223 92 1MB
German Pages 266 [371] Year 2006
Christine Redecker Wittgensteins Philosophie der Mathematik
l o/ g o j Studien zur Logik, Sprachphilosophie und Metaphysik
Herausgegeben von / Edited by Volker Halbach • Alexander Hieke Hannes Leitgeb • Holger Sturm Band 9 / Volume 9
Christine Redecker
Wittgensteins Philosophie der Mathematik Eine Neubewertung im Ausgang von der Kritik an Cantors Beweis der Überabzählbarkeit der reellen Zahlen
ontos verlag Frankfurt I Paris I Ebikon I Lancaster I New Brunswick
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2006 ontos verlag P.O. Box 15 41, D-63133 Heusenstamm www.ontosverlag.com ISBN 10: 3-938793-31-7 ISBN 13: 978-3-938793-31-2 No part of this book may be reproduced, stored in retrieval systems or transmitted in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, microfilming, recording or otherwise without written permission from the Publisher, with the exception of any material supplied specifically for the purpose of being entered and executed on a computer system, for exclusive use of the purchaser of the work Printed on acid-free paper ISO-Norm 970-6 FSC-certified (Forest Stewardship Council) This hardcover binding meets the International Library standard Printed in Germany by buch bücher dd ag
Danksagung Die vorliegende Abhandlung basiert auf meiner im April 2004 von der Philosophischen Fakult¨at der Westf¨alischen Wilhelms-Universit¨at Mu ¨nster angenommenen Dissertationsschrift Wittgensteins Kritik an Cantors Be¨ weis der Uberabz ¨ahlbarkeit der reellen Zahlen. Mein Dank gilt allen denen, die mich w¨ahrend meiner Dissertation und ¨ ihrer Uberarbeitung fu ¨r die Publikation unterstu ¨tzt haben. An erster Stelle m¨ochte ich meiner Doktormutter Rosemarie Rheinwald danken. Sie hat mich wissenschaftliche Genauigkeit und Liebe zum Detail gelehrt. Ihr scharfer analytischer Blick und ihre stets hilfreichen und aufmunternden Kommentare waren elementar fu ¨r das Gelingen dieser Arbeit. Danken m¨ochte ich ihr auch fu ¨r das Vertrauen, das sie mir w¨ahrend meiner Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin entgegengebracht hat. Besonderen Dank schulde ich Eike v. Savigny, ohne den ich diese Arbeit nie begonnen ha¨tte. Vom ersten Semester an hat er mein Interesse an Wittgenstein geweckt und gef¨ordert und mir Vertrauen in meine philosophischen Fa¨higkeiten geschenkt. Auch die vorliegende Arbeit hat er mit konstruktiver Kritik bereichert. Oliver Scholz danke ich fu ¨r seine ausfu ¨hrlichen Kommentare und hilfreichen Verbesserungsvorschl¨age vor allem in der Endphase der Dissertation. Die wissenschaftlichen Diskussionen mit ihm haben wesentlich zur Verbesserung und Verfeinerung der hier dargelegten Ideen beigetragen. Diese Arbeit hat von dem inspirierenden wissenschaftlichen Austausch am Philosophischen Seminar in Mu ¨nster sehr profitiert. Dafu ¨r und fu ¨r ihre permanente Unterstu ¨tzungsbereitschaft m¨ochte ich meinen ehemaligen Kollegen danken. Vor allem danke ich Christian Suhm und Sebastian Schmoranzer fu ¨r weitreichende fachliche Diskussionen genauso wie fu ¨r ihre freundschaftlichen Hilfestellungen. Mein tief empfundener Dank gilt schließlich Tobias Wiesenthal, der nicht nur jede Fassung der Arbeit, von den allerersten Anf¨angen bis zur ¨ letzten Uberarbeitung, begleitet, korrigiert und mit gesundem Menschenverstand hinterfragt hat, sondern auch so manche Krise geduldig ertragen und liebevoll abgewandt hat. Ihm ist diese Arbeit gewidmet. Mu ¨nster, im August 2006
Fu ¨r Tobias
Inhaltsverzeichnis Einleitung
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Teil I: Wittgensteins Kritik an Cantors Diagonalbeweis in BGM II, 1-22
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1 Mathematische Grundlagen 1.1 Abz¨ahlbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Reelle Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Cantors Diagonalbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15 15 18 24
2 Die Diagonalzahl 2.1 Die Diagonalreihe als reelle Zahl . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Mathematische Umgebungen (§§ 1-3) . . . . . . . 2.1.2 Methode und Resultat (§§ 3-6) . . . . . . . . . . . 2.1.3 Nicht alles, was ‘Zahl’ heisst, ist eine Zahl (§§ 7-8) 2.2 Ein m¨oglicher Einwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Ein Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Entgegnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die Relevanz der Argumentation . . . . . . . . . . . . .
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31 31 32 37 40 43 44 45 47
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51 51 51 55 57 58 61 62 69 75
3 Der Diagonalbeweis 3.1 BGM II, 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Das Wittgensteinsche Bild . . . . . . . . . . . 3.1.2 Der Kern des Argumentes: ein Beispiel . . . . 3.1.3 Das ‘Immer’-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4 Protest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Das Diagonalverfahren als Paradoxie . . . . . . . . . 3.2.1 Die Grenzwert-Paradoxie . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Super-Aufgaben und Unendlichkeitsmaschinen 3.2.3 Der Schritt vom Endlichen ins Unendliche . . 7
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3.3 Das Diagonalverfahren als Begriffsbestimmung (§§ 10-15) 3.3.1 Andeutungen und Abbildungen (§ 11) . . . . . . . 3.3.2 Was folgt aus dem ‘Beweis’ ? (§§ 10, 14) . . . . . . 3.3.3 Die Berechtigung der Bilder (§§ 11, 15) . . . . . . 3.3.4 Der Nutzen des Diagonalargumentes (§§ 12-13) . . 3.4 Das Diagonalargument als Paradoxie . . . . . . . . . . . 3.4.1 Die Struktur von Diagonalargumenten . . . . . . 3.4.2 Gute und schlechte Diagonalargumente . . . . . . 3.4.3 Das Gegenbeispiel: die Paradoxie von Richard . . 3.4.4 Das Diagonaldilemma . . . . . . . . . . . . . . . 4 Abz¨ ahlbarkeit 4.1 Der Begriff der Abz¨ahlbarkeit . . . . . . . . . . . . . 4.2 Ordinal- und Kardinalzahlen . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Der Diagonalbeweis als Begriffsbestimmung (§§ 16-21) 4.4 Ma¨chtigkeiten (§ 22) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teil II: Wittgensteins Kritik im Kontext seiner Philosophie der Mathematik
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87 88 92 96 98 100 101 103 106 109
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117 118 126 129 136
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5 Reelle Zahlen 147 5.1 Drei Argumente gegen die klassische Definition reeller Zahlen148 5.1.1 Extension und Intension . . . . . . . . . . . . . . . 149 5.1.2 Die Unvollst¨andigkeit der rationalen Zahlen . . . . 155 5.1.3 Das Kriterium der Vergleichbarkeit . . . . . . . . . 160 5.1.4 Der Blick ins Unendliche . . . . . . . . . . . . . . . 166 5.2 Reelle Zahlen als Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 5.2.1 Wittgensteins Grundannahmen . . . . . . . . . . . 171 5.2.2 Das Erbe des Tractatus: Die operationale Sicht . . 180 5.2.3 Reelle Zahlen in den PB . . . . . . . . . . . . . . . 186 5.2.4 Von den PB zur PG . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 5.2.5 Reelle Zahlen in der PG . . . . . . . . . . . . . . . 200 5.2.6 Reelle Zahlen in den BGM . . . . . . . . . . . . . . 213 5.3 Reelle Zahlen in BGM II, 1-22 . . . . . . . . . . . . . . . . 218 5.3.1 Interpretationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 5.3.2 Ein erneuter Blick in den Text . . . . . . . . . . . . 226
6 Konstruktivismus 6.1 Versionen des Konstruktivismus . . . . . . . . . 6.2 Ontologischer und semantischer Platonismus . . 6.2.1 Das Gesetz des ausgeschlossenen Dritten 6.2.2 Wittgensteins Anti-Platonismus . . . . . 6.3 Intuitionismus versus Finitismus . . . . . . . . . 6.3.1 Das Unendliche . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Reelle Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Wittgensteins Konstruktivismus . . . . . . . . . 6.4.1 Strikter Finitismus . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Anschauung versus Verifikation . . . . . 7 Konventionalismus 7.1 Konventionalismus: Dummetts Sicht . . . 7.2 Mathematische S¨atze als Konventionen . . 7.2.1 Lewis’ Konventionenbegriff . . . . . 7.2.2 Wittgensteins Konventionenbegriff 7.3 Konventionalismus versus Verifikationismus 7.3.1 Die Grenzen des Verifikationismus . 7.3.2 Theorie und Praxis . . . . . . . . .
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237 238 245 248 259 263 263 267 270 270 276
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281 281 292 292 300 305 305 311
8 Revisionismus 319 8.1 Nicht-revisionistische Interpretationen . . . . . . . . . . . . 320 8.2 Wittgensteins Cantor-Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 8.3 Eine revisionistische Re-Interpretation . . . . . . . . . . . 342 Literaturverzeichnis
351
Einleitung Ausgehend von Wittgensteins Kritik an Cantors Diagonalbeweis und seiner Einsch¨atzung reeller Zahlen wird in der vorliegenden Arbeit Wittgensteins Philosophie der Mathematik einer Neubewertung zugefu ¨ hrt. Es wird dargelegt, dass seine Einw¨ande gegen den Diagonalbeweis weder so unbegru ¨ ndet sind, wie ihm seine Gegner vorwerfen, noch so diplomatisch, wie seinen Verteidigern lieb w¨are. Vielmehr illustrieren sie die konstruktivistischen, konventionalistischen und revisionistischen Zu ¨ ge seiner Philosophie der Mathematik. Wittgenstein hat sich sein Leben lang immer wieder mit Fragen der Mathematik auseinandergesetzt. So sind insbesondere die Notizbu ¨cher, die zwischen 1929 und 1934 entstanden sind und in Teilen unter den Titeln Philosophische Bemerkungen (PB) und Philosophische Grammatik (PG) ¨ postum vero¨ffentlicht wurden, deutlich von philosophischen Uberlegungen zur Mathematik gekennzeichnet. Aber auch die Manuskriptb¨ande der Jahre 1937 bis 1944, die nach seinem Tod in Auszu ¨gen unter dem Titel Bemerkungen u ¨ber die Grundlagen der Mathematik (BGM) herausgegeben wurden, zeigen Wittgensteins intensives und unaufh¨orliches Interesse an Grundfragen der Mathematik. Obwohl Wittgenstein sein urspru ¨ngliches Projekt aufgibt, die Philosophischen Untersuchungen um einen zweiten Teil zur Philosophie der Ma¨ thematik zu erga¨nzen, sind seine Uberlegungen zur Mathematik – so fragmentarisch sie auch erscheinen m¨ogen – von einer erstaunlichen Koh¨arenz und philosophischen Tiefe gekennzeichnet. Dennoch wurde ihnen lange Zeit wenig Beachtung geschenkt. Einerseits u ¨berwog die Einsch¨atzung, dass Wittgensteins Analysen uninformiert oder fehlerhaft seien1 , so dass es im Sinne einer wohlwollenden Interpretation seines Gesamtwerkes besser sei, ihnen keine Beachtung zu schenken. Andererseits wurde es als 1
vgl. Kreisel 1959: 136; Bernays 1959: 7f.; Shwayder 1969: 67; Dummett 1959: 333. 7
8
Einleitung
Manko angesehen, dass Wittgensteins Untersuchung sich in großen Teilen auf elementare Rechnungen und basale mathematische Operationen bezieht, so dass es als schwierig eingestuft wurde, seine Ergebnisse im Hinblick auf die Mathematik als akademische Disziplin auszuwerten2 . In den letzten zwei Jahrzehnten wurde in mehreren Monographien und zahlreichen Artikeln der Versuch unternommen, aus Wittgensteins Notizen zur Mathematik eine koh¨arente philosophische Position abzuleiten. Zunehmend werden nun auch die fruchtbaren Beziehungen zwischen Wittgensteins Philosophie der Mathematik und seiner Sprachphilosophie aus¨ gelotet, die die Bedeutung seiner mathematischen Uberlegungen fu ¨r die Entwicklung seiner philosophischen Gedanken aufzeigen. Als problematisch werden aber nach wie vor Wittgensteins Bemerkungen zur h¨oheren Mathematik betrachtet. Neben seiner Kritik an G¨odels Unvollst¨andigkeitssatz geh¨ort vor allem seine Kritik an Cantors Diagonalbeweis und die damit verbundene Ablehnung transfiniter Zahlen zu einem Bereich, der von vielen Interpretationen entweder ausgespart wird, oder aber mit Vorbehalten im Hinblick auf Wittgensteins Versta¨ndnis der zu ¨ Grunde liegenden mathematischen Uberlegungen betrachtet wird. ¨ In der Tat hat Cantors Satz der Uberabz ¨ahlbarkeit der reellen Zahlen die moderne Mathematik so entscheidend gepr¨agt, dass er heute zum gesicherten Bestand an Lehrs¨atzen geh¨ort. Jeder Versuch, ihn in Frage zu stellen, muss daher fehlgeleitet erscheinen. Dabei darf man allerdings nicht vergessen, dass die Gu ¨ltigkeit des Arguments zu Lebzeiten Cantors noch in Fachkreisen angezweifelt wurde3 . Erst mit der Anerkennung des Diagonalbeweises hat sich auch der Umgang mit kritischen Stimmen gewandelt. W¨ahrend Fraenkel (1935) in seiner Verteidigung des Cantorschen Diagonalverfahrens skeptische Zweifel an der Gu ¨ltigkeit des Beweises noch ernst nahm, werden heutzutage Kritiker des Diagonalbeweises als cranks“ ” (Dudley 1992: 40ff.) abgetan4 . In dieser Arbeit wird dargelegt, dass sich hinter Wittgensteins Bemerkungen zum Diagonalbeweis tiefgru ¨ndige Einsichten in die Struktur mathematischer Beweise und das Wesen reeller Zahlen verbergen, die Ru ¨ckschlu ¨sse auf seine Philosophie der Mathematik im Ganzen erlauben. 2 3 4
vgl. Bernays 1959: 11; Kreisel 1959: 135; Dummett 1959: 333; Putnam 2001: 187. vgl. Dauben 1979: 66ff.. vgl. auch Hodges 1998: 1.
Einleitung
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Im ersten Teil der Arbeit werden Wittgensteins Bemerkungen zum Cantorschen Diagonalverfahren in BGM II, §§1-22 unvoreingenommen untersucht. Ziel ist nicht, Wittgensteins Position zu kritisieren oder zu verteidigen, sondern Wittgensteins Argumente gegen den Diagonalbeweis durch eine genaue Analyse des Textes ans Licht zu bringen und, wenn m¨oglich, aus mathematischer Sicht zu stu ¨tzen. Die Rekonstruktion des Gedankenganges wird zeigen, dass Wittgenstein mit fundierten Argumenten die These verteidigt, der Diagonalbeweis beweise nicht, dass die reellen Zahlen u ¨berabz¨ahlbar sind. Die Interpretation konzentriert sich auf die Abschnitte 1-22 des zweiten Teils der BGM, da diese – anders als die Abschnitte 23-62 – als zusammenh¨angender Text in Wittgensteins Manuskripten erscheinen5 . Die Manuskriptu ¨berschrift [Ans¨atze]“ weist auf den fragmentarischen ” Charakter der Ausfu ¨hrungen hin, der durch die Stellung im Manuskript zwischen u ¨berarbeiteten Bemerkungen zur Philosophie der Mathematik (BGM I) und drei nur in kleineren Formulierungen abweichenden Entwu ¨rfen des Vorworts zu den Philosophischen Untersuchungen noch betont wird. Wie die Interpretation zeigen wird, sind die Abschnitte dennoch erstaunlich tiefgru ¨ndig, pr¨azise und koh¨arent. Allerdings ist der Zusammenhang der Bemerkungen nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. So wie es wohl jedem geht, der versucht, sich auf die flu ¨chtigen Notizen und Gedankenstu ¨tzen eines anderen einen Reim zu machen, ist es auch hier notwendig, mit etwas Phantasie zu Werke zu gehen, um Querverbindungen zu ziehen und das in Worte zu fassen, was fu ¨r Wittgenstein zwischen den Zeilen gestanden haben ko¨nnte. Die Kapitel 2-4 werden darlegen, dass Wittgenstein zufolge der Diagonalbeweis in dreifacher Hinsicht kein Beweis ist: These 1 Der Diagonalbeweis beweist nicht, dass die Diagonalzahl eine reelle Zahl ist. These 2 Der Diagonalbeweis beweist nicht, dass die Diagonalzahl von allen reellen Zahlen der betrachteten Aufz¨ahlung verschieden ist. BGM II umfasst Notizen aus den Manuskriptb¨anden MS 117 (§§1-22) und MS 121 (§§23-62), die unmittelbar vor dem 27. Juni 1938 bzw. zwischen dem 30. Mai 1938 und dem 3. Januar 1939 entstanden. W¨ahrend die Ausz¨ uge aus MS 121 zwar in chronologischer Reihenfolge, aber unter Auslassung gr¨oßerer und kleinerer Abschnitte – nicht immer sinnerhaltend – u ¨bernommen wurden, finden sich die Abschnitte 1-22 als zusammenh¨angender Text in MS 117 wieder. 5
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Einleitung
These 3 Der Diagonalbeweis beweist nicht, dass die reellen Zahlen nicht abz¨ahlbar sind. Anknu ¨pfend an These 3 richtet Wittgenstein seine Kritik in BGM II, §§122 u ¨ber den Diagonalbeweis hinaus auch gegen die Theorie transfiniter Kardinalzahlen: These 4 Der Begriff der Abz¨ahlbarkeit definiert keine Gr¨oßenrelation auf unendlichen Mengen. Die erste These wird mich in Kapitel 2, die zweite in Kapitel 3 und die dritte und vierte These in Kapitel 4 besch¨aftigen. Da Wittgensteins Argumentation den Begriff der Abza¨hlbarkeit und die Definition der reellen Zahlen ebenso voraussetzt wie die Kenntnis des Diagonalbeweises, sollen diese Begriffe zuna¨chst in Kapitel 1 erla¨uternd skizziert werden. Im zweiten Teil der Arbeit sollen die Erkenntnisse des ersten Teils im Hinblick auf Wittgensteins Philosophie der Mathematik ausgewertet werden. Kapitel 5 stellt in dieser Hinsicht den Zusammenhang der Bemerkungen zu Wittgensteins Auffassung reeller Zahlen her. Angesichts Wittgensteins ausfu ¨hrlicher und tiefsinniger Auseinandersetzung mit dem Beweis ¨ der Uberabz ¨ahlbarkeit der reellen Zahlen ist es ein wenig verwunderlich, dass sich in den Manuskripten, die um oder nach 1938 entstanden sind, keine weiteren Bemerkungen zu reellen Zahlen finden. Eine Ausnahme bilden einzelne und verstreute Bemerkungen in den 1942 bis 1944 entstandenen Manuskripten MS 126 und 127, die in Ausschnitten als BGM V ver¨offentlicht sind. Diese Bemerkungen werfen Licht auf Wittgensteins These, dass Mathematik eine Rechentechnik ist und als solche eng mit ¨ der allt¨aglichen menschlichen Praxis verknu Wittgensteins ¨pft ist. Uber Auffassung reeller Zahlen verraten diese Bemerkungen dagegen nicht viel. Ganz anders sieht es mit den Schriften zur Mathematik aus, die Wittgenstein in den Jahren 1929 bis 1933 verfasst hat. Die Manuskripte dieser Jahre zeugen von einem tiefen Interesse an reellen Zahlen und weisen umfassende Ans¨atze zu einer Theorie irrationaler Zahlen auf. In Kapitel 5 m¨ochte ich diese Theorie entwickeln und untersuchen, ob und inwiefern Wittgensteins Auffassung reeller Zahlen, wie er sie in den Jahren 19291933 entwickelt, in die Argumentation von BGM II, 1-22 einfließt. Die letzten drei Kapitel werten Wittgensteins Kritik am Diagonalbeweis im Hinblick auf konstruktivistische (Kap. 6), konventionalistische (Kap. 7) und revisionistische (Kap. 8) Zu ¨ge aus.
Einleitung
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So werde ich in Kapitel 6 argumentieren, dass Wittgensteins Umgang mit dem Unendlichen und seine damit verbundene Auffassung reeller Zahlen deutlich konstruktivistische Zu ¨ge aufweisen. Es wird sich zeigen, dass seine Position aber weder dem Intuitionismus noch dem Finitismus zuzuordnen ist, da sie sich von beiden Str¨omungen wesentlich durch den Stellenwert der menschlichen Praxis unterscheidet. Mathematische Begriffsbildungen gehen Wittgenstein zufolge in zweifacher Hinsicht auf die sch¨opferische T¨atigkeit des Menschen zuru ¨ck. Erstens – und dies vereint Wittgensteins Auffassung mit den g¨angigen konstruktivistischen Theorien – existieren mathematische Objekte nicht unabh¨angig vom Menschen, sondern werden durch die mathematische Begriffsbildung erst erschaffen. Zweitens geht Wittgenstein – im Gegensatz zu den verbreiteten konstruktivistischen Ans¨atzen – davon aus, dass die Tatsache, dass diese Objekte als mathematische Objekte zu bezeichnen sind, allein darauf zuru ¨ckzufu ¨hren ist, dass die Welt, in der wir leben, es erforderlich macht, zu rechnen und entsprechende Regeln aufzustellen und anzuwenden. Dieser zweite Aspekt, die Bedeutung der menschlichen Praxis, verweist auf die konventionalistischen Zu ¨ge von Wittgensteins Philosophie der Mathematik, die ich in Kapitel 7 genauer analysiere. Hier wird sich zeigen, wie Wittgenstein Verifikationismus und Konventionalismus aneinander bindet. Dass mathematische S¨atze Konventionen sind, bedeutet insofern, dass die Unhinterfragbarkeit mathematischer S¨atze an den Gebrauch entsprechender praktischer Regeln gebunden ist. Dabei kommt der Praxis eine Doppelrolle zu. Erstens bestimmt sie, welche Beweise und S¨atze anerkannt werden und zweitens wird der bewiesene Satz erst dadurch, dass er anerkannt wird, inhaltlich als mathematischer Satz bestimmt. Mithin sch¨opft ein Beweis wie Cantors Diagonalbeweis seine Rechtfertigung nicht aus den ¨ Begriffen, mit denen er operiert, sondern aus der Ubernahme dieser Begriffe in unsere Praxis. Entsprechend ist Wittgensteins Kritik als ein Appell an die mathematische Praxis zu verstehen, diesen Begriffsbestimmungen die Anerkennung zu verweigern. Wittgensteins Appell, bestimmten mathematischen Beweisen – wie dem Cantorschen Diagonalbeweis – die Anerkennung zu versagen, veranschaulicht das revisionistische Potenzial seiner Bemerkungen zur Mathematik, das in Kapitel 8 er¨ortert werden soll. Ich werde dafu ¨r argumentieren, dass Wittgenstein seine Aufgabe als Philosoph darin sieht, mathematische Begriffsbildungen im Hinblick auf ihre Wohldefiniertheit zu
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Einleitung
u ¨berpru ¨fen und fehlerhafte Begriffe zuru ¨ckzuweisen oder zu korrigieren. Auf diese Weise greift er als Philosoph kontrollierend in die Entwicklung ¨ und Ubernahme mathematischer Begriffsbildungen ein.
Teil I Wittgensteins Kritik an Cantors Diagonalbeweis in BGM II, 1-22
Kapitel 1 Mathematische Grundlagen In den ersten 22 Abschnitten des zweiten Teils der Bemerkungen u ¨ber die Grundlagen der Mathematik (BGM) nimmt Wittgenstein den Can¨ torschen Diagonalbeweis der Uberabz ¨ahlbarkeit der reellen Zahlen kritisch unter die Lupe. Da Wittgensteins Argumentation die Kenntnis der Begriffe reelle Zahl“ sowie Abz¨ahlbarkeit“ voraussetzt, werde ich ” ” diese Schlu ¨sselbegriffe in den ersten beiden Abschnitten dieses Kapitels erl¨autern. ¨ Der dritte Abschnitt ist dem Cantorschen Beweis der Uberabz ¨ahlbarkeit der reellen Zahlen mittels des Diagonalverfahrens gewidmet. Ziel dieses Abschnittes ist, innerhalb des Beweises das abstrakte Beweisprinzip von den notwendigen spezifischen Zusatzannahmen fu ¨r reelle Zahlen zu trennen und so die mathematischen Voraussetzungen fu ¨r das Verst¨and¨ nis der Wittgensteinschen Uberlegungen in BGM II zu schaffen. Dazu werde ich das Diagonalverfahren anhand von Cantors allgemeinem Diagonalbeweis von 1891 nachzeichnen und aufzeigen, inwiefern der Beweis modifiziert werden muss, um auf die reellen Zahlen u ¨bertragen werden zu k¨onnen.
1.1
Abz¨ ahlbarkeit
Eine (unendliche) Menge heißt abz¨ahlbar oder abz¨ahlbar unendlich,1 wenn uchern wird Der Sprachgebrauch ist hier nicht einheitlich. In manchen Lehrb¨ das Adjektiv abz¨ahlbar“ zur Kennzeichnung endlicher und unendlicher Mengen ver” wandt (Kuratowski/Mostowski 1976: 169; Forster 1992: 52; Reinhardt/Soeder 1994: 35; Amann/Escher 1998: 51; Holdgr¨ un 1998: 103f; Aumann/Haupt 1974: 66; Blatter 1974: 51; Truss 1997: 35). Mitunter wird aber auch zwischen endlichen“, abz¨ahlbaren“ (Fraenkel ” ” 1959: 21, Dieudonn´e 1975: 27, Mangold/Knopp 1974: 507, Heuser 1994: 138, K¨onigsber1
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16
1. Mathematische Grundlagen
sie die M¨achtigkeit (Kardinalzahl)2 ℵ0 der Menge N der natu ¨rlichen Zah3 len hat. Zwei Mengen A und B haben dieselbe M¨achtigkeit, wenn sie eineindeutig (bijektiv) aufeinander abgebildet werden k¨onnen, d.h. wenn jedem Element der Menge A ein Element der Menge B zugeordnet werden kann, ohne dass in einer der beiden Mengen Elemente u ¨brig bleiben, oder einem Element der einen mehrere Elemente der anderen zugeordnet werden.4 Entsprechend ist eine unendliche Menge unabz¨ahlbar5 oder ger 1992: 16) bzw. abz¨ahlbar-unendlichen“ (Ebbinghaus 1991: 370, Oberschelp 1972: ” 152) und u ¨berabz¨ahlbaren“ Mengen unterschieden und damit der Fall endlicher abz¨ahl” barer Mengen ausgeschlossen. In der englischsprachigen Literatur wird zumeist denume” rable“ zur Kennzeichnung unendlicher Mengen und countable“ f¨ ur endliche und unend” liche Mengen verwandt (Lipschutz 1964: 135, Zuckermann 1974: 149). Da es im Rahmen dieser Arbeit nicht notwendig ist, auf den Status endlicher Mengen einzugehen, werde ich sowohl abz¨ahlbar“ als auch abz¨ahlbar unendlich“ ausschließlich zur Kennzeichnung ” ” unendlicher Mengen verwenden. 2 Cantor verwendet die Begriffe ‘M¨achtigkeit’ und ‘Kardinalzahl’ austauschbar. Voraussetzung daf¨ ur, dass nach Cantor einer Menge eine Kardinalzahl zugeordnet werden kann, ist lediglich, dass sie aus wohlunterschiedenen, begriffflich getrennten Elementen ” m, m0 , ... besteht und insofern bestimmt und abgegrenzt ist“(Cantor 1888: 387). Demgegen¨ uber wird heute zumeist begrifflich zwischen den M¨achtigkeiten beliebiger Mengen und Kardinalzahlen als M¨achtigkeiten wohlgeordneter Mengen unterschieden (vgl. Bachmann 1955: 14). Ich werde mich (wie z. B auch Halmos (1976: 123) und Quine (1973: 151)) im Folgenden dem Cantorschen Gebrauch anschließen und nicht zwischen den Begriffen unterscheiden. 3 Im Rahmen dieser Arbeit soll auch die Null zu den nat¨ urlichen Zahlen geh¨oren, d.h. N = N0 = {0, 1, 2, 3, . . .}. Da aber insbesondere Cantor die Zahl Null nicht zu den nat¨ urlichen Zahlen z¨ahlt, wird es sich in Einzelf¨allen, um Missverst¨andnisse zu vermeiden, als hilfreich erweisen, ersatzweise die Menge der positiven nat¨ urlichen Zahlen zu + betrachten, die ich mit N bezeichnen m¨ochte. F¨ ur die Argumentation ist dies nicht ausschlaggebend: Alle Aussagen, die in dieser Arbeit u ¨ber N gemacht werden, treffen auch auf N+ zu und umgekehrt – mit Ausnahme der Aussage, dass 0 zu N geh¨ort. 4 Diese Definition geht auf Cantor zur¨ uck (Cantor 1882: 151f.) und findet sich so auch in den meisten modernen Lehrb¨ uchern (Holdgr¨ un 1998: 103f; Aumann/Haupt 1974: 66; Ebbinghaus 1991: 371, Reinhardt/Soeder 1994: 35). In der zeitgen¨ossischen Literatur wird teilweise auf den M¨achtigkeitsbegriff verzichtet und direkt auf die Existenz einer bijektiven bzw. surjektiven Abbildung f : N → A abgestellt (Forster 1992: 52, K¨onigsberger 1992: 16, Zuckermann 1974: 142, Oberschelp 1972: 152). Oftmals liegt der Definition ¨ ¨ noch der Begriff der Gleichm¨achtigkeit (Aquivalenz oder Aquipotenz) zu Grunde, nicht aber der der Kardinalzahl (Dieudonn´e 1975: 27, Heuser 1994: 138, Amann/Escher 1998: 51, Lipschutz 1964: 134f.). Neben Definitionen, die f¨ ur die Abz¨ahlbarkeit einer Menge M auf die Existenz einer bijektiven Abbildung auf N abstellen, gibt es auch Ans¨atze, die auf die M¨oglichkeit der Umordnung von M zu einer Zahlenfolge abheben (Mangoldt/Knopp 1974: 507, Perron 1960: 175). 5 In der deutschsprachigen Literatur ist der Begriff unabz¨ahlbar“ ungebr¨auchlich. ”
1.1 Abz¨ahlbarkeit
17
u ¨berabz¨ahlbar, wenn es keine solche bijektive Abbildung auf die natu ¨rlichen Zahlen gibt. Die Menge der ganzen Zahlen kann man beispielsweise bijektiv auf die Menge der natu ¨rlichen Zahlen abbilden, indem man 0 auf 0, 1 auf 1, 2 auf 3, 3 auf 5 usw. (d.h. jede positive Zahl z ∈ Z auf 2z − 1) abbildet und -1 auf 2, -2 auf 4, -3 auf 6 (d.h. jede negative Zahl z ∈ Z auf −2z),6 als falte man den Zahlenstrahl leicht verschoben bei 0 zusammen:
N ↑ Z
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 . . . ↑ ↑ ↑ ↑ ↑ ↑ ↑ ↑ ↑ ↑ ↑ ↑ ↑ ↑ ↑ 0 1 ... 2 ... 3 ... 4 ... 5 ... 6 ... 7 ... ... . . . −1 . . . −2 . . . −3 . . . −4 . . . −5 . . . −6 . . . . . .
Die Menge der rationalen Zahlen Q l¨asst sich ebenfalls eineindeutig auf die Menge der natu ¨rlichen Zahlen abbilden. Dazu wird jede rationale Zahl in einem quadratisch unendlichen Schema angeordnet7 :
Man spricht stattdessen u ¨blicherweise von nicht abz¨ahlbar“ (vgl. K¨onigsberger 1992: ” 17, Holdgr¨ un 1998: 109) oder u ¨berabz¨ahlbar“ (vgl. Amann/Escher 1998: 51, Forster ” 1992: 52) und definiert genauer eine Menge als nicht abz¨ahlbar bzw. u ¨berabz¨ahlbar, wenn sie weder endlich noch abz¨ahlbar unendlich ist. Da Wittgenstein aber unabz¨ahl” ¨ bar“ (vielleicht als Ubersetzung des englischen uncountable“) als Synonym f¨ ur nicht ” ” abz¨ahlbar“ verwendet, schließe ich mich hier diesem Sprachgebrauch an. 6 vgl. Holdgr¨ un 1998: 105. Da bijektive Abbildungen sich dadurch auszeichnen, dass eine eindeutig bestimmte Umkehrabbildung existiert, die wieder bijektiv ist, kann man genauso gut auch die inverse Abbildung f −1 : N → Z betrachten (vgl. K¨onigsberger 1992: 16). 7 vgl. Reinhardt/Soeder 1994: 34f. Viele Lehrb¨ ucher f¨ uhren den entsprechenden Beweis zun¨achst nur f¨ ur die positiven reellen Zahlen (vgl. K¨onigsberger 1992: 17; Heuser 1994: 138) und folgen damit Cantors Beweis von 1872 (Meschkowski 1967: 26f.). Die Erweiterung von Q+ auf Q erfolgt durch die Abbildung der negativen rationalen Zahlen auf die negativen ganzen Zahlen, so dass man insgesamt eine bijektive Abbildung von Q auf Z erh¨alt. Die zugeordneten ganzen Zahlen werden in einem zweiten Schritt bijektiv auf die nat¨ urlichen Zahlen abgebildet (s. o.).
18
1. Mathematische Grundlagen 0 ↓ 1 ↓ 1 2 1 3
↓ 1 4 1 5
↓ 1 6 1 7
% . % . % .
−1 → 2 −2 . % 1 2 (− 22 ) −2 (2) % . 1 2 −3 − 23 3 . % 1 2 (− 24 ) −4 (4) % . 2 − 15 ... 5 . − 16 ...
→ .
3
−3 → 4 ... % . 3 3 −2 ... 2 % . ( 33 ) ... . ...
...
↓ usw.
Die durch die Pfeile angedeutete Abbildungsvorschrift ordnet jeder rationalen Zahl eine natu ¨rliche Zahl zu, wobei Zahlen, die doppelt vorkommen 2 3 (so wie 2 und 3 ) u ¨bersprungen werden.8 Die Zuordnung sieht dann folgendermaßen aus: Q : 0 1 12 −1 2 − 12 13 14 − 13 −2 3 23 − 41 51 16 − 51 ... ↓ ↓ ↓ ↓ ↓ ↓ ↓ ↓ ↓ ↓ ↓ ↓ ↓ ↓ ↓ ↓ N: 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 ...
1.2
Reelle Zahlen
Da in Q die vier Grundrechenarten unbeschr¨ankt durchfu ¨hrbar sind, gibt die algebraische Struktur keinen Anlass zur Erweiterung der rationalen Zahlen zu den reellen Zahlen (Reinhardt/Soeder 1994: 59). ‘UnvollDa die Pfeile das Gitter diagonal durchkreuzen, wird diese Abbildungsvorschrift manchmal verwirrenderweise Cantorsches (Oberschelp 1972: 152) oder auch Cauchysches (Heuser 1994: 138) Diagonalverfahren“ (K¨onigsberger 1992: 17) genannt. Im Rahmen ” dieser Arbeit m¨ochte ich den Begriff Diagonalverfahren“ ausschließlich zur Kennzeich” ¨ nung des Verfahrens verwenden, das dem Beweis der Uberabz¨ ahlbarkeit der reellen Zahlen zu Grunde liegt und mit diesem Argument nichts zu tun hat. 8
1.2 Reelle Zahlen
19
st¨andig’9 erscheint die Menge der rationalen Zahlen aber angesichts der geometrischen Konstruierbarkeit von Strecken, √ deren L¨ange kein rationales Vielfaches der Einheitsstrecke ist, wie z. B. 2. Dass das Verh¨altnis zweier geometrisch konstruierbarer L¨angen nicht immer rational ist, war bereits den Pythagor¨aern im 5. Jhd. v. Chr. bekannt (Ebbinghaus 1991: 28). So sehr die Entdeckung irrationaler Zahlenverh¨altnisse die pythagor¨aische Schule in eine Krise stu ¨rzte, so gut lernten nachfolgende Generationen von Mathematikern, mit diesen inkommensurablen Gr¨oßen10 umzugehen. Bereits Eudoxos (408-355 v. Chr.) formulierte in seiner Proportionentheorie einen Gleichheitsbegriff fu ¨r kommensurable 11 und inkommensurable Verh¨altnisse, der das Rechnen mit irrationalen Gr¨oßenverh¨altnissen erm¨oglichte und stellte mit der Exhaustionsmethode eine wichtige Beweismethode fu ¨r die Gleichheit von Verh¨altnissen zur 12 Verfu ¨gung. Allerdings liegt diesen mathematischen Begriffen wie auch der Methode der Intervallschachtelung, die sich sp¨atestens seit Archimedes zur Approximation irrationaler Gr¨oßen mittels rationaler N¨aherungswerte etablierte (vgl. Archimedes, S. 74), ein intuitives Verst¨andnis inkommensurabler Gr¨oßen zu Grunde, das im 19. Jhd. als Basis fu ¨r die Analysis als unDie Unvollst¨andigkeit der rationalen Zahlen stellt sich in der modernen Terminologie einerseits als ordnungsstrukturelle, andererseits als topologische dar. Ordnungsvollst¨andig ist eine Menge, wenn jede nichtleere beschr¨ankte Teilmenge ein Supremum und ein Infimum besitzt (Dedekindsche Stetigkeitseigenschaft) (Amann/Escher 1998: 99); topologisch vollst¨andig ist ein metrischer Raum, wenn jede Fundamentalfolge konvergiert (Reinhardt/Soeder 1994: 61). 10 Nach Euklid (Buch X, Def 1 (2)) sind inkommensurabel solche [Gr¨oßen], f¨ ur die ” es kein gemeinsames Maß gibt“. Der Begriff der Gr¨oße“ geht auf Eudoxos zur¨ uck und ” bezieht sich auf Entit¨aten, die sich stetig ver¨andern, wie z. B. Winkel, Streckenst¨ ucke, Fl¨acheninhalte und Zeit. Im Gegensatz zu Zahlen“ kommt Gr¨oßen“ in der antiken ” ” Mathematik aber keine quantitative Bedeutung zu (vgl. Kline (1) 1990: 48f.). 11 Euklid V, Def. 5: Man sagt, dass Gr¨oßen in demselben Verh¨ altnis stehen, ” die erste zur zweiten wie die dritte zur vierten, wenn bei beliebiger Vervielf¨altigung die Gleichvielfachen der ersten und dritten den Gleichvielfachen der zweiten und vierten gegen¨ uber, paarweise entsprechend genommen, entweder zugleich gr¨oßer oder zugleich gleich oder zugleich kleiner sind“. 12 vgl. Euklid XII, Archimedes, S. 74. Grundlage dieser Methode der Approximation geometrischer Gr¨oßen durch unendliche Prozesse ist das Exhaustionslemma, Euklid X, § 1 (L. 1): Nimmt man bei Vorliegen zweier ungleicher (gleichartiger) Gr¨oßen von der ” gr¨oßeren ein St¨ uck gr¨oßer als die H¨alfte weg und vom Rest ein St¨ uck gr¨oßer als die H¨alfte und wiederholt dies immer, dann muss einmal eine Gr¨oße u ¨brig bleiben, die kleiner als die kleinere Ausgangsgr¨oße ist.“ 9
20
1. Mathematische Grundlagen
zureichend angesehen wurde. Im Zuge der strengen mathematischen Begru ¨ndung der Begriffe und Methoden der Analysis durch Cauchy, Weierstraß u.a. (vgl. hierzu Kline (3) 1990: Kap. 40) erschien es notwendig, auch den als grundlegend vorausgesetzten Begriff der reellen Zahl explizit zu definieren. In Parallele zu den drei verschiedenen antiken Ans¨atzen (Proportionentheorie, Exhaustionsmethode und Intervallschachtelung) entstehen nun drei verschiedene Definitionen reeller Zahlen, auf deren Grundlage drei Versionen des Vollst¨andigkeitsaxioms der reellen Zahlen formuliert werden k¨onnen: Dedekindschnitte13 , Fundamentalfolgen und Intervallschachtelungen14 . Die drei verschiedenen Formulierungen des Vollst¨andigkeitsaxioms sind mathematisch ¨aquivalent (vgl. Ebbinghaus 1991: 47-51), d.h. eine reelle Zahl kann als Dedekindschnitt, Fundamentalfolge oder Intervallschachtelung aufgefasst werden und andererseits stellt jeder Dedekindschnitt, jede Fundamentalfolge und jede Intervallschachtelung eine reelle Zahl dar. Wittgenstein unterzieht jede dieser Definitionen der Kritik.15 Im Rahmen der Argumentation in BGM II ist vor allem die Cantorsche Definition der reellen Zahlen als Fundamentalfolgen bedeutsam. Sie soll hier daher im Vordergrund stehen. ¨ Cantor definiert die reellen Zahlen als Aquivalenzklassen rationaler FolDedekind leitet die reellen Zahlen als Menge der Schnitte rationaler Zahlen her. Ein Schnitt ist eine Partition der rationalen Zahlen in zwei Mengen A und B, wobei f¨ ur alle a ∈ A und alle b ∈ B gilt a < b (vgl. Holdgr¨ un 1998:17). Bereits Eudoxos (Euklid V, Def 5 (s. o. FN 11)) f¨ uhrte die Gleichheit zweier Gr¨oßen a und b auf die Teilung der rationalen Zahlen in zwei Mengen, A = {m, n ∈ N| m < ab } und B = {m, n ∈ N| m < ab } zur¨ uck n n (vgl. Kline (3) 1990: 982). Eudoxos’ Definition setzt allerdings die zu vergleichenden Gr¨oßen als gegeben voraus. Dedekind geht den umgekehrten Weg und fordert unter R¨ uckgriff auf das Eudoxische Kriterium der Gleichheit, dass jeder Schnitt eine reelle Zahl definiere, bzw. genauer: F¨ ur jeden Dedekind-Schnitt (A; B) gibt es eine Schnittzahl s ∈ R mit a ≤ s und s ≤ b f¨ ur alle a ∈ A und alle b ∈ B. 14 Die Definition der reellen Zahlen mit Hilfe von Intervallschachtelungen geht auf Weierstraß zur¨ uck. Eine Intervallschachtelung ist eine Folge ([an , bn ]) abgeschlossener Intervalle in Q, bei der jedes Intervall im vorhergehenden enthalten ist und die Intervall¨ange beliebig klein wird (Reinhardt/Soeder 1994: 63), so dass es h¨ochstens eine rationale Zahl gibt, die allen Intervallen der Schachtelung angeh¨ort (Mangoldt/Knopp 1974: 173). Das Vollst¨andigkeitsaxiom bestimmt nun: F¨ ur jede Intervallschachtelung gibt es genau eine reelle Zahl, die allen Intervallen angeh¨ort. 15 Dedekindschnitte: BGM V, 29-40; PG II 41 (S. 472), PB XV 173 (S. 211); Intervallschachtelungen: PG II 43 (S. 483-485); PB VX, 179 (S. 218-220); XVIII, 191 (S. 237), 197f (S. 241-243). 13
1.2 Reelle Zahlen
21
gen. Eine reelle Zahl ist zun¨achst [. . . ] eine durch ein Gesetz gegebene unendliche Reihe von ratio” nalen Zahlen a 1 , a2 , · · · , a n , · · ·
(1)
[· · ·], welche die Beschaffenheit hat, daß die Differenz an+m − an mit wachsendem n unendlich klein wird, was auch die positive ganze Zahl m sei. [...] Diese Beschaffenheit der Reihe (1) dr¨ ucke ich in den Worten aus: ’Die Reihe (1) hat eine bestimmte Grenze b.‘“ (Cantor 1872: 93f.).
Eine Reihe“ (heute wu ¨rde man sagen Folge“)16 . die diese Bedingung ” ” erfu ¨llt, nennt Cantor sp¨ater Fundamentalreihe“ (Cantor 1883: 186).17 ” Cantor (1883: 187) h¨alt es fu ¨r den Kardinalpunkt“ seiner Herleitung, ” dass er nicht wie viele seiner Vorg¨anger18 den logischen Fehler“ begangen ” habe, die Existenz des Grenzwertes, d.h. eines Punktes der von allen bis auf endlich viele Werte der Folge beliebig wenig abweicht (vgl. Forster 1992: 19), vorauszusetzen, sondern daß durch unsere vorangegangene Definition der Begriff b mit solchen Ei” genschaften und Beziehungen zu den rationalen Zahlen bedacht worden ist, daß daraus mit logischer Evidenz der Schluß gezogen werden kann: limν=∞ aν existiert und ist gleich b“ (Cantor 1883: 187).
Die vorangegangene Definition“ basiert auf einer Erweiterung der An” ordnungsrelationen (, =) und Elementaroperationen (+, −, ·, ÷) der rationalen Zahlen auf Fundamentalfolgen. So legt Cantor fest, dass zwei Fundamentalfolgen a0 , a1 , ..., an , ... und a00 , a01 , ..., a0n , ... als gleich“ gelten ” sollen, wenn an − a0n unendlich klein mit wachsendem n“ wird und als ” gr¨oßer (bzw. kleiner) betrachtet werden, wenn an − a0n [...] von einem ge” wissen n an stets gr¨oßer (bzw. kleiner) als eine positive (rationale) Gr¨oße ε Da auch Wittgenstein den Begriff Reihe“ verwendet, werde ich die Begriffe Rei” ” he“ und Folge“ austauschbar zur Bezeichnung von Folgen verwenden. Abweichungen ” sind ausdr¨ ucklich gekennzeichnet, wie z. B. in Kapitel 2. Zum heutigen Sprachgebrauch s. S. 22. 17 Da der Cantorschen Definition das von Cauchy formulierte Konvergenzkriterium zu Grunde liegt, werden Fundamentalfolgen oft auch Cauchy-Folgen genannt. 18 Gemeint ist hier wohl vor allem Cauchy, der zeigte, dass jede Folge, die einen Grenzpunkt hat, eine Fundamentalfolge ist. Dass jede Fundamentalfolge auch einen Grenzpunkt hat, hielt er f¨ ur intuitiv einleuchtend (vgl. Kline (3) 1990: 963, Ebbinghaus 1991: 34). 16
22
1. Mathematische Grundlagen
¨ [bleibt]“ (Cantor 1872: 93).19 Eine reelle Zahl ist die Aquivalenzklasse aller Fundamentalfolgen, die in dieser Beziehung der Gleichheit zueinander stehen (vgl. Ebbinghaus 1991: 40). Vor dem Hintergrund dieser Definitionen kann Cantor beweisen, dass die durch die Folge (aν ) bestimmte reelle Zahl b Grenzpunkt von (aν ) ist und dass jede Folge reeller Zahlen (bν ), die das Cauchysche Konvergenzkriterium erfu ¨llt, eine (und nur eine) reelle Zahl als Grenzpunkt hat (Cantor 1883: 187). Formuliert man die Cantorsche Herleitung der reellen Zahlen als Axiom fu ¨r die Menge R der reellen Zahlen, so wird diese Beobachtung zu der Forderung, der Begriff b der Fundamentalfolge solle mit solchen Eigenschaften und Beziehungen zu den rationalen Zahlen bedacht sein, dass er Grenzwert einer Folge (aν ) ist. Oder einfacher: In R konvergiert jede Fundamentalfolge. ¨ Anders als der Beweis der Uberabz ¨ahlbarkeit der reellen Zahlen mittels 20 Intervallschachtelungen geht der Diagonalbeweis nicht direkt von reellen Zahlen als Fundamentalfolgen aus, sondern macht sich die M¨oglichkeit der Darstellung reeller Zahlen als Dezimal- oder Dualbru ¨che oder – allgemeiner – als Bru ¨che zur Basis b (b ∈ N, b ≥ 2) zunutze. Grundlage fu ¨r diese Auffassung reeller Zahlen ist der mathematische Begriff der Reihe, der anders als in Cantors und Wittgensteins Sprachgebrauch nicht mit dem der Folge identisch ist. Ist eine Folge (an )n∈N gegeben, so nennt man die Folge der Partialsummen n X ( ak )n∈N = a0 , a0 + a1 , a0 + a1 + a2 , . . . k=0
eine Reihe. Jede Reihe ist also eine Folge, aber nicht jede Folge notwendiP gerweise auch eine Reihe. Man bezeichnet obige Reihe auch mit ∞ k=0 ak , In ¨ahnlicher Weise werden auch die Elementaroperationen auf die rationalen Operationen der entsprechenden Folgeglieder zur¨ uckgef¨ uhrt: Sind (aν ) und (a0ν ) zwei Fun” 0 damentalreihen, durch welche die Zahlen b und b determiniert seien, so zeigt sich, dass auch (aν ±a0ν ) und (aν ·a0ν ) Fundamentalreihen sind, die also drei neue Zahlen bestimmen, welche mir als Definitionen f¨ ur die Summe und Differenz b ± b0 und f¨ ur das Produkt b · b0 dienen. 0 Ist zudem b von Null verschieden [...], so beweist man, dass auch ( aaνν ) eine Fundamen0 talreihe ist, deren zugeh¨orige Zahl die Definition f¨ ur den Quotienten ( bb ) liefert.“ (Cantor 1883: 187) 20 Auch dieser Beweis geht auf Cantor zur¨ uck (1874: 117f; 1879: 142-145), vgl. Fußnote 23; eine moderne Version findet sich z. B. in Dieudonn´e 1975: 34f.. 19
1.2 Reelle Zahlen
also:
∞ X
ak = (
k=0
23 n X
ak )n∈N = a0 , a0 + a1 , a0 + a1 + a2 , . . .
k=0
Konvergiert die Folge der Partialsummen, so wird ihr Grenzwert ebenfalls P mit ∞ k=0 ak bezeichnet (vgl. Forster 1992: 24; Reinhardt/Soeder 1994: 279). Hier wird also wie im Falle der Cantorschen Herleitung der reellen Zahlen als Fundamentalfolgen der Grenzwert der Reihe mit der Reihe selbst identifiziert. Ein positiver b-adischer Bruch21 ist eine Reihe der Gestalt ∞ X
an b−n
n=−k
mit k ≥ 0 und an ∈ N mit 0 ≤ an < b (vgl. Forster 1992: 29)22 . Beispielsweise kann man die rationale Zahl 1000 als 10-adischen“ 3 ” Bruch, d. h. als Dezimalbruch auffassen: ∞ X 1000 3 · 10−i . = 333, 333333... = 333, 3 = 3 i=−2
Dabei steht (
P∞
n X
i=−2 3
· 10−i genaugenommen fu ¨r die Folge
3 · 10−i )n∈N = 333; 333, 3; 333, 33; 333, 333; . . . .
i=−2
Unter diesem Blickwinkel wird deutlich, dass die uns gel¨aufige Darstellung reeller Zahlen als endliche oder unendliche Dezimalbru ¨che nur eine abku ¨rzende Schreibweise fu ¨r die entsprechende Reihe ist. Von einem beliebigen positiven b-adischen Bruch r=
∞ X
an b−n
mit k ≥ 0 und an ∈ N mit 0 ≤ an < b
n=−k
uche. Offensichtlich Ich betrachte hier der Einfachheit halberPnur positive b-adische Br¨ ∞ −n ist f¨ ur k ≥ 0 und an ∈ N mit 0 ≤ an < b − n=−k an b ein negativer b-adischer Bruch, so dass alle negativen b-adischen Br¨ uche auf positive b-adische Br¨ uche zur¨ uckgef¨ uhrt werden k¨onnen. 22 Die Variable k begrenzt die positiven Exponenten der Potenzen von b. Z. B. ist P∞ −n a , wobei a−5 = 1 ist und f¨ ur n ∈ N ∪ {−4, −3, −2, −1} gilt: 100000 = n=−5 n 10 an = 0. 21
24
1. Mathematische Grundlagen
kann man nun – ohne die Basis b oder die Werte der Koeffizienten an zu kennen – zeigen, dass r eine reelle Zahl definiert. Nach der Definition b-adischer Bru ¨che ist r nichts anderes als die Folge der endlichen Pm Pi Summen −n ( n=−k an b )m∈N . Der Abstand d zweier Folgeglieder xi = n=−k an b−n Pj −n und xj = ist fu ¨r i < j – unabha¨ngig von der Wahl der n=−k an b Koeffizienten an – j X d= an b−n ≤ b−i n=i+1
(vgl. Forster 1992: 29). Damit ist r eine Fundamentalfolge. Mithin stellt jeder b-adische Bruch eine reelle Zahl dar.
1.3
Cantors Diagonalbeweis
Den Beweis, dass die Menge der reellen Zahlen im Gegensatz zur Menge der rationalen Zahlen nicht abz¨ahlbar ist, fu ¨hrt Cantor gleich zweimal, 23 ¨ 1874 und 1891. W¨ahrend Cantors erster Beweis die Uberabz ¨ahlbarkeit der reellen Zahlen mit Hilfe von Intervallschachtelungen direkt auf das Vollst¨andigkeitsaxiom zuru ¨ckfu ¨hrt, sieht Cantor den großen Vorteil des zweiten Beweises darin, dass er nicht auf die reellen Zahlen beschr¨ankt ist, ¨ sondern den Nachweis der Uberabz ¨ahlbarkeit einer Vielzahl von Mengen erm¨oglicht. So bemerkt er 1891 mit Bezug auf seinen fru ¨heren Beweis (1891: 278): Es l¨aßt sich aber von jenem Satze ein viel einfacherer Beweis liefern, der ” unabh¨angig von der Betrachtung der Irrationalzahlen ist.“ 23
Cantor (1874) zeigt: Wenn eine nach irgendeinem Gesetze gegebene unendliche Reihe voneinan” der verschiedener reeller Zahlgr¨oßen ω1 , ω 2 , . . . ω ν , . . .
(4)
vorliegt, so l¨asst sich in jedem Intervalle (α . . . β) eine Zahl η (und folglich unendlich viele solcher Zahlen) bestimmen, welche in der Reihe (4) nicht vorkommt“ (Cantor 1874: 117). Die Annahme, die Menge R aller reellen Zahlen k¨onne durch Bildung einer Folge (ων )ν∈N+ bijektiv auf die Menge der nat¨ urlichen Zahlen abgebildet werden, wird ad absurdum gef¨ uhrt, indem eine reelle Zahl konstruiert wird, die nicht in der Folge auftreten kann. Dazu wird zu einem beliebigen vorgegebenen offenen Intervall (α . . . β), α < β eine In-
1.3 Cantors Diagonalbeweis
25
Aufgrund seiner Allgemeinheit wird der Diagonalbeweis zum Ausgangspunkt und Grundstein der Cantorschen Lehre transfiniter Kardinalzahlen (vgl. 1892: 279). Ich werde zun¨achst den Diagonalbeweis fu ¨r die reellen Zahlen skizzieren und dann auf das ihm zu Grunde liegende allgemeine Beweisprinzip, wie es von Cantor 1891 vorgestellt wurde, eingehen. Gegenstand des Diagonalbeweises sind nicht die Partialsummen, sondern die Koeffizientenfolgen (an )n∈N b-adischer Bru ¨che im offenen Intervall (0, 1). Jeder reellen Zahl zwischen Null und Eins kann man eine Koeffizientenfolge (an )n∈N mit an ∈ {0, 1, . . . b − 1} zuordnen. Im Fall b = 2 erh¨alt man auf diese Weise fu ¨r jede reelle Zahl im Intervall (0, 1) als Koeffizientenfolge eine Folge von Nullen und Einsen, im Fall b = 10 eine Folge (an )n∈N von Zahlen an mit tervallschachtelung mit Intervallgrenzen aus der Zahlenfolge ω1 , ω2 . . . ων , . . . konstruiert. Die Grenzen des ersten Intervalls (α1 . . . β 1 ) werden von den ersten Zahlen α1 und β 1 (α1 < β 1 ) der Folge (ων )ν∈N+ , die im Intervall (α . . . β) liegen, gebildet. Analog werden die Grenzen des n¨achsten Intervalls (α2 . . . β 2 ) und aller weiteren durch die n¨achsten zwei Folgeglieder aus (ων )ν∈N+ gebildet, die in (α1 . . . β 1 ) bzw. in dem zuletzt gebildeten Intervall der Intervallfolge liegen. Cantor zieht nun zwei F¨alle in Erw¨agung: Entweder die Anzahl der so gebildeten In” tervalle ist endlich [. . .] Oder die Anzahl der so gebildeten Intervalle ist unendlich groß.“ (1874: 117). Im ersten Fall gibt es ein letztes Intervall (αν . . . β ν ), in dem h¨ochstens noch eine Zahl ωp aus (ων )ν∈N+ liegt. Da die reellen Zahlen aber dicht sind, d. h. zwischen je zwei reellen Zahlen a und b eine dritte (z. B. a+b ) existiert, gibt es eine reel2 le Zahl in diesem letzten Intervall, die nicht in der Folge (ων )ν∈N+ vorkommt (denn sonst w¨are (αν . . . β ν ) nicht das letzte Intervall der Intervallschachtelung). Im zweiten Fall gilt: Da die Zahlen α1 , α2 , α3 , . . . , αν , . . . ihrer Gr¨oße nach fortw¨ahrend wachsen, ” dabei jedoch im Intervalle (α . . . β) eingeschlossen sind, so haben sie nach einem bekannten Fundamentalsatze der Gr¨oßenlehre eine Grenze [...]. Ein gleiches gilt f¨ ur die Zah1 2 3 ν len β , β , β , . . . , β , . . ., welche fortw¨ahrend abnehmen und dabei ebenfalls im Intervall (α . . . β) liegen.“ (Cantor 1879: 144f; Cantors Notation habe ich der meinen angeglichen). F¨ ur die Grenzwerte α∞ = limν→∞ αν und β ∞ = limν→∞ β ν gilt: α∞ ≤ β ∞ . Ist α∞ < β ∞ , so gibt es (da R dicht ist) im Innern des Intervalls (α∞ . . . β ∞ ) eine reelle Zahl η, die nicht von (ων )ν∈N+ erfasst wird (denn sonst w¨are sie Intervallgrenze und als solche kleiner als α∞ oder gr¨oßer als β ∞ ). Ist α∞ = β ∞ , so ist η = α∞ = β ∞ eine reelle Zahl, die nicht in der Folge (ων )ν∈N+ enthalten sein kann, denn w¨are die Zahl η in unserer Reihe enthalten, so h¨atte man ” η = ωp , wo p ein bestimmter Index ist; dies ist aber nicht m¨oglich, denn ωp liegt nicht im Innern des Intervalls (α∞ . . . β ∞ ), w¨ahrend die Zahl η ihrer Definition nach im Innern des Intervalls liegt“ (Cantor 1874: 117). Damit ist bewiesen, dass keine Folge von reellen Zahlen alle reellen Zahlen umfassen kann, dass es also keine bijektive Abbildung der reellen auf die nat¨ urlichen Zahlen gibt. Folglich sind die reellen Zahlen u ¨berabz¨ahlbar.
26
1. Mathematische Grundlagen
0 ≤ an ≤ 9 fu ¨r alle n ∈ N. Endliche b-adische Bru ¨che kann man in unendliche verwandeln, indem man 0 als Koeffizient fu ¨r alle nachfolgenden Koeffizienten setzt. So ergibt sich z. B. fu ¨r den Dezimalbruch 0, 125 die Koeffizientenfolge 1, 2, 5, 0, 0, 0 . . . . Um zu zeigen, dass die reellen Zahlen nicht abz¨ahlbar sind, fu ¨hrt der Diagonalbeweis die Annahme, es gebe eine bijektive Abbildung f : N → (0, 1) ⊂ R ad absurdum, indem er eine reelle Zahl konstruiert, die nicht Funktionswert von f ist. Zu diesem Zweck betrachtet man die Aufz¨ahlung24 der Koeffizientenfolgen der Funktionswerte von f: f (0) : f (1) : f (2) : f (3) : ..... f (µ) : .....
a0,0 a1,0 a2,0 a3,0
a0,1 a1,1 a2,1 a3,1
a0,2 a1,2 a2,2 a3,2
a0,3 a1,3 a2,3 a3,3
... ... ... ...
a0,µ a1,µ a2,µ a3,µ
... ... ... ...
aµ,0 aµ,1 aµ,2 aµ,3 . . . aµ,µ . . .
Im Fall von Dualbru ¨chen sind alle ai,j mit i, j ∈ N entweder Null oder Eins, im Fall von Dezimalbru ¨chen gilt entsprechend ai,j ∈ {0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9}. Der Diagonalbeweis beruht nun auf der Betrachtung der Folge (ai,i )i∈N des i-ten Koeffizienten der i-ten reellen Zahl der Aufz¨ahlung, d. h. der Folge der Koeffizienten, die auf der Diagonalen liegen. Zu dieser Folge bildet man eine Folge (di )i∈N , die die Bedingung erfu ¨llt, dass di 6= ai,i fu ¨r alle i ∈ N. Dies kann z. B dadurch erreicht werden, dass jede 1 durch eine Null ersetzt wird und jeder andere Koeffizient durch die 1. Da die auf diese Weise manipulierten Koeffizienten auf der (durch Fettdruck angedeuteten) Diagonalen des obigen Schemas liegen, nennt man die Folge (di )i∈N Diagonalfolge. Fasst man die Folge (di )i∈N als Koeffizientenfolge eines b-adischen Bruchs im Intervall (0, 1) auf, so erh¨alt man die sog. Diagonalzahl d = P∞ −n n=1 dn b . d ist ein b-adischer Bruch und damit eine reelle Zahl. Der Diagonalbeweis zeigt nun, dass die Koeffizientenfolge der Diagonalzahl Essler (1964: 27) unterscheidet zwischen abz¨ahlbaren und aufz¨ahlbaren Mengen, wobei eine Menge M schon dann aufz¨ahlbar ist, wenn es eine surjektive Funktion f : N → M gibt. Im Rahmen dieser Arbeit soll unter der Aufz¨ahlung f einer Menge R dagegen eine bijektive Funktion f : N → R verstanden werden. Existiert zu einer Menge R eine Aufz¨ahlung f , so ist R abz¨ahlbar; ist R abz¨ahlbar, so existiert eine Aufz¨ahlung f . 24
1.3 Cantors Diagonalbeweis
27
(di )i∈N nicht selbst als z. B. k-tes Element der Aufz¨ahlung auftreten kann, denn dann wu ¨rde sie die Diagonale im Koeffizienten dk kreuzen. Also mu ¨sste fu ¨r die Stelle ak,k des Rasters gelten ak,k = dk . Nun ist (di )i∈N aber so definiert, dass fu ¨r alle Koeffizienten dn gilt: dn 6= an,n . Folglich ist auch dk 6= ak,k . Dies ist ein Widerspruch. Somit wird (di )i∈N nicht von der Aufz¨ahlung erfasst. Nun m¨ochte man die Erkenntnisse u ¨ber die Koeffizientenfolge der Diagonalzahl auf die Diagonalzahl u ¨bertragen und argumentieren, dass, da (di )i∈N nicht in der Aufz¨ahlung auftreten kann, d kein Funktionswert von f sein kann. Mithin ist f nicht surjektiv und folglich auch nicht bijektiv. Die Annahme, die natu ¨rlichen Zahlen k¨onnten bijektiv auf die reellen Zahlen abgebildet werden, muss daher verworfen werden. Das bedeutet, dass die reellen Zahlen nicht abz¨ahlbar sind. Diese Argumentation steht aber unter einem Vorbehalt, der deutlich wird, wenn man das dem Diagonalbeweis zu Grunde liegende allgemeine Beweisprinzip, das ich Diagonalverfahren“ nennen werde, von der spezi” fischen Anwendung auf die Menge der reellen Zahlen trennt. Den soeben fu ¨r die Koeffizientenfolgen b-adischer Bru ¨che skizzierten Beweis formuliert Cantor 1891 allgemein fu ¨r Folgen E = (xν )ν∈N+ , wobei xν ∈ {w, m}. Dabei sollen m und w irgend zwei einander ausschließende Charaktere“(Cantor ” 1891: 278) darstellen. Die Gesamtheit aller Folgen E, deren Koordinaten entweder m oder w sind, nennt Cantor M . Zum Beweis, dass die Menge M nicht abz¨ahlbar ist, betrachtet Cantor eine unendliche Folge (Eµ )µ∈N+ von Elementen in M und definiert eine Reihe (bν )ν∈N+ , derart, dass bν ” auch nur gleich m oder w und von aν,ν verschieden sei.“ (Cantor 1891: 279). Er argumentiert nun: Betrachten wir alsdann das Element ” E0 = (b1 , b2 , b3 , . . .) von M, so sieht man ohne weiteres, daß die Gleichung E0 = Eµ f¨ ur keinen positiven ganzzahligen Wert von µ erf¨ ullt sein kann, da sonst f¨ ur das betreffende µ und f¨ ur alle ganzzahligen Werte von ν bν = aµ,ν also auch im besondern bµ = aµ,µ
28
1. Mathematische Grundlagen w¨are, was durch Definition von bν ausgeschlossen ist. Aus diesem Satze folgt unmittelbar, daß die Gesamtheit aller Elemente von M sich nicht in die Reihenform E1 , E2 , . . . , Eν , . . . bringen l¨asst, da wir sonst vor dem Widerspruch stehen w¨ urden, daß ein Ding E0 sowohl Element von M , wie auch nicht Element von M w¨are.“ (Cantor 1891: 279).
Setzt man {m, w} = {0, 1} so erha¨lt man offensichtlich eine Interpretation des Beweises fu ¨r die Dualbruchdarstellung reeller Zahlen im Intervall M = (0, 1). Das Diagonalverfahren liefert dann als Folge E0 die Koeffizientenfolge eines Dualbruchs, der von jedem Dualbruch Eµ ∈ (E1 , E2 , . . . , Eµ , . . .) in mindestens einer Koordinate verschieden ist. Der anfangs skizzierte Beweis stellt sich somit tats¨achlich als eine Anwendung des Cantorschen Diagonalverfahrens dar. Dennoch ist die Schlussfolgerung, die Menge M sei nicht abz¨ahlbar, nur dann gerechtfertigt, wenn die Elemente der Menge M durch die Folgen Eµ eindeutig charakterisiert sind. Demgegenu ¨ber hat nicht jede reelle Zahl eine eindeutige Darstellung als unendlicher b-adischer Bruch. So l¨asst sich jede reelle Zahl, die sich durch einen b-adischen Bruch darstellen l¨asst, dessen Koeffizientenfolge nach endlich vielen Folgegliedern konstant b − 1 ist, auch als Null-periodischer (d.h. endlicher) Bruch auffassen. Fu ¨r Dezimalbru ¨r Dualbru ¨che ist ¨che ist z. B. 0, 09 = 0, 1 = 0, 1000 . . ., und fu 0, 01 = 0, 011111 . . . = 0, 1 = 0, 1000 . . .. D. h., Folgen, die sich in unendlich vielen Koordinaten unterscheiden, k¨onnen dennoch dieselbe Zahl repr¨asentieren. Damit kann aus der Ungleichheit der Koeffizientenfolgen Eµ = (aµ,n )n∈N mit der Diagonalfolge E0 nicht auf die Ungleichheit der entsprechenden b-adischen Bru ¨che geschlossen werden. Der Cantorsche Diagonalbeweis kann daher nur dann auf reelle Zahlen u ¨bertragen werden, wenn sichergestellt werden kann, dass die reelle Zahl, deren Koeffizientenfolge die Diagonalfolge E0 ist, nicht durch eine andere Koeffizientenfolge dargestellt werden kann. Da Dualbru ¨che aus den zwei Ziffern 0 und 1 zusammengesetzt sind, bestimmt jede Koeffizientenfolge, die ab einem bestimmten Punkt n0 ∈ N konstant den Wert 0 annimmt, eine reelle Zahl, die auch durch eine ab n0 + 1 konstante Folge auf 1 repr¨asentiert werden kann – und umgekehrt. Nun kann der Fall, dass die Diagonalfolge konstant wird, nicht ausgeschlossen werden. Folglich kann fu ¨r Dualbru ¨che nicht sichergestellt werden, dass die durch die Diagonalfolge repr¨asentierte Zahl nicht in anderer Gestalt in der Aufz¨ahlung auftritt.
1.3 Cantors Diagonalbeweis
29
Fu ¨r b-adische Bru ¨che mit b > 3 l¨asst sich dieses Problem allerdings umgehen, da hier nicht jede konstante Koeffizientenfolge uneindeutig ist. Fu ¨r die Dezimalbruchdarstellung der reellen Zahlen sind beispielsweise nur konstante Folgen mit Perioden auf 0 und 9 problematisch; alle periodischen Bru ¨che auf 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 stellen eine bestimmte reelle Zahl eindeutig dar. So gilt es nur noch zu vermeiden, dass in der Diagonalfolge die Ziffern 0 und 9 auftauchen. Bestimmt man beispielsweise die Diagonalfolge d∞ = (dn )n∈N fu ¨r die Dezimalbruchdarstellung reeller Zahlen mit den Koeffizientenfolgen Eµ = (aµ,n )n∈N wobei aµ,n ∈ {0, 1, 2, ...9} fu ¨r alle µ, n ∈ N folgendermaßen: ½ 5 falls an,n 6= 5 dn = 4 falls an,n = 5 so kann es zwar passieren, dass die Diagonalfolge einen Dezimalbruch, der 4- oder 5-periodisch ist, generiert, nicht aber, dass die durch diesen Dezimalbruch charakterisierte reelle Zahl unter einer anderen Dezimalbruchdarstellung in der Aufz¨ahlung auftritt. Fu ¨r 4- oder 5-periodische Dezimalbru ¨che gibt es nur diese eine Darstellung als Dezimalbruch. In diesem Fall folgt aus der Verschiedenheit der Diagonalfolge d∞ = (di )i∈N von jeder Koeffizientenfolge der Aufz¨ahlung Eµ (µ ∈ N) bereits, dass die reelle Zahl d, die durch die Koeffizientenfolge d∞ repr¨asentiert wird, nicht in der betrachteten Aufz¨ahlung reeller Zahlen vorkommt. Mit diesem Trick kann fu ¨r jede Aufz¨ahlung reeller Zahlen im Intervall (0, 1) eine reelle Zahl konstruiert werden, die nicht in der Liste der Werte auftaucht. D. h. fu ¨r jede Abbildung f : N → (0, 1) ⊂ R der natu ¨rlichen in die reellen Zahlen zwischen Null und Eins l¨asst sich mit diesem Verfahren eine reelle Zahl d ∈ (0, 1) finden, fu ¨r die es kein n ∈ N gibt mit f (n) = d. Folglich ist keine Abbildung der natu ¨rlichen auf die reellen Zahlen im Intervall (0, 1) – und damit erst recht keine Abbildung der natu ¨rlichen Zahlen auf die Menge aller reellen Zahlen – bijektiv. Folglich sind die reellen Zahlen nicht abz¨ahlbar. Wittgenstein unterzieht in BGM II, 1-22 die Argumentation des Diagonalbeweises in viererlei Hinsicht der Kritik. Zun¨achst (§§ 1-8) untersucht er die Annahme, die Diagonalfolge d∞ definiere einen b-adischen Bruch und damit eine reelle Zahl (s. Kap. 2). Sodann wendet er sich in §§ 911 dem abstrakten Diagonalverfahren zu und untersucht, inwiefern die Folgerung berechtigt ist, die Diagonalzahl sei von allen Elementen der
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1. Mathematische Grundlagen
Aufz¨ahlung f verschieden (s. Kap. 3). Die Frage, inwiefern der Diagonalbeweis tats¨achlich ein Beweis ist, schließt sich in §§ 12-15 unmittelbar an und wird hier ebenfalls in Kapitel 3 untersucht. Schließlich kritisiert Wittgenstein in §§16-21 die Bestimmtheit des Begriffs der Abz¨ahlbarkeit und wendet sich in §22 gegen die Annahme, das Diagonalverfahren zeige, dass es unendliche Mengen unterschiedlicher M¨achtigkeiten gibt (s. Kap. 4).
Kapitel 2 Die Diagonalzahl In BGM II versucht Wittgenstein die Behauptung in Frage zu stellen, Can¨ tors Diagonalargument beweise die Uberabz ¨ahlbarkeit der reellen Zahlen. Die Abschnitte 1-8 dienen in diesem Zusammenhang der Verteidigung der These, die Diagonalmethode erzeuge keine reelle Zahl. Da Cantors Beweis ¨ der Uberabz ¨ahlbarkeit der Menge der reellen Zahlen auf der Annahme basiert, das Diagonalverfahren generiere eine reelle Zahl, macht diese These, ¨ sofern sie zutrifft, Cantors Beweis der Uberabz ¨ahlbarkeit der Menge der reellen Zahlen hinf¨allig. Ich werde in diesem Kapitel zun¨achst Wittgensteins Argumentation in ¨ BGM II, 1-8 nachzeichnen und aufzeigen, inwiefern seine Uberlegungen die These stu ¨tzen, das Diagonalverfahren erzeuge keine reelle Zahl (2.1). Anschließend m¨ochte ich anhand eines Beispiels deutlich machen, dass Wittgenstein diese allgemeine These deutlich einschr¨anken muss, wenn er rationalen Zahlen den Status als Zahl nicht absprechen will (2.2). Schließlich m¨ochte ich zeigen, dass Wittgenstein dennoch zurecht darauf hinweist, dass die Diagonalzahl nicht als Zahl aus dem Diagonalverfahren hervorgeht (2.3). Ob die durch das Diagonalverfahren erzeugte Reihe von Zahlen eine mathematische Entit¨at darstellt, h¨angt n¨amlich nicht vom Diagonalverfahren, sondern vom jeweiligen Axiomensystem ab.
2.1
Die Diagonalreihe als reelle Zahl
Grundlage der Argumentation in BGM II, 1-8 ist die Pr¨amisse, in der Mathematik sei die Bedeutung eines Wortausdrucks durch die Rechnung, aus der er hervorgeht, bestimmt (BGM II, 7). In den ersten drei Abschnitten deutet Wittgenstein an, dass es keine Rechnung außerhalb des Diagonal31
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2. Die Diagonalzahl
verfahrens gibt, die der Diagonalzahl Bedeutung verleihen k¨onnte (2.1.1). In den Abschnitten 4-8 weist er dann nach, dass aus dem Diagonalverfahren nicht hervorgeht, dass die Diagonalreihe eine reelle Zahl ist (2.1.2). Damit handelt es sich Wittgenstein zufolge bei der Diagonal‘zahl’ nicht um eine reelle Zahl. 2.1.1
Mathematische Umgebungen (§§ 1-3)
Die Notizen des MS 117 aus dem Jahr 1938, die als BGM II, 1-22 ver¨offentlicht sind, beginnen mit der Betrachtung einer Abbildung der natu ¨rlichen Zahlen in die Quadratwurzeln, wobei jede natu ¨rliche Zahl ihrer Quadrat√ wurzel zugeordnet wird: f : n 7→ n. Wittgensteins Ausfu ¨hrungen richten sich damit zun¨achst nicht direkt gegen den Diagonalbeweis, sondern beziehen sich auf diesen ganz anderen (und bewusst abwegigen) Fall der Anwendung der Methode, die dem Diagonalbeweis zu Grunde liegt. Weder will Wittgenstein sich u ¨ber das Diagonalverfahren lustig machen, noch missversteht er die Pr¨amissen des Diagonalbeweises, indem er hier eine Teilmenge der reellen Zahlen betrachtet. Vielmehr m¨ochte er die Methode, die dem Diagonalbeweis zu Grunde liegt, ernst nehmen als ein mathematisches Verfahren, das auf verschiedene Zahlenmengen anwendbar ist. Der Einschub – sagen wir –“ macht deutlich, dass es sich bei der Aufza¨hlung ” aller Quadratzahlen nur um ein Beispiel handelt, das helfen soll zu verstehen, welche Argumente sich hinter dem Diagonalverfahren verbergen. Letztlich m¨ochte Wittgenstein die Frage beantworten: In wiefern beweist die Diagonalmethode, daß es eine Zahl gibt, die – sagen ” wir – keine Quadratwurzel ist?“ (§ 1)
Um diese Frage zu beantworten, inwiefern das Diagonalverfahren zeigt, dass es eine von allen Zahlen einer abz¨ahlbar unendlichen Menge verschiedene Zahl gibt, nimmt Wittgenstein sich erst einmal das Ziel des Diagonalbeweises vor, eine Zahl zu generieren, die von allen Werten einer bestimmten Zahlenmenge verschieden ist. Wittgenstein zufolge gibt die Diagonalmethode damit vor, eine bestimmte mathematische Aufgabe zu l¨osen, fu ¨r die es in vielen anderen F¨allen eine L¨osung gibt, n¨amlich die Aufgabe: Zeige mir eine Zahl, die von allen diesen verschieden ist“ (BGM ” II, 3). Vergleicht man jetzt aber die u ¨blichen L¨osungen solcher Aufgaben mit der L¨osungsmethode des Diagonalverfahrens, so stellt man fest, dass
2.1 Die Diagonalreihe als reelle Zahl
33
die u ¨blichen L¨osungen alle nach einem bestimmten Schema vorgehen, dem das Diagonalverfahren nur vorgeblich folgt: √ Aufgabe: Finde ein x, das eine bestimmte mathematische Form (hier: n) nicht hat. √ √ uhre L¨osung: W¨ahle eine Zahl x (z. B. x = 3 2 oder x = 2 − 1...) und f¨ die Annahme, x habe diese Form (hier: x2 sei eine nat¨ urliche Zahl) zum Widerspruch.
In Wittgensteins Beispielaufgabe (§ 1) l¨asst sich dieses L¨osungsschema fu ¨r √ √ 3 x = 2 und x = 2 − 1 als L¨osungen der Aufgabe, eine Zahl anzugeben, die nicht Wurzel einer natu ¨rlichen Zahl n ist, leicht verifizieren. Zu diesem Zweck nimmt man an, es gebe eine natu ¨rliche Zahl n ∈ N, so dass x2 = n und fu ¨hrt diese Annahme durch einfaches Umformen der Gleichung zum Widerspruch.1 Die Antwort der Diagonalmethode scheint dieselbe Form zu haben: nimm die vorgegebene Zahl und addiere oder subtrahiere eine andere Zahl. ¨ Das w¨are ganz in Ubereinstimmung mit dem obigen Schema. So kann man ¨che addieren, z. B. √ nach dem Schema auch unendliche Dezimalbru 2+0, 0101010101010101010.... . Dies k¨onnte der erste √spontane L¨osungsversuch der Aufgabe Nenne mir eine Zahl, die mit 2 an jeder zweiten ” Dezimalstelle u ¨bereinstimmt!“ (BGM II, 2) sein. Das w¨are eine richtig scho¨ne Lo¨sung, denn einerseits ko¨nnte man einen ganz neuen unendlichen Dezimalbruch generieren, n¨amlich: 1, 414213562...+0, 010101010... = 1, 424314572..., andererseits ha¨tte √ man eine einfache algebraische Darstellung dieses Ungetu ¨ms, n¨amlich 2 + 1/99, und diese kann man dann ganz einfach fu ¨r Widerspruchsbeweise o. a¨. nach dem obigen Muster weiterverwenden. Leider liefert diese Zahl aber keine Lo¨sung der urspru ¨nglichen Aufgabe. Das Muster in der Dezimalzahlentwicklung h¨alt nur an, solange in der √ Dezimalzahlentwicklung von 2 die Ziffer 9 nicht vorkommt – so wie das Subtrahieren von 0, 01010101010 oder auch 0, 10101010101 √ als L¨osungsversuch an der Ziffer 0 in der Dezimalzahlentwicklung von 2 scheitert. √ √ 2 2) = n, dass 4 = n3 . Da aber 13 < 4√< 23 , gibt es Im Fall x = 3 2 folgt aus ( 3 √ kein n ∈ N√ mit n3 = 4. Also ist 3 2 keine Quadratwurzel. Im Fall x = 2 − 1 erh¨alt √ 2 man mit ( 2 − 1) = n die Gleichung 2 − 2 2 + 1 = n, die sich umformen l¨asst zu √ u√ r n ∈ N auf der rechten Seite √ der Gleichung eine rationale 2 = 1/2(3 − n). Da f¨ Zahl steht, m¨ usste auch 2 eine√rationale Zahl sein. Da 2 irrational ist, ist dies ein Widerspruch und die Annahme, 2 − 1 sei Quadratwurzel einer nat¨ urlichen Zahl, muss verworfen werden. 1
34
2. Die Diagonalzahl
Die Aufgabe, auf die die Diagonalmethode antwortet, ist mit dem alten Schema genauso wenig zu l¨osen wie die Aufgabe der Dreiteilung des Winkels mit Hilfe der Verfahren der euklidischen Geometrie, die beispielsweise die 2n -Teilung des Winkels bew¨altigen. Die L¨osung, die dem Verfahren der Diagonalmethode entsprechen √ wu ¨rde, w¨are: Es ist die Zahl, die man nach der Regel erh¨alt: entwickle 2 ” und addiere 1 oder −1 zu jeder zweiten Dezimalstelle“ (§ 2), wobei die Ziffer 0 durch die Addition, die 9 durch die Subraktion von 1 ver¨andert wird und alle anderen Ziffern beliebig durch +1 oder −1 modifiziert werden k¨onnen. Wittgensteins Ansicht nach ist die urspru ¨ngliche Aufgabe durch diese Antwort nicht befriedigt“ (§ 2). Zwar kann auch diese Antwort als ” Addition einer Zahl aufgefasst werden, nur handelt es sich in diesem Fall um eine Zahl, die nur u ¨ber ihre unendliche Dezimalzahlentwicklung gegeben ist. Diese aber h¨angt ebenso wie die Dezimalzahlentwicklung der √ L¨osung direkt von der Dezimalzahlentwicklung von 2 ab. Nun ist fraglich, inwiefern dies einen Unterschied darstelllen soll. So k¨onnte man einwenden, da jede reelle Zahl als unendlicher Dezimalbruch aufgefasst werden k¨onne, generiere das Verfahren der Addition bzw. Subtraktion der Ziffer 1 – in Abh¨angigkeit der Dezimalzahlentwicklung von √ 2 – einen unendlichen Dezimalbruch, d. h. eine reelle Zahl. Darauf kann man viel erwidern, z. B.: Aber was ist hier Methode des ” Kalkulierens und was Resultat?“ (§ 3) – und w¨ahrend man noch spricht, weiß man schon, was der na¨chste Einwand des Gegners sein wird: Du ” wirst sagen, sie seien eins, denn es hat nun Sinn zu sagen: die Zahl D ist gro¨ßer als ... und kleiner als ...; man kann sie quadrieren etc. etc.“ (§ 3). So kann man sich ewig weiter streiten und beide Parteien wissen wie ausweglos der Streit ist, denn Wittgenstein wird sich nicht davon abbringen lassen, dass Gebilde, die sich nicht auf einen endlichen mathematischen Ausdruck zuru ¨ckfu ¨hren lassen, keine Gegenst¨ande der Mathematik sind und der Gegner wird sich weiterhin auf die Axiome und Regeln der reellen Zahlen berufen. Diesem Streit weicht Wittgenstein in BGM II, 3 aus, indem er die Fragestellung korrigiert und sich damit auf ein Problem zuru ¨ckzieht, das außerhalb jeder Theorie der reellen Zahlen steht: Ist die Frage nicht eigentlich: Wozu kann man diese Zahl brauchen? Ja, das ” klingt sonderbar. – Aber es heißt eben in welcher mathematischen Umgebung steht sie.“ (§ 3)
2.1 Die Diagonalreihe als reelle Zahl
35
Unter diesem Gesichtspunkt erscheint nicht die Antwort selbst als fehlerhaft, sondern die Behauptung, sie beantworte die Frage. Genauso wie ein durch Aneinanderlegen dreier gleicher Winkel entstandener Winkel tats¨achlich in drei gleich große Teile geteilt ist, ist die Diagonalmethode tats¨achlich eine Regel, Zahlen successive herzustellen, die von jeder ” von diesen nach der Reihe verschieden ist“ (§ 3). So wie das Verdreifachen des Winkels aber eben nicht die Dreiteilung eines beliebigen Winkels erm¨oglicht, l¨asst sich generierte Zahl ¨r die durch das Diagonalverfahren √ fu √ – anders als fu ¨r 2 − 1/99 (oder auch 2 − π o.¨a.) – nicht zeigen, ob sie z. B. dritte oder vierte Wurzel einer natu ¨rlichen Zahl ist. Die durch das Diagonalverfahren konstruierte ‘Zahl’ wird der Mathematik in dieser Hinsicht immer unbekannt bleiben. Mathematische Beweise finden einfach keinen Ansatzpunkt. Die urspru ¨ngliche Aufgabe war aber gerade zu beweisen, dass die angegebene Zahl eine bestimmte Eigenschaft (wie hier: nicht Quadratwurzel einer natu ¨rlichen Zahl zu sein) hat. Indem die Diagonalmethode dem mathematischen Zugriff ausweicht, anstatt ein Verfahren anzugeben, das eine neue Zahl in die vorgegebene mathematische Umgebung einfu ¨gt, umgeht sie das Problem, lo¨st es aber nicht. So wie man daher geneigt ist, die Winkelteilung durch Verdreifachen mit dem Hinweis Aber so hab ich’s ja nicht gemeint!“ (§ 3) zuru ¨ckzu” weisen und die Fragestellung zu korrigieren, m¨ochte man auch die Diagonalmethode als Methode der Erzeugung einer ‘Zahl’ mit der Begru ¨ndung ablehnen, man habe nach einer L¨osung gesucht, die bestimmten anderen mathematischen Fragestellungen zug¨anglich sei. Die Diagonalmethode aber generiert eine ‘Zahl’, die keine mathematische Umgebung hat, d. h., u ¨ber die und mit Hilfe derer keine mathematischen Aussagen gemacht werden k¨onnen. Allerdings muss sich diese Interpretation den Einwand gefallen lassen, dass die Annahme, die Diagonalmethode k¨onne Wittgensteins Beispielaufgabe nicht l¨osen, schlicht falsch ist. Wendet man die Diagonalmethode auf die Aufz¨ahlung aller Quadratwurzeln natu ¨rlicher Zahlen an, so erh¨alt man als Diagonalzahl eine Zahl D, die im Intervall [0, 10] liegt. √ √1 √2 √3 √4 5
: : : : : ...
1, 00000000... 1, 41421356... 1, 73205080... 2, 00000000... 2, 23606797...
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2. Die Diagonalzahl
Die 4-5-Regel (s. o. S. 29) liefert beispielsweise D = 5, 5555.... Da D von allen Quadratwurzeln natu ¨rlicher Zahlen und damit insbesondere von den ersten hundert Quadratwurzeln in mindestens ist sie √einer Ziffer abweicht, √ ungleich jeder Quadratzahl x zwischen x = 1 = 1 und x = 100 = 10. √ Folglich gibt es kein n ∈ N mit n = D. Es l¨asst sich also anhand der √ Eigenschaften der Diagonalzahl als Zahl nachweisen, dass fu ¨r alle x = n mit 0 < n < 100 gilt: D 6= x. Auf diesen Einwand l¨asst sich zweierlei erwidern. Erstens geht der soeben skizzierte Beweis dafu ¨r, dass die Diagonalzahl keine Quadratwurzel ist, nicht auf die Eigenschaften der Diagonalzahl zuru ¨ck, sondern auf die Charakteristika der Methode der Erzeugung der Diagonalzahl. Damit hat zwar das Diagonalverfahren eine mathematische Umgebung, nicht aber die Diagonalzahl. Diese Erwiderung gesteht ein, dass die L¨osung des Diagonalverfahrens eine Antwort auf die urspru ¨ngliche Frage darstellt, weist aber darauf hin, dass die Folgerung, die Diagonalzahl entziehe sich dem mathematischen Zugriff, bestehen bleibt. Ein weiterer Ausweg ero¨ffnet sich, wenn man im Ausgangsbeispiel die Menge der Quadratwurzeln rationaler (statt natu ¨rlicher) Zahlen betrachtet. Diese Menge ist – genau wie die der Quadratwurzeln natu ¨rlicher Zahlen – abz¨ahlbar unendlich. Im Gegensatz zu den natu ¨rlichen Zahlen sind die rationalen Zahlen aber dicht, d. h. zwischen je zwei rationalen Zahlen liegen stets unendlich viele weitere. Daher ist es unm¨oglich, die Frage, ob die Diagonalzahl Quadratwurzel einer rationalen Zahl ist, mit Hilfe von Gr¨oßenrelationen auf die Untersuchung endlich vieler F¨alle zu reduzieren. Anders als im Fall der Quadratzahlen natu ¨rlicher Zahlen kann hier die Behauptung, die Diagonalzahl sei keine Quadratwurzel einer rationalen ¨ Zahl, nicht durch vom Diagonalverfahren unabh¨angige Uberlegungen verifiziert werden. Wandelt man das Ausgangsbeispiel in dieser Weise ab, erh¨alt man eine Diagonalzahl, die nicht nur als Zahl in keiner mathematischen Umgebung steht, sondern u ¨ber die auch keine mathematischen Aussagen gemacht werden k¨onnen, die eine Antwort auf die Ausgangsfrage darstellen wu ¨rden. Hier kann nur das Cantorsche Diagonalargument weiterhelfen. Der Unterschied der beiden Erwiderungen liegt vor allem darin, dass im ersten Fall anhand der Methode der Erzeugung der Diagonalzahl mathematische Aussagen u ¨ber die Diagonalzahl gemacht werden k¨onnen. Damit
2.1 Die Diagonalreihe als reelle Zahl
37
stellt die Diagonalmethode in diesem Fall ein Hilfsmittel der Mathematik dar, hat also eine mathematische Umgebung“. Insofern geht in die” sem konkreten Fall auch das Argument der folgenden Abschnitte (§§ 4-8) fehl, das Diagonalverfahren definiere die Diagonalzahl nicht hinreichend, denn fu ¨r die L¨osung der Aufgabe genu ¨gt es, die Diagonalmethode auf einen endlichen Teil der Aufz¨ahlung anzuwenden und die auf diese Weise entstandene endliche Dezimalzahl als L¨osung der Aufgabe anzugeben. In dem abgewandelten Beispiel dagegen hat das Verfahren der Konstituierung der Diagonalzahl keine Anwendung in der Mathematik. Die einzige Umgebung, die der Diagonalmethode in diesem Fall zukommt, ist das Cantorsche Diagonalargument, von dem in den §§ 9-11 gezeigt werden wird, dass es keine mathematische Basis hat. Als Ergebnis der Argumentation der ersten drei Abschnitte l¨asst sich festhalten, dass die Diagonalzahl in keiner anderen mathematischen Umgebung steht, als in derjenigen, die ihr durch die Diagonalmethode erschlossen wird. Daher liegt der Vorschlag, die Diagonalmethode als Definition der Diagonalzahl aufzufassen, die Methode des Kalkulierens“ also ” dem Resultat“ gleichzusetzen, nahe. Diesen Vorschlag seines Gegners aus ” § 3 er¨ortert Wittgenstein in §§ 4-8. 2.1.2
Methode und Resultat (§§ 3-6)
In BGM II, 4 greift Wittgenstein den Einwand aus § 3, das Diagonalverfahren generiere sehr wohl eine Zahl, wieder auf. Diesmal versucht er den Gegner mit den eigenen Waffen zu schlagen, indem er zeigt, dass die These, das Diagonalverfahren konstituiere eine Zahl, nicht bereits durch das Verfahren selbst impliziert wird, sondern eine umfangreiche Theorie, einen begrifflichen Apparat voraussetzt, den der Gegner u ¨berhaupt erst noch entwickeln mu ¨sste. ¨ Ausgangspunkt der Argumentation ist die Uberzeugung des Gegners, das Diagonalverfahren konstituiere eine reelle Zahl, die Diagonalzahl, die sich dadurch auszeichnet, verschieden von allen reellen Zahlen zu sein. Demnach ist das bestimmende Merkmal dieser Zahl, mit reellen Zahlen vergleichbar zu sein. Da sowohl die Diagonalzahl als auch die Zahlen der Aufz¨ahlung unendliche Dezimalbru ¨che sind, vergleicht man dabei im Sprachgebrauch von BGM II, 3 Resultate von Methoden des Kalku” lierens“: die Diagonalzahl entsteht durch eine Regel, Zahlen successive ”
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2. Die Diagonalzahl
herzustellen, die von jeder von diesen nach der Reihe verschieden ist“ (§ 3), die Zahlen der zu Grunde liegenden Aufz¨ahlung enstehen durch die Entwicklung der Folge ihrer rationalen N¨aherungswerte. Dabei verweist der Begriff der ‘sukzessiven’ Anwendung einer Regel in diesem Zusammenhang – anders als z. B. im Tractatus – nicht auf ein effektives Verfahren zur Erzeugung der Zahl2 . Die Werte der Entwicklung der Diagonalzahl sind im Gegenteil gerade nicht durch ihren inneren Zusammenhang charakterisiert, sondern entstehen durch die punktuelle Ver¨anderung der Werte einer beliebigen Aufz¨ahlung reeller Zahlen, die ebenfalls nicht notwendigerweise durch ein effektives Verfahren gegeben ist. Der Ausdruck ‘sukzessive’ ist hier in seiner umgangssprachlichen Bedeutung gebraucht. Er kennzeichnet das Diagonalverfahren als einen schrittweisen Prozess, in dem die Werte einer unendlichen Liste nach und nach, einer nach dem anderen, betrachtet und vera¨ndert werden. Diese Interpretation wird auch durch den Wortlaut von § 8 gestu ¨tzt, wo Wittgenstein das Diagonalverfahren als Methode beschreibt, den Werten der Aufza¨hlung nach der Reihe“ auszuweichen. ” Noch klarer wird dies in § 9 durch den Zusatz, die Diagonalreihe weiche jeder der Reihen der Aufza¨hlung aus, wenn sie sie trifft“. Wittgensteins ” Gegner muss sich nur auf diese Sicht des Diagonalverfahrens als ‘sukzessiven’ Prozess einlassen, damit Wittgenstein zuschlagen kann. Der unendliche Dezimalbruch, der durch die Diagonalmethode erzeugt wird, ist nicht in seiner Gesamtheit erfaßbar. Wenn man das Resultat der Diagonalmethode mit den Zahlen der Liste vergleichen will, betrachtet man daher auch immer nur endliche Teilstu ¨cke, und zwar abh¨angig davon, mit welcher Zahl der Liste die Diagonalzahl verglichen werden soll (bei der hundertsten Zahl der Liste ist die 100. Stelle der Entwicklung ausschlaggebend, bei der 100 000 000. die 100 000 000. usw.). Deswegen schl¨agt Wittgenstein in § 5 vor, korrekterweise nicht von einem Resultat, sondern von unendlich vielen Resultaten zu reden. Unendliche Reihen von Resultaten miteinander zu vergleichen, kann aber nun nicht bedeuten, unendliche viele Vergleiche anzustellen, denn dann k¨onnte man von manchen Zahlen nicht feststellen, ob sie gleich sind. Aber was soll vergleichen“ hei” ßen? Ja, da gibt es sehr Verschiedenes, was ich so nennen kann.“ (BGM II, 5). ”
Und hier wird das Argument zirkul¨ar. Man glaubte urspru ¨nglich, die Dia2
s. hierzu Kap. 5.2.2, S. 181ff.
2.1 Die Diagonalreihe als reelle Zahl
39
gonalzahl dadurch auf sicheren Boden gestellt zu haben, dass man sie mittels des Begriffs des Vergleichens definierte, und nun stellt sich heraus, dass dieser Begriff fu ¨r unendliche Bru ¨che u ¨berhaupt erst noch definiert werden muss. Und so muss man weiter und weiter um sich blicken (BGM II, 6), Definition an Definition h¨angen, um dann irgendwann bei bekannten Begriffen anzulangen. Der Fehler liegt dabei nicht in dem Begriff von vergleichen“, der dem ” Diagonalverfahren zu Grunde liegt, sondern in der Annahme, man vergleiche dabei unendliche Dezimalbru ¨che. Tats¨achlich vergleicht die Diagonalmethode endliche Approximationen der Diagonalzahl mit endlichen Teilstu ¨cken unendlicher Dezimalbru ¨che. Das Diagonalverfahren gibt dabei an, wie viele Dezimalstellen bei dem Vergleich zu beru ¨cksichtigen ¨ sind. Da fu ¨r endliche Dezimalbru ¨che Gleichheit als Ubereinstimmung in allen Dezimalziffern definiert ist, steht fu ¨r jede endliche Approximation Dn = 0, d1 d2 ....dn der Diagonalzahl D eindeutig fest, dass sie entweder gleich, kleiner oder gr¨oßer der m-ten Approximation bm = 0, a1 a2 ...am der reellen Zahl b der Aufz¨ahlung ist. Die Diagonalmethode zeigt nun, dass es unm¨oglich ist, dass 0, d1 d2 ...dn = 0, a1 a2 ...am , wenn n ≥ m. W¨are dies tats¨achlich ein Vergleich reeller Zahlen, so mu ¨sste es m¨oglich sein, die Diagonalzahl auch mit einer reellen Zahl zu vergleichen, die nur durch ihre unendliche Dezimalzahlentwicklung gegeben ist, ohne dass die M¨oglichkeit besteht, festzustellen, ob und an welcher Stelle sie in der Aufz¨ahlung, die die Diagonalzahl generiert, vorkommt. Dies aber ist nicht m¨oglich. Es kann kein Kriterium fu ¨r die Gleichheit der Zahlen angegeben werden, denn die Gleichheit jedes bisher untersuchten endlichen Teilstu ¨ckes der einen Zahl mit dem entsprechenden Teilstu ¨ck der anderen impliziert nicht die Gleichheit der beiden Zahlen. So k¨onnte man beispielsweise in dem Fall, dass jede endliche Approximation der Diagonalzahl der Quadratwurzeln natu ¨rlicher Zahlen, die durch die (+1 mod 10)3 Operation gebildet wird, mit der Zahl, die an jeder zweiten Stelle von der Dezimalzahlentwicklung von π um (+1 mod 10) abweicht, identisch ist, nicht sagen, die beiden Zahlen seien gleich oder ungleich, es sei denn, man kann einen mathematischen Zusammenhang zwischen der Zuordnungsvorschrift und der Anwendung der (+1 mod 10)-Operation etablieren oder feststellen, dass π + 1 (mod 1)0 Quadratzahl einer natu ¨rlichen Zahl ist ½ 3
x + 1 mod 10 =
x + 1 falls x 6= 9 0 falls x = 9
40
2. Die Diagonalzahl
etc.. Das Verfahren des Vergleichs der Dezimalstellen allein kann aber u ¨ber die Gleichheit zweier reeller Zahlen nichts aussagen. Daher kann man nicht sagen, das Diagonalverfahren generiere die Diagonalzahl als unendlicher Dezimalbruch, der ungleich aller Zahlen einer unendlichen Liste unendlicher Dezimalbru ¨che ist – als unendlicher Dezimalbruch ist sie weder gleich noch ungleich der Zahlen der Aufz¨ahlung. 2.1.3
Nicht alles, was ‘Zahl’ heißt, ist eine Zahl (§§ 7-8)
Einerseits entzieht sich die Diagonal‘zahl’ dem mathematischen Zugriff und ist daher u ¨ber das konkrete Diagonalargument hinaus nicht brauch” bar“ (BGM II, 1-3). Andererseits haben wir soeben gesehen (BGM II, 4-6), dass beim Diagonalverfahren keineswegs eine unendliche Zahl, die Diagonalzahl“, mit anderen unendlichen Zahlen verglichen wird. Die” se beiden Beobachtungen legen die Vermutung nahe, dass es zumindest missverst¨andlich ist, das Ergebnis der Diagonalmethode als ‘Zahl’ aufzufassen: Das Resultat einer Kalkulation in der Wortsprache ausgedr¨ uckt, ist mit Miß” trauen zu betrachten. Die Rechnung beleuchtet die Bedeutung des Wortausdrucks. Sie ist das feinere Instrument zur Bestimmung der Bedeutung. Willst du wissen, was der Wortausdruck bedeutet, so schau auf die Rechnung; nicht umgekehrt.“ (BGM II, 7)
Die Diagonalmethode ist die Rechnung, deren Resultat die Diagonalzahl“ ” ist. Nun darf man sich aber nicht von dem Wort Diagonalzahl“ verleiten ” lassen, zu glauben, es handele sich bei diesem Resultat tats¨achlich um eine Zahl. Die Diagonalzahl“ wird ja auch nicht dadurch, dass man sie ” Winkel“ oder Gerade“ nennt, zu einem Winkel oder einer Geraden. Die ” ” Bedeutung der Diagonalzahl ha¨ngt eben nicht von dem Wortausdruck ab, den wir benutzen, sondern von der Rechnung, die sie erzeugt. Versucht man, sich der Bedeutung der Rechnung u ¨ber die Bedeutung der Worte zu n¨ahern, kommt es leicht zu Fehlurteilen, wie in dem Fall, in dem man versucht, die H¨ohe zweier Berge durch ihr scheinbares Verh¨alt” nis, wenn man sie von unten anschaut“ (§ 7 in Parenthese) zu messen. So wie man auf die H¨ohenmessung zuru ¨ckgreifen sollte, um das tats¨achliche H¨ohenverh¨altnis der Berge zu ermitteln, sollte man auf die Rechnung, die der Bildung der Diagonal‘zahl’ zu Grunde liegt, zuru ¨ckgreifen, um zu ermitteln, was das Ergebnis des Diagonalverfahrens ist.
2.1 Die Diagonalreihe als reelle Zahl
41
Diese Rechnung ist aber nichts anderes als eine Methode [...], wie du in ” einer Entwicklung allen diesen Entwicklungen nach der Reihe ausweichen kannst.“ Wittgenstein ersetzt hier die mathematischen Begriffe rechnen“ ” oder vergleichen“ ironisch durch den nicht-mathematischen Begriff aus” ” weichen“. Das Diagonalverfahren erscheint als Trick, sich dem mathematischen Zugriff zu entziehen. Als solcher steht es außerhalb der Mathematik. Wittgenstein zieht mit dieser Bemerkung den Status des Diagonalverfahrens als mathematische Operation, als Rechnung“ in Zweifel. ” Nun erzeugt das Diagonalverfahren aber tatsa¨chlich eine Folge rationaler Zahlen, die Wittgenstein nicht nur als Beschreibung des Diagonalverfahrens, sondern auch als Zahlen, anerkannte Objekte mathematischer Manipulation, anzuerkennen bereit ist. W¨are er dazu n¨amlich nicht bereit, mu ¨sste er bereits das Argument, mit Hilfe jeder dieser Zahlen sei es m¨oglich, einer endlichen Reihe von Entwicklungen auszuweichen, ablehnen. Denn, dass das Verfahren in der Lage ist, der Liste auszuweichen, liegt eben gerade darin begru ¨ndet, dass die erzeugte Zahl eine rationale Zahl und als solche mit den Zahlen der Liste vergleichbar ist. ¨ Problematisch erscheint Wittgenstein in § 8 nur der Ubergang vom endlichen zum unendlichen Fall, also die Annahme, die Folge dieser Zahlen sei eine reelle Zahl: ‘Also erzeugt sie eine Reihe, die von allen diesen verschieden ist.’ Ist das ” richtig? – Ja; wenn du n¨amlich diese Worte auf den oben beschriebenen Fall anwenden willst.“ (BGM II, 8)
Der letzte Satz verweist auf den ersten Satz des § 8. Die Behauptung, die Diagonalmethode erzeuge eine Reihe“ ist richtig, sofern man das Wort ” Reihe“ als Beschreibung der Methode, wie du in einer Entwicklung allen ” ” diesen Entwicklungen nach der Reihe ausweichen kannst“ (§ 8), auffasst. Man kann auf das Abfallprodukt der sukzessiven Manipulation an einer Reihe von Zahlen, die Diagonalreihe“, zeigen, um die Diagonalmethode ” zu beschreiben. M¨ochte man das Wort Reihe“ aber im mathematischen ” Sinn als konvergente Folge von Summen auffassen4 , so findet man fu ¨r diese Definition keinen Ru ¨ckhalt im Diagonalverfahren. Das Diagonalverfahren ... eine Folge reeller Zahlen, dann P ist die vgl. 1.2, S. 22. Ist (an ) = a0 , a1 , a2 ,P ∞ n Folge (sn )n∈N der Partialsummen sn = i=0 ai i=0 ai eine Reihe, die auch mit P∞ a = (s ) = a , (a + a ), (a + a + a ), ... = bezeichnet wird. D. h. n n∈N 0 0 1 0 1 2 i=0 Pni P2 P1 P0 i=0 ai , ...(vgl. Forster 1992: 23). i=0 ai , ..., i=0 ai , i=0 ai , 4
42
2. Die Diagonalzahl
selbst kennzeichnet die generierte Folge von Zahlen nicht als mathematische Folge. Dazu bedarf es der Axiome der reellen Zahlen. Auf den ersten Blick scheint dieses Argument wenig plausibel. Da n¨amlich zwei aufeinanderfolgende Werte der Diagonalfolge mit dem Fortschreiten des Verfahrens beliebig wenig voneinander abweichen, handelt es sich bei der Folge rationaler Zahlen, die die Diagonalmethode erzeugt, per definitionem um eine Fundamentalfolge. Nach dem Vollsta¨ndigkeitsaxiom der reellen Zahlen konvergiert jede Fundamentalfolge gegen eine reelle Zahl. Folglich stellt die Reihe der rationalen Abfallprodukte der Diagonalmethode eine reelle Zahl, die Diagonalzahl“, dar. So impliziert die ” Anerkennung der endlichen Approximationen dieser reellen Zahl als rationale Zahlen bereits die Anerkennung der Diagonalreihe als reelle Zahl. Wittgenstein setzt sich hier dem Vorwurf aus, mit der Ablehnung der Diagonal reihe“ als mathematischer Reihe, die Gu ¨ltigkeit des Vollst¨andig” keitsaxioms in Zweifel zu ziehen – und das, ohne gute Gru ¨nde anzugeben! W¨are dies der Fall, so verließe er damit die Basis der Argumentation und verfehlte das Ziel, das Argument des Gegners zu widerlegen. Die Ansicht seines Gegners, die Diagonalmethode definiere eine reelle Zahl, kann Wittgenstein nur dann zum Widerspruch bringen, wenn er sich auf den Begriff der reellen Zahl einl¨asst, den der Gegner zu Grunde legt. Tut er das nicht, so l¨asst er dem Gegner den einfachen Ausweg, die Diagonalmethode bestimme zwar keine reelle Zahl in Wittgensteins Sinn, wohl aber im allgemein anerkannten Sinn des Begriffs der reellen Zahl. Im Rahmen der Widerlegung der These, die Diagonalmethode bestimme eine reelle Zahl, kann es daher nicht darum gehen, den gegnerischen Begriff der reellen Zahl in Frage zu stellen. Vielmehr m¨ochte Wittgenstein an dieser Stelle darauf aufmerksam machen, dass der Schritt vom Diagonalverfahren zur Diagonalzahl nicht von der Diagonalmethode selbst geleistet wird, sondern auf der Annahme basiert, die Liste der nach und nach erzeugten rationalen Zahlen sei eine mathematische Folge. Damit wird die direkte Korrelation von Methode und Resultat durchbrochen. Die Bestimmungen der Diagonalmethode sind keine hinreichenden Bedingungen dafu ¨r, dass die Diagonalreihe eine reelle Zahl mit den gewu ¨nschten Eigenschaften darstellt. Wichtig ist diese Erkenntnis vor dem Hintergrund der Argumentation der §§ 4-6. Dort wurde gezeigt, dass das Diagonalverfahren nicht unendliche Dezimalbru ¨che, sondern endliche Teilstu ¨cke unendlicher Dezi-
2.2 Ein m¨oglicher Einwand
43
malbru ¨che mit endlichen Dezimalbru ¨chen, deren Eigenschaften durch die Methode ihrer Erzeugung festgelegt sind, vergleicht. Fu ¨r das Funktionieren des Ausweichman¨overs, d. h. des Diagonalverfahrens, ist die Methode der Erzeugung der endlichen Diagonalzahlstu ¨cke, die Diagonalmethode, essenziell. W¨are die Diagonalzahl durch diese Methode schon hinreichend definiert, k¨onnte man die Diagonalmethode mit ihrem Resultat, der Diagonalzahl, identifizieren, so wie Wittgenstein dies in § 3 vorschl¨agt: Aber was ist hier die Methode und was das Resultat? Du wirst sagen, sie ” seien eins.“
Die Folgerung aus §§ 4-6, die Diagonalzahl sei gar nicht Gegenstand des Diagonalverfahrens, daher rekurriere das Diagonalverfahren auch gar nicht auf den Eigenschaften der Diagonalzahl, wa¨re dann nicht berechtigt. Da aber die Zusatzannahme, die Diagonalreihe sei eine mathematische Reihe, als solche eine Fundamentalfolge, und konvergiere folglich gegen eine reelle Zahl, fu ¨r den Vergleich ihrer endlichen Approximationen irrelevant ist, ha¨ngt das Funktionieren des Diagonalverfahrens nur von der Diagonalmethode, nicht aber von der Diagonalzahl ab.
2.2
Ein mo ¨glicher Einwand
Wittgenstein versucht in der Argumentation der §§ 1-8 die Annahme, das Diagonalverfahren erzeuge eine reelle Zahl, zu entkr¨aften. In den ersten drei Abschnitten hat er zu diesem Zweck dargelegt, dass (1) die Diagonalzahl keine mathematische Umgebung außerhalb des Diagonalverfahrens hat. In §§ 4-8 hat er gezeigt, dass die Diagonalzahl (2) nicht Gegenstand des Diagonalverfahrens ist (§§ 4-6) und dass sie (3) auch nicht durch das Diagonalverfahren als Zahl konstituiert wird (§§ 7-8). Damit wird die Diagonalzahl zum leerlaufenden Rad der Mathematik. Wittgenstein u ¨bersieht jedoch den Fall, dass die Aufz¨ahlungvorschrift zusammen mit dem Gesetz der Diagonalmethode eine reelle Zahl, die bereits eine mathematische Umgebung hat, erzeugt. In diesem Fall wird das Diagonalverfahren so durch die Diagonalzahl induziert, dass das Diagonalverfahren als Eigenschaft der Diagonalzahl aufgefasst werden kann. Jetzt ist es nicht das Diagonalverfahren, das die Zahl erzeugen soll, sondern die Zahl, deren Dezimalzahlentwicklung das Diagonalverfahren bestimmt. Wenn aber das Diagonalverfahren so durch eine Zahl bestimmt wird, dass
44
2. Die Diagonalzahl
es diese als Diagonalzahl generiert, ist die Diagonalzahl eine Zahl. Wollte man hier der Diagonalzahl den Status als Zahl absprechen, so k¨onnte man keine rationale Zahl als Zahl auffassen, denn jede rationale Zahl l¨asst sich als Diagonalzahl einer geeigneten Aufz¨ahlung auffassen. Dies illustriert das folgende Beispiel. 2.2.1
Ein Beispiel
Man kann alle endlichen Dezimalbru ¨che zwischen 0 und 1 eineindeutig den natu ¨rlichen Zahlen zuordnen, indem man – salopp gesprochen – die Ziffer Null vor dem Komma weg la¨sst und den Rest umdreht. 0,1 bildet man so auf 1 ab, 0,0000004 auf 4000000, 0,123 auf 321, 0,987654321 auf 123456789 usw. Der Anfang der Liste sieht so aus: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
7→ 0, 10000000000000 7→ 0, 20000000000000 7→ 0, 30000000000000 7→ 0, 40000000000000 7→ 0, 50000000000000 7→ 0, 60000000000000 7→ 0, 70000000000000 7→ 0, 80000000000000 7→ 0, 90000000000000 7 → 0, 01000000000000 7→ 0, 11000000000000 7→ 0, 21000000000000 ... Diagonale:1, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, ...
Zur Entwicklung der Diagonalreihe ist jeweils in der n-ten Zeile die n-te Dezimalstelle zu ver¨andern. Betrachtet man als Regel fu ¨r die Erzeugung der Diagonalreihe beispielsweise die Addition von 1 (mod10), so erh¨alt man die Zahlenfolge 2, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1,...; w¨ahlt man +9 (mod10), so erh¨alt man die Folge 0, 9, 9, 9, 9, 9, 9, 9, 9, 9, 9, 9, 9, ... . Die Diagonalmethode bildet nun sukzessive rationale Zahlen, deren n-te Nachkommastelle durch die n-te Nachkommastelle des Dezimalbruchs der n-ten Zeile determiniert wird. Vergleicht man die Reihe der (endlichen) Diagonalzahlen mit den Funktionswerten der Aufza¨hlung, so stellt man fest, dass die Reihe der Dezimalstellen der Diagonalzahl exponentiell zur Reihe der Funktionswerte
2.2 Ein m¨oglicher Einwand
45
steigt. W¨ahrend die Aufz¨ahlung also (maximal) bis zur k-ten Nachkommastelle vordringt, ver¨andert das Diagonalverfahren schon (mindestens) die 10k−1 -te. Damit wird fu ¨r alle n > 1(n ∈ N) der Koeffizient der von der Diagonalmethode zu ver¨andernden Dezimalstelle eine Null sein. Folglich hat jede endliche Diagonalzahl Dn , die auf diese Weise erzeugt wird die Form n X 1 Dn = 0, 2 + 10−i−1 , also Dn+1 = Dn + 10−n−2 i=1
falls die Diagonalzahlen durch die Operation (+1 mod 10) gebildet werden bzw. n X 9 Dn = 9 · 10−i−1 , also Dn+1 = Dn + 9 · 10−n−2 i=1
falls die Diagonalzahlen durch die Operation (+9 mod 10) gebildet werden. In diesem Fall erzeugt die Zuordnungsvorschrift der Aufz¨ahlung also zusammen mit der Diagonaloperation das Gesetz der Reihe“ der Dn . ” Dieses Gesetz der induktiven Erzeugung jedes Dn+1 aus Dn hat aber eine mathematische Umgebung. In dieser definiert es die mathematischen ReiP∞ P 1 −i−1 9 −i−1 hen D∞ = 0, 1 + i=1 10 bzw. D∞ = ∞ , die periodische i=1 9 · 10 Dezimalbru ¨che und damit rationale Zahlen darstellen: 19 1 9 D∞ = 0, 21111111... = und D∞ = 0, 099999999... = 0, 1 . 90 Mit einer geeigneten Formel fu ¨r das Diagonalverfahren (wie hier +1 (mod10) und +9 (mod10)) la¨sst sich fu ¨r die betrachtete Abbildung jede beliebige positive rationale Zahl in ihrer periodischen Dezimalbruchdarstellung als Diagonalzahl konstruieren. Aufgrund der Uneindeutigkeit der Dezimalbruchdarstellung l¨asst sich insbesondere auch jede Zahl der 9 Aufza¨hlung als Diagonalzahl erzeugen (wie hier: D∞ = 0, 09 = 0, 1). 2.2.2
Entgegnung
Die naheliegende Entgegnung besteht natu ¨rlich darin, einen der Beweisschritte als illegitim abzulehnen. Der Schritt von Dn auf D∞ bietet sich hier geradezu an. Die These, eine induktiv erzeugte Reihe“ von Zahlen ” sei eine Reihe im mathematischen Sinn, bedarf ja ebenso der theoretischen Unterfu ¨tterung wie die These, jede Reihe von Zahlen, deren Abstand beliebig klein wird, sei eine reelle Zahl. Folglich w¨are auch in diesem Beispiel
46
2. Die Diagonalzahl
die Diagonalzahl durch die Methode ihrer Erzeugung nicht hinreichend definiert. Diese Erwiderung greift zu kurz, denn sie u ¨bersieht, dass die im Beispielfall durch das Diagonalverfahren erzeugten Zahlen nicht erst durch dieses Verfahren definiert werden. Die Diagonalmethode erweitert vielmehr die mathematische Umgebung, in der diese Zahlen bereits stehen. 1 9 0, 1 aus, dass ihre DarSie sagt u = 19 ¨ber die Zahlen D∞ 90 und D∞ = stellung als unendlicher periodischer Dezimalbruch eine Diagonal reihe“ ” bestimmt, die jeden der Funktionswerte von f umgeht. Gegenstand der mathematischen Betrachtung ist somit nicht die Diagonalmethode, sondern die Zahl, die unter der Wittgensteinschen Perspektive als Ergebnis der Diagonalmethode erscheint. In dieser Hinsicht legen die Eigenschaften der Diagonalzahl die konkreten Bestimmungen der Diagonalmethode fest – nicht umgekehrt. Beispiels1 weise ist D∞ = 1990 nur dann Diagonalzahl der betrachteten Aufz¨ahlung endlicher Dezimalbru ¨che, wenn durch die Diagonalmethode die Ziffern 0 und 1 durch 1 bzw. 2 ersetzt werden. Die Bestimmungen der Diagonalmethode fu ¨r die Ersetzung der u ¨brigen Ziffern k¨onnen der Diagonalzahl in diesem Fall nicht abgelesen werden, weil sie nicht auftreten. Daher bestimmt auch die Diagonalzahl die Diagonalmethode nicht eindeutig, wohl aber bestimmt sie die Diagonalmethode fu ¨r eine gegebene Aufz¨ahlung eindeutig. Dies bedeutet aber auch, dass aus den Bestimmungen der Diagonalmethode auf die Eigenschaften der Diagonalzahl, die durch ihre Dezimalzahlentwicklung ausgedru ¨ckt werden, geschlossen werden kann. Da diese durch ihre Dezimalzahlentwicklung eindeutig bestimmt ist, legt auch die Diagonalmethode die Diagonalzahl eindeutig fest. Die Regel Dn+1 = Dn + 10−n−2 fu ¨r alle n ∈ N, n > 1 mit der Anfangsbedingung D0 = 0, 2 ist gleichzeitig Ausdruck der Diagonalmethode und P 1 Definition der reellen Zahl D∞ = 0, 2 + ni=1 10−i−1 . Auf diese Weise erf¨ahrt die These, die Diagonalmethode bestimme keine Zahl, eine wichtige Einschr¨ankung: Bestimmt jede Zahl Dn der von der Diagonalmethode erzeugten Reihe“ jede auf sie folgende Zahl Dn+1 ” bereits eindeutig, so wird die Diagonalzahl induktiv durch die Diagonalmethode definiert. Wittgensteins These, das Diagonalverfahren erzeuge keine reelle Zahl, muss somit dahingehend abgeschw¨acht werden, dass das Diagonalverfahren nur dann eine reelle Zahl erzeugt, wenn aus der Zuordnungsvorschrift auf eine Gesetzm¨aßigkeit in der Entwicklung der Dia-
2.3 Die Relevanz der Argumentation
47
gonalreihe geschlossen werden kann. In diesem Fall aber muss auch vor dem Hintergrund der Argumentation in BGM II 1-8 davon ausgegangen werden, dass das Resultat des Diagonalverfahrens eine Zahl ist. Folglich gibt es Anwendungen des Diagonalverfahrens, die als Ergebnis eine Zahl erzeugen. Die These, das Diagonalverfahren erzeuge keine Zahl, ist damit in ihrer Allgemeingu ¨ltigkeit nicht haltbar.
2.3
Die Relevanz der Argumentation
Der soeben vorgebrachte Einwand greift die Argumentation in BGM II 1-8 in zweifacher Hinsicht an. In Bezug auf §§ 1-3 ru ¨ckt er den Zusammenhang zwischen dem Diagonalverfahren und der Wohldefiniertheit der Diagonalzahl zurecht. Man mag Wittgenstein zugestehen, dass nicht jede Diagonalzahl eine mathematische Umgebung hat, aber jedenfalls gibt es einige (mindestens abz¨ahlbar unendlich viele) Diagonalzahlen, die eine mathematische Umgebung haben. Die These, keine Diagonalzahl habe eine mathematische Umgebung, muss folglich genauso verworfen werden wie die These, jede Diagonalzahl habe eine mathematische Umgebung. Das Diagonalverfahren erzeugt einfach nicht in jedem Fall seiner Anwendung eine Diagonalzahl, von der man fragen k¨onnte: Wozu kann man ” diese Zahl brauchen?“ (§ 3). Vielmehr erzeugen manche Anwendungen der Diagonalmethode wohldefinierte reelle Zahlen, andere dagegen fu ¨hren im konkreten Einzellfall zu (Pseudo-)‘Zahlen’, die in keiner mathematischen Umgebung stehen. Im Hinblick auf den zweiten Teil der Argumentation (§§ 4-8) weist der Einwand darauf hin, dass in bestimmten F¨allen (z. B. wenn die zu betrachtenden Dezimalstellen der Aufz¨ahlung konstant werden) Methode und Resultat des Diagonalverfahrens in einer direkten Korrelation stehen, da in diesen F¨allen die Regel zur Bildung der Dezimalstellen der Diagonalreihe einen Dezimalbruch definiert. Die These der Unabh¨angigkeit von Methode und Resultat ist folglich nicht allgemeingu ¨ltig. Diese These ist aber eine zweifache: (1) es gibt Resultate ohne Methoden und (2) es gibt Methoden ohne Resultate. Der erste Teil der These ist widerlegt. Zu jeder Zahl kann eine geeignete Aufz¨ahlung gefunden werden, deren Diagonalzahl sie ist. Der Nachweis, dass jede Zahl als Resultat der Anwendung des Diagonalverfahrens auf eine geeignete Aufza¨hlung aufgefasst werden kann, beru ¨hrt allerdings nicht die Behauptung, nicht jede
48
2. Die Diagonalzahl
Anwendung des Diagonalverfahrens erzeuge eine Zahl. Dass das Ergebnis der Anwendung des Diagonalverfahrens nicht notwendigerweise eine Zahl darstellt, ist damit der bislang nicht widerlegte Kern der Wittgensteinschen Argumentation in BGM II 1-8. Wenn aber das Diagonalverfahren nicht notwendigerweise eine Zahl generiert, dann kann der Grund dafu ¨r, dass die Diagonal reihe“ bestimmter ” Aufz¨ahlungen eine Zahl definiert, nicht im Diagonalverfahren liegen. Soll die These, das Diagonalverfahren erzeuge keine Zahl, vor dem Hintergrund der M¨oglichkeit der Bildung von Diagonalzahlen als Zahlen aufrecht erhalten bleiben, dann muss sich die Annahme, dass bestimmte Diagonalreihen Zahlen darstellen, auf etwas anderes als das Diagonalverfahren stu ¨tzen. Als Pru ¨fstein fu ¨r die Gu ¨ltigkeit der These, das Ergebnis des Diagonalverfahrens sei nicht notwendigerweise eine Zahl, kann daher die Behauptung gelten: In den F¨allen, in denen das Ergebnis des Diagonalverfahrens eine Zahl ist, folgt die Tatsache, dass das Ergebnis eine Zahl ist, nicht aus dem Diagonalverfahren. Wie zutreffend diese Behauptung ist, zeigt das Beispiel aus Abschnitt 2.2.1. Die Funktion f : N → [0, 1) ⊂ R bildet die natu ¨rlichen P Zahlen in die reellen Zahlen ab, indem sieP jeder Zahl x ∈ N mit ∞ i−1 −i x = i=1 ai · 10 einen Dezimalbruch f (x) = ∞ zuordnet. i=1 ai · 10 Dabei wird jeder endlichen Approximation jeder reellen Zahl im halboffenen Intervall [0, 1) eine natu ¨rliche Zahl zugeordnet. Dennoch ist die Abbildung nicht bijektiv – w¨are sie es, w¨aren die reellen Zahlen abz¨ahlbar. Der Grund dafu ¨r liegt nicht im Diagonalverfahren, denn, wie die folgende Graphik zeigt, kann auch fu ¨r die natu ¨rlichen Zahlen eine Diagonal reihe“ ” 0 D∞ konstruiert werden, in der jede endliche Diagonalzahl Dn0 nicht unter den ersten n natu ¨rlichen Zahlen ist (vgl. Shavel/Thomsen 1993: 218). 6 56 556 5556 55556 555556 5555556 55555556 555555556 5555555556 55555555556 ... Pn Dn0 = 6 + i=2 10i−1
00000000000001 00000000000002 00000000000003 00000000000004 00000000000005 00000000000006 00000000000007 00000000000008 00000000000009 00000000000010 00000000000011 ...
7→ 7 → 7 → 7 → 7 → 7 → 7 → 7 → 7 → 7 → 7 →
0, 10000000000000 0, 20000000000000 0, 30000000000000 0, 40000000000000 0, 50000000000000 0, 60000000000000 0, 70000000000000 0, 80000000000000 0, 90000000000000 0, 01000000000000 0, 11000000000000 ...
0, 6 0, 65 0, 655 0, 6555 0, 65555 0.655555 0, 6555555 0, 65555555 0, 655555555 0, 6555555555 0, 65555555555 ... Pn Dn = 0, 6 + i=2 10−i
2.3 Die Relevanz der Argumentation
49
Dass es unm¨oglich ist, die natu ¨rlichen Zahlen auf diese oder ¨ahnliche Weise surjektiv auf [0, 1) abzubilden, liegt allein daran, dass dem Konvergenzkriterium kein Divergenzkriterium entspricht. Folgen, deren Folgeglieder einen beliebig kleinen Abstand haben, konstituieren nach dem Vollst¨andigkeitsaxiom eine Zahl; Folgen, deren Werte beliebig vonP∞viel −i 5 einander dagegen nicht. W¨ahrend D∞ = 0, 6 + i=2 10 = Pabweichen, n −i (0, 6 + i=2 10 )n∈N eine reelle Zahl stellt die mathematische Pndefiniert, P∞ 0 i−1 i−1 Reihe D∞ = 6 + i=2 10 = (6 + i=2 10 )n∈N keine Zahl dar. Dies allein ist der Grund dafu ¨r, dass in dem Beispiel die Diagonalreihe der natu ¨rlichen Zahlen im Gegensatz zu der fu ¨r die reellen Zahlen keine Zahl bezeichnet. Wu ¨rden divergente Reihen natu ¨rliche Zahlen definieren, man jeder Zahl entsprechend der Zuordnungsvorschrift P∞ k¨onnte −i P∞ reelleni−1 7→ i=1 ai · 10 eine natu ¨rliche Zahl zuordnen. Der Ani=1 ai · 10 ” fang“ dieser Aufz¨ahlung wird durch die obige Graphik illustriert. Dass auch in diesem Fall in jeder Auflistung noch reelle Zahlen auftreten, die von jeder reellen Zahl der Auflistung verschieden sind, ist nun kein Beweis dafu ¨r, dass die Abbildung nicht jeder reellen Zahl ¨rliche Zahl zuP∞ eine−inatu ordnet, denn der Diagonalzahl D∞ = 0, 6 + P i=2 10 der rechten Seite 0 i−1 entspr¨ache dann die Diagonalzahl D∞ =6+ ∞ der linken Seite. i=2 10 Das heißt nun nicht, dass Cantor mit falschen“ natu ¨rlichen Zahlen ge” rechnet hat. Hodges (1998: 4) weist insofern zurecht darauf hin, dass die Beobachtung, dass der Schluss des Diagonalverfahrens auf der Basis einer abweichenden Auffassung der natu ¨rlichen Zahlen nicht gu ¨ltig w¨are, kein ¨ Argument gegen den Cantorschen Beweis ist. Diese Uberlegung zeigt aber, dass sowohl die Wohldefiniertheit der Diagonal‘zahl’ als Zahl als auch das Vor der strengen Herleitung der Begriffe und Grundlagen der Analysis erschien den meisten Mathematikern das Rechnen mit unendlich kleinen Gr¨oßen nicht weniger kontraintuitiv als das mit unendlich großen. Divergente wie konvergente Reihen waren (und sind) aber f¨ ur viele Anwendungsbereiche der Mathematik so n¨ utzlich, dass sie dennoch damit rechneten. Auch nach der Verbannung divergenter Reihen aus der Analysis durch Abel und Cauchy, gab es bedeutende Mathematiker, die an der G¨ ultigkeit mathematischer Aussagen f¨ ur konvergente wie divergente Reihen festhalten wollten (vgl. Kline (3), S. 974-977). Obwohl es nicht m¨oglich ist, jeder divergenten mathematischen Reihe einen numerischen Wert zuzuordnen, hat sich neben dem Begriff der Konvergenz seit Anfang dieses Jahrhunderts der Begriff der Summierbarkeit“ etabliert, auf Grundlage dessen ” auch bestimmten divergenten Reihen numerische Werte zugeschrieben werden (vgl. Kline (3), Kap. 47, S. 1069-1109). So gesehen ist die Festlegung, dass divergente Reihen keine Zahl definieren, nicht so selbstverst¨andlich, wie es den meisten Mathematikern heute scheinen mag. 5
50
2. Die Diagonalzahl
Nichtauftreten dieser ‘Zahl’ als Element der Aufz¨ahlung allein auf die Existenz des Vollst¨andigkeitsaxiom und auf das Fehlen eines entsprechenden Axioms fu ¨r natu ¨rliche Zahlen zuru ¨ckzufu ¨hren ist. So u ¨berzeugend das Diagonalverfahren zu illustrieren scheint, dass die Diagonale einer Aufz¨ahlung von Dezimalbru ¨chen ein Dezimalbruch ist, so wenig hat die Tatsache, dass die Diagonal reihe“ als Dezimalbruch auf” gefasst werden kann, mit dem Diagonalverfahren zu tun. Das Diagonalverfahren generiert fu ¨r jede beliebige Aufz¨ahlung eine Folge von Zahlen, deren Glieder die Werte der Aufz¨ahlung sukzessive umgehen. Es erzeugt nicht im einen Fall eine ‘Zahl’ und im anderen nicht. Dass die eine Folge eine mathematische Entit¨at konstituiert und die andere nicht, geht auf die Definition der reellen Zahlen durch das Vollsta¨ndigkeitsaxiom zuru ¨ck. Die Gu ¨ltigkeit des Vollst¨andigkeitsaxioms wird vom Diagonalverfahren selbst aber weder vorausgesetzt noch impliziert. Nicht das Diagonalverfahren, sondern eine bestimmte Auffassung von der Natur reeller Zahlen, derzufolge jeder beliebige willku ¨rlich gebildete unendliche Dezimalbruch eine reelle Zahl definiert, ist die Basis des Diagonalbeweises. Wie ich in Kap. 5 darlegen werde, ha¨lt Wittgenstein diese Defintion ¨ reeller Zahlen fu entwickelt ¨r verfehlt. In den Schriften der Ubergangszeit er daher einen Gegenentwurf, demzufolge die Diagonalfolge keine reelle Zahl definiert.
Kapitel 3 Der Diagonalbeweis In §§ 1-8 hat Wittgenstein sich gegen das Diagonalverfahren gewandt und behauptet, dieses erzeuge nicht, was es vorgebe zu erzeugen, n¨amlich eine reelle Zahl. § 9-15 setzen nun nicht mehr beim Diagonalverfahren selbst, sondern bei dem sich an die Bildung der Diagonalzahl anschließenden Diagonalargument an, und ziehen – in ganz ¨ahnlicher Weise wie zuvor die Diagonal‘zahl’ als Zahl – nun den Diagonal‘beweis’ als Beweis in Zweifel. In 3.1 m¨ochte ich die Argumentation in § 9 unter die Lupe nehmen. Wittgenstein betrachtet hier das Diagonalverfahren aus einer ungewohnten Perspektive, die ich im ersten Abschnitt herausstellen werde (3.1.1). Anhand eines Beispiels werde ich dann aufzuweisen versuchen, dass die Wittgensteinsche Beschreibung des Diagonalverfahrens mathematisch fundiert ist (3.1.2). Der dritte Abschnitt stellt die Folgerung, die Wittgenstein aus seiner Betrachtung des Diagonalverfahrens ableitet, dem Diagonalargument gegenu ¨ber. Der zweite Teil des Kapitels (3.2) widmet sich der Diskussion der kontroversen Ansichten aus § 9. Der Streit um die richtige Interpretation des Diagonalverfahrens wird in § 10-15 aufgel¨ost (3.3) und schließlich gegen einen Einwand verteidigt, der schon in § 9 angedeutet wird (3.4).
3.1 3.1.1
BGM II, 9 Das Wittgensteinsche Bild
In § 8 hatte Wittgenstein das Diagonalverfahren als Methode, [...] allen ” diesen Entwicklungen nach der Reihe aus[zu]weichen“ karikiert. Betrachtet man die Folge der Funktionswerte und die Diagonalfolge als Folgen, die sukzessiv entwickelt werden, so kann das n-te Folgeglied der Diago51
52
3. Der Diagonalbeweis
nalfolge nur dann bestimmt werden, wenn der n-te Wert der Folge der Funktionswerte bereits vorliegt. Die Beobachtung, dass die Folge der Funktionswerte der Diagonalfolge dieser Hinsicht immer voraus sein muss, ist Ausgangspunkt fu ¨r Wittgen¨ steins Uberlegungen in § 9: Wie wenn man nun sagte: die Entwicklung der Diagonalreihe holt die Ent” wicklung der andern Reihen nie ein; – gewiß die Diagonalreihe weicht jeder der Reihen aus, wenn sie sie trifft, aber das n¨ utzt ihr nichts, da die Entwicklung der andern Reihen ihr wieder voraus ist. Ich kann hier doch sagen: es gibt immer eine der Reihen, f¨ ur die nicht bestimmt ist, ob sie von der Diagonalreihe verschieden ist oder nicht. Man kann sagen: sie laufen einander ins Unendliche nach, aber immer die urspr¨ ungliche Reihe voran.“ (BGM II, 9)
Wittgenstein stellt hier eigentlich drei (und nicht zwei) Reihen gegenu ¨ber: Die Entwicklung einer reellen Zahl der Liste als Reihe ihrer endlichen Approximationen (die horizontale Reihe), die Entwicklung der Diagonalzahl als Reihe von rationalen Zahlen (die diagonale Reihe) und die Reihe der reellen Zahlen in der Liste (die vertikale Reihe). Nun weicht die diagoAbb. 1: Das Bild der n-ten Entwicklung der Diagonalzahl b) nach Wittgenstein a) nach Cantor 1 1 2
2
...
3
l l
l
3
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n-2 n-1 n
1
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1
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2
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n-2
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3
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n-2
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n-1
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n-te horizontale Reihe
n+1
n-te diagonale Reihe
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...
n+x-te horizontale Reihe
nale Reihe sukzessiv ( wenn sie sie trifft“) jeder der horizontalen Reihen ” aus. Da aber die vertikale Reihe immer bereits gegeben sein muss, damit die diagonale Reihe den horizontalen Reihen u ¨berhaupt ausweichen kann, l¨auft sie der vertikalen Reihe immer hinterher. Es ist unm¨oglich, dass die Diagonalzahl die vertikale Reihe u ¨berholt, denn das Verfahren, das die diagonale Reihe generiert, ha¨ngt davon ab, dass der n-te Eintrag in der n-ten Position der vertikalen Reihe gegeben ist.
3.1 BGM II, 9
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Wittgenstein betrachtet hier die Kehrseite des Cantorschen Argumentes. Anstatt zu sagen, es sei immer (d. h. an jedem Punkt n der vertikalen Reihe) m¨oglich, jeder der horizontalen Reihen auszuweichen, weist er darauf hin, dass es gleichzeitig immer (d. h. an jedem sp¨ateren Punkt n + x der vertikalen Reihe) eine horizontale Reihe geben kann, die mit der Diagonalreihe (wie sie bis zum Punkt n aussieht) identisch ist: Ich kann hier ” doch sagen: es gibt immer eine der Reihen, fu ¨r die nicht bestimmt ist, ob sie von der Diagonalreihe verschieden ist oder nicht“ (§ 9). Nun w¨are es naheliegend, diese Beschreibung mit dem Einwand, die Entwicklung der Diagonalzahl k¨onne nicht als sukzessives Verfahren aufgefasst werden, zuru ¨ckzuweisen. Im Allgemeinen ist es dafu ¨r, dass die Diagonalreihe den Funktionswerten der betrachteten Abbildung succes” sive“ (§ 3) ausweichen kann, n¨amlich gar nicht notwendig, dass die Funktionswerte der Aufz¨ahlung explizit gegeben sind. In dem Beispiel, das im vorigen Kapitel betrachtet wurde, kann z. B. bereits aus der Zuordnungsvorschrift der Abbildung zusammen mit der Regel der Erzeugung der Diagonalzahl auf das Aussehen der Diagonalzahl geschlossen werden, ohne dass es n¨otig w¨are, die konkrete Liste der Funktionswerte zu entwickeln (vgl. 2.2.1, S. 44). Um sich diesem grunds¨atzlichen Einwand zu entziehen, knu ¨pft Wittgenstein seine Argumentation in § 9 an einen konkreten Fall der Anwendung des Diagonalverfahrens: Wie w¨are es mit dieser Konstruktionsmethode: Die Diagonalzahl wird durch ” Addition oder Subtraktion von 1 erzeugt, aber ob zu addieren oder zu subtrahieren ist, erf¨ahrt man erst, wenn man die urspr¨ ungliche Reihe um mehrere Stellen fortgesetzt hat.“
Die Diagonalzahl ist in diesem Fall nur u ¨ber die Folge ihrer endlichen Approximationen gegeben. Da die n-te Ziffer der Diagonalzahl nicht allein durch die n-te Koordinate der n-ten horizontalen Reihe bestimmt ist, sondern von der weiteren Entwicklung der urspru ¨nglichen“ – und ” das muss hier heißen: vertikalen – Reihe abh¨angt, muss daru ¨ber hinaus fu ¨r jede Entwicklung der Diagonalreihe eine Entwicklung der Aufz¨ahlung vorliegen, die u ¨ber die entsprechende horizontale Reihe hinausgeht. So ist die Entwicklung der andren Reihen ihr [der Diagonalreihe] wieder vor” aus“(§ 9). Da aber die nach der n-ten Zeile folgenden horizontalen Zeilen mit der Diagonalreihe in den ersten n Ziffern u ¨bereinstimmen k¨onnen,
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3. Der Diagonalbeweis
kann es unter diesen Reihen eine Reihe geben, fu ¨r die nicht bestimmt ist, ob sie von der Diagonalreihe verschieden ist oder nicht“(§ 9). ” Als Ausgangspunkt fu ¨r die Argumentation in § 9 soll diese konkrete Bildungsvorschrift zweierlei leisten. Einerseits soll der Vertreter des Cantorschen Diagonalbeweises fu ¨r die Wittgensteinsche Betrachtung des Diagonalverfahrens als sukzessiven Prozess eingenommen werden. Andererseits dient das Beispiel als Basis fu ¨r das Argument, es ko¨nne immer eine Reihe geben, fu ¨r die nicht bestimmt ist, ob sie von der Diagonalreihe ” verschieden ist oder nicht“(§ 9). Das erste Ziel erreicht es ohne Zweifel. Da es fu ¨r den Diagonalbeweis irrelevant ist, durch welches Verfahren bestimmt wird, welchen Wert die Diagonalreihe an einer bestimmten Stelle annimmt, solange dieser Wert von dem der Aufz¨ahlung abweicht, muss der Vertreter des Cantorschen Diagonalbeweises zugestehen, dass das Argument des Diagonalbeweises auch auf die von Wittgenstein vorgeschlagene Konstruktionsmethode“ ” anwendbar ist. Damit hat Wittgenstein seinen Gegner darauf festgelegt, dass die Diagonalreihe als Folge von Entwicklungen, die von der Entwicklung der Liste der Funktionswerte abh¨angt, betrachtet werden kann. Als Basis fu ¨r die Argumentation in § 9 ist das Beispiel aber insofern problematisch, als sich die Behauptung, die Entwicklung der Diagonal” reihe holt die Entwicklung der andern Reihen nie ein“, als unmittelbare Folgerung aus einer sehr spezifischen Konstruktionsmethode“ darstellt. ” Damit reduziert sich die These, die Diagonalreihe laufe der vertikalen Reihe ins Unendliche nach, auf die Behauptung, es k¨onne im Einzelfall Verfahren zur Bildung der Diagonalzahl geben, fu ¨r die die Diagonalzahl so definiert ist, dass es widerspru ¨chlich w¨are zu behaupten, sie weiche von allen Werten der Aufz¨ahlung ab. Wittgenstein k¨onnte auf der Grundlage seiner Argumentation aber eine viel st¨arkere These vertreten: Betrachtet man das Diagonalverfahren als sukzessives Verfahren der Entwicklung der Diagonalreihe – und das kann man bzgl. jeder beliebigen Methode der Erzeugung der Diagonalzahl tun –, dann stellt man fest, dass es fu ¨r jede Entwicklung der Diagonalreihe eine Reihe geben kann, fu ¨r die nicht bestimmt ist, ob sie von der Diagonalreihe ” verschieden ist oder nicht“. So gibt es fu ¨r keine Abbildung der natu ¨rlichen auf die reellen Zahlen eine Diagonalreihe, die die Aufz¨ahlung jemals derart u ¨berholen ko¨nnte, dass ausgeschlossen wa¨re, dass sie mit einem der Werte der Aufz¨ahlung identisch ist.
3.1 BGM II, 9
55
Dass diese allgemeine Folgerung gu ¨ltig ist, l¨asst sich an viel anschau¨ licheren und leicht auf den Fall des Beweises der Uberabz ¨ahlbarkeit der reellen Zahlen u ¨bertragbaren F¨allen der Anwendung des Diagonalverfahrens, wie z. B. meinem Beispiel aus dem vergangenen Kapitel, aufzeigen (vgl. 2.2.1, S. 44). Dass in diesen F¨allen u. U. die Diagonalreihe auch unabh¨angig von ihren sukzessiven Entwicklungen gegeben ist, steht dem nicht entgegen. Hat sich der Gegner einmal durch das Wittgensteinsche Beispiel darauf festlegen lassen, dass das Diagonalverfahren in Einzelf¨allen nur als sukzessiver Prozess betrachtet werden kann, so muss er zugestehen, dass jede Anwendung des Diagonalverfahrens, auch wenn sie nicht auf die sukzessive Entwicklung der Diagonalreihe angewiesen ist, als sukzessiver Prozess betrachtet werden ko¨nnen muss. Daher m¨ochte ich im n¨achsten Abschnitt versuchen, das Wittgensteinsche Argument anhand meines Beispiels der Abbildung der natu ¨rlichen Zahlen auf die endlichen Dezimalbru ¨che herauszuarbeiten. Dafu ¨r soll fu ¨r den Augenblick vergessen werden, dass die sukzessive Betrachtung nicht zwingend ist. 3.1.2
Der Kern des Argumentes: ein Beispiel
Das Beispiel aus dem letzten Abschnitt zeigt, dass die Behauptung, es g¨abe fu ¨r jede Entwicklung der Diagonalreihe eine (horizontale) Reihe, fu ¨r ” die nicht bestimmt ist, ob sie von der Diagonalreihe verschieden ist oder nicht“, durchaus zutreffend ist. In diesem Rahmen wird auch deutlich, inwiefern die Behauptung, die Entwicklung der Diagonalreihe holt die ” andern Reihen nie ein“, berechtigt ist. Betrachten wir also noch einmal die Abbildung f : N → R, die jeder natu ¨rlichen Zahl einen endlichen Dezimalbruch zwischen 0 und 1 zuordnet, indem die Zahl von rechts nach links gelesen an 0, ..“ angeha¨ngt wird, ” also z. B. 1 7→ 0, 1; 123 7→ 0, 321; 87654321 7→ 0, 12345678. N 1 2 3 4 5 6
→ 7 → 7 → 7 → 7 → 7 → 7 → ···
f (N) ⊂ Q 0, 10000000000000 0, 20000000000000 0, 30000000000000 0, 40000000000000 0, 50000000000000 0, 60000000000000
56
3. Der Diagonalbeweis
Die Diagonalreihe dieser Aufz¨ahlung wird nach dem ersten Eintrag in der Liste konstant, denn sie ver¨andert in der n-ten Zeile die n-te Dezimalstelle, fu ¨r n > 1 ist diese aber immer 0. Diese Beobachtung ist im Rahmen des § 9 nicht wichtig. Wichtig ist, dass jeder Anfang der Diagonalreihe Dn ein endlicher Dezimalbruch und als solcher selbst Funktionswert von f ist. So findet man jede Entwicklung der Diagonalfolge als horizontale Reihe in der Aufz¨ahlung wieder – allerdings sehr, sehr viel sp¨ater. Bildet man die Diagonalzahl beispielsweise durch Addition von 1, so ist 0,21111 die endliche Approximation der Diagonalzahl, die man nach dem 5. Element der Liste erh¨alt: D5 = 0, 21111. Diese Zahl selbst taucht als 11112. Element der Liste auf und wird daher als Funktionswert der Abbildung erst von der 11112. Approximation der Diagonalreihe, d. h. von D11112 , gekreuzt. N 2 12 112
→ 7 → 7 → 7 →
f (N) 0, 20000000000000 0, 21000000000000 0, 211 000 · · · 0} 00 · · · | {z 109 Nullen
11112 7→ 0, 21111000 · · · 0}00 · · · | {z 11107 Nullen
111111111112 7→ 0, 211111111111000 · · · 0}00 · · · | {z ···
111111111100 Nullen
Auf diese Weise kann fu ¨r jede endliche Diagonalzahlentwicklung Dn eine natu ¨rliche Zahl k ∈ N angegeben werden mit f (k) = Dn , 10n−1 ≤ k ≤ 10n . Damit weicht fru ¨hestens die 10n−1 -te Approximation der Diagonalzahl, also D10n−1 , dem Wert Dn aus. Die Diagonalreihe l¨auft insofern ihren eigenen Werten immer hinterher. Sie kann die vertikale Reihe schon deswegen nicht u ¨berholen, weil sie in jedem Schritt ihrer Entwicklung horizontale Reihen erzeugt, denen sie noch nicht ausgewichen ist. Deshalb holt die Entwicklung der Diagonalreihe ” [. . . ] die Entwicklung der andern Reihen nie ein“. Im Gegenteil. Da sich mit jedem Schritt von Dn auf Dn+1 in der Entwicklung der Diagonalzahl der Listenplatz k der endlichen Diagonalreihe als Funktionswert der Aufz¨ahlung um ein 10-faches vergr¨oßert (f −1 (Dn+1 ) ≥ 10 · f −1 (Dn )), ist die Liste der Funktionswerte den Entwicklungen der Diagonalzahl nicht nur immer voraus, sie rennt ihnen sogar davon.
3.1 BGM II, 9
3.1.3
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Das ‘Immer’-Prinzip
Als Beschreibung des Diagonalverfahrens ist gegen die Wittgensteinsche Argumentation von mathematischer Seite nichts einzuwenden. Vor dem Hintergrund des soeben betrachteten Beispiels l¨asst sich die Behauptung, es g¨abe fu ¨r jede Entwicklung der Diagonalreihe eine der Reihen fu ¨r die ” nicht bestimmt ist, ob sie von der Diagonalreihe verschieden ist oder nicht“ sogar versch¨arfen: Es ist in bestimmten F¨allen nicht nur m¨oglich, sondern beweisbar, dass jede Entwicklung der Diagonalreihe mit einem Element der Aufz¨ahlung identisch ist. Wittgenstein schließt nun aber aus der Abh¨angigkeit der Entwicklungen der Diagonalreihe von der Entwicklung der vertikalen Reihe auf die Diagonalreihe selbst. Ihm zufolge scheitert die Diagonalreihe daran, dass sie von der vertikalen Reihe abh¨angig ist: aber das nu ¨tzt ihr nichts, da ” die Entwicklung der andern Reihen ihr wieder voraus ist“ (§ 9). Er macht ¨ sich hier das Cantorsche Prinzip der Ubertragbarkeit des Verhaltens der endlichen Approximationen auf die unendliche Reihe zu eigen, das sein Gegner als Einwand zu formulieren sucht: Aber deine Regel reicht doch ” schon ins Unendliche“(§ 9). Wittgenstein fu ¨hrt die Annahme, Eigenschaften, die auf jede Entwicklung der Diagonalreihe zutreffen, treffen auch auf die Diagonalreihe als Ganze zu, auf das ‘Immer’ des Diagonalverfahrens zuru ¨ck: es gibt immer eine der Reihen, fu ¨r die nicht bestimmt ist, ob ” sie von der Diagonalreihe verschieden ist oder nicht. Man kann sagen: sie laufen einander ins Unendliche nach, aber immer die urspru ¨ngliche Reihe voran“ (§ 9). So wie Cantor aus der Beobachtung, dass es fu ¨r jede Entwicklung der vertikalen Reihe eine Entwicklung der diagonalen Reihe gibt, die in ihr nicht als horizontale Reihe auftritt, schließt, dass es fu ¨r die vertikale Reihe (im Ganzen) keine horizontale Reihe gibt, die nicht von der Diagonalreihe (im Ganzen) verschieden ist, schließt Wittgenstein aus der Tatsache, dass es fu ¨r jede Entwicklung der Diagonalreihe eine Entwicklung der vertikalen Reihe mit einer identischen horizontalen Reihe gibt, darauf, dass es auch fu ¨r die Diagonalreihe (im Ganzen) eine horizontale Reihe der vertikalen Reihe (im Ganzen) geben kann, die mit ihr identisch ist. So fu ¨hrt das Immer-Prinzip miteinander vertr¨agliche Betrachtungen des Diagonalverfahrens zu widerspru ¨chlichen Behauptungen. Kennzeichnet man den k-ten Wert der vertikalen Reihe mit Vk , so kann man die verschiedenen Schlu ¨sse
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3. Der Diagonalbeweis
folgendermaßen ausdru ¨cken. Cantors Argument kann man wie folgt formalisieren: ∀n ∈ N ∀k ∈ N (k ≤ n → Vk 6= Dn ) −→ ∀k ∈ N (Vk 6= lim Dn ). n→∞
Wittgensteins Argument stellt sich dagegen so dar: ∀n ∈ N ∃k ∈ N (Vk = Dn ) −→ ¬∀k ∈ N (Vk 6= lim Dn ). n→∞
Fu ¨r denjenigen, der die Cantorsche Schlussweise verteidigen will, ergibt sich nun das folgede Dilemma: Auf die Wittgensteinsche Behauptung ∀n ∈ N ∃k ∈ N (Vk = Dn ) muss er sich einlassen, weil der Cantorsche Be¨ weis der Uberabz ¨ahlbarkeit der reellen Zahlen nicht ohne Beschr¨ankung der Allgemeingu ¨ltigkeit voraussetzen darf, die Diagonalreihe k¨onne anders als durch das Verfahren ihrer Erzeugung in Abh¨angigkeit von den Entwicklungen der Reihen der Aufz¨ahlung erfasst werden. W¨ahrend jedoch die Pr¨amissen ∀n ∈ N ∀k ∈ N (k ≤ n → Vk 6= Dn ) und ∀n ∈ N ∃k ∈ N (Vk = Dn ) miteinander vereinbar sind, sind die Folgerungen, die unter Berufung auf ein und dasselbe Prinzip aus diesen Beschreibungen abgeleitet werden, widerspru ¨chlich. 3.1.4
Protest
Wittgensteins Gegner springt nun fu ¨r Cantor in die Bresche: ‘Aber deine Regel reicht doch schon ins Unendliche, also weißt du doch schon ” genau, daß die Diagonalreihe von jeder andern verschieden sein wird!’ - - -“ (BGM II, 9)
Mit dieser Bemerkung kann zweierlei gemeint sein. Zun¨achst k¨onnte der Gegner Cantor aus dem eben skizzierten Dilemma retten wollen, indem er Wittgenstein einer Fehlanwendung des ‘Immer’-Prinzips u ¨berfu ¨hrt. In dieser Hinsicht k¨onnte sich der Hinweis Aber deine Regel reicht doch ” schon ins Unendliche“ auf die Regel der Erzeugung der vertikalen Reihe beziehen und Wittgenstein darauf aufmerksam machen wollen, dass es unmo¨glich ist, die Diagonalreihe als Ganzes zu betrachten, ohne auch die Liste der Funktionswerte als vollendet zu betrachten.
3.1 BGM II, 9
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Wittgenstein schließt auf Grundlage seiner Beschreibung des Diagonalverfahrens auf die Existenz einer horizontalen Reihe innerhalb der Aufz¨ahlung, die mit der vollendeten Diagonalreihe (limn→∞ Dn ) identisch sein soll. W¨ahrend es nun aber fu ¨r jede endliche Approximation Dn einen Ausweichpunkt n und einen Funktionswertpunkt k = n + x gibt, liegt es gerade im Wesen der Diagonalreihe, dass es keinen Punkt k mehr gibt, dem noch auszuweichen w¨are – und damit erst recht keinen Funktionswertpunkt k + x mit Vk+x = limk→∞ Dk , denn die Diagonalreihe ist erst dann vollst¨andig, wenn sie alle Funktionswerte durchlaufen hat; dann aber ist kein Funktionswert mehr u ¨brig, mit dem sie identisch sein k¨onnte. Die Diagonalreihe ist folglich nur dann vollendet, wenn sie s¨amtliche Werte der Aufza¨hlung – und damit auch den Wert, mit dem sie angeblich identisch ist – gekreuzt hat. Insofern ist es widerspru ¨chlich anzunehmen, fu ¨r den Grenzwert der Entwicklungen der Diagonalreihe ko¨nne es einen Wert k ∈ N geben mit Vk = limn→∞ Dn . Andererseits kann man den Einwand auch so verstehen, dass es zur Feststellung, dass die Diagonalfolge nicht in der Aufz¨ahlung vorkommen kann, gar nicht auf die Approximationen der Diagonalzahl, wie sie durch die Diagonalmethode generiert werden, ankommt. Nach dieser Interpretation argumentiert der Gegner, dass fu ¨r den Nachweis, dass die Diagonalfolge von jeder der Folgen der Liste verschiedenen ist, gar nicht auf die konkrete Regel der Entwicklung der Diagonalreihe zuru ¨ckgegriffen werden muss. Grundlage dieser Argumentation w¨are die Ablehnung der Beschreibung des Diagonalverfahrens als schrittweisen Prozess. So k¨onnte der Gegner einwenden, dem Diagonalbeweis liege allein die Definition der Folge E0 = (bµ )µ∈N mit bµ 6= aµ,ν fu ¨r alle µ ∈ N zu Grunde (vgl. 1.3, S. 27). W¨are E0 eine horizontale Reihe im Diagonalschema, dann wu ¨rde sie irgendwann die Diagonale kreuzen. An dieser Stelle ger¨at sie mit der eigenen Definition in Konflikt, denn welchen Wert auch immer sie hier annehmen will, als Diagonalfolge darf sie genau diesen Wert nicht annehmen. Diese Aussage l¨asst sich machen, ohne auf die konkreten Werte der Diagonalreihe zuru ¨ckgreifen zu mu ¨ssen. So kann auch die Wittgensteinsche Diagonalreihe, die in Abh¨angigkeit von der um mehrere Stellen fortgefu ¨hrten Entwicklung der Funktionswerte der Aufz¨ahlung, um +1 oder −1 von dem betrachteten Wert an der n-ten Stelle der n-ten Zeile abweicht, nicht Funktionswert der Aufz¨ahlung sein.
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3. Der Diagonalbeweis
Dass die Definition der Diagonalfolge die Aufz¨ahlung voraussetzt, heißt insofern nicht, dass die Entwicklung der Aufz¨ahlung der Entwicklung der Diagonalfolge vorausgeht, sondern, dass der Widerspruch, der sich durch die Annahme ergibt, die Diagonalzahl komme in der Aufz¨ahlung vor, nicht dadurch aufzul¨osen ist, dass die Definition der Diagonalzahl verworfen wird, die zur Bestimmung von bµ auf aµ,µ zuru ¨ckgreift. Fu ¨r die erste Lesart spricht das Futur am Ende des zitierten Satzes, das darauf hindeutet, dass auch der Gegner die Bildung der Diagonalreihe als schrittweisen Prozess aufzufassen geneigt ist, an dessen Ende die unendliche Reihe steht. Allerdings findet sich im Manuskript auch die nachtr¨aglich hinzugefu ¨gte Alternative ist“ fu ¨r sein wird“ (MS 117, S. 102). Fu ¨r die ” ” zweite Interpretation spricht das also“, denn unter dieser Perspektive ” dreht sich das Bedingungsverh¨altnis um: Nicht, weil die Diagonalzahl von allen Zahlen der Aufz¨ahlung verschieden ist, ist sie nicht selbst Wert der Aufz¨ahlung, sondern, weil es unm¨oglich ist, dass die Diagonalzahl selbst Element der Aufz¨ahlung ist, muss sie von allen Werten der Aufz¨ahlung verschieden sein. Es kann keine Reihe geben, fu ¨r die nicht bestimmt ist, ” ob sie von der Diagonalreihe verschieden ist oder nicht“, da jede dieser Reihen Element der Liste ist, w¨ahrend die Diagonalzahl per definitionem nicht in der Aufz¨ahlung auftreten kann. Welche dieser beiden Interpretationen zutreffender ist, l¨asst sich auf Grundlage des Textes in § 9 nicht entscheiden, da Wittgenstein auf keinen dieser m¨oglichen Einw¨ande reagiert. Wie die Gedankenstriche am Ende der Bemerkung andeuten, bricht er das Streitgespr¨ach an dieser Stelle einfach ab. So la¨sst er die Gespra¨chspartner nicht lange genug zu Wort kommen, als dass sie ihre Argumente vollst¨andig h¨atten entwickeln k¨onnen. Wollte Wittgenstein das Gespr¨ach hier abbrechen, um dem anderen das Wort – und damit die guten Argumente – abzuschneiden, h¨atte er seinem Gegner nicht das letzte Wort lassen du ¨rfen. Darum kann es ihm also nicht gehen. Angesichts eines so interpretationsbedu ¨rftigen Gegenargumentes kann er sich an dieser Stelle aber genausowenig geschlagen geben wollen. Vielmehr nimmt Wittgenstein, indem er die Argumente der Gespr¨achspartner in § 9 nicht weiter ausfu ¨hrt, bereits das Ergebnis des Streitgespr¨achs voraus: egal wie viele Argumente die Gegner gegeneinander anfu ¨hren m¨ogen, sie wissen beide, dass sich auch am Ende des Streitgespra¨chs noch die zwei urspru ¨nglichen Auffassungen diametral gegenu ¨berstehen werden. Irgendwann werden ihnen die Argumente ausgehen und
3.2 Das Diagonalverfahren als Paradoxie
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sie werden sich wieder so wie jetzt gegenu ¨berstehen und versuchen, die entgegengesetzten Grundannahmen gegeneinander ins Feld zu fu ¨hren. Wittgenstein wird sich zur Verteidigung seiner These auf die Tatsache berufen, dass es fu ¨r jede Entwicklung der Diagonalzahl horizontale Reihen geben kann, die mit ihr identisch sind, w¨ahrend der Gegner insistieren wird, dass es fu ¨r jede horizontale Reihe eine Entwicklung der Diagonalzahl gibt, die von der horizontalen Reihe verschieden ist. Jeder wird dem anderen zugeben, dass seine Beschreibung des Diagonalverfahrens zutreffend ist. Jeder wird weiterhin zugeben, dass die aus der Beschreibung abgeleitete Folgerung genauso schlu ¨ssig ist, und doch werden beide die jeweils andere Konklusion ablehnen. Damit bleiben als Ergebnis der Untersuchung des § 9 zwei widerspru ¨chliche Auffassungen dessen, was das Diagonalverfahren leistet, unaufgel¨ost nebeneinander stehen: die Wittgensteinsche Auffassung, derzufolge es aufgrund der Abh¨angigkeit der Diagonalentwicklung von den Entwicklungen der Aufza¨hlung unmo¨glich ist, dass die Diagonalzahl von jeder Zahl der Aufz¨ahlung verschieden ist, und die Gegenmeinung, die als Argument dafu ¨r, dass die Diagonalreihe von jeder der Zahlen der Aufza¨hlung verschieden ist, die Regel der Erzeugung der Diagonalreihe anfu ¨hrt. Warum Wittgenstein das Streitgespra¨ch an dieser Stelle abbricht, zeigt § 11. Dort wird deutlich, dass es ihm in § 9 nicht darum geht, auf die Richtigkeit seiner Auffassung zu pochen, sondern darum, sie so stark zu machen, dass sie ebenso u ¨berzeugend erscheint wie die gegnerische. Dennoch stellt sich an dieser Stelle natu ¨rlich die Frage nach der Berechtigung der beiden Auffassungen. Worauf stu ¨tzt sich die Behauptung des Gegners, die Regel reich[e] [. . . ] schon ins Unendliche“ und wieso folgt, ” dass die Diagonalreihe von jeder andern verschieden sein wird“? Warum ” soll es andererseits nach Ansicht von Wittgenstein im Unendlichen einen Unterschied machen, welche Folge von Zahlen zuerst da war? Diese Fragen sollen im Mittelpunkt des folgenden Abschnitts stehen.
3.2
Das Diagonalverfahren als Paradoxie
Mo¨chte der Vertreter des Cantorschen Diagonalverfahrens die Gu ¨ltigkeit des Wittgensteinschen Schlusses in § 9 widerlegen, so stehen ihm dazu grundsa¨tzlich zwei Strategien zur Verfu ¨gung: Er kann entweder das Schlussprinzip (Gegner 1. Lesart) oder die Pr¨amisse (Gegner 2. Lesart) in
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3. Der Diagonalbeweis
Frage stellen. Den Einwand gegen die Wittgensteinsche Pr¨amisse (Gegner 2. Lesart), das Diagonalverfahren k¨onne als sukzessiver Prozess aufgefasst werden, werde ich am Ende des Kapitels untersuchen (Abschnitt 3.4). Die Einw¨ande, die im Rahmen des ersten Argumentationsansatzes gegen Wittgenstein ins Feld gefu ¨hrt werden k¨onnen, sollen bereits an dieser Stelle aufgegriffen und zum Anlass genommen werden, die Angemessenheit der Wittgensteinschen Sicht des Diagonalverfahrens zu pru ¨fen. Die Ergebnisse der Diskussion fließen in die Interpretation der §§ 10-15 ein (Abschnitt 3.3). Um die Wittgensteinsche Ansicht stark zu machen, werde ich zun¨achst den Einwand, das Wittgensteinsche ‘Immer’-Prinzip beruhe auf einer Fehlanwendung der Grenzwertbildung, zuru ¨ckweisen (3.2.1). Die Diskussion wird zeigen, dass die widerspru ¨chlichen Auffassungen aus § 9 auf die Annahme zuru ¨ckgehen, das Verhalten der unendlichen Diagonalreihe sei durch das Verhalten ihrer endlichen Entwicklungen determiniert (3.2.1). Dass diese Annahme im Allgemeinen nicht gu ¨ltig ist, werde ich in Abschnitt 3.2.2 dargelegen. Abschnitt 3.2.3 zeigt schließlich, dass sowohl die These, die Diagonalzahl sei von jedem Wert der Aufz¨ahlung verschieden, als auch die Behauptung, es k¨onne immer einen Wert geben, der mit der Diagonalzahl identisch ist, mit dem Diagonalverfahren vereinbar ist. 3.2.1
Die Grenzwert-Paradoxie
Den ersten Ansatzpunkt fu ¨r Kritik an der Wittgensteinschen Argumentation bietet die eigenwillige Art der Grenzwertbildung, die Wittgensteins Argument zu Grunde liegt: Die Reihen laufen einander ins Unendliche ” nach, aber immer die urspru ¨ngliche Reihe voran.“ So k¨onnte man mit dem Gegner (1. Lesart) einwenden, die Diagonalreihe sei erst dann vollsta¨ndig entwickelt, wenn sie alle Werte der urspru ¨nglichen Reihe durchlaufen habe; dann aber gebe es keinen Wert mehr, der ihr vorangehen k¨onnte. Somit sei es absurd anzunehmen, es k¨onne eine Reihe geben fu ¨r die nicht bestimmt ” ist, ob sie von der Diagonalreihe verschieden ist oder nicht“. Dass die Diagonalzahl vollst¨andig entwickelt ist, heißt eben nichts anderes, als dass es keine Werte der Aufz¨ahlung gibt, von denen sie nicht an mindestens einer Dezimalstelle abweicht. Als Argument ko¨nnte der Gegner folgende mathematische Betrachtung des Diagonalverfahrens heranziehen: Die Diagonalzahl D∞ = limn→∞ Dn
3.2 Das Diagonalverfahren als Paradoxie
63
hat abz¨ahlbar unendlich viele Nachkommastellen. D. h., es existiert eine Bijektion der Nachkommastellen der Diagonalzahl auf den Laufindex der Aufz¨ahlung. Diese Bijektion manifestiert sich sogar in der Vorschrift der Erzeugung der Diagonalzahl, die ja jeder n-ten Nachkommastelle den nten Wert der Aufz¨ahlung zuordnet. Da jede n-te Entwicklung der Diagonalzahl genau n Zahlen der Aufz¨ahlung ausweicht, deckt jede n-te Entwicklung der Diagonalzahl Dn den n-ten Teil der Entwicklung der vertikalen Reihe Vn ab:1 (Di )i≤n (Vk )k≤n
=
n = 1. n
Dass das Verha¨ltnis des Teils der n-ten Entwicklung der vertikalen Reihe, der von der Diagonalzahl abgedeckt wird, zur Gesamtl¨ange der nten Entwicklung der vertikalen Reihe 1 ist, heißt nichts anderes, als dass Der Oberstrich soll im Rahmen dieser Diskussion die Anzahl der Glieder einer Zahlenfolge, die ich umgangssprachlich auch einfach ihre L¨ange nennen werde, wiedergeben. Er entspricht dem Cantorschen Oberstrich f¨ ur die Ordnungszahl von Mengen, mit dem Unterschied, dass eben nicht auf Mengen, sondern auf Folgen Bezug genommen wird. Genaugenommen soll (ai )i∈I also die Ordnungszahl der Menge der Glieder der Folge (ai )i∈I angeben. Diese wird immer der Ordnungszahl der Indexmenge I entsprechen. Handelt es sich um eine endliche Folge, z. B. (an )n≤4 = a1 , a2 , a3 , a4 , so nimmt (an )n≤4 urlichen Zahl an, (an )n≤4 = 4. F¨ ur unendliche Folgen muss dem den Wert einer nat¨ L¨angenstrich kein numerischer Wert zukommen. Er kann aber auch mit der entsprechenden Ordnungszahl identifiziert werden. F¨ ur die vorliegende Argumentation ist dies (aufgrund der etwas eigenwilligen Definition des Quotienten zweier L¨angen) nicht wichtig. Der Quotient zweier L¨angen soll das Verh¨altnis der L¨ange der Folgen zueinander wiedergeben. F¨ ur endliche Folgen kann er mit dem Quotienten der L¨angen identifiziert werden. F¨ ur unendliche Folgen soll er – wie im Folgenden deutlich werden wird – mit dem Grenzwert der Folge der Quotienten endlicher Teilfolgen (sofern dieser existiert), d. h. mit einer endlichen (rationalen oder reellen) Zahl, gleichgesetzt werden. Insofern handelt es sich nicht um die Division (als Umkehrung der Multiplikation) zweier Ordinalzahlen. Diese ist f¨ ur den Vergleich des Verh¨altnisses zweier Folgen aus zwei Gr¨ unden nicht hilfreich. Erstens muss aufgrund der fehlenden Kommutativit¨at der Multiplikation zweier Ordinalzahlen zwischen Links- und Rechtsteilern unterschieden werden (vgl. Bachmann 1955: 78). Dies ist ein Unterschied, dessen Relevanz f¨ ur die hier zu Grunde liegende Betrachtung nicht einsichtig ist. Zweitens hat jede transfinite Ordinalzahl unendlich viele Linksteiler, so dass dem Quotienten nur bei Betrachtung der Rechtsteiler ein eindeutiger Wert zugeordnet werden kann. Nun ist der einzige Rechtsteiler der Ordinalzahl ω mathematischer Folgen – die hier stets Gegenstand der Betrachtung sind – ω selbst. Somit kann die Betrachtung von Rechtsteilern im vorliegenden Fall nicht dazu beitragen, dem Verh¨altnis zweier Folgen eine endliche Zahl zuzuordnen. 1
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3. Der Diagonalbeweis
die n-te Diagonalreihe die gesamte n-te Entwicklung der vertikalen Reihe durchl¨auft. Der Vertreter des Cantorschen Diagonalverfahrens k¨onnte also argumentieren, dass der Grenzwert des Verh¨altnisses der L¨ange der Diagonalreihe zu der der Aufz¨ahlung ebenfalls den Wert 1 annimmt und folgern, dass die Diagonalreihe die gesamte Aufz¨ahlung durchl¨auft. Die Behauptung, es k¨onne Werte geben, die vom Diagonalverfahren nicht erfasst werden, erscheint vor dem Hintergrund dieser Argumentation als absurd. So plausibel dieser Einwand auf den ersten Blick zu sein scheint, so leicht l¨asst sich die suggestive Vorstellung, es k¨onnten keine Funktionswerte mehr u ¨brig bleiben, wenn die Diagonalreihe die Aufz¨ahlung ¨ durchlaufen habe, durch eine ganz ¨ahnliche mathematische Uberlegung ins Wanken bringen. Dazu betrachtet man den Fall der Anwendung des Diagonalverfahrens auf unendliche Bru ¨che als Grenzfall der Anwendung auf endliche Dezimalbru ¨che: Es gibt 10 einstellige Dezimalbru ¨che (0, 0; 0, 1; 0, 2; ...; 0, 9), 100 zweistellige Dezimalbru ¨che (0, 00; 0, 01; ...; 0, 99) und allgemein 10k k-stellige Dezimalbru ¨che. Listet man diese Bru ¨che jeweils auf, so ist die Diagonalzahl k-stellig, z. B. fu ¨r fu ¨nfstellige Bru ¨che: 1 2 3 4 5 6
7→ 7→ 7→ 7→ 7→ 7→ ··· 100000 7→
0, 00000 0, 00001 0, 00002 0, 00003 0, 00004 0, 00005 0, 99999
Die Diagonalzahl (z. B. 0,44445) ist natu ¨rlich in jeder dieser endlichen Aufz¨ahlungen enthalten, allerdings nicht unter den ersten k Werten, aus denen sie abgeleitet wird. Wie die Diagonalzahl im Beispielfall nur 5 von 100000 Zahlen schneidet, d. h. 0, 005% der Liste durchl¨auft, so deckt die Diagonalzahl allgemein immer nur den k/10k -ten Teil der Liste ab. Je l¨anger die Bru ¨che werden, desto kleiner wird der Anteil der Liste, der von der Diagonalzahl erreicht wird. Fu ¨r k → ∞ gilt: k = 0, k→∞ 10k lim
d. h., fu ¨r Aufza¨hlungen beliebig langer Dezimalzahlen ist der Anteil der Aufz¨ahlung, dem die Diagonalzahl erfolgreich ausweicht, verschwindend
3.2 Das Diagonalverfahren als Paradoxie
65
gering im Vergleich zur L¨ange der Gesamtliste. Diese Beobachtung zeigt, dass eine Diagonalzahl, deren L¨ange sich – wie im Cantorschen Diagonalbeweis – nach der L¨ange der Dezimalbru ¨che der zu Grunde liegenden Aufz¨ahlung richtet, nicht notwendigerweise jeden Wert der Aufz¨ahlung durchl¨auft. Nun kann man einwenden, die Argumentation des Diagonalbeweises sei von dieser Beobachtung nicht betroffen. Erstens kann aus der Beobachtung, dass der Grenzwert des Verh¨altnisses endlicher Diagonalzahlen zu entsprechenden endlichen Aufza¨hlungen Null ist, nicht geschlossen werden, fu ¨r Aufz¨ahlungen unendlicher Mengen gebe es unendlich viele Werte, fu ¨r die nicht bestimmt ist, ob sie von der Diagonalreihe verschieden“ (§ 9) ” sind oder nicht. Zweitens zeigt der Cantorsche Diagonalbeweis auf Basis der Abz¨ahlbarkeit einer gegebenen Liste von unendlichen Dezimalbru ¨chen die Unvollst¨andigkeit der Aufz¨ahlung, setzt aber die Vollst¨andigkeit der Auflistung zur Ermittlung der Diagonalzahl nicht voraus. Er weist vielmehr nach, dass die Werte gar nicht vollst¨andig sein k¨onnen. Dass Abza¨hlbarkeit zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung fu ¨r die Existenz einer alle Werte durchlaufenden Diagonalzahl ist, zeigt eine vor dem Hintergrund des Beispiels, das ich in Abschnitt 2.2.1 bzw. 3.1.2 diskutiert habe, leicht modifizierte Version dieser mathemati¨ sche Uberlegung. Dieses Beispiel zeichnet sich dadurch aus, dass jede n-te Approximation der Diagonalzahl selbst Element der Aufz¨ahlung ist, allerdings fru ¨hen−1 stens 10 Stellen sp¨ater (s. o. S. 55ff.). Der Anteil der n-stelligen Dezimalbru ¨che, die von der n-ten Approximation der Diagonalzahl gekreuzt werden, an der Menge aller n-stelligen Dezimalbru ¨che betr¨agt nach der n ¨ Uberlegung aus dem vorigen Abschnitt 10n . Somit ist nur fu ¨r den 10nn -ten Teil der n-stelligen Dezimalbru ¨che der Aufz¨ahlung aufgrund des Diagonalverfahrens bestimmt, dass sie von der Diagonalzahl verschieden sind. Je weiter die Diagonalzahl entwickelt wird, desto gr¨oßer ist der Anteil der Zahlen, fu ¨r die nicht aufgrund des Diagonalverfahrens bestimmt ist, ob sie von der Diagonalzahl verschieden sind. Die Folge der Anteile des von der n-ten Approximation der Diagonalzahl gekreuzten Teils der nstelligen Dezimalbru ¨che der Aufz¨ahlung an der Menge der n-stelligen Dezimalbru ¨che konvergiert fu ¨r n → ∞ (wobei n der Index der Entwicklung der Dezimalzahl, nicht der Dezimalstellen der betrachteten Abbildung ist)
66
3. Der Diagonalbeweis
gegen Null, d. h.: lim
n→∞
(Di )i≤n (Vk )k≤10n
n =0. n→∞ 10n
= lim
(D ) Die Existenz des Grenzwerts limn→∞ (V )i i≤nn setzt weder die Existenz k k≤10 der Diagonalzahl als Grenzwert der Folge ihrer endlichen Entwicklungen voraus noch die Existenz einer Auflistung aller unendlichen Dezimalzahlen. Dass limn→∞ 10nn = 0 heißt nur, dass es fu ¨r jeden Wert ε > 0 eine natu ¨rliche Zahl N (n¨amlich z. B. irgendein N ∈ N mit N ≥ 1ε ) gibt, so dass fu ¨r alle n ≥ N gilt: 10nn < ε (vgl. z. B. Forster 1992: 19). So charakterisiert der Grenzwert limn→∞ 10nn = 0 die Entwicklung des Verha¨ltnisses des von der Diagonalzahl beru ¨cksichtigten Teils der Aufz¨ahlung zur Teilmenge der endlichen Dezimalzahlen gleicher L¨ange folgendermaßen: je weiter die Diagonalzahl entwickelt wird, desto kleiner wird der Teil der Dezimalbru ¨che gleicher L¨ange, der von der Diagonalzahl erfasst wird. W¨ahlt man n beliebig groß, so wird der Teil beliebig klein. Auf diese Weise l¨asst sich das Wittgensteinsche ‘Immer’-Prinzip, auf die mathematische Grenzwertdefinition zuru ¨ckfu ¨hren und damit das Argument stu ¨tzen, die Diagonalzahl durchlaufe nicht jeden Wert der Aufz¨ahlung einer abz¨ahlbar unendlichen Menge. Zu sagen, es gebe immer ” eine der Reihen, fu ¨r die nicht bestimmt ist, ob sie von der Diagonalreihe verschieden ist oder nicht“, heißt in diesem Zusammenhang: Wenn die endlichen Entwicklungen der Diagonalzahlen Dn gegen die Diagonalzahl konvergieren, dann konvergiert der Anteil der Liste, der von der Diagonalzahl gekreuzt wird, gegen Null. So wie jede Approximation der Diagonalzahl weniger Werte kreuzt als sie u ¨brig l¨asst, l¨asst die ins Unendliche entwickelte Diagonalzahl immer noch unendlich viele Werte der Aufz¨ahlung unberu ¨hrt. Betrachtet man die beiden Argumente genauer, so stellt man auch hier fest, dass sich die verschiedenen Grenzwerte als Beschreibungen des Diagonalverfahrens gar nicht widersprechen. Der Vertreter des Cantorschen Diagonalverfahrens behauptet mit
lim
n→∞
(Di )i≤n (Vk )k≤n
n =1 n→∞ n
= lim
(1a)
genaugenommen nur, dass jede endliche Entwicklung der vertikalen Reihe von einer endlichen Entwicklung der Diagonalreihe abgedeckt wird,
3.2 Das Diagonalverfahren als Paradoxie
67
so dass es fu ¨r jeden Wert der Aufz¨ahlung eine endliche Entwicklung der Diagonalreihe gibt, von der bestimmt ist, dass er von ihr verschieden ist. Sein Gegner h¨alt ihm mit der Wittgensteinschen Sicht entgegen, dass wegen n (Di )i≤n lim (2a) = lim n = 0 n→∞ (V ) n→∞ 10 i i≤10n der Teil der Aufz¨ahlung, fu ¨r den bestimmt ist, dass er von einer endlichen Entwicklung der Diagonalzahl verschieden ist, fu ¨r wachsendes n beliebig klein wird. Beide treffen nur Aussagen u ¨ber das Verhalten der Folge der endli¨ chen Entwicklungen der Diagonalzahl. Uber den Grenzwert der Folge der endlichen Entwicklungen, die Diagonalzahl limn→∞ Dn , sagen sie nichts. Keiner der Antagonisten stellt in Frage, dass es fu ¨r jede n-te Entwicklung der Diagonalzahl – egal wie groß n ist – sowohl unendlich viele Werte gibt, fu ¨r die noch nicht entschieden ist, ob sie von dieser Entwicklung (und damit von der sich langsam konstituierenden Diagonalzahl) verschieden sind, als auch endlich viele (n¨amlich genau n) Werte, fu ¨r die entschieden ist, dass sie von dieser Entwicklung und auch vom Grenzwert der Entwicklungen verschieden sind. Widerspru ¨chlich werden ihre Ansichten erst durch die Identifikation des Grenzwertes der Verh¨altnisse der endlichen Reihen zueinander mit dem Verha¨ltnis der La¨nge der vollsta¨ndig entwickelten Diagonalreihe zur L¨ange der vollst¨andig entwickelten vertikalen Reihe. So mo¨chte der Vertreter der Cantorschen Sicht gerne behaupten: n D∞ (Di )i≤n = lim = 1 = lim n→∞ V ) n→∞ n V∞ i i≤n
(1b)
Dem m¨ochte der Vertreter der Wittgensteinschen Sicht entgegenhalten: n D∞ (Di )i≤n = lim = lim n = 0 n→∞ (V ) n→∞ 10 V∞ k k≤10n
(2b)
Diese Folgerungen sind nun nicht mehr miteinander vereinbar. Unter der Wittgensteinschen Sicht wird behauptet, da der Grenzwert des von einer endlichen Entwicklung durchlaufenen Teils der Aufz¨ahlung zum nicht-durchlaufenen Teil 0 ist, mu ¨sse auch das Verha¨ltnis des von dem Grenzwert der endlichen Entwicklungen der Diagonalzahl durchlaufenen
68
3. Der Diagonalbeweis
Teil zum nicht-durchlaufenen Teil den Wert Null haben. Folglich beru ¨cksichtige die Diagonalzahl unendlich viele Werte der Aufz¨ahlung nicht. Der Cantorschen Betrachtung zufolge kann dagegen aus der Tatsache, dass der Grenzwert des Anteils endlicher Entwicklungen der Diagonalzahl an entsprechenden endlichen Entwicklungen der Aufz¨ahlung den Wert 1 annimmt, darauf geschlossen werden, dass auch das Verh¨altnis des von dem Grenzwert der Diagonalreihe durchlaufenen Teil der vertikalen Reihe zur Gesamtl¨ange der vertikalen Reihe 1 ist. Somit beru ¨cksichtige die Diagonalzahl die gesamte Aufz¨ahlung. Hier stehen wir in mathematischem Gewand dem urspru ¨nglichen Dilemma gegenu ¨ber: die Behauptung, dass jede n-te Entwicklung der Diagonalzahl nur den 10nn -ten Teil der Aufz¨ahlung abdeckt, so dass die Folge der endlichen Diagonalreihen beliebig viele Werte der unendlichen vertikalen Reihe unberu ¨cksichtigt l¨asst, ist nur die Kehrseite des Cantorschen Argumentes, dass jede n-te Entwicklung jeder der ersten n Zahlen der Aufz¨ahlung ausweicht und folglich jede endliche Entwicklung der vertikalen Reihe von einer endlichen Entwicklung der Diagonalreihe beru ¨cksichtigt wird. Die Annahme aber, das Verh¨altnis der L¨ange der Diagonalzahl als Grenzwert der Entwicklungen der Diagonalreihe zur L¨ange der Aufz¨ahlung lasse sich u ¨ber den Grenzwert des Verh¨altnisses der L¨ange der Entwicklungen der Diagonalreihe zu der L¨ange der Entwicklungen der vertikalen Reihe bestimmen, fu ¨hrt zu widerspru ¨chlichen Folgerungen. Die Diskussion des Einwands des Gegners aus § 9 hat die Kontroverse damit wieder an den Ausgangspunkt zuru ¨ckgefu ¨hrt. Beide Sichtweisen sind auf Grundlage des Prinzips, das Verhalten der unendlichen Reihen sei durch das Verhalten der endlichen Reihen induziert, gleichermaßen berechtigt. Dennoch widersprechen sie sich. Viel naheliegender als der erneute Versuch, die Wittgensteinsche Sicht einer Fehlanwendung dieses Prinzips zu u ¨berfu ¨hren, ist die Vermutung, der Fehler liege im Prinzip selbst: Vielleicht ist das Verhalten der unendlichen Reihen durch das ihrer endlichen Entwicklungen gar nicht festgelegt. Vielleicht ist es gar nicht m¨oglich, aus der Gleichheit oder Ungleichheit der endlichen Entwicklungen der Diagonalzahl mit endlich vielen horizontalen Reihen auf die Gleichheit oder Ungleichheit der unendlichen Diagonalzahl ¨ mit unendlich vielen horizontalen Reihen zu schließen. Diese Uberlegung m¨ochte ich im n¨achsten Abschnitt weiter verfolgen.
3.2 Das Diagonalverfahren als Paradoxie
3.2.2
69
Super-Aufgaben und Unendlichkeitsmaschinen
BGM II, 9 stellt uns folgender Paradoxie gegenu ¨ber: Einerseits kann man jedes Element der vertikalen Reihe auf eine Entwicklung der Diagonalzahl abbilden, von der dieses Element verschieden sein muss (Cantor), andererseits kann man jede Entwicklung der Diagonalreihe auf ein Element der Aufza¨hlung abbilden, mit dem diese Entwicklung identisch ist (Wittgenstein). Soll man nun sagen, fu ¨r die unendliche Diagonalreihe gebe es immer ein Element, mit dem sie identisch ist, oder nie? Dass die Frage, welche von zwei gegenl¨aufigen Folgen die andere im Unendlichen u ¨berholt, im Allgemeinen nicht allein auf der Basis des Verh¨altnisses der endlichen Entwicklungen beantwortet werden kann, zeigt das Gedankenexperiment der Super-Aufgabe“ ( super-task“) (Thomson ” ” 1954: 90). Eine Super-Aufgabe ist eine Aufgabe, die aus unendlich vielen Teilaufgaben besteht und, wenn u ¨berhaupt, wohl nur von einer sog. Unendlichkeitsmaschine (Black 1951: 75) in endlicher Zeit erledigt werden kann.2 Thomson (1954: 94f.) stellt sich die Frage, in welchem Zustand sich wohl¡ eine Leselampe nach zwei Minuten befindet, wenn sie ¢ 1 1 1 1 n alle 1, 2 , 4 , 8 , ... 2 . . . Minuten abwechselnd an- und wieder ausgeschaltet wird. Ist die Lampe nach zwei Minuten an oder aus? Black (1951: 75-77) wandelt dieses Szenario ein wenig ab und stellt sich vor, eine Unendlichkeitsmaschine, die er Beta nennt, schiebe eine Murmel nach jeweils ¡ 1 ¢n 1 1 1 1, 2 , 4 , 8 , ... 2 . . . Minuten unendlich oft von links nach rechts, wa¨hrend eine zweite Unendlichkeitsmaschine, Gamma, dafu ¨r sorgt, dass die Murmel immer wieder an den Ausgangspunkt zuru ¨ck transportiert wird (Black 1951:75-77). Beide Gedankenexperimente machen auf das folgende Problem aufmerksam. Die Annahme, der Zustand der Lampe oder die Lage der Murmel nach Im Rahmen dieser Diskussion werden Unendlichkeitsmaschinen und Super-Aufgaben als Fiktionen betrachtet, die der anschaulichen Konkretisierung mathematischer Modelle dienen. Insofern kann die Frage nach der begrifflichen Widerspruchsfreiheit der zu Grunde liegenden Annahmen relevant werden. Ob bereits des Ausdruck unendliche Reihe ” von Handlungen“ widerspr¨ uchlich ist (s. z. B.: Hinton/Martin 1953-4, Rheinwald 1993), soll dagegen nicht untersucht werden, da der Handlungsbegriff in der Diskussion der mathematischen Aspekte der betrachteten Super-Aufgaben nicht zum Tragen kommt. Gleiches gilt f¨ ur die Frage der physikalischen M¨oglichkeit, unendlich viele Handlungen in endlicher Zeit auszuf¨ uhren (s. dazu Gr¨ unbaum 1968, 1969). Zudem sollen auch Stetigkeitspostulate nicht als notwendige Wahrheiten vorausgesetzt werden (wie z. B. in Black 1954: 112). 2
70
3. Der Diagonalbeweis
erfolgreicher Erledigung der jeweiligen Super-Aufgabe sei durch die Folge der Teilaufgaben des Ein- und Ausschaltens bzw. Hin- und Zuru ¨ckschiebens bestimmt, fu ¨hrt zu widerspru ¨chlichen Folgerungen. Die Lampe kann nach zwei Minuten nicht an sein, weil auf jedes Anschalten stets Ausschalten folgte; sie kann aber auch nicht aus sein, weil sie immer wieder angeknipst wurde. Die Murmel kann nicht rechts liegen, weil Gamma sie immer wieder zuru ¨cktransportiert hat, sie kann aber auch nicht links liegen, weil Beta sie immer nach rechts geschoben hat. Liegt sie links, hat Beta versagt, liegt sie rechts, hat Gamma ihre Super-Aufgabe nicht erledigt. Die Lampe muss aber entweder an oder aus sein, die Kugel entweder links oder rechts liegen (Thomson 1954: 95; Black 1951: 77). Dieser Widerspruch deutet entgegen der Ansicht von Black und Thomson weder auf die begriffliche Widerspru ¨chlichkeit von Unendlichkeitsmaschinen und Super-Aufgaben noch auf die logische Unm¨oglichkeit des aktual Unendlichen (vgl. Black 1951: 79). Vielmehr zeigt er, dass die Annahme, der Endzustand folge logisch aus der Bestimmung der unendlichen Folge von Handlungen, verworfen werden muss3 . Weder gibt es einen letzten“ Term der Folge, auf den der Endzustand unmittelbar folgen ” wu ¨rde,4 noch unterliegt der Endzustand den Bestimmungen, die fu ¨r die Folgeglieder festgelegt wurden (Sainsbury 1988: 15; Salmon 1970: 30). Die Bestimmungen fu ¨r die Folge der einzelnen Zust¨ande der Lampe w¨ahrend der unendlich vielen Schaltungen sind sowohl mit der Annahme, die Lampe sei am Ende aus, als auch mit der Behauptung, sie sei an, vereinbar (vgl. Bostock 1972: 47). Aus der Beschreibung der Super-Aufgabe folgt noch nicht einmal, dass die Lampe nach zwei Minuten an oder aus sein muss (Benacerraf 1962: 109).5 Der Wert der unendlichen Folge wird durch die Werte der Folgeglieder nicht determiniert: Entgegen aller Erwartungen reicht die Regel einfach noch nicht ins Unendliche. vgl. Benacerraf 1962: 109. Thomson (1970) schließt sich Benacerrafs Diagnose an. Ebenso: Chihara (1965), Vlastos (1966), Gruender (1966), Bostock (1972), Sainsbury (1988), Rheinwald (1993), Harrison (1996), Earman und Norton (1996); anders dagegen: Ray 1990. 4 Taylor (1951-52) und Watling (1952-53) werfen Black vor, von der offensichtlich absurden Annahme auszugehen, eine unendliche Folge habe ein letztes Element. Sowohl Black (1954: 111) als auch Thomson (1954: 96) weisen diese Behauptung weit von sich. 5 Insofern macht Thomson zu Recht darauf aufmerksam, dass sich Thomsons SuperAufgabe mathematisch so modellieren l¨asst, dass dem Endzustand ein anderer Wert als an“ oder aus“ zukommt. ” ” 3
3.2 Das Diagonalverfahren als Paradoxie
71
So wie die Gegner in § 9 sich auf das Verhalten der endlichen Reihen einigen k¨onnen und trotzdem unter Berufung auf dasselbe Prinzip zu widerspru ¨chlichen Behauptungen bzgl. des Verh¨altnisses der unendlichen Reihen gelangen, scheint die Beschreibung der Aufgabenstellung fu ¨r Thomsons Lampe und Blacks Unendlichkeitsmaschinen zu widerspru ¨chlichen Annahmen u ¨ber den Endzustand Anlass zu geben. Auch hier liegt den widerspru ¨chlichen Folgerungen jeweils dasselbe Argument zu Grunde: Jede Bewegung in die eine Richtung wird durch eine in die andere Richtung wieder ru ¨ckg¨angig gemacht. Nun ist dies aber gerade der Kern der Super-Aufgabe und so scheint der Widerspruch unvermeidbar in der Aufgabenstellung angelegt. Dabei wird u ¨bersehen, dass der Schluss daru ¨ber hinaus auf der Annahme basiert, der Zustand nach Vollendung der SuperAufgabe k¨onne unmittelbar aus den Regeln, die w¨ahrend der Ausfu ¨hrung der Aufgabe gelten, abgeleitet werden. Hier wie dort muss man sich die Frage stellen, ob und inwiefern von dem Verhalten der endlichen Teilstu ¨cke auf das Verhalten einer unendlichen Reihe solcher Teilstu ¨cke geschlossen werden kann. Der Widerspruch zwischen der Cantorschen und der Wittgensteinschen Sicht des Diagonalverfahrens k¨onnte darauf hindeuten, dass die Annahme, das Verh¨altnis der unendlichen Folgen sei bereits durch das Verh¨altnis der endlichen Entwicklungen festgelegt, falsch ist. Andererseits muss der Fehler nicht hier liegen. Dass das Verh¨altnis unendlicher Folgen im Allgemeinen nicht durch das Verh¨altnis ihrer endlichen Folgeglieder bestimmt ist, schließt nicht aus, dass im Fall des Diagonalverfahrens das Verh¨altnis der unendlichen Diagonalfolge zur unendlichen Folge horizontaler Reihen durch das Diagonalverfahren festgelegt ist. Dass auch die st¨arkere These haltbar ist, derzufolge das Diagonalverfahren noch nicht bestimmt, ob die Diagonalzahl von allen Werten der Aufz¨ahlung verschieden ist, veranschaulicht folgendes Gedankenexperiment. Angenommen, zwei Unendlichkeitsmaschinen, Cantor und Wittgenstein, arbeiten sich gemeinsam im Tempo von 1/2n Minuten pro n-tem Wert durch die Aufz¨ahlung der endlichen Dezimalbru ¨che (s. o. S. 44f und S. 55ff.). Cantor entwickelt zu jedem n-ten Wert der Aufz¨ahlung eine Zahl, die von den ersten n Werten verschieden ist, schreibt diese Zahl auf eine Kugel und u ¨bergibt die Kugel an Wittgenstein. Wittgenstein sammelt die Kugeln, die er von Cantor bekommt, gibt aber jede Kugel, sobald der auf ihr notierte Wert in der Aufz¨ahlung vorkommt, wieder an Cantor zuru ¨ck.
72
3. Der Diagonalbeweis
So sammeln sich bei Wittgenstein diejenigen Dezimalbru ¨che, die von allen Zahlen bestimmter endlicher Teilstu ¨cke der Aufz¨ahlung verschieden sind. Bei Cantor sammeln sich diejenigen dieser Zahlen, die zu einem sp¨ateren Zeitpunkt von der Aufz¨ahlung erfasst werden. Muss man in diesem Fall nicht sagen, dass nach einer Minute wieder alle Kugeln bei Cantor angekommen sind, da ja jede endliche Entwicklung der Diagonalzahl als endlicher Dezimalbruch fru ¨her oder sp¨ater als Wert der Aufz¨ahlung auftritt? Hat Wittgenstein nicht also doch Recht, dass das Diagonalverfahren keine Zahl generiert, die von allen Zahlen der betrachteten Aufz¨ahlung verschieden ist? Die mathematische Lo¨sung der Ross-Paradoxie scheint diese Behauptung zu stu ¨tzen: Fu ¨llt man eine unendlich große Urne so mit nummerierten Kugeln, dass nach einer halben Minute die Kugeln mit den Nummern 1 bis 10, nach einer weiteren Viertelminute Nr. 11-20 und allgemein alle 1/2n Minuten jeweils die Kugeln der Nummern 10n + 1 bis 10n + 10 in die Urne gelegt werden und zugleich die Kugel mit der Nummer n der Urne wieder entnommen wird, sind zu jedem Zeitpunkt 1 − 1/2n 9n Kugeln in der Urne. Da jede n-te Kugel aber zum Zeitpunkt 1/2n wieder entfernt wird, ist die Urne nach einer Minute leer (vgl. Ross 1988: 46; Allis/Koetsier 1991: 187f.). Angewandt auf obiges Beispiel wu ¨rde dies bedeuten, dass sich bei Wittgenstein w¨ahrend der Erzeugung der Diagonalreihe immer mehr Kugeln stapeln und er diesen Stapel immer langsamer abbaut. Dennoch gelingt es ihm nach Durchlaufen der unendlich vielen Schritte, alle Kugeln wieder zuru ¨ckzureichen, so dass in der Tat keine Zahl u ¨brig bleibt, 6 die von allen Zahlen der Aufz¨ahlung verschieden w¨are. Anders als der mathematische Beweis dafu ¨r, dass die Urne nach einer Minute mit Wahrscheinlichkeit 1 leer ist (Ross 1988: 46-48), vermuten l¨asst, folgt auch bei dieser Super-Aufgabe der Endzustand der Urne nicht schon aus den Bestimmungen fu ¨r die Durchfu ¨hrung der unendlich vielen Teilaufgaben. Holgate (1994: 302) und Earman und Norton (1996: Der von van Bendegem (1994) vorgetragene Einwand, die Ross-Paradoxie sei eine unm¨ogliche Super-Aufgabe, ist, sofern er die kinematische Unm¨oglichkeit des Urnenexperiments betrifft (744-748), in diesem Zusammenhang P irrelevant. Das Argument, die Urne k¨onne nicht leer sein, da die unendlichen Summe ∞ n=1 9n divergiert (743), setzt die stetige Fortsetzbarkeit der Inhaltsfunktion f (n) = 9n durch Grenzwertbildung voraus. Dies ist eine zus¨atzliche Stetigkeitsannahme, auf die sich das Gedankenexperiment nicht festlegen muss (vgl. Allis/Koetsier 1995: 245). Die logische Unm¨oglichkeit des Gedankenexperiments folgt keineswegs. 6
3.2 Das Diagonalverfahren als Paradoxie
73
239f.) weisen darauf hin, dass wie im Fall von Thomsons Lampe auch hier der Endzustand nur unter Ru ¨ckgriff auf Zusatzpr¨amissen abgeleitet werden kann. So enth¨alt die Urne z. B abh¨angig davon, was mit den Kugeln passiert, wenn sie nicht gerade in die Urne gelegt oder aus ihr herausgenommen werden, zum Schluss unendlich viele oder auch keine einzige Kugel.7 Es verwundert nicht, dass das Verh¨altnis der Elemente der Folgen die Gu ¨ltigkeit der Wittgensteinschen Sicht noch nicht impliziert. Dass es aber m¨oglich ist, das Cantorsche Diagonalverfahren so zu rekonstruieren, dass es die Wittgensteinsche Sicht stu ¨tzt, zeigt, dass auch die Gu ¨ltigkeit der Cantorschen Sicht nicht unmittelbar aus dem Verh¨altnis der endlichen Entwicklungen folgen kann. Das Verh¨altnis der unendlichen Diagonalreihe zur unendlichen Reihe der Werte der Aufz¨ahlung ist durch das Verh¨altnis der endlichen Reihen nicht eindeutig determiniert. Dass die Entwicklungen der Reihen immer verschieden sind, impliziert genauso wenig, dass die unendlichen Reihen verschieden sind, wie die Tatsache, dass es immer Werte der Aufz¨ahlung gibt, die mit den Werten der Diagonalreihe identisch sind, impliziert, dass die Diagonalreihe mit einem Wert der Aufz¨ahlung identisch ist. Das ‘Immer’-Prinzip ist keine hinreichende Bedingung fu ¨r die Gleichheit oder Verschiedenheit der unendlichen Reihen. Dass das ‘Immer’-Prinzip das Verh¨altnis der Diagonalreihe zur Aufz¨ahlung noch nicht bestimmt, heißt nun nicht, dass das Diagonalverfahren nicht auf eine der beiden Sichtweisen festgelegt ist. Grund dafu ¨r, dass im Fall von Thomsons Lampe und Blacks Unendlichkeitsmaschinen aus den Werten der endlichen Teilfolgen noch nicht auf den Wert der unendlichen Folgen geschlossen werden kann, ist die Unvollst¨andigkeit der Holgate (1994: 302f.) zieht verschiedene m¨ogliche Beschreibungen in Erw¨agung, die insofern vollst¨andig sind, als dass sie – explizit oder implizit – auch den Zustand nach Durchf¨ uhrung der Super-Aufgabe bestimmen. Neben der Erweiterung der Anzahlfunktion auf die nicht-spezifizierten Zeitpunkte im offenen Zeitintervall der Durchf¨ uhrung der Aufgabe ist f¨ ur eine Aufgabenbeschreibung, aus der implizit das Endergebnis abgeleitet werden kann, vor allem die Metrik des dem mathematischen Modell zu Grunde liegenden topologischen Raumes ausschlaggebend (Holgate 1994: 302f.). Allis und Koetsier versuchen diese beiden Aspekte in einem Stetigkeitsprinzip zu vereinen (1991: 190; in abstrakterer Form: 1995: 240). Earman und Norton (1996: 240) schließen sich dieser L¨osung an. Van Bendegem liefert (unfreiwillig) ebenfalls eine L¨osung, indem er eine Interpretation der Aufgabenstellung anbietet, aus der gefolgert werden kann, dass sich nach Ausf¨ uhrung der Aufgabe keine endliche Anzahl von Kugeln in der Urne befindet. 7
74
3. Der Diagonalbeweis
Beschreibung. Durch die willku ¨rliche Festsetzung eines Endzustandes, die Spezifizierung des mathematischen Modells oder durch die Einfu ¨hrung ¨ eines Prinzips des Ubergangs von den einzelnen Aufgaben zur SuperAufgabe, kann die Beschreibung so vervollst¨andigt werden, dass Voraussagen u ¨ber den Endzustand gemacht werden k¨onnen.8 Der Wert der unendlichen Folge ist damit maßgeblich von der Wahl der Zusatzpr¨amissen abh¨angig.9 Dass es auf die Rahmenbedingungen des mathematischen Modells ankommt, zeigte bereits Holgates Diskussion der Ross-Paradoxie. Abh¨angig von der Wahl der mathematischen Zusatzannahmen enth¨alt die Urne nach einer Minute entweder unendlich viele oder aber keine einzige Kugel. Folglich muss es vor dem Hintergrund einer vollst¨andigen Beschreibung des Diagonalverfahrens m¨oglich sein zu entscheiden, ob die Diagonalzahl von allen Werten der Aufz¨ahlung verschieden ist oder nicht. Diese Beschreibung kann die Gu ¨ltigkeit des Diagonalarguments aber nur insofern sicher stellen, als die Annahmen, auf deren Grundlage die Wittgensteinsche Sicht widerlegt werden kann, ihre Berechtigung explizit oder implizit aus dem Verfahren der Erzeugung der Diagonalzahl oder den Axiomen der reellen Zahlen erhalten. 8
Beispielsweise erweitert Harrison (1996:277) die Funktion ½ f (x) =
0 Lampe an 1 Lampe aus
der Zust¨ande der Lampe in den diskreten Punkten der Folge (1 − 1/2n ) zu einer stetigen Funktion u ¨ber [0, 1), deren Grenzwert 0 ist. Thomsons L¨osungsansatz (1954: 95) basiert auf Versuchen innerhalb der Mathematik, divergenten Folgen Werte zuzuordnen. Im Rahmen dieses Ansatzes kommt bei den Schalterstellungen +1 bzw. −1 der unendlichen Folge der Wert 1/2 zu. 9 Daher geht auch das Argument von Ray (1990) fehl, es sei absurd anzunehmen, dass zwei Lampen, die zu jedem Zeitpunkt der Folge des An- und Ausschaltens im selben Zustand sind, nach Beendigung der Super-Aufgabe in unterschiedlichen Zust¨anden sein k¨onnen. Nat¨ urlich m¨ ussen zwei ‘gleiche’ Lampen immer dasselbe Ergebnis liefern – sonst w¨aren sie nicht wirklich ‘gleich’. Tun sie das nicht, dann m¨ ussen sich ihre Beschreibungen, sofern sie vollst¨andig sind, unterscheiden. Das heißt aber nun gerade nicht, dass sich der Unterschied auch auf die einzelnen Zust¨ande w¨ahrend der Durchf¨ uhrung der Super-Aufgabe auswirken muss. Vielmehr kann der Unterschied gerade in der Wahl der Zusatzannahmen liegen, die in den einzelnen Schritten der Super-Aufgabe nicht sichtbar werden.
3.2 Das Diagonalverfahren als Paradoxie
3.2.3
75
Der Schritt vom Endlichen ins Unendliche
Wie soeben gesehen kann eine Super-Aufgabe entweder durch die willku ¨rliche Festsetzung eines Endzustandes oder durch die Spezifizierung des mathematischen Modells vervollst¨andigt werden. Die zweite Alternative erforderte in den betrachteten Beispielen jeweils (1) die Ausdehnung der Aufgabenstellung auf bisher vernachl¨assigte Zeitpunkte w¨ahrend der ¨ Ausfu ¨hrung der einzelnen Teilaufgaben und (2) ein Prinzip des Ubergangs von den einzelnen Aufgaben zur Super-Aufgabe. Der erste Punkt stellte sich jeweils als Voraussetzung fu ¨r die Anwendbarkeit eines bestimm¨ ten bereits antizipierten Prinzips des Ubergangs dar, so dass es fu ¨r eine vollsta¨ndige Beschreibung letztlich auf dieses Prinzip ankommt. Die Frage, ob nun die Cantorsche oder die Wittgensteinsche Sicht des Diagonalverfahrens zu den richtigen Folgerungen Anlass gibt, wird man nur beantworten k¨onnen, wenn man auch hier jeweils das Prinzip des ¨ Ubergangs vom Verhalten der endlichen Reihen auf das der unendlichen Reihen isoliert und pru ¨ft, welches Prinzip bereits implizit im Diagonalverfahren angelegt ist. Zu diesem Zweck soll zuna¨chst versucht werden festzustellen, ob die Beschreibung des Diagonalverfahrens nicht bereits implizit ¨ von einem Prinzip des Ubergangs ausgeht, das eine der beiden Sichtweisen bevorzugt (3.2.3.1). Sodann soll untersucht werden, welche Pr¨amissen innerhalb der Cantorschen und der Wittgensteinschen Interpretation des Diagonalverfahrens den Schluss von den endlichen Entwicklungen auf die unendlichen Reihen erlauben (3.2.3.2). 3.2.3.1
Russells Korrespondenzprinzip
Das Argument, das ganz offensichtlich der Cantorschen Behauptung, die unendliche Diagonalreihe sei von allen Werten der Aufz¨ahlung verschieden, zu Grunde liegt, ist das der Korrelation jedes Wertes der Aufz¨ahlung mit einem Element der Diagonalfolge. Aber auch das Wittgensteinsche Gegenargument macht sich die Existenz einer Bijektion zwischen den Elementen der Diagonalreihe und Teilfolgen der Werte der Aufz¨ahlung zunutze. Die Existenz einer Bijektion kann also nur notwendige Bedingung fu ¨r das Korrespondenzprinzip, auf dem der Cantorschen Diagonalbeweis basiert, sein. Im Rahmen einer vollst¨andigen Beschreibung des Diagonalverfahrens muss es mo¨glich sein, dieses Prinzip genauer zu erfassen. Das Cantorsche Diagonalargument findet sein Pendant in der Russell-
76
3. Der Diagonalbeweis
schen L¨osung der Tristram Shandy Paradoxie (1937: 358-360). Tristram Shandy, eine Romanfigur bei Laurence Sterne, braucht zwei Jahre, um die Ereignisse der ersten zwei Tage seines Lebens niederzuschreiben und beklagt sich, dass er in diesem Tempo seine Autobiographie wohl nicht fertigstellen wird. Was aber, wenn Tristram ewig lebte? Wenn er ewig lebte, so die Russellsche Argumentation, k¨onnte er seine gesamte Biographie niederschreiben. Da es fu ¨r die Ereignisse jedes beliebigen n-ten Tages seines Lebens, ein bestimmtes Jahr seines Lebens gibt, n¨amlich das n-te, in dem sie auf Papier gebannt werden, wird kein Tag seines Lebens unberu ¨cksichtigt bleiben. So wie die Diagonalreihe, die ihre eigenen Entwicklungen als Werte der Aufz¨ahlung im Endlichen nie einholt, nach der Cantorschen Sicht die Aufz¨ahlung im Unendlichen u ¨berholt, gelingt es Russell zufolge dem verzweifelten Autobiographen im Unendlichen sein gesamtes Leben aufzuarbeiten, obwohl die Folge der literarisch verarbeiteten Lebensabschnitte der Folge der gelebten Lebensphasen zu Lebzeiten immer hinterherlaufen wird. Der Einwand, Tristram k¨onne zwar jeden Tag seines Lebens festhalten, werde aber nie jeden Tag seines Lebens festgehalten haben und folglich seine Biographie nie beenden (Craig 1979: 98; Diamond 1964: 56), geht fehl. Russell behauptet nicht, die Tatsache, dass kein Teil von Tristrams Autobiographie ungeschrieben bleiben wird, impliziere, dass Tristrams Lebenswerk beendet werden k¨onnte (Small 1986: 213; Godfrey 1993: 542).10 Dennoch folgt fu ¨r Russell aus der Existenz einer Bijektion der geschriebenen auf die gelebte Zeit, dass Tristrams Autobiographie das gesamte gelebte Leben umfasst, dass gelebtes und geschriebenes Leben also koextensiv sind: the Tristram Shandy proves that two variables which start from a common ” term, and proceed in the same direction, but diverge more and more, may yet determine the same limiting class (which, however, is not necessarily a segment, because segments were defined as having terms beyond them).“ (1937: 359)
Was es heißen soll, dass zwei Folgen nach Russell dieselbe Grenzklasse“ 11 ” determinieren, ist zumindest fu ¨r konvergente Folgen klar. Z. B. definiert die Folge Vn der unendlichen Dezimalbru ¨che zwischen 0 und 1, die bis auf 10 11
Allgemeiner: Dretske 1965: 100. ¨ meine Ubersetzung von “limiting class”.
3.2 Das Diagonalverfahren als Paradoxie
77
eine Stelle, an der sie den Wert 4 annehmen, u ¨berall den Wert 5 annehmen, dieselbe Grenzklasse wie die dazugeh¨orige Diagonalfolge Dn (wenn diese nach der 4-5-Regel gebildet wird (vgl. S. 29)), weil beide Folgen gegen den Wert 0, 5 = 59 – ihren Grenzwert – konvergieren: n 1 2 3 4 5
Vn 0, 4555555... 0, 5455555... 0, 5545555... 0, 5554555... 0, 5555455... limn→∞ Vn =
−→ −→ −→ −→ −→ .. . 0, 5
Dn 0, 5 0, 55 0, 555 0, 5555 0, 55555 = limn→∞ Dn
Als Grund fu ¨r die Behauptung, die divergenten Folgen der schriftlich festgehaltenen und der erlebten Tage determinieren dieselbe Grenzklasse“, ” obwohl auch ihre Differenzfolge divergiert, fu ¨hrt Russell das Cantorsche Korrespondenzprinzip an: Since there is a one-one-correlation betweeen the times of happening and ” the times of writing, and the former are part of the latter, the whole and the part have the same number of terms“ (1937: 359).
D. h.: Existiert eine Bijektion einer Teilfolge auf die gesamte Folge, sind die durch die Folgen determinierten Klassen koextensiv.12 Wie Cantor rechtfertigt auch Russell den Schluss von dem Verh¨altnis der Folgeglieder zweier unendlicher Folgen auf das Verh¨altnis der durch die unendliche Folgen determinierten Mengen mit der Existenz einer geeigneten Bijektion zwischen den beiden Folgen. Auch er u ¨bersieht, dass die Folgeglieder einerseits so korreliert werden k¨onnen, dass je zwei in einer bestimmten Beziehung zueinander stehen, andererseits aber auch so, dass Aus der Formulierung wird nicht deutlich, ob die Korrelation von Teilfolgen oder ¨ Teilklassen zur Aquivalenz von Teil und Ganzem f¨ uhrt. W¨ahrend die Abbildung einer Folge auf eine andere ordnungserhaltend ist (d. h. wenn a7 auf a0 22 abgebildet wird, dann kann a8 nicht auf a0 21 abgebildet werden), ist die Reihenfolge der Funktionswerte bei Abbildungen zwischen Mengen irrelevant. Das Korrelationsprinzip ist daher noch viel gr¨oßeren Einw¨anden ausgesetzt, falls unter times of happening“ bzw. times of writing“ ” ” nicht die Folgen der Lebensabschnitte, sondern nur die dadurch bestimmten Klassen von Zeitpunkten verstanden werden sollen. Im Rahmen der abstrakten Beschreibung der Paradoxie (1937: 359) betont Russell, dass die zu vergleichenden Folgen dasselbe Monotonieverhalten aufweisen. Dies deutet darauf hin, dass zumindest im Zusammenhang der Tristram Shandy Paradoxie Teilfolgen und nicht Teilklassen korreliert werden sollen. Die Einw¨ande, die hier gegen das Russellsche Korrelationsprinzip ins Feld gef¨ uhrt werden, haben aber auch gegen¨ uber der anderen Lesart Bestand. 12
78
3. Der Diagonalbeweis
diese Beziehung nicht statt hat, so dass das Prinzip zu widerspru ¨chlichen Behauptungen Anlass gibt. So wie es im Streit um die Wittgensteinsche Sicht des Diagonalverfahrens darauf ankommt, ob man die Korrelation zwischen gleichen oder verschiedenen Reihen betrachtet, kann man Russell das Wort im Munde umdrehen, wenn man die Menge der literarisch vernachl¨assigten statt die der beschriebenen Tage betrachtet (vgl. Diamond 1964: 56): So wie es fu ¨r n jede n-te Entwicklung der Diagonalzahl 10 − n Werte gibt, fu ¨r die nicht entschieden ist, ob sie von dieser Entwicklung verschieden sind, gibt es fu ¨r jedes n-te Jahr in Tristrams Leben mindestens 365n − n Tage seines Lebens, die er noch nicht in Worte gefasst hat. Folglich kann man die gelebte Zeit bijektiv auf die unbeschriebene Zeit abbilden, indem man z. B. jeden n-ten Tag (als gelebten Tag) auf sich selbst (als Tag, an dem der n-te Tag noch nicht beschrieben ist) abbildet.13 Die Paradoxie, dass kein Tag von Tristrams Leben in seiner Autobiographie unberu ¨cksichtigt bleibt und dennoch nicht alle Tage festgehalten werden, entsteht u ¨berhaupt erst durch die Berufung auf das Korrespondenzprinzip (vgl. Johnson 1992: 371). Wu ¨rde dieses Prinzip nicht nahelegen, es sei sinnvoll, von einer unendlichen Folge als Menge und von dieser als einer Ganzheit ( whole“) zu sprechen, k¨onnte man die Ansicht, ” Tristram k¨onne seine Biographie nie zu Ende schreiben, einfach damit rechtfertigen, dass sein Leben ewig w¨ahrt und folglich kein Ende hat.14 Die folgende Graphik veranschaulicht die beiden Korrelationen.15 Die ur die In der abstrakten Beschreibung der Tristram-Shandy-Paradoxie setzt Russell f¨ Existenz einer Korrelation weiterhin 1. einen gemeinsamen Anfangswert und 2. monotones Wachstum der Folgen voraus. Diese Bedingungen werden von der hier vorgeschlagenen Korrelation auch erf¨ ullt. 14 Craig (1979: 97-99) und Smith (1987) lehnen die Russellsche Analyse der Tristram Paradoxie mit der Begr¨ undung ab, die Zukunft sei nicht aktual, sondern nur potenziell unendlich; Johnson (1992 & 1994) lehnt die aktual-unendliche Sicht sogar prinzipiell ab. Da die Tristram Shandy Paradoxie im Rahmen dieser Diskussion nur unter dem mathematischen Gesichtspunkt betrachtet wird, ist die Frage, ob zeitliche Prozesse mit dem mathematischen Modell, das der L¨osung zu Grunde liegt, angemessen wiedergegeben werden, irrelevant. Um die Parallele zum Diagonalverfahren aufrecht erhalten zu k¨onnen, soll davon ausgegangen werden, dass es prinzipiell m¨oglich und sinnvoll ist, mathematische Folgen als Entit¨aten, die aus unendlich vielen Teilen bestehen, aufzufassen. 15 Der Wert 1 gibt an, dass der Tag der Spalte in dem entsprechenden Jahr der Zeile bereits schriftlich fixiert ist. Die Fragezeichen stehen f¨ ur (m¨oglicherweise) noch nicht gelebte Tage. Genaugenommen endet jede Zeile der Tabelle mit unendlich vielen Fragezeichen. 13
3.2 Das Diagonalverfahren als Paradoxie
79
Diagonale D = 0, 0, 0, 0, 0... gibt die Bijektion der gelebten auf die unverarbeitete Zeit wieder; die parallel darunter verlaufende Reihe in Fettdruck D0 = 1, 1, 1, 1, 1... deutet die Korrelation der gelebten mit der schriftlich fixierten Lebenzeit an. 1. Jahr 2. Jahr 3. Jahr 4. Jahr ...
(1.-365. Tag) : (366.-730. Tag) : (731.-1095. Tag) : (1095.-1461. Tag) :
1. Tag 2. Tag 3. Tag 4. Tag 5. Tag 0 ? ? ... 1 0 0 0 0 1 1 0 0 0 1 1 1 0 0
... ... ... ...
Vergleicht man nun z. B. die vierte Zeile mit D und D0 , so f¨allt auf, dass sie von D in den ersten 3 Koordinaten differiert und in den restlichen 1458 u ¨bereinstimmt, w¨ahrend D0 in den ersten 3 Koordinaten mit der vierten Zeile u ¨bereinstimmt und in den restlichen abweicht. Offenbar m¨ochte Russell diejenigen Teilfolgen als koextensiv ausschließen, deren Anfangsglieder von der Ausgangsfolge abweichen und all diejenigen zulassen, die zwar von der Ausgangsfolge in beliebig vielen Koordinaten abweichen, fu ¨r die es aber einen Wert N ∈ N gibt, so dass alle Folgeglieder n ≤ N mit den Folgegliedern der Ausgangsfolge identisch sind. Man k¨onnte das Korrespondenzprinzip in Russells Sinn konkretisieren, indem man definiert:16 Eine Folge (a0n ) ist genau dann eine Russellsche Teilfolge einer Folge an , wenn es einen Wert N ∈ N gibt, so dass an = a0n fu ¨r alle n ≤ N . Legt man diese Definition zu Grunde , bleibt nur die Russellsche L¨osung der Tristram Paradoxie. Bildet man jeden Tag auf sich selbst ab, so erh¨alt man eine Folge, die konstant den Wert 0 annimmt. Da aber jeder Tag irgendwann abgearbeitet wird, nimmt im 365n-ten Jahr die Tristramsche Lebensfolge bis zum Term n − 1 den Wert 1 an. Also ist die Folge der unberu ¨cksichtigt gebliebenen Zeitpunkte keine Russellsche Teilfolge von Tristrams Leben. Wu ¨rde Tristram beschließen, nach 100 Jahren die erste Seite seiner Biographie zu zerreißen, nach 200 die zweite Seite zu vernichten usw., so wu ¨rde Russell zufolge nichts von seiner Biographie u ¨brigbleiben, da sich jetzt wieder die Nullfolge von vorne nach hinten durch Tristrams LeDiese Definition entspricht nicht der mathematischen Definition der Teilfolge (vgl. Forster 1992: 31). 16
80
3. Der Diagonalbeweis
bensfolge arbeitet. Unter Zugrundelegung dieses Prinzips wird die sp¨atere Folge die fru ¨here stets u ¨berholen. Diese Auffassung entspricht auch der Russellschen L¨osung der AchillesParadoxie. Achilles und die Schildkr¨ote laufen um die Wette und fairerweise bekommt die viel langsamere Schildkr¨ote einen angemessenen Vorsprung. Um seine Gegnerin zu u ¨berholen, muss Achilles offenbar erst einmal zu ihrer Startposition S1 rennen. Wenn er da anlangt, ist die Schildkr¨ote aber schon zu S2 weitergekrochen. Kommt Achilles dort an, ist die Schildkr¨ote schon zu S3 vorgedrungen usw. So wie in dem Beispiel die vertikale Reihe der diagonalen immer einen Schritt hinterherhinkt, so dass Dn = Vn+1 fu ¨r alle n ∈ N, scheint auch Achilles dazu verdammt zu sein, der Schildkro¨te bis ins Unendliche hinterherzulaufen, ohne sie je einholen zu k¨onnen. Russell zufolge basiert der Schluss, Achilles ko¨nne die Schildkro¨te nie einholen, auf der irrtu ¨mlichen Annahme that the whole cannot be similar ” to the part“ (1937: 359f.). Richtig verstanden determiniere die Folge der Positionen des Achilles dieselbe Grenzklasse“ wie die der Schildkr¨ote, so ” dass Achilles und die Schildkro¨te nach Durchlaufen der unendlichen Folge (Sn−1 ) bzw. (Sn ) gleichauf sind. ¨ Ubertr ¨agt man diese L¨osung auf das Diagonalverfahren, so kommt man mit Russell zu dem gleichen Ergebnis wie Cantor: Die Folge der mit der Diagonalreihe identischen Werte definiert dieselbe Grenzklasse wie die Diagonalreihe, so dass im Unendlichen die vertikale Reihe mit der Diagonalreihe gleichauf ist: Die (sp¨atere) Diagonalfolge u ¨berholt im Unendlichen also die (fru ¨here) Folge der Werte der Aufz¨ahlung. Allerdings l¨ost auch diese Konkretisierung des Korrelationsprinzips nicht das Paradox des Diagonalverfahrens, denn es gibt durchaus Aufz¨ahlungen, die ihre Diagonalzahl imitieren: n 1 2 3 4 5
Vn 0, 1 0, 5 0, 55 0, 555 0, 5555
−→ −→ −→ −→ −→ ...
Dn 0, 5 0, 55 0, 555 0, 5555 0, 55555
Hier stu ¨tzt die verbesserte Version des Korrelationsprinzips auf einmal die Wittgensteinsche Sicht: Da die Diagonalfolge der Aufz¨ahlung immer um eine Dezimalstelle voraus ist, ist die Aufz¨ahlung eine Russellsche Teilfolge der Diagonalfolge.
3.2 Das Diagonalverfahren als Paradoxie
81
Somit kann mit dem Russellschen Korrespondenzprinzip sowohl die Cantorsche als auch die Wittgensteinsche Auffassung des Diagonalverfahrens gerechtfertigt werden. 3.2.3.2
Das Vergleichsprinzip
Bisher wurde der Tatsache keine Beachtung geschenkt, dass nicht die Werte der Diagonalfolge mit den Werten der Aufz¨ahlung verglichen werden sollen, sondern der Grenzwert der Folge, die Diagonalzahl. Ob die durch die unendliche Diagonalreihe definierte Diagonalzahl von den Werten der Aufz¨ahlung verschieden ist, richtet sich nach den Bestimmungen des Vergleichs reeller Zahlen und nur mittelbar nach dem Verh¨altnis der Elemente der Diagonalfolge zu den Elementen der Aufz¨ahlung. Nach Cantor sind zwei Grenzen“ b und b0 der Fundamentalfolgen ” a1 , a2 , ..., an , ... bzw. a01 , a02 , ..., a0n , ... gleich, wenn an − a0n unendlich klein ” mit wachsendem n“ wird. Dagegen ist b gr¨oßer (bzw. kleiner) b0 , wenn a − a0n [...] von einem gewissen n an stets gr¨oßer (bzw. kleiner) als eine ” n positive (rationale) Gr¨oße ε [bleibt]“ (Cantor 1872: 93) (vgl. 1.2, S. 21). Diese Definition scheint nun endlich die notwendige Zusatzpr¨amisse ¨ fu von jedem beliebigen Wert der Diagonalreihe zu der Ge¨r den Ubergang samtheit der Werte, der unendlichen Diagonalreihe, zu liefern. Da durch das Diagonalverfahren bestimmt ist, dass Vk 6= Dk , d. h. |Dn − Vn | < |Dk − Vk | ≥ 10−k = ε fu ¨r alle n ≥ k, ist jeder beliebige Wert Vk der Aufza¨hlung ungleich D∞ . So ko¨nnte man argumentieren, aus der Definition der Gleichheit bzw. Verschiedenheit zweier reeller Zahlen folge, dass die Diagonalfolge D∞ von jedem der Werte der Aufza¨hlung verschieden ist. Hier wird allerdings u ¨bersehen, dass das Problem nicht im Vergleich der Diagonalzahl mit zwei oder drei, vier, fu ¨nf etc. unendlichen Reihen liegt, sondern im Vergleich mit unendlich vielen unendlichen Reihen. Die Definition der Gleichheit reeller Zahlen legt nur fest, was es heißen soll, dass eine beliebige horizontale Reihe von der Diagonalzahl verschieden ist, nicht aber was es heißen soll, dass alle der unendlich vielen Werte der Aufz¨ahlung von der Diagonalzahl verschieden sind (vgl. Diamond 1962/63: ¨ 281f.). Wir haben zwar fu ¨r die Diagonalfolge ein Prinzip des Ubergangs von jedem einzelnen Wert zur Gesamtheit der Werte, nicht aber fu ¨r die Folge der Werte der Aufz¨ahlung.
82
3. Der Diagonalbeweis
Nun k¨onnte man aus der Cantorschen Perspektive einwenden, im Rahmen des Cantorschen Diagonalbeweises komme es nur insofern auf die Verschiedenheit der Diagonalzahl von allen unendlich vielen Elementen der vertikalen Reihe an, als sichergestellt werden soll, dass kein spezifizierbares Element der Aufz¨ahlung mit der Diagonalzahl identisch ist. Dafu ¨r genu ¨ge es zu wissen, dass die Diagonalzahl von jeder beliebigen horizon¨ talen Reihe verschieden ist. Ein Prinzip des Ubergangs von den einzelnen Werten der Liste zur Gesamtheit der Aufz¨ahlung eru ¨brige sich folglich. Dieser Einwand u ¨bersieht, dass im Rahmen der Betrachtung des Diagonalverfahrens als sukzessiven Verfahrens – die der gesamten Diskussion dieses Kapitels zu Grunde liegt – zuna¨chst sichergestellt werden muss, dass das Verfahren der Erzeugung der Diagonalzahl die gesamte vertikale Reihe beru ¨cksichtigt. Die Frage, ob die unendliche Diagonalreihe von allen Werten der unendlichen vertikalen Reihe verschieden ist, zielt in dieser Hinsicht darauf ab, festzustellen, ob die Diagonalreihe im Unendlichen die Reihe der Werte der Aufz¨ahlung u ¨berholt, auch wenn das Verfahren ihrer Generierung voraussetzt, dass die Aufz¨ahlung jedem ihrer Elemente ein paar Schritte voraus ist. Zwar folgt aus der Existenz eines mit der Diagonalzahl identischen Funktionswertes das Scheitern des Diagonalverfahrens; die Nicht-Existenz eines solchen Funktionswertes impliziert dagegen nicht das Funktionieren des Diagonalverfahrens, das sich in der Verschiedenheit der Diagonalreihe von der Gesamtheit der Werte der vertikalen Reihe ausdru ¨ckt. Die logische Unm¨oglichkeit des Auftretens der Diagonalzahl als Wert der Aufz¨ahlung geht damit zuru ¨ck auf die Verschiedenheit der unendlichen Diagonalreihe von der Gesamtheit der unendlichen vertikalen Reihe. Dass die Annahme, die Verschiedenheit jeder einzelnen Entwicklung der Diagonalzahl von bestimmten endlichen Entwicklungen der Aufz¨ahlung impliziere die Verschiedenheit der unendlichen Diagonalreihe von allen Werten der unendlich langen Aufz¨ahlung, nicht zwingend ist, hat die Diskussion um Unendlichkeitsmaschinen und Super-Aufgaben gezeigt. Der Vergleich mit der Ross-Paradoxie hat insbesondere darauf aufmerksam gemacht, dass der Wittgensteinsche Schluss von der Gleichheit jedes einzelnen Elementes der Diagonalfolge mit einem Element der Aufz¨ahlung auch zu der Schlussfolgerung Anlass geben kann, die unendliche Diagonalfolge sei nicht von jedem Element der Aufz¨ahlung verschieden. So k¨onnte man aus der Wittgensteinschen Perspektive in Anlehnung
3.2 Das Diagonalverfahren als Paradoxie
83
an die Cantorsche Definition der Gleichheit zweier reeller Zahlen alternativ vorschlagen, eine reelle Zahl D sei nur dann von allen Werten einer unendlichen Folge (Vn )n∈N verschieden, wenn es ein ε > 0 gibt, so dass fu ¨r jeden beliebigen (unendlich langen) Listeneintrag Vn gilt: |D − Vn | > ε. In diesem Fall ist D schon dann nicht von allen Werten der Folge (Vn ) verschieden, wenn es fu ¨r jedes ε > 0 einen Wert Vk der Folge gibt, so dass |D − Vk | < ε. Dies ist insbesondere dann gegeben, wenn jede endliche Entwicklung der Diagonalzahl zugleich Wert der Aufz¨ahlung ist (s. z. B. S. 55). Die Folgen (Dn ) und (Vn ) werden hier als mathematische Reihen interpretiert und auf Grundlage der Definition der Gleichheit reeller Zahlen miteinander verglichen. So k¨onnen zwei unendliche Reihen gleich sein, auch wenn die Differenz zwischen entsprechenden Reihengliedern |Dn −Vn | fu ¨r kein n ∈ N den Wert Null annimmt. Diese Auffassung liegt der mathematischen Lo¨sung der AchillesParadoxie zu Grunde. Achilles kann der Schildkr¨ote ruhigen Gewissens einen großzu ¨gigen Vorsprung lassen. Da die Folge seiner Positionen (Sn−1 )n∈N denselben Grenzwert hat wie die Folge (Sn )n∈N ihrer Positionen, holt er sie im Punkt limn→∞ Sn ein.17 Nun k¨onnte man einwenden, aus der Gleichheit der Grenzwerte folge nicht, dass die Elemente der beiden Folgen je denselben Wert annehmen. So ist gegen die mathematische L¨osung des Achilles eingewandt worden, dass der Grenzwert der Folge der Positionen der Wettstreitenden von der Folge der Positionen nur angen¨ahert, nicht aber erreicht werde, so dass Achilles zwar alle Positionen der Schildkro¨te durchla¨uft, aber nie mit ihr gleichauf ist.18 Insofern k¨onnte in Frage gestellt sein, ob die Gleichheit des Ausf¨ uhrliche mathematische L¨osungen finden sich in Peirce 1974: 6.177-6.182, Russell 1926: 49, Black 1951, Van Valen 1968, Lenzen 1974. Alper/Bridger 1997 diskutieren dar¨ uber hinaus die im Ergebnis abweichende L¨osung im Rahmen von Internal Set Theory (vgl. dazu McLaughlin/Miller 1992). 18 Jones (1946: 1946), Hinton/Martin (1953-54: 64f.), Gruender (1966: 113), Kaiser (1972: 47) erheben diesen Einwand aus mathematischer Sicht; Sainsbury (1988: 19) argumentiert, da eine mathematische Folge ihren Grenzwert nicht erreiche, ein physikalisches Intervall aber immer seine Endpunkte einschließe, sei die mathematische L¨osung der Achilles-Paradoxie unangemessen (¨ahnlich: Wisdom 1951-52; Owen 1957-58: 144ff; Ferber 1981: 35f.). Der Wettlauf zwischen Achilles und der Schildkr¨ote soll im Rahmen dieser Arbeit nur der Veranschaulichung des Verh¨altnisses zweier unendlicher Reihen ma¨ ¨ thematischer Werte dienen. Da Uberlegungen zur Ubertragbarkeit der mathematischen L¨osung auf die physikalische Realit¨at insofern irrelevant sind, sollen sie nicht diskutiert 17
84
3. Der Diagonalbeweis
Grenzwertes der Diagonalfolge mit dem Grenzwert der Reihe der Werte der Aufz¨ahlung impliziert, dass die Diagonalzahl nicht von der Gesamtheit der Werte der Aufz¨ahlung verschieden ist. Dieser Einwand ist insofern berechtigt, als er darauf aufmerksam macht, dass die Gleichheit der Grenzwerte der vertikalen und der diagonalen Reihe nicht impliziert, dass der Grenzwert der Diagonalfolge Element der Aufz¨ahlung ist. So ist es im Rahmen der Achilles-Paradoxie auch widerspru ¨chlich anzunehmen, Achilles u ¨berhole die Schildkr¨ote an einem Punkt Sk ∈ (Sn ), denn dann mu ¨sste Sk = limn→∞ Sn gelten. Die Schildkr¨ote mu ¨sste also beschlossen haben, bei Sk stehen zu bleiben. Da dies nach Voraussetzung nicht passiert und somit Sn 6= Sn+1 fu ¨r alle n ∈ N, kann es keinen Wert der Folge der Positionen des Achilles geben, zu dem er die Schildkro¨te u ¨berholt. Entsprechend kann auch im Fall des Diagonalverfahrens der Grenzwert der Diagonalfolge nicht Element der Aufz¨ahlung sein, da jeder n-te Wert der Aufza¨hlung an der n-ten Nachkommastelle von dem Grenzwert der Aufz¨ahlung abweicht. Auf der Grundlage der alternativen Definition der Verschiedenheit der Diagonalzahl von der Gesamtheit der Werte der vertikalen Reihe ist damit der Schluss von der Nicht-Verschiedenheit der unendlichen Reihen auf die Existenz eines mit der Diagonalzahl identischen Wertes innerhalb der Aufz¨ahlung nicht gu ¨ltig. Dies ist aber kein Einwand gegen die alternative Definition. Die Behauptung, jeder Wert der Diagonalfolge sei mit einem Wert der Aufz¨ahlung identisch, zudem sei D∞ = limn→∞ Vn , aber D∞ sei nicht Element der Folge (Vn )n∈N , ist nicht widerspru ¨chlich. Daraus, dass die Grenzwerte zweier Folgen identisch sind, folgt ja auch nicht, dass es ein Element der einen gibt, das mit einem der anderen identisch w¨are. Insofern macht der Einwand, Achilles erreiche die Schildkr¨ote nie, nur darauf aufmerksam, dass der Grenzwert einer unendlichen Folge im Allgemeinen mit keinem Element der eigenen Folge identisch ist. Die Folgerung, der Grenzwert einer Folge werde nicht erreicht, sondern nur angen¨ahert, ist dennoch mathematisch nicht haltbar. Der Grenzwert einer Folge ist zwar nicht Element der Folge und liegt insofern außerhalb, hat aber andererseits keine von ihr unabh¨angige Existenz. Vielmehr kann der Grenzwert der Folge mit der Gesamtheit der Folge identifiziert werwerden.
3.2 Das Diagonalverfahren als Paradoxie
85
den.19 Wann immer die Folge gegeben ist, ist mit ihr zugleich auch ihr Grenzwert gegeben. Insofern ist die Feststellung, Achilles durchlaufe alle Positionen der Folge (Sk ), ¨aquivalent zu der Behauptung, Achilles erreiche die Schildkr¨ote. Es ist unm¨oglich, dass Achilles den Grenzwert der Punkte der Folge limn→∞ Sn nicht erreicht, wenn er alle Punkte der Folge (Sn )n∈N durchl¨auft (Chihara 1965: 78f; Alper/Bridger 1997: 145f.). Nun scheint im Fall der unendlichen Folgen, die im Diagonalbeweis betrachtet werden, in gewisser Hinsicht doch eine Unterscheidung zwischen den betrachteten Folgen und der durch sie definierten Grenzwerte angebracht. So liegt es nahe, im folgenden Beispiel zu behaupten, die Folge der Diagonalzahlentwicklungen sei von der Folge der Glieder der Aufz¨ahlung verschieden, ihre Grenzwerte seien aber identisch: 1 2 3
Aufz¨ahlung 0, 45555555... 0, 54555555... 0, 55455555...
n
(5/9 − 10−n )
−→ −→ −→ ...
Diagonalreihe 0, 50000000... 0, 55000000... 0, 55500000... (
...
Pn i=1
5 · 10i )
P Hier ist limn→∞ 5/9−10−n = limn→∞ ni=1 5·10i obwohl es fu Wert ¨r keinen Pm Pm −k i −k 5/9 − 10 einen Wert i=1 5 · 10 gibt, so dass 5/9 − 10 = i=1 5 · 10i . In der Tat ist dies die Betrachtungsweise, die dem Cantorschen Diagonalbeweis zu Grunde liegt. Die Beobachtung, dass limn→∞ Vn = limn→∞ Dn stellt keine Widerlegung des Cantorschen Schlusses dar, weil die Aufz¨ahlung nicht als Folge, die u. U. selbst eine reelle Zahl darstellt, betrachtet wird. Dass Cantor die Gleichheit bzw. Verschiedenheit der Diagonalzahl von den Werten der Aufz¨ahlung nicht auf den Begriff der Gleichheit bzw. Verschiedenheit zweier durch ihre Folgen definierter Zahlen zuru ¨ckfu ¨hrt, heißt aber nicht, dass eine solche alternative Definition Cantor (1883: 187) betrachtete es sogar als Kardinalpunkt seiner Herleitung, dass er reelle Zahlen als Eigenschaften der sie konstituierenden Folgen auffasste, ohne ihre Existenz als außerhalb der Folge liegende Grenzwerte zu pr¨asupponieren (s. o. 1.2, S. 21). Auch in der modernen Literatur ist es nicht un¨ ublich, die durch eine Fundamentalfolge definierte reelle Zahl mit der Folge selbst zu identifizieren. So betonen z. B Alper und Bridger (1997: 156ff.) den Aspekt der direkten Korrespondenz einer reellen Zahl mit der sie erzeugenden unendlichen Reihe, indem sie reelle Zahlen als Familien rationaler Intervalle konstruieren, ohne auf den Begriff des Grenzwertes zur¨ uckgreifen zu m¨ ussen. Die Gleichheit der Grenzwerte zweier Folgen impliziert, dass die entsprechenden Folgen gleich“ (im neubestimmten Sinne des Wortes) sind. ” 19
86
3. Der Diagonalbeweis
des Begriffs der Gleichheit bzw. Verschiedenheit einer reellen Zahl wie der Diagonalzahl von den Gliedern einer unendlichen Folge wie der Folge der Werte der Aufz¨ahlung prinzipiell unm¨oglich oder widerspru ¨chlich w¨are. Vielmehr stehen sich hier zwei unterschiedliche Auffassungen dessen, was es bedeutet, dass eine Zahl von unendlich vielen anderen ‘verschieden’ ist, gegenu ¨ber. Die Cantorsche Auffassung fu ¨hrt die ‘Verschiedenheit einer Zahl von unendlich vielen anderen’ darauf zuru ¨ck, dass die Differenz zu jedem beliebigen Wert ungleich Null ist: ∀n ∈ N (D∞ 6= Vn ) ←→
∀n ∈ N ∃ ε > 0 (|D∞ − Vn | > ε)
Der alternative Vorschlag orientiert sich an der Definition der Gleichheit reeller Zahlen und betrachtet eine Zahl als von der Gesamtheit einer unendlichen Folge von Zahlen verschieden, wenn die Abweichung nicht beliebig klein wird: ∀n ∈ N (D∞ 6= Vn ) ←→ ∃ ε > 0 ∀n ∈ N (|D∞ − Vn | > ε) In dem einen Fall wird vorausgesetzt, die Verschiedenheit der Folgen ergebe sich durch die Verschiedenheit der Folgeglieder, im anderen wird angenommen, die Gleichheit zweier Folgen ergebe sich durch Gleichheit der Grenzwerte. Fu ¨r endliche Mengen von reellen Zahlen sind die Definitionen ¨aquivalent. Wenn jeder der Werte V1 ...Vk um ε1 ....εk von einer reellen Zahl D abweicht, ist fu ¨r alle V1 ...Vk die Differenz zu D gr¨oßer als das kleinste der ε1 ....εk – und umgekehrt. Damit sind beide Definitionen m¨ogliche Erweiterungen von Cantors Definition der Verschiedenheit endlich vieler reeller Zahlen auf den Fall des Vergleichs einer reellen Zahl mit unendlich vielen anderen. Dass die Definitionen in Bezug auf den Vergleich mit unendlich vielen reellen Zahlen zu unterschiedlichen Ergebnissen fu ¨hren, deutet nicht auf die begriffliche Widerspru ¨chlichkeit einer der Bestimmungen hin. Die alternative Definition wird durch den Einwand, es gebe keinen einzigen Wert, fu ¨r den die Differenz mit der Diagonalzahl den Wert Null annimmt, genausowenig getroffen, wie die Cantorsche Annahme, alle Werte der Aufz¨ahlung seien von der Diagonalzahl verschieden, durch die Tatsache beru ¨hrt wird, dass kein noch so kleiner Wert ε der maximalen Abweichung aller Werte von der Diagonalzahl gefunden werden kann.
3.3 Das Diagonalverfahren als Begriffsbestimmung (§§ 10-15)
87
Diese zwei kontr¨aren Erweiterungen des Begriffs des Verschiedenheit stehen in Parallele zu den Schlu ¨ssen, die die Gegner aus § 9 aus dem Diagonalverfahren ziehen (vgl. S. 58). Setzt man die Cantorsche Definition der Verschiedenheit einer Zahl von allen Elementen einer unendlichen Menge voraus, so folgt tats¨achlich aus dem Verfahren der Erzeugung der Diagonalzahl, dass es kein Element der Aufz¨ahlung geben kann, das mit der Diagonalzahl identisch ist. Auf der Grundlage der alternativen Definition wu ¨rde man dagegen zu dem Ergebnis kommen, dass die Diagonalzahl in Einzelf¨allen – insbesondere in den F¨allen, in denen jede endliche Entwicklung der Diagonalzahl Element der Aufz¨ahlung ist – nicht von allen Werten der Aufz¨ahlung verschieden ist. Die alternative Definition stu ¨tzt damit die Wittgensteinsche Sicht des Diagonalverfahrens. Vor dem Hintergrund dieser zwei m¨oglichen Bestimmungen kann nun zwischen der Wittgensteinschen und der Cantorschen Sicht entschieden werden. Legt man die Cantorsche Definition zu Grunde, kann die Diagonalzahl einer Aufza¨hlung nicht Element der Aufza¨hlung sein. Auf der Grundlage der alternativen Definition kommt man dagegen mit Wittgenstein zu dem Ergebnis, im Fall der Existenz einer Teilfolge der Aufza¨hlung, die gegen die Diagonalzahl konvergiert, gebe es immer einen Wert der mit der Diagonalzahl identisch ist. So lassen sich die unterschiedlichen Sichtweisen des Diagonalverfahrens ¨ aus § 9 auf unterschiedliche Bestimmungen des Prinzips des Ubergangs vom Vergleich endlich vieler zum Vergleich unendlich vieler reeller Zahlen, zwei ‘Immer’-Prinzipien, zuru ¨ckfu ¨hren, u ¨ber deren Berechtigung auf der Grundlage des Diagonalverfahrens nicht entschieden werden kann. Da beide Definitionen m¨ogliche Erweiterungen der Definition der Verschiedenheit reeller Zahlen auf unendliche Mengen von Zahlen darstellen, sind beide Ansichten aus § 9 mit den Bestimmungen des Diagonalverfahrens vereinbar.
3.3
Das Diagonalverfahren als Begriffsbestimmung
Wittgenstein schließt sich in § 11 mit seiner L¨osung der Paradoxie aus § 9 dem Ergebnis aus 3.2 an. Wie ich im Folgenden aufzeigen werde, verdeutlicht er auf anschauliche und weniger mathematische Weise, dass keine der kontra¨ren Auffassungen eine Folgerung aus dem Diagonalverfahren ist. Vielmehr stehen sich unterschiedliche Interpretationen ein- und des-
88
3. Der Diagonalbeweis
selben Sachverhalts gegenu ¨ber, die auf Grundlage des Diagonalverfahrens gleichermaßen berechtigt sind. In § 10 zieht Wittgenstein aus dieser Beobachtung die Konsequenz, dass das Diagonalargument nicht die Unabz¨ahlbarkeit der reellen Zahlen beweist, sondern unter Festlegung auf eine der m¨oglichen Interpretationen des Diagonalverfahrens den Begriff der Unabz¨ahlbarkeit u ¨berhaupt erst bestimmt. Dass diese Festlegung den Anschein eines Beweises macht, geht, wie in § 14 gezeigt wird, darauf zuru ¨ck, dass das Diagonalverfahren mit einem vagen Begriff der unendlichen Folge operiert. Wie Wittgenstein in §§ 12-15 argumentiert, kommt dem Diagonalverfahren aber auch als Begriffsbestimmung keine mathematische Relevanz zu. 3.3.1
Andeutungen und Abbildungen (§ 11)
Wer wie Wittgensteins Gegner in § 9 davon u ¨berzeugt ist, die Regel reiche doch schon ins Unendliche, hat ein bestimmtes Bild der Diagonalmethode vor Augen, dem Wittgenstein ein anderes Bild gegenu ¨berstellt. Die Bilder in § 11 entsprechen dabei den Redeweisen“ in § 9. Das erste Bild ” Abb. 1: Das Bild der n-ten Entwicklung der Diagonalzahl (s. o. S. 52) b) nach Wittgenstein a) nach Cantor 1 1
2
...
3
l
l
2
l
3
l
n-2 n-1 n
1
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1
...
2
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2
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3
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l
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. . .
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n-2
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n-1
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n-te horizontale Reihe
n
...
n+1
...
n-te diagonale Reihe
. . . n+x
-
-
. . .
. . .
. . .
. . .
l
...
. . .
. . .
l
l
l
ll
. . .
. . .
. . .
...
n+x-te horizontale Reihe
illustriert die Auffassung des Gegners, der hervorheben m¨ochte, dass die diagonale Reihe die beiden anderen Reihen stets begleitet, dass es also fu ¨r jede n-te Zeile der Entwicklung der vertikalen Reihe eine Entwicklung der Diagonalreihe gibt (die n-te), die die Zeile schneidet. Das zweite Bild dagegen soll aufzeigen, dass die Diagonalreihe zwar mit der horizontalen gleichauf ist, aber der vertikalen immer hinterherl¨auft. Es verdeutlicht die
3.3 Das Diagonalverfahren als Begriffsbestimmung (§§ 10-15)
89
von Wittgenstein in § 9 vertretene Auffassung, dass es fu ¨r jede n-te Entwicklung der Diagonalzahl eine Entwicklung (die n + x-te) der vertikalen Reihe gibt, die mit ihr identisch ist. Anders als die zwei Zeichnungen aus Abb. 1, die einen einzigen Schritt innerhalb des Diagonalverfahrens darstellen, ist jede dieser Zeichnungen Wittgenstein zufolge keine Abbildung, sondern nur die Andeutung der ” Unendlichkeit“ (§ 11). Die beiden Zeichnungen aus Abb. 1 veranschaulichen, dass eine bestimmte – die n-te – Diagonalreihenentwicklung eine bestimmte horizontale Reihe (die n-te) an einer bestimmten (der n-ten) Stelle trifft. Die zweite Zeichnung gibt daru ¨ber hinaus eine weitere Reihe n + x an, diejenige horizontale Reihe, die mit Dn identisch ist. Zur Beschreibung des Diagonalverfahrens w¨are eine unendliche Folge solcher Bilder, wie in Abb. 2 skizziert, notwendig, deren Verlauf in § 11 Abb. 2: Folge der Bilder endlicher Entwicklungen der Diagonalzahl a) Cantorsche Version Z
c
Z Z
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c c
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l
c
l
...
l
c
l
l
b) Wittgensteinsche Version Z
c
Z Z
Z
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c c
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...
l
l
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durch die Pfeile bzw. die Bemerkung ad.inf “ angedeutet wird. ” Die Zeichnungen in § 11 k¨onnten nun als Versuch, eine solche unendliche Folge von Bildern in ein einziges Bild zu projizieren, angesehen werden. W¨ahrend aber in Abb. 1 jede Linie als Projektion einer bestimmten Reihe des Diagonalverfahrens gelesen werden kann, ist es unm¨oglich, die unendliche Folge der Bilder auf ¨ahnliche Weise in einer Zeichnung wiederzugeben – dazu fehlt nicht nur das Papier wie in Abb. 2. Bilder sind r¨aumlich begrenzt und daher notwendigerweise endlich. Ein ins Unendliche ausgedehntes Bild, wa¨re kein Bild mehr, da man es nie als Ganzes erfassen k¨onnte. Man k¨onnte sich noch so weit von ihm entfernen, um es zu betrachten, es wu ¨rde immer nur aus Details bestehen. Dagegen ist es natu ¨rlich m¨oglich, eine unendliche Folge von Bildern in
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3. Der Diagonalbeweis
einem Bild darzustellen, wie in den beiden Zeichnungen in § 11. Dafu ¨r ist es aber notwendig, die unendliche Folge symbolisch zu u ¨bersetzen, wie in § 11 durch die Pfeile (→, ↓, &) und die Bemerkung ad.inf.“. ” Wenn eine unendliche Folge von Bildern in ein endliches Zeichen transformiert wird, ist es nicht mehr m¨oglich, die Teile der Zeichnung mit den Teilen dessen, was sie darstellen sollen, zu korrelieren. So repr¨asentieren ¨ die Symbole in den Zeichnungen in § 11 nicht den Ubergang von einem bestimmten Dn zu Dn+1 , sondern von jedem von unendlich vielen Dn zu ihren Nachfolgern Dn+1 . Es gibt zwar eine Projektionsvorschrift, die jedes einzelne der Bilder der Folge aus Abb. 2 auf eins der Bilder aus § 11 abbildet. Dagegen gibt es aber keine Vorschrift, die jedes der Bilder der Folge aus Abb. 2 zugleich auf die entsprechende Zeichnung in § 11 abbildet, denn dazu mu ¨sste jedem der Bilder der Folge ein anderes Zeichen entsprechen. Eine solche Projektion kann es nicht geben, weil es technisch unmo¨glich ist, unendlich viele Gegensta¨nde, wie klein sie auch sein mo¨gen, auf endlichem Raum anzuordnen. So versuchen die Zeichnungen in § 11 gar nicht erst, jedem einzelnen Schritt ein anderes Zeichen zuzuordnen. Folglich erheben sie auch nicht den Anspruch, die unendliche Folge der Schritte im Diagonalverfahren abzubilden. Vielmehr soll das Prinzip der Entwicklung der Diagonalreihe, das jedem der Schritte zu Grunde liegt, dargestellt und so der Verlauf der unendlichen Folge der Bilder angedeutet werden. Es handelt sich hier einfach um eine ganz andere Art der Darstellung als in Abb. 1. Die Unendlichkeit kann nun einmal nicht abgebildet, sondern eben nur angedeutet werden. Die Darstellungsformen der Abbildung und der Andeutung unterscheiden sich vor allem im Verh¨altnis zum dargestellten Objekt. Abbildungen k¨onnen das Verh¨altnis der abgebildeten Gegenst¨ande zueinander korrekt oder inkorrekt wiedergeben. Ob die Beziehungen der Reihen Dn , Hn , Vn , Hn+x und Vn+x in Abb. 1 durch die r¨aumliche Beziehung der Linien zueinander korrekt dargestellt ist, l¨asst sich einfach an der Projektionsmethode u ¨berpru ¨fen. Dazu muss festgelegt sein, wie die mathematischen Reihen symbolisch zu u ¨bersetzen sind und wie ihr Verh¨altnis zueinander durch die Anordnung der Symbole zu veranschaulichen ist. Entsprechend gibt es auch eine Projektionsvorschrift, die jedes einzelne der Bilder der Folge aus Abb. 2 auf eins der Bilder aus § 11 abbildet. So kann verifiziert werden, dass beide Zeichnungen in § 11 das Verha¨ltnis einer beliebigen Entwicklung der Diagonalreihe zu den Entwicklungen der Reihen der Aufz¨ahlung
3.3 Das Diagonalverfahren als Begriffsbestimmung (§§ 10-15)
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korrekt wiedergeben. Dagegen gibt es keine Vorschrift, die jedes einzelne Bild und damit jeden einzelnen Schritt im Diagonalverfahren zugleich abbildet und anhand derer festgestellt werden k¨onnte, ob dieses eine Bild die unendliche Folge der endlichen Bilder und der durch sie abgebildeten Schritte im Diagonalverfahren korrekt wiedergibt. Folglich gibt es kein Kriterium dafu ¨r, ob die Zeichnungen in § 11 die unendliche Folge der Bilder korrekt abbilden. Das Verh¨altnis der Zeichnungen in § 11 zu der unendlichen Folge der Bilder ist eben nicht das der Abbildung, sondern das der Andeutung. Die verschiedenen Bilder in § 11 stehen fu ¨r die kontr¨aren Auffassungen aus § 9: Hier haben wir eben unterschiedliche Bilder; und ihnen entsprechen ver” schiedene Redeweisen. (BGM II, 11)“
So wie die Zeichnungen in § 11 nur jedes einzelne, nicht aber die unendliche Folge der Bilder aus Abb. 2 abbilden ko¨nnen, bestimmt das Verfahren der Erzeugung der Diagonalreihe nur das Verh¨altnis der endlichen Entwicklungen der Reihen zueinander – und das fu ¨r jede beliebige endliche Entwicklung dieser Reihen –, kann aber keine Aussagen u ¨ber das Verh¨altnis der unendlichen Reihen zueinander machen. So wie jede Zeichnung nur eine Andeutung der Unendlichkeit“ sein kann, sind die Auffassungen, die ” sich in § 9 gegenu ¨berstehen, nur Redeweisen, Wortausdru ¨cke, von denen in § 7 gesagt wurde: Der Wortausdruck wirft nur einen matten allgemei” nen Schein auf die Rechnung: die Rechnung aber ein grelles Licht auf den Wortausdruck.“ Folglich gilt auch hier wieder: Willst du wissen, was der ” Wortausdruck bedeutet, so schau auf die Rechnung“ (§ 7). In § 9 wurde gezeigt, dass die Rechnung, d. h. das Diagonalverfahren, sowohl die Cantorsche Auffassung, die in der ersten Zeichnung von § 11 veranschaulicht wird, als auch die Wittgensteinsche Auffassung, die in der zweiten Zeichnung illustriert wird, stu ¨tzt: Fu ¨r jede n-te Entwicklung der Diagonalzahl Dn ist bestimmt, dass sie von den ersten n Werten der Aufz¨ahlung verschieden ist; zugleich kann es stets eine horizontale Reihe Vk mit k > n geben, die mit Dn identisch ist. Beide Interpretationen geben das Verhalten der endlichen Reihen korrekt wieder. Streitpunkt blieb, ob es auch fu ¨r den Grenzwert limn→∞ Dn noch horizontale Reihen geben kann, fu ¨r die nicht bestimmt ist, ob sie von dieser ins Unendliche entwickelten Diagonalreihe verschieden sind. Auf diesen Streit antwortet Wittgenstein mit einer rhetorischen Frage:
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3. Der Diagonalbeweis Da meine Zeichnung ja doch nur die Andeutung der Unendlichkeit ist, warum ” muß ich sie so zeichnen: [...] und nicht so: [...]”.
Das Diagonalverfahren kann die Frage, welche der Auffassungen aus § 9 die richtige ist, nicht beantworten. Der Schluss von dem Verhalten jedes ” beliebigen“ Elementes einer Folge auf das aller“ Werte der Folge geht auf ” unsere Interpretation, nicht auf das Cantorsche Diagonalverfahren zuru ¨ck. So wie die Projektionsvorschrift, die jedes einzelne der Bilder aus Abb. 2 ¨ auf eine der Zeichnungen in § 11 abbildet, keine Ubersetzungsvorschrift vorgibt, anhand derer die Korrektheit der Zeichnungen in § 11 als Abbildungen der unendlichen Folge der Bilder u ¨berpru ¨ft werden k¨onnte, ist durch die Methode der Erzeugung der Diagonalreihe nur das Verh¨altnis der endlichen Reihen zueinander festgelegt, nicht aber das Verh¨altnis der unendlichen Reihen zueinander. Auf die Frage, warum das Cantorsche Bild eine korrekte Wiedergabe der Funktionsweise des Diagonalverfahrens sein soll, w¨ahrend das Wittgensteinsche Bild falsch sein soll, gibt das Diagonalverfahren keine Antwort. Das Verh¨altnis der unendlichen Reihen zueinander wird durch das Diagonalverfahren nur angedeutet. Die Methode der Erzeugung der Diagonalzahl legt das Diagonalverfahren nicht auf eins der Bilder fest. Beide bilden das Diagonalverfahren korrekt ab – sofern sie es u ¨berhaupt abbilden. In § 9 stehen sich damit nicht zwei unterschiedliche Beweise gegenu ¨ber, sondern zwei Bilder, zwei Deutungen, die ein und dasselbe Verfahren unter verschiedenen Perspektiven betrachten. Der Widerspruch zwischen den beiden Auffassungen weist aber nicht auf einen Fehler in der Anwendung des Diagonalverfahrens hin. Bilder sind eben nur Vorstellungen. Sie entspringen der Phantasie“ (§ 11) und nicht der Rechnung. So folgt weder ” die Auffassung, die Diagonalzahl sei von allen Zahlen der Liste verschieden, noch die Ansicht, die Diagonalreihe hinke der Liste stets hinterher, aus der Diagonalmethode selbst. 3.3.2
Was folgt aus dem ‘Beweis’ ? (§§ 10, 14)
In § 10 zieht Wittgenstein nun die Konsequenzen aus der Beobachtung, dass die Behauptung, die Diagonalzahl k¨onne nicht von allen Elementen der Aufza¨hlung verschieden sein, vor dem Hintergrund des Diagonalverfahrens genauso berechtigt ist wie die Annahme, die Diagonalzahl mu ¨sse
3.3 Das Diagonalverfahren als Begriffsbestimmung (§§ 10-15)
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von allen Werten der Aufz¨ahlung verschieden sein: Es heißt nichts zu sagen: Also sind die X-Zahlen nicht abz¨ahlbar“. ” ”
Die Behauptung, die betrachtete Zahlenmenge (die X-Zahlen“) sei un” abz¨ahlbar, ist keine Folgerung aus dem Diagonalverfahren, sondern Ausdruck der Festlegung auf eines der m¨oglichen Bilder aus § 11 bzw. eine der m¨oglichen Definitionen des Vergleichs unendlicher Folgen (vgl. 3.2.3.2). Wer sagt, dass die Diagonalzahl der Aufz¨ahlung der X-Zahlen nicht auch unter den Zahlbegriff X fallen kann, bekennt sich zur Cantorschen Sicht des Diagonalverfahrens, derzufolge eine reelle Zahl von einer unendlichen Folge von Zahlen dann als verschieden gelten soll, wenn es fu ¨r jeden Wert der Folge eine Entwicklung der Diagonalzahl gibt, die nicht mit der Zahl identisch ist, und legt diese als allein gu ¨ltige fest: Den Zahlbegriff nenne ich unabz¨ahlbar, wenn festgesetzt ist, daß, welche der ” unter ihn fallenden Zahlen immer du in eine Reihe bringst, die Diagonalzahl dieser Reihe auch unter ihn fallen solle.“ (§ 10)
Das Diagonalverfahren beweist also nicht, dass die reellen Zahlen unabz¨ahlbar sind, sondern legt fest, wann eine Menge von Zahlen, ein Zahl” begriff X“, unabz¨ahlbar genannt werden soll. Damit wird der angebliche Beweis der Unabz¨ahlbarkeit zu einer Begriffsbestimmung. Diese Begriffsbestimmung setzt nicht nur eine bestimmte Auffassung des Diagonalverfahrens voraus, sondern daru ¨ber hinaus, dass festgesetzt ” ist, dass [...] die Diagonalzahl [...] auch unter [den Zahlbegriff X] fallen soll“ (§ 10). In die Bestimmung des Begriffs der Unabz¨ahlbarkeit gehen hier indirekt die Ergebnisse der §§ 1-8 ein (s. o. Kap. 2). Fu ¨r den Nachweis, dass die Diagonalzahl unter den Zahlbegriff X f¨allt, kann, wie § 1 und § 2 zeigen, nicht wieder auf das Diagonalverfahren zuru ¨ckgegriffen werden. § 3 macht in Verbindung mit § 7 darauf aufmerksam, dass jeder Versuch zu beweisen, dass die Diagonalzahl unter den Zahlbegriff X f¨allt, fehlschlagen muss, da die Diagonalzahl keinen Ansatzpunkt fu ¨r die Operationen der X-Zahlen bietet. Die Behauptung, die Diagonalzahl falle unter den Zahlbegriff X kann nur durch eine Festsetzung gerechtfertigt werden, wie sie fu ¨r reelle Zahlen durch das Vollst¨andigkeitsaxiom geleistet wird. Inhaltlich knu ¨pft § 10 somit nicht nur an die Diskussion des Einwandes aus § 9, sondern mittelbar auch an das Ergebnis der Erkenntnisse der §§ 1-8 an. Die Festsetzung einer Menge als u ¨berabza¨hlbar geht auf die Festsetzung eines beliebigen unendlichen Dezimalbruchs als reelle Zahl
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3. Der Diagonalbeweis
zuru ¨ck. Systematisch steht § 10 in Parallele zu § 8, der die Diskussion der ersten 7 Abschnitte zusammenfasst. So wie § 8 auf der Beobachtung in § 7, dass die Annahme, die Diagonalzahl sei eine Zahl, auf einem Sprachmissverst¨andnis beruht, aufbaut und schließt, die scheinbare Folgerung sei nur die Festsetzung eines bestimmten Sprachgebrauchs, antwortet § 10 auf § 11. Die Verwechslung von Rechnung und Bild fu ¨hrt zu der verfehlten Annahme, die Diagonalzahl sei aufgrund des Verfahrens ihrer Generierung von allen Werten des betrachteten Zahlbegriffs verschieden. Ersetzt man das Bild durch die Rechnung, wird der Fehlschluss auch zur Festsetzung eines bestimmten Sprachgebrauchs. So wie das Diagonalverfahren nicht nachweisen kann, dass die Diagonalzahl eine Zahl ist, kann das Diagonalargument das Versprechen nicht einl¨osen, zu beweisen, dass die Diagonalzahl von allen Werten der betrachteten Reihe verschieden ist. Dass wir dennoch geneigt sind, das Diagonalverfahren als Demonstra” tion“ der Unabza¨hlbarkeit zu betrachten, liegt an der Vagheit des Begriffs der unendlichen Folge: Das Verfahren f¨ uhrt etwas vor, – was man auf sehr vage Weise die De” monstration davon nennen kann, daß sich diese Rechnungsmethoden nicht in eine Reihe ordnen lassen. Und die Bedeutung des ‘diese’ ist hier eben vag gehalten.“(BGM II, 14)
§ 14 schl¨agt hier die Bru ¨cke zwischen § 3ff und § 16ff, dem zweiten und dem vierten Kapitel dieser Arbeit. Die Ursache der kontr¨aren Auffassungen des Diagonalverfahrens und der damit verbundenen Vagheit der Demonstra” tion“ verortet § 14 in der Bedeutung des Demonstrativpronomens diese“ ” im Ausdruck diese Rechnungsmethoden“ und verweist damit auf §§ 3ff. ” In § 3 bezeichnet Wittgenstein das Diagonalverfahren als eine Methode ” des Kalkulierens“ und l¨asst sich darauf ein, das Resultat einer solchen Methode, d. h. die unendliche Diagonalfolge, mit der Rechenmethode, durch die sie erzeugt wird, zu identifizieren. Allgemeiner fasst § 4 dann jede der im Diagonalverfahren beteiligten unendlichen Folgen als Methode des Kalkulierens: Ich vergleiche also Methoden des Kalkulierens“. Im Rahmen ” der Diskussion in Kapitel 2 zeigen § 4 und § 5, dass es problematisch sein kann, diese Methoden des Kalkulierens“ und mit ihnen die unendlichen ” Reihen, die sie repr¨asentieren, als Zahlen aufzufassen (vgl. 2.1.2). Vor dem Hintergrund der Diskussion um § 9 bekommen die §§ 4-8 einen ganz anderen Sinn.
3.3 Das Diagonalverfahren als Begriffsbestimmung (§§ 10-15)
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§§ 9 und 11 machen darauf aufmerksam, dass es nicht zwei Rechenmethoden sind, die im Diagonalverfahren verglichen werden, sondern drei: die unendliche Dezimalbruchdarstellung eines Wertes der Aufz¨ahlung (die horizontale Reihe), die Folge der Werte der Aufz¨ahlung (die vertikale Reihe) und natu ¨rlich die Folge der Entwicklungen der Diagonalzahl (die Diagonalreihe) (vgl. 3.1.1). Die Bemerkung in § 5, Wie vergleiche ich unendliche Reihen von Resultaten? Ja, da gibt es sehr ” Verschiedenes, was ich so nennen kann“,
macht unter dieser Perspektive nicht darauf aufmerksam, dass das Ergebnis des Vergleichs der Diagonalreihe mit einer bestimmten horizontalen Reihe relativ zur Entwicklung der Reihen ist, sondern darauf, dass es kein festgelegtes Verfahren des Vergleichs einer der Diagonalreihe mit unendlich vielen horizontalen Reihen gibt. Unter diesem Aspekt stu ¨tzt § 5 das Ergebnis aus Abschnitt 3.2.3.2 dieser Arbeit. Sofern es um den Vergleich der Diagonalzahl mit einem beliebigen spezifizierten Wert der Aufz¨ahlung geht, h¨angt das Ergebnis des Vergleichs davon ab, welche endlichen Entwicklungen der beiden Reihen betrachtet werden. Geht es aber um den Vergleich der Diagonalzahl mit der vertikalen Reihe, d. h. mit unendlich vielen unendlichen Reihen, h¨angt die Entscheidung u. a. davon ab, ob die vertikale Reihe als mathematische Folge betrachtet werden soll. Gesteht man der vertikalen Reihe denselben Status zu wie den horizontalen und der diagonalen Reihe, da ja auch sie Resultat einer Methode ist, so kann unter dem Vergleich der Diagonalreihe mit allen horizontalen Reihen auch der Vergleich mit der vertikalen Reihe als mathematische Reihe verstanden werden, auf die mit der alternativen Definition die Rechenregeln fu ¨r reelle Zahlen anwendbar w¨aren. Dann aber ist der Schluss des Diagonalverfahrens nicht gu ¨ltig (vgl. 3.2.3.2). Im Rahmen des Diagonalargumentes soll die vertikale Reihe folglich nicht als mathematische Reihe aufgefasst werden. Dies ist die Vagheit des Ausdrucks diese“: Einerseits soll es sich bei der vertikalen Reihe um ei” ne Folge von reellen Zahlen handeln, die mit der Diagonalreihe verglichen werden soll. Andererseits soll der Vergleich sich nicht auf die vertikale Reihe als mathematische Reihe beziehen. Die Rechenregeln fu ¨r reelle Zahlen sollen in dem Fall, dass die vertikale Reihe konvergiert, nicht anwendbar sein, da es ja eigentlich um den Vergleich mit den horizontalen Reihen gehen soll. So sollen zwar die Diagonalreihe und die horizontalen Reihen
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3. Der Diagonalbeweis
unter den Begriff der Rechnungsmethode“ fallen, nicht aber die vertikale ” Reihe. Unter dieser Perspektive bekommt auch das Ergebnis in § 8 eine neue Bedeutung. Dass das Diagonalverfahren eine Methode ist, wie du in einer ” Entwicklung allen diesen Entwicklungen ausweichen kannst“, heißt in diesem Zusammenhang, dass das Diagonalverfahren mathematisches Terrain verl¨asst, wenn es fu ¨r den Vergleich der Reihe aller Entwicklungen mit der Diagonalzahl nicht die mathematische Definition des Vergleichs unendlicher Reihen zu Grunde legt. So nennt Wittgenstein das Diagonalverfahren in § 14 ironisch etwas, was man auf sehr vage Weise eine Demonstration ” [...] nennen kann“. Das Verfahren fu ¨hrt etwas vor“, so wie der Zaube” rer im Zirkus etwas vorfu ¨hrt. Genausowenig wie die Demonstration des Verschwindens des Kaninchens beweist, dass das Kaninchen sich in Luft aufgel¨ost hat, beweist die Demonstration des Ausweichman¨overs, dass die Diagonalzahl von allen Werten der Aufz¨ahlung verschieden ist. Die Methode, den unendlich vielen Werten der vertikalen Reihe durch ein Mano¨ver, das der mathematischen Definition des Vergleichs unendlicher Reihen zuwiderl¨auft, auszuweichen, kann man mit § 8 so beschreiben: Also erzeugt sie eine Reihe, die von allen diesen verschieden ist.“ Aber, ” wie § 10 deutlich macht, heißt es in diesem Fall nichts, Also“ zu sagen. ” Die Verschiedenheit der Reihen folgt nicht aus dem Diagonalverfahren. Das Diagonalverfahren fu ¨hrt die Funktionsweise des Ausweichman¨overs, das der Festlegung des Begriffes der Unabz¨ahlbarkeit dient, nur zur Demonstration des Gebrauchs dieses Begriffes vor. 3.3.3
Die Berechtigung der Bilder (§§ 11, 15)
Damit ist die Frage, welche der widerspru ¨chlichen Ansichten des Diagonalverfahrens angemessen ist, noch nicht beantwortet. Keiner der Gegner wird sich damit zufrieden geben, zu h¨oren, dass beide Auffassungen auf Grundlage des Diagonalverfahrens gleichermaßen berechtigt sind (§ 11) und dass die jeweilige Auffassung des Diagonalverfahrens allenfalls zur Bestimmung des Begriffs der Verschiedenheit einer Zahl von unendlich vielen anderen dienen kann (§ 10). Den Gegnern aus § 9 kann es zur Verteidigung ihrer Position nicht um die puristische Reduktion des Diagonalbeweises auf die Folgerungen, die unmittelbar aus dem Diagonalverfahren ableitbar sind, gehen. Viel-
3.3 Das Diagonalverfahren als Begriffsbestimmung (§§ 10-15)
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¨ mehr m¨ochten sie Prinzipien finden, die den Ubergang von dem Verh¨altnis der endlichen Entwicklungen der Reihen des Diagonalverfahrens auf das Verh¨altnis der unendlichen Reihen rechtfertigen, so dass die Verschiedenheit bzw. Nicht-Verschiedenheit der Diagonalzahl von allen Werten der Aufz¨ahlung beweisbar wird. Ist geregelt, wie das Diagonalverfahren ins Unendliche reicht, d. h. welches Bild das Diagonalverfahren korrekt wiedergibt, wird das Wittgensteinsche Argument, das Diagonalargument sei kein Beweis, hinf¨allig. Den Gegnern, die an dem Diagonalargument als Beweis festhalten wollen, muss es um die Berechtigung der jeweiligen Bilder des Diagonalverfahrens gehen. Wie die Diskussion in 3.2 andeutet, wird der Streit um die Berechtigung der Bilder schnell zu einem Streit daru ¨ber, was es heißt, zu behaupten, die Regel des Diagonalverfahrens reicht [...] ins Unendliche“. Diesem Streit ” setzt Wittgenstein in § 11 ein Ende: Hier haben wir eben verschiedene Bilder; und ihnen entsprechen verschiede” ne Redeweisen. Aber kommt denn etwas N¨ utzliches dabei heraus, wenn wir u ¨ber ihre Berechtigung streiten? Das Wichtige muß doch wo anders liegen; wenn auch diese Bilder unsre Phantasie am st¨arksten erhitzen.“
Wenn die Kontrahenten sich u ¨ber die Berechtigung der verschiedenen Bilder in § 11 und der ihnen entsprechenden Interpretationen des Diagonalverfahrens aus § 9 streiten, streiten sie sich nicht u ¨ber das Diagonalverfahren – dessen Regeln sie ja beide korrekt anwenden –, sondern daru ¨ber, wie mit unendlichen Entit¨aten gerechnet werden soll. Dies aber ist keine Frage, die vor dem Hintergrund existenter Verfahren und Rechenregeln fu ¨r endliche Zahlen entschieden werden kann. Hier bedarf es der Festsetzung neuer Regeln. Natu ¨rlich kann man sich daru ¨ber streiten, welche Regeln sinnvollerweise festgesetzt werden sollten und argumentieren, dass in Analogie zum Endlichen dieses oder jenes Verfahren einem anderen, ebenso mo¨glichen vorzuziehen sei. Aber es ist eben nur unsere Phantasie, die hier Parallelen zieht. So ko¨nnen sich die Gegner zur Rechtfertigung ihrer Ansichten letztlich nur auf ihre Vorstellungskraft berufen. Da es keine mathematische Regel, kein mathematisches Axiom gibt, das unserer Phantasie Grenzen setzen k¨onnte, kann Wittgenstein zufolge nichts Nu ¨tzliches“ dabei herauskommen, diesen Streit fortzusetzen. ” Die Gegner k¨onnen noch so lange diskutieren; da sie von gegens¨atzlichen
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3. Der Diagonalbeweis
Annahmen u ¨ber das Verh¨altnis der unendlichen Folgen ausgehen, von denen sie nicht abzuru ¨cken bereit sind, werden sich ihre Ansichten auch am Ende immer noch diametral gegenu ¨berstehen. Da beide Sichtweisen mit dem Diagonalverfahren vertr¨aglich sind, gibt es keinen fu ¨r beide Parteien einsichtigen Grund, warum das eine Bild dem anderen vorgezogen werden sollte, und damit auch keinen Grund, warum der Streit je ein Ende nehmen sollte – es sei denn, es wird einfach eine der Ansichten als richtig festgelegt und damit die andere verworfen. Da die verschiedenen Redeweisen oder Bilder, mit denen wir versuchen, die Aussage des Diagonalverfahrens begrifflich zu fassen, uns der Bedeutung der Rechnung nicht n¨aher bringen, ist der Streit u ¨ber die Berechtigung der Bilder kein Streit u ¨ber die Bedeutung des Diagonalverfahrens. Es ist zwar ein interessantes Sprachnetz, das die Gegner gefangen hat (§ 15), aber es ist eben nur ein Sprachnetz. Deswegen geht Wittgenstein auch auf den Einwand seines Gegners in § 9 nicht mehr ein. Natu ¨rlich k¨onnten die Opponenten aus § 9 einander immer und immer wieder Argumente fu ¨r die eigene Auffassung entgegenhalten – der mathematischen Berechtigung des Diagonalverfahrens kommen sie dabei nicht n¨aher. § 11 fordert nun, dem Streit u ¨ber die richtige Interpretation keine weitere Beachtung zu schenken, und sich dem Wichtigen“, der Rechnung ” selbst, zuzuwenden, denn diese ist es, die Gegenstand der Auseinandersetzung sein sollte. Da die verschiedenen Bilder ihre Berechtigung nicht durch das mathematische Verfahren erhalten, sondern unserer Phantasie entspringen, sind sie insofern irrelevant. Nicht die Berechtigung der Bilder, sondern die des Cantorschen Diagonalbeweises steht in Frage. Soll dieser ein mathematischer Beweis sein, so muss er seine Berechtigung in den mathematischen Schlu ¨ssen haben und nicht in den Bildern des Diagonalverfahrens. 3.3.4
Der Nutzen des Diagonalargumentes (§§ 12-13)
In § 10 wurde aus der Erkenntnis, dass die Behauptung, die Diagonalzahl sei von allen Werten der Aufz¨ahlung verschieden, keine Folgerung aus dem Diagonalverfahren ist, geschlossen, dass das Diagonalargument kein Beweis ist, sondern nur der Festsetzung der Bedeutung des Wortes un” abz¨ahlbar“ dient. Folglich k¨onnte die Bedeutung des Diagonalargumentes
3.3 Das Diagonalverfahren als Begriffsbestimmung (§§ 10-15)
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u ¨ber die Relevanz des Begriffes der Unabz¨ahlbarkeit zu bestimmen sein. ¨ Dies ist eine Uberlegung, die an § 3 anknu ¨pft, demzufolge die Bedeutung eines mathematischen Begriffs u ¨ber ihren Nutzen zu bestimmen ist. Die Frage Wozu l¨aßt sich der Begriff ‘unabz¨ahlbar’ verwenden?“ (§ 12) ”
bleibt jedoch unbeantwortet. Die Verwendung eines Begriffes gibt nach § 3 die mathematische Umgebung an, in der er steht. Der Begriff der Unabz¨ahlbarkeit steht in genau einer mathematischen Umgebung, und zwar in der des Diagonalargumentes. Folglich ist sein Nutzen durch den des Diagonalargumentes bestimmt. So muss der Versuch, die Bedeutung des Diagonalargumentes auf die Bedeutung des Begriffs der Unabz¨ahlbarkeit zuru ¨ckzufu ¨hren, fehlschlagen. § 12 ist ein rhetorischer Kniff, der darauf aufmerksam macht, dass der mathematische Nutzen des Diagonalverfahrens nur in dem Verfahren selbst liegen kann. Es schafft sich selbst eine mathematische Umgebung, erkl¨art sich zum Selbstzweck, macht sich damit aber mathematisch bedeutungslos. Man kann das Verfahren zu nichts gebrauchen, außer vielleicht, um jemanden davon abzubringen zu versuchen, ‘alle Irrationalzah” len in eine Reihe zu bringen’“ (§ 13). Dieser Nutzen des Diagonalverfahrens ist aber nicht mathematischer, sondern allein psychologischer Natur, denn [m]an k¨onnte ihn aber durch ein andres Bild auch wieder zur Wei” terfu ¨hrung seines Unternehmens bringen“ (§ 13, in Parenthese). Wittgenstein treibt in § 13 die These der mathematischen Bedeutungslosigkeit des Diagonalargumentes auf die Spitze: Und mir kommt vor, das w¨are auch der ganze und eigentliche Zweck dieser ” Methode. Sie bedient sich des vagen Begriffes dieses Menschen, der gleichsam idiotisch drauflos arbeitet und bringt ihn durch ein Bild zur Ruhe.“ (§ 13)
Da das Diagonalargument diesem Menschen (von dem man ja auch nur einen vagen Begriff hat) demonstrieren soll, dass sich diese Rechnungs” methoden nicht in eine Reihe ordnen lassen“ (§ 14), kann man es auf sehr ” vage Weise“ eine Demonstration“ nennen. Diese Demonstration ist aber ” alles andere als ein mathematischer Beweis. Sie fu ¨hrt uns ein suggestives Bild vor, um auf unseren Umgang mit reellen Zahlen einzuwirken.
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3.4
3. Der Diagonalbeweis
Das Diagonalargument als Paradoxie
Die Behauptung, das Diagonalargument sei kein Beweis (§ 10) und damit mathematisch bedeutungslos (§ 12f.), beruht auf der Annahme, es gebe verschiedene m¨ogliche Interpretationen des Diagonalverfahrens. Jene These wiederum basiert auf der Pr¨amisse, die Entscheidung, ob die Diagonalzahl ein Element der Liste ist, h¨ange davon ab, ob sie von allen Werten der Aufz¨ahlung verschieden ist, und gehe folglich mittelbar auf die Definition der Verschiedenheit einer Zahl von einer Reihe von unendlich vielen Zahlen zuru ¨ck. Diese Annahme erh¨alt ihre Berechtigung allein durch die Wittgensteinsche Auffassung des Diagonalverfahrens als sukzessiven Prozess: Wenn jede endliche Entwicklung der Diagonalzahl die Fortsetzung der vertikalen Reihe um mehrere Stellen voraussetzt, dann ist der Schluss, die unendliche Diagonalreihe sei kein Element der Aufza¨hlung, nur dann gerechtfertigt, wenn es eine Methode gibt, festzustellen, dass die unendliche Diagonalreihe im Gegensatz zu all ihren endlichen Entwicklungen von allen Werten der Aufz¨ahlung verschieden ist und nicht, wie in der zweiten Zeichnung von § 11 angedeutet wird, unendlich viele Zahlen von der Diagonalzahl unberu ¨cksichtigt bleiben. Damit h¨angt die gesamte Argumentation der §§ 9-15 letztlich von der Auffassung des Diagonalverfahrens als sukzessiven Prozess ab. Ist es Wittgenstein ernst mit der Behauptung, das Wichtige mu ¨sse in der Rechnung und nicht in den Bildern des Diagonalverfahrens liegen (§ 11), muss er sich den Einwand gefallen lassen, dass auch die Auffassung des Diagonalverfahrens als sukzessiven Prozess auf ein bestimmtes Bild des Diagonalverfahrens zuru ¨ckgeht, das auf der Grundlage der Rechnung genauso unberechtigt ist wie die Zeichnungen, die Wittgenstein in § 11 betrachtet. So k¨onnte man mit dem Gegner aus § 9 (2. Lesart) (vgl. S. 59) argumentieren, die Frage, ob die Diagonalzahl von der Gesamtheit der Werte der Aufz¨ahlung verschieden ist, stelle sich gar nicht, denn die Diagonalzahl k¨onne schon aufgrund ihrer Definition nicht Element der Aufz¨ahlung sein. Die Rechnung“ des Diagonalverfahrens liegt dieser Ansicht zufolge ” allein in der Definition der Diagonalzahl D∞ als derjenigen reellen Zahl, deren n-te Nachkommastelle von der n-ten Nachkommastelle des n-ten Wertes der Abbildung f : N → R abweicht.
3.4 Das Diagonalargument als Paradoxie
101
Kern des Diagonalargumentes ist in dieser Hinsicht der Nachweis, dass die auf diese Weise definierte reelle Zahl nicht als Element in der Aufz¨ahlung auftreten kann. W¨are die Diagonalzahl n¨amlich Element der Aufz¨ahlung, g¨abe es ein k ∈ N , so dass f (k) = D∞ . Auf die Frage nach dem Wert der k-ten Nachkommastelle von D∞ erh¨alt man einen Widerspruch: als Diagonalzahl muss die k-te Stelle von D∞ ungleich der k-ten Stelle von f (k) sein; nach Voraussetzung ist aber D∞ = f (k). Folglich kann die Diagonalzahl nicht mit einem Wert der Aufz¨ahlung identisch sein. Das Bild der sukzessiven Entwicklung der Diagonalzahl verleitet zu der Annahme, die Frage, ob die Diagonalzahl Element der Aufz¨ahlung ist, mu ¨sse auf die Frage nach der Verschiedenheit der Diagonalzahl von den unendlich vielen Werten der Aufz¨ahlung zuru ¨ckgefu ¨hrt werden, w¨ahrend der Blick auf die Rechnung des Diagonalverfahrens zeigt, dass umgekehrt die Verschiedenheit der Diagonalzahl von allen Werten der Aufz¨ahlung aus der logischen Unm¨oglichkeit der Existenz eines Funktionswertes f (k) = D∞ folgt. Die folgenden Abschnitte werden zeigen, dass dieser Einwand zutreffend auf die Unabha¨ngigkeit des Diagonalargumentes von der sukzessiven Sicht des Diagonalverfahrens aufmerksam macht. Der Schluss, die Diagonalzahl einer gegebenen Aufza¨hlung sei nicht Element der Aufza¨hlung, ist aber nur unter Voraussetzung der Verschiedenheit der Diagonalzahl von allen Werten der betrachteten Menge gu ¨ltig und setzt insofern implizit die sukzessive Sicht voraus. 3.4.1
Die Struktur von Diagonalargumenten
Der Einwand gegen die sukzessive Sicht des Diagonalbeweises verweist auf die allgemeine Struktur von Diagonalargumenten, die von der Annahme der Abz¨ahlbarkeit der betrachteten Menge unabh¨angig ist. So kann beispielsweise mit Hilfe des Cantorschen Diagonalargumentes nicht nur gezeigt werden, dass die Menge aller Teilmengen der Menge der natu ¨rlichen Zahlen P (N) u ¨berabz¨ahlbar ist, sondern auch, dass die Menge aller Teilmengen dieser Menge P (P (N)) wieder gr¨oßer sein muss als P (N). Zum Nachweis, dass es keine Bijektion der Menge P (N) auf die Potenzmenge P (P (N)) gibt, kann nicht auf eine Aufza¨hlung der Elemente von P (N) zuru ¨ckgegriffen werden, da P (N) ja nicht abz¨ahlbar ist. Dass beiden
102
3. Der Diagonalbeweis
Beweisen dennoch dasselbe Argument zu Grunde liegt, wird z. B. in der Formulierung des Cantorschen Theorems bei Kuratowski und Mostowski (1976: 174) deutlich: Theorem 1: (On Diagonalization1 )) If the domain T of function F is ” contained in a set A and if the values of F are subsets of A, then the set Z = {t ∈ T : t ∈ / F (t)} is not a value of the function F. 1)
Theorem 1, one of the most important results in set theory, was proved by Cantor in [1887].“
Nach diesem Theorem gibt es zu jeder Abbildung F : A ⊇ T → P (A) eine Menge Z ∈ P (A), die nicht von der Abbildung F getroffen wird. Folglich gibt es keine bijektive Abbildung f : A → P (A) (vgl. Kuratowski/Mostowski 1976: 175). So wie aus der Sicht des Gegners direkt aus der Definition der Diagonalzahl einer beliebigen Aufza¨hlung reeller Zahlen folgt, dass sie nicht Element dieser Aufz¨ahlung ist, folgt im Beweis von Kuratowski und Mostowski direkt aus der Definition der Menge Z, dass sie nicht im Bild der betrachteten Funktion F liegt: From the definition of the set Z it follows that if t ∈ T , then ” [t ∈ Z] ≡ [t ∈ / F (t)]. Thus if F (t) = Z we obtain the contradiction: (t ∈ Z) ≡ (t ∈ / Z).“
(1976 : 74)
Fu ¨r die Gu ¨ltigkeit des Beweises ist es v¨ollig irrelevant, ob T ⊆ A abz¨ahlbar ist und aufgelistet werden kann oder nicht. So scheint in der Tat die Wittgensteinsche Betrachtung des Diagonalverfahrens als sukzessiven Prozess den Kern des Diagonalargumentes nicht zu beru ¨hren. Die Diagonalzahl ist von allen Elementen der Aufz¨ahlung verschieden, weil die Annahme, sie sei ein Wert der Abbildungsfunktion, in Widerspruch zu ihrer Definition steht. Dass sie nicht Wert der Aufza¨hlung ist, folgt nicht aus der Verschiedenheit von der unendlichen Reihe von Werten, sondern impliziert diese erst.
3.4 Das Diagonalargument als Paradoxie
3.4.2
103
Gute und schlechte Diagonalargumente
Cantors Diagonalargument bildet nicht nur die Basis fu ¨r mathematische Theoreme, sondern fu ¨hrt auch unmittelbar zu einer Vielzahl von zumindest scheinbar widerspru ¨chlichen Resultaten. Cantor selbst wird die Entdeckung zugeschrieben, dass auf Basis der Gu ¨ltigkeit des Diagonalargumentes die Annahme der Existenz einer Menge V aller Mengen widerspru ¨chlich ist.20 Dem Diagonalargument zufolge ist die M¨achtigkeit von V kleiner als die ihrer Potenzmenge P (V ); da P (V ) aber eine Teilmenge der Menge aller Mengen V ist, muss V gr¨oßer oder gleich P (V ) sein. Das ist ein Widerspruch. Die ganz a¨hnliche Antinomie der Ordinalzahl der Menge aller Ordinalzahlen, die einerseits gr¨oßer als jede Ordinalzahl sein muss, andererseits aber Element der Menge aller Ordinalzahlen ist, war bereits zwei Jahre zuvor von Burali-Forti (1897: 105-112) ver¨offentlicht worden.21 Wa¨hrend in diesen beiden Fa¨llen die Gu ¨ltigkeit des Diagonalargumentes nur insofern in Frage steht, als es dem Beweis der als gu ¨ltig angenommenen Sa¨tze zu Grunde liegt, macht sich Russell mit der Definition der Menge < aller Mengen, die sich selbst nicht als Element enthalten, das Diagonalargument direkt zunutze, um widerspru ¨chliche Folgerungen abzuleiten. Die Annahme < = {x : x ∈ / x} sei in sich selbst enthalten, ist genauso widerspru ¨chlich wie die Annahme, < sei nicht in sich selbst enthalten. Aus < ∈ < folgt n¨amlich, dass < zu denjenigen Mengen geh¨ort, die sich selbst nicht enthalten, also < ∈ / ’ mit den natu ¨rlichen Zahlen vergleichbar wie diese untereinander12 . Entsprechend sieht Shanker Wittgensteins Kritik am Cantorschen Diagonalbeweis darauf beschr¨ankt, zu betonen, dass die gr¨oßer-Relation in Bezug auf transfinite Kardinalzahlen eine andere ist als fu ¨r endliche Kardinalzahlen. Dass Cantors Diagonalbeweis die Existenz einer unendlichen Folge voneinander verschiedener Kardinalzahlen unendlicher Mengen zeigt, stellt Wittgenstein dieser Interpretation zufolge nicht in Frage: Here Wittgenstein would - at least partially - agree: Cantor’s proof does ” establish that the series of transfinite numbers is infinite (to say that it is boundless is redundant); but this has nothing to do with the concept of ’larger than’ as this is understood for the finite cardinals.“ (Shanker 1987: 195).
Sofern Wittgenstein transfinite Zahlen kritisiert, bezieht er sich Shanker ¨ (1987: 171-173) zufolge immer auf die Ubertragung der Ordnungsrelation der natu ¨rlichen Zahlen auf die transfiniten Zahlen. Allein die Verwendung desselben Zeichens ‘>’ mache diese zwei unterschiedlichen Ordnungsrelationen einander noch nicht gleich. Vielmehr handele es sich hier um eine Beweissysteme-Verwechslung“: ” [T]here are two distinct kinds of system - the finite and the infinite - and ” Cantor’s initial error was to transgress the boundary between them in his notation, thereby leading him to interpret transfinite numbers as concrete proof of the existence of the ‘actual infinite’ (PR § 142). [...] this fundamental Beweissysteme confusion remained embedded in transfinite number theory.“ (1987: 167)
Die Idee der Verwechslung verschiedener Beweissysteme ist Shankers Schlu ¨ssel fu ¨r eine nicht-revisionistische Interpretation von Wittgensteins Kritik der Theorie transfiniter Zahlen. Schenkt man Shanker (1987: 175) Glauben, so beschr¨ankt sich Wittgensteins Kritik stets auf die Betonung der logisch-syntaktischen Unterscheidung endlicher und unendlicher Entit¨aten; sei es in Bezug auf die Interpretation von Zeichen wie ‘>’ oder in Bezug auf Ausdru ¨cke, wie dem der Menge, die Wittgenstein zufolge 12
Shanker 1987: 168; 1986a: 6; 1986c: 408.
332
8. Revisionismus
im unendlichen Fall eine ganz andere Bedeutung haben als im endlichen (Shanker 1987: 164). Gemessen an Wittgensteins eigenen Maßst¨aben stellt ein Hinweis auf sprachliche Ungenauigkeiten Shanker zufolge keinen Eingriff in den Gegenstandsbereich der Mathematik dar – auch, wenn die von Wittgenstein geforderte Ausdrucksweise zu einer v¨olligen Ver¨anderung der kritisierten Theorien fu ¨hre (1987: 198). Das, was Wittgenstein an mathematischen Theorien kritisiere, betreffe stets nur die mathematische Rechnungen und Beweise begleitende ‘Prosa’. Da diese Wittgenstein zufolge keinen wesentlichen Bestandteil mathematischer Methoden ausmache, stelle eine Kritik an der ‘Prosa’ keinen Eingriff in die Mathematik dar (1987: 213). Wenn Wittgenstein sich also gegen die Verwendung ein und desselben Zeichens fu ¨r zwei unterschiedliche Ordnungsrelationen – die der natu ¨rlichen und die der transfiniten Zahlen – ausspricht, dann mo¨chte er nach Shanker darauf hinweisen, dass alle Folgerungen, die aus der scheinbaren Identit¨at der beiden Relationen abgeleitet werden, keine mathematischen Schlu ¨sse darstellen, sondern auf einem sprachlichen Missverst¨andnis beruhen. Da die beiden Zahlenarten ganz unterschiedlichen Kalku ¨len – Beweissystemen – angeho¨ren, ist die durch das Zeichen ‘>’ ausgedru ¨ckte Identit¨at der Relationen mathematisch nicht gerechtfertigt. Vollkommen korrekt erkennt Shanker hier einen wichtigen und wiederkehrenden Ansatzpunkt der Wittgensteinschen Kritik. Stets ist Wittgenstein darum bemu ¨ht, aufzudecken, dass Ausdru ¨cke in unterschiedlicher Bedeutung gebraucht werden. Tats¨achlich wendet sich Wittgenstein auch in BGM II dagegen, dass Cantor v¨ollig willku ¨rlich den angeblich festgestellten Unterschied zwischen zwei unendlichen Mengen als Gr¨oßenunterschied darstellt und damit bestimmte Assoziationen weckt, die auf der Grundlage des Beweises nicht zu rechtfertigen sind (vgl. Kap. 4.4). Allerdings ist damit noch nicht gezeigt, dass Wittgenstein nicht auch schon die Existenz transfiniter Zahlen in Frage stellen m¨ochte.13 Diese These kann Shanker letztlich nur mit der von ihm angenommenen nicht-revisionistischen Grundhaltung Wittgensteins begru ¨nden. Diese allerdings ger¨at schon bei der Frage nach der Wohldefiniertheit transfiniter Kardinal- und OrdinalAuch Shavel und Thomson (1993) sind der Ansicht, dass Wittgenstein sich in seiner Kritik am Diagonalbeweis nicht gegen das Diagonalverfahren richtet, sondern gegen die zahlentheoretischen Folgerungen, die aus dem Beweis abgeleitet werden (1993: 217). F¨ ur den negativen Teil der These bleiben sie die Begr¨ undung schuldig. 13
8.2 Wittgensteins Cantor-Kritik
333
zahlen ins Wanken. Shanker (1986a: 5) selbst gibt zu, dass Wittgenstein seine Aufgabe als Philosoph darin sieht, die Begriffsverwirrungen, die mit Cantors Interpretation des Diagonalbeweises verbunden sind, offen zu legen. Dies aber bedeutet nichts anderes, als die Schlu ¨sselbegriffe der Theorie transfiniter Zahlen, wie den der transfiniten Kardinalzahl, einer kritischen Pru ¨fung zu unterziehen. Sofern Wittgenstein sich gegen die Wohldefiniertheit dieser Begriffe wendet, wendet er sich nicht nur gegen die ‘Prosa’, sondern greift mit den Definitionen, die die Grundlage der transfiniten Mengenlehre bilden, zugleich auch diese Theorie an. Nicht jede Kritik an den mit mathematischen Theorien verbundenen sprachlichen Ausdru ¨cken l¨asst den mathematischen Kern unangetastet. Shanker erkennt dies und leugnet auch nicht, dass sich in den PB Ans¨atze einer Kritik an der transfiniten Mengenlehre finden, die genau dieses Ziel verfolgen, die grundlegenden Begriffe als widerspru ¨chlich zuru ¨ckzuweisen und damit die gesamte Theorie zu unterminieren: Admittedly, Wittgenstein concentrated on the theme that the notion that ” transfinite numbers exist because they are attributes of infinite sets is unintelligible, and that this in turn underlies the unintelligibility of the postulation of an ‘actual infinite’. Wittgenstein obviously believed that he had perceived deep grammatical confusions undermining the Cantorean interpretation of transfinite number theory, and that this rendered a close examination of Cantor’s various proofs unnecessary.“ (1987: 166)
Shanker fu ¨hrt drei Gru ¨nde an, warum damit die Existenz transfiniter Zahlen nicht unterminiert sei. Erstens sei die Kritik Wittgensteins an dieser Stelle zu oberfl¨achlich, als dass man sie im Rahmen einer wohlwollenden Interpretation ernst nehmen du ¨rfte. Da diese Textstelle vollkommen in Einklang steht mit Wittgensteins Ablehnung einer mengentheoretischen Auffassung des Unendlichen in den PB, wie sie beispielsweise im letzten Kapitel kurz angerissen wurde, kann Shankers Einsch¨atzung hier nicht zugestimmt werden. Zudem kann Shankers Argument nur dann Geltung beanspruchen, wenn es sich um einen einmaligen Fehler Wittgensteins handelte. Wie ich im Folgenden aufzeigen werde, finden sich auch in BGM II noch weitere Argumente gegen die Existenz transfiniter Zahlen. Zweitens stellt die Kritik Wittgensteins Shanker zufolge trotz allem nur eine Kritik an Cantors Interpretation der Theorie transfiniter Zahlen dar (1987: 167). Richtig verstanden kritisiere Wittgenstein wiederum nur die Prosa, nicht aber den mathematischen Gehalt der Theorie transfiniter Zahlen. Dieser Auffassung stehen zwei Beobachtungen entgegen,
334
8. Revisionismus
die Shanker selbst anfu ¨hrt. Erstens meint Shanker, dass Wittgenstein so sehr der Ansicht sei, die transfinite Zahlentheorie als widerspru ¨chlich erwiesen zu haben, dass er es fu ¨r u ¨berflu ¨ssig halte, die jeweiligen Beweise im Detail zu betrachten (1987: 166). Diese Auffassung steht offensichtlich im Gegensatz zur Annahme, Wittgenstein richte sich mit seiner Kritik nicht gegen den mathematischen Gehalt der transfiniten Zahlentheorie. Zweitens bezieht Wittgensteins Kritik sich nach Shanker vor allem auf die Einfu ¨hrung ein und derselben – n¨amlich der mengentheoretischen – Notation fu ¨r endliche wie unendliche mathematische Entit¨aten, auf Basis derer dann auch transfinite Zahlen definiert werden k¨onnen (1987: 167). Die von Wittgenstein geforderte Abschaffung der einheitlichen Darstellung wu ¨rde aber zu einer Abschaffung unendlicher Mengen fu ¨hren und damit nicht nur einen gravierenden Eingriff in die Mengenlehre darstellen, sondern auch die Grundlage fu ¨r die Definition transfiniter Zahlen zersto¨ren. In diesem Fall fu ¨hrt die Kritik mathematischer Begriffsbildungen zu einer grundsa¨tzlichen Modifikation mathematischer Begriffe und Methoden. Das dritte und einzige Argument, das u ¨berzeugen k¨onnte, beruht auf dem Verweis auf Wittgensteins explizite Ablehnung revisionistischer Im¨ plikationen. Wenn man Wittgensteins diesbezu ernst ¨gliche Außerungen nehmen wolle, du ¨rfe man ihn an vielen anderen Stellen nicht beim Wort nehmen. Insbesondere du ¨rfe man seine Ablehnung der Existenz transfi¨ niter Zahlen nicht ernst nehmen. Diese Uberlegung fu ¨hrt Shanker zu der folgenden Behauptung: [Kronecker’s] line of criticism was not open to Wittgenstein, assuming that ” he was to remain faithful to his principle to eschew mathematical revisionism. The only alternative was thus to accept the existence of transfinite numbers, yet divorce this concept from the notion of ‘actual infinite’. The most conspicuous feature of Wittgenstein’s account, therefore, is that he never questioned Cantor’s claims to have constructed transfinite numbers.“ (1987: 167f.)
Das einzige Argument, das Shanker letztlich fu ¨r die These anfu ¨hren kann, Wittgenstein stelle die Existenz transfiniter Zahlen nicht in Frage, liegt in ¨ der Uberzeugung, Wittgensteins Vorgehen sei grundsa¨tzlich nicht revisio¨ nistisch. Diese Uberzeugung fu ¨hrt nicht nur zu einer dem Wortlaut zuwiderlaufenden Interpretation großer Teile der Kritik Wittgensteins. Shanker selbst muss zugeben, dass der Versuch einer solchen Rekonstruktion der Argumente Wittgensteins nicht u ¨berzeugen kann. So fragt er: [H]ow could Wittgenstein seriously hope to maintain the posture that only ” the prose of Cantor’s interpretation had been affected by his critique while
8.2 Wittgensteins Cantor-Kritik
335
the ‘calculus’ had remained untouched?“ (1987: 215).
Besonders deutlich wird das Scheitern von Shankers Interpretationsansatz in Bezug auf den zweiten von ihm betrachteten Themenkomplex, d. h. ¨ in Bezug auf Cantors Diagonalbeweis und den Begriff der Uberabz a¨hlbarkeit. Entsprechend seiner Grundu ¨berzeugung h¨alt Shanker nicht die Schlu ¨ssigkeit, sondern die Interpretation des Diagonalbeweises fu ¨r das Ziel der Wittgensteinschen Kritik (1987: 194). Seine Deutung der Kritik Wittgensteins stimmt aber weder mit diesem Grundsatz u ¨berein noch gibt sie Wittgensteins Argument korrekt wieder. Wittgensteins Argument besteht nach Shanker darin, dass der Ausdruck ‘Menge aller reellen Zahlen’ nicht wohldefiniert sei, da es eine Gesamtheit voraussetze, die unendlichen Folgen prinzipiell nicht zukommen k¨onne: Cantor was quite right to claim that the set of reals is non-denumerable; the ” trouble is that this does not at all signify what he thought. It means that the reals – qua infinite series – are not capable of enumeration: a quality which they share with all infinite series.“ (1987: 196)
Shanker zufolge geht Wittgensteins Kritik am Cantorschen Diagonalbeweis auf die grunds¨atzliche logische Unterscheidung zwischen endlichen und unendlichen Entit¨aten und damit zwischen Gesamtheit und Prozess zuru ¨ck (1987: 197). Der Diagonalbeweis zeige, dass die Menge der reellen Zahlen so wie jede unendliche Menge in dem Sinne nicht abz¨ahlbar sei, dass der Prozess, alle Zahlen zu z¨ahlen, kein Ende findet. Zun¨achst ist klar, dass Wittgensteins Argument in BGM II ein anderes ist. Sofern die Behauptung, dass die Menge aller reellen Zahlen u ¨berabz¨ahlbar ist, bedeutungsvoll ist, sch¨opft sie ihre Bedeutung aus dem Diagonalverfahren. Dass die reellen Zahlen u ¨berabz¨ahlbar sind, bedeutet nach BGM II, 20, dass man fu ¨r jede Entit¨at, die man den Voraussetzungen des Diagonalbeweises entsprechend als ‘Folge reeller Zahlen’ bezeichnet, mit dem Diagonalverfahren eine weitere ‘Folge reeller Zahlen’ entwickeln kann, die ‘eine reelle Zahl, die von allen Zahlen der Folge verschieden ist’ genannt werden soll. Dass der Begriff der Abz¨ahlbarkeit insofern problematisch ist, als eine unendliche Folge immer nur sukzessive, nie aber in ihrer Gesamtheit erfasst werden kann, kennzeichnet zwar Wittgensteins Auffassung des Unendlichen (vgl. Kap. 5), spielt an dieser Stelle aber eine untergeordnete Rolle. Schwerer wiegt jedoch, dass der Cantorsche Diagonalbeweis unter dieser Interpretation Wittgensteins gerade nicht das beweisen wu ¨rde, was er
336
8. Revisionismus
vorgibt zu beweisen, n¨amlich, dass die Menge aller reellen Zahlen – von der vorausgesetzt wird, dass sie wohldefiniert ist – in gewisser Hinsicht gr¨oßer ist als andere unendliche Mengen. Shanker macht sich gerade des Revisionismus schuldig, den er zu vermeiden suchte. W¨ahrend Wittgenstein unter meiner Interpretation dem Diagonalbeweis zugesteht, einen Unterschied zwischen den natu ¨rlichen Zahlen und dem, was er als reelle Zahlen bezeichnet, aufzuzeigen, kann Shanker noch nicht einmal diesen Aspekt des Diagonalbeweises bewahren. Wenn ‘Nicht-Abz¨ahlbarkeit’ eine Eigenschaft ist, die allen unendlichen Folgen zukommen soll, dann kann der Diagonalbeweis kein Kriterium zur Unterscheidung der so genannten Menge aller reellen Zahlen von der aller natu ¨rlichen Zahlen zur Verfu ¨gung stellen. Zudem wu ¨rde mit einer solchen Interpretation der Theorie transfiniter Zahlen die Grundlage entzogen. Diese Theorie beruht n¨amlich auf der Existenz mindestens zweier unterschiedlicher Arten von unendlichen Mengen, den abz¨ahlbaren, denen sie die Kardinalzahl ℵ0 zuordnet, und den u ¨berabza¨hlbaren Mengen, denen sie von ℵ0 verschiedene Kardinalzahlen zuordnet. Grundlage fu ¨r die Annahme der Existenz u ¨berabz¨ahlbarer Mengen ist allein der Diagonalbeweis. Wenn dieser aber den Ausdruck ¨ der Uberabz ¨ahlbarkeit so fasst, dass er auf alle unendlichen Mengen – also auch auf die abz¨ahlbaren – zutrifft, mu ¨sste allen unendlichen Mengen dieselbe Kardinalzahl zugeordnet werden. Die auf der Annahme, der Diagonalbeweis unterscheide Mengen unterschiedlicher M¨achtigkeiten aufbauende Hierarchie transfiniter Kardinalzahlen wird damit ihrer Grundlage beraubt. Unter Shankers Interpretation spricht Wittgenstein nicht nur dem Diagonalbeweis jegliche mathematische Relevanz ab, sondern leugnet zudem die Existenz transfiniter Kardinalzahlen mit Ausnahme von ℵ0 . Shanker gelingt es daher nicht, Wittgensteins Kritik am Diagonalverfahren so zu interpretieren, dass weder der mathematische Gehalt des Beweises noch die Existenz transfiniter Zahlen in Frage gestellt werden. Allerdings scheitert Shankers Versuch einer nicht-revisionistischen Interpretation von Wittgensteins Kritik an Cantors Diagonalverfahren nicht an den Argumenten Wittgensteins, sondern an der irrigen Grundannahme Shankers, Wittgensteins Kritik ziele auf die Unterscheidung zwischen endlichen und unendlichen Folgen ab. Fu ¨r das Scheitern des Interpretationsansatzes ist dies jedoch nicht ausschlaggebend. Vielmehr zeigt sich hier exemplarisch die grundlegende Inkonsistenz von Shankers (1986a: 24) Auffassung, dass Wittgenstein einerseits revisionistische Implikationen kon-
8.2 Wittgensteins Cantor-Kritik
337
sequent vermeide, andererseits aber die Mathematik auffordere, sich von philosophischen Begriffsanalysen beeinflussen zu lassen. Wenn sich philosophische Bemerkungen zur Mathematik ausschließlich auf die Prosa beziehen k¨onnen und sollen, kann eine philosophische Analyse nichts zur Entwicklung mathematischer Theorien beitragen. Sobald eine Begriffsanalyse Einfluss auf die Entwicklung mathematischer Begriffe und Modelle nehmen kann, wie von Shanker im Fall des Diagonalverfahrens angenommen wird, greift sie in die Mathematik ein und macht sich des Revisionismus schuldig. Damit verfehlt auch Shanker das Ziel, Wittgensteins Kritik am Diagonalverfahren nicht-revisionistisch zu interpretieren, ohne seinen Argumenten die Schlagkraft zu nehmen. ¨ Ahnlich wie Shanker mo¨chte auch Bouveresse (1992) Wittgenseins Einsch¨atzung von Cantors Hierarchie unendlicher Mengen immer gr¨oßerer Ma¨chtigkeiten unter Ru ¨ckgriff auf Wittgensteins Einstellung zum Verha¨ltnis von Endlichem und Unendlichem beleuchten: For [Wittgenstein], the philosophical problem of mathematical infinity has ” absolutely nothing to do with the question as to whether the finite can or cannot legitimately claim to understand the infinite, [...] nor, since a calculus does not need to be justified by the existence of something which can be established in reality, with the question as to whether infinity is or is not exemplified, in any form, in natural reality. In other words, Wittgenstein does not, at any time, contest that Cantor had succeeded in inventing a new calculus and, as in all cases, he refuses categorially to adopt the reductionist attitude which theoreticians as opposed as Poincar´e and Hilbert have in common, and which consists in requiring that what is said of the infinite could be reduced, in one way or another, to considerations which bear only upon the finite.“ (1992: 137f.)
Diese Argumentation ist ganz offensichtlich fehlerhaft. Zun¨achst f¨allt auf, dass der erste Teil der Pr¨amisse vor dem Hintergrund der im letzten Kapitel gesammelten Erkenntnisse u ¨ber Wittgensteins Auffassung des Verh¨altnisses von Endlichem und Unendlichem in der Mathematik keinen Bestand hat. Wittgensteins Auffassung des Unendlichen in der Mathematik beruht ja gerade auf einer Bestimmung des Verh¨altnisses von Endlichem und Unendlichem. Schwerer f¨allt ins Gewicht, dass der Schluss, den Bouveresse ¨ hier zieht, nicht gu dass ¨ltig ist: Inwiefern kann man aus der Uberzeugung, sowohl die Frage, ob das Unendliche durch das Endliche erfasst werden kann, als auch die Frage, ob das Unendliche in der physikalischen Wirklichkeit repra¨sentiert wird, fu ¨r Wittgenstein unerheblich ist, ableiten, dass Wittgenstein keine Einw¨ande gegen Cantors Theorie transfiniter Zahlen
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8. Revisionismus
hat? Es k¨onnte doch sein, dass Wittgenstein Cantors Theorie transfiniter Zahlen aus ganz anderen Gru ¨nden ablehnt. Einen Beweis, dass eine m¨ogliche Ablehnung der transfiniten Mengenlehre sinnvollerweise nur auf ¨ eine dieser beiden Uberzeugungen zuru ¨ckgehen kann, bleibt Bouveresse schuldig. Und so bleibt als Begru ¨ndung fu ¨r Wittgensteins Ablehnung der Cantorschen Theorie nur der Verweis auf Wittgensteins explizite Leugnung revisionistischer Absichten und die Behauptung, Wittgenstein widerspreche Cantors Kalku ¨l an keiner Stelle. Auch Marions (1993 und 1998) kursorische Betrachtung von Wittgensteins Behandlung der Mengenlehre kann den Widerspruch zwischen Wittgensteins angeblichem Nicht-Revisionismus und dem Gehalt seiner Argumente letztlich nicht lo¨sen. Wie Frascolla und Shanker sieht auch er Wittgensteins Kritik an der Mengenlehre nicht als einen Angriff auf die Stichhaltigkeit der Argumente, sondern als einen Versuch, die sie umgebenden sprachlichen Verwirrungen zu kl¨aren (1993: 114; 1998: 16). Er gibt jedoch zu, dass eine Auflo¨sung der begrifflichen Verwirrungen, die das Fundament der Mengenlehre bilden, dazu fu ¨hren kann, dass dieser Zweig der Mathematik aufgegeben werde (1993: 115: 1998: 17). Ein solcher Eingriff in die Mathematik sei insofern nicht revisionistisch, als er die Korrektheit der innerhalb des Kalku ¨ls abgeleiteten Folgerungen nicht in Frage stelle (1993: 115). Natu ¨rlich ist sich Marion der Tatsache bewusst, dass eine solche vielleicht in Wittgensteins Sinne als nicht-revisionistisch zu bezeichnende Argumentation dennoch einen Eingriff in die Methoden der Mathematik darstellt und daher im allgemein anerkannten Sinne revisionistisch ist. So fu ¨gt er denn auch hinzu: Still, it is difficult to believe that [Wittgenstein] may not have fully realized ” the revisionary implications of his remarks.“ (Marion 1993: 116)
Auf Wittgensteins Kritik an Cantors transfiniter Mengenlehre l¨asst sich Marions L¨osung ohne weiteres u ¨bertragen. Cantors transfinite Mengenlehre verliert mit dem Nachweis der Unbestimmtheit der ihr zu Grunde ¨ liegenden Ausdru ¨cke ‘M¨achtigkeit’ und ‘Uberabz ¨ahlbarkeit’ ihre begriffliche Grundlage. Die Ableitungen, die innerhalb der Theorie vorgenommen werden, werden dadurch aber nicht ‘falsch’. Es wird nur gezeigt, dass die aus der Theorie abgeleiteten Aussagen u ¨ber ‘M¨achtigkeiten’ unendlicher Mengen nicht den Umfang oder die Gr¨oße (im umgangssprachlichen Sinn dieser Worte) unendlicher Mengen kennzeichnen. Im Fall von Wittgensteins Kritik an Cantors Diagonalbeweis aber schl¨agt Marions Vermitt-
8.2 Wittgensteins Cantor-Kritik
339
lungsversuch fehl. Wittgensteins Kritik richtet sich hier nicht nur gegen die dem Beweis zu Grunde liegenden Ausdru ¨cke, wie den der reellen Zahl, sondern insbesondere auch gegen das Diagonalverfahren als eine Methode der Erzeugung einer Folge reeller Zahlen, die von allen, dem Diagonalverfahren zu Grunde liegenden unendlichen Folgen reeller Zahlen verschieden ist. Hier richtet sich Wittgensteins Kritik unmittelbar gegen ein mathematisches Verfahren und die aus diesem Verfahren abgeleiteten Konklusionen und ist damit auch im engen Sinne des Wortes revisionistisch. Angesichts der Schwierigkeiten, denen sich eine nicht-revisionistische Interpretation von Wittgensteins Kritik an mathematischen Verfahren und Begriffsbildungen im Allgemeinen und am Diagonalbeweis und der damit verbundenen Theorie transfiniter Zahlen im Besonderen ausgesetzt sieht, sollte man vielleicht Rodychs Ratschlag ernst nehmen, sich nicht von ¨ Wittgensteins nicht-revisionistischen Außerungen beeindrucken zu lassen (Rodych 1997: 213). Rodych (1997) zufolge muss Wittgenstein n¨amlich in zweierlei Hinsicht als Revisionist bezeichnet werden: It follows that Wittgenstein is a revisionist in the minimal sense, because his ” accounts of elementary number theory and [transfinite set theory] disagree with mathematicians’ interpretations of these calculi, and in the maximal sense, because he legislates what is proper mathematics and what is not proper mathematics (e. g. what is mathematically meaningful, and what is not).“ (Rodych 1997: 214)
¨ In Ubereinstimmung mit dieser Einsch¨atzung kommt Rodych (1999a) in Bezug auf Wittgensteins Auffassung reeller Zahlen zu dem Ergebnis, dass Wittgensteins Argumente nicht angemessen durch eine nichtrevisionistische Interpretation wiedergegeben werden k¨onnen: Wittgenstein stresses the differences between the various things called ‘real ” numbers’. To say, however, that this is all that Wittgenstein is doing is to grossly distort and underestimate his clear and adament rejection of foundationalism, and especially set theory.“ (Rodych 1999a: 299).
So wie ich ist auch Rodych (1999a) der Ansicht, dass eine nichtrevisionistische Interpretation von Wittgensteins Auffassung reeller Zahlen weder dem Wortlaut des Textes noch der Intention Wittgensteins gerecht werden kann. Um so u ¨berraschender ist es, dass Rodych (2000) nur ein Jahr sp¨ater halb auf die gegnerische Seite wechselt. Seiner (neuen) Ansicht nach hat Wittgenstein seine Ausfu ¨hrungen nie als den Versuch betrachtet, die Mathematik zu ¨andern oder zu reformieren (2000: 298):
340
8. Revisionismus His aim is not to prescribe ‘correct’ mathematics and proscribe ‘incorrect’ mathematics, but rather to describe as clearly as possible what mathematics consists of, and what mathematicians actually do.“ (Rodych 2000: 298)
Wie Shanker (1987) und Frascolla (1994, 2001) muss auch Rodych (2000) zugeben, dass insbesondere Wittgensteins Kritik an der transfiniten Mengenlehre diesem Grundsatz nicht treu bleibt. Rodych versucht jedoch nicht, diese Bereiche der Kritik Wittgensteins nicht-revisionistisch umzudeuten. Seine L¨osung besteht vielmehr darin, zuzugeben, dass es Wittgenstein trotz seines Bemu ¨hens, mathematische Methoden und Objekte nur zu beschreiben, letztlich nicht gelingt, sich nicht in die Mathematik einzumischen (Rodych 2000: 283). So kann Rodych (2000: 293) ohne Umschweife zugeben, dass Wittgenstein in BGM II behauptet, der Diagonalbeweis beweise nicht die Existenz unendlicher Mengen gr¨oßerer M¨achtigkeit als die natu ¨rlichen Zahlen. Er betont ganz richtig, dass Wittgensteins Argument auf der Beobachtung beruht, dass die Bedeutung, die der Diagonalbeweis dem Begriff ¨ der Uberabz ¨ahlbarkeit zukommen l¨asst, die Folgerung der Existenz transfiniter Zahlen nicht rechtfertigen kann. Seine Begru ¨ndung mutet jedoch seltsam an: This mistaken claim or ‘conclusion’ rests upon a confusion between sets as ” rules for generating extensions and (finite) extensions. [...] On Wittgenstein’s view, not only can the diagonal not prove that one infinite set is greater in cardinality than another infinite set, nothing could prove this, simply because ‘infinite sets’ are not extensions and hence not infinite extensions.“ (Rodych 2000: 1994)
Wie Shanker (1987) l¨asst sich auch Rodych (2000) durch Wittgensteins grunds¨atzliche Unterscheidung endlicher und unendlicher Folgen zu einer Fehlinterpretation verleiten. Wittgensteins Ablehnung einer extensionalen ¨ Auffassung unendlicher Folgen, die vor allem in den Schriften der Ubergangszeit dominiert, wird von Rodych als Schlu ¨ssel herangezogen, um die Kritik am Diagonalbeweis in den BGM zu interpretieren. Der Diagonalbeweis scheitert seiner Interpretation zufolge bereits daran, dass er die im Beweis betrachteten unendlichen Mengen als extensionale Entit¨aten auffasst. Ich habe bereits im 5. Kapitel gezeigt, dass Wittgenstein im Gegenteil versucht, die extensionale Sicht als in sich widerspru ¨chlich zu erweisen, und zu diesem Zweck ihre Grundannahmen nicht in Zweifel zieht (s. o. 5.3.2).
8.2 Wittgensteins Cantor-Kritik
341
W¨ahrend Shankers (1987) im Ansatz ganz ¨ahnliche Interpretation zu dem Ergebnis kommt, der Diagonalbeweis sei dennoch ein Beweis, er beweise nur etwas v¨ollig Anderes und letztlich Triviales, behauptet Rodych, ¨ dass der Beweis der Uberabz ¨ahlbarkeit der reellen Zahlen kein Beweis sei. Der Grund fu ¨r diese Behauptung liegt jedoch nicht darin, dass – wie ich argumentiert habe – das dem Beweis zu Grunde liegende Diagonalverfahren den Schluss auf die Ungleichheit der Diagonalzahl von allen Zahlen der betrachteten Aufz¨ahlung nicht rechtfertigen kann. Vielmehr ist nach Rodych gegen die konstruktive Version des Diagonalbeweises, wie sie von Wittgenstein in BGM II, 1 eingefu ¨hrt wird, nichts einzuwenden (2000: ¨ 295). Dass der Beweis der Uberabz¨ahlbarkeit der reellen Zahlen kein Beweis ist, liegt Rodychs Ansicht nach allein daran, dass die betrachteten Mengen nicht konstruktiv gegeben sind. Dass diese Behauptung Wittgensteins Argumenten nicht gerecht werden kann, habe ich im 5. Kapitel gezeigt (vgl. 5.3.2). Rodychs These, Wittgensteins Kritik am Cantorschen Diagonalbeweis zeuge von revisionistischen Tendenzen, ist damit ebenso unbegru ¨ndet wie die nicht-revisionistischen Deutungsversuche seiner Vorga¨nger. Meine eigene Interpretation von BGM II, 1-22 ist mit einer nichtrevisionistischen Interpretation nicht vereinbar. Meiner Ansicht nach macht sich Wittgenstein in diesem kurzen Textabschnitt gleich mehrfach des Revisionismus schuldig. Erstens meldete er sachte Zweifel an der Wohldefiniertheit der Diagonalzahl an. Zweitens leugnet er, dass der Diagonalbeweis zeigt, dass die Diagonalzahl (sofern sie wohldefiniert ist) von allen Werten der zu Grunde liegenden Aufza¨hlung verschieden ist. Als eine Folge hiervon muss er drittens auch bestreiten, dass der Diagonalbeweis beweist, dass die reellen Zahlen u ¨berabza¨hlbar sind. Viertens ist auch die Annahme der Existenz transfiniter Zahlen nicht durch den Diagonalbe¨ weis zu rechtfertigen, denn aus dem Begriff der Uberabz a¨hlbarkeit, wie er durch den Diagonalbeweis definiert wird, lassen sich keine Aussagen u ¨ber das Gro¨ßenverha¨ltnis unendlicher Mengen ableiten. Dennoch stehen die Bemerkungen Wittgensteins in BGM II, 1-22 meiner Ansicht nach vollkommen in Einklang mit Wittgensteins philosophischer Grundhaltung. Wie ich im Folgenden darlegen werde, vertritt Wittgenstein an den Stellen, an denen er sich gegen jeden Revisionismus auszusprechen scheint, eine ganz andere Ansicht, die mit den revisionistischen Konsequenzen seiner Thesen vereinbar ist.
342
8. Revisionismus
8.3
Eine revisionistische Re-Interpretation
Gegner wie Anh¨anger einer nicht-revisionistichen Deutung sehen Wittgenstein hin- und hergerissen zwischen einer grunds¨atzlich nichtrevisionistischen Haltung gegenu ¨ber mathematischen Begriffen und Methoden und seiner Ablehnung bestimmter mengentheoretischer Begriffe14 . Der Gegensatz, der hier von beiden Seiten ausgemacht wird, kann meiner Ansicht nach durch eine genauere Analyse der vermeintlich nichtrevisionistischen Beteuerungen Wittgensteins als ein scheinbarer erwiesen ¨ werden. Wie ich im Folgenden zeigen m¨ochte, k¨onnen diese Außerungen auch so gedeutet werden, dass sie Wittgenstein gar nicht auf eine nichtrevisionistische Haltung festlegen. Mein Vorschlag ist also der, den revisionistischen Kern der Kritik Wittgensteins nicht weg zu deuten, sondern Wittgensteins scheinbar nicht-revisionistische Beteuerungen vor dem Hintergrund seiner revisionistischen Ergebnisse einer u ¨berzeugenden Interpretation zuzufu ¨hren. Zun¨achst ist zu unterscheiden zwischen Bemerkungen Wittgensteins, die zumindest vordergru ¨ndig eine nicht-revisionistische Grundhaltung begru ¨nden ko¨nnen, und solchen, aus denen nur mit viel Phantasie und interpretatorischer Freiheit nicht-revisionistische Tendenzen abgelesen werden ko¨nnen. Zur letzten Gruppe za¨hlen u. a. die von Rodych (2000: 299) zur Rechtfertigung einer nicht-revisionistischen Sicht angefu ¨hrten BGM II, 6 und 7. Rodych (2000) zufolge ist Wittgensteins Aufforderung in BGM II, 6, weiter um sich zu blicken, ein Motto, das sich der Philosoph auf die Fahnen schreiben sollte, wenn er mathematische Beweise einer philosophischen Pru ¨fung unterzieht: This motto is meant to say that the philosopher of mathematics must take a ” ‘wider’ look around the calculus in order to see what is the bare calculus, what is essential to that calculus, and which prose attachments are either inessential, misleading or dangerous. The philosopher who adopts this approach, says Wittgenstein, will never express an ‘opinion’ but only at best clarify the calculus and dispel clouds of inessential, interpretative prose (LFM, 103).“ (Rodych 2000: 299)
Die Aufforderung Wittgensteins in BGM II, 7, die Bedeutung eines mathematischen Ausdrucks auf Grundlage der Rechnung zu bestimmen, sieht Rodych als Beweis dafu ¨r an, dass Wittgenstein insbesondere in Bezug auf 14
vgl. z. B. Rodych 1997: 213; Shanker 1987: 211.
8.3 Eine revisionistische Re-Interpretation
343
eine Kritik der Mengenlehre eine explizit nicht-revisionistische Grundhaltung annimmt: This passage, occurring as it does amidst Wittgenstein’s discussion of Can” tor’s diagonal and non-denumerability, indicates that, although Wittgenstein is making a general point, he thinks his point of non-revisionism applies with particular significance to the verbal expressions surrounding set theoretical calculations and proofs.“ (Rodych 2000: 299)
In beiden F¨allen missversteht Rodych Wittgenstein. Das hier“ in BGM II, ” 6 macht deutlich darauf aufmerksam, dass die Aufforderung des § 6 einen Kommentar zu den vorangegangenen Abschnitten darstellt. In BGM II, 3-5 versucht Wittgenstein zu verstehen, was es heißt, dass die Diagonalfolge eine Zahl darstellt, die von allen Zahlen einer gegebenen Aufz¨ahlung verschieden ist (§ 3). Eine jede mo¨gliche Antwort auf diese Frage zieht weitere Fragen nach sich und so ziehen Wittgensteins Fragen immer weitere Kreise. In § 5 erst finden die Fragen ein Ende mit der Beobachtung, dass es verschiedene m¨ogliche Definitionen des Vergleichs einer Folge mit einer Folge unendlich vieler Folgen gibt. Mit der urspru ¨nglichen Frage scheint diese Feststellung auf den ersten Blick u ¨berhaupt nichts zu tun zu haben und dennoch stellt sie den Schlu ¨ssel fu ¨r die Antwort auf die Ausgangsfrage aus § 3 dar. In § 6 kommentiert Wittgenstein sein Vorgehen in den vorigen Abschnitten, §§ 3-5. Wenn Wittgensteins Motto in BGM II, 6 u ¨berhaupt u ¨ber seine Kritik am Diagonalbeweis hinaus Geltung beanspruchen kann, dann stellt sie eine Warnung an den Philosophen der Mathematik dar, sich nicht zu schnell mit Antworten zufrieden zu geben. Stattdessen solle man jeder Antwort mit einer neuen Frage nach der Bedeutung der in ihr enthaltenen mathematischen Ausdru ¨cke begegnen, auch wenn man sich damit von der ¨ Ausgangsfrage scheinbar immer weiter entfernt. Uber das Verh¨altnis von Philosophie und Mathematik l¨asst sich aus § 6 dagegen nichts ableiten. In BGM II, 3-7 m¨ochte Wittgenstein nicht dafu ¨r pl¨adieren, unwesentliche oder irrefu ¨hrende sprachliche Zus¨atze oder Interpretationen mathematischer Beweise abzuschaffen. Vielmehr geht es ihm um die Kl¨arung derjenigen Begriffe, die wesentlich in den mathematischen Beweis eingehen. Auf der Grundlage der von Wittgensteins an anderer Stelle vorgenommenen Unterscheidung von Prosa und Kalku ¨l l¨asst sich die Argumentation von BGM II, 3-6 so wiedergeben, wie Wittgenstein dies in BGM II, 7 auch explizit tut: die Bedeutung der innerhalb mathematischer Rechnun-
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8. Revisionismus
gen und Beweise benutzten sprachlichen Ausdru ¨cke wie ‘Zahl’, ‘Methode’, ‘verschieden’ etc. (die Prosa) erschließt sich durch die Beweise und Rechnungen, in denen diese Ausdru ¨cke vorkommen (durch den Kalku ¨l). Eine Kritik dieser Art von Prosa ist immer auch eine Kritik der mathematischen Methoden, aus denen die jeweiligen Begriffe ihre Bedeutung sch¨opfen. Rodychs (2000) Einsch¨atzung von BGM II, 7 ist erst recht unerkl¨arlich. Er scheint Wittgensteins Bemerkung, dass die Rechnung die Bedeutung der in ihr verwendeten Ausdru ¨cke bestimmt und nicht umgekehrt die Bedeutung der sprachlichen Ausdru ¨cke die Bedeutung der Rechnung erhellt, so zu verstehen, als wolle Wittgenstein behaupten, dass die Sph¨are der Sprache (die Philosophie) keinen Einfluss auf die Sph¨are der Rechnungen (die Mathematik) haben kann, wohl aber andersherum. Die Assoziation von Sprache mit Philosophie ist hier jedoch abwegig. BGM II, 7 stellt eine philosophische Betrachtung zur Bedeutung mathematischer Ausdru ¨cke dar. Weder steht die Aufgabe des Philosophen zur Debatte noch wird das Verha¨ltnis von Mathematik und Philosophie u ¨berhaupt thematisiert. Wittgenstein formuliert eine ganz bescheidene These u ¨ber die Bedeutung sprachlicher Ausdru ¨cke innerhalb der Mathematik. Er ist weit davon entfernt, eine nicht-revisionistische Grundhaltung zu propagieren. Vermutlich k¨onnen viele weitere Textstellen, die zur Rechtfertigung der These einer nicht-revisionistischen Grundhaltung Wittgensteins herangefu ¨hrt werden, bereits durch eine einfache Textanalyse als fu ¨r diese These irrelevant erwiesen werden. Daneben lassen sich aber auch Bemerkungen Wittgensteins ausmachen, fu ¨r die eine nicht-revisionistische Grundhaltung nicht so leicht von der Hand zu weisen ist. Eine fru ¨he dieser Textstellen, auf die ich bereits im Zusammenhang mit den Interpretationen von Wrigley und Wright eingegangen bin (s. o. S. 324), m¨ochte ich hier noch einmal aufgreifen, weil sie ein interessantes Problem fu ¨r die Interpretation darstellt: Es ist ein merkw¨ urdiger Irrtum der Mathematiker, daß manche von ihnen ” glauben, daß durch eine Kritik der Grundlagen etwas in der Mathematik fortfallen k¨onnte. [...] In der Tat, das, was durch die Kritik zum Verschwinden gebracht wird, das sind die Namen, die Anspielungen, die im Kalk¨ ul vorkommen, also das, was ich Prosa nennen m¨ochte. Es ist sehr wichtig, zwischen dem Kalk¨ ul und dieser Prosa auf das strengste zu unterscheiden.“ (WWK, S. 149)
Im Gegensatz zu Wrigley (1977: 183f.) und Maddy (1993: 67) und wahrscheinlich allen Grundlagenforschern ist Wittgenstein der Ansicht, dass die
8.3 Eine revisionistische Re-Interpretation
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mathematische Grundlagenforschung grunds¨atzlich nicht in den Bestand der Mathematik eingreifen kann. Diese Behauptung ist nicht weniger verwunderlich als Wittgensteins Einsch¨atzung seiner eigenen Arbeit als rein deskriptiv, wenn man bedenkt, dass sich die Grundlagenforschung gerade zum Ziel setzt, mathematische Begriffe und Methoden zu reformieren. Fraglich ist natu ¨rlich, wie Wittgenstein diese Behauptung rechtfertigen kann, da sowohl die formalistische, logizistische und konstruktivistische Grundlagenforschung als auch Wittgensteins eigene Auffassung bestimmter mathematischer Entit¨aten ganz offensichtlich auf die Modifizierung mathematischer Begriffe und Methoden abzielen. Es bieten sich hier zwei m¨ogliche Interpretationsstrategien an. Erstens k¨onnte diese Bemerkung als Warnung an die Grundlagenforscher – zu denen Wittgenstein sich selbst nicht z¨ahlt – verstanden werden, ihren Einfluss nicht zu u ¨berscha¨tzen. Im Zusammenhang mit seiner grundsa¨tzlich kritischen Haltung gegenu ¨ber einer mathematischen Grundlagendisziplin ko¨nnte die Textstelle dann so verstanden werden, als glaube Wittgenstein nicht, dass die Grundlagenforschung zu einer Reform mathematischer Be¨ griffsbildungen und Methoden fu Wittgensteins Einscha¨tzung ¨hrt. Uber ¨ der Bedeutsamkeit seiner eigenen Uberlegungen ließe sich aus dieser Bemerkung dann nichts ableiten, da er sich selbst nicht als Grundlagenforscher sieht. Zweitens k¨onnte man die Textstelle aber auch so verstehen, als wolle Wittgenstein darauf aufmerksam machen, dass Philosophen – Wittgenstein selbst eingeschlossen – grunds¨atzlich keinen Einfluss darauf haben, ob ihre Kritik tats¨achlich zur Modifikation von mathematischen Methoden und Begriffsbildungen fu ¨hrt. Unter dieser Interpretation betont Wittgenstein, dass die philosophische Kritik sich darauf beschr¨anken muss, Unstimmigkeiten aufzuzeigen und Verbesserungsvorschl¨age zu machen. Auf die mathematische Praxis, d. h. darauf, dass ihre Vorschl¨age auch tats¨achlich umgesetzt werden, kann sie jedoch keinen Einfluss nehmen. ¨ Der zweite Interpretationsansatz erweist sich fu ¨r andere Außerungen Wittgensteins, die eine Ablehnung revisionistischer Tendenzen nahe legen, als fruchtbar. Eine Bemerkung, die scheinbar eindeutig auf Wittgensteins Ablehnung einer revisionistischen Grundhaltung hindeutet und aus diesem Grund gerne zitiert wird, ist die folgende: In der Mathematik kann es nur mathematische Schwierigkeiten (troubles) ” geben, nicht philosophische.
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8. Revisionismus Der Philosoph notiert eigentlich nur das, was der Mathematiker so gelegentlich u ¨ber seine Arbeit hinwirft.“ (PG II 24, S. 369)
Hier scheinen sich gleich zwei Behauptungen zu verbergen: 1. Philosophische Probleme k¨onnen fu ¨r die Mathematik nicht relevant sein; 2. Die Aufgabe des Philosophen reduziert sich darauf, die Mathematik aus der Position eines unbeteiligten Dritten zu beschreiben. Betrachtet man jedoch den unmittelbar folgenden Abschnitt, so erscheinen diese Bemerkungen in einem anderen Licht: Der Philosoph kommt leicht in die Lage eines ungeschickten Direktors, der, ” statt seine Arbeit zu tun und nur darauf zu schauen, daß seine Angestellten ihre Arbeit richtig machen, ihnen die Arbeit abnimmt und sich so eines Tages mit fremder Arbeit u ¨berladen sieht, w¨ahrend die Angestellten zuschauen und ihn kritisieren. Besonders ist er geneigt, sich die Arbeit des Mathematikers aufzuhalsen.“ (PG II 24, S. 369)
Wittgenstein vergleicht hier die Arbeit des Philosophen mit der eines Direktors. Als Direktor besteht seine Aufgabe nicht darin, sich aus dem Ablauf des (mathematischen) Betriebs herauszuhalten und lediglich zu beschreiben, was seine Angestellten machen. Vielmehr hat er darauf zu ” schauen, daß seine Angestellten ihre Arbeit richtig machen“. Die Aufgabe des Philosophen ist also, die Arbeit des Mathematikers zu kontrollieren, ihn auf Fehler hinzuweisen und dafu ¨r zu sorgen, dass er die philosophische Kritik ernst nimmt und umsetzt. Wenn Wittgenstein betont, dass mathematische Schwierigkeiten keine philosophischen sind, m¨ochte er darauf aufmerksam machen, dass Schwierigkeiten innerhalb der Mathematik, d. h. Probleme bei der L¨osung von Rechnungen und dem Beweis von S¨atzen, strukturell verschieden sind von Fragen bezu ¨glich der Anerkennung von Beweisen. Die Probleme, die ein Arbeiter mit der ihm u ¨bertragenen Aufgabe hat, sind andere als die desjenigen, der die Arbeit u ¨berwacht und kontrolliert, weil er fu ¨r das Funktionieren des Produktionsabl¨aufe verantwortlich ist. Und so wie der Direktor nur auf das Einfluss nehmen und reagieren kann, was er als unbeteiligter Beobachter der Arbeit seiner An¨ gestellten ihren Außerungen entnehmen kann, ist die Basis der philosophischen Kritik nicht die eigene Erfahrung mit mathematischen Rechnungen, sondern Mathematik, wie sie von den Mathematikern dargestellt wird. Wittgenstein ist also weit davon entfernt, der Philosophie Einfluss auf mathematische Begriffsbildungen und Methoden abzusprechen. Im Gegen-
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teil h¨alt er es gerade fu ¨r die Aufgabe der Philosophie, mathematische Begriffe und Methoden einer kritischen Pru ¨fung zu unterziehen, Fehlschlu ¨sse aufzudecken und sich dafu ¨r einzusetzen, dass Fehler korrigiert werden. Diese These findet sich mit einem etwas anderen Schwerpunkt auch in den BGM: Was ich tue ist nicht[,] Rechnungen als falsch zu erweisen; sondern das In” teresse von Rechnungen einer Pr¨ ufung zu unterziehen. Ich pr¨ ufe etwa die Berechtigung, hier noch das Wort ... zu gebrauchen.“ (BGM II, 62)
Wenn Wittgenstein hier das ‘Interesse’ von Rechnungen zu einem Maßstab der Kritik macht, dann fragt er wie in BGM II, 3 nach der mathematischen Umgebung, in der ein mathematischer Begriff steht und durch die er Bedeutung erh¨alt, oder wie in BGM II, 17-18 danach, wozu der Begriff verwendet wird und im Rahmen welcher Verwendung er welche Bedeutung h¨atte. Der Maßstab fu ¨r Wittgensteins Kritik liegt nicht innerhalb der Mathematik. Vielmehr u ¨berpru ¨ft er als Philosoph die Berechtigung von Beweisen und Rechnungen anhand der Begriffe, die sie verwenden. Die philosophische Perspektive ist eine andere als die mathematische. Das heißt aber nicht, dass die philosophische Kritik keine Auswirkungen auf mathematische Begriffsbildungen h¨atte. Im Gegenteil ist sie es, die die Berechtigung mathematischer Methoden und Begriffe u ¨berpru ¨ft. Auch die prominenteste Stelle in diesem Zusammenhang l¨asst sich als Versuch interpretieren, die Rolle des Philosophen in Abgrenzung von der des Mathematikers als die einer kontrollierenden und korrigierenden Instanz zu beschreiben. [Die Philosophie] l¨aßt auch die Mathematik, wie sie ist, und keine mathe” matische Entdeckung kann sie weiterbringen. Ein ‘f¨ uhrendes Problem der mathematischen Logik’ ist f¨ ur uns ein Problem der Mathematik, wie jedes andere.“ (PU 124)
Interpretiert man diese Bemerkung vor dem Hintergrund der von Wittgenstein vorgeschlagenen Aufgabenteilung zwischen Direktor und Angestelltem bzw. zwischen Philosophie und Mathematik, wird hier nur noch einmal die Trennung der Aufgabenbereiche hervorgehoben. Der Philosoph kann an den Mathematiker appellieren, seine Begriffe zu u ¨berdenken und zu korrigieren, er hat aber keinen Einfluss darauf, ob seine Bedenken beru ¨cksichtigt werden. Wie es nicht die Aufgabe des Direktors ist, dem Angestellten seine Arbeit abzunehmen, kann auch die Philosophie
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zur L¨osung rein mathematischer Probleme nichts beitragen – noch nicht einmal, wenn es sich um ein so verwandtes Gebiet wie das der mathematischen Logik handelt. Vor dem Hintergrund dieser Interpretationsstrategie lassen sich nun auch diejenigen Bemerkungen Wittgensteins verstehen, die ganz unzweideutig die T¨atigkeit des Philosophen als eine rein deskriptive darstellen. Unsre Aufgabe ist es nicht, Kalk¨ ule zu finden, sondern den gegenw¨artigen ” Zustand zu beschreiben.“ (BGM III, 81)
Eine solche Bemerkung gewinnt vor dem Hintergrund der aufgezeigten Interpretationsstrategie eine neue und vollkommen unspektakul¨are Bedeutung. Wittgenstein betont hier wieder, dass es nicht die Aufgabe der Philosophie ist, der Mathematik ihre Arbeit abzunehmen. Kalku ¨le zu ” finden“ ist eine genuin mathematische Aufgabe, die nicht in den Aufgabenbereich des Philosophen geh¨ort. Der Philosoph soll keine neuen mathematischen Systeme entwerfen, sondern den gegenw¨artigen Stand der Mathematik einer kritischen Pru ¨fung unterziehen. Die Betonung liegt hier auf ‘gegenw¨artig’, nicht auf ‘beschreiben’. Dass die T¨atigkeit des Philosophen eine beschreibende ist, bedeutet insofern einerseits, dass sie eine reflexive und keine entwerfende T¨atigkeit ist, und andererseits, dass sie vom Standpunkt eines Außenstehenden vorgenommen wird. Der Mathematiker entwickelt neue Kalku ¨le, der Philosoph dagegen wendet sich den etablierten Kalku ¨len zu und untersucht sie von seinem, d. h. vom philosophischen Standpunkt aus. Vor dem Hintergrund dieser Interpretation l¨ost sich der Konflikt zwischen Wittgensteins revisionistischen Bemerkungen und seinen scheinbar nicht-revisionistischen Beteuerungen in Luft auf. Bei Licht besehen lassen sich keine Bemerkungen Wittgensteins finden, in denen er seine Arbeit als Philosoph als eine grunds¨atzlich nicht-revisionistische beschreibt und ihr jeglichen Einfluss auf die Mathematik abspricht. Vielmehr sieht Wittgenstein seine Aufgabe als Philosoph darin, mathematische Begriffsbildungen auf ihre Wohldefiniertheit zu u ¨berpru ¨fen und fehlerhafte Begriffe zuru ¨ckzuweisen oder zu korrigieren. Ihm obliegt es zu u ¨berpru ¨fen, ob die Mathematiker ihre Methoden sauber und korrekt definieren und anwenden und ob die Folgerungen, die sie ableiten, gerechtfertigt sind. Bei all dem sind nicht die etablierten Methoden der Mathematik sein Maßstab, sondern die Regeln der Logik und die Anwendung der mathematischen Begriffe
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und S¨atze in der Praxis. Genau dies ist es, was Wittgenstein tut, wenn er argumentiert, dass der Diagonalbeweis kein Beweis ist und dass die auf ihm basierende Theorie transfiniter Zahlen auf Sand gebaut ist.
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