118 104 894KB
German Pages [224] Year 2009
Für Paul van Heeswyk
Adam Phillips
Winnicott Aus dem Englischen von Florian Langegger
Vandenhoeck & Ruprecht
© Adam Phillips 1988, 2007. Erstveröffentlichung bei Fontana Paperbacks 1988; mit neuem Vorwort bei Penguin Books 2007.
Dr. med. Florian Langegger, Psychiater und Psychotherapeut, ist als Supervisor und Lehranalytiker sowie in privater Praxis in Zürich und in Uttwil am Bodensee tätig. Er ist selbst Autor und hat bereits mehrere Sachbücher aus dem Englischen übersetzt.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-40157-6
© 2009, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: Daniela Weiland, Göttingen Druck und Bindung: E Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt
Vorwort Dank
7 13
Einführung
17
1 Was wir Anfang nennen 2 Geschichte erkunden 3 Die Kriegszeit
37 61
87
4 Das Selbst tritt in Erscheinung 5 Authentisch werden
161
6 Das Deutungsspiel
173
Zeittafel
191
Anmerkungen
195
Literatur
211
Register
217
5
129
Vorwort
»Manche Menschen sind ein Leben lang von der Angst geplagt, sie könnten ihre Fassung verlieren«, schrieb Winnicott 1944 in einer Rede mit dem Titel »Why Do Babies Cry?«, »und sorgen sich, was geschehen wäre, wenn sie als Kleinkinder wirklich wütend geworden wären. Aus unerfindlichen Gründen hatten sie das nie ausprobiert. Vielleicht, weil ihre Mütter Angst davor hatten. Diese mögen ihnen Sicherheit vorgespielt haben, indem sie sich besonders ruhig verhielten, doch erzeugten sie damit auch beträchtliche Verwirrung, weil sie sich verhielten, als wäre ein wütendes Baby wirklich gefährlich.« Dies, so könnte man sagen, ist ein exemplarisches Stück Winnicott. Winnicott behauptet zwar nicht, er kenne die Ursache, aber er riskiert doch einen klaren Vorschlag, wo der Ursprung der Ängste gelegen haben mag. Und er glaubt nicht, das Kind, das zu dem Erwachsenen mit der erstickenden Angst wurde, habe an seinem angeblichen Sosein gelitten, sondern darunter, wie man ihm im Leben begegnete. Es ist die Reaktion der Mutter, von der er annimmt, sie sei prägend, so wie für Winnicott nicht der Wortlaut von Deutungen in einer psychoanalytischen Behandlung das Wesentliche ist oder die Absicht, die dahinter steckt, sondern das, was der so genannte Patient daraus macht. Wesentlich ist nicht die gegebene Tatsache, sondern das, was daraus gemacht wird. Nicht, dass nicht verstanden würde, was wir sagen, es wird bloß mehr oder weniger sinnvoll wahrgenommen. So ist es auch nicht wichtig, dass wir Winnicott allzu wörtlich nehmen und annehmen, wenn er von Müttern und Kindern spricht, wie er das meistens tut, dass er wirklich nur von ihnen 7
spricht. Es ist, als hätte er erkannt, dass das Reden über Mütter und Babys eine Möglichkeit darstellt, etwas über Paare zu sagen, das er anders nicht ausdrücken konnte. Nicht, dass Winnicott nicht wirklich über Mütter und Babys spricht, aber er benutzt Mütter und Babys, um gleichzeitig auch über anderes zu reden: sowohl über Sexualität als auch über die Beziehung eines Menschen zu sich selbst. Wenn wir in dem obigen Beispiel statt Wut und Ärger sexuelles Verlangen lesen und uns die Mutter und das Kind als ein erwachsenes Paar mit Bedürfnissen vorstellen, dann wird das Bild sofort vielfältiger. Und vor allem ist seine Art des Schreibens nicht dogmatisch, sie kommt nicht im Brustton der Überzeugung daher. »Indem sie sich besonders ruhig verhielten«, mögen die Mütter »Sicherheit vorgespielt haben«, aber vielleicht auch nicht: Es geschah »aus unerfindlichen Gründen«, dass die Wut nie ausprobiert wurde – denn wenn die Rede davon ist, was sich zwischen Menschen abspielt, verfügen wir nicht über beruhigende Gewissheiten und Verhaltensmaximen. Winnicott erprobt seine Ideen an seinen Lesern. »Ein wütendes Baby«, fährt er fort, »ist sehr wohl eine Person. Es weiß, was es will, es weiß, wie es das bekommen kann, und es weigert sich, die Hoffnung aufzugeben.« Winnicott ist vor allem an der Hoffnung interessiert, die sich mit solcher Intensität äußert (nicht zu reden von der Wut, der man sich überlässt, wenn man von einer Sache überzeugt ist). Winnicott möchte jedoch nicht, dass die Wut oder die Idee, dass man »sehr wohl eine Person« sei, in Misskredit geraten. Was ihn vor allem interessiert, ist, was es bedeuten könnte – um in seiner Sprache zu bleiben –, »sehr wohl eine Person« zu sein, also so lebendig, wie es einem überhaupt gegeben ist zu sein. Vielleicht überrascht es, einen Psychoanalytiker aus der britischen Tradition mit so vielen Affinitäten zu Nietzsche anzutreffen. Die Psychoanalyse war nie an Sexualität per se interessiert, nur an Sexualität als Ausdruck einer persönlichen Lebensgeschichte; Sex im Dienst der Erinnerung. Für die Psychoanalyse ist Sex deswegen so wichtig, weil daran abzulesen ist, wie 8
ein Individuum seine Geschichte gebraucht und missbraucht. So ist Winnicott, muss man jetzt sagen, einer der ganz wenigen großen psychoanalytischen Schriftsteller, der über die Erfahrungen der Sexualität schreibt, was ich damals, als ich dieses Buch schrieb, nicht so klar gesehen habe. Aufgrund seines Widerstrebens gegen eine explizite Auseinandersetzung mit der Sexualität konnte ich in jener Zeit nur Winnicotts Zugeständnis an die drängenden Störungen des Trieblebens sehen und seinen oft zu beobachtenden Sinn dafür, wie unruhestiftend Triebbedürfnisse für das heranwachsende Kind sind (Trieb ist in Winnicotts Schriften dasjenige, was das Spiel stört). Doch stellen seine Ansichten von Lebendigkeit, Unbarmherzigkeit und dem Gebrauch des Objekts, seine Beschäftigung mit Alternativen zu dem, was er »schuldvolle Mühsal« nennt – seine AntiWiedergutmachungsgeschichte des Begehrens –, eine radikale Neuformulierung erotischer Möglichkeiten dar. Ich wusste, als ich dieses Buch schrieb, dass diese Themen für Winnicott von zentraler Bedeutung waren, aber ich ließ mich davon überzeugen, Winnicotts einziger blinder Fleck als Psychoanalytiker wäre die Sexualität; natürlich bedeutete sie etwas für ihn, aber sie war nicht, wie bei Freud, der Anfang und das Ende von allem. Wenn er aber darüber schreibt, was Babys ihren Müttern antun und mit ihren Müttern tun und nicht tun wollen (und vice versa); wenn er über Einsamkeit schreibt und das Bedürfnis, unerkannt zu bleiben (»zu Beginn ist es wesentlich ein Alleinsein. Zugleich kann dieses Alleinsein nur unter maximal abhängigen Bedingungen stattfinden«, »Human Nature«); wenn er über jene Figur schreibt, die er den »Künstler« nennt, schreibt er auch über Sexualität und das grundsätzlich Unpersönliche des Begehrens. Das Individuum, Winnicott deutet das oft an, ohne es ausdrücklich zu sagen, ist am ehesten bei sich selbst, wenn es am anonymsten ist; Anpassung ist dasjenige, wofür wir den Begriff Persönlichkeit erfunden haben. Begehren, Lebendigkeit und »kreatives Leben« erfordern jedoch etwas ganz anderes. Position zu beziehen für das, was er in einem Brief »die subtilere 9
Kommunikation« nannte, »welche die einzige Grundlage für Kommunikation ist, die den Umstand der grundsätzlichen Isolation jedes Individuums nicht verletzt« (an W. R. Bion, 7. Oktober 1955), bedeutet, einer sehr ungewöhnlichen Ansicht von Kommunikation, wie sie funktioniere und wofür sie gut sei, das Wort zu reden. Aus dieser Sicht stellt es für das Individuum die größte Bedrohung dar, verletzt zu werden, und so genannte Beziehungen sind immer die Szenerie für mögliche Verletzungen. Was aber durch Kommunikation verletzt werden kann, ist die grundsätzliche Isolation des Individuums. Es ist nicht zufällig, dass ausgerechnet jener psychoanalytische Schriftsteller, der mehr über »Beziehung« zu sagen hat als eigentlich alle anderen Schriftsteller auf diesem Gebiet, so viel über die Schachzüge der Einsamkeit zu sagen hat. Wenn Rousseau sozusagen der Meister der Einsamkeit war, einer Einsamkeit, die aus dem Gefühl von Verfolgung resultierte, dann ist Winnicott der große Fürsprecher für die Wohltaten der Einsamkeit, einer Einsamkeit, die ihre Wurzeln in der Abhängigkeit hat. Gegen den Strom zeitgenössischer Psychoanalyse – und vielleicht zeitgenössischer Kultur überhaupt – ist das moderne Individuum nach Winnicotts Ansicht einsam, ehe es schuldig wird, und sucht seine Einsamkeit aufrechtzuerhalten und sie in seinem Begehren zu erneuern. So ist auch das Ziel der Winnicott’schen Analyse, die Fähigkeit des Individuums für sein Alleinsein zu fördern und die Fähigkeit, sich den Appetit für vollumfängliches Begehren zu bewahren, von dem es doch abhängig ist (»vollumfänglich« bedeutet, das Wissen um das eigene Begehren und dessen Konsequenzen – der bekannten wie der unbekannten – auszuhalten). Und all dies im Dienst des individuellen Wachstums auf das hin, was Winnicott »eine persönliche Seinsweise« nannte, was beinhaltet, sich selbst nicht zu persönlich zu nehmen (D. h. zu ängstlich zu sein: Als man die Analytikerin Enid Balint fragte, was ihre wichtigste Erinnerung an Winnicott war, antwortete sie, dass er sich vor seinen Patienten nicht fürchtete.). So ist Winnicott etwas verspätet zu einer 10
Art kultureller Gegenstimme geworden, nicht einfach ein heimatloser Psychoanalytiker in der kleinen Welt der Psychoanalyse, sondern jemand, der gegen den Zeitgeist anstand. Würde man ihn bloß als Psychoanalytiker lesen (und als Kinderarzt) und nicht als Schriftsteller, entginge einem vieles. Winnicott ist gegen Persönlichkeitskult (und gegen Berühmtheitskult: Er hat vieles Interessante über Anpassung bei scheinbarer augenfälliger Originalität zu sagen, zum Beispiel über »Schauspieler«). Er ist gegen militante Kompetenz in den so genannten helfenden Berufen, gegen endgültige Theorien und Schnellbehandlungen, und er ist für Therapien, die so lange dauern, wie sie eben dauern, und dass Menschen ganz allgemein ihr eigenes Tempo haben. Und er ist gegen sentimentale Beziehungen, und dagegen, dass man Abhängigkeit als den Feind und nicht als eine Vorbedingung für Unabhängigkeit betrachtet, und er ist sehr zurückhaltend, wenn Fürsorge und nicht Rücksichtslosigkeit als ein Zeichen von Liebe gedeutet wird (1957 schrieb er: »Wenn Männer und Frauen ihre Triebbedürfnisse mit der Bereicherung ihrer Beziehungen verknüpfen wollen, bleibt normalerweise viel Erregung auf der Strecke und muss einen Weg finden, einfach abzusterben.«). Und er glaubt nicht, dass Erziehung dasjenige ist, was wir am nötigsten haben (»Es ist nicht möglich, ein Baby danach aufzuziehen, was jemand in einem Buch geschrieben hat.«). In einer Zeit chronischer Professionalisierung und des Karrierismus, sich ausbreitender Erlösungskulte und Profitgier hat Winnicott eine neue Geschichte darüber zu erzählen, was wir tun könnten, wenn wir ungeeigneten Objekten unserer Begierden nachjagen. Winnicott, das sei hier betont, glaubt an die Möglichkeit eines Lebens, das darin besteht, nicht mitzumachen, dass man, wie er sagt, »allein ist, ohne sich zu isolieren«. Verrücktheit bedeutet, wie er einst bemerkte – und wie ich in diesem Buch zitiere –, das Bedürfnis, dass einem geglaubt werde. Der Ausspruch ist wert, wiederholt zu werden. London, 2007 11
Dank
Dieses Buch ist das Ergebnis etlicher Jahre psychoanalytischen Lernens und Lehrens, während denen sich zahllose Schulden angehäuft haben. Ich bin besonders in der Schuld von Masud Khan und Christopher Bollas, von denen ich Formen der Psychoanalyse kennen lernte, die für mich verstehbar und anregend waren. Die spontane Kritik und das enthusiastische Interesse von Geoffrey Summerfield und Hugh Haughton machten es mir möglich, dieses Buch zu schreiben, ebenso wie die Unterstützung durch Eileen Joyce. Das Buch profitierte von einer Vielzahl von Anregungen von Alex Coren, Morian Roberts, Charles Rycroft, Michel Gribinski, Richard Poirier, Michael Neve, Jimmy Britton, Geoffrey Weaver und George Moran. Ich möchte mich auch bei Madeleine Davis und dem Winnicott Publications Committee für ihre Unterstützung des Projekts und bei den Bibliothekaren des New York Hospital – Cornell Medical Center für ihre Hilfe bedanken. Die Herausgeber des »Raritan« und der »Nouvelle Revue de Psychoanalyse« haben meiner Arbeit unschätzbare Unterstützung zuteilwerden lassen. Mein eigenes Gefühl dafür, worum es bei der Psychoanalyse geht, erwuchs in den Gesprächen mit jener Person, der dieses Buch gewidmet ist. London, 1988
13
»Die erste Lektion, die die arglose Kindheit mir erteilt, ist – dass es ein Trieb meiner Natur ist, aus mir herauszutreten und in Gestalt anderer aufzutreten. Die zweite ist – nicht zuzulassen, dass irgendeine Gestalt sich MEINER bemächtigt und unter der Maske dessen, was die deutschen Pathologen eine FIXE IDEE nennen, zu einem beherrschenden Selbst wird.« Samuel Taylor Coleridge
»Ich bin eher meinen Neigungen gefolgt, als auf meine Fähigkeiten zu achten.« Ralph Waldo Emerson
Einführung
»Gesundheit ist viel schwieriger zu ertragen als Krankheit.« Donald Woods Winnicott
I In einer Ansprache, die Donald Winnicott 1945 vor der sechsten Klasse der St. Paul’s School hielt, schilderte er seine Erfahrungen als Schuljunge, als er Darwins »The Origin of Species« entdeckte: »Ich konnte nicht aufhören zu lesen. Ich wusste damals nicht, warum das Buch so wichtig für mich war. Heute sehe ich, dass es mir in der Hauptsache zeigte, dass Lebewesen wissenschaftlich untersucht werden können und dass Wissensund Verständnislücken mich folglich nicht ängstigen müssen. Für mich bedeutete diese Einsicht ein großes Nachlassen innerer Spannung und einen Energieschub für Arbeit und Spiel.«1 Darwin hatte Lebewesen untersucht, um ihre Beziehungen zu einander erklären zu können. Dabei wurde ihm klar, dass Lücken in den Evolutionsreihen lediglich Unterbrechungen des historischen Beweismaterials für den Zusammenhang der Arten darstellen. So wie Freud später die verdrängten Lebensgeschichten der Menschen, die er behandelte, aufzeigen sollte, hatte Darwin die unsichtbare Geschichte der Arten rekonstruiert. Lücken in der Beweisführung eröffneten neue Aussichten und sowohl Darwin wie Freud waren in der Lage gewesen, 17
überzeugende und offensichtlich auch zusammenhängende Geschichten darüber zu erzählen. Winnicott will damit sagen, dass er die Lücken nicht schließen, sondern einen Weg finden müsse, sie zu untersuchen. Sie könnten mögliche Räume für die Vorstellungskraft darstellen. Diese Idee der Lücken sollte ihn, wie wir sehen werden, eingehend beschäftigen, diese »Räume dazwischen«, die Platz boten für das Spiel der Spekulationen. In seiner meisterlichen Darstellung menschlicher Entwicklung, an der er über vierzig Jahre arbeitete, versuchte Winnicott zu erklären, wie das Individuum aus der Abhängigkeit heraus zu einem Individuum mit persönlichen Seinsweisen heranwächst, wie es entsprechend der Vorstellung, die es von sich selbst hat, zugleich gewöhnlich und besonders wird, und was sein frühes Umfeld dazu beiträgt. Sein Ansatz in Richtung psychosomatischer Integration hieß Wachstum. Er sollte darauf hinweisen, wie wichtig eine kontinuierliche Fürsorge ist – »good-enough mothering« –, um das aufrechtzuerhalten, was er den »Fortgang des Seins«, die »Lebenslinie« des Säuglings in dessen frühesten Lebensstadien nannte. Für Psychoanalytiker unverständlich, bezeichnete er das Triebleben als eine mögliche »Komplikation« des tiefer liegenden Bedürfnisses des Individuums nach Beziehung. Krankheit erschien ihm als Behinderung des Potentials an Spontaneität, die für ihn so bezeichnend für die Lebendigkeit eines Menschen war. Für ihn schien jegliche Psychopathologie ihre Ursprünge in der Unterbrechung der kontinuierlichen Fürsorge zu haben, in den Störungen der frühen Entwicklung: Lücken, verursacht von den Aufdringlichkeiten und Entbehrungen und natürlichen Katastrophen der Kindheit, die er zumeist als Folgen von Fehlern elterlicher Fürsorge einschätzte: Das Kind mochte etwas erlebt haben, das es sich nicht sinnvoll zu eigen machen und in sich einen Platz dafür finden konnte. Für einen Säugling, zum Beispiel, der zu lange auf seine Mutter warten muss, »ist das einzig Wirkliche diese Lücke; das heißt, der Tod oder die Abwesenheit oder das Vergessen.«2 18
Nach Winnicotts Ansicht sind Erfahrungen für Kinder immer dann traumatisch, wenn sie unbegreiflich, unverständlich sind. Zu Beginn fällt der Mutter die Aufgabe zu, den Säugling in handlichen Dosen mit der Welt bekannt zu machen. Und die Aufgabe derjenigen, die Müttern und Kindern helfen, wäre, so Winnicott, diesen Prozess zu beschützen. Er schreibt: »Wenn es wahr und sogar möglich ist, dass der Grundstein für die geistige Gesundheit jedes Individuums von seiner Mutter in deren lebendigem Umgang mit dem Säugling gelegt wird, dann können Ärzte und Krankenschwestern es sich zur Pflicht machen, sich da nicht einzumischen. Statt zu versuchen, Müttern beizubringen, was sie tun sollen – was man in Wirklichkeit niemandem beibringen kann –, sollten Kinderärzte früher oder später eine gute Mutter, wenn sie eine sehen, erkennen und dann sicherstellen, dass sie alle Chancen erhält, um in ihren Job hineinzuwachsen.«3 Winnicotts Arbeit stand ganz im Dienst des Erkennens und der Beschreibung der guten Mutter und der Verwendung der Mutter-Kind Beziehung als Modell für die psychoanalytische Behandlung. Und oft galt es ihm als gegeben, dass dasjenige, was Mütter natürlicherweise tun, »was man wirklich niemandem beibringen kann«, das Modell für die Tätigkeit des Psychoanalytikers sei. Insbesondere untersuchte er die paradoxe Wirkung traumatischer Erfahrungen, die insofern prägend sind, als sie das Selbst ausschalten und gleichzeitig die Rolle der Mutter aktivieren, die in ihrem Kind ein Selbst fördert, das für persönliche Erfahrungen offen sein soll. Doch verwendete Winnicott das Konzept des Selbst in einer übersteigerten und manchmal mystifizierenden Weise, die sich nicht ohne Weiteres mit der traditionellen psychoanalytischen Theorie verträgt. »Ein Begriff wie ›das Selbst‹«, schreibt er, »weiß seiner Natur gemäß mehr als wir; das Selbst nimmt uns in seinen Dienst und bestimmt über uns.«4 Aus der Art, wie er in verschiedenen Zusammenhängen von diesem machtvollen Begriff gefesselt war, werden wir sehen, 19
dass er ihn für das Wesentliche einer Person hielt, verknüpft mit körperlicher Lebendigkeit und doch nicht beschreibbar und letztlich dem Wissen nicht zugänglich: vielleicht wie eine Verkörperung der Seele. »Im Zentrum jedes Menschen«, schreibt Winnicott, »gibt es ein Element, das incommunicado ist, heilig, und das allen Schutz verdient.«5 Dieses Selbst, das er später als »andauernd nichtkommunizierend« beschreiben wird, passt natürlich schlecht zu der Vorstellung von Psychoanalyse als einer primär interpretierenden Praxis. Vor allem glaubte Winnicott, dass das Selbst des Individuums durch zu frühe Anpassung an seine Umgebung bedroht ist. In »The Origin of Species« hatte Darwin »Zwischenformen« oder »Übergangsstufen« in der Entwicklung der Arten und die Rolle der Umwelt bei diesem Prozess erwähnt. Er hatte die Bedeutung der Vielfalt und des Variationenreichtums für das persönliche Überleben entdeckt, aber auch die Notwendigkeit der Anpassung von Organismen an die Bedingungen ihrer Umwelt. Um ihre Überlebenschancen zu verbessern, müssen Organismen sich anpassen, aber auch in großer Zahl neue Formen bilden. Sowohl Erneuerung wie Anpassung sind nötig, weil diejenigen, die sich letztlich nicht an ihre Umgebung anpassen, nicht überleben. In Winnicotts Theorie der menschlichen Entwicklung ist es die Mutter als die erste Umwelt, die sich »aktiv anpasst« an die Bedürfnisse ihres kleinen Kindes. In Winnicotts Terminologie hat das Kind zu Beginn seines Lebens ein natürliches Recht, die Mutter rücksichtslos für das Erkanntwerden und die Befriedigung zu benutzen, die seine Entwicklung erfordert. »Ohne jemanden, der spezifisch auf seine Bedürfnisse ausgerichtet ist«, schreibt er, »kann der Säugling keine funktionierende Beziehung zur äußeren Realität aufbauen.«6 Mit der Zeit reduziert die Mutter schrittweise ihre Verfügbarkeit und »desillusioniert« so das Kind, und das Kind wird lernen, die Folgen seiner Rücksichtslosigkeit in Betracht zu ziehen. Jedoch ist Winnicott – beeinflusst von darwinistischer Biologie –, wie wir sehen werden, der Idee »natürlicher« Entwick20
lungsprozesse verpflichtet, denen die Mutter sich dank ihrer responsiven Aufmerksamkeit anpassen und die sie unterstützen kann. Der Begriff »natürlich« führt, wie wir ebenfalls sehen werden, in Winnicotts Werk auf allerlei Abwege. Manchmal verführte er ihn – zum Beispiel, wenn er von »der Rolle« schreibt, »die die Frau in der komischen Oper der Natur spielt«7 – zu einer Sentimentalität, der gegenüber er sonst sehr misstrauisch war. Die früheste Beziehung ist in Winnicotts Darstellung eine wechselseitige und nicht eine, in der überwältigende Konflikte und Unterordnung die Hauptrolle spielen. Wenn die Mutter jedoch aus Gründen, die in ihrer eigenen Entwicklung liegen, außerstande ist, sich den Bedürfnissen ihres Kindes anzupassen und selbst mit Forderungen an es herantritt, dann fördert sie eine zu frühe Anpassung. Um den Forderungen der Mutter zu genügen und das wahre Selbst seiner persönlichen Bedürfnisse und Beschäftigungen zu schützen, entwickelt das Kind das, was Winnicott ein »Falsches Selbst« nannte. Indem Winnicott den Begriff der Wechselseitigkeit in die Geschichte der frühen menschlichen Entwicklung einführte, korrigierte er teilweise Darwins Ansichten. Er kehrt die Darwin’sche Gleichung um und behauptet, die menschliche Entwicklung bestehe oft aus einem rücksichtslosen Kampf gegen eine Anpassung an die Umwelt. Und dieser Kampf zeigt sich auch in seinen Schriften, wo sich Neuerungen der psychoanalytischen Theorie und Technik finden, gefolgt von expliziten Beteuerungen, wonach sein Werk nichts als die Fortsetzung orthodoxer psychoanalytischer Tradition wäre. Man kann sogar eine gewisse Ungeschicklichkeit in der Art, wie Winnicott seine radikale Abwendung von Freud zu verbergen sucht, beobachten. »Reife Erwachsene«, schreibt er, »wiederbeleben das Hergebrachte, Alte und Orthodoxe, indem sie es neu erschaffen, nachdem sie es zerstört haben.«8 Mit heiterem Trotz schuf Winnicott oft aufs Neue und bis zur Unkenntlichkeit verändert die Arbeiten derer, die ihn beeinflusst hatten. 21
Wegen der frühen Abhängigkeit war Anpassung für Winnicott ein so wichtiger Begriff. Der Säugling ist für sein Überleben auf die konzentrierte Aufmerksamkeit der Mutter angewiesen. Die Mutter ihrerseits bedarf anderer Menschen um sich herum, die sie nötig hat. Gemäß einem berühmten Ausspruch Winnicotts gibt es so etwas wie ein Baby nicht: »Wenn Sie mir ein Baby zeigen, zeigen Sie mir sicherlich auch jemanden, der sich um das Baby kümmert oder mindestens einen Kinderwagen, auf den jemand Augen und Ohren geheftet hat. Was man sieht, ist ein ›aufeinander bezogenes Paar‹.«9 Winnicott leitete alles in seinem Werk, inklusive einer Theorie wissenschaftlicher Objektivität und einer Revision der Psychoanalyse, von diesem Paradigma der sich entwickelndem Mutter-Kind Beziehung ab. Er versuchte herauszufinden, was an der Mutter es ist, das das Kind benötigt, und das brachte ihn auf Fragen, die in der psychoanalytischen Theorie kaum je gestellt wurden: Was brauchen wir, damit wir uns lebendig und wirklich fühlen? Woher kommt das Gefühl – wenn wir es je haben –, unser Leben sei lebenswert? Winnicott versuchte diesen Themen mittels Beobachtung – dies ist einer seiner Lieblingsausdrücke – von Müttern und Kindern und des »Übergangsraums«, der mit der Zeit zwischen ihnen entsteht, auf die Spur zu kommen. Und sein Engagement galt der Verknüpfung dieser Beobachtungen mit Einsichten, die aus der Psychoanalyse stammten. Als der Erste in England zum Psychoanalytiker ausgebildete Kinderarzt war er einzigartig qualifiziert, seine Beobachtungen mit den immer rekonstruierten und im Rückblick gewonnenen Geschichten aus psychoanalytischen Behandlungen zu vergleichen. Was sich zwischen der Mutter und ihrem Säugling abspielt, sollte zur Quelle von Winnicotts bedeutendsten und bezeichnendsten Einsichten werden. Diese Einsichten, die er kaum je mit der Erotik im Leben von Erwachsenen verknüpfte, brachten ihn in mindestens teilweisen Gegensatz zu Freud – was etwa die Verknüpfung von kindlicher Rücksichtslosigkeit und erwach22
sener Sexualität betrifft. Väter tauchen in seinen Schriften nur in Klammern oder in Anführungszeichen auf. Seine wichtigsten theoretischen Beiträge zur Psychoanalyse – Übergangsphänomene, primäre Kreativität, Rücksichtslosigkeit, die anti-soziale Tendenz, das Wahre und das Falsche Selbst – bringt er nie mit den Unterschieden der Geschlechter in Zusammenhang. Freud hingegen hatte sich in seinem Werk kaum je um dieses frühe, aufeinander bezogene Paar und die Einzelheiten der Säuglingsbehandlung gekümmert. Er hatte ein Setting und eine Behandlung erfunden, die unbeabsichtigt Erinnerungen an frühe mütterliche Fürsorge wachrufen, und er hatte natürlich auch über die Abhängigkeitsbeziehung geschrieben, die unter der psychoanalytischen Behandlung neuerlich entsteht. Zwar hatte er die Bedeutung der Hilflosigkeit des menschlichen Säuglings und dessen Unreife bei der Geburt für die spätere Entwicklung gewürdigt, aber er hatte dieser Hilflosigkeit nicht die zentrale Bedeutung zuerkannt, die sie später für die Kinderanalytiker und die Objektbeziehungstheoretiker bekommen sollte, die sich als diejenigen sahen, die seine Arbeit weiterentwickelten. Für Freud stand der Ödipuskomplex – die Beziehung von drei Personen – im Zentrum der Psychoanalyse und nicht die frühe Abhängigkeit und Verletzlichkeit des Säuglings. Obwohl auch er ein wichtiges präödipales Entwicklungsmodell erarbeitet hatte, schenkte er der ersten Beziehung zur Mutter doch relativ wenig Aufmerksamkeit. Und er neigte dazu, bei seinen Patienten einen gewissen Entwicklungsstand vorauszusetzen, den Winnicott wohl in Frage gestellt hätte. Aus seinen Falldarstellungen gewinnt man den Eindruck, Freud sei der Ansicht gewesen, seine Patienten hätten die »lange Zeit« der Hilflosigkeit mehr oder weniger erfolgreich hinter sich gebracht und sich in die Zone der enttäuschenden Unbilden inzestuöser Wünsche begeben. Freud hatte sich für die Kämpfe der Erwachsenen mit deren widersprüchlichen und unannehmbaren Begierden interessiert, in denen er umgewandelte Abkömmlinge der Begierden des 23
Kindes nach seinen Eltern sah. Diese Begierde, die Freud infantile Sexualität nannte, war der Vorläufer und das exemplarische Beispiel für die erwachsene Sexualität. Aus einer tief sitzenden Ambivalenz heraus konstruiert sich das Individuum, nach Freuds Ansicht, eine stets prekäre sexuelle Identität, während bei Winnicott für das Individuum aus einer stets widersprüchlichen Verstrickung mit anderen der Eindruck entsteht, mit einem Selbst auf die Welt gekommen zu sein, das über Möglichkeiten verfügt. Während Freud sein Augenmerk auf die beeinträchtigten Möglichkeiten des Individuums, zu einer Befriedigung zu gelangen, richtete, ist dies für Winnicott nur Teil eines größeren Anliegens des Individuums, zu persönlicher Authentizität zu gelangen, was er »sich als wirklich wahrnehmen« nennt. In Winnicotts Schriften kann Kultur Wachstum fördern, wie eine Mutter; für Freud verbietet und frustriert sie nur, wie ein Vater. Nach Freuds Ansicht ist der Mensch durch die Widersprüche seiner Begierden gespalten und wird in frustrierende Verstrickungen mit anderen gestürzt. Bei Winnicott kann der Mensch sich selbst nur in Beziehungen mit anderen finden, und in der Unabhängigkeit, die er durch die Anerkennung seiner Abhängigkeit gewinnt. Für Freud ist der Mensch, abgekürzt gesagt, das ambivalente Tier. Für Winnicott ist er das abhängige Tier, für das Entwicklung – das einzige »Gegebene« seiner Existenz – den Versuch darstellt, »allein zu sein, ohne sich zu isolieren«. Bevor die Sexualität als das Unakzeptable auftaucht, gibt es bereits die Hilflosigkeit. Am Anfang, vor gut und böse, steht die Abhängigkeit. In den »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie« (1905) stellt Freud seine Ansicht von den frühesten entwicklungsbedingten Bedürfnissen des Kindes dar. Sie sind der ursprüngliche Entwurf für alle späteren widersprüchlichen psychoanalytischen Geschichten, die folgen sollten. In diesem ersten Essay macht er eine einfache Unterscheidung, die für die Psychoanalyse von Kindern wichtig werden sollte. »Führen wir zwei Termini ein:«, schreibt er, »heißen wir die Person, von welcher die geschlecht24
liche Anziehung ausgeht, das Sexualobjekt, die Handlung, nach welcher der Trieb drängt, das Sexualziel.« Das erste Objekt des Begehrens, fährt Freud fort, ist für beide Geschlechter die Mutter. Aber, betont er, das Ziel, das zunächst die Mutter ist, ist mit dem Trieb nur »verlötet«. Das bedeutet – und bei der erwachsenen Sexualität wird das noch deutlicher werden –, für Freud gibt es keine notwendige Verbindung zwischen dem Trieb und dessen Ziel, für Letzteres lasse sich leicht ein Ersatz finden. So gesehen, gilt die primäre Bindung des Kindes und später des Erwachsenen dem Trieb und dessen Befriedigung und nicht einer bestimmten Beziehung. Tatsächlich wendet sich der Säugling nach Freuds Ansicht nur widerwillig an die Mutter, weil er sich selbst nicht zufriedenstellen kann. Mit anderen Worten, in der Abhängigkeit sah Freud ein Zugeständnis von Seiten des Kindes. Dieses nimmt in einem Zustand, der einer Enttäuschung nicht unähnlich ist, die Mutter gewissermaßen erst verspätet buchstäblich als Objekt war, um die Spannung, die aus dem Trieb resultiert, zu mildern. Das Bild des Säuglings ist ursprünglich das eines omnipotenten, ausbeuterischen Hedonisten. Mit dem Aufkommen der Kinderanalyse und insbesondere mit der Arbeit von Melanie Klein gerieten die frühesten Stadien dieser Objektbeziehung zur Mutter zum ersten Mal in den Fokus der Psychoanalyse. Statt der diskreten Trennung von Subjekt und Objekt, dem Säugling und seiner Mutter, wurde die Beziehungsmatrix zum Gegenstand der Aufmerksamkeit. Diverse Ansichten über das Gefühlsleben des Kindes wurden laut und es wurde spezifischer gefragt, welchen Platz die Mutter im Leben des Säuglings einnimmt. Klein, die im kindlichen Spiel eine Analogie zu den freien Assoziationen der Erwachsenen sah, entwickelte ihre Form der psychoanalytischen Technik für kleine Kinder. Sie deutete deren Spiel und gelangte zu bis dahin nicht da gewesenen Bildern, die, wie sie meinte, die innere Welt des Kindes offenlegen. Indem sie ihr Augenmerk auf einen besonderen Aspekt der frühkindlichen Sexualität, den 25
Sadismus des Säuglings richtete, war sie die Erste, die, wenn auch oftmals in einer ihr eigenen dichten psychoanalytischen Sprache, die leidenschaftliche Heftigkeit des frühen Gefühlslebens formulierte. Wie wir sehen werden, sollten ihre Ansichten über die frühe emotionale Entwicklung und die Bedeutung der kindlichen Destruktivität in diesem Prozess für Winnicott entscheidend werden. Tatsächlich ist sein Werk ohne Bezugnahme auf Melanie Klein kaum verständlich. Es ist ein ständiger, manchmal bloß angedeuteter Kommentar zu und eine Kritik an ihrem Werk. Die Bedeutung der inneren Welt und ihrer Objekte, die sinnvoll angeordnete und beherrschende Macht der Fantasie, die zentrale Rolle der primitiven Gier – alle diese Ideen übernimmt Winnicott von Klein und benutzt sie auf seine eigene Weise. Wie wir sehen werden, hatte das unterschiedliche Darstellungen des Entwicklungsprozesses und des Beitrags zur Folge, den die Mutter dazu leistet. Kleins stringente theoretische Ansichten und die devote Ergebenheit ihrer Nachfolger provozierten Winnicott, ohne ihn jedoch von seiner eigenen, ganz persönlichen Sichtweise abzubringen. Winnicott teilte mit Klein die tief sitzende Überzeugung von der entscheidenden Wichtigkeit der frühesten Entwicklungsstufen. Aber von Anfang an war er der Meinung, der Säugling suche nicht bloß triebhafte Befriedigung von einem Objekt, sondern Kontakt mit einer Person. Vom Beginn seines Lebens an ist der Säugling ein zutiefst auf Geselligkeit hin orientiertes Wesen: Er schreit, weil er nach Nähe und nicht nur nach Abfuhr von Spannung verlangt – nach Bezogenheit, nicht bloß nach Befriedigung. Tatsächlich ist Befriedigung nur in einem Kontext von Bezogenheit zu Mutter möglich. »Es ist nicht die Triebbefriedigung«, schreibt er, »die dazu führt, dass ein Baby zu sein beginnt, die ihm das Gefühl gibt, das Leben sei wirklich und lebenswert.«11 Seiner Ansicht nach ist es die mütterliche Fürsorge, die es dem Selbst des Säuglings ermöglicht, aus den Erfahrungen, die er mit seinen Trieben macht, Nutzen zu ziehen und nicht von ihnen überwältigt zu werden. Die haupt26
sächliche Rolle der Mutter ist, das Selbst ihres Säuglings zu schützen; nach Winnicotts Ansicht wird das Selbst nicht von den Trieben gebildet, sie stehen vielmehr in dessen Dienst. »Erst muss es ein Selbst geben, dann kann das Selbst von den Trieben Gebrauch machen; der Reiter muss das Pferd reiten, nicht von ihm weggezerrt werden.«12 Und es ist »Aufgabe der Mutter«, sicherzustellen, dass das geschieht. Freud hatte gesagt, der Reiter müsse das Pferd in die Richtung lenken, in die das Pferd gehen wolle. Er war vorausschauend genug, um vorherzusehen, dass sein Beharren auf der zentralen und subversiven Rolle der Sexualität jedermann davon abschrecken würde, der Psychoanalyse Gefolgschaft zu leisten. Angeregt von Melanie Klein und neu formuliert von Winnicott entstand nun ein Beitrag zu dem, was als Britische Schule der Objektbeziehungstheoretiker bekannt werden sollte, die die Psychoanalyse von einer Theorie sexuellen Begehrens zu einer Theorie der Gefühlspflege umformulierte. Es war, als ob der Säugling sich des Erwachsenen bemächtigt hätte. Mit der Ankunft Melanie Kleins in England 1926 und mit der Arbeit von John Bowlby und von Winnicott selbst mit Kindern, die während des Krieges evakuiert worden waren, und mit den Ansichten, die aus Anna Freuds Version der Kinderanalyse kamen, entstand in der Psychoanalyse ein neues Bild von der Bedeutung früher Beziehungen für die Entwicklung des Individuums. So wie die Frauen nach ihrem engagierten Einsatz während des Krieges ermutigt wurden, wieder zu Hause zu bleiben, wurden überzeugende Theorien über die Bedeutung einer kontinuierlichen mütterlichen Fürsorge für die Kinder und mögliche Gefahren einer Trennung laut, die dazu angetan waren, die Frauen davon zu überzeugen, tatsächlich auch zu Hause zu bleiben.13 In der Britischen Nachkriegspsychoanalyse ging es nicht, wie in Frankreich dank der Arbeiten von Lacan, um eine Rückkehr zu Freud, sondern vielmehr um eine Rückkehr zu der Mutter. 27
II Unter dem Vorsitz, wenn auch nicht unter der Führung Winnicotts entstand innerhalb der British Psychoanalytical Society eine »mittlere Gruppe«. Stark beeinflusst von der Kinderanalyse, aber nicht ausschließlich den Arbeiten Anna Freuds oder Melanie Kleins verpflichtet, gründeten verschiedene Analytiker – Masud Khan, Charles Rycroft, Marion Milner, John Klauber und Peter Lomas waren die wichtigsten unter ihnen – weder eine eigene Schule noch eine eigene Ausbildungsrichtung. Ihr Werk ist vielmehr um ein eklektisches Entwicklungsmodell zentriert und eher einem Pluralismus als der Heldenverehrung verschrieben. Da sie, etwas pauschal gesprochen, von einem empirischen und nicht so sehr von einem dialektischen Hintergrund herkamen, sind ihre Arbeiten durch ein Interesse an Beobachtung und Empathie charakterisiert, durch Misstrauen gegen Abstraktion und Dogmatismus, und durch den Glauben an die Fähigkeit der Menschen, sich selbst zu offenbaren und sich verständlich zu machen. Ihre theoretischen Arbeiten bezogen sich immer auf die klinische Arbeit; es finden sich darin kaum verblüffende Meisterstücke von Deutungen oder raffiniertem Wissen; und ihre Sorge um den Patienten brachten sie nicht ironisch zum Ausdruck. In dem konzeptuellen Vokabular, das sie auch nur mehr oder weniger teilten, war Imagination ein wichtiger Begriff. Obwohl indirekt vom Existenzialismus beeinflusst, holte sich diese mittlere Gruppe ihre Neuformulierungen Freuds eher aus der Biologie, der Verhaltensforschung und der Literatur als aus der Linguistik und der kontinentaleuropäischen Philosophie. Der Spiritus Rector ihrer Arbeit war eher Darwin, nicht so sehr Hegel oder Nietzsche. Ihre Theoriebildung war frei von radikalen Absichten. In ihren Schriften vermieden sie ausführliche theoretische Annahmen und der Ton war nicht der eines bildungsbürgerlich aufgeklärten Entsetzens über die Condition Humaine. Für Winnicott und diejenigen, die von seinem Werk beein28
flusst waren, bestand die psychoanalytische Behandlung nicht in erster Linie aus Deutungen, sondern zuerst und vor allem in dem Bereitstellen eines geeigneten Milieus, einer »haltenden Umgebung«, die einer mütterlichen Fürsorge gleichkommt. Was Paul Ricœur in Bezug auf Freuds Werk »Hermeneutik des Misstrauens« genannt hat, wurde ersetzt durch den Versuch, eine analytische Situation herzustellen, in der dem Patienten nicht eine autoritäre Übersetzung präsentiert wird – indem er gewissermaßen mit seinem eigenen Unbewussten gefüttert wird –, sondern der Analytiker ihm den Raum bietet, um, wie Winnicott schrieb, »sich sich selbst zu offenbaren«. Zu Beginn ist der Analytiker eine Art Gastgeber: »In der Psychoanalyse«, schrieb Winnicott, »geht es nicht einfach darum, das verdrängte Unbewusste zu deuten, [sondern] […] Vorkehrungen für einen professionellen Rahmen zu schaffen, wo Vertrauen Platz hat, wo dann solche Arbeit stattfinden kann.«14 Deutung als Teil eines solchen Settings zielt darauf hin, anzuerkennen und zu rekonstruieren, wo es an elterlicher Fürsorge fehlte und welche frühen Entwicklungsbedürfnisse nicht respektiert worden waren. Das Risiko dabei ist, dass die Deutung in der Analyse insofern prägend wird, als sie die ohnehin nur halb formulierten Gedanken und Gefühle des Patienten zu früh vorwegnimmt. Deutung würde dann lediglich zu einem Eilverfahren – zugunsten des Analytikers. Analyse hatte aber, wie Entwicklung auch, für Winnicott etwas damit zu tun, dass Menschen sich die Zeit nehmen, die sie brauchen. »Heilung (cure)«, schrieb Winnicott, »gründet sich auf Fürsorge (care)«, Fürsorge im Dienst der persönlichen Entwicklung. Der Therapeut muss »die Fähigkeit besitzen […] die Konflikte des Patienten in sich aufzubewahren, das heißt, sie in sich aufzubewahren und zu warten, bis sie sich in dem Patienten lösen, und nicht ängstlich nach einer Heilung Ausschau halten«.15 Heilung ist nicht etwas, das der Therapeut dem Patienten zufügt. In den Sitzungen mit Kindern stellte Winnicott fest, dass der entscheidende Moment oft derjenige war, wenn der Patient 29
sich selbst überraschte. Und in der Tat ist eines der Ziele der Winnicott’schen Analyse die Entwicklung der Fähigkeit, sich von sich selbst überraschen zu lassen. Überraschung entzieht sich freilich den Erwartungen, die aus einem Corpus von Theorien resultieren. Sie befreit von Anpassungsdruck. Aus Winnicotts Falldarstellungen ist ersichtlich, dass er sich als Analytiker sowohl von seinen eigenen Überraschungen als auch von denen seiner Patienten überzeugen ließ.16 Psychoanalytiker haben zwar viel über Lust geschrieben, aber Winnicott ist einer der wenigen, der in seinen Arbeiten zulässt, dass man sieht, dass das, was er tut, ihm Vergnügen bereitet. Und das, denke ich, geht Hand in Hand mit einem seiner wichtigsten Beiträge, nämlich der Entwicklung eines durch und durch kollaborativen Modells psychoanalytischer Behandlung, wobei der Analytiker eine Atmosphäre schafft, die es auch dem Patienten ermöglicht, sich selbst Deutungen zu geben. Gesundheit hatte für Winnicott etwas zu tun mit einer Beziehung auf Gegenseitigkeit: »Es ist ein Zeichen von geistiger Gesundheit, wenn man in der Lage ist, sich korrekt in die Gedanken, Gefühle, Hoffnungen und Ängste einer anderen Person zu versetzen; und der anderen Person auch zu gestatten, dasselbe mit einem zu tun […] Wenn wir in unserem Fachgebiet einem Mann, einer Frau oder einem Kind gegenüber sind, dann sind wir nichts anderes als zwei gleichberechtigte Menschen.«17 Es ist interessant, dass Winnicotts Definition von Gesundheit hier an John Stuart Mills Definition der Fantasie anknüpft als jener Fähigkeit, »sich in den Geist und die Umstände eines anderen Wesens zu versetzen«. Die Idee gegenseitiger Gleichberechtigung birgt natürlich die Gefahr sentimentaler Mystifizierung, dennoch stellte sie in der Psychoanalyse eine Neuerung dar, wie andere kontroverse und ganz offensichtlich humorige Aussagen Winnicotts auch. Wenn er beispielsweise schreibt, dass »wir tatsächlich arm dran sind, wenn wir nur seelisch ge30
sund sind«18, oder dass »eine wirkliche Neurose nicht notwendigerweise eine Krankheit ist […] wir sollten sie als einen Tribut an die Tatsache werten, dass das Leben so schwierig ist«19, oder dass »unsere Patienten, auch wenn sie nicht geheilt werden, uns dafür dankbar sind, dass wir sie sehen, wie sie sind«20, so stellt er auf eine ihm eigene vergnügte Weise und frei von falscher Verklärung die konventionellen psychoanalytischen Pietäten auf ein neues Fundament. Eine tief empfundene Anständigkeit und eine oftmals absichtlich zur Schau getragene gutmütige Schlauheit sind für Winnicotts Stil bezeichnend. Wenn seine Prosa sich bisweilen auch spröde gebärdet, so hat sie doch nichts von dem tristen Ernst und dem mystifizierenden Jargon, der psychoanalytischen Schriften seit Freud und Ferenczi eigen ist. Sein Denken spiegelt, wie André Green einmal geschrieben hat, »vor allem eine reiche und lebendige Erfahrung und nicht so sehr einen gelehrten Schematismus« wider. Winnicott äußerte sich vor den verschiedensten Auditorien und es ging ihm in erster Linie darum, verstanden zu werden, und nicht so sehr darum, Nachahmer zu finden; deshalb sind seine Texte ohne jede Geheimniskrämerei. Es gibt aber eine Reihe sehr eigenwilliger Begriffe – Halten, Gebrauchen, Spielen, Sich-als-wirklich-Fühlen, Illusion und Desillusion, das Wahre und das Falsche Selbst, Übergangsphänomene etc. –, die, wie wir sehen werden, zum Kern seiner Entwicklungstheorie gehören. Sein Leitbild ist der Entwicklungsprozess, von dem er ständig spricht und um den sein ganzes Werk kreist. Die häufige Verwendung von Verbalsubstantiven zeigt, dass er sich in erster Linie mit Prozessen beschäftigte und nicht so sehr mit Schlussfolgerungen (er war, wie Masud Khan schrieb, »immer in Bewegung«). Dennoch ist die notorische Einfachheit seiner Sprache problematisch. Wenn er sich auch durchaus bewusst war, wie vieldeutig Wörter sind – »sie haben etymologische Wurzeln, sie haben eine Geschichte: genau wie Menschen haben sie manchmal Mühe, sich eine Identität zu verschaffen und sich diese auch zu bewahren«21 –, benutzt er gewisse Fach31
ausdrücke in einer Weise, als hätten sie im psychoanalytischen Denken nicht bereits eine Geschichte. Und wenngleich er empfiehlt, sich in Analysen an einfache Deutungen zu halten – »ich mache nie lange Sätze, außer wenn ich sehr müde bin«22 –, so sind seine Interventionen in seinen Falldarstellungen manchmal sehr ausführlich und überraschend abstrakt. Der Schlichtheit von Winnicotts Schreibweise haftet auch etwas Pastorales und etwas vage Ausweichendes an. Aber seine Pfiffigkeit und sein Einfallsreichtum, die es in dieser Weise vor ihm in der psychoanalytischen Tradition nicht gab, stimmen doch immer mit einem seiner therapeutischen Ziele überein: dem Schutz der Privatsphäre des Selbst, das sich ein persönliches Gefühl von Sinn und im gleichen Atemzug von persönlichem Unsinn schafft. »In der entspannten Atmosphäre, die sich im Vertrauen auf die professionelle Verlässlichkeit ergibt und dem Gefühl, in der therapeutischen Situation angenommen zu sein […] ist Platz auch für Gedankensequenzen, die nichts weiter bedeuten, und der Analytiker tut gut daran, sie zu akzeptieren, wie sie sind, und nicht nach einem Bedeutungszusammenhang zu suchen.«23 Sein Stil spiegelt, wie er das bei seinen Patienten beobachtete, das Bedürfnis des Selbst, sowohl verständlich als auch geheimnisvoll zu sein. England hatte nie eine bedeutende surrealistische Tradition, doch pflegte es auf einzigartige Weise den Nonsens. Und wenn Winnicott schreibt wie sonst niemand in der psychoanalytischen Tradition, so tönt er oft kurios wie Lewis Carroll. Zu seiner Respektlosigkeit als Psychoanalytiker passt, dass er unterhaltsam ist. Nur Winnicott konnte als Fußnote einer seiner wichtigsten Arbeiten schreiben, »wenn der Analytiker weiß, dass der Patient einen Revolver bei sich trägt, kann er seine Arbeit nicht verrichten«.24 Winnicotts Schreibstil erinnert an Edward Morgan Forster oder an den ihm zeitlich nahestehenden Stevie Smith, doch findet sich bei ihm kein Anklang an frühere psychoanalytische Autoren. Winnicott bemüht sich zu verbergen, dass ihm das Schreiben in der psychoanalytischen Tradition nicht leicht fällt, 32
deren maßgebliche Gepflogenheiten von Ernsthaftigkeit und Fantasien von methodischer Strenge nicht seine Sache waren. Sein Stil wurzelt in der englischen Romantik von Wordsworth, Coleridge und Lamb (und weist, wenn das auch seltsam erscheinen mag, offensichtlich Parallelen zu den Essays von Emerson und William James auf ). Vieles in seinem Werk entfernt sich von der Freud’schen Metapsychologie und lässt sich, anders als bei Melanie Klein und Anna Freud, nicht auf bestimmte Freud’sche Texte zurückführen. Wie schon frühere Kommentatoren bemerkten, »wahrt Winnicott Traditionen oftmals, indem er sie entstellt […] in seiner schwer fassbaren Art der Darstellung und indem er die Theorien seiner Vorgänger zwar aufnimmt und sie dennoch umformt«.25 Indem er zentrale Begriffe in einen neuen Zusammenhang stellt, vertuscht er deren Theoriegeschichte. Psychotherapie ist für ihn eine Art Spiel – »sie hat etwas von zwei Menschen, die miteinander spielen«26 –, seine Vorliebe gilt Spielen mit offenem Ausgang, die sich nicht an feste Regeln halten. In dem Kritzelspiel, seiner berühmtesten technischen Erfindung, fordert er Kinder auf, ein rudimentäres Gekritzel, das er auf ein Stück Papier gemacht hat, zu ergänzen. Wenn das Kind auf seine Forderung eingeht und aus dem Gekritzel etwas Erkennbares und Verständliches macht, liefert es damit eine Darstellung seines Innenlebens. Das Repertoire möglicher Reaktionen des Kindes wird vom Therapeuten in keiner Weise festgelegt. Es lässt sich nicht vorherbestimmen. In dieser gegenseitigen freien Assoziation, diesem »Spiel ohne Spielregeln«, erkannte Winnicott das therapeutische Potential von gewöhnlichen Kinderspielen und passte es seinen psychoanalytischen Absichten an. Der Charme und die Unmittelbarkeit, mit der er diese Technik handhabte, wie er sie auch in seiner Arbeit »Therapeutic Consultations in Child Psychiatry« darstellt, sind für den Leser so unwiderstehlich, wie sie es wohl auch für die Kinder gewesen sein müssen. Etwas, das Winnicotts Lebendigkeit und seinem Gespür vergleichbar wäre, hatte es bislang in der Psychoanalyse nicht gegeben. Das 33
erweckte natürlich Misstrauen. Weil Säuglinge und kleine Kinder neue Menschen sind, können sie schwer zu verstehen sein. Winnicott schien ein eigenartig modernes, zugleich verwirrendes Ideal einer perfekten Kommunikation mit Kindern zu verkörpern. Seine Kritiker hatten den Eindruck, seine Leichtigkeit im Umgang mit Kindern habe etwas »Magisches«, als hätte man von seinen klinischen Berichten nur das Eine lernen können: dass man nicht in der Lage sei, Winnicott zu sein. Wir werden sehen, wie er in seinem Umgang mit der psychoanalytischen Tradition auf eine subtile Weise pragmatisch sein musste. Manchmal konnte er seine Eigenart nur durchsetzen, indem er sich scheinbar anpasste. Er formulierte jedoch mit großer Klarheit, wenn es um seine Art zu schreiben ging, die auf eine sehr beeindruckende Weise seiner Entwicklungstheorie entsprach. Als er 1945 vor der British Psychoanalytical Society eine völlig neuartige Arbeit referierte, sagte er: »Ich werde nicht mit einer historischen Übersicht beginnen und zeigen, wie meine Ideen sich aus den Theorien anderer entwickelt haben, weil mein Geist nicht so funktioniert. Bei mir ist es vielmehr so, dass ich dies und jenes von hier und dort zusammentrage, klinische Erfahrungen sammle, eigene Theorien bilde und erst am Schluss interessiert mich, wo ich was gestohlen habe. Dieses Vorgehen ist wahrscheinlich so gut wie jedes andere.«27 Von Anfang an lehnt er es ab so vorzugehen, wie psychoanalytische Arbeiten normalerweise entstehen. Er geht davon aus, dass er irgendwie beeinflusst werde – »ich trage dies und jenes von hier und dort zusammen« –, und es steht für ihn fest, dass er ohnehin, wenn er eigene Theorien erarbeitet, dabei irgendjemandem Dank schuldet. Er spricht, man beachte das, nicht von »ausborgen« (wozu sich die Psychoanalyse immer ausgeschwiegen hat), sondern geradeheraus von »stehlen«.28 In seiner 34
einzigartigen Theorie der Delinquenz, die er antisoziale Tendenz nennt, schlägt Winnicott, wie wir sehen werden, vor, dass das Kind auf symbolische Weise nur das stehle, was ihm einst rechtmäßig zustand. Ohne es zu wissen, versuche das Kind sich für Verluste schadlos zu halten, die es in der ursprünglichen gemeinschaftlichen Beziehung zu der Mutter erlitten hat, und macht seine Umgebung auf diesen Umstand aufmerksam. Für Winnicott ist die antisoziale Handlung, vergleichbar einer Regression in der psychoanalytischen Behandlung, eine Rückkehr an jenen Punkt, an dem die Umgebung gegenüber dem Kind versagte. Es kehrt zu den Lücken in sich selbst zurück, um herauszufinden, wo das, was ihm fehlt, seinen Ursprung hat. Winnicotts Art, wissenschaftlich zu publizieren, die einem normalen Empfinden offensichtlich sehr entspricht, setzt diesen Vorgang in die Tat um. Wenn wir die Entwicklung von Winnicotts Werk verfolgen, werden wir sehen, wie seine im Lauf der Zeit entstehende Theorie der Mutter-Kind Beziehung seiner eigenen Beziehung zur psychoanalytischen Tradition entspricht. So wie er beschreibt, wie der Säugling arglos seine Mutter erkundet, benutzt er selbst die Tradition entsprechend seinen Bedürfnissen, damit sie für ihn einen Sinn ergibt. In einer seiner bemerkenswertesten späten Arbeiten, »The Use of an Object and Relating through Identifications« (1969),29 schlägt er vor, dass ein Objekt nur dann wirklich wird, wenn es gehasst wird. Für den Säugling wird die Welt um ihn herum nur wirklich durch den letztlich erfolglosen Versuch, sie zu zerstören. Mit der Entwicklung seines fragwürdigsten Konzepts, des persönlichen Selbst, stellt Winnicott die Robustheit des Herzstücks des psychoanalytischen Wissens auf die Probe. Die Tatsache, dass er selbst zum psychoanalytischen Schriftsteller wird, führt vielleicht notwendigerweise zu einer gesetzesbrecherischen Beziehung mit der Tradition, indem er sie so verwendet, wie er sie braucht. Auf alle Fälle hat Winnicott es uns unmöglich gemacht, ihn zu kopieren. Als Psychoanalytiker ist er beispielhaft, weil er unnachahmlich ist. 35
1 Was wir Anfang nennen
»[…] es gibt keine absolute Tendenz Richtung Fortschritt, es sei denn unter günstigen Umständen.« Charles Darwin
I Die Autobiographie, die Winnicott in den letzten Jahren seines Lebens mit dem Titel »Nicht weniger als alles« zu schreiben anfing, beginnt mit einer Schilderung seines Todes. Auf die Innenseite des Deckels seines Notizbuchs schrieb er: T. S. Eliot »Es kostet nicht weniger als alles.« T. S. Eliot »Was wir Anfang nennen, ist oft das Ende. Und an ein Ende zu kommen, bedeutet einen Anfang. Der Endpunkt ist dort, wo wir anfangen.« Gebet D. W. W. »O Gott, lass mich lebendig sein, wenn ich sterbe!«1 Die Autobiographie beginnt dann mit dem Satz: »Ich bin gestorben.« Nun ist es nicht weiter überraschend, dass Winnicott, der damals ein Mann in den Siebzigern war, sich mit seinem Tod beschäftigt. Auch nicht, dass er als Überschrift einen Text vom Ende des letzten der »Four Quartets« von Eliot, »Little Gidding«, wählt: »Ein ganz einfacher Zustand / (der nicht weniger als alles kostet)«. Was aber stutzig macht, ist sein Wunsch, bei seinem Tod lebendig – er sagt nicht »bewusst« – zugegen zu sein, um sozusagen Zeuge seiner eigenen Abwesenheit sein zu können. Sein Gebet ist eine Bitte in Form einer Anfrage: Das, 37
was ein Widerspruch in sich selbst ist, möge auf paradoxe Weise möglich werden. In einer seiner letzten psychoanalytischen Arbeiten, »Fear of Breakdown« (veröffentlicht 1973, zwei Jahre nach seinem Tod), schlug er etwas vor, dass »sich als sehr einfach erweist. Ich behaupte, die Angst vor einem klinischen Zusammenbruch ist die Angst vor einem Zusammenbruch, der bereits stattgefunden hat.« Etwas, das sich in der Vergangenheit ereignet hat, kann nur als eine in die Zukunft projizierte Angst erfahren werden. Winnicott verknüpft dies mit der Angst vor dem eigenen Tod: »Man muss die bekannten Ansichten über die Angst vor einem Zusammenbruch nur ein wenig ändern, damit sie spezifisch auf die Todesangst passen. Denn diese ist eine sehr häufige Angst, eine, mit der sich die religiösen Lehren über ein Leben nach dem Tod beschäftigen, so als wollten sie die Tatsache des Todes verleugnen. Wenn Todesangst ein ernsthaftes Symptom ist, dann bringt das Versprechen, es gebe ein Leben nach dem Tod, kaum Erleichterung, weil der Patient sich zwanghaft mit seinem Tod beschäftigen muss. Nochmals: Was dabei gesucht wird, ist der Tod, der bereits stattgefunden hat, der aber nicht als solcher erlebt wurde. Als Keats ›halb verliebt‹ war ›in einen behaglichen Tod‹, sehnte er sich, folgt man der Idee, die ich hier vorschlage, nach dem Behagen, das sich einstellen würde, falls er »sich daran erinnern« könnte, dass er bereits gestorben war; aber um sich dessen erinnern zu können, hätte er seinen Tod jetzt spüren müssen.3 In einer für ihn sehr typischen Weise verknüpft Winnicott hier Extreme: die Angst vor einem Zusammenbruch mit der »sehr häufigen« Todesangst. Gemäß seinem autobiographischen Rechenschaftsbericht wollte er bei seinem eigenen Tod zugegen 38
sein. Er fürchtete, seinen eigenen Tod nicht zu erleben; dass der Tod sich ereignen würde, ohne dass er lebendig dabei wäre. Der Patient hingegen, der sich zwanghaft mit seinem Tod beschäftigt, sucht auf diese Weise nach der Erinnerung an einen bereits stattgefundenen Tod. Der bereits stattgefundene Tod, den er in »Fear of Breakdown« schildert, ist der seelische Tod des Säuglings. Er nennt ihn »primitive Ohnmacht« einer übermäßigen frühen Entbehrung, der sich der Säugling weder entziehen noch sie als solche verstehen konnte. Eine solche unerträgliche Abwesenheit der Mutter überstieg die Fähigkeit des Säuglings, sich anzupassen. Sie war zwar Teil seiner Lebenserfahrung, konnte aber nicht integriert werden, weil dafür kein Platz war. Ab einem gewissen Zeitpunkt war der Säugling sozusagen nicht mehr vorhanden, er wurde unempfindlich, weil er noch nicht über ein Ich verfügte, das genügend entwickelt gewesen wäre, um mit der Entbehrung, die ihm auferlegt wurde, fertig zu werden. Er konnte in seiner Seele den Glauben, dass seine Mutter existierte, nicht aufrechterhalten: »Das Gefühl, dass die Mutter existiert, hält x Minuten an. Ist die Mutter länger als x Minuten abwesend, dann verschwindet ihr Bild und mit ihm die Fähigkeit des Babys, sich die Gemeinschaft mit ihr vorzustellen. Das Baby ist gestresst, aber der Stress ist bald behoben, wenn nach x + y Minuten die Mutter zurückkommt. In x + y Minuten hat sich das Baby noch nicht verändert. Aber nach x + y + z Minuten ist das Baby traumatisiert. Nach x + y + z Minuten vermag die Rückkehr der Mutter den verstörten Zustand des Babys nicht mehr in Ordnung zu bringen. Das Baby hat einen Bruch in der Kontinuität seines Lebens erfahren und das ist traumatisch. […] Der Bruch dessen, was bis dahin als persönliche Lebenskontinuität erfahren wurde, ist gleichbedeutend mit einer seelischen Störung. Nach einer allfälligen ›Erholung‹ von einer x + y + z-Entbehrung muss ein Baby von 39
vorne anfangen, doch fehlt ihm für immer der Zugang zu den Wurzeln, der den Zusammenhang mit den persönlichen Anfängen herstellen würde.«4 Ein Mensch, der diese Art tief sitzender Ohnmacht erlebt hat, mag künftig getrieben sein, jenen wichtigen Ereignissen nachzujagen – Anti-Erfahrungen sozusagen –, die er sich in der Vergangenheit nicht zu eigen machen konnte oder die keinen Sinn ergeben hatten. Ereignissen ohne jeden Zusammenhang, die sich einfach nur so ereignet hatten, die aber doch irgendwie wahrgenommen worden waren und noch darauf warteten, geortet zu werden, damit die Entwicklung aufs Neue beginnen könne. Was nach Winnicotts Ansicht unbewusst wahrgenommen worden war, war eine Unterbrechung, ein Ausblenden, etwas, das in der Selbsterfahrung der Betroffenen fehlt. Nach Winnicotts Ansicht ist das Unbewusste unter anderem ein Ort, wo Entbehrungen gespeichert werden. Weil Entwicklung für das Individuum unumgänglich ist, zählte für Winnicott jede Erfahrung, die einer Person ein Gefühl für ihr eigenes Wachstum vermittelt. »Jedes Individuum«, schrieb er, »fängt einmal an und entwickelt sich bis zur Reife; es gibt keine erwachsene Reife ohne vorherige Entwicklung. Dieser Entwicklungsvorgang ist äußerst vielschichtig, er beginnt bei der Geburt oder schon früher und dauert bis ins Erwachsenenalter und bis ins hohe Alter an.«5 Eines der Anliegen der Psychoanalyse ist, den Zusammenhang mit all dem herzustellen, was den »persönlichen Beginn« eines Patienten ausmacht. Am Ende seines Lebens fürchtete Winnicott, die letzte Erfahrung seines Lebens könnte ihm versagt bleiben, zugleich wollte er verstehen, wie früheste Entbehrungen Menschen das Gefühl vermitteln, sie hätten noch gar nicht zu leben begonnen. Wir werden sehen, wie Winnicott uns zunehmend vertrauter werdende Grundzüge von Beziehungen herausarbeitet – zwischen dem, was kontinuierlich, und dem, was unterbrochen wird, zwischen dem, was vorhanden ist, 40
und dem, was fehlt, zwischen dem Einfachen und dem Komplizierten. Für Freud war das Ziel des Organismus, seinen persönlichen Tod zu finden. Winnicott, dessen Lebensgefühl sich in eine ganz andere Richtung entwickelte, fügte dem hinzu, das Ziel des Individuums sei, sein eigenes Leben zu leben, was auch den letzten Akt der Weigerung, sich anzupassen, einschließt, nämlich, bei seinem eigenen Tod lebendig zu sein.
II Donald Woods Winnicott wurde am 7. April 1896 in Plymouth geboren. Er war das jüngste Kind und einziger Sohn von Frederick und Elizabeth Winnicott. Sein Vorname ist der seines Großvaters mütterlicherseits. Die Winnicotts hatten schon zwei Töchter, Cathleen und Violet, die fünf und sechs Jahre älter waren als er. Wie Winnicott später schrieb, sollte er aufwachsen »in dem Gefühl, […] ein Einzelkind mit mehreren Müttern zu sein und mit einem Vater, der in meinen jüngeren Jahren unerhört mit öffentlichen Angelegenheiten und Geschäftsproblemen beschäftigt war«. John Frederick Winnicott war 41 Jahre alt, als sein Sohn geboren wurde, und in Anbetracht der künftigen Interessen seines Sohnes ist es nicht uninteressant, dass er von Beruf das war, was man damals noch einen Kaufmann nannte, spezialisiert auf Damenmiederwaren. Er war in der Öffentlichkeit erfolgreich, zweimal Bürgermeister von Plymouth (1906/1907 und 1921/1922), und wurde 1924 in den Ritterstand erhoben. In Plymouth wurden ihm verschiedene öffentliche Ehren und Annerkennungen zuteil, unter anderem war er Präsident der Handelskammer, Direktor des Spitalkomitees und 1934 erhielt er das Ehrenbürgerrecht. Aber er war, wie sein Sohn schrieb, »empfindlich, weil es ihm an Schulbildung fehlte (er hatte Lernschwierigkeiten gehabt), und er sagte immer, dass er sich deswegen nicht um einen Sitz im Parlament beworben, 41
sondern sich auf die Lokalpolitik beschränkt hatte«. Winnicotts Ausdrucksweise ist später oft absichtlich einfach, und obwohl er sich auf breit gestreute und sehr persönliche literarische Leseerfahrungen berufen konnte – Keats, W. H. Davies, Foucault, Burke, Shakespeare, Graves –, blieb er immer misstrauisch gegenüber Intellektualität, für die er sich auch beruflich sehr interessierte. Wenn er sich in seinen eigenen Schriften auf seine Patienten bezieht, ist er viel aussagekräftiger, als wenn er Texte von irgendwelchen Autoritäten zitiert. Die Familie bezeichnete sich selbst als »Wesley’sche Methodisten« und Winnicott gehörte in Cambridge vor dem Krieg immer noch der Methodistischen Kirche an, ehe er gegen Ende seines dortigen Aufenthalts zu der Anglikanischen Kirche konvertierte. Devon und insbesondere Plymouth hatten eine lange methodistische Tradition. Man könnte in Winnicotts Werk sowohl Tendenzen sehen, die verschiedene Strömungen einer von der Staatskirche abweichenden Tradition fortführen, als auch solche, die sich dagegen auflehnen, aber wir wissen nicht genügend über die Art des religiösen Umfelds, in dem er aufwuchs, um mehr als Spekulationen anzustellen. Jedenfalls schrieb er in einer einfachen Sprache, wie Wesley selbst sie im Vorwort zu seinen Predigten propagiert: »Ich ersinne eine einfache Wahrheit für einfache Menschen: Deshalb und mit Absicht enthalte ich mich aller schönen und philosophischen Spekulationen, aller komplizierten und verwirrenden Argumentationen und soweit als möglich des Anscheins der Gelehrsamkeit, außer, wenn ich manchmal die Bibel im Originaltext zitiere. Ich bemühe mich, alles zu vermeiden, was nicht leicht verständlich ist, alle Worte, die keinen Platz im Alltag haben; insbesondere jene Sorte von Spezialausdrücken, die so häufig in religiösen Schriftensammlungen vorkommen; Ausdrucksweisen, die belesenen Menschen vertraut sind, die aber für einfache Menschen eine Fremdsprache darstellen.«6 42
Winnicott wollte, wie Wesley, dass sein Werk verständlich sei, doch hatte er, zumindest bewusst, nicht die Absicht, jemanden zu bekehren. Stattdessen bezeichnete er es einmal als »Zeichen einer seelischen Störung, wenn eine erwachsene Person die Leichtgläubigkeit anderer zu sehr auf die Probe stellt«7, weil sie es nötig hat, sie zu einer bestimmten Sichtweise zu bekehren. Liest man in Wesleys Vorwort statt »die Bibel im Originaltext« »Freud« und statt »religiösen Schriftensammlungen« einfach »psychoanalytische Texte«, dann mag man erahnen, was Winnicott vorschwebte. Er war imstande, sein Werk für die verschiedensten Zuhörerkreise zu öffnen, ohne fürchten zu müssen, dass es an Wert verliere, wenn er in seiner Darstellungsweise allgemeinverständlich blieb. Er fand es konstruktiv, sich den verschiedensten Zuhörern anzupassen – so wie eine Mutter sich ihrem Säugling anpasst. Masud Khan schrieb: »[…] für jeden Vortrag, den Winnicott vor so genannten studierten Fachgesellschaften zu halten eingeladen wurde, hielt er mindestens ein Dutzend vor Versammlungen von Sozialarbeitern, Kinderschutzorganisationen, Lehrern, Pfarrern usw.«8 Es gab den offiziellen Winnicott, der nicht müde wurde, vor gelehrten Gesellschaften in aller Verbindlichkeit mit Fachausdrücken herumzujonglieren, und es gab den informellen Winnicott, der die anrüchigeren Dinge sagte. In einem Vortrag beispielsweise, den er 1936 in Hull hielt, behauptete er, »dass sich die intellektuellen Fähigkeiten in den verschiedenen Lebensaltern nicht so sehr von einander unterscheiden, lediglich die Themen, die im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, ändern sich mit den Jahren«.9 Er machte sich auch einen Spaß daraus, die Sprache des gewöhnlichen, gesunden Menschenverstands gegen eine Fachsprache auszuspielen. Bei einem Vortrag, den er 1970 vor anglikanischen Priestern hielt, wurde er gefragt, woran er erkennen könne, ob jemand psychiatrische Hilfe benötige. »Wenn jemand zu Ihnen kommt und mit Ihnen spricht«, sagte er, »und Sie langweilen sich, wenn Sie ihm zuhören, dann ist er krank und braucht psychiatrische Hilfe. Wenn er Ihr 43
Interesse jedoch zu fesseln vermag, egal, wie sehr er in Nöten ist oder wie schwer sein Konflikt ist, dann können Sie ihm sicher gut helfen.«10 Man spürt bei ihm eine in der Psychoanalyse einzigartige Verbindlichkeit gegenüber den Beziehungen, die Menschen miteinander verbinden, und nicht in erster Linie gegenüber einer Behandlungstechnik. Winnicotts fast religiöse Verpflichtung gegenüber einer einfachen und persönlichen Wahrheit, gegenüber einer alltagssprachlichen Psychoanalyse, machte seine Zugehörigkeit zu Institutionen unweigerlich problematisch. Die innerste Überzeugung eines Menschen ist das wesentliche Merkmal des Nonkonformismus. Winnicott verteidigte seine besondere Eigenart auf grimmige und subtile Weise, als hätte er irgendwie Angst, von den Ideen anderer zu sehr eingenommen zu werden. In einer bezeichnenden Anekdote erzählt er in seinen autobiographischen Aufzeichnungen, dass sein Vater »einen einfachen (religiösen) Glauben besaß. Als ich ihm einmal eine Frage stellte, die uns in eine lange Diskussion hätte verwickeln können, sagte er nur: Lies die Bibel und was du dort findest, wird die richtige Antwort für dich sein. So blieb ich, Gott sei Dank, mir selbst überlassen«. Aber der Gott, dem er hier so scherzhaft dankt, der Vater, der ihn dem Buch überantwortet, könnte gemäß diverser Äußerungen Winnicotts über ihn durchaus auch als ein strenger und den Sohn herabsetzender gesehen werden. Doch ist, was Winnicott hier erinnert, durchaus kein ungewöhnliches Familienszenario. »Als ich (im Alter von zwölf Jahren) einmal zu Mittag zum Essen heimkam und ›zum Teufel‹ sagte, blickte mein Vater gequält auf, wie nur er gequält dreinschauen konnte, machte meiner Mutter Vorwürfe, weil sie nicht dafür besorgt war, dass ich anständige Freunde hatte, und von diesem Moment an traf er Vorkehrungen, mich in ein Internat zu schicken, was er dann auch tat, als ich dreizehn war. ›Zum Teufel‹ klingt als Fluchwort nicht so schlimm, doch er hatte tatsächlich Recht. Der Junge, mit dem ich seit kurzem befreundet war, war wirklich kein guter Junge und er und ich hätten 44
in Schwierigkeiten geraten können, wenn man uns uns selbst überlassen hätte.« Was an diesem Vorfall aus den autobiographischen Aufzeichnungen berührt, ist, abgesehen von der Darstellung des Vaters als demjenigen, der den Sohn fortschickt, Winnicotts scheinbar bereitwillige Rechtfertigung des väterlichen Verhaltens, so als wäre dessen Konformismus wirklich nur zu seinem Besten gewesen. Winnicotts Erinnerungen an seinen Vater, die – wie es nicht anders sein kann – aus verhüllten Konflikten rückblickender Wünsche bestehen, klingen verdächtig wohlwollend. Der Vater, der in Winnicotts Entwicklungstheorie eine relativ sanftmütige Figur ist, beeindruckt in Winnicotts Schilderungen seiner frühen Jahre durch eine potente und potenziell demütigende Präsenz. In einer Szene, die aus seiner Erinnerung aufgetaucht war, schildert Winnicott im Garten seines Familienwohnsitzes das Idyll der gehobenen englischen Mittelschicht seiner Kindheit und zugleich dessen Störung: »Dann diesen Hang hinauf von dem Croquetrasen zu dem flachen Teil, wo ein Teich ist und wo sich einst zwischen den Trauereschen eine riesige Ansammlung von Pampasgras befand (wissen Sie übrigens, was für aufregende Geräusche das Pampasgras an einem heißen Sonntagnachmittag macht, wenn die Menschen auf Decken bei dem Teich liegen und lesen oder vor sich hindösen?). Dieser Abhang ist beladen, wie man sagt, beladen mit Geschichte. Es geschah an diesem Abhang, dass ich meinen eigenen persönlichen Croquethammer zur Hand nahm (Griff ungefähr ein Fuß lang, denn ich war erst drei Jahre alt) und die Nase der Wachspuppe flach schlug, die meinen Schwestern gehörte und für mich zu einer Quelle des Ärgernisses geworden war, weil mein Vater mich mit Hilfe dieser Puppe aufzuziehen pflegte. Sie hieß Rosie. Einen bekannten Song parodierend, pflegte er zu sagen (wobei er mich mit dem Tonfall seiner Stimme quälte): 45
Rosie sagte zu Donald Ich liebe dich. Donald sagte zu Rosie Ich glaube dir nicht. (Vielleicht war die Reihenfolge auch umgekehrt, das habe ich vergessen.) Mir war nur klar, die Puppe musste beschädigt werden, und vieles in meinem weiteren Leben basiert auf dem nicht zu bezweifelnden Umstand, dass ich diese Tat nicht bloß auszuführen gewünscht oder geplant hatte, sondern sie wirklich begangen hatte. Vielleicht verspürte ich danach eine gewisse Erleichterung, als mein Vater Streichhölzer zur Hand nahm und die Wachsnase soweit erwärmte und sie zurechtformte, dass das Gesicht wieder ein Gesicht wurde. Diese frühe Demonstration einer wiederherstellenden und reparierenden Macht beeindruckte mich sicherlich sehr und machte es mir vielleicht möglich zu akzeptieren, dass ich, das liebe unschuldige Kind, tatsächlich Gewalt angewendet hatte, direkt an der Puppe, aber indirekt an meinem gutmütigen Vater, der etwa um diese Zeit in meinem bewussten Leben auftauchte.« Wieder ist Winnicotts Blick auf seinen Vater entschieden wohlwollend. Dem nicht eben überzeugenden Versuch zu zeigen, wie er von dem Erlebnis profitiert habe (»vielleicht …, vielleicht …«), steht das deutliche Gefühl gegenüber, dass es der Vater gewesen war, der die Puppe für ihn zu einer Problemfigur gemacht hatte. Winnicott deutet den Vorfall zu kurzsichtig als einen verschobenen ödipalen Angriff auf seinen Vater. Obwohl ihm das Hänseln und Verspotten ganz offensichtlich zu schaffen machte, äußert er sich nicht über den Angriff des Vaters auf seine Männlichkeit. Seine einfühlbare und normale kindliche Verunsicherung seine sexuelle Identität betreffend wird behelfsmäßig durch einen gewalttätigen, zugleich paradoxen Akt zerstreut, bei dem ihm nicht klar sein konnte, was er eigentlich 46
zu zerstören versuchte. Winnicott wird uns in seiner Entwicklungstheorie viel darüber erzählen, wie das Selbst durch aggressive Selbstbehauptung entsteht, während er uns überraschend wenig darüber erzählt, was es heißen könnte, ein Mann zu sein oder eben eine Frau, es sei denn in deren Eigenschaft als Mutter. Aber es war dieses »Gefühl […] ein Einzelkind mit mehreren Müttern zu sein« – wozu in der Familie nicht nur die zwei älteren Schwestern zählten, sondern auch ein Kindermädchen und eine Gouvernante –, das in Winnicotts Erinnerung haften geblieben war. Den Vater erinnert er als jemanden, der ihn bloßstellte: »Mein Vater war da, um zu töten und getötet zu werden, aber es trifft wahrscheinlich zu, dass er mich in den frühen Jahren zu sehr allen meinen Müttern überließ. Die Dinge kamen nie wieder wirklich ins Gleichgewicht.« In seinem theoretischen Werk sollte er, wie wir sehen werden, den Vater ausklammern und ihn durch eine Faszination für das Kind und seine Mütter ersetzen. Was Winnicott interessiert, ist nicht der Vater als derjenige, der zwischen das Kind und die Mutter tritt, um sie zu trennen, sondern ein Übergangsraum, in dem der Vater im Grunde genommen fehlt, und »der anfänglich Baby und Mutter sowohl verbindet als auch trennt«.11 In einer seiner besten Arbeiten, »The Capacity to be Alone« (1958)12, schlägt Winnicott vor, die Fähigkeit, allein zu sein, hänge von der Erfahrung des Kindes ab, in Gegenwart der Mutter allein sein zu können, und nehme dort auch ihren Anfang. Weil die Mutter anwesend ist, aber (als Hilfs-Ich) nichts fordert, muss das Kind sich nicht total auf sie ausrichten. Es fühlt sich sicher genug, um sich völlig zu vergessen. Winnicott erwägt aber nicht, und nicht einmal implizit, die ebenso wichtige Erfahrung, in Gegenwart des Vaters allein zu sein. Das Kind, das gewissermaßen relativ frei von dem Vater ist, wird in Winnicotts Theorie dann zum Gegenstand des potentiell schädigenden Drucks der mütterlichen Forderungen. Ironischerweise führt Winnicotts Mutter eine Schattenexistenz. Die wenigen existierenden Schilderungen von ihr, von 47
Winnicotts zweiter Frau Clare und einigen anderen Freunden, sind beträchtlich idealisiert, vage und deshalb nicht glaubwürdig: »munter und aus sich herausgehend, […] fähig, ihre Gefühle leicht zu zeigen und auszudrücken«, »sehr freundlich und warmherzig«. Winnicott selbst publizierte nichts über seine Mutter, aber im Alter von 67 Jahren verfasste er ein Gedicht über sie, das er seinem Schwager James Britton mit den Worten übersandte: »Macht es Dir etwas aus, dieses, das schmerzte, als es aus mir herauskam, anzusehen? Ich glaube, irgendwie schauten einige Dornen heraus. Das ist mir bisher noch nie passiert & ich hoffe, es wird mir auch nie mehr passieren.« Ehe Winnicott ins Internat kam, pflegte er seine Hausaufgaben auf einem besonderen Baum im Garten zu machen. Das Gedicht mit dem Titel »Der Baum« enthält unter anderem folgende Zeilen: »Mutter unten weint, weint, weint, So kannte ich sie. Einst ausgestreckt in ihrem Schoß, Wie jetzt auf totem Baum, Lernte ich, sie zum Lachen zu bringen, Ihren Tränen Einhalt zu gebieten, Ihre Schuld ungeschehen zu machen, Den Tod in ihr drinnen zu heilen. Mein Leben war, sie zu beleben.«13 In dem Gedicht identifiziert sich Winnicott zweifellos mit Christus und der Baum des Titels ist das Kreuz. Gegen Ende seines Lebens interessierte sich Winnicott für Robert Graves’ Roman »King Jesus« und führte darüber mit Graves eine Korrespondenz. In dem Roman, der erstmals 1946 erschien, ist Christus der Mann, der sich der Aufgabe weiht, eifriger Feind 48
der Frau zu sein, und, indem er dies tut, wird er zu einem ihrer Heroen. Das ist natürlich eine Ironie, die Winnicott aus verschiedenen Gründen entsprochen haben könnte, von denen einige gegen Ende dieses Buches noch deutlich werden. Es ist aber denkbar, dass sich Winnicott in dem Gedicht daran erinnerte, dass er seine Mutter schon früh als depressiv erfahren hatte und sie infolgedessen nicht in der Lage gewesen war, ihn zu halten. Das Bild seiner selbst, das einen frösteln lässt, »ausgestreckt in ihrem Schoß, wie jetzt auf totem Baum«, unter Weglassung des bestimmten Artikels, legt nahe, dass der Baum, sobald er tot ist, kein bestimmter mehr ist, sondern namenlos wie totes Holz (nebenbei bemerkt, hieß die Mutter mit Mädchennamen Woods, zu deutsch Hölzer). Das Gedicht erzählt vom Fehlen dessen, was in Winnicotts Entwicklungstheorie die prägende Erfahrung im Leben des Kindes ist: die Art und Weise, wie die Mutter in des Wortes vollster Bedeutung das Kind »hält«, womit sowohl das Halten im Geist als auch in den Armen der Mutter gemeint ist. Die erste Erfahrung des Säuglings mit seiner Umwelt besteht, gemäß Winnicott, darin, gehalten zu werden. Sie setzt vor der Geburt ein und umfasst die frühe mütterliche Fürsorge, die die psychosomatische Integration des Säuglings ermöglicht. »Die analytische Welt«, schrieb er, »hat lange gebraucht, […] um zu erkennen, wie wichtig es ist, wie ein Baby gehalten wird; dabei ist das, wenn man es überlegt, von vorrangiger Bedeutung […]. Von der Frage, wie man jemanden hält und wie man mit jemandem umgeht, hängt das gesamte Problem menschlicher Verlässlichkeit ab.«14 Das Gedicht spielt auch auf ein anderes zentrales Anliegen des Klinikers Winnicott an: die Art und Weise, wie Kinder versuchen, mit der Abwesenheit der Mutter fertig zu werden. Abwesend kann eine Mutter auch sein, wenn sie in depressiver oder sonstwie zurückgezogener Stimmung zwar anwesend ist, auf ihre Aufmerksamkeit aber kein Verlass ist. Ein Kind mit einer ernsthaft depressiven Mutter, schrieb Winnicott, kann 49
sich »unendlich fallen gelassen fühlen«.15 Mit lebhaften Worten schilderte er Säuglinge und kleine Kinder, für deren eigene Entwicklung kein Raum war, weil sie sich »um das Wohlbefinden ihrer Mutter kümmern mussten«. Ein Kind kann sich veranlasst sehen, eine sonst unzugängliche Mutter auf Kosten seiner eigenen spontanen Vitalität zu beleben. Es könnte, wie das Gedicht nahelegt, es sich zur Lebensaufgabe machen, seine Mutter lebendig zu erhalten. Nach dem relativ sicheren und für sein Empfinden manchmal vielleicht zu verführerischen Glück seines Familienlebens bot das Internat, das er ab 1910 besuchte, für Winnicott spannende Beschäftigungen. Dort konnte er sich selbst neu erfahren. An der Leys School in Cambridge, über 250 Meilen von Plymouth entfernt, war er, wie seine Frau berichtete, »in seinem Element. Zu seiner großen Freude hatte er an den Nachmittagen frei und da rannte er, fuhr Fahrrad, schwamm, spielte Rugby, wurde Pfadfinder, fand Freunde und sang im Chor und jeden Abend las er seinen Kollegen im Schlafsaal laut vor. Er war ein hervorragender Vorleser und Jahre später profitierte ich von dieser Begabung, denn er las mir immer laut aus Büchern vor. […] er las dramatisch und kostete den Text voll aus«. In Winnicotts eigenen Texten klingt Psychoanalyse manchmal eigenartig wie Unterhaltung. Manchmal fiel es ihm schwer, den theatralischen Gestus – die Abläufe, das Timing, das Spiel, das Setting usw. – aus seinen theoretischen Abhandlungen herauszuhalten, und die Figur des Schauspielers ist in seinem Werk ständig irgendwie unpassend anwesend. Mehr als einmal äußerte er sich dahingehend, er wäre, wäre er nicht Psychoanalytiker, gerne Komiker in einem Varietétheater geworden. Und tatsächlich begründete er eine humorige Tradition innerhalb der Psychoanalyse. Eine unvorhergesehene Störung in seinem ansonsten emsig ausgefüllten Schulalltag festigte seinen Wunsch, Arzt zu werden. Er hatte sich beim Rugby-Spiel das Schlüsselbein gebrochen und musste in das Schullazarett: »Mir wurde klar, dass ich 50
mich für den Rest meines Lebens in die Abhängigkeit von Ärzten begeben müsste, wenn mir etwas zustieße oder ich krank würde. Und der einzige Weg aus diesem Dilemma war, dass ich selbst Arzt würde, und von da an war mir die Idee als ernsthafter Plan immer gegenwärtig, obwohl ich wusste, dass Vater erwartete, ich sollte in sein florierendes Geschäft eintreten und sein Nachfolger werden.« Sein Körper wie sein Vater wuchsen sich an diesem Punkt seines Lebens zu einer Bedrohung seiner Unabhängigkeit aus. In seinem jugendlichen Alter empfand es Winnicott ganz deutlich – zumindest sah er das rückblickend so –, dass Arzt zu werden in ähnlicher Weise eine Berufung für ihn darstellte, wie sich selbst zu werden. Als ihm der Vater schließlich gestattete, Medizin zu studieren, geriet Winnicott, so schrieb er mit 16 Jahren an seinen Freund Stanley Ede, »in eine solche Aufregung, dass all die aufgestauten Gefühle über Ärzte, die ich in mir während so vielen Jahren verschlossen gehalten hatte, mit einem Mal heraufzusprudeln und herauszuplatzen schienen. Du musst wissen, dass ich – in dem selben Maß, wie Algy (ein gemeinsamer Schulfreund) ins Kloster gehen wollte – immer gewünscht hatte, Arzt zu werden. Aber ich hatte immer Angst, mein Vater wäre dagegen, deshalb habe ich nie darüber gesprochen und – wie Algy – sogar einen Widerwillen empfunden, auch nur daran zu denken.«16 Nach erheblichen Auseinandersetzungen mit dem Vater wegen der Familienfirma, der gegenüber seine Neigung gewissermaßen einen Verrat darstellte, schrieb sich Winnicott 1914 am Jesus College in Cambridge ein, um Medizin zu studieren. Das verpflichtete in jener Zeit zur Absolvierung des ersten Teils des naturwissenschaftlichen Examens (worin Winnicott mit einer Drei abschloss), was den künftigen Medizinstudenten dann für den Grad eines BA qualifizierte. Sehr im Banne von Darwin studierte er für das naturwissenschaftliche Examen Biologie, Zoologie, vergleichende Anatomie, Humananatomie und Physiologie. Mehr als vierzig Jahre später äußerte er sich in einem Vortrag vor der Society for Psychosomatic Research, wie sehr 51
ihn schon damals die Begrenzungen der wissenschaftlichen Methodik, die man ihm beibrachte, gestört hätten. »Die Physiologie, die man mir beibrachte, war kalt, das heißt, man konnte sie lernen, indem man einen entmarkten Frosch oder ein Herz-Lungen-Präparat sorgfältig studierte. Man gab sich große Mühe, Variablen wie Gefühle aus dem Spiel zu halten, und es schien mir, als würden Tiere und Menschen behandelt, als ob sie sich in Bezug auf ihre Triebe immer in einem neutralen mittleren Zustand befänden. Man kann beobachten, wie ein gezähmter Hund in einen ständigen Zustand von Frustriertheit gerät. Stellen Sie sich den Stress vor, in den wir einen Hund versetzen, der seinen Urin nicht in die Blase sezerniert, solange keine Anzeichen für eine Möglichkeit bestehen, dass er die Blase auch wird entleeren können. Um wie viel wichtiger wäre es, der Physiologie zu gestatten, durch Emotionen und Konflikte kompliziert zu werden, wenn wir darangehen, das Funktionieren des menschlichen Körpers zu studieren.«17 Mit der Erfindung der Psychoanalyse wurde Freud in gewissem Sinn zu demjenigen, der es »der Physiologie gestattete, durch Emotionen kompliziert zu werden«. Doch schrieb er sehr wenig über Gefühle, über die Emotionen selbst, stattdessen berief er sich auf das, was in der Standard-Übersetzung »Affekte« genannt wurde, worin man Repräsentanzen von Triebabkömmlingen sah. Als Folge davon erbte die Psychoanalyse in England ein verarmtes affektives Vokabular. Was Winnicott hier die »Variablen« jener Wissenschaft nennt, die ihm beigebracht wurde, wurde für jene Form von Psychoanalyse, die Winnicott praktizierte, zum Zentrum ihres Interesses. In Winnicotts Werk wurde die Emotion als Störfaktor naturwissenschaftlicher Daten ersetzt durch die Erforschung dessen, was die emotionale Entwicklung stören kann. Die Hindernisse für den Analytiker wie für den Patienten waren, wie sich herausstellen sollte, 52
die Untersuchungsinstrumente. Als Arzt, der Psychoanalytiker wurde, fühlte Winnicott sich immer in zweierlei Hinsicht verpflichtet. »Ich bin absolut dafür«, schrieb er, »dass man objektiv bleibt und die Dinge gerade heraus untersucht und sorgfältig abhandelt; aber ich bin dagegen, dass man deswegen langweilig wird, weil man die Fantasie, die unbewusste Fantasie aus dem Spiel lässt.«18 Nicht die Wissenschaft per se mindert den Wert der Untersuchungen, sondern die Untersuchungsmethoden, die langweilig sind. Winnicott meint hier, wenn man langweilig ist, werde man trivial: Und gerade die unbewussten Fantasien sind es, die die Dinge spannend machen. Was ihn in seinem theoretischen Frühwerk besonders interessierte, war die Frage, was mit dem wissenschaftlichen Pragmatiker passiert, wenn er sich die Idee gestattet, dass es so etwas wie das Unbewusste gibt. Der Krieg unterbrach Winnicotts Medizinstudium in Cambridge. Als Medizinstudent war er vom Militärdienst befreit. Er arbeitete in den Colleges, die in Militärspitäler umfunktioniert worden waren. Ein Freund schilderte ihn als den Medizinstudenten, »der an Samstagabenden gerne lustige Lieder auf der Abteilung sang und uns alle erheiterte, wenn er ›Apple Dumplings‹ zum Besten gab«. Der Verlust zahlreicher Freunde, die im Krieg getötet worden waren, wurde für ihn zu einer der quälenden Erinnerungen, die ihn sein Leben lang nicht losließen. Schließlich wurde er 1917 als chirurgischer Neuling auf einem Zerstörer der Marine in Dienst genommen. Er war einer der Jüngsten an Bord und der einzige Mediziner, hatte also beträchtliche Verantwortung. Das Schiff hatte mehrmals Feindkontakt, doch während dieser kurzen Erfahrung bis Kriegsende hatte er, nach Angaben seiner Frau, »viel freie Zeit, die er, wie es scheint, mit der Lektüre der Romane von Henry James verbrachte«. Trotz der beiläufigen Ironie ihrer Aussage ist die Information über Winnicotts Lektüre ein passendes Pendant zu Winnicotts eigener seltsamer Absage an den Intellektualismus 53
(James beschäftigte sich natürlich, wie Winnicott selbst, in seinen Romanen vor allem mit schwer Fassbarem, Verborgenem). Es war für ihn aber sicherlich sehr wichtig, doch auch irgendwie teilgenommen zu haben, etwas »dazu beigetragen zu haben«, wie er sich ausdrückte. Sein frühes Erwachsenenalter wie seine mittleren Jahre waren von Weltkriegen überschattet. Zeiten, die unter anderen Umständen entscheidende Entwicklungsphasen seines Lebens gewesen wären, wurden für ihn unvermeidlich auf je unterschiedliche Weise zu Zeiten einschneidender Erfahrungen. Nach Kriegsende begab sich Winnicott 1918 in das St.-Bartholomew-Krankenhaus in London, um seine medizinische Ausbildung abzuschließen. Wie es scheint, trat er nie zu den Prüfungen für den dritten Teil des Bachelor of Medicine in Chirurgie, Geburtshilfe und Frauenheilkunde an oder er bestand diese Prüfungen nicht. Doch hatte er sich bis 1920 als Arzt in dem Fach spezialisiert, das man damals Kinderheilkunde nannte. Wie seine Schwestern hatte er immer eine offenbar in der Familie vorhandene Begabung im Umgang mit Kindern gezeigt. Und Kinderprobleme hatten ihn während seiner Ausbildung immer sehr interessiert. (»Donald Winnicotts Umgang mit Kindern war ganz erstaunlich«, schrieb sein Kollege, der Kinderarzt Jack Tizard, in seinem Nachruf auf Winnicott. »Doch wäre es falsch und irgendwie gönnerhaft, wollte man behaupten, er habe Kinder besonders gut verstanden: Vielmehr war es so, dass die Kinder ihn gut verstanden …«19) Winnicott hatte ursprünglich praktischer Arzt irgendwo auf dem Land werden wollen. Die Idee, Landarzt zu werden, hatte damals noch einen besonderen romantischen Reiz. In den großen englischen Romanen des 19. Jahrhunderts, die Winnicott so gern las, war der Landarzt eine vertraute und Vertrauen einflößende heroische Figur. 1919 jedoch borgte ihm ein Freund Freuds »Traumdeutung« – die 1913 erstmals von Abraham Arden Brill ins Englische übersetzt worden war –, und das Buch machte ihm offensichtlich großen Eindruck. In einem Brief erläuterte 54
er seiner Schwester Violet die Psychoanalyse und schrieb ihr damals in beinahe visionärem Enthusiasmus: »Ich stelle das alles mit ganz einfachen Worten dar. Wenn irgendetwas nicht ganz einfach und für jedermann verständlich ist, bitte ich Dich, mir dies zu sagen, weil ich jetzt darauf hinarbeite, eines Tages in der Lage zu sein, dieses Thema den Engländern so nahezubringen, dass jeder, der gehen kann, es auch versteht.20 Mit 23 Jahren hatte Winnicott, angeregt durch die Lektüre Freuds, neben der Medizin seine neue Berufung gefunden: schwierige (oder unterdrückte) Texte der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, indem er sie »mit einfachen Worten« neu formulierte. Im Lichte von Winnicotts Beziehung zu Freud ist jedoch von Interesse, dass in den Büchern, die zu Winnicotts Lebzeiten erschienen, eine Bezugnahme auf Freuds »Traumdeutung« erstmals in einer Fußnote zu Winnicotts letztem Buch »Playing and Reality« erfolgte. In den Bibliographien der zwei wichtigsten Bände gesammelter Werke (Winnicott 1958 und 1965) taucht sie nicht auf. Am deutlichsten erklärte sich Winnicott oftmals, wenn er, was er häufig tat, zusammenfasste, welchen Einfluss Freud auf ihn gehabt und was er zu seinem Werk beigetragen hatte: »Die Leser müssen wissen, dass ich ein Produkt der Freud’schen oder psychoanalytischen Schule bin. Das bedeutet nicht, dass ich alles, was Freud sagte oder schrieb, als erwiesen ansehe. Das wäre auch absurd, weil Freud seine Ansichten (mit methodischer Akribie, wie jeder andere wissenschaftliche Forscher) sein Leben lang weiterentwickelte und das heißt auch, dass er sie bis zu seinem Tod im Jahr 1939 änderte. In der Tat glaubte Freud manches, von dem ich und viele andere Analytiker überzeugt sind, dass es falsch ist. Das spielt aber keine Rolle. Wichtig ist, dass Freud den wissenschaft55
lichen Zugang zu dem Problem menschlicher Entwicklung eröffnete; er durchbrach den Widerstand, offen über Sex und insbesondere die frühkindliche und die kindliche Sexualität zu sprechen; und er hielt die Triebe für grundlegend und wert, studiert zu werden. Er lieferte uns eine brauchbare Methode, um etwas über Entwicklung zu lernen, die uns auch in die Lage versetzt, die Beobachtungen anderer zu überprüfen und unsere eigenen Beobachtungen zu machen; er bewies, dass es verdrängtes Unbewusstes gibt, und wie unbewusste Konflikte sich auswirken; er beharrte auf der voll umfänglichen Anerkennung seelischer Realität (d. h., was für einen Menschen, neben dem Gegenwärtigen, noch alles wirklich ist); unerschrocken wagte er es, Theorien geistiger Vorgänge zu formulieren, von denen etliche bereits Allgemeingut geworden sind.«21 Winnicott ist überhaupt pointiert, was seine Loyalitäten betrifft. Ausdrücke in Klammern dienen in charakteristischer Weise dazu, mittels Korrekturen Klarstellungen zu machen oder um sicher zu gehen, dass eine implizite Kritik nicht falsch verstanden wird. In Anbetracht von Winnicotts besonderem Interesse wäre eine Unterscheidung zwischen Freud, der seine Ansichten entwickelt, und Freud, der seine Ansichten ändert, recht wichtig. Was er hier allerdings zu betonen versucht, scheint der Gedanke zu sein, dem sich auch Freud selbst verpflichtet fühlte, dass nämlich Freud ein Wissenschaftler war und Psychoanalyse eine Wissenschaft ist, wenngleich eine relativ neue. Winnicott, der in seinen frühen Zwanzigern von der Kinderheilkunde zur Psychoanalyse gefunden hatte, sollte sein Arbeitsgebiet im Grenzbereich von beiden finden. Wie ist es zu verstehen, wenn er sagt, Freud sei »wie jeder andere wissenschaftliche Forscher« gewesen (eine gelinde Herabsetzung, die natürlich die Frage aufwirft, welche Art von Übertragung Winnicott auf Freud machte)? Beide Analytiker Winnicotts, James Strachey und Joan Rivière, waren von Freud analysiert worden und hatten 56
seine Schriften ins Englische übersetzt. Macht man es sich zu einfach und kommt es einer Verleugnung gleich, wenn man davon ausgeht, wie Winnicott das später tun sollte, Psychoanalyse wäre ein erweitertes Erfassen von Geschichte (»Psychoanalyse stellt für mich ein erweitertes Erfassen von Geschichte dar, mit Therapie gewissermaßen als Nebenprodukt.«22)? Winnicott war gerade im Begriff, der British Psychoanalytical Society beizutreten, als die Frage der Laienanalyse (nichtärztlicher Analyse) zur Debatte stand. 1926, in dem Jahr, in dem Melanie Klein erstmals nach London kam, veröffentliche Freud seinen maßgeblichen Beitrag zu dem Thema, »Die Frage der Laienanalyse«. 1927 bildete die British Society einen Unterausschuss für Laienanalyse. Weder Anna Freud noch Melanie Klein, die Gründermütter der Kinderanalyse, waren Ärztinnen (Klein hatte Ärztin werden wollen, doch ihre Familie hatte ihr das verwehrt23). Winnicotts Position war deshalb einzigartig, um sein lebenslanges Interesse an Psychosomatik weiterverfolgen zu können, das aufs Engste mit der verwirrenden Frage verbunden war, was für eine Art von Machenschaft Psychoanalyse ist. 1923 qualifizierte sich Winnicott zum Facharzt für Kinderheilkunde und erhielt eine Anstellung am Queen’s Hospital für Kinder in Hackney, wo er auch die Rheuma- und Herzambulanz des London County Council leitete; zugleich wurde er am Paddington-Green-Kinderspital angestellt, wo er über vierzig Jahre lang arbeiten sollte und das er auch als seine »Psychiatrische Snackbar« bezeichnete (in einer ähnlichen Analogie schlug er später vor, ein Psychoanalytiker sei dazu da, dass man von ihm Gebrauch mache wie von einer Prostituierten). Im selben Jahr, mit 27, heiratete er Alice Taylor, eine Keramikerin, und begann eine zehn Jahre dauernde Analyse bei James Strachey, dem Mann, der die Standardübersetzung Freuds ins Englische bewerkstelligen sollte und selbst von Freud analysiert worden war. In dem Nachruf auf Strachey, den Winnicott später schrieb – Strachey starb 1969 –, erstellte er eine typisch Winnicott’sche Abstammungslinie: 57
»Ich würde sagen, Strachey hatte nach seinem Besuch bei Freud etwas ganz klar im Sinn: nämlich, dass sich in dem Patienten ein Prozess entwickelt und dass dasjenige, was dabei herauskommt, nicht produziert werden kann, man es sich aber zunutze machen kann. So denke ich auch über meine eigene Analyse bei Strachey, und ich habe bei meiner Arbeit versucht, diesem Prinzip treu zu bleiben und die Idee in ihrer schlichten Einfachheit immer wieder zu betonen. Gerade meine analytische Erfahrung mit Strachey hat mich gegenüber Darstellungen von Deutungsarbeit in der Analyse misstrauisch gemacht, die Deutungen das Wort reden für alles, was geschieht, so als hätte man den Blick für den Prozess im Patienten verloren.«24 Wie wir sehen werden, ist es in Winnicotts Version der Psychoanalyse der Entwicklungsprozess des Patienten, der entscheidet. Deutungen begünstigen diesen Prozess, können sich seiner aber nicht bemächtigen, es sei denn auf Kosten des wahren Selbst des Patienten. Winnicotts Interesse an der Frühkindheit nährte seine Skepsis, was die Wichtigkeit verbaler Deutungen in psychoanalytischen Behandlungen betrifft. Wie dem auch sei, Strachey hatte seine maßgeblichste Arbeit geschrieben über das, was er »mutative Deutung« nannte, als dem entscheidenden Instrument der Veränderung in der Psychoanalyse. Dies erwähnte Winnicott in seinem Nachruf allerdings nicht ausdrücklich.25 In demselben Jahr, in dem Winnicott den Nachruf verfasste, korrespondierte er mit jemandem über sein Interesse an Wycliffe (der, wie Strachey, auch übersetzt hatte, allerdings die Bibel) und die Lollards, eine noch viel weniger konforme Sekte als die Methodisten. »Meinem Gefühl nach bin ich von Natur aus ein Lollard«, schrieb er, »und hätte es wahrscheinlich im 14. und 15. Jahrhundert schwer gehabt. […] Mich interessiert auch das Wort Lollard, doch es wäre wohl sehr schwierig, Ihnen in einem Brief zu erklären, wie dies mit meiner Arbeit 58
zusammenhängt.«26 Die Lollards waren Häretiker im 14. Jahrhundert, entweder direkte Nachfolger von Wycliffe oder Anhänger von gewissen seiner Ansichten. Das Word Lollard bedeutet Müßiggänger, Murrer oder Schmarotzer, und stammt von »lollen« ab, was so viel wie »miauen, heulen oder murren« heißt. 1923 reihte sich Winnicott in die mit Deutungen arbeitende Disziplin der Psychoanalyse ein, dies als Arzt mit einem besonderen Interesse für Entwicklungsprozesse und für jene, die miauen und heulen und gelegentlich auch zu murren beginnen.
59
2 Geschichte erkunden
»Nun«, meinte der Dodo, »die beste Art, es zu erklären, ist, es zu spielen.« Lewis Carroll
I Die British Society 1913 gründete Ernest Jones, der damals tonangebende britische Psychoanalytiker, die London Psychoanalytical Society. Sie bestand anfänglich aus fünfzehn Mitgliedern, von denen nur vier praktizierten. Übersetzungen von Freuds Werken ins Englische standen allmählich zur Verfügung, aber die einzigen Analytiker, die Erfahrung hatten, arbeiteten in Wien (Freud und sein unmittelbarer Kreis), Berlin (Abraham) und Budapest (Ferenczi). Die verbindende psychoanalytische Sprache war Deutsch. Als demnach Jones nach dem Krieg die London Society auflöste und 1919 die British Psychoanalytical Society gründete, war das in des Wortes vollster Bedeutung ein mutiger Akt einer Übersetzung ins Englische. Psychoanalyse war eine neue deutsche und für manche eine jüdische Wissenschaft und fand sich, insbesondere von Seiten der British Medical Association, misstrauisch prüfenden Blicken ausgesetzt. Die ersten zehn Jahre der neuen Gesellschaft waren unerhört produktiv, dies zum Teil wegen der Opposition und des Unverständnisses, denen sie in London begegnete. Als Winnicott 1923 seine Analyse bei James Strachey begann, war die Herausgabe des »International Journal of Psycho-Analysis« (1920) bereits in die Wege geleitet. Strachey selbst war der Herausgeber. Unter dem Druck der Analytiker in der British Psychological Society war das »Journal of Medical Psychology« gegründet worden (1920) und die Gründung der »International Psycho-Analytical Library« (1921) in 61
die Wege geleitet worden, als deren Herausgeber Ernest Jones fungierte und die von der Hogarth Press verlegt wurde, deren Besitzer Leonard und Virginia Woolf waren. Um 1930 existierte bereits ein Institute of Psycho-Analysis (1924), eine London Clinic of Psycho-Analysis (1926) und der elfte Internationale Psycho-Analytische Kongress – an dem Freud allerdings nicht teilgenommen hatte – war in Oxford abgehalten worden (1929). 1 Die Gesellschaft hatte sich in den ersten zehn Jahren ihres Bestehens mit zwei vorrangigen und miteinander verknüpften Fragen zu befassen. Zum einen war da die Frage der Laienanalyse, ob also Psychoanalyse als ein Zweig der Medizin zu gelten habe und nur von Ärzten praktiziert werden sollte. Zum anderen, veranlasst vor allem durch die Ankunft von Melanie Klein in London 1926, die neue Frage der Kinderanalyse und ihrer Legitimität als ein Zweig der Psychoanalyse. Immer stärker hatte es den Anschein, dass Fortschritte in der psychoanalytischen Theorie vor allem von der Kinderanalyse kamen, aber Anna Freud und Melanie Klein, die praktisch die Begründerinnen dieser neuen Richtung waren, waren beide keine Ärztinnen. Winnicott als Kinderarzt, der sich in Psychoanalyse ausbildete und selbst bereits begonnen hatte, Kinderanalysen durchzuführen, war da innerhalb der British Society in einer einmaligen Position. Er spielte eine wesentliche Rolle bei dem, was er später – unter Bezugnahme auf sein Konzept des Übergangsobjekts – »Wechselspiel zwischen Trennung und Verschmelzung«2 der verschiedenen Gruppierungen, die aus der British Society entstehen sollten, nannte. Der British Society war es in ihrer Frühzeit ein Anliegen, sich mit der etablierten und respektablen Ärzteschaft zu verbünden. Ungeachtet der Tatsache, dass 1927, nach Angaben von Ernest Jones, vierzig Prozent der Gesellschaft Laienanalytiker waren, schloss der zusammenfassende Bericht des Unterkomitees zur Laienanalyse mit den Worten, »[…] die British Psychoanalytical Society ist praktisch einstimmig der Ansicht, Analytiker 62
sollten grundsätzlich Ärzte sein, ein Anteil Laienanalytiker kann unverbindlich aufgenommen werden, vorausgesetzt, dass sie gewisse Bedingungen erfüllen.« Als Winnicotts Analytiker James Strachey – der Bruder von Lytton Strachey – sich unter diesen Umständen an Jones mit dem Anliegen wandte, Analytiker zu werden, wurde ihm nahe gelegt, Medizin zu studieren. Er nahm eine Stelle im St. Thomas’ Hospital an, hielt es dort aber nur drei Wochen lang aus. Ehe er seine Analyse bei Freud begann, hatte er, nach seinen eigenen Worten, » eine nicht sehr ehrenvolle akademische Karriere mit dem allerbescheidensten Bachelor-Degree, keinerlei medizinische Kenntnisse, keine Ahnung von Naturwissenschaften, keine Erfahrung von irgendetwas, außer drittklassigem Journalismus. Zu meinen Gunsten sprach einzig der Umstand, dass ich, dreißigjährig, einen Brief an Freud geschrieben hatte, in dem ich ihn angefragt hatte, ob er mich als Student annehmen würde.«3 Perry Meisel schrieb in seinem Bericht über Stracheys Beziehung zur Psychoanalyse, dass in England, anders als im übrigen Europa, »die Psychoanalyse länger in einem Zustand freizügigen Dilettantismus verweilte; James und Alix (seine Frau), die sie als Nichtärzte zum zentralen Inhalt ihres Lebens gemacht hatten, stellten eher ungewöhnliche Ausnahmeerscheinungen dar. Anthropologen, Kunsthistoriker, Ökonomen und Doktoren verschiedenster Glaubensrichtungen – sogar literarische Typen wie Lytton – plätscherten in der Psychoanalyse herum, die sie als eine Ergänzung zu ihren eigenen Fachrichtungen, aber nicht als einen eigenen Beruf betrachteten. Deswegen war das britische Interesse an der Psychoanalyse so überraschend unterschiedlich.«4 Winnicott sah in der Psychoanalyse eine wesentliche Ergänzung zu der von ihm gewählten Fachrichtung der Kinderheilkunde. Als diplomierter Arzt begann er seine eigene Analyse als einer der ersten beiden Patienten eines kaum ausgebildeten Laienanalytikers, der ein bedeutendes Mitglied der British Society werden sollte, die nichtärztlichen Analytikern so ablehnend gegenüberstand. 63
Bald nachdem Winnicott seine Analyse begonnen hatte, reiste Alix Strachey nach Berlin, um sich von Karl Abraham analysieren zu lassen, wo sie auch Melanie Klein traf und sich mit dieser anfreundete. Klein hatte 1924 ebenfalls eine Analyse bei Abraham begonnen, nachdem sie vorher von Ferenczi in Budapest analysiert worden war. Zu dieser Zeit machten Klein und Freuds Tochter Anna als Begründerinnen einer neuen und in gewissem Sinn noch schockierenderen Disziplin auf sich aufmerksam, der Psychoanalyse von Kindern. Alix Strachey übersetzte Kleins frühe Arbeiten zur Kinderanalyse und diese stießen in London auf beträchtliches Interesse und gaben Anlass zu Kontroversen. 1925, in dem Jahr, in dem Winnicotts Mutter starb, hielt Klein in London vor der British Society sechs Vorlesungen über Kinderanalyse. Zu Weihnachten desselben Jahres starb Abraham und 1926 lud Ernest Jones, der Kleins Arbeiten stets beherzt gefördert hatte, sie ein, nach London zu kommen, wo sie bis zu ihrem Tod 1960 lebte. Wenn ihr Werk auch nicht allgemein auf Begeisterung stieß – in einer berühmten Besprechung kritisierte Edward Glover es als »eine bloß matriarchalische Variante der Lehre von der Erbsünde«5 –, so fand sie doch in London eine für ihre Arbeit günstige Umgebung. Rasch etablierte sie sich in der British Society als Pionierin, mit Kritikern und mit Anhängern, die ihr ergeben waren. Bis 1927 hatten Melanie Klein und Anna Freud mehrere umfassende Kinderanalysen durchgeführt und trugen mit ihren neuen klinischen Erfahrungen zur Bereicherung der psychoanalytischen Theorie bei. Es existierten jedoch beträchtliche Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden. Während Anna Freud im Wesentlichen die Ansichten ihres Vaters weiterführte, lieferten Kleins Arbeiten neue Ansichten zu der Entwicklung des jungen präödipalen Kindes. 1927 veröffentlichte Anna Freud ihr Buch zur Technik der Kinderanalyse, »Einführung in die Technik der Kinderanalyse«, das bezeichnenderweise erst 1946 übersetzt wurde. Es löste in der British Society eine 64
Debatte sowohl über Anna Freuds wie Kleins Beiträge bezüglich des Zugangs zur Kinderanalyse aus. An dieser Debatte, dem »Symposium on Child Analysis«, konnte Winnicott nicht teilnehmen, weil er nicht Vollmitglied der Gesellschaft war. Aber die Diskussion über die neuen widersprüchlichen psychoanalytischen Diskurse über das Kind wurde zu einer wichtigen Grundlage für seine Arbeit. Zwischen Anna Freud und Klein existierten drei grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten, die alle aus Kleins wachsender Kenntnis der frühen komplexen Fantasiewelt erwuchsen, die sogar das ganz junge Kind schon durch sein Spiel verdeutlichen kann und die der Analytiker entsprechend den klassischen Richtlinien zu interpretieren vermag. Erstens war Klein skeptisch, was die »aufwendigen und mühsamen Wege« betraf, die Anna Freud für die Anfangsphase der Behandlung postuliert hatte, um das Vertrauen des Kindes zu gewinnen. Ihrer Ansicht nach stand das anfängliche Bemühen um eine positive Übertragung in einem geheimen Einverständnis mit der kindlichen Verleugnung der am wenigsten akzeptierten, aggressiven Gefühle. Zweitens hatte die von Klein entwickelte »Spieltechnik« der Kinderanalyse, die dem Kind eine Anzahl einfacher Spielzeuge anbot, mit denen es sein Fantasieleben ausdrücken konnte, alle jene Strukturen zum Vorschein gebracht (Ich, Es und Über-Ich), die Freud für das ödipale Kind beschrieben hatte, nun jedoch bei viel jüngeren Kindern und in viel primitiverer Ausformung. Nach Anna Freuds Ansicht verfügt das präödipale Kind nicht über ein genügend entwickeltes Ich, um frei assoziieren zu können. Und weil das Über-Ich (das väterliche Verbot der Inzestwünsche, die das Kind verinnerlicht), wie Freud geschrieben hatte, der »Erbe des Ödipuskomplexes« ist, verfügt das präödipale Kind nicht über eine fest etablierte Kontrolle seiner erotischen und aggressiven Impulse. Das bedeutete, dass für Anna Freud Kinderanalytiker weniger die Deuter unbewusster Konflikte des Kindes sind, sondern typische Erwachsene, mit denen sich das Kind als Teil seiner Erziehung auf dem 65
Weg zur Selbstbeherrschung identifizieren kann. Danach bestand Kleins dritte wesentliche Kritik an Anna Freuds Behandlungstechnik darin, dass das Kind dem Analytiker seine Gefühle nicht offenbaren kann, wenn dieser sowohl als Erzieher als auch als Konkurrent auftritt. Nach Kleins Ansicht wendete Anna Freud eine vergröberte Form analytischer Technik an, um dem Kind Impulskontrolle beizubringen, während sie selbst einer etwas modifizierten Form der klassischen Technik den Vorzug gab, um Zugang zu den tiefsten Gefühlen des Kindes zu finden und deren Bedeutung zu erforschen. Joan Rivière, die eine begeisterte Anhängerin Kleins war und Winnicotts zweite Analytikerin werden sollte, fasste auf dem Symposium die Klein’sche Position dergestalt zusammen, das Anliegen der Psychoanalyse sei »nicht die reale Welt, nicht die Anpassung des Kindes oder des Erwachsenen an die reale Welt, weder Krankheit noch Gesundheit, weder Tugend noch Laster. Das Interesse gilt einzig und ausschließlich den Vorstellungen des kindlichen Geistes, den fantasierten Vergnügungen wie den von ihm gefürchteten Strafen.«6 Aus solchem wird eine Selbstgefälligkeit spürbar, die das Ergebnis einer übermäßigen Strenge war. Klein hatte, indem sie den Fokus ihres Interesses immer enger fasste, ihre eigene Überzeugung wie die Überzeugung ihrer Anhänger auf die Spitze getrieben. Die innere Welt des Kindes, wie sie in der analytischen Situation aufs Neue erschaffen wurde, war durch eine Art psychoanalytischer Veredelung zu einem Kontext geworden, der genügte, um das Kind zu verstehen. Später sollte es Winnicotts wie auch Anna Freuds Anliegen werden, die Bedeutung und die Lebensumstände der realen Kindeseltern ernst zu nehmen – deren Hilfe er bei der Behandlung oft in Anspruch nahm. Klein dagegen bezieht sich in ihrem Werk kaum auf soziale oder ökonomische Umstände. Wie Anna Freud war Winnicott in Sachen Abstinenz viel weniger streng mit dem Kind, als Klein empfohlen hatte. Dennoch fühlte er sich spontan zu Kleins Theorie hingezogen. Seine 66
Erfahrungen als Kinderarzt (»kein anderer Kinderarzt war damals auch Analytiker, deshalb stellte ich während zwei oder drei Jahrzehnten ein einmaliges Phänomen dar«7) und seine eigene Überzeugung von der Bedeutung der präödipalen Phase für die kindliche Entwicklung brachten ihn Kleins Werk nahe. 1962 erinnerte er sich: »Damals, in den 1920er Jahren, drehte sich alles um den Ödipuskomplex. Die Analyse der Psychoneurosen führte den Analytiker immer und immer wieder zu den Ängsten, die aus dem Triebleben des Vier- bis Fünfjährigen in der Beziehung zu seinen beiden Eltern stammen. Wenn sich frühere Schwierigkeiten zeigten, wurden sie in den Analysen als Regressionen auf prägenitale Fixierungen abgetan. Aber die Dynamik stammte aus dem Konflikt des voll entfalteten genitalen Ödipuskomplexes des Kleinkind- und späten Kleinkindalters, das heißt, gerade bevor der Ödipuskomplex vorüber ist und die Latenzperiode beginnt. Nun haben mir zahllose Fallgeschichten gezeigt, dass Kinder, die Störungen entwickelten, seien das psychoneurotische, psychotische, psychosomatische oder antisoziale, Probleme in ihrer emotionalen Entwicklung in der Frühkindheit und sogar schon als Babys hatten. Paranoide hypersensitive Kinder können ein solches Verhaltensmuster schon in den ersten Lebenswochen oder sogar schon in den ersten Lebenstagen aufweisen. Irgendwo war irgendetwas nicht in Ordnung. Als ich anfing, Kinder psychoanalytisch zu behandeln, konnte ich sehr wohl die Ursprünge von Psychoneurosen im Ödipuskomplex bestätigen, gleichzeitig wusste ich, dass die Schwierigkeiten schon früher begonnen hatten.«8 Als Strachey, wie Winnicott sich ausdrückte, »in seine Analyse meiner Person hereinpolterte und mir von Melanie Klein erzählte« – was dazu führte, dass er von ihr supervidiert wurde –, war Winnicott fasziniert »zu entdecken, wie ungeheuer viel sie 67
bereits wusste«, zugleich bereitete ihm dies aber auch Sorgen. Es war, als fühlte er sich verletzt, weil sie in einen Bereich eingedrungen war, den er als sein Territorium betrachtet hatte. »Das war schwierig für mich«, schrieb er, »denn über Nacht war ich von einem Pionier zu einem Studenten bei einer Pionierin geworden«9: Wo er auch hinging, traf er auf eine Frau, die sich schon wieder auf dem Rückweg befand. Als erfahrener Kinderarzt und zugleich Psychoanalytiker in Ausbildung hatte Winnicott in seinen späten Zwanzigern zu kämpfen, um seine eigene Position zu wahren. In derselben Arbeit legt er in einer beiläufigen Bezugnahme auf Kleins Konflikt mit Anna Freud seine eigene Position dar, indem er sich eindeutig zu positionieren scheint. Für Klein, schreibt er, »war Kinderanalyse dasselbe wie Erwachsenenanalyse. Das irritierte mich nie, weil ich von Anfang an derselben Meinung war und es bis heute noch bin. Ob man mit einer Einführungsphase beginnt, hängt vom einzelnen Fall ab und ist nicht Gegenstand einer feststehenden Technik der Kinderanalyse«.10 Während Klein der Ansicht gewesen war, eine Einführungsphase sei für die Kinderanalyse grundsätzlich irreführend, und Anna Freud behauptet hatte, eine solche wäre für die Behandlung unverzichtbar, stimmte Winnicott Klein scheinbar zu und schlug dann vor, dass es vom einzelnen Fall abhänge. Sein Argument lautete, wenn Technik irgendeinen Wert haben soll, muss sie dem einzelnen Patienten angepasst sein. Die Idee einer analytischen Technik verleugne mit der Verallgemeinerung, die sie impliziert, die Verschiedenartigkeit der Menschen. »Zu Beginn«, schrieb er, »passe ich mich den individuellen Erwartungen ein Stück weit an. Es wäre unmenschlich, das nicht zu tun.«11 Oft neigte Winnicott dazu, einen Gegensatz, wie hier zwischen Klein und Anna Freud, mit einem Paradox aufzulösen, eine dritte Position zu finden, die zwei scheinbar inkompatible Ansichten vereinte und damit verwandelte.12 Wenngleich Winnicott 1959 behauptete, Klein stehe für »den nachdrücklichsten Versuch, die frühesten Vorgänge des 68
sich entwickelnden Säuglings ohne Rücksicht auf Aspekte der Kinderbetreuung zu studieren«13, fand er zunächst vieles, was sie ihm beizubringen hatte, in Übereinstimmung mit dem, was er selbst herausgefunden hatte. In den Anfängen ihrer fachlichen Beziehung schätzte er vor allem ihre »Begabung, innerseelische Wirklichkeit wirklich zu machen«14, doch misstraute er zunehmend den sich widersprechenden Dogmen der Kinderanalyse. »Es ist klar«, schrieb er, »dass dieser Zwiespalt zwischen jenen, die ihre Forschungen allein auf die innerseelischen Vorgänge beschränken, und jenen, die sich für die Kinderbetreuung interessieren, die psychoanalytische Diskussion nur vorübergehend beherrschen kann und mit der Zeit durch die weitere natürliche Entwicklung aufgehoben werden wird.«15 Winnicotts Glaube an natürliche Entwicklungen sollte sich mindestens in dieser Angelegenheit als Wunschdenken herausstellen. Doch lernte er in den späten 1920er Jahren von Klein Wesentliches über die innere Welt des Kindes, das für seine eigene Entwicklung wegweisend werden sollte. Nachdem die Klein’schen Analytiker die grundlegenden Bausteine der inneren Welt des Kindes erarbeitet hatten, liefen sie Gefahr, von vornherein schon alles zu wissen, was es über das Kind zu wissen gibt. Kleins offensichtliche umfassende Kenntnis des Unbewussten des Kindes bot sich als Blaupause an. Von Anfang an stellte sich Winnicott als jemand dar, der als Analytiker weniger kenntnisreich war als Klein; und er betonte, wie wichtig es für einen Analytiker sei, Nichtwissen auszuhalten. Klein hatte den kindlichen Wunsch nach Wissenserwerb – was sie »Wißtrieb« nannte – als wesentlich für die Entwicklung bezeichnet und das verleitete sie, die Einsichten überzubewerten, die in der Analyse aus Deutungen resultieren. Winnicott war nie damit einverstanden, dass Klein Wissenserwerb mit Entwicklung gleichsetzte. In seinen späteren Arbeiten ersetzte er die Erkenntnisfähigkeit als Kriterium für Gesundheit durch die Fähigkeit zu spielen. Sein Werk erweckt manchmal den Anschein, als wäre für ihn das (vielleicht unbewusste) Ziel jeder Methode 69
oder aller Richtlinien, für neue Formen von Anomalien Platz zu machen. Er nahm sich, wie wir sehen werden, von Klein, was er wollte, ohne deswegen ein Anhänger oder auch nur ein Kenner ihrer Theorien zu werden. »Ich mache mich nicht anheischig«, schrieb er 1962, »mich über die Klein’schen Ansichten in einer Weise zu äußern, mit der sie einverstanden wäre. Ich bin überzeugt, meine Ansichten haben sich aus den ihren entwickelt, aber sie hätte mich nie als einen Kleinianer gelten lassen. Das hat mich nicht gestört, denn ich habe nicht das Zeug zum Gefolgsmann, nicht einmal Freud gegenüber. Aber Freud war leicht zu kritisieren, denn er kritisierte sich immer selbst.«16 Eine derartige Betrachtung im Rückblick ist gewiss nicht frei von Bitterkeit. Zwischen 1935 und 1939 hatte Winnicott Kleins Sohn Eric zu analysieren, doch verweigerte er sich ihrem Ansinnen, dass sie den Fall supervidiere. Später sollte Melanie Klein Winnicotts zweite Frau Clare analysieren. Die gegenseitigen Verstrickungen waren ein Leben lang so leidenschaftlich wie mühsam. Doch in den 1930er Jahren, unter der Supervision von Klein und in einer zweiten Analyse (1933–1938) bei Joan Rivière, erarbeitete Winnicott seine ebenso bedeutenden, aber weniger einengenden eigenen Ideen zur psychoanalytischen Theorie der Behandlung von Kindern.
II Winnicott: Der Kinderarzt als Analytiker Wohl wissend, dass die Ärzteschaft nicht gewillt war, »das Unbewusste anzuerkennen und der Bedeutung und Intensität der kindlichen Erotik und Aggressivität Raum zu geben«17, versuchte Winnicott in seinen frühen Schriften und in seinem ersten Buch »Clinical Notes on Disorders of Childhood« (1931), Ärzten einen neuen Zugang zur Behandlung alltäglicher Kinderprobleme zu eröffnen. Seine Überzeugung, wie wichtig die Gefühle von Kindern sind, und die Einsichten, die ihm aus der 70
Psychoanalyse erwachsen waren, hatten ihn gegenüber der landläufigen Haltung zu kindlichen Symptomen misstrauisch gemacht. Das Unbewusste, wie Freud und Klein es dargestellt hatten, musste anerkannt und zugelassen werden und man musste ihm einen Platz einräumen. Aber nicht – und das war ihm wichtig – auf Kosten der empirischen Einstellung zur Kinderheilkunde. »Die Wahrheit ist«, schrieb er, »dass mein Standpunkt für jedermann offensichtlich wird, der sich selbst zu beobachten gestattet, wie Kinder fühlen.«18 Es schien jedoch »nötig, darauf hinzuweisen, um wie viel intensiver die Gefühle des Säuglings sind, als sich durch bloße Empathie feststellen lässt.«19 Den Erwachsenen und seinen ärztlichen Kollegen, die die Heftigkeit der primitiven Gefühle von Säuglingen, wie Klein sie beschrieben hatte, befremdete, mochte es als ein Akt vorschneller Schlussfolgerung, wenn nicht gar von Vertrauensseligkeit erscheinen, solche kindischen Gefühle ernst zu nehmen. »Zu allen Zeiten«, wie Winnicott schrieb, »gab es einige wenige, die die Gefühle kleiner Kinder ernst nahmen, und eine Mehrzahl, die sie verleugneten oder darüber sentimental wurden.«20 Vermutlich waren auch kulturelle Kräfte am Werk, die den durchschnittlichen britischen Arzt gegenüber den Gefühlen von Kindern unsensibel machten. Die ursprüngliche Psychoanalyse und auch Klein waren nicht englisch und ihre Erfahrung mit der jüngsten Geschichte war eine ganz andere. »Der Engländer«, schrieb Winnicott, »möchte nicht aus der Fassung gebracht werden, nicht daran erinnert werden, dass es ringsum von persönlichen Tragödien nur so wimmelt und dass auch er selbst nicht wirklich glücklich ist; kurzum – er weigert sich, sich von seinem Kurs abbringen zu lassen.«21 Klinisch war Winnicott, wie er später in der Einführung zu »Playing and Reality« schreiben sollte, zu seinen Ansichten gelangt durch »die Schilderungen, die Eltern von ihren Erfahrungen mit ihren Kindern machen können, sofern wir imstande sind, ihnen Gelegenheit und Zeit zu geben, sich in ihrer eigenen Art und Weise daran zu erinnern«.22 Bereits in seinen frühesten Arbeiten begann er eine 71
neue Art von Kompetenz zu definieren, der zufolge Behandlung darin besteht, dem Patienten Gelegenheit zu geben, sich seinem Gegenüber mitzuteilen. Die Tatsache, dass er sowohl Psychoanalytiker als auch Kinderarzt war, hatte, wie er schrieb, seine »natürliche Neigung, sich mehr für die Person und die Persönlichkeit als für Zellgewebe oder Krankheiten zu interessieren, verstärkt.«23 Aber als Wissenschaftler, der für eine damals vorwiegend medizinische Leserschaft schrieb, war Winnicott darauf bedacht, seinen unkonventionellen Zugang – wonach Symptome Ausdruck von Gefühlen sind – gewissermaßen biologisch zurechtzurücken: »Die Theorie, die diese Symptome mit Gefühlskonflikten erklärt, lässt sich nicht bloß im Einzelfall überprüfen, sie entbehrt auch nicht einer befriedigenden biologischen Basis. Solche Symptome sind typisch menschlich und der große Unterschied zwischen dem Menschen und anderen Säugetieren liegt vielleicht in dem viel komplizierteren Bemühen des ersteren, sich die Triebe untertan zu machen, statt sich von ihnen beherrschen zu lassen. Und in diesem Bemühen sind natürlicherweise die Ursachen jener Krankheiten zu suchen, die unter Menschen so weit verbreitet sind und bei Säugetieren praktisch nicht vorkommen.«24 Der Mensch zeichnet sich hier durch dasjenige aus, was ihn krank werden lässt, sein Bemühen, die Herrschaft über sein Triebleben zu gewinnen. Er leidet, wie Freud behauptet hatte, an den Haltungen, die er gegenüber seinen Trieben einzunehmen gezwungen ist. Aus psychoanalytischer Sicht, deren Winnicott sich bediente, um kindliche Symptome zu beschreiben, waren Schüchternheit, Einnässen, Nervosität und Ekzeme nicht länger physiologische Fehlfunktionen, sondern intelligente und deshalb einer intelligenten Untersuchung auch zugängliche Lösungsversuche für emotionale Konflikte. Als »typisch menschlich« waren diese verbreiteten kindlichen Symptome nicht ein72
zelne Absonderlichkeiten der kindlichen Entwicklung, sondern wesentliche Bestandteile des Lebens der Kinder. Im Gesamtzusammenhang des Lebens des Kindes, »der Gefühle der ganzen Person, ihrem Platz in ihrer Umwelt und dem Gefühlszustand der ganzen Persönlichkeit«25 entsteht für das Kind das Symptom als eine lebenstaugliche Form der Selbstheilung. »Die Unruhebewegungen eines ängstlichen Kindes« beispielsweise »sind Teil des kindlichen Bemühens, seiner Angst Herr zu werden.«26 Es ist nicht das Symptom an sich, meint Winnicott, sondern die Art und Weise, wie ein Kind von dem Symptom Gebrauch macht, die pathologisch sein kann. »Abnormität«, schreibt er, »äußert sich in dem begrenzten und rigiden Umgang des Kindes mit den Symptomen und in einer relativen Beziehungslosigkeit der Symptome untereinander.«27 Als weit verbreitetes Beispiel führt er Bettnässen an: »Wenn das Kind, indem es bettnässt, sich gegen eine zu strenge Behandlung auflehnt, sich gewissermaßen für die Rechte des Individuums stark macht, dann ist das Symptom keine Krankheit, sondern ein Zeichen dafür, dass das Kind die Hoffnung nicht aufgegeben hat, seine bedrohte Individualität zu bewahren.«28 Symptome verhärten sich, werden zu Gewohnheiten und Teil eines Krankheitsmusters, wenn sie als Kommunikationsmittel ihre Wirkung verfehlen und nicht imstande sind, die Entwicklung des Kindes zu schützen. Symptome sind ein Teil der Art und Weise, wie das Kind an den unvermeidlichen Schwierigkeiten des Lebens arbeitet und sich durch sie durcharbeitet. Ein gesundes Kind verfügt über ein flexibles Repertoire von Symptomen, die der Kommunikation mit der Umgebung dienen. »Es sind diese Hilfsmittel«, schreibt Winnicott, »die wir Symptome nennen, die von unseren Kindern normalerweise eingesetzt werden, und wir sagen, dass ein normales Kind unter entsprechenden Umständen in der Lage sei, ein x-beliebiges Symptom zu produzieren. Bei einem 73
kranken Kind aber sind nicht die Symptome das Problem, sondern die Tatsache, dass die Symptome ihren Job nicht tun und für die Mutter wie für das Kind zum Ärgernis werden. So können Bettnässen, Nahrungsverweigerung und alle Arten anderer Symptome eine ernsthafte Indikation für eine Behandlung darstellen, aber das müssen sie nicht. Tatsächlich lässt sich zeigen, dass Kinder, die durchaus als normal zu bezeichnen sind, solche Symptome aufweisen, und dass sie sie nur deshalb haben, weil das Leben schwierig ist und inhärent schwierig für alle Menschen, für jedermann schwierig von Anfang an.«29 Was bei dem Symptom unterdrückt wird, ist der Kontext, der es verständlich machen würde. Die Aufnahme einer sorgfältigen Anamnese, etwas, das Klein in ihrem Werk selten erwähnt, war für Winnicott praktisch gleichbedeutend mit Diagnostik und Behandlung: »Der Arzt erhält von den Eltern ein möglichst klares Bild des bisherigen Lebens des Kindes und seines aktuellen Zustands und er versucht, die Symptome, deretwegen das Kind gebracht wird, zu der Persönlichkeit des Kindes und zu den äußeren und inneren Erfahrungen, die es gemacht hat, in Beziehung zu setzen.«30 Das »Versäumnis, eine Anamnese zu erheben«, bei der »niemand sich die Mühe gemacht hat, diese Fakten herauszusuchen und sie miteinander in Verbindung zu bringen«, isoliert das Kind von der Bedeutung seines Symptoms. Winnicotts Bild ist uns zu vertraut, um uns unmittelbar zu berühren. Die Einzelheiten im Leben eines Kindes lassen sich wie Perlen verstehen, da und dort verstreut, die darauf warten, aneinandergereiht zu werden; und sie können natürlich verschieden aneinandergereiht werden. Der Analytiker hilft dem Patienten, 74
sie zusammenzusammeln, und beide reihen dann die Fakten aneinander. Mehr als zwanzig Jahre später verfasste Winnicott aus einem anderen, aber ähnlichen Kontext heraus eine faszinierende kurze Arbeit mit dem Titel, »String: a Technique of Communication« (1960).31 Wenn Klein in ihren frühen Arbeiten Einblicke in ihre praktische Arbeit gewährte, empfahl sie, das kindliche Spiel kontinuierlich zu deuten. Entsprechend den psychoanalytischen Richtlinien, die sie selbst verfasst hatte, übersetzte sie die Mitteilungen des Kindes – und das Material bedurfte wirklich der Übersetzung, weil es für das Kind gänzlich unverständlich war. Winnicott ging davon aus, das Kind wolle ursprünglich verstanden werden. Es »sehne sich nach jemandem, der ihm Verständnis entgegenbringt«.32 Er hielt sich nicht an die konventionelle psychoanalytische Annahme, das Kind sei auf der Flucht vor sich selbst. Das Winnicott’sche Kind tendiert eher dazu, ein Kollaborateur statt ein Gegenspieler zu sein. Deshalb empfehlen Winnicotts frühe Arbeiten eine viel weniger imponierende therapeutische Präsenz als diejenigen von Klein. »Wenn man mit ängstlichen Kindern verständnisvoll umgeht«, schreibt er, »was für den Arzt gewöhnlich bedeutet, einfach angstfrei zu beobachten, beschleunigt man in vielen Fällen die Rückkehr der Gesundheit.«33 Der Arzt wird zum mitfühlenden Zeugen der kindlichen Not, und seine angstfreie Anerkennung der misslichen Lage des Kindes, was Winnicott anderenorts »wertschätzendes Verstehen« nennt, ist an sich schon eine therapeutische Handlung. Der Arzt »reagiert auf die Not mit einer geeigneten Aktion oder mit absichtlicher Untätigkeit.«34 Hinter diesem scheinbar bescheidenen Vorschlag, hinter dem man auch eine ironische Form von therapeutischem Quietismus vermuten könnte, verbirgt sich jedoch eine entscheidende Frage: Welcher Art ist die Angst, die im Analytiker das Bedürfnis weckt, zu deuten, und die Angst, die den Arzt dazu verleitet, etwas Aktiveres zu wollen, als bloß zuzuhören? Winnicott schildert 75
»ein intelligentes zwölfjähriges Mädchen, das in der Schule Anzeichen von Nervosität zeigte und nachts einnässte. Niemand schien daran gedacht zu haben, dass sie mit ihrer Trauer über den Tod ihres Lieblingsbruders nicht fertig wurde. […] die Ereignisse waren derart abgelaufen, dass sie nie wirklich traurig gewesen war, und doch war ihre Trauer vorhanden und wollte ernst genommen werden. Ich fing sie auf, indem ich für sie unerwartet ›du hattest deinen Bruder sehr gern, nicht wahr‹ sagte, worauf sie ihre Kontrolle verlor und hemmungslos zu weinen begann. Daraufhin verhielt sie sich in der Schule wieder normal und das nächtliche Bettnässen hatte ein Ende.«35 Winnicott berichtet natürlich nicht über ausführliche psychoanalytische Behandlungen, wie Klein das in ihren frühen Arbeiten gemacht hatte, auch sind die Patienten, von denen er berichtet, nicht so gestört, wie ihre es waren. Dennoch lassen sich Vergleiche anstellen. Klinisch sucht Winnicott, wie in diesem Beispiel, nicht nach dem, was tief unbewusst ist, dem esoterisch Unbekannten, sondern nach dem, was darauf wartet, »ernst genommen zu werden«. Er »fing sie auf«, als würde sie fallen, mit etwas Einfachem, das sie erkennen konnte, das sie aber, weil sie von ihrer Trauer abgespalten war, nicht gespürt hatte. In einer dieser frühen Arbeiten schildert Winnicott ein anderes zehnjähriges Kind, genannt Peggy, für die »das Tabu ihrer Eltern gegenüber sexuelle Themen ein wichtiger Krankheitsfaktor war, wichtiger als das ungewöhnlich komplizierte Familienleben, dem sie im Übrigen ausgesetzt war. Meine relativ angstfreie Einstellung gegenüber sexuellen Angelegenheiten ermöglichte ihr, sich mit dem Material auseinanderzusetzen, das in ihrer Vorstellung bereits vorhanden war. Mit anderen Worten, was dieses Kind brauchte und bekam, war sexuelle Aufklärung. Aber ich klärte sie 76
nicht direkt auf, ich stellte ihr nur die Wandtafel zur Verfügung, auf welche sie ihre Beobachtungen aufschreiben konnte. Das hätte in so kurzer Zeit nicht so erfolgreich vonstatten gehen können, wenn sie ernsthaft neurotisch gewesen wäre.«36 Aus psychoanalytischer Sicht leidet der Patient an der Selbsterkenntnis, die er sich selbst vorenthalten muss. Winnicott betont in seinen ersten psychoanalytischen Arbeiten, dass es eine »relativ angstfreie Einstellung« ist und nicht ausschließlich ein deutendes Vorgehen – das im Übrigen durchaus Teil dieser Einstellung sein kann –, die das Kind in die Lage versetzt, sich selbst zu verstehen. Er deutet nicht so sehr die Abwehr des Kindes, er gibt ihr vielmehr Raum. Er geht davon aus, das Kind habe das Bedürfnis, sich selbst zu verstehen, könne aber nicht direkt über dasjenige in Kenntnis gesetzt werden, was es bereits weiß. Die Aufforderung, die von der Haltung des Analytikers ausgeht, ermöglicht ihm, sich selbst darzustellen. Freud hatte geschrieben: »Der Arzt soll undurchsichtig für den Analysierten sein und wie eine Spiegelplatte nichts anderes zeigen, als was ihm gezeigt wird.«37 Für Winnicott bedeutete das analytische Setting ein Zur-Verfügung-Stellen einer metaphorischen Wandtafel, auf welche der Patient seine eigenen Beobachtungen aufschreibt. »Das Prinzip ist,«, schrieb er in »Playing and Reality«, »dass es der Patient ist und nur der Patient, der die Antworten kennt. Wir können ihn nur in die Lage versetzen oder daran hindern, dasjenige, was er bereits ahnt oder was ihm bewusst geworden ist, auch zuzulassen.«38 Ausgehend von dem Wunsch des Kindes, sich selbst zu verstehen, sich selbst unter Mithilfe anderer verständlich zu werden, sehen wir, wie Winnicott in diesen frühen Arbeiten mit dem kindlichen Opportunismus arbeitet, mit dem Willen und der Fähigkeit, die Umgebung für den eigenen Entwicklungsprozess zu benutzen. Seine psychoanalytische Methode ist minimalistisch und unaufdringlich. 77
In einer seiner frühesten (nie wieder veröffentlichten) Arbeiten, »Skin Changes in Relation to Emotional Disorder« (1938), formulierte Winnicott grundsätzliche Zweifel an der Psychoanalyse. Er befürwortete dort, dass Ärzte über »die Psychologie des Unbewussten« und seine »Mechanismen« Bescheid wissen, und forderte, dass der ältere, fertig ausgebildete Arzt dank seiner Reife »ungeachtet der Vertrautheit mit diesen Mechanismen nicht zu viel an Spontaneität und intuitivem Verständnis einbüßen möge«.39 Winnicott räumt hier die Möglichkeit ein, das Festhalten an der psychoanalytischen Theorie und an dem Wissen um das Unbewusste könne einem spontanen Verstehen im Weg stehen.40 Die Kenntnis dieser Mechanismen hat ihren Preis. Für Winnicott war Gesundheit stets durch Spontaneität und Intuition ausgezeichnet, ein Gedanke, der bei Freud und Klein kaum auftaucht. Winnicott schätzte besonders »die Gefühle derjenigen, die sich nicht gern etwas ausdenken. Sie funktionieren am besten über die Intuition«.41 Spontaneität und Intuition sind natürlich nicht berechenbar. Sie lassen sich nicht planen. Obwohl das Thema Abhängigkeit sich wie ein roter Faden durch sein ganzes Werk zieht, beinhaltete für Winnicott jegliche theoretische Gefolgschaft das Risiko, zur bloßen Gefälligkeit abzusinken und alles Persönliche und Unerwartete im Keim zu ersticken. »Es ist unmöglich, schöpferisch zu sein«, schrieb er, »es sei denn auf der Grundlage einer Tradition.«42 Eine Tradition war jedoch seiner Ansicht nach nur dann hilfreich, wenn sie auch Raum für Erneuerung bot. Wie wir sehen werden, brachte er in seiner ersten wichtigen psychoanalytischen Arbeit, »The Manic Defence«43, seinen Dank gegenüber Klein zum Ausdruck, indem er ausführlich auf ihre Arbeit einging und explizit deren Bedeutung würdigte, während er zugleich auf fast komische Art und Weise kundtat, anderer Meinung zu sein.
78
III Die manische Abwehr und der Ort des Vergnügens 1935 stellte Melanie Klein der British Society ihre Arbeit »A Contribution to the Psychogenesis of Manic Depressive States«44 vor. Darin formulierte sie zum ersten Mal ihr Konzept der depressiven Position in der kindlichen Entwicklung. Das stellte eine Wegmarke in ihrem Werk dar und bedeutete insofern eine Korrektur der psychoanalytischen Theorie, als die depressive Position für die Kleinianer die zentrale Rolle einnahm, die Freud dem späteren Ödipuskomplex zugedacht hatte. Die Klein’schen Analytiker in der British Society waren jene, die das Konzept der depressiven Position akzeptierten. Winnicott, der nie als Klein’scher Analytiker gelten wollte, antwortete darauf zu Ende desselben Jahres mit einer eigenen Arbeit mit dem Titel »The Manic Defense«. In dieser Arbeit, mit der er sich für die Mitgliedschaft in der British Society qualifizierte, bekräftigte er den Wert, den die neuen Einsichten Kleins für ihn besaßen, worauf er sich auch in seinem gesamten späteren Werk bezog. Gleichzeitig machte er gelegentlich Andeutungen zugunsten der manischen Abwehr. Klein hatte in ihrer Arbeit den seelischen Schmerz – Furcht, Schuldgefühle, Angst, Depression – als zentral für die menschliche Entwicklung bewertet. Und implizit vertrat sie die Ansicht, dass verschiedenste normale menschliche Vergnügen via Vermeidung seelische Schmerzen regulieren. Winnicott reagierte auf Klein manchmal, als wäre sie eine tyrannische Mutter, und versuchte in seiner Arbeit die liebenswerte, einfache Frage zu beantworten: War es bloß Teil der eigenen manischen Abwehr und deshalb eine Bestätigung ihrer Theorie, wenn man den Eindruck hatte, Klein sei, so wie sie durch ihre Theorie vertreten wurde, ein wenig eine Spielverderberin? Ihre Ansicht darüber, was ein gutes Leben ausmache, schien eine Reihe von Vergnügungen auszuschließen, und sie selbst schien durch ihre Überzeugung keineswegs irritiert zu sein. Ihre Arbeit war beispielsweise hemmungslos überfrachtet mit ihrer eigenen Terminologie, ohne Rück79
sicht auf die Zielgruppe, für die sie schrieb. Winnicotts Arbeit, mit zahlreichen sprachlichen Querverweisen versehen, berücksichtigte wenigstens den Umstand, dass die psychoanalytische Theorie, wie die Gefühlsäußerungen von Menschen, aus Worten besteht. Kleins Darstellung der depressiven Position machte es möglich, die Aufgaben, die während der frühkindlichen Entwicklung zu bewältigen sind, in einem neuen Licht zu sehen und eine Verbindung zwischen Geisteszuständen des Säuglings und den Psychosen Erwachsener herzustellen. Für den Säugling, so Klein, »hängt alles davon ab, wie es ihm gelingt, einen Weg aus dem Konflikt zwischen Liebe und unkontrollierbarem Hass und Sadismus zu finden«.45 Bis zum Alter von ungefähr sechs Monaten begehrt und attackiert der Säugling dasjenige und ist gebunden an das, was Klein Teilobjekte nennt. Aus seiner Sicht besteht die Mutter aus zwei unterschiedlichen und nicht miteinander verbundenen Teilobjekten – der guten Brust, die ihm zur Verfügung steht, ihn ernährt und die er liebt, und einer bösen Brust, die er zerstört und von der er sich in rächender Vergeltung bedroht fühlt. Er schützt die gute Brust, die er benötigt, vor seinen eigenen Zerstörungsimpulsen mittels der Abwehrmechanismen, die Klein Spaltung und Idealisierung nennt. Er »spaltet« die Mutter in gute und böse Anteile und behütet den guten Anteil, indem er ihn überbewertet. Aus Angst vor den Folgen finden die beiden Teile in seiner Seele nie zusammen. Erst mit der depressiven Position entsteht die Vorstellung von der Mutter als einer ganzen Person, die der kindlichen Existenz vergleichbar und doch von ihr unterschieden ist. »Wenn das Kind die Mutter als eine ganze Person erfährt«, schreibt Klein, »und sich mit ihr als einer ganzen, realen und geliebten Person identifiziert […], dann tritt die depressive Position […] in Erscheinung.«46 In der depressiven Position muss das Kleinkind die Schuldgefühle und Ängste aushalten, die aus der Einsicht erwachsen, der Person, die es liebt, Schaden zugefügt zu haben. Das schließt die volle Anerkennung seiner eigenen 80
Zerstörungskraft und deren Konsequenzen mit ein und führt zu neuen Abwehrstrategien, um mit dieser neuen Form seelischer Schmerzen fertig zu werden. »Die depressive Position«, schreibt Hanna Segal in einem zusammenfassenden Kommentar über Kleins Arbeit, »mobilisiert zusätzliche Abwehrstrategien manischer Art. Im Wesentlichen richten sich diese Strategien gegen die Erfahrung der seelischen Realität depressiven Leidens, und ihr Hauptcharakteristikum besteht in einer Verleugnung der seelischen Realität. Die Abhängigkeit von dem Objekt und die Ambivalenz werden verleugnet und das Objekt wird omnipotent kontrolliert und triumphierend und verächtlich behandelt, so dass aus dem Verlust des Objekts weder Leiden noch Schuldgefühle erwachsen. Alternierend oder gleichzeitig mag es zu einer Zufluchtnahme zu dem idealisierten inneren Objekt kommen, wobei alle Gefühle, etwas zerstört oder verloren zu haben, verleugnet werden.«47 Durch den Einsatz der manischen Abwehr verarmt das Individuum emotional, aber zugleich wird es ganz offensichtlich vor der Erfahrung unerträglichen Leidens geschützt. Es erschafft sich eine Illusion von Selbstgenügsamkeit, um sich die leidvollen Konsequenzen einer Beziehung mit realen Objekten und den Kontakt mit seiner eigenen seelischen Realität zu ersparen. In »The Manic Defense« konzentrierte sich Winnicott auf Kleins neue Topographie der seelischen Wirklichkeit und die dazugehörigen Abwehrmechanismen. Im letzten Abschnitt seiner Arbeit definierte er die manische Abwehr zusammenfassend: »Der Begriff ›manische Abwehr‹ möchte die Fähigkeit von Menschen umschreiben, die depressiven Ängste zu verleugnen, die jede emotionale Entwicklung mit sich bringt, Ängste, die zu der Fähigkeit des Menschen gehören, sich schuldig 81
zu fühlen und Verantwortung für Trieberfahrungen und für die fantasierten Aggressionen, die mit Trieberfahrungen einhergehen, zu übernehmen.«48 Abgesehen von seiner Klarheit hat dieser Text nichts Besonderes an sich. Er ist aber typisch für Winnicott. In allen seinen Arbeiten neigt er dazu, eher von Fähigkeiten als von Haltungen oder Zuständen zu reden. Die Betonung von Fähigkeiten schafft Raum für individuelle Unterschiede. »Fähigkeit« impliziert gespeicherte Möglichkeiten, und diese Kombination von Aufnehmendem und Schöpferischem verwischt die Grenze zwischen Aktivem und Passivem. Es ist auch typisch für Winnicott, dass der Schlusssatz Kleins Ansichten nicht widerspricht, während das in der restlichen Arbeit nicht der Fall ist. Winnicott beendet oder beginnt seine kritischsten weiterführenden Arbeiten oft mit einer mehr oder weniger verklausulierten Äußerung, die den Anschein erwecken soll, seine Ideen stünden im Einklang mit jenen seiner Vorgänger, die ihn beeinflusst haben, denen gegenüber er aber doch kritisch eingestellt ist. »The Manic Defence« beginnt mit einer Erklärung Winnicotts betreffend seine neue Schuldigkeit gegenüber den Ideen Kleins, die ihm in einer vorher nicht gekannten Weise die Vorstellung von einer inneren Welt erschlossen hätten. »In meinem Fall«, schreibt er, »ist ein erweitertes Verständnis von Mrs. Kleins Konzept – gegenwärtig betitelt ›Die manische Abwehr‹ – mit einer schrittweisen Vertiefung meiner Wertschätzung für die innere Wirklichkeit zusammengekommen.« Wo er früher Fantasie und Wirklichkeit als Gegensätze gesehen hatte, war er nun »dazu gelangt, äußere Wirklichkeit nicht so sehr der Fantasie, sondern einer inneren Wirklichkeit gegenüber zu stellen. […] der Wechsel der Terminologie steht für einen vertieftes Verständnis der inneren Wirklichkeit.« Für Winnicott geht mit einer Veränderung der Sprache explizit eine Veränderung der Ansichten einher. Melanie Klein hat für ihn zu dem zur Verfügung stehenden Material von Wirklichkeit etwas ganz 82
Entscheidendes hinzugefügt: Jetzt »ist es Teil der eigenen manischen Abwehr, außerstande zu sein, der inneren Wirklichkeit die volle Bedeutung zu geben«.49 Klein hatte gezeigt, wie die sich entwickelnde leidenschaftliche Beziehung, die das Kind zu seinen Eltern fühlte, sich mit der offensichtlicheren Beziehung zu den wirklichen äußeren Eltern überschnitt. Wie die äußere Welt war auch die innere Welt des Säuglings für diesen nur sehr begrenzt kontrollierbar. Der Säugling kann, wie Winnicott meint, die Fantasie oder die äußere Welt gewissermaßen als Abdichtungspfropfen gegen den Stress, der von der inneren Welt her kommt, einsetzen. Winnicott unterscheidet in seiner Arbeit zwei Arten von Fantasien. Was Klein innere Wirklichkeit genannt hatte, war in »den Fantasien, die persönlich und organisiert sind, historisch bezogen auf physische Erfahrungen, Aufregungen, Freuden und Leiden der Kindheit«50, repräsentiert. Dann gab es aber noch die Fantasien der Tagträume, deren Funktion es ist, einen Menschen von seiner inneren Wirklichkeit, vom Kontakt mit sich selbst und mit anderen, zu isolieren. Für Winnicott ist es, in Anlehnung an Klein, das Leiden des Begehrens, das mit der gefahrvollen Beziehung zu der anderen, geliebten Person zusammenhängt, das die äußere Welt oder die Welt omnipotenter Tagträume zu einem Zufluchtsort vor einer persönlichen inneren Welt werden lassen kann. Winnicott führt als Beispiel »das gewöhnliche extravertierte Abenteuerbuch« an, in dem »wir oft sehen, wie der Autor in der Kindheit seine Zuflucht zu Tagträumen nimmt und später dann in derselben Fluchtbewegung sich der äußeren Realität bemächtigt. Er ist sich der depressiven Ängste in seinem Inneren, vor denen er geflohen ist, nicht bewusst. Er hat ein ereignisreiches Leben voller Abenteuer gelebt und davon wahrheitsgetreu erzählt. Beim Leser aber hinterlässt er den Eindruck einer relativ seichten Persönlichkeit und zwar deshalb, weil der abenteuerliche Autor sein Leben auf der Verleugnung seiner per83
sönlichen inneren Wirklichkeit aufgebaut hat. Man wendet sich erleichtert von solchen Schriftstellern ab, hin zu anderen, die ihre depressiven Ängste und Zweifel auszuhalten vermögen.«51 Was Winnicott schließlich als Fantasieren bezeichnet und hier Tagträume nennt, stellt eine Lösung auf Kosten der persönlichen Integrität dar.52 Ungeachtet seiner Hommage an Klein lässt er in »The Manic Defence« jedoch durchblicken, dass sie Normalität pathologisiert hatte. Freud war der Ansicht gewesen, die Ideale, die die Zivilisation dem Sexualleben des Individuums abverlangte, seien eine der wesentlichen Quellen seines Unglücks. »Es ist eine der offenkundigen sozialen Ungerechtigkeiten«, schrieb er, »wenn der kulturelle Standard von allen Personen die nämliche Führung des Sexuallebens fordert.«53 Das Risiko, das die Objektbeziehungstheorie, wie Klein sie formulierte, barg, war, dass sie ein recht unpassendes Ideal für das Gefühlsleben erschuf. Die depressive Position konnte, wie jede ausformulierte moralische Norm, bloß die Grundlage für eine neue Art von Willfährigkeit schaffen. Die psychoanalytische Theorie kann zu einer zudringlichen, in ihren Forderungen tyrannischen Mutter werden. Winnicott schien zu spüren, dass Kleins Ansichten ein weiteres einengendes psychoanalytisches Über-Ich errichten könnten, das gewöhnliche Vergnügungen im Interesse einer Theorie seelischer Gesundheit untersagt. Als Beispiel führte er das Varietétheater an: »Es sollte doch möglich sein, dem Normalverhalten und zu einem gewissen Grad auch der manischen Abwehr, wie jedermann sie im Alltag anwendet, mit weniger omnipotenter Manipulation, Kontrolle und Entwertung zu begegnen. Wenn man z. B. in einem Varietétheater ist und die Tänzerinnen auf die Bühne kommen, die gelernt haben, sich lebendig zu bewegen, dann kann man sagen, hier werde die Primärszene nachgestellt, hier werde exhibitioniert, da 84
ist anale Kontrolle, da unterwirft man sich masochistisch einer Disziplin, da mangle es an Über-Ich. Früher oder später wird man aber sagen: Da ist LEBEN. Könnte es nicht sein, dass das Wesentliche einer solchen Aufführung in einer Verneinung des Totseins besteht, in einer Abwehr gegen depressive Ideen von ›innerem Tod‹, und dass die Sexualisierung zweitrangig ist?«54 Vergegenwärtigt man sich Kleins eben erst erlangtem Einfluss in der British Society, dann ist dies ein sehr passend-unpassendes Beispiel. Zu Kleins Arbeiten assoziiert man nicht ohne Weiteres Unterhaltung oder die Vorstellung von einem Selbst, das sich selbst auf einer Bühne darstellt. Winnicott sagt hier, eine solche Darstellung könnte wertvoll sein, weil sie sich gegen ein Totsein auflehnt. Er versucht Kleins Strenge menschlicher zu machen, indem er zwischen einem »normalen Sich-Ausrichten nach der Realität« und »abnormer manischer Abwehr« unterscheidet. Winnicott hat nie die überhebliche psychoanalytische Verachtung für die Idee, dass jemand sich nach der normalen Realität ausrichtet, geteilt. Die »Tänzerinnen, die gelernt haben, sich lebendig zu bewegen«, lassen – eingedenk des Endes von Winnicotts Gedicht, »Mein Leben bestand darin, sie zu beleben.« – in Winnicotts Darstellung an Kinder denken, die mit der depressiven Stimmung ihrer Mütter konfrontiert sind, die »gefangen sind in den gegen die Depression gerichteten Abwehrmechanismen ihrer Mutter«.55 Klein hatte nicht berücksichtigt, wie die Mutter dazu beiträgt, dass in dem Kind manische Abwehr aufkommt. Es war an Winnicott, zu Kleins Beitrag hinzuzufügen, wie manische Abwehr aufgebaut wird, um mit der inneren Realität der Mutter fertig zu werden. Sein Konzept des Falschen Selbst schließt dann ein weites Repertoire von Möglichkeiten ein, wie das Kind mit der bedrängenden inneren Realität der Mutter umgehen kann. Im dem folgenden Jahrzehnt entwickelte er aus der Arbeit mit psychotischen Erwachsenen und evaku85
ierten Kindern seine eigene Theorie der frühen emotionalen Entwicklung. Während des Krieges wurde es immer schwieriger, den Druck, der von der äußeren Realität ausging, außer Acht zu lassen. Winnicott sollte dafür der Wortführer in der British Society werden. Margaret Little, eine Analysandin Winnicotts, erinnert sich, dass in der ersten wissenschaftlichen Sitzung der British Society, an der sie teilnahm, »im Abstand von wenigen Minuten Bomben fielen und die Menschen sich bei jedem Einschlag duckten. Inmitten der Diskussion stand jemand, den ich später als D. W. kennen lernte, auf und sagte, ›ich möchte darauf hinweisen, dass ein Luftangriff im Gange ist‹, und setzte sich wieder. Niemand nahm davon Notiz und die Sitzung ging weiter wie zuvor!«56
86
3 Die Kriegszeit
»Wirkliche Missstände vertreiben das Leiden. Eingebildete lassen einen Mann leiden, nageln ihn fest, wie an ein Kreuz; wirkliche spornen ihn zu Taten an.« John Keats
I Im Dezember 1939 schrieb Winnicott gemeinsam mit zwei Psychiatern, John Bowlby und Emmanuel Miller, einen Brief an das »British Medical Journal« und erläuterte, weshalb »die Evakuierung kleiner Kinder im Alter zwischen zwei und fünf Jahren schwerwiegende seelische Probleme verursacht«. Ähnlich wie die so genannten »Kriegsneurosen« die Entwicklung der psychoanalytischen Theorie wesentlich beeinflusst hatten, veränderten die Probleme der evakuierten Kinder in England die psychoanalytischen Vorstellungen von der Kindheit. Die vorzeitige Trennung eines Kindes von seinem Elternhaus könne, wie der Brief betonte, bei dem kleinen Kind »wesentlich mehr auslösen als nur momentane Traurigkeit«; sie könne tatsächlich »ein emotionales Blackout verursachen«.1 Die durch die Evakuierung für die Mütter wie für die Kinder entstandenen Entwicklungsprobleme markierten einen Wendepunkt in den Arbeiten Bowlbys und Winnicotts, jedoch nicht im gleichen Maß für Melanie Klein. An ihren Arbeiten entzündeten sich während der Kriegsjahre in der British Society Kontroversen, die nach dem Krieg darin gipfelten, dass sich innerhalb der Gesellschaft unterschiedliche Gruppierungen bildeten. Winnicott, der nach dem Krieg zu einem wichtigen Mitglied der British Society wurde, vermittelte zwischen diesen rivalisierenden 87
Gruppen. Doch vorerst wurde er 1940 zum psychiatrischen Berater des Evakuierungsprojekts der Regierung im Bezirk Oxford ernannt. Dort arbeitete er mit Clare Britton, der psychiatrischen Sozialarbeiterin des Projekts, zusammen, die später seine zweite Frau wurde. Die Arbeit mit psychotischen Erwachsenen und heimatlosen Kindern, zwei Gruppen von Menschen, die er gedanklich zunehmend in einen Zusammenhang brachte, half ihm während des Krieges, sich über Meinungsverschiedenheiten zu Klein und deren Anhängern, die er anfangs nur vage wahrgenommen hatte, klarer zu werden. Schon in seinen Arbeiten vor dem Krieg hatte Winnicott die Bedeutung der jeweiligen Umgebung für die Entwicklung des Kindes, insbesondere der Mutter, die auf die kindlichen Bedürfnisse eingeht, betont. Kleins Darstellung der depressiven Position hatte ihm einen differenzierteren Blick in die innere Welt des Kindes ermöglicht und damit auch auf die unvermeidlichen seelischen Qualen, die gemäß psychoanalytischem Verständnis integraler Teil der Entwicklung des Säuglings sind. Doch die Evakuierung, die die Kontinuität der Beziehungen zwischen Müttern und Kindern unterbrach, war diesen von außen aufgezwungen worden (in Winnicotts Schriften zu dem Thema findet die gleichzeitige missliche Lage der Väter nur kurz Erwähnung). Die Arbeit mit diesen Kindern und deren Familien und die Supervision der Arbeit derjenigen, die in den Heimen für die Kinder sorgten, versetzte Winnicott in die einmalige Lage, die relative Bedeutung dessen abschätzen zu können, was er den »Beitrag der Umwelt« nannte. Die Errichtung von Evakuierungsheimen stellte, wie er schrieb, »eine experimentelle Gelegenheit dar, um zu überprüfen, wie sich Ersatzeinrichtungen des Elternhauses auswirken«.2 Außerdem ließen sich, wie er fand, Vergleiche zwischen den evakuierten Kindern in den Heimen und Kindern oder Erwachsenen in der analytischen Situation anstellen. Nach Winnicotts Ansicht trägt das Kind, wie der Erwachsene, nicht nur seine Triebausstattung, sondern auch sein frühes Umfeld in sich und inszeniert es in 88
jeder neuen Situation aufs Neue.3 So waren beispielsweise, wie er fand, jene Kinder, deren Heimunterbringung misslang, auch in ihren Herkunftsfamilien nicht genügend gut betreut gewesen. Kinder mit positiven früheren Erfahrungen waren »in der Lage, sich eine Umgebung zunutze zu machen«; sie mussten sich nicht übermäßig anpassen und von der Umgebung auf Kosten ihrer eigenen Bedürfnisse ausnützen lassen. In seiner Arbeit in den Heimen fand er in einem anderen Kontext bestätigt, was er in den Psychoanalysen von Erwachsenen sich hatte entwickeln gesehen: ein Bedürfnis des Kindes, »Vertrauen in seine Umgebung aufzubauen«. Nach seiner Tätigkeit während des Krieges legte Winnicott zunehmend Wert auf dasjenige, worum es seiner Meinung nach in der Psychoanalyse wesentlich ging: dass für den Patienten – und das galt umso mehr, je gestörter ein Patient war – die vom Analytiker garantierte Verlässlichkeit des Settings wesentlich zu der Wirkung der Psychoanalyse beiträgt. Wirkliche Entwicklung kommt nur zustande und ergibt sich, wenn man seiner Umwelt vertrauen kann. Für Winnicott kann Spontaneität nur entstehen, wenn man früh erfahren hat, was Verlässlichkeit ist. Man könnte sagen, nur vor einem Hintergrund von Kontinuität kann der Patient seine eigenen Entwicklungslinien wiederfinden. Es lohnt sich, diese entscheidende Zeit in Winnicotts Arbeit im Folgenden etwas genauer anzusehen. Überzeugt davon, dass »[…] je jünger ein Kind ist, desto gefährlicher ist die Trennung von seiner Mutter«, hatte Winnicott den Plan für die Evakuierungen nach zwei Grundsätzen organisiert: erstens »die Tatsache, dass Kinder sich sehr voneinander unterscheiden«4; und zweitens die Bedeutung dessen, was Winnicott den »Zeitfaktor« nannte. Es geht um die scheinbar einfache und doch wesentliche Tatsache, dass, wie er schrieb, »die Zeit selbst sehr unterschiedliche Auswirkungen hat, je nachdem, in welchem Alter sie erlebt wird«.5 Die Fähigkeit eines Kindes, das Warten auszuhalten, die ersehnte Mutter in seiner Seele als eine wirkliche und befriedigende Möglichkeit auf89
rechtzuerhalten, erwies sich als sowohl vom Reifegrad des Kindes wie auch von den Umständen abhängig. Der ganze Vorgang des Verlassens des Elternhauses, der Anpassung an das neue Heim und dann nach langer Zeit die gelegentliche Rückkehr war potentiell mit Problemen belastet, die jenseits der Möglichkeiten des unreifen Selbst des Kindes lagen, sie verstehen und akzeptieren zu können. Das Kind benötigte sein persönliches Repertoire von Symptomen, um mit der Situation fertig werden zu können. Für Winnicott war es ganz wichtig, dass das antisoziale Verhalten des Kindes in der neuen Situation als eine völlig adäquate Reaktion auf seinen Verlust und seine Entbehrung anerkannt wurde und durchaus ein Beweis für sein emotionales Wohlbefinden war. Kinder dagegen, die sich relativ problemlos in die neue Umgebung einfügten, waren nach Winnicotts Ansicht in einer viel verzweifelteren Lage. Das Fehlen von Symptomen ließ bei evakuierten Kindern oft auf tiefer liegende Probleme schließen. Kinder mit Symptomen bewiesen, dass sie noch an die Möglichkeit einer genügend guten Umwelt glaubten: »Die Problemkinder«, schrieb Winnicott, »hatten, indem sie lästig fielen, die Haltung ihrer Umgebung dahingehend beeinflusst, dass Vorkehrungen für die Befriedigung ihrer Bedürfnisse getroffen wurden.«6 Bei der Erarbeitung der Pläne und der Organisation für die Kriegszeit unterschied Winnicott – und diese Unterscheidung findet sich in seinem gesamten Werk – zwischen »Menschen, denen es liegt, eine vorgegebene Idee in die Tat umzusetzen«, und »solchen, denen es mehr entspricht, eigene Ideen zu entwickeln«.7 Es gibt Menschen, will Winnicott damit sagen, die aus ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen heraus schöpferisch werden, und andere, die funktionieren, indem sie in übertriebenem Maß auf die Bedürfnisse ihrer Umgebung eingehen. Von der übergriffigen Mutter bis hin zu dem autoritären Analytiker spukt diese Figur mit der rigiden, sich aufdrängenden, alles schon vorwegnehmenden Haltung als Negativideal, als Saboteur einer persönlichen Entwicklung durch Winnicotts 90
Werk. In einem Vortrag mit dem Titel »Children in the War«, den er 1940 für Lehrer verfasste, bezeichnete Winnicott beispielsweise den Faschismus als eine »lebenslängliche Alternative zu der Pubertät«.8 Angesichts der Frage, wie mit Kindern, die ihr Elternhaus verloren hatten, umzugehen sei, empfahl Winnicott: »[…] bei allen Tätigkeiten, bei denen es um die Fürsorge für Menschen geht, sind originelle Mitarbeiter gefragt, die ein lebendiges Gefühl für Verantwortung haben.«9 Wo solches möglich war, gestaltete sich die Wohnbetreuung selbst zu einer Therapie sowohl für Kinder, die kriminell geworden waren, wie auch für Kinder, die bloß wegen Heimweh schwierig geworden waren. In seinen späteren Arbeiten über Delinquenz schrieb Winnicott, dass Psychotherapie mit dieser besonderen Personengruppe nur möglich sei und eigentlich durch die Schaffung eines Umfelds für das Kind ersetzt werden könne, in dem Verlass auf eine stabile und zugleich wohlwollende Führung und Leitung ist. Eine frühe Form dieser Art von Umgang stellte nach Winnicotts Ansicht die Mutter dar, die ihr Kind so in den Armen hält, dass es sich sicher fühlt, ohne sich zugleich ihrem Zwang unterwerfen zu müssen. In »The Problem of Homeless Children« schrieb Winnicott, dass in den Heimen im besten Fall »die Kinder ein beständiges und dauerhaftes Management erfahren […] Die Dauerhaftigkeit der Heimsituation ist wertvoller als der Umstand, dass dort vernünftig gehandelt wird.«10 Winnicott erläuterte die Rolle, die die verschiedenen Teammitglieder in einem Heim spielen, so, dass der Begriff »Management«, der so seltsam klingt, Sinn macht, und implizit waren für ihn damit Vorstellungen von guter Elternschaft verbunden. Die psychiatrische Sozialarbeiterin »muss, soweit es um Kinder geht, diesen in den Wechselfällen des Lebens, denen sie ausgeliefert sind, ein Gefühl von Dauerhaftigkeit vermitteln«. Sie war das Bindeglied zu den Eltern des Kindes und solcherart »bis zu einem gewissen Grad in der Lage, die verschiedenen Fäden des Lebens des Kindes zu bündeln und ihm Gelegenheit zu geben, von allen Trennungserfahrungen etwas Wichti91
ges mitzunehmen«.11 Winnicott war sich immer bewusst, dass kleine Kinder einen Erwachsenen brauchen, der die verschiedenen Fäden ihrer Lebenserfahrungen zusammenzuhalten vermag. Die Mutter beispielsweise kann die Geschichte der Erfahrungen ihres Kindes lebendig und für es zugänglich halten, indem sie sie bewahrt und sie wiedererzählt, wenn das Kind das braucht. Winnicott und Clare Britton hatten herausgefunden, dass es bei der Wahl eines Heimleiters nicht auf Erfahrung, Ausbildung oder Neigungen ankommt. Es schien wirklich »unmöglich, zu einer allgemeinen Ansicht darüber zu gelangen, welcher Typus Mensch einen guten Heimleiter abgibt«, wenngleich die nötigen Fähigkeiten an das herankommen, was in Winnicotts Werk als mütterliches Ich-Ideal bekannt werden sollte. Ein Heimleiter, schrieben sie, muss »die Fähigkeit haben, Erfahrungen umzusetzen und in den verschiedenen Lebensumständen und zwischenmenschlichen Beziehungen echt und spontan sein. Das ist äußerst wichtig, weil nur diejenigen, die genügend Selbstvertrauen besitzen, um sich selbst treu zu bleiben und sich natürlich zu benehmen, tagaus, tagein verlässlich handeln können […] Wir müssen allerdings darauf hinweisen, dass es Zeiten geben kann, in denen ein Heimleiter ›natürlich tun‹ muss, wie ein Schauspieler, der auf natürlich spielt.«12 Unter anderem bemühte sich Winnicott beharrlich, einen Charaktertypus zu formulieren, der sich sowohl durch bestimmte wesentliche Eigenschaften auszeichnet – er oder sie sollte authentisch, persönlich, spontan, natürlich, vertrauensvoll und aufgeschlossen für neue Erfahrungen sein – und zugleich auch über die damit einhergehende und doch paradoxe Fähigkeit verfügt, alle diese Eigenschaften zu »spielen«. In diesem Beispiel muss der Heimleiter, wenn er sich den Bedürfnissen der Kinder anpasst – wie die Mutter und der Analytiker –, in der Lage sein, 92
natürlich zu »agieren«, weil die Kinder »zu krank oder zu ängstlich sind, um sich mit seinen oder ihren eigenen persönlichen Schwierigkeiten auseinandersetzen zu können«.13 »Agieren« bedeutet in diesem Kontext, sich freiwillig – und nicht zwanghaft, weil man nicht anders kann – an die Entwicklungsbedürfnisse der Kinder anzupassen, wie auch ein Analytiker sich manchmal seinen Patienten anpasst. Nach Winnicotts Vorstellung muss eine verlässliche Wohnsituation wirklich die Eigenschaften eines Zuhause haben. In einer solchen, ausreichend guten Umgebung kann das Kind nur dann an seine Eltern glauben und ihnen vertrauen, wenn sie ihm Gelegenheit geben, ihre Güte auf die Probe zu stellen. Und dies beinhaltet, was Winnicott anderenorts als »beinahe […] heiligste Eigenschaft des Kindes: Zweifel an sich selbst«14 bezeichnet. Das Kind muss, schreibt er, »immer und immer wieder ihre Fähigkeit, gute Eltern zu bleiben, testen, egal, was es unternimmt, um sie zu kränken oder zu ärgern. Auf dem Weg über dieses Testen versucht es sich allmählich zu versichern, dass die Eltern der Belastung gewachsen sind.«15 Die Eltern sind, darauf muss Verlass sein, beständig und unverwüstlich und weisen das Kind nicht ab. Winnicott ist sich bewusst, dass vermutlich nur die wirklichen Eltern in der Lage sind, einem Kind so viel zuzugestehen. Dennoch benutzt er diese Beschreibung des wirklichen Zuhause als Modell für das, was er die drei Phasen nennt, die von Kindern, die heimplatziert werden, zu erwarten sind. Winnicott interessierte sich zunehmend dafür, wie Entwicklungsvorgänge im Leben von Kindern aufeinander folgen. Diese drei Phasen sind die ersten, denen wir in Winnicotts Werk begegnen werden, weitere werden folgen. Die drei Phasen, die er hier schildert, sind in Kürze die folgenden: 1. »Während einer ersten kurzen Phase führt sich das Kind ungewöhnlich normal auf. […] es hat neue Hoffnung, es nimmt die Menschen kaum so wahr, wie sie wirklich sind, und die Betreuer und die anderen Kinder haben ihm noch keinen 93
Anlass gegeben, seine Illusionen aufzugeben. […] Dieses Stadium ist gefährlich, denn das Kind erlebt den Heimleiter und sein Team entsprechend seinen Idealvorstellungen von einem guten Vater und einer guten Mutter und verhält sich dementsprechend.« 2. In diesem Stadium »brechen die Ideale des Kindes zusammen. Es beginnt damit, das Haus und die Menschen physisch auf die Probe zu stellen. Es möchte wissen, was es anstellen darf und wie weit es straflos davonkommt. Wenn es danach zu dem Schluss kommt, dass es physisch ertragen wird, das heißt, dass der Ort und die Menschen dort von ihm physisch nichts befürchten, dann werden seine Tests raffinierter und es beginnt, ein Teammitglied gegen das andere auszuspielen. […] es versucht die Menschen dazu zu bringen, dass sie einander im Stich lassen, und es tut, was es kann, um sich selbst beliebt zu machen.« 3. Und schließlich, »wenn das Heim diese Prüfungen übersteht, tritt das Kind in die dritte Phase ein. Mit einem Seufzer der Erleichterung beruhigt es sich und wird zu einem normalen Mitglied der Gruppe.«16 Hier ist wichtig zu betonen, dass gemäß Winnicott das Kind seine Umgebung auf die Probe stellen muss: Nach Winnicotts Ansicht sucht das Kind die Realität, es ist nicht auf der Flucht vor ihr. Es braucht die Gewissheit, dass die Umgebung ihm standzuhalten vermag. Mit der geschilderten Sequenz identifiziert Winnicott eine Gruppe von Kindern, die er später als »antisozial« bezeichnen wird. Als Folge einer frühen Deprivation wird das antisoziale Kind »besonders darauf erpicht sein, seine Umgebung auf die Probe zu stellen«. »Selbst wenn die Umgebung den Test besteht«, schreibt er, »können antisoziale Kinder nur kurze Zeit daran glauben.«17 Doch betont er, ihre Hartnäckigkeit sei ein Zeichen, dass sie glauben und hoffen, die haltbietende Umgebung, die sie brauchen, irgendwann tatsächlich auch zu bekommen. »Die antisoziale Tendenz«, schreibt 94
Winnicott, »ist nicht das Ergebnis einer Entbehrung, sondern eine Reaktion darauf; [sie] […] ist Teil einer Phase relativer (nicht absoluter) Abhängigkeit.«18 Mit anderen Worten, das antisoziale Kind versucht, etwas Gutes wiederzubekommen, das es einst besaß. Auch die Rückkehr ins Elternhaus bedeute für das Kind potentiell eine neue Chance, sagte Winnicott in einer Radiosendung für Eltern, vorausgesetzt, »das Kind kann sich Zeit nehmen, um zu spüren, dass das, was wirklich ist, tatsächlich auch wirklich ist. Das braucht Zeit und Sie müssen ihm gestatten, dass sein Vertrauen langsam wieder erwacht.«19 Der Prozess, durch den das Kind und dann die Erwachsenen herausfinden, was für es wirklich ist, sollte später zum Mittelpunkt der Entwicklungstheorie werden, die Winnicott nach dem Krieg formulierte. Und wir werden sehen, wie Winnicott in allen Einzelheiten das »langsame Erwachen des Vertrauens« des Kindes verfolgt, das dessen Bedürfnissen entspricht und auch den Wunsch nach einer Umgebung berücksichtigt, die dem Kind Pausen, Verzögerungen und Rückschritte gestattet, wie sie eben zu dem Prozess gehören. Zugleich versuchte Winnicott klar zu machen, was die Rückkehr nach Hause nach einer langen Trennungszeit aus der Sicht des Kindes bedeutet. Er stellte die paradoxe Behauptung auf, das wachsende Vertrauen des Kindes äußere sich durch ein zunehmendes Bedürfnis, schwierig zu sein. »Es kann gut sein, dass das Kind ein bisschen zu stehlen versucht«, sagt Winnicott, »um zu testen, ob Sie wirklich seine Mutter sind und ob das, was Ihnen gehört, gewissermaßen auch ihm gehört.«20 Wie das Kleinkind muss auch das Kind, das nach Hause zurückkehrt, den Glauben wiederfinden, dass es sich auf seine Mutter absolut verlassen kann; was man – Winnicott erinnert uns daran – seine frühkindlichen ehelichen Rechte nennen könnte. Es ist dieses Standhalten der Eltern angesichts der aggressiven Unfolgsamkeit des Kindes – und nicht bloß das, was Klein »angeborenen Sadismus« nennen würde –, was Winnicott zu einer überraschenden und klaren Formulierung veran95
lasst, die er nur als Frage vorbringen kann: »Soll ich behaupten, dass für ein Kind, damit es in einer Weise heranwachsen kann, die ihm den Zugang zu dem Innersten seines Wesens möglich macht, jemand da sein muss, dem es die Stirn bieten und den es bisweilen sogar hassen kann, ohne deswegen Gefahr zu laufen, dass die Beziehung kaputt geht?«21 Natürlich sind nicht alle Eltern daran interessiert, ihre Kinder in einer Weise großzuziehen, dass sie mit demjenigen in Kontakt kommen, was Winnicott für das »Innerste ihres Wesens« hält. Was Winnicott aber hier meint, ist, dass es für die Entwicklung des Kindes notwendig ist, seinen vielleicht angeborenen Widerstand zu respektieren, der mit Aggressionen einhergeht, aber Aggressionen, die für die persönliche Entwicklung unerlässlich sind. Das Verhältnis zwischen der primitiven, ruchlosen Liebe des kleinen Kindes – der Gier, die Winnicott »Mund-Liebe« nannte – und der Fähigkeit, sich anzupassen, mitzumachen, sollte in Winnicotts besonderer Entwicklungstheorie einen zentralen Stellenwert bekommen.
II In einer Arbeit aus dem Jahr 1940 mit dem Titel »Discussion of War Aims«22 verknüpft Winnicott »die Bedeutung der Habgier in menschlichen Angelegenheiten«, der Habgier, die »eine primitive Form von Liebe« ist, mit Fragen von persönlicher Freiheit, wie sie sich damals infolge der Ausbreitung des Faschismus in Europa stellten. Unsere Einstellung zu unserem Triebleben, dessen primitivste Form die Gier ist, so meint er, ist ganz offensichtlich widersprüchlich. Einerseits schätzen wir Freiheit, wozu auch die Freiheit gehört, unsere Triebe auszuleben, gleichzeitig haben wir Angst davor und das so sehr, dass wir »manchmal nach Kontrolle rufen«. Mit einer Kühnheit, wie sie für die frühe »angewandte« Psychoanalyse typisch ist, behauptet er, der faschistische Staat sei eine falsche Lösung für die »Angst des 96
Individuums vor Chaos und Kontrollverlust«, wie sie das frühe Triebleben mit sich bringt. Diese Angst rufe entweder »den Zwang, sich Macht anzueignen« auf den Plan oder das Bedürfnis, sich einer Kontrolle zu unterwerfen. »Verbote wie Zugeständnisse«, schreibt Winnicott, »sind einfach, und beide sind billig zu haben, wenn man die Verantwortung einem idealisierten Führer oder einem Prinzip überträgt; aber das Ergebnis ist eine Verarmung der Persönlichkeit.«23 Die Frage, die aus Winnicotts Arbeit resultiert, war: Wie kann ein Mensch aus dem Stadium primitiver Gier und absoluter Abhängigkeit von der Mutter zu relativer Autonomie und Anerkennung der Existenz anderer Menschen heranwachsen, ohne allzu viel von seiner Spontaneität und seinen Wünschen einzubüßen – ohne zu der falschen Lösung einer rigiden Überzeugung oder eines starken Führers seine Zuflucht zu nehmen? An diesem Punkt berührten sich psychoanalytische Entwicklungsvorstellungen mit der damals bedrohten Vorstellung von Demokratie. In einer Arbeit, die Winnicott 1950 schrieb, meinte er, es gebe in dem sich entwickelnden Individuum so etwas wie eine prekäre »angeborene demokratische Tendenz«.24 In der »Discussion of War Aims« gelangt Winnicott zu einer Unterscheidung, die sich durch sein gesamtes späteres Werk zieht und sein Misstrauen und seine Bestürzung gegenüber dem Wesen des Trieblebens offenbart. »Was wir wollen, wenn wir erregt sind«, schreibt er, »kann sich himmelweit von dem unterscheiden, was wir zu anderen Zeiten wollen.« Das ruhige Selbst und das erregte Selbst sind keineswegs dasselbe. Winnicott sagt in dieser Arbeit, das Triebleben »steht dem Praktizieren und dem Genuss von Freiheit im Weg«, und: »Aus der Freiheit resultiert kaum körperliche Befriedigung, vor allem keine unmittelbare.«25 In der Objektbeziehungstheorie taucht Erregung tendenziell als Abwehr gegen etwas anerkanntermaßen Wertvolleres auf. Die Objektbeziehungstheoretiker richteten ihr Augenmerk auf Sinn und Zweck der Erregung. Winnicotts Bemerkung in dieser frühen Arbeit will sagen, Freiheit bedeute 97
Freiheit von körperlicher Erregung. Als ob im Zustand des Begehrens das Selbst sozusagen mit der Tyrannei des Körpers kooperieren würde. Dagegen war es dieses von Begierden relativ unbeeinträchtigte Selbst – das in sein Spiel vertiefte Kind, das Erlebnis von Freundschaft, der »Ich-Orgasmus« –, das Winnicott als »höchst befriedigende Erfahrung« beschrieb, »wie man sie in einem Konzert oder im Theater erleben kann«.26 Solche Erfahrungen machten für ihn ein gutes Leben aus und nicht das, was er »Es-Beziehungen« nannte. Dennoch waren es die Erscheinungsformen des Appetits, das Studium der Gier, zugleich das Studium der ersten Beziehung, die Winnicott schließlich in die Lage versetzten, seine Entwicklungstheorie zu formulieren. »Einfach durch Hinweise, die sich in zahllosen Fällen aus der sorgfältigen Anamnesenerhebung ergaben«, erkannte Winnicott, wie er in »Appetite and Emotional Disorder« schrieb, »die vorrangige Bedeutung des Essens«. »Wenn ich ein kleines Kind beschreiben soll«, fügte er hinzu, »muss ich etwas über seine oralen Interessen sagen.«27 Während Freud die Meinung vertrat, alle Neurotiker litten an irgendwelchen Störungen ihres Sexlebens, betonte Winnicott, wenn man mit einem kranken Kind zu tun habe oder sogar mit einem relativ normalen Kind, sei es »ausgesprochen selten, dass man eine Geschichte präsentiert bekomme, […] die nicht Essprobleme enthüllt.« Die Beziehung des kleinen Kindes zum Essen und sein Verhältnis zum Appetit seien notwendigerweise Vorläufer späterer Beziehungen – Beziehungen sowohl zu anderen Menschen als auch des Umgangs mit seinen eigenen Bedürfnissen. In dieser relativ frühen Arbeit, die 1936 entstand, formulierte Winnicott erstmals detailliert einen Vorgang, den er später in einer seiner wichtigsten Arbeiten, »The Observation of Infants in a Set Situation« (1941), definitiv festlegte. Die spätere, strukturiertere Präsentation fand vor der British Psychoanalytical Society statt. Gleichwohl ist es in diesem besonderen Fall lehrreich, sich die früheren und freieren Ausführungen anzusehen, die er vor 98
der ärztlichen Untergruppe der British Psychological Society präsentierte. Da möchte er von der Arbeit in seiner Klinikambulanz »einen Eindruck der allmorgendlichen Eröffnungssitzung vermitteln«. Er hatte bemerkt, dass die Art und Weise, wie ein Kind die Spatel auf seinem Schreibtisch entdeckt und dann mit ihnen umgeht, ihm hilft, dessen Entwicklungsstand zu verstehen – und dass »Verhaltensabweichungen im Umgang mit diesem Hilfsmittel Hinweise auf Abweichungen von der normalen emotionalen Entwicklung geben«. Was Winnicott hier schildert, ist in zweifacher Hinsicht bemerkenswert: Erstens ist die Methode extrem einfach und erfordert nur ein minimales aktives Eingreifen von Seiten des Arztes; zweitens handelt es sich um eine Aufführung, bei der die Art und Weise, wie das Kind und der Therapeut von der Zuhörerschaft als ihrer jeweiligen Umwelt Gebrauch machen, das Vorgehen wesentlich beeinflusst. (»Alle sind jetzt in ausgelassener Stimmung«, kommentiert Winnicott gegen Ende einer Falldarstellung, »die ganze Ambulanz fühlt sich wohl.«) Hier die Schilderung des Ablaufs, bei dem die Zuhörerschaft des Vortrags, die in diesem Moment die Umwelt darstellte, in der er aufgenommen wurde, eine weniger verklemmte und präzisere Darstellung ermöglichte als die spätere offizielle Präsentation vor der British Society: »Ich möchte zeigen, was ein Baby tut, während es auf dem Schoß seiner Mutter sitzt. Zwischen ihnen und mir befindet sich die Tischecke. Ein einjähriges Kind benimmt sich folgendermaßen: Es sieht den Spatel und bald einmal streckt es seine Hand danach aus, aber wahrscheinlich zögert es erst ein- oder zweimal, ehe es ihn wirklich nimmt. Während der ganzen Zeit sieht es mich und seine Mutter prüfend an, um unsere Reaktion abzuschätzen. Früher oder später ergreift es den Spatel und führt ihn in den Mund. Nun freut es sich an seinem Besitz, zugleich strampelt es mit den Beinen und zeigt 99
Anzeichen von emsiger körperlicher Bewegung. Noch ist es nicht soweit, sich den Spatel wieder wegnehmen zu lassen. Bald wirft es ihn auf den Boden; das mag zunächst wie zufällig aussehen, aber wenn man ihn ihm zurückgibt, wiederholt es das scheinbare Missgeschick und zuletzt wirft es ihn hinunter, was dann ganz offensichtlich beabsichtigt ist. Es sieht ihm nach und oftmals wird ihm das Geräusch, wenn er den Boden berührt, zu einer Quelle neuen Vergnügens. Wenn ich ihm dazu Gelegenheit gebe, wird es ihn immer wieder hinunterwerfen. Dann will es selbst auf den Boden, um bei ihm zu sein. […] Was es mit dem Spatel (oder mit irgendetwas anderem) zwischen dem Aushändigen und dem Hinunterwerfen macht, ist wie ein kleiner Ausschnitt eines Filmstreifens seiner inneren Welt, bezogen in diesem Moment auf mich und auf seine Mutter, und daraus lassen sich eine Menge Schlüsse über seine inneren Erfahrungen zu anderen Zeiten und in Beziehung zu anderen Menschen und Dingen ziehen.29 Winnicott beschreibt außerdem, wie Mütter und Kinder im angrenzenden Raum an dem Vorgang teilnehmen. »Die Stimmung in dem ganzen Raum«, schreibt er, »ist von der Stimmung des Babys angesteckt. Eine Mutter von gegenüber sagt: ›das ist der Dorfschmied‹«, und das Baby, auf das sie Bezug nimmt, »freut sich über seinen Erfolg und legt noch eine Nummer drauf.« Winnicott erwähnt, wie ein gehemmteres, unglückliches Kind »sich eine ungewöhnliche Umgebung kreiert«, indem es den Spatel in einer Weise benutzt, die die Anwesenden »an Masturbation erinnert«. Winnicott beobachtet daraufhin, dass die anderen Eltern ihren Kindern diesen Anblick verwehren, so dass »der kleine Knabe sich in einer Situation wiederfindet, in der ihm niemand die Bestätigung gibt, die er so dringend bräuchte.«30 Wie bei den evakuierten Kindern in den Heimen wertet Winnicott die Art und Weise, wie ein Kind seine Umgebung für sich gestaltet, wie es das, was 100
es vorfindet, entdeckt und davon Gebrauch macht, als einen wesentlichen Hinweis auf seinen emotionalen Entwicklungsstand. Winnicott unterscheidet sorgfältig drei Stadien des Geschehens: wie das Kind ab der ersten »ängstlichen Annäherung« ein gewisses Vertrauen erwirbt, den Spatel »in den Mund nimmt […] und lebendig spielt«, bis es den Spatel wieder sein lässt. Wie das Kind auf dem Weg über Aufforderung und Weigerung die Anwesenden mit einbezieht; das Ausmaß und die Art der Bestätigung, die das Kind bei seiner Umgebung hervorruft; wie frei ein Kind mit dem Spatel umgeht …, all das sind vielsagende Einzelheiten. Und sie können, wie Winnicott zeigt, leicht für die Deutungen des Analytikers und zum Nutzen des erwachsenen oder des jungen Patienten übersetzt werden. Was Winnicott ein »erstes Stadium ängstlicher Annäherung« und später in derselben Arbeit eine »Zeitspanne des Misstrauens« nennt, bezeichnet er in »The Observation of Infants« als »Periode des Zauderns«. Die mehrfache Umbenennung dieses ersten Augenblicks zeigt, wie viel er für Winnicott bedeutet. Was von einem orthodoxeren psychoanalytischen Gesichtspunkt aus als abwehrender Widerstand des Patienten in der Analyse erscheinen möchte, mag in Wirklichkeit eine anfängliche Periode des Zauderns sein, ein langsames Gewahrwerden, das zugelassen werden, dem man Zeit geben muss und das nicht als Abwehrmanöver gedeutet werden darf. Widerstand kann ein Hinweis darauf sein, dass die Deutung des Analytikers zur falschen Zeit kommt und deshalb irrelevant ist. Für Winnicott ist der Patient sich selbst nicht einfach ein Feind, aber er kann nur entsprechend seinem eigenen Zeitmaß zu sich finden. Wie Winnicott sagt, kann man den Spatel dem Kind nicht in den Mund stopfen. In der formelleren Präsentation seiner Arbeit vor der British Society schildert Winnicott die drei Stufen dieses Prozesses detaillierter. Er spielt dort die Bedeutung der Theatersituation herunter und betont, wie wichtig es für das kleine Kind ist, 101
dass ihm in dieser »vorgegebenen Situation, die leicht zur Inszenierung gerät, […] der gesamte Ablauf seines Erlebnisses zugestanden wird«.31 In einem Abschnitt mit dem Titel »Whole Experiences« führt er das Spatelspiel als Beispiel an, um das Bild, das er gerne verwendete, um ein gutes Umfeld zu illustrieren, auszuweiten: »Bei ihrem intuitiven Umgang mit dem Säugling lässt die Mutter den verschiedenen Erlebnissen ihren natürlichen Lauf und ändert ihr Verhalten erst, wenn der Säugling alt genug ist, um ihren Standpunkt verstehen zu können. Sie vermeidet es, Vorgänge wie das Füttern oder Schlafen oder Defäzieren vorzeitig zu unterbrechen. Wenn ich mit Babys zu tun habe, gestehe ich ihnen absichtlich das Recht zu, ein Erlebnis bis zu seinem Ende erleben zu können, was für ihre Objekterfahrungen besonders wichtig ist.«32 Die psychoanalytische Behandlung bedeutete für Winnicott in vergleichbarer Weise ein Einräumen von Zeit: »[…] der Analytiker gesteht dem Patienten zu, das Tempo zu bestimmen.« Der Umgang des kleinen Kindes mit dem Spatel ist tatsächlich eine erhellende Analogie für den analytischen Prozess. Ungeachtet der »Vielzahl von Einzelheiten« in der Analyse schlägt Winnicott vor, »Überlegungen über sie in derselben Weise anzustellen, wie in der relativ einfachen Situation, die ich beschrieben habe. Jede Deutung ist ein glitzerndes Objekt, das die Begierde des Patienten erregt.«33 Winnicott meint hier, es sei nicht die Deutung selbst, die wichtig ist, sondern der Gebrauch, den der Patient davon macht. Was er aus dem macht, was ihm angeboten wird – aus diesem »glitzernden Objekt« –, ist wichtiger als das Ding selbst. Die Fähigkeit des Kindes, von Objekten Gebrauch zu machen, genau wie die Fähigkeit des Erwachsenen, von der Analyse Gebrauch zu machen, hängt aber davon ab, ob Hindernisse in den frühesten Entwicklungsstadien erfolgreich bewältigt 102
werden konnten. Einzig Melanie Klein hatte bisher eine psychoanalytische Sicht auf den Säugling – im Gegensatz zu dem älteren Kind – erarbeitet. Jetzt fühlte sich Winnicott in der Lage, dieser mit einer eigenen Entwicklungstheorie gegenüberzutreten.
III Winnicotts Arbeit aus dem Jahr 1945, »Primitive Emotional Development«34, stellt einen Wendepunkt in seinem Werk dar. Sie fasst zwanzig Jahre klinischer Erfahrung als Psychoanalytiker und Kinderarzt zusammen und legte den Grundstein für alle seine späteren Überlegungen. Wie eine auch nur oberflächliche Lektüre von Kleins konkurrierender Arbeit »Notes on Some Schizoid Mechanisms«35 zeigt, die im Jahr darauf erschien, ist für Winnicotts Arbeit die relative Nichtbeachtung der Sprache von Freuds und Kleins Metapsychologie kennzeichnend. Die Ausdrücke, die Winnicott verwendet – Integration, Personalisierung, Realisierung, Illusion, Desillusionierung, Rücksichtslosigkeit – lassen sich gut verstehen, weil man sie aus anderen Zusammenhängen kennt. Anders als Klein vertritt er eine Position des Nichtwissens und betont, dass es bezüglich der frühesten Entwicklungsstadien »vieles gibt, das unbekannt ist oder nicht wirklich verstanden wird«. Klein und ihre Nachfolger hatten bei der Psychoanalyse erwachsener psychotischer Patienten etwas entdeckt, was sie für eine Wiederholung frühester Stadien der Kindheit hielten. Von Kleins Standpunkt aus sind Kinder in ihren frühesten Entwicklungsstadien als psychotisch zu bezeichnen. Winnicott, der zunächst an Säuglingen und Kindern interessiert war, beschloss, er müsse deshalb die Psychosen von Erwachsenen studieren. Seine Arbeit resultierte, wie er sagt, aus dem Studium von zwölf psychotischen Erwachsenen, die er während des Krieges behandelt hatte. »Mir fiel der Blitzkrieg fast nicht auf«, schreibt er, »weil 103
ich die ganze Zeit mit der Analyse psychotischer Patienten beschäftigt war, die für Bomben, Erdbeben und Überschwemmungen so unempfindlich sind, dass es einen verrückt machen kann.«36 Diese Blindheit für die äußere Welt erwies sich als wesentlich für Winnicotts Untersuchung der Bedeutung der Umwelt für Zustände schwerster Psychopathologie. War das, was Klein als Psychosen bei Erwachsenen beschrieben hatte, nicht eher die Folge eines frühen Versagens der Umwelt als, wie sie angenommen hatte, eine angeborene, beim normalen Kleinkind zu beobachtende Tendenz? Winnicott Schlussfolgerung lautete, Psychosen von Erwachsenen sind das Ergebnis eines frühen mütterlichen Versagens. Winnicott beginnt seine Arbeit mit dem Hinweis, unter Psychoanalytikern herrsche mehr oder weniger Einigkeit, dass »bei Kleinkindern im Alter von fünf oder sechs Monaten eine Veränderung stattfinde, die es für uns einfacher macht als zuvor, ihre emotionale Entwicklung mit ganz allgemein menschlichen Ausdrücken zu beschreiben«.37 Klein, Anna Freud und Bowlby hatten dafür unterschiedliche Ausdrücke verwendet; gemeint war der Zeitabschnitt, in welchem der Säugling fähig wird, die Mutter als eigenständige Person wahrzunehmen. »In diesem Stadium«, schreibt Winnicott, »wird ein Baby fähig, durch sein Spiel zu zeigen, dass es versteht, dass es ein Innenleben hat und dass Dinge von außen kommen.«38 Man stellte sich vor, der Säugling beginne Fantasien über Grenzen zu entwickeln, und diese Fantasien würden um die Mutter kreisen, die das erste Stück Außenwelt darstellt, das in den Bereich seiner Wahrnehmung gerät. »Dementsprechend«, schreibt Winnicott, »nimmt der Säugling an, seine Mutter habe auch ein Innenleben, das, je nachdem, reich oder arm, gut oder schlecht, geordnet oder chaotisch ist. Von da an beginnen ihm die seelische Verfassung der Mutter und ihre Stimmungen etwas zu bedeuten.«39 Diese neue Fähigkeit, sich mit einer anderen Person, die der eigenen vergleichbar ist, zu beschäftigen, stellt eine beträchtliche Errungenschaft dar. Für Winnicott ist das Alter von sechs 104
Monaten – wie für Klein übrigens auch – ein relativ wichtiges, soweit es die emotionale Entwicklung betrifft. Doch vertritt er in dieser Arbeit die Ansicht, das diesem vorausgegangene Stadium – »ehe das kleine Kind sich selbst (und deshalb auch andere) als die einheitliche Person erkennt, die es ist (und die die anderen sind) – sei von vitaler Bedeutung; und dass hier wirklich der Schlüssel zum Verständnis der Psychopathologie der Psychosen liegt«.40 Und dieses frühere Stadium ist natürlich jenes, in dem die Mutter über ihren Säugling Bescheid wissen kann, der Säugling aber nicht über die Mutter: In diesem Zeitabschnitt trägt die Mutter aus Winnicotts Sicht allerhöchste Verantwortung. Um dem frühesten Geisteszustand des Säuglings Rechnung zu tragen, schlug Klein den Begriff paranoid-schizoide Position vor. Ihre Annahme besagt, der Säugling handhabe mittels der Mechanismen, die in diesem Lebensabschnitt bestimmend sind – Spaltung und Idealisierung –, seine Ambivalenz, um seine Ernährung zu sichern. Die erste Entwicklungsaufgabe bestehe darin, mit dem seelischen Leiden, das aus seinem angeborenen Sadismus resultiere, fertig zu werden. In Winnicotts ganz anderem Modell besteht die Aufgabe des Kleinkinds darin, mit Hilfe einer ausreichenden mütterlicher Fürsorge in seinem eigenen Körper gewissermaßen heimisch zu werden. Und der Körper ist für Winnicott nicht, wie für Klein, von seinem Triebleben bestimmt; er ist nicht das Schlachtfeld von Lebens- und Todestrieben. Winnicott stellt ins Zentrum seines Entwicklungsmodells nicht einen mythischen Konflikt zwischen unvereinbaren Kräften, sondern »das Einnisten des Selbst in den eigenen Körper«.41 In den Werken von Freud und Klein fällt es schwer, für die Vorstellung von einem Selbst Verwendung zu finden; die wesentlichen Begriffe sind die Ideen von einem Unbewussten und von Trieben, und das Unbewusste scheint per definitionem die Möglichkeit eines einheitlichen Selbst auszuschließen. Für Winnicott gibt es zu Beginn der Entwicklung den Körper, aus dem sich eine »psychosomatische 105
Partnerschaft« entwickelt. Das Selbst ist zuerst und vor allem ein körperliches Selbst, und die »Psyche« dieser Partnerschaft »bedeutet die imaginative Ausarbeitung von Körperteilen, Gefühlen und Funktionen, das heißt physische Lebendigkeit«.42 »Psyche und Soma«, schreibt er, »müssen miteinander ein Einvernehmen finden«43 und dieses Einvernehmen, dieses Finden einer gemeinsamen Sprache ist der Entwicklungsprozess. Die »Errichtung einer tragfähigen Beziehung«44 zwischen Psyche und Körper war für Winnicott nicht ein ausschließlich konflikthafter Vorgang. Eine ausreichend gute mütterliche Fürsorge während der frühesten Stadien vorausgesetzt, ist die Etablierung des Selbst ein natürlicher Koordinierungsvorgang. Und dieser Koordinierungsvorgang selbst ist durch drei Vorgänge bestimmt, die »sehr früh einsetzen: 1. Integration, 2. Personalisierung und 3., auf diese folgend, die Anerkennung von Raum und Zeit und anderer Realitätsfaktoren – kurzum: Realisierung«.45 Zu Beginn, meint Winnicott, befindet sich der Säugling in einem Zustand »primärer Unintegriertheit«, worunter unzusammenhängende Gefühlszustände ohne ein auch nur rudimentäres Ego zu verstehen sind. Im Leben eines Winnicott’schen Babys gibt es lange Zeiten, während denen es nur ein Bündel disparater Gefühle und Eindrücke ist, und das macht ihm, wie Erwachsene sagen würden, nichts aus, solange, schreibt Winnicott, »es sich von Zeit zu Zeit zusammenfindet und etwas fühlt«. Immer wieder erlebt es etwas, das man sich als vereinheitlichende Erfahrungen vorstellen kann, die von außen wie von innen kommen. Diese natürliche »Integrationstendenz« wird durch die mütterliche Fürsorge ermöglicht, die das kleine Kind »warm hält, anfasst, badet, wiegt und beim Namen nennt«, und auch durch »intensive Trieberfahrungen, die helfen, die Persönlichkeit von innen zu festigen«. »Ruhezustände bedeuten für das Kind«, schreibt er, »Rückkehr in einen unintegrierten Zustand.« (Es ist wichtig daran zu erinnern, dass Klein sich für das Kleinkind in Ruhe praktisch nicht interessierte.) 106
Diese beiden parallel ablaufenden Geschehnisse – normale Fürsorge und Trieberfahrungen –, wenn sie immer wieder stattfinden, vereinigen die »vielen Teile« des Babys zu einer Person, die dann gelegentlich in der Lage ist, »ein Ganzes« zu werden. Vorausgesetzt, das Kind hat »eine Person (die Mutter)« zur Verfügung, »die seine Teile zusammenführt«; dann ist es ihm möglich, sowohl »da und dort« zu sein, als auch jemand, von dem man später sagen wird, er stehe mit beiden Beinen auf dem Boden. »Es sind die Trieberfahrungen und die wiederholten beruhigenden Eindrücke körperlicher Fürsorge«, schreibt Winnicott, »die allmählich das aufbauen, was man eine genügende Persönlichkeitsbildung nennen könnte.«47 Daraus resultiert die heraufdämmernde Ahnung, eine bestimmte Person zu sein, deren Besonderheit in ihrem Körper wurzelt, die sich allmählich zu dem Eindruck verfestigt, dass man ist, wer man eben ist. Dies setzt aber schon in einem sehr frühen Stadium voraus, sich mit wachsender Kompetenz in Raum und Zeit orientieren zu können. Winnicott unterscheidet dabei zwischen Unintegriertheit und dem psychopathologischen Zustand der Desintegriertheit. Unintegriertheit bedeutet, sich vertrauensvoll auf eine Umgebung verlassen zu können, in der man gut und sicher uneinheitlich sein kann, ohne das Gefühl haben zu müssen, man falle auseinander. Desintegriertheit deutet auf ein Versagen des haltenden Umfeldes hin und ist, wie Winnicott in einer späteren Arbeit schreibt, »ein hoch entwickelter Abwehrmechanismus, ein Abwehrmechanismus, der durch aktives Erzeugen von Chaos als Abwehr gegen Unintegriertheit hervorgebracht wird, wenn dem Ego die mütterliche Unterstützung fehlt; das heißt, gegen die unvorstellbare oder archaische Angst, die entsteht, wenn im Stadium der absoluten Abhängigkeit das Haltesystem versagt. Das Chaos der Desintegriertheit kann so ›schlimm‹ sein wie die Unverlässlichkeit der Umgebung, doch hat es den Vorteil, dass es von dem Baby produziert wird und deshalb 107
nicht umgebungsbedingt ist. Es liegt innerhalb der Reichweite der kleinkindlichen Allmacht.«48 Unintegriertheit ist eine Ressource, Desintegriertheit bedeutet Schlimmes. Winnicott insistiert, es sei für die weitere Entwicklung nötig, auch im späteren Leben primär unintegriert sein zu können. Er spricht davon, dass »seelische Gesundheit oft von der symptomatischen Qualität belastet sei, zu fürchten oder zu verleugnen, verrückt zu sein, zu fürchten oder zu verleugnen, unintegriert oder depersonalisiert zu werden und die Welt als unwirklich wahrzunehmen – was jedem Menschen passieren kann.«49 Und Winnicott fügt dem die zu Recht berühmte Fußnote an: »Wenn wir uns künstlerisch betätigen, können wir hoffen, mit unserem primitiven Selbst, aus dem uns die heftigsten Gefühle und auch intensive angstmachende Empfindungen erwachsen, in Kontakt zu bleiben; und wir wären wirklich arm daran, wenn wir nur seelisch gesund wären.« Winnicott setzt die Gefühlsintensität dieses primitiven Selbst mit einer seelischen Störung gleich, die er als nährend versteht. In unseren zielstrebigeren Seelenzuständen sind wir kohärent. Das Risiko dabei ist, so Winnicott, dass wir uns eine Kohärenz abverlangen, die uns von unserem »primitiveren Selbst« fernhält. Demnach kann für Winnicott die gesunde Integration, die von einer haltenden Umgebung ermöglicht wird, jederzeit rückgängig gemacht werden; unintegrierte Zustände sind dann aushaltbar und können sogar Freude bereiten. Wenn aber die Integration »unvollständig oder partiell« ist, werden nach Winnicotts Ansicht die unintegrierten Teile des kleinen Kindes abgespalten. Wenn abgespalten, verlieren die unintegrierten Teile des Selbst den Kontakt mit dem Entwicklungsprozess, der sie normalerweise zusammenhält. Das ist, als würden sie dann irgendwo, wenn auch immer noch in der Einflusssphäre des Selbst, unerkannt herumschwirren, sodass beispielsweise ein erwachsener Patient sich gelegentlich dunkel eines Mankos be108
wusst wird, ohne jedoch imstande zu sein, sich eine klare Vorstellung davon zu machen. Als ein alltägliches Beispiel führt Winnicott den Umstand an, dass in der Vorstellung eines Kindes nicht notwendigerweise eine Verbindung zwischen dem schlafenden und dem wachen Zustand besteht. Zunächst liegen dissoziierte Zustände vor und die Dissoziation löst sich erst allmählich auf, schreibt er, wenn Träume erinnert und einer anderen Person »übermittelt« werden. »Kinder sind«, so Winnicott, »sehr von den Erwachsenen abhängig, um sich an ihre Träume erinnern zu können. […] Wenn ein Traum geträumt und erinnert wird, bedeutet das eine wichtige Erfahrung, eben weil damit die Dissoziation ein Stück weit verringert wird.«50 Das wäre gewissermaßen das normale Vorbild der Traumdeutung in der Analyse, bei der es die Aufgabe der Deutung des Analytikers ist, zu würdigen, dass der Patient ihm seinen Traum »übermittelt«. Auf der Grundlage von Winnicotts Entwicklungsmodell bedeutet Psychoanalyse, die dissoziierten Teile des Selbst zusammenzuführen und nicht, an der Verdrängung der Triebe anzusetzen. Was aber Winnicott vor allem beschäftigt, ist die frühe Dissoziation der Persönlichkeit, jene zwischen »den ruhigen und den erregten Zuständen« des Säuglings. Dieser ist sich zunächst nicht bewusst, dass er, wenn er sich freut, weil er gebadet oder gestreichelt wird oder es warm hat, dieselbe Person ist, die fähig ist, »für unmittelbare Befriedigung loszubrüllen, besessen von dem Drang, etwas zu kriegen oder etwas zu zerstören, um an Milch heranzukommen«.51 Es ist, als ob in seiner Vorstellung den zwei Seiten seiner selbst zwei verschiedene Mütter entsprechen würden. »Er weiß zunächst nicht«, schreibt Winnicott, »dass die Mutter, die er sich in ruhigen Zeiten vorstellt, dieselbe ist wie die Macht hinter den Brüsten, die er zerstören möchte.«52 Wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, ist dies für Winnicott die grundlegende Dissoziation der Persönlichkeit, und es ist die Dissoziation – nicht die Verdrängung oder die Spaltung; denn für beide braucht es ein funktionierendes Ich –, die für 109
Winnicott die weitere Entwicklung blockiert. Erst »nachdem die Integration erfolgt ist«, schreibt er in einer späteren Arbeit, »beginnt der Säugling ein Selbst zu haben.«53 Und Integration bedeutet buchstäblich, die Teile zusammenzufügen. Vorausgesetzt, Integration ist möglich, dann ist der nächste Schritt für den Säugling, was Winnicott »ein weiteres gewaltiges Thema, die grundsätzliche Beziehung zur äußeren Realität« nennt, eine Beziehung, die seiner Meinung nach »nie abgeschlossen und erledigt ist«. Entscheidend für Winnicotts Verständnis ist, dass Entwicklungsstadien einander nicht nach und nach ablösen, sondern in ein persönliches Gesamtrepertoire eingehen. Reife bedeutet dann, das ganze, ständig wachsende Lebensrepertoire zur Verfügung zu haben und flexibel damit umgehen zu können. So genannte Entwicklungserrungenschaften sind für Winnicott nur Errungenschaften, wenn sie reversibel sind. So gehört zu der Beziehung zur äußeren Realität auch die Fähigkeit, diese Beziehung zugunsten einer Rückkehr in einen Zustand ursprünglicher Unintegriertheit auch wieder aufgeben zu können, indem man beispielsweise fähig ist, »meilenweit entfernt« oder einfach in Gedanken verloren zu sein. Winnicott ist der Ansicht, der erste vorläufige Kontakt des Säuglings mit der äußeren Realität werde durch etwas ermöglicht, das er »illusionäre Momente« nennt. Normalerweise gilt uns Illusion als etwas, das uns täuscht, oder als etwas, woran wir glauben, um uns vor einer unangenehmeren Wirklichkeit zu schützen. In Winnicotts persönlichem Begriffsverständnis findet das Kind über Illusionen, und nur über sie, zur Realität. Winnicott meint, das Kind, das hungrig ist, stelle sich eine Brust vor, die ihm Befriedigung verschafft, und gerade dann biete ihm die Mutter die wirkliche Brust an. In diesem illusionären Augenblick scheint es aus der Sicht des Säuglings, als ob er sich die Mutter, von der er zu trinken bekommt, erschaffen hätte. »Am Anfang«, schreibt Winnicott, »muss ein einfacher Kontakt mit der äußeren oder einer gemeinsamen Realität 110
hergestellt werden, indem der Säugling ihn halluziniert und die Welt ihn ihm zur Verfügung stellt, wobei der Säugling illusionäre Momente erlebt, in denen ihm beide Seiten identisch erscheinen, was sie in Wirklichkeit natürlich nie sind.«54 Mit »halluzinieren« meint Winnicott hier, der Säugling erschaffe sich imaginierend die Brust, weil er sie benötigt. Infolge der empathischen Identifikation der Mutter mit den Bedürfnissen ihres Säuglings kann dieser dann glauben, er erzeuge, wenn er hungrig ist, das, was er in Wirklichkeit vorfindet. Damit diese wichtige Illusion zustande kommen kann, müssen zwei Bedürfnisse sich überschneiden: »[…] das Baby hat Triebbedürfnisse und ausbeuterische Vorstellungen. Die Mutter hat eine Brust und die Fähigkeit, Milch zu produzieren, und die Vorstellung, sie würde gern von einem hungrigen Baby attackiert werden. Diese beiden Phänomene treten erst dann in eine Beziehung zueinander, wenn Mutter und Kind eine gemeinsame Erfahrung machen. Ich stelle mir diesen Vorgang wie zwei Linien vor, die aus entgegengesetzten Richtungen aufeinander zukommen, mit der Möglichkeit, sich einander anzunähern. Falls sie einander überschneiden, entsteht für einen Augenblick eine Illusion – ein Stück Erfahrung, die der Säugling entweder als seine Halluzination oder als etwas, das der äußeren Realität angehört, wahrnehmen kann.«55 Für das Zustandekommen dieses illusionären Augenblicks sind zwei Teilnehmer nötig, die sich aus der Sicht des Säuglings wie einer ausnehmen; die Mutter betritt die Szene als ein begehrendes Subjekt, man kann sagen, sie wünsche verspeist zu werden, und indem sie sich so verhält, hilft sie der Fantasie des Säuglings, Wirklichkeit zu werden. Dank ihrer »sensitiven Anpassungsfähigkeit« wird die Fantasie in dieser ursprünglichen Form zu einem Mittel der Kontaktnahme, zu dem Weg, der den Säugling zur Realität hinführt. »Fantasie«, schreibt Winnicott, 111
»kommt vor der Realität, und ob die Fantasie mit den Reichtümern der Welt angereichert wird, hängt davon ab, welche Erfahrungen mit Illusionen gemacht werden.«56 Der Säugling erträgt zunächst nur, von einem Objekt ernährt zu werden, das er zu besitzen und zu kontrollieren meint. Also passt die Mutter zu seinen Bedürfnissen. Nur diese wiederholte Erfahrung gibt ihm das Vertrauen, dass sein Begehren eine Quelle von Möglichkeiten ist. Nur wenn die Erfahrung gemacht wurde, dass das Objekt, wenn es begehrt wird, auch zugegen ist, kann allmählich darauf gewartet und kann es schließlich ersehnt werden. Nur unter solchen Umständen ist für die Innenwelt des Kindes der Kontakt mit der Außenwelt reizvoll. Weil seine Wünsche einen Widerhall gefunden haben und befriedigt wurden, kann es anfänglich die Erfahrung machen, dass innen und außen irgendwie zusammenpassen. Wir erinnern uns, der Klein’sche Säugling kam wegen seiner Begierden in Schwierigkeiten. Für Winnicott beginnt die Entwicklung mit einem magischen Akt: Ein rein imaginativer Vorgang in dem Säugling ruft die Mutter auf den Plan, die er benötigt. So ist zu Anbeginn Fantasie nicht ein Ersatz für Realität, sondern eine erste Möglichkeit, Realität zu finden. Es ist, was Winnicott den »Job der Mutter« nennt, ihren Säugling zunächst »vor Schwierigkeiten zu bewahren, die er noch nicht verstehen kann, und ihm Schritt für Schritt einfache Tatsachen der Welt näher zu bringen, die der Säugling dann durch sie kennenlernt«.57 Die Mutter behütet gewissermaßen die illusionären Fähigkeiten des Säuglings, seine Möglichkeiten, mit der Außenwelt in einen Austausch zu treten, indem sie dafür sorgt, dass die Welt, die sie ihm darbietet, nicht zu kompliziert wird. Sie fordert nichts von ihm und setzt ihn keinen Erfahrungen aus, die das, was er ertragen oder verstehen kann, übersteigen würden. Weil der Säugling auf eine einfache, verlässliche und stetige Fürsorge angewiesen ist, legt Winnicott so großen Wert darauf, dass seiner Ansicht nach Säuglinge eine Betreuungsperson brauchen, vorzugsweise die eigene Mutter, 112
mit deren individueller Fähigkeit, sich ihren Bedürfnissen anzupassen, sie vertraut werden können. Unter solchen Voraussetzungen kann sich die Fantasie des Säuglings »mit Einzelheiten von Gesehenem, Gerochenem, Gefühltem anreichern und bei einem nächsten Mal kann er von diesem Material in seinen Halluzinationen Gebrauch machen. In dieser Weise entwickelt er [der Säugling] die Fähigkeit, sich das, was tatsächlich verfügbar ist, zu eigen zu machen.« Für Freud ist Realität etwas, das das Individuum frustriert. Gemäß Winnicott wirkt Realität, zumindest zu Beginn, potenziell bereichernd und in der Art, wie sie der Fantasie Grenzen setzt, auch beruhigend. Sie ist nicht das Unerbittliche, dem sich ein Mensch unterwerfen muss, sondern etwas, dessen er sich zu seiner Befriedigung bedienen kann. Bezug nehmend auf Freud (aber natürlich nicht nur auf ihn) schreibt Winnicott: »Wir hören oft von den sehr realen Frustrationen, die von der äußeren Realität ausgehen können, seltener hören wir von den Annehmlichkeiten und Befriedigungen, die sie bietet. Wirkliche Milch ist, verglichen mit imaginierter Milch, befriedigender, aber das ist nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist, dass die Dinge in der Fantasie magisch wirken: Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt und Liebe und Hass sind alarmierend. Die äußere Realität hat ihre Grenzen und man kann sie studieren und sich mit ihr vertraut machen. Die Fantasie in ihrer vollen Wucht ist wirklich nur auszuhalten, wenn daneben die objektive Realität richtig eingeschätzt wird. Das Subjektive ist von ungeheurem Wert, aber so alarmierend und magisch, dass man es nur genießen kann, wenn das Objektive parallel dazu läuft.«58 Insofern die äußere Realität Unterwerfung oder Anpassung fordert, ist sie, schreibt Winnicott, der »Erzfeind der Spontaneität, der Kreativität und des Gefühls für die Wirklichkeit«.59 Das Realitätsprinzip als »die Tatsache, dass die Welt existiert, egal ob 113
das Baby sie nun geschaffen hat oder nicht«, kann nur, wie er schreibt, als »Kränkung« erlebt werden.60 Wenn die Mutter ihrem Säugling jedoch von klein auf die Möglichkeit gegeben hat, in der Illusion zu leben, und seine Erfahrungen der Realität – die sich seiner Kontrolle entziehen – dosiert hat, dann hat Realität das Potential, sowohl nährend als auch tröstend zu wirken. Sie stellt für das heranwachsende Kind eine vielversprechende Aufforderung dar. Worauf Winnicotts Bewunderer wie Kritiker gleichermaßen oft hingewiesen haben – seine so positive Darstellung der frühen Kindheit –, muss zum Teil als ein vielleicht typisch englischer Versuch gedeutet werden, ein gestörtes Gleichgewicht wiederherzustellen. Winnicott reagiert mit dieser Haltung auf Kleins Darstellung, wonach der Säugling psychotisch sei. Dagegen behauptet Winnicott, der Säugling habe – vorausgesetzt, es existiert eine genügend verantwortungsbewusste und fürsorgliche Mutter – von sich nicht den Eindruck, er sei von Geburt an unerträglich oder schrecklich. »Normale Babys«, betont er, »sind nicht seelisch krank.«61 Die frühkindlichen Bedürfnisse sind nicht an und für sich unerträglich, aber die Erfahrung des kleinen Kindes mit seinen eigenen Bedürfnissen hängt sozusagen davon ab, wie die Mutter sich ihnen gegenüber verhält. Winnicott spricht bei seiner Darstellung der frühen emotionalen Entwicklung nicht von angeborenem Sadismus oder von einer paranoid-schizoiden Position. Was Klein die paranoid-schizoide Position nannte, könnte in Winnicott’scher Terminologie vielmehr die Schilderung eines Kindes sein, das von einer unaufmerksamen Mutter einfach zu lange warten gelassen wurde. Statt eines angeborenen Sadismus unterstellt Winnicott »eine frühe, rücksichtslose Objektbeziehung«, die Teil der normalen, gutartigen kleinkindlichen Erkundung der Mutter ist. »Das normale Kind«, schreibt er, »genießt seine rücksichtslose, zumeist spielerische Beziehung zu seiner Mutter; und es benötigt seine Mutter, weil es nur von ihr erwarten kann, dass sie seine rücksichtlose Beziehung zu ihr, auch wenn sie bloß spiele114
risch ist, erträgt, weil diese sie wirklich kränkt und an den Rand ihrer Kräfte bringt.«62 Wie wir sehen werden, braucht Winnicott lange, um zu einer relativ klaren Aussage über die Rücksichtslosigkeit des primitiven Liebestriebs zu kommen. Dass die Rücksichtnahme auf das Objekt ein Entwicklungshindernis darstellen kann – was einer seiner bedeutendsten Beiträge zur psychoanalytischen Theorie war –, bereitete ihm zugleich großes Kopfzerbrechen. In diesem frühen Beitrag ist seine Ambivalenz aufschlussreich. Einerseits macht er sich stark und verteidigt sich, indem er schreibt, »sicherlich kann niemand, der das Stadium der Fürsorge bereits durchlaufen hat, rücksichtslos sein, es sei denn in einem Zustand der Dissoziation«63, in dem darauf folgenden Satz sagt er dann, diese rücksichtslosen dissoziierten Zustände seien »in der frühen Kindheit häufig, können in gewisse kriminelle Zustände und Geisteskrankheit ausarten und in gesunden Zeiten muss man fähig sein, sie sich zunutze zu machen.« Winnicotts Arbeiten nach dem Krieg zeichnen sich durch einen Prozess theoretischer Weiterentwicklung aus und münden in eine zunehmend tolerantere Einstellung gegenüber der Idee, dass die rücksichtslose frühe Beziehung zu der Mutter für die Entwicklung wesentlich ist. In den entscheidenden Arbeiten der späten 1940er Jahre versucht er zu zeigen, wie lebenswichtig der Zusammenhang zwischen der primitiven Rücksichtslosigkeit des kleinen Kindes und der Kontinuität der Fürsorge ist, von der seine Entwicklung abhängt. Von der Fähigkeit der Mutter, sich ihrem Säugling anzupassen, wozu auch gehört, dessen Rücksichtslosigkeit zu überstehen, hängt es ab, ob beider Verbindung möglich ist oder sabotiert wird. Winnicotts Arbeit mit psychotischen Erwachsenen hatte, wie die Arbeit mit evakuierten Kindern, seine Überzeugung gefestigt, dass für die Entstehung von Psychopathologie der Beitrag der Umwelt entscheidend sei und nicht ausschließlich die menschliche Konstitution, wie die Psychoanalyse meinte. 115
IV Für Winnicott wurde die Beziehung zwischen Mutter und Säugling zu dem Vorbild für die psychoanalytische Situation; sie wurde buchstäblich zum Quell der Analogien in seinem Werk. Seine neuen Ideen zur frühen Entwicklung und der Psychose als einer »umweltbedingten Mangelkrankheit« verlangten notwendigerweise nach Modifikationen der klassischen psychoanalytischen Technik, wie sie Freud für die Analyse von Neurotikern vorgeschlagen hatte. Wenn die Mutter, wie Winnicott jetzt überzeugt war, eine so entscheidende Rolle für die Entwicklung des Säuglings spielt, dann ist der Analytiker, wenn sich in der analytischen Situation die frühesten Beziehungen wiederbeleben, mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Was der Patient aus seiner Vergangenheit auf den Analytiker überträgt und wie der Analytiker darauf reagieren soll, wurde damit in der British Society zu einer drängenden Frage. Die Klein-Gruppe beharrte darauf, dass die Analyse psychotischer Patienten keine wesentliche Modifikation der klassischen Technik erfordere. Winnicott stellte seine eigenen Ansichten dazu in einer Arbeit mit dem Titel »Hate in the Countertransference« (1947)64 dar, worin er sich nach psychoanalytischem Dafürhalten auf drastische Weise selbst entblößte. In der Analyse von Psychotikern, so schrieb er, »werden an den Analytiker Anforderungen anderer Art und von ganz anderem Ausmaß gestellt«, und dem besseren Verständnis dieser Anforderungen widmete Winnicott fortan seine ganze Aufmerksamkeit. Der Analytiker eines erwachsenen psychotischen Patienten muss, schreibt Winnicott, »darauf gefasst sein, dass eine große nervliche Belastung auf ihn zukommt, ohne erwarten zu können, dass der Patient überhaupt versteht, was er tut, und das vielleicht für lange Zeit. Um solches tun zu können, muss er über seine eigenen Ängste und Hassgefühle sehr gut Bescheid wissen. Er befindet sich in der Situation einer Mutter eines ungeborenen oder eben erst geborenen Kindes (Kursivierung: A. P.)«.65 116
In diesem neuen, für psychotische Patienten entwickelten Modell des analytischen Settings steht das Setting nicht symbolisch für die mütterliche Fürsorge, wie das bei einem neurotischen Patienten der Fall wäre, es ist die mütterliche Fürsorge. Es kann nicht für etwas stehen, das es nie gab. Die frühesten Erfahrungen des psychotischen Patienten – die mütterliche Fürsorge, die Vorgänge wie Integration, Personalisierung und Realisierung hätte ermöglichen sollen – »waren so unzureichend oder verkehrt, dass der Analytiker zu der ersten Person im Leben des Patienten werden muss, die ihn gewisse wesentliche Umwelterfahrungen erst machen lässt«.66 Das analytische Setting stellt jene Wachstumsbedingungen bereit, die dem Patienten von Anfang an gefehlt haben. Die implizite Analogie bezieht sich, wie so oft bei Winnicott, auf einfachere Formen organischen Lebens: dass man der Pflanze mit einiger Verspätung das geeignete Erdreich zur Verfügung stellt (die Analogie schließt natürlich auch das Risiko ein, dass der Analytiker beginnt, sich mit der allmächtigen Mutter zu identifizieren). Freud hatte für neurotische Patienten die psychoanalytische Methode erfunden, für die bezeichnend war, das verdrängte Unbewusste des Patienten zu deuten. Winnicott schildert ein Setting, das ein Milieu wiederherstellt – es sozusagen zum ersten Mal wiederherstellt –, sodass eine Entwicklung noch einmal von vorn beginnen kann. Dazu gehört auch eine Regression, bei der eine verbale Deutung weniger wichtig ist als Fürsorge in einem erweiterten, mütterlichen Sinn; und in gewissen Behandlungsabschnitten »fordert der Patient den Hass des Analytikers heraus«, wie das auch bei Müttern von Säuglingen oder kleinen Kindern der Fall ist. Als Beispiel wählt Winnicott ein Kind aus einer Broken-homeSituation, und gelangt damit zu der überraschenden Schlussfolgerung, die die Hauptaussage dieser Publikation ausmacht: »Es ist ganz offensichtlich falsch, ein solches Kind zu sich nach Hause zu nehmen und ihm Liebe zuteil werden zu lassen. Was passiert, ist nämlich, dass ein Kind, das in dieser 117
Weise adoptiert wurde, nach einer Weile Hoffnung schöpft und dann beginnt, die neue Umgebung auf die Probe zu stellen und Beweise dafür zu suchen, ob sein Betreuer angemessen zu hassen vermag. Wie es scheint, kann es nur glauben, dass man es liebt, wenn es vorher fertig gebracht hat, dass man es hasst.«67 Wenn es nicht gehasst wird, wenn das, was an ihm unakzeptabel ist, nicht wahrgenommen wird, dann hat es den Eindruck, seine Liebe und seine Fähigkeit, sich lieben zu lassen, seien nicht wirklich. Was Winnicott »angemessen hassen« nennt und was in dieser Weise auch in die psychoanalytische Behandlung psychotischer Erwachsener einfließt, ist nichts anderes als der Beweis für eine wirkliche Beziehung. Wo Klein ihre Theorie um das zerstörerische Potential des Säuglings gegenüber der Mutter konstruiert hatte, schlug Winnicott das Gegenteil vor: »Meiner Meinung nach hasst die Mutter das Baby, ehe das Baby die Mutter hasst und ehe das Baby weiß, dass die Mutter es hasst.«68 Nach Winnicotts Ansicht gehört der Begriff »Hass« und ebenso die Absicht, die andere Person zu kränken, zu einem relativ späten Entwicklungsstadium, das eine Beziehung zu einer anderen Person voraussetzt, die bereits eine ganze Person ist. Zu Anfang gibt es für Winnicott keinen »Hass«, sondern nur die primitive Liebe, deren rücksichtslose Forderungen den Hass der Mutter notwendig auf den Plan rufen müssen. Wenn sich dieser Hass gegen sie selbst und nicht gegen den Säugling richtet, dann wird er nach Winnicotts Meinung zur Quelle des so genannten weiblichen Masochismus. Winnicott führt 18 gewichtige Gründe an, weshalb die Mutter ihren Säugling normalerweise hasst, und sie sind alle eine Reaktion auf den rücksichtslosen Gebrauch, den dieser im Interesse seiner eigenen Entwicklung von ihr macht. Idealerweise sollte sie ihm – wie der Analytiker des psychotischen Patienten – nicht mehr vergelten, als der Säugling verstehen kann. Von seinem Standpunkt aus tut er nämlich nichts anderes, als die Mutter zu lieben; vom Standpunkt der 118
Mutter fühlt sich das wie ein ruchloser Angriff an, bei dem der Säugling sich nicht in die Mutter einfühlen und mit ihr identifizieren kann und mit allen Mitteln auch nicht dazu gebracht werden kann, das zu tun. Genau wie bei der Analyse psychotischer Patienten »alles vermieden werden muss, damit die Therapie sich nicht nach den Bedürfnissen des Therapeuten, sondern nach jenen des Patienten richtet«69, so ist Mutterschaft gemäß Winnicotts analogem Modell zu Beginn ein Akt extremer Aufopferung und Selbstdisziplin. Entsprechend diesem äußerst anspruchsvollen gedanklichen Ansatz muss die Mutter sich in den Dienst des Entwicklungsprozesses stellen und sich dafür benutzen lassen. Sie gebiert ihren Säugling sozusagen immer wieder aufs Neue. In einer weiterführenden Arbeit im darauffolgenden Jahr, »Reparation in Respect of Mother’s Organized Defence against Depression«70, berichtet Winnicott über Säuglinge und Kinder, deren Mütter depressiv sind. In seinen theoretischen Überlegungen beschäftigte er sich nun intensiv mit den Auswirkungen der mütterlichen Gefühle auf den Säugling und den Entwicklungsstörungen, die resultieren, wenn ein Kind mit den Launen seiner Mutter fertig zu werden hat. Hass in erträglichen Dosen ist der kindlichen Entwicklung förderlich, Depression stellt eine Anforderung dar, die die Entwicklung sabotiert. Und Winnicott machte von diesen Ansichten unerschrockener als zuvor Gebrauch, um Kleins Stellung innerhalb der British Society zu verstehen. Nachdem er in allen Einzelheiten die Auswirkungen einer depressiven Mutter auf ihr Kind dargelegt hatte, schloss er seine Arbeit mit dem Aufruf, dass »jedes einzelne Mitglied unserer Gesellschaft seine persönliche Entwicklung in dem ihm gemäßen Tempo vorantreiben muss«.71 Das hieß, Kleins Anhänger hätten unter Kleins Depression auf Kosten ihres eigenen persönlichen Potentials gelitten. Kinder mit depressiven Müttern, schreibt Winnicott, »stehen vor einer Aufgabe, die sie nie erfüllen können. Immer hat die Sorge um das Befinden der Mutter Vorrang«.72 »Wurde wirklich alles unter119
nommen«, fragt Winnicott pointiert, »damit für jeden einzelnen Analytiker alles von Neuem durchdacht wird?« Das war eine Reaktion auf eine Gesellschaft, die nach Winnicotts Ansicht Entwicklung innerhalb einer Tradition mit unkritischer Hörigkeit gegenüber der Tradition verwechselt hatte. Winnicott war im Begriff, sich von Klein zu erholen. Wo Klein die depressive Neigung des Säuglings ins Zentrum ihrer Arbeit gestellt hatte, betonte Winnicott die Auswirkungen der mütterlichen Depression auf das Kind. Seiner Ansicht nach sind Erscheinungsweisen von Psychopathologie ein Hinweis darauf, wie der Säugling oder das Kind sich den Forderungen seiner Umwelt, die nicht zu seiner wirklichen Entwicklung gehörten, angepasst hat; und eine der Funktionen dieser Anpassung besteht darin, die Möglichkeit für künftiges Wachstum in einer gedeihlicheren Umgebung aufzusparen. Das normale Kleinkind, so Winnicott, benutzt aus einem natürlichen Rechtsempfinden heraus seine Mutter bedingungslos für sein eigenes Wachstum. Wenn aber die Mutter depressiv und außerstande ist, sich ihrem Kind anzupassen und auf es zu reagieren, dann kehren sich die Rollen um und die Mutter benutzt das Kind, um etwas in ihr selbst zu stützen. Im Grunde überschneiden sich in der Mutter-Kind-Beziehung immer zwei Entwicklungsbedürfnisse; es ist nicht nur der Säugling, der sich entwickelt. So wie Klein der Person der Mutter kaum Aufmerksamkeit geschenkt hatte und als Aufgabe der Psychoanalyse im klassischen Sinn die Deutung der Übertragung gesehen hatte, blieb in ihrer Darstellung des Prozesses aus demselben Grund auch die Person des Analytikers relativ anonym. Winnicotts Untersuchungen der frühesten Mutter-Kind-Beziehung förderten heikle Fragen betreffend die Reziprozität in der analytischen Behandlung zutage, denen man mit dem klassischen Modell, wie es von Freud entwickelt und von Klein übernommen worden war, bislang erfolgreich ausgewichen war. Was sind die Bedürfnisse des Analytikers vis à vis des Patienten, wofür benutzt der Analytiker den Patienten und wie passt der Patient zu den 120
Entwicklungsbedürfnissen des Analytikers? Winnicott, taktvoll wie er war, hielt sich mit diesen Fragen zurück, und beteuerte gebührend, wie wichtig ihm Kleins Beiträge waren. Winnicott benutzt diese Arbeit, um von einem bestimmten Typus fröhlicher Kinder zu berichten, »mit einer Lebendigkeit, die sich sofort auf die eigene Stimmung überträgt, sodass man sich besser fühlt«.74 Die Aufgabe eines solchen lebensfrohen Kindes mit einer depressiven Mutter sei, so meint er, die Vitalität seiner Mutter zu stützen. Das Kind hält die Mutter am Leben, mindestens vermittelt es ihr den Anschein einer mitfühlenden Nähe. Auf Kosten seiner eigenen Bedürfnisse übernimmt das Kind die Schuldgefühle und die Depression der Mutter, indem es sich mit ihnen identifiziert, und ebenso übernimmt es die falsche, aber nötige Meinung, es sei froh, sie aufheitern zu können. Die Depression der Mutter wird von dem Kind als vorrangige Forderung erlebt, neben der für seine eigenen Bedürfnisse kein Platz ist. Damit besteht die Gefahr, dass das Kind, wie Winnicott schreibt, »die Depression der Mutter benutzt, um sich vor seiner eigenen und sie vor der ihren zu retten«. Ein solches lebensfrohes Kind übt Wiedergutmachung gegenüber der Mutter für etwas, das es nicht verschuldet hat und auch nicht verstehen kann. Und das macht es ihm auch unmöglich, Verantwortung für seine eigenen Impulse ihr gegenüber zu übernehmen. Das relativ machtlose kleine Kind kann »die Tatsache, dass die Mutter verstimmt ist, nur hinnehmen« – wiederum spielt der Vater keine Rolle und alles bleibt dem Kind überlassen – und muss tun, was es kann, um damit fertig zu werden. Gleichwohl sind Mutter und Kind in dieser Situation sehr ungleich betroffen. Natürlich kann das Kind eine solche Situation als eine weitere Gelegenheit benutzen, um sich das Leiden an seinen Schuldgefühlen zu ersparen. Winnicotts Hauptanliegen in dieser Arbeit ist aber, zu zeigen, dass das Kind mit der depressiven Mutter, um einen zentralen Winnicott’schen Begriff zu verwenden, nur reaktiv funktionieren kann. Es kann nicht aus eigenem Antrieb eine Geste initiieren und auf die 121
Akzeptanz der Mutter hoffen, es muss ständig ihre Bedürfnisse im Auge haben, dies in der Hoffnung, eines Tages jene Mutter für sich zu etablieren, die es zur Förderung seines eigenen Wachstums braucht. Wenn Kindern, die sich in erster Linie um das Befinden ihrer Mutter kümmern mussten, »diese nächstliegende Aufgabe glückt, dann ist ihnen nicht mehr geglückt«, schreibt Winnicott, »als eine Atmosphäre zu schaffen, in der sie beginnen können, sich um ihr eigenes Leben zu kümmern«.75 Zunehmend erachtete Winnicott jetzt bei seiner Arbeit die gewöhnliche Entwicklung, wie sie sich aus einer genügend guten Fürsorge der Mutter ergibt, als die Norm und versuchte zu verstehen, was immer sie stört. Das Leben zu Beginn ist wohl problematisch, aber nicht automatisch eine Krankheit. Um in der Psychopathologie einen allfälligen Sinn zu finden, schien Winnicott eine einfache Frage zu stellen: Ausgehend davon, dass der Säugling von seiner Mutter abhängig ist – welche notwendigen Ressourcen, die die Defizite der mütterlichen Behandlung wettmachen könnten, stehen dem Säugling und dem Kind zur Verfügung, damit seine Entwicklung ungestört weitergehen kann? Wie Winnicott entdeckte, besteht das Paradox dieser kindlichen Lösungsversuche darin, dass sie dem Kind zwar ein Überleben ermöglichen, doch in der unbewussten Absicht und Hoffnung, ein Umfeld zu finden, in dem seine Entwicklung eine Fortsetzung erfahren kann. Unter solchen Umständen kann sozusagen ein Leben gelebt werden, dessen Lebendigkeit vorübergehend ausgeschaltet ist. Die Art und Weise, wie die Psychoanalyse Leben verstand, war jedoch von der Vorstellung dessen bestimmt, was zu Beginn des Lebens eines Kindes geschieht. Klein glaubte in der Nachfolge Freuds an eine primäre und deshalb prägende Ambivalenz; Winnicott postulierte eine ursprüngliche Abhängigkeit vor aller Ambivalenz. Seine Entwicklungsgeschichte erforderte für den Lebensbeginn wirklich eine utopische Idee. Utopisch heißt, aus der Sicht des kleinen Kindes und von dieser Seite des Mutterbauchs aus gesehen. »Nehmen wir an«, schreibt er in einer sei122
ner originellsten Arbeiten »The Mind and its Relation to the Psyche-Soma« (1949),76 »Gesundheit hänge während der frühen Entwicklung des Individuums von einer gewissen Stetigkeit ab. Die frühe Einheit von Geist und Körper entwickle sich, vorausgesetzt, deren Kontinuität werde nicht gestört, entlang einer Linie; mit anderen Worten, sie bedürfe für eine gesunde Entwicklung eines perfekten Umfelds. Diese Forderung ist zunächst absolut. Ein perfektes Umfeld passt sich aktiv den Bedürfnissen dieser neu entstandenen Einheit von Geist und Körper an, als welche wir als Beobachter den Säugling zunächst erleben. Ein schlechtes Umfeld ist deshalb schlecht, weil es, wenn es zu dieser Anpassung nicht in der Lage ist, eine Beeinträchtigung darstellt, auf die die Geist-Körper-Einheit (d. h. der Säugling) reagieren muss. Diese Reaktion stört die Kontinuität der Seinswerdung des Individuums.«77 Schon die Geburt kann der Prototyp dieser Beeinträchtigung oder Unterbrechung der Seinswerdung des Säuglings sein: »Bei der Geburt«, schreibt Winnicott in »Birth Memories, Birth Trauma, and Anxiety« (1949), »ist der Säugling der reagierende Teil.« So lange dieses Reagieren nicht »so ausgeprägt ist oder so lange dauert, dass es den Faden des Entwicklungsprozesses des Säuglings durchtrennt«, kann dieser, glaubt Winnicott, »in einen Zustand, in dem er nicht reagieren muss«, zurückkehren, »der der einzige Zustand ist, in dem das Selbst sich entwickeln kann.«78 Das Selbst kann nur in einem Zustand beschützter Unbewusstheit wachsen, denn in den frühesten Stadien, schreibt Winnicott, »ist nicht genügend Ich-Stärke vorhanden, um ohne Identitätsverlust reagieren zu können«.79 In Winnicotts Terminologie bedeutet Psychopathologie – und dies kann in einer analytischen Beziehung, die den Analysanden überfordert, eine Neuauflage erleben –, dass Reagieren einem Identitätsverlust gleichkommt und sich anzupassen einem Ersatz für Sein. In 123
Winnicotts Darstellung dieses ersten Lebensabschnitts wird ein heikler und subtiler Vorgang geschildert, bei dem etwas schwer Fassbares und zugleich Wesentliches, das er Seinswerdung des Säuglings nennt, unterbrochen werden kann, wenn, wie Winnicott sagt, »ein Säugling mit einem Umfeld konfrontiert ist, das sich selbst zu wichtig nimmt«.80 Das Umfeld muss ein Medium sein, das keine Anforderungen stellt, die den Säugling von seinem Wachstumsprozess ablenken. Alles, was der Säugling für seine Entwicklung nicht brauchen kann, stellt – wie eine »schlechte« Deutung in der Analyse – potentiell eine Störung dar. Entscheidende Störungen, wie zum Beispiel mitten in der Nacht von einem Telefon geweckt zu werden, bedeuten eine Unterbrechung der Kontinuität, die für Winnicott gleichbedeutend mit dem entstehenden Selbst ist. Was Winnicott das Falsche Selbst nennen wird, wird angebahnt durch frühe Forderungen des Umfelds, reaktiv zu leben; und mag tatsächlich dazu führen, dass emsig »Störungen gesammelt werden« – dass man sich mit Anforderungen umgibt. Es ist ein möglicher Versuch, sich weiterhin lebendig zu fühlen und das, was einst eine passive Erfahrung war, in eine aktive umzugestalten, indem man sich selbst Anforderungen abverlangt. Was Winnicott sodann als »Geist« bezeichnet, kann als Teil des primären Bemühens des Individuums verstanden werden, das perfekte Umfeld zu finden, jenes Umfeld, das das perfekte Medium für das Wahre Selbst ist. »Im Zustand der Gesundheit«, schreibt Winnicott mit Blick auf eine andere Figur, die ihn auch beschäftigte, den Intellektuellen, »eignet sich der Geist nicht die Funktion der Umwelt an, sondern verhilft dazu, das relative Versagen der Umwelt zu verstehen und es sich zunutze zu machen.«81 Der Geist ist dann gewissermaßen auf gleicher Höhe mit der Umwelt und kann deren Aufgaben teilweise übernehmen. Das Kind wird sich selbst zur Mutter, oder besser gesagt: Sein Geist verhilft ihm, sich selbst zur Pflegemutter zu werden. Bezogen auf die spätere Entwicklung sagt Winnicott: »[…] bei der Fürsorge für einen Säugling ist die Mutter auf die 124
geistigen Prozesse des Kindes angewiesen.«82 Bemerkenswert an dieser Ansicht ist, dass Geist in seiner rudimentären Form mütterlich ist, ein Vorgang von Selbstfürsorge, der auf Bemutterung beruht. Von einem väterlichen Element ist nicht die Rede, auch sonst in Winnicotts Werk findet sich kein Hinweis darauf, wie ein Mensch sich selbst Vater sein könnte. Versagt das Umfeld schwerwiegend – mehr als der Säugling verkraften kann –, dann entwickelt dieser aus Verzweiflung eine Vorstellung von Selbstgenügsamkeit, und der Geist wird dann dazu eingesetzt, die mütterliche Fürsorge nicht fortzuführen, sondern sie gänzlich zu ersetzen. Was Winnicott als Psyche bezeichnet – ein Begriff, der in der Psychoanalyse merkwürdig gemieden wird, den Winnicott für jenen Bereich des Körpers gebraucht, der zu geistiger Tätigkeit imstande ist –, wird vom Körper dissoziiert und es entsteht eine Art entwurzelten geistigen Funktionierens, das, wie Winnicott meint, »zu einer Behinderung für die Geist-Körper-Einheit bzw. die Daseins-Kontinuität des Individuums wird, die das Selbst ausmacht«.83 Die Psyche versucht, mit dem Körper, der infolge mütterlicher Vernachlässigung als lästig empfunden wird, nichts mehr zu tun zu haben. Was Winnicott »übertriebenes geistiges Funktionieren« nennt und an manchen Stellen dieser Publikation dem Geist gleichgesetzt sehen möchte, ist die Antwort des kleinen Kindes auf »unberechenbares Bemuttern«. Was wir gewöhnlich als Geist bezeichnen, ist in Winnicott’scher Terminologie ein Teil der Persönlichkeit, der aus Unbill entsteht; kein integrierender Bestandteil der Persönlichkeit, aber nützlich. »Das Wahre Selbst«, so schreibt er, »die Kontinuität des Daseins, beruht unter gesunden Umständen auf dem Wachstum der GeistKörper-Einheit. […] das Geist-Selbst ist nicht an einem bestimmten Ort lokalisiert und es gibt nichts, das Geist genannt werden könnte.«84 Der Geist – eine genügend gute Bemutterung vorausgesetzt – ist nicht als ein eigenes Organ zu verstehen. So wie es für Winnicott nicht ein Baby für sich, sondern nur ein stillendes Paar gibt, so gibt es im besten Fall auch 125
nicht so etwas wie einen Geist, sondern nur ein Geist-KörperPaar. Und es ist Teil der Aufgabe des pathologisch abgespaltenen Geists, wie Winnicott ihn beschreibt, die Verantwortung für das Umfeld, das versagte, zu übernehmen. Eine tief sitzende Unzufriedenheit über etwas an dem frühen Umfeld, das der Säugling nicht zu ändern vermochte, richtet sich dann gegen das Selbst. Das Kind lebt, als gäbe es keine Mutter, als eine scheinbar selbstgenügsame Einheit, die ihren Ort in seinem Geist hat. Danach wäre es eines der Ziele der Analyse, dem Patienten zu helfen, zwischen einem Versagen des Umfelds und dem, wofür man wirklich als Teil von sich selbst Verantwortung übernehmen kann, zu unterscheiden. Und das kann bedeuten, dass der Analytiker bisweilen den gegen die Eltern gerichteten Part des Patienten übernimmt. (Margaret Little erinnerte sich, dass Winnicott in ihrer Analyse einmal zu ihr sagte: »Ich hasse Ihre Mutter wirklich.«85) Winnicotts Haltung hier hat natürlich auch ihre Fallstricke; um eine entwicklungsbedingte Verzerrung erkennen zu können, bedarf es eines sicheren Gefühls für das, was eine »echte« Entwicklung kennzeichnet. Mit dem Ende des Jahrzehnts brachen turbulente Zeiten über Winnicotts Privatleben herein. 1948 starb sein Vater und er erlitt seinen ersten Herzinfarkt. Seine Ehe war schon lange unglücklich, aber er war außerstande, sich von seiner Frau scheiden zu lassen, solange sein Vater lebte. 1949 ließ er sich von Alice Taylor scheiden, zwei Jahre später heiratete er Clare Britton und begann, seine eigene, für ihn charakteristische Position in der Britischen Psychoanalyse auszubauen. In den nächsten zwanzig Jahren verfasste er die meisten jener Arbeiten, die ihm internationale Anerkennung einbrachten. Dazu ist wichtig, sich rückblickend klar zu machen, dass Winnicott während der 1940er Jahre eine bedeutende Entwicklungstheorie erarbeitet hatte, die mit jenen von Freud und Klein konkurrierte, zugleich hatte er Teile von deren Werk, die ihm nützlich erschienen waren, mit berücksichtigt. Er war ein Pragmatiker mit einer essentiellen Theorie, die die Existenz eines Wahren Selbst pos126
tuliert, das im Körper verwurzelt ist, gewissermaßen aus einem Guss mit diesem, aber einem Körper ohne erotische Bedeutung. Der Trieb galt nicht der Lust, sondern der Entwicklung, und die Grundlagen früherer psychoanalytischer Theorien – das Unbewusste und die Triebe – sind jener untergeordnet. Das Leben des kleinen Kindes beginnt nicht als Konflikt, sondern in einem Zustand gegenseitigen Austauschs; zu viel Konflikt freilich verzerrt die natürliche Entwicklung. In den frühesten Entwicklungsphasen liegt so etwas wie ein rudimentärer Sozialismus vor, eine Lebensform, die, wie Winnicott meint, aus kooperativem Austausch besteht (oder genauer, um Wordsworth zu zitieren, aus »gegenseitigem Dominieren«). Und so fanden sich in Winnicotts neuer Terminologie implizit Bestandteile des Freud’schen und Klein’schen Entwicklungsschemas, die seiner Ansicht nach nicht Darstellungen einer gewöhnlichen Entwicklung sind, sondern der Entwicklung dessen, was er als Falsches Selbst zu bezeichnen begann. Aber es gab da noch ein weiteres Paradox: Winnicott entwickelte eine negative Theologie des Selbst, die es schwer macht, das Wahre Selbst zu fassen; es lässt sich nur von all dem ableiten, was das Falsche Selbst nicht ist. Der schwierigen Erfassbarkeit dieser Selbste und der kreativen Wahrheit des Körpers sollte Winnicott die nächsten zwanzig Jahre seiner Arbeit widmen.
127
4 Das Selbst tritt in Erscheinung
»Entwicklung ist nichts, das man ›verlangen‹ kann!« Wilfred R. Bion
I In den Vorträgen, die Winnicott vor nichtpsychoanalytischen Hörern hielt, brachte er zu allen Zeiten seine Ansichten über die Psychoanalyse am entschiedensten zum Ausdruck. In den Arbeiten, die zwischen 1950 und 1962 geschrieben wurden und unter dem Titel »The Family and Individual Development« zusammengefasst sind, betonte er, wie wichtig es sei, emotionale Probleme zu behandeln, indem man nicht eingreift, sondern ein »holding environment« zur Verfügung stellt, in dem natürliche Wachstumsprozesse wieder voranschreiten können. »Wenn es uns gelingt, uns diesen natürlichen Vorgängen anzupassen«, schreibt er, »dann können wir das Meiste von diesen komplexen Vorgängen der Natur überlassen und uns zurücklehnen und beobachten und lernen.«1 Dieses »Wenn« ist aus Winnicotts Sicht auf die psychoanalytische Kur von beträchtlicher Bedeutung. »Eine allgemeingültige Idee«, sagt er in einer Ansprache vor Hebammen, »zieht sich durch alles, was ich zu sagen habe: dass es natürliche Vorgänge gibt, die die Grundlage von allem sind, was passiert; und wir Ärzte und Krankenschwestern leisten nur dann gute Arbeit, wenn wir diese natürlichen Vorgänge respektieren und ihnen Raum geben.«2 Winnicott konnte diesem Publikum, das sich aus Nichtspezialisten rekrutierte, nur auf Umwegen seine wachsende Einsicht vermitteln, dass eine allzu militant auf Wissen ausgerichtete Psychoanalyse sich »wesentliche natürliche Vorgänge«, wie er sie nannte, widerrecht129
lich zu eigen gemacht oder einfach kein Vertrauen in sie gehabt hatte. In diesen »inoffiziellen« Arbeiten und Vorträgen waren Klein und ihre Anhänger, wenn sie auch seiner diversen Hörerschaft unbekannt waren, Gegenstand von Winnicotts impliziter Kritik. Sein Glaube an die Natur war unter anderem zu einer versteckten Kritik an psychoanalytischen Methoden geworden, die zu viel interpretierten und kein Vertrauen in Entwicklung als eine natürliche menschliche Tendenz hatten. Menschen können nicht dazu gebracht werden, sich zu entwickeln, aber man kann ihnen ein relativ unaufdringliches Umfeld zur Verfügung stellen, in dem Entwicklung möglich ist. »Als Psychoanalytiker«, schrieb Winnicott damals, »habe ich eine sehr gute Ausbildung bekommen, zu warten, zu warten und zu warten.«3 Sind solche »natürlichen Prozesse« aber einfach oder kompliziert? Was müssen wir über sie wissen, um uns auf sie einstellen zu können, wenn, nach Winnicotts Ansicht, »Eltern, die als Eltern erfolgreich sind, nicht wissen, was es war, das sie erfolgreich werden ließ«?4 Einerseits bringt Winnicott in den Arbeiten dieser Jahre seine besondere Wertschätzung – die oft einer Idealisierung nahe kommt – für die »verschwiegenen integrativen Kräfte« der Natur und das geheime Wissen oder die »Gefühlseinstellung« dessen zum Ausdruck, was er die »normale, liebevolle Mutter« nennt. Andererseits gelangt er zu zunehmend komplexen und oft seltsamen Formulierungen über die frühesten »natürlichen« Stadien der Entwicklung von Säuglingen, die ihn dazu bringen, die Triebtheorien, auf denen die Psychoanalyse traditionell aufbaute, grundlegend zu revidieren. Wie wir sehen werden, entwickeln sich einige seiner kompliziertesten theoretischen Arbeiten in eine Richtung, die Charles Rycroft als »eine persönliche Ansicht, zu eigenwillig, um in dieser Form in das allgemeine Gebäude einer wissenschaftlichen Theorie integriert werden zu können«,5 kritisierte. Hier muss fairerweise auch anerkannt werden, dass aus den wissenschaftlichen Mängeln Winnicotts psychoanalytische Tugenden 130
erwuchsen: Er gab seine Originalität nicht zugunsten einer systematischen Stimmigkeit auf. In diesen letzten zwei Jahrzehnten seines Lebens beginnt Winnicott sich ziemlich deutlich von Klein, weniger klar von Freud, zu distanzieren. Sein andauerndes Interesse über dreißig Jahre – sowohl als Pädiater wie auch als Psychoanalytiker – für das, was Mütter und ihre Säuglinge wirklich miteinander tun, hatte seine Vorstellungen darüber, was sich in dem Säugling abspielt, verändert. Seiner Ansicht nach hatten Klein und ihre ihr zunehmend ergebenen Anhänger den Säugling isoliert von der tatsächlichen, primär wechselseitigen Beziehung, in der er sich entwickelt, betrachtet und, indem sie der Mutter den Status der Anonymität zugestanden, den Säugling mit ihm vermeintlich angeborenen Eigenschaften überhäuft. In einer wichtigen Arbeit aus diesem Jahrzehnt, zum Beispiel, »Envy and Gratitude« (1957)6, vertrat Klein die Ansicht, Säuglinge seien von Geburt an neidisch auf ihre Mütter. Für Winnicott war Neid eine Folge, wenn Mütter ihre Kinder quälten, entstanden als Folge einer bestimmten Art von Beziehung und nicht eine quasi genetische, festgelegte Eigenschaft. Seiner Ansicht nach hatte Klein nicht den sich normal entwickelnden Säugling, sondern das Versagen eines haltenden Umfelds beschrieben. Winnicott wurde nun immer deutlicher in seiner Stellungnahme, in Kleins Werk »werde der Säugling nicht wirklich beobachtet, sonst müsste auch dem Verhalten der Mutter Rechnung getragen werden, von der er doch abhängig ist. Es-Beziehungen sind für den Säugling nur dann sinnvoll, wenn sie im Rahmen einer Ich-Beziehung stattfinden«.7 Diese Überzeugung steht im Zentrum von Winnicotts Entwicklungstheorie. Es ist der Rapport zwischen Mutter und Säugling, der Triebbefriedigung möglich macht; die frühere psychoanalytische Theorie hatte sich das umgekehrt vorgestellt. Deshalb wird in Winnicotts Auffassung der frühesten Beziehung, Genuss als Hauptkriterium der Triebbefriedigung, durch den offensichtlich sehr anspruchs131
vollen Begriff »Bedeutsamkeit« ersetzt. Ohne diesen Rapport zwischen der Mutter und ihrem Säugling – was Winnicott hier Ich-Beziehung nennt – erlebt der Säugling sein Begehren als einen ungeheuren Angriff. Und indem die Mutter diese gemeinsame Erfahrung »haltend« aufnimmt, gestaltet sie sie so, dass sie befriedigend ausfällt. Wo das Es des Säuglings ist, muss auch das Ich der Mutter zugegen sein. So ist die »gute Brust« des Klein’schen Jargons nicht einfach etwas, das auftaucht, wenn der Säugling hungrig ist. In Winnicotts Terminologie ist sie nicht ein Objekt, sondern eine Art, den Vorgang mütterlicher Fürsorge zu beschreiben; es ist, schreibt er, »die Bezeichnung für den Vorgang des Darbietens der Brust (oder der Flasche) an den Säugling; eine höchst heikle Angelegenheit, eine, die zu Beginn nur dann wirklich gut gelöst werden kann, wenn die Mutter sich in einem ganz besonderen, einfühlsamen Zustand befindet, den ich (einstweilen) als Zustand primärer mütterlicher Bereitschaft bezeichne«.8 Die ersten Entwicklungsstadien des Säuglings hängen von dieser Bereitschaft, sich zur Verfügung zu stellen, ab, von der aufmerksamen, nicht behindernden Gegenwart der Mutter und der Art, wie sie in ihrem neuen Seinszustand über sich verfügen und sich von dem Kind in Anspruch nehmen lässt. Die Art, wie die Brust dem Säugling dargeboten wird, so dass sie mit seinem Begehren eins zu sein scheint, ist in der Winnicott’schen Terminologie das Musterbeispiel dafür, was das heranwachsende Kind später aus anderen Objekten, die es in der Welt vorfindet, zu machen imstande ist. Die Art, wie ihm die Brust dargeboten wird, macht dem Säugling sein Begehren akzeptabel und ermöglicht es ihm, »den Rohstoff einer inneren Welt« zu erstellen, »die persönlich ist und wirklich das Selbst ausmacht«. Die Mutter lässt das, was in Wirklichkeit ein Dialog zwischen ihr und ihrem Säugling ist, als einen Monolog erscheinen, der scheinbar aus seinem Begehren entstanden ist. Dank der Anpassungsfähigkeit der Mutter entsteht, wie wir gesehen haben, ein illusionärer Bereich. Es ist, als ob aus der Sicht des Säuglings er in 132
seiner Fantasie die Mutter, die er braucht, erschaffen und finden würde. Der Säugling entdeckt nach Winnicotts Ansicht die Welt, indem er sie zuerst erschafft; er ist von Natur aus der Künstler und Hedonist. Wo Freud und Klein betont hatten, wie wichtig die Desillusionierung für die menschliche Entwicklung sei, wo Heranwachsen sich als ein Trauerprozess gestaltet, gibt es für Winnicott eine ursprünglichere Empfindung, wonach Entwicklung ein schöpferischer Prozess ist, der auf Zusammenarbeit zielt. Desillusionierung verlangt zuvor eine genügende Illusionierung. Für den Säugling ist – ein haltendes Umfeld vorausgesetzt – sein Begehren zu Beginn schöpferisch und nicht einfach räuberisch. So äußerte sich Winnicott 1953 in einer wichtigen Rezension, die er gemeinsam mit Masud Khan verfasst hatte, kritisch über das Werk des schottischen Psychoanalytikers Ronald Fairbairn, weil dieses »sich einreiht in die Theorie, die uns Melanie Klein vorgestellt hat, die ebenfalls nicht erlaubt, der Idee primärer seelischer Kreativität Tribut zu zollen«.9 In dem, was sie als die »strikt Freud’sche Theorie« bezeichnen, die sich mit den »triebhaften Elementen« von Beziehungen beschäftige, »wird nicht der Anspruch erhoben, dass diese Angelegenheiten die Gesamtheit menschlicher Erfahrungen abdecken. Es macht den Anschein, dass Analytiker erst seit kurzem das Bedürfnis nach einer Hypothese empfinden, in welcher Bereiche der Erfahrungen des Säuglings und der Ich-Entwicklung Platz haben, die nicht grundsätzlich mit Triebkonflikten zu tun haben und wo wirklich Raum ist für einen psychischen Prozess wie jenen, den wir ›primäre (psychische) Kreativität‹ genannt haben«.10 Zwei grundsätzliche Fragen der Psychoanalyse sind hier angeschnitten: Erstens, muss Triebleben in seinen frühesten Stadien notwendigerweise Konflikt bedeuten? Und zweitens, was lässt eine Darstellung menschlicher Erfahrungen, die auf der 133
Idee von Triebkonflikten aufbaut, außer Acht? Es war die unabhängige bzw. mittlere Gruppe, die sich in den 1950er Jahren innerhalb der British Society herausbildete, die das Verlangen nach einer besseren Hypothese empfand, mit deren Hilfe diese Fragen beantwortet werden können. Natürlich standen bereits die Fragen selbst und die Vorstellung von einer »primären psychischen Kreativität« ganz im Gegensatz zu dem Freud’schen Modell. In Freuds Werk steht die Kreativität für die (zumeist erwachsene) Sublimierung der infantilen Sexualität, obwohl Freud nie überzeugende Angaben über die tatsächliche Natur des Sublimierungsvorgangs selbst machte. Für Melanie Klein hatte Kreativität grundsätzlich reparativen Charakter – für Klein war Kunst Reparatur –, sie war eine Folge der Zerstörungskraft, die der infantilen Sexualität, wie der Säugling sich selbst in der depressiven Position erlebt, innewohnt. In Winnicotts neuer Theorie ist Kreativität ursprünglich, präsexuell, und sie charakterisiert die von Natur aus auf Gegenseitigkeit beruhende Beziehung des Babys und seiner »normalen, hingebungsvollen Mutter«. Falls die frühe Entwicklung tatsächlich durch Kreativität charakterisiert ist – indem der Säugling aus seinem Begehren heraus die Mutter erschafft, die bereit ist, sich von ihm finden zu lassen –, dann ist seine Forderung an sie zu Beginn absolut. Da sein Wohlbefinden ihr von Anfang an ein Anliegen ist, scheint es, als würde sie ihm gehören. Doch mit der Zeit ändert sich die bedingungslose Natur der Forderung. In dem Maß, in dem sich der Säugling von einem Zustand absoluter Abhängigkeit von der Mutter zu einem Zustand relativer Abhängigkeit bewegt und die Mutter die anfängliche mütterliche Bereitschaft abzulegen beginnt, erfährt der Säugling erstmals, was Enttäuschung ist. Im besten Fall garantiert die ständige Anpassungsfähigkeit der Mutter an den Säugling, dass diese nun ständig wiederkehrenden Erfahrungen in einem Bereich bleiben, der seiner (wachsenden) Toleranz angepasst ist. Sind sie dies nicht und er fühlt sich auf traumatische Weise von der 134
Mutter im Stich gelassen, dann könnte er gelegentlich zu stehlen beginnen, als ein symbolischer Versuch, seine frühesten Forderungen an sie wieder durchzusetzen. Das Stehlen selbst aber beweist, wie Winnicott bei seiner Arbeit mit evakuierten Kindern während des Krieges erfahren hatte, dass das Kind einst gute frühe Erfahrungen gemacht hatte, die unterbrochen worden waren. In den 1950er Jahren versuchte Winnicott eine detailliertere und kohärentere Darstellung dieser Vorgänge zu geben. Wenn einmal der »Bereich der Illusion« zwischen Mutter und Säugling etabliert worden ist, wie stellt es der Säugling an, anderen Nicht-Ich-Objekten in seinem Leben Platz einzuräumen? Oder, um die Frage anders zu formulieren, wie schafft der Säugling den Übergang von einem Zustand, in dem er mit der Mutter verschmolzen war, zu einem, in dem er von ihr getrennt ist? Was ist die Rolle der Mutter bei diesen Vorgängen und welcher Symptome bedient sich das Kind, um die Kontinuität seines Lebens sicherzustellen, falls die Umwelt versagt? In drei der wichtigsten Arbeiten dieses Jahrzehnts – »Primary Maternal Proccupation« (1956)11, »The Anti Social Tendency« (1956)12 und »Transitional Objects and Transitional Phenomena« (1951)13 – beschäftigt sich Winnicott mit diesen Fragen. Hinter seinem Interesse an diesen Themen stand jedoch, um den Titel einer anderen seiner Seminararbeiten heranzuziehen, »Aggression in Relation to Emotional Development«.14 Was ihn immer wieder stutzig machte, war die Aggression und deren Rolle in der Entwicklung. Ganz klar ist sie integraler Bestandteil des Prozesses der persönlichen Individuation, zugleich ist sie offensichtlich kein Trieb, vergleichbar dem Sexualtrieb. Wie wir sehen werden, war sie Gegenstand seiner wesentlichsten Einsichten, aber auch seiner unklarsten Formulierungen. Und wegen seiner Auffassung von Aggression sollte Winnicott sich schließlich von Klein trennen.
135
II Als Winnicott für das »British Medical Journal« ein Buch mit dem Titel »Aggression and its Interpretation« rezensierte, meinte er in einem Absatz, der durch seine Kürze auffällt, dass »ein intuitiver Geistesblitz das Autors möglicherweise sehr tief greift: ›der primäre, mächtige angeborene Drang zur Selbstverwirklichung als Grundlage der Aggression‹«.15 Es war damals – 1954 – für einen Psychoanalytiker ausgesprochen unüblich, intuitive Geistesblitze oder Meinungen über Selbstverwirklichung wertzuschätzen. In der Psychoanalyse unterlagen Triebe Wechselfällen und dem Schicksal, nicht aber das Selbst. Melanie Klein legte, wie wir gesehen haben, in Weiterentwicklung von Freuds spät formulierter Idee eines Todestriebes eine Theorie vor, der es als erwiesen galt, dass dem Säugling ein angeborener Zerstörungstrieb innewohne, den sie einfach oft »Hass« nannte, was in stark allegorischer Vereinfachung das Gegenteil von »Liebe« bedeutete. Für Winnicott war der Begriff Todestrieb eine unglückliche Wortwahl und Kleins Gebrauch des Wortes »Hass« eine irreführende, grobe Vereinfachung.16 Verglichen mit dem, was Masud Khan Winnicotts »humanen Empirismus« genannt hatte, waren diese Annahmen nichts als erweiterte Abstraktionen, die auf ungenügenden Beobachtungen beruhten. »Aggression« ist nicht einfach eine Sache, und die Zwecke, denen sie für die individuelle Entwicklung dient, ändern sich im Lauf des Lebens. In drei Arbeiten, die Winnicott in den 1950er Jahren schrieb – »Aggression in Relation to Emotional Development« (1950)17, »The Depressive Position and Normal Development« (1954)18 und »Psychoanalysis and the Sense of Guilt« (1957)19 – versuchte er, Kleins Vokabular, das seiner Meinung nach die normale Entwicklung pathologisierte – durch eine natürliche Geschichte der Rolle, die die Aggression im Lauf der emotionalen Entwicklung spielt, zu ersetzen. Winnicott ist am meisten er selbst, wenn er seine Ideen einem Publikum, das nicht aus Fachleuten besteht, erklärt. In 136
einer Arbeit von 1958 mit dem Untertitel »Modern Views on Emotional Development«, die er für Ärzte verfasste, behauptet er, »Bewegung ist der Vorläufer der Aggression, die wiederum ein Begriff ist, der erst an Bedeutung gewinnt, wenn der Säugling älter wird«.20 Es gebe, so glaubte er, eine angeborene, der Entwicklung inhärente Energie, der eine besondere aggressive Qualität eigen ist, die man heranziehen könne, um die Bewegungen des Fötus zu beschreiben, oder das Greifen der Babyhand oder die Kaubewegungen, aus denen dann gelegentlich ein Zubeißen wird. Unter gesunden Bedingungen ist dieses »aggressive Potential« meistens »mit den Trieberfahrungen des Babys und mit dem jeweiligen Beziehungsmuster des einzelnen Babys vermengt, aber im Falle von Krankheit«, schreibt Winnicott, »verschmilzt nur ein kleiner Teil des aggressiven Potentials mit den erotischen Lebensäußerungen, und das Baby steht dann unter dem Diktat von Impulsen, die keinen Sinn ergeben. Diese führen zu zerstörerischen Impulsen in den Objektbeziehungen oder schlimmer noch, werden zum Anlass von Aktivitäten, die gänzlich sinnlos sind, zum Beispiel zu Krämpfen.«21 Dieses »aggressive Potential«, das nicht mit einem Trieb gleichzusetzen ist, wird in Winnicotts Arbeiten aus jener Zeit als ein Entwicklungspotential eingestuft. »Aggressivität«, schreibt er anderenorts, »ist eher ein Beweis für Lebendigkeit.«22 Aber, muss man hinzufügen, »verschmolzen« mit der Fähigkeit des Babys zu einer triebhaften Beziehung, die Winnicott den »erotischen Lebensäußerungen« gleichsetzt. Die beiden sind, das sagt er ganz deutlich, unterschiedliche Kräfte, die vereint und zu einem Objekt in Beziehung gebracht werden müssen. Anderenfalls könnte dieses aggressive Potential abgespalten oder als persönlichkeitsfremd erlebt werden. Zerstörerische Impulse sind Aggressionsformen, die nicht durch eine Beziehung 137
modifiziert sind; sie ergeben keinen Sinn, wenn sie isoliert vorkommen oder in einem Kontext, in dem sie nicht sinnvoll erlebt werden können. Doch muss man hier festhalten, dass das, was Winnicott in diesem Zusammenhang Triebe nennt, ohne das aggressive Potential für eine ausreichende Entwicklung des Babys nicht genügt. Die Beziehung zwischen den »erotischen Lebensäußerungen« und dem »aggressiven Potential« ist geprägt von gegenseitiger Abhängigkeit. Und dies ist natürlich ein ganz anderes Entwicklungsverständnis als jenes von Freud (und Klein), das, wie Freud schrieb, durch den »Kampf zwischen Eros und Tod«23 charakterisiert ist. Von einem orthodoxeren psychoanalytischen Standpunkt aus waren Winnicotts Begriffe potentiell verwirrend. Um für die British Society diskussionsfähig zu werden, musste das anregende Durcheinander, das diesen schwierigen Fragen anhaftete, erst in ein Schema gebracht werden. In der Arbeit »Aggression in Relation to Emotional Development« versuchte Winnicott seine Sicht der Dinge darzustellen. Dabei postulierte er eine primäre Aggressivität, die weder ein Trieb ist noch mit irgendeinem Zerstörungsdrang gleichgesetzt werden kann. »Ehe es zur Integration der Persönlichkeit kommt«, schreibt er, »gibt es die Aggression« und »eine anfängliche Aggressivität ist so gut wie gleichbedeutend mit Aktivität«. Was wir Aggression nennen, macht nur Sinn, »wenn wirklich Aggression gemeint ist«, doch ist diese selbst eine Errungenschaft der Entwicklung. Wenn ein Baby zu Beginn seines Lebens auf der Brustwarze kaut, könne man nach Winnicotts Ansicht – und hier widerspricht er Klein implizit – »nicht davon ausgehen, dass es zerstören oder verletzen wolle«. Solches zu glauben, hieße dem Säugling frühreife, hoch entwickelte Absichten zuzusprechen. Aggression am Lebensbeginn ist für Winnicott »Teil des primitiven Ausdrucks von Liebe. […] der primitive Liebesimpuls (das Es) besitzt eine destruktive Qualität, obwohl es nicht die Absicht des Säuglings ist, zu zerstören, da dies sich vor dem Lebensabschnitt abspielt, in dem kleine 138
Kinder in der Lage sind, Rücksicht zu nehmen«. In dem ersten Entwicklungsabschnitt, das heißt vor der Integration, ist Aggression Teil des natürlichen Appetits des Säuglings, was Winnicott »Wirkung ohne Absicht« nennt, wobei der »angebliche Angriff auf den Körper der Mutter Teil der erregten Liebe« des Säuglings ist. Winnicott geht von einem »theoretischen Stadium der Absichtslosigkeit oder Rücksichtslosigkeit aus, von dem man sagen kann, das Kind existiere zwar als Person und bewirke etwas, aber ohne das, was es bewirkt, zu beabsichtigen«.25 Aus der Sicht des Säuglings könne man nicht behaupten, er hasse in diesem Lebensabschnitt die Mutter oder wolle sie zerstören, sondern nur, er liebe sie unbekümmert. Es ist gewissermaßen eine Theorie, die nicht auf der Erbsünde aufbaut, sondern auf etwas, das man ursprüngliche rücksichtslose Rechtschaffenheit nennen könnte. Dieses Stadium der Absichtslosigkeit, das in Winnicotts Vorstellung mit primärer psychischer Kreativität verknüpft ist, wurde zu einer seiner wichtigsten theoretischen Überzeugungen. Im nächsten Lebensabschnitt kann dank den Integrationsschritten des Säuglings das, was bisher Triebe waren, zu persönlichen Absichten werden. Der Säugling entwickelt eine Vorstellung von einem Innen und einem Außen und von einer Mutter als Quelle von Nahrung und Wohlergehen, die von außen kommt. In dem Maß, in dem der Säugling die Mutter als Objekt seiner Begierde erkennt, beginnt er sich um ihr Wohlergehen und einen eventuellen Schaden, den seine Begierde ihr zufügen könnte, zu sorgen. Was Klein als depressive Position bezeichnet hatte, benennt Winnicott nun als Stadium der Sorge. Was ominös nach einem psychiatrischen Syndrom klang, wird damit zu einem normalverständlichen Gefühl. Dieses Stadium bringt »die Fähigkeit, sich schuldig zu fühlen«, mit sich und deshalb auch Gefühle, die jetzt zutreffender als Ärger beschrieben werden können. Doch all dies erfordert die aufmerksame Mitarbeit der Mutter. Nach Winnicotts Ansicht hatte Klein es bei ihrer Darstellung der depressiven Position ver139
absäumt, die Rolle der Mutter zu berücksichtigen, die während langer Zeit »eine Situation dergestalt aushält, dass der Säugling Gelegenheit hat, die Folgen seiner triebhaften Erfahrungen zu verarbeiten«.26 In »Psychoanalysis and the Sense of Guilt« nimmt er Bezug auf die »unzähligen Wiederholungen im Lauf der Zeit«, auf das, was er als »benignen Kreislauf« bezeichnet, der dieses Stadium der Sorge kennzeichnet: »1. triebhafte Erfahrungen, 2. Übernahme von Verantwortung (durch den Säugling), das heißt Schuldgefühle, 3. Durcharbeiten und 4. eine wirklich wiedergutmachende Geste.«27 Damit dieser Kreislauf funktioniert, bedarf es einer Bezogenheit von Seiten der Mutter, wie Klein sie nie in Betracht zog. Eine solche hänge, schreibt Winnicott, »von der Fähigkeit der Mutter« ab, »die triebhaften Momente zu überstehen und danach noch vorhanden zu sein, um die wirklich wiedergutmachende Geste zu verstehen und anzunehmen«.28 Nur unter derartigen Umständen ist der Säugling imstande, »Verantwortung für die Gesamtheit der Fantasien des ganzen triebhaften Ablaufs zu übernehmen, der bis dahin ohne Rücksichtnahme abgelaufen war. Rücksichtslosigkeit macht der Rücksichtnahme Platz, Unbesorgtheit der Sorge«.29 Der Säugling wird fähig, sich das Objekt seiner Begierde – nach Winnicott die Objekt-Mutter – vorzustellen und es solchermaßen mit dem Objekt einer allgemeineren Sorge – der Umwelt-Mutter – zu verknüpfen. Gleichzeitig entwickelt er von sich selbst eine Vorstellung, die die begehrende Person mit der ruhigeren und zufriedeneren Person, die er zwischen den Fütterungen auch ist, in Verbindung bringt. Wie Winnicott sagt, fügt das Baby »eins und eins zusammen und beginnt zu sehen, dass die Antwort eins lautet und nicht zwei«.30 Man muss sich klarmachen, dass Winnicott ein wesentlich anderes Bild von den Ursprüngen des kleinkindlichen Begehrens zeichnet: In Kleins Darstellung in der frühesten paranoidschizoiden Position (der Winnicott nichts abgewinnen kann) heißt es von dem Säugling, wie wir uns erinnern, er spalte die Mutter aktiv in eine gute und eine böse Brust. Die depressive 140
Position ist der für die Weiterentwicklung nötige Versuch, die Spaltung zu heilen und die destruktiven und die liebevollen Triebe in Beziehung zu dem zu bringen, was in Wirklichkeit eine Mutter ist. Winnicott spricht von einer Präfusions-, Präintegrationszeit, die sich, wie er sich unterschiedlich ausdrückt, aus »aggressivem Potential« oder »aggressiven Komponenten« und erotischen Trieben zusammensetzt. Im besten Fall finden sie dank der primitiven Liebesregung in der Beziehung zu dem begehrten Objekt Mutter zusammen. Wie der Klein’sche Säugling in den frühesten Phasen die gute und die böse Brust nicht vereinen kann, so kann der Winnicott’sche Säugling die Mutter, die er verschlingt, nicht mit der Mutter in Verbindung bringen, die zwischen den Mahlzeiten seine gewöhnliche Pflege besorgt. Doch Winnicott muss noch erklären, was er unter der Präfusionszeit versteht, in der die primitive Liebesregung aus der Fusion einer aggressiven Komponente mit einem erotischen Trieb hervorgeht. Dazu schreibt er: »Die psychoanalytische Theorie hat der Präfusionszeit und der Aufgabe der Fusion bisher nicht genügend Rechnung getragen.«31 In seiner klinischen Arbeit mit regredierten Patienten sei ihm aufgefallen, »dass es den Analytiker mehr fordert, wenn ein Patient sich an die Erforschung seiner aggressiven Wurzeln macht, als wenn er die erotischen Wurzeln seines Trieblebens entdeckt«.32 Das impliziert, dass es zwei »Wurzeln« des Trieblebens gibt, aber nicht zwei Triebe. Winnicott hatte erfahren, dass die aggressiven und die erotischen »Komponenten« das Objekt in ganz klar unterschiedliche Beziehungsmuster verstricken. »Die erotischen Erfahrungen können vervollkommnet werden, während das Objekt subjektiv wahrgenommen oder persönlich ausgestaltet wird«33; der hungrige Säugling fantasiert ein befriedigendes Objekt, das, wenn es rechtzeitig auf den Plan tritt, ihm als seine eigene Schöpfung zu gehören scheint. Doch betont Winnicott, dass es dem Säugling erst infolge der aggressiven Komponente möglich wird, die Existenz einer getrennten äußeren Welt zu etablieren, einer Welt, die ihm, indem sie ihm 141
Widerstand leistet, seine eigenen Grenzen zeigt. »In den frühen Stadien«, schreibt Winnicott, »wenn Ich und Nicht-Ich etabliert werden, ist es die aggressive Komponente, die in dem Individuum das Bedürfnis für ein Nicht-Ich oder ein Objekt, das draußen ist, erwachsen lässt.«34 Winnicott ist hier nahe daran zu sagen, es gebe in dem heranwachsenden Säugling eine angeborene antagonistische Tendenz. Während die erotische Komponente ihre Befriedigung bei einem Objekt sucht, das nicht notwendigerweise als ein anderes empfunden wird, lädt die aggressive Komponente zum Widerstand ein; in der Tat, »mit den aggressiven Impulsen macht man keine befriedigenden Erfahrungen, es sei denn im Widerstand.« Die erotische Komponente lässt in den frühen Stadien Säugling und Objekt identisch erscheinen; die aggressive Komponente befriedigt ein Bedürfnis nach Unterscheidung. Die aggressive Komponente braucht einen äußeren Widerstand, damit Entwicklung möglich wird. Wenn dieser Widerstand jedoch zu stark ist, wird er zu einem Hindernis und dann, schreibt Winnicott, »verbraucht sich die Lebenskraft im Widerstand gegen dieses Hindernis«. Mittlerweile sollte klar geworden sein, dass Winnicott in dem Maß, in dem er wichtige Unterscheidungen trifft, auch die Terminologie auf verwirrende Weise verändert. In den oben angeführten Zitaten sind aus aggressiven »Komponenten« »Regungen« geworden und das »Triebleben« hat sich zur »Lebenskraft« gewandelt. Alle diese Begriffe haben natürlich unterschiedliche Implikationen. Während Winnicott diese fundamentale Unterscheidung zwischen dem Erotischen und dem Aggressiven schärfer zu fassen versucht, berichtet er, dass »Patienten uns wissen lassen, dass die aggressiven Erfahrungen (in mehr oder weniger entschärftem Maß) sich real anfühlen, viel realer als die erotischen Erfahrungen (auch diese entschärft)«.35 »Real« bedeutet hier, der Patient spürt, dass Kontakt zu etwas wirklich Anderem besteht, das sich seiner Nötigung widersetzt. Hier verschiebt sich sein Wortschatz deutlich von einer psychoanalytischen Formulierung zu 142
der gewöhnlichen Sprache von Patienten und einem Vokabular, das sich mit der Qualität von Erfahrungen beschäftigt. Winnicott geht noch einen Schritt weiter und behauptet: »[…] jedes Baby hat ein Potential an zonengebundenen erotischen Trieben, das biologisch ist, und dieses Potential ist mehr oder weniger für jedes Baby dasselbe. Im Gegensatz dazu muss die jeweilige aggressive Komponente sehr unterschiedlich sein.«36 Die Aggressivität ist unterschiedlich, weil sie davon abhängt, welchen Widerstand die Umgebung ihr entgegensetzt und wie Bewegungen und andere körperliche Ausdrucksformen dadurch eingeschränkt werden. Es ist das Ausmaß an Opposition, das darüber entscheidet, wie viel Lebenskraft in aggressives Potential umgewandelt wird«. Es ist schwierig zu verstehen, wie Winnicott wissen konnte, dass das Potential des erotischen Triebes bei jedem Mensch dasselbe sei. Es ist, als würde er annehmen, das erotische Leben sei ein großer Nivellierer. Winnicott ist der Meinung, eine anfänglich einheitliche »Lebenskraft« spalte sich in den frühesten Entwicklungsstadien in zwei Komponenten: die aggressive Komponente, die durch Opposition entsteht, und die erotische Komponente, die sich aus Entsprechungen speist. »Real« bedeutet in diesem eigenwilligen System unterschiedlich; »irreal«, so implizit der Bereich der Erotik, bedeutet mindestens zum Teil eins zu sein mit dem Gegenüber. Deshalb ist eine Beziehung zu realen Anderen nur dank der aggressiven Komponente möglich. In Winnicotts Darstellung der frühen Präfusionszeit zeigt sich ein Misstrauen gegen das Erotische und eine seltsam idealisierte Nostalgie für die unvereinte, rücksichtslos aggressive Komponente, und dies führt ihn zu einer verwirrenden Formulierung, die, wie er sagt, »eine Schilderung des gewöhnlichen Zustands ist, für den ein Mangel an Fusion bis zu einem gewissen Grad das Charakteristische ist. Die Persönlichkeit enthält drei Anteile: ein wahres Selbst mit einem klar etablierten Ich und Nicht-Ich und mit einigermaßen verbundenen aggressiven und erotischen 143
Anteilen; ein Selbst, das durch erotische Erfahrungen leicht zu verführen ist; und ein Selbst, das sich gänzlich und rücksichtslos der Aggression hingibt«.37 In diesem dreiteiligen, aus einem multiplen Selbst zusammengesetzten Persönlichkeitsmodell – das Winnicott später nie wieder verwendet – ist es das dritte, von dem er sagt, es sei »für das Individuum wertvoll, weil es ein Gefühl für das Reale und dafür, was es heißt, bezogen zu sein, bringt«. Wenn auch die Verschmelzung von Aggression und erotischer Komponente (die jetzt »Elemente« genannt werden) in dem Wahren Selbst »das Gefühl erhöhen, dass eine Erfahrung real ist«, wertet Winnicott sie hier nichtsdestotrotz als eine Art Kompromiss. Vitalität und das Gefühl, wirklich lebendig zu sein, sind für ihn ganz klar mit der aggressiven Komponente verknüpft. Und er geht noch einen Schritt weiter und gibt zu verstehen, dasjenige, was wir Aggression nennen, sollte manchmal treffender als Spontaneität bezeichnet werden, was für Winnicott die Kardinaltugend des guten Lebens schlechthin bedeutet. Die »Lebenskraft«, die sich durch die »impulsive Geste« äußert, schreibt er, »wird aggressiv, wenn sie auf Widerstand stößt. In dieser Erfahrung liegt Realität und sie verschmilzt sehr leicht mit den erotischen Erfahrungen, die auf den neugeborenen Säugling warten. Deshalb mein Vorschlag: Wegen dieser Impulsivität und der Aggressivität, die sich daraus entwickeln, benötigt der Säugling ein äußeres Objekt und nicht bloß eines, das ihn zufrieden stellt«.38 Die impulsive Geste muss von einem Gegenüber entgegengenommen werden und dafür braucht der Säugling die Mutter als Mitspielerin – die zugleich genügend von ihm getrennt und mit ihm identifiziert ist – und nicht einfach nur eine Komplizin. Es ist die responsive Opposition des äußeren Objekts, welche die für die Entwicklung nötige Aggression ermöglicht. 144
In den Arbeiten, die wir uns angesehen haben, erklärt Winnicott, wie Triebbefriedigung sich potenziell vernichtend auf den Säugling auswirkt, der in Not gerät, wenn »körperliche Befriedigung [ihm] zu rasch den Reiz wegnimmt. Er bleibt dann nämlich zurück: ohne sich seiner Aggressivität entledigt haben zu können – weil er während des Fütterns nicht genügend Muskelerotik oder primitiven Impuls (oder Bewegung) einsetzen konnte«.39 Es ist die aggressive Komponente, die rückhaltlose Trieberfahrungen ermöglicht und deshalb auch von der Mutter angenommen werden muss. Nun begann Winnicott, Kreativität nicht mit dem relativ späten Wiedergutmachungsstadium und dem Stadium der Sorge gleichzusetzen, sondern mit dem primitiven Liebesimpuls, mit den rückhaltlosen frühesten Trieberfahrungen, zu denen eben eine aggressive Rücksichtslosigkeit gehört. In früheren Arbeiten hatte Winnicott nur kurz und provokativ seine Ablehnung der Klein’schen Vorstellung von Kreativität durchblicken lassen.40 Die Klein’sche Ästhetik erlebte damals in der British Society einen Aufstieg, doch bereits 1948 hatte Winnicott in einem einzigen und ziemlich undurchsichtigen Satz durchblicken lassen, dass »Kreativität sich auch aus anderen Wurzeln speist, aber Wiedergutmachung funktioniert als ein wichtiges Bindeglied zwischen dem kreativen Impuls und dem Leben, das der Patient führt«.41 In »The Depressive Position in Normal Emotional Development« hatte er geschrieben, Schuldgefühle und der damit zusammenhängende Wunsch nach Wiedergutmachung seien »eine Quelle der Potenz, des sozialen Engagements und künstlerischer Leistungen (aber nicht der Kunst an sich, deren Wurzeln tiefer fußen)«.42 Doch in »Psychoanalysis and the Sense of Guilt« macht er nun seine Ansicht deutlich, Kreativität hänge von der Fähigkeit ab, rücksichtslos sein zu können. »Der kreative Künstler oder Denker«, schreibt er, »versteht vielleicht nicht einmal oder verachtet sogar die fürsorglichen Gefühle, die weniger schöpferischen Menschen ein Ansporn sind.« Es ist gerade die Rücksichtslosigkeit des Künst145
lers, die »wirklich mehr hervorbringt als jede Arbeit, die durch Schuldgefühle motiviert ist«.43 Wiedergutmachung sozusagen als Fluchtversuch vor der Inspiration. So waren denn für Winnicott die frühesten Entwicklungsstadien im Wesentlichen kreativ; und Kreativität war verknüpft mit dem dritten Persönlichkeitsselbst, dass sich »gänzlich und rücksichtslos der Aggression« hingibt. Und unerlässlich für die Entwicklung wie für die Kreativität war die Suche nach einem Objekt oder einem Umfeld oder einem Medium, das ausreichend reagiert und unverwüstlich ist, um der vollen Wucht des primitiven Liebesimpulses standhalten zu können. Wie wir sehen werden, nimmt Winnicott in seinen späteren Arbeiten dieses Thema wieder auf. Aber angenommen, man könne davon ausgehen, ein genügend gutes Umfeld sei vorhanden, und eine primäre Kreativität und die Fähigkeit, illusionär zu leben, seien anerkannte Tatsachen der frühkindlichen Entwicklung, wie erreicht der Säugling bzw. das kleine Kind das Stadium relativer Unabhängigkeit? Es gelang Winnicott, diese Frage zu beantworten, dank einer einfachen Beobachtung, die ihm zu seinem berühmtesten Konzept verhalf: Wie ihm klar wurde, geschieht dies via Gebrauch des ersten Nicht-Ich-Objekts, das Winnicott Übergangsobjekt nannte.
III Für Winnicott ist die schrittweise Differenzierung des Säuglings von der Mutter ein Übergangsprozess: von absoluter Abhängigkeit von ihr als einem subjektiv wahrgenommenen Objekt – die begehrte Brust, die von dem Säugling, als ob Magie im Spiel wäre, immer dann gefunden wird, wenn er sie sich vorstellt – hin zu relativer Unabhängigkeit von ihr und zu einer Beziehung mit einem Objekt, das sich, wie sich herausstellt, einer omnipotenten Kontrolle entzieht. Der Säugling entwickelt sich von 146
einem Zustand reiner Subjektivität hin zu der Fähigkeit, tatsächlich objektiv zu sein, was für Winnicott einer wissenschaftlichen Einstellung gleichkommt. Doch beharrt er darauf, dass diese Art von Wissenschaft, die er hoch einschätzt, ihre Wurzeln in den primitiveren subjektiven Zuständen habe, aus denen sie erwachsen sei und von denen sie weiterhin abhänge. Entwicklung bedeutet nicht fortschreitende Meisterschaft, Überwinden früherer Zustände, sondern einen kombinatorischen Prozess, bei dem alles zu berücksichtigen ist. Beispielsweise besteht immer das Risiko, dass »diejenigen, die in ihrer Objektivität am zuverlässigsten sind, oft einen vergleichsweise schlechten Zugang zu ihren inneren Reichtümern haben«.44 Was Winnicott Übergangsphänomene nennt, ermöglicht dem Kind diese frühen wichtigen Übergänge von der Subjektivität zur Objektivität, von der Einheit mit der Mutter zu der Trennung von ihr. Die Übergangsphänomene, die gewissermaßen eine Brücke zwischen der inneren und der äußeren Welt schlagen, lassen einen Prozess kontinuierlich werden, wo vorher, von einem psychoanalytischen Standpunkt aus, nur Optionen möglich schienen, die einander gegenseitig ausschließen: entweder Subjektivität oder Objektivität, entweder Einheit mit der Mutter oder Trennung von ihr, entweder Erfindung oder Entdeckung. Das Übergangsobjekt ist immer eine Kombination von beiden, aber, da es mehr ist als die Summe seiner Teile, bietet es eine neue, dritte Alternative. Und es ist nie bloß nur Ersatz für etwas anderes. Bei dem Spatel-Spiel hatte Winnicott erkannt, dass Säuglinge schon früh von etwas Gebrauch machen, das er NichtIch-Besitztümer nannte. In seiner bedeutenden Arbeit, »Transitional Objects and Transitional Phenomena«,45 führt er die Idee aus, dass »in der kindlichen Entwicklung von Seiten des Kindes früher oder später eine Neigung auftaucht, Nicht-Ich-Objekte in das persönliche Muster einzuflechten«.46 Solcherart hineingewoben, bereichern sie bereits bestehende Muster. Die meisten Kinder entdecken für sich schon früh ein besonders Objekt, das 147
sie mit niemandem zu teilen bereit sind – einen Teddybären, eine spezielle Puppe oder ein Spielzeug, ein Stück irgendeines besonderen Materials –, von dem sie sich eine Zeitlang nicht trennen können. Definitionsgemäß kann man dieses Objekt dem Kind nicht aufdrängen; selbst wenn man es ihm geschenkt hat, kann man es ihm nicht als Übergangobjekt anempfehlen, es kann sich höchstens entschließen, daraus eines zu machen. Analog kann man einem Patienten in der Analyse eine gute Deutung nicht verordnen: Er kann höchstens zu dem Schluss kommen, sie gut zu finden (»Bedeutung« kann man, anders als Information, jemandem nicht aufdrängen, sie kann nur dank persönlicher Einsicht erkannt werden). Winnicott meint, es bestehe ein Zusammenhang zwischen der kindlichen Verwendung dieses ersten Objekts und der Art und Weise, wie Erwachsene später mit ihrem kulturellen Erbe in dem Maß, in dem es ihnen etwas bedeutet, umgehen. Aber anders als die späteren und anspruchsvolleren Objekte der Kultur, Kunstgegenstände etwa, ist das erste Übergangsobjekt wesentlich persönlich und kann mit niemandem geteilt werden. Winnicott stellt aber nirgends klar, wie das Kind von dieser höchst privaten Erfahrung zu einer allgemeineren gelangt, von dem persönlichen Teddybären etwa zu dem Vergnügen, Dickens zu lesen. Das erste Übergangsobjekt ist dadurch definiert, wie das Kleinkind von ihm Gebrauch macht, und nicht durch irgendwelche Eigenschaften, die ein äußerer Beobachter an ihm erkennen mag. Winnicott betont, in der Beziehung zu diesem ersten Objekt gebe es »etwas […] Wichtiges, das anders ist als orale Befriedigung oder Erregung, obwohl diese die Grundlagen für alles andere sein mögen«. Es lohnt sich, Winnicotts eigene Zusammenfassung der »besonderen Eigenschaften in der Beziehung« im vollen Wortlaut wiederzugeben: »1. Der Säugling eignet sich Rechte an dem Objekt an und wir billigen das. Dazu gehören aber von Anfang an gewisse Einschränkungen seiner Omnipotenz. 148
2. Mit dem Objekt wird heftig geschmust, es wird sowohl intensiv geliebt als auch geplagt. 3. Es darf sich nicht verändern, es sei denn, das Kind selbst verändert es. 4. Es muss die triebhaften Liebes- wie Hassbeweise überstehen und selbst pure Aggression, falls diese im kindlichen Spiel vorkommt. 5. Zugleich muss es dem Kind ein Gefühl von Wärme geben oder sich zu bewegen scheinen oder Körper haben oder etwas tun, das den Anschein erweckt, es sei selbst lebendig oder real. 6. Für uns scheint es sich dabei um etwas Äußeres zu handeln, nicht jedoch für das Baby. Es kommt aber auch nicht von innen; es ist keine Halluzination. 7. Sein Schicksal ist, mit der Zeit entbehrt werden zu können, sodass es im Lauf der Jahre nicht so sehr vergessen, als dem Limbus zugewiesen wird. Damit meine ich, dass unter gesunden Bedingungen das Übergangobjekt nicht ›verinnerlicht wird‹, auch wird das dazugehörende Gefühl nicht notwendigerweise verdrängt. Es wird weder vergessen noch betrauert. Es verliert einfach an Bedeutung und das deshalb, weil die Übergangsobjekte sich über den ganzen intermediären Raum zwischen der ›inneren psychischen Realität‹ und der ›äußeren Welt, wie sie von zwei Menschen gemeinsam wahrgenommen wird‹, das heißt über den gesamten Kulturbereich, verteilt haben.« Die Qualitäten, die der Säugling der Mutter zuschreibt, und jene des ersten Nicht-Ich-Objekts überschneiden sich. Es ist dauerhaft, hat eine gewisse elastische Körperlichkeit und einen Grad von scheinbarer Autonomie. Andere können es wahrnehmen – »es ist keine Halluzination« –, aber für sie hat es vergleichsweise nicht dieselbe Bedeutung. Und die Zuneigung, mit der mit ihm gekuschelt wird, gibt in etwa wieder, wie der Säugling die Objekt-Mutter mit der Umfeld-Mutter vermengt. 149
(Zuneigung [»affection«] und Winnicotts anderes Übergangskonzept »Spontaneität« sind für seine neue Objektbeziehungstheorie zentral.) Es ist vor allem der letzte Abschnitt dieser Zusammenfassung, der das Übergangsobjekt zu einem einzigartigen Objekt im psychoanalytischen Diskurs macht. Anders als jedes andere Objekt, das in der Psychoanalyse vorkommt, geht es weder verloren noch wird es internalisiert; es ist kein Ersatz für etwas anderes, etwas Früheres, und wird auch nicht durch etwas anderes ersetzt (obwohl unter Limbus, wie wir uns erinnern, die Vorhölle verstanden wird). Das Objekt ist Teil eines potentiellen Kontinuums bedeutungsvoller Objekte, die über den ganzen intermediären Raum »verteilt« sind, der für Winnicott das ausmacht, was er den »Kulturbereich« nennt. Das Übergangsobjekt wird irgendwann lediglich bedeutungslos, denn es kommt zu einer »Diffusion« – nicht einer Verschiebung – seiner Bedeutung; das Interesse verteilt sich auf andere Belange. Doch sagt uns, wie schon angedeutet, Winnicotts Bericht nichts darüber, wie und warum neue Objekte ausgewählt werden; der Kulturbereich bleibt merkwürdig undifferenziert. Es ist auch schwer, sich vorzustellen, was er meint, weil seine Termini sich ändern: Diffusion bedeutet etwas anderes als sich zu verteilen. Deshalb lohnt sich die Frage: Wofür benutzt der Säugling dieses Objekt? In einer Arbeit, die im selben Jahr wie die Arbeit über die Übergangsphänomene entstand, bringt Winnicott das einleuchtende Beispiel eines Kindes, das am Abend ein kostbares Objekt mit sich ins Bett nimmt: »Ich nenne dieses Ding ein Übergangsobjekt. Damit kann ich die Schwierigkeit illustrieren, die jedes Kind erfährt, wenn es darum geht, seine subjektive Wirklichkeit auf eine mit anderen geteilte Wirklichkeit, die objektiv wahrgenommen werden kann, zu beziehen. Zwischen Wachen und Schlafen springt das Kind zwischen einer wahrgenommenen und einer selbst erschaffenen Welt hin und her. Dazwischen sind alle Arten von Übergangsphänomenen nötig – neutrales Ter150
ritorium. […] es existiert ein stillschweigendes Einverständnis, wonach niemand entscheiden möchte, ob dieses reale Ding ein Teil der Welt sei oder ob es von dem Säugling erschaffen wurde. Man ist sich einig, dass beides zutreffe: Der Säugling erschuf es und die Welt stellte es zur Verfügung. Dies ist die Fortsetzung der anfänglichen Aufgabe, die die normale Mutter ihrem Kind zu erfüllen ermöglicht, wenn sie sich oder eben ihre Brust via dieser subtilen aktiven Anpassung tausend Mal gerade in dem Moment anbietet, in dem das Baby bereit ist, so etwas wie die Brust, die die Mutter ihm bietet, zu erschaffen.«48 Das Übergangsobjekt fungiert hier als Brücke, wo andernfalls das Kind springen müsste; und es überbrückt für das Kind, was ohne diese Verbindung als zwei getrennte Welten erscheinen würde. Ähnlich betritt am anderen Ende des Prozesses – wenn das Traumerlebnis des Kindes, diese subjektivste innere Wirklichkeit, sich in der Sprache niederschlägt und jemand anderem mitgeteilt wird – der Traum jenes Gebiet, das Winnicott hier »neutrales Territorium« oder den intermediären Raum gemeinsamer Sprache nennt. Das Kind, das zu Bett geht, benutzt das Objekt, um an das schlafende Selbst, das träumt, heranzukommen und es mit dem wachen Selbst, das bereits fähig ist »sich anzupassen«, zu verbinden. Das ermöglicht einen der wichtigsten Übergänge des Kindes vom Wachen zum Schlafen, vergleichbar jenem anderen Übergang vom zufriedenen Zustand zum Zustand des Begehrens, den Winnicott bei seiner Darstellung des Spatelspiels gezeigt hatte. Und was Winnicott interessiert, ist nicht eine besondere Eigenschaft des Objekts, sondern welchen Dienst das Objekt dem Kind erweist: es sicher vom Wachen in den Schlafzustand zu geleiten. – Auch diese Idee ließe sich natürlich auf die analytische Situation ausdehnen: Bei dem Versuch, die Übertragung des Patienten in einem bestimmten Moment der Behandlung zu verstehen, könnte der Analytiker sich nicht nur fragen, »Wen repräsentiere ich?« 151
(Vater, Mutter, Geschwister, etc.), sondern auch, »Wofür werde ich eingesetzt?« In Winnicotts Verständnis versucht der Patient immer, mit Hilfe des Analytikers irgendwohin zu gelangen. Deutungen sind Reisepässe. Die analytische Situation selbst ließe sich als ein Übergangsraum für gemeinschaftlichen Austausch verstehen. Ehe Winnicott jenen menschlichen Erfahrungsbereich, der durch seinen Übergangscharakter gekennzeichnet ist, gedanklich erarbeitete, war die Psychoanalyse, grob gesprochen, eine Theorie von Subjekten, die irgendwie in einer triebhaften Beziehung zu Objekten stehen. Von Winnicotts Gesichtspunkt aus hatte sie sich nicht genügend mit dem Raum zwischen beiden beschäftigt, es sei denn, wenn sie einander behinderten. In diesem Raum kristallisiert sich das Begehren. Der fantasierte Wunsch, mit dem Objekt zu verschmelzen oder es zu vernichten, ist ein Versuch, diesen Raum im Voraus mit Beschlag zu belegen. Die Fähigkeit, um das Objekt zu trauern, macht ihn real. Doch wird dieser Raum von Kindern auch genutzt, um darin zu spielen. Kindliches Spiel repräsentiert nicht nur mehr oder weniger verdeckt das Verlangen nach dem Objekt, es ist auch der Versuch, ein Selbst zu finden und selbst zu werden. Der Übergangsraum, in dem das Kind spielt oder der Erwachsene spricht, ist nach Winnicotts Ansicht »ein Zwischenraum, ein Erfahrungsraum, zu dem die innere Wirklichkeit und das Außenleben beide beitragen« und er ist »ein Rastplatz für das Individuum bei seinem ständigen Bemühen, die innere und die äußere Realität auseinander- und gleichzeitig in Beziehung zueinander zu halten«.49 Der Übergangraum bricht zusammen, wenn entweder die innere oder die äußere Realität die Szene zu dominieren beginnen, so wie eine Konversation abbricht, wenn einer der beiden Gesprächspartner entscheidend dominiert. Ganz am Anfang, wenn der Säugling zu ahnen beginnt, dass sein Monolog in Wirklichkeit ein Dialog ist, braucht er diesen »intermediären Raum zwischen [seiner] Unfähigkeit und der zunehmenden Fähigkeit, Realität zu erkennen und zu akzeptieren«, 152
worauf Winnicott jetzt in der Terminologie seiner eigenen Entwicklungstheorie Bezug nimmt als »das Wesen der Illusion, die dem Säugling zugestanden wird und im Erwachsenenleben ein Bestandteil von Kunst und Religion ist«.50 Diese Ansicht weicht erheblich von Freuds Einschätzung ab, nach der Kultur eine Sublimierung des Trieblebens oder Wunschdenken ist, mit dem versucht wird, die Frustrationen, die die Realität beschert, zu kompensieren. In dem Freud’schen Schema bedeutet Kultur Triebverzicht; für Winnicott ist sie die einzige Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen. Was Winnicott etwas missverständlich »geteilte Realität« nennt, besteht aus gemeinsamen Illusionen. Geteilte Realität bezeichnet jenen Raum, wo sich die verschiedenen individuellen Voreingenommenheiten überschneiden. Winnicott spricht von Illusionen, nicht weil sie falsch wären, sondern weil sie das Gewünschte und das Tatsächliche in einer erträglichen Weise zusammenbringen. »Wenn uns etwas ein Anliegen ist«, schreibt er, »können wir uns zusammenschließen und auf der Grundlage der Ähnlichkeit unserer illusionären Erfahrungen eine Gruppe bilden. Dies ist eine der natürlichen Wurzeln menschlichen Gruppenverhaltens.«51 Auch hier ist wichtig, sich vor Augen zu halten, für welches Publikum diese Arbeit ursprünglich verfasst wurde – für die damals zerstrittene British Society. In dieser auf ganz unaufdringliche Weise skandalträchtigen Arbeit stellt Winnicott nicht nur das Wesen psychoanalytischer Theorien und Institutionen als Übergangsphänomene in Frage, sondern auch die Vorstellung von Psychoanalyse als Dogma, wie er sie zunehmend mit der Gruppe um Klein in Verbindung brachte. »Es ist ein Zeichen von Geistesstörung«, fährt er fort, »wenn ein Erwachsener allzu großen Druck auf die Gutgläubigkeit anderer ausübt und diese zwingt, eine Illusion anzuerkennen, die nicht die ihre ist.«52 Winnicott untersucht nicht die Frage, woran es liegt, dass eine Illusion mit anderen geteilt werden kann, oder warum in der Psychoanalyse beispielsweise eine Geschichte oder gewisse Erklärungen manche Leute über153
zeugen und befriedigen und andere nicht. Was er klar macht, ist indes, dass seiner Ansicht nach dem Wunsch, dass einem geglaubt werde, etwas Pathologisches innewohnt. Und das ließe sich aus Entwicklungsüberlegungen heraus verstehen. Wenn die Bedürfnisse der Mutter mit jenen des Babys kollidieren und diesem so seine Illusionen genommen werden, hat das Baby, wenn es überleben will, keine andere Möglichkeit, als sich anzupassen. Für Winnicott ist es dann diese Idee des Falschen Selbst, welches das Kind sich aneignet, um mit der Last der ihm aufgezwungenen Illusion, die nicht seine eigene ist, irgendwie fertig zu werden. Das Kind, schreibt er in einer Analogie, die vieles für sich hat, »bietet nach außen ein Schaufenster dar, eine nach außen präsentierte Hälfte seines Wesens«.53 In der wichtigen Arbeit »Primary Maternal Preoccupation« beschreibt Winnicott dann, unter welchen Bedingungen sich das Wahre Selbst entwickeln kann. Es ist allerdings noch etwas über diese berühmteste Arbeit Winnicotts, »Transitional Objects and Transitional Phenomena«, zu sagen. Erwähnt sei, wie er bei seinem Bemühen, seine neuen Vorstellungen mit der bereits existierenden psychoanalytischen Theorie zu verschmelzen, unklar wird und in Widerspruch zu sich selbst gerät. Doch untersucht er aus einer psychoanalytischen Perspektive, wie ein neues Objekt in den Gesichtskreis der Interessen des Babys gerät; und diese Arbeit selbst stellt in gewissem Sinn das Problem dar, das sie zu beschreiben versucht. In der Art und Weise, wie sie die Geschichte darzustellen versucht, zeigt sie sowohl, welches Schicksal der neuen Idee in der Psychoanalyse beschieden war, als auch die Schwierigkeit, im psychoanalytischen Diskurs zu erfassen, wie ein neues Objekt, das nicht einfach ein Ersatz für das Primärobjekt ist, in das Leben eines Menschen gelangt.
154
IV 1956 wurde Winnicott Präsident der British Psychoanalytical Society und schrieb zwei einander ergänzende Arbeiten – »The Anti-Social Tendency« und »Primary Maternal Preoccupation«54 –, worin er seine Tätigkeit während des Krieges zusammenfasste und seinen eigenen Beitrag darzustellen versuchte. In der ersten Arbeit über Übergangsphänomene, verfasst zu Beginn des Jahrzehnts, hatte er mit Bestimmtheit behauptet, dass »es die gelegentliche Aufgabe der Mutter ist, das Kind schrittweise zu desillusionieren, doch besteht keine Aussicht auf Erfolg, wenn sie ihm vorher nicht genügend Gelegenheit gegeben hat, sich Illusionen zu machen«.55 »Illusion« war anfänglich die Überzeugung des Säuglings gewesen, er habe erschaffen, was er in Wirklichkeit vorgefunden hatte. Falls sich diese Überzeugung in ihm festigen konnte, falls die Mutter sich seinen Bedürfnissen angepasst hatte, war er, mit Winnicotts Worten, »von der Mutter genügend gut auf die Bahn gebracht worden« und konnte sich so »den intermediären Raum« zunutze machen, »der dem Säugling zwischen primärer Kreativität und objektiver, auf Realitätsprüfung beruhender Wahrnehmung zur Verfügung steht«.56 Übergangsphänomene stellen einen Ersatz für den Verlust des Omnipotenzgefühls des Säuglings dar, ohne dass dieser sich übermäßig anpassen muss. Es ist für den Säugling desillusionierend, wenn er seine Mutter als eine reale Person entdeckt, die sich seiner magischen Kontrolle entzieht. Doch bedeutet eine Entwicklung, die über Übergangsphänomene abläuft, für Winnicott, anders als für Freud, nicht einen Prozess zunehmender Desillusionierung, nicht zunehmend Anlass zur Trauer, sondern die wachsende Fähigkeit, den andauernden und zunehmend komplizierteren Prozess von Illusionierung-Desillusionierung und Wiederillusionierung während eines ganzen Lebens zu ertragen. Die Entwöhnung stünde dann in einer Reihe ernsthafter, prägender Desillusionierungen, die ihren Anfang mit der primären Kreativität des Säuglings nahm, 155
die die Mutter schrittweise durch das, was Winnicott »dosierte Realität«57 nennt, modifiziert. »Es ist zu vermuten«, schreibt Winnicott, »dass die Aufgabe, die Realität anzuerkennen, nie erledigt ist und niemandem die Anstrengung erspart bleibt, die innere und die äußere Realität immer wieder zu einander in Beziehung zu bringen.«58 Durch Übergangsphänomene und den intermediären Raum werden der Säugling und später der Erwachsene zwischen zwei unmöglichen Alternativen gewissermaßen in der Schwebe gehalten – der Isolation, das heißt dem Irrsinn extremer Subjektivität, und der inneren Verarmung und Sinnlosigkeit der Objektivität (oder einer übermäßigen Anpassung, die sich als Objektivität maskiert). In »Primary Maternal Preoccupation« stellt Winnicott die Art von Fürsorge dar, die von Seiten der Umwelt nötig ist, damit die ausgeprägte Subjektivität früher Trieberfahrungen zu einer Bereicherung des Selbst werden kann und nicht bloß eine Befriedigung für den Organismus bleibt. Winnicott wollte, wie er sagt, »die Erforschung der Mutter von dem rein Biologischen« befreien. Für Winnicott bedeutete das primäre mütterliche Ausgerichtetsein auf den Säugling einen Zustand vergleichbar einer Krankheit und charakterisiert durch eben dieses Ausgerichtetsein, das vor der Geburt beginnt und bis einige Wochen nach der Geburt andauert. Es ist ein Zustand »erhöhter Sensitivität«, ähnlich einer Art primitiver, körperlicher Identifikation mit dem Baby. Alles, was sich dieser frühesten Beziehung in den Weg stellt, wird als bedrohliche Störung empfunden und erzeugt nach Winnicotts Ansicht eine »frühe Verzerrung« der »Lebenslinie« des Säuglings oder, mit anderen Worten, seiner »Seinswerdung«. Dem liegt die Vorstellung von einem ungehinderten Wachstum zugrunde, das möglich wird dank der Qualität der Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wird. Winnicott sieht darin den Normalzustand einer »durchschnittlich hingebungsvollen Mutter« und das Paradigma für spätere Zustände imaginativer Empathie. Die Seinswerdung wird durch das andauernde Ausgerichtetsein der Mutter auf ihr Baby gefördert. 156
Was Winnicott »mütterliches Versagen« nennt, erzeugt »reaktive Phasen und diese Reaktionen unterbrechen die ›Seinswerdung‹ des Säuglings. Fallen diese Reaktionen übermäßig aus, dann führen sie nicht bloß zu Frustrationen, sondern zu der Angst vor Vernichtung, […] einer sehr realen primitiven Angst, die jede Angst, einschließlich jener, die wir mit dem Wort Todesangst beschreiben, lange vorwegnimmt.«59 Was Freud und – in seiner Nachfolge – Klein dem Wirken eines angeborenen Todestriebs zugeschrieben hatten, interpretierte Winnicott wiederum als das Versagen eines haltenden Umfelds. Die unaufmerksame oder abwesende Mutter ist aus Winnicotts Sicht die Saboteurin des Entwicklungsprozesses, den er mit kontinuierlicher Fürsorge gleichsetzt. Er klagt die Mütter zwar nicht wegen ihres »Versagens« an, doch fordert er am Lebensbeginn von ihnen einfach alles. »Nur wenn eine Mutter in der Art und Weise wachsam ist, wie ich sie darstelle«, schreibt er mit ungewöhnlich dogmatischer Überzeugung, »kann sie sich in ihren Säugling einfühlen und so seinen Bedürfnissen entsprechen.«60 Was hier zur Diskussion steht, ist die Natur der Bedürfnisse des Säuglings. Die Psychoanalyse verfügt natürlich über eine Phalanx von Ausdrücken – Triebe, Bedürfnisse, Wünsche, Forderungen, Begehren, Elemente, Komponenten, Dränge – die alle auf die gebieterischen Forderungen des Selbst Bezug nehmen. Und es sind diese gebieterischen Anteile des Selbst, die als wesentlich erachtet werden. Freud war immer einer dualen Triebtheorie verpflichtet und bis in die frühen 1920er Jahre unterschied er zwischen »Ich-Trieben«, die selbsterhaltend sind, und Sexualtrieben. Letztere wurden in seinen späteren Jahren wesentlich modifiziert und durch Lebens- und Todestriebe ersetzt, die, wie wir gesehen haben, für Kleins Arbeiten grundlegend waren. Winnicott in seinem wie immer etwas unbekümmerten Umgang mit der psychoanalytischen Terminologie meint, der Säugling habe »zunächst körperliche Bedürfnisse, die mit der Zeit zu Ich-Bedürfnissen werden, in dem Maß, in 157
dem dank imaginativer Verarbeitung körperlicher Erfahrungen eine Psychologie entsteht«.61 Was Winnicott hier vorschlägt, ist nicht ein Konflikt widerstrebender Triebe, sondern eine Metamorphose von einer Art von »Bedürfnissen« in eine andere. Winnicotts bisweilen verwirrende Ausdrucksweise, die sich der Begrenztheit von Ausdrucksmöglichkeiten widersetzt, überlässt es oft dem Leser, herauszufinden, was er meint. Winnicott war der Ansicht, die Psychoanalyse habe sich nie klargemacht, wie einerseits die Triebe und andererseits die persönliche Entwicklungstendenz zusammenhängen. Für ihn entsteht die Entwicklungstendenz nicht aus den Trieben, sondern sie wird von diesen unterstützt. Die anfängliche primäre Ausrichtung der Mutter auf den Säugling »ermöglicht es der Konstitution des Säuglings, wirksam zu werden, damit die Entwicklungstendenzen sich zeigen können und der Säugling seine spontanen Bewegungen erfahren und zum Besitzer jener Empfindungen werden kann, die dieser frühen Lebensphase eigen sind. Auf das Triebleben muss hier nicht Bezug genommen werden, weil das, wovon ich spreche, beginnt, ehe die Triebmuster in Kraft treten«.62 Für Winnicott wiederholt die analytische Situation die Anordnung, die er beschreibt, wenn der Analytiker durch zumeist verbale anerkennende Äußerungen auf die Entwicklungstendenzen des Patienten reagiert. Die frühesten Entwicklungsstadien werden als ein Entfaltungsvorgang (wiederum in Analogie zu pflanzlichem Leben) und ein Sich-zu-eigen-Machen der verwirrenden Vielfalt von Empfindungen und Bewegungen dargestellt, die durch das förderliche Milieu mütterlicher Fürsorge zusammengehalten werden. Was als »Triebmuster« bezeichnet werden kann, lässt sich irgendwie sinnvoll nur in Zusammenhang mit der Mutter erörtern. Die Stetigkeit der mütterlichen Fürsorge als Medium für Wachstum »versetzt den Säugling in 158
die Lage, zu existieren zu beginnen, Erfahrungen zu machen, ein persönliches Ego zu entwickeln, sich von seinen Trieben treiben zu lassen und sich mit allen Schwierigkeiten zu konfrontieren, die das Leben bereithält. All das fühlt sich für den Säugling, der ein Selbst zu entwickeln beginnt, real an«.63 Das ist eine Möglichkeit, die Eigenheit und Ganzheit der Persönlichkeit darzustellen. Wenn das frühe Umfeld sich gegenüber dem, was Winnicott die »konstitutionellen Faktoren« nennt, als genügend anpassungsfähig erweist, hat die wirkliche Eigenart des Individuums »größere Chancen, sich zu zeigen«. Doch beharrt Winnicott in dieser Arbeit, in der er erstmals ein Selbstkonzept benötigt, darauf, sollte die Mutter nicht genügend anpassungsfähig sein und von dem Säugling zu früh eine Anpassung an ihre Bedürfnisse fordern, dann »fehlt ein Gefühl von Wirklichkeit und wenn das Chaos nicht zu groß ist, fühlt sich schließlich alles sinnlos an. Die Schwierigkeiten, die das Leben bringt, können nicht gemeistert werden, nicht zu reden von den Befriedigungen, die ausbleiben. Wenn es nicht gerade zu einem Chaos kommt, taucht, um das Wahre Selbst zu schützen, ein Falsches Selbst auf, das sich den Forderungen anpasst, das auf Reize reagiert, das sich von Trieberfahrungen befreit, indem es sie hat, doch dient dies alles nur dazu, Zeit zu gewinnen«.64 Das Falsche Selbst spielt auf Zeit, bis ein genügend nährendes Umfeld gefunden werden kann, in dem Entwicklung wieder möglich ist. Winnicott begann in den Symptomen des Individuums dessen Möglichkeit zu erkennen, nicht nur oder notwendigerweise Triebkonflikte darzustellen – was an sich eine Entwicklungserrungenschaft wäre –, sondern auch die unsichtbare Geschichte, wie die Bemutterung versagt hatte, wodurch die Kontinuität seines Wachstums unterbrochen worden war. Psychoanalyse wäre dann der gemeinschaftliche Versuch zu rekonstruieren, in welcher Weise die wirkliche Mutter aus der 159
Sicht des Säuglings versagt hatte; was die Möglichkeit mit einschließt, begründete Unzufriedenheiten aufzudecken. So waren es nicht länger die Sexualität oder der Todestrieb, die in Winnicotts Form von Psychoanalyse das Unerträgliche ausmachen, sondern die frühe Abhängigkeit und die damit verbundenen Qualen, beide vollumfänglich anerkannt in ihrem möglichen Versagen. Diese »allgemeine Unfähigkeit«, schreibt er, »die anfängliche allgemeine Abhängigkeit anzuerkennen, trägt dazu bei, dass die FRAU gefürchtet wird, ein Los, das Männer wie Frauen teilen.«65 In dem Nachwort zu der ersten Sammlung von Radiovorträgen, publiziert 1957, formulierte Winnicott, was eigentlich, seinem Gefühl nach, seine persönliche Berufung war: »Ich vermute, jedermann kennt ein höchstes Interesse, einen tiefen Drang zu irgendetwas. Wenn man lange genug lebt, um zurückblicken zu können, lässt sich eine beherrschende Tendenz ausnehmen, die alle die mannigfaltigen und unterschiedlichen Aktivitäten des eigenen privaten Lebens und der beruflichen Laufbahn unter sich vereint. Was mich betrifft, bin ich bereits in der Lage zu sehen, welch großen Anteil in meiner Arbeit das Verlangen gespielt hat, die normale, gute Mutter ausfindig zu machen und ihre Bedeutung zu würdigen. […] für mich waren es die Mütter, zu denen zu sprechen ich ein so großes Bedürfnis hatte.«66 Das ist in Winnicotts Schriften ein ungewöhnlich bekennerischer Augenblick. Natürlich schildert er ein Schicksal, das den besonderen Ironien ausgeliefert ist, die erst Freuds Werk möglich machte.
160
5 Authentisch werden
»Verhinderte Aggressivität scheint ein schwerwiegendes Unrecht zu sein.« Sigmund Freud
»Wir müssen noch der Frage nachgehen«, schrieb Winnicott in einer der letzten Arbeiten, die zu seinen Lebzeiten veröffentlicht wurden, »The Location of Cultural Experience« (1967), »worum es im Leben geht.«1 Das war die große Frage, die, wie Winnicott meinte, die Psychoanalytiker außer Acht gelassen hatten; dass aber »psychotische Patienten uns zwingen, ihr Aufmerksamkeit zu schenken«. Winnicott beantwortete die Frage in seinen letzten Lebensjahren mit der gebührenden Unverbindlichkeit. Er formulierte in den wesentlichen Punkten eine Theorie, in deren Zentrum das Wahre Selbst steht, das definitionsgemäß nur in seinen gröbsten Zügen definiert werden kann. »Es leistet«, schrieb er, »nicht mehr, als die einzelnen Elemente der Erfahrung, lebendig zu sein, in sich zu vereinen.«2 Ein Minimum an Definitionen ermöglicht ein Maximum an Mutmaßungen. Für Winnicott war die Frage nicht, was an Menschen wirklich ist – was die Kenntnis von etwas Wesentlichem voraussetzen würde –, sondern was dem einzelnen Menschen »das Gefühl von Wirklichkeit vermittelt«. Das kann jeder Mensch nur für sich selbst herausfinden. Winnicott hatte entdeckt, dass es keineswegs selbstverständlich ist, sich lebendig zu fühlen. Es gibt Menschen, die ein so schwerwiegendes Versagen des frühen haltenden Umfelds erlebt haben, dass sie noch nicht einmal das Gefühl haben, zu existieren. Ihr Leben ist durchdrungen von einem Gefühl von Sinnlosigkeit, das mit ihrer Anpassung zusammenhängt. Solchen 161
Menschen erwächst mit der Psychoanalyse ein Umfeld, in dem, wie Winnicott schreibt, »der Patient/die Patientin sein oder ihr eigenes Selbst finden kann und in die Lage versetzt wird, zu existieren und sich als wirklich zu fühlen. Sich als wirklich zu fühlen, bedeutet mehr als nur bloß zu existieren; es bedeutet die Möglichkeit, sich als man selbst zu fühlen und zu den Objekten als man selbst in Beziehung zu treten und auch ein Selbst zur Verfügung zu haben, in das man sich zur Entspannung zurückziehen kann.«3 Winnicott ist überzeugt, dass jedermann ein Selbst »hat«, das, wie eine Pflanze, zu seiner Verwirklichung eines nährenden Umfelds bedarf. Doch, um noch einmal von vorne zu beginnen, »das Selbst des Säuglings […] ist nur eine Möglichkeit«.4 Es wird schrittweise ins Leben gerufen, wenn die Mutter die spontanen Äußerungen des Säuglings verlässlich wahrnimmt; und es wird durch Aggressivität gefestigt, wenn die Mutter überlebt – das heißt, sich nicht rächt für die zerstörerischen Akte des Säuglings und des Kindes. In drei wichtigen Arbeiten, die man mit Gewinn nacheinander liest – »The MirrorRole of Mother and Family in Child Development« (1967),5 »The Use of an Object and Relating through Identifications« (1969),6 und »Ego Distortions in Terms of True and False Self« (1960)7 –, nimmt Winnicott abschließend zu seiner Entwicklungstheorie Stellung. Wie wir gesehen haben, entstanden alle Beiträge Winnicotts zur psychoanalytischen Theorie aus seiner ständig wachsenden Einsicht, was Mütter für ihre Kinder bedeuten. In »The Mirror Role« meint er, »der Vorläufer des Spiegels ist das Gesicht der Mutter«, und dass es die »Aufgabe der Mutter [ist], dem Baby sein eigenes Selbst wiederzugeben«. Wenn der Säugling seiner Mutter ins Gesicht schaut, kann er sich selbst sehen: wie er sich fühlt, gespiegelt in ihrem Gesichtsausdruck. Wenn sie mit etwas anderem beschäftigt ist, wird er, wenn er sie ansieht, nur sehen, wie es ihr geht. Es wird ihm nicht gelingen, »von dem Umfeld etwas (von sich selbst) zurückzubekommen«. Nur wenn er es gespiegelt bekommt, kann er sehen, was er fühlt. Wenn der 162
Säugling in einer Weise angeschaut wird, die ihm den Eindruck vermittelt, selbst zu existieren, so dass er sich bestätigt fühlt, fühlt er sich auch frei, weiterzuschauen. Das Gesicht der Mutter ist ein wesentlicher Faktor in jenem Prozess, bei dem, wie Winnicott sagt, das Objekt sich in einer Weise zur Verfügung stellt, »dass die legitime Omnipotenzerfahrung des Babys nicht verletzt wird«. Ist das Objekt außerstande, auf die Äußerung persönlicher Bedürfnisse des Säuglings zu antworten, »erleidet das zentrale Selbst einen Schaden«. Ist die Mutter zu Beginn außerstande, sich ihrem Baby anzupassen, wird es unfähig sein, sich in ihrer verstörenden Antwort wiederzuerkennen. In direkter Analogie ist Psychoanalyse, wie Winnicott meint, »ein komplexer Abkömmling des Gesichts, das widerspiegelt, was es zu sehen gibt«. Psychoanalyse bedeutet, wie die längerfristig angelegte Fürsorge der Mutter für ihren Säugling oder für ihr Kind, »dem Patienten das zurückzugeben, was er mitbringt«. Der französische Analytiker Lacan hatte in einer Seminararbeit, auf die Winnicott Bezug nimmt, »Le stade du miroir« (1949)8, gemeint, das Kind sehe, wenn es in den Spiegel blicke, ein geordnetes Bild seiner eigenen Unordnung. Obwohl es sich selbst als in Stücken und Teilen überallhin verstreut erlebt, sieht es sich in dem Bild einheitlich. Dieses Missverhältnis – diese prägende Fehlwahrnehmung – biete dem Kind die Verlockung eines falschen Bildes von Vollkommenheit, das es in der Realität für immer irreführe und es sich selbst entfremde. Der Spiegel, so meint Lacan, sei schwer irreführend, er gebe dem Kind ein falsches Versprechen. Doch für Winnicott hängt, was das Kind in dem Spiegel sieht, davon ab, welche Erfahrungen es mit dem Gesicht der Mutter macht. Reagiert die Mutter ausreichend, erfährt sich das Kind als jemand, der als das gesehen wird, »was er in dem jeweiligen Augenblick [ist]«. Ein Gefühl von Fehlwahrnehmung, ein Gefühl eines Zwiespalts in dem Kind deutet Winnicott – wie sich leicht vorhersehen lässt – als Folge eines Versagens mütterlicher Vorkehrungen. In Spiegel kann man, wie 163
schon lange vorher in das Gesicht von Müttern, mit Gewinn hineinschauen, weil sie potentiell, in des Wortes vollster Bedeutung, reflektiv sind. Wie Winnicotts ausreichend gute Mutter sind sie verlässlich und genau in dem, was sie wiedergeben. Das Kind kann jedoch nur zu schauen beginnen, wenn es zuerst sich selbst gesehen hat. »Gesehen zu werden, ist die Basis kreativen Schauens.« Wahrnehmung – etwas anzuschauen – ist eine weitere Fähigkeit, die zugleich untrennbar mit Selbstwahrnehmung verknüpft ist – der Fähigkeit, sich selbst anzuschauen. Ein Kind mit einer Mutter, die nicht auf es reagiert – einer Mutter, deren Gesicht infolge einer depressiven Verstimmung eingefroren ist –, ist gezwungen, ihre Stimmung wahrzunehmen und zu lesen, auf Kosten der Wahrnehmung seiner eigenen Gefühle. Eine solche Wahrnehmung, die jede Selbstwahrnehmung verhindert, kommt einer frühen Form von Anpassung gleich; außerstande, gespiegelt zu bekommen, wie das Kind in der einfachen Umkehrung, die ich geschildert habe, wahrgenommen und akzeptiert wird, bleibt ihm nichts anderes übrig, als zu sehen, wie es der Mutter geht. Und es ist ihm nicht möglich herauszufinden, was es, wenn überhaupt etwas, zu ihrer Befindlichkeit beigesteuert hat. Dies bedeutet, wie Winnicott meint, »(für das Individuum) einen historischen Prozess, der davon abhängig ist, dass es gesehen wird: ›Wenn ich sehe, dass ich gesehen werde, existiere ich. Jetzt kann ich es mir auch leisten, zu schauen und zu sehen. Jetzt wird mein Schauen kreativ, und was ich an mir selbst wahrnehme, nehme ich auch um mich herum wahr. Wahrhaftig gebe ich mir Mühe nichts zu sehen, was nicht wirklich sichtbar ist (außer ich bin müde).‹«9 Von der Mutter nicht gesehen zu werden, mindestens nicht im Augenblick der spontanen Geste, ist gleichbedeutend mit nicht zu existieren. Gemäß Winnicotts Darstellung bedeutet, 164
von der Mutter gesehen zu werden, erkannt zu werden als diejenige Person, die man ist, und der Säugling ist eben das, was er fühlt. Der Säugling wagt nicht zu schauen, wenn er dabei riskiert, nur ein unbeschriebenes Blatt zu sehen zu bekommen. Er muss von der Person, die er anschaut, etwas von sich selbst zu sehen bekommen. Dies macht die Mutter im Säuglingsalter zum Arbiter der Wahrheit des Säuglings. Ihr reagierendes Anerkennen – und nicht beispielsweise unterschiedliche Ansichten von ihnen beiden – baut sein Gefühl von sich auf. Die Mutter ist der aufbauende Zeuge des Wahren Selbst. Wenn sie das anfängliche Omnipotenzgefühl des Säuglings stört – indem sie ihn zwingt, sie anzusehen –, »beleidigt« sie das Selbst ihres Kindes und zwingt es, sich zu verbergen. Alles dreht sich um dieses Umschalten von der Mutter als einem subjektiven Objekt zu einem Objekt, das objektiv wahrgenommen wird; dreht sich darum, dass der Säugling durch das Gegenüber sich selbst sieht und schließlich sein Gegenüber. Es ist ein Vorgang, bei dem der Säugling und nicht die Mutter die Führung innehaben muss. Beschleunigen lässt sich das Tempo dieses Vorgangs nur, wenn der Säugling sich anpasst. Wenn aber der Säugling sich nun zu Anfang durch die Anerkennung der Mutter als real erlebt, wie entsteht ein Kontakt zu und eine Wahrnehmung von realen anderen Objekten? Winnicott schildert diesen Prozess – »der vielleicht schwierigsten Sache innerhalb der menschlichen Entwicklung« – als einen Wechsel von einem Bezogensein auf Objekte hin zu dem Gebrauch, der von ihnen gemacht wird. »Von Beziehung zu Gebrauch« ist seine Formel für den Wechsel von der Erfahrung des Säuglings von einem subjektiven Objekt zu einem, das objektiv wahrgenommen wird und sich der omnipotenten Kontrolle entzieht. Damit von einem Objekt Gebrauch gemacht werden kann, muss es nach Winnicotts Meinung wirklich sein. Und die Fähigkeit, von Objekten Gebrauch zu machen, kommt nicht einfach automatisch zustande, sie bedarf unbedingt eines Objekts, das sie unterstützt. 165
In »The Use of an Object« bringt Winnicott eine einleuchtende Darstellung dieses Vorgangs von Beziehung zu Gebrauch, die »eine Aussage über den positiven Wert zerstörerischen Verhaltens« nötig macht. Und in dieser einfachen Aussage nimmt Winnicott seine endgültige und in gewissem Sinn entscheidende Korrektur an den Werken von Freud und Klein vor. Wenn, wie Winnicott sagt, das Selbst erst durch Anerkennung von außen wirklich wird, wird das Objekt erst wirklich, wenn es aggressiv zerstört wird; denn das erst macht für das Selbst das Erlebnis des Objekts real. Das Objekt, sagt Winnicott, wird aus der omnipotenten Kontrolle entlassen, indem es zerstört wird, während es gleichzeitig die Zerstörung überlebt. Winnicott bringt seinen eigenen Mock-Punch-and-Judy-Dialog ins Spiel, um seinen Standpunkt klar zu machen: »Das Subjekt sagt zu dem Objekt: ›Ich habe dich zerstört‹, und das Objekt ist da und nimmt diese Mitteilung zur Kenntnis. Von nun an sagt das Subjekt: ›Hallo Objekt! Ich habe dich zerstört. Ich liebe dich. Du bist mir wertvoll, weil du meine Zerstörung überlebt hast. Solange ich dich liebe, zerstöre ich dich ständig in meiner (unbewussten) Fantasie.‹«10 Es ist diese Vorstellung von der Zerstörung – in der Fantasie –, die das Objekt real und so auch verfügbar bleiben lässt, um weiterhin verwendet werden zu können. Aber das Objekt muss auch da sein, um diese Mitteilung zur Kenntnis zu nehmen. Wenn das Objekt nicht zulässt, dass es zerstört wird, und auch nicht Vergeltung übt; wenn es die volle Wucht der Zerstörungskraft des Subjekts überlebt, dann und nur dann kann das Subjekt das Objekt als etwas wahrnehmen, das sich außerhalb seines Machtbereichs befindet und deshalb über eine eigene Wirklichkeit verfügt. Das Selbst und das Gegenüber müssen in diesem Punkt zusammenarbeiten; sie erschaffen beide füreinander ihrer beider gegenseitige Wirklichkeit. »Es ist gerade die 166
Zerstörung des Objekts«, schreibt Winnicott und betont diesen Punkt, »die dem Objekt einen Platz außerhalb der omnipotenten Kontrolle zuweist. Auf diese Weise entwickelt das Objekt seine eigene Autonomie und sein Eigenleben und leistet (falls es überlebt) mit seinen jeweiligen Eigenschaften einen Beitrag an das Subjekt.«11 Wenn der Säugling und das Kind immer wieder erfahren, dass ihren zerstörerischen Kräften standgehalten wird – dass das Objekt unzerstörbar ist (und sie nicht zurückweist), wie die Kinderheime der evakuierten Kinder sich als unzerstörbar erweisen mussten –, »entsteht eine Welt einer gemeinsamen Wirklichkeit«, schreibt Winnicott, »von der das Subjekt Gebrauch machen kann und die ihm eine andere-als-Ich-Qualität rückmelden kann.« Patienten, denen diese entscheidende frühe Erfahrung fehlt, brauchen eine Analyse, um die Fähigkeit, von Objekten Gebrauch machen zu können, zu entwickeln. »Dann ist entscheidend«, schreibt Winnicott, »dass der Analytiker überlebt und die analytische Technik intakt bleibt.« Dieser Entwicklungsprozess von Beziehung zu Gebrauch stellt jedoch eine einschneidende Veränderung der psychoanalytischen Theorie dar. Bei Freud oder, wie Winnicott weniger provokativ schreibt, in der »orthodoxen Theorie« wird das Objekt zerstört, weil es sich einer omnipotenten Kontrolle entzieht, weil sein unabhängiges Dasein eine Beleidigung bedeutet. Für Winnicott dagegen ist es der »destruktive Drang, der die Qualität von etwas draußen Befindlichem erschafft«; und es ist diese Äußerlichkeit, der Umstand, dass das Objekt über eine eigene Wirklichkeit verfügt, die es für die Befriedigung verfügbar macht. Paradoxerweise ist es der Zerstörungsdrang, der Realität schafft, und nicht die Realität, die den Zerstörungsdrang auf den Plan ruft. Kleins Konzept der depressiven Position nahm sich für Winnicott jetzt aus wie eine Masche, um sich zu schützen, wie ein raffinierter Versuch, zu der Mutter nett zu sein. Nach Winnicotts Ansicht wird das Objekt nicht wieder in sein Dasein eingesetzt, indem das Subjekt Wiedergut167
machung leistet – wie Klein das glaubte –, sondern es wird eingesetzt, indem es selbst überlebt. Die Mutter – die, wie wir gesehen haben, die ursprüngliche Winnicott’sche Analytikerin ist – muss erkennen und widerspiegeln, was der Säugling initiiert, und sie muss, wenn der Säugling an den Punkt kommt, an dem sein Zerstörungsdrang ihm weiterhelfen kann, auf eine Weise, die nicht Vergeltung übt, unzerstörbar sein. Die Mutter muss robust sein, das ist Teil der Forderungen, die Winnicott an sie stellt; verhält sie sich irgendwie abweisend, dann muss sich der Säugling an sie anpassen. Diese Anpassungsmanöver nennt Winnicott die Organisation des Falschen Selbst. Wegen dieser ursprünglichen und erzwungenen Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der Mutter »fehlt« dem Falschen Selbst, wie Winnicott schreibt, immer »etwas, und dieses etwas ist das wesentliche Element kreativer Originalität«.12 Die kreative Originalität, die nach Winnicotts Überzeugung ein angeborener Wesenszug des Säuglingsalters ist, der durch die mütterliche Fürsorge zur Wirklichkeit wird, kann abstumpfen oder verloren gehen. In »The True and False Self« verknüpft Winnicott »die Idee des Wahren Selbst mit der spontanen Geste«; diese sei, wie er glaubt, der Beginn jenes bestimmten Gefühls, dass man existiere und sich als real empfinde, und hänge von dem ab, was er andernorts »eine grundlegende Portion an Omnipotenzerfahrung« nennt.13 »Der Protest gegen ein zu frühes Gedrängtwerden in eine falsche Existenz«, die zu frühe Aufhebung der Omnipotenz, »lässt sich«, schreibt er, »von den frühesten Stadien an beobachten«.14 Es gebe, lässt er durchblicken, so etwas wie eine angeborene Authentizität. Wenn aber der Säugling daran gehindert wird, »sein Leben als ein Seiender zu beginnen, und stattdessen nur reagieren darf«, dann wird er zu seinem Schutz ein Falsches Selbst aufbauen müssen, »um das Undenkbare zu verhindern, die Ausbeutung des Wahren Selbst, was zu seiner Vernichtung führen würde«. Das Falsche Selbst, »ein Begriff, den unsere Patienten geprägt haben«, erfülle drei 168
Aufgaben: Es sorgt sich – innerhalb strikter Grenzen – um die Mutter; es versteckt und schützt das Wahre Selbst, indem es sich den Forderungen der Umwelt anpasst; und es ist auch ein »Fürsorger« (auch dies ein »Patientenausdruck«), indem es wie eine Amme für das Kind Sorge trägt und die Sorgefunktion der Umgebung, die versagt hat, übernimmt. Es stellt eine primitive Form von Selbstgenügsamkeit bei gleichzeitigem Fehlen der nötigen Pflege dar. In seiner ernsthaftesten Ausprägung zeigt es sich bereits in der frühesten Kindheit: »Die ausreichend gute Mutter bemerkt die Allmachtsansprüche des Säuglings und nutzt sie zu einem gewissen Grad. Das tut sie immer wieder. Ein Wahres Selbst wird lebendig, wenn das schwache Ich des Säuglings dadurch, dass die Mutter seinen Allmachtsansprüchen Raum gibt, gestärkt wird. Die nicht ausreichend gute Mutter ist außerstande, den Allmachtsansprüchen des Säuglings Platz zu machen. Wiederholt versäumt sie es, auf die Gesten des Säuglings verständnisvoll einzugehen. Stattdessen inszeniert sie immer wieder ihre eigenen Gesten, auf die der Säugling eingehen muss, indem er sich anpasst. Diese Anpassung des Säuglings ist der Beginn des Falschen Selbst und hängt mit der Unfähigkeit der Mutter zusammen, die Bedürfnisse ihres Säuglings zu spüren.«15 Die Mutter setzt die Geste des Säuglings sozusagen in ihr Recht ein, indem sie ihr durch ihre Reaktion zur Erfüllung verhilft. Wenn sie unfähig ist, mittels Identifikation auf ihn zu reagieren, ist er gezwungen sich anzupassen, um zu überleben. Die Errichtung eines Falschen Selbst »führt« im schlimmsten Fall »zu einem Gefühl von Unwirklichkeit oder von Sinnlosigkeit«. Es gebe aber, stellt Winnicott klar, »Abstufungen« des Falschen Selbst, die sich wie folgt zusammenfassen lassen, beginnend mit der schwerwiegendsten Form: 169
1. Das Falsche Selbst ersetzt die wirkliche Persönlichkeit und sieht so aus wie diese, während das Wahre Selbst verborgen bleibt und nicht zu existieren scheint. 2. Das Falsche Selbst schützt das Wahre Selbst, das »als Potential gewürdigt und dem ein Leben im Geheimen zugestanden wird«. 3. Das »Hauptanliegen« des Falschen Selbst ist, Umweltbedingungen zu finden und zu schaffen, »die es dem Wahren Selbst ermöglichen, sich wiederum zu zeigen«. Das Falsche Selbst, »das aus Identifikationen besteht«, kopiert andere, um das Wahre Selbst davor zu schützen, einem Missverständnis zu erliegen. 4. Das Falsche Selbst tritt als ein brav angepasstes »gutes Benehmen« in Erscheinung. Es bildet einen gesunden Kompromiss gesellschaftsfähiger Höflichkeit, was als »Sein-Herz-nicht-zurSchau-Stellen« wahrgenommen wird. Es hütet und anerkennt implizit die Existenz eines privateren persönlichen Selbst. Im Gegensatz dazu lässt sich von dem Wahren Selbst nicht behaupten, es habe verschiedene Ausprägungsgrade. Es lässt sich genau genommen nicht definieren, denn es beinhaltet das, was jedem Menschen eigen ist und ihn von anderen unterscheidet. Es ist nichts anderes als eine Bezeichnung für das Persönliche. »Es macht wenig Sinn zu erläutern, was ein Wahres Selbst ist«, schreibt Winnicott, »außer, um das Falsche Selbst besser zu verstehen.« In groben Zügen ließe es sich etwa folgendermaßen charakterisieren: 1. Zunächst ist es »der theoretische Standpunkt, aus dem die spontane Geste und die persönliche Überzeugung entsteht. Die spontane Geste ist die Form, in der das Wahre Selbst sich zeigt.« 2. Das Wahre Selbst ist die Quelle dessen, was an einem Menschen authentisch ist. »Nur das Wahre Selbst kann kreativ sein«, betont Winnicott, »und nur das Wahre Selbst erfährt sich selbst als wirklich.« 170
3. Das Wahre Selbst ist mit körperlicher Lebendigkeit verbunden. Es ist »mehr als nur die Summe aller sensomotorischen Lebendigkeit.« Vielmehr »hat es seine Quelle in der Lebendigkeit der Körpergewebe und der Körperfunktionen, einschließlich des Herzschlags und der Atmung«. 4. Da es dasjenige ist, was an einem Menschen ursprünglich ist, das, was von dem »ererbten Potential« stammt, besteht es »von Anfang an wesentlich nicht aus Reaktionen auf äußere Reize, sondern ist original«. 5. Das Wahre Selbst ist die Kreativität des Körpers. Irgendwo zwischen dem Wahren und dem Falschen Selbst siedelt Winnicott – als Übergangsfigur sozusagen – den Schauspieler als den paradoxen Menschen an: »Was die Schauspieler anbetrifft, so gibt es solche, die sich selbst bleiben können und auch spielen können, während andere nur spielen können und gänzlich verloren sind, wenn sie keine Rolle haben und ihnen nicht Wertschätzung entgegen gebracht oder applaudiert wird (als Beweis dafür, dass sie existieren).«16 Der Unterschied ist, ob man sich als Teil eines Repertoires von Seinsmöglichkeiten entscheidet zu spielen, oder ob man als Folge einer frühen Anpassung gar nicht anders kann, als zu spielen. Winnicott erwägt in einem seiner charakteristisch schwerverständlichen Sätze sogar die Möglichkeit, dass »das Kind in der Lage wäre, eine besondere Rolle zu spielen, nämlich die des Wahren Selbst, wie es wäre, wenn es dieses gäbe«.17 Wäre es möglich, eine Rolle zu spielen, die der Vorstellung von Authentizität entspräche, und, falls dies möglich wäre, woher käme dann die Vorstellung von Authentizität? Winnicott schreibt die ungewöhnlichste (und vielleicht die fruchtbarste) aller seiner Ideen über das Selbst in kursiven Lettern, doch führt er sie nicht weiter aus. 171
Winnicotts späte Unterteilung des Selbst in wahre und falsche Anteile lässt sich, obwohl er nicht dieser Meinung war, nicht leicht mit Freuds Konzept eines Es und eines Ich in Zusammenhang bringen. Das Wahre Selbst ist kein »Siedekessel« der Triebe, als den Freud einst das Es bezeichnet hatte; und niemals hätte Freud das Ich, das gewisse Ähnlichkeiten mit dem Falschen Selbst hat, als Amme bezeichnen können. Winnicott hatte seine Theorie aus den Selbstdarstellungen von Patienten entwickelt und nicht auf einer Spezialsprache abseits der klinischen Arbeit errichtet; das erschwert natürlich deren Anwendung. Es lässt sich beispielsweise jemand denken, der eigene Anteile als falsch beurteilt, weil sie ihm unakzeptabel erscheinen, aber dennoch wahre Anteile seiner selbst sind. Es war vielleicht irreführend, sich auf einen Teil des Selbst zu beziehen, der einen anderen als »falsch« beurteilt und wieder auf einen anderen als den Wahren, der im Grund nicht definierbar ist. Und doch ermöglichte Winnicott, indem er eine persönliche und gewöhnliche Sprache gebrauchte, jenen Menschen einen leichteren Zugang zu der psychoanalytischen Theorie, als Hilfe für welche sie ursprünglich gedacht war. Aber angenommen, die Psychoanalyse sei ursprünglich als eine Behandlungsmethode mittels Worten konzipiert worden, wie hängen dann Sprache und das Wahre Selbst zusammen? Könnte Letzteres dann, wie das Unbewusste, sprechen (wenn auch in Verkleidung), oder könnte man mit ihm sprechen? Es ist sicherlich nicht, wie das Unbewusste, seinem Wesen nach inakzeptabel. Winnicott machte sich nie die Mühe, sein Konzept des Wahren Selbst mit Freuds Konzept des Unbewussten in Beziehung zu setzen. Mit zunehmendem Alter entwickelte er seine eigenen Ideen ohne Rücksicht auf die herkömmlichen Sprachen der Psychoanalyse. Doch richtete er in den letzten Jahren seines Lebens seine besondere Aufmerksamkeit auf die Rolle der Sprache bei der psychoanalytischen Behandlung und deren subtiler Beziehung zu dem Wahren Selbst. 172
6 Das Deutungsspiel
»Es tut gut, das Unbekannte zu lieben.«
Charles Lamb
I In praktisch allen seinen Arbeiten sagt Winnicott explizit etwas über Sprache, auch wenn er dabei eher von »Worten« spricht als von der umfassenderen Vorstellung von Sprache als einem System. Gleichzeitig beruhen aber alle seine wesentlichen Beiträge zur Psychoanalyse auf einer Theorie des Säuglingsalters. Wie er in einem Abschnitt seiner Arbeit »The Theory of the ParentInfant Relationship« (1960) mit dem Untertitel »The Word Infant« darlegt, »bedeutet das Wort Infant [zu deutsch: Säugling] in Wirklichkeit ›nicht sprechend‹ (infans) und es ist nicht ohne Nutzen, sich das Säuglingsalter als den Lebensabschnitt vor der Einführung von Worten und dem Gebrauch verbaler Symbole zu denken«.1 Die doppelte Verneinung, die sich in Winnicotts Schriften oft findet, mag Ausdruck eines Zweifels sein. Aber während für Freud die Psychoanalyse im Wesentlichen eine »Redekur« war, die voraussetzt, dass zwei Menschen miteinander sprechen, wurde für Winnicott die Mutter-KindBeziehung, bei der die Kommunikation relativ averbal bleibt, zum Paradigma für den analytischen Prozess, und das ändert die Rolle, die der Deutung bei der psychoanalytischen Behandlung zukommt. Für den neurotischen und den psychotischen Patienten, für das Kind wie für den Erwachsenen stellen Deutungen eine ausgeklügelte Erweiterung von Kinderfürsorge dar, wenn es auch ein wesentlicher Teil der ursprünglichen Absicht des Analytikers in der Behandlung ist, eine Atmosphäre zu schaffen und aufrechtzuerhalten, die einem Wachstum förderlich ist. Für 173
Winnicott war das entscheidende Charakteristikum des analytischen Settings nicht ausschließlich der verbale Austausch. In der British School wurde Linguistik nie als eine zur Ergänzung der Psychoanalyse notwendige Disziplin erachtet. Sprache erweitert in Winnicotts Entwicklungstheorie bloß die Fähigkeit des Kindes, sich mitzuteilen und sich abzugrenzen, sie gilt ihm nicht selbst als identitätsbildend. Winnicott beispielsweise stellt keinen Zusammenhang her zwischen dem Spracherwerb des Kindes und dem Übergang von einer Zwei-Personenzu einer Drei-Personen-Beziehung. Er glaubte an Kontinuität und nicht an einen entscheidenden Unterschied zwischen »der lebenswichtigen subtilen Kommunikation von der Art der Mutter-Kind-Beziehung«, wobei das Kind spielt und zu sprechen beginnt, und dem erwachsenen Sprechen. Und er setzte sich verschiedentlich vergnügt über den Unterschied von Sprache und anderen Äußerungsformen hinweg. Wenn er Kinderanalyse und die Analyse von Erwachsenen einander gegenüberstellte, schrieb er: »Der Unterschied zwischen dem Kind und dem Erwachsenen ist lediglich, dass das Kind öfter spielt als redet. Der Unterschied ist jedoch unbedeutend und es gibt immer wieder Erwachsene, die zeichnen oder spielen.«2 Diese Unterscheidung scheint Winnicott relativ unwichtig, weil es andere Mittel gibt, um sich zu verständigen; zu reden ist nur ein Teil des gesamten Repertoires. Sprache ist etwas, das, wie Winnicott meint, später bloß zu der anfänglichen Fähigkeit des Säuglings zu kommunizieren »hinzugefügt« wird. Winnicott baut auf sozialen Fähigkeiten auf, die von Anfang an der Sprachentwicklung vorausgehen. Der Säugling spricht nicht, dennoch überlebt er, denn er kommuniziert mit einem Objekt, das ihn wahrnimmt. Winnicotts Verwendung eines vorsprachlichen Modells – der Mutter-Kind-Beziehung – hat aber für die Behandlung mit Worten, die das bezeichnende Charakteristikum der Psychoanalyse ist, problematische Implikationen. Winnicott hat sich theoretisch nie mit dem Unterschied befasst, der durch die Einführung der 174
Sprache entsteht, wie auch nicht mit jenem, der durch das Auftauchen des Vaters entsteht. Und über das Säuglingsalter, so ist anzunehmen, kann man reden und es darstellen, doch kann es nie für sich selbst sprechen. Es ist von all dem ausgeschlossen, was Sprache ermöglicht und wovon die Psychoanalyse wesentlich abhängt. Kann das, was im Körper vor jedem Reflektieren und ohne Sprache erlebt wird, mit Sprache angegangen werden? Winnicott meint, es gebe eine Sprache der mütterlichen Fürsorge, die nicht bloß aus Worten besteht. Die analytische Deutung mit Worten kommt für Winnicott einer Form mütterlicher Fürsorge gleich. »Was für den Patienten wichtig ist«, schreibt er – und Winnicott ist immer darauf bedacht, sich mit dem zu beschäftigen, was für den Patienten wichtig ist –, »ist nicht so sehr, ob die Deutung zutrifft, als das Bemühen des Analytikers, helfen zu wollen, die Fähigkeit des Analytikers, sich mit dem Patienten zu identifizieren und ernst zu nehmen, was dieser benötigt, und darauf einzugehen, sobald dieses Bedürfnis geäußert wird, sei das verbal oder in einer nonverbalen oder präverbalen Sprache«.3 Der Akt der Deutung ist neben seinem verbalen Gehalt auch ein Ausdruck mitdenkender und mitfühlender Fürsorge; er entsteht aus der Identifikation mit dem Patienten – das heiß der Fähigkeit, sich bis zu einem gewissen Grad vorzustellen, was es bedeutet, in diesem Augenblick dieser Mensch zu sein – mit der nicht auch automatisch zu erwartenden Konsequenz, »an das zu glauben«, was er nötig hat. Identifikation bedeutet hier für Winnicott ein Engagement, analog dem primären mütterlichen Ausgerichtetsein auf das Kind. Der Ablauf, der aus gutem Willen, Glaube an, und Eingehen auf … besteht, erinnert in der Tat an seine fast religiöse Vorstellung der »gewöhnlichen Hingabe« der Mutter an ihr Kind (wenn auch »gewöhnlich« und »natürlich« in Winnicotts Schriften oft Ausdruck seines 175
Wunschdenkens sind). Winnicott zufolge »enthüllt« der Analytiker dem Patienten nicht bloß, wie Freud schrieb, »die geheime Bedeutung seiner Einfälle«,4 er benutzt die Deutung, um mütterliche Fürsorge zu zeigen. Das analytische Setting ist ein Milieu für persönliches Wachstum und nicht nur für die Darbietung einer glaubwürdigen Übersetzung der Sprache des Unbewussten. Wenn es wirklich »diese angeborenen Neigungen in Richtung Integration und Wachstum sind und nicht der Beitrag der Umgebung, die gesund machen«,5 dann ist es mit demselben Recht »axiomatisch«, schreibt Winnicott, »dass die Arbeit in der Analyse von dem Patienten vollbracht wird.«6 Der Analytiker fördert dies wie die Mutter, indem er die Kommunikation und deren Wertschätzung möglich macht. So wie man das Stillen als eine mütterliche Deutung des kleinkindlichen Weinens betrachten kann, können die verbalen Deutungen für den Patienten wie ein sprachliches Stillen sein. Für Winnicott sind dies einfache und zutreffende Äquivalente auf einem Entwicklungskontinuum. In »The Theory of the Parent-Infant Relationship« schildert er, was mittlerweile ein vertrauter Vorgang ist. Zu Beginn scheint es, wie wir uns erinnern, als wäre der Säugling mit der Mutter verschmolzen, die für ihn »ein fast magisches Verständnis für [seine] Bedürfnisse zu haben scheint«. Wenn die beiden sich aus der Verschmelzung lösen und es zu »einer Entwirrung von mütterlicher Fürsorge und einem etwas, das wir dann Säugling nennen«, kommt, bemerkt die Mutter, dass der Säugling von ihr nicht mehr dieses magische Verständnis erwartet. »Die Mutter scheint zu spüren«, schreibt er, »dass der Säugling über eine neue Fähigkeit verfügt, ein Signal auszusenden, das sie leitet, sodass sie seinen Bedürfnissen nachkommen kann. Wenn sie jetzt, könnte man sagen, zu gut weiß, was der Säugling braucht, dann wäre das Magie und keine gute Voraussetzung für eine Objektbeziehung.«7 In dem Stadium gegenseitiger Verschmelzung ist die Mutter ausschließlich ein subjektives Objekt, das allem, was der Säug176
ling sich als Signal irgendwelcher Bedürfnisse auch nur vorstellen könnte, zuvorkommt. Wenn sie »zu gut Bescheid weiß«, dann befindet sich der Säugling aus seiner Sicht nicht im Kontakt zu einem äußeren Objekt. Winnicott sieht in dieser Entwicklung vom Verschmolzensein zum Getrenntsein, in dem Bedürfnis nach einer Sprache – immer vorausgesetzt, die mütterliche Fürsorge sei ausreichend gut –, einen natürlichen Vorgang. Und er nimmt an, die Fähigkeit des Säuglings Signale auszusenden, entspreche dem erwachsenen Umgang mit Sprache; Sprache als ein ausgeklügeltes Aussenden von Signalen. So kann Winnicott auch einen direkten Vergleich anstellen zwischen dem Säugling, der Signale an seine Mutter aussendet, und dem Patienten, der in der Analyse spricht. »Es ist sehr wichtig«, schreibt er, »außer, der Patient sei in einen ganz frühkindlichen Zustand regrediert, dass der Analytiker die Antworten nicht kennt, es sei denn der Patient gibt ihm Hinweise.«8 Magische Deutungen machen es dem Patienten unmöglich, eigenständig zu sein; sie berauben ihn seines eigenen Verstandes. Dann ist nicht mehr die Mutter gefragt, die ihr Kind säugt, sondern das Kind, das seiner Mutter die Gelegenheit gibt, es zu säugen. Die Hinweise des Patienten erleichtern die Deutungskapazität des Analytikers. »Die Frage ist dann nicht so sehr, ob das Baby zufriedengestellt wird« – und unausgesprochen gilt weiterhin der Vergleich mit der analytischen Situation –, »sondern dass man das Baby das Objekt finden und mit ihm fertig werden lässt.«9 Aus einer kritischen Haltung gegenüber dem »schweigenden Analytiker« stellt Winnicott dennoch Deutungen zur Verfügung, denn, wie er sagt, »wenn ich das nicht täte, erhält der Patient den Eindruck, ich wüsste alles. Mit anderen Worten, ich enthalte ihm irgendetwas Gutes vor, weil ich mich verwirren lasse – oder mich vielleicht sogar irre.«10 Winnicott ist äußerst misstrauisch gegenüber der Möglichkeit, der Analytiker könnte in der analytischen Situation zu einem betrügerischen Verführer in der Art einer allwissenden Mutter werden. 177
Seine Absicht ist, ein aufmerksames, aber nicht unrechtmäßig übergriffiges Objekt zu sein. Mit kurzen »ökonomischen« Deutungen – »ich mache nie lange Sätze, außer wenn ich sehr müde bin«11 – signalisiert er dem Patienten, dass er nicht das Platzrecht beansprucht. Und weil seiner Ansicht nach die MutterKind-Beziehung durch Gegenseitigkeit gekennzeichnet ist – jene »Illusion«, die durch wechselseitige Partizipation in Gang gehalten wird und den Austausch zwischen ihnen ermöglicht –, bekommt das Gespräch, das zur Psychoanalyse nun einmal wesentlich gehört, etwas Spielerisches. Für Winnicott ist das Gegenteil von Spiel nicht Arbeit, sondern Zwang. Das bedeutet natürlich, der Analytiker muss auch spielen können. Die Kommunikation findet in diesem Übergangraum statt, wo die Bereiche des Analytikers und des Patienten einander überschneiden. Das Spiel hört auf, wenn einer der beiden Teilnehmer dogmatisch wird, wenn der Analytiker dem Patienten eine Schablone aufzwingt, die nicht aus demselben Guss ist wie dessen Material. »Eine Deutung außerhalb des Bereichs, wofür das Material reif ist«, schreibt Winnicott, »ist eine Indoktrination und erzeugt Anpassung. Folglich muss eine Deutung, die sich außerhalb des Bereiches des gemeinsamen Spiels von Patient und Analytiker bewegt, mit Widerstand rechnen.«12 Es gibt keine richtige Deutung, die der Patient nicht akzeptiert. Der Widerstand des Patienten ist nach Winnicotts Ansicht nicht integraler Bestandteil des analytischen Unterfangens, wie Freud meinte, sondern spiegelt das Unvermögen des Analytikers, zu spielen. Auf eine inakzeptable Deutung kann der Patient nur wie auf eine Beeinträchtigung durch die Mutter reagieren, indem er sie nicht annimmt und von ihr keinen Gebrauch macht. »Eine Deutung, die nicht funktioniert«, schreibt Winnicott in der Einführung zu »Therapeutic Consultations in Child Psychiatry«, »bedeutet immer, dass ich die Deutung im falschen Moment oder in der falschen Art und Weise gemacht habe, und ich ziehe sie bedingungslos zurück. […] eine dogmatische Deutung lässt dem Kind nur zwei Möglichkeiten: das, was ich gesagt habe, als Pro178
paganda zu erkennen oder die Deutung und mich und das ganze Drumherum abzulehnen.«13 Winnicott meint, das Kind wisse, was für es interessant sei; die Deutung kann, genauso wie der Spatel, nicht in den Mund des Patienten hineingezwungen werden. Sie ist da, damit von ihr Gebrauch gemacht werde; so wie Winnicott das Übergangsobjekt geschildert hatte, das benutzt und nicht verehrt oder kopiert wird, und dem man sich auch nicht anpasst. Und weil es seiner Natur nach vorübergehend ist, auf ein unbekanntes Ziel hin gerichtet, kann es niemals endgültig sein. Eine gute Deutung, könnte man sagen, ist etwas, das den Geist des Patienten erheitert. Sie ist kein Passwort. Da Winnicott, wie wir gesehen haben, ständig eher von dem Vergänglichem im menschlichen Leben und nicht von dem Endgültigen fasziniert war – dem Wachstum zugetan, nicht dem Sammeln von festen Überzeugungen –, stand die Deutung immer im Dienst eines Entwicklungsprozesses, bei welchem Erkennen und Erkanntwerden für ihn zunehmend gleichwertig wurden. Das letzte Jahrzehnt seiner Arbeit ist von einer tiefen Ambivalenz betreffend die Erkennbarkeit des Selbst gekennzeichnet, die Hand in Hand mit einer gewissen Zurückhaltung geht, was den Wert des Analytikers als eines Deutenden angeht. Für beide, Analytiker wie Patient, ersetzte das Spielen das Wissen als Ziel und Mittel der Analyse. Die Mutter und ihr späteres Gegenstück, der Analytiker, können etwas ermöglichen, sollen aber nach Winnicotts Meinung weder informieren noch belehren. Sie beide sind Personen, die einen beginnenden Entwicklungsprozess ermöglichen, den sie nicht erfunden haben, und bei dem der Wunsch, etwas umfassend zu verstehen, sich erübrigt. »Es gibt jene, die Angst haben zu warten und die implantieren«, schreibt Winnicott und trifft eine Unterscheidung, die für sein Werk zentral ist, »so, wie es die gibt, die warten und die Ideen und Erwartungen bereithalten, die das Kind nützen kann, wenn es eine neue Integrationsstufe seiner Entwicklung und die Fähigkeit zu objektivem Abwägen erreicht hat.«14 Im Spiel beginnt das Kind die Dinge, für die es reif ist, 179
die es interessieren und an denen es Freude hat, in sein persönliches Beschäftigungsmuster einzubauen. In diesem Sinn war für Winnicott für den Entwicklungsprozess die Fähigkeit zu spielen wesentlich, nicht aber die Fähigkeit, die er kaum je erwähnt, die aber das psychoanalytische Vorhaben bestimmt hatte, die Fähigkeit, sich selbst kennenzulernen. Einsicht ist ein Wort, das er kaum je verwendet und das man auch in den Inhaltsverzeichnissen seiner Bücher nicht findet. Spielen bedeutet, mit Vergnügen dasjenige zu entdecken, was einen interessiert. Definitionsgemäß handelt es sich dabei aber um ein vorübergehendes Wissen, das kreativ bleibt, weil es nie abschließend ist. Und obwohl es sich um Wortspiele handelt, ist das Spielen nicht ausschließlich verbal.
II »Die Psychoanalyse«, schrieb Winnicott in seinem letzten Buch »Playing and Reality«, »wurde als eine hoch entwickelte Form des Spielens im Dienste der Kommunikation mit sich selbst und anderen entwickelt«.15 In seinem Spätwerk wurde die Kommunikation mit sich selbst, die dazu führen kann, dass man mit niemandem sonst kommuniziert, für Winnicott zu einem zentralen Anliegen. Sie ist das Thema seiner bedeutendsten Arbeit, »Communicating and Not Communicating Leading to a Study of Certain Opposites« (1963).16 Seine mehr als vierzig Jahre andauernde Beschäftigung mit der Frage der Abhängigkeit und der Mutter-Kind-Beziehung hatte ihn zu der Überzeugung von »der ständigen Isolation des Individuums« geführt. Das Paradox, das er zu formulieren begonnen hatte, war, dass der Säugling – wie der Adoleszente, über den er in seinem letzten Lebensjahrzehnt nur Kraft seiner Autorität schreiben konnte – ein isoliertes Wesen ist, das das Objekt vor allem benötigt, um die Privatsphäre seiner Isolierung zu schützen. »Wir können«, schreibt er, »den Hass verstehen, den Menschen 180
gegenüber der Psychoanalyse empfinden, weil diese tief in die menschliche Persönlichkeit eingedrungen ist und für das Individuum, das sein Geheimnis und seine Einsamkeit hüten muss, eine Bedrohung darstellt. Winnicott äußert sich hier ganz entschieden zu einer seiner Lieblingsideen, der Idee des Persönlichkeitsschutzes. Man kann diese Arbeit, so denke ich, unter anderem als Winnicotts verspäteten Versuch ansehen, seinen eigenen Widerstand gegen die Psychoanalyse zu verstehen, was ihn veranlasste, das Selbst als im Wesentlichen geheim zu definieren. Adoleszente, so meint er, »gehen einer psychoanalytischen Behandlung aus dem Weg, obwohl sie sich für psychoanalytische Theorien interessieren«, weil »es Teil ihrer Identitätssuche und wichtig für das Finden eines individuellen Kommunikationsstils ist, der das zentrale Selbst nicht verletzt, die persönliche Isolation zu hüten«.18 Die Verletzung des zentralen Selbst nimmt Bezug auf den Verrat an dem Selbst, der seine Wurzeln in der Anpassung hat; Identität hängt für Winnicott mit der Suche nach einem persönlichen Kommunikationsstil zusammen, der nicht durch Zugeständnisse an das Objekt korrumpiert ist. In »Morals and Education« (1963) misst er explizit denjenigen Menschen großen Wert zu, »die nicht nachahmen und sich anpassen, sondern sich authentisch in Richtung ihrer persönlichen Ausdrucksweise entwickeln«.19 Weil er sein eigenes Bauchreden, das heißt die Neigung, die Sprache eines anderen zu sprechen, fürchtete – was Sprache bis zu einem gewissen Grad ja immer ist –, neigte er dazu, die persönliche innere Stimme zu idealisieren, in der Hoffnung, damit auch deren Möglichkeiten zu schützen. Sein Werk war zunehmend durch den Versuch charakterisiert zu verstehen, was es ist, das das Erstarken der individuellen inneren Stimme behindert. Das »Gefahrenmoment« der Psychoanalyse, so meinte er, ließe sich an jenem spezifischen Punkt der Entwicklung lokalisieren, den wir betrachtet haben und auf den er sich in seinen späteren Schriften immer wieder bezieht: den Moment, wenn 181
der Analytiker in der Übertragung von einem subjektiven Objekt zu einem Objekt wird, das objektiv wahrgenommen wird. In solchen Momenten kann die Omnipotenzerfahrung des Patienten Schaden erleiden und der Analytiker zu einem Störfaktor werden: »Hier kann es gefährlich werden, wenn der Analytiker deutet, anstatt zu warten, bis der Patient selbst kreativ entdeckt […]. Wenn wir warten, werden wir objektiv wahrgenommen in einem, dem Patienten gemäßen Tempo, aber wenn es uns nicht gelingt, uns so zu verhalten, dass wir den analytischen Prozess des Patienten ermöglichen (was das Äquivalent zu dem Reifungsprozess des Säuglings und des Kindes ist), werden wir plötzlich für den Patienten zu einem Nicht-Ich und dann wissen wir zu viel und werden gefährlich, weil wir dem zentralen, geheimen Ort der Ich-Organisation des Patienten zu nahe kommen.«20 Die Deutung ist für den Patienten wie das Objekt nur gut, wenn er das Gefühl hat, sie selbst verursacht zu haben: Und doch, schreibt Winnicott, »muss das Objekt vorgefunden werden, damit es erschaffen werden kann. Das muss man als Paradox akzeptieren.« Analytiker und Patient arbeiten, wie Mutter und Kind, in diesem intermediären illusionären Raum, der immer in Gefahr ist, durch ein zu frühes Eingreifen beschädigt zu werden. In dieser Arbeit lässt Winnicott durchblicken, dass Sprache in Gestalt einer richtigen Deutung, für die der Patient noch nicht reif ist, sein innerstes Sein treffen und ganz primitive Abwehrvorgänge auslösen kann. Plötzlich kann Sprache eine unerwartete Macht bekommen. »Vergewaltigung und von Kannibalen aufgefressen zu werden«, schreibt Winnicott, »sind Bagatellen, verglichen mit einer Verletzung des zentralen Selbst, einer Veränderung der zentralen Anteile des Selbst durch eine Mitteilung, die durch die Abwehr gedrungen ist.«21 Sprache kommt in diesem Kontext einem potentiell Schrecken ver182
breitenden, mütterlichen Objekt gleich. Als Winnicott diese Arbeit schrieb, sagt er, habe er bemerkt, dass er »eine Grenze abgesteckt habe, zu meiner Überraschung, dass ich das Recht habe, mich nicht mitzuteilen. Dies war ein Protest aus meinem Kern, eine Reaktion auf die erschreckende Fantasie, man könnte mich ausbeuten ohne Ende … die Fantasie, jemand könnte mich ausfindig machen.«22 Für Winnicott macht Überraschung authentisch: Was er meint, ist, es gebe ein primitives Erschrecken in Form einer einfachen Gleichung – geortet zu werden, bedeute ausgebeutet zu werden. Und für ihn ist klar, ein Mensch könne mittels Sprache geortet werden. Der Analytiker, der zu viel deutet, wird zu der tyrannischen Mutter, und Sprache ist ein wesentlicher Bestandteil ihrer Macht. Winnicott nimmt diese Arbeit zum Anlass, um zwischen »pathologischem Rückzug und gesundem, wichtigem Kontakt mit sich selbst« zu unterschieden: das Bedürfnis des Kindes, sich vor der zudringlichen Mutter in sich selbst zurückzuziehen, jener Mutter, die ihrem Säugling einen befriedigenden Kontakt mit sich selbst ermöglicht hatte. Den Ursprung dieser Befriedigung vermittelnden Vereinigung mit sich selbst schildert er in einer ergänzenden Arbeit, »The Capacity to be Alone« (1958),23 am Beispiel des Kindes, das in Gegenwart der Mutter zufrieden mit sich selbst allein ist. Die Beziehung des Menschen zu sich selbst beginnt in Winnicotts Theoriebildung einen zentralen Platz einzunehmen. Winnicott zählt ein Repertoire von drei »Formen« von Kommunikation auf. »Unter den bestmöglichen Umständen«, schreibt er, »findet Wachstum statt und das Kind verfügt jetzt über drei Kommunikationsbahnen: Kommunikation, die für immer schweigt, Kommunikation, die explizit ist, indirekt und angenehm, und diese dritte oder intermediäre Form der Kommunikation, die aus dem Spiel entsteht und zu kulturellen Erfahrungen jedweder Art führt.«24 183
Die erste Art von Kommunikation, meint Winnicott in einer verwirrenden doppelten Verneinung, sei »nicht nonverbal; sie ist, wie die Sphärenmusik, absolut persönlich. Sie hängt mit dem Umstand zusammen, dass man lebt«.25 Winnicott tischt hier ein schwer verständliches Paradox auf, indem er sich mit dem möglichen Widerspruch einer privaten Sprache einlässt (Wie kann man eine solche erlernen und woher kommt sie, wenn nicht von außen?). Obwohl er dies hier nicht so sagt, stellt vielleicht der Traum das überzeugendste Beispiel dafür dar, wovon er spricht. Aber die Sphärenmusik – die man, wie den Traum, nicht hört – entsteht, wie Pythagoras sagt, durch die ihrem Wesen nach harmonische Bewegung der Sphären. Diese konfliktfreie Analogie benutzt Winnicott, um seine bevorzugte Form der Kommunikation zu zeigen, die für ihn mit dem Gefühl verbunden ist, sich als wirklich zu empfinden. Die zweite Form von Kommunikation assoziiert Winnicott mit verbaler Sprache. Indem man, wie er sagt, indirekt, aber explizit ist – eine kurioses Mixtum von Ideen über Sprache –, schützt Sprache das Abgesondertsein, die Einsamkeit des Selbst. Er bezieht sich auf Kinder, die zu »Meistern verschiedener Techniken indirekter Kommunikation«26 werden, als ob diese Techniken eine Art von Übergangsobjekten wären, denen man sich nicht anpasst, sondern von denen man Gebrauch macht. Dazu wäre anzumerken, dass es sinnlos würde, wenn die Sprache subtiler wäre als diejenigen, die sich ihrer bedienen. Und Winnicott stellt nie klar, in welchem Grad die Mutter durch den Erwerb von Sprache zu einem Objekt wird, das objektiv wahrgenommen wird, oder ob Sprache als Folge dieses Prozesses erworben wird. Gewiss hat Sprache gemäß dieser Ansicht etwas Verbindendes, wie andere Übergangsphänomene auch, indem sie trennt; und hat, indem sie die Mutter und das sich entwickelnde Kind verbindet, auch etwas Trennendes. Die dritte, intermediäre Form von Kommunikation, sagt Winnicott, stelle »einen höchst wertvollen Kompromiss« zwischen den beiden anderen Formen dar, einen Kompromiss zwischen Sprechen und Schweigen. 184
Für Winnicott liegt der wesentliche Gesichtspunkt dieser Arbeit jedoch darin, dass Kommunikation mit einem äußeren Objekt ein kompromittierendes Zugeständnis vom Selbst verlangt. Das Objekt verlangt immer bis zu einem gewissen Grad Anpassung. »Im Kern des Individuums«, schreibt Winnicott, »gibt es keine Kommunikation irgendeiner Art mit der NichtIch-Welt.«27 Gleichzeitig gibt es da einen Widerspruch, den er nicht auflösen kann. Er behauptet, im Kern des Selbst herrsche absolute Isolation, sagt dann aber, das Problem des Individuums liege darin, seine Isolation zu wahren, ohne sich zu isolieren. Es ist, als ob zu Ende seines Lebens die Frage von Getrenntsein und Verbundensein, mit der er sich immer herumgeschlagen hatte, sich von einem zwischenmenschlichen Problem zwischen Mutter und Kind zu einem intrapsychischen Problem der Beziehung eines Menschen zu seinem eigenen Kern gewandelt hätte. Es lohnt sich, nochmals darauf hinzuweisen, dass Winnicott sich bei der Schilderung eines »essentiellen« Selbst einer Sprache bedient, die er von einer einfacheren Form organischen Lebens entlehnt: Der Kern ist das zentrale Gehäuse einer Frucht, das die Samen enthält. Winnicott macht in dieser Arbeit die Anregung, dass zu der gewöhnlichen menschlichen Entwicklung eine benigne Form von Persönlichkeitsspaltung gehöre, wie man sie sonst nur bei schwerwiegenden psychischen Störungen findet. »Die traumatischen Erfahrungen, die zu primitiven Abwehrstrategien führen, hängen«, schreibt er, »mit der Bedrohung des isolierten Kerns zusammen, der Drohung, er könnte entdeckt und verändert werden und dass jemand mit ihm in Kontakt treten möchte. Diese Abwehr entsteht dadurch, dass das verborgene Selbst sich noch tiefer verbirgt.«28 Alle psychoanalytischen Theoretiker, könnte man sagen, errichten ihre Theorie rund um etwas, dass man als Kernkatastrophe bezeichnen kann; für Freud war das die Kastration, für Klein der Triumph des Todestriebes, und für Winnicott war es die Vernichtung des Kerns durch fremdes Eindringen, durch ein Versagen des haltenden Um185
felds. Um dieses Versteckspiel des Selbst zu verstehen, untersucht Winnicott näher, was er die beiden Gegenpole der Kommunikation nennt. Der eine besteht aus einem »einfachen Nichtkommunizieren«, der andere aus einem »aktiven oder reaktiven Nichtkommunizieren«. Einfaches Nichtkommunizieren ist wie eine Ruhepause, nach der man, und entsprechend dem eigenen Zeitempfinden, wieder zur Kommunikation zurückkehrt. Winnicott beschäftigt die zweite Form, in der sich Gesundes und Krankes überlappen. Wenn die mütterliche Fürsorge versagt – und definitionsgemäß muss sie immer bis zu einem gewissen Grad versagen –, dann »hat der Säugling, was seine Objektbeziehungen betrifft, eine Spaltung entwickelt«.29 Mit der einen Hälfte der Spaltung bezieht er sich auf das ihm zur Verfügung stehende Objekt und entwickelt, um das tun zu können, ein Falsches Selbst, das sich anpasst; mit der anderen Hälfte bleibt er auf ein subjektives Objekt, eines, das er selbst erfunden hat, bezogen. Dies führt zu »aktiver Nichtkommunikation mit dem, was der Säugling objektiv wahrnimmt«. Trotz der seelischen Verarmung, die die Spaltung verursacht – infolge Wegfallens der Modifikation und der Bereicherung von außen –, »trägt«, wie Winnicott sagt, diese Kommunikation mit subjektiven Objekten »alle Anzeichen von Realität«.30 Bei dem, was er die »leichteren Krankheiten«, die alltäglichen Neurosen nennt, komme immer ein gewisses Ausmaß an aktiver Nichtkommunikation vor, »weil Kommunikation so leicht mit einer falschen oder angepassten Objektbeziehung einhergeht, muss von Zeit zu Zeit eine stille oder heimliche Kommunikation mit subjektiven Objekten, der ein Anschein von Realität eigen ist, erfolgen, um das Gleichgewicht wieder herzustellen.«31 Objektbeziehungen, sagt Winnicott, sind immer ein wenig stressig. Doch sollten wir uns klar machen, dass Heimlichkeit etwas anderes ist als Verschwiegenheit; ein Geheimnis kann man herausfinden, Verschwiegenheit ist sozusagen unsichtbar. Beide Begriffe gebraucht Winnicott, wenn er über das Wahre Selbst spricht. 186
In der gesunden Person, schreibt Winnicott, gibt es eine Entsprechung – was er enigmatisch als »etwas, das mit etwas anderem in Einklang steht«, bezeichnet –, »der Zustand der gespaltenen Person, in der ein Teil der Spaltung in aller Stille mit subjektiven Objekten kommuniziert. Es gibt Anhaltspunkte für die Vorstellung, dass wesentliche Bezugnahmen und Kommunikationen in aller Stille ablaufen.« Es gebe, sagt er weiter, und das hört sich an wie ein Glaubensartikel, »einen gesunden Einsatz von Nichtkommunikation, wenn das Gefühl für Realität etabliert wird«.32 Das Gefühl von Wirklichkeit, das für Winnicott gleichbedeutend mit Gesundheit und Entwicklung ist, entsteht weder durch Sprache noch ausschließlich in Beziehung zu einem Gegenüber, obwohl der Kontakt zu sich selbst, wie er ihn darstellt, nur dank der Erfahrung einer genügend guten frühen Fürsorge denkbar ist, die die Möglichkeiten des Selbst schützt. So ist für Winnicott das, was man nonverbales Schweigen in der analytischen Behandlung nennen könnte, potentiell ebenso fruchtbar wie verbaler Austausch: Ausdruck des geheimen Stoffwechsels des Selbst. In dieser Weise ermöglicht Freuds Werk in der Weiterführung durch Winnicott eine neue Art von Schweigen. Und wirklich mag eines der Ziele der Analyse sein, im Patienten solche Formen von Stille zu ermöglichen. Winnicott bezeichnet das Selbst in dieser Arbeit als isoliert, geheim und verschwiegen. Das kann nur im Sinne einer tiefen Ambivalenz betreffend den Wert des Kommunizierens mit äußeren Objekten verstanden werden. »Das Individuum weiß«, schreibt er, »dass (das Wahre Selbst) nicht mit der äußeren Realität in Kontakt kommen und durch sie beeinflusst werden darf«33. Das klingt, als ob Kommunizieren gleichbedeutend mit Beeinflussung, und Beeinflussung von Übel wäre. (Eine Arbeit, die dieser lange vorausging, trug den Titel »On Influencing and Being Influenced«, 1941.34) »Obwohl gesunde Menschen kommunizieren und Freude daran haben, ist gleichermaßen auch wahr«, schreibt er, »dass jedes Individuum isoliert ist, ständig nichtkommuniziert, ständig unbekannt bleibt, in Wirklich187
keit unentdeckt.«35 Hier ist Winnicott ungewöhnlich insistierend. Einerseits ist dies ein leidenschaftliches Bekenntnis zu der Privatsphäre des Selbst. Andererseits könnte aber auch zutreffen, dass das Bedürfnis nach Privatsphäre und die Ängste, ausgebeutet zu werden, sich gelegentlich wieder melden, wenn der Analytiker sich als primäres mütterliches Objekt zur Verfügung stellt. Wiederum ist es die Figur des Künstlers, die das Streben nach Authentizität verkörpert, das für Winnicott für die Integrität des Seins exemplarisch ist, die er über alles schätzt. »Bei Künstlern aller Art«, schreibt er, »beobachtet man ein eigenes Dilemma, dass von der Koexistenz zweier Tendenzen herrührt, dem dringenden Bedürfnis, sich mitzuteilen, und dem oft noch dringlicheren Wunsch, unentdeckt zu bleiben. Dies mag die Tatsache erklären, dass wir uns keinen Künstler vorstellen können, der je an das Ende seiner künstlerischen Aufgabe gelangen würde, die sein ganzes Wesen in Anspruch nähme.«36 Entwicklung ist für Winnicott primär vergleichbar mit dem Werk des Künstlers, dessen dringendstes Bedürfnis, wie er jetzt in den letzten Jahren seines Lebens glaubte, es sei, nicht entdeckt zu werden. Für Freud gab es gegen Ende seines Lebens den Konflikt zwischen dem Lebens- und dem Todestrieb, Eros und Thanatos. Für Winnicott war es der Konflikt zwischen zwei Tendenzen: sich mitzuteilen und sich zu verbergen. Das Selbst ist definitionsgemäß schwer fassbar, es ist ein großer Versteckspieler. In einer Rezension von Jungs Autobiographie, »Erinnerungen, Träume, Gedanken«, wo Winnicott so viel wie kaum sonst preisgibt, meint er: »Wenn ich sage wollte, Jung sei verrückt gewesen und habe sich davon erholt, würde ich damit nichts Schlimmeres sagen, als wenn ich sagte, ich sei psychisch gesund gewesen und hätte mir durch meine Analyse und Selbstanalyse ein gewisses Maß an Verrücktheit angeeignet. Freuds Flucht in 188
die seelische Gesundheit wäre etwas, wovon wir Psychoanalytiker uns zu erholen versuchen, so wie die Jungianer versuchen, sich von Jungs ›gespaltenem Selbst‹ und der Art und Weise, wie er damit umging, zu erholen.«38 Indem er sich in diese Tradition einreiht, stellt Winnicott uns vor die Wahl: seelische Gesundheit, ein gespaltenes Selbst oder sich »ein gewisses Maß an Verrücktheit anzueignen«. Das ist einer seiner typischen paradoxen Aussprüche. Wenn es Winnicottianer gäbe, müssten sie sich von seiner Flucht in das Säuglingsalter, von seiner Flucht vor der Erotik erholen. Ich denke jedoch, sein gewisses Maß an Verrücktheit ist anregend.
189
Zeittafel
1896 Geboren am 7. April in Plymouth als Kind methodistischer Eltern. Jüngster von drei Geschwistern (seine Schwestern waren Violet, geb. 1890, und Cathleen, geb. 1891). Der Vater, John Frederick Winnicott, war Miederwarenfabrikant, geboren 1855, ein Jahr vor Freud. 1910 Besuch der Leys School in Cambridge, Fachrichtung Wissenschaften. 1916 Besuch des Jesus College, Cambridge, um Medizin zu studieren. 1917 Im November Eintritt in die Marine, dortiges Verbleiben bis Kriegsende. 1918 Eintritt in das Bart’s Hospital in London, um sich medizinisch weiterzubilden. 1919 Erste Lektüre von Freuds »Traumdeutung« in der Übersetzung von Abraham Arden Brill. 1920 Beginn der Facharztausbildung in Kinderheilkunde. 1923 Konsiliararzt in Kinderheilkunde am Paddington Green Children’s Hospital und am Queen’s Hospital in Hackney. Heirat 191
mit Alice Taylor, einer Keramikerin. Beginn der Analyse bei James Strachey, die bis 1933 dauert. 1924 Eröffnung einer eigenen ärztlichen Praxis in Harley Street. Der Vater wird zum Ritter geschlagen. 1925 Die Mutter stirbt. Melanie Klein referiert in London vor der British Society. 1926 Klein zieht nach London. 1931 Veröffentlichung des ersten Buches, »Clinical Notes on Disorders of Childhood«. 1933–1938 In Analyse bei Joan Rivière. 1935 Bewirbt sich um die Mitgliedschaft in der British Psychoanalytical Society, trägt dort »The Manic Defence« vor. 1940 Ernennung zum Psychiatrischen Berater des Government Evacuation Scheme im County of Oxford; während des Krieges Radiovorträge für Mütter. 1944 Ernennung zum Fellow of the Royal College of Physicians. 1948 Am 31. Dezember stirbt der Vater. Winnicott erleidet seinen ersten Herzinfarkt. 1949 Scheidung von seiner Frau. 192
1951 Heirat mit Clare Britton. 1956–1959 Präsident der British Psychoanalytical Society. 1957 Veröffentlichung einer Sammlung von Radioansprachen und Vorträgen für Laien: »The Child and the Family: First Relationships und »The Child and the Outside World: Studies in Developing Relationships«. 1958 Veröffentlichung des ersten Buchs mit psychoanalytischen Arbeiten, »Collected Papers: Through Paediatrics to Psycho-Analysis«. 1964 Veröffentlichung von »The Child, the Family, and the Outside World« (ein Sammelband aus den beiden 1957 veröffentlichten Büchern) und von »The Family and Individual Development«. 1965 Veröffentlichung des zweiten Bands gesammelter Werke, »The Maturational Processes and the Facilitating Environment: Studies in the Theory of Emotional Development«. 1965–1968 Neuerlich Präsident der British Psychoanalytical Society. 1968 Verleihung der James Spence Medal for Paediatrics; schwerwiegender Herzinfarkt in New York. 1971 Winnicott stirbt am 25. Januar in London. Posthume Veröffentlichung von »Playing and Reality« und danach »Therapeutic Consultations in Child Psychiatry«. 193
Anmerkungen
Einführung 1 Zit. in Davis u. Wallbridge, 1983, S. 24. 2 »Transitional Objects and Transitional Phenomena« (1951), Winnicott, 1971a, S. 26. 3 »Paediatrics and Psychiatry« (1948), Winnicott, 1958, S. 161. 4 »Counter-Transference« (1960), Winnicott, 1965, S. 158. 5 »Communicating and Not Communicating« (1963), Winnicott, 1965, S. 187. In Winnicott, 1988, S. 52, sagt Winnicott, dass »die Psyche aus dem Material geschmiedet ist, das aus der fantasievollen Verarbeitung von Körperfunktionen entsteht (die ihrerseits von der Leistungsfähigkeit und dem gesunden Funktionieren eines Organs abhängig sind, nämlich des Gehirns)«. Selbst wenn man die Mehrdeutigkeit des Wortes »geschmiedet« außer Acht lässt, entspricht die Seele in dieser Beschreibung nicht länger jener Art von persönlicher Wesentlichkeit, wie sie Winnicotts Konzept des wahren Selbst nahe legt. Sie erscheint als hergeleitet und konstruiert und nicht als gegeben. Die religiöse Terminologie, die sich in Winnicotts psychoanalytischen Schriften verbirgt, verführt ihn oft zu aufschlussreichen Verwechslungen. Für einen interessanten Beitrag über die Beziehung zwischen der Idee der Seele und derjenigen der Originalität, der implizit Licht auf viele der Themen wirft, die Winnicott beschäftigten, siehe McFarland, 1985. 6 »Residential Management as Treatment for Difficult Children« (gemeinsam mit Clare Britton, 1947), Winnicott, 1984, S. 58. 7 »The Contribution of Psycho-Analysis to Midwifery« (1957), Winnicott, 1964b, S. 110. 8 »The Family and Emotional Maturity« (1960), Winnicott, 1964b, S. 94. 9 »Further Thoughts on Babies as Persons« (1947), Winnicott, 1964a, S. 88.
195
10 Eine Diskussion dieses für die psychoanalytische Theorie zentralen Themas findet sich bei Safouan, 1983. 11 »The Location of Cultural Experience« (1967), Winnicott, 1971a, S. 116. 12 Ebd. 13 Zu diesem und verwandten Fragen siehe Riley, 1983. 14 »Cure« (1970), Winnicott, 1987a, S. 114–115. 15 Einführung, Winnicott, 1971b, S. 2. 16 Ebd. Für weitere Referenzen zum Thema Überraschung siehe auch »Living Creatively« (1970), S. 53, und »The Pill and the Moon« (1969), S. 197, beide in Winnicott, 1987a. Für eine Emerson’sche Parallelstelle siehe Emersons Essay »Experience« (1906), S. 241– 242. 17 »Cure«, a. a. O., S. 117. 18 »Primitive Emotional Development« (1945), Winnicott, 1958, S. 150. 19 »Paediatrics and Childhood Neurosis« (1956), Winnicott, 1958, S. 318–319. 20 »Mirror-Role of Mother and Family in Child Development« (1967), Winnicott, 1971a, S. 138. 21 »Cure«, a. a. O., S. 112. 22 »The Aims of Psycho-Analytical Treatment« (1962), Winnicott, 1965, S. 167. 23 »Playing: a Theoretical Statement« (1971), Winnicott, 1971a, S. 65. 24 »The Use of an Object and Relating through Identifications« (1969), Winnicott, 1971a, S. 108. 25 Greenberg u. Mitchell, 1983, S. 189. 26 »Playing«, a. a. O., S. 44. 27 »Primitive Emotional Development«, a. a. O., S. 145. 28 Für eine Diskussion der Idee, »sich aneignen« sei verwandt mit »ausborgen« als eines notwendigen, aber missdeuteten Begriffs der Psychoanalyse siehe Leites, 1971. Beispielsweise ist nicht klar, ob man sich Übergangsobjekte als etwas Ausgeborgtes vorstellen soll oder etwas, das man sich von irgendwo her angeeignet hat. 29 Winnicott, 1971a, S. 101–112.
196
1 Was wir Anfang nennen 1 Für alles autobiographische Material in diesem Kapitel, so nicht anders zitiert, siehe Clare Winnicott: »D. W. Winnicott: A Reflection«, in Grolnick u. Barkin, 1978. 2 »Fear of Breakdown«. International Review of Psychoanalysis, 1: 1973. 3 Ebd. 4 »The Location of Cultural Experience« (1967), Winnicott, 1971a, S. 115. 5 »Growth and Development in Immaturity« (1950), Winnicott, 1964b, S. 21. 6 Aus dem Vorwort zu den »Forty-Four Sermons« von John Wesley (London, 1746). 7 »Transitional Objects and Transitional Phenomena« (1951), Winnicott, 1958, S. 231. Winnicott wiederholt am Ende seines Aufsatzes: »Sollte ein Erwachsener allen Ernstes von uns verlangen, dass wir seine subjektiven Erfahrungen als objektiv akzeptieren, dann müssen wir feststellen oder diagnostizieren, dass er verrückt ist« (S. 241). 8 Khan, Einführung zu Winnicott, 1958, S. xxii. 9 Nicht veröffentlicht. 10 Khan, Einführung zu Winnicott, 1986, S. 1. 11 »The Location of Cultural Experience«, a. a. O., S. 121 12 »The Capacity to be Alone« (1958), Winnicott, 1965, S. 29–36. 13 James Britton, persönliche Mitteilung. 14 »Children Learning« (1968), Winnicott, 1987a, S. 142–149. 15 »The Effect of Psychotic Parents« (1959), Winnicott, 1964b, S. 75. 16 Aus dem Winnicott Archive, New York Hospital – Cornell Medical Center. 17 »Coronary Thrombosis«, unveröffentlichter Vortrag, gehalten 1957 vor der Society for Psychosomatic Research, University College London. Zit. in Davis u. Wallbridge, 1983, S. 25. 18 »The Pill and the Moon« (1969), in Winnicott, 1987a, S. 205. 19 Siehe Tizard, 1971. 20 Brief vom 15.11.1919, in Winnicott, 1987b, S. 2. 21 »Growth and Development in Immaturity« (1950), Winnicott, 1964b, S. 21. Für weitere Erläuterungen von Winnicotts versus Freuds Ansichten betreffend die Angst – oder vielmehr die De-
197
22
23 24 25 26
pression – die durch Fremdbeeinflussung verursacht wird, siehe Winnicott, 1988, S. 36: »Soweit es um die Beziehungen zwischen gesunden Menschen geht«, schreibt er, »ist beinahe jeder Aspekt von Freud bereits behandelt worden und es ist jetzt tatsächlich sehr schwierig, noch etwas dazu beizutragen, es sei denn durch eine neue Darstellung dessen, was bereits als gültig erachtet wird.« Winnicotts Beitrag zur Psychoanalyse unterschied sich natürlich gerade darin, was die Anstrengungen betrifft, die das Individuum im Laufe seiner Entwicklung unternimmt, um Beziehungen zu gesunden Menschen herzustellen. »Training for Child Psychiatry« (1963), Winnicott, 1965, S. 199. Siehe auch »Classification« (1959–1964), Winnicott, 1965, S. 124– 139, wo sich die Aussage findet: »Der Psychoanalytiker […] kann als ein Spezialist im Erfassen von Geschichte betrachtet werden. Es ist wahr, dass dieses Aufnehmen von Geschichte ein sehr komplizierter Vorgang ist. Eine psychoanalytische Falldarstellung besteht aus einer Reihe von Krankengeschichten, einer Darstellung verschiedener Versionen desselben Falles, die in verschiedenen Schichten angeordnet sind, von denen jede ein anderes Stadium einer Enthüllung darstellt« (S. 132). Zur Bedeutung dieses Umstands in ihrem Leben siehe Grosskurth, 1987. International Journal of Psycho-Analysis, 50, 129: 1969. Stracheys fruchtbare Arbeit (1934) trug den Titel »The Nature of the Therapeutic Action of Psycho-Analysis«. Briefe an Ian Roger vom 28. Mai und 3. Juni 1969. Winnicott Archive, New York Hospital – Cornell Medical Center
2 Geschichte erkunden 1 Freuds Tochter Anna nahm jedoch an dem Kongress teil. Freud schrieb an Lou Andreas-Salomé (28. Juli 1929): »Anna plagt sich sehr in Oxford nach ihren telegr. Berichten. […] Über die Unterbringung äußerte sie bezeichnenderweise: Mehr Tradition als Bequemlichkeit. Sie wissen, daß die Engländer, nachdem sie den Begriff Comfort geschaffen, dann nichts mehr mit der Sache zu tun haben wollen« (Freud, 1929/1966, S. 199).
198
2 »The Location of Cultural Experience« (1967), Winnicott, 1971a, S. 117. 3 »The Becoming of a Psycho-Analyst« (1972), Khan, 1974, S. 114. 4 Meisel u. Kendrick, 1986, S. 39. 5 »An Examination of the Klein System of Child Psychology«, »Psycho-Analytic Study of the Child«, Bd. 1 (London: Imago Publishing Company, 1945). 6 Zit. bei Grosskurth, 1987, S. 167. 7 »A Personal View of the Kleinian Contribution« (1962), Winnicott, 1965, S. 172. 8 Ebd., S. 172. 9 Ebd., S. 173. 10 Ebd., S. 173–174. 11 »The Aims of Psycho-Analytical Treatment« (1962), Winnicott, 1965, S. 166. 12 Für eine Diskussion zu Winnicotts Interesse an Paradoxa siehe Grolnick u. Barkin, 1978, Green, 1986, sowie auch Sartre, 1983, zu der Frage, was die Psychoanalyse verlieren würde, wenn sie auf die Idee von Gegensätzlichem verzichtet. Ganz klar ist eine Verbindung zu ziehen zwischen Winnicotts Beschäftigung mit dem Paradox und dem Fehlen eines dritten Geschlechts. 13 »Classification« (1959–1964), Winnicott, 1965, S. 126. 14 »A Personal View of the Kleinian Contribution«, a. a. O., S. 174. 15 »Classification«, a. a. O., S. 126. 16 »A Personal View«, a. a. O., S. 176–177. 17 »A Note on Normality and Anxiety« (1931), Winnicott, 1958, S. 20. 18 »Short Communication on Enuresis«, St Bartholomew’s Hospital Journal, April 1930. 19 Proceedings of the Royal Society of Medicine 1930–1939, no. 2. 20 »Mental Hygiene in the Pre-School Child« (unveröffentlicht, 1930er Jahre). 21 »Skin Changes in Relation to Emotional Disorder«, St John’s Hospital Dermatological Society Report, 1938. 22 Einführung, Winnicott, 1971a, S. xiv. 23 »Skin Changes«, a. a. O. 24 »A Note on Normality and Anxiety«, a. a. O., S. 5 25 »Skin Changes«, a. a. O.
199
26 »Fidgetiness« (1931), Winnicott, 1958, S. 23. 27 »What Do We Mean by a Normal Child?« (1946), Winnicott, 1957a, S. 103. 28 Ebd. 29 Ebd. 30 »Shyness and Nervous Disorders in Children« (1938), Winnicott, 1964a, S. 211. 31 »String: a Technique of Communication« (1960), Winnicott, 1965, S. 153–157. 32 »Shyness«, a. a. O., S. 212. 33 »A Note on Normality«, a. a. O., S. 19–20. 34 »The Only Child« (1945), Winnicott, 1964b, S. 110. 35 »Shyness«, a. a. O., S. 212. 36 »A Note on Normality«, a. a. O., S. 9–11. 37 Freud, 1912/1969, S. 384. Standard Edition, Bd. 7, S. 118. 38 »The Use of an Object« (1969), Winnicott, 1971a, S. 102. 39 »Skin Changes«, a. a. O. 40 Siehe den Schlussteil von »Paediatrics and Childhood Neurosis« (1956), Winnicott, 1958, S. 321, wo Winnicott meint, »Manche Menschen sind gegen Psychoanalyse, weil diese sich um ein objektives Studium der menschlichen Natur bemüht; sie hält Einzug in Bereiche, wo vorher Glaube, Ahnungen und Einfühlung herrschten.« Hier bahnt sich Winnicotts wachsende Vermutung an, dass Psychoanalyse selbst potentiell unangemessen eindringlich ist. Und in seinen späteren Arbeiten sollte er selbst zu einem Verteidiger von Glaube, Ahnungen und Einfühlung werden. 41 »The Return of the Evacuated Child« (1945), Winnicott, 1984, S. 44. 42 »The Location of cultural Experience«, a. a. O., S. 117. 43 »The Manic Defence« (1935), Winnicott, 1958, S. 129–144. 44 Klein, 1975, S. 262–289. 45 Ebd. 46 Ebd. 47 Segal, 1979, S. 81. 48 »The Manic Defence«, a. a. O., S. 143–144. 49 Ebd., S. 129. 50 Ebd., S. 130. 51 Ebd.
200
52 Siehe »Dreaming, Fantasying, and Living« (1971), Winnicott, 1971a, S. 31–43. In Freuds wichtiger Arbeit »Formulierungen über die zwei Prinzipien des psychischen Geschehens« (1911/1975, S. 20) meinte Freud, »Mit der Einsetzung des Realitätsprinzips wurde eine Art Denktätigkeit abgespalten, die von der Realitätsprüfung freigehalten und allein dem Lustprinzip unterworfen blieb. Es ist dies das Phantasieren, welches bereits mit dem Spielen der Kinder beginnt und später als Tagträumen fortgesetzt die Anlehnung an reale Objekte aufgibt.« Bezeichnenderweise übernimmt Winnicott Freuds Text ohne Quellenangabe, verändert die Schreibweise weitgehend und verwendet ihn, um etwas Ähnliches, von Freud aber anders Gemeintes zu beschreiben. Für Freud ist Fantasieren die zwangsläufige Konsequenz des Realitätsprinzips und garantiert einen kompensatorischen Bereich innerer Freiheit. Bei Winnicott »bleibt« die Fantasie »ein isoliertes Phänomen, das Energie absorbiert, aber weder zum Träumen noch zum Leben etwas beiträgt.« Sie stellt eine sinnlose Antwort auf ein frühzeitiges Versagen gegenseitigen Austauschs mit der Umgebung dar, eine geistige Tätigkeit, bei der nichts geschieht. 53 Freud, 1908/2000, S. 121. 54 »The Manic Devence«, a. a. O., S. 131. 55 »Reparation in Respect of Mother’s Organized Defence against Depression« (1948), Winnicott, 1958, S. 94. 56 Little, 1985.
3 Die Kriegszeit 1 Brief an das »British Medical Journal« (16. Dezember 1939), Winnicott, 1984, S. 14. 2 »The Problem of Homeless Children«, von D. W. Winnicott und C. Britton, Children’s Communities Monograph, 1: 1944. Dieser wichtige Artikel wurde auch in »The New Era in Home and School«, 25, veröffentlicht. 3 Man könnte in etwa sagen, dass ein Patient in der Übertragung Möglichkeiten aus seiner Vergangenheit, verstanden zu werden oder zu verstehen, wieder erschafft (oder zu wiederholen versucht).
201
4 »Children in the War« (1940), Winnicott, 1984, S. 28. 5 »The Deprived Mother« (1939), Winnicott, 1984, S. 33. 6 »Residential Management as Treatment for Difficult Children« (zusammen mit C. Britton, 1947), Winnicott, 1984, S. 60. 7 Ebd., S. 55. 8 »Children in the War«, a. a. O., S. 27. 9 »Residential Management«, a. a. O., S. 60. 10 »The Problem of Homeless Children«, a. a. O. 11 Ebd. 12 Ebd. 13 Ebd. 14 »On Influencing and Being Influenced« (1941), Winnicott, 1964a, S. 204. 15 »The Problem of Homeless Children«, a. a. O. 16 Ebd. 17 Ebd. 18 Introduction, Winnicott, 1965, S. 10. 19 »Home Again« (1945), Winnicott, 1984, S. 51. 20 Ebd. 21 Ebd., S. 52. 22 »Discussion of War Aims« (1940), Winnicott, 1987a, S. 210– 220. 23 Ebd., S. 216. 24 »Some Thoughts on the Meaning of the Word Democracy« (1950), Winnicott, 1964b, S. 155–169. 25 »Discussion of War Aims«, a. a. O., S. 214. 26 »The Capacity to be Alone« (1958), Winnicott, 1965, S. 34–35. Für weitere Kommentare zu dieser Idee, die Winnicott nicht weiterentwickelte, siehe »Ego-Orgasm in Bisexual Love« (1974), Khan, 1979. 27 »Appetite and Emotional Disorder« (1936), Winnicott, 1958, S. 33–51. Dieses Zitat S. 49. 28 »The Observation of Infants in a Set Situation« (1941), Winnicott, 1958, S. 52–69. 29 »Appetite and Emotional Disorder«, a. a. O., S. 45–46. 30 Ebd., S. 47. 31 »The Observation of Infants«, a. a. O., S. 67. 32 Ebd.
202
33 Ebd. 34 »Primitive Emotional Development« (1945), Winnicott, 1958, S. 145–156. 35 Siehe Klein, »Notes on Some Schizoid Mechanisms«(1946). 36 »Primitive Emotional Development«, a. a. O., S. 145. (In Winnicott, 1988, S. 2. Winnicott beschreibt sich dort selbst als »schrittweise verführt zu der Behandlung eher psychotischer erwachsener Patienten.«) 37 Ebd., S. 147. 38 Ebd., S. 148. 39 Ebd. 40 Ebd., S. 149. 41 Winnicott bezieht sich darauf anderswo und gebraucht einen Ausdruck Heideggers, »was man ›ein-wohnen‹ nennen könnte: das Erreichen einer innigen und einfachen Beziehung zwischen Psyche und Körper und dem Funktionieren des Körpers«, Winnicott, 1965, S. 68. 42 »The Mind and its Relation to the Psyche-Soma« (1949), Winnicott, 1958, S. 244. 43 »The First Year of Life« (1958), Winnicott, 1964b, S. 6. 44 Ebd. 45 »Primitive Emotional Development«, a. a. O., S. 149. 46 »The First Year of Life«, a. a. O., S. 6. 47 »Primitive Emotional Development«, a. a. O., S. 151. 48 »Ego Integration m Child Development« (1962), Winnicott, 1965, S. 61. 49 »Primitive Emotional Development«, a. a. O.., S. 150. 50 Ebd., S. 151. 51 Ebd. 52 Ebd. 53 »Group Influences and the Maladjusted Child« (1955). Winnicott, 1964b, S. 148. 54 Ebd., S. 154. 55 Ebd., S. 152. 56 Ebd., S. 153. 57 Ebd. 58 Ebd. 59 Zit. in Davis u. Wallbridge, 1983, S. 67–68.
203
60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84
Ebd. »Paediatrics and Psychiatry« (1948), Winnicott, 1958, S. 159. »Primitive Emotional Development«, a. a. O., S. 154. Ebd. »Hate in the Countertransference« (1947), Winnicott, 1958, S. 194–203. Ebd., S. 198. Ebd. Ebd., S. 199. Ebd., S. 200. Ebd., S. 203. »Reparation in Respect of Mother’s Organized Defence against Depression« (1948), Winnicott, 1958, S. 91–96. Ebd., S. 96. Ebd., S. 93. Ebd., S. 95. Ebd., S. 92. Ebd., S. 93. »The Mind and it’s Relation to the Psyche-Soma«, a. a. O. Ebd., S. 245. »Birth Memories, Birth Trauma, and Anxiety« (1949), Winnicott, 1958, S. 183–184. Ebd. Ebd. »The Mind and its Relation to the Psyche-Soma«, a. a. O., S. 246. »The First Year of Life«, a. a. O., S. 7. »The Mind«, a. a. O., S. 248. Ebd., S. 254. In Winnicott, 1988, Winnicott schreibt, »die menschliche Natur ist nicht eine Frage von Geist und Körper – das Problem ist, dass Psyche und Soma zueinander in Beziehung stehen und der Geist am Rande des psychosomatischen Funktionierens erblüht« (S. 26). Aber um die Sache zu komplizieren, sagt er auch, es erfolge »eine Organisierung dieser Beziehung (zwischen Psyche und Soma), die von dem herkommt, was wir den Geist nennen« (S. 11), was entweder dem Geist eine omnipotente Managerrolle zuschreibt, oder bedeutet, dass der Geist Psyche und Soma im Dienst der Darstellung organisiert. Der Mangel an gewöhnlicher
204
konzeptueller Klarheit deutet bei ihm immer auf eine wesentliche Unklarheit in seinem Werk hin. 85 Little, 1985.
4 Das Selbst tritt in Erscheinung 1 »Advising Parents« (1957), Winnicott, 1964b, S. 119. 2 »The Contribution of Psycho-Analysis to Midwifery« (1957), Winnicott, 1964b, S. 107. 3 »The Family Affected by Depressive Illness in One or Both Parents« (1958), Winnicott, 1964b, S. 55. 4 »Theoretical Statement of the Field of Child Psychiatry« (1958), Winnicott, 1964b, S. 98. 5 Rycroft, 1985, S. 114. 6 Klein, 1975, S. 176–235. 7 »A Study of Envy and Gratitude«, kommentiert von D. W. Winnicott, Privatdruck, 24. Februar 1956. 8 Ebd. 9 »Psychoanalytic Studies of the Personality«, International Journal of Psycho-Analysis, 34: 1953. 10 Ebd. 11 »Primary Maternal Preoccupation« (1956), Winnicott, 1958, S. 300–305. 12 »The Anti-Social Tendency« (1956), ebd., S. 306–315. 13 »Transitional Objects and Transitional Phenomena« (1951), ebd., S. 229–242. 14 »Aggression in Relation to Emotional Development« (1950), ebd., S. 204–218. 15 British Medical Journal, 12. Juni 1954, S. 1363. 16 In »A Personal View of the Kleinian Contribution« (1962), Winnicott, 1965, schreibt Winnicott, er »könne in [Freuds] Idee eines Todestriebs einfach keinen Nutzen erkennen« (S. 177) und führt unter »Kleins eher zweifelhaften Beiträgen« an, dass sie »an der Verwendung der Theorie der Lebens- und Todestriebe festhalte« (S. 178). 17 Siehe Fußnote 14. 18 »The Depressive Position and Normal Development« (1954), Winnicott, 1958, S. 262–277.
205
19 »Psychoanalysis and the Sense of Guilt« (1957), Winnicott, 1965, S. 15–28. 20 »The First Year of Life« (1958), Winnicott, 1964b, S. 12. 21 Ebd. 22 »Classification« (1959–1964), Winnicott, 1965, S. 127. 23 Freud, 1929/1930/2000, S. 85. 24 »Aggression«, a. a. O., S. 210. 25 Ebd., S. 206. 26 »The Depressive Position«, a. a. O., S. 263. 27 »Psychoanalysis and the Sense of Guilt«, a. a. O., S. 24. 28 Ebd. 29 Ebd., S. 23. 30 »The Depressive Position«, a. a. O., S. 268. 31 »Aggression«, a. a. O., S. 214. 32 Ebd. 33 Ebd., S. 215. 34 Ebd. 35 Ebd. 36 Ebd., S. 216. 37 Ebd., S. 217. 38 Ebd. 39 »The Depressive Position«, a. a. O., S. 268. 40 Für Beispiele Klein’scher Ansichten über Ästhetik siehe Segal, 1981, Kapitel 16–18; Stokes, 1978; Meltzer, 1973, Kapitel 24; Money-Kyrle, 1961, Kapitel 7. 41 »Reparation in Respect of Mother’s Organized Defence against Depression« (1948), Winnicott, 1958, S. 91. 42 »The Depressive Position«, a. a. O., S. 270. 43 »Psychoanalysis«, a. a. O., S. 26. Eine ausführlichere Darstellung einiger der Ideen findet sich in Phillips, 1988. 44 »Aggression«, a. a. O., S. 208. 45 »Transitional Objects«, a. a. O. 46 Ebd., S. 231. 47 Ebd., S. 233. 48 »The Deprived Child and how he can be Compensated for Loss of Family Life« (1950), Winnicott, 1964b, S. 143–144. 49 »Transitional Objects«, a. a. O., S. 230. 50 Ebd.
206
51 52 53 54 55 56 57
58 59 60 61 62 63 64 65 66
Ebd., S. 231. Ebd. »The Deprived Child«, a. a. O., S. 135. Siehe Fußnote 12 bzw. 11. »Transitional Objects«, S. 240. Ebd., S. 239. In »Living Creatively« (1970), Winnicott, 1987a, S. 47, schreibt Winnicott: »Wenn man Glück erlebt hat, kann man Unglück ertragen. Genauso ist es, wenn wir sagen, ein Baby kann nicht entwöhnt werden, wenn es vorher nicht die Brust oder ein Brust-Äquivalent gehabt hat. Es gibt keine Desillusionierung (Anerkennung des Realitätsprinzips), es sei denn, vorher bestand Gelegenheit, einen illusionären Zustand zu erleben.« »Transitional Objects«, S. 240. »Primary Maternal Preoccupation«, S. 303. Ebd., S. 304. Ebd. Ebd., S. 303. Ebd., S. 304. Ebd., S. 304–305. Ebd. »The Mother’s Contribution to Society« (Postscript zu Winnicott, 1957), Winnicott, 1987a, S. 123.
5 Authentisch werden 1 »The Location of Cultural Experience« (1967), Winnicott, 1971a, S. 116. 2 »Ego Distortion in Terms of True and False Self« (1960), Winnicott, 1965, S. 148. 3 »Mirror-Role of Mother and Family in Child Development« (1967), Winnicott, 1971a, S. 137–138. 4 »The Relationship of a Mother to her Baby at the Beginning« (1960), Winnicott, 1964b, S. 17–18. 5 »Mirror-Role«, a. a. O., S. 130–138. 6 »The Use of an Object and Relating through Identifications« (1969), Winnicott, 1971a, S. 101–111.
207
7 8 9 10 11 12
13 14 15 16 17
»Ego Distortion«, a. a. O., S. 140–152. Lacan, 1977, S. 1–7. »Mirror-Role«, a. a. O., S. 134. »The Use of an Object«, a. a. O., S. 106. Ebd. »Ego Distortion«, a. a. O., S. 152. Für einen skeptischen Beitrag zu Winnicotts Ansichten von Kreativität siehe die Bemerkung von Pontalis in Clancier u. Kalmanovitch, 1987: »Wenn man versucht, jedermann davon zu überzeugen, dass er einen Schatz in sich trägt, führt man die Menschen auf eine falsche Fährte. Zu behaupten, wie Winnicott das tut, wenn vielleicht auch im Scherz, man könne bei der Zubereitung von Spiegeleiern so kreativ sein wie Schumann, wenn er eine Sonate schrieb – finden Sie nicht auch, das geht zu weit?« (S. 143). »The Concept of a Healthy Individual« (1967), Winnicott, 1987a, S. 23. Alle folgenden Zitate in diesem Kapitel stammen aus: »Ego Distortion«, a. a. O. »Ego Distortion«, S. 145. Ebd., S. 150. Ebd.
6 Das Deutungsspiel 1 »The Theory of the Parent-Infant Relationship« (1960), Winnicott, 1965, S. 40. 2 »Child Analysis in the Latency Period« (1958), Winnicott, 1965, S. 117. 3 Ebd., S. 122. 4 Freud, 1913/1969, S. 473. 5 »Providing for the Child in Health and in Crisis« (1962), Winnicott, 1965, S. 68. 6 »The Aims of Psycho-Analytical Treatment« (1962). Winnicott, 1965, S. 167. 7 »The Theory«, a. a. O., S. 50. 8 Ebd. 9 »Ego Integration in Child Development« (1962), Winnicott, 1965, S. 59–60.
208
10 »The Aims of Psycho-Analytical Treatment« (1962), Winnicott, 1965, S. 167. 11 Ebd. 12 »Playing: a Theoretical Statement« (1971), Winnicott (1971a), S. 59. 13 Einführung, Winnicott, 1971b, S. 9–10. 14 »Morals and Education« (1963), Winnicott, 1965, S. 100. 15 »Playing: a Theoretical Statement«, a. a. O., S. 48. 16 »Communicating and Not Communicating Leading to a Study of Certain Opposites« (1963), Winnicott, 1965, S. 179–192. 17 Ebd., S. 187. 18 Ebd., S. 190. 19 »Morals and Education«, a. a. O., S. 105. 20 »Communicating and Not Communicating«, a. a. O., S. 189. 21 Ebd., S. 187. 22 Ebd., S. 179. 23 »The Capacity to be Alone« (1958), Winnicott, 1965, S. 29–36. 24 »Communicating and Not Communicating«, a. a. O., S. 188. 25 Ebd., S. 192. 26 Ebd. 27 Ebd., S. 189–190. 28 Ebd., S. 187. 29 Ebd., S. 183. 30 Ebd., S. 184. Dies könnte eine Möglichkeit darstellen, das Vergnügen normaler, nicht zwanghafter Masturbation zu verstehen. Die Idee einer befriedigenden masturbatorischen Erfahrung hat sich seltsamerweise nie einen Platz in der psychoanalytischen Theorie erobert. 31 Ebd. 32 Ebd. 33 Ebd., S. 187. 34 »On Influencing and Being Influenced« (1941), Winnicott, 1964a, S. 199–204. 35 »Communicating and Not Communicating«, a. a. O., S. 187. 36 Ebd., S. 185. 37 In dieser Arbeit rückt Winnicott jedoch implizit den erwachsenen Künstler in einen Gegensatz zu dem sich entwickelnden Kind. Während der Künstler »das dringende Bedürfnis hat, nicht ent-
209
deckt zu werden«, skizziert Winnicott »ein Bild eines Kindes, das ein privates Selbst aufbaut, das nicht kommuniziert, gleichzeitig aber kommunizieren und entdeckt werden möchte. Es ist ein raffiniertes Versteckspiel, bei dem es vergnüglich ist, sich zu verstecken, aber eine Katastrophe, wenn man nicht gefunden wird« (S. 185). Es ist, als gäbe es entwicklungsbedingt ein wachsendes Bedürfnis, sich einen Raum in dem Selbst vorzustellen, der von einer anderen Person (oder von einem selbst als einer anderen Person) weder betreten noch ausgefüllt werden kann und als solcher respektiert werden muss. 38 International Journal of Psycho-Analysis, 45: 1964.
210
Literatur Primärliteratur: Winnicott – Hauptwerke Winnicott, D. W. (1931). Clinical Notes on Disorders of Childhood. London: Heinemann. Winnicott, D. W. (1957a). The Child and the Family: First Relationships. London: Tavistock. Winnicott, D. W. (1957b). The Child and the Outside World: Studies in Developing Relationships. London: Tavistock. Winnicott, D. W. (1958). Collected Papers: Through Paediatrics to Psycho-Analysis. London: Tavistock/New York: Basic Books. Winnicott, D. W. (1964a). The Child, the Family, and the Outside World. Harmondsworth: Penguin Books. Winnicott, D. W. (1964b). The Family and Individual Development. London: Tavistock. Winnicott, D. W. (1965). The Maturational Processes and the Facilitating Environment: Studies in the Theory of Emotional Development. London: The Hogarth Press and The Institute of Psycho-Analysis. Winnicott, D. W. (1971a). Playing and Reality. London: Tavistock. Winnicott, D. W. (1971b). Therapeutic Consultations in Child Psychiatry. London: The Hogarth Press and The Institute of PsychoAnalysis. Winnicott, D. W. (1977). The Piggle: an Account of the Psychoanalytic Treatment of a Little Girl. London: The Hogarth Press and The Institute of Psycho-Analysis. Winnicott, D. W. (1984). Deprivation and Delinquency. London: Tavistock. Winnicott, D. W. (1986). Holding and Interpretation: Fragment of an Analysis. London: The Hogarth Press and The Institute of Psycho-Analysis. Winnicott, D. W. (1987a). Home is Where We Start From: Essays by a Psychoanalyst. London: Pelican Books.
211
Winnicott, D. W. (1987b). The Spontaneous Gesture: Selected Letters of D. W. Winnicott, edited by F. Robert Rodman. Cambridge, Massachusetts, and London: Harvard University Press. Winnicott, D. W. (1988). Human Nature. London: Free Association Books.
Sekundärliteratur Barthes, R. (1979). A Lover’s Discourse: Fragments. Trans. Richard Howard. London: Jonathan Cape. Bollas, C. (1987). The Shadow of the Object: Psychoanalysis of the Unthought Known. London: Free Association Books. Clancier, A., Kalmanovitch, J. (1987). Winnicott and Paradox: from Birth to Creation. London: Tavistock. Davis, M., Wallbridge, D. (1983). Boundary and Space: an introduction to the Work of D. W. Winnicott. Harmondsworth: Penguin Books. Eigen, M. (1981a). The Area of Faith in Winnicott, Lacan, and Bion. International Journal of Psycho-Analysis, 62, 413–433. Eigen, M. (1981b). Guntrip’s Analysis with Winnicott. Contemporary Psychoanalysis, 17, 103–117. Eigen, M. (1986). The Psychotic Core. London and New Jersey: Jason Aronson. Freud, S. (1908/2000). Die »kulturelle« Sexualmoral und die moderne Nervosität (6. Aufl.). Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag. Standard Edition (1984). Bd. 4: The Interpretation of Dreams (1st Part). London: Karnac Books. Freud, S. (1911/1975). Formulierungen über die zwei Prinzipien des psychischen Geschehens. Studienausgabe, Bd. 3. Frankfurt a. M.: S. Fischer Verlag. Standard Edition (1984). Bd. 7: A Case of Hysteria, Three Essays on Sexuality and Other Works. London: Karnac Books. Freud, S. (1912/1969). Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung (1912). Gesammelte Werke, Bd. VIII (5. Aufl.). Frankfurt a. M.: S. Fischer. Standard Edition (1984). Bd. 7: A Case of Hysteria, Three Essays on Sexuality and Other Works. London: Karnac Books.
212
Freud, S. (1913/1969). Zur Einleitung der Behandlung (1913). Gesammelte Werke, Bd. VIII (5. Aufl.). Frankfurt a. M.: S. Fischer. Standard Edition (1984). Bd. 7: A Case of Hysteria, Three Essays on Sexuality and Other Works. London: Karnac Books. Freud, S. (1929/1930/2000). Das Unbehagen in der Kultur (6. Aufl.). Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag. Standard Edition (1984). Bd. 11: Five Lectures on Psycho-Analysis, Leonardo da Vinci and Other Works. London: Karnac Books. Freud, S., Andreas-Salomé, L. (1966). Sigmund Freud – Lou AndreasSalomé: Briefwechsel. Herausgegeben von Ernst Pfeiffer. Frankfurt a. M.: S. Fischer. Gaddini, R. (1981). Bion’s Catastrophic Change and Winnicott’s Breakdown. Revista di Psicoanalisi, 3–4. Emerson, R. W. (1906). Essays. Herausgegeben von Paul Sherman. London: Dent, Everyman. Green, A. (1986). On Private Madness. London: The Hogarth Press and the Institute of Psycho-Analysis. Greenberg, J., Mitchell, S. (1983). Object Relations in Psychoanalytic Theory. Cambridge, Massachusetts and London: Harvard University Press. Greenson, R. R. (1978). Explorations in Psychoanalysis. New York: International Universities Press. Grolnick, S., Barkin, L. (Hrsg.) (1978). Between Reality and Fantasy. Transitional Objects and Phenomena. London and New York: Jason Aronson. Grosskurth, P. (1987). Melanie Klein: Her World and Her Work. London: Hodder and Stoughton. Guntrip, H. (1975). My Experience of Analysis with Fairbairn and Winnicott. International Review of Psycho-Analysis, 1, 145–156. Hartman, G. H. (1980). Criticism in the Wilderness: the Study of Literature Today. New Haven: Yale University Press. Jacobson, L. D. (1985). Development of and in the Group. Unpublished PhD dissertation. New York: The City University of New York. Khan, M. M. R. (1974).The Privacy of the Self. London: The Hogarth Press and The Institute of Psycho-Analysis. Khan, M. M. R. (1975). Introduction to D. W. Winnicott. Through Paediatrics to Psycho-Analysis. London: The Hogarth Press and The Institute of Psycho-Analysis.
213
Khan, M. M. R. (1979). Alienation in Perversions. London: The Hogarth Press and The Institute of Psycho-Analysis. Khan, M. M. R. (1983). Hidden Selves. London: The Hogarth Press and The Institute of Psycho-Analysis. Khan, M. M. R. (1986). Introduction to D. W. Winnicott, Holding and Interpretation: Fragment of an Analysis. London: The Hogarth Press and The Institute of Psycho-Analysis. Klein, M. (1930/1975). Love, Guilt and Reparation. London: The Hogarth Press and The Institute of Psycho-Analysis. Klein, M. (1946/1975). Notes on Some Schizoid Mechanisms. In Klein, M., Envy and Gratitude and Other Works 1946–1963. London: The Hogarth Press and The Institute of Psycho-Analysis. Kohon, G. (Hrg.) (1986). The British School of Psychoanalysis: the Independent Tradition. London: Free Association Books. Lacan, J. (1977). Écrits: A Selection. Übersetzt von Alan Sheridan. London: Tavistock. Leites, N. (1971). The New Ego: Pitfalls in Current Thinking about Patients in Psychoanalysis. New York: Science House. Little, M. (1981). Transference Neurosis and Transference Psychosis. London and New York: Jason Aronson. Little, M. (1985). Winnicott Working in Areas Where Psychotic Anxieties Predominate: a Personal Record. Free Associations, no. 3. Lomas, P. (1973). True and False Experience. London: Allen Lane. Lomas, P. (1981). The Case for a Personal Psychotherapy. Oxford: Oxford University Press. Lomas, P. (1987). The Limits o f Interpretation: What’s Wrong with Psychoanalysis (7. Aufl.). Harmondsworth: Penguin Books. Mannoni, M. (1982). D’un impossible à l’autre. Paris: Seuil. McFarland, T. (1985). Originality and Imagination. Baltimore and London: The Johns Hopkins University Press. Meisel, P., Kendrick, W. (Hrsg.) (1986). Bloomsbury/Freud: the Letters of James and Alix Strachey 1924–1925. London: Chatto and Windus. Meltzer, D. (1973). Sexual States of Mind. Perthshire: Clunie Press. Milner, M. (1969). The Hands of the Living God: an Account of a Psycho-Analytic Treatment. London: The Hogarth Press and The Institute of Psycho-Analysis. Milner, M. (1987). The Suppressed Madness of Sane Men: Forty-four
214
Years of Exploring Psychoanalysis. London: Tavistock Publications in association with The Institute of Psycho-Analysis. Money-Kyrle, R. E. (1961). Man’s Picture of His World: A PsychoAnalytic Study. London: Duckworth. Ogden, T. H. (1986). The Matrix of the Mind: Object Relations and the Psychoanalytic Dialogue. London and New Jersey: Jason Aronson. Phillips, A. (1985). That Dreadful Universal Thing: a Review Article. Journal of Child Psychotherapy, Bd. II, no. l. Phillips, A. (1986). On Composure. Raritan, Bd. V, no. 4. Phillips, A. (1986). On Being Bored. Raritan, Bd. VI, no. 2. Phillips, A. (1987). Le Risque de la solitude. Nouvelle Revue de Psychoanalyse, 36. Phillips, A. (1988). On Moral Surprises: a Winnicottian Approach to Moral Development. Raritan, Bd. VIII, no. l. Poirier, R. (1982). Frost, Winnicott, Burke. Raritan, Bd. 2, no. 2. Pontalis, J.-B. (1981). Frontiers in Psychoanalysis: Between the Dream and Psychic Pain. London: The Hogarth Press and The Institute of Psycho-Analysis. Richards, B. (Hrsg.) (1984). Capitalism and Infancy: Essays on Psychoanalysis and Politics. London: Free Association Books. Riley, D. (1983). War in the Nursery: Theories of the Child and Mother. London: Virago. Rycroft, C. (1985). Psychoanalysis and Beyond. London: Chatto and Windus. Safouan, M. (1983). Pleasure and Being: Hedonism from a PsychoAnalytic Point of View. Übersetzt von Martin Thom. London: Macmillan. Sartre, J.-P. (1983). Between Existentialism and Marxism. London: Verso. Schwartz, M. M. (1978). Critic, Define Thyself. Psychoanalysis and the Question of the Text. Ed. Geoffrey H. Hartman. Baltimore and London: Johns Hopkins University Press. Searles, H. F. (1979).Countertransference and Related Subjects: Selected Papers. New York: International Universities Press. Segal, H. (1979). Klein. London: Fontana Modern Masters. Segal, H. (1981). The Work of Hanna Segal: a Kleinian Approach to Clinical Practice. New York and London: Aronson.
215
Stern, D. N. (1985). The Interpersonal World of the Infant: a View from Psychoanalysis and Developmental Psychology. New York: Basic Books. Stokes, A. (1978). The Critical Writings of Adrian Stokes. Bd. 3. London: Thames and Hudson. Strachey, J. (1934). The Nature of the Therapeutic Action of PsychoAnalysis. International Journal of Psycho-Analysis, 15. Symington, N. (1986). The Analytic Experience: Lectures from the Tavistock. London: Free Association Books. Tizard, J. P. M. (1971). Obituary: Donald Winnicott. International Journal of Psycho-Analysis, Bd. 52, part 3. Tustin, F. (1981). Autistic States in Children. London and Boston: Routledge and Kegan Paul. Tustin, F. (1986). Autistic Barriers in Neurotic Patients. London: Karnac Books.
216
Register
(Da sich fast auf jeder Seite Hinweise auf Mütter und Kinder finden, wurden beide Begriffe nicht in das Verzeichnis aufgenommen.)
Personen Abraham, Karl 64 Andreas-Salomé, Lou 198 Balint, Enid 10 Bion, Wilfred Ruprecht 10, 129 Bowlby, John 27, 87, 104 Brill, Abraham Arden 54, 191 Britton, Clare 88, 92, 126, 193, 195 Britton, James 48, 197 Burke, Edmund 42 Carroll, Lewis 32, 61 Coleridge, Samuel Taylor 15, 33 Darwin, Charles 17, 20 f., 28, 37, 51 Davies, William Henry 42 Dickens, Charles 148 Ede, Stanley 51 Eliot, Thomas Stearns 37 Emerson, Ralph Waldo 15, 33, 196 Fairbairn, William Ronald Dodds 133
Ferenczi, Sandor 31, 61, 64 Forster, Edward Morgan 32 Foucault, Michel 42 Freud, Anna 27 f., 33, 57, 62, 64 ff., 68, 104, 198 Freud, Sigmund 9, 17, 21–25, 27 ff., 31, 33, 41, 43, 52, 54–58, 61–63, 70 ff., 77 ff., 84, 98, 105, 113, 116 f., 120, 122, 126 f., 131, 133 f., 138, 153, 155, 157, 161, 166 f., 172 f., 176, 178, 185, 187 f., 191, 201 Glover, Edward 64 Graves, Robert 42, 48 Green, André 31, 199 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 28 James, Henry 53 f., James, William 33 Jones, Ernest 61–64 Jung, Carl Gustav 188 Keats, John 38, 42, 87
217
Khan, Mohammed Masud Raza 13, 28, 31, 43, 133, 136 Klauber, John 28 Klein, Eric 70 Klein, Melanie 25 ff., 33, 57, 62, 64–71, 74 ff., 78 ff., 82–85, 87 f., 95, 103–106, 114, 116, 118, 120, 122, 126, 130–136, 138 ff., 153, 157, 166, 168, 185, 192, 203, 205
Rivière, Joan 56, 66, 70, 192 Rycroft, Charles 13, 28, 130
Lacan, Jacques 27, 163 Lamb, Charles 33, 173 Little, Margaret 86, 126 Lomas, Peter 28
Taylor, Alice 57, 126, 192 Tizard, Jack 54, 197
Meisel, Perry 63 Miller, Emmanuel 87 Mill, John Stuart 30 Milner, Marion 28 Nietzsche, Friedrich 8, 28
Segal, Hanna 81, 206 Shakespeare, William 42 Smith, Stevie 32 Strachey, Alix 63 f. Strachey, James 56 ff., 61, 63, 67, 192 Strachey, Lytton 63
Winnicott, Cathleen 41, 191 Winnicott, Elizabeth 41, 47 f. Winnicott, John Frederick 41, 44–47, 51, 191 f. Winnicott, Violet 41 Woolf, Leonard 62 Woolf, Virginia 62 Wordsworth, William 33, 127 Wycliffe, John 58 f.
Ricœur, Paul 29
218
Stichwörter Abhängigkeit 10 f., 18, 22–25, 51, 78, 81, 95, 97, 107, 122, 134, 138, 146, 160, 180 Abwehr 77, 79, 81–85, 97, 107, 182, 185 Abwesenheit 18, 37, 39, 49 Affekte 52 Aggression 96, 135–139, 144, 146, 149 Ambivalenz 24, 81, 105, 115, 122, 179, 187 Angst 7, 38, 67, 73, 75, 79 ff., 96 f., 107, 116, 157, 179, 197 Anpassung 9, 11, 20 ff., 66, 90, 113, 120, 123, 151, 156, 159, 161, 164, 168 f., 171, 178, 181, 185 antisoziale Tendenz 35, 94 Appetit 10, 98 Ärzte 19, 51, 62 f., 70, 78, 129, 137 Ästhetik 145, 206 Ausbeutung 168 Authentizität 24, 168, 171, 188 Beeinträchtigung 123, 178 Begehren 9 f., 25, 83, 112, 132 ff, 140, 151 f., 157 Beobachtung 22, 28, 56, 77, 136, 146 British Psychoanalytical Society 28, 34, 57, 61 f., 98, 155, 192 f. British School 174 Brust 80, 109 ff., 132, 140 f., 146, 151, 207
Chaos 97, 107, 159 Delinquenz 35, 91 Demokratie 97 Depression 79, 85, 119 ff., 197, 201 depressive Position 79 ff., 84, 88, 134, 139, 167 Deprivation 94 Desillusionierung 103, 133, 155, 207 Destruktivität 26 Deutung 7, 29 f., 32, 58 f., 101 f., 109, 117, 120, 124, 148, 173, 175–179, 182 Dissoziation 109, 115 Einfachheit 31, 58 Einsicht 17, 22, 69 f., 79 f., 129, 135, 148, 162, 180 Eltern 24, 66 f., 71, 74, 76, 83, 91, 93, 95 f., 100, 126, 130 Empathie 28, 71, 156 Entspannung 162 Entwicklung 18, 20 f., 23 f., 26 f., 29 ff., 40, 50, 52, 56, 64, 67, 69, 73, 79 ff., 86–90, 95–99, 104 f., 108–110, 112, 114–124, 126 f., 129–139, 142 ff., 146 f., 155, 157 ff., 165, 177, 179 ff., 185, 187 f., 198 Entwöhnung 155 Erfahrung 19, 26, 31, 40, 47, 49, 53, 71, 81 ff., 89, 92, 98, 102 f., 106 f., 109, 111 f.,
219
114, 117, 124, 132–135, 140–145, 148, 158 f., 161, 165, 167, 185, 187, 197, 209 Erotik 22, 70, 143, 189 Erregung 11, 97 f., 148 Es 65, 98, 131 f., 138, 172 Falsches Selbst 21, 23, 31, 124, 127, 159, 168, 170, 186 Fantasie 26, 30, 53, 65 f., 82 f. 111 ff., 133, 166, 183, 201 Faschismus 91, 96 Freiheit 96 ff., 201 Fürsorge 11, 18, 23, 26 f., 29, 49, 91, 105 ff., 112, 115, 117, 122, 124 f., 132, 156 ff., 163, 168, 173, 175 ff., 186 f. Geburt 23, 40, 49, 123, 131 Gefühle 29 f., 48, 51 f., 65 f., 70–73, 78, 81, 106, 108, 119, 139, 145, 164 Geist 30, 34, 123–126, 179, 204 Geisteskrankheit 115 Geistesstörung 153 Geschichten 18, 22, 24 Gesundheit 17, 19, 30, 66, 69, 75, 78, 84, 108, 123 f., 187, 189 Gier 26, 96 ff. Glaube 69, 130, 175, 200 Halluzination 111, 113, 149 Hass 80, 113, 116–119, 136, 149 180 Heilung 29 Hindernis 102, 142
Ich 39, 47, 65, 92, 109, 123, 131 ff., 142 f., 157, 167, 169, 172, 182 Ich-Orgasmus 98 Idealisierung 80, 105, 130 Identifikation 111, 156, 169, 175 Identität 24, 31, 46, 181 Illusion 31, 81, 103, 110 f., 114, 135, 153 ff., 178 Imagination 28 Innenwelt 112 Integration 18, 49, 103, 106, 108, 110, 117, 138 f., 176 intermediärer Raum 149–152, 155 f., 182 Intuition 78 Isolierung 180 Kastration 185 Kinderheilkunde 54, 56 f., 63, 71, 191 Kommunikation 10, 34, 73, 173 f., 176, 178, 180, 183– 187 Komplikation 18 Konflikt 21, 29, 44, 52, 56, 65, 67 f, 72, 80, 105, 127, 133, 158, 188 Kontinuität 39, 88 f., 115, 123 ff., 135, 159, 174 Körper 51, 98, 105 ff., 123, 125 ff., 139, 149, 171, 175, 203 f. Krankheit 17 f., 31, 66, 72 f., 122, 137, 156 Kreativität 23, 113, 133 f., 139, 145 f., 155, 171, 208
220
paranoid-schizoide Position 105, 114 Personalisierung 103, 106, 117 Prozess 19 f., 26, 31, 58, 95, 101 f., 115, 120, 130, 133, 147, 155, 163 ff., 173, 182 Psyche 106, 125, 195, 203 f. Psychose 80, 103 ff., 116 Psychosomatik 57
Krieg 42, 53, 61, 87–90, 103, 115 Kritzelspiel 33 Kultur 10, 24, 148, 153 Kunst 134, 145, 153 Künstler 9, 133, 145, 188, 209 Kur 129 Laienanalyse 57, 62 Lebenskraft 142 ff. Liebe 11, 80, 96, 113, 117 f., 136, 138 f. Lücken 17 f., 35
Realisierung 103, 106, 117 Realität 20, 56, 66, 81, 83, 85 f., 94, 110–114, 142 ff., 149, 152 f., 156, 163, 165 ff., 186 f. Reife 21, 40, 78, 90, 110 Religion 42, 153 Rücksichtslosigkeit 11, 20, 22 f., 103, 115, 139 f., 145
Magie 146, 176 Management 91 Masturbation 100, 209 Medizin 51, 53, 55, 62 f., 191 Natur 15, 19, 21, 129 f., 133 f., 157, 179, 200, 204 Neid 131 Neurose 31, 186 Nicht-Ich 135, 142 f., 146 f., 149, 182, 185 Objekt 25 f., 35, 81, 112, 115, 132, 137, 139–142, 144, 146–152, 154, 162 f., 165 ff., 174, 176 ff., 180–188 Objektbeziehungen 137, 186 Objektivität 22, 147, 156 Ödipuskomplex 23, 65, 67, 79 Omnipotenz 148, 155, 163, 165, 168, 182 Paradox 68, 122, 127, 180, 182, 184, 199
Sadismus 26, 80, 95, 105, 114 Schauspieler 11, 92, 171 Schuldgefühle 79–82, 121, 140, 145 f. Seele 20, 39, 80, 89, 195 seelische Gesundheit 108, 189 Selbst 19 ff., 24, 26 f., 32, 47, 58, 85, 90, 97 f., 105 f., 108 ff., 123–127, 132, 143 f., 151 f., 156 f., 159, 162 f., 165 f., 170 ff., 179, 181 f., 184–189, 210 Setting 23, 29, 50, 77, 89, 117, 174, 176 Sexualität 8 f., 23 ff., 27, 56, 134, 160 Soma 106, 123, 204 Sorge 119, 139 f., 145, 169 Spaltung 80, 105, 109, 141, 186 f.
221
Spatelspiel 102, 151 Spiegel 162 f. Spontaneität 18, 78, 89, 97, 113, 144, 150 Sprache 31, 42 f., 61, 82, 103, 106, 143, 151, 172–177, 181–185, 187 Stehlen 95, 135 Stil 31 ff. subjektives Objekt 176, 186 Subjektivität 147, 156 Sublimierung 134, 153 Symptome 71–74, 90, 135, 159 Tagträume 83 f., 201 Technik 21, 25, 33, 64, 66, 68, 116, 167 Theorie 11, 19–22, 27, 33 ff., 62, 64, 66, 70, 72, 78 ff., 84, 86 f., 115, 126 f., 130 f., 133 f., 136, 139, 141, 152 ff., 161 f., 167, 172 f., 185 Tod 18, 37 ff., 41, 76, 85, 138 Todestrieb 105, 136, 157, 160, 185, 188, 205 Tradition 8, 21, 32–35, 42, 50, 78, 120, 189, 198 Trauer 76, 133, 155 Trauma 19, 39, 134, 185 Träume 109, 151, 201 Übergangsobjekt 62, 146–151, 179, 184, 196 Übergangsphänomene 23, 31, 147, 150, 153, 155 f., 184 Übergangsraum 22, 47, 152 Über-Ich 65, 84 f. Überraschung 30, 183, 196
Übertragung 56, 65, 120, 151, 182, 201 Umfeld 18, 88, 91, 102, 107, 122–126, 130 f., 133, 146, 149, 157, 159, 161 f. Unabhängigkeit 11, 24, 51, 146 Unterhaltung 50, 85 Väter 23 f., 41, 44–47, 51, 88, 94, 121, 125, 175 Vergnügen 79, 100, 148, 180, 209 Verlässlichkeit 32, 49, 89 Vernichtung 157, 168, 185 Verrücktheit 11, 188 f., 197 Vertrauen 29, 32, 54, 65, 89, 95, 97, 101, 112, 130 Verzweiflung 90, 125 Vorstellung 18, 66, 76, 80, 85, 105, 109, 111, 125, 139 f., 156, 166, 171, 173, 175 Wahres Selbst 124 f., 127, 143, 154, 159, 161, 169–172, 186 f., 195 Wahrheit 42, 44, 71, 127, 165 Wahrnehmung 104, 155, 164 f. Widerstand 56, 96, 101, 142 ff., 178, 181 Wiedergutmachung 121, 145 f., 167 Wissenschaft 52 f., 56, 61, 147 Zeit 20, 22 f., 29, 71, 77, 89 f., 94 f., 101 f., 106 f., 140, 159, 186 Zuneigung 149 f. Zweifel 84, 93, 173
222
Adam Phillips bei V&R
Adam Phillips Darwins Würmer und Freuds Tod
Adam Phillips Wunschlos glücklich?
Über den Sinn des Vergänglichen Aus dem Englischen von Florian Langegger. 2007. 126 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-40401-0
Über seelische Gesundheit und den alltäglichen Wahnsinn Aus dem Englischen von Florian Langegger. 2008. 176 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-40407-2
Darwin und Freud haben sich auf verschiedene Weise mit dem Sinn des Lebens, der Vergänglichkeit und der Rätselhaftigkeit von Verlusten auseinandergesetzt. Adam Phillips gelingt es mit seinem Essay unter Bezug auf die Ideenwelten der bedeutenden Naturalisten, uns den Schrecken vor der eigenen Sterblichkeit zu nehmen. Die vergnügliche, zum Nachdenken anregende Reise in die Welt der Regenwürmer und des Todestriebs überzeugt: Das Leben ist schön – trotz Leid und Verlusterfahrungen.
Seelische Gesundheit – was ist das? Mit Erfolg, Reichtum und Fitness hat es jedenfalls nicht so viel zu tun, wie wir oft glauben. Vielmehr macht Adam Phillips auf seiner Spurensuche in Begriffsgeschichte, psychosozialer Entwicklung und Alltag erstaunliche Entdeckungen: Verwirrung kann eine Tugend sein, Wege jenseits der gängigen Normen sind nicht immer gefährlich und vor allem: Wer nicht mehr wünscht, kann nicht glücklich sein, und seelisch gesunden schon gar nicht.
Kinderpsychotherapie Jörg Wiesse (Hg.) Psychoanalyse und Kindheit
Barbara Bräutigam Die Heilungskräfte des starken Wanja
Psychoanalytische Blätter, Band 28. 2008. 144 Seiten mit 15 Abb., kartoniert ISBN 978-3-525-46027-6
Kinder- und Jugendliteratur in der Beratung und Therapie mit Kindern und Jugendlichen Mit einem Vorwort von Jochen Schweitzer. 2009. 186 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-40202-3
Ornella Garbani Ballnik Schweigende Kinder Formen des Mutismus in der pädagogischen und therapeutischen Praxis 2009. 293 Seiten mit 4 Abb. und 3 Tab., kartoniert ISBN 978-3-525-40201-6
Rolf Haubl / Frank Dammasch / Heinz Krebs (Hg.) Riskante Kindheit Psychoanalyse und Bildungsprozesse Schriften des Sigmund-Freud-Instituts. Reihe 3: Psychoanalytische Sozialpsychologie, Band 4. 2009. 283 Seiten mit 5 Abb., kartoniert ISBN 978-3-525-45414-5
Margret Dörr / Josef Christian Aigner (Hg.) Das neue Unbehagen in der Kultur und seine Folgen für die psychoanalytische Pädagogik 2009. 269 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-40204-7
Romuald Brunner / Franz Resch (Hg.) Borderline-Störungen und selbstverletzendes Verhalten bei Jugendlichen Ätiologie, Diagnostik und Therapie 2., durchgesehene Auflage 2009. 231 Seiten mit 5 Abb. und 13 Tab., kartoniert ISBN 978-3-525-49115-7
Christoph Möller (Hg.) Drogenmissbrauch im Jugendalter Ursachen und Auswirkungen 3., erweiterte Auflage 2009. 246 Seiten mit 10 Abb. und 10 Tab., kartoniert ISBN 978-3-525-46228-7
Martin Baierl Herausforderung Alltag Praxishandbuch für die pädagogische Arbeit mit psychisch gestörten Jugendlichen 2008. 448 Seiten mit 54 Tab., gebunden. ISBN 978-3-525-49134-8