Was Führung heute wirklich braucht: Leadership in Zeiten von Transformation und Change 3648168371, 9783648168370, 9783648168387, 9783648168394

In Zeiten stetigen und schnellen Wandels verändert sich auch Führung permanent und der Druck auf Führungskräfte nimmt zu

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German Pages 286 Year 2023

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Table of contents :
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Hinweis zum Urheberrecht
Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Intro
1 Verbindende Führung – Authentische Führung durch Selbst-Erkennen
1.1 Einleitung
1.2 Wirksame Selbst-Verbindung
1.2.1 Selbst-Verbindung braucht Raum und Zeit
1.2.2 Individualität, Bedürfnisse, Potenzial und Selbstfürsorge
1.2.3 Selbst-Verbindung durch Intuition
1.3 Emphatische verbindende Führung braucht Selbst-Erkennen
1.4 Praxistipps
1.5 Ausblick
Literatur
Über Ruth Maria Mattes
2 Systemisches Denken und Handeln –Kompetenzen stärken durch Beobachtung der Beobachtung
2.1 Wofür ist systemisches Wissen wichtig?
2.1.1 Was sind Systeme?
2.1.2 Relevante Systeme für Führung
2.1.3 Autopoiese: Ein Arbeitsklima für Potenzialentfaltung schaffen
2.2 Das Systemische Führungsmodell
2.2.1 Vertrauen
2.2.2 Transparenz
2.2.3 Demut
2.2.4 Mehrparteilichkeit
2.2.5 Grenzsetzung
2.2.6 Nicht-Wissen
2.3 Kybernetik 2. Ordnung
2.4 Ausblick
Über Marcel Hübenthal
3 Führen mit Demut – Warum eine alte Tugend für nachhaltiges und modernes Führen unerlässlich ist
3.1 Einleitung
3.2 Was ist demutsvolle Führung?
3.3 Wo stehen Sie auf der Demutskala?
3.4 Die positiven Effekte von Demut
3.5 Was bedeutet Demut im Detail?
3.5.1 Die eigenen Schwächen und Stärken sehen und zeigen
3.5.2 Andere anerkennen
3.5.3 Immer lernbereit und offen sein
3.5.4 Das größere Ganze sehen
3.6 Die Stolpersteine auf dem Weg zur Demut
3.7 Ausblick
Literatur
Über Franziska Frank
4 Bewusste Führung – Denkfehler erkennen, wirksamer führen
4.1 Wie unbewusste Denkstrukturen unser Handeln beeinflussen
4.1.1 Unsere Informationsaufnahme ist limitiert
4.1.2 Jeder entwickelt unterschiedlichste Verarbeitungsroutinen für Informationen
4.1.3 Menschen entwickeln unterschiedliche Bewertungen und Urteile
4.2 Von fragwürdigen Denkmustern
4.2.1 Bestätigungs-Bias
4.2.2 Lineares Denken
4.2.3 Fragwürdige Denkstrukturen bewusst machen
4.3 Was bewusste Führung ausmacht
4.3.1 Wissenschaftlich denken, mehr infrage stellen
4.3.2 Umlernen lernen
4.3.3 Fehler zugeben und das nächste Mal klüger handeln
4.3.4 Weisheit entwickeln, wissen, was man nicht weiß
4.3.5 Weniger urteilen, Komplexität begreifen und managen
4.3.6 Die innere Welt der Mitarbeitenden erkennen
4.4 Neues Denken, neue Möglichkeiten
Literatur
Über Markus Ramming
5 Selbstorganisation – Psychologische Sicherheit als Grundlage der neuen Arbeitswelt
5.1 Einleitung
5.2 Kulturelle Agilität mit psychologischer Sicherheit und Empowerment
5.2.1 Psychologisches Empowerment
5.2.2 Psychologische Sicherheit
5.3 Mindset – dein Rüstzeug als Führungskraft
Literatur
Über Dominique Stroh
6 Empathie im Topmanagement: kennen, können, müssen – Emotionale Intelligenz als Grundlage für den Unternehmenserfolg
6.1 Einleitung
6.2 Empathie bedeutet, Menschen und Situationen zu verstehen
6.2.1 Empathie – was ist das?
6.2.2 Empathie – warum sie wichtig ist
6.2.3 Empathie – warum sie immer wichtiger wird
6.3 Empathie in der Theorie
6.3.1 Emotionale Empathie
6.3.2 Kognitive Empathie
6.3.3 Soziale Empathie
6.4 Empathie in der Praxis
6.4.1 Empathie muss man wollen
6.4.2 Empathie bedeutet, die Perspektive zu wechseln
6.4.3 Empathie – mehr als nur ein Wort
6.5 Ausblick
Literatur
Über Gudrun Happich
7 Vertraut euch! – Vertrauen als Schlüsselfaktor zur Führung von leistungsstarken Teams in schnelllebigen Unternehmen
7.1 Einleitung
7.2 Sich selbst vertrauen
7.2.1 Authentizität lernen – durch Wertschätzung und Empathie
7.2.2 Führen oder managen?
7.3 Vertrauen schenken
7.3.1 Vertrauen Sie, bis Ihr Vertrauen gebrochen wird
7.3.2 Setzen Sie sich für Ihr Team ein
7.4 Vertrauen verdienen
7.4.1 Zeigen Sie Ihre Emotionen und Schwachstellen
7.4.2 Schaffen Sie eine transparente Fehlerkultur
7.5 Schlusswort
Literatur
Über Uta Weiss
8 Stärken stärker stärken stärkt – Mit Positive Leadership zu mehr Lust und Leistung im Job
8.1 Was Stärken sind und bringen
8.1.1 Positiv führen, stärkenorientiert führen
8.1.2 Wozu Stärken stärken?
8.1.3 Woher die Schwäche bei den Stärken kommt
8.1.4 Stärken: Was sie sind – und was nicht
8.1.5 Welche Stärken es gibt?
8.2 Stärken erkennen – bei sich und anderen: 7 Anregungen
8.2.1 Stärkenbrille aufsetzen
8.2.2 Stärkenstammbaum erstellen
8.2.3 Stärken testen und messen
8.2.4 Stressstärken erkennen
8.2.5 Stärken im Coaching stärken
8.2.6 Stärkenprofil erheben
8.2.7 Stärkenkarten nutzen
8.3 Stärken der Mitarbeitenden stärken
8.3.1 Mögliche Anlässe für ein Stärkengespräch
8.3.2 Kriterien für gute Stärkenrückmeldungen
8.3.3 Stärken erfragen
8.4 … und die Schwächen? Einige (gar nicht so wichtige) Hinweise
Literatur
Über Christian Thiele
9 Gesunde Führung durch Yoga – Konzepte des Yoga zur achtsamen Selbstführung
9.1 Einleitung
9.2 Warum ist gesunde Führung nötig?
9.2.1 Anforderungen an Führung heute
9.2.2 Gesunde Führung durch betriebliches Gesundheitsmanagement
9.2.3 Gesunde Führung in der Praxis
9.3 Yoga – Weisheitslehre zwischen Tradition und Moderne
9.3.1 Yogaübungswege und die Synthesen des Yoga
9.3.2 Die Kleshas – Quell allen Übels
9.4 Hilfreiche Konzepte des Yoga
9.4.1 Patañjalis achtgliedriger Yogapfad
9.4.2 Āsana – Die Körperübungen
9.4.3 Prānāyāma – Die Atemübungen
9.4.4 Pratyāhāra – Das Zurückziehen der Sinne nach innen
9.4.5 Dhārāna, Dhyāna und Samādhi – Die Konzentration, Meditation und ein höheres Bewusstsein
9.5 Ausblick
Literatur
Über Katja Schnabel
10 Führung mit Klarheit und Kreativität – Mit Visualisierung und Moderation zu mehr Unternehmenserfolg
10.1 Einleitung
10.2 Erkenne das große Ganze
10.3 Was ist »Führung« und was zeichnet sie aus?
10.3.1 Vom T-shaped- zum π-shaped-Modell
10.3.2 Wie werde ich eine effektive Führungskraft?
10.3.3 Die fünf Schlüsselkompetenzen
10.3.4 Wissensmanagement als Führungsaufgabe
10.4 Die Vorteile von Visualisierungen
10.5 Moderationskompetenz
10.5.1 Zuhören können
10.5.2 Kernbotschaften erfassen können
10.5.3 Visualisieren können
10.5.4 Auf Einhaltung der Spielregeln achten
10.5.5 Vertrauen in die Gruppe haben
10.5.6 Divergieren und Konvergieren, um Ergebnisse zu erzielen
10.6 Die Kunst der Visualisierung: Dinge greifbar machen
10.7 Die Führungskompetenz der Zukunft – Facilitative Leadership
10.8 Was bleibt zu tun?
Literatur
Über Danny Herzog-Braune
11 Rolle, Haltung, Wirkung – Führung im Kontext von Team- und Kommunikationskultur
11.1 Führung – eine Frage der Perspektive
11.2 Wirken (und Führen) in komplexen Wirklichkeiten
11.3 Das Leitbild als Orientierungsrahmen
11.4 Wie kommt das Leitbild in die Praxis?
11.5 Perspektiven aus der und für die Praxis
11.6 Ausblick
Literatur
Über Sabine Milowan
12 Digital Leadership – Durch Vertrauen und Partizipation eine tragfähige Beziehung in der virtuellen Welt gestalten
12.1 Der Mensch als soziales Wesen in einer digitalen Welt
12.2 Fünf Thesen zur digitalen Transformation
12.2.1 These 1: Analoge und digitale Kommunikation sind sich nur scheinbar ähnlich
12.2.2 These 2: Primatverschiebung von relevant zu interessant findet statt
12.2.3 These 3: Eine informationsüberladene Welt ist immer eine heuristische Welt
12.2.4 These 4: Künstliche Intelligenz ist nicht intelligent, aber mächtig
12.2.5 These 5: Das Ende der Digitalisierung können wir noch gar nicht absehen
12.3 Digital Leadership
12.3.1 Einige Aspekte der Führung der Zukunft
12.3.2 Praxis der Führung in einer digitalisierten Welt
12.3.3 Selbstmanagement als Führungskraft
12.4 Einige praktische Hinweise zum Führen in digitalen Kontexten
12.5 Schluss: Die neue Realität
Literatur
Über Miriam Landes und Eberhard Steiner
13 Die Erwartungen an eine Führungskraft in einer modernen Arbeitswelt – Anpassungsfähigkeit erwünscht
13.1 Die Entwicklung der Arbeitswelt
13.2 Die Digitalisierung und Industrie 4.0
13.3 Der Wandel der Berufsfelder in der VUCA-Welt
13.4 Wie können sich Unternehmen den neuen Herausforderungen stellen?
13.5 Moderne Arbeitskultur
13.5.1 Welche Faktoren kennzeichnen eine moderne Unternehmenskultur?
13.5.2 Sabbaticals als Herausforderung und Chance
13.5.3 Unternehmenskultur kommunizieren
13.6 Anpassungsfähigkeit und Empathie: Erfolgsfaktoren für Führungskräfte
13.6.1 Flache Hierarchien etablieren
13.6.2 Wertschätzung zeigen
13.6.3 Eine offene Fehlerkultur leben
13.6.4 Mitarbeitende entwickeln
13.6.5 Diversität fördern
13.6.6 Flexible Arbeitsmodelle unterstützen
13.6.7 Psychische Gesundheit im Blick behalten
13.6.8 Neue Mitarbeitende erfolgreich onboarden
13.6.9 Personaler:innen in ihrer Arbeit unterstützen
13.7 Ausblick
Literatur
Über Alex Gerritsen und Philipp Thölkes
14 Die Entwertung der Führungsrolle – Warum Chef:innen morgen weniger verdienen
14.1 Der Handlungsrahmen heutiger Führungskräfte
14.2 Eine strategische Einordnung
14.3 Eine gesellschaftliche Einordnung
14.4 Ausblick
Über Tobias Krüger
Nachwort
Stichwortverzeichnis
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Was Führung heute wirklich braucht: Leadership in Zeiten von Transformation und Change
 3648168371, 9783648168370, 9783648168387, 9783648168394

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Ruth Maria Mattes • Danny Herzog-Braune (Hrsg.)

Was Führung heute wirklich braucht Leadership in Zeiten von Transformation und Change

Hinweis zum Urheberrecht: Alle Inhalte dieses eBooks sind urheberrechtlich geschützt.

Bitte respektieren Sie die Rechte der Autorinnen und Autoren, indem Sie keine ungenehmigten Kopien in Umlauf bringen. Dafür vielen Dank!

Was Führung heute wirklich braucht

Ruth Maria Mattes/Danny Herzog-Braune (Hrsg.)

Was Führung heute wirklich braucht Leadership in Zeiten von Transformation und Change

1. Auflage

Haufe Group Freiburg · München · Stuttgart

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de/ abrufbar.

Print: ISBN 978-3-648-16837-0 Bestell-Nr. 10874-0001 ePub: ISBN 978-3-648-16838-7 Bestell-Nr. 10874-0100 ePDF: ISBN 978-3-648-16839-4 Bestell-Nr. 10874-0150 Ruth Maria Mattes/Danny Herzog-Braune (Hrsg.) Was Führung heute wirklich braucht 1. Auflage, März 2023 © 2023 Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Freiburg www.haufe.de [email protected] Bildnachweis (Cover): Danny Herzog-Braune Produktmanagement: Kerstin Erlich Lektorat: Maria Ronniger, Text+Design Jutta Cram, Augsburg Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, des auszugsweisen Nachdrucks, der Übersetzung und der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, vorbehalten. Alle Angaben/ Daten nach bestem Wissen, jedoch ohne Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit.

Sofern diese Publikation ein ergänzendes Online-Angebot beinhaltet, stehen die Inhalte für 12 Monate nach Einstellen bzw. Abverkauf des Buches, mindestens aber für zwei Jahre nach Erscheinen des Buches, online zur Verfügung. Ein Anspruch auf Nutzung darüber hinaus besteht nicht. Sollte dieses Buch bzw. das Online-Angebot Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte und die Verfügbarkeit keine Haftung. Wir machen uns diese Inhalte nicht zu eigen und verweisen lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung.

Für Johanna, Julia, Maria, Katharina, Nora, Nele, Lina, Sophie und Malia. Wir widmen dieses Buch unseren sechs Töchtern und drei Enkeltöchtern. Es liegt uns am Herzen, diese Fülle an Impulsen auch an sie weiterzugeben. Denn Führung beginnt bei uns selbst, ist ein lebenslanger Prozess und wir sind alle daran beteiligt.

7 

Inhaltsverzeichnis Intro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1

Verbindende Führung – Authentische Führung durch Selbst-Erkennen . . . . . . . . . . . . . . . . 19

1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1.2

Wirksame Selbst-Verbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1.2.1

Selbst-Verbindung braucht Raum und Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

1.2.2

Individualität, Bedürfnisse, Potenzial und Selbstfürsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

1.2.3

Selbst-Verbindung durch Intuition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

1.3

Emphatische verbindende Führung braucht Selbst-Erkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

1.4

Praxistipps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

1.5 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Über Ruth Maria Mattes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2

Systemisches Denken und Handeln –Kompetenzen stärken durch Beobachtung der Beobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

2.1

2.2

Wofür ist systemisches Wissen wichtig? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2.1.1

Was sind Systeme? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

2.1.2

Relevante Systeme für Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

2.1.3

Autopoiese: Ein Arbeitsklima für Potenzialentfaltung schaffen . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

Das Systemische Führungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2.2.1 Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2.2.2 Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2.2.3 Demut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2.2.4 Mehrparteilichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2.2.5 Grenzsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2.2.6 Nicht-Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

2.3

Kybernetik 2. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

2.4 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Über Marcel Hübenthal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3

Führen mit Demut – Warum eine alte Tugend für nachhaltiges und modernes Führen unerlässlich ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3.2

Was ist demutsvolle Führung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

3.3

Wo stehen Sie auf der Demutskala? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

8 | Inhaltsverzeichnis

3.4

Die positiven Effekte von Demut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

3.5

Was bedeutet Demut im Detail? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

3.6

3.5.1

Die eigenen Schwächen und Stärken sehen und zeigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

3.5.2

Andere anerkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

3.5.3

Immer lernbereit und offen sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

3.5.4

Das größere Ganze sehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

Die Stolpersteine auf dem Weg zur Demut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

3.7 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Über Franziska Frank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 4

Bewusste Führung – Denkfehler erkennen, wirksamer führen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

4.1

Wie unbewusste Denkstrukturen unser Handeln beeinflussen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 4.1.1

Unsere Informationsaufnahme ist limitiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

4.1.2

Jeder entwickelt unterschiedlichste Verarbeitungsroutinen für Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

4.1.3 4.2

Menschen entwickeln unterschiedliche Bewertungen und Urteile . . . . . . . . . . . . . 78

Von fragwürdigen Denkmustern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 4.2.1 Bestätigungs-Bias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

4.3

4.4

4.2.2

Lineares Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

4.2.3

Fragwürdige Denkstrukturen bewusst machen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

Was bewusste Führung ausmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 4.3.1

Wissenschaftlich denken, mehr infrage stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

4.3.2

Umlernen lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

4.3.3

Fehler zugeben und das nächste Mal klüger handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

4.3.4

Weisheit entwickeln, wissen, was man nicht weiß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

4.3.5

Weniger urteilen, Komplexität begreifen und managen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

4.3.6

Die innere Welt der Mitarbeitenden erkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

Neues Denken, neue Möglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Über Markus Ramming . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 5

Selbstorganisation – Psychologische Sicherheit als Grundlage der neuen Arbeitswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

5.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 5.2

5.3

Kulturelle Agilität mit psychologischer Sicherheit und Empowerment . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 5.2.1

Psychologisches Empowerment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

5.2.2

Psychologische Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

Mindset – dein Rüstzeug als Führungskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

Über Dominique Stroh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

Inhaltsverzeichnis | 9 

6

Empathie im Topmanagement: kennen, können, müssen – Emotionale Intelligenz als Grundlage für den Unternehmenserfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

6.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 6.2

6.3

6.4

Empathie bedeutet, Menschen und Situationen zu verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 6.2.1

Empathie – was ist das? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

6.2.2

Empathie – warum sie wichtig ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

6.2.3

Empathie – warum sie immer wichtiger wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

Empathie in der Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 6.3.1

Emotionale Empathie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

6.3.2

Kognitive Empathie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

6.3.3

Soziale Empathie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

Empathie in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 6.4.1

Empathie muss man wollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

6.4.2

Empathie bedeutet, die Perspektive zu wechseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

6.4.3

Empathie – mehr als nur ein Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

6.5 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Über Gudrun Happich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 7

Vertraut euch! – Vertrauen als Schlüsselfaktor zur Führung von leistungsstarken Teams in schnelllebigen Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

7.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 7.2

7.3

7.4

Sich selbst vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 7.2.1

Authentizität lernen – durch Wertschätzung und Empathie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

7.2.2

Führen oder managen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

Vertrauen schenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 7.3.1

Vertrauen Sie, bis Ihr Vertrauen gebrochen wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

7.3.2

Setzen Sie sich für Ihr Team ein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

Vertrauen verdienen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 7.4.1

Zeigen Sie Ihre Emotionen und Schwachstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

7.4.2

Schaffen Sie eine transparente Fehlerkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

7.5 Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Über Uta Weiss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 8

Stärken stärker stärken stärkt – Mit Positive Leadership zu mehr

8.1

Was Stärken sind und bringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

Lust und Leistung im Job . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 8.1.1

Positiv führen, stärkenorientiert führen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

8.1.2

Wozu Stärken stärken? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

10 | Inhaltsverzeichnis

8.2

8.3

8.1.3

Woher die Schwäche bei den Stärken kommt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

8.1.4

Stärken: Was sie sind – und was nicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

8.1.5

Welche Stärken es gibt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

Stärken erkennen – bei sich und anderen: 7 Anregungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 8.2.1

Stärkenbrille aufsetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

8.2.2

Stärkenstammbaum erstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

8.2.3

Stärken testen und messen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

8.2.4

Stressstärken erkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154

8.2.5

Stärken im Coaching stärken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154

8.2.6

Stärkenprofil erheben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154

8.2.7

Stärkenkarten nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

Stärken der Mitarbeitenden stärken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 8.3.1

Mögliche Anlässe für ein Stärkengespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

8.3.2

Kriterien für gute Stärkenrückmeldungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

8.3.3

Stärken erfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

8.4

… und die Schwächen? Einige (gar nicht so wichtige) Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159



Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 

Über Christian Thiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

9

Gesunde Führung durch Yoga – Konzepte des Yoga zur achtsamen Selbstführung . . . . . . 163

9.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 9.2

9.3

9.4

Warum ist gesunde Führung nötig? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 9.2.1

Anforderungen an Führung heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

9.2.2

Gesunde Führung durch betriebliches Gesundheitsmanagement . . . . . . . . . . . . . . 165

9.2.3

Gesunde Führung in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

Yoga – Weisheitslehre zwischen Tradition und Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 9.3.1

Yogaübungswege und die Synthesen des Yoga . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

9.3.2

Die Kleshas – Quell allen Übels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

Hilfreiche Konzepte des Yoga . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 9.4.1

Patañjalis achtgliedriger Yogapfad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

9.4.2

Āsana – Die Körperübungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

9.4.3

Prānāyāma – Die Atemübungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174

9.4.4

Pratyāhāra – Das Zurückziehen der Sinne nach innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

9.4.5

Dhārāna, Dhyāna und Samādhi – Die Konzentration, Meditation und ein höheres Bewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

9.5 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Über Katja Schnabel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

Inhaltsverzeichnis | 11 

10

Führung mit Klarheit und Kreativität – Mit Visualisierung und Moderation zu mehr Unternehmenserfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

10.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 10.2

Erkenne das große Ganze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

10.3

Was ist »Führung« und was zeichnet sie aus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 10.3.1 Vom T-shaped- zum π-shaped-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 10.3.2 Wie werde ich eine effektive Führungskraft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 10.3.3 Die fünf Schlüsselkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 10.3.4 Wissensmanagement als Führungsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

10.4

Die Vorteile von Visualisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

10.5 Moderationskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 10.5.1 Zuhören können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 10.5.2 Kernbotschaften erfassen können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 10.5.3 Visualisieren können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 10.5.4 Auf Einhaltung der Spielregeln achten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 10.5.5 Vertrauen in die Gruppe haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 10.5.6 Divergieren und Konvergieren, um Ergebnisse zu erzielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 10.6

Die Kunst der Visualisierung: Dinge greifbar machen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

10.7

Die Führungskompetenz der Zukunft – Facilitative Leadership . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

10.8

Was bleibt zu tun? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212



Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Danny Herzog-Braune . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 11

Rolle, Haltung, Wirkung – Führung im Kontext von  Team- und Kommunikationskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

11.1

Führung – eine Frage der Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

11.2

Wirken (und Führen) in komplexen Wirklichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

11.3

Das Leitbild als Orientierungsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218

11.4

Wie kommt das Leitbild in die Praxis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

11.5

Perspektiven aus der und für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

11.6 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Über Sabine Milowan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 12

Digital Leadership – Durch Vertrauen und Partizipation eine tragfähige Beziehung in der virtuellen Welt gestalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

12.1

Der Mensch als soziales Wesen in einer digitalen Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

12.2

Fünf Thesen zur digitalen Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 12.2.1 These 1: Analoge und digitale Kommunikation sind sich nur scheinbar ähnlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 12.2.2 These 2: Primatverschiebung von relevant zu interessant findet statt . . . . . . . . . . 231

12 | Inhaltsverzeichnis

12.2.3 These 3: Eine informationsüberladene Welt ist immer eine heuristische Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 12.2.4 These 4: Künstliche Intelligenz ist nicht intelligent, aber mächtig . . . . . . . . . . . . . . 232 12.2.5 These 5: Das Ende der Digitalisierung können wir noch gar nicht absehen . . . . . . 234 12.3

Digital Leadership . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 12.3.1 Einige Aspekte der Führung der Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 12.3.2 Praxis der Führung in einer digitalisierten Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 12.3.3 Selbstmanagement als Führungskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

12.4

Einige praktische Hinweise zum Führen in digitalen Kontexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

12.5

Schluss: Die neue Realität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 

Über Miriam Landes und Eberhard Steiner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

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Die Erwartungen an eine Führungskraft in einer modernen Arbeitswelt – Anpassungsfähigkeit erwünscht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

13.1

Die Entwicklung der Arbeitswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

13.2

Die Digitalisierung und Industrie 4.0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248

13.3

Der Wandel der Berufsfelder in der VUCA-Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

13.4

Wie können sich Unternehmen den neuen Herausforderungen stellen? . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

13.5

Moderne Arbeitskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 13.5.1 Welche Faktoren kennzeichnen eine moderne Unternehmenskultur? . . . . . . . . . . 253 13.5.2 Sabbaticals als Herausforderung und Chance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 13.5.3 Unternehmenskultur kommunizieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256

13.6

Anpassungsfähigkeit und Empathie: Erfolgsfaktoren für Führungskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . 257 13.6.1 Flache Hierarchien etablieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 13.6.2 Wertschätzung zeigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 13.6.3 Eine offene Fehlerkultur leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 13.6.4 Mitarbeitende entwickeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 13.6.5 Diversität fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 13.6.6 Flexible Arbeitsmodelle unterstützen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 13.6.7 Psychische Gesundheit im Blick behalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 13.6.8 Neue Mitarbeitende erfolgreich onboarden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 13.6.9 Personaler:innen in ihrer Arbeit unterstützen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

13.7 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Über Alex Gerritsen und Philipp Thölkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266

Inhaltsverzeichnis | 13 

14

Die Entwertung der Führungsrolle – Warum Chef:innen morgen weniger verdienen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

14.1

Der Handlungsrahmen heutiger Führungskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

14.2

Eine strategische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270

14.3

Eine gesellschaftliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274

14.4 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Über Tobias Krüger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

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Intro »Wenn wir nur unseren Blickwinkel, unser Wissen und unsere Erfahrungen sowie Meinungen über das Leben und das, was wir in dieser Unternehmenswelt für wichtig erachten, in unserer Arbeit nutzen würden, so wäre es leicht, den Reichtum dessen zu verpassen, was das Leben uns sonst noch (an-)bietet.« (Ruth Maria Mattes) Die Möglichkeiten, die wir mit einer solchen Haltung übersehen würden, wären nach meinem Empfinden so zahlreich, dass sich unser Wirken wie »ein Tropfen auf den heißen Stein« anfühlen würde. Es ist für mich daher vermessen zu denken, dass das, was wir (ich) in der Welt – und auch wie wir (ich) die Welt – sehen, das einzig Richtige und die optimale Lösung wäre. So ergab es sich, dass ich im Februar 2020 stolz, glücklich und selbstzufrieden auf meiner Couch saß, weil mein erstes Buch »Gesunde Führung in der VUCA-Welt« gerade veröffentlicht worden war und ich mich dennoch, in dem Moment fragte: Ist das jetzt wirklich alles? Oder ist es vielmehr ein Anfang? Nun hast du deinen Blickwinkel, dein Wissen und deine Erfahrung dessen, wovon du glaubst, dass es in Bezug auf »Gesunde Führung« wirklich wichtig ist, in die Welt gebracht. Doch was ist mit all den anderen Blickwinkeln? Wie kompliziert mag es für (angehende) Führungskräfte sein, sich das für sie Wichtige, Hilfreiche zu erarbeiten bzw. zusammenzusuchen? Es gibt so viel Literatur zum Thema Führung und zu den Themen, die damit zusammenhängen. Mit dem Gedanken »Ist das jetzt wirklich alles?« war in mir – in dieser Sekunde – eine neue Idee entstanden. Ich wollte ein Buch mit einem »weiteren Blickwinkel«, mit einem »größeren Erfahrungsschatz« und mehr »konzentriertem Wissen« in die Welt bringen. Auch der Titel war sofort in meinem Kopf: »Was Führung heute wirklich braucht« Damit war der Grundstein gelegt – und eifrig, beflügelt von dieser meiner Idee, schrieb ich sofort eine Liste der möglichen Autor:innen für dieses Buch. Es sollten nicht nur erfahrene Autoren oder »berühmte«, gestandene, langjährig erfahrene Coaches, Trainer, Führungskräfte oder Menschen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Management sein. Mir war sofort klar und wichtig, dass verschiedene Altersgruppen, Geschlechter, Sparten – erfahrene, aber auch »frische« Menschen aus den verschiedensten Bereichen und mit ganz verschiedenen Hintergründen zu Wort kommen sollten. Das Buch sollte im wahrsten Sinne des Wortes reichhaltig, wertvoll und total hilfreich werden. Es sollte unterschiedlichste Wahlmöglichkeiten bieten, damit die jeweiligen Leser:innen genau auf das zugreifen können, was sie gerade für sich brauchen – Angebote aus

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vielen verschiedenen Themenbereichen und Gedanken sowie Erfahrungsschätze unterschiedlichster Menschen. Bei der Liste mit möglichen Autor:innen blieb es dann aber erst einmal. Doch der Gedanke an das zukünftige Buch und seinen Titel verschwand niemals aus meinem Kopf, er »ploppte« immer wieder auf – »kochte« jeweils für einen Moment hoch und erfüllte mich mit freudiger Aufregung. Es war offenbar einfach noch nicht der richtige Zeitpunkt für dieses Buch. Rückblickend betrachtet gab es dafür zahlreiche Gründe. Der erste Lockdown war gerade angeordnet worden und die Unternehmen, Führungskräfte, Mitarbeiter:innen und all die Menschen aus den Fachbereichen, die ich für einen Beitrag auf meiner Liste vorgesehen hatte, waren mit anderen Dingen beschäftigt – so wie jeder von uns und wie auch ich. Doch der richtige Zeitpunkt kam – und zwar in Gestalt eines Mitstreiters. Ohne den Menschen, dem ich im Herbst 2021 virtuell begegnete, wäre dieses Buch nicht das geworden, was es jetzt ist. Ich begegnete Danny Herzog-Braune, der aufgrund meines ersten Buches auf mich aufmerksam geworden war und mich um ein Podcast-Interview bat. Danny ist eine inspirierende Persönlichkeit mit zahlreichen wertvollen Talenten und Fähigkeiten und einer wundervollen freundlich fröhlichen Art, die mich sofort mitriss. Kaum dass ich mit ihm gesprochen hatte, fragte ich ihn: »Möchtest du mit mir gemeinsam dieses Buch realisieren?« So verschieden wir auch sind, so unterschiedlich wir auch ticken, so sehr sind wir in den Vorstellungen von diesem Buch vereint. Wir hatten von Beginn an eine tiefe, gemeinsame Verbindung als Menschen – und vor allem zu diesem Thema. Unsere Freude daran, dieses Buch zu entwickeln und damit die Welt zu bereichern, war unser Antrieb. Es ist ein Herzensprojekt für uns. Mit Danny gemeinsam fühlte sich dieses »Projekt« plötzlich leicht an, auch wenn wir es sicher nicht auf die leichte Schulter genommen haben. Wir haben unser Bestes gegeben. Das Gleiche gilt für die Autor:innen. Wir sind so dankbar, dass sie mit uns gemeinsam, dieses Buch realisiert haben. Durch sie und mit ihnen ist es das geworden, was wir uns gewünscht haben. Es ist wertvolles gesammeltes Wissen, gespickt mit lebendigen Erfahrungen. Jede und jeder einzelne Beteiligte hat ebenso mit Leidenschaft an diesem Buch gearbeitet wie wir selbst. Wir schätzen dies sehr und wollen bereits hier an dieser Stelle allen Autor:innen von Herzen danken. Die Beiträge sind so unterschiedlich wie auch die Autor:innen und die Bereiche, in denen sie arbeiten und positiv wirken, es sind. Mithilfe des Inhaltsverzeichnisses können Sie sich einen Überblick über die Titel der Beiträge und die dazugehörigen Autor:innen verschaffen und schon hier erkennen, was sich durch dieses Buch wie ein roter Faden zieht: Es ist die Vielfalt – und Vielfalt ist nach Dannys und meinem Dafürhalten ein sehr wichtiges und bereicherndes Gut für uns alle.

Intro | 17 

Wir wünschen Ihnen, dass Sie – so wie alle an diesem Buchprojekt Beteiligten – Ihren Blickwinkel erweitern und gleichzeitig Ihren Fokus schärfen können. Vor allem in Bezug auf die Frage, was für Sie Führung heute wirklich braucht. Eins ist auf jeden Fall sicher: Es braucht uns alle und nicht nur einzelne Menschen, damit Führung heute gelingen kann. Nun möchte ich Sie mit den Worten eines von mir sehr geschätzten Lehrers, Gunther Schmidt – Hypnosystemiker und Menschenfreund –, in die Lektüre starten lassen: »Wir alle sind Realitäten-Kellner: Wir kommen daher mit einem großen Tablett gefüllt mit Realitäten und die Menschen, denen wir diese anbieten, können davon nehmen, was für sie in diesem Moment hilfreich und wichtig erscheint.« Viel Freude beim Lesen, verbunden mit inspirierenden neuen Erfahrungen, wünschen Ihnen Ruth Maria Mattes und Danny Herzog-Braune sowie alle mitwirkenden Autor:innen

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1 Verbindende Führung – Authentische Führung durch Selbst-Erkennen Ruth Maria Mattes »Wenn ich nicht für mich bin, wer ist dann für mich? Solange ich aber nur für mich selber bin, was bin ich? Und: Wenn nicht jetzt, wann sonst?« (Rabbi Hillel)

Auf einen Blick: Worum es in diesem Beitrag geht Ohne den Blick auf mich selbst zu richten, mich selbst zu kennen bzw. immer wieder aufs Neue kennenzulernen, mich zu schätzen und mit mir zufrieden oder auch glücklich zu sein, ist es nicht möglich, in einer guten, bereichernden, vertrauensvollen und erfolgreiche Verbindung mit anderen Menschen zu stehen. Dieser praxisnahe Beitrag vermittelt Ihnen wertvolles, grundlegendes Wissen. Sie erfahren, wie Sie durch Selbst-Verbindung zu einer gesunden, gelingenden Selbstführung gelangen und wie dadurch auch Ihre Selbstwirksamkeit bzw. Wirkkraft als Führungskraft in Ihrem individuellen Umfeld wächst. In meinen Ausführungen zeige ich Ihnen, wie Sie eine gute Verbindung zu sich selbst herstellen, fortlaufend gestalten, erhalten und sich zudem damit und dabei permanent stärken können. Dabei werden immer die Individualität, die jeweiligen Bedürfnisse und das Potenzial jedes Einzelnen berücksichtigt. Es wird außerdem beleuchtet, warum Raum und Zeit für eine »verbindende Führung« eklatant wichtig sind. Sie werden zudem erfahren, warum diese Art der »Selbstfürsorge durch Inneneinsichten« in der heutigen Unternehmenswelt unerlässlich ist und warum erst dadurch eine von Intuition geprägte, wirksame, authentische und emphatische Führung gelingen kann, die zu einer wirklichen »verbindenden Führung« wird. Die Arbeitshilfen in Form von Selbstreflexionsfragen sowie Praxistipps und weitere hilfreiche Ver- bzw. Hinweise ermöglichen Ihnen eine einfache Umsetzung der theoretischen Inhalte in die Praxis. Weise Worte von Virginia Satir: »Ich bin ich Auf der ganzen Welt gibt es niemanden wie mich. Es gibt Menschen, die mir in vielem gleichen, aber niemand gleicht mir aufs Haar. Deshalb ist alles, was von mir kommt, mein Eigenes, weil ich mich dazu entschlossen habe.

20 | 1 Verbindende Führung

Alles, was mit mir zu tun hat, gehört zu mir. Mein Körper mit allem, was er tut, mein Kopf mit allen Gedanken und Ideen, meine Augen, mit allen Bildern, die sie erblicken, meine Gefühle, gleich welcher Art – Ärger, Freude, Frustration, Liebe, Enttäuschung, Begeisterung. Mein Mund und alle Worte, die aus ihm kommen, höflich, lieb oder schroff, richtig oder falsch. Meine Stimme, laut oder leise, und alles, was ich mir selbst oder anderen tue. Mir gehören meine Phantasien, meine Träume, meine Hoffnungen, meine Befürchtungen, mir gehören alle meine Siege und Erfolge und all meine Niederlagen und Fehler. Weil ich mir ganz gehöre, kann ich mich näher mit mir vertraut machen. Dadurch kann ich mich lieben und alles, was zu mir gehört, freundlich betrachten. Damit ist es mir möglich, mich voll zu entfalten. Ich weiß, dass es einiges an mir gibt, das mich verwirrt, und manches, das ich noch gar nicht kenne. Aber solange ich freundlich und liebevoll mit mir umgehe, kann ich mutig und hoffnungsvoll nach Lösungen und Unklarheiten schauen und Wege suchen, mehr über mich selbst zu erfahren. Wie auch immer ich aussehe und mich anhöre, was ich sage und tue, was ich denke und fühle, immer bin ich es. Es hat seine Berechtigung, weil es ein Ausdruck dessen ist, wie es mir im Moment gerade geht. Wenn ich später zurückschaue, wie ich ausgesehen und mich angehört habe, was ich gesagt und getan habe, wie ich gedacht und gefühlt habe, kann es sein, dass sich einiges davon als unpassend herausstellt. Ich kann das, was unpassend ist, ablegen und das, was sich als passend erwiesen hat, beibehalten und etwas Neues erfinden für das, was ich abgelegt habe. Ich kann sehen, hören, fühlen, denken, sprechen und handeln. Ich besitze die Werkzeuge, die ich zum Überleben brauche, mit denen ich Nähe zu anderen herstellen kann und die mir helfen, einen Sinn und eine Ordnung in der Welt der Menschen und Dinge um mich herum zu finden. Ich gehöre mir und deshalb kann ich aus mir etwas machen. Ich bin ich und so, wie ich bin, bin ich ganz in Ordnung.« (Satir, 2012, S. 22–24)

1.1 Einleitung | 21 

1.1 Einleitung Letzte Woche hatte ich ein für mich sehr lehrreiches und beeindruckendes Coaching. Allerdings war dabei nicht ich die zu Coachende: Ich hatte eine wundervolle Klientin, durch die ich sehr viel lernen durfte. Nun könnten Sie sich fragen: Was ist hier los? Läuft hier etwas verkehrt? Ist der oder die Coach:in nicht dafür da, Klient:innen dabei zu unterstützen, ihr Thema zu bearbeiten und Lösungen zu kreieren? Ja, dem ist so und es war auch so: Meine Klientin hat für sich selbst Lösungen gefunden! Gleichzeitig sind wir nach meiner Erfahrung immer auch Erlebende und dadurch allzeit Lernende – Persönlichkeiten, die sich diesbezüglich auf einer lebenslangen Reise befinden. Wir nehmen von jedem Menschen, von jeder noch so kleinen Begegnung, von unserer Umgebung an sich und auch durch unsere Gedanken, gekoppelt mit unseren Emotionen etc., etwas und manchmal sogar richtig viel mit. Wir sind durch unser Erleben, das sich unaufhörlich abspielt, niemals – nicht einmal eine Sekunde lang – dieselben. Warum schreibe ich dies gleich zu Beginn? Weil ich schon jetzt die Idee säen möchte, dass wir immer – auch wenn wir es nicht bemerken – mit uns und unserer Umwelt verbunden sind. Wir sind nicht allein – niemals! Wir kommunizieren permanent mit uns selbst und unserer Umwelt, auch wenn wir physisch gerade ohne Menschen sind oder uns beispielsweise in einem dunklen Raum ohne wahrnehmbare Geräusche, spürbare Luftbewegung oder auch Gerüche befinden. Die in dem Moment nicht physisch (be-)greifbare Umwelt sind u. a. Gedanken, die wir uns fortlaufend und vor allem über uns und andere machen – z. B. Gedanken darüber, wie wir verbunden sind, was die eine oder der andere über uns denken könnte, was wir dazu meinen etc.  Übrigens: Wussten Sie, dass wir zudem in stillen Momenten, in Phasen, in denen wir glauben, uns in der Entspannung zu befinden, ebenfalls die meiste Zeit über uns und über unsere Beziehungen nachdenken? Dieser als Entspannung gedachte Moment, dieser Leerlauf im Gehirn lässt unser sogenanntes Default Network anspringen. Sebastian Purps-Pardigol bezieht sich in seinem Buch »Leben mit Hirn« auf der Basis der Forschungsergebnisse von Matthew Liebermann, Professor für soziale kognitive Neurowissenschaften, auf dieses Phänomen: »Das ›Default Network‹, das ›Leerlauf‹-System unseres Gehirns, ist ein Teil, der sich mit sozialen Beziehungen beschäftigt. Wann immer wir gerade nichts Konkretes tun, kreisen unsere Gedanken automatisch um uns und andere.« (Purps-Pardigol, 2021, S. 65) Gleichzeitig ist es so, dass jeder Lufthauch, den wir spüren, jedes Geräusch, das wir hören, auch wenn wir allein sind – einfach alles, was wir wahrnehmen – bedeutet, dass wir in Verbindung sind: Es gibt in diesem Sinne kein Alleinsein.

22 | 1 Verbindende Führung Verbundenheit Verbindung und Verbundenheit existieren immer und gehören gleichzeitig zu den stärksten menschlichen Grundbedürfnissen – sie sind so bedeutend wie kaum ein anderes. Wie wir diese Verbundenheit gestalten, liegt an uns.

Nun aber zurück zu meiner Klientin, die ich eingangs erwähnte. Diese junge Frau erkannte und benannte im Verlauf der Anliegenklärung (Herausarbeiten ihres Themas/Problems für den Moment), was ihr wirklich wichtig ist und woran sie gern mit mir arbeiten wollte. Ihre Worte waren folgende: »Ich möchte mich wieder mit meiner Seele, meiner Essenz verbinden – ich möchte wieder ich selbst sein.«

Meine Coachee hatte sich durch die vielen »Stimmen in ihrem Kopf«, die allesamt wichtige Anteile von ihr waren, von ihrem wahrhaftigen Weg, von ihrer Essenz entfernen lassen. Diese »wohlwollenden Stimmen« wurden zudem von ihren alten Mustern, ihren erlernten Werten und Glaubenssätzen, den überschießenden »inneren Antreibern«, vom Umfeld und weiteren anderen Einflüssen »gefüttert«. All diese Stimmen waren für sie grundsätzlich wertvoll, mit einer positiven Absicht verbunden und unbedingt wahrzunehmende Ressourcen, jedoch konnte sie die Verbindung zu sich selbst nicht mehr herstellen, die Stimme ihrer »inneren Weisheit«, wie sie sie selbst benannte, nicht mehr hören.

1.1 Einleitung | 23 

Diese innere Weisheit nannte sie u. a. auch Intuition, Essenz und Seele. Durch diese verlorene Verbindung konnten die anderen Stimmen lauter werden und unorganisiert in ihrem Kopf herumtönen – so laut, dass sie sich selbst, ihren Wesenskern nicht mehr wahrnehmen konnte. Wichtige Faktoren, die diesen Zustand begünstigten, waren für sie Raum und Zeit – »Raum und Zeit für mich selbst«, wie sie sagte: ohne Ablenkung, ohne andere Menschen – einfach nur ich! Sie hatte einen längeren, z. T. sehr leidvollen Weg hinter sich gebracht, bis sie das bemerkte, die Notbremse zog und alle Hebel in Bewegung setzte, um wieder »sie selbst zu sein«. Um wieder in Verbindung mit sich selbst zu kommen, musste sie sich zurückziehen. Dieser komplette Rückzug ist nicht immer zwangsläufig nötig – oft reichen auch ein dosierter Rückzug oder Einkehr bzw. Einsicht aus. Wenn Sie sich total verloren haben, kann es aber wichtig sein, sich für eine Weile komplett aus allem herauszunehmen. Ein Ziel meiner Klientin ist nun, die Verbindung zu sich selbst nicht mehr zu verlieren. Wie sie das gestaltet, liegt bei ihr und ist absolut individuell und einzigartig – so wie es bei jedem einzelnen Menschen individuell ist. Als Coachin konnte und kann ich sie lediglich dabei begleiten, doch die Lösungen dafür liegen in ihr. Sie trägt ihre innere Weisheit und alle Ressourcen dafür in sich. Wir sind alle »einzigartig«. Das ist einerseits wunderbar und andererseits herausfordernd für uns und die Systeme, in die wir eingebunden sind. Natürlich gilt das auch für jede Führungskraft bei ihrer Arbeit mit Menschen im Unternehmen. Dieses Erkennen der Einzigartigkeit ist hilfreich im Umgang mit sich selbst – in der Verbindung. Ich bitte Sie, in diesem Zusammenhang noch einmal an die »weisen Worte« von Virginia Satir zu denken, die ich ganz an den Anfang gestellt habe, und weise darauf hin, dass wir alle so sind, wie wir sind, und es gleichzeitig selbst in der Hand haben, wie wir unsere Verbindung(en) gestalten. »Ich bin ich. Auf der ganzen Welt gibt es niemanden wie mich.« (Virginia Satir) Gerade weil wir alle so individuell sind und keine:r wie die oder der andere tickt, ist es hilfreich zu wissen, dass es eine Reihe von Ideen bzw. Wahlmöglichkeiten gibt, die dabei unterstützen können, eine gute Verbindung zu sich selbst und zu anderen herzustellen und auch beizubehalten . Im Laufe vieler Jahre, während meiner »Arbeit« mit mir selbst und mit anderen Menschen, bin ich immer wieder zu dem Schluss gekommen, dass der Ursprung von allem, was ist, in unserem Sein, in unserer Essenz liegt und wir genau damit in Wechselwirkung mit unserer Umwelt stehen. Das bedeutet, dass wir die Gestalter unseres Lebens sind. Wir kreieren, was wir erleben und was im Außen erlebt wird. Wir sind selbstwirksam und gleichzeitig hat unser Sein Auswirkungen.

24 | 1 Verbindende Führung

Deshalb ist es so wichtig, dass wir die Verbindung zu uns selbst nicht verlieren, sondern sie aufnehmen und zudem ein Leben lang behalten und stärken. Wir müssen erforschen, wer wir sind und wer wir sein möchten und inwieweit wir damit hilfreiche, gute, wertschätzende und konstruktive Verbindungen zu unseren Mitmenschen, Teams, Kolleg:innen etc. herstellen können. Selbst-Erkennen Die Verbindung zu uns selbst herzustellen, zu erhalten und dabei permanent zu stärken – das (Er-) Kennen unserer Selbst – das ist es, was wir erfahren und erleben dürfen und was schlussendlich dafür sorgt, wie wir im Außen wirken. Dabei ist all dies ein permanenter, lebenslanger Prozess.

Hierbei in einen Flow zu kommen und dieses fortlaufende Verbinden nicht zu vergessen – das ist es, was in meinen Augen ein erfülltes Dasein ausmacht und was dazu führt, dass wir unsere Umwelt als einen wertvollen Teil von uns betrachten und annehmen können. Dieses Bewusstsein erweitert den Blickwinkel jeder Führungskraft und bereichert das Arbeiten im Unternehmen. Dieser Beitrag soll Ihnen helfen zu erkennen, was es braucht, damit Sie diesen Prozess für sich in Gang halten können. Gleichzeitig werden Sie von mir Impulse erhalten, die Sie als Führungskraft in Ihre Unternehmenswelt integrieren können. Dazu werde ich Ihnen u. a. praxisnahe Interventionen und Selbstreflexionsfragen an die Hand geben, die für Sie und auch in der Übertragung auf Ihr(e) Team(s) hilfreich sein können. Authentische Führung Ich bin davon überzeugt, dass es das ist, was Führung heute wirklich braucht. Führung braucht Verbindung eines jeden mit sich selbst, um gelingende Verbindungen mit anderen leben zu können. Und es ist egal, mit wem Sie sich im Außen verbinden – mit Ihren Mitarbeitenden, anderen Führungskräften, Ihren Vorgesetzten, Kunden oder anderen Mitwirkenden. Es kommt im höchsten Maße auf Sie selbst an. Und zwar darauf, inwieweit Sie mit sich selbst in gutem Kontakt sind und bleiben. Wenn dies gelingt, dann erzeugen Sie authentische, höchst zufriedenstellende, konstruktive, bereichernde und erfolgreiche Verbindungen. Auf diese Art und Weise, wird zudem authentische Führung erst möglich.

1.2 Wirksame Selbst-Verbindung Wir treten auf vielen verschiedenen Ebenen in Verbindung mit uns selbst, die sich wiederum in Wechselwirkung zueinander befinden. Damit Sie besser folgen können, nehme ich Sie mit auf einen kleinen Ausflug in die Systemik, die Biochemie und die Neurowissenschaften. Systemisch gesehen (siehe auch den Beitrag von Marcel Hübenthal) verhalten sich alle biologischen bzw. lebendigen Systeme folgendermaßen: Alle Systeme stehen in Wechselwirkung zueinander – so auch unser eigenes System, Körper, Geist und Seele. Bewusste Abläufe in unserem Gehirn sind ebenso beteiligt und wirksam wie der größere Anteil des Unbewussten. Gleichzei-

1.2 Wirksame Selbst-Verbindung | 25 

tig reagiert unser Körper auf alles, was unbewusst und bewusst in unserem Gehirn abläuft bzw. wahrgenommen wird, und umgekehrt. Unsere Körperzellen werden durch unser Blut immer von unserem Erlebten »umspült« und verändern sich dementsprechend permanent. So betont auch Bruce Lipton (2016), Entwicklungsbiologe, Stammzellenforscher und einer der Pioniere der jungen Wissenschaft der Epigenetik, in seinem Buch »Intelligente Zellen« immer wieder, dass es maßgeblich auf die Umgebung ankommt, was mit uns, unseren Zellen und damit in Wechselwirkung mit anderen bzw. unserer Umwelt geschieht. Die Umgebung, bis in die kleinste Zelle, bestimmt, was wir wahrnehmen, wie wir uns fühlen oder auch verhalten. Als Reaktion auf alles Erlebte und Wahrgenommene laufen permanent biochemische Vorgänge in unserem Körper ab. Diese Reaktionen entstehen blitzschnell und werden – in Wechselwirkung – wieder in einer Veränderung der Umwelt wahrnehmbar. Wenn Sie beispielsweise jemanden umarmen, aber auch, wenn Sie nur an eine Ihnen nahestehende geliebte Person – oder auch an sich selbst – liebevoll denken, werden u. a. Hormone wie Oxytocin und Prolaktin ausgeschüttet. Diese körpereigenen Opiate beruhigen Sie einerseits und können anderseits eine stress- und angsthemmende Wirkung erzeugen. Zudem können negative Emotionen durch Selbst-Verbindung und Verbundenheit mit anderen schneller und besser verarbeitet oder auch abgewehrt werden. »Bei positiven Bindungsinteraktionen haben die Hormone Oxytocin und Prolaktin zusätzlich eine hemmende und damit positive Auswirkung auf Aggressionen. Das Aggressionspotenzial sinkt, je besser oder stärker die Bindung ist.« (Mattes, 2022, S. 52) Welche positiven Auswirkungen es hat, wenn Sie sich »liebevoll« mit sich selbst verbinden oder auch mit anderen, können Sie sich sicher aufgrund dieses Beispiels ausmalen. Alles, was Sie wahrnehmen – wie Sie beispielsweise denken, wie und was Sie mit sich (be-)sprechen, was Sie sehen, hören, fühlen, riechen, schmecken (VAKOG – visuell, auditiv, kinästhetisch, olfaktorisch, gustatorisch) –, erzeugt immer ein Erleben und dieses wird u. a. biochemisch auf all Ihre Zellen übertragen. Somit finden einerseits permanent messbare Reaktionen in Ihrem Körper statt, die dann andererseits Ihre Gemütsverfassung, Ihr Denken, Ihr Handeln, Ihre Empfindungen etc. beeinflussen – bewusst und unbewusst. Und ich möchte noch einmal betonen, dass es dabei keine Rolle spielt, ob Sie etwas physisch erleben oder sich lediglich vorstellen. In unserem Gehirn werden zudem alle Reize, alles, was wir wahrnehmen, mit dem, was wir bereits erlebt haben, abgeglichen. Alle Gedächtnisinhalte werden dazu genutzt. In der Fachsprache wird diese Reaktion unseres Gehirns »Priming« (Zündung) genannt. Jede noch so kleine Wahrnehmung ruft also durch das Abgleichen mit bereits Erlebtem eine Reaktion auf allen Ebenen des Seins aus.

26 | 1 Verbindende Führung

Wenn Sie sich morgens nach dem Aufstehen zum Beispiel sagen: »Das wird ein harter und schwieriger Tag«, dann werden die Begriffe »hart« und »schwierig« blitzschnell in Ihrem Gehirn abgeglichen und mit bereits erlebten »harten« und »schwierigen« Situation aus der Vergangenheit in Verbindung gebracht. Dementsprechend fühlen Sie sich körperlich und emotional auch, weil Ihr Körper sofort die passenden Hormone ausschüttet. Bruce Lipton formuliert in seinem Buch »Der Honeymoon-Effekt« sehr treffend das Resultat solcher in unserem Körper stattfindenden Abläufe: »Wir können durch die Gedanken in unserem hochentwickelten Gehirn auch gute und schlechte Schwingungen erzeugen.« (Lipton, 2018, S. 45) Ich bin mir sicher, dass es zwischen »gut« und »schlecht« noch unzählige weitere Schwingungen gibt, die wir selbst produzieren bzw. spüren und mit denen wir andere beeinflussen.

Selbstreflexionsfragen zur Selbst-Verbindung 1. In welchen Situationen fühlen Sie sich wohl bzw. unwohl? 2. Inwieweit haben Sie Ihr eigenes Denken schon einmal genauer beobachtet – Ihre Selbstgespräche in Gedanken? Wie wäre es, wenn Sie Ihren Fokus gezielt darauf lenken, um sich dieses Vorgangs bewusst zu werden? 3. Wann haben Sie schon einmal erkannt, wie Sie denken bzw. was Ihr Denken und Handeln maßgeblich beeinflusst hat? Was waren das für Situationen? 4. Welche Situationen oder welche Umgebungen lassen Sie »wachsen«? 5. Welche Situationen oder welche Umgebungen beeinflussen Sie in der Art und Weise, dass Sie sie zu Ihrem Wohlbefinden verändern möchten? Verbindung aufnehmen In Verbindung mit sich selbst zu kommen bedeutet, sich selbst zu beobachten. Fühlen Sie »in sich hinein«. Hören Sie, was Ihre »innere Stimme« Ihnen sagen möchte. Was sagt Ihnen Ihr »Bauchgefühl«? Welche Ihrer Körperteile bzw. inneren Organe reagieren in welchen Situationen und auf welche Art und Weise? Was sagt Ihre Intuition? Wie und wann nehmen Sie was intuitiv wahr? Was ist überhaupt Ihre Intuition?

Auf diese Weise erleben Sie Ihr authentisches Selbst. Sie können sich diese Fragen immer und überall stellen bzw. gleich beantworten – und gleichzeitig bedarf es eines Plans, eines Rahmens, wobei das Mit-sich-allein-Sein, das Mit-sich-selbst-in-Kontakt-Treten einen bedeutenden Raum einnehmen sollte. Nach meiner Erfahrung legen zahlreiche Menschen ihren Fokus vornehmlich auf das, was im Außen geschieht. Führungskräfte und auch Mitarbeitende orientieren sich beispielsweise an

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Vorgaben, Zielen und vorhandenen Ressourcen – anhand dessen, was im Außen stattfindet. Vor allem orientieren sie sich auch an den Wünschen, Erwartungen und Reaktionen anderer, den Impulsen von außen und vielfach auch an den Störungen etc. Zudem vergleichen sich Menschen permanent mit anderen Menschen, was sie ganz oft einfach unglücklich macht. Dabei vergessen sie, dass das Zentrum allen Erlebens und Entstehens in ihrem Inneren liegt. Der Ursprung von allem ist das, was in unserem Inneren abläuft – natürlich immer mit den entsprechenden Wechselwirkungen im Außen. Wir müssen nicht zum Spielball äußerer Umstände werden, sondern können durch eine Verbindung mit uns selbst und das Wissen, was mit uns ist und wie oder was wir sein wollen, adäquat reagieren. Wir konstruieren uns unsere Lebenswirklichkeit. Es ist ganz allein unsere Konstruktion – egal was im Außen geschieht. Leben selbst gestalten Indem wir uns mit uns selbst verbinden, uns kennenlernen und mit uns selbst ins Gespräch bzw. in den Austausch gehen, werden wir wahrhaftig zum Gestalter unseres Lebens.

1.2.1 Selbst-Verbindung braucht Raum und Zeit Bezug nehmend auf die Aussage, dass alles, was ist, aus uns heraus entsteht, möchte ich den Begriff »Autopoiese« mit ist ins Spiel bringen (siehe auch den Beitrag von Marcel Hübenthal). Alles wächst von innen nach außen – und das immer. Schauen Sie in die Natur, sie macht es uns überall vor. Es gibt beispielsweise keine Pflanze, die von außen nach innen wächst – immer ist es umgekehrt und so auch bei uns Menschen. »Das Wort ›Autopoiese‹ stammt aus dem Altgriechischen und setzt sich aus zwei Wörtern autos (selbst) und poiein (schaffen, bauen) zusammen. Der Begriff wurde von Humberto Maturana, einem chilenischen Neurobiologen, geprägt. Er beschreibt den Prozess der Selbsterschaffung/-erhaltung bzw. von Wachstum und Heilung eines biologischen Systems.« (Mattes, 2022, S. 70) Dieser Begriff wurde auch von Niklas Luhmann für die Systemtheorie übernommen, um die Organisationsmerkmale von lebenden Systemen zu beschreiben (siehe auch den Beitrag von Marcel Hübenthal). Das bedeutet, wir dürfen uns selbst organisieren, uns von innen heraus selbst erschaffen und damit in die Selbstverantwortung gehen – auf uns selbst kommt es an! Wir müssen deshalb die Wichtigkeit und damit die Tragweite dessen erkennen, was es bedeutet, in Verbindung mit uns selbst zu kommen. Dafür braucht es zu allererst Raum und Zeit – anders geht es nicht!

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Beide Wörter, »Raum« und »Zeit«, ergänzt mit »kein(e)« höre ich immer wieder in meinen Coachings, in den Unternehmen, die ich begleite, oder auch in anderen, privaten Kontexten. Meistens sind sie verbunden mit leisem oder auch (sehr) lautem Klagen. Fairerweise muss ich gestehen, dass ich auch mich selbst immer mal wieder bei solchen Äußerungen ertappe. Es scheint die erste Hürde zu sein, die es zu überwinden gilt, oder noch viel besser: die Sie erkennen dürfen, um diese dann auf Ihre persönliche Art zu nehmen. Hier einige übliche »Hürden – Klagen«: y Ich habe keine Zeit für mich, alles andere frisst mich auf! y Es ist mir alles zu viel! y Woher soll ich noch die Zeit für mich nehmen? Einer kommt doch immer zu kurz! y Wie soll ich das denn noch schaffen? Ich bin schon am Limit! Dafür gibt es keinen Raum mehr. y Erst kommt die Arbeit, dann das Vergnügen, doch dafür ist keine Zeit mehr übrig. y Muss nur noch kurz die Welt retten, nur noch meine Mails checken!

Geht es Ihnen so, wie es Tim Bendzko in seinem bekannten Song »Muss nur noch kurz die Welt retten« beschreibt? Darin bedauert er, dass die Arbeit immer wichtiger ist und Vorrang vor al-

1.2 Wirksame Selbst-Verbindung | 29 

lem anderen hat, betont aber gleichzeitig, dass er es nicht ändern kann. Und dabei geht es in dem Song erst einmal nicht vorrangig um die Zeit und den Raum des Singenden selbst, sondern um die Zeit für eine andere, vielleicht nahestehende Person. Schauen Sie, dass Sie sich selbst Raum und Zeit geben. Erteilen Sie sich selbst die Erlaubnis, denn das ist es, was oft übersehen wird und nicht stattfindet. »Gestatten, ich bin ich und ich bin wichtig! Ich bin es mir wert, Zeit und Raum für mich in Anspruch zu nehmen!« Ihr eigener Raum und Ihre Zeit sind die Voraussetzungen dafür, dass Sie sich mit sich selbst verbinden können bzw. wahrnehmen können, was jetzt ist, was Sie wirklich brauchen oder auch nicht brauchen. Erst dann können Sie in Verbindung mit anderen Menschen gehen. Nehmen Sie sich und Ihre Bedürfnisse wichtig! Planen Sie Zeit und Raum für sich selbst ein. Wie Sie dies gestalten, wissen Sie selbst am besten. Sie sind die Expertin oder der Experte für Ihren Raum und Ihre Zeit – für sich selbst. Ob Sie sich Zeit am Abend, morgens, in der Mittagspause oder an einem Samstag bzw. Sonntag nehmen oder ob Sie sich, wie eine Kundin von mir, täglich eine halbe Stunde in Ihrem Büro einschließen, Yoga machen und meditieren, das ist ganz egal. Möglicherweise machen Sie einen Spaziergang im Wald oder gehen joggen. Vielleicht sitzen Sie auch morgens vor der Arbeit in einem Sessel und horchen in sich hinein, machen eine beruhigende Atemübung oder tanzen beim abendlichen Kochen zu Ihrer Lieblingsmusik und erleben etwas an sich, was Sie zu Kreativität und »Aus-Gelassenheit« bringt. Wichtig ist nur, dass Sie sich regelmäßig die Zeit und den Raum nehmen. Kleine Spots während des Alltags und größere Zeiträume verteilt aufs Jahr sind wichtig, damit Sie in Verbindung mit sich selbst bleiben.

Selbstreflexionsfragen zur Aufmerksamkeitsfokussierung 1. Wann ist der beste Zeitpunkt für Sie, »kleine« Selbstverbindungsauszeiten in den Alltag einzubauen? 2. Ermitteln Sie für sich, wann oder wie Sie zeitlich größere Selbstverbindungsräume für sich schaffen können. Wer oder was ist dafür zu berücksichtigen? Wer könnte Sie dabei unterstützen? 3. Legen Sie Ihre Selbstverbindungsauszeiten schon wie einen beruflichen Termin oder anderweitigen privaten Termin verbindlich fest? Verabreden Sie sich bereits mit sich selbst? 4. Angenommen, Sie haben diese Räume und Zeiten für sich in Ihr Leben eingebaut: Woran können Sie erkennen, dass sich etwas verändert hat? Inwieweit können es andere erkennen?

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1.2.2 Individualität, Bedürfnisse, Potenzial und Selbstfürsorge Es ist mehr als wichtig, wirklich wahrzunehmen, dass wir alle – und damit meine ich jedes lebendige Wesen, jeden Menschen – einzigartig sind. Es gibt niemanden, so wie es auch Virginia Satir in ihrem Gedicht beschreibt, »der genauso ist wie ich«. Das bedeutet auch, dass uns keiner wirklich sagen kann, was passend oder gut und welches der beste Weg für uns ist, unser Leben sinnvoll und zu unserer Zufriedenheit zu gestalten. Unsere Einzigartigkeit, unsere Individualität macht uns aus und gleichzeitig bringt sie uns in die Verantwortung, diese auch zu erkennen und mit aller Kraft wahrzunehmen – sonst könnte unser Leben sehr fremdgesteuert und in einem gewissen Sinne unglücklich und ohne uns verlaufen. Dazu gehören u. a. unsere Bedürfnisse, Talente, Neigungen und Wünsche, d. h. unser ganzes Potenzial. All das und noch vieles mehr dürfen wir bei unserer Selbstfürsorge berücksichtigen. Durch unser Aufwachsen und unsere Sozialisation nehmen wir vor allem in den ersten Lebensjahren zahlreiche Verhaltensweisen und auch Glaubenssätze von anderen – vor allem von uns nahestehenden Personen – an. Es entstehen Muster in unseren Gehirnen und wir glauben, dass das, was wir »er-leben«, wir selbst sind. Spätestens wenn wir uns in unserer Haut nicht (mehr) wohlfühlen oder wir immer wieder in unangenehme Situationen geraten, bemerken wir, dass etwas in Schieflage ist oder dass wir möglicherweise und im extremsten Fall nicht unser Leben, sondern das Leben anderer Menschen leben und etwas daran ändern müssen und wollen. Diese »Stimmen im Kopf«, wie die Klientin, die ich eingangs erwähnte, es nannte, sind oftmals vermischt mit den Meinungen, Bedenken, Glaubenssätzen und Verhaltensregeln, die wir von anderen übernommen haben. Möglicherweise waren sie in der Vergangenheit, in anderen Kontexten und in einer anderen bzw. abgeschwächten Form für uns hilfreich. Ich möchte sie hier nicht schlechtreden. Es bedarf jedoch des nachhaltigen Erkennens der Bedeutsamkeit unserer selbst, um dies, was ich gerade beschrieben habe, wahrnehmen zu können und ggf. zu verändern. Ein Resultat dieses Erkennens ist zudem, dass wir uns selbst wirklich wichtig nehmen – uns mit unseren Bedürfnissen in die erste Reihe stellen und somit der Selbst-Verbindung nichts mehr im Wege steht. Leider ist es oftmals ein schmerzhafter Weg, bis diese Erkenntnis gereift ist. Deshalb ist es mir u. a. so wichtig, Ihnen meine Gedanken dazu vorzustellen, weil ich der festen Überzeugung bin, dass uns, je eher wir damit beginnen, uns mit uns selbst zu verbinden, umso mehr Leid erspart bleibt. Dadurch haben wir eine höhere Chance und viel mehr Zeit, das Leben zu führen, das wir uns wirklich wünschen und das tatsächlich zu uns passt. Wir werden unserer Selbst wahrhaftig bewusst und können uns dadurch authentisch zeigen bzw. verhalten.

Selbstreflexionsfragen zur Selbst-Verbindung 1. Was macht Sie einzigartig? Woran können Sie das erkennen? 2. Nehmen Sie sich wirklich wichtig? Welche Priorität räumen Sie sich selbst ein? 3. Inwieweit sind Sie sich Ihrer Bedürfnisse bewusst? Inwiefern gehen Sie diesen nach?

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4. Die »Stimmen«, die Sie wahrnehmen, die Glaubenssätze etc.: Welche davon gehören überhaupt zu Ihnen? Was können Sie nicht mehr gebrauchen und was darf von Ihnen aussortiert werden? 5. Welche Potenziale erkennen Sie bei sich? Welche dürfen oder müssen Sie sogar noch mehr in den Fokus rückten? Die Verbindung zu sich selbst macht es möglich, sich innerlich auszurichten, die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und in Harmonie mit sich selbst das vorhandene Potenzial auszuschöpfen. In eine innere Ausrichtung als Führungskraft zu gehen bedeutet, für sich selbst zu sorgen und sich zu sortieren. Sich zu fragen: Was brauche ich, um mit mir im Einklang zu sein? Werden Sie die Dirigentin oder der Dirigent Ihres Gedankenorchesters! Horchen Sie in sich hinein und spüren Sie, welche bisher unerfüllten Bedürfnisse sich bei Ihnen melden. Wie äußern sich diese Bedürfnisse und welches schreit am lautesten? Unterdrückte Bedürfnisse und Gefühle sind wie schlummernde Vulkane: Sie brodeln so lange, bis sie explodieren. Dieses »Brodeln« kann sich dann einerseits nach außen entladen – z. B. in Form von Aggressionen – oder aber als Schwermut oder gar Depression im Inneren spürbar werden. Wie Sie in der Abbildung, die ich z. T. der Arbeit von Desirée Oliveira, dem Ouro Verde, entnommen habe, erkennen können, ist dies ein niemals endendes Pendeln zwischen diesen beiden Extremen. Doch insgesamt streben wir nach einem Mittelweg, einer Harmonie unserer Potenziale.

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Ich stimme den Worten von George Bill, einem Professor der Harvard University, den Dr. Michael Schwalbach in seinem Buch »Gute Führung durch Yoga und Meditation« zitiert, voll und ganz zu: »True Leadership can only begin when the leaders look deep into themselves and see who they really are.« (Schwalbach, 2016, S. 16) Dieses tiefe In-sich-Gehen ist der Schlüssel zur Selbst-Verbindung. Sie schürfen damit Gold – das Gold Ihres Seins, Ihrer Bedürfnisse, Ihres Potenzials. Alles, was in Ihnen schlummert, darf gesehen und anerkannt werden. Das bedeutet nicht, dass alle Bedürfnisse immer sofort erfüllt werden müssen und auch können. Doch indem Sie sie wahrnehmen, erleichtern Sie sich selbst den Umgang damit und haben so die Möglichkeit, sich innerlich mehr und mehr auszurichten. Authentizität durch Selbst-Verbindung Eine innere Ausrichtung – das Leben Ihrer Potenziale in Harmonie – hat auch eine Ausrichtung im Außen zur Folge. Es verändert Ihr Denken, Ihr Verhalten und insgesamt Ihre Haltung. Es macht Sie zufriedener und lässt Sie über sich selbst hinauswachsen. Ihre Energie verändert sich hin zu einer Authentizität, die andere Menschen als lebendig, energetisch und positiv wahrnehmen. Sie werden wahrhaftig Sie selbst – Sie werden im Außen als »echt« erlebt!

Eine weitere große Rolle beim »Schürfen nach Ihrem Gold« spielt Ihre Intuition, das sogenannte Bauchgefühl.

1.2.3 Selbst-Verbindung durch Intuition »Lassen Sie sich nicht durch Ihren Verstand davon abbringen, was Ihnen Ihre innere Stimme sagt.« (Lipton, 2018, S. 44) Diese Worte von Bruce Lipton sind für mich sehr gehaltvoll und haben mir in meinem eigenen Leben oftmals geholfen, wenn es darum ging, Entscheidungen zu treffen oder vereinfacht ausgedrückt »meinen Weg« zu gehen. Über Intuition wird viel gesprochen und auch diskutiert. Doch was ist überhaupt Intuition oder auch intuitives Handeln? Was bedeutet es im Zusammenhang mit Selbst-Verbindung? Wikipedia gibt uns folgende Information zum Begriff Intuition: »Intuition (von mittellateinisch intuitio ›unmittelbare Anschauung‹, zu lateinisch intueri  ›genau hinsehen, anschauen‹) ist die Fähigkeit, Einsichten in Sachverhalte, Sicht-

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weisen, Gesetzmäßigkeiten oder die subjektive Stimmigkeit von Entscheidungen zu erlangen, ohne diskursiven Gebrauch des Verstandes, also etwa ohne bewusste Schlussfolgerungen. Intuition ist ein Teil kreativer Entwicklungen. Der die Entwicklung begleitende Intellekt führt nur noch aus oder prüft bewusst die Ergebnisse, die aus dem Unbewussten kommen.« (Wikipedia, Stichwort: Intuition) Intuition ist also so etwas wie eine Eingebung, die aus dem Unbewussten kommt. Spannend ist, dass es im Mittellateinischen als »unmittelbare Anschauung« übersetzt wird, d. h. das ­Unbewusste schaut sich in dem Moment – unmittelbar – etwas an und reagiert. Wir wissen in dem Moment nicht, wo es herkommt, doch es ist da und hat erst einmal eine Wirkung. ­Beachten wir diese und reagieren darauf, dann handeln wir intuitiv. Die lateinische Übersetzung geht nach meiner Ansicht noch einen Schritt weiter: »Intueri« wird als »genau hinsehen« übersetzt. Das finde ich noch viel spannender, weil ich aus meiner Erfahrung heraus weiß, dass wir, wenn unsere Intuition uns eine Information gibt, wirklich genau hinsehen und auch hinsehen sollten. Inwieweit haben Sie für sich schon einmal überprüft, welche Auswirkungen es hatte, wenn Sie intuitiv gehandelt oder andersherum Ihre Intuition nicht beachtet haben – wenn Sie also, anstatt auf Ihre Intuition zu hören, sehr viel »nachgedacht« haben? »Nachgedacht« bedeutet für mich, dass Sie, nachdem die Intuition Ihnen eine Information gegeben hat, noch darüber nachgegrübelt haben. Was ist dann geschehen? Wie haben Sie sich entschieden und was haben Sie getan? Sind Sie Ihrer Intuition oder dem Ergebnis Ihrer Überlegungen gefolgt? Ich folge inzwischen fast immer meiner Intuition, weil ich ansonsten Gefahr laufe, falsche Entscheidungen zu treffen. Möglicherweise schlafe ich eine Nacht darüber, doch nach meiner Erfahrung ist die Intuition eine sehr weise Instanz. Unser Unterbewusstsein hat alle relevanten Informationen gespeichert und kann uns blitzschnell wichtige Impulse in Form von Gefühlen oder auch Worten oder Sätzen geben. Spannenderweise reagieren und handeln Kinder noch sehr intuitiv – ich möchte behaupten, dass sie einfach unverfälschter wahrnehmen. Sie sind nicht so »kopflastig«, geben ihrem Verstand also (noch) nicht die Bedeutung, die wir ihm als Erwachsene zuschreiben. Die Macht des Unbewussten und die Wirksamkeit von intuitivem Handeln beschreiben auch Friederike Fabritius und Hans Werner Hagemann in ihrem Buch »Neuro-Hacks. Gehirngerecht und glücklicher arbeiten«:

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»Der einflussreichste und zugleich am meisten unterschätze Teil des menschlichen Gehirns ist jener, dessen wir uns definitionsgemäß nicht bewusst sind: das Unbewusstsein.« (Fabritius/Hagemann, 2021, S. 148) Sie schlussfolgern aufgrund von wissenschaftlichen Erkenntnissen, dass wir oftmals klügere Entscheidungen treffen, wenn wir weniger denken. Dies hat u. a. etwas mit der Ermüdung unseres begrenzten Arbeitsspeichers für das bewusste Denken zu tun. Unser Unbewusstes kann aber jederzeit auf alles, was an Expertenwissen in unserem Gehirn abgespeichert ist, zurückgreifen. »So wie wir ohne bewusste Aufmerksamkeit kompetent handeln, fällen wir auch oft unbewusst kompetente Entscheidungen.« (Fabritius/Hagemann, 2021, S. 149) Es ist unser gesammeltes Wissen über uns selbst, das uns zur Verfügung steht und unsere Intuition dadurch zu einem sehr starken Verbündeten macht. Das Nachdenken hemmt uns dann eher. Sind wir jedoch Anfänger in einem Lebensbereich, hilft uns je nach Situation auch das Nachdenken. Als Sportlerin habe ich diese unbewussten Handlungen oder auch Reaktionen bzw. Entscheidungen oft erlebt – sei es als Basketballspielerin beim Freiwurf oder als Leichtathletin beim Hochsprung oder Speerwerfen. Wir sprechen hier über das sogenannte »Choking«: Fange ich vor oder beim Freiwurf an zu überlegen, was ich da genau mache, dann geht der Ball eher daneben als wenn ich ihn intuitiv aus dem Unbewussten (Erlernten, im Gehirn Abgespeicherten) heraus ausführe. Als ich noch Anfängerin war, war es jedoch wichtig, mir den Ablauf immer und immer wieder selbst zu erklären oder erklären zu lassen und ihn bewusst zu üben. Um dies noch zu verdeutlichen, möchte ich Ihnen das Basketball-Wurfspiel »Wurfautomat« kurz vorstellen: Bei diesem Spiel wirft jeder so lange am Stück auf den Korb, bis der Ball daneben geworfen wird. Wer am Ende die meisten Treffer hat, hat gewonnen. Mir ist es häufig passiert, dass, wenn ich mehr als 10 bis 15 Treffer hintereinander erzielt hatte, mir plötzlich die erlernten Abläufe des Wurfs in den Kopf kamen, weil ich auf jeden Fall noch öfter treffen wollte, um zu gewinnen. Und dann passierte genau das, was passieren musste: Ich habe als Expertin für Freiwürfe zu viel nachgedacht und dann daneben geworfen. Der bewusste Verstand »entführt« in dem Fall das Unbewusstsein und das führt zu Fehlern. Der Intuition vertrauen lernen Unsere Expertenintuition für uns selbst ist schneller, effektiver und genauer. Wir dürfen lernen, ihr zu vertrauen.

1.3  Emphatische verbindende Führung braucht Selbst-Erkennen  |  35 

Wenn wir uns Zeit nehmen und Raum dafür zur Verfügung stellen, mit uns allein zu sein und in uns hineinzuhorchen, dann wird unsere Intuition uns Antworten auf unsere Fragen geben oder es werden einfach Gedanken auftauchen, die wir wahrnehmen dürfen oder wahrscheinlich sogar müssen. Gedanken, die sich vielleicht schon häufiger aufgedrängt haben, die zu uns gehören, die etwas mit uns zu tun haben, denen wir aber bisher nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt haben. Möglicherweise sind es Gedanken, die mit unseren Bedürfnissen, unserer Persönlichkeit, unserem Wissen, unseren Ressourcen, unserer Kreativität, unseren sozialen Kontakten, unserer Arbeit, unserer Führungstätigkeit zu tun haben. Wir heißen einfach alles, was kommt, willkommen und nehmen es erst einmal an. Die Gedanken sind sowieso da, nur dass wir sie aufgrund unseres »Durchs-Leben-Rennens« oftmals nicht wahrnehmen können oder sie sogar vermeiden, weil sie möglicherweise Veränderungen mit sich bringen. Und unser »faules« Gehirn liebt Veränderungen nicht so sehr, weil diese es Energie kosten. Unbewusstes als »weise Instanz« Wir dürfen auf unsere Intuition vertrauen. Es ist unser unbewusstes Expertenwissen – all das, was wir in uns haben. Es kann uns helfen, uns selbst besser wahrzunehmen, zu verstehen und auch Lösungen für Probleme zu finden. Dabei können wir unsere weise Instanz erleben – mit der höchsten Kompetenz für uns selbst.

Selbstreflexionsfragen zur Selbst-Verbindung 1. Inwieweit nehmen Sie Ihre intuitiven Gedanken wahr? 2. Wann haben Sie schon einmal Ihrer Intuition vertraut und was ist daraus Gutes entstanden? 3. Wie wäre es, wenn Sie sich – in Verbindung mit sich selbst gehend – eine Frage stellen und auf die Antwort, die intuitiv entsteht, vertrauen? 4. Nehmen Sie sich Raum und Zeit für eine Selbst-Verbindung. Horchen Sie einfach in sich hinein, was sich daraufhin zeigt. Was können Sie dabei über sich selbst erfahren und was davon ist für Sie hilfreich?

1.3 Emphatische verbindende Führung braucht Selbst-Erkennen »Zu einer Begegnung gehören zwei Personen und drei Aspekte: jede Person im Kontakt mit sich selbst und beide im Kontakt miteinander.« (Satir, 2012, S. 16) So wie es Virginia Satir in ihrem Buch »Mein Weg zu dir. Kontakt finden und Vertrauen gewinnen« (2012) m. E. treffend formuliert, ist die Qualität jedes In-Kontakt-Tretens mit anderen Menschen immer auch abhängig davon, wie die Beteiligten mit sich selbst in Kontakt stehen. Alles spielt zusam-

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men. Jede:r von uns kennt das: Wenn wir uns nicht gut fühlen oder beruflich oder im Privatleben »auf dem falschen Weg« sind, leiden auch die Verbindungen im Außen darunter oder gehen gar in die falsche Richtung. Sind wir jedoch in gutem Kontakt mit uns selbst, so fällt es uns viel leichter, beispielsweise mit unseren Mitarbeitenden in einem guten Kontakt, einer guten Verbindung zu sein. Außerdem werden Sie durch Ihre Selbstreflexion, Ihre »Innenschau« sensibler für alle möglichen und vor allem auch emotionale Bewegungen, Befindlichkeiten bzw. Veränderungen im System. Dieses Wahrnehmen ist als Basis ausschlaggebend für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Ihre eigenen Erfahrungen in Ihrer Verbindung zu sich selbst helfen Ihnen sehr, sich zudem in Mitgefühl mit sich selbst und anderen zu üben. Sie lernen dadurch, mit Wertschätzung, Güte und Milde auf sich und Ihr Umfeld zu schauen. Sie erleben und fühlen, was z. B. mit Ihren Mitarbeitenden los ist, und können dann in Kontakt bzw. in die Kommunikation gehen. Im nächsten Kapitel (Praxistipps) werde ich Ihnen einige Möglichkeiten der Innenschau vorstellen, u. a. werde ich auch eine Mitgefühl-Meditation, die sogenannte Metta-Meditation, erwähnen und Ihnen Informationen dazu geben, wo Sie eine Anleitung finden. Diese Meditation unterstützt Sie dabei, Ihr Mitgefühl für sich und andere zu stärken. Als Führungskraft werden Sie von Ihren Mitarbeitenden genau beobachtet, Sie stehen für sie im Mittelpunkt, z. T. sind Sie für sie auch ein »Anker« oder »der Fels in der Brandung«. Alles, was Sie mit Ihrer gesamten Persönlichkeit ins System Ihres Unternehmens einbringen, hat eine Auswirkung auf das System. »Die Führungskraft ist ›Dreh- und Angelpunkt‹, der Kern und der Ursprung. Ihr Verhalten hat weitreichende Auswirkungen und sie ist immer Vorbild für die Mitarbeitenden und Aushängeschild fürs Unternehmen.« (Mattes, 2022, S. 193) Stehen Sie in einer guten Verbindung zu sich selbst und dadurch zu Ihren Mitarbeitenden, so ist die Basis für viele grundlegende Attribute einer gesunden Führung und für ein gesundes Miteinander gelegt – wie z. B. das Vertrauen Ihrer Mitarbeitenden in Sie, das Sie erhöhen, indem Sie ihnen vertrauen. Zum Thema Vertrauen schreiben Friederike Fabritius und Hans Werner Hagemann auf der Basis neurowissenschaftlicher Erkenntnisse folgende Worte, die ich sehr wichtig finde: »Nicht Motivation oder Geld, sondern Vertrauen ist der ideale Klebstoff, um erfolgreiche Teams zusammenzuhalten.« (Fabritius/Hagemann, 2021, S. 226) »Zusammenhalten« bedeutet für mich bezogen auf Führung, in einer starken Verbindung zum Team zu sein – oder auch im Privaten, in einer zusammenhaltenden starken Verbindung zu seinen Mitmenschen zu stehen.

1.3  Emphatische verbindende Führung braucht Selbst-Erkennen  |  37 

Die folgende Abbildung zeigt Ihnen einige Auswirkungen einer starken, mit sich selbst verbundenen Führungskraft auf ihr Team.

Diese Liste umfasst mit Sicherheit nicht alle positiven Auswirkungen, es gibt noch mehr. Sie können ja einmal schauen, was bei Ihnen und Ihrem Team noch entsteht, wenn Sie mit sich in Verbindung gehen und damit anderen ein Vorbild sind. Gehen Sie zudem offen damit um und fördern Sie die Selbstverbindung auch bei Ihren Mitarbeitenden! Wie ich schon in der Einleitung erwähnte, gehört Verbundenheit bzw. in einer guten Verbindung mit anderen Menschen zu sein zu unseren wichtigsten psychischen Grundbedürfnissen. Wenn dieses Bedürfnis nicht erfüllt wird, wenn wir Zurückweisung erfahren oder gar ausgeschlossen werden, dann werden in unserem Gehirn laut neurobiologischen Studien Teile der Schmerzmatrix aktiviert (vgl. Klinkhammer et al., 2018). Diesen Verlust an Verbundenheit bzw. Bindung erlebt unser Gehirn als existenzielle Bedrohung. Wird hingegen unser Bindungsbedürfnis erfüllt, dann können wir unser volles Potenzial ausschöpfen, sind weniger im Stress und gleichzeitig stärker motiviert. Deshalb ist es so wichtig,

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eine gute Verbindung zu sich selbst und zu unseren Mitmenschen bzw. Mitarbeitenden zu (er-) schaffen und diese fortlaufend aktiv zu stärken. Selbsterkenntnis ist die Voraussetzung für das Erkennen der Bedürfnisse und Potenziale von Mitarbeitenden – und nur so können Sie als Führungskraft empathisch führen. Gerade in diesen unsicheren Zeiten – Stichwort »VUCA« (volatility, uncertainty, complexity and ambiguity) und »BANI« (brittle, anxious, non linear, incomprehensible) – ist die Stärkung der Verbindung zu sich selbst und zu anderen eine systemische Stärkung Ihres gesamten Unternehmens. Am Anfang dieses Kapitels habe ich Virginia Satir zitiert, die schreibt, dass zu einer Begegnung zwei Personen und drei Aspekte gehören, nämlich jede Person im Kontakt mit sich selbst und beide im Kontakt miteinander. Übertragen auf ein ganzes Team oder gar auf ein ganzes Unternehmen, mit dem eine Führungskraft in Kontakt ist, potenzieren sich diese eben genannten drei Aspekte immens. Daran lässt sich zumindest erahnen, wie komplex das Miteinander wirkt bzw. in einem Unternehmen ist. Je sensibler Sie als Führungskraft dafür sind und je mehr Sie sich mit dem wichtigen Thema »verbindende Führung« beschäftigen, desto leichter wird der Umgang aller Beteiligten im Unternehmen miteinander. Bringen Sie diese Gedanken und Ihre Erfahrungen damit ins Unternehmen ein. Lassen Sie Ihre Mitarbeitenden wissen, wie wichtig das Thema ist. Geben Sie ihnen aktiv Informationen und Impulse dazu – das verstärkt die positiven Wechselwirkungen und macht Sie und Ihre Mitarbeitenden zudem erfolgreicher und zufriedener.

1.4 Praxistipps Wie eingangs erwähnt, ist jede:r von uns einzigartig, lebt in einem anderen Kontext, hat andere Bedürfnisse etc. Deshalb hier noch ein paar Tipps, gedacht als kurze Zusammenfassung dessen, was ich in meinen bisherigen Ausführungen bereits beschrieben habe.

Praxistipps 1. Erteilen Sie sich die Erlaubnis, sich selbst wichtig zu nehmen und Dinge zu tun, die Sie näher an Ihre Essenz heranführen! 2. Planen Sie Zeit für sich allein ein. Täglich, wöchentlich, monatlich und größere Spots jährlich. Setzen Sie sich Reminder! 3. Finden Sie heraus, wo, in welcher Umgebung und zu welchen Zeiten Sie am besten mit sich selbst sein können. Probieren Sie so lange aus, bis Sie das Passende für sich gefunden haben, und bleiben Sie gleichzeitig flexibel! 4. Machen Sie von dem, was Ihnen guttut, mehr und beenden Sie das, worin Sie möglicherweise keinen Sinn (mehr) sehen, oder das, was Ihnen nicht guttut!

1.5 Ausblick | 39 

5. Achtsamkeitsübungen und Meditationen können Ihnen dabei sehr helfen, sich mit sich selbst zu verbinden. Hierzu finden Sie einen guten Überblick in der 2. Auflage meines Buches »Gesunde Führung in der VUCA-Welt. Leadership in Transformation« (2022). 6. Inwieweit können Sie Vorerfahrungen zur Selbstverbindung wiederaufleben lassen und nutzen? Was könnten das für Praktiken sein? 7. Wichtig ist, dass Sie sich wohlfühlen, egal wie Sie sich mit sich selbst in Kontakt begeben! 8. Fragen Sie sich, welche Personen oder auch professionelle Kontexte Sie in Ihrem Bestreben nach Selbstverbindung unterstützen können – möglicherweise ein:e systemische:r Coach:in, Trainer:in oder Psycholog:in oder auch Retreats zur Persönlichkeitsentwicklung, Achtsamkeit oder Meditation. 9. Mein Angebot an Sie: Führungskräfte-Retreats zur »Verbindenden Führung und Potenzialentfaltung« in der Natur (für Führungskräfte und Führungskräfteteams). Infos per Mail oder unter: www.ruthmattes.com

1.5 Ausblick Die Zukunft ist ungewiss, unvorhersehbar, schnelllebig, hochdigitalisiert und permanent in rasend schneller Veränderung – und das wird auch so bleiben, da bin ich mir sicher! Die Herausforderungen und Belastungen sind allgemein und verstärkt durch Wirtschaftskrisen, Krieg und auch Corona gewachsen, was zu einer Schwächung geführt hat und uns alle weiterhin viel Energie kosten wird. Als Führungskraft und auch als Privatperson (Sie sind natürlich immer gleichzeitig beides) wird es dadurch für Sie umso wichtiger, sich mit sich selbst zu beschäftigen bzw. sich zu verbinden, damit Sie sich von innen heraus stärken können. Sie erinnern sich: Alles wächst von innen nach außen. Die eigene Klarheit, die Selbstverbundenheit, so wie ich sie im Detail in diesem Beitrag beschrieben habe, und die damit verbundene Energie und Strahlkraft nach innen und außen sind bereits heute das »Zünglein an der Waage«, wenn es um erfolgreiche »gesunde« Führung geht. Dieser Trend wird sich in Zukunft noch verstärken. Nehmen Sie sich wichtig, »be-achten« Sie sich! Nehmen Sie sich wahr und »er-leben« Sie sich. So können Sie als Führungskraft gesund wirken, ein Vorbild sein, andere Menschen motivieren, das Gleiche zu tun, und dabei Ihr eigenes und das Immunsystem jedes Einzelnen um Sie herum stärken. Die »fünf Freiheiten«, formuliert von Virginia Satir, können Sie dabei zusätzlich unterstützen, Ihre Verbindung zu sich selbst und zu anderen noch besser zu spüren und erfolgreich zu leben.

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»Die fünf Freiheiten Die Freiheit, das zu sehen und zu hören, was im Moment wirklich da ist, anstatt was sein sollte, gewesen ist oder erst sein wird. Die Freiheit, das auszusprechen, was ich wirklich fühle und denke, und nicht das, was von mir erwartet wird. Die Freiheit, zu meinen Gefühlen zu stehen, und nicht etwas anderes vorzutäuschen. Die Freiheit, um was zu bitten, was ich brauche, anstatt immer erst auf Erlaubnis zu warten. Die Freiheit, in eigener Verantwortung Risiken einzugehen, anstatt immer auf Nummer sicher zu gehen und nichts Neues zu wagen.« (Satir, 2012, S. 27)

Literatur Fabritius, Friederike; Hagemann, Hans Werner: Neurohacks. Gehirngerecht und glücklicher arbeiten. Campus, Frankfurt/Main, 2021. Klinkhammer, Margret; Hütter, Franz; Stoess, Dirk; Wüst, Lothar: Change happens. Veränderungen gehirngerecht gestalten. Haufe, Freiburg, 2., überarbeitete Auflage, 2018. Lipton, Bruce H.: Der Honeymoon-Effekt. Liebe geht durch die Zellen. Koha, Dorfen, 4. Auflage, 2018. Lipton, Bruce H.: Intelligente Zellen. Wie Erfahrungen unsere Gene steuern. Koha, Burgrain, aktualisierte und erweiterte Neuauflage, 2016. Luhmann, Niklas: Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp, Frankfurt/Main, 1984. Maturana, Humberto R.; Varela, Francisco J.: Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln menschlichen Erkennens. Fischer, Frankfurt/Main, 2009. Purps-Pardigol, Sebastian: Leben mit Hirn: Wie Sie Ihre Potenziale entfalten, egal was um Sie herum geschieht. Campus, Frankfurt/New York, 2021, S. 65. Ramming, Markus: Neuro Change. Antworten der Hirnforschung auf den Wandel im Management. Haufe, Freiburg, 2019. Satir, Virginia: Mein Weg zu dir. Kontakt finden und Vertrauen gewinnen. Kösel, Wiesbaden, 11., durchgesehene Ausgabe, 2012. Schwalbach, Michael: Gute Führung durch Yoga und Meditation. Mit der uralten Weisheitslehre Yoga zu mehr Führungsqualität. Springer, Berlin – Heidelberg, 2016. Wikipedia: Intuition. Online verfügbar unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Intuition (letzter Zugriff: 27.9.2022).

Über Ruth Maria Mattes  |  41 

Über Ruth Maria Mattes

© Doreen Kühr

Ich liebe es, draußen in der Natur zu sein und mich vielseitig zu bewegen oder auch zu meditieren. Das bereichert mein Leben genauso wie meine wundervolle Familie und Freunde. Zu arbeiten bedeutet für mich, das zu tun, was ich wirklich liebe – und dies mit Leidenschaft, vollem Engagement und höchster Professionalität. Die Berücksichtigung der Individualität eines jeden Menschen oder auch verschiedener Teams bzw. Unternehmen, zudem eine hohe Praxis- bzw. Umsetzungsorientierung und das »Er-Leben« mit Menschen ist das, was mir am Herzen liegt und mir Freude bereitet. Dabei hat für mich die Berücksichtigung von Vielfältigkeit und Nachhaltigkeit einen sehr hohen Stellenwert.

Ich bin Autorin, selbstständige systemische Trainerin und Coachin für Persönlichkeits-, Unternehmens-, Führungskräfte- und Teamentwicklung, WingWave- und Ouro-Verde-Coachin sowie Dozentin für Personal-/Businesscoaching und autopoietische systemische Kompetenzaufstellungen. Von Mai bis Oktober lebe ich auf Korfu und biete dort für Führungskräfte und Privatpersonen Gruppen- und Einzel-Retreats in der Natur an. Wenn Sie mehr über mich erfahren möchten, schauen Sie gern auf meiner Homepage vorbei: www.ruthmattes.com

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2 Systemisches Denken und Handeln – Kompetenzen stärken durch Beobachtung der Beobachtung Marcel Hübenthal »Führung bedeutet, eine Kultur zu gestalten, in der Menschen ihre Potenziale entdecken und entfalten können.« (Marcel Hübenthal)

Auf einen Blick: Worum es diesem Beitrag geht In diesem Beitrag geht es darum, wie Führungskräfte sich und Mitarbeitende durch systemisches Denken und Handeln stärken und ein freudvoll intrinsisch motiviertes Arbeitsklima schaffen können. Dazu gibt es einen kurzen Ausflug zu wichtigen Aspekten der Systemtheorie und konkrete Anregungen, wie Führungskräfte diese im Arbeitsalltag nutzen können.

2.1 Wofür ist systemisches Wissen wichtig? Systemisches Wissen befähigt Menschen dazu zu verstehen, wie Systeme funktionieren und wie man sie mitgestalten kann. Jeder Mensch und jede Führungskraft tut dies schon unentwegt – für sich und andere –, allerdings meist unbewusst. Eine Führungskraft hat mit systemischem Wissen die Möglichkeit, das System, in dem sie führt, bewusst auf eine Weise zu verändern, dass es sich im Sinne der Mitarbeitenden und einer Organisation positiv weiterentwickeln kann. Im Kontext Führung werden hier folgende Aspekte als Systeme berücksichtigt: y die Organisation oder das Unternehmen y die Teams y einzelne Mitarbeitende y die Führungskräfte y das C-Level y die Unternehmens- und Teamkultur

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Der systemische Ansatz ist beobachtend, beschreibend und nichtwertend und zielt darauf ab, dass sich Systeme weiterentwickeln, verändern und stabilisieren können. Ein System braucht förderliche und passende Bedingungen – ähnlich einer Pflanze, die von einer Gärtnerin mit der passenden Erde, der nötigen Menge an Wasser und dem richtigen Standort versorgt wird –, damit es das volle Potenzial entfalten kann. In der heutigen Zeit sollen sich Organisationen und Teams schnell anpassen und schnell auf Veränderungen am Markt reagieren können. Teams und Mitarbeitende sollen Verantwortung übernehmen und in eine agile Arbeitswelt hineinwachsen. Gleichzeitig bringen die meisten Mitarbeitenden jüngerer Generationen in Unternehmen neue Werte und Ansprüche an ihr Arbeitsumfeld mit, die sich in Tendenz auch bei älteren Generationen beobachten lassen. Sinnhaftigkeit, Vereinbarkeit von Familie, Arbeit und Freizeit, Flexibilität in Hinsicht auf Arbeitszeiten und Remote Work, fachliche und persönliche Entwicklungsmöglichkeiten, Anerkennung, Freude und ein positives Miteinander gehören zu den Anforderungen an eine moderne Arbeitswelt. Führungskräfte haben die wunderbare Möglichkeit, solch eine Welt mitzugestalten, wobei systemisches Wissen dabei helfen kann zu erkennen, wie eine konkrete Umsetzung aussehen kann.

2.1.1 Was sind Systeme? Ich beschreibe hier nur einige wichtige Grundprinzipien, da eine umfassende Behandlung den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde – in der Fachliteratur gibt es ganze Bücher zum Thema Systeme. Hier geht es erst einmal darum zu verstehen, was Systeme sind – und was nicht. Grundsätzlich bestehen Systeme aus mehreren Elementen, die in Wechselwirkung zueinander stehen und meist eine eigenständige Einheit bilden. Verschiedene Modelle und vielfältige Bereiche sind umfassend in der Systemtheorie beschrieben, wie zum Beispiel das Sonnensystem, Organisationen, das Internet, Maschinen, biologische Zellen, Familien, Regierungen, Teams oder der Mensch. Dabei lassen sich Systeme in verschiedene grobe Kategorien unterteilen: strukturelle, biologische, psychische, mechanische und soziale Systeme (siehe Abbildung). Bei strukturellen Systemen steht die Bildung von Abläufen und Regeln im Vordergrund – zu ihnen gehören beispielsweise das Gesundheitssystem, das Schulsystem, die Wirtschaft, das Rechtssystem und Organisationen, um nur einige zu nennen. Zu den biologischen Systemen gehören Pflanzen, Lebewesen und auch Ökosysteme. Sie bestehen wiederum aus Subsystemen, wie beispiels-

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weise dem Immunsystem, dem Nervensystem, Zellen usw. Bei einem psychischen System wird oft vom Bewusstsein und dem Unbewussten gesprochen und allem Weiteren, was die menschliche Psyche ausmacht. Das psychische System eines Menschen steht auch immer in unmittelbarer Wechselwirkung zum Körper, also dem biologischen System. Soziale Systeme umfassen alle Systeme, in denen Menschen zusammen in Wechselwirkung stehen und eine Einheit bilden. Dazu gehören mitunter Familien, Teams, ethnische Gruppen, Religionsgemeinschaften und Nationalitäten.

Es gibt Grundprinzipien für Systeme, die Systeme als solche definieren. Jedes System besteht aus mehreren Elementen, die in Wechselwirkung, in Beziehung zueinander stehen und zusammen eine eigenständige Einheit bilden. Jedes System hat eine Funktion oder eine Aufgabe zu erfüllen – es gibt also einen Zweck, für den das System existiert. Alle Systeme haben eine Grenze. Bei sozialen Systemen erfolgt die Abgrenzung zum Beispiel über Zugehörigkeit, Werte oder Ideologien. Beim Menschen ist die Grenze die Haut und bei strukturellen und sozialen Systemen sind die Grenzen durch Regeln oder Gesetze definiert.

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In der Systemtheorie lässt sich beobachten, dass soziale, psychische und biologische Systeme immer das Bestreben nach Stabilität und Entwicklung haben, wobei mit »Stabilität« auch »Sicherheit« gemeint ist. Grundprinzipien für Systeme Die Grundprinzipien für Systeme lassen sich als Liste im Überblick für soziale, psychische und biologische Systeme wie folgt zusammenfassen: y Systeme bestehen aus mehreren Elementen. y Die Elemente bilden eine eigenständige Einheit. y Die Elemente haben wechselseitige Auswirkungen aufeinander. y Systeme haben Grenzen. y Jedes System hat eine Funktion. y Systeme streben nach Stabilität. y Systeme streben nach Entwicklung.

Diese Grundprinzipien für System können in der Systemtheorie noch erweitert und vertiefend beschrieben werden. Für den Zweck hier ist diese Aufzählung aber ausreichend.

2.1.2 Relevante Systeme für Führung Eines der relevantesten Systeme ist das, in dem die Führungskraft führt. Diese Aussage deutet schon darauf hin, dass es noch weitere wichtige Systeme für die Führungskraft gibt. Doch zunächst betrachten wir das soziale System, in dem Führung stattfindet und für das die gleichen Kriterien gelten wie für alle Systeme: Ein Team ist ein System, das aus einzelnen Personen besteht, die wiederum in Wechselwirkung zueinander stehen. Auch dieses System möchte sich auf der einen Seite stabilisieren, also Sicherheit erleben, und auf der anderen Seite weiterentwickeln. Gleichzeitig ist jede Person im Team auch ein eigenes System mit den gleichen Bestrebungen. Hieraus lässt sich ableiten, dass eine Differenzierung zwischen der Führung eines Teams und der Führung von Einzelpersonen nötig und wichtig ist. Weitere wichtige Systeme für den Kontext Führung sind die Organisation und die Marktwirtschaft als strukturelle Systeme, die Regeln und Veränderungen von außen unterliegen. Die Führungskraft steht auch zu diesen Systemen in Wechselwirkung und folgt zu größten Teilen derer Regeln. Die letzten relevanten Systeme in diesem Kontext sind das psychische und das biologische System der Führungskraft. Auf diese beiden Systeme hat die Führungskraft den größten und unmittelbarsten Einfluss.

2.1  Wofür ist systemisches Wissen wichtig?  |  47 

Das psychische und biologische System der Führungskraft Die Auseinandersetzung mit ihrem psychischen und biologischen System ist für Führungskräfte die Grundlage dafür, dass Führung überhaupt funktioniert. Wenn Sie selbst Führungskraft sind, dann haben Sie es mit hoher Wahrscheinlichkeit schon erlebt, dass Sie, wenn es Ihnen körperlich oder psychisch einmal nicht gut ging, Ihrer Führungsrolle nicht so gerecht werden konnten, wie Sie es sich vielleicht gewünscht hätten. Wenn Sie die Gesundheit Ihres Körpers längerfristig vernachlässigen, wird dies negative Folgen für Sie und Ihre Führungskompetenz mit sich bringen. Das wiederum hat Auswirkungen auf die Gesundheit Ihres Teams, denn Sie sind nicht nur Führungskraft, sondern auch ein Role Model – eine Identifikationsfigur für Ihre Mitarbeitenden. Das bedeutet natürlich nicht, dass Ihre Mitarbeitenden Ihnen, wenn Sie ihnen körperliche Gesundheit vorleben, postwendend nachstreben werden – Sie zeigen ihnen aber, wie sich ein gesundes Leben auswirken kann. Für ein gesundes biologisches System braucht es – wie allgemein bekannt – Bewegung, gesunde Ernährung und körperliche Ausdauer. Nach dem Wissensstand der heutigen Forschung und Wissenschaft ist das Streben einer Führungskraft nach körperlicher Gesundheit ein Grundpfeiler moderner Führung. Auch die Auseinandersetzung mit Ihrem eigenen psychischen System als Führungskraft hat eine hohe Relevanz und große Auswirkungen auf Ihre persönliche Entwicklung und die gesamte Teamkultur. Denn Ihre Denk- und Verhaltensweisen, die teils auch unbewusste Muster sind, spiegeln sich in Ihrer Kommunikation wider. Hierbei sind zwei Aspekte der Wechselwirkung besonders in den Fokus zu rücken. Der erste Aspekt ist, wie ich selbst mit mir umgehe. Dies beinhaltet, was ich selbst über mich denke, was ich innerlich zu mir selbst sage, welche Glaubenssätze ich habe, inwieweit ich Ängste habe und welche Stimmung ich in mir erzeuge. Einiges davon ist mir bewusst – vieles aber auch unbewusst. Die Bewusstwerdung solcher Themen ist der erste Schritt zur Veränderung, was große Auswirkungen auf meine Kompetenzen als Führungskraft hat (vgl. auch den Beitrag von Markus Ramming). Ich habe immer die Möglichkeit, mich positiv weiterzuentwickeln. Der zweite Aspekt ist, dass ich im Umgang mit mir selbst auch eine Beziehung zu mir selbst führe und die Art und Weise, wie ich die Beziehung zu mir selbst führe, von Menschen in meinem Umfeld wahrgenommen wird – bewusst oder unbewusst. In dieser Beziehung fungiere ich als Role Model für meine Mitarbeitenden. Sie ist Teil einer gesunden Selbstführung.

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Für Sie als Führungskraft ist es relevant, Persönlichkeitsentwicklung zu gestalten und eine gesunde Beziehung zu sich selbst zu führen. Diese gesunde Beziehung zu sich selbst ist die Grundlage dafür, dass Sie gesunde Beziehungen zu Ihren Mitarbeitenden aufbauen und pflegen können. Tipp Um Ihr psychisches System in eine kraftvolle Wechselwirkung zu bringen, können Sie Weiterbildungen, Supervision, Coaching und/oder Therapie in Anspruch nehmen.

Die gesunde Gestaltung Ihres körperlichen und psychischen Systems ist eine gewinnbringende Investition für Sie und Ihre Rolle als Führungskraft. Damit schaffen Sie die optimalen Voraussetzungen, um systemische Führung etablieren zu können.

2.1.3 Autopoiese: Ein Arbeitsklima für Potenzialentfaltung schaffen »Autopoiese« ist ein wichtiger Begriff im systemischen Denken und Handeln. Er beschreibt, wie selbstorganisierte biologische und soziale Systeme sich weiterentwickeln, reproduzieren, heilen, erschaffen, lernen und Resilienz entstehen lassen können. Er bedeutet so viel wie »aus sich selbst heraus«. Wann und wie viel Autopoiese stattfinden kann, ist abhängig vom Kontext, der – beispielsweise in einem Team – einerseits vom strukturellen System und dessen Regeln und andererseits von der Art der Wechselwirkungen, also der Beziehungsgestaltung geprägt ist. Hat ein System Regeln, die eine Weiterentwicklung nicht fördern, sondern gar einschränken, kann Autopoiese für diesen Aspekt so gut wie nicht stattfinden. Im systemischen Ansatz gehen wir davon aus, dass Menschen grundsätzlich schon alle Kompetenzen und Ressourcen in sich tragen, um ihre eigenen Potenziale zu entfalten. Dies geschieht nicht durch Belehrung, unerwünschte Ratschläge oder vereinheitlichte Persönlichkeitsentwicklungsmodelle, sondern durch Lernen und die Möglichkeit, Dinge in sich selbst zu entdecken. Aus diesem Grund wird bei systemischen Ansätzen viel mit offenen Fragen und Einladungen zu Perspektivwechseln gearbeitet, damit Menschen sich aus sich selbst heraus entwickeln können. Auch Grenzen, Regeln, Widerstände und Auseinandersetzungen können Autopoiese fördern. Klare Grenzen helfen, der Autopoiese einen klaren Rahmen zu geben, sodass sie in diesem gut zum Tragen kommt. Das Bestreben biologischer und sozialer Systeme, sich weiterzuentwickeln und zu stabilisieren – also Sicherheit zu erleben – bedeutet für Sie als Führungskraft, dass Sie Autopoiese fördern sollten. Menschen möchten heute mehr denn je ein Arbeitsumfeld erleben, in dem Sicherheit und Weiterentwicklung möglich sind. Wenn Sie Autopoiese fördern, werden Ihre Mitarbeitenden ihre Aufgaben bestmöglich erfüllen und für die Erreichung ihrer Ziele mit Motivation und Freude zur Verfügung stehen.

2.2  Das Systemische Führungsmodell  |  49 

Ein Prinzip in der Arbeit systemischer Coaches ist es, Autopoiese zu fördern, weil die daraus resultierenden Lösungen nachhaltiger sind. Der Kontext Coaching unterscheidet sich jedoch vom Kontext Führung, denn beide haben unterschiedliche Funktionen und gleichzeitig steht bei beiden die Entfaltung der Potenziale für die jeweiligen Ziele im Vordergrund. Im folgenden Abschnitt stelle ich ein Modell vor, mit dem Sie als Führungskraft Autopoiese fördern können. Dieses Modell hat den Ursprung im systemischen Coaching und lässt sich wunderbar auf das Handwerk Führung und die damit verbundenen Haltungen übertragen.

2.2 Das Systemische Führungsmodell Ein Arbeitsumfeld zu gestalten, in dem Menschen sich wohlfühlen, Freude erleben und sich entwickeln können, ist das, was Führung heute unter anderem leisten muss. In meiner Funktion als systemischer Personal und Business Coach arbeite ich seit vielen Jahren mit Führungskräften, Manager:innen und Geschäftsführer:innen. Jedes Thema und jedes Coaching ist einzigartig, da jeder Mensch einzigartig ist. Gleichzeitig gibt es immer wieder Fragen zum Thema Führung, die sich ähneln. Für diese Fragen habe ich das Systemische Führungsmodell entwickelt (siehe Abbildung). Die einzelnen Elemente des Modells sind Haltungen und Verhaltensweisen, die systemische Führung ausmachen. In den folgenden Abschnitten gehe ich detailliert darauf ein und beschreibe die Bedeutungen und Handlungsmöglichkeiten für Sie als Führungskraft.

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2.2.1 Vertrauen Das Vertrauen, das Sie Ihren Mitarbeitenden in Bezug auf ihre Fähigkeiten, Kompetenzen, Umsetzungsstärke und Zielerreichungsfertigkeit entgegenbringen, ist maßgeblich entscheidend für ihren Erfolg (siehe auch den Beitrag von Uta Weiss). Wenn Sie äußerlich Vertrauen zeigen, innerlich aber wenig Vertrauen haben, wird sich dies unmittelbar in Ihren Beziehungen und den Leistungen Ihrer Mitarbeitenden widerspiegeln. Wenn Sie hingegen innerliches Vertrauen haben und dies auch zeigen, nimmt Ihr Gegenüber oder Ihr Team dieses Vertrauen wahr und lernt, auch selbst mehr in sich zu vertrauen. Dies ist ein Wechselwirkungsprinzip in Systemen. Es ist vielleicht nicht immer ganz leicht zu vertrauen – es ist jedoch wichtig, da ein grundsätzliches Vertrauen bei Ihren Mitarbeitenden oder Ihrem Team mehr Selbstvertrauen und Sicherheit auslösen wird. Überprüfen Sie daher regelmäßig, wie es um Ihr Vertrauen steht, und passen Sie Ihre Haltung ggf. bewusst an.

2.2.2 Transparenz Transparenz in Bezug auf Entscheidungen aus der Führungsrolle heraus ermöglicht es Ihren Mitarbeitenden, Ihre Entscheidungen nachzuvollziehen. Intransparenz hingegen kann bei Ihren Mitarbeitenden zu Unsicherheit, Unmut und einem Gefühl von Ausgeliefertsein führen. Dabei geht es nicht darum, jedes Detail oder firmeninterne Informationen weiterzugeben, sondern vielmehr um Dinge, die die Mitarbeitenden in ihren Aufgaben und Zielsetzungen betreffen. Auch kann eine Transparenz darüber, was transparent gemacht werden kann und was nicht, helfen, mehr Klarheit im Team zu schaffen. Solch eine Transparenz unterstützt die Sinnhaftigkeit der Arbeit. Überlegen Sie, wie Sie mehr Transparenz schaffen können. Dies betrifft auch Entscheidungen, die Sie vielleicht treffen müssen, obwohl sie zum Beispiel Ihrer eigenen Einstellung und Ihren Werten zuwiderlaufen. Dies macht Sie als Führungskraft authentisch.

2.2.3 Demut Demut ist ein Begriff, dessen Bedeutung weitreichend sein kann (siehe auch den Beitrag von Franziska Frank). Aus systemischer Sicht beschreiben wir ihn am ehesten mit »in den Dienste stellen von«, da Demut aus etymologischer Sicht unterschiedliche Bedeutungen haben kann. Wenn Sie als Führungskraft eine demütige Haltung einnehmen, stellen Sie sich der Rolle der Führung voll und ganz in den Dienst. Das heißt, Sie sind mit Ihrer vollen Aufmerksamkeit bei Ihren Mitarbeitenden und stellen sich damit in ihren Dienst. Sie sind demütig, weil Ihre Mit-

2.2  Das Systemische Führungsmodell  |  51 

arbeitenden bereit sind, Einsatz für ihre Aufgaben zu bringen, Sie sind demütig, weil Ihr Team Herausforderungen annimmt, Sie sind demütig, weil die Zusammenarbeit im Team so gut funktioniert, Sie sind demütig, weil alle motiviert sind. Und Sie sind demütig, weil sie Menschen sind. Das könnte Ihnen an der einen oder anderen Stelle überzogen erscheinen, doch geht es hierbei um eine grundsätzliche Haltung gegenüber Ihren Mitarbeitenden und Ihrem Team. Demut impliziert einige andere Aspekte, die sozusagen Beiwerk sind: Aus Demut resultieren auch Dankbarkeit, Empathie und Wertschätzung. Sie können Demut ausprobieren, üben und trainieren und dann wahrnehmen, welchen Unterschied Demut in Ihrer Führungsrolle macht und welche Auswirkungen Ihre Haltung auf die Menschen in Ihrem Arbeitsumfeld hat.

2.2.4 Mehrparteilichkeit Ihre Mehrparteilichkeit gegenüber allen Mitarbeitenden ist ein entscheidender Punkt, damit Ihr Team gut zusammen funktionieren kann. Wenn Sie in der Lage sind, für jedes einzelne Teammitglied Partei zu ergreifen, fördern Sie damit das Augenhöheprinzip im Team. Niemand bekommt das Gefühl, dass jemand im Team wichtiger sein könnte, wobei sich dieses Gefühl nicht auf Fachwissen, sondern auf die Zugehörigkeit bezieht. Die Mehrparteilichkeit gilt auch in Bezug auf andere Systeme wie beispielsweise Kunden, Stakeholder und Personen aus höheren Hierarchieebenen: Hier ergreifen Sie, falls notwendig, Partei für Ihr Team oder ein Teammitglied und gleichzeitig Partei für die andere Seite. Um dies zu leisten, müssen Sie in der Lage sein, die Perspektive der anderen einzunehmen und Verständnis für organisationale Entscheidungen aufzubringen. Die Fähigkeit, die Perspektive anderer einzunehmen und dafür Partei zu ergreifen, können Sie für sich ausbauen und Ihre Führungskompetenz darum erweitern. Dies wird positive Auswirkungen auf Ihre Führung haben.

2.2.5 Grenzsetzung Wie oben beschrieben hat jedes System eine Grenze, die physisch, mehr oder weniger durchlässig oder durch Regeln definiert sein kann. Das Gleiche gilt für die Regeln in einem Unternehmen, in einem Team und in der Führung. Je mehr Klarheit über Grenzen besteht, desto besser kann sich ein System entwickeln, was sowohl für Teams als auch für einzelne Mitarbeitende gilt. Hierbei ist auch das Prinzip der Transparenz wieder hilfreich. Wenn von Ihnen als Führungskraft etwas eingefordert wird – wie beispielsweise andere Aufgaben oder Aufstiegsmöglichkeiten –, was Sie aber nicht bieten können, weil es keine Möglichkeiten dafür gibt, vereinbarte Leistungen nicht erbracht oder gesetzte Qualitätsmerkmale nicht erfüllt werden, ist eine transparente

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Grenzsetzung aus einer demütigen Haltung heraus der passende Weg einer entwicklungsorientierten Führung.

2.2.6 Nicht-Wissen Vielleicht kennen Sie Situationen, in denen Sie als Führungskraft gedacht haben: »Hätte ich es mal lieber selbst gemacht, dann wäre es besser oder ich hätte es schneller umgesetzt.« Schon möglich, dass Sie da recht behalten hätten. Aber dann kennen Sie sicherlich auch Situationen, in denen Sie sich zu stark in das Operative einbinden und sich dadurch weniger auf Ihre Führungsrolle fokussieren. Die daraus entstehende Wechselwirkung bewirkt, dass sich Ihre Mitarbeitenden nicht kompetent fühlen und eine Abwertung ihrer Leistung erleben. Daraus kann ein Muster entstehen, das Sie sich nicht wünschen, denn Sie möchten ja eigentlich, dass Ihre Mitarbeitenden die Aufgaben erfüllen – und nicht Sie. Durch dieses Verhalten werden Entwicklungsmöglichkeiten massiv eingeschränkt. Vertrauen und insbesondere das Nicht-Wissen, auf welchem Weg Aufgaben erfüllt werden, sind Teil einer positiven und unterstützenden Führung. Hilfestellungen und Feedback sind weiterhin notwendig – nur die Erfüllung obliegt den Mitarbeitenden. Dies erfordert ein Loslassen und ist oft nicht leicht. Gleichzeitig ist dies ebenso ein entwicklungsorientierter Weg der Führung. Vielleicht fragen Sie sich, wie sich ein Team oder Mitarbeitende weiterentwickeln und verbessern sollen, wenn Sie Nicht-Wissen praktizieren. Das möchte ich Ihnen im nächsten Abschnitt erklären.

2.3 Kybernetik 2. Ordnung Die Kybernetik 2. Ordnung ist ein weiterer relevanter Begriff des systemischen Denkens und Handelns. Kybernetik ist die wissenschaftliche Untersuchung von Steuerungsmechanismen in Systemen. Dies betrifft alle oben beschriebenen Systeme. Kybernetik 2. Ordnung ist die Beobachtung dieser Untersuchungen. Das Spannende daran ist, dass bereits das Beobachten Auswirkungen auf das Ergebnis haben kann. Dieses Phänomen ist auch in anderen Wissenschaften bekannt, wie beispielsweise in der Quantenphysik bei der Heisenberg’schen Unschärferelation. Aus der systemischen Arbeit mit Menschen ist bekannt, dass ein Problemfokus Probleme erzeugt und ein Lösungsfokus Lösungen. Es tritt also das in Erscheinung, was beobachtet wird. Für Führung bedeutet dies, dass die Kompetenzen der Mitarbeitenden beobachtet werden, auch dann, wenn diese möglicherweise nicht vordergründig zu erkennen sind. Je intensiver Kompetenzen beobachtet werden, desto mehr kommen sie zum Vorschein.

2.3  Kybernetik 2. Ordnung   |  53 

Damit Sie als Führungskraft die Kybernetik 2. Ordnung optimal für sich und Ihre Mitarbeitenden nutzen können, müssen Sie Ihre eigene Beobachtung beobachten, um sicherzustellen, dass es die passende Beobachtung ist. Erst die Beobachtung der Beobachtung lässt die Wirkung der Kybernetik 2. Ordnung zum Tragen kommen. Nach einiger Zeit und mit einiger Übung wird Ihnen dieses Verhalten in Fleisch und Blut übergehen und sich positiv in Ihrem Wirken als Führungskraft niederschlagen.

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Wie Beobachtung Wirklichkeit schafft Die dauerhafte Beobachtung der Beobachtung von Kompetenzen, Fähigkeiten und Stärken erzeugt etwas, was wir »Wirklichkeit« nennen – und diese ist in Ihnen und im gesamten System zu erleben. Stellen Sie sich vor, Sie beobachten eine Fähigkeit bei einer Person und haben diese Fähigkeit dauerhaft klar im Fokus. Um dazu in der Lage zu sein, ist es nötig, die eigene Beobachtung zu beobachten. Was werden Sie wohl an der Person entdecken? Genau diese Fähigkeit wird für Sie deutlich zu erkennen sein. Da Sie gleichzeitig in Wechselwirkung mit dieser Person stehen, wird sich das Beobachtete in Ihrem gemeinsamen System zeigen und diese Fähigkeit wird auch mehr und mehr für diese Person erkennbar und zur Wirklichkeit. Dass Sie hier mit Beobachten viel ausrichten können, liegt daran, dass die Wechselwirkungen zwischen den Elementen Ihres »Führungssystems« zwar komplex, aber nicht kompliziert sind. Aus meiner Erfahrung mit systemischem Coaching, mit Team- und Führungskräfteentwicklung bin ich nach vielen Jahren immer noch wahnsinnig fasziniert von der Kybernetik 2. Ordnung und dem, was dadurch möglich wird. Fast noch spannender ist, wenn Menschen einer gesamten Organisation beginnen, etwas Bestimmtes zu beobachten, und wie sehr sich das dann als Wirklichkeit abbildet. Das ist allerdings ein anderes Thema. Sie haben nun also die Möglichkeit, Wirklichkeiten zu erzeugen, die für Sie, Ihr Team und Ihre Mitarbeitenden einen entscheidenden Unterschied machen können. Sie können mit Ihrer Führung eine Teamkultur schaffen, die sich positiv entwicklungsorientiert gestalten kann.

2.4 Ausblick Ich habe größten Respekt und größte Anerkennung für allen Menschen, die sich dafür entschieden haben, eine menschenzugewandte Führungsrolle einzunehmen, und sich selbst fortwährend in einen Persönlichkeitsentwicklungsprozess begeben. Das Verstehen von Systemen und der in und zwischen ihnen bestehenden Wechselwirkungen ist wichtig, um heute erfolgreich führen zu können. Mit systemischen Tools, Fragetechniken, dem Wissen um Autopoiese, dem Systemischen Führungsmodell und der Kybernetik 2. Ordnung haben Führungskräfte das, was nötig ist, um Führung heute zu gestalten. Gleichzeitig braucht diese Art der Führung Organisationen, die bereit dazu sind, sich weiterzuentwickeln, zu verändern oder zu transformieren, um solche Führungskulturen zu fördern. Immer mehr Organisationen sind im Aufbruch und leiten den Wandel der Unternehmenskultur ein. Davon braucht Führung heute noch mehr.

Über Marcel Hübenthal   |  55 

Über Marcel Hübenthal Marcel Hübenthal arbeitet als systemischer Personal und Business Coach und begleitet sowohl Privatpersonen mit emotionalen Herausforderungen als auch Teams, Führungskräfte, Geschäftsführer:innen und Manager:innen zu organisationalen Fragen. 2006 gründete Marcel Hübenthal »Coaching Haus Berlin«, eine Gemeinschaft interdisziplinär arbeitender Coaches. 2008 gründet er die »Coaching Akademie Berlin«, an der seit 2010 bis heute professionelle systemische Coaches an mehreren Standorten in Deutschland, der Schweiz und in Österreich ausgebildet werden. Hier arbeitet Marcel Hübenthal als Lehrcoach und ist für die Curricula verantwortlich. Ebenfalls im Jahr 2010 begründet er eine Methode der Aufstellungsarbeit für Teams, Organisationen und Privatpersonen, deren Grundlage der autopoietische Ansatz ist, der heute den Namen SYNAMIK trägt. Anfang 2020 erfuhr ehemals »Coaching Haus Berlin« eine Transformation und Marcel Hübenthal ist Co-Gründer und Co-CEO der Goldberg Consulting GmbH, die Team-, Führungs- und Organisationkulturen bei Veränderungsprozessen begleitet. Anfang 2022 gründete er das »Institut für Systemische Kompetenz«, an dem weitere systemische Ausund Weiterbildungen angeboten werden. Marcel Hübenthal ist Vorstandsmitglied im »Bundesverband für Qualität in der systemischen Arbeit – QSA«.

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3 Führen mit Demut – Warum eine alte Tugend für nachhaltiges und modernes Führen unerlässlich ist Dr. Franziska Frank

»Bei Demut geht es um den Mut, einen egofreien Blick vom Balkon zu kultivieren.« (Dr. Franziska Frank)

Auf einen Blick: Worum es in diesem Beitrag geht Was ist demutsvolle Führung? Warum lohnt sie sich? Und welche Stolpersteine gilt es zu umgehen? Dies wird in diesem Beitrag detailliert und operationalisiert, sodass Sie ab morgen demutsvoller führen können. Und es auch wollen.

3.1 Einleitung Stellen Sie sich vor, Ihre Familie fragt Sie nach Ihrem Tag und Sie antworten: »Heute habe ich demutsvoll geführt: meine Mitarbeiterinnen, meine Kollegen, meinen Chef und meine Kunden.« Glauben Sie, dass Sie darauf ein bewunderndes »Oh, toll!« zu hören bekommen würden? Und wären Sie selbst (bevor Sie diesen Beitrag gelesen haben) stolz auf sich? Was wäre, wenn Sie der Familie sagen: »Heute ist mein Team dank meiner Führung kreativer gewesen, das Unternehmen kann die ambidextre Strategie besser umsetzen und die Kunden sind loyaler«? Das wäre doch mal was, worauf man stolz sein kann. Und genau solche positiven Ergebnisse zeitigt demutsvolles Führen.

3.2 Was ist demutsvolle Führung? Nun fragen Sie sich sicherlich, was Demut gemäß der wissenschaftlichen Definition überhaupt ist. Denn für viele klingt Demut nach Schwäche oder übermäßiger Bescheidenheit. Im ersten Schritt hilft ein knackiges Akronym dabei zu erkennen, dass es bei Demut um Mut geht und nicht darum, das eigene Licht unter den Scheffel zu stellen: y Demut ist der Mut zur y Erkenntnis des Selbst,

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y Motivierenden Anerkennung, y Ununterbrochenen Aneignung, y Transzendenz des Egos. Es geht bei Demut darum, sich, andere und die Situation wirklich zu sehen. Konkret definiert die Forschung daher eine demutsvolle Führungskraft wie folgt. Demutsvoll ist, wer y die eigenen Stärken und Schwächen kennt und zeigt, wo es für das größere Ganze sinnvoll ist (und nicht für das eigene Ego). y andere anerkennt, für das, was sie tun und sind, sowie für das, was sie sein können. y immer lernbereit und offen ist. y versteht, dass er/sie nur ein kleiner Teil eines größeren Ganzen ist, leicht ersetzbar, endlich und von Glück und Umständen begünstigt. Demut ist keine Schwäche Demut hat nichts damit zu tun, schwach oder zurückhaltend zu sein – es geht darum, einen klaren Blick auf sich, andere und die Situation zu kultivieren.

3.3 Wo stehen Sie auf der Demutskala? Nun wollen Sie sicher wissen, wo Sie auf der Demutsskala stehen. Dazu notieren Sie sich bitte Ihre Selbsteinschätzung zu folgenden Fragen:

3.4  Die positiven Effekte von Demut  |  59 

Teilen Sie die Summe durch 12. Vermutlich steht da ein Wert, der größer ist als 4,0. Das heißt, dass Sie sich als demutsvoll einschätzen, wie auch 80 Prozent der Führungskräfte weltweit. Sie können diesen Beitrag also zufrieden zur Seite legen und sich auf die Schulter klopfen. Oder? Wenn ich der Statistik trauen kann, dann leider nicht. Denn Mitarbeitende sehen diese Demut weltweit nur bei 35 Prozent der Führungskräfte. In Deutschland ist das Delta noch größer. Hier sehen sich 77 Prozent als demutsvoll und 25 Prozent der Mitarbeitenden stimmen zu. Das sind ganze 52 Prozent Unterschied (Frank, 2022). Woher diese enorme Diskrepanz? Sie kommt daher, dass wir zwar demutsvoll sein wollen, dies aber oft nicht in ein tägliches Handeln umsetzen. Stellen Sie sich nun bitte drei Ihrer Mitarbeiter:innen vor, die Ihnen zu den Fragen eine Durchschnittsnote geben. Da wird oft klar, dass Sie vielleicht immer nur eine Mitarbeiterin um Feedback bitten; dass Sie zwar in jedem Teammeeting Anerkennung zollen, diese Meetings aber nur monatlich stattfinden. Es fällt vielleicht auf, dass Sie beim letzten Projekt genau wussten, was Sie wollten, und die neuen Ideen Ihrer Mitarbeiter einfach weggebügelt haben. Und Sie nehmen wahr, dass Sie wenig Zeit damit verbringen, an den größeren Auftrag zu denken, den das Team im Unternehmen hat. In den allermeisten Fällen sinkt nun die Durchschnittsnote weit unter 4,0. Und Sie sehen, dass sich das Lesen dieses Beitrags eben doch lohnen kann. Noch besser können Sie sich natürlich einordnen, wenn Sie jetzt Ihre Mitarbeiter:innen bitten, Sie anhand der zwölf Fragen einzuschätzen. Fremdeinschätzung einholen Es besteht die große Gefahr, dass Eigen- und Fremdwahrnehmung auseinanderklaffen. Am besten ergänzen Sie Ihre Selbsteinschätzung durch die Einschätzung anderer.

3.4 Die positiven Effekte von Demut Warum lohnt es sich, die Tugend der Demut zu erlernen? In der folgenden Übersicht sehen Sie die Effekte, die eine demutsvolle im Vergleich zu einer demutslosen Führungskraft hat. Diese Ergebnisse stammen aus über 200 Studien mit mehr als 35.000 Führungskräften und Mitarbeitenden (Frank, 2022).

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Viele der Effekte beruhen darauf, dass eine demutsvolle Führungskraft »psychologische Sicherheit« generiert. Dieser Begriff bezeichnet eine Atmosphäre, in der sich Mitarbeiter sicher fühlen, frei zu sprechen, Fehler zuzugeben, Konflikte um der Sache willen zu führen und sie selbst zu sein, ohne negative Konsequenzen fürchten zu müssen. Dem folgen verbesserte Selbstwahrnehmung, erhöhte Selbstwirksamkeit und mehr Empowerment. Die Konsequenz: bessere Leistung, mehr Innovationen, eine bessere Kultur der Kooperation, mehr Verantwortungsübernahme etc. Da die demutsvolle Führungskraft ihr eigenes Ego im Griff hat, kann sie Fehler zugeben, erfolglose Projekte abbrechen und sich und andere richtig wahrnehmen. Das verbesserte Wahrneh-

3.4  Die positiven Effekte von Demut  |  61 

men führt dazu, dass sie um ihre eigenen Vorurteile weiß und diese bewusst bekämpft, was eine stärkere Förderung von Diversität zur Folge hat. Sie ist empathischer, aber versteht die Grenzen ihrer Empathie und ist bereit, Mitarbeitende nach ihrem Wollen zu fragen, anstatt Vermutungen anzustellen. Zusätzlich hat Demut für die Führungskraft selbst erhebliche Vorteile. Wen würden Sie lieber befördern: Egozentriker, die keine Schwächen zugeben, nie um Rat fragen und primär für sich handeln, oder Menschen, die sich verletzlich zeigen, andere wahrnehmen und für das größere Ganze handeln? Nicht überraschend zeigt auch meine Forschung, dass demutsvolle Führungskräfte in der Wahrnehmung insgesamt besser abschneiden (Frank, 2022).

Da klingt Demut nach einem absoluten No-Brainer. Oder gibt es Nachteile? Die Forschung tut sich schwer damit, ernsthafte zu finden. Klar hat Demut keine positiven Konsequenzen, wenn sie nur gespielt ist, denn das merkt man. Ebenso ist Demut fehl am Platz, wenn die Führungskraft nicht kompetent ist – nur ist sie das nicht lange, weil sie ja lernbereit und offen ist. Demut führt dazu, dass die Führungskraft als weniger »agentisch«, also handelnd wahrgenommen wird. Das liegt allerdings in der Natur der Sache: Wenn ich als demutsvolle Führungskraft andere ermächtige, werden die Mitarbeiter agieren. Was wiederum andere Vorteile hat:

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Eine Führungskraft fasste diese im Interview mit mir knackig zusammen: »Wenn ich mich selbst nicht zu wichtig nehme und mir nicht die Rolle gebe: Ich weiß alles, ich kann alles, ich muss alles wissen und entscheiden, gebe ich mehr Raum, dass andere Aufgaben übernehmen. Also mache ich mich selbst unwichtiger. Wenn ich mich nicht mit jedem Scheiß beschäftigen muss, habe ich auch mehr Zeit für die wirklich wichtigen Dinge.« (Head of Talent, 10.000 Mitarbeiter:innen)

Demut zu kultivieren lohnt sich Es gibt Dutzende von messbaren Vorteilen, die eine demutsvolle Führungskraft für die Mitarbeitenden, das Unternehmen und sich generiert. So lohnt es sich, Demut in sich zu kultivieren.

3.5 Was bedeutet Demut im Detail? Lassen Sie uns nun die einzelnen Unterpunkte von Demut genauer betrachten.

3.5.1 Die eigenen Schwächen und Stärken sehen und zeigen Die eigenen Schwächen und Fehler »Ich stelle keine Führungskraft ein, die nicht erzählen kann, wenn etwas im Leben nicht so gelaufen ist, wie geplant.« (ehemaliges Vorstandsmitglied, 3.500 Mitarbeiter:innen) Für mein Buch: »Mit Demut zum Erfolg – Leadership im 21. Jahrhundert« habe ich mehr als 170 Vorstände und Executives interviewt und unter anderem gefragt, welches der vier Elemente von Demut ihrer Erfahrung nach am schwersten fiel. Vermutlich überrascht es Sie nicht, dass 41 Prozent das Problem darin sahen, wirklich die eigenen Schwächen und Stärken zu sehen und zu zeigen. Eine Führungskraft brachte es auf den Punkt: »Die meisten Menschen sind nicht in der Lage, in sich hineinzuschauen und sich selbst zu verstehen. Es ist äußerst schwierig zu sehen, wie hässlich man ist. Und sich dennoch liebevoll zu akzeptieren.« (Global Head, 110.000 Mitarbeiter:innen) Dabei schätzt es das Team, wenn die Führungskraft Schwächen zeigen und Fehler zugeben kann. Für ganze 84 Prozent ist das eminent wichtig (Carnegie, 2016).

3.5  Was bedeutet Demut im Detail?  |  63 

Und was machen viele Führungskräfte? Die eigenen Fehler eher verstecken, statt sie in der größeren Gruppe zu teilen. Ganz anders Reed Hastings, CEO von Netflix: »Ich habe viele Führungsfehler gemacht. Abgesehen von meiner generellen Inkompetenz bei der Mitarbeiterführung hatte ich in fünf Jahren tatsächlich fünf Vertriebsleiter eingestellt und entlassen. Da ich mir sicher war, dass meine eigene Inkompetenz dem Unternehmen schadete, ging ich zum Vorstand und legte wie in einem Beichtstuhl meine Unzulänglichkeiten dar und bot meinen Rücktritt an.« (Hastings/Meyer 2020, S. 130) Denken wir nun nicht alle, dass das mutig war – aber ihn vermutlich geschwächt hat? »Doch der Pure-Vorstand nahm das Angebot nicht an. Während dieses Treffens passierten zwei faszinierende Dinge. Zum einen verspürte ich erwartungsgemäß eine große Erleichterung, weil ich die Wahrheit gesagt hatte und mit meinen Fehlern ins Reine gekommen war. Das andere war noch interessanter: Der Vorstand schien mehr an meine Führungsqualitäten zu glauben, nachdem ich mich ihm gegenüber offen und verletzlich gezeigt hatte. Ich kehrte ins Büro zurück und tat bei unserer nächsten Mitarbeiterversammlung das Gleiche wie im Vorstandszimmer. Diesmal war ich nicht nur erleichtert und baute Vertrauen zu meinen Mitarbeitern auf, sondern diese begannen auch, mir von allen möglichen Fehlern zu erzählen, die sie gemacht hatten und die sie zuvor unter den Teppich gekehrt hatten. Das verschaffte ihnen Erleichterung, verbesserte unsere Beziehungen und gab mir mehr Informationen, sodass ich das Unternehmen besser führen konnte.« (Hastings/Meyer, 2020, S. 130 f.) Sie sehen das Ergebnis: Geben Sie Fehler und Schwächen zu, werden Sie nicht nur mehr wertgeschätzt, sondern öffnen auch andere Menschen. Leider schaffen es nur 50 Prozent der Führungskräfte, ihre Fehler zuzugeben (Carnegie, 2016) – vermutlich aus Sorge, dass sie sich vor denjenigen schwächen, denen sie den Fehler beichten. Das ist allerdings eine Fehlwahrnehmung. Warum? Zum einen kostet Verstecken so viel Geistesenergie, dass die Gefahr besteht, weitere Fehler zu machen. Zum anderen ahnt das Team den Fehler oder die Schwäche sowieso schon. Falls Sie Sorge haben, das Gesicht zu verlieren, gibt es einen »Trick«, der für das größere Ganze fast genauso gut ist: nämlich um Rat fragen. Stellen Sie sich vor, Sie haben etwas falsch gemacht und sagen: »Das ist eine gruselige Situation. Hast du eine Idee, wie wir aus diesem Schlamassel rauskommen?« Man merkt sofort, was passiert: Der Gefragte schaltet das eigene Gehirn an und fühlt sich geehrt von der Bitte um Unterstützung. So zeigt auch die Forschung, dass Menschen, die um Rat gebeten werden,

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diejenigen, die um Rat fragen, für kompetenter halten und sich gern an einer Lösung beteiligen (Brooks et al., 2015). Lernen Sie also, Ihre Schwächen und Fehler zu zeigen sowie um Rat zu bitten. Aber Vorsicht: Es geht nicht um Oversharing oder darum, jede Schwäche darzulegen. Es geht nur um solche Schwächen und Fehler, die für das größere Ganze relevant sind. Tipp Überlegen Sie, wo Sie mehr Ihrer Schwächen und Fehler zeigen und um Rat bitten können. Tun Sie dies mindestens einmal in der kommenden Woche.

Die eigenen Stärken erkennen und zeigen Markus Sontheimer war zum CIO bei DB Schenker (76.000 Mitarbeiter:innen) ernannt worden. Beim ersten Global Leadership Meeting … »… ging ich durch den Raum und stellte mich vor. Als ich dran war, mich an die gesamte Gruppe zu wenden, sagte ich u. a.: ›Ich bin nicht euer Sklave. Die IT muss auf Augenhöhe mit dem Business sein. Wir sind nicht dazu da, einfach etwas zu implementieren – aber wir können euch unterstützen, so wie ihr uns unterstützen könnt.‹ Einige meiner Mitarbeiter waren bei dem Meeting dabei und schockiert. Kein CIO hatte jemals so deutlich gesprochen. Aber ich musste mich zum Wohle der Abteilung und des großen Ganzen klar positionieren.« (Markus Sontheimer in Frank 2022, S. 189) Wie sieht es aus, wenn es um das Zeigen von Stärken geht? In meinen Seminaren stimmen 70 Prozent dem Satz zu: »Gute Arbeit wird gesehen.« Und liegen damit oft falsch. Denn andere sehen selten, was wir tun. Nicht umsonst erzählte eine Führungskraft, dass ein Mitarbeiter sagte: »Ich würde gerne verstehen, was du den ganzen Tag machst.« Ist das ein Angriff? Vermutlich nicht – eher ein Ausdruck dessen, dass die Führungskraft nicht klar genug kommuniziert hat, wofür sie ihre Arbeitskraft einsetzt. Auch diejenige Vorständin, die sich immer nur mit Problemen an den Aufsichtsrat wendet, hat ihre Stärken nicht richtig gezeigt. Vielleicht trug das zu ihrem Abgang bei: Wie kann man eine Führungskraft schätzen, die immer nur mit Negativem kommt? Daher ist es Ihre jobimmanente Pflicht aufzuzeigen, was Sie bewegen. Nicht für Ihr Ego – sondern für die Aufgabe und die Ressourcen, die Sie nur dann bekommen, wenn man Sie sieht. Oft ducken sich Menschen weg, weil sie einen Unwillen verspüren, sich »anzupreisen« oder zu »verkaufen«. Es geht aber nicht um sie, sondern darum, so sichtbar zu werden, wie es für die freiwillig übernommene Rolle notwendig ist. Das heißt, sie müssen zeigen, was sie tun. Nicht angeberisch, sondern so klar und direkt, wie es Markus Sontheimer tat.

3.5  Was bedeutet Demut im Detail?  |  65 

Noch ein Beispiel für das Zeigen von Stärken gefällig? Stellen Sie sich ein Bewerbungsgespräch vor, in dem die Führungskraft sagt: »Deine Stärken kenne ich zur Genüge. Erzähl lieber was zu deinen Lernfeldern.« Dann ist es eben nicht demutsvoll, darauf einzugehen. Wie kann das Gehirn eines anderen Sie befördern, wenn Sie nun 30 Minuten zu Lernfeldern sprechen? Stattdessen müssen Sie der Führungskraft Ihre Stärken ins Bewusstsein rufen. Wie geht das? Indem Sie zum Beispiel sagen: »Danke, dass du meine Stärken erwähnst. Mich würde interessieren, welche drei aus deiner Sicht für die neue Rolle am wichtigsten sind.« Durch das nun folgende Verbalisieren wird Ihre Führungskraft Sie so wahrnehmen, wie Sie es brauchen, um die neue Rolle zu bekommen. Zum fast schon unverschämten Begriff »Lernfelder« könnten Sie sagen: »Das klingt wie riesige Rapsfelder. So etwas habe ich nicht. Ich habe individuelle Lernpunkte, die ich meistere, wenn sie anstehen. Das hast du vielleicht bei X oder Z gesehen.« Klar, stark – und demutsvoll! Stärken zeigen Es ist demutsvoll, die eigenen Stärken so zu zeigen, wie das für Ihre jetzige oder zukünftige Position notwendig ist.

3.5.2 Andere anerkennen »Man muss den Menschen symmetrisch begegnen. Ich bin weder ihr Opfer noch ihr Richter.« (Group CEO, 1.200 Mitarbeiter:innen) Wenn Führungskräfte in meinen Seminaren darüber nachdenken, wie oft sie andere anerkennen, wird es meist schmerzhaft. Zwar ist offensichtlich, wie sehr sie selbst anerkannt werden möchten, aber zugleich passt ihre Wahrnehmung zur Forschung, dass sich 59 Prozent der Mitarbeiter:innen nicht anerkannt fühlen (Khosla, 2016). Und dass Vorgesetzte und Kollegen noch weniger verbalisierte Wertschätzung abbekommen. Warum fällt uns das Anerkennen so schwer? Zum einen, weil wir so wenig sehen, was andere tun. Neurowissenschaftler belegen, dass Gehirne von Menschen mit höherem Status andere automatisch weniger wahrnehmen (Hogeveen et al., 2014). Das heißt, wir müssen uns bewusst darauf trimmen zu sehen, was andere tun. Zum anderen fällt es vielen schwer, so wertzuschätzen, dass sie sich nicht schmeichlerisch oder hohl vorkommen. Nun stellen Sie sich vor, Sie sagen zu einem Teammitglied: »Klasse – besonders Seite 8 hat mir den Prozess zum ersten Mal richtig klar gemacht!« Oder Sie sagen zu Ihrer Führungskraft: »Das war beeindruckend, wie Sie das Meeting in dieser schwierigen Phase geleitet haben.« Das ist gerad-

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linig und positiv und mit etwas Übung auch leicht möglich. Und Übung ist nötig, denn sonst rutscht leicht ein Satz raus wie »Ihre Arbeit wird schon gesehen« oder ein »Ich mache das jetzt mal knackiger als du«, was sofort (zu Recht) als fehlende Wahrnehmung und Wertschätzung gesehen wird. Kann es zu viel Anerkennung geben? Drohen wir bei dauerndem Lob nicht in das zu verfallen, was wir als aufgesetzt wahrnehmen? Überlegen Sie selbst: Auch wenn zu Ihren Aufgaben in der Familie das Kochen oder Rasenmähen gehört, freuen Sie sich doch jedes Mal, wenn das bemerkt und anerkannt wird. Genauso ist es in der Arbeit, selbst wenn Sie dafür bezahlt werden. Tipp Wecken Sie regelmäßig Ihr Gehirn auf, um andere wirklich wahrzunehmen. Üben Sie anerkennende Sätze. Versuchen Sie diese Woche mindestens zwei Menschen konkret anzuerkennen.

3.5.3 Immer lernbereit und offen sein Frage ich Teilnehmende, wer lernbereit und offen ist, schießen alle Hände hoch. Später folgen Sätze wie »Storytelling ist nicht mein Ding« oder »Ich bin einfach nicht der Typ für ...« Da sieht man, dass es mit der Lernbereitschaft oft nicht so weit her ist. Aber sollen wir uns nicht auf unsere Stärken konzentrieren? In der Tat geht der Trend heutzutage dahin, sich weiterzuentwickeln, wo man schon stark ist, und weniger auf das zu fokussieren, was mau ist, anderen aber in den Schoß fällt. Diese Einschätzung findet eine klare Grenze, wenn wir etwas nicht lernen wollen, was wir für unsere freiwillig übernommene Rolle als Führungskraft brauchen. Es gibt da die schöne Geschichte von John Havlik, wie er Navy Seal wurde, aufstieg, erkannte, wie gut er Führung konnte, und sehr zufrieden mit sich war, dass er keine politischen Spielchen spielte. Bis er gegangen wurde. Er zermarterte sich den Kopf, woran es gelegen hatte, und verstand endlich: Die Navy ist einfach politisch. Jeder, der erfolgreich sein will, muss sich dem stellen. Er dagegen hatte interne Politik als nicht erstrebenswert abgetan und war eklatant lernunwillig gewesen. Das Happy End: Er fand einen Weg zurück zu den Seals, meisterte interne Politik und hatte noch 20 erfolgreiche Jahre (Treasurer/Havlik, 2018). Das heißt, alles, was Sie als Führungskraft brauchen, sollten Sie lernen wollen. Punkt. Das ist nicht wenig: Entscheidungsfindung, Delegieren, interne Politik, Empathie, Strategie, Storytelling, Charisma, und, und, und. Dankenswerterweise zeigt die Forschung, dass sich alles, was Sie als Führungskraft brauchen, lernen lässt. Gar etwas so Wundersames wie Charisma. Studien zeigen, das Charisma aus 9 Leadership-Taktiken besteht. Diese lassen sich innerhalb von fünf Stunden so trainieren, dass

3.5  Was bedeutet Demut im Detail?  |  67 

Mitarbeiter noch drei Monate später einen Charisma-Aufschlag von 30 Prozent geben (Antonakis et al., 2011). Es ist entscheidend, dass Sie bei sich erkennen, wo Sie etwas als nicht lernbar erachten. So sagen mehr als 50 Prozent meiner Teilnehmer, dass nicht jeder eine großartige Führungskraft werden kann. Natürlich ist es nicht so, dass jeder eine großartige Führungskraft werden will – aber es kann jeder. Stattdessen stecken wir uns und andere durch dieses Anzweifeln in Schubladen, aus denen schwer herauszukommen ist. Denken Sie an die Momente, in denen Sie gedacht haben: »Cold Calling lernt Frau Müller nie« oder »Herr Mayer konnte noch nie mit Kunden«. Wenn Sie das denken, entlarven Sie Ihre Begrenzung im Mindset. Tipp Überlegen Sie, was Sie für sich und andere als nicht lernbar erachten, obwohl es die Rolle verlangt. Dann fangen Sie an, es zu lernen, und geben anderen Coaching-Hilfestellungen. Gleich diese Woche!

3.5.4 Das größere Ganze sehen Was meinen Sie: Wollte Harvardstudent Jeffrey Skilling zwölf Jahre im Gefängnis verbringen? Wollte MBA-Student Andrew Lay fünf Jahre einsitzen? Für den Betrug und Bankrott von Enron? Vermutlich nicht. Warum war es dann passiert? Weil sie sich – Schritt für Schritt – verstrickt und den Blick fürs größere Ganze verloren hatten, für das, was sie eigentlich an Wert schaffen wollten, was ihnen Mitarbeiter:innen und auch ihr eigenes Leben wert waren. Es ist leicht, das größere Ganze zu übersehen. Ein weniger kriminelles Beispiel aus einem meiner Seminare: Da übernimmt die Hälfte der Teilnehmenden im Rollenspiel die Rolle einer Führungskraft im Jahresgespräch. Es geht um Karl:a, der/die mit 115 Prozent Zielerreichung sehr erfolgreich im Business Development gewesen ist. Drei Punkte gibt es, die der Führungskraft zu Ohren gekommen sind: zweimal negatives Hörensagen sowie die Nachricht vom Verlust eines Kunden, weil Karl:a sich in der zehnten Schleife weigerte, Anpassungen am Angebot vorzunehmen. Was meinen Sie: Wie viele Teilnehmer überlegen vorab, was das Ziel des Gesprächs ist? Genau – traurige 10 Prozent. Diesen ist klar, dass es nur darum geht, im nächsten Jahr eine:n noch motiviertere:n Karl:a zu haben. Daher lassen sie das Hörensagen weg, fragen interessiert zum verloren gegangenen Kunden und geben 115 Prozent Bonus. Die anderen schmieren das Hörensagen aufs Brot, ärgern sich über den verlorenen Kunden und kürzen den Bonus, was dazu führt, dass selbst im Seminarraum Emotionen hochkochen und Karl:a unmotiviert aus dem Gespräch rausgeht. Erstes Fehlerset also: nicht verstehen, was der größere Sinn des Gesprächs ist, Hörensagen fälschlicherweise ernst nehmen und sich nicht noch vor dem Gespräch positive Kommentare einholen.

68 | 3 Führen mit Demut Kurzer Exkurs Wenn Sie zu jemanden für ein ganzes Jahr nur drei negative Punkte hören, hat dieser Mensch vermutlich mindestens 180 positive Punkte generiert – da ist es Ihre Pflicht, Ihr Gehirn mit einem Schwung davon zu füttern, um das Hörensagen in die richtige Perspektive setzen zu können.

Der zweite Fehler ist schwerer zu erkennen: Keine Führungskraft – nicht einmal die klügeren 10 Prozent – kommt auf die Idee zu sagen: »Was hätte ich tun können und müssen? Welche Kultur oder regelmäßigen Treffen hättest du gebraucht, damit du schon nach der fünften Anpassung für den Kunden zu mir hättest kommen können?« Am Verlust des Kunden ist nämlich nicht nur Karl:a schuld, sondern auch die Tatsache, dass die Führungskraft es nicht geschafft hatte, im Bewusstsein von Karl:a in der Krisenzeit zur Verfügung zu stehen. Wir nehmen also oft nicht wahr, was das größere Ganze und was unser Anteil daran ist. Zeitgleich überschätzen wir uns regelmäßig. Wenn ich frage, wie viel Prozent der eigenen Arbeit innerhalb eines Monats ersetzt werden kann, lautet die Antwort: zwischen 40 und 50 Prozent. Da müssen Sie sich daran erinnern, wie ein Kollege krank geworden ist, um zu erkennen, dass jeder viel schneller und umfassender ersetzbar ist.

3.5  Was bedeutet Demut im Detail?  |  69 

Was kann man tun, um das größere Ganze zu erkennen? Erst einmal anerkennen, was es schon gibt. 107 Milliarden Menschen leben oder haben in einem Weltall mit mehr als 200 Milliarden Galaxien gelebt. Das generiert die Ehrfurcht, die Sie brauchen, um lernbereit zu sein, andere anzuerkennen und sich selbst in Perspektive zu setzen. Einer meiner Interviewpartner machte das sehr klar: »Ich leite ein CSR-Programm an der örtlichen Business School. Ich mag glauben, dass es bei dieser Position um mich als Person geht. Aber wie kann ich das sagen? Wenn ich nicht die Visitenkarte meines Unternehmens tragen würde, würde sich niemand für mich interessieren. Dieses Logo, das mir die Möglichkeit gibt, unterrichten zu dürfen, wurde von Tausenden von Menschen geschaffen.« (Gruppenleiter Kundenerfahrung und CSR, 27.000 Mitarbeiter:innen) Auch ist viel von dem, was wir erreicht haben, Zufällen, Glück und Umständen geschuldet. Für mich z. B. würde ich sagen, dass mindestens 90 Prozent der Erfolge in meinem Leben darauf beruhen, dass ich gesund in Friedenszeiten in einem reichen Land geboren wurde. Dass meine Eltern mir zugeneigt waren und mir mit 15 ein englisches Internat anboten. Selbst wenn es meinem Tun zu verdanken war, dass ich mit einem Stipendium bleiben durfte, war es doch ihre Bereitschaft, die übrigen Gebühren zu zahlen sowie mir ein Studium in Cambridge und Deutschland zu finanzieren. Darauf konnte ich mit sechs Jahren Beratung bei BCG aufbauen, die mir den Wechsel zur ESMT ermöglichten, was zum Bücherschreiben führte. Dazu kamen noch die glücklichen Zufälle, dass mein Geschichtslehrer selbst in Cambridge gewesen war, mein Vater zufällig den Leiter einer Sprachschule in Leningrad kennenlernte etc. Wie viel härter traf es da meinen Sohn, der mit einem Herzfehler geboren wurde und sauerstoffarme Operationen durchstehen musste … Das soll nicht dazu führen, dass wir lethargisch werden und sagen, dass wir sowieso nichts tun oder ändern könnten. Stattdessen fordert es uns heraus, für das wenige, was wir wirklich bewegen können, die volle Verantwortung zu übernehmen – das heißt, die freiwillig gewählte Rolle vollständig auszufüllen und die unfreiwilligen anzunehmen oder bewusst gehen zu lassen. Zum Erkennen des eigenen größeren Ganzen finde ich folgende Fragen hilfreich: y Was will mein 80-jähriges Ich von mir? Denn unser zukünftiges Ich ist viel klarer und sieht, wo wir gerade unfokussiert sind und was wir eigentlich tun sollten. y Es ist 2025 und ich bin als Führungskraft gescheitert. Warum? Auch das öffnet Ihren Geist und hilft Ihnen dabei zu erkennen, wo Sie alten Mustern verhaftet bleiben, obwohl das Neue gewünscht ist; wo Sie ggf. nur halbherzig agieren und sich nutzlos als Opfer fühlen.

70 | 3 Führen mit Demut Das große Ganze sehen Es fällt uns im Alltag schwer, das größere Ganze zu sehen. Da Sie allerdings nur ein Leben haben (und dieses wohl weder verschwenden noch im Gefängnis verbringen wollen), lohnt es sich, darauf zu achten, was das größere Ganze für Sie bedeutet, wie viel Sie Glück und Umständen schulden und wie Sie für alles, was übrig bleibt, volle Verantwortung übernehmen. Stellen Sie sich im Laufe dieser Woche die Frage nach Ihrem größeren Ganzen und kommunizieren Sie einige Ihrer Erkenntnisse auch an Ihre Mitarbeitenden.

3.6 Die Stolpersteine auf dem Weg zur Demut Auf dem Weg zur Demut gibt es einige Stolpersteine. Erstens: der ungesunde Narzissmus. Wenn ich mich über alle anderen stelle, finde ich keinen Zugang zur Demut. Am klinisch festgestellten Narzissmus leiden ca. 5 Prozent der Bevölkerung. Wird er wie üblich im Organisationszusammenhang wie folgt definiert: »Das Wort ›Narzisst‹ bedeutet egoistisch, selbstbezogen und eitel«, so sehen Mitarbeitende weltweit 35 Prozent der Führungskräfte in ihrem Unternehmen als narzisstisch an, wobei es enorme Unterschiede zwischen den Ländern gibt (Frank, 2022).

Narzissmus ist aber keine unumstößliche Tatsache. Die Forschung zeigt, dass er messbar abnimmt, wenn die Situation oder das Unternehmen ihn nicht zulässt. Zudem können selbst klinische Narzissten auf Empathie trainiert werden.

3.6  Die Stolpersteine auf dem Weg zur Demut  |  71 

Der zweite Stolperstein: übermäßiges Selbstvertrauen. Antworten Sie auf die Frage »Sind Sie ein besserer Autofahrer als der Durchschnitt?« mit Ja, besteht hier eine Gefahr. Der lässt sich durch regelmäßiges Feedback und einen Coach begegnen. Mit Letzterem sind Sie dann in bester Gesellschaft: So berichtet Eric Schmidt, bis 2015 CEO von Google: »Unser Vorstand John Doerr sagte: ›Du brauchst einen Coach.‹ Und ich sagte: ›Ich brauche keinen Coach, ich bin ein etablierter Vorstandsvorsitzender. Warum sollte ich einen Coach brauchen? Läuft was falsch?‹ ›Nein, nein. Du brauchst einen Coach. Jeder braucht einen Coach.‹ Und so wurde Bill Campbell mein Coach und das klappte sehr gut. Jeder berühmte Athlet, jeder berühmte Schauspieler hat jemanden, der ein Coach ist, jemanden, der beobachten kann, was sie tun, und die nachhaken: ›Ist es das wirklich, was du wolltest? Hast du das wirklich gemacht?‹ und die Perspektive geben. Das Einzige, was Leute nie können, ist, sich so zu sehen, wie es andere tun. Ein Coach hilft da wirklich.« (Schmidt, 2013) Dritter Stolperstein ist das Gegenstück von übermäßigem Selbstvertrauen: sich unterschätzen. Trauen Sie sich zu wenig zu, denken Sie, dass Sie bald als inkompetent auffliegen, so leiden Sie am sogenannten Impostor-Syndrom. Auch das birgt Gefahren. Denn bei demutsvoller Führung müssen Sie loslassen und auf Augenhöhe sein. Menschen, die sich selbst nicht richtig und positiv einschätzen, wollen dagegen überproportional alles unter Kontrolle haben. Der vierte Stolperstein hat etwas mit den Grenzen der Biologie zu tun. Sie können einfach nicht gut und demutsvoll führen, wenn Sie zu wenig schlafen oder sich falsch ernähren. Ein kleines Indiz für die Macht des Essens liegt in der Forschung, die zeigt, dass Experten Gefangene seltener auf Bewährung freilassen, wenn sie zu wenig gegessen hatten. Haben Sie zu wenig Glukose im System – oder denkt Ihr Gehirn das –, gewinnt tendenziell der Status quo gegen das Neue (Danziger et al., 2011). Zu guter Letzt halten wir uns für zu wichtig und in unseren Äußerungen für eindeutig. Besonders Kollegen und Vorgesetzte nehmen uns nur dann wahr, wenn wir sehr präsent sind. Mitarbeiter:innen sehen zwar alles, was wir tun, aber ihnen gegenüber fehlt es oft an Klarheit. So drücken Führungskräfte ihr Feedback meist so nebulös aus, dass es auch ein objektiver Betrachter kaum versteht (Schaerer et al., 2018). Tipp Achten Sie darauf, dass Sie die Stolpersteine durch Wissen, Selbstreflexion und externes Feedback in Schach halten.

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3.7 Ausblick Auch wenn das Wort »Demut« nicht allen gefällt, überzeugt doch das Konzept. Nachdem sie die Definition kennen, wollen mehr als 97 Prozent der Mitarbeitenden und Führungskräfte Demut bei sich und anderen. Besonders passend ist diese erlernbare Tugend in Zeiten, in denen traditionelle Führung abnimmt, um neue Generationen an Bord zu halten und den Bedürfnissen eines agilen Unternehmens gerecht zu werden. Insoweit ist zu erwarten, dass immer mehr Unternehmen einen Fokus auf Demut legen werden. Auch 2021 schon berichten drei von mir interviewte CEOs, dass sie wegen ihrer Demut genommen wurden. Fazit: Es lohnt sich mehr denn je, den egofreien Blick vom Balkon zu kultivieren! Zum Abschluss noch das inspirierende Beispiel des früheren Vorstandsvorsitzenden von Prudential Singapur Wilf Blackburn. Er zeigt nicht nur seine Schwächen (»Die wichtigsten Wörter für mich sind: ›Das weiß ich nicht.‹«), sondern auch seine Stärken. So war es aus seiner Sicht für die Kultur eminent wichtig, dass alle – auch die Führungskräfte – im Open Space saßen. Denjenigen, die sich noch für eigene Büros interessierten, half er aktiv, einen neuen Job zu finden. Somit war er deutlich, stark und wertschätzend zugleich. Seine Mitarbeiter:innen sind empowert: Als ich ihn traf, erzählte er, dass sein Top-Team gerade den zweiten Strategie-Retreat ohne ihn durchführte – also hatte sein Ego es ausgehalten, dass andere ohne ihn planen: die ultimative Anerkennung. Er geht fast jährlich auf Seminare und zu guter Letzt sieht er das größere Ganze: »Wissen Sie, als CEO spiele ich einfach eine Rolle. Mehr nicht. Ich war einmal in Disney World in Paris und sah jemanden, der ein Minnie-Maus-Kostüm trug. So wie die Person im Minnie-Maus-Kostüm ihr Selbstwertgefühl nicht aus ihrem Kostüm beziehen sollte, so sollte ich mein Selbstwertgefühl nicht aus dem CEO-Kostüm beziehen.« (Wilf Blackburn in Frank, 2022, S. 63) Mit seiner Demut ist er nicht nur äußerst lebendig und beeindruckend, sondern auch so erfolgreich, dass Prudential Singapore während seiner Ägide von Platz 124 der beliebtesten Arbeitgeber (2016) auf Platz 11 stieg. Sein Stil kam auch intern so gut an, dass ein ähnlich demutsvoller Nachfolger ausgesucht wurde.

Literatur | 73 

Wen kann man sich noch als Vorbild nehmen? Satya Nadella, CEO von Microsoft, Götz Werner, früherer CEO von DM, und natürlich viele andere. Insgesamt ist Demut nichts anderes als Übungssache und neben einer erlernbaren Tugend auch ein erlernbares Mindset. Während Sie allein üben müssen, schenke ich Ihnen fürs Mindset den Spruch des früheren Vorstandes Jürgen Grossmann, den er auf einer Konferenz zu Elektromobilität sagte: »Hört auf zu sagen, wie notwendig es ist. Es ist einfach sexy!« Das gilt ebenso für Demut!

Literatur Antonakis, John; Fenley, Marika; Liechti, Sue: Can charisma be taught? Tests of two interventions. Academy of Management Learning & Education, 10(3), 2011, S. 374–396. Brooks, Alison Wood; Gino, Francesca; Schweitzer, Maurice: Smart people ask for (my) advice: Seeking advice boosts perceptions of competence. Management Science, 61(6), 2015, S. 1421–1435. Carnegie, Dale: Global Leadership Study. 2016, online verfügbar unter: https://www.prnewswire.com/ news-releases/dale-carnegie-study-reveals-the-connection-between-leadership-skills-and-jobsatisfaction-300364541.html (letzter Zugriff: 6.6.2022) Danziger, Shai; Levav, Jonathan; Avnaim-Pesso, Liora: Extraneous factors in judicial decisions. Proceedings of the National Academy of Sciences, 108(17), 2011, S. 6889–6892. Frank, Franziska: Mit Demut zum Erfolg. Springer Gabler, Heidelberg, 2. Auflage, 2022. Hastings, Reed; Meyer, Erin: No rules rules: Netflix and the culture of reinvention. Penguin Press, New York, 2020. Hogeveen, Jeremy; Inzlicht, Michael; Obhi, Sukhvinder: Power changes how the brain responds to others. Journal of Experimental Psychology: General, 143(2), 2014, S. 755–762. Khosla, Vauni: 88 % employees willing to stay longer if appreciated at work: Survey. 2016, online verfügbar unter: https://m.economictimes.com/jobs/88-employees-willing-to-stay-longer-ifappreciated-at-work-survey/articleshow/55202176.cms (letzter Zugriff: 6.6.2022). Schaerer, Michael; Kern, Mary; Berger, Gail; Medvec, Victoria; Swaab, Roderick: The illusion of transparency in performance appraisals: When and why accuracy motivation explains unintentional feedback inflation. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 2018, 144, S. 171–186. Schmidt, Eric: »Everybody needs a coach«. 2013, online verfügbar unter: https://www.youtube.com/ watch?v=PclmUyPqqpo (letzter Zugriff: 6.6.2022). Treasurer, Bill; Havlik, John: The Leadership Killer: Reclaiming Humility in an Age of Arrogance. Little Leaps Press, Asheville, 2018.

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Über Franziska Frank Dr. Franziska Frank arbeitet freiberuflich als Trainerin, Keynote Speakerin und Autorin in drei Sprachen: Deutsch, Englisch und Russisch. Zusätzlich ist sie Visiting Lecturer an der ESMT Berlin. Für Business Schools und Unternehmen unterrichtet sie zum Thema Einflussnahme in allen Facetten: indirekte Einflussnahme durch Demut, direkte mit 18 trainierbaren Regeln, selbstorientierte durch Achtsamkeit und Wissen über das Gehirn, außenfokussierte durch klare Führung und Kommunikation sowie sachorientierte durch effektive Entscheidungsfindung und Verhandlungsführung. © Uwe Klössing

Mit 15 verließ sie ihre Heimatstadt München, um in einem englischen Internat O- und A-Levels abzulegen. Danach studierte sie Geschichte in Cambridge (B.A. und M.A.), gefolgt von zwei Prädikatsexamina in Jura in Deutschland. Während ihres Studiums arbeitete sie als freie Journalistin für die Süddeutsche und andere Zeitungen. Nach ihrer Doktorarbeit war sie sechs Jahre als Unternehmensberaterin bei der Boston Consulting Group tätig, gefolgt von zehn Jahren als fest angestellte Programmdirektorin an der ESMT Berlin.

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4 Bewusste Führung – Denkfehler erkennen, wirksamer führen Dr. Markus Ramming »Das Leben eines Menschen ist das, was seine Gedanken daraus machen.« (Marc Aurel)

Auf einen Blick: Worum es in diesem Beitrag geht Viele Urteile fällen auch wir Führungskräfte, ohne uns dessen bewusst zu sein. Mit unseren Handlungen verhält es sich ähnlich. Viele der Denkprozesse und Bewertungen, die uns zum Handeln und Urteilen bringen, sind jedoch fehlerhaft. Weil sie unbewusst ablaufen, bemerken wir die Fehler nicht. So entstehen in der Führung problematische Entscheidungen, lange Diskussionen und politische Rangeleien. Mehr Bewusstsein und Verständnis für die eigene innere Welt, die eigenen unbewussten Prozesse und auch die der Mitarbeiter:innen ist deshalb das, was Führung heute braucht. Dadurch wird es erst möglich, rechtzeitig gegenzusteuern und öfter das Richtige zu tun.

4.1 Wie unbewusste Denkstrukturen unser Handeln beeinflussen Schon seit Hunderten von Jahren sehen Philosophen und Wissenschaftler unsere Logik und Rationalität als eine der größten Errungenschaften der Menschheit an. Man war lange stolz darauf, Dinge durchdenken und zu messerscharfen Schlussfolgerungen kommen zu können. Erst in der letzten Zeit regen sich Zweifel an der Vollkommenheit unseres Gehirns. Einer der Zweifel wird gespeist aus den Erkenntnissen der Neurowissenschaften. Die meisten Neurowissenschaftler sehen es als gut begründet an, dass jeder Mensch in seinem Kopf seine eigene Sicht der Welt, seine eigene Realität schafft (Damasio, 2004; Roth, 1997; Frith, 2010). Die Entstehung einer einzigartigen Welt in unserem Kopf hat verschiedene Ursachen. Sie ist das Ergebnis einer individuellen Entwicklung und eines lebenslangen Lernprozesses. Sie erfolgt häufig ohne unser Bewusstsein. Die unterschiedlichen Vorstellungen von der Welt sind oft die Ursache vieler Streitereien, merkwürdiger Reaktionen, falscher Entscheidungen, schlechter Atmosphäre und vielem mehr. Die Welt entsteht im Kopf Führungskräfte tun gut daran, sich bewusst zu werden, wie ihre eigene und die Welt der Mitarbeiter:innen im Kopf entsteht und wie sie sich managen lässt.

76 | 4 Bewusste Führung

Es gibt drei Prozesse in unserem Kopf, die zur Entstehung einer eigenen Welt beitragen und die wir uns deshalb bewusster machen sollten: y Informationsaufnahme y Informationsverarbeitung y Bewertung der Information

4.1.1 Unsere Informationsaufnahme ist limitiert Unsere Sinnesorgane sind unglaublich gut entwickelte Rezeptoren, die Veränderungen in unserer Umgebung erkennen. Ich bin immer wieder begeistert darüber, was wir alles sehen, hören und schmecken können. Das sollte uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Fokus unserer Augen sehr begrenzt ist und wir den größten Teil unseres Sehfeldes nur sehr undeutlich wahrnehmen. Und auch die anderen Sinnesorgane nehmen nicht jede Information auf, die ihnen angeboten wird. Wir hören das ein oder andere zwar ganz gut, im Vergleich mit Katzen und Hunden schneiden wir aber nicht so gut ab. Was wirklich bei uns ankommt Wissenschaftler gehen davon aus, das nur 0,1 Prozent der angebotenen Informationen in unserem Kopf ankommen. Wir nehmen also immer nur einen Bruchteil der Informationen aus unserer Umgebung auf (Frith, 2010).

4.1  Wie unbewusste Denkstrukturen unser Handeln beeinflussen  |  77 

Zudem ist die Aufnahme der Information sehr selektiv. Dank eines ausgeklügelten Rückkoppelungsmechanismus nehmen wir meist nur die Information wahr, die unser Kopf auch wahrnehmen will. Wir bemerken jedoch nicht, dass wir viele Informationen verpassen. Wir leben mit dem Gefühl, schon alles gesehen, gehört und erkannt zu haben.

4.1.2 Jeder entwickelt unterschiedlichste Verarbeitungsroutinen für Informationen Die Informationen, die in unserem Kopf ankommen, durchlaufen verschiedene Verarbeitungsprozesse. Sie werden sortiert und zu komplexen Bildern und Situationen zusammengesetzt. Sie werden mit vorhandenen Informationen abgeglichen, die Situationen werden bewertet und wir kommen zu gewissen Schlussfolgerungen. Viele dieser Verarbeitungsprozesse haben wir im Laufe unseres Lebens erlernt. Wir haben einige der Prozesse aus persönlicher Erfahrung geschaffen oder haben sie von Eltern oder Freunden übernommen. Die Schaffung solcher Standardprozesse ist für das Gehirn wichtig, weil es nicht jede Sekunde überdenken kann. Für ähnliche Situationen werden die immer gleichen Denkweisen und Handlungen aktiviert. Sie sitzen in unserem unbewussten Routinespeicher und werden von dort gesteuert (Koch/Berlin, 2010; Haslinger/Janta, 2019). Die Kraft des Unbewussten Dem Unbewussten und Mentalen wird eine große Kraft zugesprochen, wenn es darum geht, unser Leben zu steuern und zu beeinflussen. Man muss nur einmal daran denken, wie oft wir Misserfolge einer falschen Einstellung zuschreiben und Erfolge einer mentalen Stärke!

Trotzdem findet das Unbewusste im Alltag nur sehr wenig Beachtung.

78 | 4 Bewusste Führung

Der Routinespeicher enthält Mindsets und Denkstrukturen, die unserem Glück, unserer Gesundheit und unserem Leben förderlich oder nicht förderlich sind. Dies können wir auch bei Führungskräften erkennen. Manche verarbeiten Informationen in gewissen Situationen sehr geschickt und konstruktiv, andere denken in Strukturen, die für sie selbst und Mitarbeitende nicht förderlich oder motivierend sind. Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat in seinem Buch »Schnelles Denken, langsames Denken« (2016) viele Beispiele beschrieben, die zeigen, dass unser Gehirn zwar sehr leistungsfähig ist, aber auch viele unlogische und fehlerhafte Entscheidungen produziert. Wir kennen kognitive Verzerrungen, voreilige Schlussfolgerungen oder unwissenschaftliche Begründungen, die in unserem Unbewussten entstehen und uns häufig etwas vorgaukeln, was gerade in der Führungsarbeit eher hinderlich ist. Einfluss des Mindsets auf unsere Leistungen Denkstrukturen oder Mindsets können zu unglaublichen Leistungen führen – oder auch zu massiven Fehlern. Weil diese aber meist »unterhalb« unseres Bewusstseins agieren, halten zahlreiche Führungskräfte sie für nicht so wichtig.

Führungskräfte sollten lernen, Fehler im unbewussten Denken zu erkennen, und ein passendes Mindset entwickeln.

4.1.3 Menschen entwickeln unterschiedliche Bewertungen und Urteile Aufgrund der im Laufe des Lebens entwickelten Denkstrukturen entstehen verschiedene Bewertungen, Interpretationen, Schlussfolgerungen und Entscheidungen. Diese Bewertungen sind genau wie die Denkprozesse im Unbewussten verankert. Sie werden mit den gleichen Daten gefüttert und liefern so immer den gleichen Output. Geraten Menschen in Situationen, die sie bereits kennen, bewirken ihre Denkroutinen immer eine identische Interpretation und Bewertung dieser Situationen und lösen dadurch einen automatischen Ablauf von erlernten Verhaltensroutinen aus. Durch diese Denkroutinen ergibt sich auch, wie wir zum Beispiel mit Herausforderungen umgehen, welchen Wert Beziehungen für uns haben, wie wir Entscheidungen treffen oder wie wichtig Besitz für uns ist. Mit vielen dieser Prozesse und Bewertungsroutinen, die zu unseren Entscheidungen führen, leben wir schon sehr lange. Urteile und Interpretationen sind so sehr ein Teil von uns, dass wir sie als zu uns gehörig betrachten. Und deshalb verteidigen wir sie lieber, als sie in Zweifel zu ziehen. Damit uns nicht auffällt, wie unzureichend manche Entscheidungen sind, hat unser Gehirn eine gute Taktik entwickelt. Fragt man nach dem Warum einer Tat, dann müsste das Gehirn bei diesen Routinen im Unbewussten nach der Antwort suchen. Das kann es aber nicht – es

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ist ja unbewusst. Deshalb erfindet es eine logische Erklärung für das Handeln bzw. eine gute Rechtfertigung. Ob die Erklärung der inneren unbewussten Logik entspricht, können wir nicht überprüfen. Was passieren kann, wenn wir an Denkweisen und Urteilen festhalten und es nicht bemerken, zeigen Geschichten wie die von Kodak. Kodak war vor nicht allzu langer Zeit Marktführer bei der konventionellen Fotografie. Das Unternehmen entwickelte auch die digitale Fotografie, doch die Qualität ließ zu Anfang noch zu wünschen übrig. Man war überzeugt, dass Kunden nur Fotos auf Papier haben wollen. Über digitale Bilder dachte man nicht nach und war sich sicher, dass diese sich nicht durchsetzen würden. Alles, was man hätte tun müssen, war, Überzeugungen zu hinterfragen und zu revidieren. Für Führungskräfte ist es wichtig, ein Bewusstsein für das eigene Denken und die eigenen Bewertungen zu bekommen und sie auch immer wieder infrage zu stellen. Dies ist ein fortlaufender, nie endender Prozess.

Mindsets lassen sich ändern Jeder hat somit seine eigene Wahrnehmung, seine Verarbeitungsroutinen und Bewertungen. Und weil die alle durch Erfahrungen im Laufe des Lebens entstehen, hat jeder, wie eben schon betont, seine eigenen individuellen Denkstrukturen im Kopf. Und wie wir nun wissen, laufen diese Verarbeitungen ab, ohne dass wir es merken. Wir laufen dann sozusagen auf Autopilot. Unbewusste Denkstrukturen und Bewertungen führen so zu Konflikten, Stress und Ärger. Häufig werden vorschnelle Entscheidungen getroffen, es wird an alten Regeln festgehalten oder gar nicht erst über Alternativen nachgedacht. Hilfreiche Veränderungen sind jedoch möglich. Wir können unser Denken und unser Mindset verändern und so an der Wurzel vieler Probleme angreifen. Während viele Führungskräfte nur in Prozessen und Organisationsstrukturen denken – vermutlich weil diese eher erfassbar sind –, ist es für bewusste Führungskräfte wichtig, eine Veränderung im Kopf anzustreben. Wenn wir unsere eigene Denkstruktur wahrnehmen und kennen, dann können wir sie auch verändern und anpassen. Und dann kann die Führungskraft auch mit ihren Mitarbeiter:innen Denkstrukturen infrage stellen und neue Muster etablieren.

4.2 Von fragwürdigen Denkmustern Dank den Neurowissenschaften wissen wir nun also, dass die aufgenommenen Informationen durch die Prozesse und Routinen, die unser Gehirn zur Verarbeitung nutzt, verfälscht sein können. Es gibt aber auch in anderen Wissenschaftszweigen Belege dafür, dass unser Denken und unsere Logik weit davon entfernt sind, perfekt zu sein.

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Seit einiger Zeit gibt es Wissenschaftler sowohl in den naturwissenschaftlichen als auch in den wirtschaftswissenschaftlichen Fächern, die sich mit der problematischen Seite des Denkens beschäftigen (Pohl, 2004; Tversky, 1982; McCoun, 1998). Das Gehirn ist ein Meisterwerk – davon bin ich überzeugt. Aber es macht auch Fehler. Eine dieser problematischen Denkweisen, die in der Wissenschaft untersucht werden, heißt »kognitive Verzerrung« (oder zu Englisch »Bias«). Damit sind Verarbeitungsprozesse gemeint, die zu anderen Ergebnissen kommen, als es Logik oder Wissenschaft tun würden. Erworbene Denkmuster und Mindsets Jeder Mensch lernt im Laufe seines Lebens zahlreiche Denkmuster und Mindsets, die problematisch sein können und derer er sich nicht bewusst ist. Er übernimmt die Muster z. B. von Familienmitgliedern oder Freunden oder lernt sie aus eigener Erfahrung. Diese werden im Unbewussten gespeichert.

Exemplarisch möchte ich im Folgenden auf eine kognitive Verzerrung und ein Mindset eingehen, die mir im Unternehmenskontext immer wieder auffallen. Es gibt noch viele weitere kognitive Verzerrungen und Mindsets.

4.2.1 Bestätigungs-Bias »Bestätigungs-Bias« meint die Eigenart unseres Gehirns, uns immer wieder die Ansichten und Urteile zu bestätigen, die wir im Kopf haben. Wir bestätigen immer wieder unsere Sicht der Welt. Glauben wir z. B., dass unser Kollege ein ziemlicher Schwätzer ist, dann interpretieren wir sein Reden so, dass er immer als Schwätzer dasteht. Oder sind wir einmal davon überzeugt, dass jemand ziemlich viel Mist baut, dann ist alles, was er tut, nicht gut oder nicht gut genug für uns. Anders zu denken ist in diesen Situationen besonders schwierig. Ein Bestätigungs-Bias lässt uns immer Gründe dafür finden, warum unsere Überzeugung richtig ist. Eine Folge davon ist, dass es zu sinnlosen, langen Diskussionen kommt, die in unschöne Wortgefechte münden können. Ich glaube, dieser Bias wird für Führungskräfte zusehends zum Problem. Sie glauben, recht zu haben, und bestehen auf falschen Gründen, fehlerhaften Informationen oder falsch gewichteten Informationen. So werden Veränderungen zum Kraftakt und Erneuerungen zum Kampf. Durch Verzerrungen im Denken wird die persönliche Entwicklung der Führungskräfte und auch die der Mitarbeiter:innen sowie die Entwicklung der Firmen, in denen sie arbeiten, gehemmt. Anstatt ihren »alten« Ansichten zu folgen, müssen sie lernen, ihre Welt und Sichtweisen ständig zu erweitern und auch immer wieder zu revidieren. Sie müssen alte Sichtweisen hinterfragen, Meinungen prüfen und neue Denkmuster entwickeln. Das geht nur, wenn sie sich dieser problematischen Prozesse bewusst werden.

4.2  Von fragwürdigen Denkmustern  |  81 

4.2.2 Lineares Denken Wir alle sind Meister darin, den Grund für ein Problem zu finden. Irgendetwas ist nicht so wie gewünscht, und schon wissen wir genau, woran es liegt. In Unternehmen sieht das oft folgendermaßen aus: Die Verkäufe sinken? Die Sales-Abteilung ist schuld. Wir haben ein schlechtes Image? Dagegen hätten die PR-Leute doch etwas tun müssen. Das ist typisches lineares Denken. Es gibt genau eine Ursache für ein Problem und meistens finden wir jemand anderen, der schuld an der Misere ist (Simon, 2015). So schaffen wir einfache Lösungen für komplexe Probleme. Diese helfen uns aber nicht weiter, denn Probleme sind nicht so einfach und schon gar nicht auf diese Art und Weise zu lösen. Eine hilfreichere Möglichkeit, anders darauf zu schauen, ist es, die Welt systemisch zu betrachten. Systeme sind ein Geflecht von vielen verschiedenen Teilen. Diese sind voneinander abhängig und beeinflussen sich gegenseitig. Systeme sind komplex (siehe auch den Beitrag von Marcel Hübenthal). Wir können sie logisch nicht durchdringen oder Modelle von ihnen entwickeln. Wenn wir einen Teil verändern, dann ändern sich sofort viele andere Teile mit. Wir können dann nur hoffen, dass sich das System so verändert, wie wir es möchten. Aber genau voraussagen, was sich möglicherweise ändert, können wir nicht. Wir müssen ein System immer wieder überprüfen, daraus lernen, um dann erneut verschiedene Erfahrungen zu sammeln. Probleme/Situationen entstehen durch Wechselwirkung im System Da es viele unterschiedliche Abhängigkeiten in einem System gibt, kann auch niemand allein an einem Problem schuld sein. Verschiedene Teile des Systems haben jeweils ihren Anteil an der aufgetretenen Situation. Es hat eine Entwicklung stattgefunden und wir müssen damit jetzt umgehen.

Wir müssen in jeder Lebenssituation die verschiedenen Wechselwirkungen beachten und diese so gut es geht analysieren. Es ist wichtig, sich immer die folgende Frage zu stellen: Was ist mein Anteil an dieser Situation? Indem wir unser Denken diesbezüglich verändern, können wir Probleme, wenn sie auftauchen, ganz anders bewerten, angehen und auch uns selbst auf den Prüfstand stellen. Systemisches Verständnis fördern In Unternehmen wird meines Erachtens ein Bewusstsein dafür benötigt, wie Denkstrukturen, Motivation, Beziehungen und Performance voneinander abhängen. Die Belegschaft muss in der Lage sein zu erkennen, wie z. B. Kunden, Logistik, Marketing und andere Strukturen miteinander in Wechselwirkung stehen. Können sie es nicht, so tappen sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeitende in die Falle des linearen Denkens und verhindern damit notwendige und hilfreiche Entwicklungen.

4.2.3 Fragwürdige Denkstrukturen bewusst machen Neben dem Bestätigungs-Bias und dem linearen Denken gibt es noch unzählige weitere Denkstrukturen, die Führung beeinflussen können. Wie denke ich als Führungskraft zum Beispiel

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übers Lernen, über Fehler, über Dummheit oder Selbstgerechtigkeit? Wie sieht es mit der Empathie aus – oder guten Beziehungen? Was uns allen und auch Führungskräften oft nicht gelingt, ist, unsere eigenen Unzulänglichkeiten und Denkstrukturen zu erkennen. Wir halten unsere Ansichten für wahr und andere für uninformiert, irrational – oder »biased« (und das heißt dann naiver Realitäts-Bias). In unserer Wissensgesellschaft sollten wir uns meines Erachtens damit beschäftigen, was unser Denken bestimmt und wie wir sind. Es ist wichtig, dass wir uns dabei nicht nur mit dem vordergründig Bewussten auseinandersetzen, sondern gerade mit dem, was uns nicht bewusst ist. Bewusstsein fürs Unbewusste schaffen Je mehr wir begreifen, wie unser unbewusstes Inneres aussieht und wie es arbeitet, desto bewusster können wir Entscheidungen treffen und desto mehr Klarheit entwickeln wir.

Jede Erkenntnis und jedes Mehr an Bewusstsein hilft uns, mit mehr Umsicht zu agieren und gleichzeitig mehr Verständnis für uns selbst und andere zu entwickeln. Das ist nicht so einfach, wie es klingt. In einer meiner Lieblingsgeschichten von Daniel Kahneman (2016) analysierte er die Performance von Investmentmanagern einer Firma und stellte fest, dass jeder x-Beliebige auch bei einer zufälligen Investition eine ähnlich gute Performance wie die der Manager erreichen würde. Dieses Ergebnis zeigte er in einer Präsentation dem Vorstand dieser Firma. Dieser wollte das nicht glauben, und so gab es jedes Jahr weiterhin eine Ehrung des besten Managers, die auch mit einer finanziellen Belohnung bedacht war. Vielleicht saß der Vorstand ja einem »Self Serving Bias« auf, in dem man Erfolge gern sich selbst zurechnet. Oder er war gefangen in einem »Groupthink-Bias«, einem Wunsch nach Harmonie in der Gruppe, der aus diesem Grund irrationale Entscheidungen zulässt. Für mich ein herrliches Beispiel, das zeigt, dass wir viele merkwürdige Dinge denken und glauben und wie schwer es ist, das zu ändern. Führungskräfte – oder besser: wir alle – müssen uns bewusst werden, dass ziemlich viel von dem, was wir denken, mit Fehlern behaftet sein kann. Und dass auch vieles, was in Firmen schiefläuft, mit eben diesen unbewussten Denkstrukturen zusammenhängt. Wollen wir etwas verändern, dann muss sich etwas in unseren Köpfen ändern. Wir müssen lernen, umzulernen und anders zu denken.

4.3 Was bewusste Führung ausmacht In der bewussten Führung wollen wir Bewusstsein schaffen für alles, was sich in unserem Kopf abspielt – besonders für das, was sich im Unbewussten abspielt. Wir wollen Bewusstsein schaffen für die unterschiedlichen Welten in unseren Köpfen und die Denkstrukturen, die uns und andere steuern und die unser Leben bestimmen. Es ist wie die Entdeckung einer anderen Welt, die wir bis jetzt noch nicht wahrgenommen haben. Es ist wie ein Blick über die Mauer, um das zu sehen, was uns bisher verborgen war.

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Mit einem klaren Bewusstsein, das unsere Weltsicht und unser Mindset einbezieht, können wir Fehlentscheidungen und -entschlüsse vermeiden. Wir können lernen, auf das zu fokussieren, was für uns Menschen zählt. Um die verschiedenen Welten besser zu erkennen und die Fehler im Denken zu antizipieren, sind für mich einige Dinge in der Führung wichtig. Diese Punkte habe ich im Folgenden aufgelistet.

4.3.1 Wissenschaftlich denken, mehr infrage stellen Wissen infrage stellen Weil wir in unserem Kopf nur ein Abbild der Umwelt haben und die Realität nur unzureichend erfassen können, sollten wir ein gewisses Maß an Demut walten lassen und das, was wir glauben zu wissen, öfter mal infrage stellen.

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Wir nehmen unsere Sicht der Welt als einzige Wahrheit an und ziehen Schlussfolgerungen, die meist auf Hörensagen oder einmaligen Erfahrungen beruhen (Grant, 2022). Wenn wir uns einmal fragen, was wir wissen und wirklich belegen können, dann bleibt meist nur sehr wenig übrig. Vieles glauben wir, weil wir es von anderen übernommen haben oder weil wir es ein Leben lang gehört haben. Unsere unzureichend belegte Sicht der Welt verteidigen wir häufig, als würde unser Leben davon abhängen. Dabei ist es genau umgekehrt. Unsere Entwicklung hängt davon ab, diese Sicht der Welt infrage zu stellen. Wir bekämpfen andere Meinungen und versuchen zu beweisen, dass sie falsch sind. Damit verschwenden Führungskräfte oftmals wertvolle Zeit, erhöhen das Stresslevel und schieben Entscheidungen auf die lange Bank. Bewusste Führungskräfte sind davon begeistert, ihre Meinung zu revidieren. Sie sagen: »Oh, da lag ich 20 Jahre lang falsch. Wie gut, dass ich es jetzt besser weiß.« Ihr Weltbild ständig zu erweitern und eingefahrene Muster aufzudecken gehört zu ihren größten Freuden. Wissenschaftlich zu denken ist dabei eine der wichtigsten Voraussetzungen. Als Wissenschaftler kann ich behaupten, dass wir uns damit schwertun, etwas als bewiesen anzusehen. Die meisten von uns hinterfragen alles und sind froh über jede neue Erkenntnis. Wir werfen falsche Ansichten gern über Bord. Genau so eine Einstellung brauchen wir meiner Auffassung nach auch in der Führungswelt: y Führungskräfte sollten aktiv ihre Glaubenssätze und Meinungen hinterfragen und ständig auf den Prüfstand stellen. Warum wissen wir, was wir gerade wissen? Was wissen wir nicht? y Führungskräfte sollten nach Argumenten suchen, warum sie falsch liegen könnten, und froh über jede neue Erkenntnis sein, die ein Argument widerlegt. y Führungskräfte sollten gemeinsam mit ihren Mitarbeiter:innen das für alle Passende suchen, egal in welchem Kontext. Was alle Beteiligten brauchen, ist weniger eine gute Verteidigungsstrategie verschiedener Meinungen als vielmehr das Entgegenbringen von Verständnis gegenüber den Meinungen anderer. Sie sollten eine gemeinsame Suche starten, um das zu finden, was für alle passend ist.

4.3.2 Umlernen lernen In unserem Leben haben wir ganz viel gelernt, worauf wir stolz sind. Leider haben wir aber auch ganz viele Denkmuster gelernt, die nicht logisch und auch nicht zielführend sind. Ein besonderes Muster haben viele von uns in ihrer schulischen Ausbildung erhalten. Wir wurden dazu erzogen, recht zu haben. Wenn wir herausgefordert werden oder wenn uns jemand aufzeigen will, dass wir falschliegen, dann kommt unser innerer Verteidiger zum Vorschein. Er

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sucht alle Gründe und Beweise (auch die zutiefst unzulässigen), um zu zeigen, wie falsch die Gegenseite liegt und wie sehr wir doch recht haben. In der Führung brauchen wir ein anderes Denken. Dinge infrage zu stellen und zu bezweifeln ist heute wichtiger denn je. So wie ich haben dies viele Menschen erst sehr spät in ihrem Leben gelernt. Und ich bin immer noch nicht gut darin. Kennen Sie die Geschichte von Steve Jobs und dem iPhone? Als der iPod gerade zum Höhenflug ansetzte, kamen Apples Ingenieure zu Steve Jobs und erzählten ihm, das es doch klasse wäre, an den iPod noch ein mobiles Telefon zu koppeln. Steve Jobs hasste Handys und ärgerte sich regelmäßig über Fehlfunktionen. Es wird erzählt, dass er schwor, niemals ein Handy herzustellen. Nach einem halben Jahr aber war es so weit. Seine Ingenieure hatten ihn überzeugt. Er hatte seine Meinung radikal geändert und sie durften zwei Prototypen designen und herstellen. Vier Jahre später machte das iPhone die Hälfte des Umsatzes von Apple aus. Eine Veränderung im Kopf, die es in sich hatte. Und genau das ist das Denkmuster, das wir brauchen. Das Infragestellen liebgewonnener Gewohnheiten, tief verankerter Glaubenssätze und festgefahrener Kulturen und Denkweisen. Das Aufgeben dessen, was wir schon seit Jahren zu glauben wissen, weil es Beweise für das Gegenteil gibt. Ein Entlernen und Umlernen dessen, was wir schon wissen. Altes Wissen über Bord werfen und neues Wissen akquirieren. Das klingt so einfach. Doch Umlernen ist wahrscheinlich eine der Fähigkeiten, die uns anzueignen uns am schwersten fällt. Aber in einer Welt, die sich ständig verändert, ist dies eine wichtige Voraussetzung für eine gesunde Führung.

4.3.3 Fehler zugeben und das nächste Mal klüger handeln Zahlreiche Menschen wurden und werden immer noch mit der Intention erzogen, möglichst alles richtig zu machen. In der Schule war und ist es oftmals wichtig, jemand zu sein, der alles kann. Fehler dürfen nicht gemacht werden, sie werden bestraft. Weil diese Fehlerintoleranz weit verbreitet war und immer wieder genutzt wurde, verfestigte sich dieses altgediente Denkmuster so sehr, dass es irgendwann zu einer festen Überzeugung wurde. Diese Überzeugung wird gepredigt und es wird dafür gekämpft, als wäre es die wichtigste Sache auf der Welt. Und allzu oft fällt es dann äußerst schwer zuzugeben, einen Fehler gemacht zu haben. Es gibt viele Gründe dafür, an einer Meinung festzuhalten und einen Fehler nicht zu erkennen, geschweige denn zuzugeben. Vielleicht hängt es ja auch damit zusammen, dass es nicht gern gesehen wird, wenn jemand seine Meinung ändert. Vielleicht werden dann der- oder demjenigen Etikettierungen wie »Wankelmütigkeit« oder auch: »Der dreht sein Fähnchen immer nach

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dem Wind und äußert sich ständig anders« aufgedrückt. Viele trauen sich auch nicht, Fehler zuzugeben, weil sie ggf. mit schlimmen Konsequenzen rechnen müssen. Weil Fehler nicht benannt werden, schieben einige Führungskräfte notwendige Entscheidungen ewig vor sich her oder treffen fehlerhafte Entscheidungen. Firmen können nach meiner Erfahrung Jahre mit problematischen Strukturen überdauern, ohne dass diese infrage gestellt werden. Lebenslanges Lernen Lernende Führungskräfte und eine lernende Organisation sind für eine kontinuierliche Entwicklung aller immens wichtig. Und am besten sind Führungskräfte, die auch bereit sind, aus ihren Fehlern zu lernen.

Ich spreche damit vor allem diejenigen Fehler von Führungskräften an, die Überzeugungen und Annahmen auf den Prüfstand stellen, und Firmen, die sich fragen, ob sie mit dieser Kultur das nächste Jahrzehnt überleben. Verfestigte Grundüberzeugungen können problematisch sein und sollten immer (wieder) hinterfragt werden. Glücklicherweise bemerke ich in den letzten Jahren eine positive Veränderung. In vielen Firmen werden Fehler offen angesprochen und die Menschen in den Unternehmen haben keine Angst mehr, darüber zu reden. Doch z. T. werden Lernerfahrungen immer noch zu wenig diskutiert oder besprochen. So bleiben auch folgerichtig notwendige Konsequenzen aus. Eine solche Fehlerkultur bringt niemanden weiter. Bewusste Führung erkennt problematische Annahmen und kritische Grundsätze und bespricht gemeinsam mit den Betroffenen, wie es besser geht und wie neue Prozesse implementiert werden können.

4.3.4 Weisheit entwickeln, wissen, was man nicht weiß Wir leben in einer Wissensgesellschaft. Viel zu wissen ist in der Schule, im Studium und in der Firma immens wichtig. So bereitet es Menschen zusehends Schwierigkeiten zuzugeben, dass sie etwas nicht wissen. Und sie haben auch nicht gelernt, dies zu bemerken und Unwissenheit zuzugeben (Dweck, 2017). Zu wissen, was man weiß, verlangt eine gewisse Stärke – und noch eine Portion mehr Kraft brauchen wir, um zuzugeben, dass wir manche Dinge nicht wissen, und dann neugierig und offen zu sein für das, was wir herausfinden. Zahlreichen Managern fällt das schwer und sie machen es mehr oder weniger – oder auch gar nicht. Sie nehmen es als Schwäche wahr, etwas nicht zu wissen. Viele besondere Menschen wie Daniel Kahneman, Ray Dalio oder Jeff Bezos haben immer wieder gezeigt, dass sie nicht alles wissen und Sachverhalte erst herausfinden müssen (Grant,

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2022). Um so handeln zu können, ist Selbsterkenntnis und Selbstbewusstsein nötig: Aus einer egozentrierten Denkweise aussteigen und erkennen, dass man falschlag, Fehler zugeben und dann alles wieder ganz neu denken und machen – so agieren nach meinem Dafürhalten selbstbewusste Führungskräfte. Wichtig Eine bewusste Führungskraft erkennt, dass sie nur wenig weiß, um dann alles dafür zu tun, diese Unwissenheit zu beseitigen.

4.3.5 Weniger urteilen, Komplexität begreifen und managen Vieles von dem, was beispielsweise vor zehn Jahren noch »state of the art« war, muss heute revidiert werden. Das bedeutet u. a., dass wir all das, was wir für wahr und richtig halten und gehalten haben, immer wieder auf den Prüfstand stellen müssen. Viele Heuristiken, die jahrelang funktionierten, helfen plötzlich nicht mehr weiter. Sie müssen ersetzt werden. Häufig ist dies der Fall, weil sie zu einfach waren und Generalisierungen oder Annahmen als Grundlage hatten, die heute nicht mehr zutreffen. Komplexität akzeptieren In einer VUCA-Welt, die komplex und nur schwer zu verstehen ist, können wir uns nicht mehr mit einfachen Erklärungen und Ursachen zufriedengeben.

Nur eine Ursache zu suchen und schuldig zu sprechen verkennt das System und die Komplexität unserer Welt. Ein neues Bewusstsein für die ständig neuen Situationen und deren Komplexität ist für die Führung unabdingbar. Dadurch wird es für Führungskräfte immer wichtiger, sich folgende Frage zu stellen: Was ist mein Anteil daran?

4.3.6 Die innere Welt der Mitarbeitenden erkennen Mitarbeiter:innen handeln aufgrund verschiedener Bedürfnisse und verschiedener Erwartungen. Viele Bedürfnisse kommen falsch zum Ausdruck. Menschen sind ärgerlich, trotzig oder im Widerstand, weil vielleicht ihr Zugehörigkeitsbedürfnis nicht erfüllt ist oder ihr Selbstwert schwindet. Vielfach merken Mitarbeiter:innen nicht einmal, dass Stress sie ärgerlicher und aggressiver macht oder dass die schlechte Atmosphäre ihre Performance senkt. Ihnen ist auch oft nicht bewusst, dass der ständige Druck sie zu einem Abwehrverhalten treibt. Führungskräfte müssen lernen, ein Stück weit hinter diese »Fassade« zu blicken, zu erfassen, wie die innere Welt der Mitarbeitenden aussieht, um dann einen Weg zu finden, damit umzugehen. Sie erkennen dadurch, was Mitarbeitende mit ihrem Verhalten ausdrücken wollen und

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warum sie sich so verhalten, wie sie es tun. Das ist nützlich und führt zu einem besseren Miteinander. Führungskräfte sind häufig sehr gut darin, Prozesse und Strukturen, die sie erkennen, anzupassen oder auch komplett zu ändern. Viele von ihnen wissen jedoch nicht so recht, wie es möglich ist, Denken und Einstellungen zu erkennen und zu verändern. Bewusste Führungskräfte lernen, Denkstrukturen und Mindsets hinter einem Verhalten zu erkennen und auch zu managen. Zum Glück gibt es in den letzten Jahren viele wissenschaftliche Erkenntnisse, die uns zeigen, wie man eingefahrene Denkmuster verändern kann (Dweck, 2017). Arnaud Gagneur konnte zum Beispiel bereits vor mehr als 20 Jahren Hunderte von Müttern davon überzeugen, ihre Kinder gegen Masern impfen zu lassen. Wie? Im Wesentlichen durch Zuhören (eine Technik, die »motivational interviewing« heißt) (Grant, 2022). So können wir auch Optimismus fördern, Resilienz, emotionale Intelligenz, Selbstwirksamkeit und vieles mehr. Alles, was wir als Führungskräfte tun müssen, ist, das Bewusstsein dafür zu entwickeln und daran arbeiten.

4.4 Neues Denken, neue Möglichkeiten Bewusste Führung eröffnet neue Möglichkeiten der Führung. Offenheit für andere Sichtweisen Das Denken zu verändern bedeutet, sich selbst dramatisch zu entwickeln. Führungskräfte werden offen für andere Welten und andere Denkmuster.

Das Denken zu verändern bedeutet auch, Mitarbeiter:innen (besser) zu verstehen und sie in einer bereichernden, sinnvollen Entwicklung zu begleiten. Wir haben dadurch die Möglichkeit, tiefgreifende Veränderungen und Neues, Sinnstiftendes voranzubringen. Führungskräfte und Mitarbeitende können lernen, systemisch zu denken, die eigenen Denkfehler zu hinterfragen und ihnen sinnvoll entgegenzuwirken, offener für andere Meinungen zu werden und damit eine andauernde Entwicklung zum Wohle aller einzuleiten.

Literatur | 89 

Literatur Damasio, Antonio R.: Ich fühle, also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewusstseins. Ullstein, München, 3. Auflage, 2002. Damasio, Antonio R.: Der Spinoza Effekt. Wie Gefühle unser Leben bestimmen. List Taschenbuch, Berlin, 10. Auflage, 2004. Dweck, Carol: Mindset: Changing the way you think to fulfil your potential. Robinson, London, 2017. Frith, Chris: Wie unser Gehirn die Welt erschafft. Springer Spektrum, 2010. Gilbert, D. T.; Wilson, Timothy D: Miswanting: Some problems in forecasting of affective states. In: Forgas, Joseph P., Thinking and feeling: The role of affect in social cognition, Cambridge University Press, Cambridge, 2000, S. 178–197. Grant, Adam: Think Again – Die Kraft des flexiblen Denkens: Was wir gewinnen, wenn wir unsere Pläne umschmeißen. Piper, London, 2022. Haslinger, Bernhard; Janta, Bernhard (Hrsg.): Der unbewusste Mensch. Zwischen Psychoanalyse und neurobiologischer Evidenz. Psychosozial-Verlag, Gießen, 2019. Kahneman, Daniel: Schnelles Denken, langsames Denken. Penguin Verlag, München, 2016. Koch, Christoph; Heather Berlin: Wovon Freud nicht zu träumen wagte. Gehirn&Geist, 10, 2010, S. 72–75. McCoun, Robert: Biases in the interpretation and use of research evidence. Annu. Rev. Psychol. 49, 1998, S. 259–287. Pohl, Rüdiger F.: Cognitive Illusions: A Handbook on fallacies and biases in thinking, judgement and memory. Psychology Press, Hove – New York, 2004. Roth, Gerhard: Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen Konsequenzen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1997. Roth, Gerhard: Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 2003. Simon, Fritz B: Einführung in die Systemtheorie und Konstruktivismus. Carl-Auer Verlag GmbH, Heidelberg, 9. Auflage, 2015. Tversky, Amos; Kahneman, Daniel: Judgment under uncertainty: Heuristics and biases. Cambridge University Press, Cambridge, 1982.

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Über Markus Ramming Seit mehr als zehn Jahren wohne ich in einem Dorf in der Nähe von München. Dort genieße ich die Natur, gehe viel joggen, mache Musik, koche gern und verschlinge reihenweise Bücher. Meine Kinder wohnen und arbeiten in Wien und machen mir viel Freude. Mein Arbeitsleben habe ich als promovierter Neurobiologe begonnen. In den ersten 15 Jahren habe ich als Führungskraft in der industriellen Forschung, im Projektmanagement und später als General Manager gearbeitet. Dann machte ich einen großen Schnitt und ging in die Selbstständigkeit. Seit über 15 Jahren arbeite ich als begeisterter Trainer, Redner und Berater für Führungskräfteentwicklung und Kulturveränderung. Mein Herz schlägt dafür, zufriedene und glückliche Menschen in gesunden Firmen zu sehen. Um Firmen und Führungskräfte zu entwickeln, nutze ich die Erkenntnisse der Neurowissenschaften und verbinde sie mit Führungsthemen. Das heißt dann »Neuroleadership«. Die vielen revolutionären Erkenntnisse, die in den letzten Jahren in den Neurowissenschaften gemacht wurden, verbessern die Führung nachhaltig, ermöglichen ein neues Denken und eine neue Kultur.

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5 Selbstorganisation – Psychologische Sicherheit als Grundlage der neuen Arbeitswelt Dominique Stroh »Es heißt ›Culture eats strategy for breakfast‹ – vergessen Sie das! Denn Ihre Mitarbeitenden haben Sie bereits zum Abendbrot vertilgt, wenn Sie Wachstumsdruck vor die Organisationsentwicklung stellen!« (Dominique Stroh)

Auf einen Blick: Worum es in diesem Beitrag geht Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den Herausforderungen von Transformationsvorhaben hin zu agilen Arbeitsmodellen oder neuen Organisationsformen bzw. Führungsmodellen wie der Selbstorganisation. Er betrachtet die Wichtigkeit der Befähigung von Mitarbeitenden für die neue Arbeitswelt und die damit verbundene kulturelle Agilität durch psychologische Sicherheit und Empowerment als Instrument guter Führung. Nicht zuletzt gibt es Reflexionsmöglichkeiten und Tools zur direkten Umsetzung mit an die Hand.

5.1 Einleitung Können Sie sich noch daran erinnern, weshalb sich Ihre Firma dazu entschieden hat, die digitale oder agile Transformation zu starten? Lassen Sie uns doch gemeinsam einen Exkurs wagen. Die Welt ist im Wandel – schnell, einnehmend und disruptiv. Wegen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schnelllebigkeit und des technologischen Wandels können wir nicht anders, als darauf zu reagieren. Im Veränderungsmanagement und in der Literatur à la Kotter ist hier von »Dringlichkeit« die Rede. Die Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (2021) unterstreicht die Dringlichkeit, denn der Wohlstand Deutschlands sei gefährdet – u. a., weil es an echten Innovationen fehle und wir in der Digitalisierung stark hinterherhinkten, und letztlich auch wegen des enorme Fachkräftemangels.

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Was tun wir also? Wir starten Veränderungsprojekte und große Transformationen und finden uns in Chaptern, Kreisen, Netzwerkorganisationen, der Holokratie und agilen Spielen wieder. Führung ist selbstverständlich auch nicht mehr nötig – immerhin sind wir ja jetzt selbstorganisiert. Nun sollten wir nach all den Jahren der Agilität und New-Work-Initiativen davon ausgehen, dass Mitarbeitende deutlich zufriedener sind. Doch weit gefehlt! Traurig, aber wahr: Jede:r vierte Arbeitnehmer:in ist auf dem Absprung und will in einem Jahr nicht mehr beim derzeitigen Arbeitgeber sein, so die aktuelle Umfrage des Gallup Engagement Index 2021 (Tödtmann, 2022), der seit 21 Jahren jährlich die Zufriedenheit der Mitarbeitenden misst. In Deutschland ist die Wechselbereitschaft sogar höher als in den USA. Stichwort: Great Resignation. Gallup sieht einen wesentlichen Grund in unserer Führungskultur, deren Fokus stärker auf Prozesse und Finanzen als auf Menschen ausgerichtet sei. Das lässt sich auch schön in unseren Agilitäts- und New-Work-Initiativen beobachten: Die meisten Unternehmen haben zwar ihre Organisationsstruktur angepasst und die Art und Weise der Zusammenarbeit durch beispielsweise Scrum oder OKR (Objectives & Key Results) verändert, aber eben nicht an ihrer Kultur nachhaltig gearbeitet und einen Ort geschaffen, an dem Mitarbeitende gern sind und dadurch gute Arbeit leisten. Da einige Unternehmen durch ihren Aktionismus die guten Ideen einer neuen Arbeitswelt und agiler Arbeitsweisen bei ihren Mitarbeitenden bereits »verbrannt« haben, ist es mehr als notwendig und dringlich, die Mitarbeitenden und deren Bedürfnisse in den Fokus zu stellen. Mitarbeitende brauchen psychologische Sicherheit, um wieder lernen zu wollen. Und Unternehmen sollten sie ihnen geben, wenn sie Innovation als wichtig erachten.

5.2 Kulturelle Agilität mit psychologischer Sicherheit und Empowerment Selbstorganisation braucht einen Rahmen – methodisch-kulturelle Leitplanken, die es ermöglichen, selbstgesteuertes Lernen zu lernen und ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, welche Bedürfnisse ein Individuum, ein Team oder eine Organisation hat. Eine agile Organisation basiert auf Vertrauen und fördert auf diese Weise Austausch, Synergien, das Miteinander und das Lernen. So weit, so klar. Nun fragen Sie sich vielleicht, was das mit Psychologie und/oder psychologischer Sicherheit, gar Empowerment zu tun hat.

5.2  Kulturelle Agilität mit psychologischer Sicherheit und Empowerment  |  93 

Eine von psychologischer Sicherheit geprägte Arbeitsumgebung galt schon den Gruppentheoretikern der 1960er-Jahre als notwendige Voraussetzung für gelingende Lernprozesse und Verhaltensänderungen (Schein, 2018). Durch Amy Edmondson ist diese Erkenntnis in den letzten Jahren wieder in den Fokus gerückt. Sie definiert psychologische Sicherheit als eine vertrauensvolle Umgebung, in der alle Teammitglieder sich offen äußern können, ohne sich zu schämen oder das Gefühl zu haben, abgewiesen oder in irgendeiner Form sanktioniert zu werden (Edmondson, 1999, S. 354). Das ist wichtig, da wir von jeher – seit es uns Menschen gibt – von Beziehungen miteinander leben. Ich gehe sogar noch einen mutigen Schritt weiter, nämlich in die Bindungstheorie, denn Bindung ist die Basis von Sicherheit. Wenn wir uns sicher fühlen, also eine Umgebung haben, in der wir »sein können«, entsteht erst der Spieltrieb und die Neugier – je stärker mein Bindungsgefühl, desto höher mein Spieltrieb (Offenheit). Vielleicht dämmert Ihnen bereits: Egal wie viele Fuckup Nights, Design Thinking Sessions oder hippe Inno-Labs wir auch abhalten – es wird nichts mit der gewünschten Innovation, wenn die Basis nicht gegeben ist: Vertrauen. Das Wort »Geschäftsbeziehung« beinhaltet das Wort »Beziehung« – dafür ist eine gesunde, vertrauensvolle und wohlwollende Bindung essenziell. Da wären wir wieder bei der Wichtigkeit einer menschenorientierten Unternehmenskultur. Eine erste Formel, an welchen Parametern hierzu gearbeitet werden kann, lautet: Selbstorganisation = Selbstverantwortung = Vertrauen Vertrauen = Vertrauen in sich selbst (Selbstvertrauen) + Vertrauen in andere Personen (Führungskraft, Kollegen) + Vertrauen in das System (mein Arbeitgeber) Konkret bedeutet das, dass ich Selbstorganisation und somit agile Prozesse erst dann wirklich leben kann, wenn die Komponente Vertrauen ganzheitlich betrachtet wird. Psychologische Sicherheit stellt dabei den organisationalen Rahmen dar. Ein wichtiger, oft noch unterschätzter Aspekt ist das psychologische Empowerment – die Wirksamkeit und Befähigung des Individuums. Dr. Schermuly (2022) setzt dabei auf die Arbeit von Spreitzer und beschreibt psychologisches Empowerment anhand von vier Wahrnehmungen: y Erleben von Bedeutsamkeit, y Kompetenz, y Selbstbestimmung und y Einfluss im Beruf. Somit empfinden Menschen, die sich psychologisch empowert fühlen, ihre Tätigkeit als sinnvoll und trauen sich ihre Arbeitsaufgaben zu.

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Lassen Sie uns gemeinsam die Konzepte näher beleuchten und betrachten, was Sie in der Praxis als Führungskraft konkret tun können, um in Ihrem Umfeld eine vertrauensvolle und innovative Umgebung zu schaffen.

5.2.1 Psychologisches Empowerment Wie wir im letzten Abschnitt herausgearbeitet haben, bildet Vertrauen die Basis für Empowerment. In der Praxis gehen wir oft den großen Weg der Transformation und vergessen dabei, Mitarbeitende ganzheitlich abzuholen – sie zu befähigen. Lassen Sie uns also im Folgenden gemeinsam die Wissenschaft und deren wichtigsten Erkenntnisse ansehen und daraus praktische Umsetzungsstrategien für Ihren Führungsalltag entwickeln. Bei diesen Strategien wird es vor allem darum gehen, Vertrauen zu schaffen und Mitarbeitende zu befähigen, sich selbst zu »empowern« – sich selbst zu vertrauen. Psychologisches Empowerment wirkt laut Schermuly (2022) auf die eigene Selbstwirksamkeitserwartung – sprich das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Außerdem erhöht sich der wahrgenommene Einfluss, den man als Mitarbeiter:in hat. Es geht um das Gefühl, mitbestimmen und damit Einfluss auf die Ereignisse im Arbeitsumfeld nehmen zu können. Auch das Maß an Selbstbestimmung wird erhöht: Mitarbeitende können überwiegend selbst entscheiden, wie sie ihre Aufgaben gestalten. Für den Führungsalltag lässt sich daraus ableiten, dass New-Work-Maßnahmen nur dann greifen, wenn das Einfühlungsvermögen der Organisationsverantwortlichen gegenüber Mitarbeitenden vorhanden ist und die vier Facetten des psychologischen Empowerments vorgelebt werden. Diese Facetten sind, wie eingangs beschrieben, das Erleben von Bedeutsamkeit, Kompetenz, Selbstbestimmung und Einfluss im Beruf. Im Zusammenhang mit Selbstorganisation bemängeln Führungskräfte oft, dass Mitarbeitende gar nicht so selbstorganisiert sind, dass es ihnen schlicht am Willen fehlt, Verantwortung zu übernehmen. Ebenso wären wenig Pflichtgefühl und konsequentes Handeln sichtbar: Vorteile von New Work? Gern. Aber bitte keine Verantwortung. Dieser Irrglaube rührt daher, dass Mitarbeitende nicht in den vier Facetten ausgebildet werden. Verhalten ändert sich nicht von heute auf morgen. Selbstorganisation und die damit einhergehende Agilität wollen gelernt sein. Wenn ich jahrelang – eigentlich seit Beginn der Schulzeit – hierarchisch sozialisiert wurde und mit Vorgaben, Regeln und Rollenverhältnissen wie Lehrer-Schüler-Konstellationen aufgewach-

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sen bin, ist es doch mehr als nachvollziehbar, dass ich als Mitarbeiter:in Zeit brauche. Zeit, um neues Verhalten zu lernen bzw. meiner kindlichen Neugier wieder Platz einzuräumen. Um als Führungskraft Mitarbeitende zu befähigen, in einer »zukunftsfähigen Arbeitsorganisation« zurechtzukommen, ist es wichtig zu wissen, dass Lernen eine auf Erfahrung beruhende, dauerhafte Veränderung im Verhalten oder im Verhaltenspotenzial ist. Aktuelle Lerntheorien gehen davon aus, dass Lernen ein Prozess auf mehreren Ebenen ist, vor dem Hintergrund biologischer, genetischer und evolutionärer Bedingungen (Argyris/Schön, 2008). Spielerische Herangehensweise Prof. Dr. Gerald Hüther sagte einmal in einem Vortrag: »Wenn das Zeitalter der Hierarchien vorbei ist, dann muss man es wie die Kinder spielerisch ausprobieren.« (vgl. Hüther, 2019)

Im Folgenden finden Sie vier Tipps aus der Praxis, um das psychologische Empowerment Ihrer Mitarbeitenden zu unterstützen.

1. Erleben von Bedeutsamkeit Bedeutsamkeit beeinflusst die Motivation, aber auch die Frustration Ihrer Mitarbeitenden – je nachdem, wie wertgeschätzt sie sich durch Sie und den Kollegenkreis fühlen. Sie stellen sich Fragen, die jede:r von uns kennt: Wird meine Arbeit gesehen? Wie denken die Kolleg:innen über meine Arbeit bzw. meine Arbeitsergebnisse, gar über mich als Person? Als Menschen wollen wir gesehen und wahrgenommen werden. Das, was wir tun, soll sich gut und sinnvoll anfühlen. Eben nicht für die Tonne. Als Führungskraft haben Sie einige Möglichkeiten, das Umfeld Ihrer Mitarbeitenden entsprechend zu stärken. Beantworten Sie sich folgende Reflexionsfragen: y Wenn Sie Projekte, Arbeitspakete oder Aufgaben verteilen – wie drücken Sie Ihre Wertschätzung gegenüber Ihren Mitarbeitenden oder Kolleg:innen aus? Nehmen Sie sich dafür Zeit? Geben Sie gutes und nachvollziehbares Feedback? Was passiert i. d. R mit der getanen Arbeit? y Wie gestalten Sie Feedbackprozesse in Ihrem Umfeld? Finden diese für alle auf Augenhöhe und regelmäßig statt? y Passen die Aufgaben und Meetings zu dem Ziel, dass Sie in Ihrem Verantwortungsbereich haben? Kennen alle das Ziel, die Vision?

2. Kompetenz Kompetenz besteht aus insgesamt vier unterschiedlichen Kompetenzfeldern: der fachlichen, methodischen, personalen und sozialen Kompetenz. Gerade in einer agilen Organisation kann das Erleben dieser unterschiedlichen Kompetenzen herausfordernd für Mitarbeitende sein. Für das Kompetenzerleben ist besonders das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sehr wichtig.

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Durch das Einbringen der Kompetenzen wird sich ein:e Mitarbeiter:in der eigenen positiven, aber auch negativen Eigenschaften bewusster – oftmals durch viel transparentere Arbeitsprozesse und Interaktionen im Team. Eine gesunde Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion ist ein wichtiger persönlicher Skill, um selbstbewusst einen Umgang mit sich in einer agilen Organisation zu finden. Was sind hier nun Ihre To-dos als Führungskraft? Gestalten Sie mit Ihren Mitarbeitenden eine individuelle Learning Journey und befähigen Sie sie dazu, an sich selbst zu wachsen: Was will Ihr:e Mitarbeiter:in lernen? Welche Erwartungen hat er oder sie an sich selbst? Wie können Sie ihn oder sie ganz konkret unterstützen? Wie oft treffen Sie sich hierzu? Gestalten Sie gemeinsam eine Kompetenzmatrix für Ihren Bereich (egal wie groß, ob Team, Abteilung, Chapter), die veranschaulicht, welche Kompetenzen schon vorhanden sind und wer an welchen Kompetenzen arbeitet – übersichtlich und transparent. Motivieren Sie Ihre Mitarbeiter:innen dazu, Peer Groups zu bilden, die sich zum Beispiel als Lerngruppen ein Lunch and Learn gönnen. Selbstorganisiert, selbstverständlich. Bieten Sie regelmäßig Lernformate an, die die Skills erweitern und den Austausch fördern. Gönnen Sie Ihrem Team im Turnus von vier Wochen zwei Stunden, in denen sie Lern-Nuggets miteinander teilen können. Mal durch Externe moderiert, mal durch eine:n Mitarbeitende:n, mal durch Sie selbst. Alle Themen, die wichtig für die Entwicklung auf den Kompetenzfeldern sind – fachlich, aber auch gern mal fürs Miteinander. Das, was Ihre Organisation gerade braucht.

3. Selbstbestimmung Was »Selbstbestimmung« meint, sagt schon das Wort: selbst bestimmen! Mischen Sie sich als Führungskraft überall ein oder können Ihre Mitarbeitenden autark arbeiten? Es ist immer wieder erstaunlich – auch in agilen Organisationen –, wie viel mit Macht und Entscheidungsraum jongliert wird. Bisweilen fragt man sich wirklich, ob Mitarbeiter:innen etwa keine mündigen Wesen sind, vielleicht sogar ins Bett gebracht werden müssen. Lassen Sie die Menschen ihren Job machen. Ermutigen Sie sie dazu, selbst mutiger zu werden, selbst Entscheidungen zu treffen, selbst zu handeln! Denn der einzige Grund, aus dem sie es nicht tun, ist, dass sie es verlernt haben oder nicht dürfen. Ein Tool, das Ihnen dabei hilft, Entscheidungswege und Verantwortung besser aufzuteilen, ist die »Decision Matrix«. Es geht darum zu besprechen, wer wann was wie entscheiden darf. Schenken Sie Ihren Mitarbeiter:innen mehr Freiraum und zeigen Sie auf, wer wann welche Verantwortung übernimmt.

5.2  Kulturelle Agilität mit psychologischer Sicherheit und Empowerment  |  97 

4. Einfluss Einfluss basiert auf demokratischen Gedanken und zeigt einige Schnittmengen zur Selbstbestimmung auf, jedoch bezieht sich der Einfluss auf die Wahrnehmung der Beeinflussung interner Prozesse, insbesondere strategischer, operativer und administrativer Prozesse. In meinem Buch »Mythos Agilität« (2021) plädiere ich für die direkte Einbeziehung von Mitarbeitenden beispielsweise im Transformationsprozess. Denn Einfluss heißt auch gleich mehr Verantwortung. Dadurch wiederum lernen Mitarbeitende früh, selbstorganisiert zu arbeiten. Ich nenne den Ansatz »Transformation Coaching«. Transformation Coaching verbindet verschiedene Ansätze der Wirtschaftswissenschaften: die humanistische Betrachtung, die im Business Coaching sowie Change­management wesentlich ist – die Ressource jedes Einzelnen –, damit verbunden die Gesamtheit aller Individuen in einem Changeprozess und nicht zuletzt den Aspekt der Transformation. Im Kleinen gefällig? Wie fördern Sie Ihre:n Mitarbeiter:in? Welche Ihrer Aufgaben können Sie abgeben, um jemand anderen glänzen zu lassen? Wie laufen Ihre Meetings ab – frontal oder gemeinsam gestaltend? Egal wie Sie organisiert sind: Verlernen Sie Hierarchie und gestalten Sie gemeinsam. Allerdings wird unabhängig von Fachlichkeit und Rolle eine zentrale Aufgabe immer in Ihren Arbeitsalltag gehören: psychologische Sicherheit.

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5.2.2 Psychologische Sicherheit Edgar Schein, Amy Edmondson und Google – so ungefähr verlief der Weg des inzwischen sehr »angesagten« Konzepts der psychologischen Sicherheit. Aber was steckt dahinter? Amy Edmondson beschreibt es wie folgt: »Psychologische Sicherheit ist die gemeinsame Überzeugung aller Mitglieder eines Teams, dass es innerhalb des Teams sicher ist, zwischenmenschliche Risiken einzugehen.« (Edmondson, 1999) Edgar Schein und Warren Bennis haben bereits 1965 aufgezeigt, wie wichtig psychologische Sicherheit in einer Transformation ist. Dabei wird psychologische Sicherheit als Faktor genannt, der stark beeinflusst, inwieweit Menschen bereit sind, Neues zu lernen. Elemente von psychologischer Sicherheit sind: y Offen die eigene Meinung äußern können: Jede:r kann ohne Risiko Ideen einbringen und die Entscheidungen anderer infrage stellen. Unterschiedliche Meinungen werden respektiert und diskutiert. Es herrscht Vertrauen darauf, dass andere nicht versuchen, einen zu untergraben. y Jede:r spricht gleich viel: Das muss nicht in jedem Meeting gleich verteilt sein, aber sich über einen gewissen Zeitraum ausbalancieren. y Soziale Empathie, die ein gegenseitiges Verständnis erzeugt: Es herrscht eine hohe soziale Sensibilität vor. Die Mitglieder des Teams können sich in die anderen einfühlen und achten auf deren Bedürfnisse. y Fehler als Lernchance sehen: Es gilt, aus Fehlern und Schwächen zu lernen sowie Lösungen anstatt Schuldige zu suchen. Neugier und Experimente werden gefördert. y Individuelle Stärken, Talente und Fähigkeiten werden geschätzt: In einem Team verfügt jede:r über eigene Talente und Erfahrungen. Der Fokus geht weg von einer defizitären hin zu einer stärkenorientierten Sichtweise. Was ist so relevant an diesem Konzept? Bei der Transformation von Organisationen hin zu einer agilen und selbstorganisierten Organisation bedarf es eines sicheren Umfelds. Erst wenn in Ihrem Bereich das Gefühl psychologischer Sicherheit besteht, können sich Mitarbeitende gegenüber Kolleg:innen und Ihnen öffnen. Es gibt viel mehr Raum für neue Ansichten und ein konstruktives Miteinander – nicht zuletzt auch mehr Raum für die vielfach gewünschten Innovationen. Denn Ideen entstehen nur da, wo Vertrauen als Basis wirklich gelebt wird. Niemand muss befürchten, abgelehnt zu werden. Das Gegenteil ist der Fall. In einem solchen Arbeitsumfeld lässt es sich besser lernen und neue Ideen entstehen. So werden positive Emotionen wie Selbstvertrauen, Stolz und Erfolg gefördert. Dadurch entstehen hilfreiche Ressourcen, die Sie als Team bei Herausforderungen nutzen können.

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Ideen aus der Praxis für mehr psychologische Sicherheit: y Lernende Fragen stellen: Zum Lernen gehören Fehler dazu – Ziel ist es, intelligente Fehler zu machen. Wieso intelligent? Weil wir daraus lernen und diese im besten Fall nicht wiederholen. Also fragen Sie sich: Was haben wir aus xy gelernt? Was würden wir beim nächsten Mal anders machen? y Konstruktiv streiten lernen und Entscheidungen verbessern: Konflikte tragen zum Lernen bei. Nutzen Sie Fakten für Diskussionen und Entscheidungen und sammeln Sie alle Meinungen. Was wären Risiken? Was Chancen? Geben Sie dennoch Raum für Spannungen und lösen Sie diese durch eine gesunde Konfliktkultur. Mögliche Idee: ein Spannungsspeicher – andere Sichtweisen besprechbar machen. y Arbeitsaufgaben/Herausforderungen als Lernaufgabe: Lernen lernen. Verknüpfen Sie beim nächsten Sprint und/oder bei den nächsten Zielen das angestrebte Ergebnis mit individuellen Zielen: Was will ich persönlich lernen? Welche Kenntnisse/Kompetenzen will ich mit der Erreichung des Ziels erlangen? y Lernen Sie sich im Team durch Persönlichkeitsprofile besser kennen: Führen Sie einen Workshop durch, in dem jede:r (wie in einem Freundebuch) aufzeigt, was er oder sie besonders gut kann, was die Person ausmacht, wann am besten diskutiert werden darf, wie man gern Feedback bekommt oder was man überhaupt nicht leiden kann. y Speedfeedback: Sorgen Sie für regelmäßige Feedbackschleifen im Team. Jede:r gibt jedem alle drei Monate Feedback. Durch diese offene Gesprächskultur werden Konflikte zeitnah angesprochen und »wabern« nicht ewig im Unternehmen herum. Mögliche Fragen: Drei Dinge, die ich besonders gut an dir finde; drei Dinge, die ich mir von dir wünschen würde.

5.3 Mindset – dein Rüstzeug als Führungskraft Führen – das ist eine große Herausforderung, gerade in Zeiten der Selbstorganisation. Viele Führungskräfte wissen nicht (mehr), was von ihnen eigentlich verlangt wird. Führung scheint so schlecht und so problematisch zu sein wie nie zuvor. Gallup (2022) zeigt seit Jahren auf, dass Mitarbeitende mit der Beziehung zu ihren direkten Vorgesetzen unzufrieden sind und das Unternehmen deshalb wieder verlassen. Die Klagen über miserable Manager:innen und daraus resultierend demotivierte Mitarbeiter:innen nehmen zu. Inzwischen ist durch verschiedene Studien bekannt, dass Mitarbeitende eine höhere Zufriedenheit verspüren, wenn sie mehr Verantwortung am Arbeitsplatz übernehmen dürfen. Eine weitere wichtige Erkenntnis ist, dass ebenso Autonomie und Flexibilität eine Rolle spielen (Gallup, 2022). Nicht zuletzt soll die Arbeit einen Sinn ergeben. Also geht es Mitarbeiter:innen um Selbstverwirklichung. In der Feldstudie »Führungsleben« von Böning, Fritschle und Oefner-Py aus dem Jahr 2018 wurden 55 unterschiedliche Gesprächspartner befragt. Grundsätzlich lag das Interesse der Studie darin, aus verschiedenen Branchen und Hierarchiestufen ein breites Bild zu den geforderten Kompetenzen in der digitalen Arbeitswelt im Kontext Führung zu erstellen. Zudem haben die

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Autoren eine Metastudie namens »Führungskompetenzen im digitalen Zeitalter« durchgeführt, die auf 30 Studien und Befragungen aus den Jahren 2012 bis Mitte 2016 basiert – aus ihrer Sicht eine Übergangszeit in Deutschland, die es abzudecken galt (vgl. die folgenden Abbildungen in Anlehnung an Böning, 2018, S. 243).

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Aus der Studie lassen sich unterschiedliche, für Sie wichtige Kompetenzen ableiten. Interessant ist hierbei, dass neue Kompetenzen des digitalen Zeitalters wie Vernetzungsfähigkeit oder

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auch die Fähigkeit, »Hierarchie zu verlernen«, sehr weit oben im Ranking zu finden sind. Gründe dafür dürfen die aktuelle Organisationsstruktur vieler Unternehmen und der Wunsch nach neuen Arbeitswelten sein. Andererseits zeigt sich, dass Kompetenzen wie Innovationsfähigkeit, Kreativität oder Veränderungsbereitschaft auch schon früher gefordert waren und nicht als neue Kompetenzen, sondern vielmehr als schon länger offene Anforderungen an Führungskräfte verstanden werden können. Ebenso sticht die Kompetenz »Vertrauen (schaffen)« mit 37 Prozent heraus. Insgesamt lässt sich sagen, dass nicht erst seit gestern klar ist, welche Anforderungen eine Führungskraft zu erfüllen hat. Aber der Druck ist größer denn je. Wenn Sie sich fragen, wie Sie als Führungskraft all diesen Anforderungen gerecht werden können, so könnte Ihnen die Betrachtung von Henry Mintzberg und Jonathan Gosling (2003) weiterhelfen. Aus deren praktischer Erfahrung in der Arbeit mit Führungskräften ist die Idee entstanden, sich auf das Mindset der Führungskraft zu konzentrieren – das »Konzept der fünf Mindsets«. Der Ansatz von Mintzberg und Gosling geht davon aus, dass der Alltag einer Führungskraft kompliziert, wenn nicht inzwischen sogar komplex ist. Um sich darin zurechtzufinden und die täglich wachsenden Anforderungen bewältigen zu können, müssen Führungskräfte fünf verschiedene gedankliche Herangehensweisen (Mindsets) entwickeln: Analyse, Handlung, Reflexion, Kooperation und Weltgewandtheit (Gosling/Mintzberg, 2003). Das analytische Mindset zielt auf das Management von Organisationen, das handlungsorientierte Mindset auf das Management von Veränderungen, das reflektierende Mindset auf das Management des eigenen Ichs, das kooperative Mindset auf das Management von Beziehungen und das weltgewandte Mindset auf das Management des Kontextes. Den Autoren geht es dabei nicht darum, Führungskräften ein bestimmtes Handeln zu empfehlen – sie fordern sie vielmehr dazu auf, die eigene Haltung, also das Mindset bewusst zu gestalten. Sie bilden ein Rahmenwerk, das der Führungskraft neue Sichtweisen ermöglicht. Im reflektierenden Mindset werden Führungskräfte dazu angeregt, auch mal innezuhalten und nachzudenken, statt permanent in Aktionismus zu verfallen. Denn Ereignisse werden nur dann zu Erfahrungen, wenn sie verarbeitet und reflektiert werden. Die Feststellung zeigt sich auch in der Aufforderung an Führungskräfte, mehr am System als im System zu arbeiten, was nur durch eine bewusste Metaebene funktionieren kann. Ziel des analytischen Mindsets ist es, den Bereich der konventionellen, oberflächlichen Analysen zu verlassen und die wesentlichen Bedeutungen von Strukturen und Systemen zu erkennen. Im Rahmen des weltgewandten Mindsets wird Führungskräften wiederum nahegelegt,

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das Büro zu verlassen und die Welt auch mal aus der Perspektive von Kund:innen oder Mitarbeitenden zu sehen. Das weltgewandte Mindset stellt damit das reflektierende Mindset, das um das eigene Selbst und die eigene Welt kreist, in den richtigen Kontext. Ein sehr agiler Ansatz, der auch dem des Servant Leadership gleicht, ist das kooperative Mindset, das dazu ermutigt, die Verantwortung und die Initiative auf Mitarbeitende zu übertragen, sie einzubinden und sich selbst zurückzunehmen. Das ist in Mintzbergs Augen auch die eigentliche Funktion einer Führungskraft: Sie trägt dazu bei, Strukturen, Bedingungen und Einstellungen zu schaffen, damit Aufgaben optimal erledigt werden können – aber sie macht nicht alles selbst. Wenn es um Veränderungen geht, so Mintzberg, sei es wichtig zu wissen, dass Veränderungen nicht ohne Kontinuität erfolgen können. Das handlungsorientierte Mindset setzt deshalb darauf, Energie für das aufzuwenden, was wirklich verändert werden muss, und gleichzeitig darauf zu achten, dass der Rest erhalten bleibt. Es bedeutet nicht, Wandel um des Wandels willen, sondern die Bereitschaft, neugierig und wachsam zu sein. Schlussendlich ist das Wie – also wie eine Führungskraft die geforderten Kompetenzen entwickelt – maßgeblich abhängig von der Entwicklung der Haltung. Somit bedarf es für die Entwicklung zur »guten Führungskraft« vor allem einer Veränderung im Mindset. Um eine Veränderung im Mindset zu erwirken, muss sich Ihre Persönlichkeit als Führungskraft entwickeln. Diese Entwicklung benötigt Zeit und Ressourcen. Im Folgenden finden Sie drei Reflexionsfragen und im Anschluss zwei Tools zur direkten Anwendung in Ihrem Führungsalltag – für mehr psychologischer Sicherheit. Drei Fragen auf den Weg zu guter Führung 1. Welches Mindset ist bei mir am stärksten ausgeprägt? 2. Welches Mindset habe ich vernachlässigt? 3. Wie kann ich die fünf Mindsets in meinen Führungsalltag integrieren? Mit welchen Handlungen?

Messung zur kulturellen Agilität Die Messung zur kulturellen Agilität bildet die Grundlage eines High-Performance-Teams ab. Sie zeigt auf, welche Parameter für die Teammitglieder und das Team von Bedeutung sind. Es ist eine Bestandsaufnahme und unterstützt das Team dabei, an den verschiedenen Themen zu arbeiten. Die Messung erfolgt auf der Grundlage von psychologischer Sicherheit und Empowerment und bildet sieben essenzielle Parameter von kultureller Agilität ab: Gruppendynamik, effektives Konfliktmanagement, Lernen, Kompetenz, Autonomie, Wirksamkeit und Sinn.

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Fragen- bzw. Aussagenkatalog (Skala 1–5) Gruppendynamik: y Wir als Team kennen die Stärken jedes Mitglieds und akzeptieren ebenso Unterschiedlichkeit. y Wir verstehen unsere Teamphasen (Norming, …, Storming …) und gestalten diese bewusst und gemeinsam. Effektives Konfliktmanagement: y Bei uns wird jede Meinung gehört. y Wir haben eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, in der ich mich traue, alles anzusprechen. y Wenn etwas uns bei der Arbeit bremst, wird es zeitnah gelöst. Lernen: y Wir lernen gemeinsam aus Fehlern. y Wir nehmen uns für Innovationen und Neues genügend Zeit. y Wir reflektieren regelmäßig gemeinsam über unsere Arbeit, um uns zu verbessern.

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Kompetenz: y Wir entscheiden im Team, welche Kompetenzen wir aufbauen wollen. y Ich habe das Gefühl, dass meine Ideen, Fragen und Meinungen gehört und wertgeschätzt werden. y Ich reflektiere mich regelmäßig und überlege, wie ich mich weiterentwickeln will. Autonomie: y Wir entscheiden, wie wir uns die Arbeit im Team teilen. y Ich entscheide, wie ich am effektivsten arbeite, und werde an meinen Ergebnissen gemessen. Wirksamkeit: y Ich komme mit der aktuellen Auslastung im Team gut zurecht. y Unsere Teammeetings sind sehr effektiv. Sinn: y Ich habe viele Möglichkeiten, mich beruflich auszuleben. y Meine Rolle und/oder Aufgaben sind klar. y Wir verfolgen im Team alle das gleiche Ziel. y Ich weiß bei jeder Aufgabe, welchen Nutzen diese für unseren Kunden hat. Es ist wichtig zu verstehen, wo man als Team steht. Daher empfiehlt es sich, diese Bestandsaufnahme alle sechs Monate oder einmal im Jahr zu wiederholen. Es bietet sich an, sie in Retrospektiven, Team-Workshops oder, wenn vorhanden, in softwarebasierte Tools zu integrieren. Vielleicht denken Sie jetzt: Uff, ich bin kein Profi in solchen Formaten. Lassen Sie sich davon aber nicht abhalten und nehmen Sie sich die Zeit, es trotzdem auszuprobieren. Sicherlich wird es dauern, bis alles eingespielt ist, doch es lohnt sich. Die wichtigste Botschaft an dieser Stelle aber lautet: Sprechen Sie regelmäßig mit Ihrem Team und hinterfragen Sie Ihr gemeinsames Arbeiten. Selbstverständlich ist es immer gut, einen professionellen Rahmen zu finden. Aber der Führungsalltag ist meist von Hektik und vielen To-dos geprägt. Also sind es die kleinen Schritte, die zählen.

Aus meiner Toolbox – Create a team culture Immer wieder erlebe ich in der Praxis, dass die Teamhygiene zu kurz kommt. Und da wir inzwischen viel darüber erfahren haben, wie wichtig es ist, ein sicheres, spannendes und gesundes Teamumfeld zu schaffen, möchte ich Ihnen zur Teamentwicklung mein absolutes Lieblingstool an die Hand geben: »Create a team culture« aus meinem Buch »Agil geht anders: Eine Toolbox für den Führungsalltag« (2019).

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Es geht darum, sich als Team idealerweise einen ganzen Tag lang mit den vier Felder zu beschäftigen. Optional können an zwei Halbtagen auch jeweils zwei Felder »angepackt« werden.

Ich möchte zum Schluss noch mal Ihre kindliche Neugier ansprechen; ganz wie Franz Kern einmal sagte: »Das Schwierigste am Erwachsenwerden ist das Bewahren kindlicher Begeisterungsfähigkeit.« Also wünsche ich Ihnen viel Begeisterung beim Ausprobieren dieser Methoden bzw. Tools und noch mehr Neugier, um als Führungskraft zu wachsen.

Literatur Argyris, Chris; Schön, Donald A.: Die lernende Organisation: Grundlagen, Methode, Praxis. SchäfferPoeschel, Stuttgart, 2008. Backovic, Lazar: Diese Grafik zeigt: Das ist der Traumchef der Deutschen. Handelsblatt, 8.4.2022, online verfügbar unter: https://www.handelsblatt.com/karriere/karriere-diese-grafik-zeigt-das-istder-traumchef-der-deutschen/28232808.html (letzter Zugriff: 1.8.2022). Böning, Uwe; Fritschle, Brigitte; Oefner-Py, Stefan: Führungsleben. Inside Leadership – Top-Manager im persönlichen Interview. Springer, Berlin – Heidelberg, 2018. Demary, Vera; Matthes, Jürgen; Plünnecke, Axel; Schaefer, Thilo: Was die Wirtschaft zur Gestaltung der Transformation benötigt. Institut der Deutschen Wirtschaft, IW-Policy Paper Nr. 26, Oktober 2021, online verfügbar unter: https://www.iwkoeln.de/studien/vera-demary-juergen-matthes-

Literatur | 107  axel-pluennecke-thilo-schaefer-was-die-wirtschaft-zur-gestaltung-der-transformation-benoetigt. html (letzter Zugriff: 1.8.2022). Edmondson, Amy C.: Psychological safety and learning behavior in work teams. Administrative science quarterly, 44(2), 1999, S. 350–383. Edmondson, Amy C.: The Fearless Organization: Creating Psychological Safety in the Workplace for Learning, Innovation, and Growth. Wiley, New Jersey, 2018. Gallup: Engagement Index 2021. Deutschland. 2022, online verfügbar unter: https://www.gallup.com/ de/321938/engagement-index-deutschland-2020.aspx (letzter Zugriff: 1.8.2022). Gosling, Jonathan; Mintzberg, Henry: The five minds of a manager. Harvard Business Review, November 2003, online verfügbar unter: https://hbr.org/2003/11/the-five-minds-of-a-manager (letzter Zugriff: 1.8.2022). Hüther, Gerald: Mit Freude lernen – ein Leben lang: Weshalb wir ein neues Verständnis vom Lernen brauchen. Sieben Thesen zu einem erweiterten Lernbegriff und eine Auswahl von Beiträgen zur Untermauerung. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2016. Hüther, Gerald: Was wir von unseren Kinder lernen können. Neurobiologische Geschichten für eine Zukunftspädagogik. Vortrag beim Fachtag »Gemeinsam Vielfalt leben und gestalten« am 7.2.2019, online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=raY8QW_527s (letzter Zugriff: 1.8.2022). IFIDZ: Führungskompetenzen im digitalen Zeitalter. Eine Analyse von 61 Studien und Umfragen aus den Jahren 2012–2018. Metastudie des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter, 2019, online verfügbar unter: https://ifidz.de/digital-leadership-beratung-metastudie/ (letzter Zugriff: 1.8.2022). Kotter, John P: Leading Change. Wie Sie Ihr Unternehmen in acht Schritten erfolgreich verändern. Vahlen Business Essentials, München, 2011. Neue Narrative: Magazin zu New Work Themen und der Arbeitswelt. Online verfügbar unter: https:// www.neuenarrative.de/magazin/was-co-kreation-ist-und-wie-sie-gelingen-kann/ (letzter Zugriff: 1.8.2022) Schein, Edgar H.: Organisationskultur und Leadership. 5. Auflage, Vahlen, München, 2018. Schermuly, Carsten C.: New Work – Gute Arbeit gestalten: Psychologisches Empowerment von Mitarbeitern. 3. Auflage, Haufe, Freiburg, 2021. Schermuly, Carsten C.: New Work Utopia: Die Zukunftsvision einer besseren Arbeitswelt. Haufe, Freiburg, 2022. Stroh, Dominique: Agil geht anders: Eine Toolbox für den Führungsalltag. Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2019. Stroh, Dominique: Mythos Agilität: Wie New Work wirklich gelingt. Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2021. The Original Platform Fund: Plattform-Index. Online verfügbar unter: https://www.plattform-index. com/ (letzter Zugriff: 1.8.2022). Tödtmann, Claudia: Jobwechsel? Ja gern! Die Great Resignation erreicht Deutschland. WirtschaftsWoche 5.4.2022, online verfügbar unter: https://www.wiwo.de/erfolg/management/gallup-studiejobwechsel-ja-gern-die-great-resignation-erreicht-deutschland/28227928.html (letzter Zugriff: 1.8.2022).

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Über Dominique Stroh Seit über zehn Jahren hinterfragt Dominique Stroh (M.A. Business Coaching & Change Management) klug, wie Führung und Organisationsentwicklung aussehen kann. Sie war selbst im Senior Management und weiß daher, was es bedeutet, in komplexen Zeiten die richtigen Fragen zu beantworten. Frech, spannend und ermutigend coacht sie Führungskräfte und Unternehmensverantwortliche und unterstützt sie dabei, eine bessere Arbeitswelt zu schaffen. Mit ihrem Unternehmen Futurework Consulting (https://www.futurework consulting.de/) berät sie Unternehmen rund um Organisations- und Personalentwicklung mit dem Schwerpunkt New Work. Des Weiteren arbeitet sie auch als Chefberaterin für Selbstorganisation und Organisationsentwicklung bei der DB Systel GmbH, ist an der Fresenius Hochschule Wiesbaden für den Masterstudiengang Business Development & Digital Innovation als Dozentin tätig und zudem Autorin mehrerer Bücher rund um New Work und Agilität.

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6 Empathie im Topmanagement: kennen, können, müssen – Emotionale Intelligenz als Grundlage für den Unternehmenserfolg Gudrun Happich »Im C-Level macht Menschlichkeit Sie zu einer starken Führungskraft. Coolness und Distanziertheit hingegen sind ein Zeichen von Schwäche.« (Gudrun Happich)

Auf einen Blick: Worum es in diesem Beitrag geht In diesem Beitrag geht es um empathische Führung als Grundlage für Erfolg. Die zunehmende Komplexität sowie die Anforderungen von Markt und Mitarbeiter:innen werden Sie im heute und auch morgen erfolgreich und nachhaltig managen können, wenn Sie das große Ganze im Blick behalten und ein Gespür für Menschen und Situationen entwickeln. Unterschieden wird dabei zwischen der emotionalen Empathie, also dem Sich-einfühlen-Können in Menschen und Situationen, der kognitiven Empathie, also der Fähigkeit, die Perspektive des anderen einzunehmen, und schließlich der sozialen Empathie, die dabei hilft zu antizipieren und zu verstehen, wie Gruppen und Systeme funktionieren. Empathisch-Sein beginnt immer bei Ihnen selbst. Nehmen Sie Ihre Gefühle wahr, um darauf aufbauend mitfühlend und respektvoll Ihr Team, Ihre Kollegen, Entscheider, Stakeholder, Kunden und das Unternehmen zu führen.

6.1 Einleitung Die Situation: ein Erstgespräch mit einem potenziellen Klienten. Lässig zurückgelehnt saß er vor mir, schaute mich an und meinte: »Ich muss das mit der Empathie lernen.« »Sagt wer?«, wollte ich wissen. Offensichtlich überrascht von der Frage setzte er sich aufrecht hin und meinte: »Na ja – ich.« Ich hatte da einen anderen Verdacht, parkte diesen jedoch und nahm ihn erst einmal in seiner Aussage ernst. Ich lud den CFO eines namhaften Konzerns zum Gruppencoaching ein – laut seinen eigenen Aussagen »sollten wir es nicht gleich übertreiben«. Übersetzt: Einzelcoaching war für ihn (zum damaligen Zeitpunkt) keine Option. Bereits am Ende des ersten Gruppentreffens hatte er sein Ziel erreicht. Er hatte das Feedback erhalten, dass er sich erhofft hatte. Nachdem er seine Situation geschildert hatte, bestätigten die anderen Teilnehmenden ihm höflich und respektvoll, dass er Interesse an Menschen habe, die Menschen das aber nicht sehen bzw. verstehen würden. Und während er zufrieden am nächsten Tag wieder ins Büro ging, dachte ich: Das war es dann wohl mit dem vermutlich von seinem Vorgesetzten stammenden Wunsch, dass er empathischer werden sollte.

110  |  6  Empathie im Topmanagement: kennen, können, müssen

Auf dem Cover dieses Buches steht: »Was Führung heute wirklich braucht«. Aus Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass Führung in den letzten Jahren komplexer geworden ist. Führende haben immer mehr sowie größere Herausforderungen zu meistern. Digitale Transformation, Agilität, New Work und andere Buzzwords machen es Ihnen als Führungskraft nicht leichter, da noch durchzublicken. Doch genau darum geht es heute für Führungskräfte und vor allem für Menschen im C-Level: immer das große Ganze im Blick behalten und dennoch die kleinen, feinen Details zu sehen und entsprechend damit umzugehen. Am besten gleichzeitig. Eine echte Herkulesaufgabe! Die Praxis zeigt, dass dies besonders gut empathischen Menschen gelingt. Menschen, die sich in Menschen und Situationen einfühlen können. Die ein feines Gespür für Emotionen sowie Gefühle haben, aber auch allgemein für Stimmungen und Atmosphäre. Der Faktor Empathie oder auch die noch etwas weiter gehende emotionale Intelligenz werden somit – bezogen auf den Erfolg im Topmanagement – immer wichtiger. Und der Wunsch, die eigenen empathische Fähigkeiten zu schärfen, wächst bei meinen Klient:innen. Schauen wir uns einmal an, was Empathisch-Sein bezogen auf Führung und Management bedeutet und wie Sie selbst Ihre empathischen Fähigkeiten auf- und weiter ausbauen können.

6.2 Empathie bedeutet, Menschen und Situationen zu verstehen Wenn es heute um Erfolg im C-Level geht, geht es vor allem darum, Glaubwürdigkeit zu schaffen und Vertrauen aufzubauen. Das Einfühlungsvermögen ist dabei die pragmatische Übersetzung der Empathie. Belén Garijo ist Vorstandsvorsitzende und CEO des deutschen Merck-Konzerns. In einem Interview mit ihr wurde sie auf ihre »Ecken und Kanten« angesprochen. Ihre Antwort in der ihr so eigenen klaren Art: »Manche sagen über mich, ich sei eine No-Nonsense-Person. Bei mir weiß man, woran man ist, weil ich sage, was ich denke. Aber mit den Jahren habe ich natürlich gelernt, meinen Führungsstil an den jeweiligen Mitarbeiter anzupassen. Die Menschen sind unterschiedlich und wollen unterschiedlich geführt werden. Dafür braucht man Einfühlungsvermögen. Ich bin davon überzeugt, dass es kein Widerspruch ist, hohe Ansprüche zu stellen, auch Außergewöhnliches zu verlangen und dennoch empathisch zu sein.« (Buchhorn et al., 2021) In meiner Arbeit als Executive-Coach unterstütze ich vor allem Leistungsträger dabei, ihre Rolle im C-Level erfolgreich zu leben. Eine Voraussetzung ist, sich selbst gut zu kennen und reflektiert zu handeln, im besten Fall proaktiv. Ist das machbar? Nicht immer. Doch gewisse Voraussetzungen, Fertigkeiten und persönliche Eigenschaften lassen Sie mehr agieren als reagieren. Und Empathie hat hier ganz klar einen Platz ganz oben auf der Liste.

6.2  Empathie bedeutet, Menschen und Situationen zu verstehen  |  111  Leistungsträger Leistungsträger – das zeichnet sie aus: y Sie leisten rund 30 Prozent mehr als der Durchschnitt. Überstunden sind für Sie genauso normal wie Wochenendarbeit. y Sie arbeiten vor allem inhaltlich und haben eine Leidenschaft für Ergebnisse. y Sie denken lösungsorientiert und haben immer das gemeinsame (!) große Ganze vor Augen. y Sie tauschen sich aktiv aus, interessieren sich für alle anderen Bereiche im Unternehmen. Sie wissen, wie wichtig es ist, gut vernetzt zu sein. y Sie stellen viele Fragen, sind neugierig und offen für konstruktive Kritik. y Sie möchten für ihre Leistung wertgeschätzt werden und nicht dafür, dass sie sich besonders gut inszenieren.

6.2.1 Empathie – was ist das? Derzeit wird Empathie und auch die emotionale Intelligenz sehr gehypt. Alle loben sie, stellen klar, wie wichtig beides für den unternehmerischen Erfolg ist. Doch ist das wirklich echt? Ist Empathie wirklich in ihrer Gänze – alle drei Ebene der Empathie – erwünscht? Spätestens am

112  |  6  Empathie im Topmanagement: kennen, können, müssen

Ende des Kapitels werden Sie wissen, ob das in Ihrem Unternehmen so ist. Beginnen wir jedoch mit einer Definition. Bei Wikipedia fasst man Empathie so zusammen: »Empathie bezeichnet die Fähigkeit und Bereitschaft, Empfindungen, Emotionen, Gedanken, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen, zu verstehen und nachzuempfinden. (…) Zur Empathie wird gemeinhin auch die Fähigkeit zu angemessenen Reaktionen auf Gefühle anderer Menschen gezählt, zum Beispiel Mitleid, Trauer, Schmerz und Hilfsbereitschaft aus Mitgefühl.« (Wikipedia, Stichwort: Empathie) Bei der Empathie geht es also konkret um Empathie für mich und um Empathie für andere. Nur wenn ich mit meinen eigenen Gefühlen verbunden bin, kann ich mir wirklich vorstellen, wie sich der andere fühlt (siehe auch den Beitrag von Ruth Maria Mattes). Empathie ist die Basis der menschlichen Kommunikation. Ohne Empathie gibt es keine emotionale Intelligenz und keine praktische Ethik. Grundsätzlich kommen wir Menschen bereits mit einem kleinen Anteil Empathie auf die Welt. Weitere empathische Fähigkeiten müssen durch Erfahrung gelernt und können durch bewusstes Training ausgebaut werden. Das gelingt jedoch nicht jedem im gleichen Umfang und viele tun sich schwer damit. »Ich bin von Natur aus ein eher misstrauischer Typ«, sagte ein Klient zu mir. Doch ohne Verbündete und ein funktionierendes Netzwerk wird es schwierig an der Spitze. Das wusste auch er – ein klassischer Leistungsträger mit einem klaren Blick auf das große Ganze. Er kannte die Spielregeln im C-Level, wusste um die Wichtigkeit der Unternehmenskultur. Und er agierte stets im Sinne des Unternehmens, wobei er die Ziele, die es in seinen Augen zu erreichen galt, aktiv mitbestimmte. Allein das machte ihn zu einer hervorragenden Führungspersönlichkeit. Dennoch war ihm sehr bewusst, dass er mehr der distanzierte Typ war. Eben weil er sich schwertat, Menschen zu vertrauen. Doch um Menschen zu lenken, zu führen und gemeinsam mit den Kollegen im C-Level den Erfolg des Unternehmens zu sichern, sind Vertrauen und Einfühlungsvermögen nötig. Als er auf mich zukam und sagte, dass er gern an seinem Vertrauenspotenzial arbeiten würde, wusste ich, dass hier wirklich innerer Antrieb vorhanden ist. Ein wichtiges Thema war sein Empathie-Faktor. Es ist einfacher, Vertrauen aufzubauen, wenn man das Gegenüber einschätzen kann, wenn man weiß, wie es dem anderen geht und was ihn bewegt – wenn man sich also wertfrei in andere hineinfühlen kann. Jeder von uns hat seine eigene Sicht auf die Welt. Und diese gilt es zu respektieren. Sicher gibt es Weltanschauungen, die gesellschaftlich und sozial nicht akzeptabel sind, aber um die geht es hier nicht. Ich spreche davon, dass Sie als Topmanager zuerst einmal die Menschen in Ihrem Team, die Kollegen und Vorgesetzten annehmen, wie sie sind. Und zwar indem Sie zuhören, hinschauen und Dialoge führen. Indem Sie in den Austausch gehen. Und nein, Empathie bedeutet nicht, dass Sie Ihre eigenen Gefühle und Emotionen auf dem Silbertablett präsentieren sollen. Gefühle zu zei-

6.2  Empathie bedeutet, Menschen und Situationen zu verstehen  |  113 

gen hat nichts mit Empathie zu tun (zumindest nicht zwingend). Empathisch zu sein heißt, offen zu sein. Die Antennen auf Empfang schalten, mitfühlend sein. Empathie bedeutet, ein Gespür für andere Menschen zu besitzen, das unterstützt, diese dort abzuholen, wo sie gerade stehen. Belén Garijo drückt es so aus: »Die Menschen sind unterschiedlich und wollen unterschiedlich geführt werden.« Ich würde das gern erweitern durch: Die Menschen sind unterschiedlich und daher sollten auch der Umgang, der Austausch, das Miteinander entsprechend individuell gestaltet werden. Wer Menschen erreichen will, der zeigt ehrliches Interesse am anderen. Geht aktiv auf ihn zu. Mein misstrauischer Klient nahm sich beim »Auf-den-anderen-Zugehen« ein Beispiel am Kolkraben: Der braucht seinesgleichen, um den Futtervorrat zu sichern. Bevor er aber das Gruppending für gut befindet, schaut er erst einmal, wie die anderen so drauf sind. Was tut das kluge Kerlchen also? Es verbuddelt Futter vor den Augen der anderen, tritt dann den Rückzug an und beobachtet, ob irgendeiner den Schnabel rührt oder man respektvoll Abstand hält. Und genau das praktiziert mein Klient bis heute: Erst mal den kleinen Finger reichen, etwas von sich selbst preisgeben und schauen, wie der andere darauf reagiert. Vertrauen aufbauen – so geht’s y Schritt 1: Sie geben etwas Vertrauensvolles von sich preis und testen die Reaktion des anderen darauf. y Schritt 2: Sie beobachten: Was macht er konkret mit der Information? y Schritt 3a: Geht er damit empathisch, respektvoll, einfühlsam und vertrauensvoll um, gibt er vielleicht auch etwas von sich preis, so dürfen Sie den nächsten Test starten und erneut etwas von sich offenbaren. y Schritt 3b: Geht er nicht auf die Information ein bzw. zieht er daraus für sich egoistisch einen Nutzen, dann gehen Sie auf professionelle Distanz.

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6.2.2 Empathie – warum sie wichtig ist Wenige Jahre vor seinem Tod hat Stephen Hawking in einem Interview gesagt, dass die Aggressivität der größte Fehler der Menschheit sei und diese in der Lage sei, uns alle zu vernichten (Focus, 2015). Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Aber schaue ich offenen Auges auf den aktuellen Zustand der Welt, scheint das nicht abwegig. Allein die Aggressivität einzelner Menschen kann – wie im beispielhaften Fall des Einsatzes von Nuklearwaffen – das Ende bedeuten. Für den weltbekannten Physiker gab es damals nur eine richtige Lösung auf diese Bedrohung: Die Menschen müssen mehr Empathie zulassen. Oder, um es mit seinen Worten zu sagen: »Die Empathie bringt uns zusammen, und zwar in einem ruhigen und friedlichen Zustand.« Die Zukunft der Menschen hängt also davon ab, ob sie sich die Empathie, also das mitmenschliche Einfühlungsvermögen bewahren kann. Übertragen auf die Rolle als Führender im Topmanagement bedeutet das, dass Sie Menschen nur dann wirklich bewegen, wenn Sie sehen, wie diese sind, und sie in ihrer Gesamtheit wahrsowie ernst nehmen. Wahrnehmung basiert auf Interesse, darauf, neugierig auf den anderen zu sein. In den Dialog zu gehen, sich auszutauschen, was auch konstruktive, offene Kritik einschließt. Im Fall von Belén Garijo sagte eine langjährige Wegbegleiterin: »Mit der Zeit haben ihre Leute begriffen, dass sie immer auf Leistung und den Wert des Unternehmens fokussiert ist, aber nie ein persönliches Werturteil fällt.« (Buchhorn et al., 2021) Hier geht es um den schon angesprochenen Respekt für die Meinungen, Gefühle, Emotionen und Ansichten anderer Menschen. Wobei wichtig ist, dass Sie Respekt als Respekt vor der Meinung und Einstellung des anderen verstehen. Sie müssen diese nicht teilen, Sie brauchen nicht einverstanden sein. Und Sie dürfen auch sagen, dass Sie anders darüber denken. Sehen Sie das als Chance auf einen informativen Austausch.

6.2.3 Empathie – warum sie immer wichtiger wird Jeder von uns hat als Mensch eine tiefe Sehnsucht danach, wahrgenommen zu werden. Wir möchten erkannt und bestätigt werden. Und das sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld. Doch je höher die Hierarchieebene ist, auf der man sich befindet, desto eher hält man diesen Wunsch wie auch seine Emotionen und Gefühle hinter einer professionellen Fassade zurück. Dazu ein Klient: »Das Emotionale, das Menschliche fehlt auf der Topebene. Dabei macht doch genau das den Unterschied.« Ein Beispiel aus der Praxis »Unser alter Chef war ein Empathie-Meister«, sagte eine Klientin. »Wir waren enorm erfolgreich, wenn nicht sogar das erfolgreichste Unternehmen in unserer Branche. Jetzt haben wir einen Chef, der hochprofessionell ist, aber auf der emotionalen Ebene passiert nichts.« Das hatte zur Folge, dass die Kon-

6.2  Empathie bedeutet, Menschen und Situationen zu verstehen  |  115  flikte auf zweiter Führungsebene immer mehr wurden. Alles wurde plötzlich auf der Sachebene gelöst. Das Zwischenmenschliche fand nicht mehr statt – auch unter den Führungskräften selbst nicht mehr. Innerhalb von einem Jahr verlor man daher Umsätze, Kunden und rutschte auf dem Unternehmensranking einige Positionen nach unten. Das Fazit meiner Klientin: »Ist die Beziehung schlecht, sind die Zahlen schlecht.«

Für Menschen ist es das Schlimmste, in einem emotionslosen Raum zu sein – oder ein Gegenüber zu haben, das keinerlei Emotionen zeigt. Sofort wird Unsicherheit spürbar, was in sowieso schon bewegten Zeiten nicht unbedingt effizient ist. Es rauscht in den Unternehmen aktuell zunehmend und damit jeden Tag mehr: in traditionellen Konzernen und Unternehmen ein wenig leiser, beim Mittelständler dann und wann ein wenig lauter und bei Start-ups gehört das Rauschen ab Tag 1 dazu. Schon seit einigen Jahren zeichnet sich ein Führungswandel ab. Hierarchien lösen sich auf. Es geht nicht mehr um Herrschaftswissen, sondern darum, die eigenen Mitarbeiter zu befähigen, selbstverantwortlich zu arbeiten. Das geht damit einher, dass Verantwortung auf verschiedene Schultern verteilt wird. In meinem Buch »C-Level: Im Top-Management erfolgreich werden, sein und bleiben« (2023) schreibe ich, dass Sie keine Aufgaben delegieren sollen, sondern die Verantwortung für Ergebnisse. Wie der Mitarbeiter das Ergebnis im Rahmen der zulässigen Unternehmensregeln, Unternehmenskultur, basierend auf seinem Wissen sowie seiner Erfahrung erwirkt, sei ihm selbst überlassen. Zumindest, wenn damit das übergeordnete große Ganze berücksichtigt wird. Damit das jedoch effektiv funktioniert, brauchen Sie als Delegierende:r die Garantie, dass die Verantwortung beim richtigen Menschen »geparkt« wurde. Das einzuschätzen wird Ihnen zunehmend leichter fallen, je besser Sie sich in diese:n Mitarbeiter:in einfühlen können, wenn Sie seine bzw. ihre Motive, Persönlichkeitsmerkmale, Emotionen und Gedanken kennen – wenn Sie Antworten auf die folgenden Fragen haben: 1. Ist er/sie der/die Richtige für diese Aufgabe? 2. Was motiviert ihn/sie, das Ergebnis zu erreichen? 3. Wie wird er mit dieser Verantwortung umgehen? Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal ein bekanntes Wirtschaftsmedium zitieren. In diesem Fall ging es um die Frage, wie der Traumchef der deutschen Arbeitnehmer aussieht (Backovic, 2022). Zusammengefasst: Er zeigt Anerkennung, ist ein empathischer Zuhörer und tritt als Coach auf, der die Mitarbeiter befähigt, im Fachjargon »enablet«. Nicht ganz die eierlegende, aber doch schon dienende Wollmilchsau. Die Praxis und meine Erfahrungen stimmen diesem Rollenwandel zu. Fachliche Kompetenz und Führungsqualität werden heute vorausgesetzt im Topmanagement. Es sind die weichen Faktoren, die den guten vom sehr guten Chef unterscheiden.

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Daniel Goleman, einer der bekanntesten und renommiertesten Psychologen im Bereich emotionale Intelligenz, sagte: »Ein hoher IQ und fachliche Fähigkeiten sind zwar wichtig – doch entscheidend ist der kluge Umgang mit Gefühlen.« (Goleman, 2016) Den Beweis lieferte er mit seinen zahlreichen Studien zum Thema EQ. Diese zeigen deutlich, dass »emotionale Intelligenz als Grundvoraussetzung erfolgreichen Führens unverzichtbar ist«. Goleman ist sicher, dass es die kognitiven und emotionalen Fähigkeiten sind, die Manager im C-Level zu echten Topmanagern machen. Das Erkennen großer und wichtiger Zusammenhänge oder die Entwicklung langfristiger Visionen seien die eine – definitiv große – Seite der Medaille, so der amerikanische Psychologe. Doch je höher die Spitze, desto wichtiger sei es, Gespür für Menschen, Dinge und Situationen zu entwickeln. Goleman formuliert, dass die emotionale Intelligenz eine doppelt so große Bedeutung für Spitzenleistung hat wie die fachlichen Fähigkeiten und die eigentliche Intelligenz. An der Spitze lasse sich der Unterschied zwischen Durchschnittsmanager und Spitzenperformer fast zu 90 Prozent auf die emotionale Intelligenz zurückführen.

6.3 Empathie in der Theorie Empathische Führung ist für mich eine wesentliche Voraussetzung, um in Begegnung zu kommen. Begegnung ist für mich die Königsdisziplin im Kontakt mit Menschen. Und dabei meine ich die Begegnung mit anderen wie auch die Begegnung mit sich selbst. Manche nennen es »Beziehung« im Sinne von »Wir beziehen uns aufeinander«. »Begegnung« geht für mich noch einen Schritt weiter. Im C-Level sind Sie Multiplikator. Menschen sehen Sie als Vorbild und eifern Ihnen nach. Ursache dafür ist unser Gehirn und die dort beheimateten Spiegelneuronen – ein System aus Nervenzellen, das durch die Gegenwart anderer Lebewesen aktiviert wird und, wie der Name schon verrät, das Verhalten oder auch die Emotionen des Gegenübers spiegelt. Lachen ist bekanntlich ansteckend. Und auch Schmerzen können wir mitfühlen, wenn sich jemand in unserem Beisein verletzt. Die Spiegelneuronen sind die Basis für unser intuitives Wissen und für unsere Empathie. Empathie baut somit auf einer guten und gesunden Selbstwahrnehmung auf. Die eigenen Emotionen und mehr wahrnehmen: Was spüre ich gerade? Was denke ich? Wie fühle ich mich damit? Die Fähigkeit, in sich hineinhorchen und dank Selbstempathie beschreiben zu können, wie man eigentlich selbst tickt, was einen bewegt, hemmt, emotional berührt oder motiviert, ist enorm wichtig. Sie unterstützt Sie darin, Ihre Gefühle und Emotionen regulieren zu können – im Topmanagement ein echter Vorteil. Empathie und emotionale Intelligenz nehmen übrigens mit dem Alter zu – zumindest sagt man das gern. Wir »reifen« basierend auf Erfahrungen, Erlebnissen und deren Verarbeitung. Zusätzlich können wir sie gezielt trainieren – oder bis zu einem gewissen Grad lernen. Die Grundlage dafür bietet die angesprochene Selbstempathie. Schauen wir nun auf die drei verschiedenen Gesichter der Empathie.

6.3  Empathie in der Theorie   |  117 

6.3.1 Emotionale Empathie Mit »emotionaler Empathie« ist gemeint, dass Sie in der Lage sind, Ihre eigenen und die Gefühle anderer Menschen wahrzunehmen. Kurz: Sie können mitfühlen. Emotionale Empathie ist die Fähigkeit, sich in die Gefühlswelt anderer Menschen hineinzuversetzen, also die eigenen Emotionen und die des Gegenübers zu erkennen und Mitgefühl zu zeigen. Sich freuen zu können, wenn sich ein anderer freut. Trauer zu fühlen, wenn ein anderer weint. Es geht darum, an den Emotionen des anderen aktiv teilhaben zu können, indem Sie diese beim anderen erkennen und ansprechen – also klar und unmissverständlich dem Gegenüber das Signal geben, gesehen zu werden. In diesem Moment sind Sie emotional ganz beim anderen. Wichtig: Verwechseln Sie bitte nicht Mitgefühl mit Mitleid. Marianne Tatschner von der Universität Frankfurt hat es für mich treffend formuliert und auf den Punkt gebracht, wo der Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl liegt: »Mitgefühl hat nichts damit zu tun, sich oder jemand anderen zu bemitleiden. Mitleid entsteht durch einen getrennten, kalten Blick, nicht selten von oben herab. Mitgefühl dagegen ist warm und zugewandt und entsteht im vollen Bewusstsein dessen, dass wir alle schwierige Erfahrungen machen, dass es – auf der tiefsten menschlichen Ebene – ›oben‹ und ›unten‹ gibt.« (Tatschner, 2022)

6.3.2 Kognitive Empathie Kognitives oder reflektierendes Einfühlungsvermögen bedeutet, dass Sie sich in die Perspektive bzw. die Gedankenwelt eines anderen Menschen hineinversetzen können, ohne zu (ver-) urteilen. Sie nehmen die Perspektive des anderen ein. Sie denken mit seinen Gedanken. Es ist die Fähigkeit, Gedanken, Absichten und Motive anderer Menschen zu verstehen, um ihr Verhalten vorhersagen zu können. Die kognitive Empathie ist entscheidend für den erfolgreichen Umgang mit anderen Menschen. Dabei brauchen Sie seine Gedanken nicht persönlich mitzuerleben. Ziel der kognitiven Empathie ist, ein besseres Verständnis für die Lage des anderen zu bekommen. Zu verstehen, wie er tickt, und ihn genau dort abzuholen und für die gemeinsame Sache zu begeistern.

6.3.3 Soziale Empathie Bei der sozialen Empathie geht es darum, dass Sie andere nicht nur verstehen, sondern gut antizipieren können, wie sich eine Gruppe »als System« verhalten würde. Soziale Empathie ist für Sie im C-Level unter anderem wichtig, um eine schlagkräftige Mannschaft aufzubauen. Die

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soziale Empathie ist die Fähigkeit, komplexe zwischenmenschliche Beziehungen zu verstehen, vorherzusagen und zu gestalten.

6.4 Empathie in der Praxis Empathie hat übrigens nichts damit zu tun, dass Sie sich mit den Emotionen anderer identifizieren, sich also den Schuh selbst anziehen. Sie brauchen auch nicht jeden zufriedenzustellen (Kestel, 2019). Es geht darum, dass Sie in Ihrer Rolle im C-Level die Gefühle und Gedanken der anderen sorgfältig in die Suche nach vernünftigen Entscheidungen miteinbeziehen können. Immer öfter kommen autonome Teams zum Einsatz. Die Globalisierung schreitet immer schneller voran und es ist wichtig, fähige Mitarbeiter (Leistungsträger) ans Unternehmen zu binden. Empathische Führung macht das möglich. Beispiele wie das von Belén Garijo zeigen, dass man es mit einem empathischen Führungsstil weit schaffen kann. Es braucht die perfekte Balance zwischen Nähe und Distanz sowie Autonomie und Bindung. Begegnung im Sinne von Kontakt. Eine empathische Führungskraft ist kein Weichei. Ganz im Gegenteil: Ein empathischer Vorgesetzter oder eine empathische Vorgesetzte sind echte Führungspersönlichkeiten. Ihnen tanzt niemand auf der Nase herum. Zudem wissen sie gekonnt den Standpunkt und die emotionale Befindlichkeit jedes einzelnen Gruppenmitglieds wahrzunehmen und zu verstehen sowie mit Emotionen, Gefühlen und mit unterschiedlichen Perspektiven und Gedanken der einzelnen Gruppenmitglieder umzugehen – den eigenen, aber auch denen der anderen. Empathisches Führen bedeutet auch, bewusst Grenzen zu setzen. Erfolgreiche Menschen im C-Level überzeugen durch Klarheit, Glaubwürdigkeit, Vertrauen, Verlässlichkeit und authentische Kommunikation. Und sie machen Begegnung möglich. Sie können gute soziale Beziehungen zu ihren Mitmenschen aufbauen. Oder, um noch einmal Goleman sprechen zu lassen: »Nur wer seine eigenen Gefühle ebenso wie die anderer Menschen versteht, ist in der Lage, seine Mitarbeiter so zu steuern, dass die Unternehmensziele erreicht werden.« (Kestel, 2019)

6.4.1 Empathie muss man wollen Empathie ist lern- und trainierbar. Je nach persönlicher Voraussetzung gibt es wie bei vielen Talenten und Fähigkeiten natürliche Grenzen. Man kann nicht in allen Disziplinen perfekt sein. Doch empathischer kann wirklich jede und jeder werden. Wichtig ist es, es zu wollen. Weiterentwicklung ist heute kein »Kann« oder »Nice to have« mehr, es ist ein »Muss« – gerade für Menschen im Topmanagement. Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen und

6.4  Empathie in der Praxis  |  119 

sagen, dass erfolgreiche Topmanager:innen in ihrer Rolle eine persönliche Transformation durchlaufen – also einen fundamentalen, dauerhaften und nicht selten existenziellen Wandel. Und das parallel zu der Transformation des Unternehmens, für die sie (in Teilen) die Verantwortung tragen. Damit das gelingt, brauchen Sie zuerst einmal eine gute Strategie und einen entsprechenden Plan. Zudem aber brauchen Sie die passenden Werkzeuge. Nur dann werden Sie in allen Situationen lösungsorientiert agieren können. Empathie ist dabei das Werkzeug, weil sie gleichzeitig auch eine Anleitung und Haltung ist – gibt sie doch den entscheidenden Hinweis, welches Werkzeug in welcher Situation am hilfreichsten ist. Emotionale Intelligenz steigern Steigern Sie Ihre emotionale Intelligenz, indem Sie sich die folgenden Fragen stellen und ehrliche Antworten für sich finden: y Bin ich bereit, empathisch zu sein? Für mich selbst? Für andere? Welche Voraussetzung habe ich? y Bin ich bereit, Empathie zuzulassen? Habe ich den Willen dazu? y Will ich üben und trainieren, um neue Erfahrungen zu sammeln, und habe ich die Disziplin, am Ball zu bleiben? y Kann ich zuhören und bin ich in der Lage, die anderen ernst zu nehmen? y Wie präsent bin ich?

6.4.2 Empathie bedeutet, die Perspektive zu wechseln Wann haben Sie sich eigentlich selbst schon einmal die Frage gestellt, wie empathisch Sie im Arbeitsleben sind – vor allem als Führungskraft? Wissen Sie, was Ihre Mitarbeiter:innen, Kolleg:innen und auch Vorgesetzen antreibt, was sie denken und fühlen? Können Sie zuhören? Also so richtig? Und haben Sie neben einem gesunden Instinkt auch einen solchen Menschenverstand? Durchschauen und erkennen Sie Muster, Beziehungen und Verflechtungen? Und würden Sie sagen, dass Sie »aus dem Bauch heraus« führen? Und hatten Sie eigentlich vorher gewusst, dass es eigentlich »Empathien« heißen müsste, weil es drei verschiedene gibt? Ich stimme Ihnen zu: Das Thema Empathie ist so komplex, wie es sich auch breit gefächert zeigt. Es gibt grundlegende Elemente und andere sind individueller Art. Trainieren und lernen können Sie die grundlegenden Elemente – die individuellen liegen ganz bei Ihnen. Als Coach sehe ich mich als Sparringspartner und fordere meine Klient:innen – und zwar auch dazu auf, Dinge mal anders zu machen als normal. Dinge zu probieren, vor denen wir vielleicht auch eine gehörige Portion Respekt haben. Damit das gelingt, wechseln wir ganz bewusst die Perspektive. Ich hatte vorher schon einmal die Weltanschauung angesprochen. Und genau darum geht es. Wir versetzen uns in den anderen hinein, betrachten Situationen aus einem anderen Blickwinkel und mit einer anderen Einstellung. Immer mit dem Ziel, mehr zu verstehen, den anderen zu verstehen, Verständnis zu erlangen.

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6.4.3 Empathie – mehr als nur ein Wort Heute ist eine neue Art der Führung nötig. Haltung entscheidet, und die ist eben nicht mehr die, dass Sie als Chef die Ansagen machen und die anderen zu spuren haben, egal wie es den anderen geht, wie sie sich dabei und damit fühlen. Es geht im Hier und Jetzt und vor allem in der Zukunft um den natürlichen Prozess des Impulsgebens, Beobachtens, Wahrnehmens, Analysierens und Schlussfolgerns. Es geht darum, Lernbereitschaft zu wecken und zu fördern. Um dann zu fordern. Daher noch einmal: Empathische Führung ist kein »Wir haben uns alle lieb« oder ein »Ich fasse jeden mit Samthandschuhen an«. Menschen abzuholen, und das bewusst bei dem, was sie am meisten bewegt und berührt, bedeutet, ans Eingemachte zu gehen. Das ist Empathie. Empathie ist Einfühlungsvermögen. Die Aktion steckt daher im Namen: sich einfühlen. Reinfühlen. Mitfühlen. Denken Sie an die drei Ebenen: Gefühle wahrnehmen, die Gedanken/Perspektive erkennen und die Gruppe als System sehen können. Als der Inder Satya Nadella im Jahr 2014 die Position des CEO bei Microsoft übernahm, machte er den Faktor Empathie im wahrsten Sinne des Wortes zur Chefsache (Denning, 2021) Seine Strategie bezog sich zunächst vor allem auf die Kunden des Tech-Giganten. Mittels kognitiver Empathie sollten Kundenbedürfnisse aufgedeckt und schlussendlich mit passenden Lösungen Antworten geliefert werden. Nadella hat verstanden, dass Umsätze, Gewinne, positive Veränderungen, Nachhaltigkeit und sämtliche Buzzwords wie Flexibilität, Diversität und Agilität alle den Faktor »Mensch« benötigen. Und der sollte im besten Fall wissen, was er tun soll. Und damit sind wir wieder beim Einfühlungsvermögen. Und bei der Empathie. Erspüren, was Kunden wollen. Wissen, wie Mitarbeiter ticken. Verstehen, wie die Entscheider agieren und reagieren. An der Spitze verleihen Ihnen Selbstreflexion, Selbstkontrolle und Selbstwahrnehmung die entscheidenden Millisekunden Vorsprung, um erfolgreich ans Ziel zu kommen. Ich selbst habe mir in diesem Zusammenhang »Georgie« zugelegt – ein kleines imaginäres Männlein, das auf meiner Schulter hockt. Ein ewiger Beobachter, der beschreibt, was er sowohl bei mir als auch bei meinem Gegenüber wahrnimmt, wenn ich mich im Austausch mit anderen befinde. Der zudem manchmal mein Verhalten und meine Gedanken bewertet. Er reflektiert sehr genau, was in meinem Inneren vorgeht und wie sich das im Äußeren widerspiegelt. Das hilft mir, in jeder Situation ein Stück weit emotionale Distanz zum Geschehen zu entwickeln. Gedanklich und gefühlsmäßig Abstand zu entwickeln, hält mich handlungsfä-

6.5 Ausblick | 121 

hig und macht mich souveräner. Und nein, verrückt bin ich nicht. Ich bediene mich einfach der vielen psychologischen Möglichkeiten, die unser Leben klarer machen. Georgie ist immer da, nimmt zuerst einmal wahr (»Du bist ärgerlich, Gudrun.«). Und wenn er merkt, dass ist selbst nicht aufpasse, hat er auch eine klare Meinung (»Du musst da mal dran arbeiten, dass dich diese Eigenart anderer nicht immer gleich auf die Palme bringt.«).

6.5 Ausblick Wolfgang Jenewein sagte einmal: »Es geht nun [gemeint war die Rolle als Führungsperson in der heutigen Zeit] ums Experimentieren, Beobachten und Lernen. Der Chef muss demütig sein, sich nicht mehr so wichtig nehmen, mehr zuhören, mehr Leute integrieren und involvieren.« (Goleman, 2016) In den Augen des deutsch-österreichischen Betriebswirtschaftlers ist die Aufgabe einer Führungskraft heute, ein involvierendes, koordinierendes und demütiges Miteinander zu ermöglichen. Wobei wir wieder bei der Tatsache sind, dass das nur möglich ist, wenn Sie Ihre Mannschaft kennen – und die Entscheider, Ihre:n Vorgesetzte:n und auch die Kolleg:innen, Stakeholder, eben alle, die relevant sind. Und »kennen« heißt, zu verstehen und darauf aufbauend gekonnt mit jedem Einzelnen zu interagieren, echte Begegnung möglich zu machen. Denken Sie immer daran, dass Sie im Topmanagement Multiplikator sind. Mitarbeitende, aber auch ranggleiche oder ranghöhere Kolleg:innen werden, wenn sie Ihnen vertrauen und gut finden, was Sie tun, auf Ihren Zug aufspringen. Besagte Spiegelneuronen haben hier einen entscheidenden Anteil, aber eben auch das »gute Gefühl«. Vorgesetzte, die viel lachen, sind laut Studien erfolgreicher. Einfach, weil die positive Grundstimmung das Team ansteckt oder zumindest befreiter arbeiten lässt. Wer gute Laune hat, nimmt Informationen besser auf und reagiert rasch sowie kreativ auf neue Situationen. Mit anderen Worten: Lachen ist eine ernste Angelegenheit. Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal Goleman zitieren – diesmal bezogen auf das Thema Coaching und Beratung: »Wie sich wiederholt gezeigt hat, zahlt sich beides nicht nur in Form von Leistungssteigerungen aus, sondern auch in einer größeren Arbeitszufriedenheit und in einer sinkenden Fluktuationsrate. Der springende Punkt ist die Art der Beziehung. SpitzenCoaches und Mentoren versetzen sich in die Leute hinein, denen sie helfen. Sie spüren, wie sie wirkungsvolle Rückmeldungen geben können. Sie wissen, wann sie auf bessere Leistung drängen und wann sie sich zurückhalten müssen. Durch die Art, wie sie ihre Schützlinge motivieren, demonstrieren sie praktizierte Empathie.« (Goleman, 2016)

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Literatur Backovic, Lazar: Diese Grafik zeigt: Das ist der Traumchef der Deutschen. Handelsblatt, 8.4.2022, online verfügbar unter: https://www.handelsblatt.com/karriere/karriere-diese-grafik-zeigt-das-istder-traumchef-der-deutschen/28232808.html (letzter Zugriff: 18.7.2022). Denning, Steve: Wie Empathie zum Aufbau eines Zwei-Billionen-Dollar Unternehmens beitrug. Management Garden, 2021, online verfügbar unter: https://www.management.garden/wie-empathie-zumaufbau-eines-zwei-billionen-dollar-unternehmens-beitrug/ (letzter Zugriff: 18.7.2022). Focus: Stephen Hawking warnt vor einer Gefahr, die viel größer ist als Umweltkatastrophen. Focus online, 2015, online verfügbar unter: https://www.focus.de/wissen/mensch/der-groesstefehler-der-menschheit-stephen-hawking-warnt-vor-einer-gefahr-die-viel-groesser-ist-alsumweltkatastrophen_id_4501698.html (letzter Zugriff: 18.7.2022). Goleman, Daniel: Emotionale Intelligenz – zum Führen unerlässlich. Harvard Business manager Ausgabe 04/2016. Happich, Gudrun: C-Level: Im Top-Management erfolgreich werden, sein und bleiben. Haufe, München, 2023. Kestel, Christina: »Große Empathie«. Harvard Business manager, Ausgabe 01/2019. Buchhorn, Eva; Noé, Martin; Palan, Dietmar: Die neue Königin des Dax. Manager Magazin 30.04.2021, online verfügbar unter: https://www.manager-magazin.de/unternehmen/pharma/merck-kgaabelen-garijo-stieg-von-strassenkaempferin-in-die-dax-spitze-auf-a-f55ee3bb-967a-4ba9 – 8ec0ad6e35e81c41 (letzter Zugriff: 18.7.2022). Tatschner, Marianne: Achtsamkeitsanregung #103: Achtsam verabschieden. Blog-Beitrag Europa Universität Viadrina Frankfurt, 2022, online verfügbar unter: https://www.europa-uni.de/de/struktur/ zse/zsb/meditation_achtsamkeit/mindful_monday/index.html (letzter Zugriff: 18.7.2022). Wikipedia: Empathie. Online verfügbar unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Empathie (letzter Zugriff: 18.7.2022).

Über Gudrun Happich

© Birgitta Petershagen

Gudrun Happich ist eine Macherin. Seit ihrer Kindheit ist sie es gewohnt, dass alle mit anpacken müssen. Das hat ihr Leben geprägt und sie an die Spitze verschiedener Unternehmen gebracht. Heute unterstützt sie als Executive-Coach Menschen, diesen Weg ebenfalls zu gehen – und zwar gut vorbereitet und für alle Eventualitäten gewappnet. Ihr Leistungsträger-Blog (galileo-institut.de/blog) inklusive C-LevelPodcast (galileo-institut.de/podcast) informiert praxisnah sowie aktuell über die wichtigsten Themen für Menschen im C-Level. Ihre Bücher »Was wirklich zählt!: Mit Überzeugung führen« (Springer Gabler), »Herausforderungen im Führungsalltag: 24 Führungsthemen für den Weg ins Topmanagement« (Haufe) und »C-Level: Im Top-Management erfolgreich werden, sein und bleiben« (Haufe) sind wichtige Lektüre für alle, die es an die Spitze schaffen wollen.

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7 Vertraut euch! – Vertrauen als Schlüsselfaktor zur Führung von leistungsstarken Teams in schnelllebigen Unternehmen Uta Weiss »Eine Team ohne Vertrauen ist wie ein Öl-Wasser-Gemisch. Ohne Vertrauen als Emulgator wird es nie nachhaltig zusammenfinden.« (Uta Weiss)

Auf einen Blick: Worum es in diesem Beitrag geht »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.« Würden Sie mir da zustimmen? Falls Ihre Antwort »Ja« lautet, sollten Sie jetzt weiterlesen. Denn wenn Sie leistungsstarke Teams führen wollen, kann diese Denkweise Ihnen einen Strich durch die Rechnung machen. Kontrolle ist ein vermeintlich schneller und einfacher Weg, um Effizienz zu maximieren und Fehler zu minimieren. Aber ist das wirklich der Fall? Dieser Beitrag wird Ihnen zeigen, warum Vertrauen in Ihr Team das sicherste Investment für eine erfolgreiche Zukunft ist. Sie lernen, wie Sie Vertrauen im Team stärken und wie Vertrauen nicht nur Ihnen, sondern auch Ihrem Team das Arbeiten erleichtert. Wenn Sie bereit sind, mithilfe dieses Artikels auch ein Stück weit sich selbst zu begegnen, werden Sie durch mehr Authentizität auch das Vertrauen Ihres Teams gewinnen.

7.1 Einleitung »Wir vergessen viel zu oft, dass es ja auch klappen könnte.« (Unbekannt) Wann sind Sie zuletzt das Risiko eingegangen, Ihr Leben zu verändern und in die eigene Hand zu nehmen? Und wie oft haben Sie stattdessen aus Angst vor dem Scheitern der Vernunft den Vorzug gegeben?

124 | 7 Vertraut euch!

Als ich begann, mir über den Titel dieses Buches Gedanken zu machen, dachte ich sofort an das Jahr 2018 zurück. Das Jahr, in dem ich die bisher beste Entscheidung meiner beruflichen Laufbahn traf. Ich kündigte einen stabilen, krisensicheren Job im Finanzbereich mit klarer Karriereleiter impulsiv und unter Tränen vor meinem damaligen, sehr verständnisvollen Chef, ohne etwas Neues in Aussicht zu haben. In diesem Job erlernte ich Glaubenssätze wie »Das ist doch viel zu riskant« und »Was würden denn die Leute sagen?« Und trotz Arbeitslosigkeit fühlte ich mich glücklicher und motivierter als in den Jahren zuvor. Nun konnte ich endlich etwas aufregendes Neues beginnen. Und das sollte »irgendwas mit ›Manager‹« sein. Angekommen im Jahr 2022 blicke ich auf knapp vier turbulente Jahre Leadership zurück, die im Wesentlichen geprägt waren von folgender Gefühlsachterbahn: »Manager sein ist toll und ich kann das gut.« – »Das wird mir zu schwierig. Führen ist nicht mein Ding. Wie komme ich hier wieder raus?« – »Kann es sein, dass ich doch nicht so schlecht bin, wie ich immer denke?« – »Was habe ich gestern gelernt, was ich heute besser machen kann?« Und genau hier stehe ich heute. Sie merken und wissen sicher bereits selbst: Führung ist alles andere als geradlinig. Der einzige rote Faden ist die kontinuierliche Veränderung. Was heute ist, kann morgen schon wieder irrelevant und anders sein. Dabei ist es egal, ob es um Entscheidungen, Erfolge oder Personal geht. Es ist ein ständiges Auf und Ab. Egal wo Sie sich auf Ihrer Zeitachse als Führungskraft befinden, dieser Beitrag soll Ihnen dabei helfen, in Ihrem Team das nötige Vertrauen zueinander zu etablieren, um in Zeiten der Ungewissheit und Veränderung standfest und effektiv zu bleiben. Und das schaffen Sie, wenn Sie als Führungskraft authentisch sind. Die folgenden Kapitel beleuchten Kernelemente, die dabei helfen, das Vertrauen zwischen Ihnen und Ihrem Team aufzubauen. Jedes Kapitel beinhaltet reale Beispiele aus meiner beruflichen Laufbahn – Wissen, das ich von meinen Vorgesetzten erlernt, Erkenntnisse, die ich selbst als Führungskraft gewonnen und die ich in die Praxis umgesetzt habe. Fragen zur Selbstreflexion zu jedem Kapitel sollen Ihnen Anreize geben, diese Kernelemente in Ihren eigenen Arbeitsalltag zu integrieren und die Reise zu einem leistungsstarken Team zu verwirklichen.

7.2  Sich selbst vertrauen  |  125 

7.2 Sich selbst vertrauen Mehr Sein als Schein. Verlassen Sie die Theaterbühne des Büros. Es ist immer wieder überraschend, dass viele Menschen, sobald sie zur Arbeit kommen, eine andere Persönlichkeit an den Tag legen. Wer sie im Privatleben sind, wollen sie bei der Arbeit nicht zeigen. Das macht das Büro vielerorts zur Theaterbühne. Zahllosen Teams fehlt es dadurch an Engagement und regelmäßig werden Jobs gewechselt in der Hoffnung, im neuen Angestelltenverhältnis eine bessere Führungsriege vorzufinden (Wojtczak, 2022; Weck, 2022). Und das liegt nicht zuletzt daran, dass sich die Zusammenarbeit mit unzähligen Vorgesetzten nicht ehrlich und aufrichtig anfühlt – einfach nicht authentisch. »Denn viele Menschen haben ihre Gefühle abgespalten und leben so, wie andere es von ihnen erwarten.« (Carl Rogers) Was ist überhaupt Authentizität und kann man das lernen? Diese Frage beschäftigt mich schon seit Langem. Viele der Menschen in meinem Umfeld nutzen zur Beschreibung von Authentizität und authentischen Menschen Wörter wie aufrichtig, ehrlich, einzigartig und echt. Dieser Beitrag setzt vereinfacht voraus, dass authentisches Handeln und Sein ein Bewusstsein über das eigene Selbst voraussetzt. Daraus lässt sich also schließen, dass Authentizität erlernbar ist – indem man sich auf die Reise begibt, sich selbst besser kennenzulernen und dem wahren Ich auf den Grund zu gehen. »Je mehr es gelingt, die eigene innere Wahrnehmung (denken, fühlen) mit dem Handeln in Einklang zu bringen, desto authentischer wird man.« (Nele Weiß) Auf dem Weg zu authentischer Führung werden Sie also merken, dass Sie vorrangig sich selbst kennenlernen und vertrauen müssen. Mehr zum Thema Authentizität durch Selbsterkennen finden Sie im Beitrag von Ruth Maria Mattes.

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7.2.1 Authentizität lernen – durch Wertschätzung und Empathie »Menschen spalten Gefühle nicht aus Spaß ab, sondern aus echter Not: weil sie mit den Gefühlen allein nicht zurechtkommen. Empathie und Wertschätzung helfen, die Fähigkeit zu fühlen wieder zu entwickeln. Denn Gefühle wollen gefühlt werden.« (Wiedel, 2019) Die derzeitige Studienlage ist nicht ausreichend, um solide Aussagen über die Effektivität bestimmter Führungsstile (Authentic Leadership, Servant Leadership, Transformational Leadership) zu treffen (Alvesson/Einola, 2019; Gardner et al., 2021). Einige Studien belegen jedoch bereits positive Zusammenhänge zwischen authentischer Führung und der Produktivität von Mitarbeitenden, deren Engagement und Zufriedenheit im Beruf (Walumbwa et al., 2008; Banks et al., 2016; Hoch et al., 2016). Authentische Führung, gepaart mit Wertschätzung und Empathie, ist die effektivste und bereicherndste Methode, um Teams zu leiten, die dem stetigen Wandel gegenüber widerstandsfähig sind. Das ist die Erkenntnis, die ich in meiner persönlichen beruflichen Laufbahn gewonnen habe. Zum ersten Mal kam ich mit Wertschätzung und Empathie im Berufsleben im zweiten Jahr meines ersten Start-up-Jobs in Kontakt. In Einzelgesprächen mit unserer damaligen Country-Managerin Toni ging es weniger um mein Tagesgeschehen im Vertrieb, sondern – damals tat ich es noch als »Gefühlsduselei« ab – um mein und Tonis persönliches Wohlbefinden im Job. Es fiel mir schwer, Persönliches von mir preiszugeben und auf Fragen wie »Wie hast du dich in dieser Situation gefühlt?« oder »Das scheint dich sehr zu frustrieren, woher kommt das und was könnte dir helfen?« zu antworten. Schnell wurden diese Gespräche jedoch zu meinem wöchentlichen Highlight. Sie waren zwar oft unangenehm, weil wir Menschen von Natur aus ungern unsere Schwachstellen vor anderen zur Schau stellen. Trotzdem hatten sie immer einen positiven Effekt auf die Beziehungen zu meinen Mitarbeitenden. Ich fühlte mich ermutigt, meine eigenen Verhaltensmuster zu hinterfragen, und konnte ebenso die Zusammenarbeit mit Toni maßgeblich verbessern. Wir wurden mehr und mehr zu einem eingespielten Team. Ich tappte nicht mehr im Dunkeln und entwickelte endlich ein Bewusstsein dafür, weshalb bestimmte Situationen auf mich wirkten, wie sie es taten, und wie ich damit umgehen kann. Kein Lehrbuch hätte mir besser beibringen können, mich selbst kennenzulernen. Durch Toni begann für mich der Prozess, mich selbst zu reflektieren und Gefühle erkennen und einordnen zu können. Das half mir letztlich dabei, in meinem Handeln authentischer zu werden. Dieses Beispiel zeigte mir ganz klar: »Menschen brauchen andere Menschen, um ihre Persönlichkeit entwickeln zu können« (Wiedel, 2019).

7.2  Sich selbst vertrauen  |  127 

Heute ist Toni als Head of Authentic Leadership tätig und trainiert (angehende) Führungskräfte auf ihrem Weg, den eigenen authentischen Führungsstil zu entdecken, um Teams effektiv und menschlich zu leiten.

Fragen zur Selbstreflexion 1. Welche Dinge machen Sie am liebsten und welche können Sie am besten? 2. Welche Dinge halten Sie davon ab, noch mehr zu leisten? 3. Wann haben Sie Ihr Team zuletzt nach Feedback zu einer bestimmten Situation/ Gespräch/Aufgabe gefragt? 4. Was können Sie weniger gut, was andere in Ihrem Team besser können? 5. Was haben Sie zuletzt für Feedback erhalten, das Sie störte? Warum hat Sie das so gestört? 6. Welche Charaktereigenschaften würden Sie sich selbst zuschreiben? Finden Sie für jede dieser Eigenschaften drei Beispiele, in denen Sie diese gelebt haben. 7. Kennen Sie Emotionen, die Sie ablehnen oder nicht kennen? Hinterfragen Sie, ob Sie diese Emotionen in Ihren Mitmenschen auch ablehnen. (Özdem, 2012)

7.2.2 Führen oder managen? »Manager bringen Menschen dazu, das zu tun, was getan werden muss. Führungskräfte bringen Menschen dazu, das tun zu wollen, was getan werden muss.« (McMahon, 2020) »Du bist eine tolle Leaderin. Woran du noch arbeiten kannst, ist, eine bessere Managerin zu werden.« Dieses wertvolle Feedback erhielt ich einst von einem meiner Manager. Es begleitet mich seitdem jeden Tag. Lange war ich der Überzeugung, Management und Führung seien das Gleiche. Weit gefehlt. Wir alle hatten in unseren Leben mit Führungskräften zu tun, die keine Managementqualitäten aufwiesen. Gleiches gilt für Manager, die wir nicht als Führungskräfte wahrgenommen haben. Tatsächlich kann jede Person über Führungsqualitäten verfügen, ohne auf dem Papier als solche tätig zu sein. Eine Führungskraft ist in der Lage, Menschen anzuleiten und zu beeinflussen. Demnach ist Führung eher eine Qualität als ein Beruf (Zhuo, 2019, S. 34 f.). Bisweilen wird weder im Volksmund noch im Büro sonderlich zwischen den beiden Begriffen unterschieden: Management dient als Oberbegriff für Führung und andersherum genauso. Dennoch lohnt es sich, auf Ihrer Reise zur besseren Selbstwahrnehmung zu verinnerlichen, worin genau sich Leadership und Management unterscheiden (siehe folgende Abbildung nach McMahon, 2020).

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Betrachtet man die Aufzählung in der Abbildung, so könnte man meinen, Management sei nichts Gutes – im Gegenteil. Ich bin der Überzeugung, dass das Bewusstsein über die verschiedenen Einflussbereiche von Leadership und Management eine wesentliche Grundlage dafür ist, beide Stile strategisch in der Teamentwicklung einzusetzen. Ich möchte Ihnen das anhand von zwei Beispielen näherbringen. Eines meiner Teammitglieder, nennen wir es Tom, war eine pure Freude in der Zusammenarbeit. Sein Onboarding verlief reibungslos und schnell. Ich war begeistert von seinen Kommunikationsfähigkeiten und davon, wie er Menschen, insbesondere seine Kunden, dazu brachte, ehrlich mit ihm zu sein und ihm so seinen Arbeitsalltag zu erleichtern. Gleichzeitig wusste ich, dass Tom immer ehrlich zu mir war und mir mitteilte, wenn ihm etwas fehlte oder missfiel. Unsere Zusammenarbeit war geprägt von Offenheit, Reflexion, gegenseitigem Respekt und Vertrauen. In unseren wöchentlichen Einzelgesprächen schauten wir oft in

7.2  Sich selbst vertrauen  |  129 

sein Kundenportfolio, besprachen einzelne Geschäftsmöglichkeiten und wie er diese vorantreiben wollte. Nach einigen Monaten zeichnete sich ab, dass Tom immer wieder selbst feststellte, dass er bei dem ein oder anderen Kunden mehr hätte tun können – so wie wir es oft im Einzelgespräch festgelegt hatten. Dadurch fielen einige Geschäfte ins Wasser und Tom hatte wiederholt das Gefühl, mir gegenüber Rechenschaft ablegen zu müssen – schließlich bedeutete dies Umsatzverluste für uns, was ihm sichtlich unangenehm war. Einige Monate später war es dann Zeit für mein Feedbackgespräch, in dem Tom mir nun direkt sein Feedback für mich mitteilte: »Uta, du kannst mir ruhig öfter mal ›in den Hintern treten‹, wenn ich sage, dass ich Aufgaben erledige, das dann aber nicht tue. Ich brauche das manchmal, um voranzukommen.« Tom wünschte sich aktiv mehr Management von mir. Schon in unseren Einzelgesprächen hätte ich merken müssen, dass Tom von mir mehr brauchte als nur motivierende Führung. Er brauchte Management und Fokus auf die Erledigung der Aufgaben, die er sich selbst auferlegt hatte. Jedoch mied ich lange Zeit die Situation, Kontrolle ausüben zu müssen. Ich dachte vorrangig an meine Bedürfnisse als Vorgesetzte. Und so fragte ich nicht, was Tom in dem Moment von mir brauchte und wie ich ihm eine bessere Stütze hätte sein können. Diese Fragen wollte ich fortan nicht mehr auslassen. In meinem zweiten Beispiel wird deutlich, dass Management, insbesondere in der Kommunikation mit meinem Team, auch fehl am Platz sein kann. Es ging darum, meinem Team Umsatzziele für das Jahr zu präsentieren, was für ein Vertriebsteam stets aufregend ist, da hier der Fokus für das Jahr festgelegt wird. Unsere Ziele waren äußerst ambitioniert und gleichzeitig mit einem hohen Risiko besetzt, denn es handelte sich um die Eroberung neuer, unbekannter Märkte. Der Unternehmenserfolg und die Möglichkeit, in Zukunft neue Risikokapitalfinanzierungen zu erhalten, um das Bestehen der Firma zu sichern, hingen wesentlich von der Verkaufsperformance meines Teams ab. Die Managerin in mir hätte dem Team das Umsatzziel direkt und ohne Kontext mitgeteilt. Ich hätte die Anweisung erteilt, eine bestimmte Anzahl an Aktivitäten zur Kaltakquise durchzuführen, um wiederum eine bestimmte Anzahl an Kunden zu gewinnen. Sie können sich vorstellen, wie demotivierend das gewesen wäre. Schließlich jagt niemand gern blind irgendwelchen Zahlen nach. Die Führungskraft in mir stellte jedoch sicher, dass das Team bis ins kleinste Detail verstand, wie das Unternehmen zum damaligen Zeitpunkt finanziell performte. Ich wollte, dass jedes Mitglied wie ein CEO vor dem Investor pitchen konnte. Sie sollten wissen, welche Kennzahlen wir

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mindestens erreichen mussten, um am Markt bestehen zu können, um uns langfristig von der Konkurrenz abzuheben. Es war essenziell, dass alle im Team nachvollziehen konnten, weshalb diese Ziele eine Rolle spielten und welchen Beitrag jede einzelne Person dazu leistete. Die folgenden Wochen und Monate hätten besser nicht laufen können. Meine Teammitglieder brachten regelmäßig neue Ideen zur Effizienzsteigerung ein, wägten realistisch Auswirkungen ihrer Verkaufsaktivitäten ab und optimierten selbstständig Prozessabläufe. Gleichzeitig hinterfragten sie sich gegenseitig, zogen sich zur Verantwortung und holten sich regelmäßig Feedback von mir ein. So stellten sie sicher, dass sie auf dem richtigen Weg waren. In diesem Beispiel inspirierte Leadership statt Management die Eigenverantwortlichkeit im Team. Authentische Führung bedeutet also auch, das Feingefühl dafür zu erlangen, in welchen Momenten Ihr Team mehr Anweisung und in welchen mehr Anleitung braucht.

Fragen zur Selbstreflexion 1. Reflektieren Sie, in welchen Situationen Sie sich selbst in Ihrer beruflichen Laufbahn mehr oder weniger Führung und Management gewünscht hätten. 2. Fragen Sie Ihr Team frühzeitig und regelmäßig, wie und in welchen Momenten mehr Hands-on-Mentalität und in welchen Momenten weniger von Ihnen verlangt wird. 3. Fragen Sie Ihr Team regelmäßig, wie zufrieden es mit Ihnen als Führungskraft ist und was Sie noch verbessern können.

7.3 Vertrauen schenken »Bei großartigen Teams ist Vertrauen das Herzstück des Erfolgs. Wenn man sich nicht gegenseitig vertraut, geht man auf Nummer sicher. Vertrauen macht es möglich, höhere Ziele zu erreichen. Weiter zu springen und zu wissen, dass jemand hinter einem steht, wenn man fällt.« (Adam Grant) Studien zeigen, dass Vertrauen zu den essenziellen Komponenten effektiver Führung gehört (Hsieh/Wang, 2015; Islam et al., 2020). Die Verhaltensweisen, die Vertrauen aufbauen, sind genau die Verhaltensweisen, die Ihr Team schnellen Wandel bewältigen lassen. Der Aufbau von Vertrauen hilft Teams, Unklarheiten anzugehen, dem Unbekannten mit Zuversicht zu begegnen und Veränderungen als Chance zu sehen. Und genau so lernt, wächst und leistet Ihr Team gemeinsam großartige Arbeit (Leading Effectively, 2021).

7.3 Vertrauen schenken | 131 

Zweifeln Menschen jedoch an den Absichten oder Fähigkeiten anderer, an der Überlebensfähigkeit des Unternehmens oder sogar an ihren eigenen Fähigkeiten, können diese nicht ihren bestmöglichen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten. Dies kann mitunter fatal sein, insbesondere wenn Ihr Unternehmen ständigem Wandel unterliegt oder in einem stark konkurrierenden Umfeld agiert. Das Vertrauen zwischen Team und Führungskraft beruht auf Gegenseitigkeit. Um das Vertrauen zu erwecken, müssen Führungskräfte zunächst Vertrauen in ihr Team setzen (Leading Effectively, 2021), denn: »Vertrauen ist ein Risikospiel. Die Führungskraft muss immer zuerst ihren Einsatz auf den Tisch legen.« (Irwin Federman)

7.3.1 Vertrauen Sie, bis Ihr Vertrauen gebrochen wird »Wenn Sie zur Arbeit gehen, sollte Ihre oberste Pflicht sein, Vertrauen zu haben.« (Robert Eckert) In den ersten Wochen und nach meinen ersten Kundengesprächen im neuen Start-up ging ich eines Tages zu Susi. Susi war Teamlead eines anderen Teams. Ich hatte jedoch schnell das Gefühl, von ihr am meisten lernen zu können. Deshalb wollte ich sie eine meiner E-Mails gegenlesen lassen, bevor ich sie abschickte – so, wie ich es von meinem alten Job gewohnt war. Susi las die E-Mail, schaute mich verwundert an und sagte zu mir: »Uta, hast du das Gefühl, dass wir dir nicht vertrauen? Wir haben dich nicht eingestellt, um dir zu sagen, wie du was tun sollst, sondern damit du uns zeigst, wie es besser geht. Und wenn du mal Fehler machst, dann ist das gut so, denn dann hast du etwas Neues gelernt. Die E-Mail ist super.« Diese Unterhaltung hat meinen Blickwinkel auf Teamführung für immer verändert. Etwas überrumpelt, aber mit neuem Elan machte ich mich wieder an die Arbeit und lernte durch das mir entgegengebrachte Vertrauen, verantwortungsbewusster zu handeln und eigenständiger zu arbeiten. In wenigen Monaten Arbeit lernte ich mehr als in vier Jahren Studium. Ich hatte Spaß, brachte meine Ideen ein, wurde gehört und konnte Neuerungen umsetzen, die ich für den Unternehmenserfolg als notwendig erachtete. Susis Worte klingen noch heute in meinen Ohren und dienen mir immer als Erinnerung, wenn ich ein neues Teammitglied einstelle. Zu jener Zeit führte ich selbst noch kein Team. Erst als ich in eine Führungsposition aufstieg, wurde mir bewusst, wie viel Überwindung es Susi gekostet haben muss, jeder Person im Team

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von Grund auf 100 Prozent ihres Vertrauens entgegenzubringen und wie hart es sein kann, sich Vertrauen vom Team zu verdienen.

Fragen zur Selbstreflexion 1. In welchen Situationen fällt es Ihnen leicht zu vertrauen? 2. In welchen Situationen sind Sie misstrauisch und wollen ein extra Auge auf die Arbeit Ihres Teams werfen? Welche Risiken bestehen, wenn Sie hier vollstes Vertrauen schenken? 3. Können Sie von jeder Person in Ihrem Team sagen, dass Sie ihr vertrauen? Wenn nicht, was genau lässt Sie zweifeln? Aufgrund welcher Qualitäten wurde diese Person eingestellt? Was müsste geschehen, damit all Ihre Zweifel verschwinden?

7.3.2 Setzen Sie sich für Ihr Team ein »Wenn eine Blume nicht blüht, repariert man die Umgebung, in der sie wächst, nicht die Blume selbst.«  (Alexander den Heijer) Ich durchlebte einst eine sehr prekäre Situation, in der mein Teammitglied, hier nennen wir es Ben, sich über längere Zeit darüber beklagte, dass die vom obersten Management vorgegebenen Ziele im Zusammenspiel mit den verfügbaren Mitteln unerreichbar seien. Wir versuchten viele Ansätze und führten verschiedene Tests für Prozesse durch, um Outcomes zu erhöhen und Input zu minimieren. Nichts schien Früchte zu tragen. Über Monate hinweg staute sich bei Ben mehr und mehr Frust an, weil er sich zum Scheitern verurteilt fühlte – und es auch war. Ich fühlte mich beinahe machtlos, da ich die Ziele als ­Teamlead nicht beeinflussen konnte. Alles, was ich in dem Moment tat, war, ein offenes Ohr zu haben und mein Mitgefühl zum Ausdruck zu bringen. Die Situation spitzte sich so sehr zu, dass es im halbjährlichen Feedbackgespräch zu Tränen kam. Das obere Führungsteam reagierte, indem die Ziele anderer Teams herabgesetzt wurden, um die Zielerreichung aller im Unternehmen fairer zu gestalten. Leider änderte sich dadurch nichts an Bens Situation. Kurz darauf kündigte er. Ich war traurig und enttäuscht von mir selbst, nicht mehr getan zu haben. Bens Kündigung war eine vorhersehbare Situation und hätte durch besseres Verhandlungsgeschick mit meinen Vorgesetzten sehr wahrscheinlich verhindert werden können.

7.4 Vertrauen verdienen | 133 

Es ist die Verantwortung der Führungskraft, durch die Beeinflussung von Sinnhaftigkeit, Menschen und Prozessen bessere Ergebnisse aus Teamarbeit zu erzielen (Zhuo, 2019). Wenn Ihr Team sich mit einem Problem an Sie wendet, sei es professioneller oder persönlicher Natur, dann sollten Sie es zu Ihrer Aufgabe machen, das Problem ernst zu nehmen und sich dafür einzusetzen, gemeinsam mit der betroffenen Person eine Lösung zu finden. Niemand erwartet von Ihnen, dass Sie ein Allheilmittel für alle an Sie herangetragenen Probleme parat haben. Sie sollten dennoch aufmerksam für aufkommende Probleme sein, um diese als solche identifizieren und erkennen zu können, welcher Änderungsbedarf dadurch eventuell auftritt, und diesen entsprechend intern oder extern in Bewegung setzen. Selbstverständlich werden Sie auch mal in die Situation kommen, Ihrem Team mitteilen zu müssen, dass Sie nichts tun können oder die Situation Ihre Kompetenzen übersteigt. Denken Sie immer daran, stets im Interesse Ihres Teams zu handeln, transparent alle Fakten darzulegen und damit der betroffenen Person die Chance zu geben, eigenständig Entscheidungen zu treffen. Es ist immer besser, Teammitglieder glücklich in einem anderen Job aufblühen zu sehen als unglücklich im eigenen Team festsitzen zu haben.

Fragen zur Selbstreflexion 1. Haben Sie alle Tools und Möglichkeiten als Führungskraft zur Verfügung, um Ihrem Team effektiv und agil helfen zu können? 2. Wie viel Entscheidungsvollmacht haben Sie? Ist diese ausreichend, um Ihr Team erfolgreich entwickeln zu können? Welche Entscheidungen können Sie selbst treffen und welche Entscheidungen bedürfen einer weiteren Person? 3. Sind Sie intern gut vernetzt, um bei Bedarf Rat und Unterstützung einholen zu können?

7.4 Vertrauen verdienen »In der Führung gibt es kein wichtigeres Wort als Vertrauen.«  (Mike Krzyzewski) So schwierig es ist, einen Vertrauensvorschuss an das Team zu leisten – noch viel mehr verlangt es einer Führungskraft ab, sich das Vertrauen des Teams zu verdienen. Ist Vertrauen Bestandteil eines Teams, machen sich Mitarbeitende Ziele zu eigen, arbeiten bereitwillig zusammen und sind in der Lage, beste Arbeit zu leisten (Leading Effectively, 2021). Eigenverantwortung, Veränderungsbereitschaft, Motivation, Teamarbeit, unternehmerisches

134 | 7 Vertraut euch!

Denken und Kommunikationsfähigkeit können am besten erreicht werden, indem Sie Vertrauen fördern (Dietz, 2017). Würden Sie ein neues Teammitglied fragen, ob es Ihnen vertraut, wird die Antwort sehr wahrscheinlich und freundlicherweise »Ja« lauten. Das liegt daran, dass sich Ihr Teammitglied von Beginn an in einer verletzlicheren Lage im Verhältnis zu Ihnen befindet und damit weniger Risiken eingehen wird – kurzum: Sie sitzen als Autoritätsperson immer am längeren Hebel. Und dieser Hebel bringt eine Distanz zwischen Sie und Ihr Team. Deshalb stellen Sie Ihrem Team auch keine solchen Fangfragen. Streben Sie als effektive Führungskraft durch Ihr Handeln und Denken nach einem grundsoliden Vertrauen, das Ihren Zusammenhalt in Krisen und Unsicherheiten festigt, anstatt ihn auf die Probe zu stellen – Vertrauen, das zur Folge hat, dass Ihr Team irgendwann von allein versteht, weshalb bestimmte Aufgaben zu erledigen und Ziele zu erreichen sind. Geben Sie dabei Ihrem Team zu verstehen, dass Sie ein Mensch wie jeder andere sind und kein Übermensch, nur weil Sie Führungsverantwortung haben; dass Sie Fehler machen und auch mal frustriert, gestresst und verletzt sein können; dass Sie stets das Beste für Ihre Mitarbeitenden wollen und dass auch Ihr Team Freiraum hat, all seine Facetten zum Ausdruck zu bringen und die »Arbeitsmaske« zu Hause lassen kann.

7.4.1 Zeigen Sie Ihre Emotionen und Schwachstellen »Verwundbarkeit ist die einzige Brücke, um eine echte Verbindung aufzubauen.«  (Brené Brown) Vertrauen ist bedingt durch das Verstehen und Nachempfindenkönnen unserer Mitmenschen. Ich habe die widerstandsfähigsten Beziehungen zu Personen, die mich an ihrer Emotionswelt teilhaben lassen und mich dazu einladen, ihre Verhaltensmuster zu erlernen – und bei denen ich das Gleiche tun kann. Nienaber, Hofeditz und Romeike (2015, S. 17) belegten, »dass der Schlüsselfaktor für die wahrgenommene Vertrauenswürdigkeit von Führungskräften der Ausdruck tatsächlicher Verwundbarkeit ist«. Es wird unterschieden zwischen der Bereitschaft, verwundbar zu sein, und der tatsächlichen Verwundbarkeit – also zwischen »Ich möchte verwundbar sein« (passiv durch Verhalten) und »Ich mache mich verwundbar« (aktiv durch Offenlegung). Ermutigen Sie dadurch Ihr Team, mehr Verletzlichkeit zum Ausdruck zu bringen, haben Sie fast schon den Führungskräfte-Jackpot gewonnen. Denn hierin besteht die solideste Basis für Sie und Ihr Team für gegenseitiges, langfristiges Vertrauen.

7.4 Vertrauen verdienen | 135 

Wenn Sie morgen in die Arbeitswelt hinausgehen und sich vornehmen, von jetzt an Verletzlichkeit zu zeigen, wird das jedoch sehr wahrscheinlich unglaubwürdig wirken. Ihr Team wird merken, wenn Sie damit opportunistische Zwecke verfolgen und nicht an das glauben, was Sie tun, wenn Sie im nächsten Moment wieder unnahbar wirken. Vor einigen Jahren bekamen mein Team und ich nach langem Suchen eine externe Führungskraft als Verstärkung, wir nennen sie Kim. Eine solche Situation ist für jeden neuen Teamlead eine große Herausforderung, denn bei uns handelte es sich um ein fest zusammengeschweißtes, eingespieltes Team. Kim und ich hatten unsere Startschwierigkeiten. Ich hatte Probleme zu verstehen, was Kim in bestimmten Situationen denkt und fühlt, und wusste nicht, wie ich mit den Reaktionen oder auch ausbleibenden Reaktionen umgehen soll. Wir kommunizierten beinahe immer aneinander vorbei. Viel Zeit verging, bis ich begriff, dass ich auf der Emotionsebene kommunizierte – und Kim, analytischer Natur, auf der Sachebene. Äußerte ich meinen Frust über neue Prozesse, Tools oder Teamkonflikte, blickte ich oft in ein neutrales, emotionsloses Gesicht und fühlte mich weder verstanden noch ernst genommen. Circa zwei Jahre später, einige Authentic-Leadership-Trainings später, sagte Kim in einem Gruppenmeeting etwas, wofür ich nicht mehr Verständnis hätte aufbringen können: »Ich kann nicht über Emotionen reden. Es fällt mir schwer und ist mir unangenehm.« Dieser Satz war wie eine Erleuchtung und Erleichterung zugleich. Ich strengte mich über Jahre hinweg an, unsere Fehler in der Kommunikation zu verstehen und hatte endlich meine Antwort. Bis zu jenem Zeitpunkt erwartete ich von Kim, mir auch emotional eine Stütze zu sein. Nun wusste ich, dass ich mir dieses Bedürfnis besser an anderer Stelle erfüllte, ohne in irgendeiner Weise an Kims Qualitäten als Führungskraft zu zweifeln. Was ich Ihnen durch dieses Beispiel vermitteln möchte, ist, dass es Ihre Aufgabe sein sollte, sich Ihrem Team zu öffnen und zu zeigen, wer und wie Sie als Mensch (in der Zusammenarbeit) sind. Ihr Team sollte durch Ihre aktive Offenbarung einordnen können, von welchen Ihrer Stärken es profitieren kann und wann Sie an Ihre Grenzen geraten. Sie müssen bei der Arbeit keine privaten Freunde finden oder durch das Zeigen von Emotionen Respekt einbüßen. Vergessen Sie jedoch nicht, dass Ihr Personal echte Menschen sind, keine Maschinen. Und Menschen lassen ihre Emotionen auf dem Weg ins Büro oder an den PC nicht zu Hause.

Fragen zur Selbstreflexion 1. Wann fühlten Sie sich in einem Gespräch/einer Situation bei der Arbeit zuletzt unwohl? Was war die Ursache dafür? Tritt diese Situation häufiger auf? 2. Wie würden Ihre Mitarbeitenden und Freunde Sie beschreiben? Was, würden sie sagen, bringt Sie am meisten auf die Palme? Welche Situationen scheinen Sie mehr zu stören als andere Menschen um Sie herum? 3. Wann haben Sie zuletzt in einer Sache überreagiert und es danach bereut?

136 | 7 Vertraut euch!

7.4.2 Schaffen Sie eine transparente Fehlerkultur »Vertrauen entsteht, wenn Führungskräfte transparent sind.«  (Jack Welch)

Wenn Ihr Team wahrnimmt, dass Sie einen Fehler gemacht haben, Sie diesen aber nicht offen eingestehen oder transparent damit umgehen, ist dies eines der fatalsten Dinge, die Sie als Führungskraft tun können. Sie signalisieren damit, dass Sie a) den Fehler nicht als solchen wahrnehmen, wodurch Sie sich unglaubwürdig machen, b) zu stolz sind, Schwäche vor Ihrem Team zu zeigen, wodurch Sie sich unnahbar machen, und c) es in Ihrem Team keinen Platz für Fehler gibt, wodurch Sie ungesunden Perfektionismus fördern. Alle drei Dinge gefährden die vertrauensvolle Beziehung zwischen Ihnen und Ihrem Team massiv.

7.4 Vertrauen verdienen | 137 

Jeder von uns macht Fehler. Und jeder von uns spürt Anerkennung oder sogar Bewunderung für jene, die sich offen dazu bekennen – ob Führungskraft oder Teammitglied. Wichtig ist, dass Sie mit Ihren Leuten auf Augenhöhe darüber reden können.

Von dem Gefühl, selbst Fehler einzugestehen In meinen ersten Jahren im Berufsleben lernte ich schnell, wie gut es sich anfühlt, Fehler offen einzugestehen, wenn diese von Mitarbeitenden mit Verständnis behandelt werden. Ich weiß heute nicht einmal mehr, was ich in diesem Moment Falsches getan hatte – nur noch, dass meine direkte Vorgesetzte im Urlaub war und mein schlechtes Gewissen und die Angst, dafür gekündigt zu werden, so groß waren, dass ich damit am Abend nicht schlafen gehen wollte. Ich bevorzugte es, lieber gleich entlassen zu werden, als noch Tage oder Wochen mit meinem schlechten Gewissen herumzulaufen. In meinem Kopf konnte ich nur verlieren. So ging ich direkt zur Abteilungsleitung ins Büro und erzählte nervös und mit krebsrotem Kopf von meinem Fauxpas. Ihr Gesichtsausdruck war neutral, während sie mir aufmerksam zuhörte. Als ich fertig war, sagte sie freundlich und ruhig: »Uta, die Reue, die du mir gerade zeigst, ist mir ein ausreichendes Signal dafür, dass du aus deinem Fehler schon gelernt hast und ihn nicht noch einmal machen wirst.« Gemeinsam fanden wir eine Lösung für das Problem, das ich verursacht hatte, und ich konnte mich neuen Aufgaben widmen. Seitdem mache ich es mir zur Aufgabe, insbesondere als Führungskraft, Fehler immer offen vor meinem Team anzusprechen und meine Mitarbeitenden mit demselben Respekt und Verständnis zu behandeln wie meine damalige Abteilungsleitung. Noch nie habe ich damit auch nur eine schlechte Erfahrung gemacht.

Von dem Gefühl, wenn die Führungskraft Fehler eingesteht Max war einer meiner Abteilungsleiter im letzten Job und kam als externe Person zum Unternehmen. Er sollte unsere Vertriebsorganisation überblicken und sicherstellen, dass wir gut aufgestellt waren, um unser Produkt in allen Märkten zu positionieren und zu verkaufen. Lange Zeit, auch viele Monate nachdem Max in unser Unternehmen gekommen war, hatten mein Team und ich große Probleme damit, Umsatz zu generieren und den Ball so richtig ins Rollen zu bringen. Es wurden sogenannte War Rooms einberufen, um uns dabei zu helfen, unsere Vertriebsaktivitäten zu optimieren. Wir kämpften als kleines Team intern weiterhin vehement um mehr Aufmerksamkeit und bessere Priorisierung in der Produktentwicklung, damit wir endlich erfolgreich arbeiten konnten. Denn das Problem war nicht vorrangig unser Vertriebsansatz, sondern der mangelnde Product-Market-Fit, der es uns erschwerte, unseren Markt zu erobern. Wir hatten das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, obwohl unser Team bald dafür verantwortlich sein sollte, den größten Anteil zum Gesamtumsatz beizutragen. Wir liefen auf dem Zahnfleisch und fragten uns täglich: Wie soll das nur funktionieren?

138 | 7 Vertraut euch!

Einige Monate später war endlich etwas Besserung in Sicht und jede:r von uns hatte eines der seltenen persönlichen Gespräche mit Max. Ich war ausgebrannt und nur noch im Funktionsmodus, als Max mir mit trauriger Miene und sogar ein paar Tränen in den Augen sagte, wie sehr es ihm leid tat, uns so lange Zeit vernachlässigt zu haben. Es sei sein Fehler gewesen. Max betonte seine Dankbarkeit darüber, dass wir nie lockerließen, über unsere eigenen Schatten sprangen und nicht einfach aufgaben. Er erkannte, wie schlecht es uns zu dem Zeitpunkt ging, und versprach Besserung. Ich ging ausgelaugt und nüchtern in mein Gespräch mit Max und kam motiviert und mit neu gewonnenem Vertrauen in Max und unsere Zukunft für das Unternehmen wieder heraus.

Fragen zur Selbstreflexion 1. Führen Sie regelmäßige Gespräche mit Mitarbeitenden (auch außerhalb der standardmäßig stattfindenden Gesprächen), um aktuelle Befindlichkeiten, Motivation, Sorgen und Ängste vom Team zu erfahren. 2. Holen Sie sich aktiv Feedback vom Team über Ihren eigenen Führungsstil ein. Beziehen Sie sich hierbei auf so spezielle Situationen und Beispiele wie möglich. Diese sollten nicht zu weit in der Vergangenheit liegen. Dadurch erleichtern Sie es Ihrem Team, sich an die Sachlage zurückzuerinnern und ehrliches Feedback zu geben. 3. Ermutigen Sie Ihr Team, selbst aktiv das Gespräch zu suchen, wenn sie etwas auf dem Herzen haben. Etablieren Sie zum Beispiel einen Kummerkasten oder digitale Feedbackformen, durch die anonym Feedback, Kritik und Wünsche eingereicht werden können. 4. Wann haben Sie selbst zuletzt einen Fehler gemacht oder nicht Ihr Bestes geben können? Konnten Sie darüber mit Ihrem Team oder Vorgesetzten reden? Konnten Sie sich selbst den Fehler zugestehen? 5. Zeigen Sie Verantwortung: Haben Sie jemals Fehler in die Schuhe anderer und alle Verantwortung von sich geschoben? 6. Rücken Sie andere niemals durch Schuldzuweisung öffentlich in schlechtes Licht: Loben Sie öffentlich, kritisieren Sie unter vier Augen. Motivieren Sie Ihre Teammitglieder stattdessen, dass sie sich selbst reflektieren und ihre Fehler eingestehen.

7.5 Schlusswort | 139 

7.5 Schlusswort »Menschen werden vergessen, was du gesagt hast, Menschen werden vergessen, was du getan hast, aber Menschen werden nie vergessen, wie du sie hast fühlen lassen.«  (Maya Angelou) Kein Job ist von lebenslanger Dauer. Unternehmen und die Arbeit, die Sie dort geleistet haben, werden schnell in der Versenkung verschwinden in unserer Welt, die sich ständig verändert. Die Menschen jedoch, die Sie dabei auf Ihrem Weg treffen, sind immer in Ihrem Leben und vergessen Ihren Einfluss auf sie nicht. Wenn Sie Führungskraft sind oder eine werden wollen, fragen Sie sich zunächst, was Ihre Beweggründe dafür sind. Ist es, weil es der einzig verfügbare Weg nach oben ist? Weil Ihr Umfeld das von Ihnen erwartet? Weil Sie den Titel toll finden und sich damit schmücken wollen? Weil Leute zu managen Erfolg bedeutet? Wenn das Ihre Gründe sind, tun Sie sich und Ihren Mitmenschen einen Gefallen, indem Sie Ihre Motivation prüfen und sich darin üben, sich selbst und Ihre eigenen Fähigkeiten kennenzulernen. Nicht umsonst gibt es viel zu viele unqualifizierte Menschen in leitenden Positionen (Chamorro-Premuzic, 2020a; Chamorro-Premuzic, 2020b; Frei/Morris, 2020). Vielleicht werden Sie feststellen, dass Sie bereits auf einem guten Weg dahin sind, eine authentische Führungskraft zu werden; vielleicht merken Sie aber auch, dass Sie noch viele »Baustellen« anzupacken haben und Sie Ihrem Team eine bessere Hilfe sein können. Die richtige Motivation Führung bedeutet immer in erster Linie Selbstführung. Ihr Ziel und Ihre Motivation sollten sein, Ihr Team durch Ihre Fähigkeiten zu stärken und ihm beim Wachsen zu helfen.

Sie sind der Coach Ihres Teams. Auch wenn das irgendwann bedeutet, dass Sie ein Teammitglied aus dem Unternehmen herauscoachen müssen, weil Sie es für das Beste für die Person und das Unternehmen erachten – dann sollten Sie das tun. Ihr Erfolg als Führungskraft wird sich durch Ihre Selbsterkenntnis und das Wohlwollen für Ihre Teammitglieder automatisch einstellen – und Ihr Team wird es Ihnen am Ende danken.

140 | 7 Vertraut euch!

Literatur Alvesson, Mats; Einola, Katja: Warning for excessive positivity: Authentic leadership and other traps in leadership studies. The Leadership Quarterly, Vol. 30, Ausgabe 4, 2019, S. 383–395. Banks, George C.; McCauley, Kelly D.; Gardner, William L.; Guler, Courtney E.: A meta-analytic review of authentic and transformational leadership: a test for redundancy. Leadership Quarterly Vol. 27, 2016, S. 634–652. Chamorro-Premuzic, Thomas: Why do so many incompetent men become leaders? And what can we do about it? 2020a, online verfügbar unter: https://ideas.ted.com/why-do-so-manyincompetent-men-become-leaders-and-what-can-we-do-about-it/?utm_campaign=social&utm_ source=linkedin.com&utm_medium=social&utm_content=2022 – 07 – 02 (letzter Zugriff: 24.7.2022). Chamorro-Premuzic, Thomas: How to spot an incompetent leader. 2020b, online verfügbar unter: https://hbr.org/2020/03/how-to-spot-an-incompetent-leader (letzter Zugriff: 24.7.2022). Coyle, Daniel: How showing vulnerability helps build a stronger team. 2018, online verfügbar unter: https://ideas.ted.com/how-showing-vulnerability-helps-build-a-stronger-team/ (letzter Zugriff: 23.7.2022). Dietz, Annette: Vertrauensbasierte Führung: Mit moderner Führungskultur zum Erfolg. Institut der deutschen Wirtschaft Köln e. V. (Hrsg.), 2017, online verfügbar unter: https://www.kofa.de/media/ Publikationen/Handlungsempfehlungen/Personalfuehrung.pdf (letzter Zugriff: 24.7.2022). Frei, Frances; Morriss, Anne: Leaders: Is it all about you? Check yourself with these warning signs. 2020, online verfügbar unter: https://ideas.ted.com/leaders-is-it-all-about-you-check-yourselfwith-these-warning-signs/ (letzter Zugriff: 24.7.2022). Gardner, William L.; Karam, Elizabeth P.; Alvesson, Mats; Einola, Katja: Authentic leadership theory: The case for and against. The Leadership Quarterly, Vol. 32, Ausgabe 6, 2021, S. 1–25. Hoch, Julia E.; Bommer, William H.; Dulebohn, James H.; Wu, Dongyuan: Do ethical, authentic, and servant leadership explain variance above and beyond transformational leadership? A meta-analysis. Journal of Management, Vol. 44, Ausgabe 2, 2016, S. 501–529. Hsieh, Chia-Chun; Wang, Dan-Shang: Does Supervisor-perceived authentic leadership influence employee work engagement through employee-perceived authentic leadership and employee trust? International Journal of Human Resources Management, Vol. 26, 2015, S. 2329–2348.

Literatur | 141  Islam, Nazmul; Furuoka, Fumitaka; Aida, Idris: The impact of trust in leadership on organizational transformation. Global Business and Organizational Excellence, Vol. 39, Ausgabe 4, 2020, S. 1–10. Kernis, Michael. H.: Toward a conceptualization of optimal self-esteem. Psychological Inquiry 14, 2003, S. 1–26. Leading Effectively: Why leadership trust is critical in times of change and disruption. 2021, online verfügbar unter: https://www.ccl.org/articles/leading-effectively-articles/why-leadership-trust-iscritical-in-times-of-change-and-disruption/ (letzter Zugriff: 23.7.2022). McMahon, John: World Class Leadership: Leading vs. Managing. Material zum Workshop der Frontline Manager School by Pavilion University, 2020. Nienaber, Ann-Marie; Hofeditz, Marcel; Romeike, Philipp D.: Vulnerability and trust in leader-follower relationships. Personnel Review, Vol. 44, Ausgabe 4, 2015, S. 567–591. Özdem, Mihrican: Nimm Drei! – Empathie, Wertschätzung, Echtheit. 2012, online verfügbar unter: https://www.iww.de/pp/praxisfuehrung/patientenkommunikation-nimm-drei-empathiewertschaetzung-echtheit-f59674 (letzter Zugriff: 30.7.2022). Walumbwa, Fred O.; Avolio, Bruce J.; Gardner, William L.; Wernsing, Tara S.; Peterson, Suzanne J.: Authentic leadership: development and validation of a theory-based measure. Journal of Management, Vol. 34, Ausgabe 1, 2008, S. 89–126. Weck, Andreas: Mitarbeiter verlassen keine Unternehmen, sondern Chefs. 2022, online verfügbar unter: https://t3n.de/news/mitarbeiter-kuendigen-jobwechsel-gruende-chefs-1141397/ (letzter Zugriff: 30.7.2022). Wiedel, Andrea: Carl Rogers: Empathie und der neue Mensch. 2019, online verfügbar unter: https:// coaching-akademie.blog/carl-rogers-empathie-und-der-neue-mensch/#:~:text=Carl%20 Rogers%3A%20ein%20Vision%C3 %A4r%20und%20Optimist&text=Beim%20Lesen%20 sp%C3 %BCrt%20 man%2C%20dass,durch%20seine%20Arbeit%20erfahren%20durfte (letzter Zugriff: 30.7.2022). Wojtczak, Stella-Sophie: Xing-Studie: 4 von 10 Erwerbstätigen denken über Jobwechsel nach – Wechselbereitschaft steigt. 2022, online verfügbar unter: https://t3n.de/news/xing-forsa-studiejobwechsel-1444769/ (letzter Zugriff: 30.7.2022). Zhuo, Julie: The making of a manager: What to do when everyone looks to you. Virgin Books, London, 2019.

142 | 7 Vertraut euch!

Über Uta Weiss Uta Weiss wurde 1992 geboren und wuchs in einem kleinen Dorf in Brandenburg auf. Schon als Kind wollte sie mehr sehen als ihr kleines Heimatdorf und Größeres bewirken, als »Bauer zu werden«, was ihre Oma sich stets wünschte. Nach ihrem Abitur bereiste sie die Welt. Ihren Australienaufenthalt musste sie frühzeitig abbrechen, weil sie aufgrund gesundheitlicher Probleme beinahe gestorben wäre. So kam sie zurück nach Europa und studierte in Deutschland, Ungarn und Österreich BWL sowie internationales Management. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie erst in Wien bei der KPMG, später beim TechStart-up Pleo in Kopenhagen, das sich mit ihrer Hilfe schnell auf dem deutschen Markt etablieren konnte. Heute ist sie in Berlin als Expansion Lead für ein Unternehmen tätig, das sich mentaler Gesundheit widmet. Uta Weiss begann früh, erfolgreich Teams zu führen. Dabei sieht sie den Menschen immer als wichtigsten Treiber für Unternehmenserfolg und führt ihre Mitarbeiter mit Menschlichkeit und Wertschätzung. Nebenbei ist sie Mentorin für Karrierecoaching. In ihrer Freizeit spielt sie gern Ukulele und Mundharmonika, malt und reitet in ihrem Heimatdorf. LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/utaweiss/

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8 Stärken stärker stärken stärkt – Mit Positive Leadership zu mehr Lust und Leistung im Job Christian Thiele »Wenn Führungskräfte Stärken stärker stärken, die eigenen und die anderer, fallen die Schwächen nicht mehr so ins Gewicht.« (Christian Thiele)

Auf einen Blick: Worum es in diesem Beitrag geht Was ist eigentlich mit »Stärken« gemeint? Woher kommt es, dass wir uns so schlecht mit unseren Stärken auskennen, dafür aber hoch kompetent in der Analyse und Reflexion von Schwächen, Defiziten und Mängeln sind? Wieso sollten sich Führende mit Stärken auskennen – den eigenen und denen anderer? Wie können Sie als Führungskraft die Stärken der Mitarbeitenden besser wahrnehmen und dabei helfen, diese gezielt einzusetzen? Welche Tipps und Tools gibt es dafür – und für einen konstruktiveren Umgang mit Schwächen? Um diese Themen geht es in diesem Beitrag.

8.1 Was Stärken sind und bringen Mit Mängeln, Macken und Defiziten kennen wir uns in der Regel gut aus – bei uns selbst, aber auch bei anderen: den Kindern, den Mitarbeitenden, der Chefin, den Eltern. »Stärken nutzbar zu machen ist der einzige Zweck einer Organisation. So können natürlich die Schwächen, mit denen jeder von uns ausreichend gesegnet ist, nicht getilgt werden. Aber so werden sie irrelevant.« (Drucker, 2002, S. 71) Dieses Zitat von Peter Drucker bringt es auf den Punkt, worum es hier gehen soll. In einer Zeit, in der gerade in Unternehmen so viel Umgang mit Umbruch und Ungewissheit gefordert ist, in der an vielen Stellen gute Leute händeringend gesucht werden und das schon allein aufgrund des Ausscheidens der Babyboomer-Generation aus dem Arbeitsmarkt auf absehbare Zeit so bleiben dürfte – wäre es da nicht sinnvoll, sich auf Peter Drucker zu besinnen?

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Stärker und systematischer in der Führung von Mitarbeitenden, Teams und Organisationen und in der Selbstführung auf das zu schauen, was da ist, was gut ist, was nützlich ist? Darum geht es bei positiver, stärkenorientierter Führung. Und darum geht es in diesem Kapitel.

8.1.1 Positiv führen, stärkenorientiert führen Wenn Sie sich einmal an Vorgesetzte erinnern, die Sie motivierend und inspirierend fanden, von denen Sie sich sicher und gut geführt fühlten: Wie genau war das? Was haben sie getan, was haben sie gelassen? Was haben Sie daraus für Ihren Führungsstil gelernt – was könnten Sie daraus mitnehmen? Positives Führen oder Positive Leadership ist ein messbarer, trainierbarer, systematisch verbesserbarer Führungsansatz, der in seiner Wirksamkeit auf wissenschaftliche Erkenntnisse aus positiver Psychologie, Hirnforschung, Betriebswirtschaft und anderen Disziplinen zurückgreift. Trotz der Theoriebasierung bietet Positive Leadership praktische Handreichungen für Einzelne und Organisationen, damit Stärken und andere Ressourcen für mehr Leistung, Wohlbefinden und andere Leistungsindikatoren eingesetzt werden können. Das am weitesten verbreitete Modell positiver Führung basiert auf dem PERMA-Lead-Modell, das Markus Ebner von der Universität Wien entwickelt hat (reich an wissenschaftlichen Fakten: Ebner, 2019; stärker auf remotes Führen und Leadership in Krisenzeiten ausgerichtet: Thiele, 2020). PERMA-Lead besteht aus fünf Säulen. Im Einzelnen: y Positive Emotionen: Die Führungskraft sorgt dafür, dass sich Mitarbeitende am Arbeitsplatz wohlfühlen und im Job immer wieder positive Emotionen wie Freude, Spaß, Interesse etc. erleben. y Engagement: Die Führungskraft gibt der Belegschaft immer wieder Aufgaben, die den eigenen Stärken entsprechen, ermuntert und ermutigt sie, eigene Stärken besser wahrzunehmen und auszuüben und somit auch immer wieder Momente von Flow in der Arbeit zu erleben. y Verbindungen (englisch: »relationships«): Positive Leaders ermöglichen und fördern tragfähige Beziehungen im Team, schaffen und stärken eine Atmosphäre von Miteinander, Vertrauen und Zusammenhalt (auch und gerade im remoten/hybriden Führungskontext). y Sinnerleben (englisch: »meaning«): Die oder der Vorgesetzte trägt dazu bei, dass Mitarbeitende ihr Tun als bedeutsam und sinnhaft erleben und den Wert und Beitrag ihrer Arbeit für das große Ganze verstehen. y Zielerreichung (englisch: »accomplishment«): Positive Leaders machen Fortschritt erlebbar, Weiterkommen spürbar, tragen dazu bei, dass die Mitarbeitenden attraktive (Zwischen-)Ziele verfolgen, erreichen und feiern.

8.1  Was Stärken sind und bringen  |  145 

Positive Leadership lässt sich in diesem Sinne mithilfe des sogenannten PERMA-Lead-Profilers messen, der über entsprechend zertifizierte Berater:innen erhältlich ist. Mitarbeitende, die von Führungskräften mit hohen PERMA-Lead-Werten geführt werden, neigen seltener zu Burn-out, erleben weniger Stress, sind zuversichtlicher in Situationen der Veränderung, erleben sich stärker als Team, tragen zu höheren Umsätzen und niedrigeren Krankenquoten bei – um nur einige wenige Ergebnisse der noch jungen Forschung zu Positive Leadership zu zitieren (siehe auch www.perma-lead.com). Das Führen nach Stärken, von dem im Folgenden die Rede sein wird, zahlt rein formal betrachtet vor allem auf die zweite Säule von PERMA-Lead ein. Aber wer stärkenorientiert führt, stärkt damit auch positive Emotionen, fördert das Miteinander, macht Zielerreichung wahrscheinlicher etc. – das legen zumindest erste Studiendaten nahe. Daher ist das Stärken von Stärken ein wunderbarer Ausgangspunkt für alle, die mit positiver Führung loslegen wollen.

8.1.2 Wozu Stärken stärken? Stärken zu stärken hat erwiesenermaßen einen echten Nutzen für die Führungskraft selbst, für Mitarbeitende, Teams und Organisationen. In kaum einem Bereich hat die Wissenschaft der

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positiven Psychologie seit Ende der Neunzigerjahre so viele und so eindeutige Daten vorlegen können wie beim Thema Stärken. Hier ein Abriss der wichtigsten Forschungsergebnisse: Wer seine Stärken einsetzt, die oder der y empfindet weniger Stress, y leistet mehr, y verhält sich eher wie ein Teamplayer, y erlebt mehr positive Emotionen, y erreicht mit größerer Wahrscheinlichkeit die eigenen Ziele und y fühlt sich glücklicher (ein Überblick hierzu bei Bakker/van Woerkom, 2018). Was die Forschung auch zeigt: Stärken sind nicht nur Schönwetterqualitäten. Eine Studie (Martínez­-Martí et al., 2020) während des Corona-Lockdowns in Spanien legt nahe, dass ein Bewusstsein für eigene Stärken in schwierigen Zeiten die mentale Gesundheit und die positiven Emotionen fördern kann. Und Teams, in denen ein hohes Stärkenbewusstsein vorhanden ist, erholen sich schneller von Krisen und Schocks – das zeigen skandinavische Untersuchungen (etwa Karlsen/Berg, 2020). Tipp Wer zur Stärkenforschung tiefer einsteigen will: Einen Überblick bietet Thiele 2021, und auf der Internetseite des VIA Institute on Character (https://www.viacharacter.org/research/findings) finden sich Unmengen aktueller Studien und Forschungsergebnisse zu dem Thema.

Meine Erfahrung als Coach und Trainer zeigt mir auch: In Teams, in denen etwa durch Workshops oder Seminare das Verständnis für und die Wertschätzung von unterschiedlichen Stärken höher ist, sinkt die Wahrscheinlichkeit von Knatsch und Konflikten. Die Kreative sieht sich in ihrem Ideenreichtum und ihrer Flexibilität gesehen, der Strukturperfektionist fühlt sich für seine Genauigkeit und seine Präzision gewürdigt – und beide haben erfahrungsgemäß ein bisschen weniger Brass auf die/den jeweils anderen, da sie deutlicher sehen, wie wertvoll die jeweils anderen Stärken für das Team sind.

8.1.3 Woher die Schwäche bei den Stärken kommt Was sind eigentlich deine Stärken? – Worin bist du besonders gut? – Worin bringst du es zu wahrer Exzellenz? Wenn Sie Ihrem Mitarbeiter, Ihrer Chefin oder Ihrem Partner den Schweiß auf die Stirn treiben wollen, stellen Sie ihr oder ihm diese oder ähnliche Fragen. Denn in aller Regel wissen die Menschen nicht um ihre Stärken, Qualitäten und Fähigkeiten. Mit den Mängeln, Defiziten und Schwächen kennen wir uns meist gut aus – den eigenen und denen anderer. Aber bei den Stärken? Setzt es häufig aus.

8.1  Was Stärken sind und bringen  |  147 

Woher kommt das, wenn wir doch wissen, welchen Wert Stärkenorientierung hat? Wieso diese Stärkenblindheit? Laut einer aktuellen Studie (wiedergegeben in Quinlan/Hone, 2022, S. 52) sagen nur drei von zehn befragten Schulkindern, dass ihre Lehrer ihre Stärken bemerkten. Schon ab dem Schulalter werden Menschen also vor allem auf ihre Defizite aufmerksam gemacht, per Rotstift und Punktabzug. Kinder – nach meiner Erfahrung in westlichen Gesellschaften vor allem Mädchen – werden dazu erzogen, schön bescheiden zu sein, nicht mit den eigenen Kompetenzen zu prahlen und an den Fehlern bitte schön immer brav zu arbeiten. Wir sind häufig auch blind für die eigenen Qualitäten – die eigene Genauigkeit, Kreativität, Initiative, Neugier, Begeisterungsfähigkeit oder was auch immer – sie gelten uns als ganz normal, liegen im toten Winkel. Und wir glauben fälschlicherweise, unser größtes Entwicklungspotenzial liege in der Ausmerzung von Schwächen. Dabei ist es viel effektiver, macht viel mehr Freude und gibt viel mehr Energie, die Stärken stärker auszubauen. Ein weiterer Grund für Stärkenblindheit: Viele Stellen sind eben gar nicht auf Stärken und Kompetenzen zugeschnitten – laut Befragungen sind nur rund 25 Prozent der Beschäftigten in der Lage, ihre Fähigkeiten regelmäßig im Job einzubringen.1 Es fehlt eben auch an einem Vokabular für Stärken, an einem Inventar der Tugenden. Aber das können Sie ja ab sofort ändern!

8.1.4 Stärken: Was sie sind – und was nicht Aber was genau sind eigentlich Stärken – und was nicht? »Fähigkeiten«, »Kompetenzen«, »Skills« – das sind alles mehr oder weniger enge Verwandte von Stärken. Aber Stärken, wie ich sie hier im Sinne der positiven Psychologie und der Positive Leadership verstanden wissen möchte, sind mehr und anderes. Alex Linley, einer der führenden Stärkenforscher, sieht Stärken als »vorhandene Kapazitäten für eine bestimmt Art des Handelns, Denkens und Fühlens, die sich für die anwendende Person energetisierend und echt anfühlt und die optimale Funktion, Entwicklung und Leistung ermöglicht« (Linley, 2008, S. 9; eigene Übersetzung). Noch kürzer und grundsätzlicher sehen Peterson und Seligman (2004, S. 12) Stärken als »positive, veränderbare Züge, die zu optimaler menschlicher Entwicklung beitragen«. Martin Seligman gilt als einer der Gründerväter der positiven Psychologie. Als einer der führenden Depressionsforscher hat er seit seiner Präsidentschaft der einflussreichen American Psychological Association (APA) immer wieder dafür gestritten, nicht nur die Schattenseiten und mangelhaften Aspekte menschlicher Existenz in den Blick zu nehmen, sondern auch und

1

https://www.strategyand.pwc.com/gx/en/unique-solutions/capabilities-driven-strategy/approach/researchmotivation.html (letzter Zugriff: 13.12.2022)

148  |  8  Stärken stärker stärken stärkt

besonders die Stärken. Was richtig und gut an uns ist, ist mindestens genauso wichtig wie unsere Mängel. Enge Verwandte von, aber doch etwas anderes als Stärken sind: y Werte (Prinzipien, Leitlinien, die mir wichtig sind) y Erfahrungen (Erlebnisse, was ich bereits erlebt, überstanden habe) y Ziele (Vorstellungen von der Zukunft, wo ich hinmöchte – und wovon weg) y Kompetenzen (was ich gut kann und gelernt habe) y Interessen (was mich fasziniert) y Ressourcen (Dinge, Menschen, Tätigkeiten, die mich stützen und stärken) Stärken sind diesem Denken zufolge situationsübergreifend und stabil. Sie sind nicht ganz so vorübergehende Erscheinungen wie Emotionen, die sich körperlich und kognitiv je nach Kontext und Situation äußern. Aber Stärken sind sichtbarer als etwa Werte, die eher indirekt beobachtbar sind und unsere Einstellungen beeinflussen – sich aber nicht immer zu hundert Prozent in unserem tatsächlichen Verhalten zeigen.

8.1.5 Welche Stärken es gibt? Wenn Sie über andere und sich selbst nachdenken: Welche Stärken kennen (und schätzen) Sie? Welche Muster des Denkens, Handelns, Fühlens finden Sie positiv – in der Arbeit, im Privatleben? Wenn Sie möchten, machen Sie daraus doch ein persönliches Stärken-ABC! Stärken-ABC Hier schlage ich Ihnen als Anregung mein ganz persönliches, subjektives, natürlich völlig unvollständiges Stärken-Alphabet vor: Anpassungsfähigkeit, Begeisterungsfähigkeit, Bescheidenheit, Chutzpe, Dankbarkeit, Durchsetzungsstärke, Eigeninitiative, Elan, Empathie, Freundlichkeit, Gastfreundschaft, Genauigkeit, Großzügigkeit, Humor, Improvisationstalent, Intellektualität, Klarheit, Kreativität, Loyalität, Mäßigung, Mut, Neugier, Offenheit, Optimismus, Ruhe, Schneid, Selbstregulation, Sisu, Spontaneität, Strukturiertheit, Tapferkeit, Vertrauenswürdigkeit, Zivilcourage, Zuversicht. Falls Sie »Chutzpe« nicht kennen: Das ist ein jiddischer Begriff, der aus meiner Sicht für eine Mischung aus Verschmitztheit, Verhandlungsgeschick und Kreativität steht. Mit »Schneid« ist eine bayerisch-süddeutsche Mischung aus Widerspruchsgeist, Mut und Zähigkeit gemeint. Und die finnische Nationaltugend »Sisu« bezeichnet eine eigene Form der Widerstandsfähigkeit, Zuversicht und Bescheidenheit, die die Finn:innen offenbar gern an sich und ihren Landleuten sehen. Diese Beispiele zeigen, wie unterschiedlich unterschiedliche (Organisations-)Kulturen unterschiedliche Qualitäten benennen und anerkennen.

8.1  Was Stärken sind und bringen  |  149 

Wenn Sie es wissenschaftlich validiert haben wollen: Das am besten beforschte Stärkenkonzept ist das VIA-Stärkeninventar. Es unterscheidet zwischen insgesamt 24 Charakterstärken, die in sechs Oberkategorien, die sogenannten Tugenden, klassifiziert sind. Hier eine Übersicht über die Tugenden und die einzelnen Stärken, wie sie von der Universität Zürich ins Deutsche übertragen wurden (www.charakterstaerken.org): 1. Weisheit und Wissen (kognitive Stärken, die mit der Aneignung und dem Gebrauch von Wissen zu tun haben): – Kreativität: neue und effektive Wege finden, Dinge zu tun – Neugier: Interesse an der Umwelt haben – Urteilsvermögen: Dinge durchdenken und von allen Seiten betrachten – Liebe zum Lernen: neue Techniken erlernen und Wissen aneignen – Weisheit: in der Lage sein, guten Rat zu geben 2. Mut (emotionale Stärken, die mit Willenskraft Hürden auf dem Weg zu Zielen überwinden helfen): – Authentizität: die Wahrheit sagen und sich natürlich geben – Tapferkeit: sich nicht Bedrohung oder Schmerz beugen, Herausforderungen annehmen – Ausdauer: beendigen, was begonnen wurde – Enthusiasmus: der Welt mit Begeisterung und Energie begegnen 3. Menschlichkeit (Stärken, die warmherzige menschliche Verbindungen und Begegnungen ermöglichen): – Freundlichkeit: Gefallen tun und gute Taten vollbringen – Bindungsfähigkeit: menschliche Nähe herstellen können – soziale Intelligenz: sich der Motive und Gefühle von sich selbst und anderen bewusst sein 4. Gerechtigkeit (Stärken, die das soziale Miteinander fördern): – Fairness: alle Menschen nach dem Prinzip der Gleichheit und Gerechtigkeit behandeln – Motivation/Führungsvermögen: Gruppenaktivitäten organisieren und ermöglichen – Teamwork: gut als Mitglied eines Teams arbeiten 5. Mäßigung (Stärken, die Exzessen entgegenwirken): – Vergebungsbereitschaft: denen vergeben, die einem Unrecht getan haben – Bescheidenheit: Erreichtes für sich sprechen lassen – Vorsicht: nichts tun oder sagen, was später bereut werden könnte – Selbstregulation: Handlungen und Empfindungen regulieren können 6. Transzendenz (Stärken, die uns einer höheren Macht näher bringen und Sinn stiften): – Sinn für das Schöne: Schönheit und Ästhetik in allen Lebensbereichen schätzen – Dankbarkeit: sich der guten Dinge bewusst sein und sie wertzuschätzen wissen – Hoffnung: das Beste erwarten und daran arbeiten, es zu erreichen – Humor: Lachen und Humor schätzen, die Leute gern zum Lachen bringen – Spiritualität: kohärente Überzeugungen über einen höheren Sinn des Lebens haben

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Das VIA-Stärkeninventar wurde in den frühen 2000er-Jahren unter der Führung Martin Seligmans und Christopher Peterson als Ergänzung und Gegenentwurf zum »Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders« (DSM) entwickelt, der in der Medizin und Therapie weltweit verbreiteten Katalogisierung von psychischen Störungen und Krankheiten. Die beiden Forscher ließen dafür über 50 Expert:innen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturkreisen auf eine Art Schatzsuche menschlicher Qualitäten ausschwärmen und dafür alte religiöse und philoso-

8.2  Stärken erkennen – bei sich und anderen: 7 Anregungen  |  151 

phische Texte, Glückwunschkarten, Pfadfinderhandbücher und andere populärwissenschaftliche Quellen untersuchen. Heraus kamen eben jene obengenannten 24 Charakterstärken, untergliedert in sechs Tugendfamilien, die als universal gültige menschliche Qualitäten gelten können. Was Sie mit diesem und anderen Stärkentests anfangen können – darum geht es im folgenden Abschnitt.

8.2 Stärken erkennen – bei sich und anderen: 7 Anregungen Stärken erkennen, benennen und anerkennen: Das ist die Voraussetzung, um Stärken zu stärken. Im Folgenden finden Sie einige Impulse, mittels derer Sie – und andere – den Blick für Qualitäten und Tugenden schärfen können.

8.2.1 Stärkenbrille aufsetzen Wenn Sie einen Roman lesen, wenn Sie eine Serie oder einen Kinofilm anschauen, dann fragen Sie sich doch mal: Was macht der oder die Held:in gut? Was bewundere ich an dieser oder jener Figur? Welche dieser Stärken habe ich auch – welche sind mir fremd, hätte ich aber gern? Bewusst die Stärkenbrille aufsetzen können Sie natürlich auch im Meeting in der Arbeit, beim Romantik-Trip mit dem Partner, beim Grillen mit Nachbarn oder Verwandten oder beim Spieleabend in der Familie. Das muss nicht immer und dauernd sein, Sie können es aber gelegentlich mal probieren. Sie schärfen damit Ihren Blick für sich und erweitern und verfeinern Ihr Vokabular für das, worin Menschen besonders gut sind – aus Ihrer Sicht.

8.2.2 Stärkenstammbaum erstellen Mit dem Stärkenstammbaum können Sie eigenen Stärken auf die Spur kommen. Skizzieren Sie dazu in groben Zügen einen Familienstammbaum, in den Sie die Antworten auf folgende Fragen eintragen: Welche Stärken sehe ich bei meinen Eltern, bei meinen Großeltern, vielleicht sogar bei den Urgroßeltern? Welche Stärken erkenne ich in den Erzählungen von Tanten, Onkeln und anderen Verwandten? Wer für Sie Familie ist (und wer nicht), dürfen in diesem Falle allein Sie entscheiden!

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Diese Stärkenbegriffe können sich zum Beispiel an den VIA-Stärken oder Ihrem Stärken-Alphabet orientieren. Sie können, müssen aber nichts mit Berufs- und Karrierewegen zu tun haben. Insbesondere wenn über schwierige Momente und Zeiten erzählt wird (Wirtschaftskrisen, Flucht, Scheidung …): Welche Stärken und welche Muster an Tugenden werden in Ihrer Familie bei wem für Sie sichtbar? Welche davon sehen Sie in Ihren Geschwistern? Und welche Stärken haben Sie übernommen von der Mutter, dem Vater, den Großeltern? Welche haben Sie vielleicht gerade in Opposition zum Umfeld entwickelt?

8.2  Stärken erkennen – bei sich und anderen: 7 Anregungen  |  153 

8.2.3 Stärken testen und messen Die bereits erwähnten VIA-Stärken sind der am besten beforschte und weltweit am weitesten verbreitete Stärkenkatalog (neben etwa dem kostenpflichtigen, weniger gut wissenschaftlich validierten CliftonStrengths-Test oder dem nur auf Englisch und nur über zertifizierte Berater:innen erhältlichen Strengths Profile). Und Sie können kostenlos im Selbsttest abfragen, welche dieser Stärken bei Ihnen wie stark ausgeprägt sind – etwa über die Website der Universität Zürich unter www.charakterstaerken.org oder über www.gluecksforscher.de, von mehreren Universitäten in und um Berlin eingerichtet. Entweder im Dialog mit einem Coach oder im Selbstcoaching könnten Sie sich zu dem Testergebnis Fragen wie diese stellen: Zunächst zu den am höchsten gerankten fünf bis sieben Stärken, den sogenannten Signaturstärken: y Wie würde ich jede der einzelnen Stärken benennen? Passen die Etiketten – oder wo würde ich sie anpassen? y Wo zeigt sich jede meiner einzelnen Stärken – beruflich, privat, im Ehrenamt etc.? y Wer hat was von diesen Stärken, was ist der Nutzen für andere? y Wann ist die Stärke vielleicht auch zu viel, überdreht? Wo und wie könnte ich sie runterdrehen/kompensieren? Die weniger stark ausgeprägten Stärken sind die mittleren, episodischen Stärken, die Sie offensichtlich gelegentlich anwenden. Auch diese können trainiert und stärker ausgebaut werden – falls Sie das möchten. Hier können Fragen helfen wie: y In welchen Situationen kann ich diese phasischen Stärken ausleben? y Wer hat etwas von diesen, wo zeigen sie Nutzen für andere, für mich? y Bei welchen Gelegenheiten könnte ich sie möglicherweise stärker zeigen? Zu den niedriger ausgeprägten Stärken am Ende der Skala ist zu wissen: Diese sind keine Schwächen! Denn die misst der Test gar nicht, aber sie scheinen derzeit weniger sichtbar zu sein. Hier auch zu diesen eher schlummernden Stärken einige möglicherweise hilfreiche Fragen: y Wie kommt es, dass diese offensichtlich aktuell weniger stark ausgeprägt sind? y Was hat mein Umfeld, meine berufliche Aufgabenstellung, mein Vorleben damit zu tun? y Wofür ist es gut, dass diese Stärken eher niedrig ausgelebt werden? y Wo, wann, für wen könnte es nützlich sein, manche dieser Stärken gelegentlich stärker aufzudrehen? Wie sähe das aus? Was wäre ein erster Schritt?

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In manchen Teams und Organisationen werden Stärkentests bei Teamworkshops oder sogar schon im Bewerbungsprozess gemacht. Ob das in Ihren Kontext passt, können am besten Sie entscheiden.

8.2.4 Stressstärken erkennen Stärken sind nicht nur Schönwetterqualitäten. Zuversicht, Humor, Flexibilität und Hilfsbereitschaft können auch gerade in schwierigen Momenten hilfreich sein – für uns und andere. Wenn Sie mögen, notieren Sie doch, welche drei, vier, fünf schwierigen Situationen Sie in Ihrem Leben letztlich gut meistern konnten. Egal ob im Job oder im Privatleben. Und welche Ihrer Stressstärken waren da hilfreich? Was wäre passiert, wenn Sie diese nicht gehabt hätten? Inwiefern sind Sie mit diesen Stärken gut gerüstet für die weiteren Stürme, die das Leben möglicherweise noch für Sie bereithält?

8.2.5 Stärken im Coaching stärken Coaching hat den Problem- und Exotikfaktor weitgehend verloren und ist als eine maßgeschneiderte Form professioneller Weiterentwicklung zu einer Selbstverständlichkeit für viele geworden. Auch Unternehmen gönnen ein Coaching längst nicht mehr nur Führungskräften, sondern heuern (meist externe) Coaches auch für die Entwicklung und Stärkung der Mitarbeitenden an. Die Achs und Schwierigkeiten des (Berufs-)Lebens sind zwar ein häufiger Anlass für Coachings. Aber warum nicht »einfach so« zu Weiterentwicklungsthemen, zur Work-Life-Balance oder zu besserem Wohlbefinden mit einem versierten Begleiter als Coach arbeiten, ohne dass es ein großes Problem geben muss? Und wieso dann nicht gleich die eigenen Stärken herausarbeiten? Es gibt immer mehr Coaches, die auf Positive Leadership und positive Psychologie spezialisiert sind und damit besondere Kompetenz für das Coaching mit Stärken haben.

8.2.6 Stärkenprofil erheben Robert Biswas-Diener zählt zu den renommiertesten und originellsten Köpfen in der Forschung zu positiver Psychologie und Stärken. Mit Kollegen zusammen hat er das sogenannte Stärkenprofil entwickelt (Linley et al., 2010). Es ermöglicht einen konstruktiveren Umgang mit gelebten und schlummernden Stärken und Schwächen und unterscheidet zwischen vier Kategorien: realisierte Stärken, wenig oder ungelebte Stärken, erlerntes Verhalten und Schwächen. Hier die vier Dimensionen samt Reflexionsfragen dazu: y Realisierte Stärken (worin wir gut sind, was Energie bringt – optimal einsetzen statt maximal): Auf welche meiner realisierten Stärken bin ich am meisten stolz? Wann habe ich diese einzelnen Stärken das letzte Mal benutzt? Wie nützen sie mir in meiner gegenwärtigen Rolle –

8.2  Stärken erkennen – bei sich und anderen: 7 Anregungen  |  155 

was habe ich, was haben andere davon? In welchen Kontexten neige ich dazu, diese Stärken zu überdrehen? Wie könnte ich sie gelegentlich auf Optimalmaß herunterfahren? y Unrealisierte Stärken (worin wir gut wären, was uns Energie brächte, wenn wir es mehr täten – üben, ausbauen): Welche schlummernden Stärken würde ich gern stärker einsetzen? Wie sähe das in meiner aktuellen Rolle aus? Welches Ziel könnte dabei hilfreich sein? Wer kann mir beim Ausbau dieser unterentwickelten Stärken ein Vorbild sein? Inwiefern würde ich in meinem sozialen Umfeld Lücken füllen, wenn ich diese Stärken stärker auslebte? y Erlerntes Verhalten (worin wir gut sind, was uns aber eher Kraft kostet als bringt – moderieren): Was haben mir meine erlernten Verhaltensweisen schon gebracht? In welchen Konstellationen neige ich dazu, diese erlernten Verhaltensmuster zu überdrehen? Welche ziehen bei mir am meisten Energie? Wie könnte ich dafür sorgen, dass mir diese mehr Kraft verleihen als nehmen? Wer könnte mir dabei helfen? Welche meiner – realisierten und unrealisierten – Stärken könnten dabei helfen? y Schwächen (worin wir nicht besonders gut sind, was uns Energie nimmt – minimieren): Was sind meine größten Schwächen? Wie geht es mir mit ihnen? Wie kann ich meine Rolle so modifizieren, dass sie eine kleinere Rolle spielen? Wie kann ich meine Schwächen auf ein akzeptables Niveau bringen? Was und wer kann mir dabei helfen? Wie können mir meine Stärken dabei helfen? Tipp Ein Arbeitsblatt zum Stärkenprofil findet sich auf meiner Website: www.positiv-fuehren.com/blog

8.2.7 Stärkenkarten nutzen Sowohl für das Erkunden der eigenen Stärken als auch für das Rückspiegeln der Stärken anderer sind sogenannte Stärkenkarten hilfreich. Eine Variante, mit der ich besonders gern im Coaching, in Trainings und Workshops arbeite, stammt von meinem Kollegen Marcus Schweighart (https://www.hbc-shop.de/stärkenkarten/). Diese Karten orientieren sich am VIA-Stärkeninventar und sind insofern eine gute Ergänzung oder auch ein möglicher Ersatz zu einem formellen Stärken-Assessment. Sie haben unter anderem folgende Möglichkeiten, mit Stärkenkarten zu arbeiten: y Welche der Stärken(karten) würde ich für mich als Topqualitäten identifizieren? y Welche meiner Stärken werden (in der Arbeit) gesehen – und welche kommen möglicherweise derzeit gar nicht so zum Tragen? Wie kommt das, was ließe sich daran ändern? y Mit welchen Stärken kann man bei mir als Führungskraft besonders leicht punkten? Welche rutschen mir möglicherweise aus dem Blick? y Welche Konflikte mit welchen Menschen haben vielleicht mit unterschiedlichen Stärkenkonfigurationen zu tun? Wie kann ich deren Stärken stärker würdigen oder wenigstens

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wahrnehmen – um gleichzeitig konstruktiv und standhaft in der Auseinandersetzung zu bleiben? y Wem aus dem Team möchte ich welche zwei, drei Stärken anhand der Karten rückmelden? (Daraus können Sie in einem Teammeeting oder in einem Workshop auch gleich einen allgemeinen Ringtausch machen.) y Für regelmäßige Mitarbeiter- oder Jahresgespräche: Wem kann ich welche Stärken spiegeln, vielleicht mithilfe der Karten, vielleicht nur in Anlehnung daran? y Bei einer Beförderung oder vor einem anstehenden Projekt: Wie kann Stärke X auf Karte Y dabei hilfreich sein? Diese Stärkenkarten können Ihnen und anderen dabei helfen, den Blick auf Stärken zu schärfen, das Verständnis für Stärken im Unterschied zu reinen Skills, Erfahrungen und Kompetenzen zu vertiefen und das dafür hilfreiche Vokabular zu erweitern.

8.3 Stärken der Mitarbeitenden stärken Wie kann ich als Führungskraft nun dazu beitragen, dass Mitarbeitende ihre Stärken sehen und stärker einbringen können? Ein Bewusstsein für eigene Stärken ist dabei der erste Schritt – darum ging es im zurückliegenden Abschnitt. Wie Sie Stärken der Mitarbeitenden erfragen können, wie Sie Stärkenfeedback gut rüberbringen und welche Aufhänger Sie dafür nutzen könnten, darum geht es im Folgenden.

8.3.1 Mögliche Anlässe für ein Stärkengespräch Welche Gelegenheiten, welche Anlässe gibt es, um als Führungskraft Stärken zu benennen und zu würdigen? Hier ein paar Anregungen: Immer und überall: Denn von Kündigungen aufgrund zu häufiger Anerkennung und zu häufigen Lobes ist uns noch nichts bekannt … Im formellen Jahresgespräch: Sprechen Sie nicht nur darüber, welche Ziele zu wie viel Prozent erreicht oder nicht erreicht wurden. Reflektieren Sie mit den Mitarbeitenden auch darüber, wie diese Ziele erreicht wurden und welche besonderen Einstellungen, Qualitäten und Verhaltensmuster dabei hilfreich waren. Die bereits erwähnten Stärkenkarten können da eine nützliche Starthilfe sein, um die besonderen Ressourcen und Fähigkeiten jeder und jedes Einzelnen vor oder im Gespräch auf den Punkt zu bringen. Bei und gerade trotz Fehlern, Misserfolgen, Rückschlägen: »Du hast mit großer analytischer Schärfe und Ehrlichkeit sehr schnell die Ursachen für diese Panne benennen können und scheinst gleichzeitig mit viel Optimismus nach vorn zu blicken.« So in etwa könnten Sie als Füh-

8.3  Stärken der Mitarbeitenden stärken  |  157 

rungskraft auch in schwierigen Momenten aufmunternde, stärkenorientierte Rückmeldung geben. In Konfliktsituationen: Wenn Sie es schaffen, der zielstrebigen, schnellen Kreativ-Frau den Wert ihrer Highspeed-Arbeitsweise klarzumachen und gleichzeitig dem abwägenden, besonders gründlichen Umsichtigen deutlich zu machen, wie sehr auch er Anteil am Teamerfolg hat, dann liegen die beiden vielleicht gleich schon ein Stück weniger über Kreuz miteinander. Und können sowohl den Beitrag der eigenen Stärken als auch jenen des Gegenübers zum Miteinander besser anerkennen. Bei der Delegation von Aufgaben und Zuständigkeiten: Machen Sie nicht nur das Was, das Wie und das Wann klar, sondern erklären Sie auch, warum gerade Maria oder Max dies oder jenes erledigen mögen, was genau Karl oder Karla an Kompetenzen und Erfahrungen für diese oder jene Aufgabe mitbringen. Bei (Zwischen-)Erfolgen oder am Schluss von Projekten: Teams und ihre Führenden können häufig sehr gut und ausgiebig analysieren, wer wieso wann welchen Fehler gemacht hat, was genau beim nächsten Mal besser zu machen ist und so weiter. Das darf auch sein, denn so lassen sich wiederholte Irrtümer oder Versäumnisse vermeiden. Aber damit sich Fortschritte auch verstetigen und replizieren lassen, sollten Sie immer wieder auch Fortschrittsanalyse betreiben – mit Impulsen wie Folgenden: y Welche Stärken haben dabei geholfen, dass du …? y Dass wir das unter Budget und unter Zeitplan hinbekommen haben, liegt daran, dass ihr … y Nur durch unsere [Genauigkeit, Geduld mit dem Kunden, Kreativität – oder was auch immer Sie hier einsetzen mögen] haben wir es hingekriegt, dass … Auch zu Beginn oder am Ende von Zusammenarbeit könnten Sie mit Ihrer Belegschaft in Gespräche gehen mit Impulsen wie: »Welche Stärken bringen Sie mit für diese Aufgabe?« oder »Für die bei uns anfallenden Tätigkeiten ist es hilfreich, Leute zu haben, die besonders gut …« oder eben: »Schade, dass Sie uns verlassen, denn wir haben hier sehr geschätzt, wie toll Sie immer …« Vielleicht kommt sie oder er ja mal wieder; vielleicht empfiehlt sie oder er Sie oder Ihren Arbeitgeber; und vielleicht erinnert sie oder er sich auch einfach nur an einen guten Dialog zum Abschied. Team-Events wie Workshops, Weihnachtsfeiern oder Kick-offs sind wunderbare Gelegenheiten, um Einzelnen ihre Stärken rückzumelden. Ich durfte etwa einmal eine virtuelle Weihnachtsfeier für eine Abteilung eines Finanzunternehmens mitgestalten: Abwechselnd mit einer Sommelière und Winzerstochter, die mit den Teilnehmenden zuvor verschickte Weinproben verkostete, gab ich Inputs zum Thema Stärken. Auf einem digitalen Notizboard war für jede:n ein digitales Weihnachtspäckchen gestaltet, das die Teammitglieder mit kleinen Stärkenbotschaften füllen sollten. Am Ende wurde jedes Weihnachtspäckchen »geöffnet« und die Stärkenbotschaften wurden verlesen. Ein sehr rührendes und stärkendes Event, wie mir zurückgemeldet wurde.

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8.3.2 Kriterien für gute Stärkenrückmeldungen Wozu Sie Stärken rückmelden sollten, wissen Sie nun. Wann und bei welchen Gelegenheiten, ebenfalls. Wie und nach welchen Kriterien Sie das am besten machen – dazu hier einige Anregungen: y authentisch statt gewollt und künstlich y freundlich statt als Pflichtübung y persönlich, wo möglich y nutzenorientiert (»Deine Stärke X trägt dazu bei, dass …«) y konkret statt vage (»Mir hat gestern beim Kunden gut gefallen, wie du …«) y zeitnah statt irgendwann, wenn sich niemand mehr so wirklich dran erinnern kann y wertorientiert (»Mir ist das besonders wichtig, weil …«) y mit für Sie und den Kontext passenden Etiketten versehen statt formelhaft. Die VIA-Stärke »Vergebungsbereitschaft« empfinde ich öfter als zu parfümiert für den Unternehmenskontext – »fehlerverzeihend« oder »Schwamm-drüber-Mentalität« passt häufig besser. y schriftlich? Das kann eine besondere Form der Wertschätzung gerade gegenüber introvertierteren Mitarbeitenden sein. y vor anderen? Öffentliche Anerkennung, etwa über Social Media, mag die Wirkung von Lob für manche enorm steigern – für manche ist es ein Stressfaktor. y verbunden mit einem Geschenk, Gutschein o. Ä.? Grundsätzlich ist es auch günstig, wenn Sie Stärken in Verbindung mit Entwicklungswegen rückmelden, also etwa aufzeigen, wie Stärken sich entwickelt haben, schlafende Kompetenzen sichtbar geworden sind oder Kompetenzen auf eine neue Weise, in einem neuen Kontext zum Vorschein kamen. Das unterstützt die Entwicklung von Stärken. Und es mindert die Gefahr, in Schubladendenken und -reden zu verfallen (»Ich als blauer Typ …« oder »Für Sie als Empathikerin ist es ja immer leicht …«).

8.3.3 Stärken erfragen Wer fragt, führt, heißt es oft. Ich finde aber auch: Wer fragt, fühlt. Gerade wenn die Führungskraft nach Stärken fragen, kann das konstruktive Such-und Erkundungsbewegungen bei den Mitarbeitenden in Gang bringen. In Anlehnung an Alexander Hunzikers lesenswertes Buch (2018) schlage ich folgenden Dreischritt für Stärkenfragen vor: Rückblick, Ausblick, Wege. y Rückblick: Welche Stärken konnten Sie in letzter Zeit einbringen? Wie ging es Ihnen dabei, wie haben Sie das erlebt und gespürt? Welche Erfolge haben Ihre Stärken möglich gemacht? (Eventuell auch: Was haben Sie seit unserem letzten Gespräch über Ihre Stärken gelernt?)

8.4  … und die Schwächen? Einige (gar nicht so wichtige) Hinweise  |  159 

y Ausblick: Welche Ihrer Diamanten kommen hier noch zu wenig zum Tragen? Welche Stärken wollen Sie künftig stärker nutzen? Wer hat wenig von Ihren Topstärken – und dafür ganz andere hilfreiche Qualitäten? Was könnten Sie sich von ihr/ihm abschauen? y Wege: Was und wer könnte hilfreich sein, damit Sie Ihre Stärken mehr ausleben können? Wie können Ihre Stärken noch stärker auf die Ziele und Vorhaben der Firma, der Abteilung etc. einzahlen? Wer kann Sie dabei wie unterstützen? Wer noch tiefer einsteigen will: Weitere Anregungen zur Rückmeldung von Stärken in der Führungskommunikation gegenüber der Belegschaft finden sich in Schweighart/Thiele 2022. Stärken stärken durch Job Crafting In Zeiten hoher Kündigungszahlen und niedriger Bewerbungsquoten wäre es doch gut, wenn Menschen auf der Suche nach dem Traumjob nicht gleich zur Konkurrenz wechseln würden – sondern eher die Tätigkeit stärker an den eigenen Fähigkeiten, Leidenschaften und Stärken ausrichten, oder? Genau darum geht es beim Job Crafting, einer mittlerweile recht gut beforschten Methodik, die auf das proaktive informelle Anpassen des aktuellen Jobprofils setzt. Was genau mit Job Crafting gemeint ist, wie es geht, wieso Führungskräfte und HR es nutzen sollten: Dazu gibt es eine Folge in meinem Podcast »Positiv Führen«2 und darum geht es in meinem Buch zum Job Crafting (Thiele 2023).

8.4 … und die Schwächen? Einige (gar nicht so wichtige) Hinweise Was nun tun mit den Mängeln, Macken, Defiziten – den eigenen und denen anderer? Ignorieren? Nur auf die Stärken schauen? Das reicht aus meiner Sicht nicht aus. Hier finden Sie daher einige Anregungen für einen konstruktiveren Umgang mit Dingen, die Ihnen oder anderen schwerfallen, mehr Energie ziehen als bringen und nicht wirklich wichtig sind. Wenn Sie mit Schwächen konstruktiver umgehen wollen, so lautet mein erster Tipp: Erst mal die Optik wechseln. Und stärker und systematischer auf die Stärken schauen! »Entwicklungspotenzial«, »Delta«, »Noch-nicht-Stärken«, »Förderbereiche« … Und! So! Weiter! Ich finde es lebensfremd und dysfunktional, mit welchem Vokabular manchmal um Schwächen herumgeredet wird. Schwächen sind Schwächen. Und jede:r hat, finde ich, ein Recht auf ihre oder seine Schwächen. Bestreiten oder verleugnen Sie die Dinge nicht, die Ihnen oder anderen schwerfallen, Energie ziehen und selten zu Erfolg führen. Kein Schönreden von Schwächen, bitte! Und gleichzeitig: Betrachten Sie Schwächen realistisch und genau – die eigenen und die anderer. Ist der Mangel, das Defizit in allen Bereichen gleich schlimm – oder in manchen Kontexten

2

https://positiv-fuehren.com/podcast/mein-podcast-positiv-fuehren-folge-46-job-crafting-mit-elisa-lopper/ (letzter Zugriff: 13.12.2022)

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weniger relevant? Ich etwa, falls Sie das interessiert, bin nicht immer besonders warmherzig und freundlich, man könnte auch sagen: ein gelegentlicher Mangel an Empathie ist eine Schwäche von mir. Keine gute Eigenschaft für einen Trainer, Coach und Vater, das gebe ich zu. Gleichzeitig weiß ich, dass ich nicht immer und nicht zu allen gleich unfreundlich und distanziert bin. Und ich kann mich – in besonders guten Momenten – für diese meine Schwäche auch entschuldigen. Kristin Neff spricht von »Self-Compassion«, auf Deutsch: Selbstmitgefühl – ich spreche gern von innerer Komplizenschaft: Die eigenen Schwächen genau umschreiben und bewusst machen; die eigenen Defizite einordnen, in einen Kontext setzen; und sich selbst freundlich die Hand auf die Schulter legen, wie man das bei einer angeschlagenen Freundin oder einem Kollegen nach einem dicken Fehler tun würde, und sagen: »Macken und Fehler haben wir alle« – das ist innere Komplizenschaft. Aus Schwächen eine Stärke machen wollen? Schwächen auf Star-Niveau bringen, durch Schulungen, Coachings, schlaue Bücher? Verbranntes Geld, verschwendete Energie, vertane Zeit. Und: versaute Stimmung. Wenn allerdings eine Schwäche Ihre Leistungsfähigkeit, Ihr Funktionieren, Ihr So-Sein wirklich dramatisch behindert, so wie das Leck in einem Bootsrumpf verhindern kann, dass der stärkste Wind und die größten Segel das Schiff überhaupt noch in Fahrt bringen: Dann sollten Sie die Schwäche angehen. Aber eben so, wie man mit einem Leck umgeht: abdichten, auf ein »Passt scho«-Niveau bringen, wie wir in Bayern sagen. Aber auch nicht mehr. Wenn der Pinguin in den Löwenkäfig gesteckt wird und dort nie zum erfolgreichen Landraubtier wird – ist dann der Pinguin schuld? Oder eher der Zoodirektor? Nirgends wird so gelogen wie bei Partnerschaftsanzeigen und bei Stellenbeschreibungen. Betreiben und fördern Sie also Job Crafting (siehe oben), schnitzen Sie bei Stellenbeschreibungen das weg, was die Schwächen zu stark betont, und basteln Sie dazu, was gut, gern und erfolgreich von der Hand geht – bei sich und anderen! Das neue hybride Miteinander mit viel individuelleren Vereinbarkeiten von Job, Familie und Freizeit wird bleiben – da muss eh vieles von links auf rechts gezogen werden. Nutzen Sie diese Veränderungen dafür, Stärken zu stärken und Schwächen irrelevanter zu machen – bei der Zuschreibung von Aufgaben, beim Delegieren etc.! Ich habe zwei dermaßen linke Hände, dass jede klappernde Gangschaltung noch lauter klappert, wenn ich mich nur zur genaueren Betrachtung niederbeuge. Zum Glück habe ich ein, zwei kompetent-freundlich-fix-günstige Radl-Geschäfte um die Ecke für den Fall, dass Stefan keine Zeit hat. Und zum Glück habe ich meinen äußerst schraubbegabten und -motivierten Freund Stefan, der Zeit hat, wenn der Radl-Laden zu hat. Schwächen wegdelegieren, am besten an jemanden, der in dem betreffenden Bereich seine Stärken hat – für mich ein Erfolgsrezept.

8.4  … und die Schwächen? Einige (gar nicht so wichtige) Hinweise  |  161 

Schwächen mit Stärken kompensieren würde zum Beispiel heißen: Sie sind sehr, sehr schnell und überrollen Ihre Truppe manchmal in Ihren Vorträgen. Wenn Sie aber empathisch sind und das immer mal wieder mitbekommen und wenn Sie über sich selbst lachen können, dann könnten Sie zum Beispiel in einer solchen Situation sagen: »Autsch, jetzt habe ich euch aber auf links ohne Blinker überholt, oder? Entschuldigt, ich mach’s noch mal Schritt für Schritt.« Nur als Beispiel. Und wenn Sie mit all diesen Schritten erfolgreich sind: Vergessen Sie nicht, den Fortschritt bei den Schwächen festzuhalten! Schriftlich oder mündlich – egal. Wobei: Eigentlich ist es ja dann ein Rückschritt. Aber Sie wissen schon, was ich meine, oder? Denn wenn Sie es bis hierher geschafft haben in diesem Kapitel, zählen Denk- und Durchhaltevermögen schon mal nicht zu Ihren Schwächen. Vergessen Sie außerdem nicht: Wer die Stärken stärker in den Blick nimmt, sorgt dafür, dass die Schwächen weniger ins Gewicht fallen. Viel Erfolg und Spaß dabei!

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Literatur Bakker, Arnold B.; van Woerkom, Marianne: Strengths use in organizations: A positive approach of occupational health. Canadian Psychology/Psychologie canadienne, 59(1), 2018, S. 38–46. Drucker, Peter: The Effective Executive. Harper Business Essentials, London, 2002. Ebner, Markus: Positive Leadership. Facultas, Wien, 2019. Hunziker, Alexander: Positiv führen. SVK, Wien, 2018. Karlsen, Jan Terje; Berg, Morten Emil: A study of the influence of project managers’ signature strengths on project team resilience. Team Performance Management, Vol. 26 No. 3/4, 2020, S. 247–262. Linley, Alex: Average to A+: Realising strengths in yourself and others. CAPP Press, Warwick, 2008. Linley, Alex; Willars, Janet, Biswas-Diener, Robert: The Strengths Book. CAPP Press, Warwick, 2010. Martínez-Martí, María Luisa; Theirs, Cecilia Inés; Pascual, David; Corradi, Guido: Character Strengths predict an increase in mental health and subjective well-being over a one-month period during the COVID-19 pandemic lockdown. Frontiers in Psychology, Oktober 2020. Peterson, Christopher; Seligman, Martin E. P.: Character strengths and virtues: A handbook and classification (Vol. 1). Oxford University Press, New York, 2004. Quinlan, Denise; Hone, Lucy: Working with strengths in education. In: Giraldez-Hayes, Andrea; Burke, Jolanta (Hrsg.): Applied Positive School Psychology. Routledge, London, 2022. Schweighart, Marcus; Thiele, Christian: Mitarbeitergespräche positiv führen. Business Village, Göttingen, 2022. Thiele, Christian: Positiv Führen für Dummies. Wiley, Weinheim, 2020. Thiele, Christian: Positiv Führen. Stärken erkennen und nutzen. Haufe, München, 2021. Thiele, Christian: Job Crafting – Erfüllter und erfolgreicher arbeiten – mit Hilfe der Positiven Psychologie. Springer Gabler, Heidelberg, 2023 (im Erscheinen).

Über Christian Thiele Christian Thiele beschäftigt sich als Coach, Trainer und Speaker mit positiver Psychologie im Arbeitskontext und Positive Leadership. Er arbeitet für kleinere und größere Organisationen im In- und Ausland, seine Bücher »Positiv führen für Dummies« (Wiley), »Stärken erkennen und nutzen« (Haufe) und »Praxisbuch Positive Leadership« (Haufe) sind vor Kurzem erschienen, sein Podcast »Positiv Führen« ist auf diversen Plattformen zu hören. Er gehört zum Dozententeam im ersten deutschen Master-Studiengang für positive Psychologie an der Deutschen Hochschule für Sport und Gesundheit und ist Lehrtrainer der Deutschen Gesellschaft für Positive Psychologie. Er ist leidenschaftlicher, © marcwittkowski.com aber untalentierter Kletterer, begeisterter Skitourengeher, (meist) zuversichtlicher Patchwork-Vater und lebt in Garmisch-Partenkirchen. Handwerklich und technisch völlig unbegabt, aber mit einer sehr patenten Frau verheiratet. Weitere Infos und Erreichbarkeiten unter www.positiv-fuehren.com oder auf LinkedIn, Xing etc.

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9 Gesunde Führung durch Yoga – Konzepte des Yoga zur achtsamen Selbstführung Katja Schnabel »I have been a seeker and I still am, but I stopped asking the books and the stars. I started listening to the teaching of my soul.« (Rumi)

Auf einen Blick: Worum es in diesem Beitrag geht In meinem Verständnis ist es unabdingbar, sich selbst gut zu führen und gesund zu agieren, um dies dann auch im Umgang mit anderen Menschen tun zu können. Yoga ist eine jahrtausendealte philosophische Weisheitslehre, die dabei sehr hilfreich sein kann. Eine Lehre, die einen Weg der Erkenntnis und Entwicklung für den Menschen aufzeigt. Dieser Beitrag gibt Ihnen einen Überblick über einige Yogakonzepte, die in meinen Ausführungen als Brücke zu gelingender Führung gesehen werden sollen. Zudem soll dieser Beitrag auch der Anregung und Ermutigung zur eigenen Yogapraxis dienen. Yoga hat sich in meinen Führungsalltag eher eingeschlichen. Ich habe mich nicht mit der Erwartung auf den Yogaweg gemacht, meine Art der Führung zu verändern. Mit meinem Wissen und der guten Erfahrung heute ist es mir ein Anliegen, Sie für den Yogaweg zu begeistern, weil er für mich und meine Führungstätigkeit hilfreich und bereichernd ist.

9.1 Einleitung Wie ist das oberflächliche Verständnis von Yoga heute? Vielfach geht es wohl in die Richtung der wohlgeformten Körper, die nahezu akrobatische Positionen auf einer Yogamatte einnehmen. Häufig wird das Thema Entspannung stark in den Vordergrund gerückt. Vielleicht sind Ihnen Yin Yoga oder Yoga Nidra als Techniken bekannt, die helfen, den Stress des Alltags abzulegen. In den Bibliotheken und Buchhandlungen wird Yoga oft dem Bereich Fitness oder Esoterik zugeordnet. Es mag dieser oberflächliche Blick auf Yoga sein, der einige zurückhält, regelmäßig den Schritt auf die Matte zu wagen. Doch Yoga ist ein ernst zu nehmender Übungsweg, der in kleinen Schritten gegangen werden darf. In den Anfängen des Yoga war es ein sehr asketischer Weg, dessen Praxis wenigen Etablierten vorbehalten war. Es war ein Weg des Rückzugs aus der Welt. In der Entwicklung über die Jahrtausende erfuhr der Yoga diverse Synthesen. Der Yoga, dem ich folge, ist Hatha Yoga und im

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Weiteren Tantra und Integraler Yoga. Im Tantra entfernt sich der Yoga weiter von der Askese. Hier herrscht der Gedanke vor, dass der oder die Praktizierende immer weiter ins Leben hinaus gelangt, je mehr er oder sie nach innen geht. Dies findet im Integralen Yoga noch in verstärkter Form statt. Diesen Yogakonzepten zu folgen schafft für mich eine Verbindung, die für mich auch als Führungskraft in unserem westlichen Alltag lebbar ist. Es ist möglich, den Yogaweg zu gehen und dabei kaum Aspekte des weltlichen Lebens auszuschließen. Askese und ein kompletter Rückzug aus dem Leben hat im Alltag einer Führungskraft sicherlich wenig Raum, wo es doch auch darum geht, Verhandlungen und Gespräche zu führen und auch unangenehme Situationen zu managen. Dazu braucht es Führungskräfte, die den Aufgaben standhalten, Menschen, die dem standhalten. Auch in den heute weniger hierarchischen Führungsbildern ist es für die einzelnen Beteiligten hilfreich, eine gesunde Selbstführung zu etablieren.

9.2 Warum ist gesunde Führung nötig? Yoga in Zahlen Laut einer repräsentativen BDYoga-Studie zu Yoga in Deutschland (BDYoga, 2018) praktizierten im Jahr 2018 insgesamt 5 Prozent der Deutschen Yoga. Hauptgründe für den Beginn mit der Yogapraxis seien für die Befragten die Verbesserung des körperlichen Befindens (66 Prozent) und die Verbesserung des geistigen Befindens (64 Prozent). 86 Prozent der aktuell Yogapraktizierenden hätten aufgrund der Yogapraxis eine Veränderung bei sich wahrgenommen: Sie seien ausgeglichener/ruhiger/entspannter (49 Prozent), körperlich fitter (46 Prozent) und fühlten sich wohler (14 Prozent). Dies ist sicherlich ein guter Grund mehr Menschen und insbesondere Führungskräfte zu motivieren, mit der Yogapraxis ihr körperliches und geistiges Wohlbefinden zu verbessern.

9.2.1 Anforderungen an Führung heute Die Anforderungen an Führungskräfte sind gegenwärtig durch die schnellen Veränderungen, die Komplexität und die Unvorhersehbarkeit in der (Arbeits-)Welt größer denn je. Ich selbst habe damit täglich zu tun. Aus kleinen und mittelständischen Unternehmen ist zudem die Problematik bekannt, dass häufig Leistungsträger zu Führungskräften befördert werden. Sie sind stark in ihrer Produktivität und erzielen gute Ergebnisse durch ihren eigenen Arbeitseinsatz. Sie haben jedoch häufig kaum Führungserfahrung. Ich habe es selbst erlebt, und mir blieb anfänglich bei meiner neuen Aufgabe kaum Raum für die Führungsarbeit, weil ich weiterhin in die Operative eingebunden war. Dabei wäre es gerade zu Beginn einer Führungstätigkeit dringend notwendig, mehr Zeit für die Selbstreflexion zu verwenden. Die beschriebenen Umstände sind für die Teams einer Organisation sehr belastend. Die Führungskräfte stehen dabei unter besonderem Druck.

9.2  Warum ist gesunde Führung nötig?  |  165 

9.2.2 Gesunde Führung durch betriebliches Gesundheitsmanagement Maßnahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements werden seit geraumer Zeit staatlich gefördert. Durch diese Maßnahmen versprechen sich Unternehmen leistungsfähige Mitarbeitende, eine höhere Motivation und Zufriedenheit. Das Augenmerk wird verstärkt auf das Schaffen eines vertrauensvollen Umfelds gelegt, auf mehr Achtsamkeit, das Engagement der Mitarbeitenden und auf die Förderung von Resilienz. Dies setzt meines Erachtens voraus, dass die Führungskraft sich mit diesen Themen auseinandergesetzt hat und dies auch für sich selbst lebt. »Gesunde Führung verbessert die psychische Gesundheit im Unternehmen zusätzlich um 14 Prozent. (…) Gesunde Führung beinhaltet, dass Führungskräfte achtsam mit sich und ihren Mitarbeitern umgehen. Gesund führende Führungskräfte merken, wenn Mitarbeiter Pausen brauchen, achten auf gesundheitliche Warnsignale, fühlen sich verantwortlich für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter und sind ein gutes Vorbild in punkto Gesundheit.« (Bruch/Kowalevski, o. J., S. 15)

9.2.3 Gesunde Führung in der Praxis Auf meinem eigenen Entwicklungsweg liegt es mir am Herzen, neben dem Ausbau des fachlichen Könnens stets meine Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Ich absolvierte diverse Ausbildungen im Bereich des systemischen Coachings. Diese Ausbildungen beinhalteten einen hohen Anteil an Selbsterfahrungsübungen. Dazu gehörte auch das Feld der Meditation. Diese tiefe Innenschau und der Rückzug aus dem Außen halfen mir, meine Haltung und mein Verhalten positiv zu entwickeln, was in mir den Wunsch entstehen ließ, mehr über diese Techniken zu erfahren und diese zu erlernen. »Systemisches Arbeiten nimmt nicht das Individuum als defizitär in den Blick, sondern geht davon aus, dass Menschen stets versuchen, sich so an ihre Umwelt anzupassen, dass diese in ein Gleichgewicht kommt, selbst wenn dies oft ein Leiden zum Preis hat. Im systemischen Denken kann therapeutisches oder beraterisches Handeln nicht darauf zielen, von außen gesteuerte Veränderungen herbeizuführen, sondern es ist nur möglich, Impulse in ein System zu geben, das dadurch in Bewegung kommt und möglicherweise neue, für alle Beteiligten dienlichere Konstellationen findet.« (Systemischer Ansatz, o. J.) Im Rahmen des systemischen Coachings haben wir mit einer externen Coachin, Ruth Maria Mattes, gearbeitet. Sie begleitete mein Führungsteam und mich über fünf Jahre. Wir haben in unseren Workshops auch Meditationstechniken angewandt. Alle erlernten den systemischen Gedanken und konnten daraus positive Schlüsse für ihre Arbeit ziehen. Dieses Denken stärkt das

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Bewusstsein für die Wirkkraft eines jeden einzelnen Mitarbeitenden. Darüber hinaus entstand über die Zeit ein Vertrauen in das System, ein Vertrauen darauf, dass wir auch negative Einflüsse oder Veränderungen in der Teamkonstellation verarbeiten konnten. Das System richtet sich stets neu aus und organisiert sich selbst. Dies schafft im bewegten Berufsalltag Stabilität. Diese Arbeit führte zu einer gesünderen Selbstführung und daraus resultierend zur gesünderen Führung der Teams. Die Herangehensweise und Resultate unserer gemeinsamen Arbeit werden in Ruth Maria Mattes’ Buch »Gesunde Führung in der VUCA-Welt« (2022) im Themenbereich »Praxistransfer« dargelegt. Ich halte es für dringend notwendig, als Führungskraft eine Form von Selbstreflexion durchzuführen. Zur Selbstreflexion bietet sich neben der Arbeit in der Gruppe auch die Yogamatte und der Rückzug ins Innere an.

9.3 Yoga – Weisheitslehre zwischen Tradition und Moderne 9.3.1 Yogaübungswege und die Synthesen des Yoga Zum Yoga gehört weit mehr als das Üben von perfekten Körperhaltungen auf der Yogamatte. Es ist vielmehr ein ganzheitlicher Übungsweg, der die körperliche, emotionale und geistige Dimension des Übenden miteinbezieht. Der Begriff »Yoga« kommt aus dem Sanskrit und kann mit »Verbindung« oder »Einheit« übersetzt werden. Das Wort »Yoga« wird von der Wurzel »yuj« abgeleitet, was so viel bedeutet wie anspannen, anschirren. Dieser ganzheitliche Übungsweg basiert auf einer altindischen Weisheits- und Lebenslehre, die sich in indischen Schriften wiederfindet. Zu den Ältesten zählen die Bhagavadgītā und die Upanishaden, gefolgt vom Yogasutra. Zahlreiche Studien (u. a. Cocchiara et al., 2019) belegen, dass die Yogapraxis ein effektives Verfahren zur Entspannung und Stressreduktion ist. Der oder die Übende kann durch die Praxis mit sich selbst in Kontakt kommen. Dies wird durch Körperübungen, Atemübungen und Meditationstechniken erfahrbar gemacht. Ich finde es faszinierend, dass die Grundlagen dieser Praxis bereits vor über 3000 Jahren gelegt wurden. In unserem westlichen Alltag sind wir verbunden mit der grobstofflichen Welt der Materie, dem, was wir anfassen und greifen können. Nicht Greifbares, nicht wissenschaftlich Belegtes wird da schnell als Esoterik eingestuft. Wir sind oft nicht nur starr in unseren Körpern, sondern ebenso auf der mentalen Ebene. Selbst kreative Geister folgen in ihren Angewohnheiten häufig bekannten Pfaden. Das sind diese liebgewonnen, leider häufig schlechten Gewohnheiten, im Yogakontext »Samskaras« genannt – psychologische Muster oder auch eine Art von Prägung. Diese Prägung hat Auswirkung auf unser gegenwärtiges Handeln. Sie beschränkt uns in unserem Sein, da Poten-

9.3  Yoga – Weisheitslehre zwischen Tradition und Moderne  |  167 

ziale nicht gelebt werden und wir uns beschränken. Durch die Yogapraxis können wir üben, mehr und bewusster wahrzunehmen und neu zu handeln. Yogasutra nach Patañjali Erste konkrete Hinweise zu praktischen Yogaübungen findet man in Patañjalis Yogasutra. Es war im Grunde der erste Leitfaden mit konkreten Handlungshinweisen: dem achtgliedrigen Yogapfad. Diese Schrift wurden irgendwann zwischen 200 v. Chr. und 200 n. Chr. verfasst. Die Schriften sind Jahrtausende alt und dabei zeitlos. Die acht Übungsglieder bieten auch im 21. Jahrhundert eine praktische Anleitung für geistige Stabilität und Freiheit.

Ich möchte mich in diesem Beitrag bewusst mit einigen Inhalten dieser Schrift auseinandersetzen. Als Textgrundlage habe ich die Interpretation von B. K. S. Iyengar gewählt, den »Urquell des Yoga« (1993). Die Praxis der Meditation ist für mich persönlich sehr wertvoll und vieles habe ich durch meine Lehrer über diese Schriften Patañjalis erfahren.

9.3.2 Die Kleshas – Quell allen Übels Nach Patañjali ist Yoga das Aufhören aller Bewegungen im Bewusstsein. (Yogasutra Iyengar, 1993, S. 83).

Das Aufhören der Bewegungen im Bewusstsein klingt für eine Führungskraft sicher erst mal nicht erstrebenswert. Setzen wir uns jedoch mit den häufig hinderlichen Bewegungen des Bewusstseins auseinander, wird diese Kernaussage Patañjalis nachvollziehbar.

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Nach Patañjali entsteht Leiden aus den Eigenschaften des menschlichen Geistes. Zwei Eigenschaften greife ich heraus: Avidyā – die Unwissenheit oder die Verwechslung, der Irrtum. Avidyā soll der Quell aller weiteren negativen Kräfte sein. Anna Trökes beschreibt es sehr anschaulich. Sie zählt zu den bedeutendsten Yogalehrerinnen und -autorinnen im deutschsprachigen Raum. Bereits seit 1974 unterrichtet sie Yoga, hat Literatur zum Thema Yoga veröffentlicht und bietet Ausbildungen an. Avidyā sei die grundlegende leidvolle Spannung, mit der der Mensch auf die Welt käme. Durch dieses Nichtwissen erkennt er nicht, »was ist«. In der Folge ergibt sich eine Spannung zwischen dem, »was tatsächlich ist«, und dem, »was sei« (vgl. Trökes, 2013, S. 211). Diese Unwissenheit geschieht nicht willentlich, und doch kann sie großes Leid verursachen. Gerade bei Führungskräften mit weniger Erfahrung oder einer neuen Aufgabe kann es zu leidverursachenden Situationen oder Empfindungen kommen. Vielleicht haben Sie es selbst schon erlebt. Blickt man nach Jahren auf diese Zeiten zurück, so bewertet man die Situation anders als im Zustand der Unwissenheit. Die Verwechslung kann durch einen »verschleierten« Blick auf Situationen verursacht werden. Unser Denken wird durch die zuvor bereits erwähnten, alten Erfahrungen und Prägungen eingetrübt. Die Yogapraxis hilft dabei, diesen Schleier zu lüften und das Wahre zu sehen. Das Nichtwissen wird verwandelt in Wissen, das tief in der Intuition verankert schon da ist. Es ist uns häufig abhanden gekommen, weil wir nicht in Ruhe in uns gehen und auf diese Stimme der Intuition hören. Asmitā – die Ichverhaftung ist ein weiterer leidverursachender Aspekt unseres Bewusstseins. Unser Ich, unser Ego stellt eine enorme Verengung unseres Bewusstseins dar. Aspekte außerhalb des Ichs werden nicht ausreichend wahrgenommen. Asmitā kann sich zeigen in übertriebenem Stolz, Überheblichkeit, Egoismus aber auch im Gefühl der Minderwertigkeit, was im ersten Moment vielleicht befremdlich klingt. Ziel der Yogapraxis ist es, ein Bewusstsein zu erschaffen, das das Ganze wahrnimmt. In einem Teamgefüge und bei Führungskräften kann sich der Einfluss von Asmitā negativ auswirken. Blicken wir noch einmal auf das System, in dem alles miteinander verbunden und damit jedes Teilchen, jedes Teammitglied kraftvoll und wirkungsvoll ist: Die Etablierung eines reduzierten Anteils an Ichverhaftung und der Steigerung von Ganzheit wird das System stärken. Die hier beschriebenen Kleshas, zu denen darüber hinaus Rāga, Dvesha und Abhinivesha gehören, können uns zu unbewusstem Handeln führen. Das kann sicherlich auch manchmal hilfreich sein – so würden wir uns ohne Avidyā, die Unwissenheit, wohl niemals in etwas mit Begeisterung hineinstürzen, uns gar verlieben. Die Kleshas werden genährt von unseren Erfahrungen und Prägungen. Sie beeinflussen unseren Umgang mit Situationen, Themen oder Menschen und können uns daher unfrei machen. Dies führt zu unbewusstem Handeln, woraus Leiden entsteht. In der Folge möchte ich dem Weg auf den Grund gehen, der von diesem Leid befreien kann.

9.4  Hilfreiche Konzepte des Yoga   |  169 

9.4 Hilfreiche Konzepte des Yoga 9.4.1 Patañjalis achtgliedriger Yogapfad Im zweiten Kapitel des Yogasutra beschreibt Patañjali einen ganzheitlichen Übungsweg. Dieser ist in einem achtgliedrigen Yogapfad dargelegt. Dieser Pfad führt uns schrittweise von außen nach innen. Die einzelnen Glieder sind miteinander verbunden und unverzichtbare Bestandteile des Ganzen. Die Yamas und Niyamas sind die ersten beiden Glieder dieses Yogapfads. Es sind die ersten beiden Stufen, die nach außen gerichtet sind. Es geht bei diesen beiden Stufen darum, wie wir mit unseren Mitmenschen, unserer Umwelt und mit uns selbst umgehen. Die Yamas sorgen für ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen unserem Inneren und dem Außen. Für Patañjali ist es eine Voraussetzung für den weiteren Yogaweg, mit dem Außen im Reinen zu sein, um unsere inneren Ziele konzentriert verfolgen zu können. Ahimsā – die Gewaltlosigkeit möchte ich an dieser Stelle als eines der Yamas hervorheben. Es ist eine Aufforderung, gewaltfrei zu leben. Gewaltfrei sollen dabei die Gedanken, die Worte und die Taten sein. Den Alltag als Führungskraft frei von Gewalttaten zu halten sollte selbstverständlich sein. Doch können wir uns davon freisprechen, keine gewalthaltigen Worte oder Gedanken zu nutzen? Dies geschieht wohl häufig, wenn man zudem bedenkt, wie viel Literatur und Trainings es zum Thema gewaltfreie Kommunikation gibt. Führungskräfte sollten sich der Kraft ihrer Gedanken und Worte bewusst werden. Auch wenn im Unternehmen keine klassische Hierarchieform gelebt, sondern ein moderner Führungsstil verfolgt wird, bleibt es meines Erachtens so, dass das Wirken der Führungskraft eben eine besondere Kraft hat. Dieses Wirken wird auch ohne das Aussprechen der Gedanken spürbar. Jede:r von uns hat schon einmal erlebt, wie mit zusammengebissenen Zähnen eine diplomatische Aussage getroffen wurde, die für alle Anwesenden spürbar nicht authentisch war. Einen stark negativen Einfluss auf die Gedanken können innere Antreiber haben. Trägt die Führungskraft selbst zum Beispiel den Antreiber »Sei perfekt« mit sich herum, dann besteht die Gefahr, dass sie mit diesem Blick auch auf andere Menschen und auf Arbeitsergebnisse schaut. Ein solcher Blick trägt wenig Güte und Milde in sich. Für Führungskräfte ist es nach meiner Erfahrung jedoch förderlich, einen milden und gütigen Blick zu haben – einen Blick vor allem auch auf die positiven Aspekte. Dies kann bestärkend auf die Mitarbeitenden wirkend. Der vorwiegend kritische Blick kann stark demotivieren und dem ganzen System Energie rauben. Er hat für mich damit eine gewaltige Kraft. Den eigenen Blick zu verändern oder die innere Haltung milder werden zu lassen ist ein Prozess. Um Mitgefühl haben zu können, ist Gefühl nötig. Gefühle wollen wahrgenommen werden – und dabei zuerst die eigenen. Dies können Sie wunderbar auf der Yogamatte üben. Satya – die Wahrhaftigkeit ist ein weiterer Aspekt. Es geht darum, ehrlich und wahrhaftig zu sein, ohne andere Menschen dabei zu verletzen. Es erfordert oftmals Mut, die Wahrheit aus-

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zusprechen, insbesondere wenn sie unliebsam ist. Eine Führungskraft sollte für ihr Team einstehen. Diese Haltung benötigt Standhaftigkeit. Es ist wohl selten, dass das gesamte Organisationssystem des Unternehmens derart gesund aufgestellt ist, wie es hier angestrebt wird. Daher steht die Führungskraft häufig zwischen den Führungsebenen und in meinem Verständnis vor allem schützend vor dem Team. Meiner Erfahrung nach kann der Yogaweg helfen, die nötige Stabilität und Standhaftigkeit aufzubauen, angetrieben von einer Art Verwurzelung und Erdung, die schon in den Āsanas – den körperlichen Yogaübungen – eingeübt wird. Aus diesem Halt heraus kann die Führungskraft dann für sich selbst gesund und kraftvoll agieren. Meine Erfahrung ist, dass das regelmäßige Praktizieren von Standpositionen auf der Yogamatte meine eigene Verwurzelung und Standhaftigkeit im Berufsalltag stärkt – eine Standhaftigkeit, die gerade in unangenehmen Situationen sehr hilfreich ist. Personen, die im Sprechen vor fremden Gruppen eine Herausforderung sehen, werden eine positive Entwicklung machen können – dank der Praxis auf der Yogamatte. Die Niyamas beziehen sich auf den Umgang mit dem eigenen Selbst. Hier möchte ich zwei Aspekte hervorheben: Samtosha – die Zufriedenheit und Dankbarkeit: Eine äußere Zufriedenheit gebunden an Zustände und Ereignisse ist meist von kurzer Dauer. Erstrebenswert ist die innere Zufriedenheit, die uns Gleichmut und Ruhe schenken kann. Hilfreich bei diesem Prozess ist es, durch die erlernte Unterscheidungsfähigkeit auf das zu schauen, was da ist, und nicht auf das, was fehlt. Bin ich in meiner Führungsrolle in der Lage, Dankbarkeit zu spüren und diese zu zeigen? Oder setze ich wenig wertschätzend Leistungen voraus? Heute finden wir diese Haltung in Coachingansätzen wieder – und vor Tausenden von Jahren bereits in den Yogaschriften. Dieses innere Spüren von Dankbarkeit und Zufriedenheit setzt voraus, das eigene Innere wahrzunehmen. Dies wird ermöglicht, wenn wir uns bei der Yogapraxis dem eigenen Körper, dem Atem und unseren Gedanken und Emotionen zuwenden – wenn wir den Herzraum als emotionales Zentrum spüren können und aus dieser Energie heraus handeln. Tapas – die Disziplin: Eine Form von Willensstärke und Selbstdisziplin ist wichtig, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Weiterzumachen, wenn Hindernisse den Weg kreuzen. Für das zu brennen, was man tut. Nicht den Weg des geringsten Widerstands zu gehen. Schaffen wir es als Führungskraft, diesen Funken, dieses Feuer im Team spürbar werden zu lassen und uns für unsere Ziele einzusetzen? In der Yogapraxis kann diese Qualität geübt werden – und dies sollte diszipliniert und somit regelmäßig erfolgen. Die Flamme, als Zeichen der Begeisterung und des Durchhaltevermögens, darf brennen und das Feuer geschürt werden. Unser Feuer können wir auch durch extremen Ausdauersport schüren und uns hierüber einen Ausgleich zur Arbeit schaffen. Die Qualität von Yoga jedoch vereint die energievolle, kraftvolle und die kühle und ruhige Seite. Ich möchte es als ein sanfteres Feuer beschreiben.

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9.4.2 Āsana – Die Körperübungen Zu der Zeit, als das Yogasutra entstand, diente die Āsana-Praxis eher der Vorbereitung auf das Sitzen. Das lange Verweilen im Sitzen zum Zwecke der Meditation musste eingeübt werden. Der Sitz soll geerdet sein, sprich: die Sitzbeinhöcker sind in Verbindung zum Boden oder zur Sitzunterlage. Von diesem geerdeten Sitz aus streckt sich die Wirbelsäule hinauf Richtung Decke, Richtung Himmel. Für manch einen mag die erste Herausforderung schon darin liegen, die Sitzbeinhöcker zu erspüren. Laut Anna Trökes leitet sich die Wortwurzel »ās« von »sitzen« ab, weshalb unter dem Begriff »Āsanas« sowohl die Sitzhaltung als auch der Sitzplatz verstanden werden kann (Trökes, 2013, S. 192). Heute versteht man unter der Āsana-Praxis die körperlichen Übungen. Manche Haltungen wurden schon vor Tausenden von Jahren in den alten Schriften beschrieben, so zum Beispiel der halbe Drehsitz (Ardha Matsyendrāsana) oder die Rückbeuge in der Bauchlage, genannt Kobra (Bhujangāsana).

Die folgenden Abbildungen zeigen die Variante des halben Drehsitzes (Ardha Matsyendrāsana) und der Kobra (Bhujangāsana) für Fortgeschrittene.

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Die heute bekannten Sonnengrüße (Surya Namaskar) entstanden erst deutlich später. Es ist faszinierend, sich mit der Wirkung der einzelnen Haltungen zu beschäftigen und bei regelmäßiger Praxis diese am eigenen Körper zu spüren. Die Übungen haben stets eine körperliche und eine mentale Wirkung. Es ist hilfreich, wenn Sie sich einen kleinen festen Platz einrichten, an dem Sie praktizieren, sodass die Energie, mit der Sie dies tun, und die positive Wirkung dort verankert wird. Der kleinste mögliche Platz kann die Yogamatte und ein Kissen sein, das Sie nahezu immer mitführen können.

Surya Namaskar (Sonnengruß) Diese Abfolge von Āsanas gehört zu meiner täglichen Yogapraxis. Sie kann gut zu Beginn des Tages geübt werden, um den ganzen Körper zu beleben. Ich praktiziere bei ausreichend Zeit die Abfolge zwölf Mal. Dabei werden alle Muskelgruppen angesprochen, gestärkt und gedehnt. Mental hilft der Sonnengruß Ihnen dabei, sich im Inneren zu zentrieren. Der Fokus der Achtsamkeit liegt auf der Bewegungsabfolge. Jede Bewegung wird von der Atmung angeführt. Es entsteht ein waches, klares Gefühl und die Konzentrationsfähigkeit wird erhöht. Im Internet gibt es diverse Videos mit Anleitungen dieser klassischen Bewegungsabfolge. Für Unerfahrene ist es aber besser, ein Yogastudio aufzusuchen, damit eventuelle Fehlhaltungen korrigiert werden können.

Patañjali hat sicherlich nicht die körperliche Praxis in den Fokus genommen. Es gibt andere Schulen, die dem mehr Wert zusprechen. Im Yogasutra geht er jedoch intensiv auf die Qualitäten ein, die ein Āsana haben soll. Dies bezieht sich auf alle eingenommenen Haltungen. »Sthira-sukham-āsanam – Ein Āsana soll stabil und angenehm sein. (Yogasutra, II.46)« (Iyengar, 1993, S. 194)

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Dieses Sutra ist ein wunderbares Bild für eine gute Haltung als Führungskraft: sthira oder stabil im Sinne von standhaft sein, um Halt geben zu können, um selbst Halt zu haben in wechselnden Situationen. Im Āsana bleibt man dem Sutra folgend auch mal für eine längere Zeit. Man verweilt in einer Haltung. Dies ist ein gutes Sinnbild für Haltung im Führungsalltag. Die Āsana-Praxis kann hilfreich sein, um Standhaftigkeit und Stabilität einzuüben. Hierzu bieten sich insbesondere Standhaltungen wie die Kriegerpositionen an.

Dabei soll die Haltung mühelos eingenommen werden. Auf der Yogamatte kann es sich darin zeigen, dass wir in allen Körperpartien, die keine Anspannungen in der Haltung erfordern, unnötige Anspannung loslassen. Es benötigt viel Achtsamkeit, um die einzelnen Körperpartien und Muskeln zu erspüren. In der eingenommenen Yogaposition wandern wir durch den Körper und lösen unnötige Anspannung. In den Führungsalltag kann diese Qualität mitgenommen werden. Vielleicht haben Sie bereits erfahren, wie viel entspannter ein fokussiertes Arbeiten ist, frei von parallelen Handlungen oder Ablenkungen. Hilfreich ist dabei das System, in dem jedes Mitglied sich seiner Verantwortung und Wirkung bewusst ist. Ein gut funktionierendes System auszubauen ist die Basis – ähnlich wie ein gut mobilisierter, trainierter Körper, der die Haltungen ausführen kann. Als Führungskraft können Sie sich dann fokussiert ausrichten und an den anderen Stellen loslassen. Den Blick stets überall zu haben ist eine Überforderung und führt zu negativem Stress. Der Fokus kann dann niemals wie ein Brennglas auf die eine Stelle gelegt werden. Die Energie, die benötigt würde, um etwas Hervorragendes zu erschaffen, kann nicht gebündelt werden. B. K. S. Iyengar beschreibt es im »Urquell des Yoga« so, dass ein Āsana intensiv erarbeitet werden müsse. Es solle ihm die größtmögliche Aufmerksamkeit geschenkt werden, um es sich

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mit allen Fasern intensiv zu erarbeiten. Diesen Fokus sollten wir auch in der Arbeit wirken lassen. Ein weiterer sehr guter Indikator für ein müheloses Üben und Arbeiten ist der Atem. Dieser muss auch in anspruchsvollen Haltungen noch frei fließen können, sprich: möglichst tief in den Bauchraum. Der Atem sollte ebenso beim Arbeiten tief in den Bauchraum einströmen. Achtsam für den Atem zu sein kann ebenfalls auf der Yogamatte eingeübt werden. Der Atem ist in der Praxis der einzelnen Haltungen essenziell. Er soll die Bewegungen anführen. Diese Art der Praxis schafft eine hohe Achtsamkeit, die absolut förderlich ist für eine gesunde Führung und Selbstführung. In der Selbstbeobachtung konnte ich in der Vergangenheit feststellen, dass unter mentaler Anspannung, insbesondere beim sitzenden Arbeiten am Computer, mein Atem sehr flach wird. Ich habe lediglich in den Brustraum geatmet. Das passiert, wenn der Sympathikus die Oberhand gewinnt und das Gehirn auf Flucht, Starre oder Kampf (negativer Stress) eingestellt ist. Es ist wie ein automatisiertes Programm, das abläuft – und das ungesund ist. Dies gilt es zu durchbrechen und durch Achtsamkeit für den Atem zu ersetzen. Der Atem ist dann gleich auch die Überleitung zum nächsten Glied auf dem Pfad, dem Prānāyāma.

9.4.3 Prānāyāma – Die Atemübungen Atmen scheint die natürlichste Angelegenheit der Welt zu sein. Mit dem Einsetzen des Atems kommen wir auf die Welt und mit dem letzten Ausatmen verlassen wir diese wieder. Im Alltag läuft das Atmen häufig nicht gesund ab. Die Atemzüge sind eher flach und beschleunigt. James Nestor hat diesem Thema ein ganzes Buch gewidmet. In »Breath – Atem« beschreibt er, dass die Menschen, seit sie industrialisierte Nahrung essen, weniger kauen müssten. Als Folge verkleinere sich der Gesichtsschädel. Dadurch bekämen wir nicht genug Luft, atmeten durch den Mund und die Probleme begännen – von Asthma bis zu Zahnfehlstellungen. James Nestor beschreibt sein Buch selbst als »(…) wissenschaftliche Abenteuerreise zur verlorenen Kunst des Atmens« (Nestor, 2021, S. 18). Eine Kunst, mit der die Yogis sich vor mehr als 2000 Jahren bereits beschäftigten. Der Atem ist eine essenzielle Quelle der Gesundheit für unseren Körper. In den alten Yogaschriften wird davon gesprochen, dass dem Menschen im Laufe des Lebens eine bestimmte Anzahl von Atemzügen zur Verfügung stünde. Daher solle geübt werden, den Atem fein und lang werden zu lassen. Das rechte Nasenloch beschreibt Nestor als eine Art Gaspedal. Wird primär durch dieses geatmet, so wird der Kreislauf beschleunigt und der Körper erwärmt, Cortisolspiegel und Blutdruck steigen. Dies geschieht, da das sympathische Nervensystem angeregt wird.

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»(…) das sympathische Nervensystem aktiviert den ›Kampf oder Flucht‹- Mechanismus, der den Körper in einen Zustand der Wachsamkeit und Bereitschaft versetzt. Atmung durch das rechte Nasenloch führt außerdem der linken Hirnhälfte mehr Blut zu, besonders dem präfrontalen Cortex, der mit logischen Entscheidungen, Sprache und Berechnungen befasst ist.« (Nestor, 2021, S. 65) Erfolgt das Einatmen durch das linke Nasenloch, so wird der gegenteilige Effekt erzielt. Dieses Nasenloch steht in Verbindung zum parasympathischen Nervensystem. Das parasympathische Nervensystem ist verantwortlich für Entspannung und Regeneration. Es senkt den Blutdruck und wirkt kühlend. »Atmen durch das linke Nasenloch verschiebt den Blutfluss zur gegenüberliegenden Seite des präfrontalten Cortex, jenem Bereich, der das kreative Denken, die Emotionen, die Bildung geistiger Abstraktionen und negativer Emotionen beeinflusst.« (Nestor, 2021, S. 66) Diese Erkenntnisse dokumentieren die Sinnhaftigkeit aller Übungen mit wechselnder Nasenatmung. Die Nasenatmung ist so viel gesünder als die Mundatmung, weil die Nase die Luft erwärmt, reinigt, abbremst und komprimiert, damit die Lungen vermehrt Sauerstoff aufnehmen können. Für viele Menschen ist das freie Fließen des Atems durch die Nase bereits eine Herausforderung. Gelingt die Nasenatmung, so sollte im nächsten Schritt beobachtet werden, wie tief der Atem ein- und ausströmt. Häufig erfolgt unter Stress und im Trubel des Arbeitsalltags der Atem lediglich im Brustraum. Dies bedeutet, dass der Atem nur in die obere Lunge strömt, das volle Atemvolumen der Lunge also nicht genutzt wird. Falsche Atmung kann hervorgerufen werden durch hochgezogene Schultern, herausgedrückte Brust und vorgereckten Hals. Dies schränkt den Bewegungsspielraum des Zwerchfells und die gesamte Lungenkapazität ein. Es ist daher förderlich, in der Yogapraxis die Weite im Brustraum durch Rückbeugen zu erhöhen und die Aufrichtung im Generellen zu verbessern. Dadurch werden die Atemräume erweitert, es wird Raum geschaffen für das Einströmen des Atems. Ein tiefes, volles Einatmen ist nur nach einem kraftvollen, tiefen und langen Ausatmen möglich. »Ein durchschnittlicher Erwachsener nutzt nur 10 Prozent des Spielraums, den das Zwerchfell bietet, für die Atmung. (…) Wenn man 50 bis 70 Prozent der Kapazität des Zwerchfells für die Atmung einsetzt, sinkt die Belastung des Herz-Kreislauf-Systems, und der Körper arbeitet effizienter.« (Nestor, 2021, S. 87)

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Das Zwerchfell beeinflusst die Stärke und Frequenz des Herzschlags und wird daher auch »zweites Herz« genannt. Es ist leicht abzuleiten, wie eng der Atem mit dem Herz-Kreislauf-System zusammenhängt und dass Stress und eine dadurch flache Atmung negative Impulse an das Herz senden. Prānāyāma wird als viertes Glied auf dem Pfad in Patañjalis Yogasutra II.49 – 53 behandelt. Diese Technik baut auf der körperliche Āsana-Praxis auf. Sie sollte, wie zuvor beschrieben, ausdauernd und unter Berücksichtigung der Stabilität und Mühelosigkeit praktiziert werden. Mit der Yogapraxis haben Sie erlernt, den Atem zu beobachten. Der Atem soll dabei die Bewegungen anführen. In der Atemlenkung nehmen Sie zuerst einmal Kontakt mit dem Atem auf. Beginnen Sie, den Atem zu beobachten – in seinem freien Fließen –, um dann langsam die Ausatmung zu verlängern. Der Atem vertieft und verfeinert sich allmählich und der Geist kommt dabei zur Ruhe.

Den Atem lenken – in Stille sitzen Atemübungen können in Verbindung mit den körperlichen Übungen praktiziert werden oder auch als Übung für sich allein stehen. Nehmen Sie sich für diese Praxis ca. 15 Minuten Zeit. Wie zuvor bei den Yogahaltungen beschrieben, ist es hilfreich, wenn Sie sich einen festen Platz für die Praxis schaffen. Eine Unterlage wie eine Yogamatte, ein Sitzkissen oder Bänkchen sind gute Hilfsmittel. Für die Atemübungen begeben Sie sich in eine aufrechte Sitzhaltung. Der Sitz soll geerdet sein, sprich: die Sitzbeinhöcker sind in Verbindung zum Boden oder zur Sitzunterlage. Von diesem geerdeten Sitz aus richten Sie die Wirbelsäule auf Richtung Decke. Gern geschieht dies im »Schneidersitz« erhöht auf einem Kissen oder Sitzbänkchen, sodass Ihre Knie tiefer als das Becken absinken können. Beginnen Sie, Ihren Atem zu beobachten, wie er durch die Nase ein- und ausströmt. Spüren Sie den Atem kühl an der Nase bei der Einatmung und erwärmt bei der Ausatmung (3 Minuten). Ihre Gedanken kommen auf Abwege? Willkommen »monkey mind«! Machen Sie sich keine Sorgen, das ist ganz normal. Kehren Sie geduldig wieder zur Atembeobachtung zurück, auch wenn die Gedanken wie eine wild gewordene Horde Affen durch Ihren Kopf jagen. Die Horde wird sich beruhigen. Beobachten Sie, wie sich die Atemräume im Brust- und Bauchraum mit der Atmung weiten und wieder zusammenziehen (2 Minuten). Verändern Sie den Atem dabei nicht. Lassen Sie ihn natürlich ein- und ausströmen.

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Legen Sie anschließend, wenn es Ihnen angenehm ist, die Hände auf Bauch und Brust: Zuerst berühren die Handflächen sanft den Bauch (2 Minuten). Nehmen Sie das Heben und Senken wahr, das durch den Atem ausgelöst wird. Anschließend legen Sie Ihre Hände auf die Brust (2 Minuten). Nach und nach kann dann eine sanfte Verlängerung der Ausatmung erfolgen. Lassen Sie das entspannt geschehen. Mit der einkehrenden Ruhe verlängert sich der Ausatmen von selbst. Beobachten Sie den Moment, bevor das Ausatmen in Einatmen übergeht und umgekehrt. Diese kleinen Pausen beinhalten eine nach längerer Praxis als angenehm wahrgenommene Stille. Verweilen Sie so lange, wie es Ihnen angenehm ist. Eine besondere Ruhe und Stille kann erfahren werden, wenn der Atem sich verlangsamt und insbesondere die Wendepunkte zwischen Ein- und Ausatmung beobachtet werden – wenn wahrgenommen wird, wie dort eine kleine Pause entsteht, ein kleiner stiller Moment. Um diese kleinen Pausen geht es. Diese Pause kann eingeübt und abseits der Matte hilfreich in den Alltag integriert werden. Der Geist kommt bei dieser Atembeobachtung und -lenkung zur Ruhe. Sie werden bei regelmäßiger Praxis mehr und mehr Ruhe erfahren können und in diesen Pausen das Tor zur Meditation öffnen. Im Arbeitsalltag empfinde ich es als hilfreich, zwischen einzelnen Meetings oder Terminen einige Minuten bewusst zu atmen. Probieren Sie es aus. Vielleicht ist es Ihnen möglich, für ein paar Minuten einen Timer zu stellen. Vielleicht können Sie für einen Moment die Augen schließen, Ihren Fokus nach innen und auf den Atem richten. Richtet sich der Fokus mehr auf das Ausatmen, wird zudem mehr Kohlendioxid abgegeben und die Lunge ist frei, um mehr Sauerstoff aufzunehmen. Sie verstärken damit das Entspannen und werden in der Regel wacher. Durch die Menschen und Situationen, die Sie umgeben, kann der Geist unruhig und unklar werden. Eventuell sprechen Sie viel und verbrauchen dabei Energie. Mit diesen kleinen Atempausen können Sie sich über den Tag immer wieder erfrischen und neu ausgerichtet in die nächste Aufgabe gehen. Zum Abschluss des Tages, vor dem Schlafen, bietet es sich erneut an, einen Moment in Stille zu sitzen und im ersten Schritt wieder den Atem zu beobachten und leicht zu lenken.

9.4.4 Pratyāhāra – Das Zurückziehen der Sinne nach innen Pratyāhāra ist das fünfte Glied des Pfades und ein sehr hilfreiches im Alltag, in dem wir vielen Reizen ausgesetzt sind. Es stellt den Übergang zur Meditation dar.

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Pratyāhāra soll wörtlich »Fasten« bedeuten. Anna Trökes beschreibt es in ihrem Buch »Die kleine Yogaphilosophie« als eine Art Fasten der Sinne (Trökes, 2013, S. 200). Es ist ein Nicht-Reagieren auf Sinneswahrnehmungen. Stellen Sie sich vor, den Geist so zur Ruhe zu bringen, dass er alle Sinnesreize wahrnimmt, jedoch nicht darauf reagiert. Die Umwelt wird nicht ausgeblendet – sie wird wahrgenommen, jedoch reagieren Sie nicht unmittelbar. Dies einzuüben, geschieht auf dem Weg zur Meditation. Eine Übung kann sein, über die zuvor beschriebene Atembetrachtung hinaus durchaus Aufmerksamkeit auf die Reize rundherum zu legen, diese jedoch einfach so stehen zu lassen. Im Alltag werden Sie durch das regelmäßige Praktizieren dieser Yogatechnik fokussierter arbeiten können. Multitasking ist erwiesenermaßen nicht gesund. Die ständige Ablenkung durch Medien und Menschen im Büroalltag wirkt störend. Es ist eine große Herausforderung, in den modernen Großraumbüros und bei der schnellen digitalen Kommunikation bei sich zu bleiben und fokussiert zu sein. Durch das Zurückziehen der Sinne kann diese bewusste Ausrichtung des Geistes auch im Alltag stattfinden. Bei ausdauerndem Üben können Reiz-Reaktions-Schemata aufgedeckt werden. Sie werden befähigt, bewusst das Geschehen in Ihrem Umfeld und ebenso Ihre Reaktion innerlich wahrzunehmen, um dann eine bewusste Aktion erfolgen zu lassen – anstelle einer unbewussten Reaktion. Das ist aus meiner Erfahrung eine erstrebenswerte Fähigkeit für eine Führungskraft. Bei der Yogapraxis können Umkehrhaltungen hilfreich sein, um die Bewegung der Sinne nach innen zu erreichen. Eine deutlich regenerierende und entspannende Haltung ist der halbe Schulterstand mit einem Bolster, einem dicken Yogapolster, unter dem Gesäß. Diese Haltung baue ich gern in meine Praxis am Abend ein.

9.4.5 Dhārāna, Dhyāna und Samādhi – Die Konzentration, Meditation und ein höheres Bewusstsein Die Glieder des achtgliedrigen Pfades bauen aufeinander auf und greifen auch ineinander. Im Sutra III.1 heißt es: »Das Bewusstsein auf einen Punkt oder eine Stelle zu fixieren ist Konzentration.« Diese Konzentration kann auf der Yogamatte in den einzelnen Haltungen geübt werden.

9.5 Ausblick | 179 

Die Konzentration durchdringt damit die gesamte Yogapraxis und kann in der Folge den Übergang zur Meditation erleichtern. Diese Stufe des Pfades wird als Dhārāna bezeichnet. Es wird geübt, den Geist auf etwas zu konzentrieren. Dies kann der Atem sein, ein Bild, ein Geruch oder der Klang. Wir geben dem Geist damit einen Halt. Es ist ein aktives Tun. Diese eingeübte Qualität kann dann wiederum in den Alltag mitgenommen werden. Der Alltag darf so turbulent und bewegt bleiben, wie er heute ist. Ich habe erfahren, dass ich dank dieser Qualität der Konzentration zu einer neuen Handlungskompetenz gelange. Dhyāna – Meditation und Samādhi – Erleuchtung: Dies sind die beiden letzten Glieder auf dem achtgliedrigen Pfad. Im Zustand von Dhyāna werden wir zu einem objektiven Beobachter, der die Dinge so erkennt, wie sie wirklich sind. Dabei gibt es keine verzerrte Wahrnehmung mehr durch den Geist. Das aktive Tun wird in diesem Zustand losgelassen. Im Kontext der Führung könnte der Zustand von Samādhi dafür stehen, tief mit der Intuition verbunden zu sein. Befreit zu sein von Prägungen, die uns unfrei machen. Ich verstehe es als einen Zustand, in dem es nichts mehr zu kontrollieren gibt, nichts zu verstehen – es ist ein Zustand voller Hingabe und Vertrauen, ein Zustand innerer Freiheit. Im Yogasutra wird »Samādhi« übersetzt mit »Erleuchtung«. Häufig wird Meditation als eine Technik verstanden, bei der der Geist durch eine Anleitung geführt wird. Diese geführten Mediationen bringen neue Bilder in unseren Geist, die ihn von den eigenen Gedanken ablenken. Sie sind ein guter Einstieg in die Erfahrung der Meditation und helfen dabei, den Geist zur Ruhe zu bringen. Beginnen Sie daher Ihre Meditationspraxis gern auf diese Art und Weise. Nutzen Sie jedoch auch die vorgestellte Atembetrachtung in Stille als einen Einstieg in die Meditation. Nach und nach sollten Sie die Anleitung von außen reduzieren. Sie werden feststellen, dass sich Ihr Geist beruhigt und sich an das Sitzen in Stille gewöhnt. Für mich hat das Sitzen in Stille eine reinigende Wirkung. Gerade am Abend können sich dann die Eindrücke des Tages sortieren. Am Morgen erfahre ich eine Klarheit und Ausrichtung, die mich gut in meinen Führungsalltag starten lässt.

9.5 Ausblick »Unsere größte Angst ist nicht, unzulänglich zu sein. Unsere größte Angst ist, grenzenlos mächtig zu sein. Unser Licht, nicht unsere Dunkelheit ängstigt uns am meisten.« (Nelson Mandela) Die zitierte Aussage von Nelson Mandela (Hüther, 2018, S. 122) verdeutlicht, dass es immer auch ein wenig Angst macht, sich selbst zu verwirklichen – unsere Aufmerksamkeit auf unser Poten-

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zial zu legen und dies voll zu leben. Haben Sie den Mut, Ablenkungen im Außen wenigstens für einen Moment aufzugeben und sich selbst und Ihr Inneres wahrzunehmen. Dies kann Sie befähigen, sich selbst bewusster und gesünder zu führen und dies weiterzutragen in das Wirken als Führungskraft. Lernen Sie dadurch, Führungsaufgaben als das zu erkennen, was sie sind, und sich freizumachen von den Schleiern des eigenen Bewusstseins und den Prägungen, im Yoga »Samskaras« genannt. Gesunde Führung dank Yoga Das Wirken als Führungskraft ist ein geniales Übungsfeld. Sie befinden sich im Spannungsfeld zwischen dem, was vermeintlich ist, und dem, was sein sollte oder könnte. Diese Spannung kann sich ungesund auf Körper und Psyche auswirken. Der Yogaweg kann Ihnen Halt geben und Ihnen dabei helfen, herausfordernde Führungsaufgaben anzugehen und dabei gesund zu bleiben. Es kann ein Weg sein, um im eigenen Unternehmen gesund zu führen. Ich möchte Sie dazu ermutigen, auf der Yogamatte zu einer gesünderen Selbstführung zu gelangen – und damit, systemisch gesehen, zu einer gesünderen Führungskraft zu werden.

Regelmäßige Yogapraxis kann die Achtsamkeit für die eigene Person stärken – und dies wiederum steigert die Empathie für andere. Hinter Yoga steckt viel mehr als nur Körperübungen, die in hippen Yogastudios von gut gestylten Lehrer:innen und Schüler:innen ausgeübt werden. Eins ist für mich klar: Yoga ist keine Pille, die man schluckt, um eine schnelle Wirkung zu erzielen. Yoga verstehe ich als einen Weg. Und es ist eher eine Langstrecke. Manche Entwicklungen stellen sich schnell ein, manches kann nach Jahren hinzukommen. Da wir alle immer später ins Rentenalter eintreten, gibt es wohl keine Ausrede in puncto »zu wenig Zeit«. Diese Praxis kann in jedem Alter begonnen werden. Meine eigene Yogapraxis erlernte ich von einem Lehrer. Dieser ermutigte uns Schüler:innen von Beginn an, auch für uns selbst zu Hause zu praktizieren. Nachdem ich die Grundzüge erlernt hatte, nahm dies für mich einen immer größeren Raum ein. Mein Alltag ist voll mit Terminen und Verpflichtungen. Meinen Tag mit Yoga zu beginnen – und sei es eine noch so kleine Praxis – verändert für mich den weiteren Verlauf des Tages positiv. Es ist die körperliche Praxis, die meine Gliedmaßen geschmeidig macht und die Energie zum Fließen bringt – und es ist die mentale Ausrichtung am Morgen. So kann ich mich wach und aufgeräumt den Aufgaben des Tages widmen und den Menschen, die mir dabei begegnen. Ich bin nicht gleich am Rennen ohne Ausrichtung und Fokus. Wagen Sie den ersten Schritt in ein örtliches Yogastudio. Buchen Sie einen Kurs für Anfänger und etablieren Sie mit der angeleiteten Praxis und Erfahrung nach und nach eine eigene Routine zu Hause. Kompetente Yogalehrer:innen, die in diesem Bereich tätig sind, können über den Berufsverband BDYoga in Erfahrung gebracht werden.

Literatur | 181 

Mit dem Blick auf die Förderungen von beruflichen Gesundheitsmaßnahmen könnte es ein weiterer Schritt sein, im Unternehmen einen Gesundheitstag mit dem Fokus auf Yoga auszurichten. Dies kann ein Einstieg für einen Yogaweg im Unternehmen sein. Im Betrieb könnte ein Raum für den Rückzug in den Pausen eingerichtet werden, in dem Mitarbeiter:innen die Möglichkeit haben, eine körperliche oder mentale Übung auszuführen. Es könnte gemeinsam eine Art »Schreibtischyoga« praktiziert werden. Es könnten Termine für Yogastunden angeboten werden. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Yoga wird mit Sicherheit die gesunde Zusammenarbeit des Teams fördern. Etwas Mut braucht es vielleicht, um so etwas einzuführen. Nur Mut! Yoga bewirkt Gutes. Das ist sicher!

Literatur Bruch, Heike; Kowalevski, Sandra: Gesunde Führung. Wie Unternehmen eine gesunder Performancekultur entwickeln. o. J., online verfügbar unter: https://www.compasso.ch/fileadmin/ user_upload/systempartner/schnittstellen_arbeitnehmende/gesunde_fuehrung_hsg.pdf (letzter Zugriff: 6.6.2022) Cocchiara, Rosario Andrea; Peruzzo, Margherita; Mannocci, Alice; Ottolenghi, Livio; Villari, Paolo; Polimeni, Antonella; Guerra, Fabrizio; La Torre, Giuseppe: The use of yoga to manage stress and burnout in healthcare workers: A systemic review. Journal of Clinical Medicine, 8(3), 2019, online verfügbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6462946/ (letzter Zugriff: 6.6.2022) Hüther, Gerald: Was wir sind und was wir sein könnten. Ein neuro-biologischer Mutmacher. Fischer, Frankfurt am Main, 9. Auflage, 2018. Iyengar, B. K. S.: Der Urquell des Yoga. O.W.Barth, München, Neuausgabe 1993. Nestor, James: Breath – Atem: Neues Wissen über die vergessene Kunst des Atems. Piper, München, 3. Auflage, 2021. Mattes, Ruth Maria: Gesunde Führung in der VUCA-Welt. Orientierung, Entwicklung und Umsetzung in die Praxis. Haufe, München, 2022. Systemische Gesellschaft: Systemischer Ansatz. Online verfügbar unter: https://systemischegesellschaft.de/systemischer-ansatz (letzter Zugriff: 2.6.2022) Trökes, Anna: Die kleine Yoga-Philosophie. O.W. Barth, München, 2013. BDYoga: Yoga in Zahlen 2018. Online verfügbar unter: https://www.yoga.de/yoga-als-beruf/yoga-inzahlen/yoga-in-zahlen-2018 (letzter Zugriff: 2.6.2022)

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Über Katja Schnabel Über Yoga und das Thema Führung kann ich sprechen, da ich beides intensiv erfahren habe. Bereits mit 29 Jahren übernahm ich die Leitung eines Hotels und machte mich auf den Weg von der Fachkraft zur Führungskraft. Meine Führungsspannweite erweiterte sich über die Jahre, sodass ich heute in der Funktion der Regionaldirektorin mehrere Hotels verantworte. Berufsbegleitend erlernte ich das systemische Coaching und die Anleitung von Mental Coachings. Im Betrieb engagierten wir eine systemische Coachin und etablierten einen gesunden Selbstführungs- und Führungsstil. Da mir klar wurde, wir viele Techniken für mich ihren Ursprung im Yoga fanden, absolvierte ich eine Yoga© Andreas Endermann lehrer:innen-Ausbildung beim BDYoga. Über vier Jahre tauchte ich intensiv in diese Themen ein und schloss die Ausbildung im Jahr 2022 bei Martin Henniger im Yogaforum Düsseldorf ab. Ich unterrichte Yoga, fokussiere mich jedoch auf Einzelsessions für Führungskräfte. Ich habe einen nahezu erwachsenen Sohn und lebe idyllisch in einem kleinen Haus mitten auf dem Feld am Rande von Düsseldorf. www.bodyandcreativity.com

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10 Führung mit Klarheit und Kreativität – Mit Visualisierung und Moderation zu mehr Unternehmenserfolg Danny Herzog-Braune »Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Deshalb lassen Sie als Führungskraft die Macht der Bilder wirken und laden Sie Ihre Mitarbeiter:innen ein, mit kommunikativer Klarheit gemeinsam die maximale Wirkung zu entfalten.« (Danny Herzog-Braune)

Auf einen Blick: Worum es in diesem Beitrag geht In diesem Beitrag geht es einleitend um grundsätzliche Führungskompetenzen und Modelle zu deren Veranschaulichung. Im Weiteren wird argumentiert, warum Führungskräfte moderieren und visualisieren können sollten. Und bevor es in Ihrem Kopf rattert »Ich kann doch gar nicht malen …« – doch: Jeder kann malen und zeichnen. Es geht nicht um Kunst, es geht um Erkennbarkeit. Visualisierungen sind mächtige Führungswerkzeuge. Die Macht der Bilder Effizienz, Wertschöpfung, Selbstorganisation und Motivation können durch die Transparenz, die durch Bilder entsteht, massiv gefördert werden.

In diesem Beitrag werden Vorgehensweisen, strukturierte Prozesse und Methoden vorgestellt, die es Ihnen ermöglichen, klar(er) zu führen und Kreativität gezielt und wertschöpfend ein- und freizusetzen. Dieser Beitrag ist für Sie lesenswert, wenn Sie y transparent und nachvollziehbar führen, y Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit steigern, y Produktentwicklungsprozesse beschleunigen und y Mitarbeitende befähigen wollen, kompetent an der Führung mitzuwirken.

184  |  10  Führung mit Klarheit und Kreativität

10.1 Einleitung »Behandle die Menschen so, als wären sie, was sie sein sollten, und du hilfst ihnen zu werden, was sie sein können.« (Johann Wolfgang von Goethe) Als meine geschätzte Mitherausgeberin Ruth Maria Mattes mich fragte, was aus meiner Perspektive Führung heute wirklich braucht, hatte ich zuerst den ganz großen Blumenstrauß im Kopf, den man benötigt. Denn die Anforderungen an eine Führungskraft sind vielfältig – und diese möchte ich Ihnen einleitend zu diesem Beitrag auch vorstellen. Eine erfolgreiche Führungskraft muss viele Dinge beherrschen. Doch jede Führungskraft bringt auch ihre persönlichen Stärken und Schwächen mit. Daher sollte sie im Rahmen der kritischen Selbstreflexion und persönlichen Weiterentwicklung ihre Stärken und Schwächen erforschen. Und dem Motto folgen: Stärke deine Stärken, schwäche deine Schwächen! Niemand wird herausragend sein in den Bereichen, in denen er oder sie ausgeprägte Schwächen hat. Wer jedoch kontinuierlich an seinen Stärken arbeitet, kann es darin zur Meisterschaft und Exzellenz bringen. Managementvordenker Peter F. Drucker sagte einst: »Um in dieser neuen Welt erfolgreich zu sein, müssen wir zuerst lernen, wer wir sind. Wenige Menschen, auch wenn sie sehr erfolgreich sind, können diese Fragen beantworten: Wissen Sie, was Sie gut können? Wissen Sie, was Sie lernen müssen, damit Sie alle Vorteile Ihrer Stärken ausnutzen können? Nur wenige haben sich diese Fragen überhaupt gestellt.« (Clifton, 2007, S. 14) Ich bin tief in mich gegangen: Was ist meine individuelle Superkraft? Was hat maßgeblich meine Karriere als Führungskraft in Militär und Wirtschaft beflügelt? Es war die Fähigkeit zur Moderation und Visualisierung. Dies ist meine Superkraft, eine Kraft, die für mich sehr hilfreich und wichtig ist, sodass ich mir wünsche, mit meinem Beitrag diese auch Führungskräften und Mitarbeitenden zugänglich zu machen.

10.2  Erkenne das große Ganze  |  185 

10.2 Erkenne das große Ganze Ich war sowohl Offizier bei der Bundeswehr als auch Führungskraft in Unternehmen. Bedingt durch häufige Wechsel der Aufgabengebiete und der Projekte war ich fachlich oft nicht der Qualifizierteste in den Bereichen, in denen ich diverse Teams von Spezialisten und Fachkräften führte. Aber vielleicht war das auch gar nicht meine Aufgabe. Denn meine Aufgabe war nie die fachliche Führung – es war das Verständnis der Zusammenhänge: Was ist die Absicht der übergeordneten Führung? Was wollen meine Chef:innen von mir? Wo wollen wir hin? Was ist unsere Mission? Wie schwöre ich meine Teammitglieder darauf ein, im Sinne des großen Ganzen zu denken und zu handeln? Meine Stärke war zu erkennen, über welche Fachkenntnisse die Mitglieder meines Teams verfügten und welche Stärken und Schwächen das Team hatte – und es mit diesem Wissen zum Ziel zu führen. Gemeinsames Ziel Was unterscheidet eine Gruppe von einem Team? Ein Team hat immer ein gemeinsames Ziel – sei es, eine Mädchenschule in Mazar-e Sharif in Afghanistan zu errichten oder das nächste Release der aktuellen Praxisverwaltungssoftware sicherzustellen. Als Bereich, Abteilung oder Team haben wir also stets ein gemeinsames Ziel, einen gemeinsamen Auftrag, und jede:r von uns hat dabei eine wichtige Rolle inne.

Die Aufgabe einer Führungskraft ist es also, Mitarbeitende zu eben diesem Ziel zu führen bzw. zu begleiten. 2018 wurde ich vom Marketingleiter zum Geschäftsbereichsleiter in einem Medizintechnikunternehmen befördert und verließ damit meine kreative und fachliche Komfortzone der Marketingleitung. Neben dem Vertrieb durfte ich nun auch den technischen Außendienst, den Support und eine Softwareentwicklungsabteilung leiten. Da wurde mir bewusst, dass ich niemals den fachlichen Diskussionen zwischen UX-Designern, Softwareentwicklern, Programmierern und Softwarearchitekten so weit würde folgen können, dass ich fachlich fundierte, kompetente Anweisungen geben könnte. Zum Glück wusste ich zu diesem Zeitpunkt bereits, dass ich als Führungskraft andere Aufgaben hatte. Denn die Aufgabe einer Führungskraft ist nicht die fachliche Expertise in der Nische – dafür gibt es die zu führenden Expert:innen und Fachkräfte. Es ist das Verständnis der Zusammen-

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hänge. Es ist das notwendige analytische Denkvermögen, ohne das keine Führungskraft lange bestehen kann. Als Führungskraft sollten Sie eben diesen Überblick vermitteln, die Zusammenhänge und Prozessabhängigkeiten verstehen, beherrschen und abbilden können. Den Überblick behalten Führungskräfte brauchen den Überblick. Ziel sollte es so oft wie möglich sein, am Team, nicht im Team zu arbeiten.

Als Führungskraft müssen Sie sich vom Mikromanagement lösen. Gerade Führungskräfte, die aufgrund ihrer fachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten ihre Karriere begründet haben, vergessen das oft und tun sich sehr schwer damit, die operativen Kleinaufgaben loszulassen und an die Fachkräfte zu delegieren. Klarheit und Transparenz In der Führung geht es um Klarheit und Transparenz.

Wo soll das Schiff hin und hat es dafür die richtige Mannschaft? Habe ich die notwendigen Kompetenzen an Bord? Sind die Ziele, Rollen, internen Beziehungen und Abhängigkeiten geklärt und somit auch die Prozesse? Wer holt den Anker ein, wer hisst das Segel? Und wer überprüft kontinuierlich, ob die Mannschaft die richtigen Dinge richtig macht, damit das Schiff auf Kurs bleibt? Wer bewusst Umsetzungsverantwortung abgeben will, wer delegieren will und seine Mitarbeitenden empowern – zu Deutsch befähigen – will, der muss ihre Stärken, Schwächen, Ziele und Potenziale kennen. Wer selbstständige, eigenverantwortliche, zielorientierte Teams haben will, muss sie coachen, ausbilden, anlernen und befähigen – sei es mit eigener Kraft oder mit kompetenter Unterstützung. Sie als Führungskraft sind der Förderer des Prozesses, der verantwortet, dass die Maschinerie wenn schon nicht störungsfrei, so doch zumindest störungsarm arbeitet, dass die Prozesse laufen und positive, wertschöpfende Ergebnisse erzielt werden. Schon im Titel benutzen wir das Wort »Führung« – aber was ist Führung überhaupt?

10.3  Was ist »Führung« und was zeichnet sie aus?  |  187 

10.3 Was ist »Führung« und was zeichnet sie aus? Nach der Definition des Gabler Wirtschaftslexikons ist Führung »eine durch Interaktion vermittelte Ausrichtung des Handelns von Individuen und Gruppen auf die Verwirklichung vorgegebener Ziele; beinhaltet asymmetrische soziale Beziehungen der Über- und Unterordnung« (Bartscher, o. J.). So weit, so unklar. Das ist sauber definiert, aber ein wenig sperrig. Für mich ist Führung das Vorgeben einer Zielrichtung und gleichzeitig das Aufzeigen der begrenzenden Leitplanken: y Welches Ziel will ich erreichen? y Was ist der Handlungsspielraum? y Welche Kräfte, Mittel und Zeit habe ich zur Verfügung? Eine Führungskraft muss sich ihres Auftrags und der Aufgabe bewusst sein: y Welche Fähigkeiten und Fertigkeiten benötige ich? y Welche Kompetenzen fehlen mir? Wenn Sie trotz guter Selbstreflexion unsicher sind und die blinden Flecken der Selbstwahrnehmung vermeiden wollen, dann fragen Sie Ihre Mitarbeitenden, Chef:innen, Freunde, Verwandte, Bekannte oder Kolleg:innen. Deren Feedback kann oft sehr klar (und ernüchternd) sein. Einleitend schrieb ich bereits, dass das Kompetenzspektrum erfolgreicher Führungskräfte breit gefächert ist. Im Folgenden möchte ich Ihnen hilfreiche Kompetenzmodelle vorstellen.

10.3.1 Vom T-shaped- zum π-shaped-Modell »Niemand kann ein guter Leiter sein, wenn er alles selber machen will oder alle Anerkennung für sich haben will.« (Andrew Carnegie)

Kenntnisse breit fächern Man muss nicht alles über etwas, sondern etwas von allem wissen.

Gerade in Zeiten einer volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Welt ist das kundige Manövrieren in unbekannten Gewässern wichtig. Und dazu muss ich nicht nur mich selbst sehr gut kennen, sondern auch die Mannschaft, mit der ich segle.

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Wenn Sie als Führungskraft erfolgreich sein wollen, brauchen Sie das Verständnis von Zusammenhängen, grundlegende Managementkenntnisse und Führungsfähigkeiten. Eine sehr klare und deutliche Darstellung dieser drei Faktoren ist das π-Modell. Der 16. Buchstabe des griechischen Alphabets, der gleichzeitig als Kreiszahl, auch Ludolph’sche Zahl, bekannt ist, bildet geschrieben ein großes T mit ergänztem L ab. Dabei steht der obere Querbalken des »T« für die »Breite des Wissens« und der senkrechte Balken für die »Expertise in der Tiefe«. Ergänzen wir das »L« für »Leadership«, geht es um die Führungsfähigkeiten. Machen wir uns nichts vor: Dies ist ein unerreichbares Ideal. Aber es ist eine hervorragende bildhafte Darstellung dessen, was ich mit den Ansprüchen an eine Führungskraft verbinde. Und das Ziel ist es, diesem Ideal nahezukommen.

Wenn uns unsere persönlichen Defizite und Kompetenzlücken bewusst werden und wir diese nicht kurzfristig selbst schließen können, so ist es unsere Aufgabe, diese Kompetenzlücken im Sinne der Zielerreichung mit den individuellen Stärken im Team zu kompensieren. Dazu müssen wir wissen, welches Teammitglied diese Schwächen ausgleichen kann. Denn TEAM steht für: »Together everyone achieves more.« Gerade die Tiefe der Expertise, die Fachkenntnis, ist für Führungskräfte leicht durch Fachkräfte kompensierbar. Die Breite des Wissens und das Kennen von Zusammenhängen ist jedoch beim Führen von interdisziplinären Teams elementar. Ich muss die Kompetenzen, Ziele und Logiken der einzelnen Fachgebiete verstehen und als Führungskraft moderieren und harmonisieren können. Wenn ich Silos aufbrechen und Abteilungen vernetzen will, muss ich die Zusammenhänge der einzelnen Rollen, Funktionen und Prozessabhängigkeiten kennen und verstehen. Die Aufgabe der Führungskraft ist es also, die Menschen mit all diesen Kenntnissen in Richtung des gemeinsam gesteckten Ziels zu beweg… Nein – halt! Die Menschen bewegen sich von selbst. Sie sind intrinsisch motiviert und wissen, was sie zu tun haben. Doch oft kennen nur die Führungskraft und das jeweilige Teammitglied dessen individuellen Kompetenzen, Defizite,

10.3  Was ist »Führung« und was zeichnet sie aus?  |  189 

Stärken und Schwächen. Deshalb bedarf es der Führung und gezielten Vernetzung der Teammitglieder, um die notwendigen auftragsrelevanten Synergien zu erzeugen. Wenn Sie möchten, dass Ihr Team seinen Auftrag richtig erfüllt, müssen Sie es verstehen, die »relevanten Fäden« zu verbinden. Als Führungskraft müssen Sie zudem sicherstellen, dass Ihre Mitarbeiter:innen alles Notwendige zur Auftragserreichung haben: die Motivation, die Zeit, die Mittel und das notwendige Wissen. Als Führungskraft wissen Sie oft vieles nicht besser – aber Sie sollten wissen, wer es besser weiß. Das heißt, Sie müssen Ihre Mitarbeitenden kennen. Es geht um die Menschen. Einer Führungskraft muss es gelingen, die Kommunikationsbrücken zu schlagen und die Menschen zu vernetzen. Wenn man zwei oder mehr Kompetenzen an einem Tisch vereint, um ein gemeinsames Projekt zum Erfolg zu bringen, so sind den Teilnehmenden die unterschiedlichen individuellen Kompetenzen oft noch nicht bekannt. Die Aufgabe einer Führungskraft ist nun, die Verbindung herzustellen. Menschen sind selbstorganisiert. Wenn sie ihre Mission und ihren Auftrag kennen, werden sie in der Regel ihr Bestmöglichstes tun, um das gemeinsame Ziel zu erreichen – aber sie müssen wissen, wer mithilft, das Boot zu bauen, mit dem sie den Ozean überqueren wollen. Nun ist die Führungskraft gefragt, die unterschiedlichen Bereiche zu harmonisieren, sie zu führen wie ein Orchester – Kakophonie zu vermeiden und Harmonie zu erzeugen. Ziel ist es, die Teammitglieder auf den zur Auftragserfüllung notwendigen Wissensstand zu bringen: Was sind unsere Ziele, was sind unsere Rollen, wie sind die Verantwortungsbereiche?

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Der amerikanischer Politiker Robert McNamara sagte einst: »Das Management ist die schöpferischste aller Künste. Es ist die Kunst, Talente richtig einzusetzen.« (Ritz/Thom, 2018, S. 28) In gleichem Maße ist dies für Führungskräfte wichtig: Kenne deine Spieler und setze sie auf die richtige Position. Auch für Peter F. Drucker waren Personalentscheidungen elementar für den unternehmerischen Erfolg. Auf seine Kompetenzanforderungen an effektive Führungskräfte möchte ich im nächsten Abschnitt eingehen.

10.3.2 Wie werde ich eine effektive Führungskraft? Peter F. Drucker schrieb 2008 in seinem Buch »The effective executive« (Auszug in Drucker, 2008, S. 26), dass ein effektiver Manager in sechs Kompetenzbereichen brillieren muss: y bei der Entscheidungsfindung, y bei Personalentscheidungen, y in der Kommunikation, y bei der Budgetierung, y bei der Messung und Steuerung und y in der Informationskompetenz.

10.3  Was ist »Führung« und was zeichnet sie aus?  |  191 

Auch wenn Controlling nie meine favorisierte Managementdisziplin war, so ist sie doch eine der wichtigsten, um ein Unternehmen erfolgreich steuern zu können. Denn wenn ich etwas nicht messen kann, wie will ich es dann bewerten und steuern?! Wenn ich Unternehmenserfolg und damit auch Führungszahlen mess- und bewertbar machen möchte, muss ich mit Kennzahlen/ KPIs (Key Performance Indicators) arbeiten. Wenn ich weiß, wie ich es messe, stellen sich folgende Fragen: y Wie bereite ich Daten auf? y Wie werden aus Daten Informationen? y Wie erkenne ich relevante Schwellenwerte? y Wie gestalte ich die Komplexität übersichtlich? Und hier geht es eben auch um die Umsetzung durch das Visualisieren: y Nach welchen Regeln baue ich meine Kennzahlenübersichten auf? y Welche Darstellungsform ist die zweckmäßigste und zielführendste? y Wie erreiche ich den Empfänger so, dass er die Informationen optimal aufnehmen, verarbeiten und im Rahmen der kontinuierlichen Verbesserung umsetzen kann? Wozu visualisieren? Die Aufbereitung dieser Daten und deren Transformation zu Informationen, die leicht rezipierbar sind, ist Aufgabe der Visualisierung.

10.3.3 Die fünf Schlüsselkompetenzen Das π-Modell und Druckers sechs Kompetenzbereiche bieten einen guten Überblick über die erforderlichen bzw. erwünschten Fähigkeiten einer Führungskraft. Für diejenigen, die noch etwas genauer hinsehen möchten, finde ich das Modell des Kompetenzrades hilfreich. Stahl und Hillmer benennen in ihrem 2022 erschienenen Buch »Schlüsselkompetenzen in Führungs-und Projektarbeit« fünf Schlüsselkompetenzen als zusammenfassende Erfolgsfaktoren, die sich aus dem Wissen, den Fähigkeiten und den Fertigkeiten von erfolgreichen Führungskräften und Projektverantwortlichen ergeben (Stahl/Hillmer, 2022, S. 26). Mir gefällt dieses Modell sehr gut, denn es zeigt auf, in welchen Kompetenzbereichen uns Moderation und Visualisierung begegnen: y Die heuristische Kompetenz ist die Summe der persönlichen Problemlösungsverfahren, mit deren Hilfe neuartige, unübersichtliche oder schlecht definierte Situationen bewältigt werden können. Durch strukturierte Methoden des Design Thinking lassen sich gezielt Pro-

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bleme lösen. Eine von mir häufig genutzte Methode ist hierbei beispielsweise der morphologische Kasten und der Entscheidungsbaum. y Die intrapersonale Kompetenz ist kurz und knapp formuliert die Fähigkeit, sich selbst zu führen. Für mich spielt hier besonders die Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion hinein: Wo sind meine Stärken und Schwächen? Wo sind meine Defizite und Potenziale? Wo habe ich Fähigkeits-, Fertigkeits- oder Wissenslücken? Wo habe ich eine unbewusste Kompetenz, wo habe ich bewusste Inkompetenzen? Wo brauche ich mehr Selbstdisziplin und wo mehr Selbstmitgefühl? y Die interpersonale Kompetenz ist das Vermögen, mit unterschiedlichen Menschen, die zugleich auch meist unterschiedliche Rollen ausfüllen, wirkungsvoll zu interagieren. Gerade wenn wir interdisziplinäre, multikulturelle, multilinguale, diverse Teams zu führen haben, sind unsere empathischen und kommunikativen Fähigkeiten gefordert. Nur wenn es gelingt, zwischen persönlichen Konflikten und Zielkonflikten erfolgreich zu moderieren, kann ein Team aus der Storming- in die Normierungs- und damit Leistungsphase geführt werden. Hier sind wir als Führungskräfte in besonderem Maße gefordert.

10.3  Was ist »Führung« und was zeichnet sie aus?  |  193 

y Die interpretative Kompetenz ist die Antwort auf die Signalflut mithilfe von Achtsamkeit und überlegtem Denken. Sie hilft uns beim Umgang mit Widersprüchen, beim Einnehmen andere Perspektiven und beim Vermeiden der Multitasking-Falle. Gerade in der VUCA-Welt sind wir mit einer kaum zu bewältigenden Reiz- und Informationsflut konfrontiert, die indirekt proportional ist zu der Zeit, die uns zu Verfügung steht, um schnelle und klare Entscheidungen zu treffen. Das heißt, wir sollten mit psychologischen Denkfallen und dem Konzept des langsamen und schnellen Denkens von Daniel Kahneman (2011) vertraut sein (vgl. auch den Beitrag von Markus Ramming). y Die inszenatorische Kompetenz ist die Fähigkeit, Aufmerksamkeit bewusst auf sich zu ziehen und den Eindruck auf andere nicht dem Zufall zu überlassen, sondern zu steuern. Jeder schaut auf die Führungskraft: Wie ist sie gelaunt, wie ist sie gekleidet? Die Außenwirkung einer Führungskraft darf nicht unterschätzt werden. Nicht nur machen Kleider Leute, auch die verbalen, nonverbalen und paraverbalen Signale werden sehr fein wahrgenommen. Und wenn die Körpersprache inkongruent zum Gesagten ist, verlieren Mitarbeitende das Vertrauen. Als Führungskraft wollen Sie Wirkung entfalten. Wenn Sie als Moderator:in in einem Workshop agieren, werden alle Augen auf Sie gerichtet sein. Entweder man schreibt Ihnen Kompetenz zu – oder eben nicht. Erfolg ist wirkungsabhängig. »Die ganze Welt ist Bühne, und alle Frauen und Männer bloße Spieler …«, heißt es doch in Shakespeares »Wie es euch gefällt« (vgl. Stahl/Hillmer, 2022, S. 26) .

10.3.4 Wissensmanagement als Führungsaufgabe »Das Wissen muss ein Können werden.« (Carlo von Clausewitz) Jeder fünfte Arbeitgeber verzeichnet derzeit mehr freiwillige Kündigungen als vor der Pandemie. Eine hohe Mitarbeiterfluktuation ist für Unternehmen mit hohen Kosten und Wissensabwanderung verbunden. Die Fluktuationsrate in Deutschland liegt seit Jahren auf einem ähnlichen Niveau, nämlich bei knapp über 30 Prozent (Haufe Online Redaktion, 2022a; 2022b). In einer Wissensgesellschaft mit Wissensarbeitern ist Wissen ein zentrales Gut für die Wertschöpfung. Deshalb ist es wichtig, erfolgsrelevantes Wissen im Unternehmen zu halten. Wissen managen Das Management von Wissen ist eine essenzielle Führungsaufgabe.

Wer die Fähigkeiten seiner Mitarbeiter:innen nicht kennt, versäumt, diese zu nutzen. »Wissensmanagement beschäftigt sich mit dem Erwerb, der Entwicklung, dem Transfer, der Speicherung sowie der Nutzung von Wissen.« (Frost, o. J.)

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Gilbert Probst formulierte das erste Managementmodell, das Wissen im Unternehmen als einen Kreislauf versteht. In diesem integrierten Konzept dient die Ressource Wissen als »das ausschließliche integrierende Gliederungsprinzip« (Probst et al., 2003, S. 59). Zusammen mit den Kernprozessen (Wissensidentifikation, Wissenserwerb, Wissensentwicklung, Wissens(ver)teilung, Wissensbewahrung und Wissensnutzung) stellen die Bausteine Wissensziel und Wissensbewertung die Wissensaktivitäten dar.

Probst schreibt: »[Wissensmanagement ist die] Gesamtheit der Kenntnisse und Fähigkeiten, die Individuen zur Lösung von Problemen einsetzen. Dies umfasst sowohl theoretische Erkenntnisse als auch praktische Alltagsregeln und Handlungsanweisungen. Wissen stützt sich auf Daten und Informationen, ist im Gegensatz zu diesen jedoch immer an Personen gebunden. Es wird von Individuen konstruiert und repräsentiert deren Erwartungen über Ursache-Wirkungszusammenhänge.« (Probst et al., 2003, S. 49) »Ein guter Mensch bleibt Lehrling lebenslang.« (Marcus Valerius Martial)

10.4  Die Vorteile von Visualisierungen  |  195 

Wie kann es uns gelingen, in Zeiten hoher Komplexität, Schnelligkeit und personeller Fluktuation Wissen zu sichern? Wir müssen für die organisationale Resilienz unternehmensrelevantes Wissen auf unterschiedliche unternehmensinterne Wissensträger verteilen, Wissensbrücken schaffen und die Schwarmintelligenz nutzen. Es muss gelingen, dass aus Zeichen Daten, aus Daten Informationen, aus Informationen Wissen, aus Wissen Handeln, aus Handeln Kompetenzen und aus Kompetenzen die unternehmerisch relevante Wettbewerbsfähigkeit wird. Denn wie sagte bereits Francis Bacon: »Wissen ist Macht.« Dabei erfolgt das strategische Wissensmanagement top-down, also gezielt von der Führung geplant und gesteuert, und die operative Umsetzung bottom-up.

10.4 Die Vorteile von Visualisierungen Eine Führungskraft muss den Überblick über den zu führenden Bereich ebenso wie über die angrenzenden Interessen- und Anspruchsgruppen haben. Diesen Überblick muss sie sich verschaffen. Und hier kommen Visualisierungen ins Spiel, denn unser Gehirn liebt Bilder. Nicht umsonst sind die ältesten Höhlenmalereien über 30.000 Jahre alt und waren bereits vor den Schriftzeichen da.

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Bilder verankern Informationen emotional durch eine doppelte Codierung von Text und Bild. An eine Wort-Bild-Kombination können wir uns besser erinnern, wir verstehen Bildinhalte schneller und können damit leichter Zusammenhänge erkennen (vgl. Kleine Wieskamp, 2019). Nach einer Studie von Howard Gardner ist das visuelle Denken in der Bevölkerung zu 60–65 Prozent verbreitet. Neue Inhalte werden durch Visulisierungen viel besser aufgenommen und im Gedächtnis verankert (vgl. Altenbeck, 2020, S. 17). Studien beweisen, dass 50 Prozent der Lerninhalte besser im Gedächtnis bleiben, wenn sie gehört und visuell aufgenommen werden. Der Lernerfolg beträgt sogar 90 Prozent, wenn beim Lernen alle Sinne verbunden werden (vgl. Altenbeck, 2020, S. 17). Dies erreichen Sie, indem Sie sich neue Inhalte nicht nur durch das reine Lesen aneignen, sondern indem Sie sich diese aktiv erarbeiten, beispielsweise in Meetings und Workshops durch eigene Visualisierungen wie zum Beispiel Sketch­ notes. Dies bleibt in Erinnerung und lässt sich auch noch Wochen später im Gedächtnis abrufen.

Visuelle Informationen werden 60.000-mal so schnell verarbeitet wie ein Text. Das liegt daran, dass ein Bild »wie ein Schuss ins Gehirn ist«. Während Text erst decodiert, also gelesen werden muss, erzählen Bilder ganze Geschichten und lösen Emotionen aus, jedoch nur dann, wenn sie eine Verbindung zur eigenen Erfahrung und damit eine Beziehung zum Betrachter aufbauen (vgl. Altenbeck, 2020). Doch es ist nicht nur die schnellere Aufnahme von Informationen, die dafür spricht, als moderierende Führungskraft Zusammenhänge zu visualisieren. Folgende weitere sechs Punkte (vgl. Föhr, 2019, S. 6) sind maßgeblich:

10.4  Die Vorteile von Visualisierungen  |  197 

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Transparenz herstellen Komplexität reduzieren Partizipation ermöglichen Inhalte, Beiträge festhalten Informationen sortieren und strukturieren Wissen visualisieren

Transparenz herstellen Durch das Darstellen von Informationen schaffen wir Sichtbarkeit. Transparenz verbessert den Informationsfluss im Unternehmen, beschleunigt die Zusammenarbeit im Team, mindert die Fehleranfälligkeit bei Schnittstellen, ermöglicht flache Hierarchien und sorgt für eine angenehme Arbeitsatmosphäre. Transparenz schafft Vertrauen und ermöglicht es, Zusammenhänge zu erkennen und die richtigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.

Komplexität reduzieren Durch das visuelle Aufdröseln von komplexen Zusammenhängen in gut verstehbare Informationshäppchen mithilfe unterschiedlicher zweckmäßiger und geeigneter Formen wie Tabellen, Karten, Balkendiagramme, technische Zeichnungen etc. gestalten wir Greifbarkeit und schaffen Übersichtlichkeit. Damit reduzieren wir Komplexität, die den Prozess des Verstehens unnötig erschwert.

198  |  10  Führung mit Klarheit und Kreativität

Partizipation ermöglichen Durch die richtigen Werkzeuge wie mobile Pinnwände und Moderationskarten oder magnetische Whiteboards ermöglichen wir eine dynamische Mitgestaltung – und somit Partizipation und wahre Mitgestaltung nach dem Motto: mit-sehen – mit-denken – mit-bestimmen.

Inhalte, Beiträge festhalten Gleichzeitig gelingt es, Gesagtes, Erdachtes, Konzipiertes und Beschlossenes festzuhalten und damit zu dokumentieren. Es macht Erreichtes sichtbar, schafft Verbindlichkeiten und harmonisiert und definiert Erwartungen.

Info-Module sortieren Sortierung hilft uns, die Übersicht zu behalten. Informationen werden am richtigen Ort platziert: logisch und sinnvoll. Struktur bringt Ruhe, Gelassenheit und Sicherheit in unsere neuronale Verarbeitung. Struktur unterstützt unser psychisches Wohlbefinden. Muster erkennen Wir Menschen sind darauf ausgelegt, Muster zu erkennen.

Ein besonderer Mehrwert ist die Sichtbarkeit der angrenzenden Themenbereiche: Was plant die Personalabteilung? Welche Ziele hat der Vertrieb? Was plant das Produktmanagement und wie kann sich das Marketing mit seiner Kommunikation und Werbung darauf in seinen Kampagnen einstellen?

Wissen visualisieren Ein Großteil unseres Wissens ist in der Verschaltung unserer Neuronen versteckt und für niemanden sichtbar. Wenn wir das Unternehmen verlassen oder uns etwas zustößt, geht dieses wertvolle Wissen für das Unternehmen verloren. Es muss also im ureigensten Interesse einer Organisation sein, das kumulierte Wissen zu externalisieren, das heißt »vom Kopf auf das Papier« zu bringen und zu dokumentieren. Ich möchte dazu gern ein Beispiel bringen: In einer Aufgabe als Führungskraft war ich u. a. mit der Leitung einer Support-Hotline für eine Software betraut. Die Erreichbarkeit der Hotline entsprach nicht unseren eigenen intern gesetzten Vorgaben. Die Frustration bei den Kundenbetreuer:innen war hoch, weil es keine aufschlussreiche Datendokumentation und damit Transparenz zur Musterkennung über die Häufigkeit der Anrufe gab. Es gab Zeiten des Wartens und des Nichtstuns – und dann die Momente der kompletten Überforderung. Die Kund:innen beschwerten sich über die langen Wartezeiten und übertrugen ihren Frust auf die gestressten Mitarbeitenden.

10.5 Moderationskompetenz | 199 

Wir mussten also Daten erheben, analysieren und aufbereiten, um anschließend mit den Kundenbetreuer:innen Lösungen zu erarbeiten: Wer hatte wie lange mit wem zu welchem Kundenanliegen telefoniert? Zusammen mit meinem Leitungsteam erarbeitete ich eine Übersicht darüber, zu welchen Zeiten die Anrufe am häufigsten waren, welche Themen besprochen wurden und wie lange die einzelnen Anrufe dauerten. Wir bereiteten die täglich gesammelten Informationen mithilfe von Balken-, Linien- und Kreisdiagrammen grafisch auf. Es ging dabei darum aufzuschlüsseln, warum wir eine so hohe Belastung hatten, um dann teamübergreifend mit Entwicklung, Support, Vertrieb und Marketing Lösungen zu finden, um die Kundenzufriedenheit zu maximieren. Durch die Bereitstellung der Informationen konnten die Mitarbeitenden aktiv am Lösungsprozess teilhaben. Gleichzeitig wurden die Ergebnisse täglich dokumentiert, um langfristig – auch rückwirkend – die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung nachvollziehen zu können. Wir sammelten beispielsweise auch Informationen darüber, weshalb eine telefonische Unterstützung notwendig war, um daraus Arbeitsaufträge für die Entwicklungsabteilung abzuleiten. Neben der visuellen Aufbereitung eines solchen Dashboards ist auch die Kommunikation dieser Informationen an die Mitarbeitenden besonders wichtig. Es stellen sich Fragen wie: Wie finden wir gemeinsam Lösungen? Was sind die Ursachen? Was sind Lösungsmöglichkeiten? Neben den eigenen analytischen Denkprozessen ist das Führen durch Fragen hier der Schlüssel zur Lösungskompetenz. Führen durch Fragen Wer fragt, der führt. Und wer führen will, muss fragen.

Führungskräfte müssen an ihren Mitarbeiter:innen interessiert sein. Sie müssen von ihnen lernen und ihre Impulse aufnehmen wollen.

10.5 Moderationskompetenz »Werde also nicht müde, deinen Nutzen zu suchen, indem du anderen Nutzen gewährst.« (Marc Aurel) Eine Führungskraft verbringt einen Großteil ihrer Zeit in Meetings. Laut einer Umfrage der Hochschule Augsburg in Kooperation mit der borisgloger consulting GmbH verbrachten 2018 44,6 Prozent der Befragten 26–50 Prozent ihrer Arbeitszeit in Meetings und 24,3 Prozent sogar 51–75 Prozent (Rudnicka, 2022). Dieser Anteil an der Arbeitszeit eines Mitarbeitenden ist so hoch, dass sich unwillkürlich die Frage stellt, ob hier wirklich ein Großteil

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unserer Wertschöpfung als Wissensgesellschaft generiert wird – oder in großem Stil unternehmerische Ressourcen »verbrannt« werden. Um diese Frage beantworten zu können, werde ich im Folgenden mit Ihnen gemeinsam auf Voraussetzungen bzw. dazu grundlegendes Wissen schauen. Zunächst einmal ist es wichtig zu wissen, in welcher Art von Meeting wir uns befinden. Was lustig klingt, ist in der Praxis trauriger Alltag: »Ich habe eine Einladung zu diesem Meeting bekommen, weiß aber nicht, worum es geht und was ich hier soll.« Kommt Ihnen das bekannt vor? Ich habe das leider schon viel zu oft auf den Fluren von Unternehmen gehört. Welche Formen von Teammeetings sind wirklich nötig? Um effizient arbeiten zu können, haben sich beispielsweise folgende Meetingformen bewährt: Stand-up-Meetings, Onboarding-Meetings, Brainstorming-Meetings, Kick-off-Meetings, Feedback- und Retro-Meetings, Budget- und Finanzmeetings, Status-Update-Meetings und Entscheidungsmeetings. Wichtig ist es, bereits bei der Versendung einer Einladung zu erwähnen, um welche Meetingvariante es sich handelt. Den Empfängern ist dann deutlich klarer, welches Ziel ein anberaumtes Meeting verfolgt, wenn die Definitionen und damit verbundenen Erwartungshaltungen bereits kommuniziert wurden. Was ich in Meetings oft erlebt habe, war ein Trauerspiel – offensichtlich gibt es kaum eine Ausbildung, in der vermittelt wird, wie ein gutes Meeting moderiert werden sollte. Oft wird beispielsweise weder eine Zielsetzung noch ein erwartetes Ergebnis kommuniziert. Was sind die Kriterien einer erfolgreichen Moderation während eines Meetings? Da wären zu nennen: y Fokussierung auf das Thema y Führen durch Fragen y struktureller Blickwinkel y Beteiligung aller Anwesenden y Feedback geben und erhalten y konzeptioneller Blickwinkel y Zeitmanagement y Visualisierung y sozialer Blickwinkel In der folgenden Abbildung finden Sie eine kleine Hilfestellung zum Moderationsvorgehen und den damit verfolgten Zielen.

10.5 Moderationskompetenz | 201 

Fünf Kompetenzen sind für mich jedoch von besonderer Bedeutung (Thönnessen, 2019). Ich halte sie für zwingend notwendig, um Meetings erfolgreich durchführen zu können.

10.5.1 Zuhören können Zuzuhören ist tatsächlich eine Fähigkeit, die Sie als Führungskraft schnell verlernen. Oft müssen Sie aufgrund von eng gestrickten Terminplänen rasch Entscheidungen treffen, von Ihnen werden klare Ansagen verlangt. Sie sind es also gewohnt zu senden. Nach einer gewissen Zeit in der Führungsposition verlernen Sie einfach die Fähigkeit des Empfangens. Und damit meine ich die Fähigkeit, Inhalte, Bedürfnisse und Emotionen in Äußerungen wahrzunehmen. Denn oft versuchen Ihre Mitarbeitenden in den kurzen Ansprechzeiten, Ihnen etwas mit auf den Weg zu geben. Aber Sie bekommen es überhaupt nicht mit – und da spreche ich aus kritischer Selbstreflexion und Erfahrung. Und wenn Sie zuhören, hören Sie dann wirklich zu? Es gibt insgesamt zehn Formen des Zuhörens und davon sind nur vier empathisch und darum bemüht zu verstehen. Sechs sind antwortsüchtige, egoistische Formen des Zuhörens. Die vier empathischen Formen des Zuhörens sind: aufmerksam, aktiv, helfend und empathisch. Die sechs egoistischen Formen sind: vortäuschend, kürzend, selektiv, übertrumpfend, egoistisch und beratend (Jachtchenko, o. J.).

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Also sagen Sie nicht gleich: Klar höre ich zu. Wie oft hören wir nur zu, um etwas zu sagen? Also fragen Sie sich doch einmal, wie Sie hinhören? Hören Sie wirklich (empathisch) zu? Oder warten Sie nur auf Ihren Einsatz, um selbst etwas dazu zu sagen? »Das echte Gespräch bedeutet: Aus dem Ich heraus und an die Tür des Du klopfen.« (Albert Camus) Empathisch sein Folgen Sie dem Motto: hinhören, hinschauen, hinfühlen!

Dazu gehört eine entsprechende Haltung: Interessieren Sie sich als Moderator:in tatsächlich für die Bedürfnisse und Wünsche der Teilnehmer:innen? Nehmen Sie sie ernst, egal wie seltsam ihre Äußerungen im ersten Moment erscheinen? Dies hat sehr viel mit Respekt und Wertschätzung für andere zu tun. Wer dazu neigt, bei emotionalisierten »unsachlichen« Äußerungen die Augen zu verdrehen, hat gelinde gesagt Entwicklungspotenzial bei der Moderation. Oft bedarf es einer Klärung auf der Beziehungsebene, um auf der Sachebene ergebnisorientiert agieren zu können.

10.5.2 Kernbotschaften erfassen können Kernbotschaften zu erfassen bedeutet, das Wesentliche in Äußerungen verstehen und Dinge auf den Punkt bringen zu können. Moderierende Führungskräfte müssen sprachlich in der Lage sein,

10.5 Moderationskompetenz | 203 

Botschaften so kurz wie möglich, aber auch so umfassend wie nötig zusammenzufassen, in Worte zu kleiden. Können Sie paraphrasieren? Paraphrasieren bedeutet, einen sprachlichen Ausdruck verdeutlichend zu umschreiben, zu erklären oder mit anderen, eigenen Worten wiederzugeben. Wer dazu tendiert, Beiträge zu interpretieren und sein eigenes Verständnis eines Themas mit der Aussage zu vermischen, muss mit Widerstand rechnen. Wichtig ist, Aussagen so wenig wie möglich zu interpretieren und nur das Intendierte wiederzugeben. Eine wichtige Übung für das Paraphrasieren ist die mündliche Zusammenfassung einzuleiten mit: »Habe ich dich richtig verstanden, dass …?« Klarheit in der Kommunikation Klarheit und Verständnis sind der Schlüssel zu gelingender Kommunikation.

Allzu oft glauben wir, etwas »richtig« verstanden zu haben, und arbeiten dann mit den falschen Verständnisgrundlagen weiter.

10.5.3 Visualisieren können Visualisieren zu können bedeutet, Dinge und Sachverhalte knapp und anschaulich festzuhalten. Es gibt zahlreiche Untersuchungen, die zeigen, wie das Gehirn Informationen verarbeitet. Das Sehen ist unser stärkster Sinn, wenn es um die Aufnahme von Informationen geht – wir erinnern uns in Bildern. »Die besondere Bedeutung der visuellen Wahrnehmung für Menschen und andere Primaten kann man an der Größe und der Anzahl der an der Bildanalyse beteiligten Gehirnareale ablesen. Neben der primären Sehrinde, die etwa 15 % der gesamten Großhirnrinde ausmacht, wurden bisher mehr als 30 verschiedene visuelle Areale beschrieben. Insgesamt sind etwa 60 % der Großhirnrinde an der Wahrnehmung, Interpretation und Reaktion auf visuelle Reize beteiligt.« (Gegenfurtner et al., 2002) Deshalb ist das Erzählen von Geschichten so effizient – es erzeugt Bilder in den Köpfen der Zuhörer:innen. Wir erinnern uns mehr an Gesehenes als an Gehörtes, und wir erinnern uns noch mehr, wenn wir beteiligt sind. Moderative Führung ermöglicht es dem Team, sich auf verschiedene Weise zu engagieren; was wir tun, bleibt uns in Erinnerung. »Einmal sehen ist besser als zehnmal hören« sagt ein deutsches Sprichwort. Für eine:n Moderator:in ist es daher hilfreich, die Grundlagen der Visualisierung zu beherrschen. Vor allem skizzenhafte Notizen, die Sketchnotes, sind eine sehr einfache und wirksame

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Methode des Visualisierens. Wenn die Teilnehmer:innen ihre Äußerungen am Flipchart oder auf dem Bildschirm nicht wiedererkennen –weil sie entweder verkürzt und unvollständig oder am Wesentlichen vorbei formuliert wurden –, werden sie sich unverstanden fühlen und sich wehren, im schlimmsten Fall resignieren. Und dann entfernen sie sich von ihrer Auftragserfüllung. Um das zu verhindern, sind Ihre Werkzeuge als moderierende und visualisierende Führungskraft Flipcharts, Whiteboards, Moderationskarten und Stifte – und das Paraphrasieren. Es geht hierbei um Übersetzungskraft. Habe ich wirklich verstanden, was mir gesagt wurde? Durch das Visualisieren hole ich mir das erforderliche Feedback ein.

10.5.4 Auf Einhaltung der Spielregeln achten Um die Spielregeln einzuhalten, ist sowohl eine gewisse Gelassenheit als auch den Mut zur Konsequenz nötig. Dem oder der Moderierenden muss es gelingen, den zurückhaltenderen, introvertierten Teilnehmer:innen den gleichen Raum zu geben wie den sendungsstarken Ex­ trovertierten. Wer hier Scheu hat, andere freundlich, aber bestimmt an die Spielregeln wie beispielsweise Redezeiten zu erinnern, weil er fürchtet, dass diese sich bevormundet fühlen, wird vermutlich von dominanten Teilnehmern »überrollt« und weniger als kompetente Führungskraft wahrgenommen.

10.5 Moderationskompetenz | 205 

Regeln helfen auch Ihnen, als Führungskraft ernst genommen zu werden. Auf eine angemessene Verteilung der Redezeit der zum Thema Beitragenden ist zu achten, denn diese ist eine Form der Gerechtigkeit, Fairness und Wertschätzung allen Teilnehmenden gegenüber. »Fairness ist die Kunst, sich in den Haaren zu liegen, ohne dabei die Frisur zu zerstören.« (Gerhard Bronner)

10.5.5 Vertrauen in die Gruppe haben »Die größte Ehre, die man einem Menschen antun kann, ist die, dass man zu ihm Vertrauen hat.« (Matthias Claudius) Loszulassen ist meines Erachtens die schwierigste und wichtigste Voraussetzung für jeden, der erfolgreich Gruppen moderieren möchte. Wenn jemand moderiert und nicht daran glaubt, dass die Gruppe schon die beste Lösung finden wird, wird er versucht sein, sich selbst einzumischen, zu lenken und zu steuern, um das seiner Meinung nach beste Ergebnis zu erreichen. Es ist dieses absolute Vertrauen in die Intelligenz der Gruppe, die keine fachliche Unterstützung durch den Moderator benötigt. Dazu muss man es als Moderator:in häufig auch aushalten, wenn die Gruppe auf Umwegen zum Ziel kommt. Die Akzeptanz und Unterstützung der so erarbeiteten Lösungen ist jedoch deutlich nachhaltiger, da sie ja nicht von »oben« kommt, von allen getragen wird und die Teilnehmenden auf eine neue Stufe der Lösungskompetenz und damit der Befähigung bringt.

10.5.6 Divergieren und Konvergieren, um Ergebnisse zu erzielen Wenn Sie die eben genannten fünf Moderationskompetenzen beherzigen und verinnerlichen, können Sie Meetings und Workshops erfolgreich gestalten. Die Kunst der Moderator:innen liegt darin, Themenräume elegant zu öffnen und zu schließen, d. h. zu divergieren und zu konvergieren. Zeit – egal ob Lebens- oder Arbeitszeit – ist eine begrenzte Ressource und sehr wertvoll. Deshalb ist ein ökonomisch-rationales Bewusstsein und ein wertschätzender Umgang mit der Zeit unserer Mitmenschen wichtig: y Wie viel Zeit ist ein Thema »wert«? y Was sind die eigentlichen Ziele des Treffens? y Was sind die Erwartungshaltungen?

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y Sind alle Störungen beseitigt, die ein erfolgreiches Meeting verhindern? y Steht noch etwas ungesagtes, offensichtlich Kritisches (der sogenannte Elefant) im Raum? Dies sollte vorher geklärt sein, denn es gilt der Grundsatz: Störungen haben Vorrang. Wenn die genannten Fragen geklärt sind, widmen wir uns unserem inhaltlichen projekt- oder produktbezogenen Problemraum. Wenn wir uns inhaltlich in einem Problemraum bewegen, ist es wichtig uns mental zu öffnen und unser Blickfeld zu weiten. Wir öffnen uns – wir divergieren. Wir müssen versuchen, das Problem zu verstehen. Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel geben: Nehmen wir etwas, was vermutlich jede:r schon mal gebaut hat: einen Papierflieger – dieser ist ein Musterbeispiel für den Bau von Prototypen im Bereich der Produktentwicklung. Man arbeitet praktisch mit selbst gebastelten ersten Entwürfen. Unser Ziel ist es, ihn möglichst weit fliegen zu lassen. Dazu beobachten wir Prozesse, Abläufe und Verhalten beispielsweise von Vögeln. Wir schauen uns unterschiedlichste Vogelarten an. Dann führen wir zusammen, schließen Dinge aus und führen wieder zusammen – wir konvergieren. Wir definieren Hypothesen und legen unseren Standpunkt fest. Auf dieser Basis gehen wir in den Lösungsraum, sammeln und finden Ideen und bauen die ersten Prototypen. Aus diesen Erfahrungen heraus entwickeln wir die erfolgreichsten Modelle weiter und schließen gescheiterte aus. In der Testphase konvergieren wir weiter.

Diese Prozesse erfordern visuelle Dokumentation. Was sind die gelernten Schlüsselerkenntnisse, was führt zum Scheitern, was zum Erfolg? Je besser die Fähigkeit der Führungskraft ist, diese Prozesse zu begleiten, zu steuern und zu moderieren, desto erfolgreicher ist das Team und damit die Führungskraft selbst.

10.6  Die Kunst der Visualisierung: Dinge greifbar machen  |  207 

10.6 Die Kunst der Visualisierung: Dinge greifbar machen Gerade in kreativen Prozessen wie einem Brainstorming bin ich ein Freund des analogen Arbeitens. Moderne Technik ist großartig, und spätestens seit der Corona-Krise haben sich viele digitale Werkzeuge hervorragend entwickelt und bieten einen großen spielerisch-kreativen Freiraum. Nach meinem Dafürhalten stehen sie jedoch dem Potenzial und den Interaktionsmöglichkeiten eines gut ausgestatteten kreativen Workshop-Raums in einigem nach, was Energielevel und Partizipationsmöglichkeiten sowie soziale Dynamik betrifft. Hierbei geht es mir um die physische Interaktion mit Moderationskarten, selbstklebenden Haftnotizzetteln, Flipcharts und Whiteboards, die ein agiles und flexibles visuelles Festhalten und Strukturieren von Ideen ermöglichen. »Man trägt doch eine eigentümliche Kamera im Kopfe, in die sich manche Bilder so tief und deutlich einätzen, während andere keine Spur zurücklassen.« (Bertha von Suttner) Visualisierungen sind ausgesprochen wirkungsmächtig. Wir können verschiedene Ziele mithilfe von schnellen Skizzen und Visualisierungen verfolgen: y im Rahmen des Brainstormings viele Ideen skizzieren y ein gemeinsames Verständnis entwickeln y Abstraktes greifbar machen y durch gemeinsames Zeichnen einen Dialog herstellen y überraschende Lösungen durch Skizzen finden y Funktionen eines Prototyps zeichnen y Kundenerlebnisketten skizzieren und lebendig machen y methodisch gezielt die Stimmung auflockern oder Inhalte interessanter machen y die Geschichte lebendig gestalten Daher ist es wichtig, dass Sie sich als Führungskraft, dieser Wirkung bewusst sind, dem Ruf des Flipcharts folgen und zum Stift greifen!

Die Führungskraft greift zum Stift und wird zum Visual Facilitator »Der Mensch, das Augenwesen, braucht das Bild.« (Leonardo da Vinci) Sie haben sich nun also durchgerungen und einen Stift in die Hand genommen, sind sich aber noch nicht ganz sicher, was Sie als angehender »Visual Facilitator« damit tun sollen? Klären wir doch zunächst einmal die Begriffe:

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»Visual Facilitation« bedeutet übersetzt »visuelle Prozessbegleitung«. Doch was ist Facilitation? Der englische Begriff »visual« heißt »visuell, bildhaft« und »facilitate« heißt übersetzt »erleichtern, ermöglichen, fördern, unterstützen«. Die International Association of Facilitators sagt: »Facilitation ist die Kunst, die Kraft einer Gruppe durch Dialog und das Streben nach Klarheit zu erschließen, dabei die aktive Beteiligung zu ermöglichen und die Fülle verschiedener Perspektiven zu begrüßen und zu nutzen.« (Agonda, o. J.)

Visual Facilitation Bei der Visual Facilitation werden Gruppenprozesse begleitet und Prozesse, Inhalte und Ergebnisse in visueller Sprache, d. h. in Bild-Wort-Kombinationen erfasst.

Der Visualisierer hört zu, nimmt das Geschehen auf und bringt den Diskurs und seine Ergebnisse Schritt für Schritt live als Visualisierung zu Papier, Kernaussagen werden herausgefiltert. Als Moderator:in steuern Sie den Prozess durch Ihre Fragen. Sie laden zum Diskurs und zur Ideengestaltung ein. Die Visualisierung wirkt als Spiegel des Geschehens direkt auf den Gruppenprozess zurück.

10.7  Die Führungskompetenz der Zukunft – Facilitative Leadership  |  209 

Maps (Strategiebilder, Mindmaps) können als Dialogwerkzeug dazu eingesetzt werden, Prozesse spielerisch zu erproben oder Trainingsmaßnahmen im Rahmen von Veränderungsmanagement zu unterstützen. Ein weiteres Werkzeug der Visual Facilitation ist es, die Teilnehmer zur Visualisierung ihrer inneren Bilder anzuregen und anzuleiten. Für den Laien können die englischen Begriffe verwirrend sein. Die folgende Grafik beschreibt die Unterschiede zwischen Visual Facilitation, Graphic Recording und Sketchnotes. Der Visual Facilitator vereint in sich die Rollen des Facilitators und des Graphic Recorders.

10.7 Die Führungskompetenz der Zukunft – Facilitative Leadership »Die Führungskraft der Zukunft ist ein Facilitator.« (John Naisbitt) Im letzten Abschnitt habe ich Ihnen kurz die Verschmelzung von Moderation und Visualisierung vorgestellt. Dies ist für mich die Form der Führung, die meiner Meinung nach nötig ist, um in der volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen VUCA- und der brüchig-porösen (engl. brittle), ängstlichen und besorgten (engl. anxious), nicht-linearen (engl. non-linear) und unverständlichen und unbegreiflichen (engl. incomprehensible) BANI-Welt bestehen zu können. Wir brauchen Führungskräfte, die das dringend erforderliche Potenzial ihrer Mitarbeitenden durch einen partizipativen, integrativen Führungsstil freisetzen. Der Bedarf an diesen befähigenden Führungskräften wird steigen. Kommende Generationen (Generation Z und Alpha) werden Selbstbestimmung und Kompetenzerleben einfordern. Und dies erfordert einen Em­ powerment-orientierten Führungsstil. Dabei geht es um das Gefühl von y Bedeutsamkeit, y Kompetenz, y Selbstbestimmung und y Einfluss während der Arbeitstätigkeit der Mitarbeitenden. Dies wird vielfach als Ziel von New Work angesehen und ist mit Variablen wie Arbeitszufriedenheit, Arbeitsleistung, Innovationsverhalten und mehr psychischem Wohlbefinden verbunden (vgl. Schermuly, 2022). Facilitation ist meiner Meinung nach dabei die geeignetste Methode, um Mitarbeitende wahrhaft partizipieren zu lassen. Nach Scholz und Vesper ist Facilitation »… eine Denk- und Lebensschule, ein Handwerk und eine Kunst. Es ist etwas für Menschen, die sich für ihr eigenes Denken, ihre Wahrnehmungen und Interpretationen von Wirklichkeit interessieren (Denk- und Lebensschule), die praktisch veranlagt sind und

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konkrete Hinweise, Methoden und Tipps für dialog- und beteiligungsorientierte Veränderung und Transformation suchen (Handwerk), die das Leben selbst, ebenso wie ein Gruppenereignis oder ein stimmig entwickeltes Kollektiv als künstlerischen Akt begreifen und die diesen Aspekt noch mehr für sich herausarbeiten wollen (Kunst).« (Scholz/Vesper, 2022, S. 5) Facilitation hat einen starken Fokus auf Selbstführung und Selbstorganisation. Man (ver-)rückt den Fokus dabei auf Selbstführung. Und wer sich auf Facilitation und damit auf Selbstführung und Selbstorganisation einlässt, wird über Führung nachdenken und als Führungskraft erfolgreicher wirken können. Als Führungskräfte können wir die Vielzahl an Entscheidungen nicht mehr allein treffen – uns fehlt aufgrund der Marktdynamiken und der Komplexität der Zusammenhänge die Zeit, uns als Einzelperson eingehend mit den Themen zu befassen und so eine gute Entscheidungsbasis zu schaffen. Diese Entscheidungskompetenz müssen wir an die projektbezogenen Know-how-Träger transferieren und dürfen ihnen mit unserer Führungserfahrung beratend zur Seite stehen. Dadurch verbleibt die Führung im Rahmen von Facilitation mit seinen produktiven Ergebnissen in der Organisation, indem alle Teilnehmenden lernen und Führung nur temporär ausgeübt wird. Befähigende Führung ist unabhängig vom formalen Führungsauftrag eine Haltung. Scholz nennt fünf entscheidende Grundannahmen für Facilitatoren (vgl. Scholz/Vesper, 2022, S. 43): 1. Nichtwissen ist meine Ressource. Fragen sind mein Potenzial. 2. Es geht um gelingende Beziehungen. 3. Das Wissen ist in der Welt. 4. »Wir sind gleichwürdig.« 5. Jeder tut sein Bestes – immer. Für Facilitative Leader nennt er folgende Grundannahmen (vgl. Scholz/Vesper, 2022, S. 46): 1. Jeder Mensch führt sich selbst in voller Autonomie. 2. Veränderung ist zuerst Selbstveränderung. 3. Das Denken bestimmt das Handeln. 4. Change kann man nicht bestellen wie eine Pizza. 5. Co-Creation ersetzt Führung. Facilitation hilft dabei, unterschiedliche Perspektiven einzubeziehen und inspiriert zu Beiträgen. Meeting- oder Workshop-Teilnehmer:innen werden sich engagieren und begeistern, wenn sie ihre Beiträge auf dem Whiteboard oder den Pinnwänden sehen, wenn sich die einzelnen Punkte miteinander zu einem Gesamtbild verbinden, Probleme fokussiert oder Unstimmigkeiten sichtbar gemacht werden. Dieses Vorgehen schafft ein gemeinsames Verständnis, klärt Probleme, wenn sie auftauchen, und ermöglicht Gespräche über sensible Themen. Es hilft, Ideen, Innovationen und Lösungen zu entwickeln, und baut zeitgleich indirekt Beziehungen auf.

10.7  Die Führungskompetenz der Zukunft – Facilitative Leadership  |  211  Wirkung von Facilitative Leadership Mitarbeitende sehen, wie sie Teil eines Ganzen werden. Sie sehen ihren Beitrag zum großen Ganzen. Sie erleben Selbstwirksamkeit.

Führung, die facilitativ ist, ist eine Haltung. Führung ist eine zeitlich begrenzte Autorität, eine Verantwortung im Gruppenprozess, ein Zur-Verfügung-Stellen der eigenen Fähigkeiten, damit Kommunikation als stimmig erlebt wird und sich kollektive Weisheit zeigen kann. Dies verstehen die Menschen nicht theoretisch, sondern ganz praktisch. Die zusammengehenden Prinzipien der rotierenden Leitung und geteilten Verantwortung bilden den Kern für die später einzuholende Ernte der Führung. Die Hierarchie, die mit Facilitation kombiniert wird, erntet ein neues Führungsverständnis und -repertoire mitsamt seinen Richtungsentscheidungen, Konsequenzen und möglichen Wirkungen, die vom ganzen System her betrachtet werden. Teil der Ernte ist auch, dass Führung in der gesamten Organisation verteilt ist (vgl. den Beitrag von Tobias Krüger). Führungskräfte, die Facilitation erleben und die Denkschule, das Handwerk und die Kunst Stück für Stück in ihren Alltag integrieren, werden zu Facilitative Leadern. Sie verinnerlichen, dass Führungsarbeit nicht mit formalen Positionen verbunden ist und fortwährend auf allen Ebenen geschieht. Führung wird durch Facilitation zu einer dezentralisierten und reichlich vorhandenen Ressource in der Organisation (vgl. Scholz/Vesper, 2022, S. 416). Facilitative Leadership kann erlernt und entwickelt werden. Da immer mehr Millennials in die Arbeitswelt eintreten, wächst der Bedarf an ansprechenden, anspruchsvollen und gleichsam unterhaltsamen Meetings, und immer mehr Unternehmen erkennen den Wert der Moderation und richten interne Moderatorenpools und kreative Wirkungsräume ein. Visuelle Hilfsmittel helfen der Gruppe, besser zuzuhören, da deren Mitglieder auf zwei Kanälen – auditiv und visuell – empfangen. Sie binden auch die Gruppe ein und öffnen die Kommunikation, um zum eigentlichen Kern des Dialogs zu gelangen. Facilitative Leadership Facilitative Leadership ist eine Kompetenz, die Ihnen helfen kann, in so vielen Situationen Ergebnisse zu erzielen – sowohl in Ihrer Organisation als auch in Ihrem Privatleben. Moderation bedeutet, Menschen und Ideen zu verbinden und echte Ergebnisse zu erzielen.

Wenn befähigende Führung gelingt, eröffnet sie ungeheure Potenziale in einer Organisation und befähigt sie, im Rhythmus des Markts agiler und resilienter zu handeln. Gleichzeitig reduziert Facilitative Leadership die Verschwendung des menschlichen Potenzials, die mit klassischen Organisationsstrukturen und direktivem Management einhergeht, drastisch. So können Organisationen entstehen, in denen sowohl die Menschen als auch die Organisation gedeihen (Scholz/Vesper, 2022, S. 25).

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10.8 Was bleibt zu tun? Wenn Sie dieser Beitrag inspiriert hat, beginnt eine spannende Abenteuerreise. Diese beginnt bei Ihrer Haltung, Sie werden Interesse an den Methoden finden und werden Werkzeuge kennenlernen wollen. Meine Empfehlung? Fangen Sie klein an. Und laden Sie Ihre Mitarbeitenden auf diese gemeinsame Reise ein. Laden Sie durch Fragen zur Teilnahme ein, verwenden Sie Whiteboards, Post-its und andere Hilfsmittel, damit sich viele Menschen gleichzeitig einbringen können. Reduzieren Sie Ihre Redezeit und erhöhen Sie damit die Redezeit der Mitarbeitenden. Denken Sie über den Entscheidungsfindungsprozess und die zu treffenden Entscheidungen nach, stellen Sie heraus, welche davon verhandelbar sind und welche nicht. Sorgen Sie dafür, dass sich dies in einer veränderten Art der Informationspräsentation widerspiegelt. Erkunden Sie den Grad des Wunsches nach Selbstbestimmtheit und dessen Grenzen und sehen Sie, wie Ihre Mitarbeitenden durch die Anerkennung und Wertschätzung, die Sie ihnen durch die partizipativen Möglichkeiten der Mitbestimmung entgegenbringen, aufblühen. Denn: »Jemand, der wahrhaftig unterstützt wird, ist immer begabt, fähig, zuverlässig, selbstlos und hart arbeitend!« (Lee Lozowick, vgl. Agonda, o. J.) Und vergessen Sie nicht: Genießen Sie freudig die positive Organisationsentwicklung!

Literatur Agonda: Facilitation – Eigenständigkeit und Verantwortungsübernahme. o. J., online verfügbar unter: https://www.agonda.de/agonda/facilitation/facilitation.html (letzter Zugriff: 14.09.2022). Altenbeck, Angela: Berufsalltag effektiv gestalten. mitp Verlag, Frechen, 2020. Bartscher, Thomas: Führung. o. J., https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/fuehrung-33168 (letzter Zugriff: 1.7.2022). Clifton, Don: Entwickle deine Stärken. Campus Verlag, Frankfurt, 2007. Cohn, Ruth C.: Von der Psychoanalyse zur themenzentrierten Interaktion. Von der Behandlung einzelner zu einer Pädagogik für alle. Klett-Cotta, Stuttgart, 2016. Drucker, Peter F.: Management Band 1. Campus Verlag, Frankfurt, 2008. Föhr, Tanja: Moderationskompetenz für Führungskräfte. manager Seminare Verlag GmbH, Bonn, 2019. Frost, Jetta: Wissensmanagement. o. J., online verfügbar unter: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/ definition/wissensmanagement-47468 (letzter Zugriff: 15.9.2022). Gegenfurtner, Karl R.; Walter, Sebastian; Braun, Doris I.: Visuelle Informationsverarbeitung im Gehirn. In: Huber, Hans; Lockemann, Bettina; Scheibel, Michael (Hrsg.), Bild | Medien | Wissen. Visuelle

Literatur | 213  Kompetenz im Medienzeitalter. Kopaed, München, 2002, S. 69–88, online verfügbar unter: https:// www.allpsych.uni-giessen.de/karl/teach/aka.htm (letzter Zugriff: 12.12.2022). Haufe Online Redaktion: Mitarbeiterfluktuation mit Onboarding senken. 2022a, online verfügbar unter: https://www.haufe.de/personal/hr-management/fluktuation-wechselbereitschaft-derarbeitnehmer-steigt_80_193940.html#:~:text=Fluktuationsrate%20in%20Deutschland%20 2021&text=2019 %20lag%20die%20Fluktuationsrate%20der,(31 %2C2 %20Prozent) (letzter Zugriff: 15.9.2022). Haufe Online Redaktion: Mitarbeiterfluktuation in Deutschland steigt. 2022b, online verfügbar unter: https://www.haufe.de/personal/hr-management/fluktuation-wechselbereitschaft-derarbeitnehmer-steigt_80_193940.html (letzter Zugriff: 15.12.2022). Herzog-Braune, Danny: B2B-Marketing und -Vertrieb – lebendiger und emotionaler gestalten mit Visualisierung. 2020, online verfügbar unter: https://www.marconomy.de/b2b-marketing-undvertrieb-lebendiger-und-emotionaler-gestalten-mit-visualisierung-a-964977/ (letzter Zugriff: 14.9.2022). Hutchins, D.; Hoshin, Karin: The strategic approach to continuous improvement. Routledge, London, 2008. Jachtchenko, Wladislaw: 10 Stufen des Zuhörens: Die eigene Zuhörkompetenz ausbauen. Material zum LinkedIn-Kurs, o. J., online verfügbar unter: https://www.linkedin.com/learning/ die-10-stufen-des-zuhorens-die-eigene-zuhorkompetenz-ausbauen/zuhoren-konnen-lasst-sichlernen?autoplay=true (letzter Zugriff: 1.7.2022). Kahneman, Daniel: Schnelles Denken, langsames Denken. Siedler Verlag, München, 2011. Kleine Wieskamp, Pia: Visual Storytelling im Business. Hanser Verlag, München, 2019. Landes, Miriam; Steiner, Eberhard; Utz, Tatjana: Kreativität und Innovation in Organisationen. Impulse aus Innovationsforschung, Management, Kunst und Psychologie. Springer Gabler, Berlin, 2022. Lewrick, Michael; Link, Patrick; Leifer, Larry (Hrsg.): Das Design Thinking Playbook. Vahlen, München, 2017. Liljeberg, Mia: Graphic Facilitation + Facilitative Leadership = Sustainable Results. 2016, online verfügbar unter: https://www.iaf-world.org/site/global-flipchart/5/graphic-facilitation (letzter Zugriff: 15.9.2022). Malik, Fredmund: Führen, Leisten, Leben. Campus Verlag, Frankfurt, 2006 . Nissen, Regina: Moderation. https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/moderation-38919 (letzter Zugriff: 1.7.2022) Oetinger, Bolko von; Ghyczy, Tiha von, Bassford, Christopher: Clausewitz – Strategie denken. Carl Hanser Verlag, München, 2001. Probst, Gilbert; Raub, Steffen; Romhardt, Kai: Wissen managen. Wie Unternehmen ihre wertvollste Ressource optimal nutzen. Springer Gabler, Wiesbaden, 4. Auflage, 2003. Ritz, Adrian; Thom, Norbert: Talent Management. Springer Gabler Verlag, Wiesbaden, 2018. Rudnicka, J.: Wie viel Prozent Ihrer Arbeitszeit verbringen Sie in Meetings? Umfrage zum Anteil von Meetings an der Arbeitszeit 2015 und 2018. 2022, online verfügbar unter: https://de.statista.com/ statistik/daten/studie/954463/umfrage/umfrage-zum-anteil-von-meetings-an-der-arbeitszeit/ (letzter Zugriff: 15.9.2022).

214  |  10  Führung mit Klarheit und Kreativität Schermuly, Carsten: New Work Utopia. Zukunftsvision einer besseren Arbeitswelt. Haufe, Freiburg, 2022. Scholz, Holger; Vesper, Roswitha: Facilitation. Dialog – und handlungsorientierte Organisationsentwicklung. Vahlen, München, 2022. Stahl, Heinz K.; Hillmer Gerhard: Schlüsselkompetenzen in Führungs- und Projektarbeit. Haufe, Freiburg, 2022. Techniker Krankenkasse: TK-Stressstudie 2021, Kernaussagen, online verfügbar unter: https:// www.tk.de/resource/blob/2116614/f99574fe38533c89a587f01289e9027b/2021-kernaussagenstressstudie-data.pdf (letzter Zugriff: 1.7.2022) Thönnessen, Johannes: Moderationskompetenz. Was sollten Menschen mitbringen, die anderen helfen, in Teammeetings ihre Ziele zu erreichen? Managementwissen online, 13.7.2019, online verfügbar unter: https://managementwissenonline.de/artikel/moderationskompetenz (letzter Zugriff: 1.7.2022).

Über Danny Herzog-Braune Ich begeistere mich für die Themen Führung, Kommunikation und Visualisierung, seit ich denken kann. Deshalb arbeite ich leidenschaftlich gern in meinen Rollen als Führungskräftetrainer, Managementberater, Visualisierungsexperte und Resilienzberater in Deutsch und Englisch. Ich bin Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Managementberatung Paperwings Consulting GmbH und Mitgründer von Resilienz Consulting. In München studierte ich bis 2007 an der Universität der Bundeswehr Staats-und Sozialwissenschaften und an der Julius-Maximilians-Uni© Ralf Cornesse versität in Würzburg erlangte ich 2012 meinen Master of Business Administration mit Auslandsaufenthalten an der Lutgert Business School, der Florida Gulf Coast University und der Boston University an der School of Management mit dem Schwerpunkt »Unternehmensführung und Wissensmanagement«. 2020 begann ich in der Corona-Krise mit meinem erfolgreichen »Paperwings Podcast«, in dem ich weit über 100 Interviews mit Expert:innen zum Thema Führung führte. Zum Podcast: https://paperwings-consulting.de/paperwings-podcast/ Unter meinem Klarnamen Danny Herzog-Braune bin ich u. a. auf Xing und LinkedIn oder unter [email protected] erreichbar.

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11 Rolle, Haltung, Wirkung – Führung im Kontext von Team- und Kommunikationskultur Sabine Milowan »Führen heißt nicht, über den Dingen zu stehen, sondern mittendrin – und manchmal drunter, drüber oder draußen. Der Dynamik komplexer Systeme lässt sich nur mit Beweglichkeit begegnen.« (Sabine Milowan)

Auf einen Blick: Worum es in diesem Beitrag geht Führung ist ein großes Thema. Es gibt so viele Ansätze, Modelle, praktische und theoretische Zugänge und Empfehlungen, und aus allen lässt sich etwas lernen. Lernen lässt sich auch jeden Tag aus der Praxis: Hier bildet sich der persönliche Führungsstil erst heraus. Denn gute Führung ist immer »individuell«. Deshalb möchte ich hier einen Einblick geben – in meine Praxis und das, was ich daraus an Empfehlungen weitergeben kann. Es ist ein gelebtes Verständnis von Führung in einem werteorientierten Umfeld, das sich einem Leitbild genauso verpflichtet fühlt wie den Menschen, die mit uns arbeiten.

11.1 Führung – eine Frage der Perspektive Als ich gefragt wurde, ob ich einen Beitrag für den Herausgeberband »Was Führung heute wirklich braucht« schreiben würde, habe ich ohne Zögern zugesagt. Klar, dachte ich, dazu kann ich aus der Praxis bestimmt etwas beitragen. Schließlich hat mich das Thema Führung, insbesondere aus dem Blickwinkel der Kommunikation, mein gesamtes Berufsleben hindurch begleitet. Bis heute. Führung als Kommunikationsaufgabe – dazu konnte ich im Laufe der Jahre viele und immer wieder andere Perspektiven gewinnen und gestalten: in (Führungs-)Positionen in unterschiedlichen Unternehmen, im Messe- und Projektgeschäft, als ehrenamtliche Vorstandsvorsitzende eines gemeinnützigen Trägervereins, als freiberufliche Kommunikationsberaterin und systemisch ausgebildete Coachin. Und seit fünf Jahren in meiner Rolle als »Führungskraft« in einer werte- und leitbildorientierten unabhängigen, nicht unternehmensgebundenen Stiftungsgruppe mit vielschichtigen Aufgaben, die ebenso interessant wie herausfordernd sind. Je mehr ich darüber nachdachte, wie ich einen guten Einstieg in das Thema finden, ja, eine Ordnung, einen roten Faden in meine Perspektiven und Erfahrungen bringen könnte, desto mehr kam ich ins Grübeln: Führung – was heißt das überhaupt? Was genau verbinde ich persönlich

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und in meinem aktuellen Kontext damit? Wer oder was führt, wer lässt sich führen? Wer beurteilt das? Wer hat etwas davon? Wozu ist das überhaupt wichtig? In der Literatur zum Thema Führung und Persönlichkeitsentwicklung werden Modelle, Managementtheorien, Konzepte und Führungsstile beschrieben, die einen Orientierungsrahmen für (angehende) Führungskräfte bieten sollen und können. Je nach Blickwinkel und Modell stehen verschiedene Persönlichkeitsmerkmale, soziale Kompetenzen und Strategien im Vordergrund, die eine Führungskraft haben oder entwickeln kann, um erfolgreich zu sein. Doch wie gelingt es, sich in diesem Szenario zurechtzufinden, wo fängt Führung an, wo hört sie auf? Woher weiß ich, ob ich den »richtigen« Führungsstil habe – für mein Unternehmen, für mein Team und für mich selbst? In meiner Wahrnehmung und aus meinem Erfahrungshintergrund ist Führung immer mehr als das Zusammenspiel bestimmter Persönlichkeitsmerkmale und Charaktereigenschaften – es ist eine Frage von Kontext und Resonanz. Resonanz (lat. resonare: widerhallen, ein Echo finden, ertönen, erklingen) als Widerklang von Schwingungen, Tönen, Stimmungen und Gefühlen ist ein wesentlicher Aspekt von Kommunikation und ein Grundprinzip von Menschen und Beziehungen. Der Volksmund sagt: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Doch wer oder was ist eigentlich »der Wald«? Und was, wenn aus dem Wald gar nicht das Erwartete schallt, sondern etwas anderes als das, was wir glauben, hineingerufen zu haben? Fragen, die mich in meiner Rolle als Führungskraft und Kommunikatorin stetig begleiten. Führen bedeutet für mich nicht, über den Dingen zu stehen – sondern mittendrin. Beweglichkeit in der Struktur (aus Menschen, Anforderungen, Entwicklungen) und Dynamik spielen eine wichtige, ja die entscheidende Rolle. In diesem Sinne verstehe ich meinen Beitrag als Spiegel meiner Erfahrung, als persönliche Sammlung von Perspektiven auf das Thema Führung und Kommunikation – und als Teilchen im lebendigen Kaleidoskop des Zusammenwirkens und -handelns unterschiedlicher Persönlichkeiten.

Montag Stiftungen und Montag Stiftung Denkwerkstatt Der berufliche Kontext, in dem ich mich bewege, ist die Montag Stiftung Denkwerkstatt, die ich leite. Zu meinem festen internen Team gehören fünf Mitarbeitende, darüber hinaus führe und koordiniere ich je nach Projekt unterschiedliche multiprofessionelle Teams aus externen Projektpartner:innen und Stiftungskolleg:innen. Als Verantwortliche für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bin ich außerdem übergeordnete Ansprechpartnerin für die interne und externe Kommunikation der Stiftungsgruppe. Die Montag Stiftungen, benannt nach ihrem Gründer Carl Richard Montag, sind eine unternehmensunabhängige gemeinnützige Stiftungsgruppe in Bonn. Sie eint die ethische Grundhaltung des Stifters und das gemeinsame Leitbild: Handeln und Gestalten in sozialer Verantwortung. Die Menschen, die hier arbeiten, verfügen über vielfältige, umfangreiche und praktische Er-

11.2  Wirken (und Führen) in komplexen Wirklichkeiten  |  217 

fahrungen aus unterschiedlichen Berufsfeldern. Wesentliche Werte der Montag Stiftungen sind gesellschaftliche Teilhabe und Inklusion. Die Einzelstiftungen der Gruppe sind jeweils rechtlich und operativ eigenständig und projektbezogen aktiv in verschiedenen Handlungsfeldern: y Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft: Pädagogische Architektur, Bildung im digitalen Wandel, inklusive ganztägige Bildung y Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft: Teilhabe in der Kunst y Montag Stiftung Urbane Räume: chancengerechte, gemeinwohlorientierte Stadtteilentwicklung »Meine« Stiftung, die Montag Stiftung Denkwerkstatt, hat eine besondere Rolle innerhalb der Stiftungsgruppe. Sie unterstützt die Carl Richard Montag Förderstiftung als Impulsgeberin und Ideenschmiede und verantwortet die Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit der Stiftungsgruppe. Darüber hinaus erfüllt sie satzungsgemäß die Aufgabe, gesellschaftlich relevante, zukunftsweisende Themen aufzuspüren, den konstruktiven Austausch mit Menschen aus unterschiedlichen Lebenswelten zu suchen und soziale Veränderungsprozesse anzustoßen. Die Montag Stiftung Denkwerkstatt konzipiert, moderiert und organisiert Veranstaltungen, Dialogforen und Werkstätten für unterschiedliche Teilnehmerkreise, für Expert:innen verschiedener Fachgebiete ebenso wie für die allgemeine Öffentlichkeit. Sie fördert Perspektivenvielfalt und Teilhabe an demokratischen Prozessen und gibt Impulse für soziale Veränderungen – z. B. durch partizipative Veranstaltungen und prozessorientierte, deliberative Beteiligungsformate der direkten Demokratie und zivilgesellschaftliche Initiativen, wie z. B. den Bürgerrat Bildung und Lernen.

11.2 Wirken (und Führen) in komplexen Wirklichkeiten Die Handlungsfelder der Montag Stiftungen sind komplex: Es geht um Menschen und soziale Systeme. Und es geht um die Orte, an denen Menschen wohnen, leben, arbeiten und lernen. Ebenso anspruchsvoll ist die Aufgabe, mit dieser Komplexität umzugehen, sie zu beschreiben und zu reflektieren. Und auch das zu erzählen, was nicht objektiv messbar ist, was sich der Wahrnehmung entzieht – was aber wert ist, gesehen und erzählt zu werden, weil auch das eine Wirkung hat. In der Montag Stiftung Denkwerkstatt haben wir dazu im Team über mehrere Jahre eine »Handreichung zum Umgang mit Wirkung und Evaluation in der Stiftungsgruppe« entwickelt mit dem Titel »Wirken in komplexen Wirklichkeiten« (Montag Stiftung Denkwerkstatt, 2021). Diese Handreichung definiert, wie wir unsere Arbeit gemeinsam reflektieren, evaluieren und weiterentwickeln wollen. Gleichzeitig dient sie als Orientierungsrahmen und damit als erweitertes Leitbild für alle Führungskräfte, Mitarbeitenden, Kooperationspartner:innen und alle Menschen, die mit den Montag Stiftungen zusammenarbeiten.

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In dieser Handreichung ist explizit auch unser Führungsverständnis formuliert: »Wir denken und handeln kooperativ – und über hierarchische Strukturen hinaus. Unsere Arbeit und unsere Kommunikation finden zwischen Menschen statt, nicht zwischen Positionen. Bestehende Hierarchien sind für uns keine Barrieren, sondern Strukturen, in denen wir organisiert und wertschätzend mit anderen arbeiten. Wir gehen mit hohem Anspruch an unsere Aufgaben heran. Wir verstehen etwas von der Sache und setzen uns jenseits von Statushierarchien in Verbindung mit den Orten des größten Sachverstands, an denen im Moment das beste Wissen und die beste Expertise vorhanden sind.« (Montag Stiftung Denkwerkstatt, 2021, S. 16) Wie die Evaluation unserer Arbeit lässt sich auch Führung als eine komplexe und vielschichtige Aufgabe in einem dynamischen Gesamtkontext beschreiben. Die Freiheit eines lebendigen Systems ist dabei immer eine Größe, die wir mitdenken. Jenseits verbreiteter, vereinfachender und linear-kausaler Vorstellungen von Kontrolle, Quantifizierbarkeit und Effizienzsteigerung prägen Ergebnisoffenheit, Experimentierfreude, Intuition und manchmal auch »Scheitern« diese Tätigkeit. Dabei geht es darum, »im Prozess der Umsetzung nach den tragenden Faktoren der Situation zu suchen und diese in die Weiterentwicklung einzubeziehen. Der Fokus liegt auf dem Gewinn von Erkenntnissen über die eigenen Einfluss- und Steuerungsmöglichkeiten« (Montag Stiftung Denkwerkstatt, 2021, S. 22). Unerwartete Entwicklungen von außen (aktuelle Beispiele: Pandemie, Krieg und Wirtschaftskrise) können jederzeit ein Neudenken erfordern. Einzelne in einem Kontext geplante Schritte können sich wiederholen, mal länger, mal kürzer sein, parallel verlaufen, übersprungen, abgebrochen und neu begonnen werden. Der Dynamik komplexer Systeme lässt sich nur mit Beweglichkeit begegnen. Das heißt zum Beispiel, im Prozess flexibel umzudisponieren, wenn sich abzeichnet, dass ein definiertes Ziel, eine Maßgabe nicht oder nur schwer erreichbar ist. Oder zu hinterfragen, ob das anfangs definierte Ziel überhaupt noch passt. Und es heißt auch, auf die Dynamik eines Prozesses zu vertrauen. »Dem Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße« lautet ein geflügeltes Wort von Martin Walser. Mit jedem Schritt entsteht erst der Weg, den wir gehen – und mit jedem Schritt können wir über diesen Weg selbst (und immer wieder neu) entscheiden. Das ist auch nötig, wenn man andere als die bekannten Pfade gehen will. Und jetzt? Gestaltungsfreiräume, Dynamik, Beweglichkeit – wo sind in diesem komplexen Umfeld die Fixpunkte, die uns Orientierung geben?

11.3 Das Leitbild als Orientierungsrahmen Wie viele Unternehmen haben auch die Montag Stiftungen ein Leitbild. Die »Charta der Carl Richard Montag Förderstiftung« (Montag, 2021) begründet ausführlich das gemeinsame Selbstverständnis und die Haltung der Stiftungsgruppe, die sich auswirken auf die Rollen und Funktionen aller Mitarbeitenden. Der Stiftungsgründer Carl Richard Montag hat diese Charta selbst geschrieben, um eine gemeinsame Haltung für seine Stiftungen auch für die Zukunft zu ermöglichen. Er begründet seine vom Grundgesetz gegebene Verantwortung (»Eigentum verpflich-

11.3  Das Leitbild als Orientierungsrahmen   |  219 

tet«) und fordert von den Stiftungsmitarbeitenden, insbesondere von den Führungskräften, kreatives Denken, eine unvoreingenommene Herangehensweise und innovative Lösungen, die den Menschen und der Gemeinschaft dienen.

Unter »Haltung« sind in dieser Charta acht Grundsätze definiert und beschrieben, die allen Mitarbeitenden einen Orientierungsrahmen für die tägliche Arbeit geben. Die Begriffe, die hier fallen, sind die Basis nicht nur für unsere Stiftungsarbeit, sondern auch für unser Verständnis von Führung (Montag, 2021, S. 16–17): y Konsequente und gut ausgehandelte Sachorientierung aktuelle Probleme erkennen, Orientieren am Bedarf, kritisches Zuhören und Hinterfragen: Helfen die Aktivitäten den Menschen wirklich? y Persönliche Identifikation Initiative zeigen und bereit sein, Risiken einzugehen – hohe Ansprüche an die Qualität stellen und die Wirkung überprüfen

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y Bewusste Verantwortungsübernahme Einstehen für die Konsequenz des eigenen Handelns, konfliktfähiger und verlässlicher Partner sein, Hindernisse überwinden, Wege aufzeigen, gegen den Strom schwimmen y Transparentes Handeln offenen und kritischen Dialog mit Beteiligten und Partnern führen, Grundlagen und Prämissen von Entscheidungen offenlegen y Offene Denkweise gewohnte Denkmuster verlassen, beim Erkennen unvorhergesehener Probleme auch neue Inhalte und Themen in den Blick nehmen, innovative Lösungen entwickeln y Kooperatives Verhalten respektvoll miteinander umgehen, konstruktive Zusammenarbeit pflegen, am gemeinsamen Nutzen orientieren, unterschiedliche Ansichten offen diskutieren, Anliegen fair verhandeln y Gemeinsame Lösungsorientierung gemeinsam zu alltagstauglichen Lösungen beitragen, auch kontroverse Entscheidungen pragmatisch aushandeln – mit positivem Denken und dem Sinn für einen demokratischen Konsens y Nutzenorientierte Wissensvermittlung Innovationsprozesse aus dem Bearbeiten von Aufgaben zurückfließen lassen in die gemeinsame Arbeit, in Stiftungsprojekten erworbenes Know-how zur Verfügung stellen und zur Verbreitung öffentlich machen

11.4 Wie kommt das Leitbild in die Praxis? Schon die Erarbeitung des Leitbilds, die Verständigung auf gemeinsame Werte, ist komplex. Noch vielschichtiger gestaltet sich die Umsetzung in die Praxis. Wie einfach wäre es, wenn man das Leitbild – fertig formuliert und schön gestaltet – verteilen und davon ausgehen könnte, dass alle es übernehmen und automatisch danach handeln. Ähnlich einem Gütesiegel oder einem Zertifikat, das einmal vergeben wird und dann auf unbestimmte Zeit seine Gültigkeit behält, ohne hinterfragt zu werden. Aber so einfach ist es nicht. Ein Leitbild ist jeden Tag mit Leben zu füllen, zuallererst von denen, die sich als Führungskräfte verstehen und in dieser Rolle wahrgenommen werden. Die jeweils operativ und rechtlich eigenständigen Montag Stiftungen sind vereint durch das gemeinsame Leitbild und die dort verankerten Werte und Handlungsleitlinien. Aber es liegt auf der Hand, dass die praktische Umsetzung und die Ausrichtung im Hinblick auf Priorität und Bedeutung von Themen variieren, je nach Projekt, Teamzusammensetzung, internen und externen Aufgaben und täglichen Herausforderungen. Im Vordergrund steht daher die Frage: Wie lässt sich das Leitbild im Sinne einer werteorientierten Kommunikationskultur vermitteln und im Alltag leben – und das in einem gemeinschaftlichen Prozess?

11.5  Perspektiven aus der und für die Praxis  |  221 

Das ist eine Aufgabe für jeden Tag, die ich bewusst in die Reflexion meines Arbeitsalltags einbaue. Zusätzlich lohnt es sich, Anlässe zu schaffen, um über das gemeinsame Selbstverständnis auch gemeinsam nachzudenken. Wir treffen uns zum Beispiel regelmäßig in stiftungsübergreifenden Workshops, in Kommunikationskreisen, in Feedbackrunden und bei gemeinsamen Exkursionen, um unsere Arbeit zu reflektieren. Dabei geht es nicht darum, uns gegenseitig erfolgreich umgesetzte Projekte vorzustellen, sondern im Sinne der Wirkungsorientierung gerade auch darum, als problematisch empfundene Aspekte aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten und zu diskutieren – und das Leitbild auf dieser Basis gemeinsam weiterzuentwickeln. »Bei der Praxis muss ich anfangen, wenn ich auf die Haltung ziele, und nicht bei der Haltung. Andere Praxis führt zu anderem Handeln, führt zu anderer Haltung und führt zu einer anderen Kultur.« (Imhäuser, 2016, S. 13)

11.5 Perspektiven aus der und für die Praxis Was Führung heute wirklich braucht, darauf gibt es viele Antworten. Für mich gehört dazu vor allem die Offenheit, sich mit der ganzen Persönlichkeit auf die eigene Führungsrealität einzulassen. Das heißt, die eigenen Werte, die eigene Grundhaltung zusammenzubringen mit denen der Organisation, in der ich arbeite, und mit den Menschen, für die ich mich als Führende verantwortlich fühle. Aus meiner Praxis möchte ich einige Perspektiven besonders hervorheben: Sie sind meine persönlichen Empfehlungen aus der und für eine Führungspraxis, die sich an einem gelebten Alltag, an Werten und am Menschen orientiert.

Lernen und Voneinander-Lernen Führung ist kontextbezogen – man führt nicht andere, sondern ist Teil des Kontexts, in dem man führt und (durch andere) geführt wird. Wenn Führung konsequent als Austausch, Kommunikation, Lernen von und mit anderen verstanden wird, ist Führung eine Gemeinschaftsaufgabe. »Gegenseitiges Lernen ist nur dann möglich, wenn alle Beteiligten bereit sind, sich zu irren, (…) zu lernen, neue Ideen zu erkunden, den geplanten Weg und das bekannte Terrain zu verlassen, sich gemeinsam vorzutasten in die geheimnisvollen Winkel neuer Ideen, neuer Pläne, neuer Gebiete. Das ist nicht möglich, wenn eine Person die Allwissende ist. Selbst wenn diese Person perfekte ›Führungsqualitäten‹ hat – ihr Individualismus bringt die Ökologie des Systems durcheinander.« (Bateson, 2016, S. 84, eigene Übersetzung) Wenn ich mich als Führende in einem lernenden Team, in einer lernenden Organisation verstehe, gehört dazu, dass ich selbst auch jeden Tag dazulernen kann und will. Lernen ist Teil der

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Kultur. Dabei geht es nicht nur um die Bereitschaft, Neues (von anderen) aufzunehmen und die eigene Arbeit weiterzuentwickeln, sondern auch darum, aktiv Gelegenheiten zu schaffen, um diese Kultur zu leben.

Bereit-Sein für Unerwartetes – in den Prozess vertrauen Ein Prozess verläuft selten linear und der Weg zum Ziel in der Regel nicht geradlinig. Der Weg ist möglicherweise verschlungen, führt über Umwege oder Abkürzungen, über Berge und durch Täler, über holprige Pfade oder Schnellstraßen. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, achtsam und sensibel zu sein, auf Unerwartetes gefasst zu sein und – um im Bild zu bleiben – bei Bedarf die Gangart, das Tempo oder das Transportmittel zu wechseln. Gerade aus dem Unerwarteten können sich neue Ansatzpunkte ergeben, die über das Bekannte und Geplante hinausweisen. Umwege können zu Abkürzungen werden, Abkürzungen zu Sackgassen, und in kleinen Schritten geht es manchmal schneller als auf den großen Wegen. »Das Unerwartete managen« nennen Weick und Sutcliffe (2008) das. Sie untersuchen die Handlungsprinzipien von sogenannten High Reliabilty Organisations, d. h. von Organisationen, die unter extremen Bedingungen absolut zuverlässig arbeiten müssen, wie etwa HerzchirurgieTeams oder Feuerwehrteams. Ihre Kernbotschaft: Erwartungen können zu Problemen führen, wenn keine von Achtsamkeit geprägte Organisationsstruktur existiert, in der man »kontinuierlich kleinere Fehler und Störungen aufspürt, groben Vereinfachungen widersteht, sensibel für betriebliche Abläufe bleibt, flexibel zu reagieren vermag und die Orte des größten Sachverstands nutzt« (Weick/Sutcliffe, 2008, S. 2).

11.5  Perspektiven aus der und für die Praxis  |  223 

Zu entscheiden heißt nicht, immer zu wissen und zu sagen, wo es langgeht – wer kann das schon? –, sondern manchmal auch, zu warten, Dissens, Ergebnislosigkeit oder Unerwartetes auszuhalten und wirken zu lassen. Den Mut zu haben, Dinge nicht in jeder Situation zu steuern, sondern der Dynamik des Prozesses zu vertrauen. Wesentlich ist es, dabei selbst achtsam zu bleiben, auch kleine Impulse aufzunehmen und zu hinterfragen. Und im kontinuierlichen Austausch zu bleiben – mit dem Team, mit Kooperationspartner:innen und anderen am Prozess Beteiligten.

Führung braucht keine Hierarchie Führung wird im Unternehmenskontext in der Regel hierarchisch von oben nach unten gedacht. Begriffe wie »top-down« oder »bottom-up« beschreiben zwar unterschiedliche Richtungen von Führung, bedienen aber den gleichen Maßstab: eine hierarchische Organisationsstruktur, das klassische Organigramm, das organisatorische Einheiten, Hierarchieebenen, Aufgabenverteilung und Kommunikationswege einer Organisation abbildet. Aber wie die organisatorischen Strukturen auch sind – die Führungspraxis in einem Team braucht keine hierarchischen Konventionen auf dem Weg zu guten Entscheidungen und guten Ergebnissen. Das Leitbild der Montag Stiftungen versteht Führung deshalb konsequent nicht top-down. Sondern es geht darum, Verantwortung zu teilen. Es geht um Beteiligung, um Teilhabe und Teilgabe als wesentliche Aspekte von Führung in einer Konstellation, in der Menschen gemeinsam neue Wege gehen: »Führung ist die Tätigkeit, die geschieht, wenn ich andere in die Gestaltung der Orientierung einbeziehe. (...) Die Menschen mit ihrer Verantwortung und ihrem hohen Sachverstand sind in jeder Institution das Wichtigste, das wir haben – um diese Idee geht es. Dafür muss die Hierarchie ausgehebelt werden, sie muss sich hinten anstellen können. Das ist ein ganz wesentliches Element einer Kultur oder Institution, die die Fähigkeit fördert, den Dialog anzutreten.« (Imhäuser, 2016, S. 8, S. 11)

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Die Perspektive wechseln – Selbstachtsamkeit und Rollenklarheit Von wo aus blicken wir auf einen Menschen, eine Situation, ein Thema? Je nach Blickwinkel kann sich ein völlig anderes Bild ergeben. Was aus meiner Perspektive wichtig und groß erscheint, kann für andere im Team oder im Projekt das Gegenteil bedeuten – und umgekehrt. Und auch das Gegenteil wird ggf. individuell interpretiert. Führen bedeutet deshalb auch, verschiedene Perspektiven einnehmen zu können, sie wahrzunehmen und (gemeinsam) wertschätzend zu reflektieren. Dafür gibt es kein Patentrezept. Voraussetzung ist eine offene Haltung und die Bereitschaft, immer wieder auch den Blick von anderen zu suchen und zu entdecken, ihn mit dem eigenen Blick abzugleichen und auch unbequeme Perspektiven zu sehen, zu verstehen oder für sich stehen zu lassen. Die Vielfalt der Perspektiven ist die Basis dafür, dass Führende der Komplexität von Konstellationen und Anforderungen in ihrer Arbeit begegnen und ihre Potenziale nutzen können. Wesentliche Voraussetzungen, um unterschiedliche Perspektiven wahrzunehmen und wertzuschätzen, sind Selbstachtsamkeit und Rollenklarheit. Die kontinuierliche und achtsame Reflexion, aus welcher »Rolle« heraus ich gerade rede oder handle, ist bedeutsam für die eigene innere Positionierung und den Umgang mit anderen. Das kann je nach Kontext variieren. So ist es allein schon ein Unterschied, ob ich als Teamleiterin, als Moderatorin, Prozessbegleiterin oder als Pressesprecherin unterwegs bin. Die innere Haltung spiegelt sich im Außen und steht für eine authentische Kommunikation. Es hilft, diese Kategorien regelmäßig für sich selbst und im Team zu reflektieren, wachsam zu bleiben und – gerade in stressigen Zeiten – gezielt zu hinterfragen.

Führen und führen lassen – jedes Team ist anders Wie setzt sich ein Team zusammen, wie wächst ein Team? Jenseits von Stellenbeschreibungen und Interviews, die erste Einschätzungen ermöglichen, geht es für mich darum, einen geeigneten Rahmen zu schaffen, damit sich ein Team den Menschen entsprechend (und ein Mensch dem Team entsprechend) entwickeln kann. Ein Team kann eine vorgegebene Struktur und eine Haltung haben, und doch ist es immer ein anderes, je nach den aktuellen Teammitgliedern. Jede:r neue Mitarbeiter:in bringt unterschiedliche fachliche und persönliche Voraussetzungen mit – individuelle Fähigkeiten, Werte und Glaubenssätze, die sich vielleicht erst im Laufe der Zeit und abhängig von der Gruppendynamik zeigen. Führen heißt für mich auch, auf die Dy-

11.5  Perspektiven aus der und für die Praxis  |  225 

namik eines Teams zu vertrauen. Es ist nicht notwendig – sondern oft kontraproduktiv –, alles vorzugeben und festzulegen. Ich nenne das für mich eine coachingbasierte Führung: In diesem Sinne gehe ich davon aus, dass das Team ein großes Repertoire an notwendigen Ressourcen und Fähigkeiten hat, um im kontinuierlichen Austausch aus sich selbst heraus passende Wege und Lösungen für anstehende Aufgaben zu finden.

Führung braucht Humor – Lachen ausdrücklich erwünscht!

Führung braucht Humor – und Lachen entspannt. Humor heißt für mich, sich selbst nicht so ernst (und wichtig) zu nehmen. Über eigene Stolpersteine und binde Flecken auch lachen zu können, ist eine wichtige Ressource für eine wertschätzende Kommunikations- und Feedbackkultur. Wertschätzender, intuitiver Humor kann Leichtigkeit in angespannte Situationen bringen, als eine Art Spiegel dienen, »aufrütteln«, Blockaden sichtbar machen und etwas in Bewegung setzen – im Sinne der weiter oben beschriebenen Resonanz. Das mag zunächst widersprüchlich klingen, denn natürlich sind nicht alle Themen immer nur lustig. Auch geht es nicht

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darum, sich über etwas lustig zu machen oder jemanden auszulachen. Humor lässt sich auch nicht per Rezept verordnen. Entscheidend ist auch hier die wertschätzende, positive Grundhaltung, die davon ausgeht, dass jeder Mensch auch Fehler machen kann und darf. Allein der Versuch, eine Perspektive zu finden, aus der man mit Humor auf die Dinge blicken kann, bringt auch in schwere Situationen Leichtigkeit. Aus meiner Erfahrung ist Humor (gemeinsam lachen) in vielen Situationen eine gute Voraussetzung, um Vertrauen aufzubauen. Inspirationen, Beispiele und Impulse auch für den beruflichen Kontext liefert für mich u. a. die provokative Systemarbeit mit Elementen aus dem Impro-Theater nach Noni Höfner (2019) und Charlotte Cordes (2018). Basis des provokativen Ansatzes (lat. provocare: hervorrufen, auslösen, herausfordern) ist eine hohe Wertschätzung des Gegenübers sowie die Überzeugung, dass jeder Mensch »mündig« ist und alle Ressourcen zur Verfügung hat, um Probleme selbst zu lösen. Der Ursprung des provokativen Ansatzes liegt in der provokativen Therapie von Frank Farrelly, die von Noni Höfner und Charlotte Cordes im Deutschen Institut für Provokative Therapie zum provokativen Ansatz weiterentwickelt wurde. Provokative Berater:innen steigen bei ihren Klient:innen dort ein, wo diese sich selbst ein Bein stellen. Diese Stolpersteine werden liebevoll karikiert und persifliert – so lange, bis die Klient:innen über ihre eigenen Probleme lachen können. Dadurch entsteht Entspannung und neuer Handlungsspielraum wird möglich (Cordes, 2022, S. 60 f.). Die Haltung, die hinter dem provokativen Ansatz und hinter der provokativen Systemarbeit steckt, ist identisch mit der, die auch beim Improvisationstheater wichtig ist. Bei dieser Theaterform gehen die Spieler:innen auf die Bühne, ohne zu wissen, was inhaltlich passieren wird. Sie improvisieren alles. Damit das gut funktioniert, müssen sie sehr aufeinander achten und gegenseitig die Angebote, die von den Mitspieler:innen kommen, annehmen und damit spielen. Außerdem sollten sie die »Lust am Scheitern« verinnerlichen, d. h. sich bei Fehlern nicht geißeln, sondern einfach etwas Neues probieren, wenn eine Idee nicht so gut ankommt. Wie auf der Bühne ist die »Lust am Scheitern« beim Provozieren im Coaching essenziell. Druck hingegen ist kontraproduktiv. Ähnliches lässt sich in vielen Fällen auch auf Führung übertragen.

11.6 Ausblick Die Gesellschaft verändert sich, und insbesondere die Demokratie steht derzeit vor großen Herausforderungen – lokal, national, weltweit. Als Führungskraft in diesem Umfeld sehe ich mich auch in der Verantwortung, das Leitmotiv der Stiftungsgruppe kontinuierlich zu hinterfragen: Was heißt soziale Verantwortung im Wandel der Gesellschaft? Welche Veränderungen gibt es und was bedeutet das für die Zukunft unserer Arbeit? Welchen Beitrag kann ich leisten?

Literatur | 227 

Wann immer Menschen mit unterschiedlichen Lebenshintergründen zusammenkommen oder miteinander arbeiten (ob im Team, in Projekten, in Unternehmen, in der Politik), gibt es auch Konflikte, zähe Aushandlungsprozesse und zwangsläufig Kompromisse. Genau diese Spannungen auszuhalten, zu thematisieren, die eigene Rolle zu hinterfragen, daraus zu lernen, sich weiterzuentwickeln und gemeinsam Lösungswege zu finden – das sind nicht nur wesentliche Aspekte in meiner Arbeit, sondern auch in jedem demokratischen Prozess. Und auch das bedeutet für mich Handeln und Gestalten in sozialer Verantwortung: mich in meinem Wirkungsrahmen als Führungskraft mit meiner ganzen Persönlichkeit einzusetzen für eine Gesellschaft, die von Offenheit und Toleranz geprägt ist. Carl Richard Montag hat es in seiner Charta so formuliert: »Neue Wege suchen in einer offenen Gesellschaft, in der jeder einzelne Mensch prinzipiell Wertschätzung erfährt und in der unterschiedliche und von den eigenen abweichende Denk- und Handlungsweisen als Bereicherung des Lebens gesehen werden. Die Bereitschaft zum Dialog und zur Akzeptanz ist die nicht verhandelbare Basis dieser offenen Gesellschaft.« (Montag, 2021, S. 14)

Literatur Bateson, Nora: Leadership within the paradox of agency. In: Bateson, Nora: Small Arcs of Larger Circles. Framing through other patterns. Bridport, Triarchy Press, 2016. Cordes, Charlotte: Sie lachen das schon! Einführung in die Provokative SystemArbeit mit kommentierten Fallbeispielen. Knoll und Patze, München, 2018. Cordes, Charlotte: Es geht mehr als man denkt! Über digitales Arbeiten in Pandemiezeiten. In: Vogler, Jan-Rüdiger (Hrsg.), Humor in der Krise. HCD Verlag, Tuttlingen, S. 59–72. Höfner, E. Noni: Glauben Sie ja nicht, wer Sie sind! Grundlagen und Fallbeispiele des Provokativen Stils. Carl Auer, Heidelberg, 2019. Imhäuser, Karl-Heinz: Inklusive Führung oder gute Führung inklusive. Unveröffentlichtes Vortragsmanuskript, 11. Juli 2016. Montag, Carl Richard: Charta der Carl Richard Montag Förderstiftung. Bonn, 2021. Montag Stiftung Denkwerkstatt: Wirken in komplexen Wirklichkeiten. Eine Handreichung der Montag Stiftungen zum Umgang mit Wirkung und Evaluation in der Stiftungsgruppe. Internes Dokument/ in Bearbeitung, Bonn, 2021. Weick, Karl E.; Sutcliffe, Kathleen M.: Das Unerwartete managen: Wie Unternehmen aus Extremsituationen lernen. Schäffer Poeschel, Stuttgart, 2008.

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Über Sabine Milowan Mein Herzensthema war immer die Kommunikation – mit ihren verschiedenen Facetten, in unterschiedlichen Rollen und aus diversen Perspektiven. Nach meinem Studium der Mehrsprachigen Kommunikation in Köln (Schwerpunkte Marketing, Öffentlichkeitsarbeit, Übersetzungen) habe ich rund zehn Jahre die Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit verschiedener Unternehmen verantwortet, schwerpunktmäßig im internationalen Messegeschäft. Als selbstständige Kommunikationsberaterin und systemische Coachin mit verschiedenen Ausbildungen (u.  a. Provokative Systemarbeit, Genogrammarbeit, Systemische Strukturaufstellungen) begleitete ich außerdem rund 18 Jahre Organisationen und Verbände aus unterschiedlichen Branchen. Dazu gehörten auch Coaching und Beratung von Führungskräften und Teams. Seit 2017 bin ich Leiterin und Pressesprecherin der unabhängigen gemeinnützigen Montag Stiftung Denkwerkstatt, die zur Gruppe der Montag Stiftungen in Bonn gehört. Kontakt: Sabine Milowan, Montag Stiftung Denkwerkstatt, Raiffeisenstraße 3, 53113 Bonn, Telefon 0228 26716 – 632, [email protected], www.montag-stiftungen.de

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12 Digital Leadership – Durch Vertrauen und Partizipation eine tragfähige Beziehung in der virtuellen Welt gestalten Miriam Landes und Dr. Eberhard Steiner »Alles wirkliche Leben ist Begegnung.« (Martin Buber)

Auf einen Blick: Worum es in diesem Beitrag geht Die digitale Transformation stellt uns vor neue Herausforderungen. In diesem Kapitel werden fünf Aspekte erörtert, die Ihnen dabei helfen sollen, diese tiefgreifende Veränderung besser zu verstehen: y Unterschiede zwischen analoger und digitaler Kommunikation y Primatverschiebung von relevant zu interessant y Denkabkürzungen und Heuristiken in einer informationsüberladenen Welt y Möglichkeiten und Grenzen der künstlichen Intelligenz y weitere Entwicklungen der Digitalisierung Zusammenarbeit und Führung in einer digitalen Welt verlangen von uns, dass wir unsere Glaubenssätze hinterfragen und unser Verhalten anpassen: Tragfähige Arbeitsbeziehungen fußen auf Vertrauen, der Kontrolldruck muss überwunden werden. Eine partizipative Orientierung und die Sensibilität, Bedürfnisse der Mitarbeitenden auch ohne direkten persönlichen Kontakt zu erkennen, sind integrale Bestandteile von Digital Leadership – ebenso wie die Fähigkeit, eine motivierende Vision und klare Zielsetzungen zu formulieren und Feedback auch auf Distanz zu geben. Nicht nur der Umgang mit anderen muss neu gedacht werden; auch die Selbstführung in digitalen Kontexten und das Selbstmanagement der Führungskraft sind entscheidend. Das Kapitel schließt mit einigen praktischen Hinweisen zur Führung auf Distanz.

12.1 Der Mensch als soziales Wesen in einer digitalen Welt Wir Menschen als »soziale Tiere« streben nach dem Austausch, der Kommunikation und dem Kontakt mit anderen. Für unsere Entwicklung sind Bindung und Feedback essenziell.

230 | 12 Digital Leadership

Was bedeutet es für uns, wenn unsere Begegnungen mit anderen nun nicht mehr in der analogen Welt stattfinden, sondern digital? Ist eine digitale Begegnung auch »wirkliches Leben«? Können wir uns digital organisieren, miteinander wachsen, unsere Konflikte aushandeln und tragfähige Beziehungen entwickeln? Können wir in der digitalen Welt im Team diskutieren und arbeiten? Können wir digital führen und geführt werden? Wie ist die Digitalisierung mit unserem Bedürfnis nach Nähe vereinbar? Wie können wir auf Distanz Vertrauen fassen und aufbauen? Diesen Fragen stehen wir gegenüber. Die Distanz zwischen uns wird durch virtuelle Zusammenarbeit größer. Die Schieberegler der Führung müssen neu justiert werden. Wir befinden uns in einem Aushandlungsprozess, wie wir in der neuen Realität miteinander umgehen wollen und welche Werte unser Handeln bestimmen. Es bleibt spannend.

12.2 Fünf Thesen zur digitalen Transformation Die Digitalisierung – oder digitale Transformation – ist in aller Munde und eines der Buzzwords schlechthin. Viele Mythen und Missverständnisse ranken sich um dieses Thema. Wir wollen deshalb in fünf Thesen die digitale Transformation und was sie wirklich bedeutet einmal näher beleuchten und besser verstehen.

12.2.1 These 1: Analoge und digitale Kommunikation sind sich nur scheinbar ähnlich Kommunikation ist eines der wichtigsten Führungsinstrumente und eine grundlegende menschliche Qualifikation. Menschen kommunizieren pro Tag ungefähr 16.000 Wörter. Bezieht man dies auf eine durchschnittliche Lebenserwartung von 79 Jahren, bedeutet das, dass Menschen ca. 14 Jahre am Stück kommunizieren (Widuelle, 2012, S. 28). Führungskräfte verbringen einen Großteil ihrer Arbeitszeit mit Kommunikation (Lippmann, 2013, S. 264). Das »Führen durch das Wort« ist die unmittelbare und ursprüngliche Form des Führens (Weibler, 2016, S. 368; Weibler, 2010, S. 12). Viele Gespräche in unserem täglichen (Arbeits-)Leben sind eher kurz und finden ad hoc statt. Weniger häufig sind geplante Gespräche mit größerem Umfang und höherem Vorbereitungsaufwand. Wie sich die digitale Kommunikation von der analogen unterscheidet Digitale und analoge Kommunikation unterscheiden sich viel deutlicher voneinander, als man annehmen mag: y Potenzielle Ewigkeit: Was eine Führungskraft vor zehn Jahren nebenbei zu jemandem gesagt hat, hat heute (i. d. R.) keine weitreichende Wirkung mehr. Was heute online hinterlassen wird, bleibt potenziell ewig erhalten. Der ungeplante Ad-hoc-Chat über einen Messengerdienst kann einem also für immer nachhängen, das Gespräch zwischen Tür und Angel eher nicht.

12.2  Fünf Thesen zur digitalen Transformation   |  231  y Skalierbarkeit und Streuung: Digitale Kommunikation kann an einen potenziell unbegrenzten Kreis von Empfänger:innen gerichtet sein. Gewollt oder ungewollt kann man eine Reichweite realisieren, die mit analoger Kommunikation nur in Ausnahmefällen möglich ist. y Leichte Veränderbarkeit und Dekontextualisierung: Was digital vorhanden ist, kann auch digital verändert, in andere Kontexte gestellt und verzerrt werden. Man spricht hier von Bias-Zugänglichkeit (Zugänglichkeit für Verzerrungen).

12.2.2 These 2: Primatverschiebung von relevant zu interessant findet statt In der digitalen Welt verschiebt sich die Wahrnehmungsskala. War es früher (und wir sprechen hier von Zeiten, in denen man die Informationen papiergebunden vorliegen hatte) so, dass man die Informationen wahrgenommen hat, die man für wichtig und relevant gehalten hat, wird in einer digitalen Welt eher das wahrgenommen, was interessant erscheint (aber nicht unbedingt relevant ist). Man ist mit einer Fülle von Informationen konfrontiert, aus der das Wichtige nicht mehr unbedingt hervorsticht. Das Gehirn ist auf effizienten Umgang mit Energie konditioniert und versucht sich aus dieser Fülle diejenigen Informationen herauszusuchen, die es für nützlich hält. Dabei spielt dann die ansprechende »Verpackung« eine Rolle.

232 | 12 Digital Leadership Wahrnehmungsverschiebung vom Wichtigen zum Interessanten Nicht das, was wichtig ist, wird wahrgenommen, sondern das, was interessant erscheint.

Das Interesse hat eine vorrangige Stellung im Vergleich zur Relevanz eingenommen.

12.2.3 These 3: Eine informationsüberladene Welt ist immer eine heuristische Welt Wie wir schon festgestellt haben, ist eine digitalisierte Welt eine informationssaturierte Welt. Wir werden mit Informationen überflutet und unser Gehirn sucht sich eine energieeffiziente Weise, damit umzugehen. y Eine informationsüberladene Welt ist immer eine heuristische Welt, weil Überforderung zu Denkabkürzungen führt. y Heuristiken erleichtern es, eine Situation einzuordnen. Allerdings sollte man sich dessen bewusst sein, dass sie nicht zwangsläufig zu korrekten Einschätzungen führen. y Somit sind wir in einer informationsübersättigten Welt anfällig für Denkabkürzungen und Denkfehler.

12.2.4 These 4: Künstliche Intelligenz ist nicht intelligent, aber mächtig In vielen Bereichen unseres Lebens sind mehr oder weniger intelligente Systeme im Einsatz – sei es der Chatbot bei einer Hotline, das Sprachprogramm, das Worte in Text verwandelt, oder das Schachprogramm, das mit übermenschlicher Stärke spielt. »Menschliche Intelligenz ist auf Basis psychologischer Modellbildung und Befundlage als mehrdimensional, bereichsübergreifend und alltagsrelevant anzusehen.« (Spörrle/Hofreiter, 2022, S. 349) Dies unterscheidet menschliche Intelligenz von derzeitiger künstlicher Intelligenz. Die künstliche Intelligenz ist zwar dem Menschen in vielen Bereichen überlegen, so z. B. AlphaZero in der Fähigkeit, zugbasierte Nullsummen-Zweiparteienspiele wie Schach auf übermenschlichem Niveau zu spielen, oder GPT-3 in der Fähigkeit, extreme Textmengen zu verarbeiten, wozu Menschen mangels ausreichender Lebenszeit nie in der Lage wären. Aber sie sind immer nur innerhalb ihrer Domäne leistungsfähig. AlphaZero kann beispielsweise keine Bilder zeichnen oder Text formulieren. Auch in seiner eigenen Domäne ist AlphaZero nicht in der Lage, neue Spiele zu entwickeln, wie z. B. das dreidimensionale Schachspiel aus Star Trek (Spörrle/Hofreiter, 2022, S. 350). Künstliche Intelligenz Wenn wir auch nicht im menschlichen Sinne von Intelligenz sprechen, sind künstliche Intelligenzen dennoch extrem leistungsfähig und werden grundlegende Änderungen in der Art und Weise des Arbeitens bewirken.

12.2  Fünf Thesen zur digitalen Transformation   |  233 

Aufgrund der Tatsache, dass Computer sich in den letzten 30 Jahren äußerlich nur wenig verändert haben (es gibt noch immer Bildschirme, wenn auch flacher, Tastaturen und Maus, wenn auch kabellos), kann man zu dem Fehlschluss kommen, dass auch das Innere einen geringen Wandel hinter sich hätte. Das ist aber in keiner Weise der Fall. Die Rechnerleistung hat in so großem Umfang zugenommen, dass wir kaum in der Lage sind, den Fortschritt zu begreifen. Das Programm Generative Pre-trained Transformer 2 (GPT-2), eine Software, die Texte selbstständig zusammenfasst und erstellt, wurde 2019 mit 1,5 Milliarden Parametern veröffentlicht. Bereits ein Jahr später wurde der Nachfolger GPT-3 mit 175 Milliarden Parametern vorgestellt. Durch die Zunahme an Rechenleistung – man denke in Zukunft an den Quantencomputer – sind auch kreative Leistungen möglich, wie z. B. der von einer künstlichen Intelligenz verfasste Roman »1 the road« (Spörrle/Hofreiter, 2022, S. 353). Sichtbar wird die Zunahme von künstlicher Intelligenz u. a. beim Wegfall ganzer Berufsbilder, deren Aufgaben durch eine KI effizienter erledigt werden können (so z. B. einfache Buchhaltungsaufgaben, Schreibarbeiten, Taxifahren).

234 | 12 Digital Leadership

12.2.5 These 5: Das Ende der Digitalisierung können wir noch gar nicht absehen Legt man andere Technologiezyklen zugrunde, so kann man (mit gehöriger Unsicherheit) prognostizieren, dass wir noch lange kein Ende der digitalen Transformation erleben werden, so z. B. das Moore’sche Gesetz (Moore, 1965). Achtung Auf die tiefgreifenden Auswirkungen der digitalen Transformation sind wir noch gar nicht vorbereitet.

Wir gehen mit analogen Vorstellungswelten durch eine digitalisierte Welt und wundern uns, dass wir ab und an ausrutschen und z. B. Ransomware-Attacken erliegen, zyklischen Erregungswellen im Netz (»shit storm«) ausgesetzt sind, hektisch alte Twitter-Nachrichten löschen (siehe oben: Ewigkeitstendenz unserer Meinungsäußerungen), der Informationsüberflutung unterliegen und mit Spam und Phishing konfrontiert sind. Um es noch schlimmer zu machen: Eine umfängliche Antwort auf die Frage, wie man mit den Effekten von Digitalisierung umgehen soll, kann niemand geben. Dazu ist diese Materie viel zu komplex, die Entwicklung viel zu dynamisch und das Wissen vielfältig verteilt. Jede und jeder muss einen eigenen Zugang zu dem Thema finden und die Aspekte der Digitalisierung herausgreifen, die ihn oder sie betreffen. An dieser Stelle wollen wir uns im Folgenden mit der Frage der Führung im digitalen Kontext befassen: Digital Leadership.

12.3 Digital Leadership 12.3.1 Einige Aspekte der Führung der Zukunft Zukunftsfähige Unternehmen werden von Führungskräften geleitet, die den Wandel erkennen, ihn als Chance begreifen und ihren Führungsstil anpassen, um Entwicklungen zu ermöglichen, die sich ohnehin irgendwann durchsetzen werden (Rietsema/Watkins, 2012). Traditionelle Managementperspektiven sind meist statisch und nicht flexibel genug, um Handlungsoptionen für unternehmerische Herausforderungen in dynamischen und teils chaotischen Umgebungen zu bieten (Northouse, 2018). In der unsteten Welt brauchen Führungskräfte Eigenschaften wie Integrität, Verantwortlichkeit und Motivation, Neugier, Zuversicht, Mut und Engagement (Antonacopoulou/Bento, 2018), die Fähigkeit sich »sicher zu fühlen, wenn man verletzlich ist«, »die Nerven zu behalten« und durch das Unbekannte mit »Offenheit« und »Aufmerksamkeit« zu navigieren (Antonacopoulou/Bento, 2020).

12.3 Digital Leadership | 235 

Führung der Zukunft muss allen Mitarbeiter:innen den Zugang zur Entfaltung ihres individuellen und damit auch organisatorischen Potenzials ermöglichen (Ryan, 2007). Die Fähigkeit zur Führung auf Distanz wird noch mehr an Bedeutung gewinnen. Führung auf Distanz bedeutet, Vertrauen in die Fähigkeiten der Mitarbeitenden zu haben und die gegenseitige Verbundenheit und den Teamzusammenhalt zu fördern, und zwar sowohl durch fachliche Interdependenzen als auch durch die Anerkennung der gegenseitigen sozialen Beziehungen. Führungskräfte müssen ihrer Rolle als Vorbilder entsprechen, und zwar nicht aufgrund von Wissensvorsprüngen, sondern durch vorbildliches Handeln. Dies bedeutet, dass Führung durch Vertrautheit gekennzeichnet ist, die sich in sozialer Solidarität, Interesse an anderen Menschen und Ehrlichkeit zeigt (Rayner, 2009). Führung der Zukunft Führung wird in einer digitalen Zukunft nicht überflüssig sein, es muss aber besonders gute Führung sein.

Führung muss darauf achten, dass die weniger digital affinen Personen nicht abgehängt werden. Gute Führungskräfte sind sensibilisiert für die Tendenz, in einer informationsüberfluteten Welt Denkabkürzungen zu nehmen, die wie jede Heuristik zu falschen Ergebnissen führen können, wodurch wir empfänglicher für Denkverzerrungen (Bias) werden. Die Anforderungen der Zukunft sind so komplex und wenig vorhersehbar, dass Führung auf das Konzept der Befähigung zur Selbstführung setzen muss: Mitarbeitende, die befähigt werden, sich selbst zu führen – im Sinne des Konzepts des Superleadership nach Manz und Sims (Manz/ Sims, 1990). Ein solcher Wandel in der Mentalität – und damit der Abschied vom Status – fällt manchen Führungskräften, die in der analogen Welt sozialisiert wurden, schwer. Es bleibt aber gar nichts anderes übrig, als sich diesem Wandel zu stellen. Digital Natives werden klassische Konzepte von Führung immer weniger akzeptieren. Hüten wir uns davor, dem Status quo nachzuhängen, wenn der Wandel unausweichlich ist.

12.3.2 Praxis der Führung in einer digitalisierten Welt Kontrolldruck überwinden Was braucht die digitale Führungskraft? Zunächst sollte sie es schaffen, den eigenen Kontrolldruck im Griff zu haben. Viele Führungskräfte gehen davon aus, dass die Mitarbeitenden kontrolliert werden müssten, weil sie sonst entweder nicht arbeiten oder nicht richtig arbeiten. Viel Effizienz geht verloren, weil die betrieblichen Kontrollsysteme an den (wenigen) Mitarbeitenden ausgerichtet werden, auf die diese Annahmen zutreffen. Wüthrich et al. (2009) gehen davon aus, dass nur eine geringe Zahl von Mitarbeitenden das System zum eigenen Vorteil ausnutzt und folglich der Großteil der vertrauenswürdigen Mitarbeitenden unnötig gegängelt und kontrolliert wird.

236 | 12 Digital Leadership

Schon am Büroarbeitsplatz ist Leistungskontrolle in den allermeisten Fällen unmöglich oder prohibitiv teuer. Man müsste ja eine Kontrollperson neben die einzelnen Mitarbeitenden stellen, die die ganze Zeit überwacht, ob gearbeitet wird. Und natürlich müsste die Kontrollperson auch überwacht werden usw. Prüfen kann man oftmals nur die Ergebnisse des Handelns – und dies auch nicht immer. In einer dezentral verteilten Belegschaft, bei der viele Arbeiten im Homeoffice oder mobil erledigt werden, ist diese Kontrolle unmöglich. Vertrauen schenken Die Führungskraft sollte bis zum nachhaltigen Beweis des Gegenteils davon ausgehen, dass die Mitarbeitenden Vertrauen verdienen.

Vertrauensbereitschaft ohne Vertrauensduselei Führungskräfte in der digitalisierten Welt brauchen die Fähigkeit, in ihre Mitarbeitenden zu vertrauen. Dieses Vertrauen sollte sich sowohl auf die Bereitschaft und die Fähigkeit der Mitarbeitenden beziehen, korrekte Arbeitsergebnisse zu erzielen, als auch auf deren Potenzial, sich selbst zu führen. Dieses Potenzial gilt es zu fördern und die Fähigkeit zur Selbstführung gezielt zu entwickeln. Dafür muss die Führungskraft für die Unterstützung der Mitarbeitenden ausreichend Zeit haben – also Zeit für Führung. Gerade daran mangelt es in vielen Stellenbeschreibungen von Führungskräften gerade auf den unteren Ebenen. Oftmals finden sich in den Aufgaben dieser Führungskräfte noch viele operative Tätigkeiten. Im Tagesgeschäft bleibt wenig Zeit für Führung und noch weniger Zeit für die Weiterentwicklung der Mitarbeitenden.

12.3 Digital Leadership | 237 

Doch wie weit kann Vertrauen gehen? Charles Handy (1995) stellt einige Bedingungen für das Vertrauen auf: Vertrauen ist nicht blind: Ich muss die Person, der ich Vertrauen schenke, kennen. Dies ist nur bei einer handhabbaren Anzahl von Personen möglich, was für eine überschaubare Führungsspanne spricht. Vertrauen braucht auch Grenzen: Uneingeschränktes Vertrauen ist in der Praxis unrealistisch. Vertrauen bedeutet, Zuversicht in die Fähigkeiten einer Person zu haben und in ihre Bereitschaft, Ziele zu verfolgen, die dem Unternehmen dienen. Diese Ziele müssen definiert werden – ebenso wie die Leitlinien, die beachtet werden müssen. Vertrauen erfordert Lernen: Handy meint damit, dass man einem Team bei der Leistungserbringung dann vertrauen kann, wenn es bereit ist, sich veränderten Umständen anzupassen, und nicht starr am einmal erreichten Stand festhält, auch dann, wenn die Umwelt sich verändert hat. Vertrauen kann harte Entscheidungen erfordern: Wird Vertrauen nicht gerechtfertigt, muss man daraus harte Konsequenzen ziehen und Personen versetzen oder freistellen. Wenn Vertrauen missbraucht wird, ohne dass dies Konsequenzen hat, kommt es zur Rückkehr des Kontrollregimes. Vertrauen braucht Verbindung: Nur wer in einer überschaubaren Einheit (Team) zusammenarbeitet, kann die nötige Bindung erreichen, die man für ein vertrauensvolles Arbeiten braucht. Hier muss man die aktuelle Entwicklung zum Homeoffice durchaus kritisch sehen, da Teamkohäsion durch verteiltes Arbeiten leiden kann (Diller/Weber, 2022). Ein gemeinsames Engagement erfordert immer noch persönlichen Kontakt, um Pläne in die Tat umzusetzen – oder wie es Naisbitt (1999) formuliert: high tech muss durch high touch ausgeglichen werden, um vertrauensvolle Organisationen zu schaffen. Vertrauen braucht Führungskräfte: In einer von Vertrauen geprägten Organisation sind viele Führungskräfte nötig, nämlich alle Mitarbeitenden quasi als Führungskräfte, die mit hohem Engagement auf das gemeinsame Ziel hinarbeiten und bereit sind, dafür Verantwortung zu übernehmen. Vertrauen bedeutet also nicht, grenzenlos und wider besseres Wissen Vertrauen zu schenken – sondern Vertrauen an sinnvollen Regeln und Leitplanken zu orientieren, die den Mitarbeitenden die Möglichkeit des eigenverantwortlichen Hinarbeitens auf das Ziel einräumen.

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Partizipative Orientierung Wissensmanagement Es kann in einer hoch digitalisierten Welt nicht mehr darum gehen, dass Führungskräfte alles besser wissen müssen als ihre Mitarbeitenden. Wissensmonopole von Führungskräften gehören der Vergangenheit an.

Es geht darum, Wissen frei zu teilen und verfügbar zu machen, z. B. durch Wissensdatenbanken, Austauschprozesse und überlappende Neubesetzungsphasen. Führungskräfte müssen in der Lage sein, die Intelligenz der Mitarbeitenden zu moderieren (Kruse, 2007) und sie in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Nur so kann das Verständnis für komplexe Sachverhalte erreicht und durch den Austausch der unterschiedlichen Wissensaspekte gemeinsam die beste Lösung gefunden werden.

Fähigkeit, Bedürfnisse der Mitarbeitenden auch ohne direkten persönlichen Kontakt zu erkennen Achtsamkeit als Führungskompetenz Achtsamkeit gehört zu den wichtigen Fähigkeiten einer Führungskraft im digitalen Zeitalter.

Gerade in Zeiten, in denen Teams verteilt arbeiten und sich teilweise nur noch wenige Tage im Monat sehen, muss die Führungskraft sensibel sein für die Bedürfnisse der Teammitglieder nach Zusammenhalt und Austausch. Hier gilt es Rituale zu etablieren, die zum Team und den einzelnen Personen passen. Dies können tägliche kurze gemeinsame Check-ins sein, wöchentliche Austauschrunden oder gemeinsame virtuelle Aktivitäten. Besser als jährliche Mitarbeitergespräche sind regelmäßige Fünf-Minuten-Gespräche und kurze Teamreflexionen nach Besprechungen (Frey, 2016; Frey, o. J.). Besonderes Augenmerk gilt es auf die Mitarbeitenden zu haben, die sehr anschlussmotiviert sind und für die die Auflösung des gewohnten Teamzusammenhalts besonders motivationsschädlich ist. Diese Mitarbeitenden vor Vereinsamung zu bewahren ist genauso Aufgabe einer digital kompetenten Führungskraft wie das Kümmern um die digital abgehängten Mitarbeitenden, die sich mit neuer Technik schwertun (digital divide).

Fähigkeit, eine motivierende Vision und klare Zielsetzungen zu formulieren Gerade bei verteilt arbeitenden Teams ist es wichtig, eine gute Koordination der Mitarbeiten sicherzustellen. Um dies zu erreichen, sollten Führungskräfte in der Lage sein, gut formulierte Ziele zu entwickeln und mit den Mitarbeitenden zu vereinbaren.

12.3 Digital Leadership | 239  Sinn vermitteln Hilfreich zur Aufrechterhaltung einer Teamkohäsion ist es, wenn alle auf eine geteilte Vision hinarbeiten, also ein langfristiges Ziel vor Augen haben. Dies geht einher mit der Fähigkeit, Sinn zu vermitteln – also das Warum zu klären.

Fähigkeit, konstruktives Feedback zu geben – auch auf Distanz Arbeiten im Homeoffice oder mobiles Arbeiten darf nicht dazu führen, dass das Interesse der Führungskraft an den Mitarbeitenden nachlässt. Aus diesem Grund muss man sich besonders gut überlegen, welche Rückmeldungen auf welche Art und Weise über Distanz vermittelt werden. Gerade weil das jährliche Mitarbeitergespräch nicht ausreicht, wenn man sich in der täglichen Arbeit deutlich seltener sieht, sollten Führungskräfte in kürzeren Abständen Rückmeldungen geben können. Diese müssen konstruktiv sein und dürfen auch kritische Themen nicht aussparen. Mitarbeitende zur Selbstführung befähigen Nur durch konstruktives Feedback ist eine Weiterentwicklung hin zum Selbstleader möglich.

12.3.3 Selbstmanagement als Führungskraft Was gelingt im Homeoffice besser als im Büro? Untersuchungen (Birkinshaw et al., 2021, S. 10) zeigen, dass das Arbeiten außerhalb der Organisation dabei hilft, die Aufmerksamkeit zu fokussieren und Zeit für Selbstreflexion zu finden. So gelingt es Führungskräften im Homeoffice besser, das eigene Zeitmanagement zu bedienen, die eigene Resilienz zu fördern und an der Lösung von Problemen zu arbeiten. Das Arbeiten außerhalb der Organisation hilft Führungskräften auch dabei, Aufgaben zu priorisieren, die besonders dringend sind. Die fachliche Weiterentwicklung gelingt besser, ebenso das Treffen von Entscheidungen und die effiziente (wenn auch nicht notwendigerweise effektive) Kommunikation. Beim Abarbeiten des Tagesgeschäfts und beim Umsetzen von Veränderungen zeigen sich kaum Unterschiede zwischen Homeoffice und Büro. Beziehungsarbeit auf Abstand schwierig Beziehungsarbeit und das Arbeiten mit Menschen sind im Homeoffice weniger effektiv.

Im Büro funktioniert es besser, die Kreativität anzuregen, Verständnis für und Motivation von anderen zu erreichen, das Team zu Ergebnissen zu führen und schwierige Situationen zu lösen. Beim Vorankommen in der Gesamtorganisation ist hingegen kein Unterschied zwischen Home­ office und Büroarbeitsplatz feststellbar.

240 | 12 Digital Leadership

Wie kann Selbstmotivation gelingen? Selbstmotivation ist essenziell Um andere motivieren zu können, braucht man eigene Motivation.

Selbstmotivation zu erreichen ist wichtig, um andere begeistern zu können (Landes et al., 2021). Hier sind einige Ansätze dargestellt, wie Selbstmotivation gelingen kann: y Stellen Sie den größeren Sinnzusammenhang hinter Ihrem Ziel heraus. y Belohnen Sie sich für das Erreichen von Zielen. y Wenn Sie eine diffuse Demotivation an sich feststellen, fragen Sie sich ehrlich, was Ihnen fehlt (Unterstützung, Sinn, Ressourcen, Pausen, Anerkennung).

12.4  Einige praktische Hinweise zum Führen in digitalen Kontexten  |  241 

y Beseitigen Sie Daily Hassles, die den Arbeitsablauf stören und zu Stresserleben führen. y Gönnen Sie sich Phasen mit geringerer Produktivität oder Kreativität. Sie können nicht durchgängig Höchstleistung erbringen. y Visualisieren Sie das Erreichen des Ziels und stellen Sie sich vor, wie Sie sich fühlen werden. y Fragen Sie sich, ob Sie angemessen gefordert sind. Über- und Unterforderung können Demotivation auslösen. y Nehmen Sie Unterstützung in Anspruch. Sollten Sie bei einer Aufgabe nicht vorankommen, kann der Austausch mit Kolleg:innen neue Impulse bieten. y Denken Sie groß in Bezug auf Ihr Netzwerk. Tauschen Sie sich mit Personen aus, die nicht zu Ihrem Team oder Ihrem Unternehmen gehören. y Suchen Sie aktiv nach Bestätigung und Rückmeldung. Bitten Sie Kolleg:innen oder Führungskräfte um Feedback.

12.4 Einige praktische Hinweise zum Führen in digitalen Kontexten Überlegen Sie sich, wer für das Arbeiten im Homeoffice oder mobil geeignet ist (Landes et al., 2020, S. 34). Zunächst sollte geklärt werden, ob Mitarbeitende überhaupt remote arbeiten können und wollen. Auch wenn neue Büroraumkonzepte oft davon ausgehen, dass nicht mehr alle Mitarbeitenden einen Arbeitsplatz vor Ort brauchen, sollten Mitarbeitende nicht zwangsweise ins Homeoffice geschickt werden. Wie ist die vermutete Motivationsstruktur? Ist der oder die Mitarbeitende ein leistungsmotivierter Typ, der zu Hause ungestörter arbeiten kann? Oder handelt es sich eher um einen anschlussmotivierten Typ, der gern unter Menschen ist? Auch die folgenden Fragen sollten reflektiert werden: y Wie sind die vermuteten Persönlichkeitseigenschaften? y Ist der oder die Mitarbeitende im Büro gewissenhaft, sozial verträglich, neigt der oder die Mitarbeitende zu zwischenmenschlichem Vertrauen, zur Kooperativität und zur Nachgiebigkeit? y Zeichnet der oder die Mitarbeitende sich durch ehrliches Verhalten aus? y Hat der oder die Mitarbeitende die Kompetenz zur »Selbstführung« und zum »Zeitmanagement«? y Ist der oder die Mitarbeitende bereit, Feedback anzunehmen? y Verfügt der oder die Mitarbeitende über die erforderlichen fachlichen Kompetenzen, um die Aufgaben selbstständig und ohne Anleitung erledigen zu können? y Verfügt der oder die Mitarbeitende über die erforderlichen Fähigkeiten, eigene Grenzen zu erkennen und sich nicht zu überfordern (Workaholic)? Achten Sie darauf, die Entscheidungen für oder gegen ein Homeoffice an den Maßstäben der Gerechtigkeit zu messen. Die Entscheidung sollte nicht willkürlich getroffen werden – aus per-

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sönlicher Sympathie oder Antipathie –, sondern auf der Basis vorher definierter, objektivierter Kriterien, denn die Folgen von Ungerechtigkeit können gravierend sein und die Motivation nachhaltig zerstören (Steiner/Landes, 2017, S. 89). Nutzen Sie die vielfältigen Möglichkeiten, die das virtuelle Zusammenarbeiten bietet (Birkin­ shaw et al., 2021). Ein klarer Vorteil des virtuellen Arbeitens ist für viele Menschen die größere Freiheit in Bezug auf die Art und Weise, wie und wann sie arbeiten. Diese größere Autonomie geht in der Regel mit einem höheren Maß an intrinsischer Motivation und Produktivitätssteigerungen einher. Nutzen Sie klare und inspirierende Ziele, delegieren Sie aktiver an die Mitarbeitenden und gehen Sie von einer input- zu einer outputorientierten Leistungsmessung über. Behalten Sie dabei aber auch die Einflüsse des Homeoffice auf die Work-Life-Balance im Auge. Virtuelles Arbeiten bringt auch Probleme mit sich, weil viele der informellen Einflussmöglichkeiten, wie z. B. zu beobachten, wie andere Mitarbeitende Aufgaben lösen, oder kurzes Nachfragen bei den Kolleg:innen erschwert sind. Auch können Führungskräfte kaum noch direkt Stimmung wahrnehmen und entsprechend reagieren oder einfach einen kurzen Gedankenaustausch an der Kaffeemaschine führen. Daher ist es wichtig, in einem ersten Schritt zu lernen, wie man diese informellen Hebel auf die virtuelle Umgebung überträgt oder anpasst. So können Sie beispielsweise »virtuelle Bürozeiten« einrichten, in denen die Mitarbeitenden wissen, dass ihre Vorgesetzten für ein zwangloses Gespräch zur Verfügung stehen. Desktop-basierte Messaging-Dienste sind ebenfalls nützlich, wenn Probleme schnell gelöst werden sollen. Und es ist sinnvoll, die Teammitglieder daran zu erinnern, dass es zielführender ist, bei Problemen, die eine mehrfache Kommunikation erfordern, zum Telefon zu greifen, statt mit E-Mails Pingpong zu spielen (Birkinshaw et al., 2021). Ebenso wichtig ist es, die Einflussmöglichkeiten zu verstärken, die im virtuellen Umfeld besser funktionieren. Zur Effektivität virtueller Treffen (im Gegensatz zu persönlichen Treffen) gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Vorteile sind, dass diese Meetings in der Regel pünktlich beginnen, dass es weniger Nebengespräche gibt (außer im Chat), dass Introvertierte leichter einen Beitrag leisten können und dass schlechtes Verhalten (z. B. Mobbing) seltener ist. Es gibt aber auch Nachteile wie z. B. die Schwierigkeit, einen Überblick über die Stimmungslage im Raum zu bekommen, um zu erkennen, wie die Teilnehmenden auf das Gesagte reagieren, und die größere Kontrollmacht der Person, die die Sitzung leitet und z. B. entscheiden kann, wer wann spricht, insbesondere bei der Erörterung heikler Themen. Führungskräfte sollten die Vorteile, die die Technik bietet, nutzen und beispielsweise kurze Breakouts in Dreier- oder Vierergruppen abhalten, bevor sie ein Thema zur Diskussion im Plenum freigeben (Birkinshaw et al., 2021).

Literatur | 243 

Es braucht eine klare Vorgabe, inwieweit die Zeit im Büro für die wertschöpfenden Tätigkeiten oder für den sozialen Austausch genutzt werden soll. Es ist durchaus möglich, dass künftig die Arbeit eher (ungestört) im Homeoffice erledigt wird und der Büroarbeitsplatz mehr zur sozialen Kommunikation dient. Informelle Gespräche mit Kolleg:innen sind besser von Angesicht zu Angesicht zu führen, ebenso wie z. B. Brainstorming und Verhandlungen. Sinnvoll ist es, die spezifischen Tätigkeiten zu definieren, für die eine physische Anwesenheit erforderlich ist. Dann kann man bestimmte Tage vorsehen, an denen das Team insgesamt anwesend sein muss. Ebenso möglich ist es, eine ganze Woche im Monat für das gemeinsame Arbeiten im Büro vorzusehen (Birkinshaw et al. 2021).

12.5 Schluss: Die neue Realität Begegnungen in der digitalen Welt gehören zu unserer neuen Realität. Sie werden niemals persönlichen Kontakt und Austausch ersetzen können, können diesen aber sinnvoll ergänzen. Wir sind alle gefragt und gefordert, das digitale Miteinander zu gestalten. In der digitalen Führung ist Vertrauen die (gar nicht so) neue Währung, der Kontrolldruck muss reduziert werden, Kommunikation über Ziele und Sinn ist entscheidend.

Literatur Antonacopoulou, Elena; Bento, Regina: From laurels to learning: Leadership with virtue. Journal of Management Development, 37(8), 2018, S. 624–633. Antonacopoulou, Elena; Bento, Regina: Rethinking entrepreneurial leadership. In: Pavlovich, Kathryn (Hrsg.): Spirituality, entrepreneurship and social change. World Scientific, Singapore, 2020. Birkinshaw, Julian; Gudka, Maya; D’Amato, Vittorio: The blinkered boss. How has managerial behavior changed with the shift to virtual working? California Management Review, Vol. 63(4), 2021, S. 5 –26. Diller, Sandra Julia; Weber, Magdalena. The influence of working from home in 2021 on organizational measures and the power of mindfulness. Unpublished Manuscript, 2022. Frey, Dieter: Braucht die öffentliche Verwaltung eine neue Führungskultur? Online verfügbar unter: https://www.bakoev.bund.de/SharedDocs/Downloads/LG_1/PG_BC/Vortrag_Frey.pdf?__ blob=publicationFile&v=1 (letzter Zugriff: 24.7.2022). Frey, Dieter: Man muss das Hamsterrad anhalten. FAZ, 9.3.2016. Handy, Charles: Trust and the virtual organization. Harvard Business Review, May/June 1995, S. 40 – 50. Kruse, Peter: Old School und New School der Führung. Interview, 2007, online verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=YTY8JKHjufY (letzter Zugriff: 24.7.2022). Landes, Miriam; Steiner, Eberhard; Utz, Tatjana; Wittmann, Ralf: Führung von Mitarbeitenden im Home Office. Springer, Wiesbaden, 2020.

244 | 12 Digital Leadership Landes, Miriam; Steiner, Eberhard; Utz, Tatjana; Wittmann, Ralf: Gesund und erfolgreich im Home­ office arbeiten. Springer, Wiesbaden, 2021. Lippmann, Eric: Gesprächsführung. In: Steiger, Thomas; Lippmann, Eric (Hrsg.): Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, Band I. 4. Aufl., Springer, Heidelberg, 2013, S. 264–285. Manz, Charles; Sims, Henry: Superleadership: Leading others to lead themselves. Berret-Koehler, San Francisco, 1990. Moore, Gordon: Cramming more components onto integrated circuits. Electronics, Band 38, Nr. 8, 1965, S. 114–117. Naisbitt, John: High Tech, High Touch. Signum, Wien, 1999. Northouse, Peter: Leadership: Theory and Practice. Sage, London, 2018. Rayner, Steve: Educational diversity and learning leadership: A proposition, some principles and a model of inclusive leadership? Educational Review, 61(4), 2009, S. 433–447. Rietsema, Keeth; Watkins, Daryl: Beyond leadership. International Journal of Business and Social Science, 3(4), 2012, S. 22–30. Ryan, James: Inclusive leadership: A review. Journal of Educational Administration and Foundations, 18(1–2), 2007, S. 92–125. Spörrle, Matthias; Hofreiter, Sebastian: Wie kreativ kann Künstliche Intelligenz sein? Eine psychologische Reflexion. In: Landes, Miriam; Steiner, Eberhard; Utz, Tatjana (Hrsg): Kreativität und Innovation in Organisationen. Springer, Wiesbaden, 2022, S. 347 – 358. Steiner, Eberhard; Landes, Miriam: Leistungsorientierte Vergütung. Haufe, Freiburg, 2017. Weibler, Jürgen: Obama kam, sprach und siegte – Oder wie Reden Führung begründen. In: Weibler, Jürgen (Hrsg.): Barack Obama und die Macht der Worte. Springer, Wiesbaden, 2010, S. 12–38. Weibler, Jürgen: Personalführung. Vahlen, München, 3. Auflage, 2016. Widuelle, Wolfgang: Gesprächsführung in der Sozialen Arbeit: Grundlagen und Gestaltungshilfen. 2. Aufl., Springer, Wiesbaden, 2012. Wüthrich, Hans; Osmetz, Dirk; Kaduk, Stefan: Musterbrecher – Führung neu leben. 3. Aufl., Gabler, Wiesbaden, 2009.

Über Miriam Landes und Eberhard Steiner  |  245 

Über Miriam Landes und Eberhard Steiner Prof. Dr. Miriam Landes ist Geschäftsführerin des Instituts für Unternehmenssteuerung und Veränderungsmanagement (UVM-Institut) in München und Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule für angewandtes Management. Sie forscht zu den Themen neue Formen der Führung, New Work und psychologische Folgen von Veränderungsprozessen. In der Praxis ist sie als Trainerin, Organisationsberaterin und Coach für Führungskräfte tätig und begleitet Unternehmen bei der Einführung und Umsetzung agiler Arbeitsformen, bei Design-Thinking-Ansätzen und Innovationsprozessen. Im UVM Innovation Lab ist Miriam Landes Expertin für psychologische Kontexte beim Erwerb und Ausbau von Kreativität und Innovationskraft. Sie ist Co-Autorin u. a. der Bücher »Psychologie der Wirtschaft«, »Psychologische Auswirkungen von Change Prozessen«, »Führung von Mitarbeitenden im Home Office« und »Erfolgreich und gesund im Homeoffice arbeiten«. Kontakt: www.uvm-institut.de; [email protected] Prof. Dr. Eberhard Steiner ist Geschäftsführer des Instituts für Unternehmenssteuerung und Veränderungsmanagement (UVM-Institut) in München, Wirtschaftswissenschaftler und Professor an der Privatuniversität Schloss Seeburg in Seekirchen. Seine Lehr- und Forschungsinhalte sowie Beratungsschwerpunkte, die er in zahlreichen Pub­likationen veröffentlicht hat, sind Strategie, Behavioral Economics, Organisational Behavior, werteorientierte Unternehmensführung, Change Management und Strategie-Entwicklung. In der Praxis begleitet er Unternehmen bei Veränderungs-, Strategie- und Design-Thinking-Prozessen und berät beim Einsatz agiler Methoden. Er ist Co-Autor u. a. der Werke »Psychologie der Wirtschaft«, »Leistungsorientierte Vergütung«, »Führung von Mitarbeitenden im Home Office« und »Erfolgreich und gesund im Home­ office arbeiten«. Kontakt: www.uvm-institut.de; [email protected]

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13 Die Erwartungen an eine Führungskraft in einer modernen Arbeitswelt – Anpassungsfähigkeit erwünscht Alex Gerritsen und Philipp Thölkes »Moderne Führungskräfte sind mehr gefordert als je zuvor und brauchen, um in der VUCA-Welt standzuhalten, einen Skill besonders: Anpassungsfähigkeit. Wer sich anpassen kann und Veränderung vorlebt, ist gewappnet für die moderne Arbeitswelt.« (Alex Gerritsen)

Auf einen Blick: Worum es in diesem Beitrag geht In dieser Analyse der modernen Arbeitswelt werfen wir aus unserer Sicht als Personalberater einen Blick auf die Veränderungen in der Geschäftswelt, die mit der Industrie 4.0 und den daraus erwachsenden Möglichkeiten einhergehen. Wir schlagen dabei einen Bogen vom Anfang des industriellen Wandels bis hin zur Ist-Situation am Arbeitsmarkt und erläutern die Herausforderungen, denen sich Unternehmen und Führungskräfte in einer modernen Arbeitsumgebung stellen müssen. Unseren besonderen Fokus legen wir darauf, wie sich Unternehmen an die neue Situation anpassen müssen, um konkurrenzfähig zu bleiben, und wie es Führungskräfte schaffen, ihrer wachsenden Verantwortung gerecht zu werden.

13.1 Die Entwicklung der Arbeitswelt Die Arbeitswelt hat sich stark gewandelt. Aber nicht nur die Corona-Pandemie, sondern auch gesellschaftliche Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte haben sich über alle Branchen hinweg bemerkbar gemacht. Doch Veränderungen in der Geschäftswelt und am Arbeitsmarkt sind so alt wie die Arbeitswelt selbst. Bereits mit der Industrialisierung im 18. Jahrhundert in England, als die Dampfmaschine eine maschinelle Erzeugung von Gütern und damit ein neues Wirtschaftswachstum ermöglichte, begann eine stetige Entwicklung, die mit zunehmender Urbanisierung attraktivere Arbeitsplätze an den Industriestandorten hervorbrachte und die Menschen vom Land wegzog (Behne/Tippach, 2014).

248  |  13  Die Erwartungen an eine Führungskraft in einer modernen Arbeitswelt

Die zweite industrielle Revolution begann Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Massenproduktion und ermöglichte durch Fließbandarbeit eine Vervielfachung der industriellen Produktivität, die wiederum neue Arbeitsplätze entstehen ließ und einen weiteren wirtschaftlichen Aufschwung einläutete. Mit der Erfindung der Robotik in den 1970er-Jahren hielten wiederum neue Technologien Einzug in die Industrie. Elektronische Speichermedien setzten Ende der 80er-Jahre neue Maßstäbe und die Fähigkeiten zur Informationsverarbeitung konnten immer besser genutzt werden (Hahn, 2021). Dieser technologische Fortschritt führte auch zu einer immer stärker werdenden Globalisierung, die mit dem Siegeszug des Internets und den daraus neu entstandenen Möglichkeiten und Arbeitsplätzen nicht mehr wegzudenken ist.

13.2 Die Digitalisierung und Industrie 4.0 Heute befinden wir uns mitten in der mittlerweile vierten Industrie- und Arbeitsrevolution, die von zunehmender Digitalisierung in allen Branchen geprägt wird und viele Berufsfelder neu definiert und entstehen lässt. Zwar ist die direkte Kommunikation nach wie vor zentral, gerade wenn es darum geht, eine Bindung aufzubauen und Vertrauen zu schaffen, jedoch ermöglicht die digitale Kommunikation eine zunehmende Dezentralisierung von Unternehmensstrukturen. Prozesse in der laufenden Produktion können von überall auf der Welt beobachtet und analysiert werden, Mensch und Maschine interagieren in Echtzeit miteinander. Globale Lieferketten können durch digitale Planung immer genauer werden, um dem Just-in-Time-Prinzip global tätiger Konzerne gerecht zu werden, das mit immer geringeren Lagerkapazitäten bei gleichzeitig wachsendem Im- und Exportgeschäft eine einzigartige Gewinnoptimierung ermöglicht.

13.3  Der Wandel der Berufsfelder in der VUCA-Welt  |  249 

Neue Geschäftsfelder mit innovativen Produktionsmodellen konnten so entstehen und entwickeln sich stetig weiter. Von analogen und zentralisierten Abläufen wandelt sich die Industrie hin zu einer dezentralisierten und mit digitalen Produktionsprozessen optimierten Branche, die sich noch immer in einem nicht abzusehenden Wachstum befindet. Nahezu überall hat die Digitalisierung mittlerweile Einzug gehalten und ermöglicht eine datengestützte Optimierung bestehender Prozesse. Produkte fungieren immer mehr selbst als Informationsträger, die sich durch selbstlernende Algorithmen ohne menschliches Zutun weiterentwickeln und Aufgaben durchführen können, von denen lange geglaubt wurde, dass für diese zwingend eine menschliche Intelligenz benötigt werde. Unternehmen wie etwa Apple und Tesla haben bereits früh erkannt, dass das Produkt selbst als Datenträger genutzt werden kann, und implementieren Analyse-Tools in die Software ihrer Produkte, um damit Nutzerverhalten tracken und die daraus gewonnenen Erkenntnisse für die Optimierung der Software während des Lebenszyklus sowie auch zur Entwicklung neuer Produkte nutzen zu können. Doch nicht nur auf der Produktionsebene wandelt sich die Wirtschaftswelt. KI-gestützte Dienstleistungen wie das Sichten und Filtern von Bewerbungen und automatisierte Kundenservices mit Chatbots gehören bei vielen Unternehmen längst zum Alltag.

13.3 Der Wandel der Berufsfelder in der VUCA-Welt Der Wandel hin zur Industrie 4.0 lässt aber auch die Berufswelt nicht unberührt. Viele traditionelle und digitale Betätigungsfelder verschmelzen immer stärker, sodass sich die Anforderungen an Arbeitnehmende mit immer ausgeprägterer Technologisierung ihrer Berufe konsequent erhöhen. So wurden aus Kfz-Mechanikern die Kfz-Mechatroniker, deren Ausbildung mit immer mehr verbauter Elektronik heute deutlich mehr Bereiche umfasst als noch vor 20 Jahren. Auch Beschäftigte in der Printmedienbranche mussten sich mit zunehmend geringerer Beliebtheit gedruckter Zeitungen anpassen und lernen, wie journalistische Inhalte online bestmöglich aufbereitet werden und eine große Zielgruppe erreichen können. Vor dem Einsetzen der vierten Industrie- und Arbeitsmarktrevolution war einmal Gelerntes meist beständig und für das Berufsleben langfristig nutzbar. Doch in einer schnelllebigen Welt, in der in kurzer Zeit immer neuere Arbeitsmodelle und -methoden entwickelt werden, ist es für Unternehmen ebenso schwierig, mit innovativen Arbeitsmodellen der Konkurrenz mitzuhalten und als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben, wie für Arbeitnehmer:innen, die sich auf lebenslanges Lernen, auch »Upskilling« genannt, einstellen müssen, um langfristig einen Beitrag für ein fortschrittliches Unternehmen leisten zu können.

250  |  13  Die Erwartungen an eine Führungskraft in einer modernen Arbeitswelt

Der demografische Wandel in Deutschland leistet dieser Entwicklung weiteren Vorschub. Mit dem Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge bis 2035 könnten laut Studie des IW-Instituts bis zu fünf Millionen Erwerbstätige auf dem Arbeitsmarkt fehlen (Busjaeger, 2021). Die ohnehin schon durch den Fachkräftemangel – besonders in MINT-Berufen mit ca. 390.000 unbesetzten Stellen in Deutschland (Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, 2020) – angespannte Lage am Arbeitsmarkt wird anpassungsfähige Fachkräfte immer begehrter werden lassen. Der Mensch wird also auch mit steigender Automatisierung und Digitalisierung von Unternehmensabläufen ein unersetzbarer Teil der Wertschöpfungskette bleiben – besonders in Berufen, in denen der menschliche Kontakt nach wie vor im Vordergrund steht. Aber auch in Branchen, in denen viele Prozesse automatisiert werden können, bleibt dank technischem Fortschritt mehr Raum für soziale Interaktionen, die die Entwicklung der Unternehmen durch stetigen Diskurs fordern und fördern können. Weiteren Auftrieb für die Digitalisierung ehemals analoger Tätigkeiten gab es durch den Ausbruch der Corona-Pandemie 2020. Bestehende Strukturen in Unternehmen wurden durch mehrere Lockdowns, in denen das Arbeiten im Büro rechtlich nicht möglich war und im Hinblick auf das Infektionsgeschehen, die Auslastung des Gesundheitssystems und die potenzielle Gefährdung von Mitarbeitenden zudem unverantwortlich gewesen wäre, stark aufgeweicht. Während die wöchentlichen Meetings in der Regel noch vor Ort stattfanden, verlagerte sich das Arbeiten plötzlich durch weltweites »Social Distancing« so stark wie noch nie zuvor ins eigene Zuhause. Einige Unternehmen, wie etwa die Continental AG mit Sitz in Hannover, etablierten schon vor Ausbruch der Pandemie neue, zukunftsfeste Arbeitsmodelle im Betrieb. Bereits 2016 wurden dort Remote-Arbeitsmöglichkeiten geschaffen und für eine flexiblere Kultur gesorgt, von der auch Beschäftigte in der Produktion ohne Homeoffice-Möglichkeit dank variabler Arbeitszeiten profitieren konnten. Diese Zukunftsinvestition und der Mut, mit veralteten Strukturen zu brechen, sollte sich auszahlen, als im Lockdown innerhalb einer Woche über 100.000 Mitarbeitende weltweit ohne größere Umwege auf das Firmennetzwerk zugreifen konnten (Reinhart, 2022). Flexibles Arbeiten, auch von zu Hause aus, ist also nicht erst eine aus der Pandemie entstandene Erscheinung, die für eine kurze Zeit nützlich war und wieder in Gänze verschwinden wird. Vielmehr wird digitales Arbeiten ein fester Bestandteil unserer neuen Arbeitswelt werden.

13.4  Wie können sich Unternehmen den neuen Herausforderungen stellen?  |  251 

Die Arbeitswelt wird durch die zunehmende Digitalisierung aber auch schnelllebiger, dadurch undurchschaubarer und weniger planbar als noch zuvor. Bezeichnet wird dieses Phänomen mit »VUCA« (volatility, uncertainty, complexity, ambiguity). Mangelnde Vorhersehbarkeit und Erkenntnisse, die schnell veralten, sorgen für Unsicherheit bei Arbeitgebern und Arbeitnehmenden. Die digitale Transformation macht Abläufe zwar zumeist effizienter, die allgegenwärtige Vernetzung sorgt bei der Beobachtung von Entwicklungen aber auch für immer komplexere Prozesse, die Kausalitäten am Markt, die man zu kennen glaubte, außer Kraft setzen können. Mit dem Ausbruch der Pandemie und den Störungen der globalen Lieferketten, die durch den Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine noch weiter intensiviert wurden, macht sich dieser Wandel mittlerweile in allen Branchen weltweit bemerkbar. Für neu auftretende Probleme gibt es folglich nicht zwangsläufig eine einzige, richtige Lösung, weil Sachverhalte durch ihre gestiegene Komplexität immer paradoxer werden und einfache Erklärungen regelmäßig nicht mehr greifen. Einzelne Störungen in einem kleinen Teil dieser global vernetzten Welt können so unvorhersehbare Folgen für ganze Wirtschaftsbereiche haben. VUCA beschreibt also in seiner Gesamtheit die Herausforderungen, denen Unternehmen sich im 21. Jahrhundert nur durch ihre Flexibilität stellen können, um auf umkämpften Märkten nicht ins Abseits zu geraten. Anpassungsfähigkeit ist gefragt Wir befinden uns in einer Dekade, die von massiven Veränderungen in allen Lebensbereichen geprägt ist. Dass Unternehmen sich mit diesen Herausforderungen in der VUCA-Welt nicht nur beschäftigen, sondern sich auch an die neuen Gegebenheiten anpassen müssen, steht außer Frage, wenn sie in Zukunft bestehen wollen.

13.4 Wie können sich Unternehmen den neuen Herausforderungen stellen? Unternehmen müssen daher mit einer großen Offenheit für verschiedene Lösungswege an Veränderungen im operativen Geschäft herangehen, aber auch besonders am Kandidatinnen- und Kandidatenmarkt, der mittlerweile schon als »War for Talents« bezeichnet wird, alternative Ansätze zur Gewinnung von Fachpersonal zu nutzen, um als Arbeitgeber konkurrenzfähig zu bleiben. In einer schnelllebigen Welt mit wenigen Fachkräften wird die Anpassungsfähigkeit von Unternehmen so zentral wie nie zuvor.

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Unternehmen stehen nur noch selten mit ihren Produkten allein für sich und können sich daraus eine Flut an Bewerbungen erhoffen. Auch ein attraktives Gehalt allein ist schon lange keine Garantie mehr für die Besetzung offener Stellen. Stattdessen müssen in Zeiten einer Verlagerung hin zu einem Kandidatinnen- und Kandidatenmarkt die Arbeitskultur und die Werte, die das jeweilige Unternehmen verkörpern möchte, stärker in den Vordergrund rücken. Der USP (Unique Selling Point) am Arbeitsmarkt verschiebt sich also vom Produkt und den Tätigkeitsfeldern des Unternehmens immer weiter hin zu dessen sozialen Komponenten, die heute eine viel beachtlichere Rolle einnehmen. Gelebte Diversität und die Förderung kultureller Vielfalt in einer offenen und modernen Arbeitskultur stellen neben der fortschreitenden Digitalisierung in nahezu allen Branchen zentrale Elemente der neuen Arbeitswelt dar. Unternehmen müssen sich dessen bewusst werden und sich auch an diese neuen Gegebenheiten anpassen, um die junge, umkämpfte Generation zukünftiger Führungskräfte für sich zu gewinnen. Kandidat:innen stellen ihre potenziellen Arbeitgeber dabei auch immer mehr auf die Probe und setzen sich in Zeiten universal verfügbarer Informationen auch viel umfassender mit diesen auseinander, als es früher überhaupt möglich war. Arbeitnehmende werden dadurch immer freier bei der Wahl des Arbeitgebers, da viel zielgenauer nach einem Unternehmen gesucht werden kann, dass die eigenen Werte lebt und repräsentiert. Längst schon haben sich Bewertungsportale wie Kununu mit über 2,5 Millionen Bewertungen zu über 650.000 Firmen (Wecruit, 2021) etabliert, in denen aktuelle und ehemalige Angestellte ihrem Arbeitgeber ein virtuelles Arbeitszeugnis ausstellen können. So geraten die Unternehmen unter Druck, die den Ansprüchen der eigenen Angestellten nicht gerecht werden können. Entziehen kann man sich diesen Bewertungen nicht. Stattdessen sollten Führungsetagen sie ernst nehmen und erörtern, an welchen Stellschrauben gedreht werden kann und sollte, um die Zufriedenheit der Belegschaft zu steigern, die Arbeitskultur langfristig am Puls der Zeit zu orientieren und zu optimieren und Mitarbeitende durch attraktive Angebote mit langfristiger Perspektive im Unternehmen zu halten. Viele unserer Kunden spüren bereits die Auswirkungen des »War for Talents« und kämpfen mit hoher Mitarbeiterfluktuation, die das Planen der Betriebsabläufe durch häufig wechselnde Teamzusammensetzungen erheblich erschweren kann.

13.5 Moderne Arbeitskultur | 253 

Denn immer öfter wechseln hoch qualifizierte Fachkräfte den Arbeitgeber in regelmäßigen Abständen; nicht zuletzt, weil sich so in den meisten Fällen leichter ein höheres Gehalt aushandeln lässt. Neben einer leistungsgerechten Vergütung, die ohnehin in gemeinsamen Feedback-Gesprächen regelmäßig neu verhandelt werden sollte, sollten Mitarbeitende mit besonders hohem innerbetrieblichen Potenzial daher aktiv gefördert werden, um sie für ihr Engagement zu belohnen. So drücken vom Arbeitgeber finanzierte Fort- und Weiterbildungsangebote zum einen Wertschätzung für das Wissen und das Engagement des Angestellten aus und schaffen zum anderen einen gegenseitigen Mehrwert, der letztlich auch die Bindung des Mitarbeitenden an das Unternehmen maßgeblich festigt und Mitarbeiterfluktuation langfristig verringern kann. Die Mitglieder der Führungsetagen müssen also ein Umdenken im jeweiligen Unternehmen in Gang setzen, dass die Förderung von Engagement, soziale Verantwortung und Anpassungsfähigkeit auf allen Ebenen in den Vordergrund stellt, um den Herausforderungen in der VUCAWelt gerecht zu werden. Anpassungsfähigkeit von Unternehmen – ein Muss Unternehmen müssen anpassungsfähig sein, um auf kurzfristige Veränderungen flexibel reagieren zu können, und eine moderne Arbeitskultur etablieren, die Mitarbeiterfluktuation vermeidet und langfristig Produktivität und Profitabilität verspricht.

13.5 Moderne Arbeitskultur Die Bedeutung einer modernen Arbeitskultur steigt. Viele unserer Kandidat:innen meinen, dass der Job nicht nur »gut und sicher« sein muss, sondern auch erfüllend und vereinbar mit eigenen Interessen und privaten Belangen. Unternehmen werben häufig mit moderner Arbeitskultur um hoch qualifizierte Mitarbeitende, haben aber häufig abgesehen von neuester technischer Ausstattung keine Vorstellung davon, wie die Ausgestaltung im Einzelnen aussehen soll.

13.5.1 Welche Faktoren kennzeichnen eine moderne Unternehmenskultur? Zunächst besteht eine Unternehmenskultur aus verschiedenen harten und weichen Faktoren. Harte Faktoren, die die Unternehmenskultur maßgeblich prägen, sind Systeme, also die Prozessabläufe innerhalb der Firma, die Betriebsstruktur, also Arbeitsteilung und Teamzusammensetzung, sowie besonders die Geschäftsstrategie, die das Unternehmen mit verschiedenen Maßnahmen für die Zukunft verfolgt.

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Auf der anderen Seite stehen sogenannte weiche Faktoren, zu denen die Belegschaft selbst samt ihren Fähigkeiten und dem Potenzial zur individuellen Förderung zählt, und ganz besonders auch die Vision, die die Geschäftsführung unter Berücksichtigung ihrer Werte verfolgt. Im Einzelnen unterscheiden sich Interpretation und Ausgestaltung einer modernen Arbeitskultur natürlicherweise von Betrieb zu Betrieb. Gemein haben aber beinahe alle Herangehensweisen an eine moderne Unternehmenskultur, dass diese sich immer mehr auf den Menschen hinter der Arbeit ausrichten und soziale Faktoren weiter in den Vordergrund treten. So wird etwa mit Blick auf mittlerweile 3,2 Millionen Familien in Deutschland, in denen beide Elternteile berufstätig sind (Statistisches Bundesamt, 2021), die Vereinbarkeit von Familie und Beruf immer ausschlaggebender bei der Wahl des Arbeitgebers. Dazu zählen etwa HomeofficeOptionen und flexible Arbeitszeiten, die eine einfachere Planung des familiären Zusammenlebens im Einklang mit dem Beruf ermöglichen. Auch vom Arbeitgeber organisierte Kita- und Schulplätze werden als Benefits immer häufiger Teil von Arbeitsverträgen, um berufstätige Eltern zu entlasten. Viele Menschen arbeiten gern in den frühen Morgenstunden, andere wiederum am Abend, wenn etwa die Kinder im Bett sind. Durch die wachsenden Ansprüche an Fachkräfte in einer voll digitalisierten und sich stets im Wandel befindenden Arbeitswelt steigen auch deren Ansprüche an die Flexibilität ihrer Arbeitsumgebung. Mit diesen Realitäten müssen sich in einer modernen Arbeitswelt die Führungsetagen aller Unternehmen auseinandersetzen. Dass Unternehmen flexibel und anpassungsfähig sein müssen, hat besonders der Umgang mit der Corona-Pandemie gezeigt. Während einige wenige Unternehmen bereits so ausgestattet waren, dass sie ohne Weiteres einen Großteil der Arbeit vor den heimischen Bildschirm verlagern konnten, bestanden manche Geschäftsführer bis zur Unternehmensschließung im Zuge der Lockdowns auf eine Präsenzpflicht im Büro. In vielen Fällen war dies auch dem Umstand geschuldet, dass einige Firmen gar nicht über die digitalen Kapazitäten verfügten, um sich schnell auf die neue Situation einstellen zu können. Nicht selten lag es aber auch daran, dass das Arbeiten von zu Hause aus für viele Geschäftsführende noch immer ein No-Go darstellte. Natürlich gibt es Dinge, die nicht in Videokonferenzen besprochen werden wollen, und nicht immer sind vollständiges Remote Working und gänzlich flexible Arbeitszeiten die Ideallösung, gerade wenn es um wichtige Absprachen geht. Dass das Arbeiten flexibler werden muss, steht jedoch außer Frage. Ein weiteres Element einer modernen Arbeitsumgebung können Co-Working-Spaces sein, in denen verschiedenste Mitarbeitende zusammenkommen und voneinander profitieren können. Offene Arbeitsbereiche spiegeln flache Hierarchien architektonisch wider und zeigen eine deutliche Abkehr von der früheren »Von oben herab«-Arbeitskultur mit vielen abgeschotteten Einzelbüros. Zudem laufen sich in größeren Co-Working-Spaces Mitarbeitende verschiedenster

13.5 Moderne Arbeitskultur | 255 

Unternehmen zwangsläufig über den Weg, wodurch sich die Möglichkeit eines interdisziplinären Austauschs bietet, den man mit den eigenen Kolleg:innen so nicht immer erleben kann. Gerade für junge Unternehmen und Start-ups bieten solche Arbeitsstätten hohes Potenzial.

13.5.2 Sabbaticals als Herausforderung und Chance Auch sogenannte Sabbaticals (Sabbatjahre), bei denen über einen längeren, meist mehrmonatigen Zeitraum eine Auszeit vom Job gewährt wird, werden immer beliebter und auch von immer mehr Arbeitgebern in der Privatwirtschaft ermöglicht, während Beamt:innen im öffentlichen Dienst bereits einen Anspruch darauf haben. Ein Sabbatjahr kann für Arbeitnehmende besonders in schwierigen Lebenssituationen einen guten Ausgleich bieten, bedeutet für den Arbeitgeber gleichzeitig aber auch erhöhten Planungsaufwand, um den Workload auf andere Angestellte aufzuteilen und Regelungen für die Zeit während und nach dem Sabbatical zu treffen. Denn ein Sabbatical ist nicht einfach nur ein längerer Urlaub, in dem man kurz entspannt, Dinge wie den Haushalt oder Papierkram erledigt und dann wieder leicht ausgeruht – wie nach einem gewöhnlichen Urlaub – in die Firma zurückkehrt, sondern eine vollständige Freistellung vom Job für einen im Voraus festgelegten Zeitraum. Es braucht daher eine klare Zielsetzung, damit es auch als tatsächliche Aus- und Ruhezeit genutzt werden kann. Mitarbeitende sollen Abstand zum Arbeitgeber gewinnen, neue Erfahrungen sammeln und sich persönlich weiterentwickeln können, ohne dass der Job im Weg steht. Welche Ziele im Einzelnen mit einem Sabbatical verfolgt werden und wie die Ausgestaltung letztlich aussieht, bleibt zwar dem Mitarbeitenden selbst überlassen, sollte aber dennoch nach Möglichkeit mit der entsprechenden Führungskraft en détail abgesprochen werden, um etwaige Missverständnisse auszuräumen und die Rückkehr zur Arbeit so niederschwellig wie möglich zu gestalten. Die jeweilige Führungsperson spielt in der Planung der Auszeit ohnehin eine tragende Rolle, da sie die Zeit und bevorstehende Aufgaben ohne den Mitarbeitenden planen, Regelungen zur Vergütung treffen und sonstige Sonderleistungen des Arbeitgebers an die Auszeit des Mitarbeitenden anpassen muss. Auch für die Zeit danach gilt es vorzusorgen und den Mitarbeitenden mit einem passgenauen Onboarding wieder zurück in den Beruf zu bringen. Für viele Arbeitgeber ist ein Sabbatical daher zunächst ein Hindernis, das aber durchaus auch Vorteile für die unternehmerische Zukunft bieten kann. Ist die Auftragslage gerade entspannt oder das Unternehmen gar unterbelastet, können Arbeitgeber Mitarbeitende halten, ohne zu sehr unter Kostendruck zu geraten. Zudem ist die Ermöglichung eines Sabbaticals ein Alleinstellungsmerkmal des jeweiligen Unternehmens, das die meisten Arbeitnehmenden in anderen Betrieben nicht kennen. Es transportiert damit eine offene und moderne Unternehmenskultur

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nach außen, die dazu beitragen kann, sich als modernen und attraktiven Arbeitgeber zu positionieren, der sich mit der Offenheit zu ungewöhnlichen Work-Life-Balance-Modellen einen Vorteil im Kampf um die Leistungsträger von morgen verschaffen kann. Welche der vielen individuellen Möglichkeiten zur Förderung der Mitarbeiterbindung ein Unternehmen wahrnimmt, ist jedoch immer spezifisch auf die Art, die Strukturen und die Arbeitskultur abzustimmen, um eine positive Arbeitsumgebung mit hoher Produktivität zu verbinden und ein gesundes Arbeitsklima zu schaffen.

13.5.3 Unternehmenskultur kommunizieren Doch wie Unternehmenskultur erzeugt, praktiziert und weitergegeben wird, ist längst nicht jeder Führungskraft bewusst. In Gesprächen, die wir mit Kandidat:innen führen, bestätigen uns diese regelmäßig, dass es sich bei der Unternehmenskultur um einen Faktor handelt, der zwar ausgeprägt in den Vorstellungen des Arbeitgebers und der Führungsebene vorhanden ist, im laufenden Betrieb aber häufig hintenansteht. Nicht zuletzt liegt das an mangelnder Kommunikation. Das Bewusstsein für eine moderne Arbeitskultur muss häufig erst geschaffen werden. Das gelingt unter anderem dadurch, dass Führungskräfte die neue Kultur ehrlich leben und an alle anderen Mitarbeitenden herantragen. Gezieltes Ansprechen der Beschäftigten und aktives Zuhören sind hierbei die einfachsten Wege, um eine gesunde und nachhaltige Firmenkultur zu etablieren und weiterzugeben. Unserer Auffassung nach lassen sich standardisierte Arbeitsabläufe und ein Gros der Unternehmensprozesse schnell und mit wenig besonderem Zutun an neues Fachpersonal herantragen, eine starke, wertebasierte Unternehmenskultur jedoch nicht. Hier sind Geschäftsführung und leitende Angestellte gefragt, die diese im Umgang mit den anderen Mitarbeitenden durch eine klare und an alle gerichtete Kommunikation etablieren müssen. Ohne eine aktive Kommunikation der Werte und Ziele, die das Unternehmen verfolgt, können Angestellte sich auch nicht auf eine Kultur einstellen, die den Grundstein für eine erfolgreiche Zusammenarbeit legen soll. Besonders stark wird die Unternehmenskultur nämlich auch durch die Motivation der Belegschaft geprägt. Daher kann es sich an vielen Stellen auszahlen, diese auch in Gespräche und Abstimmungen über bestimmte, den Betriebsablauf und die Zukunft des Unternehmens betreffende Entscheidungen einzubinden. Die Meinungsvielfalt, die sich durch die Einbeziehung aller Angestellten in den unternehmerischen Entscheidungen wiederfindet, bietet einerseits durch verschiedene Blickwinkel einen größeren Gestaltungsspielraum und stärkt andererseits auch das Zugehörigkeitsgefühl der Angestellten zum Unternehmen.

13.6  Anpassungsfähigkeit und Empathie: Erfolgsfaktoren für Führungskräfte  |  257 

Eine moderne Unternehmenskultur kann viele Facetten haben, und die einzelnen Möglichkeiten zur Förderung einer neuen und attraktiven Arbeitsumgebung müssen selbstverständlich auf die jeweilige Firma zugeschnitten sein. So, wie wir sie interpretieren, ist sie aber meist eine Mischung aus wirtschaftlicher Profitabilität, sozialer Verantwortung, der Wertschätzung von Mitarbeitenden und einer Flexibilität in allen möglichen Bereichen, die der schnelllebigen Realität in der VUCA-Welt gerecht wird. Sie entsteht jedoch nicht ohne Zutun, sondern nur, wenn man sie aktiv fördert und immer wieder neu am Puls der Zeit ausrichtet. Nur so können Unternehmen von heute die wenigen Fachkräfte von morgen für sich gewinnen, die gleichzeitig Transporteur der Arbeitskultur und Firmen-DNA werden sollen.

13.6 Anpassungsfähigkeit und Empathie: Erfolgsfaktoren für Führungskräfte Nicht nur die Anforderungen von Kandidat:innen an die Unternehmen haben sich verändert. Auch die Erwartungen an Führungskräfte haben sich an die neue Arbeitswelt angeglichen und umfassen heute viel mehr als nur die Organisation der Arbeitsprozesse der Mitarbeitenden, für die sie verantwortlich sind. Stärker als je zuvor werden Führungskräfte von ihren Mitarbeitenden nicht mehr nur nach ihren wirtschaftlichen Erfolgen bewertet, sondern auch nach ihrem Führungsstil. Die emotionale Komponente, also das Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit der Vorgesetzten, Menschen individuell zu fördern und zu motivieren, werden immer wichtiger bei der Wahl des Arbeitgebers. Das zeigt auch eine aktuelle Studie, nach der 34 Prozent der Befragten als Kündigungsgrund gefühllose und uninspirierende Führungskräfte angaben (Armstrong, 2022). Die Motivation, zur Arbeit zu gehen und Leistung zu zeigen, kommt also nicht von allein und auch nicht allein durch einen guten Gehaltsscheck. Wie die oben genannte und auch andere Studien eindrucksvoll zeigen, rücken andere, »weiche« Faktoren immer weiter in den Vordergrund, wenn es darum geht, Menschen für ihre Arbeit zu begeistern und deren Leistungsniveau damit anzuheben. Was müssen Führungskräfte also anders machen als bisher?

13.6.1 Flache Hierarchien etablieren In der modernen Arbeitswelt wird von ihnen immer stärker erwartet, veraltete Denkmuster abzulegen und flachere Hierarchien zur Norm zu machen. Lange Entscheidungswege müssen in dieser schnelllebigen Welt der Vergangenheit angehören, um ein Unternehmen attraktiv

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für umkämpfte Fachkräfte zu gestalten und wirtschaftlich führen zu können. Dazu ist es auch erforderlich, dass Führungskräfte zu echten Führungspersönlichkeiten heranwachsen, die stärker auf die Bedürfnisse ihrer Teams eingehen und in einer offenen Arbeitsumgebung gemeinschaftlich passende Lösungen für betriebsinterne, aber auch private Herausforderungen herausarbeiten können.

13.6.2 Wertschätzung zeigen Leitende Angestellte müssen sich folglich darauf einstellen, immer mehr zum Sprachrohr der Belegschaft zu werden und deren Belange ernst zu nehmen, zu verarbeiten und mit individuellen Regelungen auf sie einzugehen. Der Druck auf sie erhöht sich dadurch immens, da sie eine immer breitere Palette an Interessengruppen zufriedenstellen müssen. Empathie und die Fähigkeit, zuzuhören und Probleme der Belegschaft zu erfassen, sind Faktoren emotionaler Intelligenz, die man nicht einfach studieren kann, die aber einen immer größeren Teil von verantwortungsvollen Positionen einnehmen. Die Basis dafür ist Wertschätzung für die Angestellten, die in einer Arbeitskultur des Positivismus, in der sie verstanden und unterstützt werden, diese Einstellung auf andere Mitarbeitende übertragen und somit ein besseres Arbeitsklima schaffen können, in dem die Menschen produktiv miteinander interagieren. Wertschätzung zu zeigen ist nicht besonders anspruchsvoll oder gar kompliziert. Wie bei allen sozialen Kontakten gilt es auch bei Mitarbeitenden, ehrliches Interesse an ihnen zu zeigen. Einfache Fragen nach dem Wohlergehen und regelmäßige Gespräche über die Zufriedenheit der Angestellten im Unternehmen sind einfache Tools, mit denen im Rahmen einer offenen Diskussionskultur dazu beitragen werden kann, innerbetriebliche Strategien und Abläufe zu analysieren und gegebenenfalls anzupassen.

13.6.3 Eine offene Fehlerkultur leben Auch die Art, auf Fehler von Angestellten zu reagieren, spielt eine große Rolle für das Arbeitsklima. Mit einer offenen Fehlerkultur am Arbeitsplatz stehen nicht die Fehler der Angestellten im Mittelpunkt, sondern wie sich solche in Zukunft vermeiden lassen. Die Angst vor dem Vorgesetzten, der mit der nächsten Kündigungswelle droht, wenn etwas nicht läuft wie geplant, ist ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit, in der einfache Angestellte nicht als gleichwertig zur Geschäftsführung und als reine »Produktionsmaschinen« betrachtet wurden. In der heutigen Arbeitswelt ist diese Einstellung nicht nur fehl am Platze, sondern kann im schlimmsten Fall sogar existenzbedrohend für solche Unternehmen werden, die sich so die ohnehin raren Fachkräfte aus ihrem Bewerberpool vergraulen. Angestellte sollten niemals Angst vor ihren Vorgesetzten haben müssen, sondern in ihnen eher eine Stütze sehen, die bei Fehlern beratend zur Seite steht. Dadurch steigt auch die Bereit-

13.6  Anpassungsfähigkeit und Empathie: Erfolgsfaktoren für Führungskräfte  |  259 

schaft, Fehler überhaupt zuzugeben, zum Thema zu machen, daraus zu lernen und sogar etwaige Folgefehler bereits frühzeitig zu vermeiden.

13.6.4 Mitarbeitende entwickeln Ein ebenso wichtiger Faktor, den es für Führungskräfte zu beachten gilt, sind die Entwicklungsmöglichkeiten der Angestellten. Lebenslanges Lernen ist in der VUCA-Welt, in der sich die Umstände und Ansprüche an Berufe rasant verändern, und inmitten des »War for Talents« nicht mehr wegzudenken. Die Rolle der Führungskraft ist dabei aber nicht nur, sich selbst fachlich und für den eigenen Führungsstil weiterzubilden, sondern auch andere Mitarbeitende bei ihrer beruflichen Weiterbildung zu unterstützen. Viele Angestellte scheuen sich, ihre Führungskraft nach Unterstützung bei ihren Weiterbildungsplänen um Rat zu fragen. Manchmal wird von Mitarbeitenden erwartet, dass sie für ihre Fortbildungen Freizeit opfern oder Überstunden leisten, um die verlorene Zeit wieder reinzuholen. Das sollte jedoch besonders vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels keine Option sein. Wenn Angestellte gehalten werden sollen, sollte lebenslanges Lernen einen hohen Stellenwert haben. Zwar haben insbesondere kleinere Unternehmen manchmal nur beschränkte Kapazitäten, um längere Arbeitspausen für Weiterbildungsangebote gewähren zu können – selbst Online-Kurse können zeitintensiv und aufwendig sein. Aber auch das lässt sich regeln. Mit zielgenauen Absprachen zwischen der Führungskraft und den Beschäftigten lassen sich Differenzen aus dem Weg räumen und Kompromisse finden, mit denen letztlich beide von der gestiegenen Expertise der Angestellten profitieren können. Auch hier kommt der Anpassungsfähigkeit der Führungskraft besondere Bedeutung zu, wenn es darum geht, lösungsorientiert zu handeln und Wünsche der Mitarbeitenden zu berücksichtigen.

13.6.5 Diversität fördern Ethnische Diversität, die Gleichstellung von Frauen und Männern, diversen Menschen sowie die Inklusion von Menschen mit Behinderung muss, losgelöst von fixen Zahlen, fester Bestandteil der Geschäftsstrategien werden, die Führungskräfte verfolgen sollten. Dynamische Märkte in der VUCA-Welt verlangen eine immer größere Flexibilität von Unternehmen. Warum sollten also die Angestellten nicht genauso vielfältig sein wie die Möglichkeiten, die sich aus ihren verschiedenen Sichtweisen ergeben können? Multikulturelle und diverse Teams bringen aber nicht nur verschiedene Ideen und Blickwinkel auf unterschiedlichste Dinge mit sich, sondern performen auch häufig besser als andere Wettbewerber. Die Zeit von Firmen mit überwiegend männlichen Kollegen ist vorbei und mit Blick

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auf unsere gesellschaftliche Entwicklung längst nicht mehr zeitgemäß oder gar besonders produktiv; eher im Gegenteil. Unternehmen, die ethnische, kulturelle und geschlechtliche Vielfalt in ihrer Firmenkultur verankert und im Betrieb etabliert haben, erzielten im Branchenvergleich mit etwa 35 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit finanzielle Renditen, die über dem jeweiligen nationalen Median lagen (Hunt et al., 2015).

Des Weiteren spielt diese Facette der Unternehmenskultur eine große Rolle bei der Wahl des Arbeitgebers, besonders bei den sogenannten Millennials (Generation mit Geburtsjahr kurz vor und um das Jahr 2000). Einer anderen Studie zufolge sind Diversität und Inklusion im Unternehmen für 47 Prozent der befragten Millennials ein wichtiger Faktor für die Wahl des zukünftigen Arbeitgebers (Weber Shandwick, 2016). Dass diverse Teams bessere Ergebnisse liefern und produktiver sind, ist nicht nur statistisch sichtbar, sondern eigentlich eine selbsterfüllende Prophezeiung. So hat ein ukrainisches oder japanisches Informatikstudium etwa andere inhaltliche Schwerpunkte als der vergleichbare deutsche Studiengang. Aber nicht nur verschiedene fachliche Herangehensweisen, sondern auch die unterschiedliche kulturelle Mentalität der Angestellten hilft dabei, unternehmerische Herausforderungen aus deutlich vielfältigeren Sichtweisen wahrzunehmen und darauf zu

13.6  Anpassungsfähigkeit und Empathie: Erfolgsfaktoren für Führungskräfte  |  261 

reagieren. Viele verschiedene Blickwinkel ergeben automatisch eine größere Auswahl an Lösungsansätzen, die für die jeweilige Situation treffend sein könnten. Einige Start-ups in Berlin haben sich bereits von Deutsch als Unternehmenssprache verabschiedet und halten ihre Meetings auf Englisch ab, um Mitarbeitende aller Nationalitäten gleichermaßen ansprechen zu können. »Die Performance dieser Teams ist hervorragend!« (Alex Gerritsen) Um auch in Zukunft konkurrenzfähig zu bleiben und die neue Generation an Fachkräften nicht an andere Wettbewerber zu verlieren, gilt es daher, die Kultur und Art der Unternehmensführung diesen Gegebenheiten anzupassen, um nicht den Anschluss auf dem umkämpften Markt für Talente zu verlieren. Für Führungskräfte ist dieser Faktor wiederum eine weitere Herausforderung, um die sich deren eigentliches Tätigkeitsfeld erweitert. Sie müssen ihre Teams divers gestalten und darauf achten, dass alle zusammen an einem Strang ziehen. Diversität im Unternehmen bringt nämlich nur dann einen Vorteil, wenn sie organisiert abläuft. Ein vielfältiges Team allein ist noch keine Garantie für einen positiven und produktiven Arbeitsablauf. Hier kommt den Führungspersonen eine besondere Rolle zu. Sie sollten bereits bei der Auswahl von neuem Personal ein besonderes Augenmerk auf die Teamzusammensetzung legen und versuchen, das Team auf fachlicher und insbesondere auch auf menschlicher Ebene zusammenzubringen. Denn trotz immer höherer Akzeptanz gegenüber Menschen anderer Nationalität, Herkunft oder anderen Geschlechts findet auch heute noch in vielen Büros Diskriminierung statt, die letztlich auch wieder die Führungskraft auf den Plan rufen sollte. Sie sollte in solchen Fällen nicht nur ein offenes Ohr für diskriminierte Mitarbeitende haben, sondern auch Maßnahmen ergreifen, die den Betroffenen helfen. Die Vorteile diverser Teams überwiegen, wie bereits dargestellt, aber in jedem Fall. Sie fördern interkulturellen Austausch, bringen verschiedene Herangehensweisen an Aufgaben ein, sind zumeist produktiver und ziehen junge Talente an.

13.6.6 Flexible Arbeitsmodelle unterstützen Führungspersönlichkeiten sind aber nicht nur Entscheider, Teamleiter oder Sprachrohr, sondern auch Motivator. Führungspersönlichkeiten in einer offenen Arbeitskultur von heute müssen Teamplayer sein und auch ihre Kolleg:innen aus der Führungsriege mitziehen, wenn es um den Ansporn der An-

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gestellten geht; schließlich ist nicht ein leitender Angestellter allein für die zielstrebige Durchsetzung der Geschäftsziele zuständig und sollte somit auch nicht alleiniger Ansprechpartner der Belegschaft sein. Führungskräfte und Angestellte sollten in einer allumfassend vernetzten Welt untereinander ebenso flach vernetzt sein, um auf kurzfristige Veränderungen flexibel eingehen zu können. Dabei sollten aber stets die Grenzen gewahrt werden und Mitarbeitende in Zeiten permanenter Erreichbarkeit nicht übergriffig beansprucht werden. Flexible Arbeitsmodelle bieten viele Vorteile für alle Unternehmensteile gleichermaßen. So können Büroflächen eingespart werden und Mitarbeitende ihre Arbeitszeiten flexibel an ihre Lebensrealität anpassen. Für Führungskräfte wird dies zur Chance und Herausforderung zugleich. Während sich vor Ort Arbeitszeiten und -leistung verhältnismäßig einfach messen lassen, ist dies am virtuellen Arbeitsplatz nicht ohne Weiteres möglich. Teamleitungen müssen also zum einen feststellen, ob Mitarbeitende den Ansprüchen an ihre Position gerecht werden, zum anderen aber auch sicherstellen, dass sie sich nicht überarbeiten.

13.6.7 Psychische Gesundheit im Blick behalten Viele Menschen entwickeln durch Widrigkeiten und Stress im Job Probleme mit ihrer psychischen Gesundheit. Auch heute noch werden psychisch Kranke stark stigmatisiert. Damit muss gebrochen werden. Führungspersönlichkeiten sollten daher stets auch ein Auge auf die geistige Gesundheit ihrer Mitarbeitenden achten und das Thema psychische Belastung im Unternehmen auf die Agenda bringen. Das beste Instrument, um Angestellte optimal zu unterstützen, ist eine gesunde Vertrauensbasis zwischen Führungsperson und Angestellten. Die Auslastung und mentale Fitness der Beschäftigten im regelmäßigen persönlichen Gespräch zum Thema zu machen und gegebenenfalls Aufgaben neu zu verteilen, wenn es Ungleichgewichte im Arbeitspensum gibt, oder Unterstützung bei der Suche nach professioneller Hilfe anzubieten sind wichtige Bausteine moderner Führung und tragen ebenfalls zu einer angstfreien, gesunden und vertrauensvollen Arbeitskultur bei. Bereits beim Onboarding sollten Führungskräfte sich daher intensiv mit der Persönlichkeit der Kandidat:innen auseinandersetzen und schon in den ersten Wochen eine gesunde Vertrauensbasis schaffen, indem sie empathisch auf gestellte Fragen und Wünsche reagieren und auf Möglichkeiten zur Unterstützung aufmerksam machen. Mit einer engen Zusammenarbeit von Anfang an wird einerseits die Firmenkultur direkt durch die Mitarbeitenden übertragen und andererseits auch leichter feststellbar, ob die neue Kraft die Unternehmenswerte ebenso verkörpert, wie es Führungskräfte und andere Angestellte tun. Zugleich sorgt ein vertrauensvolles

13.6  Anpassungsfähigkeit und Empathie: Erfolgsfaktoren für Führungskräfte  |  263 

Verhältnis auch dafür, dass sich Arbeitnehmende in schwierigen Zeiten nicht allein, sondern auch durch den Arbeitgeber unterstützt fühlen. So wird einerseits Problemen vorgebeugt und zugleich ein persönlicher Mehrwert sowie ein tieferer Sinn für das zu Leistende geschaffen, der langfristig die Bindung an das Unternehmen stärkt und Mitarbeiterfluktuation auf dem ohnehin volatilen Arbeitsmarkt verhindern kann.

13.6.8 Neue Mitarbeitende erfolgreich onboarden Der Onboarding-Prozess stellt aber auch etliche Unternehmen und Führungskräfte vor Probleme. Gerade, wenn die Stelle remote ausgeschrieben ist und das Onboarding online stattfindet, kommen viele Führungskräfte an ihre Grenzen. In einem mittelständischen Unternehmen aus unserer Region (Mittelhessen) konnten wir das live und in Farbe beobachten. Während des Onboardings im Lockdown aus dem Homeoffice heraus wurden technische Themen, Aufgabenbereiche und Zuständigkeiten zwar erklärt, Persönliches sowie Kultur und DNA der Firma kamen jedoch nicht ausreichend zur Sprache. Als das Arbeiten wieder unter normalen Bedingungen möglich wurde, kam der neue Mitarbeiter in positiver Stimmung erstmals in Präsenz an seine neue Arbeitsstelle. Diese positive Stimmung schlug jedoch schnell um, als er nach und nach feststellte, dass zwar der Job genau das Richtige war, die tatsächlich vorherrschende Firmenkultur aber absolut nicht mit seinen Vorstellungen und den Aussagen im Bewerbungsgespräch übereinstimmte. Das ist kein Einzelfall. Häufig wird in Karriereportalen mit allen Regeln der Kunst um Fachkräfte gebuhlt und es werden Werte präsentiert, die nicht der Realität entsprechen. Viele Führungskräfte sollten daher häufiger einen Blick ins eigene Karriereportal werfen und sich die Frage stellen, ob das Geschriebene auch tatsächlich mit der Kultur des Unternehmens übereinstimmt. Das Onboarding soll eine Vertrauensbasis schaffen und eine Phase der Vermittlung von Unternehmenskultur sein, um neue Mitarbeitende gut ins Team aufzunehmen und sie auch auf lange Sicht nicht zu verlieren. Daher ist Führungspersonen nur zu raten, ehrlich auf Fragen zu antworten und die echte Firmenkultur von Beginn an in ein erfolgreiches Onboarding einzubinden.

13.6.9 Personaler:innen in ihrer Arbeit unterstützen Aber nicht nur im Führungsstil, sondern auch bei der Personalgewinnung müssen sich moderne Leader verändern. Am umkämpften Arbeitsmarkt müssen sie mehr denn je öffentlich sichtbar und damit ein Gesicht des Unternehmens sein. Netzwerken aus dem gesamten Unternehmen heraus kann einen großen Beitrag dazu leisten, Spezialisten über Spezialisten anzuziehen. Fachkräfte, die das Unternehmen nach außen fachbezogen repräsentieren und aus ihrem Tätigkeitsfeld berichten, können Menschen aus ihrem Fachnetzwerk so auf interne Karrierechancen aufmerksam machen. Mit einem zugeschnittenen Personal Branding werden die Angestellten selbst zum Markenbotschafter und Magneten für Bewerber:innen.

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Gleichzeitig sollte aber auch darauf geachtet werden, dass die Auswahlverfahren von Kandidat:innen fairer und Positionen nicht seilschaftenähnlich vergeben werden. Für viele Bereiche sind daher auch anonymisierte Bewerbungen, bei denen der Personaler die Menschen dahinter erst im Vorstellungsgespräch kennenlernt, eine gute Möglichkeit, um für fairere Bedingungen in der Bewerbungsphase zu sorgen und die Auswahl anhand fachlicher Qualifikationen neutraler zu gestalten. Dazu muss Führungspersonal digitales Wissen besitzen und dieses auch anwenden können. Mit der richtigen Verwendung von KI-gestützten Bewerbungstools können diese eine große Bereicherung für die HR-Abteilung darstellen, indem sie Personaler:innen Arbeit abnehmen und diese sich auf das Wesentliche konzentrieren können.

13.7 Ausblick In der Berufswelt wird die Rolle der Führungskräfte als Getriebe des Unternehmens also immer bedeutungsvoller. Ihre Aufgabenbereiche werden immer vielfältiger, auf schlagartige Veränderungen müssen sie schnell und lösungsorientiert reagieren können, dabei aber empathisch bleiben und auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden eingehen und den Teamzusammenhalt fördern. Wichtigste Eigenschaft: Anpassungsfähigkeit Führungskräfte müssen genauso flexibel sein, wie es die moderne Arbeitswelt selbst ist, um in ihr bestehen zu können. Die wichtigste Eigenschaft, die sie in der Arbeitswelt 4.0 mitbringen müssen, ist Anpassungsfähigkeit. Nur wer sich in einem Zeitalter rasanten Wandels schnell an neue Umstände anpassen kann, wird langfristig erfolgreich sein.

Literatur | 265 

Literatur Armstrong, Martin: Why people are quitting their jobs . Statista, 25.7.2022, online verfügbar unter: https://www.statista.com/chart/27830/reasons-for-quitting-previous-job/ (letzter Zugriff: 24.8.2022). Behne, Joel; Tippach, Thomas: Die Geschichte der Industrialisierung. Uni Münster. Portal Städtegeschichte.de, 1.9.2014, online verfügbar unter: https://www.uni-muenster.de/Staedtegeschichte/ portal/einfuehrung/geschichte/industrialisierung.html (letzter Zugriff: 12.7.2022). Busjaeger, Felix: Rente: Bye Bye Babyboomer – Milliardenverluste drohen. Kreiszeitung.de, 20.11.2021, online verfügbar unter: https://www.kreiszeitung.de/politik/rente-2022-bye-byebabyboomer-milliardenverluste-drohen-zr-91113374.html (letzter Zugriff: 12.7.2022). Hahn, Vivien: Der Wandel der Arbeitswelten – gestern, heute und morgen. Deutscher Mittelstandsschutz, 23.12.2021, online verfügbar unter: https://mittelstandsschutz.de/magazin/zukunftarbeitswelt-eine-rasante-entwicklung/#Wie_alles_begann_Arbeitswelt_10_bis_40 (letzter Zugriff: 12.7.2022). Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft: Beschäftigung sichern – 10 Fakten zum Arbeitsmarkt. INSM, 31.7.2020, online verfügbar unter: https://www.insm.de/insm/themen/arbeit/10-fakten-zumarbeitsmarkt#c708902 (letzter Zugriff: 12.7.2022). Hunt, Dame Vivian; Layton, Dennis; Prince, Sara: Why diversity matters. McKinsey & Company, 1.1.2015, online verfügbar unter: https://www.mckinsey.com/capabilities/people-andorganizational-performance/our-insights/why-diversity-matters (letzter Zugriff: 9.10.2022). Reinhart, Ariane: »Flexible Arbeitsmodelle brauchen Raum« (Interview). Personalmagazin, 30.6.2022, online verfügbar unter: https://www.haufe.de/personal/hr-management/continental-ag-mut-zuflexiblen-arbeitsmodellen_80_569884.html (letzter Zugriff: 12.7.2022). Statistisches Bundesamt: In 3,2 Millionen Familien mit jüngeren Kindern sind beide Elternteile erwerbstätig. Pressemitteilung Nr. N 002 vom 7.1.2021, online verfügbar unter: https://www.destatis. de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/01/PD21_N002_122.html (letzter Zugriff: 12.7.2022). Weber Shandwick: Millennials at work – Perspectives on diversity & inclusion. Weber Shandwick, 12.6.2016, online verfügbar unter: https://www.webershandwick.com/news/millennials-at-workperspectives-on-diversity-inclusion/ (letzter Zugriff: 9.10.2022). Wecruit: Arbeitgeberbewertungen: Warum diese immer wichtiger werden. Wecruit – Das Arbeitgebermagazin, 2.8.2021, online verfügbar unter: https://www.stellenanzeigen.de/arbeitgeber/wecruit/ arbeitgeberbewertungen-warum-diese-immer-wichtiger-werden (letzter Zugriff: 12.7.2022).

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Über Alex Gerritsen und Philipp Thölkes Alex Gerritsen ist Geschäftsführer der GPU Gerritsen Personal- und Unternehmensberatung GmbH mit Sitz in Marburg. Für eine der weltweit führenden Personalberatungen eröffnete er das Geschäft in der DACH-Region mit drei Mitarbeitenden und entwickelte die Firma zu einem der führenden Personaldienstleister mit über 700 Angestellten. Er ist Gründungsmitglied der Association of Professional Staffing Companies (APSCo) in der DACH-Region und erhielt mehrere Male das Gütesiegel »Top Employer – Mittelstand Deutschland«. Als Coach und Berater unterstützt er Unternehmen bei Themen wie Arbeitgebermarke, Diversität, Eignungsdiagnostik, Führungskräfteentwicklung und Assessment Centern sowie auch Kandidatinnen und Kandidaten in der Bewerbungsphase und beim Onboarding. Er besitzt die deutsche und die niederländische Staatsangehörigkeit. Zu seinen Interessen zählen Kochen, Skifahren, Netzwerken, psychologische Eignungsdiagnostik und insbesondere seine Familie, mit der er in Marburg heimisch geworden ist. Philipp Thölkes ist Student der Rechtswissenschaften an der PhilippsUniversität Marburg und bei der GPU Gerritsen Personal- und Unternehmensberatung als Research Associate im Bereich Marketing und PR tätig. Er verwaltet dort den Social-Media-Auftritt, fertigt Blogartikel zu verschiedenen aktuellen Themen im Recruiting-Bereich an und übernimmt verschiedene administrative Tätigkeiten. In seiner Freizeit engagiert er sich zudem ehrenamtlich für Politik, fährt gern mit dem Rad und ist begeisterter Hobbykoch.

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14 Die Entwertung der Führungsrolle – Warum Chef:innen morgen weniger verdienen Tobias Krüger »Wem es nicht gelingt, das Potenzial seiner Mitarbeitenden zu entfesseln, wird keine Chance haben, die zukünftigen Herausforderungen zu meistern. Dafür muss aber ein tradiertes Führungsverständnis überwunden werden. Dies wird ohne ein neues Mindset nicht gelingen.« (Tobias Krüger)

Auf einen Blick: Worum es in diesem Beitrag geht Ich bin fest davon überzeugt, dass es in (traditionellen) Unternehmen zu einer Entwertung der (klassischen) Führungsleistungen kommen wird. Diese wird zu einer Verringerung des Lohns führen, sodass Chef:innen morgen weniger verdienen werden als heute. Dafür spricht aus meiner Sicht eine Vielzahl von makroökonomischen sowie gesellschaftlichen Entwicklungen. Diese sind – jeweils einzeln betrachtet – überschaubar und wirken isoliert wenig bedrohlich. Sie schaukeln sich meiner Meinung nach aber in einer zunehmenden Dynamik auf und werden so zu einem radikal neuen Führungsverständnis führen (müssen). Ich entwickle meine Thesen entlang vieler Beobachtungen und eigener Erfahrungen. Dabei ist es wichtig, den Handlungsrahmen heutiger Führungskräfte zu skizzieren, da nur vor diesem Hintergrund die zu erwartenden Entwicklungen und Dynamiken ihre disruptive Kraft entfalten werden. Gleichzeitig mangelt es nicht an Chancen und Möglichkeiten. Daher schließt der Text mit einem positiven Ausblick auf die »schöne neue Arbeitswelt«.

14.1 Der Handlungsrahmen heutiger Führungskräfte Wir leben in aufregenden und herausfordernden Zeiten. Dies ist besonders zutreffend, wenn man die Perspektive der deutschen Wirtschaft einnimmt. Egal ob Digitalisierung, Klimakrise, Globalisierung, der Lieferkettenabriss oder der demografische Wandel: Es gibt viel zu gestalten, vieles zu entscheiden und noch viel mehr Neues zu entdecken. Gleichzeitig setzen viele Veränderungen den Organisationen zu und erhöhen so den Druck auf diese. Gesellschaftliche und politische

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Umbrüche gehören ebenso zum Unternehmensalltag wie auch der zunehmend kritische Blick einer immer stärker werdenden interessierten Öffentlichkeit. So entsteht eine Melange aus zahlreichen externen und internen Herausforderungen, die sich in dem diffusen Gefühl äußert, vor vielen Herausforderungen zu stehen und nicht zu wissen, wo – geschweige denn wie – man beginnen soll mit der viel zitierten »Transformation«.

In manchen Teilen von Organisationen macht sich durch die Befürchtung, mehr falsch als richtig machen zu können, eine gewisse Ohnmacht breit. Viele Unternehmen reagieren mit altbekannten und bisher überwiegend erfolgreichen Strategien auf diese Situation und initiieren verschiedene Strategie-, Technologie- und/oder Transformations- bzw. Changeprojekte. Manche Organisationen forcieren gelegentlich auch den Umbau auf allen Ebenen und verzetteln sich dabei leider viel zu oft. Unternehmen setzen dabei auf bereits geübte und plötzlich viel zu selten von Erfolg gekrönte Vorgehen. Am Ende machen sie oft nicht mehr als nur mehr vom Selben.

14.1  Der Handlungsrahmen heutiger Führungskräfte  |  269 

Setzt man den Fokus auf die Führungskräfte, so lässt sich zunächst einmal festhalten, dass diese grundsätzlich – ungeachtet des Wesens des angestoßenen Transformationsprozesses – eine Schlüsselrolle einnehmen. Die Unternehmensleitung erwartet, dass diese auf der einen Seite das bestehende Geschäft operativ absichern und gleichzeitig die Weichen für die Zukunft stellen. Gleichzeitig wollen die Mitarbeitenden mitgenommen werden und diese Transformation immer öfter auch mitgestalten. Von den Führungskräften wird nun erwartet, dass sie dieses als »Ambiguitätsdilemma« beschriebene Phänomen idealtypisch managen. Es lässt sich damit also erst einmal nüchtern festhalten, dass Führungskräfte auf diese Weise in eine sehr undankbare Rolle geraten. Sie werden für das Gelingen einer strategischen, technologischen oder kulturellen Transformation verantwortlich gemacht. Das erhöht den Druck und führt oft zu Überforderung. Viele geübte Führungskräfte entziehen sich diesem Spiel, indem sie sich bestimmter Konformitätsaktivitäten oder Ausweichbewegungen bedienen. In einer solchen gibt man sich sehr beschäftigt, ohne dass zu viele Menschen um einen herum merken, dass man eigentlich gar nicht so viel tut. Viele Führungskräfte sind auch sehr damit beschäftigt, Absichten zu formulieren, zu konzeptionieren oder den Fortschritt der Veränderung zu beschreiben sowie zu überwachen. Daher kommen sie viel zu oft gar nicht wirklich dazu, etwas zu verändern. Selbstverständlich gibt es auch viele großartige Führungskräfte, die sich ihrer Verantwortung stellen und nach bestem Wissen und Gewissen versuchen, die Transformation zu gestalten. Diese sind allerdings eher in der Minderheit. Darüber hinaus wachsen die Erwartungen der Mitarbeitenden an den oder die direkte:n Vorgesetzte:n während eines Transformationsprozesses. In diesem Kontext lässt sich bereits ein erstes Paradoxon feststellen: In Veränderungsprozessen wird zu oft übersehen, dass die Rolle der Führungskraft durch die bereits erwähnten Dynamiken ebenfalls ins Wanken gerät und sie sich ebenso wie das Unternehmen, in der sie wirkt, an die neuen Kontexte anpassen muss. Menschen, die in den bestehenden Organisationen sozialisiert wurden und häufig auch bis zu einem gewissen Grad Karriere gemacht haben, sollen nun das System verändern, in dem sie selbst erfolgreich geworden sind. Dass dies in dieser Form nur in Ausnahmefällen gelingt, darf eigentlich nicht überraschen. Ganz unabhängig davon, wie gut es diesen Menschen gelingt, sich und ihre eigenen Egos zu überwinden, bin ich der festen Überzeugung, dass Führungskräfte in diesen aufregenden und herausfordernden Zeiten auch weiterhin eine entscheidende Rolle spielen und auch zukünftig spielen werden. Nur wird sich die Rolle der Führungskraft radikal verändern. Das hat unterschiedliche Gründe. Zunächst möchte ich ganz nüchtern aus strategischer Sicht auf die sich abzeichnenden makroökonomischen Veränderungen schauen, bevor es dann um eine gesellschaftliche Perspektive geht und ich einen Ausblick auf die zukünftige Rolle einer Führungskraft wage.

270  |  14  Die Entwertung der Führungsrolle

14.2 Eine strategische Einordnung Veränderte Spielregeln Wer sich mit der Zukunft von Führungskräften auseinandersetzt, muss dies stets vor dem Hintergrund der marktwirtschaftlichen Veränderungen tun – geben diese doch den Handlungsrahmen vor und definieren so das Spielfeld, in dem eine Führungskraft wirken kann. Ich erwarte, dass sich – um in diesem Bild zu bleiben – nicht nur Regeln, nach denen gespielt wird, verändern werden, sondern dass es darum gehen wird, eine komplett neue Sportart auszuüben.

Ich bin zu der Einsicht gelangt, dass sich aus einer strategischen Perspektive betrachtet übergeordnete Marktdynamiken identifizieren lassen, die genau diesen Wechsel in der Rolle einer Führungskraft zwingend erforderlich machen. Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist der sich weiter verschärfende Wettbewerbsdruck, dem Unternehmen ausgesetzt sein werden. Egal ob es technologische Innovationen sind, eine zunehmende Regulierung, die Verbreitung von neuen (Produktions-)Verfahren, die weitere Globalisierung von Märkten oder aber abnehmende Marken- oder Arbeitgeberloyalitäten: Ich bin mir sicher, dass viele der Faktoren, die Unternehmen heute als Wettbewerbsvorteile für sich in Anspruch nehmen, in Zukunft schneller und häufiger erodieren werden und dass dies zusätzlich auch noch entlang von immer mehr wettbewerbsdifferenzierenden Faktoren stattfinden wird. Wir stehen damit auch erst am Anfang eines sehr viel größeren gesellschaftlichen Umwälzungsprozesses. Aus meiner Sicht gibt es hierfür zahlreiche Gründe, die je nach Organisation unterschiedlich stark zum Tragen kommen, aber in Summe zu einer verschärfenden Dynamik führen. Es bleibt festzuhalten, dass eine Vielzahl von Organisationen zusehends in globalen und häufig immer stärker digital geprägten oder bereits vollständig digitalisierten Märkten agiert. Es lässt sich ebenso feststellen, dass ein erheblicher Teil der traditionell gewachsenen deutschen Unternehmen ein strukturelles Defizit gegenüber anderen Wettbewerbern hat. Oft verfügen diese über zu geringe Ressourcen und auch ein zu geringes Know-how, um mit (globalen) Wettbewerbern mitzuhalten. Zugleich sinken in vielen Industrien die Eintrittshürden, wodurch der Markteintritt von ehemals branchenfremden Marktteilnehmern möglich wird. Auch abnehmende Loyalitäten sowie immer schneller werdende (Produkt-)Lebenszyklen sind zu beobachten. Ein Mangel an ausreichenden Ressourcen ist besonders häufig zu konstatieren, wenn neue (digitale) Wettbewerber in Märkte eintreten, die durch tradierte Marktteilnehmer und tradierte Geschäftsmodelle geprägt sind. Diese neuen Wettbewerber spielen zumeist nach eigenen Spielregeln, sind häufig sehr finanzstark und haben weitere strukturelle Vorteile (etwa der Zugang zu neuen Technologien). Solche Player treffen dann häufig auf unzureichend vorbereitete traditionelle Unternehmen, die weder die Spielregeln verstehen noch die notwendigen Fähigkeiten besitzen, diese schnell zu erlernen. Ich habe oft beobachten können, dass viele

14.2  Eine strategische Einordnung  |  271 

der Strategien neu eintretender Marktteilnehmer nicht einmal in den Denkräumen tradierter Unternehmen existierten. Sie hatten eben oft einen disruptiven Charakter. In vielen Bereichen der Wirtschaft ist es sehr viel einfacher geworden, als Marktteilnehmer zu agieren – entweder, weil neue Technologien zur Verfügung stehen (eCommerce, Mobile Commerce, Conversational Commerce, Metaverse), neue Industrien entstehen (Elektromobilität, erneuerbare Energien, Telemedizin) oder es neue Regularien gibt (z. B. im Kartellrecht – man denke etwa an die Öffnung von Microsoft gegenüber neuen Internetbrowsern). Diese Entwicklung wird durch die abnehmende Loyalität – egal ob von Kund:innen, Bewerber:innen, Mitarbeitenden oder Lieferanten und Zulieferern – in Kombination mit immer schnelleren (Produkt-) Lebenszyklen verstärkt. Beispiele sind hier etwa die Smartphone-Industrie oder die Logistik. Hier verschieben sich Marktanteile quasi in Echtzeit. Branchenübergreifend ist dazu festzustellen, dass es in sehr vielen und sehr hochspezialisierten Bereichen immer öfter zu einer Fragmentierung entlang der Wertschöpfungsketten kommt. Einzelne Wertschöpfungsschritte werden als Dienstleistung oder Produkte angeboten und schaffen so einen neuen Markt – egal ob es Anbieter sind, die ihre Dienstleitungen als Software oder Platform as a Service anbieten (SaaS bzw. PaaS), oder solche, die die Übernahme interner Wertschöpfungsanteile (etwa Customer Care, Mahnwesen o. Ä.) am Markt platzieren. So werden zukünftig viele kritische und wettbewerbsrelevante Funktionen als Dienstleistung und als (digitalisiertes) Produkt auf einem globalen Markt angeboten. Egal ob der Zugang zu kritischer (IT-)Infrastruktur, ausgereiften Algorithmen, Machine Learning oder künstlichen Intelligenzen – all dies ist bereits verfügbar und damit käuflich zu erwerben. Waren dies vor einigen Jahren noch Eintrittshürden und wettbewerbsdifferenzierende Fähigkeiten, so ist vieles heute bereits zum standardisierten (Software-)Produkt geworden. Dabei verlieren diese nicht nur den Status des Wettbewerbsvorteils, sondern werden zum notwendigen »Hygienefaktor« degradiert. Dies gilt auch für das Feld der Hochtechnologie (z. B. Open AI und Anwendungen wie Dall-e 2). Denn wenn diese Dinge auf einem Markt vorhanden sind, geht es nicht mehr darum, diese zu besitzen, sondern darum, diese auf eine Art und Weise so zu koordinieren, dass sie den größten Wert für die Kund:innen schaffen. Und das versuchen dann wiederum alle Unternehmen in Echtzeit. Die skizzierten Mechanismen lassen sich länder-, branchen- und organisationsübergreifend beobachten und führen zu einer ungeahnten Dynamik. Auch dies ist ein Grund dafür, dass Unternehmensstrategien zunehmend austauschbar werden – und das nicht nur innerhalb von Industrien, sondern auch zwischen ihnen und über nationale Grenzen hinweg. So unterscheiden sich viele Strategien (größerer) Unternehmen kaum noch und nähern sich immer weiter an.

272  |  14  Die Entwertung der Führungsrolle

Nur vor diesem Hintergrund lassen sich die Herausforderungen und Anforderungen an eine »moderne« Führungskraft diskutieren. Dieser Handlungsrahmen mag abstrakt klingen, hat aber ganz konkrete Auswirkungen auf die Lebensrealität von Führungskräften in Organisationen. (Erfahrungs-)Wissen weniger relevant Die Rolle der Führungskraft verändert sich dahin gehend, dass in einem solchen Umfeld der eigentliche Mehrwert einer Führungskraft in abnehmendem Maße von deren (Erfahrungs-)Wissen abhängt.

Gerade (Erfahrungs-)Wissen war in der Vergangenheit oftmals die Voraussetzung für die Übernahme einer Führungsrolle. Die Wichtigkeit der fachlichen Expertise von Führungskräften erodiert zunehmend. An deren Stelle treten andere Fähigkeiten, etwa komplexe, koordinative Fähigkeiten – zum Beispiel wenn es darum geht, kontextangemessen die für die eigenen Kund:innen besten Optionen auszuwählen und so zu harmonisieren, dass auf der einen Seite eine ausreichende Wertschöpfung generiert wird und gleichzeitig die Probleme der Kund:innen gelöst werden. Diese Aufgabe ist nicht zu verwechseln mit der klassischen koordinativen Aufgabe, bei der komplizierte Sachverhalte organisiert werden. Solche Aufgaben werden zunehmend durch moderne Arbeitsmethoden und die Arbeit in sich selbst organisierenden Teams substituiert. Der ökonomische Erfolg dieser komplexen, koordinativen Leistung einer Führungskraft ist relativ gesehen schwerer zu messen als der direkte Wertbeitrag. Der offensichtliche Beitrag zum Unternehmenserfolg sinkt damit tendenziell. Dadurch wird die Bereitschaft, solche Rollen in Unternehmen zu schaffen oder zu erhalten, über die Zeit sinken. Auch die Bereitschaft, diese Rolle im Verhältnis zu den direkt wertschöpfenden Rollen überproportional zu entlohnen, wird abnehmen. Dieser Effekt wird durch die Tatsache verstärkt, dass zunehmend Mitarbeiter:innen unternehmerisch ermächtigt (empowert) werden. Dies bedeutet stark vereinfacht nichts anderes, als dass diese Mitarbeitenden zunehmend traditionelle fachliche Führungsaufgaben übernehmen, indem sie fachliche oder organisatorische Entscheidungen treffen, Ressourcen eigenständig(er) allozieren oder einfach mehr Verantwortung übernehmen können. Diese so gestärkten Mitarbeiter:innen werden völlig zu Recht den mit diesen Aufgaben einhergehenden Lohnausgleich fordern. Ich erwarte, dass diese Mehrkosten zulasten der traditionellen Führungsrollen gehen werden. Schließlich erfolgt hier auch die Entlastung.

14.2  Eine strategische Einordnung  |  273 

Es ist sehr wahrscheinlich, dass zukünftig fachliche Führung von Projekt zu Projekt und von Aufgabe zu Aufgabe auf wechselnde Schultern verteilt werden wird. Vielleicht wird diese Rolle dann temporär entlohnt. In Summe wird es aber weniger fachliche Vollzeit-Führungskräfte geben (müssen) und diese werden wohl auch weniger gut verdienen als ihre heutigen Kolleg:innen. In vielen Unternehmen macht die fachliche und disziplinarische Führung immer noch einen ganz wesentlichen Anteil der Führungsleistung aus. Sie ist an vielen Stellen auch weiterhin für das eigene Fortkommen in Organisationen maßgeblich. Ich habe selbst vielen Mitarbeitenden, die ich in einer Organisation halten wollte, nur eine fachliche Führungsrolle anbieten können. Sie galten aus Sicht des HR-Betriebssystems als »finanziell ausentwickelt«. Es gab also keine Möglichkeit mehr, diesen Mitarbeitenden einen nennenswerten Einkommenszuwachs zukommen zu lassen, außer diesen zu einer Entwicklung als »klassische« Führungskraft zu raten. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von vielversprechenden Ansätzen, mit dieser Herausforderung umzugehen – etwa echte Fach-/Expert:innen-Karrieren, Teilung von Führungsrollen, fluide Organisationsansätze etc. Diese führen aber – wie ich gleich aufzeigen werde – zu einer fortschreitenden Entwertung der klassischen Führungsrolle in einer traditionellen Organisation. In vielen Organisationen lässt sich beobachten, dass fachliche Expert:innen immer stärker klassische Führungsrollen übernehmen, indem sie etwa die Hoheit über (fachliche/budgetäre) Entscheidungen erhalten. Dies ist heute schon an vielen Stellen der (Hoch-)Technologie der Fall. So weiß ich von vielen Organisationen, in denen etwa die Expert:innen (Grundlagenforschung, künstliche Intelligenz, Machine Learning etc.) besser entlohnt werden als deren Führungskräfte. Leider fällt es nur bei den allerwenigsten Menschen zusammen, dass sie gute, moderne Leader und gleichzeitig auch fachliche Expert:innen sind. Deshalb wird schon heute vielfach die fachliche Führung von der disziplinarischen abgetrennt. Das Schaffen dieser neuen Rollen setzt die traditionelle Führungsrolle weiter unter Druck. Nun müssen sich noch mehr Menschen den eh schon kleiner gewordenen Budget-Kuchen teilen. Derselbe Effekt entsteht durch die Teilung von fachlichen und strategischen Führungsrollen. In Summe führen solche Entwicklungen dazu, dass es ein Mehr an Führung gibt und dass es damit langfristig – gerade wenn der ökonomische Mehrwert von (neuen) Führungsrollen neu auszuhandeln ist – zu Umverteilungen bei den Löhnen und zu breiteren Führungsspannen kommen wird. Die Vielzahl der internen und externen marktwirtschaftlichen Herausforderungen wird also zu Veränderungen der Organisation von Führungsaufgaben innerhalb von Unternehmen führen. Führung wird entweder durch die Zunahme von Führungsrollen oder aber die Übernahme von klassischen Führungsaufgaben durch Mitarbeitende umverteilt oder substituiert. Damit wird der Wertbeitrag einer Führungskraft schwerer zu ermitteln sein und dies wird zu einer abnehmenden Bereitschaft von Unternehmen führen, diese im gleichen Maße wie heute zu entlohnen.

274  |  14  Die Entwertung der Führungsrolle

14.3 Eine gesellschaftliche Einordnung Neben den aufgezeigten Dynamiken, die aus meiner Sicht zu einer radikalen Veränderung unseres heutigen Führungsverständnisses führen werden, gibt es eine Vielzahl von gesellschaftlichen Aspekten, die die Ausgestaltung von (neuen) Führungsrollen prägen werden. Klassische Führungsrollen unbeliebt Immer weniger Menschen sind bereit, in Organisationen Führungsaufgaben in einem klassischen Zuschnitt zu übernehmen.

Mittlere Managementpositionen, in denen man weder eine vollwertige fachliche noch eine disziplinarische Führungskraft ist, sind besonders unbeliebt – vielleicht auch, weil vielen bewusst ist, dass diese Rolle an Wichtigkeit und Relevanz in Unternehmen abnehmen wird. Sicher ist auch der Wertewandel in den Generationen Z und Alpha ein Grund für die sehr gering ausgeprägte Motivation zur Übernahme von Führungsrollen. Die finanziellen Anreize eines beruflichen Aufstiegs scheinen die assoziierten negativen Effekte immer weniger zu kompensieren. Sicher spielt auch eine Rolle, dass die Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns in diesen Generationen zunehmend den bisher vorherrschenden Materialismus verdrängt. Gewiss lässt sich das nicht für jede:n dieser Generation feststellen, in der Tendenz ist dies aber der Fall. Gleichzeitig setzt dieser Wandel vorherrschende Rollenbilder unter Druck. Wenn es der eigenen sozialen Reputation und auch dem eigenen Selbstwertgefühl zuträglicher ist, sich selbst zu verwirklichen als eine klassische (Konzern-)Karriere zu verfolgen, führt das zwangsläufig zu einem Mangel an Führungskräften mit einem konservativen Werte- und Führungsverständnis. Da diesen Generationen weniger an materiellem Aufstieg gelegen ist, führt die Verknappung erstaunlicherweise nicht zu einer Steigerung von Löhnen. War for Talents Der demografische Wandel und der allgemeine Fachkräftemangel schaffen einen Bewerber:innenmarkt, an den sich Unternehmen nach Jahren knallharter Auswahlprozesse augenscheinlich in weiten Teilen noch anpassen müssen.

Diese neuen Realitäten fördern natürlich auch die Ansprüche potenzieller Mitarbeiter:innen. Diese äußern sich spannenderweise eben gerade nicht (ausschließlich) in dem Wunsch nach höheren Bezügen oder klassischen materiellen Incentives, sondern vor allem im Wunsch nach Flexibilität, Freizeit und Gestaltungsfreiräumen. Diese Wünsche sind heute oftmals nicht oder nur ungenügend in den HR-Betriebssystemen abgebildet. So setzen auf der einen Seite die veränderte Bedürfnislage und auf der anderen Seite der Mangel an flexiblen und individuellen Angeboten den Organisationen und damit auch den Führungskräften weiter zu. Des Weiteren entsteht durch den gestalterischen Anspruch auch innerhalb von Organisationen zunehmend der Druck, sich als Unternehmen inhaltlich zu gesellschaftspolitischen Debat-

14.3  Eine gesellschaftliche Einordnung  |  275 

ten zu positionieren. Mitarbeitende fordern – an vielen Stellen zu Recht – Erklärungen für das Verhalten von Unternehmen. Diese Diskussionen sind nicht frei von Friktionen. Somit müssen Führungskräfte stärker Unternehmensinteressen vertreten, die ggf. den eigenen Wert- und Moralvorstellungen zuwiderlaufen. Ich möchte hier an die Debatten rund um die »Cancel Culture« oder den »Woke«-Anspruch erinnern. Diese gesellschaftlichen Phänomene machen selbstverständlich nicht halt vor den Unternehmensgrenzen und fordern Organisationen auch kommunikativ heraus. So verkompliziert sich die Aufgabe einer modernen Führungskraft zusehends, da diese nun auch noch die unterschiedlichsten Interessen aushandeln bzw. den Prozess der Aushandlung moderieren muss. Auf der einen Seite gibt es legitime Unternehmensinteressen – die im Zweifel nicht einmal die Wert- und Moralvorstellungen der jeweiligen Führungskraft widerspiegeln – und auf der anderen Seite die zunehmend kritische Mitarbeiterschaft mit eigenen Wertvorstellungen und Erwartungen an ein Unternehmen. All dies macht die klassische Rolle einer Führungskraft zunehmend unattraktiv. Kritisches Hinterfragen Wie und womit das Geld verdient wird, wird immer mehr hinterfragt.

Dabei bietet der Umgang der Unternehmen mit Krisen wie etwa dem Angriffskrieg gegen die ­Ukraine den Mitarbeitenden eine Vielzahl von realen Datenpunkten, wie sich die eigene Organisation in diesen Umfeldern verhält. Die innerlichen Spannungen, die durch ein Auseinanderfallen der eigenen Erwartungen und des realen Handelns der Unternehmen entstehen, sind deutlich sichtbar. »The great resignation« – das massenhafte und freiwillige Wechseln von Jobs – ist trotz coronabedingter Nachholeffekte bereits in weiten Teilen der Welt Realität. Eine große Ernüchterung ist bei Mitarbeitenden eingetreten, als sie den Umgang mit der Corona-Pandemie im eigenen Unternehmen beobachten konnten. Ähnliche Frustrationsmomente sind vielfach durch die Bemühungen, gemeinsam das »New Normal« zu gestalten, entstanden. Unternehmen haben mit den unterschiedlichsten Methoden versucht herauszufinden, welche Führungskräfte den heutigen Ansprüchen gerecht werden könnten. Dazu wurden diagnostische Verfahren, Befragungen, Schulungen oder Auswahlverfahren bemüht. Diese zielten häufig darauf ab, in theoretischen Konstrukten vermeintliche Führungsleistungen zu bewerten oder Verhalten zu antizipieren. Unabhängig davon, wie gut oder schlecht dies gelungen ist, hat die pandemische Situation ein Reallabor geschaffen, in dem sehr deutlich geworden ist, wo es in den Unternehmen gelungen ist, ein Mindestmaß an Menschlichkeit zu etablieren. Mitarbeitende hatten zu Recht die Erwartung, dass diese Transparenz – die ja auch auf echtem Erleben basiert – zu den notwendigen Veränderungen führen wird. Leider ist dies viel zu oft ausgeblieben, hat innere Spannungen verstärkt und ist sicher ein Grund für die Motivation vieler Mitarbeitender, sich freiwillig und ohne Not beruflich zu verändern.

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Dabei verschiebt sich das Machtgefüge zwischen Menschen und Unternehmen zusehends, da dank moderner Technologien nun auch Menschen aus strukturschwächeren Regionen und dem ländlichen Raum Zugang zu einem globaler Stellenmarkt haben, ohne sich zwangsläufig räumlich verändern zu müssen. Dieser Umstand wird Unternehmen in diesen Regionen zusätzlich unter Druck setzen. Leistungsträger:innen im Unternehmen halten Wenn die nächste berufliche Herausforderung nur noch einen Klick entfernt ist und die realen sowie die sozialen Kosten des Wechsels (Umzug, ein neues soziales Umfeld etc.) sinken, werden Unternehmen ihren Leistungsträger:innen mehr bieten müssen als die bisher vorherrschenden und klassischen Incentives.

Vermutlich werden monetäre Anreize immer weniger von Interesse in den kritischen Generationen sein. Umso überraschender ist die Beobachtung, dass sehr viele Unternehmen tatsächlich glauben, den vorpandemischen Zustand wiederherstellen zu können. Dabei ist offenbar schon längst vergessen worden, dass sie nur aufgrund der Flexibilität ihrer Mitarbeitenden – die im Zweifel

14.4 Ausblick | 277 

mit (kleinen) Kindern, Homeschooling und Corona-Quarantäne aus dem Homeoffice heraus gearbeitet haben – gut durch die Krise gekommen sind. Das Vorhaben, diesen nun die lieb gewonnenen Freiheiten und die Flexibilität zu entziehen, ohne sinnhafte Begründungen dafür liefern zu können, frustriert und desillusioniert zunehmend auch bisher sehr loyale Mitarbeitergruppen. Dies schließt selbstverständlich auch Führungskräfte aus dem mittleren Management mit ein, die dann mit der Ausübung ihrer zugeschriebenen Rollen oftmals hadern und so ein Bild in der Belegschaft zeichnen, das diesen Karriereweg als zunehmend unattraktiv erscheinen lässt. Es lässt sich abschließend feststellen, dass auch durch die unterschiedlichen gesellschaftlichen Veränderungen – vom Wertewandel über neue Statussymbole bis hin zum Umgang mit Krisensituationen – die Rolle von klassischen Führungskräften weiter hinterfragt wird. Die mangelnde Attraktivität dieser Rollen setzt den Führungskräften und den Unternehmen zu und zwingt sie dazu, Führungsrollen neu zu gestalten und andere Formen zu etablieren. Damit fungieren die gesellschaftlichen Veränderungen als weiterer Katalysator für die bereits skizzierten makroökonomischen Effekte und Dynamiken.

14.4 Ausblick Wer all diese Dynamiken betrachtet, kann schnell den Mut verlieren und sich zu Recht fragen, wie wir all diese Herausforderungen als Gesellschaft meistern wollen. Es ist mir daher an dieser Stelle besonders wichtig zu betonen, dass es auf der einen Seite für mich ein unumkehrbarer Fakt ist, dass in traditionellen Organisationen Führung stark unter Druck geraten wird und dass Organisationen als Ganzes einem enormen Veränderungsdruck ausgesetzt sein werden. Damit wird Führung in solchen Organisationen zunehmend zu einem Aushalten und damit immer weniger attraktiv. Die damit einhergehende Entwertung der klassischen Führungsleistung und entsprechende Lohneinbußen habe ich hinreichend beschrieben. Wie so oft im Leben ist dies aber nur die halbe Wahrheit. Es ist genauso wahr, dass sich eine Vielzahl von neuen Räumen und Möglichkeiten ergibt, Führung und die damit verbundenen Führungsverständnisse und Rollenbilder neu zu denken und gemeinsam zu entwickeln. Das wird zu einer größeren Vielfalt an betriebswirtschaftlichen Organisationsmodellen führen. Es wird viel experimentiert werden müssen, bis sich neue Standards etabliert haben. Dies wird auch Mitarbeitendengruppen den Zugang zu neuen Freiheiten und materiellem Wohlstand ermöglicht, die in klassischen Karrierelaufbahnen wohl eher geringere Aufstiegschancen gehabt hätten. Mehr Diversität Ich glaube fest daran, dass wir – wenn wir die Chancen nutzen – ein Mehr an Buntheit und Diversität erleben werden. Und ich glaube daran, dass das gut für uns als Gesellschaft sein wird.

Diese Entwicklung wird uns allen viel abverlangen. Dafür werden wir aber mit Selbstwirksamkeit, Sinn und Gestaltungsspielräumen belohnt werden. Wie immer bei großen gesellschaft-

278  |  14  Die Entwertung der Führungsrolle

lichen Umwälzungen wird dies nicht ohne Friktionen und auch nicht ohne Verlierer:innen vonstattengehen. Diese Wahrheit gilt es auszusprechen und mit dem Anspruch zu verbinden, auch hier nach einem gesellschaftlichen Konsens im Umgang damit zu streben. Die klassische Führung wird zunehmend aussterben. Die »eine« neue Führungsrolle, die an deren Stelle treten wird, wird es dabei aus meiner Sicht nicht geben. So werden viele unterschiedliche Modelle die durch das Wegfallen der klassischen Führungsrollen entstehenden Räume füllen – je nach kontextueller Herausforderung und im besten Fall sogar innerhalb eines Unternehmens kleingruppenindividuell. Es wird in der Breite zu einer verstärkten Verantwortungsübernahme durch Mitarbeitende kommen. In Teilen wird diese nur temporär sein. Dieses rollenbasierte Arbeiten wird stark zunehmen. Hier wäre es uns allen zu wünschen, dass die entsprechenden (temporären) finanziellen Kompensationen ebenso selbstverständlich sein werden wie die weitere Differenzierung von Führungsaufgaben und Führungsrollen, die sich schon heute beobachten lässt. Auch selbstorganisierte Teams werden bestimmte koordinative Aufgaben von heutigen Führungskräften substituieren. Gleiches gilt wohl für moderne Organisationsmodelle und entsprechende Arbeitsweisen. Die Herausforderungen unserer Zeit haben gezeigt, wo die Stärken und auch die Schwächen in der aktuellen Arbeitswelt liegen. Wir sollten nicht versucht sein, einem Status quo längst vergangener Zeiten hinterherzutrauern, sondern uns auf unsere Kreativität und den Anspruch verlassen, gemeinsam eine Arbeitswelt zu gestalten, in der wir Wohlstand, Klimagerechtigkeit und das Menschsein besser vereinen können als jemals zuvor.

Über Tobias Krüger Tobias Krüger gilt als einer der Experten im deutschsprachigen Raum, wenn es um digitale Transformation und Kulturwandel geht. Er ist als Autor, Speaker und Prozessbegleiter tätig. Zudem hat er als Founder und CEO mit Hello.Beta einen Ort geschaffen, an dem gesellschaftliche Fragestellungen rund um die Herausforderungen der Digitalisierung eine Heimat gefunden haben. Er vereint die Erfahrung aus mehr als 50 strategischen Projekten mit den operativen Erfahrungen als langjähriger Division Manager des Kulturwandel-4.0-Prozesses der Otto Group. Dabei hat er über die Unternehmensgrenzen hinaus gewirkt und die Vernetzung von einer Vielzahl von Unternehmen zum © Fritz S. Wollschläger Kulturwandel etabliert. So ist Tobias der Einblick in die Transformationsprozesse von vielen Hunderten Unternehmen im deutschsprachigen Raum gewährt worden. Dies hat seinen Blick entscheidend erweitert und geschärft. [email protected] Tobias Krueger | LinkedIn

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Nachwort »Führe. Lebe. Lache.« (Danny Herzog-Braune) Führen lernt man durch Führen. Führen kann wehtun und Führen kann Spaß machen. Das ist wie mit dem Laufenlernen: Versuch und Irrtum. Man fällt an einer Stelle hin und dann heißt es: aufstehen, Krone richten, weitergehen. Lernen Sie, warum Sie hingefallen sind. Und fallen Sie möglichst nicht wieder an der gleichen Stelle hin. Führung kann man nicht (nur) aus Büchern lernen. Das Führenlernen dürfen Sie als eine Erkenntnisreise betrachten, als einen Prozess des Selbstreflektierens, des Lernens von neuen Fähigkeiten und des Erprobens dieser Fähigkeiten in der Praxis. Es geht um das Erkennen und Verstehen der eigenen Stärken und Schwächen sowie um das Entwickeln von Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen. Hierfür sind das wichtige und wertvolle Feedback von anderen und Selbstreflexion essenziell. Erlernen und testen Sie verschiedene Ansätze in verschiedenen Situationen. Seien Sie flexibel, offen für neue Ideen und immer den Menschen zugewandt. Denn wer führen möchte, sollte Menschen mögen. Diese Elemente zusammengenommen machen das Erlernen von Führung zu einer lohnenden Erkenntnisreise, bei der Sie sich selbst und andere besser verstehen lernen, neue Fähigkeiten erwerben und diese in der Praxis anwenden. So werden Sie als Führungskraft erfolgreich. Wir sind sicher, dass dieses Buch Ihnen wertvolle Impulse und Denkanstöße gegeben hat, die Sie dabei unterstützen, einen wirksamen und mitarbeiterorientierten gesunden Führungsstil zu entwickeln. Wir wünschen Ihnen viel Spaß dabei! Herzlichst Danny Herzog-Braune und Ruth Maria Mattes

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Vielen Dank an dieser Stelle an unsere zauberhaft geduldige und fleißig mitwirkende Lektorin Maria Ronniger. Ihre Unterstützung lässt unser Buch in einem besonderen Glanz erscheinen.

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Stichwortverzeichnis

π-Modell  188 A Anerkennung zollen  57, 59, 65, 115, 156, 212 Arbeitswelt  247 – aktuelle Entwicklungen  270 – Digitalisierung  230, 234, 248, 267 – Industrialisierung  247 – Wandel der Führungsrolle  267, 272, 274 – Wandel der Unternehmenskultur  252 – Wandel von Berufsfeldern  249 – War for Talents  251 Āsanas  171 authentische Führung  19, 21, 24, 35, 126 Authentizität  19, 24, 124, 125, 126 – durch Selbst-Verbindung  32 Autopoiese  27, 48 B befähigende Führung  209, 210, 239 Bestätigungs-Bias  80 betriebliches Gesundheitsmanagement  165 bewusste Führung  75, 82 C coachingbasierte Führung  224 D Decision Matrix  96 Demut  50, 57 – fehlende Demut bei Führungskräften  70 demutsvolle Führung  57 – positive Effekte  59 Denkfehler  75, 79, 193, 232 digitale Kommunikation  230, 248 – Unterschied zur analogen Kommunikation  230 – Wahrnehmungsverschiebung  231 Digitalisierung  230, 234, 248, 267 Digital Leadership  229, 234 Divergieren  205 Diversität  252, 259, 277

E emotionale Intelligenz  109, 111, 118, 258 Empathie  109, 110, 111, 258 – emotionale Empathie  117 – Empathie erlernen  118 – Empathie für andere  112 – Empathie für sich selbst  112 – kognitive Empathie  117 – Perspektivwechsel  119 – psychologische Sicherheit  98 – soziale Empathie  117 empathische Führung  109, 116, 120 empathisches Zuhören  201 Entscheidungen treffen  223 – Bewusstsein für Denkstrukturen  75, 79 – Decision Matrix  96 – Intuition  32 – Transparenz  50 F Facilitative Leadership  209, 210 Feedback geben und nehmen  52, 99, 155, 158, 187, 225, 239 – provokative Systemarbeit  226 Fehlerkultur  85, 136, 258 Führung  127, 187 – authentische Führung  21, 126 – befähigende Führung  209, 210 – bewusste Führung  75, 82 – coachingbasierte Führung  224 – demutsvolle Führung  57 – Digital Leadership  229, 234 – disziplinarische Führung  273 – empathische Führung  109, 116, 120 – fachliche Führung  273 – Facilitative Leadership  209, 210 – Führung auf Distanz  229, 235, 239 – gesunde Führung  163, 165 – kontextbezogene Führung  221 – Positive Leadership  143 – Servant Leadership  103 – stärkenorientierte Führung  143 – systemische Führung  43, 49, 52 – Unterschied zu Management  127 – verbindende Führung  21

282 | Stichwortverzeichnis – vertrauensvolle Führung  123 – Wandel der Führungsrolle  267, 272, 274 Führungskraft  19 – Achtsamkeit  24, 165, 174, 179, 224, 238 – Anforderungen an Führungskräfte  101, 164, 185, 234, 247, 267, 272 – Anpassungsfähigkeit  247, 257 – Authentizität  19, 24, 124, 125 – Demut  58 – emotionale Intelligenz  109, 258 – Empathie  109, 114, 258 – Fehlertoleranz  85 – Gehalt  267 – Haltung  215, 218 – Humor  225 – Kommunikationskompetenz  199, 215, 230 – Kompetenzbereiche  190 – Kompetenzmodelle  187 – Leistungsträger  111, 164 – Lernbereitschaft  66 – Mindset  77, 79, 99, 102 – Moderationskompetenz  183, 199 – Motivieren von Mitarbeitenden  241 – psychische und körperliche Gesundheit  47 – Schlüsselkompetenzen  191 – Selbstführung  47, 235, 239 – Selbstreflexion  22, 47, 62, 84, 103, 120, 127, 154, 166, 224 – Selbstvertrauen  125 – Stärken erkennen und fördern  143, 145, 151, 154 – Stärken und Schwächen zeigen  62, 134 – Vertrauen in Mitarbeitende  50, 188, 205, 236 – Visual Facilitation  207 – Visualisierungskompetenz  183, 195, 203 – Wandel der Führungsrolle  267, 272, 274 – Wissensmanagement  193 – Yoga-Praxis  163 Führungswandel  115, 267 G Gehirn  75 – Bewertungsroutinen  78 – Informationsaufnahme  76 – kognitive Verzerrungen  79 – unbewusste Denkstrukturen  75 – Verarbeitungsroutinen  77

gesunde Führung  163, 165 Glaubenssätze  22, 47 – Entstehung von Glaubenssätzen  30 H Haltung  215, 219 heuristische Kompetenz  191 Homeoffice  239, 241 Humor  225 I Individualität  30 Industrialisierung  247 Industrie 4.0  248 Informationsaufnahme  76, 203 – Visualisierungen  195 Informationsüberflutung  231 innere Antreiber  22, 169 inszenatorische Kompetenz  193 interpersonale Kompetenz  192 interpretative Kompetenz  193 intrapersonale Kompetenz  192 Intuition  32, 168, 179 K Kommunikation  199, 215, 229, 230 – analoge Kommunikation  230 – digitale Kommunikation  230, 248 – empathisches Zuhören  201 – Humor  225 – Informationsüberflutung  231 – Kommunizieren der Firmenkultur  256 – künstliche Intelligenz  232 – Paraphrasieren  202 – Perspektivwechsel  224 – Resonanz  216 Kompetenzmodelle  187 – Kompetenzrad  191 – π-Modell  187 kontextbezogene Führung  221 Konvergieren  205 künstliche Intelligenz  232 Kybernetik 2. Ordnung  52 L Leistungsträger  111, 164 Leitbild  218 – Umsetzung in der Praxis  220

Stichwortverzeichnis | 283  Lernen  221 – lebenslanges Lernen  86, 95, 259 – Lernbereitschaft  66 – Umlernen  84 lineares Denken  81 Lösungskompetenz  199 Lösungsorientierung  119, 205, 220, 259 M Meditation  178 Meeting  200 – Meetingformen  200 – Moderation von Meetings  200 – Spielregeln  204 Mehrparteilichkeit  51 Mindset  77, 99, 102 – Konzept der fünf Mindsets nach Gosling und Mintzberg  102 – Mindset verändern  79 Mitarbeiterentwicklung  46, 49, 52, 92, 151, 156, 259 Mitarbeiterzufriedenheit  92, 99 – Sinnhaftigkeit von Arbeit  50, 95, 99, 238 Moderation  183, 199 – divergieren und konvergieren  205 – Meetingmoderation  199 Motivieren von Mitarbeitenden  241 O Onboarding  263 P Personalgewinnung  252 Positive Leadership  143 – PERMA-Lead-Modell  144 positive Psychologie  146, 147 Priming  25 provokative Systemarbeit  226 psychologisches Empowerment  93, 94, 95 psychologische Sicherheit  60, 91, 92, 98 – Elemente psychologischer Sicherheit  98 S Sabbatical  255 Schwächen  159 – eigene Schwächen kennen  62 Selbstachtsamkeit  24, 179, 224 Selbsterkenntnis  19, 35 Selbstführung  47, 163, 210, 235, 238, 239

Selbstfürsorge  30 Selbstmitgefühl  36, 159 Selbstmotivation  240 Selbstorganisation  91, 92, 94, 210 Selbstreflexion  22, 36, 62, 84, 103, 120, 127, 166, 224 – Stärkenprofil erstellen  154 Selbst-Verbindung  19, 24, 224 – Auswirkungen auf Mitarbeiter  37 – Bedürfnisse erkennen  30 – durch Yoga  166 – Empathie  112 – Erkennen innerer Antreiber  22 – Intuition  32 – Selbstmitgefühl  36 – Selbstreflexion  36 – Selbstwirksamkeit  23 Selbstvertrauen  50, 93, 125, 279 – übermäßiges Selbstvertrauen  71 Selbstwirksamkeit  23, 94 Selbstzweifel  131 Servant Leadership  103 Sinnhaftigkeit von Arbeit  50, 95, 99, 238 Stärken  143, 147, 148 – Charakterstärken  149 – eigene Stärken kennen  62 – Signaturstärken  153 – Stärkenblindheit  146 – Stärken erkennen und fördern  143, 151, 154 – Stärkengespräch  156 – Stärkenprofil erstellen  154 – Stärkenstammbaum  151 – Stressstärken  154 stärkenorientierte Führung  143 Systeme  23, 43, 44 – Autopoiese  27, 48 – biologische Systeme  27, 44 – Grundprinzipien von Systemen  45 – psychologische Systeme  45 – soziale Systeme  45 – strukturelle Systeme  44 – Wechselwirkungen in Systemen  24, 44, 81 Systemik  24, 43 – systemischer Ansatz  44 – systemisches Denken  43 systemische Führung  43, 48 – Kybernetik 2. Ordnung  52 – Systemisches Führungsmodell  50

284 | Stichwortverzeichnis Systemisches Führungsmodell  49 Systemtheorie  44 T Teamkultur  47, 104, 188, 215, 224, 252 – Decision Matrix  96 – Demut  50 – Einfluss der Führungskraft  47 – lernende Organisation  221 – Mehrparteilichkeit  51 – offene Gesprächskultur  99 – psychologische Sicherheit  60, 91, 92, 93, 98 – Teamkultur entwickeln  105, 224 – Transparenz  50 – Vertrauen  50, 123 – Wertschätzung  50, 65 Transformation von Organisationen  91, 230 – Transformation Coaching  97 Transparenz  50, 136 – durch Visualisierung  197 U Unbewusstes  75 – kognitive Verzerrungen  79 – lineares Denken  81 – unbewusste Denkstrukturen  75 Unternehmenskultur  252, 253 – Arbeitsumgebung  254 – Diversität  259, 277 – Familienfreundlichkeit  254 – Fehlertoleranz  258 – flexible Arbeitsmodelle  261 – harte Faktoren  253 – Hierarchien  257 – Sabbaticals  255 – weiche Faktoren  254 – Werte und Ziele  256 V verbindende Führung  21 Verbundenheit  22, 37 Vertrauen  50, 52, 93, 112, 123, 205, 229, 237 – Empathie  112 – Selbstvertrauen  50, 93, 125, 279

– Vertrauen aufbauen  113 – Vertrauen aufbauen auf Distanz  230 – Vertrauen des Teams verdienen  133 – Vertrauen schenken  130, 235 – Vertrauensvorschuss  131 vertrauensvolle Führung  123 Visual Facilitation  207 – Werkzeuge  209 Visualisierung  183, 195, 203, 207 – Visual Facilitation  207 – Vorteile von Visualisierungen  195, 207 W War for Talents  251 Wertschätzung  36, 50, 57, 59, 65, 95, 115, 126, 158, 258 Wissensmanagement  193, 238 – Kernprozesse  194 – Visualisierung von Wissen  198 Y Yoga  163, 166 – achtgliedriger Yogapfad  169 – Atemübungen  174 – halber Drehsitz  171 – Kobra  171 – Konzentration  178 – Körperübungen  171 – Kriegerpositionen  173 – Meditation  178 – positive Auswirkungen auf Mitarbeitende und Führungskräfte  166 – Sitzhaltung  176 – Sonnengruß  172 Z Zuhören  201 – empathisches Zuhören  201 – Erfassen von Kernbotschaften  202 – zehn Formen des Zuhörens  201