Wirkliches Tun: G.E.M. Anscombes Intention – eine Interpretation 9783495996218, 9783495492581


112 42 1MB

German Pages [299] Year 2023

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Cover
1. Vorbemerkung und Danksagung
2. Annäherungen
2.1 Einleitung
2.2 Leben und Werke
2.3 Moral
2.4 Handeln
2.5 Methode
3. Der Weg von innen nach außen – Problemstellung, erste Annäherungen (§§ 1–4)
3.1 Einleitung
3.2 Das Problem: Drei paradigmatische Verwendungsweisen für einen Begriff und die Frage nach seiner Einheit
3.3 Formunterschiede: Vorhersagen, Absichtsäußerungen und Befehle
4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)
4.1 Einleitung
4.2 Wonach man fragt, wenn man nach der Warum-Frage fragt
4.3 Handlungen und ihre Beschreibungen
4.4 Abgrenzungsfragen – Bewegungen, Handlungen, willentlich, unwillentlich, absichtlich
4.5. Übergänge: Von der isolierten Handlung zur Einheit des Begriffs Absicht
5. Die Form absichtlicher Handlungen: Finalität (§§ 22–27)
5.1 Einleitung
5.2 Zwei Erklärungsschemen: Um zu und indem
5.3 Einheit und Identität einer Handlung: Was? Warum? Wie?
6. Die Form absichtlicher Handlungen: praktisches Wissen und praktischer Syllogismus (§§ 28–48)
6.1 Einleitung
6.2 Praktisches Wissen I: Das Problem
6.3 Der praktische Syllogismus
6.4 Praktisches Wissen II: causa rerum intellectarum (§§ 45–48)
7. Wollen, Absichten und noch einmal – Vorhersagen (§§ 49–52)
7.1 Einleitung
7.2. Beabsichtigen und Wollen
7.3 Vorhersagen und zukunftsbezogene Absichten
8. Anhang
8.1 Zitierweise
8.2 Siglen
8.3 Literaturverzeichnis
8.3.1. Werke von Elizabeth Anscombe
8.3.2 Werke zu Elizabeth Anscombe
8.3.3 Sonstige zitierte Literatur
Recommend Papers

Wirkliches Tun: G.E.M. Anscombes Intention – eine Interpretation
 9783495996218, 9783495492581

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Jens Kertscher

Wirkliches Tun G.E.M. Anscombes Intention – eine Interpretation

https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

Jens Kertscher

Wirkliches Tun G.E.M. Anscombes Intention – eine Interpretation

https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-495-49258-1 (Print) ISBN 978-3-495-99621-8 (ePDF)

Onlineversion Nomos eLibrary

1. Auflage 2023 © Verlag Karl Alber – ein Verlag in der Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Baden-Baden 2023. Gesamtverantwortung für Druck und Herstellung bei der Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei). Printed on acid-free paper. Besuchen Sie uns im Internet verlag-alber.de https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

»Philosophische Untersuchungen: begriffliche Untersuchungen. Das Wesentliche der Metaphysik: daß sie den Unterschied zwischen sach­ lichen und begrifflichen Untersuchungen verwischt.« Ludwig Wittgenstein, Zettel (458)

»Philosophen haben ständig die naturwissenschaftliche Methode vor Augen und sind in unwiderstehlicher Versuchung, Fragen nach Art der Naturwissenschaften zu stellen und zu beantworten. Diese Tendenz ist die eigentliche Quelle der Metaphysik und führt den Philosophen in vollständiges Dunkel.« Ludwig Wittgenstein, Das blaue Buch (S. 39)

5 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

Inhaltsverzeichnis

1. Vorbemerkung und Danksagung . . . . . . . . . . .

9

2. Annäherungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

2.1 Einleitung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

2.2 Leben und Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

2.3 Moral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

2.4 Handeln

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

2.5 Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

3. Der Weg von innen nach außen – Problemstellung, erste Annäherungen (§§ 1–4) . . . . . . . . . . . . .

55

3.1 Einleitung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

3.2 Das Problem: Drei paradigmatische Verwendungsweisen für einen Begriff und die Frage nach seiner Einheit . . .

58

3.3 Formunterschiede: Vorhersagen, Absichtsäußerungen und Befehle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der WarumFrage (§§ 5–21) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

4.1 Einleitung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

4.2 Wonach man fragt, wenn man nach der Warum-Frage fragt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

4.3 Handlungen und ihre Beschreibungen

. . . . . . . . .

104

4.4 Abgrenzungsfragen – Bewegungen, Handlungen, willentlich, unwillentlich, absichtlich . . . . . . . . . .

113

4.5. Übergänge: Von der isolierten Handlung zur Einheit des Begriffs Absicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

141

7 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

Inhaltsverzeichnis

5. Die Form absichtlicher Handlungen: Finalität (§§ 22–27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

155

5.1 Einleitung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

155

5.2 Zwei Erklärungsschemen: Um zu und indem . . . . . .

157

5.3 Einheit und Identität einer Handlung: Was? Warum? Wie? . . . . . . . . . . . . . . . . . .

160

6. Die Form absichtlicher Handlungen: praktisches Wissen und praktischer Syllogismus (§§ 28–48) . . .

183

6.1 Einleitung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

183

6.2 Praktisches Wissen I: Das Problem . . . . . . . . . . .

185

6.3 Der praktische Syllogismus . . . . . . . . . . . . . . .

206

6.4 Praktisches Wissen II: causa rerum intellectarum (§§ 45–48) . . . . . . . . .

242

7. Wollen, Absichten und noch einmal – Vorhersagen (§§ 49–52) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

257

7.1 Einleitung

257

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7.2. Beabsichtigen und Wollen

. . . . . . . . . . . . . . .

259

7.3 Vorhersagen und zukunftsbezogene Absichten . . . . .

273

8. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

283

8.1 Zitierweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

283

8.2 Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

283

8.3 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . 8.3.1. Werke von Elizabeth Anscombe 8.3.2 Werke zu Elizabeth Anscombe . 8.3.3 Sonstige zitierte Literatur . . .

286 286 288 289

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

8 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

. . . .

1. Vorbemerkung und Danksagung

Als Intention 1957 erschien, traf dieser Traktat über absichtliches Handeln wie ein Fremdkörper auf ein von der linguistischen Phi­ losophie sowie der Tradition des Britischen Empirismus geprägtes Diskussionsumfeld. Ein Fremdkörper ist dieses Werk im Grunde bis heute geblieben, obwohl seine Bedeutung für die Handlungstheorie schon bald nach der Veröffentlichung anerkannt wurde und längst unumstritten ist. Auf dem Umschlag des Nachdrucks aus dem Jahr 2000 wird es von Donald Davidson als wichtigster Beitrag zur Handlungstheorie seit Aristoteles gepriesen – »Anscombe’s Intention is the most important treatment of action since Aristotle.« Man müsste ergänzen: »und seit Thomas von Aquin.« Der Verweis auf die aristotelisch-thomistische Tradition, die in den 1950er-Jahren kein selbstverständlicher Referenzpunkt innerhalb der damals tonan­ gebenden analytischen Philosophie war, dürfte die Fremdheit von Intention erklären. Das könnte auch erklären, warum in einer ersten Rezeptionsphase viele Einsichten Anscombes aus ihrem argumen­ tativen Zusammenhang genommen und mit den Methoden und Fragestellungen der zeitgenössischen Philosophie diskutiert, kritisiert und weiterentwickelt wurden. So haben sich die handlungstheore­ tischen Debatten immer weiter ausdifferenziert und immer mehr von diesem Referenzpunkt entfernt. Die Arbeiten des oben zitier­ ten Donald Davidson waren für diese Entwicklung ein geradezu kongenialer Katalysator – zum Guten wie zum Problematischen. Thesen, die heute zum handlungstheoretischen Allgemeingut gewor­ den sind und mit Anscombes Namen verbunden werden, z.B. dass der Begriff der Absicht gegenüber dem des Wollens explanatorisch primär ist, dass Handlungserklärungen nicht kausale Erklärungen, sondern Erklärungen durch Gründe sind, oder dass Handlungen unter einer Beschreibung als absichtlich und unter anderen Beschreibungen als unabsichtlich identifiziert werden können, wurden übernommen, manchmal (allzu voreilig) verworfen. Selten aber hat man sich mit den Argumenten genauer befasst, die Anscombe für diese und andere

9 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

1. Vorbemerkung und Danksagung

Thesen in Intention vorgebracht hat. Dabei sind deren Implikationen dem, was im Bezugsrahmen der von Davidson geprägten Orthodoxie bis heute als akzeptabel gilt, diametral entgegengesetzt und stellen nach wie vor eine philosophische Herausforderung dar.1 Das hat sich seit den späten 1990er-Jahren allerdings ein wenig geändert, nachdem Grenzen und theoretische Sackgassen, des nach Davidson etablierten Paradigmas deutlicher geworden sind. Seitdem geht man wieder auf den Originaltext zurück: das Potenzial von Anscombes Untersuchungen zur Form absichtlicher Handlungen für eine Kritik der kausalen Handlungstheorie wird neu entdeckt; auch ihr lange Zeit missverstandener Begriff des praktischen Wissens stößt verstärkt auf Interesse.2 Dennoch fällt auf, dass Anscombes Argumente, Problem­ stellungen und Fragen nach wie vor nur selten in ihrem Zusammen­ hang und nach ihren eigenen Maßstäben und Ansprüchen dargestellt und diskutiert werden. Vor diesem Hintergrund eines wachsenden Interesses an Ans­ combes Arbeiten bietet das vorliegende Buch eine zusammenhän­ gende Interpretation von Intention. Mein Ziel ist es in erster Linie, die zentralen Gedankengänge dieser Schrift so zu erläutern, dass Lesende, die sich erstmals damit befassen, einen Leitfaden zur Erschließung dieses komplexen, oftmals sperrigen Texts an die Hand bekommen. Ich folge dabei dem nicht zuletzt von Donald Davidson in Ehren gehaltenen Interpretationsgrundsatz, dass ein philosophischer Text von diesem Rang, noch bevor man ihn kritisiert, darin Fehler nachweist oder die eigene Originalität beweisen will, indem man ein­ zelne Gedanken weiterentwickelt, zunächst gemäß seinen eigenen, nicht zuletzt auch methodischen Maßstäben ernst genommen werden sollte; das freilich in der Hoffnung, auf dieser Grundlage Perspektiven für eine weiterführende Diskussion unabhängig von eingespielten Selbstverständlichkeiten gegenwärtiger Handlungstheorie oder auch Philosophie des Geistes zu eröffnen. Damit verbindet sich meine 1 Zu diesen sich hartnäckig haltenden Selbstverständlichkeiten gehört die Vorstel­ lung, dass Absichten »mentale Zustände« sind, zu denen Handelnde einen besonderen erstpersonalen Zugang haben. 2 Auch die Forschungsliteratur nimmt seitdem beständig zu. Es gilt inzwischen das, was für viele klassische Texte der Philosophie in solchen Fällen behauptet zu werden pflegt: die Literatur ist kaum mehr zu überschauen. Auch in der deutschsprachigen Philosophie ist diese Diskussion inzwischen angekommen. Äußerlich kann man diese Entwicklung daran erkennen, dass 2011 eine Neuübersetzung von Intention erschie­ nen ist; 2014 folgte eine Sammlung mit einigen der wichtigsten Aufsätze Anscombes.

10 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

1. Vorbemerkung und Danksagung

weitere Hoffnung, dass das Buch auch für Personen, die bereits gut mit Anscombes Philosophie vertraut sind, den einen oder anderen interessanten Anknüpfungspunkt enthalten möge. Das Buch ist folgendermaßen gegliedert: Das erste Kapitel informiert über Hintergründe für die Entstehung von Intention und dient somit vor allem der historisch-biographischen, systematischen und methodischen Einordnung. Die weiteren Kapitel folgen sodann fortlaufend dem Gedankengang von Intention, den ich in mehrere Sinnabschnitte gegliedert habe. Diese Gliederung orientiert sich an Anscombes eigener Einteilung des Themas und dürfte sich daher im Zuge der Interpretation leicht erschließen. Jedes Kapitel enthält Literaturhinweise zur Vertiefung des einen oder anderen Aspekts. Besonders profitiert habe ich, das sei schon an dieser Stelle hervor­ gehoben, von zwei Monographien zu Intention, die 2016 und 2019 erschienen sind (Wiseman 2016a und Schwenkler 2019) und als weitere bedeutende Zeugnisse des neuen Interesses an diesem Werk gelten können. Dem eine weitere Interpretation zur Seite stellen zu wollen, ist möglicherweise gewagt. Ich glaube aber, den einen oder anderen Beitrag zur Interpretation geleistet zu haben, den man in diesen beiden Büchern nicht findet. Außerdem scheint mir der richtige Zeitpunkt für ein analoges, diese Arbeiten ergänzendes Vorhaben für die deutschsprachige Diskussion gekommen zu sein. Ein letztes Wort zu den deutschen Übersetzungen. Es gibt davon zwei: Die 1986 erschienene von John M. Connolly und Thomas Keut­ ner ist inzwischen vergriffen bzw. nur noch antiquarisch erhältlich. 2011 ist eine neue Übersetzung von Joachim Schulte erschienen. Wie alle Übersetzungen haben beide ihr Stärken und Schwächen.3 Ich habe keine eindeutige Präferenz. Da diejenige von Schulte leichter zugänglich ist, habe ich sie für diese Interpretation zugrunde gelegt. Dort, wo es mir nötig erschien, habe ich die ältere Übersetzung hinzugezogen bzw. auf das englische Original verwiesen, das man, wenn man kann, ohnehin bei der Lektüre vorziehen sollte.

Danksagung In den vergangenen Jahren hatte ich das Glück, bei der Entstehung dieses Buchs von vielen Personen unterstützt worden zu sein. Ganz 3

Für eine Besprechung der Übersetzung von Connolly/Keutner vgl. Müller 1991a.

11 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

1. Vorbemerkung und Danksagung

besonderen Dank schulde ich Jan Müller, mit dem mich eine lang­ jährige, intensive, bereichernde philosophische sowie persönliche Freundschaft verbindet. Ohne die vielen Gespräche, nicht zuletzt auch im Rahmen unserer regelmäßig im Kloster Bronnbach gemeinsam veranstalteten sommerlichen Blockseminare wäre ich wohl nie auf die Idee gekommen, mich an so einem Buch zu versuchen. Der vorliegende Text wurde im Wintersemester 2019/2020 begonnen. In dieser Zeit war ich von meinen Lehrverpflichtungen befreit. Für die Gewährung dieses Privilegs, das mir die nötige Ruhe gegeben hat, um dieses Vorhaben anzustoßen, danke ich dem Direk­ torium des Instituts für Philosophie der TU Darmstadt, namentlich Petra Gehring, Sophie Loidolt und Alfred Nordmann. Christoph Hubig habe ich herzlich für ein Gutachten zu danken, das er zur Unterstützung eines Antrags für eine Druckkostenbeihilfe verfasst hat. Marcus Knaup danke ich für die Bereitstellung eines Exemplars des Studienbriefs über Wittgensteins Kritik an privaten hinweisenden Definitionen, den Elizabeth Anscombe für die Fernuniversität Hagen verfasst hat. Mit Philipp Richter und Sascha Settegast konnte ich in den vergangenen Jahren regelmäßig über grundlegende Themen aus der praktischen Philosophie diskutieren. Sascha Settegast hat zudem ein Kapitel gelesen und kommentiert. Auch dafür sei ihm herzlich gedankt. Ich danke auch Andreas Brenneis für seine hilfrei­ chen Bemerkungen und Rückmeldungen zu einer letzten Version des Typoskripts. Laura Grosser hat während der gesamten Entstehungs­ phase umfangreiche Teile des Typoskripts gelesen, korrigiert und ausführlich kommentiert. Ihre differenzierten Anmerkungen waren eine besonders große Hilfe und haben erheblich zur Verbesserung des Textes beigetragen. Zu danken habe ich ebenfalls Nicolas Pop, auf dessen überaus sorgfältige redaktionelle Mitarbeit ich in der letzten Phase der Publikation zurückgreifen konnte. Der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswis­ senschaften danke ich für die Förderung dieser Publikation durch einen Druckkostenzuschuss. Schließlich danke ich Martin Hähnel vom Alber Verlag, dem Lektor dieses Buchs, für sein frühzeitiges Interesse an diesem Vorha­ ben, insbesondere aber für seine geduldige, stets wohlwollende und entgegenkommende Begleitung der Publikation. Darmstadt, Februar 2023

12 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2. Annäherungen

2.1 Einleitung Intention ist eine mühevolle, bisweilen frustrierende Lektüre. Schwie­ rigkeiten bereiten schon das auf den ersten Blick unsystematische Vorgehen sowie die dichte, teilweise kryptisch erscheinende Gedan­ kenführung, die es nicht leicht machen, sich in diesem Werk zu orien­ tieren.4 Der Text beginnt unvermittelt, erstreckt sich ohne äußerlich erkennbare Gliederung über 52 durchnummerierte Abschnitte unter­ schiedlicher Länge. Das vorangestellte analytische Verzeichnis hilft bei der Lektüre nur sehr bedingt als Wegweiser.5 Darauf wurde schon in frühen Besprechungen kritisch hingewiesen.6 Roger Teichmann fasst diese Beobachtungen folgendermaßen zusammen: »[h]er work is often difficult or puzzling, and an impatient reader will not get far with it. To read and reread her is undoubtedly the best way; a remark or passage which had at first seemed obscure can come to seem absolutely the right way of putting things.« (Teichmann 2011: 1) Anselm Müller bemerkt: »Wenn daher sogar geneigte Lese­ rinnen und Leser an manchen Stellen [...] zunächst einmal gestockt, tief durchgeatmet und zurückgeblättert oder einen ganzen Aufsatz erst beim zweiten Anlauf verstanden haben, so ist das vermutlich nicht den Grenzen ihrer Auffassungsgabe anzulasten.« (Müller 2014: 360) Diese Erfahrung wird man nicht zuletzt auch bei der Lektüre von Intention machen. Die von Teichmann angesprochene Ungeduld dürfte einer der Gründe für die vielen Missverständnisse sein, die die Rezeption dieses Werks zum Teil noch bis heute begleiten. Folgt man allerdings der Empfehlung, den Text gründlich zu studieren, zeigt sich, Für einen ersten Zugang empfiehlt sich Frederick Stoutlands konzise Darstellung des Gedankengans von Intention (vgl. Stoutland 2011b). 5 In beiden deutschen Übersetzungen befindet sich dieses Verzeichnis am Ende der Abhandlung (man weiß nicht so recht warum). 6 Für eine Aufstellung der damaligen, überwiegend zurückhaltenden Rezensionen vgl. bereits Connolly/Keutner 1986: LXIXf. und neuerdings die Diskussion bei Wiseman 2016b: 208f. 4

13 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2. Annäherungen

dass Intention ein sorgfältig durchkomponiertes, methodisch höchst reflektiertes und vor allem systematisch äußerst stringentes Werk ist. Intention ist alles andere als ein unausgereifter Entwurf, ein Stückwerk mit einigen fruchtbaren Einsichten, die erst noch darauf warten, mit größerer Präzision ausgearbeitet zu werden. In diesem Kapitel will ich mich Intention von verschiedenen Seiten her nähern und eine allgemeine Interpretationsperspektive vorschlagen. Neben einer biographischen Skizze sollen thematische Hintergründe beleuchtet und Anscombes methodischer Ansatz vor­ gestellt werden. Zu den thematischen Aspekten gehört die Frage, inwiefern man Intention als eine moralphilosophische Grundlegungs­ schrift verstehen kann. Anscombe hat diese Möglichkeit selbst ange­ deutet, und diese Annahme bildet die Grundlage für einige neuere Interpretationen. Um zu verstehen, warum dieser Text heutzutage mehr oder weniger neu entdeckt wird, ist es jedoch vor allem notwendig, auf den handlungstheoretischen Diskussionszusammen­ hang einzugehen, in den Anscombe mit ihrem Werk eingreift, und erste Hinweise auf Anknüpfungspunkte für heutige Diskussionen zu geben. Dabei werde ich ihre Kritik an Konzeptionen in den Vor­ dergrund stellen, die den Bereich des Geistigen als etwas Inneres begreifen. Solche Konzeptionen finden sich in der neuzeitlichen, auf Descartes und Locke zurückgehenden Tradition und sind bis heute wirksam.7 Anscombe war nicht die einzige, die solche »cartesiani­ schen« Konzeptionen des Geistigen angegriffen hat: Neben ihrem Lehrer Wittgenstein sind hier auch Gilbert Ryle, Peter Geach und Anthony Kenny zu nennen. Anscombes Kritik ist besonders konse­ quent und nicht zuletzt auch originell. Darin liegt ihre anhaltende Relevanz für das Gebiet der Philosophie des Geistes, insbesondere der Handlungstheorie bzw. -psychologie. Zwei Schlüsselbegriffe von Intention können schon jetzt erwähnt werden: Der Begriff der Inten­ tionalität selbst, den Anscombe als eine Beschreibungsform, d.h. als einen grammatischen Aspekt der Sprache erläutert, und die Konzep­ tion des praktischen Wissens. Damit nimmt sie jeweils begriffliche Prägungen der aristotelisch-thomistischen Tradition auf, um sie für damalige Debatten mit den Mitteln der an Frege und Wittgenstein geschulten logisch-grammatischen Analyse fruchtbar zu machen. Die 7 Für eine Übersicht und kritische Diskussion der neuzeitlichen Debatte zum Verhält­ nis des Geistigen zum Materiellen sowie der damit zusammenhängenden Probleme vgl. Knaup 2013.

14 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2.2 Leben und Werke

in der englischsprachigen Philosophie der 1950er- und 60er-Jahre vorherrschenden Varianten der Sprachanalyse hatten, entgegen ihrer eigenen Programmatik, nicht dazu geführt, Denkmuster der erkennt­ nistheoretischen, insbesondere empiristischen Tradition konsequent zu überwinden. Aus Anscombes Perspektive lassen sich philosophi­ sche Sackgassen, in die diese Ansätze führen, am Beispiel dieser Schlüsselbegriffe erklären. Insofern setzt Intention auch methodisch einen eigenen, bemerkenswerten Akzent. Ich werde daher in diesem Kapitel auf Anscombes Methode eingehen, die sehr stark von Witt­ gensteins Spätwerk geprägt ist. Die folgenden einleitenden Abschnitte sollen die anschließende Werkinterpretation vorbereiten. Sie bauen nicht aufeinander auf, sondern bieten unterschiedliche Annäherungen an den Text und sollen sich wechselseitig im Hinblick auf ein Gesamtbild ergänzen. Sie können unabhängig voneinander und in beliebiger Reihenfolge gelesen werden.

2.2 Leben und Werke Gertrude Elizabeth Margaret Anscombe wurde am 18. März 1919 in Limerick (Irland) als drittes Kind von Alan Wells und Gertrude Eli­ zabeth Anscombe geboren.8 Ihr Vater war Physik-Lehrer am Dulwich College in London, ihre Mutter, ebenfalls Lehrerin, unterrichtete alte 8 Eine Biographie von Elizabeth Anscombe liegt nicht vor. Inzwischen sind allerdings zwei Kollektivbiographien erschienen, die sich mit Elizabeth Anscombe, Philippa Foot, Iris Murdoch und Mary Midgley befassen. Die vier Philosophinnen haben sich in ihrer Studienzeit in Oxford kennen gelernt und angefreundet. Das erste Werk stammt von Benjamin Lipscomb (Lipscomb 2022) und verfolgt die Lebensläufe sowie die intellektuelle Entwicklung der vier Philosophinnen ausgehend von der gemeinsamen Zeit in Oxford. Das zweite Werk stammt von Claire Mac Cumhaill und Rachael Wise­ man (Mac Cumhaill/Wiseman 2022). Es konzentriert sich auf den Zeitabschnitt von den späten 1930er-Jahren bis 1956, dem Jahr, in dem Elizabeth Anscombe mit einer Protestnote gegen die Verleihung der Ehrendoktorwürde an den US-amerikanischen Präsidenten Truman an die Öffentlichkeit trat. Beide Bücher sind eine wertvolle Quelle für die Geschichte der englischen Philosophie in den 1940er und 1950er-Jahren. Vgl. dazu die Rezension von Nieswandt 2022. Mehr dazu im weiteren Verlauf dieses Kapitels. Abgesehen von diesen beiden Werken bleibt man, wenn man sich über Anscombes Leben informieren will, auf Erinnerungen von Zeitgenossen, Nachrufe sowie Informationen aus kürzeren Überblicksdarstellungen angewiesen. Besonders hervorheben möchte ich den ausführlichen Nachruf, den Jenny Teichman für die British Academy, deren Fellow Anscombe 1967 wurde, verfasst hat (Teichman 2001),

15 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2. Annäherungen

Sprachen (Teichman 2001: 31, Haldane 2019a: 5f.). Zum Zeitpunkt von Elizabeth Anscombes Geburt diente Allan Wells Anscombe aller­ dings noch in den Britischen Streitkräften. Die Familie siedelte nach Abschluss der Dienstzeit nach London um, wo der Vater seine Tätig­ keit als Lehrer wieder aufnahm (Teichman 2001: 31, Driver 2018: 1f.). Schon in jungen Jahren entdeckte Elizabeth Anscombe den katholi­ schen Glauben. Da ihre Eltern jedoch eine Konversion ablehnten, konnte sie erst nach Ablauf ihrer Schulzeit an der Sydenham High School, bis heute eine Mädchen-Schule in London, offiziell in die Katholische Kirche eintreten. In Oxford studierte sie ab 1937 am St. Hugh’s College »Greats«, wie das Studium der Altertumswissenschaften in Oxford genannt wird. Dort lernte sie 1938 Peter Geach kennen, der ebenfalls zum Katholizismus konvertiert ist. Beide wurden von demselben Domi­ nikanischen Priester, Richard Kehoe vom Priesterseminar Blackfriars in Oxford, in die katholische Lehre eingewiesen (Haldane 2019a: 6). Anscombe und Geach heirateten am 26. Dezember 1941. Ihrer Ehe entstammten sieben Kinder (drei Söhne und vier Töchter). Nach ihrem Abschluss im selben Jahr – mit Bestnote trotz einer verun­ glückten Teilprüfung in römischer Geschichte (Teichman 2001: 38) – blieb Elizabeth Anscombe zunächst in Oxford am St. Hugh’s College. 1942 wechselte sie ans Newnham College in Cambridge, wo sie Lud­ wig Wittgenstein kennenlernte, der damals in Cambridge eine Phi­ losophie-Professur innehatte. Die Begegnung mit Wittgenstein sollte Anscombes Denken maßgeblich prägen, methodisch und hinsichtlich ihres Verständnisses philosophischer Probleme. Zwischen den beiden entwickelte sich eine tiefe Freundschaft, die dazu führte, dass Ans­ sowie einen Text von John Haldane (Haldane 2019a). Dieser Text, der in einer etwas kürzeren Version bereits 2016 veröffentlicht wurde, ist, abgesehen von den beiden oben genannten Büchern, der bisher ausführlichste rein biographische Beitrag. Sehr informativ sind ferner die Ausführungen von Wiseman (2016a: 10–17) sowie Roger Teichmanns Einleitung zu seiner Anscombe-Monographie (Teichmann 2011: 1–9). Eine wichtige Quelle für biographische Hintergründe und zur Entstehung einzelner Werke sind auch die Einleitungen von Anscombes Tochter Mary Geach zu den vier aus dem Nachlass zwischen 2005 und 2015 erschienenen Aufsatzsammlungen. Vgl. außerdem den bereits erwähnten Nachruf von John Haldane (Haldane 2001) sowie Müller (2001), Vogler (2013) sowie Driver (2018) für Überblicke zu Anscombes Werken. Diese Texte enthalten allerdings keine über die eingangs genannten Darstel­ lungen hinaus gehenden biographischen Einzelheiten. Lesenswert für Anscombes Zeit in Oxford ist schließlich Kenny (2016). Eine prägnante deutschsprachige Hinfüh­ rung zu Anscombes Werk bietet Müller 2014.

16 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2.2 Leben und Werke

combe gemeinsam mit Georg Henrik von Wright und Rush Rhees Verwalterin des philosophischen Nachlasses Wittgensteins und Über­ setzerin seiner Philosophischen Untersuchungen sowie weiterer Werke wurde. 1946 kehrte Elizabeth Anscombe zurück nach Oxford, um eine Stelle als Fellow ohne Lehrverpflichtung am Somerville College anzutreten. In Oxford hatte sie unterschiedliche Positionen inne, zunächst auf einer Forschungs-Fellowship, sodann mit Lehrverpflich­ tung als College Lecturer (1951) und als University Lecturer (1958), schließlich, 1968, als College Fellow (Haldane 2019a: 6). Sie blieb in Oxford bis zu ihrer Berufung auf eine Professur für Philosophie in Cambridge im Jahre 1970, die sie bis zu ihrer Emeritierung im Jahre 1986 innehatte. Elizabeth Anscombe gehört zweifellos zu den bedeutendsten Philosophinnen des 20. Jahrhunderts.9 Derartige Einschätzungen dürften wohl generell, wie Haldane in der unten zitierten Passage selbst anmerkt, selten unumstritten sein und im Fall Anscombes vielleicht sogar überraschen. Das liegt sicherlich daran, dass sie außerhalb philosophischer Fachkreise kaum bekannt ist. Anders als Hannah Arendt oder Simone de Beauvoir ist sie nicht als öffentliche Intellektuelle hervorgetreten.10 In ihren Werken verzichtet sie zwar auf philosophischen Jargon, allerdings auch auf oberflächliche rhetori­ sche Brillanz oder auf zur Schau gestellte »cleverness« (eine Unart, die bis heute von einigen echten oder auch nur selbsternannten Vertretern der analytischen Philosophie gepflegt wird). Ihr Stil ist sperrig, die Argumentationsschritte liegen nicht immer offen zu Tage, und wie Vgl. exemplarisch die Einschätzungen von John Haldane: »She certainly has a good claim to be the greatest woman philosopher of whom we know, and to have been one of the finest philosophers of the twentieth century« (Haldane 2001: 1021) und einige Jahre später: »Elizabeth Anscombe was certainly a remarkable and formidable woman, and an outstanding philosopher. Orders of intellectual greatness are hard to assign, particularly when the subject in question belongs to one’s own time, but there is no question that Anscombe was one of the most gifted and accomplished philosophers of the twentieth century. Her work will continue to be read long into the future, and a place for her in the history of philosophy is assured.« (Haldane 2019a: 3). Roger Teichmann beginnt seine Monographie mit folgender Feststellung: »Elizabeth Anscombe was one of the giants of twentieth-century philosophy, a bold and original thinker who wrote on a huge variety of topics.« (Teichmann 2011: 1). Vgl. auch Searle 2015: 180. 10 Auf eine wichtige Ausnahme, die Kontroverse um die Ehrendoktorwürde für den amerikanischen Präsidenten Truman, komme ich noch zurück. 9

17 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2. Annäherungen

schon eingangs bemerkt: ohne geduldige Lektüre und Vertrautheit mit den relevanten philosophischen Diskussionen erschließen sich ihre Texte kaum. Die Originalität und philosophische Relevanz ihrer Beiträge sind jedoch unbestreitbar. Viele ihrer Werke waren für die Nachkriegsphilosophie richtungsweisend. Das gilt nicht nur für das Hauptwerk Intention, sondern auch für viele ihrer Aufsätze. Um nur einige zu nennen: die Antrittsvorlesung in Cambridge Causality and Determination; The first Person; Rules, Rights and Promises; Practical Inference und nicht zuletzt Modern Moral Philosophy.11 Diese Texte sind auch für das Verständnis von Intention relevant und prägen die einschlägigen Debatten bis heute; ihr Potenzial ist teilweise noch gar nicht erschöpft. Anscombes außergewöhnliche philosophische Begabung zeich­ nete sich schon in ihrer Studienzeit ab. Haldane zitiert aus einem Brief Wittgensteins aus dem Jahr 1945, der seine Einschätzung der brillan­ ten Studentin deutlich zum Ausdruck bringt: »She is undoubtedly the most talented female Student I have had since 1930 when I began to lecture [...] There is very good reason to expect that she will produce sound and interesting work in philosophy.« (Zit. nach Haldane 2019a: 6) Wittgenstein sollte damit Recht behalten. Die institutionellen Aus­ gangsbedingungen waren dafür allerdings nicht selbstverständlich. Frauen wurden in Oxford erst seit 1920 als immatrikulierte Mitglieder der Universität zum Studium zugelassen.12 Insofern war es, als Ans­ combe nach Oxford kam, noch ungewöhnlich für eine Frau, dort einen akademischen Grad anzustreben. Ein Umstand, der Frauen allerdings ermöglichte, ihre wissenschaftlichen Fähigkeiten zu entfalten, war die Einführung der Wehrpflicht angesichts des drohenden Krieges. Sie führte dazu, dass die Anzahl an männlichen Studierenden bis 1940 deutlich abnahm.13 Mary Midgley, eine Kommilitonin von Elizabeth 11 Eine zur ersten Orientierung sehr nützliche kommentierte Übersicht der wichtigs­ ten Werke und Aufsätze findet sich bei Teichman 2001: 39–49. 12 Vgl. Haldane 2019a: 1 und Wiseman 2016a: 11. Das Somerville College, an dem Anscombe ab 1946 tätig war, wurde 1879 als College für Frauen gegründet und nach der schottischen Mathematikerin Mary Somerville benannt. Nicht zuletzt aufgrund der Arbeit der damaligen Rektorin des Colleges, Mary Penrose, gewährte die Universität Oxford ab 1920 Frauen das Recht auf Immatrikulation und damit auch auf alle akademischen Abschlüsse. Vgl. https://www.some.ox.ac.uk/about/a-brief-hist ory-of-somerville/ (letzter Zugriff am 18.02.2023). 13 Vgl. Wiseman 2016a: 11 und ausführlich Lipscomb 2022: 38ff. sowie Mac Cum­ haill/Wiseman 2022: 56–59.

18 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2.2 Leben und Werke

Anscombe, die ebenfalls eine bedeutende Philosophin werden sollte, berichtet von dieser Zeit als einem Goldenen Zeitalter der weibli­ chen Philosophie. Sie führt das unter anderem auf die Abwesenheit von Männern zurück, die einen veränderten, weniger kompetitiven und mehr auf gegenseitiges Verständnis abzielenden Diskussions­ stil ermöglicht hat.14 Ihre Erinnerung an ein Gespräch über Platos Ideenlehre beschreibt diese freundschaftliche, offene Atmosphäre gemeinsamen Philosophierens anschaulich: It was quite early in this term that I first encountered Elizabeth Anscombe. She was a year senior to me and was reading Greats at St. Hugh’s, but she was having lunch at Somerville one day […] and somehow over lunch we began to talk about Plato. I said that I thought Plato was actually right about the forms – there did have to be Goodness Itself and the Man Himself behind the particular examples of men and goodness. Yes, said Elizabeth, but then we have to ask, what does this mean? What sort of behindness is it? What are we saying if we say that they are there…? […] Elizabeth was not being in the least destructive in asking these questions. Her approach was as far as possible from the standard triumphant ›But what could that possibly mean?‹ which was the parrot cry of brisk young men who had picked up enough logical positivism to be sure already that it couldn’t mean anything. She could see that it did mean something – Plato wasn’t just being foolish – but it was still very hard to say just what. (Midgley 2007: 114f.)15

So konnte sich Anscombe gemeinsam mit ihren Kommilitoninnen, zu denen neben Mary Midgley auch Iris Murdoch, Mary Warnock und nicht zuletzt Philippa Foot, mit der sie eine lebenslange Freundschaft verbunden hat, gehörten, im philosophisch ungewöhnlich produk­ tiven und stimulierenden Umfeld Oxfords bestens entfalten und auf sich aufmerksam machen. Zu diesem Umfeld gehörten insbeson­ dere auch bedeutende Gelehrte aus dem kontinentaleuropäischen Ausland, die nach ihrer erzwungenen Auswanderung nach England Lehrtätigkeiten in Oxford aufnehmen konnten und dort einen erheb­

Vgl. Wiseman 2016a: 12 mit einem längeren Zitat Midgleys aus einem Leserbrief an den Guardian. Vgl. auch Midgley 2007: 123f. 15 Diese Stelle aus Midgleys Autobiographie sowie weitere ähnlich lautende Ein­ schätzungen Midgleys zur Atmosphäre im Oxford der Kriegszeit dürften Lipscombs, aber auch Mac Cumhaills & Wisemans Bücher inspiriert haben, die jeweils dieser Vermutung detailliert nachgehen. 14

19 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2. Annäherungen

lichen Beitrag zur Qualität der Lehre seit Beginn des 2. Weltkriegs geleistet haben dürften.16 Philosophisch war Oxford damals eines der Zentren einer methodischen Neuorientierung der Philosophie, die unter der Bezeichnung »linguistic turn« in die Philosophiegeschichte des zwan­ zigsten Jahrhunderts eingegangen ist. John Searle beschreibt in seinen Erinnerungen an diese Zeit in Oxford die »linguistische Philoso­ phie« folgendermaßen: The idea behind Linguistic Philosophy was that many of the traditional philosophical problems could be solved if we paid very close attention to the actual use of the words involved. So, for example, the problem of scepticism was supposed to be a problem of whether or not we could have genuine knowledge, and whether or not our beliefs could be adequately supported by evidence. The typical view in Oxford in those days was that if you were going to take this view seriously you have to become very clear about the ordinary use of the word ›know‹. What counts as knowing and not knowing; and similarly with words like ›evidence‹, ›reason‹, ›belief‹, ›support‹, etc. In its strongest form, the hope was that if we got really clear about these, the philosophical problem of knowledge would simply dissolve. (Searle 2015: 175)17

In Oxford waren die Hauptvertreter dieser philosophischen Methode, die auch unter der Bezeichnung ordinary language philosophy bekannt geworden ist, Gilbert Ryle und John Austin. Beide lehrten in Oxford als Anscombe dort zu studieren begann. Andere bedeutende Phi­ losophen, die damals ebenfalls in Oxford wirkten, waren Alfred Jules Ayer, Isaiah Berlin, David W. Ross, Stuart Hampshire, der allerdings 1940 in den Kriegsdienst eingezogen wurde, und H.L.A. Hart. Wie schon diese Aufzählung deutlich macht, wäre es unange­

Dazu gehörten u.a. die Philosophen Friedrich Waismann, Heinrich Cassirer und der Altphilologe Eduard Fraenkel. Vgl. Mac Cumhaill/Wiseman 2022: 38–41 sowie 79f. Dass dieser Faktor für die intellektuelle Entwicklung der vier Philosophinnen min­ destens genauso wichtig, wenn nicht vielleicht sogar wichtiger als der produktivere Diskussionsstil gewesen sein dürfte, betont Nieswandt 2022. 17 Vgl. auch Dummett 1988: 11. Für einen differenzierten Überblick über die verschie­ denen methodischen Konzeptionen und Varianten des linguistic turns sowie ihrer philosophischen Implikationen ist nach wie vor Richard Rortys Einleitung in die von ihm herausgegebene Anthologie zum linguistic turn sehr empfehlenswert (vgl. Rorty 1967). Einige Austin-Zitate, an denen man sich diese Methode verständlich machen kann, finden sich bei Wiseman 2016a: 15. Vgl. auch meine Ausführungen zu Anscombes Methode im Verhältnis zur linguistischen Philosophie in Abschnitt 2.5. 16

20 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2.2 Leben und Werke

messen, die Philosophie im Oxford der 1950er-Jahre ausschließlich als Varianten der linguistischen Philosophie zu sehen. In dieser Zeit sind einige bedeutende Werke erschienen, die methodisch wie auch thematisch gemessen an der linguistischen Philosophie eher traditionellen Zuschnitts waren, z.B. Peter F. Strawsons Individuals (1959) oder Stuart Hampshires Thought and Action (1959) und nicht zuletzt Elizabeth Anscombes Intention (1957). Strawson stellt im Rückblick auf diese Zeit fest, dass man damals begann, sich von den kleinteiligen, oft selbstreferenziellen linguistischen Analysen, deren philosophische Relevanz nicht immer klar war, abzuwenden, um sich wieder größere systematische Entwürfe zuzutrauen.18 Anscombes Zeit in Oxford war äußerst produktiv. Ihre wichtigs­ ten Werke sind damals entstanden. Sie kümmerte sich nach 1951, dem Todesjahr Wittgensteins, nicht nur um dessen Nachlass, sondern übersetze auch einige seiner wichtigsten Werke: 1953 brachte sie die Philosophischen Untersuchungen in einer zweisprachigen Ausgabe heraus. Diese Veröffentlichung markiert einen Einschnitt in der Nachkriegsphilosophie wie kaum ein anderes Werk.19 Es folgten die Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik (1956), die Tage­ bücher von 1914–1916 (1961), die Zettel (1967) und schließlich Über Gewißheit (1969). Daneben verfasste sie eine Monographie zu Witt­ gensteins logisch-philosophischer Abhandlung: An Introduction to Wittgenstein’s Tractatus (1959) und gab, gemeinsam mit Peter Geach, eine Sammlung mit wichtigen Schriften Descartes heraus. Wiederum mit Peter Geach schrieb sie ein Buch über Aristoteles, Thomas von Aquin und Frege (1961). Auch Intention ist in Oxford entstanden. Wie Anscombe in der sehr knappen Vorbemerkung berichtet, ist der Text aus einer Vorlesung hervorgegangen, die sie Anfang 1957 (Hilary Term) in Oxford gehalten hat. Weiteres Material wurde im Juni 1957 vor der Aristotelian Society vorgetragen.20 Eine erste Auflage erschien 1957, sie wurde im folgenden Jahr nachgedruckt. Eine zweite, 18 Vgl. Strawson 2011: 76. Den Hinweis auf diesen Aufsatz entnehme ich Wiseman 2016a: 16 u. 23. 19 Vgl. wiederum Peter Strawson: »The publication of the Philosophical Investiga­ tions in 1953 revealed Wittgenstein clearly and generally as a philosopher of genius, many of whose thoughts, spoken in Cambridge had somehow become assimilated to the very different style of Oxford; but it was impossible to say quite how.« (Strawson 2011: 73) 20 Dieser Vortrag wurde 1981 im zweiten Band der Gesammelten Aufsätze (Metaphy­ sics and the Philosophy of Mind) wiederabgedruckt.

21 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2. Annäherungen

geringfügig veränderte Auflage erschien 1963. Diese Ausgabe war lange Zeit vergriffen. Erst im Jahr 2000 erschien ein Nachdruck bei der Harvard University Press.21 Anscombes Schriften decken zentrale Gebiete und Themen der Philosophie ab: Handlungstheorie und praktische Philosophie, Phi­ losophie des Geistes, Metaphysik, Kausalität und Philosophie der Zeit, Religionsphilosophie sowie exegetische Abhandlungen, insbe­ sondere zu Aristoteles. Die meisten ihrer Aufsätze sind in drei Bänden abgedruckt, die 1981 erschienen sind. Vier weitere Sammlungen mit Aufsätzen, darunter auch einige bisher unveröffentlichte Texte, sind von 2005 bis 2015 posthum erschienen. Wenn man den einschlägigen Anekdoten glauben darf, war Eli­ zabeth Anscombe eine ziemlich unkonventionelle, bisweilen skurrile Persönlichkeit.22 Als akademische Lehrerin war sie fordernd, aber, wie Anthony Kenny und Anselm Müller, die beide bei ihr in Oxford studiert haben, berichten, eine ungewöhnlich großzügige Betreuerin. Kenny schreibt: Anscombe was extremely welcoming to graduate students who had a serious interest in philosophy. She kept open house in 27 St. John Street – one could drop in at any hour of day or night and start a discussion of a philosophical problem [...]. It was only in later years, as tutor myself beset with the enthusiasms of young graduate students, that I came to appreciate fully the generosity with which she made herself available. (Kenny 2016: 186)

Ganz ähnlich erinnert sich Anselm Müller: Zweifellos war jedoch ihre Stärke der Unterricht für Fortgeschrittene in Supervisionssitzungen und Seminaren. Man wurde nicht eigentlich ›unterrichtet‹. Sondern höchst großzügig in der Entwicklung, Formu­ 21 Constantine Sandis hat alle Änderungen untersucht, die Anscombe in diesen ver­ schiedenen Textfassungen vorgenommen hat. Diese Varianten, so Sandis’ Ergebnis, betreffen allerdings überwiegend Feinheiten und Verbesserungen der Formulierungen (vgl. Sandis 2016). 22 Diese Züge der Persönlichkeit Anscombes fasst Duncan Richter so zusammen: »G.E.M. Anscombe, usually referred to as either Elizabeth Anscombe or Miss Anscombe, was a colorful figure. She was known for smoking cigars, wearing a monocle, and staunchly defending implausible ideas. Her unfashionable views on ethics reflected a strong Christian faith, and her often counterintuitive philosophical work was strongly influenced by Ludwig Wittgenstein, her friend and teacher.« (Richter 2011: 1) Vgl. auch die Berichte von Teichman 2001: 37f., Kenny 2016: 186 sowie Müller 2014: 365f.

22 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2.3 Moral

lierung, Rechtfertigung und (meist) Widerlegung eigener Ideen unter­ stützt und begleitet [...] Keinesfalls war sie eine bequeme Zeitgenossin. Mit oberflächlicher Denk- und Redeweise hat sie keine Geduld, und nicht wenige ihrer Kollegen erlebten ihre Reaktionen gelegentlich als rüde oder arrogant. Mit Freunden und ernsthaft Studierenden ging sie aber liebenswürdig und außergewöhnlich großzügig um. (Müller 2014: 365)23

Nach ihrer Emeritierung hat Anscombe noch viele Jahre weiter publi­ ziert und zahlreiche Einladungen zu Vorträgen und Gastvorlesungen wahrgenommen. Ihre letzten Lebensjahre waren jedoch von gesund­ heitlichen Problemen sowie einigen Unglücksfällen, darunter die tückische Krankheit einer ihrer Töchter und ein schwerer Autounfall, überschattet. Am 5. Januar 2001 starb Elizabeth Anscombe in Cam­ bridge. Sie wurde in unmittelbarer Nähe von Wittgensteins Grab auf dem St Giles Friedhof in Cambridge beerdigt (Teichman 2001: 50 und Teichmann 2011: 8).

2.3 Moral Truman’s Degree Mary Geach bringt die Vorlesung, aus der Intention hervorgegangen ist, in Verbindung mit Anscombes Protest gegen die Verleihung einer Ehrendoktorwürde der Universität Oxford an den damaligen amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman im Jahr 1956 (vgl. Geach 2005: xiv). Dieser Hintergrund hat bei der Rezeption von Intention lange Zeit keine Rolle gespielt. In neueren Publikationen ist er allerdings wieder in den Blick geraten und geradezu als Schlüs­ sel für die Interpretation dieses Werks zur Diskussion gestellt wor­ den (Wiseman 2016a: 26–31 und 2016b sowie Schwenkler 2019: xvii-xxii). Nach Rachael Wiseman erklärt die Vernachlässigung des moralphilosophischen Kontextes viele Missverständnisse und Einsei­ tigkeiten bei der Rezeption von Intention (vgl. Wiseman 2016b: 208) seit den 1960er-Jahren. Wiseman schlägt daher vor, Intention direkt

Vgl. auch die Zeugnisse von weiteren Schülerinnen und Schülern bei Teichman 2001: 35.

23

23 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2. Annäherungen

als ein moralphilosophisches Grundlegungswerk zu interpretieren.24 Sie geht sogar so weit zu behaupten, dass es eine der wesentlichen Aufgaben von Intention sei, Grundlagen für die Rehabilitierung der praktischen Philosophie des Thomas von Aquin zu legen (Wiseman 2016a: 18f.).25 Wie ist diese Interpretationshypothese einzuschätzen und worum geht es bei der Truman-Affäre überhaupt? In Ihrem Pamphlet Mr Truman’s Degree, mit dem sich Ans­ combe gegen die Verleihung der Ehrendoktorwürde gewendet hat, problematisiert sie, wie eine lediglich an Handlungsfolgen orientierte Moralphilosophie geeignet ist, sogar Verbrechen wie den Abwurf von Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki mit unzähligen Todesop­ fern zu rechtfertigen (vgl. Anscombe 1957/1981c). Nach Anscombe war dies ein Kriegsverbrechen, und Truman, dessen Handeln als Mord zu bewerten ist, dieser Auszeichnung schlicht unwürdig.26 Anscombe hat vor allem Anstoß daran genommen, dass Unterscheidungen, die normalerweise ganz selbstverständlich bei der Zuschreibung von Verantwortung in Anspruch genommen werden, von Trumans Verteidigern überhaupt nicht beachtet wurden. Ist jemand nur für das verantwortlich, was er direkt kausal herbeigeführt hat? Nach diesem Kriterium träfe Truman keine Schuld, da er die Bomben nicht abgeworfen, sondern nur eine Unterschrift geleistet hat. Müsste also nicht zwischen gewollten Handlungsfolgen und solchen, die nur vor­ hergesehen, aber nicht gewollt werden, unterschieden werden? Wenn man Trumans Handeln nach dieser Unterscheidung beurteilt, dürfte es kaum angemessen sein, die von ihm möglicherweise bloß vorher­ gesehenen, aber nicht gewollten Folgen nicht als unverhältnismäßig zu bewerten.27 Die Alternative dazu wäre, nur die Folgen in Form 24 Vgl. Wiseman 2016b: 215: »My suggestion is that Anscombe intended her ethicsfree book to make it possible to do ethics.« 25 Wiseman geht sogar noch weiter, indem sie behauptet, Intention solle die katholis­ che Moralphilosophie, ja sogar die Wahrheit der christlichen Lehre begründen: »One of the fundamental tasks of Intention is to provide a philosophy of psychology which can ground the ›truth about Christianity‹“ (Wiseman 2016a: 19). Vgl. zu dieser The­ matik wiederum die differenzierten Ausführungen von Mary Geach 2008: xiii-xxiii. 26 Die im Anschluss an Anscombes Intervention ausgelöste und vor allem in der Presse ausgetragene Polemik stellt Wiseman ausführlich dar: vgl. Wiseman 2016b: 221–224. Vgl. auch die Darstellungen dieser Affäre bei Lipscomb 2022: 155–158 sowie Mac Cumhaill/Wiseman 2022: 2–6 und 288–294. 27 Die Notwendigkeit, solche Unterscheidungen zu beachten, hatte Anscombe schon in einem früheren Text von 1939 – The Justice of the Present War Examined – betont, der sich mit der Britischen Militärstrategie befasst. Vgl. Anscombe 1939/1981c: 75.

24 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2.3 Moral

möglicher Opferzahlen aufzurechnen. Nach dieser Logik heiligen, wie man manchmal sagt, die guten Zwecke die Mittel. Dass in moralischen Entscheidungssituationen immer auch Folgen berücksichtigt werden müssen, ist eine Trivialität. Weniger trivial ist dagegen die Frage, für welche Folgen eine handelnde Person verantwortlich ist und warum. Für viele Zeitgenossen Anscombes schien es wohl klar zu sein, dass es sich genau so verhält, wie Trumans Verteidiger vorausgesetzt haben: Im dilemmatischen Fall zählt immer die Anzahl. Nach Anscombe waren diese argumentativ kurzatmigen Exkulpationsstrategien nicht nur politischen Opportunitäten oder der allgemeinen Verrohung in Kriegszeiten geschuldet, sondern symptomatisch für den schlechten Zustand der damaligen englischsprachigen Moralphilosophie.28

Moderne (englische) Moralphilosophie – Anscombes Bedenken In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten moralphilosophische Diskussionen in England zwei Bezugspunkte: Der erste war die utili­ taristische Tradition, die auf Jeremy Bentham und John Stuart Mill zurückging und von Henry Sidgwick und George Edward Moore sys­ tematisch weiterentwickelt wurde;29 der zweite Bezugspunkt war der Diese Tendenzen zu leichtfertiger Vereinfachung und ebenso hemmungslos wie meinungsstark auftrumpfender Denkfaulheit sind nach wie vor verbreitet, wie man an einigen öffentlichkeitswirksamen Debatten über dilemmatische Situationen beob­ achten kann. Ein besonders ärgerliches Beispiel dafür ist Ferdinand von Schirachs Theaterstück Terror von 2016, bei dem das Fernsehpublikum darüber abstimmen soll, ob ein Kampfpilot ein vollbesetztes Flugzeug abschießen durfte, das von Terroristen gekapert wurde, um es in ein ausverkauftes Stadion zu lenken. – Ein gutes Beispiel für ein Phänomen, das man als philosophischen Populismus bezeichnen kann. 29 Sidgwicks Hauptwerk The Methods of Ethics erschien erstmals 1874 und wurde mehrfach nachgedruckt. Es war damals eines der meistdiskutierten moralphilosophi­ schen Werke, auch außerhalb Englands. Es gilt bis heute als einer der wichtigsten systematischen Entwürfe in der Geschichte der englischsprachigen Moralphilosophie. G.E. Moores Principia Ethica erschien 1903. Es ist vor allem wegen der Lehre vom so genannten naturalistischen Fehlschluss bekannt geworden. Eine bemerkenswerte Ausnahme war allerdings David W. Ross. Seine beiden wichtigsten moralphilosophi­ schen Werke waren 1930 (The Right and The Good) und 1939 (The Foundations of Ethics) erschienen. Beide Werke enthalten eine Kritik am Utilitarismus und an der Güterlehre George Edward Moores. Zu Anscombes Studienzeit bekleidete Ross in Oxford diverse administrative Positionen als Leiter des Oriel College (1929–1947) und als Vizekanzler der Universität (1941–1944). Er zog sich 1947 aus dem aktiven Hochschuldienst zurück (vgl. Skelton 2012: 2f.). Ross wurde, wenn man der Ein­ 28

25 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2. Annäherungen

logische Positivismus, der in England von Alfred Jules Ayer bekannt gemacht wurde. Sein Buch Language, Truth, and Logic von 1936 war auch außerhalb der universitären Philosophie ein beachtlicher Publi­ kumserfolg (Midgley 2007: 118). Ayer verschreibt sich darin einer umstürzlerischen Metaphysikkritik, die der Doktrin des logischen Positivismus darin folgt, dass alle Aussagen, die sich nicht empirisch verifizieren lassen oder keine Tautologien sind, sinnlos sind: We may accordingly define a metaphysical sentence as a sentence which purports to express a genuine proposition, but does in fact, express neither a tautology nor an empirical hypothesis. And as tau­ tologies and empirical hypotheses form the entire class of significant propositions, we are justified in concluding that all metaphysical assertions are nonsensical. (Ayer 1936/1990: 24)

Zu den sinnlosen Aussagen gehören nicht nur Aussagen der traditio­ nellen Metaphysik über transzendente Gegenstände, sondern auch normative Aussagen, also Aussagen, die Werturteile enthalten oder Handlungen vorschreiben. Nach Ayer können solche Aussagen, da sie weder Tautologien sind, noch sich auf empirische Hypothesen redu­ zieren lassen, nur als Ausdruck subjektiver Befindlichkeiten interpre­ tiert werden (ebd.: 106–116). Sie haben eine »emotive« Bedeutung, da sie lediglich Gefühle der Zustimmung oder Ablehnung ausdrücken (ebd.: 111). Damit ebnet Ayer den Weg für eine Lehre, die unter der Bezeichnung »Non-Kognitivismus« in seinen verschiedenen Spiel­ arten des »Präskriptivismus« oder »Emotivismus« großen Einfluss erlangt hat und auch heute noch, wenn auch in differenzierteren Vari­ anten, vertreten wird.30 Der Non-Kognitivismus lehrt, dass norma­ tive Aussagen keinen semantischen Inhalt haben und daher auch nicht wahr oder falsch sein können wie deskriptive, d.h. Sachverhalte in der schätzung von Zeitgenossen wie John Ackrill glauben darf, vor allem als AristotelesÜbersetzer und -Forscher geschätzt, weniger als Ethiker (vgl. Skelton 2012: 3f.). Wel­ chen Einfluss er auf die englische Moralphilosophie der Nachkriegszeit hatte, ist schwer zu beurteilen. Was Richard Hare betrifft, ist eine Auseinandersetzung mit dem Ross’schen Intuitionismus nicht zu bestreiten. Für Anscombes Aristotelismus dürfte er keine Rolle gespielt haben. Im Gegenteil: Sie schließt ihn in ihre Kritik am Konse­ quenzialismus ein. Vgl. Anscombe 1958a/2014: 155, Fn. 12, dazu Diamond 1997 und Schwenkler 2019: xxif. Schwenkler vermutet eine Anspielung Anscombes auf Ross am Ende von Mr Truman‘s Degree, wo sie einige neuere Positionen der Oxforder Moralphilosophie kritisiert. Vgl. Anscombe 1957/1981c: 70f. 30 Als zeitgenössische Vertreter wären Simon Blackburn oder Allan Gibbard zu nennen. Einen ausgezeichneten Überblick dieser metaethischen Diskussion geben Darwall/Gibbard/Railton 1992. Zum Non-Kognitivismus vgl. dort 144–152.

26 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2.3 Moral

Welt beschreibende Aussagen. Normative Aussagen geben allerdings durchaus etwas zu verstehen: Sie drücken subjektive, positive oder negative Einstellungen gegenüber Sachverhalten aus oder empfehlen bestimmte Handlungsweisen. Diese Deutung der Semantik normati­ ver Aussagen hat später Anscombes Oxforder Kollege Richard Hare in seinem einflussreichen Werk The Language of Morals, das 1952, wenige Jahre vor Intention erschienen ist, systematisch ausgearbeitet. Seine Konzeption, die er später als universellen Präskriptivismus bezeichnet hat, ist eine Spielart des Utilitarismus (Hare 1983: 31). Insofern verbindet sein Ansatz beide oben erwähnten Tendenzen der britischen Moralphilosophie: die bereits von Moore und später von logischen Positivisten wie Ayer propagierte strikte Trennung von Tatsachen und Werten sowie die konsequenzialistische Orientierung an Handlungsfolgen. Anscombe hat ausdrücklich auch an Hare gedacht, wenn sie am Anfang ihres Aufsatzes Modern Moral Philosophy von 1958 die These formuliert: »Meine dritte Behauptung ist, dass sich die Ansichten aller namhaften englischen Moralphilosophen seit Sidgwick nur unwe­ sentlich voneinander unterscheiden.« (Anscombe 1958a/2014: 142) Trotz aller differenzierten Diskussionen über den Status von Werten und normativen Sätzen oder über die Rolle von moralischen Prinzi­ pien fällt die Übereinstimmung dieser Ansätze in einem Punkt auf: Wie sehr sich alle widerstreitenden Ansichten ähneln, merkt man etwa daran, dass die einflussreichsten Moralphilosophen an englischen Universitäten allesamt die Auffassung ablehnen müssten, dass man Unschuldige niemals töten dürfe, ganz gleich zu welchem Zweck. Und ihrer Philosophie zufolge irrt sich, wer das Gegenteil glaubt. (Ich muss hier beide Implikationen erwähnen. Denn Herr Hare etwa, dessen Lehre einen dazu ermutigt, die Tötung Unschuldiger angesichts eines höheren Ziels für gerechtfertigt zu halten, würde wohl auch lehren, dass falls jemand die Vermeidung des Tötens Unschuldiger zu einem ›obersten Handlungsprinzip‹ erhebt, man das nicht als Irrtum bezeich­ nen könne: Derjenige hängt dann eben einfach diesem alternativen ›Prinzip‹ an. [...]). (Anscombe 1958a/2014: 156)

Damit wird auch der Zusammenhang mit der Truman-Affäre deutlich. Als tieferen Grund für diesen Missstand der Moralphilosophie iden­ tifiziert Anscombe eine Denkweise, für die sie die Bezeichnung »Kon­ sequenzialismus« geprägt hat. Damit ist generell die Orientierung an Handlungsfolgen bei der Bewertung von Handlungen gemeint: Richtig handelt man immer dann, »wenn man das unter den gegebe­

27 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2. Annäherungen

nen Umständen und nach Ermessen aller Folgen Beste tut.« (Ebd.: 155) Insbesondere ist damit aber eine ganz bestimmte Konzeption des Verhältnisses von Handlungsfolgen und Absichten gemeint: Die Behauptung, man sei für die vorhergesehenen Folgen einer Hand­ lung in demselben Umfang und Sinne verantwortlich wie für beabsich­ tigte Folgen, setzt Sidgwick nicht nur für irgend eine seiner Methoden der Ethik voraus. Diese wichtige Behauptung ist methodenunabhängig und soll allgemein gelten. Ebendiese Behauptung läutet auch eine neue Phase ein; sie prägt alle englischen akademischen Moralphiloso­ phen nach Sidgwick, und sie markiert den Unterschied zwischen dem ursprünglichen Utilitarismus und dem modernen Konsequenzialismus (wie ich ihn nennen will). (Ebd.: 159, Herv. i. Orig.)31

Jede moralphilosophische Konzeption setzt eine bestimmte Hand­ lungspsychologie und damit auch ein Verständnis handlungstheoreti­ scher Grundbegriffe und ihres Zusammenhangs voraus. Begriffliche Fehler in den Grundlagen können daher eine moralphilosophische Konzeption schon im Ansatz korrumpieren. Anscombe zufolge lagen der modernen Moralphilosophie solche eklatanten begrifflichen Feh­ ler zugrunde. Ihre erste These in Modern Moral Philosophy lautet daher, »dass es derzeit zwecklos ist, Moralphilosophie zu treiben, denn dafür braucht man eine überzeugende Philosophie der Psycho­ logie und die fehlt uns derzeit zweifellos.« (Ebd.: 142) Zur Philosophie der Psychologie gehört nicht zuletzt auch die Untersuchung von handlungstheoretischen Begriffen wie »beabsichtigen«, »wollen«, »wünschen« oder »Lust«. Anscombes zweite These betrifft dagegen die Rolle normativer Begriffe wie »Verpflichtung« bzw. »Pflicht« in der Praxis des moralischen Urteilens. Diese Begriffe sollten ihr zufolge aufgegeben und durch aretaische Begriffe, d.h. Begriffe, die auf Tugen­ den verweisen, wie »gerecht« oder »mutig«, ersetzt werden. Dazu ist es jedoch zunächst erforderlich, den Zusammenhang zwischen Hand­ Auffällig an diesem Zitat ist, dass Anscombe den klassischen Utilitarismus nicht als eine Variante des Konsequenzialismus einordnet. Das hängt damit zusammen, dass sie die Bezeichnung »Konsequenzialismus« in einem etwas anderen Sinn verwendet als man es heutzutage gewohnt ist: Als »konsequenzialistisch« gelten moralphilosophische Ansätze, die richtige Handlungen vom Begriff des Guten im Sinne der bestmöglichen herbeigeführten Folgen (Sachverhalte) her definieren (vgl. Wiggins 2006: 149f.). Nach dieser Definition wäre auch Mills Utilitarismus eine konsequentialistische Ethik und Anscombes Bestimmung des Konsequenzialismus falsch. Zur Diskussion von Anscombes Auffassung vgl. Diamond 1997. Ich werde auf die handlungstheoretischen Hintergründe dieser Kritik in Kap. 7 zurückkommen. 31

28 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2.3 Moral

lungen und Tugenden zu untersuchen. Vor allem aber muss geklärt werden, »was eine menschliche Handlung überhaupt ist und wie der Beweggrund und die Absicht(en) des Handelnden die Beschreibung einer Handlung als ›dieses-oder-jenes tun‹ bestimmen.« (Ebd.: 148) Obwohl dieser Aufsatz ein Jahr nach Intention erschienen ist, spricht vor diesem Hintergrund tatsächlich einiges dafür, Intention als ein Werk zu verstehen, das diese Klärungsarbeit leisten sowie eine ange­ messenere Handlungspsychologie bereitstellen soll.32

Ein moralphilosophisches Grundlegungswerk? Reicht der Verweis auf diese systematischen Interessen Anscombes und die entstehungsgeschichtlichen Hintergründe aus, um Inten­ tion als eine Grundlegungsschrift zu interpretieren, die eine ganz bestimmte moralphilosophische Konzeption begründen soll? Wise­ man ist darin zuzustimmen, dass viele Aspekte von Intention nicht angemessen verstanden werden, wenn man die moralphilosophische Perspektive des Textes ausblendet und ihn auf einen philosophi­ schen Steinbruch für handlungstheoretische Detailfragen verkürzt. Und zweifellos hat die in Intention entwickelte Handlungstheorie moralphilosophische Implikationen. Wisemans beherzter Schritt zur katholischen Moralphilosophie scheint mir allerdings voreilig. Ans­ combe hat kein systematisches moralphilosophisches Werk verfasst. In Modern Moral Philosophy bekennt sie, sich nicht in der Lage zu sehen, ein solches Werk zu entwerfen (vgl. Anscombe 1958a/ 2014: 166). Auch ihre späteren Beiträge zu moralphilosophischen Grundlagenfragen beziehen sich nicht auf das Thema der Tugenden, wie man vielleicht nach Modern Moral Philosophy erwarten würde, sondern auf die Frage der Konstitution normativer Praktiken.33 Wie Anscombes Überlegungen dazu mit ihrer Handlungstheorie zusam­ menhängen, müsste erst noch geklärt werden. Auch unabhängig von dieser Frage, wie sich Anscombes eigene moralphilosophischen Beiträge zu ihrer Handlungstheorie verhalten, haben ihre program­ Zu den Umständen der Entstehung von Modern Moral Philosophy vgl. Geach 2005: xvii. In A: § 41.122, Fn 15 findet sich eine Antizipation der zweiten These von Modern Moral Philosophy. 33 Vgl. vor allem Anscombe 1978/2014 sowie dazu Nieswandt 2017. Zu Anscombes Moralphilosophie vgl. Richter 2011 und den Instruktiven Beitrag von Müller 2017. 32

29 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2. Annäherungen

matischen Entwürfe in Modern Moral Philosophy Ansätze mit ganz unterschiedlicher inhaltlicher Ausrichtung inspiriert.34 Von Anscom­ bes Konzeption absichtlichen Handelns führt also kein direkter Weg zu einem bestimmten Typus von Moralphilosophie. Wisemans Erklärung für Missverständnisse bei der Rezeption von Intention ist zudem nicht die einzig mögliche. Mindestens ebenso wichtig dafür ist die bis heute in ihrer Radikalität nicht verstandene Kritik an bestimmten Grundannahmen der neuzeitlichen Philosophie des Geistes. Dazu gehören in erster Linie die bereits erwähnten »cartesianischen« Annahmen über den Bereich des Psychischen. Eine gute Charakterisierung dieser Annahmen, die auch den Hintergrund für meine Interpretation von Intention bildet, stammt von James Doyle: »A Cartesian account, the sort to which Anscombe’s stands opposed, classifies an intention as a mental state, where this is understood sharply distinguished, in concept, from anything to do with the physical world; and it presents a distinctive account of the nature of mental states.« (Doyle 2019: 9, kursiv i. Orig.)35 Schon Gilbert Ryle hatte in seinem Hauptwerk The Concept of Mind diese Art von Cartesianismus als neuzeitlichen »Mythos vom Gespenst in der Maschine« (Ryle 1949/1969: Kap. 1) kritisiert. Da Ryle aller­ dings (fälschlich) als Behaviorist verstanden wurde, sind viele seiner Argumente wieder in Vergessenheit geraten. Es wird sich zeigen, dass Anscombes Kritik an »cartesianischen« Mythen, die an Wittgensteins so genanntes Privatsprachenargument anknüpft, in vielerlei Hinsicht in ihrer Differenziertheit konsequenter ist als diejenige Ryles. In diesen Bereich gehören auch Annahmen über die Rolle von Kausalität bei der Erklärung von Handlungen. So schreibt Anscombe in der Einleitung zum zweiten Band ihrer Collected Papers, dass Kausalität das erste Thema war, das sie zur Philosophie geführt hat Das gilt schon für MacIntyre 1981/2006, vor allem aber für Philippa Foots Buch Die Natur des Guten (Foot 2004), in dem sie die Implikationen einiger Überlegun­ gen aus Modern Moral Philosophy systematisch ausarbeitet (vgl. Anscombe 1958a/ 2014: 163f.). 35 Ganz in diesem Sinne heißt es in den Überlegungen more geometrico, die Descartes den Einwänden und Erwiderungen zu seinen Meditationen beigefügt hat: »In dem Namen Denken fasse ich alles zusammen, das so in uns ist, daß wir uns seiner unmit­ telbar bewußt sind. Demgemäß sind alle Operationen des Willens, des Verstandes, der Anschauung und der Sinne Gedanken. Jedoch habe ich unmittelbar hinzugefügt, um das auszuschließen, was sich aus ihnen ergibt, wie die willentliche Bewegung, die zwar ein Denken zum Prinzip hat, selbst jedoch kein Denken ist.« (Med.: 170, kursiv i. Orig.) 34

30 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2.4 Handeln

(Anscombe 1981b: vii). Kausalität ist nicht nur ein grundlegendes Thema der Wissenschaftstheorie, es ist auch von zentraler Bedeutung für das Verständnis menschlichen Handelns bzw. generell animali­ scher Selbstbewegung. Insofern kann die Analyse des absichtlichen Handelns als ein Beitrag zum Verständnis der spezifischen Kausali­ tät verstanden werden, die den Vollzug von Handlungen bzw. der Bewegungen von Lebewesen bestimmt. Ein weiteres zentrales Thema von Intention ist das praktische Schlussfolgern bzw. Überlegen. Ans­ combes Auffassungen zu diesem Thema sowie ihre Konzeption prak­ tischer Vernunft können vor dem Hintergrund der Philosophie des 20. Jahrhunderts nur als unorthodox bezeichnet werden und verdienen Interesse unabhängig von moralphilosophischen Aspekten. Sehr eng damit verbunden ist Anscombes durchaus rätselhafte und im Spek­ trum der neueren Philosophie singuläre Auffassung des praktischen Wissens, das ein Handelnder von seinem absichtlichen Tun hat. Es handelt sich dabei jeweils um Probleme und Themen, die von anhaltendem Interesse für die Philosophie des Geistes sind. Trotz meiner Zweifel an der voraussetzungsreichen These Wise­ mans werde ich in der folgenden Interpretation die Frage nach den moralphilosophischen Implikationen von Intention an drei Stellen aufgreifen: In Kapitel 5 im Zusammenhang mit der Frage nach der Identifikation von Handlungen; in Kapitel 6 im Zusammenhang mit Anscombes Konzeption des praktischen Schließens und schließlich in Kapitel 7 im Zusammenhang mit der Unterscheidung des Absichtli­ chen vom Willentlichen.

2.4 Handeln Ein einfaches Bild Handeln ist eine der grundlegendsten, aber auch selbstverständlichs­ ten Manifestationen der Art und Weise, wie wir als Menschen indivi­ duell und gemeinsam mit anderen leben. Wir greifen in die Welt ein, indem wir uns Ziele setzen, etwas herbeiführen, das unseren Wün­ schen entspricht; wir verstehen uns als Personen, die vom Handeln anderer betroffen sind, die sich wechselseitig ihr Tun zurechnen und Verantwortung zuschreiben. Entsprechend leicht fällt es, Beispiele für konkrete Handlungen (X’s Aufstehen, um ein Fenster zu öffnen) oder für Begriffe von Handlungsformen (ein Fenster öffnen) zu

31 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2. Annäherungen

geben. Auch wird wohl kaum jemand zögern, sinnvoll von solchen Beschreibungsformen Gebrauch zu machen: »Was machst du?« »Ich gehe ins Seminar.« Nicht ganz so einfach ist es dagegen, genauer zu erklären, was solche Vorgänge eigentlich zu Handlungen macht und wie sie sich von anderen Vorgängen unterscheiden: Was unterscheidet eine Handlung von einer bloßen Körperbewegung? Welche Rolle spielen dabei das Wissen und die Überlegungen der handelnden Person? Nach einer verbreiteten Vorstellung ist Handeln normalerweise ein gewohn­ heitsmäßiges, nicht durchgängig überlegtes Geschehen; Überlegun­ gen kommen nur dann ins Spiel, wenn tatsächlich eine Entscheidung ansteht. Man überlegt, wenn überhaupt, vorher und nur ausnahms­ weise, während des Handlungsvollzugs. Die kognitiven Aspekte sind gegenüber dem wirklichen Tun nachträglich. Das Gegenteil zu behaupten, wäre nach dieser Vorstellung eine die Wirklichkeit des Handelns übermäßig intellektualisierende Abstraktion. Eine andere Frage betrifft die Identifikation eines Geschehens als Handlung. Ist das »ins Seminar Gehen« selbst schon eine Handlung, und nicht vielmehr ein Vorgang, der aus sehr vielen einzelnen Handlungen besteht, wie »eine Straße überqueren«, »eine Tür öffnen«, »einen freien Platz suchen und sich dort hinsetzen«, »Notizen auspacken«, »das Smartphone auf den Tisch legen« usw.? Wenn der Gesamtvor­ gang aber gar keine Handlung wäre, was stiftet dann die Einheit der vielen Einzelhandlungen? Immerhin fassen wir sie doch alle als Teil dieses Vorgangs auf; haben wir es also doch nur mit einer einzigen Handlung zu tun? Aus der Perspektive der Beschreibung von einem drittpersonalen Standpunkt aus scheinen diese Fragen keine einfache Antwort zuzulassen. Denn woran soll man sich dabei orientieren? Es ist daher verführerisch, bei der Identifikation und Erklärung von Handlungen auf diese Asymmetrie zu verweisen. Aus der Perspektive der dritten Person nehmen wir tatsächlich nur Körperbewegungen wahr, die als zielgerichtetes Tun bloß mehr oder weniger erfolgreich interpretiert werden können. Man kann nur indirekt erschließen, was jemand will oder mit seinem Tun beabsichtigt. Die handelnde Per­ son hingegen kann aus ihrer erstpersonalen Perspektive heraus mit Sicherheit sagen, was sie tut: »die Straße überqueren, um ins Seminar zu gehen«; »den Beamer im Hörsaal einschalten, um eine Präsenta­ tion vorführen zu können«; »in die Bibliothek gehen, um Literatur für eine Abschlussarbeit zu recherchieren«. Der Verweis auf diese Asymmetrie erklärt, warum es so plausibel erscheint, wenn jemand

32 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2.4 Handeln

sagt: »Nur ich kann wissen, was meine Absichten sind, ein Außen­ stehender kann das nie mit Sicherheit wissen.« Insofern erscheint die Autorität des handelnden Subjekts ein letzter methodischer und sachlicher Bezugspunkt nicht nur für die korrekte Zuschreibung von Handlungen, sondern auch für die Beantwortung der Fragen, was Handlungen sind und wie die kognitiven Aspekte des Handelns mit dem beobachtbaren Geschehen zusammenhängen. Es ist einer der zentralen Erträge von Intention nachzuweisen, dass dieses Bild vom Verhältnis der erstpersonalen zur drittperso­ nalen Perspektive bei der Identifizierung und Erklärung von Hand­ lungen schief ist. Dieses Bild hält uns, um es mit Wittgenstein auszudrücken, gefangen und hindert uns daran, zu verstehen, welche Funktion das psychologische Vokabular hat, das wir verwenden, wenn wir über Handlungen nachdenken.36 Zu diesem Vokabular gehört ganz wesentlich der Begriff der »Absicht« und damit verwandte Begriffe wie »wollen«, »wünschen«, »freiwillig« oder auch der eines »Willensakts«. Nach dem gängigen Bild verweisen diese Begriffe auf das bewusste Erleben handelnder Personen; sie bezeichnen psychi­ sche Zustände, die sich durch Introspektion identifizieren lassen und somit grundsätzlich auf das von außen unzugängliche »Innenleben« von Personen verweisen.

Handeln als philosophisches Thema – Anscombes Ausgangspunkte Als Anscombe Mitte der 1950er-Jahre anfing, Intention zu schreiben, war eines der am meisten diskutierten handlungstheoretischen Pro­ bleme die kausale Struktur von willentlichem Handeln. Die Frage wurde auf der Grundlage der modernen, vom neuzeitlichen Empiris­ mus geprägten Psychologie diskutiert. Besonders großen Einfluss hatten dabei William James‘ Principles of Psychology, die 1890 erschie­ nen waren. Bertrand Russell schließt sich ausdrücklich William James an, wenn er schreibt, »daß das einzige Unterscheidungsmerkmal einer willkürlichen Handlung darin besteht, daß sie mit einer Vorstel­ lung von der auszuführenden Bewegung verbunden ist, wobei diese Vorstellung aus Erinnerungsvorstellungen und den kinästhetischen 36 Bei Wittgenstein heißt es: »Ein Bild hielt uns gefangen. Und heraus konnten wir nicht, denn es lag in unserer Sprache, und sie schien es uns unerbittlich zu wiederho­ len.« (PU: § 115, kursiv i. Orig.)

33 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2. Annäherungen

Empfindungen besteht, die wir bei einer früheren Gelegenheit hat­ ten, als dieselbe Bewegung stattfand.« (Russell 1921/2000: 365) Er fährt fort: Eine Willensäußerung im engeren Sinne enthält etwas mehr als die willkürliche Bewegung. Die Sorte von Fällen, an die ich dabei denke, sind Entschlüsse nach einer Überlegung. Willkürliche Bewegungen bilden einen Bestandteil solcher Vorgänge; aber diese bestehen nicht nur aus ihnen. Dazu kommt noch ein Urteil: ›dies werde ich tun‹: außerdem ist ein Gefühl der Spannung vorhanden, solange wir im Zweifel sind, das im Augenblick des Entschlusses durch ein ande­ res Gefühl abgelöst wird. Ich sehe keinen Grund für die Annahme irgendeines neuen Bestandteils; Empfindungen und Vorstellungen mit ihren Beziehungen zu kausalen Gesetzen liefern alles, was für die Analyse des Willens erforderlich zu sein scheint, wenn wir noch die Tatsache hinzunehmen, daß kinästhetische Vorstellungen die Tendenz haben, die Bewegungen, mit denen sie assoziiert sind, hervorzurufen. (Ebd.: 365f.)37 An dieser Stelle ist eine Anmerkung zur Übersetzung von »voluntary« und »involuntary« erforderlich. Das Gegensatzpaar »willkürlich« – »unwillkürlich« ist als Übersetzung dafür insofern missverständlich, als das deutsche Wort »willkürlich« normalerweise »nach Belieben« oder »nach Gutdünken« bedeutet. Der englische Ausdruck dafür ist »arbitrary«, was aber in diesem handlungstheoretischen Kontext nicht gemeint ist. Im Alltag wird dieses Begriffspaar aber oft auch in der allgemeineren Bedeutung von »gewollt« bzw. »ungewollt« verwendet. In deutschen Übersetzungen englischer Texte findet man entsprechend unterschiedliche Ausdrücke, z.B. »freiwil­ lig« bzw. »unfreiwillig« – so in der Übersetzung von Ryles Concept of Mind (siehe unten) – neben »willkürlich« und »unwillkürlich« – so in der oben zitierten Über­ setzung von Russells Analysis of Mind. Auch Connolly/Keutner und Schulte überset­ zen »voluntary« und »involuntary« in Intention fast durchgängig mit »willkürlich« und »unwillkürlich.« In der deutschsprachigen philosophischen Tradition gibt es freilich auch den Terminus der »freien Willkür« als Übersetzung von »liberum arbitrium«, der allerdings die Problematik der Willensfreiheit aufruft. Dieses Problem stellt sich in Intention nicht. Wenn Wittgenstein »willkürlich« verwendet, dann meistens im engeren Sinn von »nach Belieben« (vgl. die noch folgenden Zitate im Haupttext). Mir scheint aber, dass Anscombes Sprachgebrauch (und sicher auch Russells und Ryles) eindeutig auf die lateinische Unterscheidung zwischen »voluntarius« und »involuntarius« verweist, womit das Griechische »hekon«, »hekousios« bzw. »akon« oder »akousios«, ob angemessen oder nicht, übersetzt wurde (vgl. NE III, 1–3 und für die damit verbundene Übersetzungsproblematik Urmson 2001: 70). Gemeint ist damit ein Handeln aus eigenem Antrieb oder eigenem Wollen, ein Handeln ohne Zwang. Als Alternative kommen neben »willentlich« und »unwillentlich« auch »freiwillig« und »unfreiwillig« in Frage, was immer noch passender als »willkürlich« bzw. »unwillkürlich« ist. Der Nachteil ist allerdings, dass »freiwillig«/»unfreiwillig« ebenfalls an die Problematik der Willensfreiheit denken lässt. Wie man an diesen 37

34 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2.4 Handeln

Auch wenn Anscombe in Intention ebenfalls Phänomene einbezieht, die William James in seinen Principles diskutiert – so in § 46 –, ist ihr Ansatz maßgeblich von der Kritik geprägt, die vor allem ihr Lehrer Ludwig Wittgenstein, aber auch Gilbert Ryle gegen dieses von Russell so klar auf den Punkt gebrachte empiristische Modell der Kausalität von Willensakten vorgetragen hatten. Ihre Kritik markiert eine ein­ schneidende Wende in der Handlungstheorie. Wittgenstein und Ryle problematisieren in erster Linie die kausalitätstheoretischen Annah­ men, wonach Handlungen Körperbewegungen sind, die durch eine besondere Art von geistigen Ursachen, z.B. Willensakten bewirkt werden. Ryle fasst das folgendermaßen zusammen: »Kurz, die Lehre von den Willensakten ist eine Kausalhypothese, die deswegen ange­ nommen wurde, weil man fälschlicherweise annahm, die Frage ›Was macht eine Körperbewegung zu einer freiwilligen?‹ sei eine Frage nach einer Ursache« (Ryle 1949/1969: 85). Hauptziel von Ryles Angriff ist der »Mythos von den Willensakten«. Besonders bekannt geworden ist sein Regress-Argument aus dem dritten Kapitel von Der Begriff des Geistes: Nach dieser Theorie können also auch geistige Vorgänge von Willens­ akten hervorgerufen werden. Wie steht es nun um die Willensakte selbst? Sind sie selbst freiwillige oder unfreiwillige geistige Akte? Beide Antworten sind offensichtlich absurd. Wenn ich nicht umhin kann, die Pistole abdrücken zu wollen, dann wäre es wohl absurd, mein Abdrücken als ›freiwillig‹ zu bezeichnen. Wenn aber mein Willensakt in dem von der Theorie angenommenen Sinn freiwillig ist, dann muss er wohl von einem freiwilligen Willensakt hervorgebracht worden sein, und dieser wieder von einem anderen und so weiter ad infinitum. (Ryle 1949/1969: 85)

Ryles Argument hat die Form eines Dilemmas. Unter der Vorausset­ zung, dass Willensakte die Freiwilligkeit von Handlungen erklären sollen, ist der Regress unvermeidlich. Das kritisierte Modell impli­ ziert nämlich, dass ein Willensakt, wenn er freiwillig erfolgt, durch einen anderen freiwilligen Willensakt hervorgebracht worden sein Bemerkungen erkennen kann, geht es nicht um eine Frage der Wortwahl, sondern um einen begrifflichen Unterschied: »voluntary« ist etwas anderes als »willkürlich.« Anscombes Untersuchung wird das übrigens auch bestätigen. Für Intention empfiehlt sich daher, um das erwähnte Missverständnis zu vermeiden, die Begriffspaare »wil­ lentlich« und »unwillentlich« oder auch »gewollt« bzw. »ungewollt« – beides übliche Übersetzungen von »voluntarius« und »involuntarius« – mitzudenken.

35 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2. Annäherungen

muss. Das andere Horn des Dilemmas, wonach der Willensakt, der die freiwillige Handlung verursacht hat, nicht freiwillig sein müsste, führt ebenfalls in eine Sackgasse: Es wäre dann völlig unverständlich, wie man die durch den unfreiwilligen Willensakt verursachte Handlung noch als freiwillig bewerten sollte. Denn, wie Ryle bemerkt, wenn ich nicht anders kann, als den Abzug der Pistole abzudrücken, kann ich es nicht unterlassen, ihn abzudrücken. Insofern wäre das Abdrücken des Abzugs auch nicht freiwillig.38 Aufgrund solcher Kritik gilt die Annahme kausal wirksamer Willensakte bzw. geistiger Ursachen für viele Handlungstheoretiker in den 1950er-Jahren als erledigt.39 Das gilt natürlich auch für Anscombe, die für ihre eigene theoretische Alternative allerdings einen Grundgedanken Wittgenstein aufnimmt. In den Philosophischen Untersuchungen wirft Wittgenstein eine Frage auf, die oft als Grundfrage der Handlungstheorie im heutigen Sinne verstanden wird: Aber vergessen wir eines nicht: wenn ›ich meinen Arm hebe‹, hebt sich mein Arm. Und das Problem entsteht: was ist das, was übrigbleibt, wenn ich von der Tatsache, daß ich meinen Arm hebe, die abziehe, daß mein Arm sich hebt? ((Sind nun die kinästhetischen Empfindungen mein Wollen?)) (PU: § 621)

Wittgenstein fragt, was zu einer Körperbewegung, wie das Heben des eigenen Arms, hinzukommen muss, damit man diese Bewegung als Handlung qualifizieren kann. Eine Antwort auf diese Frage, die man Kenny 1975: 14 hält dieses Argument für schlüssig. Vgl. aber O’Shaughnessy 1980: 252–260 und Hornsby 1980: 48–50. Hornsby deutet Ryle allerdings so, als solle die Theorie der Willensakte den Unterschied zwischen Handlungen und Körperbewegungen erklären. In diesem Fall wäre das Argument nicht schlüssig, da aktive Bewegungen passive Ursachen haben können (so Hyman 2015: 24). Wie John Hyman betont, muss daher beachtet werden, dass Ryles Argument nicht auf einen bestimmten Begriff willentlichen Handelns im Allgemeinen abzielt, sondern auf Theorien, die die Freiwilligkeit von Handlungen durch Willensakte erklären wollen. Wenn man beachtet, wie Ryle die Theorie der Willensakte einführt, hat Hyman zweifellos Recht. Vgl. die Diskussion bei Hyman 2015: 20–24. 39 Zu nennen sind hier Hampshire 1959 und Melden 1961. Eine Rekonstruktion die­ ser frühen Debatte zwischen Kausalisten und Anti-Kausalisten findet sich bei Sandis 2015. Vgl. allerdings Keil, der auf eine Renaissance des Volitionismus aufmerksam macht. Er schreibt: »Die Volitionisten der zweiten Generation fassen die Willensakte dezidiert physiologisch bzw. als frühe Stadien von Handlungen auf. Damit vermeiden sie zumindest die cartesianische Provokation, daß etwas Immaterielles auf etwas Materielles einwirke.« (Keil 2015: 16) 38

36 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2.4 Handeln

bei Russell findet, nennt Wittgenstein explizit: Empfindungen und kinästhetische Vorstellungen. Wie wir noch ausführlicher sehen wer­ den, halten Wittgenstein und Anscombe diese Frage für falsch gestellt, wenn man sie als Aufforderung zur Suche nach einer bestimmten Art von Ursachen versteht, beispielsweise indem man innere Erleb­ nisse anführt oder »geistige Ursachen«, die zur körperlichen Bewe­ gung hinzukommen.40 Wittgensteins Strategie besteht im Gegensatz dazu darin, den Blick auf die normale Umgebung zu lenken, in der der Begriff des Wollens und damit verwandte Begriffe ihren Ort haben. Es zeigt sich dann, dass der Fehler von kausaltheoretischen Ansätzen darin besteht, Ursachen in Form von Willensakten oder geistigen Bildern zu suchen, wo eigentlich ein konstitutiver Zusam­ menhang besteht: Das Wollen, wenn es nicht eine Art Wünschen sein soll, muß das Han­ deln selber sein. Es darf nicht vor dem Handeln stehen bleiben.’ Ist es das Handeln, so ist es dies im gewöhnlichen Sinne des Worts; also: sprechen, schreiben, gehen, etwas heben, sich etwas vorstellen. Aber auch: trachten, versuchen, sich bemühen – zu sprechen, zu schreiben, etwas zu heben, sich etwas vorstellen, etc. (PU: § 615)

Die Erklärung einer Handlung verweist daher gar nicht auf ein inne­ res, psychologisches Ereignis als Ursache, vielmehr wird die Hand­ lung auf eine bestimmte Weise beschrieben. Dabei hängt es vom Kontext ab, ob ein Verhalten als »willkürlich« bezeichnet werden kann: »Willkürlich sind bestimmte Bewegungen mit ihrer normalen Umgebung von Absicht, Lernen, Versuchen, Handeln, Bewegungen, von denen es Sinn hat, zu sagen, sie seien manchmal willkürlich, manchmal unwillkürlich, sind Bewegungen in einer speziellen Umge­ bung.« (Z: § 577)41 Entsprechend bieten die Antworten, die ein Akteur normalerweise auf die Frage, warum er etwas getan hat, einen Ansatz­ punkt für die Beschreibung seines Verhaltens (vgl. auch Z: § 8). Der Witz dieser Bemerkungen ist, dass Handlungserklärungen ganz ohne Verweise auf »innere« Ursachen auskommen. Der Zusammenhang zwischen einer Körperbewegung, ihrer Beschreibung als willkürlich und ihrer Erklärung in einem bestimmten Kontext ist nicht kausal, sondern begrifflich, insofern als sie auf Gründe verweist und abhängig Ich komme auf diese Eintragung Wittgensteins in Kap. 4 zurück. Vgl. auch: »Man zieht ganz andere Schlüsse aus der unwillkürlichen Bewegung als aus der willkürlichen: das charakterisiert die willkürliche Bewegung.« (Z: § 599) 40

41

37 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2. Annäherungen

von den normalen Verwendungskontexten für Handlungsbegriffe ist.42 Dieser Gedanke ist maßgeblich für Anscombes eigenen Ansatz in Intention. Man kann dieses Werk als einen Versuch verstehen, die Implikationen der Probleme und Vorschläge, die Wittgenstein in sei­ nen zweifellos unsystematischen Untersuchungen aufwirft, auszuar­ beiten.43 Die zeitgenössische Diskussion war für Anscombe zweifellos wichtig. Charakteristisch für ihr handlungstheoretisches Werk ist allerdings, dass sie mit Aristoteles und Thomas von Aquin eine Tradition der Reflexion auf menschliches Handeln rehabilitiert, die über die neuzeitlichen Diskussionen, wie sie spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts geführt wurden, weitgehend in Vergessenheit geraten ist. In der Nikomachischen Ethik untersucht Aristoteles die Freiwilligkeit von Handlungen und ihre Bedingungen; er klärt zen­ trale Begriffe, wie den der Entscheidung und seinen Zusammenhang mit vernünftiger Überlegung und diskutiert noch heute umstrittene Themen, wie die akrasía, was oft mit »Willensschwäche« übersetzt wird.44 Im Rahmen seiner Theorie der animalischen Selbstbewegung, die er in De Anima (Über die Seele) und De Motu Animalium (Über die Bewegung der Lebewesen) ausarbeitet, erklärt Aristoteles, wie die Seele als Gesamtheit der Lebensfunktionen tierisches und insbe­ sondere auch menschliches Agieren ermöglicht und insofern dieses Tun verursacht. Er entwickelt dabei einen begrifflichen Rahmen, an den im Mittelalter vor allem Thomas von Aquin anknüpfen konnte. In Thomas von Aquins Summa theologiae findet sich einer der dif­ ferenziertesten Entwürfe zur Handlungstheorie, der alle zentralen, das menschliche Handeln betreffenden Fragen in einem systemati­

Die Behauptung, dass dieser Zusammenhang begrifflich ist, wird auch als »logical connection argument« diskutiert. Dieses Argument behauptet einen begrifflichen Zusammenhang zwischen einer Absicht und ihrer Ausführung (vgl. Mele 2003: 67f. und die Diskussion bei Keil 2015: 13–20). Vor dem Hintergrund von Anscombes Wei­ terentwicklung dieser Wittgenstein’schen Gedanken erscheint es allerdings fraglich, ob sich Wittgensteins und respektive Anscombes Auffassungen zur Kausalität von Handlungen im Sinne dieses Arguments angemessen rekonstruieren lassen. 43 Neben den bereits zitierten Stellen sind für Wittgensteins Konzeption des Han­ delns die §§ 611–647 der Philosophischen Untersuchungen besonders relevant. Ich werde darauf im weiteren Verlauf immer wieder zurückkommen. Für ausführliche Darstellungen von Wittgensteins handlungstheoretischen Überlegungen vgl. Hyman 2011 und Alvarez 2017. 44 Aristoteles Ausführungen dazu finden sich in NE III, 1–8 sowie VII, 1–11. 42

38 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2.4 Handeln

schen Zusammenhang durchdenkt.45 Bei Aristoteles und Thomas von Aquin kommen Aussagen über das geistige Leben des Menschen nicht als Beschreibungen von etwas wesentlich Innerem vor. Ihre Ansätze sind daher geeignet, das neuzeitliche Bild der Asymmetrie von erst­ personaler und drittpersonaler Perspektive zu korrigieren. Dieser Bezugsrahmen ist unverzichtbar, wenn man Anscombes Schlüssel­ begriff des praktischen Wissens, ihre Konzeption des praktischen Überlegens, ihre Antworten auf die Problematik der Identifikation von Handlungen sowie ihrer komplexen kausalen Struktur in ihrem begrifflichen Zusammenhang angemessen verstehen will.

Davidsons Anscombe – eine neue Orthodoxie Wenn man sich Intention nähert, kann man die Rezeptionsgeschichte seit den 1960er-Jahren, insbesondere die Rolle Donald Davidsons nicht ausblenden. Erstaunlicherweise hat Intention lange Zeit über­ haupt nur vermittelt über Davidsons zum Teil sehr eigenwillige Aneignung gewirkt. Das erstaunt umso mehr als Davidson in sei­ nen handlungstheoretischen Schriften den kausalen Ansatz erneuert hat. Zwei Gedanken aus Intention haben Davidson dabei besonders inspiriert: die Idee, dass der grundlegende handlungstheoretische Begriff nicht der des Wollens, sondern derjenige der Absicht ist, und die Idee, dass die Identifikation absichtlicher Handlungen beschrei­ bungsabhängig ist. Für die Analyse des absichtlichen Handelns folgt Davidson einerseits der Argumentation von Wittgenstein und Ans­ combe, wonach Erklärungen von absichtlichen Handlungen auf Grün­ den beruhen – Davidson nennt sie »Rationalisierungen« (Davidson 1963/1990: 19). Zugleich bleibt er einem von der empiristischen Tra­ dition herkommenden Verständnis kausaler Erklärungen verpflichtet. Rationalisierungen müssen sich, so Davidson, zugleich auch als kau­ sale Erklärungen verstehen lassen. Diese Idee beruht auf einer recht einfachen Überlegung: [Es] kann sein, daß man einen Grund für eine Handlung hat und diese Handlung auch ausführt, ohne daß dieser Grund derjenige ist, weshalb man die Handlung vollzogen hat. Wesentlich für die Beziehung zwi­ schen einem Grund und einer durch ihn erklärten Handlung ist die 45 Vgl. STh Ia-IIae, q. 1–21. Die quaestiones 6 bis 17 sind dem willentlichen und intentionalen Handeln gewidmet.

39 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2. Annäherungen

Vorstellung, daß der Handelnde die Handlung ausgeführt hat, weil er diesen Grund hatte. (Ebd.: 28)

Der Verweis auf einen begrifflichen Zusammenhang zwischen Grund und Handlung reicht demnach nicht aus, um die betreffende Hand­ lung zu rationalisieren.46 Die Rationalisierung kann nur dann erfolg­ reich sein, wenn ein Grund identifiziert wird, der notwendig und hin­ reichend für die Ausführung der Handlung ist. Einen solchen Grund nennt Davidson einen »primären Grund« (ebd.: 20). Nach Davidson ist ein Grund ein psychischer Zustand: Er setzt sich zusammen aus einer Pro-Einstellung des Handelnden und seiner Überzeugung, dass er mit der Handlung das von ihm als positiv bewertete auch realisieren kann. Zu den Pro-Einstellungen zählen nach Davidson typischerweise Wünsche, aber auch allerlei andere Motivationen oder Wertvorstellungen, die eine Handlung als wünschenswert erscheinen lassen. Einen primären Grund zu identifizieren, bedeutet daher, dem Handelnden ein solches Paar aus Pro-Einstellung und dazugehöri­ ger Überzeugung, ein so genanntes belief-desire-Paar zuzuschreiben. Davidson glaubt, damit zum einen der Anforderung zu genügen, dass die Rationalisierung auf den Grund Bezug nehmen muss, aus dem jemand aus eigener Perspektive gehandelt hat (der primäre Grund). Damit beansprucht sein Modell, die alltägliche Praxis der Handlungs­ erklärung abzubilden. Man spricht in diesem Zusammenhang oft von alltagspsychologischen Erklärungen, die genau darin bestehen sollen, ein belief-desire-Paar als Erklärungsgrund einer Handlung zu identifizieren.47 Zum anderen verbindet Davidson seine Annahme, wonach der primäre Grund hinreichend und notwendig für die Rationalisierung der Handlung ist, mit der weiteren These, wonach der primäre Grund 46 Dieses Argument wird auch als Davidson’s Challenge, das gegen nicht-kausale Theorien der Handlungserklärungen gerichtet ist, bezeichnet. Alfred Mele fasst diese Herausforderung folgendermaßen zusammen: »If you hold that when we act intentionally we act for reasons, provide an account of the reasons for which we act that does not treat (our having) those reasons as figuring in the causation of the relevant behavior (or, one might add, as realized in physical causes of the behavior)!« (Mele 2003: 69f.) Für eine neuere kritische Diskussion von Davidsons Argument vgl. Marcus 2012: 151–160. 47 Vgl. Löhrer 2008. Michael Thompson bezeichnet Handlungserklärungen nach dem Muster Davidsons als »raffinierte Erklärungen« und grenzt sie von den »naiven Handlungserklärungen« ab, die sich am aristotelischen Modell orientieren (vgl. Thompson 2011: 109–113).

40 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2.4 Handeln

zugleich als Ursache der Handlung verstanden werden muss (David­ son 1963/1990: 20). Nur wenn das erklärende »weil« auch kausal verstanden wird, liegt eine echte Erklärung vor, die mehr leisten muss als die Nennung des relevanten primären Grundes. Der primäre Grund erklärt die Handlung nämlich nur deshalb, so Davidsons Überlegung, weil er tatsächlich kausal wirksam geworden ist. Die Aufgabe der kausalen Komponente liefert in Davidsons Modell die Spezifikation des primären Grundes als tatsächlich wirksamen Faktor. Auch damit meint Davidson, dem alltäglichen Verständnis von Hand­ lungserklärungen gerecht zu werden. Denn im Alltag unterstellen wir, so Davidson, dass die Handlungsgründe im tatsächlichen Handeln kausal wirksam sind. Erklärungen durch Gründe und kausale Erklä­ rungen schließen einander demnach gerade nicht aus, wie Anhän­ ger Wittgensteins und Ryles voreilig angenommen haben. Nach Davidson lassen die Gründe die Handlung aus der Perspektive der Handelnden als begründet erscheinen, zugleich spezifiziert die Erklä­ rung den tatsächlich kausal wirksamen Grund. Obwohl Gründe nach Davidson mentale Ereignisse sind, kann er ihnen ihre kausale Rolle auf der Ebene neuronaler Korrelate zuweisen.48 Trotz dieser kausalen Komponente kommen Handlungserklärungen ohne Bezugnahme auf Gesetze aus. Gemäß Davidsons anomalem Monismus können Hand­ lungserklärungen nämlich kausal sein, obwohl es keine deterministi­ schen Gesetze gibt, die Wünsche, Überzeugungen und Handlungen miteinander verknüpfen. Handlungen sind dann eine Klasse von Ereignissen, die kausal miteinander verknüpft sind, ohne dass dabei die Ansprüche rationaler Erklärungen aufgegeben werden.49 Sein Modell vermittelt also zwischen der empiristischen, mit kausalen Erklärungen operierenden Psychologie und der von Wittgenstein 48 Diese Theorie, wonach Handlungserklärungen als Aussagen über zwei Typen von Ereignissen zu begreifen sind, nämlich Körperbewegungen und mentale Ereig­ nisse, wobei die neuronalen Korrelate dieser mentalen Ereignisse Körperbewegun­ gen verursachen, hat Davidson als anomalen Monismus bezeichnet (vgl. Davidson 1970/1990). Für eine sehr gute Darstellung des anomalen Monismus vgl. Kim 2003. 49 Vgl. Lanz 1987: Kap. I. Absichten sind nach Davidsons Konzeption keine irreduzi­ blen mentalen Zustände, sondern werden zurückgeführt auf Gründe, die ihrerseits als belief-desire-Paare spezifiziert werden. Diese Analyse hat nach Davidson den weiteren Vorteil, dass sie den Rückgriff auf mysteriöse Willensakte überflüssig macht (vgl. Davidson 1978/1990: 131). Davidson hat allerdings später, im Zusammenhang mit einer Diskussion über zukünftige Absichten seine frühere These revidiert. Absichten können dann als mentale Zustände »reinen Beabsichtigens« vorkommen (ebd.). Darauf wird im späteren Verlauf zurückzukommen sein.

41 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2. Annäherungen

herkommenden Konzeption rationaler Erklärungen.50 Damit ist eine handlungstheoretische Konzeption auf den Punkt gebracht, die sich als ein Paradigma etabliert hat und in deren Rahmen alle wichtigen Fragen der Handlungstheorie bis heute diskutiert werden.51 Der Kausalismus bildet insofern fast schon unvermeidlich einen Bezugs­ punkt für alle systematischen Alternativen in der Handlungstheorie. Die Geschichte der Handlungstheorie seit Davidson könnte daher mühelos als ein Unternehmen erzählt werden, die Implikationen dieses Modells zu entwickeln und es zu korrigieren, wo Probleme erkannt wurden. Davidsons Vermittlungsversuch lässt jedoch die von Wittgenstein und Ryle problematisierte cartesianisch-empiristische Psychologie unangetastet. Viele nach wie vor verbreitete Missver­ ständnisse von Anscombes Position sind auf diese Rezeptionsweise, die von einer zum common sense stilisierten empiristischen Philoso­ phie des Geistes ausgeht, zurückzuführen. In späteren Aufsätzen hat Anscombe verschiedentlich auf David­ son reagiert. Sie wendet sich nicht nur gegen die kausale Analyse absichtlichen Handelns.52 Sie hält auch das Unternehmen, absicht­ Nach Rosalind Hursthouse lassen sich alle kausalistischen Ansätze als Varianten des folgenden allgemeinen Schemas verstehen: »C: Intentional actions are actions (or movements) caused, perhaps in a certain way, by certain mental states or events, whose occurrence explains the occurrence of the action (or movement).« (Hursthouse 2000: 84) 51 Ich habe damit Davidsons Ansatz nur in groben Umrissen dargestellt. David­ sons Version des Kausalismus ist auch nur ein grundlegender Unterschied zu Ans­ combes Handlungstheorie und bildet den Rahmen für seine Aneignung weiterer Anscombe’scher Ideen. Ich werde darauf im weiteren Verlauf immer wieder zurück­ kommen. Eine Gegenüberstellung der wichtigsten Unterschiede zwischen Davidson und Anscombe findet sich bei Stoutland 2011a. Für eine differenzierte Darstellung von Davidsons Handlungstheorie vgl. Mele 2003. 52 So zum Beispiel in Practical inference, einem ihrer brillantesten Aufsätze, wo sie gleich zu Beginn eine Variante des Problems der abweichenden Kausalketten anspricht: vgl. Anscombe 1989/2014: 17. Dieses Problem hat Davidson selbst erkannt: »nicht jeder beliebige kausale Zusammenhang zwischen rationalisierenden Einstellungen und gewollter Wirkung genügt, um zu gewährleisten, daß die Herbei­ führung der gewünschten Wirkung absichtlich war. Die Kausalkette muß auch in der richtigen Weise verlaufen.« (Davidson 1973/1990, 120) Eine Kausalkette verläuft nicht »in der richtigen Weise«, wenn alle von der Theorie geforderten Bedingungen erfüllt sind, also Pro-Einstellung und Überzeugung eine Handlung verursachen, diese Handlung aber trotzdem nicht sinnvoll als absichtlich verstanden werden kann. Ein Beispiel dafür wäre, dass ein Killer mit seinem Schuss die angezielte Person verfehlt, stattdessen aber Wildschweine aufscheucht, die diese Person dann tot trampeln (ebd.). Die Diskussion dazu hat die Handlungstheorie lange in Atem gehalten und eine 50

42 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2.4 Handeln

liche Handlungen als eine Klasse von Ereignissen abgrenzen zu wollen, für verfehlt. Dabei orientiert sie sich an einer grundlegenden Unterscheidung Thomas von Aquins: Die Unterscheidung zwischen menschlichen Tätigkeiten und Tätigkeiten des Menschen (vgl. Ans­ combe 1982/2005: 208). Auch wenn diese Unterscheidung in Inten­ tion an keiner Stelle erwähnt wird, hilft es, sie bei der Interpretation dieses Werks von vornherein im Blick zu behalten. Thomas von Aquin erläutert sie folgendermaßen: Der Mensch ist aber Herr seiner Akte durch Vernunft und Wille; deshalb nennt man auch die ›freie Entscheidung‹ eine ›Fähigkeit des Willens durch die Vernunft‹. Also heißen jene Tätigkeiten im eigent­ lichen Sinn ›menschliche‹, die aus überlegtem Wollen hervorgehen. Wenn aber andere Tätigkeiten dem Menschen zukommen, können sie zwar ›Tätigkeiten des Menschen‹ genannt werden, nicht aber im eigent­ lichen Sinn ›menschliche‹ [Tätigkeiten], weil sie nicht [Tätigkeiten] des Menschen, sofern er Mensch ist, sind. (STh Ia-IIae, q. 1, art. 1, resp.)

Die Unterscheidung ist nicht trennscharf; sie erlaubt es, vom Men­ schen ausgehende Bewegungen nach verschiedenen Hinsichten zu beschreiben. Was damit genau gemeint ist und wie man vor diesem Hintergrund im Bereich der von Menschen ausgehenden Bewegun­ gen differenzieren kann, wird in den nächsten Kapiteln deutlicher werden. Es sei hier nur schon angemerkt, dass Davidson zwar Ans­ combes These von der Beschreibungsabhängigkeit von Handlungen dem Wortlaut nach übernommen hat. So wie er sie versteht, ist sie allerdings mit seinem klassifikatorischen Ansatz unverträglich, wie Anscombe selbst bemerkt hat (Vgl. Anscombe 1982/2005: 207f.). Wenn man also Intention heute erneut liest, lohnt es sich, das so zu tun, dass die Originalität und die Stärken dieses Werks unvorein­ genommen von dieser auf ihre Weise zwar produktiven, aber dennoch einseitigen Rezeptionsgeschichte zur Geltung gelangen.

Industrie hervorgebracht, die immer absonderlichere Fälle produziert, variiert, wider­ legt und durch Gegenbeispiele ihrerseits ad absurdum führt. Vgl. die differenzierte Darstellung dieser Diskussion bei Keil: 2015: 72–111, Mele 2003: 79–81, Löhrer 2006, Keil 2007, Horn/Löhrer 2010: 23f. sowie Horst 2012: 45ff., jeweils mit weiteren Literaturangaben.

43 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2. Annäherungen

2.5 Methode Grammatik – Sprache und Gebrauch Wittgensteins Philosophie war für Anscombe nicht nur ein Bezugs­ punkt für ihre Reflexion auf menschliches Handeln. Die von Wittgen­ stein praktizierte Form der Begriffsanalyse war nicht zuletzt auch in methodischer Hinsicht ihr wichtigstes Vorbild.53 In den Philosophischen Untersuchungen bezeichnet Wittgenstein seine Methode als »grammatische« Untersuchung und erklärt sie fol­ gendermaßen: Unsere Betrachtung ist [...] eine grammatische. Und diese Betrachtung bringt Licht in unser Problem, indem sie Mißverständnisse wegräumt. Mißverständnisse, die den Gebrauch von Worten betreffen; hervorge­ rufen, unter anderem, durch gewisse Analogien zwischen den Aus­ drucksformen in verschiedenen Gebieten unserer Sprache. – Manche von ihnen lassen sich beseitigen, indem man eine Ausdrucksform durch eine andere ersetzt; dies kann man ein »Analysieren« unserer Ausdrucksformen nennen, denn der Vorgang hat manchmal Ähnlich­ keit mit einem Zerlegen. (PU: § 90)

Gilbert Ryle spricht ganz analog von der »logischen Geographie von Begriffen« (Ryle 1949/1969: 5), die durch philosophische Analyse offen gelegt werden kann, und Peter Strawson wird an Wittgenstein gedacht haben, wenn er diese Form der Begriffsklärung als »verknüp­ fende Analyse« (connective analysis) folgendermaßen beschreibt: Stellen wir uns [...] das Modell eines kunstvollen Netzes vor, eines Systems verknüpfter Einzelheiten, verknüpfter Begriffe, derart, daß jeder Begriff aus philosophischer Sicht nur verstehbar wird, wenn man seine Verknüpfung mit anderen Begriffen versteht, seinen Platz innerhalb eines Systems – vielleicht wäre das Bild einer Reihe ineinan­ dergreifender Systeme solcher Art noch besser. (Strawson 1994: 33f.)

Die verknüpfende Analyse versucht dem Umstand gerecht zu werden, dass der Inhalt von Begriffen nicht isoliert bestimmt werden kann, sondern sie vielmehr, wie Strawson an anderer Stelle (wiederum 53 Anscombe war zwar eine Schülerin Wittgensteins, aber, wie Roger Teichmann klar stellt, keine Epigonin: »Some followers of Wittgenstein have been content to repeat what he said in different ways, but Anscombe’s philosophy is truer to the spirit of Wittgenstein’s precisely in its not doing that.« (Teichmann 2011: 4, Herv. i. Orig.)

44 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2.5 Methode

auf Wittgenstein anspielend) schreibt, »eine Familie bilden, deren Mitglieder vielmehr um einen paradigmatischen Fall gruppiert und mit diesem durch vielfältige Verbindungen der Logik und Analogie verknüpft sind.« (Strawson 1959/1972: 12) Verknüpfende Analysen, wie sie Ryle und Strawson vorschweben, legen daher die logischen Verhältnisse zwischen Aussagen offen, in denen die zu analysieren­ den Begriffe vorkommen. Mit welchen Sätzen sind sie verträglich, mit welchen anderen nicht, was sind ihre Implikationen? Die ver­ knüpfende Analyse soll auf solche Fragen eine Antwort geben und kann sich dabei auf handfeste logische Kriterien stützen. Um solche logisch-semantischen Verhältnisse darstellen zu können, wird man (zumindest in den philosophisch interessanteren Fällen) ein Vorver­ ständnis über den Inhalt eines Begriffs voraussetzen müssen. Daher betont Strawson auch die Bedeutung von signifikanten Beispielen (paradigmatischen Fällen) als Bezugspunkt, die an bekannte Merk­ male der zu untersuchenden Begriffe erinnern sollen. Anscombes Methode lässt ich gut mit der verknüpfenden Ana­ lyse in Verbindung bringen. Denn es geht ihr darum, die impliziten logisch-semantischen Zusammenhänge und die Regeln offenzulegen, die unsere begrifflichen Fähigkeiten leiten. So soll in Intention der unauflösliche begriffliche Zusammenhang zwischen den Begriffen der Absicht und des Handelns erhellt und dabei die teleologische Form als ein begriffliches Merkmal von absichtlichen Handlungen aufgewiesen werden. Anscombe setzt aber auch eigene Akzente, denn, anders als Wittgenstein, will sie nicht bloße Missverständnisse aufdecken und Scheinprobleme »therapeutisch« zum Verschwinden bringen, sondern philosophische Alternativen zu den als irreführend kritisier­ ten Denkweisen anbieten. Dabei kommt sie oftmals zu unerwarteten, umstrittenen, ja »überraschenden« Ergebnissen. Insofern haben ihre Untersuchungen ausgeprägt konstruktive Züge.54 Vgl. Hlobil/Nieswandt 2016: 196: »In Anscombe’s writings, we can see a version of the conceptual turn (broadly construed) at work, that does not treat philosophical problems as pseudo-problems, as resting on confusions that are particular to the philosopher or as problems that are in an important sense merely about thought and talk and not about the world.« Vgl. dort auch 183 und 192f. Hlobil und Nieswandt präsentieren in diesem Aufsatz einen Vorschlag, wie sich Anscombes PhilosophieVerständnis vor dem Hintergrund gegenwärtiger metaphilosophischer Standpunkte bzw. methodischer Orientierungen abgrenzen lässt. Sie exemplifizieren ihre Überle­ gungen an drei Aufsätzen Anscombes und identifizieren ein vier-schrittiges Muster: Aufdecken einer begrifflichen Verwirrung, Nachweis der Grenzen reduktiver Analy­ 54

45 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2. Annäherungen

Ausgangspunkt für grammatische Untersuchungen ist die Spra­ che sowie die Kontexte ihres Gebrauchs: »Jedes Zeichen scheint allein tot. Was gibt ihm Leben? – Im Gebrauch lebt es.« (PU: § 432, Herv. i. Orig.). Auf den Sprachgebrauch verweist Wittgenstein auch in der oben bereits zitierten Eintragung aus den Philosophischen Untersu­ chungen. Es ist wichtig zu betonen, dass Wittgenstein mit Gebrauch nicht den etablierten konventionellen Gebrauch einer von Menschen gesprochenen Sprache meint, also dem, was in der Sprachwissenschaft als »natürliche Sprache« bezeichnet wird. Wie Peter Geach festhält, gibt es für ganze Sätze einer Sprache keinen »Gebrauch« in diesem Sinn: e.g. the expressions in this book do not get their meaning from any established usage, nor have I learned to use them in circles where they were commonly used. It is words and phrases that have an established usage; a language is mastered not by learning whole sentences out of a guidebook but by learning to make up sentences in it and to understand sentences not previously heard. That is how we learn foreign languages, and how children come to understand and speak their native language. (Geach 1957/1971: 12)

Geachs Bemerkung verdeutlicht ganz im Sinne Wittgensteins, dass die Fähigkeit, eine Sprache zu erwerben und zu gebrauchen, eine komplexe Fähigkeit ist, die auch mit anderen nicht-sprachlichen Tätig­ keiten verwoben ist. Sprachfähigkeit ist in einem ganz handfesten Sinne eine praktische Fähigkeit. Wittgenstein spricht sogar von einer Technik (vgl. PU: § 199), und entsprechend meint »Grammatik« nicht die in Lehrbüchern niedergelegten oder in den Sprachwissenschaften untersuchten Regeln von natürlichen Sprachen.55 Der Ausdruck ver­ weist vielmehr auf ein Netz von Regeln, die den Gebrauch von sprach­ lichen Ausdrücken in ihren praktischen Kontexten leiten und insofern ihre Bedeutung festlegen. Den Zusammenhang von Sprache als regel­ geleitetes Verhalten mit anderen, nicht-sprachlichen Tätigkeiten fasst Wittgenstein mit der Metapher des Sprachspiels: »Das Wort ›Sprach­ spiel‹ soll hier hervorheben, daß das Sprechen der Sprache ein Teil ist semethoden, Untersuchung des Problems und Lösungsvorschlag. Wegen der höheren Komplexität und dem Umfang des Werks lässt sich dieses Schema zwar nicht ohne weiteres auf Intention übertragen, diese vier Schritte finden sich im Ansatz aber auch dort. 55 Für ausführliche Darstellungen von Wittgensteins Verständnis von »Grammatik« vgl. Baker 2006 und Schroeder 2017.

46 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2.5 Methode

einer Tätigkeit, oder einer Lebensform.« (PU: § 23, Herv. i. Orig.) »Sprachspiel« ist bei Wittgenstein ein höherstufiges methodisches Konzept: »Sprachspiele« sind Modelle für Sprechsituationen mit ihren Kontexten, an denen sich die Regeln der Grammatik für einen bestimmten Bereich des Sprachgebrauchs exemplifizieren lassen. Wittgenstein bezeichnet Sprachspiele daher auch als »Vergleichsob­ jekte« (PU: 130) und arbeitet dementsprechend in den Philosophi­ schen Untersuchungen sehr oft mit erfundenen Szenarien, die wie Modelle funktionieren und als Kontrast zum bekannten Sprachge­ brauch ein Licht auf unbemerkte begriffliche Zusammenhänge wer­ fen. Es ist daher irreführend, Sprachspiele objektstufig als Gegen­ stände zu betrachten und beispielsweise vom »Sprachspiel der Wissenschaft« oder vom »Sprachspiel des Journalismus« zu reden. Man kann aus diesem Grund auch nicht sinnvoll fragen, aus wie vielen Sprachspielen eine Sprache besteht. »Sprachspiel« ist ein methodi­ sches Konzept, das der philosophischen Reflexion und Erläuterung begrifflicher Zusammenhänge und ihrer Verknüpfung mit anderen Praktiken dient.56 »Grammatische« Sätze, die solche Zusammen­ hänge artikulieren, haben nach Wittgenstein die Aufgabe, an den ver­ trauten Sprachgebrauch zu erinnern. Die philosophische Analyse beschreibt diese Grammatiken und stellt sie übersichtlich dar (vgl. PU: § 122). Wittgenstein geht es dabei darum, Klarheit über begriff­ liche Verhältnisse zu gewinnen und philosophische Probleme aufzu­ lösen, die aus Missverständnissen des Sprachgebrauchs resultieren. Auch Anscombe macht von dieser Methode des Vergleichs von Sprachspielen ausgiebig Gebrauch. Das ist auch der Grund, warum Anscombe in Intention nur an sehr wenigen Stellen auf philosophische Konzeptionen eingeht. Philosophisch aufgeladene Denkmöglichkei­ ten erscheinen vielmehr in Form von idealtypisch stilisierten Model­ len, deren Hintergrundannahmen und Implikationen im Kontext der beschriebenen Sprachspiele oder Beispiele ausgelotet werden. Dem­ entsprechend ist der Argumentationsgang von Intention auch nicht als Diskussion konkurrierender philosophischer Positionen organisiert.

56 Vgl. auch folgende Bemerkung Wittgensteins: »Das Wesentliche des Sprachspiels ist eine praktische Methode (eine Art des Handelns) – keine Spekulation, kein Geschwätz.« (UW: 116)

47 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2. Annäherungen

Grammatik – Wort und Begriff In der Orientierung an Sprache ist Anscombes Methode durchaus mit der damals in Oxford praktizierten linguistischen Philosophie vergleichbar. Es gibt aber auch einen wichtigen Unterschied, der etwas mit dem Verhältnis von Wort und Begriff zu tun hat.57 Außerhalb der Philosophie wird zwischen Wort und Begriff oftmals gar nicht unterschieden, und auch innerhalb der Philosophie ist der Begriff des Begriffs nicht eindeutig bestimmt. Ausgehend von Wittgensteins Charakterisierung des Sprachgebrauchs als komplexe Fähigkeit ist aber eine Verhältnisbestimmung möglich, die ein weite­ res Licht auf Anscombes methodisches Selbstverständnis wirft. Wenn man ein alltägliches Vorverständnis von Begriffen zugrunde legt, könnte man Begriffe als Vorkommnisse in den Denk­ prozessen von Subjekten bestimmen. Danach wären Begriffe Gege­ benheiten in individuellen Psychen und in zweifacher Hinsicht etwas »Subjektives«: Einmal, weil sie nur solange existieren, wie sie im Denken eines Individuums vorkommen; zum anderen, weil jedes Individuum sie für sich haben kann (vgl. Kemmerling 2017: 17). Wenn Wittgenstein und Anscombe von begrifflichen Analysen sprechen, verstehen sie unter Begriffen dagegen etwas wesentlich Logisches.58 Darin folgen sie der begriffslogischen Konzeption des Mathemati­ kers und Philosophen Gottlob Frege. Frege hat in seinen logischen Untersuchungen psychologistische Auffassungen des Begrifflichen überzeugend kritisiert. Als psychologistisch kann man auch die oben erwähnte Auffassung von Begriffen als subjektive Denkinhalte cha­ rakterisieren.59 Nach der logischen Auffassung sind Begriffe dagegen etwas, das den Inhalt von Denkprozessen als Denkprozesse charak­ terisiert (ebd.). Begriffe im logischen Sinne sind nur im Denken erfassbare Abstrakta. Es ist für Begriffe wesentlich, dass sie von meh­ reren Menschen geteilt bzw. erfasst werden können. So ist es durchaus sinnvoll, von meiner Vorstellung eines Pferdes zu sprechen, aber nicht Auf einen weiteren Unterschied gehe ich im nächsten Abschnitt ein. Es wird manchmal übersehen, dass Wittgenstein, trotz seiner Abkehr vom ideal­ sprachlichen Modell aus dem Tractatus, Frege vor allem bei der Kritik an psychologis­ tischen Konzeptionen des Begrifflichen und Logischen verpflichtet bleibt. Das ist ein weiterer wichtiger Punkt, der Anscombe mit Wittgenstein verbindet (vgl. Wiseman 2016a: 3f.). 59 Nach dieser Konzeption würden Begriffe in die Klasse von Bewusstseinsinhalten fallen, die Frege als »Vorstellungen« bezeichnet hat (Frege 1892/1986a: 43–45). 57

58

48 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2.5 Methode

von meinem Begriff des Pferdes – es sei denn, man will damit auf eine idiosynkratische Wortverwendung hinweisen. Dieses Beispiel zeigt, dass Begriffe im logischen Sinne nicht einfach auf Sprachliches reduziert werden können. Das heißt freilich nicht, dass es sich um Gegenstände handelt, die unabhängig von sprachlichen Praktiken existieren wie die Rede von Begriffen als Abstrakta nahelegen könnte. Hier hilft es, die logische Konzeption des Begrifflichen mit Wittgen­ steins Verständnis von Sprache als praktische Fähigkeit zu verbinden. Begriffe können dann als Fähigkeiten bestimmt werden, die sich darin manifestieren, sinnvolle Sätze bilden zu können, in denen ein Begriffswort vorkommt. Dieser Vorschlag stammt wiederum von Peter Geach. Er schreibt: The ability to express a judgement in words thus presupposes a number of capacities, previously acquired, for intelligently using the several words and phrases that make up the sentence. I shall apply the old term ›concepts‹ to these special capacities – an application which I think lies fairly close to the historical use of the term. (Geach 1957/1971: 12)

Nach dieser Bestimmung ist die Beherrschung von Sprache (wozu nicht zuletzt auch die Fähigkeit gehört, sinnvolle Sätze zu bilden) eine hinreichende Bedingung für den Besitz eines Begriffs. Geach schreibt weiter: Thus: if somebody knows how to use the English word »red«, he has the concept of red; if he knows how to use the first-person pronoun, he has a concept of self; if he knows how to use the negative construction in some language, he has a concept of negation. (Ebd.: 12f.)

Die sprachliche Fähigkeit, einen Ausdruck richtig zu verwenden, ist, das betont Geach, allerdings nicht notwendig, um über einen Begriff zu verfügen, denn zur Ausübung von begrifflichen Fähigkeiten gehört mehr als nur diese sprachliche Fähigkeit im engeren Sinne. In einer anspruchsvollen Position, einen guten Schachzug zu finden, erfordert mehr als zu wissen, wie eine bestimmte Figur bewegt werden darf, oder die Fähigkeit, memorierte Spielverläufe zu aktualisieren und auf die besondere Situation zu applizieren: »As these skills are related to the chessmove, so concepts are related to the act of judgement.« (Ebd.: 13) Ich habe Geachs Begriffskonzeption ins Spiel gebracht, weil sie es erlaubt, im Geiste Freges und Wittgensteins dem Gedanken, wonach

49 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2. Annäherungen

Sprechen eine komplexe praktische Fähigkeit ist, die begriffliche Fähigkeiten einschließt, einen greifbaren, präzisen Sinn zu geben. Sie eignet sich daher auch gut, um den für Anscombes Methode maßgeblichen Ansatz der begrifflichen Untersuchung ausgehend vom Sprachgebrauch zu konkretisieren.60 Und schließlich kann so auch verdeutlicht werden, wie sich diese Form der logisch-grammatischen Analyse von einer sprachanalytischen Methode unterscheidet, die sich am faktischen Wortgebrauch orientiert.61

Abgrenzung von der ordinary language philosophy und ein Beispiel aus Intention Der erste Unterschied zur linguistischen Philosophie betrifft die Art und Weise, wie der Zusammenhang zwischen Wort und Begriff auch in methodischer Hinsicht aufgefasst wird. Der zweite Unterschied betrifft die Art und Weise, nach welchen Kriterien sinnvoller von sinnlosem Sprachgebrauch abgegrenzt wird (so Aucouturier 2012: 16). Für die Methode der ordinary language philosophy lässt sich das gut an einer Passage aus John Austins Aufsatz A plea for excuses verdeutlichen, die auch deshalb aufschlussreich ist, weil sie den Handlungsbegriff betrifft: In ethics we study, I suppose, the good and the bad, the right and the wrong, and this must be for the most part in some connexion with conduct or the doing of actions. Yet before we consider what actions are good or bad, right or wrong, it is proper to consider first what is meant by, and what not, the expression ›doing an action‹ or ›doing something‹. These are expressions still too little examined on their own account and merits, just as the general notion of ›saying something‹ is still too lightly passed over in logic. There is indeed a vague and comforting idea in the background that, after all, in the last analysis, doing an action must come down to the making of physical movements 60 Auch wenn es auffällig ist, dass Geachs Mental Acts im selben Jahr wie Intention erschienen ist, kann hier die Frage offen bleiben, ob Geachs Untersuchungen zu Urteil und Begriff einen direkten Einfluss auf Anscombe hatten. Zu dieser Frage vgl. Müller 2014: 364. 61 Sprachanalytische Methoden sind daher keineswegs auf einen »Nominalismus« verpflichtet. Für die Konzeption logisch-grammatischer Analyse, die nach meiner Darstellung Frege mit Wittgenstein, Geach und Anscombe verbindet, gilt das ganz sicher nicht.

50 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2.5 Methode

with parts of the body; but this is about as true as that saying something must, in the last analysis, come down to making movements of the tongue […] If we are to continue to use this expression in sober philosophy, we need to ask such questions as: Is to sneeze to do an action? Or is to breathe, or to see, or to checkmate, or each one of countless others? In short, for what range of verbs, as used on what occasions, is ›doing an action‹ a stand-in? (Austin 1961: 126f.)

Nach Austin ist es ein Fehler, ausgehend von der abstrakten Wendung »eine Handlung vollziehen« eine Handlungstheorie entwickeln zu wollen. Es ist aussichtsreicher, sich ganz konkret an den vielfältigen sprachlichen Wendungen zu orientieren, in denen die relevanten Ausdrücke im Kontext von Handlungsbeschreibungen vorkommen. Tatsächlich war Austin der Auffassung, dass die genaue Beschrei­ bung des faktischen Sprachgebrauchs geeignet sei, philosophische Probleme zu lösen. Anscombe hat die linguistische Methode nicht nur abgelehnt, sondern, wie wir noch sehen werden, auch einige handlungstheoreti­ sche Schlussfolgerungen, zu denen Austin mit Hilfe dieser Methode gelangt, in Intention direkt verworfen. Wo Austin ausdrücklich fragt: »what we should say when, what words we should use in what situations« (ebd.: 130), interessiert sich Anscombe für die interne Logik, nach der begriffliche Zusammenhänge offengelegt werden können. Auf eine einfache Formel gebracht: Es geht nicht um den faktischen normalsprachlichen Sinn, sondern um die Möglichkeiten von Sinn. Daher auch die Relevanz von kontrafaktischen Beispielen, Variationen von »Sprachspielen« und erfundenen Lernsituationen. Die grammatische Analyse wird dementsprechend auch nicht einfach die Feinheiten des normalen Sprachgebrauchs und seine faktischen Konventionen registrieren und sich darauf berufen, was kompetente Sprechende in den fraglichen Situationen sagen würden. Wie Ans­ combe immer wieder verdeutlicht, nicht zuletzt in den Eingangs­ abschnitten von Intention, verschleiert der normalsprachliche Sinn oftmals sogar wichtige grammatische Unterscheidungen.62 In einer eingeschobenen methodischen Reflexion im 18. Abschnitt von Intention verdeutlicht Anscombe das Zusammenspiel von grammatischen Behauptungen über die Bedingungen des Sinns 62

Für ein weiteres gutes Beispiel vgl. Anscombes Bemerkungen in A: § 28.80.Fn. 4.

51 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2. Annäherungen

von Äußerungen in spezifischen Verwendungskontexten und ihrer Prüfung auf der Grundlage eines Vorverständnisses für solche Sinn­ bedingungen. Sie unterscheidet dort in Anlehnung an Wittgenstein zwei Formen von Unverständlichkeit. In beiden Fällen geht es nicht um semantische Unverständlichkeit. Im ersten Fall wird mit der Fest­ stellung, ein Satz sei sinnlos, eine Wortverbindung aus der Sprache ausgeschlossen.63 Ein Beispiel wäre: »Vielleicht haben blindgeborene Menschen visuelle Vorstellungsbilder« (A: § 18.48). Die Sinnlosigkeit dieses Satzes ergibt sich nach Anscombes Deutung daraus, dass hier Sprachspiele mit dem Wort »sehen« auf eine verfehlte Weise assimi­ liert werden: Die Konklusion lautet, daß ein Sprachspiel mit dem Wort ›sehen‹ ein notwendiger Bestandteil des Spiels mit dem Ausdruck ›mit dem geistigen Auge sehen‹ ist. Besser gesagt: Ein Sprachspiel kann nur als dieses letztere erkannt werden, wenn auch das erstere mit den hier gebrauchten Worten gespielt wird. (Ebd.)

Es gibt aber noch eine weitere Form der Unverständlichkeit. Anscom­ bes Beispiel dafür ist eine Person, die alle grünen Bücher in ihrem Haus sorgfältig auf dem Dach ausbreitet und die Frage, warum sie das tut, mit »aus keinem besonderen Grund« oder »einfach so« beant­ wortet. Wenn man nun behauptet, dass diese Antwort keinen Sinn hat, dann, so Anscombe, schließt man nicht einfach eine Wortver­ bindung aus der Sprache aus, »sondern stellt fest, daß man diesen Menschen nicht verstehen kann.« (Ebd.: 49, Herv. JK) Sie schließt daran die Beobachtung an, dass Wittgensteins Interesse sich im Ver­ lauf der Philosophischen Untersuchungen auf diese Art von Sinnlosig­ keit verlagert habe. Das gilt ganz sicher auch für Anscombes Unter­ suchungen in Intention. Der Maßstab, nach dem solche Äußerungen als sinnlos erscheinen, ist das menschliche Verhalten. In ihren beiden erläuternden Kommentaren zu dieser Art Sinnlosigkeit betont Ans­ combe, dass man einen Menschen, der in diesem Kontext so antwortet, nicht versteht.64 Ich habe daher das Wort »Mensch« im obigen Zitat hervorgehoben. Damit soll deutlich werden, dass der Bezugspunkt für diese Art zwischen sinnvoller und sinnloser Rede zu unterscheiden, Vgl. A: § 18.48. Anscombe beruft sich dabei auf PU: § 500. Diese Feststellung ist selbstverständlich damit verträglich, dass es andere Kontexte gibt, in denen die Antwort »einfach so« oder »ohne Grund« durchaus verständlich ist. Für diese Diskussion vgl. A: § 17 und meine Erläuterungen in Kap. 4.4. 63

64

52 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

2.5 Methode

das ist, was Wittgenstein die »gemeinsame menschliche Handlungs­ weise« nennt: »Die gemeinsame menschliche Handlungsweise ist das Bezugssystem, mittels welches wir uns eine fremde Sprache deuten.« (PU: § 206). Ohne solche Gemeinsamkeit wäre jede begriffliche Untersuchung unmöglich, und wir können etwas über begriffliche Zusammenhänge lernen (z.B. wie die Warum-Frage mit der Zuschrei­ bung von Absichten zusammenhängt), indem wir auf das achten, was im Licht der gemeinsamen menschlichen Handlungsweise als sinn­ voll oder als sinnlos erscheint. Insofern ist der Sinnzusammenhang menschlichen Sprechens in seinen praktischen Kontexten für die phi­ losophische Untersuchung methodisch unhintergehbar.65 Dieses Beispiel ist eingängig und muss auch nicht durch wei­ tere Argumente gestützt werden (im Gegensatz zur Aussage über die vermeintlichen Farbvorstellungen von Blindgeborenen). In den meisten Fällen reichen solche unmittelbar einleuchtenden Beispiele nicht aus. Die Beispiele müssen selbst sorgfältig interpretiert wer­ den. Für grammatische Aussagen über sinnvolle Sprachgebräuche werden Argumente benötigt, in deren Licht die Beispiele erst über­ zeugen können. Bei Anscombe sind das immer wieder angedeutete Reductio-Argumente – dabei überlässt sie es oft den Lesenden, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Im Detail ist eine grammatische Untersuchung also durchaus mühevoll. Es muss nämlich immer erst im Konkreten gezeigt werden, warum Aussagen sinnvoll oder weniger sinnvoll erscheinen und inwiefern ein Beispiel an verständli­ che Verhaltensweisen anschließt, oder, falls es das nicht tut, welche logisch-grammatischen Konsequenzen das hat.

Es ist wichtig, diese Feststellung als methodische Klausel zu verstehen. Es ist damit nicht gesagt, dass die gemeinsame menschliche Handlungsweise ein Sinn konstituierendes Fundament sei. Ebenso wenig ist damit behauptet, falls das nicht klar geworden sein sollte, dass Denken sich auf Sprechen reduzieren lasse. 65

53 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3. Der Weg von innen nach außen – Problemstellung, erste Annäherungen (§§ 1– 4)

3.1 Einleitung Anscombe steuert die Problemstellung der Abhandlung unmittelbar an, indem sie drei paradigmatische Fälle nennt, in denen der Begriff der Absicht eine Rolle spielt. Dabei vertraut sie auf die Sprachund Begriffskompetenz ihrer Leserschaft. Auf solche methodischen Eigenarten habe ich bereits aufmerksam gemacht. Dazu gehört auch, dass der Text keine explizite Binnengliederung hat. Die Gedanken gehen gewissermaßen ineinander über, Motive werden eingeführt, deren Implikationen erst später deutlich werden. Zwar lassen sich thematische Einheiten identifizieren, doch bleibt jeder Gliederungs­ versuch eine interpretatorische Entscheidung. Das ist aber insofern unproblematisch, als eine lineare Interpretation, die einfach dem Textverlauf folgt, ohnehin nicht durchgehend adäquat ist. Die folgen­ den Kapitel sind daher als Versuche zu verstehen, ausgehend von einem thematischen Komplex, der im Zentrum einer Gruppe von Abschnitten steht, Anscombes Argumentationslinien zu bündeln und im Hinblick auf ihre Pointen für den Gesamtentwurf zu diskutieren. Diese Vorgehensweise hat auch einen Grund in der Sache. Obwohl bei den drei eingangs genannten Fällen, in denen von »Absichten«, »absichtlichen Handlungen« oder »Absichtlichkeit« die Rede ist, keine Mehrdeutigkeit vorliegt, liegt es nicht auf der Hand, worin die Gemeinsamkeit in diesen Begriffsgebräuchen besteht. Offensichtlich gibt es hier eine Unklarheit: Wir scheinen diesen Begriff zu verstehen, so selbstverständlich drücken wir unsere Absich­ ten aus, unterscheiden absichtliche Handlungen von anderen Vor­ gängen, reden von der Absicht, mit der eine Handlung vollzogen wurde. Bei näherer Überlegung fällt es jedoch schwer, die Frage zu beantworten, was in diesen drei Fällen die Einheit des Begriffs der Absicht ausmacht. Damit ist das Problem der Abhandlung aufgewor­

55 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3. Der Weg von innen nach außen – Problemstellung, erste Annäherungen (§§ 1–4)

fen: Wenn es richtig ist, dass das Wort »Absicht« nicht äquivok ist, worin besteht dann die Einheit des Begriffs, der durch dieses Wort ausgedrückt wird? Eine zentrale Aufgabe für die Interpretation von Intention wird darin bestehen, zu klären, wie diese Frage nach der Einheit des Begriffs in den verschiedenen Weisen, über absichtliches Handeln zu sprechen, genau zu verstehen ist. Diese Einheit ist freilich schon von Anfang an präsent. Es ist gerade der Witz der ersten Abschnitte, mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass es ein Fehler wäre, einfach einen Beispielfall zum Ausgangspunkt für die Erläute­ rung der anderen zu erklären. Um die gesuchte Einheit zu erkennen, ist es daher wichtig, sich von Missverständnissen und einseitigen Fixierungen auf einen bestimmten Sprachgebrauch zu befreien. Die ersten Abschnitte der Abhandlung haben vor diesem Hintergrund neben der Formulierung des Problems eine doppelte Funktion: Einer­ seits Schwierigkeiten anzuzeigen, die sich ergeben, wenn man vom ersten Beispielfall, der Mitteilung einer Absicht, als Paradigma aus­ geht. Stattdessen soll der Blick auf die beobachtbaren, wirklichen Handlungen gelenkt werden. Andererseits wird damit der Grundge­ danke der Abhandlung vorbereitet: Die Bezeichnung einer Handlung als »absichtlich« bezieht sich nicht auf einen inneren Zustand des Handelnden, sondern auf »eine Form von Ereignisbeschreibungen.« (A: § 47.131). Der für Anscombes Analyse des absichtlichen Handelns zentrale Gedanke eines Formunterschieds, von dem aus sich die Grammatik des Sprachspiels mit dem Absichtsbegriff und den damit verwandten Begriffen beschreiben lässt, wird in diesen ersten Abschnitten eingeführt, wenn auch noch nicht explizit. Man über­ treibt daher nicht mit der Feststellung, dass in den ersten Abschnitten der Grundgedanke der Abhandlung bereits angelegt ist. Gerade deshalb stellt der Einstieg in die Untersuchung in diesen ersten Abschnitten die Rekonstruktion vor erhebliche Schwierigkei­ ten. Anscombe entwickelt kein lineares Argument, sondern umkreist das Problem und arbeitet mit Beispielen, deren Pointen sich nur bei sorgfältiger Interpretation erschließen. Es ist daher nicht immer klar, in welche Richtung der Gedankengang führt: Vertritt Anscombe hier bereits eine eigene Position und trägt Thesen vor, oder erprobt sie zunächst nur Gedanken, die möglicherweise gänzlich verworfen wer­ den müssen?66 Tatsächlich führt sie zunächst in einige philosophische Zur Orientierung im Text kann es helfen, mehrere »Stimmen« zu unterscheiden. Wiseman schlägt vor, drei Stimmen im Text auseinander zu halten: Eine deskriptive,

66

56 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3.1 Einleitung

Sackgassen. In eine dieser Sackgassen führt die Strategie, die Mittei­ lung einer Absicht aus der Perspektive der ersten Person als Aus­ gangspunkt zu wählen, von dem aus sich die anderen Fälle verstehen lassen. Diese Strategie, die sich hartnäckig in der Handlungstheorie gehalten hat, nicht zuletzt auch, weil sie an vorphilosophische Selbst­ verständlichkeiten anknüpft, scheint vielversprechend, weil damit das psychische Phänomen, um das es geht, direkt angesteuert wird. Gerade weil diese Strategie so selbstverständlich erscheint, ist es not­ wendig, erst einmal von ihrer Verführungskraft zu befreien. Das ist eine weitere wichtige Aufgabe dieser einleitenden Abschnitte. Dabei werden auch schon Motive herausgearbeitet, die im späteren Verlauf weiter entwickelt und deren Relevanz daher erst rückwirkend deutlich wird. Das gilt für die Feststellung, dass Handlungsbeschreibungen, anders als Vorhersagen, nicht durch Belege gerechtfertigt werden; und es gilt ebenso für die Überlegungen zu Formen des Irrtums bei Befeh­ len, Handlungen und Vorhersagen, die auf einen Formunterschied zwischen diesen Satztypen verweist (vgl. § 2.16; § 3.18). Erst nach und nach, um eine schöne Formulierung Wittgensteins aufzugreifen, geht Licht »über das Ganze auf.« (ÜG: § 141) Dabei wird sich zeigen, dass der Ausgangspunkt der Untersuchung dasjenige sein muss, was sich im physischen Bereich abspielt, was Menschen wirklich tun und wie sie es ausdrücken. Der vermeintlich klare Fall des Ausdrucks von Absichtserklärungen wird zurückgestellt und die Abhandlung mit der Untersuchung des Begriffs der absichtlichen Handlung fortgesetzt. Insofern führt der Weg der ersten vier Abschnitte von der sich wie selbstverständlich anbietenden Idee, den psychologischen Begriff mit Rekurs auf Inneres zu erklären, nach außen, zur Wirklichkeit des Han­ delns. Auf diese methodische Orientierung Anscombes verweist der Titel dieses Kapitels. Bei der Interpretation ist es erforderlich, die erwähnten Argu­ mentationslinien auseinanderzuhalten. Insbesondere muss geklärt werden, wie die Annäherung von Absichten an Vorhersagen zu verstehen ist und welche Einsichten dadurch gewonnen werden, die allerdings an dieser Stelle der Abhandlung noch nicht entwickelt werden. Ferner muss nachgezeichnet werden, warum nach Anscombe nur die Perspektive auf das wirkliche Handeln aus den Sackgassen eine intuitive und eine philosophische. Der Gedankengang lässt sich dann als Zusam­ menspiel einer beschreibenden Perspektive, die sprachliche und nicht-sprachliche Praktiken ins Spiel bringt, mit intuitiven Erklärungsversuchen und ihrer philosophi­ schen Reflexion verstehen. Näheres in Wiseman 2016a: 69–72.

57 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3. Der Weg von innen nach außen – Problemstellung, erste Annäherungen (§§ 1–4)

führt, in die eine Untersuchung gerät, die sich an der äußerlichen sprachlichen Form des Ausdrucks von Absichten orientiert oder sich auf die Gewissheiten von Erklärungen aus der erstpersonalen Per­ spektive verlässt.

Lektürevorschläge zur Vertiefung Für die Interpretation der ersten vier Abschnitte waren die Arbeiten von Doyle (2019) sowie Moran/Stone (2011) besonders hilfreich. Beide Abhandlungen eignen sich hervorragend, um die Auseinander­ setzung mit diesem die Untersuchung eröffnenden Teil des Werks zu vertiefen.

3.2 Das Problem: Drei paradigmatische Verwendungsweisen für einen Begriff und die Frage nach seiner Einheit Wenn man den Begriff der »Absicht« verstehen will, liegt es nahe, sich dem Phänomen – einem »Gegenstand« aus dem Bereich des Psychi­ schen oder »Mentalen« – direkt zuzuwenden. Die Rede von Absichten scheint auf das Innenleben von handelnden Menschen zu verweisen. Das entspricht dem einfachen Bild, das ich im vorherigen Kapitel skizziert habe (vgl. Abschnitt 2.4). Jemand kündigt an, etwas zu tun, indem er beispielsweise sagt »Ich werde x tun« oder »ich habe vor, x oder y zu tun.« Solche Absichtsbekundungen nennt Anscombe im ersten Abschnitt »Ausdruck von Absichten.«67 Sie könnten demnach als Berichte über Bewusstseinszustände aufgefasst werden, so wie die Feststellung, dass meine Armbanduhr links neben dem Computer liegt, ein Bericht über einen Sachverhalt in der »Außenwelt« ist. Entsprechend könnte man die Zuschreibung von Absichten analog 67 Im Englischen heißt es »expression of intention«, was mit »Absichtsäußerung« oder »Ausdruck einer Absicht« übersetzt werden kann. Schulte verwendet beide Mög­ lichkeiten je nach Zusammenhang. Connolly/Keutner halten sich an die zweite Wen­ dung. Wie immer man sich hier entscheidet: Es muss klar bleiben, dass Anscombe den sprachlichen Ausdruck meint, d.h. die Äußerung, mit der Handelnde Absichten ankündigen (ich werde X tun), und nicht etwa einen gefühlsmäßigen Ausdruck. Es ist eine von Anscombes Thesen, dass es einen solchen Ausdruck für Absichten nicht gibt (vgl. A: § 2.17).

58 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3.2 Das Problem

zur Zuschreibung von Gefühlen verstehen. Aus der Beobachtung des Verhaltens anderer Personen, vielleicht auch auf der Grundlage eines Analogieschlusses von eigenen Erfahrungen mit bestimmten Gefühlszuständen schreibt man Trauer, Schmerz oder Freude (u.dgl. mehr) anderen zu und beschreibt damit einen inneren Zustand. So auch bei Absichten: Ihre Zuschreibung verweist auf einen Zustand im Innenleben einer anderen Person. Nach Anscombe ist es allerdings irreführend, diese Thematik so anzugehen. Wir müssen verstehen, warum das so ist. Die ersten Abschnitte der Abhandlung haben unter anderem die Funktion, die Macht des so fest verankerten Bildes von Absichten als wesentlich innerpsychisches Phänomen, das jedem direkt zugänglich ist, zu erschüttern. Sie konfrontiert die Leser zunächst mit drei Verwendungszusammenhängen für den Begriff der Absicht: Sehr häufig würden wir, wenn jemand sagt: »Ich werde das und das tun«, behaupten, damit werde eine Absicht ausgedrückt. Außerdem kommt es manchmal vor, daß eine Handlung als absichtlich bezeichnet wird; und ein andermal wird vielleicht gefragt, mit welcher Absicht die Handlung vollzogen wurde. (A: § 1.11)

Im analytischen Inhaltsverzeichnis schreibt Anscombe, dass sie im ersten Abschnitt die Thematik in »drei Punkte« (»three heads«) glie­ dert.68 Die unspezifische Rede von »Punkten« bzw. »Titeln« ist ange­ sichts dieser auf den ersten Blick recht beliebig erscheinenden Zusam­ menstellung angebracht. Vor dem Hintergrund der Überlegungen zu Anscombes Methode im vorherigen Kapitel kann man dieses Vorge­ hen allerdings folgendermaßen näher erläutern: Unser Verständnis von Begriffen erschließt sich über mögliche, paradigmatische Ver­ wendungszusammenhänge, bei denen Sprachliches in die Muster unseres Lebens und Redens, unserer Reaktionen, Gedanken und Gefühle eingebettet ist. Eindeutig, und wie wir später im zweiten Abschnitt erfahren werden (A: § 2.17), sogar wesentlich sprachlich ist der erste Punkt: der Ausdruck von Absichten. Der zweite Punkt ver­ weist auf einen Vorgang bzw. eine Verhaltensweise, die als »absicht­ liches Handeln« beschrieben werden kann; schließlich kann nach der

68 A: 147 (I: 11). So übersetzt Schulte. Connolly/Keutner übersetzen wörtlicher »drei Titel« (Anscombe 1986: 149).

59 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3. Der Weg von innen nach außen – Problemstellung, erste Annäherungen (§§ 1–4)

Absicht in einer Handlung gefragt werden.69 Hier ist ein Sprechakt mitgemeint. Man kann die drei Punkte mit Beispielen illustrieren: 1) 2) 3)

Äußerung einer zukunftsbezogenen Absicht (»expression of intention for the future«): »Ich werde in 5 Minuten ins Seminar gehen« / »gleich gehe ich ins Seminar« Absichtliches Handeln (»intentional action«): Das Öffnen eines Fensters / Xs lässiges Schlendern durchs Hörsaalgebäude Absicht im Handeln (»intention in acting«): »Warum öffnest Du das Fenster?« – »Um zu lüften.« / Xs schwungvolles Aufstoßen der Tür, um in den Hörsaal zu gelangen

An diesen Beispielen lassen sich schon vier Merkmale dieses Begriffs ermitteln: (1) Absichten werden geäußert, wenn man ankündigt, etwas tun zu wollen. Es ist offensichtlich dieser erste Punkt, der die Vorstellung von Absichten als etwas Inneres besonders stützt. Denn jemand könnte durchaus eine Absicht hegen bzw. ausbilden, ohne sie auszudrücken und natürlich auch ohne sie auszuführen. (2) Um einen Vorgang als absichtliches Handeln identifizieren zu können, muss man ihn auf eine bestimmte Weise beschreiben. (3) Hinter die Absicht, mit der etwas getan wird, kommen wir üblicherweise nur durch Fragen. Auch diese Beobachtung legt nahe, dass Handelnde eine besondere Autorität bei der Feststellung ihrer Absichten haben. (4) Und schließlich: Es ist nicht nötig, ausdrücklich das Wort »Absicht« oder »absichtlich« zu verwenden. Man muss nicht sagen, man »beab­ sichtige« ins Seminar zu gehen; man muss auch nicht sagen, X schlendere »absichtlich« durch das Hörsaalgebäude, oder gar seinem Aufstoßen der Tür sei die Absicht »inhärent«, in den Hörsaal zu gelangen. Es würde normalerweise sogar eher künstlich klingen, sich auf diese Weise auszudrücken.70 Anscombe erwägt nun zunächst, ob das Wort »Absicht«, mit dem man den Begriff der Absicht, in diesen drei Fällen ausdrückt, nicht einfach nur mehrdeutig ist. Sehr oft hilft es nämlich, Klarheit über 69 Wiederum im analytischen Inhaltsverzeichnis nennt Anscombe den dritten Punkt: »intention in acting« (I: 11), was Schulte ein wenig sperrig mit »handlungsinhärenter Absicht« übersetzt (A: 147). Connolly/Keutner übersetzen näher am gewöhnlichen Sprachgebrauch mit »Absicht im Handeln« (Anscombe 1986: 149). 70 Vg. A: § 19.51f. So betont Schwenkler (2019: 5): »Anscombe’s route to discovering our ordinary concept of intentional action is not to explore the circumstances in which we call actions ›intentional‹«. Siehe dazu auch die Ausführungen zur Methode Ans­ combes (vgl. Abschnitt 2.5).

60 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3.2 Das Problem

einen Begriff zu bekommen, indem man auf Bedeutungsunterschiede und Äquivokationen aufmerksam macht. Auf diese Weise hofft man, auf eine Kernbedeutung zu stoßen, von der aus man andere, vielleicht dann abgeleitete Verwendungsformen erklären oder solche ausschlie­ ßen kann, die gar nicht in den Anwendungsbereich des Begriffs gehö­ ren. So könnte man im Hinblick auf den Begriff der Absicht auf den Gedanken kommen, einen der Beispielfälle zum Paradigma zu erklä­ ren, von dem aus die anderen zu erklären sind, und dabei von der Annahme ausgehen, dass es bei Absichten immer um die Zukunft geht. Dagegen scheint aber zu sprechen, dass »eine Handlung absicht­ lich sein [könnte], ohne daß es dabei in irgendeiner Weise um die Zukunft geht.« (A: § 1.11) Wenn ich feststelle, dass X gerade dabei ist, einen Umschlag zu öffnen, so zeigt doch schon die Verlaufsform an, dass diese zweifellos absichtliche Handlung nichts mit der Zukunft zu tun hat; zumindest hat es der sprachlichen Form nach mit der Zukunft nichts zu tun. Insofern ist eine Differenzierung erforderlich. Das Bei­ spiel ist für das Verständnis der logischen Grammatik solcher Hand­ lungsbeschreibungen nämlich auch insofern lehrreich, als es verdeut­ licht, dass die teleologische Struktur einer Handlung, ihre Zielgerichtetheit, auch dann verständlich ist, wenn der Zukunftsbe­ zug in der Beschreibung der Handlung nicht explizit vorkommt. Auch muss man nicht an das Ziel denken, um die Ausrichtung der Handlung auf ein in der Zukunft liegendes Resultat zu verstehen.71 Man kann – zweites Beispiel – Handlungen auch als absichtlich beschreiben, ohne dass eine Absicht in ihnen liegt. Steven Bayne nennt als Beispiel jemanden, der sich konzentriert und dabei seinen Zeigefinger an die Oberlippe hält. Eine solche Handlung könnte man als absichtlich bezeichnen, es wird damit aber keine Absicht realisiert (Bayne 2010: 2). Und schließlich könnte man vom dritten Beispiel ausgehen und nur die Handlungen als absichtlich bezeichnen, die mit einer weiteren Absicht vollzogen werden. Nach einer weiteren Unterscheidung hätte »Absicht« eine andere Bedeutung, je nachdem, ob der Ausdruck von jemandem verwendet wird, um eine Absicht auszudrücken, oder ob es um die mit der Handlung angestrebten Ziele geht. Diese Methode der Begriffsklärung durch Aufweis von Mehr­ deutigkeiten überzeugt allerdings für diesen Begriff nicht. Denn: Warum sollte beispielsweise die Beschreibung einer Handlung als absichtlich nicht auch voraussetzen, dass in ihr eine Absicht enthalten 71

Für diesen Hinweis danke ich Jan Müller.

61 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3. Der Weg von innen nach außen – Problemstellung, erste Annäherungen (§§ 1–4)

ist, mit der sie vollzogen wird, auch dann, wenn der Handelnde sich diese Absicht nicht ausdrücklich vornimmt oder bewusst macht? Wenn das »Öffnen des Fensters« als absichtliche Handlung beschrie­ ben wird, setzt es doch voraus, dass derjenige, der so handelt, das Fenster mit einer bestimmten Absicht öffnet, obwohl er vielleicht ohne ausdrückliche Reflexion auf diese Absicht handelt und sich oder anderen vor der Handlung auch nicht gesagt hat: »Ich werde jetzt gleich das Fenster öffnen, um zu lüften.« Wäre es daher nicht merkwürdig, anzunehmen, dass der Ausdruck »Absicht« in der Beschreibung der Handlung als absichtlich durch Dritte eine andere Bedeutung hat als dann, wenn der Handelnde auf seine Absichten explizit Bezug nimmt? Und auch wenn man eine Handlung in der Verlaufsform als absichtlich beschreibt (»X geht ins Hauptgebäude«), scheint diese Beschreibung auf ein Ziel zu verweisen, das durch den Vollzug der Handlung erreicht werden soll (die Teilnahme an einem Seminar). Wäre es dann nicht wiederum seltsam, anzunehmen, dass »absichtlich«, wenn die Handlung in der Verlaufsform beschrieben wird, etwas anderes bedeutet als dann, wenn die Absicht ausdrücklich erwähnt wird, die mit der Handlung realisiert werden soll? Anscombe verfolgt daher diese Strategie nicht weiter und stellt fest: »Aber im Grunde ist diese These – so wie das Wort in diesen verschiedenen Fällen vorkomme, sei es äquivok – nicht einleuch­ tend.« (A: § 1.11) Denkt man über die Beispiele nach, wird man von alleine darauf kommen, dass die kurz durchgespielten Differenzie­ rungen nicht zureichen oder willkürlich erscheinen. Dennoch ist der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Verwendungskontex­ ten nicht durchsichtig. Insofern ist die Irritation, in die man gerät, wenn man ernsthaft erwägt, der Ausdruck sei mehrdeutig, ein Indiz für ein tiefer liegendes Problem: Wo wir versucht sind, von den ›verschiedenen Bedeutungen‹ eines offenkundig nicht äquivoken Worts zu reden, dürfen wir den Schluß ziehen, daß über den Charakter des Begriffs, für den dieses Wort steht, völlige Unklarheit herrscht. (Ebd.)

Wir sind mit dem Begriff insofern vertraut, als wir ihn sinnvoll verwenden können, haben aber kein reflektiertes Verständnis davon, wie die verschiedenen Verwendungsweisen zusammenhängen. Heute gilt die Frage nach dem Zusammenhang zwischen den drei Formen als

62 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3.2 Das Problem

Hauptfrage einer Philosophie des absichtlichen Handelns.72 Damit ist allerdings noch unklar, wie diese Frage genau zu verstehen ist.73 Die Aufgabe einer Untersuchung des absichtlichen Handelns – das legt Anscombes Vorgehen im ersten Abschnitt nahe – muss die Einheit des Begriffs aufweisen, der in diesen verschiedenen Formen ausgedrückt wird. Es handelt sich um einen einzigen Begriff, der in diesen drei verschiedenen Formen instanziiert wird. Ein Indiz dafür ist unsere Fähigkeit, die verschiedenen Beispiele seiner Anwendung sinnvoll als Ausdruck eines Begriffs zu verstehen. Diese Fähigkeit kann daher auch Ausgangspunkt für die folgende Untersuchung sein. Vor dem Hintergrund der Bemerkungen zu Anscombes Methode ist auch klar, dass die philosophische Aufklärung dieser Fähigkeit die verschiedenen Redeweisen in den Zusammenhang von Praktiken stellen muss, in denen sich das Begriffsverständnis manifestiert. Noch offen ist allerdings, ob einer der drei Fälle als Ausgangspunkt für die Erläuterung der anderen dienen kann. Man könnte meinen, dass Anscombe genau das vermeiden will. Schließlich hatte schon der Versuch einer Klärung durch Aufweis von Äquivokationen in eine Sackgasse geführt. Es wird sich in den nächsten Abschnitten zeigen, dass Anscombe es jedoch keineswegs für falsch hält, zunächst einen der Fälle in den Mittelpunkt der Untersuchung zu stellen. Es muss allerdings begründet werden, welche der drei Formen dafür geeignet ist, und wir müssen diese Begründung richtig verstehen. Unterlässt man das, gerät die Untersuchung schon von vornherein auf Abwege. Hier wird uns eine der ersten Quellen für Missverständnisse von Anscombes Ansatz begegnen. Anscombe geht nun so vor, dass sie zunächst den ersten Titel aufgreift, den Ausdruck von zukunftsbezogenen Absichten – aller­ dings nur, um zu zeigen, dass dieser Fall seinerseits in Sackgassen führt. Sie wendet sich daher im weiteren Verlauf ausführlich der zwei­ ten und der dritten Form zu, um erst am Ende auf die erste Form zurückzukommen. Man kann den Text entsprechend gliedern: §§ 1– 4 bilden eine Art Einleitung in die Problematik; §§ 5–21 behandeln absichtliches Handeln; §§ 22–49 die Absichten im Handeln; §§ 50–

72 Vgl. Setiya 2018: 1 »The principal task of the philosophy of intention is to uncover and describe the unity of these three forms.« 73 Wir werden noch sehen, dass diese Frage unterschiedlich aufgefasst werden kann. Vgl. dazu auch die Differenzierung bei Setiya 2018: 1.

63 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3. Der Weg von innen nach außen – Problemstellung, erste Annäherungen (§§ 1–4)

52 nehmen die Thematik der zukunftsbezogenen Absichten erneut auf.74

3.3 Formunterschiede: Vorhersagen, Absichtsäußerungen und Befehle Eine Sackgasse: Die Abgrenzungsstrategie Am Ende des ersten Abschnitts kündigt Anscombe an, in kleinen Schritten vorzugehen: »Es ist [...] nichts dagegen einzuwenden, wenn man sich ein Thema Stück für Stück vornimmt.« (A: § 1.11) Metho­ disch wird sich dieses unscheinbar angekündigte Vorgehen als mühe­ voll erweisen, aber durchaus im Einklang mit Anscombes Annahme, dass wir eigentlich schon über ein Verständnis des Begriffs verfügen, allerdings desorientiert sind, wenn es darum geht, darüber reflexiv Rechenschaft abzugeben. Wir müssen daher erst einmal aus der Unordnung herausgeführt und zu einer Übersicht gelangen, bei der dann auch die prima facie einleuchtenden Annahmen über Absichten, zu denen man bei erstem Nachdenken kommen kann, ihren begründ­ baren Ort erhalten können. Moran und Stone bezeichnen diese Methode als »unmittelbare Erläuterung« (immediate elucidation) und schreiben dazu: We’ll call this strategy one of immediate elucidation and we’ll contrast it with ›connective strategies‹. An immediate elucidation exhibits the divisions of intention as inflections of a single form. It thereby also helps reveal how the unity of ›intention‹ has become linguistically submerged, hence lost to a philosophical unassisted view. (Moran/ Stone 2011: 37)

Die philosophische Reflexion, die hierbei zu Hilfe herangezogen wird, hat nicht die Funktion, nachzuweisen, dass bestimmte vorreflexive Annahmen über absichtliches Handeln falsch sind, um ihnen eine neuartige theoretische Erklärung gegenüber zu stellen. Anscombe ist im Gegenteil äußert misstrauisch gegenüber philosophischen Konstruktionen, die einen solchen explikativen Anspruch erheben. 74 Vgl. Wiseman 2016a: 49. Nach Wiseman sind §§ 2–3 bereits eine Untersuchung des ersten Themas. Sie setzt außerdem den Beginn der Untersuchung des zweiten Themas bereits mit § 4 an.

64 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3.3 Formunterschiede: Vorhersagen, Absichtsäußerungen und Befehle

Autoren, die nach Anscombe an ihre Problemstellung anknüpfen wollten, haben die Frage nach der Einheit der drei Fälle allerdings als Aufforderung nach einer theoretischen Erklärung verstanden. Sie gehen entsprechend von einem methodischen Rahmen aus, den Moran und Stone als »connective strategies«75 bezeichnen. Er besteht darin, einen der drei Anscombe’schen paradigmatischen Fälle zunächst als grundlegend zu isolieren. Ausgehend davon sollte sein Zusammenhang mit den beiden anderen erklärt werden. Wie Moran und Stone gezeigt haben, wurde so Anscombes erster Fall als Grund­ begriff identifiziert, von dem, wie Davidson festgehalten hat, »die übrigen abhängen« (Davidson 1978/1990: 10).76 Die Einsicht, die ihn dazu bewogen hat, Anscombes ersten Fall als den schwierigsten zu begreifen, ergibt sich daraus, dass Absichten oft nicht realisiert werden. Dennoch bleibe, so Davidson, die Absicht bestehen. Insofern erscheint »das Beabsichtigen« (ebd.) als ein auf die beiden anderen irreduzibler Zustand – Davidson nennt ihn »reines Beabsichtigen« –, mit denen er gleichwohl zusammenhängt. Diesen Zusammenhang gilt es dann zu erklären.77 Michael Bratman, der ebenfalls von Ans­ combes drei Beispielfällen ausgeht, sieht die zentrale Herausforde­ rung darin, skeptischen Problemen zu begegnen, die mit dem Begriff der zukunftsbezogenen Absicht verbunden sind: My intention today does not reach its ghostly hand over time and control my action tomorrow. Commitment is one thing, action at a distance another. But my intention must somehow influence my later action; otherwise why bother today to form an intention about tomorrow? [...] Such puzzles lead to suspicion, once generated, quickly spreads to the general notion of intending to act. After all, as I noted, the central case of intending to act is just that of future directed intention. If the latter leads us into action at distance, or a choice between seeing

Diese darf, wie sogleich deutlich werden wird, nicht mit der im vorherigen Kapitel erwähnten »connective analysis« nach Strawson verwechselt werden. 76 Davidson ist zu dieser Einsicht allerdings erst später gelangt, nämlich in einem Aufsatz von 1978 (Intending), in dem er seine frühere Auffassung korrigiert. 77 Die Transformation, die Anscombes Ansatz damit unter der Hand erfährt, beschreiben Moran und Stone ausführlich (Moran/Stone 2011: 37–45). Das von Anscombe angegriffene mentalistische Konzept wird durch diese »connective stra­ tegy« rehabilitiert. Vgl. auch Wiseman 2016a: 49–56 sowie Setiya 2018: 2f. 75

65 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3. Der Weg von innen nach außen – Problemstellung, erste Annäherungen (§§ 1–4)

such intentions as either irrevocable or a waste of time, then we should be skeptical about the very idea of intending to act. (Bratman 1987: 5)78

Nach Anscombe sollte die philosophische Reflexion dagegen den Zusammenhang zwischen dem unzureichend Verstandenen oder Verschütteten, aber tendenziell doch Richtigen so entwickeln, dass die anfängliche Unklarheit wieder verschwindet. Um Boden unter den Füßen zu bekommen, ist es daher nötig, erst einmal voreilige Annahmen und scheinbare Plausibilitäten zu erschüttern. Zu diesen Plausibilitäten gehört die sich hartnäckig haltende Voraussetzung, Absichten seien eine Art mentaler Gegenstand, der wesentlich aus erstpersonaler Perspektive zugänglich ist. Die Kritik an der mentalis­ tischen Perspektive auf das Thema ist einer der zentralen Erträge von Anscombes Untersuchung. Wie die Bemerkungen zu Davidson und Bratman angedeutet haben, ist diese Abwendung vom Mentalismus bis heute kaum verstanden worden; so tief ist dieses Bild vom geisti­ gen Vokabular verankert. Das war auch schon in den 1950er-Jahren der Fall. Es überrascht daher nicht, dass es Anscombe viel Mühe gekostet hat, diese Vorstellung zu erschüttern, und der vorbereitende Aspekt der ersten Abschnitte unseres Textes genau darin liegt. Eine weitere wichtige Beobachtung findet sich in der zitierten Bemerkung von Moran und Stone, wenn sie die drei Titel, unter denen der Begriff der Absicht eingeführt wurde, als Modifikationen einer einzigen Form begreifen. Mit diesem Hinweis kann der im zweiten Abschnitt begonnene Vergleich von Absichten mit Vorhersagen und Befehlen, der erst in den letzten Abschnitten des Werks abgeschlossen wird, als erster Anlauf interpretiert werden, an den Gedanken eines Formunterschieds zwischen verschiedenen Typen von Aussagen her­ anzuführen. Im zweiten Abschnitt geschieht das, indem Anscombe vorführt, wie das Festhalten an der äußerlichen sprachlichen, d.h. grammatikalischen Form – sie spricht in Anlehnung an Wittgenstein auch von Oberflächengrammatik – diesen für das Verständnis des Begriffs der Absicht entscheidenden Gesichtspunkt verfehlt.79 Daher kann es auf dieser Grundlage auch nicht gelingen, den Begriff adäquat 78 Bratman folgt Anscombe dann darin, vom zweiten Fall, dem absichtlichen Han­ deln, auszugehen. Seine Problembeschreibung setzt allerdings Davidsons Postulat eines reinen Beabsichtigens als mentalem Zustand voraus. Seine als Lösung des skeptischen Problems entworfene Methode führt daher auch direkt in die beliefdesire-Konzeption des Handelns (Bratman 1987: 6–8). 79 Zur Unterscheidung von Oberflächen- und Tiefengrammatik bei Wittgenstein vgl. PU: § 664.

66 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3.3 Formunterschiede: Vorhersagen, Absichtsäußerungen und Befehle

zu erläutern. Adäquat heißt hier: Die Erläuterung muss informativ sein (also über bloße Worterklärungen hinausgehen), ohne allerdings schon Begriffe als selbstverständlich vorauszusetzten, die ihrerseits erst noch erklärt werden müssen. Letzteres geschieht vor allem dann, wenn man zur Erklärung des Begriffs der Absicht auf Innerpsychi­ sches, wie auf etwas empirisch Gegebenes verweist. Paradoxerweise ist es gerade die sprachliche Erscheinungsform, die zu solchen Erklä­ rungsmustern verführt. Wir gehen dieser Verführung nach, um sie besser zu verstehen. Betrachten wir dazu die folgenden drei Sätze: a) b) c)

»In dieser Nacht, noch ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.« (Mt 26, 34): Eine Prophezeiung. »Und wenn ich mit dir sterben müsste, ich werde dich niemals verleugnen.« (Mt 26, 35): Der Ausdruck einer Absicht. »Steck dein Schwert an seinen Platz!« (Mt 26, 52): Ein Befehl.

Anscombe schlägt vor, solche Aussagen als unterschiedliche Arten von Voraussagen (»predictions«) zu verstehen.80 In allen drei Bei­ spielen wird der Eintritt eines zukünftigen Geschehens angekün­ digt.81 Dennoch unterscheiden sich die drei Sätze, denn die vorge­ schlagene Einteilung und Zuordnung scheint klar zu sein und meint offensichtlich Unterschiedliches. Dieser Ausgangspunkt soll helfen, Klarheit über den ersten Beispielfall aus § 1 zu bekommen. Es gibt nun unterschiedliche Möglichkeiten, eine solche Klärung herbeizuführen. Die erste Strategie, die allerdings nicht weiter führt, jedoch zunächst 80 Sie bezieht sich damit auf eine Bemerkung Wittgensteins. Die Stelle bei ihm lautet: »Wenn Leute über die Möglichkeit eines Vorherwissens der Zukunft reden, vergessen sie immer die Tatsache des Vorhersagens der willkürlichen Bewegungen.« (PU: § 629) Eine weitere Stelle, auf die ich später ausführlich zurückkomme, ist PU: § 630. 81 An dieser Stelle mache ich auf eine Wortverwendungskonvention aufmerksam. Anscombe benutzt in ihrem Text durchgängig »prediction«. Im Deutschen kann man das mit »Vorhersage«, »Voraussage« oder »Prognose« übersetzen. Schulte entscheidet sich für letzteres; Connolly/Keutner übersetzen mit »Vorhersage«. In PU: § 630 unterscheidet Wittgenstein zwischen »Vorhersage«, wenn er eine auf Beobachtung basierende Beschreibung zukünftiger Ereignisse meint (Fall b)), und »Voraussage«, wenn er generell die Zukunft beschreibende Aussagen meint. Dazu könnten dann auch Befehle gehören (Fall a)). Um der Klarheit willen bietet es sich an, sich an Anscombes Sprachgebrauch zu orientieren: Die auf Beobachtung beruhenden Einschätzungen der Zukunft bezeichnet sie als »Einschätzungen der Zukunft« (estimates of the future, A: § 2.14), ansonsten verwendet sie »prediction«, was ich im Folgenden mit Connolly/ Keutner als »Vorhersage« übersetzen werde.

67 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3. Der Weg von innen nach außen – Problemstellung, erste Annäherungen (§§ 1–4)

sehr naheliegend ist, will ich »Abgrenzungsstrategie« nennen. Die Überlegung, die diese Strategie zu empfehlen scheint, könnte die fol­ gende sein: Absichten hängen mit Handlungen zusammen, und inso­ fern auch mit dem, was in der Welt herbeigeführt wird. Insofern beziehen sich Absichten auf zukünftiges Geschehen, und Absichts­ bekundungen haben die Form der Ankündigung eines Ereignisses, das eintreten wird. Darin ähneln sie Voraussagen. Andererseits scheinen Absichten unabhängig von den Handlungen, in denen sie sich mani­ festieren, vorzukommen. Wenn man also zunächst davon ausgeht, dass Absichten vom Handelnden ausgebildet, sodann verwirklicht werden, d.h. sich in zukünftigen Handlungen manifestieren (in eini­ gen Fällen aber auch nicht), und außerdem in Formulierungen wie »ich werde X tun«, »ich beabsichtige zu Xen« ausgedrückt werden können, dann drängt es sich geradezu auf, den ersten der drei Titel, den Aus­ druck von zukunftsbezogenen Absichten, zum Ausgangspunkt der Untersuchung zu erklären.82 Die Abgrenzung von Voraussagen könnte dann der Schlüssel für die Klärung des Begriffs der Absicht sein, um sodann in weiteren Schritten die beiden anderen Titel zu erläutern und ihren internen Zusammenhang zu klären. Nach dieser Strategie erscheinen Absichtserklärungen und Voraussagen als zwei Arten von Sätzen, die Unterschiedliches beschreiben und entspre­ chend auf Unterschiedliches verweisen: etwas Innerpsychisches (eine gegenwärtig gehegte Absicht als »state of mind«) und ein beobacht­ bares zukünftiges Geschehen in der Welt. Diese Art, den Unterschied zwischen beiden Aussagetypen zu fassen, erweist sich aber als irre­ 82 Auf die Problematik der nicht realisierten Absichten machen schon Passmore und Heath aufmerksam. Ihnen zufolge müssen Absichtsäußerungen von Voraussagen daher unterschieden werden (vgl. Passmore/Heath 1955: 144). Auf diese Stelle verweist Bayne 2010: 4. Die Problematik hat, wie schon angemerkt wurde, 30 Jahre später noch Michael Bratman beunruhigt: »When we talk of an intention to do some­ thing, we frequently have in mind intentions concerning the future […]. This should not lead us to doubt the existence of present-directed intentions: intentions concerning what to do beginning now. But it should lead us to see the future-directed case as central. If we are going to make sense of the notion of intending to do something, we must make sense of the notion of a future-directed intention.« (Bratman 1987: 4) Bratman spricht hier allerdings nicht von Absichtserklärungen, sondern nimmt das psychische Phänomen direkt in den Blick: »[O]ur commonsense psychological scheme admits of intentions as states of mind.« (Ebd.) Die von mir so bezeichnete Abgrenzungsstrategie soll eine Begriffsanalyse sein, geht also, wie Anscombe, vom sprachlichen Ausdruck aus. Es ist es kein Zufall, dass Autoren, die wie Bratman beherzt von »states of mind« sprechen, dieser Unterschied nicht auffällt.

68 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3.3 Formunterschiede: Vorhersagen, Absichtsäußerungen und Befehle

führend. Dennoch folgt daraus nicht, dass die Annäherung von Absichten an Voraussagen falsch ist. Daher ist es wichtig, im Blick zu behalten, dass der Ausdruck von Absichten tatsächlich eine Art von Voraussage ist.83 Es kommt allerdings darauf an, den Unterschied zwischen diesen Formen richtig zu verstehen. Die mit dem zweiten Abschnitt einsetzende Untersuchung des ersten Titels hat demnach zwei Funktionen: eine kritische, die darauf abzielt, die Abgrenzungs­ strategie als methodische wie auch der Sache nach als Sackgasse zu erweisen; und eine vorbereitende im Sinne einer notwendigen Klä­ rung für die weitere Untersuchung.

Ein erster Versuch entlang der Oberflächengrammatik Die kritische Untersuchung erfolgt in zwei Durchgängen. Der erste appelliert (erfolglos) an eine Intuition, der zweite versucht diese Intuition philosophisch zu klären. Wie Anscombe gleich zu Beginn des zweiten Abschnitts festhält, scheint die Unterscheidung zwischen dem Ausdruck von Absichten und Voraussagen intuitiv klar zu sein (A: § 2.12). Es zeigt sich aber, dass diese Klarheit nur in einem ober­ flächlichen Sinne besteht: Wenn ich sage ›Bei dieser Prüfung werde ich durchfallen‹ und jemand erwidert ›So schlecht bist du doch gar nicht in diesem Fach!‹ kann ich den intendierten Sinn meiner Äußerung verdeutlichen, indem ich erkläre, es habe sich nicht um die Einschätzung meiner Chancen, sondern um den Ausdruck einer Absicht gehandelt. (Ebd.)

An der äußeren sprachlichen Gestalt erkennt man den Unterschied zwischen beiden Aussagen nicht. Man kann zwar die Mehrdeutigkeit leicht auflösen. Damit hat man den Unterschied aber nicht erklärt: Entweder dreht man sich im Kreis (man gibt lediglich die wenig informative Worterklärung, dass eine Voraussage eine Aussage über die Zukunft ist), oder verfehlt eine wesentliche Gemeinsamkeit beider Es ist für die Interpretation viel gewonnen, wenn man sich das von vornherein klar macht. Vgl. Doyle 2019: 7 sowie Schwenkler 2019: 5 und 8. Dagegen scheinen Moran und Stone Anscombe so zu deuten als ginge es ihr darum, Absichtsäußerungen von Voraussagen abzugrenzen (vgl. Moran/Stone 2011: 35). Diese Unklarheit bleibt aber für ihre insgesamt überzeugende Interpretation letztlich unbedeutend. Für weitere Interpretinnen und Interpreten, die Anscombe in diesem Punkt missverstanden haben vgl. Doyle 2019: 7, Fn. 3. 83

69 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3. Der Weg von innen nach außen – Problemstellung, erste Annäherungen (§§ 1–4)

Formen. Wenn man nämlich im Sinne der Abgrenzungsstrategie Absichtserklärungen als Berichte über einen gegenwärtigen geistigen Zustand auffassen würde, erscheint der Zukunftsbezug von Absichten rätselhaft. Es müsste erst geklärt werden, wie dieser geistige Zustand mit dem späteren Geschehen zusammenhängt (ebd.). Das ist ein erster Hinweis darauf, dass man der Selbstverständlichkeit, mit der die Rede von Absichten auf die Innenwelt von Akteuren zu verweisen scheint, mit Misstrauen begegnen kann. Solche Schwierigkeiten werden durch das Festhalten am sprach­ lichen Ausdruck, das gleichwohl unvermeidlich ist, begünstigt. Zumindest führt es nicht weiter, wenn man den Ausdruck als Aus­ druck von etwas auffasst, das durch diesen Ausdruck beschrieben wird. Entweder bleiben die Erklärungen weiterhin nichtssagend,84 oder sie erzeugen neue Rätsel. Anscombe nennt einige dieser Rätsel am Anfang des dritten Abschnitts (A: § 3.17): Erstens, der Rückgriff auf psychologische Jargonausdrücke wie »Triebe« oder reduktionistische Erklärungen von Absichten, die sie auf andere Emotionen oder For­ men des Begehrens zurückführen. Solche Erklärungen bleiben unbe­ friedigend. Zum einen, weil die Grundlage für die Reduktionismen willkürlich bleibt, solange man noch keine einigermaßen klare Vor­ stellung von Absichten hat. Zum anderen und damit zusammenhän­ gend, weil sie mit dem Risiko verbunden sind, die Spezifität der jewei­ ligen psychischen Phänomene zu verdecken, indem sie sie voreilig einander angleichen. Es ist nämlich gar nicht klar, dass Absichten eine Art von Emotion sind. Insofern wäre die Angleichung zu vorausset­ zungsreich. Zweitens, die Behauptung, die Bedeutung von »Ich beab­ sichtige« sei nicht weiter zurückführbar oder auch intuitiv erfassbar. Das ist aber nicht der Fall, wie die diesen Bemerkungen vorangegan­ gene Diskussion des Begriffs der Voraussage zeigt (ab A: § 2.13), weil man sonst keine Schwierigkeit mit dem Begriff der Voraussage hätte. Anscombe unternimmt einen weiteren Anlauf, der ebenfalls scheitert und zu keiner Klärung führt, sondern nur einen anderen Irr­ weg vorführt. Es scheint aber zunächst als würde damit die sprachliche Untersuchung auf eine philosophisch solidere Basis gestellt und die offensichtlichen Schwächen des ersten Anlaufs vermieden werden. Dazu stellt sie ein grammatikalisches Kriterium auf, das es erlaubt, unterschiedliche Arten von Vorhersagen zu unterscheiden: Ein Satz 84 Man kommt »nicht weiter als bis zu der Feststellung, daß es sich um eine – son­ derbare – Abart von Prognosen handelt.« (A: § 3.17)

70 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3.3 Formunterschiede: Vorhersagen, Absichtsäußerungen und Befehle

wird in einer bestimmten Konjugationsform zu einem bestimmten Zeitpunkt geäußert (t1: X wird eintreten) und zu einem späteren in einer anderen Konjugationsform noch einmal (t2: X ist eingetreten): »Das damit Gesagte kann angesichts des zwischenzeitlichen Gesche­ hens wahr (oder falsch) genannt werden.« (A: § 2.13) Mit dem grammatikalischen Kriterium verfeinert Anscombe die Abgrenzungsstrategie. Es ist nun möglich, verschiedene Typen von Vorhersagen zu unterscheiden, so wie ich es mit den drei neutesta­ mentarischen Beispielsätzen gemacht habe: »Befehle, Absichtsäuße­ rungen, Schätzungen, reine Prophezeiungen und so weiter.« (Ebd.) Wie schon beim Beispiel des angekündigten Scheiterns im Examen kann man an der sprachlichen Form, in diesem Fall dem Indikativ, den Unterschied zwischen den verschiedenen Ausdrucksformen jedoch wiederum nicht festmachen, da eine und dieselbe Äußerung unter verschiedenen Formen der Vorhersage auftreten kann. Die Äußerung des Arztes gegenüber einem Patienten, dass die Krankenschwester ihn in den Operationssaal führen wird, kann als Ausdruck einer Absicht, als Befehl, aber auch als Übermittlung einer Information verstanden werden (ebd.).85 Wenn also die indikativische Form nicht hilft, den

85 Zum Verständnis dieser Passage lohnt es sich, die Übersetzung von Connolly/ Keutner hinzuzuziehen: »dann kann diese Äußerung [this, sc. mit Bezug auf den vom Arzt ausgesprochenen Satz, JK] sowohl als Ausdruck seiner Absicht (wenn in ihr seine Entscheidung, was geschehen soll, zum Ausdruck kommt), und als ein Befehl dienen, wie sie auch eine Information für den Patienten darstellt; und letzteres gilt, obwohl die Äußerung in keinem Sinne eine auf einem Beweisgrund gegründete Einschätzung der Zukunft, oder gar eine Vermutung oder Prophezeiung ist; auch schließt der Patient normalerweise nicht aus der Tatsache, daß der Arzt ihm dies gesagt hat [said that], auf die Information. Er würde sagen, der Arzt habe ihm dies mitgeteilt [told him].« (Anscombe 1986: 6) Nicht nur hat Schultes Übersetzung eine kleine Lücke (der »Befehl« fehlt bei ihm in der Aufzählung), sondern seine Übersetzung von »said that« mit »äußern« ist unglücklich, weil er »äußern« für »expression« im Zusammenhang mit dem Ausdruck von Absichten reserviert hat. Der Arzt drückt hier nichts aus, son­ dern sagt etwas. Die Übersetzung von »told« mit »sagen« verschleiert dagegen den Unterschied zwischen »etwas sagen« und »etwas mitteilen«. Letzteres setzt einen Adressaten voraus, an den die Rede gerichtet ist. Das ist beim »Sagen« nicht der Fall. Dieser Unterschied ist wichtig, um die von Anscombe beschriebene Sprechsituation zu verstehen und damit auch, warum es abwegig ist, anzunehmen, der Patient würde aus etwas Gesagtem auf etwas anderes, nämlich die Information schließen. Absichts­ erklärungen werden dagegen ausgedrückt (»expressed«). Unser Problem besteht darin, zu verstehen, wie solche Äußerungen als Formen des Ausdrucks funktionieren, ohne schon vorauszusetzen, dass hier »etwas Inneres« ausgedrückt wird (vgl. A: § 2.16).

71 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3. Der Weg von innen nach außen – Problemstellung, erste Annäherungen (§§ 1–4)

Begriff der Voraussage zu klären, dann vielleicht der Imperativ. Vor­ aussagen könnten dann Befehlen und diese wiederum Absichten gegenübergestellt werden.86

Ein zweiter Versuch: Ausdruck von Absichten und Befehle Befehle sind der typische Fall einer Sprechhandlung oder, wie man seit Austins William James-Vorlesungen aus dem Jahre 1955 sagt: eines Sprechakts.87 Sprechakte sind Äußerungen, mit denen Sprechende nicht nur etwas feststellen, sondern etwas tun: »den Satz äußern, heißt es tun« (Austin 1979: 29). Es sind nach Austins Analyse echte Handlungen, die mit einem konventionellen Verfahren verbunden sind (ebd.: 37). Als Beispiele nennt Austin Wetten, Schiffstaufen, Trauungen (ebd.: 28f.). Den Vollzug der jeweiligen Sprachhandlung bezeichnet er als »illokutionären Akt« (ebd.: 117). Sprechakte lassen sich dann nach ihren illokutionären Rollen unterscheiden. Anscombes Überlegungen weisen jedoch in eine andere Rich­ tung.88 Das wird sogleich deutlich, wenn sie schreibt: »Ein imperati­ vischer Satz ist eine an den prospektiven Akteur gerichtete Beschrei­ bung einer künftigen Handlung.« (A: § 2.14) Hier geht es um die Charakterisierung einer Art von Sätzen, mit denen nicht nur etwas behauptet wird, sondern die eine bestimmte Rolle in einem Sprach­ spiel haben. Anscombe nennt das ihre »Pointe« bzw. ihren »Witz« (»point«). Sie besteht darin, den Angesprochenen dazu zu bringen, diese Handlung auszuführen.89 Bemerkenswert an Anscombes Cha­ rakterisierung des imperativischen Satzes bzw. des Befehls ist, dass er Vgl. wiederum PU: § 630. Die zwölf an der Harvard University gehaltenen Vorlesungen wurden 1962 post­ hum unter dem Titel How to do Things with Words veröffentlicht. 88 Es ist daher auch irrelevant, ob sie mit Austins Konzeption des Sprechakts vertraut war (zu diesbezüglichen Vermutungen vgl. Bayne 2010: 3). Ganz sicher sind ihre Überlegungen von Wittgenstein inspiriert, bei dem der Grundgedanke der Sprech­ akttheorie vorgeprägt ist, wonach bestimmte Äußerungen selbst als Handlungen ver­ standen werden können: »›Wir benennen die Dinge und können nun über sie reden. Uns in der Rede auf sie beziehen.‹ – Als ob mit dem Akt des Benennens schon das, was wir weiter tun, gegeben wäre. Als ob es nur Eines gäbe, was heißt: ›von Dingen reden‹. Während wir doch das Verschiedenartigste mit unseren Sätzen tun.« (PU: § 27) 89 Die Wendung »point in the language« ist von Wittgenstein geprägt, wie Schulte in den Anmerkungen zu seiner Übersetzung festhält (vgl. Schulte 2011: 156f. mit entsprechenden Verweisen). 86 87

72 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3.3 Formunterschiede: Vorhersagen, Absichtsäußerungen und Befehle

nicht als Ausdruck eines Wollens oder einer Absicht verstanden wer­ den muss, sondern seine Funktion auch dann erfüllen kann, wenn der Befehlende damit andere Zwecke verfolgt als die Ausführung der Handlung: Normalerweise wird ein Befehl mit dieser oder jener Absicht gegeben, ist aber als solcher nicht der Ausdruck eines Wollens, sondern lediglich die in eine besondere Form gekleidete Beschreibung einer Handlung. (Ebd., meine Herv.)

Insofern bestätigt sich, dass Anscombe den Befehl tatsächlich als eine Art Vorhersage aufgefasst wissen will: Er beschreibt eine künftige Handlung, allerdings, wie aus dem Zitat hervorgeht, in einer beson­ deren Form.90 Nach diesem Muster lässt sich auch der Ausdruck einer zukunftsbezogenen Absicht als Vorhersage verstehen, da der Sprechende auch damit eine zukünftige Handlung in einer besonderen Form beschreibt. Worin diese besondere Form besteht, wird an dieser Stelle nicht direkt erläutert. Vielmehr präsentiert Anscombe eine Reihe von Beispielen, an denen einerseits wiederum die Grenzen der Abgrenzungsstrategie deutlich werden, deren Deutung aber anderer­ seits Hinweise auf Anscombes eigenen Ansatz liefern. Nach dem bisherigen Verlauf der Untersuchung dürfte klar sein, dass weder ein grammatikalischer Unterschied gemeint sein kann, noch ein Unterschied in den illokutionären Rollen (mit der Voraussage wird etwas behauptet; mit dem Befehl etwas getan). Einen Hinweis bekommt man, wenn man den Vergleich mit Befehlen weiterführt. Befehle haben neben Wahrheits- oder Ausführungsbedingungen eine weitere Bewer­ tungsdimension: beurteilt werden sie nämlich üblicherweise nach ihren Gründen.91 Diese Gründe sind insofern besonderer Art, als sie nicht Es ist allerdings wichtig zu sehen, dass Anscombe in den ersten Abschnitten keine expliziten Argumente für diese These liefert. Sie plausibilisiert den Gedanken, indem sie in Wittgenstein’scher Manier Sprachspiele miteinander vergleicht, um festgefahrene Vorstellungen ins Wanken zu bringen. Mir kommt es daher auch darauf an, diesen methodischen Aspekt hervorzuheben. Argumente für Anscombes These zu Absichtsäußerungen und Vorhersagen finden sich dagegen bei Doyle (2019: 15 und vor allem 19–22). 91 Wenn man von der Sprechakttheorie herkommt, kann es irritieren, wie Anscombe hier den Unterschied zwischen Wahrheits- und Ausführungsbedingungen auflöst. Austin hatte auf diesen Unterschied großen Wert gelegt. Daher rücken bei ihm die vielen Unglücksfälle in den Blick, nach denen Sprachakte misslingen können (vgl. Austin 1979: 40). Wenn man den Befehl jedoch, wie Anscombe hier vorschlägt, formal als »an den prospektiven Akteur gerichtete Beschreibung einer künftigen Handlung« 90

73 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3. Der Weg von innen nach außen – Problemstellung, erste Annäherungen (§§ 1–4)

wie bei Vorhersagen »ein wahrscheinliches Ereignis oder Geschehen nahelegen, sondern zum Beispiel derart, daß sie angeben, die Herbei­ führung welcher Ereignisse positiv wäre, wenn man ein bestimmtes Ziel beziehungsweise ein vernünftiges Ziel im Auge hat.« (A: § 2.15) Neben der Bewertungshinsicht nach »wahr« und »falsch« kommt bei Befehlen mit anderen Worten eine Norm des Guten ins Spiel. Weil das Herbeizuführende mit dem Befehl als »positiv«, d.h. als »gut« vorge­ stellt wird, gibt es auch einen Grund, dem Befehl zu folgen. Das scheint ein Bewertungsgesichtspunkt zu sein, der für den Bereich des Prakti­ schen insgesamt maßgeblich ist. Insofern gilt das auch, wie Anscombe sogleich feststellt, für Absichtsäußerungen.92 Auch der Ausdruck von Absichten kann nach wahr und falsch beurteilt werden, wie gleich noch zu sehen sein wird. Darüber hinaus spielt bei der Bewertung einer Absicht auch eine Rolle, inwiefern die Herbeiführung eines Ereignisses »positiv wäre, wenn man ein bestimmtes Ziel beziehungsweise ein vernünftiges Ziel im Auge hat« (ebd.). Es gibt allerdings den wichtigen Unterschied, dass beim Ausdruck von Absichten der Sprecher als Akteur selbst involviert ist.93 Das heißt aber nicht, dass die Absichtserklärung ein Befehl ist, den der Sprecher an sich selbst richtet (auch wenn man sich solche Praktiken vorstellen kann).94 Der Selbstbezug des Akteurs verleitet jedoch auch dazu, an der Abgrenzungsstrategie festzuhalten. Wenn man nämlich Absichten an Befehle nähert und beides als Vorhersagen begreift, scheint man einen wichtigen Unterschied mit Einschätzungen der Zukunft nicht angemessen zu erfassen. Tritt eine Einschätzung der Zukunft nicht ein, hat sich die Person, die so eine Behauptung über die Zukunft aufgestellt hat, geirrt. Bei nicht ausgeführten Befehlen gilt das nicht; ebenso wenig gilt es bei nicht realisierten Absichten: »Daher sieht es so aus, als hänge die Wahrheit einer Absichtsbekundung nicht davon ab, daß ich tue, was ich sage.« (Ebd.) Noch komplizierter wird es, wenn man bedenkt, dass der Akteur in diesem Fall auch nicht gelogen bestimmt, dann ist die Beschreibung des Geschehens, das mit der zur Ausführung befohlenen Handlung stattfindet, in einem ganz harmlosen Sinne eine wahre Aussage über dieses Geschehen. 92 Sie formuliert allerdings vorsichtig, wenn sie hier auf eine Ähnlichkeit zwischen Absichtsäußerungen und Befehlen hinweist. 93 Im dritten Abschnitt kommt Anscombe auf diesen Aspekt zurück (A: § 3.18). 94 Hier ist es erhellend, sich Wittgensteins Gegenüberstellung des Aussprechens von Befehlen und wissenschaftlichen Vorhersagen auf der Grundlage von Beobachtungen als Typen von Voraussagen hinzuzuziehen (vgl. PU § 630). Ich komme darauf noch zurück.

74 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3.3 Formunterschiede: Vorhersagen, Absichtsäußerungen und Befehle

haben muss. Wenn der Sprechende hier lügt, dann hat die Lüge gerade nicht mit dem Zukünftigen zu tun, sondern mit der zum Zeitpunkt der Lüge gehegten Absicht (ebd.). Anders als bei Einschätzungen über die Zukunft will die besondere Art des Zukunftsbezugs bei Absichten erklärt werden. Sind wir wieder an den Punkt angelangt, an den auch schon die »intuitive« Unterscheidung am Anfang dieses Paragraphen geführt hatte? Hält man an der Abgrenzungsstrategie fest, muss die Antwort »ja« lauten.

Weisen, Unwahres zu sagen Anscombes folgende Unterscheidungen zwischen verschiedenen For­ men Unwahres zu sagen, zeigt jedoch, dass diese Schlussfolgerung voreilig wäre. Tatsächlich sieht es nämlich nur »so aus, als hänge die Wahrheit einer Absichtsbekundung nicht davon ab, daß ich tue, was ich sage.« (A: § 2.15, meine Herv.) Anscombe bekräftigt das aus­ drücklich, wenn sie später behauptet: »Denn wenn ich nicht tue, was ich sagte, war das Gesagte tatsächlich falsch.« (Ebd.: 16) Ein schlichtes Beispiel wäre: »Ich backe gerade einen Kuchen« – »aber siehe doch: Du hast die Eier vergessen.«95 Es ist, wie bereits erwähnt, für Ans­ combes Vorgehen in diesen ersten Abschnitten charakteristisch, dass sie diese erstaunliche Behauptung nicht weiter erläutert, sondern zunächst nur mit Hilfe von Beispielen plausibilisiert, um gewohnte Denkweisen, zu denen auch die Abgrenzungsstrategie gehört, zu erschüttern. Für alle Arten von Vorhersagen gilt zunächst, dass das Gesagte falsch ist, wenn das vorhergesagte Ereignis nicht eintritt. Beim Aus­ druck von Absichten und bei Befehlen würde man in so einem Fall jedoch nicht von einem Irrtum sprechen. Eine Lüge, schreibt Ans­ combe, ist eine »Äußerung […], die dem widerspricht, was man im Sinn hat (contrary to one’s mind)« (Ebd.: 15f.). Dabei kann das, was man »im Sinn« hat, eine Meinung sein oder das Vorhaben, etwas her­ beizuführen (»a mind to make something the case« (I: § 2.4)). Mit anderen Worten: Jemand lügt, wenn er etwas behauptet, das er für 95 Anscombe wird im weiteren Verlauf einige solcher Fehlschläge diskutieren. Ihr zufolge ist es ein Merkmal von Intentionen, dass Beschreibungen, unter denen etwas intendiert wird, nicht wahr werden können (vgl. Anscombe 1965a/2014: 232). Dieses Thema wird uns im nächsten Kapitel ausführlicher beschäftigen.

75 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3. Der Weg von innen nach außen – Problemstellung, erste Annäherungen (§§ 1–4)

falsch hält. Das ist keine Definition der Lüge. Anscombe gibt damit aber eine hinreichende Bedingung an.96 Mehr ist in diesem Zusam­ menhang auch nicht erforderlich, denn es geht Anscombe hier nicht um Definitionen, sondern darum, nicht erfüllte Absichtserklärungen von Lügen abzugrenzen. Zwei Fälle sind hier denkbar: Erstens, jemand lügt mit seiner Äußerung, er werde etwas Bestimmtes tun, und führt die Handlung später dennoch aus. Das entspricht bei Behauptungen über Tatsachen, dem Fall, bei dem jemand lügt, aber zufällig etwas Wahres sagt. Sowohl bei der Rede über Tatsachen als auch beim Ausdruck von Absichten ist die Lüge kein »falscher Bericht über den eigenen Bewußtseinsinhalt« (A: § 2.16). Bei Tatsachen scheint das klar zu sein, denn der Gegenstand der lügenhaften Aussage ist ein bestimmter Sachverhalt. Warum sollte das bei Absichten auch so sein? Um das zu verstehen, muss man den zweiten Fall untersuchen. Zweitens, jemand sagt, er werde etwas Bestimmtes tun, ohne einen entsprechenden Vorsatz gefasst zu haben (»One might not have a ›mind‹ to do something, distinguishable from uttering the words« (I: § 2.4)). Damit diese Aussage ehrlich aussieht (»›to make an honest proposition‹ of what one had said« (I: § 2.4)), zur »Ehrenrettung des Gesagten«, wie Schulte diese Stelle treffend übersetzt, führt er die angekündigte Handlung später dennoch aus. Das ist freilich ein Witz, der nach Anscombes Kommentar deshalb funktioniert, weil die Aus­ sage tatsächlich falsch war. Entscheidend ist allerdings, dass das Fal­ sche hier gar nicht das Gesagte trifft: »In manchen Fällen ist es sozu­ sagen ein Einwand gegen die Fakten, wenn sie nicht mit den Worten in Einklang stehen – und nicht umgekehrt.« (A: § 2.16) Diese Bemer­ kung ist nicht leicht zu verstehen, und die Tatsache, dass sie als Witz auftritt, lässt sie harmloser erscheinen, als sie tatsächlich ist. Ans­ combe bereitet hier einen Gedanken vor, der später für das Verständ­ nis des Formunterschieds zwischen theoretischem und praktischem Wissen von zentraler Bedeutung sein wird und geradezu ein Leitmo­ tiv ihrer gesamten Untersuchung ist.97 Absichtsäußerungen unter­ 96 Ganz analog schreibt Frege: »In ›A log, daß er den B gesehen habe‹ bedeutet der Nebensatz einen Gedanken, von dem erstens gesagt wird, daß A ihn als wahr behaup­ tete, und zweitens, daß A von seiner Falschheit überzeugt war.« (Frege 1892/1986a: 51, Fn. 8) Eine Definition der Lüge müsste eine notwendige Bedingung nennen. Seit Augustinus ist die Täuschungsabsicht (voluntas fallendi) dafür eine bewährte Kandi­ datin. Vgl. DM: 64f. 97 Vgl. A: § 32. Und dazu weiter unten Kap. 6.

76 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3.3 Formunterschiede: Vorhersagen, Absichtsäußerungen und Befehle

scheiden sich demnach von Einschätzungen der Zukunft durch die Möglichkeit praktischer Fehler.98 Was meint nun Anscombe mit ihren Bemerkungen zu falschen Aussagen? Ohne weiteres einsichtig ist, wenn etwas Falsches behaup­ tet wird. Dann wird das Gesagte »angefochten«,99 und der Einwand richtet sich, so Anscombe, gegen das Gesagte, weil es mit den Tat­ sachen nicht übereinstimmt. Es gibt aber Fälle, bei denen es sich umgekehrt verhält: der Einwand richtet sich gegen die Tatsachen (es werden die Tatsachen angefochten), weil sie mit dem Gesagten nicht übereinstimmen. Das ist dann der Fall, wenn das, was gesagt wurde, nicht getan wurde. Mit dieser Differenzierung kann man nun die drei Fälle erläutern, die Anscombe als Beispiele dafür anführt: 1) 2) 3)

Die Änderung der Absicht. Ein Fehler in der Ausführung, wenn z.B. »ich anderes hinschreibe als das, was ich zu schreiben glaube.« (A: § 2.16) Die Verleugnung des Petrus: Er tut etwas, das er nicht zu tun beabsichtigt, nämlich Jesus verleugnen, und tut es den­ noch absichtlich.

In allen drei Fällen geschieht etwas anderes als das, was zunächst als Absicht ausgedrückt wurde. Der erste Fall ist leicht zu verstehen, da nichts ungewöhnlich daran ist, wenn jemand seine Absicht ändert. Man wird das gewiss nicht so verstehen, als habe diese Person gelogen oder sich geirrt. Dennoch ist ihre Aussage als Beschreibung eines zukünftigen Sachverhalts falsch, da sie nicht getan hat, was sie gesagt hat. Mit dem zweiten Beispiel führt Anscombe ein Prinzip des Theo­ phrast ein: Wenn jemand sagt, er schreibe jetzt »ich bin ein Dumm­ kopf« (vgl. A: § 45.127f.), aber tatsächlich etwas anderes schreibt, dann liegt der Fehler in der Ausführung der Handlung.100 Die Impli­ Dieser Unterschied wird manchmal auch als Unterschied von Passungsrichtungen (von der Welt zum Bewusstsein und vom Bewusstsein zur Welt) gefasst. Anscombe verwendet jedoch an keiner Stelle den Ausdruck »Passungsrichtung« (»direction of fit«). Zu dieser Terminologie vgl. Humberstone 1992. Zur Kritik der Rede von »Passungsrichtungen« mit Bezug auf Anscombes Unterscheidung vgl. Teichmann 2011: 23ff. Vgl. dazu auch Moran/Stone 2011: 67ff. und ausführlicher Kap. 6. 99 Im Englischen heißt es: »impugned«. Schulte übersetzt: »Ein Einwand dage­ gen erhoben.« 100 Anscombe schreibt diesen Gedanken dem Aristoteles-Schüler Theophrast zu. Ich nenne diesen Gedanken im Folgenden »Theophrasts Prinzip« und folge damit einer Konvention in der Anscombe-Literatur. Dazu und zur Stelle in den Magna Moralia vgl. Doyle 2019: 26–30. 98

77 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3. Der Weg von innen nach außen – Problemstellung, erste Annäherungen (§§ 1–4)

kationen dieses Prinzips werden erst in § 45 entwickelt (vgl. A: § 45.128 und vorher § 32.90). In diesem Zusammenhang reicht es zu verstehen, warum wir es auch hier mit einem Beispiel dafür zu tun haben, dass die Fakten »einen Einwand« gegen das Gesagte darstellen. Denn tatsächlich tut diese Person nicht das, was sie behauptet zu tun. Und schließlich: die Verleugnung des Petrus. Sie stellt uns vor die Frage, wie man beabsichtigen kann, etwas nicht zu tun, es dann aber dennoch absichtlich tut. Auch hier sind die Fakten ein Einwand gegen das Gesagte. Petrus hat aber weder gelogen, noch seine Absicht geän­ dert (sich anders besonnen). Das Rätsel, wie dieser besondere Fall möglich ist, wird erst auf den letzten Seiten des Buchs gelöst. Was lernen wir daraus? Es scheint noch andere Möglichkeiten zu geben, Falsches zu sagen, außer Lügen oder Irrtümer (A: § 2.15). Die Beispiele zwei (Theophrasts Prinzip) und drei (Petrus‘ Verleugnung) sind besonders interessant. Es sind Fälle, die in den Bereich des Han­ delns fallen und bei denen unsere Fähigkeit zu sagen, was geschehen wird, offensichtlich einen anderen Modus ins Spiel bringt als die Behauptung einer Tatsache, die Gegenstand eines theoretischen Wis­ sens wäre und durch Beobachtungen belegt wird. Hier können wir nun Wittgensteins Gegenüberstellung explizit aufnehmen: Betrachte die beiden Sprachspiele: a) Einer gibt einem anderen den Befehl, bestimmte Armbewegungen zu machen, oder Körperstellungen einzunehmen (Turnlehrer und Schüler) […] b) Jemand beobachtet gewisse regelmäßige Vorgänge – z.B. die Reaktionen verschiedener Metalle auf Säuren – und macht daraufhin Vorhersagen über die Reaktionen, die in bestimmten Fällen eintreten werden. Es ist zwischen diesen beiden Sprachspielen eine offenbare Verwandt­ schaft, und eine Grundverschiedenheit. In beiden könnte man die aus­ gesprochenen Worte ›Voraussagen‹ nennen. Vergleiche aber die Abrichtung, die zu der ersten Technik führt, mit der Abrichtung für die zweite! (PU: § 630)

Man könnte hier stillschweigend ein Sprachspiel c) hinzudichten: Es würde vielleicht die Beispielsätze 1) und 2) aus dem Neuen Testament enthalten. Nach meiner bisherigen Deutung besteht die Gemeinsam­ keit zwischen Wittgensteins a) und b) (und dem hinzugedichteten c)) darin, dass in diesen Fällen etwas über zukünftige Ereignisse gesagt wird (in den Befehlen des Turnlehrers und den Vorhersagen

78 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3.3 Formunterschiede: Vorhersagen, Absichtsäußerungen und Befehle

des Wissenschaftlers). Die »Grundverschiedenheit« besteht aber in der Form dieser Sätze.101 Diese Form ist, um es noch einmal zu betonen, weder die grammatikalische Form noch die illokutionäre Rolle, sondern hat anscheinend etwas mit dem unterschiedlichen Gebrauch zu tun.102 Einen Aspekt zum Verständnis dieses Formunter­ schieds haben wir bereits bei der Betrachtung der Bewertungskriterien gesehen. Bei a) kommt eine Norm des Guten ins Spiel. Jetzt sehen wir, dass der Unterschied auch etwas mit dem Verhältnis des Gesagten zu den Tatsachen, über die etwas gesagt wird, zu tun hat und der Weise, wie die Sprechenden ihre Aussagen rechtfertigen bzw. ihre Falschheit erklären.103 Will man verstehen, inwiefern sich der Ausdruck von zukunfts­ bezogenen Absichten als Vorhersage verstehen lässt und worin der Formunterschied zwischen beiden besteht, muss erklärt werden, wie die Fälle (2) (Theophrast) und (3) (Petrus) möglich sind. Bezogen auf die Untersuchung des Begriffs der Absicht als Ganzes kann man nun auch bekräftigen, dass eine jede Untersuchung dieses Begriffs, die die Einheit der begrifflichen Form der drei in § 1 genannten Titel erläutern will, zeigen muss, wie unsere beiden Fälle verstanden werden können im Zusammenhang mit den beiden anderen Titeln (absichtliche Handlung und Absicht im Handeln), ohne sie auf einen davon zu reduzieren. Man sieht jetzt auch besser, warum es zwar sehr nahe liegt, mit dem Ausdruck zukunftsbezogener Absichten anzufangen, aber vor welchen großen Schwierigkeiten diese Entscheidung steht. Was zunächst intuitiv klar schien, erweist sich als komplex und rät­ selhaft. Es hat zudem Implikationen, die angesichts der vermeintli­ chen Klarheit leicht übersehen werden. Anscombe warnt daher davor, voreilig auf mentalistische Erklärungen zurückzugreifen. Es ist näm­ lich eine weitere Pointe ihrer drei Beispiele, dass sie sich verstehen lassen ohne Unterstellung mentaler Zustände, über die diese Aussa­ Damit soll natürlich nicht behauptet werden, Anscombe habe hier eine Auslegung Wittgensteins unternommen. Sie verweist aber auf diese Stellen, insofern kann man sie auch zur Erläuterung ihrer Ausführungen heranziehen. 102 Doyle hat daher Recht, wenn er betont, dass der Gegenbegriff zu Form der deskriptive Inhalt ist: »The forms are supposed to be forms of description, so the overwhelmingly natural assumption is that it is the contents of the descriptions that are to be contrasted with the forms, so that the relevant sense of form can be grasped in terms of this contrast.« (Doyle 2019: 11, kursiv i. Orig.) Man erschließt vielmehr den Gehalt über den Gebrauch. 103 Zum zweiten Aspekt vgl. auch Doyle 2019: 13. 101

79 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3. Der Weg von innen nach außen – Problemstellung, erste Annäherungen (§§ 1–4)

gen berichten würden.104 Es geht jeweils um ein zukünftiges Gesche­ hen – allerdings in einem unterschiedlichen Modus. Die Unterstel­ lung mentaler Gegenstände erklärt nichts: Wie sollte auch die Verleugnung des Petrus auf diese Weise verstanden werden? Was könnte mit dem mentalen Zustand, in dem sich Petrus vielleicht befand als er (2) ausgedrückt hat, geschehen sein, als er Jesus ver­ leugnete? Denkt man einmal unter diesem Gesichtspunkt darüber nach, liegt es überhaupt nicht nahe, diese Situation mit Rekurs auf mentale Zustände des Petrus erklären zu wollen. Solche Erklärungen entpuppen sich vielmehr als Mythos, der entsteht, wenn man die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Formen von Vor­ aussagen nicht richtig auffasst. Wir benötigen also eine andere Erläu­ terung.

Menschen und Tiere I Es gibt allerdings einen Unterschied zwischen Befehlen und dem Aus­ druck von Absichten. Befehle sind »wesentlich Zeichen (beziehungs­ weise ein Symbol)« (A: § 2.16). Sie können daher auch nur als Zeichen bestehen. Befehle werden erteilt und in der Regel befolgt, vor allem: Der Befehlscharakter hängt nicht davon ab, dass sie etwas ausdrücken (wie wir schon gesehen haben, noch nicht einmal den Wunsch des Befehlenden, das Befohlene möge geschehen). Es handelt sich dabei um eine spezifisch menschliche Praxis. Absichten, hingegen, können, so Anscombe weiter, auch unabhängig von ihrer sprachlichen Sym­ bolisierung bestehen. Insofern können auch Tiere Absichten haben. Man sagt daher, dass es zwar keinen »Ausdruck von Befehlen« gibt, sehr wohl aber den »Ausdruck einer Absicht.« (Ebd.) In einer bestimmten Hinsicht ist aber auch der Ausdruck von Absichten sprachlich: »Die Absicht ist etwas, das wir Menschen ausdrücken können.« (Ebd.: 17) Die Frage nach dem Verhältnis von Innerem und Äußerem tritt hier besonders deutlich vor Augen: Der Befehl 104 Ebenso wenig ist die Äußerung einer Überzeugung ein Bericht über diese Über­ zeugung. Eine Überzeugung äußern, ist etwas anderes als sich eine Überzeugung zuzuschreiben. So schreibt Frege an Philippe Jourdain: »Wenn ich etwas als wahr behaupte, will ich nicht von mir sprechen, von einem Vorgang in meiner Seele.« (Frege 1914/1980: 110); vgl. dazu Künne 2010: 438f. Stichhaltige Argumente dafür, dass auch Absichtsäußerungen nicht als Selbstzuschreibungen von Absichten verstanden werden können, finden sich bei James Doyle (2019: 19–21).

80 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3.3 Formunterschiede: Vorhersagen, Absichtsäußerungen und Befehle

erscheint als ein sprachliches Zeichen, als etwas Äußeres, das als Befehl ohne Bezug auf ein Ausgedrücktes Inneres verstanden wird. Die Absicht erscheint dagegen als Inneres, das sprachlich ausgedrückt wird. Umso mehr muss Anscombes Feststellung verwirren. Denn wie lassen sich die beiden Behauptungen vereinbaren, wonach Tiere Absichten haben können, es aber, wie sie gegen Wittgenstein festhält, keinen natürlichen Ausdruck einer Absicht gibt? Eine Schwierigkeit bei der Interpretation dieses Gedankens ist die nicht nur in der Philosophie verbreitete Annahme, dass Sprach­ fähigkeit eine notwendige Bedingung für den Besitz von Absichten und anderen intentionalen Zuständen ist. Vor allem Donald Davidson hat diese These prominent verteidigt.105 Eines seiner Argumente beruht auf der richtigen Beobachtung, dass die Zuschreibung von intentionalen Zuständen intensionale Kontexte erzeugt.106 Das würde dann auch für die Zuschreibung von Absichten gelten, denn Hand­ lungen können auf unterschiedliche Weise beschrieben werden. In solchen Beschreibungen sind Ausdrücke mit unterschiedlicher Bedeu­ tung, auch wenn sie Gleiches bezeichnen, nicht immer füreinander ersetzbar, ohne dass sich der Wahrheitswert der Gesamtaussage ändert. Sie sind in dieser Hinsicht semantisch undurchsichtig. Sprach­ liche Wendungen, mit denen geistige Zustände zugeschrieben werden (x weiß, dass p; y hofft, dass q; z beabsichtigt, dass r), sind typische Beispiele, die intensionale Kontexte erzeugen. So kann jemand, um ein späteres Beispiel von Anscombe vorwegzunehmen, wissen, dass er ein Brett zersägt, ohne zu wissen, dass er eines von Schmidts Bret­ tern zersägt (A: § 6.26).107 Diese Person kann daher auch berechtig­ Vgl. Davidson 1975/1990 und später 1982/2004. Für eine vergleichbare Position aus einer kantischen Perspektive vgl. Brandt 2009. Überhaupt ist die Frage, ob Tiere denken können, inzwischen ein Dauerbrenner der neuen Bindestrich-Disziplin namens »Tierphilosophie« geworden (vgl. Wild 2019). 106 Unter »intentionalen Zuständen« versteht man mentale Zustände mit Objektbe­ zug, z.B. Wünsche oder Hoffnungen. Mehr zum Begriff der Intentionalität, insbeson­ dere bei Anscombe im nächsten Kapitel. 107 Ein anderes Beispiel wäre: Jemand kann es für wahr halten, dass Jens Kertscher ein Forschungssemester hat und es gleichzeitig für falsch halten, dass der Studienbe­ rater des Instituts für Philosophie der TU Darmstadt ein Forschungssemester hat, da er nicht weiß, dass Jens Kertscher der Studienberater des Instituts für Philosophie der TU Darmstadt ist. Die Unterscheidung zwischen intensionalen und extensionalen Kontexten wurde von Rudolf Carnap eingeführt (vgl. Carnap 1958: 46). Ich gehe auf dieses Thema ausführlich im nächsten Kapitel ein. Es wird sich dann zeigen, dass Anscombe Sätze, die intentionale Ausdrücke enthalten, nicht im Rahmen der Psy­ 105

81 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3. Der Weg von innen nach außen – Problemstellung, erste Annäherungen (§§ 1–4)

terweise behaupten, dass sie zwar beabsichtigt hat, ein Brett zu zer­ sägen, es aber falsch ist, dass sie beabsichtigt hat, Schmidts Brett zu zersägen. Daraus folgt aus der Perspektive der Zuschreibung einer Absicht, dass der betreffenden Person auch die Fähigkeit zugeschrie­ ben werden muss, zwischen diesen beiden Gedanken zu unterschei­ den. Das wiederum setzt, so Davidsons Überlegung, die Fähigkeit zur wechselseitigen Interpretation und d.h. auch Sprachfähigkeit voraus. Auf welcher Grundlage, wenn nicht der Sprachfähigkeit, könnte man der Katze, die sich an den Vogel heranpirscht, die Absicht zuschreiben, ihn zu fangen, nicht aber, dass sie beabsichtigt, das einzige Rotkehl­ chen auf dem Baum (eben jener Vogel) zu fangen? Wie kann Ans­ combe also behaupten, dass die Katze durchaus die Absicht haben kann, den Vogel, an den sie sich heranpirscht, zu fangen, obwohl ihre Bewegungen »wohl kaum als Äußerung (expression) der Absicht« bezeichnet werden können? »Genausogut könnte man«, stellt Ans­ combe fest, »das Absaufen eines Autos als Ausdruck (expression) des bevorstehenden Anhaltens bezeichnen.« (A: § 2.17, kursiv i. Orig.) Im Licht von Davidsons Argument wäre das ein Grund, der Katze eine Absicht abzusprechen und diese geläufige Redeweise als naiven Anthropomorphismus abzutun. Davidsonianische Vorbehalte hinsichtlich der Denk- und Sprach­ fähigkeit von Tieren müssen uns aber nicht beunruhigen. Anscombe stellt an dieser Stelle nämlich gar keine Thesen über animalische Fähigkeiten oder über den Zusammenhang von Sprachfähigkeit und der Existenz von Absichten auf, sondern es geht ihr an dieser Stelle einzig darum, die logische Grammatik von Absichtsäußerungen zu klären. Sie macht darauf aufmerksam, dass das beobachtbare Ver­ halten der Katze nicht als äußeres Anzeichen für etwas Inneres missverstanden werden sollte. So wie Rauch ein natürliches Zeichen für Feuer ist oder das Absaufen des Motors als Zeichen des bevor­ stehenden Anhaltens verstanden werden kann, so wären auch die Pirschbewegungen natürliches Zeichen für eine Innere Absicht, die durch dieses Verhalten zum Ausdruck gebracht wird. Die Absicht liegt aber, so wird sich zeigen, in der Form der Beschreibung, die wesentlich

chologie von Einstellungszuschreibung analysiert. Das ist ein zentraler Aspekt ihrer Frege-Rezeption, insbesondere von Freges Anti-Psychologismus, auf deren Relevanz ich bereits im vorherigen Kapitel hingewiesen habe (vgl. 2.5, S. 48f.). Vgl. dazu auch Anscombe 1979/1981b: 209f. Dort findet sich auch das Vogel-Beispiel.

82 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3.3 Formunterschiede: Vorhersagen, Absichtsäußerungen und Befehle

sprachlich ist und als solche auch ausgedrückt werden kann.108 Der bisherige Gang der Untersuchung hat schon klar gemacht, dass man diese Form als eine Art von Vorhersage verstehen kann.109 Solche Aussagen kommen aber ganz ohne Bezugnahme auf innere Zustände aus. Insofern ist es schon fraglich, ob die Zuschreibung einer Absicht, auch die Zuschreibung eines intentionalen Zustands impliziert. Bei Einschätzungen der Zukunft ist das ganz evident. Es soll aber nach Anscombes Erläuterung auch für Befehle und für den Ausdruck von Absichten gelten. Für die Interpretation kommt es daher darauf an, das zeigt der Vergleich mit Tieren, die Form des Ausdrucks von Absichten als etwas wesentlich Sprachliches zu verstehen. Einen Hinweis dafür gibt die Abgrenzung von »Gemütsbewe­ gungen« (emotion), die nach Anscombe, anders als Absichten, einen »natürlichen Ausdruck« (A: § 2.17) kennen. Das ist leicht einzusehen: Emotionen können ganz unterschiedlich ausgedrückt werden, und zwar unabhängig von einer sprachlichen Verbalisierung. Die sprach­ liche Ausdrucksform einer Emotion kann zu diesem natürlichen Aus­ druck – man könnte hier an einen fröhlichen Gesichtsausdruck den­ ken – bei sprachfähigen Wesen hinzutreten, die natürliche Ausdrucksform sogar völlig ersetzen. Für den Ausdruck der Absicht gilt das, wie Moran und Stone festhalten, jedoch nicht: When an intention is verbalized, it specifies the performance to which the agent is committed in the future, or in which he is already engaged, and that performance may then be judged correct or mistaken in light of what is expressed. So Anscombe is right to mark a difference here. Rather than standing in for performances in either a logical or developmental sense, expres­ sions of intention have a force that no bit of natural behavior could have. Specifically they make contradictable claims, and they require

So Moran/Stone 2011: 60f. Vgl. dagegen die schwächere Lesart von Schwenkler (2019: 8f., Fn. 4), der diese Stelle so versteht, dass Tieren die expressiven Ressourcen des Menschen fehlen und sie ihre Absichten lediglich als bloße Wünsche (desires) ausdrücken können. Bei Menschen verweisen Absichtsäußerungen als Voraussagen dagegen immer über das Innenleben hinaus. 109 Tierfreunde können, was Anscombe betrifft, also durchatmen. Im weiteren Verlauf der Untersuchung wird dieses Thema wieder aufgenommen (vgl. § 47). Dann stehen auch die begrifflichen Mittel zu Verfügung, um genauer zu beurteilen, wie nach Ans­ combe die Sprachfähigkeit mit der Möglichkeit zusammenhängt, eine Bewegung als absichtliche Handlung zu beschreiben. 108

83 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3. Der Weg von innen nach außen – Problemstellung, erste Annäherungen (§§ 1–4)

that something else one does then be regarded as correct or mistaken. (Moran/Stone 2011: 64)

Nach dieser sehr plausiblen Interpretation der Anscombe’schen Unterscheidung wäre die Möglichkeit des sprachlichen Ausdrucks ein grammatisches Merkmal von Absichten. Anders als bei Emotionen gehört sie zur Sache selbst. Wie Moran und Stone betonen, können wir nur aufgrund des sprachlichen Ausdrucks die Richtigkeit des Anspruchs beurteilen, der mit der Absichtserklärung erhoben wird. Dazu ist es aber nicht erforderlich, den Ausdruck der Absicht so zu verstehen, als würde damit auf etwas Inneres Bezug genommen. Wie bereits festgestellt, reicht dafür die vom Handelnden ausgesprochene Beschreibung des eigenen Tuns bzw. des angekündigten Geschehens. Die Notwendigkeit einer mentalistischen Erklärung besteht hier nicht.110 Daher können wir auch auf eine ganz harmlose Weise behaupten, dass die Katze, die sich an einen Vogel heranpirscht, die Absicht hat, ihn zu fangen, ihr Verhalten diese Absicht aber nicht ausdrückt (auch dann nicht, wenn dieser Vogel das einzige Rotkehlchen auf dem Baum ist); so wenig wie das Absaufen des Motors das bevorstehende Anhalten eines Autos ausdrückt. Die Abgrenzungsstrategie hat bei der Erläuterung des Ausdrucks von Absichten zumindest dann zu keinem Ergebnis geführt, wenn man sich an der Oberflächengrammatik orientiert und nach dem sucht, was dadurch zum Ausdruck gebracht wird. Aber auch die Angleichung der Absichtserklärung an Voraussagen bleibt wenig informativ, solange nicht klar ist, woran denn zu erkennen ist, ob etwas eine Absichtsäußerung oder eine Einschätzung der Zukunft ist (A: § 3.17). Ein neuer Ansatz scheint erforderlich.

110 Die Versuchung ist freilich groß, da die Wendung »Ausdruck einer Absicht« nahe­ legt, direkt danach zu fragen, was hier ausgedrückt wird, und zur Antwort auf etwas Inneres zu verweisen. Das ist nach Anscombe ein weiterer Grund dafür, die Mitteilung von Absichten und Voraussagen als kategorial unterschiedliche Typen von Aussagen zu betrachten (vgl. A: § 2.16f.).

84 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3.3 Formunterschiede: Vorhersagen, Absichtsäußerungen und Befehle

Ein Dritter Versuch: Definitionsvorschlag mit Bezug auf Handlungs­ gründe Anscombe eröffnet den dritten Abschnitt, indem sie noch einmal auf die Problematik hinweist, den Ausdruck von Absichten als Ausdruck von etwas Innerem zu verstehen. Dazu gehören Pseudo-Erklärungen mit Hilfe von »psychologischen Jargongausdrücken« oder die Reduk­ tion von »Absicht auf eine Form des Begehrens, also eine Art von Emotion« (A: § 3.17). Dazu müsste man schon wissen, dass Absichten letztlich eine Art Begehren oder Emotion sind. Dagegen sprechen aber die Überlegungen aus dem vorherigen Abschnitt zum sprachlichen Charakter von Absichtsäußerungen. Ein anderer Fehler wäre, sich auf die intuitive Klarheit der Bedeutung von »Ich beabsichtige« zu ver­ lassen. Die Untersuchung entlang der sprachlichen Form hatte doch ergeben, dass die Bedeutung der Absichtsäußerung keineswegs klar ist, auch wenn jemand mühelos zwischen einer Absichtserklärung und einer Vorhersage unterscheiden kann. Die Frage ist, auf welcher Erkenntnis diese Fähigkeit beruht (ebd.: 18). Nach dem Bisherigen dürfte introspektive Erkenntnis über eigene geistige Zustände als Kandidatin ausfallen. Anscombe bietet an dieser Stelle keine ausgearbeiteten Argumente gegen diese Option. Ihre Einwände haben eher die Funktion, den bereits gesäten Zweifel gegen mentalistische Erklärungen zu verstärken (so Wiseman 2016a: 182 und Schwenkler 2019: 15). Eine ihrer Überlegungen nimmt Bemerkungen Wittgensteins zur Grammatik des Wissensbegriffs auf.111 Sie beruht auf der Annahme, dass die Rede von »Wissen« oder »Erkenntnis« die Möglichkeit von Irrtum voraussetzt. Das wäre dann eine logisch-grammatische Wahrheit über Wissen oder auch ein Merkmal dieses Begriffs. Sie impliziert, dass die Zuschreibung von Wissen bei (bestimmten) eigenen geistigen Zuständen sinnlos ist. Ich »weiß« demnach nicht, dass ich Schmerzen habe, sondern habe Schmerzen. Diese Annahmen sind voraussetzungsreich und ergeben ohne zusätzliche Erläuterungen kein schlüssiges Argument. Eine weitere Überlegung wendet sich gegen die Vorstellung, jemand könne sich erinnern, was seine Absicht war. Das Gedächtnis ist allerdings, so Anscombes erster Einwand, selektiv. Es müsste gesi­ chert sein, dass die wenigen herausgefilterten Bewusstseinsvorgänge, 111

Vgl. vor allem Wittgensteins Untersuchungen in Über Gewißheit, z.B. ÜG: §§ 21,

41.

85 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3. Der Weg von innen nach außen – Problemstellung, erste Annäherungen (§§ 1–4)

die eine Erinnerung ausmachen, sich auch tatsächlich zur Absicht summieren. Nach welchen Kriterien sollte aber diese Übereinstim­ mung bei diesem – laut Voraussetzung – rein bewusstseinsimma­ nenten Vorgang überprüft werden? So könnte die Erinnerung diese Person einfach dazu veranlassen, die Worte »Ich wollte« auszuspre­ chen, »ohne daß auch nur ein Vorstellungsbild auftaucht, das nach seinem Urteil durch diese Worte angemessen beschrieben wird« (A: § 3.18). Auch hier bietet Anscombe kein ausgearbeitetes Argu­ ment.112 Sie stellt sich auf den psychologistischen Standpunkt, um die Beweislast anzudeuten, die man von diesem Standpunkt aus auf sich nimmt. Es gibt aber eine Alternative, die an die Untersuchung der Formunterschiede zwischen verschiedenen Arten von Voraussagen anknüpft. Vor diesem Hintergrund ist die folgende Erläuterung von Absichtsäußerungen zu verstehen: Eine Absichtsäußerung ist eine Beschreibung einer zukünftigen Sach­ lage, in deren Rahmen der Sprecher irgendwie als Akteur auftritt; und diese Beschreibung rechtfertigt er (sofern er sie überhaupt rechtfertigt) nicht durch Hinweis und Belege für ihre Wahrheit, sondern durch Handlungsgründe, also Gründe dafür, warum es nützlich oder erfreu­ lich wäre, wenn sich die Beschreibung als wahr erwiese. (Ebd.)

Diese Erläuterung knüpft an die vorangegangene Untersuchung an: Mitteilungen von Absichten sind, wie Einschätzungen der Zukunft, Beschreibungen von zukünftigen Sachlagen. Wenn sie das nicht wären, könnten sie auch nicht wahr oder falsch sein. Sie geht nun aber auch einen Schritt weiter, da sie sich nicht mehr bloß an der äußerli­ chen, d.h. oberflächengrammatischen sprachlichen Form orientiert, sondern den Modus der Rechtfertigung für die Aussage in den Vor­ dergrund stellt: Einschätzungen der Zukunft werden durch Belege gerechtfertigt, die begründen sollen, warum jemand glaubt, dass eine bestimmte zukünftige Sachlage eintreten wird. Absichtsäußerungen werden dagegen durch Gründe gerechtfertigt, die angeben sollen, warum jemand eine zukünftige Sachlage herbeiführen will. Solche Handlungsgründe verweisen, wie auch schon deutlich geworden ist, auf die normative Dimension, nämlich das Gute (»nützlich oder erfreulich«), das durch eine Absicht verwirklicht werden soll. Man kann auch hier wieder an Wittgensteins Gegenüberstellung zweier 112

Vgl. aber PU: §§ 633–638.

86 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3.3 Formunterschiede: Vorhersagen, Absichtsäußerungen und Befehle

Sprachspiele in PU § 630 denken: Absichtsäußerungen verweisen auf einen anderen Gebrauch des Aussagetypus der »Voraussage« (i. S. v. »Beschreibung eines zukünftigen Sachverhalts«), oder auch, mit Wittgensteins Wortwahl, auf eine andere »Technik«, zu der auch unterschiedliche Rechtfertigungspraktiken gehören. Absichtsäuße­ rungen sagen, mit anderen Worten, auf eine andere Weise voraus als Einschätzungen der Zukunft. Damit ist der im zweiten Abschnitt angedeutete Formunterschied umschrieben. Dennoch bleibt diese Erläuterung »rätselhaft«, wie Anscombe sogleich festhält (A: § 3.19). Es ist nämlich nicht einzusehen, wie man den hier eingeführten Begriff des Handlungsgrundes erläutern sollte, ohne dabei schon den Begriff der Absicht zu verstehen (ebd.: 20). Anscombe versucht das Rätselhafte ihres Erläuterungsvorschlags anhand eines kuriosen Bil­ des zu illustrieren, das sie einer Vorlesungsaufzeichnung Wittgen­ steins entnimmt, »bei der er sich ausmalte, Blätter würden vom Wind hin und her geweht und sagten dabei ›jetzt fliege ich in diese Rich­ tung ... jetzt in jene Richtung.‹« (Ebd.:19) Dieses Bild steht bei Witt­ genstein im Kontext einer Diskussion der Willensfreiheit und sollte, so Anscombes Einschätzung, »die Willensfreiheit in irgendeiner Weise [...] bestreiten« (ebd.).113 Anscombe nutzt dieses Bild, um zu verdeutlichen, dass an den Äußerungen der Blätter die in ihrem Defi­ nitionsvorschlag getroffene Unterscheidung zwischen Einschätzun­ gen der Zukunft und Absichtsäußerungen nicht erkannt werden kann. Wenn man nur das Verhalten der Blätter anschaut, greift diese Unter­ scheidung ins Leere. Denn in beiden Fällen entspricht die Äußerung der Blätter dem beobachtbaren Geschehen – gleichgültig, wie sie ihre Äußerung rechtfertigen: Die Blätter treten »irgendwie als Akteure auf« und rechtfertigen, warum man ihren »Erläuterungen glauben sollte [...], allenfalls durch Hinweis auf Gründe anderer Art« (ebd.). Wenn man auf die Frage, woher man denn weiß, dass es sich um Gründe anderer Art handelt, erwidern würde, dass die Blätter es aber Schulte vermutet als Quelle eine Vorlesung, die Wittgenstein mutmaßlich im Herbstsemester 1939 zum Thema Willensfreiheit gehalten hat (vgl. Schulte 2011: 157). Die Vorlesung ist von Wittgensteins Freund und Schüler Yorick Smythies aufgezeichnet worden und veröffentlicht in Klagge/Nordmann 1993: 429–444. Die Stelle, die Anscombe vor Augen gehabt haben könnte, lautet: »You sometimes see in a wind a piece of paper blowing about anyhow. Suppose the piece of paper could make the decision: ›Now I want to go this way.‹” (Klagge/Nordmann 1993: 434) Auf den Kontext einer Diskussion über Willensfreiheit verweist auch Bayne, der diese Passage ausführlich kommentiert, ohne jedoch zu einer Deutung zu kommen (vgl. Bayne 2010: 10–12). 113

87 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3. Der Weg von innen nach außen – Problemstellung, erste Annäherungen (§§ 1–4)

offensichtlich wissen, wären wir keinen Schritt weiter gekommen. Es müsste dann nämlich geklärt werden, worin dieses Wissen besteht, das durch »Gründe anderer Art« gerechtfertigt wird. Nun wissen es die Blätter natürlich auch nicht. Insofern ist es passend, an dieser Stelle dieses seltsame Bild Wittgensteins zu adaptieren und die Problematik nicht wiederum an Beispielen wie den eingangs gewählten (»Bei die­ ser Prüfung werde ich durchfallen«, »Gleich werde ich spazieren gehen«) zu illustrieren. Das Ergebnis ist einmal mehr zweischneidig: Einerseits reicht der Definitionsvorschlag nicht, um den gesuchten Unterschied zwischen Einschätzungen der Zukunft und Absichtsäußerungen als Formen von Vorhersagen zu erklären; andererseits ist mit dem Verweis auf Handlungsgründe und eine besondere Art des Wissens, das mit der Angabe solcher Gründe einhergeht, eine Spur für die weitere Untersuchung gelegt worden.

Übergang zum absichtlichen Handeln Das Bild der sprechenden Blätter hat gezeigt, dass die Frage unbeant­ wortet bleiben muss, woran zu erkennen ist, ob sie mit ihren Aussagen eine Absicht mitteilen oder eine Einschätzung der Zukunft geben. Sie kann auf der Grundlage des Definitionsvorschlags, der als Kriterium eine bestimmte Art der Rechtfertigung durch Gründe ins Spiel gebracht hat, nicht beantwortet werden. Wenn man sich nur an den Äußerungen der Akteure orientiert, muss man eine Unterscheidung treffen, deren Grundlage man nicht versteht. Man kann der Untersu­ chung daher eine andere Wendung geben, indem man einmal den externen Standpunkt ernst nimmt und nicht von den Äußerungen der Akteure ausgeht, sondern von der Praxis der Zuschreibung von Absichten: »Welche wahren Aussagen über die Absichten der Men­ schen können wir mit Sicherheit konstatieren, und woher wissen wir, dass sie wahr sind?« (A: § 4.20) Das würde es erlauben, den Begriff des absichtlichen Handelns direkt anzusteuern. Dieses Vorgehen kann die ebenso bekannte wie schlichte Tatsa­ che nutzen, dass es in der Regel möglich ist, solche Aussagen zu machen, indem man beschreibt, was jemand tut oder getan hat. Anscombe denkt hier an Zeugenaussagen vor Gericht (ebd.: 21). Auffällig ist an solchen Beschreibungen, dass auch der Akteur sie normalerweise als eine Beschreibung seines Tuns akzeptieren würde:

88 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3.3 Formunterschiede: Vorhersagen, Absichtsäußerungen und Befehle

In den meisten Fällen wird sich das, was du sagst, mit dem decken, was dieser Mensch selbst weiß; und in den meisten, wenn auch weniger zahlreichen Fällen wirst du nicht über sein Handeln berichten, sondern auch über eine seiner Absichten, nämlich die Absicht, die geschilderte Handlung auszuführen. Wichtiger noch: Falls es sich nicht um eine seiner Absichten handelt, wird das meistens auf der Hand liegen, ohne daß man danach fragt. (Ebd:.22)

Diese vorphilosophisch-naive Feststellung scheint in einer Spannung zur ebenfalls vorphilosophisch verankerten Intuition zu stehen, dass doch letztlich jeder selbst am besten weiß, was er tut. Dann wäre der Umweg über Beschreibungen aus drittpersonaler Perspektive wenig aussichtsreich. Anscombe nennt drei Gründe, die diese Intuition stüt­ zen: Erstens, richtet sich das Interesse bei der Zuschreibung von Absichten sehr oft auch auf die Absicht, mit der jemand etwas tut (»his intention in doing it (I: § 4.9, kursiv i. Orig.)). Diese Absicht – gemeint ist hier wohl der dritte Fall aus § 1 – lässt sich nicht einfach an der beschriebenen Handlung ablesen. Zweitens, fragen wir den Handelnden normalerweise ausdrück­ lich, was er tut, wenn sich diese Frage überhaupt stellt. Die Fremdzuschreibung scheint also sekundär gegenüber der Selbst­ zuschreibung. Drittens, kann man eine Absicht fassen, ohne sie zu verwirkli­ chen: »Die Absicht selbst jedoch kann vollständig abgeschlossen sein, obwohl sie etwas rein Innerliches bleibt.« (A: § 4.22).114 Diese drei Gründe verweisen wiederum auf die drei paradigmatischen Fälle des ersten Abschnitts und die Frage ihres Zusammenhangs: Die Beschreibung einer Handlung als »absichtlich« scheint, selbst wenn sie gelingt, etwas anderes zu sein als die Feststellung einer Absicht, mit der jemand etwas tut. Das unterscheidet sich wiederum von einer Absichtsäußerung, was man daran erkennen kann, dass diese Absichtserklärung nicht notwendigerweise in einer Handlung verwirklicht werden muss – ein Problem, das durch den eigentümli­ chen Fall der Verleugnung des Petrus noch verschärft wird. Es ist daher verführerisch, sich bei der Frage nach dem internen Zusammenhang dieser drei Fälle auf die Frage nach der Möglichkeit zu konzentrieren, 114 Es wurde bereits deutlich, dass genau dieser Fall mentalistische Deutungen besonders begünstigt.

89 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

3. Der Weg von innen nach außen – Problemstellung, erste Annäherungen (§§ 1–4)

Absichten anderer Menschen zu erkennen, und dabei von ihren Bewusstseinsinhalten auszugehen: Infolgedessen müßten wir, um zu verstehen, welche Bewandtnis es mit der Absicht hat, etwas untersuchen, dessen Existenz ausschließlich im mentalen Bereich liegt. Obwohl die Absicht in Handlungen mündet […], sei alles, was sich im physischen Bereich abspielt, das, was der Mensch wirklich tut, das allerletzte, was wir bei unserer Untersuchung betrachten müssen. (A: § 4.22)

Anscombe beendet diesen Abschnitt mit der Behauptung, die Unter­ suchung des wirklichen Tuns sei im Gegenteil das allererste, was es zu untersuchen gelte. Man darf diese These nicht als Plädoyer für den Behaviorismus missverstehen.115 Anscombe behauptet nicht, dass es keine mentalen Zustände gibt bzw. solche Zustände nur aufgrund von Zuschreibungen existieren. Denn die Intuition über die Autorität der ersten Person bei der Zuschreibung von Absichten ist nicht schlicht falsch. Selbstverständlich kann jemand sagen, was er tut, und er weiß es normalerweise auch. Der bisherige Verlauf der Untersuchung sollte allerdings misstrauisch dagegen machen, dieses Phänomen psychologistisch bzw. mentalistisch mit Hilfe von inneren Zuständen erklären zu wollen. Solche Ansätze sind mit den Überlegungen der ersten vier Abschnitte zwar nicht widerlegt. Sie haben sich jedoch als zu voraussetzungsreich erwiesen. Und wie die Gegenüberstellung verschiedener Typen von Vorhersagen deutlich machen konnte, sind sie nicht ohne methodische wie auch sachliche Alternative. Es kommt dann darauf an, dieses Wissen nicht nach dem Modell der nach Innen gerichteten Beobachtung eigener geistiger Zustände zu erläutern. Es müsste vielmehr geklärt werden, warum die Beschreibung des fremden Tuns sich in der Tat in den meisten Fällen mit dem deckt, was die Person selbst weiß, und warum das nicht zufällig ist, sondern zur Form der Feststellung von Absichten gehört (und damit auch zur Form der Erklärung von Handlungen). Daher wendet sich Anscombe nun dem zweiten Beispielfall zu: Der Rede von absichtlichen Handlungen.

Erstaunlicherweise wurde Anscombe so verstanden: vgl. Bratman 1999: 210. Auf diesen Fehler macht auch Schwenkler 2019: 3 aufmerksam.

115

90 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

4.1 Einleitung Der nun folgende längere Teil der Untersuchung, der sich direkt den absichtlichen Handlungen zuwendet, erscheint auf den ersten Blick besonders unsystematisch und in seiner Gedankenführung schwer durchschaubar: unterschiedliche Argumentationslinien sind miteinander verschränkt; es werden Begriffe eingeführt, die für die weitere Untersuchung von zentraler Bedeutung sind, aber nur knapp und überwiegend an, wenn auch anschaulichen Beispielen erläutert werden. Diese Begriffe – besonders Prominent der des Wissens ohne Beobachtung – oder Thesen, wie die der Beschreibungsabhängigkeit von Handlungen, müssen daher ausführlicher erläutert werden als es im Text geschieht – nicht zuletzt, weil sie zu den besonders kontrover­ sen und leicht missverständlichen Beiträgen von Intention gehören. Der Hauptgedanke wird gleich zu Beginn präsentiert: Handlun­ gen werden über eine bestimmte Art von Gründen als absichtlich identifiziert. Das geschieht mittels der Warum-Frage, die auf Hand­ lungsgründe abzielt. Sie ist der Schlüssel zum Verständnis von Ans­ combes Analyse des absichtlichen Handelns in allen drei in § 1 ein­ geführten Hinsichten und wird den weiteren Gang der Untersuchung, auch über die in diesem Kapitel kommentierten Abschnitte hinaus bestimmen. Ein weiteres wichtiges, in diese Untersuchung einge­ flochtenes Thema, ist die Unterscheidung von Ursachen und Gründen bei der Handlungserklärung, das die Handlungstheorie schon zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Intention beschäftigt hat und seit Davidson bis heute in Atem hält. Die folgenden Abschnitte dürften die Auffassung begünstigt haben, Anscombe als eine Vertreterin des gegen den Kausalismus gerichteten Intentionalismus einzuordnen. Anscombe hat in ihren einschlägigen Beiträgen zum Thema Kausali­ tät jedoch stets vereinfachende Konzeptionen, die die Vielfalt kausaler Erklärungen auf ein einfaches Schema zurückführen wollen, proble­

91 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

matisiert.116 Dieser Ansatz prägt auch ihre kausalitätstheoretischen Überlegungen in Intention, und die Interpretation wird zeigen, dass sie sich nicht ohne weiteres der Dichotomie Kausalismus vs. Inten­ tionalismus fügen. Gerade im Bereich der Handlungserklärungen zeichnen sich ihre Überlegungen eher dadurch aus, dass sie weitere Unterscheidungen einführt. Um den für absichtliche Handlungen relevanten Sinn der Warum-Frage zu klären, entwickelt Anscombe ein Abgrenzungsver­ fahren, das sie in den §§ 5 bis 7 methodisch vorbereitet. Mit diesem Verfahren unterscheidet sie, in welchen Zusammenhängen die Warum-Frage abgewiesen werden kann und in welchen Zusammen­ hängen sie einen Handlungsgrund angibt. Anscombe diskutiert zunächst die Fälle, in denen die Warum-Frage abgewiesen werden kann (§§ 8–11). In diesem Zusammenhang spielen die Begriffe des Wissens ohne Beobachtung und der mentalen Verursachung eine prominente Rolle. Es werden sodann anhand der Unterscheidung von Ursachen, Handlungsgründen und Motiven drei Typen von Fällen unterschieden, in denen diese Frage dazu dient, Handlungsgründe zu spezifizieren (§§ 12–16). Die §§ 17 und 18 thematisieren Antworten auf die Warum-Frage, die keinen Grund angeben, ohne allerdings auf Ursachen zu verweisen. Unterschieden werden hier in einem ersten Zugang willentliche und absichtliche Handlungen, eine Unterschei­ dung, deren Grammatik erst in § 49 geklärt wird. Die §§ 19 bis 21 bilden den Übergang zum nächsten Teil. Einerseits hält Anscombe das bis zu diesem Punkt der Untersuchung erzielte Ergebnis fest und bereitet andererseits die Untersuchung der Form absichtlicher Hand­ lungen vor, die mit § 22 einsetzt. Bei der Interpretation des Textes gehe ich so vor, dass ich zunächst die methodischen Anforderungen für die Klärung des Sinns der Warum-Frage, sodann die These der Beschreibungsabhängigkeit von Handlungen erläutere. Ich folge dann Anscombes Untersuchung, die in zwei Schritten vorgeht: Zunächst die Fälle, in denen die Warum-Frage abgewiesen werden kann, sodann die Fälle, in denen sie Handlungsgründe spezifiziert.

116 Vgl. meine Bemerkungen in Kap. 2. Zu nennen ist hier in erster Linie ihre Antritts­ vorlesung Kausalität und Determination (Anscombe 1971/2014) und mit Bezug auf Handlungserklärungen The Causation of Action (Anscombe 1983/2005). Weitere Beiträge finden sich im zweiten Band ihrer gesammelten Aufsätze (Anscombe 1981b).

92 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.2 Wonach man fragt, wenn man nach der Warum-Frage fragt

Lektürevorschläge zur Vertiefung Zur Vertiefung der Diskussion über Ursachen und Gründe empfiehlt es sich, die beiden Aufsätze Kausalität und Determination (Anscombe 1971/2014) sowie The Causation of Action (Anscombe 1983/2005) hinzuzuziehen und mit Davidsons Aufsatz von 1963 Handlungen, Gründe und Ursachen (Davidson 1963/1990) zu kontrastieren. Dif­ ferenzierte Rekonstruktionen des Reductio-Arguments in § 19 finden sich bei Vogler 2016 und Schwenkler 2019: 49–56.

4.2 Wonach man fragt, wenn man nach der WarumFrage fragt Ein grammatischer Unterschied Der fünfte Abschnitt beginnt mit der Hauptthese von Intention zum absichtlichen Handeln: »Was unterscheidet absichtliche Handlungen von solchen, die nicht absichtlich sind? Die Antwort, die ich vorschla­ gen werde, lautet: Das sind jene Handlungen, bei denen die in einem bestimmten Sinn gestellte Frage ›Warum?‹ Anwendung findet.« (A: § 5.23) Auch wenn damit eine Zäsur markiert wird und der Gedan­ kengang neu einsetzt, ist diese These in den vorherigen Abschnitten vorbereitet worden. Es hatte sich schon gezeigt, dass ein Aspekt des Formunterschieds, durch den sich Absichtserklärungen von Befehlen und Vorhersagen unterscheiden, mit der Art der Rechtfertigung zusammenhängt: Vorhersagen werden durch Belege, Absichtserklä­ rungen und Befehle werden durch eine bestimmte Art von Gründen gerechtfertigt. Im Fall der Absichten sind es Handlungsgründe.117 Um 117 Einige Leser von Intention haben den methodischen Ausgangspunkt bei der Warum-Frage problematisiert. So impliziert nach Paul Ricoeur die Orientierung daran, die er der »analytischen Philosophie« als Spezifikum zuschreibt, eine Privi­ legierung der Außenperspektive auf das Handeln. Die Fokussierung auf Gründe (Warum-Frage) und auf Probleme der Identifikation von Handlungen (Was-Frage) führe zur Missachtung der Akteur-Perspektive: Wir hätten es hier mit einer »Semantik des Handelns ohne Handelnden« zu tun. Es gelte daher aus phänomenologischer Sicht die Wer-Frage zu rehabilitieren (vgl. Ricoeur 1990: 76–78). Wie immer es sich mit diesen Zuschreibungen zu bestimmten philosophischen Strömungen verhalten mag, so trifft diese Kritik, wie noch deutlich werden wird, eher auf Davidson zu. Wir werden schon im nächsten Kapitel sehen, dass Anscombe, obwohl sie methodisch von

93 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

einen Zugang zum absichtlichen Handeln zu bekommen, gilt es daher zu klären, was ein Handlungsgrund ist. Es fällt zunächst auf, dass Anscombe an dieser Stelle nichts dazu sagt, wie das Verhältnis zwischen Handlungen und absichtlichen Handlungen genauer zu verstehen ist. Man könnte sie so verstehen, dass absichtliche Handlungen eine Teilmenge von Handlungen im Allgemeinen sind. Die Aufgabe wäre dann, das Merkmal zu identifi­ zieren, das diese besondere Klasse von Handlungen charakterisiert. Diese Interpretation bietet sich an, wenn man daran denkt, wie das Grundproblem der Handlungstheorie üblicherweise ausgehend von Wittgensteins Problemfrage eingeführt wird: Aber vergessen wir eines nicht: wenn ›ich meinen Arm hebe‹, hebt sich mein Arm. Und das Problem entsteht: was ist das, was übrigbleibt, wenn ich von der Tatsache, daß ich meinen Arm hebe, die abziehe, daß mein Arm sich hebt? ((Sind nun die kinästhetischen Empfindungen mein Wollen?)) (PU: § 621)

Ausgehend von dieser Bemerkung kann man das Grundproblem der Handlungstheorie als eines der Klassifikation unterschiedlicher Vorgänge bzw. Bewegungen beschreiben, von denen dann einige als Handlungen bzw. als absichtliche abgegrenzt werden. Nach dieser Problembeschreibung gilt es, ein bestimmtes Merkmal – dasjenige, was nach Wittgensteins Bemerkung »übrigbleibt« – zu identifizieren, das es erlaubt, eine Bewegung zunächst als Handlung zu klassifizieren und von da aus weiter zu spezifizieren (absichtlich, gewollt). Dieser Ansatz scheint auch Harry Frankfurt vorzuschweben, wenn er das Grundproblem der Handlungstheorie benennt: Das Problem des Handelns besteht in der Erklärung des Gegensatzes zwischen dem, was ein Akteur tut, und dem, was ihm bloß unterläuft, beziehungsweise zwischen den Körperbewegungen, die er ausführt, und denjenigen, die geschehen, ohne dass er sie ausführt. (Frankfurt 1978/2010: 70). der Warum-Frage ausgeht, einen logisch-grammatischen Zusammenhang von Fragen aufweist, der für die Identifikation absichtlicher Handlungen maßgeblich ist, ohne eine dieser Fragen auf die anderen zu reduzieren. Das gilt auch für die Akteur-Perspektive (Wer-Frage), die im Zusammenhang mit dem praktischen Wissen, das Handelnde von ihren eigenen absichtlichen Handlungen haben, thematisiert wird. Ricoeurs Kritik ist ein weiteres Beispiel für eine einseitige, die Aneignung durch Davidson voraussetzende Interpretation von Anscombes Ansatz.

94 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.2 Wonach man fragt, wenn man nach der Warum-Frage fragt

Der Streit dreht sich dann darum, welches das relevante Merkmal ist.118 Meistens wird es in bestimmten psychologischen Einstellungen des Handelnden gesucht, die mit der Handlung als beobachtbarer Vorgang verknüpft sind, sei es kausal oder durch eine Rechtferti­ gungsbeziehung oder beides. Anscombe schreibt dagegen jedoch aus­ drücklich, dass »eine Handlung nicht aufgrund eines eigenen Merk­ mals, das zum Zeitpunkt der Ausführung dieser Handlung gegeben ist, ›absichtlich‹ genannt wird« (A: § 19.50). Die klassifikatorische Problembeschreibung legt eine »reduktive Methode« (Kietzmann 2019: 22) der Handlungsanalyse nahe, die man folgendermaßen erläutern kann: Körperbewegungen sind eine Teilmenge von physikalischen Ereignissen oder Prozessen, die ein bestimmtes Merkmal F exemplifizieren; Handlungen sind ihrerseits eine Teilmenge der Körperbewegungen, die ein Merkmal G exempli­ fizieren, und absichtliche Handlungen wiederum eine Teilmenge der Handlungen, die das Merkmal H exemplifizieren.119 So könnte man auch Anscombes Frage gemäß diesem klassifikatorischen Modell interpretieren. Die bereits zitierte Stelle aus § 19 passt dazu aber schlecht. Im selben Abschnitt wird sie noch deutlicher: Beschreibt man absichtliche Handlungen als solche, ist es verfehlt, nach der fundamentalen Beschreibung des Geschehens (beispielsweise der Muskel- oder Molekülbewegungen) zu suchen und die Absicht sodann als etwas – vielleicht Hochkompliziertes – zu begreifen, was diese Beschreibung näher bestimmt. Die einzigen Ereignisse, die hier in Betracht zu ziehen sind, sind die absichtlichen Handlungen selbst […]. (Ebd.: 51, kursiv i. Orig.)

Offensichtlich ist die nähere Bestimmung einer Handlung als »absichtlich« keine Frage, die sich mit Hilfe eines klassifikatorischen

David Velleman spricht von »Wittgensteinian arithmetic« (Velleman 2000: 1) und Christian Kietzmann konkretisiert diese Arithmetik als Wittgenstein’sche Gleichung: »Handlung = Bewegung + X« und fährt fort: »Die Aufgabe des Handlungstheoretikers scheint nun darin zu bestehen, die Gleichung nach X aufzulösen. Er scheint klären zu müssen, was zu einer Bewegung hinzukommen muss, um sie zu einer Handlung zu machen.« (Kietzmann 2019: 21). 119 So Christopher und Jennifer A. Frey, deren Darstellung dieses klassifikatorischen Ansatzes ich hier übernehme (vgl. Frey/Frey 2017: 236f.). Ein vergleichbares klassi­ fikatorisches Schema findet sich bei Keil 2015: 138. 118

95 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

Verfahrens beantworten ließe.120 In einer späteren Bemerkung, die sich direkt gegen Davidson wendet, wird das besonders deutlich: Ich vermute, dass dieser Mangel an Klarsicht [sc. Davidsons, JK] sich aus jenem Standardansatz ergibt, der zuerst Handlungen von bloßen Geschehnissen unterscheidet, um dann anschließend ausschließlich über Handlungen zu sprechen. Damit wird das, worüber wir uns Gedanken machen, schon von vornherein als eine Handlung in einem strengen Sinn beschrieben und nicht als irgendetwas, das wir tun – wie wenn wir unfreiwillig eine bestimmte Geste machen. Auch so eine Geste kann beispielsweise dadurch verursacht sein, dass man etwas bemerkt […], während man einen bestimmten Wunsch hegt. Ein Tun wird nicht schon dadurch zu einer absichtlichen Handlung, dass es durch eine Überzeugung und einen Wunsch verursacht wurde – selbst wenn die Beschreibungen, die im Inhalt der Überzeugung und des Wunsches auftauchen, zu diesem Tun passen. (Anscombe 1989/2014: 17)

Diese Passage führt ins Zentrum von Anscombes Kritik am kausalis­ tischen Ansatz der Handlungserklärung. Sie stellt fest, dass die Zuschreibung eines Wunsch-Überzeugung-Paares, das geeignet ist, die Handlung kausal zu erklären, nicht ausreicht, um die Handlung als absichtlich zu qualifizieren. Warum das so ist, muss freilich erst noch herausgearbeitet werden. Erste Schritte in diese Richtung finden sich in den folgenden Abschnitten. Dementsprechend hat dieser Teil von Intention eine besonders große Rolle in der Diskussion um die Tragfähigkeit von Anscombes Kritik am Kausalismus gespielt. Offen­ sichtlich hängt diese Kritik davon ab, wie man Anscombes Problem­ formulierung versteht – im Sinne des klassifikatorischen Modells oder im Sinne einer grammatischen Unterscheidung. Nach allem, was aus den ersten Abschnitten von Intention bereits klar geworden ist, kommt nur die zweite Option in Frage. Die Unterscheidung zwischen Handlungen und absichtlichen Handlungen ist dann kein Problem der Klassifikation physikalischer Ereignisse. Das ist Davidsons Vor­ schlag, der darauf hinausläuft, Anscombes Einsicht in die Beschrei­ bungsabhängigkeit von Handlungen mit dem klassifikatorischen Modell und der reduktiven Methode zu verbinden. Davidson geht es dementsprechend darum, den Begriff des Handelns von dem der Absicht her zu definieren. Demnach ist ein Vorgang genau dann eine 120 Vgl. Frey/Frey (2017: 236): »No classificatory concept, according to Anscombe, captures that in virtue of which intentional actions are intentional.«

96 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.2 Wonach man fragt, wenn man nach der Warum-Frage fragt

Handlung, wenn es wenigstens eine Beschreibung gibt, unter der er absichtlich ist (vgl. Davidson 1971/1990: 77). Anscombes gramma­ tische Methode verweist dagegen, wie in der vorbereitenden Diskus­ sion der §§ 1–4 deutlich geworden ist, auf die Form. Um besser zu verstehen, was das für die folgende Untersuchung bedeutet, bietet es sich an, vorzugreifen und auf eine spätere Stelle zu verweisen, die den Zusammenhang des Formbegriffs mit der Beschreibung einer Hand­ lung als absichtlich prägnant auf den Punkt bringt: Wenn man bloß darauf achtet, daß viele Handlungen absichtlich oder unabsichtlich sein können, kann es durchaus naheliegend sein zu glauben, daß Ereignisse, die sich als etwas Absichtliches oder Unab­ sichtliches kennzeichnen lassen, eine bestimmte natürliche Klasse bilden, wobei ›absichtlich‹ als zusätzliche Eigenschaft hinzukäme, die der Philosoph dann zu beschreiben versuchen müsste. Im Grund bezieht sich das Wort ›absichtlich‹ auf eine Form von Ereig­ nisbeschreibungen. (A: § 47.131)

Die weitere Untersuchung soll zeigen, wie das zu verstehen ist. Im Zusammenhang mit der Problemformulierung zu Beginn von § 5 kann man bereits festhalten, dass diese besondere »Form von Ereig­ nisbeschreibungen« auf den Sinn der Warum-Frage im Zusammen­ hang mit absichtlichen Handlungen verweist. Was damit gemeint ist, wird Anscombe nun in den folgenden Abschnitten klären, indem sie Beispiele präsentiert, bei denen die Anwendung dieser Frage ausge­ schlossen werden kann, und sie von solchen unterscheidet, bei denen die Frage einen Sinn hat (vgl. A: § 6.25). Man versteht, was es mit dieser besonderen Form von Ereignisbeschreibungen auf sich hat, wenn man die Praxis des Umgangs mit der Warum-Frage versteht. Daher gilt es, diese Praxis möglichst genau zu beschreiben. Die Unter­ scheidung zwischen Handlungen und absichtlichen Handlungen lässt sich dann als eine grammatische Unterscheidung aufweisen (vgl. Frey/Frey 2017: 237).

Zwei Probleme und eine methodische Anforderung Die Frage, was mit »Handlungsgrund« gemeint ist, muss beantwortet werden, ohne schon die Bedeutung der handlungstheoretischen Grundbegriffe, die für die Beantwortung dieser Frage relevant sind, als bekannt vorauszusetzen. Das ist der methodische Anspruch für die

97 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

nun folgende Untersuchung. Wie in § 5, der die Funktion einer wei­ teren methodischen Klärung hat, zunächst deutlich wird, sind dabei zwei Probleme zu beachten: die Unklarheit des Kausalitätsbegriffs und ein Zirkularitätsproblem.121 Das erste Problem stellt sich, wenn man sich auf die intuitiv plausibel erscheinende Unterscheidung zwi­ schen Ursachen und Gründen verlässt. Das Zirkularitätsproblem ergibt sich, wenn man die Unterscheidung zwischen willentlichen und unwillentlichen Handlungen bzw. Bewegungen zugrunde legt. Diese Unterscheidungen sind für die Beantwortung der Frage nach der Besonderheit von Handlungsgründen durchaus unverzichtbar. Es lässt sich aber an einfachen Beispielen zeigen, dass diese Unterschei­ dungen ihrerseits erläutert werden müssen, wenn sie ihren erläutern­ den Zweck erfüllen sollen. Anscombe zeigt das an einem einfachen Beispiel: Um die Schwierigkeit, die sich hier ergeben, zu erkennen, wollen wir die Frage ›Warum hast du die Tasse vom Tisch gestoßen?‹ mitsamt ihrer Beantwortung ›Ich glaubte am Fenster ein Gesicht zu sehen und bin daher zusammengezuckt‹ betrachten. (A: § 5.23)

Wie unterscheidet sich diese Situation von solchen, wo man fragen würde: »Aus welchem Grund hast du ein Taxi gerufen?« (Ebd.: 24) Auf den ersten Blick scheint es klar zu sein, dass hier nach einem Handlungsgrund gefragt wird, während man es beim Umstoßen der Kaffeetasse wohl nicht mit einer Handlung zu tun hat. Wie kann man diesen intuitiv klar erscheinenden Unterschied aber genauer erläu­ tern? Die Unterscheidung zwischen Beleg und Grund, die bisher in Anspruch genommen wurde, passt für beide Fälle nicht, da jeweils ein Grund genannt wird. Man könnte sich daher an der Unterscheidung zwischen Ursachen und Gründen orientieren. Eine spontane Erklä­ rung würde dann so aussehen, dass das Sehen des Gesichts die Ursa­ che für das Zusammenzucken und damit auch für das Umstoßen der Tasse war. Daher hätten wir es hier mit keiner Handlung zu tun, son­ dern, um es mit Harry Frankfurts Worten auszudrücken, mit etwas, das der Person in unserem Beispiel »bloß unterläuft« (Frankfurt 121 Mit »Zirkel« ist hier, wie sogleich deutlich werden wird, kein Beweisfehler gemeint, bei dem die zu beweisende Aussage für den Beweis bereits vorausgesetzt wird, sondern ein methodischer Zirkel: Es werden bei der Erläuterung eines Begriffs Begriffe als bekannt unterstellt, die schon ein Verständnis des zu erläuternden Begriffs voraussetzen.

98 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.2 Wonach man fragt, wenn man nach der Warum-Frage fragt

1978/2010: 70), einer Körperbewegung also, die geschieht, ohne dass sie von der Person ausgeführt wird. Diese Antwort hilft aber nicht weiter, solange nicht klar ist, inwiefern das Sehen des Gesichts eine Ursache ist. Die bloße zeitliche Priorität des Ereignisses reicht nicht, da man auch bei Handlungsgründen Ereignisse nennen kann, die der Handlung vorhergingen, aber keine Ursachen waren, so z.B. wenn jemand als Grund für eine Tötung auf die vorherige Ermordung des eigenen Vaters durch den nun Getöteten verweist (vgl. A: § 5.23). Auch haben wir es hier gewiss nicht mit einer kausalen Beziehung im Sinne der Hume’schen Regularitätstheorie zu tun oder überhaupt mit einem Fall, bei dem man das Auftreten der Ereignisfolge – Sehen des Gesichts, Zusammenzucken, Umstoßen der Tasse – mit Bezug auf ein strikt deterministisches Gesetz erklären könnte.122 Anscombe merkt daher auch an, dass »dies ein recht sonderbarer Fall von Kausalität ist.« (Ebd.: 24) Trotzdem ist es nicht abwegig, hier einen kausalen Zusammenhang zu vermuten. Wenn man das tut, müsste man auch erklären, welches Kausalitätsverständnis diese Vermutung rechtfer­ tigt. Anscombe wird auf diese »sonderbaren« Ursachen im weiteren Verlauf zurückkommen. An dieser Stelle folgt nur eine knappe, nicht weiter erläuterte Bemerkung: [D]enn hier kann die betreffende Person die Ursache eines Gedankens, eines Gefühls oder einer Körperbewegung in der gleichen Weise nennen, in der sie den Ort ihrer Schmerzen oder die Stellung ihrer Körperteile anzugeben vermag. (Ebd.)

Erst in § 10 wird diese Art von Ursachen unter der Bezeichnung »mentale Ursachen« als eine eigene Form von Kausalität eingeführt und erläutert. Im Rahmen der einleitenden methodischen Klärung reicht dieser Hinweis jedoch, um den unspezifischen Rückgriff auf die Unterscheidung von Ursachen und Gründen abzuwehren. Eine weitere Möglichkeit, mit diesen Beispielen umzugehen, wäre, mit einer Festlegung zu operieren, die die anfängliche Intuition einfängt: Bei ungewollten Bewegungen wäre der Grund eine Ursache oder jedenfalls ein Grund in einem anderen Sinne als ein Handlungs­ Die Regularitätstheorie wird normalerweise David Hume zugeschrieben. Der nomologische Charakter von Kausalität, wonach die Wahrheit eines singulären Kau­ salsatzes die Existenz einer wahren Gesetzesaussage impliziert, wird von vielen neuzeitlichen Wissenschaftstheoretikern behauptet. Vgl. dazu die Diskussion bei Keil (2015: 151–173) sowie Anscombes Kritik am deterministischen Modell in Ans­ combe 1971/2014. 122

99 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

grund. Abgesehen davon, dass das kausalitätstheoretische Problem bestehen bleibt, ist offensichtlich, dass dieser Ausweg hoffnungslos zirkulär ist. Es ist nicht nur unklar, worin genau der Unterschied zwischen den vermuteten Arten von Gründen besteht (denn es ist ja genau die Frage, was einen Handlungsgrund als solchen qualifiziert), sondern es ist zudem auch möglich, im Bereich des Absichtlichen oder Willentlichen Gründe zu nennen, die sich als Ursachen erweisen (vgl. ebd.: 25). Die beiden von Anscombe diagnostizierten Probleme (das Zir­ kelproblem und die Unklarheit des Kausalitätsbegriffs) haben von ihrer Brisanz nichts verloren. Der Begriff der Kausalität befindet sich heute sicherlich nicht mehr in einem Zustand der »Verwirrung«, den­ noch bleibt das Problem bestehen, worauf kausale Handlungstheorien ihre kausalen Behauptungen stützen. Davidson lehnt das CoveringLaw-Modell für die Handlungstheorie zwar ab, hält aber im Rahmen seiner extensionalistischen Formulierung des Kausalitätsprinzips am Gedanken vom nomologischen Charakter von Kausalität fest.123 Auch das Zirkelproblem bei der Erläuterung des Begriffs eines Handlungsgrundes ist nach wie vor relevant. Die Frage danach, was »Gründe«, insbesondere auch Handlungsgründe sind, gehört zu den meistdiskutierten metaethischen Fragen der letzten Jahre.124 Nach einer Position, die prominent von Thomas Scanlon vertreten wird und die man durchaus als Reaktion auf das schon von Anscombe angezeigte Zirkelproblem verstehen kann, ist der Begriff des Grundes nicht auf andere, elementarere normative Begriffe rückführbar und insofern grundlegend. Jeder Versuch, diesen Begriff zu definieren, ist daher aussichtslos; man sollte ihn einfach bei der Erläuterung 123 Davidson hält es demnach für eine Tatsache, dass Kausalbeziehungen zwischen Ereignissen existieren: »Kausalität und Identität sind Beziehungen zwischen individu­ ellen Ereignissen, egal, wie diese beschrieben werden.« (Davidson 1970/1990: 302). Wenn eine Kausalbeziehung besteht, gibt es allerdings auch eine Beschreibung dieser Beziehung, die ein Gesetz exemplifiziert: »Das Prinzip vom nomologischen Charakter der Kausalität ist mit großer Vorsicht zu lesen. Es besagt, daß Ereignisse, wenn sie in der Beziehung von Ursache und Wirkung stehen, Beschreibungen haben, die unter ein Gesetz fallen. Es besagt nicht, dass jede wahre singuläre Kausalitätsaussage unter ein Gesetz fällt.« (Ebd.) 124 So stellt Thomas M. Scanlon fest, dass sich metaethische Diskussionen seit den späten 1970er-Jahren von semantischen Fragen nach der Bedeutung moralischer Grundbegriffe hin zu Fragen der Normativität verschoben haben: »Today, although morality is still much discussed, a significant part of the debate concerns practical reasoning and normativity more generally: reasons for action« (Scanlon 2014: 1).

100 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.2 Wonach man fragt, wenn man nach der Warum-Frage fragt

normativer Grundbegriffe vorauszusetzen.125 Scanlon hat die Imp­ likationen dieser Annahme zuletzt noch präzisiert: »Reasons might be fundamental in the further sense of being the only fundamental elements in the normative domain, other normative notions such as good and ought being analyzable in terms of reasons.« (Scanlon 2014: 2, kursiv i. Orig.) Dieser Gedanke ist in unserem Zusammen­ hang bemerkenswert, weil daraus folgt, dass wahre Aussagen über Gründe nicht durch Konzepte praktischer Vernunft oder vernünfti­ gen Handelns erläutert werden können, die nicht ihrerseits schon Behauptungen über Gründe sind (ebd.). Dieser Ausflug in die zeit­ genössische Metaethik ist lehrreich, weil er vor Augen führt, was mit Anscombes These auf dem Spiel steht, wonach der Begriff des Handlungsgrundes konstitutiv für absichtliches Handeln ist. Er ist aber auch deshalb lehrreich, weil er die methodischen Unterschiede zwischen einer grammatischen Untersuchung und einer auf Definitio­ nen abzielenden Analyse deutlich macht. Eine Definition dürfen wir von Anscombe nicht erwarten, sofern man darunter eine Bestimmung des Begriffs erwartet, die ihn unabhängig von anderen, verwandten Begriffen und ihren Verwendungskontexten analysiert. Sie zieht sich allerdings auch nicht darauf zurück, den Begriff des Grundes als unde­ finierbar vorauszusetzen und an ein Vorverständnis zu appellieren. Das Vorverständnis gilt es gerade zu klären, wie man an unseren beiden Beispielen sehen kann. Ebenso wenig dürfen wir eine Antwort erwarten, die auf die Seinsweise von Gründen abzielt. Die mit der Definitionsfrage eng verbundene ontologische Frage wird meistens so beantwortet, dass Gründe entweder mentale Zustände sind oder normativ relevante Tatsachen.126 Wir werden sehen, dass im Zuge von Anscombes grammatischer Untersuchung diese ontologische Frage, ebenso wie die nach einer Definition, ihre Anziehungskraft verlieren wird. Welche anderen Möglichkeiten gibt es aber, den drohenden Zirkel zu vermeiden? Die Antwort liefern die folgenden Abschnitte (§§ 6 bis 18), deren Aufgabe es ist, die Praxis des Umgangs mit Warum-Fragen so zu Scanlon dazu: »I will take the idea of a reason as primitive. Any attempt to explain what it is to be a reason for something seems to me to lead back to the same idea: a consideration that counts in favor of it. ›Counts in favor how?‹ one might ask. ›By providing a reason for it‹ seems to be the only answer.« (Scanlon 2000: 18). 126 Die These, dass Gründe eine bestimmte Art von Tatsachen sind, wird prominent von Parfit (2011), Larmore (2012) sowie Scanlon (2014) vertreten; die psychologisti­ sche Konzeption von Davidson (1963/1990). 125

101 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

beschreiben, dass ihr besonderer Sinn in Bezug auf absichtliche Hand­ lungen deutlich wird. Diese grammatische Untersuchung wird die logische Rolle der Warum-Frage in Bezug auf Handlungen klären und so »das Gebiet der absichtlichen Handlungen« (A: § 18.49) umreißen. Anscombe führt dieses Vorhaben folgendermaßen ein: Zur weiteren Klärung […] werde ich diesen Sinn [sc. Der WarumFrage, JK] erläutern und Fälle beschreiben, die zeigen, daß unsere Warum-Frage hier nicht zum Einsatz kommt. Die zweite dieser Auf­ gaben werde ich in zwei Schritten erfüllen, denn was ich im Zuge des ersten Schritts sage, wird den relevanten Sinn der Warum-Frage erklä­ ren helfen. (A: § 6.25, kursiv i. Orig.)

Der Sinn der Warum-Frage soll durch ein Abgrenzungsverfahren erläutert werden. In einem ersten Schritt, werden Fälle durchgenom­ men, bei denen diese Frage sinnvoll abgewiesen werden kann. Im Zuge dieser Untersuchung, bei der es vor allem darum gehen wird, die Unterscheidung von Gründen und Ursachen herauszuarbeiten, soll deutlich werden (zweiter Schritt), in welchen Fällen, die Warum-Frage einen Handlungsgrund angibt. Der Gang dieser Untersuchung ist auf den ersten Blick nicht leicht durchschaubar. Das liegt vor allem daran, dass die beiden angekündigten Schritte im Text teilweise miteinan­ der verschränkt sind, was die Orientierung im Argumentationsgang erschwert. Tatsächlich geht Anscombe aber äußerst stringent vor.127 Zur besseren Übersicht können wir Fälle unterscheiden, in denen die Warum-Frage mit Bezug auf Handlungen abgewiesen werden kann (A), von solchen, in denen diese Frage einen Sinn hat (B).

(A) Fälle, in denen die Frage »Warum« abgewiesen wird Ausgangpunkt ist die Feststellung, dass die Warum-Frage generell abgewiesen wird, wenn die handelnde Person behaupten kann, nicht gewusst zu haben, dass sie die Handlung unter einer bestimmten Beschreibung ausgeführt hat. Von da aus lassen sich weitere Unter­ fälle und Differenzierungen einführen, denen die Handlungs- bzw. Bewegungsformen zugeordnet werden können, die auf diesem Weg

127 Vgl. Rachael Wiseman 2016a: 78-81, die eine sehr hilfreiche Übersicht für diesen Teil des Textes vorschlägt. Im Folgenden werde ich mich weitgehend darauf stützen.

102 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.2 Wonach man fragt, wenn man nach der Warum-Frage fragt

abgegrenzt wurden. Man kommt dann mit einer leichten Abwandlung von Rachael Wisemans Schema zu folgender Übersicht:128 1) 2) 3)

Die Beschreibung der Handlung wird durch Beobachtung erklärt: »Ich habe das nur beobachtet« (§ 8) – unwillentliche Bewegungen; die Beschreibung wird durch »mentale Ursachen« erklärt (§§ 9– 11) – unwillentliche Handlungen; die Beschreibung wird weder durch mentale Ursachen noch durch Beobachtung erklärt, sondern gar nicht erklärt (§§ 17–18): »Ich tat es ohne Grund« – willentliche Handlungen.129

Ein Ertrag dieses Teils der Untersuchung ist die Abgrenzung von Ursachen und Gründen im Zusammenhang mit Handlungserklärun­ gen. Daher kann Anscombe in § 16, der eine vorläufige Zusammen­ fassung enthält, bündig festhalten: »Die Frage hat diesen Sinn nicht, wenn die Antwort Belege oder eine Ursache angibt (wobei auch men­ tale Ursachen mitzählen).« (A: § 16.45).

(B) Fälle, in denen die Warum-Frage einen Sinn hat Wenn man an die Kriterien für die obige Einteilung anknüpft, haben wir es hier mit Fällen zu tun, bei denen die Beschreibung der Handlung weder durch Beobachtung noch durch mentale Ursachen gerechtfer­ tigt wird. Das gilt für die absichtlichen Handlungen. Dieser Teil der Untersuchung erstreckt sich über die §§ 9 bis 15, insbesondere §§ 12– 15. Um zu sehen, welche Fälle das sind, kann man sich wiederum auf Anscombes eigene Zusammenfassung stützen: Die Antwort auf die Warum-Frage verweist auf ein vergangenes Geschehen (a); sie inter­ pretiert die Handlung (b) oder verweist auf etwas Zukünftiges (c). Anscombe setzt fort: In den Fällen (b) und (c) ist die Antwort bereits als Handlungsgrund und mithin als Antwort auf die im erforderlichen Sinn gestellte Warum-Frage charakterisiert. Im Fall (a) handelt es sich um eine Vgl. auch Wiseman 2016a: 79. Man muss hier im Blick behalten, was ich bereits zu Beginn dieses Kapitels betont habe, nämlich dass diese Unterscheidungen, insbesondere die zwischen willentlichen, absichtlichen und unwillentlichen Handlungen und Bewegungen keine Klassifikatio­ nen sind, sondern Unterscheidungen nach Hinsichten, wie sich später auch in § 49 bestätigen wird. Siehe dazu Kap. 7. 128

129

103 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

Beantwortung der Frage, wenn die Begriffe ›gut‹ und ›schädlich‹ im Sinn der damit gegebenen Antwort eine Rolle spielen […]. (A: § 16.45)

Wenn diese Untersuchung gelingt, müsste auch der Zirkel bei der Abgrenzung absichtlicher Handlungen vermieden werden. Dies gilt es nun im Einzelnen nachzuvollziehen.

4.3 Handlungen und ihre Beschreibungen Anscombes These Bisher war schon mehrfach von »Beschreibungen« oder »Handlungs­ beschreibungen« die Rede, ohne diesen zentralen Begriff näher zu erläutern. Anscombes Feststellung, dass »ein und dieselbe Handlung auf viele verschiedene Weisen beschrieben werden kann« (A: § 6.26), gehört zu den bekanntesten Einsichten von Intention. Demnach ist die Identifikation einer Handlung von ihrer Beschreibung abhängig. Man kann eine Handlung ganz unterschiedlich beschreiben, beispielsweise als »Zersägen eines Bretts« oder als »Zersägen eines Eichenholz­ bretts« oder als »Zersägen von eines von Schmidts Brettern« oder »als kreischende Geräusche mit einer Säge machen« oder als »Produzieren von Sägemehl« (ebd.). Dieser Gedanke kann unterschiedlich aufgefasst werden. Eine erste Möglichkeit führt zu den verschiedenen Spielarten von Ryles »Dogma vom Gespenst in der Maschine« (Ryle 1949/1969: 13), die auch schon in den vorherigen Abschnitten gestreift wurden. Man könnte das als eine naiv introspektionistische Konzeption bezeichnen, die sich auf eine besondere Weise auf die Autorität der ersten Person beruft. Demnach unterscheidet sich die beobachtbare Körperbewe­ gung von ihren unterschiedlichen Beschreibungen, die ihrerseits als Interpretationen des beobachteten Verhaltens zu verstehen wären. Nach einer Interpretation hätte unsere handelnde Person ein Brett zersägt, nach einer anderen eines von Schmidts Brettern usw. Für diese Konzeption stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien beurteilt wird, welche Interpretation richtig ist. Was wurde getan? Mit dieser Frage kommt die Autorität der ersten Person ins Spiel: Nur die handelnde Person kann die Frage, was getan wurde, beantworten, da sie einen unmittelbaren Zugang zu ihren geistigen Zuständen hat, zu denen nach dieser Konzeption auch ihre Absichten zählen. Beob­

104 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.3 Handlungen und ihre Beschreibungen

achter können dagegen nur indirekt aus dem Verhalten erschließen (interpretieren), was getan wurde. Damit gehen aber die Kriterien, nach denen zwischen richtigen und falschen Antworten unterschieden werden kann, verloren, da jede Antwort aus erstpersonaler Perspek­ tive richtig wäre. Das ist offensichtlich absurd. Daher müssen immer auch öffentlich zugängliche Kriterien einbezogen werden. Man hat es dann mit einem Streit von Interpretationen zu tun, in den auch die handelnde Person und ihre Perspektive einbezogen würde und der, folgt man dieser Problembeschreibung, nicht endgültig entschieden werden kann. Man könnte nie mit Sicherheit bestimmen, was jemand beabsichtigt hat, und das Ergebnis wäre eine Variante des Skeptizis­ mus in Bezug auf Fremdpsychisches. Eine raffiniertere Konzeption findet sich bei Donald Davidson. Davidsons Position unterscheidet sich vom naiven Introspektionsmo­ dell, indem er von vornherein von der Frage ausgeht, nach welchem Kriterium absichtliche Handlungen aus der Beobachterperspektive zugeschrieben werden können. In einer bestimmten Hinsicht stimmt sein Ansatz aber mit dem Introspektionsmodell überein, da er die physikalischen, kausal erklärbaren Ereignisse von den Handlungs­ beschreibungen unterscheidet. Wie bereits angedeutet wurde, las­ sen sich nach Davidson physikalische Ereignisse und ihre kausalen Zusammenhänge beschreibungsunabhängig in einer extensionalen Sprache repräsentieren. Die Eigenschaft einer Handlung, ein Ereignis zu sein, ist dann beschreibungsunabhängig. Es handelt sich um eine extensionale Eigenschaft der fraglichen Handlung. Das Kriterium für die Zuschreibung der Handlung als absichtlich ist allerdings intensio­ nal.130 Anscombe folgt keiner dieser beiden Konzeptionen, wie man schon an ihrer bereits zitierten Bemerkung zur Charakterisierung von Absichten als Beschreibungsformen (vgl. A: § 47.131) erkennen kann. Der Inhalt von Ereignisbeschreibungen ist auf unterschiedliche Weise epistemisch zugänglich. Dabei ist auch die Unterscheidung zwischen der Perspektive des Handelnden und der Beobachterperspektive rele­ vant. Die Perspektive des Handelnden wird in § 6 angesprochen: »jemand [kann] wissen […], was er unter der einen Beschreibung tut, ohne es unter der anderen zu wissen.« (A: § 6.26) Nicht unter allen möglichen Beschreibungen ist eine Handlung beabsichtigt. Beabsich­ Vgl. Davidson 1971/1990: 78ff. Zur Abgrenzung dieses Ansatzes von demjenigen Anscombes vgl. Kertscher 2020: 304ff.

130

105 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

tigt ist sie nur unter den Beschreibungen, unter denen der Handelnde weiß, was er tut. Um zu verstehen, wie sich Anscombes Auffassung von der naiven Konzeption erstpersonaler Autorität und von David­ sons Ereignisontologie unterscheidet, muss man also klären, um was für eine Art von Wissen es sich beim Wissen eines Handelnden um seine absichtlichen Handlungen handelt und wie es sich zu anderen Formen des Wissens verhält. Dazu geben die folgenden Abschnitte erste Hinweise. Allerdings erstreckt sich die Klärung dieser Frage über weite Teile der Abhandlung; die Antwort folgt erst in § 48. Angesichts der weitreichenden Implikationen ihrer Bemerkung zur Beschreibungsabhängigkeit der Identifikation von absichtlichen Handlungen überrascht es, dass Anscombe diesen Punkt in Intention nicht weiter erläutert. Sie nennt bloß das bereits erwähnte einfache Beispiel des Zersägens von Brettern. Offensichtlich hat sie diesen Gedanken für derart selbstverständlich gehalten, dass ihr eine weitere Diskussion überflüssig erschien. Damit hat sie sich allerdings geirrt, wie sie selbst später erkannte.131 Das dürfte vor allem daran liegen, dass die Implikationen dieser Einsicht weiter reichen als es das unmittelbar einleuchtende Beispiel suggeriert.

Drei Merkmale von Intentionalität Zur Erläuterung unserer Passage ist es hilfreich, einen Aufsatz her­ anzuziehen, den Anscombe 1965 unter dem Titel Die Intentionalität der Wahrnehmung (The Intentionality of Sensation: A Grammatical Feature) veröffentlicht hat (Anscombe 1965a/2014). In diesem Auf­ satz geht es um die Frage, was es heißt, dass eine Wahrnehmung eine Wahrnehmung von etwas ist. Im ersten Teil erläutert sie einige allgemeine Merkmale von Intentionalität und den Begriff des inten­ tionalen Objekts. Außerdem arbeitet sie einige Gemeinsamkeiten zwischen der Intentionalität von Wahrnehmung und der Intentiona­ lität von Handlungen heraus. Unter »Intentionalität« versteht man in der Philosophie des Geistes in erster Linie die Gerichtetheit des Bewusstseins auf einen 131 Zwanzig Jahre nach der Veröffentlichung von Intention stellt sie dazu im Rückblick fest: »When I introduced the phrase ›under a description‹ as a tool in the philosophy of action, I thought it something that couldn’t be called in question or misunderstood. Subsequent history has educated me.« (Anscombe 1979/1981b: 208)

106 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.3 Handlungen und ihre Beschreibungen

Gegenstand. Diese Bestimmung ist aus der phänomenologischen Tradition bekannt. Demnach ist es ein strukturelles Merkmal von Bewusstsein, Bewusstsein von etwas zu sein. So schreibt Edmund Husserl: »Allgemein gehört es zum Wesen jedes cogito, Bewußtsein von etwas zu sein.« (Husserl 1913/1992: 73).132 Den Gedanken der Gerichtetheit nimmt auch Anscombe auf, wenn sie darauf aufmerk­ sam macht, dass das »Verb ›intendieren‹ [...], durch eine Metapher vermittelt, von [...] ›intendere arcum in‹ [kommt], was zu ›intendere animum in‹ führte.« (Anscombe 1965a/2014: 232f.)133 Sie entwickelt diesen Begriff als einen grammatischen Aspekt des Gebrauchs eines bestimmten Typs von Verben, die sie als »intentionale Verben« bezeichnet. Charakteristisch für solche Verben ist, dass sie »Konstruk­ tionen mit einem Akkusativobjekt zulassen. In solchen Fällen spreche ich von intentionalen Verben, die bei einem intentionalen Objekt stehen können.« (Ebd.: 232) Ein intentionales Objekt ist demnach nicht dasselbe wie eine intentionale Entität.134 Die Bezeichnung eines Objekts als intentional verweist auf einen grammatischen Aspekt 132 Der Gedanke geht bekanntlich auf Franz Brentano zurück, der in seiner Psycho­ logie vom empirischen Standpunkt Intentionalität als ein Merkmal des Psychischen bestimmt: »Und somit können wir die psychischen Phänomene definieren, indem wir sagen, sie seien solche Phänomene, welche intentional einen Gegenstand in sich enthalten.« (Brentano 1874/1973: 125) Brentanos Untersuchungen waren nicht nur richtungsweisend für die Phänomenologie, sondern haben auch die Diskussionen innerhalb der analytischen Philosophie der Sprache und des Geistes geprägt. Vgl. dazu die Bemerkungen bei Grimi 2018: 15–17. 133 Wie die Begriffsgeschichte von Intentio lehrt, schränkt Anscombe mit dieser Bemerkung und ihrer Fokussierung auf Handlungen und Wahrnehmungen das Bedeutungsspektrum dieses in vielfacher Hinsicht mehrdeutigen Begriffs ein. De Libera unterscheidet allein für die mittelalterliche Diskussion sieben Bedeutungen von intentio (vgl. De Libera 2014: 502ff.) Alternativ zu Versuchen, den Begriff der Intentionalität als Fachterminus der Philosophie des Geistes zu fixieren und ihn von dem der Intention im Sinne von Absicht und dem logischen Begriff der Intension abzugrenzen, geht es Anscombe darum, die logisch-grammatischen Ähnlichkeiten zwischen diesen Aspekten von Intentionalität herauszuarbeiten. Auch an diesem Detail erkennt man, wie Anscombe die thomistische Tradition, die von der Univozität des Begriffs der intentio ausgeht, für zeitgenössische Debatten fruchtbar macht. Zu diesem Punkt und für einen Einblick in mittelalterliche Debatten vgl. Grimi (2018: 18–23) mit einigen wertvollen Hinweisen auf mittelalterliche Quellen. Zur Begriffsgeschichte von intentio vgl. Engelhardt 1976 und De Libera 2014. 134 Anscombe unterscheidet die neuzeitliche Bedeutung von »Objekt« im Sinne von »Einzelding« von einer traditionellen Bedeutung: »Ein Objekt [...] war früher ein Objekt des... oder von... Objekte des Begehrens oder Objekte des Denkens etwa sind keine Objekte im heute gängigen Sinne; sie sind keine Einzeldinge, wie etwa ›die

107 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

des Sprachgebrauchs, nämlich den Zusammenhang des Objekts mit einem intentionalen Verb. In solchen Konstruktionen wird ein Objekt unter einer Beschreibung aufgefasst und über eine Antwort auf spe­ zifische Fragen identifiziert: »woran denkst du?«, »was sieht er?«. Typische intentionale Verben sind »an etwas denken« oder auch »auf etwas schießen« (ebd.). Die Intentionalität des Objekts verweist nach dieser logisch-grammatischen Analyse also weder auf etwas Psychologisches, ein Korrelat eines geistigen Aktes, noch handelt es sich um eine epistemische oder ontologische Bestimmung, sondern sie verweist auf das formale Merkmal, unter einer Beschreibung gegeben zu sein: »Ein intentionales Objekt wird durch ein Wort oder eine Wendung angegeben, die man als Beschreibung, unter der ... bezeichnet werden kann.« (Ebd.: 242, Herv. i. Orig.) Der Zusammen­ hang mit einem intentionalen Verb, durch den das Objekt über eine Beschreibung identifiziert wird, charakterisiert das Objekt als ein Intentionales. Die grammatische Form solcher Beschreibungen kann durch drei Merkmale näher bestimmt werden, die gleichermaßen die Intentionalität von Wahrnehmungen als auch die von Handlungen charakterisieren. Im Ansatz sind diese drei Merkmale alle schon im Säge-Beispiel aus Intention angesprochen worden. Das erste Merkmal entspricht ziemlich genau dem, was Ans­ combe dazu auch in § 6 von Intention nennt und das später als »Inten­ sionalität« bezeichnet wurde. Gemeint ist die semantische Undurch­ sichtigkeit von Intentionszuschreibungen:135

Objekte, die man in der Hosentasche des Angeklagten fand‹.« (Anscombe 1965a/ 2014: 230) 135 Anscombe selbst will an der alten »Schreibweise mit dem zweiten ›t‹« festhalten (Anscombe 1965a/2014: 231f.). Der Grund dafür ist, dass es sich »um dasselbe Wort, das im allgemeinen Sprachgebrauch im Zusammenhang mit Handlungen gebraucht wird«, handelt (ebd.: 232). Und ferner: »Dieser Begriff der Intention, d.h. der Absicht, kommt natürlich auch in Verbindung mit etwas sagen vor, und dadurch kann man eine Brücke zur Gebrauchsweise des Wortes unter Logikern schlagen.« (Ebd., Herv. i. Orig.) Absichten werden in Handlungsbeschreibungen in Form von Urteilen der Form: »X Φ-t« oder »ich ξ-e« spezifiziert. Urteile lassen sich ihrerseits als mentale Akte, in denen begriffliche Fähigkeiten ausgeübt werden, verstehen. Urteile werden erstpersonal ausgedrückt, indem Sprechende sagen, was sie denken oder tun, oder in Form von Berichten in indirekter Rede beschrieben (vgl. dazu Geach 1957/1971: 7– 10). Davidson wird später das von Anscombe beschriebene Merkmal als Problem der »Intensionalität« von Absichtszuschreibungen thematisieren – allerdings im Rahmen einer psychologistisch akzentuierten Auffassung von Einstellungszuschreibungen (vgl. Davidson 1971/1990: 77).

108 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.3 Handlungen und ihre Beschreibungen

Erstens ist nicht jede wahre Beschreibung dessen, was man tut, eine Beschreibung der Handlung als einer Handlung, die man intendiert; jede Handlung ist nur unter manchen ihrer Beschreibungen intendiert, d.h. beabsichtigt. (Ebd.: 232)

Semantische Undurchsichtigkeit meint hier: Intentionale und Nichtintentionale Beschreibungen können nicht salva veritate ausgetauscht werden. Daher kann jemand sinnvoll die Warum-Frage mit dem Hinweis abweisen, er habe nicht gewusst, X getan zu haben. Denken wir wieder an das Beispiel des Bretter-Sägens: Auch dann, wenn alle verfügbaren und noch so differenzierten Beschreibungen dieses Vorgangs wahr wären, wäre die Handlung nur unter einigen dieser Beschreibungen beabsichtigt, nämlich diejenigen, unter denen die handelnde Person weiß, was sie tut. Das erste Merkmal erfasst, dass Handlungen unter Beschreibungen gegeben sind, die die Hinsichten spezifizieren, nach denen sie absichtlich oder unabsichtlich ausge­ führt werden. In Under a Description geht Anscombe explizit auf die Impli­ kationen der Beschreibungsabhängigkeit von Handlungen und der semantischen Undurchsichtigkeit von Handlungsbeschreibungen ein, indem sie die Form solcher Beschreibungen genauer analysiert. Nach ihrer Analyse sind Sätze der Form x unter der Beschreibung d keine prädikativen Aussagesätze, bei denen x die Variable für ein Gegenstand ist, von dem eine Beschreibung prädiziert wird. Sie schreibt: Under the description ›putting the book down on the table‹ my action was intentional, though it was unintentional under the descrip­ tion ›putting the book down on a puddle of ink‹, has as subject simply ›my action‹ and as predicates ›unintentional under the descrip­ tion ›…‹. (Anscombe 1979/1981b: 208)

Anscombe schließt sich damit einer Analyse des Aristoteles an, wonach die durch eine Beschreibung gegebene Spezifikation logisch zum Prädikat gehört (vgl. ebd. und An. Prior. I, 38). Man kann das an einem einfachen Beispiel klar machen: (1) Der Institutsassistent ist als Mitglied des Lehrkörpers zur Lehre im Umfang von 8 SWS verpflichtet In diesem Satz ist das logische Subjekt nicht »Der Institutsassistent als Mitglied des Lehrkörpers« und der Prädikatausdruck nicht »ist zur Lehre im Umfang von 8 SWS verpflichtet.« Eine solche Analyse

109 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

wäre falsch: Subjekt ist vielmehr »Der Institutsassistent«, von dem unter der Beschreibung »Mitglied des Lehrkörpers« (d.h. als oder qua »Mitglied des Lehrkörpers«) ausgesagt wird, dass er zur Lehre im Umfang von 8 SWS verpflichtet ist. Nur wenn man den Satz so analysiert, vermeidet man irreführende Überlegungen, wie die, ob es »den Institutsassistenten« unabhängig von seinen unterschiedlichen Beschreibungen geben könnte. Die als-Spezifikation muss logisch als Teil des Prädikats verstanden werden; sie nennt eine Hinsicht, nach der (in unserem Beispiel) jemand zur Lehre im Umfang von 8 SWS verpflichtet ist. Jemand kann auch unter anderen Beschreibungen zu diesem Umfang an Lehre verpflichtet sein, beispielsweise als W3-Professor. Wie Ebert und Nortmann mit Bezug auf Aristoteles‘ Analytica Priora kommentieren, kann die als-Spezifikation hinter das Prädikat gesetzt werden, ohne dass der Satz seinen Sinn verliert. Auch daran erkennt man, dass sie zum Prädikat gehört. Das ist bei Genitivattributen oder präpositionalen Ergänzungen nicht möglich (vgl. Ebert/Nortmann 2007: 841). Analog gilt für Handlungen, dass eine Handlung H unter der Beschreibung »Φ-en« absichtlich, aber unter der Beschreibung »Ψen« unabsichtlich sein kann. Es gilt dann: (2) H, als ein »Φ-en«, ist absichtlich, oder (3) H ist absichtlich, als ein »Φ-en« Die Beschreibung spezifiziert die Hinsicht, unter der die Handlung absichtlich ausgeführt wird. Die Handlung H kann auch noch in ande­ ren Hinsichten absichtlich sein, nämlich als ein »ξ-en.« Es gibt daher auch nicht eine Handlung H im Sinne des beschreibungsunabhängi­ gen physikalischen Vorgangs und außerdem noch diese Handlung H unter verschiedenen Beschreibungen. Was diese Analyse für die Iden­ tifikation von Handlungen bedeutet, wie sich verschiedene mögliche Beschreibungen einer Handlung als absichtlich zueinander verhalten, sind Fragen, denen sich Anscombe ab § 22 zuwenden wird. Das erste Merkmal verweist außerdem, indem es das Wissen der handelnden Person thematisiert, auf den spezifisch praktischen Standpunkt. Christopher und Jennifer Frey nennen ihn den Stand­ punkt des intentionalen Subjekts.136 Mit dieser Differenzierung kommt die für das Phänomen des Handelns zentrale Asymmetrie 136 Vgl. Frey/Frey 2017: 207. Im Gegensatz zum Subjekt im alten Sinn, nämlich als »das Ding selbst, so wie es in Wirklichkeit ist« (Anscombe 1965a/2014: 230).

110 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.3 Handlungen und ihre Beschreibungen

zwischen der erstpersonalen und der drittpersonalen Perspektive in den Blick. Ich hatte schon darauf hingewiesen, dass diese Asymmetrie eine Quelle für allerlei Missverständnisse ist, und es daher darauf ankommt, sie richtig zu erläutern.137 In einer ersten Annäherung an Anscombes Position kann man festhalten, dass nicht-intentionale Beschreibungen tatsächlich meistens aus einer drittpersonalen Per­ spektive erfolgen. Sie greifen Aspekte heraus, die der handelnden Person nicht bewusst waren oder ihr in der Situation nicht aufgefallen sind. Indem mit dem ersten Merkmal der Blick auf den erstpersonalen Standpunkt gerichtet wird, wird eine Bedingung für absichtliches Handeln identifiziert: Eine Person handelt nur dann absichtlich, wenn sie weiß, dass sie die beschriebene Handlung ausgeführt hat.138 Oder mit Anscombes eigener Formulierung: »Mit der Feststellung jemand wisse, daß er X tut, gibt man also eine Beschreibung dessen, was er tut, unter der er weiß, daß er es tut.« (A: § 6.26, Herv. i. Orig.) Daraus folgt allerdings nicht, dass Handelnde aus der erstpersonalen Per­ spektive einen privilegierten Zugang zu den eigenen Absichten haben. Denn auch die handelnde Person identifiziert ihre Handlung unter einer Beschreibung als absichtlich. Auch dem intentionalen Subjekt ist das intentionale Objekt, ihre Absicht, nur unter Beschreibungen gege­ ben. Man kann daher, wenn auch nur sehr vorläufig, festhalten, dass die Autorität der ersten Person nichts mit der introspektiven Kenntnis eigener psychischer Zustände zu tun hat. Sie beruht vielmehr darauf, dass man normalerweise die Beschreibungen der eigenen Handlun­ gen vorzieht, die man selbst geben kann, und daher das Geschehen zunächst auch davon ausgehend weiter beschreibt und beurteilt.139 Die beiden im vorherigen Abschnitt skizzierten – die naiv introspektionistische und die davidsonianische – Positionen wären Beispiele für unzulängliche Deutungen dieser Perspektivenunterscheidung. Anscombe entwickelt ihre eigene Lösung ab § 28 im Zusammenhang mit der Diskussion des praktischen Wissens bzw. Denkens. Vgl. dazu Kap. 6. 138 John Schwenkler arbeitet drei Bedingungen heraus, die er als »epistemische Bedingungen« bezeichnet. Vgl. Schwenkler 2019: 20ff. Der Ausdruck »epistemisch« ist hier insofern allerdings ein wenig irreführend, als Anscombe die Merkmale von Intentionalität und des absichtlichen Handelns im Besonderen im Rahmen einer logisch-grammatischen Untersuchung beschreibt und nicht einer erkenntnis­ theoretischen. Dieser methodische Punkt wird auch im Folgenden immer wieder zu beachten sein. 139 Vgl. Pouivet 2014: 134. Die Autorität der ersten Person wäre dann, so Pouivet, wenn man sie richtig versteht, eine Autorität bei der Beschreibung der eigenen Handlungen und nicht die eines Zugangs zu eigenen Bewusstseinsinhalten. 137

111 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

Die beiden weiteren Merkmale von Intentionalität kann man nun vor diesem Hintergrund leicht verstehen: Zweitens kann die Beschreibung, unter der man etwas intendiert, vage oder unbestimmt sein. (Man beabsichtigt beispielsweise, ein Buch auf den Tisch zu legen, und tut das auch; aber man beabsichtigt nicht, das Buch an eine ganz bestimmte Stelle auf den Tisch zu legen, obwohl man das ebenfalls tut.) (Anscombe 1965a/2014: 232)

Mit dem dritten Merkmal, schließlich, nimmt Anscombe ein Thema auf, das schon in § 2 angesprochen wurde, nämlich das Scheitern in der Ausführung der eigenen Absicht: »Ich sagte, dass man intentional handeln kann, ohne die intendierte Handlung auszuführen« (Ebd.: 233). In solchen Fällen wird »die Beschreibung, unter der man etwas zu tun intendiert, nicht wahr« (ebd.: 232). In diesem Aufsatz diskutiert Anscombe das Beispiel eines Jägers, der auf einen Schatten zielt, den er für einen Hirsch hält, tatsächlich aber den eigenen Vater erschießt.140 In Intention wird dieses Merkmal von Intentionalität im Zusammenhang mit genuin praktischen Fehlern bzw. misslingenden absichtlichen Handlungen relevant.141 Für die weitere Interpretation bleibt festzuhalten, dass Intentionalität diese drei Merkmale des Begriffs der Intention aufweist: Semantische Undurchsichtigkeit, Unbestimmtheit und die Möglichkeit, dass die Ausrichtung der Inten­ tion mit dem intendierten Objekt nicht übereinstimmt. Die vorangehenden Bemerkungen zur Beschreibungsabhängig­ keit von Handlungen müssen wir für die spätere Erläuterung von Absichten, mit denen jemand handelt (ab § 22), in Erinnerung behal­ ten. Sie bilden aber auch schon den Rahmen für die Unterscheidung zwischen unwillentlichen Bewegungen, unwillentlichen Handlungen und willentlichen Handlungen und ist wichtig für die Interpretation der Argumentation aus § 19.

Sie variiert damit ein Beispiel von Thomas von Aquin: vgl. STh Ia-IIae, q.6, art. 6, resp. 141 Das deutet sich schon in § 2 an, wo Anscombe das Prinzip des Theophrast einführt. Vgl. dazu ausführlich Kap. 6. Viele exegetische Probleme, die sich an Anscombes Analysen solcher Fälle anschließen, lassen sich entschärfen, soviel sei hier vorweg­ genommen, wenn man beachtet, dass Anscombe in Die Intentionalität der Wahrneh­ mung mit Bezug auf Fehler in der Ausführung einer Absicht feststellt: »Dann handelt man zwar absichtlich, führt aber nicht die beabsichtigte Handlung aus.« (Anscombe 1965a/2014: 232). 140

112 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.4 Abgrenzungsfragen

4.4 Abgrenzungsfragen – Bewegungen, Handlungen, willentlich, unwillentlich, absichtlich Unwillentliche Bewegungen – vier paradigmatische Fälle Die Begriffe des Willens und des willentlichen Handelns werden in der Handlungstheorie normalerweise als grundlegend angesehen. Insofern überrascht es, wenn Anscombe nicht nur unwillentliche, son­ dern in bestimmter Hinsicht auch willentliche Handlungen als Fälle betrachtet, bei denen die Warum-Frage abgewiesen werden kann.142 Willentliches und absichtliches Handeln sind zweifellos verwandte Begriffe. Deshalb stellt sich auch das Zirkelproblem. Dennoch lassen sich diese Begriffe abgrenzen, und dabei wird sich der Begriff der Absicht als Grundbegriff erweisen, ohne jedoch das »Willentliche« darauf zu reduzieren.143 Wie komplex die nun zu erhellenden Unterscheidungen zwi­ schen »willentlich/unwillentlich« auf der einen und »absichtlich/ unabsichtlich« auf der anderen Seite sind, kann man sich leicht an einigen Beispielen vergegenwärtigen: sich den Bart reiben, niesen, der ungewollte Vorteil, den eine Person durch eine Handlung erhält, die ihr eigentlich schaden sollte.144 Es ist nicht leicht zu bestimmen, was an solchen Bewegungen genau ungewollt oder willentlich sein soll. Wie schon in den ersten Abschnitten im Zusammenhang mit der Unterscheidung zwischen Mitteilungen von Absichten und Vorher­ sagen, weist Anscombe auch hier zunächst allzu schlichte Versuche ab, vom normalen Sprachgebrauch auszugehen. Das gilt auch für Ryles Differenzierungsvorschlag: »In ihrer gewöhnlichsten Verwen­ dung werden ›freiwillig‹ (voluntary) und ›unfreiwillig‹ (involuntary) mit kleinen Abweichungen als Eigenschaftswörter für Handlungen D.h. die Fälle, die in 4.2 unter A) zusammengefasst wurden (vgl. S. 102f.). Wie die Untersuchung in § 49 zeigen wird, in dem Anscombe die Unterscheidung zwischen dem »Willentlichen« und dem »Absichtlichen« noch einmal aufnehmen wird, handelt es sich um eine Unterscheidung nach Hinsichten und nicht um einen kategorialen Unterschied nach situationsinvarianten Kriterien. Vgl. dazu Kap. 7. 144 Das erste Beispiel findet sich bei Thomas von Aquin: »Der Mensch scheint dann wegen eines Zieles zu handeln, wenn er überlegt. Aber der Mensch tut vieles ohne Überlegung, worauf er dann auch nicht achtet, etwa wenn jemand den Fuß oder die Hand bewegt, während der an anderes denkt, oder sich den Bart reibt.« (STh Ia-IIae, q.1, art. 1), das zweite Beispiel findet sich bei Ryle (1949/1969: 88), das dritte bei Anscombe (A: § 7.28) 142

143

113 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

verwendet, die man nicht hätte tun sollen.« (Ryle 1949/1969: 87)145 Es gibt offensichtlich Kontexte, in denen dieser Ausdruck ganz gewöhnlich verwendet wird, ohne Ryles Einschränkung. Physiologen, so Anscombes Beispiel, befassen sich auch mit willentlichen Hand­ lungen, ohne dabei vorauszusetzen, dass etwas getan wurde, das »man nicht hätte tun sollen.« Bei einem Menschen wird der Physiologe ein­ fach fragen, ob die zu beschreibende Bewegung aus eigenem Wollen erfolgte oder nicht; bei einem Tier wird er in einem metaphysisch voraussetzungsarmen Sinn eine willentliche Bewegung unterstellen, wenn es nach »Eßbarem langt« und diese Bewegung von derjenigen unterscheiden, »die ein Hund macht, wenn er bei einem plötzlichen Geräusch die Ohren spitzt« (A: § 7.27).146 Vor diesem Hintergrund erscheint Ryles von der Normalsprache ausgehende Erläuterung als eine unterkomplexe terminologische Festlegung. Im Gegensatz zu solchen an der normalen Sprache orientierten Spekulationen beginnt Anscombe mit dem, was sich im »physischen Bereich abspielt« (A: § 4.22). Dazu nennt sie vier paradigmatische Fälle für unwillentliche Bewegungen: (a) Die peristaltische Bewegung des Darms (b) Das manchmal beim Einschlafen vorkommende merkwürdige Zucken oder Zusammenfahren des gesamten Körpers (c) »Unwillkürlich zurückschreckend, nahm er seine Hand weg.« (d) »Der unwillkürlich gebotene Vorteil, der ihm durch einen Schlag entstand, mit dem ich ihm eigentlich schaden wollte« (A: § 7.28) 145 Bei Anscombe geht es ebenfalls um die Unterscheidung zwischen »voluntary« und »involuntary«, ich habe daher diese Ausdrücke in das Zitat eingefügt. Ich folge Steven Baynes Einschätzung, wonach Anscombe sich mit dieser Bemerkung tatsächlich direkt mit Ryle auseinandersetzt (vgl. Bayne 2010: 42f.). Schwenkler (2019: 24, Fn. 7) ver­ mutet zudem auch eine Anspielung auf Austin. So auch Schulte in einer Anmerkung zu seiner Übersetzung (vgl. Anscombe 2011: 157). Das eine schließt das andere nicht aus; immerhin nennt Anscombe diese Auffassung eine »fashionable view« (I: § 7.12.3). Erhellend für den Unterschied zwischen einer normalsprachlichen und einer begrifflichen Untersuchung ist Schwenklers Fazit: »Ryle and Austin are probably right that we tend use the words ›Intentional‹, ›voluntary‹ etc., in these ways, but this does not show that our concepts of intentional or voluntary action have this inherently normative structure.« (Schwenkler 2019: 24, Fn 7, kursiv i. Orig.) 146 Vgl. wiederum STh Ia-IIae, q. 6, art. 2, resp. Auch die Bewegung des nicht-mensch­ lichen Tieres folgt einem inneren Prinzip der Bewegung. Ihnen kann daher, so Thomas von Aquin, eine »unvollendete Zielkenntnis« zugeschrieben werden, »die im bloßen Erfassen eines Ziels besteht, ohne dass der Begriff des Zieles und das Verhältnis des Aktes zum Ziel erkannt werden.« (Ebd.).

114 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.4 Abgrenzungsfragen

Das erste Beispiel (a) fällt aus dem Einzugsbereich der Unterschei­ dung heraus, da es gar keine Handlung beschreibt (vgl. A: § 8.30). Nur Beispiel (b) kann für die weitere Untersuchung genutzt werden, da zu seiner Erklärung, anders als (c) und (d), keine anderen hand­ lungstheoretischen Begriffe vorausgesetzt werden müssen. Man kann hier von einer »unwillentlichen« Bewegung sprechen. Insofern bietet der Begriff des »Unwillentlichen« immerhin einen Ausgangspunkt für die weitere Untersuchung. Was ist aber das Kriterium, nach dem man dieses Beispiel von den anderen aus dieser Reihe abgrenzen kann? Anscombes Antwort lautet, dass es in die Klasse der Dinge gehört, »die man weiß, ohne Beobachtung anzustellen.« (A: § 8.28, kursiv i. Orig.)

Wissen ohne Beobachtung – eine grammatische Untersuchung Die Unterscheidung zwischen beobachtungsbasiertem Wissen und Wissen, das nicht auf Beobachtung basiert, kann erklärt werden, ohne auf noch unverstandene handlungstheoretische Begriffe zurück­ zugreifen. Daher ist sie als Ausgangspunkt geeignet, um zwei Klassen von unwillentlichen Bewegungen bzw. Handlungen zu erläutern, ohne in einen Zirkel zu geraten. Vor diese Schwierigkeit hatte Beispiel (c) gestellt, das mit Hilfe der Unterscheidung von Ursachen und Gründen nicht mehr erklärt werden kann. Wir dürfen also einen Ausweg aus dieser Schwierigkeit erwarten, wenn wir fragen, welche Art Dinge wir ohne Beobachtung wissen können. Anscombes paradigmatischer Fall für etwas, das wir ohne Beob­ achtung wissen, ist die Lage der eigenen Körperteile (A: § 8.29): »Das geschieht ohne Beobachtung, denn nichts zeigt uns die Lage unserer Körperteile. Man richtet sich nicht etwa nach einem Kribbeln im Knie, das anzeigt, daß es nicht gerade, sondern gebeugt ist.« (Ebd.)147 Es folgt eine rein negative Erläuterung: Wo man von separat beschreibbaren Empfindungen reden kann, deren Vorhandensein in gewissem Sinn unser Kriterium für bestimmte Äußerungen ist, kann man auch sagen, die betreffende Sache werde 147 Das Beispiel (und die folgende Diskussion) mag von Wittgenstein inspiriert sein (PU 621–626, II, viii), wie Schwenkler (2019: 25) vermutet. Wittgenstein reflektiert dort die Rolle von kinästhetischen Empfindungen, die James und Russell als Unterscheidungsmerkmal von willentlichen Handlungen behauptet hatten.

115 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

beobachtet. So verhält es sich im Allgemeinen aber nicht, wenn wir wissen, welches die Lage unserer Körperteile ist. (Ebd.)

Warum erklärt Anscombe die Unterscheidung zwischen »Beobach­ tung« und »ohne Beobachtung« mit Bezug auf separat beschreibbare Empfindungen? Diese Frage stellt sich umso mehr, als Anscombe wenig später festhält: Die Klasse der Dinge, die man ohne Beobachtung wissen kann, ist für unsere Untersuchung deshalb von allgemeinem Interesse, weil die Klasse der absichtlichen Handlungen eine Teilmenge dieser Klasse ist. (Ebd.: 30)

Der Begriff eines Wissens, das nicht auf Beobachtung beruht, hat demnach eine doppelte Funktion: Einerseits soll er helfen, die Klasse der unwillentlichen Bewegungen abzugrenzen; andererseits wird er sich als Schlüsselbegriff für die Analyse absichtlichen Handelns erweisen. Die richtige Erläuterung dieses Begriffs gehört zu den gro­ ßen interpretatorischen Herausforderungen, vor die Intention stellt. Dabei gilt es insbesondere auch zu klären, wie weit die Analogie zwi­ schen dem Wissen reicht, das jemand von der Lage seiner Körperteile hat, und dem Wissen von den eigenen absichtlichen Handlungen. Die Diskussionen dieser Fragen in der Literatur zu Intention zeigen, dass die Herausforderung vor allem darin besteht, eine Erklärung zu fin­ den, die sowohl eine kohärente Lesart der verschiedenen relevanten Textstellen bietet, also auch philosophisch überzeugen kann.148 Auf der Suche nach einer philosophisch zufriedenstellenden Erklärung läuft man Gefahr, über den Kontext dieser Bemerkungen hinauszu­ greifen und weitreichende philosophische Implikationen in den Text hineinzulesen, auf die sich Anscombe zunächst gar nicht festlegt. Das gilt für Interpretationen, die Wissen ohne Beobachtung als eine Form des Selbstwissens deuten.149 Es spricht sicher einiges dafür, das zu tun. Es scheint mir aber beim Stand der Untersuchung in § 8 allzu voraussetzungsreich.150 Außerdem muss man dazu einige Aspekte des Textes ausblenden, die offensichtlich an dieser Stelle eine wichtige argumentative Funktion haben. Ähnliches gilt, wenn man die fragli­ 148 Für eine knappe Übersicht vgl. Wiseman 2016a: 85–87 sowie Schwenkler 2015 mit weiterer Literatur. Vgl. ferner McDowell 2011 sowie Setiya 2017. Anscombe hat selbst auf Rückfragen reagiert: vgl. Anscombe 1962/1981b. 149 Für eine sehr nah am Text entwickelte Deutung in diese Richtung vgl. McDowell 2011. Etwas beherzter Schwenkler 2019: 24–29. 150 Vgl. dazu die Bemerkungen bei Wiseman 2016a: 85–88.

116 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.4 Abgrenzungsfragen

chen Passagen vor dem Hintergrund gängiger epistemischer Unter­ scheidungen bzw. Dichotomien deutet – wie beispielsweise »intern vs. extern«, »inferentiell vs. nicht-inferentiell«, »unmittelbar vs. ver­ mittelt.« Das ist schon deshalb problematisch, weil Anscombe nicht in sauberen Dichotomien denkt, die sich idealerweise auch noch auf andere Gegensatzpaare abbilden lassen. Andererseits ist es kaum möglich, Wissen ohne Beobachtung zu erläutern, ohne auf epistemi­ sches Vokabular zurückzugreifen. Es liegt daher nahe, sich bei der Deutung daran zu orientieren. Wenn man den Text genau liest, ist es jedoch möglich, diese Passagen im Einklang mit Anscombes Methode als Teil einer logischgrammatischen Untersuchung zu interpretieren und genau in dieser Klärungsarbeit auch ihre philosophische Relevanz zu sehen. Was Anscombe in der zitierten Passage über separat beschreibbare Emp­ findungen behauptet, wäre demnach als grammatische Bemerkung und nicht als erkenntnistheoretische These zu verstehen. Oder anders ausgedrückt: Der erkenntnistheoretische Punkt wird im Rahmen einer grammatischen Untersuchung entfaltet. Die Erkenntnistheorie folgt der logischen Grammatik. Für die Beurteilung dieser Untersu­ chung sollte man daher auch nicht auf bekannte erkenntnistheoreti­ sche Unterscheidungen zurückgreifen oder sich gar auf den Bereich unmittelbar zugänglicher Erlebnisse als Belegbasis oder phänomeno­ logische Rückbindung für diese Untersuchung berufen. Man kann nach dieser Deutungsperspektive an § 8 mit der Frage nach der logisch-grammatischen Struktur der Rede von »ungewollten Körperbewegungen« herangehen. Solche Körperbewegungen werden sowohl aus der erstpersonalen als auch der zweitpersonalen Perspek­ tive thematisiert. Welche begrifflichen Zusammenhänge konstituie­ ren diesen Sprachgebrauch? Anscombes Behauptung war, dass wir Wissen von solchen Bewegungen haben, ohne sie beobachten zu müssen. Ich zitiere den entscheidenden Abschnitt noch einmal zusammenhängend: So kennt man beispielsweise die Lage der eigenen Körperteile, ohne daß man hinschaut. Das geschieht ohne Beobachtung, denn nichts zeigt uns die Lage unserer Körperteile. Man richtet sich nicht etwa nach einem Kribbeln im Knie, das anzeigt, daß es nicht gerade, sondern gebeugt ist. Wo man von separat beschreibbaren Empfindungen reden kann, deren Vorhandensein in gewissem Sinn unser Kriterium für bestimmte Äußerungen ist, kann man auch sagen, die betreffende

117 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

Sache werde beobachtet. So verhält es sich im Allgemeinen aber nicht, wenn wir wissen, welches die Lage unserer Körperteile ist. (A: § 8.28f.)

Anscombe bringt in dieser Passage »Kriterien« ins Spiel – ein Kri­ terium ist ein unterscheidendes Merkmal. In diesem Fall soll die »separat beschreibbare Empfindung« ein Kriterium dafür sein, in so einem Zusammenhang etwas sagen zu können im Sinne eines möglichen Zugs in diesem Sprachspiel.151 Man kann diese Bemerkung so deuten, dass die Identifikation von Beobachtbarem die Möglichkeit voraussetzt, das Beobachtete unter einer anderen Beschreibung zu identifizieren. Wenn jemand sagt »ich habe eine Schwellung im Nacken«, kann diese Person beispielsweise auch sagen »ich empfinde ein schmerzhaftes Pochen im Nacken«. Dabei muss nicht angenom­ men werden, dass aus der Schmerzempfindung auf die Schwellung geschlossen wird. Das ist nicht ausgeschlossen, auf diesen erkenntnis­ theoretischen Punkt kommt es aber nicht an. Gemeint ist vielmehr, dass in solchen Fällen die eine Beschreibung nicht mit der anderen zusammenfällt. Der Inhalt der Beschreibung »schmerzhaftes Pochen« ist insofern der Tatsache, dass diese Person eine Schwellung im Nacken hat, äußerlich bzw. extern. Es ist nämlich immer möglich, die Beschreibung einer Empfindung anzugeben, um zu behaupten, dass man eine Schwellung im Nacken hat, ohne dabei von der Beschrei­ bung »ich habe eine Schwellung im Nacken« Gebrauch zu machen. Diese Möglichkeit ist wesentlich für die Fähigkeit zu behaupten, eine Schwellung im Nacken zu haben. Wenn das der Fall ist, weiß man das Behauptete durch Beobachtung.152 Dass es sich dabei um ein grammatisches Merkmal handelt, wird deutlich, wenn man diese Überlegung auf Anscombes Ausführungen zu intentionalen Objekten bezieht. Wir hatten bereits gesehen, dass die Rede von Empfindungen und Wahrnehmungen ein intentionales Im Original heißt es mit Bezug auf die »separat beschreibbare Empfindung« sie sei »our criterion for saying something« (I: § 8.13). 152 So erläutert Anscombe diesen Gedanken in dem Aufsatz On Sensation of Pos­ ition: »When I say ›the sensation (e.g. of giving a reflex kick) is not separable‹ I mean that the internal description of the ›sensation‹ – the description of the sensation-con­ tent – is the very same as the description of the fact known; when that is so. I should deny that we can speak of observing that fact by means of the alleged sensation.« (Anscombe 1962/1981b: 72) Vgl. dazu auch die differenzierten Ausführungen bei Teichmann (2011: 13ff.), dessen Interpretation dieser Überlegungen zu »separat beschreibbaren Empfindungen« in eine ähnliche Richtung gehen. Er entwickelt sie allerdings mit epistemischen Begriffen im engeren Sinne. 151

118 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.4 Abgrenzungsfragen

Objekt angibt, d.h. ein Objekt unter einer Beschreibung. Wenn man etwas beobachtet, dann beobachtet man es unter einer Beschreibung, unter der das Beobachtete gesehen wurde. Das gilt, folgt man den Ausführungen in Intention, auch für Empfindungen. Der pochende Schmerz ist eine Weise, wie diese Empfindung gegeben ist und mit der das Bestehen einer Schwellung im Nacken angesprochen werden kann. Der gemeinsame Bezug auf dieses intentionale Objekt unter verschiedenen Beschreibungen macht es auch möglich, Irrtümer zu korrigieren. Jemand könnte zum Beispiel entgegnen: »Da ist keine Schwellung, es ist ein übler Kratzer.« Es gibt hier keine Asymmetrie in der Weise, wie das intentionale Objekt aus erstpersonaler oder drittpersonaler Perspektive thematisiert wird. In § 28, der diese The­ matik wieder aufnimmt, erläutert Anscombe diesen Gedanken fol­ gendermaßen: Bei den äußeren Sinnen […] ist es normalerweise möglich, so zu ver­ fahren. Damit meine ich folgendes: Wenn jemand sagt, er habe einen Menschen an einem bestimmten Ort stehen sehen, er habe jemanden umhergehen gehört oder gespürt, wie ein Insekt über seinen Körper gekrabbelt sei, kann man zumindest fragen, ob er eine Erscheinung, ein Geräusch oder ein Gefühl falsch beurteilt habe. Das heißt: Man kann ihn fragen, ob er nicht vielleicht dies gesehen habe, wobei man einen visuellen Effekt reproduziert, von dem er dann vielleicht sagt: ›Ja, so ist es – oder das könnte es sein –, was ich gesehen habe, und ich gebe zu, dass ich mir darüber nicht sicher sein kann.´ Das gleiche gilt für das genannte Geräusch und das Gefühl. (A: § 28.79f.)

Im Gegensatz dazu entfällt dieses logisch-grammatische Merkmal bei der Rede über die Lage der eigenen Körperteile. Tatsächlich muss man nicht über die Beschreibung »ich empfinde ein Kribbeln im Knie« verfügen, um sagen zu können, dass das eigene Knie gebeugt ist. Anscombe drückt das, nach meiner Deutung etwas missverständlich, in epistemologischer Terminologie aus: »Normalerweise ist es nicht möglich, irgend etwas ausfindig zu machen, das zeigt, daß das eigene Bein gebeugt ist.« (Ebd.: 79) Dennoch geht es auch hier nicht darum, ob eine Schlussfolgerung gezogen wird oder nicht oder ob dieses Wis­ sen dem Bewusstsein unmittelbar zugänglich ist oder nicht, sondern um das grammatische Merkmal: Beobachtungsfreies Wissen kann sinnvoll behauptet werden ohne sich auf etwas zu beziehen, das man unter einer anderen Beschreibung angeben kann. Es ist sogar aus­ drücklich nicht ausgeschlossen, dass man so etwas »aufgrund

119 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

bestimmter Empfindungen weiß, doch das bedeutet nicht«, wie Ans­ combe sogleich klarstellt, »daß man durch Identifizierung bestimmter Empfindungen zu diesem Wissen gelangt ist.« (Ebd.) Man erkennt das daran, dass man von jemandem, der sagt, sein Knie sei gebeugt, nicht erwarten würde, auch zu sagen, woher er das weiß. Anders als bei der Schwellung im Nacken ist es unmöglich, eine Beschreibung des Gefühls der Lage der eigenen Körperteile anzugeben, ohne von der Beschreibung der Lage der eigenen Körperteile Gebrauch zu machen: Die »Empfindung mit überkreuzten Beinen zu sitzen«, ist die Beschreibung der Tatsache »ich sitze mit überkreuzten Beinen«. Die Beschreibung ist der Empfindung insofern intern. Daraus kann man schließen: Es ist sinnlos, sich auf eine bestimmte Empfindung berufen zu wollen, um zu erklären, was einem das Wissen von der Lage der Körperteile vermittelt. Heißt das nun, dass dieses Wissen »unmittel­ bar« oder »grundlos« ist? Die Antwort ist: Nein. Gemeint ist nur: Die Fähigkeit, die Lage der eigenen Körperteile anzugeben, hängt nicht davon ab, über weitere Beschreibungen von Empfindungen zu verfü­ gen, die diese Lage beschreiben. Das ist ein grammatisches Merkmal der Rede über die Lage eigener Körperteile, das auch für unser Wissen von eigenen ungewollten Bewegungen gilt. Dass es sich dabei tat­ sächlich um ein Wissen handelt, kann man wiederum daran festma­ chen, so setzt Anscombe in § 8 fort, dass die Beschreibungen, mit denen dieses Wissen behauptet wird, wahrheitsdefinit sind. Auch das ist ein logisch-grammatisches Merkmal sowohl des Wissensbegriffs wie auch des Sprachspiels mit Beschreibungen ungewollter Bewe­ gungen, aber keine erkenntnistheoretische These. Anders als Beschreibungen des Ortes eigener Schmerzen, die dem eigenen beob­ achtbaren Verhalten widersprechen, sinnlos oder zumindest unver­ ständlich sind, so sind Beschreibungen eigener Körperteile, die nicht zutreffen, schlicht falsch. Man wird in diesem Fall gerade nicht behaupten, jemand habe eine »Erscheinung« oder ein »Gefühl« falsch beurteilt (wie bei der Schwellung des Nackens, die sich als Kratzer erweist).153 Wiseman betont die Rolle von Irrtümern bei ihrer Erläuterung dieser Passagen (vgl. Wiseman 2016a: 83–92, hierzu insbesondere 90). Selbstverständlich folgt daraus nicht, dass alles Wissen durch Beobachtung epistemisch über Empfindungen vermittelt ist. Es heißt nur, dass die Rede von »Beobachtungen« in Sprachspiele über Erscheinungen und ihre Beurteilung eingebettet ist. In dieser Hinsicht hat der Phä­ nomenalismus, d.h. die erkenntnistheoretische Position, wonach der primäre Gegen­ 153

120 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.4 Abgrenzungsfragen

So lässt sich auch die sehr dichte Passage interpretieren, in der Anscombe eine Reflexbewegung als Beispiel für eine ungewollte Bewegung diskutiert (vgl. ebd.: 30). Der springende Punkt scheint auch hier zu sein, dass man über »die Empfindung, die man hat, wenn man im Fahrstuhl nach unten fährt« nur reden kann, wenn man auch über Beschreibungen verfügt, mit deren Hilfe diese Empfindung auch noch beschrieben werden kann, also »separat beschreibbare Empfindungen«. Wenn zum Beispiel jemand sagt »ich hatte gerade eine Empfindung, wie wenn man mit dem Fahrstuhl nach unten fährt«, dann ist vorausgesetzt, dass diese Person auch sagen kann, wie diese Empfindung ist, zum Beispiel gegenüber jemandem, der noch nie mit einem Fahrstuhl gefahren ist. Die Antwort könnte dann lauten: »Wenn man eine bestürzende Nachricht hört, dann hat man dieses Gefühl.« (Ebd.: 31)154 Dass es unterschiedliche Beschreibungen gibt, unter der man diese Empfindung thematisieren kann, ist eine Voraussetzung sinnvoller Rede über solche Empfindungen und ihrer Identifikation (d.h. um sagen zu können, dass man sie hat). Bei den Reflexbewegungen des Beins verhält es sich gerade nicht so: Es gibt keine Beschreibung einer Empfindung, wie es ist, eine Reflexbewe­ gung zu machen, ohne zu sagen, dass man eine Reflexbewegung macht. Wie beim Wissen über die Lage der eigenen Körperteile muss ich nicht über Beschreibungen anderer Empfindungen verfü­ gen, um sagen zu können, dass ich eine Reflexbewegung gemacht habe, noch nicht einmal dann, wenn ich nur dachte, eine solche Bewegung gemacht zu haben. Es gibt demnach Bereiche unseres geistigen Lebens, über die wir nur dann sinnvoll etwas sagen können, wenn wir andere Beschreibungen anführen. Das gilt auch, wie wir schon gesehen haben, für die Rede über raum-zeitlich identifizierbare Erscheinungen. Es gibt aber auch andere Aspekte unseres geistigen Lebens – dazu gehören die ungewollten Bewegungen –, die wir mit dem Anspruch auf Wissen beschreiben können, ohne auf separate beschreibbare Empfindungen zurückgreifen zu müssen. Dieses Wis­ sen beruht im erläuterten Sinn nicht auf Beobachtung, es beruht aber auch nicht auf einer besonderen erstpersonalen Autorität oder einem privilegierten Zugang zum eigenen geistigen Erleben. Ob die Reflex­ stand von Erkenntnis Erscheinungen sind, nach Anscombe durchaus einen richtigen Punkt getroffen (vgl. A: § 28.80.Fn 4). 154 Vgl. wiederum Anscombe 1962/1981b: 72: »The sensation of going down in a lift is a sensation of sudden lightness and as it were of one’s stomach’s lurching upwards: ›of going down in a lift‹ is not an internal description of the sensation.«

121 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

bewegung gemacht wurde oder nicht, ob jemandes Bein gestreckt oder gebeugt ist, liegt nämlich völlig offen zutage und verweist nicht auf private Erlebnisse, die nur erstpersonal zugänglich sind. Dennoch weiß man von der Lage der eigenen Körperteile oder von ungewollten Bewegungen auf andere Weise als man von Schwellungen am Nacken weiß, und man kann sich auch auf andere Weise irren bzw. Irrtümer feststellen oder korrigieren. Nach dieser Interpretation wird die Differenz »beobachtungsba­ siert« vs. »ohne Beobachtung« als eine grammatische Unterscheidung eingeführt und erläutert. Diesen methodischen Sinn der Unterschei­ dung muss man auch im Blick behalten, wenn Anscombe im weiteren Verlauf das Wissen von den eigenen absichtlichen Handlungen als ein Wissen ohne Beobachtung bestimmt. Im Kontext der Argumentation von § 8 hat die grammatische Unterscheidung außerdem eine kriti­ sche Funktion. Sie soll nämlich das Vorurteil beseitigen, wonach das Wissen von eigenen unwillkürlichen Bewegungen nur über erstper­ sonal zugängliche Empfindungen vermittelt sei. Der philosophische Ertrag dieser Untersuchung liegt nicht zuletzt in dieser Einsicht. Wei­ tere Fragen nach epistemischen Merkmalen dieses Wissens stellen sich nach dieser Klärung nicht. Und tatsächlich erfahren wir über die Natur dieses Wissens an dieser Stelle nicht sehr viel mehr. Dabei hat die Untersuchung, wie Wiseman festhält, einen weiteren wichtigen logisch-grammatischen Zusammenhang offen gelegt: Die Möglich­ keit, etwas zu sagen und sich zu irren, ist dem Wissen von der Lage der eigenen Körperteile, dem Wissen von eigenen ungewollten Bewe­ gungen und, – was im weiteren Verlauf noch deutlicher werden wird – dem Wissen von absichtlichen Handlungen gemeinsam (vgl. Wise­ man 2016a: 92). Zweifellos hat das etwas mit dem Unterschied zwi­ schen der erst- und der drittpersonalen Perspektive zu tun. Wie diese Unterscheidung angemessen gefasst werden kann, ist noch unklar. Die bisherigen Überlegungen sollten allerdings schon misstrauisch gegen allzu einfache Erläuterungen entlang der Differenz »innen« und »außen« bzw. »privat« und »öffentlich« machen. Mit der Unterscheidung von Wissen, das auf Beobachtung beruht und Wissen ohne Beobachtung können durch Gegenüberstel­ lung der Beispiele a) und b) die ersten Fälle identifiziert werden, bei denen die Warum-Frage abgewiesen werden kann. Das ist dann mög­ lich, wenn man etwas im soeben erläuterten Sinn nur beobachtet hat. Hier kann man sagen: „›Ich wusste, daß ich das tat, aber nur weil ich es beobachtet habe‹ […]. Ein Beispiel ist der Fall, indem man merkt,

122 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.4 Abgrenzungsfragen

daß man beim Überqueren der Straße die Verkehrsampel betätigt.« (A: § 8.30) Dazu gehören aber auch unwillentliche Körperbewegun­ gen, wie die unter a) genannte peristaltische Darmbewegung. Von anderen unwillentlichen Körperbewegungen, wie die unter b) als paradigmatisch angeführten hypnagogen Zuckungen, unterscheidet sie sich dadurch, dass die Ursache für letztere auf Beobachtung beruht (vgl. ebd.: 31). Wie lassen sich aber auf dieser Grundlage die Ein­ schlafzuckungen von den beiden anderen Beispielen für unwillentli­ che Handlungen, nämlich c) (zurückziehen der Hand) und d) (unwill­ kürlicher Vorteil) unterscheiden, ohne in den drohenden Zirkel zu geraten?

Mentale Ursachen Um diese Frage zu beantworten, erweitert Anscombe den Bereich der Dinge, die man ohne Beobachtung wissen kann um eine bestimmte Art von Ursachen, für die sie den Terminus »mentale Ursachen« (A: § 10.32, kursiv i. Orig.) reserviert. In der zeitgenössischen Philoso­ phie des Geistes werden unter dem Titel »mentale Verursachung« Fragen der kausalen Interaktion von innen und außen bzw. von men­ talen und physikalischen Ereignissen diskutiert. Ausgangspunkt für diese Debatte ist die Auseinandersetzung mit Davidsons anomalem Monismus.155 Gegenüber den Ausführungen in Intention ist das frei­ lich eine Verschiebung der Thematik, bei der Anscombes ursprüng­ liche Idee aus dem Blick geraten ist.156 Es ging ihr nämlich vor allem darum, eine Form von Kausalität ins Spiel zu bringen, die nicht nur das seit Hume verbreitete Verständnis von Kausalität erweitern, son­ dern geradezu als Gegenbeispiel für sein Modell der Ereigniskausa­ lität gelten kann.157 Im Kontext des Abgrenzungsverfahrens hat dieser Vgl. Davidson 1970/1990 und dazu Kap. 2.4, S. 41, Fn. 48. Nachdem sich Davidsons kausale Handlungstheorie durchgesetzt hatte, wurde das Thema der mentalen Verursachung nur noch als Sonderproblem dieses Ansatzes wahrgenommen. Für einen Überblick über diese Debatte vgl. Crane 1995 und Robb/ Heil 2021, die bezeichnenderweise Anscombe gar nicht mehr erwähnen. Für eine Auseinandersetzung und Verteidigung von Anscombes Konzeption der mental cause vgl. Teichmann 1961. 157 Vgl. A: § 10.33: »Man beachte, daß diese Art von ›Kausalität‹ so weit davon ent­ fernt ist, sich den Erklärungen Humes zu fügen, daß sie von Autoren, nach deren Ansicht Hume praktisch alles Relevante über das Thema Kausalität gesagt hat, bei 155

156

123 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

Begriff außerdem die Funktion, Motive und Ursachen bei der Erklä­ rung von Handlungen zu unterscheiden. Auf diesen Gedanken komme ich noch zurück. In den §§ 9 bis 11 gibt Anscombe eine Reihe von Beispielen, die das Phänomen der mentalen Verursachung einkreisen und seine Rele­ vanz im Rahmen ihres Abgrenzungsverfahrens beleuchten sollen. Das erste findet sich allerdings schon in § 5, ein weiteres am Ende von § 8. Erst im weiteren Verlauf wird klar, dass es Beispiele für men­ tale Verursachung waren: (1) »›Warum bist du plötzlich so zurückgefahren?‹ – ›Der Sprung, den das Krokodil gemacht hat, und sein lautes Brüllen haben mich zurück­ schrecken lassen.‹« (A: § 8.31) Die weiteren Beispiele sind: (2) »›Warum hast du die Tasse vom Tisch hinuntergestoßen?‹ […] ›Ich habe das und das gesehen, und das hat mich zusammenzucken las­ sen.‹« (A: § 9.32, kursiv i.Orig.)158 (3) »Die Militärmusik bringt mich in Schwung, darum marschiere ich auf und ab« (A: § 10.32) ihren Überlegungen völlig übergangen wird. Wenn man sie darauf aufmerksam machte, würden sie wohl geltend machen, das Wort ›Ursache‹ sei hier nicht angebracht oder es sei ganz mehrdeutig. Denkbar ist auch, daß sie versuchen würden, die Sache, soweit es um die Erkenntnis der Ursache durch den außenstehenden Beobachter geht, im Sinne Humes zu erklären; aber die Seite der betroffenen Person dürfte unberück­ sichtigt bleiben.« Diese Feststellung trifft nicht zuletzt auch auf Davidson zu (vgl. z.B. seine Bemerkungen in Davidson 1978/1990: 125). So setzt die an Davidson anknüp­ fende Debatte über mentale Ursachen den von Anscombe kritisierten Kausalitätsbe­ griff voraus. Hume gibt in seinem Treatise of Human Nature zwei Definitionen von Kausalität: »We may define a CAUSE to be ›an object precedent and contiguous to another, and where all the objects resembling the former are plac’d in like relations of precedency and contiguity to those objects, that resemble the latter.‹« (Treatise, 1.3.14: 114, Herv. i. Orig.) Die zweite lautet: »A CAUSE is an object precedent and contiguous to another, and so united with it, that the idea of the one determines the mind to form the idea of the other, and the impression of the one to form a more lively idea of the other.« (Ebd., Herv. i. Orig.) Keine dieser Definitionen deckt das Phänomen ab, das Anscombe als mentale Ursache diskutiert. 158 Es variiert leicht das Beispiel in A: § 5.23.

124 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.4 Abgrenzungsfragen

(4) »Ein Kind erblickt auf dem Treppenabsatz ein Stück roten Stoff und fragt, was das denn sei. Nun glaubt das Kind, das Kindermädchen habe gesagt, es handle sich um ein Stück vom Satan, und ängstigt sich schrecklich. (Das Kindermädchen hat vermutlich gesagt, es sei ein Stück Satin.)« (Ebd.) Ein allen diesen Beispielen gemeinsames Merkmal ist, dass das Wissen um die fragliche Ursache nicht auf Beobachtung beruht. Im Hinblick auf Beispiel (1) präzisiert Anscombe: »(Das soll nicht heißen, dass ich das Brüllen des Krokodils nicht beobachtet habe; aber ich habe nicht beobachtet, dass mich das Brüllen zum Zurückfahren veranlaßt hat.)« (A: § 8.31) Oder anders formuliert: »die Ursache selbst qua Ursache (oder vielleicht vielmehr: die Verursachung selbst) [gehört] zur Klasse der Dinge […], die man ohne zu beobachten weiß.« (A: § 9.32)159 Das gilt so auch für die anderen Beispiele, und es erklärt, warum die Fälle, in denen eine Bewegung durch Verweis auf eine mentale Ursache erklärt wird, zugleich die Fälle sind, in denen es besonders schwer ist, Ursachen und Gründe zu unterscheiden – ein Punkt, den Anscombe eigens hervorhebt (vgl. ebd.). Die in diesen Beispielen genannten Antworten auf Warum-Fragen geben zwar jeweils Gründe für eine bestimmte Bewegung oder Reaktion an. Bei genauer Betrachtung handelt es sich aber um einen bestimmten Typus von Ursachen. Diese Feststellung ist besonders wichtig für die Frage nach dem Zusammenhang von rationalen und kausalen Handlungs­ erklärungen. Man könnte diese Beobachtung Anscombes allerdings auch gegen ihre eigene These wenden. Handelt es sich in diesen Fällen überhaupt um kausale Verhältnisse? Und was ist hier genau damit gemeint, dass man diese Art von Ursachen nicht beobachtet? Rachael Wiseman, die diese Fragen diskutiert, unterscheidet mit Rückgriff auf den Aufsatz The Causation of Action zwei Arten von kausalen Untersuchungen im Zusammenhang mit Handlungen (vgl. Wiseman 2016a: 94f.). Um die Frage zu beantworten, warum eine Tür geschlos­ sen wurde, könnte man eine kausale Kette rekonstruieren, sofern man die Frage so auffasst. Die Untersuchung führt dann ausgehend vom Man beachte, dass Anscombes Kriterium für Wissen ohne Beobachtung bei mentalen Ursachen erfüllt ist. Es gibt für die Beschreibung der Ursache keine separat beschreibbare Empfindung, um zu sagen, dass man zurückgesprungen ist oder seine Hand weggezogen hat usw. 159

125 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

direkt beobachtbaren Mechanismus in den Bereich der menschlichen Physiologie. Anscombe schreibt: The door moved because of the push from the arm of the mechanism; that happened because of the expansion of a spring; that, because of the previous movement of the door in the other direction; that because of the push of a hand; that because of the placing of the hand and the extension of the arm; that, because of the contraction of the muscles; this last because of the message down the efferent nerves. (Anscombe 1983/2005: 92)

Diese Art von Fragen kommen allerdings irgendwann an ein Ende, so Anscombes Überlegung an dieser Stelle: »No one knows in this line of causes unless he is helped by information of a different sort: it can be told that the man shutting the door was, say, obeying an order or had caught sight of something that made him want to shut the door.« (Ebd.) Man muss also einen Schritt zurückgehen (»step back« (ebd.: 97)) und Informationen einbeziehen, die den weiteren Kontext des Geschehens in die Erklärung aufnehmen. Erst dann wird klar, dass die Impulse in den afferenten Nerven relevant für die physiologische Erklärung des Vorgangs sind: To know that the impulses in these afferent nerves are relevant, we have to make a judgement that the action was an immediate reaction to an external stimulus; was e.g., obeying an order just given […]. Recognizing that is recognizing a pattern of a different sort from the patterns of elementary physical causation. (Ebd.: 93)160

Die erste Form kausaler Erklärung ist, wie Wiseman betont, davon abhängig, dass man schon die zweite Erklärungsform beherrscht, also in diesem Beispiel die mentale Ursache in Form des Befehls identifiziert hat, die diese Person dazu gebracht hat, die Tür zu schlie­ ßen (vgl. Wiseman 2016a: 95). Nur vor diesem Hintergrund erhält die weitere physiologische Erklärung des Vorgangs einen Anhalts­ punkt. Es kommt also darauf an, sich die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Formen und Aspekten kausaler Erklärungen genauer zu vergegenwärtigen, um zu sehen, dass mentale Ursachen ein eige­ nes, irreduzibles kausales Erklärungsmuster sind. Diese Überlegung bestätigt auch das bereits erzielte Ergebnis: Unwillentliche Bewegun­ Anscombe vergleicht dort dieses Verfahren mit der Fähigkeit, eine Figur in einem pointillistischen Gemälde zu erkennen, um eine Reihe von Farbpunkten zu verbinden. Dazu Wiseman 2016a: 96.

160

126 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.4 Abgrenzungsfragen

gen sind solche, die nur physiologische Erklärungen der ersten Art, also »elementare« kausale Erklärungen zulassen, die auf Beobachtung beruhen. Anscombes Beispiele waren Reflexbewegungen und die als Beispiel b) angeführten hypnagogischen Bewegungen. Das Zusammenspiel unterschiedlicher kausaler Erklärungsfor­ men wirft auch ein Licht auf die Frage, ob es Ursachen geben kann, von denen man nur Wissen ohne Beobachtung hat. Diese Frage zu verneinen, würde bedeuten, wie Wiseman ebenfalls festhält, zu bestreiten, dass es kausale Erklärungen aus der Perspektive der »betroffenen Person« (A: § 10.31) geben kann, d.h. eine, wie Wiseman schreibt, »irreducibly relate to the agent’s own account of what it was that she was responding to – an order, an itch, a flash of anger – when she acted as she did.« (Wiseman 2016a: 96) Diese Möglichkeit zu sichern, war aber gerade die gegen das Hume’sche Kausalitätsver­ ständnis gerichtete Pointe Anscombes. Das erklärt die Bezeichnung »mentale Verursachung.« Sie schreibt dazu: Eine mentale Ursache ist etwas, was man zur Beantwortung der spe­ zifischen Frage angeben würde, was denn diese Handlung, diesen Gedanken oder dieses Gefühl bei einem hervorgerufen habe; welche Vorstellungen einem in den Sinn gekommen seien und zur Handlung geführt hätten. (A: § 11.34)161

Mentale Ursachen kommen also nicht nur bei Handlungen vor, son­ dern auch bei Gedanken oder Gefühlen. Dazu passt das Beispiel des Kindes (4), das vor einem roten Stück Stoff zurückschreckt. Anscombe führt es ein mit dem Hinweis, dass zwischen mentalen Ursachen und dem Gegenstand der Gefühle, die auf diese Weise verursacht werden, unterschieden werden muss: »Das Kind«, erläutert Anscombe, »fürchtet sich vor dem Stück Stoff, doch die Ursache seiner Angst ist die Bemerkung des Kindermädchens« (A: § 10.32f.) 161 Solche Bemerkungen könnte man vor Augen haben, wenn man an heutige Debat­ ten zur mentalen Verursachung denkt. Anscombe hält aber ausdrücklich fest, dass mentale Ursachen keine mentalen Vorgänge sein müssen, »sondern es könnte sich auch um ein Klopfen an der Tür handeln.« (A: § 11.34) Sie ist nur insofern ein bewuss­ tes mentales Vorkommnis, als sie »etwas von der betroffenen Person Wahrgenom­ menes« (ebd.: 35) ist. Die Bezeichnung »mental« verweist hier also nur auf die Per­ spektive der betroffenen Person, die wesentlich zur kausalen Erklärung einer Handlung oder Bewegung gehört (vgl. Wiseman 2016a: 97, die diese Differenzierung sehr gut herausarbeitet). Erklärungen durch mentale Ursachen sind außerdem nicht nur bei Handlungen möglich, wie das dritte Beispiel aus unserer Liste (Militärmusik) zeigt.

127 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

Es lohnt sich, die Implikationen dieser Überlegungen zusam­ menzuführen und sie dabei Ryles Kriterium für unwillentliche Hand­ lungen gegenüber zu stellen: Sowohl nach Ryle als auch nach Ans­ combe hätte die Person, die vor dem Krokodil zurückschreckt, ihre Bewegung nicht verhindern können. Daher wird man diese Person dafür weder loben noch tadeln. Es handelt sich demnach um eine ungewollte Handlung – die Begründung ist aber bei Anscombe eine andere. Während Ryle, wie wir schon gesehen hatten, den evaluativen Aspekt für ausreichend hält, um diese Handlung als ungewollt zu beschreiben, ist nach Anscombe eine weitere Differenzierung nötig. Diese Bewegung muss ihrerseits von bloßen Reflexen oder Bewe­ gungen wie Einschlafzuckungen abgegrenzt werden, ohne den Begriff der Absicht vorauszusetzen. Unwillentliche Bewegungen sind dann solche, von denen man ohne Beobachtung wissen kann, deren Ursa­ chen aber nur beobachtet werden können.162 In allen Beispielen für mentale Verursachung wird die Ursache als Ursache, wie wir gesehen haben, nicht beobachtet. Darin unterscheiden sich Bewegungen, die mit mentalen Ursachen erklärt werden, von Bewegungen wie Ein­ schlafzuckungen. Wir sehen jetzt genauer als nach Ryles Kriterien ein, wie sich die Beispiele b) und c) voneinander unterscheiden. Bei den hypnagogen Zuckungen können wir einfach feststellen, dass die Bewegung unwillentlich geschah, weil es dafür eine kausale, physio­ logische Erklärung gibt, die auf Beobachtung beruht. In der Termino­ logie des Thomas von Aquin, die ich in Kap. 2.4 eingeführt habe, han­ delt es sich nicht um eine »menschliche Tätigkeit« im eigentlichen Sinn. Die Bewegung wird mit dem Hinweis auf beobachtbare Ursa­ chen erklärt, während jemandes plötzliches, unwillkürliches Zurück­ ziehen der Hand durch eine mentale Ursache erklärt wird, von der die Person ohne Beobachtung weiß. Diese Differenzierung gegenüber Ryle erlaubt es außerdem, mentale Ursachen sowohl zur Erklärung unwillentlicher als auch willentlicher, sogar absichtlicher Handlungen heranziehen zu können.163 So kann jemand den Wunsch nach einem Apfel verspüren und den Schrank öffnen. Die Warum-Frage könnte 162 Vgl. A: § 9.31 (kursiv i. Orig.): »Diese Klasse der unwillkürlichen Handlungen ist demnach die Klasse der rein physikalisch beschriebenen Körperbewegungen, von denen man ohne Beobachtung weiß und bei denen so etwas wie eine ohne Beobach­ tung erkannte Ursache nicht hinzukommt.« 163 Die darin implizierte Kritik an Ryles dispositionaler Auffassung von Kausalität im Hinblick auf menschliches Handeln arbeitet Schwenkler (2019: 35–37) heraus.

128 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.4 Abgrenzungsfragen

diese Person mit Verweis auf die plötzlich aufgekommene Lust auf einen Apfel beantworten (vgl. A: § 11.33f). Die Lust würde bei dieser Erklärung als mentale Ursache verstanden. Die Antwort ist aber nicht hinreichend, um eine Handlung als absichtlich zu beschreiben.164 Die Warum-Frage spezifiziert in solchen Fällen keinen Handlungsgrund. Daher kann der Verweis auf die mentale Ursache auch dazu dienen, die Warum-Frage abzuweisen. Anscombe wird dieses Ergebnis in § 16 festhalten.

Motive und Ursachen Die Untersuchung der Fälle, in denen die Warum-Frage abgewiesen werden kann, ist damit fast abgeschlossen. Ein Handlungsgrund wird immer dann ausgeschlossen, wenn die fragliche Bewegung durch eine Ursache erklärt wird.165 Mit Hilfe der weiteren Unterscheidung zwischen beobachtungsbasiertem Wissen und Wissen ohne Beob­ achtung lassen sich dann unwillentliche Bewegungen von unwillentli­ chen Handlungen unterscheiden, wobei letztere durch eine mentale Ursache erklärt werden können. Während diese Abgrenzungen von Beispiel b) ausgegangen sind und so im Bereich der unwillentlichen Bewegungen bzw. Handlungen differenziert werden konnte, nutzt Anscombe nun das Phänomen der mentalen Verursachung, um die Fälle zu untersuchen, in denen die Warum-Frage im für absichtliche Handlungen relevanten Sinn eine Anwendung hat. Das ist auch Anscombe schreibt daher direkt nach diesem Beispiel: »Es ist allerdings nicht in allen Fällen so, daß sich ›ich habe das und das getan, um zu…‹ durch ›ich habe den Wunsch nach … gespürt und ….‹ untermauern läßt. So kann es beispielsweise sein, daß ich bloß ein Klopfen an der Tür höre und nach unten gehe, um aufzumachen, ohne einen solchen Wunsch zu empfinden.« (A: § 11.34, kursiv i. Orig.) 165 Vgl. A: § 17.45 (kursiv i. Orig.): »Wie wir gesehen haben, ist die Frage nicht zuge­ lassen, wenn die Antwort des Akteurs lautet ›es war mir nicht bewußt, daß ich das tat‹, sowie auch dann nicht, wenn die Feststellung ›Ich habe es beobachtet, daß ich das getan habe‹ von der Antwort impliziert wird. Ferner gab es eine dritte Situation, in der die Frage keine Anwendung hätte, nämlich die Situation, in der die Handlung irgendwie als eine charakterisiert wird, in der für die hier so bezeichnete mentale Kausalität kein Platz ist. Das würde deutlich werden, wenn man einer Frage nach der Ursache nur beikommen könnte, indem man Mutmaßungen darüber anstellen oder Gründe dafür nennen würde, weshalb das und das als Ursache angesehen werden sollte.« Das entspricht den Beispielen a) (Darmbewegungen) und vor allem b) (Ein­ schlafzuckungen), auf die Anscombe an dieser Stelle auch noch einmal explizit ein­ geht. 164

129 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

konsequent, denn der Begriff der Ursache kann nun ohne Zirkel für die weitere Untersuchung genutzt werden. Es wird sich allerdings zeigen, dass eine schlichte Gegenüberstellung von Erklärungsformen entlang der Differenz Ursache vs. Grund nicht ausreicht. Die Zusammen­ hänge sind komplexer als es diese einfache Dichotomie suggeriert. Wie bereits erwähnt, identifiziert Anscombe drei Fälle, in denen die Warum-Frage einen Sinn hat: Die Antwort weist auf ein vergan­ genes Geschehen, sie interpretiert die Handlung, oder sie verweist auf etwas Zukünftiges (vgl. A: § 16). Die Untersuchung, die zu diesem Ergebnis führt, ist allerdings einigermaßen unübersichtlich und folgt nicht dieser Dreiteilung. Anscombe legt einerseits großen Wert darauf, dass mentale Ursachen von Motiven unterschieden werden (vgl. A: § 12.38). Dabei dient § 12 dazu, diese Behauptung zu plausi­ bilisieren, und zur Problematisierung einer aus der philosophischen Tradition bekannten Art, Motive von Absichten zu unterscheiden. Andererseits erläutert sie dabei Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Motiven, Absichten und Handlungsgründen, und zwar jeweils in Abgrenzung vom Phänomen der mentalen Verursachung. Darin eingeflochten ist eine Unterscheidung zwischen drei Arten von Motiven – rückwärtsgerichtete Motive, zukunftsgerichtete Motive und Generalmotive, die sie auch als interpretative Motive bezeichnet (backward-looking motives, forward-looking, motives-in-general).166 Diese Dreiteilung deckt sich allerdings nicht mit den drei Fällen, in denen die Warum-Frage einen Sinn hat. Anscombe setzt in § 12 mit der Beobachtung ein, dass in philo­ sophischen Zusammenhängen Motive als Ursachen begriffen und von Absichten unterschieden werden: »Die Absicht einer Person ist das, was sie anstrebt oder wählt, während ihr Motiv das sei, was das Ziel oder die Wahl bestimmt, wobei ›bestimmt‹ hier vermutlich ein anderes Wort für ›verursacht‹ ist.« (A: § 12.35)167 Motive werden hier Abgegrenzt, um sie als Ursachen im Sinne von »Bestimmungs­ 166 Connolly/Keutner übersetzen: rückschauende, vorwärtsschauende Motive und Motive-im-Allgemeinen (vgl. Anscombe 1986: 30–40). 167 Man könnte an Aristoteles denken: »Ursprung (arché) einer Handlung – im Sinn des Ursprungs der Bewegung (hothen he kinesis), nicht des Zwecks (hou heneka) – ist ein Vorsatz (prohairesis), und der Ursprung des Vorsatzes ist das Streben und die Überlegung, die auf einen Zweck gerichtet ist.« (NE VI, 1139a, 31–35, kursiv. i. Orig.) Thomas von Aquin thematisiert die Motive des Handelns in STh Ia-IIae, q. 9 unter dem Titel »De motivo voluntatis«, d.h als Frage, wie es zum Willensakt kommt. Untersucht werden hier die Motive als Ursachen des Willensaktes. Diese Frage unterscheidet er von der Frage, worauf sich das Wollen als Gewolltes bezieht

130 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.4 Abgrenzungsfragen

gründe[n] von Entscheidungen« (ebd.: 37) thematisieren zu können. In der Alltagssprache hat diese Art der Unterscheidung keine Grund­ lage. Ein Motiv kann hier manchmal durchaus auf etwas Zukünftiges verweisen (z.B. in Wendungen wie »Sein Motiv war der Profit« (ebd.: 36)). In anderen Kontexten werden Motive dagegen von Absichten unterschieden: »Wenn jemand beispielsweise einen Menschen umbringt, kann es heißen, er habe aus Liebe und Mitleid oder aber aus Haß gehandelt.« (Ebd.) Die Absicht könnte dann, wenn das Motiv Haß war, in einer Wendung wie »um das Schwein kalt zu machen« (ebd.) ausgedrückt werden. Für die Alltagssprache kann man festhal­ ten, dass »›Handlungsmotiv‹ umfassender und vielfältiger angewen­ det wird als ›Absicht, mit der die Handlung vollzogen wird.‹« (Ebd.) Solche Beobachtungen zur Alltagssprache erinnern nur daran, dass die »philosophische« Festlegung entlang der Unterscheidung von Motiv als Ursache vs. Absicht als in der Zukunft liegendes Ziel zu voraussetzungsreich ist, um die Fälle herauszuarbeiten, in denen die Warum-Frage den spezifischen Sinn hat, einen Handlungsgrund zu geben. Es droht hier zudem immer wieder die Gefahr, in den ange­ zeigten Zirkel zu geraten. Den philosophischen Unterscheidungen zwischen Motiven als Ursachen vs. Absichten und der damit einher gehenden Unterschei­ dung von Ursachen vs. Gründen stellt sie daher eine Unterscheidung zwischen Motiven, Absichten und Handlungsgründen vs. mentalen Ursachen gegenüber. Daher ist es auch so wichtig, die Existenz mentaler Verursachung anzuerkennen, ohne jedoch ihren Anwen­ dungsbereich »auf Entscheidungen oder willentliche bzw. absichtliche Handlungen« (ebd.: 38) zu beschränken. Nicht alle Handlungsgründe verweisen auf Absichten, manchmal geben sie auch ein Motiv an und »es gibt Anwendungen des Ausdrucks ›Motiv‹, die sich nicht mit den Anwendungen des Ausdrucks ›die Absicht, mit der jemand handelt‹ decken.« (Ebd.)

Drei Arten von Motiven Als Beispiele für rückwärtsgerichtete Motive nennt Anscombe Rache oder Dankbarkeit (vgl. A: § 13.38). Wie man sich leicht klar machen (STh Ia-IIae, q. 8), und diese beiden Fragen wiederum von den Fragen nach Absicht (intentio) und Wahl (electio) in STh Ia-IIae, q. 12, respektive q. 13.

131 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

kann, greift die Warum-Frage in solchen Fällen einen Handlungs­ grund heraus. Auf die Frage »warum hast du x umgebracht?« könnte die Antwort lauten: »aus Rache« oder »weil er meinen Vater umge­ bracht hat« oder auch »ich habe ihn getötet, um mich zu rächen.« Wie Rachael Wiseman bemerkt, ist es dabei nicht nötig, dass die antwor­ tende Person selbst über den Begriff der Rache verfügt: »The motive of revenge looks backward to some harm that was done to me, which I now take as a reason to harm; that I kill because he killed my father characterizes my murder as revenge.« (Wiseman 2016a: 100) Der Zusammenhang der gegenwärtigen Handlung mit dem schädlichen Ereignis in der Vergangenheit, der durch den angegebenen Grund hergestellt wird, reicht für diese Charakterisierung aus. Das wird noch deutlicher, wenn man das rückwärtsgerichtete Motiv einer mentalen Ursache – man kann hier wieder an das Zurückschrecken angesichts des brüllenden Krokodils denken – gegenüberstellt. Der Unterschied zur mentalen Ursache liegt im evaluativen Aspekt, der mit dem ver­ gangenen Ereignis verbunden ist. Anscombe erläutert das so: Muß eine Handlung vom Akteur irgendwie nutzbringend oder schä­ digend und etwas Vergangenes als gut oder schlecht aufgefaßt werden, damit dieses Vergangene der Handlungsgrund sein kann, verweist die­ ser Grund nicht auf eine mentale Ursache, sondern auf ein Motiv. Das wird aus den Ausführungen des Akteurs zu seiner Antwort auf die Warum-Frage hervorgehen. (A: § 14.41)168

Weitere Beispiele wären Dankbarkeit, Mitgefühl oder Reue (ebd.: 40). Für rückwärtsgerichtete Motive gilt generell, dass mit ihnen auf 168 Anscombe hatte schon vorher betont, dass zur Erklärung der Rache »eine Beschreibung der die Handlung auslösenden Gefühle oder der damit einhergehenden Gedanken« (A: § 13.38) unnötig wäre. »Rache« ist übrigens auch keine Ursache im Sinne der dispositionalen Theorie von Gilbert Ryle. Anscombe bezieht sich direkt auf eine Stelle in The Concept of Mind, die sie so versteht als würde Ryle meinen, man »könne nur dann von jemandem behaupten, er habe aus Eitelkeit geprahlt, wenn er sich immer oder zumindest sehr, sehr häufig eitel benimmt.« (Ebd.) Das ist in der Tat nicht besonders plausibel. Ryle argumentiert in dem von Anscombe zitierten Abschnitt gegen die empiristische These, dass die Ursache des Prahlens »das Vor­ kommnis eines besonderen Eitelkeitsimpulses oder eines besonderen Eitelkeitsge­ fühls« (Ryle 1949/1969: 116) im Handelnden sei. Zu seiner eigenen merkwürdigen Analyse sieht sich Ryle anscheinend gedrängt, weil er als Alternative zu dieser Form von Kausalität nur die eigene dispositionale Theorie vor Augen hatte. Anscombe unterscheidet dagegen zwischen Ursachen, die auf Beobachtung beruhen, mentalen Ursachen, von denen man ohne Beobachtung weiß und Handlungsgründen bzw. Motiven. Zur Kritik an Ryle vgl. Schwenkler 2019: 38f.

132 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.4 Abgrenzungsfragen

je bestimmte Weise die Unterscheidung von gut und schlecht bzw. böse ins Spiel kommt.169 Damit wird ein Spielraum für die Beurteilung möglicher Begründungen eröffnet; etwas, das der Verweis auf eine mentale Ursache nicht leisten kann: Könnte man beispielsweise nachweisen, daß eine Handlung, für die – oder durch die – er sich gerächt hat, völlig harmlos oder wohltätig war, sind seine Worte keine Begründung mehr, es sei denn er stellt ihnen ein ›ich glaubte…‹ voran. Falls es sich um eine geplante Rache handelt, gibt er sein Vorhaben entweder auf, oder er ändert seine Begründung. (Ebd.: 42)

Diese Bemerkung verdeutlicht, welche Rolle die Angabe von Hand­ lungsgründen nicht nur in der Erklärung, sondern auch in der Beur­ teilung des Handelns anderer und sogar der Weisen, wie wir, wie Wiseman bemerkt, auf unser Handeln gegenseitig Einfluss nehmen, spielt (vgl. Wiseman 2016a: 102).170 Erst im Zusammenhang mit der Beschreibung dieser Praxis, die ein Verständnis von Handlungsgrün­ den in Form von rückwärtsgerichteten Motiven ins Spiel bringt, kann auch das bisher noch nicht erläuterte vierte Beispiel (d) für Unwil­ lentliches erläutert werden: »Wenn ich etwas aus Rache tue, was dem Feind in Wirklichkeit nicht schadet, sondern Vorteile bringt, ist meine Handlung, insofern als sie als eine für ihn positive beschrieben wird, keine willentliche.« (A: § 14.40)171 Um so eine Handlung als unwil­ lentlich zu beschreiben, setzt man bereits den Begriff des Handlungs­ 169 Damit ist freilich noch nichts darüber gesagt, welche Funktion die praktischen Reflexionsbegriffe gut/schlecht im Zusammenhang mit absichtlichem Handeln gene­ rell haben (vgl. A: § 14.42). Das wird erst im Zusammenhang mit der Erläuterung des praktischen Syllogismus geklärt. Vgl. dazu A: § 39 und Kap. 6.3. 170 In § 15 heißt es im Hinblick auf die Unterscheidung von Ursachen und Gründen: »Vage ausgedrückt, kann man sagen, etwas werde als Grund anerkannt, sobald Gegen­ gründe angeführt werden […] wie in jenen Fällen, in denen eine Verbindung mit Motiven und Absichten hergestellt wird.« (A: § 15.44) 171 Das Beispiel hat auch insofern einen normativen Aspekt als es die Frage der Zurechnung von Handlungen berührt und auf die Asymmetrie zwischen guten und schlechten Handlungen verweist. Die guten Folgen der im Beispiel beschriebe­ nen unwillentlichen Handlung können dem Handelnden nicht zugerechnet werden, obwohl er Gutes getan hat, während er jemanden schädigte. Umgekehrt könnte diese Person (zumindest bis zu einem gewissen Grad) entlastet werden, wenn sie jemanden schädigte, während sie Gutes tat. In Modern Moral Philosophy drückt Anscombe das so aus: »jeder [ist] für die schlechten Folgen seiner schlechten Handlungen verantwort­ lich […] und [hat] kein Verdienst an etwaigen guten Folgen dieser Handlungen […], aber umgekehrt [ist] niemand für die schlechten Folgen seiner guten Handlungen

133 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

grundes als mögliche Antwort auf die Warum-Frage in Form eines Motivs voraus. Daher wird auch verständlich, warum diese Art von unwillentlicher Handlung durch eine Ursache erklärt wird. Die Abweisung der Warum-Frage (»ich wollte ihm gar kein Vorteil ver­ schaffen, sondern schaden«) bestimmt die Handlung lediglich als Ursache des hervorgebrachten Vorteils. Mit den rückwärtsgerichteten Motiven ist also eine erste Klasse von Fällen identifiziert, bei denen die Warum-Frage eine Anwendung findet, indem sie auf einen Handlungsgrund verweist: Gemeint sind die Fälle, bei denen die Antwort »schlicht auf vergangenes Geschehen abheben« (A: § 16.45). Ihnen stehen die vorwärtsgerichteten bzw. in die Zukunft gerichteten Motive gegenüber. Mit dem Profitstreben hatte Anscombe schon ein Beispiel genannt (vgl. A: § 12.36). Weitere Beispiele sind Liebe, Freundschaft, Furcht, Neugier oder auch Mitleid (vgl. A: § 13.40). Am Ende von § 14 schreibt sie knapp: »Ein Motiv nenne ich vorwärtsgerichtet, wenn es sich um eine Absicht handelt.« (Ebd.: 42) Absichten werden in solchen Fällen immer dann identifi­ ziert, wenn die Antwort einen Finalsatz enthält, der das Objekt der Handlung beschreibt.172 Hier wird jeweils etwas Zukünftiges erwähnt, das durch die Handlung herbeigeführt wird. Das ist der Fall beim »Profitstreben« (A: § 12.26), das Anscombe als Beispiel genannt hatte, um die »philosophische« Behauptung zu kritisieren, dass Absichten immer von Motiven getrennt werden müssen. Sie hatte zu bedenken gegeben, dass das Motiv des Profitstrebens in einer Handlungserklä­ rung der Form »ich habe es getan, um zu…« oder »ich wollte« ange­ führt werden kann (»ich wollte möglichst viel Geld aus dem Verkauf des Gemäldes herausholen«). Das Motiv ist hier eine Absicht, und es dient wie bei den rückwärtsgerichteten Motiven dazu, die Handlung zu charakterisieren bzw. den »Geist« (»the spirit in which«, I: § 12.18), in dem sie ausgeführt wurde. Anscombes im Anschluss an ihre Erklä­ rung aus § 14 angeführtes Beispiel einer Handlung, die mit dem Motiv der Furcht begründet wird, ist insofern aufschlussreich, als es den Unterschied zwischen mentalen Ursachen und in die Zukunft ver­ weisende Absichten erhellt. Sie schreibt: »Wenn man zum Beispiel sagt, jemand habe etwas aus Furcht vor … getan, läuft das oft auf das verantwortlich« (Anscombe 1958a/2014: 159). Vgl. auch Wiseman 2016a: 101. Ich komme auf dieses Thema noch einmal in Kap. 7 zurück. 172 Anstelle des Finalsatzes können auch Antworten mit »ich wollte« diese Funktion erfüllen. Hier darf man an Anscombes Bemerkungen zu intentionalen Objekten den­ ken (siehe oben S. 107f.).

134 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.4 Abgrenzungsfragen

gleiche hinaus wie die Aussage, er habe es getan, damit nicht …, oder er habe es getan, um zu verhüten, daß … geschieht.« (A: § 13.40) So wie man bei mentalen Ursachen, wenn es sich um Furcht oder ein anderes Gefühl handelt, zwischen der mentalen Ursache und dem Gegenstand des Gefühls unterscheiden muss (vgl. A: § 10.32), so muss man bei Handlungsgründen, die vorwärtsgerichtete Motive anführen, zwischen der Ursache des Motivs (hier der Furcht) und dem Gegenstand der Furcht unterscheiden. Rachael Wiseman, die diese Unterscheidung herausgearbeitet hat, erläutert sie an folgender Gegenüberstellung: 1) 2)

Warum schreist du auf? – Ich bin vor Angst aufgeschreckt. Warum hast du die ganze Nacht gelernt – Ich hatte Angst, die Prüfung nicht zu bestehen.

Im ersten Fall verweist die Antwort auf eine mentale Ursache. Im zweiten Fall gibt der Verweis auf die Angst das Objekt des nächtlichen Lernens an: Um nicht bei der Prüfung durchzufallen (vgl. Wiseman 2016a: 105). Die dritte Art von Motiven bezeichnet Anscombe als »motives in general« (Motive im Allgemeinen bzw. »Generalmotive« (A: § 13.39)) oder auch als »interpretative Motive.« Die auf Handlungs­ gründe abzielende Warum-Frage hat hier ebenfalls einen Sinn. Ant­ worten nennen bei interpretativen Motiven nicht ein vergangenes Geschehen, sie verweisen auch nicht auf etwas Zukünftiges, sondern sie rücken, wie Anscombe das ausdrückt, die Handlung in ein bestimmtes Licht: Wer die eigenen Handlungen durch eine auf ein Motiv abhebende Beschreibung erklärt, rückt sie in ein bestimmtes Licht. Derartige Erklärungen werden oft durch Warum-Fragen ausgelöst. Ob das Licht, in das man die eigene Handlung damit rückt, ein zutreffendes Licht ist, ist bekanntlich eine diffizile Frage. (A: § 13.40)

Wer solche Motive nennt, nimmt eine interpretierende Haltung den eigenen oder fremden absichtlichen Handlungen gegenüber ein, ohne damit schon eine spezifische Absicht zu identifizieren. Jemand unter­ schreibt beispielsweise eine Petition und erwägt nun, nach seinen Gründen gefragt, verschiedene Faktoren, die diese Entscheidung beeinflusst haben könnten. Dabei muss nicht angenommen werden, dass diese Person vorher genau die Gedanken gehabt hat, die sie nun als Motive nennt. Die Bewunderung für die Autorin der Petition, die

135 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

als motivierender Faktor genannt werden könnte, verweist weder auf ein vergangenes Ereignis noch auf etwas Zukünftiges (vgl. A: § 13.39). Aber auch dann, wenn das Motiv zur Erklärung der Handlung dient und kausal gedeutet wird, bestimmt es die Handlung nicht wie eine Ursache: Wir sagen tatsächlich ›Seine Wahrheitsliebe veranlaßte ihn dazu …‹ und dergleichen, und solche Formulierungen tragen sicher zu unserer Auffassung bei, ein Motiv müsse etwas sein, was eine Entscheidung hervorbringt oder herbeiführt. Eigentlich bedeuten diese Worte aber soviel wie ›Er tat es, da er die Wahrheit liebt‹ – sie interpretieren die Handlung. (A: § 12.37)

Wenn man bedenkt, dass rückwärtsgerichtete und in die Zukunft gerichtete Motive ebenfalls eine interpretative Dimension haben, sieht man, dass diese Art von Motiven keine trennscharfe Klasse bil­ det. Im typischen Fall haben diese Motive keine in die Zukunft oder Vergangenheit verweisende Aspekte. In vielen Fällen ist das aber nicht so klar. Anscombe spricht daher auch von »gemischten Motiven« (A: § 13.40). Rache wäre vor diesem Hintergrund ein gemischtes Motiv, da sie sowohl auf etwas Vergangenes verweist als auch die Handlung interpretiert. Weitere Beispiele für gemischte Motive wären Verzweiflung oder Gehässigkeit (ebd.). Bei Neugier könnte man hingegen an eine vorwärtsgerichtete Motivation denken, da hier ein Objekt der Neugier angeführt werden kann und gleichzeitig die Art der Orientierung der handelnden Person auf dieses Objekt cha­ rakterisiert bzw. interpretiert wird (vgl. Schwenkler 2019: 38). Damit deutet sich bei der Zuschreibung von Motiven eine Art von Komple­ xität an, die, wie Anscombe bemerkt, auf die Gebiete der Literatur­ kritik und der Ethik verweisen (vgl. A: § 12.37) und ganz eigene Schwierigkeiten mit sich bringen. Ein zentrales Thema, um das sich handlungstheoretische Dis­ kussionen bis heute drehen, betrifft die Unterscheidung von Ursachen und Gründen bei der Erklärung von Handlungen. Im zweiten Kapitel habe ich die idealtypische Unterscheidung zwischen kausalistischen und intentionalistischen Ansätzen erwähnt, die auch einen Hinter­ grund für Anscombes Untersuchungen bildet (vgl. Kap. 2.4). Blickt man auf diese Diskussion nach der Lektüre dieser Abschnitte von Intention, zeigt sich ein weitaus komplexeres Bild. Anscombe führt hier mit dem Phänomen der mentalen Verursachung eine Form von Kausalität ein, die mit der Hume’schen Konzeption unverträglich ist. Bei der Beschreibung von Sprachspielen, in denen die Warum-Frage

136 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.4 Abgrenzungsfragen

mit Blick auf einen Handlungsgrund Anwendung findet und solchen, bei denen das nicht der Fall ist, wird deutlich, dass sich die verschie­ denen Fälle nicht entlang des einfachen Schemas Kausalismus oder Intentionalismus sortieren lassen. Obwohl die Untersuchung in den §§ 8–16 auf den Nachweis abzielte, dass die Warum-Frage in dem Sinn, der für absichtliches Handeln relevant ist, gerade dann keine Anwendung hat, wenn die Handlung durch Verweis auf Belege oder Ursachen, auch mentale Ursachen, erklärt wird, schließt sie diese Untersuchung mit der Feststellung: »daß die verbreitete These, die Begriffe ›Grund‹ und ›Ursache‹ seien überall scharf getrennt, nicht zutrifft.« (A: § 15.44) Vorher hatte sie eine Reihe von Beispielen beschrieben, die einen guten Einblick in die Komplexität unserer Pra­ xis des Begründens und Erklärens von Handlungen geben, indem sie verdeutlichen, in welchem Maß die Frage, ob die zur Erklärung einer Handlung angeführte Begründung eine (mentale) Ursache oder einen Handlungsgrund nennt, von den Umständen abhängt. In der konkre­ ten Praxis des Umgangs mit der Warum-Frage hat man es mit einer Skala zu tun, deren Extreme einerseits mentale Ursachen sind wie das Herunterstoßen einer Tasse nach einem Zusammenzucken, anderer­ seits ausgeprägte Fälle von Handlungsgründen wie bei der Rache. Hier gilt dann: In je höherem Maße die Handlung als bloße Reaktion beschrieben wird, desto eher wäre man geneigt, das Wort ›Ursache‹ zu gebrauchen, während man umso stärker zum Gebrauch des Wortes ›Grund‹ ten­ dieren würde, je mehr die Handlung als Reaktion auf etwas Bedeutung Tragendes, worauf der Akteur bei seiner Handlung eingeht, beschrie­ ben wird beziehungsweise als eine in Gedanken und Fragen eingebet­ tete Reaktion. (A: § 15.43)

Anscombe ist also keine schlichte »Anti-Kausalistin«. Die Themen der Akteurskausalität, die sie, wie im weiteren Verlauf noch deutlich werden wird, mit der besonderen, dem praktischen Wissen eigenen Form von Kausalität verbindet, unterläuft diese einfache Dichotomie. In der Regel ist die Suche nach Ursachen im Sinne von Davidsons Verständnis dieses Begriffs oder im Rahmen einer physiologischen Erklärung nicht relevant für die Ausübung der begrifflichen Fähigkei­ ten, die sich im richtigen Verständnis und Gebrauch der Warum-Frage manifestiert und der im Zusammenhang mit absichtlichen Handlun­ gen eine Rolle spielt. Die Einsicht in die kausalitätstheoretischen

137 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

Differenzierungen, die für das Verständnis dieser Fähigkeit notwendig sind, ist ein herausragendes Ergebnis dieser Untersuchung.

»Ich tat es ohne Grund« – eine sinnvolle Antwort auf die Warum-Frage? Die §§ 17 und 18 beenden die Untersuchung zur Eingrenzung der Warum-Frage im für absichtliches Handeln relevanten Sinn, indem Fälle präsentiert werden, in denen eine Rechtfertigung durch Gründe ausbleiben kann. Manchmal antwortet man auf die Warum-Frage mit dem Verweis auf Impulse, Gedankenlosigkeit oder mit dem Hinweis, man habe etwas »einfach so« getan. In welchem Sinn wird hier die Warum-Frage abgewiesen, wenn sie denn überhaupt abgewiesen wird? Das ist nicht ganz klar. Diese beiden Abschnitte erscheinen als eine Art Anhang zur bisherigen Untersuchung. Wenn man dem Ver­ lauf der Argumentation folgt, könnte man daher den Eindruck gewin­ nen, hier würden lediglich einige weitere Fälle, wenn auch Sonderfälle, hinzugefügt, in denen die Warum-Frage zugelassen wird. Anderer­ seits wird mit den erwähnten Antworten die Frage in einer bestimm­ ten Hinsicht durchaus abgewiesen. Tatsächlich handelt es sich »um eine merkwürdige Zwischenform, denn die Warum-Frage läßt sich anwenden, aber eigentlich doch nicht.« (A: § 17.47) Die Besonderheit dieser neuen Fälle besteht darin, dass die Antwort »ohne Grund« in dem hier zur Debatte stehenden Sinn, nicht einfach auf eine Ursache verweist, die man zudem möglicher­ weise noch gar nicht erkannt hat, wie das beispielsweise bei den Einschlafzuckungen der Fall ist (ebd.: 45f.). Wer die Zulässigkeit der Warum-Frage bestreitet, bestreitet, dass der Gegenstand, auf den sich die Frage richtet, überhaupt so beschaffen ist, dass er eine Antwort zulässt (vgl. Wiseman 2016a: 107f.). Fragt man, warum jemand etwas getan hat, setzt diese Frage nicht unbedingt voraus, dass es überhaupt einen Grund gibt; sie setzt aber voraus, dass es, um es mit Hilfe der Terminologie des Thomas von Aquin auszudrücken, überhaupt um eine menschliche Tätigkeit geht. In den Fällen, in denen die Warum-Frage abgewiesen wird, die wir bisher betrachtet haben, wird genau diese Voraussetzung bestritten. Darin unterscheiden sie sich von den hier betrachteten Beispielen. Mit ihnen bestreitet man die Zulässigkeit der Warum-Frage so wenig wie man die »Zulässigkeit der Frage ›wieviel Geld hast du in der Tasche?‹ durch die Antwort

138 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.4 Abgrenzungsfragen

›keins‹« (ebd.: 46) bestreitet. Um eine »merkwürdige Mischform« handelt es sich also, weil die Frage anwendbar ist »insofern, als sie als angemessene Frage zulässig ist; nicht anwendbar ist sie, insofern, als die Antwort lautet, daß es keine Antwort gibt.« (Ebd.: 47) Wie die in loser Folge besprochenen Beispiele zeigen, können die Gründe dafür vielfältig sein. Neben den genannten Gründen wie Impulsivität oder Gedankenlosigkeit gehören dazu auch Fälle, in denen bestritten wird, zu wissen, warum auf eine bestimmte Weise gehandelt wurde.173 In all diesen Fällen wird die Handlung weder durch eine Erklärung gerechtfertigt, die auf Beobachtung beruht, noch durch den Verweis auf eine mentale Ursache. Sie wird viel­ mehr insofern gar nicht gerechtfertigt, als es dafür keinen speziellen Grund gibt.174 Versteht man die bisherige Untersuchung daher so, dass zunächst Fälle identifiziert werden, in denen die Warum-Frage nicht zulässig ist, die nicht willentlichen Bewegungen und Handlungen, um dann zu den Fällen überzugehen, in denen die Warum-Frage zuge­ lassen wird, nämlich die willentlichen und absichtlichen Handlungen, würde in §§ 17 und 18 eine neue Kategorie der zulässigen Fälle the­ matisiert. Fasst man die Untersuchung aber so auf, dass es in erster Linie darum geht, den für absichtliche Handlungen spezifischen Sinn der Warum-Frage herauszuarbeiten, könnte man diese Abschnitte als Fortsetzung der Untersuchung von Fällen verstehen, in denen die Frage abgewiesen wird, und zwar für absichtliche Handlungen.175 Das scheint diesen Beispielen gemeinsam zu sein, und es würde auch zu dem Ergebnis passen, das Anscombe am Ende von § 18 festhält: Diejenigen Antworten auf die Warum-Frage, die dieser Frage Anwen­ dung einräumen, umfassen demnach einen weiteren Bereich als die Antworten, mit denen Handlungsgründe angegeben werden. Diese 173 Die Unwissenheit, auf die man sich hier beruft, kann allerdings nur eine partielle sein, z.B. weil man gerade über einen speziellen Grund (noch) nicht verfügt (vgl. A: § 17.46f.) Diese Fälle zeigen daher nicht, wie Schwenkler betont, dass die Wissens­ bedingung für absichtliche Handlungen Ausnahmen zulässt. Vgl. dazu und für eine ausführlichere Diskussion der Beispiele aus § 17 Schwenkler 2019: 44ff. 174 Davon können noch Fälle unterschieden werden, bei denen man im Hinblick auf die Antwort »ohne besonderen Grund« zwischen sinnvollen und unverständlichen Antworten unterscheiden kann. Das ist Thema von § 18. Ich habe diese Unterschei­ dung und Anscombes Beispiel allerdings schon in Kap. 2.5 erläutert und verweise daher darauf zurück (vgl. S. 51-53). 175 So fasst auch Wiseman den Gang dieser Untersuchung auf (vgl. Wiseman 2016a: 79f.), vgl. dagegen Schwenkler 2019: 47.

139 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

Warum-Frage kann jetzt als die Frage bestimmt werden, die eine die­ sem Bereich zugehörige Antwort erwartet. Und damit haben wir in etwa das Gebiet der absichtlichen Handlungen umrissen. (A: § 18.49)

Unterschieden wird hier im Bereich der menschlichen Handlungen nach den Hinsichten »absichtlich« vs. »willentlich«, worauf Ans­ combe selbst hinweist: Weiter unten werde ich den Unterschied zwischen dem Absichtlichen und dem Willentlichen erörtern, und sobald diese Unterscheidung getroffen ist, werden wir sagen können: Eine Handlung dieser Art wird zwar nicht absichtlich, sehr wohl aber willentlich vollzogen. (A: § 17.47)

Ohne diese Diskussion an dieser Stelle vorwegzunehmen, wird sich zeigen, dass diese Unterscheidung nicht kategorial bzw. klassifikato­ risch zu verstehen ist, sondern eine Unterscheidung nach Hinsichten ist, für deren Angemessenheit jeweils die Umstände zu berücksichti­ gen sind. Das leuchtet angesichts der hier besprochenen Beispiele auch ein. Sicher ist nur, dass als Rechtfertigung weder eine mentale Ursache, noch etwas, das durch Beobachtung gewusst werden kann, in Frage kommt. Da die Warum-Frage aber zulässig ist, kann die Rechtfertigung in einer situationsrelativ noch zu spezifizierenden Weise gegeben und die Handlung somit auch zugerechnet werden (vgl. dazu ausführlicher Kap. 7.2). Es wird sich später zeigen, dass die Warum-Frage bei willentlichen Handlungen durchaus eine Anwen­ dung hat. Beim jetzigen Stand der Untersuchung ist allerdings noch unklar, in welchem Sinn. Insofern deutet sich in diesen Abschnitten bereits der Übergang zur Thematik der absichtlichen Handlungen und ihrer eigentümlichen Struktur an. Diese Untersuchung steht nun­ mehr an. Insbesondere wird zu klären sein, was die Gemeinsamkeit zwischen den drei Antworttypen auf die Warum-Frage ist, die im Rahmen der nunmehr abgeschlossenen Untersuchung herausgear­ beitet und in § 16 zusammengefasst werden.

140 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.5. Übergänge: Von der isolierten Handlung zur Einheit des Begriffs Absicht

4.5. Übergänge: Von der isolierten Handlung zur Einheit des Begriffs Absicht Absicht – ein zusätzliches Merkmal? Dass Anscombe diese Aufgabe nicht direkt ansteuert, dürfte nicht überraschen. Wie so oft in Intention nimmt sie zunächst einen Umweg, der in eine Sackgasse führt. Die so entstandene Konfusion ist aber heilsam, um besser zu verstehen, was überhaupt die Anfor­ derungen sind, denen eine angemessenere Antwort gerecht werden müsste. Das ist auch der Fall, wenn Anscombe nun die Frage erwägt, ob man einer Handlung, wenn man sie als absichtlich bezeichnet, ein Merkmal hinzufügt, das »ihr zum Zeitpunkt der Ausführung zukommt.« (A: § 19.49) Sie verneint die Frage, und ihr Argument hat die Form einer reductio ad absurdum. Es wird angenommen, es gäbe ein solches zusätzliches Merkmal und gezeigt, dass diese Annahme in »unentwirrbare Konfusion« (ebd.:.51) führt. Die Annahme ist daher aufzugeben. Das Argument ist allerdings nicht ganz leicht zu verstehen. Es stellt sich schon die Frage, wogegen es sich richtet. Gibt es überhaupt eine bestimmte Theorie oder wenigstens einen Theorietypus, denen die zu wiederlegende Annahme zugeschrieben werden könnte? Und wenn ja, in welchem Sinn? Die Annahme und deren im Zuge der reductio entfalteten Implikationen werden idealtypisch an Beispielen präsentiert, die allerdings auf Ergebnisse der bisherigen Untersu­ chung zurückgreifen. Auch das ist nicht ungewöhnlich für Anscombes Vorgehen in Intention. Für die Interpretation stellt sich dann die Frage, ob das Argument an Plausibilität gewinnt, wenn man es als implizite Kritik an bestimmten Ansätzen liest und daraus einen Beitrag zu einer akademischen Kontroverse macht.176 Ich werde im Folgenden diese Frage umgehen und die Argumentation in erster Linie aus dem Zusammenhang der bisherigen Untersuchung heraus interpretieren. Das scheint mir aus mehreren Gründen sinnvoll: Erstens hat es den Vorteil, möglichst nah am Wortlaut des Textes bleiben zu können. Das Die wohl differenziertesten Rekonstruktionsvorschläge, die von Candace Vogler (2016) und John Schwenkler (2019: 49–56) vorgelegt wurden, deuten es – mit je unterschiedlicher Akzentuierung und systematischen Implikationen – als Kritik an dualistischen Modellen des Verhältnisses von Geist und Körper und damit auch als Beiträge zu Anscombes Kritik am Kausalismus. 176

141 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

in § 19 entwickelte Argument hat eine bestimmte Funktion im Verlauf der Untersuchung: Es greift auf die Ergebnisse zurück, die in den ers­ ten 18 Abschnitten erreicht wurden und bereitet die weitere Untersu­ chung vor. Nach meinem Verständnis sollte § 19 insbesondere auch im Zusammenhang mit den beiden folgenden Paragraphen gedeutet werden. Die §§ 19 bis 21 erfüllen gemeinsam die Aufgabe, die mit § 22 einsetzende Untersuchung vorzubereiten, indem sie sie gewis­ sermaßen in die richtige Bahn lenken. Es wird eine wichtige Konse­ quenz der These von der Beschreibungsabhängigkeit von Handlungen verdeutlicht, die durch die absurde Annahme sowie die isolierte Betrachtung der verschiedenen Vorkommnisse des Begriffs der Absicht, die in § 1 eingeführt wurden, verloren zu gehen drohen. Diese Funktion im argumentativen Kontext der Untersuchung muss bei der Bewertung des Ertrags dieser Abschnitte und insbesondere des § 19 beachtet werden. Das Argument sollte daher nicht nur isoliert als Beitrag zur Widerlegung einer bestimmten Theorie oder einer ganzen Theoriefamilie – Kausalismus oder Dualismus – beurteilt werden. Es erscheint dann leicht als unzulänglich, weil es theoretische Alterna­ tiven offenlässt, die Anscombe nicht beachtet hat.177 Zweitens berück­ sichtigt die engere Orientierung am Untersuchungskontext Anscom­ bes Methode. Auch wenn sie gelegentlich auf bestimmte philosophische Ansätze – sei es kritisch, sei es zustimmend – Bezug nimmt, sei daran erinnert, dass der Gedankengang in Intention nicht als Diskussion philosophischer Theorien organisiert ist, wie man das von anderen philosophischen Texten kennt. Die Abhandlung entfaltet schrittweise einen Gedanken. Dabei werden Denkmöglichkeiten im Hinblick auf ihre Konsequenzen erprobt, die der Stand der Untersu­ chung jeweils eröffnet. Die Abschnitte 19 bis 21 sind ein solcher Wen­ depunkt, an dem die Untersuchung in verschiedene Richtungen fort­ gesetzt werden könnte. Lesende sind hier erst einmal als Mitdenkende gefordert. Dieser methodische Aspekt sollte bei der Deutung berück­ sichtigt werden. Die Argumentation in den §§ 19 bis 21 greift auf Ergebnisse der bisherigen Untersuchung zurück. Es bietet sich daher an, daran zu erinnern:178 Sowohl Schwenkler als auch Vogler weisen auf mögliche Schwachstellen dieser Argumentation hin. Vgl. auch Bayne 2010: 65ff. 178 Ich übernehme hier in leicht variierter und erweiterter Form die Aufstellung von Vogler 2016: 233. 177

142 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.5. Übergänge: Von der isolierten Handlung zur Einheit des Begriffs Absicht

(1) »In den meisten Fällen wird sich das, was du sagst, mit dem decken, was dieser Mensch selbst weiß; und in den meisten, wenn auch weniger zahlreichen Fällen wirst du nicht über sein Handeln berichten, sondern auch über eine seiner Absichten, nämlich die Absicht, die geschilderte Handlung auszuführen. Wichtiger noch: Falls es sich nicht um eine seiner Absichten handelt, wird das meistens auf der Hand liegen, ohne daß man ihn danach fragt.« (A: § 4.22) (2) Absichtliche Handlungen »sind jene Handlungen, bei denen die in einem bestimmten Sinn gestellte Frage ›Warum?‹ Anwendung findet.« (A: § 5.23) (3) Jemand kann wissen, »was er unter der einen Beschreibung tut, ohne es unter der anderen Beschreibung zu wissen […]. Mit der Feststellung, jemand wisse, daß er X tut, gibt man also eine Beschreibung dessen, was er tut, unter der er weiß, daß er es tut.« (A: § 6.26). Die Warum-Frage kann dementsprechend unter einer Beschreibung einer Handlung Anwendung finden, unter einer anderen abgewiesen werden. (4) Der relevante Sinn der Warum-Frage lässt sich ausgehend von Antworten eingrenzen, in denen die Frage abgewiesen wird. Einige solcher Antworten sind: »Ich habe bloß beobachtet, dass ich X tat«; »X geschah unwillentlich« (im Sinne eines Verweises auf eine mentale Ursache); »ich wusste nicht, dass ich x Tat« (§§ 6–11). (5) Wenn die Warum-Frage zugelassen wird, gibt die Antwort einen Handlungsgrund an, wobei die Antwort als Ausdruck einer Absicht verstanden werden kann (§§ 12–16). (6) Die Warum-Frage wird durch die Antwort »ohne Grund« nicht abgewiesen (§ 17). (7) Antworten auf Warum-Fragen, die einen Handlungsgrund ange­ ben, können bewertet und in Frage gestellt werden, indem sie auf Motive und Absichten bezogen werden (§§ 13 und 15). Im ersten Teil dieses Kapitels (4.1) habe ich bereits die Passage mit dem Resultat des Arguments aus § 19 zitiert. Das geschah als Beleg für Anscombes methodischen Ausgangspunkt, wonach Unterschei­ dungen im Bereich des Handelns, der menschlichen Tätigkeiten, bzw. zur Abgrenzung solcher Tätigkeiten von anderen Tätigkeiten des Menschen nicht im Sinne einer Klassifikation von Ereignissen nach Merkmalen zu verstehen ist. In voller Länge lautet diese Stelle:

143 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

Beschreibt man absichtliche Handlungen als solche, ist es verfehlt, nach der fundamentalen Beschreibung des Geschehens (beispielsweise der Muskel- oder Molekülbewegungen) zu suchen und die Absicht sodann als etwas – vielleicht Hochkompliziertes – zu begreifen, was diese Beschreibung näher bestimmt. Die einzigen Ereignisse, die hier in Betracht zu ziehen sind, sind die absichtlichen Handlungen selbst; und wenn man eine Handlung als absichtliche bezeichnet, so sagt man damit: absichtlich sei sie unter einer bestimmten Beschreibung, die man angibt (oder angeben könnte). (A: § 19.51, kursiv i. Orig.)

Die ad absurdum geführte Annahme verfehlt den im letzten Satz for­ mulierten Gedanken. Ihr liegt anscheinend die Idee der Klassifikation, oder besser: ein bestimmtes Verständnis dieser Idee zugrunde. Ans­ combe schreibt selbst, dass man eine Handlung einer Klasse zuordnet, wenn man sie als absichtlich beschreibt (A: § 19.49). Sie fügt aber sogleich hinzu, dass man damit meint, »die im oben beschriebenen Sinn gestellte Warum-Frage für sie als relevant« (ebd.: 50) zu erach­ ten. Deshalb hat sie die Praxis im Umgang mit der Warum-Frage in den vorhergehenden Abschnitten differenziert beschrieben. Die Zuordnung einer Bewegung zu einer bestimmten Klasse erfolgt rela­ tiv auf den Kontext, in dem die Warum-Frage gestellt, abgewiesen, zugelassen und mögliche Antworten ihrerseits bewertet und beurteilt bzw. korrigiert werden. Unterscheidungen und Zuordnungen im Bereich der von Menschen ausgehenden Bewegungen sind, wie ich am Anfang des Kapitels schon festgehalten habe, als grammatische Unterscheidungen zu verstehen, die ausgehend von paradigmatischen Fällen getroffen werden. Im Kontext von § 19 wird der Gedanke einer Klassifikation nach Merkmalen ins Spiel gebracht, weil es nicht abwegig erscheint, anzu­ nehmen, dass die Anwendbarkeit der Warum-Frage vielleicht doch an einem bestimmten Merkmal festgemacht werden müsste, das es erlaubt, Handlungen als absichtlich zu bestimmen. In dem Szenario, das Anscombe nun der zu wiederlegenden Annahme zugrunde legt, nimmt die klassifikatorische Denkweise eine ganz bestimmte Form an: das angenommene zusätzliche Merkmal – Anscombe nennt es »A« – kann seine kriterielle Funktion nur erfüllen, wenn es zu einer körperlichen Bewegung, die es begleitet und die als »vorabsichtlich« bestimmt wird, hinzutritt. Die Unterscheidung zwischen einer vor­ absichtlichen Bewegung und der absichtlichen Handlung liegt hier deshalb nahe, weil es darum geht, »etwas wirklich Vollzogenes« (A: § 19.50), das beobachtet werden kann, als eine absichtliche Handlung

144 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.5. Übergänge: Von der isolierten Handlung zur Einheit des Begriffs Absicht

zu bestimmen: Jemand hebt einen Hammer auf, dabei ziehen sich bestimmte Muskeln zusammen. Es findet also immer auch ein phy­ sikalisches Geschehen statt, das mit dem Handeln einhergeht. In die­ sem Szenario wird dieses physikalische Geschehen nun als etwas ein­ geführt, das grundsätzlich auch unabhängig von einer Handlung stattfinden könnte. Es bildet gewissermaßen die noch unbestimmte Grundlage, von der her die Absichtlichkeit der damit zusammenhän­ genden Handlung bestimmt werden soll. Da es hier aber im Zusam­ menhang mit der beobachteten Handlung steht, dennoch ganz offen­ sichtlich nicht die »vollzogene absichtliche Handlung« (ebd.) selbst ist, bezeichnet es Anscombe als »vorabsichtlich.« Da gilt, dass »ein und dieselbe Handlung […] unter einer Beschreibung absichtlich und unter einer anderen unabsichtlich sein« (ebd.) kann, »gewährleistet die vorabsichtliche Bewegung plus A, daß irgendeine absichtliche Handlung vollzogen worden ist.« (Ebd., kursiv i. Orig.) Die Frage ist dann: welche Handlung wird genau absichtlich vollzogen? Unter der geschilderten Voraussetzung kann diese Frage nur beantwortet wer­ den, d.h. die uninterpretierte Bewegung als absichtlich näher bestimmt werden, wenn das Merkmal »A« selbst als Beschreibung einer Handlung gedeutet wird »oder als etwas, was in einer internen Beziehung zu einer Beschreibung steht.« (Ebd.) Das ist klar, denn nur so können überhaupt Antworten auf die Warum-Frage mit Bezug auf das beobachtete Geschehen gegeben oder abgewiesen werden. Der Ausgangspunkt für die reductio ad absurdum ist also die Annahme, dass die Klassifikation – absichtlich vs. sonstige Bewegung – nur vor dem Hintergrund der Unterscheidung von uninterpretierten Körper­ bewegungen und Beschreibungen absichtlicher Handlungen möglich ist. Es wird nach »der fundamentalen Beschreibung des Geschehens« (ebd.: 51) gesucht und als »uninterpretierte Körperbewegung« iden­ tifiziert.179 179 Schwenkler rekonstruiert die reductio so, dass er die ad absurdum geführte Annahme direkt als dualistische These in der ersten Prämisse des Arguments einführt (Schwenkler 2019: 50f.). Nach Voglers »ambitionierter« Interpretation (»ambitious reading« (Vogler 2016: 235)) dieses Arguments richtet es sich gegen die Vorstellung, dass ein internes Element eine Handlung als absichtlich qualifiziert und so die Unter­ scheidung zwischen absichtlichen Handlungen und bloßen Körperbewegungen absi­ chert (ebd.: 236f.). So wie Anscombe das Ausgangszenario beschreibt, ist es durchaus möglich, eine Spielart des Dualismus als Zielscheibe der Argumentation von § 19 zu identifizieren. Ich lege dagegen den Akzent auf die im Ausgangsszenario unterstellte Grundlage für die Unterscheidung zwischen Körperbewegung und absichtlichen

145 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

Ich fasse die Schritte bis hierhin zusammen: (1) Nehmen wir an, dass eine Handlung aufgrund eines zusätzlichen Merkmals »A« als absichtlich bezeichnet wird. (2) Das Absichtliche dieser Handlung muss beschrieben werden, da »ein und dieselbe Handlung […] unter einer Beschreibung absichtlich und unter einer anderen unabsichtlich sein [kann].« (Ebd., kursiv i. Orig.) (3) Das Absichtliche muss »etwas wirklich Vollzogenes« sein, aller­ dings nicht die bloß physikalisch beschreibbaren Bewegungen. Sofern sie mit der Handlung zusammenhängen, können sie als »vorabsichtlich« bezeichnet werden. Das zusätzliche Merkmal »A« begleitet die vorabsichtlichen Körperbewegungen und quali­ fiziert sie als Aspekte der absichtlichen Handlung. (4) Es gilt dann: Die »vorabsichtliche Bewegung plus A [gewährleis­ tet], daß irgendeine absichtliche Handlung vollzogen worden ist.« (Ebd., kursiv i. Orig.) Die Frage danach, welche Handlung absichtlich vollzogen wurde, kann unter den von (1) bis (4) beschriebenen Voraussetzungen nicht mehr beantwortet werden, denn von den »vorabsichtlichen«, uninterpre­ tierten Körperbewegungen führt nichts zur Bestimmung des Inhalts der Absicht (z.B. einen Hammer zu ergreifen, oder einen Nagel in die Wand schlagen, oder ein Bild aufhängen): »Daher kann die Beschrei­ bung ganz beliebig ausfallen, sofern wir nur in Betracht ziehen, was sich zum gegebenen Zeitpunkt mit Bezug auf den Akteur selbst feststellen läßt.« (Ebd.) Was immer die Person auf eine Warum-Frage als Beschreibung ihres Tuns angibt, so dass ihre Bewegung eine ist, durch die sie eine bestimmte Handlung absichtlich ausführt; keine der Antworten wird, wenn sie wahr ist, etwas mit dem Merkmal A zu tun haben. Der Zusammenhang zwischen dem beobachteten, laut Annahme uninterpretierten Geschehen und der Beschreibung, unter der es absichtlich ist, bleibt rätselhaft. Anscombe erwägt, ob man Handlungen, die auf einem Missverständnis des Zusammenhangs von Handlungen und ihren Beschreibungen beruht. Das Missverständnis liegt in der Art und Weise wie die »vorabsichtliche« Bewegung einerseits als etwas rein physikalisches, »uninterpre­ tiertes«, andererseits als etwas, das im Zusammenhang mit der Handlung steht, auf­ gefasst wird und dann mit einer zusätzlichen Beschreibung die Handlung als absicht­ lich qualifizieren soll. Der Hintergrund für solche Missverständnisse der Grammatik von Handlungsbeschreibungen entlang der Warum-Frage sind aber sicher auch dua­ listische Annahmen als Bild, das »uns gefangen« hält (PU: § 115).

146 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.5. Übergänge: Von der isolierten Handlung zur Einheit des Begriffs Absicht

einen subpersonalen Mechanismus unterstellen könnte, »durch den sich ein der Situation angemessenes A aufgrund des Wissens dieser Person einstellen kann.« (Ebd.: 51) Das scheitert aber daran, dass dann völlig unklar bleibt, was es heißen soll, dass diese Person weiß, was aus diesem Mechanismus hervorgeht.180 Werfen wir vor dem Hintergrund dieses Ergebnisses noch einmal einen Blick auf Anscombes bereits zitierte Diagnose: Beschreibt man absichtliche Handlungen als solche, ist es verfehlt, nach der fundamentalen Beschreibung des Geschehens (beispielsweise der Muskel- oder Molekülbewegungen) zu suchen und die Absicht sodann als etwas – vielleicht Hochkompliziertes – zu begreifen, was diese Beschreibung näher bestimmt.

Der Fehler besteht demnach in einem Missverständnis des Zusam­ menhangs von Handlungsbeschreibungen und der beschriebenen Ereignisse. Eine vermeintlich fundamentale Beschreibung in Form eines physikalischen Geschehens, bei dem zunächst gleichgültig ist, ob es im Kontext einer Körperbewegung auftritt oder nicht, wird durch ein Merkmal, das zu diesem uninterpretierten Geschehen hinzutritt als absichtliche Handlung näher bestimmt. Wir hatten aber bereits gesehen, dass etwas als etwas zu beschreiben, nicht heißt, es zu bestimmen, sondern es zu spezifizieren. Mit Bezug auf Handlungen heißt das: Die Beschreibung, unter der eine Handlung thematisiert wird, spezifiziert die Hinsicht, unter der sie absichtlich ausgeführt wird (vgl. oben 4.3). Es ist daher irreführend, ein Geschehen im Sinne des uninterpretierten physikalischen Vorgangs von der Handlung H unter ihren verschiedenen Beschreibungen zu unterscheiden, und sich dann zu fragen, wie beides zusammenpasst, indem man ein Merkmal einführt, das diese Lücke schließen soll. Es handelt sich hierbei um eine Variante der Verwechslung von Aussagen der Form x unter der Beschreibung d mit prädikativen Aussagesätzen.181 Deshalb gilt: 180 Sie müsste es zumindest erraten können, was aber unplausibel ist, da es sich um unbewusste vorabsichtliche Vollzüge handelt; oder die Person könnte bemerken, dass das Vorkommen des Merkmals A Auswirkungen auf das hat, was geschieht, so dass sie, wenn sie diesen Zusammenhang oft genug bemerkt, die Beschreibung von A herbeizitieren könnte, vielleicht in Form einer inneren Ansprache. Das wäre aber wieder eine absichtliche Handlung, für die ein weiteres Merkmal A gesucht werden müsste, wonach sie als absichtlich beschrieben werden kann. Für eine Interpretation dieser Stelle vgl. Vogler 2016: 237f. 181 Nach dieser Deutung geht es in § 19 also darum, diese Variante des Missver­ ständnisses der Logik von Handlungsbeschreibungen und ihres Zusammenhangs mit

147 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

Die einzigen Ereignisse, die hier in Betracht zu ziehen sind, sind die absichtlichen Handlungen selbst; und wenn man eine Handlung als absichtliche bezeichnet, so sagt man damit: absichtlich sei sie unter einer bestimmten Beschreibung, die man angibt (oder angeben könnte). (A: § 19.51, kursiv i. Orig.)

Die Aufgabe der Warum-Frage ist es, die Hinsichten, unter denen die Handlung absichtlich ist, von denen zu unterscheiden, unter denen sie es nicht ist. Die Rolle der Warum-Frage wird hier aber auch noch auf eine andere Weise missverstanden. Im absurden Modell »ist es reiner Zufall, wenn ein für den größeren Zusammenhang und die weiteren Konsequenzen relevantes A überhaupt mit den vorab­ sichtlichen Bewegungen einhergeht.« (Ebd.) Die für die Anwendung der Warum-Frage relevanten »größeren Zusammenhänge« tragen in diesem Modell nichts zur Beschreibung der Handlung bei. Wie wir aber schon bei der Unterscheidung verschiedener Arten von Motiven gesehen haben, ist die Beachtung dieser Zusammenhänge die Bedingung dafür, die Warum-Frage im Kontext der Identifikation von Handlungsgründen überhaupt sinnvoll verwenden zu können. Daran erinnert Candace Vogler: The job isn’t to find the special ingredient that makes some action inten­ tional. Diagnosing the reasons-for-acting-seeking question ›Why?‹ is supposed to illuminate action, intention, and reasons for acting all at once. If ›Why are you A-ing?‹ is refused application, then, prima facie, A-ing is not among those datable events in an agent’s history that count as the agent’s actions. (Vogler 2016: 239)

Das gilt insbesondere auch für die nach Anscombe für absichtliches Handeln besonders einschlägigen Fälle, in denen die Warum-Frage mit Blick auf ein zukünftiges Geschehen beantwortet wird. Das Prob­ lem ist dann, wie Volger weiter schreibt, Folgendes: »The general problem with the suggestion that I + action = intentional action is that it fails to take into account the order of descriptions under which an den beschriebenen Ereignissen aufzudecken, weniger darum, irreführende, dualisti­ sche Antworten auf die Frage, wie die Tätigkeit eines inneren, psychischen Faktors eine Handlung zu etwas Absichtlichem im Gegensatz zu einer bloßen Bewegung macht, zu problematisieren. Letzteres ist der Ausgangspunkt von Voglers Deutung. John Schwenkler hält das reductio-Argument als Kritik an einer dualistischen Konzeption nicht für schlüssig und schlägt daher eine abgeschwächte Interpretation des Abschnitts vor dem Hintergrund der bereits zitierten Bemerkung Wittgensteins in PU: § 621 vor (vgl. Schwenkler 2019: 52–56).

148 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.5. Übergänge: Von der isolierten Handlung zur Einheit des Begriffs Absicht

action is intentional.« (Ebd.) Wie diese Ordnung gedacht werden muss, wird erst ab § 22 untersucht. Was man aus § 19 aber im Hinblick auf diese Untersuchung festhalten muss, ist, dass dafür eine Konzep­ tion absichtlichen Handelns benötigt wird, bei der es möglich ist, eine zukunftsbezogene Absicht auszudrücken. Wenn die Warum-Frage, ihre Aufgabe erfüllen soll, Handlungsgründe zu identifizieren, muss der Begriff absichtlichen Handelns so erläutert werden, dass alle Aspekte ihrer sinnvollen Anwendung berücksichtigt sind. In § 20 geht es darum zu zeigen, warum das notwendig ist.

Zwei sonderbare Annahmen Das in § 19 diskutierte Szenario war schon so konstruiert, dass bestimmte Antworten auf die Warum-Frage, insbesondere solche, die etwas Zukünftiges erwähnen, ausgeblendet wurden. Die absichtliche Handlung wurde isoliert betrachtet. Daran knüpft Anscombe an, wenn sie am Anfang von § 20 fragt: »Würden absichtliche Handlun­ gen auch dann noch das Merkmal der Absichtlichkeit aufweisen, wenn es so etwas wie den Ausdruck einer zukunftsbezogenen Absicht oder eine weitere handlungsinhärente Absicht nicht gäbe?« (A: § 20.52) Mit dieser Frage verweist Anscombe auf die Problemstellung aus § 1 zurück: »Das heißt, ist Absichtlichkeit ein Merkmal der Handlungen, denen es zukommt und das formal unabhängig ist von den anderen Vorkommnissen des Begriffs der Absicht?« (Ebd.) Sie fragt mit ande­ ren Worten, ob es möglich ist, ein Verständnis des Begriffs der Absicht zu gewinnen, wenn man nur vom zweiten paradigmatischen Fall, dem absichtlichen Handeln, ausgeht. Die beiden anderen Merkmale – (1) die Äußerung einer zukunftsbezogenen Absicht und (3) die Absicht im Handeln – kämen absichtlichen Handlungen dann nur beiläufig zu.182 Anscombe verneint das. Damit hätte man einen ersten Hinweis darauf, wie die drei paradigmatischen Vorkommnisse von »Absicht« aus § 1 zusammenhängen.

Für diese Möglichkeit spricht, wie Schwenkler (2019: 57) bemerkt, dass es Situationen gibt, in denen ein Handlungsgrund gegeben wird, ohne eine weitere Absicht zu nennen, beispielsweise in Form eines rückwärtsgerichteten oder interpre­ tativen Motivs.

182

149 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

Anscombe prüft diese Möglichkeit, indem sie zwei »sonderbare Annahmen« (ebd.) macht: (a) »Absichtlich« kommt nach der ersten Annahme nur in der Weise vor, in der man nach den Unterscheidungen aus § 1 von absicht­ lichen Handlungen (2) spricht. Antworten auf die Warum-Frage, mit denen eine zukunftsbezogene Absicht (1) geäußert wird, sind nicht zugelassen. Allerdings kann die Warum-Frage beantwortet werden, indem etwas angegeben wird, das die Person auch noch tut, indem sie handelt, also eine Absicht im Handeln (3), wenn auch nur in einem noch zu klärenden eingeschränkten Sinn. Die Anwendung der Warum-Frage wird also nur für die Fälle (2) und (3) untersucht. (b) Für die zweite Annahme wird nur eine Antwort auf die WarumFrage zugelassen: »Ich X-e eben, und damit basta!« (Ebd.) Die Person kann hier darüber sprechen, was sie tut (2) oder auch tun wird (1). Sie kann auf die Warum-Frage allerdings nur mit dieser einen Antwort reagieren. Keine dieser Antworten ist jedoch geeignet, die Absicht zu identifizieren, mit der die Person handelt (3).183 Nach einer ersten Variante von (a) wird der beobachtete Vorgang nur als ein gegenwärtig stattfindendes und beobachtbares Geschehen the­ matisiert. Ausdrücke wie »absichtlich« oder »absichtliche Handlung« dienen dann dazu, beobachtete Vorgänge als Aspekte einer Handlung festzustellen, so wie man die »Traurigkeit eines Gesichtsausdrucks« feststellen kann. Alles, was wie ein »absichtsgeprägtes« Tun erscheint, kann mit der beobachteten Handlung in Verbindung gebracht werden. Absicht wird so »zu einem Stilmerkmal beobachteter menschlicher Tätigkeiten, mit denen die Warum-Frage in Verbindung gebracht wird.« (A: § 20.53) Die Warum-Frage dient nur dazu, festzustellen, was jemand tut: Warum zerschlägst du Eier? Warum zerschlägst du Pauls Eier? Warum hältst du die Schüssel? Warum produzierst du Müll? Usw. Die beobachtete Person tut all diese Dinge. Die Möglich­ keit, die Warum-Frage unter einer Beschreibung des Geschehens abzuweisen, sie aber unter einer anderen zuzulassen, so dass diese Beschreibung das Tun als absichtlich kennzeichnet, besteht hier nicht. 183 In den beiden Annahmen wird jeweils Fall 2 (absichtliche Handlung) isoliert und von den beiden anderen Fällen aus § 1 her untersucht. Für diese Darstellung der beiden Annahmen orientiere ich mich an Schwenkler 2019: 57f.

150 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.5. Übergänge: Von der isolierten Handlung zur Einheit des Begriffs Absicht

Wie Candace Vogler (2016: 243) festhält, die diese Passage so inter­ pretiert hat, informiert jede Beschreibung die handelnde Person nur auf eine neue Weise über das, was sie gerade tut. Denn, laut Voraus­ setzung, kann die befragte Person sich nicht auf etwas berufen, das sie mit ihrem Tun beabsichtigt, so dass sie eine Beschreibung auf eine verständliche Weise zurückweisen könnte. So wird man auch anneh­ men müssen, »daß jemand, der deutlich gesehen und dann gefragt wird: ›Warum X-t du?‹ niemals behaupten kann, er sei sich über sein X-en nicht im Klaren gewesen.« (Ebd.) Gemessen an den Ergebnissen der bisherigen Untersuchung, verliert der Begriff der Absicht seinen Sinn, und die Warum-Frage ihre für absichtliche Handlungen spezi­ fische Funktion, Handlungsgründe zu identifizieren. In einer angereicherten, zweiten Variante von Annahme (a) wird die Möglichkeit, die Warum-Frage abzuweisen, zugelassen. Damit wird das Spektrum möglicher Antworten auf die Warum-Frage erwei­ tert. Es können rückwärtsgerichtete Motive und interpretative Motive in der reduzierten Form »gefühlsmäßige[r] Charakterisierung[en]« (Ebd.: 54) angegeben werden. Auf die Frage: »Warum zerschlägst du Eier?« wären nun folgende Antworten möglich: (1) »Weil ich wütend bin« (rückwärtsgerichtetes Motiv) (2) »Weil ich das Bedürfnis habe, mich zu entspannen« (wei­ tere Absicht) (3) »Weil es sich gut anfühlt« (interpretatives Motiv/gefühlsmä­ ßige Charakterisierung) In allen diesen Fällen werden Handlungsgründe gegeben. Es kann sogar eine weitere Absicht genannt werden, sofern damit eine andere Handlung Y gemeint ist, die auch noch ausgeführt wird, indem X getan wird, also auf eine andere gleichzeitig stattfindende Handlung verwiesen wird, wie das in (3) der Fall ist (vgl. ebd.). Nicht möglich wäre dagegen die Äußerung einer zukunftsbezogenen Absicht: (4) Ich werde einen Kuchen backen Die Frage ist dann, ob das »Motiv ausreichend [ist], um absichtliche Handlungen als eine eigene Art zu konstituieren?« (Ebd., kursiv i. Orig.) Die Frage muss verneint werden, denn, wie die Untersuchung der Rolle von Motiven im Zusammenhang mit der Warum-Frage ergeben hatte (vgl. §§ 13–14), schließt die Berufung auf Motive die Möglichkeiten der Beurteilung und Kritik ein. Der Witz von Kritik ist es, auf das Verhalten anderer Menschen einzuwirken, mit der Per­

151 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

spektive, dass sie ihr Verhalten nicht nur bereuen, sondern auch ändern, wobei die Verhaltensänderung als begründete Reaktion auf Kritik verständlich bleiben muss.184 Diese »Übung verliert viel von ihrem Sinn, wenn man sich unserer Voraussetzung entsprechend aus­ malt, es gebe keine Äußerung zukunftsbezogener Absichten« (A: § 20.55) Diese Praxis setzt nämlich eine in die Zukunft weisende Per­ spektive voraus. In Annahme (a) werden aber Verweise auf zukünf­ tiges Geschehen als Antworten auf die Warum-Frage gerade ausge­ schlossen. Es bleibt dann nur noch ein dürftiger Begriff der absichtlichen Handlung übrig, bei dem nur Antworten auf die Warum-Frage möglich sind, mit denen man mitteilt, die Absicht zu haben, »das zu tun, was man gerade tut« (ebd.). Nach der zweiten Annahme werden neben den gegenwärtig voll­ zogenen absichtlichen Handlungen auch Äußerungen von zukunfts­ bezogenen Absichten zugelassen. Man könnte zwar sagen (1) »Ich backe einen Kuchen« oder (2) »ich werde einen Kuchen backen«, aber nicht als Antworten auf die Frage »warum zerschlägst du die Eier?«185 Auf diese Frage ist nur die Antwort »Ich tu‘s eben« (ebd.) möglich. Die beiden Aussagen (1) und (2) über die gegenwärtig ausgeführte Handlung oder die zukünftige Absicht sind mit anderen Worten keine Begründungen, für das, was die Person tut oder tun wird. Sie behaup­ ten nur, »die betreffende Handlung werde tatsächlich vollzogen« (ebd.). Dann könnte man aber nicht mehr »zwischen so etwas wie Zusammenzucken und Schreckensrufen einerseits und ganz allge­ mein gesprochen, willentlichen Handlungen andererseits« (ebd., kur­ siv i. Orig.) unterscheiden. Das liegt daran, dass die einzig mögliche Antwort auf die Warum-Frage »ich tu’s eben« genauso als Antwort auf die Frage »warum zuckst du so zusammen?« gegeben werden kann. Wenn man wie in (b) annimmt, dass ein Verweis auf Beschrei­ bungen eines zukünftigen Geschehens als Begründung für die Hand­ lung entfällt, geht der Unterschied zwischen mentalen Ursachen und willentlichen Handlungen verloren. Das bestätigt auch die folgende Diskussion, was es heißt, nach einem Befehl zu handeln (ebd.: 56f.). Die Begriffe des Befehls und des Gehorsams setzen voraus, dass der Befehl als Grund verstanden werden kann, so zu handeln, wie befoh­ len wurde (vgl. dazu schon Anscombes Bemerkungen zu Befehlen in A: § 2.14) im Gegensatz zur bloßen Ausführung des Befohlenen als 184 185

Für diese Präzisierung vgl. Schwenkler 2019: 59f. Ich variiere hier die Erläuterung von Schwenkler 2019: 60.

152 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4.5. Übergänge: Von der isolierten Handlung zur Einheit des Begriffs Absicht

ein durch den Befehl verursachtes Verhalten. Diese Unterscheidung setzt einen Begriff des Handlungsgrundes voraus, der laut Annahme (b) ausgeschlossen wurde: »Daß es neben der Antwort ›Ich habe es eben getan‹ noch andere Antworten auf die Warum-Frage gibt, ist also eine wesentliche Voraussetzung des Begriffs der Absicht bzw. der wil­ lentlichen Handlung.« (A: § 20.57)186 Die Gegenüberstellung der beiden sonderbaren Annahmen zeigt, dass alle drei in § 1 eingeführten paradigmatischen Fälle, in denen der Begriff der Absicht vorkommt, zusammenhängen. Ant­ worten auf die Warum-Frage in Bezug auf eine absichtliche Handlung können nur dann einen Handlungsgrund angeben, wenn es auch möglich ist, eine zukunftsbezogene Absicht zu äußern. Denn anders wäre es nicht möglich, das was man zu tun beabsichtigt, als Grund für das anzugeben, was man dabei ist zu tun. Daher hängt der Begriff der absichtlichen Handlung auch von der Möglichkeit ab, eine Absicht anzugeben, mit der die Handlung vollzogen wurde. Wie die Diskus­ sion von Annahme (b) gezeigt hat, ist dieser Aspekt des Begriffs der Absicht notwendig, um die Unterscheidung zwischen willentlichen Handlungen und unwillentlichen Verhalten zu verstehen. Nur wer den Umgang mit der Warum-Frage in allen drei Formen beherrscht,

In § 21 kritisiert Anscombe Aristoteles‘ Argument aus NE I, 1 für die Annahme eines Ziels, auf das alles Handeln gerichtet ist. Sie sieht hier »einen unzulässigen Übergang von ›Alle Ketten müssen irgendwo enden‹ zu ›Es gibt einen Ort, an dem alle Ketten enden müssen.‹« (A: § 21.58) In prädikatenlogischer Ausdrucksweise kann man den Unterschied zwischen beiden Behauptungen so verdeutlichen: (1) Für alle x: wenn x eine Zweck-Mittel-Reihe ist, dann gibt es ein y, so dass y ein Ziel ist und x in y zu einem Ende kommt; (2) Es gibt ein y, für das gilt: y ist ein abschließendes Ziel und für alle x: wenn x eine Zweck-Mittel-Reihe ist, dann kommt x in y zu einem Ende. Die Folgerung von (2) aus (1) ist natürlich ungültig (vgl. dazu auch Anscombe 1959: 15f.). Für eine Interpretation, die es vermeidet, Aristoteles diesen Fehlschluss zu unterstellen, vgl. Luckner 2005: 54ff. Schwenkler interpretiert § 21 als Grundlage für Anscombes Aneignung der These, wonach alles Handeln als Handeln unter dem Gesichtspunkt des Guten verstanden werden muss. Dieser Gedanke des Handelns sub specie boni lässt sich auf die aristotelische Analyse der teleologischen Struktur der Praxis in NE I beziehen. Nach Schwenkler begründet Anscombe diese These nicht mit der aristotelischen Annahme eines besten Guts, wonach alles strebt: »The point is rather that concepts of acting with a further purpose or in pursuit of a future end are essential to any rich concept of intentional action as something to which ›Why?‹questions can be given application.« (Schwenkler 2019: 63). Das Thema des Handelns sub specie boni wird im Zusammenhang mit dem praktischen Syllogismus ausführlich behandelt (vgl. Kap. 6.3). 186

153 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

4. Ursachen, Gründe, Motive – der Sinn der Warum-Frage (§§ 5–21)

verfügt über den Begriff der Absicht.187 Damit ist dieser Teil der Untersuchung des Sinns der Warum-Frage beendet.

Vgl. auch Schwenkler 2019: 63 und Wiseman 2016a: 119: »according to Anscombe we cannot even describe the application of the concept of intention to actions or the significance of that practice without coming to see that we must speak of expressions of intention for the future and of the intention with which a thing is done.« 187

154 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5. Die Form absichtlicher Handlungen: Finalität (§§ 22–27)

5.1 Einleitung Mit den §§ 20 und 21 ist die Untersuchung, die in § 5 eingesetzt hat, zu zwei vorläufigen, miteinander zusammenhängenden Ergebnissen gekommen. Zum einen konnte die Besonderheit der Warum-Frage herausgearbeitet werden. Dadurch wurde der Begriff absichtlichen Handelns bestimmt, indem die Fälle eingegrenzt wurden, in denen diese Frage einen Handlungsgrund nennt und damit eine Absicht spezifiziert. Anscombe hat sich dabei von der Annahme leiten lassen, dass eine Untersuchung des zweiten, in § 1 eingeführten paradigma­ tischen Aspekts des Begriffs der Absicht (das absichtliche Handeln) helfen kann, die beiden anderen Aspekte zu verstehen. Dabei hat sich gezeigt, dass zwischen diesen drei Vorkommnissen von »Absicht« ein begrifflicher Zusammenhang besteht. Dieses Ergebnis kann zudem als erster Schritt zur Begründung der allgemeinen These von Intention verstanden werden, wonach das Wort »absichtlich« nicht einen inne­ ren Zustand handelnder Personen bezeichnet, sondern sich auf »eine Form von Ereignisbeschreibungen« (A: § 47.131, kursiv i. Orig.) bezieht. Anscombe wendet sich nun direkt dieser besonderen Form von Ereignisbeschreibungen zu. Bisher wissen wir nur, dass absichtliche Handlungen solche sind, bei denen die Warum-Frage einen besonde­ ren Sinn hat, nämlich einen Handlungsgrund zu identifizieren, im Gegensatz zu einer Ursache. In den nun folgenden Abschnitten wer­ den absichtliche Handlungen als Bewegungen bestimmt, die eine eigene rationale Ordnung aufweisen. Diese Ordnung lässt sich gewis­ sermaßen aus zwei Richtungen beschreiben. Die eine Richtung führt uns von dem, was unmittelbar geschieht, zur Spezifikation der Absicht, indem weitere Beschreibungen einbezogen und geordnet werden. Auf diese Weise wird das Prinzip der Handlung freigelegt, das zugleich die Identität und Einheit der Handlung in ihren ver­

155 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5. Die Form absichtlicher Handlungen: Finalität (§§ 22–27)

schiedenen Phasen festlegt. Die gesuchte Ordnung erweist sich dann als ein rationaler, d.h. einer spezifischen internen Logik unterliegen­ der Zusammenhang von Handlungsbeschreibungen. Sie werden ent­ lang der drei Fragen was? warum? und wie?, die ich abweichend von Anscombes eigener Darstellung explizit hervorhebe, geordnet.188 Ihr formales Merkmal ist Finalität.189 Diese Ordnung kann aber auch umgekehrt, von ihrem Prinzip her, von dem mit der Handlung ange­ strebten Zweck her, entfaltet und zurückgeführt werden zum wirkli­ chen Geschehen, d.h. einer Handlung unter einer Beschreibung. Unter dieser Perspektive erweist sich diese Ordnung als die eines Kalküls; es ist die Ordnung des praktischen Syllogismus, der die Form des praktischen Wissens angibt. Er entfaltet die teleologisch-instru­ mentelle Form absichtlicher Handlungen. Dieser Teil der Untersu­ chung erstreckt sich von §§ 28 bis 48 und ist Gegenstand des nächsten Kapitels. Anscombe arbeitet die finale Struktur absichtlicher Handlungen heraus, indem sie die »Absicht, mit der jemand eine Handlung voll­ zieht« (A: § 22.58, kursiv i. Orig.) näher untersucht. In diesem Kapitel soll es darum gehen. In § 22 werden zunächst zwei Formen des Aus­ drucks einer Absicht unterschieden: solche mit Zukunftsbezug und solche, die »eine umfassendere Beschreibung dessen, was er [d.h. der Handelnde, JK] tut« (A: § 22.59, kursiv i. Orig.), einbeziehen. Diese Unterscheidung leitet über zum Problem der Einheit einer absichtli­ chen Handlung in der Vielzahl ihrer möglichen Beschreibungen, das in § 26 gelöst wird. Anscombes Lösung bereitet die Antwort auf eine weitere wichtige Frage vor, nämlich welche Rolle Aussagen aus der erstpersonalen Perspektive handelnder Personen für die Festlegung der Absicht spielen. Die die Hauptuntersuchung unterbrechenden §§ 24, 25 und 27 widmen sich einigen damit zusammenhängenden 188 Ich nutze hier einen Gedanken von Aristoteles. Demnach lässt sich jede Was-Frage als Warum-Frage verstehen: »In all diesen Dingen nämlich ist deutlich, daß das Was-es-ist und Warum-es-ist dasselbe ist. Was ist eine Verfinsterung? Wegnahme des Lichts vom Mond infolge Dazwischentretens der Erde. Warum gibt es eine Verfinsterung, oder warum verfinstert sich der Mond? Weil das Licht fehlt, wenn die Erde dazwischentritt.« (An. Post. II, 2, 90a 15–18). 189 Damit nimmt Anscombe Thomas von Aquin auf, der »Absicht« (intentio) als Bezeichnung für die Form einer Bewegung thematisiert. Vgl. STh Ia-IIae, q. 12, art. 1: »intentio designat ordinationem quamdam in finem« (dt. „›Absicht‹ bezeichnet eine gewisse Hinordnung auf ein Ziel«) sowie dort resp.: »Dicendum quod intentio, sicut ipsum nomen sonat, significat in aliud tendere.« (Dt. »Wie schon das Wort sagt, bezeichnet ›Absicht‹ (›intentio‹) ›(sich) auf etwas richten‹).

156 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5.2 Zwei Erklärungsschemen: Um zu und indem

Problemen. Sie weisen einerseits die Inkohärenzen einer am Mythos des Inneren orientierten Handlungspsychologie auf, bieten anderer­ seits einen ersten Ansatz, um die Rolle des Selbstverständnisses, das Handelnde von ihrem Tun haben, angemessener zu verstehen. Wie Anscombes Lösung zu verstehen ist, wird allerdings erst deutlich, nachdem die Begriffe des praktischen Wissens und des praktischen Denkens geklärt wurden.

Lektürevorschläge zur Vertiefung Sehr gute, einander ergänzende Darstellungen der internen Ordnung absichtlicher Handlungen bieten das fünte Kapitel von Wiseman 2016a sowie das dritte Kapitel von Schwenkler 2019. Für eine wei­ terführende Analyse der teleologischen Struktur von Handlungser­ klärungen vgl. den zweiten Teil von Thompson (2011). Anscombe entwickelt ihre Auffassung der Doktrin der Doppelwirkung in ihrem Aufsatz Action, Intention and ›Double Effect‹ (1982/2005).

5.2 Zwei Erklärungsschemen: Um zu und indem Antworten auf die Warum-Frage, die Handlungen als absichtlich cha­ rakterisieren, weisen über das gegenwärtig beobachtbare Geschehen hinaus. Sie verweisen daher immer auch auf einen zukünftigen Sach­ verhalt. Es gilt aber ebenso umgekehrt, dass der Ausdruck einer zukunftsbezogenen Absicht, die Möglichkeit beinhaltet, eine Absicht zu benennen, mit der die Handlung vollzogen wird. Dieser Zusam­ menhang wird in folgendem Beispiel gut deutlich: »›Warum über­ querst du die Straße‹, und ich antworte: ›ich werde mir das Schau­ fenster da drüben anschauen‹« (A: § 22.59). Der Ausdruck der Absicht folgt hier dem allgemeinen Schema (A): (A-1) Ich werde Φ-en (A-2) Ich Ψ-e, weil ich Φ-en werde oder um zu Φ-en Anscombe macht aber noch auf eine andere Form des Ausdrucks von Absichten aufmerksam, nämlich solche, bei denen »umfassendere Beschreibungen« (ebd.), dessen, was eine Person tut, angeführt wer­ den, um ihr Tun zu erklären. Auch dafür gibt es ein Beispiel:

157 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5. Die Form absichtlicher Handlungen: Finalität (§§ 22–27)

Nehmen wir an, jemand kommt in ein Zimmer, sieht mich auf dem Bett liegen und fragt: »Was tust du da?« […] Eine Antwort wie »ich ruhe mich aus« oder »ich mache eine Yogaübung« – die ja beschriebe, was ich tue, indem ich auf dem Bett liege – würde hingegen eine Absicht zum Ausdruck bringen. (Ebd.)

Die Antwort auf die Warum-Frage erweitert die Beschreibung des unmittelbar beobachtbaren Geschehens (jemandes »Auf dem Bett Liegen«) um eine weitere Beschreibung, die dieses Geschehen erklärt (Yogaübung). In solchen Fällen folgt der Ausdruck der Absicht dem allgemeinen Schema (A*): (A*-1) Ich Φ-e, indem ich Ψ-e. Man kann diese beiden Erklärungsschemata mit John Schwenk­ ler terminologisch als zukunftsbezogene (forward-looking) Hand­ lungserklärungen und nach außen gerichtete (outward-looking) Handlungserklärungen unterscheiden (vgl. Schwenkler 2019: 64). Wichtig ist, sich klar zu machen, dass damit unterschiedliche zeitliche Dimensionen markiert werden: einmal ein Zukunftsbezug, der im Futur ausgedrückt wird; zum anderen ein gegenwärtiges Geschehen, das in einen umfassenderen Sinnzusammenhang gestellt wird und in der Verlaufsform ausgedrückt wird. Man kann anstatt (A*-1) auch sagen: (A*-2) »Ich Φ-e« oder »ich bin dabei zu Φ-en«. In die­ sen Erklärungsschemata sind die Beschreibungen auf jeweils andere Weise miteinander verknüpft, um eine sinnvolle Handlungserklärung abgeben zu können. So gilt für die zukunftsbezogenen Handlungserklärungen, dass die Beschreibung der Handlung und des zukünftigen Sachverhalts so zusammenhängen müssen, dass der zukünftige Sachverhalt als einer erscheint, der von der handelnden Person herbeigeführt werden kann: Das heißt, der erwähnte zukünftige Sachverhalt muß derart verständ­ lich sein, daß es verständlich ist, wenn der Akteur glaubt, dieser Sach­ verhalt werde oder könne durch die fragliche Handlung herbeigeführt werden. (A: § 22.60)

Das Eintreten des zukünftigen Sachverhalts folgt außerdem keinem kausal-mechanischem Automatismus. Das erkennt man schon daran, dass der Glaube der handelnden Person, den Sachverhalt herbeiführen zu können, für die Erklärung der Handlung maßgeblich ist. Aller­ dings unterliegt dieser Glaube öffentlich zugänglichen Bedingungen sinnvoller Rede. Die Verknüpfung zwischen der Beschreibung der Handlung und des zukünftigen Sachverhalts ist mit anderen Worten ein Sinnzusammenhang, der den Spielraum für Beschreibungen des

158 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5.2 Zwei Erklärungsschemen: Um zu und indem

zukünftigen Sachverhalts einschränkt.190 Er besteht darin, dass der spätere Sachverhalt als Stadium einer Handlungssequenz verständ­ lich wird, in deren Rahmen die vollzogene Handlung eine Phase darstellt. Anscombe verdichtet diese Sinnbedingung in eine, wie sie es nennt, »vage und allgemeine Formel«: Um »ich tue P im Hinblick auf Q« sinnvoll zu deuten, muß erkennbar sein, wie der zukünftige Sachverhalt Q als mögliches späteres Stadium einer Handlungssequenz auftreten kann, in deren Rahmen die Hand­ lung P eine frühere Phase bildet. (Ebd.: 61)

Für die begriffliche Fähigkeit, eine Absicht, mit der man etwas tut, auszudrücken, reicht es demnach zu verstehen, dass Äußerungen der Art »Q wird sowieso eintreten« der Absicht widersprechen (vgl. ebd.). Insofern reicht für die Beschreibung dieses Sprachspiels eine vage Formulierung. Dennoch wirft diese Formel weitere Fragen auf: Die Rede von Handlungssequenzen und ihren Phasen, die jeweils auch als Hand­ lungen beschreibbar sind, verweist auf das Thema der Einheit und Identität von Handlungen. Was stiftet die Identität einer Handlung? Um diese Frage zu beantworten, muss man nicht zuletzt klären, welche Beschreibung maßgeblich ist: Liegt die Person auf dem Bett oder macht sie eine Yogaübung oder macht sie beides? Handlungser­ klärungen nach dem Schema A* lassen diese Frage, wie das Beispiel zeigt, besonders dringend erscheinen. Das ist nicht zuletzt auch deshalb so, weil bei diesen Erklärungen nicht ohne weiteres klar ist, wann die in der vagen Formel genannten Sinnbedingungen erfüllt sind. Anscombe wendet sich daher diesem Komplex genauer zu, indem sie die »nach außen gerichteten« Handlungserklärungen aus­ führlicher untersucht.

Anscombes Diskussion des Beispiels einer Person, die eine Kamera im oberen Geschoss eines Hauses holen geht, dient der Erläuterung dieses Sinnzusammenhangs: A: § 22.60f.

190

159 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5. Die Form absichtlicher Handlungen: Finalität (§§ 22–27)

5.3 Einheit und Identität einer Handlung: Was? Warum? Wie? Was geschieht Handlungen werden durch Handlungsgründe erklärt, die mit Hilfe der Warum-Frage identifiziert werden. Aufgrund dieses spezifischen Erklärungsmodus wirft die Identifikation von Handlungen Schwierig­ keiten eigener Art auf. Dazu gehört insbesondere die Problematik der Einheit der verschiedenen Phasen einer Handlung. Nach welchen Kriterien lassen sich Handlungen voneinander abgrenzen und unter Begriffe von Handlungstypen subsumieren? Um die Funktion der Warum-Frage genauer zu verstehen, muss man darauf eingehen. Ans­ combe tut das ausgehend von einem berühmt gewordenen Beispiel. Da ich auch im weiteren Verlauf immer wieder darauf zurückkommen werde, sei es in voller Länge zitiert: Stellen wir folgende Frage: Gibt es eine Beschreibung, die, sofern eine absichtliche Handlung vollzogen wird, die Beschreibung dieser Hand­ lung ist? Außerdem wollen wir eine konkrete Situation betrachten: Ein Mann pumpt Wasser in einen Tank, der ein bestimmtes Haus mit Trinkwasser versorgt. Eine andere Person hat herausgefunden, wie man die Quelle systematisch mit einem kumulativ wirkenden tödlichen Gift verseuchen kann, dessen Wirkungen unbemerkt bleiben, bis keine Heilung mehr möglich ist. Das Haus wird regelmäßig von einer kleinen Gruppe von Parteiführern und deren Angehörigen bewohnt. Diese Gruppe beherrscht einen großen Staat; sie hat sich der Judenvernich­ tung verschrieben und plant vielleicht einen Weltkrieg. – Die Person, die das Trinkwasser verseucht, hat sich überlegt: Falls diese Leute getö­ tet werden, kommen gute Menschen an die Macht, die ein gerechtes Regiment führen oder sogar den Himmel auf Erden verwirklichen und allen Menschen ein glückliches Leben gewährleisten. Diese Überle­ gung und die Tatsache der Vergiftung hat der Betreffende dem Mann mitgeteilt, der die Pumpe bedient. Der Tod der Hausbewohner wird natürlich alle möglichen sonstigen Wirkungen nach sich ziehen, bei­ spielsweise daß eine Reihe von Personen, die den beiden unbekannt sind, Erbschaften antreten werden, über die sie ebenfalls nichts wissen. (A: § 23.62)

Dieses Szenario ist vielschichtig. Es berücksichtigt, wie wir sogleich sehen werden, die Komplexität der Identifikationsproblematik. Es wirft aber auch einige, vor allem normative Fragen auf, die über das

160 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5.3 Einheit und Identität einer Handlung: Was? Warum? Wie?

Problem der Identifikation von Handlungen hinausweisen; Fragen der moralischen bzw. rechtlichen Zurechnung oder auch Verantwortlich­ keit, vielleicht auch Fragen der politischen Bewertung einer solchen Verschwörung. Es sind die normativen Dimensionen des Handelns, so könnte man vermuten, an denen erst die Relevanz handlungstheo­ retischer Bemühungen sichtbar wird. Und vielleicht sind es auch solche Beispiele (es werden noch andere folgen), die den Eindruck erwecken, dass es in Intention letztlich um eine Grundlegung der Ethik geht. Nun hat Anscombe aber in Modern Moral Philosophy dafür plä­ diert, genau solche Fragen, die in die Grundlagen der Moralphiloso­ phie führen, zurückzustellen.191 Grundbegriffliche Unterscheidungen im Bereich der Handlungspsychologie müssen verständlich gemacht werden, ohne schon bestimmte moralphilosophische Konzepte oder Bewertungsmaßstäbe für Handlungen vorauszusetzen. Die Unter­ scheidungen müssen unabhängig davon einleuchten. Was aus dieser begrifflichen Arbeit für die Moralphilosophie folgt, wäre erst in einem darauffolgenden Schritt genauer zu untersuchen. Es macht allerdings für die moralische Bewertung einer Handlung durchaus einen Unterschied, als was für eine Art von Handlung sie identifiziert wird. Und es ist ebenso offensichtlich, dass die Identifikation immer auch eine qualitative Bestimmung impliziert: Es ist ein qualitativer Unterschied, ob die in unserem Beispiel die Pumpe betätigende Person im Wesentlichen den Wassertank füllt oder die Bewohner des Hauses vergiftet. Anscombe fordert uns jedoch auf, diesen Aspekt ganz auszublen­ den, paradoxerweise wohl auch gerade deshalb, weil er sich beständig aufdrängt.192 Sie fragt vielmehr, ob es, unter der Voraussetzung, dass die pumpende Person eine absichtliche Handlung vollzieht, eine Beschreibung ihres Handelns gibt, die als die Beschreibung dieser Handlung gelten kann. Diese Frage zielt darauf ab, festzustellen, was hier eigentlich genau geschieht: »Nun lautet unsere Frage: Was tut dieser Mann? Wie lautet die Beschreibung seiner Handlung?« (Ebd.) Die Frage hat zwei Aspekte. Wer die Was-Frage in Bezug auf eine Handlung stellt, erwartet als Antwort eine Handlungsbeschrei­ bung, aber nicht irgendeine, sondern eine Beschreibung, die das Tun 191 Vgl. dazu meine Ausführungen in Kap. 2.3. Ich komme darauf im Laufe dieses Kapitels noch einmal kurz zurück. 192 Vgl. A: § 25.73. Hier betont Anscombe ausdrücklich, dass ihr Interesse an diesem Szenario nicht juristischer oder ethischer Art ist. Ich komme auf diese Stelle zurück.

161 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5. Die Form absichtlicher Handlungen: Finalität (§§ 22–27)

der befragten Person im Licht von Gründen erklärt. Das wäre der erste Aspekt. Eine solche Beschreibung weist über das unmittelbar beobachtbare Geschehen hinaus. Wer also in unserem Szenario die pumpende Person fragt, was sie tut, erwartet als Antwort die Beschrei­ bung, durch die das Tun der pumpenden Person im Licht anderer Beschreibungen als ein insgesamt sinnvolles Geschehen erscheint. Insofern reicht es nicht, wenn diese Person auf die Frage »was tun sie da?« mit »das sehen sie doch: ich pumpe« antwortet. Denn mit der Frage, was hier geschieht, will man erfahren, was diese Person letztlich tut, indem sie die Pumpe betätigt. Isoliert betrachtet, gibt die Beschreibung des unmittelbar beobachtbaren Geschehens (X pumpt) darauf keine Antwort.193 Ausgangspunkt der Untersuchung ist also eine so verstandene Was-Frage. Sie zielt auf das Geschehen und seine näheren Umstände ab, nicht auf die »Absicht«, sofern man darunter einen geistigen Zustand versteht. Das Geschehen wird nicht dadurch, um Davidsons Terminus zu verwenden, rationalisiert, dass man es auf einen mentalen Zustand zurückführt, sondern, indem Beschreibun­ gen des Geschehens in eine sinnvolle Ordnung gebracht werden. Es ist die Aufgabe der bereits eingeführten, nach Handlungsgründen fra­ genden Warum-Frage, diese explanatorische Ordnung herzustellen. Man kann die Frage nach der Beschreibung aber auch als Frage nach der Einheit der Handlung verstehen: hat man es mit einer einzigen Handlung zu tun oder einer Folge von einzelnen, irgend­ wie miteinander zusammenhängenden Handlungen (Bewegung der Arme und Betätigung der Pumpe und Auffüllen des Wassertanks und …)? Das ist der zweite Aspekt der Frage nach der Beschreibung. Er hängt freilich mit der Was-Frage zusammen. Die auf Identifikation der Handlung abzielende Was-Frage hat einen Aspekt, der die quali­ tative Bestimmtheit und einen Aspekt, der die numerische Identität der Handlung betrifft.194 Die Beantwortung der Frage nach dem Was einer Handlung verweist aber nicht nur auf die Warum-Frage, sondern auch, wie Anscombes Diskussion zeigen wird, auf eine auf die Mittelwahl abzielende Wie-Frage. Diese drei Fragen geben den logisch-grammatischen Rahmen für die Identifikation einer absicht­ Vgl. Schwenkler (2019: 66), der diesen Punkt sehr schön an einem kleinen fiktiven Dialog illustriert. 194 Vgl. etwas anders akzentuiert auch Schwenkler 2019: 66f. Abweichend von Schwenkler neige ich allerdings dazu, den Aspekt der qualitativen Bestimmung sowie den Zusammenhang dieser Fragen zu betonen. Sie machen erst zusammen den Sinn der auf die Identifikation der Handlung abzielenden Was-Frage aus. 193

162 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5.3 Einheit und Identität einer Handlung: Was? Warum? Wie?

lichen Handlung ab. Die begriffliche Fähigkeit, eine Handlung zu identifizieren, manifestiert sich darin, das Zusammenspiel dieser Fragen sowie das Spektrum jeweils sinnvoller Antwortmöglichkeiten zu beherrschen. Anscombe stellt nicht nur den im engeren Sinne normativen Aspekt zurück. Sie will die Frage nach der Beschreibung der Hand­ lung außerdem auch nicht als metaphysisches Problem der Identität verstanden wissen. Im Anschluss an ihre Ausführungen in Intention hat sich ausgehend von der Frage nach den Identitätskriterien für Handlungen eine Debatte entzündet. Nach Davidson fällt es schwer, sich eine befriedigende Handlungstheorie vorzustellen, wenn wir nicht buchstäblich von derselben Handlung unter verschie­ denen Beschreibungen reden können […]. Heinrich hat das Stück Papier absichtlich verbrannt, was sein Verbrennen eines wertvollen Dokuments nur deshalb entschuldigt, weil er nicht wußte, daß das Stück Papier ein Dokument war und sein Verbrennen des Stücks Papier das Verbrennen des Dokuments war (bzw. mit dem Verbrennen des Dokuments identisch war). (Davidson 1969/1990: 235)

Er löst dieses Problem im Rahmen einer Ereignisontologie. Es gilt dann zu klären, unter welchen Bedingungen die Beschreibungen »Verbrennen eines Stücks Papier« und »Verbrennen eines wertvollen Dokuments« ein und dasselbe Ereignis herausgreifen. Davidsons Frage ist, ob es ein Ereignis gibt, das beide Sätze wahr macht. Seine Lösung lautet, dass zwei Ereignisse identisch sind, wenn sie dieselbe Ursache und Wirkung haben.195 Diese ereignisontologische Deutung ihrer Frage hat Anscombe ausdrücklich verworfen. Nach ihrem Verständnis ist es möglich, die Frage nach der Beschreibung (dem Was der Handlung) zu beantworten, ohne eine Ereignisontolo­ gie vorauszusetzen.196 Eines der Gegenargumente, das sie in einer späteren Reaktion auf diese Debatte vorgetragen hat, beruht darauf, dass Ausdrücke wie »Ereignis« oder »Handlung« keine zählbaren 195 Vgl. Davidson 1969/1990: 256f. Die Diskussion wurde von Alvin Goldmann pro­ minent aufgegriffen und weitergeführt (vgl. Goldman 1970: 1–9). Zu den Unterschie­ den zwischen Davidsons und Anscombes Auffassung zur Identität von Handlungen vgl. Annas 1976. 196 Vgl. zu dieser Diskussion Anscombe (1979/1981b: 210): »If one says that one and the same action (or other event) may have many descriptions, it is sometimes supposed that this must be said in the light of a theory of event-identity. Now this appears to me no more true than that one can only say one and the same man can satisfy many different definite descriptions in the light of a theory of human identity.«

163 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5. Die Form absichtlicher Handlungen: Finalität (§§ 22–27)

Substantive sind (anders als »Todesfall«, »Kuss« oder »Explosion«). Ich kann sinnvoll fragen, wie viele Explosionen sich heute Morgen in der Stadt ereignet haben, aber nicht, jedenfalls nicht ohne spezifi­ zierenden Kontext, wie viele »Ereignisse« stattgefunden haben (man wird immer fragen können: was für Ereignisse?). Ebenso kann man sinnvoll fragen, wie viele Küsse Peter dem Paul gegeben hat; ohne nähere Spezifikation der Umstände aber nicht, »wie viele Handlun­ gen« ausgeführt wurden (vgl. Anscombe 1979/1981b: 213). Generell, und das scheint Anscombes Punkt zu sein, kann man solche Fragen nicht ohne Berücksichtigung eines Kontextes stellen. Zu diesem Kontext gehören auch die explanatorischen Interessen derjenigen, die herausfinden wollen, was geschehen ist bzw. geschieht. So wird man in unserem Ausgangszenario anders fragen und auch andere Antworten erwarten, je nachdem, ob man herausfinden will, warum die Menschen in diesem Haus gestorben sind, oder sich für die Leistungsfähigkeit der Pumpe interessiert. Diese Feststellung über die Kontextabhängigkeit von Handlungsbeschreibungen hat nach Anscombes Verständnis keine weiter reichenden metaphysischen Implikationen über Identitätskriterien von Ereignissen, die einer eigenen Klärung bedürften. Es geht darum, die logische Grammatik von Handlungsbeschreibungen aufzuklären.

Die ordnende Funktion der Warum-Frage So setzt Anscombes Untersuchung der Frage nach »der Beschreibung« der Beispielszene mit der Feststellung ein, dass von den vielen mög­ lichen Beschreibungen »natürlich jede Beschreibung des Geschehens in Frage [kommt], in der unser Mann als Subjekt auftritt und die tat­ sächlich wahr ist.« (A: § 23.63, kursiv i. Orig.) Wir wissen bereits, dass die Warum-Frage die Aufgabe hat, die Beschreibungen heraus­ zugreifen, unter denen eine Handlung absichtlich ist. So kann auch in diesem Fall das Tun der pumpenden Person auf den Bereich der absichtlichen Handlungen beschränkt werden: »Die Worte ›Er X-t‹ sind dann eine Beschreibung einer absichtlichen Handlung, wenn (a) sie zutreffen und (b) es im bereits definierten Bereich so etwas wie eine Antwort auf die Frage ›Warum X-t Du?‹ gibt.« (Ebd.) Nach die­ sem Kriterium lassen sich die Beschreibungen des Tuns unserer pum­ penden Person in eine Ordnung bringen, die den oben eingeführten

164 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5.3 Einheit und Identität einer Handlung: Was? Warum? Wie?

Erklärungsschemata (A) und (A*) entsprechen. Es ergibt sich dann folgende Beschreibung des Geschehens: Frage: Was tust du da? A) Ich bewege meinen Arm auf und ab. Frage: Warum bewegst du deinen Arm auf und ab? B) Ich bediene die Pumpe. Frage: Warum bedienst du die Pumpe? C) Ich fülle den Wasservorrat auf. Frage: Warum füllst du den Wasservorrat auf? D) Ich vergifte die Bewohner des Hauses.197 Am Ende von § 23 nennt Anscombe vier Handlungen, die den hier wiedergegebenen Antworten entsprechen. In § 26 kennzeichnet sie diese Reihe mit den Buchstaben A, B, C und D.198 Dabei benennt jede der Antworten eine absichtlich vollzogene Handlung und drückt eine Absicht aus. An dieser Stelle wird der erwähnte Zusammenhang zwi­ schen den beiden Aspekten der Was-Frage deutlich. Denn nun kann man fragen, ob wir es doch mit vier Handlungen zu tun haben. Ans­ combe verneint das eindeutig: »Demnach haben wir eine Handlung mit vier Beschreibungen vor uns, deren jede von umfassenderen Umständen abhängt und die zur jeweils nächsten im Verhältnis von Mittel- und Zweckbeziehungen stehen.« (A: § 26.75, kursiv i. Orig.) Schauen wir uns die Reihe genauer an, um dieses Ergebnis zu verste­ hen.

Die Reihe A – D und die Einheit des Begriffs der Absicht Die Reihe kann durch vier Merkmale charakterisiert werden.199 Sie ist, erstens, irreflexiv: Damit ist gemeint, dass die Glieder der Reihe zwar jeweils in beide Richtungen abhängig voneinander sind, aber nicht auf die gleiche Weise. Die Behauptung, dass A getan wird, um B zu tun, besagt, dass B einen Grund gibt für A. A hängt also auf rationale Weise von B ab. Umgekehrt hängt B aber auch von A ab, Vgl. A: § 23.64 sowie Wiseman 2016a: 126 für diese Darstellung der Reihe. Vgl. A: § 26.74. In der Literatur hat sich dafür die Bezeichnung A – D-Reihe ein­ gebürgert. 199 Ich folge hier in wesentlichen Punkten Schwenklers (2019: 68f.) differenzierter Analyse der A – D-Reihe. 197

198

165 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5. Die Form absichtlicher Handlungen: Finalität (§§ 22–27)

allerdings handelt es sich um eine kausale Abhängigkeit: Die Arm­ bewegung ist die Ursache für den Betrieb der Pumpe. Dennoch besteht, zweitens, eine bestimmte umgekehrte Form der Abhängigkeit zwischen einem späteren und einem früheren Glied der Reihe. Diese Abhängigkeit wird durch eine eigene, sich auf die Mittel beziehende Frage offen gelegt, die Wie-Frage. So kann man von D ausgehend fra­ gen: »Wie vergiftest du die Einwohner des Hauses?« Die Antwort wäre C: »Ich fülle den Wasservorrat auf.« Auf diese Weise kann man bis zu A zurückgehen.200 Die Wie-Frage legt mit anderen Worten die teleologische Struktur der Reihe offen, indem sie die Abhängigkeit zwischen den Gliedern der Reihe als einen Zusammenhang von Mit­ teln und Zwecken darstellt. Der finalen Struktur, die zum Prinzip der Handlung führt, entspricht eine teleologische Struktur, die vom Prin­ zip über die Mittel zum handelnden Menschen zurückführt, von dem die Bewegung ausgeht. Die weitere Untersuchung wird zeigen, dass die Form dieser Ordnung der praktische Syllogismus ist, der die Form des praktischen Wissens des Handelnden angibt. Drittens, sind die Abhängigkeiten zwischen den Gliedern der Reihe, die durch die Warum- und die Wie-Fragen offengelegt werden, transitiv: Wer A tut, um B zu tun, und B, um C zu tun, tut auch A um C zu tun (und umge­ kehrt). Das vierte Merkmal betrifft die besondere Stellung des letzten A wäre dann die Beschreibung einer Handlung, die man auch als Basishandlung bezeichnen könnte. Dieser terminus technicus wurde von Arthur C. Danto geprägt (vgl. Danto 1963 und 1965). Darunter versteht man eine Handlung, die man nicht ausführt, indem man etwas tut, das seinerseits als Handlung identifizierbar ist. Georg Henrik von Wright erläutert: »Handlungen, von denen man nicht sagen könnte, daß sie dadurch vollzogen werden, daß man etwas anderes tut, werde ich Basis-Handlungen nennen.« (Von Wright 1991: 70, kursiv i. Orig) Es handelt sich um unmittelbar ausgeführte Körperbewegungen. Damit soll ein Regress von immer feineren Beschreibungen abgebrochen werden. Es ist allerdings zweifelhaft, ob in Anscombes Konzeption Raum für die Annahme von Basishandlungen ist. Das leuchtet auch ein, wenn man eine Überlegung des Thomas von Aquin einbezieht. Nach der Ordnung der Ausführung (ordo executionis) muss es für jede Handlung des Menschen formal einen Anfang geben. Bei den zielgerichteten Bewegungen, als die wir Handlungen auffassen, muss es ein Erstes geben, da sonst die Bewegung nicht anfangen würde und folglich auch nicht als Handlung identifizierbar wäre (vgl. STh Ia-IIae, q.1, a. 4). Folgt man Thomas, muss dieser notwendige Anfang keineswegs als eine empirisch zu identifizierende unmittelbare Körperbewegung gedacht werden, die gleichsam aus dieser Ordnung herausfällt, sie aber im Sinne einer causa efficiens verursacht. Der Begriff der Basishandlung gehört in den theoretischen Kontext einer kausalistischen Handlungstheorie. Für eine neuere Diskussion vgl. auch Hornsby 2013 und Lavin 2013. 200

166 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5.3 Einheit und Identität einer Handlung: Was? Warum? Wie?

Gliedes, denn es gibt die Absicht an, »mit der die Handlung unter ihren übrigen Beschreibungen vollzogen worden ist.« (A: § 26.75) Die besondere Stellung des letzten Gliedes bezeichnet Anscombe auch mit der Metapher des »Schluckens« (ebd.) der früheren Glieder bzw. Absichten: »Das Kennzeichen dieses ›Schluckens‹ besteht darin, daß es nicht falsch ist, zur Beantwortung der auf A bezogenen WarumFrage D zu nennen.« (ebd.) Wenn D das letzte Glied ist, dann kann die Antwort »um D zu tun« als Antwort auf alle Warum-Fragen gege­ ben werden, die man an die früheren Glieder der Reihe richten kann. Das ist auch der Grund, warum Beschreibung D sich als die gesuchte Beschreibung dieser Handlung erweist. Sie ist die Beschreibung, mit der die Was-Frage beantwortet wird. Alle vier Merkmale zusammen charakterisieren die eigentümliche finale Struktur dieser Handlung. Das ist deshalb so, weil die mit D gegebene Beschreibung (d.h. die Beschreibung der Handlung) diejenige ist, die die Handlung in allen ihren anderen Beschreibungen erklärt. Es wird nun auch verständlich, inwiefern diese Erklärung dem Schema A* folgt. Anscombes Ausgangsbeispiel dafür war: »Ich mache eine Yogaübung, indem ich auf dem Bett liege.« Dieses Schema exemplifiziert auch die Reihe A – D. Sie beschreibt das, was die pumpende Person gegenwärtig tatsächlich tut, indem sie bestimmte andere Dinge tut, so dass man auch sagen könnte: Die Armbewegun­ gen sind unter diesen Umständen ein Pumpen, und das Pumpen ist ein Auffüllen des Wasservorrats, und das Auffüllen des Wasservorrats ist ein Vergiften der Einwohner. Insofern ist auch das Pumpen unter den beschriebenen Umständen wesentlich ein Vergiften der Einwohner und nicht etwa das Herbeiführen einer neuen Regierung (vgl. ebd.).201 Die Reihe kann aber auch nach dem Schema A dargestellt wer­ den. Dafür hatte Anscombe zwei Beispiele: »Ich überquere die Straße, weil ich das Schaufenster anschauen werde« oder »ich gehe nach oben, weil ich die Kamera holen werde«. In beiden Fällen kann man das Futur durch einen Finalsatz ersetzen. Beide Schemata lassen sich aber auch ineinander überführen. Indem und um zu fallen zusammen. Auf die Frage: »Warum gehst du nach oben?« kann man antworten: »um die Kamera zu holen« oder »ich werde die Kamera holen« (A) oder auch »ich hole die Kamera« (A*). Analog kann man auf die Frage »Warum betätigst du die Pumpe?« antworten: »um die Einwohner des Hauses 201 Letzteres gehört, wie im nächsten Abschnitt deutlicher wird, zu den weite­ ren Absichten.

167 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5. Die Form absichtlicher Handlungen: Finalität (§§ 22–27)

zu vergiften«, oder »ich werde die Einwohner des Hauses vergiften« oder auch »ich vergifte die Einwohner des Hauses«. Insofern sind die paradigmatischen Fälle, die in § 1 unterschieden wurden, tatsächlich bis »zu einem gewissen Grad […] einfach äquivalent.« (A: § 23.66)

Weitere Absichten Die Einheit der Reihe A – D konnte dadurch charakterisiert werden, dass sie nicht durch irgendeine der Beschreibungen, die zu ihren Glie­ dern gehören, erklärt wird, sondern umgekehrt: Die letzte Beschrei­ bung erklärt die Handlung in allen ihren Phasen. Nun kann man allerdings fragen, wie die mit D beschriebene Handlung ihrerseits erklärt wird. Fällt in die Reichweite der Absicht des Handelnden nur das, was in die A – D-Reihe nach den genannten Merkmalen einge­ ordnet werden kann? In einer bestimmten Hinsicht ist das tatsächlich so, da die Warum-Frage alle irrelevanten Beschreibungen aus der Reihe ausschließt, z.B. dass der Pumpende durch seine Art der Bewe­ gung den Rhythmus einer bestimmten Melodie hämmert (vgl. A: § 26.76). In einer anderen Hinsicht reicht die Absicht aber weiter. Denn es ist durchaus möglich, auch an D eine Warum-Frage zu rich­ ten. In ihrem Verschwörungsszenario nennt Anscombe eine mögliche Antwort: Frage: Warum vergiftest du die Einwohner des Hauses? E) Wenn sie getötet werden, kommen Menschen an die Macht, die ein gerechtes Regiment führen werden. Oder: E*) Ich bringe eine neue Regierung an die Macht. (A: § 23.64) Sie hält allerdings sogleich fest, dass zwischen den Antworten, die man bis zu D bekommen kann, und E eine »Zäsur« liegt (ebd.). Jenseits dieser Zäsur liegen Beschreibungen der Ziele, die der Han­ delnde mit seinem Tun auch noch verfolgt. Formal heißt das, dass Antworten nach dem Schema A (»ich werde Φ-en« oder »um zu Φ-en«) außerdem noch Beschreibungen geben können, die über die Reihe A – D hinausweisen. Das Schema A dient also auch dazu, weitere Ziele oder Absichten des Handelnden zu identifizieren, und sie werden im Futur ausgedrückt. Die Zäsur trennt demnach die Beschreibungen, die »umfassen­ dere Umstände« (A: § 26.75) dessen nennen, was eine Person tut

168 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5.3 Einheit und Identität einer Handlung: Was? Warum? Wie?

(nach außen gerichtete Beschreibungen), von den Beschreibungen dessen, was eine Person auch noch tun wird, indem sie A – D tut. Diese Grenze ist allerdings nicht trennscharf: »So fragt es sich zum Beispiel, ob zwischen den folgenden Fällen ein großer Unterschied besteht: ›Sie kocht Tee‹ einerseits und ›Sie setzt den Topf auf, um Tee zu kochen (also: ›Sie wird Tee kochen‹) andererseits.« (A: § 23.66) Dennoch kann man die Zäsur setzen. Es gibt nämlich einen Punkt, an dem zwar eine weitere Warum-Frage möglich ist, es aber nicht mehr sinnvoll erscheint, die Verwirklichung des als Antwort genannten Ziels für selbstverständlich zu halten. Die Verwirklichung des Ziels wird dann nicht mehr in der Verlaufsform ausgedrückt, sondern vor­ zugsweise mit »um zu« oder im Futur. In solchen Fällen würde man sagen: »Es ist das, was ich tun werde«. Man kann sich das klar machen, indem man folgende Antworten gegenüberstellt: Frage: Warum vergiftest du die Einwohner? E) um die Guten an die Macht zu bringen (ich werde die Guten an die Macht bringen) E*) Ich bin dabei, die Guten an die Macht zu bringen Frage: Warum fährst du nach Frankfurt? 2) um eine neue Wohnung zu besichtigen (ich werde eine neue Wohnung besichtigen) 2*) Ich bin dabei, eine neue Wohnung zu besichtigen. Nun wäre die Antwort 2*) zweifellos auch verständlich, aber doch ungewöhnlich, wenn man sie jemandem gibt, der einem diese Frage im Zug auf der Fahrt nach Frankfurt stellt.202 Das erscheint deshalb unpassend, weil die Verwirklichung des Ziels hier nicht so selbstver­ ständlich ist wie in Fällen, bei denen die näheren Umstände, die zur Erklärung des Handelns genannt werden, einen Vorgang benennen, der unmittelbar durch die gerade vollzogene Handlung eintritt (das Füllen des Wassertanks durch das Pumpen). So sind auch die Antwor­ ten E und E* einzuschätzen. Als Antwort auf »warum bewegst Du die Arme auf und ab« würde E* unpassend erscheinen. So bestätigt sich, dass das Pumpen in unserem Beispiel unter den beschriebenen Umständen wesentlich ein Vergiften der Einwohner ist, und nicht das Herbeiführen einer neuen Regierung, obwohl der Pumpende auch beabsichtigt, das in E genannte Ziel zu realisieren. Diese Ziele 202

Vgl. auch Anscombes eigene ähnlich konstruierte Beispiele in A: § 23.66.

169 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5. Die Form absichtlicher Handlungen: Finalität (§§ 22–27)

sind auf andere Weise mit der Handlung verbunden. Das Vergiften der Hausbewohner bleibt jedoch eine Phase dieser Handlung, die nicht einfach aus der Reihe, die diese Handlung insgesamt ausmacht, mitsamt ihren weiteren Folgen ausgeschlossen werden kann. Akzeptiert man diese Antwort auf die Frage nach der Beschrei­ bung des im Beispielszenario dargestellten Geschehens, bestätigt sich, dass der logisch-begriffliche Rahmen, den die drei Handlungen identifizierenden Fragen (Was? Warum? und Wie?) abstecken, auf keine metaphysischen Voraussetzungen verweist. Alle drei Fragen hängen zusammen, sie lassen sich ineinander überführen: Jede WasFrage kann als Warum-Frage oder Wie-Frage formuliert werden, jede Warum- als Wie-Frage und umgekehrt. Mit diesen Fragen werden jeweils Aspekte angesprochen, die eine absichtliche Handlung konsti­ tuieren. Die Einheit der Handlung kann jeweils unter diesen Aspekten thematisiert werden.203 Aber, und das ist die Bedeutung der Zäsur, es gibt auch einen Punkt, an dem die Was- und die Warum-Frage auseinanderfallen. Das ist dann der Fall, wenn die Warum-Frage keinen selbstverständlichen Beitrag zur Beantwortung der Was-Frage mehr leistet. Die Grenzen zwischen Erklärungen nach dem Schema A und solchen nach dem Schema A* sind allerdings nicht scharf. Wie solche Grenzen gezogen werden, welche Ordnung von Absichten letztlich jeweils die Was-Frage zufriedenstellend beantwortet, hängt von den Umständen ab und von den Interessen der fragenden Perso­ nen. Wer an physiologischen Aspekten des Vorgangs interessiert ist, wie das Erzeugen bestimmter Substanzen in den Nervenfasern des Pumpenden, verfolgt andere explanatorische Interessen als jemand, der die Hintergründe des Todes der Hausbewohner herausfinden will, und wird daher auch die Warum- und die Was-Frage in einem anderen Sinne stellen. Antworten, die physiologische Vorgänge betreffen, kämen als Antworten auf die Warum-Frage nur dann in Frage, 203 Die durch diese drei Fragen freigelegte Ordnung ist eine begriffliche Ordnung, deren Inhalt Begriffe von Beschreibungsformen sind (»einen Wasservorrat auffül­ len«). Handlungen lassen sich demnach als Exemplifikationen solcher Beschreibungs­ formen verstehen. Dieses Ergebnis antizipiert Anscombes spätere Feststellung, dass es ohne Warum-Frage den Begriff der Absicht nicht gäbe (A: § 46.129). Man kann das zugleich als Anscombianische Antwort auf die Frage verstehen, ob es so etwas wie Handlungsformen im Sinne der scholastischen species actus gibt. Es gibt sie nicht im Sinne von praxisunabhängigen Universalien. Wer den Umgang mit den drei Fragen beherrscht, verfügt über eine begriffliche Fähigkeit, die voraussetzt, dass diese in einer Sprachgemeinschaft instituiert ist. Auf die Bemerkung aus § 46 komme ich im nächs­ ten Kapitel ausführlicher zurück.

170 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5.3 Einheit und Identität einer Handlung: Was? Warum? Wie?

wenn der Pumpende tatsächlich vorhat, das unter diesen Aspekten Beschriebene zu tun. Die metaphysische Frage danach, welche Ereignisse die unterschiedlichen Beschreibungen dieses Szenarios wahr machen, erscheint im Licht von Anscombes Ausführungen als sinnlos. Buch­ stäblicher als »das Pumpen ist unter diesen Umständen ein Vergiften« können wir hier nicht »von derselben Handlung unter verschiedenen Beschreibungen reden« – um noch einmal Davidsons Bemerkung aufzugreifen. Keine Ereignisontologie wird uns bei der Suche nach einer der Situation angemessenen Beschreibung entlasten oder die Irrtümer bzw. die damit verbundene Fehleranfälligkeit mindern. Wir haben hier den typischen Fall eines metaphysischen Erklärungsan­ spruchs, der ins Leere läuft.

Ein neues Problem: Absichten und Nebenfolgen Die bisher untersuchte Reihe A – D stellt den paradigmatischen Fall dar für die interne Logik einer absichtlichen Handlung und die Bedin­ gungen ihrer Identifikation. Es können aber Fälle konstruiert werden, bei denen die bisherigen Kriterien für absichtliche Handlungen – die auf Handlungsgründe abzielende Warum-Frage findet Anwendung, der Handelnde kennt seine Absicht ohne Beobachtung, die Erklärung verweist nicht auf eine mentale Ursache – erfüllt sind, es aber trotz­ dem strittig ist, was genau die Absicht der handelnden Person war. Als Beispiel dafür variiert Anscombe das Szenario aus § 23. Der Pum­ pende antwortet jetzt auf die Frage »Warum vergiftest du die Ein­ wohner des Hauses?« mit: »Darum habe ich mich nicht gekümmert. Ich wollte bloß meinen Lohn und habe meine übliche Arbeit getan.« (A: § 25.69) In diesem Fall weiß die Person, dass eine ihrer absichtli­ chen Handlungen auch ein Auffüllen des Wasservorrats mit vergifte­ tem Wasser ist. Dennoch, so Anscombe, »wäre [es] nach unseren Kri­ terien nicht richtig zu behaupten, dieser Akt des Auffüllens des häuslichen Vorrats mit vergiftetem Wasser sei etwas Absichtliches gewesen.« (Ebd.) Diese Bemerkung muss erstaunen, denn es scheint demnach so, als könne der Handelnde durch seine bloße Aussage die Absicht festlegen, indem er die Handlung unter der Beschreibung »Auffüllen des häuslichen Wasservorrats mit vergiftetem Wasser« abweist: »Ich mache hier nur meine gewöhnliche Arbeit.« Das Prob­

171 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5. Die Form absichtlicher Handlungen: Finalität (§§ 22–27)

lem besteht darin, dass der Pumpende nach dieser Beschreibung der Szene sehr wohl wusste, dass er mit seiner Tätigkeit den Wasservorrat mit vergiftetem Wasser füllt, diese Beschreibung daher auch als ange­ messene Beschreibung einer seiner Absichten in Frage kommt. Beide Handlungsbeschreibungen – das Nachgehen der eigenen Arbeit und das Auffüllen des Wasservorrats – erfüllen also Anscombes Krite­ rien.204 Inwiefern kann seine Antwort unter diesen Umständen als Abweisung der Warum-Frage gelten? Unter dieser Voraussetzung ist es offenbar äußerst schwierig, etwas […] ausfindig zu machen, was das absichtliche Vergiften von einem wissentlichen, aber dennoch nicht beabsichtigten Vergiften unterschei­ det. (Ebd.: 70)

Mit dieser Formulierung des Problems wirft Anscombe die Frage auf, wie sich Beschreibungen einer Handlung, die in die Reichweite der Absichten des Handelnden fallen, von denen unterscheiden lassen, die als bloße Nebenfolgen beschrieben werden können. Im variierten Szenario stellt der Pumpende nämlich das Auffüllen des Wasservor­ rats mit vergiftetem Wasser als eine Nebenfolge hin, um die er sich, als er seiner gewöhnlichen Arbeit nachging, nicht gekümmert hat. Seine eigentliche Absicht war, Geld zu verdienen. Das Vergiften der Bewohner war eine unbeabsichtigte Nebenfolge, vergleichbar mit den Schatten, die beim Pumpen an die Wand geworfen werden, oder dem Hämmern des Rhythmus von God save the King.205 Anscombes Man könnte fragen, ob unsere Person nicht durch Beobachtung wusste, dass sie den Wasservorrat mit vergiftetem Wasser füllt. Immerhin war sie darüber informiert, dass das Wasser vergiftet ist. Wie Schwenkler, der diese Frage diskutiert, betont, gilt das auch für das Ausgangsszenario. Da der Begriff des Wissens ohne Beobachtung im Hinblick auf absichtliche Handlungen noch nicht eingeführt und geklärt wurde, muss hier der Hinweis reichen, dass in beiden Varianten des Beispiels das Geschehen im Zusammenhang mit dem Pumpen, also auch ob das Gift tatsächlich in den Was­ servorrat fließt, nicht auf Beobachtung beruht. Vgl. zu dieser Diskussion Schwenkler 2019: 81. 205 Die Unterscheidung zwischen beabsichtigten und unbeabsichtigten, wenn auch vorhergesehenen Nebenfolgen des eigenen Handelns verweist auf die so genannte Doktrin der Doppelwirkung, die von einigen Moralphilosophen verteidigt wird, um bestimmte moralische Dilemmata aufzulösen. Sie wird auch manchmal in militär­ strategischen Kontexten zur Rechtfertigung so genannter Kollateralschäden ange­ führt. Thomas Scanlon definiert sie folgendermaßen: »The doctrine of double effect holds that an action that aims at the death of innocent people, either as its end or as a means to its end is always wrong. In particular, it holds that such an action cannot be justified by its good effects, such as saving the lives of a greater number of innocent 204

172 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5.3 Einheit und Identität einer Handlung: Was? Warum? Wie?

Kommentar, es wäre unter diesen Umständen falsch, das Vergiften absichtlich zu nennen, besagt also, dass nicht alle wissentlich vor­ hersehbaren Nebenfolgen einer Handlung beabsichtigt sind. Daran lassen sich zwei Fragen anschließen: Erstens, wie kann diese Grenze auf der Grundlage von Anscombes Kriterien für absichtliches Han­ deln gezogen werden? Oder anders gefragt: Wer legt nach welchen Kriterien fest, welche möglichen Beschreibungen zu den Phasen einer Handlung gehören, also zu ihrer finalen, die Absicht festlegenden Struktur; welche Beschreibungen sind dagegen bloße Nebenfolgen und gehören daher nicht zu den eigentlichen Absichten eines Han­ delnden? Zweitens, warum ist diese Unterscheidung überhaupt rele­ vant?

people. This doctrine gains plausibility from its ability to explain some otherwise puzzling cases. For example, if the limited amount of a drug that is available could be used either to save one patient or to save five others, it is permissible to give it to the five, even though the one will die. But it would not be permissible to withold the same drug from the same person in order to save the five others by transplanting his organs into them after he is dead.« (Scanlon: 2008: 2) Nach Schwenkler hat § 25 vor allem die Funktion, die Geltung dieses Prinzips zu sichern, indem eine weitere notwendige Bedingung für absichtliches Handeln eingeführt wird: Eine Handlung ist absichtlich, wenn sie nicht nur Nebenfolge einer Handlung ist, die die Person auch noch ausführt. So soll die Unterscheidung zwischen beabsichtigten und bloß vorhergesehenen Folgen definitorisch abgesichert werden. Die Geltung des Prinzips der Doppelwirkung wäre dann, folgt man diesem Vorschlag Schwenklers, eine Implikation von Anscombes Konzeption absichtlichen Handelns (vgl. Schwenkler 2019: 81f.). Mir scheint dagegen eine schwächere Deutung plausibler, die die Situations- und Interessenrelativität von Handlungsbeschreibungen betont. Es muss demnach aus begrifflichen Gründen grundsätzlich möglich sein, diese Unterscheidung zu treffen. Das wird immer dann relevant, wenn die normalerweise unproblematische Übereinstimmung des beob­ achtbaren wirklichen Geschehens mit der Auskunft der handelnden Person über ihr Tun zweifelhaft ist (für diese Klärung danke ich Jan Müller). Ein Beispiel für so eine Situation ist unser abgewandeltes Szenario, das die oben genannten Fragen im Kon­ kreten, aber auch für die begriffliche Analyse aufwirft. Eine Theorie absichtlichen Handelns, in deren Rahmen eine solche Unterscheidung nicht getroffen werden kann, wäre demnach unterkomplex. Das ist die Pointe von Anscombes Sidgwick-Kritik in Modern Moral Philosophy. Mehr dazu in Kap. 7. Das heißt aber nicht, dass diese Unterscheidung ein definitorisches Merkmal absichtlichen Handelns ist. Anscombe diskutiert die Doktrin der Doppelwirkung ausführlicher in Anscombe 1982/2005. Für eine Diskussion und Verteidigung von Anscombes Position vgl. Cavanaugh 2016.

173 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5. Die Form absichtlicher Handlungen: Finalität (§§ 22–27)

Teleologische und kausale Verknüpfungen Es sind Fälle, wie die im variierten Ausgangszenario beschriebenen, die es als besonders attraktiv erscheinen lassen, Absichten als innere Vorgänge zu begreifen. Die Aussage des Handelnden über seine Absichten, die er nach dieser Konzeption durch Introspektion erkennt und festlegt, würde dann den gesuchten Unterschied ausmachen. Nach Anscombe kann man diese Unterscheidung aber treffen, ohne auf innere Vorgänge zurückzugreifen. Ihre Antwort auf die erste Frage wäre daher: Es gibt keine anderen Kriterien und Gesichtspunkte als diejenigen, die immer dann gelten, wenn nach dem Was einer Handlung gefragt wird. Warum es im variierten Szenario falsch wäre, zu behaupten, der »Akt des Auffüllens des häuslichen Vorrats mit vergiftetem Wasser sei etwas Absichtliches gewesen« (A: § 25.69), kann zunächst rein formal erklärt werden: Die Antwort »ich habe nur meine Arbeit getan und mich sonst um nichts gekümmert« ist eine verständliche Mög­ lichkeit, die Warum-Frage zu beantworten. Nicht beantwortet wird damit jedoch die Frage, aus welchen Gründen er den Tank mit vergif­ tetem Wasser gefüllt und damit die Anwohner vergiftet hat. Gibt es dafür überhaupt einen Grund oder war es nur eine in Kauf genom­ mene Folge? Ohne Antwort auf diese Frage wäre es tatsächlich richtig, das Auffüllen des Wassertanks mit vergiftetem Wasser nicht in die Reihe von Absichten aufzunehmen, die seine absichtliche Handlung insgesamt konstituiert, auch dann nicht, wenn dieser Akt kausal mit dem Vergiften der Hausbewohner verbunden ist. Wenn er tatsächlich nicht mit der Absicht pumpt, die Bewohner zu vergiften, wäre die Warum-Frage für diese Beschreibung seines Handelns abgewiesen. Die Frage ist aber, was dazu berechtigt, diesen Schluss zu ziehen. Denn es ist immer noch nicht klar, wie die finale Struktur von der weiteren kausalen Struktur der Handlung unterschieden werden kann. Denn offensichtlich, und das gilt generell, deckt sich die finale Struktur nicht mit dem kausalen Geschehen, das von den Tätigkeiten des Handeln­ den ausgeht.206 Es gibt viele Fälle, bei denen die Unterscheidung zwischen einer Erklärung der Handlung durch die Rekonstruktion ihrer finalen Zur finalen Ordnung gehört auch ihre durch die Wie-Frage rekonstruierbare Teleologie, d.h. der Zweck-Mittel-Zusammenhang. Dieser Punkt ist für diese Diskus­ sion besonders wichtig.

206

174 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5.3 Einheit und Identität einer Handlung: Was? Warum? Wie?

Struktur und ihren bloß kausalen Folgen klar ist. Dazu kann man folgende Aussagen gegenüberstellen:207 1) 2) 3)

Ich mache eine Yogaübung, indem ich auf dem Bett liege. Ich störe die Katze, indem ich mich auf den Sessel setze. Ich vergifte die Hausbewohner, indem ich meiner Arbeit nach­ gehe.

Satz 1) nennt eine Handlungserklärung nach dem Schema A*, die auch in eine Erklärung nach dem Schema A umgeformt werden kann: Ich liege auf dem Bett, um eine Yogaübung zu machen. Das »Auf dem Bett Liegen« wird in einen sinnvollen Zusammenhang gestellt, indem es in weitere Umstände eingebettet wird. Einen kausalen Zusammen­ hang gibt es hier nicht. Die Sätze 2) und 3) sind allerdings mehrdeutig. Es ist ein Unterschied ob, man Satz 2) im Sinne von: 2*) »ich setze mich auf den Sessel, um die Katze zu stören« oder im Sinne von 2**) »ich setze mich auf den Sessel und störe dadurch die Katze« versteht. Nur Satz 2*) drückt eine Absicht aus. Satz 2**) beschreibt die Störung der Katze als Nebenfolge des Handelns, als ein bloß kau­ sales, nicht intendiertes Geschehen. Die Frage: »Warum scheuchst du die Katze auf?« könnte also mit: »Ich wollte mich setzen, um Zeitung zu lesen«, abgewiesen werden. Diese Mehrdeutigkeit besteht auch bei Satz 3). Man kann ihn im Sinne von 3*) »ich gehe meiner Arbeit nach, um die Einwohner zu vergiften« oder im Sinne von 3**) »ich mache meine Arbeit und vergifte dadurch die Hausbewoh­ ner« verstehen. Auch hier gilt, dass nur Satz 3*) eine Absicht ausdrückt. Man kann sich also mühelos Fälle vorstellen, bei denen verständlich ist, was es heißt, die Warum-Frage mit Verweis auf kausale Folgen abzuweisen. Das Katzen-Beispiel ist besonders klar. Dennoch unter­ scheidet es sich in einem wesentlichen Punkt nicht von dem Vergif­ Ich variiere und vereinfache hier ein Beispiel Schwenklers. Vgl. für die folgende Diskussion Schwenkler 2019: 77–80.

207

175 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5. Die Form absichtlicher Handlungen: Finalität (§§ 22–27)

tungs-Beispiel: Es ist nicht eindeutig. Vielleicht wollte die Person, die Satz 2**) behauptet, in Wirklichkeit doch die Katze ärgern, so dass die Abweisung der Warum-Frage unaufrichtig wäre. Man neigt mög­ licherwiese dazu, diese Gemeinsamkeit zu übersehen, weil das Bei­ spiel der vergifteten Hausbewohner die Frage nach der Bewertung der moralischen oder juristischen Schuld besonders dringlich erscheinen lässt. Daraus wird dann geschlossen, die aus erstpersonaler Perspek­ tive gegebene Auskunft der handelnden Person sei besonders rele­ vant, um die Absicht festzulegen. Solche Schlussfolgerungen führen in Sackgassen; vor allem tra­ gen sie nichts zur Klärung des gesuchten Unterschieds bei. Daher fragt Anscombe auch ausdrücklich danach, was geschieht, nicht aber, was die Absicht des Handelnden ist.208 Erinnern wir uns an die bisherigen Ergebnisse: Die Was-, die Warum- und die Wie-Fragen bilden den logisch-grammatischen Rahmen für die Identifikation einer absicht­ lichen Handlung. Der Fokus liegt dabei auf den Umständen, nicht auf etwas, das zum Zeitpunkt der Handlung auch noch geschieht – Bilder im Kopf des Handelnden, innere Vorgänge oder eine besondere Hand­ lung, an der man den Unterschied zwischen dem Pumpen von ver­ giftetem und nicht-vergiftetem Wasser festmachen kann.209 Die Frage läuft also, wie beim Ausgangsszenario, darauf hinaus, wie in diesem besonderen Fall, innerhalb unseres bereits bekannten logisch-gram­ matischen Rahmens die Absicht identifiziert werden kann. Die Bri­ sanz des variierten Szenarios liegt darin, dass es besonders dringlich erscheint, die Aufrichtigkeit der Aussage des Pumpenden zu prüfen. Das ist aber kein philosophisches Problem. Für die Logik der Identi­ fikation einer absichtlichen Handlung gilt grundsätzlich: »›Grob gesprochen, beabsichtigt man, das zu tun, was man tut.‹« (A: § 25.73) Auch das ist eine vage Formel; immerhin erinnert sie daran, dass es für die Überprüfung solcher Aussagen über eigene Absichten Nor­ malitätsbedingungen und Plausibilitätskriterien für die Akzeptabili­ tät von Antworten gibt – etwas, das aus jedem Kriminalfall bekannt ist. Sollte unsere pumpende Person tatsächlich ihrer normalen Arbeit Vgl. A: § 23.62: »Nun lautet unsere Frage: Was tut dieser Mann?« Diese Möglichkeiten diskutiert Anscombe in § 24, der die Thematik der Berufung auf Inneres von der Frage her diskutiert, ob es einen besonderen Zeitpunkt gibt, ab dem das Auffüllen des Wasservorrats ein Akt des Vergiftens war. Eine von den beson­ deren Umständen unabhängige Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Vgl. dazu auch Wiseman 2016a: 127. 208

209

176 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5.3 Einheit und Identität einer Handlung: Was? Warum? Wie?

nachgehen, dürfte sie beispielsweise nichts tun, was von der üblichen Arbeit abweicht (vgl. ebd.: 71). Die auf Handlungsgründe abzielende Warum-Frage schließt also bereits bestimmte Antworten aus und schränkt den Bereich des Glaubwürdigen ein. Schon die Möglichkeit, die Warum-Frage sinnvoll zu beantworten, erlaubt es, weitere Fragen zu stellen. Die Autorität von Aussagen aus der erstpersonalen Per­ spektive wird dadurch eingeschränkt. Vor allem kann der Handelnde nicht einfach behaupten, nicht die Absicht gehabt zu haben, eine Handlung zu vollziehen, die Mittel zu einem ihrer Zwecke bzw. Ziele war (bspw. die Pumpe zu betätigen oder den Wasservorrat aufzufül­ len).210 In unserem Beispiel kann die handelnde Person also nicht ohne weiteres behaupten, sie habe nur die Absicht gehabt, Geld zu verdie­ nen. Es erweist sich sogar als völlig irrelevant, ob sie sich folgendes gedacht hat, um ihre Absicht umzulenken: »Eigentlich wollte ich nur Geld verdienen, das Vergiften habe ich nur in Kauf genommen.« Das Beispiel bestätigt nur, dass es begrifflich keine andere Möglichkeit gibt, als die Handlung gemäß ihrer internen finalen Struktur zu beschreiben. Das Verständnis, das Handelnde von ihrem Tun haben, wird dabei freilich immer mit zu berücksichtigen sein, es liefert aber keinen privilegierten Maßstab für die Angemessenheit der Beschrei­ bung.211 Solche Untersuchungen werden unter Umständen an einen Punkt kommen, an dem tatsächlich nur noch die Aussage des Han­ delnden im Raum steht: »Ab einem bestimmten Punkt ist nur das, was der Betreffende selbst sagt, ein Zeichen; und an dieser Stelle ist Raum für viele Auseinandersetzungen und für differenzierte Diagno­ Jeder, der einen Wasservorrat durch die Betätigung einer Pumpe füllen will, muss das mit der Absicht tun, Wasser durch die Leitung fließen zu lassen. Wer letzteres bestreitet, aber trotzdem behauptet, den Wasservorrat zu füllen, erzeugt eine Erklä­ rungslücke, die sinnvoll ausgefüllt werden muss. Andernfalls würde diese Person nicht das tun, was man »einen Wasservorrat auffüllen« nennt. Kein innerer Vorgang kann daran etwas ändern. Das alles gilt erst recht, wenn die Person in die Verschwörung eingeweiht war. In diesem Fall kann das Vergiften der Bewohner, auch dann, wenn die Person behauptet, nur ihre Arbeit getan zu haben, keine Nebenfolge ihres Pumpens von vergiftetem Wasser sein. Vgl. A: § 26.72f. und die ausführlichere Erläuterung bei Schwenkler 2019: 88. Auch Aussagen wie »mir kam plötzlich der Gedanke, dass ich nur meine Arbeit mache« sind ausgeschlossen. Durch die Nennung einer mentalen Ursache wird die Warum-Frage hier nicht abgewiesen, sondern es wird ihr bloß aus­ gewichen (so Wiseman 2016a: 132). 211 Wie Schwenkler zutreffend anmerkt, wird dieses Selbstverständnis auch nicht darin bestehen, dass die Person während des Vollzugs ihrer Handlung ausdrücklich denkt »ich gehe jetzt meiner normalen Arbeit nach« (vgl. Schwenkler 2019: 83). 210

177 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5. Die Form absichtlicher Handlungen: Finalität (§§ 22–27)

sen seiner Aufrichtigkeit.« (Ebd.: 72) Die Selbstauskunft ist ihrerseits nur ein Zeichen, das sich, wie Anscombe an dieser Stelle anmerkt, von einem Knurren nicht grundsätzlich unterscheidet. Die Tatsache, dass jemand eigene Absichten bekunden kann, d.h. sagen kann: »das ist meine Absicht«, bedeutet nicht, diese Person würde auf eine beson­ dere, nur ihr zugängliche Wissensquelle zurückgreifen: »Das heißt: ›Wissen‹ bedeutet hier nichts weiter als ›kann sagen.‹« (A: § 27.77) – Und das heißt nur, dass diese Person eine Beschreibung ihrer Hand­ lung geben kann. Das Problem der Umstrittenheit von Handlungsbeschreibungen lässt sich weder ereignisontologisch noch auch durch cartesianische Handlungspsychologie lösen. Man kann daher als Ergebnis von Ans­ combes Untersuchung festhalten, dass es ein logisch-grammatisches Merkmal des Begriffs absichtlichen Handelns ist, dass die Frage der Angemessenheit oder auch Richtigkeit der Beschreibungen, mit denen eine Handlung als absichtlich identifiziert wird, im Konkreten immer mehr oder weniger umstritten ist. Es ist ein Merkmal des Sprachspiels der Beschreibung und Identifikation von Handlungen. Damit verbindet sich kein philosophisches Rätsel, das dazu verleiten müsste, mit Hilfe einer am Mythos des Inneren orientierten Hand­ lungspsychologie die Gefahr des Skeptizismus oder des Relativismus abzuwehren. Mit diesen Feststellungen über die Rolle von Aussagen aus erstpersonaler Perspektive bei der angemessenen Beschreibung der finalen Ordnung absichtlicher Handlungen ist ein weiterer phi­ losophischer Ertrag dieser Diskussion deutlich geworden.212 Das ist auch schon eine erste Antwort auf unsere zweite Frage nach der Relevanz der Unterscheidung von Absichten und Nebenfolgen. Im variierten Szenario könnte die Warum-Frage nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen mit der Antwort »ich mache nur meine gewöhnliche Arbeit« abgewiesen werden. Die Berufung auf innere Vorgänge bietet kein Kriterium, nach dem festgestellt werden kann, ob diese Bedingungen erfüllt sind. Wir können also durchaus unter­ scheiden zwischen dem, was absichtlich ist, und dem was zwar gewusst, aber nicht absichtlich getan wurde. Die entlang der drei Das ist freilich nicht Anscombes letztes Wort zur Frage nach einem möglichen »inneren« oder gedanklichen Kriterium für die Festlegung der angemessenen Hand­ lungsbeschreibung. Ab § 28 wird die Frage nach dem besonderen Wissen Handelnder von den eigenen Absichten aufgegriffen. Die Antwort wird sein: Handelnde konsti­ tuieren die Handlung durch ihr praktisches Wissen. 212

178 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5.3 Einheit und Identität einer Handlung: Was? Warum? Wie?

Fragen rekonstruierbare finale Struktur einer absichtlichen Handlung nötigt nicht zur Auffassung, dass auch alle Nebenfolgen einer Hand­ lung beabsichtigt werden. Wir benötigen für diese Unterscheidung kein zusätzliches inneres Kriterium.213 Insofern hat Anscombe auch Recht, wenn sie festhält, dass ihre Schlussfolgerung bezüglich der Zuschreibung der Absicht in ihrem variierten Beispiel richtig ist.

Moralphilosophische Implikationen Auch dann, wenn die juristische oder moralische Verantwortung klar ist, wie das beim variierten Ausgangsbeispiel der Fall ist, hat die Unterscheidung zwischen Absichten und Nebenfolgen eine Funktion. Was immer nämlich so eine Untersuchung ergeben würde: In jedem Fall würde sich unsere Person des Mordes schuldig machen oder zumindest der fahrlässigen Gleichgültigkeit gegenüber den Folgen des eigenen Handelns, selbst wenn diese nicht beabsichtigt wären.214 Dennoch ist es möglich, zwischen der internen Finalität und dem bloß mit der Handlung verbundenen kausalen Geschehen zu unterschei­ den. Wie schon deutlich geworden ist, ist das deshalb so, weil es keine begriffliche Alternative dazu gibt, die Was-Frage anders zu beant­ worten als durch Rekonstruktion der finalen Ordnung der Handlung. Dazu gehört wesentlich auch der Zweck-Mittel-Zusammenhang zwi­ schen ihren verschiedenen Phasen. Es spielt dabei keine Rolle, ob man es mit simplen Beispielen zu tun hat (Katze auf dem Sessel) oder nor­ mativ aufgeladenen Fällen, wie den von Anscombe in § 25 diskutier­ ten. Es geht jeweils nur um die Form der Handlungsbeschreibung. Die grobe Formel, man beabsichtige normalerweise das zu tun, was man tut, dient vor diesem Hintergrund dazu, irreführende Vorstellungen abzuweisen, wie die Berufung auf Inneres oder die Annahme, man könne die Absicht beschreiben, indem man die Ziele beschreibt (vgl. A: § 25.73).

213 Welche Rolle dabei auch immer das »Innere« des Handelnden spielen mag, die erstpersonale Autorität hat nicht die Form einer inneren Ansprache. Die Annahme, auf diese Weise die eigentliche Absicht zu bestimmen führt in einen Regress, da jede innere Handlung auch wieder eine Handlung unter einer Beschreibung ist. Vgl. A § 27.79. 214 Das betont Schwenkler 2019: 87.

179 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5. Die Form absichtlicher Handlungen: Finalität (§§ 22–27)

Die cartesianische Handlungspsychologie verhindert auch hier eher solche Einsichten, als dass sie eine Klärung der begrifflichen Zusammenhänge bietet. Es mag durchaus, nicht zuletzt unter moral­ philosophischen Gesichtspunkten, relevant sein, daran zu erinnern.215 Die Vorstellung, man könne sich der eigenen Absichten durch eine Art innere Ansprache vergewissern, führt nicht nur begrifflich in Sackgassen, sondern eröffnet einfache Wege, Verantwortung für das eigene Tun abzuweisen.216 Die Berufung auf Inneres hätte dann zwei bedenkliche Aspekte: Sie verwischt, anders als es den Anschein haben mag, die begrifflich notwendige Differenz zwischen Absichten und nicht-intendierten, aber gewussten Nebenfolgen; und sie erlaubt darüber hinaus, die Verantwortung für das eigene Tun durch Umlen­ kung der Absicht abzuweisen. Man kann sich das leicht klar machen, indem man zwei Fälle gegenüberstellt. Einmal den von Anscombe selbst problematisierten Fall des Präsidenten Truman, der seine Unterschrift unter den Befehl gesetzt hat, eine Atombombe über Hiroshima abzuwerfen. War es seine Absicht, hunderttausende von Menschen zu töten? Sicherlich nicht, er wollte nur den Krieg möglichst schnell beenden. Es dürfte nun aber deutlich geworden sein, dass es nicht reicht, einfach nur dieses Ziel zu beschreiben: Wir können und müssen sogar danach fragen, wie es herbeigeführt wurde, wenn wir verstehen wollen, was Truman getan hat. Dann erscheint der Tod der Zivilisten nicht mehr nur als eine Nebenfolge, sondern als Phase dieser Handlung, die mit der Unterschrift unter dem Befehl zum Bombenabwurf einsetzt.217 Die Absicht liegt in dem, was die handelnde Person tut, nicht allein im Ziel, und auch nicht in den inneren Vorgängen – seien es innere 215 Wiseman (2016a: 128–132) und Schwenkler (2019: 85–90) interpretieren die §§ 25 und 27 als Beitrag zu Anscombes handlungstheoretischer Grundlegung der Moralphilosophie. 216 Wiseman interpretiert die Diskussion in § 25 als Versuch Anscombes Missbräuche der Doktrin der Doppelwirkung abzuwehren, indem die Absicht durch »innere« Ansprachen gleichsam »umgelenkt« wird (vgl. Wiseman 20216a: 127ff.). Es ist kaum zu bestreiten, dass die Vorstellung, Absichten seien wesentlich innere Vorgänge, zu allerlei moralisch bedenklichen Missbräuchen verleiten kann. Robert Spaemann (2001: 58) spricht mit Verweis auf Blaise Pascal von einer »Schule der Unaufrichtig­ keit«: »Wem es am besten gelingt, dem, was er tun will, eine gute Absicht zu unterlegen und alles andere zu verdrängen, der hat einen Freibrief, zu tun, was er will.« Ich komme auf diese Thematik in Kap. 7 zurück. 217 Für eine ausführlichere Diskussion vgl. Wiseman 2016a: 129ff. und Schwenkler 2019: 88ff.

180 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5.3 Einheit und Identität einer Handlung: Was? Warum? Wie?

Ansprachen, besondere Gefühle oder Gedanken usw. –, die das Geschehen begleiten mögen. Das trifft auch auf unser Ausgangszena­ rio zu. Denn selbst wenn man akzeptiert, dass unsere Person auch beabsichtigt, die Menschheit zu retten und das Paradies auf Erden herbeizuführen, indem sie die Pumpe betätigt und die Hausbewohner vergiftet, bleibt doch die Frage, wie sie dieses Ziel verfolgt. Diese Frage bleibt nicht nur als eine (legitime) moralische Frage, die auch noch gestellt werden kann, sondern formal als notwendiger Aspekt bei der Klärung des Was der Handlung. Man kontrastiere das mit einem Beispiel von Philippa Foot: Eine Ärztin behandelt einen Notfall (das Opfer ist auf halber Höhe eines Steilhanges eingeklemmt), tötet den Verunglückten aber, da sie von der Allergie des Patienten gegen ein Standardmedikament nichts weiß. (Foot 2004: 96)

Foot kommentiert, dass die Handlung der Ärztin selbstverständlich nur unter der Beschreibung »Behandlung« beabsichtigt war, nicht unter der Beschreibung »Tötung« – die Tötung ist hier eine unbe­ absichtigte Nebenfolge, die durch das fehlende Wissen der Ärztin entschuldigt werden kann. In dieser Notsituation konnte man nicht erwarten, dass die Ärztin alle möglichen schädlichen Nebenfolgen ihres Handelns berücksichtigt. Insofern ist sie auch nur in einem ein­ geschränkten Sinn für den Tod des Opfers verantwortlich. Beschränkt man sich nun darauf, nur das Ziel zu beschreiben, kann man Tru­ mans Befehl, die Atombombe über Hiroshima abzuwerfen, nicht von der Behandlung der Ärztin unterscheiden. Beide können sich, trotz der jeweils schädlichen Nebenfolgen, darauf berufen, ein gutes Ziel verfolgt zu haben (einen Menschen in Not zu retten, den Krieg zu beenden). Trumans Handlung müsste nach dieser Logik sogar als besser bewertet werden, da er sein Ziel, den Krieg schnell zu beenden, erreicht hat.218 Folgt man jedoch Anscombes Analyse, sind beide Handlungen schlecht, jedoch aus einem anderen Grund. Die Handlung der Ärztin war insofern nicht gut, als sie ihr Ziel nicht erreicht hat. Allerdings hat sie keinen Mord begangen, insofern war sie weniger schlecht als diejenige Trumans, obwohl dieser sein Ziel erreicht hat. Wenn man die interne Logik der absichtlichen Hand­ 218 Es gibt noch andere Unterschiede zwischen diesen beiden Fällen. Die Ärztin wusste nicht, dass sie durch ihre Behandlung den Patienten töten würde. Truman war sich der Folgen seines Tuns bewusst. Sein Fall gleicht mehr dem des Pumpenden, der behauptet, nur seine gewöhnliche Arbeit getan zu haben.

181 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

5. Die Form absichtlicher Handlungen: Finalität (§§ 22–27)

lung zu Gunsten eines Aspekts ausblendet (z.B. nur die Aussagen des Handelnden über seine Absichten oder nur die Ziele beachtet), kann man jede Handlung rechtfertigen. Eine hinreichend differen­ zierte Handlungspsychologie muss solche Unterschiede verständlich machen. Eine weitere Antwort auf die eingangs gestellte Frage nach der Relevanz dieser Diskussion wäre daher, dass die Abweisung des Mythos vom Inneren im Zusammenhang mit Absichten die begriffli­ che Ordnung absichtlicher Handlungen noch deutlicher hervortreten lässt. Dieser Punkt scheint im Kontext von Intention wichtiger als die normative Bewertung dieser Beispiele.

182 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen: praktisches Wissen und praktischer Syllogismus (§§ 28–48)

6.1 Einleitung Indem die finale Struktur absichtlicher Handlungen offengelegt wurde, konnte die Absicht als Prinzip einer Handlung, das ihre Einheit und Identität in ihren verschiedenen Phasen sichert, spezifiziert wer­ den. Dies geschah zunächst nur mit Blick auf das als absichtliche Handlung beschreibbare tatsächliche Geschehen. Die Akteursper­ spektive wurde dabei ausgeblendet oder nur indirekt thematisiert, um Fehldeutungen dieser Perspektive bei der Identifikation von Absich­ ten abzuweisen. Dabei kann es jedoch nicht bleiben, denn, wie Ans­ combe bemerkt, ist es das Wissen des Handelnden »von der eigenen Handlung, das die Beschreibungen liefert, unter denen der betref­ fende Vorgang die Ausführung einer Absicht ist.« (A: § 48.135) Das erstpersonale Wissen einer handelnden Person von ihren eigenen Absichten ist eine Form von Wissen ohne Beobachtung. Anscombe wird es im Folgenden als praktisches Wissen näher bestimmen. Ihre Wendung dafür – »das Wissen, das man von seinen absichtlichen Handlungen hat« (A: § 28.81) – sollte man, um schon vorab menta­ listische Missverständnisse auszuschließen, am besten im Sinne von »jene besondere Art von Wissen über die eigenen absichtlichen Hand­ lungen, das nur ein Handelnder hat« verstehen.219 Die Herausforde­ rung dabei ist, zu verstehen, was dieses Wissen als praktisches Wissen auszeichnet und wie es zu verstehen ist, dass man von den eigenen Absichten ohne Beobachtung weiß. Diese Untersuchung beginnt in So Doyle (2019: 25). Vgl. dagegen: »die Dinge über die eigene absichtliche Handlung, die nur dem Handelnden bekannt sind« – das meint Anscombe aber, wie Doyle (ebd.) richtig festhält, gerade nicht. Das praktische Wissen ist, wie im Folgenden ausführlich dargelegt wird, ein Wissen, das nur der Handelnde auf praktische Weise hat. Ein Beobachter kann von demselben Geschehen ebenfalls ein Wissen haben, aber in einem anderen Modus. 219

183 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

§ 28 und wird erst mit § 48 zu einem Abschluss geführt. Anscombe nimmt dazu ihre Überlegungen zum Begriff des Wissens ohne Beob­ achtung auf und führt den in den §§ 2 und 3 begonnenen Vergleich zwischen Absichtsäußerungen und Befehlen weiter. Wie aus dem obigen Zitat deutlich wird, hängt dieses Thema sehr eng mit der These von der Beschreibungsabhängigkeit von Hand­ lungsidentifikationen zusammen. Anscombes weitere Untersuchung wird ergeben, dass praktisches Wissen für absichtliches Handeln notwendig ist und dieses Wissen Handlungen unter Beschreibun­ gen zum Gegenstand hat, nicht jedoch mentale Zustände – z.B. als mentale Zustände konzipierte Absichten oder Überzeugungen über solche Absichten. Die Form dieses Wissens ist der praktische Syllogismus. Aus der Perspektive des Handelnden erweist sich die finale Ordnung einer absichtlichen Handlung daher als Ordnung eines Kalküls, der die teleologische Form absichtlicher Handlungen darstellt: ihre Zweck-Mittel-Struktur. Praktisches Wissen erweist sich dann als Lösung eines zentralen Problems der Handlungstheorie, das darin besteht, die Differenz zwischen der erstpersonalen Perspektive handelnder Personen und der Beschreibung derselben Handlung aus der drittpersonalen Perspektive angemessen zu begreifen. Anscombes Konzeption des praktischen Wissens fügt sich aller­ dings nicht in den begrifflichen Rahmen der neuzeitlichen Erkennt­ nistheorie. Ihre Überlegungen dazu erscheinen daher oftmals rät­ selhaft.220 Für die Interpretation des Textes ergibt sich daraus die Aufgabe, den Zusammenhang zwischen den Begriffen des prakti­ schen Wissens, des Wissens ohne Beobachtung und des praktischen Syllogismus herauszuarbeiten und ihn auf die Überlegungen zur Beschreibungsabhängigkeit von Handlungen zu beziehen. Ich werde zeigen, dass Anscombes Unterscheidung zwischen praktischem und kontemplativem Wissen als Lösung eines spezifischen Problems verstanden werden kann, das sich aus der Beschreibungsabhängigkeit von Handlungen und der Asymmetrie zwischen erstpersonaler und drittpersonaler Perspektive auf Handlungen ergibt.221

220 So neigen auch wohlwollende Interpreten dazu, ihre komplexen und nicht leicht verständlichen Gedankengänge zu korrigieren oder deren Implikationen zu relativie­ ren. So bspw. Setiya 2017. 221 In diesem Kapitel greife ich auf Material zurück, das bereits teilweise in Kertscher 2020 veröffentlicht wurde.

184 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.2 Praktisches Wissen I: Das Problem

Lektürevorschläge zur Vertiefung Eine differenzierte und textnahe Auseinandersetzung mit der Thema­ tik des praktischen Wissens nach Anscombe bietet Schwenkler 2015. Zu Anscombes Konzeption des praktischen Syllogismus kann Vogler 2001 empfohlen werden.

6.2 Praktisches Wissen I: Das Problem Wissen ohne Beobachtung – Wiederaufnahme des Themas Anscombe hatte den Begriff des Wissens ohne Beobachtung in § 8 eingeführt, um absichtliche Handlungen von unwillentlichen Bewe­ gungen abzugrenzen. So sollte ein methodischer Zirkel vermieden werden, in den man geraten kann, wenn man erklären will, was ein Handlungsgrund ist. Dabei hatte Anscombe angekündigt, dass absichtliche Handlungen eine Teilmenge der Klasse von Dingen ist, »die man ohne Beobachtung wissen kann.« (A: § 8.30) Der paradig­ matische Fall für Wissen ohne Beobachtung war das Wissen von der Lage der eigenen Körperteile. Wie sich dieser Fall zum absichtlichen Handeln verhält, ist zunächst offen geblieben. Genau diese Frage wird nun in § 28 aufgegriffen. Nach meiner Interpretation der Passagen aus § 8 erläutert Ans­ combe den epistemischen Begriff »Wissen ohne Beobachtung« im Rahmen einer Beschreibung der logischen Grammatik der Rede über »ungewollte Körperbewegungen«. Dieser methodische Punkt muss daher auch bei der Interpretation der These beachtet werden, wonach das Wissen eines Handelnden von den eigenen Absichten nicht auf Beobachtung beruht. Anscombe lenkt die Aufmerksamkeit wiederum auf die Form dieses Wissens, und auch hier folgt die Epistemologie der logisch-grammatischen Untersuchung. Zwei Merkmale des Wissens ohne Beobachtung charakterisieren auch das Wissen von den eigenen Absichten. Erstens: Aussagen, mit denen dieses Wissen behauptet wird, sind wahrheitsdefinit. Insofern erfüllt auch diese Wissensform ein allgemeines Merkmal des Wissensbegriffs: die Möglichkeit, zwischen wahr und falsch zu unterscheiden; man kann von Wissen nur dann sinnvoll reden, wenn eine Irrtumsmöglichkeit begrifflich vorgesehen ist. Der Unter­

185 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

schied zwischen diesem beobachtungsunabhängigen Wissen und dem gewöhnlichen, durch Belege gerechtfertigten Wissen, wird sogar besonders gut deutlich, wenn man Fälle praktischer Irrtümer mit Irrtümern in Bezug auf beobachtbare Tatsachen gegenüberstellt. Das zweite Merkmal hängt mit der Differenz von Beschreibungen aus erstpersonaler und aus drittpersonaler Perspektive zusammen. Wenn es um die Lage der eigenen Körperteile geht, sichert der gemeinsame Bezug auf intentionale Objekte unter verschiedenen Beschreibungen die Möglichkeit, Irrtümer festzustellen und zu korrigieren. Jeder kann beobachten, ob jemandes Bein gestreckt oder gebeugt ist. Aus erstpersonaler Perspektive beruht das Wissen von der Lage der eigenen Körperteile jedoch nicht auf Beobachtung. Offensichtlich weiß man von ungewollten Bewegungen oder der Lage der eigenen Körperteile auf »andere Weise« als von Gegenständen beobachtbaren Wissens.222 Was es heißen soll, etwas »auf andere Weise« zu wissen, hat Anscombe erläutert, indem sie Sinnbedingungen beschrieben hat, die den Rahmen für die Artikulation dieses Wissens bilden. Dadurch wird diese Asymmetrie verständlich ohne Rückgriff auf einen privilegierten, erstpersonalen Zugang zu eigenen mentalen Zuständen. Daran knüpft sie nun an, um die Besonderheit des Wis­ sens von eigenen Absichten zu erläutern. Das liegt insofern nahe, als absichtliche Handlungen eine bestimmte Art von Körperbewegungen sind. Außerdem ist die Problematik unterschiedlicher Perspektiven bei der Beschreibung einer Handlung schon im Zusammenhang mit der These von der Beschreibungsabhängigkeit von Handlungen auf­ getaucht. Bei absichtlichen Handlungen bekommt der Perspektivenunter­ schied nun eine eigentümliche Brisanz. Die von Anscombe kritisierte Psychologie hat hier nämlich von vornherein eine gewisse Plausibi­ lität. Handelnde Personen scheinen am besten zu wissen, was sie tun; und es liegt auf der Hand, dass die Quelle dieses Wissens nicht die Beobachtung des eigenen Tuns sein kann. Das wird noch deutlicher, wenn man die zeitliche Struktur der finalen Ordnung von Handlungen beachtet: Ich kann sehen, dass jemand in das Haus geht, aber ich kann nur vermuten, mit welcher Absicht das geschieht. Das weiß nur die beobachtete Person, da die Handlung zu dem Zeitpunkt, an dem sie beobachtet wird, noch nicht abgeschlossen ist. Das Wissen der handelnden Person von ihren Absichten müsste sich also nicht 222

Vgl. meine Ausführungen in 4.4, S. 115–123.

186 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.2 Praktisches Wissen I: Das Problem

nur auf das beziehen, was gerade geschieht, sondern auch auf das, was erst noch geschehen wird.223 So erscheint es plausibel, die Frage, was absichtliche Handlungen sind und wie sie identifiziert werden können, zu beantworten, indem man die erstpersonale Perspektive in einer bestimmten Weise als Autorität etabliert und ihren Primat vor Beschreibungen aus der Beobachterperspektive behauptet. Letztere haben dann den Status von Zuschreibungen, die auf Interpretationen des beobachteten fremden Verhaltens beruhen. Die handelnde Person erfährt dagegen etwas über sich selbst: Sie erkennt, welche absicht­ liche Handlung sie ausführt oder ausführen wird, und es ist dieses Wissen, das ihr Handeln als ein absichtliches Handeln qualifiziert.224 Dieses Wissen wäre nach Anscombe aber nur eine Spielart ganz gewöhnlichen theoretischen Wissens. Das Modell verfehlt daher den spezifisch praktischen Charakter des Wissens, das wir von unseren eigenen Absichten haben.

Eingrenzung: Tun, was geschieht Um diesen Einwand richtig zu verstehen, ist es nötig, das Problem einzugrenzen, für das praktisches Wissen die Lösung sein soll. Dazu dienen die §§ 28 bis 32. Die folgenden beiden Beispiele haben die Funktion, zu diesem Problem hinzuführen, indem sie den Gegenstand des Wissens von den eigenen Absichten einkreisen und verständlich machen, inwiefern dieses Wissen als beobachtungsfrei und praktisch charakterisiert werden kann. Anscombe präsentiert ihr erstes Beispiel als generellen Einwand gegen den Gedanken, wonach das Wissen von Handelnden um ihre Absichten beobachtungsfrei sein muss: Wie kann man von einer Per­ son, die eine Wand gelb anstreicht und dies auch absichtlich tut, behaupten, sie würde ohne Beobachtung wissen, dass sie die Wand gelb anstreicht? Es scheint doch klar, dass sie unmittelbar sieht, was 223 Damit hängt ein Problem zusammen, das auch die Handlungstheorie nach Ans­ combe beschäftigt hat: Jemand kann etwas beabsichtigen, ohne die Absicht tatsächlich auszuführen. Auch dieses Phänomen legt eine mentalistische Analyse nahe. So spricht Davidson in solchen Fällen von einem »reinen Beabsichtigen« (Davidson 1978/1990: 125). 224 Vgl. beispielsweise Velleman 1989: 121–142. Nach Velleman ist eine Absicht eine Überzeugung der handelnden Person, dass sie eine bestimmte Handlung ausfüh­ ren wird.

187 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

sie tut (A: § 28.81). Dieser Einwand wird nicht entkräftet, sondern zum Anlass genommen, um auf einen für das Verständnis von »beob­ achtungsfrei« entscheidenden Unterschied aufmerksam zu machen. So ist es nicht ungewöhnlich, Meinungen zu haben über herbeizu­ führende Ziele, die Gegenstände eigener Absichten und die erforder­ lichen Mittel zu ihrer Verwirklichung. Dieses Wissen beruht ebenso auf Beobachtung wie das Wissen, dass eine bestimmte Handlung als ein Vorgang in der Welt tatsächlich geschieht. Dieses Wissen muss man allerdings unterscheiden vom Wissen des Handelnden, dass er etwas – in Anscombes Beispiel »Z herbeiführen« – tut: das Tun oder Bewirken von Z [ist] eine absichtliche Handlung, über die man nicht durch Beobachtung weiß, dass man Z tut. Insoweit man wirklich beobachtet, erschließt und so weiter, daß Z tatsächlich stattfindet, ist dieses Wissen nicht das Wissen, das man von seinen absichtlichen Handlungen hat. (Ebd.)

Beobachtungsfrei ist demnach offensichtlich das Wissen der handeln­ den Person im Ausführen ihrer Absicht, oder: ihr Wissen im Vollzug des wirklichen Tuns. Anscombe will offensichtlich darauf hinaus, dass dieses Wissen sowohl im epistemischen als auch im effektiven Sinne handlungsbestimmend ist. Das gilt für das auf Beobachtung beruhende Wissen gerade nicht. Diese Vermutung wird durch das zweite Beispiel bestätigt: Jemand öffnet ein Fenster – ein ganz gewöhnlicher, beobachtbarer Vorgang. Es ist genau der Vorgang, der tatsächlich stattfindet, wenn jemand von sich behauptet, gerade ein Fenster zu öffnen. Diese Person muss jedoch, um das wahrheitsgemäß zu behaupten, nicht erst aus Beschreibungen der eigenen Körperbewegungen darauf schließen, dass sie das tut. Insofern drückt die Behauptung »ich öffne das Fenster« das Wissen aus, das unsere Person ohne Beobachtung von ihrem Tun hat. Es ist genau dieses Wissen, das die Handlung als absichtlich qualifiziert. Wenn eine Person die Warum-Frage mit dem Hinweis abweist, nicht gewusst zu haben, die fragliche Handlung unter einer bestimmten Beschreibung ausgeführt zu haben, weist sie praktisches Wissen ab: Unter dem Wissen, das man von seinen Absichten hat, verstehe ich das Wissen, das man zu haben bestreitet, wenn man beispielsweise auf die Frage »Warum läutest du diese Schelle?« antwortet: »Ach, du lieber Himmel! Ich wußte gar nicht, daß ich sie geläutet habe.« (Ebd., man beachte hier das im Original kursivierte »ich«)

188 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.2 Praktisches Wissen I: Das Problem

Beide Beispiele geben Aufschluss über den Gegenstand des beobach­ tungsfreien Wissens, das Handelnde von ihrem Tun haben: Es ist Wissen über einen in Raum und Zeit identifizierbaren Vorgang – das Herbeiführen von Z, das Öffnen eines Fensters. Daher können Han­ delnde ihr Wissen aussprechen, indem sie solche Vorgänge beschrei­ ben: »Bei einer früheren Gelegenheit habe ich selbst, als ich über diese Probleme nachdachte, die folgende Formel vorgeschlagen: Ich tue, was geschieht.« (A: 29.84) Weiter heißt es: »Wenn die Beschreibung des Geschehens auf genau dasselbe hinausläuft wie das, wovon ich sagen würde, daß ich es tue, gibt es zwischen meinem Tun und dem Gesche­ hen nichts mehr zu unterscheiden.« (Ebd.) Gemeinsamer Bezugs­ punkt des Wissens sowohl für Handelnde als auch für Beobachtende sind demnach Handlungen unter Beschreibungen. Auch Handelnde identifizieren ihr Tun über eine Beschreibung. Wer sagt, was er tut, beschreibt keinen mentalen Zustand, sondern einen Vorgang in der Welt, den auch andere unter derselben Beschreibung identifizieren können, obwohl dieses Wissen erstpersonal artikuliert wird.225 Nach dem mentalistischen Modell muss es allerdings rätselhaft erscheinen, warum sich beide Perspektiven in den Beschreibungen normalerweise nicht nur zufällig treffen.226 Schon an einer früheren Stelle hatte Anscombe auf diese Konvergenz aufmerksam gemacht: ›Schau Dir den Menschen an und sag, was er tut‹, das heißt: sag, was dir sofort in den Sinn kommt, um jemandem, der den Menschen nicht sehen kann und wissen möchte, was dort zu sehen ist, Bericht zu erstatten. In den meisten Fällen wird sich das, was du sagst, mit dem Das gilt auch für beobachtungsbasierte Wissensansprüche: Wenn S behauptet, zu wissen, dass p, impliziert das zwar, dass S auch meint, dass p. Gegenstand seines Wissens ist aber nicht seine Meinung, dass p, sondern schlicht p. S gibt mit seiner Behauptung nicht Auskunft über sich, sondern über die Welt. So verhält es sich auch beim praktischen Wissen: Wenn S behauptet, er sei gerade dabei zu Φ-en, impliziert das eine entsprechende Meinung. Gegenstand des praktischen Wissens ist aber nicht diese Meinung, sondern das beschriebene Geschehen, nämlich, dass er gerade Φ-t. Eine Meinung äußern, ist etwas anderes, als sich eine Meinung zuzuschreiben. Gegen die These, dass Absichtserklärungen Selbstzuschreibungen von Meinungen implizieren, vgl. Doyle 2019: 19–21. 226 Nach Frege können in einigen Fällen mit derselben Proposition zwei unter­ schiedliche Gedanken ausgedrückt werden. Das gilt für Propositionen, in denen der indexikalische Ausdruck »ich« vorkommt: vgl. Frege 1918/1986b: 38 und 39f. Da Handlungsbeschreibungen Vorgänge in der Welt beschreiben und keine Berichte über Inneres sind, lässt sich das Problem, auf das Anscombe aufmerksam macht, nicht auf diese Weise auflösen: Die Beschreibung des Handelnden drückt denselben Gedanken aus wie die eines Beobachters. 225

189 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

decken, was dieser Mensch selbst weiß; und in den meisten, wenn auch weniger zahlreichen Fällen wirst du nicht über sein Handeln berichten, sondern auch über eine seiner Absichten, nämlich die Absicht, die geschilderte Handlung auszuführen. (A: § 4.21)

Diese Beobachtung kann man nun auf Anscombes Problemformulie­ rung beziehen. Dann wird auch sofort deutlich, warum das mentalis­ tische Modell in eine falsche Richtung führt: Was kann das Öffnen des Fensters anderes sein als das Ausführen die­ ser oder jener Bewegungen mit diesem oder jenem Ergebnis? Und was kann wissen, daß man das Fenster öffnet, in diesem Fall anderes sein als: wissen, daß dieser Vorgang stattfindet? Sofern es hier zwei Formen des Wissens gibt – das »Wissen von der eigenen absichtlichen Hand­ lung« einerseits und das »beobachtungsbedingte Wissen vom Gesche­ hen« andererseits –, fragt es sich, ob es nicht zwei Objekte des Wissens geben muß. Wie kann man behaupten, es gebe zwei verschiedene For­ men des Wissens, die sich auf genau dieselbe Sache beziehen? Es ver­ hält sich nicht wie in dem Fall, in dem man zwei Beschreibungen des­ selben Gegenstands kennt, beispielsweise, daß er rot und daß er farbig sei. Nein, in unserem Fall ist die Beschreibung, daß das Fenster geöffnet werde, identisch, einerlei, ob das Wissen aus der Beobachtung stammt oder dadurch gewonnen wird, daß es eine absichtliche Handlung ist. (A: § 29.82, Herv. i. Orig.)

Wenn jemand eine Handlung mit einer bestimmten Absicht ausführt, muss diese Person, im Gegensatz zu anderen, die diese Handlung unter derselben Beschreibung wie die handelnde Person identifizie­ ren, ihr eigenes Tun nicht beobachten, um zu wissen, was sie tut. Insofern unterscheiden sich die Perspektiven auf das Geschehen je nachdem, ob man die Handlung beobachtet oder derjenige ist, der sie ausführt. Folgt man dem mentalistischen Modell, das mit dem Gedanken eines privilegierten Zugangs zu eigenen mentalen Zustän­ den operiert, muss man tatsächlich zwei Objekte unterstellen: den mentalen Zustand der eigenen Absicht, das Fenster zu öffnen, zu dem nur der Handelnde einen privilegierten Zugang ohne Beobachtung hat, und das Wissen vom öffentlich beobachtbaren Vorgang in der Welt in Gestalt einer Körperbewegung.227 Erst durch die direkte Selbst- oder indirekte Fremdzuschreibung eines mentalen Zustandes

Nach diesem Modell kann »ohne Beobachtung« nur noch heißen: »nicht in Raum und Zeit identifizierbar« und nur unmittelbar zugänglich.

227

190 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.2 Praktisches Wissen I: Das Problem

würde die Körperbewegung zu einer Handlung.228 Im Rahmen des mentalistischen Modells müssen also zwei Objekte in unterschied­ lichen Wissensbereichen unterstellt werden, obwohl diese doch not­ wendigerweise als ein Handeln beschrieben werden. Insofern wird das einheitliche Phänomen des Handelns in diesem Modell vervielfältigt. Die Trennung in verschiedene Bereiche ist nicht nur unplausibel, sondern wird sich nach Anscombe auch als falsch erweisen. Nach Anscombe gibt es hingegen nur einen Gegenstand des Wis­ sens, nämlich eine Handlung unter einer Beschreibung – das Öffnen eines Fensters. Anscombe fragt nun, wie das möglich ist: Wir müssen verstehen, wie es möglich ist, dass aus beiden nicht aufeinander reduzier­ baren Perspektiven heraus ein und dieselbe Sache gewusst werden kann. Damit ist das begriffliche Problem benannt, für das die Unterschei­ dung zwischen praktischem und kontemplativem Wissen die Lösung sein soll. Die Lösung lautet, dass wir es nicht mit unterschiedlichen Gegenständen – einer beobachtbaren Körperbewegung und einem nicht beobachtbaren mentalen Zustand – zu tun haben, sondern mit Beschreibungen von Handlungen (unter denen sie absichtlich sind), von denen man in zwei unterschiedlichen Formen wissen kann: in Form eines Wissens, das auf Beobachtung basiert, und eines Wis­ sens ohne Beobachtung. Der Fehler besteht darin, den Unterschied zwischen beiden Wissensarten nicht als Unterschied in der Form zu fassen, sondern ihn von den Gegenständen her zu denken. Man gerät dann in die Konfusion, die aus beiden Perspektiven unter einer Beschreibung identifizierte Handlung in einen inneren und einen äußeren Gegenstand zu vervielfältigen, wobei diese Gegenstände des Wissens jeweils in unterschiedlichen Modi des kontemplativen Wissens erkannt werden: Denn, wenn es zwei Formen des Wissens gibt – ein Wissen durch Beobachtung und ein in der Absicht liegendes Wissen –, sieht es so aus, als müsse es zwei Gegenstände des Wissens geben. Doch wenn es dann heißt, die Gegenstände seien identisch, sucht man im Handeln nach dem anderen Modus des kontemplativen Wissens, so als gäbe es mitten im Handeln ein sehendes Auge ganz besonderer Art. (A: § 32.91)

Weder haben wir es mit zwei Wissensmodi mit je eigenem Gegen­ stand – einem inneren und einem äußeren – zu tun, noch gar mit zwei 228 Daher werden Handlungen auch manchmal als absichtliches körperliches Verhal­ ten einer Person definiert: Quante 2020: 52.

191 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

Wissensmodi von einem einzigen Gegenstand, der allerdings einmal unmittelbar von innen her zugänglich ist und einmal von außen beob­ achtet wird. Der Unterschied der Wissensmodi liegt vielmehr in ihrer Form. Der Formunterschied muss entlang der Unterscheidung von »beobachtungsfrei« und »beobachtungsabhängig« erläutert werden, allerdings so, dass das beobachtungsfreie Wissen von den eigenen Absichten als ein Wissen der handelnden Person im Vollzug ihres Han­ delns verständlich wird. Das Stichwort dafür ist: praktisches Wissen. Damit ist auch Anscombes Lösung für das Problem der Asymmetrie von erst- und drittpersonaler Perspektive bei der Beschreibung und Identifikation von Handlungen vorgezeichnet.

Drei Irrwege Eine überzeugende Lösung dieses Problems muss Antworten auf zwei miteinander zusammenhängende Fragen bieten, die das Beispiel der Person, die eine Wand mit gelber Farbe anstreicht, herausfordert:229 (1) Wie ist die Rede von zwei Wissensformen mit Bezug auf eine Handlung unter einer Beschreibung zu verstehen? (2) Inwiefern ist eine Beschreibung dessen, was jemand tut, sofern es zugleich die Beschreibung dessen ist, was tatsächlich geschieht, eine Instanz von Wissen? Die folgenden drei Vorschläge können als gescheiterte Versuche verstanden werden, dieser doppelten Anforderung gerecht zu werden. Sie scheitern nicht zuletzt daran, dass sie das einheitliche Phänomen einer Handlung unter einer Beschreibung in eine innere und eine äußere Komponente zerlegen, die durch einen kausalen Nexus im Sinne einer causa efficiens allerdings nur äußerlich verknüpft sind. Nur so meint man das Problem der Wissensformen lösen zu kön­ nen. Das beobachtungsfreie Wissen um die eigene Absicht erstreckt sich auf den inneren Bereich, der beispielsweise durch Introspektion zugänglich ist, oder nur teilweise auf die Handlung; das Wissen über die Handlung selbst bezieht sich dagegen auf den äußerlich beobacht­ baren Vorgang. Die Modelle unterscheiden sich allerdings darin, wie 229 Um genau zu sein, richtet sich das Beispiel sowohl gegen den Gedanken, wonach hier eine besondere Wissensform vorliegt, als auch gegen den Gedanken, es würde sich dabei um ein beobachtungsfreies Wissen handeln (schließlich beobachtet diese Person ihr Tun).

192 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.2 Praktisches Wissen I: Das Problem

sie die Bereiche eingrenzen. Anscombe präsentiert diese Diskussion als weitere Problematisierung. Tatsächlich geht es nicht nur darum, theoretische Sackgassen zu identifizieren, sondern die Anforderun­ gen an eine zufriedenstellende Lösung weiter zu spezifizieren. Die Frage nach der Form des Wissens von den eigenen Absichten verweist auch auf das Problem der kausalen Wirksamkeit des Handelns: Es muss geklärt werden, wie der kausale Zusammenhang zwischen der Absicht und dem durch die Handlung herbeigeführten Geschehen zu verstehen ist.230 Die folgenden modellhaften Lösungsversuche erweisen sich nicht zuletzt auch deshalb als unbefriedigend, weil sie auf diese Frage keine Antwort haben, die zugleich die Möglichkeit des Wissens von eigenen Absichten einschließt. 1) 2) 3)

Das Wissen der handelnden Person beschränkt sich auf das, was sie will oder beabsichtigt; Gegenstand der Beobachtung ist dann nur das gewollte Resultat (A: § 29.83) Urteile über das eigene absichtliche Tun sind unfehlbar (A: § 29.83f.) Das Wissen der handelnden Person beschränkt sich auf ihre unmittelbaren Körperbewegungen (A: § 30)231

Nach Vorschlag 1) hat die handelnde Person Wissen ohne Beobach­ tung vom Inhalt ihrer Absicht bzw. dem, was sie will. Dagegen beruht das herbeigeführte Ergebnis der Handlung auf Beobachtung, wobei das Ergebnis etwas ist, das als Absicht »ebenfalls« gewollt wurde. Anscombe fertigt diese Erklärung als »hirnrissig« (A: § 29.83) ab. Abwegig ist offensichtlich die bei dieser »Erklärung« unterstellte Vor­ stellung von der kausalen Wirksamkeit von Willensakten. Sie orien­ tiert sich an einer fehlgeleiteten kausalen Erklärung der Einwirkung des Willens auf die eigenen Gliedmaßen. Wir erinnern uns, dass das von Wittgenstein aufgeworfene Rätsel der willentlichen Armbewe­ gung oft als Ausgangspunkt für die zeitgenössische Handlungstheorie angesehen wird. Es deutet sich hier an, warum diese Frage falsch gestellt ist.232 So kann man den Witz ihrer nur angedeuteten reductio 230 Für die vertiefende Problematisierung kann daher auch offen bleiben, ob es tat­ sächlich philosophische Ansätze gegeben hat oder gibt, die sich diesen idealtypischen Modellen zuordnen lassen. 231 Für diese Gliederung vgl. Schwenkler 2019: 100, dessen Reihenfolge ich aller­ dings verändert habe. 232 Vgl. PU: § 621. Die willentliche Armbewegung drängt sich als Paradigma immer wieder auf, weil dabei eine Bewegung durch den eigenen Willen unmittelbar herbei­

193 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

verstehen, die Bemerkungen Wittgensteins aufnimmt.233 So wie man den eigenen Arm bewegen kann, wenn man es will, kann man auch eine Streichholzschachtel bewegen. Dieses Modell bietet keine ver­ ständliche Erklärung des Wissens von eigenen Absichten, denn es ist völlig unklar, was es heißen soll, dass das Resultat der Handlung »in der Absicht ebenfalls gewollt wurde«. Es impliziert zudem absurde Vorstellungen von der kausalen Wirksamkeit dieses Wissens.234 Ein zweiter Irrweg beruht auf der Annahme, dass Urteile von Handelnden über ihr absichtliches Tun unfehlbar sind. Demnach würde alles, was jemand glaubt zu tun, wirklich getan: Wenn ich beispielsweise meinen Zeh zu bewegen glaube, dieser sich aber nicht wirklich bewegt, dann ›bewege ich meinen Zeh‹ in einem führt wird: »Von der Bewegung meines Armes, z.B., würde ich nicht sagen, sie komme, wenn sie komme, etc. Und hier ist das Gebiet, in welchem wir sinnvoll sagen, daß uns etwas nicht einfach geschieht, sondern daß wir es tun. ›Ich brauche nicht abwarten, bis mein Arm sich heben wird, – ich kann ihn heben.‹ Und hier setze ich die Bewegung meines Arms etwa dem entgegen, daß sich das heftige Klopfen meines Herzens legen wird.« (PU: § 257) 233 Als mögliche Quelle identifiziert Schulte (2011: 158) eine Bemerkung Geachs in einer von ihm herausgegebenen Vorlesung Wittgensteins zur Philosophie der Psychologie aus dem akademischen Jahr 1946/47 (VL, 120). Der Kontext ist eine Diskussion des von Wittgenstein so bezeichneten Moore’schen Paradox. Für das Beispiel der Streichholzschachtel vgl. auch Geachs Vorwort: »Da sagte Wittgenstein zu einem der Anwesenden: ›Wollen Sie, daß sich die Streichholzschachtel zu ihrer Hand hinbewegt!‹ Der Betreffende starrte gespannt auf die Streichholzschachtel, die sich natürlich nicht bewegte. Dann befahl Wittgenstein: ›Nun wollen Sie, daß sich Ihre Hand zur Streichholzschachtel hinbewegt!‹ Als rechnete er damit, daß irgend etwas seine Hand zur Streichholzschachtel hindrängen würde, starrte der Mann gespannt auf seine Hand, die sich natürlich auch nicht bewegte. Dann bewegte er auf einmal die Hand in Richtung Streichholzschachtel.« (Geach 1991: 13f.) Der Kontext ist hier eine Diskussion über so genannte »Psi-Phänomene«, d.h. Parapsychologie. 234 Vgl. dazu Geachs in der vorherigen Fn. wiedergegebene Anekdote. Für eine alter­ native Deutung dieser Passage vgl. Schwenkler 2019: 101f. Demnach sei Anscombes Argumentation unbefriedigend, da sie auf anfechtbaren Annahmen über die logische Grammatik von »wollen« beruhe. Ihre Kritik würde deutlicher, wenn man sie auf die Rolle der Beobachtung bei der Beschreibung von Handlungen bezöge. Es gibt einen Unterschied zwischen Fällen, bei denen man ein Fenster öffnet, um zu lüften – eine absichtliche Handlung, von der man ohne Beobachtung weiß – und solchen, bei denen man beim Öffnen des Fensters auch noch Schatten an die Wand wirft. Das kritisierte Modell verschleiert diesen Unterschied und scheitert aus diesem Grund. Schwenkler bezieht sich dabei auf Anscombes Beispiel in § 28. Nach meiner Deutung ist die lau­ nige Bemerkung über die Bedeutung von »wollen« keine semantische Festlegung, sondern hat einfach nur die Funktion, eine unreflektierte Voraussetzung des kritisier­ ten Modells zu identifizieren.

194 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.2 Praktisches Wissen I: Das Problem

bestimmten Sinn; und was das Geschehen betreffe, so könne ich es natürlich nicht steuern – es sei denn insofern, als mir der Zufall zu Hilfe kommt. (A: § 29.83, kursiv i. Orig.)

Anders als der erste Versuch, kann diese Lösung eine gewisse Plau­ sibilität für sich beanspruchen. Es scheint als wären Urteile über eigene geistige Zustände, zu denen auch eigene Absichten gehören, unfehlbar. Außerdem beabsichtigen wir sehr oft etwas, das dann nicht realisiert wird oder in der Wirklichkeit scheitert. Anscombe erläutert dieses Modell mit Bezug auf zwei Stellen aus Wittgensteins Tracta­ tus.235 Seine beiden Bemerkungen kreisen um die Frage des Verhält­ nisses des Willens zur Welt. Wollen und Wünschen sind, so Witt­ genstein, unabhängig von der Welt. Max Black erläutert die Stelle folgendermaßen: »Es gibt sozusagen eine unüberbrückbare logische Kluft zwischen meinem Entschluss, dass p der Fall sein wird, und dem tatsächlichen Wahrheitswert von p.« (Black 1964/2019: 476, kursiv i. Orig.) Es erscheint demnach abwegig, zwischen beiden eine physi­ kalische Verbindung anzunehmen. In ihrer Einführung zum Tractatus kommentiert Anscombe diese Passagen mehrfach. Sie bringt dort dieses Modell in Verbindung mit einem Dogma, das auf Hume zurückgeht, wonach es nur logische Notwendigkeit gibt (Anscombe 1959: 80), eine These, die Wittgenstein selbst im Tractatus vertreten hat (vgl. TLP 6.37).236 Nirgends, bemerkt Anscombe weiter, habe Wittgenstein im Tractatus so offensichtlich falsch gelegen als mit sei­ ner Behauptung zur Unabhängigkeit des Willens von der Welt.237 Vgl. TLP 6.373 und 6.374. Bei Wittgenstein ist allerdings nicht von Absichten, sondern von Wünschen die Rede. Man mag hier außerdem fragen, wer außer Wittgen­ stein eine solche Position vertreten hat. Schwenkler (2019: 104) identifiziert einen Text von Harold A. Prichard, der dem Modell von Anscombe sehr nahe kommt: »An action, i.e. a human action, instead of being the originating or causing of some change, is an activity of willing some change, this usually causing some change, and in some cases a physical change, its doing or not doing this depending on the physical conditions of which the agent is largely ignorant.« (Prichard (1945/2002: 277) Bayne (2010: 89f.) verweist auf einen Aufsatz des englischen Psychologen und Philosophen George Frederick Stout für den Gedanken, dass der Zusammenhang zwischen Willensakt und Körperbewegung einer Fügung des Schicksals gleichkomme. 236 Für Anscombes Problematisierung des neuzeitlichen Kausalitätsbegriffs vgl. meine Ausführungen in Kap. 4. In Anscombe 1978/2014 findet sich ihre Verteidigung einer eigenen Form praktischer Notwendigkeit, die sich am Gebrauch so genannter »stopping modals« (»unterbindende Modalausdrücke«) festmachen lässt. 237 Vgl. Anscombe 1959: 171: »It is this part of the Tractatus that seems to me obviously wrong.« 235

195 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

Dementsprechend habe er später in den Philosophischen Untersu­ chungen seine Position zu dieser Frage korrigiert. Sie verweist auf PU § 644, der auch den Grundgedanken von Anscombes eigener Lösung enthält: »Ich schäme mich nicht dessen, was ich damals tat, sondern der Absicht, die ich hatte.« – Und lag die Absicht nicht auch in dem, was ich tat? Was rechtfertigt die Scham? Die ganze Geschichte des Vorfalls. (PU § 644)

Sie kommentiert: »›What happens‹ includes ›actions‹, in the sense of the word in which ›good‹ and ›bad‹ are predicated of actions.« (Anscombe 1959: 172) Das passt zum ersten, als Annäherung gedachten Definitions­ versuch von absichtlichen Handlungen aus § 3 (vgl. A: § 3.18.). Wich­ tig ist im Kontext von § 29 jedoch der Verweis auf das Geschehen. Denn als Antwort auf das kritisierte Modell lenkt Anscombe die Auf­ merksamkeit auf die Handlung als Teil eines Geschehens. Die allge­ meine Formel, mit der eine handelnde Person das Wissen von ihrem absichtlichen Tun ausdrückt, ist, wie sie nun ausdrücklich festhält, »ich tue X« oder »ich tue, was geschieht«. Die kausale Struktur der Hand­ lung erscheint nach dieser Formel in einem anderen Licht als in den Bemerkungen aus Wittgensteins Tractatus, die dem neuzeitlichen mechanisch-deterministischen Verständnis von Kausalität folgen. Demnach beschränkt sich der Beitrag des Handelnden zum Gesche­ hen darauf, den Vorgang im Sinne einer causa efficiens zu bewirken. Daher unterliegt die folgende Bewegung auch nur noch zufällig dem Einfluss des Akteurs.238 Anscombes Beispiel einer Person, die ein Fenster öffnet, verdeutlicht dagegen, dass es durchaus die beobacht­ baren Körperbewegungen der handelnden Person sind, die das Öffnen des Fensters herbeiführen. Es gibt also eine Verbindung zwischen bei­ dem. Entscheidend ist allerdings, dass die Körperbewegung in diesem Fall das Öffnen eines Fensters durch diese Person ist. Der Witz von Anscombes Gedanke ist daher, dass die Unterscheidung zwischen »Tun« und »Geschehen« nicht mehr gemäß der klassifikatorischen Differenz von zwei kausal verknüpften Bereichen (Innen und Außen), sondern im Sinne einer Unterscheidung von Hinsichten an einem Vorgang begriffen wird, die von den zwei Wissensformen (beobach­ Vgl. Schwenkler 2019: 105, dessen Interpretation dieser Passage ich hier folge. Er stellt Anscombes Formel die kausalistische Formel »ich verursache, was geschieht« gegenüber.

238

196 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.2 Praktisches Wissen I: Das Problem

tungsabhängig und beobachtungsfrei) reflektiert wird. Schwenkler hält dazu fest: Thus it is that the window’s rising, no less than her bodily movement in raising it, is something that a person opening her window by raising it up will know, not by observing how things unfold as an effect of what she does, but rather as an aspect of her action itself. (Schwenkler 2019: 106)

Anscombe nimmt die Beobachtung ernst, dass wir normalerweise wissen, was geschieht, indem wir wissen, was wir tun.239 Dafür bietet das Tractatus-Modell keine überzeugende Erklärung. Nach dem dritten Lösungsversuch wird das Wissen vom Inhalt der eigenen Absichten auf das Wissen von eigenen Körperbewegun­ gen bis hin zu Muskelkontraktionen zurückgeführt. Dieses Wissen wäre beobachtungsfrei, und der eigentliche Gegenstand des Wissens von den eigenen Absichten wäre eine effizient-kausal wirksame Kör­ perbewegung. Die Absicht selbst wird allerdings externalisiert als das berechnete Resultat der Körperbewegung. Bezieht man dieses Modell auf Anscombes Beispiel des Anstreichens einer Wand mit gelber Farbe (A: § 28.81), würde die Lösung des Problems nach diesem Modell folgendermaßen aussehen: Beobachtungsfrei wäre das Wissen von den Bewegungen, mit denen diese Person den Pinsel bewegt, wohin­ gegen das beabsichtigte Resultat der beobachtbare gelbe Anstrich der Wand ist. Diese Lösung wäre nicht mehr dem Einwand ausgesetzt, der ausgehend von diesem Beispiel formuliert wird, wonach man auf die vermeintlich absonderliche Behauptung verpflichtet wäre, man wisse ohne Beobachtung, dass man die Wand gelb anstreicht. Für dieses Modell spricht daher auf den ersten Blick, dass es tatsächlich wie eine Lösung des Problems aussieht. Man kann nun ohne weiteres behaupten, dass man das Anstreichen der Wand mit gelber Farbe buchstäblich beobachtet, wohingegen sich das beobachtungsfreie Selbstwissen vom eigenen Tun nur auf die unmittelbaren Bewegun­ gen der Pinselführung bezieht. Anscombe legt diese Konstruktion noch etwas detaillierter am Beispiel der Handlungsbeschreibung »Ich stoße das Boot nach draußen« (A: § 30.86) auseinander. Das Satzglied »ich stoße« drückt dabei das unmittelbare, beobachtungsfreie erst­ personale Wissen des Handelnden von den eigenen Körperbewegun­ gen aus. Das Satzglied »das Boot« beschreibt einen beobachtbaren 239

So wiederum Schwenkler 2019: 105.

197 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

Gegenstand in der Nähe des Handelnden; und »nach draußen« drückt die Meinung des Handelnden über das gewünschte, die Absicht for­ mulierende Resultat der Körperbewegung aus. Damit wird diese Erklärung auch noch der Tatsache gerecht, dass das Wissen von Hand­ lungen, »die unter irgend einem Aspekt beschrieben werden, der über den Aspekt der körperlichen Bewegung hinausgeht« (A: § 28.81), oft­ mals auf Beobachtung beruht. Anscombe bestreitet jedoch die Prämisse dieses Modells: Die einzige Beschreibung meines Tuns, über die ich mir völlig im Kla­ ren bin, bezieht sich womöglich auf etwas, was sich in einer gewissen Entfernung von mir befindet. Es ist nicht der Fall, daß ich klar über die von mir ausgeführten Bewegungen Bescheid weiß und daß die Absicht bloß ein Resultat ist, das ich berechne und hoffentlich auf diese Bewe­ gungen folgen wird. (A: § 30.85)

Das Modell beruht auf der Annahme, dass über das eigene Tun nur dann Klarheit gewonnen werden kann, wenn sich das Wissen davon auf Vorgänge in der Nähe der handelnden Person bezieht. Das folgende Gedankenexperiment soll diese Annahme in Zweifel ziehen. Es wird angenommen, dass ein Physiologe herausfinden will, ob in den Nervenfasern eines Probanden ein anderer Stoff als sonst erzeugt wird, wenn er seinen Arm mit der gleichen Geschwindigkeit senkt, mit der er fallen würde. Um das zu überprüfen, konstruiert der Physiologe einen Mechanismus mit einem beweglichen Teil, den der Proband auf und ab bewegen kann: Meine Anweisung lautet: ›Halte den Gegenstand waagrecht!‹, und mit ein wenig Übung lerne ich, der Anweisung zu folgen. Meine Schilderung dessen, was ich da tue, besagt, daß ich den Gegenstand waagrecht halte, wobei ich meine Armbewegung gar nicht in Betracht ziehe. Die Schilderung, die ich von meinem entfernteren Tun geben kann, ist sehr viel genauer als meine Erklärung dessen, was mein Arm tut. Daß ich den Gegenstand waagrecht halte, ist also überhaupt nicht etwas, was ich als Wirkung meines eigentlichen und unmittelbaren Tuns berechne und worüber ich daher durch mein ›Wissen von der eigenen Handlung‹ direkt Bescheid weiß. (Ebd.: 86f.)

Fragt man nun den Probanden, was er tut, wird die Antwort lauten: »Ich halte X waagerecht«. Diese Handlungsbeschreibung bezieht sich aber nicht auf eine Körperbewegung, sondern, anders als das untersuchte Modell annimmt, auf einen entfernten Gegenstand. Nach Anscombe hat der Proband aber von der eigenen absichtlichen Hand­

198 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.2 Praktisches Wissen I: Das Problem

lung unter genau dieser Beschreibung beobachtungsfreies Wissen. Das Wissen von der eigenen Absicht bezieht sich auch nicht auf die berechneten kausalen Wirkungen seiner Bewegungen. Von die­ sen Wirkungen – in Form des Stoffs, der durch diese Bewegungen erzeugt wird – hat der Physiologe, der das Experiment leitet, aus der drittpersonalen Perspektive ein Wissen, das freilich auf Beob­ achtung beruht. Der Proband hingegen weiß ohne Beobachtung, dass er den Gegenstand waagerecht hält, denn das ist es, was er tut, und diese Beschreibung »hält Abstand« zu den unmittelbaren Körperbewegungen: »Die Beschreibung des eigenen Tuns, die man zur Gänze versteht, hält einen gewissen Abstand von den Details der eigenen Bewegungen, die man dabei überhaupt nicht berücksichtigt.« (Ebd.: 87) Dieses Ergebnis kann als begriffliche Bemerkung verstanden werden, die an die bereits bekannten Erläuterungen des beobach­ tungsfreien Wissens anknüpft. Für beobachtungsfreies Wissen gilt das logisch-grammatische Merkmal, dass der Wissensanspruch behauptet werden kann, ohne sich auf etwas zu beziehen, das auch unter einer anderen Beschreibung angegeben werden kann.240 Wie John Schwenkler bemerkt, wissen wir das, was wir über unsere Körperbewegungen wissen, von dem her, was wir tun, und nicht umgekehrt.241 Daher hat das Wissen von unmittelbaren Körperbewe­ gungen auch keinen Vorrang vor dem Wissen von Handlungen, die sich auf einen entfernten Gegenstand beziehen. Die drei Versuche scheitern daran, dass sie das einheitliche Phä­ nomen der absichtlichen Handlung zergliedern müssen. Der Grund dafür ist, dass sie in einem Bild gefangen sind, das von der neuzeitli­ chen (Handlungs-)Psychologie nahegelegt wird: Das beobachtungs­ freie Wissen von den eigenen Absichten wird als ein Wissen von geistigen Zuständen aufgefasst, zu denen jeder aus erstpersonaler Perspektive einen privilegierten Zugang hat. Man kann eine Absicht aus drittpersonaler Perspektive daher immer nur indirekt durch Beob­ achtung des Verhaltens einer Person erschließen und zuschreiben. Der Zusammenhang zwischen der Absicht als »geistigem Ereignis« und dem vom Handelnden ausgehenden äußeren Handlungsgeschehen wird über einen kausalen Nexus hergestellt, der vom Paradigma der Vgl. A: § 8.29f. und § 28.79f. sowie meine Erläuterungen auf S. 118ff. Vgl. Schwenkler 2019: 104. Weitere Implikationen dieser Einsicht werden noch deutlicher im Zusammenhang mit der Rekonstruktion des praktischen Syllogismus (vgl. dazu Kap. 6.3). 240

241

199 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

causa efficiens her gedacht wird. Daher kann dieser Zusammenhang nur als kontingent erscheinen. Eine alternative Erklärung müsste demnach Folgendes leisten: Es muss deutlich werden, wie sich das erstpersonale Wissen der handelnden Person über die gesamte absichtlich vollzogene Handlung erstreckt; es muss deutlich werden, inwiefern es sich dabei um eine Form von Wissen handelt, und die eigentümliche kausale Struktur, die die Handlung kraft des Wissens der handelnden Person als eine absichtliche konstituiert, muss erklärt werden; dabei muss das unbestreitbare Phänomen der Kontingenz bei der Realisierung von Absichten verständlich bleiben, ohne die Einheit der absichtlichen Handlung aufzugeben. Im Zentrum von Anscombes Lösung steht der Begriff des praktischen Wissens, zu dem die folgen­ den Abschnitte (§§ 31 und 32) hinführen sollen.

Befehle und Absichtsäußerungen I: Auf dem Weg zu einer Lösung Anscombes Frage war, ob den zwei Weisen, in denen man von einer Handlung wissen kann – dem drittpersonal beobachtbaren Vorgang und dem erstpersonalen Wissen von der eigenen Absicht –, auch zwei Gegenstände entsprechen: die Handlung als beobachtbare Körperbe­ wegung und die Absicht als innerer Gegenstand. In § 32 wird deutlich, dass die beiden Weisen, von einer Handlung zu wissen, nicht inhalt­ lich über einen Gegenstandsbereich, sondern der Form nach unter­ schieden werden müssen. Hier führt Anscombe erstmals in diesem Werk den Begriff des praktischen Wissens explizit ein, den sie vom kontemplativen Wissen unterscheidet (vgl. A: § 32.90). Beide Wis­ sensformen beziehen sich auf eine Sache: Eine Handlung unter einer Beschreibung. Anscombe nähert sich der Frage, wie dieser Formun­ terschied genauer zu fassen ist, in zwei Durchgängen. Einmal, indem sie, um die Formulierung aus dem analytischen Inhaltsverzeichnis zu zitieren, die »Fakten, die eine Akteursaussage über absichtliches Han­ deln falsifizieren, mit den Fakten, die einen Befehl hinfällig werden lassen, « (A: 152) vergleicht. Zum anderen, indem sie ein Beispiel einführt, an dem der Formunterschied verdeutlicht werden soll – es ist das berühmte Beispiel eines Einkäufers mit einer Liste, der bei sei­ nem Einkauf von einem Detektiv beobachtet wird. Die in § 31 einsetzende Gegenüberstellung von Berichten über eigene Absichten mit Befehlen bereitet dieses Beispiel vor. Anscombe

200 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.2 Praktisches Wissen I: Das Problem

nimmt damit eine Diskussion aus § 2 auf. Dort hatte sie bereits eine Analogie zwischen Absichtserklärungen, Befehlen und Vorhersagen hergestellt. Es hatte sich gezeigt, dass Absichtserklärungen und Befehle als Formen von Vorhersagen verstanden werden können: In beiden Fällen haben wir es mit der Beschreibung eines zukünftigen Sachverhalts zu tun.242 Ein Unterschied zu Vorhersagen, auf den Ans­ combe gestoßen war, liegt darin, dass bei Befehlen und Absichtsäuße­ rungen neben der möglichen Bewertung der Aussagen nach Wahr­ heitsbedingungen eine spezifisch normative Bewertungsdimension hinzukommt. Für Befehle und Absichtserklärungen gilt, dass Recht­ fertigungsgründe angeben, inwiefern die Herbeiführung des Befoh­ lenen oder Beabsichtigten positiv, d.h. gut wäre (vgl. A: § 2.15). Bei Absichtsäußerungen ist der Sprecher zudem als Akteur auf besondere Weise in das Geschehen involviert (vgl. A: § 3.18). Die Analogie mit Befehlen soll nun an dieser Stelle helfen, diesen spezifischen Akteurs­ bezug aufzuklären. Man kann die Analogie mit Befehlen nämlich noch weiterführen. Anscombe tut das, indem sie fragt: »Was ist der Wider­ spruch zu einer Beschreibung der eigenen absichtlichen Handlung?« (A: §.31.87) Dazu stellt sie folgende Sätze gegenüber: a) b) c) d) a*)

»Ich fülle den häuslichen Wasservorrat auf« »Knirschen Sie mit den Zähnen!« »Das Wasser läuft hinter der Ecke aus der Leitung« »Ich trage ein Gebiss« »Du füllst den Wasservorrat nicht auf, denn in der Leitung ist ein Loch« b*) »Dieser Mann wird nicht mit den Zähnen knirschen, denn er trägt ein Gebiss«

Dabei wird angenommen, dass a) sich zu c) verhält wie b) zu d). Für die Beantwortung der Frage nach dem Widerspruch zur Beschreibung der eigenen absichtlichen Handlung könnte man daraus ableiten, dass a*) den Widerspruch zu a) darstellt und mit b*) dem Befehl b) widersprochen wird. Nach Anscombe verhält es sich aber gerade nicht so. Der Widerspruch wird für die beiden Fälle vielmehr folgenderma­ ßen ausgedrückt: a**) »Aber nein, das tust du nicht!« Wobei, wie Anscombe sogleich hinzufügt, »diese Worte von jemandem geäußert werden, der 242

Vgl. A: § 2.14 und meine Ausführungen dazu auf S. 72–75.

201 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

sich anschließend dranmacht, mit der Spitzhacke ein Loch in die Leitung zu schlagen.« (A: §.31.88) b**) »Knirschen Sie nicht mit den Zähnen!« Der Grund dafür liegt nach dem, was bereits zu dieser Analogie am Anfang des Werks herausgearbeitet wurde, auf der Hand: Befehle und Absichtsäußerungen werden nicht durch Belege gerechtfertigt. Das müsste dann auch für ihre Negation gelten. Bei den Aussagenpaaren c) und a*) sowie d) und b*) ist das aber gerade nicht der Fall: Die Geltung dieser Aussagen bemisst sich an der Beobachtung des behaupteten Sachverhalts. Man kann für diese Fälle daher nur sagen, dass der Befehl oder die Absicht durch diese Feststellungen »hinfällig« werden (A: § 32.90). Nur a**) und b**) widersprechen im strikten Sinne der jeweiligen Aussage a) bzw. b). Der Widerspruch erfolgt im gleichen Redemodus (Befehl und Beschreibung einer Absicht); er erfolgt so, dass die Wahrheit der einen Aussage die Falschheit der anderen impliziert und umgekehrt.243 Es ist ein Unterschied, ob man einem Befehl mit der Vorhersage begegnet, dass er nicht ausgeführt werden kann, oder einen entgegengesetzten Befehl erteilt. Das gilt analog für Absichtsäußerungen. Mit dieser Gegenüberstellung wird nun aber auch deutlicher, wo die Grenze der Analogie liegt. Wer seine eigene Absicht beschreibt, weiß (ohne Beobachtung), was er tut. Die Beschreibung der eigenen Absicht wird zugleich als Manifestation des Wissens der handelnden Person verstanden. Für Befehle gilt das nicht.244 Die Analogie hilft also nicht weiter, wenn es darum geht, diesen besonderen Wissens­ modus zu verstehen. Zumindest ist das so, wenn man sie so inter­ pretiert, wie es bisher geschehen ist. Dennoch ist die Analogie auf­ schlussreich. Sie verdeutlicht nämlich, dass sich der Zusammenhang zwischen sprachlichen Äußerungen und dem, was sie beschreiben, verändert, wenn Sprache gebraucht wird, um Befehle zu geben oder eigene Absichten zu beschreiben. Die in der ersten Beispielfolge Es gilt hier das tertium non datur. Beide Aussagenpaare (a und a** sowie b und b**) verhalten sich kontradiktorisch zueinander. Die Wahrheit von a) bzw. b) impliziert zwar auch die Falschheit von a*) bzw. b*), bei diesen Gegensatzpaaren sind aber weitere Möglichkeiten denkbar, zum Beispiel, dass die Pumpe noch mit einer Notleitung verbunden ist, so dass der Wasservorrat dennoch aufgefüllt wird. Für eine detaillierte Analyse der logischen Verhältnisse zwischen diesen Aussagen vgl. Schwenkler 2019: 109f. 244 Dieser Punkt war schon in der Diskussion von § 2 impliziert. Nun wird deutlicher, warum das so ist. 243

202 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.2 Praktisches Wissen I: Das Problem

thematisierten Formen des Widerspruchs (etwas hinfällig werden lassen und widersprechen im strikten Sinn) deuten darauf hin. Es geht dabei nicht um Darstellung von Wirklichkeit, sondern um die Repräsentation von etwas, das erst noch herbeigeführt wird bzw. dabei ist, herbeigeführt zu werden. An der Vollzugsform, die mit den Beschreibungen eigener Absichten ins Spiel kommt, kann man nun auch ansetzen, um den für das Verständnis absichtlichen Handelns relevanten Unterschied zu Befehlen herauszuarbeiten. Das Beispiel des Einkäufers soll die unterschiedlichen Darstellungsmodi von Spra­ che präsentieren und dabei zugleich den Grund für den Unterschied zwischen der Beschreibung eigener Absichten und Befehlen heraus­ stellen.

Befehle und Absichtsäußerungen II: Die Analogie richtig gefasst Es kommt darauf an, die Analogie zwischen Befehlen und Absicht­ säußerungen so zu fassen, dass das Merkmal des gesuchten Wissens deutlich wird. In einem Punkt geht die Analogie nämlich weiter als bisher deutlich wurde. Das wird klar, wenn man sich nicht auf mögli­ che Widersprüche konzentriert, sondern Fehlleistungen bzw. Fälle des Misslingens anschaut. Dazu dient das bereits erwähnte Beispiel: Betrachten wir einen Mann, der mit einem Einkaufszettel in der Hand durch die Stadt geht. Klar ist, daß das Verhältnis zwischen der Liste und den tatsächlich gekauften Dingen dann, wenn die Liste von seiner Frau zusammengestellt wurde, das gleiche ist wie dann, wenn sie von ihm selbst stammt, während das Verhältnis ein anderes ist, wenn ein Detektiv, der dem Mann folgt, eine Liste aufstellt. Hat der Mann die Liste selbst zusammengestellt, ist sie der Ausdruck einer Absicht; stammt sie von seiner Frau, spielt sie die Rolle eines Befehls. Welches ist nun im Fall von Befehl und Absicht das gleichbleibende Verhältnis zum Geschehen, das im Fall des Protokolls nicht gegeben ist? Es handelt sich genau um folgendes: Stimmen die Liste und die Dinge, welche der Mann tatsächlich kauft, nicht überein und ist dies der einzige diesbe­ zügliche Fehler, dann liegt der Fehler nicht in der Liste, sondern in der Handlung unseres Manns. (Würde seine Frau sagen: ›Schau doch mal, hier steht Butter, und du hast Margarine gekauft‹, dürfte er kaum ant­ worten: ›Welch ein Fehler! Das müssen wir in Ordnung bringen‹, wobei er das Wort auf der Liste durch ›Margarine‹ ersetzt.) Ist es hin­ gegen das Protokoll des Detektivs, der (sic!) nicht mit den Einkäufen

203 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

des Mannes übereinstimmt, liegt der Fehler in dem Protokoll. (A: § 32.88f., kursiv i. Orig.)

Die Absichtsäußerung erscheint hier von vornherein nicht als Befehl oder als eine Art Aufforderung, die eine handelnde Person sich selbst gibt. Die Analogie besteht vielmehr im Verhältnis des Gesagten in Form des Zettels bzw. des Protokolls zum tatsächlichen Geschehen. Wenn der Detektiv einen Fehler beim Protokollieren macht, liegt der Fehler im Protokoll. Das ist der Normalfall des beobachtungsbasierten Wissens: Es wird durch Belege gerechtfertigt; das in diesem Wissens­ modus Behauptete wird falsch, wenn es nicht mit dem Behaupteten übereinstimmt. Bei Absichtsäußerungen und Befehlen verhält es sich genau umgekehrt. Der Fehler liegt hier in der Handlung – sei es, dass der Befehl nicht richtig ausgeführt oder die Absicht nicht realisiert wurde. Wir hatten bereits gesehen, dass sich Absichtsäußerungen von Vorhersagen genau dadurch unterscheiden, dass bei ersteren prakti­ sche Fehler möglich sind. Anscombes Beispiel in § 2 war, dass sie etwas anders hinschreibt als sie zu schreiben glaubt (vgl. A: § 2.16). Für solche Fälle gilt: »Was du getan hast, war ein Fehler, denn es stimmt mit dem, was du gesagt hast nicht überein.« (A: § 32.90, kur­ siv i. Orig.) Ein anderes Beispiel ist, wenn jemand sagt, er würde Knopf A drücken, tatsächlich aber B drückt. Auch bei Befehlen sind solche Fälle von falscher Ausführung denkbar, z.B. wenn jemand rechtsum geht auf den Befehl »Linksum!«. Anscombe spricht hier von einer direkten Falsifizierung des Gesagten, weil dem Fehler keine fal­ sche Einschätzung der Lage zugrunde liegt (ebd.). Solche Fehlurteile würden den Befehl oder die Absichtsäußerung hinfällig machen, wie aus der Beispielfolge von § 31 schon klar geworden ist. Die Person hat nicht falsch geurteilt, so dass die Handlung deshalb misslingt, sondern sie tut nicht, was sie behauptet zu tun. Wir haben es dann mit Bei­ spielen dafür zu tun – auch auf diese Möglichkeit hatte Anscombe schon in § 2 hingewiesen –, dass es ein Einwand gegen die Fakten ist, wenn sie nicht mit den Worten in Einklang stehen. In § 32 drückt sie diesen Gedanken so aus: »Es besteht jedoch eine Diskrepanz zwischen dem Sprachlichen und dem, wovon das Sprachliche eine Beschreibung

204 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.2 Praktisches Wissen I: Das Problem

ist. Die Diskrepanz gibt aber nicht der Sprache die Schuld, sondern dem Geschehen.« (Ebd.)245 Der Witz der Analogie liegt also nicht darin, dass eine Absicht eine Art Befehl ist, sondern dass in beiden Fällen das Verhältnis des Gesagten zum Geschehen so ist, dass bei einem Fehler die Diskrepanz dem Geschehen die Schuld gibt. Diese Ähnlichkeit zwischen beiden sprachlichen Formen konnte in § 2 den Formunterschied zu Vorher­ sagen (im Hinblick auf den Zukunftsbezug von Befehlen und Absicht­ säußerungen) erhellen; nun erhellt die Analogie den Formunterschied zwischen Aussagen, die durch Beobachtung des Geschehens bzw. der Fakten gerechtfertigt werden, und solchen, bei denen das nicht der Fall ist (im Hinblick auf die Vollzugsebene von Absichtsbeschreibungen und Befehlen). Das ändert nichts daran, dass es einen wesentlichen Unterschied zwischen beiden sprachlichen Formen gibt: Der Befehl, so sahen wir, hat seinen Witz darin, dass man damit jemanden dazu bringt, etwas zu tun (vgl. A: § 2.14). Die Äußerung der Absicht berich­ tet dagegen, was geschieht oder geschehen wird, wenn jemand han­ delt. Dieser Formunterschied wirft ein Licht auf die besondere Wis­ sensform, deren Ausdruck Absichtsäußerungen sind. So zeigen die Beispiele aus § 32 nicht nur, wie man die Analogie richtig fasst, son­ dern auch, worin der Unterschied zwischen beiden sprachlichen For­ men liegt und wie dieser Unterschied mit dem besonderen Verhältnis des absichtlich Handelnden zu dem, was er tut, zusammenhängt. Jetzt kann man auch genauer festhalten, was das Wissen cha­ rakterisiert, das Handelnde von ihren Absichten haben: Es gilt dafür genau das am Einkäufer-Beispiel herausgearbeitete formale Merkmal. Es ist ein Wissen, bei dem der Zusammenhang zwischen Tatsachen und dem, was darüber behauptet wird, umgekehrt ist zu beobachtungsbasiertem Wissen. Ein solches Wissen nennt Anscombe »praktisches Wissen«. Diese Unterscheidung von Wissensmodi ist auch der Schlüssel zu Lösung des Ausgangsproblems: Das Wissen muss […] etwas sein, was aufgrund seiner Übereinstim­ mung mit den Tatsachen als Wissen gilt. Die Tatsachen – die Wirk­ lichkeit – haben Vorrang und schreiben vor, was gesagt werden muß, sofern es sich um Wissen handelt. Das erklärt die völlige Dunkelheit, in der wir uns befinden. Denn wenn es zwei Formen des Wissens gibt 245 Zur Erinnerung: In § 2.16 heißt es: »In manchen Fällen ist es sozusagen ein Ein­ wand gegen die Fakten, wenn sie nicht mit den Worten in Einklang stehen – und nicht umgekehrt.«

205 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

– ein Wissen durch Beobachtung und ein in der Absicht liegendes Wissen –, sieht es so aus, als müsse es zwei Gegenstände des Wissens geben. Doch wenn es dann heißt, die Gegenstände seien identisch, sucht man im Handeln nach dem anderen Modus des kontemplativen Wissens, so als gäbe es mitten im Handeln ein sehendes Auge ganz seltsamer und besonderer Art. (A § 32.90f.)

Die Lösung lautet daher: zwei Wissensformen – praktisch und kon­ templativ – von einem Gegenstand, und nicht: zwei Gegenstände, denen zwei Formen kontemplativen Wissens entsprechen, aber ebenso wenig: ein Gegenstand und zwei Formen kontemplativen Wis­ sens. Das klingt nach wie vor einigermaßen dunkel. Weitere Klärung verspricht die nun folgende Untersuchung des praktischen Syllogis­ mus.

6.3 Der praktische Syllogismus Praktisches Denken und Schließen – einige Besonderheiten der Ans­ combe’schen Konzeption Anscombe schreibt: »Den Begriff ›praktisches Wissen‹ kann man erst verstehen, wenn man den Begriff des praktischen Schließens verstan­ den hat.« (A: § 33.91) Wenn absichtliche Handlungen »jene Hand­ lungen [sind], bei denen die in einem bestimmten Sinne gestellte Frage ›Warum?‹ Anwendung findet« (A: § 5.23) und es die Aufgabe praktischen Überlegens ist, Handlungsgründe festzulegen, dann liegt die Vermutung nahe, dass die Fähigkeit handelnder Personen, sich an solchen Gründen zu orientieren, der Schlüssel zum Verständnis ihres praktischen Wissens ist. In den folgenden Abschnitten von Intention werden einige der bis hier hin nur vorbereiteten Argumentationsli­ nien zusammengeführt; sie weisen ins Zentrum von Anscombes Kon­ zeption absichtlichen Handelns. Daher kommt ihnen ein besonderes argumentatives Gewicht zu. Es wird sich zeigen, dass der praktische Schluss das formale Modell für absichtliche Handlungen ist, sofern man es aus der Perspektive einer handelnden Person thematisiert, die praktisches Wissen hat. Dieses Ergebnis dürfte der wichtigste Ertrag dieses Teils der Untersuchung sein. Der so genannte praktische Syllogismus geht allerdings auf Aris­ toteles zurück; seine Entdeckung dieser Schlussform bezeichnet Ans­

206 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.3 Der praktische Syllogismus

combe als eine »Glanzleistung« (A: § 33.91) und beansprucht, zu einer ähnlichen Auffassung wie Aristoteles gekommen zu sein, wenn auch auf einem anderen Weg (A: § 42.124). In Aristoteles‘ Werk gibt es einige wenige Stellen, die Beispiele für praktische Schlüsse enthal­ ten. Sie finden sich in der Nikomachischen Ethik, in De Anima und in der kleinen Schrift Über die Bewegung der Lebewesen (De motu ani­ malium).246 Eine zusammenhängende Theorie des praktischen Schließens, analog zur syllogistischen Logik hat Aristoteles nicht aus­ gearbeitet. Es ist daher umstritten, ob man Aristoteles für diese The­ matik überhaupt heranziehen sollte und ob er mit seinen Beispielen für praktische Schlüsse tatsächlich ein dem wissenschaftlichen Bewei­ sen analoges Verfahren für den Bereich der Praxis im Auge hatte.247 Andererseits diskutiert Aristoteles in der Nikomachischen Ethik die Besonderheiten des praktischen Überlegens (bouleusis) in Abgren­ zung zu anderen vernünftigen Fähigkeiten ausführlich. Man denke etwa an die Ausführungen zur prohairesis in Buch III sowie seine Beschreibung der Tätigkeit der Klugheit (phronesis) in Buch VI.248 Aristoteles analysiert dort praktisches Überlegen im Kontext von Zweck-Mittel-Berechnungen, wobei sich die praktische Überlegung auf die Mittelwahl im Hinblick auf etwas, das in unserer Macht steht, richtet.249 Für das Verständnis von Anscombes Konzeption muss man zunächst beachten, dass sie den praktischen Syllogismus von vorn­ 246 Vgl. Mot. an. 7, 701a7ff.; NE VI, 12, 1144a29ff.; NE VII, 3, 1146b35ff.; An. III, 11, 434a16–21. Vgl. auch die Kommentare bei Rapp/Brüllmann 2008: 94–96 sowie Corcilius 2008a und 2008b: 102f. Zu Mot. an. vgl. zuletzt Corcilius 2018a und 2018b. 247 Von Wright nennt Aristoteles‘ Vorgehen »unsystematisch« und seine Beispiele »verwirrend« (Von Wright 1991: 36) Zur Aristoteles-Deutung vgl. wiederum Corci­ lius 2008a und 2008b. Zu Anscombe vgl. dort S. 106–109. Ihren wichtigen Aufsatz von 1989 berücksichtigt Corcilius allerdings nicht. Im Folgenden werde ich die Frage offen lassen, ob Anscombe sich zu Recht auf Aristoteles beruft oder ob ihre AristotelesDeutung richtig ist, da sie für die philosophische Einschätzung ihrer Position nur von untergeordnetem Interesse ist. Folgt man allerdings Anscombes Auffassung des prak­ tischen Schließens, leuchtet es ein, dass eine »systematische« praktische Logik nach Aristoteles weder nötig noch auch möglich ist. 248 Vgl. NE III, 4–6 sowie VI, 5, 9 und 12. Ich komme auf diese Stellen und ihre Bedeutung für Anscombes Konzeption im weiteren Verlauf dieses Kapitels zurück. Prohairesis meint wörtlich »Vorzug« oder »Auswahl«, kann aber auch im Sinn von »Vorhaben« oder »Absicht« verwendet werden (vgl. Urmson 2001: 141f.). Wolf und Krapinger übersetzen mit »Vorsatz«; üblich ist aber auch die Übersetzung mit »Entscheidung« (Gigon/Dirlmeier) oder beidem, je nach Zusammenhang (Frede). 249 In NE III definiert Aristoteles prohairesis folgendermaßen: »Da nun Gegenstand des Vorsatzes etwas Erstrebtes und Überlegtes unter denjenigen Dingen ist, die in

207 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

herein im Kontext des praktischen Überlegens analysiert. In einem späteren Beitrag zu Aristoteles heißt es dazu ausdrücklich: »Die Form des praktischen Schlussfolgerns darzustellen, heißt, die Form der praktischen Überlegung […] darzustellen.« (Anscombe 1965b/2014: 305) Das gilt auch schon für Intention und ist zweifellos eine Beson­ derheit nicht nur ihrer Aristoteles-Deutung, sondern auch ihrer Kon­ zeption des praktischen Überlegens.250 Eine weitere Besonderheit betrifft die Frage nach der logischen Form des praktischen Syllogismus und die damit verbundene Frage, was ein praktischer Schluss eigentlich genau beweist. Normalerweise wird der praktische Syllogismus sowohl als Modell für das praktische Denken handelnder Personen im Hinblick auf die Festlegung einer Handlung als auch zur Erklärung einzelner Handlungen diskutiert. Georg Henrik von Wright erläutert das Standardmodell des prakti­ schen Syllogismus folgendermaßen: Der Ausgangspunkt oder Obersatz des Syllogismus erwähnt irgendei­ nen Wunschgegenstand oder ein Handlungsziel; der Untersatz setzt eine bestimmte Handlung quasi als Mittel zum Zweck mit diesem Gegenstand in Beziehung; die Conclusio besteht schließlich in der Verwendung dieses Mittels zur Erreichung jenes Zwecks.251

unserer Macht stehen, wird auch der Vorsatz ein mit Überlegungen verbundenes Streben nach Dingen sein, die in unserer Macht stehen.« (NE III, 5, 1113a10ff.) 250 Zur Kritik dieser Angleichung von praktischem Syllogismus und praktischem Überlegen vgl. Corcilius 2008a. In der philosophischen Einleitung und im Kommentar zur von ihm mitherausgegebenen Ausgabe von De motu animalium hat er seine Position bekräftigt. Demnach ist der praktische Syllogismus bei Aristoteles ein Modell zur kausalen Erklärung animalischer Ortsbewegung (Corcilius 2018b: 141f.) Überlegendes Denken und praktischer Syllogismus sind daher unvereinbar (Corcilius 2018a: CXCII-CXCII). 251 Von Wright 1991: 36. Vgl. ganz analog Anscombes Erläuterung in A: § 33.93. Von Wright präsentiert dieses Schema ausdrücklich als eine Möglichkeit, die Struktur der aristotelischen Konzeption des praktischen Schließens darzustellen.

208 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.3 Der praktische Syllogismus

Ein Schema, das dieser Erläuterung entspricht, könnte dann sein: (a) (PS) A beabsichtigt, p herbeizuführen A glaubt, dass er p nur dann herbeiführen kann, wenn er a tut Folglich macht sich A daran, a zu tun (Von Wright 1991: 93) Von Richard Hare stammt folgendes Beispiel: (b) Bring alle Kisten zum Bahnhof Dies ist eine der Kisten ∴ Bring dies zum Bahnhof (Hare 1972: 49) Hier erscheint die Konklusion als Aufforderung zu einer Handlung.252 Beiden Beispielen ist jedoch gemeinsam, dass die Konklusion, ganz analog zu einem theoretischen Beweis oder Schluss, notwendig aus den Prämissen folgt. Anscombe gibt selbst ein Beispiel, das dieser Konzeption der Form des praktischen Schließens entspricht: (c) ›Jeder, der Geld hat, sollte einem Bettler, der ihn darum bittet, davon geben; dieser Mensch, der mich um Geld bittet, ist ein Bettler; ich habe Geld; also sollte ich diesem Mann etwas davon geben.‹ (A: § 33.91)

Nun ist die Idee dabei, dass »in einem praktischen Schluß aus der Bejahung der Prämissen die ihnen entsprechende Handlung« (Von Wright 1991: 36) folgt. Es muss mit anderen Worten aus den Prämis­ sen etwas folgen, das tatsächlich geschieht. In einem spezifischen Sinn praktisch ist ein solcher Schluss nämlich nur dann, wenn eine konkrete Handlung abgeleitet wird. Wenn es so etwas wie praktisches Schließen gibt, muss klar gemacht werden, wie nach diesem Modell aus einer Regel – sei es, dass sie eine Absicht ausdrückt oder eine universelle Handlungsaufforderung – eine konkrete Handlung folgen kann. Gelingt dieser Nachweis nicht, steht in Frage, ob der praktische Schluss ein angemessenes Modell für die Ausübung praktischer Ver­ Nach Hare geht es beim praktischen Denken ausdrücklich um Argumente, »mit dem Schluß, daß man etwas Bestimmtes tun soll.« (Hare 1972: 83) Eine Person, die anders handelt als sie es gemäß diesem Modell überlegt hat, würde sich inkonsistent verhalten. Darin besteht nach Hare die Rationalität dieser Form des Schließens. Vgl. ebd.: 47 sowie 49ff. 252

209 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

nunft ist. Diese Frage ist das zentrale logische Problem des praktischen Syllogismus: Wie kann die Gültigkeit des Schlusses so gesichert werden, dass eine Handlung mit Notwendigkeit folgt (so wie im theoretischen Syllogismus die Konklusion mit Notwendigkeit aus den Prämissen folgt, wenn diese wahr sind)? Anscombe geht dieses Problem so an, dass sie die Voraussetzung verwirft, wonach praktisches Schließen eine Variante des theoreti­ schen Schließens ist. Sie argumentiert dafür, praktisches Schließen nicht als deduktive Beweisführung im Bereich der Praxis bzw. des Handelns zu verstehen. Der praktische Syllogismus erzwingt die in der Konklusion beschriebene Handlung daher auch nicht mit logi­ scher Notwendigkeit, allenfalls motiviert er sie vermittels des ange­ strebten, d.h. als Gut repräsentierten Zwecks. Das Attribut »prak­ tisch« verweist auf eine andere logische Form des Schließens: ein Schließen bzw. Überlegen im Hinblick auf eine Handlung – der prak­ tische Schluss hat, so drückt das Anscombe aus, die Form »einer Berechnung dessen, was zu tun sei« (A: § 33.94). Der praktische Schluss entfaltet einen Zweck-Mittel-Kalkül. Nur so wird überhaupt verständlich, was Aristoteles damit gemeint haben könnte, dass die Konklusion eines praktischen Schlusses tatsächlich eine Handlung unter einer Beschreibung ist.

Aristoteles‘ praktischer Syllogismus und das Problem der widersinni­ gen Prämissen In § 33 führt Anscombe die Annahme ad absurdum, dass der prakti­ sche Syllogismus als Variante deduktiver, beweisender Syllogismen analysiert werden muss. Orientiert man sich zunächst an den aristo­ telischen Beispielen, wie Anscombe es auch tut, dann könnte man den Eindruck gewinnen, Aristoteles würde praktisches und theoretisches Schließen bloß dem Inhalt nach unterscheiden. Bekanntlich hat er den Bereich des wissenschaftlichen Schließens vom praktischen Überle­ gen nach zwei Gegenstandbereichen entlang der Unterscheidung von unveränderlich und notwendig sowie veränderlich und möglich abge­ grenzt.253 Nach diesem Verständnis würden sich beide Beweis- bzw. Vgl. NE VI, 2, 1139a7f. Darauf weist auch Anscombe hin (vgl. A: § 33.94) und konstruiert ein Gegenbeispiel für die aristotelische Einteilung nach Gegenstandsbe­ reichen. 253

210 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.3 Der praktische Syllogismus

Schlussformen lediglich durch den Wertebereich der Termvariablen unterscheiden (so Mothersill 1962: 449). Anders formuliert: Theore­ tisches Schließen zielt darauf ab, eine Proposition, die einen Sachver­ halt behauptet, zu beweisen. Die Konklusion behauptet etwas, das der Fall ist. Davon unterscheidet sich praktisches Schließen durch einen spezifisch normativen Inhalt: Praktische Schlüsse zielen nicht darauf ab, etwas zu beweisen, das der Fall ist, sondern etwas, das getan werden soll. Dagegen erinnert Anscombe daran, dass nach Aristoteles die Konklusion des praktischen Syllogismus gerade nicht eine Proposi­ tion über etwas ist, das man tun soll, oder für das man ausreichend Gründe hat, sondern eine Handlung (unter einer Beschreibung), d.h. etwas, das jemand wirklich tut.254 In einer für diesen Gedanken einschlägigen Passage schreibt Aristoteles: Immer wenn jemand z.B. den Gedanken gefasst hat, dass jeder Mensch gehen soll und dass er selbst ein Mensch ist, geht er sofort; immer wenn er hingegen den Gedanken gefasst hat, dass jetzt kein Mensch gehen soll und dass er selbst ein Mensch ist, steht er sofort still. Und beides führt er aus, wenn nicht irgendetwas an der Bewegung hindert bzw. zu ihr zwingt. ›Von mir hergestellt werden soll etwas Gutes; gut ist ein Haus.‹ Er stellt sofort ein Haus her. ›Ich brauche Bekleidung; eine [geeignete] Bekleidung ist ein Mantel; ich brauche aber einen Mantel.‹ Er stellt einen Mantel her. Und die Konklusion ›es soll ein Mantel hergestellt werden‹ ist eine Handlung. (Mot. an., 701a13ff.)255 Von Wright ist später Anscombe in diesem Punkt gefolgt. Seine Lösung sieht allerdings anders aus: Die inferentielle Struktur des praktischen Syllogismus kann nur dann mit der Annahme vereinbart werden, dass seine Konklusion eine Handlung ist, wenn Brückenprinzipien ins Spiel gebracht werden. Ihre Aufgabe ist es, die zwei kategorial unterschiedlichen Ebenen zu verbinden: Sachverhalte (Zwecke und Mittel) und Vorstellungen (Gegenstände des Intendierens). Diese Brückenfunktion können zusätzliche Prämissen in Gestalt von Rationalitätsunterstellungen und Bedingungen der Angemessenheit übernehmen, die sichern, dass die Prämissen des Syllogismus notwendige und hinreichende Bedingungen zur Identifizierung eines Akt-Tokens for­ mulieren, der als Ausführung der in der Konklusion typisch beschriebenen Handlung tatsächlich begründet ist. Vgl. die ausführliche Darstellung bei von Wright (1991: 94–116) und zur kritischen Diskussion Hubig 2006: 121. 255 Davor heißt es: »Doch wie kommt es, dass man, wenn man denkt, einmal handelt und ein andermal nicht und sich einmal bewegt und ein andermal nicht? Dies aber scheint sich auf ganz ähnliche Weise zuzutragen wie bei denen, die sich über Unbewegliches Gedanken machen und deduzieren. Nur ist dort das Ergebnis eine theoretische Betrachtung – denn sobald man diese beiden Prämissen gedacht hat, hat man auch schon die Konklusion gedacht und sie zusammengesetzt –, hier hingegen 254

211 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

Nach Anscombe muss man diese Aussagen ernst nehmen. Bei den drei obigen Beispielen ((a), (b) und (c)) ist es dagegen durchaus unklar, inwiefern diese Bedingung erfüllt ist. In welchem Sinne ist aber die Konklusion tatsächlich eine Hand­ lung und nicht einfach nur ein Satz, der zu einer Handlung auffordert, oder ein Satz, der eine konkrete Einzelhandlung bloß typischerweise beschreibt? An dieser Frage setzt Anscombes reductio an. Unter der Voraussetzung der gleichen logischen Form für theoretische und prak­ tische Schlüsse, gerät man in eine unliebsame Alternative: Aus einem logisch korrekt formulierten praktischen Syllogismus folgt entweder keine Handlung oder es folgt eine Handlung, aber die Gültigkeit des Schlusses wird um den Preis unsinniger Prämissen erkauft. Im ersten Fall ist der Syllogismus nicht praktisch; im zweiten Fall nicht schlüssig.256 Zur Begründung des ersten Falls kann man das bereits zitierte Beispiel des Bettler-Syllogismus (c) heranziehen. Es handelt sich um einen deduktiv gültigen Schluss, da die in der Konklusion genannte Handlungsaufforderung aus den Prämissen bewiesen wird, d.h. logisch folgt. Die Konklusion ist jedoch, ganz im Sinne des Aristoteles, »eine theoretische Betrachtung« (Mot. an., 701a10): Es wird auf theoretische Weise auf ihre Wahrheit geschlossen. Der spezifisch praktische Aspekt, nämlich dass tatsächlich eine Handlung folgt (»an die Stelle der Konklusion aus den beiden Prämissen [tritt] die Handlung« (Mot. an., 701a11)), geht in diesem Syllogismus aller­ dings verloren. Denn eine Person, die zu dieser Konklusion kommt, würde sich nicht widersprechen, wenn sie gar nichts tun oder sich anders verhalten würde, als es die abgeleitete Handlungsanweisung fordert.257 Das ist der Unterschied zwischen der Beschreibung einer Handlung, die geschieht, und einem Satz, der zu einer Handlung auffordert. Die den Schluss ziehende Person muss sich immer erst noch entscheiden, gemäß der abgeleiteten Aufforderung zu handeln. Der Verweis auf den praktischen Inhalt leistet daher nichts, wenn man tritt an die Stelle der Konklusion aus den beiden Prämissen die Handlung.« (Mot. an., 701a7ff.) Für Anscombes Konzeption des praktischen Denkens bilden diese Stellen einen wichtigen Bezugspunkt. Ich habe sie daher in voller Länge zitiert, so dass ihre Überlegungen darauf bezogen werden können. 256 Für eine alternative Rekonstruktion dieses Arguments in § 33 als Dilemma vgl. Schwenkler 2019: 124f. Er legt dabei den Akzent auf die Auseinandersetzung mit Hares Modell in A: § 33.93. 257 Vgl. auch Anscombes analoges Bespiel der Überlegung bei der Auswahl eines Kleides in A: § 33.93.

212 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.3 Der praktische Syllogismus

das spezifisch Praktische beim praktischen Schlussfolgern verstehen will.258 Wenn das Attribut »praktisch« einen guten Sinn haben soll, muss verständlich werden, wie bei solchen Schlüssen tatsächlich eine Handlung folgt und nicht nur ein Satz über eine Handlung, der noch offen lässt, ob das in der Konklusion Behauptete tatsächlich geschieht. Der zweite Fall ergibt sich, wenn man – wie Richard Hare es tat­ sächlich tut – erwägt, den Obersatz des Syllogismus als universellen Imperativ zu formulieren. Es scheint als könnte man damit beiden Anforderungen gerecht werden: Festhalten an der gemeinsamen logi­ schen Form und eine Handlung als Konklusion. In diesem Fall würde sich eine Person, die auf diese Weise auf eine Handlungsaufforderung schließt, tatsächlich widersprüchlich verhalten, wenn sie nicht dem abgeleiteten Imperativ gemäß handelt (vgl. dazu Hare 1972: 49f.). Anscombe konstruiert allerdings in Anlehnung an Hare ein Beispiel dafür, dass der Obersatz eines solchen Schlusses widersinnig bzw. verrückt (»insane«) wäre: (d) Tu alles, was zur Vermeidung eines Autounfalls beiträgt. Das und das wird zur Vermeidung eines Autounfalls beitragen. Ergo: Tu das und das. (A: § 33.92) Das Beispiel ist pointiert; die Unsinnigkeit fällt sofort auf: Aus dem Obersatz folgen allerlei, auch einander widersprechende Handlungen, ebenso, dass überhaupt nichts getan wird (vgl. A: § 33.93). Es ist daher auch nicht klar, was es überhaupt heißen könnte, ein solches Ziel zu verfolgen. Die Diskussion eines aristotelischen Beispiels verdeutlicht diese Problematik: Vitamin X ist für alle Männer über 60 gut Schweinekutteln sind reich an Vitamin X Ich bin ein Mann über 60 Hier sind Schweinekutteln (Ebd.: 95) Nimmt man an, dass die Person, die diese Überlegung anstellt, sich tatsächlich daran macht, Schweinekutteln zu essen, könnte man 258 Das gilt auch für den aristotelischen Trockennahrung-Syllogismus (vgl. A: § 33.92 und 96). Der Verweis auf den praktischen Inhalt ändert nichts daran, dass keine Handlung folgt. Nach diesem Muster könnte man für beliebige Inhalte eigene Arten von Syllogismen unterscheiden, z.B. auch einen Hackfleischpasteten-Syllogismus – »mince pie« ist das ironische Beispiel Anscombes im Original (I: § 33.59).

213 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

immer noch fordern, die Konklusion explizit zu nennen, aufgrund derer sie auf diese Weise handelt. Es zeigt sich dann, dass keiner der möglichen Vorschläge die Handlung erklärt. Die Konklusion »Also werde ich davon essen« (ebd.: 96) folgt nicht aus den Prämissen; und eine Umformulierung, die das Essen der Kutteln als etwas für die überlegende Person Gutes vorstellt, reicht nicht aus, um die konkrete Handlung abzuleiten. Denn der Satz »das hier ist gut für mich« bedeu­ tet nicht »ich sollte davon essen.« Nun könnte man die Gültigkeit des Schlusses sichern, indem man die allgemeine Prämisse entsprechend umformuliert: »Es ist für alle Männer über 60 notwendig, alle Nah­ rung mit Vitamin X zu essen, die ihnen je unterkommt.« (Ebd.) – Eine solche Prämisse wäre aber wieder unsinnig. Das Ergebnis dieser Diskussion ist, dass die Voraussetzung der gleichen logischen Form für praktische und theoretische Schlüsse aufgegeben werden muss.259 Der praktische Syllogismus schließt nicht auf die Handlung so wie ein beweisender Syllogismus auf die Wahrheit einer Konklusion schließt: »Zwischen Folgerungen, die zu Handlungen führen, und Folgerungen, die zur Wahrheit einer Konklusion führen, besteht auch ein Unterschied der Form.« (Ebd.: 94) Der Formunterschied gerät insbesondere dann aus dem Blick, und das ist ein weiteres Ergebnis, wenn der praktische Syllogis­ mus mit Hilfe von deontischem Vokabular rekonstruiert wird. Prä­ missen in Form allgemeiner Prinzipien des Typs »tue immer X« oder »X ist notwendig, nützlich, gut usw.«, wobei X eine Variable für eine konkrete Handlungsbeschreibung ist, beschreiben absurde Ausgangspunkte für praktische Überlegungen und machen gerade deshalb nicht verständlich, warum jemand so etwas wollen sollte und dementsprechend auch nicht, warum eine Person, die im Hier und Jetzt überlegt, was sie tun soll, sich ausgerechnet für eine kon­ krete Handlung, wie sie in der ersten Prämisse beschrieben wird, entscheiden sollte. Die imperativische Satzform verschleiert, dass der Syllogismus verständlich machen muss, mittels welcher konkreten Handlung(en) das angestrebte Ziel erreicht werden soll. Keine dieser Handlungen ist aber »notwendig«; notwendig ist allenfalls die Wahl eines geeigneten Mittels, sofern der Zweck tatsächlich gewollt wird. 259 Davidson hat versucht, das Problem zu entschärfen, indem er praktische Schlüsse, die auf vorläufige, prima facie Urteile schließen (und widersinnige Prämissen enthal­ ten können), von Schlüssen auf Urteile, die alle relevanten Gesichtspunkte berück­ sichtigen, unterscheidet. Nur letztere fordern dann tatsächlich eine Handlung. Vgl. Davidson 1978/1990: 68ff. Dazu auch Bayne 2010: 111ff.

214 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.3 Der praktische Syllogismus

Das logische Problem besteht darin, wie Anscombe mit Blick auf Aris­ toteles festhält, dass »die ›Allgemeinheit‹ der allgemeinen Prämisse […] an der falschen Stelle [steht]; daher läßt sich die Konklusion nicht daraus folgern.« (Ebd.: 97) Der kausale Zusammenhang zwi­ schen dem intendierten Objekt und der konkreten Handlung ist nach Anscombe nicht durch modale Begriffe wie »müssen«, »notwendig« oder »sollen« vermittelt. Der Blick muss daher auf das konkrete Tun gerichtet werden, sofern es ein Mittel zum Zweck ist. Mittel und Zweck müssen so ins Verhältnis zueinander gesetzt werden, dass verständlich wird, warum die beschriebene Handlung geschieht.

Der Ausgangspunkt ist das Gewollte Wenn der praktische Syllogismus nicht die Form eines deduktiven Schlusses hat, wie muss das Verhältnis der Prämissen zur in der Konklusion beschriebenen Handlung gedacht werden, damit die entsprechende Handlung im Lichte der Prämissen als vernünftig erscheint? Mit der für sie charakteristischen Prägnanz hat Anscombe ihre Auffassung vom praktischen Syllogismus einmal so zusammen­ gefasst: My own view is that the conclusion of a practical syllogism is an action or decision – that a man draws this conclusion shows that he wants to have or avoid something mentioned in the premisses, and that the premisses show what the point of the decision or action was. (Anscombe 1974: 19)260

Das Zitat enthält einen wichtigen Hinweis zur Beantwortung der Frage nach der rechtfertigungslogischen Funktion der Prämissen. Das in den Prämissen in einer noch zu klärenden Weise auftretende »Wol­ len« zeigt, warum die Handlung stattfindet, was ihre »Pointe« ist. Die Handlung folgt aus den Prämissen nicht mit logischer Notwendigkeit, sondern erscheint als vernünftig im Licht eines Wollens, »welches die Handlung auslöst.« (A: § 34.98) Dass das »Wollen« das leistet, macht den praktischen Charakter des praktischen Syllogismus aus. Nach Anscombe war das auch die Auffassung von Aristoteles, sofern man seine Konzeption praktischen Schließens nicht auf Schlüsse begrenzt, Vgl. auch A: § 33.95: »die Konklusion [ist] eine Handlung, deren Pointe aus den Prämissen hervorgeht, die jetzt sozusagen im aktiven Dienst sind.«

260

215 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

»die den beweisenden Schlüssen ganz ähnlich sehen« (ebd.). Es gilt dann: »Der Ausgangspunkt […] ist das Gewollte […].« (Ebd.: 99)261 In welchem Sinn ist das Gewollte aber ein Ausgangspunkt? Eine bloß kausale Rolle kommt nicht in Frage, denn es geht um seine Rolle im praktischen Denken, also um eine begründende Funktion. Wie noch deutlich werden wird, hat das Gewollte aber auch nicht die logische Funktion einer Prämisse. Die Frage ist dann, wie sich das mit dem Ausdruck »wollen« erfasste affektive Moment des Strebens mit dem rationalen, kognitiven Moment, dem praktischen Denken im engeren Sinne, verbindet. Ich gehe zunächst darauf ein, in welchem Sinn hier überhaupt von »Wollen« die Rede ist, um im zweiten Schritt die logische Rolle des Wollens im praktischen Überlegen einzugren­ zen. Der Ausdruck »wollen« ist mehrdeutig. In der Alltagssprache unterscheiden wir nicht immer exakt zwischen »wollen« und »wün­ schen« – die Ausdrücke werden oftmals austauschbar verwendet. Manchmal bezeichnet man damit auch ein diffuses Gefühl des Begeh­ rens. Anscombe legt nun sehr viel Wert darauf, das was man als handlungswirksames Wollen bezeichnen kann, von anderen Bedeu­ tungsnuancen, wie dem bloßen Wünschen abzugrenzen.262 Nur dann, wenn das Gewollte in dem Sinn gewollt wird, dass man tatsächlich etwas unternimmt, kann es im praktischen Schließen handlungswirk­ sam werden: Das Wünschen, das uns interessiert, ist jedoch weder das müßige Wünschen noch das Hoffen, noch das Gefühl des Begehrens, und man kann nicht behaupten, es komme bei einer Person vor, die nichts unter­ nimmt, um das Gewünschte zu bekommen. (A: § 36.106)263 261 In De Anima schreibt Aristoteles: »Worauf sich das Streben richtet, dies ist Prinzip der praktischen Vernunft. Der Endpunkt (des praktischen Denkens) ist der Anfang der Handlung. Daher erscheinen diese beiden mit gutem Grund die bewegenden Vermögen zu sein, Streben und praktisches Denken; denn das erstrebbare Objekt bewegt und deshalb bewegt auch das Denken, weil ihr Prinzip das erstrebbare Objekt ist.« (An. III, 10, 433a15–20) 262 Vgl. A: § 36.109: »Die übrigen Bedeutungen des Worts ›Wünschen‹ [d.h. ›wan­ ting‹, JK], die uns aufgefallen sind, sind im Rahmen einer Untersuchung des Handelns und der Absicht nicht von Interesse.« 263 An dieser Stelle ist eine Bemerkung zur Übersetzung nötig. Anscombe verwendet durchgängig »wanting« – so auch im obigen Zitat: »The wanting that interests us« (I: § 36.67). Insofern bleiben Connolly/Keutner näher am Original, wenn sie über­ setzen: »Das Wollen, das uns interessiert« (Anscombe 1986: 107). Schulte wählt als deutsches Äquivalent für »wanting« dagegen »wünschen«, variiert aber in der Wort­

216 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.3 Der praktische Syllogismus

Nur unter der Voraussetzung, dass eine Person etwas in diesem spezifischen Sinn will, kann ihr Tun »eine Pointe« haben, und nur so können die Prämissen des praktischen Schlusses im »aktiven Dienst« sein. Mit dieser begrifflichen Klärung in Bezug auf das handlungs­ wirksame Wollen ist auch ein erster Schritt getan zur Erläuterung des eingangs angesprochenen Zusammenhangs von rationaler und kausaler Rolle, von affektiv-appetitivem und rational-kognitivem Moment des Wollens. Das handlungswirksame Wollen wird nicht nur für die Erklärung des absichtlichen Handelns handlungsfähiger Wesen vorausgesetzt, die über praktische Vernunft verfügen, die also Zwecke setzen und Mittel wählen können, sondern konstituiert eine Beschreibungsform, die immer dann im Spiel ist, wenn überhaupt die Bewegung eines Lebewesens »mit Hilfe von Begriffen [beschrieben wird], die über das gegenwärtige Tun dieses Tiers hinausgehen.« (Ebd.: 107) Schon in solchen Zusammenhängen zeigt sich das handlungswirksame Wollen auf elementare Weise im Versuch des Lebewesens, das Gewollte zu bekommen: »the primitive sign of wanting is trying to get« (I: § 36.68, kursiv i. Orig.).264 Der Unterschied zeigt sich im Verhalten. Das hand­ lungswirksame Wollen kann dann von anderen Formen des Begeh­ rens mit Hilfe von zwei Merkmalen weiter abgegrenzt werden: »die Bewegung in Richtung auf die Sache hin und das Wissen (oder zumin­

wahl. So übersetzt er auch mit »wollen« oder »möchten« (A: § 34.99). Das ist insofern verständlich, als es Anscombe nicht um Vereindeutigung von alltagssprachlichen Wortverwendungen durch terminologische Festlegungen geht, sondern darum, am Sprachgebrauch einen für praktisches Denken notwendigen begrifflichen Zusammen­ hang herauszuarbeiten. Diese Übersetzungsstrategie, die die Ausdrucksvielfalt der normalen Sprache offen halten will, hat den Nachteil, dass erläuternde Ergänzungen (»im Sinne des Haben-Wollens«) nötig werden. Teilweise gehen auch Pointen aus dem Originaltext ohne Not verloren. So verweist Anscombe am Anfang von § 34 darauf, dass die aristotelische epithymía (Begierde) nicht so zu verstehen ist, dass damit ver­ schiedene Arten des Begehrens unterschieden werden sollen, sondern vielmehr »Begierde in einem gewissen Sinne – d.h. Wollen« (Anscombe 1986: 99) als auslö­ sendes Moment der Handlung angesprochen ist (»desire in some sense – i.e. wanting – that prompts the action« (I: § 34.62)). Die Übersetzung mit »wünschen« passt gerade an dieser Stelle nicht. 264 Schulte übersetzt: »Das elementare Zeichen des Wünschens im Sinne des HabenWollens ist der Versuch, etwas zu bekommen« (A: § 36.106, kursiv i. Orig.); Connolly/ Keutner: »Das primitive Zeichen des Wollens ist Trachten nach« (Anscombe 1986: 107, kursiv i. Orig.)

217 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

dest die Meinung), daß sich die Sache dort befindet.« (A: § 36.107)265 Die beiden Merkmale erläutern die Funktion des handlungswirksa­ men Wollens im praktischen Syllogismus. Dessen erste Prämisse erklärt demnach die Bewegung insofern, als der in ihr beschriebene begehrte Gegenstand ein solches primitives »Wollen« impliziert, das näher als Versuch, den Gegenstand zu bekommen, beschrieben wer­ den kann. Anscombes Beispiele und ihre weitere Erläuterung dieses Zusammenhangs lassen darauf schließen, dass sie sich an der aristo­ telischen Konzeption der animalischen Ortsbewegung orientiert.266 Der Versuch, etwas zu bekommen, zeigt sich in der Bewegung des Lebewesens auf eine Sache hin; und diese Bewegung wird als zielge­ richtet verstanden, sofern dem Lebewesen die Meinung unterstellt werden kann, dass sich die Sache dort befindet, wohin es sich bewegt.267 So lässt sich das Verhalten eines Hundes, der an einer Tür kratzt, als Versuch verstehen, ein Stück Fleisch zu bekommen, das er aufgrund des Geruchs hinter der Tür vermutet (Ebd.: 107). Die Zuschreibung einer »Meinung« oder eines »Wissens« beruht hier Vgl. dagegen Davidons belief-desire-Modell. Davidson steht vor dem Problem, wie sich die mentalen Gehalte, die man einem Handelnden zuschreiben kann, mit dem beobachtbaren Ereignis verknüpfen lassen, für das es unzählige Beschreibungen gibt. Die Rationalisierung der Handlung soll genau das leisten, indem sie den Grund angibt, aus dem der Handelnde agiert hat. Davidsons Modell dafür ist der praktische Syllogismus. Er ist sich allerdings im Klaren darüber, dass ein Wunsch (bzw. eine ProEinstellung) und die dazugehörige Überzeugung über die Verfügbarkeit von Mitteln noch keinen hinreichenden Grund für die Ausführung einer Handlung liefern. Trotz­ dem kann der Syllogismus auf kausaler Ebene seine Erklärungsfunktion erfüllen, da er lediglich »eine Handlung als etwas darstellt, was unter einen Grund fällt.« (Davidson 1963/1990: 37) So sichert er die deduktive Gültigkeit des Syllogismus sowohl aus der erklärenden Perspektive als auch aus der Perspektive einer überlegenden Person, aus der heraus die Konklusion feststellt, dass es besser ist, unter bestimmten Bedingungen so und nicht anders zu handeln (ebd., 12). Der explanatorische Hiatus zwischen Konklusion und Handlung wird durch die richtige Rationalisierung behauptet, die beansprucht, den primären, kausal wirksamen Grund zu identifizieren. 266 Das vermutet Corcilius 2008b: 108, Fn. 18. Neben der bereits zitierten Stelle aus De Anima (vgl. Fn. 261) vgl.: »Denn alle Lebewesen bewegen sowohl anderes als auch sich selbst um eines bestimmten Zweckes willen, so dass dies für sie die Grenze aller Bewegung ist: das Worumwillen. Wir sehen aber, dass die Beweger des Lebewesens die folgenden sind: Denken, Vorstellung, Entschluss, Wunsch und Begierde. Diese lassen sich alle auf Denken und Streben zurückführen […]. Folglich bewegen zuerst der Gegenstand des Strebens und Gegenstand des Denkens.« (Mot. an. 6, 700b15–23) 267 Weder handelt es sich dabei um terminologische Festlegungen im Rahmen einer philosophischen Modellbildung noch geht es um Spekulationen über kognitive Fähigkeiten von nicht-menschlichen Lebewesen. 265

218 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.3 Der praktische Syllogismus

lediglich auf der Fähigkeit des Hundes, Gegenstände auf der Grund­ lage von Sinnesempfindungen zu unterscheiden. Das Beispiel zeigt nach Anscombe auch, dass sich die Zuschreibung von Wissen (durch Sinneswahrnehmung) und Wollen begrifflich gegenseitig bedingen: Das auf Sinneswahrnehmung basierende Unterscheidungsvermögen und das Wollen sind also nicht voneinander zu trennen. Man kann kein Wesen mit der Fähigkeit zur Sinneswahrnehmung beschreiben, ohne es zugleich als ein Wesen zu beschreiben, das Handlungen vollzieht, bei denen es sich nach sinnlich wahrgenommenen Unterschieden richtet. (Ebd.)

Das Bedingungsverhältnis kann in beide Richtungen erläutert wer­ den: Ein »Wollen« kann nur einem Wesen zugeschrieben werden, das fähig ist, Gegenstände auf der Grundlage von Sinnesempfindungen zu unterscheiden. Es gilt aber auch umgekehrt, dass die Fähigkeit zur Sinneswahrnehmung auf ein Wollen verweist. Anscombe begründet diese These am Beispiel des Erwerbs der Bedeutung von Farbausdrücken und der Fähigkeit zur Farbunterschei­ dung. Ihre Gedankenführung ist, wie so oft in Intention, einigermaßen kryptisch. Es lassen sich allerdings mehrere Argumentationslinien unterscheiden. Ihr Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass der Phä­ nomenalismus die Funktion von Farbausdrücken richtig beschreibt: Farbausdrücke dienen dazu, »wahrgenommene Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen Gegenständen« (ebd.: 106) zu identifizie­ ren und zu benennen.268 Wenn man das akzeptiert, heißt das, dass Farbausdrücke eigentlich gar nicht Farben bezeichnen, sondern Gegenstände, »die anhand ihrer Farben bestimmt werden« (Ebd. 106f.). Dementsprechend zeigt sich das Unterscheidungsvermögen, also der Besitz der entsprechenden begrifflichen Fähigkeit darin, anhand von Farben, etwas mit den Gegenständen zu tun, also sie zu holen, sie zu tragen oder an einen Ort zu stellen (vgl. ebd.). Indem Anscombe hier auf öffentliche Kriterien für die Zuschreibung von Farbausdrücken verweist, geht sie freilich über den Phänomenalismus hinaus. In Wittgenstein’scher Manier erfindet sie ein Sprachspiel zum Erwerb von Farbausdrücken.269 Man möge sich ein Kind denken, 268 Schon an vorheriger Stelle hatte Anscombe den Phänomenalismus zumindest partiell gegen seine neueren Verächter ins Recht gesetzt: vgl. A: § 28.80, Fn. 4 und meinen Kommentar S. 120, Fn. 153. 269 Auch hier gilt: Der Besitz der begrifflichen Fähigkeit zeigt sich im sinnvollen Sprachgebrauch, der hinreichend ist für die Zuschreibung der fraglichen Begriffe, wenn

219 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

das von Leuten versorgt wird, denen befohlen wurde, sie dürften im Umgang mit dem Kind kein Zeichen von sich geben, während sie die Namen der Gegenstände und Eigenschaften, die sich nach ihrem Urteil im Wahrnehmungsbereich des Kindes befinden, häufig aussprechen sollen, um auf diese Weise herauszufinden, welches die ersten Dinge oder Eigenschaften sind, die der Mensch zu benennen lernt. (Ebd.)270

Anscombe schließt daraus, dass dieses Kind keineswegs zunächst lernt, Farben zu benennen, beispielsweise durch private hinweisende Definitionen von Sinneseindrücken, um dann die auf diese Weise erworbenen Ausdrücke auf externe materielle Gegenstände anzu­ wenden, sondern umgekehrt: Es erwirbt die Farbausdrücke an den Gegenständen, zum Beispiel das rot an einer roten Tomate.271 Wäre das nicht so, könnten Farbausdrücke ihre Funktion, Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen Gegenständen zu identifizieren nicht erfüllen. Man kann Anscombes Gedankenexperiment mit Geachs Kritik an der empiristischen Theorie der Begriffsbildung, die er »Abstraktionismus« nennt, argumentativ flankieren. Nach Geach ist es durchaus möglich, etwas Gesehenes nur mit Hilfe von sensori­ schen Begriffen zu beschreiben. Das setzt aber schon die Fähigkeit voraus, Begriffe von Gegenständen zu verwenden. Insofern kommt den sensorischen Begriffen kein erkenntnistheoretischer Vorrang zu.272 Folgt man diesen Überlegungen zur Funktion und Verwendung auch nicht notwendig, da diese Fähigkeiten in komplexe nicht-sprachliche Tätigkeiten eingebettet sind. 270 Der von Erkenntnistheoretikern »beeinflußte Tyrann« (A: § 36.106), der diesen Versuch anstellt, ist, wie ein Blick in das englische Original zeigt (I: § 36.68), ein moderner Nachfahre des Ägyptischen Pharao Psammetichus, von dem Herodot berichtet, er habe zwei Neugeborene von jeder sprachlichen Kommunikation abge­ schnitten, um anhand der ersten Worte, die diese Kinder aussprechen würden, her­ auszufinden, ob die Ägyptische Sprache älter sei als die Phrygische. Vgl. Herodot, Hist. II, 2. 271 Offensichtlich bezieht Anscombe sich hier auf einen Aspekt von Wittgensteins so genanntem Privatsprachenargument, insbesondere die Vorstellung, dass Ausdrü­ cke für sinnliche Qualitäten ihre Bedeutung aufgrund eines individuellen, privat vollzogenen Akts der Benennung des nur dem wahrnehmenden Subjekt zugänglichen Eindrucks erhalten. Anscombe hat Wittgensteins Kritik an privaten hinweisenden Definitionen von Sinneseindrücken in einem Studienbrief, den sie 1988 für die Fernuniversität Hagen verfasst hat, dargestellt. Der Aufsatz ist ohne die deutsche Übersetzung des Originals unter dem Titel Private Ostensive Definition wieder abge­ druckt worden in Anscombe 2015: 223–256. 272 Mit Bezug auf die Beschreibung einer im Wahrnehmungsfeld erscheinenden Tomate schreibt Geach: »the description of sensations is a highly sophisticated exer­

220 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.3 Der praktische Syllogismus

von Farbausdrücken, dann verweist die Fähigkeit zur Sinneswahrneh­ mung tatsächlich auf ein Wollen, im Sinne der Fähigkeit, Handlungen zu vollziehen, die sich an Gegenständen wahrgenommenen Unter­ schieden orientieren. Wahrnehmung und Wollen sind im »Versuch, etwas zu bekommen« verbunden.273 cise of concepts, and is secondary to the application of ›sensory‹ concepts to the material environment. In this primary, outward-looking application, ›sensory‹ con­ cepts have not in fact any privileged position; a child with only a few concepts and only a small understanding of language may easily possess concepts like door or book (and even the logical concept other, as in ›other hand‹, ›other foot‹) before it has any colour-concepts at all.« (Geach 1957/1971: 41f.) Für den Hinweis auf Geach vgl. Bayne 2010: 126. 273 In A: § 36.107-109 diskutiert Anscombe ein logisch-semantisches Problem, das bei Sätzen auftritt, in denen unbestimmte Kennzeichnungen vorkommen, wie »eine Jersey-Kuh.« Was meint jemand eigentlich, der sagt: »Ich will eine Jersey-Kuh vom Paderborner Viehmarkt haben«? Diese Person will nicht eine bestimmte, sondern irgendeine Kuh. Bertrand Russell hatte vorgeschlagen, solche Ausdrücke nicht als sin­ guläre Termini zu analysieren (d.h. als Ausdrücke, deren Aufgabe es ist, einen bestimmten Gegenstand herauszugreifen), sondern als Satzfunktionen. Der locus classicus für Russells Analyse von Kennzeichnungen ist sein Aufsatz On Denoting (Russell 1905). Eine etwas eingängigere Darstellung findet sich in Russell 1919/2006: 187-192. Zum besseren Verständnis hilft es, die heute übliche prädikatenlogische Darstellung für Russells Analyse zu nutzen. Demnach müsste man den Beispielssatz wie folgt analysieren: »Es gibt ein x, so dass gilt: x ist eine Jersey-Kuh vom Paderborner Viehmarkt und ich will x haben.« Das geht deshalb nicht, weil »etwas haben wollen« nicht die Existenz des Gewollten impliziert. Trotzdem bleibt der Satz »ich will x« wahr (auch dann, wenn die Kuh nicht existiert). Man könnte nun den doxastischen Operator »glauben, dass« einführen. Damit wiederholt sich das Problem jedoch nur: »Ich glaube, dass es ein x gibt, für das gilt: x ist eine Kuh und ich will x haben« bleibt wahr, auch wenn ich nicht glaube, dass die Kuh existiert. Bei Tieren kann Russells Analyse genutzt werden, da sich die Problematik der Mehrdeutigkeit von unbestimmten Kenn­ zeichnungen nicht stellt. Wenn man einer Katze zuschreibt, sie glaube, in dem Loch befände sich eine Maus, geht man normalerweise nicht davon aus, dass sie eine bestimmte Maus auflauert. Anscombe schlägt eine Lösung vor, die abweichend von Russell, voraussetzt, dass sich die Wahrheitswerte von Sätzen ändern können. Wer den Satz »ich will eine Jersey-Kuh« äußert, will damit eigentlich sagen, dass das mit diesem Satz behauptete wahr wird. Es wird damit ausgedrückt, dass ein Sachverhalt herbeiführt werden soll, den es noch nicht gibt. Es bleibt hier allerdings im Dunklen, was es heißt: einen Sachverhalt wahr machen. Die Frage verweist auf das Thema der praktischen Wahrheit, das ich im Zusammenhang mit der abschließenden Erläuterung des praktischen Wissens aufgreifen werde. Um die Problematik der Zuschreibung von Wissen in Bezug auf die Existenz des gewollten Objekts zu vermeiden, schlägt Ans­ combe vor, dem Handelnden eine Vorstellung (idea) des Gewollten zuzuschreiben. Damit lässt sie sich wiederum von Russell inspirieren, der vorgeschlagen hat, dass bei Kennzeichnungen von nicht-existierenden Entitäten (z.B. Einhörner), nicht »ein Ein­ horn«, sondern nur die Idee »Einhorn« in den Satz eingeht (vgl. Russell 1919/2006:

221 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

Bezieht man nun dieses Resultat auf die eingangs gestellte Frage nach dem Zusammenhang von affektiven und rationalen Momenten des Wollens, so kann man zunächst einmal festhalten, dass der prak­ tische Syllogismus eine unmittelbar praktisch relevante Form des Denkens ist. Der praktische Charakter ergibt sich aus der indirekten kausalen Rolle eines auf Wahrnehmungswissen beruhenden hand­ lungswirksamen Wollens, das die in der Konklusion beschriebene Handlung auslöst. Praktische Überlegungen betreffen schließlich Bewegungen, die über das gegenwärtige Tun der handelnden Person hinausgehen: »Das Kennzeichen des praktischen Schließens ist, daß sich das Gewünschte in einer gewissen Entfernung von der unmittel­ baren Handlung befindet, wobei die unmittelbare Handlung einer Berechnung zufolge als Verfahren dazu dient, das Gewünschte zu bekommen, zu tun oder zu beschaffen.« (A: § 41.122f.)274 Dieser Gedanke verweist bereits auf die spezifische instrumentelle Struktur des praktischen Überlegens. Bevor ich darauf eingehe, soll zunächst die Frage nach der logischen Funktion des Wollens aufgenommen werden.

Das Gewollte hat nicht die Funktion einer Prämisse Nach dem kanonischen Modell des praktischen Syllogismus, das von Wright beschreibt, erwähnt der »Ausgangspunkt oder Obersatz des Syllogismus […] irgendeinen Wunschgegenstand oder ein Hand­ lungsziel.« (Von Wright 1991: 36) Es sieht so aus als könnte man auch Anscombes Analyse des praktischen Syllogismus auf diese Weise verstehen: das handlungswirksame »Wollen« löst die Handlung in dem Sinne aus, als es dasjenige ist, um dessentwillen eine Person handelt. Insofern ist es der Ausgangspunkt des praktischen Schlusses im Sinne einer ersten Prämisse. Das trifft ihre Position allerdings nicht, denn das Gewollte hat, anders als bei von Wright, gerade nicht die logische Rolle einer Prämisse: »Die Rolle des ›Wollens‹ im prak­ tischen Syllogismus ist völlig verschieden von der Rolle einer Prä­ misse.« (A: § 35.103) 188) Für alternative Deutungen dieser ganzen Passage aus § 36 vgl. Bayne 2010: 126-128 und Grimi 2018: 92-94. 274 Vgl. auch Schwenkler 2019: 135: »there is practical reasoning in the strict sense only where forward- or outward-looking explanation of an action [...] are able to come into play.«

222 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.3 Der praktische Syllogismus

In § 34 gibt Anscombe einige Beispiele für praktische Syllogis­ men, die den beweisenden Schlüssen weniger ähnlich aussehen als diejenigen des Aristoteles: (1) Ich möchte eine Jersey-Kuh haben, Auf dem Paderborner Viehmarkt gibt es gute, Also fahre ich dort hin (A: § 34.98) (2) Wenn ich sowohl X als auch Y einlade, wird die Atmosphäre angespannt sein, denn X hat neulich eine Bemerkung über Y gemacht, die Y gekränkt hat – also werde ich bloß X zu Gast bitten (ebd.) (3) Der und der war bei unserem letzten Treffen sehr nett, also werde ich ihn besuchen (ebd.) Im ersten Beispiel stellt der Schluss eine Überlegung dar, die darauf abzielt, etwas zu bekommen, nämlich eine Jersey-Kuh, und den Gang zum Viehmarkt als Mittel. Das Beispiel entspricht der bisherigen Analyse: Das »Gewollte« ist der Ausgangspunkt, der hier explizit als erste Prämisse genannt wird. Im zweiten und dritten Beispiel wird das Gewollte nicht ausdrücklich genannt. Hier zielt die Überlegung darauf ab, zu einem Fest mit entspannter Atmosphäre einzuladen (2) und eine sympathische Person wiederzusehen (3). Beide Beispiele zeigen, dass praktische Schlüsse auch dann vorliegen, wenn das Gewollte nicht ausdrücklich in der ersten Prämisse genannt wird. Dagegen könnte man einwenden, dass die ungenannten Prämissen in (2) und (3) ergänzt werden müssten, damit die Darstellung formal korrekt ist. Das ist aber nicht der Fall: Die ergänzende Nennung der Prämisse ist zwar jederzeit möglich, sie ist aber für die formale Darstellung des Schlusses nicht notwendig.275 Vor dem Hintergrund von Anscombes Eingrenzung des handlungswirksamen Wollens dürfte nun klarer sein, warum das so ist: Der praktische Schluss hat die Form eines Kal­ 275 Vgl. A: § 35.102: »Es ist jedoch irreführend, den Ausdruck ›ich möchte‹ (d.h. ›I want‹, JK) in eine Prämisse einzufügen, wenn es darum geht, eine formale Darstellung des praktischen Schließens zu geben.«

223 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

küls bzw. »einer Berechnung dessen, was zu tun sei« (A: § 33.94). Praktische Schlüsse gehen von einem Gewollten aus und zielen darauf ab, Mittel zu identifizieren, die geeignet sind, es zu bekommen. Damit der praktische Schluss diese Form annehmen kann, so dass die erste Prämisse eine Handlung tatsächlich auslöst, reicht es, wenn sie »das Gewollte als begehrenswert charakterisiert.«276 Dazu muss es nicht ausdrücklich genannt werden. Eine formal richtige Darstellung des Jersey-Kuh-Syllogismus wäre demnach: (1*) »Auf dem Paderborner Viehmarkt gibt es Jersey-Kühe, also fahre ich hin.« (A: § 35.103)

Wer keine Jersey-Kuh will, wird diese Überlegung nicht anstellen. Will man also die zur Handlung führende Überlegung einer Person formal richtig darstellen, reicht es, wenn sie erschließt, was diese Person will.277 Orientiert man sich stärker an der von Aristoteles bevorzugten Darstellungsweise, könnte man die Überlegung unseres Bauern auch so darstellen: (1**) Jeder Bauer, der einen Hof wie den meinen hat, kann eine Kuh mit diesen oder jenen Eigenschaften gebrauchen, zum Beispiel eine Jersey-Kuh (A: § 37.110) Auf dem Paderborner Viehmarkt gibt es davon gute Exemplare Also fahre ich hin278 Die Prämissen zeigen, was die »Pointe« der in der Konklusion genann­ ten Handlungen ist, indem sie beschreiben, unter welchem Gesichts­ punkt das Objekt als begehrenswert erscheint: Jersey-Kühe haben Eigenschaften, die zu seinem Bauernhof passen (so Schwenkler 2019: 139). Ebenso wenig muss der aristotelische Schweinekutteln-Esser seiner praktischen Überlegung die Prämisse »Ich will etwas essen, das gut für mich ist« hinzufügen. Sein Essen von Schweinekutteln zeigt So übersetzen Connolly/Keutner (Anscombe 1986: 111). Vgl. Anscombe 1986: 105: »Grob gesprochen können wir sagen, daß der Schluß, welcher zu einer Handlung führt, uns instand setzen würde, abzuleiten, was der Mensch, der so schließt, wollte – z.B. daß er wahrscheinlich eine Jersey-Kuh besichti­ gen, kaufen oder stehlen wollte.« 278 Für diese beiden weiteren, den Schluss explizierenden Gedanken vgl. Schwenkler 2019: 138f. 276 277

224 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.3 Der praktische Syllogismus

vielmehr, wenn er es im Lichte dieser Überlegung tut (warum isst Du Schweinekutteln?), was er will, nämlich etwas essen, das gut für ihn ist. Sein Essen selbst zeigt, dass er diesen Schluss aus Prämissen, die er für wahr hält, gezogen hat und seine Handlung unter eine Beschreibung fällt, die dieses Tun als ein Absichtliches repräsentiert. In allen Fällen praktischen Schließens wird ein Gewolltes unterstellt. Die Berechnung einer Handlung mit einem praktischen Syllogismus gibt selbst ein Kriterium des Wollens, daher muss im Syllogismus die Prämisse, die dieses Wollen explizit macht, auch nicht eigens genannt werden, um die Rationalität der Überlegung zu sichern. Die Forderung, das Gewollte eigens in der ersten Prämisse zu nennen, beruht zudem, wie Anscombe gegen von Wright festhält, auf einem psychologistischen Missverständnis. Diese Forderung ist ebenso irreführend, wie die Annahme, man müsse bei einem bewei­ senden Schluss eigens hinzufügen, dass der Schließende die Prämis­ sen für wahr hält (X glaubt, dass p). Wenn jemand einen deduktiven Schluss zieht und dabei die Prämissen nennt, dann zeigt das schon, was diese Person für wahr hält. Theoretisches Schließen handelt ebenso wenig von »Überzeugungen«, die von den Prämissen zur Kon­ klusion übertragen werden und zur Konklusion kraft eines »logischen Zwangs« faktisch nötigen, wie praktisches Schließen von »Wün­ schen«.279 Der praktische Schluss begründet daher auch nicht die fak­ tische Nötigung zu einer Handlung mit logischer Notwendigkeit; er zeigt vielmehr, vermittels des angestrebten Zwecks, warum die in der Konklusion beschriebene Handlung ausgeführt wird (er »löst sie aus«). Die formale Funktion der Prämisse als Ausgangspunkt oder auch als Prinzip wird dadurch angezeigt, dass keine weitere WozuFrage, beispielsweise »Wozu möchtest du ›das, was du gebrauchen kannst‹, haben?« (A: § 37.110), mehr möglich ist.280

Die Form des praktischen Schlusses als instrumentelles Kalkül Praktisches Überlegen liegt vor, »wo Mittel zu einem Zweck oder Ausführungsmethoden angestrebter Handlungen berechnet wer­ den.« (A: § 38.113) Der praktische Schluss hat die Form eines instru­ Für diese Überlegungen zur inferenziellen Struktur des praktischen Syllogismus vgl. Anscombe 1989/2014: 49ff. Vgl. dazu auch Wiseman 2016a: 143f. sowie die ausführliche Diskussion bei Vogler 2001: 454ff.

279

225 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

mentellen Kalküls, der dazu dient, Mittel zu identifizieren, die geeig­ net sind, ein Gewolltes herbeizuführen oder zu erreichen. Das war auch der Witz der Beispiele (1) bis (3) und ihrer Varianten. Zur instrumentellen Form des praktischen Syllogismus gehört ferner, dass sich der Gegenstand des Wollens »in einer gewissen Ent­ fernung von der unmittelbaren Handlung befindet« (A: § 41.122). Nicht jede Handlungsbegründung hat daher die Form eines prakti­ schen Syllogismus. Wir hatten schon gesehen, dass auch Motive als Antwort auf eine Warum-Frage genannt werden können.281 In solchen Fällen hat die Begründung nicht die Form eines praktischen Schlusses: »nicht alles, was nach meiner Beschreibung zum Bereich der ›Hand­ lungsgründe‹ gehört, [kann] als Prämisse eines praktischen Schlusses auftreten […].« (A: § 35.102) Demnach ist (4) »Ich bewundere ihn so sehr, daher werde ich das von ihm lancierte Gesuch unterschreiben« (ebd.) kein praktischer Schluss. Es fehlt das Merkmal praktischer Schlüsse, das (1) bis (3) exemplifizieren, nämlich die Form der Berech­ nung mit Blick auf etwas, das über das gegenwärtige Tun hinausweist. Daher können solche Gründe nicht als Prämissen im praktischen Syl­ logismus auftreten. Das wird deutlich, wenn man (3) und (4) einander gegenüberstellt. Versteht man den anvisierten Besuch als Vergeltung für die Nettigkeit der in (3) genannten Person, dann wäre (3) genauso wenig wie (4) ein praktischer Schluss. Man kann den Unterscheid verdeutlichen, indem man durch eine Umformulierung die Form des praktischen Schlusses explizit macht: (3*) Der und der war bei unserem letzten Treffen sehr nett, daher wird es wahrscheinlich erfreulich sein, ihn wiederzusehen also werde ich ihn besuchen (ebd.) Auf diese Weise können auch Gedanken nach dem Muster von (4) so umformuliert werden, dass die Begründung die Form eines praktischen Schlusses annimmt. Das Motiv wird dann als intendiertes Eine solche Frage könnte allenfalls noch als Frage nach der Bewertung eines solchen Wunsches aufgefasst werden. Das ist aber eine andere Frage als die Frage nach den Überlegungen, in deren Licht, unser Bauer zum Paderborner Viehmarkt fährt (vgl. Schwenkler 2019: 139). 281 Um genau zu sein: rückwärtsgerichtete oder auch interpretative Motive, deren Aufgabe es ist, die Handlung in ein bestimmtes Licht zu rücken. Vgl. A: §§ 13 und 14 und meine Ausführungen in Kap. 4.4, S. 131–138. 280

226 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.3 Der praktische Syllogismus

Objekt repräsentiert. Solche Umformungen sind möglich, weil Ziele nicht als solche Objekte des Wollens sind. Sie sind es nur unter einer Beschreibung, unter der sie als etwas von der handelnden Person Angestrebtes bezeichnet werden.282 Inferenzwörter wie »also« oder »daher« reichen als Indikatoren für praktische Schlüsse nicht aus. Die Darstellung der Form muss sich an der instrumentellen Struktur orientieren und kann gleichsam in zwei Richtungen erfolgen: Die eine Richtung führt zur ersten Prämisse, um das Gewollte als Prinzip zu identifizieren. Das ist die Aufgabe der Wozu-Frage. Wie bereits deutlich geworden ist, ist die erste Prämisse, das Prinzip der Handlung, dann identifiziert, wenn in Bezug auf das Gewollte keine weitere Wozu-Frage mehr sinnvoll gestellt werden kann. Die andere Richtung führt vom vorausgesetzten Ziel zur Identifikation der Mittel. Das ist die Aufgabe der Wie-Frage: Wie-Fragen spezifizieren die einzelnen Phasen der Handlung als Mittel. So wie die erste Prämisse festgelegt ist, wenn keine weitere Wozu-Frage mehr sinnvoll ist, ist die Konklusion des praktischen Schlusses in Form einer Handlung dann gerechtfertigt, wenn sie sich als abschließende Antwort auf die Reihe der Wie-Fragen verstehen lässt. Der Bauer bekommt seine Jersey-Kuh, indem er sich auf den Paderborner Viehmarkt begibt. Der Zusammenhang zwischen diesen Fragen ist bereits von der Analyse der A – D-Reihe her bekannt. Das bestätigt und präzisiert das Ergebnis des vorherigen Kapitels: die Wie- und Wozu-Fragen haben die Aufgabe, die instrumentelle Form des praktischen Syllo­ gismus offen zu legen. Bezieht man noch die Warum-Frage ein, kann man ein weiteres Ergebnis festhalten, das über die bisherigen Aus­ führungen zur A – D-Reihe hinausgeht. Es betrifft den Zusammen­ hang von erstpersonaler und drittpersonaler Perspektive. Während die Warum-Frage ein Tun aus der drittpersonalen Perspektive spezi­ fiziert, indem sie es erlaubt, die nächsten Ziele des Handelnden zu identifizieren und auf weitere, räumlich und zeitlich entferntere Ziele zu beziehen, so stellt die Reihe der Wie-Fragen in umgekehrter Folge aus der Perspektive der handelnden Person die Überlegungen dar, in

282 Vgl. A§ 35.103 (kursiv i. Orig.): »Wir müssen stets bedenken: Nicht das ange­ strebte Ziel an und für sich ist das Objekt; vielmehr ist die Beschreibung, unter der es angestrebt wird, die, unter des das Objekt als solches bezeichnet wird.« Vgl. auch die Ausführungen zu intentionalen Objekten in Kap. 4.3, S. 106ff.

227 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

deren Licht ihr Tun »eine Pointe« hat.283 Aus der Perspektive der ers­ ten Person zielt die Überlegung darauf ab, dass tatsächlich etwas getan wird; und genau das zeigt der praktische Schluss.284 Auch wenn mit der Wie-Frage der Fokus der Beschreibungen auf die erstpersonale Perspektive gerichtet wird, ist diese Ordnung nicht (oder nur beiläu­ fig) im geistigen Leben einer handelnden Person repräsentiert.285 Sie ist in dem realisiert, was wirklich getan wird: »Understanding practical reason is understanding how the reason in the agent is likewise in the acts.« (Vogler 2001: 446) Die entlang der Wie- und der Warum-Fra­ gen in unterschiedliche Richtungen und aus unterschiedlichen Per­ spektiven darstellbare Ordnung ist eine Beschreibungsform für die Bewegungen von Lebewesen; sie dient nicht dazu, auf »mentale Zustände« Bezug zu nehmen.286 Man kann sie auch, so Anscombe, »als ein Hilfsmittel ansehen, das die Ordnung erkennen läßt« (A: § 44.125), die in den chaotisch erscheinenden menschlichen Hand­ lungszusammenhängen herrscht. Schwenkler (2019: 132) drückt das so aus: »the reasoning by which an agent chooses an action is the inverse of the reasoning by which her action is usually understood by another person.« 284 Die entlang der Wie-Frage offen gelegte Ordnung des Kalküls verhält sich gegenläufig zur Rechtfertigungslogik einer Davidson’schen Rationalisierung, denn sie zielt auf eine wirkliche Handlung. Eine Davidson’sche Rationalisierung blickt dagegen zurück und fragt, was der Fall gewesen sein muss, bevor die Handlung erfolgte (was dachte der Bergsteiger, bevor er die Halterung löste?), und ex post eine Rationalisierung zu rekonstruieren, die zugleich die richtige, das Ereignis auslösende Kausalkette identifizieren muss (vgl. Davidson 1963/1990: 37). 285 Vgl. A: § 42.124: »Allgemein gesprochen, dürfte es sehr selten vorkommen, daß jemand alle Schritte einer im Einklang mit den Aristotelischen Modellen ausbuchsta­ bierten Überlegungen durchgeht« (A: § 42.124). 286 Vgl. auch Schwenkler (2019: 151), bei dem die anticartesianische Pointe dieses Gedankens besonders gut deutlich wird: »for what we thereby [sc. im praktischen Überlegen, JK] know is not an inner state for which her outward behavior serves as evidence, but a form of movement that itself embodies the means-end order that has been our interest.« Die im praktischen Syllogismus dargestellte Ordnung ist »immer gegeben […], wenn Handlungen mit Absicht ausgeführt werden.« (A: § 42.124) Sie ist »gegeben«, aber nicht als etwas Inneres. Gleichwohl hat die Person ein Verständnis ihres Tuns, das mit Hilfe Wie-, Warum- und Wozu-Fragen artikuliert werden kann. Der Unterschied zwischen dem Verständnis, das eine handelnde Person von ihrem Tun hat und als praktischer Syllogismus dargestellt werden kann, und ihrem Handeln unter Beschreibungen, deren Ordnung in diesem Verständnis gegründet ist, ist daher eine begrifflich-analytische Unterscheidung, die die unterschiedlichen Perspektiven auf das Tun reflektiert, aber keine Unterscheidung nach Bereichen (mental-innerlich und physikalisch-äußerlich) (vgl. Schwenkler 2019: 150f.). 283

228 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.3 Der praktische Syllogismus

Denken und handeln sub specie boni Die erste Prämisse des praktischen Syllogismus muss das angestrebte Objekt als Erstrebenswert charakterisieren. Anscombe fragt nun, ob »man nicht alles Beliebige haben wollen« (A: § 37.110) kann. Diese Frage stellt sich, weil die erste Prämisse ihre Funktion niemals erfüllen könnte, wenn diese Möglichkeit bestünde. Die Fähigkeit, auf die Wozu-Frage zu antworten, ist in eine geteilte sprachliche Praxis ein­ gebettet. Sie unterliegt daher öffentlichen Sinnbedingungen. Ant­ worten darauf können nicht sinnvoll als beliebige Festlegungen auf der Grundlage individueller Präferenzen verstanden werden. Wer dagegen eine empiristische Philosophie des Geistes vertritt, wird davon ausgehen, dass eine Äußerung des Typs »ich will X« ein Bericht über einen inneren Zustand des Handelnden ist. Diese Auskunft beendet alle Erklärungen und Rückfragen, weil die Bezugnahme auf den Wunsch der Äußerung ihren Sinn verleiht und damit eine abschließende Erklärung liefert.287 Anscombes Antwort wird dagegen sein, dass es zwar keine inhaltliche, wohl aber eine formale Einschränkung für mögliche Gegenstände des Wollens gibt: »alles, was für unseren Begriff des ›Wollens‹ erforderlich ist, besteht darin, daß ein Mensch dasjenige, was er will unter dem Aspekt eines Guts sehen muß.«288 Inwiefern ist 287 So zum Beispiel Hare 1983: 4ff. Nach Hare werden inhaltliche moralische Prin­ zipien individuell gewählt, wobei diese Wahl als Ausdruck einer grundlegenden, nicht weiter rechtfertigungsbedürftigen subjektiven Präferenz verstanden werden muss. Vgl. auch Hare 1992: 54f., 208f., 255. Diese Problematik spricht Anscombe mit Bezug auf die vom Utilitarismus geteilte empiristische Erkenntnistheorie ausdrücklich an: »Jede Art des Wünschens wäre diesen Philosophen zufolge ein innerer Eindruck.« (A: § 40.120) Anscombe folgt Moores gegen den Utilitarismus gerichteten Vorwurf des naturalistischen Fehlschlusses daher nicht. Der Utilitarismus ist schon deshalb problematisch, weil er den schwierigen Begriff der Lust unreflektiert als inneren Ein­ druck versteht (vgl. ebd.). Zum Begriff der Lust verweist sie auf eine Arbeit von Ryle, der diese empiristische Konzeption kritisiert hat. Ryle wendet sich gegen die Deutung von Lust als körperliche Empfindung. Bezogen auf Lust an Tätigkeiten schlägt er vor, sie als eine Weise der Aufmerksamkeit, bzw. des Interesses an den Tätigkeiten zu nehmen. Vgl. Ryle 1954: 140ff. Zu Ryle vgl. ausführlicher Bayne 2010: 136–139. 288 Anscombe 1986: 119. Im Original steht: »all that is required for our concept of ›wanting‹ is that a man should see what he wants under the aspect of some good.« (I: § 39.75). In Schultes Übersetzung geht dieser Gedanke völlig verloren (vgl. A: § 39.117). Damit nimmt Anscombe wiederum einen aristotelischen Gedanken auf: »Jedes Herstellungswissen (techné) und jedes wissenschaftliche Vorgehen (metho­ dos), ebenso jedes Handeln (praxis) und Vorhaben (prohairesis) strebt, so die verbrei­

229 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

damit eine formale Einschränkung für mögliche Gegenstände des Wollens angesprochen? Man kann sich das leicht klar machen: Bloße Auskünfte wie »weil ich es will« oder »einfach so« machen ohne wei­ tere Qualifizierung als Antworten auf die Frage »wozu willst du das?« nicht verständlich, was aus der Sicht dieser Person eine gewollte Sache wünschenswert erscheinen lässt. Anscombe zeigt das an Beispielen von Personen, die absonderliche Wünsche äußern, z.B. »ein Schälchen Schlamm« oder eine »Stecknadel« haben wollen (A: § 37.110f.). Der nicht weiter erläuterte Wunsch (»ich will sie einfach haben«) ist unsinnig, weil »etwas haben wollen« eine Erklärung verlangt, wozu man es will, d.h. was man damit anfangen möchte. Der Wunsch muss eine verständliche Pointe haben (welche auch immer), die sich im Zweifelsfall im Verhalten der Person zeigt, der ein solcher absonder­ licher Wunsch erfüllt wurde.289 Es ist ein logisch-grammatisches Merkmal des Begriffs »Wollen«, sinnvolle Antworten auf solche Fra­ gen fordern zu können. Dieses Merkmal bezeichnet Anscombe als »desirability-characterisation« (I: § 37.72)290, die jedes Wollen beinhaltet und imstande ist, die Frage »wozu willst du das?« sinnvoll zu beenden.291 Ohne eine solche zusätzliche Charakterisierung ver­ liert der Ausdruck »ich möchte X« seinen Sinn (vgl. A: § 37.112). Anscombe bezieht diese Einsicht direkt auf die ersten Prämissen einiger ihrer aristotelischen Beispiele. Dort kommen wertende Aus­ drücke vor: »›bekömmlich‹, ›sollte‹ und ›angenehm‹.« (A: § 35.100)292 Gemeinsam ist ihnen, dass sie das erwähnte Objekt als tete Meinung, nach einem Gut (agathon ti). Deshalb hat man ›Gut‹ zu Recht erklärt als ›das wonach alles strebt‹.« (NE I,1, 1094a1ff.) Bei Thomas von Aquin heißt es: »quidquid homo appetit, appetit sub ratione boni.«/»Was immer der Mensch erstrebt, das erstrebt er in dem Sinn, dass er es als ein Gutes begreift. “ (STh Ia-IIae q.1, art. 6, resp.) 289 Vgl. die Diskussion in A: § 37.111 zu »ich möchte eine Stecknadel haben.« 290 Als deutschsprachiges Äquivalent bieten sich für diesen Terminus nur sperrige Ausdrücke an: Schulte übersetzt mit »Erwünschbarkeitscharakterisierung« (A: § 37.112); Connolly/Keutner mit »Charakterisierung-als-begehrenswert« (Ans­ combe 1986: 114). 291 Vgl. A: § 39.117: »die Frage ›was ist daran gut?‹ [kann] gestellt werden […] bis man zu einer Erwünschbarkeitscharakterisierung gelangt und sie verständlich deutet.« 292 Es geht um folgende Beispiele, die der Nikomachischen Ethik (a bis c) und De Anima (d) entnommen sind: Trockennahrung ist für jeden Menschen bekömmlich [Ich] sollte von allem Süßen kosten Alles Süße ist angenehm Ein solcher Mensch sollte das und das tun (A: § 35.100).

230 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.3 Der praktische Syllogismus

dem Wohlergehen angemessen bzw. im weitesten Sinne als zuträglich charakterisieren. Wenn Anscombe nun in § 37 darauf zurückkommt, wird klar, was die Funktion solcher wertenden Ausdrücke im Kontext des praktischen Denkens ist. Sie dienen nicht zur Formulierung von Imperativen (»X muss getan werden«, »es ist bekömmlich, angenehm, nützlich, gut X zu tun«), aus denen Handlungen abgeleitet werden; vielmehr benennen sie allgemeine Hinsichten, nach denen gewollte Objekte als begehrenswert charakterisiert werden können. Der Ver­ weis auf eine dieser Hinsichten würde dann ausreichen, um ein Objekt als erwünschbar zu charakterisieren.293 Solche Merkmale eines Objekts des Wollens, die es als begehrenswert oder erwünschbar cha­ rakterisieren, hängen ganz allgemein mit dem zusammen, was man auch als seine Gutheit (der tatsächlichen oder scheinbaren) bezeich­ nen kann. Das »Gute« ist ein formaler Gesichtspunkt, nämlich der Gesichtspunkt, unter dem ein Objekt als Erstrebenswert erscheint. Etwas »wollen« (im Gegensatz zu bloßem Wünschen) heißt, das intendierte Objekt unter dem Gesichtspunkt des Guten erstreben. »Gut« kann daher jederzeit durch »begehrenswert« bzw. »wünschens­ wert« ersetzt werden: Bonum est multiplex – das Gute hat viele Gestalten, und was unseren Begriff des Wünschens oder Wollens [sc. »wanting«, JK] betrifft, muß der Betreffende lediglich erkennen, was er – von einer Deutung des positiven Werts ausgehend – haben will. Hat sich jemand vorgenom­ men, eine Sammlung von zehn Zentimeter langen Knochen anzulegen, handelt es sich um ein Ziel, dessen Lob wir erst einmal hören wollen, bevor wir es als Ziel begreifen. (A: § 39.117f., kursiv i. Orig.)

Das ist der Sinn der von Anscombe reflektierten scholastischen Formel des Handelns sub specie boni. So Schwenkler 2019: 142f. Man hat darin eine Vorprägung der Dreiteilung von Gütern nach Thomas von Aquin erkennen wollen. In STh I, q.5, art. 6 verteidigt Thomas die Dreiteilung des Guten nach den Hinsichten »honestum, utile et delecta­ bile« (»Das Edle, Nützliche und Angenehme«). Candace Vogler (2002), die diesen Gedanken systematisch ausarbeitet, lässt es offen, ob Thomas von Aquin sich damit auf Aristoteles berufen kann. Sie lässt auch offen, wie Thomistisch Anscombes Position in dieser Frage zu deuten ist (vgl. ebd., 4). Angesichts von Anscombes Zurückhaltung mit systematisierenden Festlegungen neige ich dazu, den Kontext der Auseinandersetzung mit Aristoteles‘ Konzeption des praktischen Syllogismus in den Vordergrund zu stellen. Es geht darum, die logische Funktion von desirability-charac­ terisations herauszuarbeiten und in diesem Zusammenhang die Sinnbedingungen von Wendungen wie »etwas haben zu wollen« zu klären. Vgl. dagegen und im Anschluss an Vogler Schwenkler 2019: 142. 293

231 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

Um die Rolle von »gut« als formalem Begriff im praktischen Denken zu erläutern, schlage ich vor, »gut« als praktischen Reflexi­ onsbegriff aufzufassen. Der Terminus »Reflexionsbegriff« verweist auf Kants Transzendentalphilosophie.294 Sein sinnvoller Gebrauch ist aber nicht auf diesen Kontext beschränkt. Reflexionsbegriffe nehmen nicht direkt Bezug auf ihren Gegenstand, sondern sie setzen Hinsich­ ten der Bezugnahme ins Verhältnis zueinander und eröffnen damit erst Möglichkeiten der Bezugnahme.295 Das gilt auch für den Bereich des Praktischen: »gut« ist hier kein Begriff mit konkreter inhaltlicher Bedeutung, sondern ein Gesichtspunkt, nämlich der Gesichtspunkt (oder auch die Hinsicht), nach dem praktisch überlegende Personen die konkreten Hinsichten ordnen bzw. finden, die sie darauf festlegen, etwas Bestimmtes zu wollen.296 Die Güte der Handlung ist das, worauf die praktische Überlegung als ihr formaler Gegenstand aus­ 294 In der Kritik der reinen Vernunft bezeichnet Kant Reflexionsbegriffe auch als Ver­ gleichungsbegriffe: Sie dienen zum Vergleich bereits gegebener Begriffe im Hinblick auf ihr Verhältnis zu Erkenntnisarten. Vgl. KrV A262f./B317f. 295 Wolfgang Wieland, der die aristotelischen Prinzipien als Reflexionsbegriffe inter­ pretiert hat, hat folgende Erläuterung vorgeschlagen, an der ich mich hier orientiere: »Reflexionsbegriffe sind keine Begriffe mit konkreter inhaltlicher Bedeutung, sondern nur Gesichtspunkte, bei deren Anwendung man solche konkreten Begriffe leichter bilden oder finden kann.« (Wieland 1992: 202f. (kursiv i.Orig.)) 296 Vgl. noch einmal Spaemann (2015: 20): »Dieses Wort [sc. »gut«, JK] bezeichnet den Gesichtspunkt, unter dem sich alle anderen Hinsichten ordnen, die uns veranlas­ sen, dieses oder jenes zu wollen.« Moore hat daher durchaus Recht, wenn er »gut« für undefinierbar hält, wenn auch, wie man jetzt einsehen kann, aus den falschen Gründen. Zur Bestimmung von »gut« als praktischen Reflexionsbegriff vgl. schon Windelband (1883/2021: 33f.), der von »Beurteilungsprädikaten« spricht. Wie später auch Moore stellt er die äußerliche Ähnlichkeit von »gut« mit Farbprädikaten fest. Windelband hat allerdings besser als Moore verstanden, dass diese Ähnlichkeit die logisch-grammatischen Unterschiede zwischen diesen Ausdrücken verschleiert. Er schreibt: »Es ist ein fundamentaler Unterschied zwischen den beiden Sätzen: ›dieses Ding ist weiß‹ und ›dieses Ding ist gut‹, obwohl die grammatische Form dieser beiden Sätze ganz dieselbe ist […]. [D]ies Prädikat ist […] – als Urteilsprädikat – eine in sich fertige, dem Inhalt des objektiv Vorgestellten entnommene Bestimmung; es ist […] – als Beurteilungsprädikat – eine auf ein zwecksetzendes Bewußtsein hinweisende Beziehung.« (Ebd., 33) Für diesen Hinweis vgl. Gabriel 2004: 527. Für eine alternative Deutung der formalen Charakterisierung von »gut« vgl. Schwenkler 2019: 143–145, der »gut« als formalen Begriff in Anlehnung an Wittgensteins Tractatus (TLP 4.126) interpretiert. Zum Begriff »gut« ließe sich noch mehr sagen, z.B. dass es sich um ein Attribut handelt und gerade nicht um einen prädikativen Ausdruck (dazu die klassische Abhandlung von Geach (1956)); »gut« ist zudem ein Vollkommenheitsbegriff, der also gradierbar ist; »schlecht« drückt dagegen einen Mangel aus.

232 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.3 Der praktische Syllogismus

gerichtet ist. »Gut« ist dementsprechend kein objektstufiges Erkennt­ nisprädikat für eine Eigenschaft, die das in der ersten Prämisse des praktischen Syllogismus als erwünschbar charakterisierte Objekt aufweisen muss, um die Notwendigkeit einer Handlung zu begrün­ den, sondern es charakterisiert die Hinsicht, nach der eine praktisch überlegende Person den Gegenstand als gewollt repräsentiert.297 Verkennt man den formalen Charakter von »gut« als praktischen Reflexionsbegriff, könnte man den Gedanken des Handelns sub specie boni leicht als widersinnig, denn auch Böses würde dann als gut erscheinen, oder zumindest als unglaubliche Naivität problematisie­ ren. Vor allem unter empirisch-psychologischen Gesichtspunkten scheint die Annahme falsch, Menschen würden stets nach »dem Guten« streben. Typische Gegenbeispiele bieten Fälle von Unbe­ herrschtheit (akrasía) oder auch Willensschwäche und natürlich Bos­ heit.298 Anscombe ist sich über diese Problematik selbstverständlich im Klaren. Ausgehend von Miltons Wort »Böses, sei du mein Gutes« geht sie darauf ausdrücklich ein.299 Das Ergebnis dieser Diskussion wird nicht überraschen. Sie verweist auf den formalen Sinn des Grundsatzes: »Hier interessiert uns aber nur, daß die Frage ›Was ist daran gut?‹ gestellt werden kann, bis man zu einer Erwünschbar­ keitscharakterisierung gelangt und sie verständlich deutet.« (A: § 39.117) Ein weiterer Grund für diese Art von Missverständnis ist, dass nicht hinreichend zwischen der formal-höherstufigen, reflexionslogi­ schen Bestimmung von »gut« und objektstufigen Verwendungskon­ Es ist beobachtet worden, dass »gut« nicht definiert werden kann. Eine Definition müsste eine bestimmte Hinsicht auszeichnen. Paradoxerweise könnte man dann das Gutsein aber nicht mehr sinnvoll prädizieren. Den Versuch, »gut« trotzdem zu definieren, hat George Edward Moore bekanntlich (und vielleicht etwas irreführend) als »naturalistischen Fehlschluss« bezeichnet (vgl. Moore 1903/1970: 40f.). Robert Spaemann hat Moores Gedanke prägnant zusammengefasst: »Hieße nämlich ›gut‹ zum Beispiel einfach ›gesund‹, dann könnte man gar nicht mehr sagen, daß Gesund­ heit meistens etwas Gutes ist, weil man damit ja nur sagen würde, daß Gesundheit gesund ist.« (Spaemann 2015: 21) 298 Für die Diskussion der These vom Handeln sub specie boni vgl. die Beiträge in Tenenbaum (2010), zur Kritik dort Setiya (2010); zur Verteidigung Raz (2010) und Rödl (2010). Zur Kritik vgl. auch Velleman (2000). Für eine systematische Verteidigung vgl. Vogler (2002). 299 Vgl. A: § 39.117f. Das Milton-Zitat stammt aus Paradise Lost. Vgl. den Hinweis bei Schulte 2011: 158. Den Punkt illustriert auch sehr gut folgendes Beispiel: »Nicotine is a deadly poison, what’s in this bottle is nicotine, so I’d drink it.« (Anscombe 1974: 19) 297

233 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

texten von »gut« unterschieden wird. Dazu gehören der spezifizie­ rende Gebrauch und die Unterscheidung zwischen »wirklich gut« und »gut für x«. Der spezifizierende Gebrauch wird relevant, wenn Hand­ lungen unter moralischen Gesichtspunkten ihrer Art nach bewertet und klassifiziert werden sollen, nämlich als spezifisch gut oder spezi­ fisch schlecht. »Schlecht« (oder »böse«) meint dann keinen Mangel an Vollkommenheit, sondern bildet einen Gegensatz zu »gut.« Es mag daher auch durchaus der Fall sein, dass »derjenige, der in der beschriebenen Weise ›Böses, sei du mein Gutes!‹ sagt, Denkfehler begeht.« (Ebd.: 118) Die Fragen, welche Denkfehler das sind und nach welchen Kriterien die Unterscheidung zwischen Gut und Böse bzw. schlecht in spezifizierender Weise auf Handlungen bezogen werden kann, gehören allerdings nicht in eine Untersuchung der Form praktischen Denkens, sondern in die Ethik. Anscombe wird daher nicht müde, in diesem Teil der Abhandlung zu erklären, dass der praktische Syllogismus kein Thema der Ethik ist, und »gut« hat hier auch keine moralische Bedeutung.300 Der praktische Syllogismus dient auch nicht dazu, die Unter­ scheidung zwischen »wirklich« oder »an sich gut« und »gut für x« für einzelne Handlungsziele zu begründen. Die abgeleitete Handlung wird relativ auf das, »was der Akteur für gut erachtet« (A: § 40.119) bewertet: »Der Begriff des Guten, der zur Erklärung des Wünschens [sc. ›wanting‹, JK] ins Spiel gebracht werden muß, ist nicht der Begriff des wirklich Guten« (ebd.). Es wird in Intention allerdings nur ange­ deutet, wo diese Unterscheidung im praktischen Denken ihren Ort hat. In § 40 stellt Anscombe eine Analogie zwischen den Begriffs­ paaren »wollen« und »gut« sowie »Urteil« und »Wahrheit« her und stellt fest: »Daraus folgt weder, dass alles Geurteilte wahr sein muß, noch daß alles Gewünschte gut sein muß.« (A: § 40.118) In Practical Inference hat sie die Frage nach der Rolle dieser Unterscheidung zur Erläuterung der Gültigkeit praktischer Syllogismen erneut aufgegrif­ fen. Weil nicht alles, was jemand urteilt, wahr sein muss, unterschei­ det man in der Logik zwischen Wahrheit und Gültigkeit. Das gilt auch für praktisches Schließen. Wir können die Güte von Zielen, von der Gültigkeit praktischer Schlüsse unterscheiden: »im Bereich des prak­ tischen Schließens spielt die Güte des Ziels jene Rolle, welche die 300 So dürfte ihre polemische Klage über den gegenwärtigen Zustand der Philosophie zu verstehen sein (vgl. A: § 38.112f). Das in den folgenden Abschnitten ausführlich diskutierte, provozierend überpointierte Nazi-Beispiel hat den Sinn, die logischen Merkmale des praktischen Denkens deutlicher hervortreten zu lassen.

234 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.3 Der praktische Syllogismus

Wahrheit der Prämissen beim theoretischen Schließen spielt.« (Ans­ combe 1989/2014: 58) Wollen und Urteilen sind geistige Akte; sie fallen in den Bereich des Psychologischen. Gut und Wahr sind dage­ gen formale Begriffe, die in den Bereich des Logischen gehören und dem Maßstab der Gültigkeit unterliegen. Zwischen beiden Bereichen besteht aber ein begrifflicher Zusammenhang, der sich im beweisen­ den und im praktischen Denken analog verhält. Handlungen als Kon­ klusionen praktischer Schlüsse verhalten sich zum Guten wie Propo­ sitionen als Konklusionen beweisender Schlüsse zur Wahrheit. Die Frage, ob ein Ziel tatsächlich gut (d.h. nicht nur für die handelnde Person), verhält sich analog zur Frage, ob ein Urteil tatsächlich wahr ist. Anscombe bezeichnet diesen Zusammenhang als »große aristo­ telische Parallelführung von praktischem und theoretischem Nach­ denken.« (Ebd.) Sie schreibt: Wenn sie zutrifft, ist die Güte des Ziels und der Handlung in genau dem Sinn etwas Zusätzliches – etwas, das nicht bereits in der Gültigkeit der Schlussfolgerung liegt –, wie die Wahrheit der Prämissen und der Konklusion etwas Zusätzliches ist, das nicht schon in der Gültigkeit einer theoretischen Schlussfolgerung liegt. (Ebd., 58f.)

Auch wenn Güte und Wahrheit zur Gültigkeit hinzukommen, sind sie nicht unabhängig davon. Wie schon erläutert, ist »gut« das (formale) Objekt des Wollens, wie auch »wahr« das (formale) Objekt des Urteilens.301 Beweisende Schlüsse sind wahrheitserhaltend, d.h. die Wahrheit der Prämissen überträgt sich auf die Konklusion – das ist bei solchen Schlüssen mit Gültigkeit gemeint; und wenn die aristotelische Parallelführung zutrifft, würde für praktische Schlüsse analog gelten, dass sich die Güte der Ziele auf die Güte der Handlung überträgt. Anscombe betont das ausdrücklich (vgl. ebd.: 59), und wir hatten auch schon gesehen, dass es hinreichend Grund gibt, so zu handeln, wie die Konklusion des praktischen Schlusses beschreibt, wenn das Gewollte für Gut gehalten wird.302 In diesem Sinne kann man auch praktische Schlüsse als gültig bezeichnen. Ihre Gültigkeit besteht Vgl. A: § 40.118 und Anscombe 1989/2014: 59. Sie sind formale Objekte im Sinne von Zielen: Urteile (oder auch Überzeugungen) zielen auf Wahrheit ab; Wollen auf Gutes. In den deutschen Texten wird das Englische »object« jeweils zur Verdeut­ lichung des Gedankens mit »Ziel« wiedergegeben. 302 Vgl. Schwenkler 2019: 146: »In practical reasoning, it is not that the goodness of something is shown to be true by the premises, but that the premises show the goodness of the action one decides on.« 301

235 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

darin, dass die Überlegungen der handelnden Person die Ordnung exemplifizieren, die man entlang der Wie-Fragen und Wozu-Fragen formal darstellen kann und die sich umgekehrt zur Warum-Frage verhalten, entlang derer das Tun einer Person im Hinblick auf die Identifizierung ihrer Absicht beschrieben wird. Dann sind die Prämis­ sen im »aktiven Dienst« – d.h. der Schluss ein praktischer, handlungs­ wirksamer Schluss. Das tertium comparationis zwischen Wahrheit des Urteils und Güte des Ziels ist, dass sie etwas Zusätzliches sind, das nicht schon in der Gültigkeit des Schlusses liegt. Der Formunterschied zwischen beiden Schlussarten zeigt sich in den unterschiedlichen Verhältnissen der jeweiligen Träger der Relation zu ihrem Gegenstand. Wahrheit wird Urteilen oder Propositionen als Trägern dieser Relation unmit­ telbar zugeschrieben, und zwar im Licht der beurteilten Tatsachen. Beim Guten und dem Wollen verhält es sich insofern umgekehrt, als das Gutsein den bewerteten Gegenständen zugeschrieben wird. Das Wollen wird mittelbar, aufgrund der Qualitäten der bewerteten Gegenstände »gut« genannt. Und auch hier gilt wieder: Ob das Gewollte tatsächlich gut ist, ist eine andere Frage. Auch sie gehört nicht in den Kontext der formalen Darstellung des praktischen Schlie­ ßens.

Ein Exkurs zur Ethik Der praktische Syllogismus ist, darauf legt Anscombe sehr viel wert, kein genuines Thema der Ethik. Damit ist zunächst einmal nur gemeint, dass die Konklusion des praktischen Syllogismus keine Auf­ forderung ist, etwas zu tun: »Normalerweise wird angenommen, es handele sich um ein ganz gewöhnliches Schließen, das zu einer Kon­ klusion wie ›ich sollte das und das tun‹ führt.« (A: § 33.91)303 Nur unter dieser Voraussetzung kann der Eindruck entstehen, der prakti­ sche Syllogismus habe seinen systematischen Ort in der Ethik. Wenn Aristoteles in seinen Beispielen deontische Ausdrücke verwendet, wie »sollen«, dann in einem voraussetzungsarmen Sinn, »wie es im nor­ malen Sprachgebrauch vorkommt« (ebd.), also ohne moralischen Vgl. auch A: § 41.122: »der praktische Syllogismus [ist kein] Beweis bezüglich dessen, was man tun sollte, der dann irgendwie auf natürlichem Wege in einer Hand­ lung gipfelt.« 303

236 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.3 Der praktische Syllogismus

Nachdruck, der durch die Rede von »Handlungen aus Pflicht« nahe­ gelegt wird.304 Daher widerspricht Aristoteles‘ Verwendung von »sol­ len« auch nicht der Behauptung, dass der Ausgangspunkt des prakti­ schen Syllogismus das Gewollte ist. Das schließt freilich nicht aus, dass Menschen auch nach Prämissen mit moralischem Inhalt bzw. solchen, die Pflichten ausdrücken, handeln: Daß es solche Prämissen geben kann, liegt auf der Hand, doch es ist klar daß diese allgemeinen Prämissen nur bei Menschen, die ihre Pflicht tun wollen, als Prämissen des praktischen Schließens vorkom­ men werden. (A § 41.122)

Auch für praktische Schlüsse mit moralischem Inhalt gilt also, dass ein Gewolltes als Ausgangspunkt des Schlusses vorausgesetzt ist. In Intention geht es zunächst darum, die allgemeine Form des praktischen Überlegens darzulegen. Wir hatten gesehen, in welches logische Problem die subsumtionslogische Konzeption führt, nach der die erste Prämisse die Form eines allgemeinen Imperativs hat.305 Vor diesem Hintergrund muss die Verengung auf einen Bereich des prak­ tischen Denkens problematisch erscheinen. Welche Rolle diese Denk­ form in unterschiedlichen Praxisbereichen spielt, ist dementspre­ chend eine nachgeordnete Frage: »In ethische Untersuchungen kann er (d.h. der praktische Syllogismus, JK) nur Eingang finden, sofern eine zutreffende philosophische Psychologie eine Voraussetzung für 304 A: § 35.101: „›[S]ollen [ist] ein recht anspruchsloses Wort mit unbegrenzten Anwendungskontexten […] und […] man [darf] annehmen, Aristoteles habe sich eben aufgrund dieses Merkmals ein ungefähr entsprechendes griechisches Wort aus­ gesucht, um es in die allgemeine Prämisse eines schematischen praktischen Syllogis­ mus einzufügen.« Vgl. dazu auch A: § 41.122, Fn 15. Anscombe problematisiert dort die Vorstellung, wonach es eine besondere »moralische« Bedeutung von »sollen« gäbe. Im Kontext der Diskussion des praktischen Syllogismus hat sie dabei zweifellos Hare im Blick. Man kann hier aber selbstverständlich auch an Konzeptionen von Autonomie denken, die stärker an Kant angelehnt sind. 305 In der Aristoteles-Forschung wird zwischen Zweck-Mittel-Stellen und dedukti­ ven Stellen bei Aristoteles unterschieden (vgl. Corcilius 2008b: 103f.). Corcilius betont, dass Anscombe das Verhältnis dieser Stellen zueinander nicht diskutiert, ver­ mutet aber, »dass Anscombe die Zweck-Mittel-Stellen als Zwischenprämissen auf­ fasst und als in die deduktiven Prämissen eingebettet betrachtet. Sie äußert sich dazu aber nicht.« (Ebd.: 107, Fn. 16) Dass sie sich dazu nicht äußert, dürfte daran liegen, dass sie in Intention in erster Linie die Unterschiede zwischen beweisenden und prak­ tischen Syllogismen herausstellt (und Aristoteles dafür kritisiert, das nicht genügend getan zu haben). Vgl. aber auch meine obigen Ausführungen zur inferentiellen Struk­ tur des praktischen Syllogismus ausgehend von Anscombe 1989/2014.

237 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

ein philosophisches System der Ethik ist.« (A: § 41.121f.) Zu einer solchen Untersuchung gehört auch, den Zusammenhang zwischen praktischem Schließen, praktischem Denken, praktischem Wissen und absichtlichem Handeln zu erhellen. Auch die Frage nach der ethischen Bewertung von Handlungen setzt zunächst ein adäquates Verständnis des praktischen Überlegens voraus. Das in §§ 38f. ausführlich diskutierte und bewusst provoka­ tive Beispiel eines Nazis, der kurz vor seinem Tod überlegt, was für ein Nazi gut zu tun wäre, zielt genau auf diesen Punkt ab. Anscombe fragt, wie man die Überlegungen dieses Nazis kritisieren kann: So könnte man die erste Prämisse anzweifeln, wonach es sich für ihn schickt, »seine letzte Stunde mit dem Töten von Juden zuzubringen« (A: § 38.114f.); man könnte einwenden, dass es in dieser Situation vielleicht noch wichtigere Dinge für ihn zu tun gibt (z.B. ein Sterbe­ sakrament einzuhalten); ebenso könnte man den Wunsch selbst, das zu tun, was sich für einen guten Nazi gehört, in Frage stellen; man kann diesen Wunsch aber auch akzeptieren, die Notwendigkeit einer bestimmten Handlungsweise jedoch bestreiten.306 Die Argumente zielen darauf ab, aus der Perspektive einer Person, die ein bestimmtes Ziel verfolgt, zu zeigen, dass im Lichte ihrer eigenen Prämisse nicht gut ist, so zu handeln. Wie immer man hier also argumentiert, wird, sofern der Nazi für solche Überlegungen zugänglich ist, seine Über­ legung hinfällig – allerdings weder aufgrund »eines auch von ihm anerkannten Fehlers in der Prämisse noch aufgrund eines Irrtums in seiner praktischen Berechnung.« (Ebd.: 116) Ein ethisches Argument müsste einen Standpunkt annehmen, aus dem folgt, »daß es sich für einen Menschen nicht schickt, Nazi zu sein, denn ein Mensch sollte nicht tun, was sich für einen Nazi schickt.« (Ebd.) Auch unabhängig davon, ob diese Überlegung »rein akademischer Art« (ebd.) ist, wird sofort klar, dass sie höchst voraussetzungsreich ist. Man müsste näm­ lich erst zeigen, dass ethisches Handeln integraler Bestandteil prak­ tischer Vernunft ist. Unter dieser Voraussetzung wäre es vor dem Hintergrund von Erwünschbarkeitscharakterisierungen, die sich letztlich auf das menschliche Wohlergehen beziehen, von vornherein falsch, sich die Lebensweise eines Nationalsozialisten zu eigen zu machen.307 Vgl. dazu die ausführlichere Diskussion bei Schwenkler 2019: 146ff. Das würde der aristotelischen Auffassung entsprechen. Es leuchtet aber ein, dass Anscombe diese Voraussetzung an dieser Stelle ohne weitere Begründung nicht teilen

306 307

238 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.3 Der praktische Syllogismus

In Practical Inference hat Anscombe dieses Problem noch einmal aufgegriffen und ihre Position verdeutlicht. Sie wirft dort die Frage auf, inwiefern die instrumentelle Auffassung des praktischen Syllogismus Raum für die Kritik schlechter Ziele lässt.308 Sie fasst diese Frage so auf: Wie können praktische Schlüsse, die im Sinne der bisher entwickelten Argumentation gültig sind, ohne Rückgriff auf ein Sollen in moralischer Bedeutung kritisiert werden? Ihre Antwort bestätigt das Ergebnis aus Intention. Insofern führt sie im Hinblick auf das oben identifizierte Begründungsproblem nicht weiter. Sie macht allerdings auch deutlicher, wo man ansetzen kann, wenn man dieses Problem auf der Grundlage des aristotelischen Modells praktischen Überlegens angehen will. In Practical Inference werden zudem die Implikationen der Verknüpfung von praktischem Überlegen und praktischem Syllo­ gismus besonders deutlich. Insofern ergänzt die Argumentation in diesem Text diejenige aus Intention. Anscombe unterscheidet zwischen spezifischen und unspezifi­ schen Zielen (generic ends). Unspezifisch sind Ziele wie Gesundheit oder Wohlstand; man kann hier nämlich weiter fragen, zum Bei­ spiel welche Art von Wohlstand jemand anstrebt. Bestimmte Ziele sind dagegen solche, die »ein bestimmtes Einzelding« (Anscombe 1989/2014: 53) betreffen. Bestimmte, aber unspezifische Ziele, wie »dieses Haus bewohnbar machen« können ihrerseits weiter spezi­ fiziert werden, zum Beispiel, indem man sich das Ziel setzt, das Haus zu erwärmen oder zu möblieren: »Und noch spezifischer: Die Hütte soll mit einem Kohleofen geheizt werden. Hinsichtlich dessen, was getan werden soll, schreite ich vom Spezifischen zum Bestimmten fort, indem ich es mir zum Ziel mache, die Hütte mit kann. Sie vermutet, dass die ethische Deutung des praktischen Syllogismus nicht zuletzt auch auf so eine Vorstellung zurückzuführen ist (vgl. A: § 39.116 Fn. 11 und 117). Für einen neueren neo-aristotelischen Versuch, Moral als einen Teil prakti­ scher Vernunft zu erweisen, vgl. Foot 2004, insb. Kap. 4. 308 Vgl. Anscombe 1989/2014: 56f. »ein Grund muss zeigen, inwiefern es gut ist, etwas Bestimmtes zu tun; oder er muss zumindest mit weiteren Gründen verbunden sein, die das zeigen. Bedeutet das: Ein Grund muss zeigen, wozu die Handlung führt oder welches Geschehen sie begünstigt – wobei das Erreichte zufällig auch noch gewollt ist?« In Intention geht es Anscombe vor allem darum, ein bestimmtes Modell praktischen Überlegens, wonach die Konklusion eine Handlungsaufforderung ist bzw. ein selbstbezügliches Urteil, das den Handelnden zu einer Handlung auffordert, abzuwehren. Daher betont sie auch die unterschiedliche Form der Schlussarten im Bereich des Theoretischen und des Praktischen, und daher arbeitet sie auch die instrumentelle Struktur des praktischen Syllogismus scharf heraus.

239 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

einem bestimmten Ofen zu beheizen« (ebd.: 53f.) Die Begriffspaare »spezifisch«, »unspezifisch«, »allgemein« und »bestimmt« lassen sich als Reflexionsbegriffe verstehen, mit denen Handlungsziele ins Verhältnis gesetzt werden können im Hinblick auf die Zergliederung eines undifferenzierten, noch unbestimmten Ganzen.309 Zwecke bzw. Handlungsziele haben dann nicht die Form indivi­ dueller Setzungen, sondern erscheinen als Möglichkeiten in einem umfassenderen, noch undifferenzierten praktischen Zusammenhang. Handelnde haben Zwecke, sofern sie an Praktiken teilnehmen. So können Zwecke aus der Perspektive individueller Akteure Ausgangs­ punkte von praktischen Überlegungen werden, wobei sie sich aus dieser Perspektive immer auch als Mittel zu übergeordneten Zwecken, die sich ihrerseits vor dem Horizont unspezifischer Zwecke verstehen lassen. Versteht man die Ausübung praktischer Vernunft auf diese Weise als Spezifikation, erscheint es auch nicht mehr rätselhaft, wie Zwecke selbst thematisiert und Gegenstand rationaler Kritik werden können. So ist es immer möglich, jemanden für den Einsatz unge­ eigneter oder auch fragwürdiger Mittel zu kritisieren. Diese Kritik kann auch im Licht anderer Ziele vorgebracht werden, von denen man annimmt, die kritisierte Person müsse sie haben, wenn sie ein bestimmtes Ziel verfolgt. Solche Kritik von Mitteln kann sich dann ihrerseits als Kritik von Zielen erweisen, wenn die kritisierte Person diese Ziele, die sie vielleicht haben sollte, gar nicht hat.310 Hier hat die Unterscheidung zwischen »wirklich gut« und »für-gut-halten« ihren Ort. Die normativen Bezugspunkte dafür sind letzte Zwecke, die einen Praxisbereich als solchen konstituieren, z.B. die Gesundheit als Ziel der Medizin.311 Folgt man Aristoteles, gilt diese teleologische Struktur In NE VI, 9, 1142a23–30 und 12, 1143a34-b5 beschreibt Aristoteles diese Art von Zergliederung eines Ganzen (katholou) – seine Analogie ist die Zergliederung einer geometrischen Figur – im Bereich des praktischen Denkens als Leistung der Phronesis und näher hin als Suchbewegung und Untersuchung (NE VI, 10, 1142a31f.). Für den Gedanken, praktisches Überlegen als Spezifikation zu begreifen, vgl. McDowell 1998 sowie Wiggins 1998. Wiggins setzt sich mit diesen Passagen explizit auseinander und verteidigt die aristotelische Konzeption (vgl. Wiggins 1998: 234ff.). Zum Verhältnis »Allgemeines« und »Besonderes« als Reflexionsbegriffe bei Aristoteles, insbesondere auch zum Begriff katholou vgl. Wieland 1992: 89f. 310 Vgl. die entsprechenden Ausführungen bei Anscombe 1989/2014: 57. 311 Das Heilen ist als Zweck vorgegeben, und zwar deshalb, weil alle Tätigkeiten in diesem Bereich auf diesen Zweck hingeordnet sind. Praktiken haben eine teleologische Ordnung. So betont Aristoteles, dass der Arzt nicht überlegt, ob er heilen soll, sondern über die Mittel nachdenkt (NE III, 5, 1112b12–16). Der Arzt hat als Arzt dieses Ziel: 309

240 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.3 Der praktische Syllogismus

der Praxis auch für das menschliche Leben als solches. Im Hinblick auf die beschriebene Möglichkeit unangemessene Ziele zu verfolgen, oder die Anwendung von Mitteln, »die anderen Zielen, die er haben sollte, schaden« (ebd.: 58) schreibt Anscombe: Das ließe sich nur zeigen, falls der Mensch als solcher ein oberstes Ziel hat, das über allen anderen Zielen steht. Nur unter dieser Bedingung können wir das ›moralische Sollen‹ über Bord werfen und trotzdem noch in der Lage sein, praktische Schlussfolgerungen zu kritisieren, die in einem strikten und engen Sinne gültig sind, in dem Gültigkeit bei theoretischen Schlussfolgerungen der Wahrheit gegenübergestellt wird. Eine solche Kritik würde lauten, dass die praktische Schlußfolge­ rung nicht zu einer guten Handlung führt. Eine Handlung ist natürlich dann gut, wenn sie nicht schlecht ist. Dass eine Handlung schädlich ist hinsichtlich des obersten, alle anderen Ziele beherrschenden Ziels, beweist aber, dass sie schlecht ist. (Ebd.: 60)

Dass als oberstes Ziel des Menschen nur das gute, gelingende Leben, die gelingende Praxis, mit anderen Worten die eudaimonía als eupraxía in Frage kommt, hatte Anscombe schon an anderer Stelle betont.312 Legt man den Akzent auf praktische Überlegung als Spezifika­ tion wird verständlich, dass Zwecke und Mittel keine kategorial unterschiedenen Größen sind. Die Aufteilung praktisch vernünftiger Fähigkeiten in solche, die auf Mittelwahl zielen und solche, die auf Zwecksetzungen reflektieren, erweist sich dann ebenso als zu schlicht wie die Fragmentierung praktischer Vernunft nach instrumentellem, auf das Wohl der handelnden Person abzielenden und nach einem

Das hängt nicht davon ab, dass Ärzte oder ein bestimmter Arzt einmal beschlossen haben, sich dieses Ziel zu setzen. Welche Mittel überhaupt in den Einzugsbereich der Medizin fallen und wie sich durch Reflexion auf Mittel auch der Begriff des Heilens verändert, mag im Einzelfall nicht immer eindeutig und selbst Gegenstand von Aus­ einandersetzungen sein. Praktiken können sich verändern, damit auch »Berufsbilder« bzw. Rollen, und auch der Inhalt der leitenden Wertbegriffe in einem Praxisbereich ist nicht ein für allemal festgelegt. Dass es aber Grenzen gibt, für das, was noch als Ausübung einer Tätigkeit im Licht ihres letzten Zwecks gilt, bleibt dennoch klar. Die Bezeichnung »Arzt« für jemanden, der in einem nationalsozialistischen Konzentrationslager Menschenversuche ausgeführt hat, liegt jenseits der Grenze. 312 Vgl. Anscombe 1965b/2014: 311: »Ich schlage vor, dass die Idee eines vernünfti­ gen Wollens dadurch erklärt werden muss, dass dabei das Gewollte als etwas gewollt wird, was dem ›Guthandeln‹ oder der Glückseligkeit dienlich oder ein Teil von ihr ist.« Zu Anscombes übergreifende Konzeption des Guten vgl. Richter 2016.

241 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

spezifisch moralischen Gebrauch zumindest als problematisch.313 Praktische Vernunft hat eine einheitliche Form, nämlich die Form des praktischen Schlusses; aber ihre Ausübung ist nicht formal, sondern inhaltlich bestimmt. Das gilt dann auch für praktische Überlegungen, die moralische Gesichtspunkte zum Gegenstand haben.314

6.4 Praktisches Wissen II: causa rerum intellectarum (§§ 45–48) »Eine komische Art von Wissen« Nach dieser Klärung kann die Frage nach dem begrifflichen Zusam­ menhang von praktischem Überlegen und praktischem Wissen wie­ der aufgenommen werden. Zum Einstieg bietet es sich an, an die bisherigen Ergebnisse zu erinnern. Vier Merkmale des praktischen Wissens, die es vom »kontemplativen« Wissen unterscheiden, sind bereits thematisiert worden: 1)

Der Gegenstand des praktischen Wissens ist eine Handlung unter einer Beschreibung, d.h. eine tatsächlich vollzogene Hand­ lung (A: § 29.84)

Die Diskussion, ob sich praktisches Überlegen nur auf die Mittelwahl oder auch auf die Ziele bezieht, erweist sich dann als hinfällig. Vgl. dazu Kolnai 2008 und wiederum Wiggins 1998 für eine Kritik dieser Art von Unterscheidung. Vgl. allerdings schon STh Ia-IIae, q. 14, art. 2, resp.: »Doch kommt es vor, dass das, was im Hinblick auf manches Ziel ist, doch auf ein anderes Ziel hingeordnet ist. So ist ja auch das, was Prinzip des einen Beweises ist, Schlusssatz eines anderen Beweises. Und daher kann, was in der einen Untersuchung als Ziel aufgefasst wird, in einer anderen Untersuchung als etwas, was auf ein Ziel bezogen ist, aufgefasst werden. Und so aufgefasst wird es ein Beratschlagen über es geben.« Man könnte Anscombes in Intention angedeutete und in Modern Moral Philosophy erweiterte Kritik an Gesetzesethiken vor diesem Hintergrund auch so verstehen, dass ihnen eine verfehlte, weil nach Bereichen fragmentierte Konzeption praktischer Vernunft zugrunde liegt. Es kann dann auch offenbleiben, ob Anscombes genealogische These zur Herkunft des Pflichtbegriffs aus dem Umfeld der Stoa und monotheistischer Religionen zutrifft. Zu diesem Punkt vgl. die Kritik von Schadow 2021. Dagegen allerdings die differenzierte Rekonstruktion bei Frey 2020. 314 Die inhaltliche Bestimmtheit wäre tugendethisch zu formulieren. Vgl. Anscombe 1989/2014: 57f. zur Rolle der Verstandestugend der Wohlberatenheit und NE VI, 10 für Aristoteles‘ Beschreibung der Wohlberatenheit als eine Art der Richtigkeit des Überlegens und Kennzeichen des Klugen. 313

242 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.4 Praktisches Wissen II: causa rerum intellectarum (§§ 45–48)

2) 3) 4)

Praktisches Wissen beruht nicht auf Beobachtung (A: § 28.80f.) Der Widerspruch zu einer Behauptung praktischen Wissens ist eine kontradiktorische Absichtserklärung (A: § 31.88) Bei fehlerhaftem praktischem Wissen liegt der Fehler nicht im Urteil, sondern in der fehlerhaften Handlungsausführung (A: § 2.16 und § 32.90)315

Diese Merkmale charakterisieren in unterschiedlicher Hinsicht das Verhältnis des praktischen Wissens zu dem, wovon es ein Wissen ist. Das erste Merkmal betrifft den Gegenstand dieses Wissens – ein tatsächliches Geschehen; das zweite den Modus bzw. die epistemische Grundlage – es ist ein direktes Wissen; das dritte und vierte Merkmal thematisieren die Möglichkeit von Fehlern und Widerspruch bei dieser Wissensform. Diese Punkte sind auch in den beiden Beispielen präsent, mit denen Ansombe die Untersuchung in § 45 wieder aufnimmt: (1) Stellen wir uns vor, jemand leite ein Projekt, beispielsweise die Errich­ tung eines Gebäudes, über die er weder durch Augenschein noch durch Berichte informiert wird, ausschließlich durch seine Anweisungen. Seine (offenbar übermenschliche) Vorstellungskraft tritt an die Stelle der Wahrnehmung, auf die sich der Leiter eines solchen Projekts im Normalfall stützen würde. Dabei ähnelt er nicht einem Menschen, der rein spekulativ darüber nachdenkt, wie man etwas tun könnte. Wer so verfährt, kann viele Dinge unentschieden lassen, während unser Mann alles in einer richtigen Reihenfolge bestimmen muß. Sein Wissen, von dem, was getan wird, ist praktisches Wissen. (A: § 45.127, kursiv i.Orig.)

In diesem Beispiel führt der Projektleiter nicht selbst die Handlung aus, sondern seine Absicht, ein Haus zu bauen, hat die Form von Anweisungen an die Bauarbeiter. Sein praktisches Wissen besteht nach diesem Beispiel weder in der Vorstellung der einzelnen Schritte noch in der Erwägung bzw. im spekulativen Durchspielen verschie­ dener Handlungspläne, sondern darin, dass das getan wird, was er in einer richtigen Reihenfolge anweist, so dass am Ende ein fertiges Gebäude errichtet wurde. Was aber, wenn die Anweisungen nicht oder nicht richtig befolgt werden? Reduziert sich sein Wissen dann Ich orientiere mich bei dieser Auflistung an Kietzmann 2020: 340f. Vgl. auch Müller 1991b, der sechs Merkmale unterscheidet und diskutiert.

315

243 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

am Ende doch auf eine Vorstellung, deren Wahrheitsgehalt letztlich davon abhängt, dass die Anweisungen genau befolgt werden? (2) Ich habe mit geschlossenen Augen ›Ich bin ein Dummkopf‹ an die Tafel geschrieben. Hätte ich, als ich angab, was ich geschrieben habe, nicht ›Das und das schreibe ich‹ sagen sollen, sondern vielmehr ›das und das schreibe ich, falls meine Absicht ausgeführt wird‹? (Ebd.)

In diesem Beispiel führt die beschriebene Person die Handlung selbst aus. Auch hier ist es denkbar, daher die im zweiten Satz formulierte Bedingung, dass die Absicht nicht ausgeführt wird, z.B. weil die Kreide zerbricht, so dass die Worte unleserlich werden. In beiden Beispielen sind die Merkmale (2) und, wie Anscombe ausdrücklich betont (A: § 45.128), (4) realisiert. Nun behauptet Ans­ combe verblüffenderweise aber auch, dass Merkmal (1) ebenfalls rea­ lisiert ist: Selbst wenn die Anweisungen des Projektleiters nicht befolgt oder die Absicht der schreibenden Person nicht erfüllt worden wäre, wäre das »Wissen das gleiche gewesen.« (Ebd.) – wie kann die­ ses Wissen aber ein Wissen von einer tatsächlichen Handlung, einem wirklichen Geschehen sein, wenn die Absicht unerfüllt bzw. die Anweisung nicht befolgt wird? Wenn also mein Wissen vom wirklichen Geschehen unabhängig ist, fragt es sich, inwiefern es Wissen vom wirklichen Geschehen sein kann. Man könnte meinen das sei doch eine komische Art von Wissen, das selbst dann Wissen ist, wenn selbst das, wovon es Wissen ist, gar nicht der Fall ist. (Ebd.)

Mit dieser Zuspitzung des Problems ausgehend von der Frage nach dem Verhältnis des praktischen Wissens zum Gewußten, entwickelt Anscombe nun ihre Lösung.316

Beschreibungen und ihre Kontexte Was sind die Implikationen der Behauptung, »Absicht« sei eine Beschreibungsform? Mit dieser Frage nimmt Anscombe die Erörte­ Am Ende von § 45 wirft Anscombe die Frage auf, ob man dieses Problem mit Hilfe eines Gedankens von William James umgehen könnte. Gegenstand des Willensaktes wäre demnach eine Vorstellung (idea). Eine Vorstellung entsteht in jedem Fall, d.h.

316

244 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.4 Praktisches Wissen II: causa rerum intellectarum (§§ 45–48)

rung des praktischen Wissens wieder auf. Das bietet sich deshalb an, weil uns das Einkaufslisten-Beispiel aus § 32 mit der Frage nach den Verhältnissen von Beschreibung zum Beschriebenen in den Wissens­ modi des Kontemplativen und des Praktischen Wissens zurückgelas­ sen hatte. Man könnte nun annehmen, dass es Tatsachen sind, die die Beschreibung eines Geschehens – das Anschreiben von »Ich bin ein Dummkopf« an eine Tafel im Gegensatz zu anderen Arten von Bewe­ gungen – zu dem machen, was auf diese Weise beschrieben wird. Wenn es um die Beschreibung von Handlungen geht, ist es die Fähig­ keit, Handlungsbegriffe im Zusammenhang mit der Warum-Frage anzuwenden, die wesentlich die Art bestimmt, wie bestimmte Vor­ gänge klassifiziert werden: »Wird etwas, was in der Welt vor sich geht als ›ein Haus Bauen‹ oder ›einen Satz an die Tafel schreiben‹ gekenn­ zeichnet, verwendet diese Beschreibung Begriffe für menschliches Handeln.« (A: § 46.130) Allerdings hatte schon die Diskussion des Pumpenbeispiels (§§ 23–26) ergeben, dass es keine von Praktiken und Kontexten unabhängige Beschreibung der vielen Vorgänge gibt, die von der Bewegung des Pumpenschwengels zu den toten Bewoh­ nern des Hauses führt. Die Warum-Frage stellt sich selbst nicht kon­ textunabhängig. Um ihre logische Aufgabe erfüllen zu können, ver­ schiedene Vorgänge zu einer einheitlichen als absichtlich beschreibbaren Handlung zu ordnen, benötigt sie Anknüpfungs­ punkte, von denen her sich erschließt, was jemand, der diese Frage stellt, in Erfahrung bringen will. Das Interesse, etwas im Hinblick auf eine komplexe Reihe von Vorgängen zu erfahren, leitet die Untersu­ chung, wie Anscombe festhält, indem sie Wittgenstein zitiert (vgl. ebd.). Im Falle der Tötung der Hausbewohner können das die kausalen Faktoren sein. Auf sie lassen sich wiederum Beschreibungen beziehen, die helfen zu beantworten, wer aus welchem Grund für den Tod der Hausbewohner verantwortlich ist (ebd.: 129f.). Was für so eine Unter­ unabhängig davon, was tatsächlich geschieht, »und wenn nicht, dann gibt es hier auch kein Wollen und somit kein Problem.« (A: § 45.128) Ein idealer Willensakt wäre dann ein performativer Sprechakt, also ein Akt, bei dem etwas herbeigeführt wird, indem es gesagt wird. Solche Akte sind allerdings in einer Weise konventionsabhängig (das Schenken in Anscombes Beispiel setzt Eigentum voraus), wie es bei Willensakten normalerweise nicht der Fall ist. James‘ Konzeption löst das Problem aber nicht, denn das Haben einer Vorstellung ist gerade kein praktisches Wissen, wie aus den beiden Beispielen hervorgeht. Schulte (2011: 159) verweist auf eine mögliche Quelle für die­ sen Gedanken in James‘ Principles of Psychology. Vgl. dazu auch Bayne 2010: 153.

245 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

suchung relevant ist und was nicht, hängt von solchen, die Fragerich­ tung vorgebenden und damit die Untersuchung leitenden Interessen ab. So lassen sich bestimmte Vorgänge als Handlungen beschreiben, und das ist deshalb möglich, weil man etwas Bestimmtes über diese Vorgänge erfahren will. Die begriffliche Fähigkeit, Warum-Fragen zu stellen, hat in solchen Zusammenhängen ihren Ort. Tatsachen, auf die man sich dabei beziehen kann, sind ihrerseits Beschreibungen im Vergleich zu denen andere Vorgänge beschrieben werden können. In Nackte Tatsachen, ein grundlegender Aufsatz, der ein Jahr nach Inten­ tion veröffentlich wurde, führt Anscombe den Gedanken aus, dass Tatsachen immer nur relativ auf andere Tatsachen als »nackt« ange­ sprochen werden können. Ihr Beispiel ist ein Gemüsehändler, der vor ihrem Haus einen Sack Kartoffeln abgelegt hat. Diese Tatsache ist »nackt« relativ auf die Tatsache, dass dieser Händler die Kartoffeln geliefert hat, woraus man wiederum schließen könnte, dass die belie­ ferte Person dem Händler eine bestimmte Summe schuldet: Verglichen mit dem Liefern von Kartoffeln an mich lassen sich der Transport und das Ablegen eines Viertelzentners Kartoffeln vor mei­ nem Haus als eine ›nackte Tatsache‹ bezeichnen. Aber verglichen mit der Tatsache, dass ich dem Händler die und die Summe Geld schulde, ist es wiederum eine ›nackte Tatsache‹, dass er mir Kartoffeln geliefert hat. Bezüglich vieler Beschreibungen angeblicher Ereignisse und Sachverhalte lässt sich fragen, worin dabei die ›nackten Tatsachen‹ bestehen. (Anscombe 1958b/2014: 12)317

Wie man von einer Tatsachenbeschreibung zu einer anderen über­ geht, ist immer abhängig vom Kontext und den Fragen, vor deren Hintergrund Zusammenhänge zwischen Tatsachen behauptet wer­ den.318 Das gilt auch für die Beschreibung von Handlungen, bei denen Sie wendet sich damit gegen die auf Hume zurückgehende Vorstellung, man könne institutionelle Tatsachen von natürlichen »nackten« Tatsachen kategorial trennen. Diese Vorstellung liegt auch dem Gedanken des Sein-Sollen-Fehlschlusses zugrunde. 318 So könnte das Ablegen der Kartoffeln auch Teil einer Filmproduktion sein (Ans­ combe 1958b/2014: 10). Eine vollständige Beschreibung eines Kontextes, die es erlauben würde solche Verhältnisbestimmungen wahr zu machen oder die Bedeutung bestimmter Beschreibungen festzulegen, kann es nicht geben: »Jede Beschreibung setzt den Kontext einer üblichen Verfahrensweise voraus, doch dieser Kontext selbst ist noch nicht einmal implizit Teil der Beschreibung. Zwar können außergewöhnliche Umstände einen Unterschied machen, aber man zieht sie nicht grundlos in Betracht.« (Ebd., 12) Auf die Bedeutung dieses Aufsatzes für die Thematik der Beschreibungsab­ hängigkeit von Handlungen in Intention macht Wiseman 2016a: 42ff. aufmerksam. 317

246 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.4 Praktisches Wissen II: causa rerum intellectarum (§§ 45–48)

man es auch mit verschiedenen Beschreibungsebenen zu tun hat, die zueinander ins Verhältnis zu setzen sind: I put ink on paper in the form of letters. I am writing something. I am in fact signing something with my name. And I’m thereby joining in a petition to the governor of the state – or prison – where I am important. I am taking part in a campaign to get people tortured under interrogation. In doing this I am keeping a promise. I am avoiding trouble with some conspirators who have got me to promise to do that. (Anscombe 1993/2005: 149)319

Was tut diese Person genau? Eine vom Fragekontext unabhängige Antwort darauf gibt es nicht. Wenn man das beachtet, erscheinen die Bewegungen, die mit Hilfe von Begriffen für menschliche Handlungen beschrieben und klassifiziert werden, nicht einfach als unabhängig von solchen Beschreibungen existierende mögliche Gegenstände für die WarumFrage, sondern es verhält sich gerade umgekehrt: Wir beschreiben solche Bewegungen als absichtliche Handlungen, weil unser Denken und unsere Sprache über diese Begriffe verfügen. Die Beschreibungs­ formen hängen nicht von der Existenz bestimmter Ereignisse ab, die sich auf diese Weise ansprechen lassen. Das ist der Witz von Ans­ combes Behauptung, dass es ohne die Existenz der Warum-Frage die Beschreibungsform »Ausführung einer Absicht« nicht gäbe (vgl. A: § 46.129). Sie meint damit, dass wir über die Beschreibungsform »Ausführung einer Absicht« nicht unabhängig davon verfügen, dass ein Geschehen die Ausführung einer Absicht sein kann und die Warum-Frage in diesem für absichtliche Handlungen spezifischen Sinn Anwendung finden kann. Zum Verständnis dieses Zusammenhangs von Beschreibungs­ form und Warum-Frage ist die Analogie zum Verständnis schriftlicher Zeichen, die Anscombe heranzieht, aufschlussreich (vgl. ebd.): Wir verfügen über den Begriff eines bedeutungsvollen sprachlichen Zei­ chens nicht unabhängig davon, dass Zeichen, in Anscombes Beispiel Kreidestriche auf einer Tafel, einen semantischen Inhalt besitzen, so dass wir die Frage »was bedeutet das?« anwenden können. Indem diese Frage gestellt wird, sind die Zeichen bereits als eine semantische gehaltvolle Einheit aufgefasst. Das, wonach hier gefragt wird, hätte diese Einheit nicht, wenn das semantische Verständnis, das mit dieser 319

Diese Stelle zitiert Wiseman 2016a: 43f.

247 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

Frage zum Ausdruck gebracht wird, nicht selbst schon existieren würde. Das Interesse am Verständnis semantisch gehaltvoller Zeichen setzt nicht damit ein, dass wir Geräusche wahrnehmen oder Kritze­ leien sehen und wir uns dann fragen, was sie bedeuten. Ebenso wenig bezieht sich unser Interesse an Handlungen auf Körperbewegungen, die uns dann dazu veranlassen, die Warum-Frage an sie heranzutra­ gen.320 Vielmehr wird mit der Warum-Frage ein Geschehen als eines angesprochen, das unter die besondere Form, die als »Ausführung einer Absicht« bezeichnet wird, fällt. Das in § 45 aufgeworfene Problem ist damit allerdings noch nicht geklärt. Insbesondere fragt sich, inwiefern die Fähigkeit, das eigene Handeln ohne Beobachtung unter solche Beschreibungsformen zu bringen, praktisches Wissen konstituiert. Auch die Beantwortung der Frage nach dem Verhältnis dieses Wissens zum beschriebenen Geschehen wird in § 46 zunächst nur vorbereitet.

Thomas von Aquins Formel Um diese Fragen zu beantworten, wende ich mich nun direkt der Passage zu, in der Anscombe mit Bezug auf Thomas von Aquin das Wesen des praktischen Wissens bestimmt. Das Thomas-Zitat erscheint als Abschluss einer längeren Untersuchung zur Form der Beschreibung absichtlicher Handlungen. Sie nennt dort, indem sie die bisherige Argumentation zusammenfasst, zwei Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit die Aquin’sche Definition gilt: Wo (a) die Beschreibung eines Vorgangs derart ist, daß es sich formal gesehen um die Beschreibung einer ausgeführten Absicht handelt, und (b) der Vorgang (nach unseren Kriterien) tatsächlich die Ausführung einer Absicht ist, dort gilt, was Thomas von Aquin zur Erklärung des Wesens des praktischen Wissens sagt, nämlich: Praktisches Wissen sei die ›Ursache dessen, was es versteht‹ im Gegensatz zu ›spekulativem

Ich folge hier Schwenkler 2019: 164. Das alles heißt freilich nicht, dass ein Geschehen dadurch zu einer Handlung wird, dass die Warum-Frage darauf bezogen wird, sondern indem man diese Frage stellt, repräsentiert man es als absichtliche Handlung. Ebenso werden Kritzeleien an der Tafel nicht dadurch zu bedeutungsvollen Zeichen, dass nach der Bedeutung gefragt wird, sondern indem man fragt, werden sie als bedeutungsvoll repräsentiert. 320

248 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.4 Praktisches Wissen II: causa rerum intellectarum (§§ 45–48)

Wissen‹, das ›von den gewußten Dingen hergeleitet ist‹. (A: § 48.135)321

Dieses Zitat wirft einige Fragen auf: Warum müssen beide Bedingun­ gen erfüllt sein und wie unterscheiden sie sich voneinander? Außer­ dem kann man fragen, welche Kriterien Anscombe in Bedingung (b) meint. Für die Antwort darauf kann man auf ihre Ausführungen zur Form von Ereignisbeschreibungen aus § 47 zurückgreifen. Ereignisse werden in der Form »absichtliche Handlung« beschrieben, wenn in den Beschreibungen Verknüpfungen mit »um zu« oder »weil« vor­ kommen, die auf mögliche Antworten auf die Warum-Frage verwei­ sen: So kommt es vor, daß wir von der Beschreibungsform ›absichtliche Handlungen‹ und von den Beschreibungen reden können, die innerhalb dieser Form vorkommen, wobei festzuhalten ist, daß die Sinnhaftigkeit einiger dieser letzteren Beschreibungen von der Existenz der Beschrei­ bungsform abhängt, während das bei anderen nicht der Fall ist.« (A: § 47.131)

Anscombe unterscheidet hier zwischen der Beschreibungsform »absichtliche Handlungen« und Beschreibungen, die innerhalb dieser Form vorkommen. Die Unterscheidung soll offensichtlich auf ein Bedingungsverhältnis zwischen Beschreibungsformen aufmerksam machen. Eine Beschreibung kommt innerhalb der Beschreibungsform »absichtliches Handeln« vor, wenn in ihr die erwähnten Verknüp­ fungswörter vorkommen, so dass sich das beschriebene Ereignis als Ausführung einer Absicht verstehen lässt. Die Beschreibung »Ich 321 Die Stelle lautet bei Thomas von Aquin: »Der Mensch wird aber durch den praktischen Verstand, der Ursache der erkannten Dinge ist (qui est causa rerum intel­ lectarum), Gott mehr verähnlicht (magis assimilatur deo) als durch den theoretischen Verstand, dessen Wissen von den Dingen empfangen wird.« (STh Ia-IIae q3, art. 5) Thomas von Aquin erwähnt hier lediglich eine mögliche These zur Frage, ob das Glück eher eine Tätigkeit der praktischen oder der theoretischen Vernunft ist. Er spezifiziert außerdem die kausale Relation. Demnach ist praktische Vernunft das Maß der Dinge, während der spekulative Intellekt sein Maß an den Dingen hat. Wenn daher mensch­ liche Handlungen solche sind, die unter der Leitung der praktischen Vernunft stehen, hängt die Möglichkeit dieses Handelns auch von dem Wissen ab, das seine Quelle in der praktischen Vernunft hat. Insofern scheint Thomas von Aquin, so wie Anscombe es ihm zuschreibt, einen konstitutiven Zusammenhang zwischen praktischem Wissen und intentionalem Handeln herzustellen. Zu Anscombes möglichen Quellen im Werk Thomas von Aquins vgl. Schwenkler (2015: 10–13), Schwenkler (2019: 157–161) sowie Doyle (2019: 29f.).

249 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

schlittere auf dem Eis, weil ich so guter Laune war« (ebd.) repräsen­ tiert als solche mein Auf-dem-Eis-Schlittern als eine absichtliche Handlung. Allerdings sind Kontexte denkbar, in denen ein »Auf-demEis-Schlittern« nicht in dieser Form vorkommt. Ein Beispiel wäre: »Ich schlittere auf dem Eis, weil kein Salz gestreut wurde.«322 Hier ist das »weil« nicht als Angabe eines Handlungsgrundes zu verstehen. Das kann deshalb vorkommen, weil die Beschreibung »auf dem Eis schlittern« unabhängig davon verständlich ist, ob man über die Form der Beschreibung absichtlicher Handlungen verfügt.323 Das ist bei Ereignisbeschreibungen wie »jemanden beleidigen« oder »telefonie­ ren« anders. Solche Ereignisbeschreibungen kann man nur unter der Voraussetzung verstehen, dass es die Form der Beschreibung absichtlicher Handlungen gibt. Wenn es sie nicht gäbe, gäbe es auch keine Vorgänge, die man als »jemanden beleidigen« oder als »telefonieren« beschreiben kann. In diesen Fällen ist die Form der Beschreibung absichtlicher Handlungen dem Sinn dieser Ereignisbe­ griffe eigen (ihnen ist die Rationalität der Zweck-Mittel-Form imma­ nent).324 Das heißt nicht, dass die auf diese Weise beschriebenen Handlungen nur absichtlich geschehen können. Für das »Beleidigen« gilt das gerade nicht.325 Da Beschreibungen dieses Typs die Form der Beschreibung absichtlicher Handlungen voraussetzen, weisen sie über sich hinaus. Sie repräsentieren das Getane oder das Tun als etwas, das um eines anderen willen getan wurde oder wird. Je nachdem, ob die Warum-Frage Anwendung findet oder nicht, handelt es sich dann formal um Beschreibungen ausgeführter Absichten. Für Beispiele wie »telefonieren« gilt das hingegen nicht. Beschreibungen dieses Typs repräsentieren einen Vorgang formal immer als Ausführung einer Absicht: Die Klasse solcher Beschreibungen, die von der Existenz dieser Beschreibungsform abhängen, bildet einen sehr großen und zugleich den wichtigsten Teil jener Beschreibungen von Dingen, die durch die Bewegungen von Menschen herbeigeführt werden und die Geschichte Für diese Interpretation und das Beispiel vgl. Doyle 2019: 32. An diesem Beispiel wird noch einmal gut deutlich, dass es nicht der Inhalt ist, der eine Ereignisbeschreibung als Ausdruck eines bestimmten Ereignistyps qualifiziert, sondern nur ihre Form. Bei absichtlichen Handlungen ist das die Möglichkeit, die Warum-Frage im Hinblick auf Handlungsgründe anzuwenden. 324 So Schwenkler 2019: 165. 325 Vgl. die tabellarische Gegenüberstellung solcher Beschreibungsformen in A: § 47.132. 322

323

250 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.4 Praktisches Wissen II: causa rerum intellectarum (§§ 45–48)

eines menschlichen Tagesablaufs oder eines Menschenlebens ausma­ chen. (Ebd.: 130)326

Vor dem Hintergrund dieser Differenzierungen können nun die Bedingungen a) und b) für praktisches Wissen erklärt werden. Ans­ combe wurde so verstanden, dass damit eine Definition gegeben wird.327 Mir scheint allerdings die schwächere Lesart plausibler, wonach lediglich die Bedingungen genannt werden, unter denen Thomas von Aquins Bestimmung des praktischen Wissens zutrifft.328 Danach geben die beiden Bedingungen als Zusammenfassung der vorangehenden Überlegungen (aus den §§ 47 und 48) an, was es heißt, dass praktisches Wissen Ursache dessen ist, was es versteht. Die Beschreibung eines Vorgangs muss, erstens, derart sein, dass die Warum-Frage im besonderen Sinn der Angabe von Handlungsgrün­ den anwendbar ist. Das ist insofern nicht trivial als es Ereignisbe­ schreibungen gibt, bei denen das nicht unmittelbar der Fall ist – »auf dem Eis schlittern« wäre so ein Beispiel. Und auch dann, wenn wir es mit einer Beschreibung zu tun haben, die schon als solche in den Anwendungsbereich absichtlichen Handelns fällt, kann die WarumFrage unter einer anderen Beschreibung dieses Vorgangs abgewiesen werden. Es muss sich außerdem, zweitens, tatsächlich um die Aus­ führung einer Absicht handeln, und zwar nach den Kriterien, die Ans­ combe schon vorher entwickelt hatte: der Handelnde muss ohne Vgl. dazu Schwenkler 2019: 166. Wenn man die beiden Bedingungen so versteht, stellen sich weitere Fragen danach, wie sie sich logisch zueinander verhalten: Sind sie redundant? Handelt es sich um hinreichende und/oder notwendige Bedingungen? Vgl. Setiya 2017: 159f. 328 So Wiseman (2016a: 174f.) und Doyle (2019: 35–38). Allerdings folge ich Doyles Interpretation dieser Passage (ebd., 33f.) dennoch nicht. Nach seinem Verständnis soll Bedingung a) verlangen, dass eine Beschreibung dem Typus »Beschreibung einer aus­ geführten Absicht« genügen soll. Bedingung b) dagegen, dass das beschriebene Ereig­ nis wirklich eine ausgeführte Absicht ist. Das soll dann der Fall sein, wenn ein Ereignis in der Beschreibungsform »absichtliche Handlungen« vorkommt, d.h. die WarumFrage anwendbar ist. Die Anwendbarkeit der Warum-Frage gilt, jedenfalls nach mei­ nem Verständnis, aber auch für Bedingung a). Es fällt auch auf, dass Doyle nicht auf den Einschub »nach unseren Kriterien« eingeht. Ich vermute, dass er zu dieser Inter­ pretation kommt, weil er die Unterscheidungen Anscombes, die dem Aquin-Zitat vorausgehen, als Klassifikation von Beschreibungsformen entlang einer Type-TokenDifferenz interpretiert. Das Prinzip einer solchen Klassifikation wird bei ihm jedoch nicht klar. Nach meiner Interpretation unterscheidet Anscombe in § 47 einfach Ereig­ nisbeschreibungen im Hinblick darauf, wie sie sich zur Form der Beschreibung absicht­ licher Handlungen verhalten. Ich komme im nächsten Kapitel noch einmal auf diese Klassifikation zurück. 326

327

251 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

Beobachtung wissen, was er tut. Außerdem muss, wenn das Gesche­ hen nicht mit dem übereinstimmt, was der Handelnde sagt, der Fehler in der Ausführung der Handlung liegen.329 Wenn also a) und b) zutreffen, dann ist es das praktische Wissen des Handelnden, das dafür sorgt, dass das, was er tut, formal unter die Beschreibung »Aus­ führung einer Absicht« fällt. Nach dieser Interpretation ist klar, dass in Thomas von Aquins Definition nur die aristotelische causa formalis gemeint sein kann. Nach Aristoteles ist die Formursache »die Gestalt und das Gestaltmuster, d. h. de[r] wesentliche Begriff des Gegen­ stands und die übergeordneten Gattungen zu diesem Begriff […], wie schließlich auch die Definitionsstücke zu diesem Begriff«.330 Die For­ mursache gibt als Antwort auf eine Warum-Frage an, was etwas ist.331 Die »Definitionsstücke«, die Aristoteles hier erwähnt, sind im Fall von Handlungen die Beschreibungen eines Geschehens, die es als »Ausführung einer Absicht« bestimmen, wobei die Warum-Frage auf Handlungsgründe abzielt. Das Wissen der handelnden Person kon­ stituiert insofern die Handlung und ist Bestandteil des gewussten Geschehens.332

Es gilt also das Prinzip des Theophrast, das schon in §§ 2 und 32 bekannt ist. Vgl. wiederum Doyle 2019: 26–30, der die Stelle aus den Magna Moralia für die Deutung dieser Passage heranzieht. Vgl. dagegen jedoch Schwenkler 2019: 169. Ihm zufolge meint Anscombe nur die epistemischen Kriterien, die sie in §§ 6–8 aufstellt. 330 Phys. II, 3, 194b27–30. Dass Anscombe tatsächlich die aristotelische Formursa­ che meint, ist zunächst gar nicht gesehen worden (so z.B. Velleman 1989: 103). Inzwi­ schen ist das aber unumstritten (vgl. jedoch Schwenkler 2019: 173ff., der die Mög­ lichkeit einer effizient-kausalen Komponente diskutiert). Der effizient-kausale Aspekt beim absichtlichen Handeln wurde im Zusammenhang mit dem praktischen Syllo­ gismus diskutiert (vgl. oben S. 216–222). Davidsons berühmtes Hauptargument gegen die intentionalistische These, wonach der Zusammenhang zwischen Grund und Handlung begrifflich sein muss, erscheint vor dem Hintergrund dieser Interpretation des praktischen Wissens als Formursache nur dann schlüssig, wenn man diese Mög­ lichkeit nicht berücksichtigt (vgl. Davidson 1963/1990: 28–30 und dazu auch oben S. 39f.). 331 Für den Zusammenhang der Was- und der Warum-Frage sei hier noch einmal an die bereits zitierte Stelle aus Aristoteles‘ An. Post. II, 2, 90a15–18 erinnert (vgl. S. 156, Fn 188). 332 Vgl. Schwenkler 2019: 179: »It is insofar as the knowledge of what one is doing plays such a role that it stands as ›form‹ to the ›matter‹ of a Person’s bodily movements and their effects, and is something without which she could not be acting intentionally as she is.« Daher kann »das Geschehen ohne praktisches Wissen« tatsächlich nicht unter die Beschreibung »Ausführung von Absichten« fallen (vgl. A: § 47.135). 329

252 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.4 Praktisches Wissen II: causa rerum intellectarum (§§ 45–48)

Das Prinzip des Theophrast, das eines der Kriterien ist, damit die Definition des Thomas von Aquin zutrifft, spezifiziert den praktischen Modus des Wissens in zwei Hinsichten: Es nennt die spezifische Dif­ ferenz, wodurch praktisches Wissen sich von anderen Formen des Wissens ohne Beobachtung unterscheidet.333 Außerdem gibt es die besondere Relation an, in der das Gewusste im Fall des praktischen Wissens zum gewussten Geschehen steht. Beim kontemplativen Wis­ sen gelten Beschreibungen als wahr, die die beschriebenen Tatsachen richtig repräsentieren. Im praktischen Denken verhält es sich umge­ kehrt. Seine Aufgabe ist es nicht, einen Sachverhalt darzustellen. Daher gilt dasjenige als wahr, was die Beschreibungen, die jemand vom eigenen Handeln gibt, richtig bestimmt (vgl. Anscombe 1965b/ 2014: 314). Indem die handelnde Person das tut, was sie behauptet zu tun, macht sie das Beschriebene wahr.334 Wenn daher das Getane nicht mit dem übereinstimmt, was jemand sagt, dann liegt der Fehler nicht in dem, was die handelnde Person sagt, sondern in der Ausfüh­ rung der Handlung – wie das bereits besprochene Beispiel des Ein­ käufers mit einer Einkaufsliste zeigt.335 In solchen Fällen tragen die Tatsachen gewissermaßen die Last des Irrtums.336 Wer einen solchen Fehler macht, ändert nicht die Beschreibung des Geschehens, sondern stellt fest, dass seine Absicht nicht ausgeführt wurde. Der Fehler besteht nicht darin, dass Handlungsbeschreibung und Tun nicht über­ einstimmen, sondern darin, dass die Person nicht das getan hat, was sie behauptet.337 Hat diese Person dann trotzdem praktisches Wissen von dem, was sie tut? Wie wir schon im Zusammenhang mit den bei­ den Beispielen aus § 45 gesehen haben, bejaht Anscombe das (vgl. A: § 45.128). Nun verstehen wir besser, warum; und wenn kein Fehler im praktischen Denken vorliegt, ist das nach dieser Interpretation auch richtig.338 Zu Anscombes Verständnis von beobachtungsfreiem Wissen vgl. oben S. 115-123. Menschen, denen dieser Gedanke Schwierigkeiten bereitet, pflegte Anscombe folgende Erklärung zu geben: »›ich werde jetzt wahr machen, dass ich auf diesem Tisch bin‹, und dann auf den Tisch steige. Ob ich es auch wahr mache, dass meine Zuhörer mich verstehen, weiß ich nicht.« (Anscombe 1989/2014: 56, Fn. 26) 335 Vgl. A: § 32.90 und meine Ausführungen dazu auf S. 203-206. 336 Hier sei an eine bereits zitierte (und kommentierte) Stelle aus § 2 erinnert: »In manchen Fällen ist es sozusagen ein Einwand gegen die Fakten, wenn sie nicht mit den Worten in Einklang stehen – und nicht umgekehrt.« (A: § 2.16); dazu oben S. 76f. 337 Es muss daher heißen: »Was du getan hast, war ein Fehler, denn es stimmt mit dem, was du gesagt hast, nicht überein.« (A: § 32.90) 333

334

253 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

Ich habe das systematische Problem, für das der Begriff des praktischen Wissens die Lösung bieten soll, an der Asymmetrie zwischen erst- und drittpersonaler Perspektive bei der Beschreibung absichtlicher Handlungen festgemacht. Das Problem mentalistischer Auffassungen dieser Asymmetrie war, dass sie die als einheitliches Phänomen identifizierbare Handlung in einen mentalen und einen beobachtbaren Gegenstand zerlegen müssen. Anscombe vermeidet das: Entscheidend ist nicht die Unterscheidung zwischen Gegenstän­ den des Wissens und ihren Bereichen, sondern der Wissensformen. Wie das zu verstehen ist, kann man nun abschließend erläutern, indem die zu Beginn dieses Abschnitts genannten Merkmale prak­ tischen Wissens um drei weitere Merkmale ergänzt werden. Zur Erinnerung: das erste Merkmal betraf den Gegenstand bzw. Inhalt des praktischen Wissens. Es ist die eigene, unter einer Beschreibung identifizierte Handlung. Aus ihrer erstpersonalen Perspektive weiß die handelnde Person – zweites Merkmal – ohne Beobachtung, was geschieht. Sie kann nicht nur sagen, was sie tut, sondern, wie man nun die bisherige Erläuterung des beobachtungsfreien Wissens ergänzend festhalten kann, sie muss sich nicht erst als diejenige identifizieren, die die Handlung ausführt. Andernfalls müsste sie sich beim Handeln beobachten, was widersinnig ist. Praktisches Wissen ist daher erstpersonal, nicht alle Formen erstpersonalen Wissens sind aber praktisch.339 338 Nach den Ausführungen zum praktischen Syllogismus würde so ein Fehler immer vorliegen, wenn falsch berechnet wurde, z.B. wenn die handelnde Person eine Situation nicht richtig einschätzt, falsch urteilt und daher ungeeignete Mittel wählt. Wenn die Person aber keine Fehler im praktischen Denken und Urteilen begeht, hat sie praktisches Wissen, wenn sie ihre Absicht ausführt. Wenn die Handlung misslingt, liegt der Fehler, um es noch einmal zu betonen, in der Ausführung, nicht aber in der Beschreibung des Vorgangs. Die Frage, ob es praktisches Wissen von misslingenden Handlungen gibt, gehört zu den umstrittenen Problemen im Zusammenhang mit Anscombes Konzeption des praktischen Wissens. Vgl. zu dieser Problematik Kietzmann 2020 sowie Börchers 2020. Alternative neuere Deutungen dazu finden sich bei Schwenkler 2019: 180–184 und Doyle 2019: 43–46. 339 Diese Einschränkung wird manchmal übersehen, wenn praktisches Wissen als beobachtungsfreies Wissen an selbstbewusstes, erstpersonales Wissen angenähert wird (vgl. oben S. 116f.). Unter »Selbstbewusstsein« versteht man die eigentümliche Art und Weise, in der wir um uns selbst wissen. So weiß man offensichtlich um sich selbst nicht so, wie man um Sachverhalte in der Welt weiß – durch beobachtende Erfahrung. Das kann man an einem Merkmal festmachen, das als Immunität gegen Irrtum durch falsche Identifizierung bezeichnet wird (vgl. Shoemaker 1968 und Evans 1982). Der Gedanke geht auf eine berühmte Passage in Wittgensteins Blue Book

254 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6.4 Praktisches Wissen II: causa rerum intellectarum (§§ 45–48)

Die Form des praktischen Wissens wird durch das vierte Merk­ mal, das Prinzip des Theophrast, negativ charakterisiert: Bei fehler­ haftem praktischem Wissen liegt der Fehler nicht im Urteil, sondern in der fehlerhaften Handlungsausführung.340 Für die formale Cha­ rakterisierung kommen nun drei weitere Merkmale ins Spiel: Wie aus der Interpretation der Formel des Thomas von Aquin deutlich wurde, bringt die handelnde Person – fünftes Merkmal – das Gewusste auf­ grund ihres Wissens hervor. Praktisches Wissen ist Ursache seines zurück. Dort unterscheidet Wittgenstein zwischen dem Subjekt- und dem Objektge­ brauch des Personalpronomens »Ich«, denen jeweils unterschiedliche Möglichkeiten des Irrtums entsprechen. Wenn jemand beispielsweise sagt »Ich habe eine Beule auf der Stirn« kann es wahr sein, dass jemand eine Beule auf der Stirn hat, dieser Jemand aber nicht ich bin. Das wäre ein Beispiel für den Objektgebrauch von »Ich«. Hier ist die Möglichkeit des Irrtums, wie Wittgenstein schreibt, »vorgesehen.« (BB: 106) Der Subjektgebrauch liegt bei Sätzen wie dem folgenden vor: »Ich habe Zahnschmerzen« – hier mag es zwar vorkommen, dass sich die Person darin irrt, Zahnschmerzen zu haben, sie kann sich aber nicht irren, dass sie selbst es ist, die diese Schmerzen hat. Eine Fehlidentifikation wie beim Objektgebrauch ist hier ausgeschlossen. Daher hält Wittgenstein fest: »Die Frage ›Bist du sicher, daß du es bist, der Schmerzen hat?‹ wäre unsinnig.« (BB: 107) In diesem Sinn ist der Satz »ich habe Zahnschmerzen« immun gegen Irrtum durch Fehlidentifikation. Das gilt auch für Sätze, mit denen man seine eigenen absichtlichen Handlungen beschreibt. Auch hier kann man, wie gesehen, Fehler machen, aber man kann sich nicht darin irren, dass man selbst es ist, der Φ-t, wenn man sagt »ich Φ-e«. Das kann dazu verleiten, das beobachtungsfreie praktische Wissen, das man von den eigenen absichtlichen Handlungen hat, mit dieser Art von erstpersonalem Wissen zu identifizieren. Wenn meine Interpretation zutrifft, ist das aber nicht der Fall, denn dann bleibt das Praktische des praktischen Wissens unver­ ständlich, und dieses Wissen wird in der Tat zu etwas Mysteriösem. So schreibt Charles Larmore (2017: 75) mit Bezug auf Anscombe: »[Es] müsste […] ein magisches Wissen sein, das seinen Gegenstand selbst hervorbrächte und deshalb ›die Ursache dessen wäre, was es versteht‹ […]. Ein ›praktisches Wissen‹, so wie Anscombe es definiert, kann überhaupt kein Wissen sein. Freilich erkennt ein Handelnder normalerweise die Absicht seines Handelns (d.h., was genau er tut) besser als jeder andere, und dieses Wissen rührt natürlich daher, dass er der Handelnde ist.« Wie meine Interpretation deutlich gemacht haben dürfte, ist das aber nicht Anscombes Position. Praktisches Wissen ist keine »unmittelbare, präreflexive Beziehung des Selbstwissens zu sich selbst« (Larmore 2012: 85). Der Handelnde weiß daher nicht besser als jeder andere, was er tut. »Beobachtungsfrei« ist, wie bereits erläutert, keine erkenntnistheoretische oder bewusstseinsphilosophische Kategorie, sondern eine logisch-grammatische. Sie verweist auf die Kriterien für die richtige Ausübung begrifflicher Fähigkeiten; im Fall des absichtlichen Handelns, die Fähigkeit, das zu beschreiben, was man dabei ist zu tun. Vgl. auch Larmore 2012: 95f. Zu Anscombes eigenem Verständnis der ersten Person vgl. Anscombe 1974/2014. 340 Das dritte Merkmal, das die Frage des Widerspruchs zu Absichtsäußerungen betraf, wurde bereits in § 31 erläutert.

255 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

6. Die Form absichtlicher Handlungen

Gegenstandes im erläuterten Sinne der Formursache, und nicht vom Gegenstand abgeleitet. Das sechste Merkmal verweist auf den Zusam­ menhang von praktischem Denken und praktischem Wissen. Seine Form im engeren Sinne ist die Zweck-Mittel-Struktur, die durch die Warum-Frage explizit gemacht wird. Ihre Aufgabe ist es, auf weitere Absichten zu verweisen, die als Prämissen eines praktischen Schlusses auftreten können, um dafür zu sorgen, dass das Geschehen nicht als eine zufällige Abfolge von unabhängigen Ereignissen erscheint, son­ dern als zielgerichtete Bewegung. Die logische Ordnung von Beschreibungen eines Geschehens entlang der Warum-Frage lässt sich sowohl aus erstpersonaler Perspektive als praktisches Überlegen bzw. als praktischer Syllogismus denken als auch als eine beobacht­ bare teleologische Ordnung von Ereignisbeschreibungen aus der drittpersonalen Perspektive. Das praktische Wissen ist das Wissen, das eine Person von dieser Form im Vollzug ihres Handelns, ihres wirklichen Tuns hat. Es ist dieses Wissen, das die Handlung bestimmt und beim Ausführen der Absicht wirksam ist. Deshalb gehört zum praktischen Wissen immer auch das Wissen, »wie man bestimmte Dinge tut.« (A: § 48.136) Mit diesem Merkmal, dem siebten, bringt Anscombe ihren Begriff des praktischen Wissens mit der gewöhnli­ chen Bedeutung dieses Ausdrucks in Verbindung. Sie unterscheidet diese Fähigkeit von anderen Fähigkeiten, wie zum Beispiel das Alpha­ bet auswendig können, indem sie sie direkt mit der durch die WarumFrage explizit gemachte A – D-Reihe in Verbindung bringt: »Im Fall des praktischen Wissens ist die Ausübung der Fähigkeit nichts ande­ res als die Ausführung oder Steuerung der Verrichtungen, von denen man praktisches Wissen hat [...]. [W]as man im Fall des praktischen Wissens bewirkt, ist formal gesehen als möglicher Gegenstand unsere Warum-Frage gekennzeichnet« (ebd.). Da die A – D-Reihe immer auch vom identifizierten Handlungsprinzip aus über die Wie-Frage als D – A-Reihe dargestellt werden kann, mag zur näheren Erläute­ rung dieses Merkmals auf die Rolle der Wie-Frage verwiesen sein. Sie erfasst die für praktisches Überlegen und absichtliches Handeln glei­ chermaßen notwendige Dimension der Mittelwahl und ihrer Anwen­ dung.341 341 Zur Wie-Frage vgl. oben S. 166 und 227f. Über den Zusammenhang von prakti­ schem Wissen von der eigenen absichtlichen Handlung und knowing how im Sinne Ryles vgl. Börchers 2020. Vgl. auch Müller 1991b: 553, der dieses Merkmal unter dem Titel »Ausführungskompetenz« diskutiert.

256 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

7. Wollen, Absichten und noch einmal – Vorhersagen (§§ 49–52)

7.1 Einleitung Mit § 49 kommt die Untersuchung des absichtlichen Handelns und der Absichten, mit denen Handlungen ausgeführt werden, wie Ans­ combe nun festhält, zum Abschluss (vgl. A: § 50.139). In den ver­ bleibenden drei Abschnitten nimmt sie noch einmal die Thematik der zukunftsbezogenen Absichtsäußerungen, insbesondere deren Ver­ gleich mit Vorhersagen auf. Eine Frage war dabei offengeblieben: Wie ist der Fall des Petrus zu verstehen, der, ohne sich anders zu besinnen, Jesus nicht verleugnen wollte, es aber dennoch absichtlich getan hat.342 In § 49 geht es jedoch zunächst um eine Unterscheidung, die im Verlauf der Abhandlung nur im Ansatz geklärt wurde: die Unter­ scheidung zwischen dem Absichtlichen und dem Willentlichen (the voluntary).343 Es ist beobachtet worden, dass Anscombe diesen hand­ lungstheoretischen Grundbegriff auf eine erstaunliche Weise ver­ nachlässigt. So schreibt John Hyman: »Anscombe says at the begin­ ning of Intention that ›the object of the whole enquiry is really to delineate such concepts as the voluntary and the intentional‹, but she gives voluntariness short shrift. In fact, she devotes exactly two pages to it.«344 Nach Hyman erstaunt das umso mehr als der Begriff des Willentlichen ein grundlegender Begriff der Ethik ist.345 Man kann

Zur Erinnerung noch einmal die entscheidende Stelle aus § 2: »So hat sich […] Petrus, was die Verleugnung Christi betrifft, zwar nicht anders besonnen, aber es wäre dennoch nicht richtig zu behaupten, er habe gelogen, als er Jesus die Treue gelobte.« (A: § 2.16) 343 Zur Problematik der Übersetzung dieses Ausdrucks vgl. die Fußnote 37 in Kap. 2.4. 344 Vgl. Hyman 2015: 75. Die von Hyman zitierte Stelle findet sich in I: § 5.10 (A: § 5.24f.). 345 Vgl. Hyman 2015: 76: »The approach is misguided because voluntariness is at root an ethical concept, unlike knowledge, intention, and self-control«. 342

257 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

7. Wollen, Absichten und noch einmal – Vorhersagen (§§ 49–52)

ihn kaum sinnvoll analysieren, ohne auf die Problematik der Zurech­ nung von Handlungen einzugehen. Das ist schon seit Aristoteles‘ Untersuchung des Gewollten in der Nikomachischen Ethik bekannt (vgl. NE III, 1–5). Das Thema des willentlichen Handelns wurde im Zusammenhang mit der logisch-grammatischen Rolle der WarumFrage allerdings durchaus berücksichtigt.346 Diese Frage dient nicht nur zur Identifikation von absichtlichen Handlungen, sondern auch zur Abgrenzung von unabsichtlichen Handlungen und in bestimmter, noch weiter zu klärender Hinsicht auch von willentlichen Handlun­ gen. In einigen Fällen ist es dagegen möglich, eine Handlung als »wil­ lentlich« zuzuschreiben, obwohl sie nicht absichtlich ausgeführt wurde. Wie verhalten sich diese Begriffe also zueinander und was folgt daraus für die Zuschreibung der Handlung? Diese Fragen werden nun abschließend geklärt. Man könnte Hymans Bemerkung aber auch zurückweisen, da Intention gar nicht als moralphilosophisches Werk gedacht ist. Das wäre jedoch voreilig, denn eine Implikation von Anscombes Unter­ suchung könnte gerade sein, dass der Begriff der Absicht grundlegen­ der ist als der des Willentlichen – das würde dann auch für moral­ philosophische Zusammenhänge gelten. Das deutete sich schon bei der Analyse der finalen Ordnung absichtlicher Handlungen an (vgl. Kap. 5) und wird sich in § 49 bestätigen. Auch wenn die Frage der Zurechnung in Intention nicht in einem moralischen oder rechtlichen Sinn diskutiert wird, sondern zunächst nur im Hinblick auf die Frage der angemessenen Beschreibung von Handlungen, so können die Unterscheidungen aus § 49 nicht nur als weitere Ausdifferenzierung und Erweiterung der aristotelischen Kriterien, auf die Anscombe wenig überraschend zurückgreift, sondern durchaus als Vorweg­ nahme der späteren Kritik an der englischen Moralphilosophie seit Henry Sidgwick in Modern Moral Philosophy interpretiert werden. Das geschieht vor dem Horizont der Frage nach der Zurechnung bzw. Zuschreibung von Handlungen. Insofern ist § 49 zwar ein Abschluss, aber auch ein Übergang zur Wiederaufnahme der zukunftsbezogenen Absichtsäußerungen, die auch den Aspekt der Zurechnung berühren – wie der Fall der Verleugnung Christi durch Petrus zeigt. Vgl. A: § 17 und meine Ausführungen dazu in Kap. 4.4, S. 139f. Dort stellt sie das Thema zurück und verweist zur weiteren Klärung auf § 49, der den dort angelegten Gedanken, wie wir nun sehen werden, nur noch zu Ende führt. Insofern trifft Hymans Einschätzung nicht zu. 346

258 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

7.2. Beabsichtigen und Wollen

Lektürevorschläge zur Vertiefung Zur Vertiefung der Kritik an Sidgwick empfiehlt es sich, Anscombe 1958a/2014 hinzuzuziehen. Eine differenzierte Lektüre von Modern Moral Philosophy bietet Frey 2020. Vgl. ferner das letzte Kapitel von Wiseman 2016a. Sie reflektiert die Rolle zukunftsbezogener Absichtsäußerungen für unsere Praxis, indem sie Anscombes Analyse des Versprechens in ihre Interpretation einbezieht.

7.2. Beabsichtigen und Wollen Menschliche Tätigkeiten und lebensbezogene Beschreibungen Zum Einstieg in diese Diskussion nehme ich noch einmal Thomas von Aquins Unterscheidung zwischen menschlichen Tätigkeiten (actiones proprie humanae) und Tätigkeiten des Menschen (hominis actiones) auf.347 Was »menschliche Tätigkeiten« nennt, umfasst alle Handlun­ gen, sofern sie unter der Leitung des vernünftigen Willens stehen, also auch absichtliche Handlungen.348 Wenn Anscombe nun festhält, dass »[j]ede absichtliche Handlung […] zugleich eine willentliche Handlung ist« (A: § 49.138), passt das in diesen Rahmen.349 Die Frage ist allerdings, wie sie die Unterscheidung zwischen absichtlichen Handlungen und willentlichen Handlungen genauer trifft. Einen Bau­ stein für die Beantwortung dieser Frage liefert die schon im letzten Kapitel angesprochene Gegenüberstellung der Beschreibungsformen Vgl. STh Ia-IIae, q.1, art. 1, resp. Ich habe die Stelle in Kap. 2.4 (S. 43) vollständig zitiert. 348 Es sei hier nur angemerkt, dass Thomas von Aquin »Absicht« neben »Genuss« und »Wahl« als eine Art von Willensakt analysiert. Das Wollen ist über die Beziehung zu einem Ziel bestimmt. Die Absicht betrachtet dagegen, ganz allgemein formuliert, das Ziel unter dem Gesichtspunkt des Übergangs vom Erstreben zum Tun (vgl. STh Ia-IIae, q. 12). Wenn man Anscombes Untersuchung zum praktischen Syllogismus und seinen Zusammenhang mit dem praktischen Wissen einbezieht, fällt es nicht schwer zu sehen, wie sie diese Unterscheidungsweise aufnimmt: Das Wollen ist über das Ziel der Handlung identifizierbar, die Absicht verweist immer auch auf den Aspekt des tatsächlichen zielgerichteten Geschehens, des Handlungsvollzugs, dessen begriffliche Form der praktische Syllogismus ist. 349 In einem späteren Aufsatz nimmt Anscombe ausdrücklich auf Thomas‘ Unter­ scheidung Bezug: vgl. Anscombe 1982/2005: 208f. 347

259 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

7. Wollen, Absichten und noch einmal – Vorhersagen (§§ 49–52)

von Handlungen aus § 47 (vgl. A: § 47.132). Auf der linken Seite fin­ den sich Beschreibungsformen von Handlungen, die absichtlich und nicht absichtlich ausgeführt werden können. Dazu gehören: stören, beleidigen, etwas abwerfen. In der rechten Spalte stehen dagegen Beschreibungsformen von Handlungen, »die nur absichtlich oder wil­ lentlich sein können« (ebd.: 131f.), wobei das »oder« im einschlie­ ßenden Sinn zu verstehen ist. Beispiele dafür sind: telefonieren, rufen, bezahlen, heiraten. Die Unterscheidung wird innerhalb des Bereichs der willentlichen Handlungen getroffen: Es geht um willentliche Handlungen, die beabsichtigt oder nicht beabsichtigt sein können im Unterschied zu solchen, die nur absichtlich ausgeführt werden kön­ nen.350 Wie diese Unterscheidung zu verstehen ist, habe ich im vor­ herigen Kapitel erläutert. Was an dieser Gegenüberstellung allerdings noch verwundern mag, ist Anscombes Bemerkung, dass »[b]eide Spalten […] Dinge [enthalten], die von Tieren ausgeführt werden können, und solche, die nicht von Tieren ausgeführt werden können.« (Ebd.: 132) Nun ist es wohl unvermeidlich, teleologische Begriffe zu verwenden, wenn man das Verhalten von Tieren beobachtet und beschreiben will. Anscombe zufolge handelt es sich dabei um Beschreibungen, die über »das Phy­ sikalische hinausgehen« (ebd.), so dass man sie als »lebensbezogene Beschreibungen« (ebd.) bezeichnen kann.351 Sie fasst zusammen: »Die ›typischen Bewegungen der Tiere‹ sind Bewegungen, die in den Empfindungen und daher auch im Triebleben der Tiere eine normale Rolle spielen.« (Ebd.: 133) Wir haben es mit lebendigen Organismen zu tun. Es wäre dagegen ein Anthropomorphismus »von einem tropfenden Wasserhahn [zu sagen], er werfe die Wassertropfen ab« (ebd.). Diese Feststellungen erinnern daran, wie animalisches Verhalten normalerweise thematisiert und beschrieben wird. In wel­ chem Sinn kann man Tieren aber Absichten zuschreiben? Das folgt daraus noch nicht. Wie passen also solche allgemeinen Bemerkungen über die Beschreibung animalischen Verhaltens zur Vorstellung, dass willentliche Handlungen unter der Leitung vernünftiger Überlegung stehen? Anscombe drückt das Problem vor dem Hintergrund ihrer Analyse absichtlichen Handelns so aus: 350 Vgl. auch Anscombe 1982/2005: »We might say that human action = voluntary action.« 351 Im Original: »vital descriptions« (I: § 47.86), Connolly/Keutner übersetzen mit »Beschreibungen von Lebendigem« (Anscombe 1986: 135).

260 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

7.2. Beabsichtigen und Wollen

Da ich absichtliches Handeln unter Bezugnahme auf Sprachliches – unsere spezielle Warum-Frage – definiert habe, kommt es vielleicht überraschend, daß ich absichtsabhängige Begriffe mit besonderer Berücksichtigung ihrer Anwendung auf Tiere einführe, die ja keine Sprache haben. (Ebd.: 133)

Diese Frage stellt sich nicht zum ersten Mal in Intention. Schon im Zusammenhang mit dem Ausdruck von Absichten (vgl. A: § 2) und zuletzt bei der Analyse des Wollens im praktischen Syllogismus nutzt Anscombe den Vergleich mit Tieren und lässt dabei auch für nichtmenschliche Lebewesen Absichten zu. Ihre abschließende Antwort ergänzt die früheren Bemerkungen auf eine aufschlussreiche Weise: Zum einen wird nun deutlich, in welchem Kontext die teleologische Ordnung, die die Bewegungen von Lebewesen exemplifizieren, ihren logisch-grammatischen Ort hat. Begriffe für menschliche Handlun­ gen oder auch ihre Beschreibungsformen werden im Kontext mensch­ licher Praktiken erworben und gebraucht. Gegen die Versuchung, sol­ che Begriffe als Beschreibungen von Prozessen im Geist handelnder Personen zu begreifen, wird die Warum-Frage in ein Sprachspiel mit lebensbezogenen Beschreibungen und Begriffen eingebettet. Das allein reicht freilich nicht. Anscombe hebt daher mit der Einbettung in den Kontext des Lebendigen noch ein weiteres logischgrammatisches Merkmal solcher Beschreibungsformen hervor: Für Absichtsbegriffe ist charakteristisch, dass wir sie gebrauchen, um etwas zu beschreiben, was Lebewesen »indem sie etwas tun, darüber hinaus tun« (A: § 47.133). Die Erweiterung der einen Beschreibung im Hinblick auf weitere, die die teleologische Struktur absichtlicher Handlungen ausmacht und die sich bei Lebewesen, wie wir schon gesehen haben, mit der Wahrnehmung des Gewollten verbindet, ist eine gemeinsame Form, die »ganz charakteristisch [ist] für die Beschreibung der handlungsinhärenten Absicht.« (Ebd.: 134) Sie fin­ det sich sowohl bei Menschen als auch bei nicht-menschlichen Tieren. Anscombe beschreibt das Sprachspiel mit solchen Begriffen sowie die Kriterien für die richtige Ausübung der dazugehörigen begrifflichen Fähigkeiten. Da es um den Gebrauch dieser Beschreibungsformen in menschlicher Praxis geht, lässt sich das Problem, ob Tiere Absichten haben können, obwohl sie über keine Sprache verfügen, mit dem Ver­

261 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

7. Wollen, Absichten und noch einmal – Vorhersagen (§§ 49–52)

weis auf die Rolle solcher Beschreibungsformen in den Sprachspielen, in denen solche Bewegungen beschrieben werden, entschärfen.352

Ein Klassifikationsvorschlag Die Gegenüberstellung von Beschreibungsformen im Bereich des Willentlichen wird nun in § 49 um die Unterscheidung zwischen »willentlich« und »nicht-willentlich« erweitert. Man kann dann zwi­ schen »beabsichtigt« und »nicht beabsichtigt« sowie zwischen »wil­ lentlich« und »nicht-willentlich« unterscheiden, so dass sich folgende Klassifikation ergibt: (1) (2) (3) (4)

Willentlich und beabsichtigt Willentlich und unbeabsichtigt Nicht-willentlich und beabsichtigt Nicht-willentlich und unbeabsichtigt

Für alle vier Fälle gibt es Beispiele: Fall (1) entspricht den Beschrei­ bungen aus der Gegenüberstellung in § 47.132; (2) und (3) erläutert Anscombe explizit in § 49 und unter (4) fallen alle Bewegungen, die Thomas von Aquin als »Tätigkeiten« bzw. Handlungen des Menschen bezeichnet, »so zum Beispiel, wenn jemand seinen Fuß oder seine Hand bewegt oder sich am Bart kratzt, während er seine Aufmerk­ samkeit auf etwas ganz anderes richtet.« (STh Ia-IIae, q. 1, art. 1, obj. 3)353 Es handelt sich offensichtlich um eine Kreuzklassifikation. Die Aufstellung zeigt daher, dass mit dem Begriffspaar »absichtlich« 352 In diesem Sinn auch Wiseman 2016a: 156. Thomas von Aquin diskutiert die Frage, ob Tiere Absichten haben können ebenfalls. Er bezieht sich auf die Bedeutung von »Beabsichtigen«: »sich auf etwas richten«, »in aliud tendere.« Die Gerichtetheit der Bewegung kommt bestimmten Formen tierischen Verhaltens ebenso zu wie menschlichem Handeln. Allerding kann nur der Mensch Zwecke als Zwecke setzen und über geeignete Mittel zu ihrer Realisierung nachdenken. Daher kommen nur dem Menschen Absichten im eigentlichen Sinn zu (vgl. STh Ia-IIae, q. 12, art. 5, resp.). 353 Man beachte allerdings: »We are speaking of voluntary action not in a merely physiological sense; not in the sense in which idly stroking your beard is a voluntary action.« Anscombe (1982/2005: 208f., kursiv i. Orig.) In diesem Zitat wird deutlich, dass diese Unterscheidungen nicht trennscharf und auch nicht extensional gemeint sind: »We are not, like Davidson, attempting a classification which will divide all events into members and non-members of a class.« (Ebd.: 209). Dazu auch Teich­ mann 2014.

262 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

7.2. Beabsichtigen und Wollen

und »willentlich« keine kategoriale Einteilung vorgenommen wird (eine Handlung ist entweder willentlich oder absichtlich). Es werden damit vielmehr Hinsichten ausdifferenziert, nach denen Handlungen unter verschiedenen Beschreibungen geordnet werden können. Diese Hinsichten werden mit Hilfe der Warum-Frage spezifiziert.

Irrwege moderner (Britischer) Handlungstheorie – ein Kommentar zu Sidgwick im aristotelischen Geist Die vier Hinsichten, nach denen Anscombe in § 49 die Unterschei­ dung zwischen dem Willentlichen und dem Absichtlichen trifft, ent­ sprechen nicht meinem soeben eingeführten Klassifikationsvor­ schlag. Ich hatte bereits erwähnt, dass (1) in § 47 abgehandelt wird, (4) ist hingegen mit Einführung der Warum-Frage in § 5 schrittweise aus der Untersuchung ausgeschlossen worden. Dieser Fall markiert die Grenze zwischen menschlichem Handeln und den vielen Bewe­ gungen, die auch noch vom Menschen ausgehen. Es bleiben also (2) und (3). Damit sind auch nur zwei weitere allgemeine Hinsichten unterschieden, für die sich unterschiedliche Typen von Beispielen fin­ den lassen. Dabei ist vor allem (2), also die Unterscheidung zwischen »willentlich« und »unbeabsichtigt« interessant. Anscombe berührt damit eine Thematik, die auf die moralphilosophischen Implikationen ihrer handlungstheoretischen Untersuchung verweist. Die Frage, ob eine Handlung als willentlich oder nicht-willentlich, als beabsichtigt oder unbeabsichtigt beschrieben wird, hängt mit der Frage der Ver­ antwortung und damit indirekt auch ihrer (moralischen) Bewertung zusammen. Wie man schon bei Aristoteles lesen kann, erhält man für das, was »aus dem eigenen Wollen hervorgeht, Lob und Tadel […], wohingegen das, was ungewollt ist, Verzeihung, manchmal auch Mit­ leid erregt, müssen wohl diejenigen, die die Tugend untersuchen, das Gewollte und das Ungewollte gegeneinander abgrenzen.« (NE III, 1, 1109b30f.) Da Intention ein handlungstheoretisches Werk und keine moralphilosophische Untersuchung ist, bleibt die Frage, inwiefern oder in welcher Hinsicht moralische Beurteilungen oder rechtliche Kategorien mit handlungstheoretischen Unterscheidungen zusam­ menhängen, nachgeordnet. Bevor man so eine Frage sinnvoll beant­ worten kann, ist es notwendig, eine Unterscheidung wie die zwischen »willentlich« und »absichtlich« angemessen zu verstehen. Das war die

263 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

7. Wollen, Absichten und noch einmal – Vorhersagen (§§ 49–52)

erste von Anscombes drei Thesen in Modern Moral Philosophy. Dort hat sie einen Zusammenhang zwischen dem schlechten Zustand der englischen Moralphilosophie seit Henry Sidgwick und dem Fehlen einer adäquaten Handlungspsychologie behauptet. Das heißt: eine nur unzureichend elaborierte Handlungspsychologie hat problemati­ sche moralphilosophische Implikationen; umgekehrt müsste eine hinreichend differenzierte Handlungspsychologie die begrifflichen Mittel bereitstellen, um solche Irrtümer zu vermeiden. Henry Sidg­ wick, Anscombes Zielscheibe in Modern Moral Philosophy, hat in sei­ nem Hauptwerk The Methods of Ethics selbst einen Vorschlag zur Unterscheidung zwischen »absichtlich« und »willentlich« vorgelegt. Er greift diese Thematik im Zusammenhang einer Untersuchung der Willensfreiheit auf.354 Wir wollen sehen, warum dieser Vorschlag inadäquat ist und worin seine fragwürdigen moralphilosophischen Implikationen bestehen. In Modern Moral Philosophy wirft Anscombe Sidgwick insbe­ sondere eine falsche Definition von Absicht vor, und ohne, dass sie ihn dort nennt, kann man ihre Ausführungen in § 49 als Vorweg­ nahme ihrer späteren, expliziten Sidgwick-Kritik interpretieren.355 Das trifft schon auf den ersten Gesichtspunkt zu, nach dem Hand­ lungen zwar als willentlich, aber nicht als beabsichtigt bezeichnet werden können. Sidgwick schreibt dazu: In the first place, Voluntary [sic] action is distinguished as ›con­ scious‹ from actions or movements of the human organism which are ›unconscious‹ or ›mechanical.‹ The person whose organism per­ forms such movements only becomes aware of them, if at all, after they have been performed; accordingly they are not imputed to him as person, or judged to be morally wrong or imprudent (Sidgwick 1907/1981: 59f.).

Anscombes Beispiele zeigen, dass Sidgwicks Vorschlag zu undiffe­ renziert ist.356 Sie nennt zunächst »Körperbewegungen, auf deren 354 Vgl. Sidgwick 1907/1981: 57–76. Für die Frage der Unterscheidung von willent­ lich und absichtlich ist insbesondere § 2 dieses Kapitels relevant, vgl. dort S. 59–65. 355 Die Kritik an Sidgwicks Definition von Absicht findet sich in Anscombe 1958a/ 2014: 158ff. Anscombe konzediert dort, dass niemand mehr diese falsche Definition noch akzeptieren würde. Dennoch würden viele Moralphilosophen ihre Implikationen vertreten (vgl. ebd.: 158). In dieser Hinsicht unterscheiden sich die wichtigsten moral­ philosophischen Ansätze seit Sidgwick nicht. Ich komme auf diesen Punkt zurück. 356 Im Text dienen diese Beispiele unmittelbar dazu, die erste Hinsicht, nach der zwischen »willentlich« und »absichtlich« unterschieden werden kann, zu illustrieren.

264 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

7.2. Beabsichtigen und Wollen

Beschreibung die Warum-Frage anwendbar ist« (A: § 49.137). Hier mag die Berufung auf die Warum-Frage verwirren. Hatte Anscombe diese Frage nicht zur Abgrenzung von absichtlichen Handlungen ein­ geführt? Wieso kann sie nun auch auf Handlungen angewendet wer­ den, die ausdrücklich nicht als absichtlich bezeichnet werden? Diese Fragen wirft John Schwenkler auf und hält fest, dass man Anscombes Beispiele (»ich habe nur so herumgefummelt« oder »es ist mir unter­ laufen«) im weitesten Sinne durchaus als Fälle von absichtlichen Handlungen verstehen sollte, es allerdings irreführend wäre, sie direkt so zu bezeichnen (vgl. Schwenkler 2019: 201). Die Unterscheidung ist also, folgt man dieser Interpretation, nicht trennscharf. Vielleicht könnte man Schwenklers Überlegung auch so umschreiben: Solche Bewegungen fallen in den Bereich möglicher absichtlicher Handlun­ gen im strikten Sinne. Es sind nämlich Umstände denkbar, in denen man sie durchaus als absichtlich bezeichnen würde. In jedem Fall können sie aber als »willentlich« bezeichnet werden, und man würde sie dementsprechend der handelnden Person in einem vorausset­ zungsarmen Sinn, der noch keine moralische oder rechtliche Bewer­ tung einschließen muss, zuschreiben. Noch deutlicher wird das beim zweiten Beispiel: »die Bewegun­ gen seitens des Akteurs [finden] keine Beachtung, obwohl er angeben kann, worum es sich handelt, wenn er sie doch in Betracht zieht.« (A: § 49.137). Hier kann man an Routinehandlungen denken; Hand­ lungen also, die jemand ohne Überlegung einfach nur vollzieht, also auch solche, die Sidgwick als »unconscious« bezeichnen würde. Wenn jemand, um Anscombes Beispiel aufzunehmen, einen Knoten schnürt, mag diese Person nicht über das, was sie gerade tut, nach­ denken, sie kann es aber trotzdem auf eine Frage hin richtig benennen. Da diese Handlung in diesem besonderen Fall jedoch nicht die spezi­ fische Ordnung absichtlicher Handlungen exemplifiziert, würde man sie wiederum eher willentlich, denn absichtlich nennen. Auch hier ist die Unterscheidung zum absichtlichen Handeln nicht trennscharf, denn so eine Handlung kann man unter bestimmten Umständen durchaus als absichtlich beschreiben. Außerdem weiß die Person ohne Beobachtung, was sie tut (sogar dann, wenn sie die Bewegungen mit den Händen simuliert (vgl. A: § 49.138)).357 Und auch diese Handlung würde man als »willentlich« bezeichnen. 357

Vgl. zu dieser Stelle auch Bayne 2010: 161.

265 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

7. Wollen, Absichten und noch einmal – Vorhersagen (§§ 49–52)

Für das in Modern Moral Philosophy angesprochene Problem sind die beiden nächsten Punkte besonders relevant: 2) Etwas geschieht willentlich, aber nicht absichtlich, wenn es das vorhergewußte Nebenergebnis der eigenen absichtlichen Handlung ist, so daß man es hätte verhindern können, wenn man von dieser Handlung Abstand genommen hätte. (Ebd.) 3) Manche Vorgänge können etwas Gewolltes sein, ohne daß man selbst sie ausgeführt hat; man freut sich jedoch über sie, so daß man sie bejaht und weder dagegen protestiert noch gegen sie angeht. (Ebd.)

Zeichen für die Willentlichkeit oder auch Freiwilligkeit einer Hand­ lung sind normalerweise die Möglichkeit, anders zu handeln, von einer Handlung Abstand zu nehmen, sofern man es kann, oder auch das eigene Tun zu bedauern. Diese Möglichkeiten spielen bei der Unterscheidung von absichtlich und willentlich eine wichtige Rolle, deren handlungstheoretische Relevanz Anscombe zufolge nicht richtig gesehen wurde. Das gilt insbesondere für den unter 2) dis­ kutierten Zusammenhang zwischen absichtlichen Handlungen und ihren vorhergesehenen Nebenfolgen. Ich gehe aber zunächst auf die unter 3) vorgenommene Abgren­ zungshinsicht ein. Anscombe erläutert sie, indem sie zwei Situationen gegenüberstellt. In der ersten steht jemand am Ufer eines Gewässers und setzt ein Boot durch einen Stoß in Bewegung, worüber sich die im Boot sitzende Person freut. Obwohl die Person diese Bewegung nicht selbst herbeigeführt und möglicherweise noch nicht einmal beabsichtigt hat, das zu tun, willigt sie ein. In der zweiten Situation schlittert eine Person einen Hügel in eine Gruppe von Menschen herunter. Auf die Warum-Frage antwortet sie, dass man sie gestoßen hat. Anscombe merkt an, dass es denkbar wäre zu replizieren: »›Es hat dir aber nichts ausgemacht. Du hast weder geschrien noch versucht, durch Beiseiterollen, auszuweichen, oder?‹« (Ebd.) Ob man dieser Person die Handlung zuschreibt, hängt davon ab, wie sie auf diese Replik antwortet. Die mögliche Zustimmung oder Einwilligung in das Geschehen reicht als Kriterium aus.358 Man würde so ein Geschehen jedoch nicht als absichtliches Handeln bezeichnen. John Hyman (2015: 76) zitiert diese Stelle als Beispiel für das Phänomen der »willentlichen Passivität« (voluntary passivity). Für diesen Hinweis vgl. Schwenkler 2019: 202. Hyman diskutiert dieses Phänomen ausführlicher: vgl. Hyman 2015: 89ff. Vgl. aber auch Anscombe (1982/2005: 209), wo sie betont, dass Zustimmung für 358

266 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

7.2. Beabsichtigen und Wollen

Die Möglichkeit, das eigene Tun zu bedauern oder eine Handlung nicht auszuführen, wenn man ihre Nebenfolgen vorhergesehen hätte, ist auch ein entscheidendes Kriterium für die unter Punkt 2) vorge­ nommene Unterscheidung. Wenn man den am Ende von § 49 unter 4) erwähnten Gedanken miteinbezieht, nämlich, dass man unter Zwang ausgeführte Handlungen bedauern kann (vgl. ebd.: 138), ist die dritte Möglichkeit (nicht-willentlich und beabsichtigt) aus meiner Klassifikation angesprochen. Schon Aristoteles kennt diesen Fall und nennt als Beispiel das Abwerfen von Gütern von einem Schiff in stür­ mischer See. Ohne weiteres, schreibt Aristoteles, »wirft niemand aus eigenem Wollen Güter weg; wo dies aber die Bedingung dafür ist, sich selbst und die Übrigen zu retten, tut es jeder, der bei verstand ist.« (NE III, 1110a, 9ff.) Dieses Handeln ist nach Anscombes Kriterien absichtlich, allerdings nicht willentlich (bzw. freiwillig), man würde »eher das Wort ›widerwillig‹ verwenden.« (A: § 49.138) Die Differenzierung zwischen direkt beabsichtigten und vorher­ gesehenen, aber nicht beabsichtigten Nebenfolgen einer Handlung hat aber noch einen anderen Aspekt, der direkt auf die Diskussion aus Modern Moral Philosophy und Anscombes Kritik am Konsequenzia­ lismus verweist.359 Es bietet sich daher an, die Passagen aus § 49 von Intention mit Hilfe ihrer Kritik an Sidgwicks Begriff des absichtlichen Handelns in Modern Moral Philosophy zu beleuchten. Umgekehrt ist es für ein angemessenes Verständnis dieser Kritik hilfreich, die Ergeb­ nisse aus Intention einzubeziehen. In Kap. 2.3 hatte ich bereits erläutert, dass Anscombe mit ihrer Prägung »Konsequenzialismus« nicht einfach nur eine Sam­ melbezeichnung für so genannte Folgeethiken vorgeschlagen hat.360 Rachael Wiseman betont zu Recht, dass die Orientierung an Hand­ lungsfolgen eher ein Symptom und kein Kriterium des Konsequen­ zialismus, wie Anscombe ihn versteht, ist (vgl. Wiseman 2016a: 33). Sie schreibt: »Anscombian consequentialism is simply the denial of moral absolutism« (ebd.). »Moralische Absolutismus« bezeichnet Willentlichkeit hinreichend ist. Explizite Akte der Willensbildung, Entscheidung oder des Beabsichtigens sind dafür nicht notwendig. 359 Angesprochen ist damit auch die Rolle der bereits in Kap. 5 thematisierten Doktrin der Doppelwirkung. In den von Anscombe als konsequenzialistisch bezeichneten Ansätzen hat die Unterscheidung zwischen direkt beabsichtigten und vorhergesehe­ nen, aber nicht beabsichtigten Nebenfolgen keinen Platz. 360 Vgl. die bereits zitierte Definition von Wiggins (2006: 149f.) und meine Bemer­ kungen in Kap. 2.3 (S. 28f.)

267 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

7. Wollen, Absichten und noch einmal – Vorhersagen (§§ 49–52)

in diesem Zusammenhang die moralphilosophische These, dass es Handlungen gibt, die unter allen Umständen, d.h. unabhängig von ihren möglichen Folgen, schlecht sind (vgl. Anscombe 1958a/2014: 156f.). Man könnte hier an Mord oder Folter denken. Noch einmal Wiseman: »An individual for whom murder, rape, lying, theft, were always ›live options‹, available to be considered as courses of action should circumstances favour them, would, it seems clear, be a very dangerous and disturbing individual.« (Wieseman 2016a: 34) Nach Anscombe begünstigt der Konsequenzialismus so eine Denkweise. In Intention wird die handlungstheoretische Konfusion, für die der Konsequenzialismus ein Symptom ist, anders als in Modern Moral Philosophy nicht ausdrücklich herausgearbeitet. Dort fasst Anscombe Sidgwicks Definition von Absicht so zusammen: »Ihm zufolge beab­ sichtigt man sämtliche Folgen einer willentlichen Handlung, die man vorhersieht.« (Anscombe 1958a/2014: 158) Und tatsächlich kann man bei Sidgwick lesen: »It is most convenient to regard ›intention‹ as including not only such results of volition as the agent desired to realise, but also any that, without desiring he foresaw as certain or probable.« (Sidgwick 1907/1981: 60, Fn. 1) Auch diese Stelle befindet sich im bereits erwähnten Kapitel über Willensfreiheit. Hier geht es ihm erst einmal darum, Gesichtspunkte für ethische Bewertungen von Handlungen nach der Unterscheidung »richtig« oder »falsch« aufzu­ weisen. Nur willentliche Handlungen, und zwar, um genau zu sein, nur deren Folgen, kommen für solche Bewertungen in Frage.361 Die Frage, in welchem Umfang man für die vorhergesehenen Folgen der eigenen Handlungen verantwortlich ist, greift er an anderer Stelle auf: I think, however, that for purposes of exact moral or jural discussion, it is best to include under the term ›intention‹ all the consequences of an act that are foreseen as certain or probable; since it will be admitted that we cannot evade responsibility for any foreseen bad consequences of our acts by the plea that we felt no desire for them, either for their own sake or as means to ulterior ends: such undesired accompaniments of the desired results of our volitions are clearly chosen or willed by us. (Ebd.: 202)

Vgl. Sidgwick 1907/1981: 60: »Thus the proper immediate objects of moral approval or disapproval would seem to be always the results of a man’s volitions so far as they were intended – i.e. represented in thought as certain or probable consequences of his volitions«.

361

268 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

7.2. Beabsichtigen und Wollen

In dieser Passage ist Sidgwicks Verständnis des Zusammenhangs von absichtlichem Handeln und Zurechnung in einer Weise formuliert, die für Anscombes Kritik einschlägig ist. Denn Sidgwick geht hier auch auf den Zusammenhang von Zwecken und Mitteln ein, und, wie gleich deutlicher werden wird, besteht nach Anscombe der Fehler konsequenzialistischer Ansätze genau darin, diesen Zusammenhang und damit auch die Hinsichten des Wollens und Beabsichtigens bei Handlungsbeschreibungen falsch ins Verhältnis zu setzen. Als Beispiel führt Sidgwick einen Nihilisten – wir würden sagen: einen Terroristen – an, der einen Monarchen durch ein Bombenatten­ tat umbringen will, dem auch andere Menschen zum Opfer fallen. Seine Absicht war es, den Kaiser zu töten, dennoch beabsichtigte er auch, so Sidgwick, die anderen umzubringen, obwohl er keinen Wunsch verspürt hat, das zu tun (vgl. ebd.). Das ist zumindest so weit auch plausibel, als sich der Terrorist der Verantwortung für den Tod der zufällig anwesenden Menschen nicht dadurch entziehen kann, dass er sich deren Tod nicht gewünscht hat. Das Kriterium für Sidgwick ist dabei nicht die Art der Handlung und ihre Qualität, die über eine angemessene Beschreibung des Geschehens identifiziert werden müsste, sondern die Vorhersehbarkeit des wahrscheinlichen oder sicheren Eintritts der Folgen. Sofern sie vorhersehbar waren, sind sie auch gewollt und damit zurechenbar. Anscombe hält Sidgwicks Definition für »offensichtlich falsch« (Anscombe 1958a/2014: 158), wobei sie sogleich konzediert, dass niemand sie in dieser Form noch akzeptieren würde (ebd.). Wenn man diese Definition von Absicht mit Hilfe der begrifflichen Unterscheidungen aus Intention richtigstellt, kann man sie so umformen, dass auch ihre fragwürdigen Implikationen deutlicher hervortreten: »Man ist für alle vorhergese­ henen Folgen seiner Handlungen verantwortlich – selbst wenn man diese Folgen nicht beabsichtigt hat.« (Ebd.)362 In dieser bereinigten Form enthält diese These eine moralphilosophische Behauptung, die, so Anscombe, auch noch von Philosophen, die nach Sidgwick geschrieben haben, vertreten würde. Wo liegt das Problem? Was sind die fragwürdigen Implikationen dieser Behauptung? Anscombe verdeutlicht das an folgendem eigenem Beispiel:

362 Vgl. einen Satz vorher: »Man ist für alle vorhergesehenen Folgen seiner Handlun­ gen verantwortlich – selbst wenn man diese Folgen nicht gewollt hat, weder als Ziel noch als Mittel.« (Anscombe 1958a/2014: 158).

269 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

7. Wollen, Absichten und noch einmal – Vorhersagen (§§ 49–52)

Nehmen wir an, ein Mann ist für den Unterhalt eines Kindes verant­ wortlich. Folglich handelt er schlecht, wenn er diesem Kind seinen Unterhalt entzieht. Das gilt sowohl, wenn er dem Kind seinen Unter­ halt entzieht, einfach weil er es nicht mehr unterstützen will, als auch, wenn er ihm den Unterhalt entzieht, weil er dadurch jemand anderen zwingen kann, irgendetwas zu tun. (Wir können hier ruhig annehmen, dass der Mann an sich gut handelte, wenn er den anderen zu dieser Tat zwänge.) (Ebd., kursiv i. Orig.)

Der erste Fall lenkt den Blick auf das Ziel des Mannes: Er will für sein Kind keinen Unterhalt mehr zahlen; im zweiten Fall erscheint der Entzug des Unterhalts als Mittel, um eine andere Person zu einer Handlung zu zwingen. Im ersten Fall könnte die Begründung der Handlung auf ein Motiv, z.B. Egoismus, verweisen. Im zweiten Fall hat die Begründung die Form eines praktischen Syllogismus. Nun wird dieser Mann – dritter Fall – vor die Wahl gestellt, ent­ weder etwas Niederträchtiges zu tun oder ins Gefängnis zu gehen mit der Folge, dass das Kind seinen Unterhalt verlieren würde. Nach Sidgwicks These gibt es hinsichtlich der Verantwortung des Mannes für den Unterhalt des Kindes keinen Unterschied, ob er den Unterhalt aus Egoismus (Fall 1) entzieht oder als Mittel zu einem anderen Zweck (Fall 2) oder durch den Gang ins Gefängnis mit der Folge, dass das Kind seinen Unterhalt verliert (Fall 3). Es handelt sich dabei um unterschiedliche Handlungen, was man an der Begründungsform erkennt (Fall 1 und 2) und daran, dass im dritten Fall der Wegfall der Unterhaltszahlungen als eine zwar vorhergese­ hene, jedoch nichtintendierte Folge der Entscheidung für den Gang ins Gefängnis erscheint. Nach Anscombes Konzeption absichtlichen Handelns müsste zumindest zwischen den Fällen 1 und 2 auf der einen und Fall 3 auf der anderen Seite hinsichtlich der Verantwortlichkeit des Vaters für den Verlust des Unterhalts unterschieden werden. Da nach Sidgwicks Definition der Verlust des Unterhalts hingegen eine vorhergesehene schlechte Folge des Gangs ins Gefängnis ist, die nach seinen Voraussetzungen für die Frage der Verantwortung nicht rele­ vant sein soll, obwohl der Vater diese Folge nicht beabsichtigt, muss er »den Unterhaltsentzug gegen die niederträchtige Tat abwägen.« (Ebd.: 158f.); und nicht nur das: er muss sogar niederträchtig handeln – auch dann, »wenn die niederträchtige Handlung eine ziemlich

270 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

7.2. Beabsichtigen und Wollen

schwerwiegende wäre« (ebd.: 159).363 Das ist klar, denn die Folgen der niederträchtigen Tat sind möglicherweise nicht so schwerwiegend wie der Entzug des Unterhalts; und wenn sich dieser Mann in seiner Einschätzung der Folgen geirrt hätte, kann er sich der Verantwortung entziehen, da er die Folgen nicht vorhersehen konnte. So wird der Konsequenzialismus auch in dieser Hinsicht zu einer »Schule der Unaufrichtigkeit.«364 Daher erweist sich die Falschheit von Sidgwicks Definition im Hinblick auf ihre moralphilosophischen Implikationen als problematisch, wenn der daraus abgeleitete normative Grundsatz für Handlungszuschreibungen (»man ist für alle vorhergesehenen Folgen des eigenen Handelns verantwortlich«) losgelöst von dieser unterkomplexen Definition übernommen wird.365 363 Die niederträchtige Tat könnte sogar weniger verwerflich sein als der Unter­ haltsentzug (Anscombe 1958a/2014: 159). Nach Weyma Lübbe ist es allerdings problematisch, dass Anscombe die niederträchtige Tat nicht konkret benennt. Daher trägt ihr Einwand »nur so weit, wie der Leser ihrer Bewertung der fraglichen Tat als schändlich ›whatever the consequences‹, beistimmen kann« (Lübbe 2022: 47). Anscombe geht es aber nicht darum, gegen den Konsequenzialismus zu zeigen, dass es absolut schlechte Handlungen gibt, die keiner Abwägung zugänglich sind. Das gibt ihre Argumentation in Modern Moral Philosophy in der Tat nicht her. Dazu sind weitere Überlegungen zur Beschreibungsabhängigkeit und (qualitativen) Identifikation von Handlungen erforderlich (vgl. dazu Kap. 5). Intrinsisch schlechte Handlungen beruhen nach Anscombe nicht auf »dogmatischen Setzungen«, son­ dern haben den Charakter von paradigmatischen Fällen, die Grenzen markieren für situationsrelative Abwägungen, von denen ausgehend die relative Schlechtigkeit anderer Handlungen sowie Ausnahmen situationsrelativ bestimmt werden können. So wären nach Anscombe durchaus Situationen denkbar, in denen das Belügen des Geheimdienstmitarbeiters eines Unrechtsregimes, um ein Beispiel Lübbes (ebd.) aufzunehmen, als (relativ schlechte) Handlung möglich erscheint. Der von Lübbe aufgerufene Gegensatz zwischen situationsrelativem Abwägen und dogmatischen Verboten trifft hier nicht zu. Anscombe stellt vielmehr eine konsequenzialistische Form der Abwägung, bei der bestimmte, auch offensichtlich schlechte Optionen von vornherein, wie Konsequenzialisten wohl behaupten würden: »undogmatisch«, zur Verfügung stehen, einer aristotelisch inspirierten Kasuistik gegenüber, bei der die qua Beschreibung offensichtlich schlechten Handlungen als Grenzen fungieren (vgl. Anscombe 1958a/2014: 160f.). Lübbe stellt allerdings selbst fest, dass die Nennung dieser niederträchtigen Tat irrelevant ist, weil es Anscombe darum geht, den Unterschied zwischen einer intendierten Beendigung der Unterhaltszahlungen und ihrer nichtintendierten Beendigung gegenüberzustellen (vgl. Lübbe 2022: 48). 364 Für diese auch hier passende Charakterisierung vgl. wiederum Spaemann 2001: 58. 365 Nach Lübbe (2022: 47ff) ist Anscombes Argument zirkulär, da es schon voraus­ setzt, dass man Sidgwicks Definition für falsch hält. Das Argument soll aber gar nicht Sidgwicks Definition (indirekt) widerlegen. Anscombe hält diese Definition von

271 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

7. Wollen, Absichten und noch einmal – Vorhersagen (§§ 49–52)

Folgt man dieser Analyse von Anscombes Beispiel aus Modern Moral Philosophy erweist sich der Konsequenzialismus, wie Jennifer Frey präzise herausgearbeitet hat, als eine, wenn auch konfuse, hand­ lungstheoretische These über die Verantwortung von Handelnden für die eigenen Taten.366 Sie besagt, dass man »für vorhergesehene Folgen einer Handlung in demselben Umfang und Sinne verantwort­ lich [sei] wie für beabsichtigte Folgen« (ebd.).367 Sidgwick setzt, so Anscombe, diese These für alle drei von ihm untersuchten Methoden der Ethik voraus, und sie markiert einen Bruch mit dem traditionellen Utilitarismus.368 Wie die Gegenüberstellung der drei Fälle gezeigt hat, unterscheiden konsequenzialistsiche Ansätze nicht zwischen gewollten und vorhergesehenen, aber nicht beabsichtigten Folgen; und offensichtlich erfassen sie den Zusammenhang zwischen Zwe­ cken und Mitteln als Hinsichten der Beschreibung einer absichtlichen Handlung als einheitliches Phänomen nicht richtig, da sie Mittel und Zweck als kategorial unterschiedene Objekte begreifen. Daher ist die Orientierung an den Folgen von Handlungen tatsächlich nur ein Symptom konsequenzialistischen Denkens. Der Grund ist die von vornherein für »offensichtlich falsch« und behauptet auch nicht, dass sie überhaupt von irgendjemandem noch vertreten würde (siehe oben). Ihre Kritik richtet sich gegen eine moralphilosophische These zur Verantwortung für eigene Handlungen, die diese Definition voraussetzt. Schon die Tatsache, dass es mit den Mitteln der aus Sidgwicks Definition abgeleiteten These nicht möglich ist, zwischen den drei Fällen aus Anscombes Beispiel zu unterscheiden, reicht aus, um deren Absurdität zu erweisen. Warum sollte man diese Unterscheidung nicht treffen? Die dem moral­ philosophischen Grundsatz, wonach man für alle vorhergesehenen Folgen der eige­ nen Handlungen verantwortlich sei, zugrunde liegende Konzeption absichtlichen Handelns wäre angesichts der offensichtlich verfügbaren komplexeren und auch plausibleren Beschreibung revisionär und damit ihrerseits begründungsbedürftig. Die fragwürdigen Implikationen für die ethische Bewertung von Handlungen erläutert Schwenkler im Hinblick auf den Fall des Präsidenten Truman: »Had Truman chosen to continue war by ›conventional‹ means, understanding that in the choice some civilian deaths would result, he would have intended those deaths no less than he intended the deaths of the civilians in Hiroshima and Nagasaki. At least as far as life is concerned, the only thing for him to do was choose the option that appeared to have the most favorable body count.« (Schwenkler 2019: xix) 366 Vgl. Frey 2020: 71: »For Anscombe, consequentialism, is a claim about the sphere of an agent’s personal responsibility.« 367 Es muss nicht betont werden, dass man das aristotelische Beispiel des Schiffs in Seenot ausgehend von dieser These kaum sinnvoll analysieren kann. 368 Anders als es heute üblich ist, unterscheidet Anscombe also zwischen Utilitaris­ mus und Konsequenzialismus. Vgl. dazu die instruktiven Ausführungen bei Diamond 1997 und meine Bemerkungen in Kap. 2.3.

272 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

7.3 Vorhersagen und zukunftsbezogene Absichten

Anscombe kritisierte undifferenzierte Handlungstheorie.369 Diese Diskussion zeigt, warum es notwendig ist, die begrifflichen Verhält­ nisse richtig zu verstehen, bevor man die Frage der moralischen Bewertung von Handlungen angeht. Anscombes eigene (richtige) Auffassung über die Verantwortung von Handelnden lautet dagegen, »dass jeder für die schlechten Folgen seiner schlechten Handlungen verantwortlich ist und kein Verdienst an etwaigen guten Folgen dieser Handlungen hat, aber dass umgekehrt niemand für die schlechten Folgen seiner guten Handlungen verantwortlich ist.« (Ebd.)370

7.3 Vorhersagen und zukunftsbezogene Absichten Rückblick und ein neues Problem Anscombe beendet die Untersuchung absichtlichen Handelns, indem sie noch einmal auf die Thematik der Handlungsgründe zurück­ kommt. In § 4 hatte sie die Untersuchung der zukunftsbezogenen Äußerungen von Absichten unterbrochen. Die Untersuchung absicht­ licher Handlungen und im weiteren Verlauf der Absichten, mit denen eine Handlung ausgeführt wird, sollte den Weg aus den Sackgassen mentalistischer Konzeptionen weisen, in die der Vergleich von zukunftsbezogenen Absichtsäußerungen und Vorhersagen geführt hatte. Das Problem ergibt sich dadurch, dass eine zukunftsbezogene Absichtsäußerung scheinbar eine Aussage über einen mentalen Zustand der handelnden Person zum Zeitpunkt ihrer Aussage ist, während Vorhersagen von zukünftigen Sachverhalten handeln. Ans­ combes Hinweis auf einen Ausweg aus dieser Schwierigkeit in § 2 war, dass Absichtsäußerungen durchaus als eine Art Vorhersagen zu ver­ 369 Nur wenn man sich das klar macht, versteht man auch, warum auch David Ross, der die Folgenorientierung des Utilitarismus kritisiert, nach Anscombes Kriterien ein Konsequenzialist ist. Man kann den deontologischen und axiologische Pluralismus, den Ross vertritt, nur verteidigen, wenn man schon annimmt, dass es keine Ziele gibt, »die nicht durch andere aufgewogen werden können« (Anscombe 1958a: 155, Fn. 12). Wenn es keine solche Ziele gibt, wird praktisches Überlegen zu einer Frage des Abwä­ gens von guten und schlechten Folgen. 370 Im Übrigen sieht Kant, ein Vertreter der von Anscombe kritisierten Gesetzesethik, das genauso: vgl. MdS-RL: 228. Zu beachten ist zudem, dass Anscombe auf die Ver­ antwortung für Handlungen abzielt, nicht bloß auf die Verantwortung für deren Fol­ gen. Das scheint Lübbe 2022: 46, Fn. 15 zu übersehen.

273 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

7. Wollen, Absichten und noch einmal – Vorhersagen (§§ 49–52)

stehen sind, sie sich von Vorhersagen aber darin unterscheiden, dass sie nicht durch Belege, sondern durch Handlungsgründe gerechtfer­ tigt werden (vgl. A: § 3.18). Vorhersagen, Vermutungen bezüglich zukünftiger Ereignisse, Befehle oder Absichtsäußerungen handeln jeweils nicht von Vorgängen im Geist der Sprechenden, sondern von etwas Zukünftigem. Sie unterscheiden sich allerdings durch die Art der Rechtfertigung.371 An diesen Gedanken erinnert Anscombe in § 50: Im Grunde verhält es sich ganz allgemein so, daß die Anwendbarkeit der Warum-Frage auf eine Vorhersage diese als Ausdruck einer Absicht kennzeichnet, also nicht als Einschätzung der Zukunft oder reine Pro­ phezeiung. (A: § 50.139)372

Bei absichtlichen Handlungen und Absichten, mit denen eine Hand­ lung ausgeführt wird, hat die Warum-Frage die Aufgabe, die ver­ schiedenen möglichen Beschreibungen von Handlungen bzw. Hand­ lungsphasen in eine Ordnung zu bringen, die es erlaubt, die Absicht aus drittpersonaler Perspektive zu spezifizieren. Aus der erstperso­ nalen Perspektive des praktischen Überlegens leiten Handlungs­ gründe ausgehend von einem Gewollten die Mittelwahl. Oder allge­ meiner: Handlungsgründe unterscheiden sich von Gründen für Überzeugungen nicht dem Inhalt nach, sondern durch die Denkform, in der sie vorkommen. Je nachdem, ob sie in einem theoretischbeweisenden Zusammenhang oder im Kontext einer praktischen Überlegung vorkommt, kann ein und dieselbe Überlegung als Hand­ lungsgrund oder als Grund für eine Überzeugung fungieren.373 Das alles gilt, wie Anscombe in § 50 festhält, auch »für die einer geplanten Handlung inhärierende Absicht (intention in a proposed action)«

371 Anders als Davidson muss Anscombe daher auch kein »reines Beabsichti­ gen« annehmen. 372 Anscombe merkt an, dass man in diesem Zusammenhang Äußerungen zukunfts­ bezogener Absichten auch von Hoffnungen unterscheiden kann. Die Unterscheidung ist allerdings nicht ganz trennscharf: Man kann auch Hoffnungen in Bezug auf die eigenen zukünftigen absichtlichen Handlungen äußern. Insofern sind »Gründe für die Hoffnung […] ein Gemisch, das sich aus Gründen für den Wunsch und Gründen für die Überzeugung, daß das Gewünschte eintreten kann, zusammensetzen.« (A: § 50.139) 373 Für diesen Punkt vgl. Schwenkler 2019: 205, Fn 4. Das geht auch hervor aus Ans­ combes Gegenüberstellung von beweisenden und praktischen Syllogismen in Prac­ tical Inference. Vgl. Anscombe 1989/2014: 44–46.

274 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

7.3 Vorhersagen und zukunftsbezogene Absichten

(ebd.). Dennoch scheinen die zukunftsbezogenen Absichtsäußerun­ gen besondere Probleme aufzuwerfen. Ein solches Problem könnte die Aussage »ich will es eben, und damit basta« (A: § 51.139) darstellen. Wir erinnern uns, dass Ans­ combe die Frage, unter welchen Umständen diese Antwort sinnvoll erscheint, bereits in den §§ 17, 18 und 37 untersucht hatte. Ohne wei­ teres ist die Antwort »einfach so« oder »ohne besonderen Grund« nicht verständlich, wenn man wissen will, warum jemand alle in sei­ nem Haus befindlichen grünen Bücher auf dem Dach ausbreitet (vgl. A: § 18.48); und die Frage, warum jemand ein Schälchen Schlamm will, verlangt eine Erwünschbarkeitscharakterisierung (vgl. A: § 37.110ff.). Hier scheint Anscombe nun darauf aufmerksam machen zu wollen, dass es einen Unterschied gibt, ob man auf diese Weise auf die Warum-Frage mit Bezug auf eine gegenwärtige oder eine zukünf­ tige Handlung antwortet. Das Tempus spielt eine Rolle, wenn man die Sinnbedingungen für Antworten auf die Warum-Frage klären will. Bezogen auf eine gegenwärtige Handlung mag es sein, dass jemand mit dieser Antwort zu verstehen gibt, in seinem Handeln nicht kriti­ siert werden zu wollen. Die Antwort vermittelt hier immerhin noch eine Information, die über die bloße Feststellung hinausgeht, dass diese Person eben tut, was sie tut. Wie Anscombe aber festhält, gibt diese Antwort keine Erklärung der Handlung; eine Erwünschbar­ keitscharakterisierung kann immer noch erfragt und auch gegeben werden. Bei geplanten Handlungen ist das aber nicht unbedingt der Fall. Wenn beispielsweise jemand aufsteht, um einen Fleck an der Tapete zu berühren und erklärt »Ich will nachschauen, ob ich den Fleck erreiche, wenn ich mich auf die Zehenspitzen stelle« (A: § 51.140), reicht als Antwort auf die Warum-Frage die Auskunft: »ich will es eben!« Hier tut sich keine Erklärungslücke auf, da die Replik vielmehr besagt, dass diese Person andere Antworten auf die Warum-Frage ausschließt – sie hat sich dabei einfach nicht mehr gedacht. Das ändert sich aber, wenn diese Person immer wieder nach dem Fleck greifen oder den Finger beständig darauf halten würde. Hier haben wir es mit einer gegenwärtigen Handlung zu tun, und die Antwort »ich will es eben« schließt weitere Antwortmöglichkeiten nicht aus. Denkbar sind aber auch Fälle, bei denen die Antwort »ich will es eben« eine Infor­ mation darüber gibt, was eine Person sich zu dem Zeitpunkt gedacht haben könnte als sie sich die Handlung vorgenommen hat. Steven Bayne gibt als Beispiel einen Freizeitsportler, der sich eines Tages überlegt, eine etwas längere Strecke zu joggen als sonst. Hier könnte

275 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

7. Wollen, Absichten und noch einmal – Vorhersagen (§§ 49–52)

die spätere Antwort »ich wollte es eben« darüber informieren, was sich diese Person zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung überlegt hat.374 Wollte man sich eine Sprache ausdenken, die diese Ausdrucksmög­ lichkeit explizit macht, würde sie einen eigenen Modus für Verben enthalten, »in dem das Futur ausschließlich zur Äußerung von Absichten gebraucht wird, die sich auf Handlungen beziehen, die man nur deshalb ausführen will, weil man sie eben ausführen will.« (Ebd.: 141)375

Eine Art Widerspruch und Petrus‘ Verleugnung Christi In § 52 stellt Anscombe Aussagen des Typs »Ich werde spazierenge­ hen – werde aber nicht spazierengehen« (A: § 52.141) gegenüber. Auch dann, wenn man den ersten Teil als zukunftsbezogene Absicht­ säußerung und den zweiten als Vorhersage versteht, gerät man, wie Anscombe sogleich feststellt, in eine Art Widerspruch. Er besteht darin, »daß die erste Vorhersage verifiziert wird, wenn der Sprecher spazierengeht, während die zweite in diesem Fall falsifiziert wird – und umgekehrt, falls er nicht spazierengeht.« (Ebd.) Allerdings han­ delt es sich nicht um einen direkten Widerspruch, wie es der Fall wäre bei einander entgegengesetzten Befehlen, Vorhersagen oder Absicht­ säußerungen.376 Der Grund dafür ist, dass die beiden Glieder der Aussage unterschiedlich gerechtfertigt werden: Durch Handlungs­ gründe und durch Belege. Aus dem analytischen Inhaltsverzeichnis geht nun hervor, dass im abschließenden Paragraphen Fälle unter­ sucht werden, in denen solche Aussagen »vielleicht zusammen vor­ kommen können.« (A: 155) Aber warum stellt sich diese Frage über­ haupt? Eine Antwort könnte sein, dass solche Aussagen eine Heraus­ forderung für Anscombes in den ersten vier Paragraphen verteidigte These darstellen, dass zukunftsbezogene Absichtserklärungen Arten von Vorhersagen sind. Wenn man Anscombe darin folgt, dass Absich­ Das Beispiel findet sich bei Bayne 2010: 167. Dieser Modus wäre dem altgriechischen (kupitiven) Optativ vergleichbar, der dazu dient, einen als erfüllbar gedachten Wunsch auszudrücken. Zum Optativ im Griechischen vgl. Bornemann/Risch 1978: 233f. 376 Beide Aussagen können allerdings nicht zugleich wahr sein. Daher kann man hier auch von einem konträren Gegensatz sprechen. Vgl. Schwenkler 2019: 205. 374 375

276 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

7.3 Vorhersagen und zukunftsbezogene Absichten

ten keine mentalen Zustände sind und Beschreibungen absichtlicher Handlungen sich auch nicht auf innere Zustände beziehen, bereitet die Annäherung von Befehlen, Vorhersagen und zukunftsbezogenen Absichtsäußerungen keine Schwierigkeiten. Die in § 52 betrachteten Formulierungen werfen jedoch ein Licht auf ein Problem, das sich aus einem ganz gewöhnlichen Phänomen ergibt: Absichten können geän­ dert werden. Jemand kann ankündigen, etwas tun zu wollen, es sich aber anders überlegen. Dann geschieht das Angekündigte nicht. Den­ noch hatte diese Person, vorausgesetzt, sie war zum Zeitpunkt der Aussage aufrichtig, die Absicht, das Angekündigte zu tun. Wäre es dann nicht doch angemessener, ihre Absichtserklärung als Bericht über ihren inneren Zustand zum Zeitpunkt dieser Aussage zu ver­ stehen?377 Aussagen, wie die von Anscombe hier angeführten, erinnern an das, was man seit Wittgenstein als »Moores Paradox« diskutiert.378 Moore dachte an Aussagen wie die folgende: »Es regnet; aber ich glaube es regnet nicht.«379 Ihm zufolge ist es eine Absurdität, so etwas zu behaupten. Das liegt nicht sofort auf der Hand, denn es lassen sich Kontexte denken, in denen so eine Behauptung keineswegs absurd wirkt.380 Wie Bert Heinrichs aber festhält, besteht die Absurdität darin, »dass beide Teilaussagen gleichzeitig wahr sein können und dennoch nicht in einer Aussage miteinander verbunden werden kön­ nen.« (Heinrichs 2019: 92) Das trifft, wie schon bemerkt, auch auf die

Für diese Problemformulierung vgl. Wiseman 2016a: 186f. Wittgenstein verwendet diese Bezeichnung im zweiten Teil der Philosophischen Untersuchungen (PU II.x), aber auch schon in einer von Geach aufgezeichneten Vorlesung zur Philosophie der Psychologie (VL: 120). 379 Moore schreibt: »I start from this: that it’s perfectly absurd or nonsensical to say such things as ›I don’t believe it’s raining, but as a matter of fact it is‹ or (what comes to the same thing) ›Though I don’t believe it’s raining, yet as a matter of fact it really is raining‹. I’m just assuming that it is absurd or nonsensical to say such things.« (Moore 1993: 207) Wittgenstein war von Moores Gedanke offensichtlich fasziniert. In einer Notiz von 1948 hält er fest: »Moore hat mit einem Paradox in ein philosophisches Wespennest gestochen; und wenn die Wespen nicht gehörig aufgeflogen sind, so ist es nur weil sie zu träg waren.« (VB: 558) Die Literatur zu Moores Paradox ist inzwischen kaum mehr zu überblicken. Eine gelungene Darstellung der wichtigsten damit verbundenen Probleme findet sich bei Heinrichs 2019: 91–94. Dort finden sich auch die Hinweise auf die von mir zitierten Stellen bei Moore und Wittgenstein. 380 Das wäre beispielsweise dann der Fall, wenn sich jemand unmittelbar nach Äußerung des ersten Teils korrigiert: vgl. Heinrichs 2019: 92. 377

378

277 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

7. Wollen, Absichten und noch einmal – Vorhersagen (§§ 49–52)

von Anscombe untersuchten Aussagen zu.381 Im Fall der Moore’schen Beispiele liegt die Paradoxie darin, dass »wir mit der Aussage ›Es regnet nicht‹ in der Regel implizieren, dass wir glauben, dass es nicht regnet. Wenn das der Fall ist, dann liegt tatsächlich ein Widerspruch zwischen dem, was im ersten Aussageteil gesagt wird, und dem, was im zweiten Aussageteil impliziert wird.« (Ebd.: 92f.) Wittgensteins Auseinandersetzung damit in den Philosophischen Untersuchungen richtet sich gegen Moores Identifikation von Überzeugungen mit geistigen Zuständen, die er voraussetzt, um diese Art von Wider­ spruch zu konstruieren. Nach Wittgenstein beschreibt die Äußerung »Ich glaube es verhält sich so« (PU II.x: 513) nicht den geistigen Zustand des Sprechenden. Vielmehr wird sie »ähnlich verwendet wie die Behauptung ›es verhält sich so‹« (ebd.). Wer also sagt, dass er glaubt, es würde regnen, sagt etwas über das Wetter aus, nicht über sich selbst. »[U]nd doch«, so Wittgenstein, ist »die Annahme, ich glaube es verhalte sich so, nicht ähnlich wie die Annahme, es verhalte sich so.« (Ebd., kursiv i. Orig.) Das liegt daran, dass es eines ist, danach zu fragen, warum jemand zu dieser Annahme kommt, und ein anderes, ob das Behauptete zutrifft. Nur wenn man diese unterschiedlichen Verwendungen des Ausdrucks von »glauben« in Moores Äußerungen miteinander identifiziert, kommt man zu dem Gedanken, jemand würde mit der Äußerung »ich glaube es verhält sich so« etwas über sich selbst aussagen.382 Für unsere Diskussion von Anscombes Beispiel reicht es, mit Schwenkler folgendes Ergebnis von Wittgensteins Reflexion festzuhalten: »just as one expresses belief by talking about what is believed, so one expresses an intention by talking about what is going to happen – that is, by saying what one is going to do.« (Schwenkler 2019: 205, kursiv i. Orig.)383 Dass es ein Fehler wäre, zukunftsbezogene Absichtsäußerungen als Aussagen über eigene Zustände zu verstehen, wird deutlich, wenn man zwischen zwei Arten von Situationen unterscheidet, in Dass Anscombe ihre Frage nach dem Zusammenhang von Absichtserklärungen und Vorhersagen ausgehend von dieser Art von Aussagen untersucht, dürfte kein Zufall sein. In der bereits erwähnten Vorlesungsmitschrift bemerkt Wittgenstein: »Moores Paradox ist mit den Problemen der willkürlichen Bewegung und der Absicht verknüpft.« (VL: 120). 382 In diese Richtung geht auch Schwenklers Deutung dieser Stellen bei Wittgenstein. Vgl. Schwenkler 2019: 203ff. für eine ausführlichere Rekonstruktion. 383 Vgl. auch Wittgensteins Bemerkung: »Denk daran, daß man die eigene künftige Handlung in der Äußerung der Absicht vorhersagen kann.« (PU II.x: 515) 381

278 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

7.3 Vorhersagen und zukunftsbezogene Absichten

denen eine Aussage des Typs »ich werde es tun – ich werde es nicht tun« vorkommen kann. Dann wird auch klar, dass es durchaus Fälle geben kann, in denen Absichtserklärungen und Vorhersagen, die das Gegenteil behaupten, zusammen vorkommen können, ohne absurd zu erscheinen. (1) Ich werde es tun, »es sei denn ich werde daran gehindert oder ich besinne mich anders« (A: § 52.142). (2) Ich werde es tun, es sei denn ich tue es nicht. Die erste Aussage (1) ist nach Anscombe tatsächlich in einer bestimm­ ten Hinsicht absurd. Es ist nämlich normalerwiese unnötig, darauf hinzuweisen, dass man es sich auch anders überlegen kann oder Umstände eintreten können, die die Ausführung der beabsichtigten Handlung verhindern. Das ist ebenso klar wie es auch klar ist, dass man nach einer Behauptung über Vergangenes nicht beständig hinzu­ fügen muss »wenn mein Gedächtnis mich nicht trügt.« Dass einen das Gedächtnis manchmal im Stich lässt, ist nichts Ungewöhnliches. Einen skeptischen Vorbehalt hinzuzufügen, ist nur dann sinnvoll, wenn die Möglichkeit des Irrtums tatsächlich relevant ist und mit­ bedacht wird. Es ist allerdings nicht möglich, alle Situationen zu identifizieren, in denen das der Fall ist und daher der Vorbehalt hin­ zugefügt werden muss. Es gelten hierfür Normalitätsbedingungen, auf die man sich gegebenenfalls berufen kann. Das alles gilt auch bei zukunftsbezogenen Absichtserklärungen. Darin unterscheiden sie sich nicht von anderen Vorhersagen, die sich ebenso jederzeit als falsch erweisen können. Die zweite Aussage (2) beschreibt den Fall, in dem jemand ganz sicher ist, etwas zu tun und dennoch beabsichtigt, es nicht zu tun. Anscombe führt dafür folgendes Beispiel an: Jemand, der über einem Abgrund hängt und sich mit den Fingern an einem Felsen festhält, mag sich noch so sicher sein, daß er loslassen und herabstürzen muss; dennoch wird er entschlossen sein, nicht los­ zulassen. (A: § 52.144)

Auch hier unterscheiden sich zukunftsbezogene Absichtsäußerungen nicht von Vorhersagen. So kann man sagen »Das und das wird gesche­ hen ..., es sei denn, es geschieht nicht.« (Ebd.) Es kann immer vorkom­ men, dass der Eintritt eines prognostizierten Ereignisses verhindert wird, und »die Verifikation einer Prognose erfolgt erst dann, wenn das Ereignis wirklich statt gefunden hat« (ebd.). Es gibt also durchaus

279 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

7. Wollen, Absichten und noch einmal – Vorhersagen (§§ 49–52)

Fälle, in denen die auf den ersten Blick paradox erscheinenden Aus­ sagen zusammen vorkommen können. Damit wäre dieser Einwand gegen die These, dass sich zukunftsbezogene Absichtsäußerungen als Vorhersagen verstehen lassen, entkräftet. In diesem Zusammenhang löst Anscombe nun auch den eigenar­ tigen Fall der Verleugnung Christi durch Petrus auf. Ohne sich anders besonnen zu haben, tut er etwas absichtlich, obwohl er beabsichtigt hat, es nicht zu tun. Petrus versteht Jesus‘ Prophezeiung offensicht­ lich als unfehlbar: »›Da er es sagt, stimmt es‹, und dennoch mag er sich gesagt haben: ›ich werde es nicht tun.‹« (Ebd.) Wie ist es unter dieser Voraussetzung dennoch möglich, Jesus absichtlich zu verleugnen? Nach allem, was wir in diesem Werk über absichtliches Handeln gelernt haben, dürfte es klar sein. Petrus weiß nicht, wie sich die Prophezeiung erfüllen wird. Das ist, wie Anscombe betont, die Besonderheit dieses Falls. Daher kann er in seinen praktischen Überlegungen auch nicht bedenken, was er tun müsste, um die Erfüllung der Prophezeiung zu vermeiden. Seine Absicht, Jesus nicht zu verleugnen, kann er dennoch aufrechterhalten, denn es gibt hier auch nichts, das er wissen müsste, um sein Handeln zu ändern.384 In allen drei Situationen, in denen er sagt, Jesus nicht zu kennen, erkennt er daher zunächst auch nicht, dass er dabei ist, genau das zu tun, was er nicht zu tun beabsichtigte: Petrus aber saß draußen im Hof. Da trat eine Magd auf ihn zu und sagte: Auch du warst bei Jesus dem Galiläer. Er aber leugnete vor allen und sagt: Ich weiß nicht, was du meinst. Als er in das Torhaus hinausging [sic!] war, sah ihn eine andere und sagte zu denen, die dort waren: Der da war bei Jesus, dem Nazoräer. Er leugnete wiederum und schwor: Ich kenne den Menschen nicht. Nach einer Weile kamen die Umstehenden hinzu und sagten zu Petrus: Du bist bestimmt auch einer von ihnen. Schon deine Sprache verrät dich ja. Da fing er an, sich zu verfluchen und zu schwören: Ich kenne den Menschen nicht! Und sogleich krähte ein Hahn. Da erinnerte sich Petrus an das Wort, das Jesus ihm gesagt hatte: Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und er ging hinaus und weinte bitterlich. (Mt 26, 69–75)

So lautet der einleuchtende Vorschlag von Wiseman 2016a: 188f. Schwenkler betont dagegen die Inkohärenz, die darin liegt, einerseits diese Prophezeiung als unfehlbar zu verstehen und Jesus beim Wort zu nehmen, andererseits doch seine Absicht aufrechthalten zu wollen.: »But perhaps this incoherence is exactly what we are supposed to take away.« (Schwenkler 2019: 209) 384

280 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

7.3 Vorhersagen und zukunftsbezogene Absichten

Hatte er also kein praktisches Wissen von seinem Handeln? Ist die Wissensbedingung für intentionales Handeln verletzt? – Das wäre nur dann der Fall, wenn er behaupten könnte, dass sein Tun unter der Beschreibung »erzählen, dass ich kein Jünger bin« absichtlich ist, aber nicht unter der Beschreibung »Verleugnung Christi.« Das zu erzählen, ist in diesem Fall aber nichts anderes als verleugnen. Dass Petrus klar ist, was seine Worte bedeuten, erkennt man schon an seiner Reaktion (»er fing an, sich zu verfluchen«) vor der dritten Leugnung. Das Krähen des Hahns ist dann nur das Zeichen, durch das ihm explizit bewusst wird, was er getan hat (vgl. Schwenkler 2019: 209f.). Petrus handelte hier also absichtlich, ohne sich anders besonnen zu haben, obwohl er beabsichtigt hat, genau das nicht zu tun. So verdichten sich in dieser Episode die zentralen Gedanken von Intention: die konstitutive Bedeutung des praktischen Wissens, die Abweisung der Rede von Absichten als inneren, geistigen Zuständen sowie die Einheit der drei paradigmatischen Fälle für den Gebrauch des Begriffs der Absicht, von denen die Untersuchung ausgegangen ist.

281 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

8. Anhang

8.1 Zitierweise Anscombes Absicht wird nach der Übersetzung von 2011 gemäß folgendem Schema zitiert: A: §x.y, wobei x für die Nummer des Paragraphen bzw. Abschnitts steht und y für die Seitenzahl. Die englische Ausgabe wird analog mit I: §x.y zitiert. Die ältere deutsche Übersetzung als Anscombe 1986 und Seitenzahl. Die genauen bibliographischen Angaben zu diesen Ausgaben finden sich im Literaturverzeichnis. Für Bibelzitate wurde folgende Ausgabe verwendet: Die Bibel. Die Heilige Schrift des Alten und des Neuen Bundes. Vollständige deutsche Ausgabe, Freiburg i.Br.: Herder 2008.

8.2 Siglen Folgende Werke werden mit Siglen zitiert: Aristoteles An. Prior.: Analytica Priora. Übersetzt und erläutert von Theodor Ebert und Ulrich Nortmann (Aristoteles. Werke in deutscher Über­ setzung. Begründet von Ernst Grumach. Hg. v. Hellmut Flas­ har, Band 3, Teil I. Analytica Priora Buch I), Berlin: Akademie Verlag 2007. An. Post.:

Analytica Posteriora. Übersetzt und erläutert von Wolfgang Detel (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung. Begründet von Ernst Grumach. Hg. v. Hellmut Flashar, Band 3, Teil II. Analytica Posteriora), Berlin: Akademie Verlag 1993.

283 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

8. Anhang

NE:

Nikomachische Ethik. Übersetzt und herausgegeben von Ursula Wolf. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 2011

An.:

Über die Seele (de anima). Mit einer Einleitung, Übersetzung (nach W. Theiler) und Kommentar hg. v. Horst Seidl. Griechi­ scher Text in der Edition von Wilhelm Biehl u. Otto Apelt. Griechisch-Deutsch. Hamburg: Meiner 1995.

Mot. an.:

De motu animalium. Über die Bewegung der Lebewesen. Histo­ risch-kritische Edition des griechischen Textes und philologi­ sche Einleitung von Oliver Primavesi. Deutsche Übersetzung, philosophische Einleitung und erklärende Anmerkungen von Klaus Corcilius. Griechisch-Deutsch. Hamburg: Meiner 2018.

Phys.:

Physikvorlesung. Übersetzt von Hans Wagner (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung. Begründet von Ernst Gru­ mach. Hg. v. Hellmut Flashar, Band 11, Physikvorlesung), Berlin: Akademie Verlag 1989.

Augustinus DM:

Die Lügenschriften. De Mendacio. Die Lüge und Ad Consentium contra Mendacium. An Consentius gegen die Lüge. Eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Alfons Städele (Agustinus Opera. Werke, Band 50), Paderborn (u.a.): Ferdinand Schö­ ningh 2013.

Descartes Med.:

Meditationen. Mit sämtlichen Einwänden und Erwiderungen. Übersetzt und herausgegeben von Christian Wohlers, Ham­ burg: Meiner 2009

Herodot Hist.:

Historien. Übersetzt und herausgegeben von Kai Brodersen und Christine Ley Hutton, Stuttgart: Reclam 2019.

Hume Treatise:

A Treatise of Human Nature. A Critical Edition, edited by David Fate Norton and Mary J. Norton, Volume 1: Texts (The Claren­ don Edition of the Works of David Hume). Oxford Clarendon Press 2011.

284 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

8.2 Siglen

Kant GMS:

Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Hg. v. Bernd Kraft u. Dieter Schönecker. Hamburg: Meiner 2016.

KpV:

Kritik der praktischen Vernunft. Hg. v. Horst D. Brandt u. Heiner F. Klemme. Hamburg: Meiner 2003.

KrV:

Kritik der reinen Vernunft. Hg. v. Jens Timmermann. Hamburg: Meiner 1998.

MdS-RL:

Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Metaphysik der Sitten. Erster Teil. Hg. v. Bernd Ludwig. Hamburg: Meiner 2018.

Thomas von Aquin STh:

Summa Theologiae. Ziel und Handeln des Menschen. Übersetzt und kommentiert von Klaus Jacobi. Einleitung, Text und Über­ setzung I-II, 1–21 (Deutsche Thomas Ausgabe Band 9A), Berlin: de Gruyter 2021 und Summa Theologica. Gottes Dasein und Wesen. Übersetzt von Dominikanern und Benediktinern Deutschlands und Österreichs I, 1–13 (Deutsche Thomas Aus­ gabe Band 1), Graz, Wien, Köln: Styria 1982.

Wittgenstein BB:

Das blaue Buch, Hg. v. R. Rhees. (Werkausgabe Band 5), Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1989.

TLP:

Logisch-philosophische Abhandlung. Tractatus logico-philoso­ phicus, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003.

PU:

Philosophische Untersuchungen. Auf der Grundlage der Kri­ tisch-genetischen Edition neu herausgegeben von Joachim Schulte. Mit einem Nachwort des Herausgebers, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003.

ÜG:

Über Gewißheit. Hgg. v. Anscombe, G.E.M./Wright, G. H. v. (Werkausgabe Band 8), Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1989, 113–257.

UW:

Ursache und Wirkung. Intuitives Erfassen. In Ludwig Wittgen­ stein: Vortrag über Ethik und andere kleine Schriften. Hg. u. übersetzt v. Joachim Schulte, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1989, 101–139.

VL:

Vorlesungen über die Philosophie der Psychologie 1946/47. Auf­ zeichungen von P.T. Geach, K. J. Shah und A. C. Jackson. Hg.

285 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

8. Anhang

von P. T. Geach. Übersetzt von Joachim Schulte. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1991. Z:

Zettel, Hgg. v. Anscombe, G.E.M./Wright, G. H. v. (Werkaus­ gabe Band 8), Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1989, 258–443.

8.3 Literaturverzeichnis 8.3.1. Werke von Elizabeth Anscombe Bücher 1957. Intention. Oxford: Blackwell [Nachdruck 2000]. 1959. An Introduction to Wittgenstein’s Tractatus. London: Hutchinson Univer­ sity Library. 1963. (mit Geach, Peter T.). Three Philosophers. Oxford: Blackwell. 1986. Absicht. Übers. u. hg. v. Connolly, John M./Keutner, T., Freiburg i.B.: Alber. 2011. Absicht. Übers. v. Schulte, Joachim, Berlin: Suhrkamp.

Aufsatzsammlungen 1981a. From Parmenides to Wittgenstein. The Collected Philosophical Papers of G.E.M. Anscombe. Bd. 1, Oxford: Blackwell. 1981b. Metaphysics and the Philosophy of Mind. The Collected Philosophical Papers of G.E.M. Anscombe. Bd. 2, Oxford: Blackwell. 1981c. Ethics, Religion and Politics. The Collected Philosophical Papers of G.E.M. Anscombe. Bd. 3, Oxford: Blackwell. 2005. Human life, action and ethics. Essays by G.E.M. Anscombe. Edited by Mary Geach and Luke Gormally, Exeter: Imprint Acad. 2008. Faith in a Hard Ground. Essays on Religion, Philosophy and Ethics. Essays by G.E.M. Anscombe. Edited by Mary Geach and Luke Gormally, Exeter: Imprint Acad. 2011. From Plato to Wittgenstein. Essays by G.E.M. Anscombe. Edited by Mary Geach and Luke Gormally, Exeter: Imprint Acad. 2015. Logic, Truth and Meaning. Writingd by G.E.M. Anscombe. Edited by Mary Geach and Luke Gormally, Exeter: Imprint Acad. 2014. Aufsätze. Übers. und hg. v. Hlobil, U./Nieswandt, K., Berlin: Suhrkamp.

286 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

8.3 Literaturverzeichnis

Zitierte Aufsätze 1939/1981c. The Justice of the Present War Examined. In Ethics, Religion and Politics. The Collected Philosophical Papers of G.E.M. Anscombe. Bd. 3, Oxford: Blackwell, 72–81. 1957/1981c. Mr Truman’s Degree. In Ethics, Religion and Politics. The Collected Philosophical Papers of G.E.M. Anscombe. Bd. 3, Oxford: Blackwell, 62–71. 1958a/2014. Die Moralphilosophie der Moderne. In Aufsätze. Übers. und hg. v. Hlobil, U./Nieswandt, K., Berlin: Suhrkamp, 142–172. 1958b/2014. Nackte Tatsachen. In Aufsätze. Übers. und hg. v. Hlobil, U./Nies­ wandt, K., Berlin: Suhrkamp, 9–14. 1962/1981b. On Sensations of Positions. In Metaphysics and the Philosophy of Mind. The Collected Philosophical Papers of G.E.M. Anscombe. Bd. 2, Oxford: Blackwell, 71–74. 1965a/2014. Die Intentionalität der Wahrnehmung: Ein grammatischer Aspekt. In Aufsätze. Übers. und hg. v. Hlobil, U./Nieswandt, K., Berlin: Suhrkamp, 230–260. 1965b/2014. Denken und Handeln bei Aristoteles: Was ist ›praktische Wahr­ heit‹? In Aufsätze. Übers. und hg. v. Hlobil, U./Nieswandt, K., Berlin: Suhr­ kamp, 293–315. 1971/2014. Kausalität und Determination. In Aufsätze. Übers. und hg. v. Hlobil, U./Nieswandt, K., Berlin: Suhrkamp, 173–199. 1974. Comment (to Roderick Chisholm). In Körner, Stephan (ed.): Practical Reason. New Haven: Yale University Press, 17–21. 1974/2014. Die erste Person. In Aufsätze. Übers. und hg. v. Hlobil, U./Nies­ wandt, K., Berlin: Suhrkamp, 200–229. 1978/2014. Regeln, Rechte und Versprechen. In Aufsätze. Übers. und hg. v. Hlobil, U./Nieswandt, K., Berlin: Suhrkamp, 82–93. 1979/1981b. Under a Description. In Metaphysics and the Philosophy of Mind. The Collected Philosophical Papers of G.E.M. Anscombe. Bd. 2, Oxford: Black­ well, 208–219. 1982/2005. Action, Intention and ›Double Effect‹. In Human life, action and ethics. Essays by G.E.M. Anscombe. Edited by Geach, Mary, Exeter: Imprint Acad., 207–226. 1983/2005. The Causation of Action. In Human life, action and ethics. Essays by G.E.M. Anscombe. Edited by Geach, Mary, Exeter: Imprint Acad., 89–108. 1989/2014. Praktisches Schlussfolgern. In Aufsätze. Übers. und hg. v. Hlobil, U./Nieswandt, K., Berlin: Suhrkamp, 15–60. 1993/2005. Practical Truth. In Human life, action and ethics. Essays by G.E.M. Anscombe. Edited by Geach, Mary, Exeter: Imprint Acad., 149–158.

287 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

8. Anhang

8.3.2 Werke zu Elizabeth Anscombe Monographien zu Intention und Überblicksdarstellungen Aucouturier, Valérie (2012). Elizabeth Anscombe. L’Esprit en Pratique. Paris: CNRS Editions. Bayne, Stephen R. (2010). Elizabeth Anscombe’s Intention. Breinigsville: PA. Driver, Julia (2018). »Gertrude Elizabeth Margaret Anscombe«, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Spring 2018 Edition), Edward N. Zalta (ed.), URL = . Grimi, Elisa (2018). G.E.M. Anscombe: guida alla lettura di Intention. Rom: Carocci editore. Müller, Anselm W. (2001). G.E.M. Anscombe (1919–2001). In Martinich, A. P./Sosa, D. (eds.): A Companion to Analytical Philosophy. Oxford: Blackwell Publishing, 315–325. Müller, Anselm W. (2014). G.E.M. Anscombe – Entdeckung einer philosophi­ schen Entdeckerin. In Anscombe, G.E.M.: Aufsätze. Übers. und hg. v. Hlobil, U./Nieswandt, K., Berlin: Suhrkamp, 359–368. Richter, Duncan (2011). Anscombe’s Moral Philosophy. Lanham (MD): Lexing­ ton Books. Schwenkler, John (2019). Anscombe’s Intention: A Guide. New York: Oxford University Press. Teichmann, Roger (2011). The Philosophy of Elizabeth Anscombe, Oxford/New York: Oxford University Press. Wiseman, Rachael (2016a). Routledge Philosophy Guidebook to Anscombe’s Intention. London/New York: Routledge, Taylor & Francis Group.

Biographisches Haldane, John (2001). In Memoriam: G.E.M. Anscombe (1919–2001). In the Review of Metaphysics 53 (4), 1019–1021. Haldane, John (2019a). Elizabeth Anscombe: Life and Work. In Haldane, John (ed.). The Life and Philosophy of Elizabeth Anscombe. Exceter: Imprint Aca­ demic, 1–11. Kenny, Anthony (2016). Elizabeth Anscombe at Oxford. In American Catholic Philosophical Quarterly 90 (2), 181–189. Lipscomb, Benjamin J.B. (2022). The Women Are Up To Something. How Eliza­ beth Anscombe, Philippa Foot, Mary Midgley, and Iris Murdoch Revolutionized Ethics. Oxford: Oxford University Press. Mac Cumhaill, C./Wiseman, R. (2022). Methaphysical Animals. How Four Women Brought Philosophy Back To Life. Chatto & Windus: London. Teichman, Jenny (2001). Gertrude Elizabeth Margaret Anscombe, 1919–2001. In Proceedings of the British Academy 115 (1), 31–50.

288 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

8.3 Literaturverzeichnis

Vogler, Candace (2013). Anscombe, G.E.M. In LaFollette, Hugh (ed.): The International Encyclopedia of Ethics. Oxford: Blackwell Publishing, 303–309.

Sammelbände Diamond, C./Teichman, J. (eds.) (1979). Intention and Intentionality. Essays in Honour of G.E.M. Anscombe. Ithaca [u.a.]: Cornell University Press. Ford, A./Hornsby, J./Stoutland, F. (eds.) (2011). Essays on Anscombe’s Intention. Cambridge: Harvard University Press. Gormally, L./Jones, D. A./Teichmann, R. (eds.) (2016). The Moral Philosophy of Elizabeth Anscombe. Exceter: Imprint Academic. Haldane, John (ed.) (2019b). The Life and Philosophy of Elizabeth Anscombe. Exceter: Imprint Academic.

8.3.3 Sonstige zitierte Literatur Alvarez, Maria (2017). Wittgenstein on Action and the Will. In Glock, H.-J./ Hyman, J. (eds.): A Companion to Wittgenstein. Oxford: Blackwell Publishing, 491–501. Annas, Julia (1976). Davidson and Anscombe on the ›same action‹. In Mind 85 (338), 251–257. Austin, John L. (1961). A Plea for Excuses. In Urmson, J. O./Warnock, G. J. (eds.): Philosophical Papers. Oxford/New York: Oxford University Press, 123–152. Austin, John L. (1979). Zur Theorie der Sprechakte (How to do Things with words). Übers. v. Savigny, Eike von, Stuttgart: Reclam. Ayer, Alfred J (1936/1990). Language, Truth and Logic. London: Penguin. Baker, Gordon P. (2006). Wittgenstein’s Method. Neglected Aspects, Essays on Wittgenstein. Oxford: Blackwell Publishing. Black, Max (1964/2019). Ein Kompendium zu Wittgensteins Tractatus. Übers. u. hg. v. Koller, Jürgen, Wien [u.a.]: Turia + Kant. Börchers, Fabian (2020). Anscombe und ›Knowledge-How‹ – Zum Zusammen­ hang von Form und Vermögen bei der Bestimmung absichtlichen Handelns. In Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 45 (3). Bornemann, E./Risch, E. (1978). Griechische Grammatik. Frankfurt a.M. [u.a.]: Diesterweg. Brandt, Reinhard (2009). Können Tiere denken? Ein Beitrag zur Tierphilosophie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Bratman, Michael E. (1987). Intentions, Plans and practical Reason. Cambridge, Mass [u.a.]: Harvard Univ. Press. Bratman, Michael E. (1999). Davidson’s Theory of Intention. In Ders.: Faces of Intention. Selected Essays on Intention and Agency. Cambridge: Cambridge University Press, 209–224. Brentano, Franz (1874/1973). Psychologie vom empirischen Standpunkt. Mit Einleitung, Anmerkungen und Register hg. v. Oskar Kraus, erster Band, Hamburg: Meiner 1973.

289 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

8. Anhang

Carnap, Rudolf (1958). Meaning and Necessity. A Study in semantics and modal logic. Chicago [u.a.]: Univ. of Chicago Press. Cavanaugh, Thomas A. (2016). Anscombe, Thomson, and Double Effect. In American Catholic Philosophical Quarterly 90 (2), 263–280. Connolly, J. M./Keutner, T. (1986). Ein Wissen, das kein Licht ist – Absicht und die Autonomie des Praktischen. In Anscombe, G.E.M.: Absicht. Übers. u. hg. v. Connolly, J. M./Keutner, T., Freiburg i.Br.: Alber, IX-LXXII. Corcilius, Klaus (2008a). Praktische Syllogismen bei Aristoteles. In Archiv für Geschichte der Philosophie 90 (3), 247–297. Corcilius, Klaus (2008b). Aristoteles‘ praktische Syllogismen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In Philosophiegeschichte und logische Analyse 11, 101–132. Corcilius, Klaus (2018a). Philosophische Einleitung. In Aristoteles: De motu animalium. Über die Bewegung der Lebewesen. Historisch-kritische Edition des griechischen Textes und philologische Einleitung von Oliver Primavesi. Deutsche Übersetzung, philosophische Einleitung und erklärende Anmerkungen von Klaus Corcilius. Griechisch-Deutsch. Hamburg: Meiner, CXLV-CCXL. Corcilius, Klaus (2018b). Anmerkungen. In Aristoteles: De motu animalium. Über die Bewegung der Lebewesen. Historisch-kritische Edition des griechischen Textes und philologische Einleitung von Oliver Primavesi. Deutsche Übersetzung, philosophische Einleitung und erklärende Anmerkungen von Klaus Corcilius. Griechisch-Deutsch. Hamburg: Meiner, 62–179. Crane, Tim (1995). The Mental Causation Debate. In Proceedings of the Aris­ totelian Society, Supplementary Volumes 69, 211–236. Danto, Arthur C. (1963). What we can do. In Journal of Philosophy 60 (15), 435–445. Danto, Arthur C. (1965). Basic Actions. In American Philosophical Quarterly 2 (2), 141–148. Darwall, S./Gibbard, A./Railton, P. (1992). Toward Fin de Siècle Ethics: Some Trends. In The Philosophical Review 101 (1), 115–189. Davidson, Donald (1963/1990). Handlungen, Gründe und Ursachen. In Ders.: Handlung und Ereignis. Übers. v. Schulte, Joachim, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 19–42. Davidson, Donald (1969/1990). Zur Individuation von Ereignissen. In Ders.: Handlung und Ereignis. Übers. v. Schulte, Joachim, Frankfurt a.M., Suhrkamp, 233–258. Davidson, Donald (1970/1990). Geistige Ereignisse. In Ders.: Handlung und Ereignis. Übers. v. Schulte, Joachim, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 291–316. Davidson, Donald (1971/1990). Handeln. In Ders.: Handlung und Ereignis. Übers. v. Schulte, Joachim, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 73–98. Davidson, Donald (1973/1990). Handlungsfreiheit. In Ders.: Handlung und Ereignis. Übers. v. Schulte, Joachim, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 99–124. Davidson, Donald (1975/1990). Denken und Reden. In Ders.: Wahrheit und Interpretation. Übers. v. Schulte, Joachim, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 224–246.

290 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

8.3 Literaturverzeichnis

Davidson, Donald (1978/1990). Beabsichtigen. In Ders.: Handlung und Ereignis. Übers. v. Schulte, Joachim, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 125–154. Davidson, Donald (1982/2004). Vernünftige Tiere. In Ders.: Subjektiv, Inter­ subjektiv, Objektiv. Übers. v. Schulte, Joachim, Frankfurt. a.M.: Suhrkamp, 167–185. Davidson, Donald (1990). Handlung und Ereignis. Übers. v. Schulte, Joachim, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. De Libera, Alain (2014). Intention. In Cassin, B. (ed.): Dictionary of Untranslat­ ables. A Philosophical Lexicon. Princeton/Oxford: Princeton University Press, 500–511. Diamond, Cora (1997). Consequentialism in Modern Moral Philosophy. In Oderberg, D. S./Laing, J. A. (eds.): Human Lives. Critical Essays on Conse­ quentialist Bioethics. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 13–38. Doyle, James (2019). Theophrastus, Thomas and practical Knowledge in Anscombe’s Intention. (Unveröffentlichtes Typoskript, 48 Seiten). Dummett, Michael (1988). Ursprünge der analytischen Philosophie. Übers. v. Schulte, Joachim, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Ebert, Theodor/Nortmann, Ulrich (2007). Kommentar. In Aristoteles: Analytica Priora. Buch I. Übersetzt und erläutert von Theodor Ebert und Ulrich Nort­ mann (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung. Begründet von Ernst Grumach. Hg. v. Hellmut Flashar, Band 3, Teil I. Analytica Priora Buch I), Berlin: Akademie Verlag, 207–906. Engelhardt, Paulus (1976). Intentio. In Ritter, J./Gründer, K. (Hgg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 4: I-K, Darmstadt: Wissenschaftliche Buch­ gesellschaft, 466–474. Evans, Gareth (1982). The Varieties of Reference. Oxford: Oxford Univer­ sity Press. Foot, Philippa (2004). Die Natur des Guten. Übers. v. Reuter, Michael, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Frankfurt, Harry G. (1978). Das Problem des Handelns. In Horn, C./ Löhrer, G. (Hgg.) (2010): Gründe und Zwecke. Texte zur aktuellen Handlungstheorie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 70–84. Frege, Gottlob (1892/1986a). Über Sinn und Bedeutung. In Ders.: Funktion, Begriff, Bedeutung. Fünf logische Studien. Hg. v. Günther Patzig, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 6. Aufl. 1986, 40–65. Frege, Gottlob (1914/1980). Frege an Jourdain. In Gabriel, G./Hermes, H. et. al. (Hgg.): Wissenschaftlicher Briefwechsel. Hamburg: Meiner, 110–112. Frege, Gottlob (1918/1986b). Der Gedanke. In Patzig, Günther (Hg.): Logische Untersuchungen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 30–53. Frey, Christopher/Frey, Jennifer A. (2017). G.E.M. Anscombe on the analogical unity of intention in perception and action. In Analytic Philosophy 58 (3), 202–247. Frey, Jennifer A (2020). Revisiting Modern Moral Philosophy. In A Centenary Celebration: Anscombe, Foot, Midgley, Murdoch. Royal Institute of Philosophy Supplement 87, 61–83.

291 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

8. Anhang

Gabriel, Gottfried (2004). Art. Reflexionsbegriffe. In Mittelstraß, Jürgen (Hg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Band 3. Stuttgart: J.B. Metzler, 527–528. Geach, Mary (2005). Introduction. In Dies. et al. (eds.): Human Life, Action and Ethics: Essays by G.E.M. Anscombe. Upton Pyne: Imprint Academic, XIII-XXI. Geach, Mary (2008). Introduction. In Dies. et al. (eds.): Faith in a Hard Ground. Essays on Religion, Philosophy and Ethics by G.E.M. Anscombe. Upton Pyne: Imprint Academic, XIII-XXVI. Geach, Peter T. (1956). Good and Evil. In Analysis 17 (2), 33–42. Geach, Peter T. (1957/1971). Mental Acts: Their Content and Their Objects. London: Routledge. Geach Peter T. (1991): Vorwort des Herausgebers. In Ludwig Wittgenstein: Vorlesungen über die Philosophie der Psychologie 1946/47. Aufzeichnungen von P.T. Geach, K.J. Shah und A.C. Jackson, hg. v. P.T. Geach. Übersetzt von Joachim Schulte, Frankfurt a.M. 1991, 11–17. Goldman, Alvin I. (1970). Theory of Human Action. Princeton: Princeton Univer­ sity Press. Hampshire, Stuart (1959). Thought and Action. London: Chatto & Windus. Hare, R.M. (1972). Die Sprache der Moral. Übers. v. Morstein, Petra, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Hare, R.M. (1983). Freiheit und Vernunft. Übers. v. Meggle, Georg, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Hare, R.M. (1992). Moralisches Denken: seine Ebenen, seine Methoden, sein Witz. Übers. v. Fehige, C./Meggle, G., Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Heinrichs, Bert (2019). George Edward Moore zur Einführung, Ham­ burg: Junius. Hlobil, U./Nieswandt, K. (2016). On Anscombe’s Philosophical Method. In Klesis: Revue Philosophique 35, 180–198. Horn, C./Löhrer, G. (2010). Einleitung. Die Wiederentdeckung teleologischer Handlungserklärungen. In Dies. (Hgg.): Gründe und Zwecke. Texte zur aktuel­ len Handlungstheorie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 7–45. Hornsby, Jennifer (1980). Actions. London: Routledge. Hornsby, Jennifer (2013). Basic Activity. In Aristotelian Society Supplementary Volume 87 (1), 1–18. Horst, David (2012). Absichtliches Handeln. Paderborn: Mentis. Hubig, Christoph (2006). Die Kunst des Möglichen, Band I, Technikphilosophie als Reflexion der Medialität. Bielefeld: Transcript Verlag. Humberstone, I. Lloyd (1992). Direction of Fit. In Mind 101 (401), 59–83. Hursthouse, Rosalind (2000). Intention. In Diamond, C./Teichman, R. (ed.): Logic, Cause and Action. Essays in Honour of Elizabeth Anscombe. Cambridge: Cambridge University Press, 83–105. Husserl, Edmund: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. Erstes Buch. Allgemeine Einführung in die reine Phänomeno­ logie. Nachwort (1930). Text nach Husserliana III/1 und V (Gesammelte Schriften hg. von E. Ströker, Band 5), Hamburg: Meiner 1992.

292 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

8.3 Literaturverzeichnis

Hyman, John (2011). Wittgenstein on Action and the Will. In Grazer Philosophi­ sche Studien 82 (81), 285–311. Hyman, John (2015). Action, Knowledge and Will. Oxford/NewYork: Oxford University Press. James, William (1890/1950). The Principles of Psychology, 2 Volumes in 1. New York, Dover Publications. Keil, Geert (2007). What do Deviant Causal Chains Deviate from? In Lumer, Christoph et al. (eds.): Intentionality, Deliberation and Autonomy. The ActionTheoretic Basis of Practical Philosophy. Burlington: Ashgate, 69–90. Keil, Geert (2015). Handeln und Verursachen. Frankfurt a.M.: Klostermann. Kemmerling, Andreas (2017). Glauben. Essay über einen Begriff. Frankfurt a.M.: Klostermann. Kenny, Anthony (1975). Will, Freedom and Power. New York: Barnes & Noble Books. Kertscher, Jens (2020). Praktisches Wissen: Ein Leitfaden ausgehend von G.E.M. Anscombe. In Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 45 (3), 295–316. Kietzmann, Christian (2019). Handeln aus Gründen als praktisches Schließen. Freiburg/Münster: Verlag Karl Alber. Kietzmann, Christian (2020). Praktisches Wissen von misslingenden Handlun­ gen. In Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 45 (3), 339–362. Kim, Jaegwon (2003). Philosophy of Mind and Psychology. In Ludwig, Kirk (ed.): Donald Davidson (Contemporary Philosophy in Focus). Cambridge: Cambridge University Press, 113–136. Klagge, J. C./Nordmann, A. (Hg.) (1993). Ludwig Wittgenstein. Philosophical occasions, 1912–1951. Indianapolis: Hackett Publishing Company. Knaup, Marcus (2013). Leib und Seele oder mind and brain? Zu einem Para­ digmenwechsel im Menschenbild der Moderne. Freiburg/Münster: Verlag Karl Alber. Kolnai, Aurel (2008). Ethics, Value & Reality. With opening Essays by Bernard Williams, David Wiggins and Graham McAleer. London: Routledge. Künne, Wolfgang (2010). Die Philosophische Logik Gottlob Freges. Ein Kommen­ tar. Frankfurt a.M.: Klostermann. Lanz, Peter (1987). Menschliches Handeln zwischen Kausalität und Rationalität. Frankfurt a.M.: Athenäum. Larmore, Charles (2012). Vernunft und Subjektivität. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Larmore, Charles (2017). Das Selbst in seinem Verhältnis zu sich und zu anderen. Frankfurt a.M.: Klostermann. Lavin, Douglas (2013). Must there be basic action. In Nous 47 (2), 273–301. Löhrer, Guido (2006). Abweichende Kausalketten, abwegige Handlungsver­ läufe und die Rückkehr teleologischer Handlungserklärungen. In Deutsche Zeitschrift für Philosophie 54 (5), 785–800. Löhrer, Guido (2008). Alltagspsychologische Handlungserklärungen, Kausa­ lität und Normativität. In Internationale Zeitschrift für Philosophie 17 (1), 67–100. Luckner, Andreas (2005). Klugheit, Berlin/New York: De Gruyter.

293 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

8. Anhang

Lübbe, Weyma (2022). Handlungskonsequenzen abwägen vs. Handlungskonse­ quenzen zurechnen. In Lübbe Weyma / Grosse-Wilde, Thomas (Hg.): Abwä­ gung. Voraussetzungen und Grenzen einer Metapher für rationales Entscheiden. Paderborn: Brill Mentis, 37–54. MacIntyre, Alasdair (1981/2006). Der Verlust der Tugend. Zur moralischen Krise der Gegenwart. Erweiterte Neuausgabe 2006. Frankfurt a.M.: Campus. Marcus, Eric (2012). Rational Causation. Cambridge (MA): Harvard Univer­ sity Press. McDowell, John (1998). Some Issues in Aristotle’s Moral Psychology. In Ders.: Mind, Value, and Reality, Cambridge/Mass.: Harvard University Press, 23–49. McDowell, John (2011). Anscombe on Bodily Self-Knowledge. In Ford, A./ Hornsby, J./Stoutland, F. (eds.). Essays on Anscombe’s Intention. Cambridge: Harvard University Press, 128–146. Melden, Abraham I. (1961). Free Action. London: Routledge. Mele, Alfred R. (2003). Philosophy of Action. In Ludwig, Kirk (ed.): Donald Davidson (Contemporary Philosophy in Focus). Cambridge: Cambridge Uni­ versity Press, 64–84. Midgley, Mary (2007). The Owl of Minerva: A Memoir. London: Routledge. Moore, George E. (1903/1970). Principia Ethica. Übers. u. hg. v. Wisser, Burkhard, Stuttgart: Reclam. Moore, George E. (1966). Lectures on Philosophy. London: George Allen & Unwin. Moore, George E. (1993). Moore’s Paradox. In: G.E. Moore: Selected Writings. Edited by Thomas Baldwin. London: Routledge, 207–212. Moran, R./Stone, M. J. (2011). Anscombe on Expression of Intention: An Exegesis. In Ford, A./Hornsby, J./Stoutland, F. (eds.): Essays on Anscombe’s Intention. 33–75. Mothershill, Mary (1962). Anscombe’s account of the practical syllogism. In Philosophical Review 71 (4), 448–461. Müller, Anselm W. (1991a). Rezension zu Gertrude Elizabeth M. Anscombe Absicht (Intention, deutsch). Übers. und hrsg. von John M. Connolly und Thomas Keutner. Freiburg [i.Br.] [u.a.] 1986. In Archiv für Geschichte der Philosophie 73 (1), 116–120. Müller, Anselm W. (1991b). Was heißt »Praktisches Wissen«? Probleme um einen Schlüsselbegriff in Anscombes Handlungstheorie. In Zeitschrift für Philosophische Forschung 45 (4), 545–557. Müller, Anselm W. (2017). Menschliche Vernunft als Natur: Die Ethik G.E.M. Anscombes. In Hähnel, Martin (Hg.): Aristotelischer Naturalismus. Stuttgart: J.B. Metzler, 131–143. Nieswandt, Katharina (2017). Anscombe on the Sources of Normativity. In The Journal of Value Inquiry 51, 141–163. Nieswandt, Katharina (2022). Rezension zu: Mac Cumhaill, C./Wiseman, R. Methaphysical Animals. How Four Women Brought Philosophy Back To Life. In Zeitschrift für Ethik und Moralphilosophie 5, 31–235.

294 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

8.3 Literaturverzeichnis

O’Shaughnessy, Brian (1980). The Will. A Dual Aspect Theory. Cambridge: Cambridge University Press. Parfit, Derek (2011). On What Matters, Oxford/New York: Oxford Univer­ sity Press. Passmore, J. A./Heath, P. (1955). Symposium: Intentions. In Proceedings of the Aristotelian Society. Supplementary Volumes 29, 131–164. Pouivet, Roger (2014). Après Wittgenstein, Saint Thomas. Paris, Vrin. Prichard, Harold A. (1945/2002). Acting, Willing, Desiring. In Ders.: Moral Writings. Oxford: Oxford University Press, 272–281. Quante, Michael (2020). Philosophische Handlungstheorie. Paderborn: utb. Rapp, C./Brüllmann, P. (2008). The Practical Syllogism. Analyses of an Aris­ totelian Concept. In Meixner, U./Newen, A. (eds.): Philosophiegeschichte und logische Analyse, Paderborn: Mentis, 93–100. Raz, Joseph (2010). On the Guise of the Good. In Tenenbaum, Sergio (ed.) (2010): Desire, practical Reason, and the Good. Classical and Contemporary Perspectives, Oxford: Oxford University Press, 111–137. Richter, Duncan (2016). The Conception of the Architectonic Good in Anscombe’s Moral Philosophy. Gormally, L./Jones, D. A./Teichmann, R. (eds.): The Moral Philosophy of Elizabeth Anscombe. Exceter: Imprint Aca­ demic, 33–50. Robb, D./Heil, J. (2021). Mental Causation. In The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Spring 2021 Edition), Edward N. Zalta (ed.) (https://plato.stanford.edu/archives/spr2021/entries/mental-causation/). Ricoeur, Paul (1990): Soi-même comme und autre, Pairs: Éditions du Seuil. Rödl, Sebastian (2010). The Form of the Will. In Tenenbaum, Sergio (ed.) (2010): Desire, practical Reason, and the Good. Classical and Contemporary Perspectives. Oxford: Oxford University Press, 138–160. Rorty, Richard (1967). Introduction. In Rorty, Richard (ed.): The Linguistic Turn. Recent Essays in Philosophical Method. Chicago (IL): University of Chicago Press, 1–9. Russell, Bertrand (1905). On Denoting. In Mind 14 (56), 479–493. Russell, Bertrand (1919/2006). Einführung in die mathematische Philosophie. Hgg. v. Lenhard, J./Otte, M. 2. Aufl., Hamburg: Meiner. Russell, Bertrand (1921/2000). Die Analyse des Geistes. Hg. v. Grelling, Kurt. Hamburg: Meiner. Ryle, Gilbert (1949/1969). Der Begriff des Geistes. Übers. v. Baier, Kurt. Leip­ zig: Reclam. Ryle, Gilbert (1954). Pleasure. In Proceedings of the Aristotelian Society. Supple­ mentary Volumes 28, 135–146. Sandis, Constantine (2015). One Fell Swoop. Small Red Book Historicism Before and After Davidson. In Journal of the Philosophy of History 9, 372–392. Sandis, Constantine (2016). Anscombe’s Intentions. In Klesis: Revue Philosophique 35, 74–89. Scanlon, Thomas M. (2000). What We Owe to Each Other. Camridge (MA): Harvard University Press.

295 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

8. Anhang

Scanlon, Thomas M. (2008). Moral Dimensions. Permissibility, Meaning, Blame. Cambridge, MA/London: Belknap Press of Harvard University Press. Scanlon, Thomas M. (2014). Being Realist about Reasons. Oxford/New York: Oxford University Press. Schadow, Steffi (2021). Braucht die Moralphilosophie den Begriff der Verpflich­ tung? Über Anscombes Kritik an der Moralphilosophie der Moderne. In Philosophisches Jahrbuch 128 (2), 246–265. Schroeder, Severin (2017). Grammar and Grammatical Statements. In Glock, H. J./Hyman, J. (eds.): A Companion to Wittgenstein. Oxford: Blackwell Publishing, 252–267. Schulte, Joachim (2011). Anmerkungen des Übersetzers. In Anscombe, G.E.M.: Absicht. Übers. v. Schulte, Joachim, Berlin: Suhrkamp, 156–159. Schwenkler, John (2015). Understanding Practical Knowledge. In Philosophers’ Imprint 15 (15), 1–32. Searle, John R. (2015). Oxford Philosophy in the 1950s. In Philosophy 90 (2), 173–193. Shoemaker, Sydney (1968). Self-Knowledge and Self-Awareness. In Journal of Philosophy 65 (October), 555–567. Skelton, Anthony (2012). »William David Ross«, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Spring 2022 Edition), Edward N. Zalta (ed.), URL = . Setiya, Kieran (2010). Sympathy for the devil. In Tenenbaum, Sergio (ed.) (2010): Desire, practical Reason, and the Good. Classical and Contemporary Perspectives. Oxford: Oxford University Press, 82–110. Setiya, Kieran (2017). Practical Knowledge. Selected Essays. Oxford: Oxford University Press. Setiya, Kieran (2018). »Intention«, The Stanford Encyclopedia of Philoso­ phy (Fall 2018 Edition), Edward N. Zalta (ed.), URL = . Sidgwick, Henry (1907/1981): The Methods of Ethics. 7th Edition, Indianapo­ lis/Cambridge: Hackett Publishing Company. Spaemann, Robert (2001). Einzelhandlungen. In Ders.: Grenzen. Zur ethischen Dimension des Handelns. Stuttgart: Klett-Cotta, 49–63. Spaemann, Robert (2015). Moralische Grundbegriffe. 9. Aufl., München: C.H. Beck. Stoutland, Frederick (2011a). Introduction: Anscombe’s Intention in Context. In Ford, A./Hornsby, J./Stoutland, F. (eds.) (2011). Essays on Anscombe’s Intention. Cambridge: Harvard University Press, 1–22. Stoutland, Frederick (2011b). Summary of Anscombe’s Intention. In Ford, A./ Hornsby, J./Stoutland, F. (eds.) (2011). Essays on Anscombe’s Intention. Cam­ bridge: Harvard University Press, 23–22. Strawson, Peter F. (1959/1972). Einzelding und logisches Subjekt (Individuals). Ein Beitrag zur deskriptiven Metaphysik. Übers. v. Scholz, Freimut, Stutt­ gart: Reclam. Strawson, Peter F. (1994). Analyse und Metaphysik. Eine Einführung in die Philosophie. Übers. v. Hochkeppel, Sabine, München: dtv.

296 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

8.3 Literaturverzeichnis

Strawson, Peter F. (2011). The Post-Linguistic Thaw. In Ders.: Philosophical Writings. Oxford/New York: Oxford University Press, 71–77. Teichman, Jenny (1961). Mental Cause and Effect. In Mind 70 (277), 36–52. Teichmann, Roger (2014). The Voluntary and the Involuntary: Themes from Anscombe. In American Catholic Philosophical Quarterly 88 (3), 465–486. Tenenbaum, Sergio (ed.) (2010): Desire, practical Reason, and the Good. Classical and Contemporary Perspectives. Oxford: Oxford University Press. Thompson, Michael (2011). Leben und Handeln. Grundstrukturen der Praxis und des praktischen Denkens. Übers. v. Haase, Michael, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Urmson, James O. (2001). The Greek Philosophical Vocabulary. London: Duck­ worth. Velleman, David (1989). Practical Reflection. Princeton: Princeton Univer­ sity Press. Velleman, David (2000). The Possibility of Practical Reason. New York: Oxford University Press. Vogler, Candace A. (2001). Anscombe on Practical Inference. In Milgram, Elijah (ed.): Varieties of Practical Reasoning. MIT Press, 437–464. Vogler, Candace A. (2002). Reasonably Vicious. Cambridge, Mass.: Harvard University Press. Vogler, Candace (2016). Nothing Added: Intention §§ 19 and 20. In American Catholic Philosophical Quarterly 90 (2), 229–247. Von Wright, Georg Hendrik (1991). Erklären und Verstehen. Übers. v. Grewen­ dorf, G./Meggle, G., Frankfurt a.M.: Hain. Wieland, Wolfgang (1992). Die aristotelische Physik: Untersuchungen über die Grundlegung der Naturwissenschaft und die sprachlichen Bedingungen der Prin­ zipienforschung bei Aristoteles. 3. Aufl., Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Wiggins, David (1998). Deliberation and Practical Reason. In Ders.: Needs, Values, Truth. 3rd Edition, Oxford: Oxford University Press, 215–237. Wiggins, David (2006). Ethics. Twelve Lectures on the Philosophy of Morality. London: Penguin. Wild, Markus (2019). Tierphilosophie zur Einführung. 3. Aufl., Hamburg: Junius. Windelband, Wilhelm (1883/2021). Präludien. Aufsätze und Reden zur Philoso­ phie und ihrer Geschichte. Hgg. v. Bohr, J./Luft, S., Hamburg: Meiner. Wiseman, Rachael (2016b). The Intended and Unintended Consequences of Intention. In American Catholic Philosophical Quarterly 90 (2), 207–227.

297 https://doi.org/10.5771/9783495996218 .

https://doi.org/10.5771/9783495996218 .