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German Pages 648 [650] Year 2021
Matthias Krämer Westernisierung der Geschichtswissenschaft
Matthias Krämer
Westernisierung der Geschichtswissenschaft
Transatlantische Gastprofessoren im Umfeld der Historischen Zeitschrift
ISBN 978-3-11-073696-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-073163-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-073170-5 Library of Congress Control Number: 2021940290 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Orte und Migrationen von 16 transatlantischen Gastprofessoren, von Matthias Krämer gestaltet mit Palladio auf Basis von Mapbox und OpenStreetMap.org. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Inhalt
Einleitung 1 . Orientierung 1 . Grenzen und Überschreitungen . Wegmarken 30 57 . Ausblick
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Kollektivbiographie transatlantischer Gastprofessoren . Methode: Kollektivbiographie 64 74 . Herkunft .. Generation 75 .. Religion 82 90 .. Sozialmilieu . Ausbildung 95 .. Studienzeit 96 99 .. Dissertationsthema .. Doktorvater 102 .. Schultradition 108 116 . Karriere .. Bis zur Emigration 117 .. In der Emigration 122 .. Abweichungen bei in den USA Promovierten 150 . Professur .. Erstberufung 151 .. Weitere Berufungen 158 . Zusammenfassung 164
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Zwischen Exil, Emigration und Remigration 166 . Deutschsprachige Emigration, Wissenschaftsemigration, 167 Historikeremigration . Leitbegriffe als Forschungsprobleme 171 .. Exil 177 .. Emigration 180 .. Terminologische Präferenzen 184 . Perspektivenwechsel zur Begriffsbestimmung 191 .. Migrationsmuster 193 .. Gemeinsame und besondere Migrationserfahrungen 200 .. Migrationsmuster transatlantischer Gastprofessoren 208
VI
Inhalt
Transatlantische Gastprofessuren als Westernisierungsphänomen 213 213 . Westernisierung und ihre Erforschung . Kurzzeit-Remigration als Gastprofessor: Individuelle und kollektive Erfahrungen 217 .. Formen transatlantischer Gastprofessuren 219 223 .. Räumliche und zeitliche Schwerpunkte .. Individuelle Erfahrungen und Kontexte 232 266 .. Exkurs: Gastprofessuren als Remigrations-Tests . Studierende und ihre Gastprofessoren: Rezeption und Erinnerung 271 275 .. Hans Rosenberg als Ikone .. Funktionen von Gastprofessoren im Rückblick Studierender 278 301 .. Hans Rosenberg als Mentor . Emigranteneinflüsse 345
Neuanfang und Tradition der Historischen Zeitschrift 1945 – 1949 352 . Ludwig Dehio als Herausgeber des Neuanfangs 353 .. Voraussetzungen eines Neuanfangs 357 .. Dehios Neuorientierungs-Pläne 360 . Traditionsorientierung und Legitimation der Historischen 368 Zeitschrift .. Kontinuität der Herausgeberschaft: Walther Kienast 368 374 .. Legitimation eines Außenseiters: Ludwig Dehio .. Kontinuität und Vernetzung von Autoren 383 . Rahmenbedingungen für Kulturtransfer aus der Emigration 387
Produktionsbedingungen der Historischen Zeitschrift 390 . Briefnetzwerke zwischen Redaktion und Verlag 392 .. Herausgeber-Verleger-Beziehungen 392 .. Organisation von Mitarbeiterzirkeln 397 . Fachzeitschriften und Kapitalsorten 404 .. Wissen als Kulturkapital 406 .. Sozialkapital in der Wissenschaft 408 .. Symbolisches Kapital und Verkennung ökonomischen Kapitals 412 . Zeitschriftentausch als internationalisiertes Netzwerk . Anweisungen an Rezensenten 450 . Rezensionen heute 455
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VII
Inhalt
Rezensionsanalysen: Rezeption transatlantischer 466 Gastprofessoren . Vorüberlegungen 466 .. Rezeption als Wirkung der Emigration 467 .. Theorien zu Rezensionen 469 473 .. Rezensionsanalyse als Methode . Rezensionen in der Historischen Zeitschrift 1949 – 1964 477 .. Quantitative Analysen .. Qualitative Analysen 479 .. Tiefenhermeneutische Analysen 492 499 .. Typen und Sonderfälle . Vergleich mit anderen Rezensionskorpora 502 .. HZ-Rezensionen von Emigranten 1949 – 1964 503 509 .. HZ-Rezensionen 1965 – 1977 . Zusammenfassung 513 .. HZ-Rezensionen als Quellen 513 515 .. Urteile über Emigranten .. Vergiftetes Lob und Ausschluss aus der Zunft 516 .. Perspektiven 518
Westernisierung der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft . Fischer-Kontroverse und Pluralismus 521 . Jenseits der Westernisierung 530
Nachbetrachtung 556 . Zur Stellung der Kollektivbiographik in der Historiographiegeschichte 556 . Zur Grenze der Wirkung von Gastprofessoren
Anhang 565 . Kurzvorstellung der Untersuchungspersonen . Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen . Quellenverzeichnis 569 .. Archivbestände 569 .. Ungedruckte Quellen 570 576 .. Nachschlagewerke .. Ego-Dokumente 579
561
565 568
477
521
VIII
Inhalt
.. .. . .
Rezensionen 581 589 Sonstiges Literaturverzeichnis 592 Abkürzungsverzeichnis 628
630 Register . Personenregister 630 637 . Sachregister
1 Einleitung 1.1 Orientierung Die Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert wird von deutschen Männern gemacht. Ordentliche Professoren deutschsprachiger – nach 1945 besonders westdeutscher – Universitäten sind traditionell die Hauptakteure in diesem Bereich der Historiographiegeschichte. In dieser Untersuchung geht es ebenfalls um deutsche Männer, die Geschichte machten, doch da sie ab 1933 emigrierten und in der Nachkriegszeit lediglich als Gastprofessoren im deutschsprachigen Raum wirkten, stehen sie in der Fachgeschichte meist nur am Rande. Die Wirkung dieser transatlantischen Gastprofessoren¹ auf die deutschsprachige Geschichtswissenschaft ist jedoch kaum zu überschätzen: Sie sind zentrale Akteure eines Veränderungsprozesses, in dem die Geschichtswissenschaft die gesamtgesellschaftliche Westernisierung² nachvollzog und um den es in dieser Untersuchung geht.
Der Begriff geht zurück auf Marita Krauss: „Gedankenaustausch über Probleme und Methoden der Forschung“. Transatlantische Gastprofessoren aus Emigrantenkreisen in Westdeutschland nach 1945; in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 29 (2006), S. 243 – 259. Krauss sieht in der Remigration auf Zeit eine wichtige, aber übersehene Rückwirkung der Emigration auf die Herkunftsländer und schätzt bis zu ein Drittel der emigrierten Wissenschaftler als daran beteiligt ein, ebenda, S. 248 f. Damit erhalten transatlantische Gastprofessoren eine zentrale Bedeutung für die Untersuchung transnationalen Wissensaustauschs, wofür Emigration im Nationalsozialismus und Remigration nach Deutschland und Österreich ab 1945 als ein Paradebeispiel gelten. In dieser Arbeit ist mit dem Begriff der transatlantischen Gastprofessoren fast immer die Untersuchungsgruppe emigrierter Historiker gemeint, deren Begrenzung ich unten, ab S. 19, genau definiere. Zu bestimmten Zeitpunkten des 20. Jahrhunderts waren einige oder alle der damit gemeinten Personen noch keine Gastprofessoren, zu anderen Zeitpunkten noch keine Emigranten oder keine Historiker. Daher verwende ich zur Bezeichnung der Untersuchungsgruppe und ihrer Mitglieder auch die Begriffe Untersuchungspersonen und Probanden. Dass die Wissenschaftssprache dabei zu Assoziationen wie Untersuchungsobjekt, Versuchsperson, Prüfling oder gar Straftäter auf Bewährung führen kann, ist nicht beabsichtigt. Es führt aber vor Augen, wie das Wissen vom Menschen seit dem 19. Jahrhundert von Medizin und Strafjustiz geprägt ist und sich von der üblichen Sprache der Historiographiegeschichte unterscheidet, vgl. Michel Foucault: Archäologie des Wissens; in: Michel Foucault: Die Hauptwerke, Frankfurt am Main 2008, S. 471– 699, hier etwa S. 516. Westernisierung ist die Entstehung einer gemeinsamen Werteordnung in Gesellschaften östlich und westlich des Nordatlantik. Infolge des Kolonialismus begonnen, gilt Westernisierung im weiteren Sinne als Prozess, der sich vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart erstreckt. Im engeren Sinne bezeichnet der Begriff die Hinwendung insbesondere der Bundesrepublik Deutschland zu westlichen Ordnungsvorstellungen, wie sie insbesondere von den USA und Großbritanhttps://doi.org/10.1515/9783110731637-001
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1 Einleitung
Dabei ist es wichtig zu betonen, dass die deutschsprachige Geschichtswissenschaft ihre Westernisierung selbst vollzog. Gastprofessoren aus Amerika konnten zwar Anstöße geben und Angebote machen, deren Aufnahme und Umsetzung musste jedoch im Kern der deutschen Historikerzunft selbst stattfinden. Ich untersuche deshalb neben den Impulsen der Gastprofessoren die Historische Zeitschrift (HZ), die in dieser Zeit einem Mittelpunkt der Zunft am nächsten kommt. Dort fanden in der Nachkriegszeit umfassende Kämpfe um die Orientierung der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft statt. Rückbesinnung oder Neuorientierung hießen die Alternativen, und Neuorientierung bedeutete Hinwendung zum Westen, zur internationalen scientific community (oder scholarly community) und zu den sozial-liberalen Gesellschaftsvorstellungen, die kennzeichnend für die Westernisierung sind. Diese Ausrichtung repräsentierten die transatlantischen Gastprofessoren wie keine andere Gruppe, und dementsprechend bezogen sich auch Historiker rund um die HZ in affirmativer oder ablehnender Weise auf sie. Anfangs überwiegend zurückgewiesen, brachte der Generationswechsel der 1960er Jahre die entscheidenden Durchbrüche für das Ansehen der Gastprofessoren wie für die Westernisierung der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft. Von besonderer Bedeutung für diese Neuausrichtung der Zunft war die jüngere Generation der nach 1945 studierenden und seit den 1960er Jahren auf Geschichtsprofessuren berufenen Historiker und nun auch Historikerinnen.³ Ihre Beziehung zu den transatlantischen Gastprofessoren verdient eine nähere Betrachtung, weil sie eine Abweichung vom herkömmlichen Modell geschichtswissenschaftlicher Karrierewege bildet: Der Schulzusammenhang kann als der für Historikerkarrieren entscheidende soziale Faktor angesehen werden. Üblicherweise stellt die persönliche Beziehung zwischen Doktorvater und Doktorand diesen Schulzusammenhang her, stabilisiert durch Status- und Wert-Homophilie.⁴ Wie Wolfgang Weber herausgearbeitet hat, können auch andere Verflech-
nien nach dem Zweiten Weltkrieg repräsentiert wurden, und damit die Abkehr von antiwestlichen und antiliberalen Traditionen. Durch das Nachwirken solcher Traditionen blieb diese Entwicklung lange unter dem Begriff „Verwestlichung“ negativ konnotiert. Maßgeblich Anselm DoeringManteuffel: Wie westlich sind die Deutschen? Amerikanisierung und Westernisierung im 20. Jahrhundert, Göttingen 1999, S. 13 – 15; als Überblick: Anselm Doering-Manteuffel: Amerikanisierung und Westernisierung; in: Docupedia-Zeitgeschichte, 19. August 2019 (Version 2.0), URL: http://docupedia.de/zg/Doering-Manteuffel_amerikanisierung_v2_de_2019 (zuletzt abgerufen am 23. Januar 2020). Vgl. zu den Positionen von Historikerinnen im Betrachtungszeitraum und zur Verwendung grammatischer Geschlechtszuweisungen in dieser Arbeit unten, ab S. 26. Die auf Paul F. Lazarsfeld und Robert K. Merton zurückgehende Homophilie-These besagt, dass Kontakte zwischen einander ähnlichen Personen häufiger sind als zwischen unähnlichen. Dabei
1.1 Orientierung
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tungsarten einen Schulzusammenhang herstellen,⁵ so dass man von Adoptivschülern sprechen kann. Ich gehe hier allerdings davon aus, dass selbst die intensive Orientierung von Nachkriegsstudierenden an einem transatlantischen Gastprofessor keinen Wechsel des Schulzusammenhangs bedeutet, sofern die karriererelevanten Funktionen des Schulzusammenhangs vom Doktorvater erfüllt werden. Vielmehr sehe ich die Gastprofessoren in einer den Schulzusammenhang ergänzenden Funktion: Dabei waren sie weniger entscheidend für die Karrierechancen der Nachwuchshistoriker, sondern eher Quellen von Orientierung und Inspiration zur Neuorientierung der Historiographie einerseits und Quellen von symbolischer Legitimation für diese Neuorientierung andererseits. Ob die jüngere Generation der deutschsprachigen Historiker sich in der Nachkriegszeit auf Historiker der älteren Generationen berufen konnte, die ab 1933 aus der Zunft ausgeschlossen und emigriert waren, wurde im Besprechungsteil der HZ ab deren Wiedererscheinen 1949 zunächst ablehnend beurteilt. Den transatlantischen Gastprofessoren blieb bis in die 1960er Jahre die Anerkennung der nichtemigrierten Rezensenten überwiegend versagt. Im Laufe der 1960er Jahre änderte sich dies allerdings spürbar, einerseits bedingt durch den Aufstieg der Nachkriegsstudierenden auf Professuren und in den Kreis der HZRezensenten, andererseits durch eine damit verbundene Verschiebung in den thematischen und politischen Orientierungen der Historikerzunft.
Kritische Historiographiegeschichte Historiographiegeschichte (oder Wissenschaftsgeschichte der Geschichtswissenschaft) ist ein Themengebiet, das in Zeiten konkurrierender Strömungen an Attraktivität gewinnt, da es Historikerinnen und Historikern durch historische Einordnung Orientierung im eigenen wissenschaftlichen Feld verspricht.⁶ So
bezieht sich Status-Homophilie auf soziodemographische Merkmale und Verhaltensmuster, WertHomophilie auf Wertorientierungen und Geisteshaltungen. Die Begriffe verdanke ich ihrer Anwendung auf die Untersuchung von Journalisten-Netzwerken durch Uwe Krüger: Meinungsmacht. Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten – eine kritische Netzwerkanalyse, Köln 2014, S. 144 f. Wolfgang Weber: Priester der Klio. Historisch-sozialwissenschaftliche Studien zur Herkunft und Karriere deutscher Historiker und zur Geschichte der Geschichtswissenschaft 1800 – 1970, Frankfurt am Main u. a. 1984, insbesondere S. 189 – 199. Vgl. Horst Walter Blanke: Historiographiegeschichte; in: Stefan Jordan (Hg.): Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe, Stuttgart 2002, S. 155 – 157, hier S. 155, und Wolf Lepenies: Wissenschaftsgeschichte und Disziplingeschichte; in: Geschichte und Gesellschaft 4 (1978), S. 437– 451, hier S. 450 f. Vgl. bezogen auf die allgemeine Wissenschaftsgeschichte im Zusammenhang mit der Wissenschaftsemigration Mitchell Ash: Emigration und Wissenschafts-
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1 Einleitung
kann Historiographiegeschichte in der Absicht betrieben werden, eine gegenwärtige Forschungsrichtung in eine Tradition einzureihen und so zu ihrer Legitimierung beizutragen; sie kann Vorbilder für zukünftige Geschichtswissenschaft identifizieren und ihnen Denkmäler errichten;⁷ oder sie kann Traditionslinien zu wenig schmeichelhaften Vorläufern ziehen, um damit Kritik zu üben an gegenwärtiger Geschichtsforschung.⁸ Die Herstellung von Traditionslinien ist offenbar ein entscheidender Aspekt in der Historiographiegeschichte, schließlich verbindet die Tradition die Gegenwart mit der Vergangenheit und erzeugt so den wissenssoziologisch so bedeutsamen Schulzusammenhang, auch über mehrere Generationen hinweg. Eine wissenschaftliche Disziplin basiert daher nicht nur sprachlich auf der (Selbst‐) Disziplinierung der Schüler (disciples) zur Anerkennung des akademischen Lehrers.⁹ In besonders traditionsorientierten Fällen ist der Ausdruck des akademischen Lehrers sogar noch zu schwach gewählt: Die Metapher des „Meisters“ vereint das Vormachen der handwerklichen Praktiken, die Regulierung des Zutritts zur Zunft, die Ehrerbietung gegenüber seiner überlegenen Weisheit. Selbst die im Deutschen geläufige Definition der „Meistererzählung“ versteht darunter eine „Geschichtsdarstellung“, die „innerfachlich schulbildend wirkt“.¹⁰ Die wandel als Folgen der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik; in: Doris Kaufmann (Hg.): Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Bestandsaufnahme und Perspektiven der Forschung, Band 2, Göttingen 2000, S. 610 – 631, hier S. 631. Lepenies: Disziplingeschichte, S. 451: „Geht dieses Vertrauen in den kontinuierlichen Fortschritt der Wissenschaftsentwicklung verloren, […] erscheint es als sinnvoll, in der Vergangenheit einer Disziplin nach Methoden und Orientierungen zu suchen, die sich vielleicht nicht durchsetzen konnten, deren Wiederbelebung aber durchaus sinnvoll erscheint.“ Die genannten drei Arten eines möglichen Nutzens von Historiographiegeschichte sind inspiriert von Friedrich Nietzsches zweiter unzeitgemäßer Betrachtung „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ (1874); entnommen aus: Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden, hg. von Karl Schlechta, Band 1, München 1954, S. 209 – 287. Vgl. für eine Auflistung von allgemeinen Funktionen von Disziplingeschichten Lepenies: Disziplingeschichte, S. 448 – 450; zur Grundlage dieser Funktionen ebenda, S. 448: „Das Interesse an Disziplingeschichte hat die Existenz eines Wissenschaftssystems zur Voraussetzung, in dem Disziplinen um Identitäten und Ressourcen konkurrieren.“ Blanke: Historiographiegeschichte, S. 156 f., unterscheidet zwischen affirmierender und kritischer Absicht als den beiden Hauptfunktionen. Vgl. die Ansicht, nach der es der Wissenschaftsgeschichte (der Geschichtswissenschaft) darum gehe, „alte Positionen zu überprüfen, zu bewahren oder über Bord zu werfen“ bei Heinz Wolf: Deutsch-jüdische Emigrationshistoriker in den USA und der Nationalsozialismus, Bern u. a. 1988 (zugleich Diss., Zürich 1987), S. 9. Vgl. Marko Demantowsky: What is Public History; in: Marko Demantowsky (Hg.): Public History and School. International Perspectives, Berlin/Boston 2018, S. 3 – 37, hier S. 15. Konrad H. Jarausch/Martin Sabrow: „Meistererzählung“ – Zur Karriere eines Begriffs; in: Konrad H. Jarausch/Martin Sabrow (Hg.): Die historische Meistererzählung. Deutungslinien der
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Schlussfolgerung, dass eine solche Erzählung von einem akademischen Meister geprägt und von seinen Schülern nacherzählt und verbreitet wurde, liegt dabei nahe.¹¹ Um diese Metaphorik, die die besondere Stärke von Schulzusammenhängen in der Geschichtswissenschaft betont, nicht überzustrapazieren, halte ich mich künftig aber weitgehend an die allgemeiner gebräuchliche akademische Schüler-Lehrer-Begrifflichkeit – obwohl im hier wiederholt zu diskutierenden Fall der Schule Friedrich Meineckes¹² auch die Meister-Metapher von den Schülern selbst verwendet wurde: „der Meister unserer Wissenschaft – denn das ist Meinecke“.¹³ Allerdings möchte ich in dieser Arbeit nicht nur historiographiegeschichtliche Traditionslinien (re)konstruieren, sondern diese zugleich in Frage stellen: Die Betonung der Tradition erklärt nur, wie alles beim Alten bleiben kann. Es kommt aber darauf an, zu erklären, wie Veränderung möglich ist. Für eine kritische Historiographiegeschichte ist das eine Grundfrage, da ohne Möglichkeit der Veränderung die kritische Reflexion fachlicher Standards und weltanschaulicher Positionierungen¹⁴ ein sinnloses Unterfangen darstellte. Kritik ist insofern die Voraussetzung von Wissenschaftlichkeit schlechthin: Auf einer basalen Ebene, die in der Praxis leicht aus dem Blick gerät, verlangt Wissenschaftlichkeit die stetige Kritik von Texten (Quellen, Daten, Methoden, Abhandlungen) im Hinblick
deutschen Nationalgeschichte nach 1945, Göttingen 2002, S. 9 – 31, hier S. 16. Zur Bedeutungsdifferenz zwischen „master narrative“ und seiner üblichen Übersetzung als „Meistererzählung“ vgl. ebenda, S. 14, und Demantowsky: Public History, S. 15. Vgl. Falko Schnicke: Die männliche Disziplin. Zur Vergeschlechtlichung der deutschen Geschichtswissenschaft 1780 – 1900, Göttingen 2015, S. 552 f., zum priesterlich privilegierten Zugang zu einer höheren Wahrheit, der einem Meister zugesprochen wurde, zusammen mit dem Ideal des Historikers als eines „ganzen Mannes“ mit perfektionierter Selbstkontrolle und genial-asketischen Attributen, dessen Lehren eine handverlesene Gemeinschaft von Jüngern (disciples) aufnimmt und weiterträgt. Friedrich Meinecke: Akademischer Lehrer und emigrierte Schüler. Briefe und Aufzeichnungen 1910 – 1977. Eingeleitet und bearbeitet von Gerhard A. Ritter, München 2006, ist eine Fundgrube für Meineckes häufige Bezeichnung als Meister durch verschiedene Historiker, so S. 18, S. 29, S. 34, S. 46 und öfter. Wo künftig nur der Kurztitel Ritter: Meinecke verwendet ist, verweise ich auf Textstellen des Bearbeiters. BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an Wilhelm Oldenbourg, Marburg 28.02.1946. Vgl. unten das ausführlichere Zitat auf S. 376. Ebenfalls über „Meister“ der „Zunft“ spricht, wenn auch distanzierend, Helmut Böhme: „Primat“ und „Paradigmata“. Zur Entwicklung einer bundesdeutschen Zeitgeschichtsschreibung am Beispiel des Ersten Weltkrieges; in: Hartmut Lehmann (Hg.): Historikerkontroversen, Göttingen 2000, S. 87– 139, hier S. 91. Blanke: Historiographiegeschichte, S. 156.
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auf logische Konsistenz, empirische Stichhaltigkeit und Intersubjektivität.¹⁵ Mündigkeit als Ziel kritischer Selbstreflexion (nicht nur) in der Wissenschaft bedeutet Widerstand gegen Autoritäten.¹⁶ Daher muss es das Ziel kritischer Historiographiegeschichtsschreibung sein, nicht die stramme Traditionslinie zu ziehen, sondern diejenigen Konstellationen zu skizzieren, in der die Akteure in der Lage waren, autonome Entscheidungen zu treffen. Diese Konstellationen, in denen die Wahlmöglichkeit zwischen dem Bestehenden und möglichen Alternativen wahrnehmbar wird, schaffen den Raum für das Subjektive, den Raum für das Andere des Bestehenden, und damit die Möglichkeit, das Gewordensein im Gegensatz zum Immer-schon-so-Gewesensein zu erkennen.¹⁷ Die Veränderbarkeit der gegenwärtigen geschichtswissenschaftlichen Praxis soll in dieser Untersuchung also nicht daran deutlich werden, dass ich das kontinuierliche Fortschreiten einer historiographiegeschichtlichen Entwicklung erzähle, denn dies würde die Fortsetzung jener erzählend geschaffenen Kontinuitätslinie bedeuten, und gerade nicht die Offenheit der Gegenwart für verschiedene Zukünfte betonen.¹⁸ Stattdessen will ich die Konstellationen, die in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft der Nachkriegszeit ein Potential für Veränderung erzeugt haben, aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten und mit verschiedenen Methoden erfassen, um das Gewordene damit für Zukünfte zu öffnen, wie Theodor W. Adorno sein Konzept einer negativen Dialektik beschrieben hat:
Jürgen Ritsert: Grundbegriff: Kritik; in: Uwe Bittlingmayer/Alex Demirovic/Tatjana Freytag (Hg.): Handbuch Kritische Theorie, Wiesbaden 2018, S. 3 (DOI: 10.1007/978-3-658-12707-7_76-1), URL: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-658-12707-7_76-1.pdf (zuletzt abgerufen am 12. November 2018). Ulrich Brieler: Bruderschaft der Kritik: Adorno und Foucault; in: Uwe Bittlingmayer/Alex Demirovic/Tatjana Freytag (Hg.): Handbuch Kritische Theorie,Wiesbaden 2016, S. 8 (DOI: 10.1007/ 978-3-658-12707-7_14-1), URL: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007 %2F978-3-658-12707-7_14-1.pdf (zuletzt abgerufen am 12. November 2018). Vgl. ebenda, S. 11; Hans-Jörg Rheinberger: Wissenschaftsgeschichte heute; in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 41 (2018), S. 417– 419, hier S. 417. Mit der Offenheit der Zukunft befasst sich anlässlich der Orientierungsfragen dieser Disziplin das Themenheft „Zur Zukunft der Wissenschaftsgeschichte“ der Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 41 (2018), Heft 4. Darin wird es als Aufgabe der Wissenschaftsgeschichte bezeichnet, „Entstehungsbedingungen und Effekte [wissenschaftlicher Disziplinen] im Namen einer offenen Zukunft zu reflektieren“, so Cornelius Borck: Der Einsatz der Wissenschaftsgeschichte (Editorial); in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 41 (2018), S. 325 – 328, hier S. 326. Die sozialen, institutionalisierten „Rahmenbedingungen“ moderner Wissenschaft sind dann auch kritisch als „Bedingungen der Möglichkeit wissenschaftlichen Arbeitens“ zu reflektieren und dazu zu historisieren, ergänzt Mitchell G. Ash: Wissenschaftsgeschichte in der Geschichtswissenschaft; in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 41 (2018), S. 329 – 332, hier S. 332.
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„Als Konstellation umkreist der theoretische Gedanke den Begriff, den er öffnen möchte, hoffend, dass er aufspringe etwa wie die Schlösser wohlverwahrter Kassenschänke: nicht nur durch einen Einzelschlüssel oder eine Einzelnummer sondern eine Nummernkombination“¹⁹.
Anders als in Adornos Kassenschrank-Metapher ist die Nummernkombination für den zu öffnenden Begriff aber nicht ein für alle Mal gefunden, sobald das Schloss aufspringt. Zwar lassen sich dann Erkenntnisschätze bergen, doch zugleich darf die Verunsicherung nicht ignoriert werden, ob das schon alles war, oder ob es noch einen geheimen Safe hinter dem Kassenschrank gibt. Erst diese kritische Selbstreflexivität macht Geschichtsschreibung zu einem unabschließbaren Prozess, umso mehr, als Historiographiegeschichte die Notwendigkeit von Selbstbeobachtung auf die Spitze treibt. Kritische Historiographiegeschichte dient daher nicht der üblichen „Vergewisserung eigener wissenschaftlicher Standards“²⁰, sondern ihrer Verunsicherung: „Kritische Geschichtsschreibung zielt also auf Modifikation, indem sie sich erstens des Wissens über die Vergangenheit niemals sicher sein kann, weil es zahlreiche historische Wirklichkeiten gibt, die immer wieder anders zum Vorschein zu bringen sind. Das Kritische daran ist aber nicht nur, die unumgängliche Geschichtlichkeit der Geschichtsschreibung zu verdeutlichen, sondern die Spezifik von Wirklichkeitskulturen mitsamt ihren Produktionsformen und ‐bedingungen hervorzuheben. Zweitens sorgt die kritische Praxis für eine Verunsicherung der Gegenwart, der ihre eigene Historizität vorgehalten werden muss. Indem Vergangenheit und Gegenwart chiastisch aufeinander bezogen werden, wird drittens das Objekt kritischer Geschichtsschreibung weniger eindeutig und muss sich das Subjekt dieser kritischen Praxis selbst befragen (lassen).“²¹
Die Verunsicherung des festen Ganges der Wissenschaft spielt für die Geschichtswissenschaft eine besondere Rolle. Es dominiert wohl bis heute die
Theodor W. Adorno: Negative Dialektik, Frankfurt am Main 1975, S. 165 f. Blanke: Historiographiegeschichte, S. 156. Vgl. Jan Eckel/Thomas Etzemüller: Vom Schreiben der Geschichte der Geschichtsschreibung. Einleitende Bemerkungen; in: Jan Eckel/Thomas Etzemüller (Hg.): Neue Zugänge zur Geschichte der Geschichtswissenschaft, Göttingen 2007, S. 7– 26, hier S. 12 f. und S. 19 – 22. Entgegen der ebenda, S. 21, vertretenen These, dass Historiographiegeschichte heute nicht mehr primär „Begleitreflexion für die gegenwärtige Wissenschaftspraxis“ sei, beharre ich auf diesem Erkenntnisinteresse. Die Erneuerung der Historiographiegeschichte von einer wissenschaftsimmanenten Sichtweise zu wissenschaftssoziologischen und wissenschaftskulturellen Perspektiven erweitert vielmehr die Begleitreflexion um die dringend benötigte Reflexion über kulturelle Prägungen und gesellschaftliche Funktionen der gegenwärtigen Wissenschaftspraxis. Achim Landwehr: Die Kunst, sich nicht allzu sicher zu sein. Möglichkeiten kritischer Geschichtsschreibung; in: Werkstatt Geschichte 2012, Heft 61, S. 7– 14, hier S. 14.
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1 Einleitung
Wissenschaftsvorstellung, eine gute Untersuchung solle ein Thema abschließend behandeln, zu definitiven Ergebnissen gelangen und dadurch gesicherte Wahrheit produzieren. Mit einer wissenschaftssoziologischen Perspektive ist dies unvereinbar, da demnach die Wissenschaftlichkeit ganz ohne sozialen Vorgang allein in der Güte der Untersuchung liegt.Wissenschaftliche Kontroverse wird in der Geschichtswissenschaft daher weniger als notwendige Bedingung der Wissenschaftlichkeit von Wahrheitssuche verstanden. Umso eher entwickeln Kontroversen in der Geschichtswissenschaft eine weniger produktive als vielmehr zerstörerische Dynamik, in der Widerspruch mit Feindschaft und Kritik mit Ehrabschneidung gleichgesetzt werden.²² Auch in der Debatte um die Traditionslinien der insbesondere bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft empfanden einige Akteure die Aspekte einer drohenden existenziellen Delegitimierung und ihrer Bekämpfung: Nach dem Abflauen der frühen Konjunktur der 1960er Jahre²³ trat Kritik an Kontinuitätslinien zwischen Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus und
Vgl. Klaus Große Kracht: Die zankende Zunft. Historische Kontroversen in Deutschland nach 1945, 2. Auflage, Göttingen 2011, der sich auf die bundesrepublikanische Zeitgeschichtsschreibung konzentriert und eine besonders „streitende Generation“ der um 1930 Geborenen ausmacht (S. 162); vgl. Hartmut Lehmann (Hg.): Historikerkontroversen, Göttingen 2000, worin auch ältere Kontroversen angesprochen werden. Darin schlägt Hartmut Lehmann: Clios streitbare Priester: Zur Einführung, S. 7– 14, hier S. 13 f., ein Drei-Ebenen-Modell historischer Kontroversen vor, bei denen es regelmäßig eigentlich um etwas anderes als das explizit Verhandelte gehe. Dagegen sieht im selben Band Fritz Stern: Comment on the Place of Historical Controversy, S. 175 – 182, hier S. 181 f., „the author’s claim of having arrived at definitive answers“ als illusorisch an und macht es geradezu zum Qualitätsmerkmal historischer Untersuchungen, wenn sie zur Annäherung an die Wahrheit beitragen, indem sie zu Kontroversen und Revisionen einladen. Die zerstörerische Dynamik zeigt sich etwa an Imanuel Geiss: Der Hysterikerstreit. Ein unpolemischer Essay, Bonn/ Berlin 1992; die spürbaren persönlichen Verletzungen machten Eindruck auf mich in der Zusammenarbeit mit Imanuel Geiss, dem es auch nach Jahrzehnten noch schwer fiel, gegenüber seinen alten Gegnern Jürgen Habermas und Hans-Ulrich Wehler das principle of charity zur rationalen Rekonstruktion von Argumenten zur Anwendung zu bringen, das mir aus dem Philosophiestudium bekannt war. Zu sehr schmerzten Geiss insbesondere die „seit dem Historikerstreit nur noch gehässigen Fuß(tritt)noten“ Wehlers, so Imanuel Geiss: Nation und Nationalismen. Versuche über ein Weltproblem. 1962– 2006, Bremen 2007, S. 20 f.,vgl. ebenda, S. 12. Zum principle of charity vgl. Arnd Mehrtens: Methode/Methodologie; in: Hans Jörg Sandkühler (Hg.): Enzyklopädie Philosophie. Band 1: A–N, Hamburg 1999, S. 832– 840, hier S. 838 f. Zur ehrenrührigen Rezension, mit der eine Kontroverse nicht selten beginnt, vgl. Martin Scheutz: Turba ist ein ganz gemeiner Kerl! Rezensionen als Ehrdiskurs am Beispiel der MIÖG (1920 – 1939); in: MIÖG 121 (2013), S. 63 – 86. Ursula Wiggershaus-Müller: Nationalsozialismus und Geschichtswissenschaft. Die Geschichte der Historischen Zeitschrift und des Historischen Jahrbuchs 1933 – 1945, Hamburg 1998 (zugleich Diss., Heidelberg 1989), S. 6, mit Verweisen auf die in der Pose der „Entlarvung“ als
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Nachkriegsgeschichtswissenschaft besonders um die Jahrtausendwende wieder prominent hervor. Die dabei breit diskutierten Hinweise auf die „braunen Wurzeln“²⁴ insbesondere der Historischen Sozialwissenschaft wurden als geeignet angesehen, die Legitimität dieser Richtung, ihrer Perspektiven und Fragestellungen, in Zweifel zu ziehen.²⁵ Der Ursprung dieser Diskussion liegt wohl in der These Winfried Schulzes, der 1989 die Anfänge der Sozialgeschichte in Westdeutschland „eher als eine Neuformulierung und Weiterführung von Forschungsansätzen“²⁶ nannte, die Werner Conze, Theodor Schieder, Otto Brunner und andere im Nationalsozialismus unter der Bezeichnung Volksgeschichte entwickelt hatten. Ihren Höhepunkt fand die Debatte auf dem Frankfurter Historikertag 1998, als herbe Vorwürfe gegen „die ‚Gründerväter‘ der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft“ laut wurden: „Selbst sie haben in verschiedener, im Endergebnis jedoch unleugbarer Weise mitgeholfen, die Diskriminierung der Juden, die Legitimation des Führerstaates und die nationalsozialistischen Forderungen einer Volksboden- und Großraumpolitik ‚wissenschaftlich‘ zu untermauern.“²⁷
Faschisten vorgetragenen Vorwürfe gegen westdeutsche Historiker sowohl von Seiten der DDRGeschichtswissenschaft als auch aus der westdeutschen studentischen Linken. Im Gegenzug bewahrten von den so Angegriffenen „die meisten anscheinend ein strategisches Stillschweigen“ und bemühten sich um Verschleierung der eigenen Vergangenheit, so Jerry Z. Muller: Enttäuschung und Zweideutigkeit. Zur Geschichte rechter Sozialwissenschaftler im „Dritten Reich“; in: Geschichte und Gesellschaft 12 (1986), S. 289 – 316, hier S. 290. Z. B. Carsten Klingemann: Symbiotische Verschmelzung: Volksgeschichte – Soziologie – Sozialgeschichte und ihre empirische Wende zum Sozialen unter nationalsozialistischen Vorzeichen; in: Comparativ 12 (2002), S. 34– 62, hier S. 38 f., mit Verweis auf das aus diesem Kontext hervorgegangene Interviewprojekt „Versäumte Fragen“, publiziert als Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000. Zum Gesamtkomplex vgl. Wilma Iggers/Georg Iggers: Zwei Seiten der Geschichte. Lebensbericht aus unruhigen Zeiten, Göttingen 2002, S. 259 f.; Lutz Raphael: Von der Volksgeschichte zur Strukturgeschichte: Die Anfänge der westdeutschen Sozialgeschichte 1945 – 1968; in: Comparativ 12 (2002), S. 7– 11; Ingo Haar: Historiker im Nationalsozialismus. Deutsche Geschichtswissenschaft und der „Volkstumskampf“ im Osten, Göttingen 2000. Winfried Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1989, besonders S. 281– 301, Zitat auf S. 281. Ebenda, S. 291, geht Schulze sogar so weit, Brunners Innovationskraft „auf dem theoretischen Boden der ‚Volksgemeinschaft‘ nationalsozialistischer Prägung“ auf den „historischen Schwung von 1933/38“ zurückzuführen. Winfried Schulze/Gerd Helm/Thomas Ott: Deutsche Historiker im Nationalsozialismus. Beobachtungen und Überlegungen zu einer Debatte; in: Winfried Schulze/Otto Gerhard Oexle (Hg.): Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, 2. Auflage, Frankfurt am Main 2000, S. 11– 48, hier S. 17; vgl. den ganzen Sammelband zur Diskussion auf dem Historikertag in Frankfurt am Main 1998.
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Hans-Ulrich Wehler reagierte als ein Hauptvertreter der Historischen Sozialwissenschaft auf diese schmerzhaften Enthüllungen über die eigenen akademischen Lehrer, indem er die „politisch-moralische Delegitimierung der Sozialgeschichte“ auf Basis ihrer „angeblich nationalsozialistischen Herkunft“ als Ziel einiger an der Auseinandersetzung Beteiligter vermutete.²⁸ Darüber hinaus wurden verschiedene Argumentationsfiguren gegen diese Delegitimierung in die Diskussion eingebracht: Willi Oberkrome führte schon 1993 in seiner von Jürgen Kocka betreuten Dissertation aus, dass die unbestreitbaren Innovationen der Volksgeschichte im Nationalsozialismus in ein ideologisches Korsett „eingeschnürt“ blieben, das erst nach 1945 fiel, so dass man nicht von einer „durchgehenden Traditionslinie“ sprechen könne.²⁹ Axel Flügel argumentierte im Jahr 2000 grundsätzlich, dass „ein systematischer Zusammenhang zwischen politischer Einstellung und Wissenschaft […] kaum vertretbar“ erscheine.³⁰ Nach Trennung dieser Aspekte kam er zu dem Schluss, dass die These von der Innovation der Volksgeschichte nicht überzeuge.³¹ Er empfahl vielmehr, den Blick auf „konkurrierende zeitgenössische Veröffentlichungen, die ein höheres innovatives Potential besitzen“, zu richten, und „solche Arbeiten bzw. ihre nach 1933 häufig exilierten Autoren in die Wissenschaft zu repatriieren.“³² Gegen politisch-moralische Delegitimierungsversuche durch Vorwürfe der Verstrickung in den Nationalsozialismus war also der Hinweis auf unverdächtigte Traditionslinien, besser noch auf zum NS-Staat oppositionelle Ahnen, eine erfolgversprechende Argumentationsstrategie. Flügels Betonung der innovativen Arbeiten emigrierter Historiker war kein Einzelfall. Denn die Zuweisung eines wissenschaftlichen Fortschritts an nationalsozialistische Wissenschaft löst verständlicherweise Unbehagen aus.³³ Die Berufung der Historischen Sozialwissenschaft auf „Emigranten wie Hans Rosenberg, Ernst Fraenkel, Richard Löwenthal und viele andere“ gilt vielmehr als Markenzeichen dieser sonst „gerade die po-
Hans-Ulrich Wehler: Nationalsozialismus und Historiker; in: Winfried Schulze/Otto Gerhard Oexle (Hg.): Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, 2. Auflage, Frankfurt am Main 2000, S. 306 – 339, hier S. 307 f. Willi Oberkrome: Volksgeschichte. Methodische Innovation und völkische Ideologisierung in der deutschen Geschichtswissenschaft 1918 – 1945, Göttingen 1993, S. 226 – 228. Axel Flügel: Ambivalente Innovation. Anmerkungen zur Volksgeschichte; in: Geschichte und Gesellschaft 26 (2000), S. 653 – 671, hier S. 655. Ebenda, S. 668 f. Ebenda, S. 670. Vgl. Christof Dipper: Die deutsche Geschichtswissenschaft und die Moderne; in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 37 (2012), S. 37– 62, hier S. 41 f.
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litische und wissenschaftliche Traditionskritik“ betonenden Konzeption.³⁴ Für die Frage nach der Belastung der Sozialgeschichte durch „braune Wurzeln“ erscheint also die Frage nach dem Einfluss emigrierter Historiker nach 1945 zentral. Gabriela Ann Eakin-Thimme vertrat 2002 die These, dass der Einfluss der Emigranten auf die Neuansätze der westdeutschen Sozialgeschichte nach 1945 minimal war, da „gerade jene deutschen ‚Schüler‘, die so sehr auf Hans Rosenbergs ‚Einfluß‘ verweisen, […] sich das Gros ihrer theoretischen Anregungen nicht bei ihm“ holten.³⁵ Im Gegensatz dazu stellte Gerhard A. Ritter Rosenberg ausdrücklich als „bedeutendsten Wegbereiter der modernen deutschen Sozial- und Gesellschaftsgeschichte“ dar.³⁶ Ich versuche diesen Widerspruch aufzulösen und plädiere dabei für eine hohe Bewertung des Einflusses Rosenbergs und der anderen Gastprofessoren – allerdings unter Rahmenbedingungen, die nicht von den Gastprofessoren selbst, sondern von den deutschen Ordinarien geprägt und von den Nachwuchshistorikerinnen und ‐historikern genutzt wurden.
Dialektische Methodologie Große Worte wie Kritik oder Dialektik wecken in ihrer wolkigen Unverständlichkeit leicht den Verdacht, es solle durch ihre Verwendung ein Mangel an Substanz kaschiert werden. Deshalb fasse ich kurz zusammen, was ich darunter verstehe: Kritik habe ich oben als Reflexion über die Bedingungen (der Möglichkeit) von Erkenntnis verstanden, einschließlich der Bedingung des permanenten Rekurses auf diese Selbstreflexion durch Verunsicherung statt Vergewisserung. Kritik ist also ein Verfahren der Bewertung von (in dieser Arbeit: wissenschaftlichen) Tatbeständen, das prinzipiell unabschließbar bleibt und sich durch die Fokussierung auf Probleme der Verbesserung ihrer Gegenstände widmet.³⁷ Als solches spielt Kritik in dieser Arbeit im Hinblick auf (1.) die Erkenntnis der Historiographiegeschichte eine Rolle, auf (2.) den Zustand der Geschichtswissenschaft in der Ge-
Josef Mooser: Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Historische Sozialwissenschaft, Gesellschaftsgeschichte; in: Hans-Jürgen Goertz (Hg.): Geschichte. Ein Grundkurs, 2. Auflage, Reinbek bei Hamburg 2001, S. 516 – 538, hier S. 526 – 528. Gabriela Ann Eakin-Thimme: Die emigrierten Historiker als Vermittler sozialgeschichtlicher Ansätze?; in: Comparativ 12 (2002), S. 63 – 85, hier S. 81. Vgl. dazu besonders die Überlegungen zu Hans Rosenbergs Gastprofessuren unten, ab S. 236. Ritter: Meinecke, S. 79 f.; vgl. bereits Gerhard A. Ritter: Hans Rosenberg. 1904– 1988; in: Geschichte und Gesellschaft 15 (1989), S. 282– 302, hier S. 282: „Er war der Pionier und Nestor der modernen deutschen Sozialgeschichte“. Vgl. Kurt Röttgers: Kritik; in: Hans Jörg Sandkühler (Hg.): Enzyklopädie Philosophie. Band 1: A–N, Hamburg 1999, S. 738 – 746.
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genwart und auf (3.) die wissenschaftstheoretische Aufgabe des unten eingehend untersuchten Rezensionswesens. Dialektik ist dann eine mit Kritik eng verbundene Denkweise, in der zum Zweck der Erkenntnis Widersprüche gesucht, fokussiert und beurteilt werden, und zwar nach Möglichkeit unter den Kriterien intersubjektiver Überzeugungskraft, sachlicher Angemessenheit und prinzipieller Unabschließbarkeit des Erkenntnisprozesses.³⁸ Die Metapher spiralförmigen Aufsteigens des Erkenntnisprozesses verbildlicht die Aspekte einer ihren Gegenstand umkreisenden Denkbewegung und der Verbindung von scheinbar gegensätzlichen Positionen. Entsprechend stelle ich nun klassische methodologische Positionen vor, die zur Entwicklung dieser Untersuchung beigetragen haben, häufig allerdings als gegensätzlich missverstanden werden: Kritische Historiographiegeschichte kommt ohne Bezug zur Kritischen Theorie nicht aus.³⁹ Das geht zurück auf den für die bundesrepublikanischen Sozialwissenschaften prägend gewordenen „Positivismusstreit“ seit 1961, in dem sich Kritische Theorie und Kritischer Rationalismus gegenüber standen und zur allgemeinen Verwunderung in den meisten Punkten einig waren.⁴⁰ Der Streit zeigte sich als ein Kampf um Positionen, in dem Gegnerschaft an Stilfragen und persönlichen Vorwürfen ablesbar war,⁴¹ inhaltliche Gegenargumente aber so mager oder undeutlich blieben, dass die Inszenierung der scheinbaren Gegensätzlichkeit ihren Grund in den sozialen Anforderungen des Wissenschaftsbetriebs selbst gehabt haben dürfte: Sichtbarkeit und
Vgl. Pirmin Stekeler-Weithofer: Dialektik; in: Hans Jörg Sandkühler (Hg.): Enzyklopädie Philosophie. Band 1: A–N, Hamburg 1999, S. 243 – 255. Landwehr: Die Kunst, erwähnt in scheinbarem Gegensatz dazu die Kritische Theorie nicht. Die inhaltlichen Bezüge sind allerdings immer wieder augenfällig. Vgl. Brieler: Bruderschaft der Kritik, zum Vergleich des von Landwehr stark referenzierten Michel Foucault mit Adorno. Der Sammelband zu dieser Kontroverse, die die 1960er Jahre durchzieht, liest sich am besten chronologisch, wie aus dem Quellenverzeichnis auf S. 341– 343 zu entnehmen: Theodor W. Adorno/Ralf Dahrendorf/Harald Pilot/Hans Albert/Jürgen Habermas/Karl R. Popper: Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, 2. Auflage, Darmstadt/Neuwied 1972. Die überraschende Einigkeit zwischen Popper und Adorno konstatierte darin geradezu enttäuscht Ralf Dahrendorf: Anmerkungen zur Diskussion der Referate von Karl R. Popper und Theodor W. Adorno; in: Theodor W. Adorno/Ralf Dahrendorf/Harald Pilot/Hans Albert/Jürgen Habermas/Karl R. Popper: Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, 2. Auflage, Darmstadt/Neuwied 1972, S. 145 – 153. Besonders gut sichtbar in Hans Albert: Kleines verwundertes Nachwort zu einer großen Einleitung; in: Theodor W. Adorno/Ralf Dahrendorf/Harald Pilot/Hans Albert/Jürgen Habermas/ Karl R. Popper: Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, 2. Auflage, Darmstadt/Neuwied 1972, S. 335 – 339.
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Distinktion.⁴² Entsprechend sorgt auch der wiederholte Bezug Adornos auf Max Weber vor allem für Sichtbarkeit und Distinktion, obwohl Adorno wesentlich nur Webers Verwendung des „Wert“-Begriffs als kapitalistisch zurückweist⁴³ und die mit irriger Weber-Rezeption propagierte Auffassung geißelt, „außerwissenschaftliche Interessen seien der Wissenschaft äußerlich“⁴⁴ und nicht etwa die stets reflexionsbedürftige Grundlage von Wissenschaft.⁴⁵ Mit der Konfrontation von Kritischer Theorie und Kritischem Rationalismus verbreitete sich daraufhin die Ansicht, Adorno stehe auch im Gegensatz zu Weber.⁴⁶ Angesichts der strikten Ablehnung von Webers Werturteilsbegriff mochte es überraschen, wie positiv Adorno Weber als Paradebeispiel für das von Adorno geforderte Denken in Konstellationen rezipiert.⁴⁷ Weil Weber findet: „[e]ine ‚Definition‘ […] nach dem Schema: genus proximum, differentia specifica ist natürlich ein Unding“,⁴⁸ begrüßt Adorno Webers „Versuche, durch die Versammlung von Begriffen um den gesuchten zentralen auszudrücken, worauf er geht“.⁴⁹ Dieses seinen Gegenstand umkreisende Denken, das Adorno favorisiert, findet er bei Weber in dessen „Komposition“ von Idealtypen wieder, wofür „der in jeder
Vgl. Stephan Moebius: Die Geschichte der Soziologie im Spiegel der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (KZfSS); in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 56 (2017), S. 3 – 44 (DOI: 10.1007/s11577-017-0433-6), hier S. 18 und 21. Theodor W. Adorno: Zur Logik der Sozialwissenschaften; in: Theodor W. Adorno/Ralf Dahrendorf/Harald Pilot/Hans Albert/Jürgen Habermas/Karl R. Popper: Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, 2. Auflage, Darmstadt/Neuwied 1972, S. 125 – 143, hier S. 138. Theodor W. Adorno: Einleitung; in: Theodor W. Adorno/Ralf Dahrendorf/Harald Pilot/Hans Albert/Jürgen Habermas/Karl R. Popper: Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, 2. Auflage, Darmstadt/Neuwied 1972, S. 7– 79, hier S. 26. Vgl. Norbert Schneider: Erkenntnistheorie im 20. Jahrhundert. Klassische Positionen, Stuttgart 1998, S. 209 – 218. Apodiktisch im Urteil ist etwa Arnold Zingerle: Max Webers historische Soziologie. Aspekte und Materialien zur Wirkungsgeschichte, Darmstadt 1981, S. 44, der fälschlich behauptet, dass sich bei Horkheimer und Adorno „Diskursive Auseinandersetzungen mit Weber […] freilich nicht finden können; es sind eher im Vorübergehen, aus der Distanz einer grundsätzlich andersartigen, mit derjenigen Webers nicht als vermittelbar angesehenen Position fallende Urteile und Bezugnahmen, in hohem Maße abgedichtet gegen Rückfragen nach den Grundlagen ihrer Weber-Interpretation.“ Zingerles Fehlurteil mag darin begründet sein, dass er an dieser Stelle pauschal auf alle von ihm herangezogenen Arbeiten Adornos verweist, unter diesen das Hauptwerk, Adorno: Negative Dialektik, allerdings nicht zu finden ist, vgl. Zingerle: Wirkungsgeschichte, Literaturverzeichnis auf S. 193. Adorno: Negative Dialektik, S. 164– 166. Max Weber: Die Objektivität sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis; in: Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hg. von Johannes Winckelmann, 4. Auflage, Tübingen 1973, S. 146 – 214, hier S. 194. Adorno: Negative Dialektik, S. 166.
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Hinsicht entscheidende Begriff des Kapitalismus“ als Beispiel herangezogen wird.⁵⁰ Obwohl Adorno Webers Kapitalismusbegriff auch kritisiert, gratuliert er letztlich Weber dazu, mit dem Denken in Konstellationen eine Alternative zwischen dem Gegensatz von Idealismus und Positivismus gefunden zu haben, die der historischen Wirklichkeit adäquat zu sein scheine.⁵¹ Die Opposition der Kritischen Theorie gegen den Positivismus ist fast analog zu Webers eigener Opposition gegen den Positivismus.⁵² Weber und Adorno forderten die Analyse der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Forschendem und Gesellschaft ein, um zu verhindern, dass eine sich dem Forschenden als unmittelbar darstellende Wirklichkeit unkritisch als solche akzeptiert würde. Diese Forderung dialektischer Selbstreflexivität, die „bestimmte Details wiederholt aus neuer Perspektive betrachtet“⁵³, erhob auch Pierre Bourdieu gegen einen naiven, linearen Forschungsbegriff. Völlige Einigkeit besteht zwischen Adorno, Karl Popper und Bourdieu auch in der theoretisch-begrifflichen Konstruktionsarbeit von Wissenschaft:⁵⁴ Es gebe keinen Gegensatz zwischen einer Wissenschaft, die ihre Erkenntnisse konstruiert, und einer, die das nicht tut, meint auch Bourdieu, da letzteres gar nicht vorkomme. Die Unterscheidung müsse vielmehr darin bestehen, dass manche Wissenschaft unreflektiert konstruiert, während andere sich ihre unvermeidliche Konstruktionsarbeit bewusst macht, um diese zu reflektieren und so zu kontrollieren.⁵⁵ Den „Monotheismus“,
Ebenda. Ebenda: „Gerade die zunehmende Integrationstendenz des kapitalistischen Systems jedoch, dessen Momente zu einem stets vollständigeren Funktionszusammenhang sich verschlingen, […] nicht erst Erkenntniskritik, der reale Gang der Geschichte nötigt zum Aufsuchen von Konstellationen. Treten diese bei Weber anstelle einer Systematik, deren Absenz man ihm gern vorwarf, so bewährt sein Denken sich darin als ein Drittes jenseits der Alternative von Positivismus und Idealismus.“ So formuliert auch Johannes Winckelmann unter Berufung auf Adorno: „die erfahrungswissenschaftliche Soziologie kann sich – um der Erkenntnis der Tatsächlichkeit ihres Gegenstandes willen – der Tendenz zur empirischen Fachwissenschaft nicht versagen, und sie darf ihr gleichwohl nicht erliegen. Max Weber habe das in seinem Werk demonstriert.“ Johannes Winckelmann: Zur Einführung; in: Max Weber: Methodologische Schriften. Studienausgabe, hg. von Johannes Winckelmann, Frankfurt am Main 1968, S. IX–XIX, hier S. XII. Vgl. Dahrendorf: Anmerkungen, S. 148, zu Poppers und Adornos Einigkeit in der Ablehnung des Positivismus und in der Selbstbezeichnung als „Negativisten“. Werner Fuchs-Heinritz/Alexandra König: Pierre Bourdieu. Eine Einführung, Konstanz/München 2011, S. 222. Karl R. Popper: Die Logik der Sozialwissenschaften; in: Theodor W. Adorno/Ralf Dahrendorf/ Harald Pilot/Hans Albert/Jürgen Habermas/Karl R. Popper: Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, 2. Auflage, Darmstadt/Neuwied 1972, S. 103 – 123, hier S. 119.Völlig zustimmend Adorno: Einleitung, S. 31. Fuchs-Heinritz/König: Bourdieu, S. 223.
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mit dem Wissenschaftler oftmals einzelne Methoden favorisieren, hält Bourdieu für ihren Versuch, ihre Zugehörigkeit zu einer akademischen Schule zu inszenieren,⁵⁶ und für schädlich einseitig, was die Untersuchung eines Forschungsgegenstandes angeht. Deshalb sei es gerade in der Wissenschaftsforschung „notwendig, die Grenzen zwischen Soziologie, Ethnologie, Geschichtswissenschaft und Sozialpsychologie einzureißen, weil sonst viele Sachverhalte nicht in den Blick kämen. Allein die Gegenstandsangemessenheit von Methoden sollte ausschlaggebend sein“.⁵⁷ Und als gegenstandsangemessen sieht Bourdieu insbesondere ein Konzept, das subjektbezogene und strukturbezogene Perspektiven synthetisiert, weil Subjekte immer in Strukturen handeln, so dass rein subjektivistische Betrachtungen blind und objektivistische leer bleiben.⁵⁸ Also kombiniert Bourdieu immer wieder verschiedene Herangehensweisen⁵⁹ und bezieht in die multiperspektivische Betrachtung auch den eigenen Standpunkt als institutionell privilegiertes Erkenntnissubjekt selbstreflexiv ein.⁶⁰ In der gegenwärtigen sozialwissenschaftlichen Methodendiskussion werden solche Konzeptionen unter Begriffen wie Methodenintegration oder Triangulation verhandelt.⁶¹ Selbst wenn dabei die historisch gewachsene Grenze zwischen qualitativer und quantitativer Forschung nicht überschritten wird,⁶² überzeugen solche forschungspraktischen und die Forschungspraxis reflektierenden Konzepte mit ihrem die Forschungsgegenstände umkreisenden und in diesem Sinne
Schneider: Erkenntnistheorie, S. 220. Fuchs-Heinritz/König: Bourdieu, S. 224. Vgl. Schneider: Erkenntnistheorie, S. 223 und S. 225. Fuchs-Heinritz/König: Bourdieu, S. 225. Schneider: Erkenntnistheorie, S. 226 f. Udo Kelle: Die Integration qualitativer und quantitativer Methoden in der empirischen Sozialforschung. Theoretische Grundlagen und methodologische Konzepte, 2. Auflage, Wiesbaden 2008; Uwe Flick: Triangulation. Eine Einführung, 3. Auflage, Wiesbaden 2011; als knapper Überblick Uwe Flick: Triangulation in der qualitativen Forschung; in: Uwe Flick/Ernst von Kardorff/Ines Steinke (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch, 6. Auflage, Reinbek 2008, S. 309 – 318. Speziell Forschung mit autobiographischen Interviews hat sich als anregend für diese Diskussionen erwiesen, vielleicht weil in ihr die Spannung zwischen Selbstdeutung und Normalbiographie sichtbar wird, vgl. Winfried Marotzki: Qualitative Biographieforschung; in: Uwe Flick/ Ernst von Kardorff/Ines Steinke (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch, 6. Auflage, Reinbek 2008, S. 175 – 186, hier S. 177, sowie Udo Kelle: Die Integration qualitativer und quantitativer Methoden in der Biographie- und Lebenslaufforschung; in: Bios 14 (2001), Heft 2, S. 60 – 87. Auch aktuell wird dieser Zusammenhang weiter gepflegt, etwa in Ina Alber/Birgit Griese/Martina Schiebel (Hg.): Biografieforschung als Praxis der Triangulation, Wiesbaden 2018. Qualitativ bleiben etwa Udo Kelle/Susann Kluge: Vom Einzelfall zum Typus. Fallvergleiche und Fallkontrastierung in der qualitativen Sozialforschung, Wiesbaden 2010, sowie Flick: Triangulation in der qualitativen Forschung.
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dialektischen Verfahren – nicht zuletzt aufgrund ihrer Vereinbarkeit mit den beschriebenen erkenntnistheoretischen Überlegungen, in denen sich Weber, Adorno, Popper, Bourdieu und viele andere einig erwiesen. Die Einigkeit reicht auch weit über diese Klassiker der Sozialwissenschaften hinaus, bis mindestens zurück zu Johann Gustav Droysen, der am Ende einer „Reihe aphoristischer Bemerkungen“ über „die ein wenig in Vergessenheit gerathenen Grenzen zwischen Dilettantismus und Wissenschaft“, die er seinem Grundriss der Historik als Anhang unter dem Titel „Kunst und Methode“ beigefügt hat, auf kritisch-dialektische Methodentriangulation avant la lettre zu sprechen kommt: „Denn allerdings haben wir von menschlichen Dingen, von jedem Ausdruck und Abdruck menschlichen Dichtens und Trachtens, der uns wahrnehmbar wird, und soweit er wahrnehmbar ist, unmittelbar und in subjectiver Gewissheit ein Verständniss. Aber es gilt Methoden zu finden, um für dies unmittelbare und subjective Auffassen – zumal da von Vergangenem uns nur noch Auffassungen Anderer oder Fragmente dessen, was einst war, vorliegen – objective Maasse und Controlen zu gewinnen, es damit zu begründen, zu berichtigen, zu vertiefen. Denn nur das scheint der Sinn der vielgenannten historischen Objectivität sein zu können. Methoden gilt es zu finden. Es bedarf deren andere für andere Aufgaben, und oft zur Lösung Einer Aufgabe einer Combination von mehreren derselben.“⁶³
Hier geht Droysen davon aus, dass ein intuitives Vorverständnis von menschlichen Dingen durch intersubjektiv überprüfbare Verfahrensweisen kritisiert und verbessert werden muss. Dies jedoch objektive Erkenntnis oder historische Objektivität zu nennen, führt leicht zu der von Bourdieu ausgiebig kritisierten Falle, die Erkenntnisse mit ihrem Gegenstand selbst zu verwechseln und methodologische Ordnungsweisen mit Eigenschaften der erforschten Gegenstände selbst gleichzusetzen.⁶⁴ In dieser Falle stecken auch Droysens Ausführungen über „Die historische Methode“, die mit dem erkenntnistheoretischen Standpunkt des oben Zitierten unvereinbar ist: Dort kombiniert er das unmittelbare, subjektive Verstehen lediglich mit spekulativ-metaphysischen Wahrheitskriterien wie „Die geschichtlichen Dinge haben ihre Wahrheit in den sittlichen Mächten“⁶⁵ und demonstriert die Verwechslung von Erkenntnis und ihrem Gegenstand augenfällig in der Formel „das Wissen von ihr [der Geschichte] ist sie selbst“.⁶⁶
Johann Gustav Droysen: Grundriss der Historik, 3. Auflage, Leipzig 1882, S. 88, Hervorhebungen im Original gesperrt. Schneider: Erkenntnistheorie, S. 220 f. Droysen: Grundriss, S. 9 – 12, Zitat auf S. 12. Ebenda, S. 12.
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Dabei handelt es sich zweifellos um eine wirkmächtige Hypothek für die Methodologie der Geschichtswissenschaft. Statt mich für meine Untersuchung also einfach pauschal auf diese „historische Methode“ nach Droysen zu berufen, habe ich mich an Droysens Maxime „Methoden gilt es zu finden“ orientiert. Daher skizziere ich bei der Vorstellung der einzelnen Kapitel dieser Arbeit auch die verschiedenen verwendeten Methoden.
Externe Wissenschaftsgeschichte Die Bedeutung emigrierter Historiker für die deutschsprachige Geschichtswissenschaft der Nachkriegszeit ist kein wissenschaftsimmanent behandelbares Thema. Das gilt schon deshalb, weil eine rein immanente Geschichte der Geschichtswissenschaft unmöglich ist, sie vielmehr „in dem soziokulturellen und politischen Rahmen gesehen werden muss, in dem sie stattfindet.“⁶⁷ Die in dieser Studie präferierte Perspektive auf die Geschichte der Geschichtswissenschaft ist dagegen fast völlig extern, was bis in die 1980er Jahre fast gänzlich unüblich war.⁶⁸ Dieser Blick von außen ist ein notwendiges Komplement der immanenten Perspektive,⁶⁹ denn er betrifft die äußeren Bedingungen der wissenschaftlichen Georg G. Iggers: Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Ein kritischer Überblick im internationalen Zusammenhang, Neuausgabe, Göttingen 2007, S. 21 f.; Pierre Bourdieu: The specificity of the scientific field and the social conditions of the progress of reason; in: Social Science Information 14 (1975), Nr. 6, S. 19 – 47, hier S. 22 f., fordert dagegen sogar, dass die abstrakte Gegenüberstellung von immanenter und externer Analyse selbst bestritten werden muss, um zu einer echten Wissenschaftsforschung zu gelangen. Vgl. Weber: Priester der Klio, insbesondere die Schilderung seines damals neuartigen Ansatzes auf S. 13 – 28; Lepenies: Disziplingeschichte, S. 440. Lepenies zitiert ebenda Leopold von Ranke, der 1858 eine „Geschichte der Wissenschaften in Deutschland“ als „Geschichte der wissenschaftlichen Resultate“ gefordert hatte. Daran schloss sich von Srbik an, als er 1950 für „eine Geschichte der Geschichtswissenschaft“ die Aufgabe sah, „den Fortschritt der Erkenntnis, dieses primäre Wesen jeder Wissenschaft, festzustellen“, und meinte, dass dafür vor allem „die Entwicklung der Forschungsmethode“ darzustellen sei: Heinrich Ritter von Srbik: Geist und Geschichte vom deutschen Humanismus bis zur Gegenwart, Band 1, München/Salzburg 1950, S. 6. Dagegen bietet eine externe Wissenschaftsgeschichte wie hier präferiert zugleich eine transzendentale Perspektive: Sie fragt nach den vor allem sozialen Bedingungen, unter denen Wissenschaft stattfindet, als den gesellschaftlichen Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis. Damit eröffnet sie die Möglichkeit der Kritik wissenschaftlicher Erkenntnis im Hinblick auf ihre gesellschaftlichen Bedingungen und schließt so an die Tradition von Immanuel Kant, Michel Foucault und Theodor W. Adorno an, siehe Brieler: Bruderschaft der Kritik, S. 6 f. Vgl. David Kettler: Conclusion. In Preparation for „Contested Legacies: The German-Speaking Intellectual and Cultural Emigration to the United States and United Kingdom, 1930 – 45,“ Bard College, August 2002; in: David Kettler (Hg.): Essays from the „No Happy End“ Workshop. Bard College, February 13 – 15, 2001. In preparation for the conference „Contested Legacies: The Ger-
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Arbeit. Insbesondere für die Frage der Veränderung geschichtswissenschaftlicher Inhalte durch die und in der Emigration ist die Relevanz externer Wissenschaftsgeschichte augenfällig.⁷⁰ Die besondere Form von Historiker-Lebensläufen durch die Emigration und zurück zu transatlantischen Gastprofessuren überschreitet erstmals in größerem Umfang den traditionellen, nationalen Rahmen, in dem das Gros der Historikerbiographien verankert war. Diese Überschreitung führte unter den Bedingungen der Nachkriegsgeschichtswissenschaft zu einer Reihe von Konfliktlinien in jeweils eigenen Kontexten: Einerseits beeinflusste die gesamtgesellschaftliche Westernisierung Prozesse innerhalb der Geschichtswissenschaft – umso mehr, als sowohl Geschichtswissenschaft als auch Westernisierung durch die enge Verknüpfung von gesellschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Aspekten geprägt sind. Andererseits war auch die fachinterne Konstellation von sozialen Konfliktlinien durchsetzt, die bestimmten, inwiefern mögliche Einwirkungen von Gastprofessoren auf Studierende als akzeptabel galten, wie sie positiv oder negativ sanktioniert wurden, und welche Chancen und Risiken sich aus der Rezeption von Gastprofessoren für Studierende und für etablierte Historiker ergaben. An dieser Konstellation innerhalb der deutschsprachigen Historikerzunft lassen sich rezeptionsfördernde und ‐hemmende Faktoren unterscheiden und im Umfeld der HZ detailliert untersuchen. Dieses Gegeneinander betraf prinzipiell die gesamte deutschsprachige Zunft, da überall die Frage des Umgangs mit ausländischer Geschichtswissenschaft und mit den emigrierten Kollegen auftauchen und kontrovers beantwortet werden konnte.
1.2 Grenzen und Überschreitungen Um eine handhabbare Menge von Historikern zu identifizieren, an denen sich solche kontroversen Einstellungen festmachen konnten, habe ich diese Unterman-Speaking Intellectual and Cultural Emigration to the United States and United Kingdom, 1933 – 45“. Bard College, August 13 – 15, 2002, Annandale-on-Hudson 2002, S. 55 – 59, hier S. 56; sowie Friedrich Rapp: Die Komplementarität von interner und externer Wissenschaftsgeschichte; in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 10 (1987), S. 141– 146. Gabriela Ann Eakin-Thimme: Geschichte im Exil. Deutschsprachige Historiker nach 1933, München 2005 (zugleich Diss., Frankfurt am Main 1999), S. 10: „Den äußeren Bedingungen ihrer Arbeit kommt in der Geschichte der Emigranten große Bedeutung zu, vor allem bei der Frage, ob, und wenn, wie sich die deutschsprachigen Historiker in der Emigration als Wissenschaftler verändert haben.“ Vgl. neuerdings Birte Meinschien: Geschichtsschreibung in der Emigration. Deutschsprachige Historikerinnen und Historiker in Großbritannien, Berlin/Boston 2020 (zugleich Diss., Frankfurt am Main 2018; DOI: 10.1515/9783110684858).
1.2 Grenzen und Überschreitungen
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suchung auf eine spezifische, eng umgrenzte Untersuchungsgruppe der transatlantischen Gastprofessoren eingeschränkt: Dazu ist die genaue Definition von Zugehörigkeitskriterien erforderlich, die notwendig und hinreichend für die Aufnahme von Personen in die Untersuchungsgruppe sind. Die folgende Kriteriendefinition erläutere ich in den anschließenden Begriffsdefinitionen näher.
Definition der Untersuchungsgruppe Als transatlantische Gastprofessoren bezeichne ich in dieser Arbeit Historiker vom Rang eines Professors, die nach ihrer Emigration aus dem Machtbereich des NSRegimes und der Etablierung im transatlantischen Zielland in den deutschsprachigen Raum zurückkehrten, ihre Rückkehr aber nicht als Remigration gestalteten, sondern lediglich den Weg einer Gastprofessur als Rückkehr auf Zeit⁷¹ gingen. Einfache exakte Kriteriendefinitionen müssen jedoch versagen, wo statt (ohnehin nur in einer Makro-Perspektive) schematischer Standard-Lebensläufe die mehrfach gebrochenen Biographien von Emigranten zu analysieren sind. Um die Ausblendungs-Effekte von letztlich rigorosen Kriterien zu verdeutlichen und auf alternative Schicksale neben dem für die Untersuchungsgruppe Charakteristischen hinzuweisen, nenne ich im Folgenden exemplarisch Personen, die durch einzelne Kriterien aus der Untersuchungsgruppe ausgeschlossen sind und die ich gelegentlich zum Vergleich mit der Untersuchungsgruppe heranziehe.⁷² Gemäß der Themenstellung dieser Arbeit sollen als Historiker jene Wissenschaftler gelten, die im Fach Geschichte oder seinen Spezialgebieten gelehrt und geforscht haben. Darunter fallen auch Althistoriker wie Fritz Moritz Heichelheim,
Die Formulierung „Rückkehr auf Zeit“ benutzte Wolfgang Benz: Rückkehr auf Zeit: Erfahrungen deutsch-jüdischer Emigranten mit Einladungen in ihre ehemaligen Heimatstädte; in: Wolfgang Benz (Hg.): Das Exil der kleinen Leute. Alltagserfahrung deutscher Juden in der Emigration, München 1991, S. 332– 339; Benz behandelt kurze, meist durch die Gemeinden organisierte Besuche von Emigranten, wie sie tausendfach stattfanden („inzwischen sind 23.000 ehemalige Berliner aus aller Welt in ihrer früheren Heimatstadt gewesen“, S. 335), und ihre Bedeutung für die Betroffenen. Die insgesamt wichtigste Quelle für die Personendaten der Untersuchungsgruppe wie für die Lebensläufe der meisten Vergleichspersonen ist: Werner Röder/Herbert A. Strauss (Hg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933 (= International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933 – 1945), 3 Bände, München u. a. 1980 – 1983, künftig nur bezeichnet als Biographisches Handbuch. Wenn biographische Angaben nicht im Einzelnen belegt sind, sind sie dem Biographischen Handbuch entnommen. Wird das Biographische Handbuch als Quelle für biographische Angaben genannt, etwa um sie von Informationen aus anderen Quellen zu unterscheiden, verzichte ich auf Seitenangaben, da die einzelnen Einträge des Biographischen Handbuchs meist weniger als eine Seite umfassen.
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1 Einleitung
Rechtshistoriker wie Guido Kisch oder Wirtschafts- und Sozialhistoriker wie Hans Rosenberg, nicht aber Gerd Buchdahl, der mit Wissenschaftsgeschichte und ‐philosophie eher eine Teildisziplin der Philosophie als der Geschichtswissenschaft prägte.⁷³ Ebenfalls nicht zu den Historikern wird hier Hans Gustav Güterbock gezählt, der „Titan der Hethitologie“.⁷⁴ Diese Einordnung lässt sich auch darauf stützen, dass beide – wie die ebenfalls nicht berücksichtigten Kunsthistoriker – wegen ihres Fachgebietes weder in der HZ besprochen wurden noch dort publizierten.⁷⁵ Als Professoren sollen wissenschaftliche Lehrkräfte verstanden werden, die an mindestens einer Universität oder vergleichbaren Einrichtung mit dem Titel Professor ausgestattet wurden und dort für Lehre und Forschung in ihrem Fachgebiet zuständig waren.⁷⁶ Weil es dabei um Historiker geht, die sich nach ihrer Emigration in den höchsten regulären Positionen der Geschichtswissenschaft etabliert haben,⁷⁷ müssen hierbei auch die akademischen Positionen außerhalb
Vgl. Lepenies: Disziplingeschichte, besonders S. 439, wo er unter der Bezeichnung „Historische Wissenschaftsforschung“ für eine Integration von Wissenschaftsgeschichte, Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsphilosophie im Rahmen einer sich modernisierenden, theoriegeleiteten Geschichtswissenschaft eintritt. Eine Neuorientierung der Wissenschaftsgeschichte, die eine stärkere Anbindung an die Geschichtswissenschaft ermöglichte, wurde demnach erst durch Thomas S. Kuhns Werk The Structure of Scientific Revolutions (1962) und durch Joseph Agassis Towards an Historiography of Science (1963) ausgelöst; vgl. ebenda, S. 441. Johannes Renger: Zum Tode von Prof. Hans-Gustav Güterbock. Titan der Hethitologie; in: FUNachrichten. Zeitung der Freien Universität Berlin, Nr. 5/2000; URL: https://userpage.fu-berlin.de/~fupresse/FUN/2000/5-00/leute/leute4.html (zuletzt abgerufen am 24. Dezember 2018, Archiv-URL: https://web.archive.org/web/20181224161121/https://userpage.fu-berlin.de/~fupresse/FUN/2000/ 5-00/leute/leute4.html). Vgl. die Registerbände: Historische Zeitschrift. Register zu Band 169 (1949) bis 199 (1964), bearb. von Hubertus von Schrottenberg, München 1978; Historische Zeitschrift. Register zu Band 200 (1965) bis 225 (1977), bearb.von Hubertus von Schrottenberg, München 1978; Historische Zeitschrift. Register zu Band 226 (1978) bis 245 (1987), bearb. von Barbara Blessing-Hein und Dieter Hein, München 1990. Zu Abgrenzungsproblemen vgl. Weber: Priester der Klio, S. 44– 46. Im Gegensatz zum deutschsprachigen Raum, wo die höchste wissenschaftliche Karrierestufe als Lehrstuhl, Ordinariat oder ordentliche Professur bezeichnet wird, besteht für die in Frage kommenden Emigrationsländer – insbesondere Großbritannien, die USA und Kanada – keine eindeutige und einheitliche Sprachregelung: professor wird in vielen Quellen, insbesondere im Biographischen Handbuch, undifferenziert verwendet. Ob jemand jedoch full professor war – mit tenure (Anstellung auf Lebenszeit), um dem Status eines deutschen verbeamteten Ordinarius möglichst ähnlich zu sein – ist häufig weder aus biographischen Nachschlagewerken noch aus Nachrufen ersichtlich; auch autobiographische Texte halten sich nicht immer mit derlei Differenzierungen auf.
1.2 Grenzen und Überschreitungen
21
Deutschlands, vor allem in den USA und Großbritannien, berücksichtigt werden. Jenseits der ordentlichen Professoren finden sich dort mehrere Emigranten, die etwa als reader an englischen Universitäten ein Fachgebiet vertreten haben (Gerd Buchdahl und Hans Liebeschütz), solche, die wie Adolf Leschnitzer lediglich zum associate professor aufgestiegen sind,⁷⁸ sowie der mit dem Professortitel ausgestattete langjährige Dozent an community colleges Alfred Apsler.⁷⁹ Die genannten Personen können nicht zu den Professoren im Sinne der Untersuchungsgruppe gezählt werden. Als Emigranten gelten für die Auswahlkriterien dieser Arbeit jene Personen, die das Deutsche Reich verließen, nachdem der Nationalsozialismus mit der „Machtergreifung“ genannten Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am
Zu Leschnitzer, der ursprünglich Germanist war und später einflussreich auf die jüdische Geschichte in der Bundesrepublik wirkte, vgl. Monika Richarz: Zwischen Berlin und New York. Adolf Leschnitzer, der erste Professor für jüdische Geschichte in der Bundesrepublik; in: Jürgen Matthäus/Klaus Michael Mallmann (Hg.): Deutsche, Juden, Völkermord. Der Holocaust in Geschichte und Gegenwart, Darmstadt 2006, S. 73 – 86; Anna Corsten: „Unerbetene Erinnerer“? Emigrationshistoriker in den USA als Impulsgeber für die Aufarbeiterung von Nationalsozialismus und Holocaust in der Bundesrepublik; in: Dominik Groß/Julia Nebe (Hg.): Forschung zwischen Freiheit und Verantwortung. Die wissenschaftshistorische Perspektive, Kassel 2018, S. 199 – 231, hier S. 214; Stefanie Schüler-Springorum: Non-Jewish Perspectives on German-Jewish History. A Generational Project?; in: Steven E. Aschheim/Vivian Liska (Hg.): The German-Jewish Experience Revisited, Berlin/Boston 2015, S. 193 – 206 (DOI: 10.1515/9783110367195-012), hier S. 198. Das Lower Columbia College in Longview, Washington, ist als community college mit zweijährigem Studium zum associate degree eher mit deutschen Berufsschulen zu vergleichen als mit Universitäten; vgl. Lower Columbia College: LCC Facts & Figures 2016 – 17, Longview 2017, S. 4; URL: https://lcc.ctc.edu/info/webresources/Institutional-Research/FactBook2016-17.pdf (zuletzt abgerufen am 24. Dezember 2018, Archiv-URL: http://www.webcitation.org/74ucKmzeo); zur Abgrenzung von community colleges siehe Derek Bok: Higher Education in America, Princeton/ Oxford 2015, S. 11 f.; Arthur M. Cohen/Florence B. Brawer: The American Community College, 4. Auflage, San Francisco 2003, S. 17– 20. Das Clark College in Vancouver, Washington, ebenfalls ein community college, gibt als Bezeichnung für Apslers Tätigkeit bis zum Rückzug aus der Lehre 1971 denn auch lediglich „instructor“ an: [Barbara Kerr]: A Love of Learning Extends Across Generations; in: Clark 24/7, 23. Oktober 2006, S. 8; URL: http://www.clark.edu/about/news-andmedia/archives/publications/clark24-7/documents/2006/Clark24-7-102306.pdf (zuletzt abgerufen am 24. Dezember 2018, Archiv-URL: http://www.webcitation.org/74ue0INNt). Seine eigenen Erfahrungen im Vergleich von österreichischem und US-amerikanischem Schulsystem schilderte Apsler in Alfred Apsler: Contrasts in European and American Secondary Education; in: The School Review 54 (1946), S. 295 – 298. Laut Günter Fellner: Die Emigration österreichischer Historiker. Ein ungeschriebenes Kapitel in der Zeitgeschichte ihres Faches; in: Friedrich Stadler (Hg.): Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft, Wien/München 1988, S. 474– 494, hier S. 485, stellte Apsler seine „Schaffenskraft als Historiker vornehmlich in den Dienst der populären Darstellung“, verfasste etwa „eine Reihe von historischen Biographien […] für ein jugendliches Publikum“.
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1 Einleitung
30. Januar 1933 seine staatlich unterstützte Verfolgungsmaschinerie in Gang setzen konnte. Ob die Auswanderer zu dem Zeitpunkt, an dem sie Deutschland verließen, bereits konkrete Bedrohung oder Verfolgung erfahren hatten, ob sie ihrer Ämter enthoben und entlassen worden waren oder dies befürchteten, ob ihnen das „Gastland“ als Exil oder neue Heimat erschien, ist für die Emigrationserfahrung insofern irrelevant, als im Laufe der folgenden Jahre bis 1945 eine dauerhafte Rückkehr zunehmend unmöglich wurde.⁸⁰ Auch jene, die nur eine kurzfristige Abwesenheit beabsichtigt hatten, kehrten nicht zurück, mussten sich in der Fremde akkulturieren.⁸¹ Da sie bereits zum Jahreswechsel 1932/1933 Deutschland verließen, können etwa Alfred Vagts und Eckart Kehr nicht zur Untersuchungsgruppe gezählt werden.⁸² Die Gruppe der Emigranten muss für diese Arbeit noch eingeschränkt werden, um die Remigranten auszuschließen: Remigranten sind jene Emigranten, die ab 1945 in den deutschsprachigen Bereich zurückkehrten, um dort langfristig beruflich tätig zu sein, vielleicht sogar die durch die Emigration unterbrochene
Vgl. Eakin-Thimme: Geschichte im Exil, S. 94, die ex post feststellt, „dass die Geschichtswissenschaftler in der Regel emigriert und nicht ins Exil gegangen waren.“ Vgl. für eine genauere Diskussion dieser Unterscheidungen unten, Kapitel 3 ab S. 166. Das gilt auch für Theodore Herman von Laue, der keine akute Verfolgung zu befürchten hatte, aber von seinem Vater, dem berühmten Physiker Max von Laue, zum Studium außerhalb des NaziEinflusses an die Princeton University geschickt wurde; vgl. Paul Ropp/Douglas Little: Theodore H. Von Laue; in: Perspectives Online 38, Nr. 9, Dezember 2000; URL: https://www.historians.org/ publications-and-directories/perspectives-on-history/december-2000/in-memoriam-theodore-hvon-laue (zuletzt abgerufen am 24. Dezember 2018; Archiv-URL: http://www.webcitation.org/ 74ufXOC7K); ebenso Ritter: Meinecke, Fußnote 41 auf S. 187. Sie emigrierten zum einen aus beruflichen oder familiären Gründen, zum anderen aber auch wegen des politischen Klimas, das sich in der Endphase der Weimarer Republik stark verschlechterte. Zu Kehrs Emigrationsüberlegungen vgl. Brief Eckart Kehr an Wolfgang Hallgarten, Zehlendorf, 17. März 1932; dasselbe, 6. August 1932; Brief Wolfgang Hallgarten an Eckart Kehr, Bad Heilbrunn bei Tölz, 1. Januar 1933; alle in: Auszug aus dem Briefwechsel zwischen George W. F. Hallgarten und Eckart Kehr, 1931– 1933; in: Joachim Radkau/Imanuel Geiss (Hg.): Imperialismus im 20. Jahrhundert. Gedenkschrift für George W. F. Hallgarten, München 1976, S. 265 – 278, hier S. 272– 277. Vagts und Kehr wurden dennoch in das Biographische Handbuch aufgenommen, werden auch häufig zur deutschsprachigen Emigration nach 1933 gezählt. Gemäß genanntem Briefwechsel, S. 275 f., stach Kehr nach Hallgartens Überzeugung vom 1. Januar 1933 am folgenden 3. Januar gen Amerika in See; im Oktober 1932 hatte Kehr noch geplant, bereits am 29. Dezember 1932 abzureisen. Vagts ging, nachdem ihn sein Schwiegervater, der amerikanische Historiker Charles A. Beard, vor den Nationalsozialisten gewarnt hatte, am 27. Dezember 1932 nach Großbritannien, migrierte 1933 weiter in die USA, wo er wegen seiner Ehe mit Beards Tochter Miriam bereits 1933 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt, so das Biographische Handbuch. Auf Kehr und Vagts trafen auch weitere Auswahlkriterien nicht zu.
1.2 Grenzen und Überschreitungen
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Tätigkeit wieder aufzunehmen.⁸³ Diese Remigranten, etwa Hans Rothfels und Dietrich Gerhard,⁸⁴ unterscheiden sich von der Untersuchungsgruppe nicht nur dadurch, dass sie sich nicht nur für eine Remigration auf Zeit entschieden,⁸⁵ sondern auch durch ihre anschließende Positionierung und vergleichsweise Privilegierung im Feld der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft, die sie in ein ganz anderes Verhältnis sowohl zu Studierenden als auch zu Rezensierenden setzte als die transatlantischen Gastprofessoren. Anders ist die Sachlage bei Fritz T. Epstein, Hans Rosenberg und Guido Kisch, die sich erst nach dem Ende ihrer akademischen Karrieren fest im deutschsprachigen Bereich niederließen, dort zuvor aber bereits häufig als Gastprofessoren tätig waren. Für sie war erst der
Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 135, geht von 134 Historikeremigranten aus, darunter 21 Remigranten bis 1965. Mit unter 16 % der emigrierten Historiker ist das weniger als die Hälfte der Rückkehrerquote von 38 % in der Kulturemigration, von der Horst Möller ausgeht. Wie auch Möller anmerkt, sind solche Berechnungen aber mit größter Vorsicht zu genießen, können lediglich einen Trend anzeigen: Horst Möller: Exodus der Kultur. Schriftsteller, Wissenschaftler und Künstler in der Emigration nach 1933, München 1984, S. 109 – 114. Allerdings spezifiziert Schulze nicht die Kriterien, die einen Historiker zum Remigranten machen, zählt dann selbst auch keine 21 Namen auf, sondern mit Hans Joachim Schoeps, Ernst D. Fraenkel, Walter Mohr, Hans Rothfels, Golo Mann (der sich aber letztlich in der Schweiz niederließ) und Dietrich Gerhard lediglich sechs Personen. Ebenso Winfried Schulze: Refugee Historians and the German Historical Profession between 1950 and 1970; in: Hartmut Lehmann/James J. Sheehan (Hg.): An Interrupted Past. German-Speaking Refugee Historians in the United States after 1933, Washington, D. C. u. a. 1991, S. 206 – 225, hier S. 213 f. Abgesehen von Walter Mohr hatte die Genannten auch Georg Iggers schon 1974 aufgezählt: Georg G. Iggers: Die deutschen Historiker in der Emigration; in: Bernd Faulenbach (Hg.): Geschichtswissenschaft in Deutschland. Traditionelle Positionen und gegenwärtige Aufgaben, München 1974, S. 97– 111, hier S. 108 f.; Iggers nennt ebenda zusätzlich die DDR-Remigranten Jürgen Kuczynski, Karl Obermann und Leo Stern. Zu diesen und anderen in die DDR remigrierten Historikern vgl. Mario Keßler: Exilerfahrung in Wissenschaft und Politik. Remigrierte Historiker in der frühen DDR, Köln/Weimar/Wien 2001; darin, S. 317 f. werden 27 „Remigranten in der DDR-Geschichtswissenschaft“ genannt, die dieser Gruppe allerdings nur mit Einschränkungen zuzurechnen sind, wie Keßler selbst anmerkt. Zur stärkeren Historiker-Remigration aus Großbritannien siehe Meinschien: Geschichtsschreibung, S. 280 – 297. Zu Rothfels und Gerhard vgl. unten, Abschnitt 4.2.4 ab S. 266. Die Kurzzeit-Remigration, etwa als Gastprofessor, wird häufig bei der Untersuchung der Rückwirkung von Emigranten auf die Herkunftsländer mit berücksichtigt. Ob allerdings Remigration als Oberbegriff für sowohl dauerhafte als auch kurzzeitige Rückkehr in ein Herkunftsland gelten soll, ist noch nicht entschieden; vgl. Schulze: Refugee Historians, S. 214; Rückkehr aus dem Exil und seine Rezeptionsgeschichte. Einleitung; in: Claus-Dieter Krohn/Patrik von zur Mühlen/ Gerhard Paul/Lutz Winckler (Hg.): Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933 – 1945, Darmstadt 1998, Sp. 1157– 1160, hier Sp. 1157; im selben Band auch Marita Krauss: Westliche Besatzungszonen und Bundesrepublik Deutschland, Sp. 1161– 1171, hier Sp. 1163.
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1 Einleitung
Abschluss der Berufsarbeit in den USA Anlass, vollständig nach Europa zu remigrieren, so dass sie zu den Untersuchungspersonen gezählt werden können.⁸⁶ Der Begriff der Gastprofessur umfasst für die Auswahl der Untersuchungsgruppe jene Art von Lehrtätigkeit, die das Abhalten von Seminaren oder Vorlesungen im Rahmen von mehreren Wochen an deutschsprachigen Universitäten beinhaltet. Dabei habe ich ein weites Begriffsverständnis gewählt, das verschiedene Formen der Gastdozentur einschließt⁸⁷ und sich auf den Zeitraum zwischen 1945 und 1980 erstreckt.⁸⁸ Nicht in die Untersuchungsgruppe aufgenommen
Zur Altersremigration vgl. Claus-Dieter Krohn: The Scientific Emigration to the United States – A Success Story?; in: David Kettler (Hg.): Essays from the „No Happy End“ Workshop. Bard College, February 13 – 15, 2001. In preparation for the conference „Contested Legacies: The German-Speaking Intellectual and Cultural Emigration to the United States and United Kingdom, 1933 – 45“. Bard College, August 13 – 15, 2002, Annandale-on-Hudson 2002, S. 34– 36, hier S. 35; sowie Krauss: Westliche Besatzungszonen und BRD, Sp. 1167. Die englischen Begriffe visiting professor, guest professor, visiting lecturer, Fulbright lecturer (Klaus Werner Epstein), Fulbright professor (Klemens von Klemperer), aber auch kurzzeitige Tätigkeit als Dozent (lecturer) in Deutschland (Theodore Herman von Laue) oder der deutsche Begriff Gastprofessor (Carl Misch) werden im Biographischen Handbuch verwendet und hier mitberücksichtigt. Vgl. unten, Abschnitt 4.2.1 ab S. 219. Vgl. zum Ende des Untersuchungszeitraums unten, Anmerkung 121 auf S. 33. Die erste Gastprofessur, die keine Aufnahme ins Biographische Handbuch mehr fand und sonst zur Aufnahme in die Untersuchungsgruppe geführt hätte, absolvierte John A. S. Grenville (1928 – 2011) 1980 in Hamburg, so John A. S. Grenville: From Gardener to Professor; in: Peter Alter (Hg.): Out of the Third Reich. Refugee Historians in Post-War Britain, London/New York 1998, S. 55 – 72. Korrespondenz mit Grenville für das Biographische Handbuch, IfZ MA 1500, zeigt, dass die letzte Überprüfung des Fragebogens 1979 erfolgt war. Gerhard L. Weinberg (geboren 1928) war Gastprofessor in Bonn 1983, so UAL MC 703: CIES Records, Fulbright Scholar Grantee Directories, 1982– 1983, S. 49, URL: https://libraries.uark.edu/specialcollections/fulbrightdirectories/1982% 20-%201983.pdf (zuletzt abgerufen am 15. Januar 2019, Archiv-URL: http://www.webcitation.org/ 75Rp9Taz9). Auch Weinbergs Erinnerungen über seine transatlantischen Erfahrungen gehen weit über seine Gastprofessur hinaus: Gerhard L. Weinberg: Some Issues and Experiences in GermanAmerican Scholarly Relations; in: Andreas W. Daum/Hartmut Lehmann/James J. Sheehan (Hg.): The Second Generation. Émigrés from Nazi Germany as Historians, New York 2016, S. 97– 101. Später war Georg G. Iggers Gastprofessor 1991 in Darmstadt und 1992 in Leipzig; vgl. Georg G. Iggers: Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Ein kritischer Überblick im internationalen Zusammenhang, 2. Auflage, Göttingen 1996, S. 5; unerwähnt in Jörn Rüsen: Georg G. Iggers (1926 – 2017); in: HZ 307 (2018), S. 733 – 740. Peter Loewenberg (geboren 1933) war erst 2006 in Wien Gastprofessor; vgl. Gastprofessur Dr. Peter Loewenberg 2006; in: Sir Peter Ustinov Institut zur Erforschung und Bekämpfung von Vorurteilen [ohne Autor, ohne Datum]; URL: http://www.ustinov.at/archiv/gastprofessur_loewenberg_2006_programm.htm (zuletzt abgerufen am 29. Juni 2009, Archiv-URL: https://web.archive.org/web/20090629182952/http://www.ustinov.at/archiv/gastprofessur_loe wenberg_2006_programm.htm).
1.2 Grenzen und Überschreitungen
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wurden Personen, bei denen lediglich Besuche (Peter Gay⁸⁹), einzelne Gastvorträge (Gerd Buchdahl, Hans Liebeschütz), Forschungsaufenthalte (Peter Gay, Werner Warmbrunn), Gastaufenthalte im Rahmen der Ausbildung (Peter Jacob Loewenberg⁹⁰) oder auch ordentliche Professuren in Deutschland (Dietrich Gerhard, Sidney Pollard, Hans Rothfels) nachgewiesen waren. Berücksichtigt wurden hingegen auch Vortragsreisen durch mehrere deutschsprachige Universitäten, wie sie in vier Fällen feststellbar sind, jeweils aber ergänzend zu regulären Gastprofessuren.⁹¹ Entsprechend diesen Definitionen umfasst die Untersuchungsgruppe der transatlantischen Gastprofessoren 16 Personen: Fritz Epstein (1889 – 1979), Klaus Epstein (1927– 1967), Felix Gilbert (1905 – 1991), George W. F. Hallgarten (1901– 1975), Fritz Heichelheim (1901– 1968), Felix Hirsch (1902– 1982), Hajo Holborn (1902– 1969), Manfred Jonas (1927– 2013), Guido Kisch (1889 – 1985), Klemens von Klemperer (1916 – 2012), Theodore von Laue (1916 – 2000), Gerhard Masur (1901– 1975), Carl Misch (1896 – 1965), Hans Rosenberg (1904 – 1988), Eugen RosenstockHuessy (1888 – 1973) und Fritz Stern (1926 – 2016).⁹²
Peter Gay beantwortete meine Anfrage nach einer – angesichts der undeutlichen Informationen des Biographischen Handbuchs – eventuellen Gastdozentur wie folgt: „Nein. Gast professor [sic] bin ich in Deutschland nie gewesen. Meine Frau und ich waren mehrmals in Deutschland, zu Besuch und Forschung.“ E-Mail Peter Gay an Matthias Krämer, 31. Juli 2007. Peter Loewenberg. Professor Emeritus; in: UCLA Department of History [ohne Autor, ohne Datum]; URL: http://www.history.ucla.edu/faculty/peter-loewenberg (zuletzt abgerufen am 24. Dezember 2018; Archiv-URL: http://www.webcitation.org/74uiu8ANp); vgl. unten, Anmerkung 45 auf S. 75, sowie Anmerkung 65 auf S. 229. Einen Sonderfall stellt hier Guido Kisch dar, der außer einer Reihe von Vorträgen an deutschen und österreichischen Universitäten regelmäßig während der Sommersemester 1953 – 1959 als visiting professor an der Universität Basel lehrte. Obwohl Kisch sich mit Basel bewusst in die Schweiz orientierte, da er den Gedanken einer Remigration nach Deutschland als unangenehm empfand, ragt Basel doch – nicht nur geographisch – so deutlich in die deutsche Universitätslandschaft hinein, dass die Basler Tätigkeit eine zeitweilige Rückkehr in die Zusammenhänge bedeutete, die Kisch in Amerika von den Historikern in Deutschland getrennt hatten; vgl. Guido Kisch: Der Lebensweg eines Rechtshistorikers. Erinnerungen, Sigmaringen 1975, S. 167 f. und S. 176 f. Seine zahlreichen Rezensionen für die HZ bezeugen – wie die „Einladungen zu einzelnen Gastvorlesungen“, die er aus Deutschland bereits in der ersten Hälfte der 1950er Jahre „von mehreren Universitäten“ erhielt (ebenda, S. 176) – seine Anerkennung in der deutschsprachigen Historikerzunft. – Auch Horst Möller: From Weimar to Bonn: The Arts and the Humanities in Exile and Return, 1933 – 1980; in: Werner Röder/Herbert A. Strauss (Hg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, Band 2, München u. a. 1983, S. XLI–LXVI, hier S. LXVI, fordert die Berücksichtigung von Emigranten, die – wie etwa Thomas Mann – nach 1945 aus der Schweiz „influenced cultural developments in Germany or Austria.“ Für knappe Angaben zur ersten Orientierung über die Genannten siehe Anhang, Abschnitt 10.1 ab S. 565.
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1 Einleitung
Frauen in der Geschichtswissenschaft Aus heutiger Sicht wirft die rein männliche Zusammensetzung der Untersuchungsgruppe die Frage auf, welche Umstände dafür verantwortlich sind, dass Frauen in der Untersuchungsgruppe gar nicht – und in dieser Arbeit insgesamt kaum – berücksichtigt sind. Gab es etwa keine Historikerinnen, keine Professorinnen, keine Emigrantinnen, keine Gastprofessorinnen aus den USA? Doch, alle diese Gruppen gab es, jedoch keine Schnittmenge, in der Frauen alle obigen Bedingungen für die Aufnahme in die Untersuchungsgruppe erfüllten. Eine Emigrantin, die in den USA als Geschichtsprofessorin Karriere machte, war etwa Hanna Holborn Gray, die 1930 geborene Tochter von Hajo Holborn. Sie remigrierte jedoch nicht zu einer Gastprofessur in den deutschsprachigen Bereich.⁹³ Dagegen remigrierte die Meinecke-Schülerin Helene Wieruszowski für den Sommer 1948 als Gastdozentin nach Heidelberg, erreichte jedoch ab 1949 lediglich Positionen als assistant professor und associate professor am City College of New York,⁹⁴ so dass sie ebenfalls nicht zur Untersuchungsgruppe zu zählen ist. Das Fulbright-Programm als wichtigste Institution des Wissenschaftsaustauschs schloss Frauen nicht aus, Gastdozentinnen waren jedoch die kleinste Gruppe der am Programm Teilnehmenden: Unter den 155 von der Fulbright Commission nach Österreich entsandten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern 1951– 1964 waren acht Frauen, die überwiegend als research scholars nach Österreich kamen, so dass nur drei von ihnen als visiting lecturers gefördert wurden, keine davon aus der Geschichtswissenschaft.⁹⁵ Auch im Austausch mit
Vgl. Hanna Holborn Gray: An Academic Life. A Memoir, Princeton/Oxford 2018. Ein weiteres bekanntes Beispiel für eine nicht als Gastprofessorin remigrierte Geschichtsprofessorin ist Gerda Lerner, vgl. Gisela Bock: Nachruf auf Gerda Lerner (30. April 1920 – 2. Januar 2013); in: Geschichte und Gesellschaft 39 (2013), S. 259 – 278; Biographien von sechzehn Historikerinnen in der USEmigration vergleicht Catherine Epstein: Fashioning Fortuna’s Whim. German-Speaking Women Emigrant Historians in the United States; in: Sibylle Quack (Hg.): Between Sorrow and Strength. Women Refugees of the Nazi Period, Cambridge 1995, S. 301– 324. Ritter: Meinecke, S. 66 – 69. Ein weiteres bekanntes Beispiel für eine nicht auf eine Professur gelangte remigrierte Historikerin ist Selma Stern, vgl. Marina Sassenberg: Selma Stern (1890 – 1981). Das Eigene in der Geschichte. Selbstentwürfe und Geschichtsentwürfe einer Historikerin, Tübingen 2004, S. 30 – 32; Irene Aue-Ben-David: Deutsch-jüdische Geschichtsschreibung im 20. Jahrhundert. Zu Werk und Rezeption von Selma Stern, Göttingen 2017, S. 17. Eigene Auszählung (mit zuweilen unsicherer Geschlechtszuordnung nach angegebenem Vornamen) der Übersicht in Thomas König: Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich. Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“, Wien 2012, S. 122 – 127. Demnach lehrten Helen C. Lahey, Gabriele Munk-Benton und Miriam R. Small als Fulbright-Dozentinnen Erziehungs- und Literaturwissenschaften.
1.2 Grenzen und Überschreitungen
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der Bundesrepublik war im ersten Jahrgang 1953 – 54 unter 34 lecturers und researchers nur eine Frau.⁹⁶ Die Unterrepräsentation von Frauen in Leitungsfunktionen der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft setzte sich auch dann noch fort, als Frauen seit 1919/20 nicht mehr formal von der Habilitation ausgeschlossen waren.⁹⁷ Auf vier Habilitierte 1920 – 1945 folgten 13 Habilitierte 1946 – 1970.⁹⁸ Trotz der prinzipiellen Öffnung der Universitätskarriere für Frauen wirken die traditionellen Diskriminierungsmechanismen fort.⁹⁹ In den USA war die Situation Mitte des 20. Jahrhunderts etwas besser als in der Bundesrepublik,¹⁰⁰ doch die Laufbahnskizze von Hanna Holborn Gray führt die Situation in der US-Geschichtswissenschaft vor Augen, mit der noch die jüngsten Frauen konfrontiert wurden, die vor dem Nationalsozialismus geflohen waren: „The number of women in my generation who had been able to complete their PhDs without interruption was relatively small. As we came into our late thirties and forties, now ready for senior positions within the academic world and elsewhere, a number of women of my generation became ‚firsts‘. I was a ‚first‘ as a teaching fellow and tutor and instructor and assistant professor of history at Harvard, and again, in 1961, as an assistant professor of history at the University of Chicago. When I became dean of the arts and sciences at Northwestern 1971, then provost at Yale in 1974, and finally president at the University of Chicago in 1978, these appointments of a woman to executive positions at major research universities were regarded as exceptional and drew a degree of media attention that astonished me. The stories, of course, all took the theme of the ‚first woman‘ to do this or that; reporters never seemed to take any interest in my views on education or other relevant topics.“¹⁰¹
Die schlechteren Chancen von Frauen in der Bundesrepublik im Vergleich zu den USA zeigen sich auch an ihrer Repräsentation in den führenden Fachzeitschriften,
German-American Fulbright Commission (Hg.): The First Class of Fulbrighters, Berlin [2003], S. 56 f.; URL: http://www.fulbright.de/fileadmin/files/commission/program/downloads/first_ class_fulbrighters.pdf (zuletzt abgerufen am 12. Mai 2014, Archiv-URL: http://web.archive.org/ web/20140512232238/http:/www.fulbright.de/fileadmin/files/commission/program/downloads/ first_class_fulbrighters.pdf). Demnach forschte die Benediktinerin Mary Grell zur Zellgenetik in Deutschland. Heike Anke Berger: Deutsche Historikerinnen 1920 – 1970. Geschichte zwischen Wissenschaft und Politik, Frankfurt/New York 2007, S. 48 f. Ebenda, S. 56. Karen Hagemann/Sarah Summers: Gender and Academic Culture. Women in the Historical Profession in Germany and the United States since 1945; in: Michael Meng/Adam R. Seipp (Hg.): Modern Germany in Transatlantic Perspective, New York/Oxford 2017, S. 95 – 125, hier S. 96. Ebenda, S. 100 f. Holborn: Memoir, S. X.
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1 Einleitung
der HZ und der American Historical Review (AHR): 1950 – 1990 lag der Anteil der HZ-Beiträge von Frauen unter drei Prozent und stieg bis 2013 auf zwölf Prozent, während die AHR im selben Jahr 38 Prozent weibliche Beiträge enthielt.¹⁰² Dies trägt dazu bei, dass auch in den Rezensionsanalysen dieser Untersuchung Frauen keine Rolle spielen. Wenigstens kommen Historikerinnen als ehemalige Studierende bei transatlantischen Gastprofessoren zu Wort, namentlich Helga Grebing und Adelheid von Saldern.¹⁰³ Wäre das nicht der Fall, bliebe der „Anteil von Frauen an der Geschichtsschreibung“¹⁰⁴ in der hier untersuchten Konstellation um die Mitte des 20. Jahrhunderts nämlich auf die drei Funktionen beschränkt, die bereits für das 19. Jahrhundert galten:¹⁰⁵ Frauen wirkten als von der Zunft ausgegrenzte Amateurhistorikerinnen, als Übersetzerinnen und Vermarktungshelferinnen männlicher Historiographie, und als Haushalts-, Familien- und Hilfsarbeiterinnen ihrer Geschichte machenden Ehemänner, Söhne oder Brüder.¹⁰⁶ Speziell die Bedeutung
Hagemann/Summers: Gender, S. 103. Dass die Durchsetzung von Frauen an den Universitäten nach 1945 nicht einfach neuen, diskriminierungsfreien Raum für Frauen geschaffen, sondern das soziale Problemfeld akademischer Geschlechterverhältnisse erst eröffnet hat, liegt außerhalb des Untersuchungsfeldes dieser Arbeit. Dennoch möchte ich gewissermaßen als Anknüpfungspunkt für solche Studien an das Thema des Wissenschaftsaustauschs und der transatlantischen Gastprofessoren einen Quellenfund aus dem Fach Philosophie erwähnen. In einem Brief, den der transatlantische Gastprofessor Herbert Marcuse an den mit dem Institut für Sozialforschung (IfS) nach Frankfurt am Main remigrierten Max Horkheimer schrieb, um eine Austauschstudentin an ihn zu empfehlen, wird der Blick der befreundeten Professoren auf die junge Frau deutlich: „Eine unserer besten PhilosophieStudentinnen kommt nach Frankfurt und hat mich gebeten, Ihnen zu schreiben, ob Sie sie sehen könnten. Ich möchte ausdrücklich sagen, dass es in keiner Weise wichtig ist, – ich weiss, dass Sie sowieso überarbeitet sind, aber da das Mädchen ziemlich attraktiv ist, wollen Sie sie vielleicht bezichtigen. Ihr Name ist [ausgelassen, da die Frau möglicherweise noch lebt]. Wenn Sie nicht wollen, will vielleicht Teddie [Adorno], und wenn der auch nicht will, kann man sie vielleicht an einen der Englisch-sprechenden Azsitenten[sic] verweisen.“ Hervorhebung im Original unterstrichen, „bezichtigen“ handschriftlich ergänzt um den Kommentar „Schöner Tippfehler für besichtigen!“ Brief Herbert Marcuse an Max Horkheimer, Newton, Massachusetts 26.06.1958; in: Nachlass Max Horkheimer, UBA Ffm, Na 1, 356 (Korrespondenzen mit Herbert Marcuse, 1950 – 1973), pagina 45r. Sylvia Paletschek: Die Geschichte der Historikerinnen. Zum Verhältnis von Historiografiegeschichte und Geschlecht; in: Freiburger Frauenstudien 20 (2007), S. 27– 49, hier S. 30. Vgl. Schnicke: Die männliche Disziplin, S. 562, zum Erklärungsansatz für die Persistenz der vorherrschenden „Männlichkeit“ von Geschichtswissenschaft durch das 20. Jahrhundert hindurch, wonach die Definition der Geschichswissenschaft über Körperdefinitionen abgesichert war, die wiederum als natürlich galten und damit gegen Kritik immunisiert waren. Paletschek: Geschichte der Historikerinnen, S. 30 f.; vgl. Eckel/Etzemüller: Vom Schreiben, S. 18 f.
1.2 Grenzen und Überschreitungen
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von Frauen für die Produktions- und Rezeptionsbedingungen von männlich geleiteter Geschichtswissenschaft tritt in dieser Untersuchung wiederholt zu Tage: In der Emigration garantierten Ehefrauen ihren Männern öfters die Chance, sich an die neuen Anforderungen einer ungewissen akademischen Karriere in einem fremden Hochschulsystem anzupassen, indem sie alle anderen Aufgaben übernahmen und zudem an den Forschungen oder ihrer Übersetzung in den neuen Kontext mitwirkten.¹⁰⁷ Ein Paradebeispiel für weiblichen Einsatz für Übersetzung und Rezeption der Werke verstorbener Historiker ist Hajo Holborns dreibändige Deutsche Geschichte in der Neuzeit, die ab 1970 im Oldenbourg-Verlag erschien.¹⁰⁸ Auch bei der Untersuchung der Produktionsbedingungen der HZ werden wiederholt die Rollen angesprochen, in denen Frauen daran mitwirkten. Nach dem bisher Gesagten sollte deutlich geworden sein, dass es unangemessen wäre, in dieser Untersuchung regelmäßig von Historikerinnen und Historikern, Professorinnen und Professoren, Rezensentinnen und Rezensenten zu sprechen. Das würde in Bezug auf die Geschichtswissenschaft während fast des gesamten Untersuchungszeitraums lediglich die Exklusion verschleiern, von der Frauen umso stärker betroffen waren, je höher ihr akademischer Status war. Ich versuche daher, sowohl diese Exklusion sprachlich sichtbar zu machen, indem ich häufig nur in der maskulinen Form von Historikern, Professoren und Rezensenten spreche, als auch die langsame Öffnung der Disziplin für Frauen sprachlich abzubilden, indem ich zusätzlich feminine Formen verwende oder geschlechterneutrale Formen präferiere, wo dies einen zutreffenden Eindruck von den genderbezogenen Rahmenbedingungen der betreffenden Konstellation zu vermitteln hilft.
Vgl. Birte Meinschien: Writing History with an Accent. Emigrierte deutschsprachige Historikerinnen und Historiker in Großbritannien und ihre Forschungen zur deutsch-jüdischen Geschichte; in: Jörg Osterloh/Katharina Rauschenberger (Hg.): Der Holocaust. Neue Studien zu Tathergängen, Reaktionen und Aufarbeitungen, Frankfurt/New York 2017, S. 61– 77, hier S. 62.Vgl. Iggers/Iggers: Lebensbericht, für ein jüngeres, partnerschaftlicher ausgerichtetes Ehepaar in der Emigration, in dem Wilma Iggers als Germanistin Karriere machen konnte. Die Verlagsakte BWA F5/1217 beleuchtet verschiedene sonst kaum nachvollziehbare Aspekte der Bemühungen, für die Repatriierung von Holborns Historiographie in der Nachfolge Meineckes zu sorgen, ihre Chancen und Hindernisse. In dieser Untersuchung muss ihre Diskussion jedoch entfallen. Nicht unerwähnt bleiben soll jedoch meine Dankbarkeit für die vielfältige Unterstützung von Agnes-Dorothee Greiner über die gesamte Zeit der Arbeit an dieser Untersuchung.
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1.3 Wegmarken Als nächstes stelle ich die verschiedenen Gegenstände der folgenden Kapitel vor, die jeweils neue Perspektiven auf den übergreifenden Untersuchungsgegenstand eröffnen. Dabei konzentriere ich mich auf die im jeweiligen Kapitel angewandten Methoden, auf die jeweils zentralen Begriffe und am intensivsten verwendeten Quellen, auf die Forschungsströmungen, die in die Kapitel einfließen, und nicht zuletzt auf die für den Fortgang der Untersuchung wichtigsten Ergebnisse. Ich gehe davon aus, dass die deutschsprachige Emigration ab 1933 nicht nur Einfluss auf die Aufnahmeländer ausgeübt hat, sondern dass sie nach dem Ende des Nazi-Regimes auch die Herkunftsländer beeinflusste.¹⁰⁹ In welchem Umfang, auf welche Weise und in welcher Richtung die Rückwirkung gerade der HistorikerEmigration stattgefunden hat, ist noch nicht systematisch geklärt. Die Erforschung der deutschsprachigen Historikeremigration¹¹⁰ ist jünger als die allgemeine Exil- und Emigrationsforschung.¹¹¹ Bevor Winfried Schulze Mitte der 1980er Jahre begann, die zur Rückkehr einiger weniger Emigranten führenden Bemühungen vor allem des ersten Nachkriegsjahrzehnts zu untersuchen, hatten er und andere nur eine dürftige Vorstellung vom Verhältnis zwischen „deutschen“ Historikern und ihren emigrierten Kollegen.¹¹² Obwohl Schulzes Forschungen
Vgl. Martin Broszat: Prefaces; in: Werner Röder/Herbert A. Strauss (Hg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, Band 2, München u. a. 1983, S. IX f., hier S. X: „The exodus of the Jews […] led to new creative contacts, syntheses and influences – the effects of which also reverberated throughout the German-speaking post-war states.“ Vgl. Wolf: Deutsch-jüdische Emigrationshistoriker, S. 9; Eakin-Thimme: Geschichte im Exil, S. 8 f.; Georg Iggers, selbst Emigrant, versuchte in den USA bereits in den 1970ern, die Beiträge der deutschsprachigen Immigration auszuloten, was 1991 ein Sammelband des German Historical Institute (GHI) in Washington D. C. aufgriff: Hartmut Lehmann/James J. Sheehan (Hg.): An Interrupted Past. German-Speaking Refugee Historians in the United States after 1933, Washington, D. C. u. a. 1991. Vgl. zur Forschungsgeschichte unten, Kapitel 3 ab S. 166. Für das Kolloquium von Ernst Schulin zur deutschen Geschichtswissenschaft 1945 – 1965, das im September 1986 in München stattfand, leistete Schulze einen Beitrag, der unter anderem die Frage nach Rückberufungen für Emigranten stellte – im Zusammenhang mit der Beschwerde über die zahlreichen Entlassungen im Rahmen der Entnazifizierung: Winfried Schulze: Der Neubeginn der deutschen Geschichtswissenschaft nach 1945: Einsichten und Absichtserklärungen der Historiker nach der Katastrophe; in: Ernst Schulin (Hg.): Deutsche Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg (1945 – 1965), München 1989, S. 1– 37, hier S. 18 – 23. Vgl. Wolf: Deutsch-jüdische Emigrationshistoriker, S. 16 f., der den Stand der Erforschung der HistorikerEmigration von 1987 berichtet: „Gegenwärtig gibt es erst drei kleinere Arbeiten, die speziell deutsche Emigrationshistoriker zum Thema haben – vom Oesterreicher Gerald Stourzh, vom Emigrationshistoriker Georg G. Iggers und von Iggers’ Schüler Peter Th. Walther.“ – Aus Schulzes
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über die Rezeption emigrierter Historiker im Nachkriegsdeutschland zugleich den Ausgangspunkt der Debatte um die Volksgeschichte als Mutter der bundesrepublikanischen Sozialgeschichte bilden,¹¹³ wurden die emigrierten Historiker in dieser Debatte eher vernachlässigt.¹¹⁴ Während der Remigration einzelner Historiker auf Dauer bereits eingehende Untersuchungen gewidmet wurden,¹¹⁵ blieb die Historiker-Remigration auf Zeit schlecht erforscht. Die Kurzzeit-Remigranten unter den Historikern sind vor allem dann ausführlicher untersucht worden, wenn sie in der jungen Bundesrepublik als Berufungsinstanzen fungieren konnten, wie etwa Hans Rosenberg.¹¹⁶ Das gesamte Feld der Kurzzeit-Remigration in Form von Gastprofessuren wurde aber noch nicht im Zusammenhang von solchen bekannten Emigranten und weniger bekannten Geschichtsprofessoren betrachtet. Dabei handelt es sich bei den transatlantischen Gastprofessoren um diejenige Untergruppe der Historiker-Emigration, bei der die stärkste Etablierung in der Emigration in Verbindung mit dem stärksten Transfer aus der Emigration in die Herkunftsländer zu vermuten ist.
Untersuchungen ging hervor die Monographie Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft, sowie ein Beitrag für die erste Konferenz des 1987 gegründeten GHI in Washington: Schulze: Refugee Historians, S. 206 – 225; ebenda, S. 207, berichtet er über seine „only very scanty ideas“ zu Remigrationsmöglichkeiten von Historikern und darüber, dass er während „the last two years“, also von 1986 bis Dezember 1988, als die Konferenz des GHI stattfand, zu ersten Ergebnissen gelangte. Vgl. Hartmut Lehmann: Preface; in: Hartmut Lehmann/James J. Sheehan (Hg.): An Interrupted Past. German-Speaking Refugee Historians in the United States after 1933, Washington, D. C. u. a. 1991, S. vii–ix. Auf engstem Raum präsentiert in Schulze: Refugee Historians, S. 223 f. „Vor dem Hintergrund der äußerst kontrovers geführten Auseinandersetzungen um die Rolle auch nach 1945 noch prominenter Fachvertreter, die Deutschland nach der Errichtung der NSDiktatur nicht verlassen hatten, ist eine spezielle Gruppe von Historikern bislang eher vernachlässigt worden: Es handelt sich um diejenigen Angehörigen der ‚Zunft‘, welche durch das nationalsozialistische Regime zur Emigration gezwungen wurden.“ Winfrid Halder: Rezension zu Friedrich Meinecke, Akademischer Lehrer und emigrierte Schüler. Briefe und Aufzeichnungen 1910 – 1977, eingeleitet und bearbeitet von Gerhard A. Ritter, München 2006; in: H-Soz-u-Kult, 5. Oktober 2006; URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-4-015 (zuletzt abgerufen am 13. Dezember 2018). Etwa Jan Eckel: Hans Rothfels. Eine intellektuelle Biographie im 20. Jahrhundert, Göttingen 2005; vom Rezensenten eingeordnet in „die Reihe der in den letzten Jahren erschienenen Bücher zu bedeutenden deutschen Historikern des 20. Jahrhunderts“: Mathias Beer: Rezension zu Jan Eckel, Hans Rothfels. Eine intellektuelle Biographie im 20. Jahrhundert, Göttingen 2005; in: HSoz-Kult, 3. Mai 2006; URL: https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-6690 (zuletzt abgerufen am 13. Dezember 2018). Schon Schulze: Refugee Historians, S. 215 – 218, wählt Rosenberg als Beispiel.
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Kollektivbiographie Zuerst frage ich daher nach den kollektivbiographischen Bedingungen der Wirkung in der Emigration und in den Herkunftsländern:¹¹⁷ Zu diesen Bedingungen gehören die Fragen der Herkunft, der Ausbildung und der Karriere im Heimatland wie der Emigration. Dieser biographische Ansatz kann die allgemeinen Bedingungen der Arbeit und Wirkung der Untersuchungspersonen nur deutlich machen, indem er mit den Mitteln der Kollektivbiographie das Individuelle, Einmalige und Zufällige jeder einzelnen Biographie vom Gemeinsamen, Strukturellen und Notwendigen der betrachteten Gruppe unter den konkreten historischen Umständen unterscheidet.¹¹⁸ Die kollektivbiographische Methode ist stark sozialwissenschaftlich ausgerichtet. Allerdings hat Wolfgang Weber mit der Studie Priester der Klio¹¹⁹ und dem zugehörigen Lexikon¹²⁰ Referenzwerke vorgelegt, die kollektive Biographik für die deutschsprachige Historiographiegeschichte fruchtbar gemacht haben, und an die sich Kapitel 2 dieser Arbeit unverkennbar anschließt: Webers kollektivbio-
Weber: Priester der Klio, S. 353 f., und Georg G. Iggers: Rezension zu Wolfgang Weber, Priester der Klio: Historisch-sozialwissenschaftliche Studien zur Herkunft und Karriere deutscher Historiker und zur Geschichte der Geschichtswissenschaft, 1800 – 1970, New York 1984; in: Journal of Interdisciplinary History 17 (1986), S. 460 – 462, hier S. 462, weisen darauf hin, dass ein derartiger empirischer Ansatz enge Grenzen für die Erklärung von „intellectual phenomena in their social context“ aufweist. Dennoch stelle er einen wertvollen Grundstein einer Disziplingeschichte dar. Den Überlieferungs-Zufall nimmt Meinschien: Geschichtsschreibung, S. 21, zu leicht, wenn sie „einzelne Personen vertieft betrachtet“ und dazu ihre Auswahl so trifft: „Berücksichtigt werden dabei vor allem diejenigen, zu denen umfangreicheres Archivgut ausfindig gemacht werden konnte, das ein derartiges Vorgehen zulässt. Gleichwohl ist es durch den kollektivbiographischen Zugang möglich, auch solche Personen mit zu berücksichtigen, die in der Emigration ihre Karriere nicht fortsetzten und/oder kaum Quellen hinterließen“. Offensichtlich kann auf letztere nicht geschlossen werden, indem man die reichhaltigen Quellen von ersteren zugrundelegt. Das Grundproblem diskutiert Arnold Esch: Überlieferungs-Chance und ÜberlieferungsZufall als methodisches Problem des Historikers; in: HZ 240 (1985), S. 529 – 570. – Durch Unterscheidung des Individuellen vom Gemeinsamen sollen hier auch – ohne eine direkte Übertragbarkeit auf andere Emigrantengruppen vorauszusetzen – mögliche Antworten für zahlreiche der Fragen an die Exilforschung gefunden werden, die formuliert wurden von Hartmut Lehmann: Erfahrungen und Transformationen im Exil: Aufgaben und Perspektiven der Forschung; in: Hartmut Lehmann/Otto Gerhard Oexle (Hg.): Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften, Band 2: Leitbegriffe – Deutungsmuster – Paradigmenkämpfe. Erfahrungen und Transformationen im Exil, Göttingen 2004, S. 283 – 287. Weber: Priester der Klio. Wolfgang Weber: Biographisches Lexikon zur Geschichtswissenschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Lehrstuhlinhaber für Geschichte von den Anfängen des Faches bis 1970, Frankfurt am Main u. a. 1984.
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graphische Analysen ziehe ich zum Vergleich mit dem hier erstellten Profil der transatlantischen Gastprofessoren immer wieder heran. Auch die von ihm vorgenommene Analyse der Schultraditionen (vgl. neben Abschnitt 2.3 auch Abschnitt 5.2) in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft bildet einen wichtigen Anknüpfungspunkt. Schließlich handelt es sich bei der Untersuchungsgruppe dieser Arbeit um eine von Weber nicht berücksichtigte Gruppe deutschsprachiger Geschichtsprofessoren. Im Biographischen Handbuch dagegen liegen zu allen Untersuchungspersonen Kurzbiographien vor, die knappe Angaben zu den Lebensdaten, zur Karriere, zur Emigration und zu ihren Gastprofessuren enthalten.¹²¹ Vorrangig diente diese umfangreiche Datensammlung des Biographischen Handbuchs zur Erstellung eines Datengerüsts der Lebensläufe der Untersuchungspersonen.¹²² Vor der Be Durch das Erscheinen des zweiten Bandes (The Arts, Sciences, and Literature) in zwei Teilbänden im Jahr 1983 ist der Zeitraum, für den das Biographische Handbuch Gastprofessuren verzeichnen kann, begrenzt. Bei den Angaben des Wohnortes ist jeweils das Jahr angegeben, für das diese Information galt: Es schwankt zwischen 1979 und 1981, was die Termine der letztmöglichen in das Biographische Handbuch aufgenommenen Gastprofessuren anzeigt. Die Angabe des Todes von Felix Hirsch am 12. Dezember 1982 ist die früheste von mir festgestellte Angabe zur Untersuchungsgruppe, die in den zweiten Band des Biographischen Handbuchs nicht mehr aufgenommen wurde. Zu Hirschs Sterbedatum vgl. Catherine Epstein: A Past Renewed. A Catalog of German-Speaking Refugee Historians in the United States after 1933, Cambridge 1993, S. 120. Die letzte für die Untersuchungsgruppe verzeichnete Gastprofessur fand 1973 statt. Vgl. dazu unten, Abschnitt 4.2.2 ab S. 223; zu Personen, die wegen Gastprofessuren ab 1980 nicht aufgenommen werden konnten, siehe oben, Anmerkung 88 auf S. 24. Ich verwende die Begriffe Lebens(ver)lauf und Biographie nicht entsprechend der in der Soziologie etablierten Unterscheidung zwischen Lebenslauf- und Biografieforschung: Dabei gelten „Lebensläufe als eine Abfolge von Statuswechseln“, deren Verlaufsmuster und Statusübergänge untersucht werden. Dagegen fragt Biografieforschung nach Lebensgeschichten „auf der Grundlage der Sichtweise von Befragten“, so Thomas Kühn: Die Kombination von Lebenslaufund Biografieforschung. Das Beispiel der Identitätskonstruktionen im Lebenslauf; in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 57 (2017), S. 459 – 481 (DOI: 10.1007/ s11577-017-0466-x), hier S. 461. Die Kollektivbiographik ist – so auch in dieser Arbeit – zweifellos stärker an der quantitativ ausgerichteten Lebenslaufforschung orientiert. Nichtsdestotrotz bedeutet die Einbeziehung autobiographischer Quellen in dieser Arbeit (vgl. die folgende Anmerkung) auch die Berücksichtigung narrativer Selbst-Rekonstruktionen und trägt der Einsicht Rechnung, dass qualitative Methoden insbesondere da wichtig sind, wo die „Akteure große Handlungsspielräume haben und sich rascher sozialer Wandel ereignet, somit die Modifikation bestehender und Entstehung neuer Regeln, Strukturen und Wissensbestände zu erwarten ist“, so Udo Kelle: Die Integration qualitativer und quantitativer Forschung – theoretische Grundlagen von „Mixed Methods“; in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 57 (2017), S. 39 – 61 (DOI: 10.1007/s11577-017-0451-4), hier S. 58. Das gilt in besonderem Maße für Migrations- und Transferprozesse, wie sie hier insbesondere in den Kapiteln 3 und 4 behandelt werden.
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arbeitung und dem sinnvollen Vergleich der Personendaten waren die Lücken, die nach der Auswertung des Biographischen Handbuchs bestehen blieben, nach Möglichkeit zu füllen.¹²³ Jedoch bleibt die Gefahr, dass die im Biographischen Handbuch erfassten Personendaten Mängel in der Zusammenstellung der Untersuchungsgruppe erzeugen:¹²⁴ Fehlende oder falsche Angaben zu Gastprofessuren oder anderen Aufnahmekriterien in die vorliegende Untersuchungsgruppe etwa können dafür gesorgt haben, dass potentielle Untersuchungspersonen nicht ausgewertet und überprüft werden konnten.¹²⁵ In manchen Fällen zogen auch unklare oder undeutliche Angaben Probleme in der Zusammenstellung der Untersuchungsgruppe nach sich,¹²⁶ die unter Umständen in weiteren Fällen aufgetreten sein könnten, dann jedoch nicht offenbar wurden.
Die möglichen Quellen zur Feststellung von im Biographischen Handbuch fehlenden – oder fehlerhaften – Daten erstrecken sich von weiteren biographischen Nachschlagewerken über Nachrufe und Forschungsarbeiten zur Biographie einzelner Mitglieder der Untersuchungsgruppe bis hin zu autobiographischen Texten, edierten und archivalischen Quellenbeständen, sowie in Einzelfällen schriftlichen persönlichen Auskünften der Untersuchungspersonen. Diese Unterscheidungen bilden sich größtenteils in der Struktur des Quellen- und Literaturverzeichnisses ab. Sind biographische Daten im Folgenden nicht in den Anmerkungen konkret belegt, sind sie dem entsprechenden Personenartikel des Biographischen Handbuchs entnommen. Ein Nachweis dieser Daten im Einzelnen hätte die Anzahl der Anmerkungen vervielfacht. Zu den Aufnahmekriterien in das Biographische Handbuch siehe Standards for Inclusion, Editorial Policy; in: Werner Röder/Herbert A. Strauss (Hg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, Band 2, München u. a. 1983, S. LXXXVII–XCI. Gerhard Weinberg, Georg Iggers und auch Peter Loewenberg, die wie oben, Anmerkung 88 auf S. 24, erwähnt, später erste Gastprofessuren in Deutschland und Österreich inne hatten, können – wie möglicherweise auch andere Emigranten – nicht in die Untersuchungsgruppe aufgenommen werden. Auch die Übernahme von Fehlern des Biographischen Handbuchs kann im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden, wenngleich, wie erwähnt, ein Abgleich mit anderen Quellen Korrekturen erlaubte: Vgl. z. B. unten, Anmerkung 137 auf S. 201, oder zu den Gastprofessuren die Anmerkungen 47– 50 auf S. 224. Beispiele: Alfred Apsler wird im Biographischen Handbuch unter dem Titel „prof.[essor] of history“ geführt. Wie oben, S. 21, erwähnt, ist diese Bezeichnung des an einem community college als „instructor“ lehrenden Apsler jedoch zum Vergleich mit Universitätsprofessoren irreführend. Bei Peter Gay, für den im Biographischen Handbuch „1960, 1967, 1970 brief vis.[its] to Ger[many], 1974– 75 res.[earch] in Ger[many]“ vermerkt wird, wurde wie oben, Anmerkung 89 auf S. 25, angeführt, durch persönliche Anfrage die Möglichkeit einer Tätigkeit als Gastdozent ausgeschlossen. Peter Loewenberg, der im Biographischen Handbuch als „1961– 62 Fulbright fel[low], Friedrich Meinecke Inst[itut], Free Univ.[ersity] Berlin“ verzeichnet ist, war nicht etwa als „Fulbright lect[urer]“ wie Klaus Epstein und Manfred Jonas oder als „1963 – 64 Fulbright prof[essor], Univ[ersity] Bonn“ wie Klemens von Klemperer in Europa, sondern laut seiner Homepage, neben dem Studium in Berkeley „trained at the Free University of Berlin“, nämlich fünf Jahre vor seinem Ph. D.; vgl. Loewenberg: Homepage, UCLA.
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Die biographischen Kategorien, zu denen die Daten der Untersuchungsgruppe erhoben und ausgewertet wurden, sind – angelehnt an Wolfgang Weber – bezogen auf die Geburt, auf Herkunft und Familie, auf das Studium, eventuelle Berufstätigkeit vor der Emigration, die Emigration selbst, dortige Karrierestationen und auf Gastprofessuren im deutschsprachigen Raum.¹²⁷ Die Einzeldaten werden nicht nach der individualbiographischen Methode in der Abfolge der Lebensereignisse des Einzelmenschen angeordnet,¹²⁸ sondern nach den genannten biographischen Kategorien in den entsprechenden Abschnitten gesammelt, zur Datensicherung im Einzelnen vorgestellt und belegt, bevor sie weiterverarbeitet werden: Die Zusammenstellung der Daten aller untersuchten Personen unter einem Oberbegriff soll aus den Profilen der Einzelpersonen das Gesamtprofil der Untersuchungsgruppe generieren. Dabei entstehen Durchschnittswerte (wie das durchschnittliche Lebensalter bei der Promotion) und die zugehörigen Extrema; es zeigen sich typische Eigenschaften der Untersuchungsgruppe (wie die Existenz jüdischer Vorfahren); und die Personen können zu Untergruppen (wie der Gruppe der Schüler Friedrich Meineckes) zugeordnet werden. Aus der Analyse der gemeinsamen und individuellen Lebensdaten entsteht so im Wechselspiel von In-
Vgl. Weber: Priester der Klio, besonders den „Datenerfassungsbogen“ im Anhang seiner Untersuchung, S. 527– 531. Die Emigrations- und Remigrations-bezogenen Kategorien konnten freilich nicht in Anlehnung an Weber formuliert werden. Weitere Beispiele für „die formalisierte Strukturierung des Lebenslaufs in einzelne objektivierbare Merkmale“ oder „Datenkomplexe“ sind: Wilhelm Heinz Schröder: Kollektive Biographien in der historischen Sozialforschung: Eine Einführung; in: Wilhelm Heinz Schröder (Hg.): Lebenslauf und Gesellschaft. Zum Einsatz von kollektiven Biographien in der historischen Sozialforschung, Stuttgart 1985, S. 7– 17, hier S. 11; Robert Deutsch/Wilhelm Heinz Schröder: Geschichtswissenschaft zwischen professioneller Autonomie und politisch-sozialer Heteronomie: Wissensproduktion und kollektive Biographie der rumänischen Historiker 1924– 1974; in: Wilhelm Heinz Schröder (Hg.): Lebenslauf und Gesellschaft. Zum Einsatz von kollektiven Biographien in der historischen Sozialforschung, Stuttgart 1985, S. 147– 180, hier S. 153; Sabine Roß: Politische Partizipation und nationaler Räteparlamentarismus. Determinanten des politischen Handelns der Delegierten zu den Reichsrätekongressen 1918/1919. Eine Kollektivbiographie, Köln 1999 (zugleich Diss., Berlin 1997), S. 35 f. Die soziologischen Grundlagen für die Standardisierung des Lebenslaufs in der Moderne und die spätere – hier durch Migrationen repräsentierte – Destandardisierung fasst zusammen Martin Kohli: Die Institutionalisierung des Lebenslaufs. Historische Befunde und theoretische Argumente [1985]; in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 56 (2017), S. 495 – 524 (DOI: 10.1007/s11577-017-0417-6). Ein Beispiel für einen biographischen Ansatz zur Universitätsgeschichte im Dritten Reich, der in einer Aneinanderreihung von Kurzbiographien aber höchstens Eindrücke vermitteln kann, ist Hans-Paul Höpfner: Die Universität Bonn im Dritten Reich. Akademische Biographien unter nationalsozialistischer Herrschaft, Bonn 1999.
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dividuum und Gruppe eine kollektive Biographie. Diese bietet sich für diese Arbeit als Methode besonders an, da sie die Grundlage dafür legt, dass die einzelnen Wissenschaftlerpersönlichkeiten als Gruppe erkennbar werden. So wird das Untersuchungsfeld konstruiert als eine Art von Kollektividentität aus den geteilten Charakteristika der Lebensläufe – in Absehung vom subjektiven Zusammengehörigkeitsempfinden der Kollektivmitglieder.¹²⁹ Die dabei eingesetzten quantitativen Methoden beschränken sich auf deskriptive Statistik.¹³⁰ Das ist einerseits dem vorliegenden Vorgehen einer Vollerhebung von Daten angemessen, da die untersuchte Gruppe keine Repräsentativität für andere Personen und Gruppen beansprucht, so dass stochastische Modelle ebenso wie Überlegungen zur Stichprobenziehung entfallen. Die Aussagekraft der untersuchten Daten ist aufgrund der kleinen Probandenzahl argumentativ handhabbar, ihre inferenzstatistische Behandlung wäre hingegen kaum zu rechtfertigen, da das Sample mit der Grundgesamtheit identisch ist.¹³¹ Statistische Fehlerwahrscheinlichkeiten ergeben sich daher vor allem aus lücken- oder fehlerhaften Datensätzen. Wo sie eine Rolle spielen, wird das eigens erwähnt. Im Vordergrund der kollektivbiographischen Analyse steht die Frage, welche Charakteristika den untersuchten Personenkreis auszeichnen. Ich zeige durch den Vergleich der biographischen Daten, dass es einer bestimmten Konfiguration von
Eine „vorgestellte Gemeinschaft“, die „Werte und Normen festlegt“, setzt nicht das tatsächliche Empfinden „von Wir-Gruppen-Gefühlen“ voraus, vgl. Martin Kirsch: Wissenschaftler im Ausland zwischen 1930 und 1960 – Transferbedingungen und Identitätswandel einer erzwungenen Migration; in: Hartmut Kaelble/Martin Kirsch/Alexander Schmidt-Gernig (Hg.): Transnationale Öffentlichkeiten und Identitäten im 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2000, S. 179 – 209, hier S. 180 f. Eine kollektive Identität kann demnach auch zu analytischen Zwecken konstruiert werden, sobald die essentialistische Deutung kollektiver Identitäten verabschiedet ist. Diesbezüglich ist die kollektive Identität einer zu Forschungszwecken konstruierten Gruppe vergleichbar der analytischen Kategorie der Generation, vgl. unten, Abschnitt 2.2.1 ab S. 75. Damit ist ein tatsächliches subjektives Zusammengehörigkeitsempfinden natürlich nicht ausgeschlossen. Die Untersuchungsgruppe zeigt immer wieder Ansätze zu einem solchen Wir-Gefühl, zum Beispiel für die Meinecke-Schüler, die Hajo Holborn anlässlich des Todes des Lehrers zu einem empathischen „wir“ zusammenschloss: „Ich weiß, daß er den Tod seit langem ersehnte, für uns endete er jedoch die direkte Beziehung zu einer Welt, von der wir immer noch zehren.“ 3. April 1954: Hajo Holborn (New Haven, Ct.) an Dietrich Gerhard; in: Ritter: Meinecke, S. 251. Vgl. Helmut Kromrey: Empirische Sozialforschung. Modelle und Methoden der standardisierten Datenerhebung und Datenauswertung, 10. Auflage, Opladen 2002, S. 405 – 514; Kerstin Völkl/Christoph Korb: Deskriptive Statistik. Eine Einführung für Politikwissenschaftlerinnen und Politikwissenschaftler, Wiesbaden 2018. Peter Kriwy/Christiane Gross: Kleine Fallzahlen in der empirischen Sozialforschung; in: Peter Kriwy/Christiane Gross (Hg.): Klein aber fein! Quantitative empirische Sozialforschung mit kleinen Fallzahlen, Wiesbaden 2009, S. 9 – 21, hier S. 12.
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biographischen Eigenschaften bedurfte, um die Voraussetzungen für eine spätere Kurzzeit-Remigration als transatlantischer Gastprofessor zu erfüllen. Aus den Ergebnissen dieses Kapitels lässt sich mit dem an Historikern gebildeten Modell von Emigranten-Lebensläufen ein Instrument für weitere Forschungen zur Wissenschaftler-Emigration im 20. Jahrhundert entwickeln: Max Webers Konzeption des Idealtypus¹³² bietet die Methode an, nach der ich im Folgenden ein abstraktes Bild des vor den Nationalsozialisten in die Emigration geflohenen Historikers zu konstruieren versuche. Obwohl vor dem Hintergrund einer spezifischen Wissenschaftler-Gruppe entwickelt, ist dieses Werkzeug für weitere Untersuchungen nutzbar, um damit die Gemeinsamkeiten und Unterschiede anderer Emigranten-Schicksale zu erklären. Durch weitere Abstraktion von den Eigenheiten der in dieser Arbeit untersuchten Personen ließe sich der folgende Idealtypus auch auf größere Untersuchungsfelder übertragen.¹³³ Der Idealtypus des aus dem Machtbereich des Nationalsozialismus emigrierten Historikers mit späterer Kurzzeitremigrationserfahrung lässt sich mit den folgenden Elementen skizzieren: Seine familiären Wurzeln liegen im deutschsprachigen jüdischen Bürgertum mit Assimilationstendenz seit dem 19. Jahrhundert. Die universitäre Ausbildung findet – sofern in Deutschland – bei eher liberalen Hochschullehrern statt. Dennoch bestehen unter Umständen Karrierehindernisse aufgrund der jüdischen Herkunft, so dass beim Aufstieg der NSDAP zur Macht weniger ordentliche Professoren als noch in einer Qualifikationsphase befindliche Wissenschaftler an Emigration denken müssen, aber auch Kinder und Jugendliche, die durch die Emigration mit ihren Eltern erst in der Fremde eine wissenschaftliche Ausbildung erhalten. Die Emigrationsentscheidung trifft der Historiker nach oder in Erwartung von Entlassung und beruflichen wie persönlichen Diskriminierungen. Die Auswan-
Basierend auf Weber: Objektivität; vgl. Kelle/Kluge: Einzelfall; Uta Gerhardt: Idealtypus. Zur methodologischen Begründung der modernen Soziologie, Frankfurt am Main 2001; Gertrude Hirsch Hadorn: Webers Idealtypus als Methode zur Bestimmung des Begriffsinhaltes theoretischer Begriffe in den Kulturwissenschaften; in: Journal for General Philosophy of Science 28 (1997), S. 275 – 296; außerdem knapp Thomas Welskopp: Erklären; in: Hans-Jürgen Goertz (Hg.): Geschichte. Ein Grundkurs, 2. Auflage, Reinbek bei Hamburg 2001, S. 132– 168, hier S. 160 – 165. Die zuerst naheliegende mögliche Erweiterung der Untersuchungsgruppe wäre die Einbeziehung von emigrierten Historikern, die entweder völlig oder gar nicht remigriert sind. Weitere Beispiele wären emigrierte Wissenschaftler anderer oder aller Disziplinen, die Emigration von Wissenschaftlern aus nicht-nationalsozialistischen Ländern, sogar Wissenschaftsemigration vor dem 20. Jahrhundert, oder die Emigration anderer Berufsgruppen – etwa Politiker – aus NaziDeutschland.
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derung, die meist – direkt oder indirekt – in die USA führt und Vermögenseinbußen bedeutet, stellt den Betroffenen in der ersten Phase vor das Problem, den Lebensunterhalt für sich und gegebenenfalls seine Familie zu bestreiten, während zur Aufrechterhaltung von akademischen Karrierechancen eine wissenschaftliche Tätigkeit notwendig ist. Wenn nicht bei Emigration bereits das Angebot einer Gastdozentur besteht – oft behindert durch mangelnde Sprachkenntnisse –, erfüllt vor allem ein Forschungsstipendium diese Kriterien. In einer zweiten Phase – nach Eingewöhnung, Spracherwerb und dem Knüpfen benötigter Kontakte – steht die allmähliche Etablierung im Lehrbetrieb des Gastlandes im Vordergrund, die meist durch kurz- oder mittelfristige Lehraufträge versucht wird. Der Zweite Weltkrieg bedeutet dann einerseits ein Beschäftigungshindernis durch den Status als „enemy alien“,¹³⁴ nach der Einbürgerung aber in einer dritten Phase zusätzliche Arbeitsmöglichkeiten im Zusammenhang mit den Kriegsanstrengungen – besonders der USA. Sowohl die dabei mit etablierten einheimischen Wissenschaftlern geknüpften Kontakte als auch die für Studium und Beruf vorteilhaften Regelungen für Kriegsteilnehmer und der damit einhergehende Nachkriegsboom an den Universitäten unterstützen in den Nachkriegsjahrzehnten den Aufstieg auf eine ordentliche Professur. Weitere Berufungen hängen zu einem großen Teil vom Alter ab, in dem die Erstberufung erfolgte.
Emigrationsbegriff Den Emigrationsvorgang selbst habe ich in obiger Skizze bereits mit einbezogen. In Kapitel 3 analysiere ich ihn allerdings systematisch, indem ich zunächst in kritischer Absicht die aus dem linguistic turn erwachsene sprachanalytische Methode anwende und danach frage, was wir eigentlich meinen,¹³⁵ wenn wir Begriffe wie Exil oder Emigration verwenden. Denn die Lebensverläufe der transatlantischen Gastprofessoren als „Wanderer zwischen den Welten“ oder auch „NobelZigeuner“¹³⁶ werfen die Frage auf, ob es sich bei ihrer Flucht vor Diskriminierung und Verfolgung im NS-Regime um eine Emigration handelte oder um einen Gang
Zur Bedeutung dieses Status und zum Umgang deutsch-jüdischer Flüchtlinge damit siehe Anne Schenderlein: German Jewish „Enemy Aliens“ in the United States during the Second World War; in: Bulletin of the German Historical Institute Washington DC 60 (Spring 2017), S. 101– 116. Vgl. Mehrtens: Methode/Methodologie, S. 835 – 837. Diese despektierliche Bezeichnung, die gleichwohl nomadische Lebensweise und soziale Ausgrenzung mit wirtschaftlichem Erfolg und sozialem Ansehen verbindet, benutzte Klemens von Klemperer als Selbstbeschreibung in einer E-Mail Klemens von Klemperer an Matthias Krämer, 4. Oktober 2007.
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ins Exil. Die durch die Begriffsanalyse von Exil und Emigration angestrebte Relativierung des paradigmatischen Rahmens der Zwangsmigration in der Erforschung der Hitlerflüchtlinge ermöglicht es besser, die Untersuchungsgruppe der emigrierten Historiker als Akteure wahrzunehmen, die durch konkrete Entscheidungen hinsichtlich Migration und Remigration ihre Karrieren gestalteten. Die Erklärung für die Entwicklung der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft aus der Interaktion verschiedener Akteursgruppen mit den transatlantischen Gastprofessoren überschreitet damit notwendigerweise die national orientierten Referenzrahmen, die typisch waren sowohl für klassische Exilforschung unter den Vorzeichen von Verlust, Isolation oder Fremdheit als auch für klassische Emigrationsforschung unter dem leitenden Gesichtspunkt der Bereicherung der (vor allem amerikanischen) Aufnahmegesellschaft um die Perspektiven und Beiträge der dort Einwandernden.¹³⁷ Aus der Evaluation der namensgebenden Paradigmen von Exil- und Emigrationsforschung ergibt sich das Erfordernis der Hinwendung zur modernen Migrationsforschung: Mit deren vergleichenden und systematisierenden Mitteln argumentiere ich unter Anwendung der Methode der rationalen Begriffs-Rekonstruktion¹³⁸ schließlich dafür, dass die Migration der Untersuchungsgruppe aus dem nationalsozialistischen Herrschaftsbereich zusammenfassend beschrieben werden kann mit dem Idealtypus einer transatlantischen, bedrängten, akademischen Lebenschancenmigration. Die nach Nordamerika führenden Migrationen der Untersuchungspersonen sind an sich weder als Verlust für die deutsche Geschichtswissenschaft (brain drain) noch als Plus der Aufnahmegesellschaften an akademischer Leistung (brain gain) umstandslos fixierbar. Solche „volkswirtschaftlichen“ Nutzenrechnungen müssten zahlreiche implizit bleibende Prämissen setzen und würden ihre eigenen Entstehungsbedingungen im summarischen Rückblick auf die Migrationsvorgänge zu wenig reflektieren. Auch die romantisierende Einschätzung, die Migration habe den Betroffenen einen Zuwachs an Lebenschancen gebracht,
Diese knappe Gegenüberstellung von Verlust- und Gewinngeschichten aus nationaler Perspektive stammt von Almut Stoletzki: The Study Group on Germany: Exploring the Transatlantic Dynamics in an Exile Debate of the 1940s; in: Traversea 2 (2012), S. 80 – 100; URL: https://traversea.journal.library.uta.edu/index.php/traversea/article/download/12/12 (zuletzt abgerufen am 25. Dezember 2018), hier S. 80. Über Stoletzkis Ansatz einer Unterschiede und Gemeinsamkeiten europäischer und amerikanischer Gesellschaften synthetisierenden „entangled transatlantic history“ (S. 99) hinausgehend möchte ich die Fruchtbarkeit dieser Verwicklung für die deutschsprachige Geschichtswissenschaft der Nachkriegszeit untersuchen. Vgl. Mehrtens: Methode/Methodologie, S. 838 f.
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beruht auf dem subjektiven Empfinden der Postmigrationsbiographien als Erfolgsgeschichten – während das subjektive Empfinden ebenso zu Leidensgeschichten als autobiographischen Bilanzen berechtigen kann.¹³⁹ Allerdings qualifiziert erst die stets über den Atlantik führende Migration und in der Folge die Etablierung im Aufnahmeland die untersuchten Historiker zur Erfüllung der Funktion, die ich ihr im transatlantischen Kulturaustausch nach 1945 zugeordnet habe:
Westernisierung Als der Politikwissenschaftler und transatlantische Gastprofessor Franz L. Neumann 1952 „den Einfluss deutscher emigrierter Sozialwissenschaftler auf die amerikanische Wissenschaftskultur“ zusammenfassen sollte, formulierte er einen klassischen Topos des Umgangs von Emigranten mit kulturellen Differenzen:¹⁴⁰ „Der exilierte Wissenschaftler gibt vielleicht seine vorherige, intellektuelle Position auf und übernimmt ohne Einschränkung die neue Orientierung; dies hat er bisweilen de facto getan. Er hält vielleicht an der alten Denkstruktur fest und erblickt entweder seine Mission darin, das amerikanische Denkmuster völlig umzumodeln, oder er zieht sich mit Geringschätzung und Verachtung auf eine Insel zurück; beides ist vorgekommen. Vielleicht aber versucht er, um eine dritte Möglichkeit zu nennen, seine neuen Erfahrungen mit der alten Tradition zu verknüpfen. Dies, glaube ich, ist die schwierigste, aber auch die sinnvollste Lösung.“¹⁴¹
Als Schlüsselakteure der Westernisierung in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft und darüber hinaus betrachte ich die transatlantischen Gastprofessoren daher in Kapitel 4. Dabei vergleiche ich wiederum kollektivbiographisch ihre Tätigkeiten als Gastprofessoren in den deutschsprachigen Ländern als gemeinsamen Fokus ihres vielfältigeren transatlantischen Nachkriegs-Engagements. Anschließend wechsle ich die Perspektive und analysiere die im Rückblick von der Zeit der Jahrtausendwende aus formulierten Bezugnahmen der Genera-
Vgl. aus der Untersuchungsgruppe etwa Kisch: Erinnerungen, sowie Gerhard Masur: Das ungewisse Herz. Berichte aus Berlin – über die Suche nach dem Freien, Holyoke (Massachusetts) 1978. Alfons Söllner: Jüdische Emigranten in den USA, ihr Einfluss auf die amerikanische Deutschlandpolitik 1933 – 1949; in: Alfons Söllner: Fluchtpunkte. Studien zur politischen Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts, Baden-Baden 2006, S. 160 – 180, hier S. 175. Franz L. Neumann: Intellektuelle Emigration und Sozialwissenschaften (1952); in: Franz L. Neumann: Wirtschaft, Staat. Demokratie. Aufsätze 1930 – 1954, hg. von Alfons Söllner, Frankfurt am Main 1978, S. 402– 423, hier S. 417; zitiert nach Söllner: Jüdische Emigranten, S. 175.
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tion der Nachkriegsstudierenden auf die Gastprofessoren.¹⁴² Durch die Sekundäranalyse einer in einem eigenen Zusammenhang entstandenen Sammlung von Interviews als Quellen der Oral History¹⁴³ und die Konzentration auf das in diesen Interviews randständige Thema der transatlantischen Gastprofessoren kann ich die akademischen Traditionszusammenhänge rekonstruieren, in die Nachkriegsstudierende sich retrospektiv selbst stellten. Daraus ergibt sich, dass diejenigen emigrierten Historiker, die nur zu Gastprofessuren remigrierten, für die Westernisierung wahrscheinlich wichtiger waren als die echten Remigranten¹⁴⁴ wie beispielsweise Hans-Joachim Schoeps oder Hans Rothfels. Echte Remigranten waren im Exil häufig isoliert, unglücklich oder erfolglos. Die von mir untersuchten Emigranten zogen hingegen in der Nachkriegszeit Gastprofessuren als Möglichkeit zur zeitweiligen Rückkehr in die alte Heimat vor – oder konnten keine vollen Professuren erhalten:¹⁴⁵ Die Bereitschaft der transatlantischen Gastprofessoren, die eigenen wissenschaftlichen und kulturellen Lernprozesse insbesondere an Studierende weiterzugeben, entsprach dem Anliegen des Westernisierungs-Programms, das zu den Grundlagen der starken staatlichen Förderung von transatlantischen Austauschbemühungen zählte.¹⁴⁶
Die zentrale Quelle dieses Abschnitts sind die in Folge des Frankfurter Historikertags von 1998 geführten Interviews mit 17 Geschichtsprofessoren und ‐professorinnen als „einige[n] der prominentesten Zeitzeugen“ (S. 9) der deutschsprachigen Nachkriegsgeschichtswissenschaft, gesammelt in Hohls/Jarausch: Versäumte Fragen. Zur methodischen Reflexion, zu Kontext, Setting und Struktur der Interviews vgl. Konrad H. Jarausch/Rüdiger Hohls: Brechungen von Biographie und Wissenschaft. Interviews mit deutschen Historikern/innen der Nachkriegsgeneration; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 15 – 54; zur Oral History und ihrer Interpretation vgl. den Überblick von Dorothee Wierling: Oral History; in: Michael Maurer (Hg.): Aufriß der Historischen Wissenschaften, Band 7: Neue Themen und Methoden der Geschichtswissenschaft, Stuttgart 2003, S. 81– 151. Für eine Typologie von Gastprofessuren und Gastvorträgen sowie der Intensität ihrer Wirkung auf den transnationalen Wissenschaftsaustausch siehe König: Fulbright in Österreich, S. 58 f.; vgl. Krauss: Transatlantische Gastprofessoren. Claus-Dieter Krohn: Deutsche Wissenschaftsemigration seit 1933 und ihre Remigrationsbarrieren nach 1945; in: Rüdiger vom Bruch/Brigitte Kaderas (Hg.): Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2002, S. 437– 452; Krauss: Transatlantische Gastprofessoren; siehe ebenda, S. 255 f. auch für einen Überblick über weitere Literatur zur Emigration und Remigration von Wissenschaftlern. Der Zusammenhang des wichtigsten Wissenschaftsaustauschprogramms, des Fulbright Program, mit dem Westernisierungs-Programm würde eine ausführliche Darstellung lohnen. Siehe beispielsweise König: Fulbright in Österreich, S. 14 f. und Randall Bennett Woods: Fulbright
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Wie weit die Austauschbeziehungen zwischen den USA und deutschsprachigen Studierenden über die bloße Anwesenheit von Gastprofessoren zu Lehrveranstaltungen hinaus gingen, zeigt eine Tiefenbohrung in den Nachlass Hans Rosenbergs. Rosenberg ist deshalb ein gutes Beispiel für die Wirkung transatlantischer Gastprofessuren, weil es über ihn einen Diskurs innerhalb des Faches gab, der in der Phase noch wichtig war, in der die ehemaligen Studierenden der Gastprofessoren als Zeitzeugen für die Nachkriegsgeschichte des Faches entdeckt wurden. Dadurch liegt eine Reihe von Erinnerungen über Rosenberg vor, in denen es um seine Bedeutung für Studierende und NachwuchswissenschaftlerInnen geht, die als GeschichtsprofessorInnen Karriere gemacht haben. Diese Erinnerungen mit den umfangreichen Briefwechseln zu triangulieren, die oftmals den Atlantik überquerten, eröffnet einen detaillierten Blick auf die Emigranteneinflüsse. Viele der hier untersuchten transatlantischen Gastprofessoren kamen mehrfach zu Gastprofessuren in die BRD, nach Österreich oder in die deutschsprachige Schweiz. Dabei führte fast ein Drittel der insgesamt 46 Gastprofessuren die Emigranten nach Westberlin, wo sie an alte Verbindungen anknüpfen konnten, weil die meisten zur Meinecke-Schule zählenden Historiker dort studiert hatten und Meinecke 1948 erster Rektor der Freien Universität wurde.¹⁴⁷ Zudem wurde Berlin durch die Amerikaner besonders gefördert. Andere große Universitätsstädte wie etwa München oder Wien beherbergten dagegen nur je einen der hier untersuchten Emigranten als Gastprofessor.¹⁴⁸ Gabriela Ann Eakin-Thimmes skeptische These, dass die Nachwuchshistoriker „das Gros ihrer theoretischen Anregungen nicht“ von den Gastprofessoren erhielten,¹⁴⁹ auf die sie sich später beriefen, sondern von den sprachlich an die Nachkriegszeit angepassten Ordinarien in der Tradition der Volksgeschichte, steht nur scheinbar im Widerspruch zu einem starken Einfluss der Gastprofessoren, wie ihn etwa Gerhard A. Ritter am Beispiel Hans Rosenbergs betont.¹⁵⁰ Denn als wesentliche theoretische Ansätze, die in der Historischen Sozialwissenschaft aufblühten, lassen sich mit etwas Unschärfe die Modernisierungstheorie und die damit zusammenhängende Theorie des negativen deutschen Sonderwegs aus-
Internationalism; in: The Annals of the American Academy of Political and Social Science 491 (1987), S. 22– 35, hier S. 28. Vgl. Ritter: Meinecke. Hallgarten war 1949/50 in München, Holborn 1955 in Wien. Beide Städte sind aber bei Vortragsreisen der Emigranten besonders berücksichtigt worden. Eakin-Thimme: Vermittler sozialgeschichtlicher Ansätze, S. 81. Ritter: Meinecke, S. 79 f.
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machen.¹⁵¹ Sie basieren nicht zuletzt auf der vorherigen, positiven Sonderwegstheorie. Wesentlicher Unterschied ist die Bewertung: Während die Vorgänger die deutsche Einzigartigkeit feierten, kritisierte die Historische Sozialwissenschaft die als Mangelhaftigkeit gedeutete Abweichung Deutschlands vom „westlichen“ Weg in die Moderne. Hier zeigt sich in der normativen Orientierung am „Westen“ mit der Führungsmacht USA bereits ein in diese Theorie eingeflossenes Element, das die Gastprofessoren repräsentierten. Die politische Zustimmung zu liberalen und demokratischen Gesellschaftsidealen im Zuge der Westernisierung (consensus capitalism),¹⁵² die durch die Modernisierungstheorie für Deutschland propagiert wurden, gehört nicht zum engsten Kreis der fachwissenschaftlichen Wirkungen von Gastprofessoren. Dass es aber erfolgreiche Historiker mit solchen Einstellungen als Rollenvorbilder für den deutschen Nachwuchs gab, war sicher hilfreich für deren Durchsetzung. Solche politischen Einstellungen schlugen auch auf die neue politische Ausrichtung der Geschichtswissenschaft durch, insbesondere auf den emanzipativen Sinn, der ihr zugemessen wurde.¹⁵³ Die Anregung zur Beschäftigung mit sozialwissenschaftlichen Methoden, aber sicher auch mit anderen in den USA gepflegten Ansätzen wie der intellectual history, ist ebenfalls den Gastprofessoren zuzurechnen. Wiederum kann man nicht annehmen, dass der Nachwuchs allein aus Begeisterung für solche neuen Eindrücke mit neuen Methoden experimentierte – er musste auch die Aussicht haben, dass solche Neuerungen sich durchsetzen oder ihn zumindest nicht an einer wissenschaftlichen Laufbahn hindern würden. Schließlich ist der oft erwähnte Lehrstil zu nennen, der auch mit den politischen Überzeugungen und den Prämissen über den Sinn der Geschichtswissenschaft zusammenhängt: Nicht die Erforschung der Tradition durch andächtige Verfolgung professoraler Vorlesungen und anschließende Verfeinerung stand im Zentrum dieses neuen Stils, sondern die umstürzend kritische Neuinterpretation der Vergangenheit in konfrontativen Debatten im Seminar. Gerade die jüngste deutsche Vergangenheit sollte ja in der Wende vom positiven zum negativen Sonderweg einer an Freiheit und Demokratie orientierten neuen Deutung unterzogen werden. Dieser letzte Aspekt der Implementierung eines Stils kritischer,
Welskopp: Erklären, S. 150 – 152; Thomas Welskopp: Identität ex negativo. Der „deutsche Sonderweg“ als Metaerzählung in der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft der siebziger und achtziger Jahre; in: Konrad H. Jarausch/Martin Sabrow (Hg.): Die historische Meistererzählung. Deutungslinien der deutschen Nationalgeschichte nach 1945, Göttingen 2002, S. 109 – 139. Doering-Manteuffel: Amerikanisierung und Westernisierung (2019). Vgl. Jürgen Kocka: Sozialgeschichte. Begriff – Entwicklung – Probleme, Göttingen 1977, S. 122, S. 125 f., S. 130 f.
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demokratischer Diskussion litt aber in der Praxis zuweilen an den hierarchischen Traditionen der Ordinarienuniversität und an den sozialen und diskursiven Mechanismen, mit denen Professoren ihre eigene Deutung gegen Widerspruch von Studierenden immunisierten. Dies hing wohl auch mit dem politischen Sinn der neuen, kritischen Geschichtswissenschaft zusammen, ein antinationalsozialistisches Narrativ des negativen Sonderwegs zu etablieren und damit die Westernisierung der Bundesrepublik zu fördern, und nicht etwa ein besonders pluralistisches Geschichtsbild zu propagieren, in dem eine Deutung neben der anderen stehen könnte: Dass es die eine, richtige Geschichte gebe, die sich in stetem Ringen gegen alle anderen, falschen Geschichten durchzusetzen hatte, glaubten die Studierenden der Nachkriegszeit und die damalige Professorengeneration gleichermaßen. Die idealtypische Konstruktion eines transatlantischen Gastprofessors lässt sich auf dieser Grundlage wie folgt formulieren: Eine Kurzzeit-Remigration als Gastprofessor setzt Verschiedenes voraus,¹⁵⁴ zunächst Kontakte in die alte Heimat und nicht zu große Vorbehalte gegenüber einer Reise in das Land der Verantwortlichen für Vertreibung, Krieg und Massenmord. Weiter muss ein Interesse an einer Rückkehr dorthin bestehen, was neben dem Nutzen für eine Karriere in der German history in den USA insbesondere mit der Vorstellung verbunden ist, zur Demokratisierung und Westorientierung Deutschlands und zum Wiederanschluss der dortigen Forschung an die internationale Wissenschaft beitragen zu können. Sind diese Voraussetzungen deutlich gegeben, insbesondere die Bedenken gegen eine dauerhafte Remigration schwach ausgeprägt, und kommt eine geringe Integration in Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft des Emigrationslandes hinzu,¹⁵⁵ so ist statt oder in Folge einer Gastprofessur eine vollständige Remigration wahrscheinlich¹⁵⁶ – immer vorausgesetzt, es gibt Angebote zum einen wie zum anderen. Da die Westernisierungsforschung insbesondere in Kapitel 4 dieser Arbeit fokussiert wird, skizziere ich dort auch den Forschungsstand zu diesem modernen ideengeschichtlichen Ansatz. Dessen Reiz entspringt nicht zuletzt aus der integrativen Mehrdimensionalität, mit der er politikgeschichtliche Themen, etwa die
Vgl. Hans Georg Lehmann: Rückkehr nach Deutschland? Motive, Hindernisse und Wege von Emigranten; in: Claus-Dieter Krohn/Patrik von zur Mühlen (Hg.): Rückkehr und Aufbau nach 1945. Deutsche Remigranten im öffentlichen Leben Nachkriegsdeutschlands, Marburg 1997, S. 39 – 70, und siehe unten, Anmerkung 23 auf S. 218 f. Marita Krauss: Die Rückkehr einer vertriebenen Elite. Remigranten in Deutschland nach 1945; in: Günther Schulz (Hg.): Vertriebene Eliten. Vertreibung und Verfolgung von Führungsschichten im 20. Jahrhundert, München 2001, S. 103 – 123, hier S. 109. Vgl. dazu unten, Abschnitt 4.2.4 ab S. 266.
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Kulturdiplomatie,¹⁵⁷ mit kulturgeschichtlichen Themen wie dem Kulturtransfer verbindet¹⁵⁸ und zugleich zur Erweiterung des nationalen sozialgeschichtlichen Rahmens zu einer „transnationalen Gesellschaftsgeschichte“ geeignet ist.¹⁵⁹ Die Erforschung von transnationalen Phänomenen ist in der Geschichtswissenschaft eine noch recht junge Spezialisierung, die besonders in Verbindung mit der Migrationsforschung virulent ist, da es beiden um die Transgression von Grenzen geht.¹⁶⁰ Die Kombination von Migration und Kulturtransfer stützt sich stark auf den Begriff der Akkulturation,¹⁶¹ der auch in der Emigrationsforschung intensiv verwendet wird.¹⁶²
Nachkrieg der Zunft Eine konsequente Weiterentwicklung aus diesem Kontext ist die diskursgeschichtlich geprägte und methodisch stark von Michel Foucault beeinflusste gegenwärtige Wissenstransferforschung,¹⁶³ eine systematisch transnational orien-
Vgl. König: Fulbright in Österreich. Vgl. Johannes Paulmann: Internationaler Vergleich und interkultureller Transfer. Zwei Forschungsansätze zur europäischen Geschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts; in: HZ 267 (1998), S. 649 – 685, besonders S. 678; Michael Werner: Maßstab und Untersuchungsebene. Zu einem Grundproblem der vergleichenden Kulturtransfer-Forschung; in: Lothar Jordan/Bernd Kortländer (Hg.): Nationale Grenzen und internationaler Austausch. Studien zum Kultur- und Wissenschaftstransfer in Europa, Tübingen 1995, S. 20 – 33. Vgl. Jürgen Osterhammel: Transnationale Gesellschaftsgeschichte: Erweiterung oder Alternative?; in: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001), S. 464– 479. Vgl. ebenda, S. 473; Johannes Paulmann: Grenzüberschreitungen und Grenzräume. Überlegungen zur Geschichte transnationaler Beziehungen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Zeitgeschichte. Gerhard A. Ritter zum 75. Geburtstag; in: Eckart Conze/Ulrich Lappenküper/Guido Müller (Hg.): Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerung und Erweiterung einer historischen Disziplin, Köln/Weimar/Wien 2004, S. 169 – 196; Barbara Lüthi: Transnationale Migration – Eine vielversprechende Perspektive?; in: Connections. A Journal for Historians and Area Specialists, 13. April 2005; URL: https://www.connections.clio-online.net/debate/id/diskussionen-880 (zuletzt abgerufen am 25. Dezember 2018; Archiv-URL: http://www.webcitation.org/74vmgR6Zm); Dirk Hoerder: Human Mobility; in: Akira Iriye/Pierre-Yves Saunier (Hg.): The Palgrave Dictionary of Transnational History, Basingstoke 2009, S. 502– 508. Paulmann: Vergleich und Transfer, S. 675. Vgl. Kettler: Conclusion, S. 58; Christhard Hoffmann: Zum Begriff der Akkulturation; in: Claus-Dieter Krohn/Patrik von zur Mühlen/Gerhard Paul/Lutz Winckler (Hg.): Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933 – 1945, Darmstadt 1998, Sp. 117– 126. Vgl. Justyna Aniceta Turkowska/Peter Haslinger/Alexandra Schweiger (Hg.): Wissen transnational. Funktionen – Praktiken – Repräsentationen, Marburg 2016; Paulmann: Vergleich und Transfer, S. 677.
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tierte Richtung der Wissens- und Wissenschaftsgeschichte.¹⁶⁴ Zur ökonomischen Basis der oft ideengeschichtlich orientierten Wissensgeschichte zählt dagegen die Buchhandelsgeschichte, die im interdisziplinären Feld der Sozialgeschichte der deutschen Literatur¹⁶⁵ einen Aufschwung erlebt hat und in dieser Arbeit insbesondere unter dem Aspekt der Verlagsgeschichte des Oldenbourg-Verlags in der Nachkriegszeit aufgenommen wird. Indem ich ab Kapitel 5 anhand der HZ auch nach der Bedeutung von Rezensionen und Rezensionszeitschriften für den Buchhandel und die Produktion von Fachliteratur frage, greife ich das Zusammenspiel von Verlegern und Historikern auf,¹⁶⁶ das zentrale materielle und wirtschaftliche Produktionsbedingungen der Geschichtswissenschaft in die Historiographiegeschichte einbezieht und damit den Blick auf Prozesse der Inklusion und Exklusion in der Historikerzunft lenkt, die über das unmittelbar universitäre Geschehen hinaus gehen. Auch in diesem Feld spielt die Westernisierung eine bedeutende Rolle. Denn da sie kein Programm zur zwangsweisen Gehirnwäsche nationalsozialistisch verseuchter Deutscher war, konnte sie nicht einseitig, durch den bloßen Einsatz amerikanischer Akteure erfolgreich sein. Vielmehr fand Westernisierung als multilateraler Prozess der cultural diplomacy statt, der auf die aktive Teilnahme diverser Akteursgruppen angewiesen war.¹⁶⁷ Für die deutschsprachige Geschichtswissenschaft konzentriere ich mich dabei auf die Haltung der HZ zur Westernisierung, da der Zeitschrift ihre zentrale Bedeutung für die Entwicklung der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft in der Nachkriegszeit nicht abzusprechen ist. Dabei zeige ich anhand der Herausgeber-Verleger-Korrespondenz zwischen Kriegsende und dem Wiedererscheinen der HZ 1949, dass die Öffnung der Zeitschrift und der Historikerzunft gegenüber dem insbesondere nordamerikanischen und westeuropäischen Ausland ein Kernpunkt im Programm ihres ersten Nachkriegsherausgebers Ludwig Dehio war. Mit diesen Neuanfangsbemühungen verbunden ist allerdings auch der Blick auf die im Gegensatz dazu stehenden Beharrungskräfte, die in der großen historiographischen Tradition – in der direkten Abstammung von Ranke und Droy-
Vgl. Mitchell G. Ash: Wissens- und Wissenschaftstransfer – Einführende Bemerkungen; in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 29 (2006), S. 181– 189, besonders S. 185. Zur modernen Verortung einer Sozialgeschichte der deutschen Literatur vgl. das Programm der neuen Zeitschriftenherausgeber Norbert Bachleitner/Christian Begemann/Walter Erhart/ Gangolf Hübinger: Editorial; in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 28 (2003), S. VII–X. Vgl. Olaf Blaschke: Verleger machen Geschichte. Buchhandel und Historiker seit 1945 im deutsch-britischen Vergleich, Göttingen 2010. Vgl. Paulmann: Grenzüberschreitungen, S. 187 f.
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sen – die Quelle zur Legitimation der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft auch in der Nachkriegszeit sahen. Ihre diskursive Bedeutung zeige ich anhand von Legitimationsdiskursen im Kontext des Wiedererscheinens der HZ und weise damit auf ein Hindernis hin, das Veränderungsbemühungen in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft auf die eine oder andere Weise überwinden mussten, um erfolgreich zu sein: Kontinuität galt weithin als gut, Stabilität als wünschenswert, der Nationalsozialismus wurde dagegen als außerhalb der eigentlichen deutschen Geschichte stehendes Diskontinuitätsphänomen angesehen. Reformansätze, etwa durch Einflüsse aus den USA, hatten es unter diesen diskursiven Bedingungen schwer. Diese Konstellation zeichne ich anhand der Korrespondenz zwischen Verleger und Herausgeber der HZ nach, in der sich der Austausch über Programmatik, Rahmenbedingungen, Ziele und Legitimierungsstrategien der traditionsreichen Zeitschrift bei ihrem Wiedererscheinen niedergeschlagen hat. Auch die Inhalte der ersten nach dem Zweiten Weltkrieg in der HZ erscheinenden Aufsätze sowie die Schulzusammenhänge ihrer Autoren geben Aufschluss über den Status der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft und die Stellung der HZ in ihrer Mitte. Damit skizziere ich ein geistiges Klima in der HZ und der historischen Zunft der Nachkriegsjahre, das einen Einblick in den „Denkstil“ des für die HZ maßgeblichen „Denkkollektivs“ gewährt.¹⁶⁸ Dieser Einblick stellt die Grundlage, oder eher den Überbau, für die anschließenden Kapitel zu den Produktionsbedingungen und zur Praxis der Rezensionen in der HZ dar. Die hohe Bedeutung von Tradition, Kontinuität und Legitimität für die Historikerzunft der Nachkriegsjahre lässt sich im Kontrast zur Situation in der Soziologie im selben Zeitraum ermessen: Die Soziologie nach 1945 war wesentlich ein Import aus den USA,¹⁶⁹ gefördert durch amerikanische Finanzierung¹⁷⁰ und mit echten Remigranten als Galionsfiguren („René König, Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Siegfried Landshut, Helmut Plessner, Arnold Bergstraesser und Emerich K. Francis“¹⁷¹). Daraus ergaben sich später schwerwiegende Kon-
Diese Begriffe Ludwik Flecks wurden in der Wissenschaftsforschung der vergangenen Jahre wieder hervorgehoben. Vgl. dazu unten, Anmerkung 3 auf S. 64 und Anmerkung 192 ab S. 115. Uta Gerhardt: Soziologie im zwanzigsten Jahrhundert. Studien zu ihrer Geschichte in Deutschland, Stuttgart 2009, S. 179 – 230, besonders S. 181 f. Vgl. König: Fulbright in Österreich, S. 14– 18, S. 97– 105, für die Finanzierungsquellen und die Analyse des Schwerpunkts des Programms auf Sozialwissenschaften. Aufzählung aus: Erwin K. Scheuch: Von der Pioniertat zur Institution. Beobachtungen zur Entwicklung der empirischen Sozialforschung (ursprünglich 1990), wieder abgedruckt in: Erwin K. Scheuch: Infrastrukturen für die sozialwissenschaftliche Forschung. Gesammelte Aufsätze. Im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Sozialwissenschaftlicher Institute e.V. (ASI) herausgegeben von
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troversen, beginnend mit dem „Bürgerkrieg in der deutschen Soziologie“ 1958/1959¹⁷²: „Am Ausgang der fünfziger Jahre war der Neubeginn der Soziologie zu Ende. Nach dem Debakel der Nazizeit hatte der ‚amerikanische Import‘ das wissenschaftliche Denken wieder gebracht. Die Anfangsphase war abgeschlossen, und ihr Ergebnis war die empirische Sozialforschung auf dem Niveau der amerikanischen Soziologie. Sie machte im internationalen Dialog eine gute Figur. Zeitgleich entstand eine neue Richtung, die sich gegen die Mentoren jenseits des Atlantik wandte.“¹⁷³
Im Gegensatz zur Geschichtswissenschaft, in die US-Importe zuerst nur in geringen Dosen gelangt waren, erwachte in der Soziologie das Bedürfnis zur Abgrenzung von den USA.¹⁷⁴ Diese Abgrenzung war in der Geschichtswissenschaft bis dahin Standard gewesen, weshalb Debatten über den künftigen Kurs der jeweiligen Disziplin ganz unterschiedlich ausfallen konnten.
HZ-Produktion Da derartiger Richtungsstreit insbesondere in den Rezensionsteilen wichtiger Fachzeitschriften – im Fall der Geschichtswissenschaft in der HZ – ausgetragen wurde, untersuche ich die Produktionsbedingungen der HZ, insbesondere ihres Rezensionsteils, unter Verwendung der Feldtheorie Pierre Bourdieus und der Netzwerktheorie. Bourdieus Kapitalbegriffe, die ich auch in Kapitel 4 und Kapitel 5 zur Analyse der Nachkriegsgeschichtswissenschaft heranziehe, und die netzwerktheoretische Konzeption des Sozialkapitals lassen sich dabei auf verschiedenen Ebenen miteinander verbinden: Der Netzwerkansatz erlaubt es, verschiedene Gruppen von Akteuren zu identifizieren und ihre Position im Produktionsprozess einer Zeitschrift zu beschreiben. Aus der Feldtheorie lassen sich dann idealtypische Modelle entwickeln, um die für die Praxis der Akteure im Feld entscheidenden Interessenkonstellationen zu identifizieren. In meiner Analyse erweist sich das symbolische Kapital, von Bourdieu auch als eine Art Metakapital beschrieben, als der zentrale Faktor für die Organisation großer kollektiver Arbeitsvorhaben – wie einer Fachzeitschrift. Die Bedeutung symbolischen Kapitals für die HZ-Produktion zeige ich primär anhand der Korrespondenzakten zwischen Herausgebern und Verlag. Heiner Meulemann, Bonn: Informationszentrum Sozialwissenschaften 2004, S. 69 – 86, hier S. 75; zitiert nach: Gerhardt: Soziologie im 20. Jahrhundert, S. 183. Gerhardt: Soziologie im 20. Jahrhundert, S. 223. Ebenda, S. 229 f. Vgl. Moebius: Geschichte der Soziologie, S. 15 – 22.
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Netzwerkstrukturen stellen wiederum die Übertragungswege dar, auf denen insbesondere symbolische Kapitalformationen kommuniziert und reproduziert werden. Unter der Voraussetzung, dass fast das gesamte Feld der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft im Netzwerk der HZ – zumindest als Konsumenten – miteinander verknüpft war, lassen sich über symbolisches Kapital schließlich sogar die Regeln des Feldes selbst modifizieren: Durch die in der HZ abgedruckten Anweisungen an Rezensenten konnte die Zeitschrift disziplinäre Verhaltensnormen aufstellen und deren Einhaltung sogar – im eigenen Einflussbereich – kontrollieren. Die Sanktionierung von Normverstößen durch Verweigerung des Abdrucks von Rezensionen ist zwar in den Verlagsakten nicht dokumentiert, stattdessen aber verschiedene Diskussionen über die Möglichkeit entsprechender Maßnahmen. Normgerechte Rezensionen waren schließlich auch deshalb keine Selbstverständlichkeit, weil die Umwälzungen des 20. Jahrhunderts konkurrierende Normensysteme auch innerhalb der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft etabliert hatten, deren Weitergeltung durch bloß implizite, andeutende Regelungen nicht effektiv zu klären war. In der HZ ist aber mindestens seit 1949 eine Scheu vor expliziten Normformulierungen festzustellen. Auch die publizierten Anweisungen an Rezensenten wurden nicht allzu konkret, überließen letztlich „dem Referenten selbst“ die volle Verantwortung und verpflichteten ihn lediglich auf das Streben nach „größtmöglicher Objektivität“.¹⁷⁵ Dass das als Maßstab für die Unterscheidung zwischen akzeptablen und inakzeptablen Besprechungen nicht ausreicht, zeigt sich an einem Fall, in dem die Schriftleitung sich nachträglich von einer Rezension distanzierte, die gegen „den in diesen Spalten gewohnten ruhigen Ton in der Diskussion“¹⁷⁶ verstoßen hatte. Auch hier zeigt sich, dass die HZ auf explizite Regelungen zugunsten der Postulate von Tradition und Selbstverständlichkeit verzichtete, eine Haltung, die sie bis in die Gegenwart zu pflegen versucht: „Die Rezensenten sind bei der Abfassung ihrer Texte vollkommen frei“,¹⁷⁷ lautete die entsprechende Formel 2013. Der Problematik von disziplinären Normen und ihrer Geltung, der ich mich durch die Diskussion des HZ-Rezensionswesens in der Gegenwart annähere, kommt hinsichtlich des Rezensionswesens eine besondere Bedeutung zu: Rezensionen selbst sind evaluative Aussagesysteme, durch die die Geltung bestimmter disziplinärer Normen behauptet und damit performativ bekräftigt wird. Die disziplinären Normen, die für die Gestaltung von Rezensionen gelten,
Walther Kienast: An unsere Mitarbeiter; in: HZ 169 (1949), S. 225 f. Die Schriftleitung [Walther Kienast]: Erklärung; in: HZ 169 (1949), S. 671. Fragenkatalog zum Thema Rezension; in: MIÖG 121 (2013), S. 109 – 133, hier S. 126 f.
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sind damit Normen zweiter Ordnung, die festlegen, welche Arten von disziplinären Normen in Rezensionen behauptet und bekräftigt werden können. Durch einen Verzicht auf explizite Normen zweiter Ordnung wird zum entscheidenden Faktor für die Formulierung und Evaluation von Normen erster Ordnung, wer als Rezensierender eines Werkes ausgewählt wird. Denn nur die Rezensierenden erhalten die Gelegenheit, mit Unterstützung des symbolischen Kapitals der HZ, die disziplinären Normen zu formulieren, die sie in einer Rezension an ein Werk anlegen wollen, und dann ihre Einhaltung zu evaluieren. Daraus ergibt sich, dass Rezensionen die rezensierten Werke prinzipiell in eine von zwei Kategorien einteilen: Einerseits diejenigen, die den angelegten Maßstäben hinreichend entsprechen und daher performativ als zunftgemäß beurteilt werden, andererseits diejenigen, denen Zunftgemäßheit abgesprochen wird. Diese Unterscheidung lässt sich auch auf die Rezensierten übertragen, die von den Rezensierenden folglich – gestützt auf ihre privilegierte Sprecherposition in einer maßgeblichen Fachzeitschrift – entweder performativ in die Zunft inkludiert werden, oder als den angelegten Maßstäben nicht genügend aus der Zunft exkludiert werden. Anhand von gegenwärtigen Praktiken der wichtigsten US-amerikanischen Fachzeitschrift, der American Historical Review (AHR), kann ich zum Abschluss dieses Kapitels auf alternative Regelungen des Rezensionswesens verweisen. Daran zeige ich auf, wie sich aus der Befolgung einiger expliziter Verfahrensvorschriften durch die Rezensionszeitschrift und die Rezensierenden eine andere Rezensionskultur ergibt: Basiert die Auswahl zu rezensierender Werke und dafür in Frage kommender Rezensierender nicht auf der freien Willkür der Redaktion, ist die Frage von Inklusion ins und Exklusion aus dem Feld der Geschichtswissenschaft bereits vorab beantwortet. Unter dieser Voraussetzung sind Rezensierende und Rezensierte bereits vorab durch die Redaktion als Teil einer scientific community markiert, damit ist eine Vorentscheidung über den Tenor einer Rezension bereits getroffen,¹⁷⁸ zumal weitere Regelungen persönlich missgünstigen Besprechungen vorbeugen.
Laut M. Rainer Lepsius setzt kompetente Kritik die Anerkennung des Kritisierten als Teil der jeweiligen Profession voraus: M. Rainer Lepsius: Kritik als Beruf zur Soziologie der Intellektuellen [1964]; in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 56 (2017), S. 229 – 242 (DOI: 10.1007/s11577-017-0426-5), hier S. 237: „Sie muß freilich sachlich sein, das heißt dasjenige, was sie kritisiert, unter Bezugnahme auf Normen beurteilen, die als professionelle Normen gelten, und sie muß demjenigen, den sie kritisiert, die Loyalität zu der jeweiligen Berufsethik unterstellen.“
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Rezensionsanalysen Als ganz anders erweist sich die Rezensionskultur in der HZ der 1950er Jahre hinsichtlich der Werke der transatlantischen Gastprofessoren: Ihre Zugehörigkeit zur Zunft galt nicht als dadurch bejaht, dass die HZ ihre Schriften zur Rezension vergab. Den Rezensenten stand es daher vollkommen frei, ein Werk und seinen Autor als nicht zur deutschsprachigen Historikerzunft zugehörig zu beurteilen und so performativ zu exkludieren (Abschnitt 7.2). Das ist auch mehrfach in HZRezensionen geschehen, und zwar unabhängig davon, ob ein Autor in Deutschland geboren, deutscher Muttersprachler oder Inhaber einer deutschen geschichtswissenschaftlichen Promotionsurkunde war. Die drei entscheidenden Ausschluss-Argumente unterstellten einem besprochenen Emigranten mehr oder weniger offen, kein Historiker, kein Wissenschaftler oder kein Deutscher zu sein. Man könnte argumentieren, dass letzteres staatsangehörigkeitsrechtlich korrekt war, doch die in den Rezensionen auffindbaren Antworten auf die Frage, was die betreffenden Gastprofessoren denn stattdessen seien, lauteten „antideutsch“, „jüdisch“ oder „Amerikaner“ und enthüllen im Kontext ihren ausgrenzenden und herabwürdigenden Charakter.¹⁷⁹ Den Topos, dass Emigranten undeutsch, unwissenschaftlich und unhistoriographisch und daher von deutschsprachigen Historikern abzulehnen seien, hatte Gerhard Ritter 1949 in der HZ so kondensiert, dass andere Rezensenten ihn nur noch auf ihren konkreten Fall zuschneiden mussten: „Das Schrifttum deutscher Emigranten in Amerika und England über das deutsche Problem hat vielfach mehr Verwirrung als Aufklärung gestiftet. Das Ressentiment ist, wo es hemmungslos waltet, kein günstiger Nährboden nüchtern-objektiver Geschichtsschreibung, und langjährige Entfremdung vom deutschen Boden führt leicht zu verzerrter Sicht der Wirklichkeit.“¹⁸⁰
Obwohl diese verbreitete Einstellung sich in zahlreichen HZ-Rezensionen widerspiegelt, gab es zugleich auch positive Beurteilungen der Werke von Emigranten und Hoffnungen, die sich damit verbanden. Insbesondere politische oder weltanschauliche Bündniswünsche drückten sich wohl darin aus, die Werke emigrierter Historiker als große Leistungen zu loben und ihre Autoren damit als Kollegen oder „Zunftgenossen“ anzuerkennen. Während solche positiven Urteile
Vgl. insbesondere Abschnitt 7.4.3 ab S. 516. Gerhard Ritter: Rezension zu Hans Rothfels, The German Opposition to Hitler. An Appraisal, Hinsdale, Illinois 1948; in: HZ 169 (1949), S. 402– 405. Ritter hat seine Ablehnung von Emigranten bemerkenswerterweise dazu genutzt, Hans Rothfels von diesen zu unterscheiden. Ritters begeisterte Besprechung von Rothfels verdeutlicht, wie auch symbolische Inklusion von Emigranten in die Zunft durch Rezensionen erfolgen konnte.
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über transatlantische Gastprofessoren ab den 1960er Jahren zunahmen, fallen die zahlreichen ausgesprochen positiven Besprechungen ins Auge, die Emigranten bereits in den 1950er Jahren in der HZ publizierten (Abschnitt 7.3). Um zu solchen Ergebnissen zu gelangen, dabei Rezensionen als serielle Quellen ernst zu nehmen und als Ausdruck kollektiver Phänomene zu betrachten, wie ich es hier mit den Einstellungen der deutschsprachigen Historikerzunft der Nachkriegszeit unternehme, sind einige methodische Überlegungen erforderlich. Man kann eine einzelne Rezension heranziehen und mit einem von ihr angestoßenen Briefwechsel ihren Kontext erhellen.¹⁸¹ Dies ist vermutlich die für Historikerinnen und Historiker naheliegendste Verwendung von Rezensionen als Quelle. Aufschlussreich ist ein solches Verfahren zunächst hinsichtlich der individuellen Beziehungen der Beteiligten.¹⁸² Selbstverständlich lassen sich Rezensionen auch anders analysieren: Alle Rezensionen eines Fachgebiets über eine Reihe von Jahren und verschiedene Fachzeitschriften hinweg zu betrachten, um dann methodenlos gewonnene Eindrücke zu schildern, verspricht statt neuer Einsichten nur die Bestätigung unverstandener Vorüberzeugungen.¹⁸³ Quantitative Sozialforschung mit Fragebögen kann dagegen Einblicke in typische Wahrnehmungen der Rezensierten von den sie betreffenden Rezensionen eröffnen.¹⁸⁴ Qualitativ handhabbar ist es allerdings eher, zahlreiche Besprechungen desselben Werks untereinander zu vergleichen, um ein detailliertes Panorama von dessen Rezeption zu zeichnen.¹⁸⁵ Das führt insbesondere zu Einsichten über die
Als Beispiel Scheutz: Rezensionen als Ehrdiskurs, S. 63 – 68. Vgl. unten, S. 454, für ein Beispiel für dieses Vorgehen in dieser Arbeit. Ursula Wolf: Rezensionen in der Historischen Zeitschrift, im Gnomon und in der American Historical Review von 1930 – 1943/44; in: Beat Näf (Hg.): Antike und Altertumswissenschaft in der Zeit von Faschismus und Nationalsozialismus. Kolloquium Universität Zürich 14.–17. Oktober 1998, Mandelbachtal 2001, S. 419 – 438. Heinz Hartmann/Eva Dübbers: Kritik in der Wissenschaftspraxis. Buchbesprechungen und ihr Echo, Frankfurt/New York 1984, speziell S. 45 f., analysieren 363 Fragebögen von 65 Prozent aller in einem Jahrgang (1980) der Soziologischen Revue Besprochenen. Ihre Ergebnisse betreffen vor allem das vorherrschende Ideal von Kritik und seinen Vergleich mit der Praxis. So geht beispielsweise eine Auswertung zahlreicher Rezensionen zu verschiedenen Auflagen von Selma Sterns „Der preußische Staat und die Juden“ vor: Irene Aue-Ben-David: Deutsch-jüdische Geschichtsschreibung im 20. Jahrhundert. Zu Werk und Rezeption von Selma Stern, Göttingen 2017, S. 62– 64, S. 231– 243, Auflistung der Rezensionen auf S. 273 – 276. Besonders bemerkenswert ist darin, S. 233 – 235, die ambivalente HZ-Rezension von Heinrich Schnee: Rezension zu Selma Stern, Der preußische Staat und die Juden, Band 1 und 2, Tübingen 1962; in: HZ 197 (1963), S. 402– 404, in der er die Autorin überschwänglich lobt, ihr zugleich aber wiederholt unter Verweis auf eigene Forschungen widerspricht. Zu Schnees Position im Feld vor und nach 1945 siehe Stephan Laux: „Ich bin der Historiker der Hoffaktoren“ – Zur antisemitischen
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Rezeption von Inhalten, ist also etwa für Wissenspopularisierung oder Wissenstransfer interessant.¹⁸⁶ Dabei besteht allerdings der Nachteil, dass Rezensionen im Verhältnis zu den darin rezensierten Werken als einzelne Betrachtungsobjekte vorwiegend additiv nebeneinander stehen können und dabei der Zusammenhang des Feldes außer Acht bleibt, der für die Wissenschaftssoziologie entscheidend ist. Diesen Zusammenhang erzeugen die Akteure des Feldes gemeinsam, während sie sich ihm zugleich aus ihrer jeweiligen Position heraus anpassen und – beispielsweise durch das Verfassen von Rezensionen – über Positionen im Feld verhandeln. Nicht zu vernachlässigen ist dabei, dass die subjektive Perspektive der Akteure solche Betrachtungsweisen in aller Regel nicht enthält: Eine Rezension ist im üblichen Bewusstsein eines gerade Rezensierenden ein einzelner Text, in dem es um das zu besprechende Werk geht und nicht um das Feld. Diese Haltung ist Bestandteil der illusio eines Feldes,¹⁸⁷ mit der das Feld intern strukturiert und so von den Akteuren als sinnhaft wahrgenommen wird. Die Reflexion über die Regeln des Spiels in einem Feld erfordert es, diese Akteursperspektive zu überwinden. Als etablierte kultur- und sozialwissenschaftliche Methode bietet sich die von Alfred Lorenzer entwickelte Tiefenhermeneutische Kulturanalyse¹⁸⁸ besonForschung von Heinrich Schnee (1895 – 1968); in: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts 5 (2006), S. 485 – 514. Vgl. etwa Irene Aue: Geschichte besprechen. Geschichtsvermittlung in Rezensionen der deutsch-jüdischen Presse in der Weimarer Republik am Beispiel von Arbeiten Selma Sterns und Fritz Baers; in: Eleonore Lappin/Michael Nagel (Hg.): Deutsch-jüdische Presse und jüdische Geschichte. Dokumente, Darstellungen, Wechselbeziehungen, Band 1: Identität, Nation, Sprache. Jüdische Geschichte und jüdisches Gedächtnis. Der Westen im Osten, der Osten im Westen. Konzepte jüdischer Kultur, Bremen 2008, S. 163 – 184, hier S. 172. Vgl. unten, Abschnitt 6.2.1 ab S. 406. Primär: Alfred Lorenzer: Tiefenhermeneutische Kulturanalyse; in: Alfred Lorenzer (Hg.): Kultur-Analysen, Frankfurt am Main 1986, S. 11– 98; Alfred Lorenzer: Sprachzerstörung und Rekonstruktion.Vorarbeiten zu einer Metatheorie der Psychoanalyse, 4. Auflage, Frankfurt am Main 1995, S. 138 – 194; Alfred Lorenzer: Die Wahrheit der psychoanalytischen Erkenntnis. Ein historisch-materialistischer Entwurf, Frankfurt am Main 1974; exemplarisch Alfred Lorenzer: Verführung zur Selbstpreisgabe – psychoanalytisch-tiefenhermeneutische Analyse eines Gedichtes von Rudolf Alexander Schröder; in: Alfred Lorenzer: Szenisches Verstehen. Zur Erkenntnis des Unbewußten, hg. von Ulrike Prokop und Bernard Görlich, Marburg 2006, S. 173 – 199. Sekundär: Thomas Leithäuser/Birgit Volmerg: Anleitung zur empirischen Hermeneutik. Psychoanalytische Textinterpretation als sozialwissenschaftliches Verfahren, Frankfurt am Main 1979; Thomas Leithäuser/Birgit Volmerg: Psychoanalyse in der Sozialforschung. Eine Einführung am Beispiel einer Sozialpsychologie der Arbeit, Opladen 1988; Hans-Dieter König: Tiefenhermeneutik; in: Uwe Flick/Ernst von Kardorff/Ines Steinke (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch, 6. Auflage, Reinbek 2008, S. 556 – 569; neuerdings Hans-Dieter König: Dichte Interpretation. Zur Methodologie und Methode der Tiefenhermeneutik; in: Julia König/Nicole Burgermeister/Markus Brunner/
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ders zur Untersuchung solcher überindividueller Orientierungen an, wie sie die impliziten Regeln eines Feldes ausmachen, weil sie insbesondere dazu in der Lage ist, kollektiv verdrängte Sinngehalte zu rekonstruieren.¹⁸⁹ Diese die herkömmliche Hermeneutik explizierende und um die Reflexion auf der Metaebene der Kommunikation erweiternde Methode, die selbst ohne Bezug zu Bourdieus Feldtheorie, vielmehr unter Berufung auf die Kritische Theorie¹⁹⁰, entwickelt wurde, schildere ich genauer in Abschnitt 7.1.3 und stelle dabei meine Vorgehensweise bei der seriellen tiefenhermeneutischen Rezensionsanalyse vor. Der lange vernachlässigten und inzwischen als Desiderat ausgemachten Rezensionsforschung¹⁹¹ kann diese Methode zu wichtigen Einsichten in die Beschaffenheit wissenschaftlicher Felder verhelfen, indem sie insbesondere aufzuklären hilft, was von einer disziplinären Kommunikationsgemeinschaft regelmäßig ausgesprochen wird und was demgegenüber unausgesprochen bleibt.¹⁹²
Philipp Berg/Hans-Dieter König (Hg.): Dichte Interpretation. Tiefenhermeneutik als Methode qualitativer Forschung, Wiesbaden 2019, S. 13 – 86; Hans-Dieter König: Die Welt als Bühne mit doppeltem Boden. Tiefenhermeneutische Rekonstruktion kultureller Inszenierungen, Wiesbaden 2019. Für ihre Unterstützung bei der Anwendung tiefenhermeneutischer Interpretationsverfahren auf HZ-Rezensionen und ihren Einblick in die im Fach Psychologie an der Universität Bremen gepflegte Lorenzer-Tradition danke ich Mary Tutz. Ihre kritische Begleitung half bei der Reflexion und Überschreitung disziplinärer Begrenzungen. Vgl. Thomas Leithäuser: Psychoanalysis, Socialization and Society – The Psychoanalytical Thought and Interpretation of Alfred Lorenzer; in: Historical Social Research 38 (2013), Heft 2, S. 56 – 70 (DOI: 10.12759/hsr.38.2013.2.56-70), der nach einer Skizze der Bremer Lorenzer-Tradition (S. 56 – 58) die systematische Unterscheidung von Psychoanalyse und Tiefenhermeneutik erläutert (S. 66 – 69). Dass es sich bei der illusio eines Feldes um Regeln handelt, die von den Feldteilnehmern befolgt werden, ihnen aber nicht bewusst sind, bedeutet, dass es sich bei diesen Regeln um kollektiv verdrängte Sinngehalte handelt. Darin liegt das Bindeglied zwischen der Theorie Bourdieus und der Methode Lorenzers. Alfred Lorenzer: Psychoanalyse als kritische Theorie; in: Alfred Lorenzer: Szenisches Verstehen. Zur Erkenntnis des Unbewußten, hg. von Ulrike Prokop und Bernard Görlich, Marburg 2006, S. 89 – 114. Vgl. den MIÖG-Themenschwerpunkt „Rezensionswesen – Erkundungen in einer Forschungslücke“, speziell Martin Scheutz/Andrea Sommerlechner: Einleitung; in: MIÖG 121 (2013), S. 1– 7. Insbesondere in der Oral History wurde bemerkt, dass sozialwissenschaftliche Interpretationsmethoden, speziell Tiefenhermeneutik, für die Auswertung von Interviewquellen wertvoll sind; ihre Anwendung auf klassische geschichtswissenschaftliche Quellenbestände wurde ebenfalls empfohlen von Wierling: Oral History, S. 139 – 141 und S. 148.
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Fischer-Kontroverse Nach den Analysen von Konstellationen, Sozialstrukturen, Ideen, Erinnerungen, Begriffen und Produktionsverhältnissen blicke ich auf das Schlüsselereignis des 9. Oktober 1964. Weit davon entfernt, als Ereignis hier wie traditionell einen der „wichtigsten Bausteine historischer Erzählungen“ zu bilden, ist seine sinnstiftende Funktion „im Schnittpunkt vieler historischer Erzählungen“¹⁹³ nicht zu leugnen. Das betreffende Ereignis, die Diskussion über Fritz Fischers Buch „Griff nach der Weltmacht“ auf dem Berliner Historikertag, gilt als historiographiegeschichtliche Zäsur, als Wendepunkt zu einer bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft.¹⁹⁴ Dabei verstehe ich eine Zäsur mit Martin Sabrow als „heuristisches Instrument, das nach analytischen Kosten und Gewinn fragt und die grundsätzliche Polyvalenz von Zäsuren im Auge behält“, insbesondere die Unterscheidung „zwischen nachträglicher Deutungszäsur und zeitgenössischer Erfahrungs- oder Ordnungszäsur“.¹⁹⁵ Eine Erfahrungszäsur war die Diskussion am 9. Oktober aus der Sicht von Fritz Stern, der sie noch während des Geschehens als „einen der wichtigsten Momente der deutschen Geschichtswissenschaft der Nachkriegszeit“¹⁹⁶ bezeichnete. Als Deutungszäsur konstruiere ich diese „Befreiungsschlacht in der ‚Kriegsschuldfrage‘“¹⁹⁷, weil in ihr verschiedene Entwicklungslinien der zuvor analysierten Phänomene kulminieren: Die Kollektivbiographie der emigrierten Historiker, ihre besondere Migration in eine Position zwischen Deutschland und Amerika, ihr Bemühen, zur Modernisierung und zum Pluralismus der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft beizutragen, ihre Orientierungsfunktion für Nachkriegsstudierende (und die Ambivalenz, mit der sie von älteren Historikern in der Zunft als Chance oder Gefahr wahrgenommen Lucian Hölscher: Ereignis; in: Stefan Jordan (Hg.): Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe, Stuttgart 2002, S. 72– 74, hier S. 73. Vgl. zur ausführlichen Reflexion des geschichtswissenschaftlichen Ereignisbegriffs und seines neuen Fokus auf der kommunikativen Konstruktion von Ereignissen Frank Bösch: Das historische Ereignis; in: Docupedia-Zeitgeschichte, 12. Mai 2020 (Version 1.0), URL: http://docupedia.de/zg/Boesch_ereignis_v1_de_2020 (zuletzt abgerufen am 24. Februar 2021). Böhme: Primat und Paradigma, S. 93; vgl. diesen Aufsatz für eine Auswahlbibliographie zur Fischer-Kontroverse. Martin Sabrow: Zäsuren in der Zeitgeschichte; in: Docupedia-Zeitgeschichte, 3. Juni 2013 (Version 1.0), URL: http://docupedia.de/zg/sabrow_zaesuren_v1_de_2013 (zuletzt abgerufen am 20. Dezember 2018). Fritz Stern: War der Kriegsausbruch nur ein Betriebsunfall? US-Historiker Fritz Stern über die deutsche Geschichtsschreibung zum Ersten Weltkrieg; in: Der Spiegel Nr. 43, 21. Oktober 1964, S. 50 – 53, hier S. 50. Heinrich August Winkler: „Warum haben wir nicht den Mut gehabt, kritische Fragen zu stellen?“; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 369 – 382, hier S. 377.
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wurden), ihre Stellung im Produktionsprozess der HZ als permanente Gesprächspartner mit ungewissem Zugehörigkeitsstatus und das Umschlagen von überwiegender Aberkennung der Zugehörigkeit zu überwiegender Anerkennung als geschätzte Mitglieder einer transatlantischen Forschergemeinschaft. Davon ausgehend betrachte ich die Etablierung von Pluralismus in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft seit den 1960er Jahren und damit den Abschied von der hegemonialen Orthodoxie, die zuvor einigermaßen wirksame Ausschlüsse aus der Zunft über heterodoxe Geschichtswissenschaft verhängen konnte. Ich schlage vor, Pluralismus zum Schlüsselbegriff der Westernisierung zu machen, in der Geschichtswissenschaft und darüber hinaus. Dazu argumentiere ich gegen die Behauptung, dass nach dem Zerfall der hegemonialen Orthodoxie eine „Neue Orthodoxie“ entstanden sei, die ebenso antipluralistisch gewirkt habe. Pluralismus bedeutet, dass eine Vielfalt von Positionen möglich ist, weil keine relevante Position von vornherein ausgeschlossen wird. Es handelt sich um ein anspruchsvolles Prinzip, weil Pluralismus einerseits gegen antipluralistische Positionen verteidigt werden muss, um fortbestehen zu können, und weil er andererseits keine Position vorab ausschließen kann, ohne sich selbst zu zerstören. Es kommt also beim wohlverstandenen Pluralismus nicht einfach auf das Prinzip, sondern auch auf seine Implementierung in der Praxis an. Entsprechend wende ich mich der pluralistischen Praxis in der Geschichtswissenschaft der Folgezeit zu, indem ich die Erforschung der Westernisierung und ihre Umstrittenheit selbst einer kritischen Reflexion unterziehe, die sich besonders an Facetten ihrer Normativität festmacht.¹⁹⁸ Die normativen Aspekte der Westernisierung im Hinblick auf die Gegenwart kann man auch dann noch analysieren, wenn man den so bezeichneten Prozess für seit 50 Jahren abgeschlossen hält.¹⁹⁹ Bei der Betrachtung der neueren Debatten über Westernisierung und ihre Erforschung zeigt sich, dass die Herausforderungen für den Pluralismus in der Geschichtswissenschaft seit dem Untergang der Sowjetunion vorwiegend in der Bestimmung der Grenze liegen, an der neoliberale und neurechte Positionen in Antipluralismus übergehen. Nach dieser Problemskizze mache ich abschließend einen methodologischen Vorschlag zur Neubestimmung des Verhältnisses von Normativität, Theorie und Empirie im Begriff der Westernisierung. In einer Nachbetrachtung reflektiere ich, was es bedeutet, die Historiographiegeschichte
Vgl. Michael Hochgeschwender: Der Verlust des konservativen Denkens. Eine Facette der bundesdeutschen Westernisierung, 1950 – 1980; in: Axel Schildt (Hg.): Von draußen. Ausländische intellektuelle Einflüsse in der Bundesrepublik bis 1990, Göttingen 2016, S. 149 – 190, hier S. 154, der für Explikation und Reflexion der Normativität in der Westernisierungstheorie plädiert. Anselm Doering-Manteuffel: Die deutsche Geschichte in den Zeitbögen des 20. Jahrhunderts; in: VfZ 62 (2014), Heft 3, S. 321– 348 (DOI: 10.1515/vfzg-2014-0017), hier besonders S. 325.
1.4 Ausblick
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kollektivbiographisch zu betrachten, und wie dadurch die überindividuelle Wirkung transatlantischer Gastprofessoren erkennbar wird.
1.4 Ausblick Generationsdifferenz der Emigrantenrezeption Aus der Konfrontation der Ergebnisse der Rezensionsanalysen mit dem kollektiven Tenor der rückblickenden Beurteilung von transatlantischen Gastprofessoren durch die Studierendengeneration der Nachkriegszeit ergibt sich die Hypothese, dass die Einstellung von nichtemigrierten Historikern im deutschsprachigen Raum der Nachkriegszeit gegenüber emigrierten Historikern wesentlich geprägt ist von ihrer generationellen Position:²⁰⁰ „Im Bestreben, unerwünschten Zuzug fernzuhalten“²⁰¹ hätte demnach die ältere Generation der um 1945 mindestens im berufungsfähigen Alter befindlichen Historiker eine ablehnende Haltung eingenommen, möglicherweise begründet in einem Kalkül der Konkurrenz mit den nicht nationalsozialistisch belasteten Emigranten. In den ersten Nachkriegsjahren gab es einen Überschuss qualifizierter Historiker, die insbesondere in Westdeutschland um die durch Kriegsfolgen und Entnazifizierung neu zu besetzenden Stellen konkurrierten. Zwei Beispiele sind die Nachkriegs-Herausgeber der Historischen Zeitschrift, Ludwig Dehio und Walther Kienast, ersterer mit der Auslagerung preußischen Archivguts nach Marburg gekommen, letzterer in Graz entlassen und nach Kriegsende in Marburg gestrandet. Während Kienasts berufliche Lage lange prekär blieb,²⁰² erhielt Dehio als Unbelasteter rasch ein Angebot für einen Marburger
Martin Schröder: Der Generationenmythos; in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 70 (2018), Heft 3, S. 469 – 494, hat zuletzt den epistemischen Wert des populären Generationenbegriffs in Zweifel gezogen. Ich essentialisiere Generationen in dieser Arbeit allerdings nicht in der von Schröder kritisierten Weise als Gruppen, die auf mehr oder weniger mysteriöse Weise Einstellungen teilen, die sie von anderen Gruppen unterscheiden. Vgl. zum hier verwendeten Generationenbegriff unten, Abschnitt 2.2.1 ab S. 75. Sigrid Schneider: „Im Bestreben, unerwünschten Zuzug fernzuhalten“ – Carl Mischs verhinderte Rückkehr aus dem Exil; in: Thomas Koebner/Erwin Rotermund (Hg.): Rückkehr aus dem Exil. Emigranten aus dem Dritten Reich in Deutschland nach 1945, Marburg 1990, S. 83 – 94. Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/60: Brief Walther Kienast an Gerhard Masur, Frankfurt 24.09.1952: „Ende 1948, kurz nach der Währungsreform, erhielt ich glücklicherweise einen Lehrauftrag in Frankfurt/M. […] Insbesondere ist die Bezahlung des Lehrauftrages sehr dürftig und unsicher. Er muß von Semester zu Semester erneuert werden. Wir haben leider sehr wenig Vakanzen im Fach.“ Letzteres thematisierte die starke Konkurrenzsituation und warnte Masur implizit vor einer Remigration.
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Lehrstuhl. Seine Sorge, bei Annahme als „nichtarischer Konjunkturritter“²⁰³ zu gelten, führt vor Augen, wie eine mögliche Bevorzugung von im Nationalsozialismus Benachteiligten und Verfolgten in der Zunft diskutiert wurde. Die im Nationalsozialismus Bevorzugten wie NSDAP-Mitglied Kienast sahen sich vielfach selbst als durch Krieg und Nachkrieg Benachteiligte und politisch Verfolgte an.²⁰⁴ Gegen eine „politische“ Bevorzugung von Emigranten konnte die mit ihnen gleichaltrige Generation in HZ-Rezensionen argumentieren, indem sie deren fachliche Qualifikation bestritt. Für etwa gleichaltrige Historiker waren Emigranten in der Nachkriegszeit also potentiell eine unerwünschte Konkurrenz. Das Scheitern einer in Aussicht gestellten Berufung Gerhard Masurs auf ein Extraordinariat in Frankfurt 1957 illustriert dieses Konkurrenzverhältnis: Walther Kienast, zu diesem Zeitpunkt selbst Frankfurter Extraordinarius, hatte den ihm lange bekannten Masur empfohlen, die informelle Zustimmung der Fakultätsmitglieder eingeholt und Masur dies „vertraulich“ mitgeteilt.²⁰⁵ Der Mediävist Kienast konkurrierte in dieser Situation nicht direkt mit dem 1901 geborenen Masur, doch der entscheidende Ordinarius Otto Vossler, geboren 1902, lehnte Masur schließlich aufgrund konkurrierender Arbeitsgebiete ab: „Man bekäme nicht eine Hose zum Jacket sondern ein zweites Jacket“, soll er Masurs Absetzung von der Vorschlagsliste begründet haben. Auf die Liste kamen Erich Hassinger (Jahrgang 1907), Heinz Gollwitzer (Jahrgang 1917) und der 1958 als außerplanmäßiger Professor nach Frankfurt berufene Paul Kluke (Jahrgang 1908).²⁰⁶ Dagegen waren die Emigranten als transatlantische Gastprofessoren für die Studierendengeneration akademische Orientierungspunkte, die eine vom Schatten des Nationalsozialismus nicht beeinträchtigte Legitimität ausstrahlten und damit den Anforderungen an eine nichtnationalsozialistische Wissenschaft besonders entsprachen, die die Studierenden an sich gestellt sahen und auch selbst an ihre Professoren stellten. Dieses Verständnis der Gastprofessuren wird in den nach dem Frankfurter Historikertag 1998 erhobenen Erinnerungen jener Nachkriegsstudierenden deutlich.²⁰⁷ Natürlich könnte man argumentieren, dass es sich Lothar Gall: 150 Jahre Historische Zeitschrift; in: HZ 289 (2009), S. 1– 23, hier S. 6. Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/60: Brief Walther Kienast an Gerhard Masur, Frankfurt 24.09.1952. Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/60: Brief Walther Kienast an Gerhard Masur, Frankfurt 21.02.1956. Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/60: Brief Walther Kienast an Gerhard Masur, Frankfurt 05.04.1957. Lebensdaten nach den HZ-Nachrufen: Ulrich Muhlack: Otto Vossler. 14. 2.1902– 26.12. 1987; in: HZ 247 (1988), S. 214– 216; Wolfgang Reinhard: Erich Hassinger. 1907– 1992; in: HZ 256 (1993), S. 544– 546; Hans-Christof Kraus: Heinz Gollwitzer. 1917– 1999; in: HZ 271 (2000), S. 263 – 268; Hellmut Seier: Paul Kluke. 1908 – 1990; in: HZ 252 (1991), S. 212– 215. Hohls/Jarausch: Versäumte Fragen.
1.4 Ausblick
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bei der Betonung von Gastprofessoren als Vorbildern um eine ex-post-Konstruktion zur Selbstlegitimierung handele. Dagegen spricht allerdings, dass mit dem Fortschreiten der akademischen Laufbahnen dieser Studierenden in den 1960er Jahren die Rezensionen in der HZ ein wesentlich freundlicheres Bild der transatlantischen Gastprofessoren zeichneten. Das besagt jedoch nicht, dass die Berufung auf transatlantische Gastprofessoren keine Legitimationsressource für diese jüngere Generation war, im Gegenteil: Durch Verweis auf „amerikanische“ Wurzeln des eigenen Denkens fiel es leichter, sich vom delegitimierten nationalsozialistischen Denken abzugrenzen. Dies ging sogar so weit, dass Michael Geyer die These vertrat, Hans-Ulrich Wehlers Gesellschaftsgeschichte sei „ein Schritt zurück hinter die Positionen von Hans Rothfels einerseits und Theodor Schieder andererseits“, was die deutsche Nation betraf, weil „Theodor Schieder meines Erachtens einen radikaleren Schnitt machte als Hans-Ulrich Wehler.“²⁰⁸ Ob das zutrifft oder nicht, woran Geyer selbst Zweifel erkennen lässt, es zeigt die Chancen, die eine Nutzung von transatlantischen Verweisen für die Legitimierung deutscher Nachkriegspositionen bot.
Eine transatlantische Forschergemeinschaft? Dass transatlantische Verweise zur Legitimierung deutscher historiographischer Positionen nutzbar wurden, kann mit Philipp Stelzel als Effekt der gefestigten, großen und vielfältigen deutsch-amerikanischen Forschergemeinde in der Geschichtswissenschaft angesehen werden, die in den Nachkriegsjahrzehnten entstand – und schließlich zur „creation of a continuous transatlantic conversation, in which the national background of the participants became less and less important“.²⁰⁹ Damit war für die nach 1945 Studierenden auch der Topos weitgehend erledigt, dass man aus Amerika oder als „Amerikaner“ die deutsche Geschichte nicht richtig beurteilen könne.²¹⁰ Als sich dies durchsetzte, ließen sich amerikanische oder andere ausländische Perspektiven auf die deutsche Geschichte nicht
Michael Geyer: Souveräne Geschichtsschreibung für eine semi-souveräne Nation. Zu HansUlrich Wehlers Primat der Innenpolitik; in: Thomas Lindenberger/Martin Sabrow (Hg.): German Zeitgeschichte. Konturen eines Forschungsfeldes, Göttingen 2016, S. 144– 171, hier S. 153– 157, Zitate S. 155. Philipp Stelzel: History After Hitler. A Transatlantic Enterprise, Philadelphia 2019, S. 169; identisch bereits in der Onlinefassung Philipp Stelzel: Rethinking Modern German History: Critical Social History as a Transatlantic Enterprise, 1945 – 1989, Chapel Hill 2010, URL: https://cdr.lib.unc.edu/indexablecontent/uuid:cb5aa26d-1475-4211-9b35-002345466e39 (zuletzt abgerufen am 9. Dezember 2018), S. 303. Vgl. unten, S. 498 und Abschnitt 7.4.3 ab S. 516.
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mehr einfach abweisen. Stattdessen suchten deutsche Historiker, nun auch der älteren Generation, zunehmend die Unterstützung amerikanischer Kollegen, die ihre Ansichten teilten: „Of course, German historians often reached out to their colleagues on the other side of the Atlantic because of shared interests and approaches. But American historians could also assume the role of useful allies or even a ‚court of appeals,‘ in particular during the many hard-fought historiographical debates.“²¹¹
Dadurch wuchs in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft nicht nur die Anerkennung eher linker Emigranten, die zur Unterstützung für Veränderungsbestrebungen angerufen wurden, sondern nun auch die Anerkennung konservativer Emigranten, die im Gegenzug zur Verteidigung traditioneller Kernbestände in Stellung gebracht werden konnten.²¹² Bei den Umwälzungen in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft der 1960er und 1970er Jahre sieht Stelzel amerikanische Forscher vor allem als distanziert-involvierte Beobachter jenseits des Atlantik an.²¹³ Dabei berücksichtigt er die Unabhängigkeit der Perspektiven und Interessen amerikanischer Historiker von ihren Verbündeten in Deutschland.²¹⁴ Doch die spezifische Situation emigrierter Historiker mit ihren transatlantischen Gastprofessuren und vielfältigen anderen Verbindungen in die Herkunftsländer, mit ihrer Option, ihre eigene dauerhafte Remigration zu betreiben, womöglich verbunden mit starken Gefühlen von persönlichen Wurzeln oder (verlorener) Heimat, akzentuiert er nicht. Stelzel konzipiert „the extended transatlantic conversation of the last decades“ als Austausch zwischen Partnern auf beiden Seiten des Atlantik,²¹⁵ vernachlässigt dabei aber den Umstand, dass
Stelzel: History After Hitler, S. 170; fast identisch bereits Stelzel: Rethinking, S. 304. Vgl. ebenda, S. 305, sowie Stelzel: History After Hitler, S. 170. Stelzel nennt Klaus Epstein als Beispiel eines für „moderate conservatives“ wie Theodor Schieder attraktiven Partners in den USA. Fritz Epstein, Gerhard Masur oder Guido Kisch kamen als Verbündete für stärker konservative Positionen in Betracht. Solche transatlantischen Koalitionen müssten aber systematischer analysiert werden. Die Assoziation von Hans Rosenberg mit der Bielefelder Schule ist augenfällig, ihre genaue Funktionsweise untersuche ich unten in Abschnitt 4.3.3 detailliert. Schließlich ist George W. F. Hallgarten als Alliierter einer als weiter links stehend einzuschätzenden Strömung von Schülern Fritz Fischers zu vermuten. Eine besondere Bedeutung kommt allerdings posthumen Würdigungen zu, die wie eine Verbeugung vor einem Säulenheiligen eine Traditionslinie auch nur inszenieren konnten, man denke an Wehlers Berufung auf Eckart Kehr, aber ebenso an Radkau/Geiss: Imperialismus; Hans Rothfels: Zwischen Deutschland und Amerika. Zum Tode von Klaus Epstein; in: Die Zeit Nr. 27 vom 7. Juli 1967, S. 6. Stelzel: History After Hitler, S. 172; Stelzel: Rethinking, S. 306 f. Ebenda, S. 308 f. Stelzel: History After Hitler, S. 173.
1.4 Ausblick
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manche der Partner selbst mit einem Bein in Europa und einem in Amerika standen. Bei der Beurteilung des „state of the German-American scholarly community of modern German history today“²¹⁶ hat dies zur Folge, dass er die erfreuliche transatlantische Verflechtung eher als in der Nachkriegszeit wiederhergestellten Normalzustand versteht. Dadurch gerät die Gefahr aus dem Blick, dass die Zukunft eine Entflechtung der transatlantischen Forschergemeinschaft bringen könnte, weil die Emigranten als stärkste verbindende Elemente künftig fehlen werden.
Thesen Ich argumentiere also in dieser Studie, dass die Gruppe der transatlantischen Gastprofessoren das wichtigste personelle Verbindungselement bildete, um das herum nach 1945 zahlreiche Fäden transatlantischen Austauschs gesponnen werden konnten, die sich mit der Zeit zu einem dichten Netzwerk verknüpfen ließen. Die kollektive Biographie dieser Gruppe befähigte sie in zwei Schritten dazu, diese Funktion auszufüllen: Über ihre akademische Ausbildung war die Gruppe weitgehend an die zentralen Traditionslinien der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft angeschlossen. Ihren sozialen Anschluss an die amerikanische Geschichtswissenschaft fand sie dann wesentlich über die Beteiligung am Zweiten Weltkrieg in vielfältiger Weise. Bei allen individuellen Abweichungen und Ausnahmen zeigt sich auch im Emigrationsvorgang der Untersuchungsgruppe ein gemeinsames Muster, das zu den Bedingungen ihrer späteren Wirksamkeit gehört und mit den traditionellen Begriffen Exil oder Emigration nicht angemessen erfasst wird, so dass ich den Vorgang als transatlantische, bedrängte, akademische Lebenschancenmigration charakterisiere. An den zahlreichen Gastprofessuren und anderen transatlantischen Engagements der Untersuchungsgruppe demonstriere ich die Bildung des Netzwerks durch Anknüpfung an Vorkriegserfahrungen, persönliche Beziehungen, konkrete Gelegenheiten und schließlich auch durch Wiederholung von transatlantischen Aktivitäten am selben Ort, im wachsenden Netzwerk. Die Erinnerungen damaliger Studierender an die Gastprofessoren wechseln die Perspektive, hin zu den Bedingungen der Rezeption in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft: Die transatlantischen Verknüpfer brauchten Anknüpfungspunkte. Für Studierende machten sie attraktive Orientierungsangebote ohne nationalsozialistische Vorbelastung: Westernisierung. Die Historische Zeitschrift als zentrale Institution der Historikerzunft war hingegen gespalten zwischen ih-
Stelzel: Rethinking, S. 309.
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1 Einleitung
ren Bemühungen zu einem nichtnationalsozialistischen Neuanfang und ihrer traditionellen Orientierung auf Kontinuität, die für sie immenses symbolisches Kapital darstellte. Die Funktionsweise ihrer Kapitalbestände führte zu einer oberflächlichen Entnazifizierung und – wie in Deutschland und Österreich insgesamt – zu einem Fortwirken nationalsozialistischer Einflüsse unter der Oberfläche. Das erweist sich in der Analyse von Rezensionen der Nachkriegsjahre als Westernisierungshindernis. Oft verschleiert, zuweilen ganz offen, wurden die transatlantischen Gastprofessoren von Rezensenten abgelehnt und als Nichtdeutsche oder Nichthistoriker aus der sich weiter national verstehenden Zunft ausgegrenzt. In den 1960er Jahren änderte sich dieses Klima: Ein Blick auf die Fischer-Kontroverse stellt die Einflüsse der transatlantischen Gastprofessoren in den Zusammenhang von Generationswechsel und Neuorientierung der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft. Dabei erweist sich als Kern der Westernisierung der Geschichtswissenschaft die Etablierung eines neuen Pluralismus. Meine multiperspektivische Herangehensweise erlaubt es durch die Triangulation von Quellen, Daten und Methoden, die Wirkung der transatlantischen Gastprofessoren auf die deutschsprachige Geschichtswissenschaft zu rekonstruieren und als Prozess erkennbar zu machen, an dem nicht nur eine kleine Gruppe von Atlantikreisenden beteiligt war, sondern umfassende Netzwerke in der deutschsprachigen und amerikanischen Geschichtswissenschaft und darüber hinaus. Historiographiegeschichte lässt sich dadurch als kollektives und soziales Geschehen begreifen, in dem Ideen und Individuen zwar eine Rolle spielen, dessen zentrales Phänomen aber durch Kommunikationsprozesse konstituierte Wissenschaftlergemeinschaften sind. Die hier entwickelte Methode zur Fokussierung dieses Phänomens lässt sich auf andere Gruppen übertragen und so für weitere wissenschaftsgeschichtliche Studien fruchtbar machen.
2 Kollektivbiographie transatlantischer Gastprofessoren Dieses Kapitel stellt die Untersuchungsgruppe der als Gastprofessoren temporär in die deutschsprachigen Länder remigrierten Historiker in Form einer Kollektivbiographie vor. Zuerst ist dazu die kollektivbiographische Methode zu skizzieren und ihre Anwendung auf diesen Untersuchungsgegenstand zu diskutieren. Anschließend analysiere ich die kollektivbiographischen Daten der Gastprofessoren in den vier entscheidenden Merkmalsgruppen Herkunft, Ausbildung, Karriere und Professur. Schließlich fasse ich die Ergebnisse dieses Kapitels zusammen, indem ich ihre Bedeutung für die anschließenden Kapitel skizziere. Damit soll die Gruppe der Gastprofessoren als ein Akteur der Westernisierung der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft erkennbar gemacht und charakterisiert werden. Die These lautet, dass trotz aller Individualität die transatlantischen Gastprofessoren insgesamt ein zentraler Katalysator der geschichtswissenschaftlichen Westernisierung im Nachkriegsdeutschland waren, selbst wenn sie das nicht als Hauptzweck ihres Engagements ansahen. Die Voraussetzungen zur Erfüllung dieser Funktion im Westernisierungsprozess erwarben sie lebensgeschichtlich zwischen den Welten: durch Aufwachsen und teilweise wissenschaftliche Sozialisation im deutschsprachigen Raum – und später durch die Etablierung in der scientific community des Emigrationslandes, ohne sich von der deutschsprachigen Herkunft völlig loszusagen. Beiden Aspekten kommt also in der Kollektivbiographie besondere Bedeutung zu, bevor ich mich in späteren Kapiteln den Migrationen der Untersuchungsgruppe selbst, ihrem transatlantischen Engagement als Gastprofessoren und darüber hinaus, sowie den Wechselwirkungen mit der deutschen Nachkriegsgeschichtswissenschaft zuwende.¹
Dieses Kapitel baut auf meine unveröffentlichte Magisterarbeit auf, die 2008 an der Universität Bremen von Marita Krauss und Inge Marszolek begutachtet wurde: Matthias Krämer: Historiker als Gastprofessoren in Nachkriegsdeutschland. Kollektivbiographische Untersuchungen zu deutschsprachigen Emigranten, Bremen 2008. Einzelne Vorarbeiten daraus sind auch in die Kapitel 3 und 4 dieser Arbeit eingeflossen, namentlich Recherchen zu einzelnen Migrationsvorgängen und Gastprofessuren. https://doi.org/10.1515/9783110731637-002
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2 Kollektivbiographie transatlantischer Gastprofessoren
2.1 Methode: Kollektivbiographie Der „biographische Fokus“ der Historiographiegeschichte ist über alle Neuerungen der vergangenen Jahrzehnte hinweg erhalten geblieben.² Er entspringt der Überzeugung, dass Individuen die zentralen Akteure der Geschichtsschreibung sind. Die Einsicht, dass Akteure immer in eine soziale Struktur eingebettet sind, hat sich jedoch bezogen auf Historiographie viel langsamer verbreitet als bezogen auf die Historie selbst. Diesem Mangel versuche ich in dieser Arbeit durch die konsequente Einbettung von Individuen in Strukturen zu begegnen. Da Strukturen überindividuell und daher bei der Betrachtung von Indivduen aus dem Blickfeld gerückt sind, wirft es jedoch schwere methodische Probleme auf, Akteure in Strukturen einzubetten. Die Form der Kollektivbiographie löst diese Probleme, indem sie statt einzelner Individuen soziale Gruppen ins Zentrum der Analyse rückt.³ Individuen sind Bestandteile solcher Kollektive, und auf diese Weise ermöglicht es die Kollektivbiographie, vom Einzelfall zu abstrahieren und durch Analyse des Normalfalls und der Sonderfälle die Strukturen in den Blick zu nehmen, die das betrachtete Kollektiv umrahmen.⁴
Eckel/Etzemüller: Vom Schreiben, S. 14. Kollektive betrachtete zuerst Ludwik Fleck als eigentliche Protagonisten der Wissenschaft, allerdings konzentriert auf die kognitive oder diskursive Ebene von „Denkkollektiven“, siehe Sylwia Werner/Claus Zittel: Einleitung: Denkstile und Tatsachen; in: Ludwik Fleck: Denkstile und Tatsachen. Gesammelte Schriften und Zeugnisse, hg. von Sylwia Werner und Claus Zittel, Berlin 2011, S. 9 – 38, hier S. 19. Flecks klassische Definition eines Denkkollektivs lautet: „Gemeinschaft der Menschen, die im Gedankenaustausch oder in gedanklicher Wechselwirkung stehen“. Ludwik Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv, hg. von Lothar Schäfer und Thomas Schnelle, Frankfurt am Main 1980, S. 54. Methodisch grundlegend sind für die Kollektivbiographie: Schröder: Kollektive Biographien; neuerdings umfassend Wilhelm Heinz Schröder: Kollektivbiographie: Spurensuche, Gegenstand, Forschungsstrategie; in: Wilhelm Heinz Schröder: Kollektivbiographie als interdisziplinäre Methode in der Historischen Sozialforschung. Eine persönliche Retrospektive, Köln 2011 (= Historical Social Research, Supplement 23), S. 74– 152; klassisch Lawrence Stone: Prosopography; in: Daedalus 100 (1971), S. 46 – 79; vgl. die gekürzte Übersetzung Lawrence Stone: Prosopographie – englische Erfahrungen; in: Konrad H. Jarausch (Hg.): Quantifizierung in der Geschichtswissenschaft. Probleme und Möglichkeiten, Düsseldorf 1976, S. 64– 97. Die Begriffe Kollektivbiographie, kollektive Biographie und Prosopographie werden hier wesentlich synonym verwendet. Für Beispiele der praktischen Umsetzung, vor allem aus dem Umfeld der Historischen Sozialforschung, siehe: Hartmut Berghoff: Englische Unternehmer 1870 – 1914. Eine Kollektivbiographie führender Wirtschaftsbürger in Birmingham, Bristol und Manchester, Göttingen 1991; Thomas Weiser: Arbeiterführer in der Tschechoslowakei. Eine Kollektivbiographie sozialdemokratischer und kommunistischer Parteifunktionäre 1918 – 1938, München 1998; Sabine Roß: Politische Partizipation und nationaler Räteparlamentarismus. Determinanten des politischen Handelns
2.1 Methode: Kollektivbiographie
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Eine Kollektivbiographie kann daher nicht bloß biographische Skizzen aneinanderreihen, sondern muss ihr Material grundlegend anders anordnen: Statt wiederholt vom individuellen Lebensbeginn zum Lebensende zu verlaufen, geht sie von einem gemeinsamen Ausgangspunkt vergleichend bis zu einem gemeinsamen Endpunkt vor. Sie abstrahiert dabei von der Mannigfaltigkeit der Einzellebensläufe, indem sie Einzeldaten als entscheidende Schlüssel auswählt, vergleicht und in ihrer Bedeutung und Strukturbeziehung analysiert. Daher hat die kollektive Biographik neben den großen Sammelprojekten zahlreicher scheinbar unverbundener Einzelbiographien eine zweite Wurzel in Untersuchungen, die von dem Gedanken geprägt waren, einer bestimmten Art von Schlüsseldaten müsse besondere Bedeutung für die Interpretation eines historischen Sachverhalts zukommen, seien es ökonomische Interessenlagen, Zugehörigkeiten zu sozialen Gruppen oder Konstellationen langfristiger Familienverbindungen.⁵
der Delegierten zu den Reichsrätekongressen 1918/1919. Eine Kollektivbiographie, Köln 1999 (zugleich Diss., Berlin 1997); Wilhelm Heinz Schröder/Wilhelm Weege/Martina Zech: Historische Parlamentarismus-, Eliten- und Biographieforschung. Forschung und Service am Zentrum für Historische Sozialforschung, Köln 2000; auch insgesamt Wilhelm Heinz Schröder (Hg.): Lebenslauf und Gesellschaft. Zum Einsatz von kollektiven Biographien in der historischen Sozialforschung, Stuttgart 1985; Wilhelm Heinz Schröder: Kollektivbiographie als interdisziplinäre Methode in der Historischen Sozialforschung. Eine persönliche Retrospektive, Köln 2011 (= Historical Social Research, Supplement 23), S. 155 – 446. Lange bevor die Historische Sozialwissenschaft eine „Krise des historistischen Verstehensbegriffs“ konstatierte und mit der Betonung von Kollektivphänomenen die herkömmliche Biographik in Frage stellte, hatte Karl Lamprecht eine Schwerpunktverlagerung der Geschichtswissenschaft auf das „Reich des Kollektiven“ gefordert. Olaf Hähner: Historische Biographik. Die Entwicklung einer geschichtswissenschaftlichen Darstellungsform von der Antike bis ins 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main u. a. 1999 (zugleich Diss., Siegen 1998), S. 5 f. und S. 190; vgl. Hans-Ulrich Wehler: Geschichte als Historische Sozialwissenschaft, Frankfurt am Main 1973, besonders S. 86 – 93. Während Interessenkonstellationen und Gruppenzugehörigkeiten etwa von Charles A. Beard 1913 oder Lewis Namier 1929 zum zentralen Explanans eines historischen Geschehens erhoben wurden (siehe Stone: Prosopography, S. 49 f.), entstand in der altertumskundlichen Prosopographie aus den Sammlungsbemühungen individualbiographischer Informationen eine andere Tradition kollektivbiographischer Arbeit: Friedrich Münzer: Römische Adelsparteien und Adelsfamilien, Stuttgart 1920, etablierte durch Nutzung seiner biographischen Studien für Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft den Blick auf Treue und Konkurrenz in Familienverhältnissen und legte damit die Grundlage für Ronald Syme: The Roman Revolution, Oxford 1939 (deutsche Ausgabe: Ronald Syme: Die römische Revolution. Machtkämpfe im antiken Rom, hg. von Christoph Selzer und Uwe Walter, Stuttgart 2003); vgl. Werner Eck: The Prosopographia Imperii Romani and Prosopographical Method; in: Averil Cameron (Hg.): Fifty Years of Prosopography. The Later Roman Empire, Byzantium and Beyond, Oxford 2003, S. 11– 22.
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2 Kollektivbiographie transatlantischer Gastprofessoren
Ich habe als Feld der Schlüsseldaten für die Untersuchung von transatlantischen Gastprofessoren die Karriereverläufe identifiziert, da sie Aufschluss darüber geben, welche lebensgeschichtlichen Bedingungen erfüllt sein mussten, um in der Nachkriegszeit zu Kurzzeitremigrationen als Gastprofessor aufzubrechen. Die erhobenen Datentypen entsprechen einerseits denen anderer kollektivbiographischer Untersuchungen im Wissenschaftsbereich. Andererseits ergeben sich im Zusammenhang mit der Emigration der Untersuchungsgruppe markante Unterschiede zwischen einer „Normalbiographie“ deutschsprachiger Historiker, wie sie Wolfgang Weber herausgearbeitet hat,⁶ und den Laufbahnen der Probanden. Die Karriereverläufe der Gastprofessoren habe ich in die vier aufeinander aufbauenden Merkmalsgruppen Herkunft, Ausbildung, Karriere und Professur eingeteilt, zu denen jeweils mehrere Merkmale erhoben wurden: Zur Herkunft zählen das Geburtsjahr, das auf generationelle Bedingungen verweist, sowie die soziale Zugehörigkeit der Primärfamilie und – wegen der besonderen Bedeutung für nationalsozialistische Verfolgung und Emigration – die religiöse Zugehörigkeit der Probanden und ihrer Vorfahren. Als Ausbildung von Historikern wird üblicherweise die Zeit vom Studienbeginn bis zum Abschluss der Promotion verstanden. Die Studienzeiten sind wichtig zur Verdeutlichung der sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wandelnden Rahmenbedingungen für ein Geschichtsstudium; in den Dissertationsthemen werden historische Subdisziplinen erfasst, die zum typischen Profil späterer Gastprofessoren eine inhaltliche Komponente beitragen. Die Analyse von Doktorvätern und Schulzugehörigkeiten soll Aufschluss geben über die Einbindung in Netzwerke in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft. Bei der Betrachtung der Karrieren zwischen Promotion und Professur sind erstens die emigrationsbedingten Veränderungen in der Berufsorientierung von Bedeutung, zweitens die Charakteristika der Karrierewege in der Emigration, da sie Voraussetzungen für die Übernahme von Gastprofessuren darstellten, und drittens die Besonderheiten bei der Gruppe der erst in den USA promovierten sogenannten Emigranten der zweiten Generation.⁷ Schließlich gehören zur Karriere der hier betrachteten Historiker die Berufungen auf eine oder mehrere Professuren, die ihre Anerkennung als Historiker und ihre Verfügbarkeit für Gastprofessuren ausdrücken und ebenso ihr Verhältnis zur deutschsprachigen Nachkriegsgeschichtswissenschaft beeinflussten. Die Biographien der späteren Gastprofessoren sind durch die Emigration aus dem Deutschen Reich zerrissen, egal ob diese vor oder in der Ausbildung, nach
Vgl. Weber: Priester der Klio, hier besonders S. 36 – 48. Vgl. Möller: Exodus der Kultur, S. 110 f. und Krauss: Transatlantische Gastprofessoren, S. 252.
2.1 Methode: Kollektivbiographie
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der Promotion oder sogar nach der Berufung auf die erste Professur stattfand. Daher unterteilt der Zeitpunkt der Emigration im Lebenslauf die Untersuchungsgruppe immer wieder in bedeutender Weise, was in der Analyse der Karrierewege besondere Beachtung findet. Darüber hinaus jedoch wird der Emigrationsprozess selbst wegen seiner Schlüsselfunktion im Lebenslauf erst in Kapitel 3 separat analysiert. Die kollektivbiographische Methode soll hier nicht nur das historiographiegeschichtliche Problem lösen, Phänomene in der Geschichte der Geschichtswissenschaft auf individuelle Historiker und deren einzigartige Lebensgeschichten zurückzuführen – was schon deshalb verfehlt ist, weil Wissenschaft immer ein soziales Phänomen ist: Wissenschaftler leben und forschen im Kontext anderer Wissenschaftler; ohne diesen Kontext bleiben ihre Lebensläufe wie ihre Forschungen unverständlich.⁸ Über die deutschsprachige Emigration als zentralen Teil dieses Kontexts existiert inzwischen wie gesehen eine ganze Reihe von Forschungsergebnissen. Allerdings bringt es die emigrationstypische Zerrissenheit der Biographien und die Verstreutheit der Quellen mit sich, dass die Arbeitsweise häufig eklektisch, die Zusammenstellung von Informationen zufällig wirkt. Das jeweilige Feld, für das solche Ergebnisse gültig sind, ist in seiner Ausdehnung vielfach nicht näher bestimmt. Diese Kollektivbiographie soll nun nicht nur systematisch die wichtigsten biographischen Daten einer Gruppe analysieren, sondern dadurch auch eine Teilgruppe der deutschsprachigen Wissenschaftsemigration identifizieren, die es aufgrund ihrer systematischen Begrenzung erlaubt, zu Hypothesen über vergleichbare Gruppen zu gelangen.⁹ Die Begrenztheit der Untersuchungsgruppe als eines historischen Phänomens erlaubt es, durch Erklärungsansätze mittlerer Reichweite einen Mittelweg zwischen kontingenten Einzelfallerklärungen und überspannten Generalerklärungen einzuschlagen.¹⁰ Diese Orientierung auf Erklärungen mittlerer Reichweite, wie sie in der Geschichte und in verschiedenen Sozialwissenschaften zunehmend angestrebt werden,¹¹ hat
Diese soziale und kulturelle Einbettung von Wissenschaft stützt sich nicht zuletzt auf das Konzept des Denkkollektivs nach Fleck, siehe oben, Anmerkung 3 auf S. 64. Sie ist aber darüber hinaus viel allgemeiner auf den sozialen Charakter jeglicher Wissenschaft bezogen, vgl. Holm Tetens: Wissenschaft; in: Hans Jörg Sandkühler (Hg.): Enzyklopädie Philosophie. Band 2: O–Z, Hamburg 1999, S. 1763 – 1773, hier S. 1763 – 1765. Zur Erforderlichkeit unverzerrter Untersuchungsgruppen jenseits statistischer Repräsentativität Kelle: Integration, S. 71 f. Vgl. Welskopp: Erklären. Ihren Ausgangspunkt nahm die Forderung nach Erklärungen oder „Theorien mittlerer Reichweite“ im Werk von Robert K. Merton: Social Theory and Social Structure, New York 1968, S. 39 – 72; vgl. Jürgen Mackert/Jochen Steinbicker: Zur Aktualität von Robert K. Merton,Wiesbaden
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2 Kollektivbiographie transatlantischer Gastprofessoren
in den vergangenen Jahren methodologische Unterstützung erhalten durch die Bemühungen zur Kombination qualitativer und quantitativer Methoden in den Sozialwissenschaften,¹² denen in etwa eine Kombination von „Erklären“ und „Verstehen“ in der Geschichtswissenschaft entspricht.¹³ Im Sinne dieses Prinzips konfrontiere ich in der kollektivbiographischen Analyse immer wieder die Strukturebene der biographischen Daten mit der Handlungsebene (auto‐)biographischer Erzählung, um so die wechselseitige Validierung der jeweiligen Befunde zu erreichen.¹⁴ Die quantitative Analyse stützt sich auf die Datensätze der Untersuchungsgruppe zu den oben beschriebenen Merkmalsgruppen. Diese Datensätze stellen eine Metaquelle dar, die durch die Arbeitsschritte der Abgrenzung, der Kritik und der Kodierung aus den Quellen kollektivbiographischer Daten erzeugt wurde.¹⁵ Die Abgrenzung der Untersuchungsgruppe habe ich oben in Abschnitt 1.2 bereits erläutert. Die Kritik der Daten habe ich regelmäßig durch Vergleich verschiedener Quellen und Quellenarten (wie Autobiographien, Interviews, Nachschlagewerke, Akten) unternommen, außerdem durch Abschätzung möglicher Schwachpunkte bei widersprüchlichen Angaben. Dazu gebe ich bei den einzelnen Merkmalsanalysen auch an, wie zuverlässig, fehleranfällig oder lückenhaft die einzelnen Merkmale erhoben werden konnten. Eine der für die Quellenkritik markantesten Eigenarten kollektivbiographischer Daten ist, dass es sich regelmäßig um nichtintentionale Daten handelt, also solche, deren Ausprägung von den Interessen, Denkleistungen und Dispositionen des Individuums weitestgehend unabhängig ist. Beispielsweise ist eine Selbstauskunft über das Geburtsdatum in der Regel 2013, S. 45 – 56; Georg G. Iggers: Neue Geschichtswissenschaft. Vom Historismus zur Historischen Sozialwissenschaft. Ein internationaler Vergleich, München 1978, S. 56; Kelle: Integration, S. 65. Kelle: Integration; Flick: Triangulation, v. a. S. 75 – 96; Udo Kelle/Christian Erzberger: Qualitative und quantitative Methoden: kein Gegensatz; in: Uwe Flick/Ernst von Kardorff/Ines Steinke (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch, 6. Auflage, Reinbek 2008, S. 299 – 309. Dafür plädiert Welskopp: Erklären, v. a. S. 164 f. Kelle: Integration, S. 70, differenziert für die empirische Sozialforschung zwischen quantitativer Lebenslaufforschung und qualitativer Biographieforschung. Im Licht dieser Terminologie vereinigt der Begriff der Kollektivbiographie die Gegensätze des quantitativ zu erfassenden Kollektivs und der qualitativ zu betrachtenden Biographie bereits in sich. Jean-Philippe Genet: Die kollektive Biographie von Mikropopulationen. Faktorenanalyse als Untersuchungsmethode; in: Franz Irsigler (Hg.): Quantitative Methoden in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Vorneuzeit, Stuttgart 1978, S. 69 – 100, geht näher auf die Gewinnung und Verarbeitung einer Metaquelle („Metasource“) ein, indem er den Arbeitsschritt der Abgrenzung auf S. 71– 75 diskutiert und sich dem Kodieren vor allem auf S. 75 – 78 widmet. Die Kritik der Daten übergeht er stillschweigend, eröffnet aber durch die wiederholte Thematisierung von Lochkarten und Ähnlichem tiefe Einblicke in die Praxis früher Formen der Elektronischen Datenverarbeitung in den Digital Humanities.
2.1 Methode: Kollektivbiographie
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unproblematisch, während persönliche Angaben etwa über informelle interpersonale Beziehungen anfällig für verschiedene Täuschungen sind. Die Kodierung der Daten blieb zunächst eng an den kollektivbiographischen Quellen orientiert, fragte also, welche Datentypen insbesondere vom Biographischen Handbuch als relevant angenommen wurden – und in welcher Weise sie angegeben sind.¹⁶ Die kollektive Biographie ist eine Methode der Elitenforschung,¹⁷ die in ihrer Anwendung auf zur Emigration genötigte Professoren eine gewisse Ambivalenz erhält.¹⁸ Der zentrale Grund für die Verbindung zwischen Kollektivbiographie und
Darin werden etwa, wie in ähnlichen Nachschlagewerken auch, statt genauer Datumsangaben üblicherweise Jahreszahlen angegeben. Als wichtig gelten nur genaue Geburts- und Sterbedaten, da sie öfters zur Identifizierung von Personen genutzt werden. Aus dieser Art von Kodierung von Daten durch Jahreszahlen folgt jedoch, dass Altersangaben stets nur ungefähr abgeleitet werden können, indem das Geburtsjahr vom angegebenen Jahr (beispielsweise der Promotion) subtrahiert wird. Berghoff: Englische Unternehmer, S. 11, verteidigt diesen Umstand: „Um also das soziale Gefüge einer Gesellschaft angemessen zu erfassen, ist u. a. eine Analyse von Lebensumständen, Machtausübung, Privilegien und Weltbildern der relativ kleinen Gruppe von Entscheidungsträgern unabdingbar“. Kritisch dagegen Arnaldo Momigliano: Rezension zu Ronald Syme, The Roman Revolution, Oxford 1939; in: The Journal of Roman Studies 30 (1940), S. 75 – 80, hier S. 78: „prosopographical research is bound to be restricted to the leading men, and they may be less significant than the masses.“ Vgl. ausführlicher Karl Christ: Ronald Syme (1903 – 1989); in: Karl Christ: Neue Profile der Alten Geschichte, Darmstadt 1990, S. 188 – 247, hier S. 193 – 205, sowie zu Symes weiteren prosopographischen Forschungen S. 205 – 218. – Das Kölner Zentrum für Historische Sozialforschung (ZHSF) hat seinen Schwerpunkt in der Parlamentarismusforschung, aber auch andere kollektivbiographische Projekte wurden dort durchgeführt, etwa „Die Studenten und Hochschullehrer der Universität Gießen 1918 – 1945“, „Deutschsprachige Emigration in die Sowjetunion 1933 – 1945“ und „Widerstand, Denunziation und Kriminalität im Alltag des Dritten Reiches“. Die genannten Projekte der 1990er verdeutlichen, dass die Kollektivbiographik nicht mehr ausschließlich im Bereich der engeren Elitenforschung angewandt wird. Schröder/Weege/ Zech: Forschung am ZHSF, S. 13. Vgl. Krauss: Rückkehr einer vertriebenen Elite; die emigrierten Wissenschaftler waren weder „eine ‚deutsche‘, also nationale Elite“, noch „eine geschlossene Elitegruppe“. Echte Remigranten mussten versuchen „(wieder) integriertes Mitglied der anwesenden Eliten zu werden“. Marita Krauss: Heimkehr in ein fremdes Land. Geschichte der Remigration nach 1945, München 2001, S. 81 f. Dagegen kann man die hier behandelten Gastprofessoren vielleicht am besten als transnationale Elite verstehen, so Kirsch: Wissenschaftler im Ausland 1930 – 1960, S. 179 – 184; Krauss: Transatlantische Gastprofessoren, S. 246. Vor allem gehören die Untersuchungspersonen zur Bildungselite und zur Funktionselite im Kulturbereich. Ihr potentieller Einfluss erstreckt sich aber auch darüber hinaus, vgl. Rainer Geißler: Die Sozialstruktur Deutschlands. Zur gesellschaftlichen Entwicklung mit einer Bilanz zur Vereinigung, 4. Auflage,Wiesbaden 2006, S. 121– 138,v. a. S. 121 f. Daneben besteht für die Mitglieder der Untersuchungsgruppe, „die – vor ihrer Emigration – zu Eliten gehört haben konnten“ (Krauss: Geschichte der Remigration, S. 80) dennoch weiter die sozialgeschichtliche Perspektive auf die „leidenden und unterdrückten Objekte von Herrschaft“
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2 Kollektivbiographie transatlantischer Gastprofessoren
Elitenforschung ist in der Quellenlage zu suchen, da „die kollektive Biographik (vor allem im Rahmen von Einzelforschung) schnell an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit“ stößt, wenn „die notwendigen biographischen Daten der zu untersuchenden Kollektivmitglieder erst in (meist jahrelanger) mühsamer Kleinarbeit aus den unterschiedlichsten archivalischen und nicht-archivalischen Quellen oder durch zahlreiche retrospektive Interviews zusammengetragen werden“ müssen.¹⁹ Bis zum Erscheinen des Biographischen Handbuchs hätte die Quellenlage die Ambivalenz im Elitenstatus emigrierter Professoren noch wiedergespiegelt, da keine systematische Abdeckung in Nachschlagewerken existierte.²⁰ Seither allerdings stellt die systematische Sammlung von Kurzbiographien im Biographischen Handbuch den „günstigsten Fall“ für eine Kollektivbiographie dar, in dem man von einem „relativ homogenen und vollständigen Quellenbestand“ sprechen kann,²¹ der sich zudem durch die archivalische Sicherung der zur Erstellung des Handbuchs verwendeten Materialien quellenkritisch analysieren lässt.²² Unerlässlich ist daher auch der Hinweis, dass es sich bei den etwa 8.700 im Biographischen Handbuch enthaltenen Biographien nicht um eine streng systematische Auswahl aus den Schicksalen der etwa 500.000 Menschen handelt, die
(Berghoff: Englische Unternehmer, S. 11), die die betrachteten Historiker als Emigranten zweifellos waren. Schröder: Kollektive Biographien, S. 16. Biographische Nachschlagewerke stellen für kollektivbiographische Arbeiten die „Hauptquellen der Forschung“ dar, wie Roß: Delegierte zu den Reichsrätekongressen, S. 33, feststellt und Weiser: Arbeiterführer in der Tschechoslowakei, S. 12, fachbezogen bestätigt: „Die Mehrheit der prosopographischen Analysen in der Soziologie und der Politologie gibt sich mit veröffentlichten Daten zufrieden“. Zu den für Kollektivbiographien verwendeten Quellengattungen siehe den Überblick in Schröder: Kollektive Biographien, S. 12 f. Ebenda, S. 13; Marita Krauss: Die Nachkriegsgesellschaft und die Remigranten. Überlegungen zu einer Wirkungsgeschichte; in: Maximilian Lanzinner/Michael Henker (Hg.): Landesgeschichte und Zeitgeschichte. Forschungsperspektiven zur Geschichte Bayerns nach 1945, Augsburg 1997, S. 29 – 40, hier S. 35, weist darauf hin, dass die Remigration, auch im Kulturbereich, aufgrund der begrenzten Quellenlage „fast nur als Elitenphänomen zu untersuchen“ ist. Das Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, München, bewahrt auf Mikrofilmen unter der Signatur MA 1500 den Bestand „Biographische Dokumentation zur deutschsprachigen Emigration 1933 – 1945“ auf, in dem sich fast 240 Seiten Ablichtungen zu den Probanden finden. Die Akten zu den einzelnen Personen sind sehr unterschiedlich zusammengesetzt: Eigenhändig von den Emigranten ausgefüllte Fragebögen finden sich neben Zeitungsartikeln von ihnen und über sie, Nachrufen, Artikeln aus anderen Nachschlagewerken, Briefen und sonstigen bunt gemischten Unterlagen. Über Umfang und Erstreckung des in den 1970er und frühen 1980er Jahren in Zusammenarbeit des Instituts für Zeitgeschichte und der Research Foundation for Jewish Immigration, New York, entstandenen Mammutwerks orientiert: Standards of Inclusion, Editorial Policy; in: Biographisches Handbuch, Band 2, S. LXXXVII–XCI.
2.1 Methode: Kollektivbiographie
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zwischen 1933 und 1941 aus den deutschsprachigen Gebieten Mitteleuropas emigrierten.²³ So wurden einerseits manche Personen aufgenommen, auf die die „clearly defined criteria“ nicht voll zutrafen, andererseits fehlen einige passende Biographien aus Mangel an gesicherten Informationen oder auf persönlichen Wunsch.²⁴ Das allgemeine Kriterium für die Aufnahme von an Universitäten unterrichtenden Wissenschaftlern war eine Stellung als ordentlicher Professor (full professor) an einer der bedeutenderen US-amerikanischen Bildungseinrichtungen oder an nahezu jeder Universität in anderen Ländern.²⁵ Aus der Datenbasis des Biographischen Handbuchs ergibt sich für die vorliegende Untersuchung eine Beschränkung auf jene Personen, die vor 1983 den beruflichen Status eines ordentlichen Professors erreicht haben und bis zu diesem Zeitpunkt auch bereits erstmals als Gastdozent Remigranten auf Zeit waren.²⁶ Dass Historiker, deren Aufnahme auf Grund der oben ausgeführten Aufnahmekriterien geboten gewesen wäre, nicht berücksichtigt wurden, ist aus den genannten Gründen nicht auszuschließen, wenngleich wegen der systematischen Eingrenzung des Untersuchungsfeldes auch nicht wahrscheinlich.²⁷ Die Auswahl der Untersuchungspersonen stützt sich auf aufwändige Vorarbeiten zur Erschließung des Biographischen Handbuchs, nämlich seine systematische Auswertung auf Wissenschaftler hin, bei denen Gastprofessuren im deutschsprachigen Raum nach 1945 vermerkt waren.²⁸
Herbert A. Strauss: Jews in German History: Persecution, Emigration, Acculturation; in: Werner Röder/Herbert A. Strauss (Hg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, Band 2, München u. a. 1983, S. XI–XXVI, hier S. XI; Standards of Inclusion, Editorial Policy; in: Biographisches Handbuch, Band 2, S. LXXXVII. Die territoriale Eingrenzung umfasst das Deutsche Reich, Österreich, das Sudetenland und Prag sowie die Freie Stadt Danzig. Vgl. ebenda, sowie Strauss: Jews in German History, S. XI. Ein Beispiel für Erweiterungen der strengen Kriterien betrifft Frauen, die sich in Männerdomänen etabliert haben; ausgeschlossen wurden beispielsweise Personen, bei denen nicht eindeutig war, ob ihr primäres kulturelles Milieu deutsch oder tschechisch geprägt war. Standards of Inclusion, Editorial Policy; in: Biographisches Handbuch, Band 2, S. LXXXVIII. Vgl. zum Ende des Untersuchungszeitraums 1983 oben, Anmerkung 121 auf S. 33. Ich danke an dieser Stelle allen Historikerinnen und Historikern, die spontane Vorschläge für weitere in Frage kommende Personen für diese Untersuchung gemacht haben. Bisher hat sich die Zusammenstellung der Untersuchungsgruppe jedoch als stabil erwiesen, da auf nicht berücksichtigte Personen stets irgendeines der Auswahlkriterien nicht zutraf. Auch für künftige Vorschläge bin ich dankbar. Die Ergebnisse dieses von Marita Krauss entwickelten und geleiteten Projekts ermöglichten erst die vorliegende Untersuchung. Mein Dank für diese Vorarbeiten gilt neben Marita Krauss auch Sven Panthöfer und Marta Tuschik, die als Studierende diese Auswertung des Biographischen Handbuchs durchgeführt haben.
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2 Kollektivbiographie transatlantischer Gastprofessoren
Vor allem drei Aspekte machen die deutschsprachige Emigration zu einem Forschungsfeld, das eine tragfähige Quellengrundlage für kollektivbiographische Untersuchungen bietet, während tiefergehende Studien in diesem Bereich nur schwer systematisch und vergleichend vorgehen können:²⁹ Während in anderen Bereichen biographische Informationen oft nur unvollständig veröffentlicht sind und sich trotz aufwändiger Archivstudien nicht hinreichend ergänzen lassen, waren die im Biographischen Handbuch behandelten Personen erstens „Objekte der sozialen Buchführung staatlicher Einrichtungen“ und nichtstaatlicher (Hilfs‐) Organisationen. Zweitens haben sie (als Erinnerungen oder Lebensläufe zur Arbeitsplatzvermittlung in der Emigration) zahlreiche autobiographische Zeugnisse hinterlassen, darunter in einem weiteren Sinne auch die Selbstauskünfte, die eigens für die Erstellung des Biographischen Handbuchs erhoben wurden. Drittens sind sie insgesamt bereits Gegenstand umfangreicher Forschungen geworden,³⁰ etwa im Rahmen des Schwerpunktprogramms „Exilforschung“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), aus dem unter anderem das Biographische Handbuch selbst hervorging.³¹ In der Historiographiegeschichte speziell widmeten sich seit den 1970ern auch Einzelstudien einigen der emigrierten Historiker, und zwar offensichtlich „um die alten Heiligen von ihren Säulen zu stürzen und neue an ihre Stelle zu setzen.“³²
Eakin-Thimme: Geschichte im Exil, S. 15, weist darauf hin, dass die Quellenlage im Bereich emigrierter Historiker nicht durchgängig gut ist: Manche Historiker „konzentrierten sich ganz auf die Lehre […]. Manche hinterließen nur wenige Publikationen. Wieder andere verfügten testamentarisch die Vernichtung ihrer privaten und wissenschaftlichen Papiere.“ Eakin-Thimmes Konsequenz aus diesem Problem ist der Verzicht auf eine systematische Untersuchung des Forschungsgegenstandes zugunsten einer Auswahl auf Basis der verfügbaren Materialfülle: „So wird sich schon aufgrund der Quellenlage diese Untersuchung in ihrem Verlauf zunehmend auf bestimmte Historiker konzentrieren, darunter die ‚famous few‘ vor allem in den USA, die auch durch ihr wissenschaftspolitisches Engagement über den Atlantik hinweg oft im Vordergrund standen.“ Alle drei Kriterien für eine günstige Quellenlage nach Schröder: Kollektive Biographien, S. 13. Vgl. den Sammelband Manfred Briegel/Wolfgang Frühwald (Hg.): Die Erfahrung der Fremde. Kolloquium des Schwerpunktprogramms „Exilforschung“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Weinheim u. a. 1988; darin besonders: Manfred Briegel/Wolfgang Frühwald: Einleitung; S. 1– 12, sowie die Bibliographie der aus dem DFG-Schwerpunkt hervorgegangenen Publikationen auf S. 275 – 282. Weber: Priester der Klio, S. 14; vgl. ebenda, Anmerkung 16 auf S. 365, wo Weber insbesondere das von Hans-Ulrich Wehler herausgegebene Sammelwerk „Deutsche Historiker“ nennt. Darin finden sich – neben Arbeiten über Emigranten wie Erich Eyck, Veit Valentin und Hans Rothfels – folgende Artikel über Untersuchungspersonen: Joachim Radkau: George W. F. Hallgarten; in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Deutsche Historiker, Band 6, Göttingen 1980, S. 103 – 118; Bernd Faulenbach: Hajo Holborn; in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Deutsche Historiker, Band 7, Göttingen 1982,
2.1 Methode: Kollektivbiographie
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Als hilfreiche Ergänzungen zum Datengerüst des Biographischen Handbuchs dienen einerseits Überblickswerke über die Emigration,³³ andererseits Studien, die die Untersuchungspersonen in ihrer Eigenschaft als Emigranten biographisch und werkgeschichtlich behandeln,³⁴ aber auch zugehörige Quellenverzeichnisse und ‐editionen.³⁵ Für die biographischen Informationen bot sich vor allem der Rückgriff auf Autobiographien³⁶ und Nachschlagewerke³⁷ an, zumal bisher keine monographischen Studien zu einzelnen Untersuchungspersonen vorliegen. LeS. 114– 132; Bernd Faulenbach: Eugen Rosenstock-Huessy; in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Deutsche Historiker, Band 9, Göttingen 1982, S. 102– 126. Besonders Krohn/Mühlen/Paul/Winckler: Handbuch; daneben für die Wissenschaftsemigration (ohne Berücksichtigung der Geschichtswissenschaft) Mitchell G. Ash/Alfons Söllner (Hg.): Forced Migration and Scientific Change. Emigre German-Speaking Scientists and Scholars After 1933, Cambridge u. a. 1996. Vgl. für die ältere Literatur auch: Henry Friedlander u. a. (Bearb.): Classified and Annotated Bibliography of Books and Articles on the Immigration and Acculturation of Jews From Central Europe to the USA Since 1933, New York u. a. 1981, besonders S. 47– 63 zur „Intellectual Migration“. Besonders Wolf: Deutsch-jüdische Emigrationshistoriker; Eakin-Thimme: Geschichte im Exil; Lewis A. Coser: Refugee Scholars in America. Their Impact and Their Experiences, New Haven/ London 1984; Gerhard A. Ritter: Die emigrierten Meinecke-Schüler in den Vereinigten Staaten. Leben und Geschichtsschreibung im Spannungsfeld zwischen Deutschland und der neuen Heimat: Hajo Holborn, Felix Gilbert, Dietrich Gerhard, Hans Rosenberg; in: HZ 284 (2007), S. 59 – 102; Fritz Stern: German History in America 1884– 1984; in: Central European History 19 (1986), S. 131– 163; vgl. außerdem den Sammelband Lehmann/Sheehan: Interrupted Past. Ritter: Meinecke; Epstein: Catalog; John M. Spalek: Verzeichnis der Quellen und Materialien der deutschsprachigen Emigration in den U.S.A. seit 1933 (= Guide to the Archival Materials of the German-speaking Emigration to the United States after 1933), Charlottesville 1978. Sieben der untersuchten Personen haben ausführliche Erinnerungen hinterlassen: Felix Gilbert: Lehrjahre im alten Europa. Erinnerungen 1905 – 1945, Berlin 1989; George W. F. Hallgarten: Als die Schatten fielen. Erinnerungen vom Jahrhundertbeginn zur Jahrtausendwende, Berlin/ Frankfurt am Main/Wien 1969; Kisch: Erinnerungen; Klemens von Klemperer: Voyage through the Twentieth Century. A Historian’s Recollections and Reflections, New York 2009; Masur: Das ungewisse Herz; Eugen Rosenstock-Huessy: Ja und Nein. Autobiographische Fragmente, Heidelberg 1968; Fritz Stern: Fünf Deutschland und ein Leben. Erinnerungen, München 2007. Hinzu kommt der kürzere Erinnerungstext Hans Rosenberg: Rückblick auf ein Historikerleben zwischen zwei Kulturen; in: Hans Rosenberg: Machteliten und Wirtschaftskonjunkturen. Studien zur neueren deutschen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Göttingen 1978, S. 11– 23. Vgl. zu weiteren verwendeten autobiographischen Texten den Anhang, Abschnitt 10.3.4 ab S. 579. Vor allem: Allgemeine Deutsche Biographie, auf Veranlassung und mit Unterstützung Seiner Majestät des Königs von Bayern Maximilian II. hg. durch die Historische Commission bei der Königl. Akademie der Wissenschaften, 56 Bände, Neudruck der 1. Auflage, Leipzig 1875 – 1912, Berlin 1967– 1971 (ADB); Neue Deutsche Biographie, hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, z. Zt. 27 Bde., Berlin 1953 – 2020 (NDB). Zahlreiche Informationen konnten auch verschiedenen Ausgaben des deutschen wie des amerikanischen Who’s Who entnommen werden; vgl. Anhang, Abschnitt 10.3.3 ab S. 576.
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2 Kollektivbiographie transatlantischer Gastprofessoren
diglich einzelne Fest- und Gedenkschriften³⁸ sowie Nachrufe konnte ich benutzen. Ergänzend habe ich persönliche Auskünfte eingeholt und einzelne Archivalien herangezogen, hier vor allem um die Gewinnung der biographischen Daten nachzuvollziehen.³⁹
2.2 Herkunft In diesem Abschnitt untersuche ich die zeitliche und soziale Herkunft der Untersuchungsgruppe. Die Geburtsjahre bestimmen die persönliche Lebenssituation bei historischen Großereignissen und bilden damit ein wichtiges Explanans für die biographischen Phänomene. Die Religion der Untersuchungspersonen und ihrer Vorfahren untersuche ich im Hinblick auf die Frage, inwiefern dieses Charakteristikum für die Verfolgung durch die Nationalsozialisten mitentscheidend war.⁴⁰ Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die Analyse der Emigrationsursachen in Kapitel 3. Auch die soziale Herkunft der Probanden ist zu betrachten, da Wolfgang Weber das mit der religiösen Herkunft korrespondierende Sozialmilieu als zweites wichtiges Rekrutierungskriterium für Historiker neben dem Schulmi-
Zum Beispiel Klaus Epstein: Geschichte und Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Ein Leitfaden, hg. von Eberhard Pikart, Detlef Junker und Gerhard Hufnagel, Frankfurt am Main u. a. 1972; Fritz T. Epstein: Germany and the East. Selected Essays, hg. von Robert F. Byrnes, Bloomington/London 1973; Alexander Fischer/Günter Moltmann/Klaus Schwabe (Hg.): Russland – Deutschland – Amerika. Festschrift für Fritz T. Epstein zum 80. Geburtstag, Wiesbaden 1978; Radkau/Geiss: Imperialismus; Central European History 3 (1970), Nr. 1/2 (= In Memory of Hajo Holborn, 1902– 1969); Frank Böckelmann/Dietmar Kamper/Walter Seitter (Hg.): Eugen Moritz Friedrich Rosenstock-Huessy (1888 – 1973), Wien 1995. Anders als der oben, Anmerkung 22 auf S. 70, vorgestellte Bestand IfZ MA 1500 erwies sich IfZ F 240, Sammlung Catherine Epstein, Materialien zum Buch „A past renewed. A catalog of Germanspeaking refugee historians in the United States after 1933, Cambridge 1993“ als unergiebig: Die Sammlung IfZ F 240 enthält zwar Mappen zu zehn der Probanden, doch neben Entwürfen für den Katalog finden sich darin oftmals nur Kopien brieflicher Anfragen, nicht jedoch die entsprechenden Antwortschreiben. Der Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216, demonstriert einerseits die Möglichkeiten, die eine systematische Heranziehung von Nachlässen eröffnen würde, andererseits jedoch auch die Unmöglichkeit, Nachlässe im Rahmen einer Kollektivbiographie systematisch auszuwerten. Vgl. die „Erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, 11. April 1933: Doc. 42. The First Official Definition of „Non-Aryan“; in: Norbert Kampe (Hg.): Jewish Emigration from Germany 1933 – 1942. A Documentary History, München u. a. 1992, S. 77. Demnach galt als „nicht arisch“, wer ein Elternteil oder Großelternteil hatte, das „nicht arisch“ war, sprich: der jüdischen Religion angehörte. Jeder nach dem 1. August 1914 ernannte Beamte musste einen entsprechenden Nachweis erbringen.
2.2 Herkunft
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lieu identifiziert hat.⁴¹ Hier ist zu fragen, inwiefern die soziale Herkunft der Gastprofessoren ihre Stellung in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft beeinflusst haben kann: Die deutliche Differenz zu den typischen Herkunftsmustern deutschsprachiger Historiker in dieser Hinsicht legt die These nahe, dass die späteren Gastprofessoren schon vor ihrer Emigration ein Bewusstsein für kulturelle Unterschiede entwickelt hatten, das ihre spätere Kompetenz zur Überbrückung der Spaltung zwischen Deutschland und dem Westen positiv beeinflusste. Andere Herkunftsfaktoren, die häufig in biographische Datensätze aufgenommen werden, müssen hier jedoch unbeachtet bleiben, zumal systematische Einflüsse auf die Lebensverläufe unwahrscheinlich sind.⁴²
2.2.1 Generation Der Begriff der Generation⁴³ gilt weithin als nützliches Analysewerkzeug und lässt sich auch auf die Emigration aus dem Machtbereich des Nationalsozialismus fruchtbar anwenden.⁴⁴ Da ich in dieser Arbeit alle im deutschsprachigen Raum Geborenen und persönlich Emigrierten berücksichtige, umfasst die Untersuchungsgruppe auch jene, die nach 1914 geboren wurden,⁴⁵ und die oft als „jüngere Generation“ oder „zweite Generation“ der Emigration bezeichnet werden.⁴⁶ Diese
Weber: Priester der Klio, S. 292 f. Sowohl die Geburtsorte unserer Historiker und ihrer Eltern, als auch Heiratsalter und Herkunft ihrer Ehefrauen sind lediglich in Spezialfällen relevant und werden entsprechend dort diskutiert. Generation meint zunächst die „Gesamtheit der innerhalb eines bestimmten Zeitabschnitts geborenen Gesellschafts-Mitgl., die aufgrund gleichartiger histor. Erfahrungen ähnl. kulturelle Orientierungen, soziale Einstellungen und Verhaltensmuster ausgebildet haben.“ Artikel Generation; in: Brockhaus. Enzyklopädie in 30 Bänden, Band 10, 21. Auflage, Leipzig/Mannheim 2006, S. 434. David Kettler etwa fasst alle vor dem Ersten Weltkrieg geborenen Emigranten zur „generation of 1900“ zusammen. Kettler: Conclusion, S. 57; vgl. zu einer ähnlichen Generationslagerung, nämlich mit den Geburtsjahrgängen 1900 – 1910, allerdings ohne Emigration, auch Ulrike Jureit: Generationenforschung, Göttingen 2006, S. 43 ff. Selbst der Historiker und Psychoanalytiker Peter Jacob Loewenberg, geboren am 14. August 1933 in Hamburg, emigriert im selben Jahr nach Shanghai und 1937 weiter in die USA, wäre seinem Alter nach in Frage gekommen. Er absolvierte allerdings erst lange nach Erscheinen des Biographischen Handbuchs eine Gastprofessur, nämlich 2006 in Wien; vgl. oben, Anmerkung 90 auf S. 25, sowie unten, Anmerkung 65 auf S. 229. Auch bei dieser jüngeren Gruppe handelt es sich um echte Emigranten (im Kindes- oder Jugendalter). Zur früheren Vernachlässigung dieser zwischen Erstem Weltkrieg und Emigration Geborenen vgl. Herbert A. Strauss: The Migration of the Academic Intellectuals; in: Werner Röder/ Herbert A. Strauss (Hg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933,
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2 Kollektivbiographie transatlantischer Gastprofessoren
Unterteilung der Emigration in eine ältere und eine jüngere Generation beruht auf einem genealogischen Generationsbegriff,⁴⁷ der sich zwar eng an der Lebenswelt der Betroffenen orientiert, hier jedoch durch einen sozialwissenschaftlichen Generationsbegriff zu ersetzen ist, um die Aussagekraft von Generationsunterscheidungen zu erhöhen. Karl Mannheim beschrieb 1928 in „Das Problem der Generationen“⁴⁸ die älteren Generations-Konzepte, kritisierte sie und entwickelte daraus „die bisher wirksamste und systematischste Theorie“ zum Thema Generation, auf die sich „mehr oder weniger explizit praktisch alle folgenden Auseinandersetzungen mit diesem Thema bis heute“ beziehen.⁴⁹ Der im Folgenden in Anlehnung an Mannheim verwendete Generationsbegriff dient als reines Erkenntnis- und Ordnungsmittel, das
Band 2, München u. a. 1983, S. LXVII–LXXVII, hier S. LXVII und LXXVII. In jüngerer Zeit hat diese Gruppe starkes Interesse gefunden, etwa Gerhard Sonnert/Gerald Holton: What Happened to the Children Who Fled Nazi Persecution, New York u. a. 2006; speziell Historiker betreffend Andreas W. Daum/Hartmut Lehmann/James J. Sheehan (Hg.): The Second Generation. Émigrés from Nazi Germany as Historians, New York 2016. Möller: Exodus der Kultur, S. 110 f., versucht eine „Differenzierung der ersten und zweiten Generation von Emigranten“ anhand ihrer späteren Lebensverläufe, und zwar anlässlich der Diskussion über den Anteil der Rückkehrer an der Kulturemigration: Für den Abschluss eines wissenschaftlichen Studiums vor 1933 sei ein Lebensalter von 25 Jahren notwendig gewesen, weshalb Möller „zur ersten Generation diejenigen Emigranten [zählt], die vor 1908 geboren wurden.“ Für Österreich und die Tschechoslowakei müsse demnach eine spätere Generationsgrenze festgelegt werden. Krauss: Transatlantische Gastprofessoren, S. 252, zählt etwa Golo Mann (geboren 1909) zur ersten Generation und bestreitet die Möglichkeit, eine Unterscheidung nur anhand des Geburtsjahrgangs vorzunehmen. Das bedeutet, dass die Mitglieder der „jüngeren Generation“ als Kinder von Emigranten der „älteren Generation“ betrachtet werden – wie das Beispiel von Fritz und Klaus Epstein verdeutlicht.Vgl. Jureit: Generationenforschung, S. 28 f., und Ute Daniel: Generationengeschichte; in: Ute Daniel: Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter, Frankfurt am Main 2001, S. 330 – 345, hier S. 331 f. Zuerst veröffentlicht als: Karl Mannheim: Das Problem der Generationen; in: Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie 7 (1928), Heft 2, S. 157– 185 und Heft 3, S. 309 – 330; hier zitiert nach der Ausgabe Karl Mannheim: Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk, eingeleitet und herausgegeben von Kurt H. Wolff, 2. Auflage, Neuwied/Berlin 1970, S. 509 – 565; neuerdings auch verfügbar als Karl Mannheim: Das Problem der Generationen [1928]; in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 56 (2017), S. 81– 119 (DOI: 10.1007/s11577-017-0412-y). Daniel: Generationengeschichte, S. 335; vgl. Jureit: Generationenforschung, S. 15; Ulrike Jureit/Michael Wildt: Generationen; in: Ulrike Jureit/Michael Wildt (Hg.): Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffs, Hamburg 2005, S. 7– 26, hier S. 20; Jürgen Reulecke: Generationen und Biografien im 20. Jahrhundert; in: Bernhard Strauß/Michael Geyer (Hg.): Psychotherapie in Zeiten der Veränderung. Historische, kulturelle und gesellschaftliche Hintergründe einer Profession, Wiesbaden 2000, S. 26 – 40, hier S. 30; Hans Jaeger: Generationen in der Geschichte. Überlegungen zu einer umstrittenen Konzeption; in: Geschichte und Gesellschaft 3 (1977), S. 429 – 452, hier S. 435.
2.2 Herkunft
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es im Rückblick ermöglichen soll, die Untersuchungsgruppe in verschiedene Altersstufen zu unterteilen.⁵⁰ Diese Fremdzuschreibung soll insbesondere die Wirkung der Emigration, aber auch anderer im Rahmen der Kollektivbiographie zu diskutierender Faktoren, auf die unterschiedlichen Altersgruppen differenziert sichtbar machen.⁵¹ Mannheims Begriff „Generationszusammenhang“, der sich auf die Auseinandersetzung der Individuen „mit demselben, sie alle betreffenden historisch-aktuellen Schicksal“⁵² bezieht, aus dem sich „eine gewisse Einheitlichkeit des sozialen Verhaltens“⁵³ ergeben soll, erscheint als die zur Untersuchung emigrierter Historiker geeignetste Erstreckung der verschiedenen von Mannheim differenzierten Generationsbegriffe und ist daher im Folgenden durchgängig ge-
Die Bedeutung der Unterscheidung von Generation als politischem Kampfbegriff und wissenschaftlicher Erkenntniskategorie betont Michael Grüttner: Machtergreifung als Generationskonflikt. Die Krise der Hochschulen und der Aufstieg des Nationalsozialismus; in: Rüdiger vom Bruch/Brigitte Kaderas (Hg.): Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2002, S. 339 – 353, der zeigt, wie die „junge Generation“ an den Hochschulen von der NSDAP zu einer Einheit stilisiert, formiert und gegen die „alte Generation“ der etablierten Professoren in Position gebracht wurde. Zu dieser „jungen Generation“ hätten natürlich auch viele der hier behandelten Emigranten gehört, doch sie waren als nichtarisch/nichtnationalsozialistisch von dieser Selbststilisierung ausgeschlossen. Vgl. Jureit/Wildt: Generationen, S. 22. Jürgen Reulecke: Generationalität und die West‐/Ostforschung im „Dritten Reich“ – ein Interpretationsversuch; in: Rüdiger vom Bruch/Brigitte Kaderas (Hg.): Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2002, S. 354– 360, hier S. 355, erläutert, dass es sich bei der „Identifikation von ‚Generationsprofilen‘ in hohem Maße [um] ein geistiges Konstrukt bzw. ein Kategorisierungsunternehmen“ handelt, das entweder vom Zugehörigkeitsgefühl von innen erzeugt sein, oder von außen der sinnvollen Einordnung von Menschen oder Menschengruppen dienen kann. In der Anwendung des Generationenkonzepts auf die Wissenschaftsgeschichte hat Anne Christine Nagel für die deutschsprachige Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert besonders die sich selbst als solche stilisierende „Kriegsjugendgeneration“ (geboren 1900 – 1912) hervorgehoben: Anne Christine Nagel: Im Schatten des Dritten Reichs. Mittelalterforschung in der Bundesrepublik Deutschland 1945 – 1970, Göttingen 2005, S. 14. Ich zähle vor 1900 Geborene hingegen zum selben Generationszusammenhang wie die „Kriegsjugendgeneration“ und betone damit den Charakter meiner Generationszuordnungen als ex post gebildete Analysekategorien, die auf die Bedingungen der Gastprofessuren zugeschnitten sind. Damit kommt diese Untersuchung in der Regel „ohne Rekurs auf das kollektive Bewusstsein der Generation“ aus. Dazu Michael Corsten: Biographie, Lebensverlauf und das „Problem der Generation“; in: Bios 14 (2001), Heft 2, S. 32– 59, hier S. 56; allerdings betrachtet Corsten dies als Defizit. Mannheim: Generationen, S. 544. Ebenda erläutert Mannheim, dass die „weitgehende Verwandtschaft der Gehalte, die das Bewußtsein der einzelnen erfüllen“, bedeute, dass diese Gehalte „die Einzelnen zur Gruppe verbinden, ‚sozialisierend‘ wirken.“ Jaeger: Generationen, S. 443.
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2 Kollektivbiographie transatlantischer Gastprofessoren
meint, auch wenn etwa von Generationsgruppen oder einfach Generationen⁵⁴ die Rede ist. Die Bildung und Zuordnung der Probanden zu solchen Generationszusammenhängen lässt sich anhand von Lebensalter und Lebenssituation bei bestimmten historischen Großereignissen diskutieren.⁵⁵ Die Untersuchungsgruppe lässt sich anhand ihrer Geburtsjahre in vier generationelle Gruppen einteilen, davon jeweils zwei vor und zwei nach dem Zeitraum, in dem die Grenze zwischen älteren und jüngeren Emigranten normalerweise verortet wird.⁵⁶ Über die reine Generationslagerung hinaus scheint es sich bei diesen Gruppen ohne Weiteres auch um Generationszusammenhänge zu handeln, da sich ihre Mitglieder „mit demselben, sie alle betreffenden historischaktuellen Schicksal“⁵⁷ auseinandersetzen mussten, jeweils in ähnlicher Weise Ersten Weltkrieg und Weimarer Republik, Nationalsozialismus und Emigration erlebten. Was als Wirkung dieser Generationszusammenhänge betrachtet werden kann, wird durch die Untersuchung von innergenerationellen Gemeinsamkeiten und intergenerationellen Unterschieden zu zeigen sein.
Im Gegensatz zu den genannten, hier wesentlich synonym verwendeten Begriffen, ist Mannheims Begriff der Generationseinheiten dann problematisch, wenn er über konkrete soziale Gruppierungen hinaus reichen soll. Wenn er aber lediglich solche fest verbundenen Gruppen umfasst, bietet der Begriff keine zusätzlichen Erkenntnismöglichkeiten und wird überflüssig.Vgl. Jaeger: Generationen, S. 444. Jaeger scheint Generationen als historische Realien anzusehen, die sich zudem im Optimalfall deutlich im Bewusstsein der beteiligten Individuen niederschlagen, ebenda, S. 451. Das entspricht jedoch allenfalls den Erfahrungswelten der Moderne. Zudem ist die quellenmäßige Absicherung generationeller Zugehörigkeitsgefühle im Rahmen einer Kollektivbiographie nicht zu machen, so dass hier Generationen nur als Fremdzuschreibung verwendet werden können. Der allgemeinste von Mannheim definierte Begriff, Generationslagerung, liegt für eine Kollektivbiographie, die sich mit Geburtsjahrgängen (Kohorten) auseinandersetzt, ebenfalls nahe. Aber insbesondere die geteilte Emigrationserfahrung der hier untersuchten Historiker sichert ihnen die spezifischeren Eigenschaften eines Generationszusammenhangs zu. Das sind neben der Emigration insbesondere der Erste Weltkrieg, aber auch die Früh- und die Spätzeit der Weimarer Republik, der Beginn des NS-Regimes und der Zweite Weltkrieg. Zur Frage der prägenden Generationenerfahrungen, besonders des Ersten Weltkriegs, vgl. Jureit: Generationenforschung, S. 15 f., Daniel: Generationengeschichte, S. 333, und Jureit/Wildt: Generationen, S. 21. Speziell in der Remigrationsforschung wird die Generation auf prägende Erfahrungen der Teilnahme am Ersten Weltkrieg (für das Deutsche Reich), die Entwicklungen der Zwischenkriegszeit und die Teilnahme am Zweiten Weltkrieg (auf Seiten der Alliierten) bezogen, vgl. Marita Krauss: Hans Habe, Ernst Friedlaender, Hermann Budzislawski – Drei Zonen, drei Städte, drei Schicksale; in: Claus-Dieter Krohn/Axel Schildt (Hg.): Zwischen den Stühlen? Remigranten und Remigration in der deutschen Medienöffentlichkeit der Nachkriegszeit, Hamburg 2002, S. 245 – 266, hier S. 257. Siehe oben, Anmerkung 46 auf S. 75 f. Das durchschnittliche Geburtsjahr der Gesamtgruppe liegt mit 1906 ebenfalls in diesem Bereich. Mannheim: Generationen, S. 544.
2.2 Herkunft
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Der älteste, erste Generationszusammenhang besteht zwischen RosenstockHuessy und Kisch, die Ende der 1880er Jahre geboren wurden und daher bereits vor dem Ersten Weltkrieg promoviert waren. Rosenstock-Huessy nahm als Offizier am gesamten Krieg teil, wofür er mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet wurde, während Kisch während des Krieges als Privatdozent in Leipzig tätig war.⁵⁸ Als älteste Gruppe konnten Kisch und Rosenstock-Huessy bereits Anfang der 1920er Jahre ordentliche Professuren besetzen, Kisch 1920 in Königsberg, RosenstockHuessy 1923 in Breslau, beide als Rechtshistoriker, Rosenstock-Huessy dabei zusätzlich als Soziologe. Als nächsten, zweiten Generationszusammenhang lässt sich die größte Gruppe von neun Personen zusammenfassen, die zwischen 1896 und 1905 geboren wurden und – bis auf Fritz Epstein⁵⁹ – nicht am Ersten Weltkrieg teilnahmen.⁶⁰ Die Ältesten unter diesen, Carl Misch und Fritz Epstein, konnten ihre Promotion in der ersten Hälfte der 1920er Jahre abschließen, als die älteste Generation bereits Lehrstühle inne hatte. Auch von jenen sieben, die nach der Jahrhundertwende geboren waren und als Jugendliche den Ersten Weltkrieg er-
Vgl. Kisch: Erinnerungen, S. 61– 66; Kisch wurde zwar zum Kriegsdienst eingezogen, aber als dienstuntauglich zurückgestellt. Später wurde er „bei den sich oft wiederholenden Musterungen stets zurückgestellt und den unmittelbaren Kriegsgefahren nicht ausgesetzt“, ebenda, S. 66. Vgl. Dagmar Unger: Adolf Wach (1843 – 1926) und das liberale Zivilprozeßrecht, Berlin 2005, Anmerkung 188 auf S. 91: „Wenig später wurde er [Kisch] in den Kriegsdienst eingezogen, aber aufgrund seines beiderseitigen Leistenbruchs aus der Kindheit schnell für dienstuntauglich erklärt. So wurde er am 20. Februar 1915 Privatdozent des Zivilprozeßrechts.“ Gerhard L. Weinberg: Fritz T. Epstein, 1898 – 1979; in: Central European History 12 (1979), S. 399 – 401, hier S. 399, berichtet, dass Epstein als Mitglied einer „Schallmesstruppe“ an der Frühjahrsoffensive 1918 teilgenommen hatte. Alexander Fischer/Günter Moltmann/Klaus Schwabe: Vorwort der Herausgeber; in: Alexander Fischer/Günter Moltmann/Klaus Schwabe (Hg.): Russland – Deutschland – Amerika. Festschrift für Fritz T. Epstein zum 80. Geburtstag, Wiesbaden 1978, S. VII–XI, hier S. VIII, wissen, dass seine militärische Laufbahn im August 1917 als Kriegsfreiwilliger begann und bis Januar 1919 andauerte; vgl. Epstein: Catalog, S. 71. Für das älteste Mitglied dieser Gruppe, Carl Misch, wäre eine Kriegsteilnahme seinem Jahrgang (1896) gemäß möglich gewesen, anders als bei den jüngsten, Hans Rosenberg (1904) oder Felix Gilbert (1905). Über Mischs Studienzeit 1914– 1920 ist aber weder im Biographischen Handbuch, noch in der Literatur Näheres erwähnt. Während bei den nicht zur Untersuchungsgruppe gehörenden Vergleichspersonen Dietrich Gerhard (1896) und Adolf Leschnitzer (1899), die ähnlich alt waren und am Ersten Weltkrieg teingenommen haben, dies auch im Biographischen Handbuch angegeben ist, ebenso bei den älteren Historikern Hans Rothfels (1891), Hans Liebeschütz (1893) und dem genannten Rosenstock-Huessy (1888), fehlen bei den übrigen Gruppenmitgliedern solche Angaben, weshalb angenommen werden kann, dass sie keine Kriegsteilnehmer waren. Dies bestätigt für Holborn, Gilbert und Rosenberg zusätzlich Ritter: Meinecke-Schüler in den USA, S. 80.
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2 Kollektivbiographie transatlantischer Gastprofessoren
lebten,⁶¹ promovierten fünf noch in der ersten Hälfte der 1920er (1924 Hirsch und Holborn, 1925 Hallgarten, Heichelheim und Masur). Rosenberg und Gilbert, die beiden Jüngsten dieser Gruppe, brauchten bis 1927 und 1931 bis zum Abschluss der Dissertation, wobei Gilbert wohl deshalb etwas langsamer war, weil er bereits während des Studiums an einer Aktenpublikation mitgearbeitet hatte. Durchschnittlich promovierten die Mitglieder dieser Gruppe 1925.⁶² Tabelle 1: Geburtsjahre und Generationszusammenhänge Name
Geburtsdatum (Ort)
Generation
Eugen Rosenstock-Huessy Guido Kisch
(Berlin) (Prag)
.
Carl Misch Fritz Epstein George W. F. Hallgarten Fritz Heichelheim Gerhard Masur Felix E. Hirsch Hajo Holborn Hans Rosenberg Felix Gilbert
(Berlin) (Saargemünd) (München) (Gießen) (Berlin) (Berlin) (Berlin) (Hannover) (Baden-Baden)
.
Theodore H. von Laue Klemens von Klemperer
(Frankfurt a. M.) (Berlin)
.
Fritz Stern Klaus Epstein Manfred Jonas
(Breslau) (Hamburg) (Mannheim)
.
Zu dieser „Kriegsjugendgeneration“ siehe Nagel: Mittelalterforschung, S. 14 f. und vgl. Gilbert: Lehrjahre. Der Umfang und die zentrale Position dieser generationellen Gruppe für die Emigration hat dazu geführt, ihren Mitgliedern unter anderem unter der Bezeichnung als „the generation of 1900“ eine Sonderstellung in der Emigrationsforschung einzuräumen, so Kettler: Conclusion, S. 57. Peter Th. Walther: Emigrierte deutsche Historiker in den USA; in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 7 (1984), S. 41– 52, hier S. 42, unterteilt die von ihm untersuchten promovierten Historiker nach Geburtsjahren vor und nach 1895 in zwei Gruppen, die in der Einteilung etwa den ersten beiden hier verwendeten Generationszusammenhängen entsprechen.
2.2 Herkunft
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Den nächstjüngeren, dritten Generationszusammenhang bilden Klemens von Klemperer und Theodor von Laue, die als Jahrgang 1916 den Weltkrieg nicht mehr bewusst miterlebten. Nach Kindheit und Jugend während der Weimarer Republik begannen beide ihr Studium im deutschsprachigen Raum, beendeten es aber mit dem Ph. D. 1944 und 1949 in den USA. Das Ende des Zweiten Weltkrieges erlebten sie als Mitglieder der US-Army. Für alle nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs Geborenen ist damit festzustellen, dass sie ihre wissenschaftliche Ausbildung in der Emigration beenden mussten.⁶³ Die vierte und jüngste Gruppe, die sich für die folgenden Untersuchungen zu einem Generationszusammenhang zusammenfassen lässt, besteht aus Fritz Stern, Klaus Epstein und Manfred Jonas, die 1926 und 1927 geboren wurden und wie erwähnt noch als Kinder emigrierten. Epstein und Jonas dienten 1945 in der US-Navy, Jonas war im Anschluss noch bis 1950 Reservist, dann bis 1954 für den Nachrichtendienst der US-Air-Force in Salzburg tätig. Daher verzögerte sich seine Dissertation bis 1959 gegenüber den Doktorarbeiten von Klaus Epstein und Fritz Stern, die 1953 abgeschlossen wurden. Die vier Gruppen unterscheiden sich also deutlich in den Zeitpunkten des Eintritts in die Berufstätigkeit als Historiker, für die stellvertretend die Zeitpunkte der Promotion stehen können. Ob vor 1914 promoviert, 1920 – 1931, 1944 – 1949 oder 1953 – 1959 – ein Einfluss auf den weiteren Karriereweg ist nicht zu leugnen. Am geringsten fällt dieser Unterschied vielleicht zwischen den 1940ern und 1950ern aus, wenn man vernachlässigt, dass der Unterschied von zehn Jahren Lebensalter zum Zeitpunkt der Emigration⁶⁴ einen deutlichen Unterschied in der Sozialisation bedeutet. Die im Folgenden untersuchten Merkmale werden – sofern sinnvoll – nach den vier genannten Generationszusammenhängen aufgeschlüsselt präsentiert.
Unter den nicht zur Untersuchungsgruppe gehörenden Vergleichspersonen ist Hans Gustav Güterbock, geboren 1908, der letzte, der in Deutschland promovieren konnte, zudem mit dem Jahr 1934 auch das einzige Beispiel für einen im Nationalsozialismus (wegen seines vom Judentum zum Protestantismus konvertierten Vaters) verfolgten späteren Gastprofessor im Umkreis dieser Untersuchung, dem der Abschluss der Promotion noch unter Nazi-Herrschaft möglich war. Vgl. Möller: Exodus der Kultur, S. 110. Laue und Klemperer waren 21 und 22 Jahre alt, während Epstein, Jonas und Stern im Alter zwischen sieben und zwölf Jahren emigrierten.
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2 Kollektivbiographie transatlantischer Gastprofessoren
2.2.2 Religion Die Religionszugehörigkeit muss in der Erforschung der Emigration aus NaziDeutschland eine besondere Rolle einnehmen.⁶⁵ Dazu ist jedoch nicht nur die Frage nach der individuellen Religion und gegebenenfalls Konversion zu stellen, sondern auch die religiöse Zugehörigkeit der Vorfahren zu berücksichtigen, da in der Ideologie des Nationalsozialismus diese Kriterien unter dem Vorwand der „Rasse“ zu Bedingungsfaktoren von Verfolgung und Emigration wurden. Daher wird hier die Religion als Herkunftsfaktor betrachtet, so dass Erklärungen für im Folgenden feststellbare Besonderheiten darauf zurückgreifen können. Wegen der Bedeutung der Faktoren Religion und religiöse Herkunft für die Analyse einer Vielzahl von Entwicklungen seit der Aufklärung und insbesondere des 20. Jahrhunderts – Verfolgung, Vertreibung und massenhafte Ermordung als „rassisch“ oder sonst wie „minderwertig“ definierter Menschen – ist es bedauerlich, dass die leicht zugänglichen Angaben über Religion und religiöse Herkunft der Untersuchungspersonen lückenhaft sind: Das Biographische Handbuch hat den Wert dieser Informationen zumindest für das Individuum und seine Eltern berücksichtigt und im Normalfall entsprechende Angaben verzeichnet.⁶⁶ In anderen Nachschlagewerken fehlen jedoch derartige Angaben häufig.⁶⁷ Vielleicht
Hier kann lediglich die formale Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft berücksichtigt werden, nicht die Ausrichtung oder Intensität der inneren religiösen Haltung. Die Begrifflichkeiten, in denen über Menschen gesprochen wird, die von den Nazis zu Juden erklärt und als solche verfolgt wurden, problematisiert Anna Sabine Halle: Über Nichtglaubensjuden – Anmerkungen zu einem Begriff und einem Archivbestand; in: Exil 23 (2003), Nr. 1, S. 89 – 96. Ihr Vorschlag ist gleichwohl nicht unproblematisch. Vgl. Werner Röder: The political Exiles: their Policies and their Contribution zu Post-War Reconstruction; in: Werner Röder/Herbert A. Strauss (Hg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, Band 2, München u. a. 1983, S. XXVII–XL, hier S. XXVII, wo Röder darauf hinweist, dass das Biographische Handbuch gerade die Unterscheidung zwischen „Emigrés who fled political persecution“ und „those who were ‚racially‘ persecuted“ berücksichtigt habe, beide Gruppen aber gemeinsam präsentiere, um „a better understanding of both“ zu ermöglichen. Bezeichnend für ein derartiges Problem mit den prekär gewordenen religiösen Daten des 20. Jahrhunderts ist das paradoxe Verhalten mancher Nachschlagewerke zur Geschichte der deutschen Juden: Walter Tetzlaff: 2000 Kurzbiographien bedeutender deutscher Juden des 20. Jahrhunderts, Lindhorst 1982 verzeichnet etwa Hallgarten (als „Georg Hallgarten“) unter seinen 2000 deutschen Juden, erwähnt aber nicht Hallgartens protestantische Konfession (vgl. Hallgarten: Als die Schatten fielen, S. 16 und 27), dasselbe bei Hans Rosenberg; analog die Encyclopaedia Judaica, etwa in Bezug auf Felix Gilbert (Artikel Gilbert, Felix; in: Band 7, 2. Auflage, Detroit 2007, S. 597). Dazu Stern: Erinnerungen, S. 33: „In diesem Punkt hatte Hitler durchschlagenden Erfolg: Für die meisten gelten etwa Felix Mendelssohn oder Fritz Haber heute als
2.2 Herkunft
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gerade aufgrund der vitalen Sensibilität, die Informationen über jüdische Vorfahren durch die Nazi-Ideologie erlangt haben, dürften sich manche Betroffene oder Forscher scheuen, die jüdischen Vorfahren christlich getaufter Personen durch Erwähnung hervorzuheben und damit die gefährliche Vermischung von individuellem religiösem Bekenntnis und seinen angeblichen „rassischen“ Entsprechungen zu perpetuieren – oder bloß diesen Eindruck zu erwecken.⁶⁸ Mit 23 % liegt die Quote der im Biographischen Handbuch fehlenden Angaben⁶⁹ zur Religion der Probanden so hoch, dass weitere, verdeckt gebliebene Fehler nicht auszuschließen sind. Für die Vorfahren steigt der Anteil der nicht im Biographischen Handbuch verzeichneten Angaben.⁷⁰ Dabei sind beispielsweise für Gilbert, Hallgarten und Stern diese Informationen, hier speziell über die Generation der Großeltern und Urgroßeltern, zur Analyse der Verfolgungs- und Emigrationsgründe entscheidend.
Juden, obwohl sie zu ihren Lebzeiten in Deutschland nicht diesen Status hatten. (Auch Israelis zählen diese ‚Apostaten‘ zu den Juden, besonders wenn sie Nobelpreise gewonnen oder sich in anderer Weise ausgezeichnet haben.)“ Von einem solchen Eindruck kann und muss sich diese Arbeit freilich unter Verweis darauf distanzieren, dass die Erörterung in der Vergangenheit wirksamer Deutungsmuster (wie dem Stereotyp von „rassischen“ Eigenschaften religiöser oder anderer Gemeinschaften) ein derartiges Verständnis nicht unterstützt, sondern lediglich seiner Bedeutung für das Verständnis der (oder einiger) Zeitgenossen gerecht wird. Von 22 einzelnen Informationen über die persönliche Religionszugehörigkeit (d. h. zu jeder Untersuchungsperson eine Religionsangabe, zusätzlich bei sechs Personen die Angabe der Konversion zu einem anderen Bekenntnis) fehlen im Biographischen Handbuch fünf Angaben zu Gilbert, von Klemperer, von Laue, Misch und Rosenberg. Beim Religionswechsel sind sogar nur 50 % der eruierten Fälle im Biographischen Handbuch genannt, weitere Fälle von Konversion, über die keine Angaben vorliegen, sind daher nicht unwahrscheinlich. Angaben zu den Eltern und Vorfahren konnten vor allem entnommen werden aus: zu Fritz Epstein dem Artikel Epstein, Paul; in: Paul Arnsberg: Die Geschichte der Frankfurter Juden seit der Französischen Revolution, Band 3: Biographisches Lexikon der Juden in den Bereichen Wissenschaft, Kultur, Bildung, Öffentlichkeitsarbeit in Frankfurt am Main, Darmstadt 1983, S. 110; Artikel Epstein, Paul; in: DBE 3, München 1996; zu Klaus Epsteins Großvater: ebenda; zu Felix Gilbert: Ritter: Meinecke-Schüler in den USA, S. 69 f.; Coser: Refugee Scholars, S. 286, irrt wahrscheinlich, als er nebenbei behauptet, Gilberts Mutter sei Jüdin gewesen; zu George W. F. Hallgarten: Hallgarten: Als die Schatten fielen, S. 27, vgl. Radkau: Hallgarten, S. 105; zu Hajo Holborn: Joseph Otto: Holborn, Ludwig; in: NDB 9, Berlin 1972, S. 522 f., die Konfession von Hajo Holborns Mutter Helene ist nicht explizit angegeben, aber höchstwahrscheinlich lutherisch, vgl. Faulenbach: Holborn, S. 114 f.; zu Klemens von Klemperer: E-Mail Klemens von Klemperer an Matthias Krämer, 4. Oktober 2007; zu Carl Misch: Konrad Feilchenfeldt: Misch, Carl; in: NDB 17, Berlin 1994, S. 560 f.; zu Eugen Rosenstock-Huessy: Faulenbach: Rosenstock-Huessy, S. 102; zu Fritz Stern: Stern: Erinnerungen, S. 33 f., ebenso Fritz Stern: Family Physicians. My German Past; in: The Yale Review 94 (2006), Nr. 3, S. 1– 43, hier S. 12.
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2 Kollektivbiographie transatlantischer Gastprofessoren
Das wichtigste Ergebnis für die Untersuchung der Verfolgungsgründe durch den Nationalsozialismus ist, dass 14 unserer 16 Historiker (87,5 %) nachweislich jüdische Vorfahren hatten. Holborn und von Laue, die beiden – soweit bekannt – aus traditionell lutherischen Familien stammenden Historiker, waren die einzigen, denen keine Nazi-Verfolgung aus „rassischen“ Gründen drohte. Zu Holborns Ausgrenzung als Demokrat kam aber hinzu, dass er mit Annemarie Bettmann, der Tochter des jüdischen Medizin-Professors Siegfried Bettmann, verheiratet war und eng mit ihr zusammenarbeitete,⁷¹ so dass hier eine „Mischehe“ Anlass für Anfeindungen war und seit den Nürnberger Gesetzen staatliche Verfolgungsmaßnahmen gedroht hätten.⁷² Nur Theodor von Laue war also nicht aufgrund der NS-Rassenideologie bedroht; der von ihm angegebene Auswanderungsgrund war, dass sein Vater ihn nicht in einem von Verbrechern regierten Land studieren lassen wollte.⁷³ Dass auch in anderen Fällen die Bedrohung durch den NS-Rassenwahn nicht zu den subjektiven Auswanderungsgründen zählte, zeigt sich exemplarisch in Hallgartens Erinnerungen: „Am nächsten Morgen [dem 10. März 1933] sandte ich meine Mutter, die ich als bekannte Pazifistin für gefährdeter hielt als mich, sofort mit der Bahn nach Tölz. […] während des Abends liefen ununterbrochen Meldungen über schwere Mißhandlungen bekannter baye-
Vgl. Ritter: Meinecke-Schüler in den USA, S. 62; Holborn: Memoir, S. 2– 4, weist auf die Kindheit von Annemarie Holborn, geborene Bettmann, im Heidelberger Professorenmilieu und ihr altphilologisches Studium in Berlin hin, einschließlich Promotion vor der Heirat mit Hajo Holborn 1926. Vgl. das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ vom 15. September 1935: Doc. 68b. Intimate Relations Between „Jews“ and „Germans“ Become Punishable; in: Kampe: Jewish Emigration from Germany, S. 112 f.; Beate Meyer: „Jüdische Mischlinge“. Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933 – 1945, Hamburg 1999 (zugleich Diss., Hamburg 1998), v. a. S. 26 – 31. Ropp/Little: Theodore H. Von Laue; dort wird ein nicht näher bezeichnetes Interview mit von Laue als Quelle angegeben. Zu Max von Laues Verhältnis zum NS-Regime vgl. auch Friedrich Beck: Max von Laue; in: Klaus Bethge/Horst Klein (Hg.): Physiker und Astronomen in Frankfurt, Frankfurt am Main 1989, S. 24– 37, besonders S. 34 f.: Der Physik-Nobelpreisträger von 1914 wurde mehrfach vom Reichskultusministerium zurechtgewiesen und „zum 1. Oktober 1943 vorzeitig emeritiert.“ Eine Emigration kam für von Laue jedoch nicht in Frage, denn er erklärte (ebenda zitiert), „daß ich keine der spärlichen im Ausland für die Emigranten verfügbaren Stellen einem Kollegen wegnehmen sollte, der sie nötiger brauchte. Vor allem wollte ich aber sogleich zur Stelle sein, wenn nach dem von mir vorausgesehenen und erhofften Zusammenbruch des ‚Dritten Reiches‘ sich die Möglichkeit zu einem kulturellen Wiederaufbau auf den Ruinen bot, die dieses Reich schuf“. Helmut Heiber: Universität unterm Hakenkreuz, Teil I: Der Professor im Dritten Reich. Bilder aus der akademischen Provinz, München u. a. 1991, S. 173, weist darauf hin, dass Max von Laue „dem Nationalsozialismus entgegengetreten“ sei, dass es aber „nur mit Einschränkungen richtig“ sei, ihn zum „Kämpfer gegen die geistige Tyrannis“ zu stilisieren.
2.2 Herkunft
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rischer Persönlichkeiten – nur zum geringeren Teil Juden – ein […]. Seit März war mir klar, daß ich meiner mittlerweile in Versailles etablierten Mutter zu folgen haben würde.“⁷⁴
Das gängige Urteil, dass „der größte Teil der Emigration nicht politisch, sondern ‚nur rassisch‘ bedingt“ war,⁷⁵ lässt sich dahingehend präzisieren, dass ihr kleinster Teil nur politisch, ein bedeutender Anteil aber sowohl „rassisch“ als auch politisch bedingt war. Gerade die frühzeitige Emigration, sobald die Berufsaussichten sich verschlechtert hatten und die Methoden der Nationalsozialisten offenbar wurden, ersparte einigen der hier Betrachteten das Leid zunehmender Entrechtung, Übergriffen und Schikanen. Tabelle 2: Religion und religiöse Herkunft
Erstreligion
Religion der Mutter/ des Vaters
Guido Kisch
jüdisch
jüdisch/ jüdisch
Fritz Heichelheim
jüdisch
jüdisch?/ jüdisch
Manfred Jonas
jüdisch
jüdisch/ jüdisch
Eugen RosenstockHuessy
protestantisch jüdisch
jüdisch/ jüdisch
Carl Misch
protestantisch jüdisch
jüdisch?/ jüdisch?
Felix E. Hirsch
quäkerisch
jüdisch/ protestantisch
Name
Konversion
jüdisch
Jüdische Vorfahren
Probanden waren selbst (zeitweilig) jüdischen Glaubens
Hallgarten: Als die Schatten fielen, S. 182 und 185. Bis zu Hallgartens Ausreise am 12. August 1933 vergingen noch Monate mit der Vorbereitung der Emigration und der Fertigstellung des Manuskripts von „Imperialismus vor 1914“. Z. B. Joachim Radkau: Die Exil-Ideologie vom „anderen Deutschland“ und die Vansittartisten. Eine Untersuchung über die Einstellung der deutschen Emigranten nach 1933 zu Deutschland; in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 10. Januar 1970, S. 31– 48, hier S. 31; vgl. Möller: Exodus der Kultur, S. 100, speziell zur Geschichtswissenschaft: Demnach „zählten die Historiker also nicht zu einer besonders bedrohten Gruppierung, wenn sie nicht jüdischer Herkunft waren.“
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2 Kollektivbiographie transatlantischer Gastprofessoren
Tabelle : Religion und religiöse Herkunft (Fortsetzung)
Erstreligion
Religion der Mutter/ des Vaters
Fritz Epstein
lutherisch
jüdisch/ jüdisch
Klemens von Klemperer
protestantisch
jüdisch/ jüdisch
Name
Konversion
Gerhard Masur
katholisch
lutherisch
lutherisch, zuvor jüdisch/ lutherisch, zuvor jüdisch
Hans Rosenberg
atheistisch
lutherisch
lutherisch/ jüdisch
Fritz Stern
lutherisch
lutherisch/ lutherisch
Klaus Epstein
lutherisch
lutherisch/ lutherisch
George W. F. Hallgarten
protestantisch
protestantisch/ religionslos, zuvor lutherisch
Felix Gilbert
protestantisch?
protestantisch?/ protestantisch?
Hajo Holborn
lutherisch
lutherisch/ lutherisch
Theodore H. von Laue
quäkerisch
lutherisch
Jüdische Vorfahren
Eltern oder Elternteile waren jüdischen Glaubens
Großeltern oder Großelternteile waren jüdischen Glaubens
keine jüdischen protestantisch?/ Vorfahren bekannt protestantisch
Bei fünf Probanden lag die familiäre Zugehörigkeit zur jüdischen Religion mindestens zwei Generationen zurück. Die Assimilationsbewegung des 19. Jahrhunderts führte damals allmählich zur Übernahme einer säkularen „Kulturreligion“, die gebildete Juden „auf eine selbstverständliche Weise mit Nichtjuden verband.“⁷⁶ Die Großeltern (oder einzelne Elternteile) hatten dann den „Übertritt zur
Stern: Erinnerungen, S. 32.
2.2 Herkunft
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‚nationalen‘ Religion Deutschlands, dem lutherischen Protestantismus,“⁷⁷ vollzogen oder ihre Kinder taufen lassen.⁷⁸ Je zwei der Untersuchungspersonen hatten Eltern oder ein Elternteil jüdischen Glaubens,⁷⁹ so dass insgesamt die eine Hälfte der Mütter und Väter der Probanden jüdischen, die andere Hälfte christlichen Glaubens war.
Ebenda. Ebenda, S. 33 f., zeichnet differenziert die Religion seiner Vorfahren nach, bis hin zu den paradoxen Verhältnissen zwischen offiziellem Bekenntnis und gelebter Religiosität: „Die konvertierten Sterns waren sich, anders gesagt, ihrer jüdischen Herkunft stärker bewußt als die nicht konvertierten Briegers.“ – Zu Masurs Großeltern lassen sich schwierig Angaben finden; allerdings zeigen die vielfältigen Andeutungen zum Thema, etwa zu seiner Habilitationsschrift über Friedrich Julius Stahl und dem problematischen Habilitationsverfahren, wie Masurs jüdische Vorfahren ihn beschäftigten. Eakin-Thimme: Geschichte im Exil, S. 36, vgl. das Zitat unten, Anmerkung 129 auf S. 103 f.; das Biographische Handbuch enthält die Angabe, Masur und beide Elternteile seien lutherisch gewesen. Das ist vermutlich korrekt, die dortige Angabe, Masur habe Deutschland „due to conflicts with Nazi regime“ verlassen, ist jedoch falsch; Ritter: Meinecke, S. 44, schreibt, dass Masurs Eltern jüdischer Herkunft waren und 1900 zum Protestantismus übertraten. Ebenda, S. 45, heißt es weiter: „Einige Wochen nach der Aufforderung vom 16. Oktober 1935 anzuzeigen, ob und welche seiner Großeltern ‚der Rasse nach volljüdischer Abstammung‘ seien und ‚welche der jüdischen Religionsgemeinschaft‘ angehört hätten, wurde ihm seine Beurlaubung, d. h. das Ende seiner Lehrtätigkeit mitgeteilt“.Vgl. zu den Beziehungen Masurs, seines Vaters und seines Großvaters zum jüdischen Glauben Masur: Das ungewisse Herz, S. 5 – 43, sowie Nicolas Berg: Zwischen individuellem und historiographischem Gedächtnis: Der Nationalsozialismus in Autobiographien deutscher Historiker nach 1945; in: Bios 13 (2000), S. 181– 207, hier S. 187 und S. 199 f. Bei Gilbert kann die Konversion noch eine oder zwei Generationen früher stattgefunden haben; vgl. Ritter: Meinecke, S. 57. Hallgartens Großvater väterlicherseits war der jüdische Philanthrop Charles Lazarus Hallgarten. Vgl. Hallgarten: Als die Schatten fielen, S. 27; sowie Artikel Hallgarten, Charles L.; in: Arnsberg: Geschichte Frankfurter Juden, S. 173 – 175. Klemens von Klemperer gab an, dass seine Eltern säkulare Juden waren: E-Mail Klemens von Klemperer an Matthias Krämer, 4. Oktober 2007. – Im Falle von Fritz Epsteins Vater Paul, der sich 1939 selbst tötete, ist die Religionsfrage uneindeutig. Wie schon dessen Vater Theobald Epstein (1836 – 1928) hatte Paul Epstein sich vom Judentum abgewandt, sein religiöses Bekenntnis aber kurz vor seinem Tod wieder erneuert. Vgl. Artikel Epstein, Paul; in: Arnsberg: Geschichte Frankfurter Juden, S. 110; sowie ebenda, Artikel Epstein, Theobald. Carl Ludwig Siegel: Zur Geschichte des Frankfurter Mathematischen Seminars. Vortrag von Professor Dr. Dr. h. c. Carl Ludwig Siegel am 13. Juni 1964 im Mathematischen Seminar der Universität Frankfurt anläßlich der FünfzigJahrfeier der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt am Main 1965 (Frankfurter Universitätsreden, Heft 36), S. 13, bemerkt zwar, dass seine Kollegen „Dehn, Epstein und Hellinger ebenfalls Juden waren“, es ist allerdings nicht klar, ob er eventuell meint, dass sie von den Nazis zu Juden erklärt wurden. Auch an den Vorfahren von Fritz und Klaus Epstein zeigt sich, dass das Verhältnis zur Religion kaum in einen eindeutigen Code umwandelbar ist. – Zu Rosenbergs Vater und Hirschs Mutter vgl. das Biographische Handbuch. Allerdings ist bei den Müttern die Unsicherheit etwas größer, da ihre Religion häufiger gar nicht erwähnt wird. Angesichts des matrilinearen Verständnisses religiöser Vererbung im Judentum erzeugt das weitere Komplikationen.
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2 Kollektivbiographie transatlantischer Gastprofessoren
Bei jüdischen Vorfahren der Untersuchungspersonen ließ sich ein Trend zur Konversion oder zur Taufe der Kinder feststellen, der sich auch unter den Probanden fortsetzt: Sechs (37,5 %) waren ursprünglich Juden, die übrigen zehn ursprünglich Protestanten (62,5 %), vor allem lutherischer Prägung. In sechs Fällen (37,5 %) konvertierte eine Person im Laufe ihres Lebens, davon verließen drei die jüdische Religionsgemeinschaft, drei gaben hingegen den Protestantismus auf. Daher ergibt sich zuletzt ein diversifiziertes Bild der Religionszugehörigkeit: Rosenberg hatte seine Kirchenzugehörigkeit offiziell aufgegeben, Masur war zum Katholizismus übergetreten, von Laue hatte sich wie Hirsch den Quäkern angeschlossen, Misch und Rosenstock-Huessy wurden Protestanten. Damit war der Anteil der Juden in unserer Gruppe um die Hälfte auf 18,75 % zurückgegangen. Nun kamen zusätzlich Atheismus, Katholizismus und die Religiöse Gesellschaft der Freunde (Quäker) in der Untersuchungsgruppe vor. Die Zahl der Protestanten war netto um eins gesunken, anteilig blieben sie jedoch in der absoluten Mehrheit.⁸⁰ Die religiöse Zugehörigkeit erweist sich im Kontext der Wissenschaftsemigration als komplexes Untersuchungsfeld mit starken Verbindungen in andere Bereiche. Prägend sind die Prozesse der jüdischen Assimilation und der religiösen Differenzierung. Beide bedingen Konversionen und verflüssigen damit die religiöse Identität insgesamt: Analog zu transnationalen Identitäten lässt sich von transreligiösen Identitäten sprechen, die einerseits bereits auftreten, bevor Migrationen zu Transnationalität führen, und die andererseits im Kontext der Migrationsprozesse selbst stehen. Transnationalität und Transreligiosität können daher nicht in einem Ursache-Wirkung-Verhältnis zueinander stehen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass beide Phänomene letztlich gleichursprünglich sind.
Die Quäker werden hier als eigenständige Religionsgemeinschaft behandelt und nicht – wie es auch möglich wäre – dem Protestantismus zugeordnet. Diese Entscheidung stützt sich auf die Quellenlage, die Quäkertum gesondert hervorhebt, während andere protestantische Gruppen kaum differenziert werden. Das Phänomen vieler Beitritte zur Religiösen Gesellschaft der Freunde wird auch von Epstein: Catalog, Anmerkung 16 auf S. 5, bemerkt und auf die gesamte deutschsprachige Emigration in den USA hin generalisiert. Die Konversion von Laues zeigt, dass das Quäkertum nicht nur für Juden attraktiv war, wie Epstein mit dem Wortwitz „Some of our best Friends are Jews“ andeutet. Epstein nennt ebenda auch mögliche soziale Gründe für eine Konversionsentscheidung.
2.2 Herkunft
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Tabelle 3: Vatersberufe Name
Vatersberuf
Klassifikation Agrarsektor: Bauern, Gutsbesitzer: Industrieller Sektor:
Fritz Heichelheim
Bankdirektor
Eugen RosenstockHuessy
Bankier
Klemens von Klemperer Industrieller Manfred Jonas
Kaufmann
Carl Misch
Kaufmann
Hans Rosenberg
Kaufmann
Felix E. Hirsch
Anwalt
Gerhard Masur
Anwalt
Felix Gilbert
Arzt
Fritz Stern
Arzt, Professor (Medizin)
Kaufleute:
Anwälte:
Ärzte: Handwerker, Arbeiter, Angestellte: Sektor Staat/Kirche:
Klaus Epstein
Professor (Geschichte)
Fritz Epstein
Professor (Mathematik)
Theodore H. von Laue
Professor (Physik)
Guido Kisch
Rabbiner, Professor (Religion) Geistliche:
Hajo Holborn
Physiker, Direktor der PTR
höhere Beamte:
George W. F. Hallgarten
Privatgelehrter
Sonstige:
Professoren: (+ im Sekundärberuf)
Lehrer, mittlere Beamte:
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2 Kollektivbiographie transatlantischer Gastprofessoren
2.2.3 Sozialmilieu Die Frage der sozialen Herkunft wird üblicherweise anhand des Berufs des Vaters gemessen.⁸¹ Die Zuordnung der Vatersberufe zu Berufsgruppen und Einordnung in ein soziales Schichtenmodell lässt sich in enger Anlehnung an Wolfgang Weber durchführen,⁸² da die Hauptdifferenz zur Zusammensetzung seiner Untersuchungsgruppe darin besteht, dass die in dieser Arbeit untersuchten Historiker emigrieren mussten, anstatt einen Geschichtslehrstuhl an einer deutschsprachigen Universität zu erhalten. Die Übereinstimmungen erlauben auch den direkten Vergleich mit Webers Gesamtgruppe.⁸³ In der größten Milieugruppe waren die Väter der Probanden Kaufleute. Ebenfalls einen großen Anteil hat die Gruppe der selbständigen akademischen Berufe mit Anwälten und Ärzten. Zusammen bilden diese Gruppen den fast zwei Drittel der Herkunftsmilieus prägenden Industriellen Sektor, während Handwerker, Arbeiter, Angestellte und sonstige diesem Sektor zugehörige Berufsgruppen⁸⁴ völlig fehlen. Ebenso auffällig ist das Fehlen des gesamten Agrarsektors sowie der Lehrer und mittleren Beamten aus dem staatlich-kirchlichen Sektor. Die diesem Sektor zugeordneten Väter waren alle als Wissenschaftler tätig, zumindest in ei-
Vgl. Weber: Priester der Klio, S. 71, siehe dort auch für weiterführende Literatur. Vgl. auch Schröder: Kollektive Biographien, S. 11: Den „Beruf des Vaters als Indikator für die soziale Herkunft“ zu verwenden, ist eine bei „kollektiven Biographien häufig gebrauchte Operationalisierung“. Die Kritik an Webers Schichtenmodell, die Konrad H. Jarausch: Rezension zu Wolfgang Weber, Priester der Klio: Historisch-sozialwissenschaftliche Studien zur Herkunft und Karriere deutscher Historiker und zur Geschichte der Geschichtswissenschaft, 1800 – 1970, New York 1984; in: AHR 91 (1986), S. 133, mit der Forderung formuliert, dass ein „sophisticated multidimensional scheme“ hätte angewandt werden sollen, greift zu kurz: Der Aufwand für eine derart hoch auflösende Analyse sozialer Schichten wäre einer Monographie angemessen gewesen, die sich auf dieses Thema beschränkt. In Webers Untersuchung ist die soziale Herkunft jedoch – wie auch hier – nur ein kleiner Faktor, so dass für seinen Ansatz die vergröbernde Kategorisierung völlig ausreicht. Nicht zuletzt der Hinweis, dass eine genauere Schichtungs-Analyse in der Quellenlage einen weiteren Hinderungsgrund hat, lässt es auch für die vorliegende Arbeit ausreichend erscheinen, sich Webers Kategorisierung zu bedienen. Zu Webers Vorgehensweise vgl. den Abschnitt 2.1.2. Soziale Herkunft; in: Weber: Priester der Klio, S. 71– 83; siehe dort zur Erläuterung der im Folgenden benutzten sozialen Ordnungsbegriffe. Siehe zur Nichtüberschneidung der Untersuchungsgruppen: Alphabetisches Verzeichnis der Untersuchungspersonen; in: Weber: Priester der Klio, S. 597– 613. Unter diese Kategorie fasst Weber Journalisten, Verleger, Künstler, Ingenieure und Architekten, vgl. Weber: Priester der Klio, S. 73.
2.2 Herkunft
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ner Nebentätigkeit, und trugen auch fast alle einen Professorentitel.⁸⁵ In Webers Untersuchung ist das Verhältnis zwischen den Sektoren annähernd umgekehrt: Während nur 41 % seiner Historikerväter im industriellen Sektor tätig waren, arbeiteten 55 % im Sektor Staat/Kirche, die übrigen 4 % gehörten zum Agrarsektor. Wie ist diese Differenz zu erklären? Die genauere Aufschlüsselung⁸⁶ zeigt, dass der Anteil der Kaufleute unter den Vätern hier (37,5 %) gegenüber Weber (15,4 %) mehr als verdoppelt ist, der der Ärzte (12,5 %) fast verdreifacht (4,2 %), der Anteil der Anwälte (12,5 %) sogar fast vierfach (3,3 %). Im staatlich-kirchlichen Sektor ist für die Professoren (18,75 % inklusive der Professoren für Geschichte) ein deutliches Übergewicht zu verzeichnen (gegenüber 7,9 % bei Weber), selbst wenn man nur Lehrstuhlinhaber im Hauptberuf einbezieht. Ludwig Holborn als einziger Beamter lässt gegenüber den 17,9 % mittleren und höheren Beamten bei Weber eine größere Lücke im Sektor
Zu Ludwig Holborn, der ab 1914 die Abteilung für Wärme und Druck der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR) in Berlin-Charlottenburg leitete: Otto: Holborn (NDB), S. 522 f. Vgl. Faulenbach: Holborn, S. 114, der ihn allerdings fälschlich vom Abteilungsdirektor zum Direktor der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt befördert. Der genannte NDB-Eintrag von Joseph Otto enthält keinen Hinweis auf eine über das PTR-Amt hinausgehende Berufung auf eine ordentliche Professur oder irgendeine Lehrtätigkeit. Daher wird Hajo Holborn hier nicht als „professor’s son“ eingeordnet, wie es Gilbert zur Typisierung unternimmt (Felix Gilbert: Hajo Holborn. A Memoir; in: Central European History 3 (1970), S. 3 – 8, hier S. 4), sondern als Sohn eines Beamten. Der Titel, der Ludwig Holborn auch von Hajo Holborn beigelegt wird, wenn er sich als „Sohn des Geheimen Regierungsrats Professors Dr. Ludwig Holborn“ bezeichnet ([1932]: Lebenslauf von Hajo Holborn, eingereicht zur Umhabilitation in Berlin; in: Ritter: Meinecke, S. 234– 236, hier S. 234), dürfte als Ehrenbezeichnung, nicht als Funktionsbeschreibung zu verstehen sein. Zur Auswirkung dieser Kategorisierung auf die Statistik vgl. unten, Anmerkung 87 auf S. 92. – Der den Ärzten zugeordnete Vater von Fritz Stern war ebenfalls als Professor tätig, nämlich seit 1930 für Medizin an der Breslauer Uniklinik, so Stern: Erinnerungen, S. 99 f. Rudolf Stern wird dennoch als Arzt gewertet. Dafür spricht neben dem Unterschied zwischen medizinischen und anderen Professuren auch Fritz Sterns Charakterisierung seiner Schwerpunkte: „Von seinen [Rudolf Sterns] drei Pflichten – denen des Klinikers, Lehrers und Forschers – war die erste seine eigentliche Leidenschaft.“ Ebenda, S. 88. – Alexander Kisch war zwar ebenfalls Professor, und zwar seit 1900 der erste und einzige Rabbiner, der je Religions-Professor in Österreich wurde, daneben Militärseelsorger, Inspektor für den Religionsunterricht, Gelehrter und Publizist. Aber hauptsächlich war er Rabbiner und als solcher lange in der Prager Meiselsynagoge tätig. Hans Thieme: Guido Kisch; in: Österreichische Akademie der Wissenschaften: Almanach für das Jahr 1986. 136. Jahrgang, Wien 1987, S. 413 – 420, hier S. 413; außerdem Artikel Kisch, Alexander; in: Encyclopaedia Judaica, Bd. 10, Jerusalem 1971, Sp. 1060; Artikel Kisch Alexander; in: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815 – 1950, Band 3, Wien 1965, S. 347 f. Vgl. auch Kisch: Erinnerungen, S. 19 – 24. Der Vergleich mit den Angaben Webers bezieht sich in diesem Absatz stets auf Weber: Priester der Klio, Tabelle 6 auf S. 73.
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2 Kollektivbiographie transatlantischer Gastprofessoren
Staat entstehen.⁸⁷ Robert Hallgarten als Privatgelehrter, dem der universitäre Umgang mit der germanistischen Literatur „irgendwie nicht zusagte“,⁸⁸ entzieht sich völlig Webers Kategorisierung und wird hier den sonstigen Personen im Sektor Staat/Kirche zugeschlagen.⁸⁹ Ebenso markant wie der Mangel an Handwerkern, Arbeitern und Angestellten im industriellen Sektor ist das Fehlen von „Pfarrerskindern“, die unter Historikern mit 9,1 % normalerweise weit überproportional zur Gesamtgesellschaft vertreten sind. Statt des Pfarrhauses als Brutstätte protestantischer Gelehrsamkeit⁹⁰ findet sich in der Untersuchungsgruppe der Haushalt des bekannten Rabbiners Alexander Kisch,⁹¹ von dem ähnliche Effekte auf Religiosität und Gelehrsamkeit erwartet werden können. Auch Lehrer und Gymnasiallehrer (die bei Weber immerhin 13 % ausmachen⁹²) fehlen unter
Würde man Ludwig Holborn als Professor werten, wie es seinem formalen Titel als Direktor an der PTR entsprach, stiege das Übergewicht der Professorensöhne weiter an, die Gruppe der Beamten wäre gar nicht vertreten. Diese Einordnung würde die Überlegungen des folgenden Absatzes zur Staatsferne nur weiter unterstreichen. Vgl. oben, Anmerkung 85 auf S. 91. Holborn: Memoir, S. 1 f., betont die Staatsnähe von Ludwig Holborns Beamtenlaufbahn und die Herkunft ihrer Eltern aus dem „Bildungsbürgertum“. Mit Alexander Kisch und Rudolf Stern trugen zwei weitere Väter die Bezeichnung Professor, übten die typischen Tätigkeiten jedoch nur neben ihrem Primärberuf aus, unter dem sie eingeordnet wurden. Insgesamt könnte man für Professoren also einen Anteil von bis zu 37,5 % ermitteln, was die große Differenz von Webers Normalwert in diesem Bereich weiter betont und damit auf das ausgesprochen akademische Herkunftsmilieu der Untersuchungsgruppe hinweist. Vgl. unten, Anmerkung 98 auf S. 94. Hallgarten: Als die Schatten fielen, S. 9; vgl. Radkau: Hallgarten, S. 104 f. Als Sohn des deutsch-amerikanischen Bankiers Charles Lazarus Hallgarten genoss Robert Hallgarten materiell völlige Unabhängigkeit. Zu Charles Lazarus Hallgarten (1838 – 1908) vgl. Artikel Hallgarten, Charles L.; in: Arnsberg: Geschichte Frankfurter Juden, S. 173 – 175. Dem promovierten Juristen und Philologen (Hallgarten: Als die Schatten fielen, S. 9) fehlt es an der dort sonst üblichen Staatsnähe – bei Weber fallen Bedienstete bei Post, Bahn, Militär, Polizei und Forstwesen in die entsprechende, 7,4 % starke Gruppe (Weber: Priester der Klio, Tabelle 6 auf S. 73). Allerdings ähnelt sein Tätigkeitsprofil im Bereich der Germanistik am ehesten dem eines Forschers – und andere Forscher sind ja den Berufsgruppen der Professoren und höheren und mittleren Beamten zugeordnet. Die Alternative, Robert Hallgarten aufgrund seiner Unabhängigkeit und seiner juristischen Graduierung unter die Anwälte zu subsumieren, hätte das schon extreme Übergewicht in diesem Bereich weiter verschärft. Vgl. etwa Martin Greiffenhagen: Anders als andere? Zur Sozialisation von Pfarrerskindern; in: Martin Greiffenhagen (Hg.): Pfarrerskinder. Autobiographisches zu einem protestantischen Thema, Stuttgart 1982, S. 10 – 34; sowie Martin Greiffenhagen (Hg.): Das evangelische Pfarrhaus. Eine Kultur- und Sozialgeschichte, Stuttgart 1984; darin vor allem die Beiträge des Herausgebers (Einleitung; S. 7– 22) und von Günther Franz (Pfarrer als Wissenschaftler; S. 277– 294). Zum heimischen Pfarrhaus als Vorstadium der akademischen Bildung auch von Historikern vgl. Weber: Priester der Klio, S. 215: „das Stichwort ist protestantisches Pfarrhaus“. Zu Alexander Kisch siehe Anmerkung 85 auf S. 91. Weber: Priester der Klio, Tabelle 6 auf S. 73.
2.2 Herkunft
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den Vätern der Probanden, was auf die prinzipielle Staatsferne ihrer Herkunftsmilieus hinweist: Die stark vertretenen Professoren werden zwar ebenso wie Lehrer vom Staat finanziert, genießen aber aufgrund der wissenschaftlichen Freiheit ein wertvolles Stück Unabhängigkeit von der Verwaltungshierarchie.⁹³ Ähnliches gilt für Alexander Kisch, der zwar „nebenberuflich“ auch staatlich anerkannt und besoldet war, aufgrund seiner Haupttätigkeit für die jüdische Gemeinde allerdings davon materiell unabhängig. Die geringste Staatsferne im staatlich-kirchlichen Sektor ist wohl dem Abteilungsleiter der PTR, Ludwig Holborn, zuzusprechen.⁹⁴ Die überzeugendste Erklärung für das staatsferne Profil der Herkunftsmilieus transatlantischer Gastprofessoren stellt der hohe Anteil jüdischer oder von jüdischen Vorfahren abstammender Historiker in unserer Untersuchungsgruppe dar.⁹⁵ Denn trotz Emanzipationsgesetzen im 19. Jahrhundert wurde die Benachteiligung von Juden bei der Vergabe staatlicher Ämter nicht aufgehoben.⁹⁶ Weber stellt unter den jüdischen Ordinarien eine mit 94,7 % deutliche Hegemonie des industriellen Sektors als sozialem Herkunftsort fest, darin insbesondere des Kaufmannsstands, der drei Viertel aller jüdischen Geschichts-Professoren hervorbrachte.⁹⁷ Die Abweichung von diesem Muster bei den vorliegenden Probanden, die zwischen dem „jüdischen“ Herkunftsprofil und dem Gesamt-Herkunftsprofil der Geschichtsprofessorenschaft liegen, lässt sich damit erklären, dass hier ein großer Teil der Herkunftsmilieus bereits die Konversionsbewegung akademisch orientierter Juden zum christlichen Glauben widerspiegelt, während die wenigen von Weber untersuchten Geschichtsprofessoren jüdischen Glaubens eine Konversion familiengeschichtlich nicht vollzogen hatten. Jene fünf Probanden,
Weber bezeichnet die Historikerschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz aufgrund ihrer von höheren oder mittleren Beamten, Pfarrern, Lehrern und Professoren geprägten Herkunft pauschal als „Vertreter des staatsorientierten protestantischen Bildungsbürgertums.“ Dabei vernachlässigt er die unterschiedlich ausgeformte Staatsorientierung, auf die hier hinzuweisen ist. Die am engsten mit dem Staat verbundenen Beamten und Lehrer kommen nämlich in unserer Untersuchungsgruppe fast gar nicht vor. Vgl. ebenda, S. 183. Neben der Staatsferne oder zumindest ambivalenten Beziehung zum Staat, die ja auch für die vertretenen Berufsgruppen des industriellen Sektors kennzeichnend ist, scheint der Umstand bemerkenswert, dass die Zuordnung eines großen Anteils der Väter zu engeren Berufsgruppen hier mit größeren Schwierigkeiten verbunden ist, als dies offenbar für die 661 untersuchten Vatersberufe in Webers Untersuchung der Fall war. Vgl. die Problematisierung ebenda, S. 71 f. In der vorliegenden Untersuchung können dagegen mit bis zu sieben Berufskategorisierungen 43,75 % der diesbezüglichen Daten als uneindeutig eingeschätzt werden. Vgl. Abschnitt 2.2.2 ab S. 82. Vgl. Weber: Priester der Klio, S. 93. Ebenda, S. 92 f.
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deren Familie zumindest in der zweiten Generation getauft war, zeigen mit zwei Ärzten, einem Anwalt, einem Professor und einem Privatgelehrten als Vätern ein deutlich von den persönlich Konvertierten oder stabil jüdischen Historikern abweichendes Muster, so dass ein Zusammenhang zwischen der Staatsorientierung der Vatersberufe und der religiösen Orientierung ihrer jüdischen oder ehemals jüdischen Familien in diesem Zusammenhang wahrscheinlich ist. Weitere mögliche Ursachen für das ambivalente Staatsverhältnis der Vatersberufe vor dem Hintergrund eines hohen Anteils wissenschaftlich Tätiger könnten in den Aufnahmekriterien der Untersuchungsgruppe aufzufinden sein: Gesellschaftliche Gruppen, die unter der Nazi-Herrschaft emigrieren mussten, waren auch zuvor kaum in staatliche Schlüsselpositionen eingerückt. Andererseits gehörte zur Wahl oder Beibehaltung eines universitären Karriereweges unter den Bedingungen der Emigration – Voraussetzung für eine spätere Gastprofessur – eine deutliche Ausrichtung auf die Wissenschaft, die sich in der Untersuchungsgruppe in der Häufung von Professoren und Wissenschaftlern als Vätern erblicken lässt. Dafür spricht zudem der gegenüber Webers Gesamtgruppe deutlich erhöhte Anteil der Väter, die selbst akademische Grade erworben hatten: Insgesamt waren 48 % der Geschichtsordinarien Söhne von Akademikern, bei den im 20. Jahrhundert berufenen Professoren sogar eher weniger. Dagegen lässt sich in der vorliegenden Untersuchungsgruppe ein Anteil von 62,5 % an akademischen Berufen der Väter nachweisen.⁹⁸ Das soziale Herkunftsmilieu spiegelt also stark die religiöse Herkunft der Probanden wieder. Das stellte für ihre Historikerkarrieren im Deutschen Reich ein deutliches Hindernis dar, da Erstberufungen in rund 40 % der Fälle auf Übereinstimmungen des Sozialmilieus beruhten oder davon befördert wurden.⁹⁹ Die Ressource eines passenden Sozialmilieus war bei den hier Untersuchten aufgrund ihrer religiösen und sozialen Differenz von den dominanten Mustern deutscher Historiker nur schwach ausgeprägt. In der Konkurrenz mussten viele von ihnen also auf die einzige noch wertvollere Ressource für Historikerkarrieren setzen, nämlich die Einbindung in einflussreiche Schulmilieus. Daher kommt ihrer im Folgenden behandelten Ausbildung zu Historikern für die Karriereverläufe der Untersuchungspersonen eine noch größere Bedeutung zu als das ohnehin in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft üblich ist.
Wer von den Kaufleuten, Bankiers und Industriellen darüber hinaus studiert hatte, ließ sich nicht überprüfen, könnte aber den Anteil der akademisch vorgebildeten Väter nur noch weiter in die Höhe treiben. Weber: Priester der Klio, S. 292 f., besonders ebenda, Tabelle 14, Zeile für 1871– 1945.
2.3 Ausbildung
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2.3 Ausbildung Wolfgang Weber konnte die überragende Bedeutung akademischer Schulen für die Karrieren deutschsprachiger Historiker eindrucksvoll demonstrieren. In fast zwei Dritteln ihrer Erstberufungen ließ sich ein Einfluss der Schulzugehörigkeit aufzeigen.¹⁰⁰ Für Berufungen in der Emigration ist zwar anzunehmen, dass der Einfluss geschichtswissenschaftlicher Schulen gering ist. Doch die spätere Stellung der Probanden in der deutschen Geschichtswissenschaft dürfte durchaus von Schulverbindungen oder deren Fehlen beeinflusst werden. Für die Rahmenbedingungen der Ausbildung zu Historikern sind Feststellung und Vergleich der Studienzeiten von einer ähnlichen Bedeutung wie die in Abschnitt 2.2.1 untersuchten Generationszusammenhänge. Der Zeitpunkt des Studienabschlusses mit der Promotion markiert dabei das Ende der Ausbildung und den Beginn der eigentlichen wissenschaftlichen Laufbahn – und erzeugt ganz unterschiedliche Karrierebedingungen, je nachdem, ob die Promotion im Herkunftsland oder im Emigrationsland erfolgte.¹⁰¹ Ebenfalls vergleiche ich die Dissertationsthemen, da sie den sichersten Aufschluss über die ursprüngliche Ausrichtung der Forschungsinteressen der Probanden geben. Der Promotionsbetreuer oder Doktorvater markiert in aller Regel die akademische Schulzugehörigkeit. Doch da wissenschaftliche Schulen überpersonale Entitäten sind, die über mehrere SchülerLehrer-Generationen hinweg bestehen und dabei ein reiches Beziehungsgeflecht erzeugen können, binde ich die Betrachtung der Doktorväter in eine Diskussion von deren synchronen und diachronen Verbindungen innerhalb der Historikerzunft ein. Die Ergebnisse dieses Abschnitts stellen wichtige Hintergründe und Rahmenbedingungen der Gastprofessorentätigkeiten und der Beziehungen zur deutschsprachigen Geschichtswissenschaft nach 1945 dar, so dass ich sie ab Kapitel 4 immer wieder aufgreife. Die erforderlichen Daten zur Analyse der Universitätsausbildungen sind im Biographischen Handbuch für keine Untersuchungsperson im wünschenswert vollständigen Umfang angegeben, ließen sich aber weitgehend aus anderen Quellen zusammentragen, da sie zu den Standarddaten biographischer Nachschlagewerke über Wissenschaftler gehören.¹⁰²
Ebenda, besonders Tabelle 14. Zu den Auswirkungen dieser Differenz siehe unten, Abschnitt 2.4 ab S. 116. Zumindest je eine der erhobenen Informationen fehlte zu jeder Person. Erhoben wurden: Studienzeitraum, Promotionsjahr, Promotionsort, Dissertationsthema, Doktorvater und Art des erworbenen Titels. Die Analyse der in Nachschlagewerken häufig zusätzlich aufgeführten Studienfächer und Studienorte erschien hier verzichtbar, da statt der Studienfächer die Dissertationsthemen Aufschluss über die wissenschaftliche Interessenlage versprechen, und im Hinblick
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2.3.1 Studienzeit Die Jahre des Studienbeginns erstrecken sich in der Untersuchungsgruppe von 1906 (Rosenstock-Huessy) bis 1946 (Jonas). Fast alle Untersuchungspersonen nahmen ihr Studium in dem Jahr auf, in dem sie auch das 18. Lebensjahr vollendeten. Erst in der Zeit von Nationalsozialismus und Emigration kamen Ausnahmen von dieser Regel vor: Von Laue begann das Studium im Alter von 20 Jahren, Jonas mit 19, Fritz Stern war mit 17 Jahren der jüngste Studienanfänger.¹⁰³
auf die Karriere der Promotionsort zweifellos wichtiger ist als etwaige übrige Studienorte. – Die vollständigsten Angaben lagen bei von Klemperer vor, bei dem lediglich die Angabe des Doktorvaters durch persönliche Auskunft ergänzt werden musste: E-Mail Klemens von Klemperer an Matthias Krämer, 4. Oktober 2007; später auch Klemperer: Voyage, S. 70 f., zu von Klemperers Doktorvater William L. Langer, dem späteren Direktor der Research and Analysis Branch des Office of Strategic Services (OSS).Vgl. Ritter: Meinecke, S. 51; Ritter löst die Abkürzung OSS fälschlich als „Office of Strategic Studies“ auf. Unter Langer waren etwa 900 Personen für die Research and Analysis Branch des OSS tätig, so Michael Warner: Research & Analysis; in: The Office of Strategic Services. America’s First Intelligence Agency, Washington, D. C. 2000; URL: https://www.cia.gov/ library/center-for-the-study-of-intelligence/csi-publications/books-and-monographs/oss/art04. htm (zuletzt abgerufen am 22. August 2014, Archiv-URL: http://web.archive.org/web/ 20140822022209/https://www.cia.gov/library/center-for-the-study-of-intelligence/csi-publicati ons/books-and-monographs/oss/art04.htm; Internetversion der gleichnamigen Broschüre der Central Intelligence Agency, CIA). Dagegen Alfons Söllner: Archäologie der deutschen Demokratie. Eine Forschungshypothese zur theoretischen Praxis der Kritischen Theorie im amerikanischen Geheimdienst; in: Alfons Söllner (Hg.): Zur Archäologie der Demokratie in Deutschland. Analysen politischer Emigranten im amerikanischen Geheimdienst, Band 1: 1943 – 1945, Frankfurt am Main 1982, S. 7– 37, hier S. 26, wonach 1943 – 1945 rund 1200 Personen für die Research and Analysis Branch arbeiteten, davon 400 in Übersee. Vgl. zu Langer und zum OSS auch unten, Anmerkung 149 auf S. 107, sowie die Beschreibung des Emigrantenengagements im „war effort“ auf S. 132– 145. Ohne eingehende Archivrecherchen nicht festzustellen waren Angaben über den Doktorvater von Laues, über einen etwaigen Betreuer der zweiten Dissertation Rosenstock-Huessys (zum Dr. phil.) und über Guido Kisch, der in Prag 1913 promoviert wurde und in seinen Erinnerungen berichtet, dass durch „strenge Rigorosen […] das Recht erworben [wurde], zum Doctor iuris utriusque, das heißt des weltlichen und kanonischen Recht, promoviert zu werden.“ Kisch: Erinnerungen, S. 48. Eine Dissertationsschrift fehlt hier offenbar, daher auch ein echter Doktorvater. Denn Kisch erwähnt nirgendwo eine Dissertationsschrift, obwohl er andere Schritte seiner akademischen Karriere ausführlich behandelt. Er nennt ebenda lediglich „Prof. Zycha“, wahrscheinlich Adolf Zycha (1871– 1948), der an den Vorbereitungen zu Kischs Promotion beteiligt war, und den Dekan Professor Heinrich Singer, der am 7. Januar 1913 die Promotion vornahm. Zu Zycha vgl. Höpfner: Universität Bonn, S. 222; Steffen Wiederhold: Adolf Zycha. Als Rechtshistoriker standfest, als Rektor nicht von Bestand; in: Mathias Schmoeckel (Hg.): Die Juristen der Universität Bonn im „Dritten Reich“, Köln 2004, S. 603 – 640. Dazu schreibt Stern: Erinnerungen, S. 206: „die zehnte Klasse hatte ich übersprungen, war also ein bißchen jünger als die anderen Abgänger“ der Highschool.
2.3 Ausbildung
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Die Jahre des Studienabschlusses durch Erreichen der (ersten) Promotion variieren breiter, nämlich zwischen 1910 und 1959, vornehmlich dadurch, dass die dritte und vierte Generation der Untersuchungsgruppe längere Studienzeiten und größere Unterbrechungen des Studiums aufweisen.¹⁰⁴
Abbildung 1: Studienzeiten (ohne Unterbrechungen)
Im Unterschied zu Webers Vergleichsdaten, die zwischen 1800 und 1970 (Jahrgänge der Erstberufung) von durchschnittlich knapp unter vier bis knapp über fünf Jahren ansteigen,¹⁰⁵ absolvierte unsere erste Generationsgruppe ihr (Jura‐)Studium in durchschnittlich lediglich fünf Jahren, während bei der zweiten Generation im Durchschnitt knapp sechs Jahre zwischen Studienbeginn und Studienabschluss lagen. Dabei ist eine etwa zweijährige Studienunterbrechung durch die freiwillige Teilnahme Fritz Epsteins am Ersten Weltkrieg zu berücksichtigen. Webers Daten sind jedoch nicht einfach vergleichbar, da er sie aufge Auffällig ist auch, dass das Jahr der Erstpromotion im Durchschnitt aller hier Betrachteten 1931 ist, obwohl nur fünf Personen danach promoviert wurden: Der Durchschnitt liegt dadurch, dass alle nach 1931 verfassten Dissertationen erst in der Emigration entstanden, deutlich höher als der Schwerpunkt 1924/1925 (mit je drei Promotionen aus der zweiten Generation) – die große Promotions-Lücke zwischen 1931 und 1944 verweist auf die Verzögerung in der akademischen Laufbahn, die durch eine Emigration vor Studienabschluss hervorgerufen wurde. Siehe für eine Analyse dieser Verzögerungen Abschnitt 2.5. Weber: Priester der Klio, Abbildung 6 auf S. 118 und S. 116 f.
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2 Kollektivbiographie transatlantischer Gastprofessoren
arbeitet und dabei Extremwerte ausgeschlossen hat.¹⁰⁶ Völlig ungleich werden die emigrationsbedingt langen Studienzeiten für die in den USA promovierten Angehörigen der beiden jüngeren Generationsgruppen: Sie weisen eine Netto-Studienzeit von durchschnittlich über neun Jahren auf, langjährige Unterbrechungen durch Militärdienst nicht eingerechnet.¹⁰⁷ Auch die Extrema der Studiendauer stiegen bei den beiden jüngeren Generationen mit acht bis 15 Jahren gegenüber den älteren mit vier bis acht Jahren deutlich an. Die Ursachen dieser Entwicklung sind teilweise in der Emigration, die diese Gruppen ja während des Studiums oder noch vor Studienbeginn erlebten,¹⁰⁸ den Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges auf die Studien- und Lebensbedingungen in den USA sowie dem dort insgesamt anders strukturierten Hochschulsystem zu suchen. Ein wesentlicher Unterschied zum deutschen Hochschulsystem im Untersuchungszeitraum ist, dass die in der Jugend Emigrierten meist nach Erreichen des Bachelor-Abschlusses – zumindest aber vor der Promotion zum Ph. D.,¹⁰⁹ also nach damaligen deutschen Maßstäben mitten im Studium – bereits berufstätig wurden und zumeist universitäre Lehrerfahrung sammelten.¹¹⁰
Vgl. ebenda, S. 116 f. und Anmerkung 162 auf S. 405 f. Auch muss Webers Vergleich mit den Daten von Geisteswissenschaftlern kritisch betrachtet werden, da Weber durch den Ausschluss insbesondere langer Studiendauern einen Durchschnittswert errechnet, nach dem beim Studienabschluss „die Historiker 1,5 bis 2 Jahre jünger sind“ (S. 117) als Geisteswissenschaftler insgesamt. Von Klemperers Dienst in der US-Army (vgl. Klemperer: Voyage, S. 46 – 62) und Manfred Jonas’ Dienstzeit bei der US-Air Force bedeuteten Studienunterbrechungen von drei und vier Jahren. Fritz Stern erinnert sich an die Anerkennung der emigrationsbedingten Ausbildungsverzögerung: „Der New Yorker Anwalt, der den Wiedergutmachungsanspruch meines Vaters vertrat, verlangte ohne mein Wissen auch eine Entschädigung für meine unterbrochene Ausbildung. 1960 überraschte er mich mit der Nachricht, er habe für mich die Zusage einer Zahlung von eintausend Dollar erwirkt. Ich war empört und wollte ablehnen, doch um den Freund meines Vaters nicht zu kränken, akzeptierte ich das Geld und gab es meinem Vater. Ich wollte meine Erfahrungen im Dritten Reich nicht materiell bewertet sehen, und ebensowenig wünschte ich, daß meine Beziehungen zur Bundesrepublik durch diese unverlangte Geste belastet würden, ganz davon abgesehen, daß meine Umsiedlung in die USA, was die Bildung anging, mir am Ende weit mehr genutzt als geschadet hatte.“ Stern: Erinnerungen, S. 280. Vgl. Masur: Das ungewisse Herz, S. 146. Eine Spannung zu diesem Phänomen besteht, wie Gilbert bemerkte, darin, dass man „[i]m Unterschied zu England und den Vereinigten Staaten, wo junge Menschen nach der Schule vier Jahre […] ziemlich isoliert von der ‚wirklichen Welt‘ leben,“ damals „in Deutschland nach dem Abitur ‚erwachsen‘ [war]; wenn man studierte, stand man auf der gleichen Ebene wie alle anderen, die am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn waren, und so empfand man es auch.“ Gilbert: Lehrjahre, S. 72.
2.3 Ausbildung
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Dem entspricht ein Gesamtdurchschnittsalter im Jahr der Erstpromotion von 25,4 Jahren. Diesen Mittelwert überschritten alle Mitglieder der dritten und vierten Generation – im Durchschnitt um fast vier Jahre –, während das bei die älteren beiden Generationen nur in zwei besonders begründeten Fällen in geringem Maße vorkam.¹¹¹ Webers – wieder nur kritisch zu vergleichende – Daten zeigen jedoch, dass auch für in Deutschland berufene Geschichtsprofessoren im 20. Jahrhundert das Durchschnittsalter beim Studienabschluss von unter 24 Jahren auf über 28 anstieg.¹¹² Da dies auch hier einen Einfluss der Weltkriege und des Wissenschaftswandels nahelegt, sollte man die Auswirkung der Emigration auf die Verlängerung der Studienzeiten nicht überbewerten. Stärkeren Einfluss auf die Karriereverläufe sind für die Emigration hingegen beim Karriereschritt der Etablierung in der fremden Wissenschaftslandschaft zu suchen.¹¹³
2.3.2 Dissertationsthema Natürlich studierte die große Mehrheit der Untersuchungsgruppe vornehmlich Geschichte – lediglich Guido Kisch wurde nur an der juristischen Fakultät als Rechtshistoriker ausgebildet, belegte daneben Philosophie und rückte nach der Promotion zum Dr. iur. utr. von seinem ursprünglichen Vorhaben ab, sich zusätzlich zum Dr. phil. zu promovieren.¹¹⁴ Rosenstock-Huessy hingegen erreichte über zwölf Jahre nach dem Dr. iur. die zusätzliche Promotion zum Dr. phil. ¹¹⁵ Die neun Mitglieder der zweiten Generation promovierten alle zum Dr. phil., die dritte und vierte Generationsgruppe erreichte in den USA den Ph. D. Zur Einschätzung ihrer Studi-
Fritz Epstein war älter, weil er sein Studium als Kriegsfreiwilliger für zwei Jahre unterbrach, Felix Gilbert arbeitete bereits vor der Promotion für zwei Jahre an der Herausgabe der diplomatischen Akten des Auswärtigen Amtes der Vorkriegszeit mit. Ritter: Meinecke, S. 57. Das Durchschnittsalter der beiden älteren Generationen im Promotionsjahr liegt fast zwei Jahre unter dem Gesamtdurchschnitt. Vgl. Weber: Priester der Klio, Abbildung 6 auf S. 118 und S. 116 f. Siehe dazu die Abschnitte 2.4.2 und 2.4.3 ab S. 122. Kisch: Erinnerungen, S. 59. In der Emigration bereute er dies, da ihm ein philosophischer Doktorgrad seiner Erfahrung nach nützlicher gewesen wäre als ein österreichisches Doktorat der Rechte, mit dem „dort nichts anzufangen war“. Hans-Christof Kraus: Rosenstock-Huessy, Eugen Friedrich Moritz; in: NDB 22, Berlin 2005, S. 75 f.; Artikel Huessy, Eugen Rosenstock [falsche Behandlung des Nachnamens]; in: Dagobert D. Runes: Who’s Who in Philosophy, New York 1969, S. 119; vgl. Lise van der Molen: Biographie. Eugen Moritz Friedrich Rosenstock-Huessy (1888 – 1973); in: Frank Böckelmann/Dietmar Kamper/Walter Seitter (Hg.): Eugen Moritz Friedrich Rosenstock-Huessy (1888 – 1973), Wien 1995, S. 136 – 141, hier S. 136 f.
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enschwerpunkte ziehe ich die Dissertationsthemen der Probanden (Tabelle 4) heran: Fast alle untersuchten die neuere europäische Geschichte, allein neunmal ging es um Deutschland im 19. Jahrhundert. Direkt aus Friedrich Meineckes Schule der Ideengeschichte stammten Arbeiten über die klassische deutsche Geschichtswissenschaft dieser Zeit, ebenso politisch orientierte Untersuchungen. Dazu passen inhaltlich und methodisch die Arbeiten dreier weiterer Probanden, die ideengeschichtlich orientiert sind, dabei aber die politische Geschichte nicht außer Acht lassen. Davon abweichend müssen zwei Untersuchungen zur Bismarckschen Sozialgesetzgebung eher als politische Sozialgeschichte kategorisiert werden. Auch für das 20. Jahrhundert prägt politische Ideengeschichte, ergänzt um eine verfassungsgeschichtliche Studie, das Bild, das allerdings nicht mehr deutschlandzentriert ist. Verfassungsgeschichte ist auch der Schwerpunkt der Untersuchungen zur Vormoderne, abgesehen von Heichelheims prosopographisch-sozialgeschichtlicher Studie über das Ptolemäerreich. Wie an den weiteren Karriereverläufen in der Emigration (Abschnitt 2.4.2) erkennbar, waren die Dissertationsthemen dort schließlich weitgehend anschlussfähig. Jedenfalls verhinderten sie die Erlangung einer Professur nicht. Viele der Probanden trugen vielmehr zur Entwicklung von German History und Intellectual History in den USA bei.¹¹⁶ Für spätere Gastprofessuren erwiesen sich die gegenwartsnahen und sozialhistorisch orientierten Forschungsfelder der meisten Probanden ebenfalls als vorteilhaft, da sie den Zielsetzungen der amerikanischen Kulturdiplomatie eher entsprachen und daher bessere Chancen etwa auf ein Fulbright-Stipendium gewährten als gegenwartsferne und historistische Profile.¹¹⁷ Positiv dürfte sich meist auch ausgewirkt haben, dass die Forschungsschwerpunkte und ‐ansätze, soweit sie von den Dissertationsthemen abgebildet werden, auch nach 1945 anschlussfähig an in der deutschsprachigen Zunft vertretene Ansätze blieben.¹¹⁸
Vgl. Walther: Emigrierte deutsche Historiker, S. 50, und Ritter: Meinecke, S. 105 f. Besonders markant Hajo Holborn, dessen Name mit der Sozialgeschichte der Ideen verbunden ist: ClausDieter Krohn: Vertriebene intellektuelle Eliten aus dem nationalsozialistischen Deutschland; in: Günther Schulz (Hg.): Vertriebene Eliten. Vertreibung und Verfolgung von Führungsschichten im 20. Jahrhundert, München 2001, S. 61– 82, hier S. 79. Allerdings vernachlässigt Krohn die Kontinuität dieses in den USA entwickelten Ansatzes zur Meinecke-Tradition. Im Detail untersucht wurden die Vergabepraktiken von Fulbright-Förderungen für Gastprofessuren für Österreich in König: Fulbright in Österreich, besonders S. 91 f., und für die Schwerpunkte des Fulbright Program, Social Sciences und American Studies, S. 97– 116. Diese Perspektive darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Laufe der Karrieren in der Emigration auch einschneidende Neuorientierungen stattgefunden haben, etwa bei Rosenstock-Huessy von der Rechtsgeschichte zu Soziologie und Philosophie, bei Guido Kisch
2.3 Ausbildung
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Tabelle 4: Dissertationsthemen Name
Titel
Gerhard Masur
Rankes Begriff der Weltgeschichte
Felix Gilbert
Johann Gustav Droysen und die preußisch-deutsche Frage
Hans Rosenberg Die Jugendgeschichte Rudolf Hayms Hajo Holborn
Deutschland und die Türkei –
Carl Misch
Varnhagen von Ense in Beruf und Politik
Fritz Stern
Cultural despair and the politics of discontent; a study of the rise of the ‘Germanic’ ideology
George W. F. Hallgarten
Studien über die deutsche Polenfreundschaft in der Periode der Märzrevolution
Felix E. Hirsch
Die deutsche Arbeiterschutzbewegung im Zeitalter Bismarcks
Theodore H. von Laue
The beginning of social insurance in imperial Germany. A study of social adjustment in the dynastic state
Klaus Epstein
The British constitutional crisis, –
Klemens von Klemperer Manfred Jonas
Fritz Epstein
Eugen RosenstockHuessy Fritz Heichelheim
Themenbereich MeineckeSchule: politische Ideengeschichte
sonstige politische Ideengeschichte
politische Sozialgeschichte
. Jahrhundert: The Conservative Revolution in Germany Through the Ideengeschichte, Early Years of the Republic; the History of an Idea Verfassungsgeschichte The Isolationist Viewpoint – . An Analysis Die Hof- und Zentralverwaltung im Moskauer Staat und die Bedeutung von G. K. Kotosichins zeitgenössischem Werk: ‚Über Russland unter der Herrschaft des Zaren Aleksej Michailovic‘ für die russische Verwaltungsgeschichte
Vormoderne: Verfassungsgeschichte, Königshaus und Stämme in Deutschland zwischen und Sozialgeschichte
Landfriedensgerichte und Provinzialversammlungen vom neunten bis zwölften Jahrhundert
Die auswärtige Bevölkerung im Ptolemäerreich
zur Jüdischen Geschichte. Andererseits stellten in den USA promovierte Emigranten nicht unbedingt mit ihren Dissertationen Verbindungen zu deutschsprachigen Debatten her, sondern erst mit späteren Projekten, wie etwa Klaus Epstein mit seiner Biographie Matthias Erzbergers.
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2.3.3 Doktorvater Der große Anteil Berlins unter den Studien- und Promotionsorten der Probanden beruht auf dem Ruf Friedrich Meineckes, „der in der Zeit der Weimarer Republik […] als der führende Repräsentant der deutschen Geschichtswissenschaft angesehen wurde“¹¹⁹ und vier der fünf Berliner Doktoranden betreute:¹²⁰ Holborn (1924), Masur (1925), Rosenberg (1927) und Gilbert (1931) sind damit direkt zur Meinecke-Schule zu zählen, lediglich Holborns diplomatiegeschichtliche Dissertation offenbart dies nicht auf den ersten Blick.¹²¹ Meineckes internationale Wirkung wurde maßgeblich von seinen emigrierten Schülern begründet,¹²² zu denen neben anderen auch Hans Rothfels, Hans Baron und Dietrich Gerhard zählten.¹²³ Seine „mehr als gewöhnliche Aufgeschlossenheit für andere und neuere Richtungen“¹²⁴ und seine (vernunft‐)republikanische¹²⁵ Liberalität mach-
Ritter: Meinecke, S. 7.Vgl. dagegen relativierend: Ernst Schulin: Friedrich Meinecke; in: HansUlrich Wehler (Hg.): Deutsche Historiker, Göttingen 1973, S. 39 – 57, hier S. 39: „Beherrschend oder repräsentativ für die deutsche Geschichtswissenschaft wird man aber die Richtung dieses keineswegs autoritären oder auch nur lautstarken Historikers nur nennen, wenn man verdecken möchte, daß die Überzahl seiner Kollegen wissenschaftlich in der herkömmlichen politischen Geschichtsschreibung und politisch im antidemokratischen machtstaatlichen Nationalismus befangen blieb.“ Da lediglich die Promotionen der Rechtshistoriker Kisch und Rosenstock-Huessy in die Zeit von Meineckes Freiburger Professur (1906 – 1914) fallen, ist es nicht verwunderlich, dass die Meinecke-Schüler in der Untersuchungsgruppe ausschließlich in Berlin promoviert wurden, vgl. Ritter: Meinecke, S. 14; Walther: Emigrierte deutsche Historiker, S. 42. So beurteilt Otto P. Pflanze Meineckes Einfluss auf Holborn gegenüber den Anregungen Rankes und Diltheys als sekundär: „The influence of Meinecke on Holborn was, I judge, more personal than philosophical. […] Holborn’s work do not bear the imprint of Meinecke’s style of intellectual history, either in form or content.“ Otto P. Pflanze: The Americanization of Hajo Holborn; in: Hartmut Lehmann/James J. Sheehan (Hg.): An Interrupted Past. German-Speaking Refugee Historians in the United States after 1933, Washington, D. C. u. a. 1991, S. 170 – 179, hier S. 170 f. Zu Holborns „Deutschland und die Türkei 1878 – 1890“ vgl. Ritter: Meinecke, S. 48, der jedenfalls Holborns Habilitationsschrift über Ulrich von Hutten „[i]n der Tradition Meineckes“ sieht. Schulin: Meinecke, S. 54. Baron und Gerhard gehörten in Berlin ebenfalls „[z]u der kleinen Gruppe, die ihm nahe stand“, so Masur: Das ungewisse Herz, S. 86. Ritter: Meinecke, behandelt neben den Genannten auch Helene Wieruszowski, Hedwig Hintze, Eckart Kehr, Hanns Günther Reissner und Gustav Mayer. Schulin: Meinecke, S. 45; vgl. Gilbert: Holborn, S. 4: Holborn „was a student of Meinecke, who attracted young scholars because he had opened new vistas on history.“ „Auch ich bin nicht aus ursprünglicher Liebe zur Republik, sondern aus Vernunft und vor allem aus Liebe zu meinem Vaterlande Republikaner geworden. Man dürfte von den Rechts-
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ten ihn zum Anziehungspunkt „politisch und methodisch sehr verschieden interessierter, hochbegabter Schüler“.¹²⁶ Exemplarisch äußerte sich der jüngste unserer Meinecke-Schüler und der letzte in Deutschland promovierte, Felix Gilbert: „Doch obwohl München seine unverkennbaren Reize hatte, stand es für mich außer Frage, daß ich mein Studium in Berlin abschließen und dort auch meinen Doktor machen wollte. Die eigentliche Anziehungskraft ging für mich von Friedrich Meinecke aus; es gab verschiedene Gründe, weshalb es mir erstrebenswert schien, ihn als Doktorvater zu haben. Meinecke hatte die deutsche Geschichtswissenschaft aufgerüttelt, indem er die Beziehung zwischen intellektuellen Bewegungen, gesellschaftlichem Denken und politischem Handeln hervorhob […].Während meiner Zeit im Auswärtigen Amt hatte ich eine Reihe von Meineckes Studenten kennengelernt, und so hatte ich gehört, daß er seinen Studenten in der Wahl ihrer Gegenstände ziemlich freie Hand ließ, sich aber gleichzeitig sehr dafür interessierte, was sie dann machten. Schließlich war Meinecke unter den vielen konservativen und zum Teil sogar reaktionären deutschen Professoren jener Zeit eine Ausnahme: ein Verteidiger der Republik.“¹²⁷
Ein weiterer Vorzug zeichnete Meinecke – besonders für die Mitglieder unserer Untersuchungsgruppe – aus und trug durch deren Emigration zu seinem bis nach Amerika reichenden Status als positive Symbolfigur der deutschen Geschichtswissenschaft bei, als die er – nach weiteren Ehrungen – 1947 zum Ehrenmitglied der American Historical Association (AHA) gewählt wurde:¹²⁸ Er förderte weiter die Karrieren seiner Schüler jüdischer Herkunft – besonders wenn sie getauft waren –; auch dann noch, als andere Ordinarien ihnen zunehmend Steine in den Weg legten.¹²⁹ So erinnert sich auch Masur an die Meinecke damals naheste-
parteien nichts weiter verlangen, als daß sie einen aufrichtigen und klaren Vernunftfrieden mit der Republik schließen und ihre Agitation gegen sie vollständig einstellen.“ Friedrich Meinecke: Republik, Bürgertum, Jugend. Vortrag, gehalten im Demokratischen Studentenbund zu Berlin am 16. 1. 1925; in: Friedrich Meinecke: Politische Schriften und Reden, hg. von Georg Kotowski, 3. Auflage, Darmstadt 1968, S. 369 – 383, hier S. 377 (Friedrich Meinecke: Werke, Bd. 2). Schulin: Meinecke, S. 45. Gilbert: Lehrjahre, S. 79. Ritter: Meinecke, S. 108 f.; zur Bedeutung Meineckes und seiner Schüler für die Beziehungen zwischen deutscher und amerikanischer Geschichtswissenschaft vgl. ebenda, S. 105 – 111. Eakin-Thimme: Geschichte im Exil, S. 36: „Vermittelt durch seinen akademischen Lehrer [Meinecke] erhielt Masur ein Stipendium des Preußischen Kultusministeriums und trat zugleich dem Mitarbeiterstab der HZ bei. Auf diese Weise finanziell abgesichert, arbeitete er in den nächsten Jahren an seiner Habilitationsschrift. Er hatte sich Friedrich Julius Stahl als Thema gewählt, und als Aufgabe, die ‚erste große protestantische Staatstheorie aus konser-
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henden Studierenden, zu denen er außer den Genannten noch Margarete Friesecke, nicht aber Gilbert¹³⁰ zählt: „Die meisten waren Juden oder Halbjuden und die Meineckeschule hieß darum in der Zunft ‚die Judenschule‘. Es war ein Paradox, denn seinem Instinkt zufolge, war Meinecke keineswegs philosemitisch, aber er hatte sich damals zu einer großen Objektivität durchgerungen und ließ jeden Studenten gelten, wie er einmal war. Er war von erstaunlicher Toleranz in der Diskussion und nahm auch Einwürfe von Grünschnäbeln, wie ich es war, mit Verständnis auf.“¹³¹
Der fünfte Berliner Promovend, Fritz Epstein, gehörte auch zum Berliner Meinecke-Kreis,¹³² seine Dissertation wurde aber von dem Osteuropa-Historiker Karl Stählin betreut, der unter anderem bei Masurs Dissertation Korreferent war¹³³ und mit Meinecke und Hans Delbrück „die eher liberale Gruppe“¹³⁴ der Berliner Fakultät bildete.
vativem Lager‘ (Vorwort) zu rekonstruieren. Das Verfahren konnte allerdings aus personellen Gründen nicht wie vorgesehen in Breslau stattfinden. Der neu berufene Ordinarius Siegfried A. Kaehler, einer der ältesten ‚Schüler‘ Meineckes, weigerte sich (inoffiziell), einen Juden zu habilitieren. So entschied Meinecke gegen seinen Grundsatz, in diesem Fall nicht nur als Doktorsondern auch als Habilitationsvater zu fungieren. Diese Ausnahme machte er auch bei Dietrich Gerhard“. Vgl. Masur: Das ungewisse Herz, S. 107: „Im Jahre 1960 hat mir sein [Kaehlers] Schüler Walter Bussmann erzählt, daß ihm Kaehler selbst gestanden habe, er hätte keinen Juden habilitieren wollen!“ – Masurs Eltern hatten sich vor seiner Geburt taufen lassen. Vor dem Breslauer Habilitationsversuch war Masur trotz seiner „ausgesprochen nationalen Einstellung“ schon in Frankfurt am Main abgelehnt worden. Obwohl keine derartigen Berichte über Dietrich Gerhard vorliegen, ist davon auszugehen, dass seine Habilitation bei Meinecke 1931 auf derselben Problematik fußte, da auch er Protestant mit jüdischen Vorfahren war, vgl. Ritter: Meinecke, S. 42 – 45. Masur: Das ungewisse Herz, S. 86. Auf der auf die Aufzählung folgenden Seite erwähnt er aber Gilbert doch in diesem Zusammenhang. Ebenda; Zeichensetzung wie im Original; Masurs Erinnerungen weisen zahlreiche Druckfehler auf, die vielleicht einerseits auf Masurs mit der Zeit verringerte Routine im Verfassen deutscher Texte zurückzuführen sind, jedenfalls aber auf die problematische Veröffentlichung des deutschsprachigen Manuskripts in einem amerikanischen Verlag, drei Jahre nach dem Tod des Autors. Kein Verständnis für „ein derartig fehlerhaftes, streckenweise radebrechendes Buch“ kann etwa der Rezensent des Historischen Jahrbuchs aufbringen: Christoph von Maltzahn: Rezension zu Masur, Gerhard, Das ungewisse Herz. Berichte aus Berlin – über die Suche nach dem Freien, Holyoke (Massachusetts) 1978; in: Historisches Jahrbuch 104 (1984), S. 445. Vgl. Berg: Autobiographien, S. 198; ebenda, S. 187, zu dem Aspekt, dass Masurs Autobiographie „so gut wie unbeachtet“ blieb. Masur: Das ungewisse Herz, S. 86. Ebenda, S. 96; Masur schreibt „Stähelin“. Weber: Priester der Klio, S. 266.
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Lediglich Hermann Oncken, wie Meinecke ein Liberaler, wissenschaftlich der „Prototyp eines ‚politischen Historikers‘“,¹³⁵ konnte mit Felix Hirsch (1924 in Heidelberg) und George W. F. Hallgarten (1925 in München) noch mehr als einen Einzelnen aus der Untersuchungsgruppe promovieren, jeweils über ein politikgeschichtliches Thema aus dem 19. Jahrhundert.¹³⁶ Ebenfalls zu Meineckes persönlichem Umfeld ist der „Meineckefreund“¹³⁷ Erich Marcks zu zählen, von dem Carl Misch 1920 in München promoviert wurde. Meinecke, Oncken und Marcks können in der Weimarer Zeit zusammen mit Otto Hintze als Gravitationszentrum der deutschen Geschichtswissenschaft¹³⁸ und als Repräsentanten der „Berliner Schule“ angesehen werden.¹³⁹ Die Nationalsozialisten zählten diese Historiker (abgesehen von Marcks) später zur angeblich von Oncken geführten „alten liberalen Geheimrats-Klique“ und damit zu ihren historiographischen Hauptgegnern.¹⁴⁰ Alle Promotionen zur Geschichte der Neuzeit erfolgten in der Weimarer Zeit also bei Professoren in Meineckes Umfeld. Das muss man als sehr gute Voraussetzung für eine glänzende Anerkennung dieser Probanden in der Nachkriegsgeschichtswissenschaft und insbesondere für eine positive Rezeption in der von Meinecke und seinem Umfeld nachhaltig geprägten Historischen Zeitschrift ansehen. Inwiefern sich diese vorteilhafte Startposition auszahlte, diskutiere ich unten, besonders in den Abschnitten 4.2 und 7.2, mehrfach. Da Antisemitismus ein deutliches Promotionshindernis in der Geschichtswissenschaft der Weimarer Zeit war, ist es bezeichnend für den Fall Fritz Hei-
Klaus Schwabe: Hermann Oncken; in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Deutsche Historiker, Göttingen 1973, S. 189 – 205, hier S. 189. Oncken ist allerdings stärker nationalliberal einzuschätzen als Meinecke: Willi Oberkrome: Geistige Leibgardisten und völkische Neuordner. Varianten der Berliner universitären Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus; in: Rüdiger vom Bruch (Hg.): Die Berliner Universität in der NS-Zeit, Band 2: Fachbereiche und Fakultäten, Stuttgart 2005, S. 123 – 132, hier S. 124. Hallgarten wurde bei seiner Promotion allerdings nicht von seinem formalen Doktorvater, sondern von Karl Alexander von Müller beraten, „der sich später […] mit der Hitler-Bewegung viel zu sehr einließ“. Hallgarten: Als die Schatten fielen, S. 134. Von Müller ermöglichte Hallgarten in seiner Dissertation (gegen Onckens Willen) eine Ausrichtung, die dieser im Nachhinein als „ziemlich revolutionär“ empfand, da er „die Außenpolitik als eine Funktion der Innenpolitik aus[legte], während damals das Umgekehrte Mode war.“ – „Bei Müller wurde mir das gestattet, und das rechnete ich ihm hoch an“. Ebenda, S. 136. Weber: Priester der Klio, S. 266. Vgl. unten, Abschnitt 5.2.3 ab S. 383. Vgl. Wolfgang Hardtwig: Deutsche Geschichtskultur im 19. und 20. Jahrhundert, München 2013, S. 99. Ebenda; vgl. Helmut Heiber: Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands, Stuttgart 1966, S. 212.
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chelheim als des einzigen Promovenden dieser Phase außerhalb von Meineckes Umkreis, dass seine Betreuung von einem Professor übernommen wurde, der selbst jüdischer Abstammung war: Der Althistoriker Richard Albrecht Laqueur promovierte Fritz Heichelheim 1925 in Gießen. Laqueur, „Frontkämpfer“ des Ersten Weltkrieges, wurde 1935 wegen seiner jüdischen Abstammung entlassen und emigrierte 1939 in die USA.¹⁴¹ Das Antisemitismusproblem bestand auch für die Rechtshistoriker Rosenstock-Huessy und Kisch, die als erste Promovenden der Untersuchungsgruppe ihr Studium bereits vor dem Ersten Weltkrieg abgeschlossen hatten: Rosenstock-Huessy war mit seiner juristischen Dissertation von 1909/10 Schüler der Rechtshistoriker Richard Schröder¹⁴² und Otto von Gierke,¹⁴³ die beide ausdrücklich nicht antisemitisch waren.¹⁴⁴ Bei Kisch waren sowohl der Betreuer der Promotion, Adolf Zycha,¹⁴⁵ als auch derjenige der Habilitation, Adolf Wach,¹⁴⁶ mit Frauen aus jüdischen Familien verheiratet.
Epstein: Catalog, S. 182– 185. Laqueur (1881– 1959) war ausgesprochen deutschnational, „Frontoffizier, Teilnehmer der Ruhrkämpfe, Mitglied der DVP.“ Nach der Entlassung wurde ihm „sogar der Besuch der Universitätsbibliothek verboten.“ Karen Schönwälder: Historiker und Politik. Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main/New York 1992, S. 68 und S. 304, Anmerkung 17. Seine Karriere ist ein Beispiel für eine Emigration, auf die nicht einmal ansatzweise eine „Erfolgsgeschichte“ folgte, weshalb sie hier exemplarisch nach Epstein: Catalog, S. 182 f., zu skizzieren ist: 1935 – 1939 blieb er als Privatgelehrter in Halle. In den USA konnte er keine wissenschaftliche Anstellung finden. „For a time, worked as a packager in a bookstore in San Francisco. Did private research in the Folger Shakespeare Library in Washington, DC.“ Die Remigration nach Hamburg 1952 dürfte ihm daher nicht schwer gefallen sein. Doch auch dort blieb er auf ein Privatgelehrtendasein beschränkt. Erst 1959 ernannte ihn die Universität Hamburg zum Honorarprofessor für Alte Geschichte. Siegfried Rietschel: Rezension zu Eugen Rosenstock, Herzogsgewalt und Friedensschutz. Deutsche Provinzialversammlungen des 9. bis 12. Jahrhunderts, Breslau 1910; in: HZ 108 (1912), S. 121– 124, hier S. 124. Rosenstock-Huessy: Autobiographische Fragmente, S. 120. Otto von Gierke war verheiratet mit Lili Loening, Tochter des vom Judentum zum Protestantismus konvertierten Verlegers Karl Friedrich Loening. Karl S. Bader: Gierke, Otto Friedrich von; in: NDB 6, Berlin 1964, S. 374 f. Der gemeinsame Sohn Julius von Gierke wurde daher trotz ausgesprochen deutschnationaler bis nationalsozialistischer Haltung 1938 vorzeitig emeritiert, siehe Anikó Szabó: Vertreibung, Rückkehr, Wiedergutmachung. Göttinger Hochschullehrer im Schatten des Nationalsozialismus, Göttingen [2000], S. 147– 149. Gierkes Freund und Schulkollege Richard Schröder wird hingegen ausgesprochene religiöse Toleranz attestiert von Konrad Beyerle: Schröder, Richard Karl Heinrich; in: Deutsches Biographisches Jahrbuch. Überleitungsband II: 1917– 1920, Stuttgart/Berlin/Leipzig 1928, S. 138 – 147, hier S. 140. Zycha ist wohl nicht Kischs Doktorvater im strengen Sinne, da er nach einem damals in Prag üblichen Modus promoviert wurde, der „strenge Rigorosen“ zur Promotionsbedingung machte und auf Dissertationen verzichtete. Kisch: Erinnerungen, S. 48. Kisch nennt in diesem Zusammenhang „Prof. Zycha“ und den „Dekan Heinrich Singer“, die für seine Promotion zuständig
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Die später promovierten Mitglieder der beiden jüngeren Generationsgruppen suchten ihre Doktorväter in Amerika:¹⁴⁷ William L. Langer betreute von Klemperer.¹⁴⁸ Langer, berühmter Diplomatie-Historiker in Harvard, 1896 in Boston als Kind deutscher Einwanderer geboren, war im Zweiten Weltkrieg Leiter der Abteilung „Research and Analysis“ des US-Geheimdiensts Office of Strategic Services (OSS), in der neben seinem „Special Assistant“ Hajo Holborn auch Felix Gilbert und Fritz Epstein tätig waren.¹⁴⁹ Klaus Epstein wurde bis 1953 von David Owen in Harvard betreut, Stern bis zum selben Jahr an der Columbia University von Jacques Barzun,¹⁵⁰ dem 1907 in Frankreich geborenen Pionier der Kulturgeschichtsschreibung in Amerika. Der Doktorvater von Manfred Jonas schließlich
waren, vgl. oben, Anmerkung 102 auf S. 95 f. Die Abstammung von Zychas Ehefrau Paula führte möglicherweise zu seiner Absetzung als Rektor in Bonn 1933, vgl. Wiederhold: Adolf Zycha, S. 613 f., und zu ihrem Untertauchen vor der Gestapo 1944, siehe Peter Gruhne: Otto Eger: „Herzensguter Mensch“, Mitläufer oder „Nazi“? Zur Kontroverse um den Gießener Juristen; in: Gießener Universitätsblätter 43 (2010), S. 25 – 36. Über die Habilitationsphase, in der er sich als Assistent eng an Wach anlehnte, berichet Kisch: Erinnerungen, S. 51– 53 und S. 59 – 62. Ebenda, S. 53, gibt er auch ein Gespräch mit Wach über Antisemitismus und Habilitationschancen wieder: „[I]ch […] entgegnete: ‚Wissen Exzellenz, daß ich Jude bin?‘ Wach erwiderte: ‚Ich bin kein Antisemit. Mein Schwiegervater (das war Felix Mendelssohn-Bartholdy) war auch jüdischer Abkunft‘.“ Vgl. Unger: Adolf Wach, v. a. S. 29 f. und S. 49 f.; Wach war nicht nur mit Fanny Henriette Elisabeth Mendelssohn Bartholdy, genannt Lili, verheiratet, dem jüngsten Kind des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy (von Kisch fälschlich mit Bindestrich geschrieben, vgl. ebenda, S. 29, Anmerkung 43), sondern auch lange mit ihrem ältesten Bruder Karl befreundet, vgl. ebenda, S. 353 f. Noch 50 Jahre nach Wachs Tod betonte Kisch seine Stellung als dessen letzter lebender Assistent und seine Verehrung für den akademischen Lehrer: Guido Kisch: Adolf Wach zum Gedenken; in: Juristenzeitung 31 (1976), Nr. 7, S. 207 f. Wie erwähnt blieb der Betreuer von Laues, des ersten in den USA Promovierten, unermittelt. Klemperer: Voyage, S. 70 f. Vgl. Ritter: Meinecke, S. 51; Barry M. Katz: German Historians in the Office of Strategic Services; in: Hartmut Lehmann/James J. Sheehan (Hg.): An Interrupted Past. German-Speaking Refugee Historians in the United States after 1933, Washington, D. C. u. a. 1991, S. 136 – 139, v. a. S. 136 f.; William P. Bundy/John C. Campbell/Richard P. Stebbins: William Leonard Langer, 1896 – 1977; in: Foreign Affairs 56 (1978), Heft 3 (April), S. 473 – 475; außerdem: John K. Fairbank u. a.: William L. Langer: Historian of Diplomacy. 1896 – 1977; in: Notable American Unitarians, 7. September 2006; URL: http://www.harvardsquarelibrary.org/unitarians/langer.html (zuletzt abgerufen am 30. Dezember 2013, Archiv-URL: http://web.archive.org/web/20131230233141/http:// www.harvardsquarelibrary.org/unitarians/langer.html). Vgl. zum OSS unter Langer auch die Schilderung des „war effort“ unten ab S. 132. E-Mail Fritz Stern an Matthias Krämer, 26. Oktober 2007; vgl. Stern: German History in America, S. 143, wo er seine akademische Abstammung über Barzun und Carlton J. H. Hayes bis auf den mit Meinecke etwa gleichaltrigen James Harvey Robinson zurückführt.
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war Arthur M. Schlesinger Jr. ,¹⁵¹ Spezialist für die politische Zeitgeschichte der USA in Harvard. Im Zweiten Weltkrieg hatte Schlesinger für das OSS in London zeitweilig mit Felix Gilbert zusammengearbeitet,¹⁵² und in der Nachkriegszeit wurde er als zweifacher Pulitzer-Preisträger und Politik-Berater weithin bekannt.¹⁵³ Die engen Beziehungen zwischen den jüngeren Emigranten, ihren Promotionsbetreuern und den älteren Emigranten weisen bereits auf die Vernetzung hin, die zwischen den emigrierten Historikern und ihren amerikanischen Kollegen bis 1945 entstanden war, und deren Auswirkungen auf die in Abschnitt 2.4.2 analysierten Karrieren in der Emigration nicht zu unterschätzen ist.
2.3.4 Schultradition Als mindestens ebenso wichtig wie solche synchronen Netzwerke können die diachronen Verbindungen gelten, die als Schulzugehörigkeiten und Traditionslinien Aufschluss über die wissenschaftlichen Prägungen von Historikern und die oftmals unausgesprochenen Prämissen ihrer Arbeit versprechen. Die in Deutschland promovierten Probanden lassen sich dank der umfassenden Untersuchung Wolfgang Webers¹⁵⁴ in einen solchen „Stammbaum“ akademischer Lehrer-Schüler-Verhältnisse einordnen, als deren wichtigster Indikator regelmäßig die Angabe des Doktorvaters gilt.¹⁵⁵ Ziel dieser Analyse ist die Ermittlung eines
E-Mail Manfred Jonas an Matthias Krämer, 26. September 2007. Gilbert: Lehrjahre, S. 196. Alan Brinkley: Arthur M. Schlesinger Jr.; in: Perspectives Online 45, Nr. 5, Mai 2007; URL: http://www.historians.org/Perspectives/issues/2007/0705/0705mem3.cfm (zuletzt abgerufen am 14. April 2013; Archiv-URL: http://web.archive.org/web/20130414053926/http:/www.historians. org/perspectives/issues/2007/0705/0705mem3.cfm). Als Sonderberater von John F. Kennedy, dessen „special assistant in the White House“, ließ er sich Anfang der 1960er Jahre von Fritz Stern beraten. Stern berichtet über seine damals häufiger werdende Veranlassung, „über europäische Angelegenheiten zu schreiben und zu sprechen“, in deren Rahmen er mit Schlesinger in Kontakt kam. Stern: Erinnerungen, S. 296. Den Inhalt des Berichts über Ostdeutschland, den er für Schlesinger schrieb, referiert er ebenda, S. 421. Die Untersuchung der Schüler-Lehrer-Beziehungen seiner 702 Geschichts-Professoren umfasst bei Weber mit Anmerkungen über 180 Seiten: Weber: Priester der Klio, S. 189 – 318 und S. 430 – 485.Vgl. dort auch zu methodischen Aspekten. Zur Vereinfachung der Orientierung in den schulischen und zwischenschulischen Verknüpfungen erscheint es sinnvoll, in diesem Abschnitt die Geburts- und Sterbejahre der erwähnten Personen bei erster Nennung anzugeben. Die angegebenen Daten stammen, wenn nicht anders angegeben, aus der ADB oder der NDB. Vgl. Weber: Priester der Klio, S. 189: „Ein Lehrer-Schüler-Verhältnis wird damit ‚herkömmlicherweise … (durch) die Betreuung einer wissenschaftlichen Erstlingsarbeit … begründet‘.“ Zitat im Zitat von Karl Schmid; Auslassungen und Einfügungen von Wolfgang Weber. Vgl. dazu auch
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zentralen Aspekts der sozialen Ausgangsposition der Probanden in der deutschsprachigen Historikerzunft, die ich später zur Erklärung ihrer weiteren Karriereverläufe und Nachkriegs-Rezeption heranziehen werde.
Abbildung 2: Schultraditionen
In der vorstehenden Grafik finden verschiedene Aspekte akademischer Zugehörigkeit ihren Ausdruck.¹⁵⁶ Rote Kreise (nodes) markieren die 16 Probanden
Reinhold Bichler: Neuorientierung der Alten Geschichte?; in: Ernst Schulin (Hg.): Deutsche Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg (1945 – 1965), München 1989, S. 63 – 86, hier S. 72. Das andere entscheidende Merkmal für Schulbildungen, die Unterstützung des Lehrers bei Berufungen, kam wegen der Emigration bei der Untersuchungsgruppe in der Regel nicht zum Tragen. Durch die Untersuchung der Berufungsumstände für den jeweils ersten Lehrstuhl und ähnliche Informationen kann Weber einige Fälle aufzeigen, in denen einzelne Historiker ein von ihrem Doktorvater abweichende Prägung erfuhren und sich anderen Schulen anschlossen, was man Adoptivschülerschaft nennen kann. Abbildung 2 habe ich mit dem Programm Gephi in der Version 0.8.2 erstellt, das zur Visualisierung sozialer Netzwerkanalysen konzipiert wurde, vgl. Mathieu Bastian/Sebastien Heymann/Mathieu Jacomy: Gephi: An Open Source Software for Exploring and Manipulating Networks; in: Proceedings of the Third International AAAI Conference on Weblogs and Social Media, Menlo Park 2009, S. 361 f. Zu den auch in Gephi genutzten englischen Fachbegriffen der Netzwerkanalyse siehe das Glossar in Mark Trappmann/Hans J. Hummell/Wolfgang Sodeur: Strukturanalyse sozialer Netzwerke. Konzepte, Modelle, Methoden, 2. Auflage,Wiesbaden 2011, S. 251– 267. Anders als in typischen sozialen Netzwerken repräsentiert das hier skizzierte Schulnetzwerk nicht direkt „Vertrauen“ als interaktionsgenerierte Ressource, vgl. Martin Stark: Netzwerke in den
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dieser Arbeit, dunkelblaue deren Doktorväter. Die akademische Abstammung wird durch Pfeile (edges) vom Lehrer zum Schüler dargestellt, wobei dünnere Pfeile eine Verbindung anzeigen, die nicht durch Betreuung der Doktorarbeit hergestellt wurde. Die Größe der nodes repräsentiert die Anzahl der Verbindungslinien und damit die Wichtigkeit oder Zentralität (degree centrality) im betrachteten Netzwerk: Die Umgebung Meineckes und ihre akademischen Vorfahren sind erkennbar stark vernetzt. Randständig sind dagegen der althistorische Strang der Hermann-Schule (rechts) und die beiden rechtshistorischen Traditionslinien (links), die auch untereinander nicht durch Promotionsbetreuungen verwoben sind. Den jüngeren Probanden (unten) fehlt durch ihre Promotion in den USA die Verbindung mit den deutschen Schultraditionen. Zuerst ist wegen ihrer zentralen Position nochmals auf die Meinecke-Schule einzugehen.¹⁵⁷ Friedrich Meinecke (1862– 1954) steht im Schnittpunkt der be-
Geschichtswissenschaften; in: Curt Wolfgang Hergenröder (Hg.): Gläubiger, Schuldner, Arme. Netzwerke und die Rolle des Vertrauens, Wiesbaden 2010, S. 187– 190, sowie Christoph Boyer: Netzwerke und Geschichte. Netzwerktheorien und Geschichtswissenschaften; in: Berthold Unfried/Jürgen Mittag/Marcel van der Linden (Hg.): Transnationale Netzwerke im 20. Jahrhundert. Historische Erkundungen zu Ideen und Praktiken, Individuen und Organisationen, Wien 2008, S. 47– 58, hier S. 50. Allerdings ist Soziales Kapital, womit „Vertrauen“ oft in soziologische Fachterminologie übersetzt wird (etwa ebenda, S. 52), offensichtlich in Schulnetzwerken besonders wirksam, und zwar ergänzt und stabilisiert um Kulturelles Kapital. Zu diesen Kapitalbegriffen Pierre Bourdieus siehe unten, Abschnitt 6.2 ab S. 404. Bislang überwiegend in der Wirtschaftsgeschichte eingesetzt, zeigt sich hier auch für Schulnetzwerke das Potential netzwerkanalytischer Ansätze als ein „sinnvolles Instrument, um individuelle Akteure aus der Eindimensionalität personenzentrierter Erzählstränge zu befreien und sie in ihr strukturelles Umfeld einzubetten“, wie Morten Reitmayer/Christian Marx: Netzwerkansätze in der Geschichtswissenschaft; in: Christian Stegbauer/Roger Häußling (Hg.): Handbuch Netzwerkforschung, Wiesbaden 2010, S. 869 – 880, hier S. 876, resümieren. Ritter: Meinecke, S. 7, behauptet, dass Meinecke „nie eine Schule im engeren Sinne bildete“, ohne freilich die Bedeutung von „Schule im engeren Sinne“ zu erläutern. Ritter bezieht sich aber ebenda, S. 29, auf Felix Gilbert: Friedrich Meinecke; in: Felix Gilbert: History. Choice and Commitment, Cambridge (Massachusetts)/London 1977, S. 67– 87, hier S. 87: „Meinecke was […] a great teacher because he urged his students to find their own way, the way most appropriate to their personality. But it is an error to assume, as has frequently been done, that Meinecke founded a school of historians of ideas. Actually his students have worked in the most varied areas of history: political, social, institutional, intellectual.“ Ritter geht offenbar von diesem Zitat über zu der Aussage, dass hier ein „Verzicht auf Schulbildung im engeren Sinne“ vorliege. Gilberts Aussage war jedoch lediglich, dass Meinecke keine ideengeschichtliche Schule begründet habe. Dieses Charakteristikum in die Definition von „Schule im engeren Sinne“ aufzunehmen, erscheint übertrieben. In dieser Arbeit kann der Begriff der Meinecke-Schule jedenfalls verwendet werden, ohne eine spezifischere Bedeutung zu haben als die, dass Meineckes Doktoranden von ihrem Lehrer, zu dem sie den Kontakt meist über lange Zeit aufrecht erhielten, wissenschaftlich be-
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deutendsten Traditionslinien der deutschen Geschichtswissenschaft: Die Nachfolger Leopold von Rankes (1795 – 1886) stellen mit 306 Personen 57 % der in Deutschland zwischen 1800 und 1970 tätigen Geschichts-Ordinarien. Johann Gustav Droysens (1808 – 1884) Schule erreicht mit 48 Professoren immerhin noch einen Anteil von 9 %.¹⁵⁸ Meinecke vereint als Schüler Reinhold Kosers (1852– 1914) in sich den Hintergrund beider Hauptrichtungen, da Koser ein Schüler sowohl von Johann Gustav Droysen als auch von dessen rankeanisch ausgebildetem Sohn Gustav Droysen (1838 – 1908) war.¹⁵⁹ Über die Linie von Rankes „Starschüler“ Georg Waitz (1813 – 1886)¹⁶⁰ war Meinecke dieser Hauptströmung also bereits verbunden, bevor er sich über den Rankeschüler Heinrich von Sybel (1817– 1895) noch stärker mit der Rankeschule verband: „Durch den mit Koser befreundeten Sybel wurde er [Meinecke] 1893 anstelle des Renegaten [Max] Lehmann in die Redaktion der HZ berufen. 1901 trat er die Nachfolge des Sybelschülers (!)Varrentrapp in Straßburg an, fünf Jahre später holte ihn sein väterlicher Freund Georg von Below nach Freiburg. Der Wechsel nach Berlin schließlich (1914) erfolgte auf Initiative von Meineckes ehemaligem Kollegen und Freund Erich Marcks.“¹⁶¹
Der Meinecke-Freund Erich Marcks (1861– 1938),¹⁶² der bis 1920 die Promotion Carl Mischs in München betreute, entstammte eigentlich einer auf Friedrich Christoph Schlosser (1776 – 1861) zurückgehenden Nebenlinie in der deutschen
einflusst wurden, obwohl – oder gerade weil – er ihnen die Gelegenheit gab, eigene Wege zu gehen. Weber: Priester der Klio, S. 208 f. Der althistorischen Schule Theodor Mommsens (1817– 1903), der rund 11 % aller Ordinarien in Deutschland entstammen und die damit „im Teilbereich Alte Geschichte […] geradezu eine monopolartige Stellung besitzt“, ist keiner unserer Historiker zuzuordnen. Weber: Priester der Klio, S. 264 f.: „Gustav Droysen, der Sohn des Schulhauptes, steht nach seiner wissenschaftlichen Ausbildung im Schnittpunkt der Schule seines Vaters und derjenigen von G.[eorg] Waitz. […] Sein Werk ist im Gegensatz zu demjenigen von G. Waitz und in Übereinstimmung mit dem ersten Interessenschwerpunkt seines Vaters der Neuzeit gewidmet. Reinhold Koser, ein brandenburgischer Pfarrersohn [sic], studierte zwar beim alten, promovierte aber beim jungen Droysen.“ Weber: Priester der Klio, S. 222. Weber: Priester der Klio, S. 266. Lebensdaten: Max Lehmann (1845 – 1929), Conrad Varrentrapp (1844– 1911), Georg von Below (1858 – 1927). Erich Marcks war „nach Meinecke der führende Historiker in Berlin und der offizielle Biograph Bismarcks. Wenn Meinecke linksgerichtete Studenten anzog, so gehörten Marcks’ Schüler vor allem der Rechten an“, erinnert sich Felix Gilbert. Er fügt hinzu, dass Marcks aber auch einige linksorientierte Studenten aufgrund ihrer Fähigkeiten schätzte. Gilbert: Lehrjahre, S. 121 f. Ritter urteilt, dass „der konservative Marcks ein Gegner der Weimarer Republik“ war. Ritter: Meinecke, S. 138, Fußnote 39.
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Historikerzunft, die sich über Ludwig Häusser (1818 – 1867) und Hermann Baumgarten (1825 – 1893) bis zu Marcks erstreckte. Er orientierte sich aber später zur neorankeanischen Schule seines Freundes Max Lenz (1850 – 1932), der bei von Sybel und dem Droysen-Schüler Bernhard Erdmannsdörffer (1833 – 1901) studiert hatte.¹⁶³ Der älteste der sechs Schüler von Marcks war Karl Stählin (1865 – 1939),¹⁶⁴ Meinecke-Schützling und 1924 Doktorvater Fritz Epsteins.¹⁶⁵ Zur Schule des Marcks-Freundes Max Lenz gehörte ebenfalls dessen Promotions- und Habilitationsschüler Hermann Oncken (1869 – 1945), „der dreimal die Nachfolge von Erich Marcks übernahm.“¹⁶⁶ Oncken, der 1924 Felix Hirsch und 1925 Wolfgang Hallgarten promovierte, war politisch zunächst der nationalliberalen Bewegung um Friedrich Naumann verbunden und wurde in der Weimarer Zeit wie Meinecke „Vernunftrepublikaner“,¹⁶⁷ wenn auch Hallgarten mit seiner „revolutionär“ anmutenden Dissertation in scharfen Konflikt mit ihm geriet.¹⁶⁸ Hallgartens zweiter Lehrer, Karl Alexander von Müller (1882– 1964), der nicht die formale Betreuung innehatte, aber von Hallgarten „die geistige Patenschaft für die große Arbeit zuerkannt“ bekam,¹⁶⁹ war Schüler der Ranke-Enkel Hermann von Grauert (1850 – 1924) und Sigmund von Riezler (1843 – 1927).¹⁷⁰ Bemerkenswert erscheint aber besonders, dass von Müller nicht – wie die bisher behandelten Professoren Marcks, Stählin und Oncken – in enger Verbindung mit Meinecke wirkte, sondern diesen 1935 als Herausgeber der HZ ersetzte, nachdem Meinecke
Weber: Priester der Klio, S. 227 und S. 253. Zu seinen Lebensdaten vgl. Weber: Biographisches Lexikon. „Stählin übernahm 1914 auf Anraten seines Lehrers und dessen Freundes Friedrich Meinecke, die ihrerseits ihren Freund Walter Goetz in Straßburg entsprechend berieten, die Nachfolge des Kollegen seines Lehrers aus der Baumgartenschule Wilhelm Wiegand in Straßburg. 6 Jahre später, nach dem Verlust der Straßburger Universität, wurde er, erneut auf Initiative insbesondere Fr. Meineckes, nach Berlin berufen: auf den Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte, obwohl sich Stählin mit diesem Bereich historischer Forschung bislang nur ganz am Rande beschäftigt hatte.“ Weber: Priester der Klio, S. 254. Lebensdaten: Walter Goetz (1867– 1958),Wilhelm Wiegand (1851– 1915). Für Wiegands Lebensdaten vgl.Weber: Biographisches Lexikon. – Seit dem Ruf nach Berlin war Stählin regelmäßiges Mitglied von Meineckes „Spaziergang“, einem 1915 – 1943 üblicherweise alle vierzehn Tage stattfindenden politischen Gesprächskreis republikfreundlicher Hochschullehrer um Meinecke. Herbert Döring: Der Weimarer Kreis. Studien zum politischen Bewußtsein verfassungstreuer Hochschullehrer in der Weimarer Republik, Meisenheim am Glan 1975, S. 70 – 72. Weber: Priester der Klio, S. 235 und S. 254. Schwabe: Oncken, S. 195 f. Von Hallgarten geschildert in: Hallgarten: Als die Schatten fielen, S. 136 – 139. Ebenda, S. 136, vgl. auch ebenda, S. 123 f., S. 129 f., S. 134 und S. 137– 139. Von Grauert entstammte der Waitz-Schule; von Riezler hatte bei Wilhelm von Giesebrecht (1814– 1889) studiert.
2.3 Ausbildung
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Oncken gegen die Angriffe des nationalsozialistischen Oncken- und von-MüllerSchülers Walter Frank (1869 – 1969) verteidigt hatte.¹⁷¹ Richard Albrecht Laqueur (1881– 1959),¹⁷² der Gießener Lehrer des Althistorikers Fritz Heichelheim, blickte hingegen weder auf die in der Alten Geschichte beherrschende Mommsenschule¹⁷³ zurück, noch auf die großen Schulen Rankes und Droysens, die ja auch Althistoriker hervorbrachten. Der Leipziger Altphilologe Gottfried Hermann (1772 – 1848), in dessen Tradition sich die Lehrer Laqueurs einreihen, war aber auch Lehrer Rankes,¹⁷⁴ zudem waren die „Hermannianer“ zutiefst zerstritten mit August Boeckh (1785 – 1867) und seinen Schülern, darunter Droysen.¹⁷⁵ Aber mit dem Klassischen Philologen Friedrich Wilhelm Ritschl (1806 – 1876)¹⁷⁶ und seinem Schüler Otto Ribbeck (1827– 1898)¹⁷⁷ setzte sich zunächst jenseits der Fachgrenzen der Geschichtswissenschaft eine andere Tradition der Hermann-Schule fort. Erst mit dem Ribbeck-Schüler Alfred von Gutschmid (1831– 1887)¹⁷⁸ trat diese Richtung von
Ritter: Meinecke, S. 26. Vgl. ausführlich zum Herausgeberwechsel Gerhard A. Ritter: Die Verdrängung von Friedrich Meinecke als Herausgeber der Historischen Zeitschrift 1933 – 1935; in: Dieter Hein/Klaus Hildebrand/Andreas Schulz (Hg.): Historie und Leben. Der Historiker als Wissenschaftler und Zeitgenosse. Festschrift für Lothar Gall zum 70. Geburtstag, München 2006, S. 65 – 88; Wiggershaus-Müller: Nationalsozialismus und Geschichtswissenschaft, S. 57– 65. Demnach entschied sich Meineckes Ausscheiden durch das Scheitern der Verhandlungen über die Aufnahme des Althistorikers und NSDAP-Mitglieds Helmut Berve in die HZ-Redaktion. Für das letzte von Meinecke zusammengestellte Heft 3 von Band 152 (1935) zeichnete Walther Kienast als Herausgeber, nachdem Meinecke darauf bestanden hatte, zur öffentlichen Rehabilitierung Onckens dessen Rede über „Wandlungen des Geschichtsbildes in revolutionären Epochen“ abzudrucken. Kienast versicherte Meinecke im selben Brief, in dem er ihm seine Beauftragung mit der kommissarischen Herausgabe des genannten Hefts mitteilte, dass er versuchen wollte, die „NichtArier“ Dietrich Gerhard, Gerhard Masur und Hans Rothfels in der Zeitschrift zu halten. Brief vom 9. Juli 1935, zitiert ebenda, S. 63 – 65. Zu Laqueurs Emigration siehe oben, Anmerkung 141 auf S. 106. Vgl. oben, Anmerkung 158 auf S. 111. Weber: Priester der Klio, S. 214. Ebenda, S. 284. Zum „Streit zwischen den ‚Hermannianern‘“ (ebenda, S. 214) und den um Boeckh versammelten übrigen Philologen, dessen „Ursprung auf die Verschiedenheit der Auffassung der Aufgabe und des Zieles der Philologie und des richtigen Weges zur Erreichung desselben zurückzuführen ist“, vgl. Conrad Bursian: Hermann, Johann Gottfried Jakob; in: ADB 12, Leipzig 1880, S. 174– 180, hier S. 175; vgl. auch Karl Bernhard Stark: Böckh, August; in: ADB 2, Leipzig 1875, S. 770 – 783, hier S. 778 f. Friedrich Wilhelm Graf: Ritschl, Friedrich Wilhelm; in: NDB 21, Berlin 2003, S. 652– 653. Georg Müller: Ribbeck, Otto; in: ADB 53, Leipzig 1907, S. 329 – 340, hier S. 330. Von Gutschmid studierte außerdem bei zwei weiteren Philologen und Schülern Gottfried Hermanns: Moriz Haupt (1808 – 1874) und Otto Jahn (1813 – 1869). Vgl. dazu Wilhelm Scherer: Haupt, Moritz; in: ADB 11, Leipzig 1880, S. 72– 80, hier S. 73 (mit unüblicher Schreibung des
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der Philologie zur Geschichtswissenschaft über, obwohl zwei von Gutschmids Ordinariaten mit der Denomination „Klassische Philologie und Alte Geschichte“ noch eine Zwischenstellung einnahmen.¹⁷⁹ Karl Johannes Neumann (1857– 1917) war der vierte von sechs zu Geschichts-Ordinarien aufgestiegenen GutschmidSchülern und wurde auf dem Straßburger Lehrstuhl für Alte Geschichte zum Lehrer Richard Albrecht Laqueurs.¹⁸⁰ Heichelheim, der einzige Althistoriker der Untersuchungsgruppe, setzt damit eine ebenso vom neuzeitgeschichtlichen Mainstream und dem zugehörigen Lehrer-Kreis um Meinecke getrennte Schultradition fort wie die mediävistischen Rechtshistoriker Eugen Rosenstock-Huessy und Guido Kisch. Rosenstock-Huessys Ahnenlinie geht auf Carl Gustav Homeyer (1795 – 1874)¹⁸¹ und vor allem Georg Beseler (1809 – 1888)¹⁸² zurück, bei denen sowohl Rosenstock-Huessys Promotionsbetreuer Richard Schröder (1838 – 1917)¹⁸³ als auch dessen Freund Otto von Gierke (1841– 1921)¹⁸⁴ ihre Ausbildung erhalten hatten. Guido Kischs Betreuer in der Promotionsphase, Adolf Zycha, entstammt der von Heinrich Siegel (1830 – 1899) begründeten deutschrechtlichen Schule Wiens,¹⁸⁵ Kisch selbst betonte jedoch besonders seine in der Habilitationsphase entstandene Schülerschaft zum Leipziger Zivilprozessrechtler Adolf Wach (1843 – 1926), dessen Habilitationsthema Kisch in seiner eigenen Arbeit aufgriff.¹⁸⁶ Wach hatte sich am engsten an seinen Königsberger Lehrer Friedrich Daniel Sanio (1800 – 1882) angeschlossen, der ihm 1868 auch zu seinem ersten Lehrstuhl in Königsberg verhalf, und dessen
Vornamens); Adolf Michaelis: Jahn, Otto; in: ADB 13, Leipzig 1881, S. 668 – 686, hier S. 668; Weber: Biographisches Lexikon, und Weber: Priester der Klio, S. 201 und S. 285. Vgl. Weber: Biographisches Lexikon. Weber: Priester der Klio, S. 285; vgl. Weber: Biographisches Lexikon, und Epstein: Catalog, S. 182– 185. Gertrud Schubart-Fikentscher: Homeyer, Carl Gustav, in: NDB 9, Berlin 1972, S. 589 f. Dietrich Lang-Hinrichsen: Beseler, Georg Karl Christoph; in: NDB 2, Berlin 1955, S. 174 f. Beyerle: Schröder, Richard, S. 138 f. Vgl. Bader: Gierke, Otto Friedrich von (NDB); Andreas Fijal: Artikel Gierke, Otto von; in: DBE 3, München 1996. Der aus Wien stammende Zycha wurde dort 1895 promoviert. Hermann Conrad: Adolf Zycha †; in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 67 (1950), S. 502– 512, hier S. 503.Vgl. zum Schulbegründer Arnold Luschin von Ebengreuth: Heinrich Siegel. 1830 – 1899. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 20 (1899), S. VII–XI; Stephan Dusil: Siegel, Heinrich Joseph; in: NDB 24, Berlin 2010, S. 338 f. Über seine Habilitation bei Adolf Wach vgl. Kisch: Erinnerungen, S. 51– 53 und S. 59 – 62. Seine Schülerschaft betonte er nochmals in Kisch: Adolf Wach zum Gedenken, S. 207.
2.3 Ausbildung
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Schule über Eduard Dirksen (1790 – 1868) bis auf die historische Rechtsschule Friedrich Carl von Savignys (1779 – 1861) zurückgeht.¹⁸⁷ Die Untersuchung der Traditionen, in denen die amerikanischen Dissertationsbetreuer stehen, würde hier zu weit führen, zumal keine Voruntersuchungen in der Art von Webers aufwändiger Studie vorliegen.¹⁸⁸ Festzuhalten bleibt, dass die acht Promotionen zur europäischen Geschichte der Neuzeit, die in Deutschland stattfanden, allesamt bei einer mit Friedrich Meinecke verbundenen Gruppe bedeutender Historiker durchgeführt wurden, deren akademische Herkunft jeweils sowohl bis zu Leopold von Ranke als auch zu Johann Gustav Droysen zurückverfolgt werden kann. Zudem sind an ihnen allen liberale Tendenzen erkennbar, ob politisch wie bei Meinecke, Oncken und Stählin, oder bloß im Umgang mit Studenten, wie bei Marcks.¹⁸⁹ Zusammenhang und Zusammenhalt der Schüler-Lehrer-Bindung brachen in der Emigration ab.¹⁹⁰ In der Nachkriegszeit konnten sie im Fall der Meinecke-Schüler teilweise wiederbelebt werden,¹⁹¹ doch überwiegend waren die Doktorväter bis 1945 bereits gestorben. Dennoch kann die Schulzugehörigkeit als Faktor für eine positive Rezeption der emigrierten Historiker in der Nachkriegszeit angesehen werden, da der in einer akademischen Schule gepflegte „Denkstil“¹⁹² auch eine Verständnisebene zwischen Kollegen Unger: Adolf Wach, S. 32– 41. Vgl. Karl Güterbock: Sanio, Friedrich Daniel; in: ADB 53, Leipzig 1907, S. 708 f.; Theodor Muther: Dirksen, Heinrich Eduard; in: ADB 5, Leipzig 1877, S. 253 f.; Manfred Fuhrmann: Dirksen, Heinrich Eduard; in: NDB 3, Berlin 1957, S. 740 f.; Dieter Nörr: Savigny, Friedrich Carl von; in: NDB 22, Berlin 2005, S. 470 – 473. Zu Vernetzungen zwischen den amerikanischen Doktorvätern und den deutschen Schultraditionen entstammenden Probanden siehe unten, Abschnitt 2.4.2 ab S. 122. Zu Marcks Liberalität vgl. Gilbert: Lehrjahre, S. 121 f.; zu seinen liberalen Lehrern vgl. Weber: Biographisches Lexikon. Ob Heichelheim mit seinem Doktorvater Laqueur in Kontakt kam, nachdem dieser in die USA emigriert war, siehe oben, Anmerkung 141 auf S. 106, wäre zu untersuchen. Vgl. Ritter: Meinecke. In den ersten Jahren im Emigrationsland bestand oft noch eine Korrespondenz, an die nach Kriegsende angeknüpft werden konnte. Der in der Wissenschaftsforschung populäre Begriff „Denkstil“ bezeichnet nach seinem Schöpfer Ludwik Fleck ein soziokulturell bedingt „gerichtetes Wahrnehmen“ und dessen Verarbeitung, so Fleck: Wissenschaftliche Tatsache, S. 130. Dies wird heute als eine auf Kommunikationsprozessen des jeweiligen „Denkkollektivs“ (siehe dazu oben, Anmerkung 3 auf S. 64) basierende „Konditionierung von Wahrnehmung, Denken und Handeln der Forscher“ interpretiert: Werner/Zittel: Einleitung, S. 19. Den Schwerpunkt legt die Fleck-Forschung auf die synchronen Kommunikationsprozesse, doch die in akademischen Schulen kommunizierte Tradition als diachrone Kommunikation bildet offensichtlich ebenfalls einen wichtigen Bestandteil des Denkstils. Sehr anschaulich erläutert Fleck selbst die Grundlagen seiner kulturalistischen Wissenschaftssoziologie in Ludwik Fleck: Schauen, sehen, wissen [1947]; in: Ludwik Fleck: Erfahrung und Tatsache. Gesammelte Aufsätze, hg. von Lothar Schäfer und Thomas Schnelle, Frankfurt am Main 1983, S. 147– 174. Eine Übertragung auf die Historiographiegeschichte versucht Thomas Etze-
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eröffnete, die sich nicht aus Schulzusammenhängen persönlich bekannt waren. Dazu stellt sich allerdings die Frage, ob der „Denkstil“ einer Schule über die Lernprozesse in der Emigration hinweg hinreichend stabil blieb, um nach 1945 verbindend zu wirken – oder welche Faktoren den schulischen „Denkstil“ im weiteren Verlauf der Historikerkarrieren überformen konnten.¹⁹³
2.4 Karriere Bei Untersuchungen der Karriereverläufe von Emigranten wird oft nach den Auswirkungen der Emigration gefragt. Unter den vielfältigen möglichen Antworten sticht im Hinblick auf Herkunft und Ausbildung der Untersuchungsgruppe hier zunächst eine ins Auge: Offenbar wurden einige Emigranten in den USA Geschichtsprofessoren, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft in Deutschland auch vor 1933 schlechte Chancen auf ein historisches Ordinariat gehabt hätten. Es ist aber auch ein deutlicher Unterschied zwischen jenen Historikern zu konstatieren, die vor ihrer Emigration promoviert wurden, und jenen, deren Promotion erst in den USA erfolgte. Die Karrieremuster unterscheiden sich, da die in Europa Promovierten zunächst einen Quereinstieg in das US-Hochschulsystem schaffen mussten, bevor sie dort eine Professur erlangen konnten. Jene hingegen, die in den USA ihr Studium abschlossen, waren durch die Promotion bereits in die USGeschichtswissenschaft hinübergewechselt. Den Quereinstieg in das amerikanische Hochschulsystem analysiere ich in Abschnitt 2.4.2 eingehend, da sein Gelingen die zentrale Voraussetzung für die spätere transatlantische Gastprofessorentätigkeit darstellte. In den Karrieren der in den USA Promovierten lassen sich hingegen in Abschnitt 2.4.3 amerikanische Karrieremuster feststellen. Doch zuerst schildere ich die beruflichen Orientierungen der älteren Emigranten zwischen Promotion und Emigration, die sich von den üblichen Karrierestationen deutscher Historiker bereits durchaus unterschieden:
müller: „Ich sehe das, was Du nicht siehst“. Wie entsteht historische Erkenntnis?; in: Jan Eckel/ Thomas Etzemüller (Hg.): Neue Zugänge zur Geschichte der Geschichtswissenschaft, Göttingen 2007, S. 27– 68, zu Fleck besonders S. 37– 43, zu den von Etzemüller vorgeschlagenen Denkkollektiven der „Königsberger Schule“ und der „Bielefelder Schule“ besonders ebenda, S. 43 – 47. Siehe hierzu vor allem Abschnitt 7.4 ab S. 513.
2.4 Karriere
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2.4.1 Bis zur Emigration Berufliche Stationen zwischen Promotion und Emigration gibt es nur bei den älteren beiden Generationen.¹⁹⁴ Zu diesem Thema finden sich im Biographischen Handbuch zu allen untersuchten Personen Angaben, die auch größtenteils korrekt sein dürften. Nur wenige Widersprüche sind aus anderen Quellen aufzuzeigen, wohl aber einige Ergänzungen zum besseren Verständnis der Karriereentwicklungen in der Weimarer Zeit und ihrer zur Emigration führenden Probleme ab 1933. Von den elf Mitgliedern der ersten und zweiten Generation können sechs als ausschließlich innerhalb einer wissenschaftlichen Laufbahn Tätige kategorisiert werden, die alle aus der zweiten Generationsgruppe stammen: Fritz Epstein, der während des Studiums die akademische Welt für 18 Monate als Freiwilliger im Ersten Weltkrieg verlassen hatte,¹⁹⁵ wurde noch in seinem Promotionsjahr 1924 Mitherausgeber der Zeitschrift „Minerva“ beim Berliner de-Gruyter-Verlag, bevor er 1927 als Assistent ans Ost-Europa-Seminar der Universität Hamburg ging. Seine Habilitation wurde 1933 von den Nazis verhindert,¹⁹⁶ so dass er bereits 1934 nach London emigrierte. Ebenfalls vom NS-Regime an der Habilitation gehindert wurden George W. F. Hallgarten und Felix Gilbert, wobei Letzterer mit seinen Habilitations-Studien zur Renaissance noch nicht weit fortgeschritten war, als er nach längeren Forschungsaufenthalten in Italien noch 1933 nach England ging.¹⁹⁷ Hallgarten hingegen reiste am 31. Januar 1925, dem Tag nach seiner Promotionsprüfung, nach Hamburg, um am folgenden Tag eine Assistentenstelle am neuen Institut für Auswärtige Politik in Vertretung für Alfred Vagts¹⁹⁸ zu über-
Die fünf Mitglieder der jüngeren Generationen (von Laue, von Klemperer, Klaus Epstein, Stern und Jonas) promovierten altersbedingt erst in den USA. Weinberg: Fritz T. Epstein, S. 399; vgl. Epstein: Catalog, S. 71– 74, und Fischer/Moltmann/ Schwabe: Vorwort zur Festschrift für Fritz T. Epstein, S. VIII. Vgl. Weinberg: Fritz T. Epstein, S. 399. Gilbert: Lehrjahre, S. 129 – 131; vgl. Ritter: Meinecke, S. 58, sowie Ritter: Meinecke-Schüler in den USA, S. 71. Die von Gilbert erwähnten „kurze[n] Berichte über literarische und kulturelle Ereignisse in Italien“, die er damals für die Frankfurter Zeitung schrieb, sind von ihm nicht als Tätigkeit begriffen worden, die eine Alternative zur akademischen Karriere eröffnete, so Gilbert: Lehrjahre, S. 129. Alfred Vagts wurde nach seiner Rückkehr an das Institut für Auswärtige Politik zum langjährigen „besten und zuverlässigsten Freund“ Hallgartens, der ihm auch in der Emigration verbunden blieb. Vgl. Hallgarten: Als die Schatten fielen, S. 144 und öfter. Zu Vagts siehe oben, Anmerkung 82 auf S. 22.
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nehmen, die von seiner Mutter vermittelt worden war.¹⁹⁹ Danach arbeitete er von 1926 bis Mitte 1933 an seinem großen Imperialismuswerk.²⁰⁰ Neben den dreien, die die Habilitation nicht mehr erreichten, stehen mit Holborn, Masur und Rosenberg jene, die zielstrebig dieses Ziel verfolgten und es noch in der Weimarer Republik realisierten. Hajo Holborn war mit 24 Jahren der jüngste und schnellste Habilitand der zweiten Generation.²⁰¹ Nach seiner Heidelberger Habilitation über Ulrich von Hutten²⁰² war er von 1926 bis 1931 Privatdozent, wurde 1931 zum Carnegie Professor für Geschichte und Internationale Beziehungen an die Deutsche Hochschule für Politik nach Berlin berufen und war daneben auch als Privatdozent an der Berliner Universität tätig.²⁰³ Gerhard Masur war seit seiner Promotion 1925 Mitarbeiter seines Lehrers Meinecke bei der HZ und arbeitete bis 1930 an seiner Habilitation über Friedrich Julius Stahl, die auch bei
Hallgarten: Als die Schatten fielen, S. 137– 139. Anfangs unter dem Titel „Parteien und Auswärtige Politik“ als Habilitationsschrift geplant, wurde es 1933 als Manuskript „von etwa 1730 Seiten“ fertiggestellt, zuerst nur als „[ä]ußerst stark gekürzte und popularisierte Ausgabe“ in Paris veröffentlicht. Es erschien 1951 als „Imperialismus vor 1914“ in München und wurde bis 1963 nochmals überarbeitet und erweitert. Hallgarten: Als die Schatten fielen, S. 145, und ebenda, Bibliographie ab S. 365. Diese Entstehungsgeschichte kreidete Werner Conze Hallgarten bei der Besprechung der Ausgabe von 1951 als persönliches Versäumnis an: Werner Conze: Rezension zu George W. F. Hallgarten, Imperialismus vor 1914. Die soziologischen Grundlagen der Außenpolitik europäischer Großmächte vor dem ersten Weltkrieg, 2 Bände, München 1951; in: HZ 175 (1953), S. 128 – 131. Auch seine Besprechung der überarbeiteten und erweiterten Neuauflage fiel nicht freundlicher aus: Werner Conze: Rezension zu George W. Hallgarten, Imperialismus vor 1914. Die soziologischen Grundlagen der Außenpolitik europäischer Großmächte vor dem ersten Weltkrieg, 2 Bde., 2. Auflage München 1963; in: HZ 202 (1966), S. 767 f. Siehe unten, Abschnitt 7.2 ab S. 477. Damit kam Holborn nur unwesentlich langsamer voran als Eugen Rosenstock-Huessy, der 1912 „mit 23 Jahren der jüngste Privatdozent des Kaiserreichs“ geworden war. Faulenbach: Rosenstock-Huessy, S. 102 f.; vgl. Faulenbach: Holborn, S. 115. Vgl. Ritter: Meinecke-Schüler in den USA, S. 62. Vgl. Epstein: Catalog, S. 131. Der, wie Holborn selbst schreibt, „Lehrstuhl für Aussenpolitik und Geschichte“ der Carnegie-Stiftung, auf den Holborn 1931 berufen wurde, wird hier nicht als ordentliche Professur gewertet, da das Tätigkeitsprofil sowie die Befristung der Stelle auf drei Jahre nicht dem üblichen Status eines Ordinariates entsprechen und zudem Holborn selbst von seiner „Carnegie-Dozentur“ spricht. Daher bemühte sich Holborn bei Annahme des Rufs an die Deutsche Hochschule für Politik um die Umhabilitation und blieb parallel zur Carnegie-Professur Privatdozent an der Berliner Universität.Vgl. [1932]: Lebenslauf von Hajo Holborn, eingereicht zur Umhabilitation in Berlin; in: Ritter: Meinecke, S. 234– 236, hier S. 234 f.; zum Schicksal der Deutschen Hochschule für Politik ab 1933 siehe Helmut Heiber: Universität unterm Hakenkreuz, Teil II: Die Kapitulation der Hohen Schulen. Das Jahr 1933 und seine Themen, Band 1, München u. a. 1992, S. 101 f.
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Meinecke erfolgte.²⁰⁴ Bis 1935 konnte er als Privatdozent weiter an der Berliner Universität lehren, da er gegenüber dem Kultusministerium auf seine „nationale Gesinnung“ und seine Freikorps-Mitgliedschaft aus der Nachkriegszeit des Ersten Weltkriegs verweisen konnte.²⁰⁵ Hans Rosenberg hingegen sagte nach der Habilitation 1932 und der Antrittsvorlesung als Privatdozent in Köln vom 23. Januar 1933 bereits Anfang April 1933 alle angekündigten Veranstaltungen ab, bevor ihm die venia legendi offiziell entzogen wurde.²⁰⁶ Im Rahmen seiner Habilitationsforschung hatte er seit 1927 für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, von 1928 bis 1934 für die Historische Reichskommission Editionsarbeiten zu Rudolf Haym und zur „nationalpolitischen Publizistik“ 1858 – 1866 vorgenommen.²⁰⁷ Die dritte Dreier-Gruppe aus der zweiten Generation wird gebildet von den auch nichtakademisch Berufstätigen Heichelheim, Misch und Hirsch, wobei Felix Heichelheim eine Sonderstellung einnimmt: Er verfolgte auch seine akademische Laufbahn weiter und ist (inklusive der beiden noch im Kaiserreich juristisch habilitierten Rosenstock-Huessy und Kisch) damit der sechste untersuchte Histori-
Masur: Das ungewisse Herz, S. 126 f., vgl. zur Wahl des Habilitationsthemas ebenda, S. 104 ff.; vgl. Eakin-Thimme: Geschichte im Exil, S. 36, im Zitat oben, Anmerkung 129 ab S. 103. Masur: Das ungewisse Herz, S. 159 f. Er berichtet dort, wie er versuchte „alle Kräfte zu mobilisieren“, um die geforderten „Verdienste um die nationale Bewegung“ nachzuweisen. Das gelang ihm durch Zeugenaussagen, die seine Mitgliedschaft in dem Freikorps „Brigade Reinhard“ bestätigten. Masur hatte im März 1919 für zwei Wochen dem Freikorps unter Wilhelm Reinhard angehört, war aber nicht an Kämpfen beteiligt. Ebenda, S. 66 f. Auch für die HZ arbeitete er bis 1935. Wiggershaus-Müller: Nationalsozialismus und Geschichtswissenschaft, S. 71. Ritter: Meinecke, S. 71 ff. Vgl. Golczewski: Kölner Universitätslehrer, S. 455, und unten, Anmerkung 135 auf S. 201. Ritter: Meinecke, S. 71. Meinecke sorgte für die Verlängerung seines Vertrages mit der Historischen Reichskommission bis Ende November 1934, zudem für eine Honorarvereinbarung zu den letzten Arbeiten vor der Drucklegung. Vgl. ebenda, S. 73 und den Brief [August 1934]: Hans Rosenberg an Friedrich Meinecke; in: Ritter: Meinecke, S. 339 f., besonders Fußnote 59 auf S. 340 f.; Haar: Historiker im Nationalsozialismus, S. 171 ff., behandelt Meinecke in dieser Angelegenheit ungerecht: Zuerst stellt er ihn als „Hoffnungsträger“ dar, der „durchaus Chancen gehabt [hätte], Teile des intellektuellen und moralischen Widerstandes um sich zu versammeln.“ Stattdessen habe er „zwischen hinhaltender Abwehr und eiliger Anpassung“ geschwankt. Haar macht sich die Meinecke-Kritik von Vagts, Kehr und Hallgarten zu eigen, bringt dann Kehrs Tod mit dem Entzug seines Editionsauftrags durch die Historische Reichskommission in Zusammenhang und stilisiert Meinecke zum Verräter an seinen emigrierten Schülern: „der Kommission gehörte auch sein ehemaliger Mentor Friedrich Meinecke an.“ Und weiter, ganz im Gegensatz zum tatsächlichen Bemühen Meineckes, seinen Schülern durch Verlängerung von Aufträgen den Übergang in die Emigration zu erleichtern, deutet Haar einen Dolchstoß durch Meinecke an: „Einige der Entlassungen, die nun folgten, nahm Friedrich Meinecke selbst vor.“ Vgl. unten, Anmerkung 232 ab S. 124.
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ker, der noch eine Habilitation erreichte.²⁰⁸ Von seiner Promotion 1925 bis zu seiner Gießener Habilitation von 1929 und darüber hinaus bis 1932 arbeitete er als Gymnasiallehrer (Studienassessor) in Hessen; daneben von 1929 bis zur Entlassung 1933 auch als Privatdozent an der Universität Gießen.²⁰⁹ Dammerts Deutscher Handelsdienst war Carl Mischs erste Station nach der Promotion 1920, bevor er bereits 1921 zum politischen Redakteur der Vossischen Zeitung aufstieg.²¹⁰ Die Angaben über die Endphase seiner Tätigkeit dort variieren: Das Biographische Handbuch legt für März bis Juli 1933 die Position des Chefredakteurs nahe, während Sigrid Schneider ihn ab 1930 unter dem Chefredakteur „Julius Elbau und schließlich ab April 1933 unter Erich Welter“ tätig sein lässt. „Nach dem Juli 1933 durfte Misch […] nur noch als Korrektor bzw. Schlußredakteur ohne inhaltliche Kompetenz arbeiten.“²¹¹ In einem Brief, in dem Misch um die Jahreswende 1933/34 seine Emigration ankündigte und deutschen Zeitungsredaktionen seine Tätigkeit als Auslandskorrespondent in Madrid anbot, fasste er seinen journalistischen Werdegang selbst zusammen: „Ich bin seit 1921 bei der Vossischen Zeitung, deren stellvertretender Leiter ich seit 1930 war, tätig gewesen und habe von 1928 bis 1930 der Chefredaktion der B.Z. am Mittag angehört.“²¹²
In chronologischer Reihenfolge der Habilitation ist Heichelheim nach Rosenstock-Huessy, Kisch und Holborn der vierte Habilitand; ihm folgten Masur und Rosenberg. Artikel Heichelheim, Fritz Moritz; in: Joseph Walk: Kurzbiographien zur Geschichte der Juden 1918 – 1945, München u. a. 1988, S. 142 f.; das Biographische Handbuch gibt dagegen erst das Jahr 1926 als Beginn der Tätigkeit als Gymnasiallehrer an. Zur Entlassung am „7. 5. 1933 (Nichtverl.[ängerung] des Lehrauftrags, ‚Volljude‘)“ siehe Bruno W. Reimann u. a.: Zur politischen Geschichte der Ludwigs-Universität 1914– 1945; in: 375 Jahre Universität Gießen. 1607– 1982. Geschichte und Gegenwart. Ausstellung im Oberhessischen Museum und Gail’sche Sammlungen 11. Mai bis 25. Juli 1982, [Gießen] 1982, S. 187– 201, hier S. 192. Biographisches Handbuch, vgl. Hermann Haarmann: Carl Misch; in: John M. Spalek/Konrad Feilchenfeldt/Sandra H. Hawrylchak (Hg.): Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933, Band 3: USA, Teil 4, Zürich/München 2003, S. 152– 169, hier S. 153. Schneider: Mischs verhinderte Rückkehr, S. 85; Weiter heißt es ebenda: „Im August wird er als ‚nicht-arisch‘ von der Mitgliederliste des Reichsverbands der Deutschen Presse gestrichen, die Ullstein AG kündigt ihm zum 31.3.1934, dem Tag, an dem die ‚Vossische Zeitung‘ ihr Erscheinen einstellte.“ – Haarmann zieht diese Darstellung Schneiders in Zweifel und vertritt eine frühere Entlassung Mischs bald „nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten“, kann aber keine eindeutigen Belege dafür vorweisen, siehe Haarmann: Carl Misch, S. 152 und Anmerkung 1– 5 auf S. 165.Vgl. auch Sigrid Schneider: „Die Leute aufklären und Hitler schaden“. Carl Misch im Exil; in: Hélène Roussel/Lutz Winckler (Hg.): Deutsche Exilpresse und Frankreich. 1933 – 1940, Bern u. a. 1992, S. 207– 226, hier S. 209 und Anmerkung 2 auf S. 220. Haarmann: Carl Misch, S. 152, zitiert hier aus Mischs Nachlass im Bundesarchiv, N 2193, Mappe 13.
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Demnach war Misch in der Endphase der Weimarer Republik stellvertretender Chefredakteur der Vossischen Zeitung, wo er „für linksliberale Anschauungen“ eintrat, es ihm daneben aber auch gelang, „im journalistischen Alltag seine wissenschaftliche Solidität nicht zu vernachlässigen.“ Durch die Publikation seiner Dissertation im renommierten Perthes-Verlag trat er auch wissenschaftlich hervor und bot außerdem an der Berliner Universität journalistische Übungen an.²¹³ „Immer weiß er sich nach der einen oder anderen Seite zu profilieren.“²¹⁴ Felix Hirsch wagte ebenfalls diesen Spagat zwischen Journalismus und Geschichtswissenschaft: Nach der Promotion 1924 für ein Jahrzehnt politischer Redakteur der liberalen Berliner Zeitungen Acht Uhr Abendblatt und Berliner Tageblatt im Verlag Rudolf Mosse,²¹⁵ stieg auch er bis zum stellvertretenden Chefredakteur auf ²¹⁶ und schrieb daneben Artikel auch über historische Themen für namhafte deutsche Zeitungen und Zeitschriften.²¹⁷ Ihre Karrieren bis 1933 sollten Guido Kisch und Eugen Rosenstock-Huessy – wie auch Hirsch und Misch – in der Emigration zu einer Veränderung ihres Berufsbildes zwingen:²¹⁸ Kisch war nach der juristischen Promotion 1913 zunächst unschlüssig über seinen weiteren Werdegang und hielt sich zuerst den Weg zum Volljuristen offen, ließ sich dann aber doch bald zur Habilitationsvorbereitung beurlauben.²¹⁹ Auf die Habilitation 1915 bei Adolf Wach an der renommierten juristischen Fakultät in Leipzig folgte die dortige Privatdozentur,²²⁰ die Kisch als Assistent Wachs durch Einnahmen aus der gleichzeitigen Mitarbeit am neugegründeten „Staatlichen Forschungsinstitut für Rechtsgeschichte“ finanzieren konnte.²²¹ Daran schloss sich nach mehreren Angeboten Ende des Jahres 1919²²² die Annahme einer ordentlichen Professur für Rechtsgeschichte in Königsberg für 1920 an. Rosenstock-Huessy habilitierte sich 1912 mindestens ebenso bald nach
Schneider: Misch im Exil, S. 209. Haarmann: Carl Misch, S. 153. Vgl. Artikel Hirsch, Felix E.; in: Walter Habel (Hg.): Wer ist wer? Das Deutsche Who’s Who. 15. Ausgabe von Degeners Wer ist’s?, Band 1, Berlin 1967, S. 770. Der Verlagsgründer Rudolf Mosse ist der Großvater des Historikers George L. Mosse. Artikel Hirsch, Felix Eduard; in: Walk: Kurzbiographien. Vgl. Biographisches Handbuch. Vgl. zu diesem Phänomen Eakin-Thimme: Geschichte im Exil, S. 124– 126. Kisch: Erinnerungen, S. 49 f.: Kisch war Rechtspraktikant in Österreich (vgl. Biographisches Handbuch) und absolvierte dann einen Teil des richterlichen Vorbereitungsdienstes in Prag. Zu Kischs Habilitation zum Thema „Der deutsche Arrestprozeß in seiner geschichtlichen Entwicklung“ vgl. Kisch: Erinnerungen, S. 51– 62. Kisch: Erinnerungen, S. 60; vgl. Unger: Adolf Wach, S. 91 f. Kisch: Erinnerungen, S. 69 f.
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der Promotion wie Kisch – und ebenfalls in Leipzig,²²³ war dann „mit 23 Jahren der jüngste Privatdozent des Kaiserreichs“²²⁴ und im Ersten Weltkrieg Offizier. Nach dem Krieg stellte er seine zuvor rasch vorangeschrittene Universitätskarriere als Begründer der „Daimler-Werkszeitung“ in Untertürkheim und als „Direktor der der Frankfurter Universität angegliederten Akademie der Arbeit, die er“ 1921 „[mit]gegründet hatte“,²²⁵ zunächst zurück. Die Habilitation für Soziologie an der Technischen Hochschule Darmstadt und die zusätzliche Promotion zum Dr. phil. in Heidelberg²²⁶ markierten Rosenstock-Huessys Wiedereinstieg in die akademische Karriere: Kurz darauf wurde er auf seine erste ordentliche Professur berufen.
2.4.2 In der Emigration Für all diese vor 1933 begonnenen Karrieren war die Emigration ein deutlicher Einschnitt, den ich in Kapitel 3 näher analysiere. Wenn sie auch nicht bei Null anfangen mussten, so war die Integration in die Universitätssysteme der Aufnahmeländer doch ein schwieriger und langwieriger Prozess,²²⁷ der hier einge-
Zum erwähnten Renommee der Leipziger Juristen vgl. Faulenbach: Rosenstock-Huessy, S. 102, der von „der wegen ihrer personellen Querverbindungen zum Reichsgericht besonders angesehenen Juristischen Fakultät der Universität Leipzig“ spricht. Ebenda, S. 102 f. Rosenstock-Huessys „Anliegen [dabei] ist es, Arbeiter zum Reden zu bringen, denn nur die Sprachmächtigkeit als anthropologische Bestimmung zur Dialogizität – eine der Konstanten in R.s System – befähige zur Beteiligung an Verantwortung;“ Klaus-Gunther Wesseling: RosenstockHuessy, Eugen; in: Friedrich Wilhelm Bautz/Traugott Bautz (Hg.): Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Band 8: Rembrandt bis Scharbel, Hamm 1994, Sp. 688 – 695. Nachschlagewerke und biographische Skizzen widersprechen sich, ob Rosenstock-Huessy 1922 oder 1923 zum Dr. phil. promoviert wurde, ebenso, ob er sich 1922 oder 1923 für Soziologie habilitierte, siehe Biographisches Handbuch; Artikel Rosenstock-Huessy, Eugen; in: Who’s Who in America. A Biographical Dictionary of Notable Living Men and Women, Band 34 (1966 – 1967), Chicago 1967, S. 1819; Kraus: Rosenstock-Huessy (NDB), S. 75; Artikel Rosenstock-Huessy, Eugen; in: Habel: Wer ist wer 1967, S. 1623 f. Zur Ungewissheit von Datierungen zum Leben RosenstockHuessys siehe unten, Anmerkung 127 auf S. 242. Die Habilitation in Darmstadt fand laut Angaben seines Sohnes im Fragebogen für das Biographische Handbuch, IfZ MA 1500, 1922 statt, doch laut Gottfried Hofmann: Eugen Rosenstock-Huessy. Versuch einer Chronik seines Lebens, korrigierte und ergänzte Fassung, Oktober 2018, URL: https://agenda.de/wp-content/uploads/HofmannChronik-Rosenstock-1.pdf (zuletzt abgerufen am 15. Januar 2019, Archiv-URL: http://www.webcita tion.org/75RgGEeoi), S. 31 f., ist die Promotion zum Dr. phil. in Heidelberg auf den 30. Januar 1923, die Habilitation für Soziologie und Sozialgeschichte in Darmstadt auf den 18. Juni 1923 zu datieren. Konzentriert auf Wiener Sozialwissenschaftler hat Christian Fleck einige Extremfälle von gescheiterter und gelungener Etablierung untersucht in Christian Fleck: Etablierung in der
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hende Betrachtung verdient. Denn daran wird nicht zuletzt deutlich, dass den Probanden ihre Etablierung im amerikanischen Wissenschaftsbetrieb überwiegend im Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Engagement gelang, für das sie ihre wissenschaftliche Expertise im Rahmen der Kriegsanstrengungen einzusetzen bereit waren. Die Emigrationen aus Nazi-Deutschland erfolgten zwischen 1933 und 1935, mit einem Übergewicht auf dem ersten Jahr der nationalsozialistischen Diktatur, so dass – neben anderen Verfolgungserfahrungen – ein rascher Verlust der beruflichen Perspektive als geteiltes Erleben anzunehmen ist. Die dritte und vierte Generationsgruppe emigrierte – mit oder ohne Eltern – meist erst 1937/1938, dann jedoch ohne Umwege in die USA.²²⁸ Für die Karriereverläufe in der Emigration lassen sich drei Phasen unterscheiden:²²⁹ Die erste Phase nach dem Verlassen Deutschlands stellte die meisten Untersuchten zunächst vor das dringliche Problem, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Dazu boten sich Forschungsstipendien besonders an, da sie weder eine Festanstellung bedeuteten noch den flüssigen Gebrauch einer Fremdsprache erforderten. Die bessere Alternative war eine akademische Lehrtätigkeit, als schlechter für die künftige Hochschullaufbahn erwies sich der Erwerb eines kargen Lebensunterhalts in dieser Phase durch journalistische Arbeit. In einer zweiten Phase gelang es den meisten, sich durch akademische Lehre langsam im
Fremde. Vertriebene Wissenschaftler in den USA nach 1933, Frankfurt am Main/New York 2015, zur Auswahl der Fälle S. 18. Er argumentiert, ebenda, S. 402– 404, für den Begriff der Etablierung anstelle der in der Emigrationsforschung gebräuchlichen und umstrittenen Alternativen Adaption, Assimilation, Akkulturation und Integration und konzipiert Etablierung unter Verweis auf Norbert Elias als Entwicklung eines Außenseiters zum Etablierten. In dieser Arbeit verwende ich den Begriff der Etablierung allerdings spezifisch für die Überwindung der anfänglichen Prekarität in der Emigration und den ersten Schritt zu einer (Wiederaufnahme der) Hochschullaufbahn, wie sie sich aus dem Zuschnitt der Untersuchungsgruppe als Professoren und transatlantische Gastprofessoren ergibt. Es emigrierten 1933: Rosenstock-Huessy, Hallgarten, Gilbert, Heichelheim, Holborn und Rosenberg; 1934 Fritz Epstein, Klaus Epstein und Misch; 1935 Hirsch, Masur und Kisch; 1937 Jonas und von Laue; 1938 Stern und von Klemperer. Vgl. insgesamt Kapitel 3. Eakin-Thimme: Geschichte im Exil, S. 12, und Eckel: Rothfels, S. 211 f., unterscheiden lediglich „die Laufbahnen der deutschen Historiker in den USA im allgemeinen in zwei Phasen“, nämlich „Statusunsicherheit“ und „Konsolidierung“. Demgegenüber wird hier – grob gesagt – die „Statusunsicherheit“ differenziert zwischen einem Zeitraum mit vorherrschender Forschungsarbeit und einem Zeitraum mit ersten Gehversuchen in der akademischen Lehre Amerikas. Eckel blendet in der Zwei-Phasen-Einteilung den Unterschied aus, der zwischen Rothfels’ Forschungsstipendium von der Society for the Protection of Science and Learning (SPSL) ab August 1939 in England „unter der Voraussetzung, daß er in England keine Lehrtätigkeit aufnehmen würde“, und seiner 1940 – 1946 jährlich verlängerten Gastprofessur an der Brown University in Providence bestand, vgl. Eckel: Rothfels, S. 208 – 214.
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Gastland zu etablieren, oft unter schwierigen Bedingungen sowie in untergeordneten und unsicheren Positionen. Die dritte Phase wird eingeleitet durch den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg und die damit verbundenen Kriegsanstrengungen, die die Emigranten zu einem gefragten „Expertenkreis des Aufnahmelandes“²³⁰ machten. Der Großteil der vor der Emigration Promovierten beteiligte sich durch ihre Expertise mittelbar oder unmittelbar am „war effort“ der USA. In die Kriegsanstrengungen eingebunden war auch die Mehrheit der jüngeren Generationen, die in oder unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg Kriegsdienst leistete. Einerseits wurden in dieser Phase wertvolle Kontakte geknüpft, andererseits stieg die Nachfrage nach Lehrkräften durch den Krieg und den folgenden Ausbau des Universitätssystems an, so dass auch die Positionen der nicht am Krieg Beteiligten sich in der Nachkriegszeit verbesserten. Im Folgenden schildere ich die individuellen Ausprägungen der drei Karrierephasen, um daran Voraussetzungen und Chancen der Berufstätigkeit in der Emigration zu verdeutlichen:
Phase 1: Einnahmequellen und Forschungsbemühungen, 1933 – 1943 Die erste Phase ist geprägt von dem Versuch, im Emigrationsland Geld zu verdienen, da die Ausreisebestimmungen oft nur die Ausführung eines minimalen Teils des Vermögens erlaubten.²³¹ Dazu war zunächst am häufigsten ein Forschungsstipendium zu erhalten und gewährte fast der Hälfte der elf bereits qualifizierten Emigranten erste Einkünfte.²³² Dabei fällt auf, dass fast nur die 1933 rasch Ausge Sven Papcke: Fragen an die Exilforschung heute; in: Exilforschung 6 (1988), S. 13 – 27, hier S. 18. „Jüdische Auswanderer aus Deutschland durften an Geld nur zehn Dollar für die Person mitnehmen. Unsere Aktien, Spar- und Bankguthaben waren gesperrt und blieben verloren.“ Kisch: Erinnerungen, S. 127. Im Unterschied dazu etwa Masur, der – ebenfalls 1935 – auf konspirativere Art ausreiste: „Man konnte im Oktober 1935 600 Franken in die Schweiz mitnehmen, freilich nicht in Geld sondern in Form von Coupons, die man jede Woche in einem Schweizer Postamt gegen Vorlage des Passes einlösen mußte. Der Höchstbetrag für jede Woche war 50 Franken!“ Masur: Das ungewisse Herz, S. 174. Vgl. zu den Maßnahmen des NS-Regimes die Emigration betreffend Kampe: Jewish Emigration from Germany. Zu Gilberts Forschungsstipendium in Cambridge siehe Ritter: Meinecke-Schüler in den USA, S. 71; zu Hallgartens Forschungsförderung durch die Notgemeinschaft Deutscher Wissenschaftler im Ausland siehe das Biographische Handbuch; zu Heichelheims Forschungsfinanzierungen durch die Rockefeller Foundation, das AAC und ein Stipendium des „Leon Bequest Committee in the University of London“ siehe das Biographische Handbuch und Hans Georg Gundel: Fritz M. Heichelheim †; in: Gnomon 41 (1969), S. 221– 224, hier S. 222; zu Kischs Fellowship bei der American Academy for Jewish Research siehe das Biographische Handbuch und Kisch: Erinnerungen, S. 112; zu Rosenbergs Forschungen am Londoner Institute of Historical Research siehe das
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wanderten diese Möglichkeit erhielten, dem akademischen Beruf treu zu bleiben.²³³ Auch Holborn und Rosenstock-Huessy blieben der Wissenschaft bei ihrer Emigration 1933 treu, konnten aber gleich mit universitärer Lehre beginnen.²³⁴ Das bot im Hinblick auf den Karriereverlauf die besten Chancen, so dass Holborn „mit einigen Unterbrechungen von 1934 bis zu seinem Tod 1969 an der renommierten Yale University wirken konnte, wo er vom assistant professor zum Inhaber einer hoch angesehenen Stiftungsprofessur aufstieg“,²³⁵ während Rosenstock-Huessy immerhin Harvard als Sprungbrett für eine feste Anstellung am traditionsreichen Dartmouth College nutzte.²³⁶ Fritz Epstein bestritt als Dozent für Deutsch am Institut Français in London seinen jahrelangen Zwischen-Aufenthalt in England bis zum „Sprung“ über den Atlantik 1937, doch diese erste Lehrtätigkeit eröffnete ihm keine Perspektiven, so dass er in Harvard ab 1937 quasi mit der ersten Phase der Emigrationskarriere neu anfangen musste – als research assistant bis 1943.²³⁷ Die Journalisten Misch und Hirsch nutzten ihren eigentlichen Beruf in der ersten Emigrationsphase weiter, dabei Misch erfolgreicher in der Exilpresse,²³⁸ besonders prägend als „der einzige Redakteur und Beiträger, der […] bis zur letzten Ausgabe im Februar 1940 das Erscheinungsbild der PTZ [Pariser Tageszeitung]
Biographische Handbuch und Ritter: Meinecke, S. 73: Rosenberg arbeitete in London an der Veröffentlichung fast fertiger Werke und wurde – von Meinecke durchgesetzt – bis Ende November 1934 von der Historischen Reichskommission finanziert. – Walther: Emigrierte deutsche Historiker, S. 45, unterschätzt die Ausmaße dieser in vielen disparaten Formen auftretenden Finanzierung durch Forschung, wenn er schreibt: „Vereinzelt wurden Stipendien oder Forschungsaufträge vergeben“. Unter den nach 1933 Emigrierten konnte nur der 1935 ausgewanderte Kisch im Anschluss ein Forschungsstipendium erhalten. Zu Holborns Gastprofessur 1934 in Yale siehe das Biographische Handbuch und Ritter: Meinecke, S. 50; zu Rosenstock-Huessys unbezahlter Dozententätigkeit in Harvard siehe das Biographische Handbuch und Rosenstock-Huessy in: Auszug des Geistes. Bericht über eine Sendereihe, [hg. von Radio Bremen], Bremen 1962, S. 111– 116. Ritter: Meinecke, S. 50. Rosenstock-Huessy in: Auszug des Geistes, S. 116. Siehe dazu das Biographische Handbuch; vgl. Fischer/Moltmann/Schwabe: Vorwort zur Festschrift für Fritz T. Epstein, S. IX, wo ergänzend ein Stipendium des Academic Assistance Council (AAC) vermerkt ist, und den Fragebogen zu Klaus Epstein für das Biographische Handbuch, IfZ MA 1500, in dem als Grund für die Weitermigration angegeben ist, dass Fritz Epstein und seine Frau Herta keine zufriedenstellende Arbeit in England finden konnten. Siehe das Biographische Handbuch zu Mischs journalistischer Tätigkeit für Die Neue Weltbühne, Das Neue Tage-Buch und den Redakteursposten 1936 – 1940 bei der Pariser Tageszeitung, dann ab 1940 beim Aufbau in New York.Vgl. auch Schneider: Mischs verhinderte Rückkehr; Sigrid Schneider: Zwischen Scheitern und Erfolg: Journalisten und Publizisten im amerikanischen Exil; in: Exilforschung 7 (1989), S. 51– 64, sowie folgende Anmerkung.
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mitbestimmte, zeitweise allein verantwortete.“²³⁹ Hirsch dagegen bestritt seinen Lebensunterhalt im ersten Jahr in den USA durch Artikel, daneben aber auch durch Vorträge und den Verkauf von Wertsachen,²⁴⁰ obwohl er mit guten Empfehlungen nach New York gekommen war und dort Verwandte hatte.²⁴¹ Publizistische Tätigkeit erwies sich eher als kurzfristige geringfügige Einnahmequelle, so auch für Hallgarten, der für das Pariser Tageblatt und die Pariser Tageszeitung schrieb,²⁴² und für Masur auf seiner Zwischenstation in der Schweiz, bevor er sich in Kolumbien als Berater des Erziehungsministeriums und Professor am Lehrerseminar von Bogotá verdingte.²⁴³ Diese erste Phase dauerte meistens rund zwei Jahre, durchschnittlich aber etwas länger, da Heichelheim in England für insgesamt etwa neun Jahre von Forschungsförderungen abhängig war, Misch für ebenfalls neun Jahre in verschiedenen Positionen für die Exilpresse arbeitete. Zählt man Fritz Epsteins „nachgeholte“ erste Phase in den USA zu seiner Zeit in London hinzu, dauerte seine Phase der Unsicherheit auch rund neun Jahre. Insgesamt erstreckt sich die erste Phase der
Schneider: Misch im Exil, S. 208. Demnach war Misch eine „wichtige Figur also im Journalismus des Exils – und auffallend unbeachtet von der bisherigen Forschung“. Siehe dazu das Biographische Handbuch. Vgl. den Brief Theodor Heuss an Gustav Stolper, Berlin 29. Juli 1935; in: Theodor Heuss: In der Defensive. Briefe 1933 – 1945, hg. von Elke Seefried, München 2009, S. 267 (Nr. 65). Hirsch konnte sich laut seinem eigenhändig ausgefüllten Fragebogen für das Biographische Handbuch, IfZ MA 1500, auf Informationen und etwas Hilfe von einem Onkel in New Jersey stützen. Karl Holl: Deutsche Pazifisten im Exil als Autoren des Pariser Tageblatts (PTB) und der Pariser Tageszeitung (PTZ); in: Hélène Roussel/Lutz Winckler (Hg.): Deutsche Exilpresse und Frankreich. 1933 – 1940, Bern u. a. 1992, S. 63 – 88, hier S. 63 f. und S. 79. Siehe dazu das Biographische Handbuch und vgl. Masur: Das ungewisse Herz, S. 176: „Ich war mir darüber klar, daß ich unter den schweizer Gesetzen keinen Beruf ausüben könnte. Aber ich dachte daran, für Zeitungen zu schreiben. So fuhr ich am gleichen Tage auf die Redaktion der Neuen Züricher Zeitung, wo mir der Redakteur versicherte, daß er alles veröffentlichen würde, was ich schreiben wollte. Ich habe es aber nur zu zwei Artikeln gebracht.“ – Ebenda, S. 182: „Am nächsten Tage, dem Weihnachtstage [25. Dezember 1935], kam mit der Post der Vertragsentwurf der kolumbianischen Regierung aus Genf. Er bot mir eine zweijährige Stellung als Berater der Regierung in Erziehungsfragen und eine Professur an. Dazu ein monatliches Gehalt von 250 Pesos, die […] so viel Kaufkraft hatten wie 800 R.M. Ebenfalls eingeschlossen waren die Reisekosten nach Kolumbien. Die Regierung behielt sich vor, mich nach einem Jahre zu entlassen, wenn ich mich meinen Aufgaben nicht gewachsen zeigen sollte. Wie die Dinge lagen, hatte ich keine Wahl, und mußte in dem Angebot einen Rettungsanker erblicken. Ich sandte den Vertrag am nächsten Tage unterschrieben zurück.“ – Ebenda, S. 198: „Was meine Arbeit [in Bogotá] anging, so war der Radius sehr weit gezogen, und umspannte nicht nur die Universität sondern auch öffentliche Vorlesungen und Radiovorträge. Ich hielt meine erste Vorlesung in der Escuela Normal Superior, einem Lehrerseminar, das seinem französischen Vorbilde nur im Namen glich.“
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Emigrationskarrieren von der Auswanderung in der ersten Hälfte der 1930er Jahre meist bis in deren zweite Hälfte, maximal jedoch bis in die Jahre 1942/43.
Phase 2: Etablierung und akademische Lehre, 1935 – 1947 Die zweite Phase der Berufstätigkeit in der Emigration ist geprägt von verschiedenen Dozententätigkeiten für zehn der elf betreffenden Personen, abgesehen von Fritz Epstein, der wie erwähnt die erste Phase mit Forschung nachholte. In einigen Fällen ist damit eine relative Etablierung bereits abgeschlossen: RosenstockHuessy gelangte in eine langfristige Position am Dartmouth College²⁴⁴ und erreichte damit den vollen Professorenstatus (für Sozialphilosophie) in der Emigration bereits 1935, Masur ebenso 1938 mit seiner bis 1946 fortgesetzten Beschäftigung als Professor an der kolumbianischen Escuela Normal Superior in Bogotá.²⁴⁵ Kischs Gastprofessur am New Yorker JIR war zwar mit dreizehn Jahren Dauer auch eine Form von Etablierung, kann jedoch wegen der schlechten Bedingungen dort und der hohen Unsicherheit nicht dieser Gruppe zugeordnet werden.²⁴⁶ Aber diese zweite Phase bedeutete für Kisch und die meisten anderen zumindest eine allmähliche Entwicklung hin zu einer Besserstellung und endgültigen Etablierung im Emigrationsland. Holborn war damit am erfolgreichsten, so dass er seinem Lehrer Meinecke bereits Anfang 1935 schreiben konnte: „Im Ganzen darf ich jedoch zufrieden sein, mich verhältnismäßig rasch eingearbeitet zu haben und auch verhältnismäßig rasch Resonanz gefunden zu haben. Die Studenten sind voll bei der Sache und die Kollegen sehr einverstanden. Das Department (etwa gleich unserer Fakultät) wünscht mich dauernd anzustellen, aber die Universität hat große finanzielle Sorgen.“²⁴⁷
Rosenstock-Huessy in: Auszug des Geistes, S. 116. Siehe oben, Anmerkung 243 auf S. 126. In die Zeit seiner kolumbianischen Professur fällt 1942/ 43 seine Tätigkeit an der Universidad Javeriana, ebenfalls in Bogotá, 1944 ein Stipendium der Rockefeller-Stiftung, das auf Masurs Kontakte nach Amerika hinweist, und die Veröffentlichung von Zeitungsaufsätzen, die sich gegen die NS-Herrschaft in Deutschland richteten. Vgl. Masur: Das ungewisse Herz, S. 248, sowie das Biographische Handbuch. Kischs „Dozentur für Geschichte der Juden am Jewish Institute of Religion“ (JIR) war von Kischs Vorgänger als Nebentätigkeit ausgefüllt worden und wurde entsprechend bezahlt: „Mein bescheidenes Gehalt betrug nur die Hälfte eines Existenzminimums.“ Zudem war seine Position als visiting professor unsicher, da sie „bloß von Jahr zu Jahr verlängert wurde. In dieser Eigenschaft sollte ich übrigens nicht weniger als dreizehn Jahre belassen werden, ein Kuriosum in der amerikanischen Hochschulgeschichte.“ Kisch: Erinnerungen, S. 132 und S. 135. 7. Februar 1935: Hajo Holborn (New Haven, Ct.) an Friedrich Meinecke; in: Ritter: Meinecke, S. 240 – 243, hier S. 241. Holborn spricht vom Department of History, Yale University, New Haven, Connecticut.
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Er konnte die Zeit der Unsicherheit an der Yale University überwinden, indem er daneben von 1936 bis 1942 als Professor für Diplomatiegeschichte an der Fletcher School of Law and Diplomacy der Tufts University in Medford bei Boston arbeitete. Ab 1938 war er außerordentlicher, ab 1940 ordentlicher Professor in Yale, wurde im selben Jahr Mitbegründer und Mitherausgeber des Journal of the History of Ideas, 1941/42 Gastprofessor in Harvard.²⁴⁸ Für seinen Erfolg in der Lehre war Holborn auch bereit, die angefangenen Forschungen zurückzustellen.²⁴⁹ Rosenberg landete 1936 zuerst als Dozent für Wirtschaftsgeschichte am Brooklyn College und am City College der City University of New York (CUNY), wurde noch im selben Jahr Dozent für Geschichte und Politikwissenschaft am Illinois College in Jacksonville, 1937 dort Assistenzprofessor.²⁵⁰ Im Jahr darauf kehrte er ans Brooklyn College der CUNY zurück und wurde dort 1939 Assistenzprofessor. Daneben war er 1943/44 Stipendiat des New Yorker Social Science Research Council (SSRC)²⁵¹ und 1945 – 1947 Guggenheim Fellow, bis er 1948 zum
Diese Angaben sind übersichtlich dargestellt im Biographischen Handbuch; Ritter: Meinecke, S. 50, erwähnt dagegen lediglich pauschal Holborns langjährige Tätigkeit für die Yale University. 7. Februar 1935: Hajo Holborn (New Haven, Ct.) an Friedrich Meinecke; in: Ritter: Meinecke, S. 240 – 243, hier S. 241 f.: „Meine Hauptarbeit besteht darin, meine Vorlesungen vorzubereiten und mich in möglichst großem Umfang mit der englischen und amerikanischen Literatur vertraut zu machen. […] Aus Gründen des Unterrichts wie des eigenen Verständnisses kann ich mich beim Studium auch nicht zu eng auf die fachliche Literatur beschränken. […] Ich werde im nächsten Jahr mehr Vorlesungen haben, als ich dieses Jahr hatte, trotzdem glaube ich jedoch, dass es weniger Arbeit bedeuten wird als dieses Jahr, weil mir alles leichter von der Hand gehen wird. Ich fürchte nur, auch einen guten Teil der Sommerferien für Extra-Vorlesungen drangeben zu müssen. […] Wenn ich daran teilnehmen muß, bleibt mir kaum Zeit für eigene Arbeit, und ich sehe pessimistisch wegen des Abschlusses meiner Weimarer Arbeit.“ – Die hier gemeinte, für die Historische Reichskommission 1929 begonnene Geschichte der Weimarer Reichsverfassung blieb unvollendet, Holborns Material dazu liegt in der Yale University Library. So Ritter: Meinecke, S. 242, Anmerkung 47; vgl. Artikel Hajo Holborn. Historian, 1902– 1969; in: Spalek: Verzeichnis der Quellen und Materialien, S. 423 – 426, für eine Übersicht über Holborns Nachlass. Vgl. das Biographische Handbuch. Ritter: Meinecke, S. 74, schreibt demgegenüber: „Nach fast einem Jahr Arbeitslosigkeit und einer sehr schlecht bezahlten Anfangsstellung am Illinois College in Jacksonville lehrte er schließlich von 1938 bis 1959 am Brooklyn College“. Den schwierigen Übergang in die USA konnte Rosenberg mit Unterstützung des Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars (EC) und durch ein Notfallstipendium der London School of Economics bewältigen. Auf die Hilfsorganisationen für die Wissenschaftsemigranten, besonders das EC und das AAC/SPSL, kann in dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden. Studien zu Umfang und Begründung ihrer Hilfsleistungen versprechen aber interessante Einsichten. Er arbeitete mit „einer Unterstützung des Social Science Research Council von 500 Dollar […] an einer umfassenden Geschichte des preußisch-deutschen Junkertums als einer sozialen Klasse von deren Etablierung um 1200 bis zu ihrem Zusammenbruch am Ende des Zweiten Weltkrieges. […] Das Werk […] war im Juni 1947 bis auf die letzten beiden von insgesamt 15 Kapiteln […] im
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außerordentlichen Professor (associate professor) am Brooklyn College aufstieg. Gilbert konnte ebenfalls wissenschaftlich weiter wirken und arbeitete nach einer Dozentur am Scripps College, einem Frauencollege im kalifornischen Claremont, 1939 am Institute for Advanced Study in Princeton, wo er bis 1943 blieb. Heichelheim blieb zunächst in England und erhielt 1942 eine Stelle als assistant lecturer an der Universität von Nottingham, die 1946 zu einer vollen Dozentur für Alte Geschichte aufgewertet wurde. In dieser Zeit war er zudem an altrömischen Ausgrabungen beteiligt.²⁵² Hirsch stieg über die Bibliothekarsarbeit in die akademische Lehre ein: er studierte von 1936 bis 1940 an der Columbia University School of Library Service und erwarb dort einen Bachelor of Science in Library Science. Parallel war er ab 1936 am Bard College in Annandale-on-Hudson im Staat New York beschäftigt, anfangs nur als Bibliothekar, ab 1937 auch als Mitarbeiter für Deutsch, ab 1942 dann als Assistenzprofessor für Geschichte. Sein Journalisten-Kollege Carl Misch musste sich nach der Flucht vor der Frankreich besetzenden Wehrmacht ebenfalls beruflich umorientieren. Dies gelang ihm jedoch nicht so rasch wie Hirsch, vielleicht auch, weil er in den USA weiter auch journalistisch arbeitete, etwa regelmäßig für den Aufbau. Daneben hielt er Vorträge²⁵³ und war auch in den USA in Emigranten-Vereinigungen aktiv. Bei Misch ist eine berufliche Etablierung in der zweiten Phase nicht festzustellen, da ihm nach der Immigration in die USA 1940 der Einstieg in die akademische Lehre bis 1943 versagt blieb – der Übergang in die dritte Phase gelang ihm anschließend dennoch. Hallgarten versuchte ab März 1937 in den USA Fuß zu fassen. Durch seine Bekanntschaft mit namhaften Emigranten, z. B. seinem „Onkel Thomas“ Mann²⁵⁴ und seinem Freund Alfred Vagts,²⁵⁵ erhielt er Unterstützung und Empfehlungen, die anderen Emigranten schwerer zugänglich waren. Auch die Verbindungen seiner Familie zum New Yorker Bankhaus Hallgarten & Co.²⁵⁶ und die Kontakte
Manuskript abgeschlossen, ist von ihm jedoch nie beendet worden.“ Rosenbergs 1958 erschienene „kollektive Biographie“ der preußischen Beamtenschaft, „Bureaucracy, Arisocracy and Autocracy. The Prussian Experience 1660 – 1815“, beruht auf diesen Forschungen, ebenso einige Aufsätze. Das Manuskript ist im Rosenberg-Nachlass im Bundesarchiv Koblenz (BArch N1376) vorhanden. Ritter: Meinecke, S. 74 f., besonders Fußnote 243. Für die Angaben dieses und des folgenden Abschnitts vgl. das Biographische Handbuch. Zum Beispiel zum Thema „Stalingrad und die Probleme der Zweiten Front“, New York, 29. Oktober 1942. So angekündigt in: Programm des New World Club; in: Aufbau 8 (1942), Nr. 42 vom 16. Oktober 1942, S. 24. Vgl. z. B. Hallgarten: Als die Schatten fielen, S. 271. Vgl. z. B. ebenda, S. 234, und oben, Anmerkung 198 auf S. 117. Von dem Bankhaus erhielt Hallgarten, der „Urenkel des Begründers [Lazarus Hallgarten] und Enkel eines Teilhabers [Charles Lazarus Hallgarten, 1838 – 1908], deren Namen das Haus
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seiner Mutter zu amerikanischen Pazifisten²⁵⁷ öffneten Hallgarten Türen. Dennoch konnte er nur kurzfristige Anstellungen finden, die ich hier ausführlicher nachzeichne, um die Ungewissheiten selbst der erfolgreichen Karrieren in der Emigration zu verdeutlichen: So musste auch Hallgarten sich verschiedentlich um zusätzliche Einkommensquellen bemühen, während seine Hoffnungen auf Etablierung sich wiederholt zerschlugen: Vorträge und Tagungen verhalfen ihm schon im Sommer 1937 zu einem gewissen Bekanntheitsgrad,²⁵⁸ anschließend verdingte er sich für einige Wochen als Hauslehrer,²⁵⁹ bevor er sich kurzzeitig auf die Forschung konzentrierte.²⁶⁰ Um im Februar 1938 am New Yorker Brooklyn College seine erste Dozentur annehmen zu können, musste er die USA verlassen und über Kuba mit Immigrationsvisum neu einreisen.²⁶¹ Doch die Anstellung war nicht von Dauer, so dass Hallgarten mit Unterstützung des Institute for Social Research (ISR) für mehrere Monate nach Europa zurückkehrte, um dort seine Teilnahme am 8. Internationalen Historikerkongress in Zürich vorzubereiten.²⁶² Nach seiner Rückkehr bemühte er sich um Vorträge und wechselte noch vor Jahresende nach Kalifornien, wo er sich in Berkeley Hoffnungen auf eine universitäre Anstellung machte, die sich aber zunächst nicht erfüllten.²⁶³
weiter verwandte“ wahrscheinlich einen „Übergangskredit von $ 5000“ und jedenfalls „eine Einführung nach Harvard“, so ebenda, S. 231. Zum Großvater vgl. Artikel Hallgarten, Charles L.; in: Arnsberg: Geschichte Frankfurter Juden, S. 173 – 175. – Von dem „einzigen weiteren noch lebenden Träger meines Familiennamens,“ dem „Sohn eines in Hamburg lebenden, damals bereits verstorbenen Vetters meines Vaters“, Julius Hallgarten, hatte George W. F. Hallgarten zuvor „das unbedingt nötige Affidavit zur schließlichen Immigration“ erhalten. Hallgarten: Als die Schatten fielen, S. 230. Ebenda, S. 233; für daraus resultierende Chancen vgl. ebenda, S. 237 f. Ebenda, S. 237– 243. Ebenda, S. 244. „Ich sollte der jüngeren Tochter, Yereth, die Grundbegriffe der deutschen Sprache beibringen.“ Hallgarten arbeitete im Herbst 1937 an seiner erst 1954 unter dem Titel „Why Dictators? The causes and forms of tyrannical rule since 600 B. C.“ erschienenen Arbeit.Vgl. ebenda, S. 243 f. und Bibliographie auf S. 365. Ebenda, S. 245 – 251. Über diese erste Dozentur schreibt er ebenda, S. 251: „[N]unmehr mußte ich von meinem dürftigen Gehalt für zwei Kurse leben und noch die Existenz meiner Angehörigen [Mutter und Großmutter in Zürich] bestreiten. […] Meine insgesamt etwa 30 Hörer wußten nicht viel […], lernten aber schnell und gut und waren nächst den japanischen Studenten, die ich in späteren Jahren hatte, wohl mit die besten, die ich je gehabt habe.“ Ebenda, S. 252– 261; einschließlich seines Berichts über den Kongress, in dem er feststellt, dass seine akademischen Lehrer Karl Alexander von Müller und Erich Marcks „zu Vorkämpfern Hitlers geworden“ (S. 257) waren. Ebenda, S. 265.
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„Die Art, wie ich diesen Aufenthalt und dazu die Existenz meiner Familie finanzierte, war zweifellos originell zu nennen. Das von Horkheimer geleitete Institut in New York [ISR] hatte durch dessen Pariser Vertreter fünf Kopien meines großen in Vincennes deponierten Manuskripts herstellen lassen, um sie durch mich an die führenden Universitätsbibliotheken der USA zu verkaufen, und stellte mir den Erlös zur Verfügung.“²⁶⁴
Nachdem Hallgarten zum Jahreswechsel 1939/40 an der Ostküste „persönlich die Finanzierung der mir zugesagten Forschungsstellung“ an der University of California in Berkeley betrieben hatte, erhielt er im April 1940 ein Stipendium (research grant) der American Philosophical Society, durch das er das Gefühl hatte, „zum erstenmal seit vielen Jahren zu einem halbwegs normalen Leben zurückgekehrt“ zu sein. Die Universität Berkeley bot ihm wegen des Stipendiums einen Vertrag „als Forscher ohne Leseverpflichtung“ an.²⁶⁵ Die sich in den folgenden „Monaten mehrenden Zeichen des Aufstiegs und Erfolgs“, die Hallgarten in einem Brief beschrieb,²⁶⁶ wurden nur überschattet von der Sorge um seine Mutter, deren Flucht aus dem besetzten Paris über Marseille in die USA erst im November 1941 abgeschlossen war.²⁶⁷ Doch obwohl er bereits seit Februar 1941 mit einer Amerikanerin verheiratet war,²⁶⁸ lief seine Forschungsstellung 1941 aus, da in Kalifornien festgelegt wurde, „daß kein ‚alien‘ […] künftig an einer Staatsuniversität eine Stellung als research assistant bekleiden dürfe“.²⁶⁹
Ebenda, S. 266. Für Hallgarten überraschend „wurde die Operation ein voller Erfolg“, so dass er auf finanzielle Unterstützung von Verwandten und von Thomas Mann in der nächsten Zeit nur angewiesen war, um die Flucht seiner Mutter aus Frankreich zu ermöglichen, vgl. ebenda, S. 268 – 272. Ebenda, S. 269 f. Hallgarten gibt einen eigenen Brief aus dieser Zeit wieder: „keine kleinbürgerlichen Elendsgelasse mehr, auch keine quasi-eleganten Emigranten Not-Unterschlüpfe à la Riverside Drive, sondern ein stilvoller, spitzgiebliger Raum in Holz, mit curtains und Sesseln aus Bast, Balkon, hoch über der Oakland Bay, auf die ich hinunterschaue, und in der Garage ein Ford.“ Ebenda, S. 275. Ebenda, S. 276, fragt er rhetorisch nach den Zeichen wissenschaftlichen Erfolgs und wachsender Bekanntheit: „Hatten nicht viele Hunderte meinen Reden beigewohnt, Tausende sie im Rundfunk gehört? War nicht soeben, im Oktoberheft der American Historical Review eine ausführliche und so anerkennende Kritik meines Imperialismuswerkes durch den ersten Experten Amerikas, William L. Langer, erschienen, daß mir alle Kollegen hier in Berkeley aufs wärmste gratulierten? Und waren sie nicht eben alle vollzählig in einem gut besuchten öffentlichen Vortrag erschienen, den ich im Rahmen eines Universitätsprogramms gab, und der ‚Richard Wagner und die Geburt des Faschismus‘ behandelte?“ Vgl. ebenda, S. 275 – 281. Vgl. ebenda, S. 277 f. Ebenda, S. 281. Hallgarten vermutete, dass diese Maßnahme eigens gegen ihn gerichtet war, „um sich unbequemer Mitbewerber oder Meinungsgegner zu entledigen“, da ihm „außer meinem eigenen Fall kein anderer bekannt [war], wo ein ‚alien‘ eine solche Stellung bekleidete. […] Es war
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Hallgarten arbeitete „als Verkäufer in einem Textilwarenhaus“ und hielt daneben zunächst weiter Vorträge, unter anderem „in der Town-Hall-Serie, der vornehmsten Redner-Organisation Amerikas“.²⁷⁰ Daneben forcierte er seine Einbürgerung und bereute, daß er nicht „als Sohn eines in New York geborenen Vaters ‚citizenship durch Geburt‘ zu erkämpfen“ versucht hatte, weil er „durch reine Verschleppung“ des Verfahrens nach dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 als „enemy alien“ einer Ausgangssperre unterlag und seine Ehefrau aus ihrer Stellung „bei der neuerrichteten militärischen Zensurstelle […] plötzlich entlassen“ wurde.²⁷¹ Durch Intervention des Kongressabgeordneten John H. Tolan beim Justizministerium konnte Hallgarten am 2. September 1942 noch die amerikanische Staatsbürgerschaft erhalten, obwohl zuvor ein „Spezialbefehl aus Washington gekommen [war], kein enemy alien könne künftig citizen werden.“²⁷² Durchschnittlich dauerte die zweite Phase der Berufstätigkeit in der Emigration etwas über sieben Jahre. Dabei ist Rosenstock-Huessy auszuklammern, da er mit dieser Phase bereits eine volle Professur erreicht hat. Fritz Epstein musste, wie erwähnt, seine erste Phase als research assistant „nachholen“, was für ihn aber auch sieben Jahre dauerte. Für Misch, der sich in dieser Zeit nicht akademisch etablieren konnte, war die zweite Phase mit drei Jahren am kürzesten, für Kisch und Rosenberg, die lange unter schwierigen Umständen und über die Zeit des Zweiten Weltkrieges hinaus an amerikanischen Colleges lehrten und forschten, war sie mit 13 Jahren am längsten. Normalerweise endete die zweite Phase jedoch durch die Kriegsanstrengungen der USA. Damit ist Hallgartens Einschätzung seiner damaligen Situation bezeichnend für diese Zäsur: „Bis zu diesem Moment hatte ich, um uns über Wasser zu halten, Krawatten und Hemden verkauft. Was nun? Ich brauchte nicht lange zu warten. Wir waren schließlich im Kriege, und Männer mit meinen Fähigkeiten waren besonders gesucht.“²⁷³
Phase 3: „war effort“ und Nachkriegsboom, 1942 – 1962 Hallgarten schildert in seinen Erinnerungen „Als die Schatten fielen“ ausführlich und zusammenhängend seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg und in der Nachkriegszeit. Er hat in dieser Phase zudem eine durchaus typische Karriere
also keineswegs undenkbar, daß isolationists und Freunde Hitlers ihren Einfluß […] benutzt hatten, um mir ein Bein zu stellen.“ Ebenda, S. 284. Ebenda, S. 282. Ebenda, S. 283 f. Ebenda, S. 285. Ebenda.
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gemacht,²⁷⁴ die ich hier zur Orientierung ausführlich vorstelle: Hallgarten wurde bald nach seiner Naturalisation für den US-Geheimdienst OSS angeworben,²⁷⁵ dann aber von Anfang an in der Military Intelligence der US-Army verwendet: Nach der Grundausbildung wurde er nach Camp Ritchie, Maryland, versetzt, wo sich „die geballte Intelligenz der Welt“ befand und zu „Spezialisten in der Vernehmung von Kriegsgefangenen und von Zivilisten im Feindgebiet“ ausgebildet wurde. Auf weiteres Training im Pentagon und in Fort Hunt bei Washington folgte die erneute Versetzung nach Camp Ritchie zur Bildung einer Kompanie für psychologische Kriegsführung: Hallgarten wurde von Hans Habe für die 3rd Mobile Radio Broadcasting Company ausgebildet.²⁷⁶ Über England, die Landung in der Normandie, Paris, Luxemburg und Bad Homburg gelangte er bis zu seinem Elternhaus in München, bevor der Krieg endete und Hallgarten am 15. August 1945, dem Tag der japanischen Kapitulation, in die USA zurückflog.²⁷⁷ Die Nachkriegsentwicklung stellte ihn bald vor eine Entscheidung: „Aus Kalifornien [von der Entlassung] zurückgekehrt, lebte ich mit meiner Frau anfänglich weiter in der Wohnung am Hunting Creek in Alexandria, Virginia, und begann – da ich als
Die Bedeutung des „war effort“ für die emigrierten Historiker insgesamt behandelt EakinThimme: Geschichte im Exil, S. 88 – 93; ebenda, S. 92, nennt sie außer Hallgarten vier weitere emigrierte Historiker, die in unterschiedlichen Positionen einen Beitrag zu den Kriegsanstrengungen der USA leisteten, abgesehen von den neun OSS-Mitarbeitern (vgl. Anmerkung 291 auf S. 137) und den zwölf in ASTPs engagierten Historiker-Emigranten (vgl. Anmerkung 297 auf S. 138). Zusammengenommen ergibt sich eine Zahl von 25 promovierten Historikern, die seit 1932 (wie Alfred Vagts oder Peter H. Olden) aus dem deutschsprachigen Raum gekommen waren und nun für die USA in den Zweiten Weltkrieg eingriffen. Zum OSS vgl. oben, Anmerkung 102 auf S. 95 f., sowie Anmerkung 149 auf S. 107. Siehe auch Katz: German Historians in the OSS; Söllner: Jüdische Emigranten, S. 168 – 175; Söllner: Geheimdienst-Analysen, v. a. S. 23 – 29; Alfons Söllner: Wissenschaftliche Kompetenz und politische Ohnmacht – Deutsche Emigranten im amerikanischen Staatsdienst 1942– 1949; in: Alfons Söllner: Deutsche Politikwissenschaftler in der Emigration. Studien zu ihrer Akkulturation und Wirkungsgeschichte. Mit einer Bibliographie, Opladen 1996, S. 118 – 132; Walther: Emigrierte deutsche Historiker, S. 46 f.; Warner: Research & Analysis. Hallgarten: Als die Schatten fielen, S. 286 – 293. Zitate auf S. 290. Zu Habe vgl. auch Krauss: Habe, Friedlaender, Budzislawski, S. 245 – 266. Camp Ritchie als Ausbildungslager für deutsche Emgranten in der US-Armee hat durch einen Dokumentarfilm über die „Ritchie Boys“ breitere Aufmerksamkeit auf sich gezogen, vgl. die zugehörige Buchveröffentlichung Christian Bauer/ Rebekka Göpfert: Die Ritchie Boys. Deutsche Emigranten beim US-Geheimdienst, Hamburg 2005. Zum Gesamtbild des militärischen Einsatzes von Emigranten gegen Nazi-Deutschland neuerdings: Patricia Kollander: Boomerang Resistance: German Émigrés in the US Army during World War II; in: Thomas W. Zeiler/Daniel M. DuBois (Hg.): A Companion to World War II, Band 2, [Chichester] 2013, S. 638 – 651. Hallgarten: Als die Schatten fielen, S. 293 – 308.
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Veteran hohe Priorität besaß – zunächst einmal in der geschichtlichen Abteilung des Generalquartiermeisters im nahen Washington D. C. zu arbeiten. […] Im Sommer 1946 wurde mir […] ein Posten als Historiker bei der Militärregierung in Deutschland angeboten, und zwar sollte ich die Kriegserfahrungen deutscher Generäle sammeln und durch Befragungen ergänzen. Als ich mich jedoch in Höchst bei Frankfurt bei der Historical Division, USFET (United States Forces European Theatre) meldete, wurde mir bedeutet, […] ich solle vielmehr die Geschichte der Militärregierung in Deutschland schreiben. Ich entgegnete, dies sei ungefähr das Letzte, was ich je tun würde. […] Nach Washington zurückgekehrt, erhielt ich nach vierwöchentlicher Aushilfstätigkeit im State Department einen Posten als senior research analyst in der Kriegsverbrechen-Abteilung im Pentagon. Da sich die Tätigkeit wesentlich in der Durchsicht deutscher Beuteakten und entsprechender Berichterstattung erschöpfte, war der Posten nicht schwer und für mich als Historiker sogar interessant. Als die Tätigkeit Mitte 1948 zu Ende ging, wurde ich mit gleichem Rang in der kartographischen Abteilung des Heeres (‚Army Map Service‘) angestellt […]. Damit nahte für uns eine Zeit der Entscheidung. Meine bisherigen Regierungsstellungen waren mehr oder minder theoretischer Natur gewesen. Keine förderte die Zwecke der Kriegsführung. Das wurde nun anders. […] Im Army Map Service hatte ich damals einen noch recht jungen Vorgesetzten, […] der, ich glaube, in Harvard studiert hatte, mir ausgesprochen wohlwollte und mich drängte, auf Kosten der Regierung, die solches ermutige, Russisch zu lernen; eine Karriere bis hinauf zur Spitze mit entsprechendem guten Einkommen sei mir praktisch sicher. Es waren die gleichen Monate (1949), in denen mich ein Ersuchen der Universität München erreichte, für ein oder zwei Semester dort als Gastprofessor zu lesen. […] Sollte ich, ausgerechnet ich, der sein ganzes Leben lang gegen diesen Kriegsgeist und seine Ursachen besonders in Deutschland gekämpft hatte, in diesem entscheidenden Augenblick vor diesem Geist die Waffen strecken, nur weil ich das Kriegswesen zu meiner lumpigen Ernährung brauchte, und alles dafür aufgeben, für was ich mich eingesetzt hatte?“²⁷⁸
An diesem Bericht über Hallgartens Nachkriegskarriere wird mehreres deutlich: Nach dem Einsatz im Zweiten Weltkrieg war die berufliche Perspektive für Hallgarten radikal anders: Im akademischen Bereich waren vor dem Kriegseintritt der USA Geldmittel schwer zu erhalten, feste Anstellungen noch schwerer, so dass Hallgartens Lage stets prekär gewesen war. Nach der weiteren Verschlechterung durch den Kriegseintritt und Hallgartens „enemy alien“-Status musste er „Krawatten und Hemden“ verkaufen. Nach dem Krieg nun wurden ihm als „Veteran“ qualifizierte und gut vom Staat bezahlte Arbeitsstellen angeboten, beim Auslaufen einer Beschäftigung erwartete ihn bereits eine andere, so dass er sogar uninteressante Forschungsaufträge („die Geschichte der Militärregierung in Deutschland“) ablehnen konnte,²⁷⁹ zur Überbrückung eine „Aushilfstätigkeit“ im Ebenda, S. 310 – 312. Die Geschichte der Militärregierung in Deutschland dürfte Hallgarten als propagandistisches Projekt der Gegenwartschronistik erschienen sein. Interessiert hatte ihn hingegen die Aufgabe, „die Kriegserfahrungen deutscher Generäle sammeln und durch Befragungen ergänzen“ zu können, was der Pazifist Hallgarten wahrscheinlich als Chance zu einem einzigartigen kritischen
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US-Außenministerium erhielt und sich letztlich gegen die Sicherheit seiner „lumpigen Ernährung“ entscheiden konnte, um seinen pazifistischen Überzeugungen treu zu bleiben.Weiter wird deutlich, dass die Karrierechancen damals als ausgezeichnet eingeschätzt wurden, dass es allerdings auch eine Zeit der sich überschlagenden Ereignisse – auch auf persönlichem Gebiet – war: „ein geistiger Kampf um die Neugestaltung Europas und seiner Wissenschaft“, an dem nicht nur Hallgarten in Form einer Gastprofessur teilnehmen wollte.²⁸⁰ Gilbert trat 1943 in die „Research and Analysis Branch“ des OSS ein, nachdem er im selben Jahr naturalisiert worden war.²⁸¹ Über einige Erlebnisse in der Zeit beim OSS, besonders über die Rückkehr nach England, Frankreich und Deutschland, berichtet er in seinen Erinnerungen – wie bei Hallgarten spielt dabei die Suche nach dem verlorenen Elternhaus eine besondere Rolle.²⁸² Nach Kriegsende fand auch er Arbeit im Zusammenhang mit der Militärverwaltung Deutschlands: Für das State Department wurde er für ein Jahr als Beobachter des Wiederaufbaus des politischen, kulturellen und akademischen Lebens nach Deutschland geschickt.²⁸³ 1946 zurück in den USA, fand er bald Anstellung als
Zugriff auf Höhepunkt und Untergang des preußisch-deutschen Militarismus auffasste. Die zu diesem Zeitpunkt bereits etablierte freundliche Kooperation der Historical Division und ihrer Operational History (German) Section mit den kriegsgefangenen Wehrmachtsoffizieren widersprachen jedoch einem solchen Vorhaben. Es ist nicht auszuschließen, dass Hallgarten aufgrund seiner angenommenen oder tatsächlichen ablehnenden Einstellung gegenüber den deutschen Generälen nicht mit der zunächst angebotenen Aufgabe betraut wurde. Zur Operational History (German) Section und der bereits 1945 freundlichen deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit darin siehe Esther-Julia Howell: Von den Besiegten lernen? Die kriegsgeschichtliche Kooperation der U.S. Armee und der ehemaligen Wehrmachtselite 1945 – 1961, Berlin/Boston 2016 (zugleich Diss., Augsburg 2012); zuvor Esther-Julia Krug: „Holding down the Fort?“ The War Historical Cooperation of the U.S. Army and Former German Wehrmacht Officers, 1945 – 1961, Master-of-ArtsThesis, Emory University, Atlanta 2009; URL: https://etd.library.emory.edu/downloads/ 1g05fc27m (zuletzt abgerufen am 4. Januar 2019). Hallgarten: Als die Schatten fielen, S. 313. Vgl. unten, Abschnitt 4.2.1 ab S. 219. Zum OSS-Engagement vgl. Ritter: Meinecke, S. 58; Ritter: Meinecke-Schüler in den USA, S. 69 und 72; zur Erlangung der amerikanischen Staatsbürgerschaft Epstein: Catalog, S. 98. Vgl. Gilbert: Lehrjahre, wo die Suche eine Klammer um die übrigen Erinnerungen an Europa bildet. Ritter: Meinecke, S. 58; Ritter: Meinecke-Schüler in den USA, S. 72.Während Gilbert mehr mit dem Wiederaufbau der Universitäten befasst war, waren etwa auch in der alliierten Medienpolitik gerade der amerikanischen Militärregierung einige Emigranten tätig: Jessica C. E. Gienow-Hecht: Zuckerbrot und Peitsche. Remigranten in der Medienpolitik der USA und der US-Zone; in: ClausDieter Krohn/Axel Schildt (Hg.): Zwischen den Stühlen? Remigranten und Remigration in der deutschen Medienöffentlichkeit der Nachkriegszeit, Hamburg 2002, S. 23 – 49; vgl. weitere Aufsätze im selben Band zur Rolle von Emigranten in der Medienpolitik der anderen Besatzungszonen.
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Lecturer am Bryn Mawr College, einem renommierten Frauencollege in der Nähe von Philadelphia, eine Position, die bereits 1947 zur außerordentlichen Professur umgewandelt wurde. Hajo Holborn arbeitete in der OSS-Zeit mit Gilbert zusammen, war aber mit etwas höherem Status in das OSS eingetreten: Er war „Special Assistant“ des Leiters der „Research and Analysis Branch“, William L. Langer.²⁸⁴ Nach Kriegsende wurde auch Holborn Berater des US-State Departments, hatte wahrscheinlich in beiden Positionen Einfluss „auf die amerikanische Besatzungspolitik in Deutschland“, über die er 1947 eine mehrfach nachgedruckte Monographie veröffentlichte.²⁸⁵ Holborn unterscheidet sich trotz dieser Parallelität zu Gilbert dadurch von den meisten Untersuchungspersonen, dass er bereits 1940, also vor Beginn der dritten Phase der Berufstätigkeit in der Emigration, auf eine ordentliche Professur in Yale berufen worden war. Auch Fritz Epstein war für das OSS tätig, und zwar von der Erlangung der amerikanischen Staatsbürgerschaft 1944 bis 1946. Zuvor war er bereits als Dozent in das „Army Specialized Training Program“ (ASTP) involviert gewesen.²⁸⁶ Obwohl er als Research Analyst in der Latin America Division des OSS gearbeitet hatte,²⁸⁷ wurde er im Anschluss vom Department of State für Zentraleuropa engagiert und war dann an der internationalen Studie über die Akten des Auswärtigen Amtes 1919 – 1945 beteiligt, die „the first systematic review of these important materials“ vornahm. 1948 folgte eine dreijährige Anstellung als Kurator der Central European and Slavic Collection und Research Associate der Hoover Institution on War, Revolution, and Peace an der Stanford University.²⁸⁸ 1951 kehrte er zu den erbeuteten deutschen Akten zurück²⁸⁹ und arbeitete bis 1959 als Dozent an der Ritter: Meinecke, S. 51; Ritter: Meinecke-Schüler in den USA, S. 65. „American Military Government. Its Organization and Policies“ von Hajo Holborn erschien in Washington 1947, Buffalo 1975 und Westport 1977; vgl. Ritter: Meinecke, S. 51, und Epstein: Catalog, S. 133. Siehe dazu unten ab S. 138. Die Struktur des OSS erläutert Söllner: Geheimdienst-Analysen, S. 25 f.: Demnach war die Lateinamerika-Abteilung eine der vier Regionalabteilungen der Research and Analysis Branch des OSS. Zu Fritz Epstein siehe Robert F. Byrnes: Introduction: Fritz T. Epstein; in: Fritz T. Epstein: Germany and the East. Selected Essays, hg. von Robert F. Byrnes, Bloomington/London 1973, S. XI–XIX, hier S. XIV f.; vgl. das Biographische Handbuch, außerdem Epstein: Catalog, S. 69 – 74; Fischer/Moltmann/Schwabe: Vorwort zur Festschrift für Fritz T. Epstein, S. X; Weinberg: Fritz T. Epstein, S. 399 f. Byrnes: Introduction: Fritz T. Epstein, S. XV: „[H]e served for three years as Director of Research of the Army-Navy-Air Force War Documentation Project in Alexandria, Virginia. There […] he helped organize and find staff for the immensely important job of cataloguing the captured German documents“.
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American University in Washington, D. C., wo er anschließend kurzfristig als außerordentlicher Professor wirkte. Gleichzeitig war er an der Library of Congress als Spezialist für die UdSSR und Mitteleuropa tätig, bevor er 1960 – 1963 als Geschäftsführender Herausgeber die „Dokumente zur Deutschen auswärtigen Politik 1918 – 1945“ in Bonn betreute. Epstein konnte also durch seine OSS-Tätigkeit und die anschließenden 17 Jahre, in denen er wichtige Beiträge zur Erschließung der deutschen Aktenbestände leistete,²⁹⁰ die Karriere in den USA nachholen, die andere Emigranten in der zweiten Phase vor dem Kriegseintritt der USA gemacht hatten, und die Epstein durch das „Nachholen“ der ersten Phase verpasst hatte. Zur Bedeutung der „German Historians in the Office of Strategic Services“ geben Barry M. Katz in seiner gleichnamigen Skizze und Fritz Stern in seinem Überblick über die Deutschland-Historiographie in Amerika Auskunft.²⁹¹ Katz vergleicht die emigrierten Historiker mit den vertriebenen Physikern, ihre Geheimdienstarbeit mit dem Bau der Atombombe.²⁹² Das Herz des im Juni 1941 gegründeten ersten Auslandsgeheimdienstes der USA war jene Abteilung für Forschung und Analyse, die von dem bedeutenden Harvard-Historiker William L. Langer in Washington aufgebaut wurde. Langer rekrutierte ab 1942 neben anderen Experten etwa 40 Historiker, die politisch durchaus gegensätzlich, fachlich aber ausgezeichnet waren, so dass zahlreiche große Namen der Nachkriegszeit im OSS versammelt waren, darunter ab 1943 auch Emigranten.²⁹³ Der Gewinn durch die Beteiligung deutschsprachiger Historiker lag nicht nur in deren Sprachbe-
Vgl. dazu das Verzeichnis der Schriften von Fritz T. Epstein; in: Alexander Fischer/Günter Moltmann/Klaus Schwabe (Hg.): Russland – Deutschland – Amerika. Festschrift für Fritz T. Epstein zum 80. Geburtstag, Wiesbaden 1978, S. 415 – 435, besonders S. 416 und S. 434. Dieses Schriftenverzeichnis löst die älteren Epstein-Bibliographien ab. Katz: German Historians in the OSS; Stern: German History in America, v. a. S. 156 – 158. Beide nennen Fritz Epstein nicht in diesen Zusammenhang, wahrscheinlich weil er nicht zur Central European Section der Research and Analysis Branch gehörte, aus der die bekannteste Gruppe amerikanischer Europa-Historiker hervorging, vgl. ebenda, S. 157. Vgl. zu den im OSS beschäftigten Historiker-Emigranten auch Eakin-Thimme: Geschichte im Exil, S. 89 – 92; ebenda, S. 91 f., nennt sie einschließlich Holborn, Gilbert und Epstein neun emigrierte Historiker, die für das OSS arbeiteten. Katz: German Historians in the OSS, S. 136: „The historians’ Manhattan Project was the Research and Analysis Branch of the wartime Office of Strategic Services (OSS). […] Like their counterparts in the physical sciences, the humanist scholars of OSS were given an unprecedented opportunity to contribute to the anti-fascist struggle, not in spite of their academic training but precisely on the basis of it.“ Ebenda, S. 136 f., auch: „Of its forty professional historians, no less than seven would rise to the presidency of the American Historical Association – a fact that scarcely accounts for the neglect of the R & A Branch in the scholarship of World War II, on the roots of American intelligence, and, most significantly, perhaps, on the leading currents of modern intellectual history.“
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herrschung und Kenntnissen über europäische Politik, Kultur und andere Eigenheiten: In der Zusammenarbeit mit den in Amerika geborenen Experten erhielten die emigrierten Historiker eine „education in contemporary Realpolitik“ und Zugang zu den in Amerika viel tiefer verwurzelten sozialwissenschaftlichen Perspektiven auf die Geschichte.²⁹⁴ Die amerikanischen Historiker hingegen konnten vom Ansatz der Ideengeschichte profitieren, und die Flüchtlinge „helped to deepen the theoretical level of historical scholarship in the United States.“²⁹⁵ Die Nachwirkung dieser Zusammenarbeit, die er ein „seminar en permanence“ nennt, kann man auch laut Stern kaum überschätzen: „The fruitfulness of forced cooperation between American and emigré scholars, between established scholars and young graduate students, was demonstrated by […] the research and analysis branch of OSS […]. After 1945, this group returned to the universities, wrote the path-breaking works on modern history and trained yet other generations.“²⁹⁶
Außer geheimdienstlicher Analyse und psychologischer Kriegsführung gab es im „war effort“ der USA noch weitere Aufgaben, für die die Historiker aus Deutschland gebraucht wurden: Wie Fritz Epstein vor seiner OSS-Zeit, waren auch Felix Hirsch und Carl Misch am ASTP beteiligt, durch das Nachwuchs mit akademischen Aussichten auf die Offizierslaufbahn und den Krieg in Europa – und in Asien – vorbereitet werden sollte.²⁹⁷ Hirsch etwa wurde 1943, nach einem Jahr als Assistenzprofessor für Geschichte am Bard College in Annandale-on-Hudson, New York, zum Chairman des dortigen „US Army Area Training Program“, einem Bestandteil des ASTP. Carl Misch wurde ab Juli 1943 im ASTP²⁹⁸ des Hamilton
Vgl. Söllner: Jüdische Emigranten, S. 168 f. Katz: German Historians in the OSS, S. 139. Stern: German History in America, S. 156 f.; vgl. Söllner: Jüdische Emigranten, S. 174 f. Einen Überblick über die Beziehung zwischen Historiker-Emigranten und dem ASTP gibt Eakin-Thimme: Geschichte im Exil, S. 89 – 91. Sie zählt ebenda, S. 90, zwölf emigrierte Historiker auf, die in ASTPs beschäftigt waren; die Aufzählung ist aber zumindest insofern unvollständig, als Fritz Epstein nicht erwähnt wird. Schneider spricht sowohl in Schneider: Misch im Exil, S. 218, als auch in Schneider: Mischs verhinderte Rückkehr, S. 87, von einem „Army Specialized Program“; gemeint ist jedoch ein „Army Specialized Training Program“ (ASTP); auch wenn die Bezeichnungen variieren, beziehen sie sich doch, wie auch „US Army Area Training Program“, auf das ASTP. Vgl. die Kolumne Wie wir hören; in: Aufbau 9 (1943), Nr. 33 vom 13. August 1943, S. 7: Misch ist „mit der Abhaltung von Kursen und Vorlesungen am Hamilton College, Clinton, N. Y., betraut worden und zwar im Rahmen des Army Specialized Training Program.“ Sein „Aufgabengebiet ist Geschichte und Sozialverfassung Frankreichs und Deutschlands.“
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Colleges in Clinton, New York, eingesetzt.²⁹⁹ Dabei konnte Hirsch seine Position als Assistenzprofessor auch nach Auslaufen des Programms im April 1944 behalten, während Misch erneut ohne Anstellung war.³⁰⁰ Die Bedeutung des ASTP schilderte der damalige Leiter der Fernost-Abteilung an der University of Washington in Seattle, Franz H. Michael, im August 1944 ausführlich.³⁰¹ Er konzentrierte seinen Rückblick zwar auf das dortige ASTP zu Ostasien, doch seine Feststellungen lassen sich auf den europäischen Kriegsschauplatz und die dafür vorbereitenden ASTPs an anderen Universitäten übertragen. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Deutschland erfuhr demnach durch den Nationalsozialismus, den Zweiten Weltkrieg und das Ende des Isolationismus in Amerika einen bedeutenden Aufschwung.³⁰² „The greatest single stimulus has been, however, the Army Specialized Training Program“.³⁰³ Im Juli 1943 improvisiert gestartet, wurde das bis April 1944 andauernde neunmonatige Programm vom Militär „with an excellent detailed outline of the general objectives and the methodology“ ausgestattet, die engstmöglich befolgt wurde. Im
Vgl. am ausführlichsten Schneider: Misch im Exil, S. 218, wo aus den Carl Misch Papers, die in der State University of New York at Albany liegen, die Themen seiner Kurse angegeben werden: „The French Press, The German Press before Hitler, The German Press under Hitler, The Nazi Propaganda Machine.“ Schneider: Mischs verhinderte Rückkehr, S. 86, und Schneider: Misch im Exil, S. 218, sowie, sich darauf berufend, Haarmann: Carl Misch, S. 159, sprechen von einem Hamilton College in Clinton, Kentucky. Die Angabe des Bundesstaates ist gemäß dem AufbauZitat oben, in Anmerkung 298, jedoch falsch, zumal in Clinton, Kentucky, kein Hamilton College existiert. Die Verortung von Mischs ASTP-Arbeitsplatz im Bundesstaat New York deutet darauf hin, dass er in dieser Zeit leichter den Kontakt zu den Emigranten-Kreisen in New York City halten konnte.Vermutlich beruht die Verwechselung des US-Bundesstaates darauf, dass Misch später in Danville, Kentucky, tätig war. Da Schneider keine genaue Stelle in ihrem Verweis auf die Misch Papers angibt, ist schwer abzuschätzen, ob die Misch Papers denselben Irrtum enthalten. Zu den Carl Misch Papers vgl. Spalek: Verzeichnis der Quellen und Materialien, S. 634. Zu Mischs Karriere nach dem ASTP siehe unten, S. 153. Das Biographische Handbuch gibt an, Misch sei [a]b 1943 Instructor, […] Centre Coll. Danville/Ky.“ gewesen; korrekt dürfte aber die auf die Misch Papers gestützte Angabe sein, Misch sei ab 1944 wieder ohne feste Anstellung gewesen: Schneider: Mischs verhinderte Rückkehr, S. 86 f.; Schneider: Misch im Exil, S. 218 f. Franz H. Michael: Civilians and Soldiers Study Pacific; in: Far Eastern Survey 13 (1944), S. 158 – 161. Stern: German History in America, S. 157: „After 1933, there was no escaping the centrality of German history.“ Vgl. Michael: Civilians and Soldiers Study Pacific, S. 158: „The war itself, the need of the armed services and of the government for people trained in languages and special knowledge of Far Eastern countries, has been a great incentive to the development of such studies.“ Ebenda; Michael weist ebenda auch auf die früheren erfolglosen Versuche hin, dem ASTP ähnliche Programme zu starten: „Before Pearl Harbor the department had already suggested to military authorities a special training program which, however, seemed premature at that time.“
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Zentrum standen neben Sprachkursen mit verschiedenen Sprachpraxis-Zielen die „area studies“: „In the area study, the student was to get acquainted with the geography, history and contemporary institutions and culture of the region. […] In a detailed list the Army provided us with the particular facts to be studied […]. These subjects […] indicate that the students were to receive an understanding of actual living conditions in addition to the historical, political and geographical background of the countries. A study of contemporary history was ‚to give the trainee an understanding and appreciation of the scope and importance of the war in which he is engaged as a soldier in uniform and some knowledge of the events leading up to and conditioning the course of that war,‘ as well as to increase the personal interest of the student in his work.“³⁰⁴
Am Beispiel des Sprachtrainings erläutert Michael den Innovationscharakter der ASTP-Kurse für die Wissenschaft: „[T]he Army had given us a number of suggestions on the methodology used in language and area studies. In building up our program, […] we gained a great deal of most valuable experience and received new ideas which are important for our regular university work in this and other fields. In the development of our language program we had to introduce new material and methods of instruction. The Army had suggested the use of the technique developed by the Yale Linguistic School. […] In this method, the students learn the language through the use of complete phrases rather than by acquiring a disjointed vocabulary.“³⁰⁵
Obwohl der Ausbildungsschwerpunkt auf Sprache und Umständen im jeweiligen Land lag, erhielt doch jeder Student breitere Informationen über „history and geography“, einen „fundamental course in anthropology“ und „[s]hort courses in Far Eastern philosophy and art“, dazu kam „a general course in international relations and the story of the war itself.“ Das Ziel war also die Vermittlung breiter Bildungsinhalte, für die die Historiker-Emigranten gut qualifiziert waren, umso mehr, als „it was, as the Army pointed out, most important to have teachers who spoke the language like natives.“ Michaels nachträgliche Bewertung des ASTP fällt sehr positiv aus, so dass die dafür eingestellten Emigranten von ihrem Engagement auch über die Kriegszeit hinaus profitiert haben dürften.³⁰⁶ Ebenda, S. 159. Im Zitat zitiert Michael aus nicht näher belegten Vorgaben des Militärs. Ebenda, S. 159 f. Ebenda, S. 160 f.: „We have become firmly convinced of the practicability of the new method of language training. […] It gave us the feeling that we could participate in something useful for the general war effort and we were proud to be of service. But the valuable experiences gained were also of greatest importance to our civilian classes. […] The new method and materials which we developed for the Army program have been applied already in intensive language classes for civilians. […] After the war, many students will wish to prepare themselves for government service,
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Eine ähnliche Tätigkeit, die jedoch zeitlich versetzt stattfand, ist bei Hans Rosenberg zu verzeichnen, der zuvor – auch während des Krieges – in Lehre und Forschung aktiv war.³⁰⁷ Rosenberg nämlich beriet 1950 das US Department of State als Spezialist für die Regierung der besetzten Gebiete.³⁰⁸ Dabei ging es vor allem um die Lage der deutschen Geschichtswissenschaft und die HistorikerAusbildung an deutschen Universitäten, denen es an Zugang zu internationalen Forschungen und Methoden mangele. „By and large, in my considered opinion, ‚re-education‘ will no longer be served by applying external pressure to German thought and behaviour.“³⁰⁹ Rosenberg empfahl daher hinsichtlich der noch sehr formbaren und an sozialwissenschaftlichen Ansätzen interessierten Studierenden, dass „promising students of this kind enjoy the privilege of being sent to America or Great Britain for a year or two“.³¹⁰ Implizit setzte er sich damit für die Einbeziehung der Bundesrepublik in das 1946 eingerichtete Fulbright Program ein, das Mitte 1950 Österreich durch eine Umsetzungsvereinbarung aufgenommen hatte.³¹¹ Der Abschluss einer solchen Vereinbarung mit Westdeutschland verzögerte sich jedoch noch bis Mitte 1952, so dass erstmals 1953 in diesem Rahmen Gastprofessoren, ‐lehrer und ‐studierende zum Austausch zwischen Deutschland und den USA aufbrachen.³¹² business, educational or social reconstruction work in the Far East. The University therefore, beginning with the fall of 1944, is introducing in addition to the regular academic work, a Civilian Language and Area Training Program for several countries of the Far East to meet the many present needs. […] We believe, therefore, that such programs as the one being started by the University in the fall, based upon our Army experiences, will be an essential part of the practical reorientation of the American attitude toward the countries of the Far East.“ Rosenberg war ab 1939 Assistenzprofessor am New Yorker Brooklyn College und erhielt mehrere Forschungsstipendien. Vgl. oben ab S. 128. Diese Beratungstätigkeit dokumentiert sich namentlich etwa in einem als Kopie in Rosenbergs Nachlass erhaltenen Brief, den Gerhard A. Ritter in seine Briefedition zu den Meinecke-Schülern aufgenommen hat: 11. November 1950: Hans Rosenberg an das Department of State, Division of Exchange of Persons (Washington, D.C.); in: Ritter: Meinecke, S. 377– 386; vgl. ebenda, S. 79. 11. November 1950: Hans Rosenberg an das Department of State, Division of Exchange of Persons (Washington, D.C.); in: Ritter: Meinecke, S. 377– 386, hier S. 379. Ebenda, S. 380 f., Zitat auf S. 381. Es ist möglich, dass Rosenbergs Beratung allein diesen Bereich betraf, da er vom US High Commissioner for Germany (HICOG) „never received any ‚instructions‘“ und er daher „finally decided to proceed on my own initiative.“ So Rosenberg in einem Entwurf des genannten Berichts vom 11. November 1950, der von Ritter teilweise zitiert wird in Ritter: Meinecke, S. 377, Fußnote 132. König: Fulbright in Österreich, S. 14 und 23. James F. Tent: The Beginning of the German-American Fulbright Program 1952; in: GermanAmerican Fulbright Commission (Hg.): The First Class of Fulbrighters, Berlin [2003], S. 2 f.; URL: http://www.fulbright.de/fileadmin/files/commission/program/downloads/first_class_fulbrigh ters.pdf (zuletzt abgerufen am 12. Mai 2014, Archiv-URL:
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Etwas Ähnliches wie Rosenbergs politisches Engagement für die Besatzungsbehörden ist für Fritz Heichelheim und Gerhard Masur nicht festzustellen, sie trugen vor allem durch ihr wissenschaftliches Engagement zu Wiederaufbau und Neuorientierung der deutschen Universitäten, besonders der Geschichtswissenschaft, bei.³¹³ Die dritte Phase ihrer Emigrations-Berufstätigkeit ist daher anders zu kennzeichnen, namentlich durch ihre letzte Weitermigration nach Nordamerika – in die USA bei Masur, nach Kanada bei Heichelheim – und die Annahme der letzten akademischen Anstellungen unterhalb des Karrieresprungs zum ordentlichen Professor. Heichelheim wurde 1948 Dozent an der Universität von Toronto, 1953 Assistenzprofessor, 1959 außerordentlicher Professor, und war ab den 1950er Jahren auch publizistisch aktiv und Direktor des gemeinsamen Papyrus-Projekts seiner alten Gießener Alma Mater und der aktuellen Wirkungsstätte University of Toronto.³¹⁴ Masur hatte die Weltkriegs-Zeit in Kolumbien verbracht³¹⁵ und schaffte in der dritten Phase mit Unterstützung der Rockefeller Foundation den Übergang nach und die Etablierung in den USA.³¹⁶ Nach dem Knüpfen erster Kontakte³¹⁷ erhielt er nach zweieinhalb Monaten, in denen er an
http://web.archive.org/web/20140512232238/http:/www.fulbright.de/fileadmin/files/commis sion/program/downloads/first_class_fulbrighters.pdf).Vgl. die gesamte Broschüre für Überblicke und Erinnerungstexte, die zum 50. Jubiläum dieser deutsch-amerikanischen Austauschinstitution zusammengestellt wurden. Vgl. unten, Abschnitt 4.2.1 ab S. 219, zu ihren Gastprofessuren und anderen DeutschlandKontakten. Vgl. das Biographische Handbuch. Die Ludwigs-Universität Gießen wurde 1946 offiziell geschlossen, stattdessen eine „Hochschule für Bodenkultur und Veterinärmedizin“ gegründet, die 1950 in „Justus Liebig-Hochschule“ umbenannt wurde und 1957– zur 350-Jahr-Feier der LudwigsUniversität – den Universitätsstatus zurück erhielt. Dazu: Norbert Werner: Die Jahre 1946 bis 1957; in: 375 Jahre Universität Gießen. 1607– 1982. Geschichte und Gegenwart. Ausstellung im Oberhessischen Museum und Gail’sche Sammlungen 11. Mai bis 25. Juli 1982, [Gießen] 1982, S. 214– 217. Masur hatte in Kolumbien darüber nachgedacht, sich freiwillig zum Kriegsdienst zu melden, fühlte sich jedoch zu krank, um „zu dem militärischen Geschehen beitragen zu können. Ich schrieb in den Zeitungen gegen Hitler und seine Kohorten und tat das meine dazu, daß die deutsche Schule und die Naziorganisationen in Kolumbien geschlossen wurden.“ Masur: Das ungewisse Herz, S. 248. Zu Heichelheim und Masur siehe das Biographische Handbuch, zu Masur vgl. auch Masur: Das ungewisse Herz, S. 253 – 295. Bei der Eingewöhnung in den USA fand Masur unter anderem Unterstützung von Hans Rosenberg, der sich Anfang 1947 über ein Wiedersehen freute und Masur eingehend zur Anpassung an amerikanische Standards beriet. Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/62: Brief Hans Rosenberg an Gerhard Masur, 10.01.1947; sowie Brief Hans Rosenberg an Gerhard Masur, 04.02. 1947.
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seiner 1948 erschienenen großen Biographie „Simon Bolívar“ gearbeitet hatte,³¹⁸ ein Angebot der privaten, katholischen University of Dayton in Ohio,³¹⁹ das er jedoch ablehnte, um 1947 als Gastprofessor ans Sweet Briar College im gleichnamigen Dorf in Virginia zu gehen, eine Anstellung, die im Jahr darauf in eine volle Professur umgewandelt wurde.³²⁰ Der rasche Erfolg und der Luxus einer Auswahl aus mehreren interessanten Angeboten ist, darin ist Masurs Einschätzung der Lage 1946 sicher zuzustimmen, zu einem Großteil auf die Nachwirkung des Krieges zurückzuführen: „Jedoch war die allgemeine Situation günstiger, als ich selbst wußte. Der amerikanische Kongress hatte die sogenanne G. I. Bill bewilligt, der zu folge jeder Soldat, der am Kriege teilgenommen und zu studieren wünschte, von der Regierung ein kleines Stipendium erhielt. […] Infolgedessen waren die Universitäten überfüllt, und es bestand eine große Nachfrage nach qualifizierten Lehrern.“³²¹
Veit Valentin verfasste für den zunächst an der Veröffentlichung interessierten Verlag Viking Press ein Gutachten über das Buch: „Es hätte nicht besser ausfallen können, wenn ich es selbst geschrieben hätte. Ja, es schien mir fast zu überschwänglich, da er das Buch mit Beethovens Eroica verglich.“ Masur: Das ungewisse Herz, S. 277. Ebenda, S. 272 f.: „Die Bezahlung war gut, und man sagte mir, daß ich in Dayton so lange bleiben könnte, wie ich wollte. Es war als eine Daueranstellung gedacht. […] Jederman beglückwünschte mich und riet mir den vertrag anzunehmen. Aber ich war meiner nicht so sicher. Wenige Tage später erhielt ich von dem Institute for International Education eine Anfrage, ob ich eine Position in einem College in Virginia annehmen würde: allerdings war diese auf ein halbes Jahr beschränkt. […] Es [das Gehalt] lag erheblich über dem, was man mir in Dayton angeboten hatte. […] So hatte ich nun zwei Angebote und mußte mich entscheiden, welchem ich den Vorzug geben wollte. Was mich von vornherein nach Sweet Briar zog, war die Tatsache, daß ich dort weniger Wochenstunden zu unterrichten hatte und mich auf die europäische Geschichte konzentrieren konnte. […] Dagegen sprach, daß es nur eine kurzfristige Anstellung war, während man mir in Dayton eine Dauerstellung in Aussicht gestellt hatte.“ Zunächst mehrfach befristet verlängert, wurde die Professur 1953 nach einigen Schwierigkeiten in eine Anstellung auf Lebenszeit umgewandelt: Ebenda, S. 295. Ebenda, S. 269. Rosenberg wies Masur Anfang 1947 jedoch auf die guten Aussichten für eine akademische Anstellung hin: „die Konjunktur auf dem akademischen ‚Arbeitsmarkt‘ ist ja gottlob z. Zt. so günstig wie noch nie.“ Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/62: Brief Hans Rosenberg an Gerhard Masur, 04.02.1947. – Zur G. I. Bill (The Servicemen’s Readjustment Act, 1944) und ihren Auswirkungen vgl. Sonnert/Holton: Children Who Fled, S. 142 ff.; Marita Krauss: Eroberer oder Rückkehrer? Deutsche Emigranten in der amerikanischen Armee; in: Exil 13 (1993), Nr. 1, S. 70 – 85, hier S. 76; Walther: Emigrierte deutsche Historiker, S. 46. Nicht nur Emigranten eröffnete die G. I. Bill neue Chancen, sondern auch Frauen und in der Folge breiteren Schichten der USGesellschaft, erläutert Holborn: Memoir, S. XI f., im wehmütigen Rückblick auf „the days when the GI Bill symbolized an enthusiastic faith in the power of education as a central engine of social mobility, key to the capacity for creating an increasingly meritocratic society of strengthened democratic virtue.“
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Während man bei Rosenstock-Huessy gar keine dritte Phase ausmachen kann, da er ja frühzeitig Professor geworden war, lässt sich Kisch auch lose zur Gruppe derer zählen, die letztlich von den steigenden Studierendenzahlen der Nachkriegszeit profitierten: Seine Gastprofessur wurde 1950 in eine Forschungsprofessur umgewandelt und auch besser bezahlt.³²² Insgesamt kann also die letzte Erwerbsphase, die die vor der Emigration Promovierten vor Erlangung einer ordentlichen Professur durchlaufen mussten, als geprägt von zwei Phänomenen beschrieben werden: Einerseits vom „war effort“,³²³ andererseits vom Nachkriegsboom im amerikanischen Bildungssektor.³²⁴ Diese zusammenhängenden, aber sehr unterschiedlich wirksamen Elemente führen zu einer breiten Streuung bei der Dauer dieser dritten Phase: Durchschnittlich fast sieben Jahre lang, liegen die Extrema bei zwei Jahren (Rosenberg, Masur) sowie bei 14 (Heichelheim) und sogar 18 Jahren (Fritz Epstein). Masur und Zur Ernennung Kischs zum „research professor“ vgl. Kisch: Erinnerungen, S. 145: Die Übernahme des JIR durch das Hebrew Union College (HUC) in Form einer Fusion zum HUC-JIR 1950 führte zu Kischs Besserstellung: „In aller Kürze legte ich ihm [Nelson Glueck, dem neuen Präsidenten des HUC-JIR] dar, daß ich seit dreizehn Jahren den ganzen Pflichtenkreis eines ‚full professor‘ ausfülle, was bisher weder rangordnungs- noch gehaltsmäßig berücksichtigt worden sei. […] Ein neuer Wind begann zu wehen. […] Das Niveau und das Ansehen der Anstalt hoben sich zusehends. Aus dem ‚visiting professor‘ wurde ein ‚research professor‘, dessen Gehalt nach und nach aufgebessert wurde.“ An den Kriegsanstrengungen beteiligten sich Gilbert, Hallgarten, Holborn und Fritz Epstein, bedingt auch Rosenberg, Hirsch und Misch. Vgl. auch den Überblick bei Eakin-Thimme: Geschichte im Exil, S. 89 – 93. Anders gelagert war Rosenstock-Huessys entsprechendes Engagement, das in der Tradition seiner deutschen Arbeitslager-Bewegung stand und beim Kriegseintritt der USA sein Ende fand: Im Rahmen des New Deal war 1933 das Civilian Conservation Corps (CCC) entstanden, in dem zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit beispielsweise Aufforstungsprojekte betrieben wurden. Mit Unterstützung von US-Präsident Franklin D. Roosevelt gründete Rosenstock-Huessy 1940 mit Studierenden und Absolventen aus Harvard und Dartmouth das „Camp William James“, das die Möglichkeiten zur Umwandlung des CCC in einen nationalen Freiwilligendienst eruieren sollte, der in Anlehnung an einen Aufsatz von William James als „The Moral Equivalent of War“ gedacht war. Der japanische Angriff auf Pearl Harbor zerschlug die Perspektive des Camps. Rosenstock-Huessy erwog zwar Anpassungen an den „war effort“, sah aber Mitte 1942 keine Möglichkeiten zur Weiterführung des Projekts mehr. John F. Kennedy begründete 1961 den kulturdiplomatischen Freiwilligendienst „Peace Corps“ in ausdrücklicher Tradition zum „Camp William James“. Alles nach Jack J. Preiss: Camp William James, Norwich, Vermont 1978, besonders S. ix–xi (Preface – 1977 von Page Smith), S. xi f. (Introduction – 1977 von Jack J. Preiss) und S. 209 – 212 (Brief von Eugen Rosenstock-Huessy an Katherine Taylor, Norwich, Vermont 1942). Vgl. Kiran Klaus Patel: „Soldaten der Arbeit“. Arbeitsdienste in Deutschland und den USA 1933 – 1945, Göttingen 2003 (zugleich Diss., Berlin 2001), S. 175 f. Von den steigenden Studierendenzahlen und der Nachfrage nach Lehrpersonal profitierten Kisch, Masur und Misch, wahrscheinlich auch Heichelheim, dieser allerdings in Kanada; vgl. Eakin-Thimme: Geschichte im Exil, S. 93 f.
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Rosenberg erreichten im Nachkriegsboom (1948 und 1952) volle Professuren, Epstein und Heichelheim, bei denen der Übergang in Phase 2 oder Phase 3 eine Weitermigration bedeutet hatte, durchliefen verschiedene weitere Karrierestationen – auch bedeutsame – bis zu beider Ernennung zum ordentlichen Professor erst 1962. Diese systematische Betrachtung der Etablierungsphase emigrierter Historiker zeigt, dass Eakin-Thimmes Eindruck, nur mit „Modern European History“ sei für Emigranten eine „Erfolgsstory“ zu schreiben gewesen,³²⁵ in dieser Pauschalität falsch ist. Für Historiker mit anderer Spezialisierung war die Etablierung schwieriger, da die Nachfrage nicht so deutlich durch Krieg und Nachkrieg anstieg, aber sie war ebenfalls möglich. Darauf verweist auch Eakin-Thimmes Feststellung, dass in der Nachkriegszeit der „Interpretationsrahmen der ‚Atlantic community‘ etabliert“ wurde, indem man unter anderem weithin Hochschulkurse zum Thema „Western Civilization“ einrichtete.³²⁶ Wegen ihres persönlichen transatlantischen Zugangs erschienen Emigranten besonders für solche Kurse geeignet,³²⁷ und nahmen das Thema auch gern auf – zumal es ebensogut auf die Vorgeschichte der kolonialen Expansion übertragbar war wie auf die koloniale und postkoloniale Phase.³²⁸
2.4.3 Abweichungen bei in den USA Promovierten Die geschilderten Rahmenbedingungen der Nachkriegsetablierung ihrer älteren Kollegen prägten auch die Karrieren der fünf Mitglieder der jüngeren Generationen – von Laue, von Klemperer, Klaus Epstein, Stern und Jonas –, die in der
Ebenda, S. 259. Ebenda, S. 259 f. Stern: Erinnerungen, S. 259, über seinen Lehrauftrag ab 1951 an der Cornell University, „für rund dreihundert Studenten einen Einführungskurs“ zu diesem Thema zu geben. Ausdrücklich auf die „Western Civilization“ bezogen ist etwa zum Mittelalter: Eugen Rosenstock-Huessy: The Driving Power of Western Civilization: The Christian Revolution of the Middle Ages, Boston [1949], die Neuauflage eines Ausschnitts aus Eugen-Rosenstock-Huessy: Out of Revolution. Autobiography of Western Man, New York 1938. Implizit behandelt die „Western Civilization“ in der Zeit des Kolonialismus und Postkolonialismus Theodore H. von Laue: The World Revolution of Westernization. The Twentieth Century in Global Perspective, New York/ Oxford 1987. Von Laue setzt bei der europäischen Expansion an und definiert „The West“ als „peoples of Western Europe and their descendants in North America“. Diese repräsentierten „after Word War II, Western democracy, with the United States in the lead“ und seien im Prozess der „Westernization“ zum Modell für die ganze Welt geworden, „copying of essential aspects of Western culture“ (S. 3 – 5).
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Emigration erst ihr Studium abschlossen. Sie verliefen zwar notwendigerweise anders als die bisher geschilderten Berufslaufbahnen, offenbaren aber dennoch grundsätzliche Gemeinsamkeiten: Außer Stern, der erst 1947 eingebürgert wurde und da bereits als Doktorand und Dozent tätig war,³²⁹ beteiligten auch sie sich am amerikanischen „war effort“, von Klemperer und von Laue in der US-Army, Klaus Epstein und Jonas in der US-Navy.³³⁰ Die Militärzeiten lagen bei ihnen in der Studienzeit, unmittelbar davor oder danach, und verlangsamten so einerseits die berufliche Etablierung, ermöglichten aber andererseits – wie bei den älteren Generationen – die Vorzüge des Veteranenstatus für die Studienfinanzierung und für die Berücksichtigung bei der Stellenvergabe.³³¹ Die fünf Jüngeren stiegen in der Zeit der soeben geschilderten dritten Phase in den amerikanischen akademischen Arbeitsmarkt ein und profitierten wie die älteren Generationen sowohl vom „war effort“ als auch vom Nachkriegsboom an den US-Universitäten:³³² Der vielleicht größte Unterschied im Vergleich zur Gruppe der in Mitteleuropa ausgebildeten Historiker ist die frühe Lehrerfahrung, die die jungen Probanden noch vor Abschluss der Studienzeit durch die Erlangung des Ph. D. erwarben. Klaus Epstein, Manfred Jonas und Klemens von Klemperer waren bis zur Promotion mehrere Jahre als teaching fellows an ihrer Universität – Harvard – tätig, Fritz Stern nach Verleihung des Bachelor-Grades an der Columbia University zunächst als Dozent,³³³ dann – wie Theodore von Laue in Princeton – sogar mit dem höheren Rang eines instructor, und hatte schließlich – noch vor der Verleihung des Doktortitels 1953 – für zwei Jahre eine Vertretungs-Dozentur (acting assistant professorship) an der Cornell University (Ithaca, New York) inne.³³⁴ So konnte Stern gleich nach der Promotion als Assistenzprofessor an „seine“ Columbia University zurückkehren,³³⁵ während die anderen nach der Promotion
Vgl. Stern: Erinnerungen, S. 210 und S. 220. Vgl. oben, Abschnitt 2.3.1 ab S. 96. Klemperer: Voyage, S. 46 – 62, zeigt in zahlreichen Zitaten aus Briefen und Tagebüchern, welch dichte Materialien zur Armeeerfahrung von Emigranten möglich sind. Auch von Klemperer gehörte zu den in Camp Ritchie ausgebildeten „Ritchie Boys“, vgl. oben, Anmerkung 276 auf S. 133.Von Laue hingegen war für das US Army Medical Corps tätig, siehe seine Dokumente in IfZ MA 1500. Laut Sonnert/Holton: Children Who Fled, S. 143 f., wirkte sich die G. I. Bill stärker auf die Karrierechancen aus als auf die Möglichkeit zu studieren. Die im Folgenden genannten Karrierestationen sind dem Biographischen Handbuch entnommen. Sogar im Jahr vor dem Bachelor-Abschluss hatte Stern bereits als „lehrender Assistent“ gearbeitet. Stern: Erinnerungen, S. 220. Vgl. ebenda, S. 258 f. „Einige Wochen vor der Verteidigung meiner Dissertation im Mai 1953 erfuhr ich von Columbia, sie suchten nach einem Deutschland-Historiker, und wenn meine Verteidigung gut ver-
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zunächst als instructor auf einer niedrigeren Karrierestufe standen. Nach mindestens einem Jahr (von Klemperer) und höchstens vier Jahren konnten diese als Assistenzprofessoren nachziehen, während Stern bereits zum außerordentlichen Professor (associate professor) aufstieg. Manfred Jonas konnte nach Erreichen des Ph. D. 1959 – und nachdem er zuvor an mehreren amerikanischen Universitäten als Gastdozent gewirkt hatte – unmittelbar den Schritt zum Assistenzprofessor machen, und zwar bemerkenswerterweise bis 1962 als visiting assistant professor für Amerikanische Geschichte an der Freien Universität Berlin.³³⁶ Auf mehrere Jahre als Assistenzprofessor folgte in der Regel eine außerordentliche Professur, nur von Laue übersprang diese Karrierestufe, war aber über zwölf Jahre an vier verschiedenen Universitäten als Assistenzprofessor tätig, bevor er 1960 eine ordentliche Professur erhielt. Manfred Jonas erhielt nach der Rückkehr von seiner Gast-Assistenzprofessur in Berlin zunächst ebenfalls einen Posten als associate professor, musste dann aber für ein Jahr erneut im niedrigeren Rang eines Assistenzprofessors arbeiten, bevor er ein dreijähriges Extraordinariat am Union College in Schenectady, New York, erhielt, das 1967 in eine ordentliche Professur umgewandelt wurde. Die beschriebenen, gegenüber den zum Teil abenteuerlichen Lebensläufen der älteren Generationen in ziemlich geordneten Bahnen verlaufenen Karrierewege umfassten, von der Erlangung des Ph. D. bis zur Berufung auf die erste ordentliche Professur, durchschnittlich etwa elf Jahre. Nennenswerte Abweichungen davon gab es lediglich bei Manfred Jonas, der diese Karriereleiter in nur acht Jahren hinaufstieg, und bei Theodore von Laue, der dazu 16 Jahre benötigte. Auffällig daran ist, dass die für diese Karrieren benötigte Zeit mit späteren Promotionsjahren abnahm, so dass alle Mitglieder der jüngeren beiden Generationen in den 1960er Jahren ihre erste ordentliche Professur erhielten, egal, ob sie Mitte der 1940er Jahre promovierten wie von Laue, oder Ende der 1950er Jahre wie Jonas. Die Verbindung von Historiographie und Praxis, die besonders die zweitälteste Generation im OSS und ähnlichen Engagements erfahren hatte, wurde für die jüngeren Generationen geradezu zum Mythos: Fritz Stern lernte etwa 1948/49 Holborn, Gilbert und andere OSS-Mitarbeiter kennen und berichtet in seinen Erinnerungen über die Bedeutung dieser Bekanntschaften und die Bewunderung für diese ältere Generation: „Zuweilen sage ich, ich wünschte mir ‚ein Äquivalent
liefe, würde man mir vielleicht den Posten anbieten. Als ich dann das Angebot von Columbia erhielt – zu einem niedrigeren Gehalt als Cornell es mir angeboten hatte, und ohne die von Cornell zugesicherte Aussicht auf unbefristete Anstellung –, nahm ich an.“ Ebenda, S. 260. Daneben war er in dieser Zeit in Deutschland Radiokommentator und Vortragsredner über amerikanische Themen, vgl. Biographisches Handbuch.
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des OSS in Friedenszeiten‘“.³³⁷ Die Weisheit und analytischen Fähigkeiten, die er ihnen attestiert, führt Stern auf die OSS-Gewohnheit zurück, „umgehend die Verflechtungen und Weiterungen eines Ereignisses zu analysieren“.³³⁸ Perspektive und Problemorientierung der OSS-Veteranen wird oftmals eine starke Anziehungskraft auf den wissenschaftlichen Nachwuchs zugeschrieben, so dass die Deutschlandhistoriographie in den USA auch in der nächsten Generation, also bis dicht an die Gegenwart heran, von der Frage nach den Wurzeln des Nationalsozialismus dominiert worden sei.³³⁹ Damit verbunden lässt sich ein historiographischer Wertekonsens skizzieren, der sich – dem OSS entspringend – auf die nächste Generation übertragen hat und zumindest folgende vier Grundsätze umfasst: Geschichtswissenschaft müsse von Gegenwartsproblemen ausgehen; alle historischen Handlungen seien als politisch und sozial bedingt aufzufassen; traditionelle zeitliche, geographische oder thematische Unterteilungen der Geschichtswissenschaft seien zu transzendieren; Geschichte müsse darüber hinaus enge interdisziplinäre Zusammenarbeit pflegen.³⁴⁰ Dieser Wertekonsens ist hier näher zu betrachten, da es wahrscheinlich erscheint, dass er nach 1945 auch in Deutschland rezipiert und vor allem in der Historischen Sozialwissenschaft weitgehend übernommen wurde:³⁴¹ Verbunden war er mit einer politischen Ausrichtung, die sich am ehesten als sozialliberal bezeichnen lässt. Von einem liberalen Standpunkt ausgehend, wurde der Nationalsozialismus als antimodern-fortschrittsfeindlich analysiert, während Fortschritt in einem aufklärerisch-liberalen Sinn zur historisch-politischen Norm erklärt und an die Gegenwart der Anspruch erhoben wurde, den fortschrittlichsten Punkt im Geschichtsverlauf zu verkörpern.³⁴² Diese Elemente finden sich ebenso in der Modernisierungstheorie der Historischen Sozialwissenschaft, so dass es nicht von der Hand zu weisen ist, zusätzlich zur von Eakin-Thimme konzedierten Übernahme durch die nächste Generation amerikanischer Deutschlandhistoriker³⁴³ auch eine Übernahme durch wesentliche Teile der fast gleichaltrigen Generation deutscher Historiker anzunehmen. Dies wird bei der Analyse der Stern: Erinnerungen, S. 244. Wiederum handelt es sich um eine Anspielung auf William James’ Aufsatz „The Moral Equivalent of War“, siehe oben, Anmerkung 323 auf S. 144. Stern: Erinnerungen, S. 244. Vgl. Eakin-Thimme: Geschichte im Exil, S. 264. Vgl. ebenda, S. 263; Eakin-Thimme zitiert dort den Holborn-Schüler und OSS-Mitarbeiter Leonard Krieger. Augenfällig sind etwa die Elemente des Wertekonsenses, die angesprochen werden in Kocka: Sozialgeschichte, und Wehler: Geschichte als Historische Sozialwissenschaft. Vgl. Eakin-Thimme: Geschichte im Exil, S. 263, wo diese Haltung unter Verweis auf John Higham als „Whig interpretation of history“ bezeichnet wird. Ebenda, S. 263 f.
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transatlantischen Gastprofessuren in Abschnitt 4.2.1 noch zu diskutieren sein. Zunächst möchte ich aber auf die Verbindung zwischen dem zweiten Generationszusammenhang der Untersuchungsgruppe und den jüngeren Emigranten zurückkommen, an die jener Wertekonsens ebenfalls weitergegeben worden sein soll: Auch diese jüngeren Historiker, die die OSS-Erfahrung nicht mehr hatten machen können, arbeiteten teilweise in militärischen oder nachrichtendienstlichen (Jonas) Zusammenhängen.³⁴⁴ Sie standen mit ehemaligen OSS-Historikern teilweise eng in Verbindung: Stern hatte auf der Basis des gemeinsamen Interesses an Deutscher Geschichte Kontakt zu Holborn und Gilbert.³⁴⁵ Von Laue war mit Gilbert befreundet und widmete diesem sein erstes Buch über Ranke.³⁴⁶ Von Klemperers Doktorvater war der OSS-Abteilungsleiter und Vorgesetzte von Holborn und Gilbert, William L. Langer.³⁴⁷ Und Klaus Epstein war durch seinen Vater Fritz Epstein und dessen Dienst in der Latin America Division³⁴⁸ des OSS mit dem US-Geheimdienst verknüpft. Außerdem engagierten sich auch Jonas und Stern – wie einige Mitglieder der zweiten Generation – als Berater von US-Ministerien.³⁴⁹ Eakin-Thimme nennt als jüngere Emigranten, „die in das Netzwerk hineinwuchsen“, das die OSS-Mitarbeiter gebildet hatten, neben Stern und Epstein auch Peter Theodore von Laue ist mit seinem lediglich medizinischen Dienst für die US-Army und ohne spätere Beraterposition für eine US-Behörde eine Ausnahme. Möglicherweise ist seine dahingehende Zurückhaltung auf seine religiösen Überzeugungen im Zusammenhang mit seinem Übertritt zu den Quäkern zurückzuführen, vgl. Artikel Von Laue, Theodore; in: Who’s Who in America. 1997. 51st Edition, Band 2, New Providence 1997, S. 4410, sowie Ropp/Little: Theodore H.Von Laue. Über Henry Roberts, seinen Freund an der Columbia University, der ebenfalls für das OSS gearbeitet hatte, lernte Stern Ende der 1940er einige OSS-Mitglieder kennen, was er als „geistig förderndes Geschenk“ empfand. Vgl. Stern: Erinnerungen, S. 243 f. Anfang der 1950er Jahre verstärkten sich diese Kontakte: „Ein Strom von Bundes- und Stiftungsmitteln ermöglichte die Schaffung […] eines speziellen Seminars über europäische Politik [an der Columbia University], an dem sich Gelehrte von Columbia und von außerhalb beteiligten: aus Columbia kamen Franz Neumann und Henry Roberts; Hajo Holborn, Felix Gilbert, Herbert Marcuse, Leonard Krieger, H. Stuart Hughes und Carl Schorske kamen von außerhalb; und ich hatte das Glück, daß ich zu seinem Protokollanten bestellt wurde. Die Art und Weise, wie diese Männer, die im Krieg beim OSS gedient hatten, die aktuelle Politik analysierten, war für mich faszinierend.“ Ebenda, S. 262. Theodore H. von Laue: Leopold Ranke. The Formative Years, Princeton 1950; siehe 14. Juni 1947: Felix Gilbert an Friedrich Meinecke; in: Ritter: Meinecke, S. 258 – 261, hier S. 258. Überhaupt orientierte sich von Laue in den USA eng an mehreren Meinecke-Schülern und suchte auch Meinecke selbst in der Nachkriegszeit in Berlin auf, vgl. 9. September 1953: Dietrich Gerhard (St. Louis, Mo.) an Antonie Meinecke; in: Ritter: Meinecke, S. 186 – 188, hier S. 187. Zu Langer vgl. oben, Abschnitt 2.3.3 ab S. 102 sowie in Abschnitt 2.4.2 ab S. 132. Vgl. oben ab S. 132 sowie v. a. Anmerkung 287 auf S. 136. Jonas wurde etwa 1966 Berater des US-Bildungsministeriums, Stern im selben Jahr Berater des US-Außenministeriums für Fragen des deutsch-amerikanischen Kulturaustauschs.
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Gay, Georg G. Iggers, George L. Mosse und Fritz K. Ringer.³⁵⁰ Deren Profile ähneln jenen der jüngeren Probanden durchaus sehr – nur waren sie im Untersuchungszeitraum keine transatlantischen Gastprofessoren.³⁵¹
2.5 Professur Professoren gelten allgemein als Gruppe mit dem größten Einfluss auf die wissenschaftliche Entwicklung. Wolfgang Weber hat daher darauf hingewiesen, dass die Rekrutierung von Geschichtsprofessoren von entscheidender Bedeutung für das Gesamtprofil des Faches ist.³⁵² Deshalb skizziere ich die Berufungsumstände näher und betrachte neben dem erstmaligen Aufstieg auf eine ordentliche Professur auch weitere Berufungen als Anzeichen für die Anerkennung innerhalb des Fachs. Die Emigrationsforschung fragt hingegen häufig danach, welche Auswirkungen die Flucht aus Nazideutschland für die Betroffenen hatte. Im Hinblick auf Karriereverläufe stellt sich etwa die Frage, ob eine Emigration das Wissenschaftlerleben behinderte, förderte oder anders beeinflusste. Emigrationsbedingte Wechsel in den beruflichen Orientierungen habe ich in Abschnitt 2.4 diskutiert. Da ich in dieser Arbeit nur erfolgreich zu Professoren aufgestiegene Historiker betrachte, sind deutliche Hinweise auf Behinderungen durch die Emigration zunächst unwahrscheinlicher als Hinweise auf positive Emigrationsauswirkungen. Und tatsächlich konnte ich in Abschnitt 2.2 bereits feststellen, dass eine Gruppe mit dem vorliegenden Herkunftsprofil in der deutschen Geschichtswissenschaft wohl nicht geschlossen hätte Professuren erreichen können. Förderte die Emigration also ihre Karrieren? Die Frage nach Karrierehindernissen und ‐förderungen durch die Emigration lässt sich recht gut durch eine vergleichende Betrachtung des Berufungsalters auf die erste Professur beantworten.
Eakin-Thimme: Geschichte im Exil, S. 264. Das Biographische Handbuch verzeichnet für George L. Mosse (1918 – 1999) mehrere Deutschlandaufenthalte im Auftrag der US-Besatzungsbehörden, Gastprofessuren jedoch nur in Jerusalem. Peter Gay (1923 – 2015) war nach eigenen Angaben oftmals zu anderen Zwecken, aber nie als Gastprofessor in Deutschland: E-Mail Peter Gay an Matthias Krämer, 31. Juli 2007. Georg G. Iggers (1926 – 2017) war 1991 und 1992 als Gastprofessor in Darmstadt und Leipzig: Iggers: Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert (1996), S. 5. Für Fritz K. Ringer (1934– 2006) schließlich sind lediglich Gastvorträge bekannt: Andrew Lees: Fritz K. Ringer; in: Perspectives Online 44, Nr. 7, Oktober 2006; URL: http://www.historians.org/perspectives/issues/2006/0610/0610mem2. cfm (zuletzt abgerufen am 12. März 2013; Archiv-URL: http://web.archive.org/web/ 20130312161330/http:/www.historians.org/Perspectives/issues/2006/0610/0610mem2.cfm). Vgl. Weber: Priester der Klio, S. 14– 19 und öfter.
2.5 Professur
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2.5.1 Erstberufung Die Ernennung zum ordentlichen Professor³⁵³ gilt als entscheidender Karriereschritt in Wissenschaftlerbiographien. Sie ist Ausweis der wissenschaftlichen Anerkennung und häufig auch Aufnahmekriterium für Nachschlagewerke und personenbezogene Wissenschaftsforschung wie die vorliegende Untersuchung.³⁵⁴ Daher zählen die hierzu erhobenen Karrieredaten zu den zuverlässigsten. Um allerdings den Einfluss der Emigration auf die Karriereverläufe zu untersuchen, betrachte ich die Mitglieder der ersten Generation, Kisch und Rosenstock-Huessy, vorab separat, da ihre Erstberufungen vor der Emigration, nämlich bereits Anfang der 1920er Jahre stattfanden:³⁵⁵ Der erste zum Ordinarius aufgestiegene Proband war 1920 Kisch durch seinen Ruf nach Königsberg auf den Lehrstuhl für Rechtsgeschichte, wo seine Schultradition fest verankert war.³⁵⁶ Rosenstock-Huessy hatte sich nach seinen Experimenten mit der Daimler-Werkszeitung und der Akademie der Arbeit doch für eine Rückkehr an die Universität entschieden und nahm den 1923 erfolgten Ruf auf den Breslauer Lehrstuhl für Deutsche Rechtsgeschichte, Bürgerliches, Handels- und Arbeitsrecht an, blieb aber weiter in der Erwachsenenbildung und der Arbeitslager-Bewegung aktiv.³⁵⁷ Auf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 reagierte Rosenstock-Huessy rasch mit der Niederlegung seiner Professur am 1. Februar und Vorbereitung der Emigration,³⁵⁸ während Kisch noch länger zögerte. Holborn hatte als einziges Mitglied der zweiten Generation bereits in der Weimarer Republik eine Professorenstellung inne, nämlich als Carnegie Professor für Geschichte und Internationale Beziehungen an der Deutschen Hochschule für
Zum Terminologieproblem siehe oben, Anmerkung 77 auf S. 20. Vgl. Weber: Priester der Klio, S. 44– 46. Vgl. oben, ab S. 121. Biographisches Handbuch; vgl. Kisch: Erinnerungen, S. 69 – 105. Siehe oben, S. 114 f., zu Kischs in der Habilitationsphase begründeter Schulzugehörigkeit zu Adolf Wach aus der Königsberger Tradition. Kraus: Rosenstock-Huessy (NDB), S. 75; vgl. Biographisches Handbuch und RosenstockHuessy in: Auszug des Geistes, S. 109 f.; in Verbindung mit einer knappen Skizze verzeichnet die wichtigste Literatur zu den Arbeitslagern der Schlesischen Jungmannschaft Patel: Soldaten der Arbeit, S. 40 f. Kraus: Rosenstock-Huessy (NDB), S. 76; vgl. Rosenstock-Huessy in: Auszug des Geistes, S. 109: „Als […] das von mir selbst Vorausgeahnte 1933 hereinbrach, habe ich nicht lange gezögert. Ich […] bin in die Neue Welt gegangen“. Formal war Rosenstock-Huessy auch im Wintersemester 1933/1934 zunächst beurlaubt, wurde am 3. Dezember 1933 aber zwangsemeritiert. So Heiber: Universität unterm Hakenkreuz II, Band 1, S. 162.
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2 Kollektivbiographie transatlantischer Gastprofessoren
Politik in Berlin.³⁵⁹ Obwohl es sich nicht um ein klassisches Ordinariat handelte, half ihm dies bei der Karriere in der Emigration, so dass er schon 1940 zum ordentlichen Professor an der Yale University aufstieg,³⁶⁰ daneben bereits von 1936 bis 1942 professor of diplomatic history an der Fletcher School of Law and Diplomacy der Tufts University in Medford, Massachusetts, war, und bis Anfang der 1950er Jahre Gastprofessuren in Harvard, Stanford, und an der Columbia University bekleidet hatte.³⁶¹ Kisch, Rosenstock-Huessy und Holborn sind durch ihre Berufungen vor der Emigration die einzigen Probanden, die nach 1945 als ehemalige „deutsche Professoren“ einen Ansehensvorsprung in der Zunft besaßen, da deutschsprachige Historiker dies als quasi selbstausgestelltes Qualitätsprädikat stärker anerkennen mussten als die Erstberufung von einst mehr oder weniger aussichtsreichen Nachwuchswissenschaftlern in der Emigration.³⁶² Masur war von 1948 bis zur Emeritierung 1966 ordentlicher Professor am Frauencollege in Sweet Briar,Virginia.³⁶³ Hirsch wurde 1946 auf eine Professur für
Vgl. Epstein: Catalog, S. 131 und oben, S. 118. Vgl. oben, ab S. 127. Die Angabe, Holborn habe ab „1938 eine Professur für deutsche Geschichte [inne gehabt], die er bis kurz vor seinem Tode [1969] versah“, die sich bei Hans R. Guggisberg: Holborn, Hajo; in: NDB 9, Berlin 1972, S. 522, und in ähnlicher Weise anderswo findet, ist insofern ungenau, als sein Status dort ab 1938 lediglich der eines außerordentlichen Professors (associate professor) war. Ab 1940 war Holborn in Yale ordentlicher Professor (full professor), ab 1946 hatte er die angesehenen Stiftungsprofessuren inne, nämlich bis 1959 die Randolph W. Townsend professorship und anschließend bis 1969 die Sterling professorship. Siehe dazu das Biographische Handbuch. So das Biographische Handbuch. Vgl. z. B. Zeittafel; in: Hajo Holborn: Inter Nationes Preis 1969, Bonn-Bad Godesberg 1969, S. 190 f. Für die beamteten Professoren bestanden nach 1945 günstigere Bedingungen für Rehabilitierung, Wiedergutmachung und Emeritierung in Deutschland, vgl. Szabó: Göttinger Hochschullehrer im NS, S. 85 und öfter. Mit der Zeit entstanden aber auch für die nicht mehr in Deutschland berufenen Emigranten Wiedergutmachungsmöglichkeiten, vgl. etwa zu Masur die folgende Anmerkung und unten, S. 158. Masurs kolumbianische Professur an der Escuela Normal Superior in Bogotá ab 1938 bewerte ich nicht als gleichrangig mit einem Lehrstuhl an einem US-amerikanischen Elite-College, zumal Masur selbst in abwertendem Ton über die Qualität seiner kolumbianischen Hauptwirkungsstätte spricht. Siehe oben, Anmerkungen 243 und 245 ab S. 126, besonders dortiges Zitat aus Masur: Das ungewisse Herz, S. 198. In die Zeit seiner kolumbianischen Professur fällt auch Masurs Tätigkeit an der Universidad Javeriana, ebenfalls in Bogotá, 1942/43. Vgl. das Biographische Handbuch. Durch das Entschädigungsamt Berlin wurde ebenfalls nicht die kolumbianische Stellung, sondern erst die „Anstellung als Universitätslehrer am Sweet Briar College“ als „eine seiner Vorbildung entsprechende“ Position anerkannt und er folglich bis dahin entschädigt. Vgl. dazu unten, Anmerkung 379 auf S. 158. Es ist unklar, ob die Angabe des Biographischen Handbuchs über Masurs ordentliche Professur ab 1948 korrekt ist, oder ob Masurs Bericht in Masur: Das ungewisse
2.5 Professur
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Geschichte am Bard College in Annandale-on-Hudson, New York, berufen, wo er bereits 1936 als Bibliothekar angefangen und in der Folge parallel zum Bibliotheksdienst verschiedene Karrierestufen durchlaufen hatte. Die Bibliothekswissenschaften blieben auch in seiner Zeit als Professor für Geschichte ein zweiter Schwerpunkt für Hirsch.³⁶⁴ Gilbert wurde 1949 ordentlicher Professor, wie Masur an einem renommierten Frauencollege, nämlich in Bryn Mawr, Pennsylvania, wo er seit 1946 als Dozent, seit 1947 als außerordentlicher Professor tätig war und bis 1962 – mit Unterbrechungen – blieb. Rosenberg war am Brooklyn College in New York City bereits seit 14 Jahren beschäftigt, bevor er dort 1952 seine erste ordentliche Professur erhielt, die er bis 1959 ausfüllte. Misch war nach Auslaufen des ASTP-Programms wie erwähnt³⁶⁵ erneut ohne Anstellung, so dass er ab 1945 mit dem Gedanken an eine Position beim Aufbau der deutschen Lizenzpresse spielte. Er hatte sich aber durch die ASTP-Tätigkeit auf dem akademischen Arbeitsmarkt der USA soweit etabliert, dass er ab 1947 als „Professor an einem angesehenen College in Kentucky […] europäische Geschichte“ lehrte.³⁶⁶ Zwar begann mit der Anstellung als Assistenzprofessor 1947 für den damals 51-Jährigen erst die reguläre Karriere im amerikanischen Universitätswesen, die er mit einer außerordentlichen Professur 1948 und der Berufung auf die Professur für europäische und neuere Geschichte am selben Ort 1956 fortsetzte.³⁶⁷ Dass die Umorientierung „vom Journalismus in die Lehr- und Vortragstätigkeit“ Misch jedoch „professionell deklassiert“ habe, wie Schneider meint,³⁶⁸ scheint eine übertrieben negative Bewertung einer zwar wechselhaften aber letztlich erfolgreichen Karriere.
Herz, S. 280 und S. 284, darauf hindeutet, dass er bereits ab November 1947 ordentlicher Professor in Sweet Briar war. Vgl. das Biographische Handbuch und den Artikel Hirsch, Felix Edward; in: Who’s Who in America. 42nd edition. 1982– 1983, Band 1, Chicago 1983, S. 1525. In seinem Fragebogen für das Biographische Handbuch, IfZ MA 1500, betont Hirsch besonders seine Tätigkeit für die American Library Association. Vgl oben, S. 139. Zu Mischs Remigrations-Bemühungen vgl. Schneider: Mischs verhinderte Rückkehr. Zu seiner Etablierung am Centre College in Danville, Kentucky, siehe Schneider: Misch im Exil, S. 219. Die Angaben über Mischs Karriere am Centre College sind dem Biographischen Handbuch entnommen. Dagegen vermerkt Schneider: Misch im Exil, S. 219, sowie Schneider: Mischs verhinderte Rückkehr, S. 93, offenbar in Anlehnung daran auch Haarmann: Carl Misch, S. 159, pauschal, Misch sei ab 1947 Professor gewesen. Diese ungenaue Information stammt aus dem von Schneider zitierten Artikel Carl Misch: Mein Werdegang; in: Aufbau, 22. April 1960, in dem Misch nicht zwischen den in den USA üblichen Karrierestufen als Professor differenziert. Feilchenfeldt: Misch (NDB), S. 560, terminiert die Berufung zum Professor korrekt auf 1956. Schneider: Misch im Exil, S. 219.
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2 Kollektivbiographie transatlantischer Gastprofessoren
Mit von Laues Berufung 1960 an die University of California nach Riverside beginnt das Einrücken der jüngeren Untersuchungspersonen auf Lehrstühle. Im nächsten Jahr folgte von Klemperers Beförderung zum professor of modern European history an seinem Arbeitsplatz seit 1949, dem Smith College in Northampton, Massachusetts. Die 1916 geborenen Mitglieder der dritten Generation konnten damit fast zeitgleich ihre erste ordentliche Professur besetzen. Fritz Epstein und Fritz Heichelheim, die beide 1962 ordentliche Professuren erhielten, gehörten dagegen mit den Geburtsjahrgängen 1898 und 1901 zu den älteren Mitgliedern der zweiten Generation – und zählen mit 64 und 61 Jahren bei der Berufung auf die erste Professur zur im höchsten Alter berufenen Gruppe. Epstein wurde als Professor für Geschichte und als Kurator der slawistischen Bibliothekssammlung an die Indiana University nach Bloomington berufen. Heichelheim stieg an der University of Toronto, wo er seit 1948 gewirkt hatte, zum professor of Greek and Roman history auf. Klaus Epstein, Stern und Jonas, die Mitglieder der vierten Generation, erhielten ihren ersten Ruf in der zweiten Hälfte ihres vierten Lebensjahrzehnts Mitte der 1960er Jahre – Epstein und Stern 1963, Jonas 1967. Mit 36 Jahren war Klaus Epstein dabei der Jüngste unter den in der Emigration zum Geschichtsprofessor Aufgestiegenen, als er an der Brown University in Providence, Rhode Island, nach drei Jahren außerordentlicher Professur befördert wurde. Stern erhielt seine Professur für Geschichte an der Columbia University, New York, nachdem er dort bereits studiert und ab dem Bachelor-Abschluss 1946 in verschiedenen Positionen gelehrt hatte.³⁶⁹ Jonas’ akademische Karriere erreichte ihren vorläufigen Höhepunkt als Geschichtsprofessor am Union College in Schenectady, New York, aufgrund der vierjährigen Tätigkeit als intelligence analyst für die US-Air-Force in Salzburg erst 1967 verspätet. Eine echte Ausnahmeerscheinung ist allerdings, wie oben bereits angedeutet, George W. F. Hallgarten, der erst 1972 – im Alter von 71 Jahren – den Robert-Lee-Bailey-Lehrstuhl für Geschichte an der University of North Carolina in Charlotte erhielt.³⁷⁰
Stern: Erinnerungen, S. 220, weist darauf hin, dass er sogar „schon im letzten Studienjahr als lehrender Assistent gearbeitet hatte“. Dagegen Radkau: Hallgarten, S. 111: „Weder in Amerika noch im Nachkriegs-Deutschland gelang es ihm, eine feste Professur zu bekommen.Wechselnde Gastprofessuren bestimmten seine Lehrtätigkeit – als Höhepunkt empfand er die Resonanz, die er 1965 bei Vorlesungen in Japan erhielt.“ Diese Darstellung Radkaus ist insgesamt richtig und entspricht Hallgartens eigener Erzählung in seiner Autobiographie. Doch jene war bereits seit mehreren Jahren gedruckt, als er, wie dem Biographischen Handbuch zu entnehmen ist, 1972 noch zum Professor berufen wurde. Radkau verwendet in seinem Hallgarten-Aufsatz außer den Werken Hallgartens lediglich Briefe Hallgartens an Radkau; vgl. Anmerkungen ebenda, S. 115 ff.; dagegen nutzt das Biographische
2.5 Professur
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Das durchschnittliche Erstberufungsjahr auf eine Professur in der Emigration ist 1957. Mit je acht früher und später Berufenen teilt es die Untersuchungsgruppe auch in zwei gleich große Hälften.³⁷¹ Das Durchschnittsalter bei Berufung auf die erste ordentliche Professur in der Emigration liegt dann bei rund 49 Jahren. Aus der Untersuchung des Berufungsalters differenziert nach Generationsgruppen ergibt sich, dass die dritte Generationsgruppe, mit einem durchschnittlichen Berufungsalter von etwa 45 Jahren dicht am allgemeinen Durchschnitt liegt, während die erste und die vierte Generation den Durchschnitt mit 33 und 38 Jahren deutlich unterbieten. Die zweite Generation der zwischen 1896 und 1905 Geborenen hingegen liegt mit 53 Jahren deutlich über dem Durchschnitt. Dabei ist besonders auffällig, dass sich diese zweite Generationsgruppe noch in zwei Teilgenerationen aufteilen lässt, deren Berufungsalter und ‐jahre sich stark voneinander unterscheiden: Die 1896 – 1901 Geborenen Misch, Fritz Epstein, Masur, Heichelheim und Hallgarten sind fast durchweg später und in deutlich höherem Alter berufen worden als die 1902– 1905 Geborenen Holborn, Hirsch, Rosenberg und Gilbert.³⁷² Daraus ergibt sich die große Differenz von rund 17 Jahren zwischen dem durchschnittlichen Berufungsalter der ersten Teilgeneration von 61 Jahren und dem der zweiten Teilgeneration von 44 Jahren. Anders als der aus Südamerika weitermigrierte Masur treiben Hallgarten, Fritz Epstein, Heichelheim und Misch, die erst in den 1960er/70er Jahren – nur Misch als Nestor der zweiten Generation 1956 – auf Lehrstühle kamen, den Durchschnittswert der ersten Teilgeneration in die Höhe. Das führt zu dem Schluss, dass die größten Verzögerungen der Karrieren in der Emigration, die den Gesamtdurchschnitt der Untersuchungsgruppe auf rund 49 Jahre bei Erstberufung anheben, den Geburtsjahrgängen zwischen 1896 und 1901 zuzuordnen sind. Zum einen ist diese deutliche Verzögerung gegenüber den anderen Probanden damit zu erklären, dass die Betreffenden bereits bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten in einem Alter waren, das sie zu aussichtsreichen Anwärtern
Handbuch zu Hallgarten verschiedene Quellen, darunter auch Archivquellen sowie Zeitschriftenund Zeitungsartikel, weshalb die Vermutung der Richtigkeit der dortigen Angabe besteht. Bei Berücksichtigung der bereits in der Weimarer Republik auf Lehrstühle gelangten Rechtshistoriker Kisch und Rosenstock-Huessy läge der durchschnittliche Zeitpunkt der ersten Berufung bei 1952. Da dies die Situation in der Emigration nur verzerrt wiedergäbe, habe ich diese Erstberufungen vor der Emigration herausgenommen. Das Durchschnittsalter bei Erstberufung läge einschließlich Kisch und Rosenstock-Huessy bei 46 Jahren. Lediglich Masur erhielt aus der ersten Teilgeneration seine erste volle Professur 1948 im Alter von 47 Jahren vor Rosenberg, dem Nachzügler der zweiten Teilgeneration, der erst 1952 im Alter von 48 Jahren einen Ruf erhielt.
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2 Kollektivbiographie transatlantischer Gastprofessoren
auf in den folgenden Jahren zu vergebende Geschichtsprofessuren gemacht hätte, wenn nicht die Rassenideologie der Nazis (und zumindest in Hallgartens Fall auch seine politische Ausrichtung) ihre Karrierechancen in Deutschland zunichtegemacht hätte. Bei Misch kommt freilich hinzu, dass er offenbar gar keine akademische Karriere geplant hatte, bis ihm der Journalistenberuf in Nazideutschland verboten wurde.³⁷³ Weiter verlangsamte sich ihr beruflicher Aufstieg, da die Betreffenden nicht von den sich neu eröffnenden Berufungschanchen in den Vereinigten Staaten der unmittelbaren Nachkriegszeit profitieren konnten, die Hirsch, Gilbert und Rosenberg zu ihren ersten Professuren verhalfen. Heichelheim war erst in der Nachkriegszeit nach Kanada weitermigriert,³⁷⁴ so dass er sich dort erst zu etablieren hatte, Fritz Epstein hatte wie erwähnt ebenfalls die ersten Emigrationsjahre in England verloren, Misch wie Hallgarten in Frankreich für die Emigrantenpresse gearbeitet, und Letztgenanntem blieb auch auf Grund seiner politischen Einstellung der Zugang in eine amerikanische Universitätskarriere lange verwehrt. So liegen die Jahre der Erstberufungen dieser Historiker um die Zeit verteilt, in der bereits die dritte und vierte Generationsgruppe ihre Ausbildung (in den USA) abgeschlossen und die einer ordentlichen Professur vorgelagerten Karrierestufen absolviert hatten: Misch wurde 1956 noch vor der dritten Generation berufen, die 1960/61 Professuren erhielt; Heichelheim und Fritz Epstein wurden 1962 zwischen den Berufungsjahren der dritten und vierten Generation zu Professoren befördert.³⁷⁵ Nachdem die vierte Generationsgruppe durchschnittlich um das Jahr 1964 berufen worden war, folgte noch Hallgarten 1972 im Alter von 71 Jahren. An dieser Stelle lohnt der Vergleich mit den Daten, die Wolfgang Weber für die deutschen Geschichtsprofessoren 1800 – 1970 erhoben hat. Die zuvor beschriebenen Karrierestationen in der Emigration waren mit den deutschen Standards, besonders der Habilitation,³⁷⁶ kaum vergleichbar, aber die erste Berufung auf eine
Vgl. zu Historikern mit anderen Berufsplänen vor ihrer Emigration Eakin-Thimme: Geschichte im Exil, S. 124 ff. Während die Einwanderungsbestimmungen Kanadas in der Zwischenkriegszeit und während des Zweiten Weltkrieges sehr restriktiv waren, immigrierten nach Kriegsende verschiedene Gruppen in großer Zahl, binnen zehn Jahren rund 1,2 Millionen Menschen. „Auch für jüdische Immigranten öffnete Kanada 1948 seine Türen“, so dass „viele Überlebende kamen und […] sich vorwiegend in Montreal nieder“ ließen, so Geneviève Susemihl: „… and it became my home.“ Die Assimilation und Integration der deutsch-jüdischen Hitlerflüchtlinge in New York und Toronto, Münster 2004 (zugleich Diss., Rostock 2003), S. 75 f. Fritz Epsteins Sohn Klaus Epstein erreichte bereits im Jahr nach seinem Vater dessen beruflichen Status. Die Habilitation als Karrierestation etwa, die Weber auf 35 Seiten beschreibt, ist in den Emigrationsländern unüblich. Vgl. Weber: Priester der Klio, S. 120 – 155.
2.5 Professur
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ordentliche Professur ist in den Herkunfts- und Emigrationsländern von ähnlicher Bedeutung: Das durchschnittliche Alter bei der ersten Erlangung eines geschichtswissenschaftlichen Ordinariates im deutschsprachigen Raum schwankte in den Dekaden des 19. Jahrhunderts zwischen 32 und 42 Jahren, die meisten Erstberufungen fanden damals zwischen 33 und 38 Jahren statt.³⁷⁷ Auch wurden noch bis in die 1930er Jahre Historiker im Alter von unter 30 Jahren berufen. Im 19. Jahrhundert waren dagegen Erstberufungen von Gelehrten im Alter über 50 Jahren selten, bevor späte Berufungen ab 1890 „durchaus üblich“ wurden.³⁷⁸ In den 1950ern betrug sogar das durchschnittliche Alter für Erstberufungen unter Historikern fast 49 Jahre, während für das 20. Jahrhundert (bis 1970) ein normales Alter für die Besetzung des ersten Ordinariates zwischen 40 und 43 Jahren lag. Der Vergleich verdeutlicht, dass das geringe Einstiegsalter der ersten Generation in den 1920er Jahren noch durchaus nicht ungewöhnlich war, wenn auch das Durchschnittsalter der in dieser Dekade erstmals auf einen historischen Lehrstuhl Berufenen bei 43 Jahren lag. Der jüngere Teil der zweiten Generation lag, da frühzeitig in den 1940ern und 1950ern berufen, ebenfalls im – auf 45 bis 49 Jahre ansteigenden – Trend, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Berufungen unserer Untersuchungsgruppe in diesen Jahrzehnten in den USA stattfanden, während Webers Daten sich auf den deutschsprachigen Raum vor allem der Nachkriegszeit beziehen. Die Beeinträchtigung der Karrierewege durch den Krieg war demnach auf beiden Seiten des Atlantik spürbar. Der erst in den 1950ern bis 1970ern berufene Teil der zweiten Generation allerdings hatte mit weitaus größeren Karriereverzögerungen zu kämpfen, überschritt fast durchgängig die 60Jahre-Grenze vor der ersten Berufung – ein Effekt, der also auf die Emigration zurückgeführt werden kann. Für die dritte und vierte Generation gilt, dass ihre Mitglieder in den 1960ern in den USA im Alter von zusammen durchschnittlich 40 Jahren erstmals auf einen Lehrstuhl berufen wurden. Das durchschnittliche Erstberufungsalter in Deutschland in diesem Jahrzehnt betrug knapp unter 44 Jahren. Klaus Epstein, Stern und Jonas, die Mitglieder der vierten Generation, die ihre akademische Karriere vollständig in den USA absolvierten, lagen allerdings mit durchschnittlich unter 38 Jahren Lebensalter bei Erstberufung deutlich unter dem deutschen Wert, während die Mitglieder der dritten Generation, von Laue und von Klemperer, mit 45 Jahren knapp darüber lagen. Es lässt sich annehmen, dass die frühen Zu allen Altersangaben der folgenden Abschnitte siehe ebenda, Abbildung 12 auf S. 165, und vgl. ebenda, S. 167 und S. 184. Mit 26 Jahren besonders jung waren 1822 Franz Josef Mone, 1852 Julius Ficker und 1901 Martin Spahn. Theodor Hirsch war 1865 mit 59 Jahren noch eine echte Ausnahme; vgl. zu den Genannten die Einträge in Weber: Biographisches Lexikon.
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Berufungen der erst in den 1920ern Geborenen auf die Normalstruktur der USamerikanischen akademischen Karrieren hindeuten, während die Verzögerung demgegenüber bei den Angehörigen der dritten Generation auf die Karrierebehinderungen durch die Emigration zurückzuführen ist: So dauerte von Klemperers Studium – inklusive Unterbrechungen – über 15 Jahre; von Laue benötigte für die Karriere von der Promotion bis zum ersten Ruf 16 Jahre, während die jüngeren Historiker Klaus Epstein, Stern und Jonas durchschnittlich lediglich rund 9 Jahre lang zwischen Doktorat und Professur standen. Nimmt man also an, dass die Karrieredauer der vierten Generation annähernd typisch für eine akademische Karriere im Amerika dieser Zeit ist, so deutet das höhere Durchschnittsalter der zweiten und dritten Generation darauf hin, um wie viele Jahre eine Laufbahn als Historiker durch die Emigration zurückgeworfen werden konnte: Unter den günstigeren Bedingungen des zweiten Teils der zweiten Generation um unter sechs Jahre, im Fall der dritten Generation um fast sieben Jahre – aber unter den ungünstigen Bedingungen, denen der ältere Teil der zweiten Generation unterworfen war, konnte die Emigration auch eine Karrierehemmung von durchschnittlich 23 Jahren bedeuten. Insgesamt hatten die Mitglieder der zweiten und dritten Generation einen durchschnittlichen Altersnachteil von fast 14 Jahren bei der Erstberufung. Das Bundesinnenministerium und das Entschädigungsamt Berlin erkannten diesen Nachteil im Wiedergutmachungsverfahren für Gerhard Masur im Wesentlichen an, indem sie diesem 1956 und 1962 Entschädigungen für elf und zwölf Jahre „Schäden im beruflichen Fortkommen“ zusprachen.³⁷⁹
2.5.2 Weitere Berufungen Die geographische Mobilität im Stand eines Ordinarius hat laut Weber zwei mögliche Bedeutungen: Einerseits könne man sie für einen „Indikator für geistige Beweglichkeit und Innovationsbereitschaft“ nehmen, andererseits gelte sie als
30. Juli 1956: Wiedergutmachungsbescheid für Gerhard Masur; in: Ritter: Meinecke, S. 210 – 213; sowie ebenda, Anmerkung 30 auf S. 210 f. Das Bundesinnenministerium gewährte Masur Emeritenbezüge unter der Annahme, dass er voraussichtlich „ein solches Amt [ordentliche Professur] am 1. März 1940 erreicht“ hätte – was man bei einer Privatdozentur seit 1930 durchaus kleinlich finden kann – „mit einer ruhegehaltfähigen Dienstzeit bis zum 31. März 1951.“ Das Entschädigungsamt Berlin sprach Masur „eine Kapitalentschädigung von DM 10 488,‐“ für einen Schadenszeitraum von 1935 bis 1947 zu, wie Ritter berichtet, ohne das Dokument zu edieren. Die Unterlagen zu Masurs Wiedergutmachungsverfahren finden sich im Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/71.
2.5 Professur
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„Indikator für das Ansehen und den Grad der Einbindung eines Gelehrten in die Gemeinschaft der Fachkollegen“.³⁸⁰ Die Bedeutung, die solchen Wechseln beizumessen ist, darf allerdings nicht zu hoch veranschlagt werden; gerade vor dem Hintergrund der Emigration und der Umstände im Emigrationsland sind im Einzelfall Ursachen für Mobilität und Stabilität anzunehmen, die sich nicht unter die obigen Indikatoren fassen lassen. Anders verhält es sich bei den in den USA nicht unüblichen Fällen einer Beförderung auf einen anderen Lehrstuhl an derselben Universität: Die „renommierten Stiftungsprofessuren“, die einige unserer Historiker in ihrer späteren Laufbahn besetzten, können durchaus als Indikator für ein gewisses Ansehen unter Kollegen betrachtet werden. Beginnen wir erneut mit der ersten Generation, die die bereits erwähnte Besonderheit aufweist, dass ihre Mitglieder Kisch und Rosenstock-Huessy während der Weimarer Republik auf ordentliche Professuren (für Rechtsgeschichte) gelangt waren. Daraus ergibt sich bei Rosenstock-Huessy, dass der einzige Wechsel des Ordinariates durch die Niederlegung der ersten Position in Breslau, die Emigration und das baldige Angebot einer Dauerstellung in den USA bedingt war. Ansonsten genoss Rosenstock-Huessy offenbar die Stabilität an einem Standort und insbesondere die „Verwurzelung“ in der neuen Heimat, dem Dartmouth College in Hanover, New Hampshire.³⁸¹ Kisch wechselte 1922, nach zwei Jahren auf seinem ersten Ordinariat in Königsberg, nach Halle, wo er bis zur Entlassung 1933 blieb, kam dann bis zur Emigration als Geschichtsprofessor am Jüdisch-
Weber: Priester der Klio, S. 175. Kritisch bemerkt Weber ebenda jedoch, dass insbesondere für nicht angenommene Rufe zu berücksichtigen sei, dass vor der Berufung informelle Gespräche standen, solange „es keine öffentliche Ausschreibung von Lehrstühlen“ gab. Zudem sei die Funktion abgelehnter Rufe uneindeutig: „Ein Ruf auf ein Ordinariat läßt sich für ganz verschiedene Zwecke nutzen. […] Dementsprechend gibt es auch bestellte Rufe, die von vornherein inszeniert werden, um in den Abwendeverhandlungen derartige Verbesserungen herauszuschlagen.“ Die möglichen Verbesserungen, die Weber vorschweben, erstrecken sich etwa auf Gehaltserhöhungen (wie Weber für Theodor Mommsen unterstellt; ebenda, Anmerkung 317 auf S. 426), die zusätzliche Bereitstellung von Sachmitteln oder Bewilligung von Personalstellen. Daher, und weil das Biographische Handbuch normalerweise nur angenommene Rufe verzeichnet, beschränkt sich dieser Abschnitt auf die tatsächliche Mobilität der untersuchten Personen zwischen ordentlichen Professuren. Nach übergangsweiser Beschäftigung in Harvard ließ sich Rosenstock-Huessy im ländlichen Grenzgebiet zwischen Vermont und New Hampshire nieder: „[M]an hat mich an dieses Dartmouth-College [in Hanover, New Hampshire] nach Neu-England verwiesen […], und da bin ich auch geblieben. Dadurch habe ich Fuß in der Erde des Landes gefaßt. In der kleinen Gemeinde, in der ich lebe [Norwich, Vermont], bin ich so langsam akzeptiert worden.“ Rosenstock-Huessy in: Auszug des Geistes, S. 116 f.
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2 Kollektivbiographie transatlantischer Gastprofessoren
Theologischen Seminar in Breslau unter.³⁸² Nach der langen Zeit als Gastprofessor am HUC-JIR in New York wurde er dort 1950 noch research professor. Zwei der Professurwechsel sind auch hier deutlich auf die politischen Ereignisse in Deutschland und die Emigration zurückzuführen. Kischs Ansehen unter Kollegen ist in der Emigration eher als prekär zu bewerten, im deutschsprachigen Raum drückte es sich in der Nachkriegszeit anders aus als durch echte Berufungen.³⁸³ Die in ihren Karrieren besonders gebremsten älteren Mitglieder der zweiten Generation³⁸⁴ hatten jeweils nur ein Ordinariat inne, während die jüngeren Hirsch, Rosenberg und Gilbert je einmal die Position wechselten,³⁸⁵ abgesehen von Holborn, der nach mehreren angesehenen Stellungen unterhalb der Ordinariats-Ebene zwei Beförderungen auf die erwähnten „renommierten Stiftungsprofessuren“ erreichte.³⁸⁶ In der dritten Generation wechselte von Laue zweimal das Ordinariat,³⁸⁷ während von Klemperer lokal auf eine „renommierte Stif Biographisches Handbuch; vgl. Kisch: Erinnerungen, S. 69 – 105. Kisch ging 1924/25 als Gastprofessor in seine Heimatstadt Prag. Zum Breslauer Seminar vgl. Guido Kisch (Hg.): Das Breslauer Seminar. Jüdisch-Theologisches Seminar (Fraenckelscher Stiftung) in Breslau. 1854– 1938. Gedächtnisschrift, Tübingen 1963. Der Band enthält auch eine Sammlung von Kurzbiographien der Dozenten des Seminars auf S. 395 – 402, darunter Kischs Kurzbiographie auf S. 397 f. Zu seinen engen Beziehungen als Gastprofessor in Basel siehe unten, Anmerkung 47 auf S. 224, zu seinem besonderen Ansehen als HZ-Rezensent S. 494. Misch, Fritz Epstein, Masur, Hallgarten und Heichelheim, vgl. oben, Abschnitt 2.5.1 ab S. 151. Hirsch nahm nach 18 Jahren am Bard College, davon acht als Ordinarius, ein Angebot an, als Professor für Geschichte und Bibliotheksdirektor ans Trenton State College nach New Jersey zu gehen, das anfangs noch New Jersey State Teachers College at Trenton hieß. Vgl. Biographisches Handbuch, zur Umbenennung des Colleges 1958 siehe The College of New Jersey: History; URL: http://tcnj.pages.tcnj.edu/about/history/ (zuletzt abgerufen am 4. Januar 2019, Archiv-URL: http://www.webcitation.org/75AzrvjAD). Rosenberg wechselte vom Brooklyn College, wo er auch vor seiner ersten Professur gelehrt hatte, 1959 an die University of California nach Berkeley und übernahm dort „die angesehene Shepard-Professur für Geschichte“. Gerhard A. Ritter: Rosenberg, Hans Willibald; in: NDB 22, Berlin 2005, S. 62– 64, hier S. 63. Gilberts zumindest ebenso erfolgreiche Karriere erhält ihren Ausdruck in der Professur, auf die er 1962 wechselte: „When, after the long Bryn Mawr years, Gilbert was offered a chair in Renaissance Studies at the Princeton Institute for Advanced Study, from which he has recently retired, his intellectual productivity seems to have increased. It was probably not only the lack of teaching responsibilities but also the stimulating effect of interaction with a group of like-minded fellow historians that account for this.“ Coser: Refugee Scholars, S. 287. Nach sechs Jahren Ordinariat wurde Holborn 1946 zunächst Randolph W. Townsend Professor, 1959 dann Sterling Professor in Yale. Siehe das Biographische Handbuch. Nach vier Jahren an der University of Califonia in Riverside nahm von Laue 1964 einen Ruf an die Washington University in St. Louis, Missouri, an. Ab 1970 war er dann für dreizehn Jahre Frances and Jacob Hiatt professor of European history an der Clark University in Worcester, Massachusetts. Bemerkenswert erscheint hier, dass sich von Laues Professuren von der Westküste über den Mittleren Westen bis an die Ostküste über die USA verteilen.
2.5 Professur
161
tungsprofessur“ aufstieg.³⁸⁸ Für die vierte Generation – Stern, Klaus Epstein, Jonas – ist eine lokale Karriere typisch. Stern und Jonas blieben an ihrer Wirkungsstätte, erhielten aber – Stern nur vier Jahre nach der Professur – einen Lehrstuhl mit großem Namen. Klaus Epstein verstarb vier Jahre nach Erlangung des Ordinariats in Folge eines Autounfalls,³⁸⁹ seine fachliche Reputation lässt annehmen, dass seine Karriere zur Berufung auf einen bedeutenden Lehrstuhl oder zur lokalen Beförderung geführt hätte.³⁹⁰ Insgesamt zeigt sich ein Zusammenhang mit dem Alter bei Erstberufung auf eine ordentliche Professur:³⁹¹ Die älteren Mitglieder der zweiten Generation erhielten nur ein Ordinariat, und offenbar danach kein attraktiveres Angebot mehr. Ebenso erhielt auch die erste Generation weder eine zweite Professur in den USA, noch eine interne Beförderung auf einen renommierteren Lehrstuhl. Im Einzelfall mögen verschiedene Gründe zusammen gewirkt haben, insgesamt sind aber zwei Aspekte als ausschlaggebend anzusehen: Erstens waren die Historiker bei Erhalt ihrer ersten ordentlichen Professur im Emigrationsland bereits im fortgeschrittenen Alter: Kisch war 61 Jahre alt, als er am HUC-JIR zum research professor befördert wurde, Rosenstock-Huessy 47 bei seiner Berufung nach Dartmouth.³⁹²
Von Klemperer füllte bis 1969 für acht Jahre ein Ordinariat für moderne eurpäische Geschichte aus und lehrte in den folgenden 18 Jahren als L. Clark Seelye professor of history am Smith College in Northampton, Massachusetts. Hans W. Gatzke: Klaus Epstein, 1927– 1967; in: Central European History 1 (1968), S. 191 f., hier S. 191. Karl Dietrich Bracher: Vorwort; in: Klaus Epstein: Geschichte und Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Ein Leitfaden, hg. von Eberhard Pikart, Detlef Junker und Gerhard Hufnagel, Frankfurt am Main u. a. 1972, S. 9 – 11, hier S. 9. Gatzke: Klaus Epstein, S. 191: „Although only forty years old, he already ranked among the leading scholars in his field. His future looked very bright; his departure left a terrible void.“ Vgl. Gordon A. Craig: In Memoriam: Klaus Epstein; in: Journal of Contemporary History 3 (1968), S. 199 f., hier S. 200: „It is no exaggeration to say that Klaus Epstein was the most influential and respected reviewer of German historical literature of his generation“. Stern: German History in America, S. 159, würdigt Epstein ebenfalls in seinem Überblick über 100 Jahre Disziplingeschicht als „one of the first to be effective in both countries.“ Vgl. oben, Abschnitt 2.5.1 ab S. 151. Seine eigene Einschätzung seiner Chancen war trotz Erfolgen durchaus kritisch: „Sehen sie, ich war schon mit 45 Jahren [bei der Emigration] ein gemachter Mann, ein geprägtes Profil. Ich stand nicht nur im Kürschner, sondern auch im Konversationslexikon, und es war mir völlig klar, daß Amerika solche vollentwickelte Charaktere eigentlich nicht als Einwanderer aufnehmen könnte.“ Rosenstock-Huessy in: Auszug des Geistes, S. 110. Mit positivem Blick auf seine Emigration bewertete er den Mangel an hochkarätigen Angeboten im Nachhinein aber ebenda, S. 110 f., positiv: „So habe ich mich also die ersten Jahre […] von den Wellen tragen lassen, bin ziemlich viel herumgeboxt worden und habe dann schließlich das Glück gehabt, nicht oben im Oberstock der akademischen Welt hängenzubleiben, sondern wirklich Boden unter die Füße zu kriegen. Ich lebe jetzt auf dem Lande. Das ist kein Zufall, sondern ein großer Segen, denn das hat
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2 Kollektivbiographie transatlantischer Gastprofessoren
Zusammen mit der älteren Teilgruppe der zweiten Generation, deren Durchschnittsalter bei Erstberufung wie erwähnt rund 61 Jahre betrug,³⁹³ ergibt sich daraus für die sieben ältesten Probanden ein durchschnittliches Alter bei Erstberufung in der Emigration von 59 Jahren. Wenig Zeit blieb da bis zur Emeritierung, um eine weitere Berufung zu erhalten. Zudem dürften auch für mögliche an einer Berufung interessierte Universitäten so alte Kandidaten wenig attraktiv gewesen sein. Mit zeitlich begrenztem Lehrauftrag etwa als Gastprofessor konnte man die Kompetenz des Professors hingegen an die jeweilige Universität holen, ohne ihn gleich berufen zu müssen.³⁹⁴ Zweitens deutet das hohe Alter, in dem die Betreffenden ihr erstes Ordinariat im Emigrationsland erhielten, bereits an, dass ihre Karriere dort größeren Schwierigkeiten unterworfen war, als die Karriere der später Geborenen. Auch hier spielt das Alter wieder eine Rolle, insbesondere das Emigrationsalter.³⁹⁵ Aber auch die Faktoren der Weitermigration und Neuetablierung,³⁹⁶ der wenig gefragten Fachgebiete³⁹⁷ und der schwachen Netzwerke bedeuteten schlechtere Aussichten, um für eine zu besetzende Professur in Betracht gezogen zu werden. Masurs Überlegungen lassen sich auch auf die anderen Genannten übertragen: „Ich brauche kaum zu beteuern, daß ich oft versucht habe, eine Position an einer größeren Universität zu finden, und daß sich auch einige meiner Freunde bemüht haben, mir dabei zu helfen. Aber obschon ich meinem Ziele oft nahe war, hat es nie geklappt. In der Rückschau sind mir die Gründe dafür klarer geworden, als sie es mir zu jener Zeit waren. Einmal war ich damals schon fünfzig Jahre alt, was in einem Lande, in dem der Kult der Jugend eine so große Rolle spielt, ein Hindernis war. Zum zweiten gehörte ich keiner Partei an und hatte wenig Menschen, die sich aus Parteiloyalität für mich eingesetzt hätten. Zum dritten war ich Ordinarius, wenn auch nur an einem kleinen College, und es schien schwierig, mir eine niedere Rangstufe anzubieten. Der Hauptgrund lag aber darin, daß ich mir mit dem Bolívar einen Namen in dem Gebiet der lateinamerikanischen Geschichte gemacht hatte, und daß das
mir all die Ausdauer und die Geduld gegeben, ohne meine europäische amtliche Stellung zufrieden zu sein.“ Vgl. oben, S. 155 in Abschnitt 2.5.1. Dass das hohe Alter selbst für die jüngeren Mitglieder dieser Gruppe ein Hemmnis für die Erlangung eines Ordinariates war, deutet Masur an, wenn er von „einer systematischen Verleumdungscampagne“ spricht, die sich unter anderem auf sein Alter von 47 Jahren bei Ernennung zum ordentlichen Professor bezog: „Eine weitere Erfindung die mir erst nach Jahren bekannt wurde, war die, daß ich ein falsches Alter angegeben hätte, um auf diese Weise leichter eine Anstellung zu bekommen.“ Masur: Das ungewisse Herz, S. 289. Vgl. unten, Abschnitt 3.3 ab S. 191. Bei Misch, Fritz Epstein, Masur, Heichelheim und Hallgarten, vgl. unten, Abschnitt 3.3 ab S. 191, und oben, Abschnitt 2.4.2 ab S. 122. Bei Kisch, Rosenstock-Huessy und Masur, vgl. oben, Abschnitt 2.3.2 ab S. 99.
2.5 Professur
163
Interesse an Lateinamerika damals im Absinken war. Europa, Asien, und später Afrika traten an die Stelle, die Südamerika während des zweiten Weltkrieges eingenommen hatte.“³⁹⁸
Als ähnlich konservativ-unabhängig einzuschätzen wie Masur sind etwa auch Kisch und Rosenstock-Huessy, die ebenfalls keine „Parteiloyalität“ erwarten konnten.³⁹⁹ Doch auch Hallgarten dürften seine undogmatisch-marxistischen politischen Ansichten eher geschadet als genützt haben. Die neun ab 1902 geborenen Untersuchungspersonen hingegen haben – bis auf den früh verstorbenen Klaus Epstein – alle entweder mehrere Rufe angenommen,⁴⁰⁰ oder wurden an ihrer Wirkungsstätte auf angesehene Lehrstühle befördert.⁴⁰¹ Zum Vergleich: Unter den von Weber untersuchten deutschsprachigen Historikern im 19. und 20. Jahrhundert wechselten 67 % nie die Professur. Dagegen nahmen 22 % einmal, 7 % zweimal und etwa 3,7 % dreimal oder öfter einen neuen Ruf an.⁴⁰² Das ähnelt dem Profil der untersuchten Emigranten, von denen 62,5 % als ordentliche Professoren an einer Wirkungsstätte blieben, während ein Viertel einmal die Professur wechselte und je eine Person zwei oder drei Wechsel vollzog. In der Differenzierung zeigt sich aber, dass die älteren, bis 1901 geborenen Emigranten deutlich seltener einen zweiten Ruf annahmen als das in der deutsch Masur: Das ungewisse Herz, S. 292. Rosenstock-Huessy beschreibt im Interview, „daß sogar der große alte englische Philosoph Alfred Whitehead, der mir helfen wollte, […] sagte: ‚Mein lieber Freund, wir alle wollen ihnen helfen, aber wieviel leichter würde es sein, wenn Sie Kommunist wären. Dann würden all diese Atheisten helfen, die Ihnen jetzt gram sind, weil Sie die Religion bemühen […].‘“ Auf diesen Zusammenhang führt er zurück, dass er Harvard verlassen musste, berichtet dann weiter, dass er 1941 für einen „Agenten Hitlers gehalten“ wurde und daher in Schwierigkeiten kam, dass er schließlich noch vor der Mc-Carthy-Ära des Kommunismus verdächtigt worden sei: „Freilich, als ich als Kommunistenführer verdächtigt wurde, war ich wirklich ratlos.“ Mit diesen Anekdoten drückt Rosenstock-Huessy aus, dass ihm politisch-weltanschauliche Zugehörigkeit in den USA nichts genutzt habe, der Verdacht einer unopportunen Einstellung aber durchaus schaden konnte. Rosenstock-Huessy in: Auszug des Geistes, S. 115 – 122. Auch für Remigranten bestand häufig das Problem, dass sie sich nicht, wie die politischen Exilanten, auf eine Partei verlassen konnten, die ihre Rückkehr und Integration gefördert hätte. In diesen Fällen spielten persönliche Netzwerke eine noch größere Rolle. So Krauss: Wirkungsgeschichte der Remigranten, S. 34 f. Gilbert wurde nach Princeton ans Institute for Advanced Study berufen, Hirsch als Bibliotheksdirektor nach Trenton, von Laue nach St. Louis und später nach Worcester, Rosenberg auf die angesehene Shepard-Professur nach Berkeley. Holborn stieg in Yale bis zum Sterling professor auf, Jonas wurde am Union College zum Washington Irving professor of modern literary and historical studies befördert, von Klemperer in Northampton zum L. Clark Seelye professor of history, Stern schließlich wurde an der Columbia University Seth Low professor of history. Damit sind immerhin 25 % der Untersuchten an ihrer Universität befördert worden. Weber: Priester der Klio, S. 172.
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2 Kollektivbiographie transatlantischer Gastprofessoren
sprachigen Geschichtswissenschaft üblich war. Die jüngeren Probanden, also die dritte und vierte Generationslagerung zusammen mit dem ab 1902 geborenen Teil der zweiten Generation, waren jedoch deutlich mobiler. Daraus ergibt sich zusammenfassend, dass die Karrieren der jüngeren Emigranten insgesamt merklich erfolgreicher verliefen als die Karrieren der Älteren. Daher ist die Frage, ob die Emigration auf Historikerkarrieren eher förderlich oder eher schädlich wirkte, für die Untersuchungsgruppe nur geteilt zu beantworten: Die älteren Emigranten hatten mit den schwersten Problemen zu kämpfen und konnten sich nur den emigrationsbedingten Behinderungen zum Trotz durchsetzen. Für die jüngeren Mitglieder der Untersuchungsgruppe hingegen waren die Rahmenbedingungen besser – die Emigration warf zwar Probleme auf, eröffnete aber letztlich auch Chancen, die sie im deutschsprachigen Raum zumeist wohl nicht erhalten hätten.
2.6 Zusammenfassung Die Kollektivbiographie der 16 deutschsprachigen Geschichtsprofessoren, die in der Zeit des Nationalsozialismus emigrierten und sich in der Nachkriegszeit als Gastprofessoren an deutschsprachigen Universitäten engagierten, ohne ganz zu remigrieren, hat offengelegt, dass starke Gemeinsamkeiten diese Personengruppe kennzeichneten und sich als prägende Charakteristika für die gesamte Gruppe und ihre transatlantische Wirkung erwiesen. Die dennoch bestehenden Unterschiede zwischen den Individuen lassen die Spannbreite biographischer Möglichkeiten erkennen, die mit den Auswahlkriterien für transatlantische Gastprofessoren vereinbar waren. Für die nächsten Kapitel sind folgende Ergebnisse der kollektivbiographischen Analyse von besonderer Bedeutung: Grund der in Kapitel 3 zu untersuchenden Emigration war bei fast allen die Verfolgung auf Grund des biologistischen Antisemitismus des NS-Regimes: Die Untersuchungsgruppe war zwar mehrheitlich evangelischen Glaubens, doch gemäß ihrer Vorfahren mussten fast alle eine Diskriminierung als „volljüdisch“ oder „halbjüdisch“ fürchten, Holborn als „jüdisch versippt“, nur von Laue drohte keine rassistische Verfolgung. Die Karriereorientierungen vor und nach der Emigration unterschieden sich bei einigen Probanden, denn in den Zielländern ergaben sich sowohl Probleme bei der Beibehaltung des vorherigen Berufs, als auch neue Chancen für akademische Karrieren. Voraussetzung für die transatlantische Wirksamkeit der Emigranten nach 1945, um die es in Kapitel 4 geht, waren ihre letztlich erfolgreichen akademischen Karrieren in der Emigration. Neben individuellen Faktoren wie Alter, Emigrationszeitpunkt und inhaltlicher Ausrichtung zeigten sich die allgemeinen Schwie-
2.6 Zusammenfassung
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rigkeiten der Etablierung in Emigrationsländern, die von der Weltwirtschaftskrise betroffen waren und im Ausland ausgebildete Nachwuchsakademiker kaum in das – anders funktionierende – eigene Hochschulsystem integrieren konnten. Der Weg zur Professur setzte bei den meisten die Wirkungen von Krieg und Nachkrieg voraus: Einbürgerung zur Abwendung von Internierung, Nachfrage nach den Kenntnissen von Emigranten, Vernetzung mit einheimischen Wissenschaftlern, G. I. Bill und Nachkriegsboom der Hochschulen. Auch die jüngeren Emigranten profitierten von diesen Faktoren. Für Kapitel 5 ist hier festzuhalten, dass die späteren Gastprofessoren ihre akademische Ausbildung überwiegend im Umfeld Friedrich Meineckes, des prägenden HZ-Herausgebers 1896 – 1935, erhalten hatten und damit thematisch, methodisch und traditionsbezogen einen ganz ähnlichen fachlichen Ausgangspunkt aufwiesen wie die Hauptakteure der ab 1949 wiedererscheinenden Zeitschrift. So erschienen die emigrierten Historiker in Verlag und Redaktion der HZ auch als potentielle transatlantische Mittler, die dabei helfen sollten, die internationale Isolation der deutschen Geschichtswissenschaft aufzubrechen und die einstige Reputation insbesondere der HZ wiederherzustellen, wie auch Kapitel 6 aufzeigt. Wenn ich in Kapitel 7 die Gründe analysiere, aus denen die meisten Rezensionen der Schriften der transatlantischen Gastprofessoren in der HZ negativ ausfielen, obwohl ihre Schultraditionen andere Ergebnisse erwarten ließen, müssen wiederum die religiöse, aber auch die soziale Herkunft der Probanden beachtet werden, außerdem ihre Karrierebedingungen im amerikanischen Hochschulsystem und die dabei entstandenen Unterschiede zum prägenden deutschen historiographischen Denkstil nach dem Nationalsozialismus. Schließlich zeigt sich in Kapitel 8 die Fischer-Kontroverse als Schnittpunkt verschiedener transatlantischer historiographischer Entwicklungslinien, die schließlich in weitgehende wechselseitige Anerkennung und Kooperation deutscher und amerikanischer Historiker bei gleichzeitiger Entstehung neuer Konfrontationslinien im neuen geschichtswissenschaftlichen Pluralismus mündeten.
3 Zwischen Exil, Emigration und Remigration Die zentrale biographische Bedingung, um in der Nachkriegszeit zu wichtigen Westernisierungsakteuren zu werden, war für die hier untersuchten Historiker die Emigration aus dem Deutschen Reich nach der Regierungsübernahme Adolf Hitlers. Diese Emigration war für die Betroffenen eine prägende Lebenserfahrung und führte sie alle über den Atlantik, wo sie sich niederließen und schließlich beruflich etablieren konnten. Die Emigration untersuche ich in diesem Kapitel als kollektivbiographisches Schlüsselereignis, das besondere Probleme aufwirft: Sie gehört zu den zentralen Elementen, die die vorliegenden Lebensverläufe von denen anderer Wissenschaftler unterscheiden. Die kollektivbiographische Analyse reduziert die Emigration jedoch auf einen Karrierefaktor, der wie gesehen fördernd oder hemmend auf die Laufbahn wirkte, meist allerdings beide Effekte in je spezifischer Weise hervorbrachte. Diese beschränkte Perspektive reicht aber nicht aus, um die Bedeutung der Emigration für die Entwicklung transnationaler Erfahrungsräume und Geschichtsbetrachtungsmuster im Leben und Wirken der untersuchten deutsch-amerikanischen Historiker herauszuarbeiten. Daher analysiere ich in diesem Kapitel die Migrationserfahrungen der Protagonisten und die dabei erfolgende Überschreitung des Nationalen als Bezugssystem. Diese Entfaltung eines anderen, transnationalen Selbst- und Geschichtsbildes legte den Grundstein für die spätere Wirkungsmöglichkeit als transatlantische Gastprofessoren, die ich im folgenden Kapitel behandle. Der Begriff der Emigration ist allerdings so bedeutungs- und assoziationsreich, dass die Ermittlung seiner exakten Bedeutung in dieser Untersuchung eine kritische Auseinandersetzung mit den Forschungstraditionen erfordert, die ihn ausgiebig verwendet und belegt haben. Daher stelle ich zunächst die Grundzüge der Forschungsgeschichte dar, bevor ich zu einer elementaren Kritik ihrer Leitbegriffe und der zugrundeliegenden Perspektiven übergehe. Zur Lösung der dadurch aufgeworfenen Probleme bestimme ich anschließend den bisher und in den folgenden Kapiteln verwendeten Emigrationsbegriff in Abgrenzung von der Forschungstradition, indem ich ein theoretisches Modell möglicher Migrationen vorstelle und die konkreten Emigrationsvorgänge der Untersuchungspersonen in dieses Modell einordne. Dazu verwende ich zehn Kategorien, die zur Beschreibung und Unterscheidung verschiedener Migrationen in der Migrationsforschung verwendet werden,¹ und frage jeweils, welche Eigenschaften die konkrete Mi-
Siehe unten, Abschnitt 3.3.1 ab S. 193, vgl. Dirk Hoerder/Jan Lucassen/Leo Lucassen: Terminologien und Konzepte in der Migrationsforschung; in: Klaus J. Bade/Pieter C. Emmer/Leo Luchttps://doi.org/10.1515/9783110731637-003
3.1 Deutschsprachige Emigration, Wissenschaftsemigration, Historikeremigration
167
gration jeder einzelnen Untersuchungsperson aus dem Deutschen Reich ab 1933 im Hinblick auf diese Kategorien hatte. Diese Eigenschaften lassen sich wiederum in jeder Kategorie einem Idealtypus zuordnen,² so dass sich aus der Kombination der zehn Kategorien mit ihren je vier bis fünf Subkategorien eine mehrdimensionale Typologie in Form einer Mehrfeldertafel ergibt.³ Die in Abschnitt 3.3.1 vorgestellte Migrationsmatrix ist dabei die theoretisch konstruierte Vorlage, mit deren Hilfe ich die in Abschnitt 3.3.2 geschilderten konkreten Migrationserfahrungen vergleiche und so in Abschnitt 3.3.3 zu einem Migrationsmuster gelange, das die Ausprägungen der Migrationsaspekte zusammenfasst, die auf die Emigration der Untersuchungsgruppe zutreffen.⁴ Damit versuche ich den in dieser Untersuchung verwendeten Emigrationsbegriff von einem ihm historisch zugewachsenen nationalen Essenzialismus zu befreien, der für die anschließende Analyse des Westernisierungsprozesses nach 1945 hinderlich und letztlich sogar anachronistisch ist.
3.1 Deutschsprachige Emigration, Wissenschaftsemigration, Historikeremigration Zunächst jedoch zur Einordnung des Themas dieser Untersuchung in den Kontext der Emigrationsforschung: Die Flucht vor dem Nationalsozialismus und seiner Verfolgungsmaschinerie umfasste bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs mehr als eine halbe Million Menschen allein aus dem deutschsprachigen Raum.⁵ Der Anteil
assen/Jochen Oltmer (Hg.): Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Paderborn u. a. 2007, S. 28 – 53, besonders S. 37. Zu den Anforderungen an Typenbildung Kelle/Kluge: Einzelfall, besonders S. 84 f.; um Idealtypen handelt es sich, da sie aus der abstrakten Unterteilung theoretischer Möglichkeiten von Migrationen durch Hoerder/Lucassen/Lucassen: Terminologien, stammen. Kelle/Kluge: Einzelfall, S. 87 f. Dass sich dabei im Großen und Ganzen ein einzelnes Migrationsmuster ergibt, und nicht eine Mehrzahl an Typen, ist wohl auf die hohe Spezifizität der Untersuchungsgruppe zurückzuführen, deren Auswahlkriterien in der Praxis nur geringe Spielräume bezüglich der Eigenheiten der Emigrationsvorgänge ihrer Mitglieder zuließen. Claus-Dieter Krohn/Patrik von zur Mühlen/Gerhard Paul/Lutz Winckler: Vorwort; in: ClausDieter Krohn/Patrik von zur Mühlen/Gerhard Paul/Lutz Winckler (Hg.): Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933 – 1945, Darmstadt 1998, S. XI–XIII, hier S. XI. Diese Größenangabe ist lange bekannt und wenig diskutiert, obwohl nicht ganz unproblematisch. Vgl. Martin Broszat: Prefaces; in: Werner Röder/Herbert A. Strauss (Hg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, Band 2, München u. a. 1983, S. IX f., hier S. X, Möller: Exodus der Kultur, S. 38, und Kurt R. Grossmann: Emigration. Geschichte der Hitler-Flüchtlinge 1933 –
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3 Zwischen Exil, Emigration und Remigration
der Emigranten aus politischen Gründen betrug bis Kriegsbeginn lediglich 30.000,⁶ dagegen mussten etwa 500.000 deutschsprachige Menschen auf Grund des NS-Rassenwahns emigrieren.⁷ Das Biographische Handbuch versammelt Kurzbiographien von etwa 8.700 Emigranten aus diesen beiden (sich überschneidenden) Gruppen,⁸ darunter ungefähr 2.500 Wissenschaftler.⁹ Rund 840 davon betrieben Geisteswissenschaften,¹⁰ die Zahl der emigrierten Historiker liegt laut Schulze bei 134.¹¹ Die 16 hier untersuchten transatlantischen Gastprofessoren stellen zwar keinen großen, aber auch keinen vernachlässigbaren Anteil der Historikeremigration dar. Von den vertriebenen Wissenschaftlern insgesamt bilden Historiker allerdings nur einen kleinen Teil. Zwar wird die Emigration in der
1945, Frankfurt am Main 1969, S. 52, der auf der Basis von Angaben aus dem Jahr 1956 die „Auswanderung aus Deutschland 1933 bis 30. Juni 1938“ auf 555.000 Personen beziffert. Röder: The political Exiles, S. XXXI. Möller: Exodus der Kultur, S. 38: „[N]ach [1984] neuesten Schätzungen waren mehr als 500 000 dieser Emigranten im weitesten Sinne jüdischer Herkunft: ungefähr 330 000 stammten aus Deutschland, 150 000 aus Österreich und 25 000 aus den Sudetengebieten.“ Vgl. Strauss: Jews in German History, S. XV: Strauss gibt an, 149.124 Juden aus Österreich seien bis 1943 emigriert, dazu 278.500 Juden aus Deutschland, zusammen also ca. 425.000 Menschen jüdischen Glaubens! Aus der Differenz von Möllers „rassischen“ Zahlen und Strauss’ an der Religion orientierten Angaben ergäbe sich, dass die Zahl der wegen jüdischer Vorfahren als „Juden“, „Halbjuden“ oder „Vierteljuden“ verfolgten Personen christlichen oder anderen Glaubens sich auf etwa 55.000 beliefe (exklusive Sudetengebiete). Wie aus Abschnitt 2.2.2 ab S. 82 dieser Arbeit ersichtlich, entspricht dieser geringe Anteil nicht den Verhältnissen in der vorliegenden Untersuchungsgruppe. Standards for Inclusion, Editorial Policy; in: Biographisches Handbuch, Band 2, S. LXXXVII.Vgl. dagegen Möller: Exodus der Kultur, S. 38, der von „annähernd 8 600 Emigranten“ spricht. Möller: Exodus der Kultur, S. 38; vgl. Horst Möller: Die Remigration von Wissenschaftlern nach 1945; in: Edith Böhme/Wolfgang Motzkau-Valeton (Hg.): Die Künste und Wissenschaften im Exil 1933 – 1945, Gerlingen 1992, S. 601– 614, hier S. 602. Geisteswissenschaften; in: Biographisches Handbuch, Band 3: Gesamtregister, S. 179 – 183. Dagegen gibt Möller: Exodus der Kultur, S. 86, an, im „Biographischen Handbuch werden ca. 830 Geisteswissenschaftler aufgeführt“. Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 135. Die Angabe beruht wohl auf einer Auswertung des Biographischen Handbuchs, wünschenswert genaue Kriterien sind jedoch nicht angegeben, etwa die Berücksichtigung der „jüngeren Generation“, oder die Berücksichtigung von Umsteigern aus anderen Disziplinen oder in andere Disziplinen. Zu einer ausführlichen Angabe solcher Auswahlkriterien vgl. Epstein: Catalog, S. 12– 17; Catherine Epstein berücksichtigt in ihrer Arbeit 88 in die USA emigrierte Historiker, die vor ihrer Emigration promoviert wurden, aber unter Umständen auch erst im Zielland zur Geschichtswissenschaft wechselten. Sie nimmt ebenda, S. 13, interessanterweise, aber nicht näher belegt, an: „there are more second- than first-generation refugee historians.“ Eakin-Thimme: Geschichte im Exil, behandelt 98 emigrierte Historiker und Historikerinnen, vgl. ebenda, S. 337– 344. Zu den Emigrationsvorgängen ihrer Untersuchungsgruppe vgl. ebenda, S. 51– 62. Zu niedrig ist mit „gut zwei Dutzend“ die alte Angabe von Walther: Emigrierte deutsche Historiker, S. 41.
3.1 Deutschsprachige Emigration, Wissenschaftsemigration, Historikeremigration
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Regel pauschal als Verlust für die deutsche Historikerzunft bedauert, doch dass nur vergleichsweise wenige der an deutschen Hochschulen etablierten Historiker emigrieren mussten,¹² hat zu der Auffassung geführt, „daß in dieser Disziplin anders als in den Sozialwissenschaften keine umfassende Abwanderung gerade der vorantreibenden kreativen und originären Gelehrten zu verzeichnen ist, vielmehr blieben viele Historiker im NS-Reich, die bestimmte Teildisziplinen erheblich weiterentwickelten“.¹³ Solche Hochschätzung der deutschen Historiographie unter Hitler ist zumindest zweifelhaft, da selbst die „auch unter Hitler gediegene, oft vorzügliche und international anerkannte Forschungsarbeit“¹⁴ der Historiker alter Schule nicht über eines hinwegtäuschen kann: „Die deutsche Geschichtswissenschaft hat gegenüber dem NS-System geistig versagt [nicht nur moralisch], weil sie schon längst vor Hitler, von wenigen, denkwürdigen Ausnahmen abgesehen, sich kaum mit der gesellschaftlichen Analyse der politischen Erscheinungen, den innenpolitischen Voraussetzungen und Motiven außenpolitischer Machtentfaltung beschäftigt hatte.“¹⁵
Vor allem, weil die emigrierten Historiker solche sozialhistorischen Ansätze bereits in der Weimarer Zeit verfolgt hatten, an denen Karl Ferdinand Werner Mitte der 1970er das Versagen der deutschen Geschichtswissenschaft festmachte, erscheint Horst Möllers Ansicht fragwürdig, dass zwischen „den in der NS-Diktatur lebenden und den emigrierenden“ Historikern „kein Leistungsgefälle“ bestanden habe.¹⁶ Eine Gesamtschau der geschichtswissenschaftlichen Emigrations-Leistungen¹⁷ muss in dieser Arbeit jedoch ebenso unterbleiben wie ihre Bewertung im Vergleich mit der deutschen Historiographie im Nationalsozialismus. Doch die
Laut Möller: Exodus der Kultur, S. 93, waren nur 75 der emigrierten Historiker zuvor Hochschullehrer deutscher Universitäten. Möller: Exodus der Kultur, S. 97; vgl. allgemeiner Möller: Remigration, S. 602. Karl Ferdinand Werner: Die deutsche Historiographie unter Hitler; in: Bernd Faulenbach (Hg.): Geschichtswissenschaft in Deutschland. Traditionelle Positionen und gegenwärtige Aufgaben, München 1974, S. 86 – 96, hier S. 92. Ebenda, S. 96. Möller: Exodus der Kultur, S. 99. Vgl. einige Impressionen: Stern: German History in America, S. 155 – 161; Kenneth D. Barkin: Amerikanische Forschungen (1945 – 1975) zur modernen deutschen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte; in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Die moderne deutsche Geschichte in der internationalen Forschung. 1945 – 1975, Göttingen 1978, S. 11– 45; Christhard Hoffmann: The Contribution of German-speaking Jewish Immigrants to British Historiography; in: Werner E. Mosse u. a. (Hg.): Second Chance. Two Centuries of German-speaking Jews in the United Kingdom, Tübingen 1991, S. 153 – 175.
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3 Zwischen Exil, Emigration und Remigration
Tendenz, die eigenen akademischen Lehrer höher einzuschätzen als fremde, und die Leistungen bundesdeutscher Ordinarien intuitiv als die einflussreichsten wissenschaftlichen Fortschritte der Nachkriegshistoriographie anzusehen, weist auf eine spezifische Perspektive hin, die ich in diesem Kapitel problematisieren möchte: Gemäß dieser Sichtweise ist die Historikeremigration etwas, das der deutschsprachigen Zunft verloren gegangen ist – ein wertvoller, aber letztlich verzichtbarer Teil, dessen Fehlen kompensiert werden musste. Auf derselben Voraussetzung, dass die Emigration einen zu kompensierenden Mangel darstelle, basiert auch die gegensätzliche Position. Sie unterscheidet sich aber in der bevorzugten Kompensationsweise, indem sie nicht wie Möller (und letztlich auch Werner) den nichtemigrierten Fachvertretern die Fähigkeit und Aufgabe zuspricht, die entstandene Lücke zu stopfen, sondern dafür auf die „Wiederaneignung“ der Emigrierten, ihre symbolische und oft genug posthume „Heimholung“ setzt.¹⁸ Um die Notwendigkeit eines solchen Verfahrens zu begründen, muss man allerdings Defizite in der Wissenschaft konstatieren, die von den 1933 Dagebliebenen allein nicht behoben werden konnten. Dazu bietet sich insbesondere eine Entgegensetzung von organischer, provinzieller „Bodenständigkeit“ der im Nationalsozialismus tätigen Wissenschaftler und universeller Orientierungen wie „Humanitas“, „Ratio“ und „Aufklärung“ auf Seiten der Emigranten an.¹⁹ Unabhängig davon, welcher dieser Positionen man zuzustimmen geneigt ist, gehen doch beide davon aus, dass die Emigration einen Austritt aus der Zunft als einer nationalen scientific community darstellte. Das ist jedoch keineswegs selbstverständlich, sondern beruht auf stillschweigenden Annahmen, die ich im Folgenden anhand der Begrifflichkeiten rekonstruieren möchte, mit denen die Wanderungsbewegungen meiner Untersuchungsgruppe beschrieben wurden und
Vgl. diese Strategie präferierend etwa Volker Breidecker: Einige Fragmente einer intellektuellen Kollektivbiographie der kulturwissenschaftlichen Emigration; in: Bruno Reudenbach (Hg.): Erwin Panofsky. Beiträge des Symposions Hamburg 1992, Berlin 1994, S. 83 – 108, hier S. 83 f., oder fast eine Generation früher PWJA BFDE/I/2: Rede Walter A. Berendsohns auf dem Symposium über Deutsche Literatur aus dem Dritten Reich: „Erläuterungen zum Programm der internationalen Tagung vom 19.–21. September 1969 in Stockholm“, S. 3. Breidecker: Fragmente, S. 85 f., präsentiert jene Begriffe als Charakteristika eines Konflikts zwischen Emigranten und Nationalsozialisten Mitte der 1930er Jahre um eine universelle Kulturwissenschaft in der Tradition Aby Warburgs. Claus-Dieter Krohn vertritt allgemeiner die an Peter Gay angelehnte Position, dass die „Weimar Culture“ insgesamt emigriert sei, die er als Inbegriff des Fortschritts dem reaktionären Nationalsozialismus entgegenstellt. Damit bestärkt er die „fast mythische Aura, die die Weimarer Kultur heute umgibt“. Claus-Dieter Krohn: Emigration 1933 – 1945/1950; in: Europäische Geschichte Online (EGO), 31. Mai 2011; URL: http://www.ieg-ego. eu/krohnc-2011-de (zuletzt abgerufen am 4. Januar 2019).
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werden. Denn dieselben Annahmen prägten auch ihre transatlantischen Nachkriegskontakte und die Rezeption durch nichtemigrierte Historiker, die ich in den Folgekapiteln analysiere.
3.2 Leitbegriffe als Forschungsprobleme Exil und Emigration sind die primären Rubriken, unter denen in Deutschland nach 1945 die Hitlerflüchtlinge zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen wurden. Diese Exil- und Emigrationsforschung wurde lange Zeit „als eine Art eigene Disziplin“ betrieben,²⁰ losgelöst auch von der allgemeinen Migrationsforschung,²¹ die sich zwar mit sehr verschiedenen Migrationsphänomenen befasste, aber andere Ausgangspunkte, Perspektiven und Erkenntnisziele mitbrachte als die Exil- und Emigrationsforschung. Deren Sonderstellung erwuchs nicht zuletzt daraus, dass sie mit dem „Anderen Deutschland“ ein zunächst zwischen DDR und BRD, dann auch innerhalb der BRD umstrittenes Identifikationsobjekt für das nationale Selbstverständnis behandelte.²² Die über 500.000 Hitlerflüchtlinge der 1930er Jahre gehen in den Größenordnungen der Migrationsgeschichte geradezu unter;²³ Überblicke über Migrationsbewegungen
Unter der Bezeichnung „Exilforschung“ dominierte lange die Exilliteraturforschung, so ClausDieter Krohn: Exilforschung; in: Docupedia-Zeitgeschichte, 20. Dezember 2012 (Version 1.0), URL: http://docupedia.de/zg/Exilforschung?oldid=85420 (zuletzt abgerufen am 4. Januar 2019). Für einen Überblick vgl. Barbara Lüthi: Migration and Migration History; in: DocupediaZeitgeschichte, 6. Juli 2018 (Version 2.0), URL: http://docupedia.de/zg/Luethi_migration_v2_en_ 2018?oldid=130090 (zuletzt abgerufen am 4. Januar 2019); Klaus J. Bade: Historische Migrationsforschung; in: Jochen Oltmer (Hg.): Migrationsforschung und interkulturelle Studien: Zehn Jahre IMIS, Osnabrück 2002, S. 55 – 74; sowie ohne historische Ausrichtung Christof Parnreiter: Theorien und Forschungsansätze zu Migration; in: Karl Husa/Christof Parnreiter/Irene Stacher (Hg.): Internationale Migration. Die globale Herausforderung des 21. Jahrhunderts?, Frankfurt am Main/Wien 2000, S. 25 – 52. Krohn: Exilforschung, betont jedoch nicht die politische Funktion als hervorhebendes Merkmal der Exilforschung (gegenüber anderen Migrationsthemen), sondern die Einzigartigkeit ihres Untersuchungsgegenstandes: „Hierbei war die Vertreibung aus dem nationalsozialistischen Deutschland einzigartig, denn keine der anderen zu der Zeit erzwungenen Fluchtbewegungen beruhte auf so einseitig begründeter Gewalt, Brutalität, Ausschließung und schließlich physischer Vernichtung.“ Indem er speziell diese Flucht in die Linie des Holocaust stellt, verkennt er, dass dies auch auf andere Migrationen derselben Epoche zutrifft. Ebenda. Die Einsicht, dass es sich um eine „eine relativ kleine Zahl“ Betroffener handelt, lässt Krohn verschiedene Argumente zur Legitimierung der Sonderstellung der Exil- und Emigrationsforschung anführen. Doch dass sich bei „nur kurzfristig während der NS-Okkupation“ auftretenden Massenfluchten „Fragen reziproken Austausches, nach Exklusion, Inklusion und Ak-
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erwähnen diese Migration erst gar nicht.²⁴ Sie macht quantitativ nur einen kleinen Teil der verschiedenen Fluchtbewegungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus, und diese Flüchtlingsgeschichte insgesamt ist neben Migrationssystemen vor 1914, Dekolonisationsmigrationen und neuen Migrationssystemen seit 1960 nur eines von vier Hauptthemen der das 20. Jahrhundert betreffenden Migrationsforschung.²⁵ Während vor allem soziale Gegenwartsprobleme den Ausgangspunkt der Migrationsforschung bildeten,²⁶ setzte die Exil- und Emigrationsforschung mit einem erinnerungspolitischen Impetus ein: Die ersten Ansätze zur Erforschung des deutschsprachigen Exils 1933 – 1945 stammten aus diesem selbst und behandelten vornehmlich literarisches und politisches Exil.²⁷ Die bundesrepubli-
kulturation,“ nicht stellten, überzeugt ebenso wenig wie das Argument, die deutschsprachigen Hitlerflüchtlinge seien besonders hervorzuheben, da sie „die Mitte der Gesellschaft, ja weitgehend eine intellektuelle und kulturelle Elite“, repräsentierten. Gerade Fluchtmigrationen im 20. Jahrhundert beruhten oft auf rassistischen Verfolgungen und betrafen daher auch Eliten oder gesellschaftliche Mittelschichten. Das einzige sachbezogene Argument für eine von anderen Migrationen separierte Untersuchung von Hitlerflüchtlingen nennt Krohn nicht ausdrücklich, es durchzieht aber seine Skizze, dass die Wirkung dieser Migration außerordentlich gewesen sei: Daher präge die Exilforschung die „Frage, welchen Gewinn diese Menschen auf lange Sicht für ihre Zufluchtsländer brachten bzw. welchen Verlust sie umgekehrt für die Vertreibungsländer darstellten.“ Vgl. unten, Anmerkung 37 ab S. 174. Aus dieser Perspektive ergibt sich auch, dass Krohn: Emigration 1933 – 1945/1950, die Zusammensetzung der „etwa 500.000 Personen“ wie folgt skizziert, ohne dabei zu erwähnen, dass politische und intellektuelle Eliten unter 5 % der Flüchtlinge ausmachten: „Die Emigranten waren vor allem demokratische Repräsentanten aus der Sozialdemokratie und dem kleinen Kreis der bürgerlich-liberalen Politiker, sodann Kommunisten, ferner die kulturelle Avantgarde der Schriftsteller und Künstler, schließlich eine große Zahl von Wissenschaftlern.“ Sie heben für die Zeit des Nationalsozialismus etwa Deportationen in Arbeits- und Konzentrationslager sowie kriegsbedingte Migrationen hervor, so Lüthi: Migration History, sowie Hoerder/Lucassen/Lucassen: Terminologien, S. 31. Hoerder: Human Mobility, S. 503, skizziert die Hauptthemen der Migrationsgeschichte im 20. Jahrhundert so: „scholarship has focused on labor migration systems before 1914, refugee generations in the first half of the 20th century, the impact of decolonization in the second postwar era, and new migration systems emerging since 1960“. Vgl. Dirk Hoerder: Cultures in Contact: World Migrations in the Second Millennium, Durham/London 2002. Hoerder/Lucassen/Lucassen: Terminologien; vgl. Bade: Historische Migrationsforschung, S. 64 f. Ursula Langkau-Alex: Geschichte der Exilforschung; in: Claus-Dieter Krohn/Patrik von zur Mühlen/Gerhard Paul/Lutz Winckler (Hg.): Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933 – 1945, Darmstadt 1998, Sp. 1195 – 1209, hier Sp. 1196 f. Vgl. für einen Überblick über die ältere Literatur auch Joachim Radkau: Emigration 1933 – 1945 [Literaturbericht]; in: Neue Politische Literatur 1971, S. 139 – 146, sowie die Einleitung in Joachim Radkau: Die deutsche Emigration in den USA. Ihr Einfluß auf die amerikanische Europapolitik 1933 – 1945, Düsseldorf 1971, S. 11– 22.
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kanische Beteiligung an der Exilforschung ging nicht zufällig in der Ära Willy Brandts, der wichtige Anstöße für staatliche Förderung gab, erstmals über vereinzelte Ansätze hinaus.²⁸ Mit Joachim Radkau untersuchte 1971 erstmals ein Historiker in größerem Umfang die Wirkung der Emigration,²⁹ während zuvor antifaschistische Inhalte und Organisationen des Exils im Mittelpunkt gestanden hatten.³⁰ Der DFG-Schwerpunkt Exilforschung trieb ab den 1970er Jahren die Grundlagenforschung voran.³¹ In seinem Vorwort zum Biographischen Handbuch stellte Martin Broszat 1983 fest, dass mit diesem Großprojekt erst die Grundlage dafür geschaffen sei, den Einfluss der Emigration auf die Immigrationsländer und ihre Rückwirkung auf die Herkunftsländer in der Nachkriegszeit zu erforschen: „Only a future cultural history will be able to fully assess its significance.“³² Tatsächlich wandte sich die Exil- und Emigrationsforschung in den 1980ern und 1990ern einem systematischeren und vergleichenden Vorgehen zu. Auf generalisierende Theorien scheint sie dabei jedoch – in markantem Gegensatz zur Migrationsforschung – bis heute zu verzichten.³³ Parallel zur Ausprägung des
Langkau-Alex: Geschichte der Exilforschung, Sp. 1199; vgl. Lehmann: Erfahrungen und Transformationen im Exil, S. 287. Radkau: Die deutsche Emigration in den USA. Langkau-Alex: Geschichte der Exilforschung, Sp. 1198. Vgl. Krohn: Exilforschung. Langkau-Alex: Geschichte der Exilforschung, Sp. 1199. Vgl. die Bibliographie der aus der Förderung hervorgegangenen Publikationen auf den S. 275 – 282 in: Manfred Briegel/Wolfgang Frühwald (Hg.): Die Erfahrung der Fremde. Kolloquium des Schwerpunktprogramms „Exilforschung“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Weinheim u. a. 1988, und das Biographische Handbuch, das wohl bekannteste Produkt dieses Schwerpunktprogramms. Krohn: Exilforschung, betont die Ausmaße dieses DFG-Schwerpunktes, in dem 1973 bis 1984 unter Beteiligung des Instituts für Zeitgeschichte in München, der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main, der neuen Forschungsstelle für Exilliteratur in Hamburg, der Archive der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Deutschen Gewerkschaftsbundes sowie der Akademie der Künste in Berlin insgesamt 40 Projekte realisiert wurden, auch in internationaler Kooperation, das Biographische Handbuch etwa vom IfZ in Zusammenarbeit mit der Research Foundation for Jewish Immigration, New York, vgl. oben, Anmerkung 22 auf S. 70. Broszat: Prefaces, S. X. Theo Stammen: Exil und Emigration – Versuch einer Theoretisierung; in: Exilforschung 5 (1987), S. 11– 27, weist darauf hin, dass es „kaum ernsthafte Versuche gibt, ein derartiges, zugleich universalhistorisches und universell gegenwärtiges, aktuelles Phänomen oder Problem wie ‚Exil‘ und ‚Emigration‘ angemessen systematisch-theoretisch […] zu erfassen und zu erklären.“ (S. 11 f.) Er fordert generalisierende Theorien und macht drei Vorschläge. Allerdings erscheinen sowohl sein „diskurstheoretischer“ als auch sein „politiktheoretischer“ Versuch nicht geeignet, die deutschsprachige Emigration nach 1933 zu erfassen, da sie sich lediglich auf die Theoretisierung des Exils als Form der Unterdrückung gesellschaftlicher Kritik konzentrierten. Nur der „ökonomische“ Ansatz Stammens erscheint anschlussfähig – nicht zuletzt, da er es ermöglicht, Emigration und Exil als Migrationsphänomene zu erforschen.
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zusätzlichen Schwerpunkts Wissenschaftsemigration³⁴ entwickelte sich aus der Rezeption der amerikanischen Immigrationsforschung die Forschungsperspektive auf Integration und Akkulturation,³⁵ schließlich folgte in den 1990er Jahren die Durchsetzung der Erweiterung auf die Remigrationsforschung.³⁶ In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kristallisierten sich drei Grundannahmen der Exil- und Emigrationsforschung als Konsens heraus: Erstens hätten die Nazis das deutsche kulturelle Leben für Generationen beschädigt, indem sie wesentliche Träger dieses Kulturlebens vertrieben. Zweitens hätten die Aufnahmeländer, besonders die USA, unschätzbaren Nutzen aus der Einwanderung künstlerischer und wissenschaftlicher Eliten gezogen. Und drittens hätten die Exilierten, zumindest die bekannten unter ihnen, in ihrer Arbeit von der wechselseitigen Befruchtung von europäischen und amerikanischen Einflüssen profitiert.³⁷ Durch diese Deutungen erscheinen die Betroffenen weniger als Opfer il Langkau-Alex: Geschichte der Exilforschung, Sp. 1203. Vgl. Lehmann: Erfahrungen und Transformationen im Exil, S. 283; Söllner: Wissenschaftliche Kompetenz, S. 118. Krohn: Exilforschung; vgl. Krohn: Emigration 1933 – 1945/1950. Vgl. dazu in dieser Arbeit vor allem die Untersuchung der Karrieren in der Emigration ab S. 122. Krauss: Westliche Besatzungszonen und BRD, Sp. 1161; Langkau-Alex: Geschichte der Exilforschung, Sp. 1204: „Die Weiterentwicklung der Emigrations- zur Akkulturations- und Integrationsforschung, die auch nach der ‚zweiten Generation‘ fragt, setzte bereits Anfang der 1980er Jahre vor allem in den USA ein, während die Remigrationsforschung […] erst jetzt, gegen Ende der 1990er Jahre, an Boden gewinnt.“ Vgl. den Überblick Krauss: Geschichte der Remigration. Durch Befassung mit Akkulturation und Integration rückte die Emigrationsforschung auch dichter an die Migrationsforschung heran, die in den 1980er Jahren als „Sozialhistorische Migrationsforschung“ eine parallele Etablierung erfuhr, vgl. Klaus J. Bade: Sozialhistorische Migrationsforschung; in: Klaus J. Bade: Sozialhistorische Migrationsforschung, hg. von Michael Bommes und Jochen Oltmer, Göttingen 2004, S. 13 – 25. Ein frühes Beispiel von Remigrationsforschung war nicht auf die Rückkehr von vor der NS-Verfolgung Geflohenen konzentriert, sondern gehört auch zur Auswandererforschung: Alfred Vagts: Deutsch-Amerikanische Rückwanderung. Probleme – Phänomene – Statistik – Politik – Soziologie – Biographie, Heidelberg 1960; noch ohne den Begriff der Remigration im Titel befassten sich zuerst mit politischen Rückkehrern Hartmut Mehringer/Werner Röder/Marc Dieter Schneider: Zum Anteil ehemaliger Emigranten am politischen Leben der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik und der Republik Österreich; in: Wolfgang Frühwald/Wolfgang Schieder (Hg.): Leben im Exil. Probleme der Integration deutscher Flüchtlinge im Ausland 1933 – 1945, Hamburg 1981, S. 207– 223. David Kettler: Introduction. The „No Happy End“ Workshop at Bard; in: David Kettler (Hg.): Essays from the „No Happy End“ Workshop. Bard College, February 13 – 15, 2001. In preparation for the conference „Contested Legacies: The German-Speaking Intellectual and Cultural Emigration to the United States and United Kingdom, 1933 – 45“. Bard College, August 13 – 15, 2002, Annandale-on-Hudson 2002, S. 2– 4, hier S. 2: „first, that the Nazis damaged German cultural life for generations by driving out this cohort of exiles, predominately Jewish; second, that the host countries, notably the United States, gained inestimable benefit; and third, that the exiles themselves, at least the noted ones, benefited in their cultural work because of the crossferti-
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legitimer Vertreibung, sondern stattdessen einerseits als Wohltäter des Aufnahmelandes, andererseits als Begünstigte durch ihre Emigration.³⁸ Als eigentliches Opfer der nationalsozialistischen Politik, die für die massenhafte Flucht ursächlich war, erscheint dabei das deutsche kulturelle Leben.³⁹ Dieser Gedanke knüpft an die im Nachkriegsdeutschland verbreitete Vorstellung an, die dagebliebenen Deutschen seien zumindest ebenso Opfer Hitlers gewesen wie die vom Nationalsozialismus Verfolgten. Dieser durch Schuldabwehr und Schuldumkehr entstandene Nachkriegs-Topos⁴⁰ lebt also in der Exil- und Emigrationsforschung mutatis mutandis fort. Die drei Grundannahmen entschuldigen gewissermaßen ex post Verfolgung und Vertreibung, die als auf ein Happy End hinauslaufend vorgestellt werden, das tatsächlich in vielen Erzählungen von und über Emigranten aufscheint.⁴¹ Im Kontrast zu dieser Deutung werden Exil und Emigration 1933 – 1945 regelmäßig als Zwangsmigrationen konzeptualisiert.⁴² Der Status von Emigranten als Opfer des NS-Systems ist daher parallel zu den skizzierten Relativierungs- und Aufrechnungsdiskursen ebenso weithin anerkannt, früh fixiert durch die Wiedergutmachungsregelungen der Nachkriegszeit.⁴³ Einerseits gilt die Emigration also als Zwangsmigration und als eine über den Migrationsvorgang und sogar das
lization of continental complexity with American pragmatic intelligence and method.“ Dass diese Grundannahmen für die Forschung weiterhin zentral sind, zeigen die neueren Überblicksartikel Krohn: Emigration 1933 – 1945/1950, und Krohn: Exilforschung. Emigranten erscheinen „not merely as victims, but as both benefactors and beneficiaries.“ Kettler: Introduction, S. 2. In plakativer Zuspitzung für ein Nachschlagewerk findet sich die Behauptung, „nahezu die gesamte intellektuelle und künstler. Elite der 20er Jahre“ sei aus der NS-Herrschaft geflohen, und speziell von den Hochschulen in Deutschland „v. a. jüngere Gelehrte aus den modernen Disziplinen aller Wissenschaftsbereiche“, also gerade die vielversprechendsten Nachwuchskräfte. Claus-Dieter Krohn: Exil, Emigration; in: Axel Schildt (Hg.): Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert. Ein Lexikon, München 2005, S. 151– 153, hier S. 151. Krauss: Rückkehr einer vertriebenen Elite, S. 116 – 119; ausführlicher Marita Krauss: Projektion statt Erinnerung. Der Umgang mit Emigranten und die deutsche Gesellschaft nach 1945; in: Exil 18 (1998), S. 5 – 16; vgl. speziell zu den Hochschulen: Szabó: Göttinger Hochschullehrer im NS, S. 12. Es kann nicht überraschen, dass diese Grundannahmen inzwischen auch grundsätzlich in Frage gestellt werden, etwa von Michael Schüring: Minervas verstoßene Kinder. Vertriebene Wissenschaftler und die Vergangenheitspolitik der Max-Planck-Gesellschaft, Göttingen 2006, S. 41 f. Beispielsweise Krohn: Exil, Emigration, S. 151: „Unfreiwillige Auswanderungen oder gar erzwungene Vertreibungen“. Vgl. Szabó: Göttinger Hochschullehrer im NS, zur Begriffsreflektion v. a. S. 14 f.
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Jahr 1945 hinaus fortwährende Leidenserfahrung,⁴⁴ die Betroffenen als Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung. Andererseits erscheinen die Emigranten oftmals als Glückskinder, die in den Vereinigten Staaten unbeabsichtigt in eine Situation gerieten, in der sich ihnen Möglichkeiten eröffneten, die das übertrafen, was sie ohne Emigration hätten erreichen können.⁴⁵ Der Widerspruch zwischen dem Bild als Opfer und als Begünstigte der Emigration⁴⁶ lässt sich auflösen, indem man die Emigranten nicht mehr als „Objekte“ einer „Vertreibung“ oder eines „Schicksals“ betrachtet, sondern als Subjekte, als historische Akteure ihrer Emigration, die im Rahmen ihrer gesellschaftlichen Möglichkeiten versuchten, ihr Leben zu gestalten und zu planen. Um die Deutung als Zwangsmigration zu hinterfragen, die die Migration aus dem Deutschen Reich 1933 – 1939 heute meist erfährt, unterziehe ich die Begriffe Exil und Emigration im Folgenden einer Begriffskritik.⁴⁷ Dabei unterscheide ich die beiden Begriffe, die häufig in der Wendung „Exil und Emigration“ gemeinsam gebraucht oder weitgehend synonym verwendet werden, obwohl man sich damit definitorische Unschärfen einhandelt.⁴⁸ Denn in den Bedeutungsnuancen sind ebenso Differenzen feststellbar wie in den mit den Begriffen bezeichneten Personenkreisen. Anschließend vollziehe ich einen Perspektivenwechsel, um die Bedeutung der Emigration der hier untersuchten Historiker herauszuarbeiten und in einer Sachdefinition zu verdichten.
Kettler: Introduction, S. 2, betont „that forced emigrations are inherently unhappy and that they never end.“ Auch autobiographische Texte aus der Untersuchungsgruppe sind von beiden Perspektiven geprägt. Leiden und Opfer prägen vor allem die Perspektiven von Kisch: Erinnerungen; Masur: Das ungewisse Herz. Sonst überwiegen meist Chancen und Erfolge den Rückblick, so dass der Eindruck eines Happy Ends vorherrscht, etwa in: Rosenberg: Historikerleben; sowie Stern: Erinnerungen. So auch Meinschien: Writing History, S. 76 f. Die Problematisierung dieser Begriffe erklärte Jan Hans zur Bedingung für die Formulierung neuer Erkenntnisinteressen nach der Krise der Exilforschung: Jan Hans: Geschichten aus der Exilforschungs-Geschichte. Gründung und Arbeiten der „Hamburger Arbeitsstelle für deutsche Exilliteratur“; in: Exilforschung 30 (2012), S. 92– 113, hier S. 94. Ebenda, S. 101; vgl. Brita Eckert: Emigration und Exil; in: Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert Online. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933 – 1945. Online-Datenbank, 2006; URL: http://db.saur.de/DGO/language/de/emigration.html (zuletzt abgerufen am 5. Januar 2019, Archiv-URL: http://www.webcitation.org/75CHZj0VJ).
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3.2.1 Exil Wortgeschichtlich ist das Exil (vom lateinischen exilium) die Verbannung aus der Heimat oder der Verbannungsort.⁴⁹ Ovids Tristia und ihre Fortsetzung in den Epistulae ex Ponto sind Prototypen der Exilliteratur.⁵⁰ Sie entstanden in Tomi am Schwarzen Meer, wo Ovid etwa in den Jahren 9 – 18 lebte, weil Augustus den Dichter nach dessen eigener Darstellung aufgrund eines Fehltritts dorthin verbannt hatte.⁵¹ Beide Werke prägen die Deutungsmuster und Assoziationen des Begriffs Exil bis heute: Melancholie und Heimweh, ein defizitär, fremd und barbarisch empfundener Exilort, um Rückkehr kreisende Gedanken, sogar auf die Heimat bezogenes literarisches Engagement macht Ovid darin vor. Kaiser Augustus als verbannende Staatsmacht stellt er dabei einerseits als ungerecht dar und bittet ihn andererseits um Gnade. Das Exil erhält mythische Dimensionen, indem Ovid sich mit Odysseus und Augustus mit Poseidon vergleicht. Der Meeresgott habe den Helden aus Zorn von seiner Heimat Ithaka ferngehalten, der Odysseus ganzes Streben galt. Doch der mythische Held sei noch weitaus besser dran gewesen als der römische Dichter, da letzterer an barbarische Gestade gespült wurde, verlassen von allen Kameraden, besiegt, aus der Heimat geflohen, ein Verbannter.⁵² Augustus erscheint als übermächtiger und „willkürlich handelnder Machthaber […], der einen Dichter für das Verfassen eines Werkes nicht nur hart, sondern auch ohne überzeugende Begründung bestrafte. Dementsprechend erscheint der Verbannte als ein Opfer politischer Zensur.“⁵³
Georg Kleinfeller: Exilium; in: Georg Wissowa (Hg.): Paulys Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, Band VI,2, Stuttgart 1909, Sp. 1683 – 1685. Zuerst konnte sich ein römischer Bürger der Strafverfolgung durch Exil entziehen, gegen Ende der Römischen Republik wurde das Exil selbst zu einer Form der Strafe. Kleinfeller betont die Gegenüberstellung von exilium mit domus und patria, was die Heimatlosigkeit (ohne Haus und Vaterland) des Verbannten (exul) unterstreicht. Hier benutzt: Ovid: Tristia. Ex Ponto, with an English Translation by Arthur Leslie Wheeler, Cambridge/London 1939.Vgl. Holger Sonnabend: Ovid in Tomi. Grenzwahrnehmung aus dem Exil; in: Andreas Gestrich/Marita Krauss (Hg.): Migration und Grenze, Stuttgart 1998, S. 40 – 48, der Ovids Fruchtbarkeit für die historische Migrationsforschung diskutiert und ebenda, S. 41, auf seine Deutung als Klassiker der Exilliteratur verweist. Vgl. Jan Felix Gaertner: The Discourse of Displacement in Greco-Roman Antiquity; in: Jan Felix Gaertner (Hg.): Writing Exile: The Discourse of Displacement in Greco-Roman Antiquity and Beyond, Leiden/Boston 2007, S. 1– 20, systematisch zu Ovids Stellung in der Diskursgeschichte des Exils zwischen griechischen Vorbildern und mittelalterlicher Rezeption als „benchmark for displacement“ (S. 19). Niklas Holzberg: Ovid. Dichter und Werk, 3. Auflage, München 2005, S. 36 und S. 47. Ovid: Tristia, S. 32 f. (Tristia, Buch I, Kapitel V), vgl. Holzberg: Ovid, S. 186. Ebenda, S. 186.
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Für Schriftsteller machte ein solches Vorbild attraktive Identifikationsangebote und bot zudem ein die moralische Bewertung eindeutig festlegendes Interpretationsmuster: Hitler erscheint in Parallele zu Ovids Augustus als ungerechter Tyrann, der aus nichtigem Anlass mit aller Macht und Wut den unschuldigen Intellektuellen verfolgt und aus der geliebten Heimat vertreibt. Der Gegensatz von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit zeigt sich noch prägnanter in einem weiteren klassischen Exilmotiv: Als Papst Gregor VII. im Mai 1085 starb, sollen seine „gut bezeugten letzten Worte“⁵⁴ gelautet haben: „Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und das Unrecht gehaßt, deshalb sterbe ich in der Verbannung“.⁵⁵ Der Ausspruch ist weltbekannt und „zeitübergreifend aktuell“,⁵⁶ die klare Zuordnung von Gerechtigkeit zur Position des Exilierten und von Unrecht zu den für das Leid des Exils Verantwortlichen⁵⁷ sprach auch viele Hitlerflüchtlinge an.⁵⁸ Auch zum mit-
Wilfried Hartmann: Der Investiturstreit, 3. Auflage, München 2007, S. 28. „Dilexi iustitiam et odivi iniquitatem, proptera morior in exilio.“ Paul Egon Hübinger: Die letzten Worte Papst Gregors VII., Opladen 1973, S. 9. Neben dieser Form und Übersetzung sind zahlreiche weitere geläufig, etwa „morior in exilio, quia justitiam dilexi“, so Leopold von Ranke: Über die Epochen der neueren Geschichte. Historisch-kritische Ausgabe, hg. von Theodor Schieder und Helmut Berding, München 1971 (Aus Werk und Nachlass, Band 2), S. 219. Otto Eberhardt: Exil im Mittelalter. Einige Streiflichter; in: Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik 76 (2010), S. 13 – 36, hier S. 19 f. Der belgische Historiker Henri Pirenne bemerkte nach seiner eigenen Exilerfahrung während des Ersten Weltkriegs, dass Gregors Worte viele Menschen im Exil getröstet hätten, so Hübinger: Die letzten Worte, S. 10. Bettina Braun: Toleranz vs. Identitätskonstruktion in den Kirchengeschichten Albert Haucks und Heinrich Brücks; in: Kerstin Armborst-Weihs/Judith Becker (Hg.): Toleranz und Identität. Geschichtsschreibung und Geschichtsbewusstsein zwischen religiösem Anspruch und historischer Erfahrung, Göttingen 2010, S. 273 – 294, hier S. 281 f. Nur einige Beispiele: Die Grabinschrift des Pazifisten und Mediävisten Ludwig Quidde im Genfer Exil verweist auf Gregors Worte, so Karl Holl: Ludwig Quidde (1858 – 1941). Eine Biografie, Düsseldorf 2007, S. 588, vgl. Karl Holl: Ludwig Quidde (1858 – 1941) – Fragmente einer brüchigen Biographie; in: Michael Matheus (Hg.): Friedensnobelpreis und historische Grundlagenforschung. Ludwig Quidde und die Erschließung der kurialen Registerüberlieferung, Berlin/Boston 2012, S. 15 – 53, hier S. 40; Gustav Radbruch fand das Zitat des Papstes passend für Leben und Sterben seines 1940 in Cambridge gestorbenen Freundes Hermann Kantorowicz, so Imanuel Geiss: Einleitung; in: Hermann Kantorowicz: Gutachten zur Kriegsschuldfrage 1914, hg. von Imanuel Geiss, Frankfurt am Main 1967, S. 11– 50, hier S. 49. Auch die Historiker Geiss und Holl bejahen retrospektiv die Kongruenz des päpstlichen Diktums mit der Situation der im Exil gestorbenen Hitlerflüchtlinge. Klar auf Ovids Verbannung an den Rand der bekannten Welt bezieht sich dagegen die Grabinschrift des Dichters Karl Wolfskehl in Auckland: „exul poeta“, vgl. Andreas Nentwich: Karl Wolfskehl (1869 – 1948) – nebst einem neuaufgefundenen Dokument zu Wolfskehls Gießener Studienzeit; in: Gießener Universitätsblätter 17 (1984), Heft 2, S. 63 – 77, hier S. 73; Richard Exner: Exul Poeta: Theme and Variations; in: Books Abroad 50 (1976), S. 285 – 295, hier S. 285. Ein systematischer Vergleich von Grabinschriften im Exil könnte wertvolle Einblicke
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telalterlichen Exildiskurs gehört das Leiden des Flüchtlings an der Heimatferne, wie sie anhand der Etymologie des Wortes Elend besonders deutlich wird, dessen mittelhochdeutsche Form ellende die Übersetzung des lateinischen exilium war.⁵⁹ Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung von Exilierten orientierten sich im 19. und 20. Jahrhundert ebenso an solchen Mustern wie die Exilforschung.⁶⁰ Seit Ovid, aber im Vormärz bekräftigt, gehört es auch zur Topik des Exils, dass der Zwangsaufenthalt in der Fremde große Kunst, besonders Dichtkunst, inspiriere.⁶¹ So verwundert es nicht, dass der Begriff des Exils, bezogen auf die Zeit des Nationalsozialismus, sich am stärksten für Schriftsteller durchsetzte.⁶² Exilpresse und Exilliteratur identifizierten sich mit historischen Vorbildern, was wohl in keinem Fall so deutlich ist wie bei Heinrich Heine und dem Pariser Exil: Der Schutzverband deutscher Schriftsteller im Ausland stellte sich selbst ausdrücklich in die Tradition Heines, indem er 1937 in Paris eine Ausstellung unter dem
gewähren in Selbstbild und Inszenierung von Exildiskursen, auch hier ausgehend von Ovids Entwurf seiner eigenen Grabinschrift in Ovid: Tristia, S. 114 f. (Tristia, Buch III, Kapitel III). Eberhardt: Exil im Mittelalter, S. 14 f.: Ausgehend vom althochdeutschen alilanti/elilenti, „anderes Land“, traten weitere Bedeutungen wie „Leben in der Fremde“ hinzu, schließlich die damit assoziierten Empfindungen „Not und Trübsal“, um die im Neuhochdeutschen die verbliebenen Bedeutungen des Wortes Elend kreisen. Die daher mögliche Übersetzung der letzten Worte Gregors VII. durch den evangelischen Kirchenhistoriker Albert Hauck mit „darum sterbe ich im Elend“ ist allerdings unangemessen, da heute missverständlich und der Abwertung Gregors dienend, siehe Braun: Toleranz, S. 282. Vgl. Wulf Koepke: Die Selbstdarstellung des Exils und die Exilforschung. Ein Rückblick; in: Exilforschung 23 (2005), S. 13 – 29. Anna Redlich-Gaida: Heinrich Heine: Jehuda ben Halevy (1851); in: Bettina Bannasch/Gerhild Rochus (Hg.): Handbuch der deutschsprachigen Exilliteratur. Von Heinrich Heine bis Herta Müller, Berlin/Boston 2013, S. 321– 328, hier S. 323. Mit Gaertner: Discourse of Displacement, S. 18 – 20, lässt sich argumentieren, dass die Rezeptionsgeschichte durch ihre Fokussierung auf Ovid eine ältere Traditionslinie des antiken Exildiskurses vernachlässigt hat, nämlich die Deutung des Exils durch exilierte Geschichtsschreiber und Philosophen, die durch den Perspektivenwechsel des Exils, der ihnen neues Wissen und tiefe Einsicht gewährt habe, erst zu wahrhaften Historikern oder Philosophen geworden seien (S. 10). Während für Thukydides das Exil die Überwindung der Einseitigkeit seiner Sicht auf den Peloponnesischen Krieg bedeutet habe, sei Diogenes durch das Exil von den partikularen gesellschaftlichen Normen seiner Heimat befreit und zur Erkenntnis der universellen Normen des Kosmopolitismus befähigt worden (S. 10 – 12). Entsprechend vermutet unter Berufung auf Plutarch auch Hoffmann: Contribution, S. 153 f., positive Einflüsse der Exilerfahrung auf Qualität und Innovation in der Historiographie. An diese Tradition knüpft nicht zuletzt auch diese Arbeit an, wenn unten, insbesondere in Kapitel 8.1, transatlantische Gastprofessoren, vor allem Fritz Stern, gewissermaßen als Schiedsrichter in der Fischer-Kontroverse auftreten und dadurch einen Fortschritt der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft aus der Enge einer deutschnational-konservativen Perspektive in die kosmopolitisch-liberale Weite der Westernisierung ermöglichen.
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Titel „Das Deutsche Buch in Paris 1837– 1937. Von Heinrich Heine bis Heinrich Mann“ organisierte.⁶³ Die Übergänge zwischen Schriftstellern, Journalisten, Intellektuellen und Politikern, die als Gegner des Nationalsozialismus verfolgt wurden, waren vielfach fließend, so dass die Rede vom „politischen und literarischen Exil“ heute eine stehende Wendung ist.⁶⁴ Die wertungsbeladenen und emotionalisierenden Konnotationen des Exilbegriffs lassen sich als Exilromantik zusammenfassen und stehen so in bezeichnendem Gegensatz zum Emigrationsbegriff, der ursprünglich weitaus weniger wohlwollend konnotiert ist.
3.2.2 Emigration Emigration ist im Deutschen ursprünglich der weniger mit Wertungen und Emotionen aufgeladene Begriff: So leitete Adelung 1793 „die Emigration, die Auswanderung; emigriren, auswandern“ von „Emigránt“ ab, womit er „Personen, welche aus ihrem Vaterlande ausgewandert sind“, bezeichnet sah.⁶⁵ Goethe bezog Wortbildungen um Emigration fast immer auf Adelige und Geistliche, die auf der Flucht vor der Französischen Revolution mit gegenrevolutionären Tätigkeiten auf sich aufmerksam machten,⁶⁶ also in enger Bedeutungsverwandtschaft zum Exilbegriff, der bei Goethe vor allem für Verbannung stand.⁶⁷ Dem entspricht der
Redlich-Gaida: Heine, S. 321; Redlich-Gaida weist ebenda, S. 327, darauf hin, dass Heine als politisch Verfolgter im Pariser Exil eine Identifikationsfigur der Exilschriftsteller wurde, die ihn allerdings vor allem als deutschen Dichter wahrnahmen, kaum als deutsch-jüdischen Dichter. Siehe etwa die neueren Überblicksartikel Krohn: Emigration 1933 – 1945/1950, und Krohn: Exilforschung. Ex post wird oftmals nicht die Verfolgung als politische Gegner zum Kriterium für die Benennung als Angehörige des politischen und literarischen Exils benutzt, sondern die innere Einstellung der Betroffenen, so etwa Krohn: Exil, Emigration, S. 152, der das Selbstverständnis „als auf Rückkehr hoffende Exilanten wie etwa die vertriebenen Politiker oder die auf die dt. Sprache angewiesenen Schriftsteller“ betont und es auf diesem Wege zu einem statischen Faktum stilisiert. Der Emigránt; in: Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen, 2. Ausgabe, Band 1, Leipzig 1793, Sp. 1796. Cornelia Schulze: Emigrant–Emigriertenkorps; in: Goethe-Wörterbuch, hg. von der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der Akademie der Wissenschaften in Göttingen und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Band 3, Stuttgart 1998, Sp. 52 f. Goethe bezeichnet die Betroffenen meist als Emigrierte, wohl als wörtliche Übersetzung der französischen Bezeichnung Émigrés. Rüdiger Welter: Exil–exilieren; in: Goethe-Wörterbuch, hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der Akademie der Wissenschaften in Göttingen und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Band 3, Stuttgart 1998, Sp. 492 f.
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Gebrauch bis ins 20. Jahrhundert, da als Emigrant zwar jeder Auswanderer, als „Emigranten“ aber vor allem die französischen Revolutionsflüchtlinge bezeichnet wurden, die eine Emigrantenregierung einrichteten und ein Emigrantenheer sammelten⁶⁸ – Phänomene, die für die Zeit des Nationalsozialismus dem Begriff Exil zugeordnet sind. In Anlehnung an dieses französische Vorbild empfahl der „Nestor der Exilforschung“⁶⁹ Walter A. Berendsohn schon 1947 den Begriff „Emigrantenliteratur“,⁷⁰ durchgesetzt hat sich jedoch in den 1960er Jahren „Exilliteratur“.⁷¹ Dass diese terminologische Entscheidung keine spezifische Sichtweise und keinen von der Alternativbenennung unterscheidbaren Zuschnitt des Textkorpus impliziert, wie Spies meint,⁷² dass beide Begriffe also deckungsgleich seien, ist falsch. Berendsohn forderte 1969, „die Exilanten und Emigranten zusammenzufassen“, da „die Friedenszeit von 1945 bis zur Gegenwart die längste, fruchtbarste und erfolgreichste Periode“ der „Flüchtlingsliteratur“ gewesen sei, zu der „jeder Schriftsteller [zähle], der aus dem Machtbereich Hitlers geflohen ist und in deutscher Sprache schreibt“.⁷³ Statt des inhaltlichen und zugleich politischen Kriteriums „des Sich-Verhaltens-zum-Faschismus“⁷⁴ und der oben skizzierten wertenden Komponenten von „Exilliteratur“ legte Berendsohn den Fokus neben dem Sprachkriterium auf die Migrationserfahrung, wodurch „Flüchtlingslitera-
Emigranten; in: Meyers Großes Konversationslexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens, Band 5, 6. Auflage, Leipzig 1906, S. 755. Hans: Geschichten aus der Exilforschungs-Geschichte, S. 95. PWJA BFDE/I/2: Rede Walter A. Berendsohns auf dem Symposium über Deutsche Literatur aus dem Dritten Reich: „Erläuterungen zum Programm der internationalen Tagung vom 19.– 21. September 1969 in Stockholm“, S. 1; vgl.Walter A. Berendsohn: Emigrantenliteratur; in: Werner Kohlschmidt/Wolfgang Mohr (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Band 1: A–K, Berlin/New York 2001 [unveränderte Neuausgabe der 2. Auflage, 1958], S. 336 – 343, sowie Bernhard Spies: Exilliteratur; in: Harald Fricke/Klaus Grubmüller/Jan-Dirk Müller/Klaus Weimar (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, Band I: A–G, Berlin/New York 2007 [zuerst 1997], S. 537– 541, hier S. 538. Spies: Exilliteratur, S. 538. Ebenda. PWJA BFDE/I/2: Rede Walter A. Berendsohns auf dem Symposium über Deutsche Literatur aus dem Dritten Reich: „Erläuterungen zum Programm der internationalen Tagung vom 19.– 21. September 1969 in Stockholm“, S. 1 f.; das Exil, so Berendsohn, ende aber strenggenommen 1945. Hans: Geschichten aus der Exilforschungs-Geschichte, S. 101; vgl. zum „Antifaschismus“Paradigma Krohn: Exilforschung.
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tur“ in ihrer „völlig verschiedenen Erlebniswelt deutlich von fast aller Literatur der Daheimgebliebenen zu unterscheiden“ sei.⁷⁵ Abgesehen von der Denotation von „Emigration“ als „Auswanderung“ brachte dieser Begriff in der Nachkriegszeit problematische Konnotationen mit sich, die seiner Durchsetzung als Forschungskonzept zunächst im Weg standen: Am stärksten wurde der Begriff im deutschsprachigen Raum auf den Prozess der Auswanderung aus Nazideutschland bezogen, sowie auf den Zustand nach diesem Prozess oder den Zielort dieser Migration.⁷⁶ Während die Amerikawanderer des 19. Jahrhunderts häufig als Auswanderer bezeichnet wurden und werden, ist mit dem Begriff der Emigration bis heute die Zeit des Nationalsozialismus eng verknüpft.⁷⁷ Zu den Bedeutungsdimensionen dieses Emigrationsbegriffs gehört
PWJA BFDE/I/2: Rede Walter A. Berendsohns auf dem Symposium über Deutsche Literatur aus dem Dritten Reich: „Erläuterungen zum Programm der internationalen Tagung vom 19.– 21. September 1969 in Stockholm“, S. 2. Als der Blick der an den Hitlerflüchtlingen interessierten Forschung in den 1980er Jahren, angeregt durch die US-amerikanische Akkulturationsforschung, auf die von Berendsohn angesprochene Erfahrung von Migration, Fremdheit und Akkulturation gelenkt wurde, zeigten sich konzeptuelle Probleme, die auch vom Exilbegriff bedingt waren: Die im Exilbegriff fixierte Beziehung der Flüchtlinge zur „Heimat“ behinderte das Verständnis für einen Akkulturationsbegriff, der die Heimats- und (nationalen) Identitätsvorstellungen verflüssigte. Besonders die Exilliteraturforschung geriet dadurch in eine langwierige Krise; vgl. Krohn: Exilforschung, Hans: Geschichten aus der Exilforschungs-Geschichte, S. 102 f., und Spies: Exilliteratur, S. 540. Vgl. oben die Unterteilung des Abschnitts 2.4 ab S. 116 mit den Zwischenüberschriften „Bis zur Emigration“ (Prozess) und „In der Emigration“ (Ort). Letztere Verwendungsweise ist offenbar in Anlehnung an die zustands- oder ortsbezogene Wendung „im Exil“ konstruiert, denn die Wortformen Migration und Immigration werden nicht auf dieselbe Weise eingesetzt. Zu den in deutschen Zeitungen am häufigsten im Zusammenhang mit dem Wort Emigration genannten Wörtern (Satz-Kookkurrenzen) gehören derzeit in absteigender Reihenfolge die Jahreszahlen 1938, 1933, 1940 und 1939, so die Datenbankabfrage Emigration; in: Leipzig Corpora Collection: Deutsches Nachrichten-Korpus basierend auf Texten gecrawlt 2011, Leipzig 2011, URL: https://corpora.uni-leipzig.de/de/res?corpusId=deu_newscrawl_2011&word=Emigration (zuletzt abgerufen am 5. Januar 2019); Erläuterungen zum Verfahren bieten Uwe Quasthoff/Matthias Richter: Projekt Deutscher Wortschatz; in: Babylonia 8 (2005), Nr. 3, S. 33 – 35, URL: http://babylo nia.ch/fileadmin/user_upload/documents/2005-3/Baby3_05x.pdf (zuletzt abgerufen am 5. Januar 2019). Anders verhält es sich etwa im Italienischen mit dem Begriff emigrazione, der von den Massenauswanderungen aus Italien seit dem 19. Jahrhundert geprägt ist, vgl. Yvonne Rieker: Italienische Arbeitswanderer in West-, Mittel-, und Nordeuropa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs; in: Klaus J. Bade/Pieter C. Emmer/Leo Lucassen/Jochen Oltmer (Hg.): Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Paderborn u. a. 2007, S. 668 – 675; Roberto Sala: Vom „Fremdarbeiter“ zum „Gastarbeiter“. Die Anwerbung italienischer Arbeitskräfte für die deutsche Wirtschaft (1938 – 1973); in: VfZ 55 (2007), S. 93 – 120; vgl. die ohne Kookkurrenzen mit konkreten Jahreszahlen auskommende Datenbankabfrage emigrazione; in: Leipzig Corpora Collection: Italienisches Nachrichten-Korpus basierend auf Texten von 2005 – 2009,
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erstens, dass es sich beim verlassenen Staat um das Heimatland des Betroffenen handelt, zweitens, dass der Emigrant das Land für immer verlässt, dies jedenfalls beabsichtigt, um sich in der Fremde dauerhaft niederzulassen, zum Immigranten zu werden. So ist Emigration auch als Bruch mit dem Herkunftsland konzipiert; ein Emigrant sucht eine neue Heimat und gibt die alte Heimat symbolisch auf.⁷⁸ Im Zeitalter des Nationalismus schwang dabei natürlich auch der Verdacht mangelnder Loyalität zur Geburtsnation mit: Gewissermaßen war im Begriff Emigration der Vorwurf des Vaterlandsverrats enthalten, da der Emigrant als Akteur galt, der sich auf der Suche nach Lebenschancen dafür entschied, seiner Heimat den Rücken zu kehren.⁷⁹ Da der Emigrant als „Auswanderer“ auch als Akteur angesehen wurde, der wirtschaftlichen Opportunitäten folgt, fehlte diesem Emigrationsbegriff eigentlich das Element des Zwangs. Im Push-und-Pull-Modell lassen sich zwar mehr oder weniger drängende Emigrationsgründe den Push-Faktoren zuordnen, doch das Modell geht von einer rationalen Entscheidung im Sinne einer Gewinnmaximierung durch Emigration aus.⁸⁰ Da der Emigrationsbegriff also ursprünglich mit Freiwilligkeit assoziiert ist, wird im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus regelmäßig der Zwangscharakter der Emigration eigens hervorgehoben.⁸¹
Leipzig 2009, URL: https://corpora.uni-leipzig.de/de/res?corpusId=ita_news_2005-2009&word= emigrazione (zuletzt abgerufen am 5. Januar 2019). Auswanderung; in: Meyers Großes Konversationslexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens, Band 2, 6. Auflage, Leipzig 1905, S. 177– 182, hier S. 177, sieht Auswanderung juristisch „erst dann gegeben, wenn der Auswandernde seine bisherige Staatsangehörigkeit verliert“. Daher sei Auswanderung „aus Kolonialstaaten nach deren Besitzungen keine A. im eigentlichen Sinne“. Das Lexikon differenziert entsprechend des oben erwähnten Bezugs von Emigration auf die Französische Revolution ebenda noch: „Während die Auswanderer sich im neuen Heim eine Existenz gründen wollen, suchen Emigranten als politische Flüchtlinge im Ausland nur eine vorläufige Zufluchtsstätte, können allerdings auch ihre seitherige Staatsangehörigkeit verlieren.“ Politische und religiöse Motive „zum Aufgeben der Heimat“ weichen demnach „in der Gegenwart fast ausschließlich“ dem „Wunsch nach Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse“, so dass Emigration – und noch stärker Auswanderung – im ersten Drittel des 20. Jahrhundert zunehmend als wirtschaftlich bedingt konnotiert ist. Ebenda, S. 178 f., wird der zeitgenössischen Auswanderungspolitik die Aufgabe zugesprochen, „den Auswandererstrom dahin zu leiten, wo er dem Mutterland ersprießliche Dienste leisten könne (vgl. Kolonien)“, indem der Staat dafür sorge, „daß die Auswanderer in Gebiete geleitet werden, in denen sie in wirtschaftlichem Zusammenhang mit dem Mutterlande bleiben.“ Im Umkehrschluss ergibt sich, dass eine ungeregelte Auswanderung das Mutterland schädige. Parnreiter: Theorien und Forschungsansätze, S. 26 – 28. Zu den häufigsten Kookkurrenzen von Emigration zählen die Verbformen gezwungen, getrieben, erzwungene und vertrieben, außerdem die den bestehenden Zwang betonenden Synonyme Exil und Flucht, siehe Leipzig Corpora Collection: Emigration. Vgl. dazu unten, S. 189 f.
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3.2.3 Terminologische Präferenzen Die Probleme, die sich bei der Anwendung der Begriffe Exil und Emigration auf die konkreten Hitlerflüchtlinge ergeben, werfen die Frage auf, warum sich die beiden Begriffe im öffentlichen Diskurs und in der Wissenschaft durchgesetzt haben. Einerseits handelt es sich um zeitgenössische Begriffe, die auch in den Quellen auftauchen.⁸² Andererseits muss man davon ausgehen, dass die Begriffswahl einer bestimmten Bedürfniskonstellation der Nachkriegszeit entsprach: In der deutschen öffentlichen Meinung der Nachkriegszeit waren Exilanten und Emigranten normalerweise nicht hoch angesehen, zumindest aber suspekt. Sie hätten Deutschland in Notzeiten nicht die Treue gehalten, hieß es, und auch nicht so unter Krieg und Entbehrungen gelitten wie „die Deutschen“, die sich als Hitlers eigentliche Opfer ansahen. Stattdessen hätten sie sich davongemacht und es sich in Amerika, wo der Krieg nie hinkam, gut gehen lassen.⁸³ Ein anderes Element des Emigrantendiskurses stellte Walter A. Berendsohn noch 1969 als weiter wirksam vor und begründete damit die Notwendigkeit, die Leistungen der Emigranten zu betonen: „In Westdeutschland z. B. haftet dem Begriff Emigrant noch immer ein Makel an, weil die Öffentlichkeit keine Vorstellung von der Massenflucht produktiver Menschen, u. a. geistig schöpferischer, aus dem Dritten Reich hat und durch die Publikation [von Werken unter der Bezeichnung „Exilliteratur“] mit der Zeitbegrenzung 1933 – 45 dazu veranlasst wird, die Flüchtlingsliteratur als ein bescheidenes Stück Vergangenheit zu betrachten. Mit der Zeitbegrenzung ist oft eine mitleidige Betrachtung des Flüchtlingsdaseins oder gar eine Herabwertung und Geringschätzung des literarischen Schaffens verbunden.“⁸⁴
Siehe exemplarisch die Begriffsdiskussion im Gedicht „Über die Bezeichnung Emigranten“ von Bertolt Brecht, veröffentlicht am 30. Januar 1937 in „Die neue Weltbühne“, vgl. Konrad Feilchenfeldt: Deutsche Exilliteratur 1933 – 1945. Kommentar zu einer Epoche, München 1986, S. 125. Vgl. Marita Krauss: Das „Emigrantensyndrom“. Emigranten aus Hitlerdeutschland und ihre mühsame Annäherung an die ehemalige Heimat; in: Georg Jenal (Hg.): Gegenwart in Vergangenheit. Beiträge zur Kultur und Geschichte der Neueren und Neuesten Zeit. Festgabe für Friedrich Prinz zu seinem 65. Geburtstag, München 1993, S. 319 – 334, hier S. 321. Die amerikanische Militärregierung stellte 1947 durch eine Meinungsumfrage „Concerning Thomas Mann and other emigrees“ fest, dass die Ablehnung von Emigranten in der Bevölkerung weit verbreitet war, so ebenda, S. 328 f.; vgl. genauer Krauss: Rückkehr einer vertriebenen Elite, S. 119 – 122. Schuld, Scham, Neid und Moral luden die Ablehnung von Emigranten emotional besonders stark auf. Entsprechend bestätigte die Ablehnung der Emigranten bei diesen oftmals die schlimmsten Befürchtungen, die sie gegenüber den Dagebliebenen hegten, vgl. Krauss: Emigrantensyndrom, S. 333 f. PWJA BFDE/I/2: Rede Walter A. Berendsohns auf dem Symposium über Deutsche Literatur aus dem Dritten Reich: „Erläuterungen zum Programm der internationalen Tagung vom 19.– 21. September 1969 in Stockholm“, S. 3.
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Da die Exilforschung der 1960er Jahre in den Geflohenen ein „anderes Deutschland“ sah und statt der moralisch fragwürdigen Mitläufermassen neue Vorbilder suchte, die unbelastet von der NS-Vergangenheit waren,⁸⁵ musste man, um die Bedeutung der Emigranten herausstellen zu können, zunächst den Stereotypen von Drückebergern und Vaterlandsverrätern etwas entgegensetzen. Die Präferenz für den Begriff Exil setzte sich in dieser Zeit durch, weil sich durch dessen Bedeutungsdimensionen betonen ließ, dass (a) die Auswanderung der Exilanten nach 1933 nicht freiwillig stattfand und (b) die Hitlerflüchtlinge im Exil gelitten hatten, auch unter Heimweh, weil sie sich (c) stets für das deutsche Schicksal interessiert und engagiert, ihre Heimatliebe nicht aufgegeben hatten. Denn genau diese Aspekte drückt der Begriff Exil seit Ovid aus. Indem man manche Hitlerflüchtlinge – speziell die als Vorbilder der intellektuellen Protestbewegung der 1960er besonders interessierenden Intellektuellen – mit dem Begriff Exil in dieser positiven Weise beschrieb, erzeugte man jedoch automatisch eine Dichotomie: Wenn es manche gab, denen man den neuen Ehrentitel Exil zuerkannte, ihren Antifaschismus oder „das politisch-moralische Zeugnis der Exilanten“ lobte,⁸⁶ mussten die anderen, die den NS-Staat zur selben Zeit verlassen hatten, nun aber nicht zum Exil gezählt wurden, davon unterschiedene Charakteristika besitzen. Als Emigranten trugen sie – womöglich unbeabsichtigt – weiter die abfälligen Konnotationen des Begriffs, dass (a) ihre Emigration freiwillig erfolgte und (b) bedeutete, einer besseren Zukunft in Amerika entgegenzugehen, während für die Dagebliebenen alles immer schlechter wurde, während sie sich (c) von ihrer Heimat abgewandt und sich damit gewissermaßen – im Rückgriff auf die Nazipropaganda – selbst aus der „Volksgemeinschaft“ ausgeschlossen hatten.⁸⁷
Vgl. Claus-Dieter Krohn: Die Entdeckung des „anderen Deutschland“ in der intellektuellen Protestbewegung der 1960er Jahre in der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten; in: Exilforschung 13 (1995), S. 16 – 51, außerdem Krohn: Exilforschung, Hans: Geschichten aus der Exilforschungs-Geschichte, und Spies: Exilliteratur, S. 539 f. Ebenda, S. 540, vgl. Krohn: Exilforschung, und Hans: Geschichten aus der ExilforschungsGeschichte. Krauss: Rückkehr einer vertriebenen Elite, S. 117 f. Die Volksgemeinschaftsideologie der NSZeit verwandelte sich in der Nachkriegszeit in eine „Integrationsideologie“ mit dem Ziel, die Heterogenität der deutschen Gesellschaft durch eine Gemeinschaft aufzuheben, die zuerst „Flüchtlinge und Vertriebene, aber auch ehemalige Wehrmachtssoldaten, NS-Parteimitglieder, KZ-Häftlinge oder zurückkehrende Emigranten“ (als unfreiwillig Exilierte) zu einem Ganzen verbinden sollte, so Marita Krauss: Migration, Assimilierung, Hybridität. Von individuellen Problemlösungsstrategien zu transnationalen Gesellschaftsbeziehungen; in: Eckart Conze/Ulrich Lappenküper/Guido Müller (Hg.): Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerung und Erweiterung einer historischen Disziplin, Köln/Weimar/Wien 2004, S. 259 – 276, hier S. 263. Im
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Laut diesem in der unmittelbaren Nachkriegszeit verbreiteten Denkmuster war die „Volksgemeinschaft“ in Abwesenheit der Emigranten entstanden, indem die Dagebliebenen „deutsche Größe“ und „deutsche Schuld“ geteilt hätten.⁸⁸ Also formierten sich demnach „die Deutschen“ nach 1945 als Gruppenidentität gegen „die Emigranten“, indem sie sich von jenen abgrenzten und sie als „Schwächere, die man verachtet, aber zugleich fürchtet“, zu Projektionsobjekten für Neid- und Hassgefühle machten.⁸⁹ Eine Umfrage der amerikanischen Militärregierung „Concerning Thomas Mann and other emigrees“ zeigte Mitte 1947, dass die „Volksgemeinschaft“ als Bezugspunkt für die Ablehnung von Emigranten ein festes Muster darstellte.⁹⁰ Dieses Fortleben des Volksgemeinschaftsdenkens nach 1945 fand in den Debatten um die „Volksgemeinschaft“ im Nationalsozialismus⁹¹ bislang zu wenig Beachtung.⁹² Dabei sind die Parallelen zwischen der Exklusion von „Gemeinschaftsfremden“, vor allem Juden, vor dem Zweiten Weltkrieg, und der Exklusion von Emigranten, der Abwehrhaltung gegenüber Remigranten nach Kriegsende, offensichtlich. Womöglich ließen sich an entsprechend vergleichbaren Quellen der Nachkriegszeit stärkere Gemeinschaftsgefühle als in der Vorkriegszeit nachweisen.⁹³
Verlauf der bundesrepublikanischen Geschichte wurde intensiv über Methoden und Möglichkeiten zur Integration immer weiterer Gruppen diskutiert. Die Vertriebenenintegration kann man dabei als paradigmatisch ansehen, vgl. Karin Pohl: Zwischen Integration und Isolation. Zur kulturellen Dimension der Vertriebenenpolitik in Bayern (1945 – 1975), München 2009 (zugleich Diss., Bremen 2006); Marita Krauss (Hg.): Integrationen. Vertriebene in den deutschen Ländern nach 1945, Göttingen 2008. Krauss: Rückkehr einer vertriebenen Elite, S. 118. Ebenda, S. 117 f. Ebenda, S. 119 – 122, vorgestellt und diskutiert. Vgl. Ian Kershaw: „Volksgemeinschaft“. Potenzial und Grenzen eines neuen Forschungskonzepts; in: VfZ 59 (2011), S. 1– 17; Michael Wildt: „Volksgemeinschaft“. Eine Antwort auf Ian Kershaw; in: Zeithistorische Forschungen 8 (2011), S. 102– 109. Michael Wildt: „Volksgemeinschaft“; in: Docupedia-Zeitgeschichte, 3. Juni 2014 (Version: 1.0), URL: http://docupedia.de/zg/Volksgemeinschaft?oldid=125622 (zuletzt abgerufen am 5. Januar 2019) verweist als „Nachgeschichte“ der „Volksgemeinschaft“ nach 1945 lediglich auf die verklärte Erinnerung an Volksgemeinschaftsvorstellungen der NS-Zeit – als ob solche Vorstellungen 1945 plötzlich verschwunden wären. Diese Integrationsideologie auf der Basis geteilter Erfahrungen von „deutscher Größe“ und „deutscher Schuld“ stellte nicht nur Emigranten vor Schwierigkeiten bei der Integration, sondern auch unmöglich erfüllbare Integrationsanforderungen an spätere Zuwanderergruppen. Die Zentralität von Integrationsforderungen betont am Beispiel italienischer „Gastarbeiter“ Hedwig Richter: Die italienischen „Gastarbeiter“ in deutschen Selbstfindungsdiskursen der Gegenwart und die Ausblendung der Remigration; in: Oliver Janz/Roberto Sala (Hg.): Dolce Vita? Das Bild der italienischen Migranten in Deutschland, Frankfurt/New York 2011, S. 198 – 219; vgl. Hedwig
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Durch den so erzeugten Kontrast zwischen Emigranten und Exilanten drückte sich rund um die 1960er Jahre die national-legitimatorische Funktion aus, die mit dem Thema der Hitlerflüchtlinge in Wissenschaft und Öffentlichkeit eng verbunden war. Im nationalen Legitimationskonflikt zwischen BRD und DDR stellte die Berufung auf die nichtnationalsozialistische deutsche Tradition des Exils eine wichtige Ressource dar, die die DDR entschiedener für sich beanspruchte. In Ost und West schrieb dies jedoch die essenzialistische Vorstellung einer deutschen Nation fort, die an die Volksgemeinschaftsideologie anknüpfte und dabei eines systematisch verkannte: Das „Andere Deutschland“, dem man sich zuwandte, um sich von der Last der dunklen Vergangenheit zu befreien, war immer noch ein Deutschland. Und auch dieses „Andere Deutschland“ beruhte auf der dunklen Vergangenheit, erlaubte es aber, die Zeit des Nationalsozialismus aus dem nationalen Traditionsbestand auszublenden.⁹⁴ Krohn nennt die Fixierung auf das Deutsche, die in der Exilforschung fortlebte, ihren „national-identifikatorischen Pferdefuß“.⁹⁵ Die Flüchtlinge wurden durch die Unterscheidung in zwei verschwommene und sich vielfach überschneidende Kategorien eingeteilt, von denen eine – das Exil – der deutschen Nation als Traditionsbestand zugerechnet wurde, während die andere – die Emigration – eher ausgegrenzt blieb. Wenn man die Verwendung dieser Unterscheidung in der älteren Forschung betrachtet, ist festzustellen, dass beide Begriffe mit dem Adjektiv „deutschsprachig“ versehen werden, dass sich aber die spezifischen Wendungen „politisches und literarisches Exil“ sowie „jüdische Emigration“ herausbildeten. Ein markantes Beispiel ist das Deutsche Richter/Ralf Richter: Der Opfer-Plot. Probleme und neue Felder der deutschen Arbeitsmigrationsforschung; in: VfZ 57 (2009), S. 61– 97, besonders S. 62 f. Ende der 1960er Jahre analysierte Wolfgang Emmerich in seiner Tübinger Dissertation die ideologischen Grundlagen der germanistischen Volkskunde von der Romantik bis in die Bundesrepublik, gekürzt veröffentlicht als Wolfgang Emmerich: Zur Kritik der Volkstumsideologie, Frankfurt am Main 1971. Das vergötterte Vaterländische (S. 41), Volkstum und Volkscharakter (S. 47), Gemeinschafts- und Reichsideologie (S. 72– 84), die vor 1933 als Elemente der völkischen Ideologie bereits voll entfaltet waren (S. 84), analysierte er darin in ideologiekritischer Absicht. Von den vier ideologischen Feldern, „Rasse, Sprache, Raum und Staat“ (S. 143), deren „germanische“ Kontinuität die Volkstumsvorstellungen im Nationalsozialismus behauptet hatten, konnte Emmerich allerdings nur die Rasse und eingeschränkt den Raum (im Sinne eines zentraleuropäischen Herrschaftsanspruchs) umfassend zurückweisen, da nationale Sprache und nationaler Staat selbst für einen marxistisch argumentierenden Germanisten in kritischer Distanz zu BRD und DDR weder hintergehbar noch überwindbar erschienen. Die von Emmerich später weiter betriebene Integration von Exilliteratur und DDR-Literatur in den germanistischen Literaturkanon zeigt exemplarisch, wie auch eine kritische Literaturwissenschaft auf die Idee der Nationalliteratur als eines nationalen Kulturgutes bezogen blieb. Krohn: Exilforschung.
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Exilarchiv 1933 – 1945 der Deutschen Nationalbibliothek, eine der wichtigsten Institutionen in diesem Bereich.⁹⁶ An den Aktivitäten des Exilarchivs, insbesondere seinen öffentlichkeitswirksamen Ausstellungen, die zum Teil als Wanderausstellungen große Reichweiten hatten, lässt sich die Durchsetzung des Begriffs Exil für Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle und ihre Unterscheidung von einer als jüdisch bezeichneten Emigration ablesen: In der unmittelbaren Nachkriegszeit hieß die Frankfurter Spezialsammlung noch „Emigrantenbibliothek“.⁹⁷ Ab dem Jahr 1965 hatte die große Wanderausstellung „Exil-Literatur 1933 – 1945“ maßgeblichen Anteil an der Durchsetzung des Begriffs Exilliteratur⁹⁸ und gab wesentliche Anregungen für die beginnende Exilforschung.⁹⁹ Wiederum zwanzig Jahre später trug eine weitere große Ausstellung des Exilarchivs nicht wie bis dahin üblich das Exil im Namen, sondern hieß: „Die jüdische Emigration aus Deutschland 1933 – 1941. Die Geschichte einer Austreibung“.¹⁰⁰ Sie spiegelte die Zur Bedeutung dieser Institution für die Erforschung des Exils siehe markant Hans: Geschichten aus der Exilforschungs-Geschichte, S. 100; vgl. die Selbstdarstellung: Sylvia Asmus: Geschichte des Deutschen Exilarchivs 1933 – 1945 der Deutschen Nationalbibliothek, 28. Oktober 2013; URL: http://www.dnb.de/DE/DEA/DEA/dea_node.html (zuletzt abgerufen am 12. Dezember 2013, Archiv-URL: http://www.webcitation.org/6LndTJJxT). Vgl. ebenda. Zuerst galten auch Schriftsteller noch regelmäßig als Emigranten, etwa als sich 1948 der Plan für eine „Bibliothek der Emigrationsliteratur“ entwickelte und die „Emigrantenbibliothek“ ab 1950 erste Bücherspenden erhielt. Die in der Selbstdarstellung des Deutschen Exilarchivs für die 1950er Jahre benutzten Begriffe „Literaturgeschichte des Exils“ und „Exilsammlung“ dürften hingegen Bezeichnungen im Rückblick sein. Siehe zur Dominanz des Begriffs in der Nachkriegszeit auch oben, Anmerkung 70 auf S. 181. Damals noch in der Bindestrich-Schreibweise „Exil-Literatur“, die Wilhelm Sternfeld/Eva Tiedemann: Deutsche Exil-Literatur 1933 – 1945. Eine Bio-Bibliographie, Heidelberg/Darmstadt 1962, benutzt hatten, vgl. Spies: Exilliteratur, S. 538, und Krohn: Exilforschung. Krohn: Exilforschung, Asmus: Geschichte des Deutschen Exilarchivs. – Als die Exilliteratur 1969 gesetzlich als Arbeitsbereich der Deutschen Bibliothek institutionalisiert wurde, sprach der Gesetzestext allerdings über „die zwischen 1933 und 1945 von deutschsprachigen Emigranten verfaßten oder veröffentlichten Druckwerke“: Gesetz über die Deutsche Bibliothek (vom 31. März 1969, DBiblG); in: Bundesgesetzblatt. Teil I, Nr. 28, 2. April 1969, S. 265 – 268, hier S. 265, § 2. Zur selben Zeit begann die DFG mit der Förderung der Exilforschung. Asmus: Geschichte des Deutschen Exilarchivs; siehe ebenda auch für Folgendes: Die Ausstellung wurde unter anderem im Bonner Haus der Geschichte, in Tel Aviv und Jerusalem gezeigt. Ende der 1980er Jahre arbeitete das Exilarchiv parallel an zwei Verzeichnissen mit, einerseits am DFG-Projekt „Inventar zu den Nachlässen emigrierter deutschsprachiger Wissenschaftler in Archiven und Bibliotheken der Bundesrepublik Deutschland“, andererseits am Bestandskatalog „Deutsches Exilarchiv 1933 – 1945: Katalog der Bücher und Broschüren“. Das verdeutlicht, dass Wissenschaftler überwiegend der Emigration zugeordnet wurden, nicht dem Exil von Schriftstellern und Künstlern. Zum Exil zählte man aber auch Intellektuelle, wie die Ausstellung „Deutsche Intellektuelle im Exil. Ihre Akademie und die ‚American Guild for German Cultural Freedom‘“ 1993 demonstrierte.
3.2 Leitbegriffe als Forschungsprobleme
189
inzwischen in der BRD erfolgte Rezeption der in den 1970er Jahren in den USA dominierenden Emigrationsforschung wider, die sich auf Immigration und Akkulturation vor allem jüdischer Flüchtlinge konzentriert hatte.¹⁰¹ Das Biographische Handbuch, das 1980 – 1983 als Ertrag eines deutsch-amerikanischen Gemeinschaftsprojekts erschien, verband die komplementären Zugriffe der Exil- und Emigrationsforschung,¹⁰² so dass Emigration wiederum einerseits als Oberbegriff für die verschiedenen Flüchtlingsgruppen Verwendung fand, andererseits aber auch weiter zur Einteilung der Hitlerflüchtlinge in „politisches und literarisches Exil“ und „jüdische Emigration“ benutzt wurde. Diese Unschärfe verdeckte fortan die Dichotomie von Exil und Emigration.¹⁰³ Auch die Unterscheidung zwischen Zwang und Freiwilligkeit der Migration aus dem Deutschen Reich löste sich auf, vor allem, indem auch der Emigration ein Zwangscharakter zugesprochen und oftmals besonders betont wurde.¹⁰⁴ Die inzwischen alltäglich gewordene Verbindung von Zwang und Emigration birgt allerdings eine gewisse Widersprüchlichkeit, besonders markant in der Begriffsbildung „Zwangsemigration“.¹⁰⁵
Krohn: Exilforschung, vgl. Krohn: Emigration 1933 – 1945/1950. Krohn: Exilforschung. Die Ausstellung „‚… er teilte mit uns allen das Exil‘. Goethebilder der deutschsprachigen Emigration 1933 – 1945“ demonstrierte 1999, dass trotz des zeitgenössischen Zitates mit Exil im Titel nicht alle Hitlerflüchtlinge, die sich selbst so bezeichneten, auch Exilanten genannt wurden. Nach der Jahrtausendwende gestaltete das Deutsche Exilarchiv 2002 und 2003 wieder literaturbezogene Ausstellungen über „Deutschsprachige Schriftsteller im Schweizer Exil 1933 – 1950“ und „Buchgestaltung im Exil 1933 – 1950“; siehe Asmus: Geschichte des Deutschen Exilarchivs. Auf die Revision der zuvor häufigen Betrachtung von Emigrationsbiographien als Erfolgsgeschichten konzentrierte sich der Sammelband David Kettler (Hg.): Essays from the „No Happy End“ Workshop. Bard College, February 13 – 15, 2001. In preparation for the conference „Contested Legacies: The German-Speaking Intellectual and Cultural Emigration to the United States and United Kingdom, 1933 – 45“. Bard College, August 13 – 15, 2002, Annandale-on-Hudson 2002, siehe vor allem Kettler: Introduction, S. 2, wo der Zwang einer Migration gewissermaßen mit einer damit verbundenen Leiderfahrung begründet wird. Auch die erwähnte Ausstellung „Die jüdische Emigration aus Deutschland 1933 – 1941. Die Geschichte einer Austreibung“, siehe Asmus: Geschichte des Deutschen Exilarchivs, verknüpft die „jüdische Emigration“ mit dem Gewalt und Zwang anzeigenden Begriff „Austreibung“. Für weitere den Zwang der Emigration regelmäßig betonende Begriffe siehe oben, Anmerkung 81 auf S. 183. Bezeichnende Beispiele für den Einsatz des Begriffs „Zwangsemigration“ sind Frank Stahnisch: Zur Zwangsemigration deutschsprachiger Neurowissenschaftler nach Nordamerika: Der historische Fall des Montreal Neurological Institute; in: Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Nervenheilkunde 14 (2008), S. 441– 472, und Gabriele Rosenthal/Bettina Völter/Noga Gilad: Folgen der Zwangsemigration über drei Generationen. Israelische Familien mit Großeltern aus Deutschland; in: Ursula Apitzsch (Hg.): Migration und Traditionsbildung, Opladen 1999, S. 45 – 75.
190
3 Zwischen Exil, Emigration und Remigration
Emigration bedeutet eigentlich, wie gesehen, Auswanderung mit dem Ziel dauerhafter Niederlassung in der Fremde. Bei einer Zwangsmigration ist das Ziel hingegen, der zwingenden Bedrohung oder Gewalt zu entgehen. Das ist nicht deckungsgleich, wenn das zur Migration zwingende Element nicht dauerhaft ist. Wer Deutschland in der Zeit des Nationalsozialismus verließ, konnte sich nach mehrjährigem Auslandsaufenthalt, oft auch mit Einbürgerung im Aufnahmeland, noch zur Rückwanderung entschließen,¹⁰⁶ so dass das bei einer Emigration unterstellte Ziel dauerhafter Niederlassung offenbar nicht (mehr) galt.¹⁰⁷ Solche stabilen Ziele anzunehmen, um auf ihrer Grundlage zwischen verschiedenen Benennungsmöglichkeiten zu unterscheiden, führt zu Problemen, zumal besonders die Beurteilung einer konkreten Situation durch die Akteure mit Unsicherheiten behaftet ist, wie zwei Beispiele aus der Untersuchungsgruppe demonstrieren: Masur bewarb sich 1934 mit dem Argument auf ein Stipendium der Rockefeller Foundation, dass er deren Bedingungen, „dass für die Zeit nach der Rückkehr Sicherheiten für eine weitere wissenschaftliche Betätigung und begründete Aussicht auf den Wiederantritt einer entsprechenden Stellung gegeben sind“, erfülle, da er in Deutschland keinem Publikationsverbot unterliege und seine Lehrtätigkeit in Berlin „nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Kultusministeriums beurlaubt unterbrechen würde“.¹⁰⁸ Er dachte also zu diesem Zeitpunkt nur an eine kurze Dauer der Abwesenheit aus dem Deutschen Reich. Rosenberg hingegen zeigte sich schon im April 1933 „entschlossen, mir im Auslande neuen Lebensraum zu suchen“,¹⁰⁹ also zu emigrieren. Er ließ sich aber mit den Argumenten noch einmal umstimmen, dass die „Übersiedlung in [eine] akademische, den Lebensunterhalt sichernde Stellung in die Vereinigten Staaten […] augenblicklich so gut wie unmöglich“ sei, und dass der Nationalsozialismus „nicht lange dauern kann“ und er, Rosenberg, durch seine Verbindung zu Meinecke auch
Es wird eine Rückkehrquote von einem Drittel der gesellschaftlichen Eliten angenommen, dagegen nur von fünf Prozent bei allen NS-Emigranten, so Schüring: Minervas verstoßene Kinder, S. 45; vgl. Axel Schildt: Reise zurück aus der Zukunft. Beiträge von intellektuellen USA-Remigranten zur atlantischen Allianz, zum westdeutschen Amerikabild und zur „Amerikanisierung“ in den fünfziger Jahren; in: Exilforschung 9 (1991), S. 25 – 45, hier S. 27. Auch bei Arbeitsmigrationen – wie der italienischen „emigrazione“, vgl. oben, Anmerkung 77 ab S. 182 – sind die Möglichkeiten einer Remigration oftmals mitgedacht, so offensichtlich bei saisonaler Arbeitsmigration, aber beispielsweise auch in Bezug auf eine Rückkehr im Alter, vgl. etwa Rieker: Italienische Arbeitswanderer; Richter: Gastarbeiter, S. 206 f. Brief Gerhard Masur an August Wilhelm Fehling, 12. Februar 1934; in: Ritter: Meinecke, S. 198 – 200, hier S. 198 f., auch in Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/58. Brief Hans Rosenberg an Eugene N. Anderson, 21. April 1933; in: Ritter: Meinecke, S. 322– 325, hier S. 323.
3.3 Perspektivenwechsel zur Begriffsbestimmung
191
in Deutschland weiter als Historiker arbeiten könnte.¹¹⁰ Rosenberg beabsichtigte also zunächst eine dauerhafte Niederlassung in den USA, Masur hingegen nicht. Beide entschlossen sich erst später zur Ausreise, als sowohl ihre Schwierigkeiten mit dem NS-Regime als auch ihre Perspektiven im Ausland sich weiterentwickelt hatten. Ob es sich dann um eine Emigration handelte, und welche Rolle Zwang dabei spielte, lässt sich nur im Nachhinein mit einiger Sicherheit untersuchen, wie ich es im Folgenden versuche.
3.3 Perspektivenwechsel zur Begriffsbestimmung Diese Überlegungen haben gezeigt, dass Exil und Emigration voraussetzungsreiche, wertbeladene und zeitgebundene Konzepte sind. Spezifische politische Positionen und emotionale Dispositionen sind mit beiden Begriffen verbunden, und die Assoziationen, die sie wecken können, sind vielfältig und oftmals unzutreffend. Die Analyse eines historischen Geschehens erfordert jedoch begriffliche Klarheit und die Befreiung von unreflektiert tradierten Bedeutungsrückständen, um nicht einer vorgeprägten Interpretation des Sachverhalts unkritisch zu verfallen. Auch das Exil und Emigration umgebende Begriffsfeld mit Remigration, Flucht, Vertreibung, Zwangsmigration oder Zwangsemigration weist ähnliche Probleme auf. Ebenfalls politisch und normativ aufgeladen sind Begrifflichkeiten aus dem Umfeld von Immigration, etwa Integration, Assimilation oder Akkulturation.¹¹¹
So riet der aus Österreich stammende und in Harvard etablierte Josef Redlich (1869 – 1936) Rosenberg von der Emigration ab. Statt einer Übersiedlung empfahl Redlich, mit einem Rockefeller-Stipendium für ein Jahr in den USA zu arbeiten. Brief Josef Redlich an Hans Rosenberg, 2. Mai 1933; in: Ritter: Meinecke, S. 323 f., Fußnote 31. Rosenberg revidierte daraufhin seine Pläne zur raschen Ausreise: „Unter diesen Umständen will ich zunächst weiter ausharren und den weiteren Gang der Dinge abwarten, zumal es reichlich aussichtslos erscheint, von hier aus eine Stellung in U.S.A. zu erhalten.“ Brief Hans Rosenberg an Eugene N. Anderson, 9. Juni 1933; in: Ritter: Meinecke, S. 328 – 330, hier S. 328. Die begrifflichen Unterscheidungen in der Gegenwart diskutiert Claudia Diehl: Migration und Integration in der Bevölkerungssoziologie; in: Yasemin Niephaus/Michaela Kreyenfeld/ Reinhold Sackmann (Hg.): Handbuch Bevölkerungssoziologie, Wiesbaden 2016, S. 461– 479 (DOI: 10.1007/978-3-658-01410-0_22), besonders S. 469 – 475; stärker theoriegeschichtlich orientiert ist Petra Aigner: Migrationssoziologie. Eine Einführung, Wiesbaden 2017, S. 95 – 101; migrationshistorisch Krauss: Migration, Assimilierung, Hybridität.
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3 Zwischen Exil, Emigration und Remigration
Abbildung 3: Gebrauchsfrequenzen von Exil, Emigration und Migration im Deutschen, 1750 – 2008
Diese Probleme legen es nahe, zur Analyse der hier bisher meist als Emigration bezeichneten Bewegung aus dem nationalsozialistischen Deutschland an einen neuen stabilen Wohnort die etablierten Begriffe Exil und Emigration eher zu meiden und stattdessen den weniger aufgeladenen und besser spezifizierbaren Begriff Migration zu verwenden. Die Forschungskonjunkturen unterstützen diesen Ansatz, da der Migrationsbegriff seit Mitte der 1980er Jahre im gleichen Maße öfter benutzt wurde, wie der Gebrauch der Begriffe Exil und Emigration zurückging.¹¹² Dies lässt sich mit Hilfe der 2010 entwickelten quantitativen Methode der „Culturomics“ demonstrieren, mit der die über 500 Milliarden Wörter in 5 Millionen digitalisierten Büchern statistisch ausgewertet werden können:¹¹³ Demnach verfünffachte die
Zur „Krise der Exilforschung“ Hans: Geschichten aus der Exilforschungs-Geschichte, S. 93 f., und Krohn: Exilforschung, der in Fußnote 52 weitere Literatur zum Thema aufführt, jedoch nur „von einer ‚Krise‘ der Exilliteraturforschung“ sprechen will. Die Culturomics entwickelte eine Harvard-Forschergruppe in Zusammenarbeit mit Google Books und präsentierte ihren Ansatz und erste Ergebnisse als: Jean-Baptiste Michel, Erez Lieberman Aiden u. a.: Quantitative Analysis of Culture Using Millions of Digitized Books; in: Science 331 (2011), S. 176 – 182 (DOI: 10.1126/science.1199644). Dabei wird für jedes Jahr die Anzahl der Treffer für ein gesuchtes Wort (oder eine Wortfolge) durch die Gesamtzahl der Wörter im jeweiligen Korpus für dieses Jahr geteilt, um die Gebrauchsfrequenz oder Häufigkeit des gesuchten Wortes zu ermitteln. Der folgenden Analyse sowie Abbildung 3 liegen Daten zugrunde, die eine Abfrage des Google Ngram Viewer mit den in der folgenden URL angegebenen Spezifikationen ergab: Google Ngram Viewer: German 2012 (googlebooks-ger-all-20120701); Datenbankabfrage Exil, Emigration, Migration, 1750 – 2008, URL: https://books.google.com/ngrams/graph?content= Exil,Emigration,Migration&year_start=1750&year_end=2008&corpus=20&smoothing=0 (zuletzt abgerufen am 5. Januar 2019, Archiv-URL: https://archive.vn/FrtV9). Begeistert erkannte Philipp Sarasin den Ngram Viewer als Chance zur Synthese von Sozialgeschichte und Foucaults Wissensarchäologie: Philipp Sarasin: Sozialgeschichte vs. Foucault im Google Books Ngram Viewer.
3.3 Perspektivenwechsel zur Begriffsbestimmung
193
Gebrauchsfrequenz des Wortes Migration sich im Deutschen etwa zwischen 1968 und 1987 und dann nochmal zwischen 1987 und 2007.¹¹⁴ Die Begriffe Exil und Emigration hatten ihre höchste Gebrauchsfrequenz bereits 1998 erreicht.¹¹⁵ In den 50 Jahren seit 1948 hatte sich ihre Häufigkeit mehr als vervierfacht, doch ab 1998 wurden sie rasch von Migration übertroffen, ihre Gebrauchsfrequenzen fielen im folgenden Jahrzehnt steil ab.¹¹⁶
3.3.1 Migrationsmuster Um Migration als Oberbegriff menschlicher Bewegungen¹¹⁷ kulturhistorisch nutzbar zu machen, musste die Migrationsforschung das klassische Modell der Migration überwinden, laut dem ein armer, aber unabhängiger Migrant nach reiflicher Überlegung und freier Entscheidung aufbricht, um einmalig zu dem Ort zu reisen, an dem er sich lebenslang niederlässt und sein eigenes Stück Land bebaut.¹¹⁸ Der dazu entwickelte differenzierte Migrationsbegriff ist auch auf einen so speziellen Forschungsgegenstand wie aus Nazideutschland geflohene deutsch-amerikanische Historiker anwendbar. Um deren spezifisches Migrationsmuster zu identifizieren,
Ein alter Streitfall in einem neuen Tool; in: Pascal Maeder/Barbara Lüthi/Thomas Mergel (Hg.): Wozu noch Sozialgeschichte? Eine Disziplin im Umbruch, Göttingen 2012, S. 151– 174. Vor 1968 war weniger als jedes millionste Wort im Buchkorpus das Wort Migration, im Jahr 2007 war es fast jedes vierzigtausendste Wort – zweifellos angetrieben von Diskursen über Arbeitsmigration. Sie waren zu diesem Zeitpunkt rund jedes fünfzigtausendste Wort (Exil) oder jedes siebenundfünfzigtausendste Wort (Emigration) im deutschen Korpus. 2008 war die Gebrauchsfrequenz von Exil bis auf das Niveau der späten 1970er gesunken, die von Emigration sogar bis auf das 1950er-Jahre-Niveau. Da die Korpusdaten für den Google Ngram Viewer bisher nur bis ins Jahr 2008 vorliegen, lässt sich auf diesem Weg nicht feststellen, ob die Gebrauchsfrequenzen von Exil und Emigration anschließend weiter fielen. Eine „Krise der Exilforschung“, siehe oben, Anmerkung 112 auf S. 192, müsste nach dem quantitativen Maßstab der Culturomics nach dem Jahr 1998 begonnen und bis mindestens 2008 angedauert haben. Der Begriff Migration umfasst freiwillige wie unfreiwillige, kleinräumige wie großräumige, kurzzeitige wie langfristige, sowie schrittweise, zyklische oder komplexere Bewegungen. Zusätzlich zum noch allgemeineren Begriff Mobilität erfordert Migration allerdings einen Wohnortwechsel, vgl. Lüthi: Migration History; Krauss: Migration, Assimilierung, Hybridität, S. 260. Hoerder/Lucassen/Lucassen: Terminologien, S. 28, skizzieren diese klassische Idealvorstellung, laut der man „Migration vereinfachend als eine einmalige, auf ein einziges Ziel gerichtete Bewegung begreift, getrieben durch als unzulänglich empfundene Lebensbedingungen (‚Push-Faktoren‘) im Ausgangsstaat (Auswanderung) und Ankunft im Zielstaat (Einwanderung) mit besseren Konditionen (‚Pull-Faktoren‘).“
194
3 Zwischen Exil, Emigration und Remigration
eignet sich eine Migrationsmatrix als Klassifikationsinstrument,¹¹⁹ die ich im Folgenden allgemein vorstelle (Tabelle 5) und an einem Beispiel verdeutliche, bevor ich die konkreten Emigrationserfahrungen der Untersuchungsgruppe schildere und mit Hilfe der Matrix analysiere. In den drei Bereichen Vorbereitung, Bewegung und Folgen habe ich je drei oder vier Kategorien gebildet, die Elemente jeder Migration benennen sollen. In jeder Kategorie unterscheide ich vier oder fünf charakteristische Migrationsformen, so dass jede konkrete Wanderung sich in jeder Kategorie einer Migrationsform zuordnen lassen sollte, manchmal auch mehreren. So kann man etwa das Motiv einer Migration zwischen idealer Freiheit und verschiedenen Formen migrationsmotivierenden Zwanges einordnen, wobei die unfreieste Form typischerweise eine Deportation ist, in Anlass, Aufbruchszeitpunkt und Route fremdbestimmt. Planung und Vorbereitungszeit auf eine Migration können lang oder kurz sein, auch dieser Aspekt beeinflusst die Wahrnehmung einer Migration durch die Akteure als frei oder erzwungen. Auch Behinderungen und Unterstützungen lassen sich der Vorbereitung von Migrationen zuordnen, da sie als Rahmenbedingungen Planungen und Motive mitbestimmen. Der Bereich Bewegung lässt sich in die Kategorien Distanz, Richtung und Bewegungsmuster unterteilen. Die Vielfalt der allein dort versammelten Formen zeigt eindrücklich, dass ein traditioneller Begriff von Migration als einer einfachen Bewegung von einem Ausgangs- zu einem Endpunkt historische Migrationsphänomene nicht erfassen konnte. Unter den Folgen einer Migration habe ich Kategorien zusammengefasst, zu denen Migrierende zwar unter Umständen bereits in der Planungsphase Entschlüsse fassen oder Vorstellungen entwickeln können. Doch sowohl bei der Dauer des Aufenthalts als auch beim wirtschaftlichen Sektor und beim sozioökonomischen Raum ist die Umsetzung solcher Entschlüsse regelmäßig nicht absehbar. Mit Gewissheit richtige Zuordnungen lassen sich in diesen Kategorien erst im Nachhinein vornehmen. Indem man eine konkrete Migration in allen Kategorien einer Form zuordnet, generiert man ein Muster, das den betreffenden Migrationstyp kennzeichnet. Dieses Vorgehen ermöglicht eine detaillierte Typisierung konkreter historischer Migrationen. Beispielsweise würde das oben erwähnte klassische Migrationsideal in etwa einer Kombination der Formen der linken Spalte entsprechen. Auf diesem Weg wird einerseits ein Vergleich von Migrationen desselben Typs ermöglicht, selbst wenn sie in verschiedenen historischen Kontexten stattfinden. Andererseits erlaubt diese Typisierung die Analyse einer Gruppe von Migrationen aus demselben historischen
Ebenda, S. 37. Die von Hoerder, Lucassen und Lucassen entworfene Migrationsmatrix erforderte einige Anpassungen, um die Spezifika der Untersuchungsgruppe besser zu erfassen.
Folgen
Bewegung
Vorbereitung
Bereich
einfach
lebenslang
agrarisch
Bewegungsmuster
Aufenthaltsdauer am Ziel
Wirtschaftlicher Sektor
Sozioökonomischer ländlichRaum ländlich
Hinwanderung
Richtung
ländlich-städtisch
gewerblich-industriell
Arbeitsleben
etappenweise
Rückwanderung
interkontinental international
Distanz
städtisch-städtisch
dienstleisterisch
mehrjährig
teilnomadisch
zirkulär
interregional
städtisch-ländlich
elitär
saisonal
nomadisch
multipel
interlokal
Verwandte
EingliederungsOrganisationen
keine
Unterstützung(en)
AuswanderungsOrganisationen
überstürzt
Aufbruch erzwungen, Weg frei gewählt
Rechtslage ökonomische auswanderungshemmend Lage
kurzfristig
Entschluss und Weg frei, Anlass staatlich
Rechtslage einwanderungshemmend
mehrmonatig
keine
langfristig
Planung
Entschluss und Weg frei, Anlass nichtstaatlich
Behinderung(en)
frei
Migrationsformen
Motiv
Kategorie
Tabelle 5: Migrationsmatrix
Sonstiges
speziell
kein Zielort
Bekannte
soziokulturelle Lage
unfrei
3.3 Perspektivenwechsel zur Begriffsbestimmung
195
196
3 Zwischen Exil, Emigration und Remigration
Kontext, wie sie hier erfolgt, auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Migrationstypen hin. Am Beispiel der Migration von Fritz Epstein führe ich nun vor, wie auf diesem Wege ein Migrationsmuster bestimmt werden kann (Tabelle 6), bevor ich summarisch die Migrationen der übrigen Probanden schildere und ihren gemeinsamen Migrationstypus herausarbeite. Im Bereich Vorbereitung lässt sich die Kategorie des Migrationsmotivs bei Fritz Epstein aus der Kombination von staatlichem Anlass, freiem Entschluss zum Aufbruch und frei gewähltem Weg bestimmen: Die nationalsozialistische „Gleichschaltung“ der Universitäten und das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums zerstörten Epsteins Möglichkeiten, seine bis zur Habilitation fortgeschrittene wissenschaftliche Laufbahn in Deutschland weiter zu verfolgen. Allerdings hatte der Anlass auch nichtstaatliche Anteile, da Epstein 1933 nicht direkt staatlich von einer wissenschaftlichen Karriere ausgeschlossen wurde, sondern nach Fertigstellung seiner Habilitationsschrift selbst auf einen „offiziellen Antrag auf die Habilitation“ verzichtete, da ihm die Frankfurter Philosophische Fakultät im Voraus erklärt hatte, dass er „keinerlei Aussicht auf die Erteilung der venia legendi“ oder „eines Lehrauftrages in Osteuropäischer Geschichte“ hätte.¹²⁰ Zur Planung seiner Migration im Sommer 1934¹²¹ verwandte Epstein mehrere Monate, nachdem ihm im Laufe des Jahres 1933 klar geworden war, dass er nicht in NS-Deutschland bleiben und als Wissenschaftler arbeiten konnte. Als Behinderung für die im Jahr darauf erfolgende Migration ist die soziokulturelle Lage anzusehen: Fritz Epstein und seine Frau Herta mussten ihre Eltern zurücklassen und für ihre 1924 geborene Tochter Rose, die sie mitnahmen, sowie für den Sohn Klaus sorgen, der zunächst ebenfalls nach England mitkommen sollte, den sie dann jedoch wegen seiner Sensibilität und empfindlichen Konstitution auf einem Internat in den Niederlanden unterbrach-
Die Arbeit mit dem Titel „Rußland und die Weltpolitik 1917– 1920. Studien zur Geschichte der Intervention in Rußland“ wurde seit 1931 von der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft gefördert und von Epsteins Hamburger Habilitationsbetreuer Richard Salomon positiv bewertet. Fischer/Moltmann/Schwabe: Vorwort zur Festschrift für Fritz T. Epstein, S. IX; vgl. Kathleen Joy Melhuish: The German-Jewish Emigration and the Historian’s Craft; in: Konrad Kwiet (Hg.): From the Emancipation to the Holocaust. Essays on Jewish Literature and History in Central Europe, [Kensington, New South Wales, 1987], S. 155 – 165, hier S. 155. Fischer/Moltmann/Schwabe: Vorwort zur Festschrift für Fritz T. Epstein, S. IX. Die Darstellung des Biographischen Handbuchs, wo als Emigrationsjahr 1934 angegeben, die Deutschlehrerstelle in London aber bereits ab 1933 angesetzt wird, ist unplausibel.
Folgen
Bewegung
Vorbereitung
Bereich
einfach
lebenslang
agrarisch
Bewegungsmuster
Aufenthaltsdauer am Ziel
Wirtschaftlicher Sektor
Sozioökonomischer ländlichRaum ländlich
Hinwanderung
Richtung
ländlich-städtisch
gewerblich-industriell
Arbeitsleben
etappenweise
Rückwanderung
interkontinental international
Distanz
städtisch-städtisch
dienstleisterisch
mehrjährig
teilnomadisch
zirkulär
interregional
städtisch-ländlich
elitär
saisonal
nomadisch
multipel
interlokal
Verwandte
EingliederungsOrganisationen
keine
Unterstützung(en)
AuswanderungsOrganisationen
überstürzt
Aufbruch erzwungen, Weg frei gewählt
Rechtslage ökonomische auswanderungshemmend Lage
kurzfristig
Entschluss und Weg frei, Anlass staatlich
Rechtslage einwanderungshemmend
mehrmonatig
keine
langfristig
Planung
Entschluss und Weg frei, Anlass nichtstaatlich
Behinderung(en)
frei
Migrationsformen
Motiv
Kategorie
Tabelle 6: Migrationsmuster Fritz Epstein
Sonstiges
speziell
kein Zielort
Bekannte
soziokulturelle Lage
unfrei
3.3 Perspektivenwechsel zur Begriffsbestimmung
197
198
3 Zwischen Exil, Emigration und Remigration
ten.¹²² Die einwanderungshemmende Rechtslage in Großbritannien und später in den USA ließ sich durch Unterstützung von verschiedenen Stellen überwinden: Neben einer Einladung, als Deutschlehrer am Institut Français in London zu arbeiten, erhielt Epstein ein Stipendium des Academic Assistance Council (AAC).¹²³ Von einer Tante erhielt Epstein später Unterstützung zur Weitermigration in die USA.¹²⁴ Dass Epstein als Historiker 1933 ein kurzfristiges Stipendium der Bad Nauheimer William-G.-Kerckhoff-Stiftung zur Förderung der Kardiologie erhalten hatte, dürfte auf persönliche Kontakte zurückzuführen sein.¹²⁵ Die erste Kategorie des Bereichs Bewegung, die Distanz von Epsteins Migration, ist interkontinental, als Anfangspunkt lässt sich Frankfurt am Main (oder das benachbarte Oberursel¹²⁶), als Endpunkt der hier betrachteten Bewegung Bloomington, Indiana, im Mittleren Westen der USA identifizieren. Die Richtung der Bewegung ist als Hinwanderung einzuordnen, wenn man den Wanderungsvorgang zwischen Frankfurt und Bloomington von früheren und späteren Migrationen abgrenzt. Das liegt nahe durch das Verhältnis von Migration und Karriereverlauf, das ich in der Kollektivbiographie (Kapitel 2, besonders Abschnitt 2.4) herausgearbeitet habe, und in dem die Berufung auf eine Professur sowohl die Etablierung im Zielland als auch die Erlangung einer hierarchisch, funktional und räumlich recht stabilen Karriereposition anzeigt.¹²⁷ Während man bei so vielfältigen Wohnortwechseln, wie sie Fritz Epstein und die meisten anderen Probanden bis zur ersten Professur vollzogen haben, auch von multiplen Migrationsrichtungen oder einem nomadischen oder teilnomadischen Bewe-
So der Fragebogen zu Klaus Epstein für das Biographische Handbuch, IfZ MA 1500. Das Internat Eerde war 1933 unter Beteiligung niederländischer Quäker gegründet worden, um „Christian Jews“ aufzunehmen, vgl. das Biographische Handbuch. Fischer/Moltmann/Schwabe: Vorwort zur Festschrift für Fritz T. Epstein, S. IX. Fragebogen zu Klaus Epstein für das Biographische Handbuch, IfZ MA 1500. Der Leiter des von der amerikanischen Stiftung betriebenen William-G.-Kerckhoff-Herzforschungsinstituts, der Kardiologe Franz Groedel (1881– 1951), emigrierte wegen seiner jüdischen Herkunft 1933 in die USA, siehe Horst Zoske: Groedel, Franz Maximilian; in: NDB 7, Berlin 1966, S. 109 f. Im Fragebogen zu Klaus Epstein für das Biographische Handbuch, IfZ MA 1500, als letzter Wohnort vor der Emigration vermerkt. Da eine ordentliche Professur auch zu den Auswahlkriterien der Untersuchungspersonen gehört, erscheint ihre Definition als quasi teleologischer Zielpunkt von Karriere und Migration weniger problematisch. Denn diese Auswahl eines von mehreren möglichen Zielpunkten ist keineswegs willkürlich, sondern durch den Zuschnitt der Untersuchung vorbestimmt, in dem die Professur als wesentliche Bedingung der hervortretenden Wirksamkeit im deutsch-amerikanischen Historikeraustausch gilt.
3.3 Perspektivenwechsel zur Begriffsbestimmung
199
gungsmuster sprechen könnte,¹²⁸ erlaubt es die Abgrenzung der Migration Frankfurt–Bloomington, das zugehörige Bewegungsmuster als etappenweise zu identifizieren. Die zugehörigen Etappen bis zum Zielpunkt der Professur nehmen jeweils mehrere Jahre in Anspruch: Zuerst ging Epstein 1934 nach London an das dortige Institut Français. 1937 migrierte er weiter über den Atlantik nach Harvard, also an die US-amerikanische Ostküste. An der Ostküste lassen sich auch seine Engagements von 1944 bis 1948 lokalisieren, als er in der Gegend um Washington zuerst für den amerikanischen Geheimdienst OSS tätig war und sich dann im War Documentation Project mit deutschen Beuteakten befasste. Für drei Jahre wurde er 1948 Kurator der mitteleuropäischen und slawistischen Sammlung der Stanford University nahe San Francisco an der US-Westküste. Anschließend kehrte er an die Ostküste zurück, um in Washington und Umgebung am War Documentation Project, an der American University und an der Library of Congress zu arbeiten. Erst 1962 landete Epstein im Alter von 64 Jahren als ordentlicher Professor und Kurator der slawistischen Sammlung an der Indiana University in Bloomington.¹²⁹ Im Bereich Folgen ist die Aufenthaltsdauer am Zielort für Fritz Epstein als arbeitslebenslang einzuordnen, da er sich im Alter von 74 Jahren wieder in Deutschland niederließ. Als Universitätsprofessor ist er keinem der drei üblichen wirtschaftlichen Sektoren zuzuordnen, eine Klassifizierung als elitäre wirtschaftliche Tätigkeit dürfte die Bedingungen, die professorale Wissenschaft von den anderen Sektoren unterscheidet, angemessen erfassen. Dem entsprechend ist Epsteins Bewegung im sozioökonomischen Raum wohl als städtisch-städtisch zu beurteilen: Zwar hatte Bloomington 1960 nur rund 31.000 Einwohner,¹³⁰ aber die Zuordnung der in Kleinstädten gelegenen großen amerikanischen Campus-Universitäten zum ländlichen Raum wäre weniger plausibel. Sozioökonomisch fungierte Bloomington mit dem Campus der Indiana University für Wissenschaftler eher als städtisches Lebensumfeld, zumal Bloomington nur rund 80 Kilometer von Indianapolis, der Hauptstadt Indianas, entfernt liegt, die in den 1960er Jahren stark zur elftgrößten Stadt der USA und auf fast 750.000 Einwohner anwuchs.¹³¹ Aus den vorgeführten Elementen setzt sich Fritz Epsteins individuelles Migrationsmuster zusammen. Es ist recht spezifisch, aber der Verdacht liegt nahe, dass
Den Eindruck einer nomadischen Lebensweise aus der Kombination von Emigration und Wissenschaftlerkarriere formulierte Klemens von Klemperer so: „Zwischen Berlin, Wien, Cambridge (Mass), Northampton (Mass), US-Army (3 Jahre), Cambridge, Oxford bin ich zu so einer Art Nobelzigeuner geworden.“ E-Mail Klemens von Klemperer an Matthias Krämer, 4. Oktober 2007. Siehe zu den Stationen das Biographische Handbuch. United States Bureau of the Census: 1970 Census of Population, Volume I, Part A, Section 1, Washington, D.C., 1972, S. 1/135. Ebenda, S. 1/120.
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die Muster der anderen Probanden starke Ähnlichkeit mit Epsteins Muster aufweisen. Um das zu überprüfen und das Migrationsmuster der Untersuchungsgruppe herauszuarbeiten, klassifiziere ich die Migrationen der anderen Historiker entsprechend den Erwägungen im Demonstrationsfall Epstein. Um die Aneinanderreihung von 16 strukturidentischen Texten zu vermeiden, skizziere ich die Charakteristika der Migrationen im Folgenden summarisch und schildere nur markante Abweichungen vertiefend.¹³²
3.3.2 Gemeinsame und besondere Migrationserfahrungen Ein grundsätzlicher Unterschied besteht zwischen erwachsenen Historikern, die vom NS-Regime ihrer Arbeitsmöglichkeiten beraubt wurden oder zu werden drohten, und den Jugendlichen und Kindern, die erst durch ihr Studium in den USA zu Historikern ausgebildet wurden: Die elf Älteren entschlossen sich bereits vor oder bald nach ihrer Entlassung auf Grund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 zur Auswanderung,¹³³ oder sie sahen sich wie Felix Hirsch und Carl Misch als nicht im Staatsdienst tätige Journalisten durch die Einrichtung der Reichskulturkammer am 22. September und das Schriftleitergesetz vom 4. Oktober 1933 ihrer Existenzgrundlage beraubt.¹³⁴ Dagegen waren die fünf Jüngeren, die 1933 zwischen 6 und 17 Jahre alt waren, auf die Entschlüsse und die Unterstützung ihrer Familien angewiesen und verließen Deutschland daher meist später als die nach und nach erwerbslos werdenden Wissenschaftler und Journalisten. Zu den frühesten Auswanderern – teilweise konkret von Verfolgungsmaßnahmen bedroht – gehörten 1933 Felix Gilbert, Wolfgang Hallgarten, Fritz Hei-
Die Klassifikationen der jeweiligen Migration lassen sich in der Regel aus den Angaben des Biographischen Handbuchs ableiten, so das dieses als Quelle sowohl für die obige Darstellung von Fritz Epsteins Migrationsmuster, als auch für den gesamten folgenden Abschnitt benutzt wurde, wo nicht anders angegeben. Zu den Unterschieden beim Emigrationszeitpunkt trug bei, dass das NS-Regime die deutsche Geschichtswissenschaft insgesamt nicht „gleichschalten“ musste, siehe Iggers: Die deutschen Historiker in der Emigration, S. 97, und seine Mittel zur „Säuberung“ der Universitäten von missliebigen Professoren daher erst nach und nach ausschöpfte. Vgl. hierzu Ursula Wolf: Litteris et patriae. Das Janusgesicht der Historie, Stuttgart 1996, S. 467– 473, die die entsprechenden Gesetze und Maßnahmen ausführlich auflistet. Siehe auch die Edition des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums als Doc. 41 in Kampe: Jewish Emigration from Germany, S. 76 f.; im selben Band (in zwei Teilbänden) auch weitere Dokumente zur antisemitischen NSPolitik. Vgl. knapp Möller: Exodus der Kultur, S. 11. Zu den genannten Verfolgungsmaßnahmen vgl. ebenda, S. 10 f.
3.3 Perspektivenwechsel zur Begriffsbestimmung
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chelheim, Hajo Holborn, Hans Rosenberg und Eugen Rosenstock-Huessy. Der früheste bekannte Ausreisetermin ist der 12. August 1933, an dem Hallgarten seiner Mutter, der bekannten Pazifistin Constanze Hallgarten, ins französische Exil folgte.¹³⁵ Von diesen Flüchtlingen im ersten Jahr des NS-Regimes ist Rosenstock-Huessy der einzige, der auf direktem Wege in die Vereinigten Staaten ging, indem er am 9. November 1933 den Dampfer „Deutschland“ nach New York bestieg.¹³⁶ Fritz und Klaus Epstein folgten wie beschrieben 1934, ebenso Carl Misch, der sich offen gegen das Nazi-Regime ausgesprochen hatte, 1933 in „Schutzhaft“ genommen worden war und im Sommer 1934 über Dänemark und Belgien nach Paris floh.¹³⁷ Die übrigen fertig ausgebildeten Probanden mussten 1935 einsehen, dass sie in Deutschland keine berufliche Perspektive hatten,¹³⁸ und dass eine Verzögerung der Ausreise ihre Aussichten nicht verbessern würde, sondern sie im Zweifelsfall
Hallgarten: Als die Schatten fielen, S. 188. – Zu Rosenberg berichtet Frank Golczewski: Kölner Universitätslehrer und der Nationalsozialismus, Köln/Wien 1988, S. 425, er sei „im Frühjahr 1933“ nach Großbritannien emigriert; Coser: Refugee Scholars, S. 289, meint ebenfalls, „he left for London in the spring of 1933.“ Laut Heinrich August Winkler: Ein Erneuerer der Geschichtswissenschaft. Hans Rosenberg 1904– 1988; in: HZ 248 (1989), S. 529 – 555, hier S. 538, ging er hingegen „im Sommer 1933 nach London“, ebenso Heinrich August Winkler: A Pioneer in the Historical Sciences: Hans Rosenberg, 1904– 1988; in: Central European History 24 (1991), S. 1– 23, hier S. 9. Beides ist falsch und geht womöglich auf die Fehlinterpretation der Angabe von Gerhard A. Ritter: Vorwort; in: Gerhard A. Ritter (Hg.): Entstehung und Wandel der modernen Gesellschaft. Festschrift für Hans Rosenberg zum 65. Geburtstag, Berlin 1970, S. V–X, hier S. VI, zurück, Rosenberg sei „bald nach dem Brand des Reichstages nach England emigriert.“ Richtiger ist die Darstellung der aufeinander folgenden Entlassungsschritte durch Golczewski: Kölner Universitätslehrer, S. 455: „‚Empfehlung‘, die Venia legendi nicht auszuüben, April 1933. Beurlaubung, Juli 1933. Entzug der Lehrbefugnis, 2.9.1933. Emigration nach Großbritannien, 1933.“ Dass Rosenberg erst einige Zeit nach dem 7. September 1933 und vor dem 20. November des Jahres nach London ging, also im Herbst 1933, zeigen seine von Ritter 2006 edierten Briefe: Brief Hans Rosenberg an Leni Rosenberg, 5. September 1933; in: Ritter: Meinecke, S. 331; Brief Hans Rosenberg an den Oldenbourg-Verlag, 20. November 1933; in: Ritter: Meinecke, S. 334. – Für Heichelheim (EakinThimme: Geschichte im Exil, S. 45), Holborn und Rosenstock-Huessy (Biographisches Handbuch) liegen Angaben über die Ausreise im Herbst 1933 vor; Gilbert kehrte von seinen italienischen Archivstudien 1933 kurzfristig nach Berlin zurück, bevor er im selben Jahr nach England ging: Ritter: Meinecke-Schüler in den USA, S. 71. Vgl. Rosenstock-Huessy in: Auszug des Geistes, S. 111, und Molen: Biographie RosenstockHuessy, S. 140. Das Biographische Handbuch gibt an, er sei im Oktober 1934 nach Paris emigriert; Schneider: Misch im Exil, S. 209, weist aber aus den Akten nach, dass Misch am 7. Juli 1934 Berlin und Deutschland verließ, auf Reisen ging, und schließlich am 30. August 1934 Paris erreichte. Vgl. Schneider: Mischs verhinderte Rückkehr, S. 85. Vgl. Walther: Emigrierte deutsche Historiker, S. 41 f.
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3 Zwischen Exil, Emigration und Remigration
in Gefahr brächte: Felix Hirsch, Guido Kisch und Gerhard Masur verließen den NSStaat, wozu Hirsch im August des Jahres ein Einwanderungsvisum in die USA nutzte,¹³⁹ nachdem er erfolglos die Möglichkeit sondiert hatte, sich in der Schweiz niederzulassen. Kisch kehrte im Spätsommer 1935 von seinem – recht erfolglosen – „Orientierungsaufenthalt von etwa halbjähriger Dauer“¹⁴⁰ in den USA zurück, um bald darauf Deutschland mit Frau und Sohn endgültig den Rücken zu kehren.¹⁴¹ Den Entschluss zur Emigration in die USA hatte Kisch erst gefasst, „[n]achdem sich alle Hoffnungen und Bemühungen, irgendwo in Europa Zuflucht und eine dauernde Bleibe zu finden, als trügerisch erwiesen hatten“, und auch nur auf Drängen seiner Frau.¹⁴² Masur schließlich wollte zunächst „für meine Position an der Universität kämpfen“, versuchte „alle Kräfte zu mobilisieren, um meine Position zu bewahren“.¹⁴³ Nach vorläufigem Erfolg¹⁴⁴ wurde er im Februar 1935 von Hans Rothfels, der sich in vergleichbarer Position befand, gewarnt.¹⁴⁵ Er nahm Kontakt mit Fritz Demuth auf, dem Mitbegründer der „Notgemeinschaft Deutscher Wissenschaftler im Ausland“, der ihm das Angebot machte, nach Kolumbien zu emigrieren.¹⁴⁶ Als das preußische Kultusministerium Masur am 17. Oktober 1935 eine Vortragsreise nach England verbot, fürchtete er, bei einem Grenzübertritt seinen Pass zu verlieren, und entschloss sich – auch auf Drängen seiner Mutter – nach „Vorbereitungen in größter Verschwiegenheit“ zum Aufbruch.¹⁴⁷ In der Nacht vom 22. auf den 23. Oktober 1935 fuhr er mit dem Zug in die
So das Biographische Handbuch; vgl. Brief Theodor Heuss an Gustav Stolper, 29. Juli 1935; in: Heuss: Briefe 1933 – 1945, S. 267. Kisch: Erinnerungen, S. 113. Vgl. ebenda, S. 126 f. Ebenda, S. 112. Masur: Das ungewisse Herz, S. 159. Im Rückblick bereute er diesen Versuch: „Heute weiß ich, daß ich besser daran getan hätte, Deutschland sofort zu verlassen, wie Hajo Holborn und Hans Rosenberg es getan haben. Aber ich konnte mich nicht dazu bringen. Der Nationalsozialismus schien mir ein solcher Wahnsinn, daß ich nicht an den Bestand des Regimes glauben konnte.“ Ebenda, S. 161. Vgl. oben, Anmerkung 205 auf S. 119. „Rothfels sagte mir ohne Umschweife, daß er im Kultusministerium gehört hätte, daß man entschlossen sei, mich aus dem Lehramt zu entfernen. […] Unvorbereitet war niemand in Deutschland auf eine solche Wendung. Und doch, als sie kam, traf sie mich wie ein Faustschlag. Zuerst versuchte ich, die wenigen Beziehungen, die ich im Ausland hatte zu aktivieren.“ Masur: Das ungewisse Herz, S. 170; weitere Warnungen folgten, vgl. ebenda, S. 170 ff. Ebenda, S. 172 f. Zu Demuth vgl. das Biographische Handbuch, Band 1; zur Notgemeinschaft vgl. Regine Erichsen: Emigrantenhilfe von Emigranten – Die Notgemeinschaft Deutscher Wissenschaftler im Ausland; in: Exil 14 (1994), Nr. 2, S. 51– 69. Masur: Das ungewisse Herz, S. 173.
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Schweiz, um dort Fritz Demuth zu treffen und über akademische Arbeitsmöglichkeiten zu beraten: „Die Fahrt verlief ohne Zwischenfälle. An der schweizer Grenze kam die Gestapo in mein Coupé, sah meinen Pass an, ließ mich aber nicht einmal die drei Handkoffer öffnen, mit denen ich in die Fremde fuhr. Ich kam gegen Mittag in Zürich an. Als wir die Grenze überschritten, hatte ich mir geschworen, daß ich nicht lebend in das Hitler-Deutschland zurückkehren würde. Und noch einen anderen Schwur hatte ich getan, daß ich dies Regime überleben wollte, koste es, was es wolle.“¹⁴⁸
Die jüngsten Mitglieder der Untersuchungsgruppe emigrierten mit ihren Eltern erst 1937 und 1938, abgesehen von Klaus Epstein, dessen Eltern wie erwähnt bereits 1934 nach England gingen und ihn auf ein Internat in den Niederlanden schickten. Manfred Jonas und Fritz Stern gingen mit ihren Eltern auf direktem Wege in die USA,¹⁴⁹ allerdings verdeutlicht Sterns tagesgenaue Darstellung, wie lang selbst ein solcher direkter Weg normalerweise war: Nach jahrelangem Zögern bereitete die Familie seit einer Orientierungsreise der Eltern nach New York im April 1938 „so schnell wie möglich“ die Übersiedelung vor.¹⁵⁰ Es dauerte allerdings fast ein halbes Jahr, Empfehlungsschreiben, Bürgschaften, ein Darlehen für eine Sicherheitsleistung von 3.500 US-Dollar, einen gültigen Pass, die Zahlung der „Reichsfluchtsteuer“ und schließlich am 16. September die Einwanderungsvisa zu organisieren.¹⁵¹ Einen Kriegsausbruch um das Sudetenland befürchtend, flog die Familie am 24. September von Berlin nach Amsterdam „in die Freiheit“, hielt
Ebenda, S. 175. Vgl. zu anderen Erfahrungen an der Grenze zu Exil und Emigration Marita Krauss: Grenze und Grenzwahrnehmung bei Emigranten der NS-Zeit; in: Andreas Gestrich/Marita Krauss (Hg.): Migration und Grenze, Stuttgart 1998, S. 61– 82. Es wäre zu überprüfen, ob Wissenschaftler, die im Berufsleben standen und Deutschland später als Masur verließen, nach Kriegsende auch für Kurzzeit-Remigrationen als Gastprofessoren in Frage kamen, oder ob sie entweder rasch ganz zurückkehrten – wie Hans Rothfels – oder nie zurückkehrten – wie etwa Richard Salomon. Zu Salomon, bei dem Fritz Epstein in Hamburg Ende der 1920er Jahre Assistent war, vgl. Epstein: Catalog, S. 285 – 291: Er emigrierte 1937 in die USA und lehnte es ab, zur Lehre nach Deutschland zu remigrieren (S. 286); vgl. auch das Biographische Handbuch. In seinem Fragebogen für das Biographische Handbuch, IfZ MA 1500, datiert Jonas die Ankunft in den USA gemeinsam mit seinen Eltern auf den 11. November 1937. Stern: Erinnerungen, S. 160 – 167, berichtet über den Migrationsvorgang. Stern: Erinnerungen, S. 160; bei der Orientierungsreise der Eltern ging es darum, „zu erkunden, ob mein Vater dort als Arzt praktizieren und seinen Lebensunterhalt verdienen könnte. […] In der Zeit seither habe ich mich oft gefragt, warum meine Eltern ihren Entschluß so gefährlich spät gefaßt haben. Sie waren unter den ersten gewesen, die im Frühling 1933 erkannten, daß die Emigration unausweichlich war.“ Ebenda, S. 160 – 162.
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sich dann noch einige Tage in England auf, bevor sie am 30. September mit gemischten Gefühlen „in Rotterdam an Bord der Statendam“ ging:¹⁵² „Als das Schiff auslief, empfand ich nichts als Erleichterung und wunderbare Erregung darüber, mich auf einem Überseedampfer zu befinden, wenngleich ich spürte, daß meine Eltern sich wegen unserer unsicheren Zukunft Sorgen machten. Ich konnte kein Englisch. […] Ich verließ voller Abscheu dieses jubelnde, Hitler-vernarrte Deutschland.“¹⁵³
Sterns Migration endete bereits am 9. Oktober 1938 in New York, wo sich seine Familie niederlassen konnte,¹⁵⁴ und wo er selbst fünf Jahre später ein Studium aufnahm.¹⁵⁵ Die als Studenten migrierenden Theodore von Laue und Klemens von Klemperer verließen die Nazi-Herrschaft ohne ihre Familien: Für von Laue arrangierte sein Vater, der Physik-Nobelpreisträger Max von Laue, die Zulassung an der Princeton University nach einem Jahr an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. In einem Interview sagte Theodore von Laue, sein Vater „did not want me growing up in a country run by gangsters“.¹⁵⁶ Von Klemperer hatte 1934 ein Studium in Wien aufgenommen und sich damit schon einmal der NS-Diskriminierung entzogen. 1938 floh er dann aus dem annektierten Österreich, um 1940 in Harvard sein Studium fortzusetzen.¹⁵⁷ Außer diesen jüngeren Probanden migrierten nur Rosenstock-Huessy, Kisch und Hirsch ohne wesentliche Zwischenstationen aus dem Deutschen Reich in die USA. Doch auch deren Bewegungsmuster sind als etappenweise anzusehen. Die Mehrheit der Untersuchungsgruppe migrierte sogar über weitere Staaten als Etappenziele, aber letztlich kamen alle nach Amerika.¹⁵⁸ In europäische Staaten führten die ersten Teilmigrationen: Fünf gingen nach Großbritannien, zwei nach
Ebenda, S. 166. Ebenda, S. 166 f. Ebenda, S. 168. Ebenda, S. 206. Anders als bei promovierten Historikern erscheint es bei Kindern und Jugendlichen sinnvoll, den Ort der Studienaufnahme als Endpunkt der Migration festzulegen, da es sich für sie dabei um den ersten Schlüsselpunkt im Hinblick auf die Wissenschaftlerkarriere handelt. Ropp/Little: Theodore H.Von Laue. Das Original-Interview wird dort nicht näher bezeichnet, das Biographische Handbuch, bestätigt aber: „Father arranged admission to Princeton Univ. to complete son’s educ.[ation] away from Nazi influence.“ Zu den Studienzeiten vgl. oben, Abschnitt 2.3.1 ab S. 96. Heichelheim ging nach Kanada, alle anderen in die USA. Das allgemeine Übergewicht der USA als Ziel emigrierter Wissenschaftler erklärt Krohn: Deutsche Wissenschaftsemigration, S. 437– 442. Zur Rückkehr mancher der untersuchten Historiker nach Mitteleuropa im Rentenalter siehe unten, Abschnitt 4.2 ab S. 217.
3.3 Perspektivenwechsel zur Begriffsbestimmung
205
Frankreich, je ein Proband in die Niederlande und die Schweiz.¹⁵⁹ Während man Rosenbergs Reise zwischen dem Verlassen Englands 1935 und der Ankunft in den Vereinigten Staaten als einen „mühseligen, durch die amerikanische Einwanderungsgesetzgebung erzwungenen Umweg über Kanada und Kuba“ beschreiben kann,¹⁶⁰ brachten sowohl Hallgarten als auch Masur eine regelrechte „Odyssee“ hinter sich:¹⁶¹ Hallgarten verließ Frankreich gen England, um dort ab Anfang 1936 ein weiteres Jahr seines Exils mit Forschungen im British Museum zu verbringen.¹⁶² Im März 1937 fuhr er in die USA, wo er jedoch erst Anfang 1938 durch Wiedereinreise von Kuba aus formell einwanderte.¹⁶³ Masur hingegen entschied sich in der Schweiz für das von der Notgemeinschaft Deutscher Wissenschaftler im Ausland organisierte Angebot, für die kolumbianische Regierung tätig zu werden.¹⁶⁴ Warum er sich nicht nach England oder in die USA wandte, begründet er in seinen Erinnerungen: „Ein anderer schrieb mir, daß ich in England den Ruf eines Faschisten habe, und deswegen keine Stellung finden würde. […] Heute weiß ich, daß ich mich damals an meine Kousine Antonie [Strassmann] hätte wenden sollen, um den Übergang in die Vereinigten Staaten zu vollziehen. Aber da war erstens mein Stolz, der mich davon abhielt, sie um Hilfe zu bitten, und zum anderen die Tatsache, daß ich keine Beziehung zu akademischen Kreisen in den Staaten hatte. Auch rieten mir Bekannte, wie Dietrich Gerhard, von den Vereinigten Staaten aus klimatischen Gründen ab. In jedem Falle habe ich es 1935 nicht gewagt, diesen Sprung zu tun.“¹⁶⁵
Großbritannien: Gilbert, Heichelheim, Holborn und Rosenberg 1933, Fritz Epstein 1934; Frankreich: Hallgarten 1933, Misch 1934; die Niederlande: Klaus Epstein 1934; die Schweiz: Masur 1935. Für diese Angaben des ersten Emigrationsziels siehe das Biographische Handbuch; nur zu Gilbert vgl. Ritter: Meinecke, S. 58, und Ritter: Meinecke-Schüler in den USA, S. 71; zu Hallgarten vgl. Radkau: Hallgarten, S. 110. Ritter: Meinecke, S. 74. Das Biographische Handbuch gibt an, Rosenberg sei statt der Zwischenstation in Kanada bereits mit Besuchervisum in den USA gewesen und habe von dort lediglich Kuba besuchen müssen, um mit Einwanderungsvisum wieder einzureisen. Joachim Radkau: Der Historiker, die Erinnerung und das Exil. Hallgartens Odyssee und Kuczynskis Prädestination; in: Exilforschung 2 (1984), S. 86 – 103, hier S. 93, nennt Hallgartens „Leben eine Odyssee“, da Hallgarten sich selbst in einem Brief an Radkau als vielherumgetriebenen Odysseus bezeichnete. Hallgarten: Als die Schatten fielen, S. 216 f., berichtet von der Ankunft in London am 8. Januar 1936; das Biographische Handbuch nahm an, er wäre gegen Ende 1935 nach Großbritannien migriert. Hallgarten: Als die Schatten fielen, S. 246 – 251. Masur: Das ungewisse Herz, S. 172 f., vgl. oben, S. 202 f. Masur: Das ungewisse Herz, S. 181 f.; zur Schauspielerin und Pilotin Antonie Strassmann (1901– 1952), vgl. Artikel Strassmann, Antonie; in: Walk: Kurzbiographien.
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3 Zwischen Exil, Emigration und Remigration
So durchreiste er im Februar 1936 Frankreich, um sich in Le Harvre nach Kolumbien einzuschiffen, wo er noch im März ankam.¹⁶⁶ Nach zehn Jahren entschloss er sich aber doch noch, seine Stellung in Kolumbien zugunsten eines unsicheren Neubeginns in den USA aufzugeben, anfangs immerhin mit einem Stipendium der Rockefeller-Stiftung für die Fertigstellung seiner umfassenden Biographie Simon Bolívars.¹⁶⁷ Eine Gastprofessur am Sweet Briar College in Virginia ermöglichte ihm schließlich 1947, über Mexiko erneut in die USA einzureisen, diesmal mit Einwanderervisum.¹⁶⁸ Während Masurs langer Zwischenstation in Südamerika hatten alle anderen Probanden bereits die USA erreicht,¹⁶⁹ abgesehen von Heichelheim, der erst 1948 von England nach Kanada wechselte.¹⁷⁰ Zuletzt war 1940 Carl Misch in den USA angekommen, der bis dahin in der französischen Exilpresse gewirkt hatte: „Er wurde im Sommer 1940 im Lager La Braconne interniert, flüchtete vor den anrückenden deutschen Truppen und gelangte mit französischer und amerikanischer Hilfe im September 1940 auf der Nea Hellas nach New York.“¹⁷¹
Auch eine so späte Ankunft in den USA ermöglichte es noch, sich dort heimisch zu fühlen. Erfolgreiche Integration war nicht vom Immigrationszeitpunkt abhängig, und auch nicht von vorher bestehenden Verbindungen: Zwar hatte Misch eine
Masur: Das ungewisse Herz, S. 184– 186. Ebenda, S. 246. Über seine Ankunft in den USA berichtet er ebenda, S. 263 – 265: „Ich kam am 1. Juni 1946 um sechs Uhr morgens in Washington an. Ein Verwandter, Ernst Posner, hatte mir ein Zimmer in dem International House verschafft. […] Das Haus selbst war eine Schöpfung der Quäker, mit denen ich hier zum ersten Mal in Berührung kam. […] Bald fand ich auch Anschluß an die Gelehrten, die in Washington untergeschlüpft waren, Ernst Posner, Sergius Yakobson, Veit Valentin, und andere, deren Namen mir entfallen sind.“ Masurs Verwandtschaft mit dem Historiker und Archivar Ernst Posner deutet die Bedeutung von Kontakten und Netzwerken an, die bei einer Migration – allgemein gesprochen – Zugang zu Ressourcen versprechen. Valentin etwa schrieb bald darauf ein ausgesprochen positives Gutachten über Masurs Buch „Simon Bolívar“, vgl. dazu oben, Anmerkung 318 auf S. 143. Zu Posner,Valentin und Yakobson vgl. Epstein: Catalog, S. 247– 249, S. 319 – 327 und S. 360 – 362. Masur: Das ungewisse Herz, S. 286 f. Die Reihenfolge der Ankunft in den USA war laut Biographischem Handbuch: RosenstockHuessy (1933), Holborn (1934), Rosenberg, Kisch und Hirsch (1935), Gilbert (1936), Hallgarten, Fritz Epstein, Jonas und von Laue (1937), Klaus Epstein, Stern und von Klemperer (1938). Gundel: Heichelheim, S. 222. Das Biographische Handbuch enthält die widersprüchlichen Angaben, dass Heichelheim seit 1948 Dozent an der University of Toronto war, aber erst 1951 in Kanada immigriert sein soll. Die deutsche Einwanderung nach Kanada nach der Flucht aus NaziDeutschland umfasste insgesamt rund 4.000 Personen, so Susemihl: Assimilation und Integration, S. 51. Schneider: Misch im Exil, S. 218; vgl. Schneider: Mischs verhinderte Rückkehr, S. 86.
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Tante und einen Vetter in den USA, „von denen er jedoch […] keinerlei Unterstützung zu erwarten habe.“¹⁷² Andererseits hatte er bereits USA-Erfahrung, weil er „mit seinen Eltern vom Sommer 1897 bis zum Herbst 1900 in Worcester, Massachusetts, gelebt hatte“.¹⁷³ Die Probanden hatten ganz verschiedene Ausgangsbedingungen für die Etablierung im Zielland. Gemeinsam sind ihnen jedoch die oben behandelte – erfolgreiche – Karriere und die Einbürgerung, die als symbolischer Integrationsakt angesehen werden kann, der zumindest ausreicht, das Land der neuen Staatsbürgerschaft als Ziel der Migration zu klassifizieren.Wie der Einwanderungszeitpunkt konnte auch der Zeitpunkt der Erlangung der Staatsbürgerschaft bedeutenden Einfluss auf die Beschäftigungs- und Karrierechancen haben. Gerade für die Beteiligung am „war effort“ , die meist einen Sprung für Karriere und Integration bedeutete,¹⁷⁴ war eine vorherige Naturalisation notwendig.¹⁷⁵ Sonderfälle sind hierbei die Staatsangehörigkeiten von Misch, Kisch und Masur: Der „Ausbürgerung“ genannte Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit 1937 ist bei Misch bekannt, nicht aber der Zeitpunkt seiner Einbürgerung in den USA.¹⁷⁶ Ebenso fehlt das Einbürgerungsdatum bei Kisch.¹⁷⁷ Masur ist ein
Haarmann: Carl Misch, S. 158. Ebenda. Vgl. oben ab S. 132. Krauss: Geschichte der Remigration, S. 62; vgl. Krauss: Eroberer oder Rückkehrer?, S. 71, für die Differenzierung zwischen der Beantragung der amerikanischen Staatsbürgerschaft als Bedingung für den Eintritt in die US-Armee und der erfolgten Einbürgerung als Bedingung des Einsatzes in Europa oder Japan. Die „Ausbürgerung“ fand auf Grund des „Gesetzes über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit“ vom 14. Juli 1933 statt; siehe Doc. 45a. The Expatriation of „Racially and Culturally Undesirable Persons,“ July 1933; in: Kampe: Jewish Emigration from Germany, S. 80. Das Biographische Handbuch gibt den 5. August 1937 als Datum von Mischs „Ausbürgerung“ an. Möglicherweise hat Misch Mitte der 1940er Jahre die US-amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen. Darauf deuten einige Hinweise in Haarmann: Carl Misch, S. 163 ff., hin: Haarmann spricht von einer „Solidarisierungstendenz des Neu-Amerikaners Carl Misch an das Land, das ihn […] ernährt“, und von Misch als „der amerikanische Jude deutscher Abstammung“ – obwohl Misch zum Protestantismus konvertierte, vgl. Feilchenfeldt: Misch (NDB), S. 560. Misch selbst äußert auf den brieflichen Hinweis Erich Dombrowskis 1947, er müsse die „deutsche Staatsangehörigkeit wieder zurückerwerben“, um nun in Deutschland Karriere zu machen: „[M]eine in Amerika erworbenen Rechte [sind] mir wertvoller als aller Einfluß und alles Geld.“ Haarmann: Carl Misch, S. 164, zitiert Briefe aus der Carl Misch Collection an der State University of New York, Albany. Das Biographische Handbuch erwähnt Kischs deutsche, anschließend seine US-amerikanische Staatsbürgerschaft, beides ohne Jahr, und ohne Hinweis auf eine ältere österreichische oder eine jüngere Schweizer Staatsangehörigkeit.
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Sonderfall, da er sich 1938 bereits nach zwei Jahren in Kolumbien einbürgern ließ,¹⁷⁸ 1953 schließlich die US-amerikanische Staatsbürgerschaft annahm.¹⁷⁹ Heichelheim wurde 1940 britischer Staatsbürger;¹⁸⁰ um diese Zeit begannen auch die Einbürgerungen in den Vereinigten Staaten: Holborn 1940, Hirsch und Rosenstock-Huessy 1941 gehörten zu den frühesten.¹⁸¹ Hallgarten 1942, Gilbert und von Klemperer 1943 konnten US-Amerikaner werden, um sich anschließend noch für mehrere Jahre im Zweiten Weltkrieg zu engagieren.¹⁸² Zu den später Eingebürgerten gehörten 1944 Rosenberg, Fritz und Klaus Epstein, Jonas, 1945 von Laue, und 1947 schließlich Stern.¹⁸³
3.3.3 Migrationsmuster transatlantischer Gastprofessoren Analysiert man die Migrationen der ganzen Untersuchungsgruppe mit Hilfe des Instrumentariums, das ich oben am Beispiel Fritz Epsteins vorgeführt habe, ergibt sich daraus ein Muster zwingender oder typischer Charakteristika ihrer Migrationen und eine Spannbreite von Möglichkeiten, davon abzuweichen.
Masur: Das ungewisse Herz, S. 224: Durch „Verdienste um die Republik“ Kolumbien naturalisierte ihn die Regierung schon so bald, obwohl „dieser Schritt keiner inneren Überzeugung entsprach.“ Ebenda: „Ich bin 1953 Bürger der Vereinigten Staaten geworden: dies allerdings aus Überzeugung.“ So Gundel: Heichelheim, S. 222; vgl. Gerald Kreucher, der den Briefwechsel Fritz Heichelheims [mit Michael Rostovtzeff] 1933 bis 1942; in: Gerald Kreucher (Hg.): Rostovtzeffs Briefwechsel mit deutschsprachigen Altertumswissenschaftlern, Wiesbaden 2005, S. 105 – 118 und einen Brief Ernst Meyers 1940, ebenda S. 209 – 211, zu der Deutung synthetisiert, Heichelheim habe sich aufgrund seiner Internierung als deutscher Staatsangehöriger in Großbritannien 1940 gezwungen gesehen, „die britische Staatsbürgerschaft anzustreben“ (S. 107), was er noch im selben Jahr erreicht habe (S. 105). Noch keinen Hinweis auf diese Interpretation gab er zuvor in Gerald Kreucher: Neue Briefe über das Verhältnis Michael Rostovtzeffs und der deutschen Wissenschaft; in: Historia 52 (2003), S. 95 – 121. Der Zusammenhang von Heichelheims Internierung und Staatsbürgerschaftswechseln ist damit noch nicht völlig aufgeklärt. Hirschs Einbürgerungsjahr ist angegeben im Artikel Hirsch, Felix Edward; in: Who’s Who 1983, S. 1525. Hallgarten schildert in seinen Erinnerungen eindrücklich, wie Einbürgerung und das Angebot einer Arbeit für den Geheimdienst unmittelbar aufeinander folgten: Hallgarten: Als die Schatten fielen, S. 285 f. – Gilberts Naturalisationsjahr gibt Epstein: Catalog, S. 98, an. Zu ihren Tätigkeiten im Zweiten Weltkrieg vgl. oben ab S. 132. Zu Fritz Epstein: Epstein: Catalog, S. 71– 74; zu von Laue: Artikel Von Laue, Theodore; in: Who’s Who 1997, S. 4409; zu Stern: Stern Erinnerungen, S. 210.
Folgen
Bewegung
Vorbereitung
Bereich
gewerblich-industriell
Gesamtgruppe
Mehrheit
agrarisch
Wirtschaftlicher Sektor
Arbeitsleben
Legende
lebenslang
Aufenthaltsdauer am Ziel
etappenweise
ländlich-städtisch
einfach
Bewegungsmuster
Rückwanderung
Sozioökonomischer ländlichRaum ländlich
Hinwanderung
Richtung
interkontinental international
Distanz
Ausnahmefälle
städtisch-städtisch
dienstleisterisch
mehrjährig
teilnomadisch
zirkulär
interregional
städtisch-ländlich
elitär
saisonal
nomadisch
multipel
interlokal
Verwandte
EingliederungsOrganisationen
keine
Unterstützung(en)
AuswanderungsOrganisationen
überstürzt
Aufbruch erzwungen, Weg frei gewählt
Rechtslage ökonomische auswanderungshemmend Lage
kurzfristig
Entschluss und Weg frei, Anlass staatlich
Rechtslage einwanderungshemmend
mehrmonatig
keine
langfristig
Planung
Entschluss und Weg frei, Anlass nichtstaatlich
Behinderung(en)
frei
Migrationsformen
Motiv
Kategorie
Tabelle 7: Migrationsmuster transatlantischer Gastprofessoren
Sonstiges
speziell
kein Zielort
Bekannte
soziokulturelle Lage
unfrei
3.3 Perspektivenwechsel zur Begriffsbestimmung
209
210
3 Zwischen Exil, Emigration und Remigration
Daran erkennt man, dass die Migrationen meiner Untersuchungsgruppe in einigen Bereichen zwingende Charakteristika haben. Dagegen sind bei den Migrationsbehinderungen zusätzliche soziokulturelle Probleme typisch, darunter durchaus nationale Zugehörigkeitsgefühle¹⁸⁴ oder die Hemmschwelle vor dem Entschluss, das langsam schwindende Sicherheitsgefühl eines bürgerlichen Familienlebens im Dritten Reich einzutauschen gegen die beängstigenden Ungewissheiten des Neuanfangs in der Fremde.¹⁸⁵ Dagegen wirkten ökonomische oder auswanderungsrechtliche Schwierigkeiten eher lästig oder schikanös als behindernd. Um die Hindernisse zu überwinden, nutzten die Migranten alle Hilfen, die sie bekommen konnten, baten Organisationen, Verwandte und selbst flüchtige Bekannte um Unterstützung bei Einreise, Eingewöhnung und vor allem bei der Arbeitssuche – oft vergeblich. Auch Bewegungsmuster und Aufenthaltsdauer waren nicht zwingend etappenweise und lebenslang, es gab hier durchaus alternative Optionen. Dabei sind spätere Migrationen, vor allem die KurzzeitRemigrationen zu Gastprofessuren, um die es im folgenden Kapitel gehen soll, noch gar nicht berücksichtigt. Aus diesen Eigenschaften der Migration der Untersuchungsgruppe ergibt sich, dass ihre holzschnittartige Zuordnung zu den Kategorien Exil und Zwangsemigration sich verbietet, weil dies an entscheidenden Punkten genau die falschen Assoziationen weckt. Diese Gruppe aus dem Bereich der Wissenschaftsmigration umstandslos mit dem Begriff der Emigration zu fassen, trifft jedoch den Sachverhalt ebenfalls nicht ganz. Die Bezeichnung als Emigration lässt sich aber wohl aufrechterhalten, wenn man sich dabei nicht auf die impliziten Konnotationen verlässt, die ebenfalls schiefe Vorstellungen von diesem Migrationsprozess hervorrufen können. Stattdessen ist es erforderlich zu definieren, was der Begriff Emigration in diesem Zusammenhang bedeutet: Die Emigration der Untersuchungsgruppe erweist sich als eine transatlantische, bedrängte, akademische Lebenschancenmigration. Zur Erläuterung dieser Definitionsbestandteile ist zunächst auf die Spezifika des Bewegungsvorganges hinzuweisen: Transatlantisch ist die betrachtete Migration, da es sich vor allem um eine etappenweise interkontinentale Hinwanderung handelte, die sich von früheren und späteren Migrationen der Betroffenen klar unterscheiden lässt. Die große dabei überwundene Entfernung trug auch zur langen Aufenthaltsdauer bei, da innereuropäisch gebliebene Wissenschaftler
So etwa Masur: Das ungewisse Herz, S. 121. So etwa Stern: Erinnerungen, S. 160 f.
3.3 Perspektivenwechsel zur Begriffsbestimmung
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später eher ganz remigrierten.¹⁸⁶ Die Bedrängnis konzeptualisiert die Migration im Spektrum zwischen freien und erzwungenen Wanderungen: Zwar hatten die Betroffenen aufgrund staatlicher und halbstaatlicher Verfolgung allen Grund, den NS-Staat zu verlassen, empfanden dies durchaus auch als Zwang oder ihre Migration als Flucht vor konkreten Bedrohungen ihrer Freiheit und Gesundheit, doch andererseits konnten sie stets zwischen verschiedenen Optionen wählen, sich vor allem für den Weg und den Zeitpunkt der Migration entscheiden. Auch der in jedem Fall mehrmonatige vorbereitende Prozess bis zu Entschluss und Durchführung der Migration verdeutlicht die Unterschiede zu echten Zwangsmigrationen. Die Chance, heute von der Betrachtung derartiger Wissenschaftsmigrationen als Zwangsmigrationen Abstand zu nehmen, eröffnen vor allem zwei wertungsbezogene Entwicklungen: Einerseits wird Auswanderung üblicherweise nicht mehr als illegitim bewertet und als Verstoß gegen eine Treueverpflichtung zur Heimat empfunden, andererseits hat sich eine Konkurrenz zwischen verschiedenen Opfergruppen des Nationalsozialismus nicht nur als historiographisch unfruchtbar erwiesen, sondern ist inzwischen auch weitgehend obsolet. Die transatlantische Erstreckung der Migration spielte ebenso wie ihr akademischer Charakter eine Rolle bei der Überwindung der Einwanderungshemmnisse: Durch die auch vor 1933 durchaus engen transatlantischen Beziehungen hatten mehrere der untersuchten Historiker Verwandte oder Freunde in Amerika, auch Kontakte zu Fachkollegen wurden genutzt,¹⁸⁷ nicht zuletzt konnten insbesondere Wissenschaftler die Einwanderungshürden leichter überspringen.¹⁸⁸ Auch Hilfe von Eingliederungsorganisationen orientierte sich oft an den akademischen Eigenheiten dieser Migration. Die wichtigsten Organisationen (AAC und EC) wollten gerade Wissenschaftler unterstützen und erfuhren auch deshalb
Da Amerika unter Hitlerflüchtlingen als „point of no return“ galt, mussten sich Migranten, die sich zur Überquerung des Atlantik entschlossen hatten, mit der als wahrscheinlich angesehenen Möglichkeit auseinandersetzen, dass sie womöglich nie zurückkehren würden. Das verstärkte die Bereitschaft zur Anpassung an die Anforderungen im Aufnahmeland, wie etwa das Beispiel Rosenstock-Huessys demonstriert, der stets betonte, dass er seine Auswanderung nach Amerika primär als Immigration verstanden hatte: Auszug des Geistes, S. 106. Vgl. zum „point of no return“ Krohn: Emigration 1933 – 1945/1950, sowie Johannes Feichtinger: Wissenschaft zwischen den Kulturen. Österreichische Hochschullehrer in der Emigration 1933 – 1945, Frankfurt am Main 2001, S. 127. Siehe als eindrückliches Beispiel die Auszüge aus dem Briefwechsel Hans Rosenbergs mit Eugene N. Anderson 1931– 1933, ediert in Ritter: Meinecke, S. 318 – 330. Krohn: Emigration 1933 – 1945/1950, vgl. Feichtinger: Wissenschaft zwischen den Kulturen, S. 77 f.
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3 Zwischen Exil, Emigration und Remigration
Förderung vor Ort, weil die Nutzung europäischer Wissenschaftler zur Verbesserung der heimischen Universitäten in den Zielländern erwünscht war.¹⁸⁹ Schließlich spiegeln auch die Ergebnisse der Migrationen ihren Charakter als Elemente – erfolgreicher – akademischer Karrieren wider.¹⁹⁰ Der Begriff der Lebenschancenmigration empfiehlt sich hier, da die Migrationen und die Karrieren der untersuchten Historiker sich gegenseitig weitgehend bedingen: Die Erhaltung einer einmal eingeschlagenen akademischen Laufbahn, die durch die Nationalsozialisten in Deutschland verhindert wurde, war vielfach tragender Grund für die Migrationsentscheidung, zudem eröffneten die Migrationen auch Karrierechancen, an die zuvor nicht zu denken war. Umgekehrt eröffneten die akademischen Karrieren aber auch Migrationschancen, wie man dann speziell an den transatlantischen Gastprofessuren der Nachkriegszeit beobachten kann.
Vgl. die Diskussion dieses Motivs ebenda, S. 77– 84. Im Zielland gescheiterte Wissenschaftlerkarrieren sind allerdings hier aufgrund der Konstruktion der Untersuchungsgruppe erst gar nicht in Betracht gekommen.
4 Transatlantische Gastprofessuren als Westernisierungsphänomen Als die emigrierten Historiker nach dem Zweiten Weltkrieg als Gastprofessoren an deutschsprachige Universitäten zurückkehrten, machten sie völlig andere Migrationserfahrungen, die sich in neue Migrationsmuster fassen ließen. Statt auf der Bedeutung von Gastaufenthalten für die Karrieren der Untersuchungspersonen liegt das Hauptaugenmerk dieses Kapitels jedoch auf der Bedeutung der amerikanisierten Historiker für die deutschsprachige Geschichtswissenschaft – und dabei besonders auf der Bedeutung ihrer universitären Lehre. Die transatlantischen Gastprofessoren waren hervorragende Akteure im Prozess der Westernisierung. Um diese These zu begründen, rekapituliere ich zuerst den Westernisierungsbegriff im Hinblick auf seine Forschungs- und Sachgeschichte. Anschließend betrachte ich in Abschnitt 4.2 die möglichen Formen von Gastprofessuren, die kollektive Ausprägung der hier untersuchten Gastprofessorentätigkeit transatlantischer Emigranten sowie die Anbahnungen und Auswirkungen der einzelnen Gastprofessuren auf die Karrieren der deutsch-amerikanischen Historiker. Sodann unternehme ich einen Perspektivenwechsel und stelle in Abschnitt 4.3 die Kontakte von Studierenden der Nachkriegszeit zu den transatlantischen Gastprofessoren und ihre Erinnerungen daran in den Mittelpunkt. Diese Nachkriegsstudierenden haben den Diskurs über emigrierte Historiker in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft etwa seit den 1970er Jahren geprägt. Eine Reflektion der Bedingungen ihrer Haltungen zu den amerikanisierten Historikern ist daher die Voraussetzung für eine kritische Analyse der Bedeutung der Emigranten für die deutschsprachige Geschichtswissenschaft.
4.1 Westernisierung und ihre Erforschung Westernisierung ist der Schlüsselbegriff eines von Anselm Doering-Manteuffel ausgehenden zeithistorischen Forschungsprogramms. In der Programmschrift „Wie westlich sind die Deutschen?“¹ fasste er 1999 die Ziele und Ergebnisse eines sich von 1992 bis 1996 erstreckenden Forschungsprojektes zusammen und stimulierte damit eine Debatte, in der sich die Verwendung des Begriffs Westernisierung in der Literatur in den 2000er Jahren gegenüber den 1990ern etwa ver-
Doering-Manteuffel: Wie westlich sind die Deutschen. https://doi.org/10.1515/9783110731637-004
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4 Transatlantische Gastprofessuren als Westernisierungsphänomen
zehnfachte.² Nach dem Boom des Begriffs empfahl Doering-Manteuffel 2011 erneut, den Terminus Westernisierung gegenüber dem nach wie vor gebräuchlicheren Begriff „Verwestlichung“ zu bevorzugen, da letzterer pejorativ belegt und im deutschen antiwestlichen Denken seit 1914 fest verankert sei.³ Da sich sein Forschungsprogramm politisch gegen eine Revision der strikten bundesrepublikanischen Westorientierung nach 1990 richtete und dazu die Westlichkeit des westdeutschen Staates betonte,⁴ prägte Doering-Manteuffel Westernisierung als Begriff, der keine tradierten antiwestlichen Ressentiments bedienen und über die Blockzuordnung des Kalten Krieges hinausweisen sollte. Westernisierung bezeichnet demnach allgemein den wechselseitigen Transferprozess politischer, sozioökonomischer und kultureller Ordnungsideen zwischen Westeuropa und Nordamerika nach 1945, in dessen Verlauf die heute als „der Westen“ bezeichnete supranationale Entität entstand. Das zugrundeliegende Westernisierungs-Programm, also die konkrete Absicht zur gesellschaftlichen Verankerung der betreffenden Ordnungsideen in Westeuropa, wurde im Zweiten Weltkrieg in den USA entwickelt und zielte auf Europas Hinwendung zu anglo-atlantischen Mustern, was „zur Überwindung faschistisch-nationalsozialistischer Orientierung und zur Immunisierung gegen kommunistische Einflüsse“ dienen sollte.⁵ Dieses Westernisierungs-Programm trat laut Doering-Manteuffel vor allem als „Prozess gezielter Meinungsbildung bei den intellektuellen Eliten“ in Erscheinung, und zwar als auf Westdeutschland konzentrierte Werbung „für die politisch und wirtschaftlich liberale Ordnung des euroatlantischen Westens“.⁶ Aus der Falle einer extremen Polarisierung zwischen Faschismus und Kommunismus sollte die Bundesrepublik durch eine gesellschaftliche Hinwendung zum Libe-
Google Ngram Viewer: German 2012 (googlebooks-ger-all-20120701); Datenbankabfrage Westernisierung, Verwestlichung, 1900 – 2008, URL: https://books.google.com/ngrams/graph?con tent=Westernisierung,Verwestlichung&year_start=1900&year_end=2008&corpus=20&smoo thing=0 (zuletzt abgerufen am 25. Februar 2021, Archiv-URL: https://archive.vn/XE6uY). Zur Analysemethode Culturomics siehe oben, Anmerkung 113 auf S. 192 f. Anselm Doering-Manteuffel: Amerikanisierung und Westernisierung; in: Docupedia-Zeitgeschichte, 18. Januar 2011 (Version 1.0), URL: http://docupedia.de/zg/Amerikanisierung_und_Wes ternisierung (zuletzt abgerufen am 21. Dezember 2018). „Verwestlichung“ erlebte in den 2000er Jahren einen deutlichen Häufigkeitsrückgang, wurde aber 2005 – 2008 noch rund dreimal so oft benutzt wie Westernisierung. Siehe für den Vergleich der Begriffe die in der vorigen Anmerkung genannte Abfrage des Google Ngram Viewer. Doering-Manteuffel: Wie westlich sind die Deutschen, S. 5 f. Doering-Manteuffel: Amerikanisierung und Westernisierung (2011); identisch Doering-Manteuffel: Amerikanisierung und Westernisierung (2019). Ebenda.
4.1 Westernisierung und ihre Erforschung
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ralismus entkommen. Die Westernisierungsforschung konzentrierte sich auf diese Aspekte, da Anfang der 1990er Jahre der Zusammenbruch des Ostblocks die Frage virulent machte, wie Entstehung und Stabilisierung liberaler Gesellschaften möglich seien. Die Entwicklung Westdeutschlands in den Jahrzehnten nach 1945 erschien dabei paradigmatisch: „Auf welchem Wurzelboden wuchs die Bereitschaft zu Selbstbestimmung und politisch-gesellschaftlicher Emanzipation, und welche Schlüsse kann man daraus für die Gegenwart ziehen?“⁷ Das für die Historiographiegeschichte bedeutendste Element des Westernisierungs-Programms war seine Stoßrichtung gegen das „nationalkonservative Weltbild im deutschen Staats- und Geschichtsdenken“, das auch nach 1945 noch die „Wertorientierung der Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg als gültig und zukunftsfähig betrachtete.“⁸ Daher repräsentieren die hier untersuchten emigrierten Historiker die Westernisierung nicht ganz zufällig in besonderer Weise. Sie engagierten sich nicht nur in der Nachkriegszeit durch ihre Teilnahme am transatlantischen Austausch, sondern hatten vielfach bereits während des Zweiten Weltkrieges wesentlich zur Konzeption der US-Kulturdiplomatie beigetragen. Denn der amerikanische Plan zur westernisierenden Meinungsbildung speiste sich nach Doering-Manteuffel aus drei Quellen: Die erste Quelle war die Kooperation von deutschen (und anderen) Emigranten mit amerikanischen Akademikern im erwähnten US-Geheimdienst OSS. Die OSS-Pläne für die Europa- und Deutschlandpolitik nach dem Sieg der Alliierten gingen von einem bestehenden Widerspruch zwischen moderner Industrialisierung und vormoderner Kultur und Gesellschaftsordnung aus, der aufgehoben werden müsse.⁹ Die zweite Quelle war das Umfeld von US-Präsident Franklin D. Roosevelt. Dort plante man auf Grundlage der positiven amerikanischen Erfahrungen bei der Überwindung der Weltwirtschaftskrise, auch in Europa eine an den New Deal angelehnte sozialliberale Politik zu forcieren.¹⁰ Die Stabilisierung Europas sollte durch eine umfassende Orientierung am amerikanischen Vorbild in den Bereichen „politische Verfassung, wirtschaftliche Interessen, gesellschaftliches Selbstverständnis und Massenkultur“¹¹ erreicht werden und folgte dem Modell des consensus liberalism oder consensus capitalism: Der liberale Konsens sollte gesellschaftliche Gegensätze überwinden und die Integration unterschiedlicher
Anselm Doering-Manteuffel: Deutsche Zeitgeschichte nach 1945. Entwicklung und Problemlagen der historischen Forschung zur Nachkriegszeit; in: VfZ 41 (1993), S. 1– 29, hier S. 29. Doering-Manteuffel: Amerikanisierung und Westernisierung (2019). Ebenda. Doering-Manteuffel: Wie westlich sind die Deutschen, S. 44. Ebenda, S. 45.
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4 Transatlantische Gastprofessuren als Westernisierungsphänomen
Milieus bewirken, um die liberale Ordnung in Gesellschaft und Wirtschaft zu sichern.¹² Die dritte Quelle des Westernisierungs-Programms waren die New York Intellectuals, eine Gruppe von Linkssozialisten oder Kommunisten, die im Zweiten Weltkrieg zu expliziten Antikommunisten wurden. Ihre Wendung ist gewissermaßen der erste Erfolg der auf die Überwindung gesellschaftlicher Gegensätze zielenden New-Deal-Politik: Der sozialreformerische consensus capitalism bot den linken Intellektuellen zwischen den Alternativen Faschismus und Stalinismus einen dritten Weg an, dessen sozialintegrative Kraft sie unter Roosevelt selbst miterleben konnten.¹³ An der ersten Quelle, dem OSS, waren auch rund 40 Historiker beteiligt, sieben von ihnen wurden später Präsidenten der AHA.¹⁴ Wie erwähnt gehörten dazu auch einige der späteren Gastprofessoren, die also selbst an den das Westernisierungs-Programm vorbereitenden OSS-Analysen mitgewirkt hatten. Mit der zweiten Quelle des Westernisierungs-Programms verbunden waren die emigrierten Historiker insbesondere dann, wenn sie für andere Organisationen der USRegierung tätig wurden und bei der Umsetzung von deren Politik halfen. Insbesondere das State Department engagierte einige von ihnen – mit oder ohne vorherige OSS-Erfahrung – als Berater und förderte sogar selbst manche ihrer Gastprofessuren im Nachkriegsdeutschland.¹⁵ Eine Sonderstellung nimmt hier Eugen Rosenstock-Huessy ein, der bereits vor Beginn des Zweiten Weltkriegs im Umfeld von Präsident Roosevelt mit Sozialformen experimentiert hatte, die im Sinne des New Deal zu einer gegen Faschismus und Kommunismus immunisierten Konsensgesellschaft beitragen sollten.¹⁶ Zur dritten Quelle lassen sich die emigrierten Historiker nicht direkt zählen, doch ihre Erfahrungen in den USA ähnelten offenbar denen der New York Intellectuals: Die soziale Integration des New Deal gewann diese Intellektuellen durch eigene Anschauung für das amerikanische Modell. Politisch so gegensätzliche Historiker wie Gerhard Masur und
Doering-Manteuffel: Amerikanisierung und Westernisierung (2019). Ebenda; vgl. auch Anselm Doering-Manteuffel: Wie westlich sind die Deutschen?; in: Historisch-Politische Mitteilungen 3 (1996), S. 1– 38, hier S. 17 f. Katz: German Historians in the OSS, S. 136 f. Vgl. beispielsweise Rosenbergs Bericht: 11. November 1950: Hans Rosenberg an das Department of State, Division of Exchange of Persons (Washington, D.C.); in: Ritter: Meinecke, S. 377– 386, sowie Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 122 f. über einen ähnlichen Bericht Hajo Holborns. Zu Rosenstock-Huessys Projekt „Camp William James“ siehe oben, Anmerkung 323 auf S. 144, sowie die dort genannte Literatur. Für den Charakter der Westernisierung wichtig ist der Aspekt, dass Rosenstock-Huessys Konzept von Freiwilligencamps zur gesellschaftlichen Integration selbst ein Import aus Europa war.
4.2 Kurzzeit-Remigration als Gastprofessor
217
George W. F. Hallgarten – der eine bei seiner Emigration ein völkischer Nationalist mit Sympathien für den Nationalsozialismus,¹⁷ der andere ein Pazifist und Marxist im weiteren Umfeld der Frankfurter Schule¹⁸ – erklärten sich in ihren Memoiren überzeugt von den gesellschaftlichen Vorzügen der USA gegenüber Faschismus und Sowjetkommunismus. Für auch früher schon gemäßigt-liberale Historiker war dieser Schritt zur persönlichen Westernisierung noch deutlich einfacher. Die Westernisierung erschien manchen von ihnen sogar als so wichtiges Thema, dass sie selbst zu ihrer Erforschung beitrugen.¹⁹ Westernisierung war also ein umfassender Prozess, der von einem der cultural diplomacy zuzuordnenden politischen Programm angestoßen wurde. Das Westernisierungs-Programm zur Überwindung des Nationalsozialismus war vielen dort engagierten Emigranten auch ein persönliches Anliegen. Unter den Bedingungen des Kalten Krieges wuchs der amerikanischen Kulturdiplomatie – gerade in der Bundesrepublik und in Österreich als den Grenzgebieten der Blockkonfrontation – aber auch die Funktion zu, die kulturelle Hegemonie der westlichen Supermacht sicherzustellen.²⁰ Internationaler Wissenschaftsaustausch war eine tragende Säule dieses kulturdiplomatischen Konzepts und damit der Westernisierung, zu der die emigrierten Historiker durch ihr Engagement als transatlantische Gastprofessoren auch einen praktischen Beitrag leisteten.
4.2 Kurzzeit-Remigration als Gastprofessor: Individuelle und kollektive Erfahrungen Geprägt wurde der Wissenschaftsaustausch besonders durch das Fulbright-Programm, institutionalisiert 1946 im Fulbright Act und erweitert 1961 im FulbrightHays Act. ²¹ Zwar waren nicht alle Gastprofessuren Teil des Fulbright-Programms, doch seine Bedeutung als Muster für den Austausch von Studierenden, Forschern,
Masur war beeinflusst von der „Konservativen Revolution“ und dem George-Kreis, vgl. Masur: Das ungewisse Herz; Berg: Autobiographien, S. 186. Horkheimers Institut (IfS/ISR) unterstützte Hallgarten dabei, in den USA Fuß zu fassen, vgl. Hallgarten: Als die Schatten fielen, hier vor allem S. 266. In der US-amerikanischen Diskussion hatte sich der Begriff „westernization“ nach dem Zweiten Weltkrieg rasch etabliert. Theodore H. von Laue war derjenige der Gastprofessoren, der maßgebliche Beiträge zur Erforschung dieser „westernization“ leistete. Er verwendete den Begriff allerdings weniger spezifisch als in der deutschen Westernisierungs-Debatte seit den 1990er Jahren üblich: Westernization sah er als globale Verbreitung westlich-amerikanischer Ideen im 20. Jahrhundert: Laue: World Revolution of Westernization. Krauss: Transatlantische Gastprofessoren, S. 247. König: Fulbright in Österreich, S. 14 f., vgl. Woods: Fulbright Internationalism, S. 28.
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4 Transatlantische Gastprofessuren als Westernisierungsphänomen
Dozenten und Lehrern geht so weit, dass die Begriffe Fulbrightprofessur und Gastprofessur zuweilen synonym verwendet werden. Daher erläutert die von Thomas König untersuchte Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich als räumlich und zeitlich systematischer Ausschnitt amerikanischer Gastprofessuren an deutschsprachigen Universitäten den generellen Hintergrund, den ich zunächst skizziere, um anschließend die Gastprofessuren emigrierter Historiker im Einzelnen einordnen zu können. Anders als in Königs auf die österreichischen Fulbright-Akten der Jahre 1950 – 1964 konzentrierter Studie erlaubt mir der Fokus auf 16 Historiker, die biographischen Zusammenhänge der Gastaufenthalte näher zu beleuchten. Dabei zeigt sich, dass die wiederholte, teilweise regelmäßige Übernahme von Gastprofessuren gerade die engagiertesten Mitwirkenden an der cultural diplomacy kennzeichnet. Für diese Fälle spielt der Fulbright-Austausch aber oftmals nur eine initiale Rolle: Die unabhängige Finanzierung durch eine amerikanische Institution erlaubte sowohl das Knüpfen neuer als auch das Anknüpfen an alte Verbindungen. Wiederkehrende Gastprofessuren, insbesondere Verstetigungen solchen Engagements, erhielten dann durch jene Verbindungen eine andere Grundlage als das Fulbright-Programm. Daher stellt Fulbright für den Wissenschaftleraustausch ein gutes Muster in der Breite dar, offenbart aber Schwächen in der Darstellung der Tiefe, die das transatlantische Engagement gerade für jene Menschen annehmen konnte, die zwischen zwei Welten lebten. Für Emigranten hatte eine Gastprofessur als Remigration auf Zeit eine ganz andere Bedeutung als für in den USA geborene Wissenschaftler. Manche Emigranten lehnten Angebote für Gastprofessuren ab.²² Für andere stellten Gastprofessuren willkommene Gelegenheiten dar, eine vollständige Remigration in Erwägung zu ziehen und gegebenenfalls vorzubereiten. Auch mit solchen Überlegungen befassen sich die folgenden Abschnitte,²³ besonders der Exkurs in Abschnitt 4.2.4.
Vgl. Peter Gay: Meine deutsche Frage. Jugend in Berlin 1933 – 1939, München 1999, S. 16 – 18, für eine Schilderung der entsprechenden Gefühlswelt. Gleichwohl ist das Fehlen von Gastprofessuren nicht gleichbedeutend mit einem Kappen der Verbindung zum Herkunftsland, wie Gay ebenda, S. 19, klar macht: „Seit jenem ersten Vorstoß nach Deutschland im Hochsommer des Jahres 1961 bin ich dort viele Male und zu ausgedehnten Besuchen gewesen. Ich habe gute Freundschaften in dem Land geschlossen, ausführliche Forschungen in Bibliotheken und Archiven betrieben, an Kongressen teilgenommen, vor Historikern und Psychoanalytikern Vorträge gehalten und auf der Frankfurter Buchmesse vor Verlegern gesprochen.“ Lehmann: Rückkehr nach Deutschland?, schlägt ein komlexes Modell zur Analyse von Remigration, eine „Remigrationsformel“ (S. 70), vor, deren Verwendung hier umfangreiche Arbeiten erfordert hätte und wegen der Quellenlage nicht systematisch möglich gewesen wäre. Die grundsätzlichen Einflussfaktoren „Persönlichkeit und Umfeld“, „Alliierte als Siegermächte und Besatzungsmacht 1945 – 1949“ und „Deutsche als Rezipienten und Deutschland als Aufnahme-
4.2 Kurzzeit-Remigration als Gastprofessor
219
4.2.1 Formen transatlantischer Gastprofessuren Die direkte Schnittmenge zwischen den „155 US-Visiting Lecturers und Research Scholar Grantees an österreichischen Universitäten und Forschungseinrichtungen“, die Königs Untersuchungsschwerpunkt bilden,²⁴ und den hier untersuchten 16 Gastprofessoren, beschränkt sich zwar auf einen einzigen Fall, nämlich Hajo Holborns Aufenthalt in Wien 1955.²⁵ Eine grobe Hochrechnung ergibt allerdings, dass über die Fächergrenzen hinweg tausende Austauschwissenschaftler (und anders als in der vorliegenden Untersuchungsgruppe auch Wissenschaftlerinnen) in den Nachkriegsjahrzehnten in die deutschsprachigen Länder gekommen sind: Dieser Kontext der Gastprofessuren von Emigranten ist nicht zu vernachlässigen. Mindestens 370 der Gastprofessoren sind der deutschsprachigen Emigration zuzurechnen,²⁶ was in etwa dem Anteil von über 20 Prozent entspricht, den König bei den Gastwissenschaftlern in Österreich feststellt.²⁷ Königs Studie über das Fulbright-Programm in Wien erlaubt die Erörterung der Schwierigkeiten, die genaue quantitative Angaben über den Wissenschaftsaustausch in den Nachkriegsjahrzehnten verhindern und Kategorisierungen erschweren: Bereits die Jahresberichte der Universität Wien stimmen nicht annähernd mit ihren Vorlesungsverzeichnissen überein, und vergleicht man diese mit den Fulbright-Akten, muss man feststellen, „dass wenigstens die Hälfte der USVisiting Lecturers, die nachweislich an der Universität Wien platziert waren, weder im Universitätsbericht noch im Vorlesungsverzeichnis Eingang gefunden hat.“²⁸ Umgekehrt fehlen natürlich auch zahlreiche wissenschaftliche Gäste, die nicht von der Fulbright-Kommission gefördert wurden, in deren Akten. Zudem gibt es bereits auf der Ebene der Fakultätsakten keine einheitliche Benennung der verschiedenen Arten von Gastaufenthalten,²⁹ so dass die Wiener Universitätsbe-
land“ (S. 68) sind aber auch für Kurzzeit-Remigranten wirksam; vgl. Krohn: Deutsche Wissenschaftsemigration, S. 445; Möller: Remigration, S. 608. Siehe die Tabelle König: Fulbright in Österreich, S. 122 – 127. Ebenda, S. 123, ordnet Holborns Wien-Aufenthalt dem Programmjahr 1954/55 zu. Dabei ist davon auszugehen, dass die Antragsstellung 1954 und der eigentliche Aufenthalt entsprechend der Angabe im Biographischen Handbuch 1955 erfolgte. Krauss: Transatlantische Gastprofessoren, S. 248, unter Berufung auf das Biographische Handbuch. Vgl. die Tabelle König: Fulbright in Österreich, S. 122 – 127. Erhoben wurden dort allerdings nicht Emigrationszeitpunkt und Herkunftsland, sondern lediglich eine Einbürgerung in den USA. Weit überwiegend handelt es sich bei den Naturalisierten jedoch um deutschsprachige Emigranten der 1930er Jahre. König: Fulbright in Österreich, S. 58. Ebenda, S. 58 und Endnote 14 auf S. 148.
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4 Transatlantische Gastprofessuren als Westernisierungsphänomen
richte keine zuverlässigen Angaben enthalten können. Vergleichbarkeit von Zahlen zwischen Universitäten oder sogar Ländern lässt sich auf dieser Grundlage nicht annehmen. Die folgenden quantitativen Daten sind demnach als Größenordnungen zu verstehen. König trifft eine begriffliche Unterscheidung, die in den Quellen so nicht durchgehalten wird, in die sich ein einzelner Gastaufenthalt aber, sofern seine Dauer näher bekannt ist, ex post einordnen lässt: „So können wir erstens ständige Gastprofessuren feststellen; zweitens Gastprofessuren, deren Engagement ein Semester bis zu ein Studienjahr lang dauerte; drittens Gastvorlesungen, die eine zeitliche Dauer von etwa zwei bis sechs Wochen umfassten; und schließlich Gastvorträge, deren Umfang in den meisten Fällen die Dauer von zwei bis drei Stunden kaum überschritten haben dürfte.“³⁰
Diese Kategorien sind zunächst zeitlich bestimmt, König füllt sie jedoch auch inhaltlich:³¹ Eine ständige Gastprofessur sei eine langfristige, mindestens mehrjährige Vereinbarung, „ein regelmäßig zu erneuerndes Dienstverhältnis mit der Universität“ einzugehen. Die eigentliche Gastprofessur könne ein oder zwei Semester lang sein, wobei in der Regel die vorlesungsfreien Zeiten zu Beginn und zum Ende nicht mitgerechnet würden, so dass sich eine Spanne von vier bis neun Monaten ergebe, und bestehe aus dem „Angebot einer oder mehrerer regulärer Lehrveranstaltungen“ pro Semester. Unter einer Gastvorlesung stellt sich König eine zwei bis sechs Wochen umfassende Vorlesungsreihe vor, die aufgrund ihrer Irregularität üblicherweise nicht im Vorlesungsverzeichnis zu finden sei und auch auf einer informellen Einladung basieren konnte statt auf einer Anerkennung des zuständigen Professorenkollegiums.³² Ein einfacher Gastvortrag schließlich habe selten eine mehr als eintägige Anwesenheit zur Folge gehabt.³³ Bei einer Auszählung der 14 Studienjahre von 1949/50 bis 1962/63 entnahm König den Wiener Universitätsberichten – eingedenk der erwähnten Unvollständigkeit – 503 Gastaufenthalte. Davon waren 9 ständige Gastprofessuren, 49
Ebenda, S. 58 f. Hervorhebung der Kategorienbezeichnungen von mir. Ebenda, S. 59, für den gesamten Absatz, alle Zitate von dort. Als Beispiel nennt König ebenda, Endnote 17 auf S. 149, einen soziologischen Kurs über quantitative Methoden, den Paul M. Neurath vom 10. bis 30. Januar 1962 in Wien anbot. Der entsprechende Universitätsbericht habe dies als Gastvortrag verzeichnet, tatsächlich sprenge die Veranstaltung aber diese Kategorie. Ebenda, S. 60, ergänzt König die Möglichkeit, Gastvorträge im Zusammenhang mit Gelegenheiten zu organisieren, bei denen sich die Gäste aus anderen Gründen in der Nähe befanden: So konnte man etwa, gerade bei ausländischen, weit angereisten Gästen im Zusammenhang mit einer Tagung noch einen Vortrag an der Fakultät organisieren.
4.2 Kurzzeit-Remigration als Gastprofessor
221
Gastprofessuren, 20 Gastvorlesungen und 425 Gastvorträge.³⁴ In Auseinandersetzung mit Marita Krauss’ These, dass transatlantische Gastprofessoren aus Emigrantenkreisen als „transnationale Wissenschaftler“ zu „Intermediatoren der Vermittlung westlicher oder amerikanischer, in jedem Falle internationaler Inhalte und Lehrstile“ wurden,³⁵ versucht König, die mögliche „Wirkungsintensität“³⁶ wissenschaftlicher Gäste im Hinblick auf den Wissenstransfer zu ermessen. Er vertritt dabei die Auffassung, dass ständige Gastprofessuren „nicht dem Bereich des wissenschaftlichen Austauschs zuzurechnen“ seien, da sie „kaum noch als Repräsentanten eines anderen Wissenschaftskontextes gelten“ konnten.³⁷ Auch sei die Transferwirkung von Gastvorträgen aufgrund ihrer kurzen Dauer als „entsprechend gering“ einzustufen.³⁸ Daher kämen nur Gastprofessuren und Gastvorlesungen als Instanzen mit hoher transnationaler Vermittlungswirkung in Frage.³⁹ Königs Einschätzung von permanenten Gastprofessuren und von Gastvorträgen ist jedoch zu widersprechen, wie dieses Kapitel zeigen soll. Denn einerseits bedeuten permanente Gastprofessuren durchaus nicht das Verschwinden des „anderen Wissenschaftskontextes“, sondern sind vielmehr als Ausdruck der engen Verbindung zweier Wissenschaftskontexte zu interpretieren: In der idealtypischen Form lehrt ein permanenter Gastprofessor abwechselnd je ein Semester im einen und im anderen Land, gehört beiden wissenschaftlichen Gemeinschaften gleichermaßen an und wird gerade dadurch zu jenem „transnationalen Gelehrten“,⁴⁰ dessen Vermittlungsleistung Krauss unterstreicht. Königs Zweifel an dieser besonderen Kapazität von Emigranten⁴¹ rühren wohl aus seiner Konzentration auf quantitative Aspekte des Wissenschaftsaustauschs, insbesondere die Dauer der Anwesenheit vor Ort, wobei er zugleich – ohne nähere Begründung – die Transferleistung der regelmäßig Anwesenden unterschätzt.⁴²
Ebenda, S. 59 f. Krauss: Transatlantische Gastprofessoren, S. 246 f., vgl. König: Fulbright in Österreich, S. 57– 60. König: Fulbright in Österreich, S. 58. Ebenda, S. 59. Ebenda. Ebenda, S. 59 f. Krauss: Transatlantische Gastprofessoren, S. 252. Krauss nennt dort unter anderem Fritz Stern, dessen permanenter Gastprofessur an der Universität Konstanz genau diese Konzeption der Verbindung zweier nationaler Wissenschaftlergemeinschaften zugrundeliegt. Siehe dazu Sterns unten, Anmerkung 157 auf S. 247, zitierte Ausführungen. Vgl. König: Fulbright in Österreich, S. 58, mit Krauss: Transatlantische Gastprofessoren. Vgl. für ein Beispiel, was die Konstruktion einer permanenten Gastprofessur praktisch bedeuten konnte, die Erfahrungen von Fritz Stern unten, Anmerkung 157 auf S. 247.
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4 Transatlantische Gastprofessuren als Westernisierungsphänomen
Andererseits stellt ein einzelner Gastvortrag zwar nur einen kurzen Kontakt und entsprechende Transfermöglichkeit dar, doch wie erwähnt wurden Gastvorträge häufig im Kontext weiterer Austauschgelegenheiten organisiert. Von Rundreisen mit zahlreichen Vorträgen an verschiedenen Universitäten kann man zwar nicht die Vermittlungsintensität an einem einzelnen Ort erwarten, die eine mehrwöchige Gastvorlesung erreichen mag. Doch die Streuung der Transferangebote auf mehrere Hochschulen spricht nicht unbedingt für insgesamt schwächere Rezeptionschancen. Hinzu kommt, dass die Anzahl der Gastvorträge an einem Ort – wie an der Universität Wien zu sehen – deutlich höher ist als die Zahl anderer Formen von Gastaufenthalten. Oder rein quantitativ gesprochen: Wenn zwölf Vortragsreisende jeweils an zwölf Universitäten je einen Vortrag halten, ist der Unterschied zu je einer zwölfteiligen Gastvorlesung an zwölf Universitäten nicht allzu groß. In die folgende Analyse der transatlantischen Lehr- und Vortragstätigkeit der Untersuchungspersonen habe ich daher sowohl ständige Gastprofessuren als auch mehrteilige Vortragsreisen einbezogen. Auch verwende ich die Begriffe Gastprofessur und Gastprofessor ebenso wie Gastdozent in dieser Arbeit vielfach als Oberbegriff über die beschriebenen Formen von Lehrauftenthalten, solange begriffliche Schärfe in dieser Hinsicht verzichtbar ist. Dafür spricht neben der Ungenauigkeit der verfügbaren Angaben, die sich nicht nur in begrifflich unklaren Universitätsakten,Vorlesungsverzeichnissen und Universitätsberichten niedergeschlagen hat, sondern auch im Biographischen Handbuch und anderen Nachschlagewerken, die Perspektive, aus der ich die zeitlich begrenzten transatlantischen Lehrtätigkeiten betrachte: Lebensgeschichtlich handelt es sich bei jeder der von König unterschiedenen Kategorien um eine Remigration auf Zeit, also eine Auseinandersetzung von Emigranten mit ihrem Herkunftsland, die die persönliche Verbindung zu beiden Ländern – Herkunftsland und Emigrationsland – affirmiert und dadurch Ausdruck der transnationalen Identität der emigrierten Gastprofessoren ist. Um in diesem weiten Sinne ein emigrierter transatlantischer Gastprofessor zu sein, ist es nicht erforderlich, eine Gastprofessur im engeren Sinne auszufüllen. Wissenschaftsgeschichtlich, und damit unter dem zweiten Gesichtspunkt, ist diese Begrenzung ebenfalls unnötig, da die Charakteristika einer Gastprofessur als zentraler transatlantischer Interaktion, körperlichem Ausdruck der Internationalisierung der Wissenschaften und Anzeichen für die wichtige Rolle, die dabei den Migranten zukommt, ebenso auf universitäre Vortragsreisen und ständige Gastprofessuren zutreffen. Aus beiden Blickwinkeln ist es unerheblich, ob ein Gastaufenthalt ein Semester oder nur einige Wochen dauerte, ob der Gast mehrfach mit verschiedenen Affiliationen wiederkehrt oder seine Wiederkehr durch eine permanente Gastprofessur institutionalisiert ist. Entscheidend ist vielmehr die akademische Interaktion der Gastprofessoren mit größeren Gruppen Einheimischer,
4.2 Kurzzeit-Remigration als Gastprofessor
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die durch die verschiedenen Formen von Hochschullehre zustande kommt, nicht aber durch reine Forschungsaufenthalte. Das grundlegende Dilemma, vor das sich die Fulbright-Kommission bei der Rekrutierung von Emigranten als Gastprofessoren gestellt sah, verbindet ebenfalls persönliche mit wissenschaftspolitischen Aspekten: Zwar galten gute Deutschkenntnisse – die vor allem Emigranten vorweisen konnten – für die Wirkung auf Studierende als unerlässlich, doch lieber wollte man gebürtige US-Bürger nach Europa schicken, da das Vertrauen in die Fähigkeiten von Immigranten zur Vermittlung amerikanischer Werte gering war.⁴³ Die sich daraus ergebenden Konflikte führten in Österreich zu der Tendenz, dass der Fulbright-Kommission viele Emigranten als geeignete Kandidaten vorgeschlagen wurden, sie sich aber bemühte, deren Anteil am Dozenten-Austausch auf durchschnittlich rund 20 Prozent zu begrenzen.⁴⁴ Über den Sonderstatus, den Emigranten im Wissenschaftsaustausch haben mussten, war man sich also auch an den Entscheidungsstellen im Klaren – wenn auch auf Grundlage von Annahmen, die aus heutiger Sicht unrealistisch erscheinen.
4.2.2 Räumliche und zeitliche Schwerpunkte Angesichts der notorischen Unzuverlässigkeit, die König für Daten über universitäre Gastaufenthalte festgestellt hat, haben die im Biographischen Handbuch bezüglich der Gastprofessuren erhobenen Daten, die ja ein zentrales Bestimmungsmerkmal der Untersuchungsgruppe sind, den klaren Vorteil, dass sie nicht aus der institutionellen Perspektive der Universitäten und Fördereinrichtungen erhoben wurden, sondern aus individueller Perspektive. Zwar muss man auch bei selbstausgefüllten Fragebögen mit falschen oder fehlenden Angaben über Gastaufenthalte rechnen,⁴⁵ zumal in den 1970er Jahren die ersten Gastprofessuren schon über 20 Jahre zurücklagen. Auch ist nicht auszuschließen, dass einzelne Personen, auf die die Auswahlkriterien zutreffen, bei der Zusammenstellung des Biographischen Handbuchs völlig übersehen wurden. Doch Fehlquoten von über 50 Prozent sind vom Datengerüst des Biographischen Handbuchs keinesfalls zu erwarten, und die beim Quervergleich mit anderen Quellen gemachten Erfah-
König: Fulbright in Österreich, S. 77. Ebenda, S. 81. Insbesondere bei bereits verstorbenen Emigranten lagen zur Erarbeitung des Biographischen Handbuchs natürlich keine selbstausgefüllten Fragebögen vor. Von Verwandten ausgefüllte Fragebögen wurden zuweilen ersatzweise herangezogen. In einigen Fällen beschränkte sich die Datenerhebung allerdings auf bereits veröffentlichte biographische Nachschlagewerke.
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rungen sprechen für erfreulich hohe Zuverlässigkeit.⁴⁶ Dennoch ist aufgrund der vielen zusammenhanglosen Einzeldaten eine recht hohe Anfälligkeit für fehlerhafte oder fehlende Detailinformationen anzunehmen. Beispiele für fehlerhafte Angaben sind etwa bei Guido Kisch,⁴⁷ Hajo Holborn⁴⁸ und Fritz Heichelheim⁴⁹ zu finden, auch für Masur fehlen Angaben über seine ersten Besuche in Berlin 1955 und 1956.⁵⁰ Obwohl manche der später im Einzelnen zu diskutierenden Angaben uneindeutig erscheinen oder es sich bei einigen Phänomenen um Einzelfälle handeln könnte, lässt sich aus den maßgeblich dem Biographischen Handbuch ent-
Das Biographische Handbuch hat den Aspekt der Kontakte ins Herkunftsland nach 1945 besonders berücksichtigt. Das geht etwa aus zwei der einleitenden Aufsätze im zweiten Band hervor: Röder: The political Exiles, hier besonders S. XXXVIII ff.; Möller: From Weimar to Bonn. Die Fragebögen zur Datenerhebung für das Biographische Handbuch, IfZ MA 1500, enthalten ein eigenes Feld „professional or other connections to country of origin following World War II“. Demgegenüber konnte König: Fulbright in Österreich, S. 58, beim Vergleich von Universitätsberichten und Vorlesungsverzeichnissen mit Akten der Fulbright Commission feststellen, dass mindestens die Hälfte der von Fulbright geförderten Dozenten in den Universitätsunterlagen fehlt. Das Biographische Handbuch gibt an: „Vis. prof. […] summers 1952– 59 Univ. Basel (1954 Ehrendoz.);“ Kisch berichtet jedoch in seinen Erinnerungen explizit, dass er 1952 nur zu einem Forschungsaufenthalt in Basel weilte und dort am 24. Juni 1952 einen Vortrag hielt (Kisch: Erinnerungen, S. 170), von Basel aus auch eine zehntägige Vortragsreise durch Holland unternahm (ebenda, S. 173 f.), und nur 1953 – 1959 einen Lehrauftrag in Basel ausfüllte: „Unter Führung von August Simonius beantragte sie [die Basler Juristenfakultät] seit 1953 alljährlich einen Lehrauftrag für mich bei der Basler Regierung. Er wurde von Jahr zu Jahr für das Sommersemester erneuert und 1956 auf den Zeitraum von vier Jahren ausgedehnt. Nachher erlosch er, weil ich inzwischen die Altersgrenze erreicht hatte.“ Ebenda, S. 172. Zudem berichtet Kisch überzeugend, dass er in Basel nicht 1954, sondern mit Erreichen der Altersgrenze 1959 zum Ehrendozenten ernannt wurde: „An meinem siebzigsten Geburtstag wurde ich durch ein Telegramm des Dekans Professor Johannes Georg Fuchs überrascht, der mir die Glückwünsche meiner Kollegen übermittelte und eine Ehrung ankündigte, welche die Fakultät zwar schon beschlossen habe, die Regierung jedoch noch bestätigen müsse. Es war die Wahl zum Ehrendozenten.“ Ebenda, S. 178. Das Biographische Handbuch nennt lediglich Holborns Fulbright-Aufenthalt in Wien 1955. Dass er 1966 mit Fulbright in Köln und Bonn lehrte, zeigt erst UAL MC 703: CIES Records, Fulbright Scholar Grantee Directories, 1966 – 1967, S. 21, URL: https://libraries.uark.edu/specialcollections/ fulbrightdirectories/1966%20-%201967.pdf (zuletzt abgerufen am 15. Januar 2019, Archiv-URL: http://www.webcitation.org/75RtA4BR0). Das Biographische Handbuch unterschlägt Heichelheims Gastprofessur 1963 in Berlin, die von Gundel: Heichelheim, S. 222, aufgeführt wird, nennt stattdessen für 1963 eine Gastprofessur in Kansas City. Vgl. Masur: Das ungewisse Herz, S. 296 und S. 299, wo er besonders die positiven Eindrücke des zweiten Besuchs 1956 hervorhebt, die wohl zu seinen weiteren Besuchen an der Freien Universität Berlin in den 1960ern beigetragen haben.
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nommenen Daten ein Gesamtbild des Untersuchungsfeldes zusammensetzen, das von möglichem Korrekturbedarf in Bezug auf einzelne Gastprofessuren nicht wesentlich verzerrt werden kann: Die Verteilung der jeweils ersten Gastaufenthalte der 16 Untersuchungspersonen zwischen den Jahren 1948 und 1962 ist relativ gleichmäßig. Die erste Hälfte von ihnen hat Deutschland bis 1953 erstmals als Gastprofessor beehrt. Jeweils drei Emigranten lehrten in den Schwerpunktjahren 1950 und 1955 erstmals wieder an deutschsprachigen Universitäten. In den Jahren 1951 und 1952 dagegen lehrte aus unserer Untersuchungsgruppe niemand in Deutschland, Österreich oder der deutschsprachigen Schweiz. Die größte Aktivität an den Universitäten ihrer alten Heimat entfalteten die untersuchten Wissenschaftler zunächst 1949 – 1950 mit der Anwesenheit von zuerst drei und dann sogar vier Gastprofessoren gleichzeitig. Nach der erwähnten Unterbrechung erreichte die Anwesenheit der emigrierten Historiker Mitte der 1950er Jahre ihren absoluten Höhepunkt im Untersuchungszeitraum: Für 1954 sind fünf, 1955 sechs und 1956 vier Gastprofessuren im deutschsprachigen Raum dokumentiert.⁵¹ Ein weiteres – relatives – Maximum ist, nach einem mittleren Niveau von zwei bis drei Gastdozenten jährlich, wieder 1962– 1963 festzustellen, als jeweils fünf emigrierte Geschichts-Professoren für kurze Zeit in Deutschland lehrten.⁵² Als keine erstmaligen Kurzzeit-Remigranten mehr nachrückten und Gastprofessuren annahmen, ging die Anwesenheit der untersuchten Gruppe im Zeitraum 1964– 1968 auf einen bis drei zurück. Im Anschluss daran gab es nur noch in zwei Jahren einen einzelnen Gastprofessor aus der jüngsten Generation, nämlich
An diesem Höhepunkt waren Fritz und Klaus Epstein, Hallgarten, Hirsch, Holborn, Kisch, von Laue, Masur, Rosenberg, Rosenstock-Huessy und Stern beteiligt, mehr als zwei Drittel der Untersuchungsgruppe. An keiner dieser drei Spitzen beteiligt waren lediglich von Laue und Gilbert, die 1953 bzw. 1959/60 jeweils nur einmal Gastprofessor in Deutschland waren. – Für diese Auszählung wurde Kischs Vortragsreihe zwischen 1956 und 1963 nur einmal gezählt, nämlich 1956; Rosenstock-Huessys Heidelberger Gastprofessur wurde dem Jahr 1963 zugeordnet, obwohl sie auch danach stattgefunden haben kann; Gastprofessuren des Wintersemesters sind meist für zwei Jahre verzeichnet, so dass aus der Aufzählung hervor geht, in welchen Jahren viele Untersuchungspersonen zur Lehre in Deutschland waren und in welchen Jahren wenige oder keine. Dadurch übertrifft die sich hier ergebende Summe mit 60 die tatsächliche Gesamtzahl an Gastprofessuren und Vortragsreisen von 47. Auf Jahrzehnte verteilen sich die 60 Gastprofessuren-Jahre mit vier gegen Ende der 1940er, 30 in den 1950ern, 24 in den 1960ern und lediglich zwei in der ersten Hälfte der 1970er Jahre.
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Stern 1971 in Konstanz,⁵³ Jonas 1973 in Saarbrücken⁵⁴ – beide an jungen Universitäten, die bis dahin keinen der hier behandelten Historiker zu Gast hatten. Neben diesen haben auch die Universitäten Gießen, Göttingen, München, Münster und Wien nur einmalig einen Gastprofessor aus der Untersuchungsgruppe beherbergt – zumindest München, Münster und Wien waren zusätzlich Stationen auf Vortragsreisen durch mehrere Städte, von denen für Hallgarten, Hirsch, Kisch und von Klemperer jeweils eine vermerkt sind.⁵⁵ Heidelberg, Karlsruhe und Marburg hatten je zweimal einen deutsch-amerikanischen Professor zu Gast, wobei Karlsruhe zweimal Felix Hirsch einlud, die übrigen Städte je unterschiedliche Personen. Drei Gastprofessuren stehen bei den Universitäten Köln, Bonn und Hamburg zu Buche, wobei fünf der sechs Lehraufträge in Bonn und Hamburg allein von Fritz und Klaus Epstein übernommen wurden – ein Zeichen für die Wirksamkeit von Beziehungen, sowohl zwischen den Emigranten als auch zu den Wirkungsstätten aus der Weimarer Zeit.⁵⁶ In Basel lehrte sieben Sommer in Folge Guido Kisch als Gastprofessor, danach wurde er als Emeritus dort Ehrendozent und lehrte noch einige Jahre weiter. Die mit Abstand größte Zahl an Gastprofessuren vergab jedoch die Ende 1948 neu gegründete Freie Universität Berlin an die Untersuchten: Acht von ihnen lehrten dort zusammen 14 Mal – auf Gerhard Masur und Hans Rosenberg entfallen an ihrem Studien- und Promotionsort allein sieben dieser Gastprofessuren. Bei beiden kann die enge Bindung an Friedrich Meinecke als ein wichtiger Grund für diese Häufung gelten,⁵⁷ zudem der pragmatische Grund, dass durch den erst-
Zur Sonderkonstruktion der permanenten Gastprofessur siehe genauer unten, Anmerkung 157 auf S. 247. Zu den Begrenzungen des Untersuchungszeitraums siehe oben, Anmerkung 121 auf S. 33. Krauss: Transatlantische Gastprofessoren, S. 249, weist darauf hin, dass solche „lecture tours“ häufig nicht im Biographischen Handbuch erwähnt wurden, „jedoch anfangs die wichtigste Form der Kontaktaufnahme“ waren. Auch für die Kurzzeit-Remigration der Gastprofessoren war die Rückkehr in die Heimatstadt – nur zu Besuch – ein wichtiges Motiv. Für die Remigration wies darauf hin Marita Krauss: Die Region als erste Wirkungsstätte von Remigranten; in: Claus-Dieter Krohn/Patrik von zur Mühlen (Hg.): Rückkehr und Aufbau nach 1945. Deutsche Remigranten im öffentlichen Leben Nachkriegsdeutschlands, Marburg 1997, S. 23 – 38. In den Memoiren der untersuchten Historiker spielt die Rückkehr in die Heimatstadt auch jeweils eine bedeutende Rolle. Krauss: Geschichte der Remigration, S. 82, bemerkt, dass „sich Hochschullehrer am besten dort etablieren [konnten], wo sie innerhalb der einheimischen Eliten über gute Beziehungen verfügten“, was auch für die Gastprofessuren gilt. – Nach Meineckes Tod 1954 hielten die Genannten auch den Kontakt zu seiner Witwe Antonie Meinecke aufrecht und erhielten sich so eine Verbindung nach Berlin.
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maligen Besuch Kontakte geknüpft wurden, die zu weiteren Besuchen führen konnten, wie auch in vier weiteren Fällen zu beobachten.⁵⁸ Doch außer Masur und Carl Misch kehrten die in Berlin geborenen Historiker nicht als Gastprofessor in die geteilte Stadt zurück: Für Hirsch, Holborn, von Klemperer und Rosenstock-Huessy ergab sich keine längere Rückkehr in die so veränderte Heimatstadt; zumal die Universität ihrer Jugend im Ostteil der Stadt abgeschnitten gewesen wäre. Für jene, die keine Schulzugehörigkeit und keine Heimatsehnsucht nach Berlin führte – neben Heichelheim die Jüngeren von Laue, Jonas und Stern – muss es weitere Gründe geben, die eine Berliner Gastprofessur so attraktiv machten, dass sie fast ein Drittel aller Gastprofessuren des Untersuchungsfeldes ausmachen: Rosenberg sah im Vergleich mit anderen deutschen Universitäten einen großen Vorteil auf der Seite der in den USA als Symbol der Freiheit gefeierten Berliner Universität – besonders in ihren Gründertagen: „Compared to institutions such as Göttingen, Heidelberg, Bonn, Marburg, there is in the Free University [Berlin] a larger percentage of self-critical teachers and scholars who clearly realize that many features of German university which, no doubt, were admirable in the days of Wilhelm von Humboldt and, perhaps, may have been good and adequate twenty or thirty years ago have become deficient, outmoded or outright harmful at present. Yet, the disconcerting fact remains that the influence of these men is weaker now than it was a year ago.“⁵⁹
Ein wichtiger organisatorischer Grund für die Ausnahmeposition Berlins ist zudem – jenseits der bloßen Größe von Stadt und Universität – in Sterns Hinweis zu erkennen, dass Franz Neumann ein spezifisches Professoren-Austauschprogramm für West-Berlin inspiriert hatte, das von der Ford Foundation finanziert wurde.⁶⁰ Wie viele Personen konkret von diesem Austauschprogramm profitierten, ist ohne Archivstudien nicht feststellbar, es wirkte jedenfalls zusätzlich zur Wirkung des Fulbright-Programms, das in West-Berlin, der BRD und Österreich zusammen bei lediglich fünf der Gastprofessuren angegeben ist. Dieser Anteil von
Außer der Sonderstellung der Stadt und der Universität West-Berlin ist festzustellen: „Masurs lebenslängliche Liebe galt Berlin.“ Sein „Heimweh nach der Vaterstadt“ drückte er in seinem 1971 erschienenen Buch über das Berlin der Kaiserzeit aus. So Wilmont Haacke: Erinnerungen an Gerhard Masur. Wegweiser zu seinem Werk; in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 31 (1979), S. 262– 276, hier S. 263 und S. 273. 11. November 1950: Hans Rosenberg an das Department of State, Division of Exchange of Persons (Washington, D.C.); in: Ritter: Meinecke, S. 377– 386, hier S. 382. Stern: Erinnerungen, S. 264; vgl. unten, Anmerkung 153 auf S. 247, sowie das zugehörige Zitat. Berlin ist bei Gastprofessuren von Emigranten auch insgesamt mit Abstand führend vor München, Heidelberg und Frankfurt, so Krauss: Transatlantische Gastprofessoren, S. 248.
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unter 15 Prozent ist allerdings als zu niedrig einzuschätzen: Das Biographische Handbuch erhob nicht gesondert, ob eine Gastprofessur durch das FulbrightProgramm gefördert wurde. In mindestens zwei Fällen waren im Biographischen Handbuch nicht als solche vermerkte Fulbright-Beteiligungen auszumachen.⁶¹ Selbst im Vergleich zur Vollauszählung der im Biographischen Handbuch erwähnten transatlantischen Gastprofessuren aller Disziplinen⁶² sticht die Freie Universität Berlin hervor: Dass die hier untersuchten Historiker fast ein Viertel der 60 Gastprofessuren in Berlin stellten, ist ebenso bemerkenswert wie die weitaus geringeren Anteile von Historikern in anderen Gastprofessoren-Hochburgen: Von den 42 Gastprofessuren in Frankfurt wurde keine von einem meiner Probanden übernommen, unter 34 Münchner Gästen war nur ein Historiker. Auch in Heidelberg (2 von 35) und Köln (2 von 30) wirkt die Untersuchungsgruppe leicht unterrepräsentiert. In Bonn (3 von 24) und Hamburg (3 von 28) dagegen scheinen die Verhältnisse etwa ausgeglichen, ebenso an den Hochschulen, an denen insgesamt weniger Gastprofessoren präsent waren. In Gießen (1 von 2), Saarbrücken (1 von 3) und Karlsruhe (2 von 4) konnten einzelne Untersuchungspersonen bereits für einen überproportional großen Anteil sorgen. Denn in der Vollauszählung des Biographischen Handbuchs machen die Gastprofessuren von Historikern etwa 10 Prozent aus. Als Erklärung für die schwankende Verteilung lassen sich allgemein Netzwerkeffekte annehmen: Mit Berlin, Bonn, Hamburg und Karlsruhe sind alle Hochschulen, an denen mehrere Gastprofessuren stattfanden und Historiker nicht unterrepräsentiert waren, wiederholt von denselben Personen besucht worden, sowie von eng verbundenen Personen wie Fritz und Klaus Epstein in Bonn und Hamburg und den Meinecke-Schülern in Berlin. Entsprechendes gilt für die wiederholte Gastprofessoren-Tätigkeit von Guido Kisch in Basel. Um die Präsenz der transatlantischen Gastprofessoren an den deutschsprachigen Universitäten einzuschätzen, bietet sich der Vergleich mit der Anzahl der Ordinariate an: 1950 bestanden in BRD, DDR, Österreich und der Schweiz zu-
Das Biographische Handbuch verzeichnet fünf Fulbright-Gastprofessuren der Untersuchungsgruppe. Rosenstock-Huessys Fall zeigt, dass eine weitere im Biographischen Handbuch erwähnte Gastprofessur zum Fulbright-Programm gehörte, gemäß dem Artikel Rosenstock-Huessy, Eugen; in: Who’s Who 1967. Dass Holborn 1966 als Fulbright Lecturer an den Universitäten Köln und Bonn wirkte, fehlt im Biographischen Handbuch völlig, es ergibt sich erst aus UAL MC 703: CIES Records, Fulbright Scholar Grantee Directories, 1966 – 1967, S. 21, URL: https://libraries.uark.edu/specialcollections/fulbrightdirectories/1966%20-%201967.pdf (zuletzt abgerufen am 15. Januar 2019, Archiv-URL: http://www.webcitation.org/75RtA4BR0). Krauss: Transatlantische Gastprofessoren, S. 248 f., die nachfolgend genannten Vergleichszahlen sind dort publiziert; vgl. zu den zum Teil unpublizierten Rohdaten auch oben, Anmerkung 28 auf S. 71.
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sammen 93 Geschichtslehrstühle.⁶³ Davon waren nur 26 den Epochen der neuzeitlichen Geschichte, dem Hauptarbeitsgebiet der Untersuchungsgruppe, zugeordnet. Auch bis zum Anstieg auf 124 Ordinariate 1960 machten die emigrierten transatlantischen Gastprofessoren also einen insgesamt durchaus spürbaren Anteil von bis zu 6 % aus, für die Neue, Neuere, Neueste und Zeitgeschichte sogar mehr.⁶⁴ Mit dem Ausbau der Universitäten bis 1970 auf 236 Geschichtsprofessuren und dem Rückgang der Emigranten-Aktivitäten ließ diese Präsenz nach, hörte aber bis in die jüngste Zeit nicht ganz auf, wie etwa die Gastprofessur von Peter Loewenberg in Wien 2006 zeigt.⁶⁵ Auch die zahlreichen ins Deutsche übersetzten Memoiren der vor der Nazi-Verfolgung geflohenen und inzwischen emeritierten Historiker in den vergangenen Jahren belegen, dass das beiderseitige Interesse an dieser transatlantischen Kommunikation ungebrochen fortbestand.⁶⁶ Am häufigsten als Gastprofessor wirkte Guido Kisch, dessen Baseler Konstruktion ihm in sieben aufeinanderfolgenden Sommern Gastprofessuren ermöglichte (nachdem er in New York bereits jahrelang mit dem Status eines Gastprofessors die Aufgaben eines ordentlichen Professors versehen hatte). Zusammen mit seiner Vortragsreihe in Deutschland und Österreich ergibt das acht Gastprofessuren und damit doppelt so viele wie die nächste Gruppe, die es auf je vier Gastprofessuren bringt: Fritz Epstein, Heichelheim, Rosenberg, RosenstockHuessy und Hirsch begannen bis 1950 mit ihren Deutschland-Aufenthalten, Masur als Nachzügler lehrte von 1955 bis 1966 viermal in Berlin. Mit Klaus Epstein, Jonas, Stern und von Klemperer sind für alle Mitglieder der jüngeren Generationen außer von Laue zwei Gastprofessuren verzeichnet. Das Biographische Handbuch dokumentiert zwischen 1973 und seinem Erscheinen Anfang der 1980er keine weiteren Gastprofessuren der Untersuchten, obwohl die Genannten zu diesem Zeitpunkt erst zwischen 46 und 57 Jahren alt waren. Zwar wären bis zum Erreichen der ohnehin dehnbaren Altersgrenze durchaus weitere Gastprofessuren an deutschsprachigen Hochschulen denkbar,⁶⁷ doch auch
Diese und die folgenden Angaben zur Anzahl der Lehrstühle für Geschichte sind entnommen aus Weber: Priester der Klio, S. 53, Tabelle 1. Zusätzlich zu berücksichtigen ist, dass nur ein Bruchteil der vom Fulbright-Programm finanzierten Gastprofessoren Emigranten waren; König: Fulbright in Österreich, S. 81, ermittelt einen Anteil von rund 20 Prozent aller Fulbright-Gäste. An deutschsprachige Universitäten kamen also in dieser Zeit noch wesentlich mehr in den USA geborene Gastprofessoren. Gastprofessur Dr. Peter Loewenberg 2006. Exemplarisch seien hier neben Stern: Erinnerungen, Beispiele jenseits der Untersuchungsgruppe genannt: Gay: Meine deutsche Frage; Iggers/Iggers: Lebensbericht. Das gilt natürlich nicht für den bereits 1967 verstorbenen Klaus Epstein.
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Quellen jüngeren Datums deuten nicht darauf hin.⁶⁸ Hallgarten, der ebenfalls zwei deutschsprachige Gastprofessuren absolvierte, hat als Mitglied der älteren Untersuchungsgruppe nach 1973 schon aus Altersgründen aller Wahrscheinlichkeit nach keine Gastprofessur mehr übernommen. Holborn ging mit seinem zweiten Fulbright-Stipendium 1966 nach Köln und Bonn.⁶⁹ Für Gilbert, Misch und von Laue schließlich ist lediglich je eine Gastprofessur zwischen 1953 und 1963 verzeichnet, also in der Hochphase des transatlantischen Dozentenaustauschs mit Emigrantenbeteiligung. Für die Letztgenannten bedeutet das aber ebenso wenig wie für die häufigeren Gäste, dass ihre Kontakte nach Deutschland sich auf die GastdozentenTätigkeit beschränkt hätten. Gilbert etwa ist ein deutliches Gegenbeispiel. Wenn die knappere Behandlung einiger der seltener als Gastdozent Genannten in den obigen Abschnitten auch den Eindruck erwecken mag, ihre Beziehung zu ihrem Geburtsland sei nach Emigration und Krieg nur schwach ausgeprägt gewesen, so täuscht dieser Eindruck. Allein die Begrenzung der herangezogenen Quellen erlaubt es manchmal nicht, die vielfältigen Möglichkeiten zu beschreiben, sich zwischen dem Leben in der neuen und den Verbindungen zur alten Heimat zu
Stern: Erinnerungen, S. 343 f. behandelt die permanente Gastprofessur in Konstanz, ohne weiter auf ursprünglich vorgesehene, offenbar aber mit organisatorischen Schwierigkeiten verbundene turnusmäßige Gastsemester einzugehen, vgl. unten, Anmerkung 157 auf S. 247. Klemperer: Voyage, schildert weitere Gastaufenthalte 1973 – 1974 am Churchill College der Cambridge University (S. 93 f.) und 1986 – 1987 am Wissenschaftskolleg zu Berlin (S. 106 f.), so dass davon auszugehen ist, dass er keine weitere deutschsprachige Gastprofessur absolvierte. Für Manfred Jonas wird eine Gastprofessur für American Studies an der Eötvös-Loránd-Universität Budapest 1983 – 1984 angegeben, aber kein weiterer Dozentenaustausch mit deutschsprachigen Universitäten: Vgl. den nicht namentlich gekennzeichneten Nachruf: Professor Manfred Jonas recalled as distinguished scholar and exemplary teacher; in: Union College, 27. August 2013, URL: http:// www.union.edu/news/stories/2013/08/professor-manfred-jonas-recalled-as-distinguished-scho lar-and-exemplary-teacher-.php (zuletzt abgerufen am 6. April 2014, Archiv-URL: https://archive. ph/N9iRe), auch Manfred Jonas: The United States and Germany. A Diplomatic History, New York/ London 1984, S. 338, sowie Visiting Professors and Guest Lecturers; in: Department of American Studies. Eötvös Loránd University, [ohne Datum], URL: http://das.elte.hu/visiting.html (zuletzt abgerufen am 6. April 2014, Archiv-URL: http://www.webcitation.org/6OdLyJYfN). UAL MC 703: CIES Records, Fulbright Scholar Grantee Directories, 1966 – 1967, S. 21, URL: https://libraries.uark.edu/specialcollections/fulbrightdirectories/1966%20-%201967.pdf (zuletzt abgerufen am 15. Januar 2019, Archiv-URL: http://www.webcitation.org/75RtA4BR0). Oben habe ich diese Gastprofessur nur für Köln gezählt. Vgl. zu Holborns zahlreichen Vorträgen in Deutschland und seinen guten Kontakten zur Bonner Politik Holborn: Inter Nationes Preis; besonders Kurt Birrenbach: Laudatio auf Hajo Holborn; in: Hajo Holborn: Inter Nationes Preis 1969, Bonn-Bad Godesberg 1969, S. 9 – 16.
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arrangieren.⁷⁰ Verwandtschaftsbeziehungen und ihr Wirken bei transatlantischen Nachkriegsverknüpfungen beispielsweise kamen hier kaum zur Sprache, weil die rassistische Verfolgung im NS-Regime bei den Untersuchten meist ganze Verwandtschaftsnetze in die Emigration trieb oder ermordete.⁷¹ Die Wirkung akademischer Schulnetzwerke hingegen wurde wiederholt deutlich, auch über die eigentlichen Schulangehörigen hinaus: Dass etwa von Klemperer in seinen Erinnerungen gerade Meineckes Aussagen über die Mediatorenrolle von Emigranten aufgreift,⁷² steht symptomatisch für die zentrale Stellung der Meineckeschüler als Kristallisationskern der transatlantischen Austauschbemühungen emigrierter Historiker. Meinecke wurde, wie oben auch am Beispiel Theodore von Laues gezeigt, zur Anlaufstelle für emigrierte Historiker, die nicht zu seiner Schule zählten. Meineckes Wahrnehmung seiner Schüler und seine darauf basierende Schilderung emigrierter Historiker als unverbitterte, vorzügliche Vermittler zwischen deutscher und amerikanischer – oder allgemein westlicher – Geschichtswissenschaft, war im ersten Nachkriegsjahrzehnt keineswegs selbstverständlich. Während in Meineckes Umfeld, und so auch in der Redaktion der Historischen Zeitschrift, der Gedanke einer anzustrebenden Vermittlung zwischen deutscher und internationaler Geschichtswissenschaft
Dass man eine „Verwurzelung“ im Herkunftsland bejahen und die Wiederanknüpfung nach dem Zweiten Weltkrieg aktiv betreiben musste, wie es Klemperer: Voyage, aus traditionsorientierter, konservativer Perspektive eindringlich beschreibt, ist natürlich nur eine Möglichkeit. Den entgegengesetzten Umgang mit der eigenen Vergangenheit diskutiert Gay: Meine deutsche Frage. Vgl. oben, Abschnitt 2.2.2 ab S. 82. Im einzigen Fall, in dem verwandtschaftsbezogene Verfolgung als „Nichtarier“ keine Rolle bei der Emigration spielte, Theodore H. von Laue, habe ich unten, S. 246, erwähnt, dass sein Vater Max von Laue bis zu seinem Tod 1960 in Berlin lebte und daher weitere Nachkriegsverbindungen von Laues nach Berlin wahrscheinlich sind; vgl. Beck: Max von Laue. Zudem spielte Max von Laue unter Physikern eine große Rolle für die „Wiederannäherung von Emigranten und Deutschen“, so Dirk Lehrach: Wiederaufbau und Kernenergie. Zur Haltung deutscher Emigranten in Amerika, Pfaffenweiler 1997 (zugleich Diss., Stuttgart 1996), S. 74 ff. – Dagegen ist die Professorenfamilie Epstein ein Beispiel für die über Generationen sich erstreckende rassistische Verfolgung: Bereits der Astronomieprofessor Theobald Epstein (1836 – 1928) hatte sich vom Judentum abgewandt, sein Sohn, Mathematikprofessor Paul Epstein (1871– 1939) war verheiratet mit Alice, einer Tante von Theodor W. Adorno. Paul Epstein starb 1939 durch Suizid. Sein Sohn Fritz Epstein war mit seiner Familie, einschließlich dem Sohn Klaus Epstein, emigriert. Vgl. die Artikel Epstein, Theobald; sowie Epstein, Paul; in: Arnsberg: Geschichte Frankfurter Juden, S. 110. In einer familiengeschichtlichen Mikrostudie ließe sich an solch einem Beispiel visualisieren, wie die rassistische Verfolgung im Nationalsozialismus in Kombination mit den restriktiven Immigrationsbedingungen weitgespannte familiäre Migrationsnetzwerke erzeugte. Klemperer: Voyage, S. 67, siehe unten, das Zitat auf S. 259 unten.
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populär war,⁷³ zeigen zahlreiche Rezensionen derselben Zeitschrift die prägende Vorstellung eines Kampfes der nationalen Historikerzunft gegen die Historiographien eines feindlichen Auslandes.⁷⁴
4.2.3 Individuelle Erfahrungen und Kontexte Um weniger das Gesamtbild transatlantischer Gastprofessuren emigrierter Historiker in den Blick zu nehmen und mich stärker auf die Details zu konzentrieren, die die Stellung solcher Europareisen in den Lebensläufen der sechzehn Untersuchungspersonen ausmachen, beleuchte ich im Folgenden alle Gastprofessuren im Einzelnen und konzentriere mich dabei vor allem auf diejenigen Aspekte, die in autobiographischen Schriften und Nachrufen besondere Beachtung gefunden haben. Im März 1945, bereits vor Ende des Zweiten Weltkriegs, hielt Hallgarten „vor der Gesellschaft für Neuere Geschichte in der Sorbonne in Paris“⁷⁵ einen Vortrag über Richard Wagner. Dieses Beispiel eines gastvortragenden Armeeangehörigen rechtfertigt die Vermutung, dass es ähnliche Veranstaltungen auch an deutschsprachigen Hochschulen oder anderen wissenschaftlichen Einrichtungen gab. Doch für die unmittelbare Nachkriegszeit sind keine Vorträge der mit der US-Armee nach Deutschland zurückgekehrten Emigranten verzeichnet.⁷⁶ Amerikanische Regierungsstellen nutzten die Expertise der Emigranten jedoch auch noch, wenn diese nicht mehr Mitarbeiter des OSS oder der Armee waren. Gilbert etwa reiste mehrfach nach Deutschland und verglich seine Erfahrungen: „In 1945 the Germans looked better clad and better fed than the peoples of any other European country; now they are definitely on a lower level than, at least, the peoples of Western Europe. […] Thus, what order has grown out of the chaos of 1945 is chiefly in the technical
Siehe unten, besonders Abschnitt 5.1.2 ab S. 360. Siehe unten, Kapitel 7, besonders Abschnitt 7.4.2 ab S. 515. Hallgarten: Als die Schatten fielen, S. 302 f. Vgl. Krauss: Eroberer oder Rückkehrer?, zu Emigranten in der US-Armee und der Militärregierung. Für nicht von den Besatzungsbehörden angeforderte oder zum Militär gehörende Personen dürften die restriktiven Einreisebestimmungen der ersten Nachkriegsjahre Deutschlandreisen verhindert haben. Vgl. dazu Marita Krauss: „Als Emigrant hat man Geduld gelernt“ – Bürokratie und Remigration nach 1945; in: Exil 17 (1997), Nr. 2, S. 89 – 105, hier S. 89 ff., sowie 29. Juni 1947: Hans Rosenberg (New York) an Friedrich Meinecke; in: Ritter: Meinecke, S. 363 f., hier S. 364: „Bei den geltenden Bestimmungen ist es ausgeschlossen, ein Visum zu bekommen.“
4.2 Kurzzeit-Remigration als Gastprofessor
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administrative field, whilst no pattern has yet been evolved in the political, social, and intellectual spheres.“⁷⁷
Für das verschlechterte geistige Klima, die stockende Demokratisierung und die Entsolidarisierung seit 1945 machte Gilbert neben den Lebensumständen vor allem die NS-Diktatur und ihr ideologisches Gift verantwortlich, weshalb er 1947 die Aufgabenstellung der Beseitigung des Nationalsozialismus als komplexer und grundsätzlicher ansah, als es 1945 den Anschein hatte.⁷⁸ Diese enttäuschte Diagnose dürfte Gilbert und anderen die Dringlichkeit intellektueller Aufbauhilfe durch Gastprofessoren nochmals verdeutlicht haben. Mit dieser Perspektive nahm auch Helene Wieruszowski die Gelegenheit wahr, durch eine Gastprofessur beim geistigen Neuaufbau mitzuwirken: Wieruszowski, Mediävistin und frühe Schülerin Friedrich Meineckes, zählt nicht zur Untersuchungsgruppe, da sie, als Frau benachteiligt, keine ordentliche Professur erreichte. Dennoch soll ihre Schilderung einer zehn Wochen dauernden Gastdozentur im Sommersemester 1948 an der Universität Heidelberg hier Beachtung finden, da sie so typisch und erfahrungsgesättigt erscheint, dass die Erfahrungen der Untersuchungspersonen vor dieser Folie besser verständlich sind. Bei der Vorbereitung der Veranstaltungen in der Institutsbibliothek traf Wieruszowski erstmals auf deutsche Studenten: „wir wechselten auch wohl einmal ein paar Worte. Dann fanden wir uns als Lehrer und Lernende in dem Oberseminar, das ich im Sommersemester neben einer Vorlesung und gelegentlichen Vorträgen halten sollte.“ Sie spricht von der „zwanglos leichten Form“ ihrer Veranstaltungen, die sie aus Amerika importierte, von den Fremdheitsgefühlen und dem Misstrauen gegen „die Jüdin, die Emigrantin, die Amerikanerin“. Weiter betont sie den „Lerneifer“, das „Brückenschlagen“ und die „Aufklärung“ der Jugend. Dazu bot sie zusätzlich zu den genannten fachlichen Veranstaltungen „Montagabende“ als „ständige Einrichtung“ an, auf denen sie in langen Diskussionen über Verantwortung, Demokratie und das amerikanische Erziehungssystem mit den „Ressentiments“ auch der „ganz Verstockten und Fanatischen“ kämpfte.⁷⁹ Der erste der emigrierten Historiker, der in Deutschland – zumindest soweit die vorliegenden Daten reichen – als Gastprofessor tätig war, ist Fritz Heichelheim: 1948 lehrte er im selben Jahr in Marburg, in dem er auch den Wechsel von Felix Gilbert [als F. G.]: Germany Revisited. Some Impressions after two Years; in: The World Today 3 (1947), Heft 10, S. 424– 431, Zitat S. 425 und 430. Ebenda, S. 431. Vgl. Ritter: Meinecke, S. 58. Helene Wieruszowski: Gespräche mit deutschen Studenten; in: Die Wandlung 4 (1949), S. 82– 91, hier Zitiertes auf S. 82 ff.
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England nach Kanada vollzog.⁸⁰ Heichelheim kam als Gastprofessor außerdem 1953 an die Freie Universität Berlin, 1961 nach Gießen und 1963 erneut nach Berlin.⁸¹ Seine Gießener Alma Mater spielte allerdings eine noch deutlich größere Rolle bei Heichelheims Deutschland-Kontakten,⁸² die als kontinuierlich zu bezeichnen sind und sich auf seine hessische Heimat und Berlin konzentrierten. Heichelheim unterscheidet sich bei seinem ersten Deutschlandaufenthalt nach dem Zweiten Weltkrieg von den anderen Untersuchungspersonen darin, dass er während des Krieges in Europa geblieben war. Er hätte daher 1948, statt nach Kanada zu gehen, auch eine Remigration in Erwägung ziehen können, wie es unter den in Europa gebliebenen Emigranten üblicher war als unter den in die USA migrierten. Dies zeigt, dass die Entscheidung zwischen völliger Remigration und der Fortsetzung der beruflichen Laufbahn, die sich auch hier gerade in den Nachkriegsjahren positiv entwickelte, nicht einfach von der Geographie und den Entfernungen zwischen Europa und Amerika abhängig war, sondern von den jeweiligen Perspektiven für die Lebensführung. Umgekehrt gab es auch einige Fälle, mit denen sich der Exkurs in Abschnitt 4.2.4 befasst, in denen bereits in den USA etablierte Forscher sich für eine völlige Remigration entschieden, weil sie in Deutschland die präferierten Aussichten fanden. Als nächstes lehrten Hirsch, Rosenberg und Hallgarten 1949 in Deutschland. Felix Hirsch ging im Sommer 1949 für das US-amerikanische Office of Military Government for Germany (OMGUS) auf Vortragsreise, Station machte er unter anderem an den Universitäten Göttingen, Heidelberg und München. Bei seiner Rückkehr nach Deutschland 1954/55 war er Gastdozent an der Technischen Hochschule Karlsruhe und daneben erneut als Vortragsreisender unterwegs. Solche Vorträge fanden nicht nur an Universitäten statt, auch bei Volkshochschulen und vor allem Amerika-Häusern waren Emigranten gefragt:⁸³ Hirschs
Vgl. Biographisches Handbuch und Gundel: Heichelheim, S. 222. Mit vier Gastprofessuren gehört er zu den häufig nach Deutschland Zurückgekehrten. Er war dort seit 1948 Honorarprofessor für Antike Wirtschaftsgeschichte, seit 1951 Direktor des gemeinsamen Papyrusprojektes der Gießener und Torontoer Hochschulen, wurde dort 1958 als emeritierter Professor der griechischen und römischen Geschichte anerkannt, während er seine Karriere in Toronto fortsetzte, und wurde 1961 von der Landwirtschaftlichen Fakultät der JustusLiebig-Universität Gießen zum Ehrendoktor ernannt. Zur Papyrus-Kooperation vgl. Hans-Georg Gundel: Gießener Papyrus-Sammlung; in: 375 Jahre Universität Gießen. 1607– 1982. Geschichte und Gegenwart. Ausstellung im Oberhessischen Museum und Gail’sche Sammlungen 11. Mai bis 25. Juli 1982, [Gießen] 1982, S. 299 – 301. Zu Emeritus-Anerkennung und Ehrenpromotion vgl. das Biographische Handbuch und Gundel: Heichelheim, S. 222. Zum Status der heutigen Justus-LiebigUniversität Gießen in der Nachkriegszeit vgl. oben, Anmerkung 314 auf S. 142. Axel Schildt: Zwischen Abendland und Amerika. Studien zur westdeutschen Ideenlandschaft der 50er Jahre, München 1999, S. 177.
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Vortragsankündigung für den 16. November 1954 im Programm des AmerikaHauses München zeigt exemplarisch, welche Vorzüge ihn wie andere Untersuchungspersonen in den Augen der Veranstalter zu guten Vermittlern für eine breitere Öffentlichkeit machten. Da heißt es: „Vortrag in deutscher Sprache ‚Strukturwandlung der amerikanischen Gesellschaft seit der großen Depression‘ Professor Felix E. Hirsch, USA“⁸⁴
Sowohl durch seinen Status als akademischer Experte aus den USA, als auch durch seine deutsche Sprachkompetenz wies das Amerika-Haus Hirsch als besonders qualifiziert aus, seinem Publikum ein für den Konsenskapitalismus zentrales Thema aus der Sozialgeschichte der USA nahezubringen: Die Effekte des New Deal.⁸⁵ In den 1960er Jahren kehrte er zu Gastprofessuren zurück, 1962 nach Karlsruhe, 1965 schließlich an seine eigene Heidelberger Alma Mater.⁸⁶ Dass Hirschs außeruniversitäres Engagement seine Verbindungen zur zünftigen Geschichtswissenschaft in Deutschland überragte, darauf deutet nicht nur das Fehlen von deutschen Nachrufen hin,⁸⁷ sondern auch ein persönliches Profil
Programm des Amerika-Hauses München, November 1954, zitiert nach Hirschs Unterlagen in IfZ MA 1500. Entgegen der Angabe in Schildt: Zwischen Abendland und Amerika, S. 175, Anmerkung 31, benutzte das Programm das heute altertümlich anmutende Wort „Strukturwandlung“, nicht den Begriff „Strukturwandel“, der sich nach Habermas’ „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (1962) endgültig gegen die Variante durchsetzte. Allerdings war bereits in den 1950er Jahren die Form „Strukturwandel“ im Deutschen beliebter, worin man ein Anzeichen für Hirschs leicht angestaubte Wortwahl sehen kann. Die culturomische Überprüfung dieser Behauptung mit Hilfe des Google Ngram Viewer überlasse ich den geneigten Leserinnen und Lesern. Zu den Vermittlungsaufgaben der Amerika-Häuser vgl. Schildt: Zwischen Abendland und Amerika, S. 167– 195, sowie die anschauliche Überblicksdarstellung Sonja Schöttler: Funktionale Eloquenz. Das Kölner Amerika Haus und die Kulturinstitute der Vereinigten Staaten von Amerika in Deutschland, Worms 2011. Annelise Thimme: Einmal um die Uhr. Die Stresemann-Kontroverse von 1927– 1979; in: Hartmut Lehmann (Hg.): Historikerkontroversen, Göttingen 2000, S. 31– 85, hier S. 71 f., berichtet als persönlich Betroffene, Werner Conze habe Hirsch „speziell dazu eingeladen“, 1965 nach Heidelberg zu kommen, weil dessen neues Buch (Felix E. Hirsch: Gustav Stresemann. Patriot und Europäer, Göttingen 1964) politisch opportun erschien. Bei Hirschs vorherigen Gastaufenthalten an der Technischen Hochschule Karlsruhe ist zu berücksichtigen, dass diese damals noch keinen Universitätsstatus hatte und „Geistes- und Sozialwissenschaften […] nur eine untergeordnete Rolle“ spielten. Die Bezeichnung „Universität Karlsruhe (TH)“ erhielt sie erst 1967. Klaus-Peter Hoepke: Geschichte der Fridericiana. Stationen in der Geschichte der Universität Karlsruhe (TH) von der Gründung 1825 bis zum Jahr 2000, Karlsruhe 2007, S. 149 und 153. Die amerikanische Historikervereinigung würdigte ihn hingegen: Felix E. Hirsch [In Memoriam]; in: AHA Perspectives 21 (1983), Nr. 4, S. 23.
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Hirschs samt einer Liste von Kontaktpersonen in verschiedenen deutschen Städten, die wohl im Zusammenhang mit einer weiteren Vortragsreise 1978 entstanden ist: Nur für Heidelberg ist mit Werner Conze ein Historiker angegeben, darüber hinaus drei Journalisten, zwei Politiker und ein Meeresbiologe.⁸⁸ Vor allem schätzte man den 1973 „for his efforts at improving German-American understanding“⁸⁹ mit dem großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichneten Hirsch in der politischen Öffentlichkeit, weil seine Darstellung Gustav Stresemanns als zugleich „guter Europäer“ und „guter Deutscher“ dem Zeitbedürfnis nach politischen Vorbildern in der jüngeren deutschen Geschichte entgegenkam. In diesem Sinne hatte Hirsch bereits bei Kriegsende in den USA nicht nur Stresemann gegen die Deutung verteidigt, er habe den „guten Europäer“ nur gespielt, um seine nationalistischen politischen Ziele zu erreichen, sondern damit zugleich die Forderung verbunden, die Besatzungsmächte sollten die Toten ruhen und die besiegten Deutschen, sofern sie ehrliche Reue zeigten, einen neuen Anfang wagen lassen.⁹⁰ Hans Rosenberg, der 1947 bereits ein Ordinariat in Köln ausgeschlagen hatte⁹¹ und 1948 auf Einladung der Kölner Universität erstmals nach 15 Jahren Deutschland besuchte,⁹² bemühte sich in der Folge verstärkt darum, nach
Siehe das mit „HIRSCH, Felix, Prof.Dr.“ überschriebene und als „vertraulich“ gestempelte, aber nicht näher bezeichnete Dokument in Hirschs Unterlagen in IfZ MA 1500. Nähere Erwähnung findet die jahrzehntelange Freundschaft Hirschs zum SPD-Politiker Georg Kurlbaum auch in den Erinnerungen seiner Ehefrau Lucie Kurlbaum-Beyer: Krieg tötet Zukunft. Leben und Arbeiten für eine friedliche Welt, hg. von Gisela Notz, Bonn 2004, S. 129 f. Felix E. Hirsch [In Memoriam]; in: AHA Perspectives 21 (1983), Nr. 4, S. 23. Felix E. Hirsch: Stresemann: Good European or Unrepentant Sinner? [To the Editor]; in: The Public Opinion Quarterly 9 (1945), No. 2, S. 258 – 260. Thimme: Einmal um die Uhr, analysiert die lange umstrittene Deutung Stresemanns und besonders die damit auf Seiten der StresemannVerehrer verbundenen politischen Implikationen. Der besondere Clou der Analyse lautet, dass die deutschen Historiker der älteren Generation, etwa Gerhard Ritter und Ludwig Dehio, Stresemann gleichermaßen skeptisch gegenüberstanden. Der Emigrant Hirsch musste als Verteidiger Stresemanns auftreten, nachdem dieser von einem anderen Emigranten, Hans W. Gatzke, angegriffen worden war. Thimme wurde von den Stresemann-Verteidigern schlicht als Gatzke-Schülerin abgetan, die sich von diesem „und seiner Beredsamkeit leider hatte blenden lassen“. Ebenda, S. 69, Zitat aus HStAM 340 Dehio C, Kasten C9, Brief Felix E. Hirsch an Ludwig Dehio, 25.01.1955. „Vor kurzem habe ich einen Ruf als Ordinarius und Nachfolger von Ziekursch an die Universität Köln erhalten.Vor wenigen Tagen habe ich abgelehnt.“ 4. Dezember 1947: Hans Rosenberg (Brooklyn) an Friedrich Meinecke; in: Ritter: Meinecke, S. 366 f., hier S. 366. Eine ausführliche Darstellung der Überlegungen, Rosenberg nach Köln zu berufen, Rosenbergs Absage und seinen späteren Gastprofessuren gibt Golczewski: Kölner Universitätslehrer, S. 421– 436. 11. November 1950: Hans Rosenberg an das Department of State, Division of Exchange of Persons (Washington, D.C.); in: Ritter: Meinecke, S. 377– 386, hier S. 378.
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Deutschland zu kommen.⁹³ Er äußerte im Nachhinein Bedauern über seine Ablehnung des Kölner Rufes, nannte allerdings als klare Hinderungsgründe einerseits den „scharfen Abstieg des äußeren Lebensstandards“ bei Annahme eines deutschen Ordinariats,⁹⁴ andererseits die psychische Belastung durch eine Rückkehr nach Deutschland.⁹⁵ Statt einer Remigration kam er 1949 und erneut 1950 als Gastprofessor an die Freie Universität Berlin, worüber er dem State Department ausführlich Bericht erstattete.⁹⁶ Vier Jahre später kehrte er als „Fulbright Professor an der Philippsuniversitaet Marburg (Wintersemester 1954/55) und der
„Ich glaube nicht, daß ich in Zukunft wieder Nein sagen würde, wenn in einer guten deutschen Universität sich nochmals eine Möglichkeit ergeben sollte.“ 6. Oktober 1948: Hans Rosenberg (Brooklyn) an Friedrich Meinecke; in: Ritter: Meinecke, S. 372 f., hier S. 373. Vgl. den Brief vom 15. Januar 1949: Hans Rosenberg (Brooklyn) an Friedrich Meinecke; in: Ritter: Meinecke, S. 375 f., hier S. 376, in dem Rosenberg Meinecke indirekt auffordert, ihm eine Gastprofessur an der Freien Universität Berlin zu verschaffen. In einem folgenden Brief bedankt sich Rosenberg diesbezüglich bei Meinecke „vielmals für alle Ihre Bemühungen“: 9. April 1949: Hans Rosenberg (Brooklyn) an Friedrich Meinecke; in: Ritter: Meinecke, S. 376 f., hier S. 377. „Was den geistigen und politischen Sinn und Zweck des Berufslebens im Rahmen der persönlichen Leistungsfähigkeit angeht, so bietet eine akademische Lehrtätigkeit in Deutschland für die nächsten 10 – 15 Jahre eine völlig einzigartige und nicht wiederholbare Chance. Von diesem Gesichtspunkt aus gesehen, weiß ich heute noch klarer als ich es bereits im letzten Winter wußte, daß es ein grundsätzlicher Fehler und ein Verrat der inneren Überzeugung, der besseren Überzeugung war, den Kölner Ruf abzulehnen.“ 10. September 1948: Hans Rosenberg an Leni Rosenberg; in: Ritter: Meinecke, S. 370 f., hier S. 371. Rosenberg berichtete über die einmonatige Deutschlandreise seiner Frau Helene (Leni) : „Es war meiner Frau sehr schmerzlich, daß sie nicht nach Berlin hat kommen können. Überhaupt hat ihr die Reise nach Deutschland sehr zugesetzt. Und nach ihrer Rückkehr hat es noch Monate gedauert, bis sie ihr körperliches und seelisches Gleichgewicht wiedergewann.“ 2. Mai 1948: Hans Rosenberg (Brooklyn) an Friedrich Meinecke; in: Ritter: Meinecke, S. 369 f., hier S. 369. Später schreibt er an Meinecke diesbezüglich, dass bei seiner Ablehnung „Familienrücksichten die ausschlaggebende Rolle gespielt hatten“. 6. Oktober 1948: Hans Rosenberg (Brooklyn) an Friedrich Meinecke; in: Ritter: Meinecke, S. 372 f., hier S. 373. 11. November 1950: Hans Rosenberg an das Department of State, Division of Exchange of Persons (Washington, D.C.); in: Ritter: Meinecke, S. 377– 386. Die folgenden Zitate charakterisieren seine Tätigkeit und seine Schlüsse daraus: „In 1949, I went over for a period of four months. For three consecutive months I served as Visiting Professor of Modern History at the newly established Free University. When I returned this year I had […] a practically tested and, consequently, a more definitive conception as to how to go about ‚re-education‘ and ‚re-orientation‘.“ (S. 378) – „From June 16 to August 16, I gave a lecture course (4 hours a week plus several hours of discussion each week) on the history of Europe and the United States from 1918 zu 1939. In addition, I conducted a research seminar which was made up mostly of Ph.D. candidates.“ (S. 378) – „Finally, I tried to reach a wider audience by lecturing, under the auspices of RIAS [Rundfunk im amerikanischen Sektor], over the ‚university of the air‘.“ (S. 383 f.)
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Freien Universitaet Berlin (Sommersemester 1955)“⁹⁷ nach Deutschland zurück, zusätzlich unterstützt mit der Förderung als Fulbright research scholar. ⁹⁸ Bis zur Emeritierung 1970⁹⁹ kamen keine Gastprofessuren in Deutschland mehr hinzu, Rosenberg kehrte aber noch öfter nach Deutschland zurück.¹⁰⁰ Rosenbergs Name wurde in der deutsche Sozialgeschichte der 1970er Jahre zur „Chiffre“¹⁰¹ für Erneuerung und Aufbegehren gegen die ältere, historistische Tradition der deutschen Geschichtswissenschaft. Seinen Einfluss auf die Historiographieentwicklung in der Bundesrepublik diskutiere ich in Abschnitt 4.3 eingehend. Ebenfalls ab 1949 lehrte Hallgarten erstmals in Deutschland, und zwar auf eine Einladung der Universität München hin, für die er sogar seine amerikanische Anstellung aufgab.¹⁰² Er las „über Diktatur und hielt ein Seminar“.¹⁰³ Dennoch schätzte Hallgarten seine Gastprofessur während des Wintersemesters 1949/50 nicht als so bedeutend ein wie etwa Hans Rosenberg, sondern sah das überraschende Veröffentlichungsangebot des Verlags C. H. Beck für sein monumentales Imperialismus-Werk als „Hauptgewinn meines damaligen Münchener Aufenthalts“.¹⁰⁴ Da er einen Teil seines Einkommens der folgenden Jahrzehnte mit Vortragshonoraren bestreiten musste, unternahm er noch häufiger Vortragsreisen durch Deutschland und Österreich,¹⁰⁵ bei denen er oft an Volkshochschulen
Vgl. Rosenbergs eigenhändigen tabellarischen Lebenslauf in: [1957]: Stellungnahme Hans Rosenbergs im Verfahren auf Wiedergutmachung; in: Ritter: Meinecke, S. 392– 397, hier S. 393. Diese Position ist in genanntem Lebenslauf nicht erwähnt, siehe dazu das Biographische Handbuch. Dem Biographischen Handbuch widersprechen Ritter: Rosenberg (NDB), S. 63, und Coser: Refugee Scholars, S. 290, indem sie als Emeritierungsjahr 1972 angeben. Ritter korrigiert sich aber in den neueren Arbeiten Ritter: Meinecke, S. 74, und Ritter: Meinecke-Schüler in den USA, S. 92, wo er 1970 als Jahr der Emeritierung in Berkeley annimmt. Rosenberg schreibt Ende 1967: „Ich sehe daher auch meiner Emeritierung, die in drei Jahren fällig wird, mit freudiger Erwartung entgegen.“ 21. Dezember 1967: Hans Rosenberg (Berkeley) an Gerhard A. Ritter (Münster); in: Ritter: Meinecke, S. 401 f., hier S. 402. Rosenberg: Historikerleben, S. 21: „nahezu jedes Jahr mehrere Monate in Europa, vornehmlich in der BRD“. Eakin-Thimme: Vermittler sozialgeschichtlicher Ansätze, S. 81. Vgl. dazu oben ab S. 132, sowie Hallgarten: Als die Schatten fielen, S. 312. Ebenda, S. 313; Hallgarten weiter: „unter meinen Studenten war der tüchtige Erich Angermann, heute Professor der Geschichte an der Universität Köln.“ Zu Angermann, geboren 1927, ab 1963 Professor für Neuere Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der anglo-amerikanischen Geschichte in Köln, vgl. Weber: Biographisches Lexikon. Hallgarten: Als die Schatten fielen, S. 314. Vgl. ebenda, S. 366, für weitere Angaben zu Hallgartens „Imperialismus vor 1914“, sowie S. 365 f. für die verschiedenen Ausgaben des Werkes seit 1935. Vgl. etwa ebenda, S. 326 – 331, S. 337 und S. 339.
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sprach. Eine größere Vorlesungsreihe an deutschen Universitäten absolvierte Hallgarten im Sommersemester 1967.¹⁰⁶ Während die Historische Sozialwissenschaft etwa Hans Rosenberg und Eckart Kehr rezipierte, sich auf ihre Tradition berief und ihr Andenken besonders pflegte,¹⁰⁷ standen mit Hallgarten die FischerSchüler Joachim Radkau und Imanuel Geiss in Verbindung und würdigten ihn nach seinem Tod mit einer Gedenkschrift.¹⁰⁸ Fritz Epstein lehrte 1950 erstmals wieder in Deutschland. Er ging zuerst als Gastprofessor nach Berlin, dann 1954 mit Fulbright-Förderung¹⁰⁹ nach Bonn. Auf ihn trifft stärker als für manch anderen zu, was die Festschrift zu seinem 80. Geburtstag als Fazit betont: „Überhaupt riß nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Verbindung zur alten Heimat nicht wieder ab.“¹¹⁰ Denn Epstein gehört zu jenen Emigranten, die sich intensiv um eine vollständige Remigration bemühten, denen die dauerhafte Rückkehr in die deutsche universitäre Geschichtswissenschaft jedoch verwehrt blieb. In Bonn wurde Epstein 1961 lediglich zum Honorarprofessor ernannt. Zu diesem Zeitpunkt war er als „Geschäftsführender Herausgeber der ‚Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918 – 1945‘ in Bonn“ tätig (1960 – 1963),¹¹¹ nachdem er 1955 eine aussichtsreiche Berufung nach Köln nicht erhalten hatte und seine Bewerbung zum Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München 1958 gescheitert war.¹¹² Gastprofessuren hatte Epstein auch 1966 und 1968 an der Universität Hamburg inne, seiner Wirkungsstätte aus der Weimarer
Er sprach an den Universitäten München, Frankfurt am Main, Marburg, Berlin, Kiel und Hamburg: Ebenda, S. 359. Das Biographische Handbuch nennt lediglich München, Frankfurt, Hamburg und Berlin. Vgl. etwa Hans-Ulrich Wehler: Eckart Kehr; in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Deutsche Historiker, Göttingen 1973, S. 100 – 113; Ritter: Nachruf Rosenberg; sowie Winkler: Nachruf Rosenberg. Radkau/Geiss: Imperialismus. Unter den „1953 – 54 Fulbright Grantees to Germany“ erscheint „Prof. Fritz T. Epstein“ in der Liste der 19 „Lecturers“, etwas mehr als die in diesem ersten Jahr durch das Fulbright-Programm geförderten 15 „Researchers“ und zwölf „Teachers“, siehe die Broschüre: German-American Fulbright Commission (Hg.): The First Class of Fulbrighters, Berlin [2003], S. 56 f.; URL: http:// www.fulbright.de/fileadmin/files/commission/program/downloads/first_class_fulbrighters.pdf (zuletzt abgerufen am 12. Mai 2014, Archiv-URL: http://web.archive.org/web/20140512232238/ http://www.fulbright.de/fileadmin/files/commission/program/downloads/first_class_fulbrigh ters.pdf). Fischer/Moltmann/Schwabe: Vorwort zur Festschrift für Fritz T. Epstein, S. X. Ebenda, S. X. Schulze: Refugee Historians, S. 214: Epstein war tief verletzt über diese gescheiterten Remigrationsversuche, zumal Hans Rothfels ihm mitteilte, seine Ernennung zum Direktor des Instituts würde dieses als Morgenthau-Institut in Verruf gebracht haben.
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Republik.¹¹³ Drei Jahre nach der Pensionierung an der Indiana University in Bloomington kehrte er 1972 dauerhaft nach Deutschland zurück, lebte zunächst in Freiburg im Breisgau, wo er 1974 Honorarprofessor wurde, und ließ sich schließlich in Rehlingen im Landkreis Lüneburg nieder.¹¹⁴ Eugen Rosenstock-Huessy gehört mit mindestens vier Gastprofessuren¹¹⁵ ebenfalls zu den häufigsten Kurzzeit-Rückkehrern in die deutsche universitäre Lehre:¹¹⁶ „1950 bin ich von meiner alten rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät in Göttingen eingeladen worden, deutsche Rechtsgeschichte, oder was ich wollte, zu lesen; bei der Wahl meiner Vorlesungen habe ich mich langsam auf das Gebiet hinübergeschlagen, das ich nun in Amerika betreue.“¹¹⁷
In dem Interview aus dem Jahr 1958 positioniert sich Rosenstock-Huessy schwankend zwischen den völlig im Gastland integrierten Emigranten¹¹⁸ und den vollständigen Remigranten, und zwar, indem er sich mit den Rückkehrern vergleicht, unter denen er vielleicht an die 1949 remigrierten Exponenten des
So das Biographische Handbuch; dagegen nennen Fischer/Moltmann/Schwabe: Vorwort zur Festschrift für Fritz T. Epstein, S. X, „1966, 1967, 1968“ als Jahre „an seine[r] frühere[n] Universität Hamburg“. Biographisches Handbuch; vgl. Fischer/Moltmann/Schwabe: Vorwort zur Festschrift für Fritz T. Epstein, S. X f. Das Biographische Handbuch ist nicht sicher über das Remigrationsjahr 1972, Fischer, Moltmann und Schwabe datieren nicht genau: „Nach Beendigung seiner Tätigkeit in Bloomington im Jahre 1969 ging er endgültig zurück nach Deutschland“ (S. X). Sie weisen ebenda, S. VII, auch auf Epsteins Engagement für den amerikanisch-deutschen Studierendenaustausch hin: „Als im Jahre 1967 sein Sohn Klaus […] einem tragischen Unfall zum Opfer fiel, stiftete er [Fritz Epstein] das Klaus-Epstein-Gedächtnisstipendium, das […] jungen amerikanischen Historikern Jahr für Jahr die Möglichkeit gibt, Forschungen in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen.“ Das Biographische Handbuch zählt vier transatlantische Gastprofessuren Rosenstock-Huessys auf und folgt darin den Angaben seines Sohnes Hans Huessy, IfZ MA 1500. Der Status der im Folgenden darüber hinaus erwähnten Deutschlandaufenthalte ist teilweise nicht eindeutig als Gastprofessur zu bestimmen. Rosenstock-Huessy gilt als Beispiel für „émigrés who did not return but had nevertheless great influence on cultural life in the Federal Republic as representatives of their disciplines“. Dabei werden auch seine Gastprofessuren und sonstigen Deutschland-Kontakte aufgezählt von Möller: From Weimar to Bonn, S. LXV. Rosenstock-Huessy in: Auszug des Geistes, S. 106. „Dadurch habe ich Fuß in der Erde des Landes gefaßt. In der kleinen Gemeinde, in der ich jetzt lebe, bin ich so langsam akzeptiert worden. […] Ich habe mir jedenfalls meinen Friedhofsplatz an der ältesten Siedlungsstelle auf dem ältesten Friedhof des Dorfes besorgt.“ RosenstockHuessy in: Auszug des Geistes, S. 117.
4.2 Kurzzeit-Remigration als Gastprofessor
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Frankfurter Instituts für Sozialforschung, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, denkt:¹¹⁹ „Ich bin, wenn ich jetzt vom Jahre 1958 her zurückblicke, unter den Rückkehrern vielleicht der langsamste gewesen. Ich bin einer der ersten gewesen, die fortgingen und einer der letzten, die zurückkamen. Ich bin 1950 nur mit geteiltem Herzen zurückgekehrt […]. Ich nahm an, weil ich meinem Freunde Hans Thieme, der mich einlud, sehr dankbar war. […] So bin ich 1950 in ein Deutschland zurückgekehrt, das […] die Kraft hat, selbst den Untergang des preußischen Staates zu überleben.“¹²⁰
Er ordnet sich damit in die Kategorie der Remigranten ein, obwohl er „den eroberten Platz in Amerika nicht preisgeben“ will.¹²¹ Dieser Befund kann auf verschiedene Phänomene hindeuten: Einerseits muss Rosenstock-Huessys Stellung zwischen Deutschland und den USA nicht bereits endgültig geklärt gewesen sein. Dagegen spricht allerdings sein entschiedenes Bekenntnis zu der als eigene Mission begriffenen Aufgabe: „Wir sind die Generation, die zum erstenmal Europa und Amerika zusammenzwingt, dauernd zusammenzwingen muß. […] Wieweit ich den Saum hinüber und herüber steppen kann, weiß ich nicht. Aber würde ich diese fünfundzwanzig Jahre jetzt einfach hinter mich tun, so würde ich den Dienst nicht leisten, von dem ich weiß, daß ich zu ihm berufen bin.“¹²²
Andererseits lässt sich Rosenstock-Huessys Fehleinschätzung, er sei „einer der letzten, die zurückkamen“, so erklären, dass er die vor allem politischen Remigranten, die ja tatsächlich in den ersten Jahren nach Kriegsende vielfach ganz zurückgekehrt sind, mit den Kurzzeit-Remigranten, die ihre neu gewonnene Position im Emigrationsland nicht aufzugeben bereit waren, in einen Topf wirft und als „Rückkehrer“ jenen gegenüberstellt, die Reisen nach Deutschland ablehnten. Die Beispiele der folgenden Personen zeigen jedoch, dass auch nach 1950 noch viele Emigranten erstmals wieder Deutschland besuchten, in der vorliegenden Untersuchungsgruppe sogar die deutliche Mehrheit. Die Reihe der Gelegenheiten, nach Deutschland zu kommen, riss auch für Rosenstock-Huessy nicht ab: Er berichtet in dem genannten Interview bereits von fünf Deutschlandaufenthalten zu Zwecken der Lehre: „1950, 52, 56, 57, 58“,¹²³ wovon nur die Göttinger Gastprofessur
Vgl. das Biographische Handbuch. Rosenstock-Huessy in: Auszug des Geistes, S. 123. Auch Guido Kisch stand in enger Verbindung zu Hans Thieme, der einen Nachruf auf ihn verfasste: Thieme: Kisch. Rosenstock-Huessy in: Auszug des Geistes, S. 126. Ebenda. Ebenda, S. 106.
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und die Fulbright-Professur für Theologie von 1957 in Münster im Biographischen Handbuch erwähnt sind.¹²⁴ „1952 wurde ich von den bayerischen Volksbildnern angefordert. Sie waren so freundlich, sich meiner Taten zwischen 1918 und 1933 auf dem Gebiete der Volksbildung zu erinnern und wünschten, daß ich einen neuen Stab von Volksbildnern ausbilden sollte. Das habe ich auch getan.“¹²⁵
1958 folgte die Ernennung zum Ehrendoktor der Theologie in Münster, nach der Emeritierung in den USA die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes 1960, dann 1961 die philosophische Ehrendoktorwürde in Köln,¹²⁶ wo Rosenstock-Huessy bis 1962 das Amerika-Institut leitete. Lehrtätigkeit in Köln 1962 und in seinem Hauptstudienort Heidelberg ab 1963 ist wahrscheinlich, wenn auch nicht als Gastprofessur formalisiert.¹²⁷ Guido Kisch besuchte erstmals 1949 Europa, und zwar als Gastprofessor im schwedischen Lund. In diesem Zusammenhang stellte er Kontakt mit seiner späteren Wahlheimat Basel her, wohin er für den Sommer 1952 eine Einladung zu einem Forschungsaufenthalt und einem Festvortrag anlässlich des vierhundertsten Todestages des humanistischen Basler Juristen Johannes Sichardus erhielt.¹²⁸ In den folgenden Jahren war er in jedem Sommer mit zunehmendem Erfolg als Gastprofessor in Basel tätig.¹²⁹ Zunächst belastet mit großen Vorbe-
Dass Rosenstock-Huessy 1957 als Theologie-Gastprofessor von der Fulbright-Kommission gefördert wurde, verzeichnet der Artikel Rosenstock-Huessy, Eugen; in: Who’s Who 1967, S. 1819. Rosenstock-Huessy in: Auszug des Geistes, S. 124. Vgl. das Biographische Handbuch. Dagegen Wesseling: Rosenstock-Huessy, mit dem abweichenden Hinweis: „Eine Kölner Ehrenpromotion schlug [er] 1961 aus Protest gegen Ungereimtes in der Vergangenheitsbewältigung aus.“ Vgl. zur undatierten Heidelberg-Angabe Kraus: Rosenstock-Huessy (NDB), S. 76, Faulenbach: Rosenstock-Huessy, S. 104 und Wesseling: Rosenstock-Huessy. Einblick in die informellen Deutschlandreisen und vielfältigen Engagements von Rosenstock-Huessy gewährt die aus der umfangreichen Korrespondenz erarbeitete Zeittafel Hofmann: Rosenstock-Huessy, darin, S. 3 f., auch zur grundsätzlichen Ungewissheit auch publizierter Angaben zu Rosenstock-Huessys Leben, da dieser „in seinen Schriften immer wieder mehr oder weniger beiläufig […] Ereignisse und Erlebnisse aus der Erinnerung [berichtete], ohne sie genauer zu überprüfen.“ Kisch: Erinnerungen, S. 168 ff. „So reiste ich Jahr um Jahr für das Sommersemester zu Schiff über den Ozean und hielt rechtsgeschichtliche Vorlesungen und Seminarübungen in Basel, die mich auch bei und mit den Studenten bekannt machten. Ihr Interesse wuchs stetig. Die anfangs kleine Zuhörerzahl erreichte auf der Höhe meiner Basler Lehrtätigkeit die Zahl von 60 bis 70, obwohl meine Vorlesungen nicht obligatorisch, sondern sozusagen ein Luxus für die Studenten waren, die sich auf die wichtigsten Fächer konzentrieren mußten, um ihr Studium schnell zu absolvieren. Es fanden sich sogar
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halten gegen das Basel benachbarte Nachkriegsdeutschland und ihm angebotene Vortragstätigkeiten dort, wurde er „im Frühjahr 1955“ von Max Horkheimer, der „damals die Würde eines Rektors der Universität Frankfurt bekleidete“,¹³⁰ eingeladen und so überzeugt, als Gastprofessor „ein halbes Jahr mit der jungen Generation in Deutschland Fühlung zu haben und durch Behandlung eines jüdisch-historischen und juristischen Themas in Vorlesungen und Seminaren an der ‚Entnazifizierung‘ mitwirken zu können“.¹³¹ Trotz Kischs Zusage scheiterte dieses Vorhaben: „Um der Einladung nach Frankfurt folgen zu können, mußte ich mich jedoch von meinen akademischen Verpflichtungen in New York für ein Semester beurlauben lassen. […] Dr. Glueck [(der College-Präsident) machte] die Annahme meiner Berufung nach Frankfurt, der ich wegen meiner Lehrverpflichtungen in Basel ohnehin nur im nächsten Jahr hätte folgen können, bei allem Wohlwollen praktisch unmöglich […]. Denn meine immer noch labile Stellung in New York durfte ich natürlich durch die etwaige Ablehnung des neuen Lehrauftrags wegen eines noch so gut honorierten Gastsemesters in Frankfurt nicht gefährden.“¹³²
Damit entschied sich Kisch anders als Hallgarten, der in einer vergleichbaren Situation seine Stellung in den USA aufgegeben hatte.¹³³ Kischs grundsätzliche Ablehnung deutscher Universitäten aber war gebrochen.¹³⁴ Mit seiner kontinuierlichen Arbeit in Basel und sporadischen Vorträgen in Deutschland und
vereinzelt Doktoranden ein.“ Kisch: Erinnerungen, S. 172 f.; vgl. auch oben, Anmerkung 47 auf S. 224 und die dort zitierten Stellen aus Kischs Erinnerungen. Ebenda, S. 176. Kisch irrt: Horkheimer war Rektor der Frankfurter Universität lediglich 1951– 1953 und damit als erster Jude nach dem Zweiten Weltkrieg Rektor einer deutschen Universität. Vgl. etwa den Artikel Horkheimer, Max; in: Arnsberg: Geschichte Frankfurter Juden, S. 207 ff. Kisch: Erinnerungen, S. 176. Ebenda, S. 177. Vgl. die Schilderung von Hallgartens Nachkriegskarriere bis 1949 in Hallgarten: Als die Schatten fielen, S. 310 – 313, und besonders die daraus oben in Abschnitt 2.4.2 ab S. 122 zitierten Stellen. Kisch: Erinnerungen, S. 177: „Ich aber änderte später meine Haltung und lehnte Einladungen von deutschen Universitäten zu einzelnen oder mehreren Vorträgen nicht mehr ab. Eine der ersten kam wieder aus Frankfurt […]. So hielt ich im Juli 1956 erstmals nach 23 Jahren wieder eine Vorlesung vor deutschen Studenten. […] Obwohl ich einleitend meinen Gefühlen bei der erstmals nur besuchsweise erfolgten Rückkehr nach Deutschland unverhohlen Ausdruck gab, nahmen die erschienenen Professoren und ein überfülltes Auditorium meine Ausführungen freundlich auf.“ Zu den ambivalenten Gefühlen bei der erstmaligen Rückkehr nach Deutschland vgl. z. B. Krauss: Emigrantensyndrom, besonders S. 320.
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Österreich¹³⁵ engagierte sich Kisch in den 1950er Jahren von der Schweiz aus stark in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft.¹³⁶ Nach der Emeritierung am New Yorker HUC-JIR kehrte er 1962 ganz nach Europa zurück, wo ihn die Baseler Juristenfakultät zum Ehrendozenten ernannt und so an sich gebunden hatte.¹³⁷ Kischs transatlantisches Engagement ist daher geprägt von einer eigentümlichen Zwischenstellung: Die enge Bindung an Basel ist sowohl eine Art Remigration – obwohl Kisch vor der Emigration nicht in der Schweiz gelebt hatte – als auch eine weitere Emigrationsstation, da sie Kischs emotionale Distanz zu Deutschland ebenso ausdrückte wie zu seiner ursprünglichen Heimat Prag. Nationale Identifikationsmöglichkeiten spielten für Kisch – auch im Vergleich mit anderen Probanden, die ihr nationales Zugehörigkeitsgefühl zu den USA betonten – eine weit untergeordnete Rolle. Er identifizierte sich vielmehr über jüdische Religion, deutsche Sprache und rechtshistorische Profession, daneben aber ausdrücklich als „Europäer“.¹³⁸ Es mangelte Kisch nach eigener Einschätzung an „Assimilierung“¹³⁹ in den USA, verbunden mit einem Gefühl des Scheiterns: In seinen Erinnerungen begründet er seine Remigration nach Basel im Pensionsalter damit, er „habe die volle Amerikanisierung in Charakter und Lebensgestaltung nicht zu vollziehen
Kisch: Erinnerungen, S. 178, berichtet über seine Vorträge in Deutschland, dass er Kontakte „mit alten Bekannten und den Gelehrten der jungen Generation“ knüpfte, als er „nach der Frankfurter, Einladungen der juristischen Fakultäten der Universitäten Münster, Mainz, Freiburg sowie der theologischen Fakultäten der Universitäten Straßburg und Münster folgte […]. Einen Höhepunkt dieser ambulanten Vortragstätigkeit bildete für mich nachmals die Beteiligung an der dreizehnten Mediaevistentagung anläßlich der ausgezeichnet organisierten Ausstellung ‚Monumenta Judaica: 2000 Jahre Geschichte und Kultur der Juden am Rhein‘ im Herbst 1963 in Köln. Sie wurde mit meinem Vortrag über ‚Toleranz und Menschenwürde‘ eröffnet“. Schon zuvor hatte Kisch ebenda, S. 174, über eine Vortragsreise nach Wien berichtet, das er „zuerst 1903, meinen seligen Vater auf einer Reise dahin begleitend, und zuletzt vor 45 Jahren gesehen hatte.“ In den ersten 15 HZ-Jahrgängen nach Kriegsende (1949 – 1964) war Kisch sechzehnmal als Rezensent vertreten, das ist – wie sonst nur bei Klaus Epstein – eine außergewöhnlich hohe Zahl für die vorliegende Untersuchungsgruppe. Elfmal wurde ein Werk von Kisch selbst Gegenstand einer HZ-Rezension, darunter auch kleinere Schriften. Vgl. Historische Zeitschrift. Register 1949 – 1964. Kisch: Erinnerungen, S. 178 f.; außerdem ebenda, S. 189: „Das berufliche und persönliche Einleben in Basel fiel mir nicht schwer. Ich setzte Vorlesungstätigkeit und wissenschaftliche Arbeit fort.“ Ebenda, S. 15. Zur Verflüssigung und Differenzierung von Identitäten bei europäischen USImmigranten siehe Jan Logemann: Europe – Migration – Identity: Connections between migration experiences and Europeanness; in: National Identities 15 (2013), Nr. 1, S. 1– 8, zu NS-Flüchtlingen besonders S. 4 f. Kisch: Erinnerungen, S. 15.
4.2 Kurzzeit-Remigration als Gastprofessor
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vermocht.“¹⁴⁰ So kritisiert er die übliche Emigrantenautobiographik, wenn er schreibt: „Meine negativen Erfahrungen habe ich absichtlich ausführlicher geschildert (und werde das auch weiter tun), da man ähnliche Schicksale in anderen Memoiren von Emigranten kaum dargestellt findet. Sie vermeiden es, ein Mißgeschick überhaupt zu erwähnen, und ziehen es vor, persönliche Erfolge ins Licht zu stellen, um zu zeigen, wie ihre Qualitäten schon bei ihrem ersten Auftreten in Amerika zur Geltung kamen.“¹⁴¹
Kisch lobt dagegen ausdrücklich Hallgarten, der ihm als „einziger Emigrant“ bekannt ist, „der sich nicht gescheut hat, auch schmerzvolle Erfahrungen und Mißerfolge nicht zu verschweigen und nicht zu verschleiern“.¹⁴² Auch zur Remigration Theodor W. Adornos sieht Kisch Parallelen, auch diesem sei die Akkulturation in den USA nicht gelungen.¹⁴³ Zwar lassen sich transatlantische Gastprofessuren weder als Symptome für ein Scheitern noch als Ausdruck besonderen Erfolgs als Wissenschaftler ansehen, doch indem sie häufig zur Sondierung der Möglichkeiten einer künftigen Remigration fungierten,¹⁴⁴ zeigen sie zumindest Gedankenspiele über die Frage, wo die Wahlheimat eines Emigranten liegen könnte. Kisch erinnert mit seiner Betonung negativer Emigrationserfahrungen eindringlich an einen Aspekt, den man auch bei der Untersuchung beruflich erfolgreicher Emigranten nicht vergessen darf: „Nicht alle Emigrantenschicksale konnten zu Apotheosen des Erfolgs führen.“¹⁴⁵ Als erster jener vier Kurzzeit-Remigranten, die nur eine einzige Gastprofessur im deutschsprachigen Raum wahrnahmen, wurde Theodore H. von Laue 1953 Gastdozent an der Freien Universität Berlin.¹⁴⁶ Dabei nahm er als frühestes Mitglied der dritten und vierten Generation der Untersuchungsgruppe am transatlantischen Austausch teil, als er im Alter von 37 Jahren in Berlin lehrte. Auch wenn von Laue nicht direkt zur Schultradition der Meinecke-Schule zu zählen ist,¹⁴⁷ hatte er bis zu seiner Berliner Gastprofessur enge Bande dorthin entwickelt und später weiter gepflegt: Bereits 1947 stellte Felix Gilbert ihn seinem Lehrer Mei-
Ebenda. Ebenda, S. 121. Ebenda, S. 200, Endnote 13. Ebenda, S. 200, Endnote 14. Vgl. den folgenden Exkurs in Abschnitt 4.2.4 ab S. 266. Kisch: Erinnerungen, S. 16. Vgl. das Biographische Handbuch; dagegen wird von Laues Berliner Gastdozentur nicht erwähnt im Artikel Von Laue, Theodore; in: Who’s Who 1997; ebenfalls nicht im Nachruf Ropp/ Little: Theodore H. Von Laue. Vgl. oben, Abschnitt 2.3.4 ab S. 108.
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necke brieflich als seinen Freund vor,¹⁴⁸ was vermutlich auf Gilberts erste Tätigkeit am Institute for Advanced Study in Princeton 1939 – 1943 zurückging, während der von Laue an der dortigen Universität studierte. Thematisch verband ihn das Interesse an Ranke mit der Meinecke-Schule. Zusammen mit dem Umstand, dass sein Vater Max von Laue seit 1951 Direktor des Fritz-Haber-Instituts der MaxPlanck-Gesellschaft in Berlin-Dahlem war,¹⁴⁹ lässt sich annehmen, dass sich in Theodore H. von Laues Gastdozentur an der Freien Universität auch seine Verbindung zur Meinecke-Schule ausdrückte.¹⁵⁰ Meinecke-Schüler Dietrich Gerhard jedenfalls ging davon aus, dass der sehr geschätzte von Laue ihm nach der Rückkehr aus Berlin Genaues über Meineckes Lebensumstände und Gesundheitszustand berichten könnte.¹⁵¹ Auf von Laue folgte 1954 der damals erst 28jährige Fritz Stern als jüngster Kurzzeit-Remigrant unter den Untersuchungspersonen, der ebenfalls an der WestBerliner Universität Gastprofessor war. Nach seinem ersten Deutschland-Besuch, der ihn 1950 zu Recherchen für seine Dissertation vor allem nach München geführt hatte,¹⁵² kehrte er mit Blick auf re-education und Kalten Krieg 1954 zurück: „Das Bildungswesen sollte beim Aufbau der Demokratie eine zentrale Rolle spielen. Ein zeichensetzendes Ereignis war dann die Gründung der Freien Universität Berlin im Dezember 1948 […], und der damalige Präsident von Columbia, Dwight D. Eisenhower, erklärte sich fast umgehend damit einverstanden, daß Columbia die neue Institution ‚adoptierte‘. [Franz] Neumann wurde zum eigentlichen Architekten der amerikanischen Hilfe für die FU und der engen Beziehungen zwischen den beiden Universitäten. […] Neumann drängte auch die Ford Foundation, sie zu unterstützen; Ford stiftete über eine Million Dollar […]. Neumann bewog Ford außerdem, ein akademisches Austauschprogramm zu schaffen, so daß Columbia-Professoren in Berlin und Berliner Professoren in Columbia lehren konnten. Die erhebliche Investition der Ford Foundation war Ausfluß der Erkenntnis, daß der Kalte Krieg auch im Bereich der Kultur geführt werden mußte. […] Neumann lud mich ein, mit ihm gemeinsam im Sommersemester 1954 an der Freien Universität zu lehren, und ich ergriff begeistert die Gelegenheit zu einer weiteren Reise nach Europa. […] Jahre später bemerkte
14. Juni 1947: Felix Gilbert an Friedrich Meinecke; in: Ritter: Meinecke, S. 258 – 261, hier S. 258. Vgl. Beck: Max von Laue; Armin Hermann: Laue, Max v.; in: NDB 13, Berlin 1982, S. 702– 705, sowie P. P. Ewald: Max von Laue 1879 – 1960; in: Acta Crystallographica 13 (1960), S. 513 – 515, hier S. 514. Zugang zu Professuren gewährte in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft zu einem großen Teil das Sozialmilieu, siehe oben, Abschnitt 2.2.3 ab S. 90 und vgl.Weber: Priester der Klio, S. 292 f., besonders Tabelle 14. 9. September 1953: Dietrich Gerhard (St. Louis, Mo.) an Antonie Meinecke; in: Ritter: Meinecke, S. 186 – 188, hier S. 187. Ritter weist ebenda, Fußnote 41, darauf hin, dass von Laue und Gerhard in den 1960er Jahren Kollegen und eng befreundet waren. Stern: Erinnerungen, S. 253 – 257.
4.2 Kurzzeit-Remigration als Gastprofessor
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mein Sohn, er habe mich nie so glücklich erlebt wie auf dieser Atlantiküberquerung. […] Ich kam mit sehr gemischten Gefühlen nach Berlin. Beherrschend war das Gefühl der Fremdheit […]. Ich war durchaus mißtrauisch und auf vorauseilende Weise feindselig […]. Meine Vorlesung an der Freien Universität trug den Titel ‚Die europäische Krise 1890 – 1950, unter besonderer Berücksichtigung der Rolle Amerikas‘.Von dem Zusammenspiel der inneren und äußeren Konflikte, die am Ausbruch des Ersten Weltkriegs beteiligt waren, wußten die Studenten offenbar nichts […]. Die Studenten nahmen diese ungewohnte Deutung der deutschen Geschichte mit wohlwollendem Ernst auf; sie waren vielleicht die erste Studentengeneration in Deutschland, die nicht mit Chauvinismus und Militarismus infiziert war.“¹⁵³
Nachdem Stern „1963 zu einer westdeutsch-amerikanischen Konferenz über Geschichtslehrbücher“ über die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts eingeladen worden war und dort „eine kritischere Beurteilung der deutschen Außenpolitik“ sowie eine Beachtung des Einflusses der innenpolitischen Spannungen gefordert hatte,¹⁵⁴ spielte er in der voll entbrannten Fischer-Kontroverse eine tragende Rolle.¹⁵⁵ Nach weiterem Engagement in und um Deutschland¹⁵⁶ wurde Stern „permanenter Gastprofessor“ in Konstanz.¹⁵⁷ Auf weitere Lehrtätigkeit im Rahmen dieser permanenten Gastprofessur geht Stern in seinen Erinnerungen nicht ein, seine Verbindungen zu Deutschland wurden aber immer enger. Rückblickend bemerkt er: „Jetzt wird mir bewußt, wie stark mein persönlicher Wunsch war, daß die beiden Teile meines Lebens, der europäische und der amerikanische, miteinander in Einklang sein sollten.“¹⁵⁸
Ebenda, S. 263 – 268. Ebenda, S. 299 f. Ebenda, S. 300 – 304. Vgl. unten, Kapitel 8.1 ab S. 521. Ab 1965 nahm er „einige Jahre lang regelmäßig an den ‚Nürnberger Gesprächen‘ teil“, mehrtägigen öffentlichen Diskussionsveranstaltungen, auf denen er mit einigen deutschen Sozialwissenschaftlern und Politikern in Kontakt kam. Stern: Erinnerungen, S. 305 f. „Selbst an den entlegensten Orten machten sich Ausläufer der leidenschaftlichen Auseinandersetzung [der Studentenrevolte] bemerkbar, auch an der neugegründeten Universität Konstanz am Bodensee. Die Universität, in den frühen sechziger Jahren gegründet von Kurt Kiesinger, dem damaligen CDU-Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, mit Dahrendorf und seinem Kollegen Waldemar Besson als ihren geistigen Vätern, war ursprünglich als kleine Reformuniversität […] gedacht, an der die interdisziplinäre Forschung im Vordergrund stehen sollte […], und mit ihrem Zuschnitt, ihrer Lage und ihrem Charakter hatte die Universität Konstanz gute Aussichten, Vorzügliches zu leisten. Zu den Neuerungen gehörte die Anwerbung von ‚ständigen Gastprofessoren‘ aus dem Ausland, die dort alle drei Jahre mindestens ein Semester lang lehren sollten. Ich hatte 1966 eine solche Berufung erhalten und diese ‚dauerhafte befristete‘ Stellung angenommen – ein hübsches Oxymoron. Columbia hatte widerstrebend zugestimmt […], und es vergingen in der Tat Jahre, bevor ich auf die Vereinbarungen mit Konstanz zurückkam. […] Im Mai 1971 ging ich erstmals nach Konstanz, und dann auch nur für einen Monat.“ Ebenda, S. 343 f. Ebenda, S. 514.
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4 Transatlantische Gastprofessuren als Westernisierungsphänomen
Seit langem als Politikberater aktiv, setzte sich Stern für die deutsch-deutsche Wiedervereinigung ein und ging 1993 auf Bitte von US-Botschafter Richard Holbrooke „als ‚Chefberater‘ der Botschaft nach Bonn“.¹⁵⁹ „Während dieser knapp fünf Monate in Bonn [1993/94] – mein längster Aufenthalt in Deutschland, seit ich es 1938 verlassen hatte – hatte ich innerhalb und außerhalb der Botschaft, in meinem Arbeitszimmer und unterwegs, mit Richard und ohne ihn ein ausgefülltes Leben. Es war für mich, als lebte ich in meinen beiden Ländern, und ich versuchte, sie beide zusammenzubringen, in der Wirklichkeit und in meinem Kopf. Und ich fand Gefallen an meiner Doppelrolle.“¹⁶⁰
Der Spagat zwischen der neuen Heimat in den USA und der alten Heimat in Europa, der ein zentrales Thema in Sterns Erinnerungen bildet, ist auch bei anderen Emigranten in vergleichbar ambivalenter Bewertung zu finden.¹⁶¹ Die Mehrheit der Probanden war, wie beschrieben, bereits vor 1955 erstmals als transatlantischer Gastprofessor remigriert. Die später – zwischen 1955 und 1962/63 – erstmals an deutschsprachige Universitäten zurückgekehrten Mitglieder der zweiten Generation waren dementsprechend während ihrer ersten Gastprofessur 53 (Holborn), 54 (Gilbert, Masur) oder sogar 66 (Misch) Jahre alt. Daher unterschied sich die Stellung dieser Gastprofessuren auf den Karrierewegen von dem Dozentenaustausch, an dem die jüngeren Probanden teilnahmen, die akademisch noch nicht etabliert waren, als sie mit 28 (Klaus Epstein), 32 (Jonas) oder 41 (von Klemperer) Jahren ihre ersten Lehrerfahrungen in Europa sammelten. Hajo Holborn, der in Yale bereits vor Kriegsbeginn fest etabliert war, wurde von der US-Regierung bis Ende 1947 stark in Anspruch genommen.¹⁶² Während er sich anschließend wieder auf die Wissenschaft konzentrierte, nahm er Gastprofessuren an den bedeutendsten Hochschulen der USA an, musste jedoch „sehr schmerzlich“ bedauernd das erste deutsche Angebot einer Gastprofessur, das ihn
Ebenda, S. 611. Ebenda, S. 628. „Ich lebte immer mehr in zwei Ländern, eine Entwicklung, die mein Leben reicher, aber auch komplizierter machte.“ Ebenda, S. 543. Vgl. besonders Klemperer: Voyage, und dessen Besprechung im Folgenden. 9. April 1949: Hajo Holborn (New Haven, Ct.) an Friedrich Meinecke; in: Ritter: Meinecke, S. 250. Holborns Darstellung hier widerspricht den üblichen Angaben biographischer Nachschlagewerke einschließlich des Biographischen Handbuchs, dass er 1943 – 1945 für das OSS und 1947– 1949 für das State Department gearbeitet habe, dazwischen aber eine Lücke in der Arbeit für die US-Regierung klaffe. In jenem Brief an Meinecke schrieb Holborn, dass er bis „spät in 1947“ in Europa war und sich anschließend „aus aller Nebenarbeit für die Regierung zurückziehen“ konnte, sodass es seitdem auch mit seinen Forschungen wieder voran gegangen sei.
4.2 Kurzzeit-Remigration als Gastprofessor
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1949 von der Freien Universität Berlin erreichte, ablehnen.¹⁶³ Bei dieser Gelegenheit betonte er gegenüber Meinecke die Bedeutung von Gastprofessuren im Ringen um die intellektuelle Prägung Europas und Deutschlands, den er offenbar im Berliner Universitätsdualismus konkretisiert sah: „Es ist mir sehr schmerzlich, daß ich nicht nach Berlin kommen kann während des SommerSemesters, jetzt wo wir alle Ihrem tapferen und hochherzigen Entschluß beispringen sollten und der Freien Universität zum Siege verhelfen sollten.“¹⁶⁴
Die erste Gastprofessur im Ausland nahm er 1955 an der Universität Wien wahr, wo er „American history“ lehrte.¹⁶⁵ Seine Fulbright Lectures teilte er 1966 zwischen Köln und Bonn auf.¹⁶⁶ Holborns Deutschland-Verbindungen in der Nachkriegszeit gingen darüber aber weit hinaus: „In den deutsch-amerikanischen Beziehungen hat er als Deuter der deutschen Geschichte in den Vereinigten Staaten, als Ratgeber der US-Regierung beim Aufbau der Militärverwaltung im besetzten Deutschland und deren Überführung in eine zivile Verwaltung, als Interpret der deutschen Politik in Amerika und der amerikanischen Politik in der Bundesrepublik und seit 1960 als Direktor des American Council on Germany eine Schlüsselrolle als Vermittler und Brückenbauer gespielt.“¹⁶⁷
Diese Bedeutung konnte Holborn erlangen, da er in den Vereinigten Staaten seine als „wissenschaftliches Wunderkind“¹⁶⁸ begonnene Karriere sehr erfolgreich fortsetzte,¹⁶⁹ auch im Vergleich mit anderen Probanden. Durch die „American-
9. April 1949: Hajo Holborn (New Haven, Ct.) an Friedrich Meinecke; in: Ritter: Meinecke, S. 250, dort besonders Anmerkung 61. Vgl. für seine Gastprofessuren in Harvard, Stanford und an der Columbia das Biographische Handbuch. 9. April 1949: Hajo Holborn (New Haven, Ct.) an Friedrich Meinecke; in: Ritter: Meinecke, S. 250. König: Fulbright in Österreich, S. 107, vgl. ebenda, S. 94– 96 und S. 123. UAL MC 703: CIES Records, Fulbright Scholar Grantee Directories, 1966 – 1967, S. 21, URL: https://libraries.uark.edu/specialcollections/fulbrightdirectories/1966%20-%201967.pdf (zuletzt abgerufen am 15. Januar 2019, Archiv-URL: http://www.webcitation.org/75RtA4BR0). Ritter: Meinecke, S. 56; vgl. Pflanze: Americanization of Holborn, das Biographische Handbuch und Holborn: Inter Nationes Preis. Ritter: Meinecke, S. 47. Die Bezeichnung Holborns als „Wunderkind“ lässt sich über Pflanze: Americanization of Holborn, S. 171, zurückverfolgen zu Alfred Vagts, der in einem von Pflanze aus den Holborn Papers (Yale University Library) zitierten „Memoir by Alfred Vagts – 1976?“ schreibt: „Among historians before 1933 he was considered something of a Wunderkind and also careerist, having found in Friedrich Meinecke a powerful protector in academic politics.“ Holborn wurde geehrt mit dem großen Bundesverdienstkreuz mit Stern (1967), der Präsidentschaft der American Historical Association (1967) und dem ersten Inter Nationes Preis für
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ization of Hajo Holborn“¹⁷⁰ konnte er eine – lange Zeit skeptische – Perspektive auf Deutschland entwickeln, die sich von Anfang an gegen den Morgenthau-Plan richtete, aber auf die konsequente Demokratisierung und West-Orientierung der Bundesrepublik zielte.¹⁷¹ Obwohl er seit 1947 mehrfach Deutschland besuchte,¹⁷² hat er eine dauerhafte Rückkehr strikt abgelehnt: Holborn sah auf Dauer „seinen und den Platz seiner [emigrierten] Kollegen in den USA.“¹⁷³ Regelmäßige Deutschlandbesuche, Veröffentlichungen oder Lehre in Deutschland beabsichtigte er aber frühzeitig, um beim Wiederaufbau der Geschichtswissenschaft zu helfen.¹⁷⁴ Für Holborns etwas älteren Kollegen Gerhard Masur gab hingegen die erste Europareise den Ausschlag zu seiner ablehnenden Haltung gegenüber einer völligen Rückkehr, nachdem er zuvor mehrfach gezögert und Berliner Angebote aus verschiedenen Gründen verschoben hatte¹⁷⁵: Völkerverständigung (1969). Ritter: Meinecke, S. 56; vgl. das Biographische Handbuch und Holborn: Inter Nationes Preis. Vgl. Pflanze: Americanization of Holborn; sowie Gilbert: Holborn, S. 7: „After his settlement in the United States, Holborn embraced American life with enthusiasm.“ Pflanze: Americanization of Holborn, v. a. S. 177 f. Holborns Einfluss auf die Politik der amerikanischen Besatzungsmacht gegenüber Nachkriegsdeutschland ließe sich nur durch ausgiebige Quellenstudien bestimmen, wie Pflanze ebenda, S. 177, sowie Ritter: Meinecke, S. 51, bemerken. Holborn berichtet im Interview für Auszug des Geistes, S. 189, dass er „1947 zum erstenmal nach Deutschland zurückkam“, um zu erkunden, „wie von der Militärregierung ein Übergang zu einem neuen friedlichen und demokratischen Staat gefunden werden könne.“ Er sei auch später in den USA „immer im Zusammenhang mit deutschen Dingen und Problemen geblieben“, sowohl durch Korrespondenz mit deutschen Freunden, als auch durch deutsche Besucher in den USA. – Vgl. Birrenbach: Laudatio auf Hajo Holborn. Eakin-Thimme: Vermittler sozialgeschichtlicher Ansätze, S. 83. 23. September 1946: Hajo Holborn (New Haven, Ct.) an Friedrich Meinecke; in: Ritter: Meinecke, S. 246– 248, hier S. 247 f.: „In general I would love nothing better than to help German historians to rebuild historical studies in Germany […] However, I would not consider accepting an appointment in a German university. Our children are American children. […] Moreover, we have not become American citizens by name only. We are deeply devoted to the country of our adoption. […] I would not consider to return to Germany permanently. But, of course, from now on I would like to visit Germany at regular intervals and would like to publish or lecture in Germany as soon as that will become possible.“ Im Juni 1948 fragte Rothfels für die Universität Heidelberg bei Masur an, ob dieser einen Ruf annehmen würde: „Natürlich kann man darauf nicht einfach mit ja oder nein antworten; seitdem habe ich nichts mehr darüber gehoert.“ 18. August 1948: Gerhard Masur (Peekskill, N.Y.) an Friedrich Meinecke; in: Ritter: Meinecke, S. 204 f., hier S. 205. Meinecke bot ihm für den Sommer 1951 eine Gastprofessur in Berlin an, die nicht zustande kam, obwohl Masur grundsätzlich interessiert war: 15. August 1950: Friedrich Meinecke (Berlin) an Gerhard Masur; in: Ritter: Meinecke, S. 206 f., sowie 3. September 1950: Gerhard Masur (Sweet Briar,Va.) an Friedrich Meinecke; in:
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„Und immer wieder kamen Anfragen, ob ich nicht nach Deutschland zurückkehren wollte. Im Sommer 1955 hatte ich eine Einladung an der Freien Universität in Berlin zu lesen. Ich hatte mir vorgenommen, auf einem Frachtschiff zu fahren, da dies die Seereise verlängern würde und fuhr auf der Hannover, die für die überfahrt von New York nach Rotterdam 13 Tage brauchte. Die meisten Passagiere waren Deutsche, und ich bekam einen Einblick in die Psychologie, die die Deutschen noch immer praktizierten. So setzte mir ein Direktor der Hamburg Amerika Linie, an dessen Tisch ich saß, auseinander, daß der Krieg von England angezettelt worden sei, um sich die deutsche Konkurrenz vom Halse zu schaffen. […] Ich fühlte, daß ich nicht in einem Lande leben könnte, in dem die Flucht in die Lüge zur Lebensnotwendigkeit geworden war.“¹⁷⁶
Dennoch kehrte er im folgenden Sommer mit Unterstützung der Guggenheim Foundation zurück, um erneut – für sechs Wochen – an der Freien Universität Berlin zu lehren und in Bonn seinen Antrag auf Wiedergutmachung zu stellen.¹⁷⁷
Ritter: Meinecke, S. 207 f. – Die guten Kontakte zu Hans Herzfeld und ihre persönlichen Treffen bei Herzfelds USA-Aufenthalten dürften eine wichtige Rolle gespielt haben, als Masur schließlich – allerdings erst nach dem Tod seines Lehrers Meinecke – seine Widerstände beiseite schob: Brief Hans Herzfeld an Gerhard Masur, New York 07.12.1952; Brief Hans Herzfeld an Gerhard Masur, Berlin-Dahlem 29.08.1953; Brief Gerhard Masur an Hans Herzfeld, Sweet Briar 14.09.1953 [Entwurf]; Brief Hans Herzfeld an Gerhard Masur, Berlin-Dahlem 26.09.1953; alle in: Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/59. Masur: Das ungewisse Herz, S. 296. Zur Wiedergutmachung vgl. Krauss: Westliche Besatzungszonen und BRD, Sp. 1167, sowie Krauss: Geschichte der Remigration, besonders S. 144 ff.; dass „Versorgungsbezüge […] nicht ins Ausland bezahlt werden“ durften (ebenda, S. 144; vgl. Krauss: Bürokratie und Remigration, S. 97; Krauss: Emigrantensyndrom, S. 330), unterlag im Verlauf der 1950er Jahre einigen gesetzlichen Änderungen. Masurs Wiedergutmachungsbescheid zeigt, dass Zahlungen ins Ausland Mitte der 1950er nicht ausgeschlossen waren. 30. Juli 1956: Wiedergutmachungsbescheid für Gerhard Masur; in: Ritter: Meinecke, S. 210 – 213. Der Bescheid stützt sich auf das Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für die im Ausland lebenden Angehörigen des öffentlichen Dienstes (vom 18. März 1952); in: Bundesgesetzblatt. Teil I, Nr. 10, 21. März 1952, S. 137 f., in der 1955 geänderten Fassung, die Masur als ehemaligen Privatdozenten betraf: Drittes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes (vom 23. Dezember 1955); in: Bundesgesetzblatt. Teil I, Nr. 47, 28. Dezember 1955, S. 820 – 834, Anlage S. 822– 834, insbesondere § 21b. Zur Erweiterung der Wiedergutmachungsregelung auf jene, „die ihren Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt im Ausland haben“, siehe Lehrach: Wiederaufbau und Kernenergie, S. 90 – 93, besonders S. 91; vgl. Szabó: Göttinger Hochschullehrer im NS, S. 332 ff. – Zur Darstellung von Ritter: Meinecke, S. 47, dass Masur sich deshalb gegen eine Remigration entschieden habe, weil er „seine Bezüge als Berliner Emeritus verloren“ hätte, wenn er eine Professur in der Bundesrepublik angenommen hätte, siehe unten, Anmerkung 193 auf S. 254.
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„Ich fand die Studentenschaft aufgeschlossen und im ganzen bereit, mit der Vergangenheit abzuschließen. Die Zerstörung Berlins war ungeheuer, besonders in dem kommunistischen Sektor, ja sie war so groß, daß sie kein Heimweh aufkommen ließ.“¹⁷⁸
Masur befürwortete offenbar die Bereitschaft der Studierenden, sich von der nationalsozialistischen Vergangenheit zu lösen, sah aber auch 20 Jahre nach Kriegsende noch keinen Anschluss der deutschen universitären Lehrformen an die als erfolgreich bewerteten amerikanischen Vorbilder: „Das System der Vorlesung hat zwei Nachteile. Der erste ist, daß der Professor sich mit der Routine einer einmal ausgearbeiteten Vorlesung zufrieden gibt, und diese stur wiederholt, ohne auch nur den Staub von den vergilbten Blättern abzublasen. […] Der zweite Nachteil liegt darin, daß die Vorlesung den Studenten in ein passives Organ verwandelt, das sich damit begnügt, nachzuschreiben, was der Lehrer sagt. Das hat schon Mephistopheles gewußt und darüber gespottet. In Amerika hat man diese Gefahr überwunden, indem man jedem Studenten das Recht zur Diskussion einräumt. Ich halte dies für eine ausgezeichnete Methode und habe mich ohne Schwierigkeiten an sie gewöhnt. […] Die deutschen Studenten haben sich nicht leicht an die Methode der freien Diskussion in der Vorlesung gewöhnt. Als ich 1965/66 an der Freien Universität Berlin lehrte, hatte ich mit meinem Versuch, die Studenten zur Diskussion zu bewegen, keinerlei Erfolg.“¹⁷⁹
Vor dieser Gastprofessur war Masur bereits 1960 zu Vorlesungen nach Berlin zurückgekehrt,¹⁸⁰ so dass er von 1955 bis 1965/66 viermal in seiner Heimatstadt lehrte. An Angeboten scheiterte ein Engagement Masurs andernorts nicht, so dass man seine Verbindungen nach Berlin als erforderlich zur Überwindung der Widerstände ansehen kann, die ihn immer wieder hin- und hergerissen erscheinen lassen: Als sein Freund Dietrich Gerhard Masur bat, ihn ihm Wintersemester 1956/57 als Gastprofessor und Direktor des Amerika-Instituts in Köln zu vertreten, erklärte sich Masur unter Verweis auf die Personalnot am Bryn Mawr College für
Masur: Das ungewisse Herz, S. 300. Ebenda, S. 145. Die „deutsche Erfindung“ des Seminars bewertet er allerdings ebenda, S. 145 f. positiv; die deutschen zeigten sich darin „oft den amerikanischen Studenten überlegen.“ Zum „weniger förmlichen Veranstaltungsstil“ in den USA und dem Prozess der Anpassung daran äußerte sich auch Rothfels, vgl. Eckel: Rothfels, S. 217. Die Annahme von Krauss: Transatlantische Gastprofessoren, S. 244, dass die transatlantischen Gastprofessoren „Elemente einer neuen Wissenschaftskultur nach Deutschland mitbrachten“, darunter auch „einen anderen Lehrstil“, bestätigt sich in derartigen Äußerungen, die darauf eingehen, wie Gastprofessoren die Vorteile verschiedener Wissenschaftskulturen abwogen und zu verknüpfen versuchten. Siehe Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/1– 22: Personal Record of Gerhard Masur, Berkeley (Kalifornien) 1967. Zu dieser Zeit befand sich Masur bereits in Verhandlungen mit der Universität Tübingen über die Übernahme der Nachfolge Hans Rothfels’, siehe die lange Fußnote 35 in: Ritter: Meinecke, S. 214 f., sowie die unten in Anmerkung 194 auf S. 255 genannten Briefe.
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unabkömmlich.¹⁸¹ Auch für das Sommersemester 1962 bat ihn Dietrich Gerhard als Gastprofessor nach Köln,¹⁸² was Masur zusagte, zumal seine Frau „sogar Feuer und Flamme für diese Aussicht“ sei.¹⁸³ Doch da Masur aus Termingründen frühestens am 1. Juni 1962 nach Deutschland kommen könnte und fragte, ob es möglich sei, die Ausfälle durch Abhalten einer dreistündigen Vorlesung zu kompensieren,¹⁸⁴ zerschlug sich auch diese Gelegenheit,¹⁸⁵ da Dietrich Gerhard fürchtete, dass eine so spät beginnende Veranstaltung keine Studenten mehr anziehen könnte.¹⁸⁶ Wiederum fünf Jahre später nahm Gerhard es in Angriff, Masur in Göttingen als Gastprofessor zu vermitteln, als er selbst sich von der Lehrtätigkeit dort zurückziehen musste.¹⁸⁷ Masur zeigte sich wiederum angetan und erklärte mehrfach, dass dies gut in seine Pläne passe,¹⁸⁸ doch auch 1968 wurde nichts daraus, und 1969 sagte Masur eine Gastprofessur in Göttingen erneut ab.¹⁸⁹ Leichter fiel
Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/58: Brief Dietrich Gerhard an Gerhard Masur, KölnLindenthal 01.10.1955. Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/58: Brief Dietrich Gerhard an Gerhard Masur, Göttingen 27.01.1962. Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/58: Brief Gerhard Masur an Dietrich Gerhard, Lynchburg (Virginia) 30.01.1962. Ebenda. Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/58: Brief Gerhard Masur an Dietrich Gerhard, Lynchburg (Virginia) 12.02.1962. Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/58: Brief Dietrich Gerhard an Gerhard Masur, Göttingen 04.02.1962. Dem Prodekan machte er Masur durch drei Argumente schmackhaft, die durchaus typisch und erfolgversprechend waren, wie man beim Vergleich mit König: Fulbright in Österreich, sehen kann. „Sie werden sich erinnern, daß Sie nach dem mit Recht so gut aufgenommenen Vortrag von Herrn Masur im vorigen Sommer anregten, ihn vielleicht einmal als Gastprofessor zu gewinnen. Diese Möglichkeit würde für den Sommer 1968 bestehen, so daß dann auf diese Weise gewissermaßen meine Tätigkeit vorläufig von anderer Seite fortgesetzt werden könnte. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Fulbright-Kommission eine solche Gastprofessur finanzieren könnte. Nötig wäre dafür ein sogenannter ‚name request‘, d. h. eine offizielle Mitteilung der Fakultät, daß man Herrn Masur als Gastprofessor wünscht.“ Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/58: Brief Dietrich Gerhard an Herbert Jankuhn, [Durchschlag ohne Ort] 18.04.1967. Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/58: Brief Gerhard Masur an Dietrich Gerhard, Berkeley (Kalifornien) 22.04.1967; sowie Brief Gerhard Masur an Dietrich Gerhard, Berkeley (Kalifornien) 04.06.1967. Siehe den Briefwechsel Gerhard Masurs mit Günther Patzig, damals Dekan der Philosophischen Fakultät, im Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/58. Vgl. IfZ ED 216/57 für die Probleme mit der Fulbright-Organisation, die nach langem Hin und Her zu der Absage führten.
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ihm die Entscheidung für einen Forschungsaufenthalt 1969/70 in Berlin.¹⁹⁰ Die psychischen Belastungen, die für Masur mit Gastprofessuren einhergingen, lassen sich an seinem Umgang mit Angeboten zur dauerhaften Remigration ermessen: „Ich machte einen kurzen Abstecher nach Frankfurt am Main, wo man daran gedacht hatte, mir eine Professur anzubieten. Aber der Kontakt mit den deutschen Historiker [sic] war wenig ermutigend, und ich ließ die Angelegenheit einschlafen. Jedoch litt ich in der ganzen Zeit an einer pathologischen Furcht vor Einsamkeit und kann nur mit Schrecken an diese Wochen zurückdenken.“¹⁹¹
Durch den positiven Wiedergutmachungsbescheid, der Masur in den Status eines emeritierten ordentlichen Professors erhob und ihm entsprechende Bezüge zusprach, wurde Masurs bis dahin unsichere wirtschaftliche Lage deutlich verbessert.¹⁹² Trotzdem – oder gerade deswegen, wie Gerhard A. Ritter annimmt¹⁹³ – war Masur letztlich nicht bereit, seine in den USA mühsam erworbene Stellung als Professor aufzugeben und die amerikanische Staatsbürgerschaft zu riskieren, um den ergangenen Ruf als Nachfolger Hans Rothfels’ an die Universität Tübingen
Mit dem Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/1, lässt sich Masurs Berlin-Aufenthalt mit seiner Ehefrau Helen auf die Zeit vom 1. Juli 1969 bis zum 31. Januar 1970 datieren. Masur: Das ungewisse Herz, S. 300. „Seitdem war mein Leben finanziell gesichert, und eine der Ängste, die mich seit 1935 geplagt hatten, fiel von mir ab.“ Ebenda, S. 300. Siehe 30. Juli 1956: Wiedergutmachungsbescheid für Gerhard Masur; in: Ritter: Meinecke, S. 210 – 213; vgl. ebenda, S. 47. Masur erhielt 1962 zusätzlich „eine Kapitalentschädigung von DM 10 488,– wegen Schäden im beruflichen Fortkommen“ in der Zeit zwischen 1935 und der Beschäftigung am Sweet Briar College 1947. Siehe dazu Ritter: Meinecke, Fußnote 30 auf S. 210. Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 135, merkt an, dass Fritz Epstein „offensichtlich die für dieses Verfahren gesetzten Antragstermine hatte vergehen lassen“, und dass Rothfels sich Mitte der 1950er Jahre um eine Wiederaufnahme von Epsteins Entschädigungsverfahren bemühte. Im Unterschied zu Masur war Epstein nicht habilitiert, als er emigrierte, da die Nazis seine Habilitation verhindert hatten, so Weinberg: Fritz T. Epstein, S. 399. Daher konnte Epstein sich nicht auf die Privatdozenten-Regelung berufen, nach der Masur Wiedergutmachtung zugesprochen wurde, siehe oben, Anmerkung 177 auf S. 251. Die nähere Untersuchung der konkreten Verfahren zur „Wiedergutmachtung nationalsozialistischen Unrechts“ einer Gruppe wie der emigrierten Historiker könnte genaueren Einblick geben in die Entschädigungspraxis der 1950er Jahre. Ritter: Meinecke, S. 47. Ritters Andeutung, Masur habe möglicherweise Rufe aus Deutschland abgelehnt, um die durch die Wiedergutmachungsregelung erreichten Bezüge als Emeritus nicht zu verlieren, wird nicht näher begründet oder belegt und erscheint in dieser Form nicht hinreichend plausibel. Durch die Annahme eines Rufs in die Bundesrepublik hätte Masur ja statt der Emeritenbezüge die volle Besoldung eines Ordinarius erhalten; die Verringerung seiner Ansprüche auf ein anschließendes Ruhegehalt ist nicht anznehmen. Ein wirtschaftliches Risiko wäre Masur daher aus einer dauerhaften Remigration wohl nicht erwachsen.
4.2 Kurzzeit-Remigration als Gastprofessor
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oder eine Professur an der Freien Universität Berlin anzunehmen. Der diesbezügliche Briefwechsel mit Rothfels¹⁹⁴ deutet Masurs Sicherheitsbedürfnis und seine psychischen Vorbehalte und Ängste gegenüber einer dauerhaften Remigration an.¹⁹⁵ Als weitere Ablehnungsgründe führt Masur in seinen Erinnerungen an, er habe den USA aus Dankbarkeit für die großherzige Aufnahme des Emigranten nicht untreu werden wollen, zudem sei „der Blutgraben, der Deutschland seit 1933 umzog, zu weit und zu tief“ gewesen, schließlich habe die 1960 geschlossene Ehe mit seiner langjährigen Lebensgefährtin, der Lynchburger Professorin Helen Gaylord Masur, seine Bindung an die USA enger geknüpft:¹⁹⁶ „So ist es auch gekommen, daß ich noch heute Virginia als meine Wahlheimat betrachte, nachdem mich die erste so schmählich verraten hat.“¹⁹⁷
Dass er den Rufen nach Deutschland „nicht mehr zu folgen vermochte“, belastete Masur nach den Erinnerungen seines Schülers Wilmont Haacke, der von „seinem Heimweh nach der Vaterstadt“ berichtet,¹⁹⁸ zudem davon, dass Masur „den Versuch der [jüdisch-deutschen] Assimilation“ nicht „als einen Fehlschlag bezeichnen“ wollte, nur weil „das deutsche Volk sein Schicksal einem Besessenen [Hitler]
Veröffentlicht sind: 25. Januar 1961: Hans Rothfels (Tübingen) an Gerhard Masur (Lynchburg, Va.); in: Ritter: Meinecke, S. 214 f.; 12. Februar 1961: Gerhard Masur (Lynchburg, Va.) an Hans Rothfels (Tübingen); in: Ritter: Meinecke, S. 216 f.; vgl. Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/62. „Ich habe […] den Schluss gezogen, dass es eine grosse physische, finanzielle und nervenmässige Belastung darstellt, die ich nur dann eingehen könnte, wenn man mir von Washington ein bindendes Versprechen geben würde [die US-Staatsbürgerschaft aufrecht zu erhalten]. Ich fühle mich nicht stark genug ‚to commute‘ between Germany and the U. S. […] Aber wenn man 59 Jahre erreicht hat, und so viel herumgeworfen worden ist wie ich, kann man einen so grundstürzenden Entschluss nicht über das Knie brechen – und wie ich schon sagte, eine rasche Entscheidung konnte nur negativ ausfallen.“ 12. Februar 1961: Gerhard Masur (Lynchburg,Va.) an Hans Rothfels (Tübingen); in: Ritter: Meinecke, S. 216 f., hier S. 217. Man beachte den zitierten einzigen Wechsel ins Englische in diesem Brief. Mit dem Hinweis auf die „rasche Entscheidung“ versucht sich Masur gegen Rothfels impliziten Vorwurf zu verteidigen, mit dem Vorwand des Zeitdrucks abgesagt zu haben, während er eigentlich nach Berlin wolle. Dass ihm die Entscheidung angesichts der Vorzüge der Remigration nach Tübingen nicht leicht fiel, beteuert Masur ebenda: „[I]ch habe hart mit mir selbst gerungen.“ Masur: Das ungewisse Herz, S. 313.Vgl. zu Masurs Gattin auch Harold Eugene Davis: Gerhard Masur (1901– 1975); in: The Hispanic American Historical Review 56 (1976), S. 630. Auch Hajo Holborn hatte Masur in einem Brief vom 9. März 1961 von der Remigration abgeraten: „I would wish that you would stay on this side of the Atlantic.“ Eakin-Thimme: Vermittler sozialgeschichtlicher Ansätze, S. 83. Eakin-Thimme zitiert den Brief aus Masurs Nachlass. Masur: Das ungewisse Herz, S. 283. Haacke: Erinnerungen an Gerhard Masur, S. 273.
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überantwortete“.¹⁹⁹ Aber auch noch bei ihrer letzten Begegnung habe Masur „voller Bitterkeit“ die zunehmend schlechten Eigenschaften seines deutschen Publikums analysiert: „Die Leute mögen Geist nicht und Geistreiches schon gar nicht. Das habe ich schon vor 1933 erfahren; aber mit der den Deutschen innewohnenden Mangelkrankheit, es ist ihre Humorlosigkeit, ist es inzwischen nur noch schlimmer geworden.“²⁰⁰
Die innere Zerrissenheit von Emigranten wie Masur, die ihn wie andere zwischen Remigrationswünschen und dem Festhalten an der neugewonnenen Heimat in den USA lavieren ließ, wird in der deutschen Forschung zuweilen vernachlässigt, indem man davon ausgeht, dass einer als Primärziel angenommenen Rückkehr in die alte Heimat vorwiegend äußere Hindernisse entgegengestanden haben.²⁰¹ Klaus Epstein nahm bis zu seinem frühen Tod 1967 zwei Gastprofessuren wahr. Noch während seiner Zeit als Dozent in Harvard kam er 1955/56 zu Fulbright-Vorlesungen in seine Heimatstadt Hamburg zurück, die er als Kind hatte verlassen müssen. 1961/62 wurde er Gastprofessor in Bonn, wo sein Vater zuvor bereits zu Gast gewesen war. Klaus Epsteins Deutschlandaufenthalte sind damit nicht ausgeschöpft, trotz seines geringen Alters sind zumindest zwei längere Forschungsaufenthalte nachweisbar, zuerst 1959 in Köln als Fellow des SSRC. Als er als Guggenheim Scholar zu Archivstudien nach Deutschland zurückkehrte, starb er 1967 an den Folgen eines Autounfalls in Bad Godesberg bei Bonn.²⁰² Die zahlreichen Nachrufe namhafter deutscher und amerikanischer Kollegen würdigten nicht nur Epsteins Leistungen, sondern formulierten zugleich ihr Ideal eines deutsch-amerikanischen Historikers, indem sie Epstein seiner vollkommenen Verwirklichung rühmten:²⁰³ Übereinstimmend erklärten Historiker verschie-
Ebenda, S. 275. Ebenda, S. 276. Adelheid von Saldern: „Und vor allen Dingen glaube ich, daß es uns allen bis heute schwerfällt, die NS-Herrschaft als Teil der deutschen Gesellschaft zu denken.“; in: Rüdiger Hohls/ Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 342– 357, hier S. 352, formuliert diese Annahme deutlich: „Ich denke, daß das große Ausmaß von Kontinuität [zwischen Nationalsozialismus und Bundesrepublik] vor allem deshalb unnötig war, weil sicherlich einige Emigranten zurückgekommen wären, wenn man sie stärker gedrängt hätte.“ In Masurs Fall hätte jedoch stärkeres Drängen zur Remigration die Grenze zur Unhöflichkeit zweifellos überschritten. Vgl. oben, Anmerkung 389 auf S. 161. Am deutlichsten formulierte das Ideal und seine Verwirklichung Craig: Klaus Epstein, S. 199: „Klaus Epstein described the ‚qualities of an excellent historian‘ as ‚a passion for detail, a love of archival work, a lucid power of generalization that never lost the forest for the trees, and an
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dener Generationen diesseits und jenseits des Atlantik, dass Klaus Epstein ein vorbildlicher Vermittler zwischen deutscher und amerikanischer Geschichtswissenschaft war: Brücke, Verständnis und Verbindung sind die prägenden Attribute.²⁰⁴ Wie allseits geschätzt Epstein war, illustrierte Hans W. Gatzke, selbst Emigrant, der im Nachkriegsdeutschland eher Zurückweisung erfahren hatte: „At his death, Germany’s historians paid him tributes such as they rarely pay except to the most distinguished of their own colleagues.“²⁰⁵
Die Hauptelemente von Epsteins selbstgegebenem und in den Nachrufen äußerst zustimmend kommentiertem Vermittlungsauftrag erläuterte Klaus Schwabe: „Das hieß in Amerika, die Klischees beseitigen, welche die Weltkriegspropaganda dort bis heute hinterlassen hat (Shirer). Den Deutschen aber wollte er Geschichte und politisches Denken der Vereinigten Staaten näher bringen (z. B. das amerikanische Deutschlandbild) und zugleich zu einem Ressentiment- und Tabu-freien Verständnis der eigenen Vergangenheit verhelfen, das auch ausländischer Kritik standhält. Seine unermüdliche Arbeit als Rezensent und politischer Berichterstatter […] diente vor allem diesem Ziel.“²⁰⁶
Dass Epsteins Einsatz gegen die Provinzialität der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft beiderseits²⁰⁷ besonders gelobt wurde, zeigt das Problem-
imagination that could breathe life into dusty records‘. These were gifts that he himself possessed in abundance, as his major works attest.“ Rothfels: Zwischen Deutschland und Amerika, schrieb bereits wenige Tage nach Klaus Epsteins Tod von der „Fruchtbarkeit der Brückenstellung“, die „sich schon im Lebensweg andeutet“. Entsprechend betonte auch Klaus Schwabe: Klaus W. Epstein †; in: HZ 206 (1968), S. 262– 264, wozu Epstein „nach Herkunft und Lebensschicksal wie wenige berufen gewesen ist: Brücken des Verstehens zwischen Deutschland und der Neuen Welt bauen zu helfen.“ Ohne Brückenmetaphorik bleibt Gatzke: Klaus Epstein: „Given his background and training, Klaus Epstein was well suited do serve as a link between his adopted country and the country of his birth. As he did everything else, he played this part with honesty and a deep sense of responsibility. […] he did much to foster mutual understanding beween the United States and Germany.“ Craig: Klaus Epstein, S. 199 f., konkretisiert die Vermittlungstätigkeit durch Verweis auf das wechselseitige Vorstellen und Diskutieren wichtiger Neuerscheinungen: „Thanks to such articles as his magisterial two-part review of ‚Recent American Writing on Twentieth-Century German History‘ (Die Welt als Geschichte, 1960), many German scholars were encouraged to overcome the parochialism that had been imposed on their profession by national-socialism and its aftermath. Similarly, countless historians in his own country were introduced to important German works by his analytical essays.“ Gatzke: Klaus Epstein, S. 192. Schwabe: Klaus W. Epstein, S. 263 f. Vgl. auch den von Craig: Klaus Epstein, S. 200, konstatierten „parochialism“, zitiert oben in Anmerkung 204.
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bewusstsein hinsichtlich einer engstirnig-national orientierten Disziplin, das in den 1960ern zumindest bei amerikanischen Deutschlandhistorikern, bei deutschen Remigranten wie Rothfels und bei jüngeren Historikern wie Schwabe bestand. Andererseits würdigten sowohl Schwabe und Rothfels als auch Gatzke Epsteins Engagement gegen die Kontinuitätsthese „von Luther zu Hitler“, die in den 1960er Jahren von William L. Shirers Bestseller The Rise and Fall of the Third Reich ²⁰⁸ vertreten wurde und in Deutschland Empörung auslöste. Das in den USA zunächst begeistert aufgenommene Werk Shirers hatte auch die Vertrauenswürdigkeit der Bundesrepublik als Bündnispartner der USA in Frage gestellt, was im angespannten zwischenstaatlichen Klima Anfang der 1960er starke Resonanz fand.²⁰⁹ Epstein hatte die bei weitem gehaltvollste Fachrezension vorgelegt, Shirer darin antideutsche Vorurteile vorgeworfen und ihm die Totalitarismustheorie entgegengehalten,²¹⁰ so dass Rothfels die Besprechung für die Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VfZ) ins Deutsche übersetzen ließ und sie mit dem warmen Vorwort empfahl, sie zeige, dass in den USA deutsche Geschichte „im Bewußtsein der Gemeinsamkeit westlicher geistiger Tradition“ betrieben werden könne.²¹¹ Die Nachrufe betonten im Rückblick den großen Einfluss der Besprechung. Rothfels stilisierte Epstein metaphorisch gar zum Ritter, der für die beleidigte deutsche Nation „entscheidend in die Schranken getreten“ sei.²¹² Epsteins Engagement demonstriert eindrucksvoll die politische Funktion transatlantischer Brückenbauer auf dem Feld der Kulturdiplomatie: Sie stärkten das amerikanisch-westdeutsche Bündnis, indem sie die Bundesrepublik in den USA und die USA in der Bundesrepublik gegen publizistische Angriffe verteidigten und eine transnationale Perspektive gegen national-beschränkte Sichtweisen ins Spiel brachten. Belastungen der zwischenstaatlichen Beziehungen, die sich aus der öffentlichen Wahrnehmung historischer Argumente speisten, traten Historiker wirksam entgegen. In anderen Disziplinen dürften ähnliche transnationale Experten entsprechend gewirkt haben.²¹³
Vgl. die deutsche Ausgabe: William L. Shirer: Aufstieg und Fall des Dritten Reiches, Köln 1961. Gavriel D. Rosenfeld: The Reception of William L. Shirer’s The Rise and Fall of the Third Reich in the United States and West Germany, 1960 – 62; in: Journal of Contemporary History 29 (1994), S. 95 – 128, hier besonders S. 104. Ebenda, S. 107; vgl. Klaus Epstein: Shirer’s History of Nazi Germany; in: The Review of Politics 23 (1961), Heft 2, S. 230 – 245. Klaus Epstein: Shirers „Aufstieg und Fall des Dritten Reiches“; in: VfZ 10 (1962), Heft 1, S. 95 – 112. Rothfels: Zwischen Deutschland und Amerika; vgl. Gatzke: Klaus Epstein, S. 192. Vgl. etwa zu solchen transnationalen Experten in der Mathematik: Marita Krauss: „Mixed feelings“ – remigration or internationalization of science after World War II, Vortrag auf der Ta-
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Die transnationale Identität, die einer solchen öffentlichen Wirksamkeit zugrunde lag, demonstrieren die Reflektionen Klemens von Klemperers über seine „Wanderschaft“ und sein Selbstbild als „Wanderer“,²¹⁴ die einen Schwerpunkt seiner Autobiographie bilden. Zwar identifiziert sich von Klemperer im Zusammenhang mit seiner Armee-Erfahrung „proudly“ als Amerikaner und beschreibt seine Amerikanisierung als anhaltenden Prozess,²¹⁵ er stellt jedoch auch fest, dass seine emigrantische Identität Zugehörigkeitsfragen aufwarf, und dass seine Befassung mit deutscher Geschichte auf dem Bedürfnis basierte, mit diesen Problemen umzugehen:²¹⁶ „At moments I had to ask myself where I really belonged and whether I belonged anywhere at all. […] Studying was my way of returning to my commitment to German affairs.“²¹⁷
Diese Verbindung von Identitätsfragen und Forschungsthemen trifft wohl auf die meisten Untersuchungspersonen zu, die sich nach der Emigration mit deutscher Geschichte befassten. Bei ihnen wie bei von Klemperer drückte nicht nur die Wahl des Forschungsfeldes die ambivalenten Zugehörigkeitsgefühle aus: Auch den seit den ersten Nachkriegsjahren von emigrierten Historikern gepflegten engen transatlantischen Austausch in Forschungsaufenthalten, Gastprofessuren und darüber hinaus empfand von Klemperer als vorbildlich. „I found in the published correspondence of Friedrich Meinecke a letter in which he observed that he had detected among the German refugee scholars in America no resentment; much to the contrary, they played the part of mediators to the scholars in Germany. They were, of course, my elders, and many of them were friends of mine.“²¹⁸
gung „Emigration of Mathematicians and Transmission of Mathematics: Historical Lessons and Consequences of the Third Reich“, Oberwolfach 30.10.–5.11. 2011, zusammengefasst im Tagungsbericht: Mathematisches Forschungsinstitut Oberwolfach, Report No. 51/2011, S. 2915 f. (DOI: 10.4171/OWR/2011/51), URL: https://www.mfo.de/document/1144/OWR_2011_51.pdf (zuletzt abgerufen am 5. Januar 2019). Klemperer: Voyage, S. 92: „Much academic research involves wandering from place to place, collecting information […]. But to me such traveling had a special significance. Was it another chapter of my story as a refugee? Was my having settled down in New England only an illusion? Would I ever really settle down? […] I could not help feeling like a wanderer again.“ Mit dem wiederkehrenden Bild des Wanderns bezeichnet Klemperer eine unstete, nomadische Lebensweise, die er auf seine Emigrationserfahrungen zurückführt. Im selben Sinne benutzte er den Begriff „Nobelzigeuner“, siehe oben, Anmerkung 128 auf S. 199. Klemperer: Voyage, S. 64 f. Ebenda, S. 66 und 93. Ebenda, S. 66 f. Ebenda, S. 67.
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An dieser Stelle verdeutlicht von Klemperer, dass spätere Gastprofessoren bereits die transatlantischen Praktiken ihrer – ebenfalls emigrierten – Vorgänger beobachtet hatten und ihnen nacheiferten.²¹⁹ Auch für einen jüngeren Emigranten wie von Klemperer stellten sich seine Beziehungen zu Herkunfts- und Aufnahmeland als Herausforderung einer doppelten Verwurzelung dar: „I cannot call myself an exile. I was a refugee. I left my country and my home because my livelihood – indeed, my life – was threatened. I had taken to my adopted country, the United States, with alacrity, and I was deeply grateful for the welcome I received there. Yet […] whatever I did, wherever I moved, I still had a distinct connection with my origins.“²²⁰
Von Klemperer formuliert dank seiner ausdrücklich konservativen Orientierung deutlich das Bedürfnis, die identitätsstiftende „Heimat“, die durch die Flucht ihre emotionale Eignung als sicherer Zufluchtsort verloren hatte, auf einer rationalen Ebene zu erfahren und sich so als Orientierungspunkt zu erhalten: „That challenge involved […] shuttling to and fro between the two worlds to which we were committed.“²²¹
In diesem Sinne kehrte von Klemperer in den 1950er Jahren wiederholt nach Wien zurück,²²² in die Heimat seiner Mutter, wo er 1934 auch sein Studium aufgenommen hatte.²²³ Während eines ganzjährigen Forschungsaufenthalts mit Fulbright- und Guggenheim-Stipendium wandte er sich ab Herbst 1957 in Wien der Erforschung Ignaz Seipels zu, des prägenden Bundeskanzlers Österreichs in den 1920er Jahren.²²⁴ Während seiner Österreichreisen reflektierte von Klemperer die Ideologisierung des öffentlichen Lebens im Österreich der Zwischenkriegszeit. Er sagte sich von seinen eigenen damaligen Prinzipien, von Heldentum und Idea-
Ausdrücklich schreibt Klemperer ebenda, S. 67: „For me, there was no question but to go the same way as they.“ Ebenda, S. 93. Ebenda, S. 66. Ebenda, S. 82– 86. Von Klemperers Vorfahren mütterlicherseits stammten aus Wien: E-Mail Klemens von Klemperer an Matthias Krämer, 4. Oktober 2007; vgl. Klemperer: Voyage, S. 20 f. zum Zusammenhang seiner Familienverbindungen und des Entschlusses, nach wenigen Tagen das gerade aufgenommene Studium in Oxford aufzugeben und zu seiner Großmutter nach Wien zu gehen. Ebenda, S. 85; vgl. König: Fulbright in Österreich, S. 125. Später publiziert als: Klemens von Klemperer: Ignaz Seipel. Christian Statesman in a Time of Crisis, Princeton 1972, vgl. Allan Mitchell: Fleeing Nazi Germany. Five Historians Migrate to America, Bloomington 2011, S. 24.
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lismus, von Utopismus, Romantizismus und ideologischem Eifer los²²⁵ und erkannte die Merkmale seiner Amerikanisierung an: „Possessed by an indomitable optimism, the United States had all along persisted in seeing itself as the land of infinite possibilities and progress, and this had become an article of faith, bolstered by the vastness and variety of the country and by streams of new immigrants promising a new beginning. I was one of those immigrants. My army years, my Harvard experience, my American wife and children no doubt made it possible for me to join in this song of the open road.“²²⁶
Nichtsdestotrotz strebte von Klemperer, um seine deutschsprachigen Wurzeln nicht zu vernachlässigen, bald wieder nach Europa: Mit Fulbright-Förderung vertrat er ab Herbst 1963 den in den USA weilenden Karl Dietrich Bracher an der Universität Bonn.²²⁷ Dort suchte er weiter nach dem „anderen Deutschland“ und den „guten Deutschen“. Das Motiv einer Widerlegung der Verworfenheit der deutschen Nation als ganzer durchzieht seine Erinnerungen wie auch seine Forschungen. Von Klemperers Bedürfnis danach, die Nation, die er als seine Heimat ansah, als positiven Bestandteil seiner Identität anzuerkennen, verleiht seiner Suche nach den „guten Deutschen“ den Charakter einer Rechtfertigung seiner eigenen Existenz: „The more the German nation had become an accomplice of atrocious crimes, the more I held onto the conviction that among the many wicked citizens of Sodom, there must have been righteous ones.“²²⁸
Gleich einer Suche nach den zehn Gerechten von Sodom, um derentwillen Gott Abraham in Genesis 18 verspricht, die Stadt nicht zu vernichten, fragte sich von Klemperer, angestachelt durch die Kollektivschuldthese, inwiefern auch er selbst und seine Freunde eine Mitschuld an diesen Verbrechen trugen. Wenn zehn Gerechte unter den Deutschen zu finden seien, so der Gedanke, dann sei die Nation nicht verdammt.²²⁹ Seine Erfahrungen mit Zufallsbegegnungen waren jedoch zunächst meist enttäuschend,²³⁰ auch Mitte der 1960er Jahre erschienen ihm die
Klemperer: Voyage, S. 86 f. Ebenda, S. 87. Ebenda, S. 87, vgl. für die Fulbright-Förderung das Biographische Handbuch. Klemperer: Voyage, S. 67. Vgl. ebenda. Ein Beispiel von einer Reise nach Wien 1956 mit seiner Ehefrau Elizabeth „Betty“ von Klemperer, geborene Gallaher, illustriert eine Reihe ähnlicher Anekdoten: „So we joined a man who, after short introductions, gave us to understand that he had spent years in a Nazi concentration camp. ‚Perfect,‘ I thought, ‚now Betty can meet a good Viennese.‘ But the next thing he
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meisten Deutschen noch selbstgerecht und reuelos.²³¹ Die Gastprofessur in Bonn gab ihm dennoch Hoffnung: „My encounter with the students and assistants at the university was certainly most encouraging. Here was a new generation, and I was impressed by their openness and their freedom from prejudice and from compensatory behaviors or inhibitions stemming from the Nazi past.“²³²
Später wandte sich von Klemperer auf der Suche nach den „good Germans“ der Erforschung des militärischen Widerstands zu und fand dort schließlich, nach weiteren Deutschlandaufenthalten, wonach er gesucht hatte: „I became resolved to record that there had been ten just men, Bonhoeffer and his friends in the German Resistance, in Sodom; that there had been courage and decency in Germany; that there had been people who were willing to act against the ugly consensus generally identified with the national interest.“²³³
Felix Gilberts Erfahrungen als Beobachter des Wiederaufbaus im besetzten Deutschland 1945 und erneut 1947 waren nicht sehr vielversprechend,²³⁴ ebenso seine 1948 formulierten Perspektiven für die deutsche Geschichtswissenschaft.²³⁵ Obwohl er am als notwendig angesehenen Neuaufbau zunächst nicht als Gastprofessor mitwirkte, förderte Gilbert gezielt die „new generation“ deutscher Historiker:
said was that Hitler had done one good thing: he had rid Europe of ist Jews. Painfully disappointed, I figured that he had probably been thrown into a concentration camp for his religious affiliations. Among Viennese Catholics there had always been a strong strain of anti-Semitism. How and where would I find a ‚good Viennese‘?“ Ebenda, S. 83 f. Ebenda, S. 88: „they seemed to me dazed but self-righteous and impenitent.“ Ebenda. Ebenda, S. 139. Ritter: Meinecke, S. 58; Ritter: Meinecke-Schüler in den USA, S. 72; vgl. oben, S. 135. Felix Gilbert: German Historiography during the Second World War: A Bibliographical Survey; in: AHR 53 (1947), S. 50 – 58, v. a. S. 57 f.: „Even before the Nazi period German historiography had become slightly obsolete in its exclusive concentration on political and intellectual history with its attendant neglect of problems arising out of a study of social and economic developments. […] the chances that those who survived will be able to revive German historiography are diminished by the fact they are themselves mainly Nazi products. […] very few representative historians of the pre-Nazi period are left to form a bridge between the present and the better tradition of the past and to inculcate sounder methods into the new generation. […] It would appear that German historiography will have to make an entirely new beginning the results of which will hardly become apparent within the near future.“
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„Nach 1945 hatte er stets auch zu deutschen Wissenschaftlern Kontakt, gerade den Jüngeren bot er Hilfe und Lehre; er hat viel für die geistigen Beziehungen zwischen Deutschland und Amerika geleistet.“²³⁶
An anderer Stelle konkretisiert Stern dies am Beispiel von Gilberts „Auswahl ausländischer Gelehrter für einjährige Stipendien“ am Institute for Advanced Study in Princeton: Indem er berichtet, dass er dort mit Jürgen Kocka, Karl Dietrich Bracher, Thomas Nipperdey, Hans-Ulrich Wehler sowie Hans und Wolfgang Mommsen „einige eindrucksvolle Europäer näher kennenlernte“,²³⁷ führt Stern seine eigene enge Vernetzung mit der jungen Historikergeneration der Nachkriegszeit auf Gilberts Förderung deutscher Nachwuchshistoriker in den USA zurück. „Eine Rückkehr nach Deutschland hat er jedoch auch wegen seiner festen Verankerung in den Vereinigten Staaten offenbar nie ernsthaft erwogen.“²³⁸
Ein Forschungsaufenthalt in Süddeutschland²³⁹ und eine einzige Gastprofessur 1959/60 an der Universität Köln zeugen davon, dass Gilbert weniger Aktivitäten in Deutschland entfaltete als etwa seine Freunde Hajo Holborn und Fritz Stern.²⁴⁰ Wie Holborn²⁴¹ nutzte Gilbert seine Gastprofessur, um den deutschsprachigen Studierenden amerikanische Geschichte nahezubringen, ein Thema, das er sich erst in der Emigration erschlossen hatte.²⁴² Als Gastprofessor²⁴³ lehrte auch Manfred Jonas ab 1959 amerikanische Geschichte an der Freien Universität Berlin. Jonas hatte zu diesem Zeitpunkt gerade erst seinen Ph. D. erworben und blieb thematisch seinem Hauptarbeitsfeld treu.
Fritz Stern: Nachruf auf Felix Gilbert; in: Geschichte und Gesellschaft 18 (1992), S. 133 – 135, hier S. 135. Stern: Erinnerungen, S. 359. Ritter: Meinecke, S. 60. Frankfurt, Heidelberg und München gab er als Stationen an. 25. Mai 1951: Felix Gilbert (Bryn Mawr) an Friedrich Meinecke; in: Ritter: Meinecke, S. 263 f. „Gilberts feinfühliger Nachruf auf seinen Freund Hajo Holborn“ stand Stern vor Augen, als er einen Nachruf auf seinen „Freund und Mentor Felix Gilbert“ verfasste, so Stern: Erinnerungen, S. 359; vgl. Stern: Nachruf auf Felix Gilbert, sowie Gilbert: Holborn. König: Fulbright in Österreich, S. 107, vgl. oben, S. 249. Ritter: Meinecke, S. 60: Gilberts Vorlesung in Köln behandelte die Anfänge amerikanischer Außenpolitik. Das Biographische Handbuch gibt visiting assistant professor of American history als Jonas’ Status in Berlin 1959 – 1962 an. Im zugrundeliegenden, von ihm selbst ausgefüllten Fragebogen, IfZ MA 1500, ist allerdings weder von Assistenz, noch von einer Festlegung des Lehrgegenstandes in der Gastprofessurbezeichnung die Rede.
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Während er bis 1962 diese Funktion ausfüllte, vermittelte er Geschichte und Gegenwart der USA in Deutschland auch durch Vorträge und als Radio-Kommentator. Diese Tätigkeit verweist auf einen häufigen Aspekt der GastprofessorenTätigkeit, der über den Austausch mit Fachkollegen und Studierenden hinausgeht: In vielen Fällen traten Gastprofessoren auch mit einer breiteren Öffentlichkeit in Kontakt, sei es durch Vorträge oder Rundfunk- und Zeitungsinterviews.²⁴⁴ Auf diese Weise repräsentierte und thematisierte der Amerika-Historiker Jonas die Vereinigten Staaten in Deutschland, während die meisten anderen Emigranten stärker Deutschland in den USA vertreten und sich dort meist mit Deutscher Geschichte befasst hatten. Nachdem Jonas den mehrjährigen BerlinAufenthalt am Beginn seiner akademischen Karriere absolviert hatte, kehrte er 1973 nach sechs Jahren als ordentlicher Professor nach Deutschland zurück, um in Saarbrücken als Fulbright-Dozent tätig zu werden. Die späteste erstmalige Gastprofessur ist für Carl Misch zu verzeichnen. Nach Mischs Überlegungen, unter Besatzungsherrschaft am Neuaufbau der deutschen Presse mitzuwirken,²⁴⁵ beschränkte er sich zunächst auf Beiträge für deutsche Zeitungen – etwa als „Unser Korrespondent aus New York“ für Die Neue Zeitung in München²⁴⁶ – und auf Vorträge 1951 in München, Hamburg und Berlin.²⁴⁷ Gastprofessor für Zeitungswissenschaften an der Freien Universität Berlin wurde Misch erst im Wintersemester 1962/63, als er dort deutsche Zeitungsgeschichte lehrte, im Sommersemester 1963 Veranstaltungen zum US-amerikanischen Zeitungswesen sowie zur Presse-Ethik anbot.²⁴⁸ „Carl Mischs verhinderte Rückkehr aus dem Exil“ mag zum Teil auf die „Abwehr der Daheimgebliebenen“ zurück Neben Jonas traten etwa auch Rosenberg und Rosenstock-Huessy wiederholt im Radio hervor: Vgl. zu Rosenberg: Michael Stürmer: „Man muß die Weltgeschichte nicht immer mit den Nazis beginnen lassen.“; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 358– 368, hier S. 362; zu Rosenstock-Huessy: Auszug des Geistes, worin neben Rosenstock-Huessy auch Holborn interviewt wird, sowie Schildt: Zwischen Abendland und Amerika, S. 103, wo die vermittelnde Position Rosenstock-Huessys zwischen Europa und Amerika daran deutlich wird, dass eine Sendung von 1953, in der Rosenstock-Huessy über seine seit der Weimarer Zeit gepflegten industriesoziologischen Ideen sprach, als Beispiel für im Radio aufgegriffene „Themen der Moderne“ genannt wird, „die direkt oder in irgendeiner Form vermittelt mit Amerika assoziiert wurden, tatsächlich aber durchaus in der Kontinuität deutscher sozialwissenschaftlicher Diskurse standen.“ – Auch heute, posthum ist in Deutschland Fritz Stern noch massenmedial sehr präsent. Vgl. vor allem Schneider: Mischs verhinderte Rückkehr. Ebenda, S. 87. Schneider: Misch im Exil, S. 219. Auf dieser ersten Europareise sprach er an publizistischen Instituten, was hier nicht als Vortragsreihe im Umfang einer Gastprofessur gewertet wird. Haarmann: Carl Misch, S. 159 und Anmerkung 52 auf S. 168.
4.2 Kurzzeit-Remigration als Gastprofessor
265
zuführen sein, wegen der sich Misch und andere Emigranten „als unerwünschte Eindringlinge fühlen mußten“.²⁴⁹ Es mögen auch die ihm von seinem ehemaligen Journalisten-Kollegen Erich Dombrowski schwarz in schwarz geschilderten Lebensumstände im Nachkriegsdeutschland gewesen sein,²⁵⁰ die Misch zusätzlich abgeschreckt haben.²⁵¹ Zu einem bedeutenden Teil dürften aber auch pessimistische Erfahrungsberichte und Einschätzungen anderer Emigranten Mischs Rückkehrwillen beeinträchtigt haben, wie etwa der Brief Gottfried Bermann Fischers an Misch vom 20. November 1947: „Die deutsche Mentalitaet hat sich nicht im geringsten geaendert. Dieser Zustand zusammen mit der furchtbaren Zerstoerung des Landes laesst die Zukunft voellig hoffnungslos erscheinen.“²⁵²
Während die Gastprofessoren sich mit ihrer mitteleuropäischen Herkunft auseinandersetzten, wurde ihnen auch bewusst, wie sie sich seit der Emigration weiterentwickelt hatten. Ihre „Amerikanisierung“ zeigte sich äußerlich regelmäßig an den Elementen Kriegseinsatz, Universität und Familie, während innerlich
Schneider: Mischs verhinderte Rückkehr, S. 85. Ebenda, S. 89 f. Misch antwortete Dombrowski am 29. August 1947: „Die Schilderung Ihrer Lebensverhältnisse hat mich begreiflicherweise etwas entsetzt. Über den allgemeinen Stand der Ernährung, Behausung und Bekleidung in Deutschland machte ich mir ein ungefähres Bild.“ Misch vermutete aber sogleich quellenkritisch, „daß Sie im Bestreben, unerwünschten Zuzug fernzuhalten, ein bißchen zu stark aufgetragen haben mögen.“ Ebenda, S. 91. Ebenda, S. 83, führt Schneider zahlreiche Gründe auf, die gegen eine Remigration sprachen. Allerdings sind ihre diesbezüglichen Überlegungen nicht weiter belegt, scheinen sich eher pauschal auf alle nicht Remigrierten zu beziehen. So ist etwa durch die in der Literatur nicht aufzufindende Angabe über Kinder Mischs „der Wunsch, der nachfolgenden Generation das eigene Schicksal der Entwurzelung zu ersparen“ nicht nachvollziehbar. Auch die anderen Gründe können nicht unbedingt auf Misch selbst bezogen werden, stellen allgemein aber durchaus mögliche Motive dar: „Die private und berufliche Etablierung im Gastland, familiäre Bindungen […] waren ebenso ausschlaggebende Motive wie fortgeschrittenes Alter und mangelnde Gesundheit oder fehlende Mittel für die Reise und einen Neubeginn. Innere Abkehr von Deutschland aufgrund eigener Erlebnisse oder vernichteter Beziehungen, die Nachricht von der Ermordung von Verwandten und Freunden, der Abbruch von Kontakten konnten die Remigration verhindern, aber auch […] das Gefühl, in der alten Heimat gar nicht gebraucht, ja nicht einmal erwünscht zu sein“. Skepsis gegenüber solchen mutmaßlichen Motiven ist angebracht, solange nicht Quellen einen Beleg liefern – was aufgrund des Charakters der zum Beleg benötigten Quellen in vielen Fällen nicht zu erwarten ist. Zumindest Hinweise lassen sich dagegen für den im Folgenden genannten Aspekt finden. Schneider: Journalisten im amerikanischen Exil, S. 62; der Brief befindet sich wie der Briefwechsel mit Dombrowski in den Carl Misch Papers an der State University of New York, Albany.
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besonders Orientierungen an Freiheit, Fortschritt und Vielfalt hervorstechen.²⁵³ Fehlten Teile dieser Amerikanisierungsmerkmale, setzte sich in der Nachkriegszeit nicht unbedingt das Emigrationsland als bleibender Lebensmittelpunkt durch: Remigration erschien als eine desto attraktivere Option, je unbefriedigender berufliche, familiäre und kulturelle Etablierung in der Fremde verlaufen waren. Auch für manche Untersuchungspersonen fungierte eine Gastprofessur als Möglichkeit, die eigenen Rückkehrchancen und ‐wünsche auszuloten. Diesem Aspekt möchte ich anhand dreier Gastprofessoren-Karrieren nachgehen, in denen die Rückkehr ins und akademische Etablierung im Herkunftsland eine stärkere Rolle spielte als bei vielen letztlich nur kurzzeitig remigrierten Untersuchungspersonen.
4.2.4 Exkurs: Gastprofessuren als Remigrations-Tests Im Zusammenhang mit seiner ersten Gastprofessur 1954 thematisiert Stern in seinen Erinnerungen auch das Verhältnis Franz Neumanns zu einer dauerhaften Rückkehr ins Nachkriegsdeutschland. Die Vita des 1900 geborenen Juristen und Politikwissenschaftlers Neumann weist zahlreiche Überschneidungspunkte mit den Lebensläufen der Untersuchungsgruppe auf, die eine kurze Zusammenfassung verdienen: In den 1920ern Dozent an der Frankfurter Akademie der Arbeit (wie Rosenstock-Huessy), dann bis 1933 an der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin tätig (wie Holborn), über Großbritannien in die USA emigriert und dort am ISR beschäftigt, wurde Neumann 1942 OSS-Mitarbeiter (wie Holborn, Fritz Epstein und Gilbert) und 1945 Berater des State Department (wie Gilbert, Hallgarten, Holborn und Rosenberg), war ab 1950 Professor an der Columbia University (wie Stern) und schließlich Gastprofessor an der Freien Universität Berlin (wie die Hälfte der Untersuchungsgruppe).²⁵⁴ Stern berichtet über Neumanns Vortrag „Angst und Politik“ anlässlich der Verleihung des Ehrendoktors an der Freien Universität Berlin: „Für mich war dieser Vortrag, der sich ganz auf die großen Texte der Vergangenheit gründete, eine erstaunliche und überaus sympathische Revision der [marxistischen] Ansichten, die Neumann bisher vertreten hatte. Der Vortrag hatte auch einen versteckten persönlichen Hintergrund. […] Man munkelte, er
Vgl. in dieser Zusammenstellung Klemperer: Voyage, S. 87. Zu den Lebensdaten siehe das Biographische Handbuch. Zur Bedeutung Neumanns vgl. Alfons Söllner: Ein (un)deutsches Juristenleben. Franz Neumann zum 80. Geburtstag; in: Kritische Justiz 13 (1980), Heft 4, S. 427– 437.
4.2 Kurzzeit-Remigration als Gastprofessor
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könne ganz nach Deutschland zurückkehren – und seine Auffassung, daß der Nationalsozialismus eine besonders bösartige Form einer verbreiteten politischen Deformation darstelle und kein ausschließlich deutsches Phänomen sei, hätte ihm diesen Wechsel erleichtert, ebenso wie sein augenscheinliches Glück mit seiner [deutschen] Begleiterin. Die Rückkehr hätte ihm ein politisches Forum verschafft und eine Möglichkeit, am Aufbau der deutschen Demokratie mitzuwirken. Doch am 2. September […] kam Neumann mit nur fünfundfünfzig Jahren bei einem Frontalzusammenstoß ums Leben.“²⁵⁵
Neumann stand also – egal ob er tatsächlich vollständig remigriert wäre oder nicht – in dem Verdacht, seine wissenschaftlich-politischen Auffassungen revidiert oder zumindest verändert vorgetragen zu haben, da er eine Rückkehr nach Deutschland gewünscht habe. Der entlastende Effekt von Neumanns Thesen gegenüber dem Vansittartismus ist offensichtlich.²⁵⁶ Unabhängig davon, ob es sich um ein Zugeständnis an die deutschen Zuhörer, einen Anbiederungsversuch oder eine Positionsänderung aufgrund persönlicher Überzeugung handelte – allein die Tatsache, dass das von Stern referierte Gerücht eine so große Plausibilität genoss, dass dieser es 50 Jahre später anführt, dürfte eines zeigen: Von den zur völligen Rückkehr willigen Emigranten erwartete man in Deutschland ein gewisses Maß an Anpassung und Loyalitätsbekundung, damit man bereit war, sie aufzunehmen und in wichtigen Positionen wie denen eines Professors zu installieren. Zumindest aber gingen die Emigranten (wie Stern) davon aus, dass man dies von ihnen erwartete. Nicht unähnlich ist die Sachlage bei Dietrich Gerhard, der 1950, 1951 und 1954 als Gastprofessor in Deutschland wirkte, dann ab 1955 ordentlicher Professor für Amerikawissenschaft an der Universität Köln und 1961– 1967 Leiter der Neuzeit-
Stern: Erinnerungen, S. 274 f. Zur Vansittartismus-Debatte vgl. als Überblick Radkau: Exil-Ideologie und Vansittartisten; außerdem Radkau: Die deutsche Emigration in den USA, S. 204– 213; neuere Untersuchungen verarbeitet Matthias Wolbold: Reden über Deutschland. Die Rundfunkreden Thomas Manns, Paul Tillichs und Sir Robert Vansittarts aus dem Zweiten Weltkrieg, Münster 2005 (zugleich Diss., Frankfurt am Main 2004), S. 61– 64. Einen anderen Aspekt von Neumanns Haltung drückt eine briefliche Aussage gegenüber Helge Pross aus, die ebenfalls kurz vor seinem Tod entstand: „I do believe in collective guilt – and then I cannot exempt myself.“ Die Kollektivschuldbehauptung wird dabei relativiert, indem er sich selbst mit einbezieht und die moralische Mitverantwortung zunächst auf den Aufstieg des Nationalsozialismus beschränkt. Zitiert aus: David Kettler: Exile Goes to College: Franz L. Neumann and the „Cultural Emigration“; in: David Kettler (Hg.): Essays from the „No Happy End“ Workshop. Bard College, February 13 – 15, 2001. In preparation for the conference „Contested Legacies: The German-Speaking Intellectual and Cultural Emigration to the United States and United Kingdom, 1933 – 45“. Bard College, August 13 – 15, 2002, Annandaleon-Hudson 2002, S. 31– 34, hier S. 33; vgl. Söllner: Ein (un)deutsches Juristenleben, S. 427.
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Abteilung am Göttinger Max-Planck-Institut für Geschichte war.²⁵⁷ Auch er hatte eine Loyalitätserklärung mit der frühzeitigen Bekundung der Rückkehrbereitschaft verbunden: Als Meinecke-Schüler nahm er bereits 1947 wieder Kontakt zu seinem Lehrer auf, und erhielt nach dem Bekenntnis, „kein Marxist“, sondern „im Grunde ein Konservativer“ zu sein, die Chance zu Gastprofessuren und zur Remigration.²⁵⁸ Gerhard hatte – wie andere Emigranten auch²⁵⁹ – vor dem ersten Nachkriegs-Besuch durchaus Zweifel, wie er Deutschland erleben würde.²⁶⁰ Diese wurden jedoch von seinen Eindrücken entkräftet,²⁶¹ so dass er ab Mitte der 1950er Jahre regelmäßig zwischen den USA und Deutschland pendelte. Hans Rothfels ist unter Historikern wohl der bekannteste Remigrant:²⁶² Der 1891 geborene und 1909 vom Judentum zum Protestantismus konvertierte Meinecke-Schüler war 1926 Ordinarius für Neuere Geschichte in Königsberg gewor Zu Gerhard vgl. das Biographische Handbuch; Rudolf Vierhaus: Dietrich Gerhard. 7.11. 1896 – 31.7.1985; in: HZ 242 (1986), S. 758 – 762; Ritter: Meinecke, S. 40 – 43, sowie die dort abgedruckten Dokumente ab S. 163. Möller: Remigration, S. 605, findet es „schwer zu entscheiden“, ob man Gerhard „als Rückkehrer einstufen kann, da er zeitweise in den USA, zeitweise in der Bundesrepublik lebte“. Hier wurde die ordentliche Professur ab 1955 als ausschlaggebend für die Behandlung Gerhards als Remigrant betrachtet. Dagegen hält Walther: Emigrierte deutsche Historiker, S. 43, Rothfels für den einzigen Historiker, „der an eine deutsche Hochschule zurückkehren sollte“, was jedenfalls nicht überzeugt. Brief vom 30. August 1948: Dietrich Gerhard (Lindenbrook Farms) an Friedrich Meinecke; in: Ritter: Meinecke, S. 176 – 184, hier S. 182 f.; vgl. ebenda, S. 43. Derartige Zweifel sind geradezu ein Topos der autobiographischen Emigranten-Literatur; vgl. auch außerhalb der Untersuchungsgruppe etwa Gay: Meine deutsche Frage; Iggers/Iggers: Lebensbericht. Dietrich Gerhard schätzte einen künftigen Aufenthalt in Deutschland als „schwer und innerlich mitnehmend“ ein, sehnte ihn aber herbei, so der Brief vom 30. August 1948: Dietrich Gerhard (Lindenbrook Farms) an Friedrich Meinecke; in: Ritter: Meinecke, S. 176 – 184, hier S. 182. Hans Rothfels äußerte derartige Zweifel nicht, wenn er an Meinecke schrieb, dass er zwar nicht „einfach von heute auf morgen hinwerfen könnte“, aber „auf Besuch […] gerne einmal“ käme. Brief vom 14. November 1947: Hans Rothfels (Chicago) an Friedrich Meinecke; in: ebenda, S. 156 f. Diese Erfahrung großer Befürchtungen vor dem ersten Deutschland-Besuch, die schließlich doch nicht eintreten, findet sich ebenfalls immer wieder; exemplarisch sei verwiesen auf: Peter Gay: „Gott ist eine Erfindung“ [Interview, New York, 9. November 2005]; in: Martin Doerry: „Nirgendwo und überall zu Haus“. Gespräche mit Überlebenden des Holocaust, München 2006, S. 60 – 67, hier S. 66: „[Frage:] Was für einen Eindruck hatten Sie bei Ihrem ersten Besuch in Deutschland nach dem Krieg? [Antwort:] Es war sehr unangenehm. […] Und ich war ganz sicher, dass die ersten Deutschen, denen ich nun wieder begegnen würde, sehr feindselig sein müssten. Aber die Menschen waren ganz geschäftsmäßig nüchtern, nicht unfreundlich. Und so ging es mir auf der ganzen Reise. Dennoch, wie gesagt, war es unangenehm.“ Zu Rothfels, seinem Werk und seiner Biographie, vgl. neben den Angaben aus dem Biographischen Handbuch und Ritter: Meinecke, S. 32– 40, v. a. Eckel: Rothfels; zum Überblick über seinen Lebenslauf dort insbesondere S. 31 f.
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den, wo er eine Königsberger Schultradition²⁶³ begründete, aber „1934/35 zwangsweise emeritiert wurde, da er nach der rassistischen Definition des nationalsozialistischen Regimes als ‚Volljude‘ galt“.²⁶⁴ Erst 1939 nach England emigriert, nutzte er aus der dortigen Internierung heraus 1940 das Angebot einer Gastprofessur an der Brown University in Providence zur Übersiedelung in die USA, wo er sich 1946 mit einer Professur in Chicago etablierte.²⁶⁵ Die „Rückkehr an den naturgegebenen Standort“²⁶⁶ als ordentlicher Professor in Tübingen ab 1951 fiel ihm verhältnismäßig leicht: Rothfels war schon seit 1926 ordentlicher Professor gewesen²⁶⁷ und hatte bei der Auswanderung Verbindungen zurückgelassen, die er reaktivierte. Er erklärte bald nach Kriegsende seine Bereitschaft zur Rückkehr nach Deutschland und galt als national und konservativ gesinnt. In Deutschland bestand spätestens seit seinem 1947 noch abgelehnten Ruf nach Heidelberg eine größere Nachfrage nach ihm,²⁶⁸ umso mehr, als er die Deutschen gegen Kollektivschuld-Vorwürfe verteidigte: Bei seinem ersten Deutschlandbesuch 1949 hielt Rothfels auf dem ersten deutschen Historikertag nach dem Zweiten Weltkrieg in München einen Vortrag, in dem er an seinen Bismarck-Vortrag von 1932 anknüpfte und „das Bismarckreich gegenüber solchen Deutungen verteidigte, die es in die Vorgeschichte des Na Etzemüller: Werner Conze und die Neuorientierung, S. 44– 48, lehnt den Begriff „Königsberger Schule“ ab und bevorzugt „Rothfels-Gruppe“, was aber unbefriedigend bleibt, weil Rothfels nicht das alleinige Zentrum der Gruppe war und mit Entlassung und Emigration zu einem abwesenden Fokus wurde. Eckel: Rothfels, S. 31. Dem „insgesamt typischen und im Resultat ungewöhnlich erfolgreichen Verlauf“ von Rothfels’ Emigrationskarriere wird man nicht gerecht, indem man sich wie Eckel einfach Rothfels’ Einschätzung von 1936 anschließt, er habe in der Emigration „ursprünglich schlechtere Aussichten und größere Schwierigkeiten als andere Wissenschaftler“ zu erwarten gehabt. Richtiger sind hingegen Eckels Hinweise auf die zahlreichen Kontakte in den USA, die Rothfels aktivieren konnte, so dass sich unter anderem „mit Sidney B. Fay, Edward Mead Earle und William Langer auch namhafte amerikanische Historiker [für ihn] verwandten.“ Eckel: Rothfels, S. 209 – 215, Zitate S. 210, S. 213 und S. 215. Georg Iggers weist darauf hin, dass Rothfels, bei dem er 1948 zwei Seminare belegte, als „Wissenschaftler mit ausgewiesen konservativen Einstellungen nach Chicago berufen“ wurde. Iggers/Iggers: Lebensbericht, S. 89 – 92. Eakin-Thimme: Geschichte im Exil, S. 95, zitiert einen Brief Siegfried A. Kaehlers an Friedrich Meinecke; ebenso zitiert in: Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 136. Rothfels war der einzige von den Nationalsozialisten entlassene ordentliche Professor für Geschichte der Neuzeit; daneben gab es zwei Althistoriker (darunter Richard Laqueur, siehe oben, S. 105 f.) und vier Mediävisten. So Claus-Dieter Krohn: Geschichtswissenschaften; in: Claus-Dieter Krohn/Patrik von zur Mühlen/Gerhard Paul/Lutz Winckler (Hg.): Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933 – 1945, Darmstadt 1998, Sp. 747– 761. Ritter: Meinecke, S. 38 f. und Brief vom 14. November 1947: Hans Rothfels (Chicago) an Friedrich Meinecke; in: ebenda, S. 156 f.
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tionalsozialismus einordneten. […] Der Vortrag wurde mit besonders starkem Beifall aufgenommen“, so dass die empathische „Verständigung mit den Kollegen nach der fachlichen Ausgrenzung und der Emigration wieder gelang.“²⁶⁹ Zum deutschen Widerstand gegen Hitler hatte Rothfels 1948 zudem ein Buch veröffentlicht, dessen Grundkonzeption „von Beginn an in einer zeitgeschichtlichen Verteidigung des deutschen Volkes vor der amerikanischen Öffentlichkeit“ lag.²⁷⁰ Darin diagnostizierte er den Nationalsozialismus (darin dem politisch konträren Neumann nicht unähnlich) „nicht als ein spezifisch deutsches Phänomen“, sondern derart, „daß die moderne Massenzivilisation aus sich selbst heraus ein Reservoir dunkler Kräfte erzeugt, vielleicht sollte man sagen eine Kloake, deren Freisetzung nackte Barbarei bedeutet“. Demnach stelle der Nationalsozialismus „das Produkt einer allgemeinen ‚Kultur- und Moralkrise‘ der Moderne dar, ‚die nicht auf Deutschland beschränkt blieb‘.“²⁷¹ Im Einklang mit vielen deutschen Historikern der unmittelbaren Nachkriegszeit sah Rothfels das „Dritte Reich“ denn auch nicht in der Tradition des Bismarckreiches, sondern „rückte […] den NS-Expansionismus in die Tradition der radikaldemokratischen Nationalstaatsvorstellungen der Paulskirche.“²⁷² Nach dieser ersten Deutschland-Reise 1949 nahm Rothfels 1951 einen Ruf nach Tübingen an, wo er bis zu seinem Tod 1976 blieb und eine zentrale Rolle in der westdeutschen Geschichtswissenschaft spielte²⁷³ – bis hin zum Vorsitz des
Eckel: Rothfels, S. 230. Vgl. zu dem Vortrag, dessen „lasting applause for Rothfels was the strongest impression of the Munich meeting“, Schulze: Refugee Historians, S. 206. Eckel: Rothfels, S. 244, über Hans Rothfels’ in den USA 1948 unter dem Titel „The German Opposition to Hitler. An Appraisal“ erschienenes Buch, das 1949 in Krefeld als „Die deutsche Opposition gegen Hitler“ in Übersetzung erschien und laut Eckel in Deutschland „großes Interesse“ erregte und „weithin rezipiert“ wurde. Gerhard Ritter dankte Rothfels nach Erhalt des Buches: „Es ist außerordentlich, was Sie für die deutsche Sache von Ihrem neuen Posten aus tun.“ N 1166 Gerhard Ritter/332, Ritter an Rothfels, 26. Juli 1948; zitiert nach Eckel: Rothfels, S. 249; vgl. Gerhard Ritter: Rezension zu Hans Rothfels, The German Opposition to Hitler. An Appraisal, Hinsdale, Illinois 1948; in: HZ 169 (1949), S. 402– 405. Eckel: Rothfels, S. 244; mit Zitaten von den Seiten 26 und 31 aus Rothfels’ Buch. Ebenda, S. 310. Rothfels’ immense Bedeutung für die Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik könnte keine Festrede und kein Nachruf deutlicher demonstrieren als die „feindliche“ Analyse von Seiten der DDR-Geschichtswissenschaft: Gerhard Lozek/Horst Syrbe: Geschichtsschreibung contra Geschichte. Über die antinationale Geschichtskonzeption führender westdeutscher Historiker, Berlin 1964 (zugleich Diss., Berlin 1963), S. 6 f., identifizieren die „Rothfels-Gruppe“ als „derzeit führende und einflußreichste Strömung in der westdeutschen Geschichtsschreibung zur neueren und neuesten Geschichte“ und zählen zu dieser Gruppe aufgrund von „gemeinsamen politischen, ideologischen und geschichtsphilosophischen Positionen […]: Theodor Schieder (Köln), Werner Conze (Heidelberg), Karl Dietrich Erdmann (Kiel), Theodor Eschenburg (Tübingen)“ sowie als
4.3 Studierende und ihre Gastprofessoren: Rezeption und Erinnerung
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Historikerverbandes 1958 – 1962. Insgesamt diente Rothfels’ in den USA entstandenes Werk „zum Erschreiben der Rückkehr, nicht zum Einschreiben in eine neue Kultur“.²⁷⁴ Für bloße Gastprofessuren in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik waren derartige Übereinstimmungen mit einem wie auch immer gearteten Fachkonsens hingegen nicht unbedingt notwendig, wie etwa Hallgartens Gastvorlesungen in München oder seine Vortragsreisen durch Deutschland zeigen.
4.3 Studierende und ihre Gastprofessoren: Rezeption und Erinnerung Ab Mitte der 1960er Jahre gelangte in Deutschland eine neue Historikergeneration auf Lehrstühle, die erste, die ihr Studium in der Nachkriegszeit absolviert hatte. Viele von ihnen hatten nicht nur die transatlantischen Gastprofessoren in Deutschland erlebt, sondern auch selbst als Austauschstudenten Erfahrungen in den USA gemacht.²⁷⁵ Schon 1969 erhoffte sich der emigrierte Historiker und
„Anhang“, der sich „aus ehemaligen Schülern von Rothfels, Eschenburg und Schieder“ rekrutiere, „Waldemar Besson (Erlangen), Helmut Krausnick (München), Hans Mommsen (München), Wolfgang Mommsen (Köln), Freiherr Hiller von Gaertringen (Tübingen), Dietrich Geyer (Frankfurt a. M.), Hans Roos (Göttingen) und andere.“ Als dieser Gruppierung nahestehend nennen Lozek und Syrbe „vornehmlich: Werner Markert (Tübingen), Hans Herzfeld (Westberlin), Paul Kluke (Frankfurt a. M.), Reinhard Wittram (Göttingen) sowie von den jüngeren Historikern Karl Dietrich Bracher (Bonn) und Erich Matthias (Bad Godesberg).“ Dies seien allesamt „ergebene Parteigänger des Teiles der deutschen Großbourgeoisie, der seine antinationalen Klasseninteressen in einem besonders engen Bündnis mit dem USA-Imperialismus durchzusetzen bestrebt ist.“ Hinter all der marxistisch-leninistischen Wissenschaftsprosa können die Autoren ebenda, S. 216, ihre Anerkennung für die Attraktivität einiger Aspekte im Habitus der Rothfels-Gruppe kaum verhehlen, die nicht zuletzt in der Orientierung an den USA – und damit in Rothfels’ Emigrationserfahrung – begründet liegen: „die vorgegebene Weltoffenheit, das Kokettieren mit humanistischen und liberalen Ideen oder auch die scheinbar maßvolle und tolerante Form, die weltmännische Gebärde, die besonders Rothfels eigen ist.“ Thomas Etzemüller: Sozialgeschichte als politische Geschichte. Werner Conze und die Neuorientierung der westdeutschen Geschichtswissenschaft nach 1945, München 2001, ab. S. 44, hat fast 40 Jahre später die „Rothfels-Gruppe“ wiederentdeckt und sie, ohne Verweis auf Lozek und Syrbe, zum Dreh- und Angelpunkt seiner Analyse gemacht. Ebenda, S. 47, nennt und problematisiert Etzemüller seine konkrete Zurechnung von Personen zu dieser Gruppe, bei der er sich durchaus von Lozek und Syrbe unterscheidet. Eckel: Rothfels, S. 391. Vgl. Hohls/Jarausch: Versäumte Fragen, darin etwa die Interviews mit Wehler, S. 242 f., Kocka, S. 384, und dem bereits als Austauschschüler nach Amerika gereisten Lehmann, S. 319: Hans-Ulrich Wehler: „Historiker sollten auch politisch zu den Positionen stehen, die sie in der Wissenschaft vertreten.“; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 240 – 266;
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spätere Gastprofessor Georg Iggers von diesem Generationswechsel²⁷⁶ die Neuorientierung der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft, die er zwischen 1945 und den 1960er Jahren vermisst hatte. 30 Jahre später sah Iggers diese Hoffnung bestätigt und konstatierte auch einen Einfluss von Emigranten auf die kritischen Sozialhistoriker: „In vielerlei Hinsicht standen sie in der Tradition einer Sozialgeschichte, wie sie von Historikern wie Eckart Kehr, Hans Rosenberg, Arthur Rosenberg, Veit Valentin, Gustav Mayer und Hajo Holborn, die von den Nationalsozialisten in die Emigration gezwungen worden waren, in der Zeit der Weimarer Republik vertreten worden war. Dazu kamen Einflüsse aus den Sozialwissenschaften in Amerika und England und nicht zuletzt aus der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule von Max Horkheimer und Theodor Adorno, die aus der Emigration zurückgekehrt waren.“²⁷⁷
Auffällig an dieser Schilderung ist, dass Emigranten kein Einfluss aus der räumlichen Distanz zugesprochen wird. Die genannten Historiker hätten nach Iggers’ Schilderung in der Weimarer Republik eine Tradition hinterlassen, an die jüngere Sozialhistoriker in den 1960ern anknüpften, ergänzt um Einflüsse der remigrierten Vertreter der Kritischen Theorie und Impulse anglo-amerikanischer Sozialwissenschaftler. Nicht unähnlich ist die Skepsis, mit der Eakin-Thimme die Einflüsse von Emigranten auf die „Moderne Deutsche Sozialgeschichte“ diskutiert.²⁷⁸ Dagegen möchte ich im Folgenden herausarbeiten, inwiefern das transatlantische Engagement der emigrierten Historiker den Transfer der drei von Iggers genannten Elemente – oppositionelle Weimarer Traditionen, anglophone Sozialwissenschaften und Kritische Theorie – auf die jüngere, kritische Sozialgeschichtsschreibung erst möglich gemacht hat. Gerade als Gastprofessoren
Jürgen Kocka: „Wir sind ein Fach, das nicht nur für sich selber schreibt und forscht, sondern zur Aufklärung und zum Selbstverständnis der eigenen Gesellschaft und Kultur beitragen sollte.“; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 383 – 403; Hartmut Lehmann: „Es gab Vordenker, es gab Mitläufer, und es gab natürlich auch viele Emigranten, die man heute in der Regel vergißt.“; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 319 – 341. Georg G. Iggers: Rezension zu Helmut Heiber, Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des Neuen Deutschlands, Stuttgart 1966; in: Central European History 2 (1969), S. 181– 188, hier S. 187 f. Dabei betonte er den Zusammenhang von Demokratisierung und historiographischer Erneuerung: „A democratic Germany must re-examine not only its political but also its historiographical traditions.“ Iggers/Iggers: Lebensbericht, S. 259. Eakin-Thimme: Vermittler sozialgeschichtlicher Ansätze, S. 81; vgl. Schulze: Refugee Historians, S. 223 f.
4.3 Studierende und ihre Gastprofessoren: Rezeption und Erinnerung
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konnten sie der nachwachsenden Historikergeneration zeigen, dass andere Perspektiven auf die deutsche Geschichte vertretbar waren, welche verschütteten Traditionsbestände es gab, und wie man mit sozialwissenschaftlichen Methoden neue Antworten auf die neuen Fragen finden konnte, die sich in den Nachkriegsgesellschaften stellten.²⁷⁹ Dazu analysiere ich Interviews, die ein Team um Rüdiger Hohls und Konrad H. Jarausch in Folge des Frankfurter Historikertags 1998 mit 17 deutschen Historikerinnen und Historikern der „Nachkriegsgeneration“²⁸⁰ führte, also genau mit jenen, die in der Zeit zwischen 1945 und den 1960er Jahren in der Bundesrepublik Geschichte studiert hatten. Die zwischen 1922 und 1942 geborenen Interviewpartner hatten alle „bei maßgeblichen Historikern studiert oder gearbeitet“ und besetzten später selbst „akademische wie wissenschaftspolitisch maßgebliche Positionen“.²⁸¹ Als „Mitgestalter und Meinungsführer der bundesdeutschen (Neuzeit‐)Geschichtswissenschaft der 70er bis 90er Jahre“²⁸² sollten sie Auskunft geben zu ihrem Verhältnis zu ihren akademischen Lehrern, deren Rolle im Nationalsozialismus, den Kontinuitätslinien in die Bundesrepublik und eben den „versäumten Fragen“, derentwegen die Kontroverse um Historiker im Nationalsozialismus auch den Nachkriegshistorikern scharfe Vorwürfe eingetragen hatte.²⁸³ In Form einer Generationen-Konstellation von „schuldigen Vätern, milden Söhnen und strengen Enkeln“²⁸⁴ überspannt diese Kontroverse die deutsche Historiographiegeschichte im 20. Jahrhundert und reicht bis in die Gegenwart. Als sie sich 1998 in Frankfurt am Main entzündete, bedeutete dies einen Kampf um die moralische Legitimität der älteren Generationen bundesdeutscher Historiker und um die Bewertung der Traditionen der deutschen Geschichtswissenschaft insgesamt. Grund für das Aufsehen, das die Sektion „Deutsche Historiker im
Vgl. für die Anforderungen, die diese Generation an ihre historiographische Orientierung stellten, Christoph Cornelißen: Wolfgang J. Mommsen – der Repräsentant einer Historikergeneration?; in: Christoph Cornelißen (Hg.): Geschichtswissenschaft im Geist der Demokratie. Wolfgang J. Mommsen und seine Generation, Berlin 2010, S. 11– 41, hier besonders S. 11 f. Anschließend fehlt es Cornelißen an einem differenzierten Generationenbegriff, so dass er Mommsen schließlich nur als Repräsentant einer „wirkungsmächtigen linksintellektuellen Historikergruppe“ (S. 41) ansehen will, die man mit Mannheim allerdings auch eine Generationseinheit nennen könnte. Jarausch/Hohls: Brechungen von Biographie und Wissenschaft, S. 15. Ebenda, S. 23. Ebenda, S. 24. Vgl. die Dokumentation der Frankfurter Kontroverse in Winfried Schulze/Otto Gerhard Oexle (Hg.): Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, 2. Auflage, Frankfurt am Main 2000. Schulze/Helm/Ott: Historiker im NS, S. 27.
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Nationalsozialismus“ erregte, war nicht zuletzt, dass sie einen Erdrutsch der symbolischen Machtverhältnisse in der deutschen Geschichtswissenschaft androhte – und zumindest eine merkliche Verschiebung auch bewirkte. Für ein solches Phänomen bietet sich eine Analyse mit dem begrifflichen Instrumentarium Pierre Bourdieus an,²⁸⁵ da sich damit die in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft (Feld) nutzbaren Ressourcen (Kapitalsorten) und ihre Einsatzmöglichkeiten (Strategien, Regeln), durch die sich die sozialen Positionen der Akteure bestimmen, entschlüsseln lassen. Eine solche Untersuchung der retrospektiven Kontroverse erlaubt auch Rückschlüsse auf die Verhältnisse in den Nachkriegsjahrzehnten, die sowohl Thema als auch Vorläufer der Feldkonfiguration zum Zeitpunkt des Frankfurter Historikertags waren. Wie erwähnt geht es um Historiker, die in der Nachkriegszeit „maßgebliche Positionen“ im Feld besetzten, und ihre Schüler, die jene Positionen etwa seit den 1970er Jahren ausfüllten, also insgesamt um die „Meinungsführer“ der Disziplin in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ihr Habitus prägte das geschichtswissenschaftliche Feld, und entsprechend ihrer Kapitalkonfigurationen konnten sie die Regeln des Feldes beeinflussen: Renommee, Prestige und anerkannte Legitimität sind zweifellos sowohl Bedingung als auch Folge von Maßgeblichkeit in der Geschichtswissenschaft. Demnach konnten die über „Versäumte Fragen“ interviewten Historikerinnen und Historiker sowie ihre akademischen Lehrer über beträchtliches symbolisches Kapital verfügen. Ihre Deutungsmacht über die deutsche Geschichtswissenschaft griffen im Kontext des Frankfurter Historikertags die „strengen Enkel“ an. Im Hinblick auf die Gastprofessoren stellen sich dann die Fragen, welche Funktion den Emigranten im Verteilungskonflikt um das symbolische Kapital ab 1998 zukam, und welche Funktionen im geschichtswissenschaftlichen Feld mit ihren Gastprofessuren vor allem in den 1950er und 1960er Jahren verbunden waren.
Ich stütze mich im Folgenden auf Pierre Bourdieu: Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital; in: Pierre Bourdieu: Die verborgenen Mechanismen der Macht, hg. von Margareta Steinrücke, Hamburg 2005, S. 49 – 79, sowie zum symbolischen Kapital auf Pierre Bourdieu: Outline of a Theory of Practice, Cambridge 2013, S. 171– 183; ferner auf Heinz-Günter Vester: Kompendium der Soziologie III: Neuere soziologische Theorien, Wiesbaden 2010 (Kapitel 7: Pierre Bourdieu, S. 131– 148), Fuchs-Heinritz/König: Bourdieu, besonders S. 112– 218, sowie auf Laura Kajetzke: Wissen im Diskurs. Ein Theorienvergleich von Bourdieu und Foucault, Wiesbaden 2008, besonders S. 53 – 73. Den Einsatz von Bourdieus Feldanalyse in der Historiographiegeschichte haben Olaf Blaschke und Lutz Raphael vorgemacht: Olaf Blaschke/Lutz Raphael: Im Kampf um Positionen. Änderungen im Feld der französischen und deutschen Geschichtswissenschaft nach 1945; in: Jan Eckel/Thomas Etzemüller (Hg.): Neue Zugänge zur Geschichte der Geschichtswissenschaft, Göttingen 2007, S. 69 – 109; Blaschke: Verleger machen Geschichte.
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4.3.1 Hans Rosenberg als Ikone Hans Rosenberg als mit Abstand am häufigsten genannter transatlantischer Gastprofessor in den Interviews²⁸⁶ spielte eine Schlüsselrolle in der Debatte über die Traditionslinien der Sozialgeschichte, auch unabhängig vom Frankfurter Historikertag. Daher stelle ich zunächst an seinem Beispiel die konkurrierenden Deutungen vor: Gerhard A. Ritter, der sich selbst als Rosenberg-Schüler sieht,²⁸⁷ schätzt Rosenbergs Wirkung als weit über seine oben vorgestellten Gastprofessuren²⁸⁸ hinausgehend ein: „Rosenberg selbst hat mittel- und langfristig durch seine Lehrtätigkeit als Gastprofessor an der FU in Berlin eine große Wirkung entfaltet. Er hat durch seine kritische Beurteilung der deutschen Geschichte und die Vermittlung neuer Methoden und Fragestellungen eine größere Gruppe von später in der Bundesrepublik wirkenden Politikwissenschaftlern und Historikern – […] und direkt und indirekt auch einige von deren Schülern – wesentlich geprägt […] Rosenberg hat seine Zeit als Gastprofessor in Berlin als Höhepunkt seines akademischen Wirkens angesehen und sein Buch ‚Große Depression und Bismarckzeit‘ seinen ‚alten Schülern an der Freien Universität Berlin in den Jahren 1949 und 1950 in dankbarer Erinnerung und freundschaftlicher Verbundenheit‘ gewidmet. […] Rosenbergs Bindung an Deutschland und vor allem an seine deutschen Schüler war sehr eng. […] Mit seinen Arbeiten sowie seinen intensiven persönlichen Kontakten zu vielen jüngeren deutschen Historikern wurde er zu dem wohl noch vor Conze bedeutendsten Wegbereiter der modernen deutschen Sozial- und Gesellschaftsgeschichte.“²⁸⁹
Der letzten prägnanten Behauptung dürften drei Funktionen zukommen: Erstens verteidigt Ritter die Sozialgeschichte gegen den Vorwurf, durch ihre Wurzeln in
In 11 der 17 Interviews in Hohls/Jarausch: Versäumte Fragen, wird Hans Rosenberg namentlich erwähnt. Statt Detailnachweisen hier nur die Namen der Interviewpartner: Wolfram Fischer, Helga Grebing, Jürgen Kocka, Hartmut Lehmann, Hans Mommsen, Gerhard A. Ritter, Reinhard Rürup, Wolfgang Schieder, Michael Stürmer, Hans-Ulrich Wehler und Heinrich-August Winkler. Der einzige Interviewte, der mehrere Untersuchungspersonen namentlich nennt, dabei aber nicht auch Rosenberg erwähnt, ist bezeichnenderweise Imanuel Geiss, der spätestens seit dem Historikerstreit in offensichtlicher Distanz zur Bielefelder Schule stand. Nur in den Interviews mit Lothar Gall, Wolfgang Mommsen, Adelheid von Saldern, Winfried Schulze und Rudolf Vierhaus kommt keiner der untersuchten Emigranten namentlich vor. Ritter: Meinecke, S. 79 f. und S. 70, sowie Ritter: Meinecke-Schüler in den USA, S. 92 f. und S. 97. Nach formalen Kriterien kann Ritter jedoch nicht als Rosenberg-Schüler gelten: Er absolvierte die wesentlichen akademischen Karriereschritte unter der Obhut von Hans Herzfeld, vgl. unten ab S. 279. Siehe oben ab S. 236. Ritter: Meinecke, S. 79 f. Vgl. die drei Briefe Rosenbergs an Gerhard A. Ritter aus den Jahren 1967 und 1969, die Ritter: Meinecke, S. 401– 405, teilweise veröffentlicht.
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der Volksgeschichte konservativen, antimodernistischen, gar nationalsozialistischen („braunen“) Ursprungs zu sein, indem er mit dem Beitrag seines Lehrers Rosenberg den linksliberalen, westlichen, sozialwissenschaftlichen Ursprung der deutschen Sozialgeschichtsschreibung darstellt.²⁹⁰ Damit betont er zweitens innerhalb der deutschen Sozialgeschichte die „linke“ Traditionsrichtung – durch Rosenbergs Bedeutung gegenüber dem konservativen Conze – als von Anfang an prägend.²⁹¹ Drittens positioniert er sich selbst durch seine Rosenberg-Schülerschaft in der Tradition der „bedeutendsten“ Entwicklungslinie „der modernen deutschen Sozial- und Gesellschaftsgeschichte“ als besonders wichtiger Vertreter dieser Richtung. Alle drei Funktionen bedeuten eine Stärkung des symbolischen Kapitals von Ritter und seinem Umfeld im historischen Feld. Eakin-Thimme problematisiert: „Die ‚normative Westbindung‘, Traditionskritik und Modernisierungsperspektive, die in der Historischen Sozialwissenschaft in den 1970er Jahren mit weiteren Elementen eine ‚unauflösbare‘ Verbindung eingingen, wurden von einigen der Emigranten (vor allem in den USA) vorweggenommen. Insofern war ihre Inanspruchnahme – besonders jene von Hans Rosenberg – als ‚traditionelle Vorläufer‘ der ‚Modernen Deutschen Sozialgeschichte‘ durch Historiker wie Hans-Ulrich Wehler legitim und kongenial.“²⁹²
Zum Konservativismus von Werner Conze, Otto Brunner und Theodor Schieder vgl. etwa Thomas Etzemüller: Sozialgeschichte als politische Geschichte. Die Etablierung der Sozialgeschichte in der westdeutschen Geschichtswissenschaft; in: Comparativ 12 (2002), S. 12– 33, hier S. 30. Zur linksliberalen Haltung Rosenbergs vgl. Rosenberg: Historikerleben, S. 23; Ritter: Meinecke-Schüler in den USA, S. 88. Dieselbe Verteidigungsstrategie hatte schon Oberkrome: Volksgeschichte, S. 228, verwendet, als er erklärte, für die „moderne Sozialgeschichte“ sei „eine, besonders durch Hans Rosenberg vermittelte, Hinwendung zu den Erklärungspotentialen westlicher, primär amerikanischer Theorien sozialen Wandels“ vor allem „prägend und nachhaltig wirksam“ gewesen. Auch Rosenberg selbst sah Werner Conze als ausgesprochen konservativ an: 8. März 1969: Hans Rosenberg (Berkeley) an Gerhard A. Ritter (Münster); in: Ritter: Meinecke, S. 403 f., hier S. 403. Zur Differenz zwischen der älteren, konservativen Richtung der deutschen Sozialgeschichte und „ihren als ‚linken‘ Sozialhistorikern definierten ‚Schülern‘“ vgl. Klingemann: Symbiotische Verschmelzung, S. 58. Aus der Schüler-Generation äußerten sich einige im Sinne Gerhard A. Ritters, die Verbindung zur Volksgeschichte abwiegelnd, den Einfluss von Emigranten wie Rosenberg betonend, vgl. ebenda, S. 38 – 46. Vgl. dagegen die Position des Conze-Schülers Wolfgang Schieder: „Wir konnten keine Kommentare erzwingen, denn schließlich waren wir nicht das Hohe Gericht.“; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 281– 299, besonders S. 292 f. Eakin-Thimme: Vermittler sozialgeschichtlicher Ansätze, S. 75; ebenso Eakin-Thimme: Geschichte im Exil, S. 255 f.
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Doch diese Prägung durch Rosenberg und andere „linke“ Emigranten – etwa Hajo Holborn und Felix Gilbert – ist womöglich mehr rhetorische Pose als tatsächliche Wirkung:²⁹³ „Schon bald diente der Name ‚Hans Rosenberg‘ […] als Chiffre […] für eine umfassende Erneuerung, welche durchzuführen sich eine jüngere Generation von Historikern berufen sah. Doch gerade jene deutschen ‚Schüler‘, die so sehr auf Hans Rosenbergs ‚Einfluß‘ verweisen, holten sich das Gros ihrer theoretischen Anregungen nicht bei ihm. Bei aller frühzeitigen Rezeption anglo-amerikanischer Literatur machten sie ihre Ausbildung und praktischen Erfahrungen der prägenden ersten Jahre doch an deutschen Universitäten. Die Umsetzung der Theorie in die Praxis wiederum diskutierten sie intensiv im Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte. […] Zu den Tagungen des Arbeitskreises aber war Hans Rosenberg nie eingeladen. Unter den wenigen Remigranten [etwa Hans Rothfels und Dietrich Gerhard], die über ihre Präsenz schon eher ‚Einflußmöglichkeiten‘ besaßen, fand sich allerdings auch kein anderer, der – die ‚bessere Tradition‘ verkörpernd – in methodischer Hinsicht als Vorbild für die ‚Moderne Deutsche Sozialgeschichte‘ hätte gelten können.“²⁹⁴
Auf Basis der von Wolfgang Weber ausgearbeiteten Theorie, dass die Stabilität des historistischen Paradigmas in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft wesentlich auf den engen Schüler-Meister-Bindungen beruht, über die Historikernachwuchs im Sinne der historistischen Schultraditionen ausgewählt und ausgebildet wurde,²⁹⁵ ist Eakin-Thimmes skeptischer Einschätzung der Wirkung von Emigranten wie Hans Rosenberg zunächst zuzustimmen. Mangels „Präsenz“ wirkten sie in der Nachkriegszeit nicht als Doktorväter an deutschsprachigen Universitäten und konnten wohl auch kaum direkten Einfluss auf Berufungen nehmen. Auf diese Weise fanden die weniger historistisch orientierten Traditionen, denen US-Historiker folgten, offenbar keinen Eingang in die deutschsprachige Geschichtswissenschaft. Remigranten wie Hans Rothfels hingegen, denen durchaus Präsenz und Einfluss zuzusprechen ist, bewegten sich methodisch weitgehend im historistischen Rahmen. Doch wie lassen sich dann die Kritik am Historismus und seine Zurückdrängung als unangefochtenes Paradigma der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft seit den 1960er Jahren erklären? Warum konnten damals oppositionelle Weimarer Traditionen, anglophone Sozialwissenschaften und die Kritische Theorie Eingang in die deutschsprachige Geschichtswissenschaft finden? Eine Analyse der „Versäumte Fragen“-Interviews kann dies beantworten: Vgl. Schulze: Refugee Historians, S. 223 f.: Hans Rosenberg habe zwar eine Studierendengeneration beeinflusst, die entscheidende Entwicklung der modernen deutschen Sozialgeschichte allerdings habe den Charakter einer entnazifizierten Volksgeschichte. Eakin-Thimme: Vermittler sozialgeschichtlicher Ansätze, S. 81. Vgl. Weber: Priester der Klio.
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4.3.2 Funktionen von Gastprofessoren im Rückblick Studierender Helga Grebing, 1949 – 1952 Schülerin Hans Herzfelds an der Freien Universität Berlin, betont etwa, dass Rosenberg „methodisch ganz anders orientiert war“ als die anderen Dozenten, und dass er „dann sozialgeschichtliche Fragestellungen“ aufwarf, die Grebing begeistert aufgriff: „Rosenberg war für mich am anregendsten, das ist gar keine Frage.“²⁹⁶ Neben der thematisch-methodischen Berufung auf Rosenberg betont sie auch die Andersartigkeit seines Lehrstils: „Er hatte auch eine andere Art zu lehren. […] Er brachte auch diesen etwas anderen, offeneren Stil aus den amerikanischen Universitäten mit. Sonst waren die Professoren damals ehrfürchtige Gestalten, die man kaum anzusprechen wagte. Anders war das bei Rosenberg, der uns als erster auch außerhalb der Lehrveranstaltungen zu sich einlud, so daß man eine andere Art von Gespräch führen konnte.“²⁹⁷
Grebings thematische Orientierung an Rosenberg wurde von einer Haltung ihres Doktorvaters Hans Herzfeld erst ermöglicht, die Grebing für eine Seltenheit hielt, die aber auch die Schüler Friedrich Meineckes und Theodor Schieders wiederholt für ihre Lehrer hervorhoben: „Herzfeld akzeptierte Dissertationen, die wir uns selbst heraussuchten. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte ich irgend etwas über den Kanzler Caprivi, Bismarcks Nachfolger, schreiben sollen. Das hat mich aber nicht interessiert, so daß ich mir mein Thema gewissermaßen selber gesetzt habe. Es war unüblich im deutschen Universitätsbetrieb, daß die Doktoranden vordachten, was sie machen wollten.“²⁹⁸
Forschungen zur Arbeiterbewegung, der Herzfeld ursprünglich fernstand, betrieben mehrere seiner Schüler unter Berufung auf Rosenberg. Zwei miteinander verwobene Ursachen dürften diese Prägekraft des Gastprofessors Rosenberg auf die Schüler des Ordinarius Herzfeld ermöglicht haben: Erstens gab es einen „Umlernprozeß“ Herzfelds, der zwar als „Vierteljude“ nicht nationalsozialistisch kompromittiert war, aber seine älteren, nationalkonservativen Einstellungen, beispielsweise gegenüber der Sozialdemokratie, grundsätzlich in Frage gestellt hatte.²⁹⁹ Dadurch waren Herzfelds vormalige Überzeugungen ihrer unhinterfragbaren Autorität beraubt, nicht mehr etwa als feste Lehrmeinung mit symboli-
Helga Grebing: „Für mich war klar: Indoktrination – nicht mehr braun, jetzt rot – kommt nicht in Frage.“; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 144– 162, hier S. 150. Ebenda, S. 150 f. Ebenda, S. 152. Ebenda, S. 151.
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schem Kapital ausgestattet und von den Schülern folglich nicht mehr notwendigerweise als Wissen anzuerkennen oder zu glauben. Diese Art Orthodoxie³⁰⁰ war in der Herzfeld-Schule zu dieser Zeit höchstens als kraftlos anzusehen. Verstärkt wurde diese Entwertung traditionellen symbolischen Kapitals über die Person Herzfeld hinaus durch Kriegsniederlage und Besatzung, die deutsche Traditionen weithin in Frage stellten. Das erleichterte es natürlich, der Heterodoxie³⁰¹ neuer Themen, Methoden und Lehrstile, die Rosenberg und andere Gastprofessoren aus den USA importierten, zu Anerkennung im Feld zu verhelfen. Zweitens konnten Gastprofessoren wie Rosenberg ihre Neuerungen, die aus der Perspektive der deutschen historiographischen Tradition häretisches Wissen darstellten, mit großem symbolischem Kapital als legitim ausweisen: Sie waren nicht nationalsozialistisch kompromittiert, vielmehr von der Siegermacht USA entsandt, erschienen Ende der 1940er Jahre sicher auch wirtschaftlich bessergestellt als die lokalen Professoren, beherrschten darüber hinaus aber auch die Ausdrucksformen der traditionellen deutschen Geschichtswissenschaft.³⁰² Dadurch konnten sie ihrer Häresie Anerkennung im Feld verschaffen und so das Feld selbst verändern. Daher ist Grebings Auffassung über den Import innovativer Ansätze durch Gastprofessoren aus der Perspektive ihres symbolischen Kapitals plausibel: „Wenn die Sozialgeschichte eine Trendsetter-Funktion gehabt hat, dann durch Leute wie Rosenberg und deren Fragestellungen.“³⁰³
Gerhard A. Ritter studierte zeitgleich mit Grebing bei Herzfeld, wandte sich dann aber zielstrebig weiteren akademischen Karrierestationen zu, während Grebing zunächst aus dem Universitätsbetrieb ausschied.³⁰⁴ Mit der Berufung 1962 an die Freie Universität Berlin war der 1929 geborene Ritter der Jüngste unter den ersten ordentlichen Professoren seiner Historikergeneration.³⁰⁵ Damit nahm er, zunächst Vgl. für die Grundlegung der bourdieuschen Unterscheidung zwischen Doxa, Orthodoxie und Heterodoxie Bourdieu: Theory of Practice, S. 159 – 171, zusammenfassend zum Orthodoxiebegriff Kajetzke: Wissen im Diskurs, S. 61 f. Vgl. ebenda, S. 62– 64. Vgl. ebenda, S. 64– 73. Grebing: Für mich war klar, S. 159. Vgl. die Kurzbiographien in: Hohls/Jarausch: Versäumte Fragen, S. 452 und 467. Zur Geschlechterdifferenz in der Historiographiegeschichte vgl. Berger: Deutsche Historikerinnen, hier besonders Tabelle 1 auf S. 56 f., aus der hervorgeht, dass es in den Jahren 1946 – 1952 mehr Habilitationen von Frauen im Fach Geschichte gab als in der anschließenden Periode 1953 – 1970. Während Ritter sich 1961 bei Herzfeld habilitieren ließ, erfolgte Grebings Habilitation – nicht in Geschichte, sondern in Politikwissenschaft – erst 1969. Ebenfalls 1962 erhielten der Althistoriker Jochen Bleicken (geboren 1926) und der Mediävist Arno Borst (geboren 1925) ein Ordinariat, vgl. Weber: Biographisches Lexikon.
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freilich auf einem Lehrstuhl für Politikwissenschaft, eine Schlüsselstellung für die institutionelle Etablierung der kritischen Sozialgeschichtsschreibung ein. Daher kommt Ritters akademischen Traditionslinien besondere Bedeutung zu. Neben Herzfeld nennt Ritter im Interview vor allem Hans Rosenberg und Ernst Fraenkel, aber auch Rudolf Stadelmann und Alan Bullock.³⁰⁶ Die Bezugnahme Ritters auf Friedrich Meinecke ist darüber hinaus bemerkenswert stark.³⁰⁷ Dieser Befund macht auf die dreifache Verbindung zur Meinecke-Schule aufmerksam, die Ritter so hervorhebt: Während der juristisch ausgebildete Politikwissenschaftler Fraenkel und der Brite Bullock nicht in die in Abschnitt 2.3.4 skizzierten Traditionslinien der deutschen Geschichtswissenschaft einzuordnen sind und Stadelmann als Schüler Gerhard Ritters (Freiburg) zu Hermann Onckens Schultradition zählte, sind Rosenberg und Herzfeld der Schule Friedrich Meineckes zuzurechnen, in deren Linie sich Ritter auch selbst stellt, indem er von seiner persönlichen – außeruniversitären – Beziehung zu Meinecke berichtet, von dem er „viel gelernt“ habe.³⁰⁸ Herzfeld, „der nach enttäuschenden Erfahrungen mit seinem eigentlichen Lehrer R. Fester sich Fr. Meinecke anschloß“, „1938 trotz aller Verdienste um die ‚nationale Sache‘ aus ‚rassischen‘ Gründen aus dem Amt entlassen wurde“ und „1950 ‚auf Wunsch Friedrich Meineckes‘ einen ordentlichen Lehrstuhl für Neuere Geschichte an der FU Berlin“ übernahm,³⁰⁹ gehörte ursprünglich nicht zur Meinecke-Schule, fügte sich aber gut in sie ein und hielt nach 1945 engen Kontakt zu den emigrierten Meinecke-Schülern.³¹⁰ Bei Rosenberg macht Ritter einen Spagat zwischen Innovationskraft und Meinecke-Schülerschaft sichtbar:
Gerhard A. Ritter: „Das Bild, das die Historiker während der NS-Zeit abgaben, ist also sehr differenziert, wenn auch für viele nicht schmeichelhaft.“; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/ München 2000, S. 118 – 143, hier S. 120 – 128. Bullock kommt nicht namentlich vor, aber Ritter verweist auf S. 128 f. auf seinen Respekt vor seinen Lehrern in Oxford 1952– 1954. Damit dürfte vor allem Bullock gemeint sein, der in Weber: Biographisches Lexikon, in einer Reihe mit Stadelmann und Herzfeld aufgeführt wird. Ebenda erwähnt Ritter Meinecke viermal namentlich. Ebenda, S. 121: „Rosenberg war Meinecke-Schüler. […] Meinecke selbst habe ich auch ganz gut gekannt. Ich habe in Dahlem zwei Häuser neben ihm gewohnt und habe ihm gelegentlich aus historischen Werken vorgelesen. Er war ja fast blind. Das war sehr eindrucksvoll für mich. Er ließ keinen Fehler beim Vorlesen, etwa wenn ich dreadnought (schweres Schlachtschiff) falsch aussprach, durchgehen. Auch aus Gesprächen mit ihm habe ich viel gelernt. Bemerkenswert war sein großes politisches Interesse. So verfolgte er genau die amerikanische Politik der Zeit.“ Weber: Priester der Klio, S. 205 und 272. Herzfeld besuchte etwa seinen Freund Masur und auch Dietrich Gerhard in den USA. Masur: Das ungewisse Herz, S. 296, und 9. September 1953: Dietrich Gerhard (St. Louis, Mo.) an Antonie Meinecke; in: Ritter: Meinecke, S. 186 ff., hier S. 186, wo der Besuch auf Frühjahr 1953 datiert wird. Unter Umständen können solche Beispiele informeller Lehrer-Schüler-Verhältnisse zu Skepsis
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„Rosenberg selbst hatte sich trotz Kritik an der nach seiner Meinung zu esoterischen Ideengeschichte Meineckes eine enge Bindung an seinen Lehrer bewahrt; er hatte ein Bild von ihm auf seinem Schreibtisch stehen.“³¹¹
Auch besuchte Rosenberg Meinecke bis zu dessen Tod 1954 alljährlich in Berlin³¹² und pflegte dabei langjährige Beziehungen zu Studierenden, so dass bei Ritters Schilderung der Eindruck nicht leicht abzutun ist, Rosenberg habe trotz Verankerung in den USA gewissermaßen durch die Heranziehung akademischer Schüler Meineckes Schultradition fortgesetzt: „Rosenberg war zweimal, 1949 und 1950, ein ganzes Semester in Berlin gewesen, aber er ist danach noch mindestens fünf oder sechs Jahre jeden Sommer nach Berlin zurückgekehrt und hat jeden der Studenten, die ihm damals aufgefallen waren und die nun an ihren Dissertationen saßen, eingeladen, oft viele Stunden mit ihnen gesprochen, ihre Texte gelesen und kommentiert. Da war eine Bindung oder Verpflichtung zu spüren, die weit über diejenige eines bloß gelegentlichen Gastprofessors hinausging. Nicht von ungefähr hat Rosenberg dann ja auch sein 1967 erschienenes Buch ‚Grosse Depression und Bismarckzeit‘ seinen ‚alten‘ Berliner Schülern gewidmet. Er hat mich ganz entscheidend geprägt, und ich habe diesen Einfluß dann gewissermaßen an meine eigenen Schüler ‚weitergereicht‘ und zu Rosenberg dann auch hin und wieder gesagt: Gucken Sie sich mal diesen oder jenen an.“³¹³
An der Freien Universität Berlin lebte demnach in der Nachkriegszeit eine Tradition der Berliner Historikerschule wieder auf, die bereits in der Weimarer Zeit für die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität prägend gewesen war. Entsprechend der genannten Lehrer Gerhard A. Ritters kann man sagen, dass dabei auch Verbindungen in die USA und nach Großbritannien integriert wurden. Ritter bemüht sich, jeden Einfluss der Volksgeschichte auf seine eigene Sozialgeschichte zu dementieren: Er findet Rosenberg „viel wichtiger“ und lernte „erst später aus der Diskussion“ um die Volksgeschichte, was diese eigentlich bedeute: „Sie hat mich überhaupt nicht interessiert, obwohl ich früh angefangen habe, Sozialgeschichte zu betreiben“.³¹⁴ Neben Rosenberg sieht Ritter englische und amerikanische Soüber die Aussagekraft formaler Kriterien für die Feststellung von Lehrer-Schüler-Verhältnissen führen. Entscheidend muss stets die praktische Wirksamkeit einer Schulverbindung sein. Vgl. dazu oben, Abschnitt 2.3.4 ab S. 108. Andreas Helle/Söhnke Schreyer/Marcus Gräser: Disziplingeschichte und Demokratiegeschichte. Zur Entwicklung von Politik- und Geschichtswissenschaft in Deutschland nach 1945. Ein Gespräch mit Gerhard A. Ritter; in: Marcus Gräser/Christian Lammert/Söhnke Schreyer (Hg.): Staat, Nation, Demokratie. Traditionen und Perspektiven moderner Gesellschaften. Festschrift für Hans-Jürgen Puhle, Göttingen 2001, S. 270 – 278, hier S. 274. Vgl. Rosenberg: Historikerleben, S. 21. Helle u. a.: Gespräch mit Gerhard A. Ritter, S. 273 f. Ritter: Das Bild der Historiker während der NS-Zeit, S. 134.
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zialwissenschaftler als methodische Quellen seiner Sozialgeschichte, außerdem betont er nichtakademische, lebensweltliche Einflüsse aus seiner Familiengeschichte.³¹⁵ Inmitten sehr starker Kontinuitäten in der deutschen Geschichtswissenschaft vom Nationalsozialismus in die Bundesrepublik gilt das Berliner Friedrich-Meinecke-Institut dem dort Ende der 1960er Jahre tätigen Reinhard Rürup als Insel der Diskontinuität, was er an Rosenbergs Gastprofessuren und Herzfelds Revisionsbereitschaft festmacht.³¹⁶ Das sozialgeschichtliche Profil der dortigen neuen Berliner Schule erläutert Jürgen Kocka, einer der ältesten Schüler Gerhard A. Ritters, wiederum mit starken Verweisen auf Rosenberg: „Großen Einfluß hat Hans Rosenberg auf mich ausgeübt. Hans Rosenberg, Emigrant, Exilant, Flüchtling der 30er Jahre, war ja sehr früh nach 1949 als Gastprofessor an die FU zurückgekommen, hatte damals enge Verbindungen zu Gerhard A. Ritter aufgebaut, und Ritter hat mich mit seinen Schriften bekannt gemacht. Hans Rosenberg, den ich 1965 in Berkeley besuchte, hat Hans-Ulrich Wehler auf mich aufmerksam gemacht. Wehler hatte Hans Rosenberg bei einem USA-Aufenthalt kennengelernt. So ist nicht nur Rosenberg sehr früh in meinen Gesichtskreis gekommen, sondern auch Hans-Ulrich Wehler, und beide habe ich als Student gelesen. Ganz wichtig finde ich weiterhin die Einleitung von Hans-Ulrich Wehler zu dem von ihm herausgegebenen Band mit den Aufsätzen Eckart Kehrs ‚Der Primat der Innenpolitik‘, 1965 erschienen. In dieser Einleitung entwickelte Wehler Grundzüge des zukünftigen Programms einer Historischen Sozialwissenschaft, vielleicht noch ohne Nennung des Begriffs. Kurze Zeit später dann, in einer Festschrift, die Gerhard Ritter für Hans Rosenberg zu dessen 65. Geburtstag herausgab, gab es auch von Wehler einen Aufsatz über Theorieprobleme. Das war der intellektuelle Umkreis, der mich sehr stark auf eine bestimmte Richtung Sozialgeschichte hinlenkte: Sozialgeschichte Berliner Art. […] Conzes Artikel über Strukturgeschichte und Sozialgeschichte stellten einen Einfluß unter vielen anderen dar, aber dominanter war hier in Berlin die Orientierung an Rosenberg und damit an einer angloamerikanischen Weiterentwicklung bestimmter deutscher Traditionen, zu denen auf jeden Fall Weber, teilweise Marx, aber auch Otto Hintze dazugehörten.“³¹⁷
Ebenda, S. 135: „Mich haben auch Impulse aus meiner eigenen Jugend zur Sozialgeschichte gebracht. Erzählungen meiner Großmütter über deren Zeit als Dienstmädchen in Berlin oder Erlebnisse wie der Besuch des Dorfes in Pommern, in dem mein Vater vorehelich geboren wurde und wo, wie in seiner Jugend, die Landarbeiter und Insten noch immer in Furcht vor dem Gutsherrn lebten. Das hat mich stark beschäftigt.“ Reinhard Rürup: „Das Dritte Reich hatte kein Problem mit den deutschen Historikern.“; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 267– 280, hier S. 276; vgl. ebenda, S. 272, zu Rürups Stellung am Friedrich-Meinecke-Institut. Wahrscheinlich irrtümlich ist 1964 als Anfang seiner Berliner Tätigkeit angegeben, richtig dürfte 1967 sein; vgl. ebenda mit Gerhard A. Ritter: Nipperdey, Thomas; in: NDB 19, Berlin 1999, S. 282– 284. Kocka: Wir sind ein Fach, S. 389 f.
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Auffällig ist, dass Kocka in der Aufzählung der historiographischen Einflüsse ausschließlich deutsche Namen nennt. Dennoch lässt sich in seiner Skizze die Trias aus oppositionellen Weimarer Traditionen, anglophonen Sozialwissenschaften und Kritischer Theorie wiedererkennen,³¹⁸ die nach Iggers als Transfergut der transatlantischen Gastprofessoren anzusehen ist: Für die Weimarer Geschichtswissenschaft stehen Hintze und der gewiss eher als oppositionell anzusehende Kehr. Die Kritische Theorie ist von ihrer ökonomischen Basis her mit Karl Marx vertreten. Max Weber schließlich darf man hier nicht umstandslos als deutschen Soziologen zählen, sondern muss berücksichtigen, dass er bis in die 1960er Jahre – wie Kehr und Hintze – unter deutschen Historikern fast vergessen war,³¹⁹ seine Rezeption dann zunächst vermittelt über den in Amerika dominanten Strukturfunktionalismus Talcott Parsons’ erfolgte.³²⁰ Dass die Historische Sozialwissenschaft Weber angeregt von der amerikanischen Soziologie aufgriff, führte durchaus zu Verzerrungen in der Wahrnehmung seiner Konzepte,³²¹ so dass
Ebenda, S. 392, formuliert Kocka nochmal die für ihn prägenden Einflüsse: „Traditionslinien, die in den Marxismus zurückführten, besonders in der Form, die durch die Frankfurter Schule weitergegeben worden ist. […] Traditionslinien, die sehr stark zu Max Weber und seiner angloamerikanischen Weiterentwicklung führten, […] Traditionslinien, in denen Emigranten wie Hans Rosenberg und Felix Gilbert, auch Francis Carstens [gemeint ist Francis L. Carsten] in London eine große Rolle spielten.“ In dieser Formulierung steht nicht die Aufzählung deutscher Namen im Vordergrund, sondern der Verweis auf Amerika (und England). Rainer Prewo: Max Webers Wissenschaftsprogramm. Versuch einer methodischen Neuerschließung, Frankfurt am Main 1979, S. 18 – 21; ebenso Guenther Roth: Vergangenheit und Zukunft der historischen Soziologie; in: Johannes Weiß (Hg.): Max Weber heute. Erträge und Probleme der Forschung, Frankfurt am Main 1989, S. 406 – 424, hier S. 417: „Schließlich schienen Wirtschaft und Gesellschaft und Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen in der Weimarer Zeit fast Totgeburten.“ Vgl. dazu auch Zingerle: Wirkungsgeschichte, S. 6 – 19, besonders, S. 11, der darauf hinweist, dass „die einzige Besprechung“, die in der Zwischenkriegszeit zu Webers „Wirtschaft und Gesellschaft“ erschien, von Otto Hintze stammte. Friedrich Jaeger: Geschichtstheorie; in: Hans-Jürgen Goertz (Hg.): Geschichte. Ein Grundkurs, 2. Auflage, Reinbek bei Hamburg 2001, S. 724– 756, hier S. 728 f., führt die verzögerte Weber-Rezeption auf die Stabilität des Historismus und die im Nationalsozialismus behinderte Weiterentwicklung der Geschichtswissenschaft zurück; vgl. auch Gerhardt: Idealtypus, Fußnote 881 auf S. 444, zur Behandlung Webers in der NS-Soziologie. Siehe ebenda, S. 396 – 405, zur Vermittlung über Parsons und Alfred Schütz; vgl. Paul Nolte: Historische Sozialwissenschaft; in: Joachim Eibach/Günther Lottes (Hg.): Kompass der Geschichtswissenschaft. Ein Handbuch, Göttingen 2002, S. 53 – 68. Vgl. Gerhardt: Idealtypus, S. 425 – 434; Welskopp: Erklären, S. 146. Zur Kritik an Parsons’ Weber-Verständnis vgl. Friedrich Tenbruck: Abschied von der ,,Wissenschaftslehre“?; in: Johannes Weiß (Hg.): Max Weber heute. Erträge und Probleme der Forschung, Frankfurt am Main 1989, S. 90 – 115, hier S. 114 f., Anmerkung 10; Karl-Heinz Nusser: Kausale Prozesse und sinnerfassende Vernunft. Max Webers philosophische Fundierung der Soziologie und der Kulturwissenschaften, Freiburg im Breisgau/München 1986, S. 110 f.; ebenso Zingerle: Wirkungsgeschichte, S. 45 – 74, der
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man vom „amerikanisierten“ Weber der Historischen Sozialwissenschaft sprechen kann. Ganz ähnlich wie Kocka schildert mit Hans-Ulrich Wehler ein weiterer Hauptvertreter der meist als Bielefelder Schule identifizierten Sozialhistoriker die inhaltlichen Prägungen dieser geschichtswissenschaftlichen Strömung: Dass „bei uns Sozialhistorikern […] alle unter dem Eindruck des jungen Marx, Webers und dann der Emigranten – z. B. Kehrs und Rosenbergs – standen“,³²² dient Wehler neben der politisch linken Orientierung als Hauptargument gegen eine volksgeschichtliche Kontamination der Historischen Sozialwissenschaft. Auf die drei Elemente Marx, Weber und Emigranten verweist Wehler in dem Interview immer wieder und in verschiedenen Kontexten.³²³ Da die Berliner Sozialhistoriker um Gerhard A. Ritter starke Verbindungen zur Meinecke-Schule ausdrücken, stellt sich die Frage, inwiefern dies bei Wehler, einem Kölner Schüler Theodor Schieders, ebenfalls festzustellen ist. Und tatsächlich: Die akademische Traditionslinie Meinecke–Rothfels–Schieder–Wehler präsentiert Letzterer mehrfach als positiv mit den skizzierten inhaltlichen Orientierungen verwoben. Schieder war demnach auch „ein großer Weber-Kenner“ und faszinierte Studierende, weil er „unübliche Themen, etwa den jungen Marx“, behandelte.³²⁴ Schieders Lehrer Rothfels stellt Wehler als Gegenbild zu Karl
ebenda, S. 58 f., berichtet, dass 1972 im Zusammenhang mit dem Verlust der Hegemonialstellung des Strukturfunktionalismus in der amerikanischen Soziologie das Schlagwort der „Parsonisierung Webers“ aufkam, woraufhin dort erstmals eine Revision von Parsons Weber-Exegese erfolgte, die eine „Kluft zwischen dem Strukturfunktionalismus und Weber sichtbar“ machte, „die tiefer ins Grundsätzliche hineinreicht, als man weithin angenommen hatte.“ Ebenda, S. 73 f. Besonderes Augenmerk ist darauf zu richten, dass Parsons den Idealtypus – ein Hauptinstrument der Weberschen Soziologie – ablehnte, so Gerhardt: Idealtypus, S. 436. Manche Schwachpunkte, an denen die Historische Sozialwissenschaft ihre eigenen Ansprüche nicht einlösen konnte, lassen sich auch auf diese beschränkte Weber-Rezeption über den Umweg USA zurückführen, vgl. Welskopp: Erklären, S. 147– 150; Nolte: Historische Sozialwissenschaft, S. 62. Anhand der programmatischen Aufsatzsammlungen Kocka: Sozialgeschichte, besonders S. 9 – 47 und S. 48 – 111, sowie Wehler: Geschichte als Historische Sozialwissenschaft, besonders S. 9 – 44 und S. 45 – 84, ließen sich diese Probleme der Weber-Exegese aufzeigen. Wehler: Politisch zu den Positionen stehen, S. 258. Beispielsweise kennzeichnet er ebenda, S. 244 und S. 252, den Kölner Soziologen René König als Marx-Kenner, Weber-Kenner und Emigranten. Ebenda, S. 244 und S. 252. Den Emigranten René König und den von NS-Vorwürfen belasteten Schieder parallelisierte Wehler auf diese Weise. Das wirft die Frage auf, ob die kompromittierten akademischen Lehrer im Kontext entlasteter Kollegen nicht etwa im Kontrast als nationalsozialistisch hervorstachen, sondern durch Nichtthematisierung ihrer NS-Verstrickungen von der Integrität ihrer Kollegen profitierten, indem sie auf Studierende als kaum unterscheidbar von diesen wirkten.
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Alexander von Müller vor, der „eine dubiose Figur“ und nationalsozialistischer Profiteur von Meineckes „Suspendierung“ bei der HZ gewesen sei.³²⁵ Von Müllers Einfluss auf Schieder stellt Wehler hinter dessen Prägung durch Rothfels zurück und schildert Letzteren aus eigener Erfahrung als „eine sehr erquickliche Person“: Um 1960 habe Rothfels sich gegen Conze durchgesetzt, der Wehler dazu bewegen wollte, NS-Unrecht sprachlich zu verschleiern.³²⁶ Indem er Conze und Schieder gegenüber Rothfels in der „Rolle von Anfangssemestern“ wahrnimmt, schildert Wehler Rothfels an dieser Stelle gewissermaßen als seinen eigenen gütigen akademischen Großvater – ein Eindruck, zu dem auch die körperliche Beschreibung von Rothfels beträgt: Als großgewachsen, aber kriegsversehrt skizziert Wehler ihn und betont Rothfels’ „riesige blaue Augen, die einen eindringlich anfunkelten.“³²⁷ Im Zusammenhang mit der Funktion der „Rothfels-Gruppe“, wie sie nicht nur in der DDR genannt wurde,³²⁸ sondern auch von Etzemüller, Blaschke und Raphael,³²⁹ für die Etablierung einer (traditions)kritischen Sozialgeschichte, sind auch die Ausführungen von Wolfgang Schieder, Sohn Theodor Schieders und Schüler Werner Conzes, instruktiv: „Nur zu einem Teil ist die moderne Sozialgeschichte mithin auf die Volksgeschichte rückführbar. Es gab im übrigen noch andere Ansätze, die nach dem Krieg bei der Entstehung der Sozialgeschichte eine Rolle spielten. Auch hierbei war Conze eine Schlüsselfigur. Schon Anfang der 60er Jahre hat er Fernand Braudel nach Heidelberg eingeladen und damit in Deutschland die Auseinandersetzung mit der Schule der ‚Annales‘ eröffnet. Ferner möchte ich Hans Rosenberg nennen, der als deutscher Emigrant in Amerika viele Historiker meiner Generation wegen seiner sozialgeschichtlichen Forschungen angezogen hat.“³³⁰
In der Online-Version desselben Interviews wird zusätzlich betont, dass Rosenberg „z. B. für Hans-Ulrich Wehler ganz entscheidend gewesen ist“, und dass Schieder daraus das Fazit zieht: „D. h. es gab verschiedene Wurzeln [der Sozialgeschichte].“³³¹ Die Berufung auf Rosenberg und Braudel symbolisiert dabei eine
Ebenda, S. 249. Ebenda, S. 249 f. Der Vergleich mit dem tatsächlich gedruckten Text, den die Herausgeber in Anmerkung 7 auf S. 264 f. vornehmen, zeigt jedoch, dass Wehlers Erinnerung ihn täuscht und sich offenbar eher die Conze zugeschriebene Position durchsetzte. Ebenda, S. 250. Lozek/Syrbe: Geschichtsschreibung; vgl. dazu oben, Anmerkung 273 auf S. 270 f. Etzemüller: Werner Conze und die Neuorientierung; Blaschke/Raphael: Kampf um Positionen, S. 93. Schieder: Wir konnten keine Kommentare erzwingen, S. 292 f. Interview mit Wolfgang Schieder zum Thema: „Neubeginn und Entwicklung der deutschen Geschichtswissenschaft in den 1950/60er Jahren“, [1999]; URL:
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Abkehr der Sozialgeschichte vom einheitsstiftenden Merkmal der Volksgeschichte: „Die verschiedenen Volkshistoriker waren sich nur einig in der fatalen politischen Zielsetzung, daß man die ‚völkischen‘ Grenzen Deutschlands in irgendeiner Form erweitern müsse.“³³²
Auch Dietrich Gerhard, der 1955 – 1961 als Professor für Amerikawissenschaft in Köln lehrte³³³ und Wehler als Hilfskraft beschäftigte, stellt Wehler explizit als „emigrierten Meinecke-Schüler“³³⁴ vor. Auch deutet er Bedauern an, dass Gerhard nach Göttingen wechselte, als Wehler gerade sein erstes Habilitationsprojekt zur amerikanischen Geschichte anfing. Denn mit Erich Angermann, dem ab 1963 zuständigen Professor, wurde Wehler nicht warm, so dass er das Habilitationsthema wechselte.³³⁵ Wehler zeichnet die fortwährenden Konflikte um seine Habilitation so nach, dass die konservativen Kölner Historiker³³⁶ ihm und seinen nonkonformen Thesen überwiegend ablehnend gegenüberstanden, Schieder ihn aber durchboxte: „Schieder, der sich in diesem Verfahren absolut loyal verhalten hat, fühlte sich wahrscheinlich in der Rolle des Patriarchen, dessen Zögling fast abgewiesen worden wäre.“³³⁷
Ebenso wie Dietrich Gerhard tritt dabei Hans Rosenberg im Verbund mit anderen Schieder-Schülern als Unterstützer Wehlers auf:
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/beitrag/intervie/schied.htm (zuletzt abgerufen am 6. Januar 2019, Archiv-URL: http://www.webcitation.org/75E5D24HN). Schieder: Wir konnten keine Kommentare erzwingen, S. 292. Ritter: Meinecke, S. 43. Wehler: Politisch zu den Positionen stehen, S. 245. Ebenda, S. 246– 248. Wehler hebt die nationalkonservativ-antidemokratische bis hin zu nationalsozialistischantisemitische Einstellung hervor, die bei Teilen der Professorenschaft untergründig fortlebte und im Konflikt ans Licht kam: „Nach ca. anderthalb Stunden meldete sich der Byzantinist und sagte, daß Ludendorff den totalen Krieg forcieren mußte, weil die bürgerliche Gesellschaft versagt habe. Im übrigen sei der totale Krieg erst durch ‚den Juden Einstein und die Atombombe‘ ermöglicht worden. Ich opponierte lebhaft, die Diskussion eskalierte“: Ebenda, S. 247 f. Ebenda, S. 248. Eine markante Differenz zu dieser Formulierung besteht in der ursprünglichen Version desselben Interviews, wo es nach „Zögling“ heißt: „zweimal abgewiesen wurde“: Interview mit Hans-Ulrich Wehler zum Thema: „Neubeginn und Entwicklung der deutschen Geschichtswissenschaft in den 1950/60er Jahren“, [1999]; URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/beitrag/intervie/wehler.htm (zuletzt abgerufen am 6. Januar 2019, Archiv-URL: http://www.webcitation.org/75E5Akoxk).
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„Schließlich gab es eine Kampfabstimmung, die knapp ausging. Draußen standen meine Frau,Wolfgang Mommsen, Lothar Gall und Hans Rosenberg, der auf Besuch war, und wunderten sich, weshalb das Verfahren so lange dauerte.“³³⁸
Andere Emigranten kommen bei Wehler kaum vor,³³⁹ aber mit Rothfels, Gerhard, Rosenberg und Kehr verweist er jeweils mehrfach auf Meinecke-Schüler, mit denen er seinen eigentlichen akademischen Lehrer Theodor Schieder umrahmt. Das ist nicht nur als retrospektive Rechtfertigungsstrategie anzusehen, mit der Wehler die eigene historiographische Tradition gegen die Angriffe der „strengen Enkel“ verteidigt und etwa statt der „schuldigen Väter“ eine nationalsozialismusfreie Herkunftslinie konstruiert. Vielmehr scheint – obwohl man darüber nicht mit Schieder sprach³⁴⁰ – die Angst vor NS-Kompromittierung und das Bedürfnis nach entlasteten Legitimationsinstanzen auch bereits für die 1950er und 1960er Jahre durch, wenn Wehler seine damaligen Recherchen nach „braunen Flecken“ in der Vergangenheit des Lehrers schildert: „Als Schieder Präsident des Historikerverbandes wurde, habe ich versucht, alles zu lesen, was er bis 1945 veröffentlicht hatte. Denn wir dachten, jetzt kämen die großen Angriffe aus der DDR; sie blieben dann aber aus. […] Mir war schon klar, daß man nicht ohne weiteres eine Professur im Dritten Reich bekommen konnte. Jedoch war in den Schriften Schieders, die ich durchgesehen hatte, nicht von ‚Blut und Boden‘ und Rasse die Rede.“³⁴¹
Der nagende Verdacht, dass da doch noch etwas Belastendes zu finden sein könnte, machte es für Wehler und viele Historiker seiner Generation attraktiv, nach geschichtswissenschaftlichen Vorbildern jenseits der engsten Zunftzusammenhänge ihrer Lehrer zu suchen.³⁴² Parallel zur germanistischen Exilliteratur-
Wehler: Politisch zu den Positionen stehen, S. 248. Lediglich Golo Mann und den Soziologen René König erwähnt er noch, letzterem spricht Wehler auch intellektuellen Einfluss auf ihn selbst zu, vgl. oben, Anmerkung 324 auf S. 284. „Es ist für mich jetzt sehr schmerzhaft zu erleben, wie Schieder über seine Texte zur Polenvertreibung und ‚Entjudung‘ der Städte eisern geschwiegen hat. Schieder ließ dazu nichts in Seminaren verlauten, aber er verurteilte knapp und dezidert das deutsche Vorgehen nach 1939.“ Wehler: Politisch zu den Positionen stehen, S. 254. Ebenda, S. 253. Die DDR-Propaganda hatte mit verschiedenen Kampagnen, spätestens mit dem Braunbuch 1965, ins Bewusstsein gerückt, dass eine Desavouierung in der BRD anhand der Tätigkeit im Nationalsozialismus prinzipiell möglich war. Dies betraf nicht nur die akademischen Lehrer der Nachkriegszeit, sondern in gewisser Weise auch noch die Generation der Nachkriegsstudenten selbst, die in der Hitlerjugend, als Flakhelfer oder sogar NSDAP-Mitglieder indoktriniert waren und sich bei Kriegsende rasch selbst „entnazifizierten“. Laut Wehlers Erinnerung verlief dies so: „Am Schluß haben wir noch die Stadt gegen die Amerikaner verteidigt, bevor sie diese danach besetzten. Ich weiß das noch so genau, weil eine meiner Schwestern ein Tagebuch aus diesen
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forschung, die in der Emigration nach alternativen literarischen Traditionen suchte, fanden die Historiker Emigranten wie Eckart Kehr und Hans Rosenberg als historiographische Alternativen. Sie waren nicht nur NS-entlastet, sondern stammten zudem aus der Meinecke-Schule, die mit Rothfels und Gerhard auch von Remigranten im Nachkriegsdeutschland vertreten wurde, und zu der viele der eigenen akademischen Lehrer ohnehin zu zählen waren. Zwar hatte sich die in dieser Tradition betriebene Geschichtswissenschaft zwischen Meinecke und der Generation Kockas durchaus gewandelt, doch die Kontinuitäten, die von Meineckes Ideengeschichte über die Sozialgeschichte der Ideen in verschiedenen Ausprägungen bei vielen seiner Schüler bis hin zur modernen deutschen Sozialgeschichte reichen, sind unverkennbar und erzeugten Diskurszusammenhänge, die sowohl die politischen Systemwechsel als auch den Atlantik überbrücken konnten. Heinrich August Winkler bestätigt diese Befunde: Weber, Marx und die Emigranten sind auch seine Berufungsinstanzen, dazu Otto Hintze, der für die WeberRezeption und die Weimarer Tradition steht.³⁴³ Die Beziehung zu Emigranten, wie Winkler sie schildert, unterscheidet sich markant von akademischen SchülerLehrer-Verhältnissen, in denen Hierarchien und Abhängigkeiten eine wichtige Rolle spielten: Zu Rosenberg sieht Winkler „ein persönliches Freundschaftsverhältnis“, zu den Politikwissenschaftlern Richard Löwenthal und Ernst Fraenkel eine „Duz-Freundschaft“ mit „einer engen politischen Verbindung“ und „ein enges – fast schon freundschaftlich zu nennendes – Verhältnis.“³⁴⁴ Der prominente Freundschaftsbegriff drückt hier symmetrische Nahbeziehungen aus, die Winkler zu seinem eigentlichen akademischen Lehrer Rothfels nicht hatte.³⁴⁵ Dementsprechend unterscheidet Winkler zwischen offiziellem Betreuungsverhältnis und inhaltlicher Befruchtung, die sich für ihn glücklich ergänzten:
Tagen gefunden hat, das ich noch ganz in der Propagandasprache verfaßt habe. Doch schon nach vierzehn Tagen war das jahrelang aufgebaute Feindbild weg.“ Interview mit Hans-Ulrich Wehler zum Thema: „Neubeginn und Entwicklung der deutschen Geschichtswissenschaft in den 1950/ 60er Jahren“, [1999]; URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/beitrag/intervie/wehler.htm (zuletzt abgerufen am 6. Januar 2019, Archiv-URL: http://www.webcitation.org/75E5Akoxk), vgl. mit leicht abweichender Wortwahl Wehler: Politisch zu den Positionen stehen, S. 241. Zu den Skandalen und Debatten um die NSDAP-Mitgliedschaft der nach dem Krieg studierenden Generation vgl. Malte Herwig: Die Flakhelfer. Wie aus Hitlers jüngsten Parteimitgliedern Deutschlands führende Demokraten wurden, München 2013. Winkler: Mut zu kritischen Fragen, besonders S. 379. Ebenda, S. 376. Vgl. ebenda, besonders S. 373 f.
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„Ich habe, wenn ich zurückblicke, in erstaunlichem Maße Emigranten als akademische Lehrer oder Anreger gehabt und empfinde das als eine große Bereicherung meiner Studenten- und Assistentenzeit.“³⁴⁶
Analoge Erfahrungen schildert auch Gerhard A. Ritter, der mit Fraenkel, „wie mit Rosenberg, schließlich auch persönlich befreundet“ war, nicht aber mit seinem Lehrer Herzfeld.³⁴⁷ Hans Mommsens Interview zeigt, dass üblicherweise etwa gleichaltrige Kommilitonen als Freunde bezeichnet werden – aber auch in Mommsens Fall ein Emigrant, der 25 Jahre ältere Felix Gilbert.³⁴⁸ Das ist besonders bemerkenswert, weil Mommsen häufig auf die Spannungen zwischen verschiedenen Historiker-Generationen verweist und Generationenkonflikte für sein Interview sogar titelgebend sind. Das Verhältnis zu seinem Doktorvater Rothfels war auch davon geprägt: „Persönlich kümmerte sich Rothfels sehr nachdrücklich um seine Schüler, und ich habe viel Förderung erfahren, aber es blieb eine Distanz, die in mancher Hinsicht ererbt war, aber auch im Gegensatz der Charaktere, der Generationen und der politischen Auffassungen wurzelte.“³⁴⁹
Ihren Doktorvätern blieben die Nachkriegsstudierenden in Dankbarkeit verbunden und erfüllten so die traditionell – und bis heute – bestehenden Loyalitätspflichten,³⁵⁰ die auch in den „versäumten Fragen“ zum Ausdruck kamen: Nachfragen zu persönlichen Verstrickungen in Republikfeindschaft und Nationalsozialismus waren den akademischen Schülern nach Mommsen „psychologisch nahezu unmöglich“, denn: „Man wäre einfach als Quälgeist von niemandem akzeptiert worden. Es gab gar kein Widerlager für eine solche Position. Daß wir untereinander unsere Bedenken artikulierten, ist schon richtig. Aber daß wir das öffentlich hätten tun können, das war bei dem ungetrübten Sozialprestige unserer Peers gänzlich ausgeschlossen.“³⁵¹
Ebenda, S. 376. Ritter: Das Bild der Historiker während der NS-Zeit, S. 122. Hans Mommsen: „Daraus erklärt sich, daß es niemals zuvor eine derartige Vorherrschaft alter Männer gegeben hat wie in der Zeit von 1945 bis in die 60er Jahre.“; in: Rüdiger Hohls/ Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 163 – 190, hier S. 169 (Waldemar Besson, Rudolf Schuster), S. 179 (Wolfgang Schieder), S. 187 (Christof Dipper) und S. 185 („sehr gut befreundet mit Felix Gilbert“). Ebenda, S. 168. Vgl. Weber: Priester der Klio. Mommsen: Vorherrschaft alter Männer, S. 176. Mit „Peers“ ist hier offenbar die Generation der akademischen Lehrer der Nachkriegszeit gemeint.
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Für die kritische Infragestellung der Historiker im Nationalsozialismus fehlte demnach bis in die 1960er Jahre das symbolische Kapital, das von den akademischen Lehrern unabhängig sein musste, um Kritik an diesen legitimieren zu können.Wenn sich diese Studierendengeneration von ihren Lehrern emanzipierte und die von Mommsen geschilderten Differenzen offen zu Tage treten ließ, verbündete sie sich daher mit Emigranten, die oftmals denselben Generationen angehörten wie ihre Lehrer, sowie mit deren amerikanischem Umfeld: „Für uns Jüngere waren die Kontakte zur nordamerikanischen Geschichtswissenschaft, in meinem Fall die Felix Gilbert zu verdankende Einladung an das Institut for Advanced Study in Princeton, von prägender Bedeutung. Die Beziehungen halfen, gegenüber der älteren Generation der Fachvertreter eine eigenständige Position zu entwickeln, die sich durch die Abwendung vom noch immer einflußreichen historistischen Ballast und der Hinwendung zu sozialgeschichtlichen Themen ausdrückte.“³⁵²
In dieser Skizze erscheinen die emigrierten Historiker als transnationale Legitimationsinstanz, mit deren Hilfe die „politische und soziale Homogenität“ der deutschen Geschichtswissenschaft überwindbar gewesen sei, die von der Weimarer Zeit bis in die 1960er Jahre ungebrochen bestanden, sich sogar durch Verdrängung der „Liberalen“ im Nationalsozialismus noch verstärkt und eine „konservative Präponderanz“ und einmalige „Vorherrschaft alter Männer“ als hervorstechende Merkmale der Nachkriegszeit produziert hatte.³⁵³ Diese Homogenität macht Mommsen für Stabilität und Kontinuität der deutschen Geschichtswissenschaft über die politischen Umbrüche hinweg verantwortlich, neben der es nur wenige und isolierte Außenseiter gegeben habe: Neben Ludwig Dehio nennt Mommsen hier die Emigranten Hans Rosenberg und George W. Hallgarten,³⁵⁴ auf die sich auch Hartmut Lehmann bezieht. Lehmann führt darüber hinaus noch Hans W. Gatzke und Arthur Rosenberg als Vertreter einer zur hegemonialen Position der deutschen Geschichtswissenschaft oppositionellen „Emigrantenliteratur“ an.³⁵⁵ Diese seien „für junge Historiker wie mich wiederum in den 50er und 60er Jahren als Leitfiguren, meist über ihre Werke, außerordentlich wichtig“ gewesen, berichtet Lehmann, viele Emigranten seien aber auch während seiner Assistenzzeit in Köln ab 1959 zu Vorträgen und Seminaren an die dortige Universität gekommen, „manche waren
Ebenda, S. 177 f. Ebenda, S. 183. Ebenda. Lehmann: Es gab Vordenker, S. 334.
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sogar mehrere Semester da“.³⁵⁶ Anders als Mommsen betont Lehmann, dass er die Emigranten als oppositionell empfand und als attraktive Alternative zur konservativen Zunft ansah, so dass „die moderne Sozialgeschichte aber viel stärker“ von ihnen beeinflusst wurde als von der Volksgeschichte.³⁵⁷ Dementsprechend betont er sein Bedauern: „Es ist ja, wenn man heute Bilanz zieht, bezeichnenderweise mit Rothfels der konservativste aller Emigranten wieder zurückgekommen. Es hätte der Zunft insgesamt gutgetan, wenn mehr Emigranten zurückgekommen wären und wenn es gelungen wäre, mehr dieser Emigranten zurückzuholen.“³⁵⁸
In Lehmanns Darstellung liegt eine gewisse Spannung, da er einerseits die Emigranten zu „Leitfiguren“ erklärt und ihren starken Einfluss auf den Historikernachwuchs – und die Entwicklung der modernen Sozialgeschichte – betont, andererseits aber die verpassten Chancen durch die Abwesenheit eben dieser Emigranten hervorhebt. Die mangelnde Remigration konnte nach seiner Schilderung den ideellen Einfluss der Emigranten nicht verhindern, aber offenbar ist das, was Lehmann sich von einer stärkeren Emigrantenpräsenz in der Nachkriegszeit erhofft hätte, weniger ideell, eher persönliches und symbolisches Wirken als Vorbild an Stelle der NS-belasteten Lehrergeneration.³⁵⁹ Diese symbolische Ersetzung der NS-kompromittierten Lehrer durch Emigranten verdeutlicht Heinrich August Winkler auf die Frage, welche Professoren „der Grund für die Entscheidung [waren], nach Münster zu gehen“: Winkler verweist ohne Namensnennung auf „einige der Münsteraner Historiker“ und „den
Ebenda, S. 334, nennt Lehmann namentlich Felix Gilbert, Hajo Holborn, Eugen RosenstockHuessy und Dietrich Gerhard. Köln sei daher „ein sehr interessanter Standort“ gewesen, betont Lehmann, und erläutert später, S. 336 f., die Attraktivität von Emigranten in Politik und Geschichtswissenschaft näher: „nicht zuletzt deshalb bin ich in Tübingen zu Rothfels ins Seminar, weil er ein Emigrant gewesen war. Sie müssen auch bedenken, daß dies die Zeit war, in der in der Politik mit Ollenhauer und Brandt ehemalige Emigranten wirkten; es wurde damals öffentlich die Frage gestellt, ob sie in der bundesrepublikanischen Politik Leitbilder sein könnten. Ich erinnere mich an sehr heftige Debatten, in denen ich damals als junger Student den Standpunkt vertreten habe: Aufgrund der Tatsache der Emigration sind sie besonders geeignet, eine solche Leitfigurfunktion zu übernehmen. Und in ähnlicher Weise galt dies für mich auch in der Geschichtswissenschaft.“ Ebenda, S. 336. Ebenda. Vgl. die oben in Anmerkung 356 zitierten Stellen, denen Lehmann ebenda, S. 337, hinzufügt, dass er auch seinen Studienort Wien besonders deshalb interessant fand, weil die Neuzeithistoriker Hugo Hantsch (als KZ-Gefangener) und Heinrich Benedikt (als Emigrant) nicht NS-kompromittiert waren.
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ebenso umstrittenen wie brillanten Soziologen Hans Freyer“, die er vor seiner Studienortwahl auf dem Historikertag 1956 erlebt hatte.³⁶⁰ So pauschal diese Bemerkung unter Hervorhebung des mit einem Lehrverbot belegten und dann emeritierten Nichthistorikers Freyer ist, so ausführlich berichtet Winkler anschließend über eine Gastvorlesung Rosenstock-Huessys, die er zu seinen „stärksten Eindrücken“ zählt, und über dessen für Winkler eindrucksvolles Revolutionen-Buch.³⁶¹ Auch für seine anschließenden Studienorte Heidelberg und Tübingen nennt Winkler NS-belastete Wissenschaftler wie Ernst Forsthoff und Theodor Eschenburg als wichtige Lehrer neben Emigranten wie Karl Löwith und Hans Rothfels:³⁶² „Dieses Nebeneinander von akademischen Lehrern, die sich vor 1945 kompromittiert hatten, einerseits und Emigranten andererseits ist für die Universitäten der späten 50er Jahre nicht ganz atypisch“.³⁶³
Für Winkler und seine Generation sind dabei die Emigranten offenbar eine Berufungsinstanz, die für Kritiker schwerer angreifbar ist als die NS-belasteten akademischen Lehrer. Das ist auch keine neue Praxis, die etwa erst mit der Debatte um „braune Wurzeln“ der Sozialgeschichte aufgekommen wäre. Nachrufe, Festschriften und die von Hans-Ulrich Wehler herausgegeben Reihe „Deutsche Historiker“³⁶⁴ demonstrierten bereits in den 1970er Jahren das Bedürfnis des inzwischen auf Professuren gelangten Nachwuchses zur Konstruktion alternativer
Winkler: Mut zu kritischen Fragen, S. 370. Ebenda. Vgl. Wayne Cristaudo/Norman Fiering/Andreas Leutzsch: Introduction: Eugen Rosenstock-Huessy (1888 – 1973); in: Culture, Theory and Critique 56 (2015), Nr. 1, S. 1– 12 (DOI: 10.1080/14735784.2014.979086), hier S. 4, die den großen Einfluss Rosenstock-Huessys auf Winkler und Wehler betonen, die unabhängig voneinander das Revolutionenbuch zu einem lebensverändernden Eindruck erklärten. Vgl. zur Rezeption von Rosenstock-Huessys zuerst 1931 erschienenem Revolutionen-Buch die Besprechungen zur zweiten und dritten Auflage von Dietrich Gerhard: Rezension zu Eugen Rosenstock-Huessy, Die europäischen Revolutionen und der Charakter der Nationen, Stuttgart/Köln 1951; in: HZ 182 (1956), S. 333 – 339, sowie Gerhard Masur: Rezension zu Eugen Rosenstock-Huessy, Die Europäischen Revolutionen und der Charakter der Nationen, Stuttgart 1961; in: HZ 195 (1962), S. 147 f. Winkler: Mut zu kritischen Fragen, S. 370 f. Ebenda, S. 370. Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Deutsche Historiker, Göttingen 1973, fasst die 1971 und 1972 erschienenen ersten fünf Bände zusammen, später erschienen weitere Sammlungen biographischer Skizzen bis Band 9, Göttingen 1982. In der Reihe sind, wie dem Literaturverzeichnis zu entnehmen ist, oftmals die eingehendsten biographischen Würdigungen der Untersuchungspersonen dieser Arbeit erschienen. Zu der Reihe und ihrer Distinktionsfunktion von der Orthodoxie vgl. Blaschke/ Raphael: Kampf um Positionen, S. 101 f.
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Traditionslinien: In Abgrenzung von der geschichtswissenschaftlichen Orthodoxie berief man sich vor allem auf Emigranten und andere Außenseiter. Deren Ansehen in der deutschsprachigen Zunft stieg dadurch aber nicht in allen Fällen so stark wie bei Hans Rosenberg, der weithin als Ahnherr der Historischen Sozialwissenschaft verehrt wurde. Eckart Kehr, den Gerhard Ritter zu Lebzeiten als „Edelbolschewisten“ geschmäht hatte,³⁶⁵ bot sich aus anderen Gründen in den 1960er und 1970er Jahren als Bezugsgröße an: Der bereits 1933 in den USA gestorbene Meinecke-Schüler war der wohl polarisierendste Jungstar in der deutschen Historikerzunft, als er 1931 damit scheiterte, sich bei Hans Rothfels zu habilitieren, und zugleich große Aufregung um die etwaige Verleihung des Freiherr-vom-Stein-Preises für dasselbe Werk losbrach.³⁶⁶ Die Reaktivierung Kehrs verlieh durch erneute Polarisierung in den 1960er und 1970er Jahren erstens der Abgrenzung der jungen Sozialhistoriker von der „jahrzehntelang nahezu unangefochten vorherrschende[n] national-konservative[n] und politikgeschichtliche[n]“³⁶⁷ Tradition Ausdruck. Zweitens bezog man Kehr und andere „mit Nachdruck in den Traditionszusammenhang der westdeutschen Geschichtswissenschaft“ ein, um „seine Einseitigkeit zu korrigieren“.³⁶⁸ Und drittens sollte dies als „Probe auf den liberalen Umgang der Historikerschaft mit der Vergangenheit der eigenen Wissenschaft“³⁶⁹ dienen und die Grenzen dessen ausloten, was in der westdeutschen Zunft gerade noch als akzeptabel galt. Da
Zitiert nach Wehler: Eckart Kehr, S. 100. Ebenda, S. 104– 106; vgl. die Edition von vier Gutachten über das Manuskript von Eckart Kehr: Kriegsverluste, Kriegsentschädigung und Wiederaufstieg in der Politik des Freiherrn vom Stein; in: Ritter: Meinecke, S. 434– 443, sowie Ritters Darstellung ebenda, S. 92– 97. Die offizielle Bezeichnung des Preisausschreibens lautete wohl „Staatspreis 1931 zum Freiherrn-vom-SteinErinnerungsjahr“, so das Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen 74 (1932), S. 55. Kehr war schließlich weder unter den drei Preisträgern, noch unter den mit einer Plakette Ausgezeichneten. Die vierte und letzte angefertigte Plakette übersandte der sozialdemokratische preußische Kultusminister Adolf Grimme lieber an Friedrich Meinecke für dessen „Mühewaltung“ als Vorsitzender der Prüfungskommission. Kehr erhielt jedoch „außerhalb der Preisverteilung […] ein Stipendium“, um „die vorgelegte Arbeit zu vollenden“. Brief Adolf Grimme an Friedrich Meinecke, 18. Januar 1932; in: Ritter: Meinecke, S. 443 f. Dass die Historische Kommission beim Reichsarchiv die „überlegene Qualität“ von Kehrs Arbeit anerkannte und „ihm daher die Preissumme zu[sprach]“, während sie ihm zugleich „die eigentliche Auszeichnung“ verweigerte, wie es Wehler: Eckart Kehr, S. 105 und öfter darstellt, ist aufgrund der klaren Stipendiums-Formulierung des Ministers falsch. Bei Kehr, der laut Ritter: Meinecke, S. 96, ein Stipendium von 1000 Reichsmark erhielt, konnte sich dieser Eindruck aber wohl einstellen. Hans-Ulrich Wehler: Historische Sozialwissenschaft und Geschichtsschreibung. Studien zu Aufgaben und Traditionen deutscher Geschichtswissenschaft, Göttingen 1980, S. 8. Ebenda, S. 9. Ebenda.
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Hans Rosenberg in der Weimarer Zeit deutlich weniger radikal gewesen war als Kehr, taugte er zu solchen Provokationen auch in der Bundesrepublik schlecht. Besser geeignet war dazu George W. F. Hallgarten, der Kehr politisch und thematisch näherstand. Entsprechend positionierte sich die Gedenkschrift für Hallgarten 1976³⁷⁰ auch provokativ und links der einigermaßen parteiübergreifenden Begeisterung für Hans Rosenberg.³⁷¹ Auf Hallgarten verwiesen die über „Versäumte Fragen“ Interviewten allerdings nur beiläufig, als Beispiel für „Außenseiter“³⁷² oder oppositionelle „Emigrantenliteratur“³⁷³, obwohl er mit Themen wie Imperialismus, Diktaturvergleich oder Einsatzmöglichkeiten von Max Webers Soziologie in der Geschichtswissenschaft die heißesten Interessengebiete vieler Nachwuchshistoriker – gerade in der Zeitgeschichte – ansprach.³⁷⁴ Solcherart Provokation ist zwar gut zur Generierung von Aufmerksamkeit, aber darüber hinaus der akademischen Etablierung nicht zuträglich. Entsprechend spielt
Radkau/Geiss: Imperialismus. Selbst Stürmer: Weltgeschichte, S. 362, berichtet, er habe Rosenberg „sehr bewundert. Er war überhaupt nicht orthodox, ein nicht-marxistischer Wirtschafts- und Sozialhistoriker […]. Ja, er war ein großer Mann.“ Mommsen: Vorherrschaft alter Männer, S. 183. Lehmann: Es gab Vordenker, S. 334. Wolfgang J. Mommsen: Die deutsche Kriegszielpolitik 1914– 1918. Bemerkungen zum Stand der Diskussion; in: Kriegsausbruch 1914, München 1967, S. 60 – 100, hier S. 98, zählt „fast nur“ Kehr, Hallgarten und Vagts als Vertreter einer wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Interpretation des Ersten Weltkriegs und seiner Vorgeschichte auf, wie sie Mitte der 1960er Jahre von Fritz Fischer und seinen Schülern aufgenommen wurde. Allerdings grenzt sich Mommsen von den Genannten ab, indem er sie ebenda als methodisch unzureichend darstellt und in die Nähe der DDR-Geschichtswissenschaft rückt. Noch 1999 äußerte Mommsen, Wehler hätte Kehr nicht „aus dem Abgrund wieder heraufholen“ sollen: Wolfgang J. Mommsen: „Die Jungen wollen ganz unbefangen die alte Generation in die Pfanne hauen.“; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 191– 217, hier S. 196. Mommsen bezieht sich in seinem Interview nicht auf die Gastprofessoren. Als Schieder-Schüler spielt für ihn Rothfels eine hervorgehobene Rolle, für Nonkonformes zu seinem Lehrer verweist er nicht auf ältere Emigranten, sondern auf gleichaltrige Peers: „Da Schieder in seinen Seminaren ziemlich steif und zurückhaltend war, haben wir als junge Leute nebenbei unser eigenes Seminar abgehalten. Das war ein Kreis, den ich formal leitete und zu dem die ganze Riege von Schülern Schieders, u. a. Helmut Berding, Dirk Blasius, Elisabeth Fehrenbach, Lothar Gall und Hans-Ulrich Wehler gehörte. Diese Runde war sehr lebendig und intellektuell anregend. Wir lasen Carl Schmitt, Friedrich Meinecke und viele theoretische Texte – in gewisser Weise vielleicht auch als Gegengewicht zu dem ‚großen Meister‘ [Schieder].“ Wohl auf diesen Kreis bezieht sich das von ihm häufig ohne konkreten Bezug benutzte „wir“. Ebenda, S. 193.
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Hallgarten keine Rolle, wo es um die Durchsetzung von neuem, kritisch-linkem³⁷⁵ Personal und der neuen „kritischen Sozialgeschichte“ als einem „Generationenprojekt“³⁷⁶ geht. In diesem Bereich konnten eher die unumstritten-etablierten Historiker beiderseits des Atlantik wirken, und das heißt abgesehen von Hans Rosenberg vor allem: Hajo Holborn, Fritz und Klaus Epstein sowie Fritz Stern. An ganz persönliche Unterstützung von ungewöhnlichem, auch nonkonformistischem Historikernachwuchs bei der Karriere erinnert sich Imanuel Geiss anhand zweier markanter Begebenheiten. Nach der Promotion 1959 habe er für die Friedrich-Ebert-Stiftung gearbeitet, sei dort aber „später praktisch rausgeworfen“ worden, weil er bereits für die „Anerkennung der DDR und der OderNeiße-Grenze“ eintrat und daher als „kommunistenverdächtig“ galt: „Mit meinen Arbeiten, unter anderem auch Artikeln im ‚Vorwärts‘, hätte ich konservative Politiker so verärgert, was die Ebert-Stiftung sich nicht erlauben könne. Die Dokumentation ‚Julikrise 1914 und Kriegsausbruch‘ sollte eingestampft werden, obwohl der erste Band schon im Umbruch war. […] Daraufhin mobilisierte ich amerikanische Professoren, die aus Deutschland stammten, Hajo Holborn und Fritz T. Epstein. Sie schrieben der Ebert-Stiftung, daß das Nichterscheinen des ersten Bandes Unbehagen in den USA auslösen würde. So wählte ich eine Kompromißlösung: Ich war bereit auszuscheiden, aber mit einem zweijährigen Werkvertrag.“³⁷⁷
In der beginnenden Fischer-Kontroverse waren Holborn und Epstein also bereit, sich gewissermaßen im Namen der deutsch-amerikanischen Freundschaft gegen die Unterdrückung unerwünschter – und das hieß hier: für das nationale Renommee Deutschlands vermeintlich schädlicher – Forschungsergebnisse einzusetzen und damit die Fortführung der akademischen Karriere eines umstrittenen Nachwuchshistorikers zu ermöglichen. Denn durch den Werkvertrag konnte Geiss Vorarbeiten für die Habilitation finanzieren.³⁷⁸ Derartige transatlantische Interventionen gab es in der Fischer-Kontroverse noch öfter, wie Abschnitt 8.1 zeigen
Imanuel Geiss: „Unsere ‚Neue Orthodoxie‘ ist heute viel illiberaler als ihre akademischen Väter nach 1945.“; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 218 – 239, hier S. 222. Jarausch/Hohls: Brechungen von Biographie und Wissenschaft, S. 38. Geiss: Unsere „Neue Orthodoxie“, S. 225. Bei der erwähnten zweibändigen Quellenedition handelt es sich um Imanuel Geiss (Bearb.): Julikrise und Kriegsausbruch 1914. Eine Dokumentensammlung, 2 Bände, Hannover 1963/1964 (2. Auflage von Band I, Bonn-Bad Godesberg 1976). Anders als Geiss 1963 in seinem Vorwort zu Band I, S. 16 f., vermutete, hat sich die Benutzung dieser Edition anstelle der verschiedenen Originalausgaben der diplomatischen Akten der Großmächte in der Forschung durchgesetzt, abzulesen etwa an der regelmäßigen Verwendung in Christopher Clark: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, München 2013. Geiss: Unsere „Neue Orthodoxie“, S. 225 f.
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wird; gerade im politischen Betrieb öffnete der Nimbus eines amerikanischen Professors, der aus Deutschland stammte und gute Kontakte zu US-Behörden besaß, Türen. Noch persönlicher erweist sich die ideelle Unterstützung durch Gastprofessoren in einer Anekdote, in der Geiss auf seine Kindheit als Waise aus proletarischen Verhältnissen eingeht: „Eine Folge war, daß natürlich der Bildungshintergrund, den die meisten meiner Kollegen haben, bei mir weggefallen ist. Ich genoß also kein klassisches humanistisches Gymnasium und keine klassische deutsche Philosophie usw. – das war alles durch eine härtere Jugend aufgehoben. Ein amerikanischer Kollege, dem ich das mal erzählte, sagte: ‚Don’t worry, you know the realities of life better.‘ Das war Klaus Epstein.“³⁷⁹
Eine Intervention mit konkret identifizierbarer Wirkung ist bei dieser schulterklopfenden Ermutigungsformel zwar nicht auszumachen, doch die lebendige Erzählung nach über 30 Jahren lässt auf den starken Eindruck schließen, den das auf einen jungen Historiker in einer prekären Karrieresituation und mit Selbstzweifeln über den mangelnden Bildungshintergrund gehabt haben mag. Zur Verstärkung beigetragen haben dürfte auch die Assoziation, dass Epstein als jugendlicher Emigrant ebenfalls mit Bildungsproblemen zu kämpfen hatte, sich im fremden Umfeld aber dennoch durchsetzen konnte. Dass etablierte Historiker „von außen“ dem Nachwuchs in der Bundesrepublik den Rücken stärkten, und sei es nur durch freundlichen Zuspruch, dürfte die Zweifel relativiert haben, die aufgekommen sein müssen, wenn junge Historiker – und nun auch Historikerinnen – Wege einschlugen, auf denen es keine Rollenvorbilder unter den deutschen Professoren gab. Die „nüchterne Revision unseres überlieferten Bildes deutscher Geschichte“, die nicht nur Gerhard Ritter 1949 gefordert hatte,³⁸⁰ die aber in den 1950er Jahren eher als störend – oder angesichts der propagandistischen Angriffe aus der DDR gar als gefährlich – galt, wäre ohne äußere Unterstützung nur schwer möglich gewesen. Ein Deutungsmuster für die folgende Entwicklung der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft übernahm Geiss ebenfalls von Klaus Epstein:
Ebenda, S. 218. Gerhard Ritter: Gegenwärtige Lage und Zukunftsaufgaben deutscher Geschichtswissenschaft; in: HZ 170 (1950), S. 1– 22, hier S. 20; vgl. Heidrun Kämper: Opfer – Täter – Nichttäter. Ein Wörterbuch zum Schulddiskurs 1945 – 1955, Berlin/New York 2007, S. 225 f., Christoph Huber: Nach der „deutschen Katastrophe“. Der historiographische Diskurs 1945 bis 1950 in Deutschland; in: Einsichten und Perspektiven 2010, Heft 3, S. 192– 207, URL: http://www.blz.bayern.de/blz/eup/ 03_10/ep_03_10.pdf (zuletzt abgerufen am 7. November 2017, Archiv-URL: http://web.archive.org/ web/20171107083159/http:/www.blz.bayern.de/blz/eup/03_10/ep_03_10.pdf).
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„Das heißt also, daß wir neue Positionen gegen die ‚Alte Orthodoxie‘ durchsetzen mußten. Dialektisch gebrochen ist die Kontinuität durch die ‚Neue Orthodoxie‘, die mit moralischem Pathos alles angeblich besser machen will. Der Begriff ‚Neue Orthodoxie‘ stammt von Klaus Epstein, mit dem ich aus meiner Bonner Zeit bei der Ebert-Stiftung guten Kontakt hatte. Neben der ‚Neuen Orthodoxie‘ – herrschende Meinung ist ja dasselbe – gab es früher eine rechte ‚Alte Orthodoxie‘, und dazu gehörte eben ‚Schwarz-Weiß-Rot‘, das heißt deutschnational. Seit 1968 – als Symbol betrachtet – haben wir eine ‚Neue Orthodoxie‘, eben eine linke.“³⁸¹
Geiss’ Begrifflichkeit geht nicht auf Bourdieu zurück. Dennoch lässt sich der geschilderte Eindruck mit Bourdieu reformulieren als Auseinandersetzung im deutschen geschichtswissenschaftlichen Feld,³⁸² bei der die orthodoxe Position einer weithin politisch nationalkonservativen, methodisch historistischen Historikerschaft von der heterodoxen Lehre einer modernen deutschen Sozialgeschichte, politisch weiter links, angegriffen und schließlich mehr oder weniger abgelöst wurde. Zumindest wird man sagen können, dass es der sozialgeschichtlichen Strömung in den 1970er Jahren gelungen ist, selbst eine Position als anerkannter Teil der historiographischen Orthodoxie zu erringen und ihrerseits Veränderungen auch in den historistisch orientierten Strömungen zu bewirken.³⁸³ Blaschke und Raphael sehen als zentralen Erfolgsfaktor dieser bedeutenden Verschiebung im geschichtswissenschaftlichen Feld die Konzentration der Publikationstätigkeit dieser Strömung beim Göttinger Verlag Vandenhoeck & Ruprecht.³⁸⁴ Diese Deutung kann aber nicht erklären, woher das Kapital der häretischen Strömung stammt. Sie fokussiert lediglich die günstigen Umwandlungsund Akkumulationsprozesse des vorhandenen Kapitals, die das enge Bündnis mit einem geeigneten Verlag ermöglichte. Insbesondere die Quellen des symbolischen Kapitals, das die Distinktion von der Orthodoxie und die Nivellierung der Kapitaldifferenz zwischen Heterodoxie und Orthodoxie erlaubte, bleiben dabei unbeachtet.
Geiss: Unsere „Neue Orthodoxie“, S. 231. Vgl. die dazu parallelen Erläuterungen in Imanuel Geiss: Nationalsozialismus als Problem deutscher Geschichtswissenschaft nach 1945; in: Jürgen Elvert/Susanne Krauß (Hg.): Historische Debatten und Kontroversen im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 2003, S. 110 – 123, hier S. 117– 119. Vgl. für eine Beschreibung der deutschen Geschichtswissenschaft, fokussiert auf Verlagsbeziehungen, mit einem an Bourdieu angelehnten Instrumentarium: Blaschke/Raphael: Kampf um Positionen, mit Erläuterung der Grundbegriffe der Feldanalyse auf S. 71– 83; hilfreich zu Bourdieus Begrifflichkeit und ihrem Zusammenhang auch das Bourdieu-Kapitel in Vester: Kompendium der Soziologie III, S. 131– 148. Vgl. Blaschke/Raphael: Kampf um Positionen, S. 105 f. Ebenda, S. 106.
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Aus den in diesem Abschnitt diskutierten Interviewäußerungen ergibt sich, dass es vor allem die emigrierten Gastprofessoren waren, auf die diese Studierendengeneration der Nachkriegszeit zur Versorgung mit symbolischem Kapital zurückgriff. Dieses symbolische Kapital versetzte sie schließlich in die Lage, ihr sonstiges Kapital als legitim auszuweisen: Insbesondere gilt das für ihr kulturelles Kapital in Form von Methoden, Ansätzen und Konzepten, die in den 1950er Jahren noch nicht anerkannt waren, sowie von Zielsetzungen der Geschichtswissenschaft in der Demokratie,³⁸⁵ die ebenfalls von der älteren Generation nur in Ausnahmefällen repräsentiert werden konnten.³⁸⁶ Auch soziales und ökonomisches Kapital konnten von dem symbolischen Kapital der Gastprofessoren profitieren, beispielsweise im Hinblick auf die betonten Freundschaften und engen Verbindungen zu ausländischen Historikern, auf Auslandsreisen und Stipendien, nicht zuletzt den Fulbright-Austausch selbst. Und schließlich arbeitete insbesondere die Historische Sozialwissenschaft intensiv mit dem symbolischen Kapital der Gastprofessoren und anderer Emigranten, als sie sich eng mit dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht verband und dadurch ihren Zugang zu dem ökonomischen Kapital sicherte, das für die Produktion geschichtswissenschaftlicher Bücher und Zeitschriften unverzichtbar ist.³⁸⁷ Der „altgediente Vandenhoeck Verlag“ half bei der erfolgreichen Etablierung im Feld mit und profitierte – auch wirtschaftlich – selbst von der „Strategie, durch Vorväter und Quasimärtyrer eine legitime Tradition zu erfinden“: „So […] präsentierten die jüngeren Lehrstuhlinhaber im virtuellen Verbund mit den reintegrierten Außenseitern sich unter neuer Flagge und mit großem Homogenitätsanspruch als zu respektierender Teil des Historikerfeldes.“³⁸⁸
Vgl. etwa Jürgen Kocka: Geschichte – wozu?; in: Jürgen Kocka: Sozialgeschichte. Begriff – Entwicklung – Probleme, Göttingen 1977, S. 112– 131. Vgl. etwa Alfred Heuß: Verlust der Geschichte, Göttingen 1959, besonders S. 61– 82, mit pessimistischen Überlegungen zur Gegenwartsrelevanz von Geschichtswissenschaft, sowie Reinhard Wittram: Das Interesse an der Geschichte, Göttingen 1958, besonders S. 110 – 122, der „die im bürgerlichen Zeitalter konzipierte [historische] ‚Bildung‘ in der industriellen Gesellschaft“ (S. 120) als anachronistisch beschreibt und von Geschichte allenfalls die wechselseitige Bestätigung von Bescheidenheit und Trost (S. 121 f.) erhofft. Diese nicht recht in der Bundesrepublik angekommen erscheinenden Studien werden gemeinsam mit zwei Schriften Hermann Heimpels in der jüngeren Forschung regelmäßig als die „kleinen Göttinger Bekenntnisse“ verspottet, so von Nicolas Berg: Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung, 3. Auflage, Göttingen 2004, S. 213; Blaschke: Verleger machen Geschichte, S. 315; Blaschke/Raphael: Kampf um Positionen, S. 98. Ebenda, S. 97– 106. Blaschke: Verleger machen Geschichte, S. 310 – 332, Zitat auf S. 331 f.
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Der fächerübergreifende Prozess der Internationalisierung der Wissenschaften³⁸⁹ stand im Fach Geschichte, einer traditionell ausgesprochen nationalen Disziplin, vor besonderen Schwierigkeiten. Die bei Kriegsende alte Historikergeneration war in dem Glauben aufgewachsen, die deutsche Geschichtswissenschaft sei weltweit führend. Nicht nur methodisch, auch inhaltlich gingen die alten Historiker von einer Deutungshoheit der deutschsprachigen Zunft aus, zumindest bezogen auf die deutsche Geschichte, damit aber ausstrahlend auf die ganze Vorgeschichte des Deutschen Reiches, die fast ganz Europa einschloss, bis zurück zum Römischen Reich und seiner Vorgeschichte. Diese Deutungshoheit war nach 1918 geschwunden: Über das Deutsche Kaiserreich und die Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg erlaubten sich Historiker aus ganz Europa Urteile, die in der Zunft mindestens fünfzig Jahren lang meist sehr ungnädig aufgenommen wurden. Der „historiographische Abwehrkampf gegen den Versailler Vertrag“ führte in dieser Zeit zur Entstehung der Zeitgeschichte und der Volksgeschichte als wichtigen Teildisziplinen mit expliziter nationaler Mission.³⁹⁰ Dass die deutsche Geschichtswissenschaft den Ersten Weltkrieg gewissermaßen mit historiographischen Mitteln fortsetzte, bedeutete jedoch ihre Isolation von Historikern aus anderen Ländern. Hans Rothfels als Exponent von Zeitgeschichte und Volksgeschichte konnte diese Isolation dementsprechend auch nach der Rückkehr aus der Emigration nicht auflösen. Die hier untersuchten Gastprofessoren hingegen hatten eine nationale Mission der Geschichtswissenschaft entweder schon vor ihrer Emigration verneint oder sich in der Fremde von dieser Haltung distanziert. Wie seine Freunde Eckart Kehr und Alfred Vagts,³⁹¹ gehörte George W. F. Hallgarten schon in der Weimarer Zeit zu den Kritikern des nationalapologetischen Kurses der Zunft. Hallgartens zahlreiche Gastprofessuren nach dem Zweiten Weltkrieg, die ihn neben Lehre in Deutschland und den USA unter anderem nach Indien und Japan führten, versinnbildlichen die Internationalisierung der Geschichtswissenschaft und die Rolle von Gastprofessuren dabei, verdeutlichen jedoch auch, dass eine postnationale Ausrichtung wie die Hallgartens in Verbindung mit seiner mar-
Vgl. König: Fulbright in Österreich, besonders S. 19; Krauss: Transatlantische Gastprofessoren. Klaus Große Kracht: Kriegsschuldfrage und zeithistorische Forschung in Deutschland. Historiographische Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs; in: Zeitgeschichte-online, Mai 2004, URL: http://www.zeitgeschichte-online.de/thema/kriegsschuldfrage-und-zeithistorische-forschungdeutschland (zuletzt abgerufen am 6. Januar 2019, Archiv-URL: http://www.webcitation.org/75ECG4EHu); vgl. Haar: Historiker im Nationalsozialismus. Siehe zu Kehr und Vagts oben, Anmerkung 82 auf S. 22.
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xistischen Orientierung für eine geregelte Historikerkarriere hinderlich war.³⁹² Gastprofessuren fungierten in seinem Fall auch als Ersatz der fehlenden Festanstellung. In ganz anderer Rolle als den oben beschriebenen – aber deutlich im Kontext der Internationalisierung der Geschichtswissenschaft – tritt Hans Rosenberg nur in einer Äußerung Wolfram Fischers auf, die bemerkenswerterweise in der Druckfassung der Interviewsammlung³⁹³ ersatzlos entfallen ist. Bei der Beschreibung seiner Karriereoptionen nach der Habilitation benennt Fischer in der Online-Fassung als Grund für seine Nichtberufung nach Berkeley 1963 die dortige Konkurrenz durch Rosenberg: „Erst sehr viel später erfuhr ich, daß man auch deshalb zögerte, weil mit Hans Rosenberg bereits jemand da war, der vor allem deutsche Wirtschaftsgeschichte betrieb, und man sich daher nach jemandem umsah, der andere europäische Länder abdeckte. Sidney Pollard bekam dann den Ruf, lehnte ihn aber ab.“³⁹⁴
Rosenberg tritt hier nicht etwa als Wegbereiter der deutschen Wirtschaftsgeschichte in den USA auf, auch nicht als Vermittler zwischen deutscher und amerikanischer Geschichtswissenschaft oder Türöffner für junge deutsche Wirtschaftshistoriker in den USA. Stattdessen besetzt er in dieser Darstellung sein Thema und verhindert dadurch (unbeabsichtigt) eine in den 1960er Jahren wieder möglich gewordene internationale Etablierung von deutschen Nachwuchshistorikern im selben Forschungsfeld. Auch Sidney Pollard, in Wien geborener Emigrant und Gastprofessor, ab 1980 ordentlicher Professor in Bielefeld,³⁹⁵ tritt in Fischers Erzählung als – etwa gleichaltriger – Konkurrent um eine Berufung nach Berkeley auf. Pollard setzte sich dabei durch, konnte in den USA 1971 jedoch keine Zwar erweckte die kritische Sozialgeschichte bei einigen Beobachtern den Eindruck kommunistischer Sympathien, doch im Gesamtbild des Historikerfeldes „war es notwendig, dass die eigene Tendenz weniger ‚links‘ ausfiel […], um nicht außer Hörweite des konservativen Establishments der Berufshistoriker zu geraten, aber hinreichend innovativ und emanzipatorisch, um überhaupt aufzufallen und Resonanz zu erzeugen.“ Blaschke:Verleger machen Geschichte, S. 331. Wolfram Fischer: „Und ich glaube, daß wir alle nicht dazu geneigt haben, nun in der Vergangenheit unserer Lehrer herumzubohren.“; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 89 – 117, hier S. 105. Interview mit Wolfram Fischer zum Thema: „Neubeginn und Entwicklung der deutschen Geschichtswissenschaft in den 1950/60er Jahren“, [1999]; URL: http://hsozkult.geschichte.hu-ber lin.de/beitrag/intervie/fischer.htm (zuletzt abgerufen am 6. Januar 2019, Archiv-URL: http://www. webcitation.org/75E5F3oRr). Hartmut Berghoff/Dieter Ziegler: Nachruf auf Professor Dr. Sidney Pollard 1925 – 1998; in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 40 (1999), Heft 1, S. 207– 209.
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unbefristete Arbeitserlaubnis erhalten, so dass er in sein Emigrationsland England zurückkehren musste und sich dort schließlich zur dauerhaften Remigration nach Deutschland entschloss.³⁹⁶
4.3.3 Hans Rosenberg als Mentor Die per Oral History produzierten Quellen, die ich im vorigen Abschnitt ausgewertet habe, lassen sich ergänzen, kontrastieren und vergleichen mit NachlassAkten, um sie auf diesem Weg kritisch zu beleuchten. Werden transatlantische Gastprofessoren nur deshalb hervorgehoben, weil sie in der Debattenkonstellation um die Jahrtausendwende Legitimität repräsentierten? Wird Rosenbergs Name in den Studierendenerinnerungen vielleicht nur deshalb so häufig erwähnt, weil alle Beteiligten ihrer Diskursgemeinschaft mit seinem Namen etwas anfangen konnten und das auch voneinander wussten? Diesem Verdacht gehe ich im Folgenden durch Triangulation der Studierendenerinnerungen mit Quellen nach, die in der Zeit entstanden sind, in der die direkte Wirkung Rosenbergs und der anderen emigrierten Historiker auf die Studierendengeneration stattgefunden hat. Der Nachlass Hans Rosenbergs³⁹⁷ bietet sich dafür aufgrund der zentralen Rolle an, die Rosenberg in den Studierendenerinnerungen spielt. Denn die Emphase, mit der die Nachkriegsstudierenden im Alter auf transatlantische Gastprofessoren Bezug nahmen, kann erst einmal als Indiz für die Zurückweisung von Eakin-Thimmes These gelten, dass die „theoretischen Anregungen“, die „praktischen Erfahrungen“ und die Theorie-Praxis-Verknüpfung in der Nachkriegszeit nicht auf den Einfluss von Gastprofessoren zurückgehe, sondern vielmehr auf Ordinarien in Deutschland, auf den Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte und damit auf Werner Conzes sozialgeschichtliche Konzeption.³⁹⁸ Zur Verteidigung von Eakin-Thimmes These ließe sich vorbringen, die expost-Selbststilisierung zahlreicher Nachkriegsstudierender sei den Diskursverhältnissen nach dem Frankfurter Historikertag von 1998 geschuldet, in denen sie
Ebenda, S. 207 f. Grund der Verweigerung der Arbeitserlaubnis war demnach Pollards kurzzeitige Mitgliedschaft in einer kommunistischen Partei. Der „Wunsch nach einer neuen Herausforderung“ gilt dort als Grund der Remigration 1980. Nach Pollards Emeritierung 1990 remigrierte er, der ebenda, S. 209 als „im Herzen immer ein Engländer“ beschrieben wird, erneut nach Großbritannien. Sein Beispiel ist geeignet, typische Migrationsmuster und Identitäten von emigrierten Gastprofessoren kritisch zu reflektieren. Nachlass Hans Rosenberg im Bundesarchiv Koblenz, künftig: BArch N1376. Eakin-Thimme: Vermittler sozialgeschichtlicher Ansätze, S. 81, ausführlich zitiert oben, S. 277.
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Sozialgeschichte gegen den Vorwurf in Schutz nehmen wollten, von nationalsozialistisch geprägten Geschichtsprofessoren in Deutschland etabliert worden und daher selbst braun verwurzelt zu sein, eine bloße Neuetikettierung der Volksgeschichte. Die offiziellen Machtverhältnisse an deutschen Universitäten sprechen ja, wie in Abschnitt 4.3.1 erwähnt, auch gegen großen Einfluss bloßer Gastprofessoren. Zwei Interpretationen stehen hierbei unvereinbar gegenüber: Eine betont die Bedeutung Hans Rosenbergs für die Entwicklung und Etablierung der Historischen Sozialwissenschaft, die andere bestreitet Rosenbergs Vorbildfunktion. Zusätzlich erschwert wird die Orientierung durch die Identifikation mit politischen Lagern innerhalb des Faches und der chiastischen Implikation, „links“ sei irgendwie „rechts“ und umgekehrt gewesen oder geworden, als aus der Volksgeschichte Gesellschaftsgeschichte wurde. Meine eigene Haltung zur politischen Zuordnung geschichtswissenschaftlicher Fachströmungen lautet, dass diese politische Ausrichtungsfrage aufs Glatteis führt, weil sich alle relevanten Positionen in der Bundesrepublik innerhalb eines sehr gemäßigten Meinungskorridors bewegt haben. Nationalsozialistische Positionierungen kamen in der Zunft nach 1945 ebenso wenig zum Zug wie sowjetkommunistische, und das gilt im Großen und Ganzen auch für ehemalige Anhänger des Nationalsozialismus wie für ehemalige Kommunisten. Die Randbereiche des politischen Spektrums werden in der Nachkriegszunft oftmals nicht von denen markiert, die vor 1945 zu den Radikalen gehört haben mögen. Zudem waren Verschiebungen in der politischen Orientierung rund um 1968 keine Seltenheit. Wenn man also die politische Ausrichtung beiseitelässt, bleiben die Fragen, welche Schulen die deutschsprachige Geschichtswissenschaft dominierten und woran sich das festmachen lässt. Das ist wiederum wichtig für die Frage, welche Rolle transatlantische Gastprofessoren in der deutschsprachigen Nachkriegsgeschichtswissenschaft spielten. Dazu möchte ich in drei Schritten argumentieren, dass auch nach 1945 die Meinecke-Schule insgesamt eine hegemoniale Stellung in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft einnahm, dass das an der Kooperationsbereitschaft und Anschlussfähigkeit der ihr zurechenbaren Historiker über jede Grenze, Differenz und Konkurrenz hinweg sichtbar wird, und dass Emigranten dazu sowohl mit symbolischem Kapital als auch mit echtem Wissenstransfer als Mentoren der Nachkriegsstudierenden beitrugen. Ich konzentriere mich hier erneut auf Hans Rosenberg, da er erstens als Meinecke-Schüler und Neuzeithistoriker die fragliche dominante Strömung repräsentierte, zweitens das größtmögliche Renommee der amerikanischen Geschichtswissenschaft als jahrzehntelanger Professor in Berkeley verkörperte, und drittens wie gesehen die symbolische Schlüsselrolle in der Debatte ab 1998 einnahm, deren Fundierung in der zeitgenössischen Praxis der Nachkriegsjahrzehnte so überprüfbar ist.
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Stellung der Meinecke-Schule In der Debatte über braune Wurzeln der Sozialgeschichte und das Wirken von Historikern im Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik wurde suggeriert, Werner Conze habe eine sozialhistorische Schule begründet und damit die Sozialgeschichte langfristig so geprägt, dass die Sozialgeschichte in Conzes nationalsozialistischen Verstrickungen verwurzelt sei. Hans Rosenberg habe dagegen nur marginalen Einfluss ausgeübt, da er dabei nicht vor Ort gewesen sei, lässt sich Eakin-Thimmes Argument zusammenfassen. Doch das ist eine unangemessene Dichotomisierung, die außer Acht lässt, dass Conze und Rosenberg der MeineckeSchule³⁹⁹ zuzurechnen sind und keiner von beiden mit diesen bis ins Kaiserreich zurückreichenden Wurzeln effektiv gebrochen hat. Conze hat wie Theodor Schieder die Verbindung zur Meinecke-Schule vermittelt durch Hans Rothfels erworben. Zwar gibt es vielfältige Unterschiede zwischen verschiedenen Strömungen der Meinecke-Schule, die – nur zum Beispiel – verschiedenen Generationslagerungen, ‐zusammenhängen und ‐einheiten zuzurechnen sind. Die Perspektiven und Präferenzen der Meinecke-Schüler und ‐Enkel verschoben sich in den Phasen des 20. Jahrhunderts naturgemäß, aber einige Basisorientierungen blieben vereinbar: Sie sprachen dieselbe Sprache, teilten fachliche Qualitätsvorstellungen und reproduzierten wesentliche Habitus-Formen über Generationen hinweg. Wehlers Blick auf Rothfels⁴⁰⁰ zeigt ebenso die Identifikation mit einem größeren Schulzusammenhang wie Gerhard A. Ritters Gedenkpraxis in Bezug auf Rosenberg und Meinecke: „Das Bild einer Büste Meineckes hing bis zu seinem [Rosenbergs] Tod in seinem, heute neben Rosenbergs Bild in meinem Arbeitszimmer.“⁴⁰¹ Ein Charakteristikum der Meinecke-Schule verdient dabei besondere Beachtung: Die thematische, methodische und theoretische Offenheit für Neuerungen erzeugte schon bei den unmittelbaren Schülern Friedrich Meineckes eine große Vielfalt – umso mehr nach mehreren akademischen Generationen. Diese Offenheit drückt sich inhaltlich etwa darin aus, dass Meineckes langjähriger Freund Otto Hintze einigen Meinecke-Schülern als wichtigster Historiker seiner Zeit galt.⁴⁰² Die Vereinbarkeit verschiedener Verzweigungen der Meinecke-Schule re-
Vgl. Ritter: Meinecke, S. 28 – 32, zur Diskussion um die Bedeutung der Meinecke-Schule. Vgl. oben, S. 285. Ritter: Meinecke, S. 70. Diese Fortführung und Parallelisierung des Gedenkens an Meinecke und Rosenberg erhält zusätzliches Gewicht durch Ritters unmittelbar vorangehende Bemerkung, Rosenberg habe in Meinecke eine Art Vaterersatz gesehen und ihm persönlich sehr nahe gestanden, auch wenn er sich historiographisch frühzeitig emanzipiert hatte. „I regard Hintze, not Meinecke, as the greatest German historian of the cl[o]sing 1[9]th and the early 20th centuries.“ BArch N1376/45: Brief Hans Rosenberg an Douglas A. Unfug, 25.07.1967.
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präsentieren die akademischen Traditionslinien, von denen ich die Linie Meinecke–Rothfels–Schieder–Wehler bereits erwähnt habe, die etwa neben Meinecke– Rothfels–Conze–Koselleck steht und ebenso wie Meinecke–Herzfeld–Ritter– Kocka von Berlin über Umwege bis nach Bielefeld führt. Die Bielefelder Schule steht insofern in der Nachfolge der Berliner Schule, wenn auch die Verwerfungen des 20. Jahrhunderts Umwege über Königsberg, die USA und einige westdeutsche Universitäten hervorriefen.
Anschlussfähigkeit und Kooperationsbereitschaft Die Zusammenarbeit von Hans-Ulrich Wehler, Jürgen Kocka und Reinhart Koselleck in Bielefeld ab 1973 ist bekannt.⁴⁰³ Diese Herausbildung eines neuen Zentrums der Sozialgeschichtsschreibung erhielt viel Zuspruch, auch von Hans Rosenberg, der seinem Freund Rudolf Braun, den er sich als seinen Nachfolger in Berkeley gewünscht hätte,⁴⁰⁴ schrieb: „In Bielefeld werde ich nun nicht nur auf Wehler, sondern auch auch [sic] auf Kocka und Koselleck stossen – ein grossartiges Trio, von dem man sich nur wünschen könnte, dass es durch Ihr Hinzutreten (ein Phantasiebild) in ein einzigartiges Quartett der Sozialgeschichte im weiteren Sinne sich verwandeln möge.“⁴⁰⁵
Entsprechend erinnert sich Ritter: Meinecke, S. 18: „Rosenberg hat in seinen Vorlesungen und Seminaren immer wieder auf Hintze als großes Vorbild einer vergleichenden, universal ausgerichteten Geschichtsschreibung hingewiesen.“ Ebenda, S. 18 f., weist er auf vergleichbare Äußerungen von Dietrich Gerhard, Felix Gilbert und Hajo Holborn hin.Vor diesem Hintergrund ist es als höchstes Lob zu bewerten, wie Rosenberg Kocka 1973 zur Berufung nach Bielefeld gratulierte: „Ich bin hocherfreut darüber, dass Sie den Ruf angenommen haben. Kommt Koselleck nun auch, so ergibt sich, wie ich Wehler vor einiger Zeit einmal schrieb, mit der Kombination Kocka, Koselleck, Wehler ein wirklich grossartiges und einzigartiges Trio. Wissen Sie übrigens – ich hoffe, diese Bemerkung wird Ihnen nicht zu Kopf steigen –, dass sie [sic] das Potential haben, ein zweiter Otto Hintze zu werden?“ BArch N1376/47: Brief Hans Rosenberg an Jürgen Kocka, 10.06. 1973. Koselleck hatte eine symbiotische Arbeitsbeziehung von Begriffs- und Sozialgeschichte gefordert und folgte 1973 (wie Jürgen Kocka) einem Ruf nach Bielefeld. So Bettina Hitzer/Thomas Welskopp: Einführung in die Texte der Edition; in: Bettina Hitzer/Thomas Welskopp (Hg.): Die Bielefelder Sozialgeschichte. Klassische Texte zu einem geschichtswissenschaftlichen Programm und einer Kontroverse, Bielefeld 2010, S. 33 – 62, hier S. 45. BArch N1376/242: Brief Hans Rosenberg an Rudolf Braun, Berkeley 10.11.1970: „Rein persönlich kann ich dem nur noch hinzufügen, daß ich im Hinblick auf die sachlichen Qualifikationen und die Forschungsrichtung z. Zt. niemanden lieber als Sie zu meinem Nachfolger haben möchte.“ Braun entschied sich allerdings für einen Ruf an die Universität Zürich. BArch N1376/242: Brief Hans Rosenberg an Rudolf Braun, Berkeley 20.06.1973.
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Der Zusammenfluss von Schülern Schieders, Conze und Gerhard A. Ritters an einer Fakultät wurde keineswegs von wechselseitigen Aversionen behindert. Eakin-Thimmes Argumentation, Conzes Arbeitskreis habe in einem strengen Gegensatz zu Rosenbergs Vorstellung von Sozialgeschichte gestanden,⁴⁰⁶ ist in Rosenbergs Nachlass leicht falsifizierbar: Ihre Behauptung, Rosenberg sei zum Arbeitskreis nie eingeladen worden, ist falsch. Den ersten Kontakt zwischen Conzes Arbeitskreis und Rosenberg nahm Conzes Assistent Koselleck auf Vermittlung Wehlers im März 1969 „auch im Namen von Herrn Conze“ auf und lud Rosenberg zu einem Vortrag oder Kolloquium ein: „Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie uns im Laufe des Sommersemesters, das hier noch bis Ende Juli dauert, in Heidelberg einmal besuchen wollten. […] Wir laden Sie dazu herzlich ein. Das Thema zu wählen stünde natürlich ganz in Ihrem Belieben, wenn es auch nahe liegt, daß Sie vielleicht über unser gemeinsames Thema der preußisch-deutschen Geschichte sprechen würden oder allgemeiner über die Probleme einer modernen Sozialgeschichte.“⁴⁰⁷
Rosenberg nahm an und schilderte seine Ziele und Wünsche bei dem zehntägigen Heidelberg-Aufenthalt vorab dem jungen Heidelberger Lehrstuhlinhaber für Wirtschafts- und Sozialgeschichte Eckart Schremmer: „Ich komme als reiner Privatmann und möchte keinerlei Vortragsverpflichtung übernehmen. Es liegt mir lediglich daran, Sie wiederzusehen und mit den Herren Conze, Groh, Koselleck und Maschke und den jüngeren Mitgliedern des Heidelberger sozialgeschichtlichen Arbeitskreises in persönliche Verbindung zu treten. Auch würde ich gern während meines Aufenthaltes an ein paar Seminarsitzungen als stiller Hörer, gegebenenfalls auch als bescheidener Inpromptu-Diskutant teilnehmen. Und sollte sich Gelegenheit zu einem informellen Gedankenaustausch auf der Gesprächsebene mit einigen Studenten ergeben, so wäre mir auch das sehr recht. Aber nur ja keine formellen Verpflichtungen irgendwelcher Art!“⁴⁰⁸
Die persönliche Kontaktpflege mit Kollegen und Gespräche mit Studierenden waren Rosenberg bei solchen Gelegenheiten also wichtiger als große, womöglich öffentlichkeitswirksame Anlässe wie Vorträge. Dass Rosenberg Schremmer höher schätzte als Conze, ergibt sich nicht nur daraus, dass er sich sehr beeindruckt von Schremmers im selben Jahr publizierter Habilitationsschrift zeigte und Schremmer statt Conze die Organisation von Unterkunft und Programm für den Heidel-
Eakin-Thimme: Vermittler sozialgeschichtlicher Ansätze, S. 81: „Die Umsetzung der Theorie in die Praxis wiederum diskutierten sie intensiv im Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte. […] Zu den Tagungen des Arbeitskreises aber war Hans Rosenberg nie eingeladen.“ BArch N1376/46: Brief Reinhart Koselleck an Hans Rosenberg, Heidelberg 31.03.1969. BArch N1376/46: Brief Hans Rosenberg an Eckart Schremmer, 27.12.1970. Hervorhebung im Original in Versalien.
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berg-Aufenthalt anvertraute,⁴⁰⁹ sondern auch daraus, dass er Schremmers Forschungen anführte, als er die westdeutsche Zunft gegen den pauschalen Vorwurf methodologischer Rückständigkeit verteidigen wollte: „The conspicuous accomplishments of Wilhelm Abel (Göttingen) and Eckart Schremmer (Heidelberg) and their team-workers as well as the activities of Knut Borchardt and Wolfgang Zorn in Munich provide more than sufficient evidence in support of my contention.“⁴¹⁰
Dennoch nutzte Rosenberg den Heidelberg-Aufenthalt, nicht zuletzt, um Conze näher kennenzulernen und ihn zu Hause zu besuchen.⁴¹¹ Conze hatte gerade seine Amtszeit als Rektor in Heidelberg absolviert und gehörte zu den Anwärtern auf den Vorsitz des Historikerverbandes, aber Rosenberg hatte Conze schon wesentlich länger im Blick gehabt: Noch vor Conzes Berufung zum Ordinarius in Heidelberg 1956 skizzierte Rosenberg für den ebenfalls in die USA emigrierten Wirtschaftshistoriker Alexander Gerschenkron, Professor in Harvard, seine Sicht auf die Zunft, besonders im Hinblick auf die Vertreter der Neueren deutschen Geschichte: „The best man among those around fifty years of age is Theodor Schieder (Cologne). […] For a time he was close to the Nazis. But his views have radically changed. […] A very good man (45 years or about) is Werner Conze (Münster). He has made several notable contributions to German political and economic history.“⁴¹²
Für Harvard erörterte Rosenberg zehn Jahre später auch Professoren für europäische Geschichte, die für eine Berufung in Betracht gezogen wurden. Rosenberg empfahl schließlich Karl Dietrich Bracher und beurteilte Conze als ambivalent, aber ungeeignet: „I think very highly of his work though I have developed misgivings about some of his more recent writings which have be[c]ome increasingly ponderous or even unintelligible on account of the unfortunate influence that Otto Brunner has managed to exert upon him. As for Conze’s general outlook, he is a sophisticated conservative nationalist and such a German
Ebenda. In Schremmers Arbeit (Die Wirtschaft Bayerns vom hohen Mittelalter bis zum Beginn der Industrialisierung. Bergbau, Gewerbe, Handel, München 1970) sah er einen großen Wurf, „der auf das glücklichste ‚traditionelle‘ Wirtschaftsgeschichtsschreibung mit ‚moderner‘ Wirtschaftsgeschichtsforschung und theoretisch fundierter Analyse des Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstums verbindet“. BArch N1376/45: Brief Hans Rosenberg an Andreas Dorpalen, 21.10.1972. BArch N1376/47: Brief Werner Conze an Hans Rosenberg, Ziegelhausen 20.06.1973; BArch N1376/46: Brief Hans Rosenberg an Werner Conze, 05.07.1973. BArch N1376/47: Brief Hans Rosenberg an Alexander Gerschenkron, 09.05.1956.
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patriot that he would never leave Germany on his own accord. Furthermore, I doubt very much that Conze would ever get adjusted to American life and could get along with American students. At Heidelberg, he has attracted many students, but none of his Ph.D.’s is really outstanding“.⁴¹³
Ein gewisser Respekt Rosenbergs für Conze war also seit Langem vorhanden, als er ihn in Heidelberg besuchte. Rosenbergs Kooperationsbereitschaft zeigt sich hier nicht zuletzt in seinem nachsichtigen Umgang mit den NS-Verstrickungen der Kollegen, denen er Gesinnungswandel zugesteht oder zumindest den schädlichen Einfluss entlastend ins Feld führt, den andere für den Nationalsozialismus engagierte Historiker auf sie ausübten. Umgekehrt bekam Rosenbergs Name in der deutschsprachigen Historikerzunft in diesen Jahren rasant Konjunktur, was ihm zu der Einladung nach Heidelberg und darüber hinaus verholfen haben dürfte.
Generationenkonflikt der 1960er In den 1960er Jahren war Rosenberg in der Zunft im Großen und Ganzen noch außen vor, aber nach der Fischer-Kontroverse änderten sich langsam die Verhältnisse. Rosenbergs Zusammenarbeit mit deutschen Historikern seiner Generation war begrenzt, viele Jüngere sahen ihn aber als Leitbild an. Wie Rosenberg von der zur Etablierung strebenden Generation als Verbündeter gegen die Älteren wahrgenommen wurde, zeigt sich deutlich in einem detaillierten Brief von Wolfgang Sauer über den Historikertag 1967 in Freiburg, auf dem sich ein Generationswechsel abzeichnete: „Die repräsentativen Vorträge wurden zwar von der alten Garde monopolisiert – Schieder, Brunner, Oestreich, Alfred Heuss; aber bis auf Heuss versagte sie kläglich; Schieders und Brunners Ergüsse waren geradezu blamable Versager. Dafür gab es in der Diskussion zu Oestreichs Vortrag über den Lamprechtstreit (und in den Korreferaten von Nipperdey und Vierhaus) eine Überraschung. Da war plötzlich eine junge Garde (außer Nipperdey und Vierhaus noch Hans und Wolfgang Mommsen, Helmut Böhme, Krocker[sic⁴¹⁴] (Doktorand G.A. Ritters), Wolfram Fischer, Knut Borchardt (Mannheim) u. a.), die bei aller individuellen Verschiedenheit und manchen Grenzen und Unfertigkeiten doch mit den Ergebnissen der
BArch N1376/47: Brief Hans Rosenberg an Oscar Handlin (Harvard), 08.07.1966. Im Licht von Conzes Umgang mit einer Gastprofessur in den USA 1952, die er wegen ungünstiger Bedingungen und mangelnder Lust auf Lehre im amerikanischen Kurssystem absagte, erscheint Rosenbergs Einschätzung der Chancen, Conze nach Harvard zu locken, zutreffend. Vgl. Etzemüller: Werner Conze und die Neuorientierung, S. 135. Gemeint ist höchstwahrscheinlich Jürgen Kocka, dessen Promotion zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen war, und dessen Namensschreibung Sauer daher nicht geläufig gewesen sein könnte.
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modernen Sozialwissenschaftlichen Forschung vertraut ist, mit den Theorien umzugehen und ohne Geschwafel zu argumentieren versteht und, vor allem, sich mit wahrer Wollust an das Schlachten von ‚heiligen Kühen‘ macht. Der arme Oestreich wurde überhaupt nicht ernst genommen; stattdessen entzündete sich die Diskussion an Vierhaus’ provokativ zugespitzten Thesen über das Verhältnis von Geschichte und Sozialwissenschaften (wozu ich einiges aus meinen amerikanischen Erfahrungen beitrug), und Conze, der die Diskussion leitete, war zwischen Begeisterung und Befremden hin- und hergerissen (denn von seiner ‚Strukturgeschichte‘ war natürlich auch nicht die Rede) und erklärte in seinem Schlußwort, daß einiges von dem in dieser Sitzung Geäußerten auf früheren Historikertagen zweifellos als Skandal aufgefaßt worden wäre.“⁴¹⁵
Wolfgang Sauer hat in den Wochen nach dem Historikertag die Initiative übernommen und die Idee zur Gründung einer Richtungszeitschrift der jüngeren, sozialgeschichtlich interessierten Generation aufgegriffen und weiterentwickelt: Die neue Generation sei schon da, aber noch schwach und unorganisiert, weil ihr ein Wirkungsfeld fehle: „es war bezeichnenderweise in jener [skandalösen] Sitzung, wo sie das Feld beherrschte, daß die Anregung zur Gründung einer Zeitschrift spontan aufkam.“⁴¹⁶ Daran wollte Sauer anknüpfen und versuchte, Rosenberg als Verbündeten und strategischen Berater für das Projekt zu gewinnen: „Ich habe daher hier einen Brieffeldzug begonnen – zunächst Bracher, Wehler, Vierhaus –, um die Resonanz zu erkunden und ein Redaktionskollegium zusammen zu bekommen. Dabei möchte ich nicht auf eine ‚Sachzeitschrift‘ (etwa ‚Ztschr. für Sozialgeschichte‘ oder ähnliches) hinaus, um zu vermeiden, daß man wieder, wie bei der Zeitgeschichte oder den Vierteljahresheften f. Wirtsch. u. Sozialgeschichte[sic⁴¹⁷], auf das Abstellgleis des Spezialfaches gerät.Was mir aussichtsreicher und der sachlichen wie wissenschaftspolitischen Lage angemessener erscheint, wäre eine Zeitschrift mit neuer Orientierung, die Grundfragen deutscher und europäischer Geschichte aufnimmt und mit modernen sozialwissenschaftlichen Methoden behandelt, also ein neuer Ansatz, wenn Sie so wollen, zu der in den 1950er Jahren gescheiterten ‚Revision des deutschen Geschichtsbildes‘. Dementsprechend müßte man auch einen Titel wählen, etwa analog ‚Past and Present.‘ Wären Sie bereit, da mitzumachen? Ich bin mir bewußt, daß der Gedanke gewiß noch nicht völlig ausgereift ist, vor allem in den kitzligen taktischen Fragen (Kann man es sich leisten, die alte Generation ganz zu ignorieren? Aber wenn man Vertreter von ihr beteiligt,
BArch N1376/46: Brief Wolfgang Sauer an Hans Rosenberg, Berlin-Dahlem 15.10.1967. Die Textstelle „über den Lamprechtstreit“ ist als Marginalie eingefügt. Am Ende des Zitats folgt eine weitere Marginalie: „Dazu gehörte wohl u. a., daß Fischer, als er monierte, daß in der bisherigen Diskussion der Name Marx’ noch nicht gefallen sei, spontan den größten Applaus der Sitzung erhielt.“ BArch N1376/46: Brief Wolfgang Sauer an Hans Rosenberg, Berlin-Dahlem 15.10.1967. Dieses Zitat und das Folgende sind als Fortsetzung des unterbrochenen Briefs auf den 21.10.1967 datiert. Sauer vermischt hier die Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte mit der Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte.
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wird man dann das Programm einhalten können?). Aber eben deshalb wäre uns Ihr Rat unentbehrlich, und Ihr Name, der wie ich in Freiburg feststellen konnte, unter den Jüngeren großes Ansehen genießt, wäre eine große Hilfe (Ihr Buch wurde mehrfach erwähnt und gelobt; soweit Kritik geäußert wurde, war sie sachliche, ‚immanente‘ Kritik). Bitte lassen Sie sich die Sache doch einmal durch den Kopf gehen und schreiben Sie mir Ihre Meinung. […] PS: Bitte behandeln Sie die Zeitschrifts-Angelegenheit einstweilen streng vertraulich, damit nicht die falschen Leute davon Wind bekommen und das Unternehmen durch Querschüsse stoppen.“⁴¹⁸
In dem skizzierten Profil der geplanten Zeitschrift ist unschwer „Geschichte und Gesellschaft“ wiederzuerkennen, die 1975, nach acht Jahren mit einigen Wendungen und Verwerfungen, erstmals erschien.⁴¹⁹ Rosenberg hat diese jüngere Generation als seine Zielgruppe definiert, wahrscheinlich schon bei seinen Gastprofessuren, aber jedenfalls in den 1960er Jahren: „Ich erwarte nicht, dass die konservativen Historiker meine oft scharfen oder gar provokativen Formulierungen ‚schlucken‘ werden. Bei den Jüngeren, die neue Wege suchen, werde ich dabei auf mehr Verständnis stossen. Aber ‚diplomatisch‘ bin ich nie gewesen, und daher hat mir auch das Schreiben unter dem Gesichtswinkel ‚taktischer‘ Überlegungen immer fern gelegen, auch vor der Emigration.“⁴²⁰
Die Jüngeren, die neue Wege suchten, unterstützte Rosenberg auch dann tatkräftig, wenn sie nicht zu seinem Schulzusammenhang zu zählen und ihm nicht einmal persönlich bekannt waren.⁴²¹ Ich war überrascht, dass man als frisch
BArch N1376/46: Brief Wolfgang Sauer an Hans Rosenberg, Berlin-Dahlem 15.10.1967. Hervorhebung im Original unterstrichen. Wolfgang Sauer etwa gehörte nach einem Eklat um die Festschrift zum 65. Geburtstag Rosenbergs, für die Sauer zunächst als Mitherausgeber fungieren sollte, nicht mehr zum Kreis der in dieser Richtung und mit Rosenbergs Unterstützung weiter organisatorisch arbeitenden Historiker. Vgl. BArch N1376/46: Brief Hans Rosenberg an Gerhard A. Ritter, 21.03.1970; Brief Gerhard A. Ritter an Hans Rosenberg, Münster 26.02.1970. BArch N1376/46: Brief Hans Rosenberg an Wolfram Fischer, 21.12.1967. BArch N1376/46: Brief Hans Rosenberg an den Präsidenten der Technischen Hochschule Darmstadt, 18.09.1971. Rosenberg empfahl Michael Stürmer „auf das wärmste“ für eine Professur, obwohl er ihm nur brieflich (und aus Publikationen) bekannt war. Besonderes Augenmerk erhalten in Rosenbergs Begründung Stürmers internationale Verbindungen, die zeitgemäße methodologische Fundierung seiner Arbeiten und ihr interdisziplinärer „Brückenschlag zu den Sozialwissenschaften“. Vgl. Stürmers Bitte um das Gutachten BArch N1376/46: Brief Michael Stürmer an Hans Rosenberg, Cappel 09.09.1971; sowie Stürmers Dank BArch N1376/46: Brief Michael Stürmer an Hans Rosenberg, Darmstadt 07.10.1971. Auch zu Rosenbergs Festschriften trugen mehrere Autoren bei, die ihm persönlich bis dahin noch nie begegnet waren. Rosenberg interpretierte das als „Wertschätzung meiner wissenschaftlichen Bemühungen“, so BArch N1376/ 47: Brief Hans Rosenberg an Klaus Hildebrand, 31.10.1974. Hildebrand erläuterte, er habe sich an
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promovierter Historiker in den 1970er Jahren einfach seine Dissertation an sein Idol in Amerika schicken und – jedenfalls von Rosenberg – eine Antwort und eine mehr oder weniger enge, unter Umständen langjährige Mentoratsbeziehung erhoffen konnte.⁴²² Rosenbergs Empfehlungsschreiben füllen Akten.⁴²³ Ihre Menge wird aber noch übertroffen von der seiner Mentoratsbriefe, auf die ich weiter unten zurückkomme.
Einladung zum Historikertag 1974 Auch die „konservativen Historiker“ der älteren Generation interessierten sich zunehmend für Rosenberg: Emigrierte Historiker in den USA musste man im Auge behalten. Das hatte sich in der Fischer-Kontroverse gezeigt, als es ihnen gelungen war, Fritz Fischers Kaltstellung abzuwehren. Damit hatten sie ihre Überzeugung von Pluralismus in der Geschichtswissenschaft gegen Gerhard Ritter durchgesetzt, dessen Intervention zur Verhinderung von Fischers USA-Reise symbolisch für die Versuche zur Aufrechterhaltung der Orthodoxie steht.⁴²⁴ Zudem war das Interesse der Studierenden an transatlantischen Gastprofessoren groß, ebenso das Interesse der Verlage, deren Verkaufszahlen man vielleicht als quantitatives Indiz für die breite Nachfrage heranziehen kann: Rosenbergs „Probleme der deutschen Sozialgeschichte“ erschien 1969 in der Edition Suhrkamp in Frankfurt
der Festschrift beteiligt, „weil ich der Lektüre Ihrer Arbeiten ungemein viel Anregung verdanke“. BArch N1376/47: Brief Klaus Hildebrand an Hans Rosenberg, Frankfurt 14.11.1974. Als extremes Beispiel findet sich etwa Claus-Dieter Krohn, Doktorand Fritz Fischers, der Rosenberg weder bekannt war, noch thematisch (Stabilisierung und ökonomische Interessen. Die Finanzpolitik des Deutschen Reiches 1923 – 1927, Düsseldorf 1974) nah an Rosenbergs Forschungsthemen lag. Er schrieb schlicht: „anliegend gestatte ich mir Ihnen ein Exemplar meiner im Frühjahr erschienenen Dissertation mit der Hoffnung zu übersenden, daß sie Ihr Interesse finden möge.“ BArch N1376/47: Brief Claus-Dieter Krohn an Hans Rosenberg, Hamburg „im Oktober“ 1974. Speziell aus der Fischer-Schule gibt es einige Beispiele für eine solche unvermittelte Anlehnung an Rosenberg, so dass ich davon ausgehe, dass man in Hamburg den Tipp erhalten konnte, sich einfach an den Professor in Berkeley zu wenden. Die inkorrekte Anschrift, die Krohn verwendete (University of California, Department of History, Berkeley, Ca. 94703 USA), spricht nicht dafür, dass jemand ihm Rosenbergs Kontaktdaten gegeben hat: Der ZIP Code von Berkeley ist vermutlich einem Postleitzahlen-Verzeichnis entnommen, da er nicht der speziellen Postleitzahl der Universität (94720) entspricht, mit der die meisten anderen Briefe an Rosenbergs Dienstadresse versehen sind. Die Privatadresse in El Cerrito, California (Contra Costa County) verwendeten in der Zeit in Berkeley dagegen Korrespondenten, die Rosenberg auf persönlicher Ebene ansprechen wollten und konnten – etwa weil sie Rosenberg bereits zu Hause besucht hatten. Insbesondere BArch N1376/61 und BArch N1376/62, aber auch darüber hinaus. Siehe unten, Abschnitt 8.1 ab S. 521.
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am Main. Zu einem Ladenpreis von 3,– DM waren bis Jahresende 7002 Stück verkauft.⁴²⁵ Bis Mitte 1973 stieg der Verkauf auf 9474 Stück, trotz Preiserhöhung auf 4,50 DM.⁴²⁶ Damit war die in der Reihe übliche Kalkulation des Verlags, zunächst 10.000 Exemplare zu drucken, im Großen und Ganzen aufgegangen. Rosenberg war ein Verkaufsschlager.⁴²⁷ Auch das mag ein Aspekt gewesen sein, der den Ausschuss des Historikerverbandes überzeugte, Rosenberg für den Schlussvortrag des Historikertages 1974 nach Braunschweig einzuladen. Entscheidend aber war die Wirkung auf Öffentlichkeit und Politik, die der Ausschuss sich von der Präsentation Rosenbergs als eines fortschrittlichen, amerikanischen Wissenschaftlers erhoffte. So lautete der Kern der Begründung von Heinrich August Winklers Sondierungsauftrag: „Ich wäre Ihnen wie alle Kollegen im Ausschuß – darunter besonders Herr Conze, Herr Nipperdey und Herr Ritter – ganz außerordentlich dankbar, wenn Sie eine Einladung annehmen könnten. Für die Jüngeren von uns hätten übrigens schon die Einladung und ihre Annahme programmatischen Charakter. In einer Zeit, in der die Stellung der Geschichte an Schulen und Universitäten so bedroht [ist] wie heute (vom Streit um die [hessischen] Rahmenrichtlinien für den Sozialkunde-Unterricht werden Sie vielleicht gehört haben), ist es dringend notwendig zu zeigen, daß die Geschichtswissenschaft kein Fach von gestern ist und daß unsere Disziplin sich neuen methodischen Herausforderungen stellt. Ein Vortrag von Ihnen auf dem Historikertag könnte eine große moralische Wirkung in der Öffentlichkeit haben.“⁴²⁸
Internationale Anerkennung, speziell aus den USA, war für die deutsche Geschichtswissenschaft seit den 1960er Jahren zu einer wichtigen Legitimationsressource geworden. Einerseits stilisierte sich die Historische Sozialwissenschaft
BArch N1376/58: Honorar-Abrechnung fuer das 2. Halb-Jahr 1969 Nr. 274, Frankfurt am Main 31.12.1969. BArch N1376/58: Honorar-Abrechnung Nr. 259 1. Halb-Jahr 1973, Frankfurt am Main 30.06. 1973. Bis 1981 überwogen dann die Remittenden die Verkäufe, so dass der Gesamtverkauf der Auflage schließlich bei 9202 Stück lag. BArch N1376/58: Honorar-Abrechnung Nr. 223 2. Halb-Jahr 1981, Frankfurt am Main 31.12.1981. Vgl. zu Rosenbergs „Große Depression und Bismarckzeit. Wirtschaftsablauf, Gesellschaft und Politik in Mitteleuropa“ (Berlin 1967), das sich bis 1981 fast 8.000 mal verkaufte, Taschenbuchausgabe inklusive, die Korrespondenz mit de Gruyter, BArch N1376/54. In den 1970er Jahren publizierte Rosenberg zwei Aufsatzsammlungen bei Vandenhoeck & Ruprecht in der „Bielefelder“ Reihe „Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft“, vgl. BArch N1376/59. BArch N1376/47: Brief Heinrich August Winkler an Hans Rosenberg, Freiburg im Breisgau 31.05.1973. Aus dem Schreiben geht nicht hervor, dass Wehler hinter dem Vorschlag steckte, Rosenberg zu diesem Vortrag einzuladen, wie Stelzel: History After Hitler, S. 62, vermutet. Als Zeichen seiner Popularität unter westdeutschen Sozialhistorikern und als späte Anerkennung seiner Verdienste als Forscher und Lehrer, kann man die Einladung mit Stelzel dennoch deuten.
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als besonders US-nah.⁴²⁹ Andererseits griff die ganze Zunft in ihrer Legitimationskrise auf diese Ressource zurück. Das eröffnete Rosenberg, und nicht nur ihm, überraschende Chancen. Rosenberg nahm hocherfreut an, „wenn auch nicht ohne Zögern“,⁴³⁰ und schlug „Herrschaftseliten und sozialer Systemkonflikt im deutschen Bürgerkrieg von 1525“ als Thema vor: „Ich komme nun zum Kernpunkt Ihres Briefes und damit zu der halboffiziellen Anfrage, ob ich bereit bin, für den nächsten westdeutschen Historikertag in Braunschweig Anfang Oktober 1974 den Schlussvortrag zu übernehmen. Es ist eine ehrenvolle Anfrage, die mich naturgemäss sehr überrascht hat. Die darin zum Ausdruck kommende Vertrauenskundgebung tut mir persönlich wohl, erfreut mich aber auch aus rein sachlichen Gründen. Denn die Einladung ist an einen ‚unverbesserlichen Individualisten‘ – so hat mich kürzlich einer meiner Schüler im Vorwort seiner Doktordissertation bezeichnet – ergangen, was wohl schwerlich möglich gewesen wäre, wenn sich nicht in den letzten Jahren in der kollektiven Mentalität des westdeutschen Historikerverbandes ein grundlegender Wandel vollzogen hätte, ein Wandel, den ich mit grosser Befriedigung verfolgt habe, da er meinen Hoffnungen und Bestrebungen entspricht.“⁴³¹
Rosenberg brachte seine freudige Überraschung, verbunden mit persönlicher und fachpolitischer Befriedigung, auch Freunden gegenüber zum Ausdruck.⁴³² Den Wandel in der Geschichtswissenschaft machte nicht nur Rosenberg an der Einladung fest. Kurz darauf lud Conze Rosenberg offiziell ein: „Soeben erfahre ich von Herrn Winkler, daß Sie bereit sein würden, eine Einladung zum Historikertag in Braunschweig Anfang Oktober 1974 anzunehmen und dort den Schlußvortrag zu halten. Ich habe mich über diese Nachricht außerordentlich gefreut und möchte nunmehr sofort an Sie die offizielle Einladung richten. […] Besser könnten Sie [mit dem Vortragsthema] wohl kaum den Wünschen des Ausschusses und auch meinen persönlichen Absichten entsprechen. Ich glaube, daß mit Ihrem Schlußvortrag eine Tendenz für die Geschichtswissenschaft gezeigt werden wird, die wir im Historikerverband intensiv zu verfolgen versuchen. […] Ich denke noch oft an unseren gemeinsamen Abend in Heidelberg vor ein oder zwei Jahren zurück und bedaure, daß wir das Gespräch nicht haben fortsetzen können. Dazu wird sich hoffentlich im Herbst 1974, auch außerhalb des Historikertags, Gelegenheit bieten.“⁴³³
Stelzel: History After Hitler, passim. Brief Hans Rosenberg an Gerhard A. Ritter, 10.09.1973, zitiert nach Ritter: Meinecke, S. 409, Anmerkung 177. BArch N1376/47: Brief Hans Rosenberg an Heinrich August Winkler, 12.06.1973. „Dass ich dazu eingeladen worden bin, hat mich natürlich sehr überrascht, aber auch erfreut und zwar nicht nur aus persönlichen Gründen. Es muss sich in den letzten Jahren ein recht weitgehender Wandel im Historikerverband vollzogen haben, wenn man mich zu so etwas einlädt.“ BArch N1376/242: Brief Hans Rosenberg an Rudolf Braun, Berkeley 20.06.1973. BArch N1376/47: Brief Werner Conze an Hans Rosenberg, Ziegelhausen 20.06.1973.
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Die Information machte bald die Runde. Gratulationen trudelten bei Rosenberg ein, die fachpolitische Bedeutung oftmals betonend: „Ich habe mit Freude davon erfahren, daß Sie einen der Hauptvorträge auf dem deutschen Historikertag in Braunschweig übernehmen werden, zumal ich und nicht ich allein darin eine freilich ziemlich späte formelle Anerkennung Ihrer Verdienste für die deutsche Geschichtswissenschaft, namentlich für die Historikergeneration, der ich angehöre, zum Ausdruck gebracht wird.“⁴³⁴
Auch Rosenberg vermutete diesen generationellen Hintergrund: „Dass man ausgerechnet mich dazu eingeladen hat, dürfte, wie ich annehme, auf die Initiative von Mitgliedern der jüngeren Generation zurückzuführen sein.“⁴³⁵ Aber die Zustimmung zu Rosenbergs Einladung mussten ja auch die der älteren Generation Angehörenden erteilt haben. Auf Anfrage Theodor Schieders sagte Rosenberg auch zu, seinen Vortrag als Aufsatz in der HZ zu publizieren.⁴³⁶ Doch im Sommer 1974 musste Rosenberg den Vortrag absagen, weil er damit nicht vorangekommen war. Da Rosenbergs Absage an Conze offener und umfassender ist und über die kolportierten Krankheitsgründe⁴³⁷ hinaus den Druck, die Selbstzweifel⁴³⁸ und die Schreibblockade spezifiziert, die Rosenbergs Vortrag verhinderten, zitiere ich sie hier vollständig: „Was ich Ihnen heute entgegen meinen festen Absichten und Zusicherungen schreiben muss, ist mir epinlich [sic] und fällt mir schwer. Um mit der Tür gleich ins Haus zu fallen: Ich bin nicht in der Lage, den Schlussvortrag auf dem Braunschweiger Historikertag zu halten. Bereits seit Jahren ist mein Gesundheitszustand alles andere als befriedigend. In der letzten Zeit ist er noch labiler geworden. Leider ist damit auch meine Gehirntätigkeit in Mitleidenschaft gezogen. Trotz beharrlicher, geradezu verzweifelter Anstrengungen im ver-
BArch N1376/47: Brief Hans Mommsen an Hans Rosenberg, Bochum-Querenburg 05.09.1973. Brief Hans Rosenberg an Gerhard A. Ritter, 10.09.1973, zitiert nach Ritter: Meinecke, S. 409, Anmerkung 177. BArch N1376/47: Brief Hans Rosenberg an Theodor Schieder, 17.06.1974. Da er nicht fertig wurde, erschien der Vortrag auch nicht in der HZ. N1376/149 enthält Manuskripte zum Thema, darunter einen Vortrag, den Rosenberg 1978 an der Universität Freiburg hielt.Veröffentlicht wurde bisher nichts davon, vgl. Ritter: Meinecke, S. 409, Anmerkung 177. Vgl. etwa Stelzel: History After Hitler, S. 62. Auch auf dem Historikertag 1974 selbst kursierte, dass Rosenberg so schwer erkrankt sei, dass er nicht zum Historikertag anreisen konnte, so dass man sich schon Sorgen um ihn machte. Vgl. BArch N1376/47: Brief Dietrich Gerhard an Hans Rosenberg, [bei Pittsburgh] 02.11.1974. Ritter: Meinecke-Schüler in den USA, S. 95, schreibt in diesem Zusammenhang vom „immer selbstkritischer werdenden Rosenberg“, aber Selbstkritik scheint hier ein weitaus zu schwacher Begriff. Vgl. zu Rosenbergs selbstzweiflerischer Gefühlswelt etwa seine Korrespondenz mit Klaus J. Bade in den 1970er und 1980er Jahren in BArch N1376/51 und BArch N1376/52.
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gangenen Jahr ist es mir infolgedessen nicht gelungen, eine Vortragsfassung aufs Papier zu bringen, die meinen Ansprüchen genügt oder den Erwartungen der Zuhörerschaft entsprechen könnte. Unter diesen Umständen kann ich die Verpflichtung, die ich in gutem Glauben übernommen hatte, beim besten Willen nicht erfüllen. Ich hätte Sie früher von der Sachlage unterrichten sollen, nahm jedoch an, dass ich es trotz aller Behinderungen doch noch schaffen würde. Das ist mir nicht gelungen. Naturgemäss bin ich über diese persönliche Niederlage bekümmert, und was mich dabei besonders bedrückt ist die Tatsache, dass ich Ihnen und Ihren Kollegen durch mein Versagen Ungelegenheiten bereite. In der Hoffnung, dass Sie und die Mitglieder Ihres Gremiums meiner negativen und noch dazu verspäteten Entscheidung Verständnis entgegenbringen und sie mir nicht nachtragen werden, verbleibe ich mit freundlichen Grüssen“.⁴³⁹
Conze reagierte freundlich mitfühlend und verständnisvoll.⁴⁴⁰ Offenbar lag der Fokus von Conzes Verständnis auf Rosenbergs Erkrankung, denn später betonte er, Rosenbergs Gesundheitszustand habe „so ernst“ geklungen, „daß ich nicht den Versuch machen konnte, Sie umzustimmen“.⁴⁴¹ Dass er den ausgebliebenen Versuch, Rosenberg nach seiner Absage umzustimmen, thematisiert, deutet darauf hin, dass sein Handeln im Umfeld des Historikertags, möglicherweise im Ausschuss, in Frage gestellt worden war. Denn wie Rosenbergs Einladung war auch seine Absage symbolisch aufgeladen. Gerade diese Eindrücke großer Wichtigkeit und überwältigender Ansprüche behinderten Rosenberg aber letztlich: „Wie Sie zweifellos durch Wehler wissen, habe ich in Braunschweig leider absagen müssen. Das ist mir aus mancherlei Gründen ebenso schmerzlich wie peinlich. Ich bin mir klar darüber, dass gerade diejenigen, die meine Einladung durchgesetzt hatten, derselben eine gewisse symbolische Bedeutung zuschrieben. Das hat zunächst auf mich belebend, allmählich jedoch einschüchternd und lähmend eingewirkt. Dazu kamen dann noch andere Behinderungen, vor allem eine ständig zunehmende geistige Müdigkeit, der [sic] schliesslich in chronische Erschöpfung überging, sodass ich das Rennen aufgeben musste.“⁴⁴²
BArch N1376/47: Brief Hans Rosenberg an Werner Conze, 15.07.1974.Vgl auch BArch N1376/47: Brief Hans Rosenberg an Gerhard Schulz, 03.09.1974, wo Rosenberg seinem Schüler erläutert, dass sein Leiden an „Kreislaufstörungen“ und „stark erhöhtem Blutdruck […] sich auf die Gehirntätigkeit negativ ausgewirkt hat“, und dass das der Grund für die Absage des Vortrags auf dem Historikertag war. Rosenbergs Reiselust wurde davon eher verstärkt als gemindert, und so plante er bereits eine Reise in die Berge ab 5. September und eine Rundreise durch Südamerika im November: „Ehe es für mich zu spät ist, möchte ich noch etwas von der Welt sehen.“ Vgl. auch BArch N1376/39: Brief Hans Rosenberg an Hans-Ulrich Wehler, 29.01.1974. BArch N1376/47: Brief Werner Conze an Hans Rosenberg, Ziegelhausen bei Heidelberg 23.07. 1974. BArch N1376/47: Brief Werner Conze an Hans Rosenberg, Ziegelhausen bei Heidelberg 10.10. 1974. BArch N1376/47: Brief Hans Rosenberg an Jürgen Kocka, 16.08.1974.
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Die symbolische Bedeutung, die Rosenberg für die deutschsprachige Geschichtswissenschaft in dieser Zeit (und nicht erst in den 1990er Jahren) hatte, war so groß, dass es Rosenberg geradezu peinlich war. Der stets bescheidene Historiker bemühte gern weniger personalistische Faktoren zur Erklärung dieser Bedeutung: „Der Band, als Ganzes gesehen, ist ein imposantes Werk, das Zeugnis davon ablegt, dass dank der Jüngeren in der Geschichtswissenschaft heute etwas ‚los‘ ist. Jedoch bin ich selbstkritisch genug, um zu wissen, dass mir mehr Ehre zuteil wird, als ich verdiene. Meine insgesamt man [sic] doch recht bescheidene Lebensarbeit wird heute überschätzt, aber das liegt wohl daran, dass Historiker meiner Art innerhalb meiner Altersgruppe rar sind. Die in der westdeutschen Geschichtswissenschaft nunmehr sich durchsetzenden Strömungen bringen es mit sich, dass ich sozusagen ‚angenehm auffalle,‘ zumindest vorerst.“⁴⁴³
Die beobachteten Veränderungen, die an Rosenbergs Einladung zum Historikertag deutlich wurden, erstaunten ihn immer wieder: „Welch ein Wandel hat sich doch in der westdeutschen Geschichtswissenschaft im letzten Jahrzehnt vollzogen!“⁴⁴⁴ Etwas nüchterner über diesen Wandel kann es allerdings stimmen, welcher Ersatz für Rosenberg auf die Schnelle gesucht und gefunden wurde: Dass Gerhard Masur für Rosenberg einsprang und über den deutschen Nationalcharakter referierte, zeigt nur zu deutlich, dass ein Ersatz für Rosenberg keinerlei Ähnlichkeit in Thema oder Methode mit diesem aufweisen musste. Vielmehr scheint die Stellung als amerikanischer Professor mit deutscher Ausbildung und engen, positiven Beziehungen nach Westdeutschland entscheidend für die Auswahl Masurs gewesen zu sein, da das die wesentliche Gemeinsamkeit ist, die ihn als Ersatz Rosenbergs als hervorgehobener Historikertags-Referent geeignet erscheinen ließ. Der Status als transatlantischer Gastprofessor macht Masur also zum Token, das internationale Anerkennung der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft und deren Offenheit für zuvor marginalisierte Gruppen repräsentiert. Tokenismus ist ein sozialpsychologisches Phänomen von Diskriminierung, das in der Genderforschung⁴⁴⁵ und in der Erforschung anderer Benachteiligungsverhältnisse Verwendung findet.⁴⁴⁶ Dabei werden Angehörige marginali-
BArch N1376/47: Brief Hans Rosenberg an Michael Stürmer, 09.08.1974. Rosenberg spricht hier über die Festschrift zu seinem 70. Geburtstag. BArch N1376/47: Brief Hans Rosenberg an Heinrich August Winkler, 23.08.1974. Janice D. Yoder: Rethinking Tokenism. Looking Beyond Numbers; in: Gender & Society 5 (1991), Heft 2, S. 178 – 192 (DOI: 10.1177/089124391005002003). Yoder verweist auf Rosabeth Moss Kanter als Pionierin der Tokenismus-Forschung. Judith Long Laws: The Psychology of Tokenism. An Analysis; in: Sex Roles 1 (1975), Heft 1, S. 51– 67 (DOI: 10.1007/bf00287213).
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sierter Gruppen in dominanten Rollen so zugelassen, dass sich daraus eine Stärkung der diskriminierenden Normen ergibt. Dies geschieht unter anderem durch die Verleugnung der Diskriminierung unter Verweis auf das Token,⁴⁴⁷ in diesem Fall auf Masur als transatlantischen Gastprofessor. Im Gegensatz zur in der deutschsprachigen Historikerzunft traditionell marginalisierten Gruppe ausländischer Historiker erfüllte Masur alle Anforderungen für die Anerkennung in der Zunft in hervorragendem Maße. Individuell konnte er damit den „meritokratischen Nimbus“ bestärken, der die Zunft als Wahrerin höchster Ansprüche definierte und zugleich die Grenzziehung auch zu national Ausgeschlossenen validierte:⁴⁴⁸ Masurs Vortrag befasste sich einerseits mit spekulativer Geschichtsphilosophie und wies der Geschichtswissenschaft die Aufgabe zu, den nationalen Charakter zu ergründen: „Daß nationale Charaktere existieren ist gewiß. Gewiß ist auch, daß sie nicht aus einem einzigen oder aus zwei Quellströmen erfließen, sondern das Ergebnis unendlich vieler Einflüsse und Umstände sind. Diese empirisch zu erforschen ist unsere Aufgabe.“⁴⁴⁹ Andererseits wies er die Zuweisung eines negativen Nationalcharakters an die Deutschen entschieden zurück, was gewissermaßen die Ausgrenzungsgrundlage für ausländische und besonders emigrierte Historiker Mitte des 20. Jahrhunderts bildete:⁴⁵⁰ „Es scheint mir irrig, die zwölf Jahre des National-Sozialismus und seiner Verbrechen nur aus dem deutschen Charakter herleiten zu wollen.“⁴⁵¹ Dass es sich bei Masur um den thematischen und methodischen Gegenpol Rosenbergs handelte, stach Dietrich Gerhard deutlich ins Auge: „Wie Sie wissen, hat dann Masur versucht, Sie sozusagen zu ersetzen, wenn auch in sehr anderer Richtung. Sie haben wenigstens zusammen mir die Möglichkeit gegeben, wieder einmal den Mythos von einer Meinecke-Schule mit gemeinsamer Ausrichtung zu zerstören. Denn was gibt es Unterschiedlicheres als die von Ihnen und Masur gewählten Themen?“⁴⁵²
Ebenda, S. 51 f., S. 61 und S. 64 f. Für die Aspekte Exceptionalism, Individualism, Meritocratic Mystique und Boundary Maintenance, bezogen speziell auf Tokenismus im akademischen Feld, vgl. ebenda, S. 57– 61. Gerhard Masur: Der nationale Charakter als Problem der Deutschen Geschichte; in: HZ 221 (1975), S. 603 – 622, hier S. 622. Vgl. Radkau: Exil-Ideologie und Vansittartisten. Vgl. auch unten, Kapitel 7, besonders Abschnitt 7.4.3, für die Analyse entsprechender Ressentiments in Rezensionen über die Untersuchungsgruppe. Masur: Der nationale Charakter, S. 621. BArch N1376/47: Brief Dietrich Gerhard an Hans Rosenberg, [bei Pittsburgh] 02.11.1974.
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Dietrich Gerhard nahm die Differenz zwischen Rosenberg und Masur aus der Binnensicht der direkten Meinecke-Schüler zweifellos deutlicher wahr als der Großteil des Publikums von außen. Nach Masurs Vortrag setzten sich einige Anwesende zusammen, und Masur schrieb mit ihnen eine Karte an Rosenberg, vermutlich mit Genesungswünschen.⁴⁵³ Dass Rosenberg ebenfalls als Token hätte fungieren können, wird schließlich daran deutlich, dass Conze „ein Nachholen des Versäumten vielleicht auf dem nächsten Historikertag“ avisierte und Rosenberg bat, sich angesichts der bereits bevorstehenden Planungsphase dazu zu äußern.⁴⁵⁴ Doch diese Idee zerschlug sich.
Anerkennung der Zunft und ihre Wahrnehmung Trotz der Enttäuschung zum Historikertag 1974 muss Rosenberg in den 1970er Jahren als in der Zunft weithin anerkannter Historiker betrachtet werden. Conzes Bemühungen um guten Kontakt mit ihm zeigen, dass er auch dann, wenn er als Konkurrenz im Bereich Sozialgeschichte verstanden wurde, nun als relevant und nichtignorierbar galt. Der Kontrast wird an Rosenbergs Buchpublikationen deutlich: Neben dem erwähnten Suhrkamp-Erfolgsbuch „Probleme der deutschen Sozialgeschichte“ (1969) konnten auch De Gruyter mit „Große Depression und Bismarckzeit“ (1967)⁴⁵⁵ und natürlich Vandenhoeck & Ruprecht mit mehreren Büchern in den 1970er Jahren⁴⁵⁶ Rosenberg in ihrem Katalog präsentieren. Der Kohlhammer Verlag hatte dazu dagegen keine Gelegenheit mehr, nachdem 1963 der Plan einer deutschen Übersetzung von Rosenbergs „Bureaucracy, Aristocracy, and Autocracy“ (1958) mit fragwürdiger Begründung endgültig aufgegeben worden war.⁴⁵⁷ Rosenberg war über den Umgang mit seinem magnum opus nachhaltig verärgert. Den Reihenherausgeber Fritz Ernst verdächtigte er damals gegenüber dem Verlag, die Übersetzung zu verzögern und zu sabotieren.
Vgl. BArch N1376/47: Brief Werner Conze an Hans Rosenberg, Ziegelhausen bei Heidelberg 10.10.1974, und BArch N1376/47: Brief Dietrich Gerhard an Hans Rosenberg, [bei Pittsburgh] 02.11. 1974. BArch N1376/47: Brief Werner Conze an Hans Rosenberg, Ziegelhausen bei Heidelberg 10.10. 1974. Siehe BArch N1376/54. Nach fast 1500 verkauften Exemplaren gab es eine Taschenbuchauflage von 6000 Stück im Ullstein-Verlag. Bis 1982 waren die Taschenbücher vergriffen, von den De-Gruyter-Bänden waren über 1757 verkauft. Siehe BArch N1376/59. BArch N1376/56: Brief Hansjörg Graf an Hans Rosenberg, Stuttgart 19.12.1963. Die Begründung lautete, dass der Reihenherausgeber Fritz Ernst vom Verlag zu einer Entscheidung gedrängt wurde. Die fiel negativ aus. Die Reihe der Urban-Taschenbücher veröffentliche nur noch Einführungen und Gesamtdarstellungen.
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„Ich habe nicht die Absicht, mich direkt an Herrn Professor Ernst zu wenden, und zwar aus zweierlei Gründen. Erstens verbietet mir das mein Stolz, denn m. E. hätte Herr Ernst längst von sich aus mit mir in Verbindung treten müssen, wenn ihm an der Beachtung internationaler Sitten kollegialer Höflichkeit gelegen wäre. Zweitens hatte ich mir nach dem Erscheinen der amerikanischen Ausgabe meines Buches [1958] zugeschworen, dass ich keinen kleinen Finger rühren werde, um das Erscheinen einer deutschen Ausgabe sicherzustellen. Aus gewissen grundsätzlichen Erwägungen erschien und erscheint es mir wesentlich, dass die Initiative in dieser Angelegenheit ausschliesslich von deutschen Kollegen und einem deutschen Verleger auszugehen hat.“⁴⁵⁸
In diesem Ärger spiegelte sich Rosenbergs Verletztheit durch die Missachtung durch deutsche Historiker bis in die 1950er Jahre wieder. Sie klang auch 1970 noch nach, als Rosenberg Iggers auf dessen Anfrage hin den Fall seines BureaucracyBuches schilderte: „It is true that Bureaucracy, Aristocracy and Autocracy has never been published in German. Let me tell you a bit about this rather odd situatio[n.] About ten years ago, the Kohlhammer Verlag, Stuttgart, bought the German translation rights from Harvard University Press. Shortly thereafter, Kohlhammer hired some one (I do not know his identity) to prepare a translation draft which, incidentally, was never shown to me. Kohlhammer’s original plan was to publish my study as a volume in the Urban Bücher, the well-known paperback series which Kohlhammer has been putting out for many years in an effort to assure wide circulation for scholarly books of broader current significance. The editor of that series was Professor Fritz Ernst, the medieaevalist [sic] of the University of Heidelberg. Upon completion of the translation draft and, by coincidence, two weeks before he committed suicide, Ernst decided that my book should not be published. I have never been able to ascertain his reasons since Kohlhammer was awfully evasive about them. I assume, however, that Ernst found my approach, method, and interpretation too unconventional and, perhaps, too upsetting. In any event, after this abortive attempt of producing a German edition no frther [sic] serious effort seems to have been made in this matter. Personally, throughout I have refrained from doing anything about it all the more as I know how difficult it would be to produce a good translation. […] It is true that Bureaucracy, Aristocracy and Autocracy has not had a particulary happy career in Germany in contrast to America. In the DDR my book has remained quite unknown. This I find rather startling because east German historians and histori cal [sic] propagandists could easily have extracted useful ammunition for their purposes from my inquiry. In the German Federal Republic most members of the ‚establishment‘ have paid little or no attention to my efforts.“⁴⁵⁹
Gegenüber seinen Vertrauten bei der Historischen Kommission Berlin, Otto Büsch und Henryk Skrzypczak, war Rosenberg nach dem Aus der Kohlhammer-Über-
BArch N1376/56: Brief Hans Rosenberg an Hansjörg Graf, 19.11.1963. BArch N1376/46: Brief Hans Rosenberg an Georg G. Iggers, 10.09.1970. Vgl. unten, S. 337, für die Relativierung dieser negativen Bewertung im selben Brief.
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setzung deutlicher geworden, was seine Vermutungen und die damit verbundenen Emotionen anging. Im Kontext eines von Otto Brunner hintertriebenen internationalen Forschungsprojekts zur Geschichte der Industrialisierung erläuterte Rosenberg: „Der Herausgeber der Urban-Serie, Prof. Ernst in Heidelberg, hat über ein Jahr über der Übersetzung und dem Original gebrütet und hat es scheinbar mehr und mehr mit der Angst bekommen, da ich den Leuten nicht nach dem Munde rede und mit meinem ketzerischen ‚Radikalismus‘ Anstoss errege. Nun ist unter Vorschiebung ganz fadenscheiniger finanzieller und mehr als durchsichtiger Argumente entschieden worden, dass Kohlhammer trotz der Investition, die gemacht worden ist, den Plan, eine deutsche Ausgabe herauszubringen, völlig fallen lässt. Das kann man nun also auch abhaken. Ich bin sicher, dass Brunner mich nicht aus dem Hinterhalt abgeschossen hätte, wenn ich ein konservativer Nationalist wäre. Ich bin ebenso sicher, dass auch die Ernst-Kohlhammer-Panne nicht gekommen wäre, wenn ich in meinem Buche populärere, sanftere und mehr konventionelle Auffassungen entwickelt hätte. Vor 30 Jahren bin ich unter dem Druck der Verhältnisse um die Früchte meiner Arbeit betrogen worden und für meine Bemühungen um eine unromantische Erfassung der historischen Wirklichkeit mit Totschweigen oder wüsten Angriffen belohnt worden, wie das manchen anderen damals auch gegangen ist, zumal auch Kehr, zweifellos dem Begabtesten, Originellsten und Mutigsten unter den deutschen Historikern meiner Altersgruppe. Viel anders scheint es heute auch nicht zu sein. Der grosse Trost bleibt natürlich Berlin, die grosse Ausnahme, und die absolute Loyalität meiner Berliner Kollegen, Freunde und einstmaligen Schüler.“⁴⁶⁰
Mitte der 1960er Jahre fühlte sich Rosenberg also an die 1930er Jahre erinnert, wenn seine Arbeit in Deutschland Widerstand und Ächtung erfuhr. Später verdächtigte er unter anderem Gerhard Ritter, bei der Kohlhammer-Absage die Fäden gezogen zu haben.⁴⁶¹ Bis in die 1970er Jahre hatte sich dieses Empfinden spürbar verschoben: Zwar fühlte sich Rosenberg weiterhin „richtig betrogen,“ aber er machte nicht mehr seine Verfemung unter nationalistischen Historikern dafür verantwortlich, sondern sprach etwa Verlagen schlechte Manieren, unseriöse Geschäftspraktiken oder einfach Ignoranz im Umgang mit ihm als Emigranten BArch N1376/47: Brief Hans Rosenberg an Otto Büsch und Henryk Skrzypczak, 07.01.196[4]. Rosenberg schreibt „H. Skrypczak“ und datiert irrtümlich auf 1963. BArch N1376/44: Brief Hans Rosenberg an Bernd Wunder, 03.04.1980: „Jedoch hat er [Fritz Ernst] sich wenige Wochen, bevor er Selbstmord beging, von Gerhard Ritter und, wie es scheint, einigen anderen Mitgliedern der älteren Historikergeneration davon überzeugen lassen, dass das Erscheinen meines Buches nicht im ‚nationalen Interesse‘ liege.“ Gleichlautend BArch N1376/44: Brief Hans Rosenberg an Dirk Blasius, 24.10.1979. Ohne Beleg publiziert hat Wehler: Vorwort Festschrift Rosenberg, S. 17, die Behauptung, „daß es dem rechtskonservativen Freiburger Historiker Gerhard Ritter gelang, eine frühzeitig geplante Übersetzung ins Deutsche durch ein massives Votum beim Verlag zu verhindern.“ So fand dies Eingang in Ritter: Nachruf Rosenberg, S. 295.
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zu.⁴⁶² Zu dieser Zeit war Rosenberg weithin so gefragt, dass er sich sogar als Vermittler in Streitfällen betätigen konnte. Das bezeugt ein Tagebuchtyposkript von Bernhard vom Brocke, das dieser an Rosenberg schickte, damit dieser etwaige sachliche Fehler korrigieren konnte. An Silvester 1973 hatte vom Brocke Rosenberg in Berkeley aufgesucht: „Ich erzaehlte von den Memoiren des von mir bewunderten Hallgarten, die Rosenberg noch nicht kannte. Sein Verhaeltnis zu Hallgarten sei nicht besonders gut: H. sei Psychopath. (Aehnlich ist auch Redlichs Stellung zu Hallgarten). Die Erfolglosigkeit Hallgartens in den USA verglichen mit der Laufbahn anderer Emigranten, die gleichzeitig in den USA einen neuen Start begonnen haetten,habediese Zuege noch verstaerkt. R. missbilligte aber ebenso wie ich die auf beiden Seiten unerfreuliche Kontroverse zwischen Wehler und Hallgarten in den GWU. Er habe Wehler auch in aller Deutlichkeit geschrieben. Auch missbillige er Wehlers Angriff auf Boehme, mit dem ihn doch die Gemeinsamkeit der Ziele haette verbinden muessen. Ich erzaehlte ihm meine hypothetische Erklaerung fuer Wehlers Verhalten: a) Wehler sei Schieder-Schueler. Hallgarten habe in den Memoiren eineKontinuitaet zwischen Nazi-Historie und der BRD-Historie im Zeichen des Kalten Krieges hergestellt und dabei vor allem Schieder und Rothfels genannt, Wehler habe seinen Lehrer verteidigt; b) Boehme sei Schueler Fritz Fischers, Fischer damals von den Schieder-Leuten ziemlich angegriffen worden, indiesem Rahmenauch Boehme.-Rosenberg stimmte dem als moeglich zu.“⁴⁶³
Rosenberg übernahm gegenüber Wehler die Funktion eines Doktorvaters, indem er ihn zur Ordnung rief und unnötige Streitigkeiten im Sinne gemeinsamer Ziele zu vermeiden aufrief. Zwist zwischen Wehler und Hallgarten als auch zwischen Wehler und Helmut Böhme drohte aus Rosenbergs Sicht also die gemeinsame Reformbewegung für eine sozialwissenschaftlich informierte, kritische Geschichtswissenschaft zu schwächen. Als vom Brocke die Schulloyalitäten Wehlers als zentrales Interpretament heranzog und damit eine tiefgehende Bindung Wehlers an Schieder postulierte, konnte Rosenberg das weder abstreiten, noch alternative Erklärungen vorschlagen. Die Loyalitätsverhältnisse waren also keineswegs eindeutig, auch wenn Rosenberg sich Wehler Mitte der 1970er Jahre eng verbunden fühlte. Kurz nach seinem 70. Geburtstag zog Rosenberg Wehler gegenüber eine ambivalente Bilanz und signalisierte einerseits seine Zufriedenheit
BArch N1376/39: Brief Hans Rosenberg an Hans-Ulrich Wehler, 24.12.1973: „Was die deutschen Verleger sich eigentlich so denken, wenn sie es mit einem Emigranten zu tun haben, der weit vom Schuss ist. Kohlhammer hat mich richtig betrogen, von auffallend schlechten Manieren ganz abgesehen. Selbst ein so seriöser alter Verlag wie de Gruyter hat sich nicht einwandfrei benommen.“ BArch N1376/47: Brief Bernhard vom Brocke an Hans Rosenberg, Boston 30.01.1974. Tippfehler wie im Original.
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über die eigenen Erfolge, andererseits die innere Distanzierung von der kräftezehrenden historischen Forschungsarbeit: „Lieber Uli! Sie und Renate, da Sie mir so besonders nahe stehen, sind die Ersten, denen ich herzlich für Ihre guten Geburtstagswünsche danken möchte, die mich sher [sic] erfreut haben. […] Von Vertretern dreier verschiedener Generationen sind mir warme Wünsche [zum 70. Geburtstag] zugegangen, die mich beglückt, aber auch deprimiert haben, da mit den Wünschen auch noch alle möglichen Zukunftserwartungen ausgesprochen wurden. Die kann ich beim besten Willen nicht mehr erfüllen, da in den letzten Jahren meine schöpferische Energie erschreckend nachgelassen hat und die bescheidenen Reserven, die ich noch hatte, aufgebraucht sind. Blicke ich nun auf die Vergangenheit zurück, so ist mir zwar klar, dass ich nicht umsonst gelebt habe, da im Laufe der Jahrzehnte mancherlei Anregungen direkt oder indirekt von mir ausgegangen sind. Dennoch weiss ich nur zu gut, dass ich heute gewaltig überschätzt werde. Abgesehen von meiner ‚Nationalpolitischen Publizistik,‘ die freilcih [sic] nur ein Quellenwerk ist, bin ich ja im Grunde nie über skizzenhafte Bemühungen hinausgekommen und ein solide fundiertes umfassendes Werk habe ich nie schaffen können. Zwanzig Jahre Brooklyn College, die mich oft behindernde grosse Schlaflosigkeit haben das verhindert neben anderen Umständen. Mit dem Älterwerden ist das Missverhältnis zwischen Wollen und Vollbringen, zwischen der allmählich grot[e]sk gewordenen Diskrepanz zwischen input und output immer grösser geworden. Die Freude an und Begeisterung für wissenschaftliche Arbeit ist nun mehr und mehr durch Qual, manchmal sogar Widerwillen ersetzt worden. Trotzdem habe ich mich endgültig entschlossen, [zum Historikertag] in Braunschweig nicht abzusagen, da ich noch ein halbes Jahr für die Vorbereitung habe. Aber danach ist die Zeit gekommen, um als produzierender Gelehrter Feierabend zu machen statt mir den Rest des Lebens zu ruinieren. Nicht nur ein Sänger muss rechtzeitig von der Bühne abzutreten wissen.“⁴⁶⁴
Nicht zuletzt angesichts seiner Rückzugspläne stand Rosenberg in dieser Zeit souveräner über den in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft ausgetragenen Konflikten, als noch im Jahrzehnt zuvor. Die Anerkennung durch die Einladung zum Braunschweiger Historikertag spielte etwa auch eine Rolle bei Rosenbergs Überwindung seines Zorns über die Ablehnung, die er etwa in Rezensionen erfahren hatte. Vom Brocke referierte Rosenbergs Äußerungen an Silvester 1973 über eine 1965 erschienene Rezension von Gerhard Oestreich⁴⁶⁵ so:
BArch N1376/39: Brief Hans Rosenberg an Hans-Ulrich Wehler, 06.03.1974. Gerhard Oestreich: Rezension zu Hans Rosenberg, Bureaucracy, Aristocracy, and Autocracy. The Prussian Experience 1660 – 1815, Cambridge, Mass. 1958; in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 52 (1965), Heft 2, S. 276 – 281. Oestreich beklagt etwa „Fast ausschließlich negativ wertende Epitheta begleiten die Einrichtungen und Personen Preußens“ (S. 277) und fürchtet, Rosenbergs „Suche nach dem Vorläufer des Totalitarismus im Preußen des 17. und 18. Jhs. droht zu einem neuen Mythos der ewigen Autokratie zu führen […] dazu kommen die dem Emigranten Rosenberg aus der modernen sozialwissenschaftlichen Analyse Amerikas zuge-
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„An Oestreichs Rezension seinesBuerokratiebuches mit z.T. berechtigter Kritik habe ihm damals ‚derEmigrant Rosenberg‘ geaergert, das sei taktlos gewesen, das koenne man denken, sagen, schreibe es aber nicht an so herausragender Stelle wie den VSWG. Auch sei Oestreich des Englischen nicht so maechtig: so habe er slavery mit serfdom verwechselt. Gerade vor 6 Wochen habe er, R., die Rezension noch einmal in der Hand gehabt: vieles der Kritik sei berechtigt. Heute habe er keinen Zorn mehr. – Er habe bis zur Rezension zu Oestreich en gutes Verhaeltnis gehabt. […] Ich solle Oestreich von ihm Gruesse bestellen, koenne ihm ruhig alles erzaehlen und von seinem Aerger ueber die Rezension berichten, das sei ja jetzt Vergangenheit. Er hoffe, Oestreich in Braunschweig [auf dem Historikertag] zu treffen.“⁴⁶⁶
Versöhnliche Gelassenheit stand Rosenberg gut zu Gesicht. Seine Einladung zum Historikertag 1974 war schließlich nicht nur ein symbolischer Akt der Anerkennung, sondern ging einher mit einem ungeahnten Boom der Sozialgeschichte: Die Frequenz des Begriffs in bundesrepublikanischen Fachzeitschriften sollte sich zwischen 1973 und 1976 etwa verdreifachen.⁴⁶⁷ Zugleich war Rosenberg, spätestens seit dem Tod Hajo Holborns 1969, eine Art graue Eminenz für Deutsche Geschichte in den USA, wie seine intensive Beteiligung an Central European History (CEH), dem Publikationsorgan der Conference Group for Central European History (CGCEH), dokumentiert.⁴⁶⁸ Aus dieser Position heraus verteidigte Rosenberg auch
wachsenen Erfahrungen“ (S. 278). Auch wenn „Der amerikanische Leser“ (S. 278) imaginiert wird, der ein negativ verzerrtes Bild von Preußen erhalte, liefert Oestreich insgesamt eine durchaus positive Besprechung, die bemüht ist, „ein solch komprimiertes, aus langjähriger Beschäftigung und intensivem Nachdenken entstandenes Werk sachgerecht zu würdigen“ (S. 281). BArch N1376/47: Brief Bernhard vom Brocke an Hans Rosenberg, Boston 30.01.1974. Der offenbar rasch getippte Tagebuchauszug enthält einige Tippfehler; ich halte mich hier orthgraphisch an die Vorlage und berücksichtige dabei die handschriftlichen Verbesserungen im Typoskript. Lino Wehrheim/Tobias A. Jopp/Mark Spoerer: Diskurs, Narrativ, Sonderweg, Hitler, Turn. Konjunkturen geschichtswissenschaftlicher Begriffe im „Clio Viewer“, Berlin, 29. Oktober 2020 (Working Papers of the Priority Programme 1859, Nr. 27), URL: https://edoc.hu-berlin.de/bitst ream/handle/18452/22761/SPPWP_27_2020_Wehrheim_Jopp_Spoerer.pdf (zuletzt abgerufen am 3. Dezember 2020), S. 14 (Abbildung 3). Demnach lag die Frequenz des Stichworts Sozialgeschichte 1973 bei vier, 1976 bei 13 pro 100.000 Wörter. Die Frequenz des Stichworts Kulturgeschichte lag im selben Zeitraum um ihren Tiefststand von zwei pro 100.000 Wörter. Vgl. Michael Buchner/Tobias A. Jopp/Mark Spoerer/Lino Wehrheim: Zur Konjunktur des Zählens – oder wie man Quantifizierung quantifiziert. Eine empirische Analyse der Anwendung quantitativer Methoden in der deutschen Geschichtswissenschaft; in: HZ 310 (2020), S. 580 – 621. CEH erschien seit 1968, herausgegeben von Douglas A. Unfug, seit 1991 von Kenneth D. Barkin. Rosenbergs Briefwechsel zu CEH findet sich hauptsächlich in BArch N1376/45. Seine Bedeutung für die Zeitschrift erschließt sich auch aus der Sonderausgabe zum Gedenken an Rosenberg, die Barkin bei Übernahme der Herausgeberschaft zusammenstellte, Central European History 24 (1991), Heft 1.
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bei Gelegenheit die westdeutsche Geschichtswissenschaft in den USA gegen den pauschalen Verdacht methodischer Rückständigkeit.⁴⁶⁹ Die Auswahl seiner Gegenbeispiele ergab sich aus Rosenbergs Argumentation, dass insbesondere quantitative Forschung zur Wirtschaftsgeschichte methodische Fortschrittlichkeit repräsentierte. Nach der Ernennung zum Honorarprofessor an der Universität Freiburg 1976 und der Remigration nach Deutschland 1977, wo Rosenberg und seine Ehefrau Helene (Leni) sich in Kirchzarten bei Freiburg niederließen,⁴⁷⁰ erfuhr Rosenberg zwei weitere Ehrungen: Die zu diesen Anlässen formulierten Rückblicke geben weiteren Aufschluss über seine Wahrnehmung der eigenen Rezeption in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft nach 1945: Die Ehrendoktorwürde der Universität Bielefeld erhielt er 1978, das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse 1979. Rosenbergs Danksagung zu letzterer Gelegenheit komprimiert die positiven Aspekte seiner Selbstdeutung über das von ihm Erreichte, weshalb ich sie hier vollständig wiedergebe: „Es wird mir gestattet sein, in ein paar Worten meinen Dank zum Ausdruck zu bringen. Die Auszeichnung, die mir durch Verleihung des Bundesverdienstkreuzes zuteil wird, ist mir eine freudige Überraschung. Dass mir diese Ehrung in der Spätphase meines Lebens noch erwiesen wird, dürfte, wie ich annehme, auf die Initiative bundesdeutscher Berufskollegen zurückgehen. Meinen anonymen Förderern möchte ich an dieser Stelle herzlich danken. Der Wandel der historischen Umstände und meine persönliche Verpflanzung in die angloamerikanische Kulturwelt im J. 1933, dem Jahre der nat.-soz. Machtergreifung, haben es mit sich gebracht, dass ich im Laufe der Jahrzehnte in Forschung und Lehre in bestimmten Problembereichen der deutschen Geschichte und der europäischen Sozial- und Wirtschaftsgeschichtsforschung im Rahmen meiner Kräfte und begrenzten Wirkungsmöglichkeiten eine konstruktive Vermittlerrolle zwischen der amerikanischen und der deutschen Geschichtswissenschaft habe spielen können. Meine diesbezüglichen Bemühungen und Bestrebungen sind auf beiden Seiten des Atlantik auf nennenswerte Resonanz bei wandlungsfähigen Historikern und Sozialwissenschaftlern der verschiedensten Altersgruppen gestoßen und haben greifbare Früchte getragen. Das erfüllt mich mit Dankbarkeit und Befriedigung und gibt einem alten Mann das gute Gefühl, seine Kräfte nicht umsonst verbraucht zu haben. Dass zu der bisher, sozusagen von unten mir zuteil gewordenen Anerkennung meiner Bemühungen nunmehr auch, symbolisiert durch die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes, die offizielle Sanktionierung von oben oder, wie es im Kaiserreich geheißen hätte, an ‚höchster Stelle‘ tritt, bereitet mir und meiner alten Weggenossin eine grosse Freude und empfinden wir umso dankbarer, als wir in dieser Ehrenbezeugung einen generösen Akt der
Gegen Konrad H. Jarauschs Verdacht argumentierte Rosenberg, wie oben, S. 306 zitiert, mit den Leistungen von Wilhelm Abel, Eckart Schremmer, Knut Borchardt und Wolfgang Zorn. BArch N1376/45: Brief Hans Rosenberg an Andreas Dorpalen, 21.10.1972. Ritter: Nachruf Rosenberg, S. 301; vgl. Ritter: Meinecke-Schüler in den USA, S. 97.
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Wiedergutmachung erblicken. Ich schäme mich nicht, abschliessend diesen Gedanken in aller Offenheit zum Ausdruck zu bringen.“⁴⁷¹
Wie ambivalent Rosenbergs Sicht der Verdienstorden-Verleihung war, enthüllte er gegenüber seiner israelischen Schülerin Shulamit Volkov: „Finally, a bit of news that may amuse you. Mr. Carsten[s], the President of the Bundesrepublik has awarded me the Bundesverdienstkreuz I. Klasse. I do not believe in orders and hence was inclined to turn down this award but then changed my mind. I do not want to offend my colleagues at Freiburg University who apparently have taken the initiative in this matter. Moreover, the honor bestowed on me symbolizes an act of Wiedergutmachung and the laudatio accompanying the award signifies an official recognition ‚von oben‘ of the highly critical Forschungsrichtung which I represent.“⁴⁷²
Die größte Bedeutung maß Rosenberg demnach seiner „Resonanz bei wandlungsfähigen Historikern und Sozialwissenschaftlern“ zu, die ihm eine „konstruktive Vermittlerrolle zwischen der amerikanischen und der deutschen Geschichtswissenschaft“ zu spielen erlaubt habe. Im Aspekt der symbolischen Wiedergutmachung, den Rosenberg stets hervorhob, erkannte er die Abkehr des deutschen Staates und seiner Geschichtswissenschaft von den Praktiken an, die Rosenbergs Vertreibung 1933 hervorgerufen hatten. Die zuletzt auch staatsoberhauptliche Anerkennung von Rosenbergs wissenschaftlichem Wirken repräsentierte für ihn die bundesrepublikanische Liberalisierung von Staat und Gesellschaft, die spürbar über den Stand der Weimarer Zeit hinausging, so dass auch Rosenbergs „highly critical Forschungsrichtung“ öffentliche Wertschätzung zuerkannt wurde.⁴⁷³ Wesentlich ausführlicher ging Rosenberg in seiner Rede zur Verleihung des ersten Ehrendoktorats der Universität Bielefeld auf seine Rezeption in der Geschichtswissenschaft der Bundesrepublik und ausdrücklich auch der DDR ein,⁴⁷⁴ die ich im Folgenden genauer referiere und diskutiere:
BArch N1376/44: Notizblatt Hans Rosenbergs zum Bundesverdienstkreuz, undatiert [27.07. 1979]. BArch N1376/51: Brief Hans Rosenberg an Shulamit Volkov, 09.12.1979. Hervorhebungen im Original unterstrichen. Dass weit weniger kritischen Forschungsrichtungen, beispielsweise Rothfels, Schieder und Conze, lange vor Rosenberg die Ehrung mit dem Bundesverdienstkreuz zuteil wurde, sie zudem alle hochoffizielle staatliche Wirkungsmöglichkeiten wie Ansprachen im Deutschen Bundestag erhielten, sei nur am Rande bemerkt. Vgl. Etzemüller: Werner Conze und die Neuorientierung, S. 250. Rosenberg: Historikerleben, S. 20 – 23.
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Um 1960 habe zunächst nur die neue politikwissenschaftliche Zeitgeschichtsforschung Rosenbergs Preußen-Buch „Bureaucracy, Aristocracy and Autocracy“ rezipiert. „Die restaurierte alte Historikerzunft dagegen ließ es meist entweder beim Totschweigen oder bei griesgrämigen Kommentaren bewenden.“⁴⁷⁵ Den Widerwillen führt er auf seine Dekonstruktion des Preußen-Mythos zurück, der Legende vom edlen Preußen voller „Tugenden und idealen Zwecken“,⁴⁷⁶ die „im 19. Jahrhundert unter Führung der borussischen Schule der deutschen Geschichtswissenschaft anachronistischerweise als die historische Wirklichkeit des alten Preußentums ausgegeben worden war, einer Legende zudem, die gegenwärtig, nur leicht qualifiziert, in gewissen Kreisen wieder aufgefrischt wird.“⁴⁷⁷ Preußenbegeisterung im deutschen Bildungsbürgertum sah Rosenberg nicht zuletzt als politische Gefahr, da ihr ein antiaufklärerischer und antiwestlicher Geist innewohne: „By proudly magnifying the developing chasm between ‚The German Mind‘ and the western European Enlightenment, the most politically influential spokesmen of the German intelligentsia furnished a pompous ideological foundation for the departure from the basic values of Western liberal democratic thought.“⁴⁷⁸
Die geistigen Grundlagen der Zunft habe Rosenberg kritisiert, weil spätestens der Nationalsozialismus die Geschichtswissenschaft vor die Aufgabe gestellt habe, kritisch, mit „bohrenden Fragestellungen an die Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit, auch der älteren, heranzugehen“.⁴⁷⁹ Zwischen der Vorherrschaft der alten Historikerzunft und der Wiederkehr des Preußenmythos Ende der 1970er Jahre habe aber eine „junge Historikergeneration“ einige „erstklassige Talente“ hervorgebracht: „In den 1960er Jahren gingen sie dazu über, an tradierten Geschichtsversionen, historischen Denkgewohnheiten und bislang sakrosankten Forschungsmethoden zu rütteln. […] Dank ihres Vordringens wurde die bundesrepublikanische Geschichtswissenschaft zu meiner großen Befriedigung heterogener und pluralistischer, was zu oft hitzigen, auch heute noch unentschiedenen
Ebenda, S. 20. Ebenda. Ebenda, S. 21. Hans Rosenberg: Bureaucracy, Aristocracy, and Autocracy. The Prussian Experience 1660 – 1815, Cambridge 1958, S. 234; zitiert nach Kenneth D. Barkin: German Émigré Historians in America: The Fifties, Sixties, and Seventies; in: Hartmut Lehmann/James J. Sheehan (Hg.): An Interrupted Past. German-Speaking Refugee Historians in the United States after 1933, Washington, D. C. u. a. 1991, S. 149 – 169, hier S. 161. In der mir vorliegenden Ausgabe von 1966 ist das gegenwartskritische Postskript der Erstausgabe bereits weggefallen. Rosenberg: Historikerleben, S. 21.
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fachinternen Richtungskämpfen führte“.⁴⁸⁰ Die Geschlossenheit der Zunft sieht Rosenberg also als überwunden an. Stattdessen habe das Aufbegehren der Jüngeren einen Pluralismus in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft etabliert, den Rosenberg als wissenschaftlich weiterführende Lebendigkeit begrüßt. Diesen Pluralismus können wir heute als Rückkehr zu den „basic values of Western liberal democratic thought“ identifizieren, mit einem Wort: Westernisierung.⁴⁸¹ Seine Beteiligung an dieser Entwicklung beschreibt Rosenberg nicht ohne Stolz: „Mir selbst war es vergönnt, diesen Neubesinnungs- und Umorientierungsprozeß, der zugleich auch meist von politischen Gesinnungsverlagerungen begleitet war, nicht nur von außen, sondern auch aus nächster Nähe verfolgen zu können. Denn seit 1948, als die Zeit zwangsweiser Abschließung abgelaufen war, habe ich nahezu jedes Jahr mehrere Monate in Europa, vornehmlich in der BRD, verbracht, habe daher auch alte, im Dritten Reich abgebrochene Kontakte wieder anknüpfen und mit zahlreichen Angehörigen der jüngeren Generation in engere persönliche Verbindung treten können. Dem Wanderer zwischen zwei nunmehr gleichartiger werdenden Kulturen und freiheitlich-demokratischen Grundordnungen eröffneten sich mannigfache Gelegenheiten zu intensivem geistig-politischen Gedankenaustausch und wissenschaftlicher Zusammenarbeit, die die Beteiligten wechselseitig bereichert haben.“⁴⁸²
Als Rosenberg 1967 „Große Depression und Bismarckzeit“ publizierte, „hätte dieser Zeitpunkt für die von mir propagierte Forschungsrichtung kaum günstiger sein können.“⁴⁸³ Gerade da begannen „helle Köpfe der jüngeren Historikerjahrgänge“ nämlich damit, sich der „Sozial- und Wirtschaftsentwicklung des Industriezeitalters“ zuzuwenden, um damit die neuen „gegenwartsbezogenen, sozialwissenschaftlich informierten Problemstellungen“ zu bearbeiten.⁴⁸⁴ Der Gegenwartsbezug ergibt sich hier deutlich aus dem Verständnis, dass das Industriezeitalter Gegenwart sei und seine Entstehung und Entwicklung daher für die Orientierung in der Gegenwart von höchster Relevanz. Auffällig ist, wie sich in Rosenbergs autobiographischen Überlegungen das Motiv wiederholt, dass die jüngere Generation grundlegende Veränderungen in Angriff nahm, während Rosenberg das Glück hatte, genau in der erwünschten Richtung vorgearbeitet zu haben, so dass aus seinem „willkommenen Notstopfen“ auch in diesem Fall „ein vorläufiger Richtungsweiser“ werden konnte.⁴⁸⁵ Die seinem Einfluss nicht unter-
Ebenda. Siehe unten, S. 525 f. Rosenberg: Historikerleben, S. 21 f. Ebenda, S. 22. Ebenda. Ebenda.
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worfenen Rahmenbedingungen hätten Rosenbergs Anschlussfähigkeit und damit seine große Wirkung verursacht, darunter auch seine American experience – was den geläufigen Gedanken transportiert, dass man in den USA die Gesellschaft finde, die sich am besten an die Bedingungen und Erfordernisse des Industriezeitalters angepasst habe: „Ohne die in USA gesammelten wissenschaftlichen und pädagogischen Erfahrungen und die mir durch das amerikanische Geistesleben vermittelten Anstöße hätte ‚Große Depression und Bismarckzeit‘ nicht einmal konzipiert, geschweige denn geschrieben werden können. ‚Große Depression‘ ist das wirtschaftstheoretisch untermauerte Buch eines eigenwilligen und manchmal unbequemen Einzelgängers der älteren Historikergeneration, der hier einen für historische Weichenstellungen hochbedeutsamen Abschnitt der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts unter die kritische Lupe nahm und als urteilender Interpret vor bewußt provokativen Randbemerkungen nicht zurückschreckte.“⁴⁸⁶
In seiner eigenen Skizze seiner Rezeption erscheint Rosenberg selbst also lediglich als eigenbrötlerischer Nonkonformist, dessen Arbeit unverhoffte Resonanz erfahren habe, weil es bei „den heute [1978] zu den Vierzig- und Dreißigjährigen Gehörenden“⁴⁸⁷ ein Bedürfnis zur nonkonformen Geschichtsdeutung gegen die ältere Generation gab. Rosenberg tritt sogleich wieder in den Hintergrund seiner Schilderung, weil die Jüngeren Rosenbergs Anregungen „auf ihre persönliche Art und Weise mit beneidenswerter Energie, Gedankenfülle und Gestaltungskraft ihren eigenen thematischen Bedürfnissen und offen reflektierten Interessen angepaßt“ haben, um „auf soliderer Materialbasis als der meinigen, zu neuartigen Problemanalysen und das historische Spektrum erweiternden Erkenntnissen“ zu gelangen.⁴⁸⁸ Für die Emanzipationsbewegung einer Historikergeneration von ihren unzeitgemäß gewordenen akademischen Lehrern kommt Rosenberg demnach lediglich die Funktion eines Katalysators zu, der selbst von den Zeitumständen verwandelt wurde und daher den Wandel in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft anstoßen konnte. Diese fast passive Selbstzeichnung entspricht freilich nicht Rosenbergs Akteursperspektive, ist aber eine willkommene Abstraktion davon. Unter Beachtung der Akteursperspektive wird man sagen können, dass Rosenberg darauf hingewirkt hat, die deutschsprachige Geschichtswissenschaft seinen in der Krise der Weimarer Republik und in der Emigration erworbenen Einsichten anzupassen, worin er Ende der 1970er Jahre unerwarteten Erfolg feststellen kann:
Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 22 f.
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„Seit dem Generationenwechsel in der Führung der westdeutschen Geschichtswissenschaft – nach langwährender Inkubationsperiode ist er erst in den 1970er Jahren eindeutig zum Durchbruch gelangt – fühle ich mich als Historiker, aber auch als Sozialliberaler in meiner ursprünglichen Heimat mehr denn je zuvor zu Hause. Wäre dem nicht so, so hätte auch aus dem deutschen Emigranten und amerikanischen Immigranten Rosenberg schwerlich vor kurzem ein deutschamerikanischer Remigrant werden können.“⁴⁸⁹
Rosenbergs Bekenntnis zur neuen alten Heimat beruht darauf, dass infolge der Westernisierung ein Staatswesen entstanden sei, in dem „die auf einem breiten Konsens beruhende zweite deutsche Demokratie im Laufe ihrer Entwicklung in der BRD ihren Staatsbürgern […] den freiheitlichsten Lebensraum und ein Maß an materiellem Wohlstand, Sozialfürsorge und Gerechtigkeit beschert [hat], wie sie das deutsche Volk in seiner langen Geschichte mit ihren vielen Gesichtern noch nie zuvor gekannt hatte.“⁴⁹⁰ Dass auch die Bielefelder Ehrendoktorwürde für Rosenberg „einen symbolhaften Akt der geistigen Wiedergutmachung“ darstellt, weist darauf hin, dass er die sozialliberale Konsensdemokratie als Zeichen transatlantischen Zusammenwachsens empfand. Denn die Ehrung sei auch „jenseits des Atlantik bereits jetzt in interessierten akademischen Kreisen“ als Zeichen einer kollektiven Übereinstimmung der Gesinnungen begrüßt worden.⁴⁹¹ Der umfassende Prozess der Westernisierung drückte sich dabei im ganz Kleinen aus, in der Anerkennung für eine individuelle akademische Leistung, die isoliert betrachtet nahezu bedeutungslos wäre, aber im Zusammenspiel mit gleichgerichteten disziplinären und gesamtgesellschaftlichen Tendenzen als ein Bruchstück großen gesellschaftlichen Wandels sichtbar wird. Wenn man die 1970er Jahre als die Phase ausmacht, in der die transatlantischen Gastprofessoren in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft allgemein positiv rezipiert wurden,⁴⁹² ist aber zu beachten, dass bis dahin schon einige verstorben waren, namentlich Misch (1965), Klaus Epstein (1967), Heichelheim (1968) und Holborn (1969). Zuweilen erfuhren sie umfangreiches Gedenken, was aber nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass ihre Anerkennung zu Lebzeiten nicht allgemein gewesen war und sie posthum keine zu den deutschen Ordinarien
Ebenda, S. 23. Ebenda. Ebenda. Die interessierten akademischen Kreise dürften einerseits als amerikanische Deutschlandhistoriker zu verstehen sein, die an Kooperation und Diskussion mit der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft interessiert waren, insbesondere zu der Frage, wie der Aufstieg des Nationalsozialismus möglich war, andererseits aber auch als Emigrantenkreise in den USA, die Wiedergutmachung und politisch-ideologische Angleichung ihrer alten und neuen Heimat befürworteten. Vgl. unten, S. 519.
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konkurrierenden Deutungsangebote mehr machen konnten. In den 1970er Jahren starben auch Rosenstock-Huessy (1973), Hallgarten (1975), Masur (1975) und Fritz Epstein (1979), so dass in dem Jahrzehnt, in dem kollektivbiographisch eine breite Anerkennung transatlantischer Gastprofessoren feststellbar ist, bereits die Hälfte der Untersuchungsgruppe tot war. Die Wirkungsweise der Gastprofessoren wandelt sich damit von möglicher direkter Tätigkeit und Kooperation hin zur Erinnerung und Deutung durch Andere. Eine besondere Rolle in den posthumen Deutungskonkurrenzen spielen diejenigen Historikerinnen und Historiker, die sich selbst als Schüler oder Mentees oder in ähnlicher Weise in den Fußstapfen transatlantischer Gastprofessoren sahen. In ihren Erinnerungen sind Gastprofessoren gewissermaßen charismatische Quellen ihres besonderen Wissens, das sie zur Revision des deutschen Geschichtsbildes oder zur Modernisierung der deutschen Geschichtswissenschaft befähigt habe.⁴⁹³ Diese besondere Wirkung, die transatlantischen Gastprofessoren ex post zugesprochen wurde, ist allerdings nicht ohne Grundlage in den zeitgenössischen Dokumenten: Als dokumentierte charismatische Wissensquellen kann man etwa die Mentoratsbriefe ansehen, mit denen Rosenberg – für andere Gastprofessoren wäre Entsprechendes noch aufzufinden – einen starken Eindruck bei der jüngeren Generation der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft hinterließ.
Rosenbergs Mentoratsbriefe Wie stellte Rosenberg es an, als Mentor so begehrt und beliebt zu sein, dass seine Schüler ihn vielfach ihren Doktorvätern vorzogen?⁴⁹⁴ In seinen Briefwechseln wiederholt sich ein Muster, das ich als Mentoratsbrief bezeichnen und hier idealtypisch skizzieren möchte.⁴⁹⁵ Ein Mentoratsbrief Rosenbergs enthält regelmäßig drei Elemente, die auch typische Reaktionen bei den Korrespondierenden bedingen: Erstens lobt Rosenberg Schriften, die ihm zugeschickt wurden, in deutlichen Worten und oft aus der persönlichen Perspektive, dass er viel daraus gelernt habe.
Vgl. oben, Abschnitt 4.3.2. Als typisches Beispiel etwa BArch N1376/46: Brief Wolfgang Sauer an Hans Rosenberg, Berkeley 03.10.1972: „Ich habe es schon mal gesagt und kann es nur wiederholen: daß mein eigentlicher wissenschaftlicher Lehrer Sie waren, obwohl die institutionelle Funktion dieses Namens anderen zufiel.“ Diese Art Mentoratsbrief durchzieht Rosenbergs Nachlass BArch N1376, speziell die Akten 35, 38 – 40, 44– 53, und 242. Zur Konstruktion eines Idealtypus vgl. unten, S. 553 f. u. ö. Die empirischen Briefe in den Akten ähneln diesem Idealtypus eines Mentoratsbriefs oft stark.
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Die ermutigende Wirkung von Rosenbergs Lob wird in Antwortschreiben häufig hervorgehoben, ebenso seine große persönliche Bedeutung.⁴⁹⁶ Der Gefahr, dass das Lob floskelhaft wirken könnte, entgeht er, indem Rosenberg fundierte Kritik einschließt, sei es an Details, sei es an generellen Defiziten, etwa mangelnder sozialwissenschaftlicher Informiertheit. Er formuliert die Kritik aber so, dass die Empfänger und Empfängerinnen in der Regel antworten, dass sie Rosenberg beipflichten, oftmals mit der Bemerkung, Mängel selbst auch gesehen zu haben, aber nicht in der Lage gewesen zu sein, sie zu beheben. Zweitens stellt Rosenberg brieflich eine persönliche Nähe her, häufig dadurch, dass er eigene Defizite offen bekennt. Dabei kann er sein Lob aufgreifen und betonen, was er alles noch nicht wusste, wo weiter Wissenslücken bestehen. Häufig geht er sogar auf seine eigenen Unfähigkeiten oder Faktoren ein, die ihn daran hindern, so produktiv zu forschen, wie er es sich wünschen würde. Auch Alter und Krankheit thematisiert er dabei detailliert. Diese Offenheit erleichtert den Adressatinnen und Adressaten die erwähnte Zustimmung zu Rosenbergs Kritik, weil Rosenberg durch selbstkritische Äußerungen demonstriert, dass es in einem solchen Briefwechsel nicht darum geht, sich zum unfehlbaren Helden der Wissenschaft zu stilisieren. Bescheidenheit und Anerkennung treten dabei in ein Wechselverhältnis. So interessiert sich Rosenberg auch nicht nur für seinen eigenen Wissenszuwachs, seine eigenen Defizite und seine eigenen Projekte, sondern geht intensiv darauf ein, was die Korrespondentinnen und Korrespondenten über ihre persönlichen Lebenslagen, Pläne, Hoffnungen und Zweifel berichten. Drittens enthalten viele Briefe einen Teil, der nochmals verdeutlicht, dass unser Wissen über Rosenbergs erfolgreiche Methode als Mentor dem Umstand zu verdanken ist, dass er eben nicht ständig vor Ort präsent war und seine Betreuung von Angesicht zu Angesicht stattfand, sondern dass sie aus der Distanz und vielfach brieflich erfolgte und deshalb dokumentiert ist: Oftmals gegen Ende ei-
Aus einem wahllos herausgegriffenen Antwortschreiben von einem Schüler Gerhard A. Ritters, der explizit nicht durch persönliche Lehre, sondern aus Rosenbergs Werken mit diesem bekannt war: BArch N1376/46: Brief Hans-Jürgen Puhle an Hans Rosenberg, Santiago de Chile 20.10.1967: „Ihr Brief am 30. August und Ihre Meinung über mein Buch bedeutet [sic] mir sehr viel , und Ihre Stellungnahme hat mich sehr froh gemacht. Ich darf gestehen, daß ich am gespanntesten gerade auf Ihr Urteil gewesen bin (und das ist keine Floskel, sondern eine einfache Tatsache, wie viele Freunde bezeugen können), weil ich aus Ihren Schriften sehr viel gelernt habe und aus ihnen weiß, wie kritisch Sie selbst über viele Konstellationen, die für den Gegenstand meiner Arbeit von zentraler Bedeutung waren, nachgedacht haben. Von Ihnen wäre mir selbst eine scharfe Sachkritik willkommener gewesen als jedes Lob irgendeines Historikers, der dem Thema ferner steht. Und dann gefällt Ihnen mein Buch so sehr, daß ich bei der Lektüre Ihrer Kritik rot geworden bin wie eine züchtige Jungfrau. Haben Sie Dank !“
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nes Schreibens geht es um die Organisation zukünftiger persönlicher Begegnungen, geplante Reisen, bevorstehende Kongresse oder einfach die Hoffnung, dass ein Treffen in ungewisser Zukunft möglich sein möge. Natürlich enthalten viele Briefwechsel in Rosenbergs Nachlass auch andere Elemente, etwa die alltägliche Organisation von Historikertätigkeiten oder Klatsch, Tratsch und Lästereien. Bemerkenswert an Rosenbergs Mentoratsbriefen ist nicht zuletzt, dass sie auch ohne solche praktischen Anlässe geschrieben werden und daher auch nicht die gemeinsame Zugehörigkeit zu einer organisatorischen Gruppe erfordern, keine Zusammenarbeit auf ein gemeinsames Ziel hin den Grund für einen Briefwechsel bieten muss, sondern dass es ausreichte, Rosenberg eine eigene Publikation – im Rahmen von Rosenbergs weitgespannten Interessengebieten – zuzusenden, um sein Mentorat erhalten zu können. Diese Regel zeigt sich an der Ausnahme: Nur an Kenneth D. Barkin schrieb Rosenberg 1970, dass er alt geworden sei und keine „complimentary copies of books and articles“ mehr annehmen könne, weil darauf in der Regel irgendwann die Verpflichtung folge, Empfehlungsschreiben zu verfassen. „I am afraid I cannot add any one any more to my long list of ‚pr[o]tégés‘.“ Falls die zugleich in Berkeley tätigen Wolfgang Sauer oder Gerald D. Feldman ihn aber nicht unter ihre Fittiche nehmen wollten, solle er wieder auf Rosenberg zukommen. „In that case I’ll do what I can to help you.“⁴⁹⁷ Seinen Vorsatz, kürzer zu treten, konnte Rosenberg allerdings auch gegenüber Barkin nicht erfüllen. Barkin brauchte Betreuung und Fürsprache auch deshalb, weil sein Doktorvater Klaus Epstein 1967 verstorben war. Einen Eindruck von Barkins Respekt vor Rosenberg vermittelt die Schilderung seiner ersten Sprechstunde in Rosenbergs „musty office“: „I was greeted with the words, ‚Sit down, Mr. Barkin, and I will tell you what I think of everything that you have written.‘ Later that afternoon I said to a friend that although I was only thirty-one, I had already been through Judgment Day, and it was the God of the Old Testament that I had encountered.“⁴⁹⁸
Später wechselte Rosenberg mit Barkin freundlichere Briefe und war spätestens 1973 auch per Du („Dear Kenneth“).⁴⁹⁹ Barkin wurde schließlich Professor an der University of California in Riverside und Editor der Zeitschrift Central European History.
BArch N1376/46: Brief Hans Rosenberg an Kenn[e]th Barkin, 04.10.1970. Barkin: German Émigré Historians, S. 156; vgl. den Nachruf auf Jonathan Knudsen, „Rosenberg’s latest student“: Kenneth D. Barkin: Jonathan Knudsen. 1944– 1999; in: Central European History 33 (2000), Heft 1, S. 161– 164, DOI: 10.1163/15691610052927673. Vgl. etwa BArch N1376/46: Brief Hans Rosenberg an Kenneth Barkin, 13.01.1973.
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Ein knapper Brief, den Rosenberg aufgrund eines Übermittlungsfehlers erst längere Zeit nach der Lektüre des zugesandten Buches verfasste, und der daher seine Kritik besonders allgemein hielt, demonstriert Rosenbergs Ausgreifen auf andere Schulzusammenhänge und sein auch im Alter fortgesetztes Engagement im Austausch mit jüngeren Historikern: „Darf ich mir aus weiter Ferne einen persönlichen Rat erlauben, den Sie sich wahrscheinlich bereitsselber[sic] gegeben haben? Es wäre sicherlich ein schöner Gewinn für die Geschichtswissenschaft, wenn ein Gelehrter von Ihrer Begabung, ungewöhnlichen Arbeitskraft und zielbewussten Stossrichtung ein paar Jahre intensiv an seiner sozialwissenschaftlichen und theoretischen Schulung arbeiten würde, um die zu erforschenden historischen Probleme auch analytisch noch besser in den Griff zu bekommen. Daran hapert es m. E. mehr oder weniger bei der ganzen Fritz Fischer ‚Schule.‘ Oder finden Sie diese Randbeobachtungen anmassend oder gar unverschämt? Wie dem auch sei, ich würde mich freuen, wenn Sie fortan mit mir in Verbindung bleiben würden.“⁵⁰⁰
Rosenbergs intensive Mentoratsbriefwechsel sind auch in den Rosenberg-Festschriften nicht unerwähnt geblieben: „Neben den scharfsinnigen Rezensionen historischer Literatur steht die lange Reihe mindestens ebenso ernst genommener und die Arbeitskraft fast über Gebühr in Anspruch nehmender Briefe Rosenbergs an seine Schüler, mit denen er deren erste wissenschaftliche Gehversuche, aber auch ihre späteren Arbeiten als etablierte Historiker mit scharfsinniger, immer zum Kern vorstoßender Kritik kommentierte und gleichzeitig eine Fülle von grundsätzlichen und konkreten Anregungen zur Verbesserung ihrer Entwürfe gab. Die wissenschaftliche Ausbildung einer größeren Gruppe jüngerer Historiker in den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik ist so in gleichsam ständiger Zwiesprache mit Hans Rosenberg erfolgt, wobei dessen auch persönlich so warme Anteilnahme sich schließlich sogar auf die Schüler seiner Schüler ausdehnte.“⁵⁰¹
Das Ausmaß dieser „Zwiesprache“ wird aber erst im Nachlass deutlich. Dass Rosenberg auch die Schüler Gerhard A. Ritters betreute,⁵⁰² darauf weist das Vorwort dieser ersten Rosenberg-Festschrift hin. Während als Rosenbergs akademi-
BArch N1376/46: Brief Hans Rosenberg an Dirk Stegmann, 15.11.1971. Vgl. die dankbare Antwort ebenda im Brief Dirk Stegmann an Hans Rosenberg, Hamburg 30.12.1971. Ritter: Vorwort (Rosenberg-Festschrift 1970), S. X. Ein Beispiel ist Hans-Jürgen Puhle, oben zitiert, ein anderes die Beratung Jürgen Kockas zu dessen Habilitationsforschung, BArch N1376/46: Brief Jürgen Kocka an Hans Rosenberg, Münster 24.10.1968; BArch N1376/46: Brief Hans Rosenberg an Jürgen Kocka, 03.11.1968; auch BArch N1376/46: Brief Hans Rosenberg an Gerhard A. Ritter, 30.09.1969, in dem er Bemühungen um hochrangige Vortragsgelegenheiten für Kocka und ihre Finanzierung erklärt und bekundet, er wolle für Kocka „auf die Pauke schlagen“.
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sche Schüler im strengen Sinne vor allem seine Doktoranden und (ein erwähnenswert großer Anteil von) Doktorandinnen aus den 1960er und 1970er Jahren in Berkeley dokumentiert sind,⁵⁰³ ist Schüler in einem weiteren Sinne zu verstehen, wenn von Rosenbergs deutschen Schülern und (auch hier nicht zu unterschlagen) Schülerinnen die Rede ist. Unter den Antworten seiner deutschen Schüler stechen diejenigen besonders hervor, in denen die Studierenden aus Rosenbergs Berliner Gastprofessuren in den entscheidenden Phasen ihrer akademischen Laufbahnen über den Atlantik ausgriffen und sich das Mentorat verschafften, das sie dringend benötigten, das sie in Deutschland aber nicht erhalten konnten, und mit dessen Hilfe ihre Karrieren ungewöhnlich erfolgreich verliefen. Der Politikwissenschaftler und Zeithistoriker der deutsch-französischen Beziehungen Gilbert Ziebura, später selbst „neben Ernst-Otto Czempiel derjenige Hochschullehrer in Deutschland, dessen Schüler die meisten Professuren erhalten haben“,⁵⁰⁴ wusste noch nicht, wie viel Engagement Rosenberg in seine Schüler investierte, als er ihm seine gerade abgeschlossene Dissertation zuschickte und – auf das Schlimmste gefasst – um seine Meinung bat.⁵⁰⁵ Zutiefst dankbar antwortete er Grundsätzliches auf Rosenbergs eingehende Kritik: „Lieber Herr Professor, für Ihren Brief vom 22. Juni kann ich Ihnen kaum genug danken. Seit ich ihn gelesen habe, ist mir klar geworden, was es heißt, ohne einen wirklichen Mentor auskommen zu müssen. Ich glaube, es liegt eine gewisse Tragik darin, daß meine Generation an der Universität niemals einer lehrenden Persönlichkeit großen Formats begegnet ist. Die Skepsis sowohl in sachlicher wie in methodischer Hinsicht mag eine gute Sache sein. Aber man muß dann in Kauf nehmen, sich allein durchzuschlagen, vielleicht isoliert dazustehen, was nicht ohne Bitterkeit und Irrtümer abgeht. Deshalb stimme ich in fast allen Punkten mit Ihrer Kritik an meiner Arbeit überein.Was ich bisher undeutlich fühlte, haben Sie ausgesprochen – Gott sei Dank, denn wer hätte es sonst aussprechen sollen? Bisher hat man mich gelobt, freilich nicht ohne meine ‚Frankreichfreundlichkeit‘ nachsichtig zu registrieren. Aber muß es nicht bedenklich stimmen, daß der Versuch, die Dinge differenziert zu sehen (und sie sind ja in Wirklichkeit noch viel dif-
Im Nachlass die Akten BArch N1376/11– 23, aber auch viele Briefwechsel außerhalb dieser Signaturen. Ulrich Menzel: Ziebura, Gilbert; in: Personenlexikon Internationale Beziehungen virtuell, 21. April 2020, URL: http://www.ulrich-menzel.de/cmsimpleplus/index2d05.html?U-Z:Ziebura,_ Gilbert (zuletzt abgerufen am 5. Dezember 2020). BArch N1376/44: Brief Gilbert Ziebura an Hans Rosenberg, Berlin-Frohnau 07.02.1956. „Die Wahrheit ist, wie sie auch beschaffen sein mag, immer fruchtbar.“ Die 1955 in Berlin erschienene Dissertation behandelte „Die deutsche Frage in der öffentlichen Meinung Frankreichs von 1911 bis 1914“.
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ferenzierter!!), gleich den Vorwurf (und es ist ein Vorwurf!) einbringt, man wäre ‚francophil‘? Mir scheint, man macht sich bei uns die Dinge damit ein wenig zu einfach.“⁵⁰⁶
Das Fehlen geeigneter oder begeisternder Mentoren an den deutschen Universitäten der Nachkriegszeit, das Ziebura als allgemein verbreitet vermutet, bedürfte tiefgehender Analysen zu den psychosozialen Dynamiken zwischen Nachkriegsstudierenden und ihren Professoren. In den oben diskutierten Studierendenerinnerungen zeigt sich wiederholt auch die von Ziebura erwähnte Skepsis und das Misstrauen, welche nationalsozialistischen Belastungen die akademischen Lehrer noch delegitimieren könnten. Die immer wieder als begeisternd beschriebene Wirkung transatlantischer Gastprofessoren dürfte auf das Fehlen dieser Hypotheken, sowohl im Habitus der Professoren als auch in der Perspektive der Studierenden hindeuten. Ziebura richtete sich anschließend also – nach einer näheren Auseinandersetzung mit Rosenbergs Kritik, mit den Quellenproblemen, methodischen Möglichkeiten und weiteren Forschungsperspektiven, ermutigt von Rosenbergs Brief – auf seine akademische Zukunft: „Immerhin: ich habe selbst viel gelernt durch meine Arbeit, und durch Ihre Kritik ist mir manches klarer geworden. Anfang August fahren meine Frau und ich nach Paris – für drei Monate. Ich habe ein Forschungsstipendium von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bekommen, womit die materiellen Voraussetzungen für die Durchführung meiner Habilitation gesichert sind. Mein Thema lautet – wenn nichts dazwischen kommt: ‚Léon Blum – Theorie und Praxis sozialistischer Politik‘. Es geht mir dabei darum, der Problematik des modernen demokratischen Sozialismus auf die Spur zu kommen, was man meines Erachtens, an der Persönlichkeit und am Werk Léon Blums besonders gut durchführen kann. Ich will keine historische Arbeit, keine Biographie im klassischen Sinn schreiben, ich will mich vor allem frei machen von den idealistischen Methoden der deutschen Wissenschaft und Léon Blum eher als Ausdruck gewisser gesellschaftlicher Kräfte sehen und nicht als Individuum, das ‚Geschichte gemacht hat‘. Ich weiß nicht, ob mir das gelingen wird. Und deshalb habe ich eine große Bitte an Sie! Darf ich Sie über den Gang der Forschung auf dem Laufenden halten, mich an Sie wenden mit Fragen besonders methodischer Art? Es wäre für mich sehr wichtig, jemanden zu haben, an den ich mich wenden kann, um Schwierigkeiten zu diskutieren, Sie wissen, daß es hier in Berlin schwer ist, einen solchen Professor zu finden. Kann ich mich vertrauensvoll an Sie wenden? Es wird nicht oft geschehen, vielleicht alle halbe Jahre ein Mal….“⁵⁰⁷
Auch nach Zieburas Habilitation riss der Kontakt zu Rosenberg nicht ab. Die anhaltende Bedeutung von Rosenbergs Feedback für Zieburas akademische
BArch N1376/44: Brief Gilbert Ziebura an Hans Rosenberg, Berlin-Frohnau 30.06.1956. Ebenda. Die Habilitationsschrift erschien unter diesem Titel 1963 in Berlin.
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Selbstvergewisserung wird daran deutlich, dass er noch 1979, nach 15 Jahren als ordentlicher Professor, ein dreibändiges Buchprojekt nach dem ersten Band aufgab, weil mehr noch als ablehnende Rezensionen besonders Rosenbergs kritische Anmerkungen dazu ihn „hart getroffen“ haben.⁵⁰⁸ Die Begleitung der Habilitation durch Rosenberg dürfte sich aber positiv auf deren Qualität ausgewirkt haben, wenn man nach Gerhard A. Ritters Bericht über die Entwicklung von Rosenbergs Berliner Schülern Anfang 1962 geht: „Wahrscheinlich haben Sie inzwischen schon erfahren, daß ich einen Ruf auf das alte Ordinariat von Herrn Bußmann am Otto-Suhr-Institut erhalten habe. Auch ein zweiter Ihrer Berliner Schüler – Gerhard Schulz – hat vor 2 Wochen einen Ruf auf ein Extraordinariat für Zeitgeschichte an der Universität Tübingen erhalten. Und Ziebura hat eine Habilitationsschrift abgegeben, die nach Herzfeld, der die 700 Seiten in 2 Tagen und Nächten ausgelesen hat, eines der aufregendsten, tiefgreifendsten und zugleich feinsinnigsten historischen Werke ist, die er je gelesen hat. Auch Herr Büsch hat seine Position jetzt so weit festigen können, daß auch seine Habilitation wohl nur noch eine Frage der Zeit ist. Ich schreibe Ihnen das nicht, um anzugeben, sondern um Sie, der uns allen so viel Anregung gegeben hat, an unserem Erfolg teilnehmen zu lassen. Ich selbst möchte jetzt mit ein paar Zeilen über meine Entwicklung Rechenschaft ablegen und dabei denen danken, die mich als Historiker geformt haben. Sie werden verstehen, daß ich hier an erster Stelle Herrn Herzfeld nennen muß, der mir vor allen als akademischer Lehrer mit seiner Toleranz, seiner Aufgeschlossenheit für die Ideen seiner Schüler und seiner sich in jeder Krise bewährenden menschlichen, fast väterlichen Wärme stets ein wohl nie zu erreichendes Beispiel bleiben wird. Es wird mir auch erst jetzt nachträglich so recht bewußt, wie Herzfeld mit allen Mitteln unsere Selbständigkeit förderte und uns half, uns wissenschaftlich freizuschwimmen, wobei er uns am ganz langen Seil und kaum spürbar leitete. Obwohl ich Herzfeld auch wissenschaftlich wegen der Vielfalt seiner Interessen und Fragestellungen und der wirklichen Durchdringung des Stoffs, die seine besseren Arbeiten zeigen, sehr schätzte, glaube ich doch, daß er als Pädagoge in seiner ruhigen Art die noch größeren Fähigkeiten hatte. Ihn selbst hat ja die Entwicklung des Menschen in der Bilanz immer noch mehr interessiert als das nächste Forschungsergebnis. Ihnen, lieber Herr Rosenberg, verdanke ich für meine Forschungen wissenschaftlich vielleicht noch mehr an Anregungen und Fragestellungen und auch menschlich haben Sie mir, wie Ihren anderen Berliner Schülern, mit Ihrer ständigen Bereitschaft, auf unsere Probleme einzugehen und unsere Versuche zu kritisieren und zu verbessern, sehr, sehr viel gegeben.“⁵⁰⁹
Die akademischen Nachrichten, die Ritter einleitend durchgeht, haben hier die Besonderheit, dass Rosenbergs Anregungen für alle erwähnten Karrieren solch
Roland Höhne: Gilbert Ziebura als Schrittmacher sozialwissenschaftlicher Frankreichforschung; in: Lendemains 38 (2013), Nr. 149, URL: https://www.periodicals.narr.de/index.php/Len demains/article/view/450/431 (zuletzt abgerufen am 15. Januar 2021), S. 125 – 134, hier S. 132. BArch N1376/44: Brief Gerhard A. Ritter an Hans Rosenberg, 22.02.1962.
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großer Einfluss zugesprochen wird. In einem so freundlichen Brief voller Dankbarkeit kann man natürlich Übertreibungen von Rosenbergs Wirkung vermuten, aber Ritter diskutiert hier die Bedeutung seines eigentlichen akademischen Lehrers, Hans Herzfeld, ausdrücklich so, dass er natürlich zuerst genannt werden müsse, so der Comment, und dass er auch menschlich vorbildlich wirkte – was darauf hinweist, dass Herzfeld als im Nationalsozialismus „rassisch“ Verfolgter nicht der bohrende Verdacht von NS-Belastung anhaftete. Als Herzfelds größter akademischer Vorzug gilt Ritter aber die Liberalität, seine Schüler nicht in ihren wissenschaftlichen Interessen und ihrer geistigen Entwicklung zu behindern. Ritters zeitgenössische Beurteilung von Rosenbergs Leistung in dieser Hinsicht ist knapper gefasst, verortet sie aber klar höher – von Rosenberg konnten seine Schüler wissenschaftlich und menschlich „sehr, sehr viel“ Unterstützung erhalten.
Bedeutung der Rosenberg-Schülerschaft Wie ernsthaft und tiefgehend diese Lehrer-Schüler-Verhältnisse waren, darüber ließ sich Georg Iggers 1970 von Rosenberg überzeugen. Ursprünglich war Iggers im Blick auf die deutsche Nachkriegshistoriographie der 1960er Jahre davon ausgegangen, dass emigrierte Historiker durch Gastprofessuren keinen wesentlichen Einfluss in den Herkunftsländern ausüben konnten: „Die kritische Überprüfung der deutschen Vergangenheit, die in Hajo Holborns und besonders Hans Rosenbergs Werken geschah, blieb ebenso wie der neue methodische Ansatz, den Rosenberg mit seiner Verwendung der soziologischen Kategorien von Klasse, Bürokratie und Macht und der Theorien über wirtschaftliches Wachstum für die Untersuchung der politischen Entwicklung in Preußen und Deutschland beisteuerte, eigentlich ohne unmittelbare Wirkung auf die deutschen Wissenschaftler; die Ursache dafür liegt gewiß auch in dem Faktum, daß die gelegentlichen Gastvorlesungen dieser kritischen Historiker nicht zur Heranbildung einer neuen Historikergeneration in Deutschland ausreichten.“⁵¹⁰
Auf Iggers Nachfrage, ob es immer noch keine deutsche Übersetzung von Rosenbergs 1958 erschienenem magnum opus „Bureaucracy, Aristocracy, and Autocracy“ gebe,⁵¹¹ erläuterte der Autor ihm die gescheiterten Übersetzungsbemü-
Einzelne Manuskriptseite für die deutsche Ausgabe von Georg G. Iggers: The German Conception of History. The National Tradition of Historical Thought from Herder to the Present, Middletown, Connecticut 1968; Georg G. Iggers: Deutsche Geschichtswissenschaft. Eine Kritik der traditionellen Geschichtsauffassung von Herder bis zur Gegenwart, München 1971, in der Korrespondenz angeheftet an: BArch N1376/46: Brief Hans Rosenberg an Georg G. Iggers, 10.09.1970. BArch N1376/46: Brief Georg G. Iggers an Hans Rosenberg, Buffalo 26.08.1970.
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hungen und die geringe Rezeption, besonders in deutschsprachigen Rezensionen.⁵¹² Davon unterschied Rosenberg aber ausdrücklich die Rezeption unter jüngeren Historikern: „In individual instances, however, as reflected in the books of Otto Büsch, Reinhart Koselleck and Jürgen Kocka, my study has exercised a decidedly constructive influence. Moreover, there are many signs pointing to the fact that in very recent years Bureaucracy, Aristocracy has been gaining wider recognition in western Germany. This is, in part, to be explained by the fact that my Grosse Depression [1967], though only an essay, has had an electrifying impact, especially upon the younger generation of historians. There is plenty of tangible evidence about this in recently published books, articles, and reviews, last but not least in Wehler’s Bismarck und der Imperialismus. Additional information can be found in my Festschrift which, edited by Gerhard A. Ritter, has just been published by de Gruyter & Co, Berlin, under the title Entstehung und Wandel der modernen Gesellschaft. This publication, in effect, also makes clear that my activity as a Gastprofessor in Germany in 1949 and 1950 has left more lasting and more deep-going marks than you seem to assume. I mention this not to beat the drum but, in justice to all concerned, to keep the record straight.“⁵¹³
Als Iggers zusagte, Änderungen in der nächsten Auflage einzuarbeiten,⁵¹⁴ konkretisierte Rosenberg die Reihe deutscher Nachwuchshistoriker, die er 1971 als seine Schüler ansah: „Quite aside from Hans-Ulrich Wehler and Otto Büsch, that my efforts have not been without constructive response is clearly demonstrated by the published work of Friedrich Zunkel, Hans-Jürgen Puhle, Jürgen Kocka, Michael Stürmer, Dieter Groh, Heinrich August Winkler and others.“⁵¹⁵
Obwohl Iggers solche Aufzählungen liebte, ließ er sich nicht dazu hinreißen, Schülerschaft auf Rosenbergs Zuruf hin festzuschreiben. Stattdessen strich er aber den gesamten zitierten Abschnitt, was als Widerruf seiner ursprünglichen Ansicht einzuschätzen ist, „daß die gelegentlichen Gastvorlesungen dieser kritischen Historiker nicht zur Heranbildung einer neuen Historikergeneration in Deutschland ausreichten.“⁵¹⁶ Die Selbsteinschätzung von Schülerschaft durch Rosenberg 1971 erlaubt hier allerdings noch den Vergleich mit einigen späteren
Vgl. Ritter: Nachruf Rosenberg, S. 295. BArch N1376/46: Brief Hans Rosenberg an Georg G. Iggers, 10.09.1970. BArch N1376/46: Brief Georg G. Iggers an Hans Rosenberg, Buffalo 07.06.1971. BArch N1376/46: Brief Hans Rosenberg an Georg G. Iggers, 30.07.1971. Vgl. Georg G. Iggers: The German Conception of History. The National Tradition of Historical Thought from Herder to the Present, Revised Edition, Middletown, Connecticut 1983, S. 253, und BArch N1376/46: Brief Hans Rosenberg an Georg G. Iggers, 10.09.1970.
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Auflistungen dieser Art. Zwei der Nachrufe auf Rosenberg erschienen 1989 und bezogen sich ausdrücklich auf die Studierenden von Rosenbergs Gastprofessuren 1949 und 1950 in Berlin, die später Lehrstühle erhielten: „Franz Ansprenger, Otto Büsch, Helga Grebing, Gerhard A. Ritter, Wolfgang Sauer, Gerhard Schulz, Gilbert Ziebura und Friedrich Zunkel“⁵¹⁷ Otto Büsch und Friedrich Zunkel, außerdem „Gilbert Ziebura, Gerhard Schulz, Wolfgang Sauer, Franz Ansprenger und Gerhard A. Ritter“⁵¹⁸
Allein Helga Grebing fehlt in der zweiten Aufzählung, vielleicht deshalb, weil sie sich nach sozialer Herkunft und Habitus von dem Schülerkreis unterschied, der mit Rosenberg dauerhaft in engem Kontakt blieb.⁵¹⁹ Otto Büsch und Friedrich Zunkel sind die einzigen Historiker aus den Berliner Gastprofessuren, die Rosenberg auch 1971 nennt. Ritters Nachruf bietet als Erklärung dafür an, dass beider Dissertationen „direkt von Rosenberg angeregt und betreut wurden“⁵²⁰, weshalb er sie aus der Aufzählung der Nachkriegsstudierenden hervorhebt. HansUlrich Wehlers Beziehung zu Hans Rosenberg ist einerseits wohlbekannt,⁵²¹ andererseits aber so komplex und zentral für die Historiographiegeschichte, dass sie eine monographische Darstellung verdienen würde.⁵²² Hans-Jürgen Puhle und Jürgen Kocka repräsentieren in Rosenbergs Liste die erwähnten Schüler seines
Winkler: Nachruf Rosenberg, S. 545; identisch Winkler: A Pioneer, hier S. 14 f. Ritter: Nachruf Rosenberg, S. 297. Grebing schrieb Rosenberg zu dessen 80. Geburtstag 1984, nun habe sie endlich den Mut gefasst, „etwas zu tun, was ich schon längst hätte tun wollen: Ihnen meine neueste Veröffentlichung zu schicken und Ihnen zu danken“. BArch N1376/52: Brief Helga Grebing an Hans Rosenberg, Göttingen 26.02.1984. Rosenberg antwortete: „Wie schön, dass nach 34 Jahren wechselseitigen Schweigens ein ursprünglich flüchtiger persönlicher und geistiger Kontakt zu neuem Leben erweckt wird! Obwohl Sie 1950 in meinem Berliner Seminar zu den ‚Stillen im Lande‘ gehörten, habe ich Sie dennoch niemals vergessen.“ BArch N1376/52: Brief Hans Rosenberg an Helga Grebing, 08.04.1984. Zu Grebing und Rosenbergs Einfluss auf sie vgl. auch Bernd Faulenbach: Helga Grebing (1930 – 2017); in: HZ 307 (2018), S. 412– 420, besonders S. 412– 414. Ritter: Nachruf Rosenberg, S. 297. Zuletzt Stelzel: History After Hitler, besonders Chapter 4, S. 106 – 141. Nicht herangezogen wurde etwa von Stelzel, ebenda, die dritte Akte des Briefwechsels mit Wehler (1963 – 1981) im Nachlass Rosenberg, BArch N1376/40, vermutlich auch deshalb, weil der tatsächliche Inhalt von N1376/40 für einige Zeit der Findbuch-Beschreibung von N1376/53 (vermischte Korrespondenz mit Kollegen, 1976 – 1986) entsprach und umgekehrt. Die Inhalte müssen irgendwann nach der Verzeichnung vertauscht worden sein, und zwar inklusive der Mappen mit den ursprünglichen Signaturen Mappe 19 und Mappe 26. Darüber hinaus durchziehen aber verschiedene Briefe und andere Materialien Wehlers den ganzen Nachlass Rosenbergs. Nach Angaben des Bundesarchivs entsprechen die Inhalte der beiden Akten nach einer Revision des Vertauschten nun wieder ihren ursprünglichen, im Findbuch vermerkten Beschreibungen.
4.3 Studierende und ihre Gastprofessoren: Rezeption und Erinnerung
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Berliner Schülers Gerhard A. Ritter und damit indirekte Folgen der Berliner Gastprofessuren. Die übrigen von Rosenberg Genannten – Michael Stürmer, Dieter Groh und Heinrich August Winkler – weisen auf das weit gespannte Feld hin, in dem Rosenberg auf Interesse stieß: Der sozialhistorische Impetus war allen gemeinsam, aber mit den Schultraditionen Fritz Fischers, Werner Conzes und Hans Rothfels’ konnten sie aus verschiedenen Richtungen kommend Anschluss an Rosenberg finden. Etwas anders als in den Nachrufen liegt der Fokus in der Forschungsliteratur bei Schulze, der ebenfalls im Jahr nach Rosenbergs Tod „die unbestreitbar große Wirkung“ anerkannte, „die die Berliner Lehrtätigkeit eines Hans Rosenberg in den fünfziger Jahren auf junge Historiker wie Karl Dietrich Bracher, Gerhard A. Ritter und Otto Büsch ausübte“.⁵²³ Bracher wird auch an anderen Stellen genannt,⁵²⁴ war aber nach seiner althistorischen Promotion 1948 zu einem Jahr „post-doctoral studies“ 1949 – 1950 in Harvard.⁵²⁵ Er gehörte daher nicht zu den Studierenden in Rosenbergs Gastvorlesungen und Seminaren,⁵²⁶ war aber zweifellos als Habilitand von Ernst Fraenkel und Hans Herzfeld (bis 1955)⁵²⁷ Teil des Kreises, zu dem Rosenberg andauernde Kontakte unterhielt. Schulze sah in Rosenbergs Wirkung vor allem einen „Rückgriff auf die entwickelte Theoriebildung der Weimarer
Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 307. Kirsch: Wissenschaftler im Ausland 1930 – 1960, S. 195, der sich auf Schulze und die genannten Rosenberg-Nachrufe stützt, wenn er aufzählt: „K.D. Bracher, G.A. Ritter, O. Büsch, G. Ziebura, W. Sauer, H. Grebing“. Auch Wehler: Vorwort Festschrift Rosenberg, S. 16, zählt auf „Gerhard A. Ritter, Karl Dietrich Bracher, Gilbert Ziebura, Gerhard Schulz, Otto Büsch, Wolfgang Sauer, Franz Ansprenger, Friedrich Zunkel“ und beeinflusst damit Stelzel: Rethinking, S. 60: „Gerhard A. Ritter, Gerhard Schulz, Wolfgang Sauer, Karl Dietrich Bracher, Gilbert Ziebura, Otto Büsch, and Franz Ansprenger“. Hans-Peter Schwarz: Karl Dietrich Bracher (1922– 2016); in: HZ 304 (2017), S. 398 – 404, hier S. 402. Als glaubhafteste und vollständigste Liste der Studierenden Rosenbergs 1949 und 1950, die später Professuren erhielten, muss neben Winkler: Nachruf Rosenberg, S. 545, die Aufzählung von Ritter: Meinecke, S. 79 f. gelten: „Gilbert Ziebura, Gerhard Schulz, Wolfgang Sauer, Franz Ansprenger, Otto Büsch, Friedrich Zunkel, Helga Grebing und Gerhard A. Ritter“. Selbst Stelzel: History After Hitler, S. 62 und 193, der sich auf ein eigenes Interview mit Ritter berufen kann, vergisst Friedrich Zunkel in seiner Liste: „Gerhard A. Ritter, Otto Büsch, Gerhard Schulz,Wolfgang Sauer, Gilbert Ziebura, Helga Grebing, and Franz Ansprenger.“ Die Prägung von Zunkels Dissertation durch Rosenbergs Perspektiven ist aber augenfällig, vgl. Dirk Schumann: Wirtschaftsbürgertum in Deutschland: segmentiert und staatsnah; in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 3 (1992), S. 375 – 384, hier S. 376. Horst Möller: Karl Dietrich Bracher zum Gedenken; in: VfZ 65 (2017), Heft 1, S. 103 – 113, hier S. 107.
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Zeit“.⁵²⁸ Dieses Berliner Umfeld von Emigranten und Remigranten, Auslandsstudierenden und Austauschwissenschaftlern – alle mit enger Verbindung nach Amerika – aber primär als Rückgriff auf die Weimarer Zeit zu beurteilen, ist unplausibel. Nur indem Schulze Rosenberg nicht als Repräsentanten einer neuen internationalisierten und sozialwissenschaftlich ausgerichteten Geschichtswissenschaft anerkennt, sondern unter „Restauration“ fasst, kann er Conzes und Schieders Wirken als eigentliche „Revision“ der Geschichtswissenschaft darstellen, die auf einer „Entnazifizierung des Volksbegriffs“ basiere.⁵²⁹ Wie Iggers bei seiner ursprünglichen Vermutung und Eakin-Thimme bei ihrer eingangs zitierten These, orientiert sich auch Schulze bei seiner Skizze wissenschaftshistorischer Genealogien an der Annahme, die Betreuung der Doktorarbeit konstituiere den Schulzusammenhang. Das stimmt auch zunächst, aber Schulze überschätzt die Bedeutung dieses formalen Schulzusammenhangs, indem er ihn als Vorlage für eine Genealogie der wissenschaftlichen Inhalte heranzieht. Seine Argumentation läuft ja darauf hinaus, dass die Generation der Nachkriegsstudierenden sich für Sozialgeschichte interessiert habe und ihre Doktorarbeiten von der NS-verstrickten Generation um Conze und Schieder betreut wurden, die in den 1950er Jahren auch Sozialgeschichte betrieb, jedoch auf der Basis nationalsozialistischer Kategorien und Perspektiven aus der Volksgeschichte. Die sozialgeschichtliche Innovation wird dabei der Volksgeschichte zugeordnet und eine weitgehende Identität von Conzes Sozialgeschichte mit Wehlers Sozialgeschichte postuliert, die dagegen nur „sehr viel schwächer“ von einem „Rückgriff auf die […] Weimarer Zeit“ beeinflusst worden sei, den Hans Rosenberg vermittelt habe.⁵³⁰ Auf die inhaltliche Analyse der sozialgeschichtlichen Inhalte, Methoden, Theorien und Perspektiven verzichtet Schulze zugunsten der Orientierung am formalen Schulzusammenhang, was ihm genügt, um „eine zu starke Differenzierung der Traditionslinien sozialhistorischer Forschung oder gar die Konstituierung einer eigenen Tradition etwa seit den späten 60er Jahren“ abzulehnen,⁵³¹ entgegen den Selbstdarstellungen der Akteure der Historischen Sozialwissenschaft. Charles S. Maier führte diese verbreitete Blickverzerrung in der Historiographiegeschichte darauf zurück, dass diese üblicherweise davon ausgehe, dass Geschichtsschreibung eine Kunst sei, die von geistigen Vätern auf geistige Söhne übertragen werde. Wenn dann, wie in der Historiographiegeschichte üblich, die
Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 307. Ebenda, S. 306. Ebenda, S. 307. Ebenda.
4.3 Studierende und ihre Gastprofessoren: Rezeption und Erinnerung
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Söhne selbst den Einfluss der Väter diskutierten, enthülle dies regelmäßig den filiopietistischen, also die Leistungen der eigenen akademischen Vorfahren betonenden, Charakter solcher Unternehmungen.⁵³² Das Problem der Historiographiegeschichtsschreibung ist dabei, dass sie ihre Prämissen über die generationelle Reproduktion der Disziplin aus praktisch-sozialen Gründen kaum effektiv in Frage stellen kann, so dass sich eine systematische Unterschätzung von geistigen Einflussfaktoren außerhalb des formalen Schulzusammenhangs ergibt. Weil Winfried Schulze 1989 in seinem Überblickswerk „Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945“⁵³³ die umstürzende Wirkung unterschätzte, die transatlantische Gastprofessoren auf deutsche Nachkriegsstudierende haben konnten,⁵³⁴ entwickelte sich während der 1990er Jahre ein Diskurs, der von der Entdeckung der „Paths of Continuity“⁵³⁵ zwischen nationalsozialistischer Volksgeschichte und konservativer Strukturgeschichte nach und nach dazu überging, die kritische Sozialgeschichte der Bielefelder Schule unter Verdacht nationalsozialistischer Kontamination zu stellen und deren Exponenten unter Rechtfertigungsdruck zu setzen, zumindest über „Versäumte Fragen“⁵³⁶ an ihre Doktorväter. Nicht zu leugnen ist bei manchen Beteiligten die Freude darüber, über eine Kontinuitätslinie zur Volksgeschichte einen moralischen und fortschrittlichen Überlegenheitsanspruch angreifen zu können, den sie sozialgeschichtlichen Strömungen bis ins 21. Jahrhundert übel nahmen.⁵³⁷ Dieser Konflikt kulminierte
Charles S. Maier: Comment: Theodor Schieder; in: Hartmut Lehmann/James Van Horn Melton (Hg.): Paths of Continuity. Central European Historiography from the 1930s to the 1950s, Cambridge 1994, S. 389 – 396, hier S. 395. Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft. Helga Grebing etwa dankte Rosenberg für „die Revolutionierung des methodischen Denkens von mir und meinen Kommilitonen in jenen Jahren unseres Aufbruchs“: BArch N1376/52: Brief Helga Grebing an Hans Rosenberg, Göttingen 26.02.1984. Nimmt man die Aussage nicht als bloße Nettigkeit zum 80. Geburtstag, sondern ernst in der ausgedrückten Übereinstimmung von jugendlicher Aufbruchsstimmung und gastprofesssoralem Innovationsangebot, erklären sich daraus sowohl die scharfen Generationenkonflikte der 1960er und 1970er Jahre (zwischen Historikern und ihren Doktorvätern, aber meist abstrahiert von dieser persönlichen Loyalitätsbeziehung) als auch die Herausbildung qualitativ neuer Ansätze, die sich eben nicht aus der kontinuierlichen Weiterentwicklung historiographischer Schulen ergaben, sondern aus dem disruptiven Eindringen neuer, äußerlicher Impulse in die Lücke zwischen zwei Generationen. Hartmut Lehmann/James Van Horn Melton (Hg.): Paths of Continuity. Central European Historiography from the 1930s to the 1950s, Cambridge 1994. Hohls/Jarausch: Versäumte Fragen. Nirgens habe ich dies so offen formuliert gefunden wie in James Van Horn Melton: [Kommentar vom 30. Juni 2004 zu] Gordon R. Mork: Rezension zu Hartmut Lehmann/James Van Horn Melton (Hg.), Paths of Continuity. Central European Historiography from the 1930s through the
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beim Historikertag 1998.⁵³⁸ Viel zu wenig Augenmerk wurde in der ganzen Debatte darauf gelegt, was Iggers schon 1990 an Schulzes Perspektive kritisiert hatte: Der Bruch zwischen der Generation von Conze und Schieder einerseits und ihren Schülern andererseits ist die eigentliche Diskontinuität in der deutschsprachigen Historiographie des 20. Jahrhunderts und der Ansatzpunkt der Innovation, die die kritische Sozialgeschichte von der Volksgeschichte trennt.⁵³⁹ Sowohl die ältere Politikgeschichte (Ritter, Rothfels) als auch die Strukturgeschichte (Conze, Schieder) konzentrierten sich auf deutsche Probleme, deutsche Traditionen und deutsche Perspektiven und „isolated themselves from the international discussion“.⁵⁴⁰ Ihre Vorstellung von nationaler Einheit, wurzelnd in der Volksgemeinschaftsidee, verhinderte ernsthafte Analysen innergesellschaftlicher Konflikte. Beides empfanden ihre Studierenden als Mangel, was sie durch Einbeziehung internationaler Forschungsansätze und sozialwissenschaftlichen Denkens zu beheben versuchten.⁵⁴¹ Die Debatten der 1990er drehen sich hingegen häufiger darum, dass die Nachkriegsstudierenden ihre Doktorväter nicht zum Geständnis ihrer Rollen im Nationalsozialismus gebracht haben, und wer dafür nun verantwortlich zu machen sei. Es ist bezeichnend, dass dabei immer wieder amerikanische Historiker wie Charles S. Maier oder deutsch-amerikanische His1950s, Cambridge 1994; in: H-Soz-Kult, 25. Juli 1997; URL: https://www.hsozkult.de/review/id/reb2294 (zuletzt abgerufen am 23. Dezember 2020). Van Horn Melton bezieht sich ausdrücklich auf Wehlers Anspruch auf Fortschrittlichkeit von Sozialgeschichte. Er will die moralische Überlegenheit von Sozialgeschichte bestreiten, sowohl der Bielefelder als auch der „Anglo-American social history ca. 1968 to the present.“ Diese hätten Diplomatie-, Militär- und Geistesgeschichte als irrelevant und elitär abgewertet. „I confess that I always hated this attitude“, schreibt Van Horn Melton, in dessen Sicht „social history was and is marred by an anti-modernist master narrative in which everything always seems to get worse as history approaches the present.“ Dass er seine Antikritik nicht etwa auf spezifische Muster von Strukturgeschichte bezieht, sondern insbesondere auf jede gesellschaftskritische Perspektive in der Wissenschaft, wird deutlich, wenn er konstatiert, dass „this romanticizing discourse now reigns supreme in post-colonial studies“.Van Horn Melton schlussfolgert, dass Sozialgeschichte nicht fortschrittlich sondern vielmehr eine Klage über eine verlorene Welt sei, die es nie gab. Die Pauschalisierungen und Verwechslungen dieser Ansicht sind offensichtlich. Schulze/Oexle (Hg.): Deutsche Historiker im NS. Georg G. Iggers: Comment: German Historiography; in: Hartmut Lehmann/James Van Horn Melton (Hg.): Paths of Continuity. Central European Historiography from the 1930s to the 1950s, Cambridge 1994, S. 43 – 47. Ebenda, S. 47. Ebenda. Vgl. Jörn Rüsen: Continuity, Innovation, and Self-Reflection in Late Historicism: Theodor Schieder (1908 – 1984); in: Hartmut Lehmann/James Van Horn Melton (Hg.): Paths of Continuity. Central European Historiography from the 1930s to the 1950s, Cambridge 1994, S. 353 – 388, hier besonders S. 378 und S. 387 f., für eine Detailanalyse von Schieders Einstellung zum Historismus im Gegensatz zu der seiner Schülergeneration.
4.3 Studierende und ihre Gastprofessoren: Rezeption und Erinnerung
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toriker wie Konrad H. Jarausch oder Georg G. Iggers darauf hinweisen mussten, wie sich Strukturgeschichte und Historische Sozialwissenschaft voneinander unterscheiden, nämlich unter anderem durch den amerikanischen Einfluss.⁵⁴² Iggers hatte sich, wie gesehen, von Rosenberg selbst eines Besseren belehren lassen. Er untersuchte in den 1970er und 1980er Jahren die Inhalte, die die jüngere sozialhistorische Generation vertrat und ergänzte seine Studie von 1968 nach 15 Jahren um eine eindrucksvolle Bestätigung von Rosenbergs eigener Einschätzung seines Einflusses auf die jüngere Generation. Zu Rosenbergs 80. Geburtstag schenkte Iggers ihm die neue Ausgabe und schrieb: „This new edition has an additional chapter on historical studies in the Federal Republic since the late 1960’s which also attempts to assess your important influence on the younger West German historians.“⁵⁴³
Die Wirkung Rosenbergs als Gastprofessor auf die Studierendengeneration(en) der Nachkriegszeit lässt sich auf Basis von Iggers Überblick⁵⁴⁴ letztlich auch inhaltlich bestimmen, weshalb ich im Folgenden seine Ergebnisse mit Fokus auf Wandel und Konflikt in der deutschsprachigen Zunft skizzieren will: In der kritischen Einstellung zur deutschen Geschichte erkannte Iggers die scharfe Trennlinie, mit der sich die jüngere Generation von der traditionellen deutschen Geschichtswissenschaft abgrenzen ließ.⁵⁴⁵ Conze und Schieder konnte er anhand dieses Kriteriums leicht den Traditionalisten zuordnen.⁵⁴⁶ Unter Rückgriff auf Kehr, Hintze, Max Weber und Arthur Rosenberg habe vor allem Hans Rosenberg die Rolle sozialer und ökonomischer Prozesse bei der Formung des „authoritarian character of German politics“ in den Blick genommen.⁵⁴⁷ Die daraus erwachsene Grundauffassung, dass die Spaltung zwischen technisch-industrieller Modernisierung und politisch-gesellschaftlicher Modernisierungsab Iggers: Comment, S. 47; dies ist die Druckfassung von Iggers’ Kommentar auf einer Tagung in Atlanta 1990. Zu Maier siehe Árpád von Klimo: Tagungsbericht Die Volksgeschichte der NS-Zeit: Vorläuferin der Sozialgeschichte der Bundesrepublik? Werner Conze und Theodor Schieder in der Diskussion (Berlin 09.06.1997); in: H-Soz-Kult, 16. Juni 1997; URL: https://www.hsozkult.de/con ferencereport/id/tagungsberichte-1939 (zuletzt abgerufen am 24. Dezember 2020). Zu Jarausch siehe Daniel Becker/Janine Nuyken: Tagungsbericht Von uns selber schweigen wir. Deutsche Historiker und Nationalsozialismus (Frankfurt an der Oder 11.07. 2000); in: H-Soz-Kult 4. Oktober 2000; URL: https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-1997 (zuletzt abgerufen am 24. Dezember 2020). BArch N1376/52: Brief Georg G. Iggers an Hans Rosenberg, Buffalo 28.03.1984. Iggers: German Conception (1983), S. 269 – 293. Ebenda, S. 270. Ebenda, S. 272. Ebenda, S. 271– 273.
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wehr im absolutistischen Preußen wurzelte, wurde zum Markenzeichen kritischer Neuorientierung,⁵⁴⁸ zu deren sichtbarster und wirkmächtigster Strömung sich nach der Fischer-Kontroverse die Historische Sozialwissenschaft im Anschluss an Rosenberg entwickelt habe.⁵⁴⁹ Geprägt sieht Iggers sie – im Gegensatz zur Volksgeschichte – von der Beachtung innergesellschaftlicher Interessenkonflikte und der Rolle des Staates darin, von einer Umkehrung des historiographischen Primats von der Außen- zur Innenpolitik, schließlich von einer an Marx geschulten, aber vom orthodoxen Marxismus abgegrenzten Problematisierung kapitalistischer Konjunkturprozesse und ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen.⁵⁵⁰ Kurz: Der deutsche Sonderweg schlug um vom Ideal zur Devianz.⁵⁵¹ Das Verhältnis zu westlichen Demokratien wechselte folglich von Ablehnung zu Anlehnung.⁵⁵² Neben dieser charakteristischen politischen Orientierung konstatiert Iggers eine abweichende historiographische Grundeinstellung: Die gesellschaftskritische Funktion von Geschichtswissenschaft wurde verknüpft mit der Abkehr von den traditionellen Ansprüchen auf Objektivität und Neutralität und dem Bekenntnis zur Standortgebundenheit historischer Erkenntnis.⁵⁵³ Für die Wissenschaftlichkeit der Geschichte wurde damit der reflektierte Einsatz von Theorien und Methoden erforderlich, den die Historische Sozialwissenschaft ebenso forderte wie die Überwindung national isolierter Perspektiven durch Austausch mit englisch- und französischsprachiger Forschung.⁵⁵⁴ Narrative Ereignisgeschiche musste hinter problemorientierter Analyse zurücktreten, auch wenn Iggers in der methodischen Praxis klassische philologische Methoden weiter dominieren sieht.⁵⁵⁵ Allerdings blieb auch die neue politische Sozialgeschichte auf den Nationalstaat zentriert, und sie blieb skeptisch gegenüber quantitativen Methoden.⁵⁵⁶ Die quantitativ orientierte Strömung der Historischen Sozialforschung (Historical Social Research) spitzte die Orientierung auf (quantifizierende) Methoden, sozialwissenschaftliche Theorien und internationalen Austausch weiter zu, blieb aber weniger einflussreich als in Frankreich oder den
Ebenda, S. 273 – 276. Vgl. ebenda, S. 272– 277. Ebenda, S. 274 f. Ebenda, S. 270, S. 276. Ebenda, S. 273, S. 276. Ebenda, S. 276 – 278. Ebenda, S. 279. Ebenda, S. 279 f. Ebenda, S. 284.
4.4 Emigranteneinflüsse
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USA.⁵⁵⁷ Nichtsdestotrotz konnten sich analytische Ansätze der Erforschung kollektiver Phänomene mit quantifizierenden Methoden und in einer Kombination aus qualitativen und quantitativen Methoden (Mixed Methods Research⁵⁵⁸) auch in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft etablieren,⁵⁵⁹ wie nun, fast hundert Jahre nach Rosenbergs Studienbeginn, auch diese Untersuchung vorführt.
4.4 Emigranteneinflüsse Wie ist nun die Wirkung jener Emigranten zu bewerten, die es nach 1945 als wichtige Aufgabe sahen, Verbindungen zwischen Deutschland und den USA zu knüpfen und dies – bei weitem – nicht nur durch Gastprofessuren realisierten? Zunächst stehen sie für die Westbindung der Bundesrepublik. Die Theorie des negativen deutschen Sonderwegs wurde im Rahmen des „war effort“ im Umfeld vieler der emigrierten Historiker und unter ihrer Mitwirkung entwickelt. Demnach musste Deutschland wieder in die westliche Zivilisation integriert werden, um einem neuen Faschismus vorzubeugen. Zugleich diente diese Integration während der beginnenden Blockkonfrontation der Prävention einer kommunistischen Entwicklung, die manche Deutschen 1945 als unabwendbar ansahen. Der Antikommunismus als integraler Bestandteil der Westbindung machte diese zudem in bürgerlich-konservativen Kreisen anschlussfähig und half dort, die Nationalstaatsorientierung durch eine Orientierung am Westen oder am „christlichen Abendland“ zu ersetzen. Dennoch nahm die Westintegration der deutschen Geschichtswissenschaft zuerst die Form einer politisch links orientierten Bewegung von Nachwuchshistorikern an: Die Abgrenzung von der vorherrschenden Geschichtswissenschaft der Lehrergeneration erfolgte in der Regel anhand der Unterscheidung zwischen „deutschnational-rechts“ und „international-links“. Als weitere Distinktionsmerkmale des oppositionellen Nachwuchses wurden eine sozialwissenschaftliche Ausrichtung, eine positive Einstellung zu industriegesellschaftlicher Moder-
Ebenda, S. 284 f. Für genauere internationale Vergleiche und Näheres zu den Unterschieden von Historischer Sozialwissenschaft und Social Science History vgl. Iggers: Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert (2007). Anthony J. Onwuegbuzie/Hannah R. Gerber/Sandra Schamroth Abrams: Mixed Methods Research; in: Jörg Matthes (Hg.): The International Encyclopedia of Communication Research Methods, [Hoboken, New Jersey] 2017, S. 1– 33 (DOI: 10.1002/9781118901731.iecrm0156), hier S. 1 f. Vgl. Buchner u. a.: Konjunktur des Zählens, besonders S. 619 f., mit Plädoyer für Methodenpluralismus im Sinne von Mixed Methods.
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4 Transatlantische Gastprofessuren als Westernisierungsphänomen
nität und eine kritische Haltung gegenüber den „großen Männern“ gepflegt, die im vormaligen Historikerkonsens als Ikonen der Deutschen Geschichte fungiert hatten.⁵⁶⁰ Die Abgrenzung von der „national- und sozialkonservativen Tradition der akademischen deutschen Geschichtswissenschaft“⁵⁶¹ ging so weit, dass der Nachwuchs irrig für kommunistisch gehalten wurde. Dafür sprachen immerhin die feststellbaren Sympathien für die aus der Emigration zurückgekehrte Kritische Theorie der Frankfurter Schule. Doch dabei handelte es sich ja wiederum um eine Orientierung an westlichen, mehr oder weniger amerikanisierten Vorbildern neomarxistischer Theorie ohne Verbindung zum Sowjetkommunismus. Die Kritische Theorie hatte in der Emigration ebenso wie einige emigrierte Historiker die anglophonen Sozialwissenschaften intensiv rezipiert, was auch den Interessen des ikonoklastischen Historikernachwuchses entgegenkam und schließlich zur Ausprägung von deren sozialgeschichtlicher Schule unter der Bezeichnung Historische Sozialwissenschaft beitrug. Nicht zuletzt beriefen sich junge Historiker in diesem Umfeld auf die oppositionellen Weimarer Traditionen, die Hans-Ulrich Wehler markant als „Außenseiter links von der Mitte“ bezeichnete, worunter er gewissermaßen alle Emigranten fasste, vielleicht abgesehen von Hans Rothfels.⁵⁶² In dreierlei Hinsicht stellten emigrierte Historiker, und hier vor allem zu Gastprofessuren remigrierende, wichtige Ressourcen bereit, die der Studierendengeneration der Nachkriegszeit dabei halfen, methodische, inhaltliche und politische Veränderungen in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft durchzusetzen: Erstens ließen sich aus den Werken von Emigranten Anregungen gewinnen, wie Alternativen zu der insbesondere in der Bundesrepublik und in Österreich hegemonialen Historiographie aussehen konnten. Zweitens gewährten nicht nur ältere Schriften dieser Vorbilder, sondern ihr konkretes Auftreten als
Als Generationenkonflikt machte schon Werner Conze die Orientierung speziell der in den 1930er Jahren geborenen Historiker an Hans Rosenberg aus, die mit einer Abgrenzung von den (in Wehlers Worten) „elitär-esoterischen Projekten der Meinecke-Schule“ einher ging, die Conze (geboren 1910) nicht zusagte. Werner Conze: Rezension zu Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Sozialgeschichte heute. Festschrift für Hans Rosenberg zum 70. Geburtstag, Göttingen 1974; in: HZ 223 (1976), S. 373 – 375. Das Wehler-Zitat stammt aus Hans-Ulrich Wehler: Vorwort; in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Sozialgeschichte Heute. Festschrift für Hans Rosenberg zum 70. Geburtstag, Göttingen 1974, S. 9 – 21, hier S. 10. Hans-Ulrich Wehler: Krisenherde des Kaiserreichs. 1871– 1918. Studien zur deutschen Sozialund Verfassungsgeschichte, 2. Auflage, Göttingen 1979 [1970], S. 21. Ebenda. Ausdrücklich nennt Wehler dort Erich Eyck, Golo Mann, Veit Valentin, Gustav Mayer, Arthur Rosenberg, Eugen Rosenstock[‐Huessy], Eckart Kehr und Alfred Vagts. Vgl. Blaschke: Verleger machen Geschichte, S. 326 f., und Blaschke/Raphael: Kampf um Positionen, S. 101.
4.4 Emigranteneinflüsse
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Gastprofessoren in deutschen historischen Seminaren, was eine gewisse Anerkennung durch das Establishment darstellte, verbunden mit dem von den USA als Sieger- und Schutzmacht, aber auch fortschrittlichem Wissenschaftsstandort, ausgehenden Renommee, der jungen Generation symbolisches Kapital zur Legitimierung ihrer Distinktions- und Reformbestrebungen. Und drittens gab es, wie in zahlreichen Interviews über „Versäumte Fragen“ anklang, in der Nachkriegszeit unter den Studierenden ein Bedürfnis nach Ersatzvorbildern, die geistig-moralische Orientierung versprachen, wo die eigenen Doktorväter als verunsichert und unzeitgemäß oder von ihrer Rolle im Nationalsozialismus belastet empfunden wurden.⁵⁶³ Die Gastprofessoren bemerkten auch selbst das Bedürfnis der Studierenden nach politischer Orientierung und demokratischen Vorbildern. Viele verstanden dies als Berufung, zogen Befriedigung aus ihrer Tätigkeit als Gastdozenten und kehrten wiederholt zu diesem und weiteren Zwecken zurück in die deutschsprachigen Länder, abgesehen von der DDR. Dabei spielte stets auch die Beschäftigung mit der eigenen emigrantischen Identität eine Rolle, das persönliche Verhältnis zu alter und neuer Heimat, Loyalitäten zwischen dem Land der Flucht und dem der Aufnahme. Die damit verbundenen Spannungen verhinderten jedoch nicht, dass eine gewisse Präsenz transatlantischer Gastprofessoren aus Emigrantenkreisen von Ende der 1940er Jahre bis Ende der 1960er Jahre stets vorhanden war und sich auch danach noch Möglichkeiten zum Austausch mit dieser Gruppe boten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die während einer Gastprofessur geknüpften Kontakte zu interessierten Studierenden auch anschließend dauerhaft gepflegt werden konnten, wie etwa im Fall Hans Rosenbergs. Gelegenheiten dazu gab es auch ohne weitere Gastprofessuren, da transatlantische Reisen mit der Zeit einfacher und schneller wurden, die meisten Gastprofessoren zudem Forschungsinteressen in Europa pflegten und auch aus diesem Grund zurückkehrten. Nicht zuletzt sind jene Begegnungen von Nachwuchshistorikern mit den Emigranten zu nennen, die in den USA stattfanden, etwa im Rahmen des Studierendenaustauschs oder bei Forschungsaufenthalten. In ihrem amerikanischen Kontext wirkten die Historiker, die als Gastprofessoren in Deutschland einen amerikanischen Eindruck machten, durch den Kontrast zu ihrem Umfeld oftmals auffallend deutsch.⁵⁶⁴
Vgl. dazu auch Eakin-Thimme: Geschichte im Exil, S. 255 f., sowie Ritter: Meinecke, S. 79 f., jeweils konzentriert auf Hans Rosenberg. Diese Eindrücke verdanke ich mündlichen Schilderungen von Klaus Schwabe, der Klaus Epstein in den USA erlebte, und Peter Herde, der Hans Rosenberg in Berkeley traf, mitgeteilt am 13. April 2012 in Bensheim im Rahmen der Tagung „Die Neuformierung der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft nach 1945“.
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4 Transatlantische Gastprofessuren als Westernisierungsphänomen
Am markantesten und bekanntesten ist die Berufung auf Emigranten aus den beschriebenen Gründen für die Bielefelder Schule. Auch für andere linke Reformströmungen des Historikernachwuchses zeigten sich Gastprofessoren anschlussfähig, prominent etwa für Schüler Fritz Fischers. Aber auch konventionellere Orientierungen konnten von Gastprofessoren – die sich keineswegs durchgängig als „Außenseiter links von der Mitte“ charakterisieren lassen – Anregungen erfahren, so dass sich die historiographische Orthodoxie, herausgefordert von den sozialhistorischen Bilderstürmern, auch selbst wandelte. Die deutschsprachige Geschichtswissenschaft westernisierte sich auf diesem Wege insgesamt, nicht nur in einigen aufstrebenden, linken Teilbereichen. Dabei spiegelte sich natürlich auch die gesamtgesellschaftliche Westernisierung wider und erzeugte in einem Rückkopplungsprozess zwischen Deutschland und Amerika mit den transatlantischen Gastprofessoren als kulturellen Mittlern⁵⁶⁵ eine bundesrepublikanische – und republikanisch-österreichische – Historiographie, die fest auf den drei Säulen Westbindung, Antikommunismus und soziale Marktwirtschaft stand und den Weg bereitete für eine weitere Internationalisierung der Geschichtswissenschaft mit bis heute zunehmender Menge und Intensität wissenschaftlicher Austauscherfahrungen.⁵⁶⁶ Ein entscheidender Punkt in dieser Entwicklung war die Herausbildung einer positiven Einstellung zur Moderne durch die Studierendengeneration der Nachkriegszeit: Die Moderne hatten schon Theodor Schieder, Werner Conze und Otto Brunner zu einem Forschungsproblem erhoben, indem sie sie der Vormoderne entgegensetzten. Sie wurde dabei jedoch überwiegend negativ bewertet – als Zeitalter des Zerfalls einer gesellschaftlichen Ordnung, die zuvor Stabilität garantiert hätte.⁵⁶⁷ Erst ihre Schüler besaßen eine „insgesamt positive Grundeinstellung zur Moderne“, verwendeten den Begriff jedoch nur selten, da er zu unbestimmt erschien.⁵⁶⁸ Bis in die 1980er Jahre verschwand so jedoch die Vorstellung, dass Modernisierung „eine Wendung zum Schlechten bedeute“.⁵⁶⁹ Dadurch wurde die Bewertung grundsätzlicher geschichtlicher Konstellationen umgekehrt: Gesellschaftlicher Fortschritt im Sinne größerer Dynamik und geringerer Ordnung konnte als positiv angesehen werden, wogegen Stabilität unter den Verdacht geriet, eine „natürliche“ oder positiv bewertete Entwicklung zu unterdrücken.
Vgl. zu transatlantischen Gastprofessoren als einer nach Größe und sozialer Stellung typischen kulturellen Mittlergruppe Werner: Maßstab und Untersuchungsebene, S. 27 f. Vgl. Paulmann: Vergleich und Transfer, S. 649. Dipper: Geschichtswissenschaft und Moderne, S. 41. Ebenda, S. 42 f. Ebenda, S. 42.
4.4 Emigranteneinflüsse
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Diese Umwertung erinnert an emigrierte Historiker wie Hans Rosenberg, George W. F. Hallgarten oder auch Eckart Kehr. Damit verbunden war – offensichtlich anhand des Epochenjahres 1789 – auch eine neue positive Bewertung von Demokratie und ein Wandel im deutschen Amerikadiskurs: Die USA als „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ standen eben nicht für eine stabile Ständeordnung, sondern für technischen Fortschritt und gesellschaftliche Nivellierung. Während die ältere Historikergeneration dies als Niedergangsphänomene empfand und eine so geprägte Gesellschaft als vom Zerfall bedroht ansah, erlebten viele Emigranten – insbesondere im Zweiten Weltkrieg – das Gegenteil: Trotz starker Dynamik stellten sie einen starken sozialen Zusammenhalt und gesellschaftliche Stabilität am eigenen Leib fest. Und schließlich hatten die USA den Krieg gewonnen, was für die Überlegenheit ihres „fortschrittlichen Modells“ über die reaktionären Phantasien der älteren Historikergeneration sprach. Wenn aber eine Moderne, die beschleunigten technischen Fortschritt, gesellschaftliche Dynamisierung und politische Demokratisierung bedeutete, in der deutschen Geschichtswissenschaft seit den 1960er Jahren zunehmend Befürworter fand, musste damit auch ein weiteres Element der Moderne einhergehen: ihr Universalismus.⁵⁷⁰ Abgesehen von der Norm der politischen Ordnung, einer Organisation von Demokratie im nationalstaatlichen Rahmen, hatte die Moderne als universale Elemente aus der Aufklärungsphilosophie insbesondere Moral und Wahrheit übernommen: Die universale Moral repräsentierten insbesondere die allgemeine Geltung beanspruchenden Menschenrechte. Die Universalität von Wahrheit bedeutete erstens eine Abdrängung der (jeweils nur partikularen) Religion aus dem Umkreis des Wahrheitsbegriffs in den Bereich des Glaubens. Zweitens – und hier von größerer Bedeutung – präjudizierte der moderne Universalitätsanspruch von Wahrheit eine Internationalisierung der Wissenschaften. In scharfem Kontrast zu nationalsozialistischen Konzepten etwa einer „Deutschen Physik“ war durch die Bedingung der Universalität von Wahrheit – und damit auch von Wissen und Wissenschaft – die internationale Diskussion, Überprüfung und Bestätigung von Forschungsergebnissen zu einer zentralen Bedingung von Wissenschaft in der Moderne geworden. Die Naturwissenschaften hatten dieser Modernisierung schon vor 1933 Rechnung getragen, so dass eine „Deutschen Physik“ schon damals anachronistisch und ideologisch verblendet wirkte, wie etwa Max von Laue feststellte, als er im September 1933 die Relativitätstheorie gegen Schmähungen als „jüdischer Weltbluff“ verteidigte:
Vgl. Ebenda, S. 43.
350
4 Transatlantische Gastprofessuren als Westernisierungsphänomen
„Er setzte Galilei, den Vorkämpfer des kopernikanischen Weltbildes, zu Einstein, dem Begründer der Relativitätstheorie, in Parallele und brachte zum Ausdruck, daß sich die Wahrheit, wie damals gegen das kirchliche Verbot, so auch diesmal gegen die nationalsozialistische Verfemung, durchsetzen würde.“⁵⁷¹
Wissenschaftliche Wahrheit werde demnach nicht nur die religiöse Begrenzung, sondern auch die ideologische überwinden und sei als partikulare nationale Wahrheit unvorstellbar, waren Physiker überzeugt. Wie die Wahrheitsdurchsetzung vonstattengehen würde, dazu hatte Max Planck nach dem Zweiten Weltkrieg eine wissenschaftstheoretische These formuliert, die später „Plancks Prinzip“ genannt wurde: „Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, daß ihre Gegner allmählich aussterben und daß die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist.“⁵⁷²
In diesem Sinne erfuhr die heranwachsende Generation in der deutschen Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg nicht unbedingt dieselbe „neue wissenschaftliche Wahrheit“, die ihnen transatlantische Gastprofessoren anboten. Unter etablierten deutschen Historikern herrschte noch in den 1950ern ein Bewusstsein vor, das vom 1914– 1945 am stärksten empfundenen Dissens zwischen der deutschen Geschichtswissenschaft und den Historikern vieler westlicher Länder geprägt war: Besonders in der (auch über 1871 zurückreichenden) Frage nach den Ursachen des Ersten Weltkriegs sahen die meisten deutschen Historiker keine Möglichkeit, eine universale wissenschaftliche Wahrheit anzustreben, da mit ihren ausländischen Kollegen keine Einigung möglich schien. Zur erfolgreichen Internationalisierung der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft musste also insbesondere die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs revidiert werden. Daher eröffnete die Fischer-Kontroverse der deutschen Geschichtswissenschaft in dieser Hinsicht symbolisch den Zugang zur in-
Hermann: Laue, Max v. (NDB), S. 704. Max Planck: Wissenschaftliche Selbstbiographie. Mit der von Max von Laue gehaltenen Traueransprache, 3. Auflage, Leipzig 1955 [1948], S. 22. Eine quantitative Überprüfung von Plancks Prinzip anhand der Durchsetzung des Darwinismus in der Biologie des 19. Jahrhunderts, wo bereits ähnliche Überlegungen wie Plancks angestellt worden waren, führte allerdings zu dem Schluss, dass nur ein geringer Anteil des wissenschaftlichen Wandels so erklärbar sei: David L. Hull/Peter D. Tessner/Arthur M. Diamond: Planck’s Principle: Do Younger Scientists Accept New Scientific Ideas with Greater Alacrity than Older Scientists?; in: Science 202 (1978), S. 717– 723, hier S. 722.
4.4 Emigranteneinflüsse
351
ternationalen scientific community, da nur unter der Voraussetzung der Bereitschaft, das Agieren der Reichsregierung kritisch zu bewerten, ein Konsens mit Historikern aus Frankreich, Großbritannien und den USA erreichbar schien. Bevor ich in Kapitel 8 auf das Engagement der Untersuchungsgruppe in dieser Hinsicht eingehe, sind allerdings noch die diesen Prozess fördernden und die ihn behindernden Bedingungen im Feld der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft vorzustellen und die dort präsenten Haltungen gegenüber den emigrierten Kollegen zu analysieren. Diese Rezeptionsbedingungen der Emigranten bestimmten schließlich auch die Einstellung zu den mit der Gastprofessorentätigkeit verbundenen Tendenzen zur Internationalisierung und Westernisierung der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft.
5 Neuanfang und Tradition der Historischen Zeitschrift 1945 – 1949 Die Einflüsse der zeitweilig aus Amerika remigrierenden Historiker auf die deutschsprachige Geschichtswissenschaft der Nachkriegszeit stelle ich in diesem Kapitel in den Kontext des zentralen Forums der deutschsprachigen Historikerzunft: Die Entwicklung der Historischen Zeitschrift weist auf mehreren Ebenen auf wichtige Rezeptionsbedingungen der emigrierten Historiker hin.¹ Zuerst stelle ich das Konzept des ersten Nachkriegs-HZ-Herausgebers Ludwig Dehio vor, mit dem dieser die Neuorientierung der deutschen Geschichtswissenschaft vorantreiben wollte (Abschnitt 5.1).² Die Traditionsorientierung der HZ und ihre daher hochgehaltenen Kontinuitätslinien ergänzten und beschränkten jedoch diese Neuorientierungsbemühungen und bildeten so einen Rahmen für Dehios Neuanfangspläne (Abschnitt 5.2).³ Akademische Kontinuitätslinien fungierten dabei einerseits als Legitimationsressource etwa für die HZ-Herausgeber und die Beachtung, mit der sie einige ihrer emigrierten Kollegen bedachten. Denn durch die Analyse von Schulnetzwerken lassen sich viele der in Deutschland promovierten und anschließend emigrierten Historiker – teilweise auch ihre jüngeren, in den
Zur Geschichte der HZ bis 1945 vgl. Gall: 150 Jahre HZ; Theodor Schieder: Die deutsche Geschichtswissenschaft im Spiegel der Historischen Zeitschrift; in: HZ 189 (1959), S. 1– 104; mit Fokus auf die HZ im Nationalsozialismus: Christoph Cornelißen: Herausgeber in schwierigen Zeiten: Gerhard Ritters Beziehungen zum Archiv für Reformationsgeschichte und zur Historischen Zeitschrift (1930 – 1950); in: Matthias Middell (Hg.): Historische Zeitschriften im internationalen Vergleich, Leipzig 1999, S. 161– 199; Ritter: Verdrängung von Friedrich Meinecke; WiggershausMüller: Nationalsozialismus und Geschichtswissenschaft; sowie Reinhard Wittmann: Wissen für die Zukunft. 150 Jahre Oldenbourg Verlag, München 2008, besonders S. 202– 275; Tilmann Wesolowski: Verleger und Verlagspolitik. Der Wissenschaftsverlag R. Oldenbourg zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München 2010, S. 271– 296. Abschnitt 5.1 basiert auf Vorarbeiten für meinen Vortrag „Zwischen Emigration und Remigration. Deutsch-amerikanische Historiker und die Historische Zeitschrift“ bei den Bensheimer Gesprächen 2012: Die Neuformierung der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft nach 1945, Institut für Personengeschichte, Bensheim, 12. April 2012, und den Aufsatz Matthias Krämer: Transatlantischer Wissenstransfer. Nationale und internationale Orientierung in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft nach 1945; in: Justyna Aniceta Turkowska/Peter Haslinger/ Alexandra Schweiger (Hg.): Wissen transnational. Funktionen – Praktiken – Repräsentationen, Marburg 2016, S. 265 – 284. Abschnitt 5.2 ist eingeflossen in Matthias Krämer: Vernetzung als Kapital einer Fachzeitschrift. Kontinuität im Neuanfang der Historischen Zeitschrift 1949; in: Jürgen Elvert (Hg.): Geschichte jenseits der Universität. Netzwerke und Organisationen in der frühen Bundesrepublik, Stuttgart 2016, S. 87– 105. https://doi.org/10.1515/9783110731637-005
5.1 Ludwig Dehio als Herausgeber des Neuanfangs
353
USA promovierten Kollegen – als eng verbunden mit der von und in der HZ repräsentierten Zentralströmung der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft erweisen. Andererseits behinderte die Kontinuitätsorientierung Transferprozesse, für die Emigranten als Vermittler zur Verfügung standen, durch ihre Delegitimierung (Abschnitt 5.3). Den wichtigsten Quellenbestand zur Untersuchung der HZ stellen die Akten des R. Oldenbourg Verlags dar, der die Zeitschrift bald nach ihrer Gründung 1863 aus der Cotta’schen Verlagsbuchhandlung erwarb und bis zur Übernahme des Verlagshauses durch die Cornelsen-Gruppe 2004 betreute.⁴ Mit Schwerpunkt auf der alltäglichen Korrespondenz sind 170 Meter Verlagsakten inzwischen im Bayerischen Wirtschaftsarchiv (BWA) in München unter der Signatur F5 benutzbar⁵ und weitgehend in durchnummerierten Mappen organisiert. Nach deren Angabe zitiere ich Aktenstücke im Folgenden regelmäßig schematisiert mit Absender und Adressat, Entstehungsort und Datum.⁶ Der Nachlass Ludwig Dehios liegt unter der Signatur 340 Dehio C im Hessischen Staatsarchiv Marburg (HStAM)⁷ und enthält teilweise eine Parallelüberlieferung zu den Verlagsbeständen, kann diese jedoch vor allem um Korrespondenz mit Kollegen ergänzen, die ebenso bei der Herausgabe der HZ anfiel.
5.1 Ludwig Dehio als Herausgeber des Neuanfangs Die HZ ist nicht nur traditionell die wichtigste deutschsprachige geschichtswissenschaftliche Fachzeitschrift,⁸ sie gilt auch als repräsentativ für die deutsche
Wesolowski: Verleger und Verlagspolitik, S. 13; Wittmann: Wissen für die Zukunft, S. 26 und S. 156. Vgl. das BWA-Online-Findbuch: Bestand: F 005 – Verlag R. Oldenbourg, München; in: Bayerisches Wirtschaftsarchiv München; URL: http://www.bwa.findbuch.net/php/main.php?ar_id= 3254&be_kurz=4620303035 (zuletzt abgerufen am 6. Januar 2019, Archiv-URL: https://archive.fo/ NAgmV), mit einer Bibliographie der zum Verlag erschienenen Literatur. Beim Verlag eingegangene Post findet sich in aller Regel im Original, abgegangene Briefe als Durchschlag, wobei fehlende Angaben soweit möglich aus dem Kontext erschlossen und in eckigen Klammern angegeben sind. Der persönliche Nachlass Ludwig Dehios ist Teil C des in Marburg archivierten Familienarchivs Dehio-Friedländer. Gerhard Lozek: Deutschland nach 1945/Bundesrepublik bis 1989; in: Gerhard Lozek (Hg.): Geschichtsschreibung im 20. Jahrhundert. Neuzeithistoriographie und Geschichtsdenken im westlichen Europa und in den USA, Berlin 1998, S. 337– 453, hier S. 423.
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5 Neuanfang und Tradition der Historischen Zeitschrift 1945 – 1949
Historikerzunft.⁹ Dass die 1943 kriegsbedingt eingestellte Zeitschrift nach Kriegsende wieder erscheinen sollte, stand für den Verleger Wilhelm Oldenbourg stets fest. Schließlich war die HZ das Flaggschiff seines geschichtswissenschaftlichen Verlagsprogramms. Doch 1945 lag die HZ in Trümmern. Der Verlag war ausgebombt, viele Redaktionsunterlagen verbrannt.¹⁰ Schlimmer noch war die Personal- und Lizenzsituation: Die Besatzungsbehörde zögerte, dem zuvor staatsnahen Oldenbourg-Verlag eine Lizenz zu erteilen. Auf der Suche nach Alternativen konnte der langjährige Oldenbourg-Lektor Manfred Schröter im Spätsommer 1946 eine Lizenz unter dem Namen Leibniz-Verlag erhalten, aus der Verlegerfamilie wurde dabei aber nur der junge Rudolf Carl Oldenbourg als Geschäftsführer akzeptiert.¹¹ Auch das frühere Personal der HZ stand nicht mehr zur Verfügung: Walther Kienast, der in der HZ-Redaktion schon unter Friedrich Meinecke für den Rezensionsteil zuständig gewesen war, musste als NSDAP-Mitglied zunächst passen,¹² wurde aber baldmöglichst reaktiviert.¹³ Auch HZ-Herausgeber Karl Alexander von Müller, zuständig für den Aufsatzteil, war aufgrund seiner NS-Verstrickung untragbar.¹⁴ Er trat im September 1945 nach zehn Jahren als HZ-Verantwortlicher zurück und benannte zugleich seinen Vorgänger Friedrich Meinecke wieder als Schriftleiter.¹⁵ Auch Meinecke wäre wohl von den Besatzungsbehörden
Wiggershaus-Müller: Nationalsozialismus und Geschichtswissenschaft, S. 4; Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 81. Schulze behandelte ebenda, S. 87– 109, erstmals die Neugründung der HZ auf über 20 Seiten, allerdings anhand noch nicht archivalisch erfasster Geschäftsakten, siehe ebenda, Fußnote 20 auf S. 88. Am besten informiert zur Verlagsgeschichte bis 1945 mit kurzem Ausblick darüber hinaus: Wesolowski: Verleger und Verlagspolitik; daneben gibt die jüngste Verlagsfestschrift nützliche Überblicke: Wittmann: Wissen für die Zukunft. BWA F5/1208: Brief Wilhelm Oldenbourg an Ludwig Dehio, München 05.09.1946. BWA F5/1644: Brief Wilhelm Oldenbourg an Walther Kienast, [München] 03.04.1947. Das durch Dehio mündlich übermittelte Angebot, „die HZ. wieder zu übernehmen“, nahm Kienast umgehend an – unter Voraussetzung einer Einigung über das Honorar: BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an [Wilhelm Oldenbourg], Marburg 15.08.1948. Die Phase, in der Kienast nicht als HZ-Mitarbeiter gelten konnte, wurde sowohl intern als auch in der Außendarstellung rasch vergessen gemacht, ungebrochene Kontinuität auch hier betont, etwa so: „Den Literaturbericht und die Buchbesprechungen wird nach wie vor Herr Prof. Dr. W.Kienast betreuen.“ BWA F5/1644: Brief Rudolf Oldenbourg an den Kreuz-Verlag, München 26.03.1949. Siehe unten, Abschnitt 5.2.1 ab S. 368. Zu von Müller maßgeblich: Matthias Berg: Karl Alexander von Müller. Historiker für den Nationalsozialismus, Göttingen 2014. Gall: 150 Jahre HZ, S. 5: Indem von Müller „im September 1945 die Leitung der Zeitschrift formell wieder in die Hände von Meinecke zurücklegte“, unterstrich er „die später von vielen Seiten aus ganz unterschiedlichen Motiven formulierte These, es habe sich [beim Nationalso-
5.1 Ludwig Dehio als Herausgeber des Neuanfangs
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nicht akzeptiert worden,¹⁶ doch seine Nominierung durch von Müller stieß bereits bei Wilhelm Oldenbourg auf entschiedenen Widerstand.¹⁷ Oldenbourg stellte von Müllers Vorgehen später so dar, als habe dieser Meinecke lediglich gebeten, einen „ihm geeignet erscheinenden neuen Herausgeber in Vorschlag zu bringen.“¹⁸ Auf Meineckes Empfehlung hin bat Wilhelm Oldenbourg „wenn auch zunächst etwas zögernd“¹⁹ im Januar 1946 Ludwig Dehio, die Herausgeberschaft der HZ zu übernehmen.²⁰ Nach langer Vorbereitung erhielt Manfred Schröter als Verlagsverantwortlicher am 10. Februar 1949 die letzte Erlaubnis zur Wiederbelebung der HZ: „Sie erhalten hiermit die Genehmigung, die ‚Historische Zeitschrift‘ unter Ihrer Lizenz No. US-E-179 herauszugeben und zwar anfangs mit einer Auflage von 2,000 Exemplaren, vierteljaehrlich. Gegen die Anstellung von Prof. Ludwig Dehio als Herausgeber dieser Zeitschrift ist nichts einzuwenden.“²¹
zialismus] um eine bloß kurzfristige Episode in der in ganz anderen Bahnen verlaufenden Entwicklung der deutschen Geschichtswissenschaft gehandelt“. Von Müllers Rücktritt im Kontext seiner strategischen „Rolle als verständig Abtretender“ schildert Berg: Karl Alexander von Müller, S. 356. Der zuständige Offizier ließ den Verlag wissen, dass man Meinecke nach seiner Veröffentlichung „Die deutsche Katastrophe“ nicht als Herausgeber befürwortet hätte, da seine Tendenz verschwommen und unzureichend NS-kritisch sei. BWA F5/1208: Brief [Manfred Schröter an Ludwig Dehio], [München] 01.04.1949. Oldenbourg lehnte Meinecke unter dem Vorwand ab, dass er „aus postalischen Gründen zunächst nur mit einem Herausgeber in der amerikanisch-bayerischen Zone operieren“ könne. BWA F5/1644: Brief Wilhelm Oldenbourg an Walther Kienast, [München] 18.10.1945. Meineckes hohes Alter ließ befürchten, dass er der alltäglichen Redaktionsarbeit nicht mehr gewachsen wäre; zudem hatte Meinecke auch vor seiner Absetzung als HZ-Herausgeber bereits Differenzen mit dem Verlag gehabt, vgl. Ritter:Verdrängung von Friedrich Meinecke; Wesolowski:Verleger und Verlagspolitik, S. 278 – 290. Meineckes ganze HZ-Herausgeberschaft und sein Verhältnis zum Verlag bis 1945 schildert Gerhard A. Ritter: Friedrich Meinecke und der Oldenbourg Verlag; in: Gisela Bock/Gerhard A. Ritter (Hg.): Friedrich Meinecke. Neue Briefe und Dokumente, München 2012, S. 24– 52; im selben Band sind auch wichtige Briefe dieser Zeit ediert, die die Vorgeschichte des hier untersuchten HZ-Neuanfangs und der Rahmenbedingungen der Nachkriegsproduktion der Zeitschrift erschließen. BWA F5/1208: Brief Wilhelm Oldenbourg an Ludwig Dehio, München 16.01.1946. Gall: 150 Jahre HZ, S. 5. BWA F5/1208: Brief Wilhelm Oldenbourg an Ludwig Dehio, München 16.01.1946. BWA F5/1674: Brief Don C. Travis, Jr. an Manfred Schröter, München 10.02.1949. Die Übersetzung war dem englischen Schreiben von Travis, dem Chief der Publications Branch der Information Services Division beim Office of Military Government for Bavaria, beigefügt. Die Auflagenhöhe war lediglich als theoretische Obergrenze anzusehen, die Abonnentenzahl lag Mitte 1949 bei rund 400 und erreichte Ende 1950 wieder 750, so BWA F5/1644: Brief Wilhelm Olden-
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5 Neuanfang und Tradition der Historischen Zeitschrift 1945 – 1949
Diese kurz vor dem Druck des ersten Nachkriegsheftes erteilte Genehmigung zieht die Interpretation in Zweifel, die „Zauderpolitik“ Ludwig Dehios sei der wesentliche Faktor für die lange Vorbereitungszeit bis zum Wiedererscheinen der HZ gewesen.²² Dehio war in der Tat verantwortlich für ambitionierte Pläne, die ich in Abschnitt 5.1.2 vorstelle und die dem Konzept widersprachen, einfach weiterzumachen wie bisher und bereits im Krieg gesetzte, aber noch nicht erschienene Aufsätze zu publizieren, bloß bereinigt um Inhalte, die mit „demokratischer Geschichtsauffassung“ unvereinbar seien.²³ Doch die zitierte Genehmigung legt den Schluss nahe, dass die HZ nicht mit der Erteilung der Verlagslizenz für den Leibniz-Verlag mit der Nr. US-E-179 ab September 1946 als behördlich zugelassen angesehen werden konnte, wie sich das etwa Wilhelm Oldenbourg zu diesem Zeitpunkt vorgestellt haben mag.²⁴ Dehio und der persönlich verantwortliche Lizenzträger Manfred Schröter sahen die Unklarheit der Lage deutlich und hielten sich über Änderungen der Besatzungspolitik detailliert auf dem Laufenden. Davon zeugt etwa die vom Verlag für Dehio angefertigte Abschrift des Rundschreibens Nr. 19 der Information Control Division (ICD),²⁵ das die „Lockerung aller Beschränkungen“ verkündete und zugleich offenbarte, dass die ICD im August 1948 den indirekten Ansatz einer Selbstkontrolle der Verlage durch die Lizenzträger favorisierte. Punkt 3 c) „Neue Zeitschriften“ lautete: „(1) Alle lizenzierten Verleger können künftig ohne vorherige Genehmigung der Publications Branch jede beliebige neue Zeitschrift herausgeben, für die nach ihrer verantwortlichen Meinung allgemeines Bedürfnis oder Nachfrage besteht, und zwar in dem Umfang, in der Erscheinungsweise und Auflagenhöhe, die sie für geignet[sic] halten. (2) Die Verantwortung, darüber zu entscheiden, ob der Herausgeber, Schriftleiter oder Chefredakteur neuer Zeitschriften, sowie die übrigen Mitglieder der Redaktion und alle
bourg an Walther Kienast, [München] 29.06.1949; BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an Wilhelm Oldenbourg, Frankfurt 05.11.1950. So Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 97, in Anlehnung an zeitgenössische Deutungen der die HZ heiß ersehnenden Gerhard Ritter und Joseph Vogt. So lautete der erste Impuls Wilhelm Oldenbourgs und die erste Aufgabe, die er für den neuen Herausgeber Dehio sah: BWA F5/1208: Brief Wilhelm Oldenbourg an Ludwig Dehio, [München] 22.03.1946. Der Verdacht liegt nahe, dass Kritiker an Dehios „Zauderpolitik“ für eine solche oberflächliche Säuberung von nationalsozialistischen Inhalten optierten. Er erbat von Dehio „das druckfertige Manuskript bis spätestens Mitte November“ 1946, um „die Korrekturbogen der Militärregierung zur Druckgenehmigung“ vorzulegen, also in Form klassischer Vorzensur zu verfahren. BWA F5/1208: Brief Wilhelm Oldenbourg an Ludwig Dehio, München 05.09.1946. HStAM 340 Dehio C, Kasten C6, Mappe HZ 1946 – 1952: Rundschreiben Nr. 19 Information Control Division an alle lizensierten Verleger in Bayern, München 04.08.1948 (Abschrift). Fehlende Leerzeichen wie in der Vorlage.
5.1 Ludwig Dehio als Herausgeber des Neuanfangs
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Mitarbeiter, politisch einwandfrei und fachlich geeignet sind, soll künftig ausschließlich dem lizenzierten Verleger überlassen werden. Die Richtlinien über die Bestimmung der politischen Tragbarkeit sind im Rundschreiben Nr. 9 v.19. November 1946 enthalten. Es ist künftig nicht mehr erforderlich, Fragebogen und andere Unterlagen für eine vorherige Überprüfung und Bestätigung des Herausgebers bzw.Chefredakteurs einzureichen. […] Es wird unbedingt vorausgesetzt und erwartet, daß die lizenzierten Verleger nur Herausgeber,bzw.Chefredakteure, beschäftigen, die in der Vergangenheit absolut politisch einwandfrei waren und deren Fähigkeiten einen positiven Beitrag zur Neuorientierung der deutschen öffentlichen Meinung garantieren.“
Walther Kienast wurde noch im August 1948 wieder mit seinen früheren Aufgaben betraut,²⁶ zumal er zunächst dem alleinigen Herausgeber Dehio untergeordnet war. Dass die Besatzungsbehörden noch Einwände gegen Dehio geltend machen könnten, war nicht zu erwarten, zumal er bereits 1946 – 1947 das nun abgeschaffte Fragebogenverfahren absolviert hatte.²⁷ Dennoch muss es für Manfred Schröter und Ludwig Dehio noch ungewiss gewesen sein, ob die HZ „in strikter Beachtung aller Gesetze, Befehle, Verfügungen und Anweisungen der Militärregierung“ erscheinen könnte, wofür auch Rundschreiben Nr. 19 den Lizenzträger „der Militärregierung gegenüber allein und vollständig verantwortlich“ erklärte.²⁸ Deshalb holten sie zur Absicherung die im Februar 1949 erteilte Genehmigung²⁹ ein und machten damit den letzten entscheidenden Schritt zum Wiedererscheinen der HZ im Mai 1949.³⁰
5.1.1 Voraussetzungen eines Neuanfangs Ludwig Dehio war zu diesem Zeitpunkt Archivar und ein geschichtswissenschaftlicher Außenseiter, der sich in den 1920er Jahren dem Meinecke-Kreis angeschlossen hatte und in der NS-Zeit als „Vierteljude“ ohne Lehr- und Publika-
Vgl. oben, Anmerkung 13 auf S. 354, ausführlicher unten, Abschnitt 5.2.1 ab S. 368. Siehe den insgesamt neunseitigen Fragebogen in BWA F5/1208: Ludwig Dehio: Military Government of Germany. Fragebogen (mit Anlagen), Marburg 29.10.1946, 07.11.1946 und 12.03. 1947. HStAM 340 Dehio C, Kasten C6, Mappe HZ 1946 – 1952: Rundschreiben Nr. 19 Information Control Division an alle lizensierten Verleger in Bayern, München 04.08.1948 (Abschrift). BWA F5/1674: Brief Don C. Travis, Jr. an Manfred Schröter, München 10.02.1949. HStAM 340 Dehio C, Kasten C6, Mappe HZ 1946 – 1952: Brief Leibniz-Verlag an Ludwig Dehio, München 18.05.1949, lag einem vorausgelieferten Exemplar des ersten HZ-Heftes bei, die Auslieferung der regulären Auflage begann wenige Tage später.
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5 Neuanfang und Tradition der Historischen Zeitschrift 1945 – 1949
tionschancen im Archivdienst „überwintern“ konnte.³¹ Da Dehio nicht vom NSRegime kompromittiert war und bei Kriegsende in Marburg wohnte, erfüllte er die Anforderungen der Besatzungsbehörden, mit denen Wilhelm Oldenbourg 1947 Dehios Ernennung legitimierte, nämlich „dass der neue Herausgeber politisch ganz unbelastet und wenn irgend möglich in der amerikanischen Besatzungszone wohnhaft sein müsse.“³² Weitere Argumente für Dehios Eignung, einen zentralen Posten der deutschen Geschichtswissenschaft auszufüllen, trug sein Nachfolger Theodor Schieder 1965 ex post zusammen: Dehios vielfältige Interessen seien von seinem berühmten Vater Georg Dehio und dessen Umfeld inspiriert worden,³³ der Filius sei zudem ein „Jünger Rankes und Burckhardts“ und seit langem eng mit Meinecke verbunden.³⁴ Der stete Verweis auf solche legitimierenden Umstände unterstreicht, dass Dehio überraschend und unter besonderen Umständen zum HZ-Herausgeber erkoren wurde.³⁵ Gall: 150 Jahre HZ, S. 6; grundlegend zu Dehio: Thomas Beckers: Abkehr von Preußen. Ludwig Dehio und die deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, Aichach 2001; vgl. Volker R. Berghahn: Ludwig Dehio; in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Deutsche Historiker, Band 4, Göttingen 1972, S. 97– 116; Theodor Schieder: Ludwig Dehio zum Gedächtnis 1888 – 1963; in: HZ 201 (1965), S. 1– 12; Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 87– 109. BWA F5/1644: Brief Wilhelm Oldenbourg an Paul Kluke, [München] 24.02.1947. Schieder: Ludwig Dehio, S. 2. Gall: 150 Jahre HZ, S. 5, verstärkt diese Legitimation qua Abstammung noch, indem er den ersten Nachkriegsherausgeber der HZ vorstellt als „Sohn des bekannten Kunsthistorikers Georg Dehio, Ludwig Dehio,“ noch bevor er irgend etwas anderes über ihn sagt. Keine Erwähnung findet in diesem Zusammenhang bei Schieder wie bei Gall Dehios Großvater mütterlicherseits, Ludwig Friedländer, der bei seiner Emeritierung 1892 zugleich mit seiner Tochter Charlotte und seinem Schwiegersohn Georg Dehio nach Straßburg zog, wo er bis zu seinem Tod 1909, also während Ludwig Dehios Schulzeit und der ersten Zeit seines Geschichtsstudiums, in enger Verbindung mit der Familie seiner Tochter lebte. Paul Stengel: Friedländer, Ludwig Heinrich; in: Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog, Band 15 (1910), Berlin 1913, S. 221– 237, besonders S. 233 f. Wenn Dehio „durch sein Vaterhaus und den Kreis um Georg Dehio in Straßburg“ (Schieder: Ludwig Dehio, S. 2) geprägt wurde, dann war das zugleich der Kreis um seinen Großvater Ludwig Friedländer. Letzterer wird aber als intellektuell prägende Figur verschwiegen. Die Bemerkung, „sein Großvater war der in Königsberg lehrende Altphilologe und Kulturhistoriker Ludwig Friedländer“, findet sich bei Gall: 150 Jahre HZ, S. 6, nur zur Begründung von Ludwig Dehios jüdischer Abstammung, ohne Hinweis darauf, dass Friedländer bis zu seinem Tod immer dort lebte, wo sein Enkel Ludwig Dehio aufwuchs. Diese verschleierte Prägung verdeutlicht, dass die Erwähnung von Georg Dehio einer Legitimierung Ludwig Dehios diente, die durch die Erwähnung des ebenso berühmten Großvaters jüdischer Abstammung nicht konterkariert werden sollte. Schieder: Ludwig Dehio, S. 2. Vgl. unten, Abschnitt 5.2.2 ab S. 374. Dehio selbst war überzeugt, dass Gerhard Ritter „unter normalen Umständen doch wohl der gegebene Redakteur der H.Z. sein würde, nachseiner[sic] wissenschaftlichen wie seiner charakterlichen Leistung in den letzten Jahren“. BWA F5/1208, Brief Ludwig Dehio an Wilhelm Oldenbourg, Marburg 28.02.1946. Bei dieser Einschätzung stimmte
5.1 Ludwig Dehio als Herausgeber des Neuanfangs
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Zusammenfassend lassen sich vier Ursachen für die Überraschung benennen, dass mit Dehio ein Außenseiter eine Schlüsselposition der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft übernehmen konnte. Sie trafen so nur in der unmittelbaren Nachkriegszeit zusammen: 1. Schulzugehörigkeit: Friedrich Meinecke empfahl dem Verlag Dehio als seinen „Adoptivschüler“.³⁶ Zwar gehörte Dehio nicht durch die Betreuung seiner Doktorarbeit zur Meinecke-Schule – er entstammte vielmehr der mediävistischen Schule Harry Bresslaus³⁷ –, doch er vernetzte sich seit den 1920er Jahren eng in Meineckes Umfeld, so dass ihm zu Recht „Anschluß an die Berliner Historikerschule“ attestiert werden konnte.³⁸ 2. Verlagsinteressen: Daher konnte der Oldenbourg-Verlag mit Dehios Ernennung die Legitimität der Herausgeberschaft Meineckes auf dessen – indirekten – Nachfolger übertragen und so die bis auf Heinrich von Sybel zurückreichende Kontinuität wahren, der man einige symbolische Bedeutung zumaß.³⁹ Dafür war man bereit, auf den angesehensten deutschen Historiker seiner Generation, Gerhard Ritter, als Herausgeber zu verzichten, was viele Historiker überraschte.⁴⁰ Der Verlag entschied sich auch deshalb für Dehio, weil dieser sich kooperativ und bescheiden zeigte und die Sympathien der Verlagsleitung von Anfang an durch ideologische und habituelle Übereinstimmungen gewann.⁴¹ 3. Besatzungsbedingungen: Den Ansprüchen der Besatzungsbehörden entsprach Dehio, da er als „Vierteljude“ im Nationalsozialismus unkompromittiert geblieben war.⁴² Für den Oldenbourg-Verlag war das zunächst eine Notwendigkeit, um überhaupt Aussichten auf eine Lizenzerteilung zu haben.
ihm Meinecke zu: BWA F5/1208, Brief Ludwig Dehio an [Wilhelm Oldenbourg], Marburg 03.04. 1946. Zu den Ambitionen Gerhard Ritters auf die HZ-Herausgeberschaft siehe auch Cornelißen: Herausgeber in schwierigen Zeiten. Die Bezeichnung stammt von Siegfried A. Kaehler, siehe Beckers: Abkehr von Preußen, S. 30. Ebenda, S. 14. Schieder: Ludwig Dehio, S. 2. Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 88, sah die lange und enge Verbindung noch nicht, da er sein Augenmerk auf die Korrespondenz richtete und daher erst „während des Zweiten Weltkriegs […] einen näheren Austausch“ zwischen Meinecke und Dehio konstatierte. Vgl. unten, Abschnitt 5.2.1 ab S. 368. Siehe oben, Anmerkung 35 auf S. 358 f. BWA F5/1208: Brief [Manfred Schröter] an Ludwig Dehio, [ohne Ort] 04.10.1946. Mit Manfred Schröter führte Dehio einen intensiven und persönlichen Briefwechsel, von dem sich auch in Dehios Nachlass, HStAM 340 Dehio C, Kasten C6, einige Stücke finden, die in BWA F5/1208 nicht enthalten sind. Vgl. unten, Abschnitt 5.2.2 ab S. 374. Vgl. Beckers: Abkehr von Preußen, S. 83 f.; Gall: 150 Jahre HZ, S. 6.
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4.
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Zudem konnte Dehio ab 1946 in traditionskritischen und ausgesprochen proamerikanischen Artikeln seine im Krieg entwickelte Position ausdrücken, die den Zielen der Besatzungsbehörden entgegenkam.⁴³ Zunftausschaltung: Die Historikerzunft war in der ersten Nachkriegszeit aller Einspruchsmöglichkeiten beraubt. Sie war institutionell aufgelöst, und zunächst war noch völlig unklar, wer unter Besatzungsherrschaft überhaupt wieder als Historiker arbeiten können würde.⁴⁴ Zudem konnte die Zunft Dehio durch seine Herkunft aus der Ranke-Schule und seine Integration in den Meinecke-Kreis weitgehend als einen der Ihren ansehen.
Das nicht nur für Dehio unerwartete Angebot des Verlegers Wilhelm Oldenbourg, das ihn zum ersten Nachkriegsherausgeber der HZ machte, symbolisierte einen Neuanfang der Zeitschrift. Dieser war nach Dehios Einschätzung dadurch nötig geworden, dass „nur sehr Wenige ohne Schuld und Fehle bewahrt die kindlich reine Seele“,⁴⁵ wie er es mit Schiller ausdrückte. Diese Neuanfangs-Symbolik machte jedoch angesichts der Traditions-Orientierung des Verlags und der Historikerzunft weitergehende Erklärungen und Rechtfertigungen erforderlich: Bevor ich in Abschnitt 5.2 näher auf diese Legitimationsweisen für den Neuanfang der HZ eingehe, erläutere ich im folgenden Abschnitt, inwiefern Dehios Ideen zum Neuanfang der HZ zwar wesentliche Veränderungen brachten, diese aber letztlich auf die Wiederherstellung vergangener Zustände in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft hinausliefen.
5.1.2 Dehios Neuorientierungs-Pläne Dehios Position war inhaltlich konträr zu einigen in der Nachkriegsgeschichtswissenschaft verbreiteten Überzeugungen. Dass Dehio Geschichtswissenschaft für eine politische Angelegenheit hielt, widersprach etwa der verbreitetsten geschichtswissenschaftlichen Entlastungsstrategie nach dem Nationalsozialismus: Die Geschichtswissenschaft sei reine Wissenschaft geblieben und habe ihre Objektivitäts-Grundsätze stets gewahrt. Dass Dehio den Nationalstaat als historisch
Vgl. Beckers: Abkehr von Preußen, S. 32 und öfter. Vgl. die Übersicht zur Entnazifizierung von Historikern in Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 121– 130. Die Unklarheit drückt beispielsweise aus: BWA F5/1644: Postkarte Walther Kienast an [Wilhelm Oldenbourg], Marburg 04.10.1945. BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an [Wilhelm Oldenbourg], Marburg 03.04.1946.
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überholt und den Machtstaat als gefährlich ansah, widersprach ebenfalls der deutschen geschichtswissenschaftlichen Tradition.⁴⁶ In Dehios Plänen für die HZ schlug sich deutlich nieder, dass er von Anfang an die Notwendigkeit eines Neuanfangs der deutschen Geschichtswissenschaft vertrat: Von 1946 bis zum Erscheinen der ersten Nachkriegs-Ausgabe 1949 entwickelte Dehio ein Konzept für die Nachkriegs-HZ, das eine starke internationale Orientierung vorsah. Die Probleme der deutschen Geschichtswissenschaft diagnostizierte er in einem nicht gedruckten Entwurf des Vorworts zur Neuausgabe in Form einer Klage über „die Verkümmerung unserer Wissenschaft, Folge von Unterbindung freier Themenwahl und Diskussion, Abschnürung vom Auslande, Emigration, Behinderung des Nachwuchses in der Heimat, seiner Dezimierung im Felde, endlich des nackten Elendes als der Hinterlassenschaft der Katastrophe.“⁴⁷ Daher fand Dehio es notwendig, zuerst Aufsätze zu publizieren, die keine herkömmlichen Detailuntersuchungen sein sollten, sondern Konsequenzen aus der „vollkommensten Katastrophe Deutschlands“⁴⁸ zögen und den Bedarf der deutschen Geschichtswissenschaft an grundlegender Neuorientierung stillten.⁴⁹ Zu den zentralen Aufgaben der künftigen HZ aber zählte er, die internationale Isolation der deutschen Historiker aufzuheben, die bei Kriegsende als total empfunden worden war.⁵⁰ Der Anschluss an das Ausland sei schon lange in Gefahr gewesen und durch den Zweiten Weltkrieg vollends verloren gegangen. Dass Dehio für die deutschsprachige Geschichtswissenschaft den „Anschluß an das geistige Stromnetz der Welt wiederherstellen“⁵¹ wollte, war auch sein für die Gastprofessoren und ihre Rezeption in der HZ entscheidender Programmpunkt.
Vgl. Beckers: Abkehr von Preußen, v. a. S. 22– 56. HStAM 340 Dehio C, Kasten C6: Entwurf eines Vorwortes für die HZ 1949; hier zitiert nach der Edition von Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 101– 104, Zitat S. 102. Ludwig Dehio: Geleitwort zum Wiedererscheinen der Historischen Zeitschrift; in: HZ 169 (1949), S. [V]–[VII], hier S. [VI]. BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an Wilhelm Oldenbourg, Marburg 28.02.1946: „Unklar ist erst recht die geistige Lage unserer Wissenschaft: was kann, was soll sie erstreben? […] die neuere Geschichte ist ja ganz besonders zur Neubesinnung aufgefordert.“ Vgl. BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an [Wilhelm Oldenbourg], Marburg 03.04.1946. Indem er dort aus Friedrich Schillers Ballade Die Kraniche des Ibykus zitiert, deutet Dehio an, dass sich die meisten deutschen Historiker nicht mit solchen programmatischen Aufsätzen exponieren dürften, da die Rachegöttinnen (Erynnien) sonst ihre Untaten enthüllen würden. Im auf Juli 1947 datierten Geleitwort des ersten Nachkriegsheftes der HZ betont Dehio, dass der Erfolg der Zeitschrift davon abhänge, „ob sich langjährige Abschnürung überwinden […] läßt.“ Dehio: Geleitwort, S. [VII]. Ebenda.
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Zwei Mittel schienen zur Bekämpfung der Isolation geeignet: Erstens erwog Dehio, erstmals ausländische Historiker um Aufsätze für die HZ zu bitten.⁵² Zweitens strebte er den „Anschluß an die historisch-politische Literatur des Auslandes“⁵³ durch Besprechungen und Literaturberichte an. Fremdsprachige – oder auf Verlagskosten übersetzte – Aufsätze waren aus Rücksichtnahme auf die HZ-Tradition, die angenommenen Lesererwartungen und die Herstellungskosten nicht realisierbar. Allerdings bat Dehio 1947 die Emigranten Hans Rothfels und Hajo Holborn um Aufsätze für die HZ,⁵⁴ was ihm als Kompromiss zwischen Einladung und Nichtberücksichtigung fremdsprachiger Historiker erschienen sein dürfte: Rothfels und Holborn waren Experten für Deutsche Geschichte, konnten in deutscher Muttersprache schreiben und dennoch eine Perspektive vermitteln, die über die von Dehio als sehr begrenzt angesehene deutsche Sichtweise hinausging. Beide Meinecke-Schüler hatten schon in der Weimarer Zeit Ansehen innerhalb der Zunft genossen und in den USA bereits Professuren erhalten.⁵⁵ Beide gaben ihm „prinzipielle Zusagen“,⁵⁶ kamen letztlich aber nur anlässlich der Meinecke-Festausgabe 1952 mit Aufsätzen in der HZ zu Wort.⁵⁷ Dagegen gehörten ehemals dem Nationalsozialismus nahestehende Historiker weiter zu den Stammautoren der HZ.⁵⁸ Wie Andreas Fahrmeir 2009 bilanzierte, „scheiterte der wohl nur halbherzig unternommene Versuch, die Zeitschrift durch Publikation von Aufsätzen ausländischer Historiker, die sich auf Vortragstournee in Deutschland befanden oder dort Kongresse besucht hatten, zu internationalisieren“.⁵⁹
BWA F5/1208: Brief Manfred Schröter an Ludwig Dehio, München 04.03.1947. BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an Manfred Schröter, Marburg 12.03.1947. Dehio nennt dies eine Notwendigkeit, die er schon früher betont hatte, etwa im Herbst 1946: „Die Auseinandersetzung mit der modernen Literatur des Auslandes wird eine Hauptaufgabe auch der Historie sein: noch ist sie in Deutschland unerreichbar – noch sind nicht einmal die geretteten einheimischen Bücherbestände voll benutzbar.“ BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an [Wilhelm Oldenbourg], Marburg 11.09.1946. BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an [den Leibniz-Verlag], Marburg 22.11.1947. Vgl. oben, Abschnitt 2.5.1 auf S. 151 f. und Abschnitt 4.2.4 auf S. 268 f. BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an [den Leibniz-Verlag], Marburg 22.11.1947. Hans Rothfels: Grundsätzliches zum Problem der Nationalität; in: HZ 174 (1952), S. 339 – 358; Hajo Holborn: Der deutsche Idealismus in sozialgeschichtlicher Beleuchtung; in: HZ 174 (1952), S. 359 – 384. Rothfels publizierte später einige Rezensionen in der HZ, sowie einen Nachruf auf Holborn: Hans Rothfels: Hajo Holborn †; in: HZ 210 (1970), S. 257– 259. Andreas Fahrmeir: Ort des Konsenses oder Historische Streitschrift? Zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts in der Historischen Zeitschrift; in: HZ 289 (2009), S. 199 – 222, hier S. 204 f.; vgl. Gall: 150 Jahre HZ, S. 14, wo die Frage der Emigranten weitestgehend außen vor bleibt. Vgl. unten, Abschnitt 5.2.3 ab S. 383. Fahrmeir: Ort des Konsenses, S. 210.
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Keine Abstriche machte Dehio hingegen, was „die überaus wichtige Frage der Besprechung ausländischer Literatur“⁶⁰ anging. Er versuchte frühzeitig, „Spezialreferenten zu gewinnen“, „die ein besonderes Geschick in der Überwindung dieser Bücherschwierigkeiten zu entfalten vermögen.“⁶¹ Besprechungen ausländischer Werke waren in der Nachkriegszeit umso wichtiger, da die schwer zugänglichen Bücher in Deutschland nicht erhältlich waren.⁶² Emigranten wie Holborn versprachen auch Unterstützung bei der „Beschaffung von Rezensionsexemplaren“.⁶³ Mit diesem Anliegen stand Dehio nicht allein. Sein Freund Walther Kienast,⁶⁴ der seit 1927 am HZ-Rezensionsteil mitgearbeitet hatte und im August 1948 – nach erfolgter Entnazifizierung – wieder mit dieser Aufgabe betraut wurde, unterstützte schon 1947 die Forderung, besonders ausländische Literatur zu rezensieren. Kienast, der bis 1968 den Rezensionsteil verantwortete, formulierte in einem Brief über die generelle Zukunft der HZ an Wilhelm Oldenbourg: „[E]s kommt allg[emein] darauf an, daß die Verbindung mit dem Auslande wieder hergestellt wird. Die 1. Nummer muß ausführliche Berichte über wichtigste Erscheinungen der Kriegsjahre in USA, England usw. bringen. Nur dadurch gewinnt sie Existenzberechtigung.“⁶⁵
Die Isolation erlebten auch andere Historiker als schmerzlich: Paul Kluke etwa wandte sich an Wilhelm Oldenbourg, um diesem seine Ansprüche an die künftige HZ mitzuteilen. Er wünschte, „dass die Zeitschrift wesentlich beitrüge, endlich die wissenschaftliche Isolierung des letzten Jahrzehnts zu überwinden, uns wieder Anschluss an die inzwischen erschienene und besonders demnächst zu erwartende wissenschaftliche und historisch-politische Literatur des Auslandes in ausgedehnter Rezension, in umfassenden Literaturberichten, evtl. auszugsweiser Widergabe [sic] (bei der Schwierigkeit einer Buchbeschaffung von draussen für breitere Kreise) und kritischen Auseinandersetzungen in Aufsätzen zu verschaffen“.⁶⁶ Wilhelm Oldenbourg, der sein „Lieblingskind“ HZ und ihre Herausgeber
BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an [den Leibniz-Verlag], Marburg 22.11.1947. BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an Manfred Schröter, Marburg 12.03.1947; vgl. oben, Anmerkung 53 auf S. 262. BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an [den Leibniz-Verlag], Marburg 22.11.1947: „Übrigens werden die Anzeigen ausländischer Literatur ausführlicher zu halten sein als bisher, um dem Leser, der sich das angezeigte Buch nur schwer wird beschaffen können, ein wirkliches Bild seines Inhaltes zu vermitteln.“ Ebenda. Zu Kienast vgl. unten, Abschnitt 5.2.1 ab S. 368. BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an [Wilhelm Oldenbourg], Marburg 18.05.1947. BWA F5/1644: Brief Paul Kluke an Wilhelm Oldenbourg, Berlin-Lichtenrade 04.02.1947.
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auch als Altverleger intensiv selbst betreute, stimmte Kluke zu. Aus Verlegerperspektive wog zu diesem Zeitpunkt allerdings der Einwand der Praktikabilität schwer: „Aber gerade der Anschluss an die inzwischen erschienene und demnächst zu erwartende historisch-politische Literatur dürfte vorläufig schwer herzustellen sein, da die ausländische Literatur noch nicht zu beschaffen und der Austausch mit wissenschaftlichen Zeitschriften des Auslandes noch nicht in Gang zu bringen ist.“⁶⁷
Die Korrespondenz mit Kluke kursierte unter den an der HZ Beteiligten und bestärkte sie 1947 in ihren Bemühungen.⁶⁸ Nicht zuletzt lagen die Bemühungen um die Re-Integration der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft in die internationale scientific community aber auch im Interesse des Verlags, der für die führende Rolle der HZ in diesem Prozess auch finanzielle Beiträge zu leisten bereit war.⁶⁹ Denn wenn die HZ wieder als Fachzeitschrift von internationaler Geltung etabliert werden konnte, würde das ihre Stellung als maßgebliches Blatt der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft festigen und damit schließlich auch Abonnenten garantieren.⁷⁰
BWA F5/1644: Brief Wilhelm Oldenbourg an Paul Kluke, [München] 24.02.1947. Dehio bezog sich in seinem nächsten Brief auf Klukes Ausführungen: BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an Manfred Schröter, Marburg 12.03.1947. In der Korrespondenzakte von Wilhelm Oldenbourg mit Walther Kienast wurde der Briefwechsel zwischen Kluke und Oldenbourg schließlich abgelegt. Daher kann angenommen werden, dass ihn zuletzt Kienast nach München zurück schickte. Insbesondere Gratislieferungen und verbilligte Abonnements gewährte der Verlag auf Bitten der Herausgeber ins europäische Ausland. In Spanien etwa warb für das Wiedererscheinen der HZ Richard Konetzke, „der uns dort schon sehr geholfen hat“ und zusätzlich zu Mitarbeiterhonoraren „Heft 2 und 3 des laufenden Bandes dafür gratis“ erhalten sollte, BWA F5/1613: Brief Walther Kienast an den Verlag R. Oldenbourg, Marburg 15.12.1949; F5/1644: Brief Walther Kienast an den Verlag R. Oldenbourg, Marburg 20.04.1949. In London förderte die Wiedereinführung der HZ Francis L. Carsten, BWA F5/1613: Brief Walther Kienast an den Verlag R. Oldenbourg, Marburg 29.12.1949. Heinrich von Srbik erhielt bis zu seinem Tod ein Freiexemplar der HZ mit der Begründung: „Herr v. Srbik ist für unsere Beziehungen nach Österreich noch immer sehr wichtig.“ BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an den Leibniz-Verlag, Marburg 08.08.1949; vgl. BWA F5/ 1613: Brief Walther Kienast an Verlag Oldenbourg, Expedition, Frankfurt 31.03.1951. Neben einer Reihe deutscher Adressaten empfahl Kienast das HZ-Abonnement zu Mitarbeiterpreisen für namhafte ausländische Historiker wie Ronald Syme in Oxford und Hans Van Werveke in Gent, auch wenn „freilich die Mitarbeit lange zurück“ lag, BWA F5/1613: Brief Walther Kienast an den Leibniz-Verlag, Marburg 21.07.1949. Entsprechend wies der Verlag Vorwürfe, die HZ im Ausland nicht hinreichend bekannt zu machen, entschieden zurück: „Wir haben in den letzten Monaten weit über 20 000 Prospekte verteilt. Das lässt schliesslich nicht auf mangelnde Aktivität schliessen. Wir haben die Zeitschrift
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Bei der Einwerbung von Besprechungen aus dem Ausland konnte die HZ zunächst einige Erfolge verbuchen. Emigranten sandten aus dem Exil Rezensionen ein; Remigranten aktivierten ihre Auslandskontakte. Auch nach 1945 erst ins Ausland gegangene Historiker trugen – etwa aus Schweden oder Spanien – dazu bei, dass die ersten HZ-Hefte zahlreiche Informationen zu fremdsprachigen Werken enthielten.⁷¹ Damit gelang es der HZ zumindest in Ansätzen, ihren Lesern
dem Buchhandel im In- und Ausland angeboten. […] Dass von der HZ im Ausland überhaupt nichts bekannt sei, müssen wir energisch bestreiten. Die genauen Zahlen, der nach dem Ausland gehenden Stücke ist [sic] niemals festzustellen, da die Export- und Importwege sehr verschieden und kaum erfassbar sind. Im Augenblick liefern wir aber von der HZ an eine einzige Buchhandlung in New York 42 Stücke. Eine deutsche Exportfirma liefert nach USA allein 16 Stücke. Das ist wesentlich mehr als wir vor dem Kriege in USA Bezieher nachweisen konnten. Ähnliche Feststellungen müssen wir auch mit anderen Ländern machen.“ BWA F5/1644: Brief Horst Kliemann an Walther Kienast, [München] 14.07.1949. – Vergleichbar zur Strategie der Sicherung symbolischen Kapitals durch Anerkennung im Ausland wären etwa Versuche, durch eine enge Verbindung zum Verband der Historiker Deutschlands oder zum Verband der Geschichtslehrer Deutschlands eine quasi-offizielle Stellung der HZ zu erzeugen. Davon zeugen in der Nachkriegszeit etwa offizielle oder halboffizielle Mitteilungen des Historikerverbandes und von Historikertagen, etwa Historiker-Tagung; in: HZ 169 (1949), S. 452 f., oder Walther Kienast: 20. Versammlung deutscher Historiker in München. 12.–15. Sept. 1949; in: HZ 169 (1949), S. 668 – 670. In diesem Bereich konnte sich allerdings die 1950 – 2008 vom Geschichtslehrerverband getragene Zeitschrift Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (GWU) durchsetzen. – Die Verbreitung der HZ im Ausland war stets von hohem Interesse für Verlag und Herausgeber, so dass sie trotz verschlungener Exportwege zahlreiche nähere Informationen dazu sammelten und diskutierten, etwa die detaillierte dreiseitige Statistik von Oldenbourgs Zeitschriften-Auslieferung, in der die Lieferwege von 902 ausgelieferten HZ-Exemplaren genau aufgeschlüsselt sind: HStAM 340 Dehio C, Kasten C6, Mappe HZ 1946 – 1952: Aufstellung ‚Historische Zeitschrift ‘, [München] 18.07.1952. Demnach überschritt mit mindestens 319 Auslandsexemplaren mehr als ein Drittel der Auflage die Grenzen (einschließlich 17 in die „Ostzone“ gelieferte Stück), davon gingen allein 76 in die USA. – Aufgrund der guten Verbreitung im Ausland galt es nach einigen Jahren wieder als zur Kooperation mit der HZ nötigendes Argument für Verlage, „daß sie sich selbst schaden, wenn sie ihre Neuerscheinungen, soweit sie die historische Fachwissenschaft betreffen, nicht in dem seit hundert Jahren bestehenden, führenden Organ Deutschlands besprechen lassen? Auch deshalb, weil es im Ausland großes Ansehen genießt.“ BWA F5/1613: Brief Walther Kienast an Horst Kliemann, Frankfurt am Main 20.02.1958. Hinsichtlich der Emigrantenbeteiligung konnte Dehio Anfang 1948 berichten, Arnold Bergstraesser und Hans Rothfels würden sich mit Anzeigen beteiligen; Dehios remigrierter Marburger Kollege Werner Milch solle bei einer London-Reise seine dortigen Beziehungen nutzen; Gerhard Ritter solle sich um die Beziehungen nach Frankreich bemühen. Von einem nach 1945 nach Schweden gegangenen, zuvor nationalsozialistischen Historiker konnte Dehio berichten, dass „Dr. Schieche uns aus Stockholm gute Sammelreferate über auswärtige Neuerscheinungen einsendet“. Insgesamt war Dehio bemüht, „nichts zu versäumen, was die Gewinnung von Anzeigen ausländischer Literatur angeht“. BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an Manfred Schröter, Marburg 09.02.1948. Zu Emil Schieche: Eduard Mühle: Hermann Aubin, der „Deutsche Osten“ und der
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„ein Spiegelbild der geschichtswissenschaftlichen Arbeit des Inlandes wie des Auslandes dar[zu]bieten. Des Auslandes nach Lage der Dinge mit besonderer Betonung!“⁷² Letzterer Wunsch Dehios aus seinem Geleitwort blieb stets eine Herausforderung, obwohl auch die transatlantischen Gastprofessoren in den folgenden Jahren viele Rezensionen einreichten und damit deutschsprachigen Historikern fremdsprachige Werke vorstellten. Auch Emigranten profitierten davon, deren Werke in der HZ besprochen und einem breiteren Publikum in Deutschland bekannt gemacht wurden.⁷³ Mit seiner Westorientierung und seinen Neuanfangs-Bestrebungen war Dehio ein guter Multiplikator für die Westernisierung;⁷⁴ hinzu kam seine Verbindung mit der Meinecke-Schule, die zur verstärkten Beachtung der aus Meineckes Umfeld stammenden Emigranten durch die HZ führte. Auch umgekehrt bemerkten manche Emigranten wohlwollend die Entwicklung der HZ unter Dehio: „Es draengt mich, Sie insbesondere zu dem Wagnis, einer so durchgreifenden Revision des bisherigen publizistischen Stresemannbildes Aufnahme zu gewaehren, zu beglueckwuenschen. Sie haben damit wieder gezeigt, dass Sie sich von keinem andern Gradmesser als dem der unbedingten Objektivitaet leiten lassen, auch wenn die Ergebnisse einer soliden Untersuchung vielen Lesern liebgewonnene Idole umstuerzen.“⁷⁵
Das Interesse an der Historiographie der USA und Westeuropas, das sich durch die 1950er und 1960er Jahre hindurch positiv ausprägte, gehört zu den von Dehio forcierten Neuerungen, die auch nach seiner Ablösung durch Theodor Schieder fortwirkten. Insofern ist Winfried Schulzes skeptische Bewertung, „daß Ludwig Dehio das anspruchsvolle Projekt einer wirklich ‚neuen‘ Historischen Zeitschrift nicht realisieren konnte“,⁷⁶ zu relativieren: Dehio konnte zwar keine Veränderung
Nationalsozialismus. Deutungen seines akademischen Wirkens im Dritten Reich; in: Hartmut Lehmann/Otto Gerhard Oexle (Hg.): Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften, Band 1: Fächer – Milieus – Karrieren, Göttingen 2004, S. 531– 591, besonders S. 564; Bernhart Jähnig: Emil Schieche. Geb. 10. 11. 1901 in Wien, gest. 28. 2. 1985 in Stockholm; in: Preußenland 25 (1987), S. 62. Dehio: Geleitwort, S. [VII]. Vgl. ausführlich unten, Kapitel 7 ab S. 466. Vgl. Beckers: Abkehr von Preußen, S. 32– 35. HStAM 340 Dehio C, Kasten C9, Mappe E: Brief Fritz T. Epstein an Ludwig Dehio, Washington 24.06.1956. Epstein bezieht sich auf die Publikation von Annelise Thimme: Gustav Stresemann. Legende und Wirklichkeit; in: HZ 181 (1956), S. 287– 338, die zur Stresemann-Kontroverse zählt, zusammengefasst in Thimme: Einmal um die Uhr, besonders S. 63 – 75, siehe oben, Anmerkung 90 auf S. 236. Vgl. auch die positive Bewertung der neuen HZ durch den amerikanischen Historiker Guy Stanton Ford, zitiert in: HStAM 340 Dehio C, Kasten C6, Mappe HZ: Anlage zum Brief Wilhelm Oldenbourg an Ludwig Dehio, München 16.10.1952. Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 97.
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gegen eine Zeitströmung durchsetzen, die eine rasche Rückkehr zu einer geruhsamen Normalität favorisierte, wodurch sie den Nationalsozialismus als „revolutionären“ Ausnahmezustand hinter sich lassen wollte. Doch zur Normalität gehörte auch die Orientierung der nationalen Wissenschaftler-Gemeinschaften an ihren ausländischen Gegenstücken als „Teil der gesellschaftlich-politischen Selbstvergewisserung der europäischen Gesellschaften und Nationalstaaten“.⁷⁷ Interkulturellen Transfers wie diesen konnten dabei verschiedene Funktionen zukommen: „Sie konnten dazu dienen, konkretes soziales und politisches Handeln oder Reden zu legitimieren oder in Frage zu stellen, und boten in festgefahrenen Situationen möglicherweise eine Handlungsalternative an. Ferner motivierte das nationalstaatliche Konkurrenzdenken die gegenseitige Beobachtung und gegebenenfalls Aneignung oder Abwehr.“⁷⁸
Seit 1914 war diese Praxis aus dem Gleichgewicht geraten. In Verbindung mit der für entschiedene Westorientierung eintretenden Zeitströmung vermochte Dehio als HZ-Herausgeber daran mitzuwirken, auch die deutsche Geschichtswissenschaft auf Westeuropa und vor allem die USA affirmativ auszurichten. Dass die deutschsprachige Geschichtswissenschaft 1945 zumindest als festgefahren anzusehen war und eine nachholende Aneignung westlicher Entwicklungen zur Überwindung dieser Lage erforderlich sein würde, wäre wohl von den Zeitgenossen nicht bestritten worden. Zuerst bestimmten zwar Ressentiments das Bild, doch zunehmend waren positive Bezugnahmen auf die westlichen Historiographien festzustellen, wovon auch die Bewertungen der als Gastprofessoren zurückkehrenden Emigranten profitierten.⁷⁹ So konnte Dehio kurz nach seinem 70. Geburtstag gegenüber dem Verleger zufrieden auf seine HZ-Herausgeberschaft zurückblicken – mit besonderer Betonung des (westlichen) Auslandes: „Es ist mir […] herzliche Genugtuung zu wissen, daß meine Herausgeberschaft Ihrer geliebten Historischen Zeitschrift Sie nicht enttäuscht hat. Natürlich mußte ich es als meine vornehmste Aufgabe empfinden das Ansehen unserer Geschichtswissenschaft, das so tief abgesunken war, vor allem auch in den Augen des Auslandes herzustellen, soweit die Redaction der wichtigsten Fachzeitschrift dazu beitragen konnte. Es hätte leicht geschehen können – und mich bedrückte diese Eventualität –, daß dabei der Absatz der Zeitschrift im Inlande und überhaupt das geschäftliche Interesse des Verlages Schaden genommen hätte.
Paulmann: Vergleich und Transfer, S. 680. Ebenda. Siehe unten, Kapitel 7 ab S. 466 und vgl. Matthias Krämer: Emigrierte Historiker und die Historische Zeitschrift ab 1949. Rezensionen als Quellen der Wissenschaftsgeschichte; in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 21 (2010), Heft 3, S. 174– 211.
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Das[s] es nicht der Fall gewesen und daß die zunehmenden Abonnements des Auslandes die unvermeidlichen inländischen Lücken ausfüllen konnten, bereitete mir eine große Beruhigung und ich zweifle nicht, daß unter der geschickten Leitung meines Nachfolgers Ihr Lieblingskind sich erst recht kräftig weiter entwickeln wird.“⁸⁰
Demnach verstand sich Dehios Neuorientierungskonzept der HZ weniger als Programm zur Modernisierung der deutschen Geschichtswissenschaft, sondern nahm vielmehr Orientierung an den und Anpassung an die westlichen Historiographien in Angriff, um „das Ansehen unserer Geschichtswissenschaft“ wiederherzustellen, also durch Reformen zum idealisierten Zustand der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückzukehren. Auf diesen Impetus zum Zurückdrehen des Rades, zur Rückbesinnung auf die deutsche Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, verweisen auch die zahlreichen Bezugnahmen auf Kontinuität als zentraler Legitimationsressource in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft, um die es im Folgenden gehen soll.
5.2 Traditionsorientierung und Legitimation der Historischen Zeitschrift 5.2.1 Kontinuität der Herausgeberschaft: Walther Kienast Die Kontinuität der HZ über das Kriegsende hinweg repräsentiert besonders bezeichnend Walther Kienast.⁸¹ Er hatte 1927 unter der Herausgeberschaft Friedrich
BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an [Wilhelm Oldenbourg], Marburg 06.09.1958. Interpunktion wie im Original. Die wichtigste biographische Schrift zu Kienast ist Peter Herde: Walther Kienast. (31. Dezember 1896 – 17. Mai 1985); in: Walther Kienast: Die fränkische Vasallität von den Hausmeiern bis zu Ludwig dem Kind und Karl dem Einfältigen, hg. von Peter Herde, Frankfurt am Main 1990, S. XI– XLIV. Die HZ, in der im August 1984 noch ein langer Aufsatz Kienasts als ausgegliederter Teil der vorgenannten Vasallitätsschrift erschienen war, vermerkte seinen Tod nicht, womöglich weil sein langjähriger Mitherausgeber Theodor Schieder bereits einige Monate vor Kienast gestorben war; vgl. Walther Kienast: Gefolgswesen und Patrocinium im spanischen Westgotenreich; in: HZ 239 (1984), S. 23 – 75; Lothar Gall: Theodor Schieder. 1908 – 1984; in: HZ 241 (1985), S. 1– 25. Dass Kienast trotz Anerkennung in der Zunft einigermaßen isoliert war, außerdem aufgrund dreizehnjähriger Unterbrechung des Ordinariats und nach frühestmöglicher Emeritierung 1962 (Herde: Kienast, S. XXXII und XXXVI) ohne echten Schülerkreis, zeigt sich wohl auch daran, dass es der HZ 1966 trotz einigen Bemühens nicht gelungen war, eine fachliche Würdigung zu Kienasts 70. Geburtstag zu organisieren, so dass ersatzweise schließlich Schieder als Mitherausgeber einen zweieinhalbseitigen Glückwunsch formulierte und zusammen mit einem Porträtfoto Kienasts publizierte: Theodor Schieder: Walther Kienast zum 70. Geburtstag; in: HZ 203 (1966), S. 528 – 531;
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Meineckes die Redaktion des Rezensionsteils übernommen⁸² und nach Meineckes Rückzug 1935 auch unter Karl Alexander von Müller fortgeführt.⁸³ Kienast erledigte unter von Müllers Herausgeberschaft wahrscheinlich die meiste Arbeit an der HZ,⁸⁴ die er von Graz aus auch dann noch fortsetzte, als die Zeitschrift 1944 kriegsbedingt nicht mehr erschien. Er war der Zeitschrift und dem Verlag eng verbunden.⁸⁵ Dass Kienast 1945 in Marburg landete, kann wenigstens zum Teil der Tatsache zugeschrieben werden, dass es bei Kriegsende auch seinen Freund⁸⁶ Ludwig Dehio dorthin verschlagen hatte: Dieser hatte als Staatsarchivrat vor Kriegsende die Evakuierung preußischer Archivbestände von Berlin nach Marburg betreut und war dort geblieben. Als Anfang 1946 Dehios „dienstliche Position im großhessischen Archivwesen definitiv geregelt“⁸⁷ wurde, stieg er zum
darin, besonders S. 529, stilisiert Schieder Kienast zum Kontinuitätsgaranten, betont seine „Stetigkeit“, die „über allen Wandel der Zeiten hinweg“ die „wissenschaftliche Kontinuität“ gewahrt habe. – Nach der Absage des für eine Ehrung Kienasts angefragten belgischen Mediävisten François Louis Ganshof hatte sich Schieder „einigermaßen ratlos“ erklärt: „Nach einigen Gesprächen mit Fachkollegen glaube ich nicht, daß ich einen deutschen Historiker finden werde, der die vorgesehene Würdigung schreibt.“ BWA F5/1625: Brief Theodor Schieder an Karl von Cornides, Köln-Lindenthal 03.08.1966; fortwährend besprach man alternative Lösungen der peinlichen Lage, die jedoch im Sande verliefen, in BWA F5/1625: Brief Karl von Cornides an Theodor Schieder, München 17.08.1966; BWA F5/1625: Brief [Karl von Cornides] an Theodor Schieder, Wien 31.08. 1966; BWA F5/1625: Brief Theodor Schieder an Karl von Cornides, Köln-Lindenthal 07.09.1966. Zu Ganshof siehe Heinz Löwe: Nachruf François Louis Ganshof; in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 37 (1981), S. 339 – 341. BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an [Wilhelm Oldenbourg], Marburg 15.08.1948; laut Friedrich Meinecke: Mitteilung; in: HZ 136 (1927), S. 652, war die Bezeichnung von Kienasts Aufgabe als Nachfolger Dietrich Gerhards die „Redaktion des Literaturberichtes und der Notizen und Nachrichten“. Vgl. Ritter: Meinecke und Oldenbourg, S. 35. Wesolowski: Verleger und Verlagspolitik, S. 278 – 280. Wesolowski skizziert Kienast ebenda, S. 292– 294, als illoyal gegenüber Meinecke und mit deutlicher Nähe zu Walter Frank. Vgl. ebenda, S. 285, S. 292 und öfter; Ritter: Meinecke und Oldenbourg, S. 51. Seine enge Verbundenheit zur Zeitschrift und ihrem Verlag zeigte sich exemplarisch, als Kienast noch vor Kriegsende, Mitte April 1945, an die Verlagsmitarbeiterin „Fräulein Schweitzer“ schrieb, dass er aus Graz evakuiert sei und sich nach Kräften um die Sicherung der Manuskripte der HZ bemüht habe. BWA F5/1644: Postkarte Walther Kienast an Verlag Richard Oldenbourg, Pruggern bei Gröbming 15.04.1945. In Untergangsstimmung formulierte er weiter: „Vor uns die Sintflut. Ob und wie werden wir sie überleben? Von Frau und Kind (in Berlin oder Havelberg) bin ich seit Ende März ohne Nachricht und in großer Sorge. Am liebsten möchte ich versuchen mich noch nach Bln. [Berlin] durchzuschlagen. Sicher nehme ich Nordkurs, wenn die Russen die Donau auf[wärts] marschieren; vielleicht heischt dann bei Ihnen ein armer Flüchtling vorübergehend Obdach.“ Hervorhebung im Original unterstrichen. BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an Wilhelm Oldenbourg, Marburg 28.02.1946; BWA F5/ 1644: Brief Wilhelm Oldenbourg an die Deutsche Bank, Filiale München, München 05.07.1946. BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an Wilhelm Oldenbourg, Marburg 22.01.1946.
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5 Neuanfang und Tradition der Historischen Zeitschrift 1945 – 1949
Direktor des Staatsarchivs Marburg auf ⁸⁸ und konnte in dieser Funktion auch Räumlichkeiten für Kienast und seine Arbeit an der HZ zur Verfügung stellen.⁸⁹ In der Nachkriegszeit tauschte Kienast sich rege mit Wilhelm Oldenbourg, dem Senior-Chef, der bald wieder die Zügel im historischen Verlagsbereich in der Hand hielt, über die weiteren Entwicklungen in Sachen HZ aus, obwohl er wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft als Mitarbeiter zunächst nicht mehr in Frage kam.⁹⁰ Er besaß nicht nur die materiellen Bestände der HZ-Redaktion – zum Beispiel die Rezensentenkartei – die er in mehreren Kisten bei seiner Flucht von Graz nach Marburg mitgebracht hatte,⁹¹ sondern auch persönliche Kontakte zu früheren Mitarbeitern und das Know-how über die etablierten Verfahren zur Produktion der Zeitschrift. Beispielsweise erläuterte Kienast dem Verleger Anfang 1948 auf Anfrage die früheren Honorarsätze, etwa dass Rezensionen „seit der Brüningkrise honorarfrei [waren] (was damals als vorübergehende Maßnahme gedacht war).“⁹² Der Verlag war auf Kienasts Know-how angewiesen, da er im Bombenkrieg viele Geschäftsunterlagen verloren hatte.⁹³ So nutzte Oldenbourg die erste Gelegenheit nach Kienasts Entnazifizierung, um sich im August 1948 vom zwischenzeitlichen Mitarbeiter Anton Ritthaler zu trennen und Kienast in seine alte Position einzusetzen.⁹⁴ Zudem vertrat er die neuere Geschichte an der Universität. BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an Wilhelm Oldenbourg, Marburg 28.02.1946. Er lehnte aber das Ordinariat des suspendierten Wilhelm Mommsen ab, um nicht als „nichtarischer Konjunkturritter“ zu gelten. Gall: 150 Jahre HZ, S. 6. Vgl. etwa BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an [Wilhelm Oldenbourg], Marburg 09.04.1947, und BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an [Wilhelm Oldenbourg], Marburg 18.05.1947. In einer zweiseitigen autobiographischen Schilderung informierte Kienast 1952 Gerhard Masur auf dessen Anfrage hin darüber, „wie es mir in all diesen Jahren gegangen ist“, betonte dabei kurz seine eigenen Karriereschwierigkeiten im Nationalsozialismus und vor allem Unsicherheit und Leid unter Bombenkrieg und Besatzung: Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/60: Brief Walther Kienast an Gerhard Masur, Frankfurt 24.09.1952. BWA F5/1644: Postkarte Walther Kienast an [Wilhelm Oldenbourg], Marburg 04.10.1945; BWA F5/1208: Brief Wilhelm Oldenbourg an Ludwig Dehio, München 16.01.1946; BWA F5/1644: Brief Wilhelm Oldenbourg an Walther Kienast, [München] 03.04.1947. BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an [Wilhelm Oldenbourg], Marburg 09.04.1947. Kienast hatte die Kisten auf dem Dachboden der Marburger Universität gelagert. BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an [Wilhelm Oldenbourg], Berlin 19.01.1948. Kurz vor Fertigstellung des ersten Nachkriegsheftes der HZ erhielt der Verlag von Kienast auch einen alten Terminkalender, der zum Vorbild für die künftige Terminplanung der Zeitschriftenproduktion genommen werden sollte: BWA F5/1608: Aktennotiz Horst Kliemann, München 09.03. 1949. Darauf basierte dann etwa die Tabelle: HStAM 340 Dehio C, Kasten C6, Mappe HZ 1946 – 1952: Terminkalender für Historische Zeitschrift Bd. 170, [München] 12.04.1950. BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an [Wilhelm Oldenbourg], Marburg 15.08.1948. Karl Alexander von Müller empfahl Ritthaler 1946 an Wilhelm Oldenbourg „als tüchtigen und ge-
5.2 Traditionsorientierung und Legitimation der Historischen Zeitschrift
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Bereits Kienasts neuer Vertrag besagte, dass „Prof.Kienast die Herausgabe des Abschnittes Bericht über das Schrifttum (A Buchbesprechungen, B Anzeigen und Nachrichten) ab Band 169, Heft 1 der ‚Historischen Zeitschrift‘ (HZ)“⁹⁵ übertragen wurde. Bereits zu diesem Zeitpunkt war Kienast allein für den Rezensionsteil der HZ verantwortlich, er musste sich vertragsgemäß lediglich über „das Verhältnis des Umfangs von Aufsätzen und Schrifttum […] mit dem Herausgeber der Zeitschrift [also Dehio] verständigen.“⁹⁶ Sein Ziel, gleichberechtigter Mitherausgeber der HZ zu werden, verfolgte Kienast umgehend weiter und erreichte noch 1949 mit Unterstützung Dehios die Vereinbarung, dass er ab dem ersten Heft von Band 170 (1950) als Herausgeber auf dem Titelblatt erscheinen solle.⁹⁷ Den hohen Stellenwert, den die offizielle HZ-Mitherausgeberschaft für ihn hatte, unterstrich Kienast Ende 1949 nochmals: „[U]m gegenüber der Zunft nicht in eine schiefe Lage zu geraten, [muss ich] darauf sehen, daß ich jetzt auch äüßerlich[sic] in der HZ die Stellung bekomme, die ich bereits nach meiner Habilitation als Dozent bekommen hätte, wenn damals und seitdem nicht politische Gründe das verhindert hätten. So ist mir die Angelegenheit nicht unwichtig, obwohl tatsächlich durch meine Mitherausgeberschaft nicht das mindeste geändert würde. […] Politische Bedenken bestehen doch nicht mehr?“⁹⁸
Demnach hatte Kienast nach seiner Habilitation 1933 spätestens mit dem Ausscheiden Albert Brackmanns als Mitherausgeber der HZ 1935⁹⁹ die Aufgaben eines für den Rezensionsteil zuständigen HZ-Herausgebers übernommen.¹⁰⁰ Das Inter-
wandten Mann […] für die Redaktion des Literaturberichts“, so HStAM 340 Dehio C, Kasten C6, Mappe HZ 1946 – 1952: Brief Wilhelm Oldenbourg an Ludwig Dehio, München 21.06.1946. Von einer „Ausbotung“[sic] Ritthalers spricht zwei Jahre später BWA F5/1644: Brief Wilhelm Oldenbourg an Walther Kienast, [München] 25.08.1948. Vgl. Briefe vom selben Datum: BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an Wilhelm Oldenbourg, Marburg 30.08.1948; BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an den Verlag Oldenbourg, Marburg 30.08.1948; BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an das Sekretariat des Leibniz Verlages (Fräulein Homann), Marburg 30.08.1948. Vgl. oben, Anmerkung 13 auf S. 354. BWA F5/1644: Vertrag zwischen Walther Kienast und dem Leibniz Verlag, München 26.07. 1949. Hervorhebung in der maschinenschriftlichen Quelle in unterstrichenen Versalien. Ebenda. BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an Wilhelm Oldenbourg, Marburg 29.12.1949; vgl. BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an [Manfred Schröter], Marburg 31.12.1949. BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an Wilhelm Oldenbourg, Marburg 29.12.1949. Friedrich Meinecke: Mitteilung; in: HZ 152 (1935), S. [XIII]. Dass Kienast im vorigen Zitatblock die Zeit von 1933 bis 1949 zusammenfasst zu einer Phase, in der „politische Gründe“ seine Nennung als Mitherausgeber verhindert hätten, ist markant für die Denkweise vieler Historiker, die zu einer geglaubten wissenschaftlichen Normalität zurückkehren wollten und dabei Nationalsozialismus und Entnazifizierung als politisierte Problem-
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5 Neuanfang und Tradition der Historischen Zeitschrift 1945 – 1949
mezzo seiner politischen Untragbarkeit war bereits im Jahr vor dem Wiedererscheinen der HZ beendet, und Anfang 1950 konnte sich Wilhelm Oldenbourg nicht mehr erinnern, dass Kienast je NSDAP-Mitglied war.¹⁰¹ Während Kienasts kurzzeitiger Vertreter Anton Ritthaler keine nachhaltige Wirkung erzielen konnte, blieb Kienast bis Mitte 1968 HZ-Herausgeber für den Rezensionsteil,¹⁰² anschließend gab er bis 1978 die HZ-Sonderhefte 1– 6 mit themenzentrierten Literaturberichten heraus, womit er sein Anliegen möglichst vollständiger Bearbeitung historischer Neuerscheinungen weiterverfolgen konnte, das 1967 zu seinem Rücktritt als HZ-Herausgeber geführt hatte.¹⁰³ Kienast garantierte also weit über die möglichen Brüche zu Beginn und Ende der NS-Herrschaft hinweg eine starke Kontinuität der HZ in ihren Praktiken und Personalien, eingeschränkt jeweils durch wechselnde äußere Rahmenbedingungen. Kontinuitäten überwölbten damit auch die oberflächliche „Stunde Null“ 1945, die in dieser Hinsicht eher als Unterbrechung denn als Bruch anzu-
phase zusammenfassten. Dehio dachte da anders, da er den Nationalsozialismus als Folge früherer Entwicklungen ansah und deshalb die vornationalsozialistische Zeit nicht als „Normalität“ idealisierte, zu der eine umstandslose Rückkehr wünschenswert gewesen wäre. BWA F5/1644: Brief Wilhelm Oldenbourg an Walther Kienast, [München] 04.01.1950. Walther Kienast: Mitteilung über den Rücktritt des zweiten Herausgebers; in: HZ 206 (1968), S. 792. Kulminierend in Kienasts Kündigung, BWA F5/1625: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt, 23.11.1967, zieht sich der Konflikt um fehlenden Platz in der HZ für Besprechungen aller Neuerscheinungen durch die Korrespondenz Kienasts mit dem Verlag. Der Knackpunkt war Kienasts gemeinsam mit Theodor Schieder und Lothar Gall gefasster Plan, die Kurzberichte über Zeitschriftenaufsätze durch bloße Titellisten zu ersetzen, BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt, 02.06.1967. Karl von Cornides lehnte dies unter Verweis auf Verlagsinteressen wiederholt ab, BWA F5/1614: Brief [Karl von Cornides] an Walther Kienast,Wien, 14.09.1967, sowie BWA F5/1614: Brief [Karl von Cornides] an Walther Kienast,Wien, 19.10.1967, was Kienast im November zur Kündigung zum 30. Juni 1968 veranlasste. Konflikte zwischen Kienast und dem Verlag hatten allerdings bereits vor Kienasts 70. Geburtstag Pläne für dessen Ablösung im Verlag und in Korrespondenz mit Schieder reifen lassen, wofür Mitte der 1960er Jahre insbesondere Karl Bosl im Gespräch war, BWA F5/1625: Brief [Karl von Cornides] an Theodor Schieder, Wien 31.08.1966. Als Schieder und Karl von Cornides dies im Frühjahr 1967 erstmals mit dem gerade siebzigjährigen Kienast diskutierten, einigte man sich auf Drängen Schieders, Nachfolgepläne mit Bosl oder dessen Schüler Friedrich Prinz nicht weiterzuverfolgen, sondern „in erster Linie“ Lothar Gall an Kienasts Arbeit heranzuführen und auf seine Eignung zur Herausgeberschaft zu prüfen. Zitate aus BWA F5/1625: Hausmitteilung [Karl von Cornides] an Frau Wolf, Wien 30.01.1967; darüber hinaus BWA F5/1625: Brief [Karl von Cornides] an Theodor Schieder, Wien 31.08.1966; BWA F5/1625: Brief Theodor Schieder an Karl von Cornides, KölnLindenthal 09.02.1967; BWA F5/1625: Brief Karl von Cornides an Karl Bosl, Wien 27.06.1967. Vgl. unten, Anmerkung 27 auf S. 396, sowie Anmerkung 215 auf S. 446 f.
5.2 Traditionsorientierung und Legitimation der Historischen Zeitschrift
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sehen ist.¹⁰⁴ Auf Kontinuität aus ihrer langen Tradition legte die HZ auch als Legitimationsressource großen Wert, allerdings in jeweils speziellen Deutungen: Karl Alexander von Müller hatte sich in seinem Geleitwort zur Übernahme der Herausgeberschaft 1936 auf Heinrich von Sybel zurückbesonnen¹⁰⁵ und konsequenterweise in den folgenden Jahren auf dem Titelblatt verzeichnet: „Historische Zeitschrift / Begründet von Heinrich von Sybel / Herausgegeben von / Karl Alexander von Müller“.¹⁰⁶
Damit blieb Friedrich Meinecke neben kurzzeitigen Ex-Herausgebern außen vor, was nach 1945 im Sinne von Tradition und Kontinuität geändert werden musste. Nachdem das Titelblatt 1949 nur von Müller durch Dehio ersetzt hatte, stellte man die Kontinuität ab 1950 anders dar, indem man einen langjährigen Fortführer der HZ an Sybels Seite stellte: „Historische Zeitschrift / Begründet von Heinrich von Sybel / Fortgeführt von Friedrich Meinecke / Herausgegeben / von / Ludwig Dehio / und / Walther Kienast“.¹⁰⁷
Diese Formel der Berufung auf Sybel und Meinecke blieb dem Titelblatt auch unter wechselnden Herausgebern bis in die 1980er Jahre erhalten, als Lothar Gall nach dem Tod Theodor Schieders ein „Und Theodor Schieder“ nach der Nennung Meineckes ergänzte.¹⁰⁸ An diesen Ahnenreihen und ihren selbstgewählten Auslassungen lässt sich ablesen, auf welchem Weg die jeweiligen HZ-Verantwortlichen das symbolische Kapital der HZ in die Gegenwart transportiert sahen. Die
Blaschke: Verleger machen Geschichte, S. 149 – 152, vgl. knapp Olaf Blaschke: Die „Hand am Puls der Forschung“. Konjunkturen der Zeitgeschichtsschreibung und ihre Verleger seit 1945; in: VfZ 57 (2009), S. 99 – 115, hier S. 109. Für das Verlagswesen diskutiert Blaschke den fehlenden Zäsur-Charakter von 1945 ausführlicher in Olaf Blaschke: Der 8. Mai 1945 – Stunde Null des Buchhandels? Ergänzende Befunde zur ersten Leserfrage; in: IASLonline Diskussionsforum Probleme der Geschichtsschreibung des Buchhandels, [2008], URL: http://www.iasl.uni-muenchen.de/discuss/lisforen/Altenhein_Blaschke_Standard.pdf (zuletzt abgerufen am 6. Januar 2019, Archiv-URL: http://www.webcitation.org/75EMtYT7B). „Sie [die HZ] kommt damit, in einer schwereren und gewaltigeren Stunde, zurück zu dem Zeichen, in dem sie vor 76 Jahren angetreten war.“ Karl Alexander von Müller: Zum Geleit; in: HZ 153 (1936), S. 1– 5, hier S. 2. Hier zitiert nach dem ersten entsprechenden Titelblatt der HZ 153 (1936). Schrägstriche repräsentieren Zeilenwechsel. Hier zitiert nach dem ersten entsprechenden Titelblatt der HZ 170 (1950). Schrägstriche repräsentieren Zeilenwechsel. Hier zitiert nach dem ersten entsprechenden Titelblatt der HZ 240 (1985).
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5 Neuanfang und Tradition der Historischen Zeitschrift 1945 – 1949
Berufung auf Sybel als Ausgangspunkt verweist dabei auf dessen Stellung als direkter Schüler Rankes und seine Bedeutung für die Institutionalisierung der Geschichtswissenschaft in Deutschland.¹⁰⁹
5.2.2 Legitimation eines Außenseiters: Ludwig Dehio Dass ein unbekannter Archivar statt eines angesehenen Geschichtsprofessors eine zentrale Machtposition der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft einnahm, stellte für das Selbstverständnis der HZ als wichtigster deutschsprachiger Fachzeitschrift im Zentrum der Zunftaufmerksamkeit eine größere Schwierigkeit dar. Die dargestellte Fokussierung der HZ auf Kontinuität als Legitimationsressource konnte vor allem zum Ausdruck bringen, dass die HZ „nach wie vor“ dem Nationalsozialismus diese Autoritätsposition beanspruchte. Daher erfordert Ludwig Dehios Aufstieg zum HZ-Herausgeber eine detailliertere Betrachtung seiner Legitimierung und damit seiner Fähigkeit, als HZ-Herausgeber die Redaktionspolitik mitzugestalten. Die Ernennung Dehios erfolgte wie oben skizziert in einem Moment der Schwäche der Historikerzunft, so dass Dehios Anerkennung durch die deutschen Historiker sich erst im Nachhinein erweisen musste. Anerkennung und Legitimation lassen sich als Ausdrucksformen symbolischen Kapitals in der Begrifflichkeit Pierre Bourdieus gut beschreiben.¹¹⁰ Für den Weiterbetrieb der HZ „wie früher“ war es erforderlich, Ludwig Dehio als Herausgeber mit symbolischem Kapital auszustatten, so dass seine Kapitalbestände, insbesondere inkorporiertes kulturelles Kapital und soziales Kapital, als hinreichend angesehen wurden, die zentrale symbolische Machtposition des HZ-Herausgebers auszufüllen:¹¹¹ Die symbolische Gewalt¹¹² Dehios als Herausgeber musste sich sodann daran bewähren, dass seine Entscheidungen, beispielsweise über Annahme oder Ablehnung eines Manuskripts, die Anerkennung der Be-
Vgl. Volker Dotterweich: Sybel, Heinrich von; in: NDB 25, Berlin 2013, S. 733 – 735, der Sybels „wissenschaftsorganisatorische Leistungen“ im Gegensatz zu seiner Historiographie als von „bleibender Bedeutung“ (S. 734) beurteilt. Siehe oben, Abschnitt 4.3, für die Literaturgrundlage zu Bourdieus Kapitalkonzept vor allem Anmerkung 285 auf S. 274. Die Ausstattung Dehios als des neuen HZ-Herausgebers mit Kapital ist nicht zufällig der entscheidende Schritt für die Entwicklung der HZ: Es handelt sich bei der „Sukzession“ laut Bourdieu: Kapitalsorten, S. 74, um einen „kritischen Moment für jede Macht. Jede Reproduktionsstrategie ist deshalb unausweichlich auch eine Legitimationsstrategie, die darauf abzielt, sowohl die exklusive Aneignung wie auch ihre Reproduktion sakrosankt zu machen.“ Zur Unterscheidung der Begriffe symbolische Macht, symbolische Gewalt und symbolische Herrschaft siehe Fuchs-Heinritz/König: Bourdieu, S. 210, Fußnote 66.
5.2 Traditionsorientierung und Legitimation der Historischen Zeitschrift
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troffenen fanden, statt Widerstand zu provozieren. Das bedeutete, Dehios Kapital als überlegen und die herrschende Ordnung als „natürlich“ anzuerkennen, in der Dehio die legitime Macht besaß, über den Inhalt der HZ zu befinden. Die vorstehende Skizze von Machtverhältnissen zwischen Historikern und dem HZ-Herausgeber wirkt deshalb so irritierend, weil diese Charakteristika symbolischer Macht und symbolischen Kapitals auf ihre Verkennung angewiesen sind.¹¹³ Denn symbolisches Kapital ist geradezu die Form jeglichen anderen Kapitals, das als legitim anerkannt und damit in seiner Willkürlichkeit und seiner Ausbeutungskraft verkannt wird.¹¹⁴ Seine nichtsdestotrotz praktische Wirksamkeit entfaltet es unbewusst, durch Einschreibung in körperlich verankerte habituelle Muster,¹¹⁵ sowie durch Eingang in das Selbstverständnis des Einzelnen, der in der sozialen Welt in Form von Anerkennung und Ansehen regelrecht seine Daseinsberechtigung sucht.¹¹⁶ Bourdieu hat das Konzept derartiger auf Verkennung materieller Macht basierender symbolischer Macht anhand der Untersuchung von Berbern in der Kabylei entwickelt. Anders als in dieser vorkapitalistischen Gesellschaft ist symbolische Macht nach Bourdieus Feststellungen in kapitalistischen Gesellschaften insbesondere in solchen Feldern wirksam, die als der ökonomischen Ordnung des Kapitalismus weitgehend enthoben vorgestellt werden, namentlich auf spirituellem und kulturellem Gebiet.¹¹⁷ Zu diesem kulturellen Sektor zählt hier speziell die Organisation kollektiver Arbeit zur Schaffung und Erhaltung der HZ als eines ökonomisch neutralisierten Zentralortes zum Austausch von Forschungsergebnissen der Geschichtswissenschaft.¹¹⁸
Etwa Bourdieu: Theory of Practice, S. 183: „Symbolic capital, a transformed and thereby disguised form of physical ‚economic‘ capital, produces its proper effect inasmuch, and only inasmuch, as it conceals the fact that it originates in ‚material‘ forms of capital which are also, in the last analysis, the source of its effects.“ Hervorhebung im Original. Fuchs-Heinritz/König: Bourdieu, S. 171 f. Ebenda, S. 210 – 214. Ebenda, S. 173. Bourdieu: Theory of Practice, S. 177. Bourdieu nimmt ebenda, S. 179, bezüglich der Kabylei an, dass das Erfordernis kollektiver Arbeit (zur Agrarproduktion) symbolisches Kapital zur wertvollsten Kapitalsorte mache, weil in Abwesenheit einer kapitalistischen Ordnung nur das symbolische Kapital die freiwillige Beteiligung an der kollektiven Arbeit garantieren könne. Diese Feststellung ist direkt übertragbar auf die Produktion der HZ, die freiwillige Beteiligung an kollektiver Arbeit durch weite Teile der Historikerzunft erforderte, und zwar ohne kapitalistische Organisation im Sinne eines ökonomisch wirksamen Anreizsystems durch Bezahlung geleisteter Arbeit. Zur Ökonomie der HZ siehe unten, Kapitel 6 ab S. 390, besonders Abschnitt 6.1.2 ab S. 397. Besonders prägnant wird die Wirkung symbolischen Kapitals, wenn ökonomische Bezahlung geleisteter Arbeit vollständig verzichtbar wird, wie bei HZ-Rezensionen seit Anfang der 1930er Jahre, siehe oben, S. 370 und dort Anmerkung 92.
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Zum Legitimationsproblem Dehios als angehender HZ-Herausgeber trug bei, dass für eine hochangesehene Institution wie die HZ ein gleichermaßen hochangesehener Historiker als Herausgeber zu erwarten wäre, da gemäß Bourdieus Feldtheorie eine „reziproke Reputationsspirale“ die Regel ist,¹¹⁹ das heißt das Zusammenfinden von Akteuren mit gleichermaßen hoher Reputation zum wechselseitigen Vorteil. So empfand sich auch Dehio selbst eigentlich nicht als den richtigen Mann in dieser Position. Seine eigene Erklärung für die überraschende Chance, die er Anfang 1946 erhielt, formulierte er in seiner üblichen Bescheidenheit: „Auch stelle ich mir vor, daß Ihr Angebot an mich den zeitbedingten Ausfall anderer Persönlichkeiten zur Voraussetzung hat, an die Sie sich sonst vielleicht zuerst gewandt haben würden. Aber wie auch immer: ich halte es für meine Pflicht, an der Stelle mein Bestes zu tun, an die mich die Umstände rufen. Auch ist es mir Ehrensache, das Vertrauen nicht zu enttäuschen, das der Meister unserer Wissenschaft – denn das ist Meinecke – in mich setzt.“¹²⁰
Die Instanz, die wie hier Dehios „Berufung“ zum HZ-Herausgeber legitimiert, ist immer wieder Friedrich Meinecke. Das stellt performativ die Kontinuität der HZHerausgeberschaft und symbolisch auch der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft insgesamt (wieder) her und versucht damit, die in der Nachkriegszeit stark empfundene Beschädigung der historischen Kontinuität durch den Nationalsozialismus zu bekämpfen. In einem Werbeprospekt, mit dem der OldenbourgVerlag Ende 1946 seine Weiterexistenz als Leibniz-Verlag unter der Lizenz US-E-179 bekannt machen wollte, hieß es etwa zur HZ: „In Fortführung der alten Tradition beabsichtigen wir die 1859 von H. v. Sybel gegründete ‚Historische Zeitschrift ‘ neu erscheinen zu lassen. Auf Vorschlag von Prof. Dr. Friedrich Meinecke, des Herausgebers bis 1933, hat Staatsarchivdirektor Prof. Dr. Ludwig Dehio die redaktionellen Vorbereitungen der neuen Herausgeberschaft übernommen.“¹²¹
„Die Reputation von Autor und Verlag, das Kapital beider Seiten mehrte sich gegenseitig.“ Blaschke: Hand am Puls der Forschung, S. 101. BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an Wilhelm Oldenbourg, Marburg 28.02.1946. HStAM 340 Dehio C, Kasten C6, Mappe HZ 1946 – 1952: Mitteilungen aus dem Leibniz Verlag. Bisher R. Oldenbourg Verlag, München, im Dezember 1946, S. 12. Dass das Ende von Meineckes Herausgeberschaft darin fälschlich als 1933 angegeben war, deutet einerseits auf fehlende oder unzugängliche Verlagsunterlagen hin, andererseits auf die bei den Autoren des Werbeprospekts womöglich vorhandene Vorstellung, die HZ sei bald nach der „Machtergreifung“ gleichgeschaltet worden.
5.2 Traditionsorientierung und Legitimation der Historischen Zeitschrift
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Friedrich Meineckes Empfehlung hatte Dehio also das Herausgeberamt verschafft. Aus der Analyse der Begründungen für diese verlegerische Entscheidung, zu denen sich der Verlag mehrfach genötigt sah,¹²² ergibt sich, dass die Übertragung von Meineckes 1945 noch mal aufgewertetem symbolischem Kapital auf Dehio das ausgleichen musste, was diesem an persönlichem Renommee fehlte. Meineckes Empfehlung wog sogar die Anerkennung Gerhard Ritters auf, den damals wohl die meisten Historiker für den kommenden HZ-Herausgeber hielten, zumindest Ritter selbst, Dehio und Meinecke.¹²³ Nach außen hin betonte man also stets, dass der altehrwürdige HZ-Herausgeber Meinecke seinen Nachfolger erwählt habe – und überging dabei das rasch verdunkelte Jahrzehnt der Herausgeberschaft Karl Alexander von Müllers. Noch 2009 stilisierte Lothar Gall Dehio anlässlich des 150. HZ-Jubiläums „zum eigentlichen späten Nachfolger Friedrich Meineckes als Hauptherausgeber der Historischen Zeitschrift“.¹²⁴ Im Vertrauen gab es freilich noch einen weiteren Grund für den Verlag, lieber Dehio als Ritter zum Herausgeber zu ernennen. Gegenüber dem bescheidenen Dehio durfte man hoffen, die Verlagsinteressen leichter durchsetzen zu können. Gerhard Ritter hingegen galt als sehr selbstbewusst, eigensinnig und leicht beleidigt.¹²⁵ „Eine Koryphäe der Wissenschaft ist als Herausgeber einer wissenschaftlichen Zeitschrift sicher ein nicht zu unterschätzender Wert. Mindestens ebenso wichtig aber sind für diese Tätigkeit gewisse menschliche Eigenschaften wie Vielseitigkeit, Organisationsbegabung und nicht zuletzt Geschick und Konzilianz im Umgang mit Menschen.“¹²⁶
Etwa BWA F5/1644: Brief Wilhelm Oldenbourg an Paul Kluke, [München] 24.02.1947; und BWA F5/1644: Brief Rudolf Oldenbourg an den Kreuz-Verlag, München 26.03.1949. BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an Wilhelm Oldenbourg, Marburg 28.02.1946; BWA F5/ 1208: Brief Wilhelm Oldenbourg an Ludwig Dehio, [München] 06.03.1946; BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an [Wilhelm Oldenbourg], Marburg 03.04.1946; vgl. oben, Anmerkung 35 auf S. 358. Dehios Formulierung, Ritter wäre „der gegebene Redakteur der H.Z.“, verdeutlicht, dass Ritters symbolisches Kapital Dehio als natürlich und unhinterfragbar erschien. Vgl. Ritter: Meinecke und Oldenbourg, S. 49. Gall: 150 Jahre HZ, S. 6.Von der Haltung, die „große Tradition“ der HZ zu beschwören, „zumal aus der letzten Blütezeit dieser Zeitschrift unter Friedrich Meinecke“, wie es Dehio: Geleitwort, S. [VI], unternahm, konnte sich Gall in der Jubiläumsausgabe 2009 naturgemäß nicht weit absetzen, vgl. Gall: 150 Jahre HZ, S. 7 f. Er sei „ein hervoragender Historiker, aber ein schwieriger Charakter“ lautete das Urteil, das Oldenbourg „von verschiedenen Seiten über Herrn Prof.Ritter“ erhalten hatte. BWA F5/1208: Brief Wilhelm Oldenbourg an Ludwig Dehio, [München] 06.03.1946. BWA F5/1208: Brief Wilhelm Oldenbourg an Ludwig Dehio, [München] 23.04.1946.
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Vor allem „letztere Eigenschaft“ musste Wilhelm Oldenbourg bei Ritter „stark bezweifeln“ und befürchte zudem, dass er „stark autokratisch gesinnt ist und niemand neben sich duldet“.¹²⁷ Oldenbourg, der auch Meinecke einst als „autokratisch“ bezeichnet hatte,¹²⁸ schreckte das deutlich ab, da er mit Meinecke die Erfahrung gemacht hatte, dass „mit den ‚großen Namen‘ nicht automatisch ‚große Verlagspolitik‘ gemacht werden konnte.“¹²⁹ Die „großen Namen“ repräsentieren hier erkennbar Historiker, die großes eigenes Kapital in verschiedenen Formen, vor allem aber symbolisch, mitbringen und daher auch gegenüber dem Verlag einen fordernden Habitus an den Tag legen und ihre symbolische Macht nutzen könnten. Der Oldenbourg-Verlag hätte es bei Konflikten mit einem Herausgeber Ritter also sicher schwerer gehabt, seine Interessen zu wahren. Aber ein respektvoller Umgang mit Menschen ist für einen Zeitschriftenherausgeber auch deshalb wichtig, weil die Netzwerke um eine Zeitschrift herum für deren Qualität und Ansehen essentiell sind. Ludwig Dehio besaß die benötigten Fähigkeiten zum gelingenden Umgang mit Historikern:¹³⁰ Sie gehörten zum kulturellen Kapital, das er im bildungsbürgerlichen Elternhaus erworben hatte. Als Sohn von Georg Dehio, dem Namensgeber des berühmten „Handbuchs der deutschen Kunstdenkmäler“, war er in den angesehensten bürgerlich-nationalkonservativen Kreisen aufgewachsen.¹³¹ Sein dort erlernter Habitus überzeugte auch den gleichermaßen bürgerlich-nationalkonservativen Verleger Wilhelm Oldenbourg¹³² und gehörte später, wie oben erwähnt, zu den oft erwähnten Legitimationsgründen Dehios.¹³³
Ebenda. Wesolowski: Verleger und Verlagspolitik, S. 290. Ebenda, S. 369; vgl. Wittmann: Wissen für die Zukunft, S. 63. Offenbar war dies auch unter einigen Kollegen gut bekannt, so dass der Oldenbourg-Verlag Dehio bald positive Rückmeldungen von Historikern über Dehios Persönlichkeit weiterleiten konnte: „Die Mitarbeiterschaft bei der Historischen Zeitschrift wird sich, so wie ich Herrn Dehio beurteile, sicherlich angenehm gestalten und nach Erledigung der schwebenden Angelegenheit gewiß auch leicht einzuspielen sein“, zitierte der Verlag eine Zuschrift von Willy Andreas vom 6. Februar 1947 in HStAM 340 Dehio C, Kasten C6, Mappe HZ 1946 – 1952: Brief Manfred Schröter an Ludwig Dehio, München 04.03.1947. Karl Hammer beschrieb dies weniger prosaisch: „An der angeborenen, ungesuchten Feinheit des Auftretens erkannte man den Sproß einer alten Familie. Von seinem Wesen ging etwas von einer universalen Geisteskultur aus.“ Karl Hammer: Ludwig Dehio (1888 – 1963); in: Ingeborg Schnack (Hg.): Marburger Gelehrte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Marburg 1977, S. 48 – 63, hier S. 61. Zu Dehios familiärer Herkunft vgl. oben, S. 358, besonders Anmerkung 33. In Deutschland galt es als selbstverständlich, dass Verleger und Autoren „in ihren Ansichten miteinander übereinstimmen“ müssten, so Blaschke: Hand am Puls der Forschung, S. 102. Etwa bei Schieder: Ludwig Dehio, S. 2, und Gall: 150 Jahre HZ, S. 5, siehe oben, Anmerkung 33 auf S. 358.
5.2 Traditionsorientierung und Legitimation der Historischen Zeitschrift
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Der langjährige Verlagslektor Manfred Schröter, der als erster Träger der Verlagslizenz nach dem Zweiten Weltkrieg Leitungsverantwortung übernahm, schrieb nach dem ersten Treffen mit Dehio sogar enthusiastisch: „Es war mir eine grosse und besondere Freude, Sie haben kennen lernen zu dürfen und mit Ihnen in allen Fragen so überzeugend übereinzustimmen.“¹³⁴ Zwischen Dehio und Schröter, der als Schwager von Otto und Hedwig Hintze 1937 als „jüdisch versippt“ seinen Lehrauftrag verloren hatte¹³⁵ und daher auch prägende NS-Erfahrungen mit Dehio teilte, entspann sich daraufhin ein intensiver und persönlicher Briefwechsel, in dem immer wieder starke ideelle Übereinstimmungen deutlich werden. Die Ähnlichkeit der Weltsicht, die darin zum Ausdruck kommt, schuf eine enge Sozialbeziehung zwischen Dehio und Schröter. Dehios soziales Kapital unter Historikern entstammte dagegen weniger seinem Elternhaus als dem Meinecke-Kreis, zu dem er seit der Weimarer Zeit in Berlin gehörte. Ohne im strengen Sinne, also qua Betreuung der Doktorarbeit, zu Meineckes Schülern zu zählen,¹³⁶ und ohne Ambitionen auf eine Karriere als Ordinarius, vernetzte er sich im Umfeld Meineckes in den 1920er Jahren ausgezeichnet, so dass Theodor Schieder Dehio im Rückblick „Anschluß an die Berliner Historikerschule“ attestieren konnte.¹³⁷ Schieder formulierte Dehios MeineckeVerbindung auch in geistiger Hinsicht aus und legte dies als Offenbarungs- und Läuterungsgeschichte an, die Dehio stellvertretend für die deutschsprachige Geschichtswissenschaft durchlaufen habe: Schon die Berliner Historikerschule sei mit Meinecke und Otto Hintze „aus dem Bannkreis eines engen Borussismus herausgetreten und zu nationalgeschichtlichen Problemen von grundsätzlicher Bedeutung oder zu universalgeschichtlichen Fragestellungen vorgedrungen“.¹³⁸ Diese Bewegung habe Dehio unter Meineckes Fittichen nachvollzogen:
BWA F5/1208: Brief [Manfred Schröter] an Ludwig Dehio, [ohne Ort] 04.10.1946. Wesolowski: Verleger und Verlagspolitik, S. 164– 166; Wittmann: Wissen für die Zukunft, S. 94: Schröter war „verheiratet mit Hildegard Guggenheimer, Tochter des Bankers Moritz Guggenheimer und Schwester der Historikerin Hedwig Hintze“. Dennoch habe Schröter als Lektor seit 1926 wesentlich zur Rechtsorientierung des Verlags beigetragen, und zwar aus „Sehnsucht nach nationaler Größe Deutschlands“, so Ritter: Meinecke und Oldenbourg, S. 47. Eine akademische Lehrer-Schüler-Beziehung kann für den Schüler den Erwerb von ökonomischem, kulturellem, sozialem und symbolischem Kapital bedeuten, die alle zur Erlangung von Geschichtsprofessuren (dem zentralen Ausweis einer erfolgreichen Platzierung im Feld) wichtig sind. Schieder: Ludwig Dehio, S. 2. Schieder kann Dehios Beziehung zu Meinecke per Briefwechsel bis 1912 zurückverfolgen und vermutet ihren Ursprung in Dehios Vaterhaus in Straßburg. Ebenda.
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„Dehio bewegt sich hier [in den 1920ern] noch, wenn auch vielleicht schon mit größerem inneren Abstand, auf der gleichen Linie. Im ganzen mag ihm sein väterlicher Freund Meinecke mit seinem Vernunftrepublikanismus, seiner allmählich sich vergrößernden Distanz zu einer nur von der äußeren Politik her gesehenen Machtidee Vorbild gewesen sein.“¹³⁹
Die entscheidende Läuterung habe Dehio als Leidender unter dem NS-Regime erfahren, womit Schieder ihn zum Propheten der erneuerten Nachkriegsgeschichtswissenschaft¹⁴⁰ stilisiert: „In dieser Zeit sind nicht nur geistige und religiöse Widerstandskräfte in Ludwig Dehio erwacht, sondern er muß sich jetzt erst, alle persönlichen Verfolgungen hinter sich lassend, zu einer großen Anschauung der Weltgeschichte erhoben haben. In der Zeit der Prüfungen streifte er alles nur Fachliche, Zunftmäßige ab und wurde zum bedeutenden Historiker, für den gerade im Augenblick eines ungeheuren Kontinuitätsbruches sich alle Gegenwart aus der Geschichte und alle Geschichte aus der Gegenwart erhellte. In dieser Zeit ist die Freundschaft mit Friedrich Meinecke zu einem engen Band geworden, der Jüngere war hier aber nicht nur der Nehmende, der bei der Altersweisheit des Lehrers Belehrung und Anregung suchte. Die Briefe, die beide wechselten, als die Kriegsereignisse sie trennten, und Äußerungen Meineckes gegenüber Dritten lassen vielmehr erkennen, daß Dehios Gedanken unabhängig und zuweilen auch im Widerspruch zu Meinecke gereift sind“.¹⁴¹
Schieder beschwört „die Jahre nach dem II. Weltkrieg [als] die Stunde dieses Mannes“,¹⁴² und spürt im Rückblick den „Kairos dieser Stunde noch einmal ganz deutlich.“¹⁴³ Dehio sei es gelungen „für die Unbegreiflichkeiten einer unfaßbaren Zeit eine Deutung zu finden, die aus den geschichtlichen Traditionen abgeleitet wurde.“¹⁴⁴ Dehio wurden demnach außerordentliche Erkenntnisse zuteil, die er insbesondere 1948 in seinem Hauptwerk „Gleichgewicht oder Hegemonie“ niederlegte. Trotz dieser Exzeptionalität beschreibt Schieder das Buch als durch historiographische Kontinuität legitimiert, da es sich „in der Tat um ein Werk in der Nachfolge von Rankes Großen Mächten“¹⁴⁵ gehandelt habe. Auch „die äs-
Ebenda, S. 4. Ebenda, S. 12: „Der deutschen Historie und im besonderen dieser Zeitschrift, die ihm ihre Wiedergeburt verdankt, bleibt er gegenwärtig als […] der Historiker, für den Geschichte zu treiben ein[sic] sittliche Aufgabe gewesen ist, als der ständige Mahner an das hohe ethische Amt, das die Geschichte gerade heute und morgen zu erfüllen hat.“ Auch mit der häufigen „Prophezeiung des nahenden Untergangs“ spricht Schieder Dehio ebenda geradezu biblische Eigenschaften zu. Ebenda, S. 4 f. Ebenda, S. 1. Ebenda, S. 7. Ebenda. Ebenda.
5.2 Traditionsorientierung und Legitimation der Historischen Zeitschrift
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thetischen Qualitäten der Rankeschen Historie“¹⁴⁶ spricht Schieder Dehio zu, außerdem Jacob Burckhardts „ethisch-moralistischen Grundzug, der auf dem festen Glauben an die Humanität ruhte“.¹⁴⁷ Nicht nur die Erkenntnis der Geschichte, sondern auch die moralische Autorität eines Priesters, der Geschichte als „Buß- und Erbauungspredigt“¹⁴⁸ betreibe, gehört also zu den Dehio per Nachruf beigelegten Qualitäten. Damit Dehio in der Nachkriegszeit derartige Autorität zuwachsen konnte, war die in Meineckes Umfeld erfolgte Herstellung persönlicher Beziehungen zum Zentrum der deutschsprachigen Historikerzunft allerdings Voraussetzung. Dank dieser Beziehungen konnte Dehio seine Stellung als HZ-Herausgeber auch erst richtig ausfüllen. Die im folgenden Abschnitt diskutierte Mitarbeit vieler wichtiger Historiker schon am ersten Heft der Nachkriegs-HZ¹⁴⁹ und die rasch demonstrierte enge Verbindung der HZ zum Verband der Historiker Deutschlands (VHD) garantierten die Anerkennung der HZ als wichtigste geschichtswissenschaftliche Fachzeitschrift auch unter Dehios Leitung.¹⁵⁰ Beides ist auf Dehios soziales Kapital und auf das von der HZ ausstrahlende symbolische Kapital zurückzuführen, deren Einsatz die Verantwortlichen genau reflektierten: Anfangs befürchteten der Verlag, Meinecke und Dehio selbst, dass die Reputation der HZ unter einem weniger bekannten Herausgeber leiden würde. Daher war zunächst ein „Redak-
Ebenda, S. 2 Ebenda. Ebenda, verweisend auf eine Formulierung Dehios in „Gleichgewicht oder Hegemonie“. Vgl. auch die frühzeitig erklärte Bereitschaft von Historikern, mit Dehio als HZ-Herausgeber gut zusammenzuarbeiten, exemplarisch die vom Oldenbourg-Verlag gegenüber Dehio zitierte Zuschrift von Willy Andreas vom 6. Februar 1947 in HStAM 340 Dehio C, Kasten C6, Mappe HZ 1946 – 1952: Brief Manfred Schröter an Ludwig Dehio, München 04.03.1947: „Es würde mich freuen, wenn Herr Dehio gelegentlich einmal mit mir sich darüber ausspräche […], denn es liegt mir viel daran, gerade mit ihm in möglichst dauernde harmonische Beziehungen zu kommen.“ Vor Erscheinen des ersten Nachkriegs-Heftes der HZ im Frühjahr 1949 war eine Konstellation entstanden, in der die Existenz des Historikerverbandes gewissermaßen von der HZ und Dehio abhängig wurde: Der Gründungsausschuss unter Führung Gerhard Ritters setzte auf die Verbreitung des Gründungsaufrufs und der Einladung zum Historikertag Mitte September 1949 durch die HZ und beklagte daher mehrfach die Verzögerungen bis zum Erscheinen des ersten Heftes, für die Dehios „Zauderpolitik“ mitverantwortlich war, so Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 96 f.; vgl. im ersten HZ-Heft: Hermann Aubin/Matthias Gelzer/Herbert Grundmann/Fritz Hartung/Hermann Heimpel/Gerhard Ritter: Aufruf; in: HZ 169 (1949), S. 226 f., sowie im zweiten HZHeft die nicht namentlich gezeichnete Ankündigung: Historiker-Tagung; in: HZ 169 (1949), S. 452 f. Die enge Verbindung zwischen Historikerverband und HZ setzte sich zunächst entsprechend fort, etwa im dritten HZ-Heft mit dem Kurzbericht über den Historikertag: Walther Kienast: 20. Versammlung deutscher Historiker in München. 12.–15. Sept. 1949; in: HZ 169 (1949), S. 668 – 670.
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tionskollegium“ mit vielen bekannten Historikern vorgesehen,¹⁵¹ das Dehio mit symbolischem Kapital ausstatten sollte, so wie es fünfzig Jahre vorher dem Jungherausgeber Meinecke nach dem Tod Sybels und Treitschkes den Rücken gestärkt hatte.¹⁵² Bis zum Erscheinen des ersten Nachkriegsheftes wurde eine solche Konstruktion allerdings nicht mehr als erforderlich und praktikabel angesehen,¹⁵³ zumal die Begeisterung von Schlüsselfiguren wie Gerhard Ritter für eine weitgehend funktionslose Titelblattauflistung – abgesehen von der Funktion als Reputationsgarant – gering war und sich eine andere Lösung anbot: „Zwar ist er [Ritter] nicht bereit, seinen Namen für das Herausgeberkollegium zur Verfügung zu stellen. […] Wohl aber verspricht er gleich für das erste Heft einen längeren Beitrag und damit dürfte der Eindruck vermieden werden, als ob er sich in einem Gegensatze zu der Redaktion befände.“¹⁵⁴
Friedrich Meinecke hatte zuerst „ein aus dem Titelblatt ersichtliches Redaktionskollegium“ vorgeschlagen, bestehend aus „Götz, Brandi, Ritter, Becker, Aubin oder Kachler“ [sic, gemeint wohl: Kaehler]. Wilhelm Oldenbourg wollte die drei westlichen Besatzungszonen, die drei historischen Hauptepochen und verschiedene Lebensalter vertreten sehen und plädierte für: „Götz, Schnabel, Ernst – amerikanische Zone; Brandi, Becker, Kachler [sic, gemeint wohl: Kaehler] – englische Zone; Ritter, Tellenbach, Graf Stauffenberg – französische Zone.“ Alles zitiert aus BWA F5/1208: Brief Wilhelm Oldenbourg an Ludwig Dehio, München 16.01.1946. Dehio begrüßte die Nominierung Schnabels („er hat unserer Zeit etwas zu sagen“) und Ritters, wollte sich ansonsten „einzelne Abänderungsvorschläge vorbehalten“, zumal die Entnazifizierung „der in Betracht kommenden Herren“ noch nicht abgeschlossen war, und empfahl, die Anerkennung einer neu ausgerichteten HZ in der Zunft durch ein persönliches Treffen abzusichern: „Eine offene Aussprache im kleinen Kreise wäre meines Erachtens sehr zu wünschen, um der Zeitschrift Haltung und Rückhalt zu sichern. Ritter und Schnabel dürften bei einer solchen Aussprache nicht fehlen: die neuere Geschichte ist ja ganz besonders zur Neubesinnung aufgefordert.“ BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an Wilhelm Oldenbourg, Marburg 28.02.1946. Vgl. das Titelblatt der HZ 77 (1896), S. I: „Unter Mitwirkung von Paul Bailleu, L. Erhardt, Otto Hintze, Otto Krauske, Max Lenz, Moriz Ritter, Konrad Varrentrapp, Karl Zeumer herausgegeben von Friedrich Meinecke.“ Zu den wechselnden Konstellationen von HZ-Herausgeberschaft, Redaktion und symbolischen Komitees siehe Ritter: Meinecke und Oldenbourg, passim. BWA F5/1608: Aktennotiz Horst Kliemann, München 09.03.1949: Einen an eine Institution angelehnten Herausgeberstab wollte man nicht, „da dabei die Gefahr gegeben ist, daß die Freiheit der Schriftleitung beschränkt wird.“ Die „Schaffung eines frei geführten Herausgeberstabes [sei] im Auge zu behalten; der Zeitpunkt […] aber wohl noch etwas zu früh.“ BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an [Wilhelm Oldenbourg], Marburg 13.06.1946.
5.2 Traditionsorientierung und Legitimation der Historischen Zeitschrift
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5.2.3 Kontinuität und Vernetzung von Autoren Der Beitrag eines Aufsatzes zum ersten Nachkriegsband der HZ hatte nach Dehios Überlegungen also auch die Funktion, die Zeitschrift und ihre Herausgeber der eigenen Unterstützung zu versichern. Außerdem sollte der erste Nachkriegsband der HZ zur Neubesinnung der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft beitragen. Dehios früheste Überlegung in dieser Richtung lautete: „die H.Z. sollte nach weltgeschichtlichen Umwälzungen nicht mit älteren Zufallsbeiträgen vor das Publikum treten, sondern mit einer Reihe ad hoc verfasster, wegweisender Aufsätze. In ihnen müßte ein engerer Kreis bedeutendster Mitarbeiter zum Worte kommen – am besten nach vorheriger mündlicher Aussprache.“¹⁵⁵
Diese Idee verfolgte Dehio weiter, so dass der erste Nachkriegsband der HZ 1949 den Zustand der deutschen Geschichtswissenschaft im Umfeld der HZ einigermaßen repräsentiert. Daher betrachte ich in diesem Abschnitt die Aufsätze dieses Bandes 169 und ihre Autoren näher, um die Umsetzung von Dehios Programm zum Neuanfang der HZ zu überprüfen und die Legitimation Dehios und der Nachkriegs-HZ durch Vernetzung in der Zunft als Voraussetzung eines Erfolgs von Neuorientierungsbemühungen zu untersuchen. Zur Neubesinnung der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft versuchte der Nachkriegsband der HZ beizutragen, indem die erschienenen Aufsätze sich inhaltlich auf für die Gegenwart wichtige Fragen und auf die Historiographiegeschichte (als Vorbild einer künftigen Historiographie) bezogen: Mediävistische Untersuchungen finden sich gar nicht. Der althistorische Aufsatz von Alfred Heuß behandelt mit Krieg und Imperialismus zwei in der Nachkriegsgegenwart sehr virulente Themen, die Heuß als „Kriegsschuldfrage“¹⁵⁶ eng an die Gegenwart bindet. Politisch tendiert sein Aufsatz in eine ähnliche Richtung wie die Studie Otto Beckers über Bismarcks Verständigungsabsicht vor 1866: Becker will daraus, dass Bismarck nicht auf einen Krieg hingearbeitet habe, schlussfolgern, dass das Deutsche Reich nicht im Kern kriegerisch war. Dabei stellt Becker die Gegenwartsbedeutung seines Aufsatzes auch explizit dar:
BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an [Wilhelm Oldenbourg], Marburg 03.04.1946, Hervorhebung im Original unterstrichen. Alfred Heuß: Der erste Punische Krieg und das Problem des römischen Imperialismus. (Zur politischen Beurteilung des Krieges); in: HZ 169 (1949), S. 457– 513, hier S. 459.
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„Schwerwiegende politische Entscheidungen der Gegenwart werden mit geschichtlichen Argumenten gerechtfertigt, wobei auf die Eigenart des Deutschen Reiches und seine kriegerische Entstehung hingewiesen wird. Um so größer ist deshalb die Pflicht der deutschen Geschichtsforschung, ihre neuesten Ergebnisse zu diesen Fragen der Weltöffentlichkeit bekannt zu machen.“¹⁵⁷
Wenn die Aufsätze von Hans Haussherr und Willy Andreas überhaupt einen Gegenwartsbezug aufweisen, dann den, mit Arbeiten über den Patron der Weimarer Klassik Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach – und seinen Minister Goethe – Deutschland als Land der Dichter und Denker zu repräsentieren statt als kriegslüsterne Großmacht und Gefahr für den Weltfrieden.¹⁵⁸ Gerhard Ritters Aufsatz über Ursprung und Wesen der Menschenrechte hingegen ist typische politische Geschichtsschreibung, in der aus historischen Tatsachenbehauptungen politische Schlussfolgerungen für die Gegenwart gezogen werden. Ritter schlussfolgert hier, dass Gleichheit und Demokratie für Nationalsozialismus und Sowjetkommunismus verantwortlich seien und deshalb ein autoritärer, antiwestlicher, christlicher Staat die vor allem wünschenswerten negativen Freiheitsrechte am besten verwirklichen könne.¹⁵⁹ Die vier Aufsätze mit Historiographiebezug, die Dehio im ersten Heft des Bandes von 1949 versammelte, thematisieren Jacob Burckhardt, Friedrich Meinecke und Johan Huizinga sowie die Historiographie zu Ludwig XIV.¹⁶⁰ Diese Themenstellungen reichen bereits aus, um sie als Versuche zu charakterisieren, zu einer demokratietauglichen Umorientierung der Geschichtswissenschaft beizutragen. In gewisser Weise knüpfen die Aufsätze über Meinecke und Huizinga auch unmittelbar an das Ende der Herausgeberschaft Meineckes an, das durch
Otto Becker: Der Sinn der dualistischen Verständigungsversuche Bismarcks vor dem Kriege 1866; in: HZ 169 (1949), S. 264– 298, hier S. 264. Die schwerwiegenden politischen Entscheidungen der Gegenwart dürften etwa die deutsche Teilung und das Besatzungsstatut umfassen. Hans Haussherr: Der Minister Goethe und die Äußere Politik Carl Augusts; in: HZ 169 (1949), S. 299 – 336. Willy Andreas: Kämpfe und Intrigen um den Regierungsantritt Carl Augusts von Weimar: Eine Archivalische Studie zur Thüringischen Landesgeschichte; in: HZ 169 (1949), S. 514– 558. Gerhard Ritter: Ursprung und Wesen der Menschenrechte; in: HZ 169 (1949), S. 233 – 263. Den antiwestlichen deutschen Sonderweg verteidigt Ritter auf S. 259 mit der Behauptung, angemessene Grundrechte seien im Bismarckreich „bereits gesichert“ gewesen, auch wenn oder gerade weil die „Reichsverfassung kein Wort mehr über ‚Grundrechte der Deutschen‘ enthielt“. Fritz Hartung: L’etat c’est moi; in: HZ 169 (1949), S. 1– 30; Rudolf Stadelmann: Jacob Burckhardts Weltgeschichtliche Betrachtungen; in: HZ 169 (1949), S. 31– 72; Gisbert Beyerhaus: Notwendigkeit und Freiheit in der deutschen Katastrophe. Gedanken zu Friedrich Meineckes jüngstem Buch; in: HZ 169 (1949), S. 73 – 87; Willy Andreas: Johan Huizinga (7. Dezember 1872– 1. Februar 1945). Ein Nachruf; in: HZ 169 (1949), S. 88 – 104.
5.2 Traditionsorientierung und Legitimation der Historischen Zeitschrift
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den Abdruck eines Huizinga-Aufsatzes eingeleitet worden war: Auf der Konferenz des internationalen Studentenwerks 1933 an der Universität Leiden hatte Huizinga als Rektor den Antisemitismus des NS-Historikers Johann von Leers angegriffen, diesen aufgefordert, die Universität zu verlassen, und einen Eklat hervorgerufen: „Und ausgerechnet von jenem Huizinga hatte Meinecke einen Aufsatz für das nächste Heft der HZ aufgenommen.“¹⁶¹ Was nun die Autoren angeht, so lassen sie sich als gut verbunden im damaligen Netzwerk der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft beschreiben. Durchweg entstammen sie den wichtigsten Schultraditionen, wie sie Wolfgang Weber herausgearbeitet hat.¹⁶² Eine Untersuchung der Lehrer-Schüler-Verhältnisse als wichtigster Art der Vernetzung und der Übertragung vor allem symbolischen Kapitals für deutsche Historiker ergibt für die HZ-Autoren 1949 folgendes Bild (Abbildung 4¹⁶³): Der Althistoriker Alfred Heuß als akademischer Urenkel Theodor Mommsens und der Neuhistoriker Gisbert Beyerhaus als Urenkel Leopold von Rankes sind noch die – wohlgemerkt – am schlechtesten platzierten Autoren hier. Die übrigen sechs Historiker vereinen nämlich in ihrer akademischen Herkunft allesamt Wurzeln, die zu Ranke, zu Johann Gustav Droysen und in die Historische Schule der Nationalökonomie reichen. Sie integrieren also diese wichtigen Traditionen in der Reihe ihrer akademischen Lehrer: Hermann Oncken, Erich Marcks, Otto Hintze und Friedrich Meinecke stehen alle mehrfach in diesen Ahnenreihen. Sie bildeten als Berliner Schule zusammen so etwas wie das Gravitationszentrum der deutschen Geschichtswissenschaft im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges konnten die mit diesem Zentrum verbundenen Historiker sich darauf berufen, dass Meinecke und die verstorbenen Hintze und Oncken nicht NS-kompromittiert waren, sondern als bekannte Symbolfiguren für eine nicht-nationalsozialistische Historiographie standen.Während etwa Meinecke bei Durchsetzung des Nationalsozialismus alles andere als en vogue in der deutschen Geschichtswissenschaft war, was auch zu seiner Ersetzung
Meineckes Ablösung schildert ausführlich Wesolowski: Verleger und Verlagspolitik, S. 278 – 290, Zitat S. 280. Weber: Priester der Klio, S. 189 – 318. Angaben über akademische Abstammungslinien sind stets ebenda entnommen, gegebenenfalls ergänzt um Weber: Biographisches Lexikon. Die Übersichtsgrafik stellt schematisch wichtige Traditionslinien der deutschen Geschichtswissenschaft (oben) in Verbindung mit den acht Autoren der HZ-Aufsätze 1949 (unten) dar. Im Zentrum steht die Gruppe der in den 1860er Jahren geborenen akademischen Lehrer des Großteils der HZ-Autoren, die zwischen 1920 und 1935 in Berlin emeritiert wurde.
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5 Neuanfang und Tradition der Historischen Zeitschrift 1945 – 1949
Abbildung 4: Autoren der HZ 1949 und ihre Schultraditionen
als HZ-Herausgeber beitrug,¹⁶⁴ erschien offenbar auch dem Oldenbourg-Verlag 1945 eine Rückbesinnung auf Meinecke und sein Umfeld geboten. So war es folgerichtig, dass Dehio die Aufsätze von Schülern dieser Symbolfiguren druckte, die teilweise auch selbst als gemäßigt demokratisch oder als konservative Nazigegner galten. Diese Auswahl stand jedoch weniger für einen demokratisch-liberalen Neuanfang, als für eine Rückbesinnung auf die Weimarer Zeit. Auch mit der Auswahl der Aufsatzautoren signalisierte die HZ also die Anknüpfung an die Herausgeberschaft Meineckes und ihren Anspruch, weiter im Gravitationszentrum der deutschen Geschichtswissenschaft zu stehen. Auffällig ist auch, dass bis auf Heuß alle Aufsatzautoren der HZ 1949 auch im letzten Jahr, in dem die HZ während des Zweiten Weltkriegs noch erschienen war, 1943, Aufsätze publiziert hatten. Und zwar handelte es sich dabei bezeichnenderweise allesamt um Aufsätze, die Meinecke zum 80. Geburtstag gewidmet waren.¹⁶⁵ Mehr Kontinuität über 1945 hinweg geht nicht.
Vgl. Wesolowski: Verleger und Verlagspolitik, S. 278, der mit der Durchsetzung des Nationalsozialismus 1933 diese Entwicklung konstatiert: „Das symbolische Kapital der ‚Schule‘ Meineckes sank dadurch erheblich und ein Wechsel an der Spitze der Historischen Zeitschrift als dem Organ der ‚Zunft‘ rückte nun in greifbare Nähe.“ Hervorhebung im Original. Vgl. HZ 167 (1943) und HZ 168 (1943), sowie vor allem Karl Alexander von Müller: An Friedrich Meinecke; in: HZ 167 (1943), S. 1 f.
5.3 Rahmenbedingungen für Kulturtransfer aus der Emigration
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5.3 Rahmenbedingungen für Kulturtransfer aus der Emigration Ein Vergleich der in Abbildung 4 grob skizzierten Schulnetzwerke der HZ-Autoren von 1949 mit den in Abschnitt 2.3.4 vorgestellten Schulnetzwerken der 16 emigrierten Gastprofessoren, die in Abbildung 2¹⁶⁶ zusammengefasst dargestellt sind, zeigt die übereinstimmende Zentralität des Berliner Professorenkreises um Friedrich Meinecke in der Generation der akademischen Lehrer beider Historikergruppen: Meinecke, Erich Marcks und Hermann Oncken fungierten jeweils in mehreren Fällen als Doktorväter. Bei den akademischen Lehrern der später Emigrierten fehlt lediglich Otto Hintze, der in diesem Umfeld eine große Rolle spielt. Damit ist auch hier die „Berliner Historikerschule“ maßgeblich, an die Dehio legitimierender Anschluss attestiert wurde,¹⁶⁷ und die im Rückblick Gerhard A. Ritters als von Hans Rosenberg durch seine Berliner Gastprofessuren fortgesetzt¹⁶⁸ aufschien. Die HZ macht dadurch, dass ihr 1949 „ein engerer Kreis bedeutendster Mitarbeiter“ in Form „wegweisender Aufsätze“¹⁶⁹ die Richtung vorgeben sollte, einen geradezu von dieser Gruppe im direkten Umfeld Friedrich Meineckes ausgebildeter Historiker dominierten, zumindest aber geprägten Eindruck. Es lässt sich schlussfolgern, dass die in der Fach-Sozialisation erworbenen Überzeugungen und Kompetenzen – also das inkorporierte Kulturkapital – eines wesentlichen Teils der späteren Gastprofessoren gut kompatibel waren mit den entsprechenden Prägungen im Umfeld der Nachkriegs-HZ. Solche Übereinstimmungen bildeten in der Nachkriegszeit im Prinzip eine gute Grundlage für ein wechselseitiges Verständnis zwischen emigrierten und nichtemigrierten Historikern. Auch lässt sich die Anknüpfung an alte Sozialbeziehungen, die durch Nationalsozialismus, Emigration und Weltkrieg unterbrochen waren, vielfach in Briefwechseln nachvollziehen,¹⁷⁰ so dass auch im Hinblick auf das soziale Kapital gute Voraussetzungen für freundliche Einstellungen zwischen emigrierten und nichtemigrierten deutschsprachigen Historikern, insbesondere im HZ-Umfeld, zu konstatieren sind. Andererseits kann man trotz ähnlicher Grundlagen von einer
Siehe oben, S. 109 f. Schieder: Ludwig Dehio, S. 2, vgl. oben, S. 379. Vgl. Helle u. a.: Gespräch mit Gerhard A. Ritter, S. 273 f., und oben, S. 279 ff. BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an [Wilhelm Oldenbourg], Marburg 03.04.1946, vgl. oben, S. 383. In HStAM 340 Dehio C, Kasten C9, finden sich beispielsweise mindestens Nachkriegs-Korrespondenzen mit den im Meinecke-Umfeld ausgebildeten Historikern Fritz T. Epstein, Hajo Holborn, Gerhard Masur und Hans Rosenberg, häufig entstanden im Kontext ihrer Deutschlandreisen, etwa zu Gastprofessuren.
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5 Neuanfang und Tradition der Historischen Zeitschrift 1945 – 1949
Auseinanderentwicklung in der Zeit von NS-Herrschaft und Emigration ausgehen: Die Bewertung von Überzeugungen und Kompetenzen unterschied sich zwischen Nazideutschland und den USA zweifellos, und sowohl für die späteren Gastprofessoren als auch für die im NS-Reich als professionelle Historiker tätig Gebliebenen kann man Anpassungsleistungen an diese Bedingungen kaum leugnen. Wie Studierende diese Differenzen nutzten, um sich in der Nachkriegszeit transatlantische Gastprofessoren als alternative Orientierungsinstanzen anzueignen, die zwar einerseits die deutsche historiographische Tradition – und damit die den Studierenden gewohnte Fachsprache – genau kannten, andererseits aber modernere, demokratischere Gesellschaftskonzepte repräsentierten, habe ich oben in Abschnitt 4.3 zu zeigen versucht. Wie andererseits Rezensenten in der HZ die Differenzen zu den emigrierten Historikern wahrnahmen und auf sie reagierten, untersuche ich in Kapitel 7. Da die meisten emigrierten Historiker solche Übereinstimmungen mit den Hauptströmungen der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft aufwiesen, auch die erst in der Emigration fertig ausgebildeten Historiker nicht unberührt von der deutschen historiographischen Tradition geblieben waren, besaßen wohl alle Emigranten Eigenschaften, die für Historiker im Nachkriegsdeutschland anschlussfähig waren und ihnen Identifikationsangebote unterbreiteten. Während einige Studierende wie oben gesehen diese Anschlüsse suchten, standen für andere Historiker auch Angebote zur Differenzwahrnehmung bereit, die sie nutzen konnten, um sich von den Emigranten abzugrenzen.Wie die Bedingungen zur öffentlichen Inszenierung solcher Haltungen gegenüber den emigrierten Historikern im Kontext der HZ waren, untersuche ich in Kapitel 6 und skizziere damit die Zeitschrift als „transnationalen Grenzraum“ in Anlehnung an Johannes Paulmann.¹⁷¹ Dabei lassen sich emigrierte und nichtemigrierte Historiker – insbesondere Forscher zur Deutschen Geschichte – als eine jener sich im 20. Jahrhundert vervielfältigenden „Expertengruppen“ verstehen, „die sich regelmäßig in ‚ihrem‘ transnationalen Grenzraum zusammenfanden“,¹⁷² ihre Wissensbestände miteinander konfrontierten und aneinander orientierten. Das „Bestreben, Objektivität und Autorität herzustellen“,¹⁷³ konnte dabei grundsätzlich in zwei verschiedenen Bahnen verfolgt werden: Erstens verbürgten unter deutschen Historikern – wie am Beispiel der HZ-Herausgeberschaft gesehen – Kontinuität und die deutsche historiographische Tradition Objektivität und Autorität. Damit stand „eine nationalistische Ideologie gegen das prinzipielle Postulat der Internatio-
Paulmann: Grenzüberschreitungen, besonders S. 185. Ebenda, S. 190. Ebenda.
5.3 Rahmenbedingungen für Kulturtransfer aus der Emigration
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nalität in den Wissenschaften“,¹⁷⁴ das zweitens – wie an Dehios Konzept vom „Anschluß an das geistige Stromnetz der Welt“¹⁷⁵ gezeigt – Objektivität und Autorität der geschichtswissenschaftlichen Wissensbestände garantieren sollte. Betrachtet man „die konkreten Interessen der Vermittler und die Rolle, welche der Transfer bei der Ausbildung von Identitäten spielen konnte“,¹⁷⁶ kann man in der deutschen Geschichtswissenschaft der Nachkriegszeit eine spezielle Lage ausmachen: Wenn man davon ausgeht, dass Kulturimport „zwei prinzipielle Funktionen“ haben kann, er nämlich „entweder der Rechtfertigung oder der Infragestellung bestehender Verhältnisse im eigenen Land“ diene,¹⁷⁷ dann ergibt sich aus der oben geschilderten Konstellation, dass der Kulturimport aus den USA in die deutschsprachige Geschichtswissenschaft aus Empfängersicht im HZ-Umfeld nur in Form der „Infragestellung bestehender Verhältnisse“ auftreten konnte. Denn Tradition und Kontinuität waren als Rechtfertigungsinstrumente der bestehenden Verhältnisse etabliert und hatten sozusagen das Bewusstsein eines „Deutschen Sonderwegs“ in der Historiographie geprägt, also die verbreitete Annahme, dass deutsche Geschichtswissenschaft anderen Historiographien überlegen sei. In dieser Lage waren Reformbestrebungen gleichzusetzen mit Transferbefürwortung, und andererseits die in den 1950er Jahren virulente restaurative Stimmung¹⁷⁸ gleichbedeutend mit verbreiteter Opposition gegen transatlantische Importe in die deutschsprachige Geschichtswissenschaft.
Ebenda, S. 191. Dehio: Geleitwort, S. [VII]. Paulmann: Vergleich und Transfer, S. 675. Ebenda. Vgl. etwa Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 86.
6 Produktionsbedingungen der Historischen Zeitschrift Zu den Rezeptionsbedingungen emigrierter Historiker in der Nachkriegs-HZ gehörten nicht nur die ausdrücklichen Bestrebungen um Neuorientierung und Traditionsorientierung bei Herausgebern und Verlag der HZ. Zur Vorbereitung der in Kapitel 7 durchgeführten Analysen von Rezensionen erläutere ich zunächst die konkreten Kommunikationsprozesse bei der Herstellung der Zeitschrift, durch die sich Machtverteilungen und Einflusssphären als Briefnetzwerke in den Verlagsakten niedergeschlagen haben.¹ Abstrakter analysiere ich dann die im Produktionsprozess der HZ verankerte Produktion und Verteilung kulturellen, sozialen, symbolischen und nicht zuletzt ökonomischen Kapitals im Sinne Bourdieus,² um auf die jeweilige Interessenlage der an einer Fachzeitschrift Mitwirkenden hinzuweisen. Anschließend untersuche ich die Institution des Zeitschriftentauschs, seine Bedeutung für den Produktionsprozess und seine Signifikanz für die internationale Orientierung der HZ. Bevor ich einen Blick auf Veränderungen zwischen dem Untersuchungszeitraum und gegenwärtigen Produktionsweisen der HZ und anderer Fachzeitschriften werfe, betrachte ich das Verhältnis zwischen HZ-Redaktion und Rezensenten anhand von Anweisungen und Konfliktfällen in Bezug auf Rezensionen. Bei der Untersuchung der Wissenschaftspraxis spielen die Produktionsverhältnisse von Fachzeitschriften eine zentrale Rolle.³ Produktionsverhältnisse sind nach Marx die Beziehungen zwischen Menschen im Hinblick auf Arbeit,⁴ hier also
Wesentliche Inhalte der Abschnitte 6.1 und 6.3 sind knapper dargestellt in Krämer: Vernetzung als Kapital, besonders S. 97– 104, dort sind auch einige Gedanken des Abschnitts 6.2 skizziert. Siehe oben, Abschnitt 4.3, für die Literaturgrundlage zu Bourdieus Kapitalkonzept vor allem Anmerkung 285 auf S. 274. Diese Produktionsverhältnisse verstehe ich als Bedingung für den „Prozeß der wissenschaftlichen Kommunikation“, der für eine fundierte wissenschaftshistorische Analyse „in den Mittelpunkt gerückt werden“ muss, so schon Wolfgang Weber: Die deutschen Ordinarien für Geschichte und ihre Wissenschaft. Ein historisch-wissenschaftssoziologischer Beitrag zur Erforschung des Historismus; in: Wilhelm Heinz Schröder (Hg.): Lebenslauf und Gesellschaft. Zum Einsatz von kollektiven Biographien in der historischen Sozialforschung, Stuttgart 1985, S. 114– 146, hier S. 116. Vgl. Karl Marx: Zur Kritik der Politischen Ökonomie; in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Band 13, 7. Auflage, Berlin 1971, S. 3 – 160, hier S. 8: „In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen.“ https://doi.org/10.1515/9783110731637-006
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Beziehungen zwischen den an der HZ-Produktion Beteiligten im Hinblick auf die Zeitschriftenproduktion. Diese Beziehungen lassen sich in unterschiedliche Formen einteilen und bilden jeweils Personennetzwerke. Ich habe oben bereits mehrfach Netzwerke der Schulzugehörigkeit vorgestellt und diskutiert, wie ihre Stabilität für starke Kontinuitäten in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft über 1945 hinweg sorgte.⁵ Im Folgenden stelle ich weitere Personennetzwerke vor, die für die Produktion der HZ in der Nachkriegszeit wichtig waren. Dabei geht es weniger um die innere Vernetzung der Historikerzunft, sondern eher um die Kombination von Verlagsakteuren und Historikern zu einem Netzwerk, das kooperativ die HZ produzierte und zugleich um die Definition und Verteilung der erzeugten Kapitalien konkurrierte. Die Netzwerkforschung ist an den Begriff der Produktionsverhältnisse leicht anschlussfähig, da es als ihre besondere Fähigkeit gilt, auf „die Beziehungen und das Beziehungsgefüge“ zu fokussieren.⁶ Darüber hinaus wurde der von Pierre Bourdieu erweiterte Kapitalbegriff, den ich hier zur Analyse des geschichtswissenschaftlichen Feldes heranziehe, von der Forschungsrichtung der Netzwerkanalyse aufgegriffen und intensiv eigenständig entwickelt.⁷ Der netzwerkanalytische und der bourdieusche Sozialkapitalbegriff entstammen – trotz gegensätzlicher Ansatzpunkte⁸ – beide einer sozioökonomischen Perspektive, was sie für eine Untersuchung der Produktionsverhältnisse besonders geeignet erscheinen lässt. Daher betrachte ich zur Analyse der HZ-Produktionsverhältnisse im Folgenden besonders die Nutzung, Umverteilung und Verteidigung von symbolischem und sozialem Kapital im Rahmen der Netzwerke der HZ-Produktion.⁹ Das Verhältnis zwischen den verschiedenen Herausgebern der HZ und ihren
Vgl. besonders die Abschnitte 2.3.3, 2.3.4 und 5.2.3, aber auch die Vernetzung durch gemeinsame Berufung auf Hans Rosenberg in Abschnitt 4.3. Roger Häußling/Christian Stegbauer: Einleitung in das Handbuch Netzwerkforschung; in: Christian Stegbauer/Roger Häußling (Hg.): Handbuch Netzwerkforschung, Wiesbaden 2010, S. 13 – 16, hier S. 13. Stefan Bernhard: Netzwerkanalyse und Feldtheorie. Grundriss einer Integration im Rahmen von Bourdieus Sozialtheorie; in: Christian Stegbauer (Hg.): Netzwerkanalyse und Netzwerktheorie. Ein neues Paradigma in den Sozialwissenschaften,Wiesbaden 2010, S. 121– 130. Bernhard bezieht sich auf Seiten der Netzwerkanalyse vor allem auf Werke von James S. Coleman und Nan Lin. Vgl. ebenda. Unterschiede, die zwischen dem Begriff des sozialen Kapitals bei Bourdieu und anderen gängigen Sozialkapital-Begriffen, etwa von James S. Coleman und von Robert Putnam, bestehen, arbeitet auch Gabriele Franzmann: Der Beitrag historischer Studien zur Sozialkapitalforschung; in: Historical Social Research 27 (2002), Heft 4, S. 181– 203, heraus. Siehe zur Begründung und zum Einsatz der Konzepte Bourdieus oben, Abschnitte 4.3 und 5.2.2, besonders Anmerkung 285 auf S. 274.
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engsten Kontaktpersonen im Oldenbourg-Verlag verdient dabei ebenso Beachtung wie die Arbeitskräftebasis der Zeitschriftenproduktion¹⁰ auf beiden Seiten. Probleme bereitet ein netzwerkanalytischer Ansatz besonders bei der Untersuchung von verschiedenartig asymmetrischen Beziehungen, wie sie unter den Bedingungen ausdifferenzierter Arbeitsteiligkeit notwendig auftreten, sowie bei der Untersuchung interpersonaler Netzwerke hinsichtlich disparater Aspekte: Beispielsweise können Historiker, die zum Mitarbeiternetzwerk einer Zeitschrift zählen, zugleich durch Schulnetzwerke, Netzwerke von Fachgesellschaften und Kollegialitätsnetzwerke an Hochschulen miteinander verbunden sein. Diese verschiedenen Vernetzungs-Aspekte können sich gegenseitig überlagern, also verstärken oder behindern. Doch eine analytische Netzwerkkonstruktion, die sich zwangsläufig auf einen Aspekt konzentriert, kann diese Totalität der Vernetzung grundsätzlich nicht erfassen. Diesem Problem begegne ich, indem ich alle einzelnen Vernetzungsaspekte als eingebettet in drei übergeordnete und wiederum interagierende Felder begreife: Geschichtswissenschaft, Verlagswesen und Politik.¹¹ Deren Spielregeln strukturieren die einzelnen Netzwerke und bestimmen die Möglichkeiten der Kapitalerzeugung und ‐verteilung darin wesentlich.¹²
6.1 Briefnetzwerke zwischen Redaktion und Verlag 6.1.1 Herausgeber-Verleger-Beziehungen Die oben diskutierte Vernetzung durch akademische Schulen¹³ ist weitgehend in gedruckten Quellen nachvollziehbar, was sehr hilfreich für eine möglichst flächendeckende Auswertung ist. Anders verhält es sich mit Briefnetzwerken. Zwar lassen sich mit Hilfe von Nachlässen und anderen Archivbeständen briefliche
Für die Organisation von kollektiver Arbeit durch symbolisches oder ökonomisches Kapital vgl. oben, S. 374 f., und Anmerkung 118 auf S. 375. Siehe dazu vor allem Abschnitt 6.2.2 ab S. 408. Vgl. Fuchs-Heinritz/König: Bourdieu, S. 139 – 144, wo vom „wissenschaftlichen Feld“ als Ursprung von Bourdieus verallgemeinertem Feldbegriff die Rede ist. Ein gesamtes wissenschaftliches Feld lässt sich aber nur zum Untersuchungsobjekt machen, insofern die Akteure miteinander konkurrieren. Das ist für einzelne Wissenschaftler eher innerhalb ihrer jeweiligen Disziplin der Fall als zwischen allen möglichen Fachgebieten; das geschichtswissenschaftliche Feld in dieser Arbeit ist dementsprechend etwa so umgrenzt wie die Konkurrenzmöglichkeiten der Hauptakteure – und durch den beobachteten Hauptschauplatz der HZ auch entsprechend deren disziplinärem Zuschnitt. Vgl. oben die Abschnitte 2.3.3, 2.3.4 und 5.2.3.
6.1 Briefnetzwerke zwischen Redaktion und Verlag
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Verbindungen auswerten. Doch dass die damit erstellten Briefnetzwerke einigermaßen vollständig sind, kann man nicht voraussetzen. Beim zentralen Quellenbestand dieses Kapitels, der Korrespondenz zwischen Verlag und Zeitschriftenherausgebern, handelt es sich allerdings formal um Geschäftsvorgänge, die in den jeweiligen Handakten der zuständigen Verlagsmitarbeiter abgelegt wurden. Ein Aussortieren beim vermeintlichen Übergang eines Vorgangs in die Unwichtigkeit fand nicht statt, so dass weitgehende Vollständigkeit der Korrespondenz-Überlieferung anzunehmen ist – sofern die Schreiben oder ihre Beilagen nicht zeitnah zu anderen Zwecken benötigt wurden und daher nicht zu den Handakten kamen. Zur Annäherung an Vollständigkeit trägt auch die in den Handakten übliche Dokumentation abgehender Post mit Durchschlägen bei. Wie im vorigen Kapitel beziehe mich hier vor allem auf die Akten des Oldenbourg-Verlags zur Historischen Zeitschrift.¹⁴ Zunächst stelle ich nun die Hauptkorrespondenten vor: Auf der einen Seite stehen die HZ-Herausgeber, die unter Historikern aufgrund ihrer hervorgehobenen Stellung weithin bekannt sind. Die Positionen der ersten Nachkriegsherausgeber der HZ innerhalb des geschichtswissenschaftlichen Feldes habe ich oben in den Abschnitten 5.1 und 5.2 bereits diskutiert, so dass hier ein chronologischer Überblick über die Herausgeberschaft und ihre Veränderungen genügen kann: Ludwig Dehio begann 1949 als Alleinherausgeber, Walther Kienast trat im Jahr darauf offiziell an seine Seite. Als Argument für seine Ernennung mit Zuständigkeit für den Rezensionsteil und die Abkehr von dem Modell der Alleinherausgeberschaft wurde die Befürchtung angeführt, „daß eine bestimmte Clique in der Zunft versuchen wird, den 2. Herausgeberposten mit einem der Ihren zu besetzen, um damit Einfluß auf die Auswahl der Referenten für die Besprechungen zu bekommen“.¹⁵ Als Dehios Sehkraft nachließ, wurde 1957 Theodor Schieder sein Nachfolger, ausgewiesen als einer der besten, einflussreichsten und flexibelsten Historiker seiner Generation, sowie als Schüler sowohl des Meinecke-Schülers
Vgl. oben, S. 353. Die Akten enthalten vor allem den Schriftverkehr zwischen Verlagsleitung und HZ-Herausgebern, sowie Materialien, die dem Schriftverkehr beilagen. Demnach können wir recht genau wissen, welche Themen zwischen Verlag und Herausgebern verhandelt wurden. Wichtige Teile der Zeitschriftenproduktion sind darin dokumentiert, die Akten weisen vor allem darauf hin, wo sich Probleme oder Konflikte ergeben haben. Im Hinblick auf die Personennetzwerke im Umfeld der Korrespondenten ist zu erkennen, wer für diese erwähnenswert war. BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an Wilhelm Oldenbourg, Marburg 29.12.1949. Bis 1950 war Kienast auch vollständig entnazifiziert, indem der Verleger bis dahin Kienasts Spruchkammerverfahren und seine wohlbekannte NSDAP-Mitgliedschaft vergessen hatte, wie er beteuerte: „wenn Sie überhaupt PG [Parteigenosse] waren, was ich nicht weiß“. BWA F5/1644: Brief Wilhelm Oldenbourg an Walther Kienast, [München] 04.01.1950.
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6 Produktionsbedingungen der Historischen Zeitschrift
Rothfels als auch Karl Alexander von Müllers.¹⁶ Schieder konnte mit dem Mediävisten Theodor Schieffer¹⁷ 1968 einen Kölner Kollegen als Nachfolger Kienasts vermitteln, der bis 1974 den HZ-Besprechungsteil verantwortete.¹⁸ Schieders Schüler Lothar Gall, der bereits seit 1967 am Rezensionsteil mitgewirkt hatte, übernahm nach Schieffers Demission die Redaktion der Besprechungen, unterstützt von Egon Boshof.¹⁹ Nach Schieders Tod 1984 übernahm Gall die Herausgeberschaft der HZ alleine.²⁰ Die Überlieferung zur HZ im Bayerischen Wirtschaftsarchiv reicht jedoch im Wesentlichen nur bis Mitte der 1970er Jahre. Auf der anderen Seite der HZ-Korrespondenz steht fast immer die Verlagsleitung des Oldenbourg-Verlags. Denn die HZ galt dort stets als Chefsache. Altverleger Wilhelm Oldenbourg, meist adressiert als der „Herr Kommerzienrat“, kümmerte sich persönlich um seine Herzensangelegenheit HZ²¹ und führte die Kienast schätzte Schieders Eignung als HZ-Herausgeber vorab so ein: „Prof.Schieder ist nach seiner wissenschaftlichen Leistung und geistigen Reichweite und Beweglichkeit vortrefflich für die Nachfolge [Dehios] geeignet. Ich darf Ihnen aber nicht verheimlichen, daß ich mit ihm als Rezensent insofern schlimme Erfahrungen gemacht habe, als er mich mit vielen, z.T, von ihm selbst verlangten Besprechungsstücken sitzen ließ und sie auch nicht auf Wunsch zurückschickte. Er ist auch in dieser Hinsicht der Schüler K.A.v.Müllers.“ BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an Wilhelm Oldenbourg, Frankfurt 21.04.1956. Zu den Schülerverhältnissen Schieders zu Müller und Rothfels siehe Gall: Theodor Schieder, S. 3 – 5. Wenn hingegen Christoph Nonn: Der Meister, die Methode und die Politik. Theodor Schieder und seine Historikerschule; in: Indes. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft 3 (2014), Heft 3, S. 87– 94, hier S. 90, Hermann Oncken „Schieders heimlicher Doktorvater“ nennt, ist das „methodisch, thematisch und stilistisch“ gemeint, aber ohne dass es „eine persönliche Beziehung“ Schieders zu Oncken gegeben habe. Schieffer (1910 – 1992) war ein Schüler des emigrierten Bonner Ordinarius Wilhelm Levison, hatte aber auch bei den Historikern der Berliner Schule (vgl. oben, S. 379 und öfter) Albert Brackmann, Erich Marcks und Hermann Oncken studiert und war anschließend in Berlin Assistent Paul Kehrs bei den Monumenta Germaniae Historica (MGH), so Rolf Große: Theodor Schieffer. Ein rheinischer Historiker und seine „Begegnung mit der romanisch-französischen Welt“; in: Ulrich Pfeil (Hg.): Das Deutsche Historische Institut Paris und seine Gründungsväter. Ein personengeschichtlicher Ansatz, München 2007, S. 119 – 137, hier S. 121– 123. Vgl. Schieffers Verlagskorrespondenz in BWA F5/1626, speziell das Kündigungsschreiben BWA F5/1626: Brief Theodor Schieffer an Theodor Schieder und Thomas Cornides, Köln-Lindenthal 10.03.1974. Vgl. das Titelblatt von HZ 220 (1975), Heft 1, sowie Theodor Schieder/Lothar Gall: Zum Geleit; in: HZ 220 (1975), S. 1– 3. Gall führte die gemeinsam mit Schieder wieder aufgenommene Praxis fort, als Herausgeber „in Verbindung mit“ anderen namhaften Historikern auf dem Titel aufzutreten. Erst 2009 erschienen mit Jürgen Müller und Eckhardt Treichel wieder eigene Herausgeber für den Rezensionsteil auf dem HZ-Titelblatt. Anfang 2012 erhielt Lothar Gall mit Andreas Fahrmeir zudem einen Co-Herausgeber für den Aufsatzteil, doch das streift bereits die Gegenwart der HZ. BWA F5/1208: Brief Wilhelm Oldenbourg an Ludwig Dehio, [München] 16.11.1956. Vgl. Wesolowski: Verleger und Verlagspolitik, S. 368 – 371.
6.1 Briefnetzwerke zwischen Redaktion und Verlag
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meiste Korrespondenz mit Kienast. Dehio wandte sich wie erwähnt lieber an Lektor und Lizenzträger Manfred Schröter.²² Horst Kliemann, als Prokurist „Oldenbourgsches Urgestein“²³ und 1946 wie Wilhelm Oldenbourg wegen nationalsozialistischer Verstrickungen von den Besatzungsbehörden abgelehnt, korrespondierte in seiner neuen Funktion als Gesellschafter ab 1956 regelmäßig mit Theodor Schieder, während er zuvor nur gelegentlich in technischen Belangen an die Herausgeber geschrieben hatte. Nach Wilhelm Oldenbourgs Tod 1960 gab auch Kliemann 1964 seine Zuständigkeit für die HZ auf. Zuerst übernahm dies Karl von Cornides, ab 1971 federführend dessen Sohn Thomas aus dem österreichischen Zweig der Verlegerfamilie.²⁴ Thomas Cornides korrespondierte bereits in den 1960er Jahren regelmäßig von München aus mit Theodor Schieffer, während Karl von Cornides von Wien aus noch die Verantwortung für die HZ inne hatte und auch die wichtigen Entscheidungen traf. In den 1970er Jahren versuchten die Verleger dann die Korrespondenz auf München zu konzentrieren, aber in wichtigen Belangen wandten sich die Herausgeber auch zuweilen noch direkt an den Senior, Karl von Cornides.²⁵ Das Verhältnis zwischen Verlegern und HZ-Herausgebern war nach den Korrespondenz-Partnerschaften Dehios mit Schröter und Kienasts mit Wilhelm Oldenbourg nicht mehr so persönlich, sondern eher geschäftlich. Die älteren
Vgl. oben, S. 379. Rudolf C. Oldenbourg, formal der Hauptverleger, widmete sich dagegen vor allem dem technischen Verlagszweig, ebenso der in die Verlegerfamilie eingeheiratete Wilhelm von Cornides. Vgl. Wittmann: Wissen für die Zukunft, S. 118, und Wesolowski: Verleger und Verlagspolitik, S. 371. Wittmann: Wissen für die Zukunft, S. 115. Ebenda, S. 119. Zu den Verwandtschaftsverhältnissen vgl. Adolf Friedl/Walter Oldenbourg: Oldenbourg (Oldenburg), Verlegerfamilie; in: NDB 19, Berlin 1999, S. 508 – 510. Beispielsweise schickte Theodor Schieffer sein Kündigungsschreiben (BWA F5/1626: Brief Theodor Schieffer an Theodor Schieder und Thomas Cornides, Köln-Lindenthal 10.03.1974) als „Orientierungskopie“ auch an Karl von Cornides, der Schieffer auch direkt antwortete (BWA F5/ 1626: Brief [Karl von Cornides] an Theodor Schieffer, Wien 15.03.1974) und zugleich strategische Empfehlungen an seinen Sohn Thomas schickte (BWA F5/1626: Brief [Karl von Cornides] an Thomas von Cornides, Wien 15.03.1974). Dass Karl von Cornides vor allem von Wien aus agierte, während Thomas Cornides in München wirkte und dort auch in den 1960er Jahren das Tagesgeschäft der HZ abwickelte, schlägt sich in den Verlagsakten dadurch nieder, dass in dieser Phase wieder verlagsinterne Debatten in Form solcher Hausmitteilungen sichtbar werden. Dieser Quellentyp, der auch bis 1937 durch die Kommunikation mit der Zweigniederlassung in Berlin entstanden war – und wichtige Einblicke etwa in die Ablösung Meineckes als HZ-Herausgeber gewährte – fehlt in den 1940er und 1950er Jahren fast völlig, weil Probleme verlagsintern stärker mündlich diskutiert werden konnten. Wenn auch Verlegergespräche über die Herausgeber in den Akten stehen, statt nur Korrespondenz mit den Herausgebern, kann sich daraus natürlich ein anderes Bild ergeben.
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Herausgeber-Verleger-Verhältnisse waren geprägt von gemeinsamer Weltsicht und gemeinsamen Lebenserfahrungen. Zudem war bei Oldenbourg und Schröter noch das Selbstverständnis als creative publishers mit der Ambition vorhanden, durch politisch engagierte Wissenschaft zu nationaler Selbstvergewisserung und nationaler Größe beizutragen.²⁶ Dennoch drückt sich in der deutlichen Zuordnung jedes Herausgebers zu einem einzelnen Mitglied der Verlagsleitung eine enge Verbindung aus. Diese wurde nicht ohne Not aufgelöst und durch eine neue Korrespondenz-Partnerschaft ersetzt. Nur das Ausscheiden aus dem Herausgeberamt oder der Verlagsleitung machte den Ersatz eines Hauptkorrespondenten erforderlich. Nicht nur wegen dieser Stabilität kommt der Verleger-Herausgeber-Beziehung eine zentrale Stellung für die Produktion der HZ zu, sondern auch deshalb, weil beide Seiten die Arbeit von eigenen Mitarbeitergruppen weitgehend autonom beaufsichtigten und auf diese Weise die oberste Steuerungsebene für die Produktion der HZ bildeten. Positiv wirkt sich auf die Quellenlage aus, dass diese oberste Steuerungsebene häufig brieflich kommunizierte und diese Korrespondenz verlagsseitig zu Dokumentationszwecken aufbewahrt wurde. Zwar finden sich auch Bemerkungen über Telefonate und persönliche Treffen,²⁷ aber selbst deren Inhalte wurden Dies hat für die Zwischenkriegszeit herausgearbeitet: Wesolowski: Verleger und Verlagspolitik, S. 369 f. Allerdings war die Klage über weniger persönliche Autor-Verleger-Beziehungen bereits dem jungen Wilhelm Oldenbourg geläufig, vgl. ebenda, S. 79 f. Eine markante Abweichung von der Regel, sich wesentlich brieflich auszutauschen, findet sich gleichwohl dokumentiert, und zwar offenbar, weil Karl von Cornides sein persönliches Treffen mit Theodor Schieder am 21. Januar 1967 als so wichtig für die künftige Gestaltung der HZ erkannte, dass er für die Münchener Dependance ein Protokoll des Gesprächs mit Schieder anfertigte (BWA F5/1625: Hausmitteilung [Karl von Cornides] an Frau Wolf, Wien 30.01.1967). Grund für die nichtschriftliche Behandlung der dort besprochenen Themen war deren delikater Charakter: Schieder und Cornides berieten darüber, wann und wie Walther Kienast als HZ-Herausgeber ausscheiden solle. Das solle zwar „nicht überstürzt“ erfolgen, und ihm solle „Gelegenheit geboten werden, selbst Vorschläge für seine Nachfolge zu machen.“ Doch den konspirativen Charakter erhielt das Gespräch dadurch, dass Kienasts Nachfolgevorschläge mit den weiteren Gedankenspielen obsolet wurden: Karl Bosl, den Cornides ins Gespräch brachte, weil er am Münchener Verlagsstandort tätig und mit dem Verlag gut bekannt war, lehnte Schieder höflich ab. Schieder empfahl angesichts seiner eigenen Nachfolgeplanung, die ab Mitte der 1970er virulent würde, bei Kienasts Ausscheiden einen oder zwei Assistenten zu Redakteuren des Rezensionsteils unter Schieders Führung zu machen, die „im Falle der Bewährung allerdings auch die Chance haben sollten, als Herausgeber aufzusteigen.“ Dabei favorisierte er seinen Assistenten Lothar Gall, „war aber auch bereit, Herrn Prof. Prinz in Erwägung zu ziehen“, der als Bosl-Schüler wohl über diesen ins Gespräch gebracht worden war. Anschließend drängte Schieder auf eine Richtungsentscheidung für seinen Assistenten, vgl. Anmerkung 103 auf S. 372. Der Verlag bevorzugte aber zunächst einen etablierten Professor und entschied sich, wie oben, S. 394, gesehen, auf Schieders Empfehlung hin für Theodor Schieffer.
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brieflich öfters aufgegriffen und sind auf diesem Wege überliefert. Viele Kommunikationsvorgänge der HZ-Herausgeber einerseits und der Verlagsspitze andererseits mit ihren jeweiligen Mitarbeitern erfolgten hingegen nur mündlich. Ausnahmen von dieser Regel entstanden vor allem bei räumlicher Entfernung, also etwa als der Verlag sich ab Mitte der 1960er Jahre zwischen München und Wien koordinierte, sowie in der Zeit, als die Herausgeber ihre Arbeit zwischen Marburg und Köln abstimmen mussten (1957– 1968).
6.1.2 Organisation von Mitarbeiterzirkeln Unterhalb der Verleger-Herausgeber-Beziehung waren auf beiden Seiten Mitarbeitergruppen mit der Produktion der HZ befasst, die in der Wissenschaftsgeschichte selten eine prominente Rolle spielen: Assistenten und Drucker, Sekretariate, Vertriebsmitarbeiter, Studierende und – nicht zu vergessen: Ehefrauen. Die Mitarbeiterzahl des Oldenbourg-Verlags hat sich zwischen 1945 und 2008 nur geringfügig erhöht.²⁸ Von den rund 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kommen in der Korrespondenz insbesondere verschiedene Sekretariate vor, die die Post erledigten, aber zuweilen auch als Korrespondenten fungierten, etwa bei Spesenabrechnungen oder statistischen Aufstellungen. Außerdem dokumentieren Hausmitteilungen in den HZ-Akten, wenn es zu Problemen im Herstellungsprozess kam, wenn die Verlagsleitung sich durch eine Kalkulation den Überblick über die wirtschaftliche Lage der HZ verschaffen wollte, oder wenn sich Abrechnungsmodalitäten änderten. Diese Verlagsmitarbeiter vermittelten vor allem die materielle, technische Produktion der HZ und handelten teilweise eigenständig die Grenzen des realistisch Machbaren sowie technische und organisatorische Veränderungen mit den HZ-Herausgebern aus. Ein markantes Beispiel dafür, wie sich die Kommunikation mit Verlagsmitarbeitern in den HZ-Akten niederschlagen konnte, ist eine Hausmitteilung, in der die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter Gicklhorn für die Verlagsleitung eine „Zusammenstellung der Ausgaben und Einnahmen“ für HZ-Band 177 vornahm. Zugleich schlüsselt das Schreiben auf, welche Anteile auf Herausgeber-Honorare entfielen, und wie sich die von Kienast erbetene Honorarerhöhung auswirken würde.²⁹ Noch am selben Tag sagte Wilhelm Oldenbourg dem Herausgeber unter Wittmann: Wissen für die Zukunft, S. 362– 365, listet für das Jahr 2008 insgesamt 217 Mitarbeiter des Oldenbourg-Verlages vom Verleger über Lektorinnen und Redaktionsassistentinnen bis zum Facility Manager auf. Das sind nicht wesentlich mehr als die 180 Mitarbeiter Ende 1945, die ebenda, S. 115, erwähnt werden. BWA F5/1644: Hausmitteilung Gicklhorn an Wilhelm Oldenbourg, [München] 15.10.1954.
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Verweis auf die ihm vorliegende Berechnung das höhere Honorar zu.³⁰ Damit erweist sich Gicklhorns Vorarbeit als Grundlage rascher verlegerischer Entscheidungsfindung. In einem anderen Fall zeigt sich Gicklhorns Zuständigkeit für Abrechnungen lediglich an einer handschriftlichen Marginalie auf einem Schreiben Kienasts. Die Notiz bestätigt, dass Gicklhorn ein von Kienast verlangtes Honorar von 50 DM an Hans Herzfeld angewiesen hat und dokumentiert so die Erledigung dieses Anliegens.³¹ Bemerkenswert ist dieser Vorgang auch deshalb, weil reguläre Abrechnungen nicht in den Korrespondenzakten mit den HZ-Herausgebern überliefert sind. In diesem Sonderfall werden vielmehr Mitwirkende an der HZ erkennbar, die sonst unerwähnt bleiben: Die 50 DM waren vorgesehen für „die Druckfertigmachung der von Fräulein Reinold handschriftlich eingesandten Meinecke-Bibliographie“ und sollten von Professor Herzfeld „dem damit befaßten Studenten als Honorar übergeben“ werden.³² Der Student bleibt unbenannt, er repräsentiert hier die zu Hilfsarbeiten herangezogenen Studierenden, deren Beitrag zum Produktionsprozess der HZ sich üblicherweise nicht in den Quellen niederschlägt. Deren Mitwirkung erfolgte sonst mittelbar über einen Professor, der die Arbeit überprüfte, verantwortete und wohl auch finanzierte. Erkennbar wird dies in den Akten, wenn Walther Kienast seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Verhandlungen über sein Herausgeberhonorar besser berücksichtigt sehen wollte: Kienast beschäftigte stets Hilfskräfte, die Schreibarbeiten, Registererstellung oder die Verwaltung der verschiedenen Karteien übernahmen. Vor dem Zweiten Weltkrieg stand ihm dafür eine ordentliche Sekretärin zur Verfügung, bei Neubeginn der HZ halfen zuerst seine Ehefrau und sporadisch eingesetzte Studenten mit, bis Kienast 1954 seinen Doktoranden Günter Gattermann anwarb.³³ Seinen „Adla-
BWA F5/1644: Brief Wilhelm Oldenbourg an Walther Kienast, [München] 15.10.1954. BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an Wilhelm Oldenbourg, Frankfurt 16.08.1952 (Notiz Gicklhorn, [München] 20.08.1952). BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an Wilhelm Oldenbourg, Frankfurt 16.08.1952. Die Bibliographie erschien in der Meinecke-Festschrift der HZ: Anne-Marie Reinold: Friedrich-Meinecke-Bibliographie. In Auswahl zusammengestellt zum 90. Geburtstag am 30. Oktober 1952; in: HZ 174 (1952), S. 503 – 523. Die wissenschaftliche Arbeitsorganisation macht regelmäßig solche Arbeitseinsätze im weitesten Sinne unsichtbar, die unentgeltlich erfolgen. Bei genauer Betrachtung ist solche Mitarbeit allerdings unverzichtbar, auch für eine Monographie wie diese. Von den zahlreichen Mitwirkenden, die ihre Zeit für Diskussion, Zuspruch, Korrekturen und andere Unterstützung geopfert haben, ohne die ich diese Untersuchung nicht hätte fertigstellen können, möchte ich an dieser Stelle Benjamin Weidemann namentlich danken. BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an Wilhelm Oldenbourg, Frankfurt 23.09.1954; BWA F5/ 1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 19.12.1964.
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tus“³⁴ beschäftigte Kienast mit „im Tagesdurchschnitt 4 Stunden Arbeit“³⁵ und bezahlte ihm anfangs pro Heft, also alle zwei Monate, „die schon damals exorbitant niedrige Summe von DM 150.–.“³⁶ Dafür genehmigte Wilhelm Oldenbourg die verlangte Erhöhung von Kienasts Hefthonorar von 460 auf 600 DM, während Ludwig Dehio weiterhin 200 DM je Heft erhielt.³⁷ Den größtmöglichen Einfluss, den Mitarbeiter Kienasts auf die in der HZ erscheinenden Rezensionen ausüben konnten, illustriert ein einmaliger Vorgang: Günter Gattermann notierte handschriftlich auf einem Brief Kienasts an den Verlag seine Empfehlung, ein Buch gar nicht zu rezensieren, obwohl es im Vorjahr in der HZ-Liste „Neue Bücher“ aufgeführt war.³⁸ Die erstaunliche Mitteilung des Doktoranden, dieses Buch „würde ich wegen des Verlegers nicht in der HZ besprechen lassen“,³⁹ führte offenbar tatsächlich zu dessen Absetzung. Es handelte sich um die Erinnerungen Walter Zechlins an seine Tätigkeit als „Pressechef bei Ebert, Hindenburg und Kopf“.⁴⁰ Pikanterweise gab es keinen guten Grund, das Buch nicht in der HZ zu besprechen, da Gattermanns Begründung auf einer Verwechslung beruhte: Er gab den Verlag als „Schlüter“ an⁴¹ und meinte damit wohl irrtümlich Leonhard Schlüter, den rechtsradikalen Politiker und Göttinger Verleger, der 1955 für wenige Tage skandalträchtig als niedersächsischer Kultusminister amtierte und damit so entschiedenen Widerstand der Göttinger Universität provozierte, dass „Der Spiegel“ ihm ein Titelblatt und ausführliche Berichterstattung widmete.⁴² Doch nicht Leonhard Schlüters 1951 gegründete „Göttinger
BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an Wilhelm Oldenbourg, Frankfurt 22.11.1955; Kienast nennt Gattermann auch seinen „Sekretär“ oder „Assistent“, etwa in BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an Wilhelm Oldenbourg, Frankfurt 23.09.1954. BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an Wilhelm Oldenbourg, Frankfurt 23.09.1954; BWA F5/ 1644: Brief Walther Kienast an Wilhelm Oldenbourg, Frankfurt 04.12.1955. BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 19.12.1964. BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an Wilhelm Oldenbourg, Frankfurt 23.09.1954; BWA F5/ 1644: Hausmitteilung Gicklhorn an Wilhelm Oldenbourg, [München] 15.10.1954; BWA F5/1644: Brief Wilhelm Oldenbourg an Walther Kienast, [München] 15.10.1954. Die Hefthonorare geben auch für die Zeit vor 1945 wichtigen Aufschluss über die Arbeitsverteilung bei der HZ-Produktion, vgl. Ritter: Meinecke und Oldenbourg. Hans Jessen: Neue Bücher; in: HZ 184 (1957), S. 490 – 496, hier S. 495. Notiz Gattermanns in BWA F5/1613: Brief Walther Kienast an Horst Kliemann, Frankfurt 05.05. 1958. Walter Zechlin: Pressechef bei Ebert, Hindenburg und Kopf. Erlebnisse eines Pressechefs und Diplomaten, Hannover 1956. Dabei folgte Gattermann der trügerischen Angabe in Hans Jessens Bibliographie, siehe oben, Anmerkung 38. Schlüter. Ein Feuer soll lodern; in: Der Spiegel Nr. 25, 15. Juni 1955, S. 12– 24.
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Verlagsanstalt für Wissenschaft und Politik“⁴³ hatte Zechlins Erinnerungen verlegt, sondern die auf eine über 200jährige Verlagstradition zurückblickende „Schlütersche Buchdruckerei – Verlagsanstalt“ in Hannover.⁴⁴ Der Fall Schlüter war offenbar nach drei Jahren noch im Bewusstsein präsent, und die Namensgleichheit mit einem Verleger fragwürdigen Ansehens reichte für Kienast und den Verlag aus, um Gattermanns Initiative zu folgen und ein Buch aus der ohnehin gut gefüllten Liste der zu rezensierenden Werke zu streichen. Seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bezahlte Kienast von seinem Herausgeberhonorar mit, unabhängig davon, ob er einen Studenten beschäftigte, dessen Ehefrau, oder ab 1958 wieder eine Sekretärin, Frau Allers.⁴⁵ Die Aufgaben, die zuerst Frau Kienast, dann Frau Gattermann und schließlich Frau Allers übernahmen, scheinen als Frauenarbeit geschlechtlich codiert gewesen zu sein und umfassten wohl die Erledigung der Post und andere Schreibarbeiten. Dass die Mitarbeit von nicht als Historikerinnen ausgewiesenen Frauen in der Korrespondenz kaum erwähnt wird und ihre Vornamen offenbar nicht als relevant galten, spricht für die Selbstverständlichkeit impliziter Mitwirkung von Frauen an der Arbeit von Historikern. Zum Thema macht Kienast diese Frauen als Argument für Honorarerhöhungen der ihnen „vorgesetzten“ Männer, jeweils mit impliziten Verweisen darauf, dass ihre Beteiligung an der Arbeit auch ihre Versorgung durch Beteiligung am Einkommen begründete.⁴⁶ Dabei betont Kienast stets die hierarchische Ordnung, in der er „die mechanischen Registerarbeiten, das Tippen der Briefe usw.“⁴⁷ deutlich unterhalb der geistigen Arbeit des (männlichen) Historikers verortet: Es sei, klagt er etwa, „ein grauenhafter Stumpfsinn“, dass er „mehrere tausende von Zetteln, die Frau Allers für das Register ausgeschrieben hat,“ nun „Stück für Stück zu überprüfen“ habe, um „sie umzuschreiben, wo sie bei kom-
Ebenda, S. 18. Für das heute als „Schlütersche Verlagsgesellschaft“ firmierende Unternehmen ist seit langem die Kurzform „Schlütersche“ etabliert. Siehe zur Verlagsgeschichte [Günter Warnecke, Horst Dreßel, Friedrich Oehler]: Zeitreise durch ein Vierteljahrtausend. 1747– 1997. Die Chronik der Schlüterschen, Hannover 1997 (Schlütersche Verlagsanstalt und Druckerei. Hannover. 1747– 1997). Der Hinweis, Ende der 1950er Jahre habe es öfters „Verwechslungen der Schlüterschen mit einem Herrn Schlüter aus Göttingen“ gegeben, ist dem ehemaligen Geschäftsführer der Schlüterschen Horst Dreßel zu verdanken. E-Mail Cornelia Oppenborn an Matthias Krämer, 24. Juni 2011. BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 01.12.1964. BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an Wilhelm Oldenbourg, Frankfurt 03.06.1952; BWA F5/ 1644: Brief Walther Kienast an Wilhelm Oldenbourg, Frankfurt 23.09.1954; BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 19.12.1964. BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 19.12.1964.
6.1 Briefnetzwerke zwischen Redaktion und Verlag
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plizierten Titeln Fehler gemacht hat.“⁴⁸ Dies ist aber nicht als Klage über mangelnde Befähigung von Frau Allers zu verstehen, da Kienast gerade erst mit der Begründung seinen Rücktritt als Herausgeber angekündigt hatte, dass es „unter den heutigen Verhältnissen unmöglich“ sei, „einen gleichwertigen Ersatz für Frau Allers zu finden“ und er sich „nicht längere Zeit mit kurzfristig beschäftigten unfähigen Mädchen herumärgern“ wolle.⁴⁹ Kienasts herabwürdigende Angst vor „unfähigen Mädchen“ zeigt vielmehr, dass er davon ausging, lediglich junge, unerfahrene und schlecht qualifizierte Frauen für die betreffenden Aufgaben einer „Schreibhilfe“⁵⁰ finden zu können. Markant ist auch das Argument, Kienast müsse „einen so beträchtlichen Teil meines Honorars“ der Hilfskraft überlassen, dass „ein Mißverhältnis zu meiner eigenen Arbeit entstanden ist“, daher sei eine Erhöhung von Kienasts Honorar notwendig.⁵¹ Die Empörung, die eine Infragestellung der Hierarchie zwischen „geistiger“ Historikerarbeit und „mechanischer“, meist als Frauenarbeit konnotierter Hilfskraftarbeit auf dem Wege der Lohnangleichung auslöste, brachte Kienast zu ganz grundsätzlichen Ausführungen über Arbeit und Verdienst: „Wir bestehen darauf, dass unsere Honorare in demselben Masse ansteigen, wie die Gehälter Ihrer Arbeiter und Angestellten, auch in Zukunft. Auseinandersetzungen wie die gegenwärtigen möchten wir nicht wieder erleben. Ich brauche nicht zu betonen, dass die eigentliche finanzielle Seite der Sache für mich ganz nebensächlich ist. Aber ich mache die fortschreitende Abwertung der geisteswissenschaftlichen Arbeit nicht mehr mit. Selbstverständlich würde es für mich untragbar sein, dass mein Honorar auf die Dauer unter das der Sekretärin sänke.“⁵²
Die betonte Nebensächlichkeit der „finanziellen Seite“ stellt einen Vorgriff auf Kapitel 6.2.3 dar. Es kostete Kienast offenbar Überwindung, überhaupt über Geld zu verhandeln. Er verwies in seinen Begründungen für Honorarerhöhungen wiederholt auf eine (so nicht genannte) Mitarbeiterhierarchie oder symbolische Ordnung der HZ, die gewahrt werden müsse. Damit reagierte er auf den Vorwurf
Ebenda. BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 01.12.1964. Wiederkehrender Begriff, vgl. BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an [Wilhelm Oldenbourg], Marburg 18.05.1947; BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 19.12. 1964. BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an Wilhelm Oldenbourg, Frankfurt 23.09.1954. BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 19.12.1964; vgl. ähnliche Ausführungen, „wie die Wertschätzung der geistigen Arbeit in der Bundesrepublik gesunken ist“, wenn die „Honorare noch immer hinter dem Stundenlohn von Putzfrauen zurückbleiben“. BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 01.12.1964.
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6 Produktionsbedingungen der Historischen Zeitschrift
der Verlagsleitung, „dass erstmalig in der 100jährigen Geschichte der ‚HZ‘ Honorarverhandlungen in dem Stil von Auseinandersetzungen zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberverbänden geführt wurden“,⁵³ dass also Kienast sich nicht wie ein würdiger HZ-Herausgeber desinteressiert an Geld gegeben habe.⁵⁴ Wegen dieses Zusammenhangs von Bezahlung und der hierarchischen Organisation von HZ-Mitarbeitern werden beide Themen in der Korrespondenz selten angesprochen, aber wenn, dann fast immer gemeinsam. Nur aus diesem Zusammenhang sind auch konkrete Verhältnisse der Arbeitsorganisation schriftlich überliefert:⁵⁵ Den Rezensionsteil erstellten demnach in den 1950er und frühen 1960er Jahren zwei Personen ungefähr in Halbtagsarbeit.⁵⁶ Doch das Arbeitspensum stieg an, und so wurde bereits 1967 Lothar Gall, damals Assistent Schieders, damit beauftragt, Kienast beim Besprechungsteil zu unterstützen, indem er das „Besprechungswesen für die neue und neueste Geschichte neu“⁵⁷ organisiere. Die Aufteilung der Arbeit zwischen einem Professor und dem Assistenten eines anderen Professors funktionierte jedoch nicht reibungslos,⁵⁸ schließlich hatte ansonsten jeder Herausgeber in seinem Zeitschriftenteil das letzte Wort und war seinen Mitarbeitern direkt vorgesetzt.
BWA F5/1614: Brief Karl von Cornides an Walther Kienast, München 09.12.1964. Den Vorwurf einer „Gewerkschaftstaktik“ empfand Kienast als so verletzend, dass er über drei Monate später noch einmal brieflich darauf zurück kam und sich unter Verweis auf seine „Zwangslage“ erneut rechtfertigte: BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 03.04.1965. Cornides wiederholte sein Befremden, dass Kienasts „Vorgehen in der Honorarfrage bei mir einen gewissen Schock und Zweifel darüber hervorgerufen hat, wie Sie die Zusammenarbeit mit uns ansehen“. BWA F5/1614: Brief Karl von Cornides an Walther Kienast, München 30.04.1965. Vgl. im Kontrast dazu die Argumentation in Honorarverhandlungen der ersten Nachkriegsjahre, als Kienast noch nicht als Herausgeber firmierte: Er müsse „in meiner gegenwärtigen Situation die Dinge leider auch von der finanziellen Seite ansehen“, um „den nötigsten Lebensunterhalt für meine Familie und mich“ zu decken. BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an [Wilhelm Oldenbourg], Marburg 15.08.1948. Besonders aufschlussreich ist hier der Konflikt um die Honorare, da er zur aufgeschlüsselten Niederschrift einzelner Tätigkeitsschritte bei der Redaktion der HZ führte: BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 11.11.1964; BWA F5/1614: Brief [Karl von Cornides] an Walther Kienast, Wien 23.11.1964; BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 01.12.1964; BWA F5/1614: Brief Karl von Cornides an Walther Kienast, München 09.12. 1964; BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 19.12.1964. 1955 berichtete Kienast, dass „er [Gattermann] täglich über 4, ich [Kienast] annähernd 3 Stunden durch die HZ beansprucht werden. Das ist die Grenze des für eine Nebentätigkeit Möglichen.“ BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an Wilhelm Oldenbourg, Frankfurt 04.12.1955. BWA F5/1625 (auch in F5/1614): [Hausmitteilung von Karl von Cornides an Frau Wolf und Thomas Cornides], Wien 04.04.1967. BWA F5/1614: [Hausmitteilung von Karl von Cornides an Thomas Cornides], Wien 15.03.1968.
6.1 Briefnetzwerke zwischen Redaktion und Verlag
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Mit den deutlich größeren Ressourcen, aktivierbaren Mitarbeitern und für die Zwecke der HZ abstellbaren Hilfskräften gelang es Theodor Schieder, nach und nach mehr Elemente des HZ-Produktionsprozesses in Köln anzusiedeln. Mit Kienasts Demission holte er die Zeitschrift ganz nach Köln und verankerte sie dann durch Verstärkung der Mitarbeit fest in seiner eigenen Schule. Entscheidend war dabei, dass Schieder konsequent seine Ressourcen für den Besprechungsteil bereitstellte,⁵⁹ der das eigentliche Gravitationszentrum der HZ in organisatorischer, finanzieller und netzwerkanalytischer Hinsicht ist. Der Herausgeber des Aufsatzteils hatte zwar mehr symbolisches Kapital, er wurde etwa auf dem Titelblatt zuerst genannt. Im Rezensionswesen steckt aber damals wie heute das soziale Kapital des Wissenschaftsbetriebs und die Macht, symbolisches Kapital in unsichtbarer und sichtbarer Weise umzuverteilen. Das Besprechungswesen der HZ zu organisieren, das bedeutete vor dem Computerzeitalter vor allem: zu besprechende Bücher erheben, auswählen, jeweils Rezensenten finden und sie zur Abgabe eines Manuskripts drängen, das dann redaktionell weiterverarbeitet werden konnte. Schon 1948 schätzte Kienast die Kartei der Mitarbeiter auf „wohl gegen 1000“ Karten, „die am Kopf den Namen des Mitarbeiters und darunter die von ihm übernommenen Bücher zeigen“.⁶⁰ Die Zahl von tausend potentiellen Rezensenten und anderen Mitarbeitern ist wohl im Bereich des Tiefststandes unseres Betrachtungszeitraums anzusiedeln.⁶¹ Man kann netzwerktheoretisch davon ausgehen, dass die gleichzeitige Zugehörigkeit zum Mitarbeiternetz einer Zeitschrift wechselseitige Anerkennung ausdrückt, die durch die von den Herausgebern vorgenommene Auswahl als möglicher Mitarbeiter vermittelt wird und auf diese Weise sowohl der Zeitschrift als auch ihren Mitarbeitern symbolisches Kapital bereitstellt.⁶² Daher ließen sich mit Hilfe solcher Mitarbeiterkarteien aufschlussreiche formale Netzwerkanalysen erstellen: Grundsätzlich muss man davon ausgehen, dass es um den kleinen Kreis der Redaktionsmitarbeiter einen mittleren Umkreis von Rezensenten gibt und einen größeren Umkreis von Rezensierten. Das Verhältnis
BWA F5/1625 (auch in F5/1614): [Hausmitteilung von Karl von Cornides an Frau Wolf und Thomas Cornides], Wien 04.04.1967. BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an den Verlag Oldenbourg, Marburg 30.08.1948. Gleiches gilt für die Angabe von „einigen hundert“ ausgegebenen Rezensionen und versandten Rezensionsexemplaren, zuzüglich mehreren hundert länger als zehn Jahre ausgegebenen Rezensionen, die noch immer nicht eingereicht waren. BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an den Verlag Oldenbourg, Marburg 30.08.1948. Vgl. dazu näher die Ausführungen unten in den Abschnitten 6.2.2 und 6.2.3, wo ich konkrete Verteilungsentscheidungen und den Wert solcher Kapitalbestände vorstelle und diskutiere, auch im Verhältnis zu ökonomischem Kapital.
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6 Produktionsbedingungen der Historischen Zeitschrift
dieser beiden Umkreise zueinander ist etwa aussagekräftig zu der Frage, wie repräsentativ eine Zeitschrift für das von ihr behandelte Forschungsfeld ist, also wie breit die Gruppe der in der Zeitschrift Sprechenden im Verhältnis zur Gruppe der Besprochenen ist. Leider habe ich keine derartigen Karteien im Verlagsarchiv gefunden. In der HZ-Redaktion gibt es jedoch eine von Lothar Gall in den 1970er Jahren begonnene Rezensentenkartei, die in den 1990er Jahren von einer Datenbank abgelöst wurde. Letztere dürfte sehr viel leichter auswertbar sein, ist aber nicht öffentlich zugänglich.⁶³ Denn das detaillierte Wissen um die Rezensentennetzwerke einer Fachzeitschrift kann man durchaus als Geschäftsgeheimnis betrachten – ebenso wie die Verlagsinformationen über den wohl größten Personenkreis im Netzwerk einer Fachzeitschrift, den Kreis der Leserinnen und Leser.⁶⁴
6.2 Fachzeitschriften und Kapitalsorten Fachzeitschriften stehen im Zentrum der wissenschaftsinternen Kommunikation:⁶⁵ Anders als Monographien bieten sie einen kontinuierlichen Ort zum Informationsaustausch. Zudem erfolgt die Kommunikation mittels Zeitschriften regelmäßig komprimierter, kontroverser und vor allem schneller als mittels Monographien. Andere Kommunikationsformen, die ebenfalls die Austragung von Kontroversen und Konflikten erlauben, etwa Kongresse, Konferenzen, Korrespondenz sowie Telefon- und persönliche Gespräche, sind sogar noch schneller
Laut den freundlichen Auskünften von Lothar Gall über die Rezensentenkarteien der HZ liegt die geschätzte Gesamtzahl der Rezensentinnen und Rezensenten bei etwa 1000, die Zahl der regelmäßig Mitarbeitenden jedoch deutlich niedriger. Brief Lothar Gall an Matthias Krämer, Frankfurt am Main 27. März 2013. Für grundsätzliche Überlegungen zur Erforschung solcher zu Fachzeitschriften gehörenden Personengruppen vgl. Matthias Middell: Vom allgemeinhistorischen Journal zur spezialisierten Liste im H-Net. Gedanken zur Geschichte der Zeitschriften als Elementen der Institutionalisierung moderner Geschichtswissenschaft; in: Matthias Middell (Hg.): Historische Zeitschriften im internationalen Vergleich, Leipzig 1999, S. 7– 31, hier S. 11 f. Vgl.Winfried Schulze: Zur Geschichte der Fachzeitschriften.Von der „Historischen Zeitschrift“ zu den „zeitenblicken“; in: Historical Social Research 29 (2004), Heft 1, S. 123 – 137, besonders S. 123 f., wo „Fachzeitschriften als relevantestes Medium der Fachinformation“ vorgestellt sowie Chancen und Lücken ihrer Erforschung betont werden. Wolfgang Weber hat nach seiner kollektivbiographischen Untersuchung über die deutschsprachige Geschichtswissenschaft selbstkritisch festgestellt, dass manches gegen seine Hypothese über die Lehrstuhlbesetzungen als entscheidender Faktor für die Durchsetzung des Historismus spreche: „Der tatsächlich entscheidende Bereich wäre dann die wissenschaftliche Kommunikation, deren Maßstäbe dementsprechend noch viel genauer untersucht werden müßten.“ Weber: Ordinarien für Geschichte, S. 145.
6.2 Fachzeitschriften und Kapitalsorten
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und bisweilen hitziger, ihnen mangelt es aber – im Gegensatz zu Zeitschriften – insbesondere an der Kombination zweier Merkmale moderner Wissenschaft: Schriftlichkeit und Öffentlichkeit.⁶⁶ Der Nimbus etablierter Fachzeitschriften entspringt dabei nicht zuletzt ihrer Fähigkeit, den Autoren eine institutionalisierte Sprecherposition zuzuweisen, die deren Kompetenz und Legitimität verbürgt.⁶⁷ Diese Fähigkeit besitzen Zeitschriften aufgrund ihres Prestiges, ihres geballten symbolischen Kapitals im Sinne Bourdieus. Dessen Verleihung an Autoren funktioniert bei Fachzeitschriften ähnlich wie es Olaf Blaschke für Fachverlage beschrieben hat.⁶⁸ Doch Zeitschriften können noch größeres – oder in speziellen Bereichen konzentrierteres – symbolisches Kapital ansammeln und Autoren damit ausstatten. Ich befasse mich im Folgenden am Beispiel der HZ der Nachkriegszeit mit den Fragen, welche Form Kapital in der Produktion von Fachzeitschriften annehmen kann, wie im Produktionsprozess vor allem das symbolische Kapital entsteht, wie es über verschiedene Netzwerke verteilt wird, und welche Prägekraft diese Prozesse für das jeweilige wissenschaftliche Feld haben.
Zwar sind Briefe schriftlich und Kongresse zumindest teilöffentlich. In vielen Fällen versucht man auch, den genannten Kommunikationsformen im Nachhinein jene Merkmale zu verschaffen, etwa durch Kongressberichte, Tagungsbände, Protokolle oder Briefeditionen. So wird zwar ihre Rezeption durch die scientific community möglich, ein schriftlicher und öffentlicher Kommunikationsort, der wie eine Zeitschrift die aktive Teilnahme der ganzen scientific community mindestens prinzipiell ermöglicht, entsteht so jedoch nicht. Mit audiovisuellen und digitalen Medien sind seit dem 20. Jahrhundert neue Kommunikationsformen entstanden, die breite Öffentlichkeit herstellen und Schriftlichkeit gewähren oder transformieren können. Die Zentralstellung von Fachzeitschriften in der wissenschaftsinternen Kommunikation ist spätestens seit der Entstehung von Mailinglisten wie H-Soz-u-Kult in den 1990er Jahren nicht mehr unangefochten. Doch das Beispiel H-Soz-u-Kult zeigt auch, wie digitale Medien sich an Zeitschriften orientieren und sie imitieren, bis hin zur Zweitverwertung von H-Soz-u-Kult-Rezensionen als zeitweilig sogar gedruckte Zeitschrift unter dem Titel „Historische Literatur“. Vgl. zu H-Soz-u-Kult Rüdiger Hohls/ Peter Helmberger: H-Soz-u-Kult: Eine Bilanz nach drei Jahren; in: Historical Social Research 24 (1999), Heft 3, S. 7– 35; zu online und gedruckt publizierten Hybridzeitschriften Rüdiger Hohls: HSoz-u-Kult. Kommunikation und Fachinformation für die Geschichtswissenschaften; in: Historical Social Research 29 (2004), Heft 1, S. 212– 232; zur Tendenz von Online-Formaten zur Anpassung an Print-Gewohnheiten Peter Helmberger: Historische Rezensionen im Internet. Entwicklung – Probleme – Chancen; in: Historical Social Research 29 (2004), Heft 1, S. 173 – 185, besonders S. 179 – 183; und zum Medienwandel mit Parallelität von Print- und Online-Zeitschriften Schulze: Zur Geschichte der Fachzeitschriften, S. 132– 135. Vgl. Foucault: Archäologie, S. 525 – 531, im Abschnitt „Die Formation der Äußerungsmodalitäten“. Zum symbolischen Kapital von Verlagen vgl. Blaschke/Raphael: Kampf um Positionen. Blaschke: Hand am Puls der Forschung, S. 101, beschreibt das Verlagssignet als Träger symbolischen Kapitals, als Gütesiegel für das Prestige der bei diesem Verlag beheimateten Autoren; vgl. insgesamt Blaschke: Verleger machen Geschichte.
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6 Produktionsbedingungen der Historischen Zeitschrift
6.2.1 Wissen als Kulturkapital In der Wissenschaft ist es nach herkömmlicher Auffassung und aus der gängigsten Akteursperspektive Wissen, das als legitim anerkannt wird.⁶⁹ Mit Bourdieu lässt sich Wissen als eine Form kulturellen Kapitals einordnen, genauer gesagt inkorporierten Kulturkapitals.⁷⁰ Dass das Verhalten im wissenschaftlichen Feld sich um Wissensbestände und ihre Erzeugung dreht, ist sowohl Bedingung der Akteursperspektive in diesem Spiel als auch Voraussetzung der Existenz des wissenschaftlichen Feldes selbst: „Dieser Glaube an die Sinnhaftigkeit des Spiels in einem bestimmten Feld und an die Bedeutung dessen, was auf dem Spiel steht, lässt das Feld erst im eigentlichen Sinne entstehen. Dieser Glaube bleibt implizit, er macht die doxa des Feldes oder die feldspezifische illusio […] aus.“⁷¹
Bourdieus Außenperspektive auf das wissenschaftliche Feld versucht, die in der illusio begründete Fixierung auf verlässliches Wissen zu überwinden: Demnach geht es in der Wissenschaft, wie in jedem anderen Feld, um die Kapitalkonfiguration im Feld insgesamt, und zwar im jeweiligen Eigeninteresse der Akteure.⁷² Wissenschaftliches Wissen ist dabei immer eingebunden in die Konfiguration der übrigen Kapitalformen: Grundlegendster Träger von Wissenskapital in diesem Sinne ist eine Proposition⁷³, also eine Aussage über einen Sachverhalt, und zwar
Vgl. Tetens: Wissenschaft, besonders S. 1763 ff. Siehe dazu Bourdieu: Kapitalsorten, S. 55 – 59, jedoch mit Einschränkungen: Bourdieu bestimmt inkorporiertes Kulturkapital, indem er von „dauerhaften Dispositionen des Organismus“ (ebenda, S. 53) spricht, was eher auf Handlungsmöglichkeiten oder Fähigkeiten hindeutet als auf Wissensbestände. Allerdings nennt er objektiviertes Kulturkapital (ebenda, S. 59) die „materiellen Träger“ von inkorporiertem Kulturkapital, was im Falle von Büchern darauf schließen lässt, dass mit inkorporiertem Kulturkapital auch Wissen im engeren Sinne gemeint ist. Auch Bourdieus Fokus bei der Beschreibung von inkorporiertem Kulturkapital auf Dinge, die eine Person lernen kann, beispielsweise Lesefähigkeit (ebenda, S. 57) oder Sprachkenntnisse (ebenda, S. 61), lässt die Konzeption solchen Könnens als Zusammensetzung aus zahlreichen einzelnen Wissensbeständen zu. So ergibt sich die Fähigkeit zu lesen basal aus dem Wissen, dass bestimmten Zeichen bestimmte Bedeutungen zugeordnet sind, und der Übung darin, diese Zuordnungsvorgänge durchzuführen. Fuchs-Heinritz/König: Bourdieu, S. 145 f. Vgl. Fuchs-Heinritz/König: Bourdieu, S. 156. Zum Begriff vgl. Christoph Lumer: Proposition; in: Hans Jörg Sandkühler (Hg.): Enzyklopädie Philosophie. Band 2: O–Z, Hamburg 1999, S. 1320 – 1323.
6.2 Fachzeitschriften und Kapitalsorten
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insofern die Proposition für wahr gehalten wird.⁷⁴ Jede einzelne Information ist demnach nur dann als Kapital nutzbar, wenn sie von den Beteiligten als wahr anerkannt wird. Der Modus der durch symbolisches Kapital vermittelten Legitimität ist also im Fall von propositionalem kulturellem Kapital dessen angenommene Wahrheit. Ähnliches gilt für nichtpropositionale Wissensformen, die ebenfalls zum kulturellen Kapital gehören: gegenständliches Wissen oder Kenntnis eines Objekts (Wissen von) sowie Fähigkeitswissen oder Können (Wissen wie).⁷⁵ Personen können alle diese Arten von Wissen besitzen, aber ihre Anerkennung und Bewertung als kulturelles Kapital hängen von den anderen Akteuren im jeweiligen Feld ab, in dem das Wissen zum Einsatz kommen kann. Insofern ist Bourdieus Theorie des kulturellen Kapitals bereits in sich sozial determiniert, was Bourdieus Wissenschaftstheorie als wissenssoziologisch bestimmt. Neben dem symbolischen Kapital, das in dieser Hinsicht die Anerkanntheit von Wissen ausdrückt, kommt daher dem sozialen Kapital zentrale Bedeutung auch im wissenschaftlichen Feld zu: Denn das soziale Kapital beschreibt die Beziehungen eines Akteurs zu den Akteuren der Anerkennung seines jeweiligen Wissens. Und diese Beziehungen prägen den Vorgang der Anerkennung ungemein. Die Eigenlogik des wissenschaftlichen Feldes verlangt dabei von den um Kapitalkonfigurationen (oder Positionen⁷⁶) im Feld konkurrierenden Wissenschaftlern, bei ihrer Tätigkeit einen wissenschaftlichen Habitus zu Grunde zu legen und die entsprechende illusio vorauszusetzen. Daher ist es unerheblich, ob die Produktion verlässlichen Wissens laut Akteursperspektive das intendierte Ziel wissenschaftlicher Tätigkeit ist, oder ob laut Außenperspektive auf dieselbe wissenschaftliche Tätigkeit das Ziel die interessegeleitete Optimierung der eigenen Kapitalkonfiguration ist, die nur nach den Regeln des Feldes stattfinden kann.⁷⁷ Es handelt sich bei beiden Perspektiven lediglich um verschiedene Beschreibungsweisen derselben Phänomene, nur dass den Akteuren eines Feldes
Im Hinblick auf eine Person, den Träger inkorporierten Kulturkapitals, ist eine für wahr gehaltene Proposition nichts anderes als eine Überzeugung. Auch Überzeugungen können zu den „dauerhaften Dispositionen des Organismus“ (siehe S. 406, Anmerkung 70) gezählt werden. Zu dieser Unterscheidung von Wissensarten vgl. Pascal Engel: Wissen; in: Hans Jörg Sandkühler (Hg.): Enzyklopädie Philosophie. Band 2: O–Z, Hamburg 1999, S. 1759 – 1763, hier S. 1759. Siehe für Überlegungen zum Zusammenhang von propositionalem Wissen und Fähigkeitswissen in Bourdieus Konzeption wiederum oben, Anmerkung 70 auf S. 406. Vgl. Blaschke/Raphael: Kampf um Positionen. Vgl. Fuchs-Heinritz/König: Bourdieu, S. 156. Dass „wissenschaftliche Wahrheit als eventuell nicht-intendiertes Resultat aus den interessenorientierten Kämpfen der Wissenschaftler“ hervorgehe (ebenda), ist aber insofern falsch, als die bewusste Intention der Akteure nirgendwo anders als in der Akteursperspektive gesucht werden kann, die auf wissenschaftliche Wahrheit ausgerichtet sein muss, um den Regeln des Feldes zu entsprechen.
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6 Produktionsbedingungen der Historischen Zeitschrift
die Außenperspektive zunächst unzugänglich ist.⁷⁸ Sie setzt herausfordernde Prozesse der Selbstdistanzierung und Reflexion voraus.
6.2.2 Sozialkapital in der Wissenschaft Eine von Bourdieus Feldtheorie geprägte Wissenschaftsanalyse und die wissenssoziologische Frage nach der sozialen Bedingtheit von Wissen und Wissenschaft erfordern eine kritische Perspektive auf Netzwerke. Zwar wäre es auch denkbar, den Netzwerkbegriff wie in der Unternehmensgeschichte häufig als begeisterten Verweis auf die Gewinnmöglichkeiten von joint ventures zu benutzen.⁷⁹ Doch da Wissenschaftsforschung auch zur Selbstreflexion von Wissenschaft beiträgt, ist eine wissenschaftshistorische Untersuchung von Netzwerken zur Beachtung von Ansatzpunkten für Wissenschaftskritik genötigt.⁸⁰ Einschlägig sind hier vor allem aus den Sozialbeziehungen möglicherweise erwachsende Rationalitätsmängel. Die Anhäufung von Sozialkapital stellt in dieser Hinsicht zwar eine Stärkung der Akteure und Netzwerke, in denen dieses Kapital erzeugt wird, dar. Als Gewinn für die Wissenschaft lässt sich dies jedoch nicht so einfach qualifizieren. Diese Spannung basiert auf den disparaten Ausgangspunkten der Bourdieuschen Feldtheorie und der Netzwerkanalyse trotz gemeinsamer Verwendung des Sozialkapitalbegriffs.⁸¹ Netzwerke bilden eine soziale Struktur ab. Personenbeziehungen erscheinen grafisch als Verbindungslinien zwischen den durch Netzwerkknoten repräsentierten Personen. Auf diese Weise erzeugen Netzwerke eine „für Historiker leicht begehbare Brücke zwischen Struktur- und Handlungsebene“,⁸² um die Kluft zwischen strukturzentrierter und personenzentrierter Geschichte zu überwinden. Durch „Soziale Einbettung“ sollen Einzelhandlungen von Akteuren als mit einem Bündel weiterer sozialer Beziehungen verflochten verstanden werden,⁸³ um ihre Erklärung aus der Beschränkung auf ein simplifizierendes ökonomistisches Kalkül zu befreien und an die zugrundeliegende Struktur anzubinden. Stefan Bern-
Fuchs-Heinritz/König: Bourdieu, S. 146. Vgl. Reitmayer/Marx: Netzwerkansätze in der Geschichtswissenschaft, v. a. S. 876. Wie unten, S. 413, erwähnt, ist die Forderung nach Reflexivität der Sozialwissenschaften auch ein wesentliches Element von Bourdieus Konzeption. Stefan Bernhard hat eine Verknüpfung beider Ansätze vorgeschlagen, um die Theorieferne der Netzwerkanalyse ebenso wie die fehlende Operationalisierung von Bourdieus Feldtheorie zu beheben, vgl. Bernhard: Netzwerkanalyse und Feldtheorie. Reitmayer/Marx: Netzwerkansätze in der Geschichtswissenschaft, S. 876. Stark: Netzwerke in den Geschichtswissenschaften, S. 190.
6.2 Fachzeitschriften und Kapitalsorten
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hard empfiehlt zur Verschmelzung von Netzwerkanalyse und Feldtheorie sogar eine doppelte Einbettung: Akteure sollen in Netzwerke eingebettet betrachtet werden, die Netzwerke wiederum unter Beachtung ihrer Einbettung in das soziale Feld.⁸⁴ Im vorliegenden Fall handelt es sich durchgängig um Akteure, die Bestandteile der HZ-Netzwerke sind. Diese HZ-Netzwerke jedoch sind mehreren sozialen Feldern zuzuordnen, die – obwohl eng verknüpft – nach unterschiedlichen Regeln funktionieren: Offensichtlich ist zunächst das akademische Feld der Geschichtswissenschaft, in dem allerdings nicht nur professionell tätige Historiker, sondern eben auch historische Fachverlage wie der Oldenbourg-Verlag tätig sind. Ideell ist dieses Feld auf die wissenschaftliche Produktion von historischem Wissen ausgerichtet, so dass die Bedingungen dafür in den HZ-Netzwerken Beachtung finden müssen. Das zweite Feld ist das ökonomische Feld des Verlagswesens, in dem zunächst der Oldenbourg-Verlag, dann aber auch sein Produkt, die HZ, und ihre Produzenten gleichermaßen tätig sind wie im akademischen Feld. Die ideelle Ausrichtung dieses Feldes ist die Produktion von ökonomischem Gewinn.⁸⁵ Zur Gewinnerzielung muss der Verlag in der Lage sein, um sein Weiterbestehen zu sichern. Diesem Erfordernis sind also auch die HZ-Netzwerke in ihrer Produktionsweise der HZ unterworfen. Drittens agieren HZ, Verlag und ihre Netzwerke im politischen Feld. Ideell findet dort die Produktion von politischem Willen statt, im Bereich der historistischen Geschichtswissenschaft allerdings konzentriert auf die Konstruktion von politischen Einheiten. In dieser Hinsicht sind die HZ-Netzwerke eingebettet in ein Feld, in dem sie politische Entitäten historisch begründen und auf diese Weise eine Ressource zur politischen Willensbildung erzeugen. In alle drei Felder – akademisch, ökonomisch, politisch – sind die HZ-Netzwerke eingebettet, und die Regeln keines dieser Felder lassen sich bei der Betrachtung ignorieren.⁸⁶
Bernhard: Netzwerkanalyse und Feldtheorie, S. 127 f. Mit ideeller Ausrichtung meine ich hier die Konstruktion einer abstrakten Zielsetzung der Teilnahme am Spiel des ökonomischen Feldes des Verlagswesens aus der Außenperspektive auf dieses Feld, nicht notwendigerweise aus der Akteursperspektive. Pierre Bourdieu: Die biographische Illusion [1986]; in: Bernhard Fetz/Wilhelm Hemecker (Hg.): Theorie der Biographie. Grundlagentexte und Kommentar, Berlin/New York 2011, S. 303 – 310, hier S. 306 f. und S. 310, erläutert, dass ein Akteur in einem sozialen Feld mit den anderen Akteuren desselben Feldes verknüpft und im Verhältnis zu diesen in seiner Position bestimmt ist. Dieser Akteur aber wird durch die Zuweisung eines über die Feldgrenzen hinweg stabilen Eigennamens und die damit verbundene Konstruktion einer gleichbleibenden sozialen Identität zu einer Persönlichkeit, die ihre in verschiedenen Feldern mit verschiedenen Kapitalkonfigurationen ausgestatteten, aber identisch benannten Akteure vereint. So könne ein biologisches Individuum in verschiedenen sozialen Feldern zugleich existieren und agieren. Dabei ist von Bourdieu die
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Die HZ war die sicherste Bank für symbolisches Kapital in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft, vielleicht ist sie das auch noch immer. Die stets betonte persönliche und symbolische Kontinuität der HZ, die ich oben in Abschnitt 5.2 vorgeführt habe, ist ein wichtiger Grund für diese Besonderheit der HZ im historischen Feld. Persönlich und symbolisch ist diese Kontinuität, weil einerseits die akademischen Lehrer-Schüler-Verbindungen eine wichtige Rolle in der Leitung der Zeitschrift spielten, andererseits die inhaltlichen Schultraditionen der die HZ prägenden Historiker fortwährend als herrschende Lehre oder common sense der deutschsprachigen Historikerzunft behandelt wurden. So konnte man Überzeugungen und Präferenzen, die in der HZ prominent vertreten waren, ihr symbolisches Kapital ansehen. Die Kapitalreproduktion der HZ basiert daher auf der Bewahrung und Aktualisierung älteren symbolischen Kapitals durch die Pflege von Netzwerken wichtiger deutschsprachiger Historiker. Dies wirkte umso stärker als eine Art wechselseitige Reputationsspirale,⁸⁷ wenn angesehene und einflussreiche Historiker die gleichen Inhalte vertraten, wie sie auch in der HZ präsent waren. Das geschah allerdings nicht zufällig, sondern weil sich aus der zentralen Stellung der die HZ prägenden Schulnetzwerke sowohl persönliche Verbindungen als auch übereinstimmende Orientierungen bei wichtigen Akteuren der deutschsprachigen Historikerzunft ergaben. Schulnetzwerke haben eine synchrone Ausdehnung innerhalb einer Historikergeneration und eine asynchrone Ausdehnung, durch die verschiedene Historikergenerationen miteinander verknüpft werden. Da Schulnetzwerke primär über die Zuordnung von Schülern zu einem Doktorvater gebildet werden, ist ihre asynchrone Ausdehnung besonders bedeutend für ihre Wirksamkeit im Hinblick auf Netzwerk-Effekte wie persönliche Bekanntschaft, Vertrauen sowie Homogenität und Homophilie in wissenschaftlicher und weltanschaulicher Hinsicht. Dagegen werden Produktionsnetzwerke von Fachzeitschriften primär durch die jeweils aktuelle Kooperation, und damit synchron, konstituiert. Deren Vergangenheit und (von den Kooperierenden vorgestellte) Zukunft sind aber ebenfalls nicht zu vernachlässigen, wie die oben wiederholt diskutierten Übertragungen des HZ-Herausgeberamtes zeigen. Die Rolle von Schulnetzwerken in der Produktion von Fachzeitschriften ist ambivalent: Einerseits versuchten Fachzeitschriften mit dem Anspruch allgemeiner Bedeutung, sich nicht personell auf eine Schule zu beschränken und damit für andere Schulen unattraktiv zu werden und wesentlich an Bedeutung zu
Vielheit der möglichen Felder mitgedacht, die hier allerdings aus Gründen der Arbeitsökonomie auf drei Felder reduziert betrachtet wird. Vgl. Blaschke: Hand am Puls der Forschung, S. 101.
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verlieren. Andererseits gibt es meist eine in einer Zeitschriftenproduktion dominante Schule, die dann in der Lage ist, die Grenzen des in ihrem Bedeutungsbereich Akzeptablen zu definieren und ihre Einhaltung zu sanktionieren. Da der Bedeutungsbereich der HZ laut eigenem Anspruch das Fach Geschichte und die gesamte Historikerzunft war, war das für die HZ Akzeptable lange Zeit weitgehend deckungsgleich mit dem für die deutschsprachige Historikerzunft Akzeptable, so dass die die HZ dominierende Schule auch die Historikerzunft und ihre Grenzen prägte. Das zeigte sich exemplarisch an der Lamprecht-Kontroverse, in der die Berliner Historikerschule die Lamprechtsche Kulturgeschichte wirksam und dauerhaft aus dem Bereich des Akzeptablen ausschließen konnte.⁸⁸ Aufgrund der Struktur von Schulnetzwerken, die primär in der Zeit rückwärts vom Schüler auf den Lehrer verweisen und sekundär Verbindungen zwischen den Schülern einer Generation herstellen, ist die Grundlage der Vernetzung, der common ground einer akademischen Schule, regelmäßig in der Vergangenheit zu suchen: Die Gemeinsamkeiten liegen meist in den Vorlieben und Grundsätzen des Lehrers oder denen von dessen Lehrern. Vernetzungen über Schulzugehörigkeit haben demnach einen retrospektiven und tendenziell konservativen Charakter. Für die HZ bedeutete dies etwa, dass die Berufung auf die anerkannten Altvorderen der Zunft, Ranke und Droysen, einen Appell an die Zusammengehörigkeit der Zunft darstellte, während Außenseiter, Ausländer oder andere Zunftfremde nicht auf diese Vernetzung setzen konnten: Sie konnten das symbolische und soziale Kapital, das in der HZ aus der gemeinsamen Zunfttradition akkumuliert war, nicht in der Weise nutzen wie die Angehörigen der entsprechenden akademischen Schulen der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft. Ebenfalls lässt sich vermuten, dass sich aus der starken Vernetzung einflussreicher Teile der Zunft über Schulzugehörigkeiten und der zentralen Rolle, die dies für die HZ spielte, eine Tendenz der HZ zur Abwehr von Innovationen und Außeneinflüssen ergab.⁸⁹
Roger Chickering: The Lamprecht Controversy; in: Hartmut Lehmann (Hg.): Historikerkontroversen, Göttingen 2000, S. 15 – 29, besonders S. 20 – 24. Diese Überlegungen stellen eine netzwerktheoretische Erklärung und damit Vorwegnahme von in Kapitel 7 empirisch gewonnenen Einsichten in das Kommunikationsverhalten der Zunftgenossen in der HZ der Nachkriegszeit dar. Inwieweit die Thesen zur Innovationsabwehr und Immunisierung gegen externe Einflüsse verallgemeinerbar sind, wäre anhand verschiedener kollektiver Kommunikationskonstellationen zu überprüfen. Die in Abschnitt 5.1 dem Wirken Ludwig Dehios zugeschriebenen Innovationen, die wichtig für die Westernisierung der Historikerzunft waren und damit gerade auf externe Einflüsse abzielten, widersprechen diesen Thesen jedenfalls nicht direkt, weil die Ausnahmesituation von Kontinuität und Neuanfang um 1949 in Verbindung mit dem bestens vernetzten Außenseiter Dehio gerade nicht die normalen Tendenzen wiederspiegeln, die sich aus den Kapitalpflege-Mechanismen der HZ ergaben. Für die Thesen
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6 Produktionsbedingungen der Historischen Zeitschrift
6.2.3 Symbolisches Kapital und Verkennung ökonomischen Kapitals Gemäß Pierre Bourdieus Wissenschaftssoziologie ist symbolisches Kapital die Anerkennung der „Gesamtheit der gleichgesinnten Wettbewerber innerhalb des wissenschaftlichen Feldes“.⁹⁰ Andernorts sagt Bourdieu allgemeiner, dass symbolisches Kapital gar keine eigene Kapitalsorte neben ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital sei, sondern der Modus „jeder Art von Kapital“, das „als legitim anerkannt wird“.⁹¹ Diese Verbindung von Kapital und Anerkennung erlaubt es, mit Bourdieus erweitertem Kapitalbegriff die extremen Sichtweisen eines „Ökonomismus“ und eines „Semiologismus“ zu vermeiden: Beide Perspektiven trennen die Sphären des Kapitals und der Zeichen künstlich voneinander und beschränken sich auf eine von beiden.⁹² Eine sozioökomische Perspektive überbrückt diese Spaltung durch die kombinierte Analyse von Kapital und seiner stets zeichenhaften Anerkennung. Mit Kapital ist dabei akkumulierte Arbeit⁹³ gemeint, also eine vom Zeitaufwand abhängige Größe. Anerkennung (oder symbolisches Kapital) meint dazu die Bewertung dieses Kapitals in einem konkreten sozialen Kontext, dem Untersuchungsfeld.⁹⁴ Diese Bewertung erfolgt bereits gemäß den Eigenschaften des Feldes, insbesondere seinen Kapitalumwandlungsregeln und den Kapitalbeständen der anderen Akteure im Feld.⁹⁵ Zu den markantesten Eigenschaften der Kultursphäre kapitalistischer Gesellschaften gehört es nach Bourdieu, dass ihre Praxis zwar nie aufhöre, ökonomischer Berechnung zu entsprechen, im Gegenteil aber stets den Anschein ökonomischer Interesselosigkeit erwecke, indem sie die Logik interessegeleiteter Berechnung leugne und vorgebe, es ginge in ihr nur um nichtmaterielle und kaum quantifizierbare Einsätze.⁹⁶ Die „institutionell organisierte und garantierte Ver-
spricht auch, dass bei Zeitschriften-Neugründungen in der Bundesrepublik gerade Innovationen und äußere Einflüsse zur Legitimierung herangezogen wurden. Pierre Bourdieu: Vom Gebrauch der Wissenschaft. Für eine klinische Soziologie des wissenschaftlichen Feldes, Konstanz 1998, S. 23; vgl. Fuchs-Heinritz/König: Bourdieu, S. 171 f. Einen Überblick über Bourdieus Kapital-Konzept bietet Bourdieu: Kapitalsorten. Pierre Bourdieu: Meditationen. Zur Kritik der scholastischen Vernunft, Frankfurt am Main 2001, S. 311. Bourdieu: Kapitalsorten, S. 71 und Endnote 22 auf S. 78. Ebenda, S. 49. Ebenda, S. 66, aber verallgemeinerbar auf die drei Kapitalsorten. Ebenda, S. 70 – 74. So Bourdieu: Theory of Practice, S. 177. Ebenda erläutert er auch, dass die kapitalistische Kultursphäre diese Eigenschaft mit vorkapitalistischen Gesellschaften teile, und zwar aus dem Grund, dass beider Beobachtung vom Standpunkt moderner (das heißt im Kapitalismus entwickelter) Wissenschaft aus gleichermaßen auf einer (zu) eng begrenzten Definition ökonomischen
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kennung“⁹⁷ von Eigeninteresse ermögliche erst die Austauschprozesse in solchen Feldern, zu denen zweifellos auch wissenschaftliche Felder zählen. Je nach Disziplin mag diese Verkennung verschiedene Bedeutung haben, in den Geschichtswissenschaften mit ihrer Affinität zum Kulturbetrieb im engeren Sinne spielt eine Verleugnung ökonomischer Interessen wahrscheinlich eine größere Rolle als in Fachgebieten, die stärker auf ökonomische Verwertung ihrer Ergebnisse hin orientiert sind. Demnach nötigen die Eigenschaften des geschichtswissenschaftlichen Feldes Akteure in diesem Feld dazu, vor sich selbst und untereinander die im weiteren Sinne ökonomischen Bedeutungen ihres Handelns zu verleugnen. Im Fall der HZ war dies an den Beteuerungen anlässlich von Honorarverhandlungen ja oben, in Abschnitt 6.1.2, bereits exemplarisch zu sehen. Diese Verleugnung und Reduktion des Handelns auf seine rein symbolische Bedeutung ermöglicht erst den gewünschten Erfolg, und wer sich diesen Regeln des Feldes nicht beugt, verliert. Daher ist es so schwierig, „die illusio des Feldes aufzudecken, dem ein Erkenntnissubjekt zugehört.“⁹⁸ Die illusio als „Sinnzusammenhang, der die Spieler in einem Feld spielen läßt, ihr Glaube an die Sinnhaftigkeit ihrer Teilnahme am Spiel“,⁹⁹ wird nämlich bei der Aneignung der Zugangsvoraussetzungen zu einem Feld „allmählich und unmerklich“¹⁰⁰ erworben und ist sodann habituell verankert, wenn eigenständiges feldgemäßes Handeln erforderlich ist. Bourdieu leitet aus dieser Problemstellung die Forderung nach Reflexivität der Sozialwissenschaften ab,¹⁰¹ doch für das Folgende ist wichtiger, dass solche Reflexivität der üblichen Akteursperspektive wissenschaftlicher Felder diametral entgegensteht.¹⁰²
Handelns basiere: Der erwähnte „Ökonomismus“, den Bourdieu zu überwinden hofft, wurde durch die Aufteilung von Interessen in materielle Interessen und symbolische Interessen erst geschaffen, die den Interessencharakter von letzteren verschleierte. Vgl. oben, S. 374 f. Ebenda, S. 171, meine Übersetzung. Fuchs-Heinritz/König: Bourdieu, S. 256. Ebenda. Bourdieu: Meditationen, S. 20. Vgl. Fuchs-Heinritz/König: Bourdieu, S. 252– 262. Zum Widerstreit der Perspektiven und dem zynischen Eindruck, den eine bourdieusche Betrachtung auf Verlage und Historiker als Akteure machen kann, vgl. Georgios Chatzoudis: VGWort-Erträge zwischen Autoren und Verlagen aufteilen? Ein Streitgespräch zwischen den Historikern Marko Demantowsky und Matthias Krämer; in: L.I.S.A., 9. Februar 2017, URL: https://lisa. gerda-henkel-stiftung.de/?nav_id=6831 (zuletzt abgerufen am 6. Januar 2019, Archiv-URL: http://www.webcitation.org/75ETRcX9r).
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6 Produktionsbedingungen der Historischen Zeitschrift
Die Historische Zeitschrift als „nobile officium“ Für die HZ bedeutete dies, dass die bei ihrer Produktion angefallene Korrespondenz nur selten ökonomische Themen behandelte, noch seltener konflikthaft aushandelte. Der Verlag zahlte in der Regel angefallene Spesen ohne Diskussion, und die Honorare der HZ-Herausgeber wurden regelmäßig fortgeschrieben und von Zeit zu Zeit auf Verlangen der Herausgeber unter Verweis auf die allgemeinen Lebenshaltungskosten oder andere gestiegene Kostenfaktoren angehoben.¹⁰³ Dass an die HZ nach Möglichkeit keine ökonomischen Maßstäbe anzulegen seien, darüber waren sich nicht nur die Herausgeber mit Mitarbeitern und Außenstehenden einig. Es handelte sich auch um ein regelmäßiges Bekenntnis der Verlagsleitung, die sich in ihrer Zurückweisung finanzieller Motive an Wilhelm Oldenbourg orientierte. Anlässlich der HZ-Festausgabe für Friedrich Meinecke beklagte Oldenbourg etwa deren hohe Zusatzkosten und betonte: „Nicht nur das Festheft für den weltbekannten früheren Herausgeber der HZ betrachte ich als ein nobile officium sondern die HZ als Ganzes.“¹⁰⁴ Der Kontext, in dem sich Oldenbourg auf diesen Ehrendienst berief, war allerdings stets, dass die Verluste der HZ zu hoch seien und Mehrausgaben daher nicht möglich oder sogar Einsparungen nötig. Am markantesten kam dies in Oldenbourgs Dictum zur Geltung: „Auch ein nobile officium hat eine Opfergrenze.“¹⁰⁵ Es handelt sich dabei klar um einen ökonomischen Diskurs über die Erreichung von Gewinnzielen – oder, im Fall der HZ, Verlustzielen. Diesen ökonomischen Diskurs mit den Herausgebern, den ich im Folgenden näher betrachte, konnte Oldenbourg führen, ohne als geldgieriger Unternehmer zu erscheinen und die Anerkennung der Zunft als Freund der Geschichtswissenschaft zu gefährden, indem er häufig in dieser Weise sein finanzielles Desinteresse an der HZ betonte. Denn diese Anerkennung der Zunft war sein symbolisches Kapital und bedeutete
Vgl. den oben ab S. 397 bereits behandelten exemplarischen Briefwechsel in BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an Wilhelm Oldenbourg, Frankfurt 23.09.1954; Hausmitteilung Gicklhorn an Wilhelm Oldenbourg, [München] 15.10.1954; Brief Wilhelm Oldenbourg an Walther Kienast, [München] 15.10.1954, in dem Kienast das Verlangen nach Erhöhung seines Honorars pro Heft von 460 auf 600 DM damit begründet, dass er seit einiger Zeit einen seiner Doktoranden halbtags als „Assistenten bei der HZ“ beschäftige, um die erheblich zugenommenen Aufgaben bewältigen zu können. Oldenbourg ließ daraufhin Einnahmen und Ausgaben der HZ durchrechnen und erklärte sich bereit, „wunschgemäß“ Kienasts Honorar zu erhöhen. Die Einnahmen von Band 177 überstiegen die Herstellungskosten und Honorare laut interner Berechnung um rund 15 Prozent. Die Geschäftsspesen konnten leider weiter nicht gedeckt werden, betont Oldenbourg gegenüber Kienast, weil der Preis der HZ „für die heutigen Verhältnisse zweifellos zu niedrig“ sei, er ihn aber, „so lange es irgendwie geht“, nicht erhöhen wolle. BWA F5/1208: Brief Wilhelm Oldenbourg an Ludwig Dehio, [München] 02.12.1952. BWA F5/1644: Brief Wilhelm Oldenbourg an Walther Kienast, [München] 29.06.1949.
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die Legitimierung seiner verlegerischen Machtposition gegenüber Historikern: Ein Verlust dieser Legitimität hätte die Kooperationsbereitschaft von Historikern unter Bedingungen, die für diese ökonomisch möglicherweise von Nachteil, jedenfalls aber nicht durchschaubar waren, in Frage gestellt. Ein gewichtiges Argument zur Beglaubigung von Oldenbourgs Liebhaberei war der Umstand, dass die HZ auf dauerhaft rote Zahlen hin angelegt war. Die erwähnte „Opfergrenze“ sah Oldenbourg etwa erreicht, als die Ausgaben mehr als doppelt so groß wie die Einnahmen zu werden drohten.¹⁰⁶ Die Abonnentenzahl, die kurz nach dem Wiedererscheinen bei 400 lag, müsse auf rund 900 erhöht werden, um die Bilanz auszugleichen, erläuterte Wilhelm Oldenbourg. Dabei seien „die Geschäftsspesen des Verlags und seine Kosten für Propaganda garnicht berücksichtigt“, was weitere tausende DM Verlust pro Band bedeute.¹⁰⁷ Diese Verlagsspesen, also der Anteil der Einnahmen durch eine Publikation, die zur Deckung der allgemeinen, nicht einer bestimmten Publikation zurechenbaren Kosten des Verlagsgeschäfts verwendet werden sollen, fungierten in der Korrespondenz mit den Herausgebern als argumentative Verschiebemasse, da die Verleger selbst entscheiden konnten, ob und in welcher Höhe sie in der Kalkulation der HZ jeweils Berücksichtigung finden sollten.¹⁰⁸ Über die mögliche Höhe von Verlagsspesen finden sich in der Literatur breit schwankende Angaben, die von den in eine Kalkulation einbezogenen Posten im Einzelfall, vom Gesamtumsatz eines Unternehmens, von Produktionsverhältnissen und Gewinnerwartungen abhängig waren.¹⁰⁹ Die „Drittel-Faustregel“ wird der Reichsgrün-
Ebenda. Ebenda. In BWA F5/1208: Brief Wilhelm Oldenbourg an Ludwig Dehio, [München] 02.12.1952, erläutert der Verleger, dass die Einnahmen der HZ zwar knapp ihre Ausgaben übersteigen, dass es sich dennoch nicht um das Erreichen der Gewinnzone handle. Er schlüsselt die „Spesen (allgemeine Geschäftsspesen, Werbespesen und Umsatzsteuer)“ auf und erklärt: „Diese betragen heute bei uns 33 % der baren Einnahmen“, wodurch die HZ tief in den roten Zahlen stecke. Ähnlich BWA F5/1644: Brief Wilhelm Oldenbourg an Walther Kienast, [München] 04.07.1952: „Bei Band 172 ergibt sich ein Minus von DM 1.025,–, das aber durch Nachbestellungen noch ausgeglichen werden kann. Es ist aber zu bedenken, dass in den Anlagen nur die sogenannten Barauslagen berücksichtigt sind, also die Kosten für Herstellung und die Honorare, nicht aber die Spesen (allgemeine Geschäftsspesen, Werbung, Umsatzsteuer u.s.w.). Sie betragen etwa 30 % der Einnahmen, sodass also von einem Gewinn vorläufig nicht die Rede sein kann.“ Vgl. die Annahme eines Drittels der Einnahmen als „Geschäftsspesen des Verlags und seine Kosten für Propaganda“ in BWA F5/1644: Brief Wilhelm Oldenbourg an Walther Kienast, [München] 29.06.1949. Vgl. Georg Jäger: Die kaufmännische Führung des Verlags: Buchführung, Kalkulation, Herstellungskosten; in: Georg Jäger (Hg.): Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Band 1: Das Kaiserreich 1870 – 1918, Teil 1, Frankfurt am Main 2001, S. 281– 310,
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dungszeit zugeschrieben und als Ausgangspunkt einer die Verlags-Kalkulation erst professionalisierenden Entwicklung angesehen: Ein Drittel des Ladenpreises eines Buches entfiel demnach auf Herstellung und Honorare, ein Drittel auf den Vertrieb und ein Drittel auf Unkosten und Gewinne des Verlags.¹¹⁰ Im Buchhandels-Lehrbuch von 1908 kalkulierte man allgemeine Geschäftsunkosten wesentlich geringer als Aufschlag von 15 – 20 Prozent auf die technischen Herstellungskosten.¹¹¹ Ernst Rowohlt rechnete Kurt Tucholsky 1928 in einer öffentlichen Auseinandersetzung über den Buchpreis 40 Prozent Spesenanteil des Nettopreises vor.¹¹² Die Spezifika der Kalkulation von Fachzeitschriften, speziell der große Anteil von Abonnements, sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Jedenfalls ließ sich über die Verlagsspesen im Prinzip sicherstellen, dass der HZ rechnerische Verluste zugewiesen werden konnten, um ihren Charakter als „nobile officium“ zu betonen. Fünf Jahre nach Wiedererscheinen der HZ skizzierte Horst Kliemann auf Bitten der Herausgeber in groben Linien die übergreifende wirtschaftliche Lage der Zeitschrift: „Im Ganzen gesehen zeigt sich aber heute noch ein langsamer Anstieg und wir sind überzeugt, dass wir den eintausendsten Abonnenten bald erreichen. Damit liegt die Zahl der Bezieher höher, als sie den jahrzehntelangen Durchschnitt darstellt. Nur wenige Jahre zwischen 1925 und 1938 hat die Bezieherzahl 1 000 überschritten. In der weitaus grössten Zeit ihres Bestehens hat die ‚HZ‘ knapp nur die Herstellungskosten und das Honorar gedeckt, in vielen Jahren wurden grosse Teile der Verlagsspesen ebenfalls gedeckt, aber einen echten kaufmännischen Gewinn hat die Zeitschrift in dem fast einhundertjährigem [sic] Bestehen nur in etwa 15 – 20 Jahren abgeworfen. Der Verlag hat die Zeitschrift stets als ein nobile officium empfunden und ist stolz darauf, dass er niemals irgendwelche Subventionen oder Zuschüsse verlangt oder angenommen hat. Das gilt für alle die wechselnden Regierungen, die die Zeitschrift überstanden hat. Wir glauben, dass dieses Verhalten nicht wenig dazu beigetragen hat der Zeitschrift ihre Unabhängigkeit zu erhalten und dass dies stets ihr Ansehen gesteigert hat. Wir hoffen, dass wir das auch in Zukunft durchhalten können. Im Augenblick ist die Lage wie folgt:
hier etwa S. 290 f. (synonyme Begriffe: allgemeine Geschäftsunkosten, sonstige Unkosten und Generalunkosten), Musterkalkulationen auf S. 293 – 298 sowie S. 304 f. Ebenda, S. 291. Ebenda, S. 290. Man beachte, dass die „Drittel-Faustregel“ dagegen einen Aufschlag von über 50 Prozent auf die technischen Herstellungskosten bedeutet hätte, bis hin zu 100 Prozent bei honorarfreien Werken. Ernst Rowohlt: Ist das deutsche Buch zu teuer?; in: Die Weltbühne, 24. Jahrgang (1928), 1. Band, Nr. 20 vom 15. Mai 1928, S. 753 – 757, hier S. 753. Die Preisdebatten der Weimarer Zeit rekapituliert Ernst Fischer: Marktorganisation, in: Ernst Fischer/Stephan Füssel (Hg.): Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Band 2: Die Weimarer Republik 1918 – 1933, Teil 1, München 2007, S. 265 – 304, hier S. 289 – 300.
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Mit den Einnahmen von den 985 Beziehern werden die reinen Herstellungskosten und die Honorare gedeckt. Weiterhin die Auslieferungskosten und die Umsatzsteuer. Die eigentlichen Verlagsunkosten erfahren noch keine Deckung.“¹¹³
Weitere zwei Jahre später, als Oldenbourg Theodor Schieder als Dehio-Nachfolger gewinnen wollte, war die Abonnentenzahl wiederum merklich gestiegen. Gewinne wurden dennoch nicht erwartet, waren wohl trotz Ausdruck des Bedauerns nicht einmal erwünscht: „Die Zahl der Abonnenten der Zeitschrift ist im Laufe der letzten 10 Jahre wieder auf die Höhe der Vorkriegszeit gestiegen (rund 1100 Abonnenten, davon 260 im Ausland). Trotzdem decken die Einnahmen nicht ganz die Ausgaben, was ich bedauere, aber auch fernerhin bereit bin, in Kauf zu nehmen, da es sich hier nicht um ein buchhändlerisches Spekulationsobjekt, sondern um ein nobile officium handelt.“¹¹⁴
Dass die HZ nicht darauf angelegt war, sich finanziell unmittelbar zu rentieren, zeigen die Ausführungen, mit denen Oldenbourg eine Umfangskürzung der HZ zum Ausgleich der umfangreicheren Festausgabe zu Meineckes 90. Geburtstag zu begründen suchte: „Auch wenn die Bezieherzahl von 900 auf ihre einstmalige Höhe von 1100 steigen würde, kann sich die Zeitschrift nicht tragen und zwar deshalb nicht, weil der Ladenpreis von DM 30,– längst nicht ausreichend ist. Er müßte bei seinem Umfang von 42 Druckbogen heute mindestens DM 40,– betragen. Er kann aber nicht gefordert werden, weil eine solche Preiserhöhung unfehlbar den Rückgang der Abonnentenzahl zur Folge hätte. Die Diskrepanz zwischen den gegenüber der Vorkriegszeit stark gestiegenen Herstellungskosten eines fachwissenschaftlichen Werkes, das naturgemäß nur in geringer Auflage gedruckt werden kann und der verminderten Kaufkraft seiner Interessenten ist heute die große Sorge jedes wissenschaftlichen Verlegers, ganz besonders auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften.“¹¹⁵
Die zitierten, dicht miteinander verwobenen Ausführungen zur Rentabilität der HZ deuten zusammengenommen darauf hin, dass zwei Aspekte für den Verlag unter der Ägide Wilhelm Oldenbourgs wichtiger waren als die Deckung seiner Unkosten: Die Reichweite der HZ nach dem Maßstab der Abonnentenzahl, und ihr Umfang, also die Seitenzahl. Wenn nicht beide Werte höher geschätzt worden wären als der Gewinn, hätte durch Preiserhöhungen oder Umfangsreduzierungen die Wirtschaftlichkeit der Zeitschrift einer Optimierung offen gestanden.¹¹⁶ Beide BWA F5/1208: Brief Horst Kliemann an Ludwig Dehio, München 15.07.1954. BWA F5/1624: Brief Wilhelm Oldenbourg an Theodor Schieder, [München] 18.05.1956. BWA F5/1208: Brief Wilhelm Oldenbourg an Ludwig Dehio, [München] 02.12.1952. BWA F5/1614: Brief Karl von Cornides an Walther Kienast, München 09.12.1964, gibt einen effektvollen Einblick in die Preisstrategie des Verlags, als im Kontext von Honorarstreitigkeiten
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Aspekte trugen jedoch Wichtiges zur Produktion symbolischen Kapitals für die HZ bei:¹¹⁷ Nur eine weithin kursierende Zeitschrift, die also allen wichtigen Historikern zur Lektüre zur Verfügung stand, konnte beanspruchen, das entscheidende Diskussionsforum der Zunft zu sein. In jüngster Zeit ließe sich etwa fragen, ob nicht eine Open-Access-Plattform wie H-Soz-Kult entsprechende Funktionen übernommen hat.¹¹⁸ Denn neben der allgemeinen Zugänglichkeit hat sie einen weiteren Vorzug, der für die HZ bereits in den 1950er Jahren ein Problem darstellte: Im Internet gibt es keine Umfangsbegrenzung. In der HZ entbrannten nämlich immer wieder Konflikte um die Verteilung des Platzes auf ihren Seiten: Die HZ wollte, um maßgeblich für die gesamte Historikerzunft zu sein, alle Bereiche der Geschichtswissenschaft abdecken, also Aufsätze zu allen Themenbereichen, Rezensionen zu allen relevanten Neuerscheinungen und Zeitschriftenberichte über Aufsätze in anderen Fachzeitschriften bieten, damit Abonnenten über das Geschehen in der Zunft bestens informiert wären, ohne regelmäßig andere Zeitschriften konsultieren zu müssen.¹¹⁹ Zweifel an dieser traditionellen Einstellung¹²⁰ verbreiteten sich Mitte der 1960er Jahre
eine Preiserhöhnung der HZ „von DM 45.– auf etwa DM 48.–“ in Aussicht steht: Verlagsgesellschafter Horst Kliemann finde, „dass infolge des Wunsches von Herrn Kommerzienrat Wilhelm Oldenbourg, den Preis der ‚Historischen Zeitschrift‘ möglichst niedrig zu halten, bereits seit Jahrzehnten die Kalkulation der ‚HZ‘ eine problematische Angelegenheit sei. Wäre es nach seinen [Kliemanns] Wünschen gegangen, so würde die Zeitschrift heute DM 70.– kosten“. Vgl. Middell: Vom allgemeinhistorischen Journal zur spezialisierten Liste, S. 12, wo Subventionen für Fachzeitschriften auf die „Hoffnung der geldgebenden Einrichtungen“ auf einen durch Standardisierung vermittelten Ansehensgewinn zurückgeführt werden. Middell schweben dabei offenbar nicht Verlage als geldgebende Einrichtungen vor, aber der vorgestellte Mechanismus der Generierung symbolischen Kapitals für den Finanzier einer Fachzeitschrift dürfte übertragbar sein. Vgl. ebenda, v. a. S. 16 f., wo für „H-Soz+Kult“ nach nur einem Jahr des Bestehens 650 Abonnenten der E-Mail-Liste bestaunt werden. BWA F5/1614: Brief [Karl von Cornides] an Walther Kienast, Wien 19.10.1967: „Die Zeitschrift würde auf diese Art eine Besonderheit einbüßen, die für sie doch sehr charakteristisch ist, und durch die sie noch am ehesten ihren Charakter als universala [sic] historische Zeitschrift erhält.“ Die Traditionslinie dieses Denkens seit Sybels Herausgeberschaft zeichnet Ritter: Meinecke und Oldenbourg, nach. Dabei vermischen sich regelmäßig die Zunft integrierende Ziele mit der Absicherung der Position der HZ in der Zunft durch präventive Schwächung von Konkurrenzzeitschriften sowie mit der Absicherung des HZ-Herausgebers Meinecke gegen Konkurrenz und gegen die Forderungen der Verleger. Meinecke hatte dieses Muster erlernt, als es um die Nachfolge des 1895 verstorbenen Sybel ging und Karl Lamprecht versuchte, die Redaktion der HZ unter seine Kontrolle zu bringen, aber am erbitterten Widerstand von Meinecke und seiner Richtung scheiterte. Ebenda, S. 27 f., fragt Ritter, ob die deutsche Geschichtswissenschaft nicht eine andere Richtung genommen hätte, wenn sich Lamprecht durchgesetzt hätte.
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angesichts der unübersehbaren Probleme, und verschiedene Zeitschriften entwickelten ähnliche Lösungsansätze: „[W]ie sollen wir unsere historischen Zeitschriften, wie soll Ihre HZ sich aus den Nöten der Gegenwart retten? Ich gestehe ehrlich: ich weiss selbst auch keinen Weg. Die Schwemme [an Publikationen] ist so gross, dass es selbst bei einem reinen Fachorgan wie der ZRG schwer fällt, den Ueberblick zu bewahren. Wie da erst bei Ihnen? Ob wir uns nicht selbst täuschen, wenn wir glauben, wir müssten so etwas wie Vollständigkeit bei umfassender Berichterstattung erreichen? Auf die Dauer wird nur übrig bleiben, sorgfältig das Bedeutsame auszuwählen und das andere in eine Bibliographie zu verweisen.“¹²¹
Dieser aus heutiger Sicht abwegig anmutende Anspruch vollständiger Information führte bald zu Auseinandersetzungen über die Schriftgröße, bei der die Herausgeber mitteilten: „Unsere Augen streiken.“¹²² Von den 1940ern bis in die 1970er Jahre brachen wiederholt Konflikte um Stau und Platzprobleme bei der Veröffentlichung von Rezensionen aus,¹²³ die schließlich auch Kienasts Rücktritt
BWA F5/1614: Brief Karl S. Bader an Walther Kienast, Zürich 27.02.1967. Bader war als Herausgeber der Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (ZRG) lange verantwortlich für germanistische und kanonistische Rezensionen. Kienast empfahl dem Verlag Baders Überlegungen und fand, dessen „Ausweg, nicht zu besprechende Bücher in einer Bibliographie anzuführen, muss man ernstlich in Erwägung ziehen. Ich habe selbst schon Ähnliches überlegt.“ BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 16.03.1967. Auf Baders Brief ging auch der Vorschlag zurück, auf Kurzreferate über Zeitschriftenartikel zu verzichten: „So anregend es manchmal ist, in Ihren Kurzanzeigen auf einen unbekannten Titel zu stossen, so fragwürdig sind oft die zwei Sätze, die ein Rezensent an den Titel hängt. Ich habe der HZ seit Jahren keine Separata mehr übersandt, weil ich der Mehrzahl der Kleinanzeigen wenig oder nichts entnehmen kann.“ BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an den Verlag R. Oldenbourg, Marburg 20.04.1949: „Herr Dehio hat das letzte Stück überhaupt nicht mehr selber lesen können, und bei mir hat der Augenarzt – ich bin wegen einer anderen Sache in Behandlung – ein Nachlassen der Sehschärfe unmittelbar nach der Korr.-Arbeit festgestellt.“ Ludwig Dehio trat Jahre später unter Verweis auf ein Gutachten seines Augenarztes als Herausgeber zurück. BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an Wilhelm Oldenbourg und Manfred Schröter, Marburg 11.04.1956. Das war wohl ein verbreitetes Problem des Besprechungswesens, wovon BWA F5/1613: Brief Walther Kienast an Horst Kliemann, Frankfurt 01.06.1959, handelt, dem Kienast „einen mich etwas sonderbar berührenden Briefwechsel zwischen unserem Mitarbeiter Prof. Drascher in Tübingen und dem Kiepenheuer & Witsch Verlag in Köln“ beilegte. Darin führt Wahrhold Drascher den verbreiteten Rezensionsstau auf „das Sterben der grossen Zeitschriften“ seit dem Ersten Weltkrieg zurück, das bei den verbliebenen Zeitschriften „zu sehr ‚erheblichen Verdauungsschwierigkeiten‘ geführt“ habe: „Die Besprechungen bleiben monatelang, bisweilen jahrelang liegen,was kein Anreiz für die Verlage ist, freigiebig mit Besprechungstücken zu sein.“ BWA F5/ 1613: Brief Wahrhold Drascher an Joseph C. Witsch, Locarno 15.05.1959. Vgl. ebenfalls den Briefwechsel um BWA F5/1614: Brief Karl S. Bader an Walther Kienast, Zürich 27.02.1967, siehe
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bedingten.¹²⁴ Das Ziel möglichst zeitnaher Rezension möglichst aller Neuerscheinungen¹²⁵ beruhte auf der Notwendigkeit, die Kooperationsbereitschaft von Verlagen zur Einsendung von Rezensionsexemplaren zu sichern,¹²⁶ und damit auf der Funktion von Rezensionen für das Verlagsgeschäft, den Absatz einer Neuerscheinung durch Information des Publikums zu steigern. Letztere Funktion betraf in besonderem Maße die eigenen Werke des Oldenbourg-Verlags, bei denen Verzögerungen des Rezensionserscheinens wiederholt als Ärgernis angesprochen wurden.¹²⁷
oben, Anmerkung 121, sowie Theodor Schieffer, der noch Mitte der 1970er Jahre vorschlug, „für den gesamten Rezensionsteil Kleindruck“ zu wählen, um „den beängstigenden Stau ein wenig abbauen [zu] können“. F5/1606: Brief Theodor Schieffer an Thomas Cornides, Köln 06.06.1974. Vgl. oben, Abschnitt 5.2.1, besonders Anmerkung 103 auf S. 372. Der Streit um den Plan der HZ-Herausgeber, zur Gewinnung von Raum für Besprechungen die Kurzberichte über Zeitschriftenaufsätze durch bloße Titellisten zu ersetzen, zog sich 1967 durch die Korrespondenz mit dem Verlag bis hin zu Kienasts Kündigung, BWA F5/1625: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 23.11.1967 (Parallelüberlieferung in BWA F5/1614). Anders als nach Kienasts Kündigung dargestellt in F5/1614: Brief [Karl von Cornides] an Walther Kienast, Wien 30.11.1967, konnte Kienast keine Möglichkeit mehr sehen, ohne Kündigung Änderungen am Rezensionsteil der HZ auszuhandeln. Denn Cornides hatte in F5/1614: Brief [Karl von Cornides] an Walther Kienast,Wien 11.07.1967, seine Position deutlich formuliert, dass „der Besprechungsteil, solange Sie die Verantwortung dafür tragen, so bleiben [sollte], wie er sich in den letzten Jahrzehnten bewährt hat.“ Seine Weigerung, Änderungen zuzustimmen, bestärkte Cornides in F5/1614: Brief [Karl von Cornides] an Walther Kienast, Wien 19.10.1967. In einer Denkschrift über die „Quantitative Entwicklung des Besprechungswesens der HZ“ werden Probleme als „eine Existenzfrage für die HZ“ bezeichnet: BWA F5/1606: Hausmitteilung Thomas Cornides an Karl von Cornides, 30.04.1968. Vgl. BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 23.06.1967: „Ich muss in immer grösserem Umfange Bücher spezielleren Inhalts ausscheiden, obwohl dieses Verfahren keineswegs unbedenklich ist. Denn wenn ein Verleger merkt, dass keine seiner kleineren Veröffentlichungen besprochen worden ist, lehnt er auch die Überlassung wichtiger Rezensionsexemplare ab.“ BWA F5/1614: Brief Karl von Cornides an Walther Kienast, München 20.12.1965; Brief [Karl von Cornides] an Walther Kienast,Wien 14.09.1967; mit der Antwort: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 07.10.1967: „Sie haben mir ferner eine Liste von 12 Titeln Ihres Verlages mitgeteilt, die noch nicht besprochen sind. An solche Titellisten bin ich gewöhnt. Die Ihre ist noch relativ kurz, da ich mich um die Werke Ihres Verlages besonders bemühe. […] Dass Besprechungen 3 – 4 Jahre auf sich warten lassen, ist keineswegs eine Besonderheit der HZ. Ich habe erst jetzt wieder bei der Durchsicht von Fachzeitschriften festgestellt, dass es eigentlich überall so ist, ausgenommen vielleicht die American Historical Review, mit der wir aus verschiedenen Gründen nicht konkurrieren können. […] Leider muss man das Paradox formulieren: Wenn alle Rezensenten Ihren Verpflichtungen nachkämen, bräche unser Betrieb infolge Raummangel zusammen.“ Kienast betonte seine Bereitschaft, den Verlegerinteressen einen Sonderstatus einzuräumen, auch durch das handschriftliche Addendum: „PS. Mir ging als Besprechungsstück eine
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Universitätsausbau und Wachstum der Zunft und ihrer Produktion untergruben in den 1960er Jahren den Totalitätsanspruch der HZ ebenso nachhaltig wie die Konkurrenz durch Zeitschriftengründungen, die auch nicht mehr mit dem Anspruch auftraten, ein Forum für die gesamte Zunft bereitzustellen.¹²⁸ Schon bei Wiedererscheinen der HZ 1949 war es allerdings anachronistisch, dass der Anspruch, alles für Historiker Wichtige müsse in der HZ zu verfolgen sein, nicht auf die Bundesrepublik oder auch nur die deutschsprachige Geschichtswissenschaft begrenzt war, sondern im Prinzip weltweite Geltung beanspruchte.¹²⁹ Die internationale Geschichtswissenschaft im deutschsprachigen Raum und die deutschsprachige Zunft international zu repräsentieren, diese Ideen waren vor 1914 verwurzelt, als die Rahmenbedingungen dafür noch besser gewesen waren. Dehios Konzept für die neue HZ reaktivierte solche Vorstellungen mit der Konnotation, entstandene Rückstände aufzuholen und der provinziell gewordenen deutschsprachigen Geschichtswissenschaft über die HZ wieder Weltgeltung zu verschaffen. Dies betraf besonders den in Abschnitt 6.3 beschriebenen internationalen Zeitschriftentausch und hatte natürlich auch Auswirkungen auf die Re-
Wiener Diss. von Elisabeth v. Cornides […] zu, – Ihr Fräulein Tochter?“ Vgl. die oben, in Anmerkung 123 auf S. 419 f., erwähnten Briefwechsel. Vgl. Lutz Raphael: Anstelle eines „Editorials“. Nationalzentrierte Sozialgeschichte in programmatischer Absicht: Die Zeitschrift „Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft“ in den ersten 25 Jahren ihres Bestehens; in: Geschichte und Gesellschaft 26 (2000), S. 5 – 37, hier S. 8, für die Unterscheidung zwischen allgemeinen Fachorganen wie der HZ und Spezialzeitschriften, die seit den 1970ern unter den Neugründungen dominierten, sowie Middell: Vom allgemeinhistorischen Journal zur spezialisierten Liste, S. 13, der als weiteren Typus Richtungszeitschriften sieht. Vgl. oben, Abschnitt 5.1.2 ab S. 360 zu Dehios Bemühungen um Wiederherstellung internationaler Anerkennung der HZ. Mit der Repräsentativität der HZ auch im Ausland argumentierte auch Karl Jordan 1968 im Namen des VHD in einem Unterstützungsschreiben für die Beibehaltung des VHD-Vorsitzenden Theodor Schieder als HZ-Herausgeber: „Da die Historische Zeitschrift die repräsentative deutschsprachige Zeitschrift unseres Faches ist, glaubt der Verband der Historiker Deutschlands, unbeschadet der Rechtslage, ein starkes sachliches Interesse an der Historischen Zeitschrift zu haben, die von den Mitgliedern unseres Verbandes weitgehend getragen wird. […] Auch im Ausland genießt die Historische Zeitschrift, wie ich aus Gesprächen mit sehr vielen ausländischen Kollegen weiß, unter der Schriftleitung von Herrn Schieder großes Ansehen.“ BWA F5/1614: Brief Karl Jordan an Karl von Cornides, Kiel 08.04.1968. Vgl. Middell: Vom allgemeinhistorischen Journal zur spezialisierten Liste, S. 8, mit der verkürzten Darstellung, die Zeitschriften-Funktion der „international verflochtenen Fachrepräsentanz“ nehme erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts zu, was unterschlägt, dass diese internationale Verflechtung erst ab 1914 auf die niedrigen Niveaus der Kriegs- und Zwischenkriegsjahre gefallen war. Näher dazu siehe Ritter: Meinecke und Oldenbourg, S. 37 f. und S. 42.
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zeption emigrierter Historiker, wie ich sie in Kapitel 7 anhand von Rezensionen analysiere.¹³⁰
Rezensionsfreiheit und Verlagsansehen Die Weltgeltung, die die HZ beanspruchte, bedeutete für Rezensionen auf ihren Seiten, dass die Rezensenten das symbolische Kapital der HZ zur Beglaubigung ihrer Besprechung, speziell der enthaltenen Bewertung, einsetzen konnten. An welche Beschränkungen diese Verstärkerfunktion gebunden war, diskutiert Abschnitt 6.4. Für den Verlag war es dabei von besonderer Wichtigkeit, dass dieses große symbolische Kapital der HZ nicht zu Ungunsten des Verlags eingesetzt wurde. Denn das Ansehen von Verlag und Zeitschrift unter Historikern verstärkte sich in der Regel gegenseitig – konnte sich aber gleichermaßen gegenseitig schwächen: Ausgesprochen ablehnende Rezensionen über Verlagspublikationen hätten etwa die Fähigkeit des Verlags in Frage gestellt, seriöse Geschichtswissenschaft zu identifizieren und zu produzieren, und von einer solchen Infragestellung wäre auch der Wert der HZ betroffen gewesen. Nur bei wenigen Gelegenheiten finden sich allerdings Hinweise darauf, dass dieses konkrete Risiko im Verlag gesehen und aktiv bekämpft wurde. Denn offenbar werdende Eingriffe in die Unabhängigkeit der Rezensenten hätten dem Ansehen des Verlags hinsichtlich seines Bekenntnisses zur Unabhängigkeit von Wissenschaft schwerer beschädigen können als einzelne negative Rezensionen. Diese Ambivalenz zwischen der Wahrung von Rezensenten-Autonomie und Verlags-Ansehen kommt im „Fall Redlich“ markant zum Ausdruck, den Wilhelm Oldenbourg im Frühjahr 1954 mit Walther Kienast diskutierte: Der Herausgeber des HZ-Rezensionsteils warnte den Verlags-Senior zunächst, dass er „leider eine so absprechende Rezension bekommen habe, wie sie mir im Verlauf meiner jahrzehntelangen Redaktionstätigkeit selten zugegangen ist.“¹³¹ Das entschei-
Hier nur Dehios exemplarische Argumentation auf einer Postkarte, auf der diese Ideen anklingen: „Prof. Gurian, ein deutscher Emigrant, gibt in USA. eine viermal im Jahr erscheinende Zeitschrift heraus: ‚The Review of Politics‘ publ. by the University of Notre Dame. Indiana. Er fragt an, ob ein Austausch mit der H.Z. möglich sei. […] Ich glaube, daß Herr Gurian für die Vertretung der Interessen unserer Wissenschaft in Amerika von Nutzen sein kann.“ BWA F5/1607: Postkarte Ludwig Dehio an Oldenbourg-Verlag, Marburg 07.12.1949. Besonders bemerkenswert, dass Dehio die „Interessen unserer Wissenschaft in Amerika“ vertreten sehen wollte. BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an Wilhelm Oldenbourg, Frankfurt 28.05.1954. Im maschinenschriftlichen Brief ist „leider“ mit Tinte ergänzt, wohl von Kienast selbst, ebenso ist „zugegangen sind“ zu „zugegangen ist“ verbessert.
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dende, unausgesprochene Detail ist hier, dass es sich um die Rezension eines von Oldenbourg verlegten Werkes handelte, nämlich einer Geschichte der USA von Hellmuth Günther Dahms.¹³² Denn so selten wie von Kienast behauptet waren sehr negative Rezensionen in der HZ nicht, exemplarisch sei auf die in Kapitel 7 näher diskutierten Besprechungen von Emigranten-Werken verwiesen. Zu diesen Fällen, in denen es nicht um Oldenbourg-Veröffentlichungen ging, sind allerdings keine besorgten oder um Linderung bemühten Korrespondenzen mit dem Verlag überliefert. Im Fall Redlich hingegen zog Kienast neben Oldenbourg auch Dehio hinzu, um die kargen Möglichkeiten zu erörtern: „Ich habe sie zunächst an Herrn Dehio geschickt, aber wir werden in der Angelegenheit kaum etwas tun können, außer als mit dem Druck etwas länger als üblich zu warten.“¹³³
Diese einzige von Kienast genannte Option ist allerdings nicht nur unauffällig für das Publikum, sondern auch vielsagend über den Hintergrund einer solchen Maßnahme: Es geht deutlich um den Absatz des Werkes in seiner Hauptverkaufsphase, den ersten Jahren nach Erscheinen, der durch eine verzögerte Publikation der negativen Rezension nicht beeinträchtigt werden sollte. Daran lässt sich ablesen, dass der erfahrene Rezensionsredakteur Kienast davon ausging, dass die HZ aufgrund ihres Renommees oder symbolischen Kapitals die Macht besaß, durch den Tenor einer in ihr abgedruckten Rezension die Verkaufszahlen von Büchern wesentlich zu beeinflussen. Diese Macht bezog Kienast nicht auf das bloße Erscheinen einer Besprechung, sondern ging konkret vom Wirkzusammenhang aus, dass auf eine „absprechende Rezension“ ein verringerter Absatz folge. Keine Rolle spielten in Kienasts Modell von der Wirkungsweise von HZRezensionen offenbar Überlegungen nach Art des Sprichworts, jede Publicity sei besser als keine Publicity.¹³⁴ Aus der Reihe denkbarer Maßnahmen benannte er die Intervention mit dem größtmöglichen Schutzeffekt für den ökonomischen Erfolg des rezensierten Buches, bei der zugleich das Ansehen oder symbolische Kapital der HZ und der in ihr abgedruckten Rezensionen keinen Schaden nähme, weil die Unabhängigkeit des Rezensentenurteils nicht in Frage gestellt würde, wenn niemand von außen be Fritz Redlich: Rezension zu Hellmuth Günther Dahms, Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, München 1953; in: HZ 179 (1955), S. 604– 608. BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an Wilhelm Oldenbourg, Frankfurt 28.05.1954. Vgl. für verschiedene Variationen des Sprichworts und ihre diskursanalytische Diskussion Yannik Porsché: Discursive Knowledge Construction or ‚There is only one thing worse than being talked about and that is not being talked about‘; in: Justyna Aniceta Turkowska/Peter Haslinger/ Alexandra Schweiger (Hg.): Wissen transnational. Funktionen – Praktiken – Repräsentationen, Marburg 2016, S. 51– 69.
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merken könne, dass überhaupt eine Intervention stattfinde. Damit zeigt sich auch, dass Kienast es als grundsätzliches Interesse und konkreten Handlungsimpuls des Verlegers beim Gewahrwerden einer so negativen Rezension erkannte, einerseits den ökonomischen Wert des besprochenen Buches zu schützen, ohne aber andererseits den symbolischen Wert der Zeitschrift oder gar des ganzen Verlages zu gefährden. In diesem Sinne gehört es zur von Kienast beabsichtigten Einrahmung seiner Mitteilung an den Verleger, diesen erstens eigeninitiativ auf das Problem aufmerksam zu machen, das die Rezension darstellte, es zweitens nur „bei dieser Gelegenheit“¹³⁵ – also beiläufig – zu erwähnen, um es nicht hochzuspielen, drittens durch die Ankündigung seiner nächsten Schritte Handlungsfähigkeit zu demonstrieren und dem Verleger viertens zu suggerieren, dieser müsse nicht selbst aktiv werden, da die HZ-Herausgeber seine Interessen im Auge und ihre Verfolgung im Griff hätten. Die Sorge, Wilhelm Oldenbourg könnte sich voreilig zu einer für die HZ schädlichen Reaktion hinreißen lassen, die Kienast wohl zu diesem dämpfenden Rahmen seiner Mitteilung greifen ließ, erwies sich als nicht völlig unbegründet, wenn man die emotionale Färbung von Oldenbourgs Antwortschreiben beachtet: „Ihre Mitteilung, daß Herr Professor Redlich die ‚Geschichte der Vereinigten Staaten‘ von Dr. Dahms außergewöhnlich absprechend beurteilt hat, hat mich wie auch den Verfasser des Werkes, an den ich die Hiobsbotschaft umgehend weitergegeben habe, schmerzlich betroffen. Sie wissen, sehr geehrter Herr Professor, daß ich als Verleger der ‚HZ‘ nie den Anspruch gemacht habe, in Bezug auf die Besprechung eigener Verlagswerke vor anderen Verlegern bevorzugt zu werden. Aber daß ein bejahrter, jetzt in Amerika lebender Historiker, der im Jahre 1911 eine ‚Urkundenlehre‘ bei mir verlegt hat, im Jahr 1954 eine bei mir erschienene ‚Geschichte der USA‘, über die bisher 39 Rezensionen vorliegen, die alle eine mehr oder weniger warme Zustimmung erkennen lassen, derartig herunterreißt wie es Ihnen in Ihrer langen Praxis noch kaum vorgekommen ist, kommt mir doch grotesk vor. Ich bitte die Herren Herausgeber der ‚HZ‘ dringend, hier nach dem rechten zu sehen und die Besprechung nicht zu veröffentlichen, ehe sie nicht zum mindesten von einem jüngeren Amerikanisten geprüft und gebilligt wurde.“¹³⁶
Oldenbourg bringt sein Leiden an der negativen Rezension deutlich zum Ausdruck und fordert „dringend“ Maßnahmen der Herausgeber, die über das von Kienast empfohlene Höchstmaß an Intervention hinausgehen: Die Überprüfung der Rezension durch einen „jüngeren“ Experten unterstellt, ein „bejahrter“ Rezensent könnte zu sachlich unhaltbaren Urteilen gekommen sein. Die Annahme, die Besprechung ließe sich womöglich wegen Senilität ablehnen, ist jedoch nicht
BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an Wilhelm Oldenbourg, Frankfurt 28.05.1954. BWA F5/1644: Brief Wilhelm Oldenbourg an Walther Kienast, [München] 02.06.1954.
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besonders plausibel, da Oldenbourg der Besprechungstext vorlag und er darin selbst keine offensichtlichen Anhaltspunkte für Verwirrtheit entdecken konnte. Wie sich Oldenbourg dem Abdruck der Rezension eventuell entziehen zu können hoffte, geht vielmehr daraus hervor, dass er eine negative Besprechung durch einen früheren Oldenbourg-Autor als besonders illoyal empfand.Welche Rolle die angedeutete Emigration des Autors dabei spielen könnte, den Sachverhalt „grotesk“ erscheinen zu lassen, bleibt zunächst unklar. Anzunehmen ist jedoch ein Zusammenhang zwischen dem Illoyalitätsgefühl Oldenbourgs und der verbreiteten Deutung von Emigration als Verrat: Die Prüfung durch einen Amerikanisten könnte ergeben, so vermutlich Oldenbourgs heimliche Hoffnung, dass Redlich durch Emigration und Alter verbittert sei und seine Kritik keine sachliche Grundlage im besprochenen Werk finde, sondern auf Rachegelüsten, Hass auf alles Deutsche oder Ähnlichem basiere. Nur in einem solchen Fall wollte Oldenbourg folglich von seinen Grundsätzen abweichen und verlangen, „als Verleger der ‚HZ‘ […] in Bezug auf die Besprechung eigener Verlagswerke vor anderen Verlegern bevorzugt zu werden.“¹³⁷ In seinem letzten dokumentierten Akt nahm der „Fall Redlich“ eine überraschende Wendung, als Kienast Oldenbourgs Hoffnungen enttäuschen musste, dass die Rezension als realitätsfremd abgelehnt werden könnte. Denn der Verleger hatte den 1892 geborenen Rezensenten Fritz Redlich mit dem weitaus älteren Oswald Redlich, geboren 1858, verwechselt, wie Kienast aufklärte: „[D]ie bei Ihnen 1911 erschienene Urkundenlehre stammt von Oswald Redlich, einem der führenden österreichischen Historiker, der vor einigen Jahren in hohem Alter verstorben ist. Bei dem Rezensenten des Buches von Dahms handelt es sich um einen jüngeren Mann, der Professor für amerikanische Geschichte an einer großen Universität in den USA ist, ein anerkannter Fachmann; einfach ablehnen können wir also seine Besprechung nicht. Trotzdem werden wir die Besprechung nicht in der vorliegenden Form veröffentlichen; ich habe größere Striche vorgenommen und werde mich bemühen, Herrn Redlich von der Zweckmäßigkeit zu überzeugen.“¹³⁸
Wäre Fritz Redlich kein „anerkannter Fachmann“ gewesen, so lässt sich schlussfolgern, hätte Kienast seine negative Besprechung unter Umständen „einfach ablehnen können“. Eine Begründung, warum die HZ-Herausgeber sich dennoch zu Eingriffen in die Unabhängigkeit des Rezensenten berechtigt sahen, liefert Kienast leider nicht. Auf Grundlage seiner Weigerung, die Rezension „in der vorliegenden Form“ zu drucken, strebte er demnach eine Verhandlungslösung an, die Kürzungen und Abschwächungen der Kritik mit einer Verzögerung ihres Er Ebenda. BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an Wilhelm Oldenbourg, Frankfurt 18.06.1954.
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scheinens kombinierte. Inwiefern Kienasts angekündigte Einflussnahme letztlich wirksam wurde, lässt sich ohne Entwurfsfassungen zum Vergleich mit der gedruckten Rezension kaum sagen. Die Druckfassung jedenfalls begrüßt das Vorhaben des besprochenen Werkes, spricht diesem aber jeden Erfolg bei seiner Verfolgung ab.¹³⁹ Zwar spricht die Rezension sanft von „Bedenken“ oder „dem bedenklichsten Punkte“,¹⁴⁰ wenn sie grobe Monita vorbringt, so dass eine Abschwächung im Ton möglich erscheint. Doch in der Sache lässt der gedruckte Text keinerlei Zweifel an dem vernichtenden Werturteil und kann es mit einer Reihe triftiger Gründe auch untermauern. Dass Kienast die Rezension ganz ans Ende des Rezensionsteils des letzten Heftes von Band 179 setzte, wo sie etwa ein Jahr nach der zitierten Korrespondenz erschien, lässt sich als Verzögerung der Publikation ansehen, doch Besprechungen, die im zweiten auf das Erscheinungsjahr eines Werkes folgenden Jahr veröffentlicht wurden, waren in der HZ keine Seltenheit. Letztlich setzte Kienast also seinen ursprünglichen Grundsatz um, die Unabhängigkeit des Rezensenten möglichst nicht sichtbar zu beschneiden. Dass Kienast bereit und in der Lage war, Rezensionen aufgrund ihres untragbaren Inhalts abzulehnen, auch ohne dass der Verlag sich einschalten musste, zeigte sich einige Jahre später, als der langjährige Oldenbourg-Prokurist Horst Kliemann sich erkundigte, warum ein Oldenbourg-Buch noch nicht in der HZ besprochen worden sei. Kienast erklärte: „Ihr Verlagswerk, Zöllner, Geschichte Österreichs, hatte bei uns ein österreichischer Rezensent besprochen, dessen Manuskript ich aber aus politischen Gründen nicht annehmen konnte.“¹⁴¹ Interessant ist daran die Diskretion, mit der Kienast den Verlag nur auf Anfrage informiert, dabei den Rezensenten und die näheren Umstände verschweigt, die ihn zu der Entscheidung brachten, eine Rezension nicht abzudrucken. Juristische Eskalationen sind bei negativ ausfallenden geschichtswissenschaftlichen Fachrezensionen selten.¹⁴² Ein Beispiel wurde allerdings auch auf
Fritz Redlich: Rezension zu Hellmuth Günther Dahms, Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, München 1953; in: HZ 179 (1955), S. 608. Ebenda, S. 606 f. BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Horst Kliemann, Frankfurt 24.11.1962. Das betreffende Buch von Erich Zöllner, „Geschichte Österreichs. Von den Anfängen bis zur Gegenwart“, erschien 1961 bei Oldenbourg in München und beim zur Oldenbourg-Gruppe gehörenden Verlag für Geschichte und Politik in Wien. 2017 erhielt eine geschichtswissenschaftliche Fachrezension Medienaufmerksamkeit über die Geschichtswissenschaft hinaus, als das Rezensionsportal H-Soz-Kult sie auf juristischen Druck hin löschte. Den Ausnahmecharakter solcher Maßnahmen betont Birte Förster: Forscher klagt gegen Rezension. Angriff ist nicht die beste Verteidigung; in: faz.net, 22. Februar 2017; URL: http://www.faz. net/aktuell/feuilleton/geisteswissenschaften/reitzenstein-gegen-flachowsky-klage-auf-rezension14889110.html (zuletzt abgerufen am 6. Januar 2019, Archiv-URL: https://archive.fo/DVnpf).
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den Seiten der HZ ausgetragen, als Gerhard Lutz die Rezension eines von ihm herausgegebenen Sammelbandes¹⁴³ monierte, eine „Erwiderung“ formulierte und deren Abdruck in der HZ¹⁴⁴ mit seinem juristischen Anspruch auf Gegendarstellung durchsetzte.¹⁴⁵ Wenn ein solcher juristischer Eingriff in eine Zeitschrift möglich wird, dann deshalb, weil die Redaktion unbewiesene Tatsachenbehauptungen eines Rezensenten über ein Buch zum Druck zugelassen hat, die dem Autor des besprochenen Buches missfallen. Zur Seltenheit dieser Konstellation in der HZ trug bei, dass ausführliche negative Rezensionen beim Verlag nicht auf besonderen Zuspruch stießen: Nachdem Karl von Cornides mehrfach brieflich auf konkrete Rezensionen eingegangen war, die ihm zu lang für ein (ausweislich der Rezension) wissenschaftlich unbedeutendes Werk erschienen,¹⁴⁶ fasste er seine generelle Haltung zu ausführlichen negativen Rezensionen 1967 zusammen: „Es sind meistens diese langen Besprechungen, in denen die Rezensenten sich irgendeinen Groll von der Seele schreiben, auch qualitativ die schlechtesten und dem Ansehen der Zeitschrift abträglich.“¹⁴⁷
Wenn Walther Kienast solche Rezensionen zuließ, dann häufig im Zusammenhang mit der politischen Agenda, die sie vertraten: Eine zwölfseitige Besprechung zur polnischen Geschichte läuft darauf hinaus, „nationalistische Verfälschungen“¹⁴⁸ anzuprangern, die aus polnischer Perspektive mit antideutschem Res-
Walter Mitzka: Rezension zu Gerhard Lutz [Hrsg.],Volkskunde. Ein Handbuch zur Geschichte ihrer Probleme, Berlin 1958; in: HZ 187 (1959), S. 179 f.: „So etwas darf man nicht Handbuch nennen.“ Gerhard Lutz: Erwiderung; in HZ 188 (1959), S. 477 f. Die Korrespondenz zu diesem Fall, mit der Walther Kienast, Horst Kliemann und der Rechtsanwalt Georg Schärtl befasst waren, findet sich in BWA F5/1606 und erstreckt sich über das zweite Halbjahr 1959. Die Gegendarstellung wurde erst nach zahlreichen Streichungen und Abschwächungen zum Druck angenommen. BWA F5/1614: Brief [Karl von Cornides] an Walther Kienast, Wien 17.11.1966; Brief [Karl von Cornides] an Walther Kienast,Wien 14.09.1967; Brief [Karl von Cornides] an Walther Kienast,Wien 06.07.1967. BWA F5/1614: Brief [Karl von Cornides] an Walther Kienast, Wien 19.10.1967. Manfred Hellmann: Rezension zu Oskar Halecki, Geschichte Polens, Frankfurt am Main 1963; in: HZ 203 (1966), S. 187– 198, hier S. 197.
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sentiment formuliert waren.¹⁴⁹ Die abschließende Warnung „vor der unbedenklichen Benutzung“ des Buches ist daher verbunden mit der Erklärung des Rezensenten über die zeitgemäßen Aufgaben von Geschichtswissenschaft: „Wir haben alles zu tun, um die tiefe Kluft, die die Jahre des Zweiten Weltkrieges und deutsche Schuld aufgerissen oder vertieft haben, zu schließen. Hierzu kann nur die nüchterne Erkenntnis, wie es wirklich gewesen ist, wie die tausendjährige Nachbarschaft deutschen und polnischen Schicksals beide Völker eng miteinander verbunden hat, weiterhelfen. Aus überholter Sicht geschriebene, einseitige Abrisse, wie das Buch von Halecki, können dabei nicht helfen, sondern nur hemmen.“¹⁵⁰
Karl von Cornides freilich sah andere Aufgaben zeitgenössischer Geschichtswissenschaft und fand es unwürdig für die HZ, ausländische Werke aufgrund von nationalistischen Perspektivengegensätzen scharf ablehnend zu besprechen: „Ich wollte Ihnen schon damals schreiben, daß m. E. die HZ Besprechungen von einem derartigen niedrigen sprachlichen und inhaltlichen Niveau nicht bringen sollte. Damit blamieren wir uns nicht nur in Deutschland sondern auch im Ausland. Derartige affektgeladenen Rezensionen (ähnlich war es vor einiger Zeitmit der Besprechung des Buches von Prof. Halecki durch Prof. Hellmann) erwecken den Eindruck, als ob man in Deutschland noch nicht in der Lage wäre, ruhig und sachlich kontroverse Fragen abzuhandeln.“¹⁵¹
Bei der betreffenden Rezension ging es um Barbara Tuchmans „August 1914“¹⁵² und damit wenige Jahre nach dem Höhepunkt der Fischer-Kontroverse ebenfalls um jenes deutsche nationale Reizthema. Entsprechend motiviert war auch der Rezensent.¹⁵³ Cornides Versuch, Kienast davon zu überzeugen, die Rezension nicht zu publizieren, ging so weit, ihm „in sehr eiliger Sache“ und scharfen Worten zu schreiben: „Zu meiner Bestürzung sehe ich nun heute aus den Umbruchbogen des 205. Bandes, daß Sie diese Besprechung bereits für diesen disponiert haben. Es liegt mir vollkommen fern, in Ihre Kompetenzen irgendwie eingreifen zu wollen. Ich mache daher auch keine Vorschläge
BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 12.09.1966, verteidigte die Rezension mit dem „tendenziösen u. chauvinistischen Charakter“ des Buches und nannte die Angelegenheit „ein Politikum ersten Ranges“. Manfred Hellmann: Rezension zu Oskar Halecki, Geschichte Polens, Frankfurt am Main 1963; in: HZ 203 (1966), S. 187– 198, hier S. 197 f. BWA F5/1614: Brief [Karl von Cornides] an Walther Kienast, Wien 06.07.1967. Helmuth K. G. Rönnefarth: Rezension zu Barbara Tuchman, August 1914, London 1962; in: HZ 206 (1968), S. 148 – 152. Ebenda, S. 149: „Dieses Buch trägt allzu deutlich einen antipreußischen und antideutschen Akzent“.
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hinsichtlich der Behandlung dieser Angelegenheit. Aber ich glaube doch, daß dem Verleger ein offenes Wort der Kritik gestattet sein muß.“¹⁵⁴
Der Konflikt zwischen Verleger und Herausgeber um solche ausführlichen negativen Rezensionen stand im Kontext des problematischen Umfanges des Rezensionsteils. Der Druck, Neuerscheinungen rascher zu rezensieren, der sich in wiederholten Klagen des Oldenbourg-Verlages wie auch anderer Verlage ausdrückte, dass ihre zur Rezension eingereichten Werke noch nicht in der HZ besprochen worden seien, hätte nach Karl von Cornides’ Auffassung dadurch abgebaut werden sollen, negative Rezensionen gar nicht oder wesentlich knapper zu bringen. Die mittelbaren Folgen einer solchen Maxime hatte Cornides dabei vermutlich nicht im Auge. Statt zu einer sachorientierten Erörterung von lobenswerten und kritikwürdigen Aspekten eines Werkes müssten sich Rezensenten aufgefordert fühlen, entweder ausgiebige Lobeshymnen zu verfassen oder weitgehend stumm zu bleiben. Markant für die Vorgeschichte dieses Vorschlags von Cornides war eine Auseinandersetzung um den Jahreswechsel 1965/1966, in dem Cornides sein Interesse zum Ausdruck brachte, insbesondere Rezensionen von Verlagswerken des Oldenbourg-Verlags rascher nach deren Erscheinen in der HZ besprechen zu lassen: „Mit Bedauern habe ich ausserdem festgestellt, dass sich in diesem grossen Vorrat von [14 Satzbrettern voll mit] Besprechungen nicht eine einzige Rezension von Werken unseres Verlages befindet. […] das Problem der Besprechung unserer eigenen Verlagswerke in der ‚HZ‘ stellt sich doch wieder mit grosser Dringlichkeit.“¹⁵⁵
Kienast widersprach und verwies auf „Schieders Besprechung von Ritters Kriegshandwerk III“¹⁵⁶, die noch in der Setzerei liege. Cornides bat daraufhin darum, „doch möglichst bald die Besprechung von Ritters Kriegshandwerk III zu
BWA F5/1614: Brief [Karl von Cornides] an Walther Kienast, Wien 06.07.1967. Explizite „Vorschläge hinsichtlich der Behandlung der Angelegenheit“ musste Cornides nicht machen. Seine Haltung geht aus dem Zitierten hervor. Zuvor hatte Cornides bereits an Schieder geschrieben, um ihn zu „bitten, bei Herrn Prof. Kienast darauf hinzuwirken, daß diese Rezension nicht veröffentlicht wird.“ BWA F5/1625: Brief Karl von Cornides an Theodor Schieder, Wien 05.05.1967. BWA F5/1614: Brief Karl von Cornides an Walther Kienast, München 20.12.1965. BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 22.01.1966. Die ausführliche und ausgesprochen positive Rezension des im Oldenbourg-Verlag erschienenen Werkes ließ noch bis Ende 1966 auf sich warten: Theodor Schieder: Rezension zu Gerhard Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk, Band 3, Die Tragödie der Staatskunst. Bethmann Hollweg als Kriegskanzler (1914– 1917), München 1964; in: HZ 202 (1966), S. 389 – 398.
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disponieren“,¹⁵⁷ brachte also die Verlagsinteressen des Oldenbourg-Verlags als Anbieter von Gerhard Ritters magnum opus gegenüber dem Herausgeber der HZ zur Geltung. Diese Einflussnahme wies Kienast nicht etwa zurück, sondern machte sich Cornides’ Anliegen zu eigen und begründete die weitere Verzögerung mit Problemen in der Setzerei.¹⁵⁸ Da Kienast sich so offen zeigte, die Absatzinteressen der Oldenbourg-Buchproduktion bei der Redaktion des HZ-Rezensionsteils zur Geltung zu bringen, dachte Cornides über ein Verfahren nach, systematisch den der HZ „wichtigen Rezensionen“ ein beschleunigtes Erscheinen zu ermöglichen: „Versprechen Sie sich etwas davon, wenn wir bei den Manuskripten eine Zweiteilung vornehmen und zwar nach wichtigen Rezensionen, die möglichst bald nach ihrer Abfassung erscheinen sollen, und einem gewissen Füllmaterial, das auf jeden Fall bereitstehen muss, um Ihnen die Arbeit zu erleichtern?“¹⁵⁹
Dass mit den „wichtigen Rezensionen“ auch Besprechungen von OldenbourgBüchern gemeint waren, ergibt sich außer aus den früheren Briefen auch aus dem Monitum, das Cornides anschließend anführt: Er beklagt die ausführliche Rezension einer Neuauflage „noch dazu durch den gleichen Rezensenten“, von der man „beim besten Willen nicht behaupten [könne], dass es sich hier um eine ordnungsgemässe Besprechung handelt.“¹⁶⁰ Ohne den Verlag der Neuauflage, Vandenhoeck & Ruprecht, zu erwähnen, und jede „Animosität“ gegen den Rezensenten von sich weisend,¹⁶¹ lässt sich Cornides’ implizite Beschwerde so formulieren: Während große Werke des Oldenbourg-Verlags in der HZ nicht unverzüglich rezensiert würden, finde sich für bloße Neuauflagen eines anderen Verlags genug Raum in der HZ, um unkritische Elogen abzudrucken. Nachvoll-
BWA F5/1614: Brief [Karl von Cornides] an Walther Kienast, München 27.01.1966. Weiter lässt Cornides seine emotionale Einstellung zum Thema der Rezension von Werken des OldenbourgVerlags erkennen: „Ich bin sehr erleichtert darüber, dass wir bald mit einer Besprechung rechnen können.“ BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 05.02.1966: „Die Setzerei macht es mir schwer, Ihrem Wunsche gemäss die Besprechung Schieders über Ritter, Bd.III, im nächsten Heft zu bringen.“ BWA F5/1614: Brief Karl von Cornides an Walther Kienast, München 10.02.1966. Ebenda. Cornides kritisiert hier: Nikolaus von Preradovich: Rezension zu Heinz Gollwitzer, Die Standesherren. Die politische und gesellschaftliche Stellung der Mediatisierten 1815 – 1918, 2. Auflage, Göttingen 1964; in: HZ 201 (1965), S. 666 – 669. BWA F5/1614: Brief Karl von Cornides an Walther Kienast, München 10.02.1966.
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ziehbar ist Cornides’ Gefühl, der Oldenbourg-Verlag werde im HZ-Rezensionsteil benachteiligt, das die monierte Besprechung in ihm weckte. Darin heißt es: „Es ist im hohen Grade erfreulich, daß sich nach einer verhältnismäßig so kurzen Zeitspanne von kaum sieben Jahren die Notwendigkeit ergeben und sich auch ein Verlag gefunden hat, die vortreffliche Arbeit in einer neuen Auflage herauszubringen.Wie uns der Vf. mitteilte, hat sich keine Veränderung, sondern höchstens eine Vertiefung der vertretenen Thesen ergeben. Es ist daher nicht nötig, neuerlich auf die Vorzüge des Werkes hinzuweisen. Wir möchten vielmehr einige Details auf dem ‚österreichischen‘ Sektor zur Betrachtung empfehlen. […] Der Dank jedes gesellschaftswissenschaftlich interessierten Historikers ist dem Vf. und dem Verlag sicher.“¹⁶²
Dennoch konnte Cornides Kienast damit nicht davon überzeugen, zwei Klassen von Rezensionen einzuführen, „denn praktisch ist es ja schon jetzt so, dass ich die Manuskripte nie nach ihrem tatsächlichen Einlauf veröffentliche, sondern nach ihrer Wichtigkeit, einem gewissen Ausgleich der verschiedenen Stoffgebiete usw.“¹⁶³ Den Fall des als Neuauflage weniger wichtigen Werkes erklärte Kienast mit der „Flaute“,¹⁶⁴ die zu dem Zeitpunkt in seinem Manuskriptbestand herrschte, und mit der politischen Bedeutung, die er dem Inhalt der Besprechung beimaß. Politisch wichtig erschien Kienast die Frage abstammungsmäßiger Verbundenheit von „österreichischen“ und kleindeutschen Adeligen wohl auch aus autobiographischen Motiven:¹⁶⁵ „Als weiterer Grund, dass ich die Rezension schliesslich annahm, kommt in Betracht, dass mir seine Bemerkungen doch ganz interessant erschienen. Man kann offenbar den Begriff Österreicher in sehr verschiedener Weise auffassen und dass Preradovich unter den führenden Persönlichkeiten für eine so erhebliche Zahl die Abstammung aus dem Reich nachwies, schien mir nicht ganz unwichtig.“¹⁶⁶
Nikolaus von Preradovich: Rezension zu Heinz Gollwitzer, Die Standesherren. Die politische und gesellschaftliche Stellung der Mediatisierten 1815 – 1918, 2. Auflage, Göttingen 1964; in: HZ 201 (1965), S. 666 f. und 669. BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 26.02.1966. Ebenda. Den Begriff „Flaute“ verwendete Kienast in dem Zusammenhang öfters, vgl. etwa BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 23.06.1967, wo er auch die Argumente, die ihn von Kürzungen zu langer Rezensionen abhielten, explizierte. Die Entlassung als politisch belasteter „Reichsdeutscher“ von seiner Grazer Professur 1939 – 1945 führte für Kienast bis 1958 zu schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen, vgl. Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 126, und Herde: Kienast, S. XXXII. BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 26.02.1966. Die unausgesprochene Schlussfolgerung daraus ist wohl ein historisches Argument für die Zusammengehörigkeit von Deutschen und Österreichern in einem großdeutschen Staat.
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Mit der inhaltlichen Bewertung als „ganz interessant“ oder „nicht ganz unwichtig“ verteidigte Kienast hier seinen redaktionellen Beurteilungsspielraum gegen eine stärkere Geltendmachung von Verlagsinteressen. Die Zusicherung, die „Wichtigkeit“ von Rezensionen bei der Publikationsreihenfolge ohnehin zu beachten, beruhigte Karl von Cornides immerhin so weit, dass das Thema der zeitnahen Rezension von Werken (aus dem Oldenbourg-Verlag) in der Korrespondenz zunächst zurücktrat.¹⁶⁷ Für das Verlagsgeschäft wurde es also in der Korrespondenz zwischen Oldenbourg-Verlag und HZ-Herausgebern als gut bewertet, wenn Buchpublikationen rasch, ausführlich und positiv besprochen wurden. Späte, knappe und negative Besprechungen galten als nicht wünschenswert. Allerdings durften etwaige Maßnahmen des Verlags oder der HZ-Herausgeber, die das Schlechte vermeiden und das Gute verstärken sollten, nur dezent wirken und nicht öffentlich werden, da solche Maßnahmen den Objektivitäts- und Neutralitätsansprüchen der HZ widersprachen. Damit wäre ihr symbolisches Kapital gefährdet worden, was wiederum dazu geführt hätte, dass die Kooperationsbereitschaft anderer Teilnehmer am Spiel des geschichtswissenschaftlichen Feldes gesunken wäre.
Schutzmaßnahmen symbolischen Kapitals Das Bemühen um den Schutz des symbolischen Kapital von HZ und Verlag lässt sich auch an der Affäre um Helmut Heibers Untersuchung über die deutsche Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus ablesen.¹⁶⁸ Der „Fall Heiber“ hat in den Oldenbourg-Akten nicht nur eine eigene Mappe mit dem Titel „Auseinandersetzung mit Helmut Heiber wegen der Nutzung der HZ-Korrespondenz für die Publikation ‚Walter Frank …‘“¹⁶⁹ erhalten, sondern wurde auch in den Briefwechseln der Münchener und Wiener Verlagsvertreter mit den HZ-Herausgebern Kienast und Schieder heiß diskutiert. Als Heiber 1960 die Verlagsakten zur HZ der 1930er Jahre benutzen durfte, war man noch unbesorgt und genehmigte ihm bedenkenlos die Veröffentlichung von Briefen, vor allem aus der Endphase von Meineckes Herausgeberschaft.¹⁷⁰ Schließlich hatte Schieder gerade in der Fest-
Das Thema kehrte allerdings stetig wieder, so BWA F5/1614: Brief [Karl von Cornides] an Walther Kienast, Wien 14.09.1967; BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 07.10.1967, vgl. oben, Anmerkung 127 auf S. 420 f. Heiber: Walter Frank und sein Reichsinstitut. Benennung laut Findbuch F5 (Oldenbourg) des BWA. Die Mappe hat die Signatur BWA F5/ 1211, läuft wesentlich vom 9. Mai 1966 bis zum 14. April 1967 und enthält auch Druckfahnen von Heibers Buch mitsamt Marginalien und Änderungswünschen des Verlags. BWA F5/1624: Brief Horst Kliemann an Theodor Schieder, München 06.05.1960.
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ausgabe zum hundertjährigen Bestehen der HZ die Deutung inauguriert, die HZ habe unter Meinecke und unter von Müller ebenso wie der Verlag stets Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet und dafür punktuelle Zugeständnisse machen müssen.¹⁷¹ Doch Heiber ging es nicht um die Unterscheidung zwischen Historikern und Nationalsozialismus, gar um Widerstand von Historikern gegen den Nationalsozialismus, sondern um den Zusammenhang von Historikerzunft und Nationalsozialismus, also um die „Rolle der Historiker im Dritten Reich“, weshalb sein Buch „in der Zunft sofort Furore machen“ musste.¹⁷² Heiber hatte die Entwicklung der HZ ab 1933 eingebettet in und verwoben mit der Entstehung von Franks Reichsinstitut geschildert.¹⁷³ Auf mögliche Probleme mit einer bevorstehenden Veröffentlichung Heibers angesetzt wurde der Verlag erst von einem ihm eng verbundenen Autor, dem stark NS-belasteten Agrarhistoriker Günther Franz,¹⁷⁴ dem „zu Ohren gekommen war, dass Herr Dr. Heiber vom Institut für Zeitgeschichte in einem bereits im Satz befindlichen Werk über das ‚Reichsinstitut für Deutsche Geschichte‘ den vollständigen Wortlaut eines Briefes von ihm an Kommerzienrat Wilhelm Oldenbourg zitiere, in dem er sich ziemlich offen über seine Kollegen etwa in der Mitte der 30er Jahre äussert.“¹⁷⁵ Franz wollte verständlicherweise Mitte der 1960er Jahre keine nationalsozialistischen und im Vertrauen formulierten Abfälligkeiten über andere Historiker lesen, nachdem er in der Bundesrepublik erst spät (1957) und nur aufgrund seiner guten Vernetzung wieder eine Professur erhalten hatte.¹⁷⁶ Von Franz’ nationalsozialistischen Tiraden sei hier nur ein Auszug über die Historische Reichskommission zitiert, worin er zwar keine Namen nannte, aber führende Kommissionsmitglieder wie Walter Goetz, Friedrich Meinecke und Hermann On-
Schieder: Deutsche Geschichtswissenschaft im Spiegel der HZ, hier v. a. S. 34– 37. Schieder hatte ebenda, S. 102– 104, auch bereits ausgewählte Stücke aus dem Briefwechsel Meineckes 1935 veröffentlicht. An die HZ-Jubiläumsausgabe als Kontext von Heibers Aktendurchsicht erinnert auch BWA F5/1624: Brief Horst Kliemann an Theodor Schieder, München 06.05.1960. Martin Broszat: Helmut Heiber zum 65. Geburtstag; in: VfZ 37 (1989), S. 353 – 356, hier S. 354. Heiber: Walter Frank und sein Reichsinstitut, S. 168 – 313. Zu Franz vgl. Wolfgang Behringer: Bauern-Franz und Rassen-Günther. Die politische Geschichte des Agrarhistorikers Günther Franz (1902– 1992); in: Winfried Schulze/Otto Gerhard Oexle (Hg.): Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, 2. Auflage, Frankfurt am Main 2000, S. 114– 141; etwas ausführlicher Wolfgang Behringer: Von Krieg zu Krieg. Neue Perspektiven auf das Buch von Günther Franz „Der Dreißigjährige Krieg und das deutsche Volk“ (1940); in: Benigna von Krusenstjern/Hans Medick (Hg.): Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe, Göttingen 1999, S. 543 – 591; zu seiner Verbindung zu Oldenbourg vgl. wiederholt ebenda und etwa Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 26. BWA F5/1211: Hausmitteilung Karl von Cornides an Frau Wolf, Wien 09.05.1966. Behringer: Bauern-Franz, S. 114 und S. 130.
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cken für ihre Verbindung zu den emigrierten Meinecke-Schülern Hajo Holborn, Gustav Mayer und Hans Rosenberg angriff: „Sie [die Historische Reichskommission] hat nichts Eiligeres zu tun gehabt, als einem weit linksstehenden, jüdisch versippten Historiker, der heute im Ausland lebt, eine Geschichte der Weimarer Verfassung in Auftrag zu geben. Ein Marxist, Schüler eines marxistischen Juden, sollte über das Sozialistengesetz arbeiten, ein Jude erhielt den Auftrag, über die nationalpolitische Publizistik der Reichsgründungszeit eine Bibliographie zu fertigen. Er hat das Vorwort von London datieren müssen. Dies Werk ist in seinem ganzen Gehabe so jüdisch, daß wohl selbst Herr Goetz in seinem Rechtfertigungsbericht es für gut gehalten hat, es zu übergehen. Es ist also wahrlich kein Anlaß, dieser Kommissionen rühmend zu gedenken.“¹⁷⁷
Diese Stelle ist aufschlussreich im Hinblick auf das Verhältnis zwischen der Gruppe der emigrierten Historiker und ihren nationalsozialistischen Altersgenossen: Für prononciert nationalsozialistische Nachwuchshistoriker war es in der ersten Hälfte der 1930er Jahre nicht leicht, auf Professuren berufen zu werden. Selbst nach der „Machtergreifung“ wurden politisch zurückhaltende Historiker noch vielerorts bevorzugt. Als Gegner machte der Nazinachwuchs dabei vor allem die alte Historikergeneration aus, besonders prägnant den Kreis um Meinecke, und es ärgerte ihn besonders, wenn er in der Konkurrenz hinter gleichaltrigen „Juden“ oder „Marxisten“ zurückstehen musste. So wurden Historiker, die unter der Herrschaft des Nationalsozialismus ohnehin keine Karrierechancen hatten, noch in der Emigration zum Ziel von Hass und Hetze. Als die vertriebenen Konkurrenten nach 1945 wieder in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft in Erscheinung traten, konnte man als inzwischen etablierter und rasch entnazifi-
Günther Franz: Walther Goetz und die Historischen Kommissionen; in: Volk im Werden 3 (1935), S. 320 – 322, hier S. 321, zitiert nach Behringer: Bauern-Franz, S. 116 f., vgl. Behringer: Von Krieg zu Krieg, S. 560. Die Auflösung von Franz’ antisemitischen Andeutungen ist Behringer lediglich zu Mayer und Rosenberg gelungen. Zu Holborns Auftrag, für die Historische Reichskommission die Entstehung der Weimarer Reichsverfassung zu untersuchen, siehe Ritter: Meinecke, S. 48. Die Kurzbiographien und Dokumente in diesem Band zeigen, wie Franz’ Attacken ihre Ziele sachlich völlig verfehlen, da Ritter sich explizit mit Fragen wie denen befasst, wie linksstehend Holborn, wie marxistisch Mayer und wie jüdisch Rosenberg war. Kurz zusammengefasst sind seine als antisemitisch-antimarxistische Beschimpfungen gemeinten Behauptungen einfach sachlich falsch. Franz’ schlechter Kenntnisstand zeigt sich besonders daran, dass er Mayer nur als angeblichen Marxisten angreift, obwohl er bei diesem als einzigem der drei Grund zur Behauptung gehabt hätte, es handle sich um einen Juden, vgl. ebenda, S. 98 und S. 102. Das war keineswegs ein Geheimnis und natürlich auch Grund für Mayers Versetzung in den Ruhestand im September 1933, woraufhin sich Mitglieder der Historischen Reichskommission und der Berliner Universität beim NS-Kultusminister Bernhard Rust für Mayer eingesetzt hatten, vgl. ebenda, S. 102 f. und Dokumente 3) a)–d) auf S. 457– 461.
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zierter Historiker natürlich deren Vergeltung fürchten. Die Angst vieler Deutscher vor der als Durchhalteparole vielbeschworenen Rache der Siegermächte kehrte also in solchen Fällen auf einer persönlichen Ebene zurück, und zwar umso mehr, wenn Emigranten als von den Besatzungsmächten eingesetzte Gastprofessoren auftraten, etwa in Form des Fulbright-Austauschs.¹⁷⁸ Der vertraulich geäußerte Hass der 1930er war daher natürlich etwas, was mühsam Entnazifizierte wie Günther Franz nicht veröffentlicht sehen wollten. Zugleich bedrohten solcherart Enthüllungen, wie sie Heiber vorbereitete, auch das Ansehen des Oldenbourg-Verlags, speziell hinsichtlich des Bildes, das er über sein Wirken im Nationalsozialismus von sich hatte zeichnen lassen.¹⁷⁹ Karl von Cornides reagierte entschlossen: „Jedenfalls glaube ich nicht, dass wir gezwungen sind, die Publikation derartiger Briefe zu gestatten. Das Firmeninteresse verlangt vielmehr, dass wir uns diesbezüglich energisch zur Wehr setzen.“¹⁸⁰
Die Ungewissheit darüber, welche Ausfälligkeiten Heiber letztlich enthüllen würde, machte die Folgen der Veröffentlichung unabschätzbar, so dass Cornides nicht bloß das Verlagsinteresse bedroht sah, sondern Schieder warnte, dass „durch diese Publikation auf viele Jahre hinaus die Atmosphäre unter den deutschen Historikern vergiftet“ würde.¹⁸¹ Also ging der Verlag mit allen zur Verfügung stehenden Strategien gegen Heibers Buch vor, von Kooperationsbemühungen bis zu juristischen Drohungen.¹⁸² Dies scheiterte letztlich an Hans Rothfels’ Protektion für Heibers Untersuchung, die er auch damit begründete, dass die Einwände des Verlags, konsequent weitergedacht, „jede zeitgeschichtliche Forschung blockieren würden“.¹⁸³ Der Oldenbourg-Verlag musste sich damit abfinden, nicht als Vgl. unten, Anmerkung 183, für ein Beispiel der Emigranten (und Remigranten) nachgesagten Rachegelüste. Vgl. Schieder: Deutsche Geschichtswissenschaft im Spiegel der HZ. BWA F5/1211: Hausmitteilung Karl von Cornides an Frau Wolf, Wien 09.05.1966. BWA F5/1625: Brief [Karl von Cornides] an Theodor Schieder, Wien 31.08.1966. BWA F5/1614: Brief Karl von Cornides an Walther Kienast, München 22.07.1966: „dass wir die Veröffentlichung des jetzt vorliegenden Textes auf keinen Fall zulassen können“; BWA F5/1625: Brief Karl von Cornides an Theodor Schieder, München 17.08.1966; BWA F5/1625: Brief [Karl von Cornides] an Theodor Schieder, Wien 12.09.1966. BWA F5/1211: Brief Hans Rothfels an Karl von Cornides, Tübingen 23.10.1966. In der Tat war Cornides der Ansicht, dass Briefe der 1930er Jahre deshalb nicht als Quellen verwendet werden dürften, weil das gegen das Urheberrecht der Briefschreiber verstieße, so etwa BWA F5/1625: Brief [Karl von Cornides] an Theodor Schieder,Wien 31.08.1966. Ebenda unterstellte Cornides Rothfels, dieser sei wohl „wesentlich mehr an einer grossen Abrechnung mit den in der Nazi-Zeit in Deutschland verbliebenen Historikern als an einer gründlichen Erforschung, wie es tatsächlich
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Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus in der Geschichtswissenschaft dazustehen, aber Karl von Cornides konnte sich schließlich trösten: „Ich glaube auch nicht, daß das Ansehen des Verlages unter der Publikation Heibers stärker geschädigt wird, da er ja unterschiedslos jeden anflegelt (nur Gerhard Ritter kommt gut bei ihm weg) und seine Darstellung dadurch sachlich sehr an Gewicht verliert.“¹⁸⁴
Doch ganz so unterschiedslos war Heibers Buch nicht, was sich etwa daran zeigt, dass Theodor Schieder nicht so empört war wie etwa Günther Franz und seine Interventionen darauf konzentrierte, einige seinen Doktorvater Karl Alexander von Müller belastende Stellen streichen zu lassen.¹⁸⁵ Die vergangenheitspolitischen Debatten der von Heibers Publikation betroffenen Historiker multiperspektivisch aufzuarbeiten, könnte wertvolle Einsichten in die Lage des Fachs in den 1960er Jahren erbringen. An dieser Stelle muss aber die obige grobe Skizze zum Hinweis darauf genügen, welche Mittel zur Verteidigung des symbolischen Kapitals des Oldenbourg-Verlags zur Verfügung standen, und mit welchem Nachdruck die Verantwortlichen sich bei dieser Verteidigung engagierten.
Umstrittene Verkennung: Autorenhonorare Während es durch den Grundsatz der Verkennung ökonomischer Interessen für die HZ-Herausgeber bereits im Ansatz schwierig war, über ihre eigene Bezahlung zu reden, wie oben gesehen,¹⁸⁶ befanden sich die Herausgeber in Verhandlungen über die Höhe von Mitarbeiter-Honoraren in einer ambivalenten Position: Einerseits vertraten sie hier gegenüber dem Verlag die monetären Interessen Dritter, denen sie sich verpflichtet fühlten, und deren kontinuierliche Mitarbeitsbereitschaft sie für einen reibungslosen Produktionsprozess der HZ erhalten wollten.¹⁸⁷ gewesen war, interessiert“. Dieses Abwertungsmuster, das dem Remigranten Rothfels einen grundlegenden Verstoß gegen die auf Ranke zurückgeführten Grundsätze historistischer Geschichtswissenschaft unterschob und ihn in den Augen eines Zunftgenossen wie Schieder als Historiker disqualifizieren sollte, tritt auch in den in Kapitel 7 untersuchten Rezensionen gegenüber Emigranten wiederholt auf. BWA F5/1211: Hausmitteilung Karl von Cornides an Rudolf Oldenbourg und Frau Wolf, Wien 14.04.1967. Christoph Nonn: Theodor Schieder. Ein bürgerlicher Historiker im 20. Jahrhundert, Düsseldorf 2013, S. 261. Vgl. oben vor allem den Abschnitt Die Historische Zeitschrift als „nobile officium“ ab S. 414. Am bereits in Abschnitt 6.1.2 ab S. 397 diskutierten Brief BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 19.12.1964, lässt sich gut erkennen, wie die Verhandlung über das Honorar Dritter für die HZ-Herausgeber zum Vehikel wird, die problematische Verhandlung über die eigenen Honorare durchzuführen. Das Argumentationsmuster ist, knapp wiederholt: Die
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Andererseits basierte die kontinuierliche Mitarbeitsbereitschaft von Autoren und Autorinnen an der HZ wesentlich auf dem symbolischen Kapital und wurde durch Ökonomisierung der Mitarbeit eher in Frage gestellt.¹⁸⁸ Für Rezensionen mussten zwar seit 1932 keine Honorare mehr gezahlt werden,¹⁸⁹ weil Rezensenten es als Verpflichtung, Ehre oder Chance ansahen, ihre Bewertung eines Werkes in der HZ zu publizieren. Die entsprechende Arbeit wurde also hinreichend mit anderen Kapitaltransfers aufgewogen. Allerdings fielen einerseits für die Kärrnerarbeit von Zeitschriftenschauen, Listenerstellung von Neuerscheinungen und ähnliche wenig prestigeträchtige, aber arbeitsintensive Aufgaben Honorare an, andererseits wurden auch die Autoren von Aufsätzen als einer besonders prestigeträchtigen Textform monetär gewürdigt, wenn auch der Forschungsaufwand für seriöse Aufsatzpublikationen durch Aufsatzhonorare nicht ökonomisch abgegolten werden konnte. In der gegenwärtigen Debatte um Open Access und den Wandel wissenschaftlicher Publikationsformen durch Digitalisierung¹⁹⁰ wird als ein wesentliches Argument für die Umstellung wissenschaftlicher Publikationen auf Open Access angeführt, dass konventionelle Wissenschaftsverlage nicht für die Erzeugung der Forschungsergebnisse zahlen, die sie vermarkten.¹⁹¹ Im Gegenteil müssen die Akteure im wissenschaftlichen Publikationswesen, die in die Produktion wissenschaftlichen Wissens und seine Veröffentlichung investieren, also Autoren, Herausgeber, Gutachter, die Institutionen, bei denen diese als Forscher
Lebenshaltungskosten steigen. Die Sekretärin verlangt dem angemessene Bezahlung. Die Herausgeber sähen es als untragbare Abwertung ihrer Arbeit an, ein geringeres Honorar zu erhalten als die Sekretärin. Also müsse das Herausgeberhonorar erhöht werden. In dem selben langen Brief verwandelt Kienast dieses Argument sogar in eine allgemeine Regel, nach der die Honorare der Herausgeber künftig in demselben Maße steigen müssten wie die der tarifvertraglich organisierten Arbeiter und Angestellten des Verlags, weil die Herausgeber solche Verhandlungen nicht noch einmal führen wollen. Vgl. oben, S. 374 f. Ritter: Meinecke und Oldenbourg, S. 46, schildert, wie Meinecke den Vorschlag machte, die meisten Rezensionshonorare zu streichen, um Umfangkürzungen und Preiserhöhungen der HZ infolge der Weltwirtschaftskrise zu verhindern. Dieses Muster basierte wiederum auf den Erfahrungen der Inflation bis 1923, als sich gezeigt hatte, dass auch starke Honorarkürzungen kein Wegbrechen der Mitarbeitenden bewirkten, siehe ebenda, S. 45.Vgl. dagegen die Klage Meineckes über die Proletarisierung geistiger Arbeit 1922, ebenda, S. 44. Zur Wiederaufnahme der Praxis unbezahlter Rezensionen nach dem Zweiten Weltkrieg: BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an [Wilhelm Oldenbourg], Berlin 19.01.1948. Vgl. Schulze: Zur Geschichte der Fachzeitschriften, S. 134 f. Peter Suber: Open Access, Cambridge/London 2012, URL: http://mitpress.mit.edu/sites/de fault/files/titles/content/9780262517638_Open_Access_PDF_Version.pdf (zuletzt abgerufen am 6. Januar 2019), S. 37.
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beschäftigt sind, sowie Forschungsfinanzierungsorganisationen, für den Zugang zu Zeitschriften zahlen. Dafür werden Preise verlangt, die seit Jahrzehnten weitaus schneller steigen als die Inflation und die Budgets öffentlicher Bibliotheken, so dass sie Wissenschaftsverlagen hohe Gewinnspannen von über 30 Prozent bescheren.¹⁹² Darüber hinaus verlangen Verlage – in anderen Disziplinen noch weitaus stärker als in den Geisteswissenschaften – von den Autoren von Zeitschriftenaufsätzen, für die Veröffentlichung ihrer Arbeiten zu zahlen.¹⁹³ Um die Honorierung von Aufsatzpublikationen in der HZ entspann sich in der ersten Hälfte der 1950er Jahre ein Konflikt, der besonders aufschlussreich ist im Hinblick auf die Stellung von ökonomischen Interessen im Produktionsprozess. Denn darin wird die illusio der Verkennung ökonomischer Interessen durch ihre Thematisierung kurzfristig durchbrochen, allerdings nicht ohne eben diese Verkennung zu bestärken und als Bestandteil des Berufsethos von Historikern zu beschreiben. Dieses Berufsethos wird damit für das ökonomische Interesse des Oldenbourg-Verlags eingesetzt. Dass „nicht einfach der Markenname HZ, sondern vor allem die personelle Kontinuität“ das Kapital der HZ darstellt,¹⁹⁴ unterstreicht die Notwendigkeit, die maßgeblichen Teile der Historikerzunft permanent für die weitere kontinuierliche Mitarbeit zu gewinnen. Bedroht könnte diese Mitarbeits Ebenda, S. 29 – 32 und S. 37. Von fast 1000 befragten Wissenschaftlern gaben etwa 40 Prozent an, bereits Geld für die Veröffentlichung ihrer Arbeiten in Fachzeitschriften bezahlt zu haben. In den Geistes- und Sozialwissenschaften liegt dieser Anteil unter 10 Prozent, in den Lebenswissenschaften über 75 Prozent. Deutsche Forschungsgemeinschaft (Hg.): Publikationsstrategien im Wandel? Tabellenband. Ergebnisse einer Umfrage zum Publikations- und Rezeptionsverhalten unter besonderer Berücksichtigung von Open Access, [Bonn/Weinheim 2005], URL: http://www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/geschaeftsstelle/publikationen/studien/stu die_publikationsstrategien_tabellenband.pdf (zuletzt abgerufen am 6. Januar 2019), S. 21, Tabelle 22; vgl. Deutsche Forschungsgemeinschaft (Hg.): Publikationsstrategien im Wandel? Ergebnisse einer Umfrage zum Publikations- und Rezeptionsverhalten unter besonderer Berücksichtigung von Open Access, Bonn/Weinheim 2005, URL: http://www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/geschaeftsstelle/publikationen/studien/stu die_publikationsstrategien_bericht_dt.pdf (zuletzt abgerufen am 6. Januar 2019); Gerhard Fröhlich: Die Wissenschaftstheorie fordert OPEN ACCESS; in: Information – Wissenschaft & Praxis 60 (2009), Heft 5, S. 253 – 258, URL: http://eprints.rclis.org/13561/1/iwp2009_5_froehlich.pdf (zuletzt abgerufen am 6. Januar 2019), hier S. 256. Dass Wissenschaftler für die Veröffentlichung ihrer Arbeiten zahlen müssen, trifft auf viele Open-Access-Modelle ebenfalls zu, wirft allerdings andere Probleme auf als das herkömmliche Verlagsverfahren. Vgl. zu verschiedenen disziplinären Kulturen Anna Severin/Matthias Egger/Martin Paul Eve/Daniel Hürlimann: Discipline-specific open access publishing practices and barriers to change. An evidence-based review; in: F1000Research 7-1925, 11. Dezember 2018 (DOI: 10.12688/f1000research.17328.1), URL: https://f1000research.com/articles/7-1925/v1 (zuletzt abgerufen am 3. Januar 2019). Krämer: Vernetzung als Kapital, S. 88.
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bereitschaft in einer Situation erscheinen, in der eine Zeitschrift mit ähnlichem Renommee wesentlich bessere ökonomische Bedingungen anbieten könnte. Daher beobachtete die HZ aufmerksam die Entwicklung der VfZ, verständigte sich über Honorarsätze und hörte 1953 von deren Mitherausgeber Theodor Eschenburg: „Eschenburg beklagt sich, daß die vereinbarten Honorare auf seinen Mitarbeiterkreis keinen hinreichenden Anreiz ausübten, da es sich z.T. um geldhungrige Publizisten handele und nicht nur um Zunftgenossen, denen es mehr um die Ehre ginge in der führenden Fachzeitschrift zur Geltung zu kommen.“¹⁹⁵
Schon in der Eröffnung der Debatte steht also fest, dass man zwischen Zunftgenossen und Nichthistorikern anhand des Kriteriums unterscheiden könne, ob sie für Ehre oder für Geld publizieren wollten. Darüber sind sich auch jederzeit alle Beteiligten einig: „Zufolge Ihres Schreibens vom 13. ds. Mts. habe ich mich mit Herrn Dr. Krausnick vom Institut für Zeitgeschichte wegen der Honorarangelegenheit in Verbindung gesetzt. Er zeigte volles Verständnis dafür, daß es für die HZ schwerer sei als für die staatlich subventionierten ‚Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte‘ ihre Honorarausgaben zu erhöhen, meinte aber, daß erstere als guteingeführtes international bekanntes Fachblatt den Vorteil habe, daß die meisten Autoren es als eine Ehre betrachten, einen Aufsatz in ihren Spalten veröffentlicht zu sehen.“¹⁹⁶
Selbst eine Verdopplung der VfZ-Honorare besorgte lediglich den grundsätzlich pessimistischen Dehio, der die ökonomische Abhängigkeit der wichtigsten HZAutoren höher einschätzte als Wilhelm Oldenbourg: „Vorgestern erhielt ich von Prof. Eschenburg die Mitteilung, daß die Herausgeber der ‚Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte‘ es im Interesse ihrer Zeitschrift doch für erforderlich halten, ihre Honorare von DM 5.– auf DM 10.– pro Seite zu erhöhen, daß sie aber mit Rücksicht auf die ‚Historische Zeitschrift‘ nicht über DM 10.– hinausgehen wollen. […] Ich glaube nicht, daß diese Honorarerhöhung uns erhebliche Schwierigkeiten bereiten wird […]. Sollten sich aber Ihre Befürchtungen als berechtigt erweisen und sich die Aussichten, gute Aufsätze für die HZ zu erwerben, wirklich verringern, so darf ich Sie bitten, mich darauf aufmerksam zu machen.“¹⁹⁷
BWA F5/1208: Brief Ludwig Dehio an Wilhelm Oldenbourg, Marburg 13.07.1953. BWA F5/1208: Brief Wilhelm Oldenbourg an Ludwig Dehio, [München] 21.07.1953. Falschschreibung der VfZ im Original. BWA F5/1208: Brief Wilhelm Oldenbourg an Ludwig Dehio, [München] 28.10.1953.
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Den Konnex zwischen der demonstrativen Ignoranz ökonomischer Faktoren und dem symbolischen Kapital der HZ beschreibt Prokurist Kliemann bald darauf sogar so: „Der Verlag hat die Zeitschrift stets als ein nobile officium empfunden und ist stolz darauf, dass er niemals irgendwelche Subventionen oder Zuschüsse verlangt oder angenommen hat. Das gilt für alle die wechselnden Regierungen, die die Zeitschrift überstanden hat. Wir glauben, dass dieses Verhalten nicht wenig dazu beigetragen hat der Zeitschrift ihre Unabhängigkeit zu erhalten und dass dies stets ihr Ansehen gesteigert hat.“¹⁹⁸
Im Umkehrschluss bedeutet die angenommene Ansehenssteigerung durch Verzicht auf Subventionen, dass auch die niedrigen Honorare aus der Sicht der Akteure zur Ansehenssteigerung beitrugen; denn zur etwaigen Finanzierung von Honorarerhöhungen waren die Subventions-Überlegungen ja gedacht. Diese Haltung der demonstrativen ökonomischen Desinteressiertheit setzen also der Verlag und die Zeitschriftenherausgeber wechselseitig sowie bei den potentiellen Autorinnen und Autoren der HZ voraus.
Nichtökonomische Gewinnoptionen für Rezensenten Dass ökonomische Gewinne speziell für die Autorinnen und Autoren von Rezensionen in der HZ ausscheiden, wirft die Frage auf, welche Rolle andere Kapitalsorten im geschichtswissenschaftlichen Feld spielen können, so dass die Investition von Arbeit in Rezensionen damit erklärt werden kann. Sowohl kulturelles Kapital als auch soziales und symbolisches Kapital kommen dabei in Betracht.¹⁹⁹ Kulturelles Kapital in Form von kostenlosen Rezensionsexemplaren der zu besprechenden Bücher ist wohl die einfachste Form, die Beteiligung am Rezensionswesen mit Bourdieus Kapitalkonzept zu erklären. Allerdings ist der Gewinn an Büchern eine regelmäßig völlig ungenügende Erklärung, da diese einen recht genau angebbaren Gegenwert in ökonomischem Kapital haben, und zwar im Normalfall in einer Höhe, die voraussetzt, dass am geschichtswissenschaftlichen Feld Beteiligte ohne größere Probleme ihr ökonomisches Kapital in entsprechendes materielles Kulturkapital in Buchform umwandeln könnten. Denn die kostenlose Verteilung von Rezensionsexemplaren ist aus Verlagsperspektive vor allem dann ökonomisch gerechtfertigt, wenn die Kosten der Rezensionsexemplare von den Gewinnen der darauf folgenden Buchverkäufe übertroffen werden.
BWA F5/1208: Brief Horst Kliemann an Ludwig Dehio, München 15.07.1954. Vgl. zu den Kapitalbegriffen dieses Abschnitts vor allem Bourdieu: Kapitalsorten.
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Das gilt nicht in Fällen, in denen entweder die ökonomische Lage der Rezensenten und möglichen Käufer Investitionen in Bücher problematisch macht, wie es in der unmittelbaren Nachkriegszeit gewesen sein mag. Einen Sonderfall stellen auch besonders teure Werke dar,²⁰⁰ häufig Nachschlagewerke, heute auch Datenbanken, die allerdings häufig auch gar nicht an Privatkunden vermarktet werden, sondern auf institutionelle Käufer zielen. Institutionen wie Bibliotheken und Institute haben zwar auch spezielle Rezensionsorgane, aber über die Bedürfnisse ihrer Nutzergruppen geben ihnen auch Zeitschriften Auskunft, die sich an diese richten. In diesem Zusammenhang kommt aber zuweilen der Preis eines Rezensionsexemplars auch nicht als ökonomischer Anreiz für die Rezension in Betracht, wenn etwa ein Rezensent kein Interesse daran hätte, Privateigentümer des rezensierten Werkes zu sein, etwa, weil es sich in seiner privaten Bibliothek nicht angemessen nutzen ließe, oder weil es sich inhaltlich als nutzlos erweist. Die zweite Form kulturellen Kapitals, die die Teilnahme am Rezensionswesen (ohne ökonomische Kompensation) erklären könnte, ist das im Rezensionsprozess als Wissen über das besprochene Werk inkorporierte Kulturkapital. Dafür ist es entscheidend, Rezensionszeitschriften und Rezensenten zu finden, die jenes Kulturkapital hoch bewerten, für die also die Aneignung dieses Wissens über das Buch entsprechend ihrer Feldposition einen Gewinn verspricht: Anschlussfähigkeit an eigene Forschungsthemen und symbolisch vermittelte Wichtigkeit eines Werks lassen eine Bewertung der Kenntnis seines Inhalts als wertvolles inkorporiertes Kulturkapital zu. In Rezensionen, die ein Werk etwa für unverzichtbar für die Forschung in einem Gebiet erklären, versichern die Rezensenten nicht zuletzt sich selbst, dass das (von ihnen bereits erworbene) Wissen über das Werk einen ansehnlichen kulturellen Kapitalbestand darstellt. Umgekehrt ist auch das durch Lektüre inkorporierte kulturelle Kapital oftmals gering bewertet, wenn eine Rezension deutlich negativ ausfällt. Das bedeutet, auch im Hinblick auf inkorporiertes Kulturkapital besteht kein Anreiz, schlechte Werke zu besprechen, weil ein Rezensent weder objektiviertes, noch inkorporiertes Kulturkapital daraus ziehen kann.²⁰¹
Vgl. Günter Mey: Elektronisches Publizieren – eine Chance für die Textsorte Rezension? Anmerkungen zur Nutzung des Internet als „scholarly review resource“; in: Historical Social Research 29 (2004), Heft 1, S. 144– 172, hier S. 147, wo die Anreizwirkung eines Rezensionsexemplars nur „bei sehr teueren Bänden“ in Betracht gezogen wird. Daraus ergibt sich die Möglichkeit für Zeitschriftenredaktionen, besonders angesehene Rezensenten zu motivieren, indem man ihnen Werke mit besonders hohen Erwartungen zur Rezension anbietet. Entsprechend heißt es etwa in BWA F5/1625 (auch in F5/1614): [Hausmitteilung von Karl von Cornides an Frau Wolf und Thomas Cornides], Wien 04.04.1967, Lothar Gall solle künftig dafür sorgen, „daß in Zukunft alle wirklich wichtigen historischen Neuerscheinungen in
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6 Produktionsbedingungen der Historischen Zeitschrift
Im Bereich sozialen Kapitals ergibt sich, wenn auch abgeschwächt, ein ähnliches Bild: Positive Besprechungen weisen den Rezensenten (wie selbstverständlich auch den Rezensierten) als Mitglied der Gruppe anerkannter Historiker aus. Als Zunftmitglied zeigt man sich in der Lage, aus einem anerkennenswerten Werk inkorporiertes Kulturkapital zu gewinnen, indem man etwa betont, ‚es mit Gewinn gelesen‘ zu haben. Häufig wird dies auch performativ vorgeführt, indem ein Rezensent große Teile der Besprechung darauf verwendet, wichtig erscheinende Inhalte des Werkes zu referieren und so seine wertvollen Wissensbestände zu demonstrieren.²⁰² Die extreme Form sozialen Gewinns aus der Rezensionstätigkeit ist allerdings als Gefälligkeitsrezension bekannt. Bei Verwendung dieses Begriffs geht man davon aus, dass eine ausgesprochen positive Besprechung auf der persönlichen Bekanntschaft, Freundschaft oder Abhängigkeit von Rezensent und Rezensiertem beruht. Die positive Beurteilung erfolgt in dieser Perspektive nicht unparteiisch, sondern basiert auf der Hoffnung auf Erwiderung dieser oder einer anderen Gefälligkeit zu einem späteren Zeitpunkt. Werden Gefälligkeitsrezensionen mehrfach hin und her erwiesen, oder bei einem Zirkel sich wechselseitig regelmäßig positiv besprechender Autoren, spricht man auch von einem Rezensionskartell. Diese Phänomene werden weithin als problematisch angesehen. Manche Zeitschriften treffen Gegenmaßnahmen, etwa bei der Auswahl von
der HZ besprochen werden,und dies möglichst bald und durch möglichst gute Fachleute.“ Der Erwartungswert des durch die Rezensionsarbeit zu inkorporierenden Kulturkapitals liegt bei „wirklich wichtigen historischen Neuerscheinungen“ höher. Während besonders angesehene Rezensenten durch Besprechungen wenig angesehener Werke ihren eigenen Kapitalbestand nicht wesentlich ausbauen könnten, ist das bei Werken von hoher erwarteter Bedeutung anders, ob durch bekannte Autoren, brisante Themen oder wichtige Erscheinungskontexte. Durch deren Besprechung können selbst Rezensenten mit großen persönlichen Kapitalbeständen noch Profite erzielen, ob in Form kulturellen, sozialen oder symbolischen Kapitals – nur eben unter den Bedingungen dieses Feldes nicht direkt in ökonomischer Hinsicht.Vgl. unten, Abschnitt 6.5 ab S. 455, für einen Blick in die heutige Organisation der HZ in dieser Hinsicht. Vgl. für ein Konzept zur Statusgleichheit von Rezensierenden und Rezensierten die Darstellung zur American Historical Review (AHR) unten ab S. 462. Am Schnittpunkt von kulturellem und sozialem Kapital liegt die Funktion von Rezensionen „als Bühne für die Inszenierung der eigenen Gelehrsamkeit“, die von der community anerkannt werden soll, vgl. Ursula Klingenböck: Schablone – Manier – Effekt. Textlinguistische und ‐pragmatische Überlegungen zur wissenschaftlichen Rezension am Beispiel der MIÖG (1920 – 1939); in: MIÖG 121 (2013), S. 87– 108, hier S. 104. Kritisch beurteilt wird eine Fokussierung auf eine „reine Inhaltsangabe“ als „Verlegenheitsrezension“ etwa von Frank Bardelle: Formen der kritischen Auseinandersetzung oder: Wie man Urteile über wissenschaftliche Neuerscheinungen verhängt; in: Zeitschrift für Soziologie 18 (1989), Heft 1, S. 54– 64, hier S. 63.
6.2 Fachzeitschriften und Kapitalsorten
443
Rezensenten.²⁰³ Aber auch abgeschwächte Formen von positiven Rezensionen auf Basis des sozialen Kapitals von Rezensent und Rezensiertem sind in der Regel beiden Beteiligten nützlich, da soziales Kapital als Austauschbeziehung sich durch Austauschprozesse vermehrt. Dagegen sind Sozialkapital-Gewinne durch negative Rezensionen wiederum schwer zu erreichen. Zwar ordnet man sich auch einer Gruppe zu, indem man Werke, Autoren oder Ansätze abwertet, die auch andere abwerten, doch diese Gruppenzugehörigkeit ex negativo dürfte weit weniger Gewinnchancen bieten als eine echte (positive) Gruppenzugehörigkeit. Allerdings ist bei einer dichotomen Einteilung der Welt eine Zugehörigkeit zu einer Gruppe demonstrierbar, indem man die Position der einzigen Alternativgruppe abwertet: Beispielsweise lässt sich in einer Weltsicht, in der die einzigen Optionen antideutsche und (pro) deutsche Geschichtswissenschaft lauten, die eigene Zugehörigkeit und Treue zur deutschen Zunft durch Abwertung vermeintlich antideutscher Positionen unterstreichen. Daraus ließen sich dann wohl auch soziale Profite generieren, indem man auf die Zunftsolidarität baut. Wie ich in Kapitel 7 vorführe, eignet sich das als eine Deutung und Erklärung einiger Emigranten abwertender Topoi. Eine wichtigere Rolle dürfte dabei allerdings der Meta-Profit durch Gestaltung symbolischen Kapitals gespielt haben. Auf der Meta-Ebene liegt dieser Bereich, weil die Konfiguration symbolischen Kapitals die Bewertung der anderen Kapitalsorten steuert.²⁰⁴ Das bedeutet insbesondere, dass eine symbolische Aufwertung der eigenen kulturellen und sozialen Kapitalbestände mit einer Abwertung der Kapitalien anderer einher geht, womit die jeweils eigene Feldposition verbessert wird. Emigrierte Historiker eigneten sich daher insbesondere als Ziele, um die eigenen Kapitalkonfigurationen, soweit sie typisch für die deutsche Historikerzunft und damit in der Nachkriegszeit im Zeichen der re-education und re-orientation eines Beitrags zum Nationalsozialismus verdächtig waren, zu stärken und die als gegnerisch wahrgenommenen Kapitalbestände durch Abwertung zu schwächen. Als Argumentationsmuster bietet es sich dabei an, eine Gegenüberstellung der mit re-education verbundenen negativen Begriffe „politisch“ und „antideutsch“ und der in der traditionellen deutschen Geschichtswissenschaft positiven Kennwörter „wissenschaftlich“ und „objektiv“ vorzunehmen. Denn damit lässt sich ein Wir-Die-Antagonismus sprachlich konstruieren, bei dem für die Leserschaft einer Rezension klar ist, dass „unser“ symbolisches Kapital gegen „deren“ symbolisches Kapital aufgewogen
Eine Variante detaillierter Regeln zum Ausschluss ungeeigneter und zur Auswahl geeigneter Rezensenten stelle ich am Beispiel der AHR unten ab S. 462 vor. Vgl. oben, S. 412.
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6 Produktionsbedingungen der Historischen Zeitschrift
wird. Für die sich dabei dem „Wir“ zuordnenden Leser bedeutet dies zugleich einen Appell, der Bewertung der Rezension zu folgen, da dabei mit „unserem“ symbolischen Kapital auch das Kapital des sich mit der deutschsprachigen Historikerzunft identifizierenden Lesers gegenüber „deren“ Kapital aufgewertet wird. Einerseits ist gemäß diesem Theorem nach dem Wiedererscheinen der HZ mit negativen Rezensionen über die Werke emigrierter Historiker zu rechnen. Andererseits wird ein Wandel dieser symbolischen Abwertung dann wahrscheinlich, wenn die eigenen Kapitalbestände der Rezensierenden nicht mehr der Nähe zum Nationalsozialismus verdächtig sind, sondern auf der Grundlage der re-education erworben wurden. Das betrifft speziell die nach 1945 studierenden Historikerinnen und Historiker: Wie in Kapitel 4 gezeigt, stellten Emigranten etwa als Gastprofessoren der Nachkriegsstudierendengeneration kulturelles und soziales Kapital bereit, das sich speziell durch das Fehlen einer nationalsozialistischen Belastung auszeichnete. Eine solche nationalsozialistische Belastung stellte in dieser Zeit (konträr zu ihrer Anschlussfähigkeit in vielen Bereichen der deutschen Historikerzunft) ein symbolisches Kapital-Risiko dar: Offensichtlich nationalsozialistische Kapitalbestände waren jederzeit skandalisierbar, und selbst bei dezenten Anleihen an nationalsozialistische (oder auch nur traditionell deutschnationale) Wissensbestände oder Verbindungen konnte man nicht sicher sein, wie sie sich im Hinblick auf Legitimität und Illegitimität (symbolisches Kapital) in Zukunft entwickeln würden. Nicht zuletzt geht es in den großen Historikerkontroversen der Bundesrepublik immer auch um die Bewertung des Nationalsozialismus und seiner Vorgeschichte für die bundesrepublikanische Gegenwart.²⁰⁵ Dass die Arbeit an Rezensionen nicht durch ökonomische Gewinne motiviert wird, dass kulturelle oder soziale Kapitalsteigerung insbesondere bei negativ ausfallenden Besprechungen eine Nebenrolle spielt, spricht für das Primat des symbolischen Kapitals in der Organisation von Rezensionsarbeit. Das bedeutet, dass die symbolische Bewertung von Wissensbeständen als Kulturkapital die zentrale Funktion der Rezensionstätigkeit in der feldtheoretischen Betrachtung der Rezensierenden ist. Dabei ist zu erwarten, dass eigenen Wissensbeständen eine hohe Bewertung zuteil wird, und Wissensbeständen, die den eigenen widersprechen, eine niedrige Bewertung. Wer also einen Überblick über das betreffende Feld besitzt, die Positionen von Rezensierendem und Rezensiertem einschätzen kann und insbesondere das Verhältnis ihrer jeweiligen Wissensbestände zueinander kennt, kann mit einiger Sicherheit prognostizieren, wie eine Rezension ausfallen wird. Diese Erfahrung können Zeitschriftenleserinnen und
Vgl. Lehmann: Clios streitbare Priester, S. 10 – 13; speziell zu diesen Bedeutungsebenen in der Fischer-Kontroverse vgl. Böhme: Primat und Paradigma, S. 119 und öfter.
6.2 Fachzeitschriften und Kapitalsorten
445
‐leser machen, aber erfahrene Herausgeber wie beispielsweise Walther Kienast waren dazu zweifellos ebenfalls in der Lage.²⁰⁶ Dass die Bewertung als Bemessung von symbolischem Kapital zentral für die Motivation von Mitarbeitenden im Rezensionswesen ist, lässt sich auch zeigen durch den Blick auf Bereiche, in denen möglichst jede Bewertung unterbleiben soll: Zeitschriftenreferate, also knappe Besprechungen von Zeitschriftenaufsätzen, wurden im Gegensatz zu den unbezahlten Rezensionen stets auch ökonomisch honoriert.²⁰⁷ Als die Idee aufkam, zur Platzersparnis „vielleicht die Zeitschriftenreferate durch blosse Titelangaben“²⁰⁸ zu ersetzen, diskutierten die HZHerausgeber mit dem neu engagierten Assistenten Lothar Gall die Notwendigkeit, die Mitarbeiter für diese bibliographische Arbeit unter Verzicht auf jede eigene Formulierung und damit Bewertungsmöglichkeit wesentlich besser zu bezahlen: „Um die Mitarbeiter nach Möglichkeit bei der Stange zu halten, bitten wir Sie, das Honorar von gegenwärtig DM 120.– auf DM 300.– für den Bogen zu erhöhen.“²⁰⁹
Aus Verlegersicht leuchtete das nicht direkt ein: „Die Arbeit ist doch eine wesentlich geringere“.²¹⁰ Doch Kienast hatte bereits vorausgesetzt, dass „inhaltlich einigermassen bedeutende“²¹¹ Aufsätze für die Auflistung ausgewählt werden sollten und dies nicht von Hilfskräften erledigt werden könne.²¹² Bei dieser Arbeit konnten die Mitarbeiter aber nicht mit nichtökonomischen Gewinnoptionen motiviert werden, so dass sie nur ökonomisch zu entschädigen wären:
Daraus entspringende Einflussmöglichkeiten auf den Tenor von Besprechungen lassen sich etwa begrenzen, indem Regeln für die Vergabe von Rezensionen die Herausgeber verpflichten. Wie die AHR entsprechende Regeln und Verfahren entwickelt hat, schildere ich unten ab S. 462. Zu den dort vorgestellten Aufgaben der Zeitschriftenmitarbeiter gehört es ausdrücklich auch, einen Überblick über das betreffende Feld zu haben. Auf der Basis von biographischen Recherchen und Datenbanken versucht man dort, von vornherein kein Review an eine Person zu vergeben, die außerwissenschaftliche Gründe für eine positive oder negative Bewertung haben könnte. Dafür lag das Honorar pro Bogen 1967 bei 120 DM. BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 02.06.1967. BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 16.03.1967. BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 02.06.1967. BWA F5/1614: Brief Karl von Cornides an Walther Kienast, Wien 15.06.1967. Cornides betonte wiederum sein ökonomisches Desinteresse in dieser Frage: „Ich bringe diesen Einwand nicht aus Gründen der Kostenersparnis, sondern weil mir Ihr Vorschlag nicht recht einleuchtet.“ BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 23.06.1967. BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 02.06.1967.
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6 Produktionsbedingungen der Historischen Zeitschrift
„Das Aufzählen von Aufsatztiteln müssen wir schon deshalb wesentlich höher honorieren, weil sich bei einer allzu geringen Honorarsumme wissenschaftlich ausgewiesene Mitarbeiter für diese Arbeit nicht bereitfinden. Mehr Mühe entsteht insofern, als jetzt eine grössere Zahl von Zeitschriften durchgesehen werden muss.“²¹³
Karl von Cornides sträubte sich noch, solch einschneidenden Veränderungen zuzustimmen. Nach der Übergabe der Herausgeberschaft von Walther Kienast an Theodor Schieffer wurde die Ersetzung der Zeitschriftenreferate durch Titellisten allerdings unumgänglich – auch angesichts des weiter wachsenden Netzwerks von dabei zu berücksichtigenden Tauschzeitschriften.
6.3 Zeitschriftentausch als internationalisiertes Netzwerk Dieses Tauschnetzwerk zwischen Zeitschriftenverlagen und ‐redaktionen bildete die Grundlage für die Erstellung eines wichtigen Bestandteils der HZ bis in die 1990er Jahre: In diesem zuweilen als Zeitschriftenbericht bezeichneten Abschnitt wurden knapp Zeitschriften- und Sammelbandaufsätze sowie kleinere oder weniger wichtige Monographien vorgestellt, so dass er ein lange unverzichtbares bibliographisches Hilfsmittel darstellte. An dieser 1893 als „Notizen und Nachrichten“ eingeführten Rubrik,²¹⁴ die unter Karl Alexander von Müller mit „Hinweise und Nachrichten“, in der Nachkriegszeit mit „Anzeigen und Nachrichten“ überschrieben war und in den 1950erJahren 150 bis 200 Seiten umfasste, arbeitete stets eine ganze Reihe mehr oder weniger regelmäßiger Mitarbeiter. Dieser Teil der HZ wurde, anders als Rezensionen, auch mit mehr als nur dem Rezensionsexemplar vergütet. Der Zeitschriftenbericht repräsentierte den Anspruch der HZ, alles abzubilden, was für die Zunft relevant war. Historiker sollten keine weitere geschichtswissenschaftliche Zeitschrift abonnieren müssen, sondern durch die HZ rundum informiert sein. Dazu wäre es notwendig gewesen, alle Neuerscheinungen abzudecken. Seit Mitte der 1960er Jahre war das wegen des zunehmenden Materials jedoch nicht mehr möglich, weshalb Kienast 1968 zurücktrat.²¹⁵ Der Bericht wurde von Theodor BWA F5/1614: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 23.06.1967. Zum Engagement Meineckes für diese neue Rubrik, die auch ausländische Bücher zeitnah besprechen sollte, vgl. Ritter: Meinecke und Oldenbourg, S. 26. Wiederholte Konflikte zwischen Walther Kienast und dem Verlag über den Besprechungsteil führten 1968 zu Kienasts Rücktritt: Karl von Cornides dachte schon länger über „eine grundsätzliche Neuregelung“ nach. BWA F5/1625: Brief Karl von Cornides an Theodor Schieder, Wien 11.07.1967. Kienast wollte sich auf die bibliographische Auflistung von Aufsätzen beschränken, um die Vollständigkeit nicht aufgeben zu müssen und mehr Raum zur Besprechung von Mono-
6.3 Zeitschriftentausch als internationalisiertes Netzwerk
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Schieffer auf ein Fünftel verkürzt und hieß dann „Aus Zeitschriften und Sammelbänden“.²¹⁶ Doch unter der Leitung von Lothar Gall wuchs der Umfang des Zeitschriftenberichts wieder stark an. Daher wurde er 1994 nach hundertjährigem Bestehen ganz abgeschafft.²¹⁷ Diese Rubrik gehörte zu den organisatorisch aufwändigsten und auch teuersten Teilen der HZ. Der Herausgeber des Rezensionsteils erhielt stets ein deutlich höheres Honorar als der Herausgeber des Aufsatzteils. Und während die Rezensionen selbst unbezahlt blieben, nicht als Rezensionsexemplare kostenlos zur Verfügung gestellte Werke auch normalerweise nicht besprochen wurden, mussten für den Zeitschriftenbericht Mitarbeiter gewonnen und erhalten werden, die bereit waren, alle Neuerscheinungen zu einer Epoche zumindest zur Kenntnis zu nehmen. Neben den Mitarbeiterhonoraren muss man auch die Kosten berücksichtigen, die gewissermaßen in Form von Naturalien anfielen: Ein weit ausgreifendes Netzwerk von Tauschbeziehungen war Grundlage des Zeitschriftenberichts. Ein nicht zu vernachlässigender Teil der HZ-Auflage wurde zu dem Zweck produziert, laufend gegen andere geschichtswissenschaftliche Fachzeitschriften ausgetauscht zu werden. Um günstig und regelmäßig die benötigten Fachzeitschriften zu erhalten, nahm die HZ nach dem Krieg so rasch wie möglich die alte Institution des Zeitschriftentauschs wieder auf.²¹⁸ Daher sind die
graphien zu gewinnen; der Verlag wollte die knappen Referate der Aufsätze aber erhalten, um den Wert der HZ für den Leser nicht zu schmälern. Kienast konnte daher „angesichts der anschwellenden Bücherflut […] die Verantwortung für den Rezensionsteil der HZ nicht länger tragen“ und kündigte mit Wirkung zum 30. Juni 1968: BWA F5/1625: Brief Walther Kienast an Karl von Cornides, Frankfurt 23.11.1967, vgl. die Rücktrittserklärung ohne Angabe von Gründen: Walther Kienast: Mitteilung über den Rücktritt des zweiten Herausgebers; in: HZ 206 (1968), S. 792; vgl. oben, Anmerkung 103 auf S. 372. Die Überschrift „Anzeigen und Nachrichten“ war bis HZ 207 (1968) üblich, dem ersten Band mit nicht mehr von Kienast herausgegebenem Rezensionsteil. In seinem zweiten Band änderte Schieffer die Überschrift zu „Aus Zeitschriften und Sammelbänden“: HZ 208 (1969). Die Aufgabe wurde an die Historische Bibliographie der Arbeitsgemeinschaft außeruniversitärer historischer Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (AHF) übergeben. Vgl. die Redaktionsmitteilung: Aus Zeitschriften und Sammelbänden, in: HZ 258 (1994), S. 286. Diese Tradition dürfte noch auf die Zeit zurückgehen, als die Verlagsbuchhandlungen untereinander ihre Bücher tauschten, um ihren Kunden auch Produkte anderer Verlage anbieten zu können. Der Vorteil des Tauschs bestand darin, dass die fremden Zeitschriften in etwa zum Selbstkostenpreis der eigenen Zeitschrift erworben werden konnten, zudem Steuern, Zölle und Wechselkurse vernachlässigt werden konnten. Jenseits der Zeitschriftenproduktion gibt es – bis heute – solche Tauschbeziehungen: So kann sich das Marburger Herder-Institut einer der vollständigsten Bibliotheksbestände zur Geschichte Ostmitteleuropas rühmen, weil man dort die
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6 Produktionsbedingungen der Historischen Zeitschrift
Verzeichnisse der Fachzeitschriften, mit denen die HZ einen Tausch unterhielt, eine interessante serielle Quelle zur Vernetzung der Zunft und ihrer Entwicklung. Für einen Tausch entschied man sich nur, wenn die ertauschte Zeitschrift tatsächlich benötigt wurde. Daher bedeutete ein Tausch mit der HZ zugleich, dass die HZ eine andere Zeitschrift als wichtig anerkannte, und dass es im Umfeld der HZ-Redaktion jemanden gab, der die Zeitschrift regelmäßig auszuwerten bereit war (und umgekehrt).²¹⁹ Ab 1930 sollten für die „Notizen und Nachrichten“ 45 deutsche und 43 ausländische Zeitschriften von ständigen HZ-Mitarbeitenden regelmäßig ausgewertet werden, so dass jeweils häufig nur Raum für bibliographische Angaben blieb.²²⁰ Es ist daher keine Selbstverständlichkeit, dass bereits die erste NachkriegsTauschliste im laufenden Betrieb 1950 zu unter einem Drittel Periodika aus Deutschland, vor allem aus der BRD, auswies.²²¹ Daneben sind je eine Zeitschrift aus Österreich und der Schweiz, 24 fremdsprachige europäische Zeitschriften, vier Zeitschriften aus den USA und eine aus Argentinien verzeichnet. Offenbar waren Kontaktleute in den entsprechenden Ländern dafür mitverantwortlich, dass bereits vor dem Wiedererscheinen der HZ Vereinbarungen über einen Zeitschriftentausch getroffen werden konnten: Bei „The Review of Politics“ ist etwa anzunehmen, dass deren Herausgeber, der Emigrant Waldemar Gurian, einen Tausch mit der HZ befördert hat.²²² Die fünf spanischsprachigen Zeitschriften (einschließlich einer argentinischen) dürften auf die Vermittlung Richard Konetzkes zurückzuführen sein.²²³ Und die mit vier Zeitschriften verhältnismäßig stark vertretene belgische Geschichtswissenschaft hatte beispielsweise durch Hans Van Werveke gute Kontakte zur HZ-Redaktion. Van Werveke wurde daher als für ein HZ-Abonnement zum Mitarbeiterpreis in Frage kommend aufgeführt, obwohl er in der HZ nie publiziert hat.²²⁴ Dass er für die HZ Kontakte nach Belgien repräsentierte, würde das Entgegenkommen erklären. Mit ähnlicher Begründung erhielt auch Heinrich von Srbik Sonderkonditionen beim HZ-Bezug: „Herr v. Srbik ist für unsere Beziehungen nach Österreich
hauseigene Verlagsproduktion systematisch zum Austausch mit ostmitteleuropäischen Verlagen und Bibliotheken benutzt. Herder-Institut Marburg: Jahresbericht 2011, [Marburg 2012], S. 7 f. Vgl. zum Zeitschriftentausch allgemein vor allem die Akten BWA F5/1607 und BWA F5/1608, aber auch die Korrespondenzakten mit Kienast, der als Herausgeber des Rezensionsteils hauptzuständig für Zeitschriftentausch war: BWA F5/1613 und BWA F5/1614. Ritter: Meinecke und Oldenbourg, S. 46. BWA F5/1613: Brief Horst Kliemann an Walther Kienast, [München] 03.05.1950. Ebenda. Vgl. BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an den Verlag R. Oldenbourg, Marburg 20.04.1949. BWA F5/1613: Brief Walther Kienast an den Leibniz-Verlag, Marburg 21.07.1949.
6.3 Zeitschriftentausch als internationalisiertes Netzwerk
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noch immer sehr wichtig.“²²⁵ Auch das Zeitschriftentauschnetzwerk basierte also öfter auf personellen Verbindungen, ließ sich aber von diesen lösen und unabhängig vom Personal weiterbetreiben. Insgesamt sandte die HZ im Jahr 1950 Tauschstücke an 46 Zeitschriften.²²⁶ Im Zeitschriftentausch zeigte sich also von Anfang an eine internationale Orientierung der Nachkriegs-HZ, Tendenz steigend: 1955 waren es fast hundert, 1962 fast 150 Tauschzeitschriften.²²⁷ Der Zeitschriftentausch ist für die Agenda der HZ-Herausgeber bezeichnend: Durch die rasche Intensivierung der internationalen Vernetzung der HZ in der Nachkriegszeit konnten sie ihr Ziel verfolgen, die deutschsprachige Geschichtswissenschaft aus der Isolation wieder zu internationaler Anerkennung zu bringen und auf diesem Weg die Position der HZ durch ihr internationales Ansehen auch unter den Abonnenten im deutschsprachigen Raum zu festigen. Doch dieses Streben nach Anschluß an die internationale scientific community, das wohl zu den stärksten Impulsgebern für Diskontinuitäten in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft der Nachkriegszeit zählt, erzeugte eine Gegenbewegung gewissermaßen aus sich selbst heraus: Während die HZ-Herausgeber die Rezeption ausländischer Geschichtswissenschaft fördern wollten, konnten die meisten Rezensenten ihre Position im deutschsprachigen geschichtswissenschaftlichen Feld schwerlich verbessern, indem sie die ausländischen Werke lobten und damit ihre eigene bisherige Arbeit auf dem deutschen historiographischen „Sonderweg“ abwerteten. Die Feldposition vieler Rezensenten ließ sich hingegen verbessern, indem sie ausländische Werke – insbesondere konkurrierende Deutungen deutscher Geschichte aus der Feder von Emigranten – negativ bewerteten: Dabei verteidigten sie das mit ihren eigenen Arbeiten verbundene symbolische Kapital, also die Bewertungsgrundlage insbesondere ihres jeweiligen Kulturkapitals.
BWA F5/1644: Brief Walther Kienast an den Leibniz-Verlag, Marburg 08.08.1949. BWA F5/1613: Brief Horst Kliemann an Walther Kienast, [München] 03.05.1950. Die Auflösung der Abkürzungen, die den HZ-Bänden in der Regel unpaginiert beiliegt, also vorne oder hinten in die Bände eingefügt werden kann, ist kein genaues Maß über den HZ-Blick auf die internationale Forschung. So werden 1949 noch 59 Zeitschriftenabkürzungen aufgeführt, obwohl nur 46 Zeitschriften mit der HZ getauscht wurden. Aber es ist ein systematisch veröffentlichtes Maß: 1955 waren es bereits 95 abgekürzte Zeitschriften in dem Verzeichnis, 1962 schon 146 Zeitschriften. Vgl. die Verzeichnisse in HZ 169 (1949), HZ 180 (1955) und HZ 195 (1962).
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6 Produktionsbedingungen der Historischen Zeitschrift
6.4 Anweisungen an Rezensenten Für die damit feldtheoretisch begründete und in Kapitel 7 empirisch zu zeigende deutlich negative Tendenz von HZ-Rezensionen über Emigrantenwerke in der frühen Nachkriegszeit wären zunächst auch andere Erklärungen denkbar: Bei einer entsprechend deutlichen Tendenz könnte man etwa eine Zentralsteuerungshypothese verfolgen, gemäß der die HZ-Rezensenten von einer übergeordneten Instanz instruiert worden seien. Für diese Art einer Verschwörungstheorie käme natürlich zuallererst die HZ-Redaktion als zentrale Steuerungsinstanz in Betracht. Die Steuerungsmöglichkeiten speziell von Walther Kienast habe ich oben ja bereits an verschiedenen Beispielen diskutiert. Jedoch ist eine solche Zentralsteuerungshypothese klar zurückzuweisen: Erstens gibt es keine empirischen Belege, wie sie sich in den Verlagsunterlagen hätten niederschlagen müssen. Kienast hätte ein solches Projekt nicht hinter dem Rücken seines Mitherausgebers und des Verlags durchführen können, da eine Verschwiegenheit des großen Mitarbeiterkreises der HZ-Rezensenten nicht gewährleistet werden konnte. Zweitens hatte Kienast an einem solchen Projekt selbst kein Interesse: Kienasts eigenes symbolisches und soziales Kapital profitierte deutlich von der wachsenden internationalen Anerkennung der HZ.²²⁸ Und drittens wäre die Annahme einer Verschwörung (oder expliziter Anweisungen an Rezensenten über eine Tendenz gegenüber Emigranten) eine überflüssige Erklärung für ein auch ohne eine solche zentrale Ursache erklärbares Phänomen. Gemäß dem methodologischen Einfachheitskriterium²²⁹ ist daher dieser Erklärungsansatz zu verwerfen. Dagegen ist die Frage, welche Leitlinien die HZ für die Mitarbeiter ihres Literaturteils explizit formuliert hat, für das nächste Kapitel von so grundlegender Bedeutung, dass ich das entsprechende Programm von 1949 hier vollständig zitiere:
Auf diesen Aspekt verweist Guido Kisch in seinem Brief, in dem er die Veröffentlichung seiner „Klarstellung“ gegen eine negative Rezension (Karl Gottfried Hugelmann: Rezension zu Guido Kisch, Forschungen zur Rechts- und Sozialgeschichte der Juden in Deutschland während des Mittelalters, Stuttgart 1955; in: HZ 185 (1958), S. 607– 610) verlangt: LBI AR 787: Guido Kisch Collection, Box 22, Folder 14 (Hugelmann, Karl G. 1958), Brief Guido Kisch an [Walther Kienast], New York 21.09.1958, URL: http://www.archive.org/stream/guidokisch_reel45_45#page/n955/mo de/1up (zuletzt abgerufen am 7. Januar 2019). Kienast reagierte mit Bedauern: „Er [Hugelmann] ist der einzige Rezensent, der mir überhaupt für das Spezialthema des mittelalterlichen Judenrechtes zur Vefügung steht, andernfalls hätte ich auf eine Besprechung Ihres Werkes verzichten müssen.“ Ebenda, Brief Walther Kienast an Guido Kisch, Frankfurt 09.10.1958, URL: http://www.archive.org/stream/guidokisch_reel45_45#page/n970/mode/1up (zuletzt abgerufen am 7. Januar 2019). Klaus Mainzer: Einfachheitskriterium; in: Jürgen Mittelstraß (Hg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Band 1: A–G, Stuttgart/Weimar 2004, S. 527 f.
6.4 Anweisungen an Rezensenten
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„An unsere Mitarbeiter Völkerwanderung und Bombenkrieg haben die Verbindung zwischen Schriftleitung und Mitarbeitern zerrissen. Wir bitten um Angabe der neuen Anschriften. Während die im Kriege erschienene fremde Literatur, mit Ausnahme der englischen und amerikanischen, in Deutschland meistenteils noch bekannt wurde, hat uns die folgende Zeit luftdicht vom Auslande abgeschlossen, und was anfangs die Besatzungspolitik bewirkte, drohen jetzt die wirtschaftlichen Verhälthältnisse[sic] zu verewigen. Die auswärtige Literatur in Deutschland bekannt zu machen, trotz aller Schwierigkeiten, betrachtet die Redaktion als ihre Hauptaufgabe. Jedoch die Berichterstattung über Aufsätze ist gegenwärtig noch beinahe unmöglich. Hier und da ist das letzte oder vorletzte Heft der einen oder anderen fremden Fachzeitschrift auf einer deutschen Bücherei vorhanden; im übrigen gähnende Leere. Wir wären daher besonders dankbar, wenn die ausländischen Fachkollegen oder die Zeitschriftensekretariate uns Sonderabzüge einsendeten. Wir hoffen ferner, daß der Zeitschriftenaustausch bald wieder in Gang kommt, und werden die einlaufenden Hefte, solange die Lage der deutschen Bibliotheken so elend bleibt wie jetzt, unseren ständigen Referenten zugänglich machen. Von großer Wichtigkeit ist es, daß alle Fachschriften von Belang, die während des Krieges in Deutschland erschienen, aber meist nur unzureichend bekannt und häufig zu einem beträchtlichen Teile der Auflage vernichtet sind, in der HZ gewürdigt werden. Rezensenten, die solche – oder ausländische – Werke übernommen haben, bitten wir daher dringend, ihre Besprechungen einzusenden und, falls ihre Exemplare im Kriege verloren gingen, tunlichst auf die öffentlichen Bibliotheken zurückzugreifen. Es sei mir bei dieser Gelegenheit verstattet, an einige Grundsätze zu erinnern, welche die Schriftleitung im Besprechungswesen beobachtet zu sehen wünscht; sie galten früher als selbstverständlich, sind aber, wie es scheint, in manchen Fachkreisen, unabhängig von politischen Tendenzen und keineswegs erst seit der ‚Machtergreifung‘, etwas in Vergessenheit geraten: 1. Es wird gebeten, Doppelbesprechungen zu vermeiden, es sei denn, sie trügen ganz verschiedenen Umfang und Charakter, z. B. kurze Notiz in der HZ., ausführliche Kritik in den GgA. Andernfalls bitten wir um vorherige Fühlungnahme mit der Schriftleitung. 2. Es steht im Ermessen des Mitarbeiters, ob er sich vorwiegend auf Berichterstattung beschränkt oder eigene Kritik und Forschung in den Vordergrund rückt. Doch keine Besprechung sollte des Werturteils ganz entbehren, keine den Leser über den Inhalt des Buches im Dunkel lassen. Ob und inwiefern der Stand der Forschung durch die Neuerscheinung verändert wurde, ist die wesentlichste, in jeder Besprechung zu beantwortende Frage. 3. Die wissenschaftliche Verantwortung für ihre Stellungnahme tragen ausschließlich die Referenten selbst. 4. Die Redaktion wird im allgemeinen zu vermeiden trachten, daß der Lehrer die Arbeit seines Schülers und umgekehrt bespricht. Die Auswahl der Referenten ist grundsätzlich und ausschließlich Sache der Schriftleitung. Von Verlegern geäußerte Vorschläge haben zur Folge, daß die empfohlene Persönlichkeit dadurch unverwendbar wird. Die Verfasser bitten wir, Schriften, deren Besprechung sie wünschen, an die Schriftleitung, nicht an Freunde und Fachgenossen zu schicken, die uns dann ihrerseits ihre Referate anbieten. Notzeiten wie die gegenwärtige zwingen wohl zur Abweichung von der Regel; aber als Regel bleibe sie trotzdem anerkannt.
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6 Produktionsbedingungen der Historischen Zeitschrift
5. Nach größtmöglicher Objektivität zu streben, betrachtet die Schriftleitung als ihre und der Mitarbeiter höchste Pflicht und Aufgabe. Marburg/L. W. Kienast.“²³⁰
Bemerkenswert sind zuerst die Differenzen zur Deutung Dehios,²³¹ namentlich dass Kienast für die elende Lage die Siegermächte als verantwortlich nennt: Mit „Völkerwanderung und Bombenkrieg“ sind offenbar nicht die vom nationalsozialistischen Deutschland betriebenen Flucht- und Vertreibungsbewegungen und nicht die deutschen Bombardierungen der Zivilbevölkerung gemeint, denn die haben die „Verbindung zwischen Schriftleitung und Mitarbeitern“ ja kaum gestört. Anders als bei Dehio entsteht der Eindruck, Nationalsozialismus und Weltkrieg hätten die deutschsprachige Geschichtswissenschaft kaum beeinträchtigt, vielmehr versuchten die Besatzungsmächte die geschichtswissenschaftliche Betätigung zu ersticken („luftdicht […] abgeschlossen“) und auszuhungern („wirtschaftlichen Verhälthältnisse[sic] zu verewigen“). Auffällig ist, wie hier die diversen Massenverbrechen des Nationalsozialismus als Metaphern für die Opferrolle deutscher Historiker genutzt werden – aber angesichts der NSDurchhaltepropaganda über angebliche Gräueltaten und Nachkriegspläne der Alliierten waren solche Vorstellungen wohl bei weiten Teilen der Leserschaft anschlussfähig. Selbst Kienasts Hauptzielformulierung der HZ, „die auswärtige Literatur in Deutschland bekannt zu machen“, ist deutlich besser mit Ideen der Zwischenkriegszeit von der wissenschaftlichen Feindbeobachtung vereinbar als Dehios kühn internationalistischer Wunsch, im „Dienste menschlich-universaler Bildung“ zum „Anschluß an das geistige Stromnetz der Welt“²³² beizutragen. Dann jedoch nimmt Kienast den Gedanken zurück, vor allem die Besatzungsherrschaft sei für die Schwierigkeiten des Zugangs zu wissenschaftlicher Literatur verantwortlich, indem er dringend darum bittet, Besprechungen zu deutschen und ausländischen Werken der Kriegszeit trotz aller Hindernisse einzusenden. Diese und andere Ambivalenzen in Kienasts Erklärung lassen sich so lesen, dass er an Vorstellungen appelliert, die bei ihm selbst wie bei vielen deutschen Historikern durch Nationalsozialismus, Krieg und Nachkrieg geprägt und gepflegt wurden. Dazu gehört auch die Idee, mit der er die fünf Grundsätze für das Besprechungswesen einleitet, nämlich dass es einen Sittenverfall nicht erst in der Zeit des Nationalsozialismus gegeben habe, sondern bereits zuvor, in der Weimarer
Walther Kienast: An unsere Mitarbeiter; in: HZ 169 (1949), S. 225 f. GgA steht für Göttingische gelehrte Anzeigen. Vgl. oben, Abschnitt 5.1.2 ab S. 360. Dehio: Geleitwort, S. [VII].
6.4 Anweisungen an Rezensenten
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Republik. Die anschließend formulierten Grundsätze seien lediglich eine Wiederherstellung älterer Selbstverständlichkeiten, die „in Vergessenheit geraten“ seien: Der Grundsatz der Originalität (1.) verbietet die Mehrfachpublikation derselben Besprechung. Der Grundsatz des Forschungsstandes (2.) rückt diesen in den Mittelpunkt der Rezensionsaufgabe. Dabei sollen Berichterstatter Unabhängigkeit (3.), Unparteilichkeit (4.) und Objektivitätsstreben (5.) zur Geltung bringen. Die Ausführlichkeit, mit der Kienast dabei auf die Unparteilichkeit und ihre möglichen Problemfälle eingeht, macht deutlich, dass ihm dabei insbesondere die Gefälligkeitsrezension als Problem vor Augen stand, dessen er sich annehmen wollte. Demgegenüber blieb vernachlässigt, dass zur Unparteilichkeit auch die Vermeidung unsachlich-negativer Besprechungen gehört, die etwa in persönlichen Animositäten oder Ressentiments begründet sein könnten. Im zweiten Nachkriegsheft wurde dieses Versäumnis deutlich vor Augen geführt, indem der für den Zeitschriftenbericht „Früheres Mittelalter“ zuständige Mitarbeiter Walther Holtzmann einen Aufsatz statt mit inhaltlicher Berichterstattung oder abwägenden Beurteilung lediglich mit einer gallig-abfälligen Bemerkung bedachte. Vollständig lautet die Besprechung: „Wer Zeit und Geduld hat, die preziöse Phraseologie von G. Schreiber in ein normales Deutsch zu übersetzen, der mag vielleicht manchen Gewinn haben aus seinen Ausführungen über ‚Vorfranziskanisches Genossenschaftswesen. Bauweise [korr.: Baurisse] und Forschungsaufgaben. Byzantinische Beziehungen‘ in Zs. f. KG. 62 (1943/44) 35 – 71. Ich besitze leider beides nicht.“²³³
Der Text führte zu einer sehr seltenen Form der öffentlichen Reaktion im nächsten Heft, nämlich zur Distanzierung der Herausgeber von einer publizierten Rezension: „Erklärung. Im letzten Heft der HZ. 169, 2, 422 geschieht eines Aufsatzes von G. Schreiber in einer Form Erwähnung, die den Verfasser persönlich verletzen mußte, ohne den Leser sachlich zu unterrichten. Indem wir uns eine spätere Würdigung des Aufsatzes vorbehalten, sprechen wir unser Bedauern aus, daß jene Wendungen unserer Aufmerksamkeit entgangen sind. Wir bitten die Mitarbeiter der HZ., uns bei dem Bestreben zu unterstützen, den in diesen Spalten gewohnten ruhigen Ton in der Diskussion zu wahren. Die Schriftleitung.“²³⁴
Walther Holtzmann: Rezension zu G. Schreiber,Vorfranziskanisches Genossenschaftswesen, in Zeitschrift für Kirchengeschichte 62, 1943/44, S. 35 – 71; in: HZ 169 (1949), S. 422. Die Schriftleitung [Walther Kienast]: Erklärung; in: HZ 169 (1949), S. 671. Meinecke hatte seit 1897 grundsätzlich von solchen Distanzierungen abgesehen. Seine Redaktionspolitik in dieser
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In anderen Fällen, in denen es Beschwerden über Besprechungen gab, sah Kienast davon ab, den Monita zuzustimmen. Als eine Erklärung „von 22 jungen europäischen Historikern, darunter 14 deutscher Sprache,“ bei der HZ-Redaktion gegen die „politischen Bemerkungen eines Rezensenten“ protestierte, zogen sich die Herausgeber darauf zurück, „daß Meinungsäußerungen in Rezensionen die Ansicht des jeweiligen Rezensenten und nicht die der Schriftleitung wiedergeben“.²³⁵ Brieflich drückte Kienast zuweilen dennoch sein Bedauern aus, wenn auch nicht unbedingt im Hinblick auf die erhobenen Vorwürfe: Als etwa Guido Kisch beklagte, „dass eine so schlau getarnte, unmissverständlich von nazistischem Geist erfüllte Rezension unbeanstandet erscheinen durfte“,²³⁶ antwortete Kienast: „Ihr Brief hat mich recht betrübt. […] So kam mir Ihre Reaktion völlig unerwartet und ich bedaure sehr, dass bei Ihnen der Eindruck entstanden ist, es handele sich um Reste nationalsozialistischer Gedankengänge.“²³⁷ Auf höflichem Wege teilte er dadurch mit, dass er Kischs ausführlich begründete Beschwerde über die Rezension nicht nachvollziehen konnte – was dieser wiederum nur mit Frustration hinnehmen konnte.²³⁸
Hinsicht beschränkte sich im Kern darauf, die Freiheit der kritischen Beurteilung der besprochenen Werke damit auszutarieren, dass er sich darum bemühte, „Polemiken die persönliche Schärfe zu nehmen.“ Ritter: Meinecke und Oldenbourg, S. 35. Die Redaktion der HZ: Mitteilung; in: HZ 197 (1963), S. 516. Aufsehen erregt hatte bei den jüngeren Historikern, dass Hellmuth Rößler, ehemals NSDAP-Funktionär und in Walter Franks Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands engagiert, in der HZ ungehindert „eine nationale Sendungsidee“ der Deutschen in der Nachkriegszeit befürworten und zugleich beklagen durfte, dass „die Bundesrepublik fast völlig durch die mechanistisch-rationalistischen Staatsideen der westlichen Demokratien überfremdet“ sei. Hellmuth Rößler: Rezension zu Gerhard Kaiser, Pietismus und Patriotismus im literarischen Deutschland. Ein Beitrag zum Problem der Säkularisation, Wiesbaden 1961; in: HZ 195 (1962), S. 397– 403, hier S. 402 f.; zu Rößlers Karriere im Nationalsozialismus vgl. den Artikel in Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945?, Frankfurt am Main 2003, S. 503. LBI AR 787: Guido Kisch Collection, Box 22, Folder 14 (Hugelmann, Karl G. 1958), Brief Guido Kisch an [Walther Kienast], New York 21.09.1958, URL: http://www.archive.org/stream/guidokisch_reel45_45#page/n955/mode/1up (zuletzt abgerufen am 7. Januar 2019), vgl. oben, Anmerkung 228 auf S. 450. LBI AR 787: Guido Kisch Collection, Box 22, Folder 14 (Hugelmann, Karl G. 1958), Brief Walther Kienast an Guido Kisch, Frankfurt 09.10.1958, URL: http://www.archive.org/stream/gui dokisch_reel45_45#page/n970/mode/1up (zuletzt abgerufen am 7. Januar 2019). LBI AR 787: Guido Kisch Collection, Box 22, Folder 14 (Hugelmann, Karl G. 1958), Brief Guido Kisch an Walther Kienast, New York 23.12.1958, URL: http://www.archive.org/stream/guidokisch_ reel45_45#page/n957/mode/1up (zuletzt abgerufen am 7. Januar 2019).
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6.5 Rezensionen heute Die systematische Untersuchung von Rezensionen als Quellen für wissenschaftshistorische Phänomene steht noch am Anfang. Obwohl Wolfgang Weber 1985 das Desiderat formuliert hat, die wissenschaftliche Kommunikation als entscheidenden Bereich der Wissenschaftsforschung anzuerkennen und sie „dementsprechend noch viel genauer“ zu untersuchen,²³⁹ hat sich die Geschichtswissenschaft für ihre eigene Wissenschaftsgeschichte weiter auf Personen und Institutionen konzentriert. Rezensionen, aus meiner Sicht die zentrale Art der modernen wissenschaftlichen Kommunikation, sind erst 2013 vom Institut für Österreichische Geschichtsforschung in den Fokus gerückt worden. Die Mitteilungen des Instituts (MIÖG) haben den Forschungsstand mit dem Titel ihres Themenschwerpunkts prägnant charakterisiert: „Rezensionswesen – Erkundungen in einer Forschungslücke“. Man könne die wissenschaftliche Erschließung dieser literarischen Kryptogramme nicht leisten, sondern nur anregen, erklärte die Redaktion, da „die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Rezension als Textsorte erst begonnen hat.“²⁴⁰ Neben einem Blick auf die Entstehungsgeschichte des Rezensionswesens bietet das Themenheft drei Aufsätze über verschiedene Aspekte von MIÖG-Rezensionen 1880 – 1900 und 1920 – 1939, die hier nicht genug gewürdigt werden können. Die Strukturen und Bedingungen der Produktion von Rezensionen im Prozess der Professionalisierung²⁴¹ und Standardisierung von Geschichtswissenschaft kommen ebenso zur Sprache wie der in und um Rezensionen geführte Ehrdiskurs unter Historikern.²⁴² Weber: Ordinarien für Geschichte, S. 144 f. Scheutz/Sommerlechner: Einleitung, S. 1. Eine Professionalisierungstheorie der Geschichtswissenschaft fehlt bislang, hätte sich aber zu orientieren an Ulrich Oevermann: Wissenschaft als Beruf. Die Professionalisierung wissenschaftlichen Handelns und die gegenwärtige Universitätsentwicklung; in: Die Hochschule. Journal für Wissenschaft und Bildung 14 (2005), Nr. 1, S. 15 – 51. Für den Hinweis auf den substanziellen Professionalisierungsbegriff danke ich Stefanie Schniering. Ihre kritische Unterstützung half bei der Überwindung disziplinärer Begrenzungen. Christine Ottner: Zwischen Referat und Recension. Strukturelle, fachliche und politische Aspekte in den Literaturberichten der MIÖG (1880 – 1900); in: MIÖG 121 (2013), S. 40 – 62; Scheutz: Rezensionen als Ehrdiskurs. Der Ehrdiskurs scheint der für eine breitere Öffentlichkeit interessanteste Teil der Rezensionsforschung zu sein, vergleicht man die Aspekte, die in der Tagespresse über das MIÖG-Heft hervorgehoben werden. Als reizvoll erscheinen vor allem von Rezensionen ausgelöste Gewaltphantasien wie in dem unisono von beiden Zeitungsartikeln als Schlusspunkt ausgewählten Zitat (ebenda, S. 66): „Die schweren Schnitte mit Arteriendurchschlag und Knochensplitter sitzen, hoffe ich, in ziemlicher Anzahl bei ihm.“ (Heinrich von Srbik über den Rezensenten Gustav Turba) Rudolf Neumaier: Wo Akademiker die Beherrschung verlieren. Läusesucherei, ganz gemeine Kerle und zertrümmerte Karrieren: Ein Spaziergang über das Schlachtfeld
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Der explorative Charakter des Hefts kommt auch in einem Plädoyer für die Untersuchung der Textpragmatik von Rezensionen unter Verwendung von (wissenschafts)soziologischen Konzepten Bourdieus zum Ausdruck, das viele der in diesem Kapitel dargestellten Aspekte anspricht.²⁴³ Ein Detail aus der empirischen Analyse der MIÖG-Rezensionen aus 20 Zwischenkriegsjahren wirft allerdings ein so helles Licht auf die im folgenden Kapitel dargestellten Analyseergebnisse, dass ich es hier besonders hervorheben muss: „Dezidiert negative Kritiken gibt es im untersuchten Sample der MIÖG nur wenige“.²⁴⁴ Die Würdigung eines Werkes durch eine Rezension stellt bereits eine positive, anerkennende Wertung dar, im Allgemeinen je ausführlicher desto besser.²⁴⁵ Selbst auf der basalen sprachlichen Ebene lassen sich zahlreiche positive evaluative Lexeme feststellen – als negativ werden dagegen nur „simpel, naiv, dürftig, falsch, schlimm, überflüssig“ aufgeführt.²⁴⁶ Negative Urteile betreffen meist nur Einzelaspekte der besprochenen Werke, so dass in der Gesamtschau der Eindruck entsteht, aufgrund „der Forderung nach Wissenschaftlichkeit und […] Objektivität“ solle auch eine klar empfehlende Rezension zumindest ein Monitum enthalten.²⁴⁷ Die von wohlwollenden Rezensenten dann meist für diese Pflichtübung ausgewählten Aspekte sind „Möglichkeiten, die nicht ausgeschöpft wurden“,²⁴⁸ also gewissermaßen Ansätze, wie die rezensierte Forschung weiter entwickelt werden könnte. Der Kontrast zur Mehrzahl der in Abschnitt 7.2 analysierten Besprechungen könnte kaum größer sein. Der wichtigste Beitrag dieser MIÖG-Ausgabe zur Erforschung von geschichtswissenschaftlichen Rezensionen ist allerdings eine Umfrage unter 16 europäischen Fachzeitschriften zu deren Rezensionspraxis, deren hochinteressante Ergebnisse profan als „Fragenkatalog zum Thema Rezension“ präsentiert werden.²⁴⁹ Die „Redaktionen der großen Rezensionszeitschriften, vornehmlich aus dem deutschsprachigen Raum, und österreichischer Regionalzeitschriften“ wurden mit diesem Fragenkatalog „nach der Geschichte, Stellenwert, Kontinuitäten und Zukunft befragt“²⁵⁰ und gaben aufschlussreiche Auskünfte zu ihrem der Rezensionen; in: Süddeutsche Zeitung Nr. 130 vom 08.06. 2013, S. 16; Miloš Vec: Läuse suchen. Rezensionen als Ehrdiskurs der Forscher; in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 163 vom 17.07. 2013, S. N5. Klingenböck: Schablone. Ebenda, S. 97. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 97 f. Ebenda, S. 98. Fragenkatalog zum Thema Rezension; in: MIÖG 121 (2013), S. 109 – 133. Scheutz/Sommerlechner: Einleitung, S. 4.
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Selbstbild als Rezensionsorgane in der Gegenwart. Eine vergleichende Analyse dieser und anderer Rezensionszeitschriften bleibt ein Desiderat, und zwar nicht nur für die Erforschung der Geschichtswissenschaft der Gegenwart, sondern auch der Vergangenheit: Denn bei der Untersuchung vergangener Rezensionen und der ihnen zugrundeliegenden Verhältnisse gehen Historikerinnen und Historiker heute von ihrem Verständnis für das Rezensionswesen der Gegenwart aus. Diese gegenwärtige Perspektive ist notwendig, aber durch die Forschungslücke zum Rezensionswesen ist die (auch historische) Wissenschaftsforschung zurückgeworfen auf ein basales Verständnis der Wissenschaftspraxis, das die Forschenden ihren Erfahrungen in dieser Praxis selbst erst entnehmen: Als stabile und explizit gemachte Ausgangspunkte für die Untersuchung von (auch historischen) Rezensionen fehlen also noch die systematischen Grundlagen und die nötige Reflexivität, um die Umlaufbahn individueller Erfahrungen zu überwinden. Um die Voraussetzungen für die Interpretation von HZ-Rezensionen im nächsten Kapitel zu stabilisieren, habe ich in Abschnitt 6.4 bereits zeitgenössische Ansprüche an HZ-Rezensionen (1949) vorgestellt. Dies will ich im Folgenden noch ergänzen um die heutigen Konzepte, die in der HZ-Redaktion über Aufgaben, Probleme und Bedingungen der Rezensionsproduktion vorherrschen. Damit ist nicht gesagt, dass die rund 1000 Rezensentinnen und Rezensenten der HZ²⁵¹ diese Vorstellungen teilen, aber die Selbstbeschreibung der Redaktion als der zentralen Institution im Produktionsprozess von Rezensionen ist eben dies: Ein Ausgangspunkt. Die Fragen der MIÖG-Umfrage geben den Rahmen der Selbstdarstellungen vor, sprechen mögliche Konfliktpunkte an und machen zum Teil suggestive Vorschläge für mögliche Antworten. Daher kombiniere ich sie hier mit den jeweiligen Antworten, die für die HZ Eckhardt Treichel gegeben hat, und die ich abschnittsweise knapp kommentiere:²⁵² (1) Seit wann gibt es in Ihrer Zeitschrift gedruckte Rezensionen? Wie viel Raum nehmen Rezensionen in Ihrer Zeitschrift ein? Hat sich der Stellenwert des Rezensionsteiles in Ihrer Zeitschrift im Laufe der Geschichte verändert? Rezensionen gibt es in der ‚Historischen Zeitschrift‘ (HZ) seit ihrer Gründung im Jahr 1859, und deren Anteil ist in der Vergangenheit stetig gewachsen. Gegenwärtig nimmt der Rezensionsteil etwa 55 % des zur Verfügung stehenden Raums ein. Welchen Umfang nimmt eine Rezension in Ihrer Zeitschrift normalerweise ein – gibt es verschiedene Klassen von Rezensionen (Miszelle, Notiz, Rezension)?
Brief Lothar Gall an Matthias Krämer, Frankfurt am Main 27. März 2013. Im folgenden Abschnitt sind alle eingerückten Textblöcke vollständig zitiert aus: Fragenkatalog zum Thema Rezension; in: MIÖG 121 (2013), S. 109 – 133, und zwar die Fragen (kursiv gesetzt) von S. 109, die Antworten der HZ von S. 126 f.
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6 Produktionsbedingungen der Historischen Zeitschrift
Pro Jahr werden ca. 650 Titel in Form von Einzel- oder Sammelrezensionen besprochen. Der Rezensionsteil eines jeden Hefts wird seit Mitte der 1970er Jahre durch so genannte Leitrezensionen eröffnet. Dabei handelt es sich entweder um umfangreichere Besprechungen einzelner wichtiger Neuerscheinungen oder um Sammelrezensionen zu bestimmten Themen. Ihr Umfang bewegt sich im Allgemeinen zwischen 5 und 30 Seiten. Danach folgen Einzelrezensionen von durchschnittlich 1,5 Seiten (ca. 3.000 Zeichen), deren Schwankungsbereich jedoch zwischen 1 und 4 Seiten liegt. In Einzelfällen können auch zwei oder drei Titel, die thematisch eng beieinander liegen, in einer solchen Rezension besprochen werden.
Drei Aspekte, die in dieser Untersuchung angesprochen wurden, stechen hier ins Auge: Erstens die lange Tradition der HZ, die Kontinuität und den ruhigen Gang gesicherter Wissenschaft verbürgt und auch in den folgenden Antworten mehrfach aufscheint, zweitens die Vorstellung einer anschwellenden Publikationsflut,²⁵³ die in Rezensionszeitschriften mit anwachsendem Umfang unter Kontrolle gebracht wird, und drittens die Leitrezension als Mittel zur Beherrschung der Publikationsflut, mit der eine Ordnung der Wichtigkeit in der HZ erzeugt wird. Letzteres ist ein zentrales Element zur Verteilung symbolischen Kapitals: Entsprechende Profite fließen sowohl an die besprochenen Werke und ihre Autorinnen und Autoren, als auch an die Verfasserinnen und Verfasser der Leitrezensionen selbst, die ja damit als besonders qualifiziert zur Beurteilung „wichtiger Neuerscheinungen“ ausgezeichnet werden. (2) Welche Themengebiete lassen Sie in Ihrer Zeitschrift rezensieren und welche Themengebiete, Epochen und/oder Fachdisziplinen schließen Sie aus? Seit ihrer Gründung ist die ‚Historische Zeitschrift‘ bemüht, auch in ihrem Rezensionsteil ein möglichst breites inhaltliches Spektrum abzudecken. Keine Epoche, kein Themengebiet und keine Fachdisziplin sind ausgeschlossen. Welche Auswahlkriterien haben Sie für zu rezensierende Bücher? Die Auswahl der Bücher, die zur Besprechung vergeben werden, erfolgt auf der Basis der von den Verlagen eingesandten Rezensionsexemplare, eigener Recherchen zu Neuerscheinungen sowie Empfehlungen von Fachkollegen. Mehrere Indikatoren sind dann bei der konkreten Auswahl hilfreich: Thema, Autor, Art der Publikation (Dissertation, Habilitationsschrift u. a.),Verlag, Reihe, etc. Danach beginnt die Suche nach geeigneten Rezensenten, die leider nicht immer erfolgreich verläuft, da zumal im Bereich der außereuropäischen Geschichte oder den historischen Nachbardisziplinen die Zahl kompetenter Spezialisten beschränkt ist und die HZ hier in besonderer Konkurrenz zu den einschlägigen Fachzeitschriften steht.
Vgl. Scheutz/Sommerlechner: Einleitung, S. 4.
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Dass kein Thema von HZ-Rezensionen ausgeschlossen sei, ist Ausdruck des Anspruchs der Zeitschrift, die gesamte Zunft zu repräsentieren, wie es auch unten in der Antwort zu Frage (4) betont wird. Aus dem Blick gerät dabei völlig die Definition der Grenzen der gesamten Zunft, die durch die HZ implizit mitbeansprucht wird, weil ihr Rezensionsteil sich auf wissenschaftliche Literatur zu historischen Themen beschränkt. Die Auswahlkriterien, die ja zugleich Inklusions- wie Exklusionskriterien sind, erscheinen in dieser Hinsicht nicht explizit formuliert. Herausarbeiten ließen sie sich anhand von Grenz- und Konfliktfällen.²⁵⁴ In Bezug auf die in dieser Arbeit untersuchten emigrierten Historiker lässt sich feststellen, dass etwa emigrierte Experten der Hethitologie und der Kunstgeschichte in der Nachkriegszeit nicht in gleichem Maße Berücksichtigung in der HZ fanden wie Vertreter anderer historischer Arbeitsfelder.²⁵⁵ Die Konkurrenz der HZ zu spezialisierteren Fachblättern spielt in dieser Hinsicht natürlich auch eine wichtige Rolle. (3) Wie stellen Sie sich eine geglückte Rezension vor[?] Eine Rezension sollte über den Aufbau und Inhalt des jeweiligen Werks, seine Quellenund Literaturgrundlage, die spezifischen Fragestellungen und Argumentationsweisen des Autors sowie über die angewandten Methoden informieren, eine Einordnung in die Forschungsdiskussion vornehmen, die besonderen Stärken und Schwächen der Arbeit herausstellen und schließlich eine zusammenfassende Würdigung vornehmen. Bei Sammelbänden können allein aus Platzgründen nicht alle Beiträge einzeln besprochen werden, sondern es sollte eher auf die übergreifenden Fragestellungen und Ergebnisse eingegangen werden. [U]nd welche Rezension würden Sie nicht zum Abdruck bringen (etwa Invektiven)? Können Sie eine Typologie von Rezensionen (etwa nacherzählende versus ‚kritische‘ Rezension) erstellen bzw. erkennen? Können Sie auch Veränderungen in der Form von Rezensionen (etwa Stil, Kritik usw.) erkennen? Die Rezensenten sind bei der Abfassung ihrer Texte vollkommen frei. Die Redaktion sieht es nicht als ihre Aufgabe an, bestimmte Formen von Rezensionen nahezulegen, sondern erblickt in der Vielfalt an Rezensionstypen geradezu eine Stärke der Historischen Zeitschrift. Redaktionelle Eingriffe beschränken sich auf die Berichtigung offenkundiger sachlicher Fehler und die Beseitigung persönlicher Invektiven. Wie gehen Sie mit Reaktionen auf Rezensionen um (Frage der Entgegnungen)? Reaktionen auf erschienene Rezensionen werden von der Redaktion geprüft, aber prinzipiell keine Gegendarstellung abgedruckt, sondern der Beschwerdeführer an den Rezensenten verwiesen.
Vgl. dazu den in Abschnitt 6.1.2 auf S. 399 f. beschriebenen „Fall Schlüter“. Vgl. oben, S. 19 f., den Definitionsversuch des Begriffs Historiker für die Zwecke dieser Arbeit, mit Beispielen.
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Bemerkenswert ist hier der Gegensatz zwischen den detaillierten Vorstellungen von einer (gelungenen) Rezension und der in der zweiten Teilantwort betonten Freiheit der Rezensenten und Vielfalt der Rezensionsstile. Das geschilderte Idealbild einer Rezension ist sicher an den Leitrezensionen der HZ orientiert, also von größerem Umfang und tiefgehend in der Analyse und Beurteilung eines Werkes. Die Aufgabe, für die Lothar Gall bei seinem Beitritt zur HZ-Redaktion vorgesehen war, nämlich dafür zu sorgen, „daß in Zukunft alle wirklich wichtigen historischen Neuerscheinungen in der HZ besprochen werden,und dies möglichst bald und durch möglichst gute Fachleute“²⁵⁶, stellt eine Keimzelle für die Entwicklung der Leitrezensionen dar. Einen weiteren Ausgangspunkt für die Herausbildung solcher Rezensionsideale sehe ich in den Rezensionen, die der transatlantische Gastprofessor Klaus Epstein unter anderem für die HZ verfasst hat.²⁵⁷ Das Ziel der heutigen HZ-Redaktion, sachliche Fehler und persönliche Invektiven aus HZ-Rezensionen heraus zu halten, konnte in der Nachkriegszeit öfters nicht erreicht werden.²⁵⁸ (4) Warum drucken Sie Rezensionen ab? Rezensionen sind ein unverzichtbares Medium der wissenschaftlichen Diskussion, und deshalb hält die ‚Historische Zeitschrift‘ auch weiterhin an einem umfangreichen Rezensionsteil fest. Inwieweit kann man mit der Auswahl, Vergabe, mit dem Druck von Rezensionen etwas bewirken, steuern etc. Die HZ versteht sich dabei als ein Forum der deutschsprachigen und internationalen Geschichtswissenschaft, die in ihrer gesamten thematischen Breite und methodischen Vielfalt zu Wort kommen sollen. Die Herausgeber sind deshalb bemüht, aus der Überfülle von Neuerscheinungen eine möglichst repräsentative Auswahl zu treffen. Dass damit auch eine gewisse Beeinflussung der wissenschaftlichen Diskussion verbunden ist, ergibt sich aus der Sache selbst. Jedoch sieht sich die HZ nicht als ein Richtungsorgan, das durch eine gezielte Vergabe von Rezensionen bestimmte weltanschaulich-politische oder wissenschaftliche Positionen zur Geltung bringen will.
Der Sinn der HZ ist für die Redaktion demnach der eines Zentralorts (Forums) für die gesamte Zunft. Diese „Zuschreibung von Repräsentativität für eine ganze Geschichtsschreibung“ hänge „in starkem Maße von der [Selbst‐]Inszenierung“ durch die Herausgeber einer Zeitschrift ab, skizziert Matthias Middell „das methodische Problem für die Untersuchung von Zeitschriften“. Das bedeutet, dass BWA F5/1625 (auch in F5/1614): [Hausmitteilung von Karl von Cornides an Frau Wolf und Thomas Cornides], Wien 04.04.1967. Vgl. unten, Abschnitt 7.3.1 ab S. 503 und Craig: Klaus Epstein, S. 200. Vgl. die in diesem Kapitel beschriebenen Konflikte um Rezensionen und die im nächsten Kapitel untersuchten Angriffe auf emigrierte Historiker.
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die Redaktion auf breiter Repräsentativität und Allgemeingültigkeit der HZ bestehen muss und jede Abgrenzung, wie sie oben im Kommentar zur zweiten Frage angesprochen wurde, ein Risiko für das entscheidende Image darstellt, ob die Zeitschrift „der Erwartung, ein spezifisches Feld zu repräsentieren, glaubwürdig entsprechen kann.“²⁵⁹ Insbesondere eine programmatische Begründung von Richtungsentscheidungen verbietet sich damit für die HZ – ganz anders als etwa für Geschichte und Gesellschaft, deren Herausgeber offensiv mit ihren Präferenzen für die eine oder andere Tendenz umgehen können.²⁶⁰ Allerdings bezieht sich die „repräsentative Auswahl“ hier explizit auf die besprochenen Werke, nicht aber auf die Auswahl der Rezensierenden. In Verbindung mit der Weigerung, Reaktionen auf Rezensionen abzudrucken, bilden die Rekrutierung von Rezensierenden und die Vergabekriterien von Rezensionsaufträgen das größere Repräsentativitätsproblem für eine Fachzeitschrift mit diesem Anspruch. (5) Wie stehen Sie zu Rezensionen im Netz und wie verhalten sich ‚Netzrezensionen‘ zu gedruckten Rezensionen? Der Vorteil des Internets besteht zweifellos in der größeren Schnelligkeit und weltweiten Verfügbarkeit von Rezensionen; außerdem steht den Rezensenten zumeist mehr Raum zur Verfügung. Von Nachteil könnte jedoch sein, dass Online-Rezensionen nicht dauerhaft verfügbar sind und nach einer gewissen Zeit gelöscht werden, was bereits vorgekommen ist. Die ‚Historische Zeitschrift‘ verfährt deshalb seit mehreren Jahren zweigleisig: Neben der Printausgabe, die Herausgeber und Verlag weiterhin für unverzichtbar halten, werden die digitalen Angebote sukzessive ausgebaut. Ab Mitte 2012 können die Leser ein digitales Archiv nutzen, in dem sämtliche in der HZ erscheinenden Rezensionen einzeln recherchiert und heruntergeladen werden können. Sowohl Aufsätze als auch Rezensionen werden den Abonnentinnen und Abonnenten der HZ bereits vor Erscheinen der Printausgabe online zur Verfügung gestellt. Ein weiterer Service ist die ‚HZ online‘ in einem für Tablets und Smartphones optimierten Format. Perspektivisch wird dieser Service allen Abonnentinnen und Abonnenten der HZ zur Verfügung stehen.
Die heutige Digitalstrategie der HZ ist für die Untersuchung ihrer früheren Rezensionsproduktion unter zweierlei Gesichtspunkt aussagekräftig: Einerseits inszeniert sich die HZ entsprechend ihrer Position im Feld der Wettbewerber, und zwar als traditionsbewusst und auf Zuverlässigkeit bedacht, zugleich aber auch als zeitgemäß und neuen Entwicklungen gegenüber aufgeschlossen. Andererseits wird die HZ dabei auch in ihrer Eigentums- und Finanzierungsstruktur erkennbar, nämlich als privatwirtschaftliches Verlagsprodukt, das vornehmlich per Abonnement vertrieben wird. Eine bemerkenswerte Eigenschaft, die in dieser Selbstdarstellung aufscheint, ist die Adressierung privater bildungsbürgerlicher Nut Middell: Vom allgemeinhistorischen Journal zur spezialisierten Liste, S. 19. Vgl. Raphael: Anstelle eines Editorials.
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zungsweisen im „für Tablets und Smartphones optimierten Format“ – durch vermutlich private Abonnentinnen und Abonnenten, gegenüber institutionellen Abonnements durch Bibliotheken und Institute, die wiederum ihren Nutzerinnen und Nutzern andere Zugangswege zu HZ-Inhalten anbieten. Alle diese Zugänge zu den Zeitschrifteninhalten basieren allerdings auf der Zugangsbeschränkung zugunsten einer Finanzierung der Zeitschrift durch Abonnements – was im Vergleich mit Open-Access-Plattformen wie H-Soz-Kult markante Unterschiede in den Produktionsbedingungen der Rezensionen mit sich bringen dürfte.²⁶¹ Eine vergleichende Untersuchung der Konzepte verschiedener Zeitschriften zum Rezensionswesen ist hier nicht zu leisten.²⁶² Allerdings möchte ich darauf hinweisen, dass die Praktiken und Vorstellungen, mit denen Zeitschriften den Produktionsprozess von Rezensionen organisieren, nie naturwüchsig, selbstverständlich oder notwendig sind, sondern Ergebnis von Entscheidungen der Beteiligten und damit prinzipiell offen für Veränderung. Um Entscheidungen auf einer soliden Grundlage treffen, überdenken oder revidieren zu können, bedarf es guter Argumente, die wiederum die offene Diskussion über Tatsachen und über Normen voraussetzen. Der Wert einer Analyse von Rezensionszeitschriften im Vergleich läge nicht zuletzt darin, die Alternativen herauszuarbeiten, die bei der Organisation des Besprechungswesens einer Zeitschrift oder einer ganzen scientific community bestehen. Diese Alternativen haben einerseits eine wissenschaftsethische Bedeutung für Gegenwart und Zukunft der Geschichtswissenschaft, andererseits sind sie aber auch wissenschaftshistorisch relevant, weil sie das Verständnis für verschiedene Handlungsoptionen der Akteure in der Vergangenheit der Geschichtswissenschaft fördern. In diesem Sinne schildere ich im Folgenden einige Überlegungen und Einstellungen, die sich mir als alternativ oder komplementär zu dem Verständnis von Rezensionen darstellen, das ich selbst anhand meiner praktischen Erfahrungen in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft entwickelt habe. Ich entnehme diese Einsichten einem längeren Gespräch mit dem amerikanischen Historiker Christopher A. Molnar, der mir als Editorial Assistant der American Historical Review (AHR) Einblick in die Denkweise gewährt hat, auf deren Grundlage Rezensionen (Reviews) in der ältesten und wichtigsten Geschichtszeitschrift der USA
Vgl. Schulze: Zur Geschichte der Fachzeitschriften, S. 132– 135. Bedauerlicherweise fehlt auch in den MIÖG jede Kommentierung zum Fragenkatalog zum Thema Rezension; in: MIÖG 121 (2013), S. 109 – 133. Einen Ansatz zur Begründung dieser Abstinenz liefert die Bemerkung, dass es von Vorteil sei, dass sich das MIÖG-Themenheft vor allem mit MIÖG-Rezensionen befasse, weil man dabei „nicht auf allfällige fremde Empfindlichkeiten Rücksicht nehmen“ müsse, so Scheutz/Sommerlechner: Einleitung, S. 4.
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produziert werden.²⁶³ Besonders hilfreich erschien mir diese amerikanische Perspektive, um einen Eindruck von der Fremdartigkeit der Rezensionskultur zu gewinnen, mit der sich deutschsprachige Historiker in der Emigration konfrontiert sahen, und umgekehrt die Besonderheit der Rezensionskultur zu bemerken, mit der die emigrierten Historiker in der Nachkriegszeit in der HZ (wieder) in Kontakt traten. Die folgenden Interpretationen von AHR-Praktiken sind meine eigenen und können natürlich auf Missverständnissen beruhen, die nicht dem Gewährsmann anzulasten sind. Die AHR ist kein Verlagsprodukt wie die HZ, sondern wird von der American Historical Association (AHA) herausgegeben. Als Verbandsorgan abonnieren alle Mitglieder der AHA die AHR. Eine zusätzliche Verpflichtung zu AHA-Mitgliedschaft und AHR-Abonnement liegt in der Bedeutung des Verbands und seiner Konferenz für die Karrieren von Historikerinnen und Historiker in den USA: Das Annual Meeting der AHA gilt als Zentralort für Bewerbungsgespräche, so dass eine professionelle Tätigkeit in der amerikanischen Geschichtswissenschaft wie von selbst mit einem AHR-Abonnement verknüpft ist. Das bedeutet, dass die Zeitschrift stets auf einer soliden finanziellen Basis steht, so dass 13 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Indiana University in Bloomington ständig an der Produktion der AHR arbeiten.²⁶⁴ Das liegt in einer anderen Größenordnung als die HZ, deren Rezensionsteil etwa Anfang der 1960er Jahre von zwei Halbtagsbeschäftigten erstellt wurde.²⁶⁵ Auch die Rezensionsmenge unterscheidet sich entsprechend: Während die HZ 650 Werke pro Jahr bespricht,²⁶⁶ kommt die AHR auf rund 3000 Bücher. Diese Größe der AHR und ihre Stellung als Organ eines demokratischen Verbandes erklären den stärkeren Fokus ihrer Organisation auf expliziten Regeln
Interview von Matthias Krämer mit Christopher Molnar in Marburg, 23. August 2012 (unveröffentlicht). Das Interview schildert den Stand der Jahre 2011/2012 und ist, wie nicht im Einzelnen erwähnt werden muss, die Hauptquelle für die Skizze der AHR, die den Abschluss dieses Kapitels darstellt. Zur Gründungsgeschichte der AHR und ihrer Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg vgl. Gabriele Lingelbach: Die American Historical Review. Gründung und Entwicklung einer geschichtswissenschaftlichen Institution; in: Matthias Middell (Hg.): Historische Zeitschriften im internationalen Vergleich, Leipzig 1999, S. 33 – 62. Vgl. etwa das Titelblatt der AHR 117 (2012), Nr. 1, URL: https://academic.oup.com/ahr/issue-pdf/117/1/11117669 (zuletzt abgerufen am 7. Januar 2019), wo die zwölf Mitarbeiter unter Editor Robert A. Schneider namentlich aufgeführt sind. Daneben nennen die Titelseiten zahlreiche Beiratsmitglieder und Verbandsfunktionäre der AHA, die nicht hauptamtlich an der AHR arbeiten. Vgl. oben, Anmerkung 56 auf S. 402. Fragenkatalog zum Thema Rezension; in: MIÖG 121 (2013), S. 126, vgl. die oben zitierte Antwort (1).
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6 Produktionsbedingungen der Historischen Zeitschrift
gegenüber konkreten Entscheidungen verantwortlicher Herausgeber: Die Zeitschrift hat einige Verfahren in ihrer Redaktion etabliert, die gewährleisten sollen, dass außerwissenschaftliche Gründe für besonders positive oder besonders negative Bewertungen besprochener Werke möglichst ausgeschlossen bleiben. Damit sollen Fairness und Wissenschaftlichkeit des Rezensionswesens gewährleistet werden. Das liegt im gleichmäßigen Interesse der die AHR tragenden AHA-Mitglieder. Daher gibt es konkrete Regeln dafür, wie Editorial Assistants täglich entscheiden, ob ein Buch besprochen werden soll oder nicht, wer als Reviewer in Frage kommt, und wer nicht: Dass Peers von Peers besprochen werden sollen, ist ein Grundsatz, der mit der Gleichheit von Statusgruppen und Lebenslagen eine Diskrepanz von Macht und Interessen zwischen Besprechenden und Besprochenen verhindern soll. Beispielsweise könnte ein Emeritus ein Erstlingswerk verreißen, so der Gedanke, weil die darin ausgedrückte neue wissenschaftliche Strömung sich gegen die von dem Emeritus und seiner Generation gepflegte Wissenschaftsauffassung richtet.²⁶⁷ Solchen Konstellationen des Ungleichgewichts will die AHR vorbeugen, weshalb Rezensierte auch stets die Option erhalten, in der AHR auf eine Besprechung zu reagieren.²⁶⁸ Zu den Aufgaben von Editorial Assistants der AHR gehört es auch, zu prüfen, ob ein Reviewer bereits früher ein Buch der betreffenden Person besprochen hat, oder von ihr besprochen wurde. Beides soll vermieden werden, unabhängig davon, ob eine frühere Besprechung gut oder schlecht ausfiel. Ebenso versucht man, persönliche Nahverhältnisse auszuschließen, da sie einen Anlass für eine von außerwissenschaftlichen Faktoren geprägte Rezension darstellen könnten, ob zum Positiven oder zum Negativen. Daher recherchieren Editorial Assistants bei potentiellen Reviewern die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen akademischen Schule, eine gemeinsame Durchführung von Forschungsprojekten oder die Nennung in Danksagungen des Autors oder der Autorin. Trifft so etwas zu, sollte das verhindern, dass jemand ein Buch zur Besprechung in der AHR angeboten bekommt. Der Aufwand, den die AHR in die Sicherstellung formaler Neutralität investiert, hat seinen Grund nicht zuletzt darin, dass eine AHR-Rezension im USHochschulsystem große Bedeutung für den Karriereverlauf haben kann: Bei Personalentscheidungen, insbesondere über unbefristete Anstellungen (tenure),
Ins Auge fällt das im nächsten Kapitel behandelte Beispiel einer Rezension, bei der der Rezensent im Erscheinungsjahr 73 wurde, während der Rezensierte gerade einmal 35 Jahre alt war: Heinrich Ritter von Srbik: Rezension zu Theodore Herman von Laue, Leopold Ranke. The Formative Years, Princeton 1950; in: HZ 172 (1951), S. 108 – 109. Das steht etwa im Gegensatz zur HZ-Praxis: Fragenkatalog zum Thema Rezension; in: MIÖG 121 (2013), S. 127, vgl. die oben zitierte Antwort (3).
6.5 Rezensionen heute
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geht man davon aus, dass Personalverantwortliche nicht unbedingt die publizierten Werke lesen, aber jedenfalls ihre Rezensionen in der AHR. Insgesamt hat sich in den USA eine Kultur der Freundlichkeit etabliert, in der äußerst negative Besprechungen sehr selten sind. Auch absprechende Rezensionen werden regelmäßig so formuliert, dass betont wird, in welcher Hinsicht ein Buch Beiträge zur Forschungsdiskussion leistet,²⁶⁹ sogar wenn diese Beiträge als sehr gering beurteilt werden. Selbst in einem großen Land wie den USA kennt man sich untereinander, zumal wenn man im selben Spezialgebiet tätig ist. Das motiviert im Kontext dieser Kultur der Freundlichkeit im Allgemeinen eher zu positiven Rezensionen.²⁷⁰ Die im folgenden Kapitel analysierten HZ-Rezensionen stehen dazu, soviel sei vorweg genommen, in einem zum Teil scharfen Kontrast.
Entsprechend heißt es in einem undatierten Merkblatt, das vermutlich in der Anfangszeit der AHR an die Rezensenten verteilt wurde: „It is desired that the review of a book shall be such as will convey to the reader a clear and comprehensive notion of its contents, of its merits, of its place in the literature of the subject, and of the amount of its positive contribution to knowledge.“ Zugleich wurde kleinliche Kritik in Rezensionen abgelehnt. Zitiert nach Lingelbach: Die AHR, S. 53. Vgl. die Schilderung von Lingelbach: Die AHR, S. 61, wonach sich in der Anfangszeit von AHA und AHR durch „Kontakte beispielsweise auf den Kongressen der AHA persönliche Loyalitäten, professionelle Netzwerke und auch konziliante Umgangsformen und Verhaltensmuster entwickelt“ hatten, so dass in Rezensionen der „Wille zur Kritik“ gegenüber dem „Willen zur gegenseitigen Ehrerbietung“ in den Hintergrund trat, zumindest innerhalb des Bereichs der Zunftsolidarität.
7 Rezensionsanalysen: Rezeption transatlantischer Gastprofessoren Dieses Kapitel¹ beantwortet anhand von Rezensionen in der HZ die Frage, wie die Reaktionen deutscher Historiker auf ihre emigrierten Kollegen in der Praxis – jenseits von Konzepten und Absichtserklärungen – aussahen.² Nach Vorüberlegungen zur Stellung von Rezensionen in der Wissenschaft, zur Auswertung von Rezensionen als wissenschaftshistorischen Quellen und zur Methode der tiefenhermeneutischen Rezensionsanalyse werte ich in drei Schritten den zentralen Rezensionskorpus aus der HZ 1949 – 1964 aus. Anschließend konfrontiere ich diese Ergebnisse mit den Analysen von Vergleichskorpora. Zum Abschluss des Kapitels resümiere ich die Analyseergebnisse und hebe die auf andere Forschungsgegenstände anwendbaren Erträge hervor.
7.1 Vorüberlegungen Als nach Kriegsende wieder geschichtswissenschaftliche Fachzeitschriften erschienen, wurden darin verschiedene Vorbehalte gegen emigrierte Kollegen laut, die ich aus dem Rezensionsteil der HZ, „des repräsentativen Organs der historischen Zunft“³, rekonstruieren möchte.Wie oben in Abschnitt 5.1.2 diskutiert, hatte Ludwig Dehio „die Verkümmerung unserer Wissenschaft“ auch auf „Abschnürung vom Auslande, Emigration“ zurückgeführt und sah es als eine Hauptaufgabe der HZ an, zur Beseitigung dieser Probleme beizutragen, „indem sie […] vor allem zu der fortgeschrittenen Arbeit des Auslandes hinüber wieder anknüpft“.⁴ Als zentralen Quellenkorpus für die Analyse der Umsetzung dieser Pläne benutze ich zunächst alle zwischen 1949 und 1964 in der wichtigsten deutschsprachigen geschichtswissenschaftlichen Zeitschrift über Schriften der unter-
Dieses Kapitel basiert auf Krämer: Emigrierte Historiker und die HZ; insbesondere Abschnitt 7.2 habe ich im Wesentlichen unverändert übernommen. Rezensionen wurden inzwischen verschiedentlich für die Untersuchung der Verhältnisse zwischen deutschen Historikern und Emigranten in der Nachkriegszeit herangezogen, allerdings eher ad hoc und exemplarisch. Nicht überraschend ist, dass sich damit jeweils ablehnende Einstellungen zeigen ließen, etwa in Corsten: Unerbetene Erinnerer, S. 205; Stelzel: Rethinking, S. 83 f. Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 81. Ludwig Dehio, Entwurf zu einem Vorwort der ersten HZ-Ausgabe, zitiert nach Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 101– 104, hier S. 102 f. https://doi.org/10.1515/9783110731637-007
7.1 Vorüberlegungen
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suchten Emigranten erschienenen Besprechungen. Zuvor erläutere ich die Stellung von Rezensionen im Wissenschaftsbetrieb, einige theoretische Voraussetzungen und die Methode, mit der ich die 23 einschlägigen Rezensionen⁵ analysiert habe. In Abschnitt 7.2 präsentiere ich die Ergebnisse der drei wesentlichen Untersuchungsschritte und diskutiere die drei dabei entdeckten Typen von Besprechungen. Der Vergleich mit anderen Korpora von Besprechungen in Abschnitt 7.3 sichert die gewonnenen Erkenntnisse ab und stellt sie in den Kontext des geschichtswissenschaftlichen Rezensionswesens. Schließlich gebe ich in Abschnitt 7.4 einen Ausblick auf die Bedeutung der Methode und ihrer Ergebnisse für (R)Emigrations-Forschung und Wissenschaftsgeschichte.
7.1.1 Rezeption als Wirkung der Emigration Wie wirkten die Emigranten in ihrer ‚alten Heimat‘, und wie reagierten die Dagebliebenen?⁶ Die Betrachtung von Rezensionen stellt eine Möglichkeit dar, systematisch einen Ausschnitt der Rückwirkung von Emigranten auf die Herkunftsländer zu untersuchen. Zu dieser Rückwirkung gehören drei Gesichtspunkte, die sich in Fachrezensionen niederschlagen: Viele emigrierte Wissenschaftler publizierten mit der Absicht und in dem Bewusstsein, die Wissenschaft zumindest auch in ihrem Herkunftsland voran zu treiben. Dies lässt sich als Rückwirkungsabsicht bezeichnen und für die hier behandelten Personen aufgrund ihrer Gastprofessorentätigkeit voraussetzen.⁷ Die Existenz von Rezensionen in einer deutschsprachigen Fachzeitschrift dokumentiert darüber hinaus, dass die besprochenen Werke zunächst als relevante Bei-
Eine Liste der Rezensionen aus der HZ 1949 – 1964 über Untersuchungspersonen, die den Textkorpus für die Analysen von Abschnitt 7.2 bilden, findet sich im Anhang. Die bibliographischen Angaben der rezensierten Werke behandle ich dort, ergänzt um „Rezension zu“ als Titel der Rezensionen, um die Auffindbarkeit zu erhöhen. In der HZ wurden sie nicht formal als Titel behandelt, manche Besprechungen waren auch ganz unbetitelt. Künftig beziehe ich mich bereits bei der ersten Erwähnung auf eine Rezension aus diesem Korpus, indem ich einen Kurztitel aus den Namen von Rezensent und Rezensiertem verwende, nur bei Verwechslungsgefahr mache ich zusätzliche Angaben. Seitenzahlen nenne ich dabei nicht, da es sich meist nur um nur ein bis zwei Seiten umfassende Kurztexte handelt. Zwei der 25 Rezensionen über Untersuchungspersonen berücksichtige ich in den Analysen von Abschnitt 7.2 nicht, da sie auch von Untersuchungspersonen stammen und daher eine andere Charakteristik aufweisen, vgl. dazu Abschnitt 7.3.1. Bisher wurden dazu vor allem Einzelfallstudien durchgeführt, etwa Schneider: Mischs verhinderte Rückkehr; als Einzelfallvergleich zur Remigration Krauss: Habe, Friedlaender, Budzislawski. Vgl. oben, Abschnitt 4.2 ab S. 217.
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7 Rezensionsanalysen: Rezeption transatlantischer Gastprofessoren
träge zur Fachdiskussion in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft anerkannt wurden, und zwar durch die Redaktion der HZ und dort zunächst durch Walther Kienast als entscheidenden Akteur in der Nachkriegszeit. Doch die Haltung vieler Rezensenten widerspricht dem, wie ich zeigen werde. Die Wahrnehmung der Emigranten im Herkunftsland existierte also, war aber in der Historikerzunft umstritten. Die beiden genannten Aspekte erschließt der erste – quantitative – Schritt der Rezensionsanalyse in Abschnitt 7.2.1. Schließlich wird die Art und Weise der Aufnahme von Werk und Autor einerseits durch den Tenor einer Besprechung skizziert, da der Rezensent die betreffende Schrift stellvertretend für das deutschsprachige Historiker-Publikum liest, vorstellt und kritisiert. Diese Aufnahme – die Reaktion der Rezensenten auf ein Werk oder einen Historiker – bezeichne ich hier als Rezeption und beschränke die Bedeutung dieses sonst diffusen Begriffes auf das von den vorliegenden Quellen abgesteckte Feld, das ich vor allem in den Abschnitten 7.2.2 und 7.2.3 analysiere. Die Rezeption in einer Rezension präformiert die weitere Wirkung einer Schrift, indem sie lobt und tadelt, Schwerpunkte und Blickwinkel festlegt, mit denen die Leserinnen und Leser einer Rezension sich gegebenenfalls auch dem besprochenen Werk annähern.⁸ Bereits die schlichte Tendenz einer Rezension, ein Buch zu empfehlen oder von seiner Anschaffung abzuraten, besitzt als WerbeEffekt grundlegende Bedeutung für den Buchverkauf, für einen quantitativen Wirkungsaspekt, und damit für die ökonomische Grundlage der künftigen Chancen eines Autors, Bücher für einen bestimmten Markt zu publizieren.⁹ Rückwirkung nenne ich demnach – als Oberbegriff von Rückwirkungsabsicht, Wahrnehmung im Herkunftsland und Rezeption durch Rezensionen und Fachliteratur – die gesamte Wirkung eines Emigranten in seinem Herkunftsland. Sie umfasst – in aufsteigender Intensität – die Aspekte der Wahrnehmung (durch bloße Erwähnung in einem Rezensionsteil), der Aufnahme (von Schriften und Thesen in den Bestand der geschichtswissenschaftlichen Forschungsliteratur), der Aneignung (von Forschungsergebnissen in den eigenen Wissensbestand), der Anerkennung (als wertvoller Beiträge zur Fachwissenschaft) und der Übernahme (von Thesen und Positionen in individuelle und kollektive Argumentations- und Meinungsbestände). Der letzte Schritt in einer solchen Reihe der Rückwirkungsmöglichkeiten ist die mögliche symbolische Integration oder Reintegration eines Emigranten in die deutschsprachige Historikerzunft.
Vgl. Scheutz: Rezensionen als Ehrdiskurs, S. 64. Die Bedeutung von Rezensionen für die Entwicklung der Geschichtswissenschaft betont Weber: Ordinarien für Geschichte, S. 144 f. Vgl. Weber: Priester der Klio.
7.1 Vorüberlegungen
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Die hier analysierten Rezensionen, vor allem bis Anfang der 1960er Jahre, gingen letztere Schritte aber kaum, ganz im Gegenteil ist die symbolische Exklusion von Emigranten aus der deutschsprachigen Zunft ein häufig anzutreffendes Phänomen.¹⁰ Abgrenzung ist allerdings auch ein wichtiger Teil von Transferprozessen. Sie stellt im Kontrast mit der emphatischen Anerkennung von Emigranten durch eine jüngere Generation den Ausgangspunkt für eine größere Dynamik der transatlantischen Transferleistungen im Generationenkonflikt dar.¹¹
7.1.2 Theorien zu Rezensionen „Teutschland, das Land der Theorieen, hat Theorieen aller Art, bis herab auf das Brantweinbrennen, Kochen und Haarkräuseln; allein uns fehlt noch eine Theorie des Recensirens.“¹²
Der anonyme Rezensent einer Rezensionssammlung empfahl ein induktives Vorgehen, um „aus einer Mehrzahl gediegener Recensionen“ irgendwann zu einer Theorie des Rezensierens zu gelangen. Entsprechend lesen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bis heute zahlreiche Rezensionen, doch fehlt es weiter an einer übergreifenden Theorie.¹³ Dabei kann man annehmen, dass Vielfalt der Phänomene und Bedarf an einem begrifflichen Werkzeug weiter wachsen: „Eine über Detailerkenntnisse hinausgehende Rezensionsforschung schiene reizvoll, wenn sie über die Analyse punktueller Konflikte hinaus in der Lage wäre, Fächerkulturen und ihren Wandel zu vergleichen. Denn in einem Zeitalter entfesselten Publizierens fällt auf, dass die Unterschiede zwischen Autoren und Kriterien, Organen und Disziplinen beträchtlich sind und womöglich zunehmen.“¹⁴
Vgl. unten, besonders Abschnitt 7.2.4 ab S. 499. Vgl. Paulmann: Vergleich und Transfer, S. 676. Rezension zu K. A.Varnhagen von Ense, Zur Geschichtschreibung und Litteratur. Berichte und Beurtheilungen, Hamburg 1833; in: Jahrbücher der Geschichte und Staatskunst 7 (1834), Nr. 1, S. 185 – 189, hier S. 186. Vgl. Wolfgang Harms: Rezension; in: Georg Braungart/Harald Fricke/Klaus Grubmüller/JanDirk Müller/Friedrich Vollhardt/Klaus Weimar (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, Band III: P–Z, Berlin/New York 2007 [zuerst 2003], S. 281– 283. Vec: Läuse suchen.
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7 Rezensionsanalysen: Rezeption transatlantischer Gastprofessoren
Als theoretische Grundlegung wird häufig auf Johann Christoph Greilings „Theorie der Recensionen“ von 1797 verwiesen.¹⁵ Tatsächlich ist Greiling mit seinem kantianischen Ansatz zur Funktion von Kritik in Philosophie und Wissenschaften in vielen Belangen hilfreicher als spätere Literatur zu Rezensionen, die häufig auf Literaturkritik im Bereich der Belletristik ausgerichtet ist. Buchmarkt und Verlagswesen mögen bei Fachliteratur und Belletristik auf ähnliche Weise funktionieren, die inhaltlichen Aspekte des Rezensionswesens erfordern aber wohl für wissenschaftliche Besprechungen andere Kriterien.¹⁶ Ganz im Sinne der Aufklärungsphilosophie wandte sich Greiling etwa gegen die Argumentation qua Autorität und damit gegen die Personalisierung der Kritik: „Die Manier, mit welcher gelehrte Streitigkeiten, die recht gut sind, geführt werden, verwandelt sie in Zänkereien, die etwas sehr verächtliches sind. Wer Gründe hat, der lasse sie hören und setze sie gründlich seinem Recensenten entgegen. Die Personen sind aber keine Gründe, und da nur Freunde der Wahrheit mit einander streiten können, so ist es verkehrt auf eine feindliche Weise diese Freundschaft zu zeigen.“¹⁷
Von den betroffenen Akteuren absehende Rezensionskonzepte können sich an Idealen wie wissenschaftlichem Fortschritt, Neutralität und Objektivität orientieren, nach denen jede Kritik, so scharf sie auch ist, wünschenswert ist, sofern sie allein sachbezogen bleibt. In der Praxis sind die Akteure aber stets Menschen mit Interessen und Bedürfnissen, die von jeder Kritik in der einen oder anderen Weise betroffen sind. Diese andere Dimension von Rezensionen umfasst insbesondere die soziale Bedeutung von Rezensionen, so dass die Soziologie neben der Wissenschaftstheorie für die Untersuchung von Rezensionen besonders wichtig ist. Speziell Wissenschaftssoziologie mit den Konzepten Pierre Bourdieus scheint seit Jahrzehnten beliebt in der Anwendung auf das wissenschaftliche Rezensionswesen.¹⁸ Nicht zu Unrecht, ist doch Bourdieus Feldtheorie für das Verständnis von
Johann Christoph Greiling: Einige vorläufige Gedanken zu einer Theorie der Recensionen; in: Philosophisches Journal einer Gesellschaft teutscher Gelehrten (hg. von Johann Gottlieb Fichte und Friedrich Immanuel Niethammer) 6 (1797), Heft 2, S. 119 – 149; Johann Christoph Greiling: Einige allgemeine Grundsätze zu einer Theorie der Recensionen; in: Archiv für die Physiologie (hg. von Johann Christian Reil) 3 (1799), Heft 2, S. 349 – 385. Vgl. etwa Klingenböck: Schablone, S. 89. Diese Unterscheidung reflektiert etwa Jürgen Kuczynski: Ich bin der Meinung. Bemerkungen zur Kritik, 2. Auflage, Halle/Leipzig 1985. Greiling: Theorie der Recensionen (1797), S. 146 f. Bardelle: Formen der kritischen Auseinandersetzung, insbesondere S. 54; Klingenböck: Schablone, insbesondere S. 108. Noch fast ohne Bourdieu, stattdessen unter größerer Beachtung der Wissenschaftstheorie nach Robert K. Merton, kam eine empirische Studie mit Befragungen Rezensierter aus: Hartmann/Dübbers: Kritik in der Wissenschaftspraxis, S. 11 ff. und öfter.
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Rezensionen im Kontext der Produktionsbedingungen von Fachzeitschriften fruchtbar, wie ich in Abschnitt 6.2 zu zeigen versucht habe. Um mit Bourdieu die Praxis, also das soziale Handeln, durch Rezensionen beschreiben zu können, bedarf es allerdings einer hermeneutischen Methode, mit der aus dem jeweiligen Rezensionstext das darin stattfindende Handeln ersichtlich wird. Das ergibt sich auch daraus, dass ich oben wiederholt auf Ergebnisse der folgenden Analysen vorgreifen musste. Bevor ich aber die (tiefen)hermeneutische Methode erläutere, der ich mich bedient habe, möchte ich an einem Beispiel auf zeitgenössische Vorstellungen von wertvollen Rezensionen zu sprechen kommen, das an den skizzierten wissenschaftstheoretischen Idealen der Funktion von Kritik orientiert ist. Fritz Redlich, ein emigrierter Historiker, der mit einer besonders „absprechenden“ Rezension in der HZ den oben analysierten „Fall Redlich“ ausgelöst hatte,¹⁹ war als Pionier der Unternehmensgeschichtsschreibung²⁰ in einigen Hinsichten ein Außenseiter, auch eine Gastprofessur ist für ihn nicht nachweisbar.²¹ Dennoch ist seine Perspektive auf Rezensionen hilfreich, um die mit dem Sinn von Rezensionen verbundenen Gegensätze zu erhellen, wie sie von emigrierten Zeitgenossen, die alle sowohl amerikanische als auch deutsche Rezensionskulturen vor Augen hatten, verstanden werden konnten. Redlich erläuterte Gerhard Masur seine grundsätzliche Einstellung zu Rezensionen in einem Briefwechsel zu einem Dissens über die Bewertung einer Aufsatzsammlung von Masurs Freund Dietrich Gerhard: „Unsere Meinungsverschiedenheit betr.[effend] Gerhard’s Buch[²²] zeigt, dass wir verschiedene Gedanken über Rezensionen haben. Ich weiss, dass ich ein unbequemer reviewer bin, denn ich bin erbost, einmal wegen der Flut von Mittelmässigkeit und Dreck, die sich über
Vgl. oben ab S. 422. „One of the prime movers in the new institutional history that combined entrepreneurial, business history, and sociology“ wird Redlich genannt von Kenneth E. Carpenter/Alfred D. Chandler, Jr.: Fritz Redlich: Scholar and Friend; in: Journal of Economic History 39 (1979), Nr. 4, S. 1003 – 1007, hier S. 1005. Redlichs transatlantisches Engagement in der Nachkriegszeit beschreibt Jürgen Kocka: Zum Tod von Fritz Redlich; in: Geschichte und Gesellschaft 5 (1979), Heft 1, S. 167– 171, hier S. 167, als eine Anlaufstelle für deutsche Historiker in Harvard. Dass Redlich nie eine Festanstellung als Historiker erreichte, betont neben Carpenter/Chandler: Fritz Redlich, S. 1003, auch Charles Gaston Arcand Jr.: Fritz Redlich, 1892– 1978: The Man and the Scholar; in: American Journal of Economics and Sociology 40 (1981), Nr. 2, S. 217– 221, hier S. 220. Die im Tenor gegensätzlichen Rezensionen waren: Fritz Redlich: Rezension zu Dietrich Gerhard, Alte und Neue Welt in vergleichender Geschichtsbetrachtung, Göttingen 1962; in: HZ 197 (1963), S. 726; Gerhard Masur: Rezension zu Dietrich Gerhard, Alte und Neue Welt in vergleichender Geschichtsbetrachtung, Göttingen 1962; in: AHR 68 (1963), Nr. 3, S. 698 f.
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7 Rezensionsanalysen: Rezeption transatlantischer Gastprofessoren
uns ergiesst und es unmöglich macht, von wirklich Wichtigem Kenntnis zu nehmen, dann weil das ganze Geschäft [des Rezensionswesens] von einem Verein auf gegenseitige Hochachtung monopolisiert ist. Dieser Verein verdankt seinen Ursprung jener herrschenden Mittelmässigkeit: I skratch[sic] your back and you scratch mine oder negativ auf Deutsch: Haust Du meinen Juden, hau ich Deinen Juden. An irgend einer Stelle muss man da hineinbrechen, und rebus sic stantibus können das nur alte Leute, die eine gewisse Reputation haben und nichts zu fürchten aber auch nichts zu wünschen. Wenn ich etwas bespreche, sehe ich mir erst an, was der Mann im Titel und in der Einleitung verspricht. Ist er bescheiden und grundehrlich und erreicht er sein Ziel, sage ich das, ebenso im umgekehrten Fall. In beiden Fällen zeige ich auch das Negative, bzw Positive, und dazu wo der Mann in der Entwicklung seines Gebietes steht. Sie sind z. B. in Ihrem Titel sehr bescheiden, so ist Kriegers Besprechung[²³], die ich gesehen habe, verdient. Hätten Sie aber das Buch z. B. ‚Europäisches Geistesleben um 1900‘ genannt, so hätte ich es wegen mangelnder Integrierung negativ besprochen. Gerhard ist sicher ein guter Mann, aber ebenso sicher kein grosser Gelehrter und etwas überheblich, wie der wiederholte Abdruck seiner Sachen zeigt. Hätte er das Buch: ‚Gesammelte Aufsätze zur europäischen und amerikanischen Geschichte‘ genannt, hätte ich selbst gesagt, dass er Steine zum Bau einer zukünftigen vergleichenden Geschichtsschreibung beiträgt. Er behauptet aber im Titel, dass sein Buch diese repräsentiert, und da sage ich nein! Er hat noch nicht einmal begriffen, worum es dabei geht. Ich arbeite nun schon seit Jahren daran, vergleichende Firmengeschichte zu bgründen[sic]. Sie haben von den Schwierigkeiten keine Ahnung besonders wenn es zum Vergleich von Ziffern kommt. Ich habe mich jetzt mit einem mathematisch geschulten Nationalökonomen zusammengetan und hoffe, wir werden die Prinzipien erarbeiten können. Gerhard löst die Probleme kavaliermässig. Oder: Husch, husch, die Waldfee! D. h. der Vergleich erscheint als Randbemerkung aber nicht als Nabe im Rad.“²⁴
Redlich verteidigte seine negative Besprechung also mit der Argumentation, dass Aufschneiderei und Übertreibung in der Wissenschaft floriere, weil soziale Verpflichtungen eine sachgemäße Kritik verhinderten. Das Phänomen der Zunftsolidarität oder der Kultur der Freundlichkeit, das Redlich in die Formel vom „Verein auf gegenseitige Hochachtung“ goss, habe ich oben wiederholt angesprochen. Als Emigranten und Außenseiter kannten Redlich und Masur die Kehrseite solcher Zunftsolidarität: Wo die metaphorische Mitgliedschaft im Verein nicht bestand, war auch die Hochachtung nicht zu erwarten. Redlichs Kritik am Rezensionswesen lautete also, dass soziale Faktoren es dominierten, so dass Zugehörigkeit zu einer Gruppe entscheidend für die Inhalte von Rezensionen war.²⁵ Als Gegenmittel
Leonard Krieger: Rezension zu Gerhard Masur, Prophets of Yesterday. Studies in European Culture, 1890 – 1914, New York 1961; in: AHR 68 (1962), Nr. 1, S. 101 f. Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/62: Brief Fritz Redlich an Gerhard Masur, Belmont, Massachusetts 08.06.1963. Vgl. Ottner: Zwischen Referat und Recension, S. 62, wo sie die Alternative zwischen „Versuchen der Exklusion“ und der „Etablierung einer professionellen oder privaten Solidarität inner-
7.1 Vorüberlegungen
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präsentierte Redlich sein Vorgehen beim Verfassen von Rezensionen, bei dem er in Titel oder Einleitung erhobene Ansprüche einer Publikation auf ihre Realisierung prüfte. Für Redlich sollte Wissenschaft „bescheiden und grundehrlich“ auftreten, statt überzogene Geltungsansprüche zu formulieren, die sie nicht einlösen konnte. Aufgrund seiner Sachorientierung galt Redlich, obwohl er sich selbst als „unbequemer reviewer“ sah, unter Kollegen als vorbildlicher Kritiker: „This quality of honesty made him an immensely valuable critic of others’ writing. If one were willing to pay the price of submitting to an unflinching, thoroughgoing critique, the reward was great. […] His criticism was so valuable, not just because he bore in on details, but also because he stimulated one to a broader vision.“²⁶
Auch heute werden ähnliche Präferenzen für deutliche Kritik noch gepflegt, obwohl insbesondere publizierte Kritik sich weiterhin gern auf reine Sachreferate beschränkt oder gar Redlichs „Verein auf gegenseitige Hochachtung“ zuzurechnen ist: „Und es schmerzt empfindlich, dass Kritikkultur oft als Wert verteidigt werden muss – gegen Quietismus und Scheu, die sich gerne auf bloße längliche Inhaltsangaben zurückziehen möchten, wo wertender und kompakter Klartext in Urteilsform auch unter Kollegen erforderlich wäre.“²⁷
7.1.3 Rezensionsanalyse als Methode Bevor ich zur Untersuchung der 23 Rezensionen übergehe, die in der HZ in den fünfzehn Jahren zwischen ihrem Wiedererscheinen 1949 und dem Höhepunkt der Fischer-Kontroverse 1964 über Schriften der vorgestellten Emigranten erschienen, werde ich die Methode erläutern, die eine mehrdimensionale Analyse der zwischen vierzehn Zeilen und sieben Seiten langen Texte erlauben soll. Es widerspricht der ersten Intuition vieler Wissenschaftler, bei der Untersuchung von Rezensionen als Quellengattung zur Beantwortung wissenschaftsge-
halb der ‚Zunft‘“ erläutert, die für verschiedene Fachzeitschriftsprojekte insbesondere gegen Ende des 19. Jahrhunderts von großer Bedeutung war. Vgl. auch die Benennung dieser Dimension als „relational critique“ durch Oliver Dimbath/Stefan Böschen: Forms of Articulating Epistemic Critique: the Necessity and Virtue of Internal Skepticism in Academia; in: Science & Technology Studies 30 (2017), Nr. 1, S. 40 – 50 (DOI: 10.23987/sts.56998), hier S. 45. Carpenter/Chandler: Fritz Redlich, S. 1006. Ergänzend Arcand: Fritz Redlich, S. 220: „Fritz Redlich had a passion for truth. His guiding principle was to follow the truth wherever the truth shall lead us. It must be ours, also.“ Vec: Läuse suchen. Vgl. Ottner: Zwischen Referat und Recension, S. 62.
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7 Rezensionsanalysen: Rezeption transatlantischer Gastprofessoren
schichtlicher Fragen diese Texte für sich zu betrachten und nicht in erster Linie als verursacht von den besprochenen Büchern wahrzunehmen: Hier sollen die besprochenen Bücher jedoch weitestgehend außer Acht gelassen werden, um das Problem zu umgehen, dass der Forscher durch Untersuchung eines besprochenen Buches selbst insgeheim zum Rezensenten jenes Werkes wird und so in Konkurrenz zum eigentlich interessierenden Rezensenten tritt. Die wichtigste Frage in der Rezensionsanalyse – was der Rezensent seinen Lesern eigentlich mitteilen wollte – würde dann überdeckt durch die Frage, ob er mit seiner Beurteilung des Buches recht hatte, oder historisch reflektiert, ob seine Beurteilung auch aus einer heutigen Perspektive als richtig eingeschätzt werden könnte. Ein Beispiel: Fand der Rezensent Hans Rosenbergs Bureaucracy, Aristocracy and Autocracy nicht überzeugend, halten wir es aber für wichtig und wegweisend für spätere Erkenntnisse zum Thema, dann stellt sich nicht die Frage, wer recht hat, respektive, warum der Rezensent sich vor 60 Jahren irrte. Vielmehr muss die Rezensionsanalyse danach trachten, die Aussagen der Rezension zu verstehen, den Rezensenten zu verstehen und die Gründe seiner Beurteilung zu rekonstruieren.²⁸ Denn diese Beurteilungsgründe sind die beste Entsprechung der Rückwirkungsbedingungen der Emigranten, welche die Analyse aufzudecken trachtet. Die Suche nach eben jenen vergangenen Rückwirkungsbedingungen erfordert das Außer-Acht-Lassen einer möglichen gegenwärtigen Rezeption (durch Re-Lektüre), die lediglich die gegenwärtigen Rückwirkungsbedingungen aufzeigen könnte. Zu den aufschlussreichsten aus HZ-Rezensionen zu gewinnenden Informationen zur Emigranten-Rückwirkung gehört die Beantwortung der Frage, was – in der HZ als Zentrale der deutschen Geschichtswissenschaft – gerade nicht erwähnt, nicht wahrgenommen wurde. Umgekehrt ist natürlich auch festzustellen, welche Emigranten besonders intensiv besprochen wurden, welche Bücher Eingang in die HZ-Rezensionsseiten fanden und wer die Rezensenten waren. Diese Daten fallen ebenso unter die quantitative Analyse des Rezensionskorpus wie die Auskünfte über den Anteil von Rezensionen über Emigranten-Werke zum gesamten Besprechungsteil der HZ und über etwaige Konjunkturen von EmigrantenLiteratur in der Zeitschrift. Solche Konjunkturen können eine besondere Häufung von hier erfassten Rezensionen in einem bestimmten Zeitraum bedeuten, oder auch eine Veränderung der durchschnittlichen Bewertung der besprochenen Werke durch die Rezensenten. Um letzteres feststellen zu können, lässt sich der Besprechungstext zur ersten Annäherung an die Beurteilung eines rezensierten
Vgl. Lorenzer: Die Wahrheit, insbesondere S. 108.
7.1 Vorüberlegungen
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Buches durch den Rezensenten in eine ‚Schulnote‘ übersetzen.²⁹ Dabei ist gemäß obiger Überlegungen zu beachten, dass es sich bei einer solchen Bewertungszahl weder um eine Beurteilung der Rezension handeln darf, noch um eine Beurteilung des rezensierten Werkes aus heutiger Sicht. Die ‚Schulnote‘ soll lediglich zusammenfassen und in eine Intervallskala überführen, wie der Rezensent das besprochene Werk beurteilt hat. In einem weiteren Untersuchungsschritt ist danach zu fragen, was die Rezensenten für kritikwürdig halten, und was sie lobend erwähnen. Damit sind auch die Begründungstypen der oben genannten Beurteilungen festzuhalten. Während die zur quantitativen Auswertung gezählte Beurteilung eines Werkes in einer Rezension nicht explizit erfolgt, jedenfalls nicht bereits in Form einer Schulnote, und daher für die Analyse aus der Rezension abgeleitet werden muss, sind Lob, Kritik und Beurteilungsbegründungen direkt in der Rezension vorhanden und müssen lediglich als solche identifiziert und kategorisiert werden. Um durch Rezensionsanalysen die Rückwirkungsbedingungen herauszuarbeiten, ist es außerdem erforderlich, neben der unmittelbar verstandenen (aber impliziten) Bewertung und den explizit in einer Rezension genannten Vorzügen und Mängeln auch die Aspekte der Rezeption zu erörtern, die nicht explizit gesagt sind, die vielleicht für den Rezensenten nicht offen sagbar waren, oder diesem nicht einmal bewusst. Mit Hilfe der Tiefenhermeneutischen Kulturanalyse nach Alfred Lorenzer können derartige implizite Gehalte von Texten aufgespürt und nachvollziehbar expliziert werden.³⁰ Lorenzer folgend gehe ich davon aus, dass das logische Verstehen des Gesagten sowie das psychologische Verstehen des Sprechers herkömmliche Bestandteile der klassischen Hermeneutik sind und damit zu den traditionellen Werkzeugen der Geschichtswissenschaft zählen. Die Erläuterung des von Lorenzer so genannten szenischen Verstehens als des Verstehens von Situationen einschließlich ihrer unbewussten Anteile ist ein wesentlicher Schritt zur Fruchtbarmachung der Psychoanalyse für die kulturwissenschaftliche Methodenlehre, ohne dabei die untersuchten Personen zu Patienten zu machen und ihr Verhalten zu pathologisieren.³¹ Auf der Bewusstmachung des szenischen Si-
Die Frage, wie ein Rezensent ein Werk beurteilt hat, lassen Hartmann/Dübbers: Kritik in der Wissenschaftspraxis, S. 96, lediglich mit den Werten „positiv“, „negativ“ und „unentschieden“ angeben. Dagegen verwenden sie ebenda, S. 80 f., ‚Schulnoten‘ für die Beurteilung der Qualität einer Rezension. Erklären lässt sich dieser Unterschied wohl damit, dass Qualitätsurteile intuitiv mit einer Schulnoten-Skala verknüpft sind. Lorenzer: Tiefenhermeneutische Kulturanalyse; Lorenzer: Sprachzerstörung und Rekonstruktion, S. 138 – 194; vgl. als Beispiel Lorenzer: Verführung zur Selbstpreisgabe. Vgl. ebenda, S. 173 f. und S. 181.
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tuationsverstehens durch Explikation und auf der Kombination mit logischem und psychologischem Verstehen beruht die tiefenhermeneutische Analyse zur Erkenntnis verborgener Wünsche und Abwehrvorgänge. Die in Texten auf logischer, psychologischer und szenischer Ebene enthaltenen Widersprüche führen zur Irritation des Lesers, die dieser üblicherweise übergeht, da er sie durch Ergänzung impliziter Annahmen, Kontextualisierung oder einfach Vernachlässigung als unbedeutend zu beseitigen versucht, um – gemäß der klassischen Hermeneutik – zu einem möglichst konsistenten Textverständnis zu gelangen und den wahrscheinlich gemeinten Inhalt des Textes zu verstehen.³² Zur tiefenhermeneutischen Analyse der HZ-Rezensionen habe ich hingegen systematisch nach diesen Irritationen gesucht, um aus ihnen eine tiefenhermeneutische Deutung desjenigen Sinns zu gewinnen, der im Text verdrängt und unterdrückt ist. Erstens habe ich logischen Widersprüchlichkeiten zwischen den einzelnen Aussagen der jeweiligen Rezension nachgespürt. Zweitens habe ich auf psychologischer Ebene nach den Sprachfiguren gefragt, die Kommunikationsund Interaktionsformen – und damit die Haltung des Rezensenten – ausdrücken, um Spannungen zwischen verschiedenen ausgedrückten Haltungen aufzufinden. Und drittens galt meine Aufmerksamkeit den irritierenden ‚Szenenwechseln‘ zwischen verschiedenen im Text repräsentierten lebenspraktischen Situationen, die insbesondere durch die ‚Rollen‘ deutlich werden, in denen die Beteiligten – typischerweise zumindest Rezensent, Rezensierter und Publikum – im Text auftreten. Nach dem in einer Rezension Verborgenen lässt sich auf Basis dieser Analysen fragen. Der dabei rekonstruierte Gehalt kann entweder für den Rezensenten individuell oder für die Kommunikationsgemeinschaft unaussprechbar sein. Die serielle tiefenhermeneutische Rezensionsanalyse sucht letztlich nach den von der Historikerzunft der Nachkriegszeit kollektiv verdrängten Sinngehalten, weshalb ich in Abschnitt 7.2.3 die markantesten Irritationen, Widersprüchlichkeiten und Szenen der untersuchten Rezensionen erläutere, um die tiefenhermeneutische Deutung des Gesamtkorpus zu fundieren.³³
Leithäuser/Volmerg: Anleitung zur empirischen Hermeneutik; König: Tiefenhermeneutik, S. 563. Vgl. Ebenda, S. 566.
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7.2 Rezensionen in der Historischen Zeitschrift 1949 – 1964 7.2.1 Quantitative Analysen Das 1978 erschienene Register zu Band 169 (1949) bis 199 (1964) der HZ³⁴ verzeichnet 23 Rezensionen über Schriften, die von den sechzehn hier untersuchten Gastprofessoren verfasst, bearbeitet oder herausgegeben wurden.³⁵ Darunter befindet sich eine Rezension eines Zeitschriftenaufsatzes, was daher rührt, dass auch die HZ-Rubrik „Notizen und Nachrichten“ ausgewertet wurde, in der sich unter anderem Anzeigen erschienener Aufsätze wiederfinden, die eine Länge von wenigen Zeilen bis zum Umfang vollwertiger Rezensionen haben können. Allerdings führt das Register nur die „ausführlicheren“ dieser Texte auf.³⁶ Den größten Anteil am vorliegenden Korpus haben zehn Besprechungen zu Guido Kisch, die sowohl die erste einschlägige Rezension 1950 umfassen als auch die letzte 1964. Dazwischen wurde lediglich George W. F. Hallgarten mehrfach, nämlich dreimal, berücksichtigt. Felix Gilbert, Hajo Holborn und Theodore von Laue sind insofern Sonderfälle, als sie als Beiträger im von Gilbert und Gordon A. Craig herausgegebenen Sammelband The Diplomats nochmals in kleinerem Rahmen gewürdigt wurden. Abgesehen von den genannten wurden sechs der Emigranten je einmal rezensiert. Auffallend ist, dass alle 23 Besprechungen von unterschiedlichen deutschen Historikern stammen, was durchaus als Ausdruck von Vielfalt der Stimmen in der HZ gewertet werden kann. Nicht bis 1964 für ausführliche Rezensionen berücksichtigt wurden aus der Untersuchungsgruppe Fritz T. Epstein, Fritz M. Heichelheim und Felix E. Hirsch, sowie die nach 1914 geborenen Emigranten Manfred Jonas und Klemens von
Historische Zeitschrift. Register zu Band 169 (1949) bis 199 (1964), bearbeitet von Hubertus von Schrottenberg, München 1978. Vgl. die Liste der untersuchten Rezensionen im Anhang; zum Umgang mit ihnen oben, Anmerkung 5 auf S. 467. Historische Zeitschrift. Register 1949 – 1964, S. III (Vorwort). Die Untersuchung von nicht im Register aufgeführten, nur wenige Zeilen langen Anzeigen, erschien hier verzichtbar, da dafür eine eigene Vorgehensweise erforderlich wäre. Mit elektronischen Volltextanalysen der Historischen Zeitschrift lassen sich eine ganze Reihe von weiteren Erwähnungen der Untersuchungspersonen in der HZ aufspüren, darunter in den im Register ausgelassenen Anzeigen, in den Listen von Neuerscheinungen, die letztlich keine Rezension erhielten, in Werbeanzeigen für Neuerscheinungen, sowie in weiteren Notizen zu ihrer Tätigkeit, beispielsweise zur Leitungsfunktion von Hallgarten und Fritz Epstein bei der Verfilmung deutscher Akten in den USA, so Kurt Kluxen: Rezension zu The American Historical Association Committee on War Documents, Index of Microfilmed Records of the German Foreign Ministry and the Reich’s Chancellery covering the Weimar Period, bearb. von Ernst Schwändt, Washington 1958; in: HZ 188 (1959), S. 470 f.
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Klemperer. Allerdings konnten für alle von ihnen außer Jonas kurze Anzeigen im Untersuchungszeitraum nachgewiesen werden. Jonas ist nicht nur die jüngste Untersuchungsperson – allerdings nur wenige Monate jünger als Klaus Epstein –, sondern auch der einzige Spezialist für US-amerikanische Geschichte, was seine Vernachlässigung erklären mag.³⁷ Die Berücksichtigung aller anderen Untersuchten betont den Anspruch der HZ auf Allgemeinheit und Vollständigkeit des Forschungsüberblicks: Die emigrierten Historiker wurden nicht ignoriert oder beschwiegen, zumindest sofern sie Professoren waren. Dabei kann man jedoch in der Menge der Rezensionen von einer Unterrepräsentierung der untersuchten Emigranten sprechen: Als Annäherung an ihre quantitative Bedeutung im HZ-Rezensionsteil kann gelten, dass zusammen rund eine von 300 Spalten im Rezensentenregister der HZ auf die 23 hier einschlägigen Rezensionen entfällt. Gemessen daran, dass es etwa 1960 in BRD, DDR, Österreich und der Schweiz nur 124 Geschichtslehrstühle gab,³⁸ könnte man einen höheren Anteil der Gastprofessoren am Rezensionsaufkommen erwarten. Die untersuchten Emigranten verfassten im selben Zeitraum 48 Besprechungen für die HZ, also rund doppelt so viele wie über sie geschrieben wurden.³⁹ Die transatlantischen Gastprofessoren standen demnach nicht im Zentrum der HZ-Aufmerksamkeit. Über die sechzehn HZ-Jahrgänge von Neugründung bis 1964 verteilen sich die untersuchten Besprechungen (ähnlich wie die Gastprofessuren) recht gleichmäßig, bei einem Maximum von vier Rezensionen 1961. Ordnet man den Rezensionen Wertungskennziffern zu, die wie Schulnoten in Deutschland zwischen 1 (sehr positive Bewertung) und 6 (sehr negative Bewertung) liegen, so zeigt sich ein leichtes Überwiegen negativer Bewertungen im Urteil der Rezensenten an einem Durchschnittswert von 3,7. Fünf Besprechungen sind dabei als „ohne Bewertung“ außer Acht gelassen, es gab ein sehr positives und zwei sehr negative Urteile. Ein deutlicheres Ergebnis ergibt die getrennte Betrachtung nach Jahrzehnten: Während der Durchschnitt der fünfziger Jahre mit 4,1 eine insgesamt negative Gesamtbewertung darstellt, zeigt die hier betrachtete erste Hälfte der sechziger Jahre mit 2,6 das Vorherrschen positiver Urteile. Dies deutet als erste Orientierung auf eine Verbesserung des Emigranten-Ansehens mit der Zeit hin, was die anschließenden Untersuchungsschritte diskutieren.⁴⁰ Durch
Manfred Jonas wird erstmals in Eingegangene Bücher; in: HZ 239 (1984), S. 784– 792, hier S. 790, erwähnt, und zwar mit Jonas: The United States and Germany. Eine Besprechung des Buches, selbst als kurze Anzeige, erfolgte jedoch nicht. Der 1959 in Harvard promovierte Jonas war seit 1967 Professor am Union College, Schenectady. Weber: Priester der Klio, S. 53, Tabelle 1. Vgl. unten, Abschnitt 7.3.1 ab S. 503. Vgl. insbesondere Abschnitt 7.3.2 ab S. 509.
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die Analyse der expliziten und impliziten Grundlagen dieser Bewertungstendenzen möchte ich zeigen, dass und warum sie das Verhältnis der deutschen Historikerzunft zu den als Gastprofessoren in den deutschsprachigen Raum zurückwirkenden Emigranten treffend illustrieren.
7.2.2 Qualitative Analysen Das Überwiegen negativer Bewertungen in Rezensionen von Emigranten-Werken während der fünfziger Jahre machte sich auch dadurch bemerkbar, dass die geäußerte Kritik – in der Formulierung wie in der Sache – teilweise sehr scharf war. Vergleichbar deutliches Lob ist in den untersuchten Rezensionen die Ausnahme, wenngleich zurückhaltende Anerkennung für einzelne Aspekte in vielen Besprechungen vorkommt. Denn die Historische Zeitschrift der Nachkriegsjahre verstand sich als führende und seriöse geschichtswissenschaftliche Fachzeitschrift: Erstens formulierten die meisten Rezensenten in einem ernsthaften, sachlichen und über Parteienstreit erhabenen Tonfall, umso mehr, als die HZ als große alte Dame der Geschichtswissenschaft das angegriffene Renommee der deutschen Geschichtsforschung auch im Ausland wiederherstellen helfen sollte.⁴¹ Ausbrüche aus diesem getragenen Stil kennzeichnen eine besondere emotionale Involviertheit des Rezensenten, setzten sich aber auch deshalb nicht durch, weil verächtliche ideologische Polemik, Hetztiraden und pöbelhaftes Geschrei als Attribute der nationalsozialistischen Propaganda galten, die den bürgerlichkonservativen deutschen Historikern schon in der Weimarer Zeit zuwider gewesen waren. Während sich manche Historiker unter dem Eindruck der gegen Abweichung mit allen Mitteln zu verteidigenden „Volksgemeinschaft“ oder gar im Rahmen des „Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaften“⁴² zu solchen Tönen im Namen des „Dritten Reichs“ verstiegen hatten, lehnte man Derartiges nun größtenteils ab. Zweitens besann man sich auf die traditionellen Werte der deutschen Geschichtswissenschaft, die nicht nur als Anspruch an zu besprechende Werke erhoben wurden, sondern auch in der Form der Rezensionen ihren Ausdruck fan-
Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 87. Gilbert: German Historiography, S. 58, merkt im Oktober 1947 als Markstein für den Neuaufbau der deutschen Geschichtswissenschaft an: „It has just recently been announced that, in the near future, the Historische Zeitschrift will reappear, under the editorship of L. Dehio.“ Vgl. Schönwälder: Historiker und Politik; Wolf: Litteris et patriae.
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den: Das Bemühen um ausgewogene Urteile, neutrale Unaufgeregtheit und Gerechtigkeit gegenüber dem Gegenstand, das Historiker traditionell gemäß ihrer Ausbildung verinnerlicht hatten, tritt in vielen Rezensionen hervor.⁴³ So werden etwa nach zu viel Kritischem noch einige positive Bemerkungen hinzugefügt oder nach dem (auch noch so geringen) Nutzwert von eigentlich als unbrauchbar beurteilten Schriften gesucht. Während die historistische Tradition und der allgemeine Wissenschaftlichkeitsanspruch aggressives Abwehrverhalten auch – vielleicht sogar besonders – gegenüber Emigranten zähmte, gab es dennoch eine deutliche Tendenz zur Ablehnung von Emigrations-Geschichtswissenschaft. Aus diesem Widerspruch gingen zwei Phänomene hervor, die ich als typisch für Rezensionen von Emigranten-Literatur in dieser Zeit betrachte: Sie lassen sich bildhaft als „vergiftetes Lob“ und als „Ausschluss aus der Zunft“ bezeichnen. Wenn ein Rezensent etwas Positives über eine Schrift zu sagen wünscht, ihm aber nichts wirklich Positives in den Sinn kommt, kann das Ergebnis ein „vergiftetes Lob“ sein. Mit diesem Begriff fasse ich ambivalente Formulierungen, die auf den ersten Blick Anerkennung oder Zustimmung ausdrücken, sich bei näherem Hinsehen jedoch als implizite Einwände, Vorbehalte oder Tadel entpuppen, die bewusst oder unbewusst in den Text geflossen sein können. Schließlich tritt in der Besprechung in beiden Fällen eine Ambivalenz auf, die als Indiz verborgener Vorbehalte gedeutet werden kann. Damit ist die Identifikation von vergiftetem Lob bereits ein erster Schritt zur tiefenhermeneutischen Untersuchung der Rezensionen. In zehn der untersuchten Rezensionen ließ sich solch vergiftetes Lob – manchmal mehrfach – auffinden.⁴⁴ Hier müssen einige Beispiele genügen. Der „Titel ist vielversprechend“⁴⁵ könnte eine positive Aussage sein. Meint man jedoch, wie Werner Conze über Hallgartens Imperialismus-Buch, dass der Titel zu viel verspreche, was das Buch nicht halten könne, so verwandelt sich die Formulierung vom vielversprechenden Titel in einen impliziten Vorwurf der Irreführung des Lesers. Dass „mit dem Gedankenreichtum und der Kenntnisfülle des Vf.s […] der Rezensent (und wohl auch die meisten Leser) nur mühsam Schritt halten“⁴⁶ können, ist zunächst eine bewundernde Aussage Dietrich Gerhards über
Vgl. auch oben, Abschnitt 6.4 ab S. 450 für die expliziten Aufforderungen der HZ-Herausgeber an ihre Rezensenten. Conze: Hallgarten (1953); Mommsen: Misch; Gerhard: Rosenstock-Huessy; Baum: Hallgarten; Milatz: Holborn; Schraepler: Hallgarten; Terveen: Rosenberg; Kluke: Craig/Gilbert; Schochow: Kisch/Roepke; Schottenloher: Kisch. Conze: Hallgarten (1953). Gerhard: Rosenstock-Huessy.
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die geistigen Fähigkeiten Rosenstock-Huessys, doch genauer betrachtet rät er von der Benutzung des betreffenden Buches als unverständlich oder zumindest schwer zugänglich ab. Alfred Milatz erkennt Holborns „Distanz des Amerikaners und die Nüchternheit seines Urteils über das europäische Schicksal“⁴⁷ an, durchaus positive Attribute für Historiker. Doch in diesem Fall macht der „Zusammenbruch des europäischen Staatensystems […] und seine endgültige Vernichtung“⁴⁸ Holborns Haltung gemäß Milatz’ Tonfall zu Mitleidlosigkeit und Verständnislosigkeit. „Aus der Not […] eine Tugend zu machen“⁴⁹ lobt die Leistung des Mitherausgebers Gilbert, doch Paul Kluke drückt damit zugleich aus, dass der besprochene Sammelband auf widrigen Umständen basiere, die das Ergebnis besser erscheinen lassen, als es unter normalen Bedingungen zu beurteilen wäre. Und schließlich ist es als Zufall – nicht etwa als lobenswerte Leistung – konnotiert, wenn Otto Schottenloher von „einer der glücklichsten philologischen Entdeckungen des Vf.s“⁵⁰ Kisch schwärmt. Man könnte annehmen, es handle sich gar nicht in jedem der zahlreichen Fälle um ein nur scheinbares – vergiftetes – Lob, zumal der Gesamteindruck der Bewertung ja manchmal positiv ist. Doch dazu müsste man es als zufällig beiseiteschieben, dass die Rezensenten diese ambivalent interpretierbaren Formeln gewählt haben, anstatt eindeutigere, deutlichere Lobesworte zu finden. Der große Teil positiver Aussagen in den untersuchten Rezensionen, der sich als vergiftet erweist, eröffnet freilich die Frage, wie verbreitet derart verhohlene Spitzen in wissenschaftlichen Besprechungen generell sind. Für den Erfolg deutschsprachiger Historiker, ihr Ansehen und ihren Einfluss war lange ihre Zugehörigkeit zur historischen Zunft und ihre Stellung darin ausschlaggebend. Die Zunft-Metapher täuscht dabei darüber hinweg, dass die innere Ordnung der deutschen Historiker nicht formal und nicht rechtsförmig verfasst war. Die Mitgliedschaft in einem solchen Verbund musste also informell geregelt sein⁵¹ und war dementsprechend dehnbar: Mangels beschließender Gremien meint „Ausschluss“ in dieser Metaphorik den symbolischen Akt, jemandem die Zugehörigkeit öffentlich abzusprechen. Die Folgen einer solchen Symbolhandlung waren freilich nicht so schwerwiegend wie ein Berufsverbot. Wenn ein Ausschluss-Verdikt jedoch – qua argumentativer Kraft oder qua Ansehen des Urteilenden – so wirksam war, dass es breite Zustimmung und Befolgung unter den anderen Zunftmitgliedern fand, so konnte dies bedeuten, dass Fachzeit
Milatz: Holborn. Ebenda. Kluke: Craig/Gilbert. Schottenloher: Kisch. Vgl. Weber: Priester der Klio.
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schriften Aufsätze des Betroffenen künftig ablehnten, Fachverlage bei Publikationen zurückhaltend wurden oder die Chancen auf eine Lehrstuhl-Berufung oder anderweitige Anstellung sanken.⁵² Die übliche Wirkung einer ablehnenden Besprechung dürfte primär ein Ansehensverlust innerhalb der Historikerzunft gewesen sein. Für den Schaden, den eine Rezension anrichten konnte, waren Ansehen und Stellung des Rezensenten wichtig, die seinen Einfluss ausmachten. Die Schärfe einer negativen Bewertung legte das Ausmaß des in Frage stehenden Ansehensverlustes fest. Die vom Rezensenten vorgebrachten Gründe einer Ablehnung beeinflussten seine Überzeugungskraft. Die gegenüber den emigrierten Historikern vorgebrachten Kritikpunkte – und jeweils vorangestellt die entsprechenden Belobigungen – ordne ich im Folgenden gemäß der drei Aspekte an, unter denen sie für einen Ausschluss aus der deutschen Historikerzunft in Frage kamen: Erstens konnte durch entsprechende kritische Bemerkungen der Status eines rezensierten Autors als Historiker bestritten werden. Zweitens konnte ein Rezensent die Wissenschaftlichkeit einer Schrift – oder der Arbeit eines Forschers insgesamt – leugnen. Und drittens war es möglich, einen Emigranten als Angehörigen einer anderen Nation zu kennzeichnen und ihm als ‚Nicht-Deutschem‘ die Zugehörigkeit zur deutschen Historikerzunft abzusprechen.⁵³
Beispiele stellen Karl Lamprecht, Ludwig Quidde und Fritz Fischer dar, die aus unterschiedlichen Gründen mit Anfeindungen der Kollegen zu kämpfen hatten. Vgl. Chickering: The Lamprecht Controversy; Holl: Ludwig Quidde, S. 93 – 99; Konrad H. Jarausch: Der nationale Tabubruch. Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik in der Fischer-Kontroverse; in: Martin Sabrow/ Ralph Jessen/Klaus Große Kracht (Hg.): Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen seit 1945, München 2003, S. 20 – 40. Diese Tendenz, die Grenzen der Zunft so zu ziehen, dass Emigranten außen vor blieben, findet sich nicht nur in Rezensionen, sondern auch in einem offiziellen Beschluss des Historikerverbandes (VHD) von 1949, in dem er behauptete, dass „bisher kein einziger deutscher Fachvertreter dazu [zu Editionsreihen deutscher politischer Akten] herangezogen worden“ sei (Entschließungen des deutschen Historikertages; in: HZ 169 (1949), Heft 3, S. 669 f.). Denn währenddessen waren Fritz Epstein und andere Emigranten aufgrund ihrer Expertise und der im OSS erworbenen Erfahrungen genau daran beteiligt. Allerdings war der Impuls verbreitet, „foreigners and emigré historians“ aus der deutschen Zeitgeschichtsforschung auszuschließen, so Astrid M. Eckert: The Transnational Beginnings of West German Zeitgeschichte in the 1950s; in: Central European History 40 (2007), S. 63 – 87 (DOI: 10.1017/S0008938907000283), hier S. 68 f.; vgl. Astrid M. Eckert: Kampf um die Akten. Die Westalliierten und die Rückgabe von deutschem Archivgut nach dem Zweiten Weltkrieg, Stuttgart 2004. Über seine eigene Beteiligung an dieser Entwicklung als junger Emigrant berichtet Gerhard L. Weinberg: German Documents in the United States; in: Central European History 41 (2008), S. 555 – 567 (DOI: 10.1017/S0008938908000848), sowie Weinberg: Issues. Unter deutschen Zeithistorikern bekannt gemacht wurde die Beteiligung von Epstein und
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Die tradierten Wertorientierungen der deutschen Historiker gaben vor, dass als lobenswerte Eigenschaften historiographischer Werke vor allem Sorgfalt, Empathie und Unparteilichkeit gelten mussten. In sechs der untersuchten Besprechungen wird die Sorgfalt des Autors anerkennend bemerkt,⁵⁴ ob in Form der Gewissenhaftigkeit,⁵⁵ der umfassenden Quellen‐⁵⁶ oder Literaturkenntnis,⁵⁷ oder gar wegen der Erstellung eines „sorgfältigen Index“.⁵⁸ Fünf Rezensenten fanden die Einfühlungsgabe oder die Lebendigkeit der Darstellung positiv bemerkenswert,⁵⁹ wobei Heinrich von Srbiks Beurteilung von Laues Ranke-Darstellung als „recht verständnisvoll“⁶⁰ die Untergrenze möglichen Lobes nur knapp überschreitet. Insiderkenntnisse werden dagegen Misch und Masur zugesprochen, da ersterer in der Weimarer Zeit den von ihm untersuchten „Vorgängen und Personen nahestand“,⁶¹ letzterer seine Bolívar-Biographie „infolge gründlicher Kenntnis des südamerikanischen Milieus lebensnah gestaltet“⁶² hatte, als er im kolumbianischen Exil festsaß.⁶³ Lediglich viermal werden Neutralität oder Ausgewogenheit gerühmt,⁶⁴ wozu ebenso Gerechtigkeit⁶⁵ gehört wie auch der „große Vorzug“ von Holborns Zusammenbruch des europäischen Staatensystems, das nach Alfred Milatz „nicht im Ideologischen oder Tagespolitischen sich verhaftet“.⁶⁶ Epsteins „abgewogenes Erzbergerbild“⁶⁷ erhält dabei noch größeren Beifall
Weinberg am War Documentation Project durch eine Notiz in der ersten Ausgabe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte: Deutsche Archive und Dokumente in Alliierter Verwaltung; in: VfZ 1 (1953), Heft 1, S. 95 f.; bald darauf publizierte Epstein sein eigenes Referat vom Annual Meeting der AHA 1953 in deutscher Übersetzung und betonte, dass die Akten auch deutschen Forschern zugänglich seien: Fritz T. Epstein: Zur Quellenkunde der Neuesten Geschichte; in: VfZ 2 (1954), Heft 3, S. 313 – 325. Fehr: Kisch; Drascher: Masur; Mommsen: Misch; Milatz: Holborn; Bracher: Epstein; Schochow: Kisch/Roepke. Fehr: Kisch. Drascher: Masur. Mommsen: Misch; vgl. Milatz: Holborn. Bracher: Epstein; vgl. „verläßliches Verfasserregister“ bei Schochow: Kisch/Roepke. Drascher: Masur; Srbik: Laue; Mommsen: Misch; Bracher: Epstein; Moeller: Kisch. Srbik: Laue. Mommsen: Misch. Drascher: Masur. Bracher: Epstein, lobt den „Ton kritischer Sympathie“ in „einer eindringlichen Analyse“. Moeller: Kisch, hingegen bringt als einzige positive Bemerkung, dass Kisch „seine Forschungen zu einem lebendigen Bild“ seines Stoffes zusammengefasst habe. Drascher: Masur; Milatz: Holborn; Bracher: Epstein; Terveen: Rosenberg. Drascher: Masur. Milatz: Holborn. Bracher: Epstein.
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als Rosenbergs „durchweg recht abgewogen[e]“⁶⁸ Darstellung preußischer Verwaltungspraxis. Die Gegensätze der genannten Pluspunkte sind etwas schärfer formuliert und anders verteilt: Mangelnde Sorgfalt werfen die Rezensenten Masur und Klaus Epstein nur sehr zahm als „stilistische Unebenheiten“⁶⁹ und „einige kleinere Versehen“⁷⁰ vor, während für Werner Conze die Arbeit Hallgartens „voll von kleinen Nachlässigkeiten und Fehlern ist, die ein äußeres Zeichen für mangelnde wissenschaftliche Sauberkeit sind. Es handelt sich um sachliche Irrtümer, um nachlässiges Zitieren, um Schreibweise von Namen u. dgl.“,⁷¹ was Conze sogar dazu brachte, 1966 die „2. durchgearbeitete und stark erweiterte Auflage“ des Buches für die HZ zu besprechen und „keine wesentlichen Änderungen“⁷² zu konstatieren. Hier gibt Conze einen doppelten Hinweis zum Ausschluss Hallgartens aus der Zunft, da dieser nicht nur die für Historiker übliche Sorgfalt vernachlässigt, sondern sogar „mangelnde wissenschaftliche Sauberkeit“ bewiesen habe.⁷³ Das Gegenstück zur gelobten Empathie und Lebensnähe findet sich in der Kritik an mechanisch-geradliniger und monokausaler Darstellung der geschichtlichen Entwicklung, die in sechs Fällen geäußert wird.⁷⁴ Typisch ist dabei der Vorwurf Srbiks, Laue habe Ranke „vom heutigen Tag aus zensiert und hierbei, wie es jetzt so oft geschieht, viel zu feste Verbindungslinien“⁷⁵ gezogen. Srbik betont gesondert die Häufigkeit solcher Kontinuitätslinien zwischen der deutschen Geschichte und dem Nationalsozialismus, wie es auch Hans Fehr und Fritz Terveen bei Kisch und Rosenberg feststellten.⁷⁶ Hallgarten machen Werner Conze und Ernst Schraepler unabhängig voneinander die „Monokausalität“ zum Vorwurf, mit der er Imperialismus und Diktatur wirtschaftlich erklären wolle.⁷⁷ Dietrich
Terveen: Rosenberg. Drascher: Masur. Bracher: Epstein. Conze: Hallgarten (1953). Diese Rezension ist Bestandteil des in Abschnitt 7.3.2 untersuchten Korpus: Conze: Hallgarten (1966). Anzumerken ist, dass Conze zusätzlich von einer „vielfach recht leichtfertigen Quellenbenutzung“ spricht und die Terminologie als „nicht präzis“ abqualifiziert. In der Neurezension verwendet Conze 1966 dieselben Vorwürfe, indem er ungleichmäßige und unvollständige Literaturergänzungen betont – bei russischer Literatur zudem „in nachlässiger Transkription“. Fehr: Kisch; Srbik: Laue; Conze: Hallgarten (1953); Gerhard: Rosenstock-Huessy; Schraepler: Hallgarten; Terveen: Rosenberg. Srbik: Laue. Fehr: Kisch; Terveen: Rosenberg. Conze: Hallgarten (1953); Schraepler: Hallgarten.
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Gerhard schließlich kreidet Rosenstock-Huessy an, dass er die Geschichte in ein „nicht angemessenes Schema“ zwinge und „das imponierende historische Tatsachenmaterial einer bestimmten These angepaßt“⁷⁸ habe. Für mindestens ebenso wichtig halte ich den Vorwurf der Parteilichkeit, der fünffach auftritt⁷⁹ und dem Neutralitäts- und Objektivitätsideal der deutschen Historikerzunft widerstreitet. In unterschiedlichen Formulierungen tritt er als „deutliche Befangenheit“ mit „stets wertenden und anklagenden Formulierungen“⁸⁰ oder „voreingenommene verallgemeinernde Betrachtungen“ mit „praktisch-politische[n] Folgerungen“⁸¹ auf. Etwas abgemildert ist die Bezeichnung als „politische[r] Kommentar“⁸² oder „einseitige politische Aussage“ mit „bedauerliche[n] Verzerrungen“.⁸³ Der politische Aspekt wird in Karl Gottfried Hugelmanns Missbilligung nicht erwähnt, die besagt, Kisch bekämpfe „auf das entschiedenste, fast möchte man sagen leidenschaftlich“, was in Deutschland „herrschende Lehre“ sei, namentlich die rechtshistorische Schulmeinung vom „jüdische[n] Hehlerrecht“. Außerdem gieße Kisch „die Schale seines Zornes“ über die „deutschen Gelehrten“ aus, die er in „einfache ‚Nationalsozialisten‘, ‚Helfer der Propagandisten‘ und ‚pseudowissenschaftliche Propagandisten‘“ eingeteilt habe.⁸⁴ Hugelmann wirft Kisch damit nicht nur vor, cum ira et studio zu schreiben, sondern kennzeichnet ihn auch als gegenüber „deutschen Gelehrten“ voreingenommen. Abseits von diesen der deutschen geschichtswissenschaftlichen Tradition entnommenen Wertvorstellungen ernteten die Emigranten auch Lob und Kritik nach allgemeinen wissenschaftlichen Gesichtspunkten: Von Forschungsarbeiten erwartet man, dass sie etwas Neues bringen, einen wissenschaftlichen Fortschritt; zudem gilt es als wissenschaftliche Leistung oder Verdienst, wenn ein Autor eine Fülle von Informationen verarbeitet oder die weitere Forschung anregende Perspektiven eröffnet; ebenso ist die gelungene Deutung oder Bewertung von Sachverhalten ein in den Wissenschaften verbreitetes Qualitätskriterium; letztlich kommt auch dem Schreibstil oder der Lesbarkeit der Wissenschaftsprosa Bedeutung zu.
Gerhard: Rosenstock-Huessy. Srbik: Laue; Conze: Hallgarten (1953); Baum: Hallgarten; Milatz: Holborn; Hugelmann: Kisch. Conze: Hallgarten (1953). Baum: Hallgarten. Srbik: Laue. Milatz: Holborn. Hugelmann: Kisch.
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Neuigkeitswert konstatieren drei Rezensenten,⁸⁵ ob nun eine Arbeit „weit hinaus über die bisherige Literatur“⁸⁶ führt, „aus einem bisher sehr vernachlässigten Grenzgebiet“⁸⁷ stammt oder „in eine spürbare Lücke hinein“⁸⁸ stößt. Neun Rezensenten vermerkten eine wissenschaftliche Leistung oder ein Verdienst des besprochenen Autors,⁸⁹ so abstrakt-allgemein dies sein mag. Darunter fasse ich Bemerkungen wie die, es sei „eine Fülle wichtiger Einzelheiten“⁹⁰ oder „sehr wertvolle Beiträge“⁹¹ enthalten, es handle sich um eine „höchst anregende Schrift“,⁹² oder man könne „aus diesem Versuch […] in Zustimmung und Widerspruch viel lernen“.⁹³ Eine treffende Deutung oder zustimmungsfähige Einordnung historischer Sachverhalte bemerken dagegen lediglich fünf Rezensenten.⁹⁴ Charakteristisch ist etwa die Formulierung: „Überaus treffend kennzeichnet M.[asur] die Bedeutung Bolivars“.⁹⁵ Fritz Terveen möchte „sich vielen Formulierungen des Vf.s anschließen“,⁹⁶ während Karl Dietrich Bracher die ErzbergerStudie Klaus Epsteins ungewohnt deutlich als „vorbildliche Untersuchung“ rühmt, die „unschätzbare Einblicke“ bis „zur umfassenden Zeitanalyse“ verdichte.⁹⁷ Fast ebenso schwärmerisch sind die Formulierungen Paul Klukes, der besprochene Sammelband enthalte „Analysen beispielhafter Art“, darunter „Holborns überlegen kritische Studie“ und „Theodor v. Laues ausgezeichnete Charakteristika des ersten Jahrzehnts der Sowjetdiplomatie“.⁹⁸ Impliziter ist der
Conze: Hallgarten (1953); Würtenberger: Kisch; Bracher: Epstein. Bracher: Epstein. Würtenberger: Kisch. Conze: Hallgarten (1953). Conze: Hallgarten (1953); Würtenberger: Kisch; Mommsen: Misch; Gerhard: Rosenstock-Huessy; Hugelmann: Kisch; Kessel: Stern; Bracher: Epstein; Schochow: Kisch/Roepke; Schottenloher: Kisch. Conze: Hallgarten (1953), vgl. Bracher: Epstein, der eine „Fülle an Details und Zusammenhängen“ hervorhebt, die durch „eine Fülle neuen oder bislang unzugänglichen Quellenmaterials“ erschlossen werde. Schochow: Kisch/Roepke, betont den „Wert für die Forschung […] wegen der Fülle und Quellennähe des hier ausgebreiteten Materials“. Kessel: Stern, würdigt „in großer Reichhaltigkeit“ ausgewählte Texte. Hugelmann: Kisch; vgl. Schottenloher: Kisch, der schlicht „das unbestreitbare Verdienst“ des Autors konstatiert. Würtenberger: Kisch; vgl. Mommsen: Misch, trotz „manchen Unstimmigkeiten [könnte Mischs Buch] auch dem Fachhistoriker Anregungen geben“. Gerhard: Rosenstock-Huessy. Drascher: Masur; Milatz: Holborn; Terveen: Rosenberg; Bracher: Epstein; Kluke: Craig/Gilbert. Drascher: Masur. Terveen: Rosenberg. Bracher: Epstein. Kluke: Craig/Gilbert.
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Hinweis auf eine positiv bewertete Interpretation, wenn Alfred Milatz formuliert, dass Holborn auf „einer fundierten Kenntnis der Fakten aufbaut und deren Zusammenhänge deutet.“⁹⁹ Zuletzt seien die drei knappen lobenden Erwähnungen guten Schreibstils genannt.¹⁰⁰ Diesen mehr oder minder deutlich lobenden Stimmen stehen vergleichbare negative Aspekte gegenüber: Dass eine Untersuchung „nicht viel Neues“¹⁰¹ erbracht habe, bemängelten lediglich zwei Rezensenten.¹⁰² Dagegen war Kritik am Informationsstand des jeweiligen Autors oder an seiner Quellen- und Literaturkenntnis mit sieben Fällen deutlich häufiger vertreten.¹⁰³ Besonders an der Quellenarbeit Hallgartens hatten alle drei untersuchten Rezensenten etwas auszusetzen: Walter Baum war die „Fundierung nicht stark oder genau genug“,¹⁰⁴ mit der Hallgarten seine Thesen versehen hatte, Werner Conze sprach von der „vielfach recht leichtfertigen Quellenbenutzung“,¹⁰⁵ und für Ernst Schraepler war die „skizzenhafte, nicht aus Originalquellen erarbeitete Darstellung“¹⁰⁶ ein Minuspunkt. Lediglich Heinrich von Srbik hielt von Laue noch schärfer für „nur unzureichend unterrichtet“.¹⁰⁷ Dass Wilhelm Mommsen und Fritz Terveen fehlende Neuerscheinungen anmerkten,¹⁰⁸ kann noch als lässliche Sünde betrachtet werden, und ob Eberhard Kessels Anmerkung, „[ü]ber die Auswahl läßt sich selbstverständlich streiten“,¹⁰⁹ zu den Kritikpunkten zu zählen ist, ist nicht ganz eindeutig. Der oben beschriebenen inhaltlichen Zustimmung zu Deutungen und Interpretationen sind sogar zehn Besprechungen gegenüberzustellen, in denen die Rezensenten betonten, dass sie mit Interpretationen nicht einverstanden waren
Milatz: Holborn. Drascher: Masur stellt fest, das Buch sei „gewandt und flüssig geschrieben“. Für Bracher: Epstein, ist die Erzberger-Untersuchung trotz ihrer fast 500 Seiten „sehr übersichtlich disponiert und vorzüglich lesbar“. Milatz: Holborn, spricht immerhin von einer „auch sprachlich gut gelungenen Übersetzung“, die freilich nicht das Verdienst Holborns ist. Fehr: Kisch. Fehr: Kisch; Srbik: Laue. Srbik formulierte: „keine wesentlich neuen Beobachtungen“. Srbik: Laue; Conze: Hallgarten (1953); Mommsen: Misch; Baum: Hallgarten; Kessel: Stern; Schraepler: Hallgarten; Terveen: Rosenberg. Baum: Hallgarten. Conze: Hallgarten (1953). Schraepler: Hallgarten. Srbik: Laue. Mommsen: Misch, fand „die neueste Literatur vielfach nicht berücksichtigt“. Terveen: Rosenberg, betont knapp, man vermisse „gelegentlich einige neuere Einzeluntersuchungen.“ Kessel: Stern.
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oder eine Schrift insgesamt für nicht überzeugend oder unangemessen hielten.¹¹⁰ Dabei kommen sowohl knappe Bewertungsformeln wie „nicht voll befriedigend“,¹¹¹ „wenig überzeugend“¹¹² oder „nicht entfernt konsequent“¹¹³ vor, als auch bemängelnde Bemerkungen mit anschließenden Vorschlägen zu Behebung.¹¹⁴ In anderen Fällen äußern Rezensenten lediglich Zweifel¹¹⁵ oder vermissen eine tiefergehende Behandlung bestimmter Aspekte.¹¹⁶ Unbehagen mit Hallgartens Arbeit drückten die Kritiker auch in diesem Punkt aus: „besonders unbefriedigend“ fand Werner Conze einen Aspekt, bemängelte zudem, dass Hallgarten keine „soziologisch zureichenden Strukturanalysen“ vorgelegt habe. Durch „eine große Fülle derartiger Fehlurteile oder schiefer Deutungen“ sowie „Fehlinterpretationen“, so Conze, „wird es oft peinlich“. Sein Verdikt ist deutlich: „Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dieser Art von ‚Soziologie‘, die H. selbst als ‚rein praktisch‘ eingeengt bezeichnet, erübrigt sich.“¹¹⁷ Auch Ernst Schraepler fand „Fehlinterpretationen“ bei Hallgarten, zudem gelange er „häufig, besonders wenn es sich um eine Deutung politischer Ereignisse handelt, zu Vereinfachungen […] sowie zu sehr anfechtbaren Betrachtungen.“¹¹⁸ Auch das Offenlassen wichtiger Fragen, die „eher angeschnitten als beantwortet“¹¹⁹ wurden, stieß auf Widerstand. Der letzte dieser Art von Kritikpunkten an der allgemeinen Wissenschaftlichkeit der besprochenen Werke trifft wieder verstärkt auf Hallgarten zu: Sein Stil galt Schraepler als skizzenhaft und anekdotisch,¹²⁰ enthielt für Conze „nur wenige, urteilslose Bemerkungen“ zu zentralen Fragen und wolle „nicht eine geschichtliche Gesamtsicht erreichen“.¹²¹ Wilhelm Mommsens Einschränkung,
Srbik: Laue; Conze: Hallgarten (1953); Mommsen: Misch; Gerhard: Rosenstock-Huessy; Hugelmann: Kisch; Schraepler: Hallgarten; Baum: Hallgarten; Schottenloher: Kisch; Kluke: Craig/Gilbert; Moeller: Kisch. Srbik: Laue. Gerhard: Rosenstock-Huessy. Hugelmann: Kisch. Etwa Schottenloher: Kisch, wobei das Buch „nicht ganz zu überzeugen“ vermag und „wohl zu wenig die lateinische Tradition, von der der Humanismus zehrt“ berücksichtige. Kluke: Craig/Gilbert, stutzte offenbar angesichts der Charakterisierung von „Stresemanns Staatssekretär Carl v. Schubert“ als „Junkertyp“. Moeller: Kisch, fand „die Hintergründe […] ein wenig blaß“. Mommsen: Misch, beurteilte die zeitliche Gewichtung als „verhältnismäßig sehr knappe Darstellung“ der Frühphase. Conze: Hallgarten (1953). Schraepler: Hallgarten. Baum: Hallgarten. Schraepler: Hallgarten. Conze: Hallgarten (1953).
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Misch habe in einem Abschnitt eine „verhältnismäßig sehr knappe Darstellung“¹²² gegeben, ist dagegen zahme Kritik. Nicht in die obigen Kategorien passen lediglich zwei Lobesformulierungen, die sich auf die Person des rezensierten Autors¹²³ oder den politischen Wert des besprochenen Werkes beziehen. Da letzteres dem oben beschriebenen traditionellen Unparteilichkeitsideal deutscher Historiker direkt widerspricht, der Rezensent Karl Dietrich Bracher daher – und auch sonst in Tonfall und Behandlung der „großen Erzberger-Biographie“¹²⁴ Klaus Epsteins – eine Ausnahmestellung im hier untersuchten Korpus einnimmt, sei das Lob als politisch wertvoll hier im Kontext zitiert: „Und sie [die Biographie] gibt der längst fälligen Revision einer vergiftenden Legende, der Zeitgenossen wie Nachwelt allzu willig Gehör schenkten, eine überzeugende wissenschaftliche Grundlage und erfüllt damit zugleich eine politische Aufgabe. Eine gerechte Würdigung der ersten deutschen Republik hat sich noch heute vor allem mit den tiefverwurzelten Vorurteilen auseinanderzusetzen, die mit den Schlagworten Dolchstoß, Compiègne, Versailles und ‚System‘ so lange die Beurteilung der Anfänge der Weimarer Republik verzerrt und verdunkelt haben.“¹²⁵
Die bisher nicht kategorisierten Kritikpunkte jedoch waren durchaus wiederkehrend, der erste trat in drei Fällen auf: Die Rezensenten kritisierten den Titel des besprochenen Werkes als „nicht recht zutreffend“¹²⁶ oder sogar „in zweifacher Weise irreführend“.¹²⁷ Der zweite Kritikpunkt, der weder den Kriterien der deutschen historiographischen Tradition noch den allgemein wissenschaftlichen Kriterien zugeordnet werden kann, enthält eine entscheidende Ausschlussfunktion für die deutsche Historikerzunft: Es handelt sich um die unschuldige Bemerkung, der eigentliche Leserkreis des Buches seien Amerikaner.¹²⁸ Mit fünfmaligem Vorkommen kann sie durchaus als regelmäßiger Bestandteil von Emigranten-Rezensionen betrachtet werden. Die Rezensenten könnten damit implizit auf die Vorstellung verwiesen haben, Amerikaner seien geschmacklich
Mommsen: Misch. Schochow: Kisch/Roepke, schrieb, Kisch sei der „bekannte Rechtshistoriker und wohl beste Kenner des Judentums im deutschen Mittelalter“. Bracher: Epstein. Ebenda. Mommsen: Misch. Conze: Hallgarten (1953). Fehr: Kisch, bemängelte, das Buch halte „nicht, was sein Titel verspricht“. Fehr: Kisch; Baum: Hallgarten; Milatz: Holborn; Kessel: Stern; Terveen: Rosenberg.
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und intellektuell seichter als die als tiefsinnig geltenden deutschen Leser,¹²⁹ oder amerikanische Geschichtswissenschaft reiche nicht an die große deutsche Historikertradition heran.¹³⁰ Abseits solcher Vorbehalte betont eine solche Bemerkung jedoch den Aspekt, dass das besprochene Buch eigentlich gar nicht für die (deutschen) Leser der HZ gemacht sei, also auch weniger für sie geeignet.¹³¹ Die Selbstverständlichkeit, mit der auf diese Einstellung angespielt wird, ist frappierend und unterscheidet sich wohl deutlich von der Haltung der meisten gegenwärtigen wissenschaftlichen Rezensionen. Die Tatsache, dass es sich nicht um Bücher handelt, die tatsächlich ausschließlich für den amerikanischen Markt geschrieben wurden, verstärkt die Irritation: Für die emigrierten Historiker galten in ökonomischer Hinsicht zwar oft amerikanische Maßstäbe, etwa indem sie beim Publikum eine spezifische Kenntnis der deutschen Geistesgeschichte nicht allgemein voraussetzen konnten.¹³² Doch zweifellos richteten diese Emigranten sich auch an deutschsprachige Leser – Kollegen und Studierende –, zumal sie ihre Absicht, in den deutschsprachigen Raum zurückzuwirken und transatlantische Brücken zu bauen, eindrucksvoll durch die Vielzahl an Gastprofessuren unter Beweis stellten. Daher ist es als Relikt der Vorstellung getrennter nationaler Wissenschaftsgemeinschaften zu bewerten, wenn es bis in die sechziger Jahre hinein als abwertende Bemerkung verstanden werden kann, dass ein Buch „für die Amerikaner“,¹³³ „für amerikanische Leser“¹³⁴ geschrieben oder „in erster Linie an den angelsächsischen Leser“¹³⁵ gerichtet sei. Dass „im Lande des Vf.s“,¹³⁶ gemeint sind die USA, für preußische Geschichte schwer Verständnis zu wecken sei, wollte Fritz Terveen zu Rosenbergs Gunsten anführen, um zu entschuldigen, dass Rosenbergs Untersuchung der absolutistischen Verwaltungspraxis deutschen Vorstellungen nicht voll
Fehr: Kisch, kritisierte „breite, ganz allgemeine Ausführungen“, die sich „zweifellos“ an Amerikaner richten. Vgl. Srbik: Laue. Einige der besprochenen Bücher wurden tatsächlich zunächst für den amerikanischen Markt produziert. Unter den 23 untersuchten Rezensionen behandeln sieben englischsprachige Publikationen. Entscheidend ist jedoch, welche Funktion die Bemerkung, ein Buch sei nicht für den angenommenen Leser der Rezension gemacht, im Rahmen einer Besprechung eines Buches in englischer Sprache besitzt. Es kann sich doch nur um die Warnung vor den besonderen Eigenschaften eines fremdartigen Buches handeln. Kischs Erläuterungen über „die deutschen Rechtsbücher“ beurteilte Fehr: Kisch, beispielsweise so. Fehr: Kisch. Milatz: Holborn. Kessel: Stern. Terveen: Rosenberg.
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entsprach. Dass „der amerikanische Historiker [Hallgarten] – bekannt durch sein Werk ‚Imperialismus vor 1914‘, München 1951 – seiner ursprünglichen Leserschaft praktisch-politische Folgerungen nahezulegen“¹³⁷ suchte, konnte Hallgarten nur als Ausländer diskreditieren, der Amerikanern „voreingenommene“¹³⁸ politische Ratschläge erteile und damit den traditionellen Idealen der deutschen Historikerschaft zuwiderhandele. Die drei idealtypischen Vorwürfe, kein Historiker zu sein, kein Wissenschaftler zu sein oder kein Deutscher zu sein, waren entscheidende Mittel deutscher Historiker, um den Einfluss der untersuchten Emigranten auf die deutschsprachige Geschichtswissenschaft zu behindern. Die Zunft sah sich in einer Abwehrstellung, aber der Widerstand gegen solche als Fremdeinflüsse verstandenen Vermittlungsversuche der Emigranten ließ seit den sechziger Jahren nach.¹³⁹ Beides ist darauf zurückzuführen, dass die im Zweiten Weltkrieg massiv, aber bereits seit 1914 in geringerem Maße von der internationalen Geschichtswissenschaft isolierten deutschen Historiker in der Nachkriegszeit eine eindrucksvolle Horizonteröffnung erlebten, die sowohl Ängste provozierte, als auch große Hoffnungen hervorrief.¹⁴⁰ Letztere Ambivalenz zwischen Hoffen und Bangen drückt sich denn auch in den Widersprüchlichkeiten der Rezensionen aus, denen ich mich im folgenden Abschnitt tiefenhermeneutisch annähere und dabei an Beispielen drei Typen von Haltungen gegenüber emigrierten Historikern herausarbeite.
Baum: Hallgarten. Ebenda. Vgl. dazu auch Ash: Wissens- und Wissenschaftstransfer; Arnd Bauerkämper/Konrad H. Jarausch/Marcus M. Payk: Transatlantische Mittler und die kulturelle Demokratisierung Westdeutschlands 1945 – 1970; in: Arnd Bauerkämper/Konrad H. Jarausch/Marcus M. Payk (Hg.): Demokratiewunder. Transatlantische Mittler und die kulturelle Öffnung Westdeutschlands 1945 – 1970, Göttingen 2005, S. 11– 40; Arnd Bauerkämper: Remigranten als Akteure von Zivilgesellschaft und Demokratie. Historiker und Politikwissenschaftler in Westdeutschland nach 1945; in: Arnd Bauerkämper (Hg.): Die Praxis der Zivilgesellschaft. Akteure, Handeln und Strukturen im internationalen Vergleich, Frankfurt am Main 2003, S. 343 – 370. Vgl. Philipp Stelzel: Working Toward a Common Goal? American Views on German Historiography and German-American Scholarly Relations during the 1960s; in: Central European History 41 (2008), S. 639 – 671.
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7.2.3 Tiefenhermeneutische Analysen Werner Conzes Rezension von Hallgartens Imperialismus vor 1914 ¹⁴¹ gehört zu den irritierendsten Rezensionen des vorliegenden Korpus. Auf allen Untersuchungsebenen sind mehrere Widersprüchlichkeiten zu finden. So widerspricht Conzes wiederholte Aussage, man könne „erheblichen Gewinn aus dem Buche“ ziehen, deutlich seinen scharfen Kritikpunkten, die von „Fehlinterpretationen“ über die „alle Redlichkeit der Sozialwissenschaft aufhebende“ Befangenheit Hallgartens, der „durch seine stets wertenden und anklagenden Formulierungen [beweise], daß er vor allem gegenüber Deutschland“ negativ voreingenommen sei, bis dahin führen, dass sich jede „ernsthafte Auseinandersetzung“ erübrige. Auch in der Behandlung des verspäteten Erscheinens des bereits vor Hallgartens Emigration fertiggestellten Buches ist Conze mit sich selbst uneinig, ob er in „Anerkennung des schweren Schicksals, das den Vf. infolge der Hitlerschen Politik zur Emigration nötigte“ (übrigens die deutlichste Erwähnung der Wissenschaftler-Vertreibung im gesamten Rezensionskorpus!), nachsichtig sein solle, oder ob er dies „als Begründung für das verspätete Erscheinen“, für nachgereichte Literaturergänzungen und ein (!) dem Autor nicht zugängliches Buch rundheraus ablehnt. Dabei widerstreiten in Conzes Text die Absichten, Positives über Hallgarten zu sagen und seine ökonomische Interpretation zu verdammen. Dies setzt sich auch in den Formulierungen fort, in denen Conze etwa eine „ernsthafte Auseinandersetzung mit dieser Art von ‚Soziologie‘“ zuerst für unnötig erklärt, Hallgartens Soziologie jedoch unmittelbar anschließend einer ausführlichen Kritik unterzieht. Szenisch wechselt der Eindruck, den Conzes Besprechung vermittelt, beständig zwischen einem (fast) neutralen Bericht über Hallgartens sozialhistorische Absichten und der jeweils anschließenden Beschimpfung des Autors und des Buches. Das Schwanken in all diesen Punkten führe ich darauf zurück, dass Conze einerseits Hallgartens Forderung nach sozialgeschichtlicher Betrachtung begrüßt und die Sozialgeschichte in der HZ positiv erwähnen möchte, ihm andererseits aber Hallgartens Marxismus, seine pazifistische Kriegsverachtung und seine spürbar kritische Haltung zum Deutschen Kaiserreich zuwider sind. Ganz ähnlich geht es Walter Baum 1957 mit Hallgartens Analyse Hitler, Reichswehr und Industrie,¹⁴² deren Thema ihn zwar ehrlich interessiert, deren Autor er jedoch nicht für geeignet hält: Hallgarten ist für Baum Amerikaner,
Für alle Zitate dieses Absatzes: Conze: Hallgarten (1953). Für diesen Absatz: Baum: Hallgarten.
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schreibt für Amerikaner, nutzt von den Amerikanern geraubte Quellen,¹⁴³ und ist für Amerika parteiisch. Wiederum nicht unähnlich, wenn auch abgeschwächt, ist Ernst Schraeplers Haltung zu Hallgartens Diktatur-Studie Dämonen oder Retter?,¹⁴⁴ die er als „geistreicher, gut geschriebener Beitrag zu einem aktuellen Problem“ apostrophiert, außerdem Hallgartens Ziel einer Typologie von Diktaturen grundsätzlich unterstützt, aber wegen der marxistisch-ökonomistischen Monokausalität und Unwissenschaftlichkeit Hallgartens Arbeit weit von sich weist. Dabei tendiert Schraepler dazu, seine Kritik an Hallgarten verschleiert zu formulieren, etwa indem er von „Unrichtigkeiten“ spricht oder schreibt, Hallgarten habe „sich bemüht“. Die Einschränkung, dass Hallgarten Amerikaner sei, macht Schraepler nicht, er hebt eher darauf ab, dass Hallgarten nicht Geschichtswissenschaftler, sondern „den an historischen Dingen interessierten Leser“ anspreche. Unter den Besprechungen von Werken Guido Kischs kommen manche ganz ohne merkliche Wertung aus.¹⁴⁵ Bei den Übrigen ist festzustellen, dass bei den Autoren der früher erschienenen Rezensionen deutliche Vorbehalte gegen Kisch bestanden, während er in den 1960er Jahren besser bewertet wurde. So betrachtet man Kisch seit der lobenden Besprechung von Thomas Würtenberger 1956¹⁴⁶ als „bekannten deutschen Rechtshistoriker“, obwohl er sich in der Nachkriegszeit lange geweigert hatte, wieder deutschen Boden zu betreten. Auch Kischs Lehr-
Baum: Hallgarten, verweist auf „Quellen, die nach dem Kriege in die USA gebracht wurden“. Die häufige verborgene Empörung über Quellen, die dem unmittelbaren Zugriff der deutschen Geschichtswissenschaft entzogen waren, kommt deutlicher zum Ausdruck in einer Anekdote, die Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 129, aus Rothfels’ Nachlass wiedergibt: „Wer sich bei Rothfels verstockt darüber beschwerte, daß amerikanische Historiker auf der Grundlage ‚weggeschleppter Materialien‘ Bücher zur deutschen Zeitgeschichte schrieben, mußte sich von ihm die Gegenfrage gefallen lassen, wer denn mit dem Verschleppen von Dokumenten angefangen habe.“ Vgl. oben, Anmerkung 53 auf S. 482 f. Für alle Zitate dieses Absatzes: Schraepler: Hallgarten. Dilcher: Kisch; Liermann: Kisch; Moeller: Kisch; Schoeps: Kisch. Dennoch lassen sich die Rezensionen tiefenhermeneutisch interpretieren. Kennzeichnend ist, dass die distanzlose Wiedergabe der Aussagen eine Zustimmung zumindest andeutet. In diesen vier Besprechungen fällt das Lob auf, das offenbar konservative Rezensenten offenbar konservativen historischen Persönlichkeiten zollen und dabei die offenbar konservativen Autoren gleich mit meinen. Ein deutliches Beispiel ist die Besprechung Liermann: Kisch, in der „der gelehrte Basler Jurist Bonifacius Amerbach“ als Mann „der weisen Mäßigung und der rechten Mitte“ beschrieben wird, der sich gegen die „Modernen“ stellte, aber „keineswegs reaktionär eingestellt“ war, sondern lediglich „das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet haben“ wollte. Die Rezension erweckt den Eindruck, Liermann habe sich selbst und Kisch und Amerbach mit diesen Worten identifiziert. Würtenberger: Kisch.
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tätigkeit in den USA stellte Würtenberger übertrieben als Erfolg dar.¹⁴⁷ Doch in der Folgezeit setzte sich diese Betrachtung Kischs als Autorität für Rechtsgeschichte und jüdische Geschichte in der HZ allgemein durch, selbst die wertungslosen Rezensionen legen Kischs Ansehen zu Grunde.¹⁴⁸ Wahrscheinlich profitierte dieses Ansehen stark von den zahlreichen Rezensionen, die er selbst für die HZ über diese Themen verfasste, und in denen er sich nicht zuletzt als ehrbarer konservativer Jude, aber auch als ehemaliger deutscher Professor für Rechtsgeschichte, präsentierte. Aus diesem Ansehen Kischs dürften auch Karl Gottfried Hugelmanns Schwierigkeiten herrühren, als er noch 1958 versuchte,¹⁴⁹ gegen Kischs Auffassung die „Rassefremdheit“ als Ursache der jüdischen Sonderstellung in der mittelalterlichen Rechtsgeschichte zu erweisen, und gleichzeitig seine eigene Konzeption eines deutschen Nationalbewusstseins im Mittelalter, das er auf die germanischen Stämme zurückführte, gegen Kischs Angriffe auf „‚Nationalsozialisten‘, ‚Helfer der Propagandisten‘ und ‚pseudowissenschaftliche Propagandisten‘“ zu behaupten. Dabei überschlägt sich Hugelmann in dem Versuch, immer wieder Einwände vorzutragen, Kisch jedoch stets Lob und Anerkennung zu zollen, symbolisiert in der Wendung „Sofort muß aber auch hier hinzugefügt werden“, und verstärkt durch uneindeutige, mehrfach interpretierbare Anspielungen.¹⁵⁰ Der Eindruck, dass es bei dem, was Hugelmann nicht klar sagen wollte, um Antisemitismus ging, liegt auf der Hand: Dass für Hugelmann das Konzept der „Rassefremdheit bzw. des Gefühls dieser Fremdheit […] nichts mit Antisemitismus zu tun hat“, wollte Kisch in einer Klarstellung, die er zum Abdruck in der HZ einsandte, selbst als „wohlgetarnte antisemitische Behauptung“ identifizieren, doch Kienast konnte das nicht nachvollziehen und sträubte sich gegen einen Abdruck von Kischs Klarstellung, bis dieser sie zurückzog.¹⁵¹
Ausdrücklich und ausführlich als Misserfolg versteht Kisch selbst seine Karriere in der Emigration, so Kisch: Erinnerungen. Vgl. auch die sonst nicht hier berücksichtigte Besprechung von Otto Gönnenwein: Rezension zu Festschrift Guido Kisch. Rechtshistorische Forschungen. Anläßlich des 60. Geburtstages dargebracht von Freunden, Kollegen und Schülern, Stuttgart 1955; in: HZ 182 (1956), S. 351– 353. Für die Zitate dieses Absatzes bis auf das letzte: Hugelmann: Kisch. Ein Beispiel: „Niemand wird bestreiten, daß einzelne seiner Urteile zutreffen, und insbesondere darüber erschüttert sein, wie stark offensichtlich ein Gelehrter sehr hohen Ranges unter der Suggestion einer elementaren Bewegung frühere, fast feierliche Feststellungen widerrufen hat.“ Welcher Gelehrte, welche Bewegung und welche Feststellungen gemeint sind, und ob und warum niemand erschüttert sein wird, geht aus dem unmittelbaren Kontext nicht hervor. Vgl. Briefwechsel zur Rezension in LBI AR 787: Guido Kisch Collection, Box 22, Folder 14 (Hugelmann, Karl G. 1958), S. 953 – 983, Zitat aus Guido Kisch: Klarstellung, New York 21.09.1958, URL: http://www.archive.org/stream/guidokisch_reel45_45#page/n954/mode/1up (zuletzt abge-
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Im Gegensatz zu Hugelmanns Verklausulierung war es Hans Fehr 1950 noch möglich, scharfe Angriffe gegen Kisch zu formulieren.¹⁵² Dazu musste er freilich im ersten Teil seiner Rezension über „The Jews in Medieval Germany“ neutral und abwägend wirken, gleichzeitig jedoch in zahlreichen Kampf-Metaphern betonen, dass es sich bei Kischs Buch um ein „sich zur Wehr setzen“ im Krieg „jüdische Wissenschaft“ gegen ‚deutsche Wissenschaft‘ handele, in dem Kisch für erstere „mit maßvollen, aber kräftigen Hammerschlägen“ eintrete, „zu Leibe“ gehe, und seine These „verficht“. Erst im zweiten Teil konnte er dann beginnen, Kischs Buch seinerseits hart anzugehen, um mit der programmatischen Kritik zu schließen: „Mit theoretischen Erwägungen ist der Rechtsgeschichte nur halb gedient […]. Die Rechtsgeschichte muß das lebendige Leben erfassen.“ Die beiden letztgenannten Rezensionen sind die Beispiele, in denen Antisemitismus am stärksten thematisiert wird – und zum Ausdruck kommt. Kisch galt den beiden Rezensenten nicht etwa, wie oben an einigen Beispielen demonstriert, als amerikanischer Wissenschaftler, sondern vor allem als jüdischer Wissenschaftler. Hugelmann und besonders Fehr sahen offenbar in Kischs Werk einen ‚Gegenangriff‘ eines jüdischen Historikers. Dies betrachteten sie als natürlich („Ein solches Buch mußte kommen.“¹⁵³) und sogar teilweise als berechtigt, sahen sich selbst wiederum nicht zu offener Gegenwehr legitimiert. Indem Hugelmann und besonders Fehr auf eine Kampf-Metaphorik zurückgreifen, drücken sie aus, dass Kisch für sie nicht zur deutschen Historikerzunft gehört, da er im vorgestellten Kampf jüdischer Historiker gegen deutsche Historiker auf der Gegenseite stehe. In diesem Fall wird jedoch auch deutlich, dass es sich dabei nicht um eine beabsichtigte, kalkulierte und voll bewusste Maßnahme gegen den Emigranten handelte, sondern um ein als natürlicher Zustand empfundenes Verhältnis: Fehr schreibt, dass es Kisch „nicht verübelt werden kann“,¹⁵⁴ Hugelmann hält es für „selbstverständlich“.¹⁵⁵ Die Schüler Friedrich Meineckes¹⁵⁶ wurden nicht einheitlich rezensiert: Masur unterscheidet sich von den anderen vor allem insofern, als er bei seiner Emigration als konservativ und deutsch-national bekannt war. Darauf kann zurückgeführt werden, dass der Rezensent Wahrhold Drascher 1951 Masurs BolívarBiographie eher in dem Sinne besprach, in dem die lobenden Rezensionen über
rufen am 7. Januar 2019). Vgl. oben auf S. 454 für Kischs Auseinandersetzung mit Kienast über diese Rezension. Für alle Zitate dieses Absatzes: Fehr: Kisch. Ebenda. Ebenda. Hugelmann: Kisch. Vgl. oben, Abschnitt 2.3.3 ab S. 102.
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Kisch verfasst waren: Auffallend ist, dass keinerlei Eindruck von Ausgrenzung aus der deutschen Historikerzunft entsteht. Vielmehr wird Masur als erster fachhistorischer Biograph Bolívars für die deutschsprachige Geschichtswissenschaft vereinnahmt: „Es ist Gerhard Masur, ein Schüler Friedrich Meineckes, der nach 1933 in Bogota einen neuen Wirkungskreis gefunden hatte. Sein Werk macht frühere Versäumnisse unserer Geschichtsschreibung wieder gut: Es ist ein großer Wurf, eine Arbeit von Rang: wissenschaftlich auf umfassendem Quellenstudium fußend, von aufrichtiger, aber niemals blinder Verehrung für seinen Helden getragen und infolge gründlicher Kenntnis des südamerikanischen Milieus lebensnah gestaltet“.¹⁵⁷
Die Meinecke-Schülerschaft gibt Drascher als Qualitätsmerkmal an. Masurs Emigration deutet Drascher als freiwillige Suche nach einem „neuen Wirkungskreis“, bei der Masur in Kolumbien Erfolg gehabt habe. Dabei erscheint Masur als Forschungsreisender, der „frühere Versäumnisse“ der deutschen Geschichtswissenschaft ausgleichen will, indem er eine großartige Forschungsleistung über Bolívar vorlegt. So falsch diese Eindrücke sind,¹⁵⁸ verdeutlichen sie doch einen anderen möglichen Umgang mit Emigranten als bei Hallgarten, teilweise auch anders als bei Kisch. Drascher sieht sich mit Masur auf einer Linie, er lobt seine Einstellungen und betrachtet ihn als Bestandteil – zumindest aber als Gewächs – der deutschen Geschichtswissenschaft. Dies lässt sich im Vergleich mit den oben erörterten Beispielen von Büchern verdeutlichen, die nach Ansicht der Rezensenten „für Amerikaner geschrieben“ waren, mit dem Beiklang, sie seien nicht für ein deutsches Publikum geeignet. Denn die Schlussworte Draschers lauten, seine schärfsten Kritikpunkte enthaltend: „Das Werk ist zuerst in englischer Sprache in den Ver. Staaten veröffentlicht worden, wo es große Anerkennung gefunden hat. Daher sind wohl einige stilistische Unebenheiten geblieben, die leicht ausgefeilt werden könnten. Die beigegebene Karte könnte besser und übersichtlicher sein. Aber das sind Kleinigkeiten, die diesem bedeutenden Buch nichts anhaben können.“¹⁵⁹
Eine weitere Möglichkeit des Umgangs mit Emigranten war, sie weitgehend zu ignorieren. Dass dies sogar in Rezensionen über ihre Werke möglich war, zeigt die Besprechung eines Aufsatzes über Machiavellis Discorsi, in der Walther Peter Drascher: Masur. Vgl. Masur: Das ungewisse Herz, sowie oben, Abschnitt 3.3.2, für die Notlösung der Flucht über die Schweiz und Frankreich nach Südamerika und die Selbsteinschätzung des Scheiterns dort. Drascher: Masur.
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Fuchs den Namen des Autors „F. Gilbert“ nur nennt, um die bibliographischen Angaben zu vervollständigen.¹⁶⁰ Auch Abkürzungen oder Umschreibungen des Autors verwendet Fuchs in der gesamten Besprechung nicht, sogar ohne das Personalpronomen ‚er‘ kommt der Rezensent aus. Stattdessen reiht er Passivkonstruktionen aneinander und referiert Inhalte, als seien es Tatsachen. Dieses Beispiel für eine der zahlreichen Kurzrezensionen, Anzeigen, verdeutlicht die Möglichkeit, auf Wertungen zu verzichten und den rezensierten Autor hinter der bloßen Beschreibung seines Themas verschwinden zu lassen. Paul Kluke hingegen beginnt seine Rezension des von Felix Gilbert (gemeinsam mit dem aus Schottland in die USA migrierten Gordon A. Craig) herausgegebenen Sammelbandes The Diplomats 1919 – 1939 mit einer Entschuldigung: „Es hat etwas Mißliches, infolge mancherlei nicht zu behebender Gründe der Verhinderung, erst mit großer Verspätung ein Buch anzeigen zu können, dessen Wert sogleich erkannt wurde und das sich längst in den Fachkreisen durchgesetzt hat.“¹⁶¹
Die Irritation, ob eine solche Anzeige nicht überflüssig sei, setzt sich fort, wenn Kluke stets in getragenem Tonfall voll des Lobes ist, aber andererseits ambivalent formuliert, beispielsweise, man werde „gerade angesichts des Reichtums der Fragestellungen mit schmerzlichem Bedauern auch manche Lücke feststellen.“ Durch Selbstbeschränkung oder die Vorgabe von außen verbot sich für Kluke eine negative Bewertung des bereits anerkannten Sammelwerks, was sich in den genannten Widersprüchlichkeiten ebenso ausdrückt wie im Schlusssatz: „Jede Anzeige dieses Buches kann nicht mit einer Kritik, sondern nur mit dem Dank an Herausgeber und Mitarbeiter schließen.“ Kluke trauert jedoch offenbar den alten Zeiten nach, in denen klassische Diplomatiegeschichte als ausgezeichneter Zugang galt, weil Diplomatie noch entscheidend für den Geschichtsverlauf gewesen sei. Im Gegensatz dazu verbietet aus Sicht der Herausgeber des Sammelbandes nicht die Veränderung der Diplomatie, sondern die Veränderung der Geschichtswissenschaft einen klassisch-diplomatiegeschichtlichen Ansatz. Für Kluke geht es in seiner Besprechung nicht darum, durch Kritik Autoren aus der deutschen Historikerzunft auszuschließen oder durch Lob mit einzuschließen: Er sieht in den Beiträgern des Sammelbandes ausschließlich „fast zwei Dutzend älterer und jüngerer amerikanischer Historiker“. Dabei ist es ihm womöglich gar nicht bewusst, dass er sowohl Gilbert, als auch die von ihm gesondert gelobten Holborn und von Laue als Emigranten, deutsch-amerikanische Histori Fuchs: Gilbert. Für alle Zitate dieses Absatzes: Kluke: Craig/Gilbert.
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ker oder gemäß ihrer Ausbildung sogar als deutsche Historiker bezeichnen könnte. Dass, wie gezeigt, viele der emigrierten Historiker – und ihre Bücher – von den Rezensenten nicht als „deutsch“ empfunden wurden, bedeutete in den ersten Nachkriegsjahren mehr als heute: Gemäß dem sozialdarwinistischen Bestandteil der nationalsozialistischen Ideologie musste alles, was nicht deutsch war, als antideutsch, deutschfeindlich verstanden werden. Dieses gewohnte Denkschema, das nicht nur im Nationalsozialismus enthalten war, verschwand 1945 nicht plötzlich. Vielmehr lebte es als verborgenes Ressentiment weiter, das – insbesondere gegenüber den Besatzungsmächten – nicht offen zum Ausdruck gebracht werden konnte. Häufig fand es auch keinen Eingang mehr in das bewusste Denken deutscher Historiker, da die Nachkriegszeit von der Kooperation mit den Westalliierten geprägt war. Der Abwehrimpuls gegen alles nicht als „deutsch“ Empfundene verschwand langsam, während stellenweise die Systemkonfrontation mit dem Ostblock seine Rolle übernahm. Ähnlich wie Kluke, wenn auch mit weniger enthusiastischen Formulierungen, geht Alfred Milatz mit Holborns Zusammenbruch des europäischen Staatensystems um.¹⁶² Er findet durchaus lobende Worte, doch seine irritierenden Relativierungen und ambivalenten Formulierungen zeigen, dass er insgeheim Widerstände gegen das Buch hegt: „Der große Vorzug seiner Darstellung bleibt, daß sie trotzdem nicht im Ideologischen oder Tagespolitischen sich verhaftet“, obwohl Holborn die „Distanz des Amerikaners“ aufweise und „die Nüchternheit seines Urteils über das europäische Schicksal […] sofort ins Auge“ falle. Dass Holborn nüchtern und distanziert schreibe, drückt hier wesentlich aus, dass er sich fern seines Gegenstandes befinde und nicht einfühlsam, sogar herzlos, sei.¹⁶³ Dass Amerikaner von deutschen oder europäischen Verhältnissen nichts verstünden, ist ein klassischer Topos, ebenfalls ihr Desinteresse für „das europäische Schicksal“. Beide beruhen wohl auf dem traditionellen Isolationismus der Vereinigten Staaten, in Bezug auf Emigranten noch verschärft durch ihnen unterstelltes „emigrantisches Ressentiment“.¹⁶⁴ Auf Hajo Holborn treffen sie gewiss nicht zu.¹⁶⁵ Dass zudem der „große Für alle Zitate dieses Absatzes: Milatz: Holborn. Vgl. die Bemerkungen zum Kriterium „Einfühlungsvermögen“ in Philipp Stelzel: The SecondGeneration Émigrés’ Impact on German Historiography; in: Andreas W. Daum/Hartmut Lehmann/ James J. Sheehan (Hg.): The Second Generation. Émigrés from Nazi Germany as Historians, New York 2016, S. 287– 303, hier S. 288, sowie, speziell in Bezug auf Holborn, S. 294. Ebenda, S. 293. Ritter: Meinecke, S. 56: „In den deutsch-amerikanischen Beziehungen hat er als Deuter der deutschen Geschichte in den Vereinigten Staaten, als Ratgeber der US-Regierung beim Aufbau der Militärverwaltung im besetzten Deutschland und deren Überführung in eine zivile Verwaltung, als Interpret der deutschen Politik in Amerika und der amerikanischen Politik in der Bundesrepublik und seit 1960 als Direktor des American Council on Germany eine Schlüsselrolle als
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Vorzug“ von Holborns Buch das Fehlen von Ideologie und Tagespolitik sei, ist so zu verstehen, dass der Rezensent das Vorherrschen von Ideologie und Tagespolitik erwartete. Auch Milatz wollte also das Buch loben, konnte es aber nicht aus vollem Herzen tun. Zu diesem Rezensions-Typus, in dem durch die tiefenhermeneutische Analyse der enthaltenen Widersprüchlichkeiten eine innere Ablehnung des Rezensenten offenbar wird, gehört auch Fritz Terveens Besprechung von Rosenbergs „Bureaucracy, Aristocracy and Autocracy“.¹⁶⁶ Bereits die Gegenüberstellung „Bei aller solchen Leitlinien gegenüber gebotenen Zurückhaltung wird man sich vielen Formulierungen des Vf.s anschließen können“ illustriert, dass Terveen in seiner Rezension um Ausgewogenheit ringt: Während er Rosenbergs angeblich vansittartistische „Leitlinien“ ablehnt, bietet er an, „vielen Formulierungen des Vf.s“ zuzustimmen, wohlgemerkt den Formulierungen, nicht Aussagen, Analysen, Interpretationen oder Ergebnissen, so als ob es darum ginge, eine Aphorismensammlung zu beurteilen. Terveen lobt nur relativierend als „recht abgewogen“, und bevor er „alles in allem“ das Prädikat „dankenswerter Beitrag“ verleiht, betont er die Hindernisse, die „im Lande des Vf.s“ – gemeint sind die USA – Rosenbergs Arbeit erschwert hätten.
7.2.4 Typen und Sonderfälle Die drei letztgenannten Rezensionen der Bücher Rosenbergs und Holborns sowie des von Gilbert mit herausgegebenen Sammelbandes, zu dem er selbst, Holborn und von Laue Aufsätze beigesteuert hatten, sind Beispiele für den markantesten und zumindest bis Anfang der sechziger Jahre häufigsten Typus von Rezensionen über Werke von Emigranten: Äußern die Rezensenten Kritik, sind sie um Ausgewogenheit bemüht und vermeiden übertriebene Schärfe, gelangen zu oft gezwungen wirkenden lobenden Bemerkungen. Bei positiven Aussagen hingegen bemühen sie sich um Relativierung und haben Schwierigkeiten, Vorbehalte gegen und Vorurteile über die „Amerikaner“ zu unterdrücken. Da die Emigranten häufig als „Amerikaner“ angesehen wurden, was staatsbürgerrechtlich hier völlig korrekt war, wurden sie von der deutschsprachigen Zunft als Fremde, Außenstehende und Nicht-Zugehörige begriffen und behandelt. Insgesamt brachte man ihnen daher drei Vorbehalte entgegen: Ihnen seien Ei-
Vermittler und Brückenbauer gespielt.“ Vgl. Pflanze: Americanization of Holborn, sowie Holborn: Inter Nationes Preis. Für alle Zitate dieses Absatzes: Terveen: Rosenberg.
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genart und Details der deutschen Geschichte unbekannt, sie hätten kein Verständnis für Deutsche sowie für deren Denken und Streben, und schließlich fehle ihnen die Kompetenz, über deutsche Geschichte angemessen, also nach den Maßstäben der Zunft, zu schreiben.¹⁶⁷ Ambivalente Bewertungen und vergiftetes Lob sind für diesen Typus von Emigranten-Rezensionen kennzeichnend. Auch wenn sie in den Augen der Rezensenten den Ansprüchen der deutschen Geschichtswissenschaft nicht voll gerecht wurden, so ernteten die so behandelten Emigranten doch immerhin Anerkennung für eine wissenschaftliche Leistung – oft mit der Einschränkung, dass diese „für die Amerikaner“ erbracht sei. Zu einem anderen Typus sind die meisten – lobenden – Rezensionen über Guido Kischs Werke, sowie über Gerhard Masurs Bolívar-Biographie zu zählen: Gegenüber diesen sehr konservativen Gelehrten fiel es deutlich leichter, Anerkennung auszudrücken.¹⁶⁸ Während Kisch zunächst noch als jüdischer Wissenschaftler wahrgenommen wurde, der sich in einem Kampf gegen deutsche Historiker befände, setzte sich mit der Zeit seine Autorität in den Spezialgebieten jüdische Geschichte und Rechtsgeschichte durch, zumal er selbst im Untersuchungszeitraum fünfzehn Rezensionen in der HZ publizierte, sich bekannt machte und seine Qualitäten unter Beweis stellte. Masur hatte womöglich den Vorteil, dass er bereits als Meinecke-Schüler und ehemaliger Mitarbeiter in der HZ-Redaktion bekannt war und – ähnlich wie Hans Rothfels – als dezidiert deutschnational-konservativ galt.¹⁶⁹ Auch er konnte mehrfach in der HZ publizieren, darunter neun Rezensionen im Untersuchungszeitraum, besonders als Experte für Südamerika sowie für Geistesgeschichte. Diesen beiden Emigranten schrieben die Rezensenten auch Qualitäten der deutschen geschichtswissenschaftlichen Tradition zu, etwa Empathie und Unparteilichkeit. Vergiftetes Lob war bei Kisch lediglich zweimal festzustellen. Mit dem Rückgang seiner Wahrnehmung als Kämpfer für „die jüdische Wissenschaft“¹⁷⁰ nahm auch bei ihm die Anerkennung zu, wurde auch er für die deutsche Geschichtswissenschaft als Experte auf etwas abseitig gelegenen Feldern vereinnahmt.
Dieser Topos findet sich häufig im Urteil von deutschsprachigen Historikern über (vermeintlich) amerikanische Geschichtswissenschaft, siehe Stelzel: Rethinking, S. 164, S. 302– 304 und S. 132 f., wo dies sogar in einer Sammelrezension von Klaus Epstein nachgewiesen wird, in der dieser behauptet „American historians are handicapped“ in Bezug auf deutsche Geschichte – und das unter anderem auf Peter Gay bezieht, der ebenso wie Epstein selbst als Kind aus Deutschland emigrierte. Vgl. Stelzel: Impact, S. 293. Ritter: Meinecke, S. 44– 47. Fehr: Kisch.
7.2 Rezensionen in der Historischen Zeitschrift 1949 – 1964
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Den dritten Typus habe ich anhand der Rezensionen über Hallgartens Schriften vorgestellt: Vorbehalte gegen Emigranten trafen ihn mit besonderer Härte, wenn auch später leicht abgeschwächt. Marxistische und pazifistische Überzeugungen nicht verhehlend, galt er als ‚undeutsch‘, gemäß seinen kritischen Studien über deutschen Imperialismus vor 1914 und die Rolle des militärisch-industriellen Komplexes (mit einem erst 1956 von Charles Wright Mills geprägten Begriff) beim Aufstieg Hitlers sogar als antideutsch. Hallgartens sozialhistorische Bemühungen hatten wenig Aussicht, vor der Fischer-Kontroverse im deutschsprachigen Raum zu nennenswertem Einfluss zu gelangen. Die in den qualitativen Analysen genannten Kategorien der Kritik wurden alle auf Hallgarten angewandt; auffallend ist das Bemühen, ihm – und auch von Laue, der diesem dritten Typus zuzuordnen ist – die allgemeine Wissenschaftlichkeit abzusprechen. Mit vergiftetem Lob hielt sich von Laues Rezensent Heinrich von Srbik nicht auf, Hallgarten wurde aber auch damit besonders bedacht. Ein Sonderfall ist die Rezension, die Dietrich Gerhard nach seiner Remigration über Rosenstock-Huessys Deutung der europäischen Geschichte verfasste.¹⁷¹ Denn einerseits war ihr Verfasser selbst im Exil, das besprochene Buch andererseits in erster Auflage bereits 1931 in Jena erschienen. Daher treten in Gerhards Text keinerlei Hinweise darauf auf, dass er Rosenstock-Huessy als Amerikaner betrachte, er spricht ihm vielmehr deutlich als deutsch geltende Attribute wie Gläubigkeit und Gedankentiefe zu. Die Ambivalenzen der zwischen respektvollem Staunen und verständnislosem Kopfschütteln schwankenden Rezension drücken jedoch ebenfalls einen Ausschluss des Rezensierten aus der deutschsprachigen Historikerzunft aus: Gerhard spricht dem Werk letztlich seine Wissenschaftlichkeit ab; der Autor ist für ihn „ein ungemein reicher, geschichtsbewußter Geist“ und Geschichtsphilosoph, nicht aber ein Historiker. Zuletzt sei eine Rezension neuen Typs genannt, die im vorliegenden Korpus nur als einmalige Ausnahme vorkommt: Mit Karl Dietrich Bracher besprach ein jüngerer Politologe 1961 die Erzberger-Biographie Klaus Epsteins und lobte sie in den höchsten Tönen, dabei teilweise abweichend von traditionellen Wertvorstellungen der deutschen historischen Zunft. Wie in der qualitativen Analyse erwähnt, handelt es sich dabei um eine außergewöhnlich begeisterte Reaktion, in der insbesondere nicht die Befürchtung aufzufinden ist, der Autor, der als in Harvard lehrender aber in Deutschland wegen seines Vaters Fritz Epstein bekannter Nachwuchshistoriker beschrieben wird, könnte ein negatives Bild der deutschen Geschichte zeichnen. Vielmehr brachte Bracher seine Hoffnung zum Ausdruck, die deutsche republikanische Tradition könnte zusammen mit dem
Gerhard: Rosenstock-Huessy.
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früher als Erfüllungspolitiker verunglimpften Matthias Erzberger in ein positives Licht gerückt werden. Klaus Epstein, der ebenso wie Kisch im Untersuchungszeitraum 15 Besprechungen in der HZ veröffentlichte, beginnend allerdings erst 1957 und daher dichter gedrängt, starb 1967 im Alter von 40 Jahren. Die Nachrufe betonten Epsteins Berufung zum Brückenbauer „zwischen Deutschland und der Neuen Welt“.¹⁷² Bracher schrieb das Vorwort zu Epsteins 1972 erschienener Gedächtnisschrift „Geschichte und Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert“.¹⁷³
7.3 Vergleich mit anderen Rezensionskorpora Die allgemeinen Vermutungen und Erwartungen besagen, dass insgesamt lobende Rezensionen überwiegen.¹⁷⁴ Das dient den Interessen der Beteiligten letztlich mehr als ein Übergewicht tadelnder Besprechungen: Eine scientific community kann durch Anerkennung nach innen und Exklusion nach außen ihre Grenzen definieren und sich dadurch über den Bereich verständigen, in dem die Norm kollegialer Solidarität gelten soll. In den bisher betrachteten Rezensionen überwiegt die Exklusion, und wie gezeigt sind die 1950er Jahre in der HZ auch geprägt von der Vorstellung antagonistischer nationaler Wissenschaftlergemeinschaften – im Kontrast zu Dehios Zielvorstellung vom „Anschluß an das geistige Stromnetz der Welt“.¹⁷⁵ Auch die Verlage können – zumal bei Zuschussprodukten wie der HZ – kein Interesse haben, ihre teuer produzierten Rezensionszeitschriften mit Besprechungen zu füllen, die überwiegend vom Erwerb von Büchern abraten. Ausführliche negative Rezensionen waren auch Karl von Cornides ein Dorn im Auge:
Schwabe: Klaus W. Epstein; vgl. Gatzke: Klaus Epstein; Rothfels: Zwischen Deutschland und Amerika. Vgl. oben, Anmerkung 204 auf S. 257. Bracher: Vorwort. Vgl. wie oben zitiert Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/62: Brief Fritz Redlich an Gerhard Masur, Belmont, Massachusetts 08.06.1963; Interview von Matthias Krämer mit Christopher Molnar in Marburg, 23. August 2012; Klingenböck: Schablone, S. 97 f. Hartmann/Dübbers: Kritik in der Wissenschaftspraxis, S. 45 und vor allem S. 96, haben 363 Fragebögen der in der Soziologischen Revue 1980 besprochenen Autoren ausgewertet, die überwiegend angaben, die Rezension sei positiv ausgefallen (50 %), selten negativ (19 %), sonst unentschieden. Das entspricht der ebenda, S. 72, angegebenen allgemeinen Tendenz zu „Einverständnis und Wertschätzung“ in Rezensionen. Dehio: Geleitwort, S. [VII], vgl. oben, Abschnitt 5.1.2 ab S. 360.
7.3 Vergleich mit anderen Rezensionskorpora
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„Es sind meistens diese langen Besprechungen, in denen die Rezensenten sich irgendeinen Groll von der Seele schreiben, auch qualitativ die schlechtesten und dem Ansehen der Zeitschrift abträglich.“¹⁷⁶
Die Verlagsinteressen formulierte Cornides deutlich im Kontext der Diskussion über eine Anpassung der HZ an „Bücherflut“ und „Rezensionsstau“: „Ich kann nicht umhin, traurige Betrachtungen darüber abzustellen, daß ein offenbar minderwertiges Buch, wie das von Tuchman, verhältnismäßig schnell eine so ausführliche Besprechung gefunden hat,[¹⁷⁷] während unsere eigene Produktion, unter der sich überwiegend Titel von anerkannter wissenschaftlicher Qualität befinden, so schlecht wegkommt.[¹⁷⁸] Wenn wir uns jetzt mit Überlegungen hinsichtlich der Umgestaltungdes[sic] Besprechungsteiles der HZ befassen, so würde ich das Hauptproblem in der Frage sehen, wie können wir eine baldige Besprechung der wichtigsten historischen Neuerscheinungen durch anerkannte Fachleute sichern?“¹⁷⁹
Als Idealbild wird ganz im Sinne einer „reziproke[n] Reputationsspirale“¹⁸⁰ deutlich, dass in der angesehensten Zeitschrift die angesehensten Rezensenten die angesehensten Werke der angesehensten Autoren besprechen sollten, was zur Steigerung des symbolischen Kapitals aller Beteiligten beitragen würde und zudem gut für die Buchverkäufe wäre. Förderlicher für Buchverkäufe und das symbolische Kapital aller Beteiligten waren auch, soviel sei vorweggenommen, die im Folgenden untersuchten Korpora von Rezensionen,¹⁸¹ die zum Vergleich mit dem oben diskutierten Korpus nahelagen.
7.3.1 HZ-Rezensionen von Emigranten 1949 – 1964 Der Verdacht, dass im Rezensionswesen ein simpler Austausch von Gefälligkeiten und Aggressionen vorherrsche, von Fritz Redlich formuliert als „I skratch[sic] your
BWA F5/1614: Brief [Karl von Cornides] an Walther Kienast, Wien, 19.10.1967. Vgl. Helmuth K. G. Rönnefarth: Rezension zu Barbara Tuchman, August 1914, London 1962; in: HZ 206 (1968), S. 148 – 152; siehe zum Kontext der sehr absprechenden Rezension, auf die Cornides seine Einschätzung des Buches stützt, oben, S. 428 f. Dass die Oldenbourg-Produktion „schlecht wegkommt“ bezieht sich auf den Rezensionsstau, nicht auf negative Bewertungen. BWA F5/1614: Brief [Karl von Cornides] an Walther Kienast, Wien, 14.09.1967. Blaschke: Hand am Puls der Forschung, S. 101, vgl. oben, S. 375. Vgl. die Liste der untersuchten Rezensionen im Anhang, zum Umgang mit ihnen oben, Anmerkung 5 auf S. 467.
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back and you scratch mine oder negativ auf Deutsch: Haust Du meinen Juden, hau ich Deinen Juden“,¹⁸² würde vermuten lassen, dass die untersuchten Emigranten im Gegenzug zu der Ablehnung, die sie in der HZ erfuhren, selbst auch negative Rezensionen publizierten. Das Gegenteil war der Fall: Im obigen Untersuchungszeitraum 1949 – 1964 erschienen 48 Besprechungen von den Mitgliedern der emigrierten Untersuchungsgruppe in der HZ,¹⁸³ beginnend 1953, intensiviert ab 1958. Dehios Bemühungen, nach Wiedererscheinen der HZ rasch die Versäumnisse der Kriegs- und Zwischenkriegsjahre aufzuholen, stützten sich also zunächst nicht auf Rezensionen von jenen Emigranten. Dann aber zeigt sich, dass die Untersuchungsgruppe überwiegend fremdsprachige Literatur, teilweise deutschsprachige Literatur aus dem Ausland, und nur in 14 Fällen Bücher aus der Bundesrepublik in der HZ besprach.Von den besprochenen fremdsprachigen Werken war der Löwenanteil (20) englischsprachig, daneben gab es französische, spanische und italienische Publikationen. Allerdings kamen keineswegs alle Untersuchungspersonen in der HZ zu Wort: Die von den oben beschriebenen symbolischen Exklusionspraktiken weniger Betroffenen hatten wohl auch eher Gelegenheit und Motiv, in der HZ zu rezensieren. So publizierten nur fünf der Emigranten die hier betrachteten 48 Besprechungen, nämlich Fritz Epstein (4), Carl Misch (5), Gerhard Masur (9), Klaus Epstein und Guido Kisch (je 15). Dieses Engagement bezeugt ihr Selbstverständnis, als Teil der HZ-Rezensentengemeinschaft etwas zur deutschsprachigen Geschichtswissenschaft beitragen zu können.Was sie beizutragen hatten, lässt sich anhand des weit überwiegenden Tenors ihrer Besprechungen ausmachen: Nach der in Abschnitt 7.2.1 vorgestellten, an Schulnoten orientierten Skala werteten die Emigranten sehr positiv, im Durchschnitt mit 1,9. In Fünfjahresschritten blieb dieser Durchschnittswert konstant, lediglich in zwei Jahren, 1961 und 1963, gab es mit 2,5 und 2,2 durchschnittliche Bewertungen über 2, was bedeutete, dass ausnahmsweise nicht der Ausdruck höchsten Lobes dominierte. Von wenigen Ausnahmen¹⁸⁴ abgesehen, traten die Emigranten mit der Haltung auf, der HZ-Leserschaft Bücher ans Herz zu legen, die sie wichtig und lesenswert fanden, und von denen sie zum Teil angenommen haben dürften, dass sie ohne ihre nachdrückliche Empfehlung nicht die gebührende Aufmerksamkeit
Wie oben, in Abschnitt 7.1.2, im Kontext zitiert: Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/62: Brief Fritz Redlich an Gerhard Masur, Belmont, Massachusetts 08.06.1963. Vgl. Historische Zeitschrift. Register 1949 – 1964; eine Liste der Rezensionen aus der HZ 1949 – 1964 von Untersuchungspersonen findet sich im Anhang. Vgl. zum Umgang mit ihnen oben, Anmerkung 5 auf S. 467. Leicht negative oder negative Rezensionen kamen insgesamt nur drei vor: Klaus Epstein: Gottlieb; Fritz Epstein: Leo Stern; Kisch: Franklin.
7.3 Vergleich mit anderen Rezensionskorpora
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in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft gefunden hätten. Zwei Spezialfälle sind dabei hervorzuheben: Als Gerhard Masur 1963 Eugen RosenstockHuessy besprach, und Carl Misch 1964 Klaus Epstein,¹⁸⁵ ging es in beiden Fällen um eine neue Ausgabe eines Werkes, das schon zuvor in der HZ besprochen worden war, in Rosenstock-Huessys Fall 1956 von Dietrich Gerhard, und zwar eher ablehnend, bei Klaus Epstein 1961 von Karl Dietrich Bracher,¹⁸⁶ und zwar ebenso begeistert wie von Misch zur neuen, ins Deutsche übersetzten Ausgabe 1964. Misch bezog sich in seiner Besprechung ausdrücklich und zustimmend auf die frühere Rezension der englischen Ausgabe. Masur dagegen überging die frühere Rezension, deren Tenor er nicht zustimmte, verwies aber auf seine Ähnlichkeit zu Büchern, die bereits in der Weimarer Zeit „so oft Ablehnung und Widerspruch in der Zunft hervorriefen“, um dann gegen diese Widerstände zu argumentieren.¹⁸⁷ Die beiden Rezensionen sind die einzigen, in denen Untersuchungspersonen andere Untersuchungspersonen besprachen. Dass die Bewertungen positiv ausfielen, kann angesichts des durchschnittlichen Tenors der 48 Besprechungen von Untersuchungspersonen in der HZ in dieser Zeit nicht überraschen. Ein markanter inhaltlicher Unterschied fällt jedoch ins Auge: Nicht nur empfahlen diese Rezensionen ein bereits früher der deutschsprachigen Zunft bekannt gemachtes Werk als besonders lesenswert, sondern sie taten das für eine neue Auflage, so als ob sie das Gefühl beschliche, dass die früheren Auflagen zu wenig Anerkennung in der Zunft gefunden hätten. Dieses Gefühl wäre sehr nachvollziehbar, wenn man die Eindrücke der Emigranten vom Verhalten der Zunft ihnen gegenüber in Betracht zieht, die sie etwa mit HZ-Rezensionen eigener Werke selbst erlebt hatten. Dass die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zur Zunft ein entscheidender Aspekt von Rezensionen ist, vielleicht der wichtigste Aspekt überhaupt, zeigt sich in mehrfacher Hinsicht an der Reaktion Rosenstock-Huessys auf Masurs – insgesamt lobende – Besprechung. Rosenstock-Huessy sprach Masur in einem handschriftlichen Brief ¹⁸⁸ als Mitglied der deutschsprachigen Historikerzunft an, als der er ihm als HZ-Rezensent erschien. Dies weist auf Masurs Chance hin, sich als Zunftmitglied zu fühlen und zu inszenieren, indem er Rezensionen für die HZ verfasste – auch als Emigrant. Andererseits verweist Rosenstock-Huessys generalisierende Vorhaltung, dass Masur ihn so schlecht behandle wie der zünftige Mainstream ihn regelmäßig behandelt habe, auf die emotional effektvolle Machtposition, aus der heraus ein HZ-Rezensent die Nichtzugehörigkeit eines Masur: Rosenstock-Huessy; Misch: Klaus Epstein. Gerhard: Rosenstock-Huessy; Bracher: Klaus Epstein. Masur: Rosenstock-Huessy. Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/62: Brief Eugen Rosenstock-Huessy an Gerhard Masur, Norwich (Vermont) 26.09.1963.
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Rezensierten zur Zunft signalisieren konnte, selbst wenn er mit positivem Tenor rezensierte. Für Rosenstock-Huessy scheint in dieser Behandlung als Außenseiter die ihm unverständliche eigentliche Verletzung zu liegen,¹⁸⁹ nicht in den lobenden oder tadelnden Bemerkungen einer Rezension. Wegen seiner besonderen Bedeutung für das Gefühl des Ausgeschlossenseins von in der HZ rezensierten Emigranten – selbst bei lobenden Rezensionen, selbst von gleichfalls emigrierten Historikern – zitiere ich Rosenstock-Huessys Schreiben vollständig: „Sehr geehrter Herr Masur, Der Verlag schickt mir Ihre Kritik aus der Historischen Zeitschrift. Sie haben sie mir nicht zugesandt, wollen also keinen Verkehr. Ich muss Sie aber sachlich auf einen Punkt hinweisen, der mir unbegreiflich bleibt. In der Entwicklung der Revolutionen von 1046 ab habe ich nirgends behauptet, dass Preussen und Österreich Revolution im grossen Sinne gemacht hätten. Beider Aufkommen und Abstieg bedeutet die Anpassungsvorgänge des deutschen Gebiets an die englische und die französische Revolution, und die USA. und Russland traten nun in eine vergleichbare Hegemonialrolle für die Anpassung dieses Mitteleuropa an die Weltkriegsrevolution. Das steht so in dürren Worten in meinem Buch, wenn man sich nicht auf die Kapitelüberschrift ‚Die Revolution der deutschen Grossmächte‘ beschränkt. Dieser Anpassungsvorgang ist geistig eine viel geringere Leistung als die Halbrevolutionen Hollands oder der USA. Nur weil deutsche Leser ihn natürlich wichtiger nehmen, habe ich ihn behandelt, um zu zeigen, wie eine Anpassung – statt einer Revolution – aussieht. Bei der nächsten Auflage werde ich ‚Anführungsstriche‘ setzen. Aber meine wirkliche Beschwerde bezieht sich darauf, dass Sie das ganz neu aus anderen Quellen in harten fünf Jahren 1933 – 1938 hier im Lande geschriebene ‚Out of Revolution‘ sich überhaupt nicht angesehen haben – wo die Preussen-Österreich Anpassung, weil für Amerikaner geschrieben, viel schärfer proposticuiert [?] wird. Ich finde auch bei Ihnen die mir bis heute immer neu überraschende Methode: Dem kleinsten Doktoranden schuldet Ihre Schule und erweist Ihre Schule die Reverenz, sich in seinen Quellen und Methoden ausführlich umzusehen. Bei mir genügen ein paar kavaliermässige Bemerkungen. Ob die nun tadeln oder loben, ist gleichgültig. Was ich nie begreifen
Dabei nutzte Rosenstock-Huessy seine Positionierung zwischen allen Stühlen auch zur Selbststilisierung: „Die Theologen meinten, ich sei wohl ein Soziologe, / die Soziologen murmelten: wahrscheinlich ein Historiker. / Die Historiker waren darob entsetzt und riefen: ein Journalist.“ Eugen Rosenstock-Huessy: eine autobiographische Notiz; in: Eugen Rosenstock-Huessy Gesellschaft, URL: https://www.rosenstock-huessy.com/index.php/themen/lebensbilder/61eugen-rosenstock-huessy-eine-autobiographische-notiz (zuletzt abgerufen am 7. Januar 2019, Archiv-URL: http://www.webcitation.org/75EiQBfVk).
7.3 Vergleich mit anderen Rezensionskorpora
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werde, ist, dass Sie sich der fachlichen Strenge für Ihre eigenen lobenden oder tadelnden Bemerkungen überhoben glauben; sobald Sie es mit mir zu tun haben, genügt die leichtfertigste Behauptung Ihrerseits. Voll Verwunderung Ihr Eugen Rosenstock-Huessy“¹⁹⁰
Im ersten Absatz setzt Rosenstock-Huessy eine Regel voraus, dass Rezensenten ihre Rezension an Rezensierte senden, um Austausch darüber zu initiieren. Dass Masur das nicht getan habe, deutet er als Verweigerungshaltung gegenüber einer Kommunikation über die Rezension – und damit möglicherweise als weiteren Akt des Ausschlusses aus dem zünftigen Kommunikationsraum. Ende des zweiten Absatzes suggeriert Rosenstock-Huessy, Masur habe von dem besprochenen Buch womöglich nur die Kapitelüberschriften gelesen, um zu erklären, dass Masur die Differenzierungen in Rosenstock-Huessys ausgedehntem Revolutionsbegriff nicht wie von diesem intendiert verstehe. Die Hauptkritikpunkte, die Rosenstock-Huessy anschließend formuliert, dass Masur seine Quellen und Methoden nicht untersucht und ein anderes, 25 Jahre altes Buch nicht ergänzend herangezogen habe, sind ebenso irritierend wie die ausdrückliche Indifferenz im Hinblick auf Lob und Tadel. Begriffe wie „kavaliermässige“, „leichtfertigste“ oder „überhoben“ (statt enthoben) deuten darauf hin, dass Rosenstock-Huessy in der Rezension eine Überheblichkeit Masurs und entsprechend seine eigene Unterlegenheitsposition wahrnahm. Der wiederholte Bezug auf Masurs „Schule“ lässt diese Oben-Unten-Konstellation als das von Rosenstock-Huessy von einer HZ-Besprechung erwartete Muster erscheinen. Der Eindruck, dass Rosenstock-Huessy Masurs Absichten aufgrund seiner Erwartungen missverstand, liegt dabei nahe. Schließlich empfiehlt Masur die Auseinandersetzung mit der besprochenen Neuausgabe. Dass sowohl Masur als auch Misch die eigene leidvolle Emigrationserfahrung bei ihren empfehlenden Rezensionen für ein in neuer Ausgabe erschienenes Emigrantenwerk vor Augen stand, zeigt sich daran, dass beide die Emigration der Rezensierten ausdrücklich hervorhoben: Für Masur waren „die Erfahrungen, die der Verfasser [Rosenstock-Huessy] während zweier Jahrzehnte in den Vereinigten Staaten gesammelt hat“ eine Bereicherung und ein Qualifikationsmerkmal für die
Nachlass Gerhard Masur, IfZ ED 216/62: Brief Eugen Rosenstock-Huessy an Gerhard Masur, Norwich (Vermont) 26.09.1963. Kursive Hervorhebungen sind im Original unterstrichen. Nebenbei sei bemerkt, dass Rosenstock-Huessys besprochenes Buch das Verhältnis zwischen historischen Revolutionen und spekulativen Nationalcharakteren diskutiert. Das Thema eines deutschen nationalen Charakters griff Masur auch in seinem Vortrag auf dem Historikertag 1974 wieder auf.
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„bedeutsame“ geschichtsphilosophische Betrachtung.¹⁹¹ Misch thematisierte Klaus Epsteins Emigration präzedenzlos explizit, bewertete sie auch als Verlust, und es liegt nahe, dass Misch seine eigene Biographie und seine Einstellung zu „den deutschen Dingen“ in Epstein wiedererkannte: „Der Autor, 1927 als Deutscher in Deutschland geboren, hat sie [die deutsche Ausgabe] nicht selbst hergestellt. Als Kind schon kam er ins englische Sprachgebiet, ist ein Zögling von Harvard. Das deutsche Sprachgebiet hat ihn verloren, wie so viele andere, als Folge der großen Vertreibung. Aber sein Interesse blieb den deutschen Dingen erhalten; davon zeugt diese Biographie, die Bracher ‚eine vorbildliche Untersuchung‘ nennt.“¹⁹²
Kisch und Klaus Epstein waren mit je 15 Besprechungen unermüdliche Rezensenten für die HZ. Während Kisch aber eher kürzere Besprechungen zu seinen Spezialgebieten Jüdische Geschichte und Rechtsgeschichte vorlegte, präsentierte Klaus Epstein seit seinem 30. Lebensjahr 1957 ausführliche Review-Essays, die sich über bis zu zehn Seiten erstreckten,¹⁹³ brisante Themen des 19. und 20. Jahrhunderts betrafen und große Resonanz erzeugten: „It is no exaggeration to say that Klaus Epstein was the most influential and respected reviewer of German historical literature of his generation“.¹⁹⁴
Das galt nicht nur für seine Besprechungen englischer Werke in der HZ, sondern auch für die Vorstellung deutscher Werke, vor allem zur Zeitgeschichte,¹⁹⁵ in englischer Sprache.¹⁹⁶
Masur: Rosenstock-Huessy. Misch: Klaus Epstein. Klaus Epstein: Sontheimer. Nicht als Besprechung gezählt habe ich hier Klaus Epstein: Der Interfraktionelle Ausschuss und das Problem der Parlamentarisierung 1917– 1918; in: HZ 191 (1960), S. 562– 584. Man könnte den Aufsatz aber mit guten Gründen auch als den Rahmen sprengende Besprechung bewerten (bevor die HZ Leitrezensionen etablierte): Klaus Epstein: Rezension zu Erich Matthias/Rudolf Morsey (Bearb.), Der Interfraktionelle Ausschuß 1917/18, Düsseldorf 1959; in: HZ 191 (1960), S. 562– 584. Craig: Klaus Epstein, S. 200. Bracher: Vorwort, S. 11. Beides gesammelt und neu herausgegeben in: Epstein: Geschichte und Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert.
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7.3.2 HZ-Rezensionen 1965 – 1977 Wirft man einen Blick auf die Jahre nach 1964, fällt auf, dass ausgesprochen positive Rezensionen häufiger werden,¹⁹⁷ jedoch weiter alle drei in Abschnitt 7.2.4 beschriebenen Rezensionstypen vorkommen. Hinzu kommt eine häufige Thematisierung der bis 1964 regelmäßig beschwiegenen Emigration der Rezensierten. Nun dient dies aber nicht dem Zweck, sie als Fremde zu exkludieren, sondern es soll öfters hervorheben, dass sie qua transatlantischer Biographie in ihrer Arbeit eine transatlantische Scharnierfunktion übernehmen konnten. HZ-Herausgeber Schieder selbst argumentierte exemplarisch so: „Der Lebensgang des Vf.s [Gerhard Masur] ist für die Konzeption und die Durchführung des Werkes nicht ohne Bedeutung gewesen. Seine Ursprünge liegen, wie er selbst bekennt, in der Begegnung des Studenten mit der Kulturphilosophie von Ernst Troeltsch. Die Kunst und das hochausgebildete Vermögen, Monographien großer Persönlichkeiten in ihrem Gewebe biographischer, geistesgeschichtlicher und politisch-sozialer Fäden zu schreiben, geht auf die Berliner Schule Friedrich Meineckes zurück, wie überhaupt die in diesem Buche zu erkennende Erfassung des Geschichtlichen in der großen Individualität hier ihre Wurzel hat. Dazu kamen die vielfältigen Anregungen, die aus amerikanischen Erfahrungen stammen, namentlich das sozialwissenschaftlich bestimmte Methodenbewußtsein des Historikers, wenn mir auch scheint, daß es im ganzen doch schwächer in seinen Einflüssen geblieben ist als das kulturanthropologische und geschichtsphilosophische Fundament der Berliner Schule zu Beginn der zwanziger Jahre.“¹⁹⁸
Seinem Fundament sei Masur treu geblieben, deutet Schieder hier an, und betont Jahre später nochmals klarer, dass „Gerhard Masur mit bewundernswerter Beharrlichkeit festgehalten“¹⁹⁹ habe an seiner geistesgeschichtlichen Ausrichtung der 1920er Jahre. Damit kennzeichnet er Masur zwar als unzeitgemäß, findet das aber nicht veraltet oder überholt, sondern würdigt im Gegenteil Masurs feste Verwurzelung in der Meinecke-Schule als Chance, an die große geschichtswissenschaftliche Tradition anzuknüpfen, „die man eigentlich längst totgesagt hat“.²⁰⁰ Der Emigrant erscheint hier nicht als Brückenbauer über den Atlantik, sondern über den Nationalsozialismus hinweg, in die gute alte Zeit. Damit bringt Schieder Masur als Meinecke-Schüler zur Verteidigung der deutschen historiographischen Tradition in Stellung, die in den 1970er Jahren von der jüngeren Generation herausgefordert wurde, und zwar kristallisiert an der Berufung auf Als deutlich positive Rezensionen über die Untersuchungsgruppe seien herausgegriffen: Gembruch: Hirsch; Hammerstein: Kisch; Preiser: Gilbert; Liermann: Kisch. Schieder: Masur (1970). Schieder: Masur (1976). Ebenda.
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den Meinecke-Schüler Hans Rosenberg.²⁰¹ Die Konstellation, die einen Richtungskampf in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft ausdrückt, stellt sich – vereinfacht – etwa so dar: Theodor Schieder beruft sich auf die Geistes- oder Ideengeschichte Friedrich Meineckes, die ihm Gerhard Masur in seiner „Beharrlichkeit“ bestens repräsentiert. Hans-Ulrich Wehler beruft sich dagegen auf die Sozialgeschichte Hans Rosenbergs, die sich von „den elitär-esoterischen Projekten der Meinecke-Schule“²⁰² abgrenze. Schieder und dessen Schüler Wehler benutzen also die direkten Meinecke-Schüler Masur und Rosenberg, um verschiedene Entwicklungsrichtungen der Meinecke-Schule zu verfechten. Dabei stehen Schieder und mit ihm Wehler selbst ebenfalls in der Tradition der Meinecke-Schule, und zwar über Schieders Habilitationsbetreuung und ‐beeinflussung durch Hans Rothfels.²⁰³ Wehler begibt sich aber in die Position des Veränderers und Innovators, um nicht zu sagen des Umstürzlers, weshalb Bezüge auf Marxismus und Revolution für seine Richtung wie für die Gegenseite hohe Symbolkraft besitzen. Der Marxismus erscheint aber vor allem als Pose, die in Zeiten des Kalten Krieges beiden Seiten gut zur Abgrenzung taugt. Denn Rosenbergs Weiterentwicklung der Meinecke-Schule ist eher eine sanfte Strömung zur „Verbindung von Geistesgeschichte, Sozialgeschichte und politischer Gesinnungs- und Parteigeschichte“ als ein radikaler Bruch mit ihren „elitär-esoterischen Projekten“.²⁰⁴ Eine Rezension Rosenbergs durch Schieder verdeutlicht diesen Widerspruch, indem sie zwei gegensätzliche Haltungen ihm gegenüber aufzeigt: „Diese These [Rosenbergs], die übrigens marxistische Denkschemata sehr entschieden widerlegt, hat etwas Überraschendes“ für Schieder, weil es für ihn antimarxistisch ist, dass die Lage der Arbeiter sich nicht immer weiter verschlechtert, sondern verbessert. Schieders Erwartung gegenüber Rosenberg scheint zu sein, dass dieser eine marxistische Verelendungstheorie vortragen würde, laut der die „Große Depression“ auf sozioökonomischer Verelendung basiere: „Es läßt sich allerdings fragen, wieweit solche Reaktionen ausschließlich Im selben Jahr 1976, in dem Schieder Masur zur Berufung auf und Verteidigung von Meinecke heranzieht, identifiziert Werner Conze einen Generationenkonflikt in der Festschrift für Hans Rosenberg zum 70. Geburtstag, in dem sich die jüngere Generation um den Festschrift-Herausgeber Wehler gegen die Meinecke-Tradition richte: Werner Conze: Rezension zu Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Sozialgeschichte heute. Festschrift für Hans Rosenberg zum 70. Geburtstag, Göttingen 1974; in: HZ 223 (1976), S. 373 – 375, vgl. oben, Anmerkung 560 auf S. 346. Wehler: Vorwort Festschrift Rosenberg, S. 10. Ingo Haar: Theodor Schieder; in: Ingo Haar/Michael Fahlbusch (Hg.): Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen, Institutionen, Forschungsprogramme, Stiftungen, München 2008, S. 623 – 629, hier S. 626. Wehler: Vorwort Festschrift Rosenberg, S. 10, im ersten Teil Rosenberg zitierend.
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auf sozialökonomische Vorgänge zurückgeführt werden können. R.[osenberg] verwahrt sich mehrfach gegen eine so einseitige Interpretation, wenn sie auch, seinem ‚experimentellen‘ Ansatz zufolge, in seiner Darstellung dominiert.“ Schieder ist offenbar von seinem eigenen Rosenberg-Bild irritiert und daher immer wieder überrascht, wie geistesgeschichtlich, qualitativ und individualisierend Rosenberg vorgeht: „Der Vf. [Rosenberg] ist weit davon entfernt, sich auf rein strukturelle oder gar quantitative Argumente zu beschränken, eher neigt er zu sehr entschiedenen qualitativen Urteilen. So wird auch das personalistische Moment im geschichtlichen Prozeß stark betont, namentlich in negativem Sinne in der Bewertung Bismarcks. […] Ja, die Verwandlung des Nationalstaats in den Klassenstaat, die Spaltung der Nation wird als sein [Bismarcks] Werk bezeichnet. Der Vf. gibt zu, daß dies nicht ganz so deutlich in den Akten stehe, meint aber, daß es trotzdem historisch wahr sei.“
Methodologisch platziert Schieder Rosenberg irritierend auf der marxistischen Seite objektiver historischer Gesetzmäßigkeit, um seine eigene Position nicht etwa auf rein geistesgeschichtlicher Seite zu verorten, sondern bereits in einer soziologisch informierten Mittelposition bei Max Weber zu finden: „Die Frage nach dem ausschließlichen Erkenntnisobjekt des intendierten Handelns, wie es die ‚verstehende Soziologie‘ Max Webers aufgestellt hat, oder das Problem der objektiven, im historischen Objekt verborgenen Gesetzmäßigkeiten ist damit aufgeworfen.“
An diesem Weber-Bezug erkennt man wohl, dass der sozialgeschichtliche Umsturz der 1970er Jahre so revolutionär nicht war, weil er dem Marxismus nicht näherstand als Weber. Ökonomistische Monokausalität, wie Schieder sie beim vermeintlichen Marxisten Rosenberg vermutete, konnte er dort nicht finden, sondern fand staunend seine eigenen Überzeugungen bestätigt: „Die Mehrdimensionalität und der ‚Pluralismus‘ historischer Vorgänge ist in beiden Fällen unübersehbar; aber hierin glaube ich mich in voller Übereinstimmung mit dem Vf. zu befinden, der sich ausdrücklich gegen ‚eine grundsätzliche Sanktionierung der anachronistisch gewordenen Lehre von der Priorität, geschweige denn vom Primat ökonomischer Kausalitäten‘ in der Geschichte wendet (S. 20).“²⁰⁵
Dass Schieders Frontstellung gegenüber Rosenberg auf der Phantasie beruhte, dieser vertrete eine ganz andere – quasi marxistisch unterwanderte – Wissenschaftsauffassung, mag dem antikommunistischen Zeitgeist geschuldet gewesen sein, in dem der Feind des Althergebrachten stets im Marxismus vermutet wurde. Alle Zitate seit der vorigen Anmerkung aus Schieder: Rosenberg.
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Geistesgeschichte, Ideengeschichte und Sozialgeschichte, alle begründet in neukantianischer Erkenntnistheorie – wie der Max Webers – taugen aber nicht als Gegensätze, ebenso wenig die Mitte der 1970er Jahre noch nicht (wieder) diskutierte Kulturgeschichte.²⁰⁶ Insofern stammt ein Stück der Ambivalenz in den Rezensionen dieser Zeit aus dem Bedürfnis, sich irgendwie abzugrenzen, und der Erkenntnis, dass emigrierte Historiker sich nicht so stark wie gedacht von nichtemigrierten unterschieden – speziell wo die Meinecke-Schule als verbindendes Element spürbar war. Lothar Gall war dem auf der Spur, als er eine neue Ausgabe von Rosenbergs Aufsätzen besprach:²⁰⁷ „Dieser Sammelband […] muß den Leser […] einigermaßen verwirren. Bemüht sich doch der Autor in seiner Einleitung nach Kräften, die Erwartungen, die sein Name und die auch die Veröffentlichungsreihe weckt, in der der Band erscheint [Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft], auf ein Minimum zu reduzieren, ja, von der weiteren Lektüre geradezu abzuschrecken.“
Rosenbergs Aufsätze machten deutlich, dass von einer „kopernikanischen Wendung“ der deutschen Geschichtswissenschaft nicht die Rede sein könne, sondern dass Rosenbergs „Schüler“ (Gall setzt dies in Anführungszeichen, wohl wegen der fehlenden Doktorarbeitsbetreuungs-Beziehung) fest „mit spezifisch deutschen histographischen Traditionen“ der Geistesgeschichte nach Meineckes Vorbild verbunden seien. In den 1960er und 1970er Jahren setzte sich damit offenbar die Einsicht durch, dass die Emigranten eben doch deutschsprachige Historiker waren, viel ähnlicher und viel weniger ikonoklastisch als der in der HZ repräsentierte Mainstream zuvor befürchtet hatte. Ausnahmen gab es weiterhin: Insbesondere George W. F. Hallgarten mit seiner marxistischen Rhetorik stieß weiter nicht auf Gegenliebe,²⁰⁸ so dass junge Historiker nach seinem Tod mit einer Gedenkschrift²⁰⁹ wider den Stachel löcken konnten, um sich als Alternative zum Mainstream zu positionieren.
Man vergleiche auf die Bezüge zu Neukantianismus, Weber und die Erkenntnistheorie der Kulturwissenschaften hin die Artikel in Stefan Jordan (Hg.): Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe, Stuttgart 2002, speziell Gangolf Hübinger: Geistesgeschichte, S. 101– 104; Luise Schorn-Schütte: Ideengeschichte, S. 174– 178; Jürgen Kocka: Sozialgeschichte, S. 265 – 269; Gangolf Hübinger: Kulturgeschichte, S. 198 – 202, insbesondere ebenda, S. 201, zur dramatisierenden Entgegensetzung von Fachströmungen in der Geschichtswissenschaft. Gall: Rosenberg. Conze: Hallgarten (1966). Radkau/Geiss: Imperialismus.
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Dem entspricht auch die Gesamtbilanz der HZ-Rezensionen über die emigrierten Untersuchungspersonen 1965 – 1977: Mit 32 Besprechungen in 13 Jahren wurden sie in der HZ stärker beachten als vorher,²¹⁰ mit einer Durchschnittsbewertung gemäß der Schulnoten-Skala von 2,3 verbesserte sich das Ansehen der Emigranten deutlich gegenüber dem in Abschnitt 7.2.1 ermittelten Wert von 3,7. Der in der ersten Hälfte der 1960er Jahre mit einem Durchschnitt von 2,6 sichtbar gewordene Trend setzte sich fort. In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre war die Bewertung im Schnitt allerdings noch etwas positiver (2,1) als in den 1970er Jahren, als es sich um eine Durchschnittsbewertung von 2,4 einpendelte. Im Zeitraum des nächsten HZ-Registerbandes, 1978 – 1987,²¹¹ sind nur noch sieben Rezensionen über die Untersuchungsgruppe verzeichnet. Nachdem in den 1960er Jahren bereits die ersten ihrer Mitglieder verstorben waren, veränderte sich sukzessive auch der Diskurs über die Emigranten – die posthume Rezeption folgt allerdings anderen Regeln als die direkte Auseinandersetzung im Feld der Rezensionen.²¹²
7.4 Zusammenfassung 7.4.1 HZ-Rezensionen als Quellen In der HZ erschienene Rezensionen bieten sich als Quellen zur Untersuchung des Verhältnisses zwischen emigrierten Historikern und solchen, die nicht emigriert waren, aus verschiedenen Gründen an. Rezensionen sind geradezu serielle Quellen, da sie einen regelmäßig auftretenden Aufbau typischer Elemente haben. So sind Rezensionen untereinander vergleichbar; ein Korpus von Rezensionen kann auf Aspekte hin befragt werden, die einzelne Rezensenten nicht durch ihre Texte zum Ausdruck bringen wollten, die aber dennoch in der kollektiven Betrachtung – durch Wiederholung – auffindbar und an neuem, ähnlichem Material überprüfbar sind. In der Rezensionsanalyse geht es nicht um die besprochenen Werke – sie werden sogar bewusst außen vor gelassen. Stattdessen lautet die
Vgl. Historische Zeitschrift. Register 1965 – 1977. Eine Liste der Rezensionen aus der HZ 1965 – 1977 über Untersuchungspersonen findet sich im Anhang. Vgl. zum Zitationsverfahren für Rezensionen oben, Anmerkung 5 auf S. 467. Historische Zeitschrift. Register 1978 – 1987. Schon am Beispiel Klaus Epstein wird deutlich, dass sein früher Tod eine wichtige Gelegenheit war, in anderer Weise als zuvor über emigrierte Historiker, ihre Emigrationserfahrungen und ihre Nachkriegsbemühungen zu sprechen. Vgl. Bracher: Vorwort; und die Nachrufe Rothfels: Zwischen Deutschland und Amerika; Schwabe: Klaus W. Epstein.
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Grundfrage, die mit Hilfe der Rezensionen zu beantworten ist, welche kollektiven sozialen Prozesse in ihnen und durch sie stattfinden.²¹³ Wie verhalten sich die Rezensenten, die hier einen Mainstream in der deutschsprachigen Historikerzunft repräsentieren, gegenüber den Emigranten, die sich nach 1945 bemühen, Einfluss auf die deutschsprachige Geschichtswissenschaft auszuüben und dieser einen Ausweg aus der nationalen Isolation anzubieten? Vor dem Hintergrund, dass die Nachkriegs-HZ unter „Dehio und Kienast als sehr tolerant“ gegenüber Historikern einzuschätzen ist, die sich „offen und dezidiert zum Nationalsozialismus bekannt hatten“²¹⁴, kann anhand der Rezensionen auch die These überprüft werden, „daß der Gesinnungswandel nach 1945 nicht bloß opportunistisch begründet, sondern jeweils das Ergebnis einer tiefen inneren Krise war“.²¹⁵ Die HZ eignet sich als die zentrale deutschsprachige Fachzeitschrift besonders gut, um solche Fragen zu beantworten. Aber auch die persönlichen Kontakte, die zwischen der HZ und vielen Emigranten bestanden, sowie das oben vorgestellte Konzept der Nachkriegs-HZ tragen zu ihrer Eignung bei: So war sichergestellt, dass überhaupt in größerem Umfang Rezensionen über Werke von Emigranten erschienen. Diese Aspekte können als dafür verantwortlich gelten, dass bereits in den ersten 15 Jahren nach Wiedererscheinen 11 der 16 Gastprofessoren in der HZ rezensiert wurden, während weiteren vier der Emigranten zumindest kurze Anzeigen gewidmet waren.²¹⁶ Die HZ erwies sich also als durchaus bemüht, auch die Werke der Emigranten zu berücksichtigen – wenn auch meist nicht so stark wie die Werke deutscher Geschichtsprofessoren. Ab 1965 wurden Rezensionen zur Untersuchungsgruppe noch etwas häufiger, bevor sie ab Ende der 1970er Jahre biographiebedingt zurückgingen.
Weber: Ordinarien für Geschichte, S. 144 f. räumt selbstkritisch ein, dass eine externalistische Wissenschaftsbetrachtung mit den Mitteln einer Kollektivbiographie viele Fragen offen lässt und daher der Ergänzung bedarf um die Analyse des entscheidenden Bereichs: der wissenschaftlichen Kommunikation. Gall: 150 Jahre HZ, S. 14; vgl. Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft, S. 107. Gall: 150 Jahre HZ, S. 14. Der einzige nicht in der HZ berücksichtigte Gastprofessor war Manfred Jonas. Er war der jüngste von ihnen, nicht eng mit der Meinecke-Schule vernetzt, und zudem Spezialist für USamerikanische Geschichte. Jonas: The United States and Germany, hätte die HZ dennoch nicht vernachlässigen sollen, vgl. oben, Anmerkung 37 auf S. 478.
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7.4.2 Urteile über Emigranten Bei den 23 Rezensionen 1949 – 1964 fällt auf, dass jede von einem anderen deutschen Historiker verfasst wurde. Das kann als Indiz dafür dienen, dass der Gesamtkorpus die Haltung der deutschen Historikerzunft gegenüber den Emigranten gut repräsentiert. Die Vermutung, dass es spezielle Historiker sein könnten, die immer wieder Emigranten zu besprechen hätten, dass womöglich sogar Remigranten damit beauftragt würden, bestätigt sich nicht. In zwei Fällen stellten Mitglieder der Untersuchungsgruppe in dieser Zeit andere Untersuchungspersonen in der HZ vor. 1965 – 1977 allerdings werden einige Rezensentennamen wiederkehrend: Mit Werner Conze, Theodor Schieder und Hans Herzfeld sind es gerade zentrale Figuren im geschichtswissenschaftlichen Feld der Nachkriegszeit, die sich wiederholt der Rezension von Emigranten widmen, und zwar abgesehen von Conzes Hallgarten-Verrissen stets mit einem leicht positiven Tenor. Insgesamt überwiegen dagegen 1949 – 1964 noch negative Bewertungen. In den fünfziger Jahren werden die Werke der Emigranten allerdings deutlich ablehnender besprochen als in der ersten Hälfte der sechziger Jahre, in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre erscheinen die besten Beurteilungen in der HZ, in den 1970er Jahren haben sich die Besprechungen auf einem leicht positiven bis positiven Niveau stabilisiert. Dies deutet auf eine klare Verbesserung des Ansehens der Emigranten zwischen den fünfziger und siebziger Jahren hin. Betrachtet man zum Vergleich all jene Rezensionen, die im Zeitraum 1949 – 1964 von den vorgestellten Gastprofessoren verfasst wurden, fallen ihre große Anzahl (48) und die meist emphatisch positiven Bewertungen auf. Dass dabei Besprechungen fremdsprachiger Literatur überwogen, deutet darauf hin, dass die Gastprofessoren versuchten, deutschen Historikern ausländische Bücher zu empfehlen, die sonst vielleicht außerhalb ihres Blickfeldes geblieben wären. Die Emigranten trugen so zur Realisierung von Dehios Konzept bei, in der HZ die Verbindung der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft mit der internationalen – hier insbesondere US-amerikanischen – Forschung wiederherzustellen. Der Stil der untersuchten Rezensionen drückt meist traditionelle Werte der deutschen Geschichtswissenschaft aus: Das Bemühen um ausgewogene Urteile, neutrale Unaufgeregtheit und objektive Gerechtigkeit scheint in vielen Rezensionen auf. So fügen manche Rezensenten etwa nach zu viel Kritischem noch einige positive Bemerkungen hinzu oder suchen nach einem (wenn auch geringen) Nutzwert einer eigentlich als unbrauchbar beurteilten Schrift. Dieser Anspruch kam den Emigranten zunächst kaum zugute. Vielmehr erzeugte er zwei häufig auftretende Phänomene, die ich als „vergiftetes Lob“ und als „Ausschluss aus der Zunft“ bezeichnet habe:
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7.4.3 Vergiftetes Lob und Ausschluss aus der Zunft Vergiftetes Lob kommt in Form ambivalenter Formulierungen zum Ausdruck, die auf den ersten Blick Anerkennung oder Zustimmung signalisieren, sich bei näherem Hinsehen jedoch als implizite Einwände, Vorbehalte oder Tadel entpuppen. Dadurch entsteht in der Besprechung eine Ambivalenz als Indiz verborgener Vorbehalte. Fast in jeder zweiten Rezension bis 1964 kam vergiftetes Lob zum Vorschein, manchmal auch mehrfach.²¹⁷ Ausschluss aus der Zunft knüpft an die geläufige Metapher an, die deutschen Historiker bildeten eine „Historikerzunft“. Dabei gelten Zunftzugehörigkeit und zunftinterne Stellung als ausschlaggebend für beruflichen Erfolg, Ansehen und Einfluss. Mangels beschließender Gremien meint „Ausschluss“ in dieser Metaphorik den symbolischen Akt, jemandem die Zugehörigkeit öffentlich abzusprechen.²¹⁸ Dies bestätigte in der Nachkriegszeit zunächst die bis dahin erfolgte Abkopplung der Emigranten von der „deutschen“ Wissenschaftlergemeinschaft. In dreierlei Hinsicht versuchten manche Rezensenten, die Gastprofessoren als nicht der deutschen Historikerzunft zugehörig zu kennzeichnen: Die exkludierenden Urteile, kein Historiker zu sein (oder unhistorisch zu arbeiten) und kein Wissenschaftler zu sein (oder unwissenschaftlich zu arbeiten) wurden jeweils öfter über die Untersuchungspersonen verhängt als die inkludierenden Zubilligungen vorkamen, das rezensierte Werk erfülle bestimmte Kriterien von Geschichtswissenschaft oder Wissenschaft allgemein. Die dritte Möglichkeit, einen Ausschluss aus der Zunft zu erklären, nahm die Form der unschuldig klingenden Bemerkung an, der eigentliche Leserkreis eines Buches seien Amerikaner, oder der Bezeichnung der Gastprofessoren als „Amerikaner“, was dazu diente, ihnen die Beurteilungskompetenz über deutsche Geschichte abzusprechen.²¹⁹ Wohlgemerkt betraf das meist Historiker, die lange in ihren deutschsprachigen Herkunftsländern gelebt und dort ihre Ausbildungen zu Historikern abgeschlossen hatten, bevor das NS-Regime sie zu Fremdkörpern erklärte.²²⁰ Zwei Scheutz: Rezensionen als Ehrdiskurs, S. 76, bezeichnet dieses Phänomen als „Kritik im Mantel des Lobes“. Die Folgen einer solchen Symbolhandlung waren zwar nicht so schwerwiegend wie ein Berufsverbot. Wenn ein Ausschluss-Verdikt aber breite Zustimmung und Befolgung unter den anderen Zunftmitgliedern fand, so konnte dies bedeuten, dass Fachzeitschriften Aufsätze des Betroffenen künftig ablehnten, Fachverlage bei Publikationen zurückhaltend wurden oder die Chancen auf eine Lehrstuhl-Berufung oder anderweitige Anstellung sanken. Vgl. oben, Anmerkung 52 auf S. 482. Besonders frappierend Milatz: Holborn, vgl. oben, Anmerkung 165 auf S. 498. Es ist möglich, dass manchem Rezensenten nicht bekannt war, dass er das Werk eines Emigranten besprach. Aber auch wenn es bekannt war, erwähnten die meisten Rezensenten im
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fellos richteten sich die Gastprofessoren auch an deutschsprachige Leser. Ihre Absicht, in den deutschsprachigen Raum zurückzuwirken, stellten sie ja nicht zuletzt durch die Gastprofessuren unter Beweis. Es ist ein Relikt der Vorstellung getrennter nationaler Wissenschaftsgemeinschaften, dass es bis in die sechziger Jahre hinein eine deutlich abwertende Bemerkung war, dass ein Buch „für amerikanische Leser“ geschrieben sei. Noch stärker tritt die Ausgrenzung zutage, wenn ein Buch als „jüdisch“²²¹ oder als „antideutsch“²²² abgelehnt wurde. Nur drei Gastprofessoren haben 1949 – 1964 deutlich positive Rezensionen in der HZ erhalten: Gerhard Masur und Guido Kisch waren beide sehr konservative Gelehrte, beide mit enger Verbindung zur HZ. Der dritte positiv rezipierte Historiker, Klaus Epstein, gehörte zur jüngeren Generation der Emigranten und war als Rezensent für die HZ ebenfalls sehr aktiv. Es gibt wohl einen Zusammenhang zwischen dem Konservatismus der Emigranten, ihrer Rezensionstätigkeit für die HZ und dem Charakter ihrer besprochenen Werke. Auch ihre konservative politische Einstellung scheint in direktem Zusammenhang zu stehen zu den positiven Besprechungen in der HZ, zumal George W. F. Hallgarten aus der ganzen Gruppe am negativsten, als marxistisch, beurteilt wurde. Die alternative Hypothese, dass bis in die 1960er Jahre die Werke der drei positiv besprochenen Gastprofessoren
Zeitraum 1949 – 1964 die Emigration nicht. In Rezensionen ab 1965 kommt die Emigration hingegen öfters vor, und sie verliert auch ihren Charakter als kompetenzabsprechende Formel, den Gerhard Ritter etabliert hatte in Gerhard Ritter: Rezension zu Hans Rothfels, The German Opposition to Hitler. An Appraisal, Hinsdale, Illinois 1948; in: HZ 169 (1949), S. 402– 405. Über nationale Gegensätze hinaus schreiben zwei der untersuchten Rezensionen deutlich den nationalsozialistischen „Rassengegensatz“ fort, wenn sie ein Buch als den Gegenangriff der „jüdische[n] Wissenschaft“ gegen die deutsche Geschichtswissenschaft bezeichnen, wie Fehr: Kisch; vgl. Hugelmann: Kisch. Einerseits baut die Ausgrenzung der Emigranten als „amerikanische Historiker“ auf die vor 1945 sehr verbreitete Vorstellung, jeweils nationale Wissenschaftlergemeinschaften seien bestrebt, gegeneinander den nationalen Ruhm zu mehren oder andere nationale Interessen zu vertreten. Das markanteste Beispiel für solches Verhalten ist die sogenannte Kriegsschuldfrage der Weimarer Zeit, in der aus deutscher Perspektive quasi nationale Historikerblöcke gegeneinander kämpften. Siehe dazu auch die Entschließungen des deutschen Historikertages; in: HZ 169 (1949), Heft 3, S. 669 f., in denen es um die Herrschaft deutscher Historiker über deutsche Akten geht; vgl. oben, Anmerkung 53 auf S. 482. Solche nationalen Gegensätze sahen auch einige der Rezensenten und beschrieben besprochene Bücher oder ihre Autoren als „antideutsch“. Dieses Denken in der Tradition des nationalen Abwehrkampfs gegen die Kriegsschuld, der als Folge der „totalen“ Mobilmachung der Gesellschaft – auch der Geschichtswissenschaft – im Ersten Weltkrieg verstanden werden kann, flammte in der Fischer-Kontroverse wieder auf. In ihrer Folge konnte sich das Verlangen nach unbedingter nationaler Loyalität von Historikern – bis hin zur Leugnung national unbequemer Tatsachen oder sogar Manipulation von Quellen in diesem Sinne – schlechter durchsetzen.
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„objektiv“ die einzigen guten und sehr guten unter den betreffenden Schriften waren, ist aus äußeren Gründen nicht sehr plausibel: Zu ähnlich waren ihre Ausbildungen, Karrieren und Qualifikationsprofile denen der anderen, ablehnend rezensierten Emigranten. Methodisch nicht in Frage kam es, die Werke selbst zu betrachten und sie quasi selbst zu rezensieren, um das Ergebnis mit der untersuchten Rezension zu konfrontieren.
7.4.4 Perspektiven Emigranten waren in der HZ von der Neugründung an präsent, Schüler Friedrich Meineckes durch eigene Aufsätze in besonderem Maße. Darin drückt sich das Weiterwirken des Netzwerkes aus, das zwischen den meisten Meinecke-Schülern auch in der Emigration lose weiter bestanden hatte, das nach 1945 aber durch den Kontakt zum akademischen Lehrer wieder verstärkt wurde.²²³ Doch für die Haltung der HZ-Rezensenten war dies nicht entscheidend: Allein beim sehr gelobten Gerhard Masur wird die Meinecke-Schülerschaft als Qualitätsmerkmal erwähnt, in den übrigen Besprechungen vor 1965 kommt sie nicht vor. Dass die anderen untersuchten Meinecke-Schüler aber liberal und an Deutschland interessiert waren, macht sie zu durchaus typischen Vertretern der Untersuchungsgruppe. Die Rezensenten reagierten darauf vor allem, indem sie weder Lob noch Kritik eindeutig und unverhohlen ausdrückten. Die dadurch entstehenden Ambivalenzen der Texte deuten darauf hin, dass sie den Emigranten einerseits ablehnend gegenüberstanden, andererseits jedoch auch großes Interesse für deren Forschungen empfanden. Als der erste Aspekt ab-, der zweite zunahm, setzte sich seit den sechziger Jahren die Neugier auf die internationale Geschichtswissenschaft durch, für die Emigranten mit ihrem transnationalen Erfahrungsschatz ausgezeichnete Vermittler darstellten.²²⁴ Die Rolle der Gastprofessoren als KurzzeitRemigranten war in diesem Vermittlungsprozess bisher nicht genügend berücksichtigt. Die eher analysierte Rolle echter Remigranten wie Ernst Fraenkel und Hans Rothfels, die 1938 und 1939 emigrierten, also deutlich später als der Großteil der hier Untersuchten, sich in den Vereinigten Staaten nie richtig heimisch fühlten und frühzeitig zurückkehrten, war in der Nachkriegsentwicklung eine andere.²²⁵ Vgl. Ritter: Meinecke. Vgl. Schulze: Refugee Historians; allgemein Doering-Manteuffel: Wie westlich sind die Deutschen. Arnd Bauerkämper: Die Vereinigten Staaten als Modell? Die Perzeption und Vermittlung der amerikanischen Demokratie in den fünfziger Jahren; in: Jörg Calließ (Hg.): Die Reformzeit des
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Mitte der 1960er Jahre verändert sich die Haltung der Rezensionen von ambivalent-ablehnend zu ambivalent-anerkennend, inklusive ihrer Emigrationserfahrungen, sogar bis hin zur Bejahung des Erkenntniswertes des in der Emigration Erlebten. Nicht zuletzt trat in der Zeit des Kalten Krieges auch der Bedarf ins Bewusstsein der Rezensenten, die transatlantischen und westeuropäischen Verbindungen zu intensivieren. Die Emigranten konnten dann stärker als Repräsentanten und Vermittler dieser zum Schutz vor dem Kommunismus erwünschten Westernisierung wahrgenommen werden – und weniger als Repräsentanten insbesondere der US-amerikanischen Siegermacht des Zweiten Weltkriegs. – Diese Ergebnisse ließen sich freilich an anderen Rezensionskorpora überprüfen und differenzieren, etwa durch die Berücksichtigung anderer deutscher Fachzeitschriften, durch die Einbeziehung von Besprechungen in englischsprachigen Periodika zu denselben Schriften, oder durch Vergleich mit Rezensionen zu den Werken anderer – benachbarter oder entgegengesetzter – Personengruppen. Die Methode der Rezensionsanalyse als tiefenhermeneutischer Untersuchung von Rezeption und Rezeptionsbedingungen kann auch in einem solchen erweiterten Forschungsfeld gute Dienste leisten. Mit ihrer Hilfe ist es hier gelungen, Vorbehalte und Hoffnungen zu verstehen, mit denen deutsche Historiker ihren emigrierten Kollegen gegenübertraten. Die beschriebene Methode bietet sich außerdem zur Anwendung auf andere Bereiche der Wissenschaftsgeschichte an.²²⁶ Denn das Rezensionswesen als zentraler Bestandteil der wissenschaftlichen Kommunikation ist sowohl ein Hauptschauplatz der Auseinandersetzungen über wissenschaftliche Inhalte, Grundlagen und Personalien, als auch geprägt von sozialen Regeln, die Äußerungsmöglichkeiten in Besprechungen strukturieren und insbesondere beschränken. Diese Einschränkung des Sagbaren lässt sich durch tiefenhermeneutische Analysen untersuchen, um einen klareren Einblick in Gründe, Formen und Verlauf der wissenschaftlichen Konflikte zu gewinnen. Dabei halte ich die systematische Erhebung und Auswertung der zu einer Fra-
Erfolgsmodells BRD. Die Nachgeborenen erforschen die Jahre, die ihre Eltern und Lehrer geprägt haben, Rehburg-Loccum 2004, S. 157– 168. Für das Jahrbuch des Leo Baeck Institute berücksichtigte Bauerkämper zusätzlich Hans Rosenberg, was zu anderen Ergebnissen führte: Arnd Bauerkämper: Americanisation as Globalisation? Remigrés to West Germany after 1945 and Conceptions of Democracy: The Cases of Hans Rothfels, Ernst Fraenkel and Hans Rosenberg; in: Leo Baeck Institute Year Book 49 (2004), S. 153 – 170. Frühere Untersuchungen von Rezensionen sind durchaus vergleichend vorgegangen, haben das Potential der Tiefenhermeneutik jedoch nicht ausgeschöpft: Ottner: Zwischen Referat und Recension; Klingenböck: Schablone; Ute Schneider: Die Funktion wissenschaftlicher Rezensionszeitschriften im Kommunikationsprozeß der Gelehrten; in: Ulrich Johannes Schneider (Hg.): Kultur der Kommunikation. Die europäische Gelehrtenrepublik im Zeitalter von Leibniz und Lessing, Wiesbaden 2005, S. 279 – 291; Wolf: Rezensionen in HZ, Gnomon und AHR.
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7 Rezensionsanalysen: Rezeption transatlantischer Gastprofessoren
gestellung relevanten Rezensionskorpora für erforderlich, um dem Charakter der Wissenschaft als kollektivem Unternehmen gerecht zu werden und nicht bloß individuellen Einstellungen – die wie gezeigt durchaus Ausnahmecharakter haben können – nachzuspüren. Um die durch abstrakte Analysen verschiedener Rezensions-Korpora konstatierten kollektiven Trends bei der Rezeption der als Gastprofessoren remigrierenden Historiker mit der Ebene des konkreten Geschehens zu verknüpfen, wende ich mich im Folgenden einem bestimmten Ereignis zu, das im Schnittpunkt verschiedener historiographiegeschichtlicher Entwicklungen liegt und damit für viele zeitgenössische Historiker auf beiden Seiten des Atlantik eine Schlüsselstellung für die deutschsprachige Geschichtswissenschaft wie für ihre Rezeption transatlantischer Gastprofessoren erhielt.
8 Westernisierung der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft Ursachen und Folgen des Ersten Weltkriegs prägten die deutschsprachige Geschichtswissenschaft seit 50 Jahren, als im Verlauf der 1960er Jahre Veränderungen sichtbar wurden. Ich argumentiere in Abschnitt 8.1, dass sich mit der Fischer-Kontroverse ein neuer Pluralismus gegen die traditionellen Regeln der Zunft durchsetzte. Diese Entwicklung erwies sich als nachhaltig und markiert als zentrales Kriterium die erfolgte Westernisierung des Faches. Was Westernisierung überhaupt bedeuten sollte, diese Frage stellte sich besonders nach dem Zerfall des Ostblocks und dem Ende des Kalten Krieges. Weil die Westernisierungsforschung sie bisher unbefriedigend gelöst hat, problematisiere ich in Abschnitt 8.2 eine neuere Debatte um den Begriff und die Stellung der Westernisierung in der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Davon ausgehend schlage ich schließlich eine methodologische Neufundierung der Westernisierungstheorie vor.
8.1 Fischer-Kontroverse und Pluralismus Die Fischer-Kontroverse um die Ursachen und Verantwortlichkeiten des Ersten Weltkriegs¹ habe ich als Schlüsselzeitpunkt der Rezensionsanalysen im vorigen Kapitel gewählt, weil sie das Symboldatum für eine Wende in der deutschsprachigen Historikerzunft darstellt. Sie kann als Ende der Nachkriegszeit in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft und Beginn einer eigentlich bundesrepublikanischen Historiographie verstanden werden.² Fritz Fischers Thesen griffen erstmals massiv das in den Nachkriegsjahren dominante konservative Deutungsmuster der deutschen Geschichte an, nach dem Bismarcks Lösung der Deutschen Frage von oben der Höhepunkt der deutschen Geschichte sei, der Erste Weltkrieg Folge des „Hineinschlitterns“ aller Großmächte gleichermaßen, die Entstehung des Nationalsozialismus ein allgemeines Phänomen der modernen
Vgl. Wolfgang Jäger: Historische Forschung und politische Kultur in Deutschland. Die Debatte 1914– 1980 über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs, Göttingen 1984; Jarausch: Tabubruch. Böhme: Primat und Paradigma, S. 96, S. 104 und S. 117; vgl. Stelzel: Impact, S. 291 f. – Ludwig Dehio gehörte durch seine Kontroversen mit Gerhard Ritter in den 1950er Jahren zu den Wegbereitern dieses Prozesses. Den Höhepunkt der Fischer-Kontroverse erlebte Dehio jedoch nicht mehr. Er starb am 24. November 1963; Schieder: Ludwig Dehio. https://doi.org/10.1515/9783110731637-008
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8 Westernisierung der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft
Gesellschaft und seine Durchsetzung Ergebnis zu großer Demokratie in der Weimarer Zeit.³ Die Kritik dieser Vorstellungen entsprach weitgehend der Sicht weiter Teile der jüngeren, in der Nachkriegszeit ausgebildeten Historikergeneration, die mit der Perspektive ihrer eigenen Lehrer oft nicht zufrieden und daher offen für solche alternativen Ansätze waren.⁴ Diese jüngeren Historiker – Iggers nennt Hans-Ulrich Wehler, Hans und Wolfgang Mommsen, Gerhard A. Ritter und Jürgen Kocka – pflegten ihre bei Gastprofessuren und eigenen Auslandsaufenthalten gewonnenen Kontakte zu emigrierten Historikern, allen voran Hans Rosenberg,⁵ und repräsentierten damit nicht nur neue Ansätze zur Sozialgeschichte⁶ und eine Neubewertung der deutschen Geschichte, sondern auch eine Veränderung der Beziehung zu den Emigranten. Hinzu kam, dass die Fischer-Kontroverse keineswegs ein rein deutscher Konflikt war, sondern dass viele der hier untersuchten deutsch-amerikanischen Historiker – auf Seiten Fischers – in den Streit eingriffen: Hajo Holborn, Hans Rosenberg, Klaus Epstein, Fritz Stern und andere unterstützten Fischers Vortragsreise durch amerikanische Universitäten im März 1964, insbesondere nachdem Gerhard Ritter für den Entzug ihrer Finanzierung durch das Auswärtige Amt gesorgt hatte.⁷ Hans Mommsen erinnerte Fischers Vortragsreise und die Einstellung jüngerer deutscher Historiker dazu so: „Die Fischer-Kontroverse hat uns [progressive Nachwuchshistoriker der 1960er] hingegen stark beschäftigt. […] Den Anstoß gab übrigens die Dissertation von Imanuel Geiss über die deutschen Kriegsziele gegenüber Polen und den polnischen Grenzstreifen. Unter seinem Einfluß ist dann Fritz Fischer zu seiner grundsätzlichen Kritik an der zum Krieg treibenden wilhelminischen Politik gelangt. Dafür ist die Episode der seinerzeit umstrittenen Einladung von Fritz Fischer an die Yale University signifikant. Nachdem die Bundesregierung zunächst die Einladung zu hintertreiben versucht hatte und deren Finanzierung schließlich durch die Ford Foundation ermöglicht worden war, referierte Fischer schließlich im Graduate Seminar von Hajo Holborn in einem derart apologetischen Sinne, daß die Anwesenden, die sich
Georg G. Iggers: Refugee Historians from Nazi Germany: Political Attitudes towards Democracy, Washington 2006, URL: https://www.ushmm.org/m/pdfs/Publication_OP_2006-02.pdf (zuletzt abgerufen am 7. Januar 2019, Archiv-URL: http://www.webcitation.org/75FOjhisA), S. 12– 14. Ebenda, S. 13 f. Ebenda, S. 14. Schulze: Refugee Historians, S. 223 f., und Eakin-Thimme: Vermittler sozialgeschichtlicher Ansätze, S. 81, weisen darauf hin, dass der Berufung auf Rosenberg und andere Emigranten eine rhetorische Funktion für die Kritik an traditioneller deutscher Geschichtswissenschaft zukam, die womöglich ihren tatsächlichen Einfluss überwogen habe. Stern: Erinnerungen, S. 301. Die diplomatischen Verwicklungen schildern im Zusammenhang: Eckart Conze/Norbert Frei/Peter Hayes/Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, Bonn 2011, S. 615 – 620.
8.1 Fischer-Kontroverse und Pluralismus
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mühsam durch das damals noch nicht in englischer Übersetzung vorliegende Buch ‚Der Griff nach der Weltmacht‘ durchgekämpft hatten, völlig verwirrt waren und die Diskussion widersprüchlich verlief.Von Holborn in seiner jovialen Art beim Weg zum Lunch befragt, ob es nicht besser gewesen wäre, vorher mitzuteilen, daß er seine Meinung über BethmannHollweg inzwischen geändert hätte, gab Fischer zur Antwort, er habe seine Position nicht geändert, aber man könne doch über ein national empfindliches Thema im Ausland nicht so sprechen wie im Inland. Das verriet, daß er an seiner ursprünglich nationalen Grundeinstellung festhielt. In der Tat hatte Fischer nicht vorausgesehen, was er mit seinem Tabubruch – denn das war seine radikale Bethmann-Kritik – losgetreten hatte, und bestätigte damit den Sachverhalt, daß die Mehrheit der deutschen Historiker vergleichsweise a-politisch eingestellt war.“⁸
Laut dieser Anekdote fehlte Fischer noch der Mut, eine solche Position, die – auch von ihm selbst – traditionell als antideutsch empfunden wurde,⁹ in den USA zu vertreten. Das Auswärtige Amt hatte vor der Reise noch den stellvertretenden Leiter der Kulturabteilung zu Fischer geschickt, um zu versuchen Fischers „loyale Mitwirkung“ zu sichern.¹⁰ Bis zum Oktober 1964 erfuhr Fischer allerdings noch viel Unterstützung als „eine Art Märtyrer für die Freiheit der Wissenschaft“,¹¹ so dass er bereit für die große Konfrontation war, die Heinrich August Winkler so beschrieb: „Ich erinnere mich lebhaft an den Historikertag von 1964 an der Freien Universität Berlin. Da fand einmal die – wenn Sie so wollen – Befreiungsschlacht in der ‚Kriegsschuldfrage‘ statt. Fritz Fischer stand gegen Gerhard Ritter, und Fritz Stern war derjenige, der als Debattenredner den Ausschlag für den Sieg Fritz Fischers gab.“¹²
Am 9. Oktober 1964 stellte sich Fritz Stern in seinem Schlusswort nach dreistündiger Debatte hinter Fischer, erhielt donnernden Beifall von den über 1000 Studierenden im Berliner Auditorium Maximum¹³ und war damit entscheidend für Fischers Durchsetzung.¹⁴
Mommsen: Vorherrschaft alter Männer, S. 180. Vgl. oben, Anmerkung 222 auf S. 517. Conze u. a.: Das Amt, S. 618. Dass Fischer es ablehnte, auf die Wünsche des Auswärtigen Amtes einzugehen, wie ebenda angegeben, ist unter Berücksichtigung der von Hans Mommsen berichteten Anekdote fraglich. Ebenda, S. 619, einen internen Bericht des Auswärtigen Amtes zitierend. Winkler: Mut zu kritischen Fragen, S. 376 f. Stern: Erinnerungen, S. 302 f. Sterns Redebeitrag wurde einer breiten Öffentlichkeit kurz darauf im Spiegel auszugsweise zugänglich gemacht als Stern: Kriegsausbruch. Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen, Band 2: Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung, München 2000, S. 247. Vgl. dagegen Fischer: Und ich glaube, S. 114 f.: „In diesem Fall ist Fritz Stern, als damals noch junger Emigrant, der in Breslau
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Fritz Stern ist damit nicht einfach ein strahlender Held, der auf dem Historikertag antrat, um die vorherrschende deutsche Geschichtswissenschaft zu besiegen. Er ist vielmehr ein Protagonist in dem Sinne, dass er auf dem Berliner Podium ein Prinzip und eine breitere Bewegung vertrat, sie repräsentierte und ihr, den berichteten Reaktionen nach zu urteilen, in der Bundesrepublik zum Durchbruch verhalf: Dieses Prinzip lässt sich am einfachsten als prowestliche Geschichtswissenschaft bezeichnen, und der zugehörigen Bewegung sind dann ohne große Mühe alle hier untersuchten Gastprofessoren zuzuordnen. Die entsprechende Gegenpartei ist dabei nicht etwa als antiwestlich anzusehen, was als prosowjetisch misszuverstehen wäre, sondern treffender als deutschnational zu bezeichnen. Damit ist hier nicht notwendigerweise eine rechtskonservative Position gemeint, mit der etwa die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) den Begriff in der Weimarer Zeit belegt hatte. Vielmehr handelt es sich um das zur Position Sterns, der anderen Gastprofessoren und eines Großteils des Historikernachwuchses antagonistische Prinzip, dass die deutsche Geschichtswissenschaft Geschichte aus der Perspektive und im Interesse einer deutschen Nation zu betreiben habe. Dieses das Zeitalter des Historismus durchziehende Prinzip war den Vertretern der herkömmlichen deutschnationalen Geschichtswissenschaft so selbstverständlich, dass sie es als Objektivität interpretierten. Im Lichte dieser „Objektivität“ pflegte die historistische Orthodoxie der deutschen Geschichtswissenschaft die Praxis, Historiker, die der jeweils vorherrschenden Nationalperspektive – ob nun preußisch-deutsch, republikanisch-deutsch, nationalsozialistisch-großdeutsch, oder antikommunistisch-westdeutsch – widersprachen, als parteiisch und unwissenschaftlich wahrzunehmen, zu markieren und entsprechend ihren Ausschluss aus der Zunft zu erklären.¹⁵ Dass das im Fall Fritz Fischers nicht gelang, gehört zu den überraschenden Phänomenen der 1960er Jahre, die einen Wandel anzeigten. Als Gerhard Ritter 1967 starb, verlor die Zunft eine der letzten Symbolfiguren dieser hegemonialen Orthodoxie. Ein neuer Pluralismus etablierte sich zu dieser Zeit in der deutsch-
geboren ist und dann als junger Mann Deutschland verlassen mußte und schon ein angesehener Historiker in Amerika war, Fritz Fischer zur Seite gesprungen. Aber die Mehrheit der Historiker fand Fischers Position zu moralisch und zu wenig wissenschaftlich ausgewogen.“ Damit charakterisiert Wolfram Fischer Positionen wie die von Gerhard Ritter und Karl Dietrich Erdmann, die Sterns Beitrag als „Geschwätz“ abgetan und seine Veröffentlichung in GWU abgelehnt hatten, so Stelzel: Impact, S. 293 f. Auch die Argumente, mit denen Gerhard Ritter gegenüber dem Auswärtigen Amt gegen die USA-Reise Fritz Fischers 1964 intervenierte, liefen darauf hinaus, dass Ritter Fischer absprach, „ein legitimer Repräsentant der deutschen Geschichtswissenschaft zu sein“. Conze u. a.: Das Amt, S. 616 f.
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sprachigen Geschichtswissenschaft. In der Westernisierungstheorie spielt Pluralismus aber bisher lediglich eine Nebenrolle.¹⁶ Ursprünglich sah Doering-Manteuffel ihn als Ableitung des ins Zentrum gestellten Liberalismus: „Das Fundament der westlichen Werte ist die individuelle Freiheit und die Demokratie als Gesellschaftsform. Die eigene Freiheit, die ihre Grenze bei der Freiheit des Nächsten findet, führt zu einem Pluralismus, den große Dissenstoleranz auszeichnet. Der Ausgleich zwischen unterschiedlichen Interessen findet durch gewaltfreie, rechtliche und allgemein akzeptierte Spielregeln statt. Im Ergebnis führt der Pluralismus zu geistiger, ökonomischer, sozialer und politischer Dynamik, wobei die Absicherung des Einzelnen dabei durch die Menschen- und Bürgerrechte geleistet wird. Freiheit ist die Grundkategorie, auf die alle anderen Werte zurückgeführt werden können“.¹⁷
Fast zwei Jahrzehnte später betrachtete er die keynesianische Wirtschaftsordnung der Westernisierung dagegen als „Einschränkung des Pluralismus“¹⁸ und verwendete sonst nur den Begriff einer kulturellen „Pluralisierung“ im Sinne eines Prozesses, der zum Niedergang des Konsenskapitalismus in den 1970er Jahren geführt habe.¹⁹ Auf diese Darstellung des Endes der Westernisierung komme ich unten in Abschnitt 8.2 zurück. Zuvor möchte ich knapp skizzieren, warum Pluralismus – in gesellschaftlicher wie in wissenschaftlicher Hinsicht – aus meiner Perspektive das Potential besitzt, als Zentrum des Westernisierungskonzeptes zu fungieren: Pluralismus gilt als Begriff aus „Politik, Argumentations- und Wissenschaftstheorie zur Kennzeichnung bestimmter Diskussions- und Entscheidungsprozesse“, die wir „genau dann als pluralistisch bezeichnen, wenn kein relevantes Argument ‚von vornherein‘ (durch die institutionelle Anlage der Beratungssituation, durch wirksame Herrschaft etc.) aus der Diskussion ausgeschaltet ist“.²⁰ In
Doering-Manteuffel: Amerikanisierung und Westernisierung (2011), sowie Doering-Manteuffel: Amerikanisierung und Westernisierung (2019), thematisieren Pluralismus nicht. In DoeringManteuffel: Deutsche Zeitgeschichte nach 1945, S. 29, war allerdings bereits 1993 von der Abkehr von der „Idee von der ‚ Volksgemeinschaft‘, des schlimmsten Gegensatzes zu jedem lebendigen und ‚modernen‘ Pluralismus“, die Rede. Die Idee des Pluralismus als Kennzeichen des Westens lässt sich ebenda, S. 8, bis zu Doering-Manteuffels akademischem Lehrer Ernst Nolte zurückverfolgen, der in völlig überzogener Polemik Mitte der 1970er Jahre „die Linke“ in westeuropäischen Staaten „zur Partei des ‚Ostens‘ und damit notwendigerweise zum Feind des westlichen Pluralismus“ erklärt hatte. Doering-Manteuffel: Wie westlich (HPM), S. 12. Doering-Manteuffel: Zeitbögen, S. 341. Ebenda, S. 343 – 345. Friedrich Kambartel: Pluralismus; in: Jürgen Mittelstraß (Hg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Band 6: O–Ra, 2. Auflage, Stuttgart 2016, S. 353 – 355, hier S. 353.
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diesem Sinne ist er im 20. Jahrhundert der Gegenbegriff zu Totalitarismus.²¹ Während absoluter Pluralismus vielfach als Exzess an Relativismus, Irrationalität und Unverbindlichkeit angesehen und deshalb abgelehnt wird,²² erklärt die philosophische Pluralismusforschung es zum Ziel von relativem Pluralismus, „ein Gleichgewicht von Freiheit und Ordnung in einer pluralistischen Lebensverfassung zu erreichen, die eine republikanische und föderative Form hat – eine Verfassung nicht nur des Ethisch-Politischen, sondern auch des Epistemischen.“²³ Nach Immanuel Kant, dem als Gegensatz zum „Pluralism“ noch „Egoism“ vorschwebte,²⁴ befassten sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts überall im „Westen“ Philosophen mit dem Konzept, besonders einflussreich Willliam James, Harold Laski, Gaston Bachelard, Heinrich Rickert und die vor dem Nationalsozialismus Geflohenen Ernst Cassirer und Karl Popper.²⁵ Dadurch ist Pluralismus ein zentrales Merkmal der Philosophie des amerikanischen Pragmatismus, der modernen, sozialdemokratischen Demokratietheorie, der liberalen Gesellschaftstheorie und nicht zu vergessen der Wissenschaftstheorie. Um 1950 war selbst der Begriff „Pluralismus“ im Deutschen nur innerhalb theoretischer Fachsprache geläufig.²⁶ Bis 1960 verdoppelte sich seine Frequenz im Druck, aber das stärkste Wachstum erfuhr seine Frequenz in den 1960ern, so dass er 1970 sechsfach, 1980 achtfach und 1990 mehr als neunfach so oft erschien wie 1950.²⁷ Axel Schildt nennt die zugehörige Ausbreitung pluralistischer Ansprüche und Praktiken die „Veralltäglichung des Dissens“ in der Bundesrepublik.²⁸ Hauptgegner pluralistischer Orientierungen waren das faschistische Staatsdenken Carl Schmitts und der Sowjetmarxismus, dem Pluralismus als „bürgerli-
Hans Jörg Sandkühler: Pluralismus; in: Hans Jörg Sandkühler (Hg.): Enzyklopädie Philosophie. Band 2: O–Z, Hamburg 1999, S. 1256 – 1265, hier S. 1256. Vgl. ebenda, S. 1256 f. Ebenda, S. 1257, verweisend auf Hans Jörg Sandkühler: Die Wirklichkeit des Wissens. Geschichtliche Einführung in die Epistemologie und Theorie der Erkenntnis, Frankfurt am Main 1991. Aus den umfangreichen Schriften des Spezialisten zum Thema sei noch erwähnt: Hans Jörg Sandkühler: Natur und Wissenskulturen. Sorbonne-Vorlesungen über Epistemologie und Pluralismus, Stuttgart/Weimar 2002. Kambartel: Pluralismus, S. 353. Sandkühler: Pluralismus. Axel Schildt: Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik, Göttingen 2020, S. 12. Google Ngram Viewer: German 2009 (googlebooks-ger-all-20090715); Datenbankabfrage Pluralismus, 1900 – 2000, URL: https://books.google.com/ngrams/graph?content=Pluralismus&year_start=1900&year_end= 2000&corpus=8&smoothing=3 (zuletzt abgerufen am 25. Februar 2021, Archiv-URL: https://archi ve.vn/kNFt3). Schildt: Medien-Intellektuelle, S. 627.
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ches“ Gegenmodell zu „Diktatur des Proletariats“ galt.²⁹ Deren Festlegung auf monistische Geschichtsphilosophie führte auch in der Geschichtswissenschaft zu ihrer Unvereinbarkeit mit pluralistischen Vorstellungen. Monistische Geschichtsphilosophie betrachtet Geschichte als Entwicklung oder Ausdruck eines einzelnen Prinzips: Staat, Volk oder Rasse im Nationalsozialismus – Klasse, Klassenkampf oder Fortschritt im Marxismus. Dagegen geht pluralistische Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie davon aus, dass Wissenschaften das Wirkliche in Abhängigkeit von ihren Theorien und Modellen in Zeichen übersetzen. Diese Fakten sind daher immer schon theoriegeladen. Die zugrundeliegenden Daten sind selbst Ergebnisse von Konstruktion und Interpretation. Die geschichtliche Wirklichkeit ist demnach erzeugt von der „Aktivität der Menschen, die ihre Geschichte(n) machen“. Die daraus übersetzten historischen Fakten sind von Theorien und Ideologien abhängig. Die Interpretation historischer Daten ist selbst verbunden mit Zukunftsentwürfen und konfligierenden Interessen, zwischen denen ebenfalls Pluralismus besteht.³⁰ Auch hier ist der Zusammenhang zwischen epistemischem und politischem Pluralismus sichtbar. Markant für die Westernisierung der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft ist eben dieser Wandel von einer hegemonialen nationalhistoriographischen Perspektive zu einer pluralistischen Konkurrenz verschiedener Strömungen. Entsprechend bestimmt Iggers die Hegemonie der historistischen Orthodoxie als von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1960er Jahre reichend.³¹ Die Inhalte der methodischen und interpretativen Revision, die diese Hegemonie brach, habe ich in Abschnitt 4.3 als von transatlantischen Gastprofessoren – darunter ganz zentral Hans Rosenberg – inspiriert zusammengefasst. Das Interpretament einer „Neuen Orthodoxie“, das Iggers auf James Sheehan zurückführt,³² das aber bis mindestens zu Klaus Epstein zurückverfolgbar ist,³³ kann demgegenüber nicht überzeugen: Zu stark war einerseits die Opposition gegen die grundlegend kritische Perspektive, andererseits die Vielfalt innerhalb des Spektrums, das die kri-
Sandkühler: Pluralismus, S. 1262 f. Ebenda, S. 1259. Iggers: German Conception (1983), S. 293. Später betont Iggers, dass die deutsche Historiographie über 50 Jahre später als „in anderen westlichen Ländern, aber auch in Polen und Russland“ eine „interdisziplinäre, analytisch verfahrende Sozialgeschichtsschreibung“ als Alternative zur „narrativen, ereignis- und personenzentrierten Politikgeschichte“ etablierte. Iggers: Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert (2007), S. 65 f. Iggers: German Conception (1983), S. 292. Siehe oben, S. 297 und Anmerkung 381, für Literaturangaben und ein erläuterndes Zitat.
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tische Perspektive zwar teilte, dabei aber zum Teil völlig andere Schwerpunkte setzte.³⁴ Während die Historische Sozialwissenschaft als am engsten an Hans Rosenberg anschließende kritische Strömung Kontakt zur Geschichtswissenschaft anderer Länder, besonders des Westens, suchte, dabei aber ein unterscheidbar eigenständiges Profil behielt,³⁵ lehnten sich davon abweichende kritische Strömungen wie Historische Sozialforschung, Alltagsgeschichte, Wissensgeschichte, Neue Kulturgeschichte oder Historische Anthropologie zum Teil wesentlich enger an bestimmte Strömungen in anderen Ländern an und trugen auf diese Weise zur Westernisierung der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft bei. Im neuen Pluralismus der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft seit den 1970er Jahren bleibt daneben eine Frage von besonderem Interesse: Wie verhielt sich die ehemalige Orthodoxie, die historistische Opposition gegen die kritische Revision der Geschichtswissenschaft, zu den Aspekten des Wandels, die die Westernisierung anzeigen? Erstens stand es dieser Opposition nicht mehr offen, sich gegen innerfachlichen Pluralismus auszusprechen.³⁶ Ihre Hegemonie hatte sie ja gerade verloren. Stattdessen befürwortete man Pluralismus eher, um die Historische Sozialwissenschaft als angebliche neue Orthodoxie antipluralistischen Verhaltens bezichtigen zu können. Pluralismus und Antipluralismus werden damit zu Argumenten in pluralistischen Debatten. Zweitens hielt man aber an einigen Maximen des Historismus fest, die beispielsweise Wehler explizit verabschiedet hatte: Die Vergangenheit sei aus sich selbst heraus zu verstehen, ohne eigene, zeitgebundene Werthaltung zu beurteilen, um die Geschichte nicht zu verzerren.³⁷ An Wehlers Interpretation des Kaiserreichs spitzten sich diese Vorwürfe dahin zu, Wehler sei ein neuer Treitschke,
Iggers: German Conception (1983), S. 292 f.; ebenso Stelzel: History After Hitler, S. 146 f. Zu stark war auch die Offenheit, mit der die Bielefelder ihren schärfsten Kritikern Raum etwa in Geschichte und Gesellschaft boten. Iggers: German Conception (1983), S. 293; Historiker und Historikerinnen in den USA und Westdeutschland kooperierten „on different trajectories“, so Stelzel: History After Hitler, S. 164. Auch jenseits der Geschichtswissenschaft wurde Pluralismus gerade von konservativer Seite her großgeschrieben. Vgl. Friedrich Kießling: Westernisierung, Internationalisierung, Bürgerlichkeit? Zu einigen jüngeren Arbeiten der Ideengeschichte der alten Bundesrepublik; in: HZ 287 (2008), S. 363 – 389 (DOI: 10.1524/hzhz.2008.0046), hier v. a. S. 366 – 369. Schildt: Medien-Intellektuelle, S. 13, S. 627 und insgesamt Teil II, in dem Schildt drei klar verschiedene Ausprägungen von intellektuellem Konservatismus in der BRD der 1950er Jahre unterscheidet, zudem drei eher liberale oder linke Gruppierungen, alle jeweils angeordnet rund um bestimmte Verlage oder Periodika. Iggers: German Conception (1983), S. 289.
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der die Urgroßväter vor Gericht zerre und damit die Axt an die Wurzeln der Bundesrepublik lege.³⁸ In der Implikation, dass eine solche Entwurzelung der gegenwärtigen Gesellschaft schlecht sei, zeigt sich einerseits der affirmative Charakter dieser Position, der die Gegenwart ebenso wenig kritisch in den Blick nimmt wie die Vergangenheit, andererseits aber auch die emphatische Bejahung der repräsentativen Demokratie in ihrer bundesrepublikanischen Form. Diese Abkehr von der antidemokratischen Orientierung der meisten früheren Historisten lässt es geboten erscheinen, hier von Neohistorismus zu sprechen.³⁹ Jedenfalls bejaht die (neo)historistische Opposition spätestens seit den 1970er Jahren auch den Westernisierungsaspekt der Demokratisierung. Drittens findet sich nach den 1960er Jahren kaum noch die Ablehnung „ausländischer“ Wissenschaft, die zuvor so markant die kriegerische Mobilisierung nationaler Geschichtswissenschaft gegen die „feindlichen“ Historiographien des Auslandes charakterisierte. Internationalität, Austausch und Kooperation, wurden auch für diejenige Strömung zu positiven Werten, die sich zur Verteidigung und Pflege „der Deutschen Geschichte“ aufgerufen sah. Dies zeigte sich vielleicht am eindrucksvollsten an der überraschenden Berufung deutscher Neohistoristen auf britische Neomarxisten, nachdem Geoff Eley, David Blackbourn und Richard J. Evans die Sonderwegstheorie der Bielefelder Schule einer fundierten Kritik „von links“ unterzogen hatten.⁴⁰ Aber auch amerikanische Kritik an den „Kehrites“ und ihren angeblichen marxistischen Neigungen wurde von ihren deutschen Kontrahenten gerne aufgenommen.⁴¹ Die Überwindbarkeit politischer und nationaler Gräben zu neuartigen Koalitionen, und seien sie noch so kurzfristig, weist auf einen weiteren Aspekt von Westernisierung hin: den liberalen Konsens und die Überwindung krasser Gegensätze zwischen unterschiedlichen Milieus,⁴² „vom neomarxistischen bis weit ins konservative Lager hinein“.⁴³
Ebenda; vgl. Stelzel: History After Hitler, S. 145. Vgl. detailliert Jörn Rüsen: Zur Kritik des Neohistorismus; in: Zeitschrift für philosophische Forschung 33 (1979), Heft 2, S. 243 – 263, dessen Neohistorismus-Begriff aber eher von der Antiquiertheit des Historismus in den 1970er Jahren inspiriert scheint. Durch die Postulate von Individualismus und Objektivismus verschleiere der Neohistorismus die Identitätsaffirmation, naturalisiere sein Geschichtsbild und entziehe es zugleich der wissenschaftskonstituierenden Bedingung der Überprüfbarkeit seines Wahrheitsgehaltes, argumentiert Rüsen. Neben dieser Absage an die Grundlagen von Wissenschaftlichkeit verblassen andere von Rüsen angesprochene Problemfelder einer Wiederbelebung des Historismus geradezu. Stelzel: History After Hitler, S. 151– 153. Ebenda, S. 153 – 155, mit Verweis auf Thomas Nipperdey als Paradebeispiel des konservativhistoristischen, aber dennoch bestens mit der US-Geschichtswissenschaft vernetzten Historikers. Doering-Manteuffel: Amerikanisierung und Westernisierung (2019). Kießling: Westernisierung, S. 374.
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Viertens trug auch die Ablehnung der negativen Sonderwegstheorie Bielefelder Prägung westernisierende Züge: Schließlich kehrte die Opposition nicht zur historistischen Behauptung eines positiven deutschen Sonderwegs zurück, sondern bestritt die Existenz grundlegender Unterschiede zwischen dem Deutschen Reich und dem Westen per se.⁴⁴ Dass die zerstörerischen Kräfte des Antisemitismus, des nationalen Protektionismus und des Sozialimperialismus auch außerhalb Deutschlands wirksam waren und daher keine Sonderstellung begründen konnten,⁴⁵ erklärte Deutschland zu einem normalen Mitglied „des Westens“. Das Bekenntnis zur Westorientierung ist darin unverkennbar. Den Gegensatz zur kritischen Perspektive macht jedoch die „Normalisierung“ einer Nationalgeschichte aus, die Nationalsozialismus und Holocaust hervorgebracht hat.
8.2 Jenseits der Westernisierung Was kommt nach der Westernisierung? Gibt es eine Alternative zur Westernisierung? Wie lässt sie sich einordnen, perspektivieren, kritisieren? Und warum ist ein so auf Konsens ausgerichtetes Forschungskonzept trotzdem so umstritten? Anhand einer jüngeren Kontroverse über Anselm Doering-Manteuffels „Zeitbögen“Konzept,⁴⁶ das auf seine Westernisierungstheorie zurückgreift, gehe ich diesen Fragen hier nach und argumentiere, dass empirische, theoretische und normative Aspekte in solchen Debatten häufig vermischt oder verwechselt werden, so dass Begrifflichkeiten jeweils verschiedene, unklare Bedeutungen erhalten. Abschließend formuliere ich ein Desiderat zur Rekonzeptualisierung von Westernisierung, das zur Behebung dieses Problems beitragen könnte.
Selbstverortung der Westernisierungstheorie im Neoliberalismus Als Anselm Doering-Manteuffels Forschungsprojekt zur Westernisierung begann, war die Westernisierung selbst bereits geschehen. Die Hochphase der Westernisierung lag zwischen den 1940er und den 1970er Jahren⁴⁷ – ebenso wie die allermeisten transatlantischen Gastprofessuren emigrierter Historiker. Der diskursive Kontext, in dem die Erforschung der Westernisierung brisant wurde, war vielmehr die mit dem Ende des Kalten Krieges hereinbrechende Neuorientierung
Iggers: German Conception (1983), S. 289. Ebenda, S. 289 f. Doering-Manteuffel: Zeitbögen. Doering-Manteuffel: Amerikanisierung und Westernisierung (2019).
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in einer nicht länger bipolaren Weltordnung.⁴⁸ Was den „Westen“ ohne den „Ostblock“ als Gegenbild noch ausmachen könnte, wird seit den 1990er Jahren weltweit diskutiert, darunter prominent in der Debatte über einen angeblichen „Kampf der Kulturen“.⁴⁹ In der Westernisierungsdebatte wird geschichtspolitisch die Verortung der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert und damit die Verortung Deutschlands in der „Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert“ verhandelt. Akute Streitfragen betreffen etwa die Rolle der NATO (North Atlantic Treaty Organization), die nur deshalb in dieser Arbeit noch nicht erwähnt wurde, weil diese zentrale Institution des „Westens“ und der Westernisierung in der Kulturdiplomatie im Wesentlichen ausgeblendet blieb. Wie ein Verteidigungsbündnis ohne Bedrohung, so standen die westernisierten Gesellschaften seit den 1990er Jahren ohne konkurrierendes kommunistisches Ordnungssystem da. Im Zeichen der Globalisierung wurde aus dem antikommunistischen Zusammenhalten einerseits eine verstärkte Konkurrenz zwischen Nationalstaaten um Positionen auf dem Weltmarkt, andererseits ein komplexes Geflecht inter- und transnationaler Kooperationen im Rahmen von Vereinten Nationen (UNO), Europäischer Union (EU), Eurozone, Gruppierungen von Industriestaaten (G6, G7, G8) oder Industrie- und Schwellenländern (G20) und vielen ähnlichen, mehr oder weniger institutionalisierten Formen. Sie eint, dass sie einerseits der wirtschaftlichen, rechtlichen und politischen Koordinierung dienen, andererseits aber immer auch die möglichst vorteilhafte Positionierung von Nationen, aber auch subnationalen Unternehmen und multinationalen Konzernen in der globalen Konkurrenz auf dem Weltmarkt anstreben. So ist die Verbesserung von „Standortfaktoren“ und „internationaler Wettbewerbsfähigkeit“ häufig Ziel internationaler Koordinierungsbemühungen. Neoliberalismus ist für Doering-Manteuffel das Charakteristikum des „Zeitbogens“ von den 1970ern bis in die Gegenwart und damit der Phase, in der die Westernisierungstheorie entstand. Er nennt als Eigenschaften der neoliberalen Ordnungsvorstellung den Vorrang des freien Marktes vor dem Staat, „des privaten vor dem öffentlichen Interesse und des Subjekts vor der Gemeinschaft“, sowie das Zurücktreten von Gemeinwesensorientierung zugunsten von Deregulierung und Privatisierung.⁵⁰ Die zugehörige Transformation des Freiheitsbegriffs macht er an den Ökonomen Friedrich August von Hayek und Milton Friedman fest. Anstelle
Vgl. Ariane Leendertz: Zeitbögen, Neoliberalismus und das Ende des Westens, oder: Wie kann man die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts schreiben?; in VfZ 65 (2017), Heft 2 (DOI: 10.1515/vfzg-2017-0010), S. 191– 217, hier S. 197 f. Vgl. Samuel P. Huntington: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München/Wien 1996. Doering-Manteuffel: Zeitbögen, besonders S. 346.
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„des positiv gewerteten sozialen und liberalen Konsenses“ der Westernisierungsära wurde seit den 1970ern die Dichotomie „Freiheit oder Sozialismus“ propagiert.⁵¹ „Der Konsensliberalismus aus der Epoche des Booms [1945 – 1975] war zum Merkmal des Ancien régime geworden.“⁵² Den Konsensliberalismus, in dessen Geist Deutschland mit Ländern Nordamerikas und Westeuropas eine gemeinsame Ordnungsidee entwickelt habe, charakterisiert Doering-Manteuffel dagegen als gesellschaftliches Integrationsdenken in der Tradition des New Deal und unter dem neuen Vorzeichen des Antitotalitarismus mit den Begriffen „Gemeinschaft, Gleichheit, Konsens“.⁵³ Den Freiheitsbegriff des Konsensliberalismus fasst er in den Four Freedoms zusammen, die Roosevelt 1941 als „Meinungsfreiheit, Freiheit des Glaubens, Freiheit von Not und Freiheit von Angst“ formuliert hatte.⁵⁴ Der Staat hatte dabei „die Aufgabe fiskalpolitischer Globalsteuerung“ nach der Wirtschaftstheorie von John Maynard Keynes.⁵⁵ Die Westernisierung habe durch Wiederaufbau und Wirtschaftswunder bis 1970 „anglo-atlantische“ Wertvorstellungen nach Westdeutschland transferiert,⁵⁶ dann jedoch sei (beiderseits des Atlantik) offenbar geworden, dass soziopolitische Stabilisierung und relative Gleichheit Konformismus und damit eine „Einschränkung des Pluralismus in der offenen Gesellschaft“⁵⁷ darstellen könnten: „Damit hatte sich der Ordnungsentwurf der sozialen Integration, der Gleichheit und Homogenität, erschöpft. […] Mit dem Ende des Booms kam auch das Ende des liberalen Konsenses.“⁵⁸ An diesem Entwurf eines ideengeschichtlichen Wandels in den 1970er Jahren lässt sich manches kritisieren, nicht zuletzt, dass er keine explizite Erklärung anbietet, zugleich aber widersprüchliche Erklärungsansätze: Dass ein Ordnungsentwurf „sich erschöpft“ habe, greift eine Metaphorik von Antriebskraft, Energie oder Lebenskraft auf, die im ideengeschichtlichen Bereich aber auf dem Erklärungsniveau von Vorsehung liegt. Dagegen suggeriert die zeitliche Parallelisierung „Mit dem Ende des Booms“ bloß eine Erklärung. Andere Ansätze wie die Nobelpreise für Keynes’ Gegner Hayek und Friedman Mitte der 1970er Jahre⁵⁹ sind eher als symbolische Hinweise auf den breiten Zuspruch zu verstehen, den die
Ebenda, S. 342 f. Ebenda, S. 343. Ebenda, S. 332 f. Ebenda, S. 334. Ebenda, S. 338. Doering-Manteuffel: Amerikanisierung und Westernisierung (2019). Doering-Manteuffel: Zeitbögen, S. 341. Ebenda. Ebenda, S. 343.
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Ideen der beiden Hauptvertreter des Neoliberalismus damals erhielten. Politische Propaganda, industrieller Strukturwandel und wirtschaftliche Krise werden erwähnt, aber nicht in einen schlüssigen Zusammenhang mit den Indizien für „wachsende kulturelle Pluralisierung“ im gesellschaftlichen „Klima“ gebracht, die Doering-Manteuffel im Emanzipationsstreben der Studentenbewegung aus der Aufbruchstimmung der Jugendkultur sieht.⁶⁰ Womöglich will Doering-Manteuffel gar keine Erklärung für das geschilderte ideengeschichtliche Geschehen vorstellen, sondern es nur als historisch gewachsen und damit historisch gerechtfertigt beschreiben. So jedenfalls lässt es sich einem seiner älteren Aufsätze über denselben Vorgang der 1970er Jahre entnehmen: „Der intellektuelle Reiz künftiger Forschung besteht darin, nicht nur das Geschehen darzustellen und zu systematisieren, nicht nur Strukturwandel, Zeitstimmung und die gesellschaftliche Wahrnehmung des Umbruchs zu beschreiben, sondern auch die Verschiebungen auf der Metaebene durch Analyse der epistemologischen Leitbegriffe zu untersuchen. Wir sind vor die Aufgabe gestellt, die Welt, aus der wir kommen, und mithin uns selbst mit all unseren Orientierungsmustern und Ordnungsannahmen in einen geschichtlichen Prozeß einzuordnen, der als abgeschlossen zu klassifizieren ist.“⁶¹
Diese Distanzierung von der Epoche der Westernisierung hat für Doering-Manteuffel generationelle Gründe und epistemologische Konsequenzen. 2007 beobachtet er eine ältere Historikergeneration, die aus dem Ost-West-Konflikt stamme und im konsensliberalen Gesellschaftsmodell sozialisiert wurde, und jene „jüngeren Wissenschaftler“, die „in starkem Maß von dem neuen Gesellschaftsmodell beeinflußt“ seien. Streit zwischen diesen Generationen nennt er unproduktiv: „Es sind ideologisch durchsäuerte wissenschaftliche Wortgefechte, in denen die Nostalgiker des politökonomischen Ancien Régime mit den Protagonisten der neuen Zeit aneinander geraten“.⁶² Die Legitimität der strittigen Positionen ist klar zugewiesen, wenn Doering-Manteuffel einer Seite Nostalgie für das Ancien Régime nachsagt, der anderen die zukunftsweisende Rolle. Es erfordert sicherlich Selbstreflexion, die Generation, der man selbst angehört, auf dem Abstellgleis zu platzieren. Doch Doering-Manteuffel argumentiert so nicht, um sich sodann auf seinen Altersruhesitz zu begeben, sondern um für die von ihm präferierte Position zu plädieren. Zuerst verabschiedet er apodiktisch die alte Methodik als unzeitgemäß und vor allem nicht gegenstandsangemessen:
Ebenda, S. 341– 343. Anselm Doering-Manteuffel: Nach dem Boom. Brüche und Kontinuitäten der Industriemoderne seit 1970; in: VfZ 55 (2007), Heft 4, S. 559 – 581 (DOI: 10.1524/VfZg.2007.55.4.559), hier S. 581. Ebenda, S. 578 f.
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„Nur eines ist sicher: Die geschichtstheoretischen Normen, die seit etwa 1970 in unserem Fach Verbreitung gefunden haben und zeitweilig fast axiomatische Gültigkeit erlangt hatten – der Bezug auf Max Weber etwa und seine auf den Machtstaat und den Anstaltsstaat gestützte Gesellschaftstheorie –, waren an die Geltung des keynesianischen Gesellschaftsmodells gebunden und entwickelten ihre analytische Valenz in diesem Rahmen. Hier hatte die Modernisierungstheorie ihren Ort, und von hier aus wurden auch die größeren Forschungsvorhaben zur Analyse der Nachkriegsgeschichte noch in den neunziger Jahren entworfen, die mit den Begriffen Modernisierung, Westernisierung, Liberalisierung oder Demokratisierung operierten. Hier wurzelte ganz selbstverständlich ein positiv grundiertes Verständnis von Fortschritt sowie die Überzeugung, daß die Steuerungskompetenz des Staates in der Gesellschaftspolitik das richtige Mittel sei, um das Gemeinwesen nach den Kriterien eines sozialen und liberalen Konsenses im Gleichgewicht zu halten. Zur Analyse der historischen Entwicklung unter den Einflüssen des neoliberalen Paradigmas taugen sie aus genau diesem Grunde nicht.“⁶³
Das Argument kann nicht überzeugen. Der Entstehungszusammenhang wissenschaftstheoretischer Überzeugungen ist nicht mit ihrem Begründungszusammenhang zu verwechseln;⁶⁴ ebenso wenig entwerten neue Rahmenbedingungen automatisch ältere Methoden oder Denkstile. Abwegig ist die Behauptung, Max Webers Soziologie sei vom keynesianischen Gesellschaftsmodell abhängig. Das ergibt sich schon daraus, dass Weber bereits tot war, bevor Keynes auch nur seine Doktorarbeit veröffentlicht hatte.⁶⁵ Weber hätte prophetische Gaben haben müssen. Doering-Manteuffel plädiert 2007 für die Historisierung der Zeitgeschichte vor und nach 1970 in einem doppelten Sinne. Die Geschichtswissenschaft stehe dem dazu benötigten epistemologischen Instrumentarium bislang zu zögerlich und skeptisch gegenüber: „Deshalb muß es nächst der empirischen Erforschung des Strukturwandels [der 1970er] gleichermaßen darum gehen, die Leitbegriffe auf den Prüfstand zu stellen, die in jenen Jahren handlungsbestimmend gewirkt haben. Sie prägten das Bewußtsein der Gesellschaft. Erst wenn der semantische Wandel in Begriffen wie Fortschritt, Moderne, Planung und Konsens, aber auch Markt, Staat und Nationalstaat näher untersucht ist, kann es gelingen, die Brüche und Kontinuitäten im gesellschaftlichen Selbstverständnis zwischen 1970 und
Ebenda, S. 579 f. Vgl. Otto Gerhard Oexle: ‚Staat‘ – ‚Kultur‘ – ‚Volk‘. Deutsche Mittelalterhistoriker auf der Suche nach der historischen Wirklichkeit 1918 – 1945; in: Peter Moraw/Rudolf Schieffer (Hg.): Die deutschsprachige Mediävistik im 20. Jahrhundert, Ostfildern 2005, S. 63 – 101, hier S. 66 f. Auch Ideen von Ludwik Fleck, Karl Mannheim und anderen lange verstorbenen Wissenschaftsforschern finden in der vorliegenden Untersuchung Verwendung. Offensichtlich kann ich daher nicht zustimmen, dass ihre Ideen unbrauchbar wurden, als sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ihrer Entstehung veränderten.
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der Gegenwart kritisch einzuschätzen. Mit der Historisierung der Boomphase [1945 – 1975] ist unabdingbar die Historisierung der Weltbilder verknüpft, unter deren Einfluß die meinungsprägenden Altersgruppen handelten und urteilten“.⁶⁶
Mit anderen Worten: Um die Zeit seit den 1970ern zeitgeschichtlich untersuchen zu können, müsse man Weltbilder und Wertorientierungen der vor 1970 sozialisierten „meinungsprägenden Altersgruppen“ verabschieden. Tue man das nicht, ergebe sich zwangsläufig eine negative Bewertung der betrachteten gesellschaftlichen Entwicklung: „Nimmt man dagegen die altetablierten geschichtstheoretischen Normen der modernen Sozialgeschichte, der Alltagsgeschichte und zum Teil auch der Kulturgeschichte, um sie für die Analyse des gegenwartsnahen Geschehens zu nutzen, kann das Ergebnis nur in einem negativen oder kulturpessimistischen Urteil über den sozialgeschichtlichen Prozeß seit 1970 bestehen. Welches erkenntnistheoretische Instrumentarium aber steht statt dessen für diese Aufgabe bereit? Soweit es heute schon erkennbar ist, wird es um semantische Verschiebungen in vertrauten Begriffen gehen, was sich schon um 1980 andeutete, aber noch im Ton der Entrüstung vermerkt wurde“.⁶⁷
Der Verweis auf „semantische Verschiebungen“ deutet wohl auf den linguistic turn oder den cultural turn hin,⁶⁸ aber die Undeutlichkeit, mit der Doering-Manteuffel hier methodologisch operiert, lässt erkennen, dass es ihm letztlich nicht um innovative oder „moderne“ Methoden geht. Selbst positiven Fortschritt hat er ja kurz zuvor der Zeit vor 1970 zugeordnet, so dass auch ein Fortschritt der Erkenntnis in Doering-Manteuffels Zeit unzeitgemäß oder selbstwidersprüchlich erscheinen muss. Vielmehr geht es ihm um die affektive Bejahung des Bestehenden durch Historiker, die zu diesem Zweck ihre per Sozialisation erworbenen kritischen Einstellungen zum Neoliberalismus ablegen sollten: „Das mag ein ungemütliches Gefühl hervorrufen, weil es auch uns Historiker zwingen wird, die Gegenwart anzunehmen, wie sie ist, und uns nicht mit Wortkaskaden aus dem Gestern von ihr zu distanzieren. Die Erinnerung an eine Welt, die es nicht mehr gibt, und eine Zeit, die in der Vergangenheit ruht, bleibt ja schließlich erhalten.“⁶⁹
Doering-Manteuffel: Nach dem Boom, S. 580. Ebenda, S. 581. Vgl. für eine knappe Erläuterung der turns und ihrer Rezeption in der Geschichtswissenschaft, wie sie sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Doering-Manteuffel: Nach dem Boom, darstellte: Iggers: Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert (2007), S. 124– 127. Doering-Manteuffel: Nach dem Boom, S. 581.
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Bemerkenswert ist an diesem Appell auch die ahistorische und antihistoristische Wendung: Im Gegensatz zum historistischen Grundsatz, die Vergangenheit anzunehmen, wie sie gewesen ist, und sich dazu durch „Wortkaskaden aus dem Gestern“ mit ihr zu verbinden, fordert Doering-Manteuffel hier die Annahme der Gegenwart und den Verzicht auf die gestrigen „Wortkaskaden“. Diese Forderung Doering-Manteuffels nach Akzeptanz des Neoliberalismus als Ordnungsidee der Gegenwart, die mit keinen außer ihr liegenden Maßstäben bewertet werden könne, besitzt ihr Vorbild im Geschichtsdenken des Neoliberalismus selbst, das Hayek in seiner Theorie der kulturellen Evolution formuliert hat: Kulturelle Evolution sei die Durchsetzung im Wettbewerb durch „optimale Anpassung des Menschen an die äußeren Bedingungen“, die einen „Produktivitätsvorsprung“ verleihe.⁷⁰ Durch die Konkurrenz um Produktivität erzwinge der Markt die Unterordnung unter vorherrschende Sitten und Traditionen. „Deshalb spielen Einsicht und Zustimmung der Individuen in Hayeks kultureller Evolution keine Rolle.“⁷¹ Dass Doering-Manteuffel keine schlüssigen Argumente für die Verabschiedung wissenschaftstheoretischer oder methodologischer Traditionen vorlegt, spiegelt sich in dieser Position Hayeks, dass mit Argumenten keine Überzeugung erreichbar sei. Sich in der Wissenschaft statt durch Argumente durch Produktivität durchzusetzen, ist ja auch keine abwegige Strategie. Hayeks Theorie passt auch insofern zu Doering-Manteuffels Appell, weil darin den „persönlichen Wertvorstellungen des Individuums“ kein Gewicht zugemessen wird, während Sitten als verbindliche Verhaltensmaßstäbe gelten, die der Markt automatisch durchsetze. Diese Herrschaft des Marktes ist für den Neoliberalismus jedenfalls das „Ende der Geschichte“.⁷² Darin zeigt sich, dass das Geschichtsdenken des Neoliberalismus den Kriterien pluralistischer Geschichtswissenschaft zuwiderläuft: Akteure der Geschichte sind nicht Menschen, sondern das monistische Prinzip eines notwendig ablaufenden Naturprozesses. Das sei unabhängig von Interessen neoliberaler Denker und damit gleichsam ideologiefrei der Fall. Es entziehe sich auch der Bewertung und Kritik durch die Zeitgenossen, die sich nur
Ralf Ptak: Grundlagen des Neoliberalismus; in: Christoph Butterwegge/Bettina Lösch/Ralf Ptak: Kritik des Neoliberalismus, 2. Auflage, Wiesbaden 2008, S. 13 – 86, hier S. 54. Ebenda, S. 55. Ebenda, S. 56, vgl. ebenda, S. 57 f: „Hayeks Theorie der kulturellen Evolution mündet in Fatalismus. Da die spontane Ordnung sich unbewusst entwickelt hat und von den Menschen nicht verstanden wird, ist es unmöglich, sie grundlegend zu verändern. Die Botschaft, dass die kapitalistische Gesellschaft unumstößlich sei, begründet Hayek […] mit den Vorgaben und Festlegungen von Jahrtausenden der Evolution, deren Entwicklung die Beschränkung menschlicher Vernunft aufgezeigt habe.“
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an die vorherrschenden Sitten anpassen oder vergehen könnten.⁷³ Bei DoeringManteuffel scheinen diese Einstellungen ebenfalls auf, wenn er eine Bewertung des Geschehens aus der Perspektive seiner Altersgruppe von vornherein als erkenntnishemmend ablehnt; wenn er das neoliberale Ordnungsmodell als historischer Kritik enthoben ansieht; wenn er als Erklärung für den historischen Vorgang der Durchsetzung des Neoliberalismus lediglich eine Metaphorik von „sich erschöpft“ habender Lebenskraft andeutet und die ganz und gar menschliche Ordnungsidee des Neoliberalismus damit zum Naturphänomen stilisiert. Eine Historiographie, die der Bundesrepublik Deutschland eine abgeschlossene Westernisierung zuschreibt, hat auf dem neoliberalen Markt der Ideen mehrere Effekte, die als positive Standortfaktoren gelten können: Erstens behauptet sie eine nun feste Zugehörigkeit Deutschlands zur wirtschaftlich, kulturell und militärisch mächtigsten Staatengruppe, was durch Symbolik und Beziehungspflege eine Partizipation an dieser Macht bedeutet. Macht ist auf einem unregulierten Markt ein unschlagbarer Vorteil. Zweitens wird diese Zuordnung als nicht reversibel dargestellt, womit ein Eintreten für ihre künftige Weitergeltung verbunden ist: Dass die Westernisierungsforschung Mitte der 1990er zuerst im Kontext der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) platziert wurde,⁷⁴ verstehe ich als Hinweis darauf, dass es sich um einen historischen Beitrag zur Meinungsbildung in der CDU über die Frage handelte, wie westlich die Deutschen in der Zukunft orientiert sein sollten. Drittens wird „der Westen“ in diesem Zusammenhang als Ideal konstruiert, das zu erreichen Deutschland einem idealen Staat nahekommen lasse. Ein idealer Staat verdient die Zustimmung seiner BürgerInnen und Eliten, die Bewunderung der Konkurrenz und hätte damit enorme Standortvorteile. Kritik an der Verfasstheit eines idealen Staates wäre nicht geboten. Entsprechend reduziert sich die kritische Perspektive auf die Deutsche Geschichte in dieser Denkweise auf inzwischen überwundene Mängel im Erreichen des Ideals der Westlichkeit. Für die Erforschung der Epoche „Nach dem Boom“ fordert Doering-Manteuffel dann auch explizit, von „einem negativen oder kulturpessimistischen Urteil über den sozialgeschichtlichen Prozeß seit 1970“ Abstand zu nehmen und „die Gegenwart anzunehmen, wie sie ist“.⁷⁵ Eine kritische Stellungnahme zur Gegenwart, wie die Historische Sozialwissenschaft sie befürwortete, erscheint dabei unerwünscht. Dieses Deutungsangebot wiederum könnte sich in der akademischen Konkurrenz um Drittmittel als vorteilhaft erweisen, wenn es auf Nachfrage bei möglichen Projektfinanzierern für ein neoliberalis Vgl. Sandkühler: Pluralismus, S. 1259, sowie oben, S. 527, zum monistischen Denken. Doering-Manteuffel: Wie westlich (HPM), erschien zuerst in der KAS-Zeitschrift HistorischPolitische Mitteilungen. Archiv für Christlich-Demokratische Politik. Wie oben zitiert: Doering-Manteuffel: Nach dem Boom, S. 581.
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muskompatibles Geschichtsbild trifft. In Doering-Manteuffels Schriften zum Thema sind gleichwohl beide Elemente enthalten: Das Bejahen der Westernisierung und des sozial-liberalen Konsenses als der in seiner eigenen Sozialisationsphase vorherrschenden Ordnungsidee, damit verbunden auch Vorbehalte gegenüber dem Neoliberalismus als qualitativ anderer Ordnung – und die Ablösung von dieser Wertorientierung zugunsten einer vorbehaltlosen Bejahung der neoliberalen Gegenwart.
Neurechte Frontstellungen Neben dem Neoliberalismus, der sich in den 1990ern „für Konservative und Sozialdemokraten gleichermaßen als Norm ihres Politikverständnisses“ durchsetzte,⁷⁶ entstand in dieser Zeit der Neuorientierung nach dem Kalten Krieg eine weitere Strömung, die bei Doering-Manteuffel nicht vorkommt, dafür aber in der Kritik an seiner Konzeption der liberalen Zeitbögen ihren Ausdruck findet: Die „Neue Rechte“ wurde in dieser Zeit zum intellektuellen Scharnier zwischen Rechtsextremismus und Konservatismus, mit dem ersterer durch die gemeinsame Nutzung eines informellen Kommunikations- und Kooperationsraums Einfluss auf letzteren zu gewinnen versuchte: „Die ‚informellen Verbindungen‘ würden sich beispielsweise ergeben, wenn Artikel von Autoren der ‚Neuen Rechten‘ einerseits in Publikationen des Rechtsextremismus, andererseits in konservativen Medien erscheinen würden – während der Rechtsextremismus und der Konservatismus an sich auf Abstand blieben.“⁷⁷
Angesichts der „damals wie heute weit verbreiteten, übergangslosen Verzahnung von Konservatismus und völkisch-nationalsozialistischer Rechter“⁷⁸ stellt sich
Doering-Manteuffel: Nach dem Boom, S. 576. Martin Langebach/Jan Raabe: Die ‚Neue Rechte‘ in der Bundesrepublik Deutschland; in: Fabian Virchow/Martin Langebach/Alexander Häusler (Hg.): Handbuch Rechtsextremismus, Wiesbaden 2016, S. 561– 592 (DOI: 10.1007/978-3-531-19085-3_18), hier S. 578, unter Verweis auf Wolfgang Gessenharter. Ob die „Neue Rechte“ als Scharnier oder Brücke oder eigenständige Strömung zu betrachten sei, ist umstritten, auch bei den Verfassungsschutzbehörden, vgl. ebenda, S. 577– 581. Die geschichtspolitischen Vorläufer dieser intellektuellen „Neuen Rechten“ erkennt Michael Schneider im Historikerstreit: Michael Schneider: „Volkspädagogik“ von rechts. Ernst Nolte, die Bemühungen um die „Historisierung“ des Nationalsozialismus und die „selbstbewußte Nation“; in: Archiv für Sozialgeschichte 35 (1995), S. 532– 581. Michael Hochgeschwender: Der Verlust des konservativen Denkens. Eine Facette der bundesdeutschen Westernisierung, 1950 – 1980; in: Axel Schildt (Hg.): Von draußen. Ausländische intellektuelle Einflüsse in der Bundesrepublik bis 1990, Göttingen 2016, S. 149 – 190, hier S. 152.
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weiter die Frage, wie sich Konservatismus erfolgreich vom Rechtsextremismus abgrenzen kann, wenn das Unterscheidungsmerkmal einer Zugehörigkeit zum „Westen“ in Frage steht. Der „alte“ Rechtsextremismus war in der frühen Bundesrepublik ja unter anderem wegen seiner Opposition zu Adenauers Westbindungs-Politik weitgehend erfolglos geblieben.⁷⁹ Anfang der 1990er änderten sich jedoch die Themenkonjunkturen des Rechtsextremismus deutlich: „Mit dem Ende der Ost-West-Konfrontation, der marktwirtschaftlichen Globalisierung und der deutschen Wiedervereinigung geht ein erneuter Wandel in der Setzung rechter Themen einher: Die lang herbeigesehnte ‚nationale Einheit‘ als ein zentrales Mobilisierungsthema war nun vollzogen […]. Ebenfalls verlor das bis dato bedeutungsvolle Thema ‚Antikommunismus‘ durch den Zusammenbruch des Oststaatenblocks stark an Mobilisierungsfähigkeit“.⁸⁰
An ihre Stelle traten Themen, die mit Westernisierung und Neoliberalismus eng verknüpft und in der Öffentlichkeit anschlussfähiger waren, etwa die nationale Souveränität angesichts einer zunehmend problematisierten Globalisierung, unterlegt mit antisemitischen und antiamerikanischen Codes,⁸¹ oder das auf eine angeblich fortdauernde Besatzungsherrschaft bezogene Beklagen fehlender Meinungsfreiheit zur Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts: Die NPD sprach etwa von einem „Schuldkult […] im Dienst fremder Finanzinteressen“, beklagte „deutschen Selbsthaß“ und „die moralische Selbstvernichtung unserer Nation durch einseitige geschichtliche Schuldzuweisungen zu Lasten Deutschlands“.⁸² Besonders mit dem daran anknüpfenden Schlagwort „politische Korrektheit“ konnte der Rechtsextremismus Einfluss auf Diskurse bis weit in die Mitte der Gesellschaft gewinnen.⁸³ In den 1990ern erzielte der Rechtsextremismus zudem geschichtspolitische Mobilisierungserfolge gegen die Wehrmachtsausstellung und zur alliierten Bombardierung Dresdens,⁸⁴ weil tausende Rechtskonser-
Gideon Botsch: ‚Nationale Opposition‘ in der demokratischen Gesellschaft. Zur Geschichte der extremen Rechten in der Bundesrepublik Deutschland; in: Fabian Virchow/Martin Langebach/ Alexander Häusler (Hg.): Handbuch Rechtsextremismus,Wiesbaden 2016, S. 43 – 82 (DOI: 10.1007/ 978-3-531-19085-3_3), hier S. 48. Alexander Häusler: Themen der Rechten; in: Fabian Virchow/Martin Langebach/Alexander Häusler (Hg.): Handbuch Rechtsextremismus, Wiesbaden 2016, S. 135– 180 (DOI: 10.1007/978-3531-19085-3_6), hier S. 141. Ebenda, S. 152– 155; dort auch „die Ostküste der USA“ und „die internationale Hochfinanz“ als Feindbilder. Arbeit. Familie. Vaterland. Das Parteiprogramm der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), Berlin 2010; zitiert nach: Häusler: Themen der Rechten, S. 157. Häusler: Themen der Rechten, S. 158 f. Ebenda, S. 160.
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vative für den geschichtsrevisionistischen Chiasmus einer „sauberen“ Wehrmacht gegenüber den deutschen Opfern alliierter Verbrechen zu gewinnen waren. Die Anschlussfähigkeit ergab sich nicht zuletzt daraus, dass unter Konservativen nach 1990 wieder „über die zukünftige Rolle Deutschlands in der Welt und über die zukünftige Selbstwahrnehmung Deutschlands als Nation“⁸⁵ diskutiert wurde, was – wie gesehen – auch die Westernisierungsforschung inspirierte. Die Idee, wieder eine „selbstbewusste Nation“ zu sein, reichte schließlich bis weit in die SPD und führte zu einem Normalisierungsdiskurs über Nationalsozialismus und Holocaust,⁸⁶ der bis heute fortwirkt. Zudem etablierte sich gleichzeitig ein Topos in der Öffentlichkeit, der direkt die Einstellung zur Westernisierung als sozial-liberaler Ordnungsidee betraf: Die Ablehnung solcher Ideen und der ihnen anhängenden Menschen prägte die „Neue Rechte“ in Formeln, die sich als ausgezeichnet an neoliberale Menschen- und Weltbilder anschlussfähig erwiesen: „Die Durchsetzung der political correctness und des Gutmenschen als allgegenwärtige Denkfiguren zur Abqualifizierung und Lächerlichmachung gerechtigkeitsorientierter, solidarischer, ökologischer und emanzipatorischer Positionen kann als ein damit einhergehender weiterer Erfolg neurechter Rhetorik verbucht werden.“⁸⁷
Peter Hoeres hat die in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte am prominentesten platzierte Kritik an Doering-Manteuffels Skizze des 20. Jahrhunderts rund um Westernisierung und Neoliberalismus formuliert.⁸⁸ Für eine Auseinandersetzung mit einem Entwurf zur Geschichtsdeutung handelt es sich dabei um eine Schrift, die so eklatant gegen die Prinzipien der wohlwollenden Interpretation⁸⁹ verstößt, dass sie als Polemik zu klassifizieren ist. Das wirft die Frage auf, worin die Redaktion den Sinn ihrer Publikation in der Zeitschrift gesehen haben könnte, die auch Doering-Manteuffels Essays zum Thema veröffentlicht hat. Eine naheliegende Erklärung wäre der Wunsch nach Pluralismus in den Vierteljahrsheften, doch dann scheint Hoeres Aufsatz über das Ziel weit hinausgeschossen zu sein, so dass man sich entschloss, womöglich zum Ausgleich eine zweite, wohlwollendere
Langebach/Raabe: Neue Rechte, S. 575. Gabriele Kämper: Von der Selbstbewussten Nation zum nationalen Selbstbewusstsein. Die Neue intellektuelle Rechte bewegt sich auf rhetorischen Pfaden in die Mitte der Gesellschaft; in: Werkstatt Geschichte 37 (2004), S. 64– 79.Während Kämper dieses Denken von den 1990ern in die 2000er Jahre verfolgte, beschrieb Schneider: Volkspädagogik, entsprechende Denklinien vom Historikerstreit bis in die 1990er. Kämper: Von der Selbstbewussten Nation, S. 79. Peter Hoeres: Gefangen in der analytisch-normativen Westernisierung der Zeitgeschichte. Eine Kritik am Konzept der Zeitbögen; in: VfZ 63 (2015), Heft 3, S. 427– 436. Zum principle of charity vgl. Mehrtens: Methode/Methodologie, S. 838 f.
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und verständigere Kritik von Doering-Manteuffels Skizze zu publizieren. Dass diese allerdings von Ariane Leendertz und damit aus Doering-Manteuffels eigener Schule stammt,⁹⁰ ist bedauerlich, da man Schülerinnen und Schülern zwar die Exegese der meisterlichen Schriften mit guten Gründen überantworten kann, sie bei der Kritik aber in Konflikte um Loyalität und die eigene Positionierung innerhalb der Schule stürzen können. Leendertz gelangt schließlich zu einer Position, die gerade in der oben diskutierten Forderung nach Bejahung der neoliberalen Gegenwart eine gemäßigte Differenz zu Doering-Manteuffel erkennen lässt. Aus der Gegenwart will Leendertz nämlich die Perspektive gewinnen, aus der „neue Narrative, Strukturierungs- und Darstellungsmöglichkeiten und […] neue Erkenntnisse über die Zeitgeschichte“ hervorgehen sollen, indem „wir die Geschichte laufend neu“ schreiben.⁹¹ Das schließt eine Retrospektive darauf ein, wie der Neoliberalismus – in einer weiten Definition – aus der Epoche der Westernisierung hervorgehen konnte: „Unter neoliberal ist dann weniger ein kohärentes (wirtschafts‐)politisches Programm intentional handelnder Akteure zu begreifen, sondern es ist damit eine Neuorganisation der Beziehungen zwischen Staat,Wirtschaft, Gesellschaft und Individuum umschrieben, die sich im diachronen Vergleich zur Periode des Golden Age, des eingebetteten Kapitalismus der Jahrzehnte seit 1930 und der Ära des Kalten Kriegs sowie der Periode der Hochindustrialisierung und internationalen Verflechtung vor dem Ersten Weltkrieg konturieren lässt.“⁹²
Ich betrachte also im Folgenden Hoeres’ Kritik an Doering-Manteuffels Zeitbögen unter dem Gesichtspunkt, inwieweit sie Elemente der „Neuen Rechten“ aufruft und damit den Pluralismusanspruch der Vierteljahrshefte in Richtung einer politischen Position überzieht, die nach rechtsaußen anschlussfähig ist. Zuerst kommt Hoeres auf den von Leendertz als Schlüsselstelle identifizierten Vorwurf ⁹³ zu sprechen, Doering-Manteuffel sei ein Sonderwegstheoretiker, und zwar in heimlicher und noch dazu antideutscher Ausprägung: „Durch den affirmativen Verweis auf Thorstein Veblen wird bereits deutlich, dass DoeringManteuffel implizit an der Sonderwegsthese festhält, auch mit Blick auf einen spezifischen eliminatorischen Antisemitismus, Daniel Goldhagen wird freilich nicht genannt.“⁹⁴
So Leendertz: Zeitbögen, Anmerkung 12 auf S. 194. Ebenda, S. 217.Vgl. zur auf Kant, Droysen und Weber bezogenen selbstreflexiven Subjektivität als konstitutivem Moment historischer Erkenntnis Oexle: ‚Staat‘ – ‚Kultur‘ – ‚Volk‘, S. 64– 67. Leendertz: Zeitbögen, S. 217. Ebenda, S. 193. Hoeres: Gefangen in der Westernisierung, S. 428.
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Spezifischer eliminatorischer Antisemitismus und Daniel Goldhagen fungieren hier als Chiffren, um Doering-Manteuffels „implizit“ vertretene Sonderwegsthese ins Absurde zu rücken. Goldhagens Thesen zur Erklärung des Holocaust wurden in der Geschichtswissenschaft weithin abgelehnt, und zwar weil sie als Formulierung eines negativen Nationalcharakters nach dem Schema „Die Deutschen sind mordlustig“ verstanden wurden.⁹⁵ Die verbreitete Kritik, dabei handle es sich um eine unzulässige Vereinfachung „komplexer Prozesse auf monokausale und deterministische Erklärungen“,⁹⁶ gilt wohl als Gemeinplatz. Damit könnte Doering-Manteuffels Sonderwegsauffassung als ebenso radikal und allgemein inakzeptabel erscheinen. Es gibt aber keinerlei Hinweis, dass Doering-Manteuffel einer so verstandenen „Goldhagen-These“ anhängen könnte. Wo er über den nach dem Ersten Weltkrieg wachsenden Antisemitismus spricht, parallelisiert DoeringManteuffel dagegen ausdrücklich die „Krise des europäischen Judentums“ mit der „Krise des europäischen Liberalismus“.⁹⁷ Zur Erklärung des Holocaust zieht er sodann keineswegs einen „spezifischen eliminatorischen Antisemitismus“ heran, den er „den Deutschen“ zuschriebe. Vielmehr habe es nur in Mitteleuropa die Quellen für eine „völkische Vernichtungsdrohung“ als Bestandteil des Antisemitismus gegeben, und zwar folgende: „Es war der Deutsche und Österreicher Adolf Hitler, der sie seit 1920 zum Kernelement der nationalsozialistischen Propaganda machte und darin den antiwestlichen Anti-Universalismus mit dem frühen Antibolschewismus verkoppelte. Das Judentum, hieß es, verkörpere die beiden Hauptfeinde: den westlichen Universalismus und den östlichen Kommunismus“.⁹⁸
Eher noch als Hoeres’ Interpretation vor einer Goldhagen-Folie, könnte man dies als Hitlerismus kritisieren, der die Erklärung des Holocaust an eine Person binde. Interessant an Hoeres’ Zusammenstellung eines unerwähnten Goldhagen, einer impliziten Sonderwegsthese und eines affirmierten Thorstein Veblen ist die direkte Kontextualisierung mit „Kriegspropaganda aller Seiten“,⁹⁹ wodurch der Eindruck entsteht, bei den wissenschaftlichen Positionen handle es sich um Propaganda, die von den Kriegsgegnern gegen das Deutsche Reich eingesetzt worden sei. Indem er Doering-Manteuffel die Affirmation solcher angeblichen Propaganda nachsagt, schiebt Hoeres ihm eine antideutsche Position unter.
Michael Schneider: Die „Goldhagen-Debatte“. Ein Historikerstreit in der Mediengesellschaft; in: Archiv für Sozialgeschichte 37 (1997), S. 460 – 481, hier S. 477. Ebenda, S. 478. Doering-Manteuffel: Zeitbögen, S. 329. Ebenda; unter Berufung auf Hitler-Reden und ‐Schriften. Hoeres: Gefangen in der Westernisierung, S. 428.
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Wenn dagegen Doering-Manteuffel einen „Gegensatz zwischen liberalen und antiliberalen Vorstellungen“¹⁰⁰ beschreibt, der in der deutschen Kriegspropaganda verschärft wurde und in der Weimarer Republik weiter bestand, gelangt Hoeres zu der These: „Angesichts der neuen Forschungen zum Kaiserreich und zum Ersten Weltkrieg ist dieser Gegensatz als Charakterisierung einer Differenz zwischen dem Deutschen Reich und anderen europäischen Staaten jedoch nicht mehr zu halten“. Ganz im Gegenteil sei der Antiliberalismus eher den Kriegsgegnern zuzuordnen, suggeriert Hoeres, und verweist auch für die Zwischenkriegszeit auf die „‚konservativen Revolutionen‘ anderer Länder“.¹⁰¹ Dass es auch in anderen Ländern – hier speziell Großbritannien und Frankreich – antiliberale politische Strömungen gab, ist aber doch gar nicht das Thema der Zeitbögen, sondern ob und warum der Antiliberalismus sich später als faschistische Diktatur durchsetzte oder nicht. Wie Hoeres den Nationalsozialismus deutet, nämlich in Abgrenzung zu Doering-Manteuffel ausdrücklich nicht „primär als Antiliberalismus und Antirationalismus“, sondern in Reminiszenz an das „Prius“ des Historikerstreits als Reaktion auf den Bolschewismus¹⁰² und in eklatanter Missdeutung der Kritischen Theorie als dialektisch radikalisierten Rationalismus,¹⁰³ wirft die Frage auf, ob Hoeres die Durchsetzung des Nationalsozialismus in Deutschland damit erklären möchte, dass das Land zu liberal und zu rational orientiert gewesen sei. Hoeres’ Darstellung der Rolle des Neoliberalismus in Doering-Manteuffels Zeitbögen ist dann auch von seinem Missverständnis verfälscht, Doering-Manteuffel betriebe Propaganda für Westernisierung und lehnte Neoliberalismus ab. Indem Hoeres Neoliberalismus bloß als „polemisch konnotierten Begriff der Publizistik“ verdammt und auch den Definitionsversuchen Doering-Manteuffels keine Beachtung schenkt, verweigert er sich letztlich der Auseinandersetzung mit dem Text. Möglicherweise würde Hoeres den Begriff Ordoliberalismus bevorzugen und die damit verbundenen Ordnungsideen auch befürworten. Da er den Begriff „Neoliberalismus“ rundheraus ablehnt, ist Hoeres’ Auseinandersetzung mit dem Zeitbogen seit den 1970ern unergiebig. Er schiebt Doering-Manteuffel sogar mit einem Scheinzitat eine Charakterisierung dieser Phase als „Marktradi-
Doering-Manteuffel: Zeitbögen, S. 328. Hoeres: Gefangen in der Westernisierung, S. 428 f. Vgl. ebenda, S. 429, und Ernst Nolte: „Vergangenheit, die nicht vergehen will“ [Historikerstreit], 6. Juni 1986; in: 100(0) Schlüsseldokumente zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert, 24. Juli 2018, URL: https://www.1000dokumente.de/pdf/dok_0080_nol_de.pdf (zuletzt abgerufen am 13. Januar 2021). Vgl. Hoeres: Gefangen in der Westernisierung, S. 429, und Max Horkheimer/Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Amsterdam 1947.
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kalismus“¹⁰⁴ unter, was sich in dessen Aufsatz nirgends wiederfindet. Über die gesellschaftspolitische Signatur der Zeit seit den 1970er Jahren stellt Hoeres jedenfalls die These auf, „dass es gerade keine neoliberale Agenda ist, die den Kurs in der Bundesrepublik und der Europäischen Union bestimmt.“¹⁰⁵ Was für Hoeres eine neoliberale Agenda wäre, bleibt aufgrund seiner Ablehnung des Begriffs jedoch unklar. Auf Doering-Manteuffels prägende Charakteristika des Zeitbogens seit den 1970ern geht er nicht näher ein: „Doering-Manteuffel sieht ihn bestimmt von dem Bedeutungsverlust der Nationalstaaten in der Globalisierung, von der Individualisierung, vor allem aber von der Neujustierung des Freiheitsbegriffs als ‚Freiheit des Marktes‘ […] vom Staat.“¹⁰⁶
Statt solch säkularer Trends nennt Hoeres allerdings beschränkte wirtschaftspolitische Maßnahmen und unterlegt dabei Beispiele für Privatisierung, Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Deregulierung der Finanzmärkte mit den bedauernden Nebenbemerkungen, dass sie „nun zum Teil rückgängig gemacht“ und „durch gegenläufige Ausweitungen des Sozialstaates flankiert oder überdeckt wurden“.¹⁰⁷ Seine Sympathien scheinen also durchaus bei Politiken zu liegen, die als „neoliberal im Sinne des heutigen Sprachgebrauchs“¹⁰⁸ gelten, nur möchte er sie nicht mit einem „heutzutage rein pejorativ gebrauchten Begriff“¹⁰⁹ bezeichnen. Das passt zur neoliberalen Gründungsphase der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) ab 2013, denn deren Programmatik richtete sich gegen genau die Politiken, die Hoeres als „Euro-Rettung“ sowie „Ausweitung der Armutsmigration“ bezeichnet, um zu belegen, dass eine nur „vermeintliche neoliberale Signatur“ von der Bundesregierung immer wieder konterkariert würde.¹¹⁰ Selbst bei neoliberalen „Modellstaaten“ wie den USA unter der Präsidentschaft Ronald Reagans urteilt Hoeres, sie seien nicht neoliberal genug, weil „die Staatsquote nicht gesenkt [wurde], und der Umfang der Bundesbeschäftigten stieg“.¹¹¹ Dass Reagans Rhetorik hingegen den Kern des Neoliberalismus erfasse, scheint Hoeres im Satz „government is not the solution to our problem, government is the problem“ zu bejahen.¹¹² Dass Hoeres in der Diskussion über Neoliberalismus offen-
Hoeres: Gefangen in der Westernisierung, S. 429. Ebenda, S. 431. Ebenda, S. 430. Ebenda, S. 431. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda.
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bar eher seine eigenen wirtschaftspolitischen Wünsche und ihre mangelnde Erfüllung vor Augen hat als die von Doering-Manteuffel gemeinten gesellschaftspolitischen Orientierungen, erläutert Leendertz ausführlich.¹¹³ Hoeres sieht den Neoliberalismus nirgends etabliert, sondern überall von Feinden umringt.Wenn die „Linkspartei als Kontrast zum ‚Schröder-Blair-Papier‘“ Stimmengewinne verbuchte und in Westdeutschland die Fünf-Prozent-Hürde übersprang, schließt er auf eine „Diskurshegemonie der Verfechter der sozialen Gerechtigkeit“,¹¹⁴ als ob die Linkspartei seit der Jahrtausendwende die Bundesregierung stellte. Damit Hoeres seine Hauptthese von „einer doppelten, nämlich analytischen und normativen Privilegierung der ‚Westernisierung‘“ in den Zeitbögen begründen kann, muss er den Inhalt der Westernisierungstheorie so darstellen, dass diese zuerst „eine Idealisierung des ‚Westens‘“ als einer essentialistisch gedachten Kultur vornehme, dann die „deutsche Geschichte“ als weitere essentialisierte Kultur konzipiere und auf dieser Grundlage untersuche, wann und wie die „deutsche Geschichte“ sich dem „Westen“ unterordne oder widersetze.¹¹⁵ Ohne diese – abstrusen – Voraussetzungen über den Charakter der Westernisierungsforschung machen Hoeres Vorschläge, was man stattdessen erforschen sollte, keinen Sinn: „Könnte es nicht überraschende Ergebnisse zeitigen, einmal nach deutscher Teilhabe an östlichen Ordnungsmodellen zu fragen? Oder nach westlicher Teilhabe an deutschen wissenschaftlichen, kulturellen, wirtschaftlichen und sozialpolitischen Ordnungsmodellen?“¹¹⁶
Zu den Ausgangspunkten der Westernisierungsforschung gehört nach meinem Verständnis, dass die deutschsprachigen Regionen Europas in einer transnationalen, langfristigen Geschichte prägender gesellschaftlicher Ordnungsvorstellungen so eng mit den Ideen anderer westeuropäischer – und kolonialistisch von dort ausstrahlender – Gebiete verwandt sind, dass sie sich am besten als dynamisches und etwas diffuses Gebilde des „Westens“ zusammenfassen lassen. Wie sich dieser Westen entwickelt, das ist völlig offen und nur insofern „normativ“, wie es sich eben um eine Geschichte der Ideen über gesellschaftliche Normen handelt. Die Kulturen muss man dafür nicht essentialisieren, und schon gar nicht „westliche“ und „deutsche“ Geschichte als wesensverschieden konzeptualisieren.Wenn man „überraschende Ergebnisse“ über deutsche „Teilhabe an östlichen Ordnungsmodellen“ finden will, kann man das ja in der Kulturtransferforschung
Leendertz: Zeitbögen, S. 213 – 216. Hoeres: Gefangen in der Westernisierung, S. 432. Ebenda. Ebenda.
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problemlos tun,¹¹⁷ muss dafür aber essentialistische Kulturvorstellungen ohnehin aufgeben. Hoeres zweite Frage erübrigt sich dann.¹¹⁸ Wir sehen staunend die Voraussetzung, allem Deutschen ein eigenständiges Wesen zuzuschreiben, so als ob es sich isoliert von seiner Umgebung entwickelt hätte. Dieser Gedanke steht in Tradition zum Deutschtumsdenken, das in der Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts wurzelt, im 21. Jahrhundert aber einen so frappierenden Anachronismus darstellt, dass man zur Erklärung seiner Stabilität wohl nur enge ideologische Grenzen heranziehen kann.¹¹⁹ Hoeres behauptet, einige „apodiktisch vorgetragene Fehlurteile“ DoeringManteuffels gefunden zu haben, die er auf die (allerdings falsch verstandene) Konstruktion von Westernisierung zurückführt.¹²⁰ Was Hoeres apodiktisch falsch findet, sagt daher weniger über die Westernisierung, aber viel über Hoeres Positionierung aus, weshalb ich es hier knapp referiere:¹²¹ dass inzwischen „das Zeitalter der Nationalstaaten vorbei“ sei; dass der Versailler Vertrag dem Deutschen Reich die Chance gab, „sich wirtschaftlich, politisch und ideologisch neu zu festigen“; dass „der Nationalsozialismus keine Verbindung mehr zum westlichen Rechtsdenken besessen habe“;¹²² dass der Nationalsozialismus eine nihilistische Utopie gewesen sei; dass der Zweite Weltkrieg „von deutscher Seite ein Kampf gegen den atlantisch dominierten liberalen Westen“ gewesen sei; dass schließlich „das geistige Klima in der Bundesrepublik in den 1960er Jahren liberal geworden sein soll“. Gerade den letzteren Punkt behandelt diese Untersuchung in mehrerlei Hinsicht bezüglich der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft. Hoeres findet Vgl. etwa Pascal Eitler: Der kurze Weg nach ‚Osten‘. Orientalisierungsprozesse in der Bundesrepublik Deutschland um und nach 1968; in: Axel Schildt (Hg): Von draußen: Ausländische intellektuelle Einflüsse in der Bundesrepublik bis 1990, Göttingen 2016, S. 288 – 305, oder die Skizze und Literatur zur Diskussion über eine Sowjetisierung Osteuropas in Doering-Manteuffel: Amerikanisierung und Westernisierung (2019). Vgl. Paulmann: Vergleich und Transfer; sowie die darauf bezugnehmenden Definitionen des Ideenverkehrs in Doering-Manteuffel: Amerikanisierung und Westernisierung (2019). Vgl. Emmerich: Volkstumsideologie; oben, Anmerkung 94 auf S. 187, sowie Volker Weiß: Bedeutung und Wandel von ‚Kultur‘ für die extreme Rechte; in: Fabian Virchow/Martin Langebach/Alexander Häusler (Hg.): Handbuch Rechtsextremismus,Wiesbaden 2016, S. 441– 469 (DOI: 10.1007/978-3-531-19085-3_14). Hoeres: Gefangen in der Westernisierung, S. 432. Für die folgenden Stellen: Ebenda, S. 433 f. Wesentlich anders lautet das, was Doering-Manteuffel: Zeitbögen, S. 331, tatsächlich behauptet hatte: „Wer Volk und Raum zu Kernelementen juristischer Begriffsbildung machte, wanderte aus dem europäischen Rechtsdenken aus. […] Dieses System der blanken Willkür […] wies keine Verkopplung mehr mit dem europäischen Rechtsdenken auf. Es wähnte sich autonom und war doch nur kulturell völlig isoliert.“
8.2 Jenseits der Westernisierung
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eine Liberalisierung der Wissenschaftslandschaft in den 1960ern „abwegig“.¹²³ Erklären lassen sich solche Widersprüche letztlich nur mit der gänzlich anderen von Hoeres eingenommenen Perspektive auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Hoeres Standpunkt ist offenbar so beschaffen, dass Wertbegriffe etwas anderes bedeuten als bei Doering-Manteuffel, bei Leendertz oder in meiner vorliegenden Studie, so verschieden diese drei Standpunkte auch sein mögen. Wo eine politisch-moralische Stellungnahme in den Texten erkennbar ist, beispielsweise eine negative Bewertung des Nationalsozialismus insgesamt, fordert Hoeres mit dem Gestus historischer Gerechtigkeit die Verurteilung anderer „Nationen oder Systeme“.¹²⁴ Insbesondere will er die „Schadensbilanz der westlichen Modernisierung“¹²⁵ in die Waagschale werfen. In einer argumentativen Konstellation, die aus dem Historikerstreit bekannt erscheint, relativiert Hoeres’ Aufsatz die Verbrechen des Nationalsozialismus, indem er eine Ähnlichkeit, Vorbildlichkeit oder Ursächlichkeit der Untaten anderer Mächte zu den NS-Verbrechen suggeriert. Der symbolische Ausgangspunkt des Historikerstreits war Ernst Noltes Frage: „War nicht der ‚Archipel GULag‘ ursprünglicher als Auschwitz?“¹²⁶ Hoeres nun setzt an die Stelle des Stalinismus den Liberalismus oder die „westliche Modernisierung“. Das ist eine einigermaßen überraschende Rhetorik, die erst nach dem Ende der Blockkonfrontation mit der Abwendung der „Neuen Rechten“ von den westlichen Bündnispartnern entstehen konnte. Politisch dürfte dagegen überall links der „Neuen Rechten“ große Einigkeit darüber bestehen, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus sich nicht unter Verweis auf andere Verbrechen relativieren lassen. Mit den drei Behauptungen, Doering-Manteuffel stilisiere „den Westen“ zum Ideal, er schreibe an einer „whigistischen Triumphgeschichte des Westens“ und betreibe „vorrangig“ moralisch motivierte Zeitgeschichtsschreibung zur „westlichen Einbindung der Deutschen“,¹²⁷ versucht Hoeres, die Wissenschaftlichkeit von Doering-Manteuffels Arbeit zu bestreiten. Dass Doering-Manteuffel Geschichte „als Legitimationsquelle von Werturteilen“ funktionalisiere,¹²⁸ soll ihn als politisch-moralisch interessierten „Gutmenschen“ darstellen, statt als kühlrationalen Wissenschaftler. Der Vorwurf, dass er damit hinter Max Webers Objektivitätsaufsatz zurückfalle,¹²⁹ verkennt die Bedeutung von „Objektivität“ in
Hoeres: Gefangen in der Westernisierung, S. 434. Ebenda. Ebenda. Nolte: Vergangenheit. Hoeres: Gefangen in der Westernisierung, S. 434. Ebenda. Ebenda.
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Webers Aufsatz ebenso wie den Sinn der „Wertfreiheit“ in den Sozialwissenschaften.¹³⁰ Damit stellt sich Hoeres auf einen epistemologischen Standpunkt, den Otto Gerhard Oexle anhand der Mediävistik als den Neorankeanismus der Rechten nach dem Nationalsozialismus expliziert hat: Exemplarisch dafür hatte etwa Hermann Aubin 1962 postuliert, Geschichtswissenschaft dürfe keinesfalls „wissenschaftliche Erkenntnisse mit den Interessen der eigenen Zeit“ vermischen, das schade ihrem „objektiven Standpunkt“.¹³¹ Dementsprechend schimpft Hoeres über „die sehr groben Dichotomien liberal-antiliberal, westlich-nicht-westlich (immer im Sinne von Gut und Böse), die letztlich nichts anderes als eine Kombination von Schwundstufen der Modernisierungs- und der Totalitarismustheorie“ seien.¹³² Er fordert, „die Rolle der Bundesrepublik Deutschland in den – im Übrigen ständig ostwärts erweiterten – transatlantischen Institutionen und Wertegemeinschaften“ dürfe nicht durch eine „Funktionalisierung der Geschichte zu einer homogenisierenden teleologischen Großerzählung“ prädeterminiert werden, sondern müsse historisch völlig wertfrei bleiben.¹³³ Der Sinn dieser „nur scheinbaren ‚Wertfreiheit‘“¹³⁴ besteht offenbar in einer historiographischen Hegemonie für Positionen, die von Westbindung, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Pluralismus abweichen.¹³⁵ Schon bei der
Vgl. Weber: Objektivität, sowie Max Weber: Der Sinn der „Wertfreiheit“ der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften; in: Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hg. von Johannes Winckelmann, 4. Auflage, Tübingen 1973, S. 489 – 540, hier besonders S. 494 f.: „Schließlich, daß manche angebliche Gegner der (politischen) Kathederwertungen gewiß am allerwenigsten dazu legitimiert sind, zur Diskreditierung von außerhalb der Hörsäle in voller Oeffentlichkeit sich vollziehenden kultur- und sozialpolitischen Erörterungen, sich auf den von ihnen noch dazu oft arg mißverstandenen Grundsatz der Ausscheidung der ‚Werturteile‘ zu berufen, bedarf wohl kaum der besonderen Feststellung. Die unbezweifelbare Existenz dieser pseudowertfreien, tendenziösen, dabei in unserem Fach durch die zähe und zielbewußte Parteinahme starker Interessentenkreise getragenen Elemente macht es unzweifelhaft verständlich, daß eine bedeutende Anzahl gerade innerlich unabhängiger Gelehrter zur Zeit bei der Kathederwertung beharren, weil sie jene Mimikry einer nur scheinbaren ‚Wertfreiheit‘ mitzumachen zu stolz sind.“ – Und S. 502: „Denn dies ist der eigentliche Sinn einer Wertdiskussion: das, was der Gegner (oder auch: man selbst) wirklich meint, d. h. den Wert, auf den es jedem der beiden Teile wirklich und nicht nur scheinbar ankommt, zu erfassen und so zu diesem Wert eine Stellungnahme überhaupt erst zu ermöglichen.“ So Hermann Aubin im Vortrag „Otto der Große und die Erneuerung des abendländischen Kaisertums im Jahre 962“ (1962), zitiert nach: Oexle: ‚Staat‘ – ‚Kultur‘ – ‚Volk‘, S. 101. Hoeres: Gefangen in der Westernisierung, S. 435. Ebenda. Weber: Wertfreiheit, S. 495. Vgl. für ein Lippenbekenntnis zu diesen Orientierungen Hoeres: Gefangen in der Westernisierung, S. 435.
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neorankeanischen Suggestion, dass Hoeres’ Position gegenüber Doering-Manteuffels Haltung unpolitisch und „objektiv“ sei, handelt es sich um einen antipluralistischen Wahrheitsanspruch, der mit Demokratie und Westbindung inkompatibel ist. Denn wenn Wahrheit von „objektiver“ Expertise letztgültig ermittelt werden könnte, wäre Pluralismus wissenschaftlicher Positionen größtenteils die Verbreitung von Falschheiten. Dass es Hoeres nicht um einen Pluralismus der Perspektiven geht, zeigen die Aspekte an, für die er das ZeitbögenKonzept zu öffnen fordert: „die deutsche Teilung samt Vertreibung und Integration“, „die Zerstörung der Städte“, die „Re-Nationalisierung“, und die „Gouvernementalität der Postmoderne mit neuen Regimen der Normierung und Verhaltenssteuerung (beispielsweise Gender Mainstreaming, Diversity, Inklusion)“.¹³⁶ Wie oben gezeigt, gehören deutsche Opfer des Zweiten Weltkriegs, die neue Rolle der Nation und die Ablehnung von political correctness zu den Lieblingstopoi der „Neuen Rechten“.¹³⁷
Begriffsbildung: Empirie, Theorie, Normativität Das Problem, das in der ausgiebigen Debatte über Westlichkeit und Westernisierung immer wieder aufscheint, die auch in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte geführt wurde, ist die Unklarheit des jeweils Gesagten und seines Verhältnisses zur historischen und gegenwärtigen Realität. Aspekte von Empirie, Theorie und Normativität werden in Streitigkeiten über Westernisierung notorisch vermischt oder verwechselt. Begrifflichkeiten erhalten dadurch jeweils verschiedene Bedeutungen, so dass die Diskutierenden oftmals aneinander vorbeireden. Doering-Manteuffel hatte die zugrundeliegende Problematik sprachlicher Vermengung von deskriptiven und normativen Bedeutungen in der Frühzeit der Westernisierungsforschung bemerkt, hielt es aber für hinreichend, den primär normativ-ablehnend verstandenen Begriff „Verwestlichung“ durch das nicht negativ aufgeladene Wort „Westernisierung“ zu ersetzen: Im Tübinger Forschungsprojekt 1992– 1996 hieß der Untersuchungsgegenstand noch „Westernization“,¹³⁸ die Projektergebnisse formulierte Doering-Manteuffel überwiegend
Ebenda, S. 436. Vgl. oben, S. 539. Doering-Manteuffel: Wie westlich (HPM), S. 38, und Doering-Manteuffel: Wie westlich sind die Deutschen, S. 135 f. Das Forschungsprojekt wurde am Seminar für Zeitgeschichte der Universität Tübingen durchgeführt. Im ersten Zwischenergebnis lautete die Aufgabenstellung 1993, noch völlig ohne Begrifflichkeit für das Phänomen, „daß der allmähliche Prozeß hier im Westen [Deutschlands] von 1945 bis in die sechziger Jahre gründlich erforscht werden muß, in dem sich die Abwendung von überlieferten Obrigkeitsvorstellungen und Autoritätsfixierungen und die
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und nicht in Anführungszeichen gesetzt mit dem Begriff „Verwestlichung“.¹³⁹ Bis 1999 wandelte sich Doering-Manteuffels eigene Begriffspräferenz dann zum durchgängigen nichtdistanzierten Gebrauch von „Westernisierung“.¹⁴⁰ In der Begriffserklärung seiner aktuellsten Publikation nennt er den Begriff „Westernisierung“ dann „wertneutral“ und begründet damit seine Bevorzugung.¹⁴¹ Die im Kontrast zum ablehnenden Begriff „Verwestlichung“ positivere Einstellung zur Westernisierung, die etwa von Hoeres als „analytisch-normative Doppelorientierung an der Westernisierung“¹⁴² verstanden und zum Zentrum seiner Kritik gemacht wird, ist allerdings von Doering-Manteuffel nicht explizit intendiert, weil er den normativen Bedeutungsaspekt ausklammern will: „Westernisierung dient insofern der sachlichen Beschreibung und kritischen Analyse eines historischen Geschehens, das positiv oder negativ zu werten dem Einzelnen überlassen bleiben muss. Deshalb darf ein pejorativer Subtext nicht schon mit dem Begriff selbst in die Wahrnehmung der scientific community eingeschleust werden. Die Westeuropäer sind amerikanisiert, ohne Zweifel, aber ob sie sich als ‚veramerikanisiert‘ empfinden, lässt sich nicht sagen. Ihre politische Öffentlichkeit ist in weiten Bereichen westernisiert, aber sie werden sich nicht unbedingt als ‚verwestlicht‘ wahrnehmen. Hier ist sprachliche Präzision vonnöten.“¹⁴³
Dass Westernisierung aber ein Phänomen ist, das heute von vielen Menschen, zumal seiner eigenen Generation, als überwältigend positiv bewertet wird, macht Doering-Manteuffel in der ganzen Anlage seines Aufsatzes über die anschließende Epoche „Nach dem Boom“ deutlich: Auch „Historiker“ seiner Generation seien „Kinder des Wohlfahrtsstaats, […] eines konsensliberalen und sozialdemokratischen Verständnisses von staatlichem Handeln“ und „Kinder einer Zeit des Wachstums“.¹⁴⁴ Die Zeit von 1945 bis 1975 erschiene ihnen als „Golden Age“,¹⁴⁵ und genau deshalb müsste für die neoliberale Folgezeit ein anderes, mit dem Neoliberalismus kompatibles geschichtstheoretisches Instrumentarium eingesetzt werden, damit „es auch uns Historiker zwingen wird, die Gegenwart
Angleichung an die Gesellschaften der Nachbarländer vollzog.“ Doering-Manteuffel: Deutsche Zeitgeschichte nach 1945, S. 29. „Westernisierung“ setzte er dagegen nur selten und in Anführungszeichen ein in DoeringManteuffel: Wie westlich (HPM), S. 7 f. Doering-Manteuffel: Wie westlich sind die Deutschen. Doering-Manteuffel: Amerikanisierung und Westernisierung (2019). Hoeres: Gefangen in der Westernisierung, S. 432. Doering-Manteuffel: Amerikanisierung und Westernisierung (2019). Hervorhebungen wie im Original. Doering-Manteuffel: Nach dem Boom, S. 578. Ebenda, S. 559.
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anzunehmen, wie sie ist“.¹⁴⁶ Obwohl als „wertneutral“ vorgestellt, wird der Begriff „Westernisierung“ also oftmals mit wertenden Konnotationen benutzt, und darüber brechen politische Konflikte aus. Ein wichtiger Aspekt daran ist, dass die konkrete Bedeutung und Erstreckung des Begriffs in der Debatte häufig von der formalen Definition abweicht: „Der Begriff Westernisierung bezeichnet die Herausbildung einer gemeinsamen Werteordnung in den Gesellschaften diesseits und jenseits des Nordatlantik.“¹⁴⁷ Die Rolle der USA in diesem Vorgang ist jedoch notorisch unklar: „Angesichts der hegemonialen Stellung der USA im europäisch-atlantischen Staatensystem seit 1945 ist es nicht sinnvoll, Amerikanisierung und Westernisierung als antithetische Begriffe zu verwenden. […] Westernisierung erklärt […] die Überwindung von gegnerischen, ‚abweichenden‘ Ordnungsvorstellungen. Amerikanisierung erklärt die Durchsetzung USamerikanischer Kulturmuster in einem anderen nationalkulturellen Kontext.“¹⁴⁸
Einerseits unterscheiden sich die Begriffe Amerikanisierung und Westernisierung demnach durch den betroffenen Bereich „Kulturmuster“ beziehungsweise „Ordnungsvorstellungen“, was die Frage aufwirft, inwiefern Ordnungsvorstellungen keine Kulturmuster sind. Andererseits ist Amerikanisierung als Kulturtransfer aus den USA definiert,¹⁴⁹ während Westernisierung als Entstehung einer gemeinsamen Ordnung, als Zusammenwachsen beschrieben wird.¹⁵⁰ Aber angesichts der militärischen, politischen und kulturellen US-Hegemonie in Westeuropa dominieren die USA als Ausgangspunkt dieses Zusammenwachsen, auch in DoeringManteuffels Definitionsversuchen: Bei Westernisierung als „Anpassung an angloatlantische Muster soziopolitischer und sozialökonomischer Ordnungsvorstellungen“¹⁵¹ passen sich andere Länder an etwas Vorgegebenes an und entwickeln nicht gemeinsam etwas Neues. Insofern schwanken auch Doering-Manteuffels eigene Definitionen von Westernisierung in der Frage, woher die Wertvorstellungen kommen, und sie sind deshalb auch undeutlich in der Frage, wie sie genau aussehen.
Ebenda, S. 581. Doering-Manteuffel: Wie westlich sind die Deutschen, S. 13. Ebenda, S. 15. Ebenda, S. 11: „Dieser Kulturtransfer verläuft nur in einer Richtung – von den USA nach Europa und in andere Regionen der Welt.“ In dieser Metaphorik erscheint Kulturtransfer als eine Art Warenlieferung. Kulturindustrie ist nicht zufällig auch ein wesentlicher Bestandteil von Amerikanisierung. Ebenda, S. 13. Doering-Manteuffel: Amerikanisierung und Westernisierung (2019).
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Dieses Problem hat meiner Einschätzung nach methodologische Ursachen: Doering-Manteuffel hat seine Westernisierungsforschung als Ideengeschichte von Ordnungsvorstellungen konzipiert. Normativität ist daher Gegenstand der Ideengeschichte – und nicht streng davon abspaltbar.¹⁵² Darin liegt auch nicht das zentrale Problem, es erschwert die Lage nur in einer Wissenschaft, die sich weithin als „wertneutral“ versteht. Problematischer ist nämlich die Begriffserzeugung zwischen Empirie und Theorie: Das Wort „westernization“ hat das Tübinger Forschungsprojekt vom transatlantischen Gastprofessor Theodore H. von Laue übernommen,¹⁵³ allerdings anders verwendet als von Laue, der damit koloniale und postkoloniale Globalisierung als umfassendes Ausgreifen des „Westens“ (Westeuropas und Nordamerikas) in politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht über die ganze Welt meint.¹⁵⁴ Den Begriff übertrug das Tübinger Projekt¹⁵⁵ empathisch auf die Angleichungsprozesse, die seit Beginn der alliierten Besatzung in den Westzonen angestoßen, in der Bundesrepublik aber von verschiedenen deutschen Akteuren auch selbstgesteuert weitergeführt wurden. In den frühen Studien liegt das Augenmerk noch klar auf „westlichen Einflüssen“ auf die BRD: „Unter dem Titel ‚Westernization‘ galt die Fragestellung westlichen ideellen Einflüssen in der inneren Entwicklung der Bundesrepublik bis 1970, die dazu beigetragen haben, das spezi-
Hochgeschwender: Verlust konservativen Denkens, S. 154, plädiert in diesem Sinne für Normativität in der Westernisierungstheorie. Andernfalls hätte man nur „einen wertfreideskriptiven Begriff von Westlichkeit, Liberalität oder Modernität“, der „weder ein Außen noch ein kritisches Gegen“ haben könne. Die Unterscheidbarkeit von Positionen ist aber zentral aus epistemologischer wie aus politischer Perspektive. Daher müsse „diese inhärente Normativität reflexiv und explizit gemacht werden“. Er problematisiert ebenda, S. 153 – 155, weiter: Wenn man „einfach Liberalismus, Aufklärung, Moderne und Demokratie konzeptionell mit dem Westen“ gleichsetze, drohe das den Konsensliberalismus der Westernisierung auf „Liberalismus und Sozialdemokratie“ zu verengen und führe damit zur Vernachlässigung der „Westernisierung des deutschen Konservatismus“. Julia Angster: Konsenskapitalismus und Sozialdemokratie. Die Westernisierung von SPD und DGB, München 2003, S. 15. Laue: World Revolution of Westernization, S. 16 u. ö. Siehe Doering-Manteuffel: Wie westlich sind die Deutschen, S. 135 f. und Angster: Konsenskapitalismus, S. 15, wonach aus dem Projekt neben Angsters auch diese Dissertationen hervorgingen: Michael Hochgeschwender: Freiheit in der Offensive? Der Kongreß für kulturelle Freiheit und die Deutschen, München 1998; Gudrun Kruip: Das ‚Welt‘-‚Bild‘ des Axel Springer Verlags. Journalismus zwischen westlichen Werten und deutschen Denktraditionen, München 1999, vgl. S. 9; Thomas Sauer: Westorientierung im deutschen Protestantismus.Vorstellungen und Tätigkeit des Kronberger Kreises, München 1999.
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fische Profil des westdeutschen Gemeinwesens mit seinen markanten Unterschieden sowohl zur Weimarer Republik als auch zum Dritten Reich und zur DDR herauszubilden.“¹⁵⁶
Die Akteure, die diese Wertvorstellungen erzeugt und in die Bundesrepublik transferiert haben, erscheinen dabei gewissermaßen als Repräsentanten der USRegierung: „Die Projektstudien untersuchen […] ob, wie und in welcher Weise die ideell-ideologischen Konzepte in der Bundesrepublik rezipiert wurden, die in der Zwischenkriegszeit in den USA entfaltet worden waren und seit 1945 das politische Programm der amerikanischen Administration flankierend ergänzt haben.“¹⁵⁷
Statt von Westernisierung ist dabei noch von „Westorientierung“ und vom „Westen“ die Rede, was darauf hinweist, dass in den Quellen, die dem Forschungsprojekt zugrunde lagen, der „Westen“ als vieldimensionaler Anrufungsbegriff eine zentrale Rolle spielt, mit dem ideelle Orientierungen von der deutschen (nationalsozialistischen) Vergangenheit und der sowjetkommunistischen, „östlichen“ Alternative abgegrenzt werden konnten. So evozierte die Berufung auf den „Westen“ einen spezifischen Weg in die Zukunft, eine Orientierung an deutschen Amerikavorstellungen als Vorbild.¹⁵⁸ Daher hat der Begriff der Westernisierung drei Ursprünge: Den „Westen“ der Nachkriegsquellen, die „westernization“ des frühen Globalisierungsdiskurses und die Ablehnung des pejorativen Begriffs „Verwestlichung“ aus dem konservativ-kulturpessimistischen Diskurs der Bundesrepublik. Das ist eine dreifache empirische Begründung des Begriffs. Der einzige Aspekt, der dabei eine theoretische Begründung enthält, ist die Beseitigung des pejorativen Charakters aus „Verwestlichung“. Eine theoretische Herleitung und Begründung des Begriffs der Westernisierung hätte dagegen vermieden, Amerika als Vorbild zu suggerieren, eine amerikanische Übertragung eigener Wertvorstellungen nach Westeuropa als Mittelpunkt des Konzepts nahezulegen oder unklare Verhältnisse von entweder Aneignung des Fremden oder Weiterentwicklung des Eigenen oder Entstehung von etwas Gemeinsamem zu produzieren. Eine solche theoretische Begriffsprägung hätte auf der methodologischen Grundlage von Max Webers Idealtypus¹⁵⁹ Hochgeschwender: Freiheit, S. 9. Sauer: Westorientierung, S. 16. Ebenda: „Um näher bestimmen zu können, welche Vorstellungen mit ‚Westen‘ verbunden waren, sollen folgende […] Teilbereiche unterschieden werden: der ökonomische, der politische und der kulturelle.“ Vgl. zu den Inhalten dieser Amerikabilder ebenda, S. 16 f. Vgl. zum Idealtypus auch oben, S. 37 und S. 283, sowie die Literaturhinweise ebenda in den Anmerkungen 319 und 321.
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erfolgen können: In der Geschichtswissenschaft wurde Weber jedoch nur selektiv rezipiert;¹⁶⁰ insbesondere „idealtypisch“ hat sich „als Ausdruck für eher spekulative und methodisch nicht abgesicherte, holzschnittartige Charakterisierungen“ etabliert,¹⁶¹ auch in der Westernisierungsforschung. So spricht etwa Thomas Sauer fälschlich von „im strengen Sinne als idealtypisch“ zu betrachtenden Amerikabildern, macht aber klar, dass diese „mit dem ‚Westen‘ assoziierten (Vor‐) Bilder“ eigentlich „auf Klischees und Stereotypen“ basierende „Überzeichnungen der US-amerikanischen Gegebenheiten“ waren,¹⁶² wie sie empirisch in den Quellen auffindbar sind. Dabei liegt offenbar eine Vermischung mit der landläufigen Bedeutung von „idealisieren“ im Sinne von „glorifizeren“ vor.¹⁶³ Webers Idealtypus ist dagegen eine Methode zur theoretischen Begriffsbildung in den Sozialwissenschaften: „Er wird gewonnen durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluß einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht, vorhandenen Einzelerscheinungen, die sich jenen einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichen Gedankenbilde. In seiner begrifflichen Reinheit ist dieses Gedankenbild nirgends in der Wirklichkeit empirisch vorfindbar, es ist eine Utopie, und für die historische Arbeit erwächst die Aufgabe, in jedem einzelnen Falle festzustellen, wie nahe oder wie fern die Wirklichkeit jenem Idealbilde steht“.¹⁶⁴
Die drei Schritte der Idealtypenkonstruktion und der anschließende Arbeitsschritt, die historische Empirie im Einzelfall auf Übereinstimmung und Abweichungen mit dem Idealtypus zu untersuchen,¹⁶⁵ können hier für das Konzept Westernisierung nicht durchgeführt, nur anempfohlen werden. Man gewänne einen theoretisch und zweckrational konstruierten Begriff von Westernisierung, mit dem die empirische Wirklichkeit verglichen werden kann. Der Idealtypus der Westernisierung repräsentierte dabei ein rein zweckrationales Geschehen, bezogen auf einen von den Forschenden hypothetisch an das Material herangetragenen höchsten Zweck, nach meiner Einschätzung Pluralismus. Dennoch impliziert dieser Aspekt nach Max Weber keine Wertung, sondern eine Selbstreflexion des Forschungsprozesses im Hinblick auf die untersuchten hypothetischen Zwecke. Webers methodologischer Ansatz der argumentativ-rationalen Diskussion jener
Vgl. etwa Welskopp: Erklären. Hirsch Hadorn: Webers Idealtypus, S. 275. Sauer: Westorientierung, S. 17. Vgl. ebenda, „idealisierte Abstraktionen“, die mit den „gesellschaftlichen Realitäten“ kontrastiert wurden. Weber: Objektivität, S. 191. Schrittweise rekonstruiert etwa von Hirsch Hadorn: Webers Idealtypus, S. 286 – 289.
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Annahmen, die der Forschung zugrunde liegen, der „unbewußten Voraussetzungen, mit denen wir an unsere Arbeit herantreten“,¹⁶⁶ könnte auch den heutigen Wissenschaftsbetrieb bereichern. Denn auch heute gilt, wie Weber feststellte: „Alle kulturwissenschaftliche Arbeit in einer Zeit der Spezialisierung wird, nachdem sie durch bestimmte Problemstellungen einmal auf einen bestimmten Stoff hin ausgerichtet ist und sich ihre methodischen Prinzipien geschaffen hat, die Bearbeitung dieses Stoffes als Selbstzweck betrachten, ohne den Erkenntniswert der einzelnen Tatsachen stets bewußt an den letzten Wertideen zu kontrollieren, ja ohne sich ihrer Verankerung an diesen Wertideen überhaupt bewußt zu bleiben.“¹⁶⁷
Die explizite Thematisierung dieser „letzten Wertideen“ muss als Qualitätsmerkmal für die Reflexivität von Kulturwissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft gelten.
Tenbruck: Wissenschaftslehre, S. 111. Weber: Objektivität, S. 214.
9 Nachbetrachtung 9.1 Zur Stellung der Kollektivbiographik in der Historiographiegeschichte Während ich die Forschungstradition kollektivbiographischer Methoden bereits geschildert habe,¹ habe ich mich mit den Argumenten zurückgehalten, aufgrund derer ich mich für eine kollektivbiographische Herangehensweise an mein Forschungsthema entschieden habe. Dieses Versäumnis will ich hier nachholen, zuerst aber meine Zurückhaltung selbst erklären: In der Historiographiegeschichte habe ich den Eindruck gewonnen, dass sie von weitaus traditionelleren Theorien und Methoden geprägt ist als andere Gebiete der Geschichtswissenschaft. Markant für diesen Eindruck war für mich das große Projekt „Deutsche Historiker“² zur Revision der Historiographiegeschichte, das rund um Hans-Ulrich Wehler stattfand in dem Bemühen, die historiographischen Grundlagen und Vorbilder einer Neubewertung zu unterziehen, um das historiographische Reformvorhaben einer Überwindung des Historismus erinnerungspolitisch zu flankieren. Während ich allgemein in den Reformströmungen einer Historischen Sozialwissenschaft, später auch einer Alltagsgeschichte und neuen Kulturgeschichte deutliche Innovationen der Geschichtsschreibung erkennen konnte, erstreckten sich diese Innovationen jedoch nicht auf das Teilgebiet der Historiographiegeschichtsschreibung: Mit dem Sturz der alten historistischen Säulenheiligen ging keine Abkehr von den herkömmlichen Funktionen, Stilen und Methoden der Historiographiegeschichtsschreibung einher, sondern lediglich die Aufrichtung neuer Säulenheiliger. Zugegeben: Die Pluralisierung der möglichen Vorbilder war neu. Aber wenn man individualbiographisch neue Säulenheilige etablieren möchte, tendiert der Stil notwendigerweise zu traditionellen hagiographischen Formen: Leben, Leistungen und Nachleben der historiographischen Heroen dieser Nachkriegsgeneration deutscher HistorikerInnen wurden in den 1970er und 1980er Jahren mit Leben, Leistungen und Nachleben der Heroen früherer Historikergenerationen parallelisiert. Nicht zufällig enthielt dieser Neu-Kanonisierungsversuch der historiographischen Tradition denn auch erstmals eine Reihe von transatlantischen Gastprofessoren und anderen Emigranten, für deren Aufnahme in den Kanon die Nachkriegsstudierendengeneration damit eintrat. Wolfgang Webers Diagnose zur
Vgl. oben, Abschnitt 2.1 ab S. 64. Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Deutsche Historiker, 9 Bände, verschiedene Auflagen, Göttingen 1971– 1982. https://doi.org/10.1515/9783110731637-009
9.1 Zur Stellung der Kollektivbiographik in der Historiographiegeschichte
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Historiographiegeschichtsschreibung von 1985 kann im Wesentlichen weiterhin Gültigkeit beanspruchen: „Nach wie vor zerfallen die verschiedenen Ansätze in die bekannten Kategorien der Ideenund Literaturgeschichte einerseits und die Gelehrten- und Institutionengeschichte andererseits, wobei in der Gelehrtengeschichte die individualbiographische Variante das Feld beherrscht. Es wird also nach wie vor streng zwischen ‚innerer‘ und ‚äußerer‘ Wissenschaftsgeschichte unterschieden, ohne daß der Zusammenhang zwischen beiden Bereichen hinreichend berücksichtigt wird, und unterstellt, daß die grundsätzlich gradlinig nach oben verlaufende Entwicklung der Geschichtswissenschaft hauptsächlich vom Auftreten einzelner genialer Historiker abhängt, mit deren Werken, die sich aufgrund ihrer hohen wissenschaftlichen Qualität selbständig durchsetzen, sich die jeweiligen Epigonen auseinanderzusetzen haben.“³
Der Kampf um eine Reform des Kanons wurde also mit den alten Waffen der Historiographiegeschichtsschreibung ausgefochten. Die Streiter für die Kanonisierung emigrierter Gastprofessoren bedienten sich sehr konventioneller Mittel. Ich bin in der Einleitung darüber hinweggegangen, um nicht kurzerhand die am weitesten verbreiteten Überzeugungen im Feld der Historiographiegeschichtsschreibung über Bord werfen zu müssen. Stattdessen habe ich mich darauf beschränkt, die Errungenschaften, die die Kollektivbiographik als moderne Methode insbesondere in anderen Forschungsfeldern erbracht hatte, und die zur Schärfung der Methodik geführt hatten, vorzustellen, um damit meine Vorgehensweise zu erläutern. Weil die Probleme der Individualbiographik aber die verschiedenen Neuansätze überschatten, möchte ich nun darauf zurückkommen, welche Argumente für eine Historiographiegeschichte mit kollektivbiographischen Mitteln sprechen – und welche gegen traditionellere Ansätze. Zuerst springt das Argument ins Auge, dass es sich bei Wissenschaft per se um ein soziales Phänomen handelt,⁴ dem folglich eine sozialgeschichtliche Untersuchung angemessen ist. Das gilt auch für die Geschichtswissenschaft, deren sozialgeschichtliche Betrachtung zudem als „Sozialgeschichte der Historikerschaft“⁵ abgetan und entsprechend Webers Klage als rein äußerlicher Aspekt von einer inneren Wissenschaftsgeschichte abgespalten wird. Eine Sozialgeschichte der Historiographie muss die historischen gesellschaftlichen Bedingungen für die Produktion von Geschichtswissen untersuchen, ob es sich dabei um die Ausgrenzung bestimmter Gruppen von der Geschichtsschreibung handelt oder um die Rekrutierungsweisen für neue
Weber: Ordinarien für Geschichte, S. 114. Tetens: Wissenschaft, S. 1763. Blanke: Historiographiegeschichte, S. 156.
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9 Nachbetrachtung
Geschichtsschreibende, ihre Finanzierung und soziale Stellung, die Kräfte, die in Diskussionsprozessen und Konflikten wirken, die äußeren Ursachen für innere Veränderungen ebenso wie die inneren Gründe für äußere Reformen, nicht zuletzt die Garanten für Stabilität. Die wissenschaftssoziologische Grundüberzeugung, dass neue Theorien sich nicht einfach aufgrund ihrer argumentativen Überlegenheit durchsetzen, sondern dass ihre Rezeption von sozialen Strukturbedingungen des jeweiligen Feldes abhängt, macht es erforderlich, diese Strukturbedingungen zu analysieren. Schlüsselstellen dieser Struktur sind stets mit der Prüfung der Wissenschaftlichkeit von Forschungsergebnissen verknüpft, die sich einteilen lässt in die drei voneinander abhängigen Bereiche Qualifikation, Karriere und Rezeption. Am dritten Bereich können sich im Prinzip alle Teilnehmenden am wissenschaftlichen Diskurs beteiligen. Dominiert wird aber auch er, wie die anderen Bereiche, durch Ordinarien, die „Inhaber der höchsten Positionen des Faches, die mit entsprechender Macht ausgestattet sind“.⁶ Denn über die Anerkennung im Feld wird entschieden, indem „nicht nur rationale, sondern auch praktische Argumente vorgetragen werden, und […] Handlungsstrategien zur Anwendung kommen, mittels derer die Akzeptierung bzw. Verwerfung von Sätzen zu fördern bzw. zu verhindern versucht wird.“⁷ Deshalb muss auch die Historiographiegeschichte, will sie sich vom Modus des Nachrufs emanzipieren, andere Bereiche als das Leben und die Leistungen einzelner HistorikerInnen fokussieren nämlich: a) Soziale Positionen, b) Durchsetzungsstrategien, c) Kommunikationsprozesse und d) Themenkonjunkturen,⁸ alle spezifisch für das jeweilige Feld, in dem die Anerkennung neuer Theorien oder Forschungsergebnisse erfolgt oder verhindert wird. Weber vermutet mit besonderem Augenmerk auf die Geschichtswissenschaft: „Je weniger systematisch aber eine Wissenschaft ist, je weniger eindeutig ihre methodischen Standards sind, desto bedeutsamer ist das Verhalten der maßgebenden Fachvertreter, desto größer der Ermessungsspielraum dieser Personen und damit die Bedeutung von Handlungsstrategien.“⁹
Das Explanandum ist also in diesem Fall die Westorientierung der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft rund um die HZ. Das Explanans ist dabei gemäß der vorigen Ausführungen in den Bereichen a) soziale Positionen, b) Durchset-
Weber: Ordinarien für Geschichte, S. 115. Ebenda. Vgl. ebenda, S. 116. Ebenda, S. 115 f., vgl. näher ebenda, S. 117.
9.1 Zur Stellung der Kollektivbiographik in der Historiographiegeschichte
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zungsstrategien, c) Kommunikationsprozesse und d) Themenkonjunkturen zu suchen. Ich komme darauf zurück. Bevor ich expliziere, warum mir zur Analyse dieses Explanans das kollektivbiographische Design meiner Untersuchung notwendig erschien, ein paar Worte zu den alternativen Erklärungen des Westernisierungsprozesses der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft: Die Annahme, dass der rationale Fachdiskurs zu dieser Neuausrichtung des Fachs geführt habe, ist aus meiner Sicht so fernliegend, dass ich sie kaum auszuformulieren wage. Sie wird de facto auch deshalb nicht vertreten, weil Anhänger der Idee, Wissenschaftsentwicklung erfolge empirisch durch rationalen Fachdiskurs, dazu neigen, eine politischideologische Änderung wie die Westorientierung als außerwissenschaftlich und damit irrelevant abzutun. Eine weitere Alternativhypothese könnte sein, Westorientierung sei in der Geschichtswissenschaft von außen durchgesetzt worden. Allerdings muss man dem mit Weber entgegenhalten, dass „fast sämtliche institutionellen Voraussetzungen zur Durchsetzung einer politischen Ideologie“ im engeren Sinne in der Geschichtswissenschaft schlichtweg fehlen: „Mehr noch, die juristische und soziale Stellung der entscheiden[d]en Produzenten bürgerlichen historischen Wissens und ihre Organisationen sind dysfunktional einem unmittelbaren politischen Verwertungszusammenhang gegenüber. Der bürgerliche Ordinarius ist relativ unabhängig gegenüber Staat und Gesellschaft.“¹⁰
Demnach sind also weder die Argumente im Fachdiskurs selbst noch politische Vorgaben von außen die Bereiche, in denen nach der Erklärung der Westernisierung zu suchen ist. Deshalb scheiden zwei Bereiche als Fokus der Analyse aus: Eine Literaturanalyse der Werke emigrierter Gastprofessoren im Vergleich mit den Werken von Ordinarien im deutschsprachigen Raum bildet nicht den Fokus der Analyse, weil die Argumente im Fachdiskurs, die eine solche Analyse zu Tage fördern könnte, im Licht moderner Wissenschaftssoziologie nicht erklärungskräftig sind. Eine Analyse des institutionellen Rahmens, die etwa Einflussnahmen von politischen Akteuren aufdecken und nachzeichnen könnte, ist ebenfalls nicht als Fokus der Analyse geeignet, da aufgrund der rechtlichen und sozialen Unabhängigkeit der Historikerzunft dieser Erklärungsweg als neues Explanandum die Aufnahmebereitschaft für Ideen der Westernisierung produzieren würde. Diese Aufnahmebereitschaft müsste dann wieder erklärt werden, und zwar vorzugsweise mit sozialen Dynamiken innerhalb der Historikerzunft. Deshalb habe ich mich bei der Gestaltung meiner Untersuchung gleich auf diesen sozialen Erklärungsweg konzentriert, der grundlegenden Erkenntnissen von Wissen Ebenda, S. 118.
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schaftstheorie und Wissenschaftssoziologie Rechnung trägt, auch wenn diese Perspektive in der deutschsprachigen Historiographiegeschichtsschreibung vor Wolfgang Weber wenig Beachtung gefunden hat: „Mit anderen Worten: der Schwerpunkt der Betrachtung wird vom Wissensbereich der Wissenschaft in ihren sozialen Bereich verlegt, die Geschichte der Wissenschaft als Prozeß des Machterwerbs, der Machterhaltung und der Machterweiterung wissenschaftlicher Schulen und Richtungen angesehen.“¹¹
Obwohl in der neueren Historiographiegeschichtsschreibung durchaus wissenschaftssoziologische Erkenntnisse rezipiert werden, leidet sie doch am gängigen Forschungsdesign als Individualbiographie.¹² Wie Gruppen mit sozialen Positionen, Durchsetzungsstrategien, Kommunikationsprozessen und Themenkonjunkturen umgehen, lässt sich aus individualbiographischer Perspektive schlicht nicht erkennen. Denn das Zentrum, den Fokus der Betrachtung bildet dabei ja der innere Wandel einer Persönlichkeit und sein Ausdruck in den überlieferten Quellen. Die Fruchtbarkeit der Kollektivbiographik zur Erforschung gerade emigrierter Historiker hat neuerdings Birte Meinschien mit einer Untersuchung über die Emigration nach Großbritannien aufgezeigt.¹³ Von der Fokussierung auf den personalen Schauplatz der Wissenschaftsentwicklung konnte sich zwischen Wolfgang Weber und Birte Meinschien vor allem Thomas Etzemüller absetzen, indem er in seiner Conze-Biographie der „RothfelsGruppe“ und Conzes Einbettung darin die zentrale Rolle für wissenschaftliches Denken, akademische Karriere und soziale Verortung Werner Conzes zuwies.¹⁴ Unter dem individualbiographischen Ansatz leidet jedoch auch diese Studie, weil Etzemüller nicht, wie es seinen wissenschaftssoziologischen Ausgangspunkten¹⁵ entspräche, konsequent der Dynamik der Rothfels-Gruppe folgen kann, sondern immer wieder zu Conzes Biographie zurückgezogen wird.¹⁶ Dieses Problem hatte
Ebenda, S. 118 f. Etwa Christoph Cornelißen: Gerhard Ritter. Geschichtswissenschaft und Politik im 20. Jahrhundert, Düsseldorf 2001; Eckel: Rothfels; Jan Eike Dunkhase: Werner Conze. Ein deutscher Historiker im 20. Jahrhundert, Göttingen 2010; Berg: Karl Alexander von Müller. Meinschien: Geschichtsschreibung; vgl. Meinschien: Writing History. Etzemüller: Werner Conze und die Neuorientierung. Ebenda, S. 2– 8. Ebenda, S. 47, dort auch die Unterscheidung zwischen „Rothfels-Gruppe“, „Königsberger Gruppe“ und „Conze-Gruppe“, die sich daraus ergibt, dass eine „wissenschaftliche Gruppe“ als „Anhäufung zumeist von Männern, die sich als Individualisten begreifen, bewußte Gruppenbildung ablehnen und […] gegenseitig ihre Individualität preisen“ aus der Perspektive jedes Individuums verschieden aussehen mag.
9.2 Zur Grenze der Wirkung von Gastprofessoren
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die erste monographische Analyse der Rothfels-Gruppe¹⁷ nicht, da sie inmitten des bundesrepublikanischen Wirkens der Gruppe entstand und sich vor allem auf in der DDR zugängliche Publikationen, nicht auf Nachlässe und andere Aktenbestände stützen konnte. Allerdings musste diese DDR-Analyse darauf verfallen, bei fehlender kollektivbiographischer Beantwortbarkeit jede Leerstelle mit Verweis auf Ideologeme in marxistisch-leninistischer Diktion zu füllen.
9.2 Zur Grenze der Wirkung von Gastprofessoren Unter diesen Voraussetzungen lässt sich die Frage nach der Grenze der Wirkung transatlantischer Gastprofessoren beantworten. Nächstliegend ist die Antwort, dass Gastprofessoren keine zentrale Position in der Reproduktion eines Faches hätten einnehmen können, weil sie für die Ausbildung und Prüfung des Nachwuchses, speziell für die Betreuung von Dissertationen, nicht kontinuierlich genug vor Ort gewesen seien. Daher seien insbesondere Historiker, die Hans Rosenbergs Einfluss als Gastprofessor betonten, eigentlich von Werner Conze im Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte geprägt worden, hat Eakin-Thimme argumentiert.¹⁸ Berücksichtigt man wiederum a) soziale Positionen, b) Durchsetzungsstrategien, c) Kommunikationsprozesse und d) Themenkonjunkturen, so ist jedoch die Wirksamkeit der Gastprofessoren weitaus stärker zu gewichten: a) Bei den sozialen Positionen konnten Gastprofessoren ihren formalen Statusnachteil gegenüber Ordinarien an deutschsprachigen Universitäten dadurch kompensieren, dass sie zur gastprofessoralen Legitimierung durch diese Universitäten auch noch Legitimierung durch die Alliierten und besonders die Supermacht USA mitbrachten. Das war verbunden mit einem Status der Modernität und Weltläufigkeit, demgegenüber deutsche Ordinarien zuweilen als provinziell verblassen mussten. Im Habitus konnten transatlantische Gastprofessoren entweder traditionell deutsch-akademische Formen präsentieren, die sie selbst von vor der Emigration gewohnt waren, oder sie konnten diese mischen mit „lockeren“, weniger streng hierarchischen Aspekten, die im gesellschaftlichen Klima der Nachkriegszeit durchaus auf Zustimmung bei den Studierenden stießen. Die habituellen Möglichkeiten der meisten Gastprofessoren waren also größer als die der nur in Deutschland sozialisierten Professoren, deren Habitus weniger flexibel auf sich verändernde Anforderungen reagieren konnte.
Lozek/Syrbe: Geschichtsschreibung. Eakin-Thimme: Vermittler sozialgeschichtlicher Ansätze, S. 81; vgl. ausführlich oben, Abschnitt 4.3.
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9 Nachbetrachtung
b) Durchsetzungsstrategien sind das Gebiet, auf dem die Gastprofessoren formal am stärksten benachteiligt waren, da sie zumeist wohl keine Stimme in Gremien der universitären Selbstverwaltung hatten. Ihnen blieb also nur die Möglichkeit, mit wissenschaftlich-inhaltlichen Argumenten an der Durchsetzung ihrer wissenschaftlichen Positionen zu arbeiten. Diese Begrenzung hat als dialektisches Element den Vorzug, dass die auf die Durchsetzungsstrategie des zwanglosen Argumentierens Zurückgeworfenen das wissenschaftliche Ideal, wonach Macht und Interessen wissenschaftliche Prozesse und Ergebnisse möglichst nicht beeinflussen dürfen, am ehesten verkörpern konnten. Dadurch wirkten die formal machtlosen Gastprofessoren kurz gesagt überzeugender oder intellektuell anziehender mit ihren inhaltlichen Anschauungen auf Studierende. c) Die Kommunikationsprozesse der deutschsprachigen Disziplin schlossen anfangs die Gastprofessoren als „Ausländer“ aus, aber sehr rasch wurde an verschiedenen Stellen deutlich, dass ein Austausch mit ihnen auch für die originären Interessen einer deutschen Zunft nur förderlich sein konnte.¹⁹ Weil auch für emigrierte Historiker in den USA Kontakte zu Forschenden in Deutschland stets nützlich zu sein versprachen, intensivierten sich die Kommunikationsprozesse stetig. Von brieflichen Kontakten oder Publikationen in Zeitschriften jenseits des Atlantik, über Forschungs- und Vortragsreisen, Gastprofessuren, bis hin zur langfristigen Migration oder regelmäßigen saisonalen Migration: Emigranten konnten zunehmend an den Kommunikationsprozessen der Zunft teilnehmen. Auch technische Entwicklungen wie die Ausbreitung von Telekommunikation oder die Ausdehnung des Flugverkehrs machten die transatlantischen Kommunikationsprozesse schneller, leichter und billiger. Die Gastprofessoren nutzten das auch, und so lässt sich etwa Conzes Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte nicht als Kommunikationsraum vorstellen, der von den internationalen Diskursen unter Mitwirkung der transatlantischen Gastprofessoren separiert bleiben konnte. Zu den Kommunikationsprozessen ist ferner die Interaktion zwischen Geschichtswissenschaft und politischer Öffentlichkeit zu zählen, in der Gastprofessoren auch gefragte Kommentatoren geschichtspolitischer, geopolitischer oder gesellschaftspolitischer Diskurse wurden.²⁰ Auch hier scheint der Aspekt auf, dass sie durch Weltläufigkeit und Vertrautheit mit Besatzungsmacht oder Bündnispartnern mediale Bedeutung erlangten, wogegen deutsche Ordina-
Siehe etwa zum „Kampf um die Akten“ und der zentralen Rolle Fritz T. Epsteins darin oben, Anmerkung 53 auf S. 482 f. Vgl. nur für das Medium Radio etwa die Briefwechsel in BArch N 1376/44 zu Hans Rosenbergs Zusammenarbeit mit dem RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) Berlin; die Radio-Interviews von Hajo Holborn und Eugen Rosenstock-Huessy in der Sendereihe Auszug des Geistes (1962); Schildt: Medien-Intellektuelle, S. 107 ff.
9.2 Zur Grenze der Wirkung von Gastprofessoren
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rien zuweilen provinziell wirken konnten. „Was sagt denn der amerikanische Professor dazu?“, lässt sich als idealtypische Diskurskonstellation konstruieren, deren Umsetzung etwa auf dem Historikertag 1964 die „ausländischen Gäste“ in die Position versetzte, in strittigen Fragen das Zünglein an der Waage der öffentlichen Meinung zu spielen. d) Dabei spielten auch die Themenkonjunkturen eine Rolle, die sich an den Themen zu orientieren begannen, die in den Öffentlichkeiten der Westalliierten selbst diskutiert wurden. Viele große Themen in den Medien der Nachkriegszeit waren ja Themen des West-Bündnisses und der westeuropäischen Entwicklung, bei denen transatlantische Gastprofessoren als Deuter und Erklärer der Positionen der Bündnispartner gefragt waren.²¹ Auch gesellschaftliche Fragen zu Moderne, Industrie oder Demokratie diskutierte die Bundesrepublik wie Österreich oder die deutschsprachige Schweiz in Auseinandersetzung besonders mit den USA, aber auch mit Frankreich und Großbritannien. Sicher gab es auch weitgehend fachinterne Themenkonjunkturen, die auch diesseits und jenseits des Atlantik eine gewisse Unabhängigkeit voneinander besitzen konnten, aber gerade im Bereich der deutschen Geschichte der Neuzeit ging mittelfristig kein Weg mehr an den westlich-internationalen Perspektiven vorbei, für die die transatlantischen Gastprofessoren standen. Wo lag also die Grenze der Wirkung von Gastprofessoren? Ihnen fehlte es, wie Eakin-Thimme richtig feststellte, an Hard Power, also der Möglichkeit zu direkter, institutioneller Einflussnahme, etwa durch (amtliche) Bewertung von Dissertationen und Habilitationen, durch Teilnahme an Berufungsverfahren und damit auch durch den Austausch von Gefallen und daraus sich ergebende transaktionale Macht. Durch den Mangel an Hard Power wurde es allerdings umso sichtbarer, wie groß die Soft Power von transatlantischen Gastprofessoren sein konnte. Soft Power ist ein der politikwissenschaftlichen Theorie internationaler Beziehungen entnommenes Konzept, das Macht ohne direkte Anreize und Bedrohungen zusammenfasst.²² Wenn sie keine direkten Machtmittel besaßen, sind alle ihre Wirkungen ihrem Ansehen, ihrer Anziehungs- und Überzeugungskraft und der Übereinstimmung ihrer Wertorientierungen mit den Zielen der Beeinflussten zuzurechnen – was sich in Bourdieus Terminologie als großes symbolisches Kapital ausdrücken lässt. Die Effektivität der Gastprofessuren in dem Prozess, die deutsche Gesellschaft und Geschichtswissenschaft aus der nationalistischen Isolation zu holen und sie in die
Man denke etwa an Fritz Sterns Rolle in den westalliierten Diskussionsprozessen, die 1990 zur Herstellung der Einheit Deutschlands führten. Joseph S. Nye: Soft Power; in: Foreign Policy 80 (1990), Heft 3, S. 153– 171.
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westlich-internationale, liberale und demokratische Wissenschaftsgemeinschaft – und damit das westliche Bündnis im Ost-West-Konflikt – zu integrieren, ergibt sich also nicht zuletzt daraus, dass Westlichkeit insbesondere für die Generation der Nachkriegsstudierenden eine große Anziehungskraft besaß. Insofern sind die Gastprofessoren vor allem Kristallisationskeime für eine Umorientierung zum Westen, deren Weichen gesamtgesellschaftlich gestellt waren, der aber ohne transatlantischen Wissenschaftsaustausch womöglich die Ansatzpunkte gefehlt hätten. Die deutschsprachige Geschichtswissenschaft sähe heute anders aus, wenn in den Nachkriegsjahrzehnten nur autoritäre Demokratieskeptiker und rückwärtsgewandte Modernitätsskeptiker die Entwicklung bestimmt hätten. Die an Westernisierung interessierte jüngere Generation wünschte sich Alternativen dazu. Einerseits machten Gastprofessoren ebenso Revisionsangebote wie etwa Fritz Fischer, andererseits bewegten sich auch andere Historiker, die aus einer völkischen Tradition stammten, in der Bundesrepublik auf einem langen, gewundenen Weg nach Westen. Auch damit zogen sie viele Schülerinnen und Schüler an, wie etwa an Hans Rothfels, Theodor Schieder und Werner Conze sichtbar wird. Nimmt man nun als zentralen Wert der Westernisierung in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft den oben vorgeschlagenen Pluralismus an, dann ist der Beitrag der transatlantischen Gastprofessoren nicht mehr auf die Durchsetzung dieser oder jener inhaltlichen oder methodischen Position zu beschränken. Vielmehr besteht er dann in der Erzeugung der Bedingungen der Möglichkeit von Dissens innerhalb der ab 1914 durch nationalen „Burgfrieden“ zunehmend zusammengeschlossenen Zunft, deren mögliche Meinungsvielfalt 1933 – 1945 durch den staatlichen Machtapparat weiter reduziert wurde. Weil transatlantische Gastprofessoren andere Geschichte(n) an deutschsprachigen Universitäten lehren konnten als die dort etablierten Ordinarien, bemerkten die Nachkriegsstudierenden ihre eigenen Freiheiten zur Besetzung von – auch abweichenden – Positionen und zur Auffächerung des fachlichen und politischen Meinungsspektrums in einer offenen Geschichtswissenschaft, in einer pluralistischen Demokratie.
10 Anhang Nach bibliographischen Angaben im Quellen- wie im Literaturverzeichnis nenne ich in eckigen Klammern einen Kurztitel, falls ein Werk wiederholt und ab der zweiten Nennung damit zitiert wird. Die Zuordnung einiger der in dieser Arbeit verwendeten Hilfsmittel in die verschiedenen Klassen von Quellen und Literatur ist zuweilen unklar. Archivalien (Abschnitt 10.3.1) und nicht gedruckt vorliegende Quellen einschließlich Onlinequellen (Abschnitt 10.3.2) sind nach der Art meines Zugangs zu ihnen gut von den anderen Klassen unterscheidbar, so dass ich dieser Einteilung Priorität eingeräumt habe: Online-Nachschlagewerke finden sich daher nicht in Abschnitt 10.3.3 Nachschlagewerke. In Abschnitt 10.3.4 sind nur gedruckt publizierte autobiographische Quellen aufgeführt, einschließlich der gedruckten Interviews aus dem Projekt „Versäumte Fragen“.¹ Einige der in Abschnitt 10.3.6 Sonstiges einsortierten Quellen hätten auch unter Literatur gefasst werden können und umgekehrt.
10.1 Kurzvorstellung der Untersuchungspersonen Fritz Theodor Epstein (1898 – 1979) war bereits bei seiner Emigration nach London 1934 Osteuropa-Experte. Er arbeitete in verschiedenen Projekten, unter anderem leitete er ab 1951 das War Documentation Project, bevor er 1962 eine ordentliche Professur und das Amt des Kurators der Slawistik-Sammlung an der Indiana University in Bloomington erhielt. Nach Deutschland, wohin er nach 1945 stets Verbindungen gepflegt hatte, kehrte er 1972 dauerhaft zurück. Klaus Werner Epstein (1927– 1967), sein Sohn, ging 1937 mit seinen Eltern in die USA, um in Harvard zu studieren und zu lehren, bis er ab 1960 als außerordentlicher, ab 1963 als ordentlicher Professor an der Brown University in Providence, Rhode Island, wirkte. Der Spezialist für deutsche Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert war mehrfach als Forscher und Gastprofessor in Deutschland und wurde beiderseits des Atlantiks als intensiver Rezensent geschätzt. Felix Gilbert (1905 – 1991) emigrierte 1933, zwei Jahre nach seiner Promotion bei Friedrich Meinecke. Er lehrte ab 1946 am Bryn Mawr College in Pennsylvania, 1949 – 1962 als Professor, anschließend am Institute for Advanced Study in Princeton. Sein Spezialgebiet war die Geschichte der Renaissance.
Hohls/Jarausch: Versäumte Fragen. Textlich vom dort Publizierten abweichende Online-Versionen derselben Interviews sind dagegen in Abschnitt 10.3.2 ab S. 569 aufgeführt. https://doi.org/10.1515/9783110731637-010
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George Wolfgang Hallgarten (1901– 1975) promovierte 1925 bei Hermann Oncken und arbeitete vor allem über den Imperialismus vor 1914. Als linksorientierter Pazifist floh er ab 1933 über Frankreich, Großbritannien, die Schweiz und Holland in die USA und arbeitete anschließend in verschiedenen Bereichen. Reisen und Gastprofessuren hielten die Verbindung zu Deutschland aufrecht und machten ihn auch in Asien bekannt, bevor er 1972 an die University of North Carolina nach Charlotte berufen wurde. Fritz Moritz Heichelheim (1901– 1968) war zunächst Lehrer, dann Privatdozent in Gießen. Ab 1933 forschte er in England weiter zur antiken Wirtschaftsgeschichte, Papyrologie und Numismatik und migrierte 1948 nach Toronto, wo er 1962 ordentlicher Professor für griechische und römische Geschichte wurde. Nach Gastprofessuren in Marburg und Berlin blieb er seiner Gießener Alma Mater verbunden. Felix Edward Hirsch (1902– 1982) war nach der Promotion 1924 Journalist. Ab 1935 in den USA studierte er Bibliothekswissenschaft und lehrte am Bard College in Annandale-on-Hudson, New York, seit 1946 auch als ordentlicher Professor. Ab 1955 in Trenton, New Jersey, hatte der Stresemann-Spezialist weiter großen Einfluss auf das amerikanische Bibliothekswesen. Hajo Holborn (1902– 1969), Meinecke-Schüler und „wissenschaftliches Wunderkind“, wirkte nach Promotion 1924 und Habilitation 1926 als Privatdozent, ab 1931 als Professor an der Hochschule für Politik in Berlin. Seit 1934 stieg er an der Yale University bis zur renommierten Sterling Professur 1959 auf und war dort einflussreicher Lehrer vieler amerikanischer Europa-Historiker. Manfred Jonas (1927– 2013) emigrierte 1937 mit seinen Eltern in die USA und kehrte nach der Promotion in Harvard 1959 – 1962 als Assistenz-Gastprofessor für amerikanische Geschichte nach Berlin zurück. Der Spezialist für amerikanische Außenpolitik im 20. Jahrhundert war ab 1967 Professor am Union College Schenectady im Staat New York. Guido Kisch (1889 – 1985), Rechtshistoriker aus Prag, war 1915 – 1919 Privatdozent in Leipzig, bereits 1920 ordentlicher Professor, wurde nach der Entlassung 1933 Professor für Jüdische Geschichte in Breslau, bevor er 1935 nach New York ging und bis 1962 am HUC-JIR arbeitete. Seit 1952 regelmäßig Gastprofessor in Basel, migrierte er 1962 ganz dorthin und prägte die Erforschung des Baseler juristischen Humanismus. Klemens von Klemperer (1916 – 2012) studierte ab 1934 in Wien, ging von dort 1938 in die USA und promovierte 1949 in Harvard. In Northampton, Massachusetts, stieg er bis zur Professur für Modern European History 1961 auf und lehrte am dortigen Smith College bis zur Emeritierung 1987. Theodore Herman von Laue (1916 – 2000) ging zum Studium außerhalb des NS-Staates 1937 nach Princeton, promovierte dort 1944 und arbeitete ab 1948 als
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Spezialist für Modern European History mit Schwerpunkt auf Russland an verschiedenen Universitäten und Colleges, ab 1960 als ordentlicher Professor. Gerhard Masur (1901– 1975) promovierte 1925 und habilitierte sich 1930 bei Friedrich Meinecke. Er floh ab 1935 über die Schweiz nach Kolumbien und verfasste dort die erste große Biographie Simón Bolívars. Am Sweet Briar College in Virginia lehrte er 1947– 1966, war währenddessen viermal Gastprofessor an der FU Berlin. Carl Eduard Misch (1896 – 1965) war in der Weimarer Republik Redakteur der Vossischen Zeitung, floh nach kurzer „Schutzhaft“ nach Frankreich, wo er für Exil-Zeitungen schrieb. Auch in New York ab 1940 zunächst journalistisch tätig, lehrte er ab 1947 in Danville, Kentucky, ab 1956 als ordentlicher Professor. Hans Willibald Rosenberg (1904 – 1988) promovierte bei Friedrich Meinecke, habilitierte sich in Köln, emigrierte aber kurz darauf nach London, 1935 weiter in die USA. Seit 1936 Dozent, vor allem am Brooklyn College, New York, 1952 dort zum ordentlichen Professor befördert, war er 1959 – 1970 in Berkeley, beeinflusste daneben die Entwicklung der Sozialgeschichte in Deutschland. Eugen Rosenstock-Huessy (1888 – 1973) wurde 1909 Dr. jur., 1912 Privatdozent, 1914 „Frontkämpfer“, engagierte sich in der Weimarer Republik für die Erwachsenenbildung und wurde 1923 ordentlicher Professor für Rechtsgeschichte und Rechtssoziologie in Breslau. 1933 in die USA emigriert, fand er 1935 eine Dauerstellung am Dartmouth College in Hanover, New Hampshire, von wo er vor und nach der Emeritierung 1960 zu Gastprofessuren nach Deutschland kam. Fritz Richard Stern (1926 – 2016) emigrierte mit seiner Familie im September 1938 in die USA, promovierte 1953 an der Columbia University, wo er 1963 ein Ordinariat erhielt. Der Experte für kulturelle und politische Geschichte Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert wirkte häufig in Deutschland, wo er wohl heute zu den bekanntesten emigrierten Historikern zählt.
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10.2 Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen Abbildung 1: Studienzeiten (ohne Unterbrechungen) – S. 97 Abbildung 2: Schultraditionen – S. 109 Abbildung 3: Gebrauchsfrequenzen von Exil, Emigration und Migration im Deutschen, 1750 – 2008 – S. 192 Abbildung 4: Autoren der HZ 1949 und ihre Schultraditionen – S. 386 Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7:
Geburtsjahre und Generationszusammenhänge – S. 80 Religion und religiöse Herkunft – S. 85 Vatersberufe – S. 89 Dissertationsthemen – S. 101 Migrationsmatrix – S. 195 Migrationsmuster Fritz Epstein – S. 197 Migrationsmuster transatlantischer Gastprofessoren – S. 209
10.3 Quellenverzeichnis
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10.3 Quellenverzeichnis 10.3.1 Archivbestände Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, München (IfZ): ED 216: Nachlass Gerhard Masur F 240: Sammlung Catherine Epstein, Materialien zum Buch „A past renewed. A catalog of German-speaking refugee historians in the United States after 1933, Cambridge 1993“ MA 1500: Biographische Dokumentation zur deutschsprachigen Emigration 1933 – 1945² Bayerisches Wirtschaftsarchiv, München (BWA): F5: Verlag R. Oldenbourg, München³ Bundesarchiv Koblenz (BArch): N1376: Nachlass Hans Rosenberg Hessisches Staatsarchiv Marburg (HStAM): 340 Dehio C: Nachlass Ludwig Dehio Johann Wolfgang Goethe-Universität, Archivzentrum, Frankfurt am Main (UBA Ffm): Na 1, 356: Nachlass Max Horkheimer, Korrespondenzen mit Herbert Marcuse, 1950 – 1973⁴ Leo Baeck Institute, New York (LBI): AR 787: Guido Kisch Collection, Box 22, Folder 14 (Hugelmann, Karl G. 1958)⁵
Ein Teil der im IfZ auf Mikrofilm archivierten Dokumente zur deutschsprachigen Emigration ist nun auch online abrufbar, und zwar die Inhalte der im IfZ mit den Signaturen MA 1500/66 – 152 gekennzeichneten Mikrofilme, auf denen die Akten der Research Foundation for Jewish Immigration (RFJI) verfilmt sind. Unter der Bezeichnung Research Foundation for Jewish Immigration, URL: https://archive.org/details/researchfoundationforjewishimmigration (zuletzt abgerufen am 15. Januar 2019), sind die einzelnen Filmrollen dort anders nummeriert und etwas abweichend angeordnet abrufbar als im IfZ. Vgl. das Online-Findmittel des IfZ, Bestand: MA 1500. Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933 – 1945, URL: http://www.ifz-muen chen.de/archiv/ma_1500.pdf (zuletzt abgerufen am 15. Januar 2019) zu Entstehung und Problemen der Dokumentation. Die online gestellten Digitalisate sind teilweise sehr durcheinander und lückenhaft, wie sich anhand der Randnummern und der grundsätzlich alphabetischen Anordnung nachvollziehen lässt. Beispielsweise entspricht „Reel 46: Morgenstern, Oskar – Mottek, Hans“ nicht dem IfZ-Mikrofilm, der seine Kopie sein sollte, „MA 1500/111 Moos, Rudolf H. – Natonek, Hans“. Eine Stichprobe durch die ersten 100 Digitalisate von Reel 46 zeigt ungeordnete Personennamen und Randnummern, zuerst 000191, zuletzt 002335. Siehe für das Online-Findbuch Abschnitt 10.3.2. Online abrufbar unter URL: http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/horkheimer/content/title info/4651465 (zuletzt abgerufen am 8. Januar 2019). Die oben, Anmerkung 103 auf S. 28, zitierte pagina 45r war am 8. Januar 2019 nicht mehr abrufbar unter URL: http://sammlungen.ub.unifrankfurt.de/horkheimer/content/pageview/5399616 (zuletzt abgerufen am 28. August 2014). Abrufbar war am 8. Januar 2019 allerdings noch die Rückseite desselben Luftpostbriefs, pagina 45v, und zwar unter der benachbarten URL: http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/horkheimer/ content/pageview/5399617. Online abrufbar ab URL: http://www.archive.org/stream/guidokisch_reel45_45#page/n951/mo de/1up (zuletzt abgerufen am 7. Januar 2019).
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10 Anhang
P. Walter Jacob-Archiv, Hamburg (PWJA): BFDE/I/2: Rede Walter A. Berendsohns auf dem Symposium über Deutsche Literatur aus dem Dritten Reich: „Erläuterungen zum Programm der internationalen Tagung vom 19.–21. September 1969 in Stockholm“ University of Arkansas Libraries, Fayetteville (UAL): MC 703: Council for International Exchange of Scholars (CIES) Records, Fulbright Scholar Grantee Directories, 1948 – 2002⁶
10.3.2 Ungedruckte Quellen AHR 117 (2012), Nr. 1, Titelblatt, URL: https://academic.oup.com/ahr/issue-pdf/117/1/11117669 (zuletzt abgerufen am 7. Januar 2019) Asmus, Sylvia: Geschichte des Deutschen Exilarchivs 1933 – 1945 der Deutschen Nationalbibliothek, 28. Oktober 2013, URL: http://www.dnb.de/DE/DEA/DEA/dea_node.html (zuletzt abgerufen am 12. Dezember 2013, Archiv-URL: http://www.webcitation.org/6LndTJJxT) [Asmus: Geschichte des Deutschen Exilarchivs] Becker, Daniel/Nuyken, Janine: Tagungsbericht Von uns selber schweigen wir. Deutsche Historiker und Nationalsozialismus (Frankfurt an der Oder 11. 07. 2000); in: H-Soz-Kult, 4. Oktober 2000; URL: https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte1997 (zuletzt abgerufen am 24. Dezember 2020) Beer, Mathias: Rezension zu Jan Eckel, Hans Rothfels. Eine intellektuelle Biographie im 20. Jahrhundert, Göttingen 2005; in: H-Soz-Kult, 3. Mai 2006; URL: https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-6690 (zuletzt abgerufen am 13. Dezember 2018) Bestand: F 005 – Verlag R. Oldenbourg, München; in: Bayerisches Wirtschaftsarchiv München; URL: http://www.bwa.findbuch.net/php/main.php?ar_id=3254&be_kurz=4620303035 (zuletzt abgerufen am 6. Januar 2019, Archiv-URL: https://archive.fo/NAgmV) Blaschke, Olaf: Der 8. Mai 1945 – Stunde Null des Buchhandels? Ergänzende Befunde zur ersten Leserfrage; in: IASLonline Diskussionsforum Probleme der Geschichtsschreibung des Buchhandels, [2008], URL: http://www.iasl.uni-muenchen.de/discuss/lisforen/Altenhein_Blaschke_Standard.pdf (zuletzt abgerufen am 6. Januar 2019, Archiv-URL: http://www.webcitation.org/75EMtYT7B) Bösch, Frank: Das historische Ereignis; in: Docupedia-Zeitgeschichte, 12. Mai 2020 (Version 1.0), URL: http://docupedia.de/zg/Boesch_ereignis_v1_de_2020 (zuletzt abgerufen am 24. Februar 2021) Brief Lothar Gall an Matthias Krämer, Frankfurt am Main 27. März 2013
Online abrufbar unter URL: https://libraries.uark.edu/specialcollections/fulbrightdirectories/ (zuletzt abgerufen am 15. Januar 2019; Archiv-URL: http://www.webcitation.org/75RsNlLHE). Eine Reihe der dortigen Verzeichnisse wurde zum Abgleich mit den Angaben des Biographischen Handbuchs herangezogen, in den Anmerkungen allerdings nur bei Abweichungen und Ergänzungen vermerkt.
10.3 Quellenverzeichnis
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578
10 Anhang
Klee, Ernst: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945?, Frankfurt am Main 2003 (Artikel Rößler, Hellmuth) Kohlschmidt, Werner/Mohr, Wolfgang/Kanzog, Klaus/Masser, Achim (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, 5 Bände, Berlin/New York 2001 [unveränderte Neuausgabe der 2. Auflage, 1958 – 1988]¹² Meyers Großes Konversationslexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens, 20 Bände, 6. Auflage, Leipzig 1905 – 1909 (Artikel Auswanderung, Band 2, S. 177 – 182; Emigranten, Band 5, S. 755) Neue Deutsche Biographie, hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, z. Zt. 27 Bände, Berlin 1953 – 2020 (NDB)¹³ Österreichisches Biographisches Lexikon 1815 – 1950, Band 3, Wien 1965 (Artikel Kisch Alexander, S. 347 f.) Röder, Werner/Strauss, Herbert A. (Hg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933 (= International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933 – 1945), 3 Bände, München u. a. 1980 – 1983 [Biographisches Handbuch]¹⁴ Runes, Dagobert D.: Who’s Who in Philosophy, New York 1969 (Artikel Huessy, Eugen Rosenstock [falsche Behandlung des Nachnamens]) Sandkühler, Hans Jörg (Hg.): Enzyklopädie Philosophie. 2 Bände, Hamburg 1999¹⁵ Spalek, John M.: Verzeichnis der Quellen und Materialien der deutschsprachigen Emigration in den U.S.A. seit 1933 (= Guide to the Archival Materials of the German-speaking Emigration to the United States after 1933), Charlottesville 1978 [Spalek: Verzeichnis der Quellen und Materialien] Sternfeld, Wilhelm/Tiedemann, Eva: Deutsche Exil-Literatur 1933 – 1945. Eine BioBibliographie, Heidelberg/Darmstadt 1962 Tetzlaff, Walter: 2000 Kurzbiographien bedeutender deutscher Juden des 20. Jahrhunderts, Lindhorst 1982 (Artikel Rosenberg, Hans; Artikel Hallgarten, Georg) United States Bureau of the Census: 1970 Census of Population, Volume I, Part A, Section 1, Washington, D.C., 1972 Walk, Joseph: Kurzbiographien zur Geschichte der Juden 1918 – 1945, München u. a. 1988 (Artikel Heichelheim, Fritz Moritz; Artikel Hirsch, Felix Eduard; Artikel Strassmann, Antonie) [Walk: Kurzbiographien] Weber, Wolfgang: Biographisches Lexikon zur Geschichtswissenschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Lehrstuhlinhaber für Geschichte von den Anfängen des Faches bis 1970, Frankfurt am Main u. a. 1984 [Weber: Biographisches Lexikon] Who’s Who in America. 1997. 51st Edition, Band 2, New Providence 1997 (Artikel Von Laue, Theodore) [Who’s Who 1997] Who’s Who in America. 42nd edition. 1982 – 1983, Band 1, Chicago 1983 (Artikel Hirsch, Felix Edward) [Who’s Who 1983]
Artikel gesondert aufgeführt in Abschnitt 10.4. Artikel gesondert aufgeführt in Abschnitt 10.4. Neben der Sammlung von Kurzbiographien enthält das Biographische Handbuch noch die Einleitungen der Bearbeiter, die einen Überblick über Forschungsstand und Forschungsfragen geben. Sie sind im Literaturverzeichnis aufgeführt. Nicht eigens aufgelistet ist: Standards for Inclusion, Editorial Policy; in: Biographisches Handbuch, Band 2, S. LXXXVII–XCI. Artikel gesondert aufgeführt in Abschnitt 10.4.
10.3 Quellenverzeichnis
579
Who’s Who in America. A Biographical Dictionary of Notable Living Men and Women, Band 34 (1966 – 1967), Chicago 1967 (Artikel Rosenstock-Huessy, Eugen) [Who’s Who 1967]
10.3.4 Ego-Dokumente Apsler, Alfred: Contrasts in European and American Secondary Education; in: The School Review 54 (1946), S. 295 – 298 Auszug aus dem Briefwechsel zwischen George W. F. Hallgarten und Eckart Kehr, 1931 – 1933; in: Joachim Radkau/Imanuel Geiss (Hg.): Imperialismus im 20. Jahrhundert. Gedenkschrift für George W. F. Hallgarten, München 1976, S. 265 – 278 Auszug des Geistes. Bericht über eine Sendereihe, [hg. von Radio Bremen], Bremen 1962 [Auszug des Geistes]¹⁶ Briefwechsel Fritz Heichelheims [mit Michael Rostovtzeff] 1933 bis 1942; in: Gerald Kreucher (Hg.): Rostovtzeffs Briefwechsel mit deutschsprachigen Altertumswissenschaftlern, Wiesbaden 2005, S. 105 – 118 Fischer, Wolfram: „Und ich glaube, daß wir alle nicht dazu geneigt haben, nun in der Vergangenheit unserer Lehrer herumzubohren.“; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 89 – 117 [Fischer: Und ich glaube] Gay, Peter: „Gott ist eine Erfindung“ [Interview, New York, 9. November 2005]; in: Martin Doerry: „Nirgendwo und überall zu Haus“. Gespräche mit Überlebenden des Holocaust, München 2006, S. 60 – 67 Gay, Peter: Meine deutsche Frage. Jugend in Berlin 1933 – 1939, München 1999 [Gay: Meine deutsche Frage] Geiss, Imanuel: „Unsere ‚Neue Orthodoxie‘ ist heute viel illiberaler als ihre akademischen Väter nach 1945.“; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 218 – 239 [Geiss: Unsere „Neue Orthodoxie“] Gilbert, Felix: Lehrjahre im alten Europa. Erinnerungen 1905 – 1945, Berlin 1989 [Gilbert: Lehrjahre] Gilbert, Felix [als F. G.]: Germany Revisited. Some Impressions after two Years; in: The World Today 3 (1947), Heft 10, S. 424 – 431 Grebing, Helga: „Für mich war klar: Indoktrination – nicht mehr braun, jetzt rot – kommt nicht in Frage.“; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 144 – 162 [Grebing: Für mich war klar] Hallgarten, George W. F.: Als die Schatten fielen. Erinnerungen vom Jahrhundertbeginn zur Jahrtausendwende, Berlin/Frankfurt am Main/Wien 1969 [Hallgarten: Als die Schatten fielen] Heuss, Theodor: In der Defensive. Briefe 1933 – 1945, hg. von Elke Seefried, München 2009 [Heuss: Briefe 1933 – 1945]
Die Dokumentation enthält Interviews, unter anderem mit Eugen Rosenstock-Huessy und Hajo Holborn.
580
10 Anhang
Holborn Gray, Hanna: An Academic Life. A Memoir, Princeton/Oxford 2018 [Holborn: Memoir] Iggers, Wilma/Iggers, Georg: Zwei Seiten der Geschichte. Lebensbericht aus unruhigen Zeiten, Göttingen 2002 [Iggers/Iggers: Lebensbericht] Kisch, Guido: Der Lebensweg eines Rechtshistorikers. Erinnerungen, Sigmaringen 1975 [Kisch: Erinnerungen] Klemperer, Klemens von: Voyage through the Twentieth Century. A Historian’s Recollections and Reflections, New York 2009 [Klemperer: Voyage] Kocka, Jürgen: „Wir sind ein Fach, das nicht nur für sich selber schreibt und forscht, sondern zur Aufklärung und zum Selbstverständnis der eigenen Gesellschaft und Kultur beitragen sollte.“; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 383 – 403 [Kocka: Wir sind ein Fach] Kurlbaum-Beyer, Lucie: Krieg tötet Zukunft. Leben und Arbeiten für eine friedliche Welt, hg. von Gisela Notz, Bonn 2004 Lehmann, Hartmut: „Es gab Vordenker, es gab Mitläufer, und es gab natürlich auch viele Emigranten, die man heute in der Regel vergißt.“; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 319 – 341 [Lehmann: Es gab Vordenker] Masur, Gerhard: Das ungewisse Herz. Berichte aus Berlin – über die Suche nach dem Freien, Holyoke (Massachusetts) 1978 [Masur: Das ungewisse Herz] Meinecke, Friedrich: Akademischer Lehrer und emigrierte Schüler. Briefe und Aufzeichnungen 1910 – 1977. Eingeleitet und bearbeitet von Gerhard A. Ritter, München 2006 [Ritter: Meinecke]¹⁷ Mommsen, Hans: „Daraus erklärt sich, daß es niemals zuvor eine derartige Vorherrschaft alter Männer gegeben hat wie in der Zeit von 1945 bis in die 60er Jahre.“; in: Rüdiger Hohls/ Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 163 – 190 [Mommsen: Vorherrschaft alter Männer] Mommsen, Wolfgang J.: „Die Jungen wollen ganz unbefangen die alte Generation in die Pfanne hauen.“; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 191 – 217 Planck, Max: Wissenschaftliche Selbstbiographie. Mit der von Max von Laue gehaltenen Traueransprache, 3. Auflage, Leipzig 1955 [1948] Preiss, Jack J.: Camp William James, Norwich, Vermont 1978 Ritter, Gerhard A.: „Das Bild, das die Historiker während der NS-Zeit abgaben, ist also sehr differenziert, wenn auch für viele nicht schmeichelhaft.“; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 118 – 143 [Ritter: Das Bild der Historiker während der NS-Zeit] Rosenberg, Hans: Rückblick auf ein Historikerleben zwischen zwei Kulturen; in: Hans Rosenberg: Machteliten und Wirtschaftskonjunkturen. Studien zur neueren deutschen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Göttingen 1978, S. 11 – 23 [Rosenberg: Historikerleben] Rosenstock-Huessy, Eugen: Ja und Nein. Autobiographische Fragmente, Heidelberg 1968 [Rosenstock-Huessy: Autobiographische Fragmente]
Wo nur der angegebene Kurztitel verwendet ist, verweise ich auf Textstellen des Bearbeiters.
10.3 Quellenverzeichnis
581
Rürup, Reinhard: „Das Dritte Reich hatte kein Problem mit den deutschen Historikern.“; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 267 – 280 Saldern, Adelheid von: „Und vor allen Dingen glaube ich, daß es uns allen bis heute schwerfällt, die NS-Herrschaft als Teil der deutschen Gesellschaft zu denken.“; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 342 – 357 Schieder, Wolfgang: „Wir konnten keine Kommentare erzwingen, denn schließlich waren wir nicht das Hohe Gericht.“; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 281 – 299 [Schieder: Wir konnten keine Kommentare erzwingen] Stern, Fritz: Family Physicians. My German Past; in: The Yale Review 94 (2006), Nr. 3, S. 1 – 43 Stern, Fritz: Fünf Deutschland und ein Leben. Erinnerungen, München 2007 [Stern: Erinnerungen] Stürmer, Michael: „Man muß die Weltgeschichte nicht immer mit den Nazis beginnen lassen.“; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 358 – 368 [Stürmer: Weltgeschichte] Wehler, Hans-Ulrich: „Historiker sollten auch politisch zu den Positionen stehen, die sie in der Wissenschaft vertreten.“; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 240 – 266 [Wehler: Politisch zu den Positionen stehen] Wieruszowski, Helene: Gespräche mit deutschen Studenten; in: Die Wandlung 4 (1949), S. 82 – 91 Winkler, Heinrich August: „Warum haben wir nicht den Mut gehabt, kritische Fragen zu stellen?“; in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart/München 2000, S. 369 – 382 [Winkler: Mut zu kritischen Fragen] Zechlin, Walter: Pressechef bei Ebert, Hindenburg und Kopf. Erlebnisse eines Pressechefs und Diplomaten, Hannover 1956
10.3.5 Rezensionen Da Rezensionen verschiedene Korpora für die Analysen in Kapitel 7 bilden, führe ich sie hier gegliedert nach diesen Korpora auf, anschließend Rezensionen, die nicht zu den Korpora gehören. Online-Rezensionen finden sich oben, in Abschnitt 10.3.2. Ich behandle die bibliographischen Angaben des besprochenen Werks als Titel einer Rezension, ergänzt um „Rezension zu“. Kurztitel verwende ich für Rezensionen nur in den Analysen von Kapitel 7, dort reduziert auf die Form Rezensent: Rezensierter, so dass die Rezension in den folgenden Listen leicht auffindbar sein sollte.
582
10 Anhang
HZ 1949 – 1964 über Untersuchungspersonen Baum, Walter: Rezension zu George W. F. Hallgarten, Hitler, Reichswehr und Industrie. Zur Geschichte der Jahre 1918 – 1933, Frankfurt am Main 1955; in: HZ 183 (1957), S. 235 Bornkamm, Heinrich: Rezension zu Guido Kisch, Johannes Sichardus als Basler Rechtshistoriker, Basel 1952; in: HZ 176 (1953), S. 198 Bracher, Karl Dietrich: Rezension zu Klaus Epstein, Matthias Erzberger and the Dilemma of German Democracy, Princeton 1959; in: HZ 192 (1961), S. 148 – 152 Conze, Werner: Rezension zu George W. F. Hallgarten, Imperialismus vor 1914. Die soziologischen Grundlagen der Außenpolitik europäischer Großmächte vor dem ersten Weltkrieg, 2 Bände, München 1951; in: HZ 175 (1953), S. 128 – 131 Dilcher, Hermann: Rezension zu Guido Kisch, Bartolus und Basel, Basel 1960; in: HZ 193 (1961), S. 227 – 228 Drascher, Wahrhold: Rezension zu Gerhard Masur, Simon Bolivar und die Befreiung Südamerikas, Konstanz 1949; in: HZ 171 (1951), S. 612 – 616 Fehr, Hans: Rezension zu Guido Kisch, The Jews in Medieval Germany. A Study of their Legal and Social Status, Chicago 1949; in: HZ 170 (1950), S. 355 – 357 Fuchs, Walther Peter: Rezension zu Felix Gilbert, The Composition and Structure of Machiavelli’s Discorsi, in Journal of the History of Ideas 14 (1953), S. 136 – 156; in: HZ 178 (1954), S. 419 Gerhard, Dietrich: Rezension zu Eugen Rosenstock-Huessy, Die europäischen Revolutionen und der Charakter der Nationen, 2. Auflage, Stuttgart/Köln 1951; in: HZ 182 (1956), S. 333 – 339 Masur, Gerhard: Rezension zu Eugen Rosenstock-Huessy, Die Europäischen Revolutionen und der Charakter der Nationen, 3. Auflage, Stuttgart 1961; in: HZ 195 (1962), S. 147 – 148 Hugelmann, Karl Gottfried: Rezension zu Guido Kisch, Forschungen zur Rechts- und Sozialgeschichte der Juden in Deutschland während des Mittelalters, Stuttgart 1955; in: HZ 185 (1958), S. 607 – 610 Kessel, Eberhard: Rezension zu Fritz Stern (Hg.), The Varieties of History. From Voltaire to the Present, New York 1956; in: HZ 186 (1958), S. 433 Kluke, Paul: Rezension zu Gordon A. Craig/Felix Gilbert (Hg.), The Diplomats 1919 – 1939, Princeton 1953; in: HZ 192 (1961), S. 681 – 685 Liermann, Hans: Rezension zu Guido Kisch, Humanismus und Jurisprudenz. Der Kampf zwischen mos italicus und mos gallicus an der Universität Basel, Basel 1955; in: HZ 183 (1957), S. 365 – 366 Milatz, Alfred: Rezension zu Hajo Holborn, Der Zusammenbruch des europäischen Staatensystems, Stuttgart 1954; in: HZ 183 (1957), S. 481 – 482 Misch, Carl: Rezension zu Klaus Epstein, Matthias Erzberger und das Dilemma der deutschen Demokratie, Berlin 1962; in: HZ 198 (1964), S. 250 Moeller, Bernd: Rezension zu Guido Kisch, Bonifacius Amerbach, Basel 1962; in: HZ 198 (1964), S. 224 – 225 Mommsen, Wilhelm: Rezension zu Carl Misch, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Massen. Von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart, Stuttgart 1952; in: HZ 181 (1956), S. 469 – 470 Schochow, Werner: Rezension zu Guido Kisch/Kurt Roepke, Schriften zur Geschichte der Juden. Eine Bibliographie der in Deutschland und der Schweiz 1922 – 1955 erschienenen Dissertationen, Tübingen 1959; in: HZ 193 (1961), S. 444 – 445
10.3 Quellenverzeichnis
583
Schoeps, Hans-Joachim: Rezension zu Guido Kisch, Die Universitäten und die Juden. Eine historische Betrachtung zur 500-Jahr-Feier der Universität Basel, Tübingen 1961; in: HZ 196 (1963), S. 724 Schottenloher, Otto: Rezension zu Guido Kisch, Erasmus und die Jurisprudenz seiner Zeit. Studien zum humanistischen Rechtsdenken, Basel 1960; in: HZ 195 (1962), S. 744 – 745 Schraepler, Ernst: Rezension zu George W. F. Hallgarten, Dämonen oder Retter? Eine kurze Geschichte der Diktatur seit 600 vor Christus, Frankfurt am Main 1957; in: HZ 187 (1959), S. 365 – 367 Srbik, Heinrich Ritter von: Rezension zu Theodore Herman von Laue, Leopold Ranke. The Formative Years, Princeton 1950; in: HZ 172 (1951), S. 108 – 109 Terveen, Fritz: Rezension zu Hans Rosenberg, Bureaucracy, Aristocracy and Autocracy. The Prussian Experience 1660 – 1815, Cambridge 1958; in: HZ 191 (1960), S. 212 – 213 Würtenberger, Thomas: Rezension zu Guido Kisch, Recht und Gerechtigkeit in der Medaillenkunst, Heidelberg 1955; in: HZ 182 (1956), S. 344
HZ 1949 – 1964 von Untersuchungspersonen Epstein, Fritz: Rezension zu Ivo J. Lederer (Hg.), Russian Foreign Policy. Essays in Historical Perspective, New Haven 1962; in: HZ 197 (1963), S. 451 – 453 Epstein, Fritz: Rezension zu Leo Stern (Hg.), Die russische Revolution 1905 – 1907 im Spiegel der deutschen Presse, Berlin 1961; in: HZ 197 (1963), S. 423 – 424 Epstein, Fritz: Rezension zu Mary Kilbourne Matossian, The Impact of Soviet Policies in Armenia, Leiden 1962; in: HZ 199 (1964), S. 704 – 706 Epstein, Fritz: Rezension zu Richard H. Ullmann, Intervention and the War, Princeton 1961; in: HZ 195 (1962), S. 669 – 672 Epstein, Klaus: Rezension zu A. S. Eisenstadt, Charles McLean Andrews. A Study in American Historical Writing, New York 1956; in: HZ 184 (1957), S. 178 Epstein, Klaus: Rezension zu Bernhard Fabian, Alexis de Tocquevilles Amerikabild. Genetische Untersuchungen über Zusammenhänge mit der zeitgenössischen, insbesondere der englischen Amerikainterpretation, Heidelberg 1957; in: HZ 190 (1960), S. 168 – 170 Epstein, Klaus: Rezension zu Charles S. Campbell, Anglo-American Understanding 1898 – 1903, Baltimore 1957; in: HZ 185 (1958), S. 723 – 724 Epstein, Klaus: Rezension zu Constance McLaughlin Green, American Cities in the Growth of the Nation, London 1957; in: HZ 185 (1958), S. 716 Epstein, Klaus: Rezension zu Erich Matthias/Rudolf Morsey (Bearb.), Der Interfraktionelle Ausschuß 1917/18, Düsseldorf 1959; in: HZ 191 (1960), S. 562 – 584¹⁸ Epstein, Klaus: Rezension zu Ferdinand Lion, Romantik als deutsches Schicksal, 2. Auflage, Stuttgart 1963; in: HZ 199 (1964), S. 623 – 626 Epstein, Klaus: Rezension zu Gerhard Stoltenberg, Politische Strömungen im schleswigholsteinischen Landvolk 1918 bis 1933. Ein Beitrag zur politischen Meinungsbildung in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1962; in: HZ 198 (1964), S. 414 – 417
Vgl. Eintrag in Abschnitt 10.4.
584
10 Anhang
Epstein, Klaus: Rezension zu Günter Moltmann, Amerikas Deutschlandpolitik im zweiten Weltkrieg. Kriegs- und Friedensziele 1941 – 1945, Heidelberg 1958; in: HZ 190 (1960), S. 140 – 145 Epstein, Klaus: Rezension zu H. J. Schwierskott, Arthur Moeller van den Bruck und der revolutionäre Nationalismus in der Weimarer Republik, Göttingen 1962; in: HZ 197 (1963), S. 666 – 670 Epstein, Klaus: Rezension zu Heinz Gollwitzer, Die Gelbe Gefahr. Geschichte eines Schlagworts, Göttingen 1962; in: HZ 198 (1964), S. 145 – 147 Epstein, Klaus: Rezension zu K. E. Birnbaum, Peace Moves and U-Boat Warfare, Stockholm 1958; in: HZ 190 (1960), S. 603 – 605 Epstein, Klaus: Rezension zu Karl Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933, München 1962; in: HZ 197 (1963), S. 657 – 666 Epstein, Klaus: Rezension zu Luigi Albertini, The Origins of the War of 1914. Vol. 3. The Epilogue of the Crisis of July 1914. The Declarations of War and Neutrality, London 1957; in: HZ 186 (1958), S. 382 – 386 Epstein, Klaus: Rezension zu Otto-Ernst Schüddekopf, Linke Leute von Rechts. Die nationalrevolutionären Minderheiten und der Kommunismus in der Weimarer Republik, Stuttgart 1960; in: HZ 193 (1961), S. 676 – 681 Epstein, Klaus: Rezension zu Robert W. Lougee, Paul de Lagarde 1827 – 1891. A Study of Radical Conservatism in Germany, Cambridge, Mass. 1962; in: HZ 198 (1964), S. 135 – 138 Epstein, Klaus: Rezension zu W. W. Gottlieb, Studies in Secret Diplomacy during the First World War, London 1957; in: HZ 190 (1960), S. 390 – 393 Kisch, Guido: Rezension zu Domenico Maffei, La „Lectura super Digesto Veteri“ di Cino da Pistoia, Mailand 1963; in: HZ 199 (1964), S. 751 – 752 Kisch, Guido: Rezension zu Ernst Reibstein, Johannes Althusius als Fortsetzer der Schule von Salamanca. Untersuchungen zur Ideengeschichte des Rechtsstaates und zur altprotestantischen Naturrechtslehre, Karlsruhe 1955; in: HZ 184 (1957), S. 122 – 124 Kisch, Guido: Rezension zu H. Kühne, Gottlieb Walther (1738 – 1805) und die historische Rechtsschule, Bern 1952; in: HZ 182 (1956), S. 477 – 478 Kisch, Guido: Rezension zu Ismar Elbogen/A. Freimann/H. Tykocinski (Hg.), Germania Judaica, Band 1: Von den ältesten Zeiten bis 1238, Neudruck, Tübingen 1963; in: HZ 199 (1964), S. 584 – 589 Kisch, Guido: Rezension zu Jacob Katz, Exclusiveness and Tolerance. Studies in Jewish-Gentile Relations in Medieval and Modern Times, Oxford 1961; in: HZ 197 (1963), S. 605 – 609 Kisch, Guido: Rezension zu Julian H. Franklin, Jean Bodin and the Sixteenth-Century Revolution in the Methodology of Law and History, New York/London 1963; in: HZ 198 (1964), S. 387 – 389 Kisch, Guido: Rezension zu Lewis W. Spitz, Conrad Celtis. The German Arch-Humanist, Cambridge 1957; in: HZ 186 (1958), S. 691 – 692 Kisch, Guido: Rezension zu Lewis W. Spitz, The Religious Renaissance of the German Humanists, Cambridge, Mass. 1963; in: HZ 199 (1964), S. 163 – 165 Kisch, Guido: Rezension zu Michel Roblin, Les Juifs de Paris. Démographie-Économie-Culture, Paris 1952; in: HZ 176 (1953), S. 167 – 168 Kisch, Guido: Rezension zu R. J. Mitchel, John Free. From Bristol to Rome in the Fifteenth Century, London 1955; in: HZ 182 (1956), S. 466
10.3 Quellenverzeichnis
585
Kisch, Guido: Rezension zu Raphael Straus, Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte der Juden in Regensburg 1453 – 1738, München 1960; in: HZ 194 (1962), S. 116 – 118 Kisch, Guido: Rezension zu Robert Weltsch (Hg.), Deutsches Judentum – Aufstieg und Krise – Gestalten, Ideen, Werke. Vierzehn Monographien, Stuttgart 1963; in: HZ 199 (1964), S. 626 – 627 Kisch, Guido: Rezension zu Aaron Steinberg (Hg.), Simon Dubnov. The Man and His Work. A Memorial volume on the occasion of the centenary of his birth (1860 – 1960), Paris 1963; in: HZ 199 (1964), S. 656 – 657 Kisch, Guido: Sammelrezension zu Eduard Maurits Meijers, Études d’Histoire du Droit, Band I: Problèmes d’Histoire du Droit de l’Europe Occidentale. Histoire du Droit Français. Histoire du Droit Espagnol, Leiden 1956; und Eduard Maurits Meijers, Études d’Histoire du Droit, Band III: Le Droit Romain au Moyen Âge, Leiden 1959; in: HZ 195 (1962), S. 365 – 367 Kisch, Guido: Sammelrezension zu Karl August Eckhardt (Hg.), Sachsenspiegel Landrecht, Göttingen 1955; und Karl August Eckhardt (Hg.), Das Lehnrecht des Sachsenspiegels, Göttingen 1956; in: HZ 186 (1958), S. 357 – 360 Masur, Gerhard: Rezension zu David Bushnell, The Santander Regime in Gran Colombia, Newark 1954; in: HZ 182 (1956), S. 196 – 198 Masur, Gerhard: Rezension zu Eugen Rosenstock-Huessy, Die Europäischen Revolutionen und der Charakter der Nationen, 3. Auflage, Stuttgart 1961; in: HZ 195 (1962), S. 147 – 148 Masur, Gerhard: Rezension zu Maurice Crouzet, L’Époque Contemporaine, Paris 1957; in: HZ 186 (1958), S. 380 – 382 Masur, Gerhard: Rezension zu Olaf Klose/Eduard Georg Jacoby/Irma Fischer (Hg.), Ferdinand Tönnies, Friedrich Paulsen. Briefwechsel 1876 – 1908, Kiel 1961; in: HZ 199 (1964), S. 641 – 643 Masur, Gerhard: Rezension zu Otto Graf zu Stolberg-Wernigerode, Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, Berlin 1956; in: HZ 185 (1958), S. 186 – 188 Masur, Gerhard: Rezension zu Pieter Geyl, From Ranke to Toynbee. Five Lectures on Historians and Historiographical Problems, Northampton, Massachusetts 1952; in: HZ 177 (1954), S. 521 – 522 Masur, Gerhard: Rezension zu Richard Konetzke (Hg.): Colección de Documentos para la Historia de la Formación Social de Hispanoamérica 1493 – 1810, Band I: 1493 – 1592, Madrid 1953; in: HZ 181 (1956), S. 180 – 182 Masur, Gerhard: Rezension zu Richard Konetzke (Hg.), Colección de Documentos para la Historia de la Formación Social de Hispanoamérica 1493 – 1810, Band II: 1593 – 1690, Madrid 1958; in: HZ 191 (1960), S. 210 – 211 Masur, Gerhard: Rezension zu Richard Konetzke (Hg.), Colección de Documentos para la Historia de la Formación Social de Hispanoamérica 1493 – 1810, Band III: 1691 – 1807, Madrid 1962; in: HZ 198 (1964), S. 180 – 181 Misch, Carl: Rezension zu G. A. Cranfield, The Development of the Provincial Newspaper 1700 – 1760, Oxford 1962; in: HZ 197 (1963), S. 488 Misch, Carl: Rezension zu Hans Bausch, Der Rundfunk im politischen Kräftespiel der Weimarer Republik 1923 – 1933, Tübingen 1956; in: HZ 186 (1958), S. 228 Misch, Carl: Rezension zu Heinz Pohle, Der Rundfunk als Instrument der Politik. Zur Geschichte des deutschen Rundfunks von 1923/38, Hamburg 1955; in: HZ 183 (1957), S. 480
586
10 Anhang
Misch, Carl: Rezension zu Joachim Schondorff (Hg.), Varnhagen von Ense und Friedrich Fürst Schwarzenberg, Europäische Zeitenwende. Tagebücher 1835 – 1860, München 1960; in: HZ 193 (1961), S. 494 – 495 Misch, Carl: Rezension zu Klaus Epstein, Matthias Erzberger und das Dilemma der deutschen Demokratie, Berlin 1962; in: HZ 198 (1964), S. 250
HZ 1965 – 1977 über Untersuchungspersonen Alföldy, Géza: Rezension zu Fritz Heichelheim, Wirtschaftsgeschichte des Altertums vom Paläolithikum bis zur Völkerwanderung der Germanen, Slaven und Araber, Neudruck der Ausgabe von 1938, 3 Bände, Leiden 1969; in: HZ 212 (1971), S. 391 – 393 Aretin, Karl Otmar von: Rezension zu Klaus Epstein, Die Ursprünge des Konservativismus in Deutschland. Der Ausgangspunkt. Die Herausforderung durch die französische Revolution 1770 – 1806, Berlin 1973; in: HZ 221 (1975), S. 458 – 462 Baumgart, Peter: Rezension zu Klaus Epstein, The Genesis of German Conservatism, Princeton 1966; in: HZ 214 (1972), S. 415 – 419 Bihl, Wolfdieter: Rezension zu Guido Kisch, Judentaufen. Eine historisch-biographischpsychologisch-soziologische Studie besonders für Berlin und Königsberg, Berlin 1973; in: HZ 220 (1975), S. 741 Buck, August: Rezension zu Guido Kisch, Erasmus’ Stellung zu Juden und Judentum, Tübingen 1969; in: HZ 212 (1971), S. 149 – 150 Conze, Werner: Rezension zu George W. Hallgarten, Imperialismus vor 1914. Die soziologischen Grundlagen der Außenpolitik europäischer Großmächte vor dem ersten Weltkrieg, 2 Bände, 2. Auflage, München 1963; in: HZ 202 (1966), S. 767 – 768 Conze, Werner: Rezension zu Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Sozialgeschichte heute. Festschrift für Hans Rosenberg zum 70. Geburtstag, Göttingen 1974; in: HZ 223 (1976), S. 373 – 375 Düchting, Reinhard: Rezension zu Guido Kisch, Vadians Valla-Ausgaben, St. Gallen 1965; in: HZ 204 (1967), S. 356 – 358 Fohrer, Georg: Rezension zu Guido Kisch, Claudius Cantiuncula. Ein Basler Jurist und Humanist des 16. Jahrhunderts, Basel 1970; in: HZ 214 (1972), S. 396 – 397 Fohrer, Georg: Rezension zu Guido Kisch, Gestalten und Probleme aus Humanismus und Jurisprudenz. Neue Studien und Texte, Berlin 1969; in: HZ 214 (1972), S. 397 – 398 Forstreuter, Kurt: Rezension zu Guido Kisch, Studien zur Rechts- und Sozialgeschichte des Deutschordenslandes, Sigmaringen 1973; in: HZ 220 (1975), S. 420 – 422 Gall, Lothar: Rezension zu Hans Rosenberg, Politische Denkströmungen im deutschen Vormärz, Göttingen 1972; in: HZ 220 (1975), S. 462 – 464 Geigenmüller, Ernst: Rezension zu Felix Hirsch, Gustav Stresemann. Patriot und Europäer, Göttingen 1964; in: HZ 202 (1966), S. 501 Gembruch, Werner: Rezension zu Felix Hirsch, Eduard von Simson. Das Problem der deutschjüdischen Symbiose im Schatten Goethes und Bismarcks, in GWU 16, 1965, S. 261 – 277; in: HZ 202 (1966), S. 760 Grass, Nikolaus: Sammelrezension zu Guido Kisch, Zasius und Reuchlin. Eine rechtsgeschichtlich-vergleichende Studie zum Toleranzproblem im 16. Jahrhundert, Konstanz 1961; und Guido Kisch, Die Anfänge der Juristischen Fakultät der Universität Basel 1459 bis 1529, Basel 1962; in: HZ 200 (1965), S. 399 – 401
10.3 Quellenverzeichnis
587
Hammerstein, Notker: Rezension zu Guido Kisch, Die Prager Universität und die Juden, 1348 – 1848. Mit Beiträgen zur Geschichte des Medizinstudiums, Amsterdam 1969; in: HZ 213 (1971), S. 123 – 124 Herzfeld, Hans: Rezension zu Felix Gilbert, The End of the European Era. 1890 to the Present, London 1971; in: HZ 216 (1973), S. 420 – 424 Herzfeld, Hans: Rezension zu Hajo Holborn, A History of Modern Germany, Band 4, 1840 – 1945, London 1969; in: HZ 211 (1970), S. 706 – 708 Kirchner, Walther: Rezension zu Fritz Epstein (Hg.), Heinrich von Staden, Aufzeichnungen über den Moskauer Staat, Hamburg 1964; in: HZ 201 (1965), S. 212 – 213 Krüger, Hans-Jürgen: Rezension zu Guido Kisch, Der Lebensweg eines Rechtshistorikers. Erinnerungen, Sigmaringen 1975; in: HZ 225 (1977), S. 661 – 662 Liermann, Hans: Rezension zu Guido Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Berlin 1967; in: HZ 208 (1969), S. 405 – 407 Meyer, Hermann: Rezension zu Felix Hirsch (Hg.), Hermann Oncken. Lasalle. Zwischen Marx und Bismarck. Eine Biographie, 5. Auflage, Stuttgart 1966; in: HZ 206 (1968), S. 784 – 785 Preiser, Wolfgang: Rezension zu Felix Gilbert, Machiavelli and Guicciardini. Politics and History in Sixteenth Century Florence, Princeton 1965; in: HZ 204 (1967), S. 169 – 171 Redlich, Fritz: Rezension zu John Higham/Leonard Krieger/Felix Gilbert, History, Englewood Cliffs 1965; in: HZ 204 (1967), S. 182 – 185 Richter, Will: Rezension zu Fritz Heichelheim, An Ancient Economic History from the Palaeolithic Age to the Migrations of the Germanic, Slavic, and Arabic Nations, Leiden 1958; in: HZ 200 (1965), S. 226 – 230 Scheibert, Peter: Rezension zu Fritz Epstein, Germany and the East. Selected Essays, hg. von Robert F. Byrnes, Bloomington/London 1973; in: HZ 219 (1974), S. 761 – 762 Schieder, Theodor: Rezension zu Gerhard Masur, Geschehen und Geschichte. Aufsätze und Vorträge zur europäischen Geistesgeschichte, Berlin 1971; in: HZ 222 (1976), S. 130 – 132 Schieder, Theodor: Rezension zu Gerhard Masur, Propheten von gestern. Zur europäischen Kultur 1890 – 1914, Frankfurt am Main 1965; in: HZ 210 (1970), S. 148 – 150 Schieder, Theodor: Rezension zu Hans Rosenberg, Große Depression und Bismarckzeit. Wirtschaftsablauf, Gesellschaft und Politik in Mitteleuropa, Berlin 1967; in: HZ 210 (1970), S. 446 – 449 Schochow, Werner: Rezension zu Guido Kisch, Judaistische Bibliographie. Ein Verzeichnis der in Deutschland und der Schweiz von 1956 bis 1970 erschienenen Dissertationen und Habilitationen, Basel/Stuttgart 1972; in: HZ 218 (1974), S. 365 – 366 Schwabe, Klaus: Rezension zu Fritz Stern, Bethmann Hollweg und der Krieg. Die Grenzen der Verantwortung, Tübingen 1968; in: HZ 211 (1970), S. 160 – 161 Sieburg, Heinz Otto: Rezension zu Fritz Stern (Hg.), Geschichte und Geschichtsschreibung. Möglichkeiten, Aufgaben, Methoden. Texte von Voltaire bis zur Gegenwart, München 1966; in: HZ 212 (1971), S. 380 – 381
Weitere Rezensionen [anonym]: Rezension zu K. A. Varnhagen von Ense, Zur Geschichtschreibung und Litteratur. Berichte und Beurtheilungen, Hamburg 1833; in: Jahrbücher der Geschichte und Staatskunst 7 (1834), Nr. 1, S. 185 – 189
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10 Anhang
Epstein, Klaus: Shirers „Aufstieg und Fall des Dritten Reiches“; in: VfZ 10 (1962), Heft 1, S. 95 – 112 Epstein, Klaus: Shirer’s History of Nazi Germany; in: The Review of Politics 23 (1961), Heft 2, S. 230 – 245 Gönnenwein, Otto: Rezension zu Festschrift Guido Kisch. Rechtshistorische Forschungen. Anläßlich des 60. Geburtstages dargebracht von Freunden, Kollegen und Schülern, Stuttgart 1955; in: HZ 182 (1956), S. 351 – 353 Hellmann, Manfred: Rezension zu Oskar Halecki, Geschichte Polens, Frankfurt am Main 1963; in: HZ 203 (1966), S. 187 – 198 Holtzmann, Walther: Rezension zu G. Schreiber, Vorfranziskanisches Genossenschaftswesen, in Zeitschrift für Kirchengeschichte 62, 1943/44, S. 35 – 71; in: HZ 169 (1949), S. 422 Iggers, Georg G.: Rezension zu Helmut Heiber, Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des Neuen Deutschlands, Stuttgart 1966; in: Central European History 2 (1969), S. 181 – 188 Iggers, Georg G.: Rezension zu Wolfgang Weber, Priester der Klio: Historischsozialwissenschaftliche Studien zur Herkunft und Karriere deutscher Historiker und zur Geschichte der Geschichtswissenschaft, 1800 – 1970, New York 1984; in: Journal of Interdisciplinary History 17 (1986), S. 460 – 462 Jarausch, Konrad H.: Rezension zu Wolfgang Weber, Priester der Klio: Historischsozialwissenschaftliche Studien zur Herkunft und Karriere deutscher Historiker und zur Geschichte der Geschichtswissenschaft, 1800 – 1970, New York 1984; in: AHR 91 (1986), S. 133 Kluxen, Kurt: Rezension zu The American Historical Association Committee on War Documents, Index of Microfilmed Records of the German Foreign Ministry and the Reich’s Chancellery covering the Weimar Period, bearb. von Ernst Schwändt, Washington 1958; in: HZ 188 (1959), S. 470 f. Krieger, Leonard: Rezension zu Gerhard Masur, Prophets of Yesterday. Studies in European Culture, 1890 – 1914, New York 1961; in: AHR 68 (1962), Nr. 1, S. 101 f. Maltzahn, Christoph von: Rezension zu Masur, Gerhard, Das ungewisse Herz. Berichte aus Berlin – über die Suche nach dem Freien, Holyoke (Massachusetts) 1978; in: Historisches Jahrbuch 104 (1984), S. 445 Masur, Gerhard: Rezension zu Dietrich Gerhard, Alte und Neue Welt in vergleichender Geschichtsbetrachtung, Göttingen 1962; in: AHR 68 (1963), Nr. 3, S. 698 f. Mitzka, Walter: Rezension zu Gerhard Lutz [Hrsg.], Volkskunde. Ein Handbuch zur Geschichte ihrer Probleme, Berlin 1958; in: HZ 187 (1959), S. 179 f. Momigliano, Arnaldo: Rezension zu Ronald Syme, The Roman Revolution, Oxford 1939; in: The Journal of Roman Studies 30 (1940), S. 75 – 80 Oestreich, Gerhard: Rezension zu Hans Rosenberg, Bureaucracy, Aristocracy, and Autocracy. The Prussian Experience 1660 – 1815, Cambridge, Mass. 1958; in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 52 (1965), Heft 2, S. 276 – 281 Preradovich, Nikolaus von: Rezension zu Heinz Gollwitzer, Die Standesherren. Die politische und gesellschaftliche Stellung der Mediatisierten 1815 – 1918, 2. Auflage, Göttingen 1964; in: HZ 201 (1965), S. 666 – 669 Redlich, Fritz: Rezension zu Dietrich Gerhard, Alte und Neue Welt in vergleichender Geschichtsbetrachtung, Göttingen 1962; in: HZ 197 (1963), S. 726
10.3 Quellenverzeichnis
589
Redlich, Fritz: Rezension zu Hellmuth Günther Dahms, Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, München 1953; in: HZ 179 (1955), S. 604 – 608 Rietschel, Siegfried: Rezension zu Eugen Rosenstock, Herzogsgewalt und Friedensschutz. Deutsche Provinzialversammlungen des 9. bis 12. Jahrhunderts, Breslau 1910; in: HZ 108 (1912), S. 121 – 124 Ritter, Gerhard: Rezension zu Hans Rothfels, The German Opposition to Hitler. An Appraisal, Hinsdale, Illinois 1948; in: HZ 169 (1949), S. 402 – 405 Rönnefarth, Helmuth K. G.: Rezension zu Barbara Tuchman, August 1914, London 1962; in: HZ 206 (1968), S. 148 – 152 Rößler, Hellmuth: Rezension zu Gerhard Kaiser, Pietismus und Patriotismus im literarischen Deutschland. Ein Beitrag zum Problem der Säkularisation, Wiesbaden 1961; in: HZ 195 (1962), S. 397 – 403 Schieder, Theodor: Rezension zu Gerhard Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk, Band 3, Die Tragödie der Staatskunst. Bethmann Hollweg als Kriegskanzler (1914 – 1917), München 1964; in: HZ 202 (1966), S. 389 – 398 Schnee, Heinrich: Rezension zu Selma Stern, Der preußische Staat und die Juden, Band 1 und 2, Tübingen 1962; in: HZ 197 (1963), S. 402 – 404
10.3.6 Sonstiges Aubin, Hermann/Gelzer, Matthias/Grundmann, Herbert/Hartung, Fritz/Heimpel, Hermann/ Ritter, Gerhard: Aufruf [dem zu gründenden „Verband der Historiker Deutschlands“ beizutreten]; in: HZ 169 (1949), S. 226 f. Aus Zeitschriften und Sammelbänden [Redaktionsmitteilung]; in: HZ 258 (1994), S. 286 Central European History 3 (1970), Nr. 1/2 (= In Memory of Hajo Holborn, 1902 – 1969) Dehio, Ludwig: Geleitwort zum Wiedererscheinen der Historischen Zeitschrift; in: HZ 169 (1949), S. [V]–[VII]. [Dehio: Geleitwort] Deutsche Archive und Dokumente in Alliierter Verwaltung; in: VfZ 1 (1953), Heft 1, S. 95 f. Die Redaktion der HZ: Mitteilung; in: HZ 197 (1963), S. 516 Die Schriftleitung [Walther Kienast]: Erklärung; in: HZ 169 (1949), S. 671 Drittes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes (vom 23. Dezember 1955); in: Bundesgesetzblatt. Teil I, Nr. 47, 28. Dezember 1955, S. 820 – 834 Eingegangene Bücher; in: HZ 239 (1984), S. 784 – 792 Entschließungen des deutschen Historikertages; in: HZ 169 (1949), Heft 3, S. 669 f. Felix E. Hirsch [In Memoriam]; in: AHA Perspectives 21 (1983), Nr. 4, S. 23 Fragenkatalog zum Thema Rezension; in: MIÖG 121 (2013), S. 109 – 133 Friedlander, Henry u. a. (Bearb.): Classified and Annotated Bibliography of Books and Articles on the Immigration and Acculturation of Jews From Central Europe to the USA Since 1933, New York u. a. 1981 Geiss, Imanuel (Bearb.): Julikrise und Kriegsausbruch 1914. Eine Dokumentensammlung, 2 Bände, Hannover 1963/1964 (2. Auflage von Band I, Bonn-Bad Godesberg 1976) Gesetz über die Deutsche Bibliothek (vom 31. März 1969, DBiblG); in: Bundesgesetzblatt. Teil I, Nr. 28, 2. April 1969, S. 265 – 268
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10 Anhang
Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für die im Ausland lebenden Angehörigen des öffentlichen Dienstes (vom 18. März 1952); in: Bundesgesetzblatt. Teil I, Nr. 10, 21. März 1952, S. 137 f. Helle, Andreas/Schreyer, Söhnke/Gräser, Marcus: Disziplingeschichte und Demokratiegeschichte. Zur Entwicklung von Politik- und Geschichtswissenschaft in Deutschland nach 1945. Ein Gespräch mit Gerhard A. Ritter; in: Marcus Gräser/Christian Lammert/Söhnke Schreyer (Hg.): Staat, Nation, Demokratie. Traditionen und Perspektiven moderner Gesellschaften. Festschrift für Hans-Jürgen Puhle, Göttingen 2001, S. 270 – 278 [Helle u. a.: Gespräch mit Gerhard A. Ritter] Herder-Institut Marburg: Jahresbericht 2011, [Marburg 2012] Hirsch, Felix E.: Stresemann: Good European or Unrepentant Sinner? [To the Editor]; in: The Public Opinion Quarterly 9 (1945), No. 2, S. 258 – 260 Hirsch, Felix E.: Gustav Stresemann. Patriot und Europäer, Göttingen 1964 Historiker-Tagung; in: HZ 169 (1949), S. 452 f. Holborn, Hajo: Der deutsche Idealismus in sozialgeschichtlicher Beleuchtung; in: HZ 174 (1952), S. 359 – 384 Holborn, Hajo: Inter Nationes Preis 1969, Bonn-Bad Godesberg 1969 [Holborn: Inter Nationes Preis]¹⁹ Jähnig, Bernhart: Emil Schieche. Geb. 10. 11. 1901 in Wien, gest. 28. 2. 1985 in Stockholm; in: Preußenland 25 (1987), S. 62 Jessen, Hans: Neue Bücher; in: HZ 184 (1957), S. 490 – 496 Jonas, Manfred: The United States and Germany. A Diplomatic History, New York/London 1984 [Jonas: The United States and Germany] Kampe, Norbert (Hg.): Jewish Emigration from Germany 1933 – 1942. A Documentary History, München u. a. 1992 [Kampe: Jewish Emigration from Germany] Kienast, Walther: 20. Versammlung deutscher Historiker in München. 12.–15. Sept. 1949; in: HZ 169 (1949), S. 668 – 670 Kienast, Walther: An unsere Mitarbeiter; in: HZ 169 (1949), S. 225 f. Kienast, Walther: Mitteilung über den Rücktritt des zweiten Herausgebers; in: HZ 206 (1968), S. 792 Kisch, Guido: Adolf Wach zum Gedenken; in: Juristenzeitung 31 (1976), Nr. 7, S. 207 f. [Kisch: Adolf Wach zum Gedenken] Klemperer, Klemens von: Ignaz Seipel. Christian Statesman in a Time of Crisis, Princeton 1972 Laue, Theodore H. von: Leopold Ranke. The Formative Years, Princeton 1950 Laue, Theodore H. von: The World Revolution of Westernization. The Twentieth Century in Global Perspective, New York/Oxford 1987 [Laue: World Revolution of Westernization] Lutz, Gerhard: Erwiderung; in HZ 188 (1959), S. 477 f. Meinecke, Friedrich: Mitteilung; in: HZ 136 (1927), S. 652 Meinecke, Friedrich: Mitteilung; in: HZ 152 (1935), S. [XIII] Müller, Karl Alexander von: An Friedrich Meinecke; in: HZ 167 (1943), S. 1 f.
Der Band ist „Festschrift und Nachruf zugleich“ (S. 3), enthält Ansprachen zur Verleihung des Inter Nationes Preises an Holborn, die am 19. Juni 1969 stattfand. Holborn starb in der folgenden Nacht, weshalb einige Nachrufe aufgenommen wurden. Die Entscheidung, Holborn dennoch als Autor aufzunehmen, beruht auf den Angaben der Titelseite und auf der Tatsache, dass etwa drei Viertel des Bandes aus dem Wiederabdruck von älteren Aufsätzen Holborns bestehen.
10.3 Quellenverzeichnis
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Müller, Karl Alexander von: Zum Geleit; in: HZ 153 (1936), S. 1 – 5 Neumaier, Rudolf: Wo Akademiker die Beherrschung verlieren. Läusesucherei, ganz gemeine Kerle und zertrümmerte Karrieren: Ein Spaziergang über das Schlachtfeld der Rezensionen; in: Süddeutsche Zeitung Nr. 130 vom 08. 06. 2013, S. 16 Ovid: Tristia. Ex Ponto, with an English Translation by Arthur Leslie Wheeler, Cambridge/ London 1939 [Ovid: Tristia] Programm des New World Club; in: Aufbau 8 (1942), Nr. 42 vom 16. Oktober 1942, S. 24 Reinold, Anne-Marie: Friedrich-Meinecke-Bibliographie. In Auswahl zusammengestellt zum 90. Geburtstag am 30. Oktober 1952; in: HZ 174 (1952), S. 503 – 523 Rosenstock-Huessy, Eugen: Out of Revolution. Autobiography of Western Man, New York 1938 Rosenstock-Huessy, Eugen: The Driving Power of Western Civilization: The Christian Revolution of the Middle Ages, Boston [1949] Rothfels, Hans: Grundsätzliches zum Problem der Nationalität; in: HZ 174 (1952), S. 339 – 358 Schieder, Theodor/Gall, Lothar: Zum Geleit; in: HZ 220 (1975), S. 1 – 3 Schieder, Theodor: Walther Kienast zum 70. Geburtstag; in: HZ 203 (1966), S. 528 – 531 Schlüter. Ein Feuer soll lodern; in: Der Spiegel Nr. 25, 15. Juni 1955, S. 12 – 24 Staatspreis 1931 zum Freiherrn-vom-Stein-Erinnerungsjahr; in: Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen 74 (1932), S. 55 Stern, Fritz: War der Kriegsausbruch nur ein Betriebsunfall? US-Historiker Fritz Stern über die deutsche Geschichtsschreibung zum Ersten Weltkrieg; in: Der Spiegel Nr. 43, 21. Oktober 1964, S. 50 – 53 [Stern: Kriegsausbruch] Titelblätter der Historischen Zeitschrift, speziell HZ 77 (1896), HZ 153 (1936), HZ 169 (1949), HZ 170 (1950), HZ 220 (1975), HZ 240 (1985) Vec, Miloš: Läuse suchen. Rezensionen als Ehrdiskurs der Forscher; in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 163 vom 17. 07. 2013, S. N5 [Vec: Läuse suchen] Verzeichnis der Schriften von Fritz T. Epstein; in: Alexander Fischer/Günter Moltmann/Klaus Schwabe (Hg.): Russland – Deutschland – Amerika. Festschrift für Fritz T. Epstein zum 80. Geburtstag, Wiesbaden 1978, S. 415 – 435 Wie wir hören; in: Aufbau 9 (1943), Nr. 33 vom 13. August 1943, S. 7
592
10 Anhang
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Siehe für die einzelnen Interviews daraus oben, Abschnitt 10.3.4 ab S. 579, für ergänzend herangezogene abweichende Online-Versionen derselben Interviews Abschnitt 10.3.2 ab S. 570.
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Schneider, Sigrid: Zwischen Scheitern und Erfolg: Journalisten und Publizisten im amerikanischen Exil; in: Exilforschung 7 (1989), S. 51 – 64 [Schneider: Journalisten im amerikanischen Exil] Schneider, Ute: Die Funktion wissenschaftlicher Rezensionszeitschriften im Kommunikationsprozeß der Gelehrten; in: Ulrich Johannes Schneider (Hg.): Kultur der Kommunikation. Die europäische Gelehrtenrepublik im Zeitalter von Leibniz und Lessing, Wiesbaden 2005, S. 279 – 291 Schnicke, Falko: Die männliche Disziplin. Zur Vergeschlechtlichung der deutschen Geschichtswissenschaft 1780 – 1900, Göttingen 2015 [Schnicke: Die männliche Disziplin] Schönwälder, Karen: Historiker und Politik. Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main/New York 1992 [Schönwälder: Historiker und Politik] Schorn-Schütte, Luise: Ideengeschichte; in: Stefan Jordan (Hg.): Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe, Stuttgart 2002, S. 174 – 178 Schöttler, Sonja: Funktionale Eloquenz. Das Kölner Amerika Haus und die Kulturinstitute der Vereinigten Staaten von Amerika in Deutschland, Worms 2011 Schröder, Martin: Der Generationenmythos; in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 70 (2018), Heft 3, S. 469 – 494 Schröder, Wilhelm Heinz (Hg.): Lebenslauf und Gesellschaft. Zum Einsatz von kollektiven Biographien in der historischen Sozialforschung, Stuttgart 1985 Schröder, Wilhelm Heinz/Weege, Wilhelm/Zech, Martina: Historische Parlamentarismus-, Eliten- und Biographieforschung. Forschung und Service am Zentrum für Historische Sozialforschung, Köln 2000 [Schröder/Weege/Zech: Forschung am ZHSF] Schröder, Wilhelm Heinz: Kollektivbiographie als interdisziplinäre Methode in der Historischen Sozialforschung. Eine persönliche Retrospektive, Köln 2011 (= Historical Social Research, Supplement 23) Schröder, Wilhelm Heinz: Kollektivbiographie: Spurensuche, Gegenstand, Forschungsstrategie; in: Wilhelm Heinz Schröder: Kollektivbiographie als interdisziplinäre Methode in der Historischen Sozialforschung. Eine persönliche Retrospektive, Köln 2011 (= Historical Social Research, Supplement 23), S. 74 – 152 Schröder, Wilhelm Heinz: Kollektive Biographien in der historischen Sozialforschung: Eine Einführung; in: Wilhelm Heinz Schröder (Hg.): Lebenslauf und Gesellschaft. Zum Einsatz von kollektiven Biographien in der historischen Sozialforschung, Stuttgart 1985, S. 7 – 17 [Schröder: Kollektive Biographien] Schubart-Fikentscher, Gertrud: Homeyer, Carl Gustav, in: NDB 9, Berlin 1972, S. 589 f. Schüler-Springorum, Stefanie: Non-Jewish Perspectives on German-Jewish History. A Generational Project?; in: Steven E. Aschheim/Vivian Liska (Hg.): The German-Jewish Experience Revisited, Berlin/Boston 2015, S. 193 – 206 (DOI: 10.1515/9783110367195-012) Schulin, Ernst (Hg.): Deutsche Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg (1945 – 1965), München 1989 Schulin, Ernst: Friedrich Meinecke; in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Deutsche Historiker, Göttingen 1973, S. 39 – 57 [Schulin: Meinecke] Schulze, Winfried/Helm, Gerd/Ott, Thomas: Deutsche Historiker im Nationalsozialismus. Beobachtungen und Überlegungen zu einer Debatte; in: Winfried Schulze/Otto Gerhard Oexle (Hg.): Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, 2. Auflage, Frankfurt am Main 2000, S. 11 – 48 [Schulze/Helm/Ott: Historiker im NS]
622
10 Anhang
Schulze, Winfried/Oexle, Otto Gerhard (Hg.): Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, 2. Auflage, Frankfurt am Main 2000 [Schulze/Oexle (Hg.): Deutsche Historiker im NS] Schulze, Winfried: Der Neubeginn der deutschen Geschichtswissenschaft nach 1945: Einsichten und Absichtserklärungen der Historiker nach der Katastrophe; in: Ernst Schulin (Hg.): Deutsche Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg (1945 – 1965), München 1989, S. 1 – 37 Schulze, Winfried: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1989 [Schulze: Deutsche Geschichtswissenschaft] Schulze, Winfried: Refugee Historians and the German Historical Profession between 1950 and 1970; in: Hartmut Lehmann/James J. Sheehan (Hg.): An Interrupted Past. GermanSpeaking Refugee Historians in the United States after 1933, Washington, D. C. u. a. 1991, S. 206 – 225 [Schulze: Refugee Historians] Schulze, Winfried: Zur Geschichte der Fachzeitschriften. Von der „Historischen Zeitschrift“ zu den „zeitenblicken“; in: Historical Social Research 29 (2004), Heft 1, S. 123 – 137 [Schulze: Zur Geschichte der Fachzeitschriften] Schumann, Dirk: Wirtschaftsbürgertum in Deutschland: segmentiert und staatsnah; in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 3 (1992), S. 375 – 384 Schüring, Michael: Minervas verstoßene Kinder. Vertriebene Wissenschaftler und die Vergangenheitspolitik der Max-Planck-Gesellschaft, Göttingen 2006 [Schüring: Minervas verstoßene Kinder] Schwabe, Klaus: Hermann Oncken; in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Deutsche Historiker, Göttingen 1973, S. 189 – 205 [Schwabe: Oncken] Schwabe, Klaus: Klaus W. Epstein †; in: HZ 206 (1968), S. 262 – 264 [Schwabe: Klaus W. Epstein] Schwarz, Hans-Peter: Karl Dietrich Bracher (1922 – 2016); in: HZ 304 (2017), S. 398 – 404 Seier, Hellmut: Paul Kluke. 1908 – 1990; in: HZ 252 (1991), S. 212 – 215 Shirer, William L.: Aufstieg und Fall des Dritten Reiches, Köln 1961 Siegel, Carl Ludwig: Zur Geschichte des Frankfurter Mathematischen Seminars. Vortrag von Professor Dr. Dr. h. c. Carl Ludwig Siegel am 13. Juni 1964 im Mathematischen Seminar der Universität Frankfurt anläßlich der Fünfzig-Jahrfeier der Johann Wolfgang GoetheUniversität Frankfurt, Frankfurt am Main 1965 (Frankfurter Universitätsreden, Heft 36) Söllner, Alfons: Archäologie der deutschen Demokratie. Eine Forschungshypothese zur theoretischen Praxis der Kritischen Theorie im amerikanischen Geheimdienst; in: Alfons Söllner (Hg.): Zur Archäologie der Demokratie in Deutschland. Analysen politischer Emigranten im amerikanischen Geheimdienst, Band 1: 1943 – 1945, Frankfurt am Main 1982, S. 7 – 37 [Söllner: Geheimdienst-Analysen] Söllner, Alfons: Ein (un)deutsches Juristenleben. Franz Neumann zum 80. Geburtstag; in: Kritische Justiz 13 (1980), Heft 4, S. 427 – 437 [Söllner: Ein (un)deutsches Juristenleben] Söllner, Alfons: Jüdische Emigranten in den USA, ihr Einfluss auf die amerikanische Deutschlandpolitik 1933 – 1949; in: Alfons Söllner: Fluchtpunkte. Studien zur politischen Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts, Baden-Baden 2006, S. 160 – 180 [Söllner: Jüdische Emigranten] Söllner, Alfons: Wissenschaftliche Kompetenz und politische Ohnmacht – Deutsche Emigranten im amerikanischen Staatsdienst 1942 – 1949; in: Alfons Söllner: Deutsche Politikwissenschaftler in der Emigration. Studien zu ihrer Akkulturation und
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Wirkungsgeschichte. Mit einer Bibliographie, Opladen 1996, S. 118 – 132 [Söllner: Wissenschaftliche Kompetenz] Sonnabend, Holger: Ovid in Tomi. Grenzwahrnehmung aus dem Exil; in: Andreas Gestrich/ Marita Krauss (Hg.): Migration und Grenze, Stuttgart 1998, S. 40 – 48 Sonnert, Gerhard/Holton, Gerald: What Happened to the Children Who Fled Nazi Persecution, New York u. a. 2006 [Sonnert/Holton: Children Who Fled] Spies, Bernhard: Exilliteratur; in: Harald Fricke/Klaus Grubmüller/Jan-Dirk Müller/Klaus Weimar (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, Band I: A–G, Berlin/New York 2007 [zuerst 1997], S. 537 – 541 [Spies: Exilliteratur] Srbik, Heinrich Ritter von: Geist und Geschichte vom deutschen Humanismus bis zur Gegenwart, Band 1, München/Salzburg 1950 Stadelmann, Rudolf: Jacob Burckhardts Weltgeschichtliche Betrachtungen; in: HZ 169 (1949), S. 31 – 72 Stahnisch, Frank: Zur Zwangsemigration deutschsprachiger Neurowissenschaftler nach Nordamerika: Der historische Fall des Montreal Neurological Institute; in: Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Nervenheilkunde 14 (2008), S. 441 – 472 Stammen, Theo: Exil und Emigration – Versuch einer Theoretisierung; in: Exilforschung 5 (1987), S. 11 – 27 Stark, Karl Bernhard: Böckh, August; in: ADB 2, Leipzig 1875, S. 770 – 783 Stark, Martin: Netzwerke in den Geschichtswissenschaften; in: Curt Wolfgang Hergenröder (Hg.): Gläubiger, Schuldner, Arme. Netzwerke und die Rolle des Vertrauens, Wiesbaden 2010, S. 187 – 190 [Stark: Netzwerke in den Geschichtswissenschaften] Stekeler-Weithofer, Pirmin: Dialektik; in: Hans Jörg Sandkühler (Hg.): Enzyklopädie Philosophie. Band 1: A–N, Hamburg 1999, S. 243 – 255 Stelzel, Philipp: History After Hitler. A Transatlantic Enterprise, Philadelphia 2019 [Stelzel: History after Hitler] Stelzel, Philipp: The Second-Generation Émigrés’ Impact on German Historiography; in: Andreas W. Daum/Hartmut Lehmann/James J. Sheehan (Hg.): The Second Generation. Émigrés from Nazi Germany as Historians, New York 2016, S. 287 – 303 [Stelzel: Impact] Stelzel, Philipp: Working Toward a Common Goal? American Views on German Historiography and German-American Scholarly Relations during the 1960s; in: Central European History 41 (2008), S. 639 – 671 Stengel, Paul: Friedländer, Ludwig Heinrich; in: Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog, Band 15 (1910), Berlin 1913, S. 221 – 237 Stern, Fritz: Comment on the Place of Historical Controversy; in: Hartmut Lehmann (Hg.): Historikerkontroversen, Göttingen 2000, S. 175 – 182 Stern, Fritz: German History in America 1884 – 1984; in: Central European History 19 (1986), S. 131 – 163 [Stern: German History in America] Stern, Fritz: Nachruf auf Felix Gilbert; in: Geschichte und Gesellschaft 18 (1992), S. 133 – 135 [Stern: Nachruf auf Felix Gilbert] Stone, Lawrence: Prosopographie – englische Erfahrungen; in: Konrad H. Jarausch (Hg.): Quantifizierung in der Geschichtswissenschaft. Probleme und Möglichkeiten, Düsseldorf 1976, S. 64 – 97 Stone, Lawrence: Prosopography; in: Daedalus 100 (1971), S. 46 – 79 [Stone: Prosopography]
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10 Anhang
Strauss, Herbert A.: Jews in German History: Persecution, Emigration, Acculturation; in: Werner Röder/Herbert A. Strauss (Hg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, Band 2, München u. a. 1983, S. XI–XXVI [Strauss: Jews in German History] Strauss, Herbert A.: The Migration of the Academic Intellectuals; in: Werner Röder/Herbert A. Strauss (Hg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, Band 2, München u. a. 1983, S. LXVII–LXXVII Susemihl, Geneviève: „… and it became my home.“ Die Assimilation und Integration der deutsch-jüdischen Hitlerflüchtlinge in New York und Toronto, Münster 2004 (zugleich Diss., Rostock 2003) [Susemihl: Assimilation und Integration] Syme, Ronald: Die römische Revolution. Machtkämpfe im antiken Rom, hg. von Christoph Selzer und Uwe Walter, Stuttgart 2003 Syme, Ronald: The Roman Revolution, Oxford 1939 Szabó, Anikó: Vertreibung, Rückkehr, Wiedergutmachung. Göttinger Hochschullehrer im Schatten des Nationalsozialismus, Göttingen [2000] [Szabó: Göttinger Hochschullehrer im NS] Tenbruck, Friedrich: Abschied von der ,,Wissenschaftslehre“?; in: Johannes Weiß (Hg.): Max Weber heute. Erträge und Probleme der Forschung, Frankfurt am Main 1989, S. 90 – 115 [Tenbruck: Wissenschaftslehre] Tetens, Holm: Wissenschaft; in: Hans Jörg Sandkühler (Hg.): Enzyklopädie Philosophie. Band 2: O–Z, Hamburg 1999, S. 1763 – 1773 [Tetens: Wissenschaft] Thieme, Hans: Guido Kisch; in: Österreichische Akademie der Wissenschaften: Almanach für das Jahr 1986. 136. Jahrgang, Wien 1987, S. 413 – 420 [Thieme: Kisch] Thimme, Annelise: Einmal um die Uhr. Die Stresemann-Kontroverse von 1927 – 1979; in: Hartmut Lehmann (Hg.): Historikerkontroversen, Göttingen 2000, S. 31 – 85 [Thimme: Einmal um die Uhr] Thimme, Annelise: Gustav Stresemann. Legende und Wirklichkeit; in: HZ 181 (1956), S. 287 – 338 Trappmann, Mark/Hummell, Hans J./Sodeur, Wolfgang: Strukturanalyse sozialer Netzwerke. Konzepte, Modelle, Methoden, Wiesbaden 2011, S. 251 – 267 Turkowska, Justyna Aniceta/Haslinger, Peter/Schweiger, Alexandra (Hg.): Wissen transnational. Funktionen – Praktiken – Repräsentationen, Marburg 2016 Unger, Dagmar: Adolf Wach (1843 – 1926) und das liberale Zivilprozeßrecht, Berlin 2005 [Unger: Adolf Wach] Vagts, Alfred: Deutsch-Amerikanische Rückwanderung. Probleme – Phänomene – Statistik – Politik – Soziologie – Biographie, Heidelberg 1960 Vester, Heinz-Günter: Kompendium der Soziologie III: Neuere soziologische Theorien, Wiesbaden 2010 [Vester: Kompendium der Soziologie III] Vierhaus, Rudolf: Dietrich Gerhard. 7. 11. 1896 – 31. 7. 1985; in: HZ 242 (1986), S. 758 – 762 Völkl, Kerstin/Korb, Christoph: Deskriptive Statistik. Eine Einführung für Politikwissenschaftlerinnen und Politikwissenschaftler, Wiesbaden 2018 Walther, Peter Th.: Emigrierte deutsche Historiker in den USA; in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 7 (1984), S. 41 – 52 [Walther: Emigrierte deutsche Historiker] [Warnecke, Günter/Dreßel, Horst/Oehler, Friedrich]: Zeitreise durch ein Vierteljahrtausend. 1747 – 1997. Die Chronik der Schlüterschen, Hannover 1997 (Schlütersche Verlagsanstalt und Druckerei. Hannover. 1747 – 1997)
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Weber, Max: Der Sinn der „Wertfreiheit“ der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften; in: Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hg. von Johannes Winckelmann, 4. Auflage, Tübingen 1973, S. 488 – 540 [Weber: Wertfreiheit] Weber, Max: Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis; in: Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hg. von Johannes Winckelmann, 4. Auflage, Tübingen 1973, S. 146 – 214 [Weber: Objektivität] Weber, Wolfgang: Die deutschen Ordinarien für Geschichte und ihre Wissenschaft. Ein historisch-wissenschaftssoziologischer Beitrag zur Erforschung des Historismus; in: Wilhelm Heinz Schröder (Hg.): Lebenslauf und Gesellschaft. Zum Einsatz von kollektiven Biographien in der historischen Sozialforschung, Stuttgart 1985, S. 114 – 146 [Weber: Ordinarien für Geschichte] Weber, Wolfgang: Priester der Klio. Historisch-sozialwissenschaftliche Studien zur Herkunft und Karriere deutscher Historiker und zur Geschichte der Geschichtswissenschaft 1800 – 1970, Frankfurt am Main u. a. 1984 [Weber: Priester der Klio] Wehler, Hans-Ulrich (Hg.): Deutsche Historiker, Göttingen 1973²³ Wehler, Hans-Ulrich: Eckart Kehr; in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Deutsche Historiker, Göttingen 1973, S. 100 – 113 [Wehler: Eckart Kehr] Wehler, Hans-Ulrich: Geschichte als Historische Sozialwissenschaft, Frankfurt am Main 1973 [Wehler: Geschichte als Historische Sozialwissenschaft] Wehler, Hans-Ulrich: Historische Sozialwissenschaft und Geschichtsschreibung. Studien zu Aufgaben und Traditionen deutscher Geschichtswissenschaft, Göttingen 1980 Wehler, Hans-Ulrich: Krisenherde des Kaiserreichs. 1871 – 1918. Studien zur deutschen Sozialund Verfassungsgeschichte, 2. Auflage, Göttingen 1979 [1970] Wehler, Hans-Ulrich: Nationalsozialismus und Historiker; in: Winfried Schulze/Otto Gerhard Oexle (Hg.): Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, 2. Auflage, Frankfurt am Main 2000, S. 306 – 339 Wehler, Hans-Ulrich: Vorwort; in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Sozialgeschichte Heute. Festschrift für Hans Rosenberg zum 70. Geburtstag, Göttingen 1974, S. 9 – 21 [Wehler: Vorwort Festschrift Rosenberg] Weinberg, Gerhard L.: Fritz T. Epstein, 1898 – 1979; in: Central European History 12 (1979), S. 399 – 401 [Weinberg: Fritz T. Epstein] Weinberg, Gerhard L.: German Documents in the United States; in: Central European History 41 (2008), S. 555 – 567 (DOI: 10.1017/S0008938908000848) Weinberg, Gerhard L.: Some Issues and Experiences in German-American Scholarly Relations; in: Andreas W. Daum/Hartmut Lehmann/James J. Sheehan (Hg.): The Second Generation. Émigrés from Nazi Germany as Historians, New York 2016, S. 97 – 101 [Weinberg: Issues] Weiser, Thomas: Arbeiterführer in der Tschechoslowakei. Eine Kollektivbiographie sozialdemokratischer und kommunistischer Parteifunktionäre 1918 – 1938, München 1998 [Weiser: Arbeiterführer in der Tschechoslowakei] Weiß, Volker: Bedeutung und Wandel von ‚Kultur‘ für die extreme Rechte; in: Fabian Virchow/ Martin Langebach/Alexander Häusler (Hg.): Handbuch Rechtsextremismus, Wiesbaden 2016, S. 441 – 469 (DOI: 10.1007/978-3-531-19085-3_14)
Die Ausgabe von 1973 versammelt die ersten fünf Bände der in verschiedenen Auflagen erschienenen Reihe: Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Deutsche Historiker, 9 Bände, Göttingen 1971– 1982.
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10 Anhang
Welskopp, Thomas: Erklären; in: Hans-Jürgen Goertz (Hg.): Geschichte. Ein Grundkurs, 2. Auflage, Reinbek bei Hamburg 2001, S. 132 – 168 [Welskopp: Erklären] Welskopp, Thomas: Identität ex negativo. Der „deutsche Sonderweg“ als Metaerzählung in der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft der siebziger und achtziger Jahre; in: Konrad H. Jarausch/Martin Sabrow (Hg.): Die historische Meistererzählung. Deutungslinien der deutschen Nationalgeschichte nach 1945, Göttingen 2002, S. 109 – 139 Werner, Karl Ferdinand: Die deutsche Historiographie unter Hitler; in: Bernd Faulenbach (Hg.): Geschichtswissenschaft in Deutschland. Traditionelle Positionen und gegenwärtige Aufgaben, München 1974, S. 86 – 96 Werner, Michael: Maßstab und Untersuchungsebene. Zu einem Grundproblem der vergleichenden Kulturtransfer-Forschung; in: Lothar Jordan/Bernd Kortländer (Hg.): Nationale Grenzen und internationaler Austausch. Studien zum Kultur- und Wissenschaftstransfer in Europa, Tübingen 1995, S. 20 – 33 [Werner: Maßstab und Untersuchungsebene] Werner, Norbert: Die Jahre 1946 bis 1957; in: 375 Jahre Universität Gießen. 1607 – 1982. Geschichte und Gegenwart. Ausstellung im Oberhessischen Museum und Gail’sche Sammlungen 11. Mai bis 25. Juli 1982, [Gießen] 1982, S. 214 – 217 Werner, Sylwia/Zittel, Claus: Einleitung: Denkstile und Tatsachen; in: Ludwik Fleck: Denkstile und Tatsachen. Gesammelte Schriften und Zeugnisse, hg. von Sylwia Werner und Claus Zittel, Berlin 2011, S. 9 – 38 [Werner/Zittel: Einleitung] Wesolowski, Tilmann: Verleger und Verlagspolitik. Der Wissenschaftsverlag R. Oldenbourg zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München 2010 [Wesolowski: Verleger und Verlagspolitik] Wesseling, Klaus-Gunther: Rosenstock-Huessy, Eugen; in: Friedrich Wilhelm Bautz/Traugott Bautz (Hg.): Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Band 8: Rembrandt bis Scharbel, Hamm 1994, Sp. 688 – 695 [Wesseling: Rosenstock-Huessy] Wiederhold, Steffen: Adolf Zycha. Als Rechtshistoriker standfest, als Rektor nicht von Bestand; in: Mathias Schmoeckel (Hg.): Die Juristen der Universität Bonn im „Dritten Reich“, Köln 2004, S. 603 – 640 [Wiederhold: Adolf Zycha] Wierling, Dorothee: Oral History; in: Michael Maurer (Hg.): Aufriß der Historischen Wissenschaften, Band 7: Neue Themen und Methoden der Geschichtswissenschaft, Stuttgart 2003, S. 81 – 151 [Wierling: Oral History] Wiggershaus-Müller, Ursula: Nationalsozialismus und Geschichtswissenschaft. Die Geschichte der Historischen Zeitschrift und des Historischen Jahrbuchs 1933 – 1945, Hamburg 1998 (zugleich Diss., Heidelberg 1989) [Wiggershaus-Müller: Nationalsozialismus und Geschichtswissenschaft] Wildt, Michael: „Volksgemeinschaft“. Eine Antwort auf Ian Kershaw; in: Zeithistorische Forschungen 8 (2011), S. 102 – 109 Winckelmann, Johannes: Zur Einführung; in: Max Weber: Methodologische Schriften. Studienausgabe, hg. von Johannes Winckelmann, Frankfurt am Main 1968, S. IX–XIX Winkler, Heinrich August: A Pioneer in the Historical Sciences: Hans Rosenberg, 1904 – 1988; in: Central European History 24 (1991), S. 1 – 23 [Winkler: A Pioneer] Winkler, Heinrich August: Der lange Weg nach Westen, Band 2: Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung, München 2000 Winkler, Heinrich August: Ein Erneuerer der Geschichtswissenschaft. Hans Rosenberg 1904 – 1988; in: HZ 248 (1989), S. 529 – 555 [Winkler: Nachruf Rosenberg]
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Wittmann, Reinhard: Wissen für die Zukunft. 150 Jahre Oldenbourg Verlag, München 2008 [Wittmann: Wissen für die Zukunft] Wittram, Reinhard: Das Interesse an der Geschichte, Göttingen 1958 Wolbold, Matthias: Reden über Deutschland. Die Rundfunkreden Thomas Manns, Paul Tillichs und Sir Robert Vansittarts aus dem Zweiten Weltkrieg, Münster 2005 (zugleich Diss., Frankfurt am Main 2004) Wolf, Heinz: Deutsch-jüdische Emigrationshistoriker in den USA und der Nationalsozialismus, Bern u. a. 1988 (zugleich Diss., Zürich 1987) [Wolf: Deutsch-jüdische Emigrationshistoriker] Wolf, Ursula: Litteris et patriae. Das Janusgesicht der Historie, Stuttgart 1996 [Wolf: Litteris et patriae] Wolf, Ursula: Rezensionen in der Historischen Zeitschrift, im Gnomon und in der American Historical Review von 1930 – 1943/44; in: Beat Näf (Hg.): Antike und Altertumswissenschaft in der Zeit von Faschismus und Nationalsozialismus. Kolloquium Universität Zürich 14.–17. Oktober 1998, Mandelbachtal 2001, S. 419 – 438 [Wolf: Rezensionen in HZ, Gnomon und AHR] Woods, Randall Bennett: Fulbright Internationalism; in: The Annals of the American Academy of Political and Social Science 491 (1987), S. 22 – 35 [Woods: Fulbright Internationalism] Yoder, Janice D.: Rethinking Tokenism. Looking Beyond Numbers; in: Gender & Society 5 (1991), Heft 2, S. 178 – 192 (DOI: 10.1177/089124391005002003) Zingerle, Arnold: Max Webers historische Soziologie. Aspekte und Materialien zur Wirkungsgeschichte, Darmstadt 1981 [Zingerle: Wirkungsgeschichte] Zoske, Horst: Groedel, Franz Maximilian; in: NDB 7, Berlin 1966, S. 109 f.
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10 Anhang
10.5 Abkürzungsverzeichnis AAC ADB
Academic Assistance Council (1933 – 1936, dann SPSL) Allgemeine Deutsche Biographie, auf Veranlassung und mit Unterstützung Seiner Majestät des Königs von Bayern Maximilian II. hg. durch die Historische Commission bei der Königl. Akademie der Wissenschaften, 56 Bände, Neudruck der 1. Auflage, Leipzig 1875 – 1912, Berlin 1967 – 1971 AfD Alternative für Deutschland AHA American Historical Association AHF Arbeitsgemeinschaft außeruniversitärer historischer Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland AHR The American Historical Review ASTP Army Specialized Training Program BGBl. Bundesgesetzblatt BRD Bundesrepublik Deutschland BWA Bayerisches Wirtschaftsarchiv, München CCC Civilian Conservation Corps CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands CIES Council for International Exchange of Scholars, zuvor Committee on International Exchange of Persons, US-Administration des Fulbright-Austauschs CUNY City University of New York DBE Deutsche Biographische Enzyklopädie, hg. von Walther Killy, 10 Bände, München 1995 – 1999 DDR Deutsche Demokratische Republik DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft DM Deutsche Mark Dr. iur. Doctor iuris; Doktor der Rechtswissenschaften (Dr. iur. utr. – Doctor iuris utriusque; Doktor des weltlichen und kirchlichen Rechts) Dr. phil. Doctor philosophiae; Doktor der Philosophie DVP Deutsche Volkspartei EC Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars FU Freie Universität Berlin GgA Göttingische Gelehrte Anzeigen GHI German Historical Institute GWU Geschichte in Wissenschaft und Unterricht HICOG High Commissioner for Germany HPM Historisch-Politische Mitteilungen. Archiv für christlich-demokratische Politik HStAM Hessisches Staatsarchiv Marburg HUC Hebrew Union College (1875 – 1950) HUC-JIR Hebrew Union College – Jewish Institute of Religion (ab 1950) HZ Historische Zeitschrift ICD Information Control Division IfS Institut für Sozialforschung, Frankfurt am Main (1923 – 1933, ab 1950), siehe ISR IfZ Institut für Zeitgeschichte, München ISR Institute for Social Research, New York (1934 – 1950), siehe IfS JIR Jewish Institute of Religion (1922 – 1950)
10.5 Abkürzungsverzeichnis
KAS LBI MGH MIÖG NDB
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Konrad-Adenauer-Stiftung Leo Baeck Institute Monumenta Germaniae Historica Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Neue Deutsche Biographie, hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, z. Zt. 27 Bände, Berlin 1953 – 2020 NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands NS Nationalsozialismus; auch: nationalsozialistisch NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei OMGUS Office of Military Government for Germany (United States) OSS Office of Strategic Services Ph. D. Philosophiae Doctor; amerikanischer Doktorgrad PTR Physikalisch-Technische Reichsanstalt PWJA P. Walter Jacob-Archiv, Hamburg RIAS Rundfunk im amerikanischen Sektor SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SPSL Society for the Protection of Science and Learning (1936 – 1997) SSRC Social Science Research Council UAL University of Arkansas Libraries, Fayetteville UBA Johann Wolfgang Goethe-Universität, Archivzentrum, Frankfurt am Main UCLA University of California, Los Angeles USA United States of America (Vereinigte Staaten von Amerika); auch: US VfZ Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte VHD Verband der Historiker Deutschlands; heute: Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands VSWG Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte ZHSF Zentrum für Historische Sozialforschung, Köln ZRG Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte
11
Register
11.1 Personenregister Für eine kollektivbiographische Untersuchung ist ein Personenregister naheliegend. Die Untersuchungsgruppe der 16 transatlantischen Gastprofessoren wird in manchen Abschnitten auf nahezu jeder Seite erwähnt. In anderen Abschnitten kommen einzelne oder alle Gastprofessoren aber nur spärlich vor. Ihre Einträge sind hier durch Angabe der Lebensdaten hervorgehoben. Zahlreiche andere Historikerinnen und Historiker, aber auch zunftfremde Personen, haben im untersuchten Geschehen quer durch das 19. und 20. Jahrhundert sowie in seiner Erforschung bis heute wichtige Rollen gespielt. Im Haupttext namentlich erwähnte Personen sind daher in diesem Register zu finden, während Erwähnungen in den Anmerkungen nur dann aufgenommen sind, wenn sie für das Geschehen oder seine Erforschung wichtig sind. Bloße Nennung in bibliographischen Angaben sind hingegen nicht verzeichnet. Für den Einfluss eines Historikers als Doktorvater vgl. im Sachregister jeweils den Eintrag unter Schülerschaft, akademische.
Abel, Wilhelm 306, 323 Adelung, Johann Christoph 180 Adorno, Theodor W. 6 f., 12 – 14, 16 f., 28, 47, 231, 241, 245, 272 Amerbach, Bonifacius 493 Andreas, Willy 378, 384 Angermann, Erich 238, 286 Ansprenger, Franz 338 f. Apsler, Alfred 21, 34 Aubin, Hermann 382, 548 Augustus (Gaius Octavius) 177 f. Bachelard, Gaston 526 Bader, Karl S. 419 Barkin, Kenneth D. 322, 331 Baron, Hans 102 Barzun, Jaques 107 Baum, Walter 487, 492 Baumgarten, Hermann 112 Beard, Charles A. 22, 65 Becker, Otto 383 Below, Georg von 111 Berding, Helmut 294 Berendsohn, Walter A. 181 f., 184 Bergstraesser, Arnold 47, 365 Berman Fischer, Gottfried 265 https://doi.org/10.1515/9783110731637-011
Bernhard, Stefan 408 f. Berve, Helmut 113 Beseler, Georg 114 Besson, Waldemar 247, 271, 289 Bethmann Hollweg, Theobald von 523 Bettmann, Siegfried 84 Beyerhaus, Gisbert 385 Bismarck, Otto von 100, 111, 269 f., 278, 337, 383 f., 511, 521 Blackbourn, David 529 Blaschke, Olaf 274, 285, 297, 405 Blasius, Dirk 294 Bleicken, Jochen 279 Blum, Léon 334 Boeckh, August 113 Böhme, Helmut 307, 320 Bolívar, Simón 143, 162, 206, 483, 486, 495 f., 500 Bonhoeffer, Dietrich 262 Borchardt, Knut 306 f., 323 Borst, Arno 279 Boshof, Egon 394 Bosl, Karl 372, 396 Bourdieu, Pierre 14 – 16, 48, 54, 274, 297, 374 – 376, 390 – 392, 405 – 409, 412 f., 440, 456, 470 f., 563
11.1 Personenregister
Bracher, Karl Dietrich 261, 263, 271, 306, 308, 339, 486, 489, 501 f., 505, 508 Brackmann, Albert 371, 394 Brandt, Willy 173, 291 Braudel, Fernand 285 Braun, Rudolf 304 Bresslau, Harry 359 Brocke, Bernhard vom 320 f. Broszat, Martin 173 Brunner, Otto 9, 276, 306 f., 319, 348 Buchdahl, Gerd 20, 25 Bullock, Alan 280 Burckhardt, Jacob 358, 381, 384 Büsch, Otto 318, 335, 337 – 339 Bußmann, Walter 104, 335 Caprivi, Leo von 278 Carsten, Francis L. 283, 364 Carstens, Karl 324 Cassirer, Ernst 526 Coleman, James S. 391 Conze, Werner 9, 118, 235 f., 270, 275 f., 282, 285, 301, 303 – 308, 311 – 314, 317, 324, 340, 342 f., 346, 348, 480, 484, 487 f., 492, 510, 515, 560 f., 564 Cornides, Karl von 372, 395 f., 402, 420, 427 – 432, 435 f., 445 f., 502 f. Cornides, Thomas 395 Cornides, Wilhelm von 395 Craig, Gordon A. 477, 497 Czempiel, Ernst-Otto 333 Dahms, Hellmuth Günther 423 – 426 Dahrendorf, Ralf 12, 247 Dehio, Georg 358, 378 Dehio, Ludwig 46, 57, 236, 290, 352 – 384, 386 f., 389, 393 – 395, 399, 411, 419, 421 – 423, 439, 452, 466, 479, 502, 504, 514 f., 521 Delbrück, Hans 104 Demuth, Fritz 202 f. Dirksen, Eduard 115 Doering-Manteuffel, Anselm 213 – 215, 525, 530 – 538, 540 – 547, 549 – 552 Dombrowski, Erich 207, 265 Drascher, Wahrhold 419, 495 f. Droysen, Gustav 111
Droysen, Johann Gustav 115, 385, 411, 541
631
16 f., 47, 110 – 113,
Eakin-Thimme, Gabriela Ann 11, 42, 145, 148 f., 272, 276 f., 301, 303, 305, 340, 561, 563 Earle, Edward Mead 269 Ebert, Friedrich 399 Einstein, Albert 286, 350 Eisenhower, Dwight D. 246 Elbau, Julius 120 Eley, Geoff 529 Emmerich, Wolfgang 187 Epstein, Alice 231 Epstein, Catherine 88, 168 Epstein, Fritz Theodor (1889 – 1979) 23, 25, 60, 76, 79, 83, 87, 97, 99, 104, 107, 112, 117, 125 – 127, 132, 136 – 138, 144, 149, 154 – 156, 196 – 201, 203, 205 f., 208, 226, 228 f., 231, 239 f., 254, 266, 295, 329, 477, 482, 501, 504, 565 Epstein, Herta 125, 196 Epstein, Klaus Werner (1927 – 1967) 25, 60, 76, 81, 83, 87, 101, 107, 145 f., 149, 154, 156 – 158, 161, 163, 196, 201, 203, 205 f., 208, 225 f., 228 f., 231, 240, 244, 248, 256 – 258, 295 – 297, 328, 331, 347, 460, 478, 483 f., 486, 489, 500 – 502, 504 f., 508, 513, 517, 522, 527, 565 Epstein, Paul 87, 231 Epstein, Rose 196 Epstein, Theobald 87, 231 Erdmann, Karl Dietrich 270, 524 Erdmannsdörffer, Bernhard 112 Ernst, Fritz 317 – 319 Erzberger, Matthias 101, 483, 486, 489, 501 f. Eschenburg, Theodor 270, 292, 439 Etzemüller, Thomas 116, 271, 285, 560 Evans, Richard J. 529 Fahrmeir, Andreas 362, 394 Fay, Sidney B. 269 Fehr, Hans 484, 495 Fehrenbach, Elisabeth 294 Feldman, Gerald D. 331 Fester, Richard 280
632
11 Register
Fischer, Fritz 55, 294, 310, 332, 348, 482, 521 – 524, 564 Fischer, Wolfram 300, 307, 524 Fleck, Ludwik 64, 115, 534 Flügel, Axel 10 Ford, Guy Stanton 366 Forsthoff, Ernst 292 Foucault, Michel 12, 17, 45, 192 Fraenkel, Ernst 10, 280, 288 f., 339, 518 Francis, Emerich K. 47 Frank, Walter 113, 369, 432 f., 454 Franz, Günther 433, 435 f. Freyer, Hans 292 Friedman, Milton 531 f. Friesecke, Margarete 104 Fuchs, Walther Peter 497 Galilei, Galileo 350 Gall, Lothar 275, 287, 294, 372 f., 377, 394, 396, 402, 404, 441, 445, 447, 460, 512 Ganshof, François Louis 369 Gattermann, Günter 398 – 400 Gatzke, Hans W. 236, 257 f., 290 Gay, Peter 25, 34, 150, 170, 500 Geiss, Imanuel 8, 178, 239, 275, 295 f., 522 Gerhard, Dietrich 23, 25, 79, 102, 104, 205, 246, 252 f., 267, 277, 286, 288, 291, 316, 369, 471, 480, 485, 501, 505 Gerschenkron, Alexander 306 Geyer, Dietrich 271 Geyer, Michael 59 Gicklhorn (Verlagsmitarbeiter/in) 397 f. Gierke, Otto von 106, 114 Giesebrecht, Wilhelm von 112 Gilbert, Felix (1905 – 1991) 25, 80, 83, 87, 98 f., 102, 104, 107 f., 117, 124, 129, 135 f., 144, 147, 149, 153, 155 f., 160, 163, 200, 208, 230, 232, 245, 248, 262 f., 266, 277, 283, 289 – 291, 477, 481, 497, 499, 565 Glueck, Nelson 144, 243 Goethe, Johann Wolfgang von 180, 384 Goetz, Walter 112, 433 f. Goldhagen, Daniel 542 Gollwitzer, Heinz 58 Grauert, Hermann von 112 Grebing, Helga 28, 278 f., 338, 341
Gregor VII. (Papst) 178 f. Greiling, Johann Christoph 470 Grenville, John A. S. 24 Groh, Dieter 305, 337, 339 Gurian, Waldemar 422, 448 Güterbock, Hans Gustav 20, 81 Gutschmid, Alfred von 113 Haacke, Wilmont 255 Habe, Hans 133 Haber, Fritz 82 Habermas, Jürgen 8, 235 Halecki, Oskar 428 Hallgarten, Charles Lazarus 87, 92, 129 Hallgarten, Constanze 84, 118, 130 f., 201 Hallgarten, George Wolfgang Felix (1901 – 1975) 22, 25, 42, 60, 80, 83 f., 87, 105, 112, 117, 119, 124, 126, 129 – 135, 144, 154 – 156, 163, 200, 205, 208, 217, 226, 230, 232, 234, 238, 243, 245, 266, 271, 290, 294, 299, 320, 329, 349, 477, 480, 484, 487 f., 491 – 493, 496, 501, 512, 515, 517, 566 Hallgarten, Julius 130 Hallgarten, Lazarus 129 Hallgarten, Robert 92 Hassinger, Erich 58 Haupt, Moriz 113 Häusser, Ludwig 112 Haussherr, Hans 384 Hayek, Friedrich August von 531 f., 536 Hayes, Carlton J. H. 107 Haym, Rudolf 119 Heiber, Helmut 432 f., 435 f. Heichelheim, Fritz Moritz (1901 – 1968) 19, 25, 80, 100, 106, 114 f., 119, 124, 126, 129, 142, 144 f., 154 – 156, 201, 204 – 206, 208, 224, 227, 229, 233, 328, 477, 566 Heimpel, Hermann 298 Heine, Heinrich 179 f. Hellmann, Manfred 428 Herde, Peter 347, 368 Hermann, Gottfried 110, 113 Herzfeld, Hans 251, 271, 275, 278 – 280, 282, 289, 335 f., 339, 398, 515 Heuß, Alfred 307, 383, 385 f.
11.1 Personenregister
Hildebrand, Klaus 309 Hiller von Gaertringen, Friedrich 271 Hindenburg, Paul von 399 Hintze, Hedwig 102, 379 Hintze, Otto 105, 282 f., 288, 303, 343, 379, 385 – 387 Hirsch, Felix (1902 – 1982) 25, 33, 80, 88, 105, 112, 119, 121, 125, 129, 138, 144, 152 f., 155 f., 160, 163, 200, 202, 204, 208, 226 f., 229, 234 – 236, 477, 566 Hitler, Adolf 21, 151, 166, 169, 175, 178, 181, 184, 255, 270, 492, 501, 542 Hoeres, Peter 540 – 550 Hohls, Rüdiger 273 Holborn, Annemarie 84 Holborn, Hajo (1902 – 1969) 25 f., 29, 80, 84, 100, 102, 107, 118, 125, 127, 136, 144, 147, 149, 151 f., 155, 160, 164, 201, 208, 219, 224, 227, 230, 248 – 250, 263, 266, 272, 277, 291, 295, 322, 328, 336, 362 f., 434, 477, 481, 483, 486, 497 – 499, 522, 566 Holborn, Helene 83 Holborn, Ludwig 91, 93 Holborn Gray, Hanna 26 f. Holbrooke, Richard 248 Holl, Karl 178 Holtzmann, Walther 453 Homeyer, Carl Gustav 114 Horkheimer, Max 13, 28, 47, 131, 217, 241, 243, 272 Huessy, Hans 240 Hugelmann, Karl Gottfried 450, 485, 494 f. Huizinga, Johan 384 f. Humboldt, Wilhelm von 227 Hutten, Ulrich von 118 Iggers, Georg G. 23 f., 30, 150, 269, 272, 283, 318, 336 f., 340, 342 – 344, 522, 527 Iggers, Wilma 29 Jahn, Otto 113 James, William 144, 148, 526 Jarausch, Konrad H. 273, 323, 343 Jonas, Manfred (1927 – 2013) 25, 81, 96, 98, 107, 145 – 147, 149, 154, 157, 161, 163,
633
203, 208, 226 f., 229 f., 248, 263 f., 477 f., 514, 566 Jordan, Karl 421 Kaehler, Siegfried A. 104, 269, 359, 382 Kant, Immanuel 17, 526, 541 Kantorowicz, Hermann 178 Kehr, Eckart 22, 60, 102, 119, 239, 272, 282 – 284, 287 f., 293 f., 299, 319, 343, 349, 529 Kehr, Paul 394 Kennedy, John F. 108, 144 Kessel, Eberhard 487 Keynes, John Maynard 525, 532, 534 Kienast, Walther 57 f., 354, 357, 363 f., 368 – 373, 393 – 403, 414, 419 f., 422 – 432, 445 – 454, 468, 494, 514 Kiesinger, Kurt 247 Kisch, Alexander 91 – 93 Kisch, Guido (1889 – 1985) 20, 23, 25, 60, 79, 96, 99 f., 106 f., 114, 119, 121 f., 124, 127, 132, 144, 151 f., 155, 159, 161, 163, 202, 204, 207, 224 – 226, 228 f., 241 – 245, 454, 477, 481, 484 f., 493 – 496, 500, 502, 504, 508, 517, 566 Klemperer, Elisabeth von 261 Klemperer, Klemens von (1916 – 2012) 25, 38, 81, 83, 87, 96, 98, 107, 145 – 147, 149, 154, 157, 160, 199, 204, 208, 226 f., 229, 231, 248, 259 – 265, 478, 566 Kliemann, Horst 395, 416, 418, 426 f., 440 Kluke, Paul 58, 271, 363 f., 481, 486, 497 f. Kocka, Jürgen 10, 263, 282 – 284, 304, 307, 332, 337 f., 522 Konetzke, Richard 364, 448 König, René 47, 284, 287 König, Thomas 218 – 224 Kopf, Hinrich Wilhelm 399 Koselleck, Reinhart 304 f., 337 Koser, Reinhold 111 Krausnick, Helmut 271, 439 Krauss, Marita 1, 71, 221 Krieger, Leonard 148 f., 472 Krohn, Claus-Dieter 100, 170 f., 187, 310 Kuczynski, Jürgen 23 Lamprecht, Karl
65, 411, 418, 482
634
11 Register
Landshut, Siegfried 47 Langer, William L. 96, 107, 131, 136 f., 149, 269 Laqueur, Richard Albrecht 106, 113 – 115, 269 Laski, Harold 526 Laue, Max von 22, 84, 204, 231, 246, 349 Laue, Theodore von (1916 – 2000) 22, 25, 81, 84, 88, 96, 145 – 147, 149, 154, 157, 160, 163 f., 204, 208, 217, 225, 227, 229 – 231, 245 f., 477, 483 f., 486 f., 497, 499, 501, 552, 566 Lazarsfeld, Paul F. 2 Leendertz, Ariane 541, 545, 547 Leers, Johann von 385 Lehmann, Hartmut 8, 271, 290 f. Lehmann, Max 111 Lenz, Max 112 Leschnitzer, Adolf 21, 79 Levison, Wilhelm 394 Liebeschütz, Hans 21, 25, 79 Liermann, Hans 493 Lin, Nan 391 Loewenberg, Peter 24 f., 34, 75, 229 Lorenzer, Alfred 53, 475 Löwenthal, Richard 10, 288 Löwith, Karl 292 Ludendorff, Erich 286 Ludwig XIV. (Frankreich) 384 Lutz, Gerhard 427 Machiavelli, Niccolò 496 Maier, Charles S. 340, 342 Mann, Golo 23, 76, 287 Mann, Heinrich 180 Mann, Thomas 25, 129, 131, 184, 186 Mannheim, Karl 76 f., 534 Marcks, Erich 105, 111 f., 115, 130, 385, 387, 394 Marcuse, Herbert 28, 149 Markert, Werner 271 Marx, Karl 282 – 284, 288, 308, 344, 390 Maschke, Erich 305 Masur, Gerhard (1901 – 1975) 25, 57 f., 80, 87 f., 102 – 105, 118 – 120, 124, 126 f., 142 – 144, 152 f., 155, 158, 162 f., 190 f., 202 f., 205 – 208, 216 f., 224, 226 f., 229,
248, 250 – 256, 315 – 317, 329, 370, 471 f., 483 f., 486, 495 f., 500, 504 – 510, 517 f., 567 Masur, Helen 253 – 255 Matthias, Erich 271 Mayer, Gustav 102, 272, 434 Meinecke, Antonie 226 Meinecke, Friedrich 5, 29, 42, 100 – 106, 109 – 115, 118 f., 127, 165, 190, 226, 231, 246, 249 f., 259, 280 f., 285, 288, 294, 303, 354 f., 357 – 359, 366, 369, 373, 376 – 382, 384 – 387, 414, 417 f., 432 – 434, 437, 453, 509 f. Meinschien, Birte 560 Mendelssohn Bartholdy, Felix 82, 107 Merton, Robert K. 2, 470 Middell, Matthias 418, 460 Milatz, Alfred 481, 483, 487, 498 f. Milch, Werner 365 Mills, Charles Wright 501 Misch, Carl (1896 – 1965) 25, 79, 88, 105, 111, 119 – 121, 125 f., 129, 132, 138, 144, 153, 155 f., 200 f., 206 f., 227, 230, 248, 264 f., 328, 483, 489, 504 f., 507, 567 Mohr, Walter 23 Möller, Horst 169 f. Molnar, Christopher A. 462 Mommsen, Hans 263, 271, 289 – 291, 307, 522 f. Mommsen, Theodor 111, 159, 385 Mommsen, Wilhelm 370, 487 f. Mommsen, Wolfgang J. 263, 271, 273, 275, 287, 294, 307, 522 Mosse, George L. 121, 150 Mosse, Rudolf 121 Müller, Jürgen 394 Müller, Karl Alexander von 105, 112, 130, 285, 354 f., 369 f., 373, 377, 394, 433, 436, 446 Namier, Lewis 65 Naumann, Friedrich 112 Neumann, Franz L. 40, 149, 227, 246, 266 f., 270 Neumann, Karl Johannes 114 Nipperdey, Thomas 263, 307, 311, 529
11.1 Personenregister
Oberkrome, Willi 10 Obermann, Karl 23 Oestreich, Gerhard 307, 321 f. Oexle, Otto Gerhard 548 Olden, Peter H. 133 Oldenbourg, Rudolf Carl 354, 395 Oldenbourg, Wilhelm 353 – 356, 358, 360, 363, 370, 372, 378, 382, 394 – 399, 414 f., 417 f., 422 – 425, 433, 439 Oncken, Hermann 105, 112 f., 115, 280, 385 – 387, 394, 433 f. Ovid (Publius Ovidius Naso) 177 – 179, 185 Owen, David Edward 107 Parsons, Talcott 283 f. Paulmann, Johannes 388 Plessner, Helmuth 47 Pollard, Sidney 25, 300 Popper, Karl R. 12, 14, 16, 526 Posner, Ernst 206 Preradovich, Nikolaus von 431 Prinz, Friedrich 372, 396 Puhle, Hans-Jürgen 330, 332, 337 f. Putnam, Robert 391 Quidde, Ludwig
178, 482
Radbruch, Gustav 178 Radkau, Joachim 154, 173, 239 Ranke, Leopold von 17, 46, 102, 111, 113, 115, 149, 246, 358, 360, 380, 385, 411, 436, 483 f. Raphael, Lutz 274, 285, 297 Reagan, Ronald 544 Redlich, Fritz 425, 471 – 473, 503 Redlich, Josef 191 Redlich, Oswald 425 Reinold, Anne-Marie 398 Reissner, Hanns Günther 102 Ribbeck, Otto 113 Rickert, Heinrich 526 Riezler, Sigmund von 112 Ringer, Fritz K. 150 Ritschl, Friedrich Wilhelm 113 Ritter, Gerhard 51, 236, 270, 280, 293, 296, 310, 319, 342, 356, 359, 365, 377 f., 382, 384, 429 f., 436, 521 – 524
635
Ritter, Gerhard A. 11, 42, 254, 275 f., 279 – 282, 284, 289, 303, 311, 330, 332, 335 – 339, 387, 522 Ritthaler, Anton 370, 372 Robinson, James Harvey 107 Roos, Hans 271 Roosevelt, Franklin D. 144, 215 f., 532 Rosenberg, Arthur 272, 290, 343 Rosenberg, Hans (1904 – 1988) 10 f., 20, 23, 25, 31, 42, 80, 88, 102, 118 f., 128, 132, 141 f., 144, 153, 155 f., 160, 190, 201, 205, 208, 226 f., 229, 234, 236, 238 f., 266, 272, 275 – 290, 293 – 295, 300 – 341, 343 – 347, 349, 387, 434, 474, 484, 490, 499, 510 – 512, 519, 522, 527 f., 561, 567 Rosenberg, Helene 237, 323 Rosenstock-Huessy, Eugen (1888 – 1973) 25, 79, 88, 96, 99 f., 106, 114, 118 – 123, 125, 127, 132, 144, 151 f., 155, 159, 161, 163, 201, 204, 208, 216, 227, 229, 240 – 242, 264, 266, 291 f., 329, 481, 485, 501, 505 – 508, 567 Rößler, Hellmuth 454 Rothfels, Hans 23, 25, 41, 51, 59, 79, 102, 202 f., 239, 250, 254, 258, 268 – 271, 277, 284 f., 287 – 289, 291 – 294, 299, 303, 320, 324, 342, 346, 362, 365, 394, 435 f., 493, 500, 518, 564 Rowohlt, Ernst 416 Rürup, Reinhard 282 Rust, Bernhard 434 Sabrow, Martin 55 Sachsen-Weimar-Eisenach, Karl August von 384 Saldern, Adelheid von 28, 275 Salomon, Richard 196, 203 Sanio, Friedrich Daniel 114 Sauer, Thomas 554 Sauer, Wolfgang 307 – 309, 331, 338 f. Savigny, Friedrich Carl von 115 Schärtl, Georg 427 Schieche, Emil 365 Schieder, Theodor 9, 59 f., 270, 276, 284 – 287, 294, 303, 306 f., 313, 320, 324, 340, 342 f., 348, 358, 366, 368, 372 f.,
636
11 Register
379 – 381, 393 – 396, 402 f., 417, 421, 429, 432, 435 f., 509 – 511, 515, 564 Schieder, Wolfgang 276, 285, 289 Schieffer, Theodor 394 – 396, 420, 446 f. Schild, Axel 526, 528 Schiller, Friedrich 360 f. Schlesinger, Arthur M. 108 Schlosser, Friedrich Christoph 111 Schlüter, Leonhard 399 Schmitt, Carl 294, 526 Schnabel, Franz 382 Schneider, Robert A. 463 Schneider, Sigrid 120, 153 Schoeps, Hans-Joachim 23, 41 Schottenloher, Otto 481 Schraepler, Ernst 484, 487 f., 493 Schreiber, Georg 453 Schremmer, Eckart 305 f., 323 Schröder, Richard 106, 114 Schröter, Manfred 354 – 357, 379, 395 Schulz, Gerhard 314, 335, 338 f. Schulze, Winfried 9, 30, 168, 275, 339 – 342, 366 Schütz, Alfred 283 Schwabe, Klaus 257 f., 347 Seipel, Ignaz 260 Shirer, William L. 257 f. Sichardus, Johannes 242 Siegel, Heinrich 114 Skrzypczak, Henryk 318 f. Srbik, Heinrich von 17, 364, 448, 455, 483 f., 487, 501 Stadelmann, Rudolf 280 Stahl, Friedrich Julius 87, 103, 118 Stählin, Karl 104, 112, 115 Stelzel, Philipp 59 f., 311, 338 Stern, Fritz (1926 – 2016) 25, 55, 81, 83, 96, 98, 107 f., 137 f., 145 – 147, 149, 154, 157, 161, 163, 179, 203 f., 208, 225 – 227, 229, 246 – 248, 263 f., 266 f., 295, 522 – 524, 563, 567 Stern, Leo 23 Stern, Rudolf 91 f. Stern, Selma 26, 52 Strassmann, Antonie 205 Stresemann, Gustav 236, 366, 488 Stürmer, Michael 309, 337, 339
Sybel, Heinrich von 111 f., 359, 373 f., 376, 382, 418 Syme, Ronald 65, 69, 364 Terveen, Fritz 484, 486 f., 490, 499 Thieme, Hans 241 Thimme, Annelise 235 f., 366 Tolan, John H. 132 Treichel, Eckhardt 394, 457 Treitschke, Heinrich von 382, 528 Troeltsch, Ernst 509 Tuchman, Barbara 428, 503 Tucholsky, Kurt 416 Turba, Gustav 455 Unfug, Douglas A.
322
Vagts, Alfred 22, 117, 119, 129, 133, 249, 294, 299 Valentin, Veit 143, 206, 272 Van Horn Melton, James 342 Varrentrapp, Conrad 111 Veblen, Thorstein 541 f. Vierhaus, Rudolf 275, 307 f. Vogt, Joseph 356 Volkov, Shulamit 324 Vossler, Otto 58 Wach, Adolf 106 f., 114, 121, 151 Wagner, Richard 131, 232 Waitz, Georg 111 f. Warmbrunn, Werner 25 Weber, Max 13 f., 16, 37, 282 – 284, 288, 294, 343, 511 f., 534, 541, 547, 553 f. Weber, Wolfgang E. J. 2, 32 f., 35, 66, 74, 90 – 95, 97 – 99, 108 f., 115, 150, 156 – 159, 163, 277, 385, 404, 455, 556 – 560 Wehler, Hans-Ulrich 8, 10, 59 f., 263, 276, 282, 284 – 287, 292, 294, 303 – 305, 308, 311, 314, 320, 337 f., 346, 510, 522, 528, 556 Wehler, Renate 287, 321 Weinberg, Gerhard L. 24, 483 Welter, Erich 120 Werner, Karl Ferdinand 169 f. Werveke, Hans Van 364, 448 Whitehead, Alfred North 163
11.2 Sachregister
Wiegand, Wilhelm 112 Wieruszowski, Helene 26, 102, 233 Winkler, Heinrich August 288, 291 f., 311 f., 337, 339, 523 Wittram, Reinhard 271 Wolfskehl, Karl 178 Würtenberger, Thomas 493 Yakobson, Sergius
637
Zechlin, Walter 399 f. Ziebura, Gilbert 333 – 335, 338 f. Ziekursch, Johannes 236 Zorn, Wolfgang 306, 323 Zunkel, Friedrich 337 – 339 Zycha, Adolf 96, 106, 114
206
11.2 Sachregister Für das Sachregister habe ich eine Liste von freien Schlagwörtern erstellt. Sie sollen die wichtigsten Konzepte des Textes so erschließen, dass Unverständliches oder Missverständliches mit Hilfe von im Sachregister auffindbaren Textstellen aufgeklärt werden kann. Das Sachregister ist daher nicht dazu geeignet, das Vorkommen von vermuteten Themen oder Wörtern im Text zu überprüfen. Es soll die vertiefende Auseinandersetzung mit komplexen Konzepten erleichtern, die an verschiedenen Stellen dieser Untersuchung vorkommen. Als „(Definition)“ habe ich einige Einträge hervorgehoben, deren Bedeutung für die Grenzen dieser Kollektivbiographie grundlegend ist. Die Zusammenstellung der Schlagwörter entspringt notwendig meiner subjektiven Perspektive als Autor auf den Text. Dagegen ist zum Auffinden aller möglichen Zeichenketten eine Volltextsuche in der E-Book-Ausgabe dieser Untersuchung die zu bevorzugende Methode.
Akkulturation 22, 45, 123, 172, 174, 182, 189, 191, 245 American Historical Association (AHA) 103, 137, 216, 249, 463, 465, 483 American Historical Review (AHR) 28, 50, 131, 420, 442, 462 – 465 Antikommunismus 163, 214, 216, 295, 345, 348, 434, 511, 519, 524, 531, 539, 542 Antisemitismus 52, 105 – 107, 156, 164, 200, 261 f., 286, 349, 385, 434, 494 f., 530, 539, 541 f. Army Specialized Training Program (ASTP) 133, 136, 138 – 141, 153 Assimilation 37, 86, 88, 123, 191, 244, 255 Camp William James 144, 151, 216 Central European History (CEH) 322, 331 Culturomics 192 f., 214 De Gruyter
117, 311, 317, 320, 337
Delegitimation 8, 10, 59, 319, 334, 353, 444 Demokratisierung 43 f., 233, 246, 250, 267, 272, 298, 326, 344, 347, 349, 384 – 388, 525 f., 529, 534 Denkkollektiv 47, 64, 67, 115 f. Denkstil 47, 115 f., 165, 534 Dialektik 6, 11 f., 14, 16 Diskriminierung 9, 27, 37 f., 164, 204, 315 f. Einbürgerung 22, 38, 132 f., 135 f., 146, 165, 190, 207 f., 219 Emigrant (Definition) 21 Emigrationsforschung 30, 37 – 39, 45, 67, 82, 150, 166 f., 171 – 175, 182, 189, 193, 467, 560 Empirische Sozialforschung 48, 52, 68 Entnazifizierung 30, 57, 62, 243, 287, 360, 363, 370 f., 382, 393, 435 Ethnologie 15
638
11 Register
Exilforschung 30, 38 f., 72, 171 – 175, 179, 181, 185, 187 – 189, 193, 287 f. Feld, soziales 3, 23, 48 – 54, 274, 276, 279, 297 f., 351, 375 f., 391 f., 404 – 413, 432, 440 f., 443 f., 449 f., 461, 470, 515, 558 Fischer-Kontroverse 55, 62, 165, 179, 247, 295, 307, 310, 344, 350, 428, 444, 473, 482, 501, 517, 521 – 524 Fulbright-Programm 26, 100, 141, 217 – 224, 227 – 230, 237 – 242, 249, 256, 260 f., 264, 298, 435 G. I. Bill 143, 146, 165 Gastprofessor, transatlantischer 1 – 3, 11, 18 f., 23, 25, 28, 31, 33, 37 – 44, 51 f., 57 – 63, 93, 116, 149 f., 164, 168, 212 f., 217, 219 – 223, 228 f., 232, 245, 248, 252, 271, 275, 279, 283, 301 f., 310, 315 f., 328 f., 334, 337, 341, 347 f., 350, 366, 388, 460, 478, 520, 527, 530, 552, 556, 561 – 564 Gastprofessor (Definition) 24 Gender 29, 315, 549 Generation 3 f., 57, 75 – 81, 86 f., 95, 97 – 99, 117, 124, 145 – 149, 155, 174, 229, 231, 241, 257, 273, 289 f., 303, 321, 341, 410, 533 – Generationswechsel 2, 62, 272, 307, 328 – nach 1945 studierend 2 f., 41 f., 55, 58 f., 213, 247, 252, 262 f., 273, 287 – 290, 292, 301 f., 325, 333 f., 336 – 343, 346, 348, 350, 444, 556, 564 – NS-verstrickte 9, 289, 291, 340, 342, 434 Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (GWU) 320, 365, 524 Geschichte und Gesellschaft (GG) 309, 461, 528 Globalisierung 531, 539, 544, 552 f. Historiker (Definition) 19 Historikerstreit 8, 275, 538, 540, 543, 547 Historikertag – Berlin 1964 55, 523 f., 563 – Braunschweig 1974 310 – 322, 507 – Frankfurt 1998 9, 41, 58, 273 – 275, 301, 342
– Freiburg 1967 307 – 309 – München 1949 269, 365, 381 – Ulm 1956 292 Historische Sozialforschung 64, 69, 344, 528 Historische Sozialwissenschaft 9 – 11, 42 f., 65, 148, 239, 276, 282, 284, 293, 298, 302, 311, 340, 343 – 346, 528, 537, 556 Historische Zeitschrift (HZ) 2 f., 18, 20, 25, 28 f., 45 – 59, 61, 103, 105, 111 – 113, 118 f., 165, 231, 244, 285, 313, 352 – 479, 484, 490, 492 – 494, 500 – 518, 558 Hitlerflüchtlinge 39, 171 f., 178, 181 – 189 Holocaust 171, 530, 540, 542, 547 Homophilie 2, 410 Idealismus 14, 260 f., 334 Idealtypus 13, 37, 39, 44, 48, 167, 221, 284, 329, 491, 553 f., 563 Ideengeschichte 44, 46, 100 f., 110, 138, 281, 288, 510, 512, 532 f., 545, 552, 557 Identität 260, 409 – kollektive 36, 186, 409 – nationale 119, 171, 182, 187, 244, 259, 299, 396, 540 – transnationale 88, 166, 222, 244, 259, 261, 299, 347 – transreligiöse 88 illusio 53 f., 406 f., 413, 438 Individualismus 312, 316, 529, 560 Integration 44, 122, 165, 174, 191, 206 f., 240 Internationalisierung 44, 221 f., 299 f., 340, 342, 348 – 351, 361 f., 388 – 390, 449, 515, 529 Intersubjektivität 6, 12, 16 Kapitalismus 13 f., 344, 375, 412, 536, 541 Karriere 2, 26, 29, 32 f., 39, 42, 44, 63, 66, 94 – 96, 99 f., 106, 116 f., 122, 132, 134, 137, 145, 147, 150 – 165, 196, 198 f., 207, 212, 234, 248 f., 264, 295, 333, 379, 463, 494, 558, 560 Kiepenheuer & Witsch 419 Kohlhammer Verlag 317 – 320 Kollektivbiographie 32, 36, 55, 63 f. – Daten 33 – 36, 63, 66 – 69, 74
11.2 Sachregister
– Methode 32, 36, 63 – 65, 67 – 70, 556 f. – Quellen 68 – 74 – Vorteile 557 – 560 – Zusammenfassung 164 f. Konsenskapitalismus 43, 215 f., 235, 525 Kontinuität 47, 62, 258, 282, 288, 290, 320, 353, 359, 368, 372 – 374, 376, 380, 386, 388, 391, 410, 438, 458, 534 Krieg 132, 383 – Bombenkrieg 184, 370, 451 f., 539 – Bürgerkrieg 48, 119, 312 – Erster Weltkrieg 78 f., 81, 97, 99, 106, 117, 119, 122, 247, 299, 350, 521, 541 – 543 – Kalter Krieg 214, 217, 246, 320, 345, 510, 519, 521, 530, 538, 541 – Kriegsanstrengungen 38, 123 f., 132 – 146, 207, 345, 479 – Kriegseintritt 132, 134, 137, 144, 168 – Kriegsende 46, 57, 132 – 136, 186, 232, 236, 239, 241, 269, 358, 361, 368 f., 466 – Kriegsfolgen 57, 167, 184, 252, 265, 279 – Kriegsschuldfrage 55, 295, 299, 350, 383, 523 – Kriegsteilnehmer 38, 78 f., 81, 97, 106, 117, 122, 124, 134, 143, 146, 265, 287 – Kriegsverbrechen 134, 452, 540 – Nachkriegsboom 38, 124, 132, 142 – 146, 165, 535 – psychologische Kriegsführung 133, 138, 257, 452, 542 f. – Zweiter Weltkrieg 38, 44, 47, 58, 61, 81, 98 f., 107, 124, 132, 134, 138 – 143, 163, 167, 186, 208, 214 – 216, 232, 234, 251, 349, 356, 360 f., 386 f., 428, 451 f., 491, 546, 549 Kritik 5, 8, 11, 14, 17, 50, 52, 68, 166, 173, 470 – 473, 536 Kritische Theorie 12 – 14, 28, 54, 130, 217, 241, 266, 272, 277, 283, 346, 543 Kritischer Rationalismus 12 f. Kulturdiplomatie 45 f., 100, 144, 215, 217 f., 258, 531 Lamprechtstreit 307 f., 411 Legitimation 3 f., 9, 47, 58 f., 171, 187, 273 f., 276, 279, 287, 290, 298, 301, 311, 347, 352, 357 – 360, 367 f., 372 – 376, 378,
639
380, 383, 387, 405 – 407, 412, 415, 444, 495, 533, 547, 561 Lehrstil 43, 221, 252, 278 f. Leibniz-Verlag 354, 356, 376 Liberalismus 2, 43, 148, 215, 266, 276, 324, 326, 328, 386, 518, 524 – 526, 529, 531 – 534, 538, 540, 542 f., 546 f., 550, 552 linguistic turn 38, 535 Mentoratsbrief 310, 329 – 335 Methodologie 12, 16 f., 56, 68, 306, 450, 511, 521, 535 f., 552 – 554 Migrationsforschung 39, 45, 166, 171 – 174, 192 f. Migrationsmatrix 167, 194 f., 197, 208 f. Modernisierungstheorie 42 f., 148, 276, 343 f., 348, 534, 548 Nationalcharakter 187, 315 f., 507, 542 Neoliberalismus 56, 530 – 545, 550 Neorankeanismus 112, 548 f. Netzwerktheorie 48 f., 109 f., 228, 391 f., 403 – 411 – Briefnetzwerk 390, 392 – Gephi 109 – Migrationsnetzwerk 206, 231 – Zeitschriftentausch 446 – 449 Neue Rechte 56, 538 – 541, 547, 549 New Deal 144, 215 f., 235, 532 Objektivität 16, 49, 104, 344, 360, 366, 388 f., 432, 443, 452 f., 456, 470, 485, 524, 529, 547 – 549 Office of Strategic Services (OSS) 96, 107 f., 132 – 139, 147 – 150, 199, 215 f., 232, 248, 266, 482 Orthodoxie 56, 279, 293, 297, 310, 348, 410, 524, 527 f. Perspektivenwechsel 14 f., 17, 30, 39 f., 53, 59, 61 f., 166, 171, 176, 191, 213, 250, 258, 273, 344, 362, 407, 412, 428, 436, 463, 485, 522, 527, 549, 563 Pluralismus 44, 55 f., 62, 165, 266, 310, 325, 511, 521, 524 – 528, 532 f., 536, 540 f., 548, 554 – 556, 564
640
11 Register
Positivismus 14 Praxis 5, 7, 15, 44, 47 f., 52, 56, 68, 76, 147, 167, 277, 292, 301 f., 305, 334, 344, 367, 390, 394, 412, 424, 437, 457, 466, 470 f., 491, 524 Professor (Definition) 20 Rationalismus 454, 543 re-education 141, 237, 246, 443 f. Remigrant (Definition) 22 Remigration auf Zeit 19, 23, 26, 31, 37, 41, 44, 63, 66, 71, 130, 135, 164, 210, 213, 218, 222, 225, 237, 239, 241, 245 f., 266, 346, 352, 367, 518, 520 Remigrationsforschung 31, 174, 467 Remigrationswunsch 22, 41, 44, 60, 177, 218, 234, 237, 239, 245, 251, 254, 256, 263, 265 – 271, 323, 328, 518 Rezensionswesen 12, 49 f., 403, 440 f., 445, 455, 457, 462, 464, 467, 470 – 473, 503, 519 Rezeption transatlantischer Gastprofessoren 18, 29, 31, 58, 61, 105, 115, 171, 222, 277, 323 f., 327, 337, 351, 361, 390, 422, 466, 468, 513, 520 Rothfels-Gruppe 116, 269 f., 285, 560 Schule, wissenschaftliche 2 – 5, 15, 33, 47, 66, 95, 108, 110, 115, 151, 165, 231, 245, 277, 280 f., 302 f., 309, 339 f., 352, 385, 390 – 393, 410 f., 464, 518, 541, 560 – Adoptivschüler 3, 109, 112, 280, 359, 379 – Annales 285 – Berliner Schule 104 f., 110, 112, 115, 281, 304, 311, 357 – 360, 379, 385, 387, 394, 411, 509 – Bielefelder Schule 60, 116, 275, 284, 304, 341 f., 348, 527 – 530 – Historische Schule der Nationalökonomie 385 Schüler-Meister-Beziehung 5, 108, 115, 277, 280, 286 – 288, 294, 303, 334 – 336, 340, 379, 385, 410, 541 Schülerschaft, akademische 4 f., 114, 273 – zu Adolf Wach 107, 114 f., 121, 151 – zu Friedrich Meinecke 5, 26, 35 f., 42, 100 – 105, 110, 112, 115, 149, 228, 231,
233, 245 f., 268, 278, 280 f., 284 – 288, 293, 302 – 304, 316, 346, 362, 366, 386 f., 393, 434, 495 f., 500, 507 – 512, 518 – zu Fritz Fischer 60, 239, 294, 310, 320, 332, 339, 348 – zu Georg Waitz 111 f. – zu Gerhard A. Ritter 282, 305, 307, 330, 332, 338 – zu Hans Herzfeld 278 f., 335 – zu Hans Rosenberg 11, 275 f., 319, 329 – 345, 512 – zu Hans Rothfels 271, 285, 288 f., 304, 339, 393 f., 510 – zu Heinrich von Sybel 111 – zu Karl Alexander von Müller 105, 112 f., 130, 394, 436 – zu Leopold von Ranke 111, 374 – zu Theodor Mommsen 113 – zu Theodor Schieder 278, 284, 286 f., 294, 305, 320, 394, 402 f., 510 – zu Werner Conze 276, 285, 305, 339 scientific community 2, 50, 54, 56, 61, 63, 170, 351, 364, 405, 449, 462, 502, 516, 550 Selbstreflexion 6 f., 11, 14 f., 408, 533, 554 Sonderwegstheorie 43 f., 344 f., 384, 389, 449, 529 f., 541 f. Sozialpsychologie 15, 315 Soziologie 15, 47 f., 79, 122, 283, 292, 294, 336, 470, 488, 492, 511, 534 Strukturgeschichte 282, 308, 341 – 343 Suhrkamp Verlag 310, 317 Tiefenhermeneutische Kulturanalyse 53 f., 466, 475 f., 480, 491, 499, 519 Totalitarismustheorie 258, 321, 526, 532, 548 Traditionslinie 3 – 6, 8 – 10, 41, 60 f., 108, 110 f., 179, 273, 275, 280, 283 f., 293, 304, 340 f., 352, 380, 418, 484 Transatlantischer Austausch 31, 40 f., 45, 56, 59 – 61, 145, 165, 171, 214 f., 220 – 223, 229 – 231, 245, 258 f., 272, 283, 295, 328, 345, 348, 353, 367, 389, 469, 509, 519, 532, 551, 562, 564
11.2 Sachregister
Transnationalität 18, 39, 45, 88, 166, 221, 258, 290, 388, 518, 531, 545 Triangulation 15 f., 42, 62, 68, 301, 345 Untersuchungsgruppe (Definition)
19
Vandenhoeck & Ruprecht 297 f., 311, 317, 430 Vansittartismus 267, 499 Verfolgung 22, 38, 58, 66, 74, 82 – 85, 123, 164, 167, 172, 174 – 176, 180, 200, 211, 229, 231, 380 Verlag C. H. Beck 238 Verlag R. Oldenbourg 29, 46, 165, 353 – 356, 359 f., 364 f., 367 – 370, 376 – 379, 381, 386, 390 – 400, 409, 414, 416 – 440, 450 Verlagsakten 48 f., 353, 376, 390 – 399, 404, 432, 450 Verlagsleitung 359, 394 – 398, 402, 414 Verlagsmitarbeiter 369, 393, 397 Verlagsspesen 414 – 418 Versailler Vertrag 299, 489, 546 Verstehen 16, 68, 474 – 476, 511, 519, 528 Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (VSWG) 308, 322 Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VfZ) 258, 308, 439, 483, 540 f., 549 Volksgemeinschaft 9, 185 – 187, 342, 479, 525 Volksgeschichte 9 f., 31, 42, 276 f., 281, 285 f., 291, 299, 302, 340 f., 344
641
Wahrheit 5, 8, 16, 349 f., 407, 470, 549 War Documentation Project 136, 199, 483 Weltwirtschaftskrise 165, 215, 437 Wertorientierung 2, 13, 43, 148 f., 215, 223, 302, 308, 325 f., 473, 479, 483, 485, 501, 515, 525, 528 f., 532, 535 – 538, 550 – 555, 563 f. Werturteil 13, 178, 180 f., 184, 191, 211, 324, 349, 401, 426, 443, 451, 456, 468, 471, 473, 481, 485, 489, 492 f., 497, 503, 511, 522, 532, 546 – 548, 550 – 554 Westernisierung 1 f., 18, 40 – 44, 46, 56, 61 – 63, 145, 166 f., 179, 213 – 217, 326, 328, 348, 351, 366, 411, 519, 521, 525, 527 – 534, 537 – 541, 543, 545 f., 549 – 555, 559, 564 Westernisierungs-Programm 41, 213 – 217 Westernisierungsforschung 44, 56, 213, 215, 521, 525, 530 – 532, 537, 540, 545, 549, 552, 554 Widerstand gegen den Nationalsozialismus 119, 262, 270, 433, 436 Wiederaufbau 84, 135, 142, 250, 262, 532 Wiedergutmachung 98, 152, 158, 175, 251, 254, 324, 328 Wissenschaftstheorie 12, 20, 350, 407, 470 f., 525 – 527, 534, 536, 560 Wissenssoziologie 4, 7 f., 53, 115, 407 f., 412, 456, 470, 558 – 560 Wissenstransfer 45, 53, 221, 302