ihr Erbarmen habt mit mir und auch wie ich dem Meere gram seid, so nehmet mich mit euch, daß ich in Demut euch zu Diensten sei. Ich will, wenn Schmerz und Schmach mich nicht zuvor erdrücken, von dem König Genugtuung erbitten für Arglist und Betrug, die ich erlitten. — Vom Meer ans Land geworfen, kam fast ertrunken Juan Tenorio hier an. Ich nahm ihn auf und pflegte gastlich ihn in seiner Not. Doch er, wie eine Natter , die in der Wiese lauert, fiel mich an, versprach die Ehe mir, und ich, gewohnt, gar stolz und spröd zu denken, ergab mich dem Betrüger. 0 weh den Fraun, die Männern Glauben schenken! Dann ging er und verließ mich. Nun schaut, ob ich nicht recht hab, mich zu rächen. Sei still, verfluchtes Weib, entferne dich von mir, du bringst mich um! Doch nein, dich treibt der Schmerz, und du bist ohne Schuld, erzähle weiter. Mir wärs ein Glück, zu denken . . . O weh den Fraun, die Männern Glauben schenken! Wer wird dich noch begleiten ? Anfriso, unser Fischer, und mein Vater als Zeuge meines Leides. Komm mit! (Für meine Sache, meine Rache läßt sich nichts Bessres denken.) 0 weh den Fraun, die Männern Glauben schenken! 20*

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11. A u f t r i t t Vor einer Kirche in Sevilla, i m Hintergrund ein Grabmal mit der Statue des D o n Gonzalo de Ulloa. D o n J u a n und C a t a l i n o n

Catalinon: Schlechte Aussicht überall. Don Juan: Inwiefern ? Catalinon: Octavio weiß um den Handstreich in Neapel, und der Markgraf ist beleidigt und beklagt sich jetzt mit Recht, daß du falsche Botschaft ihm hinterbracht von seiner Base, und daß du mit seinem Mantel die Verwechslung angezettelt und verräterisch ihn entehrt hast. Isabella, sagt man, komme und verlange dich als Gatten, und daß . . . Don Juan: Still jetzt! (Er gibt i h m einen Sehlag ins Gesicht)

Catalinon: Don Juan: Catalinon: Don Juan:

Catalinon: Don Juan: Catalinon:

Einen Backenzahn hast du mir eingeschlagen! Schwätzer du, wer offenbart dir soviel dummes Zeug auf einmal ? Dummes dummes Zeug, ja Zeug . . . Wahrheit ists! Was kümmerts mich ? Will Octavio mich töten — bin ich deshalb schon erledigt ? Hab ich etwa keine Fäuste ? — Wo hast du Quartier bestellt ? Im verborgnen Gäßchen. Gut. Heiligen Schutz gewährt die Kirche . . .

Drei Dramen des Tirso de Molina

Don Juan: Und am hellen Tag kann ich dort ermordet werden. — Hast du auch Batricio gesehn ? Catalinon: Ja, in Trauer und in Sehnsucht. Don Juan: Und Aminta wird den Spaß erst in vierzehn Tagen merken. Catalinon: Oh, die ist so ganz benommen, daß sie „Frau Baron" sich nennt. Don Juan: Das wird ein Gelächter geben. Catalinon: Eine kurzgeschürzte Freude mit gar langer Trauerschleppe. (Das Grabmal von Don Gonzalo wird sichtbar)

Don Juan: Wessen Grabmal ist das ? Catalinon:

Hier liegt begraben Don Gonzalo.

Don Juan: Der durch mich ums Leben kam ? Stattlich Denkmal setzt man ihm. Catalinon: Auf Befehl des Königs ging es. Was besagt die Inschrift da ? Don Juan: „Der getreuste Rittersmann wartet hier, daß Gott ihn räche am Verräter". Wahrlich lachen muß ich über diesen Spruch. Also ihr wollt eure Rache, guter Alter, grauer Steinbart ? (Er greift ihm an den Bart)

CatalinQn: Dem kannst du den Bart nicht rupfen, denn gewaltigen Haarwuchs hat er. Don Juan: Heute Nacht erwarte ich euch zu Tisch in meinem Gasthaus. Dort kann auch der Zweikampf dann, wenn ihr Rache wünscht, erfolgen. Freilich wird sich mit dem Steinschwert, das ihr führet, nicht gut fechten.

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Catalinon: Gnädiger Herr, es dunkelt schon und ist Zeit, nach Haus zu gehen. Don Juan: Eure Rache schreitet langsam. Wenn ihr selbst sie üben wollt, dürft ihr nicht so lange schlafen. Soll jedoch mit meinem Tode erst die Rache kommen, dann schiebt die Hoffnung ruhig beiseite. Euer Groll und eure Rachsucht lassen mir noch gute Zeit. (Beide ab) 12. A u f t r i t t Zimmer in D o n Juans Wohnung. Zwei Diener decken den Tisch

1. Diener:

Gleich will ich das Mahl bereiten, denn Don Juan kommt zum Essen. 2. Diener: Fertig ist der Tisch gedeckt. Wie er trödelt, wenns ihn ankommt! Wie zumeist erscheint er wieder spät, und das verdrießt mich, weil das Getränke lau wird, und andrerseits der Braten kalt. Doch wer bringt Don Juans Launen je in Ordung ? 13. A u f t r i t t ]Die Vorigen, D o n J u a n und C a t a l i n o n

Don Juan : Hast geschlossen ? Catalinon : Zugeschlossen, wies dein Wunsch war. Don Juan : Holla, bringt das Abendessen! 1. Diener: Ist schon da. Don Juan : Catalinon, setze dich.

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Catalinon:

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Ich esse gern mit Behagen.

Don Juan: Setz dich doch. Catalinon: Gut, ich tue euch Bescheid. 1. Diener: Also sind wir auf der Reise, da der Diener mit dem Herrn speist. ( M a n h ö r t e i n e n S c h l a g hinter d e r B ü h n e )

Don Juan: Setze dich. Catalinon: Es hat geklopft. Don Juan: Wahrscheinlich ruft jemand, schau, wer es ist. Ich geh sofort. (ab) 1. Diener: Catalinon: Herr, wenns jemand vom Gericht ist ? Don Juan: Wenn schon, brauchst dich nicht zu fürchten. ( D e r D i e n e r eilt a t e m l o s z u r ü c k )

Catalinon: Don Juan:

Catalinon: Don Juan:

2. Diener: Don Juan: Catalinon: ( f ü r sich)

Nun, wer ists ? was zitterst du ? Das sieht nach nichts Gutem aus. Daß ich mich nicht ärgere, sprich und sag, was du gesehn hast. Hat ein Teufel dich erschreckt 1 Geh und schau mal Du am Tor, aber sogleich! Ich ? Ja, du. Vorwärts, rege deine Füße! Wird es bald ? Wer hat die Schlüssel zu dem Tor ? Nur mit dem Riegel ists verschlossen, ohne sonstwas. Warum gehst du nicht, was hast du ? (Heut ist Schluß, Catalinon, die mißbrauchten Weiber kommen Rache nehmen an uns beiden.) ( E r geht ans Tor, öffnet, läuft zurück, stürzt zu Boden und steht wieder auf)

Don Juan: Was ist los ?

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Catalinon: Don Juan: Catalinon:

Don Juan: Catalinon: Don Juan:

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Um Gottes willen, man ermordet mich, man packt mich! Wer ists, der dich packt und mordet ? Was hast du gesehn ? 0 Herr! dort erblickt ich . . . und dann lief ich . . . wer ergreift mich da ? wer zerrt mich ? Ich kam hin, als ich dann blind . . . und ihn sah . . . ich schwörs bei Gott, sprach und sagte er, wer seid ihr ? . . . Er erwiderte . . . drauf ich . . . stieß und sah ihn . . . Wen ? Ich weiß nicht. Wie der Wein ihn wirbelig macht! Gib das Licht, du Hasenfuß, ich will selber schaun, wer klopft.

14. A u f t r i t t Don J u a n nimmt das Licht und geht ans Tor. Das Standbild Don G o n z a l o s kommt ihm entgegen, und Don J u a n weicht erschrocken zurück, den Degen in der einen, das Licht in der andern Hand. G o n z a l o geht mit kleinen Schritten auf ihn zu, Don J u a n ebenso rückwärts, bis beide in der Mitte der Bühne stehn

Don Juan: Wer da ? DonGonzalo: Ich bins. Don Juan: Wer seid ihr ? D.Gonzalo: Jener ehrenhafte Ritter, den zur Mahlzeit du geladen. Don Juan: Essen gibt es für uns beide, und wenn du noch Andre mitbringst, gibt es Essen für uns alle, und der Tisch ist schon gedeckt.

Drei Dramen des Tirso de Molina

Setze dich. Gott steh mir bei! Heilger Anton und Panuncio! Also essen auch die Toten ? Sprich. Er nickt ein J a dazu. Setz dich her, Catalinon. Nein, o Herr, ich nehme es für gegessen an. Ein Unsinn, daß du einen Toten fürchtest. Wenn er lebend war, was tatst dann ? Dumme, niederträchtige Angst! Iß du nur mit deinem Gast, Herr, ich habe schon gespeist. Muß ich böse werden ? Herr, im Vertrauen, — ich rieche übel. Komm, laß mich nicht länger warten. Wie gestorben fühl ich mich, und mein Hinterteil ist auch tot.

(zu Catalinön):

Catalinon:

Don Juan: Catalinon: Don Juan :

Catalinon: Don Juan : Catalinon: Don Juan: Catalinon: Don Juan Catalinon:

Don Juan: Catalinon: Don Juan: Catalinon:

zu den zwei Dienern, die zittern:

Und was ist mit euch zwei, daß ihr dumm und zittrig vor uns steht ? Niemals möchte ich mit Leuten speisen, die aus fremden Ländern kommen. Ich mit einem Gast aus Stein? Was fürchtest du so töricht \ Was kann er als Stein dir antun ? Meinen Kopf zerbrechen kann er. Mußt nur höflich mit ihm reden. Gehts euch gut ? Ists drüben schön ? fruchtbar ? — Ebne oder Berge 1 — Ehrt man auch die Dichtung dort ?

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1. Diener: Immer nickt er mit dem Kopf J a ! zu allem. Catalinon: Gibts auch viele Schenken dort ? — Gewiß, dieweil Vater Noah drüben wohnt. Don Juan: Hallo, gebt uns was zu trinken! Catalinon: Herr Verstorbner, trinkt man drüben eisgekühlt ? (der steinerne Gast Catalinon: Das gibts dort also ? feines-Land. Don Juan: Wollt ihr Gesang hören ? (er 2. Diener: J a hat er gesagt. Don Juan: Also singt! Catalinon: Der Herr Verstorbene hat Geschmack. 2. Diener: Ist sicher adlig und ein Freund von Lustbarkeiten.

nickt)

nickt)

Gesang hinter der Bühne:

Wollt ihr Lieb und Seligkeit erst im Tode mir gewähren, Herrin, das ist ein Entbehren, da gebt ihr mir lange Zeit. Catalinon: Liegt es an der Sommerhitze, oder ist der Herr Verstorbne überhaupt ein schwacher Esser ? Zitternd greif ich nach dem Teller. Drüben trinkt man wohl nicht viel, und so trink ich denn für zwei. Eure steinerne Gesundheit! — Jetzt hab ich schon weniger Angst. Gesang hinter der Bühne:

Also ladet ihr mich ein, eure Liebe zu genießen, lang wird noch mein Leben sein,

Drei Dramen des Tirso de Molina

Catalinon:

Don Juan:

Catalinon:

Don Juan: Catalinon:

lasset rasch es mir verfließen. Wollt ihr Lieb und Seligkeit erst im Tode mir gewähren, Herrin, das ist ein Entbehren, da gebt ihr mir lange Zeit. Welche von den vielen Weibern, die du schon gefoppt hast, Herr, meint das Lied ? Ich lache, Freund, über alle miteinander. In Neapel Isabella . . . Diese, Herr, gilt heute nicht mehr als gefoppt, denn sie vermählt sich jetzt mit dir, wie sichs gehört. Doch die Fischerin, die dich aus dem Meer so gastlich aufnahm und der du in falscher Münze zahltest, d i e hast du betrogen, hast betrogen Dona Anna . . . Schweig! der für sie büßen mußte und sich rächen will, sitzt hier. Ja, das ist ein starker Mann, e r aus Stein, und du nur Fleisch, 's ist kein angenehm Verhältnis. (Don G o n z a l o winkt, daß man die Tafel aufheben und ihn mit Don J u a n allein lassen soll)

Don Juan: Räumt die Tafel weg, er winkt, daß wir zwei alleine bleiben und die Andern gehen sollen. Catalinon: Das ist schlimm! bleib nicht mit ihm. Tote können oft mit einem Faustschlag einen Riesen töten. Don Juan: Ja, war ich Catalinon! Geht hinaus, er rückt mir näher. (Catalinon und die Diener ab)

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15. A u f t r i t t D o n J u a n u n d der steinerne Gast

Don Juan: Zugeschlossen ist die Türe. Sprich, ich harre deines Wunsches, Schatte du, Gespenst und Steinbild. Gehst du um in Qualen, oder brauchst zu deiner Ruh ein Mittel, eine Leistung, die erlöst ? Sag's, ich gebe dir mein Wort, daß ich tu, was du verordnest. Freust du dich der Gnade Gottes, oder fuhrst du hin in Sünden ? Sprich, ich häng an deinem Mund. D. Gonzalo leise wie ein Abgeschiedener: Willst du mir ein edelmännisch Wort auch halten % Don Juan: Ehr hab ich, und gegebnes Wort erfüll ich, denn ich bin ein Kavalier. D. Gönz.: Gib die Hand drauf. Ohne Furcht. Don Juan: Ich und Furcht! das sagst du mir ? Wärest du die Hölle selber, dennoch reicht ich dir die Hand. (Er gibt sie ihm)

D. Gönz.:

Auf dein Wort und Handschlag hin darf ich morgen dich um zehn Uhr bei der Abendmahlzeit haben. Kommst du ? Don Juan: Höheres Unternehmen dacht ich, würdest du begehren. Morgen also Gast bei dir, — wo ? D. Gönz.: In meiner Grabkapelle. Don Juan: Ich allein ?

Drei Dramen des Tirso de Molina

D.Gonzalo:

Nein, alle beide, und erfülle mir dein Wort, so wie heute ich getan. Don Juan: Ich versprach dir, daß ichs halte, ein Tenorio bin ich. D. Gönz.: Ich ein Ulloa. Don Juan: Sicher komm ich. D. Gönz.: Und ich glaub's. Lebwohl. Don Juan: Lebwohl.— (er g e h t zur T ü r e )

D. Gönz.:

Warte noch, ich will dir leuchten. Braucht's nicht, mich erhellet Gnade. (Er geht langsam ab, immer den Blick auf Don J u a n gerichtet, der ihm nachschaut, bis er verschwindet)

16. A u f t r i t t D o n J u a n allein

Don Juan: Helf mir Gott, mein ganzer Leib ist in Schweiß gebadet, während innen ich vor Kälte schaudre, und das Herz im Leib erfriert. Als er mir die Hand ergriff, preßte er sie mir so schrecklich, daß es eine Hölle war, eine ungeheure Glut. Einen Atem stieß er aus, als er seine Worte formte, der so eisig wehte wie infernalisches Geschnaube. — Doch das sind ja nur Gedanken, in die Einbildung aus Angst aufgestiegen. Tote fürchten,

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ist ein niederträchtig Bangen. Wenn ein herrlicher lebendiger Körper voller Sinn und Kraft, ein beseelter, uns nicht schreckt, solltens tote Körper dann 1 Morgen geh ich zur Kapelle, wo er mich geladen hat: statinen und bewundern soll ganz Sevilla meine Tat.

(ab)

17. A u f t r i t t Königliches Schloß in Sevilla. Der König, D o n D i e g o T e n o r i o und Begleitung

König: Ist Isabella hier ? Don Diego: Ja, unzufrieden. König: Sagt die Vermählung ihr denn gar nicht zu ? Don Diego: Sie grämt sich über den entehrten Ruf. König: Wohl etwas anderes macht ihr zu schaffen. Wo lebt sie jetzt ? Don Diego: Im Karmeliterkloster. König: Sie solls verlassen, ich will sie bequemer am königlichen Hofe unterbringen. Don Diego: Soll die Verlobung mit Don Juan erfolgen, so laß ihn, Herr, vor dir sich wieder zeigen. König: Er möge kommen, und recht stattlich, denn ich will, es soll ein öffentliches Fest sein. Ab heute ist Don Juan Tenorio Graf der Stadt Lebrija, die ich ihm verleihe. Da Isabella, herzoglichen Ranges, verlor den Herzog, nehme sie den Grafen. Don Diego: Zu deinen Füßen danken wir dir alle.

Drei Dramen des Tirso de Molina

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König:

Ihr habt so ehrlich meine Gunst verdient, daß, wenn wir hier die Leistungen erwägen, ich gar mit meiner Gunst im Rückstand bleibe. — Wir sollten, meine ich, Don Diego, heute auch Doña Annas Hochzeit noch begehn. Don Diego: Octavio ? König:

Nein, Herzog Octavio paßt zur Wiedergutmachung des Unrechts nicht. Die Königin und Doña Anna haben Verzeihung für den Markgrafen erbeten. Nachdem ihr Vater starb, hofft Doña Anna, im Gatten einen Vater zu gewinnen. Drum eilt mit wenig Leuten ohne Aufsehn zur Festung nach Triana, sprecht mit ihm. Ich geb ihn frei zu seinem Wohle und, daß er die Ehre seiner Base schütze. Don Diego: Ich seh erfüllt, was ich so heftig wünschte. König: Daß heute Abend die Verlobimg statthat, könnt ihr ihm sagen. Don Diego: Damit endigt alles im Glück. Den Markgraf überred ich leicht, er ist in seine Base schwer verliebt. König: Ihr könnt auch gleich den Herzog unterrichten. Mit Frauen hat Octavio wenig Glück, die hängen nur am Schein und am Gerede. Man sagt mir, daß er gegen euern Sohn sehr aufgebracht ist. Don Diego: Ich kanns wohl verstehn, wenn er Don Juans Missetat erfuhr, die ihm so großen Schmerz verursacht hat. — Der Herzog kommt. König: Geht mir nicht von der Seite, denn jene Missetat berührt auch euch.

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18. A u f t r i t t Die Vorigen, Herzog O c t a v i o Octavio:

Zu euren Füßen, unbesiegter König.

König:

Erhebt euch, Herzog, und bedecket euch. Was begehrt ihr ? Eine Gnade, die Gerechtigkeit und Würde wohl gewähren können. Hier liege ich zu euern Füßen.

Octavio:

König:

Octavio:

König:

Octavio:

Herzog, wenns etwas Gerechtes ist, so geb ich euch mein Wort, daß ich es gewähre. Sagt es! Herr, du weißt durch Briefe deines Botschafters, und alle Welt weiß es durch Gerücht und Schwatz, daß Don Juan Tenorio kürzlich mit hispanischer Anmaßung in Neapel in der Nacht — einer Unglücksnacht für mich — unter Mißbrauch meines Namens einer Dame Bett entweiht hat. Weitre Worte braucht es nicht, denn ich weiß um euer Unglück in der Tat. Und jetzt, was wollt ihr ? Die Erlaubnis, ihm im Feld den Verräter zu beweisen.

Don Diego: Nicht doch! adlig ist sein Blut und durchaus ehrenwert! König: Don Diego. Don Diego: Herr ? Octavio:

Wer bist du denn, daß du so in Gegenwart des Königs sprechen darfst ?

Drei Dramen des Tirso de Molina

Don Diego:

Ich schweige, weil es der König mir befiehlt, sonst gab ich mit diesem Degen euch die Antwort. Octavio: Bist ja alt. Don Diego: Jung bin ich zu eurem Kummer in Italien einst gewesen, wo in Mailand und Neapel sich mein Schwert bemerkbar machte. Octavio: Jetzt hast frostig Blut. „Ich war" gihmicht mehr, jetzt gilt: „ich bin". Don Diego: Ja, ich war und bin. (Er ergreift den Degen)

König:

Genug! Haltet ein und schweigt, Don Diego! Wenig Ehrfurcht zeigt ihr in meiner Gegenwart. Und ihr, Herzog, werdet nach der Hochzeit ruhiger euch äußern können. Kammerherr bei mir Don Juan ist jetzt einer von den Meinigen und ein Sproß von diesem Stamme. (auf Don Diego weisend)

Achtet seiner. Octavio:

Ich wills tun, hoher Herr, wie du befiehlst. König: Kommet jetzt mit mir, Don Diego. Don Diego: (Oh mein Sohn, wie schlecht du mir alle meine Liebe lohnest!) König: Herzog! Octavio: Hoher Herr ? König: Auch eure Hochzeit findet morgen statt. Octavio: Also seis, wie du befiehlst.

(Der König u. Don Diego ab)

Vossler, Drei Dramen

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19. A u f t r i t t Herzog O c t a v i o , G a s e n o und A m i n t a

Gaseno:

Octavio: Aminta: Octavio: Aminta: Octavio: Aminta: Octavio: Gaseno: Octavio: Gaseno:

Dieser Herr kann uns wohl sagen, wo Don Juan Tenorio weilt. •— Gnädiger Herr, wohnt in der Gegend hier ein Don Juan vielleicht, dessen Beiname berühmt ist ? Meint ihr Don Juan Tenorio ? Ja Herr, diesen Don Juan. Der ist hier, was wollt ihr von ihm ? Dieser Herr ist mein Gemahl. Wie ? Ihr wißt noch nichts davon und lebt doch am Hofe hier ? Da Don Juan mir nichts sagte . . . Ist es möglich ? Allerdings.

Ehrenwert ist Doña Aminta, denn als Christin alten Stammes, reinsten Blutes und mit guter Einkunft aus beträchtlichem Erbe tritt sie in die Ehe, besser als ein Graf und Markgraf. Dem Batricio nahm Don Juan sie zur Ehefrau hinweg. Aminta: Sagt auch, daß sie Jungfrau war, als sie zu ihm kam. Gaseno: Das steht ja nicht als strittiger Punkt in Frage. Octavio (für sich): (Ein Betrug ists von Don Juan, und zu meiner Rache kann ich ihre Aussagen wohl brauchen.) Also, was verlangt ihr ?

Drei Dramen des Tirso de Molina

Gaseno :

Octavio : Gaseno : Octavio :

Aminta : Octavio :

Aminta: Octavio : Gaseno : Octavio :

Daß, ehe weitre Zeit verstreicht, Hochzeit abgehalten wird, sonst verklag ich ihn beim König. Euer Vorsatz ist gerecht. Nach Gesetz und Billigkeit. (Meiner Absicht angemessen, stellt sich dieser Zufall dar.) Im Alcazar gibt's 'ne Hochzeit. Ob das wohl die meinige ist ? (Daß wir es auch richtig treffen, hab ich etwas ausgedacht.) Kommt und kleidet euch in Hoftracht, Gnädige, dann treten wir in ein königlich Gemach ein. Ja, und dann führt ihr mich hin an der Hand zu Don Juan. Recht so, das ist schlau ersonnen. Und der Ausweg mir erfreulich. (Damit helfen mir die zwei, daß ich Rache nehmen kann für die schnöde Büberei des Verräters Don Juan.) (Alle

20. A u f t r i t t Platz vor der Kirche, D o n J u a n und C a t a l i n ö n.

Catalinon: Don Juan: Catalinon: Don Juan: Catalinon: Don Juan:

Wie empfing der König dich ? Liebevoller als mein Vater. Sahst du Isabella ? Ja. Und wie war sie 1 Wie ein Engel.

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Catalinon: Nahm sie dich gut auf ? Don Juan: Ihr Antlitz weiß wie Milch und rot wie Blut, eine Rose, die am Morgen aus der grünen Knospe bricht. Catalinon: Also heute Abend ist Hochzeit ? Don Juan: Unfehlbar. Catalinon: Wenn vorher sie erfolgt war, hättst du nicht so viel Andere betrogen, aber jetzt, o Herr, trittst du schwer belastet in die Ehe. Don Juan: Fängst du wieder an zu quatschen ? Catalinon: Besser war die Hochzeit morgen, heute ist ein böser Tag. Don Juan: Nun, was ist denn heute ? Catalinon: Dienstag. 1 Don Juan: Tausend Narren und Betrüger reiten diesen Unsinn, aber mir ist unheilvoll und gräßlich nur der Tag, wo ich kein Greld. hab. Alles andre ist Geflunker. Catalinon: Gehen wir, dich anzukleiden, man erwartet dich, 's ist spät. Don Juan: Noch ein anderes Geschäft haben wir, laß sie nur warten. Catalinon: Nämlich % Don Juan:

Speisen bei dem Toten.

Catalinon: Eine Torheit ohnegleichen! Don Juan: Weißt du nicht, daß ich mein Wort gab % Maries und Vierncs, Dienstag und Freitag galten u n d gelten n o c h h e u t e als T a g e , a n d e n e n m a n n i c h t reisen u n d n i c h t h e i r a t e n soll.

Drei Dramen des Tirso de Molina

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Catalinön: Wenn du's ihm nicht hältst, was tuts ? Soll dich eine G-liederpuppe, die aus Jaspis ist, beim Wort packen ? Don J u a n : Ehrlos kann mit lauter Stimme mich der Tote nennen. Catalinön: Schon geschlossen ist die Kirche. Don J u a n : Rufe, klopfe! Catalinön: Was solls helfen, wer soll öffnen, wenn die Küster schon zu Bett gegangen sind ? Don J u a n : Klopf a n diesem Hinterpförtchen. Catalinön: Das steht offen. Don J u a n : Geh hinein. Catalinön: Geh ein Mönch hinein mit seinem Wedel und der Stola. Don J u a n : Mir nach, und sei still. Catalinön: . Ich still sein ? Don J u a n : Ja. Catalinön: Führe mich der Herrgott friedlich weg von solchen Gasterein.

21. A u f t r i t t D a s Innere der Kirche m i t der Grabkapelle. D o n J u a n , C a t a l i n ö n , s o d a n n der steinerne D o n G o n z a l o

Catalinön: Wie die Kirche dunkel ist und dabei doch so geräumig! — Weh mir, Herr, sie packen mich an dem Mantel, halt mich fest! (Don Gonzalos Standbild tritt ihnen entgegen)

Don J u a n : Wer da ? D.Gonzalo: Ich bins.

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Catalinon: Oh wie schrecklich! D.Gonzalo: Staune nicht, ich bin der Tote. Hätte nicht geglaubt, du hieltest Wort, nachdem du alle spöttisch hintergehst. Don Juan: Hältst du mich etwa gar für einen Feigling ? D.Gonzalo: Ja, denn du bist hinweggelaufen in der Nacht, da du mich totschlugst. Don Juan: Nur um nicht erkannt zu werden. Aber jetzt steh ich vor dir. Sag mir schnell, was du begehrst. D.Gonzalo: Dich als Gast bei Tisch zu haben. Catalinon: Wir verzichten auf die Mahlzeit, hier gibts doch nur kalte Platte, keine Küche ist zu sehn. Don Juan: Essen wir. D.Gonzalo: Da mußt du vorher diesen Grabstein auf die Seite schaffen. Don Juan: Wenn dus nötig hast, heb ich auch die Pfeiler weg. ( E r schiebt den Grabstein weg. E s erscheint ein schwarz gedeckter Tisch)

D.Gonzalo: Du bist stark. Don Juan: Ich habe Kraft und Entschlossenheit im Leib. Catalinon: Mohrenländisch sieht der Tisch aus. Gibts dort niemand, der ihn wäscht ? D.Gonzalo: Setz dich. Don Juan: Wo ? Catalinon: Da bringen zwei

(es k o m m e n zwei schwarze Gestalten mit Stühlen)

Negerknaben Stühle her.

Drei Dramen des Tirso de Molina

Trägt man hier auch Trauerkleider mit Flanelljacken aus Flandern ? D.Gonzalo: Setz auch du dich. Catalinon: Ich, Herr, habe schon heut Nachmittag gevespert. D.Gonzalo: Widersprich nicht. Catalinon: Ich bin still. Helfe Gott mir gut hinaus. Was ist das für ein Gericht ? D.Gonzalo: Ein Gericht von Vipern und Skorpionen. Catalinon: Feine Speise! D.Gonzalo: Das sind unsre Leckerbissen. Nimmst du nichts ? Don Juan: Gewiß, ich esse, selbst wenn du mir Nattern reichst und alle Schlangenbrut der Hölle. D.Gonzalo: Auch ein Lied soll man dir singen. Catalinon: Was für Wein gibts hier zu trinken ? D.Gonzalo: Koste! Catalinon: Galle ists und Essig. D.Gonzalo: Es ist Wein aus unsrer Kelter. Gesang: Gottes großes Strafgericht, merkt euch, ihr versteht es nicht Keine Frist läßt sich verschieben jede Schuld wird eingetrieben. Catalinon: Jesus, wie das böse klingt! Ich verstehe, daß das Lied sich auf unsern Fall bezieht. Don Juan: (Wie mirs kalt die Brust durchdringt!) Gesang: Nie in seinen Erdentagen soll ein Mensch die Worte wagen „Oh das hat noch gute Zeit!" Zahltag kommt, halt dich bereit! Catalinon: Was ist das für ein Gekochtes ?

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D. Gönz.: Krallen. Catalinon: Schneiderkrallen also! Don Juan: Ich bin fertig, laß die Tafel abtragen. D. Gönz.: Gib mir die Hand, fürcht dich nicht, die Hand gib mir! Don Juan: Ich mich fürchten ? meinst du das ? . . . Du verbrennst mich ja mit deiner Glut, ich brenne! D. Gönz.: Das ist gar nichts vor der Glut, die du erjagtest. Wundertaten Gottes sind unerforschlich, Don Juan. Er will, daß du deine Sünden abzahlst in die Hände eines Toten: so bezahlst du sie nach dem göttlichen Gesetz: „Wie die Saat, so sei die Ernte." Don Juan: Ich verbrenne! laß mich los! Mit dem Dolch durchbohr ich dich . . . Weh, umsonst! ich stoß und steche immer in die leere Luft. Deiner Tochter hab ich nichts angetan, denn sie erkannte meine Arglist schon zuvor. D. Gönz.: Gleichviel! hattest du die böse Absicht doch. Don Juan: Erlaub mir erst noch Beichte und Absolution. D. Gönz.: Hier jetzt nicht, zu spät erwachst du. Don Juan: Ich verbrenne, ich vergehe. ( E r stürzt, t o t zusammen)

Catalinon: Hier kommt keiner mehr davon, und auch ich muß jetzt verenden, da ich dein Begleiter bin.

Drei Dramen des Tirso de Molina

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D. Gönz.:

Das ist göttliches Gesetz: „Wie die Saat, so sei die Ernte".

Catalinon:

(Unter Donnergetöse versinkt das Grabmal mit D o n J u a n und D o n G o n z a l o ) im Staub kriechend:

Gott im Himmel, was ist das, die Kapelle steht in Flammen, und ich soll wohl mit dem Toten hier die letzte Wache halten. . . Wenn ich kann, will ich mich schleppen, seinem Vater es zu melden. Heiliger Georg, Agnus Dei, bringt mich heil hinaus ins Freie. (ab)

22. A u f t r i t t Königliches Schloß, der K ö n i g , D o n D i o g o u n d B e g l e i t u n g

Don Diego: Herr, der Markgraf hofft, zu euern Füßen eutfh zu huldigen. König: Laßt ihn kommen und vermeldet auch dem Grafen, daß es Zeit ist.

23. A u f t r i t t Die Vorigen, B a t r i c i o u n d G a s e n o

Batricio:

Herr, gibts hierzuland so große Dreistigkeit, daß deine Diener sich erlauben, armen Leuten Schimpf und Schande anzutun ?

König: Batricio:

W a s meinst du ? Don J u a n Tenorio, der abscheuliche Verräter, hat am Abend meiner Hochzeit,

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eh sie noch vollzogen wurde, meine Frau mir weggenommen. Dafür bring ich Zeugen mit.

24. A u f t r i t t Die Vorigen, T i s b e a und I s a b e l l a mit Begleitung

Tisbea:

König: Isabella:

Königliche Hoheit, wenn ihr an Don Juan Tenorio nicht vollstreckt, was Rechtens ist, dann muß ich vor Gott und Menschen mich mein Leben lang beklagen. Als das Meer ihn auf den Strand warf, rettete und pflegt ich ihn, und er lohnte mir die Freundschaft mit Betrug und Lügen und gab sein Wort mir als Gemahl. W a s sagst du ? Sie sagt, was wahr ist.

25. A u f t r i t t Die Vorigen, A m i n t a und Herzog O c t a v i o

Aminta: König: Aminta:

Wo mein Bräutigam nur bleibt ? Wer denn ? Wißt ihr das noch nicht ? Mit Don Juan Tenorio werd ich mich vermählen, weil er mir als Edelmann die Ehe schuldet und nicht weigern kann. Gebt Befehl, daß man uns traue.

Drei Dramen des Tirso de Molina

26. A u f t r i t t Die Vorigen, der Markgraf d e l a M o t a

Da es Zeit ist, hoher Herr, daß die Wahrheit an den Tag kommt, wisse, daß Don Juan Tenorio des Verbrechens, das du mir zuschriebst, schuldig ist: er konnte als mein Freund mich grausam täuschen. Dessen hab ich jetzt zwei Zeugen. König: Unerhört ist solche Frechheit! Nehmt ihn fest und bringt ihn um. Don Diego: Zur Belohnung meiner Dienste bitt ich: laß ihn greifen und seine Sünden büßen, daß für die Bosheit meines Sohnes nicht auf mich die Blitze fallen. König: So sind Günstlinge des Königs! Mota:

27. A u f t r i t t Die Vorigen, C a t a l i n o n

Catalinon: Herrschaften, vernehmet alle das bedeutendste Ereignis, das die Welt gesehen hat. Hört! ihr könnt mich dafür töten. Als Don Juan dem Komtur die zwei köstlichsten Kleinode, seine Ehre und sein Leben, weggenommen hatte, griff er eines Abends ihm zum Hohne an den Bart des Steinbilds auf seinem Grabmal und mit Frechheit lud er ihn zum Abendessen.

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Hätt er ihn doch nie geladen! Steinbild kam und lud ihn gleichfalls. Nach der Mahlzeit, kurz gesagt, unter tausend bösen Zeichen faßt der Steinerne die Hand ihm, preßt sie, daß er sterben muß. „Gott", sagt er, „hat mich geschickt, daß ich so dich töten soll, deine Missetaten strafend. Wie die Saat, so sei die Ernte." König: Was du sagst! Catalinon: Die reine Wahrheit, und er sagte, eh er starb, daß er Dona Annas Ehre nicht verletzt hat, denn die Leute merkten es zuvor. Mota: Ich geb dir reichsten Lohn für diese Botschaft. König: Echtes Strafgericht des Himmels! — Jetzt gehört es sich, daß alle sich vermählen, denn der Stifter all des Unheils ist nicht mehr. Octavio: Isabella ist verwitwet. — So vermähl ich mich mit ihr. Mota: Ich mit meiner Base. Batricio: Wir mit den Unsrigen, und so endige „der steinerne Gast". König: Grab und Denkmal bringe man nach Madrid, daß San Franciscos Kirche sein Gedächtnis hüte.