Walter Benjamin im Exil: Zum Verhältnis von Literaturpolitik und Ästhetik 9783111388755, 9783484350113


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German Pages 258 [260] Year 1983

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VORWORT
EINLEITUNG
1. Zwäng zum Entschluß, Deutschland endgültig zu verlassen
2. «... den Aufstieg des Feindes beobachtend.«
KAPITEL I. »DER AUTOR ALS PRODUZENT« – EIN BEITRAG ZUR POLITISCHEN LITERATURKRITIK
1. Walter Benjamins Arbeiten und Pläne in der politischen Konstellation zu Beginn seines Pariser Exils
2. »Institut pour l’étude du fascisme«
3. Titel, Aufbau und Thema des Vortrags
4. Methodischer Zugang
5. Der funktionelle Einsatz des Beispiels Tretjakow
6. Die Beispiele für ›gegenrevolutionär fungierende‹ Tendenz
7. Das »epische Theater« – oder Bertolt Brecht als Beispiel
8. »Commune« und die Politik der »Geistigen«
KAPITEL II. HERRSCHAFTSKONSTITUENTIEN DES FASCHISMUS IN BENJAMINS »LEHRE DER WAHRNEHMUNG«
1. Gesichtspunkte für die Untersuchung der kunst- bzw. literaturtheoretischen Aufsätze von 1935/36
2. Aktuell-politische und epochale Dimension in Benjamins Verständnis von schriftstellerischer Technik
3. Konstruktion und Reproduktion der poetischen Form – Paul Valérys Analyse poetischer Arbeit
4. Die mechanisch-technische Reproduktion und ein Kunstwerk – Walter Benjamins Strukturanalyse des Films
5. »Gänzliche Illusionslosigkeit über das Zeitalter und dennoch ein rückhaltloses Bekenntnis zu ihm« – Über die Verwendung von »Aura«
6. Filmische Wahrnehmung, gedacht aus Riegls methodischen Ideen
7. Gebrauchsfunktion des Films, zeitgenössische Avantgarde, Kunstwerke der Vergangenheit
8. Der politische Grundriß der Kunstwerkthesen und Benjamins Haltung als historischer Materialist
KAPITEL III. IM SCHATTEN KOMMUNISTISCHER LITERATURPOLITIK DER VOLKSFRONT
1. Der redaktionelle Eingriff der »Zeitschrift für Sozialforschung«
2. Benjamins politische Haltung im Hinblick auf den literaturpolitischen Konsens des Volksfrontbündnisses und dessen Kritiker
3. Eine Arbeitsgemeinschaft über Zeit- und Kunstprobleme für den Schutzverband Deutscher Schriftsteller (Paris)
EXKURS: ZU BENJAMINS MITARBEIT IM »INSTITUT FÜR SOZIALFORSCHUNG«
KAPITEL IV. ZUR POLITIK DES AUSNAHMEZUSTANDS
1. Fragen an »Über den Begriff der Geschichte«
2. Zur Freundschaft zwischen Fritz Lieb und Walter Benjamin
3. Politischer Sinn in der Kritik der Fortschrittsvorstellung
4. Der Gegner Historismus
5. Zusammenfassung
LITERATURVERZEICHNIS
PERSONENREGISTER
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Walter Benjamin im Exil: Zum Verhältnis von Literaturpolitik und Ästhetik
 9783111388755, 9783484350113

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STUDIEN UND TEXTE ZUR SOZI ALGESCHICHTE DER LITERATUR

Herausgegeben von Wolfgang Frühwald, Georg Jäger, Dieter Langewiesche, Alberto Martino, Rainer Wohlfeil

Band 11

Chryssoula Kambas

Walter Benjamin im Exil Zum Verhältnis von Literaturpolitik und Ästhetik

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1983

Gedruckt mit Unterstützung der Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT GmbH, Goethestraße 49,8000 München 2

Redaktion

des Bandes:

Georg

Jäger

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Kambas, Chryssoula: Walter Benjamin im Exil : zum Verhältnis von Literaturpolitik u. Ästhetik / Chryssoula Kambas. - Tübingen : Niemeyer, 1983. (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur ; Bd. 11) NE: GT ISBN 3-484-35011-3 ISSN 0174-4410 © Max Niemeyer Verlag Tübingen 1983 Alle Rechte vorbehalten. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus photomechanisch zu vervielfältigen. Printed in Germany. Druck: Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten. Einband: Heinr. Koch, Tübingen

Inhaltsverzeichnis

VORWORT

VII

EINLEITUNG

1. Zwäng zum Entschluß, Deutschland endgültig zu verlassen . . . . 2. « . . . den Aufstieg des Feindes beobachtend.«

1 8

KAPITEL I » D E R AUTOR ALS P R O D U Z E N T « - E I N BEITRAG ZUR POLITISCHEN LITERATURKRITIK

1. Walter Benjamins Arbeiten und Pläne in der politischen Konstellation zu Beginn seines Pariser Exils 2. »Institut pour l'etude du fascisme« 3. Titel, Aufbau und Thema des Vortrags 4. Methodischer Zugang 5. Der funktionelle Einsatz des Beispiels Tretjakow 6. Die Beispiele für >gegenrevolutionär fungierende< Tendenz . . . . a. Aktivismus b. Neue Sachlichkeit 7. Das »epische Theater« - oder Bertolt Brecht als Beispiel 8. »Commune« und die Politik der »Geistigen«

16 26 32 35 39 45 46 57 64 71

KAPITEL I I HERRSCHAFTSKONSTITUENTIEN DES FASCHISMUS IN BENJAMINS » L E H R E DER W A H R N E H M U N G «

1. Gesichtspunkte für die Untersuchung der kunst- bzw. literaturtheoretischen Aufsätze von 1935/36 2. Aktuell-politische und epochale Dimension in Benjamins Verständnis von schriftstellerischer Technik 3. Konstruktion und Reproduktion der poetischen Form - Paul Valerys Analyse poetischer Arbeit 4. Die mechanisch-technische Reproduktion und ein Kunstwerk - Walter Benjamins Strukturanalyse des Films 5. »Gänzliche Illusionslosigkeit über das Zeitalter und dennoch ein rückhaltloses Bekenntnis zu ihm« - Über die Verwendung von »Aura«.

81 92 95 105 116 V

6. Filmische Wahrnehmung, gedacht aus Riegls methodischen Ideen . 7. Gebrauchsfunktion des Films, zeitgenössische Avantgarde, Kunstwerke der Vergangenheit 8. Der politische Grundriß der Kunstwerkthesen und Benjamins Haltung als historischer Materialist

128 141 149

KAPITEL I I I IM SCHATTEN KOMMUNISTISCHER LITERATURPOLITIK DER VOLKSFRONT

1. Der redaktionelle Eingriff der »Zeitschrift für Sozialforschung« . . 2. Benjamins politische Haltung im Hinblick auf den literaturpolitischen Konsens des Volksfrontbündnisses und dessen Kritiker . . . 3. Eine Arbeitsgemeinschaft über Zeit- und Kunstprobleme für den Schutzverband Deutscher Schriftsteller (Paris)

158 163 171

EXKURS: Z u BENJAMINS MITARBEIT IM »INSTITUT FÜR SOZIALFORSCHUNG«

.

.

182

KAPITEL I V Z U R POLITIK DES AUSNAHMEZUSTANDS

1. 2. 3. 4. 5.

Fragen an »Über den Begriff der Geschichte« Zur Freundschaft zwischen Fritz Lieb und Walter Benjamin Politischer Sinn in der Kritik der Fortschrittsvorstellung Der Gegner Historismus Zusammenfassung

. . .

201 203 215 226 230

LITERATURVERZEICHNIS

233

PERSONENREGISTER

243

VI

Vorwort

Während eingehende Studien zur Emigration deutscher Schriftsteller nach der Übernahme des Staatsapparates durch Hitler und die NSDAP für den Zeitraum von 1933 bis nach dem Ende des zweiten Weltkriegs vorliegen, scheint selbst den biografischen Versuchen zu Walter Benjamins Leben und Werk sein Exil keine eigene Problemstellung aufzugeben. Seine Flucht aus Deutschland im März 1933 und die erneute Flucht in Frankreich im Herbst 1940, die ihn, »an der unübertretbaren Grenze müde der Verfolgung« (Brecht), den Tod wählen ließ, bilden in jenen lediglich marginale Markierungen für einen arbeitsintensiven Zeitraum. 1 Klassifiziert als »Spätwerk«, gelten die Arbeiten daraus wohl als die wesentlichsten, in denen der Aijtor seine besondere philosophische Thematik trotz der schwierigen existentiellen Umstände durchführte. Doch als zeitliche Grenzbestimmung ist Benjamins Exil in der Literatur zu seinen Arbeiten kaum berücksichtigt. Die Tatsache des Exils selbst ist zwar nicht unterschlagen. Sie ist aber in der Auseinandersetzung mit seinen Arbeiten größtenteils als unproblematisch übersprungen, fehleingeschätzt oder ganz ignoriert worden. 2 1

Gershom Scholem: Walter Benjamin - die Geschichte einer Freundschaft. Frankfurt/M. 1975. S. 242-282. (i. F.: G. Scholem, Geschichte). Nur eine »Übersicht über diese Jahre« (243) gibt der Autor im Rahmen dieser persönlichen Erinnerungen an Benjamin. Dessen Buch Deutsche Menschen sieht Scholem im inneren Zusammenhang mit dem Exil (s. S. 252). - Werner Fuld: Walter Benjamin zwischen den Stühlen. München u. Wien 1979. S. 230-291. Fuld sieht in einer Rezension Benjamins von 1933, Rückblick auf Stefan George (S. 235/36), und ansatzweise in der Arbeit Über den Begriff der Geschichte (S. 283) Problemstellungen, die Benjamin durch die Emigration vorgegeben waren. 2 Die unhistorische Lesart ist divergentesten Sekundärschriften mit systematischem Rekonstruktionsanspruch des oder innerhalb des Benjaminschen »Spätwerks« gemeinsam: - Rolf Tiedemann: Studien zur Philosophie Walter Benjamins. Frankfurt/M. 1973 (Erstpublikation 1965). - Ansgar Hillach: »Ästhetisierung des politischen Lebens.« Benjamins faschismustheoretischer Ansatz - eine Rekonstruktion. In: »Links hatte noch alles sich zu enträtseln...« Walter Benjamin im Kontext. Hg. von Burkhard Lindner. Frankfurt/M. 1978. S. 127ff.. - Christoph Hering: Der Intellektuelle als Revolutionär. Walter Benjamins Analyse intellektueller Praxis. München 1979. - Helmut Pfotenhauer: Ästhetische Erfahrung und gesellschaftliches System. Untersuchungen zu Methodenproblemen einer materialistischen Literaturanalyse am Spätwerk Walter Benjamins. Stuttgart 1975. Ausnahmen bilden zwei Aufsätze: Rolf Tiedemann: Historischer Materialismus oder politischer Messianismus? Politische Gehalte in der Geschichtsphilosophie VII

Dies steht in denkwürdigem Kontrast zu Benjamins eigenem, zu und in den kunsttheoretischen Arbeiten explizit gestelltem Anspruch, den zeitgenössischen Augenblick erkennend zu erfassen und kritisch zu durchdringen. Dieser Anspruch ist nicht leichtfertig abzutun: weder mit theoretisch-immanenter und letztlich unhistorischer Subsumierung einer von den Entstehungsumständen abgelösten Kunsttheorie unter eine ihr fremde Systematik, noch in abstrakter Kritik. Ernstgenommen, muß jeder Hinweis auf die heutige Aktualität von Benjamins kunsttheoretischen Arbeiten aus dem Exil erneut zur historischen Konstellation zurückführen, die diese Arbeiten möglich machte. Die Themenstellung der vorliegenden Arbeit konzentriert sich auf die Auseinandersetzung mit ihnen, ihre Interpretation und Kommentierung. Es sind nämlich gerade die literatur- bzw. kunsttheoretischen Arbeiten aus der Zeit der Emigration, die auch Benjamins Position in ihr direkt enthalten. Somit geben die Texte selbst den Zugang zur Geschichte frei. Der Autor als Produzent und Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit stellen als solche eine ganz konkrete literaturpolitische Position im Spektrum der deutschen Schriftstelleremigration vor. Thematische und methodische Berührungspunkte zu Benjamins letzter Arbeit Uber den Begriff der Geschichte lassen sich daran anschließend aufweisen. Im monografischen Ansatz der vorliegenden Arbeit ist die Spannung von Literaturtheorie und -politik im zeitlichen Brennpunkt der Jahre 1934 bis 1936 dargelegt. Derart stellt die Auseinandersetzung mit jenen Texten Benjamins, ihren Fragen nach der Fortschrittlichkeit der literarischen Technik, deren Verhältnis zum gesellschaftlichen Gebrauch der Technik und die Kritik des Fortschritts aus der Zeiterfahrung des »Ausnahmezustands« auch einen biografischen Beitrag zum Exil Walter Benjamins dar. Inwieweit Benjamin persönlich von den zeitgenössischen politischen Vorgängen in dieser Zeitspanne berührt war und wie er sie sah, wird, soweit die Quellenlage es darzustellen erlaubt, berücksichtigt. Daß in den Studien zur Exilliteratur Benjamins literaturtheoretischen Arbeiten keine Aufmerksamkeit geschenkt worden ist, liegt zum einen an den Editionskriterien seines Werks und seiner Briefe. 3 Es liegt zum andern an der Kriterienbildung, nach Walter Benjamins. In: Materialien zu Benjamins Thesen »Über den Begriff der Geschichte«. Beiträge und Interpretationen. Hg. von Peter Bulthaup. Frankfurt/M. 1975, S. 77ff. Dieser Aufsatz unternimmt teilweise eine politische und biografische Situierung der Thesen. - Helmut Heißenbüttel: Schriftsteller in der Emigration: Walter Benjamin. In: Heißenbüttel, Zur Tradition der Moderne. Aufsätze und Anmerkungen 1964-1971. Neuwied und Berlin 1972. S. 291ff. Heißenbüttel hat darauf bestanden, vor allen Dingen in den kunsttheoretischen Arbeiten des Exils eine zeitgenössische politisch-literarische Stellungnahme zu sehen: »Ihren Sinn fanden sie in der Erfahrung der aktuellen Situation.« (S. 297) 3 Walter Benjamin: Briefe. 2 Bde. Hg. und mit Anmerkungen versehen von Gershom Scholem und Theodor W. Adorno. Frankfurt/M. 1966 (i. F.: Br.). - Walter Benjamin: Gesammelte Schriften. Unter Mitwirkung von Theodor W. Adorno und Gershom Scholem hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt/M. 1972f. (i. F.: G. S.). Die Bände erschienen bislang in folgender Reihenfolge:

VIII

der bislang auf d e m Gebiet der Exilliteratur die Einteilung in ein Exil w e g e n direkter politischer Verfolgung aus parteipolitischen G r ü n d e n , in e i n politisch motiviertes Exil bürgerlich-demokratischer Schriftsteller und Wissenschaftler u n d schließlich in die jüdische M a s s e n e m i g r a t i o n v o r g e n o m m e n ist: Benjamins Exil ist nach diesen Kriterien nicht zu dechiffrieren. Soweit die Studien e i n politisch-ideengeschichtliches Spektrum erfassen wollen, g e h e n sie z u m großen Teil allein v o n den manifestartigen A u f r u f e n der Schriftsteller gegen Hitler aus. Eine b e w u ß t e Distanz zu ihnen, w i e Benj a m i n sie einhielt, fällt v o n vornherein aus der Problemstellung. 4 In e f f e k t haschender Verwertung dann, unter d e m Vorwand, die d e m o k r a t i s c h e n Hitlergegner gegen e i n e n Scheinradikalismus in Schutz n e h m e n zu m ü s s e n , dient B e n j a m i n s bewußte Distanz dazu, nachtragende U n t e r s t e l l u n g e n willkürlichster Art zu verbreiten. 5 Bd. III (Kritiken und Rezensionen). Hg. von Hella Tiedemann-Bartels (1972); Bd. IV (Kleine Prosa. Baudelaire-Übertragungen). Hg von Tillmann Rexroth (1972); Bd. I Philosophische Abhandlungen (1974); Bd. II Aufsätze, Essays, Vorträge (1977); diese beiden letzten Bände haben R. Tiedemann und H. Schweppenhäuser ediert. Bis zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieser Arbeit sind weitere Bände der G. S. nicht erschienen. - Die einschlägigen Gesamtdarstellungen und Übersichten zur deutschen Exilliteratur, die in den sechziger Jahren begonnen wurden, haben sich zuerst im wesentlichen nur auf die zweibändige Ausgabe: W. Benjamin, Schriften. Hg. von Th. W. Adorno und Gretel Adorno. F r a n k f u r t / M . 1955, stützen können. 4 Entsprechend erschien sein Name nicht in den Reihen der »humanistischen Front« (vergl. Walter A. Berendsohn: Die humanistische Front. Einführung in die deutsche Emigrantenliteratur. Zürich 1946). Der Katalog der Ausstellung »Exilliteratur 1933-1945« der Deutschen Bibliothek F r a n k f u r t / M . - die Ausstellung fand von Mai bis August 1965 statt - führt Benjamin als Mitarbeiter der Zeitschriften »Die neue Weltbühne«, »Das Wort« und »Maß und Wert« auf. Hier sind also nur die wenigen, kleinen Arbeiten angegeben, die er direkt mit Rücksicht auf das Emigrantenpublikum geschrieben hat. Auch im jüngst erschienenen Sammelband von Ernst Loewy, der das ganze unterschiedliche literarisch-politische Spektrum der Schriftstelleremigration repräsentativ vorstellt, ist ein entsprechender Text von Benjamin ausgewählt, nämlich seine Besprechung der Pariser Aufführung von Brechts Szenenfolge Furcht und Elend des Dritten Reiches, Das Land, in dem das Proletariat nicht genannt werden darf. (Exil. Literarische und politische Texte aus dem deutschen Exil 1933-1945. Hg. von E. Loewy. Stuttgart 1979. S. 781ff.) - Benjamins Faschismustheorie, unabhängig von ihrem literaturpolitischen Stellenwert, behandelt ein Aufsatz von Wolfgang Emmerich: >Massenfaschismus< und die Rolle des Ästhetischen. Faschismustheorien bei Ernst Bloch, Walter Benjamin und Bertolt Brecht. In: Antifaschistische Literatur. Programme, Autoren, Werke. Bd. 1. Hg. von Lutz Winckler. Kronberg 1977. S. 223ff. - Neuerdings jedoch berücksichtigt ein zuerst in der DDR erschienener Band explizit den literaturpolitischen Beitrag Benjamins zum deutschen Antifaschismus. Seinen kunsttheoretischen Aufsätzen ist ein eigenes kleines Unterkapitel gewidmet. Dieter Schiller, Karlheinz Pech, Regine Herrmann, Manfred Hahn: Exil in Frankreich. Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil 1933-1945. Band 7. F r a n k f u r t / M . 1981. S. 226-233. 5

Marcel Reich-Ranicki: Walter Benjamin: Der Literaturkritiker. Auf der Suche nach dem verlorenen Echo. In: DIE ZEIT Nr. 47 v. 24.11.1972; Fritz J. Raddatz: Das Kind von Marx und Heine. In: DIE ZEIT Nr. 15 v. 6.4.1979. Beide Autoren arbeiten offen wie versteckt mit moralischen Vorwürfen: »bloß« aus ökonomischen Erwägungen IX

Die Einteilung der Arbeiten Benjamins in den Gesammelten Schriften ist nach literarischen Gattungen vorgenommen, innerhalb derer dann wiederum eine Chronologie nach den Entstehungsdaten der Arbeiten einzuhalten gesucht wird. Dadurch entstehen Überschneidungen in der Chronologie, die einer Übersichtgewinnung hinderlich sind. In der Einteilung des Werks nach Gattungen wiederholen sich die Gesichtspunkte, nach denen schon die erste Werkauswahl ediert worden ist. Das geschah 1955 in bewußter Absehung von jedem historisch-dokumentarischen Bezug, um Benjamins Werk nach dem zweiten Weltkrieg überhaupt einigermaßen repräsentativ zugänglich zu machen. 6 So präsentiert sich durch die Gesammelten Schriften auf den ersten Blick wiederum dieselbe »Physiognomie« des Autors. Die umfassendste biografische Ergänzung zu ihr bilden weiterhin jene Briefe, die, an gekennzeichneten und ungekennzeichneten Stellen gekürzt, in die zweibändige Auswahl von 1966 aufgenommen sind. Die auszugsweise Zitierung unveröffentlichter Briefe im Kommentarteil der Gesammelten Schriften dient so, wie sie vorgenommen ist, nur bedingt einer biografischen Konturierung. Die Entstehungszeiten der Arbeiten Benjamins zu datieren ist die Hauptaufgabe dieser Zitierweise. Oftmals irreführend sind dareingemischte Bemerkungen zu darüber hinausgehenden biografischen Fragen. Jene legen vorschnell Lösungen nahe, die sich bei erneutem Durchdenken der vorhandenen Hinweise für die biografische Konstellation nicht halten lassen.7 Auch in diesem Verhältnis zwischen Textvorlage und Kommentar folgen die Herausgeber den Leitlinien der Ausgabe von 1955. Demgegenüber sind die jüngsten, von den Gesammelten Schriften unabhängigen Editionen, Ausgaben mit Dokumentcharakter. 8 Es ist sehr wahrhabe Benjamin die Emigration auf sich genommen, er habe sich in Paris linksradikal aufgespielt, ungerechterweise gegen Tucholsky u. a. diesen Vorwurf erhoben und charakterloserweise selbst im Feuilleton der »Frankfurter Zeitung« weiterpubliziert. 6 Im »Editorischen Bericht« betonen die Herausgeber, daß sie, der zweibändigen Schriftenausgabe von 1955 verpflichtet, das Werk nun in »kritisch reviderten Texten« (G. S. I, 2; S. 751) vorlegten. »Gemeinsam mit Adorno wurden noch Gliederung und Grundsätze der Textrevision für die Ausgabe festgelegt, deren Erscheinen er nicht mehr erlebte.« (S. 796) 7 Vor allen Dingen dort, wo zusammengestellte Hinweise in polemische Ausfälle münden, die eigentlich weniger den Freunden Benjamins gelten dürften als den Kritikern der älteren Benjaminauswahlbände. Gedacht ist hier in erster Linie an die Polemik gegen Brecht im Kommentar zu Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Bei der Kommentierung der »Kommentare zu Werken von Brecht« im Band II der G. S. ist dann auf die Fortführung der Polemik verzichtet. Das legt auf andere Weise nahe, daß mit der Einteilung der G. S. und der Kommentierung der zuerst erschienenen Bände vor der Sichtung des gesamten, den Herausgebern zugänglichen Nachlaßmaterials begonnen wurde. In jedem Fall sind die unpublizierten Briefe Benjamins an Scholem weder von diesem noch von den anderen Herausgebern zur Kommentierung in dieser Schriftenausgabe berücksichtigt worden. 8

X

W . Benjamin: Moskauer Tagebuch. Hg. von Gary Smith. Frankfurt/M. 1980; W.

scheinlich, daß sowohl für die Biografie Benjamins wie für die Fragestellungen, die die Auseinandersetzung mit seinen Arbeiten in der Sekundärliteratur bestimmen, unerwartete Aspekte hervortreten werden, wenn die erhaltenen Briefe von und an ihn, wie auch autobiografische Aufzeichnungen, wissenschaftlich Arbeitenden allgemein zugänglich werden. Die Fragestellung der vorliegenden Arbeit ist durch die freundlichen und hilfsbereiten Auskünfte und Hinweise von Stephan Lackner, Gisele Freund, Stephan S. Radt, Arthur Müller-Lehning, Arthur Koestler, Maximilien Rubel und Ruth Lieb-Staehelin ermutigt worden. Informationen über die Sperrung des Teilnachlasses Benjamin, den die Abteilung Literaturarchive der Akademie der Künste der Deutschen Demokratischen Republik aufbewahrt, bzw. über im Deutschen Literaturarchiv in Marbach/Neckar aufbewahrte Briefe Benjamins an Siegfried Kracauer gaben mir Gerhard Seidel und Jochen Meyer. Ursula Langkau-Alex gab mir unverzichtbare, weiterführende Hinweise zu Personen und Organisationen aus der deutschen Emigration in Frankreich. Heinz Brüggemann und Jürgen Peters unterstützten meine Arbeit mit vielen Anregungen. Ihnen allen gilt mein Dank.

Benjamin, G. Scholem: Briefwechsel 1933-1940. Hg. von G. Scholem. Frankfurt/M. 1980 (i. F.: Briefwechsel).

XI

für Fred und Andreas

Einleitung

1. Zwang zum Entschluß, Deutschland endgültig zu verlassen Etwa zwei Wochen nach dem Reichstagsbrand, zu Beginn der zweiten Märzhälfte 1933, verließ Walter Benjamin Berlin. In den Angaben zur Person, die sich in einem Brief an das »Dänische Hilfskomitee für ausländische Flüchtlinge« finden, gab er Gründe für seine Flucht aus Deutschland an, wo am 30. Januar 1933 eine nach parlamentarischen Spielregeln gebildete Regierung unter der Reichskanzlerschaft Adolf Hitlers zustande gekommen war. »Im März 1933 habe ich, deutscher Staatsbürger, im 41. Lebensjahr stehend, Deutschland verlassen müssen. Durch die politische Umwälzung war ich als unabhängiger Forscher und Schriftsteller nicht nur mit einem Schlage meiner Existenzgrundlage beraubt, vielmehr auch - obwohl Dissident und keiner politischen Partei angehörig - meiner persönlichen Freiheit nicht mehr sicher. Mein Bruder ist im gleichen Monat schweren Mißhandlungen ausgesetzt und bis Weihnachten in einem Konzentrationslager festgehalten worden.«1 Benjamin gab hier zwei gleichgewichtige Gründe für seine Flucht aus Deutschland an: den Verlust der Verdienstmöglichkeiten als Wissenschaftler und Schriftsteller; das Gefühl permanenter Ungewißheit und Unsicherheit darüber, ob auch er vom Terror betroffen würde. Der von Benjamin erwähnte Bruder Georg Benjamin war erst Stadtschulrat und Bezirksarzt, danach frei praktizierender Arzt im Berliner Wedding. Er ist wegen seiner Mitgliedschaft in der KPD verhaftet worden. Schriftsteller, Wissenschaftler und Politiker wurden jedoch, auch wenn sie keine Kommunisten waren, in der ersten Zeit des »Dritten Reiches« von den SA aufgespürt. Denunziationen der nationalsozialistischen Presse aus den Jahren der Weimarer Republik gaben den Ausschlag. Vorwände dafür hatte es genug gegeben, Denunziationen sind unberechenbar. Wegen gesinnungsmäßigem Pazifismus, wegen Kritik an augenfälligen Mißständen in Deutschland wurden einzelne Schriftsteller namentlich aufs Korn genommen. »Asphaltliteraten«, »Juden«, »Vertreter der Systemzeit« lauteten die gebräuchlichen 1

Schreiben »An das Danske Komite fil St0tte for landsflygtige Aansarbejdere« aus Svendborg vom 4.7.1934. In: Zur Aktualität Walter Benjamins. Aus Anlaß des 80. Geburtstags von Walter Benjamin. Hg. von Siegfried Unseld. Frankfurt/M. 1972. (i. F.: Zur Aktualität). S. 48. - Das Schreiben ist in der Absicht aufgesetzt, vom Hilfskomitee eine finanzielle Unterstützung zu erhalten.

1

>KampfbegriffeKulturbolschewistmodernste< Kultur,« antwortete er Scholem auf die Frage nach einer Inkompatibilität zwischen philosophischen Einsichten und marxistischer Terminologie, »gehören nicht nur zu meinem privaten Komfort, sondern sie sind zum Teil geradezu Mittel meiner Produktion. [...] Aber willst du mir wirklich verwehren, mit meiner kleinen Schreibfabrik, die da mitten im [seil. Berliner, C. K.] Westen liegt, ganz einfach aus dem gebieterischen Bedürfnis, von einer Nachbarschaft, die ich, aus Gründen, hinzunehmen habe, mich zu unterscheiden - willst du mir mit dem Hinweis, das sei ja nichts als ein Fetzchen Tuch, verwehren, die rote Fahne zum Fenster herauszuhängen? Wenn man schon >gegenrevolutionäre< Schriften verfaßt - wie du die meinen vom Parteistandpunkt aus ganz richtig qualifizierst - soll man sie der Gegenrevolution auch noch ausdrücklich zur Verfügung stellen? Soll man sie nicht vielmehr denaturieren, wie Spiritus, sie auf die Gefahr hin, daß sie ungenießbar für jeden werden - bestimmt und zuverlässig ungenießbar für jene machen?« 18 16

Über Benno Reifenbergs Reaktion auf Strenge Kunstwissenschaft unterrichtete Benjamin Carl Liniert, Kunsttheoretiker und Mitarbeiter der »Frankfurter Zeitung«: »Seine summarische erste Äußerung war: >Ich verstehe es nichtSprache des GenussesL. W.< hat ihrer ungleich höheren Wertung des Haeckerschen Buches bereits kurz Ausdruck gegeben, das mag genügen; eine Entgegnung auf so grundsätzliche Untersuchungen wie die Benjamins, der hier immer Sitz und Stimme hat, wäre unfruchtbar,« merkte die Redaktion an. (G. S. III, S. 648).

17

Henry Poulaille, L'enfantement de la paix (i 10. Nr. 8/9, 1927; G. S. III, S. 74). Hier geriet Benjamin in die Nähe der methodisch-unbekümmerten marxistischen Inhaltsästhetik, als er schrieb: »Da dieser Gegenstand [seil, der Schriftsteller Poulaille und Heinrich Mann, C. K.] das Proletariat ist, so ist die Wirkung dieser Bücher revolutionär.« Einmalig erscheint an dieser Stelle das öffentliche Lob des aktivistischen Konzepts. - Der Sürrealismus - Aufsatz erschien in den Nummern der Literarischen Welt v o m 1.2.1929 bis 15.2.1929. (G. S. II, 1; S. 295ff.).

6

Hinter dieser Antwort steht die Klärung seines Verhältnisses zur kommunistischen Partei; es steht weiter die Überzeugung dahinter, auf einem Forum des Bürgertums agieren zu müssen, solange es in erster Linie um die Literatur geht; daß es dennoch darum gehe, die Distanz zum Bürgertum zu vergrößern. »Denaturierung« läßt sich mit »Verfremdung« übersetzen. In seinem Antwortbrief empfahl Benjamin Scholem, den »hochbedeutenden Aufsatz über die Oper«, 19 Brechts Anmerkungen zur Oper Mahagonny, das Grundsatzprogramm des »epischen Theaters«, zu lesen. Es gebe Aufschluß über die gesellschaftliche und politische Situation, die ihn, Benjamin, zur »Denaturierung« zwänge. Ohne genauer zu spezifizieren, sprach Benjamin nach der Flucht von »meinein] politischen Literaturarbeiten«. 20 Die Tatsache, daß sie gedruckt waren, hatte ihn nicht zur Flucht gezwungen; wohl aber diejenigen Umstände, die ihn Vergleichbares und Weiterführendes nicht mehr hätten schreiben lassen. »Um die Ausgangssituation der Emigration Walter Benjamins deutlich zu machen,« schrieb Helmut Heissenbüttel über die Verquickung äußeren Zwangs mit inneren Notwendigkeiten literarischen Arbeitens bei Benjamins Entschluß zur Flucht, »ist es wichtig, festzustellen, daß er handgreiflicher als andere vor Augen hatte, was es bedeutete, nicht zu emigrieren. Es ging ihm, wenn er emigrierte, auch nicht darum, sich einfach zu retten; eine solche Rettung hatte für ihn nur dann Sinn, wenn er weiterhin die Arbeit verfolgen konnte, die er bereits begonnen hatte; wenn er in der Lage war, theoretisch zu erfassen, was sein Bruder und andere in der politischen Praxis bekämpften. Die Emigration Benjamins war ein Akt, der untrennbar ist von seinem Werk.« 21 Damit sind die politisch-kulturellen Voraussetzungen für die literarische Arbeit Benjamins umrissen. Seine subjektive Bindung an die Kräfte, die in seinen Augen eine revolutionäre Gesellschaftsveränderung betrieben, verlangte, daß gesellschaftlich objektive Voraussetzungen existierten, die der subjektiven Bindung einen Anhaltspunkt boten. Diese Voraussetzungen gab es weder im faschistischen Deutschland noch, wie Gerhard Scholem damals gleich erkannte, in Palästina für Benjamin. 2 2

18 19 20 21 22

Br., S. 531; an G. Scholem, Brief vom 17.4.1931. Br., S. 529/30. Briefwechsel, S. 95; an G. Scholem, Brief vom 1.9.1933 aus Ibiza. H. Heißenbüttel: Schriftsteller in der Emigration: Walter Benjamin. S. 293. Vergl. Briefwechsel, S. 102/03; Scholem an Benjamin, Brief v o m 19.9.1933. 7

2. » . . . den Aufstieg des Feindes beobachtend.« Aus diesem Grunde ist es notwendig, den persönlichen Äußerungen in Briefen Benjamins zur Krisensituation seit 1929 nachzugehen. Denn sie zeigen, was er »seit langem« vorausgesehen hatte, daß der noch illegale, aber schon offene Terror in einen staatlich von den Nationalsozialisten organisierten übergehen konnte. Diese Äußerungen zeigen darüber hinaus, worin Benjamin die Rechtsentwicklung zu spüren bekam. Mit der ökonomischen Krise müsse der revolutionäre Aufschwung einsetzen; das Erstarken der faschistischen Partei sei ein Indiz des endgültigen Niedergangs des Bürgertums und zeige, trotz vorübergehender Schwächung der Arbeiterbewegung, den bevorstehenden Sieg der proletarischen Revolution an. Unter diese optimistische Leitlinie stellte die KPD ihre Strategie in Deutschland, das heißt die interne Diskussion und die Selbstdarstellung für die Wahlen seit 1930. Es gibt nur wenige Anhaltspunkte dafür, daß Benjamin dieser Strategie vertraute. So schreibt etwa Asja Lacis: »Obwohl die Kommunisten in hartem Kampf gegen den mächtigen deutschen Kapitalismus und gegen die Nazis standen, war die Stimmung kämpferisch, zukunftssicher. Diese Stimmung übertrug sich auch auf Benjamin. Doch wurde er besorgt, wenn er an das deutsche Kleinbürgertum dachte. Es ist eine große Masse. Welche Rolle wird diese Mittelklasse, berüchtigt durch Egoismus, Borniertheit, Ignoranz, Mangel an Rückgrat spielen? [...] Die hitlerische Demogogie ist dumm und grob, offenkundig lügnerisch . . . Dennoch macht sie auf das Kleinbürgertum Eindruck. Wenn Hitler es in den Griff bekommt, so wird dies sehr gefährlich werden. Er meinte, man müsse das Kleinbürgertum ideologisch bearbeiten, es rechtzeitig gewinnen. [...] Er meinte, daß man zu wenig tut.« 23 Für eine aus Besorgtheit und latenter Erwartung einer gesellschaftlichen Veränderung gemischte Beobachtung der sozialpolitischen Krise spricht auch Benjamins Vorhaben im Frühjahr 1930, »in einer ganz engen kritischen Lesegemeinschaft unter Führung von Brecht und mir im Sommer, den Heidegger zu zertrümmern. Leider wird aber Brecht, dem es ziemlich schlecht geht, sehr bald verreisen und allein nehme ich es nicht auf mich.« 24 Auch das Vorhaben, zusammen mit Brecht, Bernard von Brentano und unter Mitarbeit von Ihering eine Zeitschrift »Krise und Kritik« herauszugeben, muß unter dem Vorzeichen gestanden haben, daß für Benjamin der Ausgang der Krise offen war, daß er Chancen für die Strategie der KPD sah. 25 Doch ist schon die 23

A. Lacis: Revolutionär im Beruf. Berichte über proletarisches Theater, über Meyerhold, Brecht, Benjamin und Piscator. Hg. von Hildegard Brenner. München 1971. S. 60. 24 Br., S. 514; an G. Scholem, Brief vom 25.4.1930. 25 Vergl. B. Witte: Walter Benjamin - Der Intellektuelle als Kritiker. S. 172; demzufolge existiert im Ostberliner Bertolt-Brecht-Archiv (Nr. 217/04) ein Typoskript, das eine Diskussion Brecht/Ihering/Benjamin über die Herausgabe der Zeitschrift zusammenfaßt. Dabei habe Benjamin die »Erwartung einer bevorstehenden Machtergreifung des ProletariatsDenaturierung< müsse Benjamins »Moralität der Einsichten [...] verlumpen« 2 8 : Sein Marxismus, so antwortete er, sei ja kein bloßer Standpunkt, sondern eine Entwicklung, »welche sich unter den schwersten Spannungen vollzieht. Dabei meine [ich] jetzt viel weniger innere Spannungen privater Natur [...], ich meine die Spannungen des politischen, gesellschaftlichen Lebensraumes, von denen kein Mensch und am wenigsten ein Schriftsteller bei seinen Arbeiten absehen [...] kann.« 29 Im Oktober 1931 heißt es dann an denselben Adressaten: »Kämst Du in absehbarer Zeit auf zehn bis zwölf Tage nach Berlin, so würdest Du vielleicht 26

Vergl. Br., S. 535/36. Mit Bezug auf dieselbe Briefstelle schreibt R. Tiedemann abgeschwächter: »Noch im Juli 1931 erwartete Benjamin den Beginn des Bürgerkriegs in Deutschland für den Herbst des Jahres.« Gleichzeitig unterstellt Tiedemann darin aber Benjamin eine blinde Gefolgschaft zur KPD-Strategie: »Der Gedanke, daß die gegen den >Sozialfaschismus< gerichtete Politik der Kommunisten [. ..] ähnlich korrumpiert war [seil, wie die der Sozialdemokratie, C. K.], scheint ihm ferngelegen zu haben.« (R. Tiedemann: Historischer Materialismus oder politischer Messianismus? S. 100). Es ging aber in Benjamins von Hoffnung oder von Befürchtung getragenen Äußerungen zur sozialpolitischen Entwicklung u m ein anderes Problem: o b nämlich der Bürgerkrieg, der ja nicht per se in die »proletarische Machtergreifung« mündet, den linken Kräften überhaupt noch eine Formierung für die Übernahme der Staatsgewalt erlaube. Es scheint mir fragwürdig, ob man Benjamin selbst für die Zeit, in der er fest mit einer Revolution (selbstverständlich unter der Führung der KPD) rechnete, den Glauben an den Automatismus in der Geschichte unterstellen darf, der im Topos und der fatalen Politik des »Sozialfaschismus« steckte.

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Br., S. 535; an G. Scholem, Brief vom 20. Juli 1930. Br., S. 533; G. Scholem an Benjamin, Brief vom 6.5.1931. Br., S. 534; an G. Scholem, Brief vom 20.7.1931.

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auf nicht weniger Merkwürdigkeiten stoßen als andere Leute in Moskau. Aber sie sind trüber, sowohl im Gesamtaspekt als von mir her gesehen. Die Wirtschaftsordnung Deutschlands hat soviel festen Grund wie die hohe See und die Notverordnungen überschneiden sich wie die Wellenkämme. Die Arbeitslosigkeit ist im Begriff, die revolutionären Programme genau so antiquiert zu machen wie es mit den wirtschaftspolitischen bereits geschehen ist. Denn allem Anschein nach sind die faktisch von den Massen der Arbeitslosen delegierten bei uns die Nationalsozialisten; die Kommunisten haben bisher den notwendigen Kontakt mit diesen Massen und damit die Möglichkeiten einer revolutionären Aktion nicht gefunden, indem die Vertretung der Arbeiterinteressen in jedem konkreten Sinne durch das phantastische Heer der Reservearmee immer mehr eine reformistische Aufgabe wird und vermutlich auch von den Kommunisten kaum anders besorgt werden könnte als die Sozialdemokraten es tun.« 30 Einige Wochen später berichtete er in einem weiteren Brief, er arbeite an einer kaum überschaubaren Zahl von kleineren Arbeiten gleichzeitig, die ihn von Buchpublikationen abhielten. Dies und die politische Entwicklung brächten ihn dazu, am liebsten »den verschiedensten Mobilisierungsbefehlen [...] folgen« 31 zu wollen. Gelegenheit dazu bekam er erst mit der Reise nach Ibiza im Frühjahr 1932; doch den Wunsch, dem latenten Bürgerkrieg in Deutschland und der eigenen Arbeitssituation darin den Rücken zukehren zu können, ließ er schon vorher durchblicken. Die Zeitspanne vom Oktober 1931 bis zum März 1933 ist eine aus Geldmangel und fehlender Arbeitsmöglichkeit im Ausland verhinderte Emigration für Benjamin gewesen. Darauf trifft, weniger heroisch, zu, was er 1938 im Kommentar zum Lesebuch für Städtebewohner schrieb: »Das letzte Lustrum seiner politischen Arbeit in der Weimarer Republik bedeutete für den einsichtigen Kommunisten eine Krypto-Emigration. [...] Die Krypto-Emigration war die Vorform der eigentlichen; sie war auch eine Vorform der Illegalität.« 32 Es ist nicht auszuschließen, daß Benjamin schon im Sommer 1931 sich mit dem Gedanken, auf Dauer in Frankreich zu leben, getragen hat; denn in einem Brief vom Jahresende 1932 schrieb er, er habe jetzt »über diese Frage nicht zum erstenmal nachgedacht.« 33 Doch gelange er bei solchen Überlegungen immer wieder zum selben Resultat: »Durch eine Verlegung meiner Aktivität in das Französische wäre ihm [dem >SchlimmstenGoethe< in der großen Enzyklopädie der Sowjets.«40 Auch diese Bibliographie erschien übrigens ohne Namensnennung des Verfassers. Den Zeitpunkt vor der Reise hat Benjamin in einem Brief vom April aus Ibiza als die »zuletzt über alle Begriffe anspannende berliner Erwerbs- und Verhandlungsschmach« 41 charakterisiert. Darunter dürfte er auch schon Abmachungen mit der »Berliner Funkstunde« gefaßt haben. Wenig vor, dann aber vor allen Dingen nach dem Staatsstreich von Papens in Preußen, wurde am Berliner Rundfunk, insbesondere in der Literaturredaktion, die Personalstruktur eingreifend verändert. 42 Sofort stellte Benjamin fest, daß seine Verbindungen zum Rundfunk, dann auch zur »Frankfurter Zeitung«, abgerissen waren. Im Herbst erhielt er sogar eine generelle Absageerklärung von 37

Br., S. 539/40; an G. Scholem, Brief vom 3.10.1931. Br., S. 558; an Th. W. Adorno, Brief vom 3.9.1932. 39 G. Scholem, Geschichte, S. 226. Briefauszug. 40 G. S. III, S. 340; Hundert Jahre Schrifttum um Goethe (Literaturblatt der Frankfurter Zeitung vom 20.3.1932). 41 Br., S. 548; an G. Scholem, Brief vom 22.4.1932 aus Ibiza. 42 Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Stillhaltepolitik gegenüber dem Versuch der NSDAP, im Sommer 1932 auf das Programm Einfluß zu gewinnen, und der juristischen und personellen Neuorganisation des Rundfunks durch die Deutschnationalen, die diesem Einfluß entgegenarbeiten wollten, was der Übernahme des Rundfunks durch Goebbels dann aber nur Vorschub leistete; s. dazu Hans Bausch: Der Rundfunk im politischen Kräftespiel der Weimarer Republik. 1923-1933. (Tübinger Studien zur Geschichte und Politik. Nr. 6. Hg. von Hans Rothfels, Theodor Eschenburg u. Werner Markert). Tübingen 1956. S. 96/97 und S. 210f.. - Zu den persönlichen Denunziationen (»Literaturfeme«, »jüdischer Kommunismus«), deren Opfer der Leiter der »Funkstunde« in Berlin, Edlef Koppen - mit ihm hatte Benjamin zu tun -, wurde, vergl. Edlef Koppen: Heeresbericht. Kronberg/Taunus 1976. S. 482-485. 38

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der Redaktion der »Literarischen Welt«: bis auf weiteres müsse man auf seine Mitarbeit verzichten. 43 Noch zu Jahresbeginn hatte er zusammen mit Willy Haas, dem Herausgeber der »Literarischen Welt«, eine Sondernummer der Zeitschrift nach dem Grundgedanken der Brieffolge zusammengestellt, das deutsche bürgerliche Jahrhundert gegen die zeitgenössische politische Haltung des deutschen Bürgertums aussagen zu lassen. Damit hatten sich für Benjamin im Laufe des Sommers 1932 alle publizistischen Arbeitsmöglichkeiten, auf die er früher, wenn schon nicht unbeschränkt, so doch regelmäßig zurückgreifen konnte, verschlossen. Gleichzeitig wurde er über die politische Entwicklung in Deutschland »durch die Information meiner deutschen Korrespondenten« 4 4 auf dem Laufenden gehalten. Schon nach der Reichspräsidentenwahl im April 1932, die Hindenburg wieder gewann, hielt Benjamin offenbar einen Kanzler Hitler für möglich; er hielt es jedenfalls für »das Gebot der Vernunft, die Eröffnungsfeierlichkeiten des dritten Reichs durch Abwesenheit zu ehren.« 45 Wenn er im selben Brief schrieb: »Über deren Termin scheint man sich allerdings nirgends im klaren. Im übrigen will ich eine kleine Bemerkung zur Sache hierhersetzen, die ich neulich machte und die, wie ich dann erfuhr, von hier schon nach Deutschland gedrungen ist. Vielleicht hörst du sie immer noch besser aus erster Hand als aus zweitem Mund. Das dritte Reich sei ein Zug, der nicht eher abfährt, bis alle eingestiegen sind.« 46 - so ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß er am 28. Februar 1933 zwar die »Luft kaum mehr zu atmen« 47 fand, gleichzeitig aber eine für Außenstehende bemerkenswerte Ruhe und Gelassenheit an den Tag legte.48 Es war ihm, wieder nach Berlin zurückgekehrt, gelungen, die allseitige »Boykottbewegung« 49 kurzfristig rückgängig zu machen. Auch hatte er jetzt erste Kontakte zur »Zeitschrift für Sozialforschung« geknüpft; angesichts des absehbaren nationalsozialistischen Griffs nach der Regierung hatte diese ihr Kapital frühzeitig in die Schweiz transferiert. Entscheidend für Benjamins gelassene Haltung müssen die Erfahrungen während des langen Auslandsaufenthaltes 1932 gewesen sein. Bei dieser Probe auf eine Emigration war ihm der Gedanke an die Rückkehr nach Berlin schon eine alptraumartige Vision. »Vom Maße meiner Abneigung zu43

Siehe Briefwechsel, S. 30; an G. Scholem, Brief vom 25.10.1932 aus Poveromo. Briefwechsel, S. 20; an G. Scholem, Brief v o m 5.7.1932. G. Scholem, Geschichte, S. 228; Auszug eines Briefes von Anfang Mai 1932. 46 G. Scholem, Geschichte, S. 228. 47 Br., S. 562; an G. Scholem, Brief vom 28.2.1933. 48 G. Scholem, Geschichte, S. 243, schreibt: »Meine Freundin Kitty Marx, die ihn Anfang März vor ihrer Abreise nach Palästina auf meine Veranlassung hin besuchte, war von der auffallenden Gelassenheit beeindruckt, mit der er der Lage gegenüberzustehen schien. [ . . . ] Vielleicht hängt das damit zusammen, daß er dem Tod im Juli 1932 so nahe ins Auge geblickt hatte, und ihn daher solche Aussichten nicht mehr schreckten.« 49 Briefwechsel, S. 33; an Scholem, Brief vom 10.12.1932. 44 45

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rückzukehren, wirst du dir selbst unter Einbeziehung der bekannten Umstände garkeine Vorstellung machen können,« hatte er aus Nizza, als er die Möglichkeit des Freitods verworfen hatte, an Scholem geschrieben. »Dazu würde nicht nur gehören, daß du ein Schreiben vor Augen hättest, in dem die Baupolizei mich auffordert, meine Wohnung zu verlassen, - weil ihre Lage irgendwelchen Vorschriften nicht entspricht - nicht nur, daß du dir einen deutlichen Begriff von der Tragweite machtest, die die von dir berührte reaktionäre Bewegung im Rundfunk für mich besitzt, sondern vor allem einen von der tiefen Müdigkeit, die mich angesichts dieser Umstände befallen hat.« 50 »Er ließ sich in Paris 1933, nach der Vertreibung der Juden aus Deutschland durch Hitler, nieder,« S1 schrieb Adrienne Monnier 1952, um Benjamin erstmals einer breiteren französischen Leserschaft vorzustellen. Ihre Angabe, wiewohl sie damals gerechtfertigt war, ist nicht ganz richtig. Ihm gelang es erst relativ spät, nämlich 1935, Paris zu seinem festen Wohnsitz zu machen. Etwa gleichzeitig wurde es ihm dann auch unmöglich, im Feuilleton der »Frankfurter Zeitung« unter dem Pseudonym Detlef Holz zu veröffentlichen; als die Reichschrifttumskammer eingerichtet war, blieben Publikationen den eingeschriebenen Mitgliedern vorbehalten. 52 Selbstverständlich war Benjamin auch als Jude 1933 vor Verfolgungen nicht sicher gewesen, und die frühen Absagen der Redaktionen dürften auch auf den offenkundig jüdischen Familiennamen zurückzuführen sein. 53 Der allseitige Boykott muß aber dadurch zustande gekommen sein, daß dieser Name in den Redaktionen als derjenige eines freien Schriftstellers bekannt war, der seine kommunistischen Sympathien und seine Haltung als Communisant kenntlich gemacht hat und kenntlich machen wollte. Als solcher hat 50

Briefwechsel, S. 22; an G. Scholem, Brief vom 26.7.1932 aus Nizza; vergl. dazu Br., S. 555, wo diese Passage herausgestrichen ist. 51 A. Monnier: Note sur Walter Benjamin. In: Monnier, Rue de l'Odeon. Paris (Editions Albin Michel) 1960. S. 178. (Übers, v. m„ C. K.) 52 Benjamin befürchtete eine ähnliche Maßnahme seit April 1933; siehe Briefwechsel, S. 58. 53 Die Prosaskizze Agesilaus Santander aus einem Notizbuch mit Aufzeichnungen aus den Jahren 1932 und 1933 geht von dieser existentiellen Erfahrung aus. Das Stück beginnt folgendermaßen: »Als ich geboren wurde, kam meinen Eltern der Gedanke, ich könnte vielleicht Schriftsteller werden. Dann sei es gut, wenn nicht gleich jeder merke, daß ich Jude sei: darum gaben sie mir außer dem Rufnamen noch zwei sehr ungewöhnliche. [ . . . ] Genug, daß schwerlich Eltern vor vierzig Jahren weiter blicken konnten. Was sie entfernt für möglich hielten, ist eingetroffen.« (Zur Aktualität, S. 94). - Diese beiden »ungewöhnlichen« Namen, Benedix Schönflies, Namen von Großelternseite, waren in den amtlichen Papieren vermerkt und erscheinen auf Benjamins Ausbürgerungsakte. (W. Fuld: Agesilaus Santander oder Benedix Schönflies. Die geheimen Namen Walter Benjamins. In: Neue Rundschau. 2, 1978. S. 259-263.) - Benjamin hat sich seinen Reisepaß dadurch erhalten können, daß er ihn beim deutschen Konsulat auf Mallorca für verloren ausgab; man stellte ihm dort einen neuen, mit wohl fünfjähriger Gültigkeit, also bis zum Sommer 1938, aus. Dadurch verlor Benjamin dann sehr spät die deutsche Staatsbürgerschaft, am 5. Juni 1939: Die Gestapo hatte seinen einzigen Beitrag im »Wort« entdeckt.

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Benjamin die Phase der Übernahme und Übergabe der Weimarer Republik an die deutsche faschistische Partei beobachtet; spätestens ab 1931 mit Mißtrauen in die politische Strategie der deutschen kommunistischen Partei. Und dies war dann seinerseits für den Schritt ins Exil ausschlaggebend.

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KAPITEL I

»Der Autor als Produzent« - ein Beitrag zur politischen Literaturkritik

1. Walter Benjamins Arbeiten und Pläne in der politischen Konstellation zu Beginn seines Pariser Exils Als Walter Benjamin nach dem halbjährigen Aufenthalt auf Ibiza im Oktober 1933 nach Paris zog, sah er, wie schon in den Jahren zuvor, dort für sich weder eine Arbeitsmöglichkeit noch andere konkrete Chancen des Geldverdienstes. »Daß ich hier vor soviel Fragezeichen stehe wie Paris Straßenecken hat, wird dich nicht überraschen«, schrieb er an Scholem. »Fest steht mir eigentlich nur, daß ich nicht beabsichtige, den aussichtslosen Versuch zu machen, in Frankreich mein Geld durch Schriftstellerei für französische Organe zu verdienen. Kann ich gelegentlich - und wie zweifelhaft ist selbst das - in repräsentativen Organen (Commerce, NRF) etwas von mir placieren, so wird mir das des Prestiges wegen willkommen sein. Dagegen französische Schriftstellerei zur Existenzgrundlage machen zu wollen, wäre ein Versuch, der mich in kurzem nach einer Reihe fühlbarer Fehlschläge um den Rest meiner - nicht mehr unbegrenzten - Initiativkraft bringen würde. Ich werde jede, scheinbar subalterne Beschäftigung dem Antichambrieren in BoulevardblattRedaktionen vorziehen. Was ich im günstigsten Fall erhoffe, ist eine Möglichkeit durch bibliographische, bibliothekarische Hilfsarbeit etwas zu verdienen.« 1 Diese Möglichkeit bot sich nicht, ebensowenig die zur Mitarbeit an einem jüdischen Verlagsprojekt. 2 »Zwei größere Aufträge« 3 erhielt er dagegen von der »Zeitschrift für Sozialforschung«, nämlich die zur Arbeit über Eduard Fuchs und zu einem Referat über Sprachsoziologien. Was Benjamin vor allen Dingen in diesen Wintermonaten des Jahres 1933 in Paris band, war Brechts Anwesenheit. Er hat damals Benjamin eingeladen, zu ihm nach Skovbostrand zu ziehen, und dieser plante noch Anfang Dezember, »gegen Ende des Winters hinzugehen«. 4 Am Jahresende schrieb er nach Brechts Abreise: »Unter dem Wenigen, das bleibt, wäre wohl das erste ein Ortswechsel. Paris ist viel zu teuer und dieser Aufenthalt in viel zu grellem Kontrast mit meinem frühern an dieser Stelle. Um mich herum ist nichts Ermutigendes zu sehn [...]. Im übrigen ist, nach der Abreise von Brecht, die 1 2 3 4

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Briefwechsel, S. 106/07; an Scholem, Brief vom 16.10.1933. Vergl. Briefwechsel, S. 110/11; an Scholem, Brief vom 31.10.1933. Briefwechsel, S. 115; an Scholem, Brief vom 7.12.1933. Briefwechsel, S. 115.

Stadt für mich ausgestorben.« 5 Dessen Biograf Klaus Völker stellt die gemeinsam in Paris verbrachten Wintermonate des ehemaligen Berliner Kreises so vor: »In diesem Kreis diskutierte man offen, man betrieb keine Astrologie und stellte keine Prognosen auf.« 6 Margarete Steffin, mit der Benjamin weiterhin wie mit Brecht korrespondierte, und Elisabeth Hauptmann zählten dazu. Neben diesen beiden Freundinnen Brechts der Komponist Hanns Eisler, der Filmregisseur Slatan Dudow, und, an der »Peripherie«, 7 Paul Partos, der Freund von Karl Korsch. Mitte Januar 1934 schob Benjamin sein Vorhaben, nach Skovbostrand zu gehen, auf den Sommer auf. Bedenken, daß ein dortiges »Angewiesensein auf einen Menschen [...], [bei] einer ganz unbekannten Sprache, die niederdrükkend ist, wenn man für alle alltäglichen Verrichtungen selbst aufzukommen hat«, 8 eine Variation der Pariser Einsamkeit sei, kam eine kurzfristig in Aussicht stehende Unterhaltsmöglichkeit entgegen. Sie sprach für weiteren Verbleib in Paris. »Im übrigen hat man jetzt für mich Schritte bei der Alliance Israelite Universelle unternommen und es kann sein, daß ich für kurze Zeit zu einer Unterstützung komme, die freilich nach meinen Informationen nur ganz geringfügig sein kann.« 9 Diese Unterstützung in Höhe von 700 frcs. hat Benjamin bis zum April 1934 erhalten. Aus seinen Briefen läßt sich entnehmen, wie er sich in dieser Zeitspanne mit den unabsehbaren Umständen einrichtete. Das Exil, eine Erfahrung der Ausnahmesituation im Maßstab individuellen Schicksals, begann konstant zu werden. Nach beinahe einem Jahr nationalsozialistischer Diktatur in Deutschland war das Warten auf einen kurzbevorstehenden Sturz des Regimes in Emigrantenkreisen allgemein aufgegeben. Man richtete sich auf ein Exil mit längerer Dauer ein. Es stand bevor und hatte noch nicht demoralisiert. Zwischen dem Sichabfinden und einer großzügigen Rechnung auf die Zukunft war der parteipolitisch nicht gebundene Teil der deutschen Schriftstelleremigration zu einem Neueinsatz bereit: Zeitschriften wurden wieder- und 5

Briefwechsel, S. 119; an Scholem, Brief vom 31.12.1933. K. Völker: Bertolt Brecht. Eine Biographie. München, Wien 1976. S. 211. 7 Br., S. 599; an Scholem, Brief vom 18.1.1934; zum Brechtkreis in Paris vergl. ferner Briefwechsel, S. 115. s Br., S. 596; an Gretel Karplus, Brief vom 30.12.1933. Benjamin lernte sie, wie G. Scholem schreibt (Geschichte, S. 198), im Kreis um Franz Hessel in Berlin kennen. Auf welches Jahr der Beginn der Bekanntschaft zurückgeht, läßt sich nicht erschließen. Theodor W. Adorno heiratete Gretel Karplus 1937. Da aus Walter Benjamins Briefen an sie deutlich ist, daß er bis in die späten Jahre der Emigration mit ihr eine von seiner Bekanntschaft zu Adorno unabhängige Korrespondenz führte, ist im Weiteren, im Gegensatz zur Namensnennung in den G. S., der Mädchenname beibehalten. - Vergl. Br., S. 599, die entsprechende Passage im Brief an Scholem vom 18.1.1934. 9 Briefwechsel, S. 123; an Scholem, Brief vom 18.1.1934. Diese Passage ist aus Br., S. 599 herausgenommen, so daß der Leser hier nur von Benjamins Bedenken gegen das ausschließliche Angewiesensein auf Brecht erfährt. - Vergl. dazu Benjamins Mitteilung an Brecht in: Zur Aktualität, S. 33; Brief von >vermutlich Anfang Januar 1934Le public allemandungeheuer wichtige PositionTradition der Decadence< gilt. In dem Selbstzitat, das Benjamin aus Linke Melancholie in den Vortrag übernommen hat, sind die Themen der »Neuen Sachlichkeit« literaturge125

G. S. III, S. 183: Gebrauchslyrik? Aber nicht so! G.S. III, S. 184. 127 G. S. III, S. 183. 126

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schichtlich beurteilt. Gleich wenig wie »proletarische Mimikry« soziologisch eingesetzt ist, ist der Ausdruck »linksradikale Publizisten« nur mit Vorsicht als diejenige politische Klassifikation zu nehmen, als die sie in der Literaturpolitik der KPD gebraucht wurde. »Der deutsche Intellektuelle steht immer etwas links von sich selber.«128 Das hat Tucholsky über den Idealismus der »Geistigen« spöttisch bemerkt, und Benjamin hat diese Bemerkung zustimmend zitiert. Parallel zu Tucholsky formuliert Benjamin in Linke Melancholie: »Kurz, dieser linke Radikalismus ist genau diejenige Haltung, der überhaupt keine politische Aktion mehr entspricht. Er steht nicht links von dieser oder jener Richtung, sondern ganz einfach links vom Möglichen überhaupt.« 129 In seiner ersten Rezension zur literarischen »Neuen Sachlichkeit«, zu Hermann Kestens Roman Ein ausschweifender Mensch, ist Benjamin ansatzweise die politische Funktion der nihilistischen Ironie, der literarischen Entsprechung einer politischen Position »links vom Möglichen überhaupt«, formanalytisch angegangen. Er analysiert das Verhältnis des Autors zu seinem Helden und zeigt dabei, wie es die Ironie Kesten erlaube, Schwächen der Konstruktion zu überspielen.130 Im Vortrag Der Autor als Produzent ist zwar kein einziges Mal die politische Funktion eines der in der Hinterhand gehaltenen Texte an einem Formproblem benannt, keines der inkriminierten vermarkteten Themen nur erwähnt, jedoch ist die »Tendenz Nihilismus« angedeutet: »Indem ich mich der neuen Sachlichkeit als literarischer Bewegung zuwende, muß ich [...] sagen, daß sie den Kampf gegen das Elend zum Gegenstand des Konsums gemacht hat.«131 Trotzdem spricht Benjamin hier von der »Tradition der Decadence«: »In der Tat erschöpfte sich ihre [der »Neuen Sachlichkeit«, C. K.] politische Bedeutung in vielen Fällen mit der Umsetzung revolutionärer Reflexe, soweit sie am Bürgertum auftraten, in Gegenstände der Zerstreuung, des Amüsements, die sich unschwer in den großstädtischen Kabarett-Betrieb einfügten.« 132 Die Frage nach dieser Tradition bleibt für Benjamins politische Haltung innerhalb des kommunistischen Lagers zentral. Hätte er jene eigens thematisiert, wäre der Rahmen des Vortrags dadurch gesprengt worden. Er glaubte aber auch, darauf nicht verzichten zu können. Und dabei hat er sich auch hinter seinen unverständlichen Verschlüsselungen versteckt.

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Was Benjamin gegen Hermann Kesten und u.a. auch »Peter Panter« angeführt hat in: Die dritte Freiheit. G. S. III, S. 172. Rezension zu Kestens Roman Ein ausschweifender Mensch (zuerst in: Die literarische Welt vom 7.6.1929). 129 G. S. III, S. 281. Linke Melancholie. 130 Siehe G. S. III, S. 173. Die dritte Freiheit. 131 G. S. II, 2; S. 695. 132 G. S. II, 2; S. 695. (H. v. m., C. K.)

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7. Das »epische Theater« - oder Bertolt Brecht als Beispiel Erst dort, wo Benjamin Brechts episches Theater erläutert, hat er den Rückbezug zur kunsttheoretischen Beweisführung gefunden. Brecht fungiert im Vortrag einmal als Gegengewicht zu Tretjakow; ein Autor, dessen unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen entstandene Arbeiten zeigen sollen, inwieweit die »richtige« politische Tendenz eine Funktion fortschrittlicher ästhetischer Techniken ist. Mit Brecht schließt Benjamin seine Beweisführung ab; die roten Fäden müßten zusammenlaufen, die Aporien des »Aktivismus« und der »Neuen Sachlichkeit« gelöst erscheinen. Statt der Organisation der Intellektuellen auf der Grundlage eines anachronistischen Idealismus, müßte eine denkbar sein, die sich mit dem »historischen Materialismus« verträgt; anstelle der ironischen Kopien der Decadence-Lyrik müßte eine konstruktive Arbeit an Gedichten mit »revolutionärer Thematik« und literarischen Gegenständen, die die Großstadt vorgibt, treten. Dann wäre im Sinne der Anlage des Vortrags gezeigt, daß sich auf der Grundlage des Bruchs in der Kunstentwicklung literarisch arbeiten läßt, und daß die Literatur darüber eine »revolutionäre« Funktion hat, die sich als eine Beteiligung am Umsturz kapitalistischer Produktionsverhältnisse darstellt; auch angesichts des Faschismus. Nun wird Brecht lange vor den Ausführungen über das epische Theater eingeführt. Das irritiert. Denn er ist dabei Autorität für die »Neue Sachlichkeit« und deus ex machina in Benjamins kunsttheoretischer Argumentation: »Für die Veränderung von Produktionsformen und Produktionsinstrumenten im Sinne einer fortschrittlichen - daher an der Befreiung der Produktionsmittel interessierten, daher im Klassenkampf dienlichen - Intelligenz hat Brecht den Begriff der Umfunktionierung geprägt. Er hat als erster an den Intellektuellen die weittragende Forderung erhoben: den Produktionsapparat nicht zu beliefern, ohne ihn zugleich, nach Maßgabe des Möglichen, im Sinne des Sozialismus zu verändern.« 133 Dies Bündel von Vorbildlichkeiten erschlägt zunächst. Die doktrinäre, mit Brechts Namen verbundene Forderung nach Belieferung und gleichzeitiger Umfunktionierung des »Produktionsapparates im Sinne des Sozialismus« gibt mehr Fragen auf als sie Lösungen bieten kann. Ist die Übernahme der Zeitungen, Zeitschriften und Verlage durch die Schreibenden, Stück für Stück, gemeint? Gibt es besondere Themen, besondere Methoden der Belieferung, die die »Umfunktionierung« garantieren können? Gleichgültig, wie Brecht den Begriff »Umfunktionierung« 134 gebrauchte - als eine Forderung 133 134

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G. S. II, 2; S. 691. Zweifelsohne bezieht sich Benjamin mit seiner Verwendung des Begriffs »Umfunktionieren« auf Brechts Dreigroschenprozeß. Dieser hat hier u. a. die Vergesellschaftung der filmischen Produktionsmittel gefordert. Aber glaubte er, wie es später oft gelesen wurde und wie auch Benjamin »Umfunktionieren« als Postulat Brechts hinstellt, er habe über die Verfilmung der Dreigroschenoper die Enteignung der Nero-

an einen Schreibenden läßt sie sich nur nachhaltig vertreten, wenn sie auf die Form eines Textes bezogen ist. Deutlicher und bescheidener faßt dann Benjamin dieselbe Forderung noch einmal: »den Produktionsapparat zugunsten des Sozialismus der herrschenden Klasse durch Verbesserungen zu entfremden.« 1 3 5 Dabei ist der praktische Schritt »Umfunktionieren« entsprechend auf den Akt der schriftstellerischen Arbeit reduziert zu denken. Er erinnert in seiner Bestimmung an die Notiz zum Surrealismusaufsatz, wo die »Aufgabe der revolutionären Intelligenz« darin gesehen war, »die intellektuelle Hegemonie der Bourgeoisie zu stürzen.« Was in diesem Sinne »Umfunktionieren« heißt, belegt Benjamin mit dem Zitat aus dem ersten Heft der Versuche.136 Er zeigt damit: Brecht hat ein B e w u ß t s e i n vom Bruch in der Kunstentwicklung, er verzichtet beim Ρ u b 1 i z i e r e n auf den »Werkcharakter«, die Funktion, die das Ästhetische als isoliert Ästhetisches hat. Weiter verweist Benjamin auf Brechts T h e a t e r p r a x i s . Er illustriert am Beispiel der Maßnahme, wie der Umschmelzungsprozeß der Formen von technisch bewußten Künstlern gemeinsam vorangetrieben werden kann. Konzert und Schauspiel, zwei traditionelle Kunstformen, die das bürgerliche Publikum jeweils unabhängig voneinander genossen hat, sind in der Z u s a m m e n a r b e i t der Produzenten, des Komponisten und des Theaterregisseurs, auf dem »Höchststand der Technik« 1 3 7 umfunktioniert. Die Problematik des Lehrstückkonzepts läßt Benjamin an dieser Stelle beiseite. Er führt nur den agitatorischen Erfolg der Maßnahme an. Insofern dient sie ihm nur als ein Beispiel zum Vorweisen, nach welchem Grundsatz der Schritt »Umfunktionieren« vorzustellen ist. Doch dabei wird jener suggestiv und seine unmittelbare Plausibilität erschlichen. In der Zusammenarbeit Brecht/Eisler ist die Kon-

Filmgesellschaft vorangetrieben? - Im Dreigroschenprozeß bezieht sich Brechts Postulat auch auf die davor gelagerte ästhetische Tätigkeit, und dabei auf das Lernen einer Technik von der anderen: hier muß ein Drehbuch geschrieben, dort muß es verfilmt werden; der Aufbau des Handlungsablaufs muß anders als der einer Tragödie sein; der Film gibt Anregungen, Handlungsabläufe auch im Roman (oder Theaterstück) aus filmischer Perspektive zu beschreiben. »Die Literatur braucht den Film nicht nur indirekt. Sie braucht ihn auch direkt. Bei der entscheidenden Verbreiterung ihrer gesellschaftlichen Aufgaben, die sich aus der Umfunktionierung der Kunst in eine pädagogische Disziplin ergeben, müssen die Mittel der Darstellung vervielfacht oder häufig gewechselt werden.« (B. Brecht: Der Dreigroschenprozeß. Ein soziologisches Experiment. In: Brecht, G . W . 18, S. 158. (zuerst in: Versuche 8-10. (Heft 3; 1932). (H. v. m„ C. K.)) 135

G. S. II, 2; S. 692. G. S. II, 2; S. 691. Benjamin hat dies Zitat aus Brechts Einleitung zur Reihe Versuche vorher schon in Aus dem Brecht-Kommentar verwandt. »>Die Publikation der >Versuche< [ . . . ] erfolgt zu einem Zeitpunkt, wo gewisse Arbeiten nicht mehr so sehr individuelle Erlebnisse sein (Werkcharakter haben) sollen, sondern mehr auf die Benutzung (Umgestaltung) bestimmter Institute und Institutionen gerichtet sind< (G. S. II, 2; S. 506 (zuerst in: Literaturblatt der Frankfurter Zeitung v o m 6.7.1930).) 137 G . S . II, 2; S. 694.

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zert- wie die Theaterform eventuell nicht wiederzuerkennen. Das liegt an ihrer Ausrichtung auf den pädagogischen Zweck. Dieses Lehrstück hat aber die Institutionen »Konzert« und »Theater« weder verändert, noch hat es über den Mitarbeiterkreis hinaus jemanden organisiert. Aber gerade das will Benjamin am Beispiel Brechts zeigen, daß »umfunktionieren« und »organisieren« zusammengehen: »Dem Autor, der die Bedingungen heutiger Produktion durchdacht hat, wird nichts ferner liegen, als solche [seil. >großeIch sage ganz o f f e n . . . < abgedruckt war. Brecht verglich es mit seinem Lehrgedicht über die Schauspielkunst für Carola Neher. [ . . . ] >Dieses Lehrgedicht war ein Modell. Jeder Lernende war bestimmt, an die Stelle seines >Ich< zu treten. Wenn Becher >Ich< sagt, dann hält er sich - als Präsidenten der Vereinigung proletarisch-revolutionärer Schriftsteller Deutschlands - für vorbildlich. Nur hat niemand Lust, es ihm nachzutun. Man entnimmt einfach, daß er mit sich zufrieden ist.< Brecht sagt bei dieser Gelegenheit, daß er seit langem die Absicht hat, eine Anzahl von solchen Modellgedichten für verschiedene Berufe den Ingenieur, den Schriftsteller - zu schreiben.

Aus dieser Tagebuchnotiz geht hervor, daß das Modell zur Organisierung der Schriftsteller über eine fortschrittliche literarische Technik im Hinblick auf die »Politisierung« in der deutschen Schriftstelleremigration vorgeschlagen ist. Doch wird der Vorschlag dadurch praktikabler, daß das Modell als Lehrgedicht konkretisiert wird? Selbst das Lehrgedicht ist noch an schauspielerische Fertigkeiten gebunden; sollten Schriftsteller mit ihrer Hilfe lernen können? Und weiter: Der Kreis der am Lehrstück oder Lehrgedicht Beteiligten mag zwar ein Kreis von Produzenten sein. Wie aber sollte seine Organisierung verbindlichen, d. h. politischen Charakter bekommen? Kann sie jemals mehr als Zirkelwesen oder Gruppenarbeit hervorbringen? Damit stellt sich das zweite Problem: gespieltes Theater ist von der Kunstform her auf Zusammenarbeit angewiesen, geschriebene Literatur nicht. Bildet für eine politische Organisierung einer Theaterproduktionsgemeinschaft die Theaterinstitution, ihr Apparat, eine Schranke, so für die Organisierung der Schriftsteller nach einem entsprechenden Modell die Verlagseinrichtung und der Markt. Diese beiden sind schwieriger zu überspringen. Auch was das gesellschaftliche Lernen betrifft, sind Theater und Schrifttum in Bezug auf ihre Realisierung im Medium, der Technik und in der Publikumsrezeption unvergleichbar. Das dritte Problem besteht darin, daß die Ausführungen über das epische Theater im Rahmen des Vortrags, des Themas und des Ansatzes methodisch unüberlegt sind. War bislang mehr oder weniger konsequent der Umschmelzungsprozeß der Kunstformen in seiner besonderen Bedeutung auf die geschriebene Literatur hin gesehen, so gibt Benjamin diesen Bezug mit seinen langen Erläuterungen zum epischen Theater auf. Dieser Bruch ist für die gesamte Vortragskonzeption fatal. Und in ihrem Rahmen wird es bedeutend, 140 141

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Versuche, S. 117. Versuche, S. 117/18.

daß Benjamin ihn drei Mal in ein Verhältnis zu seiner früheren Studie zu Brecht, Was ist das epische Theater?, gesetzt hat. Im Brief von Ende Mai 1934 an Brecht schreibt Benjamin: »Unter dem Titel >Der Autor als Produzent< habe ich versucht, nach Gegenstand und Umfang ein Pendant zu meiner alten Arbeit über das epische Theater zu machen.« 142 Wenn Benjamin hier sagt, dem Gegenstand nach handle es sich in beiden Studien um ein P e n d a n t , so darf das nicht dahingehend verstanden werden, daß beide Texte Studien über das epische Theater sein sollen. Genauer bestimmt er nämlich den Gegenstand des Vortrags im Verhältnis zu dem der frühen, ungedruckt gebliebenen Studie in dem Brief, den er Adorno gleich nach dem Vortragsdiktat schrieb; der Vortrag sei der Versuch, »für das S c h r i f t t u m ein Gegenstück zu der Analyse zu liefern , welche ich für die B ü h n e in der Arbeit über >Das epische Theater< unternommen habe.« 143 In beiden Arbeiten gibt es den gemeinsamen Ausgangspunkt und dieselbe Achse, um die sich die materialen Ausführungen einmal zum Thema »Schrifttum«, das andere Mal zum Thema »Bühne« drehen. Im Vortrag hat das Beispiel Tretjakow diese Achse überhaupt erst aufgerichtet, die frühere BrechtStudie expliziert gleich einleitend: »Worum es heute im Theater geht, läßt sich genauer mit Beziehung auf die Bühne als auf das Drama bestimmen. [...] Der Abgrund, der die Spieler vom Publikum wie die Toten von den Lebendigen scheidet, der Abgrund, dessen Schweigen im Schauspiel die Erhabenheit, dessen Klingen in der Oper den Rausch steigert, dieser Abgrund, der unter allen Elementen der Bühne die Spuren ihres sakralen Ursprungs am unverwischbarsten trägt, ist funktionslos geworden. Noch liegt die Bühne erhöht, steigt aber nicht mehr aus einer unermeßlichen Tiefe auf; sie ist Podium geworden. Auf diesem Podium gilt es, sich einzurichten. Das ist die Lage.« 144 Der gemeinsame Gegenstand beider Arbeiten, der jeweils nur als »Pendant« bearbeitet ist, ist demnach der historische Verlust der sakralen Funktion der Kunst und ihre Ablösung durch eine politische Funktion. Die kunsttheoretische Ausgangsthese, die fortschrittliche literarische Technik sei eine Funktion der »richtigen« politischen Tendenz, enthüllt hier ihren historischen Sinn: »richtig« heißt nämlich der zeitgenössischen Lage der Kunst angemessen. Wenn es Benjamin im Vortrag nicht bruchlos gelingt, den Gedanken am Thema Schrifttum durchzuführen, so zeigt das nur, wie eindeutig für ihn Brechts Arbeiten die einzig gelungene Bewältigung des Verlustes der sakralen Funktion vorstellen. 142

Br., S. 609; an Brecht, Brief vom 24.5.1934. G. S. II, 3; S. 1461; Brief vom 28.4.1934. (H. v. m., C. K.) Beiden, Adorno wie Brecht, muß demnach die frühe, ungedruckt gebliebene Studie bekannt gewesen sein. Dies und die Mitteilung an Adorno, ist auch deswegen bedeutsam, weil, wie sich Ernst Bloch erinnert, Adorno bis Anfang der dreißiger Jahre ein Bewunderer von Brechts Arbeiten war. (Tagträume v o m aufrechten Gang. Sechs Interviews mit Ernst Bloch. Hg. von A. Münster. Frankfurt/M. 1977. S. 51.) Adorno wird später überall, wo Benjamin, von diesem Gegenstand ausgehend, weiter präzisiert, Brechts »Einfluß« vermuten. 144 Was ist das epische Theater? (1. Fassung) G. S. II, 2; S. 519. 143

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Durch den Themenwechsel bei den Ausführungen zum »epischen Theater« ist jedoch die Beweisführung zu keinem schlüssigen Ende gebracht. Hat Benjamin bisher mit Brecht über die Versuche gesagt, der moderne Autor müsse ein Bewußtsein vom Verlust der Werkkategorie haben, hat er an der Maßnahme gezeigt, daß der Abbau traditioneller Gattungsgrenzen in experimentierender Kooperation verschiedener Künste die bewußte Einsetzung der politischen Funktion fördert, so ergänzen die Ausführungen über das »epische Theater« dies um den Gesichtspunkt des ästhetischen V e r f a h r e n s und den I n h a l t , an dem es sich bewährt. Beide geben auch Hinweise für die Frage nach dem fortschrittlichen ästhetischen Verfahren in der Literatur. Deswegen werden die Überlegungen Benjamins dazu im Folgenden aus der Passage über das »epische Theater« isoliert. Auch sie setzen sich aus unkenntlichen Selbstzitaten zusammen, und eine eingehende kommentierende Auseinandersetzung mit ihnen müßte die Aktualität, der der Vortrag gilt, weitgehender als bislang schon verlassen. Für ein fortschrittliches ästhetisches Verfahren sieht es Benjamin als unabdingbar an, sich mit den neuen, in den Künsten angewandten technischen Erfindungen auseinanderzusetzen und von ihnen zu lernen. So heißt es vom »epischen Theater«, es nehme »ein Verfahren auf, das Ihnen in den letzten Jahren aus Film und Rundfunk, Presse und Photographie geläufig ist. Ich spreche vom Verfahren der Montage«. 145 Und ebenfalls bei der Wahl des »Inhalts« verlangt Benjamin vom Autor, auf der Höhe der zeitgenössischen, durch die Technik bestimmten Gesellschaftsentwicklung zu sein: »Im Mittelpunkt seiner [Brechts, C. K.] Versuche steht der Mensch. Der heutige Mensch; ein reduzierter also, in einer kalten Umwelt kaltgestellter. Da aber nur dieser uns zur Verfügung steht, so haben wir Interesse, ihn zu kennen.« 146 Wenn der Satz, der zur literaturpolitischen Zusammenfassung überleitet, dann heißt: »Vielleicht ist es Ihnen aufgefallen, daß die Gedankengänge, vor deren Abschluß wir stehen, dem Schriftsteller nur eine Forderung präsentieren, die Forderung nachzudenken, seine Stellung im Produktionsprozeß sich zu überlegen,« 147 dann gibt Benjamin über Brecht seinem Publikum zweierlei zu denken: es möge sich die »literarischen Produktionsverhältnisse« bewußt machen, die geschichtliche Höhe und den Bruch in der Kunstentwicklung, an technische Erfindungen und literarische Techniken in der politischen Literaturkritik< denken. Es geht Benjamin in keiner Weise um ein Bekenntnis zum Automatismus der Produktivkräfte. Es geht ihm darum, daß in der antifaschistischen Politik einmal gewonnene literarische Produktivkräfte nicht preisgegeben werden. Und weiter erinnert er an die bestehende Arbeitsteilung zwischen Literatur und Politik. Ein Autor arbeitet nämlich »als Produzent« in den Schranken seines Bereiches, in denen er »überhaupt etwas macht«. 145

G. S. II, 2; S. 697. G.S. II, 2; S. 698/99. 147 G. S. II, 2; S. 699. 146

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So sollten die Ausführungen zum »epischen Theater« im Vortrag für nichts weiter, als einen bescheidenen Zweck zu erfüllen, angesehen werden. In ihnen führt Benjamin zwei Gesichtspunkte an, Kunstformen zu beurteilen, denen gegenüber der Vorwurf des »Technizismus« schnell bei der Hand war. Er erinnert an Avantgardeformen, verlangt aber auch »Tendenz«. Der literaturpolitische Zweck ist dementsprechend nichts weniger als radikal, sondern ebenfalls sehr bescheiden, nämlich 1934 die politischen Kräfte, welche die einzige Alternative zum Faschismus bildeten, auf etwas aufmerksam zu machen: Daß Schriftsteller nur literarisch etwas leisten; daß ihre Verpflichtung gegenüber der revolutionären Tradition i n der Literatur die politische Organisierung fördert, nicht behindert; daß angesichts der kulturellen Verfinsterung, und die zeichnete sich nicht nur in Deutschland ab, das gesellschaftskritische Erkenntnisvermögen über die literarische Form gefördert, nicht abgewürgt werden darf.

8. »Commune« und die Politik der »Geistigen« In diesem Sinne ist Benjamins präzisestes Kriterium für die politische Organisierung seine Frage an den Schriftsteller: »Hat er Vorschläge für die Umfunktionierung des Romans, des Dramas, des Gedichts?« 148 Damit bleibt aber noch offen, inwiefern er hiermit einen Beitrag zu aktuellen literaturpolitischen Fragen leistet. Aktuell war zum Zeitpunkt des Vortrags nichts anderes als die Frage, wie Schriftsteller organisiert zu einer Politik gegen den Faschismus in Deutschland und in Frankreich etwas beitragen können. Äußerlich hat Benjamin seinen Beitrag auf die Geschehnisse in Frankreich ausgerichtet. Doch thematisch ist sein Vortrag an die emigrierten deutschen Schriftsteller gerichtet, deren Politik der Manifeste er in Frage stellt. Mit einer Veröffentlichung in der »Sammlung« wäre der Vorschlag an das richtige Publikum ergangen. Am Ende des Vortrags allerdings, in den schlußfolgernden Abschnitten, bezieht Benjamin den Gedanken von der Umfunktionierung literarischer Formen auf die eingangs erwähnte Publikationsserie in »Commune«. Aragon kommt zu Wort, d. h. der Vertreter der offiziellen Linie in der AEAR, »becherscher Observanz« vergleichbar. Darüber schließt Benjamin seine Kritik an prägnanten literarisch-politischen Positionen in der deutschen Literatur vor 1933 mit einer AEAR-Position zusammen. Die Forderung, literarische Formen umzufunktionieren, ist der literaturpolitischen Problematik in Frankreich fremd. Verkompliziert wird die Beantwortung der Frage, was Benjamins auffordernder Vorschlag vor dem Publikum des INFA erreichen wollte, durch zwei Umstände: durch eine Ungleichzeitigkeit dessen, was in der KPD literaturpolitisch vorgegeben war im Ver148

G. S. II, 2; S. 701.

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gleich zu der Verunsicherung in der AEAR; durch die Stellung, die INFA, eine Außenseiter- und >PrivatEs ist nicht genug, die Bourgeoisie von innen her zu schwächen, man muß sie auch mit dem Proletariat bekämpfen. [...] Der revolutionäre Intellektuelle erscheint zunächst und vor allem als Verräter an seiner Ursprungsklasse.Parteilichkeit< stehe gegen sozialdemokratische und trotzkistische und andere >Tendenzbloßen< Hitlergegnern - >Nichtfaschisten auf der Seite der westlichen Imperialismen - proklamierten, war noch diejenige Stelle leer, an der für den Faschismus, seine parteilich ungebundenen und sozialdemokratischen Gegner eine gemeinsame ideologische Wurzel hätte ausgemacht werden können. Georg Lukäcs' Aufsatz Größe und Verfall des Expressionismus - er ist lange Zeit zur sogenannten Expressionismus-Debatte gezählt worden, ohne Rücksicht auf das Datum seines Erscheinens; doch trotz der richtigen Feststellung, er gehöre nicht in die 1937 beginnende Auseinandersetzung, ist auch der Stellenwert, den er 1934 hat, unbestimmt geblieben161 - erschien in der Januarnummer der »Internationalen Literatur« von 1934 und besetzte diese Stelle. Wenig später aber standen die literaturpolitischen und politischen Tendenzen nicht mehr im Zeichen der Sozialfaschismusthese, und deswegen ist dieser frühe Aufsatz Lukäcs' zum Expressionismus in den Zeitschriften der 3. Internationale ohne Nachfolge-Echo geblieben. Dieser Aufsatz behandelt in großem Bogen die Ideologie der Bourgeoisie in ihrer »Verfallszeit«, dem Imperialismus - philosophisch, ästhetisch-theoretisch und politisch. Gegen solche »a priori fertige Analyse«162 und Abstempelung der jüngsten literarischen Bewegungen in Deutschland als scheinrevolutionär, irrational und damit »faschistisch« erhob auch Ernst Bloch in Erbschaft dieser Zeit sofort Einspruch. Die literatur-politische Absicht des Aufsatzes liegt darin, in aller Größe und Reinheit die »realistischen Schriftsteller«163 sich von einem hermetischen Hintergrund des - schließlich faschistischen - >Verfalls< abheben zu lassen. Lukäcs schießt sich dann im Besonderen auf den literarischen Expressionismus und seine Stilmerkmale ein: Programmatik, Manifest, Abstraktion, Pathos. Rudolf Leonhard, Max Picard, Kurt Pinthus, Alfred Blüher, Franz Werfel, Walter Hasenclever, Ernst Toller - sie sind hier sämtlich Vertreter einer Ideologie. Zum Wesen dieser Ideologie gehöre der Protest gegen das, was sie letztlich verteidige, die dekadente Bourgeoisie. »Abstrakte Antibürgerlichkeit«164 soll das Merkmal für die »objektiv faschistische Tendenz« dieser Literatur sein. Im Laufe der Ausführungen kehrt ein Name, ein Hauptvertreter der inkriminierten Richtung immer wieder: Kurt Hiller. aus: Marxismus und Literatur. Eine Dokumentation in drei Bänden. Bd. 2. Hg. von F. J. Raddatz. Reinbek 1969. S. 148. Vergl. Hans-Jürgen Schmitt: Einleitung. In: Die Expressionismusdebatte. Materialien zu einer marxistischen Realismuskonzeption. Frankfurt/M. 1973. S. 23. 162 E. Bloch: Erbschaft dieser Zeit. (Zuerst Zürich 1935), Frankfurt/M. 1973. S. 158. 163 G. Lukäcs: Größe und Verfall des Expressionismus. (Zuerst in: Internationale Literatur. Nr. 1 (Januar/März), 1934. S. 153ff.). Marxismus und Literatur. Bd. 2. S. 35. Siehe auch S. 40 die Ehrenrettung des Naturalismus gegen Goebbels. 164 G. Lukäcs: Größe und Verfall. S. 17. 161

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Und eine weitere, brauchbare Kontrastfolie zum »gestaltenden Realismus«, auch eine notwendige Abgrenzung, sieht Lukäcs in der »Neuen Sachlichkeit«: »[...] mit der relativen Stabilisierung findet die kleinbürgerliche Intelligenz ihren Weg zu einer ruhigen und abgeklärten Leere, zur >neuen Sachlichkeit^ [...] Goebbels bejaht den Expressionismus, wobei er gleichzeitig [...] auch die >neue Sachlichkeit< gelten läßt«.165 Die Kritik am »Aktivismus« und der »Neuen Sachlichkeit« war 1934 in Kreisen des Exil-BPRS präsent. Sie hatte die Funktion, die Sammelbewegung nicht-kommunistischer Schriftsteller vom BPRS abzugrenzen und das »große sozialistische Kunstwerk« gegen die »faschistisch-expressionistische Tendenzkunst« als Richtwert für die Schriftstellerarbeit aufzustellen. Mit Lukacs' Aufsatz hatte dieser programmatisch werden sollen. Der Vortrag Benjamins ist keine direkte Antwort an oder Auseinandersetzung mit Lukäcs. Das hieße, Benjamin Illusionen über seinen Einfluß als >linksbürgerlicher< Schriftsteller auf den BPRS unterstellen. Aber er spricht grundsätzlich, er bringt seine These in der Begrifflichkeit des historischen Materialismus vor, und schießt sich auf dieselben Gegner ein, die auch von Lukäcs aufgebaut sind. Er setzt voraus, daß dessen bislang >letztes Wort< dem Publikum bekannt ist. Und unter diesem Gesichtspunkt ist die Wahl sämtlicher Beispiele im Vortrag hochaktuell. Sie zeigt: wenn und ob Avantgardeformen den Verfall großer traditioneller Kunstformen vorstellen, dann sind daraus andere Konsequenzen für die literarische Arbeit zu ziehen, als das >große sozialistische Kunstwerk< im Kampf gegen den Faschismus hervorgehen sehen zu wollen. Bringt man die Beispielfunktionen, die der »Aktivismus« und die »Neue Sachlichkeit« im Vortrag haben, auf ihr Gemeinsames, dann hat Benjamin mit ihnen aufgewiesen, wie »gewisse Ideale aus der Glanzzeit der Bourgeoisie« literarisch und politisch dysfunktional zur zeitgenössischen Realität stehen. Genau zu diesem Problem - und dazu ist der Vortrag ein aktueller literaturpolitischer Beitrag - waren sich die zerstrittenen Parteien einig, die demokratische deutsche Schriftstelleremigration mit dem Exil-BPRS, die AEAR mit den französischen Intellektuellen der Einheitsfront. Sie glaubten, zumindest gegen den Faschismus stünden sie ungebrochen in der Tradition kultureller Ideale. Wo Benjamin jedoch im Vortrag die Linie zur faschistischen Kunstauffassung - wie er sie verstanden wissen wollte - zieht, setzt er hier an: »Der Sowjetstaat wird zwar nicht, wie der platonische, den Dichter ausweisen, er wird aber - und darum erinnerte ich eingangs an den platonischen - diesem Aufgaben zuweisen, die es ihm nicht erlauben, den längst verfälschten Reichtum der schöpferischen Persönlichkeit in neuen Meisterwerken zur Schau zu stellen. Eine Erneuerung im Sinn solcher Persönlichkeiten, solcher Werke zu 165

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G. Lukäcs: Größe und Verfall. S. 40. - S. 22 das Stichwort »aktivistisch« und ähnlich wie Benjamin zum »Bund der Geistigen«. S. 14/15 detaillierte Polemik gegen Hiller.

erwarten, ist ein Privileg des Fascismus, der dabei so törichte Formulierungen an den Tag bringt wie die [...]: >... der >Wilhelm Meisten, der >Grüne Heinrich< unserer Generation [ist] bis heute noch nicht geschrieben . . ,linke< oder >rechte< Position gestellt hätte, noch derart, daß er eine >linke< Kritik der KPD von außen geübt hätte. Die marxistische, besser p o l i t i s c h e L i t e r a t u r k r i t i k , die der Vortrag zu sein beansprucht, will die eigene Haltung als die eines Schriftstellers kenntlich machen, der sich in seiner »bürgerlichen« Produktion auf die fortgeschrittensten Positionen innerhalb der vorgegebenen Klassenauseinandersetzungen bezieht. Benjamin setzte zu diesem Zeitpunkt, vor allen Dingen als sich eine Annäherung zwischen Sozialisten und Kommunisten in Frankreich abzeichnete, de facto voraus, Sowjetrußland und die kommunistischen Parteien seien die Garanten der Revolution. In dieser individuellen Haltung teilte er aber nicht die Illusionen über die heilsversprechende Rolle der Sowjetunion, die die kommunistische Literaturpolitik mit der Proklamation eines traditionellen Kulturbegriffs in den Kreisen deutscher und französischer demokratischer Schriftsteller hervorrief. Die Trennung, die Benjamin zwischen Literatur und Politik akzeptierte, wie auch seine Äußerungen zur Machtzunahme der faschistischen Bewegung vor 1933 lassen erkennen, daß er in Kategorien realpolitischer Vorgänge zwar dachte, eine direkt politische »Stellungnahme« aber nicht öffentlich abgeben wollte. Im April 1934 war noch nicht vorauszusehen, wie weitgehend der »metaphysische Materialismus« mit den anachronistischen Aufklärungsparolen zusammenfließen sollte. Zu ihm Zuflucht zu nehmen war die Tendenz der Zeit, vielleicht eine bewußtlose Reaktion auf die Konfrontation mit dem Faschismus, die bei Schriftstellern aus der idealistischen bürgerlichen Tradition ver166 167

G. S. II, 2; S. 695/96. G. S. II, 2 ; S . 701. 77

ständlich ist, als Politik der 3. Internationale aber nicht verständlich und bislang ungeklärt ist. Diese Tendenz steht im Hintergrund, wenn Benjamin in seinen folgenden größeren Arbeiten, bis einschließlich 1940, methodische Überlegungen unterbringt, die diese Arbeiten als »historisch-materialistische« kennzeichnen. Es spricht für sich, daß sich INFA in der »Sammlung« nicht über Walter Benjamins Vortrag publizistisch profilierte. Es ist hier von Philippe Soupault eingeführt worden. Sein Aufruf für INFA schließt mit folgendem bezeichnendem Appell: »Dieses Institut muß in der ganzen Welt berühmt werden, es muß mächtig und es muß unabhängig sein. [...] Hören wir nicht auf, die Verbrechen und die Missetaten der fascistischen Regierungen zur allgemeinen Kenntnis zu bringen, bis zur völligen Vernichtung dieses Regimes [sie]. [...] Indem man ihn [den Faschismus, C. K.] enthüllt, kann man ihn vernichten, indem man seine Schwäche kennt, kann man ihn hindern zu wachsen.« 168 Soupault hatte in der dadaistischen und surrealistischen Bewegung in Frankreich eine herausragende Rolle gespielt. Man sieht: selbst die Avantgarde fühlte sich angesichts des Faschismus zur »geistigen Politik« aufgefordert. Die dreißiger Jahre waren für die deutsche, die französische und die sowjetische Avantgarde Jahre des Verstummens; die Ausnahmen blieben vereinzelt, sie waren voneinander isoliert. Das gilt nicht allein für Walter Benjamin, es gilt ebenso für Andre Breton. Aber Benjamins Kritik an der allgemeinen Tendenzwende ist auch nicht derart vereinzelt gewesen, wie es im Nachhinein wiederholt hingestellt worden ist. So wandte der niederländische Literaturkritiker Menno ter Braak, der in den zwanziger Jahren an die internationale Avantgarde Anschluß gefunden hatte, im Aprilheft der »Sammlung« gegen Klaus Manns diffuses politisch-literarisches Konzept ein: »Es ist hier s o m e t h i n g rotten< in der Definition des Wortes >GeistInstitut pour l'etude du fascismeein kommunistisches CredoProduktionsmittel< fortzuentwickeln. (Versuche, S. 117).

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KAPITEL II

Herrschaftskonstituentien des Faschismus in Benjamins »Lehre der Wahrnehmung«

1. Gesichtspunkte für die Untersuchung der kunst- bzw. literaturtheoretischen Aufsätze von 1935/36 Für die Untersuchung der literatur- bzw. kunsttheoretischen Arbeiten Benjamins aus den Jahren 1935 und 1936 muß sein Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit im Mittelpunkt stehen. Er ist Benjamins umfangreichste kunst theoretische Arbeit aus der späten Zeit und spielt in deren Reihe eine Schlüsselrolle; zudem knüpft der Aufsatz direkt an die Thematik des Vortrags an und stellt, ebenso wie dieser, einen literaturpolitischen Beitrag dar; dieser steht ebenfalls im Rahmen der antifaschistischen Bündnispolitik. Den Essay Der Erzähler hat Benjamin als eine Variation, ein »Gegenstück«, zum Kunstwerkaufsatz begriffen. Als solches wird er auch hinzugezogen. Entsprechend sein literaturpolitischer Bericht Andre Gide und sein neuer Gegner·, er ist eine Um- und Neubearbeitung der Passagen über die faschistische Kunstpolitik aus Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit für die direkte journalistische Verwertung. Im Gegensatz zum induktiven interpretierenden und historisch kommentierenden Vorgehen, den Gegenstand und das Verfahren des Vortrags Der Autor als Produzent darzulegen, bietet sich nun ein anderes an: denn das Spannungsfeld in Benjamins Problemstellung ist erschlossen, und damit kann von ihr so, wie sie der Vortrag aufgeworfen hat, ausgegangen werden. Sie läßt sich als Frage nach dem zeitgenössischen ästhetischen Fortschritt im literarischen Bereich und der entsprechenden Tendenz zusammenfassen. Diese, das darf nicht aus dem Blickfeld geraten, soll in ihrer innersten Substanz für den Faschismus unverwertbar sein. Im Versuch, von Benjamins Arbeiten eine Antwort zu erhalten, die eher zufriedenstellt als sein Verweis auf das Organisationsmodell »episches Theater«, werde ich Texte von Autoren heranziehen, die für Benjamin von je unterschiedlicher Bedeutung waren, seinen Zugang zur Literatur in der Krise theoretisch darzulegen. Darüber hinaus ist auch der biografische Kontext, in dem die Kunstwerkthesen und Der Erzähler stehen, zu berücksichtigen, denn er ist unter verschiedenen Gesichtspunkten aufschlußreich: dafür, wie wichtig Benjamin die öffentliche Thematisierung dessen war, was er in den Kunstwerkthesen behandelte; für den Stellenwert, den er der Arbeit über Baudelaire und der 81

Fragment gebliebenen über die »Passagen« beimaß; unter diesen Aspekten behandelt, wird die Kritik des Vortrags an den »Geistigen« deutlicher, und es wird erkennbar, worin Benjamin der eigenen Literaturkritik und -theorie eine praktische Dimension zudenken konnte. Der historisch-biografische Kontext dieser beiden Arbeiten kann nicht zuletzt auch die inzwischen eingetretene zeitliche Distanz greifbar werden lassen und zum Neuüberdenken der Benjaminschen »materialistischen Literaturtheorie« anregen. Deswegen wird er in den anschließenden Kapiteln gesondert behandelt. Das Eingehen der Theologie in die Philosophie bekunde die wissenschaftliche Tendenz des Zeitalters und breite im Kunstschaffen Verstörung, Banalität und Häßlichkeit aus: So läßt sich Hegels Sicht auf die Epoche seit der Romantik wiedergeben. Mit dem Eintreten der Reflexion in die Phantasie und ihre Formnaivität sei das Ende der Kunst gekommen. 1 Der Gedanke vom Ende der Kunst ist so alt wie das übergreifende philosophische Selbstverständnis der bürgerlichen Gesellschaft. Nur in einer Ausrichtung auf den sakralen Bereich kann die Kunst isoliert für sich existieren, kann Schönheit direkt mit Göttlichkeit erklärt und in Einklang gebracht werden, und als wesentliches Konstituens des Ästhetischen angesehen werden. In terminologischer Annäherung an diese Ästhetik des Schönen machte Benjamin in seiner ersten Studie zum »epischen Theater« den endgültigen Funktionsverlust des Sakralen in der Kunst geltend. Endgültig müsse er sein, denn die Funktion der Bühne hat gewechselt; die Orchestra ist »verschüttet«, mit ihr die »Bretter, die die Welt bedeuten«, die Bühne ist allein »Podium«. 2 Anders erschien der sakrale Funktionsverlust im Vortrag. Hier war er unter dem Aspekt des »Umschmelzungsprozesses der Formen« gesehen, auch hier endgültig mit Verweis auf den Funktionswechsel durch die Verbreitung des »Schrifttums« über die Presse. Trotzdem gab es für Benjamin ästhetischen Fortschritt; oder vielleicht nur aus diesem Grunde. Jedenfalls steht jener in einem noch nicht weiter bestimmten Verhältnis zum Funktions Wechsel. Im Vortrag lag das Problematische an Benjamins Vorgehensweise darin, daß er ohne Rücksicht auf die Besonderheit der Mittel jedes ästhetischen Bereichs, dem literarischen der Prosa und der (nur versteckt genannten) Lyrik, dem des Bildes, der Musik und des Theaters, den Gedanken des ästhetischen Fortschritts mit den Begriffen Technik, Apparat und Produktionsverhältnis erarbeitet hat; wo doch, und darin liegt die Stärke seines Vorgehens, gerade diese Begriffe an die Besonderheit der Mittel in jeder Gattung und in deren Verbreitung aufs engste gebunden sind. Zweifellos spielen sowohl im Arbeitsverfahren wie auch in den fertigen Texten Benjamins durchweg theoretische Elemente eine Hauptrolle, die er 1

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G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik. Zweiter Teil. Dritter Abschnitt. Hegel, Gesammelte Werke in zwanzig Bänden. Band 14. Frankfurt/M. 1970. i. B. S. 128/29 und S. 220ff. Vergl. S. 69 und die zugehörige Anm. 144.

aus Affinität und Kenntnis der grafischen und malerischen Bildformen gewonnen hatte. 3 Es geht hier um den Gegenstand der oft als »physiognomisch« bezeichneten Darstellungsweise, nicht um sie selbst. Gilt der Literatur oder der bildenden Kunst durch die analogische Substitution in der Formanalyse die Erkenntnis? 4 In Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit finden sich nicht allein viele Verweise auf die »modernen« literarischen Formen nach dem Funktionswechsel der Kunst; der geheime Gegenstand der Kunstwerkthesen ist zudem das literarische Werk. Soweit jedoch dabei der Funktionswechsel im gesamten ästhetischen Bereich behandelt ist, bietet sich ein Vergleich zur Bildform geradezu an. Im Bereich des Visuellen trat jener zuerst manifest auf, wurde sozusagen augenscheinlich. Spätestens seit dem Zeitpunkt ist er in der Malerei sichtbar, wo mit den Abbildfunktionen die Gegenständlichkeit fragwürdig wurde, und Linie und Farbe als Elemente nach einer getrennten Fortentwicklung verlangten. Wie sehr Benjamin sich bewußt hielt, daß der Funktionswechsel jede ästhetische Form und jede Gattung der Literatur in anderer Weise trifft, daß genau dies ihn zwang, von Studie zu Studie das Thema neu zu umspielen, machte er sogar noch in seinem letzten Lebenslauf deutlich. Im Überblick, den er über den Charakter seiner Arbeiten für das Einreisevisum in die USA gab, sind die Kunstwerkthesen als »Beitrag zur Soziologie der bildenden Kunst« aufgeführt. Der Stellenwert, den der Funktionsverlust des Sakralen für die Literatur hat, wird anschließend sichtbar: »Die [...] Arbeit sucht bestimmte Kunstformen, insbesondere den Film, aus dem Funktionswechsel zu verstehen, dem die Kunst insgesamt im Zuge der gesellschaftlichen Entwick3

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Er überprüfe seine aus Büchern gewonnenen Einsichten im Cabinet des Estampes an einigen Bildern, teilte Benjamin während der Vorarbeiten an der Passagen-Arbeit mit (Br., S. 669). Entsprechend breiten Raum nimmt in Das Paris des Second Empire bei Baudelaire die Konfrontation Meryon-Baudelaire ein. Benjamin gewann aus ihr die geschichtstheoretische Bestimmung der (römischen) »Antike in der Moderne«. (G. S. I, 2 ; S . 593 und S. 589ff.). An dies Verfahren - in einem Lebenslauf aus den zwanziger Jahren nannte er es, bezogen auf seine Habilitationsschrift, »physiognomisch« (Zur Aktualität, S. 47) ist Benjamins Technik, Literatur und Geschichte »gegen den Strich« ihrer Überlieferung zu lesen und darzustellen, gebunden. In seinem wohl 1940 geschriebenen Lebenslauf faßte er es in einer Verhältnisbestimmung von Literatur und bildender Kunstform: »Dieses Buch [Ursprung des deutschen Trauerspiels, C. K.] unternahm, eine neue Anschauung vom deutschen Drama des siebzehnten Jahrhunderts zu geben. Es macht sich zur Aufgabe, dessen Form als >Trauerspiel< gegen die Tragödie abzuheben und bemüht sich, die Verwandtschaft aufzuzeigen, die zwischen der literarischen Form des Trauerspiels und der Kunstform der Allegorie besteht.« (Zur Aktualität, S. 53. H. v. m., C. Κ.). - H. Schlaffer und H. Schweppenhäuser totalisieren das Verfahren zu einer eigenen Philosophie Benjamins. Vergl. H. Schweppenhäuser: Physiognomie eines Physiognomikers. In: Zur Aktualität, S. 139ff.. H. Schlaffer: Denkbilder. Eine kleine Prosaform zwischen Dichtung und Gesellschaftstheorie. In: Poesie und Politik. Zur Situation der Literatur in Deutschland. Hg. von W. Kuttenkeuler. Berlin, Köln, Mainz 1973. S. 137ff., insbes. S. 140.

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lung unterworfen ist. (Einer analogen Problemstellung auf literarischem Gebiet geht mein Aufsatz >Romancier und Erzählen nach, der 1936 in einer schweizer Zeitschrift erschienen ist.)«5 Worin Benjamin die »Problemstellung« des Erzählers als Analogon zu der der Kunstwerkthesen auffaßte, läßt sich - wie schon im Falle seines Hinweises, der Autor als Produzent sei ein Pendant zu Was ist das epische Theater? - sehr unmystifiziert aus seiner Äußerung gegenüber Adorno entnehmen: »Ich habe in der letzten Zeit eine Arbeit über Nikolai Lesskow geschrieben, die, ohne im entferntesten die Tragweite der kunsttheoretischen zu beanspruchen, einige Parallelen zu dem >Verfall der Aura< in dem Umstände aufweist, daß es mit der Kunst des Erzählens zuende geht.« 6 Ist der jenen beiden früher geschriebenen Texten gemeinsame Gegenstand der Verlust des »sakralen Ursprungs« und der Funktionswechsel der Kunst, einmal am Schrifttum, dann an der Bühne durchgeführt, so liegt die gemeinsame Problemstellung in den späteren umfangreichen Texten, an jenen Gegenstand anschließend, im »Verfall der Aura« in den Arten der bildenden Künste und den Prosaformen. Inwiefern der »Verfall der Aura« und der »Funktionswechsel« der Kunst aus der Analyse der literarischen Technik und der schriftstellerischen Produktionsverhältnisse auch eine vermittelte Erkenntnis der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse, der Produktivkräfte und der Klassengegensätze sind; inwiefern also Benjamins Technikbegriff, syllogistisch auf den ersten Blick, in der Theorie vom »Verfall der Aura« eingeschlossen wiederkehrt, damit die »politische Literaturkritik« eine »politische Literatur- und Kunsttheorie« wird und zur Erkenntnis der faschistischen Herrschaftsform beiträgt, wird sich darin erweisen müssen, wo Benjamin die Technik in ästhetischer und die in gesellschaftlicher Anwendung vermittelt dachte. Wenn Benjamin vom »Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung« spricht, hat er vor allen Dingen in seinen späten Arbeiten 7 eine ganz besondere und konkrete im Sinn. Sie ist eher als eine in einen Zeitpunkt zurückgegangene Entwicklung vorzustellen als ein kontinuierlicher Prozeß. In diesen Zeitpunkt fällt die Festigung der bürgerlichen Herrschaftsform, der Beginn eines Siegs naturwissenschaftlichen Denkens und die Ausbreitung der industriellen Produktion. 5

Zur Aktualität, S. 54/55. G. S. II, 3; S. 1277. Brief vom 4.6.1936 an Th. W. Adorno. Vergl. denselben Briefauszug in G. S. I, 3; S. 1022: »daß es mit der Kunst zu Ende geht.« 7 Die Linie in den späten Arbeiten Benjamins läßt sich weiterzeichnen; bevor er daranging, den Abschnitt »Der Flaneur« aus der ersten Baudelairestudie neu zu verfassen, schrieb er an Gretel Adorno am 26.6.1939: »Das Flaneurkapitel [ . . . ] wird in der neuen Fassung entscheidende Motive der Reproduktionsarbeit und des Erzählers, vereint mit solchen der Passagen zu integrieren suchen. Bei keiner frühern Arbeit bin ich mir in dem Grad des Fluchtpunkts gewißgewesen, auf welchem (wie mir nun scheint: seit jeher) meine sämtlichen und von divergentesten Punkten ausgehenden Reflexionen zusammenlaufen.« Br., S. 821. 6

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In einem Bezugsnetz von Staats-, Denk- und Produktionsform vollzog sich in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts - in Frankreich auf exemplarische Weise - eine Umschichtung der natürlichen Umwelt und der bis dahin unter vorwiegend agrarischer Produktionsweise als natürlich erfahrenen Beziehungen der Menschen untereinander. Die Künste der Grafik und der Malerei stehen in direktem Kontakt mit der Schicht der Realität, die das menschliche Sehvermögen aufnimmt. Wenn die Natur unter dem Aspekt der profitabelsten Exploitation ihrer Ressourcen aufgeteilt wird, Verkehrswege zu Wasser, zu Land und auch schon versuchsweise in der Luft die Landschaften unter dem Gesichtswinkel städtischer Zentralisation erschließen, eine Großstadt rapide wächst und um sie herum, die Vorstädte einschließend, weite Felder veröden, dann nimmt diese Umwelt eine andere Fähigkeit gesehen zu werden an als die nach agrarischer Produktionsweise organisierte. 8 Nicht nur die Perspektiven der technischen Naturaneignung drängten sich den Malern direkt auf, sie waren zudem mit Erfindungen im grafischen Reproduktionsverfahren und der Fotografie konfrontiert. Diesen beiden Veränderungen mußten sie Rechnung tragen. Sie taten dies teils kopierend, teils bislang Ungesehenes, das das Abbild nicht wiedergeben kann, erfinderisch entwickelnd.9 In der Literatur dagegen gab es auf diese Entwicklung immer nur von Fall zu Fall einen Versuch zu antworten. »Fortschritte« ließen sich nicht so erhalten wie in der Malerei die Aspekte des Ungegenständlichen; und außerdem wird bis heute durchgehend die literarisch bewußte Reaktion mit den Arbeiten identifiziert, die panoramatisch die Auswüchse des Prozesses der Industrialisierung wiedergeben wollten. Ihr Spektrum reicht von den Reportagen des jungen Engels aus den englischen Industriegebieten bis zu Zolas Romanen. 10 Soziale Anklage hat sich in diesen schildernden Breitwandgemälden ebenso erhalten wie Faszination und Erschrecken gegenüber dem Urbanisierungsprozeß. Ob die Phantasie, Imagination und Erkenntnis samt ihrer Sprachwerdung und Fixierung in der Schrift in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts nicht plötzlich ebenso in ihrer Weise von den Aspekten der modifizierten Natur tangiert waren wie die Wahrnehmungsweise der Maler, scheint für die Frage nach der gesellschaftskritischen Literatur unwesentlich zu sein. Die Bedingungen, unter denen ein Schriftsteller sich an die Arbeit macht, scheinen ewig die gleichen zu sein,11 Ausrichtung auf die Realität und kom8

Vergl. dazu Wolfgang Schivelbusch: Geschichte der Eisenbahnreise. München 1977. Vergl. dazu Aaron Scharf: Art und Photography. Baltimore 1974. Die Berlin-Bücher von Dronke, Saß und Glassbrenner, die Geheimnisse von Paris von Eugene Sue,laufen in ihren milieuschildernden Passagen der Großstadt auf eine Kritik der Besitzverhältnisse und der Doppelmoral hinaus. Diese Reportage- bzw. Kolportageliteratur erhob den Anspruch auf populärwissenschaftliche Breitenwirkung. Marx und Engels behandeln sie in der Heiligen Familie deswegen als Erscheinungsformen des Frühsozialismus. 11 So wendet F. J. Raddatz gegen Benjamin ein: »Der Unterschied vom >Simplizissimus< 9

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mentierende - in welcher Weise? - Verurteilung gesellschaftlicher Widersprüche scheinen dann schon eine allein mögliche zeitkritische Bindung zu garantieren. Zudem scheint es im Bereich der Sprache-werdenden Auseinandersetzung mit der Realität keine »revolutionierende« technische Erfindung gegeben zu haben, die die Schriftsteller zu einer formerfindenden Auseinandersetzung gezwungen hätte. Der hier skizzierte Hintergrund steckt das Problemfeld Zivilisation ab, wie Benjamin es in seinen späteren Interpretationen aus Baudelaires Gedichten erschließt. Die Entdeckung, daß es sehr wohl eine bewußte literarisch-formerfindende Reaktion auf diese »Zeitenwende« gegeben hat, daß dabei die Literatur auch in ihrem Bereich auf eine technische Erfindung reagierte, dürfte jedoch auch mit Benjamins Sammelleidenschaft in Zusammenhang gebracht werden, d. h. den Kenntnissen, die er seiner Vorliebe für »Massenliteratur«, Kinderbücher und Dienstmädchenromane, verdankte. So schrieb er in einer seiner ersten Rezensionen überhaupt zur Ausgestaltung der Kinderbücher im neunzehnten Jahrhundert: »Primitive, anonyme und handwerkliche Produktion wird nach 1850 selten, die Fabrikation wird industrialisiert. Der Ruf des Künstlers fällt mehr und mehr ins Gewicht. Und damit ist eine wachsende Abhängigkeit von dem problematischen Schönheitsund Bildungsideal des Publikums gegeben.« 12 Auf die industrielle Fabrikation der Feuilletonromane, die in Fortsetzungen erschienen und mit dem Namen eines erfolgreichen Schriftstellers gezeichnet waren, weist er in der ersten Studie zu Baudelaire. In diesem Sinne lassen sich die Versuche von Flaubert, seine Bemühungen um den »Stil«, mit denen er den Roman zur absoluten Kunstform neuerschaffen wollte, ebenso wie das lyrische Schaffen von Baudelaire und den Parnassiens als eine Prozeßführung gegen den Publikumsgeschmack, einen Protest gegen seine Erzeugung und seine Benutzung auffassen. Die Industrialisierung der Fabrikation war durch eine Revolution in der Drucktechnik möglich geworden, sie schuf die Tageszeitung, die Presse in der >modernen< Form und Funktion, und mit der merkantilen Auswertung des Publikumsgeschmacks den literarischen Protest gegen solche »traurigen Fabriken« (Flaubert). Die Revolution in der Drucktechnik hatte zudem eine direkte Auswirkung auf die gesamte Buchproduktion, die Qualität des Papiers, des Einbands, der Typografie, und auch das erschwert die Identifizierung einer Buchproduktion in großen Mengen mit einer Erziehung des Massenpublikums. An diese Vermittlung von technischer Erfindung und literarischer Technik ist der Gedanke des Funktionswechsels der Kunst bei Benjamin gebunden. Eben daran zur >Blechtrommel< läßt sich nicht festmachen am Unterschied des Fertigungsprozesses.« (F. J. Raddatz: Das Kind von Marx und Heine. In: DIE ZEIT vom 6.4.1979. LITERATUR 10.) 12 G. S. III, S. 13. Alte vergessene Kinderbücher. (Zuerst in: Das AntiquariatsBlatt. Nr. 22. Berlin. Dezember 1924).

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ist auch bei seinen literarischen Organisationsvorstellungen zu denken, die er in fortschrittlicher schriftstellerischer Technik, die sich mit den technischen Erfindungen auseinandersetzt, eingelöst sehen möchte. Auf den Zeitpunkt der Jahre nach 1850 bezogen erschließt sich so die politische Bedeutung, die für ihn die Tradition der modernen Lyrik hatte und von wo aus er eine antifaschistische Literaturproduktion denken wollte. Denn die organisierende Protesthaltung der Schriftsteller, so läßt sich über Der Autor als Produzent hinaus jene Vermittlung akzentuieren, richtet sich zuallererst gegen jenen Bereich, der die schriftstellerische Arbeit selbst bedroht. Dieser Bereich ist ein literarischer in politischer Funktion, der Journalismus. In Karl Kraus, dem 1931 geschriebenen Essay, erinnerte Benjamin in diesem Sinne an Baudelaire. »Denn eben das l'art pour l'art [...] hat das Sachverständnis aufs engste an das handwerkliche Wissen, die Technik, gebunden und hat die Dichtung in ihrem hellsten Lichte nur von der Folie des Literatentums [...] sich abheben lassen. [...] [Es] ist viel weniger der Philanthrop, der aufgeklärte Menschen- und Naturfreund, der diesen unerbittlichen Kampf entfesselt hat, als der geschulte Literat, Artist, ja Dandy, der seinen Ahnen in Baudelaire hat.« 13 Der Schnittpunkt, an dem Benjamin eine literatur- und gesellschaftstheoretische Vermittlung von literarischer Technik, technischer Erfindung und politischem Protest denkt, ist symptomatisch für die moralische Problematik seiner eigenen Schriftstellergeneration. Seine Beschäftigung mit Baudelaire beginnt in den Jahren des ersten Weltkriegs, bestimmte die Fragestellung an die deutsche Frühromantik in der Doktordissertation mit, ließ ihn die Tableaux Parisiens und Gedichte aus anderen Teilen der Fleurs du mal übersetzen. Darin ist seine eigene Schulung und Suche nach poetischer Produktivität in strenger Form zu sehen, verarbeitete Aversion gegen expressionistische Sprachschöpfungsmoden. 1 4 Doch dies allein kann noch nicht als »richtige« politische Tendenz angesehen werden. Baudelaires »richtige« politische Tendenz erhellt Benjamin in Das Paris des Second Empire bei Baudelaire in Analogie zur Aufstandsstrategie von Blanqui, die Arbeit an der poetischen Form tritt darin neben die Gedanken und 13 14

G. S. II, 1; S. 352. Karl Kraus. (Zuerst in: Frankfurter Zeitung v o m 10.3.1931 u. f.). Nichtsdestoweniger erhielt er aber bedeutende Anregungen in engem Kontakt mit expressionistischen Künstlern, und zwar auch noch über den Kreis der Freunde aus der Jugendbewegung hinaus, in den Jahren um das Ende des ersten Weltkrieges: das Interesse an Malerei und Grafik und das Sammeln von Kinderbüchern gehören zu solchen Anregungen. Noch die Berner Nachbarschaft mit Hugo Ball und Emmy Hennings wurde über die Bilder von deren kleiner Tochter Annemarie gepflegt (s. Br., S. 213/214). Auch die methodische Bedeutung, die die Lektüre von Alois Riegls Spätrömischer Kunstindustrie bekam, rührte aus Benjamins distanzierter Teilnahme am Expressionismus. Vergl. u.a. G. S. II, 1; S. 351 (Karl Kraus. Riegls N a m e erscheint hier zwar nicht, aber der Kontext der Rezeption von Riegl im Verweis auf Wickhoff) und G. S. II, 1; S. 220 (Johann Jakob Bachofen, geschrieben 1934). 87

Strategien des Mannes, den das revolutionäre Pariser Proletariat als seinen Vertreter und Garanten einer sozialen Revolution angesehen hat. In der zweiten Studie zu Baudelaire, in der Benjamin auf die Ausbreitung sozialhistorischen Materials verzichtet, hebt er es, ohne daß an der »Richtigkeit« der Tendenz etwas korrigiert wäre, auf anderes ab: das lyrische Werk sei Z e u g e n s c h a f t , hellwache Beobachtung und Erfahrungsverarbeitung von z e i t g e n ö s s i s c h e r G e s c h i c h t e und Gesellschaft. »Es beinhaltet etwas Bemerkenswertes: die Emanzipation von Erlebnissen. Baudelaires poetische Produktion ist einer Aufgabe zugeordnet. Es haben ihm Leerstellen vorgeschwebt, in die er seine Gedichte eingesetzt hat. Sein Werk läßt sich nicht nur als ein geschichtliches bestimmen, wie jedes andere, sondern es wollte und es verstand sich jo.«15 Für dieselbe Aufgabe, der schriftstellerischen Arbeit »mit Bewußtsein«, wie es in Der Autor als Produzent hieß, wählt Benjamin in der BaudelaireStudie den Begriff der »Staatsraison«. Er entnimmt ihn aus einer »klassischen Einleitung zu den >Fleurs du malCoup de des< die graphischen Spannungen der Reklame ins Schriftbild verarbeitet. Was danach von Dadaisten an Schriftversuchen unternommen wurde, ging zwar nicht vom Konstruktiven, sondern den exakt reagierenden Nerven der Literaten aus und war darum weit weniger bestandhaft als Mallarmes Versuch, der aus dem Innern seines Stils erwuchs. [...] Wenn vor Jahrhunderten sie [die Schrift, C. K ] allmählich sich niederzulegen begann, von der aufrechten Inschrift zur schräg auf Pulten ruhenden Handschrift ward, um endlich sich im Buchdruck zu betten, beginnt sie nun ebenso langsam sich wieder vom Boden zu heben. Bereits die Zeitung wird mehr in der Senkrechten als in der Horizontale gelesen, Film und Reklame drängen die Schrift vollends in die diktatorische Vertikale. Und ehe der Zeitgenosse dazu kommt, ein Buch aufzuschlagen, ist über seine Augen ein so dichtes Gestöber von wandelbaren, farbigen streitenden Lettern niedergegangen, daß die Chancen seines Eindringens in die archaische Stille des Buches gering geworden sind.« (H. v. m., C. K.) In diesem Stück erblickt man eine Keimform der Kunstwerkthesen. Vergl. auch: Malerei und Graphik. G. S. II, 2; S. 602/03. 23

Zum Philosophen Valery in der Nachfolge Nietzsches vergl. Karl Löwith: Paul Valery. Grundzüge seines philosophischen Denkens. Göttingen 1971. 24 Hannah Arendt ist, soweit ich sehe, die einzige Leserin Benjamins geblieben, die das »Einzigartige an dieser Freundschaft des Kritikers mit dem Dichter« in der literarischen Produktivität beider gesehen hat (und dabei allerdings die beide verbindende politische Haltung ausgeblendet hat), und so bringt sie »die einfache Tatsache [...], daß Brecht für Benjamin in dem letzten Jahrzehnt seines Lebens, vor allem in der Pariser Emigration, der wichtigste Mensch war«, zur Sprache (H. Arendt: Benjamin. In: Arendt, Benjamin, Brecht. Zwei Essays. München 1971.

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Den Lyriker Brecht führte er gegen Mehrings >akademische< Bohemiengedichte ins Feld, in der Ironie der literarischen »Neuen Sachlichkeit« sah er eine besonders ärgerliche Anpassung an die gerade gängige Marktnachfrage; seine Tagebuchnotiz, in der er das Gespräch mit Brecht über den Vortrag festgehalten hat, zeigt, um welche »richtige« politische Tendenz es Benjamin in der Literatur, auch der Brechts, ging: Er hat hier notiert, seine im INFA vorgebrachte modellartige Organisationsvorstellung habe Brecht zu abstrakt gefunden, worauf dieser ein Gedicht von Becher mit einem eigenen Lehrgedicht verglichen habe. Einerseits. »Auf der andern Seite vergleicht Brecht Bechers Gedicht mit dem von Rimbaud [dem Bateau ivre, C. K.]. In diesem, meint er, hätten auch Marx und Lenin - wenn sie es gelesen hätten - die große geschichtliche Bewegung gespürt, von der es ein Ausdruck ist. Sie hätten sehr wohl erkannt, daß darin nicht der exzentrische Spaziergang eines Mannes beschrieben wird sondern die Flucht, das Vagabondieren eines Menschen, der es in den Schranken der Klasse nicht mehr aushält, die - mit dem Krimkrieg, mit dem mexikanischen Abenteuer - beginnt, auch die exotischen Erdstriche ihren merkantilen Interessen zu erschließen.« Bis hierher dürfte Brecht einer Interpretationsvorgabe Benjamins gefolgt sein. Im abschließenden Satz hält er Brechts eigene Einstellung zu solcher »richtigen« Tendenz fest: »Die Geste des ungebundenen, dem Zufall seine Sache anheimstellenden, der Gesellschaft den Rücken kehrenden Vagabunden in der modellgerechten Darstellung eines proletarischen Kämpfers aufzunehmen, sei ein Ding der Unmöglichkeit.« 25 Brecht sperrte sich offenbar gegen solche an ihn herangetragenen Vorstellungen über einen in der Literatur angewandten Marxismus. Trotzdem schrieb Benjamin 1938 über die »richtige« Tendenz der Hauspostille: »Wenn Anarchie Trumpf ist, so denkt der Dichter, wenn in ihr das Gesetz des bürgerlichen Lebens beschlossen ist, dann soll sie wenigstens beim Namen genannt werden. Und die poetischen Formen, mit denen die Bourgeoisie ihre Existenz umspielt, sind ihm nicht zu gut, das Wesen ihrer Herrschaft unverstellt auszusprechen.« 26 Tendenz ist für Benjamin nie der Gegenbegriff zu einer wie immer als »rein« hypostasierten Kunst. In der literarischen Tendenz drückt sich eine Tendenz gesellschaftlicher und geschichtlicher Art aus. Diese Tendenzen können vom Schriftsteller begriffen und verarbeitet werden, sie werden dann zur Tendenz eines Literaturprodukts. Diese Tendenz wird aber immer durch den Charakter des Produkts als Literatur und deren Rezeptionsweise, das Lesen, S. 16). Sie gehörte bekanntlich zum engeren Kreis der Freunde Benjamins. So auch die Fotografin Gisele Freund, die Hannah Arendts Aussage um den wichtigen Aspekt ergänzt: wie die Produktion von Brecht habe Benjamin die Arbeiten von Paul Valery mit gleicher persönlicher Betroffenheit verfolgt. (Gespräch mit Verf., Juli 1976). 25 Versuche, S. 118. Tagebuchaufzeichnung v o m 4.7.1934. 26 G. S. II, 2; S. 541. Kommentare zu Gedichten von Brecht.

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bürgerlich determiniert sein. Revolutionär wird die literarische Tendenz, wo sie sich gegen die modische Konsumierbarkeit wehrt. In dem Moment macht sie in ihrer Form Anspruch auf Erkenntnis geltend. Je nach den historischen und gesellschaftlichen Tendenzen ist damit jedoch nicht unbedingt der Widerstand gegen die Konsumierbarkeit ins Literaturprodukt eingebaut, und der Schriftsteller ist zur bewußten, kenntnisreichen Erfassung des Herrschaftscharakters in den alltäglichen Lebensformen, aus der Perspektive ihrer Kritik, quasi durch die Tendenzen aufgefordert.

2. Aktuell-politische und epochale Dimension in Benjamins Verständnis von schriftstellerischer Technik In den Kunstwerkthesen untersucht Benjamin 1935/36 den Film, die Kunstform, der die technische Reproduktion wesentlich ist. Er situiert sie als Endprodukt einer Reihe von technischen Erfindungen in grafischen und fotografischen Verfahren. Technische Produktion und Reproduktion sind dabei Schlüsselbegriffe, eine fortschreitende Entwicklung zum Film hin zu erfassen. In der ersten These beansprucht Benjamin für seine Erkenntnisse einen »Kampfwert« gegen den Faschismus. Gab es eine auf der Hand liegende politische Aktualität für dieses Thema? Bevor dieser Frage weiter nachgegangen werden kann, muß auf einen ideologiekritischen Gehalt im Begriff Technik gewiesen werden, wie ihn Benjamin vor 1933 als Instrument seiner »politischen Literaturkritik« benutzte. »In Wahrheit läßt sich keine große Dichtung - in ihrer Größe! - ohne das Moment des Technischen verstehen. Dieses aber ist ein schriftstellerisches.« 27 Diese Feststellung hat Benjamin über den besonderen Anlaß hinaus dem Gros zeitgenössischer Festrede zugedacht, die, als Wissenschaft angesehen und bezahlt, ihre Einsichten in den Kunstcharakter literarischer Produkte im Wortschwulst fand, »erhebenden« Ausverkaufsslogans für ein »sakrales Genußmittel«. 28 Die Faschisierungstendenzen und ihr soziales Fundament hat er dabei in schlaglichtartiger Hellsichtigkeit mit dem Bedürfnis nach »schöngeistigen Parolen« zusammengeschlossen. Darin war die Beobachtung der Unruhe auf den deutschen Universitäten enthalten: Unzufriedenheit bei den Hochschullehrern treffe sich mit solcher bei Studenten im Verlangen nach »Lebensnähe« ihres Faches. Auf studentische antisemitische Übergriffe wie auf die Bereitschaft zum Einsatz für paramilitärische Aktionen anspielend, Schloß Benjamin auf die sozialen Gründe; 27

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G. S. III, S. 363. Jemand meint. (Zuerst in: Literaturblatt der Frankfurter Zeitung vom 20.11.1932). G. S. III, S. 302. Wissenschaft nach der Mode. Rezension zu Heinz Kindermann, Das literarische Antlitz der Gegenwart. (Zuerst in: Literaturblatt der Frankfurter Zeitung vom 9.8.1931).

das Studium bedeute für die meisten nur eine aufgeschobene Arbeitslosigkeit, oft verschleiere es auch schon eine aktuelle; Beschäftigung mit Literatur aus Interesse an der Sache sei existentiell blockiert. 29 Welche wenig ruhmvolle Rolle die große Zahl deutscher Professoren zu jener Zeit gespielt hat, erfährt man von Benjamin nur unter einem Aspekt, und zwar, wie jene sich in der Wissenschaft selbst bekundete. Den Universitätslehrer, der Ina Seidel, Frank Thieß, Wilhelm Schäfer als »erlebnisgewaltige Gestalter« deutscher Gegenwartsdichtung feierte und von »>Ginzkeys lächelnde[r] Resignations schwärmend schrieb, sah Benjamin als einen Typus des Akademikers an, »der die >Erneuerung< zu fördern glaubt, indem er die Grenzen seines Faches gegen den Journalismus verschleift.« 30 »Gewiß ist, daß die akademische Forschung ein schärferes Bewußtsein der Umwelt, in welcher sie sich vollzieht, nötig hat. Das wird ihr aber nur verschaffen, wer von den nächstliegenden Gegebenheiten ausgeht, nicht wer die ideologische Spiegelwelt, die diese Not in Glanz verwandelt, um einige Reflexe bereichert.« 30 Dies schärfere Bewußtsein in der Literaturwissenschaft von den gesellschaftlich-politischen Entwicklungstendenzen könne sich, so läßt sich der positive Gehalt dieser Rezension pointieren, im Aufweis der »wechselndefn] Funktionen [seil, der Dichtung, C. K.] im Dasein der Gesellschaft« 30 bilden, niemals aber mit einem »fetischhaften Begriff von Dichtung«. 30 Damit wies Benjamin auf die literarische Technik im Werk und auf die mögliche Einsicht in aktuelle Tendenzen über eine technische Auffassung von ihm. In diesem Zusammenhang spielte für Benjamin die Gegenwartsliteratur, die einen unprätentiösen Anspruch auf Erkenntnis erheben kann, eine nicht zu unterschätzende Rolle; sie reflektiert den Funktionswechsel in ihrer Form und führt darüber zur »nächstliegenden« Umwelt. »Kein Wunder, daß er [der Verfasser, C. K.] an dem wichtigsten Zuge der heutigen Literatur vorbeigeht: der innigen Durchdringung jeder großen dichterischen Leistung mit der schriftstellerischen - mag man nun an Brecht oder Kafka, an Scheerbart oder Döblin denken.« 31 29

Benjamin schreibt: »Es hätte nicht der letzten öffentlichen Kämpfe bedurft, um dem Beobachter der Universitäten anzuzeigen, daß ihre Angehörigen unzufrieden mit ihr geworden sind. Man kann dafür viele Gründe ausfindig machen, der nächstliegende ist gewiß, daß sie ihnen keine Sicherheit mehr verspricht. Die Fächer haben wirtschaftlich und geistig aufgehört, Gehege zu sein. Weniger als je ist dem Studenten das Fortkommen in seinem Fache gewährleistet. Der Ruf nach geisteswissenschaftlicher Vertiefung des Fachstudiums, der unter diesen Verhältnissen laut wurde, das Streben, der Wissenschaft größere Lebensnähe zu garantieren, ist von dieser Seite nur eine glänzende Luftspiegelung, deren elender Gegenstand das Leben proletarisierter Werkstudenten ist.« G. S. III, S. 301 - Die sozialpsychologische Verfassung unter Studenten und Hochschullehrern als Nährboden des Nationalsozialismus beschreiben Ernst Erich Noth und Gisele Freund, Emigranten, die zu dieser Studentengeneration zählten, entsprechend. Vergl. Ε. E. Noth: Erinnerungen eines Deutschen. Hamburg und Düsseldorf. 1971. S. 240. G. Freund: Le monde et ma camera. Paris (Denoel/Gonthier) 1970. S. 11-15.

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G. S. III, S. 301.

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Der politische Sinn in Benjamins Unterscheidung zwischen einer modischen Literatur mit scheinhaft sakralem Selbstverständnis, die zusätzlich von einem als Wissenschaft aufgemachten Journalismus Schützenhilfe erhält, und einer Literatur, die den Funktionswechsel bewußt vollzieht, liegt hier offen zutage. Letztere, so muß man schließen, ist allein durch jene »innige Durchdringung« in dem aufgezeigten Sinne für den Faschismus unverwertbar. In dem Bezug der beiden Tendenzen aufeinander, der literarischen und der gesellschaftlichen, steckt allerdings ein Element, das in der Analyse der literarischen Technik nicht allein gewonnen werden kann. Das gilt für den Literaturkritiker Benjamin. Ebensowenig feit die »innige Durchdringung« den Schriftsteller gegen subjektive Mitläuferschaft, wie sie politische Machthaber vor Umarmungsgesten zurückschrecken läßt. Es gibt keinen zwingenden, aber einen möglichen Bezug der beiden Tendenzen aufeinander. In seinem Bereich stellte Benjamin fest, in welcher eingespielten Kumpanei die Belletristik, das Feuilleton und die Wissenschaft sich wechselseitig als »Kunst« in den Himmel lobten. Das ist ein Teilaspekt der Tendenzwende in der Verlagspolitik gewesen, gleichsam intern und ohne Zwangsmaßnahmen, neben der Zensur. Η. A. Walter hat diesen Vorgang ausführlich analysiert: indem profilierte Mitarbeiter entlassen, indem in den Sparten Politik, Wissenschaft und Kunst die käufliche Mittelmäßigkeit protegiert wurde, hatten eben die bürgerlichen Kreise, denen überhaupt wirksamer Einspruch gegen Hitlers Kanzlerschaft möglich gewesen wäre, sich solchen schon selbst unmöglich gemacht. 32 Dadurch, daß Benjamin den Faschismus in Bereichen der kulturellen Tendenzen als Ausdruck aufspürte, erhält der Faschismusbegriff für die politische Herrschaftsform und die ihr entsprechende Bewußtseinsverfassung eine epochale Auslotung. 32 " Er wandte sich hauptsächlich gegen die Verlogenheit, den hohlen Widerklang der großen Worte. So auch, wenn 1931 in der Einleitung zu seinen Briefen aus dem bürgerlichen Jahrhundert in der »Frankfurter Zeitung« stand: »Sie vergegenwärtigen eine Haltung, die als humanistisch im deutschen Sinn zu bezeichnen ist, und die augenblicklich wieder hervorzurufen um so angezeigter erscheint, je einseitiger diejenigen, die heute, oft mit Ernst und im vollen Bewußtsein ihrer Verantwortlichkeit, den deutschen Humanismus in Frage stellen, sich an die Werke der Kunst und Literatur halten.« 33 Gezielt ist hiermit auch auf die bürgerliche Haltung dem »Kulturgut« gegenüber, den affirmativen Kulturbegriff. 31

G. S. III, S. 302. (H. v. m„ C. K.). H. -A. Walter: Deutsche Exilliteratur. Bd. 1. S. 72ff.. 32a Bisweilen erscheint wohl deswegen ein zu unspezifischer Gebrauch dieses Begriffs. So etwa, wenn Benjamin über Martin Buber äußerte, dieser habe »die Terminologie des Nationalsozialismus bruchlos in die Debatte jüdischer Fragen zu überführen vermocht«. (Briefwechsel, S. 228. An Scholem, Brief vom 18.10.1936.). 33 G. S. IV, 2; S. 954/55. Vorbemerkung zu Briefe. (Zuerst in: Frankfurter Zeitung vom 1.4.1931). 32

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Entsprechend epochal gefaßt ist dann der Begriff »schriftstellerische Technik«. Die großen Worte holen den Schein ihrer Glaubwürdigkeit aus der Unterstellung, die Schönheit eines Werks, die auf seiner ästhetischen Einzigartigkeit beruht, sei unerklärbar und nicht mit den Mitteln des Verstandes analysierbar. Was die literarische Herstellung betrifft, so wird sie von der Größe der Person des Dichters hergeleitet. Gegen diese beiden kulturellen Lügen - leicht ist die Front zur >Zivilisation< aufgebaut - wendet sich Benjamin mit seiner technischen Auffassung vom Kunstwerk. In seinem innersten Grundsatz argumentiert auch Der Autor als Produzent gegen denselben, immer hymnisch vorgebrachten Gemeinplatz vom »Unbegreifbaren« als Kern des Kunstwerks, entsprechend gegen den common sense, der Schaffensvorgang beim Schreiben liege in »einer Art holden Wahnsinns«.34 Wie hier Edgar Allan Poe hundert Jahre vor Benjamin in aufklärender Absicht, bringt dieser vergleichsweise autoritativ anläßlich einer Bemerkung zu Paul Valery vor: »Das Kunstwerk [...] ist keine Schöpfung, es ist eine Konstruktion, in der die Analyse, die Berechnung, die Planung die Hauptrolle spielt.«35 Der Gestus weist auf den Vortrag, und es verbirgt sich darin auch Müdigkeit der >ewigen< Frontstellung. Denn genau wie das politische, wissenschaftliche und journalistische Kapital-Schlagen aus dem unbegründeten Kunsturteil im Nachfolgevokabular der Naturästhetiken gehört die Frontstellung gegen dieses zur Moderne.

3. Konstruktion und Reproduktion der literarischen Form Paul Valerys Analyse poetischer Arbeit Valery untersucht den Vorgang des Poesie-Machens. Und unter dem unbegreiflichen Rest Kunst< versteht er dabei nichts anderes als eine sinnliche Wirkung, die die Poesie, Sprache in Gedichtform, auf den rezipierenden Menschen in einer Art nervlichen Erregung überträgt. Beinahe in jedem seiner Texte zur Tätigkeit des Dichtens unterscheidet er, und das ist der Ausgangspunkt, zwei Arten der Poesie: einmal ist Poesie ein Zustand, in dem je nach der Situation, das heißt je nach Ort und Zeit, ein Empfinden entsteht, das, selbst wenn es von einem ganz besonderen Objekt hervorgerufen wird, immer wieder auf die Situation, in der es erfahren wurde, den >natürlichen< Ort und die >SekundeNaturPoesieInstrumentErkenntnis der GöttinPoesie< im Alltagssprachgebrauch war bei Valery auch im weitesten Sinne Naturpoesie, diese zu reproduzieren der Sinn der artifiziellen Poesie. Jene sah er in der jüngsten gesellschaftlichen Entwicklung aus dem Bereich der dinglichen Gestaltung und der Architektur verdrängt; diese damit ohne Verbindung zu einem ästhetischen Kollektivvermögen. Alle Äußerungen, die ein solches rezipierend aufnehmen könnte, fand er absolut unfruchtbar; und er hat sich deswegen, etwa im Gegensatz zu Adorno, auch nicht um deren Ideologiefunktionen gekümmert. Im Prozeß fortschreitender technischer Naturbewältigung müßte sich damit eine laufend erweiternde Lücke zwischen der Erfahrbarkeit der dinglichen Umwelt und ihrer geistig-physiologischen Verarbeitung auftun. Es müßte ein Raum entstehen, der den meisten Menschen einfach nicht mehr bewußt wird und auch nicht bewußt gemacht werden kann, weil er sich der Erfahrbarkeit entzieht. Aus diesem Punkt heraus, wo Valerys Theorie poetischer Arbeit in Zivilisationskritik umschlägt, denkt Benjamin eine vorhandene, aber noch entstellte kollektive ästhetische Produktivität. Er denkt über die Kunstform Film die Spanne zwischen produktiver Rezeption und intellektuell-physischer Erkenntnis im Massenmaßstab. Der Film, die einzige Kunstform, der die technische Reproduktion selbst inhärent ist, arbeite damit dem in der Realität entstandenen kollektiven Unbewußten, besser: der Kraft, mit der sich die Oberfläche der zweiten Natur den Sinnen entzieht, entgegen. 74

»Was ist eigentlich Aura? Ein sonderbares Gespinst aus Raum und Zeit: einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag. An einem Sommernachmittag ruhend einem Gebirgszug am Horizont oder einem Zweig folgen, der seinen Schatten auf den Ruhenden wirft [bis der Augenblick oder die Stunde Teil an ihrer Erscheinung hat] - das heißt die Aura dieser Berge, dieses Zweiges atmen.« G. S. I, 2; S. 440. Ergänzung in der Klammer aus: Kleine Geschichte der Photographie. G. S. II, 1; S. 378. Hier findet sich die nur wenig abweichende Fassung.

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Es gibt bei Valery beschreibende Passagen, die der Vorstellung bei einzelnen Formulierungen der Kunstwerkthesen aufhelfen können. Wo Benjamin an das Naturbild für Aura anschließend feststellt, »Flüchtigkeit und Wiederholbarkeit« kennzeichne das Wahrnehmungsbedürfnis im »Verfall der Aura«, »die Signatur einer Wahrnehmung, deren >Sinn für das Gleichartige in der Welt< [...] so gewachsen ist, daß sie es mittels der Reproduktion auch dem Einmaligen abgewinnt,« 75 und es mit der rein quantifizierenden Wissenschaft, der Statistik, in Zusammenhang bringt, m u ß an den Rat von Valery, im Marais spazieren zu gehen, erinnert werden: Die Handwerker arbeiteten nach der Erfahrung und nach dem, was sie sich von ihrer Kunst mündlich mitteilen konnten. Die Umwelt des technischen Zeitalters ist aber allein von den quantifizierenden Verstandesleistungen konstruiert: » . . . vor einem Wolkenkratzer werde ich nie stehenbleiben, um mich an irgendeinem Detail zu freuen, während ich vor einem alten Haus oder einer Dorfkirche stehenbleibe, denn da gibt es manchen Stein, der eine Stunde wert ist; es gibt bisweilen eine Erfindung, eine Idee, eine Lösung, die das Auge und den Geist gefangen nimmt. Aber vor Ihrem zweihundert Meter hohen Wolkenkratzer werde ich nie stehenbleiben, weil ich mit einem Lineal und einem Zirkel in meinem eigenen Zimmer ganz den gleichen machen kann, und weil es von gar keiner Bedeutung ist, ob ich diesen Wolkenkratzer in Tokio oder in Vancouver, in Honolulu oder in Marseille sehe.« 76 Die zweite Natur, und rückwirkend auch die Natur, nimmt die Gestalt ununterscheidbarer Gleichförmigkeit an. Valery sieht auch, wie solche Gleichförmigkeit den »Sinn für das Gleichartige« und ein Bedürfnis nach flüchtiger Wahrnehmung hervorruft. »Ich weiß, es ist Poesie in diesem Wolkenkratzer. Alle Welt bewundert die Hafeneinfahrt von New York. Aber, sehen Sie, [...] diese gewaltige Architektur [ist] dazu gemacht, bei hundertzwanzig Stundenkilometern gesehen zu werden, und wenn Sie am Fuß dieser Bauwerke stehenbleiben und sie ein wenig näher studieren wollen, dann wird eine Stunde viel zuviel Zeit sein, um Betrachtungen darüber anzustellen.« 77 Auch der Gedanke, daß damit die der technischen Umwelt adäquate Kunstwahrnehmung der Geschwindigkeit unterworfen wird, ist hier auffindbar. Die Wahrnehmungsweise, die Benjamin aus dem Verfall der Aura - als »Rezeption in der Zerstreuung« und als Bedürfnis, sich tektilen »Choks« auszusetzen - als filmische bestimmt, geht, auf andere Weise, ebenfalls auf Valerys Beschreibung der Mittel technischer Reproduktion in ästhetischer Anwendung zurück. »Die modernen Mittel fabrizieren in industriellem Ausmaß [...], mit Hochspannung, eine Poesie, die von dem, der sie aufnimmt, weder eine Anstrengung noch irgendeine Herstellung von Werten fordert; keinerlei unmittelbare Beteiligung, sondern ein Minimum eigener Zutat; und 75 76 77

G. S. 1, 2; S. 440. (Im Orig. kursiv). P. Valery: Notwendigkeit der Dichtkunst. S. 59/60. P. Valery: Notwendigkeit der Dichtkunst. S. 60.

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diese Art von Poesie reduziert sich auf das mehr oder weniger starke Erlebnis, das heutzutage durch die Mittel, welche die Physik und die Technik dem modernen Menschen liefern, schockartig verabreicht werden kann. [...] Wir haben außerordentliche Schauspiele, Orchester, die ein Handgriff hervorzaubert. [...] Morgen schon werden wir nach unserem Belieben das Bild von Dingen heranholen, die sich an den entgegengesetzten Enden der Welt ereignen.« 78 Bei Benjamin ist nur durch eine kleine Korrektur die Perspektive dieser Beobachtungen neu eingestellt: poetische Arbeit ist der technischen Umwelt gegenüber nicht das schlechthin Andere. Er setzt die dialektische Spannung von »Poesie« in die Spannungspole »zweite Natur« und »technische Reproduktion« ein.

5. »Gänzliche Illusionslosigkeit über das Zeitalter und dennoch ein rückhaltloses Bekenntnis zu ihm« - über die Verwendung von »Aura« Zu Zwecken der Polemik 79 oder auch in der Absicht, Benjamins Theorie der technischen Reproduktionsmittel in ästhetischer Anwendung - Mittel, die der unmittelbaren Produktion, der befreiten, ein ästhetisches Kollektivvermögen tendenziell zurückgeben 80 - als revolutionär zu identifizieren, ist sie von einem marxistischen Fortschrittsdenken Brechts hergeschrieben worden. 81 78 P. Valery: Notwendigkeit der Dichtkunst. S. 59. (Abweichende Übers, v. m., C. K.) "Scholem spricht vom »unheilvollen Einfluß«: G. Scholem: Walter Benjamin. In: Leo Baeck Memorial Lecture 8. New York 1965. S. 18. - Liest man demgegenüber Adornos Brief vom 18.3.1936 aus London genau, dann kann man seinem Verweis auf »Brechtische Motive« nicht das später unterstellte denunziatorische Element (das die Herausgeber der G. S. auf ihre Art weiterkolportieren, wenn sie schreiben, Benjamin habe - eine »sehr naheliegende Vermutung« - »diese ganze zweite Fassung« der Thesen »im Blick [...] vollends [...] auf Brecht selber hergestellt«; G. S. I, 3; S. 1032) entnehmen. Eher scheint er sich Benjamin gegenüber dabei auf ein ehemaliges Einverständnis und genaueste Kenntnis von dessen Arbeiten über Brecht zu beziehen. So spricht Adorno von einem »sehr sublimierten Rest gewisser Brechtischer Motive« (G. S. I, 3; S. 1002) und den »Brechtischen Motive[n], die hier bereits in einer sehr weitgehenden Transformation begriffen sind,« (aaO, S. 1005). Worauf er aber damit in beiden Fällen weist, dem haben die Kunstwerkthesen selbst keine Veranlassung gegeben: Benjamin hat dem »autonomen Kunstwerk« weder eine »gegenrevolutionäre Funktion« zugewiesen, noch hat er an das »tatsächliche Bewußtsein der tatsächlichen Proletarier« appelliert. Worauf Brecht im Ganzen auch verzichtete, denn beides war nicht sein Problem. 80 S. G. S. I, 3; S. 1051: »Für die Liquidierung der Differenz zwischen geistiger und manueller Arbeit hat die Filmproduktion größte Bedeutung.« Im Weiteren verweist Benjamin auf die Genese der Arbeitsteilung, wie die Deutsche Ideologie von Marx und Engels sie bestimmte, und deren praktischer Aufhebung durch »Entwicklung einer polytechnischen Menschheitsbildung«. - Die Aufzeichnungen Benjamins an der o. a. Stelle könnten Stichworte für den Begleitbrief sein, mit dem er die Sonderdrucke der Kunstwerkthesen einzelnen ausgewählten französischen Schriftstellern auch Valery - schickte. (S. dazu w. u.). Das Thema »Aufhebung der Arbeitsteilung« war ein ganz aktuell diskutiertes, und zwar im Rahmen der an der französischen

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Demgegenüber ist zweierlei einzuwenden: zum einen stand Brecht der naturwissenschaftlichen Logik in gesellschaftlicher Anwendung naiver als Benjamin gegenüber. Wenn auch marxistisch-ideologiekritisch in der Theaterpraxis, verstand Brecht dennoch »Verhalten« - Verstandesleistung und Moral, die dem technischen Zeitalter entsprechen - behaviouristisch. 82 Soweit das angewandter Marxismus sein sollte, ist Benjamin dem gefolgt: im Hinblick auf das lyrische Ich und die Figuren der Theaterstücke. Er wandte sich aber scharf gegen Brechts theoretische Rechtfertigungsversuche des Positivismus. 83 Zum andern hat Brecht trotz allem nie sein Motiv kritischen Mißtrauens gegen den Komplex Zivilisation aufgegeben. Hans Mayer hat es in den frühen Gedichten und Stücken als Thema des Vergehens in aller Anglomanie und allen Attitüden der Literaturfeindlichkeit festgemacht; Lew Kopelew sieht es in der gleich nach dem zweiten Weltkrieg als klassisch erkannten Stückeproduktion aus dem Exil. Brecht setze darin fort, was Meyerhold begonnen habe. Aber weil Brecht ein Lyriker war, schreibt Kopelew, sei seine von der Theaterpraxis des sowjetischen Oktobers angeregte Bühnentechnik haltbarer als diese selbst. Dennoch sei die gestische Spielweise, die den zivilisationskritischen Lyriker verrate, aufgehobene, weiterverarbeitete »Maschinenkunst«, von Meyerhold inspiriert. 84 Volksfront beteiligten Schriftsteller. Darauf weist die in dieser Notiz enthaltene Formulierung. Zum andern weist sie wohl auch auf den Entwurf, den Alfred SohnRethel für sein späteres Buch Geistige und körperliche Arbeil dem Institut für Sozialforschung eingereicht hatte, und den Benjamin zusammen mit Adorno durchgegangen ist. 81 So etwa Burkhard Lindner: Brecht, Benjamin, Adorno. In: Text + Kritik. Sonderband Bertolt Brecht I. Hg. von H. L. Arnold. 1972. S. 13ff.. Überarbeitet und' bezüglich der aufgerichteten Frontstellung Benjamin/Brecht gegen Adorno revidiert, siehe B. Lindner: Technische Reproduzierbarkeit und Kulturindustrie. Benjamins »Positives Barbarentum« im Kontext. In: »Links hatte noch alles sich zu enträtseln. ..« - Walter Benjamin im Kontext. Hg. von B. Lindner. Frankfurt/M. 1978. S. 180ff.. 82 Heinz Brüggemann: Literarische Technik und soziale Revolution. Versuche über das Verhältnis von Kunstproduktion, Marxismus und literarischer Tradition in den theoretischen Schriften Bertolt Brechts. Reinbek 1973. S. 63f.. 83 Versuche, S. 129. Tagebucheintragung vom 29. Juni 1938: »Kurz darauf erschien das alte Thema logischer PositivismusDem tiefen Bedürfnis entspricht ein oberflächlicher ZugrifR« 84 H. Mayer: Bertolt Brecht und die Tradition. In: Mayer, Brecht in der Geschichte. Drei Versuche. Frankfurt/M. 1972. S. 46f.. L. Kopelew: Verwandt und verfremdet. Brecht und die russische Theatertradition. In: Kopelew, Verwandt und verfremdet. Essays zur Literatur der Bundesrepublik und der DDR. Frankfurt/M. 1976. S. 25-28 und S. 37. - Wenn Kopelew schreibt: »Es ist eine heute noch ungelöste Aufgabe, das wirkliche Verhältnis [von Brechts Theater zum sowjetischen vor 1930, C. K.] und die Zusammenhänge dieser Verbindung zu erforschen« (S. 24), dann ist auf die Erin117

Daß für Benjamin eine Theorie der technischen Reproduktionsmittel in ästhetischer Anwendung als Marxismus 1935 notwendig und aktuell wurde, läßt sich nicht direkt mit seiner Ausrichtung auf Brechts Produktion - auch wenn diese Ausrichtung während des gesamten Exils die größte Bedeutung hatte - zusammenbringen; ebensowenig wie mit einer möglichen Übernahme von Brechts Zuversicht hinsichtlich der Entfaltung der Produktivkräfte. Das von Adorno überlieferte Bekenntnis Benjamins, er habe Brecht in den Kunstwerkthesen an Radikalität übertreffen wollen,85 läßt sich nicht in diesen Zusammenhang stellen. Benjamin verstand unter »Marxismus«, auch unter Marxismus bei Brecht, etwas anderes. Darauf wird bei der Behandlung des politischen Kontextes der Kunstwerkthesen zurückzukommen sein. Es gibt in den Thesen durchaus die von Adorno inkriminierten »Brechtschen Motive«: in den Thesen 10, 11 und 13 das Bemühen, der Spannungsfolge im Testverhalten aus einer entfremdeten, dem Körper entfremdeten Verhaltensweise, ein Stück spontaner Leistung abzugewinnen; sportbegeistertes Fachsimpeln - die auf ihre Fahrräder gestützten Zeitungsjungen dürfte Benjamin aus Kuhle Wampe gekannt haben - als technische Fachkundigkeit zu interpretieren. Diese Motive erfüllen aber lediglich eine Funktion innerhalb der Anlage der Thesen und tragen diese nicht selbst: das Spiel der Darsteller im Film als ein der Maschinerie angeglichenes, die Kriterienbildung des Publikums in Entsprechung dazu anschaulich zu machen und theoretisch zu bestimmen, eben die »Dialektik im Stillstand« in jedem Schritt material nachvollziehbar zu machen. 86 Auch mag man mit Adorno in der Kategorie für die filmische Wahrnehmungsweise »Rezeption in der Zerstreuung« Brechts Antiaffekt gegen die Einfühlung bei der Rezeption und der Spielweise dessen, was er aristotelische Dramatik nannte, wiedererkennen. Doch das Konzept vom Rauchtheater, das bekanntlich dem Kino nachgebildet sein soll, ist ein Konzept von der distanzierten, nüchtern-intellektuellen Beobachtung, Rezeption in der Distanz. Das für Benjamins Theorie der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks charakteristische Kernstück, der Verfall der Aura, vollzog Brecht nicht nach. Gerade die Verwendung dieses Begriffs im Rahmen von Überlegungen zur technischen Reproduktion in früheren Arbeiten Benjamins zeigt seine eigene dialektische Bejahung des technischen Fortschritts in Unabhängigkeit nerungen von Asja Lacis und Bernhard Reich in diesem Zusammenhang zu verweisen. Beide arbeiteten mit Brecht an den Münchner Kammerspielen, und an 1928 erinnert sich Asja Lacis: »Brecht fragte mich wiederum genau aus, wie Meyerhold und Tairow inszenieren [...]« (A. Lacis: Revolutionär im Beruf. S. 58.) Bernhard Reich schrieb in der »Literarischen Welt« über Meyerhold (1928). S.a. B. Reich: Erinnerungen an Brecht. In: Studien. 3. 1966. Beilage zu »Theater der Zeit«. 14/1966 (Berlin/DDR). S. 13. 85 Th. W. Adorno: Interimsbescheid. In: Adorno, Über Walter Benjamin. Hg. von R. Tiedemann. Frankfurt/M. 1970. S. 95. (Zuerst in: Frankfurter Rundschau vom 6.3.1968). 86 Vergl. Anmerkung 57 dieses Kapitels.

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von derjenigen Brechts. D i e Kontexte bei dieser Begriffsverwendung zeigen zudem, welche avantgardistische Kunstpraxis der zwanziger Jahre der direkte Erfahrungshintergrund dieser Theorie war. D i e »Brechtschen Motive« b e k o m m e n ihren Halt erst durch die Theorie v o m »Verfall der Aura«: mit dem Auftreten einer Kunstform, der die technische Reproduktion selbst inhärent ist, schmilzt der ästhetische Kern in jedem Kunstwerk u m ;87 in der »Zertrümmerung der Aura« - derselbe Vorgang aus der Sicht des Wahrnehmungsbedürfnisses gesehen - m u ß die Grundlage zu einem ästhetischen Fortschritt in der Wahrnehmungsweise der Massen gelegt werden. In dieser Konsequenz liegt eine, mit Bloch gedacht, konkrete Utopie der Gesellschaft. Die Erfahrung der im Konstruktivismus projektierten Urbanen Utopie haben Benjamin und Brecht unabhängig voneinander gemacht. Nichtsdestoweniger trafen sie sich darin. U n d beide teilten auch eine verschieden motivierte Skepsis in sie. Der Marxismus, auch der Vulgärmarxismus, bot für die sich weitgehend idealistisch begründende konstruktivistische Kunstpraxis eine korrigierende Handhabe. Das spielte für Brecht eine Rolle, für B e n j a m i n nicht. 88 A u c h dies zeigt die Verwendung des Aurabegriffs in seinen früheren Arbeiten. 87

Wobei Brecht der Vorgang als gesellschaftlicher Prozeß durchaus gewärtig war, nur sind es eben »analoge Überlegungen auf anderer Ebene« (G. S. I, 2; S. 484), wie Benjamin schreibt, wo er in der 2. deutschen Fassung der Thesen aus dem Dreigroschenprozeß zitiert. Hier übrigens weisen ganze Passagen Brechts eine diesem fremde, nämlich die Benjaminsche, Begrifflichkeit auf, und man darf wohl annehmen, daß sie aus gemeinsamen Diskussionen heraus niedergeschrieben sind; so spricht Brecht von der »alten untechnischen, antitechnischen, mit dem Religiösen verknüpften, >ausstrahlenden< >Kunst< oder denkt, dem »Verfall der Aura« >entsprechend< das neuartige Resultat: »Um die Lage zu verstehen, muß man sich eben von einer verbreiteten Auffassung frei machen, nach der bei diesen Kämpfen um die modernen Institutionen und Apparate nur ein Teil der Kunst interessiert ist. [...] Diese Auffassung, die [...] zu einem völligen Fatalismus führt, ist falsch, denn sie schließt zumindest die sogenannte >unberührbare Kunst< von allen Prozessen und Einflüssen der Zeit aus und hält sie nur deswegen für unberührbar, weil sie sich dem Fortschritt in der Übermittlung entzieht. In Wirklichkeit gerät natürlich die ganze Kunst ohne jede Ausnahme in die neue Situation, als Ganzes und nicht in absplitternden Teilen hat sie sich auseinanderzusetzen damit, als Ganzes wird sie zur Ware oder nicht zur Ware. Die Umgestaltung durch die Zeit läßt nichts unberührt, sondern erfaßt immer das Ganze.« (B. Brecht: Der Dreigroschenprozeß. In: G. W. 18. S. 158/159. - Auf die »deutliche Affinität« Brechts zu »Benjamins Theorie« hat H. Brüggemann aufmerksam gemacht: Literarische Technik und soziale Revolution. S. 94.

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Es müßte natürlich gesondert untersucht werden, ob Brechts Polemik gegen den formalen Funktionalismus, gegen die Beschönigung in der neusachlich-realistischen Darstellung und gegen den Maschineneinsatz auf der Piscatorbühne substantiell von Marx aus argumentiert. Brecht verlangt durchgehend »gesellschaftliche Funktion« in der »Neuerung«. Diese Kritik Brechts, die sich im Wesentlichen auf die Spielweise und den Einsatz der Bühne bezieht, hat Benjamin in Theater und Rundfunk und von da aus in Der Autor als Produzent übernommen, wo er vom »Theater komplizierter Maschinerien, riesenhafter Statistenaufgebote, raffinierter Effekte« spricht. (G. S. II, 2; S. 697) Hier beruft er sich auf Brechts Anmerkungen zur Oper 119

Selbst wenn Brecht den technischen Fortschritt marxistisch als die Bedingung der Revolution des Proletariats ansah, so bleibt das jener Erfahrung und Überzeugung von einer Massenkultur ohne zerstörerische Potenzen, in der die Menschen in großstädtischen Massen funktional mit der Technik leben, selbst äußerlich. Brechts Theaterpraxis blieb daran orientiert, Benjamin in seiner Kunsttheorie darauf ausgerichtet. Insofern ist es unergiebig, immer wieder eine - sollte es derartiges geben - »bolschewistische Theorie der Politik und Ästhetik« 89 als Gemeinsamkeit zu unterstellen. Beide brauchten sich weder von der Notwendigkeit einer Revolution des Proletariats zu überzeugen noch von Grundsätzen, in denen die richtige Anwendung des historischen Materialismus in einzelnen Wissenschaften und der Kunst liege. 90 Das war sozusagen selbstverständliche Voraussetzung. Das Naturbild für Aura hat Benjamin 1931 in der Kleinen Geschichte der Photographie, die er anläßlich mehrerer Neuerscheinungen fotografischer Sammelbände schrieb, verwendet. Auch hier ist es schon der Bestimmung der Wahrnehmungsweise, die im wachsenden »Sinn für alles Gleichartige auf der Welt« 91 liege, gegenübergestellt, und dabei weist Benjamin sowohl auf die illustrierte Zeitung wie die Filmwochenschau. Derselbe Passus, leicht verändert, steht in These 4 hinter dem Absatz zu Riegl und Wickhoff. In der Studie zur Fotografie stellt das Naturbild für Aura ein metaphorisch eingesetztes Gegenbild zu fotografischem Anschauungsmaterial dar, das auf »Aura« bewußt verzichte und die »Bereinigung« nicht dem Pressekontext seines Erscheinens verdanke: Atgets A u f n a h m e n von Paris. Wie später die surrealistischen Fotografien, hätten schon jene »eine heilsame Entfremdung zwischen Umwelt und Mensch« hergestellt. »Sie mach[en] dem politisch geschulten Blick das Feld frei [.. .]«.92 In den Kunstwerkthesen verweist erst These 7 auf Atget; hier werden seine menschenleeren »Tatort«- und Detailaufnahmen »Beweisstücke im historischen Prozeß« genannt: »Das macht ihre verborgene politische Bedeutung Mahagonny. - In der Erwiderung an Ο. Α. H. Schmitz schrieb Benjamin 1927: » [ . . . ] die wichtigen elementaren Fortschritte der Kunst sind weder neuer Inhalt noch neue Form - die Revolution der Technik geht beiden voran. [ . . . ] mit tendenzlosen Spielen der Form, tendenzlosen Spielen der Fabel ist die Frage immer nur von Fall zu Fall zu lösen«. (G. S. II, 2; S. 753). 89 G. Scholem, Geschichte, S. 199. 90 Rosemarie Heise formuliert so allgemein, daß es nicht fehlgehen kann: »Gemeinsam war beiden die Überzeugung von der geschichtlichen Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Umwälzung in Europa und von der entscheidenden Rolle des Proletariats als deren künftigem Subjekt. Gemeinsam war ihnen die Erkenntnis der historischen Bedeutung der Oktoberrevolution und, schließlich, das Bewußtsein ihrer Verpflichtung, sich in den großen Epochenauseinandersetzungen zwischen Kapitalismus und Sozialismus an die Seite der kämpfenden Arbeiterklasse zu stellen.« (R. Heise: Vorwort zu W. Benjamin: Das Paris des Second Empire bei Baudelaire. Berlin und Weimar 1971. S. 20). 91 G. S. II, 1; S. 379. 92 G. S. II, 1; S. 379.

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aus. Sie fordern schon eine Rezeption in bestimmtem Sinne. Ihnen ist die freischwebende Kontemplation nicht mehr angemessen. Sie beunruhigen den Betrachter; er fühlt: zu ihnen muß er einen bestimmten Weg suchen. Wegweiser beginnen ihm gleichzeitig die illustrierten Zeitungen aufzustellen. Richtige oder falsche - gleichviel.« 93 Wie Benjamin in den Kunstwerkthesen dem Gedanken von »Verfall« und »Zertrümmerung« der Aura die Fähigkeit zur Bestimmung der zeitgenössischen Epoche mit einer Eröffnung der revolutionären Kunstfunktion, dialektisch aus dem »Stillstand«, verleiht, zeigt seine geringfügige Umgewichtung der Fassung des Auraverlustes in Atgets Bildern. Aura zielt hier zum einen auf ein Ideal der Kunst, ist ein Relikt von deren kultischer Funktion, und wird so zum Gegengewicht der Kunstform Film. Denselben Begriff verwandte er aber andererseits ursprünglich auch dazu, den Unterschied zwischen industriell-technisch reproduziertem Kitsch und einem eigenartigen, ebenfalls mechanisch-technisch erzeugten ästhetischen Spezifikum zu erfassen - eingedenk eines Leitsatzes von Sascha Stone, dem Fotografen und Freund, dem ursprünglich die Berliner Kindheit um 1900 gewidmet war: »Photographie als Kunst ist ein sehr gefährliches Gebiet.« 94 Sascha Stone gehörte zum Kreis der Gruppe »G«, deren gleichnamige Zeitschrift - »G«: Gestaltung - Hans Richter herausgab und in der Benjamin in einer der frühesten Nummern eine Übersetzung von Tristan Tzaras Photographie von der Kehrseite veröffentlichte. 95 Tzaras Metapher für den Vorgang, technisch »Aura« entstehen zu lassen, übernimmt Benjamin in die Kleine Geschichte der Photographie: »Als alles, was sich Kunst nannte, gichtbrüchig geworden war, entzündete der Photograph seine tausendkerzige Lampe 93

G. S. I, 2; S. 445. G. S. II, 1; S. 383. Vergl. G. Scholem: Nachwort zu Walter Benjamin: Berliner Chronik. Frankfurt/M. 1970. S. 132: »Geschrieben für vier meiner lieben Freunde / Sascha Gerhard / Asja Lacis / und Franz Hessel«. 95 T. Tzara: Die Photographie von der Kehrseite. Übers, von Dr. W. Benjamin. G Zeitschrift für elementare Gestaltung. Heft 3, Juni 1924. S. 29f.. Als Mitarbeiter an » G « erwähnt das Impressum auch Benjamins Frau Dora Benjamin und Ernst Schoen, mit dem beide eng befreundet waren. - Tzaras Beitrag ist in einer abgewandelten und erweiterten, nicht von Benjamin vorgenommenen, Übersetzung nochmals im Katalog der Werkbundausstellung von 1929 in Stuttgart erschienen. In einer Fotografie Sascha Stone's hat sich das Abbild der Porträtbüste erhalten, die Jula Cohn von Walter Benjamin gemacht hat (Gesammelte Schriften - Dossier. Frankfurt/M. o. J. [1971]). Hans Richter erinnert sich an Stone, den »Muskelmensch aus New York«, der durch einen doppelten Salto aus dem Stand das Haus in der Eschenstraße 7 (Friedenau), hier war Richters Atelier und die Redaktion von » G « untergebracht, zur Erschütterung bringen konnte. (H. Richter: Köpfe und Hinterköpfe. Zürich 1967. S. 56/57.) - Rowohlt brachte die Einbahnstraße in einem Einband mit einer Fotomontage von Stone heraus. Das Buch ist Asja Lacis gewidmet. 1926 in Moskau notierte Benjamin unter dem Datum des 8.12.: » A m Vormittag war Asja bei mir. Ich gab ihr Geschenke [...]. Auch den Umschlag zum Buch, den Stone gemacht hat, zeigte (und schenkte) ich ihr. Er gefiel ihr sehr gut.« (Moskauer Tagebuch, S. 20). 94

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und stufenweise absorbierte das lichtempfindliche Papier die Schwärze einiger Gebrauchsgegenstände. Er hatte die Tragweite eines zarten, unberührten Aufblitzens entdeckt, das wichtiger war als alle Konstellationen, die uns zur Augenweide gestellt werden.« 96 In diesem Sinne ist Aura, und so verwendet die Kleine Geschichte der Photographie den Begriff durchgehend, ein poetischer Bestandteil des technischen Zeitalters, der sich allein mit den fortschrittlichsten Techniken und ihrem nüchtern-dokumentarischen Einsatz einfangen läßt. Ein Bestandteil, der sich in keinem Fall mehr Kunst nennen läßt. Fotografien, aufgenommen mit noch schwer zu bedienender Kamera, schreibt Benjamin noch vor der Plazierung des Naturbildes für Aura, besäßen eine »Aura, die bis in die Falten des Bürgerrocks oder der Lavalliere sich eingenistet hatte.«97 Die Fotografie ist somit ein Mittel, das prätentionslos den Rückzug des Poetischen aus der Wirklichkeit zufällig fixieren kann. Authentisch und einzigartig ist dabei der in das Abbild eingedrungene Wirklichkeitsmoment. An einer Fotografie von Octavius Hill, der Fischverkäuferin, formuliert Benjamin eben dies als seine Seherfahrung: »Bei der Photographie [...] begegnet man etwas Neuem und Sonderbarem: in jenem Fischweib aus New Haven, das mit so lässiger, verführerischer Scham zu Boden blickt, bleibt etwas, was im Zeugnis für die Kunst des Photographen Hill nicht aufgeht, etwas, was nicht zum Schweigen zu bringen ist, ungebärdig nach dem Namen derer verlangend, die da gelebt hat, die auch hier noch wirklich ist und niemals gänzlich in die >Kunst< wird eingehen wollen.«98 Und an der Abbildung von Karl Dauthendeys Braut faßt Benjamin das Auratische in der Spanne zwischen exaktester Reproduktion und dem dokumenthaft festgehaltenen Zufallsmoment der realen Zeit der Aufnahme, chemisch fixiertes »Hier und Jetzt«: »Hat man sich lange genug in so ein Bild vertieft, erkennt man, wie sehr auch hier die Gegensätze sich berühren: die exakteste Technik kann ihren Hervorbringungen einen magischen Wert geben, wie für uns ihn ein gemaltes Bild nie mehr besitzen kann. Aller Kunstfertigkeit des Photographen und aller Planmäßigkeit in der Haltung seines Modells zum Trotz fühlt der Beschauer unwiderstehlich den Zwang, in solchem Bild das winzige Fünkchen Zufall, Hier und Jetzt, zu suchen, mit dem die Wirklichkeit den Bildcharakter gleichsam durchsengt hat, die unscheinbare Stelle zu finden, in 96

G. S. II, 1; S. 383. G. S. II, 1; S. 376. Der Verfall der Fotografie habe erst in dem Moment eingesetzt, wo die Kamerabedienung leichter und Aura künstlich hinzugefügt wurde, durch Drapierung des Hintergrunds, Retusche und Übermalung. Wie wenig nur-ästhetisch der Begriff hier gefaßt ist, zeigt sich, wenn Benjamin die »Gummiaura« auf einen sozialökonomischen Vorgang zurückführt: Die Aura sei durch die »zunehmende Entartung des imperialistischen Bürgertums aus der Wirklichkeit« verdrängt worden. (S. 377). 98 G. S. II, 1; S. 370.

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welcher, im Sosein jener längstvergangenen Minute das Künftige noch heut und so beredt nistet, daß wir, rückblickend, es entdecken können.« 9 9 Sämtliche Konstituentien, die Benjamin in den Kunstwerkthesen dem kultisch »fundierten« Werk zudenkt, hat er hier an einer alten Fotografie aufgefunden. »Magischer Wert« hat seine Entsprechung zum Begriff »Kultwert« in den Kunstwerkthesen. Seine Bestandteile sind die der Aura. Das Abgebildete besitzt »Tradierbarkeit«: »das Künftige [...] nistet« in ihm. Nichts anderes ist damit bezeichnet, als daß die Menschen einer späteren Zeit den eingefangenen »alten« Augenblick sehen und produktiv aufnehmen können. Der fotografierte Augenblick gibt dem Abbild Dauer. Er hat ein einzigartiges Bild hervorgebracht, denn das »Hier und Jetzt« des fotografischen Abbilds ist ein Produkt des Zeitmoments. Ein Naturaugenblick hat sich auf der Fotoplatte erhalten, er wird mechanisch produziert und chemisch reproduziert. Diese Aura erreicht den Betrachter, der sich konzentriert und in das Abgebildete vertieft. »Kontemplation«, der Modus der Rezeption, ist dieser technisch erzeugten Aura ebenso adäquat wie dem gemalten Bild. Dessen Einzigartigkeit entsteht dagegen allein in der Realisierung eines subjektiven Entwurfs, die den Künstler zur Entdeckung und prozessualen Fixierung des Naturmoments braucht. »Es [handelt] sich ganz offenbar um eine gewisse Art von Stimmung,« schreibt Valery über »Poesie«; »jedermann kennt diese besondere Ergriffenheit, vergleichbar dem Zustand, in den wir geraten, wenn wir uns durch bestimmte Umstände erregt oder entzückt fühlen. Dieser Zustand ist ganz und gar unabhängig von jedem bestimmten Werk, und er ergibt sich ganz natürlich und spontan aus einer gewissen Übereinstimmung zwischen unserer inneren körperlichen oder seelischen Bereitschaft und den (realen und idealen) Umständen, die uns beeindrucken.« 100 Ein auf Authentizität gerichteter Kameraeinsatz kann solches Realauratische, folgt man Benjamin, reproduzieren. Selbst in Atgets Wahl des städtischen Ausschnitts, wenn er auch bei Benjamin schon paradigmatisch f ü r die auralose Fotografie steht, ist in der Auralosigkeit ein letzter Hinweis auf das Realauratische enthalten: »Als erster desinfiziert er die stickige Atmosphäre, die die konventionelle Porträtphotographie der Verfallsepoche verbreitet hat. Er reinigt diese Atmosphäre, ja bereinigt sie: er leitet die Befreiung des Objekts von der Aura ein . . . [ . . . ] Er suchte das Verschollene und Verschlagene, und so .wenden auch solche Bilder sich gegen den exotischen, prunkenden, romantischen Klang der Stadtnamen; sie saugen die Aura aus der Wirklichkeit wie Wasser aus einem sinkenden Schiff.« 101 Diese Bilder seien »stimmungslos«. Ihre Auralosigkeit be-

" G . S , II, 1; S. 371. P. Valery: Poesie pure. S. 83 (zuerst in: Valery: Poesie, essays sur la poetique et le poete. 1928). "" G. S. II, 1; S. 378. 100

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steht, so darf man ergänzen, in einem schockartigen Befremden, das den Wahrnehmenden über die Beiläufigkeit eines noch nie gesehenen, bekannt geglaubten Objekts befällt. Für Ernst Bloch war Benjamin ein surrealistisch Denkender. Seine Fassung eines technisch erzeugten Abbilds, das eine »Befreiung des Objekts von der Aura« bewirke und als Schock die Wahrnehmung politisch schule, entspricht dem. Doch frühere Bestimmungen dessen, was technisch erzeugte Aura ist und worin ein Abbild authentisch ist, bringen Benjamin in die Nachbarschaft von Dada und des Konstruktivismus. In Tzaras Photographie von der Kehrseite erscheint die Fotografie als Held, weil mit ihr technisch der handwerkliche Arbeitsvorgang überwunden und »Schönheit« eigentumslos geworden sei. Benjamin übersetzte: »So wie der Spiegel das Bild mühelos reflektiert, das Echo die Stimme, ohne warum zu fragen so ist das Schön der Sachen niemandem hörig, denn fortan ist es physikalisch-chemisches Ereignis geworden.« 102 Das war natürlich die übliche Provokation. Doch diese nahm Benjamin auf und integrierte sie in seine Vorliebe für alle Ausdrucksformen des Plebejischen, die mit seiner Sammelleidenschaft in Zusammenhang stand. 103 So verteidigt eine 1925 geschriebene Glosse die »Aura der Aktualität«, weil sie einer neuen, in der Großstadt entstehenden Wahrnehmungsweise angemessen sei. »Daß sie so unübertrefflich >interessant< gerade nur wegen der Exaktheit ist, mit der sie die lasterhaft zerstreute Aufmerksamkeit des Bankbeamten, der Sekretäre, des Konfektionärs allwöchentlich in einem Hohlspiegel zusammenzieht,« sei das Merkmal der »Berliner Illustrierten«, im Gegensatz zu schlechterer Ware auf diesem Gebiet; weiter heißt es: »Dieser dokumentarische Charakter ist ihre Macht und zugleich ihre Legitimation. [...] Die Dinge in der Aura ihrer Aktualität zu zeigen, ist mehr wert, ist weit, wenn auch indirekt, fruchtbarer, als mit den letzten Endes sehr kleinbürgerlichen Ideen der Volksbildung aufzutrumpfen. [...] die kühle, schattenspendende Aktualität dieser Bildseiten [ist] nicht wie die übliche und wohlfeilere zu 100% der Spekulation auf die niedrigsten Instinkte, sondern zu 50% ihrer technischen Gewissenhaftigkeit zu danken«. 104 Unter solcher »Aura der Aktualität« ist auch schon die ernüchternde Wirkung der technischen Reproduktion erfaßt; ihre politische Wirkung ist soziologisch gesehen, nämlich bezogen auf die Angestelltenkultur.

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T. Tzara: Die Photographie von der Kehrseite. In: G. Nr. 3, 1924. S. 30. »Voll Stolz zeigte er uns ein großes Plakat, auf dem ein Matrose zu sehen war, über und über tätowiert, er hatte es auf einer Reise erbeutet, in Kopenhagen. So war er, alles Entlegene, alles Primitive zog ihn unwiderstehlich an, es führte ins Innere.« (W. Kraft: Spiegelung der Jugend. S. 81.) Diese Erinnerung Krafts an einen Besuch bei Benjamin in seiner Pariser Wohnung mag für die Vielzahl von Zeugnissen Blochs, Adornos, Scholems, Asja Lacis' und solche vor allen Dingen von Benjamin selbst - aus den Städtebildern und den erzählenden Prosastücken die an dieser Stelle zu nennen wären, stehen. 104 G. S. IV, 1; S. 449. Nichts gegen die >IllustrierteGesunde Nerven< im Gesundheitshaus Kreuzberg. (Zuerst in: Die literarische Welt v o m 10.1.1930). - Ungenannt, aber implizit, nimmt auf dieses Verhältnis von »Ausstellungswert« und Schockerfahrung der Massen das Stück Schönes Entsetzen Bezug (G. S. IV, 1; S. 434/35. Zuerst in:Der öffentliche Dienst (Zürich) vom 6.4. 1934): »Für das tiefste, unbewußte Dasein der Masse sind Freudensfeste und Feuersbrünste nur Spiel, an dem sie auf den Augenblick des Mündigwerdens sich vorbereitet, auf die Stunde, da Panik und Fest, nach langer Brudertrennung sich erkennend, im revolutionären Aufstand einander umarmen.«

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G. S. II, 1; S. 377. Kleine Geschichte der Photographie. G. S. IV, 1; S. 560/61. Bekränzter Eingang. (H. v. m., C. K.). G. S. IV, 1; S. 560.

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kühlen Kopf zu bekommen - nichts weiter übrig, als sie vor allem einmal ungeordnet, selber, anarchisch, wenn es sein muß, zu Worte kommen zu lassen. Die Avantgarde waren damals die Dadaisten.« 109 Dieser Konnex zwischen Avantgardeproduktion und Massenfilmproduktion, der hier nur eben angedeutet ist, erscheint ausführlicher in Der Autor als Produzent und ausgeführt in den Kunstwerkthesen." 0 Erst in ihm wird auch die ästhetische Erfahrung des Massenpublikums produktiv gesehen, und »lasterhaft zerstreute Aufmerksamkeit« wird aus einem kulturkritisch-soziologisch gebrauchten Begriff zu einem, der die epochale Tendenz bezeichnet. Die Avantgardeproduktion wird für Benjamin ein Fluchtpunkt, auf den hin er die Massenproduktion als latenten und entstellten Entwurf auffassen kann. In Hinsicht auf den Auraverlust durch die Entwicklung der technischen Reproduktionsmittel findet sich an dieser Stelle auch ein Berührungspunkt zur konstruktivistischen Praxis und deren Zuversicht, der Urbanismus könne durch die Entwicklung der formalen Gestaltung die kulturelle Grundlage einer befreiten Gesellschaft werden. Wo es um die kritische Erkenntnisfähigkeit des autonomen Kunstprodukts im Verfahren seiner Technik geht - in der Folge der Kunstwerkthesen wird Benjamin jene »Prophetie« benennen führte er in der Kleinen Geschichte der Photographie eine Passage aus Malerei, Fotografie, Film von Moholy-Nagy an: 111 Die schöpferischen Möglichkeiten des Neuen werden meist langsam durch solche alten Formen, alten Instrumente und Gestaltungsgebiete aufgedeckt, welche durch das Erscheinen des Neuen im Grunde schon erledigt sind, aber unter dem Druck des sich vorbereitenden Neuen sich zu einem euphorischen Aufblühen treiben lassen. So lieferte ζ. B. die futuristische (statische) Malerei die später sie selbst vernichtende, festumrissene Problematik der Bewegungssimultaneität, die Gestaltung des Zeitmomentes; und zwar dies in einer Zeit, da der Film schon bekannt, aber noch lange nicht erfaßt war [.. .].

Moholy stellt hiermit die avantgardistische Kunstpraxis an den Schnittpunkt dreier Linien: das für den Massenverbrauch industriell Entwickelte wird nochmals mit handwerklichen Mitteln aufgegriffen, um daraus Techniken neu zu erfinden, die den Entwurf für eine massenhafte industrielle Anwendung vorgeben.

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G. S. IV, 1; S. 560. G. S. I, 2; S. 462-464 (These 17). G. S. II, 2; S. 692: »Denken wir an den Dadaismus zurück. Die revolutionäre Stärke des Dadaismus bestand darin, die Kunst auf ihre Authentizität zu prüfen. Man stellte Stilleben aus Billetts, Garnrollen, Zigarettenstummeln zusammen [...]. Man tat das Ganze in einen Rahmen. Und damit zeigte man dem Publikum: Seht, Euer Bilderrahmen sprengt die Zeit; das winzigste authentische Bruchstück des täglichen Lebens sagt mehr als die Malerei.« 111 G. S. II, 1; S. 382. Kleine Geschichte der Photographie. Entsprechend L. MoholyNagy: Malerei, Fotografie, Film. 1927. (Bauhausbücher Bd. 8. Reprint Mainz 1967). S. 25/26. Vergl. auch Benjamins Rezension zu Karl Bloßfeldt : Urformen der Kunst. Photographische Pflanzenbilder. Berlin 1928. G. S. III, S. 151.

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126

Nach diesem Grundsatz bildete für Benjamin die dadaistische Montage einen Entwurf für die Filmmontage. Demnach folgte er auch der technischen Utopie des Konstruktivismus. Moholy bringt sie auf den Grundsatz der Bauhausproduktion: »Man glaubt zur Entstehung eines Kunstwerkes die handwerkliche Ausführung als untrennbaren Wesensteil fordern zu müssen. In Wahrheit ist neben dem schöpferischen geistigen Prozeß des Werkentstehens die Ausführungsfrage nur insofern wichtig, als sie bis aufs äußerste beherrscht werden muß. Ihre Art dagegen - ob persönlich oder durch Arbeitsübertragung, ob manuell oder maschinell - ist gleichgültig.« 112 »Die Eindeutigkeit des Wirklichen, Wahren in der Alltagssituation ist für alle [...] da.« 113 Die Bindung an diesen Grundsatz in der Sicht auf den Verfall der Aura, als produktiven gesellschaftlichen Vorgang, bewahrte Benjamin vor einer Romantisierung des Plebejischen oder auch vor der Tendenz, die Schockwahrnehmung zu individualisieren und auratisch zu verklären, wie sich dies im Umkreis des Surrealismus durchsetzte, etwa bei Cocteau literarisch, filmisch bei Bunuel. Noch nie Gesehenes müsse sichtbar gemacht werden: der Konstruktivismus ging seine Objekte über die technische Fortentwicklung der Mittel an. Darüber sollte sich eine Schulung der Wahrnehmung einstellen; ζ. B. war die >objektive< Optik des Fotoapparates für Moholy die Entdeckung einer neuen, der Fortentwicklung fähigen Perspektive. Ein entsprechend in der Malerei sichtbar gemachtes Unsichtbares hat Benjamin vor allen Dingen in den Bildern von Paul Klee aufgefunden. Impetus war der Verzicht auf Pathos. Adorno hat denn auch einmal Benjamins antiexpressionistische Einstellung in den Fragen der ästhetischen Produktivität als Grund seiner Freundschaft zu Brecht gesehen. »In den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren verkehrte er außer mit diesem viel mit Kurt Weill, Klemperer, Moholy-Nagy.«" 4 Solche persönlichen Beziehungen sind für eine bestimmte politische Haltung in den Fragen ästhetischer Produktivität aufschlußreich. Erwähnenswert ist an dieser Stelle auch Benjamins Mitarbeit an der internationalen Avantgardezeitschrift »i 10«. Deren Fotoredaktion hatte MoholyNagy übernommen. Ernst Bloch hat Benjamins Mitarbeit vermittelt. Wie aus seinen Briefen an den Hauptredakteur und Initiator der Zeitschrift, Arthur Müller-Lehning, hervorgeht, war es Benjamin wichtig, Bernhard Reich in der Sowjetunion mit solcher ästhetischen und politischen Tendenz der westlichen Avantgarde bekanntzumachen; ebenso empfahl Benjamin den ihm bekannten futuristischen Maler und Bauhausschüler Ivo Pannaggi, ein Freund von Kurt Schwitters, der Redaktion: seine Arbeiten »sind Photomontagen, die ich 112 113 114

L. Moholy-Nagy: Malerei, Fotografie, Film. S. 24. L. Moholy-Nagy: Malerei, Fotografie, Film. S. 36. Th. W. Adorno: A l'ecart de tous les courants. In: Adorno, Über Walter Benjamin. Hg. von R. Tiedemann. S. 96. 127

ausgezeichnet finde. (Man könnte ihm, wenn die Sachen Ihnen gefallen, die Anregung zu politischen Photomontagen für i 10 geben. Denn er ist auch politisch richtig ausgerichtet).«" 5 Aus den Kontexten, aus denen Benjamin in den zwanziger Jahren den Verfall der Aura produktiv auffaßte, läßt sich in den Kunstwerkthesen eine aufgehobene Sicht in der dialektischen Anlage der Thesen zwischen dem »Verfall der Aura« und den revolutionären Funktionen des Films entdecken. Sie ist zu einem guten Teil aus der plebejischen Interpolation konstruktivistischer Formerfindung und Sinnenerziehung genommen. Tendenz für den Arbeitsvorgang und für die Anschauung ist die Montage. Eine des politischen Bewußtseins tritt hinzu. Im »Trick der Evidenz« kann Benjamin damit soziale Erkenntnis unterstellen, die auf das Aufklärungskonzept verzichtet. »Lasterhaft zerstreute Aufmerksamkeit« als Wahrnehmungsweise städtischer Massen und »Aura der Aktualität«, die vorfindlichen Formen des ästhetischen Gebrauchs, eines beiläufigen, werden in den Kunstwerkthesen in das Verhältnis von Filmproduktion und -rezeption, »Verfall der Aura« und »Rezeption in der Zerstreuung« gesetzt. Ein rein Auratisches wird darin weiter hypostasiert; in ihm kann man das Ideal der Poesie, wie Valery es im unendlichen Arbeitsprozeß durchführen, denken und leben wollte, oder die versprengte Avantgardekunst der dreißiger Jahre oder die Lyrikproduktion in der Tradition der französischen Moderne seit Baudelaire erblicken. Ohne diesen Fluchtpunkt könnte Benjamin nicht vom »Verfall« der Aura ausgehen. Insofern ist er der Denker einer Zwischen-Zeit. Er zeugt für das Noch-Nicht einer technischen Utopie mit Hilfe eines Nicht-Mehr. Beider Wahrheit liegt außerhalb des geschichtlichen Prozesses, aber mit dem, wofür er sich einsetzt, muß er sich mittendrin bewegen. In dem Moment, wo er dabei beider Wahrheiten rein aussprechen wollte, verfiele er der Dogmatisierung seiner außerhalb liegenden Wahrheiten.

6. Filmische Wahrnehmung, gedacht aus Riegls methodischen Ideen In These 4 beruft sich Benjamin, was den methodischen Ansatz der Kunstwerkthesen betrifft, direkt auf Alois Riegls kunstwissenschaftliche Studie Spätrömische Kunstindustrie. Riegl habe den Weg zum Verständnis dafür, wie sich die menschliche Wahrnehmung in geschichtlichen Epochen organisiert, gewiesen: »Die großen Gelehrten der wiener Schule, Riegl und Wickhoff, die sich gegen das Gewicht der klassischen Überlieferung stemmten, unter dem 115

Brief an Arthur Müller-Lehning vom 29.1.1929; Sammlung Müller-Lehning, Amsterdam. Eine fotografische Reproduktion dieses Briefs findet sich bei Kees van Wijk: Internationale Revue i 10. Utrecht 1980. S. 87. - Zu diesem Zeitpunkt war es schon absehbar, daß »i 10« nicht mehr länger erscheinen konnte, und Benjamins Vermittlung blieb ohne Resultat. Zu Pannaggi: Tendenzen der Zwanziger Jahre. 15. Europäische Kunstausstellung Berlin 1977. Katalog. Berlin 1977. B/50.

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jene Kunst [seil, der Zeit der Völkerwanderung, C. K.] begraben gelegen hatte, sind als erste auf den Gedanken gekommen, aus ihr Schlüsse auf die Organisation der Wahrnehmung in dem geschichtlichen Zeitraum zu tun, in dem sie in Geltung stand.« 116 Aus dem »Verfall der Aura«, die zeitgenössisch in der Epoche des Faschismus in Geltung steht, sind demnach Schlüsse auf die entsprechende epochale Form der Wahrnehmung möglich. Analog zum »Verfall der Aura« gewinnt Benjamin so über die Analyse des Films die Bestimmung der filmischen Wahrnehmungsweise, die er als »Rezeption in der Zerstreuung« bezeichnet. Er erfaßt dabei die Modi der Wahrnehmung und Bedingungen ihres Zustandekommens, die Valery phänomenal gesichtet hat, die aber für ihn das Kriterium ästhetischer Unfruchtbarkeit schlechthin geworden sind: die Menschen leben im technischen Zeitalter in Massen; die architektonische Raumerfassung und die Logik der Naturwissenschaften produzieren und reproduzieren eine immer ungreifbarer werdende Umgebung und Passivität in deren Aneignung. Valerys kulturkritische Phänomenologie des >modernen< Alltagslebens liegt durchaus dem zugrunde, was Benjamin als die »gegenwärtigen Produktionsbedingungen« 117 ökonomiekritisch versteht; die Zivilisation ist für Benjamin in jedem Fall eine, die sich in den Schranken der privatkapitalistischen Produktionsweise entwickelt hat. Um diese Dimension will er Riegls methodische Vorgabe theoretisch erweitern. Diesem, so Benjamin, habe es noch nicht gelingen können, über die historische Bestimmung des »Wahrnehmungs- und Kunstwollens« Einsicht in die »gesellschaftlichen Umwälzungen [...], die in diesen Veränderungen der Wahrnehmung ihren Ausdruck fanden«, 1 ' 8 zu gewinnen. These 18 rekur1,6 117

1,8

G. S. I, 2; S. 439. G. S. I, 2; S. 435. In These 1 sind die Kunstwerkthesen geortet: es seien »Thesen über die Entwicklungstendenzen der Kunst unter den gegenwärtigen Produktionsbedingungen«, keine über die Kunst einer klassenlosen Gesellschaft. G. S. I, 2; S. 440. - In diesem Zusammenhang ist auf einen Aufsatz von Wolfgang Kemp zu verweisen, der d e m Verhältnis Benjamin - Riegl nachgeht. Die Ausführungen im Folgenden unterscheiden sich von denen Kemps wesentlich dadurch, daß m. E. Benjamin Riegls Begriff »Kunstwollen« nicht als unmaterialistisch verwirft. »Die Veränderung des Kunstwollens soll als Ausdruck einer hinter ihr liegenden Gesetzmäßigkeit erkannt werden; das Kunstwollen soll seiner metaphysischen Kontingenz beraubt und an die sozioökonomischen Triebkräfte des Geschichtsprozesses angebunden werden.« (W. Kemp: Fernbilder. Benjamin und die Kunstwissenschaft. In: »Links hatte noch alles sich zu enträtseln...« S. 226). Bei der Bestimmung der Wahrnehmungsweise der Massen geht es Benjamin nicht um den Begriff selbst im Verhältnis - kausal oder reziprok-dialektisch - zu einem ebenso begrifflich faßbaren Gesetz des Geschichtsprozesses, also u m die sogenannte zwangsläufige Notwendigkeit von beider Entwicklung. Benjamins Korrektur an Riegls Verfahren zielt auf eine Zustandsbestimmung, die von beschreibbaren Phänomenen ausgeht. Zustand ist der Zeitpunkt Gegenwart. Was die Subjekte (ästhetisch) »wollen« - die Kunstform Film läßt es manifest werden wird von Benjamin als eigene (begriffliche) Größe, als Schlüssel, sich die Höhe der gesellschaftlichen

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riert zwar nicht namentlich, dafür aber sachlich auf Riegl und seinen exemplarischen Untersuchungsgegenstand, die Architektur: »Die Architektur bot von jeher den Prototyp eines Kunstwerks, dessen Rezeption in der Zerstreuung und durch das Kollektivum erfolgt.«119 In dieser These weist Benjamin seiner Produktions- und Rezeptionsanalyse des Films auch den Radius ihrer wissenschaftlichen Zuständigkeit zu: sie sei »Lehre von der Wahrnehmung, die bei den Griechen Ästhetik hieß.«120 Ist Valerys Poetik wortwörtlich eine Phänomenologie der »Poiesis«, des Poesie-Machens, so ist Benjamins Ästhetik im Anschluß und in Erweiterung von Riegls »Spätrömischer Kunstindustrie« die Phänomenologie der Massen-»Aisthesis«. Seine Thesen, schreibt Benjamin einleitend, setzten »eine Anzahl überkommener Begriffe - wie Schöpfertum und Genialität, Ewigkeitswert und Stil, Form und Inhalt - beiseite«.121 Entsprechend seien die von ihm »neu in die Kunsttheorie eingeführten Begriffe [...] für die Zwecke des Faschismus vollkommen unbrauchbar [...] Dagegen sind sie zur Formulierung revolutionärer Forderungen in der Kunstpolitik brauchbar.« 121 Die Thesen leisten dies in erster Linie, weil sie die Begriffe der Genieästhetik mit den neueingeführten - Aura, Schockwahrnehmung, Kult- und Ausstellungswert - übergehen und damit destruieren. Sie zielen fürs erste auf ein Begreifen der historisch modifizierten menschlichen Wahrnehmung, um von ihr Rückschlüsse - darin allein will Benjamin Riegls Ansatz erweitern - auf die »gesellschaftlichen Umwälzungen« zu ziehen. Dieser letzte indirekte Schluß gilt erst den Herrschaftskonstituentien des Faschismus. »Dieser Versuch [...] knüpft [...] an die methodischen Ideen Alois Riegls in seiner Lehre vom Kunstwollen [...] an,«122 schrieb Benjamin über Ursprung des deutschen Trauerspiels; und »Versuch« hieß in diesem Zusammenhang, »durch eine Analyse des Kunstwerks« den Ausdruck sämtlicher Tendenzen einer Epoche durchsichtig werden zu lassen, »der religiösen, metaphysischen, politischen, wirtschaftlichen«. 122 Riegls Lehre vom Kunstwollen hätte somit an der für Benjamin methodisch zentralen Stelle gestanden, an der er gegen den Strich der herrschenden ästhetischen Wertung der Allegorie gerade diese »inferiore« Kunstform wählte, um an ihr über eine Integration arbeitsteiliger Wissenschaftsgebiete eine epochale Geschichtserkenntnis experimentell durchzuführen. Ebendies verspricht Benjamin wieder in der ersten Kunstwerkthese. In der letzten, der 19. Kunstwerkthese, zieht er erst den Schluß von den Veränderungen der Wahrnehmung auf die »gesellschaftlichen Umwälzungen«. Mit dem Trauerspielbuch hatte Benjamin nicht Naturbeherrschung (begrifflich) zu eröffnen, eingesetzt. Zwischen dieser und jener besteht nämlich nur das Verhältnis des »Ausdrucks«. 119 G. S. I, 2; S. 465. 120 G. S. I, 2; S. 466. 121 G. S. I, 2; S. 435. (Letzter Satz i. Orig. kursiv). 122 Zur Aktualität, S. 46. Lebenslauf.

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den Anspruch auf ein historisch-materialistisches Verfahren gestellt. Mit der postulierten Ergänzung der Lehre vom Kunstwollen in den Kunstwerkthesen erhebt er ihn. Bei deren Untersuchung wird zu fragen sein, ob das Verfahren, von der Kunstform auf die gesellschaftlichen Umwälzungen zu schließen, tatsächlich und zwingend die Tendenzen der faschistischen Epoche bestimmen kann. Riegls Ansatz liefert für die Kunstwerkthesen aber in jedem Fall die methodische Rechtfertigung f ü r die Wahl des Untersuchungsgegenstands. In Der Autor als Produzent erinnerte Benjamin im Anschluß an seine Ausführungen zu Tretjakow daran, es habe nicht immer das große Epos und den Roman gegeben, dafür aber Epochen und Kulturen, in denen die an klassischer Größe meßbaren Formen nicht vorhanden waren; in denen sie auch nichts galten. Bei der Berufung auf Riegl und dessen Idee, die Organisation der Wahrnehmung epochal zu erfassen, muß deswegen noch einmal die Perspektive, in der Riegl nach Benjamin Kunstform und Wahrnehmung aufeinander bezog, herausgestellt werden: jener stemmte »sich gegen das Gewicht der klassischen Überlieferung [...], unter dem jene Kunst begraben gelegen hatte«. 123 Ganz in diesem Sinne empfahl Benjamin 1929 in einer Rezension: jede »große wissenschaftliche Entdeckung« bedeute gleichzeitig in ihrer Darstellung eine »Revolution des Verfahrens«: »Dieses epochemachende Werk [...] brach mit der Theorie der >Verfallszeiten< und erkannte in dem, was bisher >Rückfall in die Barbarei< geheißen hatte, ein neues Raumgefühl, ein neues Kunstwollen.« 124 Von ihm aus eröffnet sich die Perspektive, von der aus gegen die zeitgenössisch gültige und unbestrittene Kunstauffassung die Darstellung »inferiorer«, von dieser verdeckten, Formen möglich ist, Formen, die als »Verfall« vom klassischen oder klassizistischen Kunstideal verurteilt oder nicht zur Kenntnis genommen werden. 125 Die Spätrömische Kunstindustrie von Riegl ist, als materiale Untersuchung über Funde des Kunstgewerbes aus der spätrömischen Zeit im Donaugebiet, 123

G. S. I, 2 ; S . 439. G. S. III, S. 170. Bücher, die lebendig geblieben sind. (Zuerst in: Die literarische Welt vom 17.5.1929.) Da Benjamin bibliografisch allein den Titel der Erstausgabe von 1901 anführte, der Artikel aber eine Leseempfehlung für nur unzureichend zur Kenntnis genommene »gelehrte Bekenntnisschriften« (S. 169) sein sollte, ist anzunehmen, daß ihm die Neuauflage des Buches von 1927 entgangen ist. 125 Riegl schrieb um die Jahrhundertwende, einer Zeit, zu der die Akademien von der klassizistischen Norm konkurrenzlos beherrscht waren (vergl. dazu George Grosz: Ein kleines Ja und ein großes Nein. Reinbek 1955). Wenn Benjamin mehr als ein Mal erwähnt, Riegl habe »Stilgefühl« und »Einsichten« des späteren Expressionismus vorweggenommen, so hat er dabei auf die Entdeckungen der inferioren Formen im Expressionismus verwiesen. Daß Benjamin dabei auch auf eigene Einsichten bezüglich des »Inferioren« anspielt, entnimmt man der Rezension Strenge Kunstwissenschaft: G. S. III, S. 371/72. Hier nennt er Riegl einen »Ahnherrn« für eine neue Kunstwissenschaft, die auf »geschichtsphilosophischen Verspannungen« beruhe. 124

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in einen universalhistorischen Ansatz der Entwicklung der Kunstgeschichte eingebettet. Riegl ging es darum, an der Entwicklung selbst aufzuweisen, daß bei der Beurteilung bestimmter Kunstperioden als »Verfallszeiten« viel weniger deren faktische ästhetische Unproduktivität offenbar wird als ein wissenschafts- und salonfähiges Vorurteil über »Kunst« bei den eigenen Zeitgenossen. 126 Beachtenswert ist diese Ausgangsfragestellung Riegls für Benjamin insofern, als dieser in der Spanne, in der er die Thesen anlegte und in der er im Vorhaben, über die Passagen zu schreiben, wie auch in den späteren Studien über Baudelaire, dachte, auf zweifache Weise mit »ästhetischem Verfall« konfrontiert ist: vor dem zweiten Weltkrieg war die Front vom Bildungsphilister bis hin zu einzelnen wirklich bedeutenden Schriftstellern - und von Fall zu Fall zählen zu ihnen Thomas Mann und Brecht - gegen die Versuche der »unverständlichen« Poesie geschlossen. Baudelaire und die Lyrik von Verlaine, Rimbaud, Mallarme und Lautreamont waren unbestritten nur von denen angenommen, die sie weiterführen wollten, in Frankreich in erster Linie innerhalb des surrealistischen Kreises. Zum andern war der Kreis derer, die den Film als ästhetisch produktiv ansahen, außerordentlich klein. Der ganze Bereich der Kunstprodukte technisch reproduzierter Art ist nach der Seite eines produktiven, fortentwickelbaren Gebrauchs der Mittel ansatzweise von der surrealistischen, doch sonst nur von der konstruktivistischen Avantgarde erfaßt worden. Auch ihre Sicht blieb an ihre Kunstpraxis gebunden. Weiterhin läßt sich das Vorurteil, in den Formen der Moderne Verfall zu sehen, aus den unterschiedlichsten politischen Motivationen jederzeit leicht aus der Latenz hervorlocken. An die Heftigkeit der Anschuldigungen Lukäcs', die in der sogenannten Expressionismusdebatte fielen, ist in diesem Zusammenhang ebenfalls zu denken. Daß Riegl überhaupt Kunstgegenstände des täglichen Gebrauchs, Töpfe, Gläser, Broschen, plastische und malerische Miniaturen, wissenschaftlich untersuchen wollte, zwang ihn darzulegen, weswegen er diese >inferioren< Formen beachtet hat. Es gelang ihm nachzuweisen, daß der Zeitraum, den er untersuchen wollte, weder eine harmonische Form noch geschlossene Gebilde, wie sie die Zeit der klassischen griechischen Antike hervorgebracht hatte, aufwies. 126

Entsprechend sieht Benjamin den Riegischen Ausgangspunkt der Forschung in den »lebendigen Anliegen der Gegenwart«. (G. S. III, S. 372) Dieser Gegenwartsbezug ist zweifelsohne von Benjamin methodisch ausgebaut worden. Insofern verdient die Anregung, die er mit Ursprung des deutschen Trauerspiels Carl Linfert gegeben hat, erwähnt zu werden. Dieser hat nämlich in den fünfziger und sechziger Jahren den Anspruch auf Erkenntnis des zeitgenössisch gegenwärtigen Kunstwollens, wiederum mit Berufung auf Riegl, für die Malerei geltend gemacht. (C. Linfert: Malerei verändert ihre Grundlagen. In: Linfert, Über die Zuschauer der Maler. Bild eines Jahrzehnts. Köln und Berlin 1966. S. 22-25. Vergl. dazu in dieser Arbeit S. 5 und die zugehörige Anm. 16).

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Auch konnte Riegl die landläufige Erklärung, mit dem »Einfall der Barbaren«, eine Folge des römischen Niedergangs, seien die großen Formen zerstört worden, zurückweisen: in Rom, das zur selben Zeit unbedroht geblieben war, sind dieselben Gegenstände wie in den während der Völkerwanderung eroberten Provinzen gefunden worden. Es schien sogar so, als wäre unter den neuen Verhältnissen ein besonderer Formenreichtum entstanden. Von solchen »Beweisstücken« aus versuchte Riegl eine Universalgeschichtsschreibung der anerkannten Formen, durch die sich aus der bisherigen Chronologie Herausgefallenes von unten nach oben kehren ließ. Methodisch bedeutend sind dabei seine Kapitel »Die Architektur« und »Die Grundzüge des spätrömischen Kunstwollens«. Diese entfalten die Theorie vom Kunstwollen. Untersucht werden von Riegl die altägyptische Statue und die Pyramiden, der griechische Tempelbau der klassischen Zeit, der der frühen römischen Kaiserzeit, schließlich die frühchristliche Basilika. Diese exemplarische Vorgehensweise zielt darauf, den architektonisch-plastischen Stil als Ausdruck einer jeden Epoche aufzufassen, und zwar unter einem besonderen Gesichtswinkel: Jede architektonische und plastische Form, unterstellt Riegl, ist auf ein ganz spezielles Raumerfassungs- und Sehbedürfnis der Menschen hin gebildet, die in der fraglichen Epoche gelebt haben. Die altägyptische Statue, bemerkt Riegl beispielsweise, mache aus der Ferne einen leblosen Eindruck; komme man ihr jedoch näher, gewinne sie Lebendigkeit und Plastizität, »bis man endlich die Feinheit der Modellierung im vollsten Maße erst dann gewahr wird, wenn man die Fingerspitzen betastend darüber hinweggleiten läßt.«127 Erst der Tastsinn verrate in diesem Falle die künstlerische Bearbeitung und Formgebung des Stoffes. Die Gewahrwerdung der Form durch den Tastsinn, schließt Riegl, müsse einem autonomen Wahrnehmungsbedürfnis (»Wollen«) der Menschen dieser altägyptischen Epoche entsprochen haben. Dies lehre auch die Beobachtung, daß den Plastiken jede ausladende Form fehle. Tiefe und ausladende Form zerstören die Symmetrie. Den Menschen jener Zeit müsse es auf die Erzeugung symmetrischer Körper- und Raumformen, wie sie in den Pyramiden vorliegen, angekommen sein (»Kunstwollen«). Als »taktisch« 128 und »nahsichtig« bestimmt Riegl dieses Wahrnehmungs- und Kunstwollen. Die Griechen der klassischen Zeit gestanden Ausladungen zu. Die Symmetrie hatte eine Lockerung erfahren; Riegl sieht zwischen der Nahsicht und der Fernsicht (als Körper im Raum lassen sich die Pyramiden nur aus der Ferne erfassen) eine Distanz aufgerichtet, und zwar in der Mitte, bestimmt sie 127 128

A. Riegl: Spätrömische Kunstindustrie. Wien 2 1927. S. 32. A. Riegl: Spätrömische Kunstindustrie. S. 32. Benjamin hatte ursprünglich den Ausdruck »taktisch« übernommen; das zeigt den engen Bezug in actu beim Verfassen der Kunstwerkthesen. Wolfgang Kemp hat in seinem Aufsatz darauf hingewiesen. In den G. S. haben die Herausgeber durchgehend für »taktisch« taktil eingesetzt. Weil Riegl bei der Neuauflage seiner Studie die Mißverständlichkeit seines Begriffs zugab, ist auch im Folgenden in der Referierung »taktil« verwandt.

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als »Normalsicht« und »optisch-taktile« Auffassung von Körper und Raum. Statt nun die Ausgewogenheit als Fortschritt per se anzuerkennen, zeigt er auf, daß der Tempelbau noch, genau wie bei den Ägyptern, allein eine Raumbegrenzung gegen die umgebende Natur ist und keine eigene Raumbildung im Innern hervorgebracht hat. Erst die frühe römische Kaiserzeit habe dies »gewollt«: Im Pantheon sei der Raum »gleichsam als kubischer Stoff« 129 gestaltet. Wenn nun gemessen an der Architektur des Pantheon die frühchristliche Basilika diese Raumwirkung nicht »mehr« erreicht und »häßlich« scheint, sei es genauso falsch, hierin einen Verfall zu sehen, wie es entstellend ist, die ägyptische Statue an der Harmonie der praxitelischen zu messen. Die Menschen der späten römischen Kaiserzeit, führt Riegl aus, hätten zum ersten Mal die Dreidimensionalität des Raumes erzeugen wollen, und dieses selbe Wahrnehmungs- und Kunstwollen erkenne man an ihren kleinen Skulpturen und an den Heiligenbildern: die gemalten Figuren scheinen von der Ebene gleichsam abzurutschen, ihre Körperproportionen sind >verzerrtmodernen< Journalismus auf der Ebene der Politik und Geschichtsschreibung ausbreitet: »Die Information aber macht den Anspruch auf prompte Nachprüfbarkeit. Da ist es das erste, daß sie >an und für sich verständlich< auftritt. Sie ist oft nicht exakter als die Kunde früherer Jahrhunderte es gewesen ist.«139 Nur, so läßt sich dieser Gedanke weiterführen, konnte die Kunde weitererzählt werden und das historisch Erfaßte über den Vorgang des Erzählens ins kollektive Bewußtsein gelangen. Die in der Zeitung und der Illustrierten reproduzierte Fotografie erhebt genau wie die Filmwochenschau Anspruch auf Dokumentarcharakter. Die sprachliche Bearbeitung des Geschehens in der Information, die optische im Pressefoto, die Bandaufzeichnungen von Radioreden der Politiker - dies konservierte, technisch gespeicherte Material in seiner Gesamtheit gibt vor, Beleg 136

G. S. I, 2; S. 461. Erst These XIII der 2. deutschen Fassung nimmt Bezug auf Freud, u. z. auf dessen Psychopathologie des Alltagslebens (G. S. I, 2; S. 498). Aber auch das geschieht, wie Benjamin in Über einige Motive bei Baudelaire Freud mit Valerys zivilisationskritischen Einsichten >koinzidieren< sieht, nicht derart, als würde er glauben, ein fehlendes Glied in seiner Fassung vom »gesellschaftlich-optisch Unbewußten« gefunden zu haben: Freud »illustriert... von anderer Seite«. 137 G. S. II, 2; S. 752. Erwiderung an Ο. Α. H. Schmitz (H. v. m., C. K.) Vorangehend heißt es über den Film und seine Gebrauchsfunktion: »Wirklich entsteht mit ihm eine neue Region des Bewußtseins.« 138 G. S. II, 3; S. 1285. 139 G. S. II, 2; S. 444.

138

des gesamten

Weltgeschehens

zu

sein,

historiografisch

minutiös

rekon-

struierbar. Eine g a n z e Schicht realer V o r g ä n g e ist damit ad acta gelegt, sie bleibt kollektiv unverarbeitet; w e n n es nicht schon, w i e in der F i l m w o c h e n schau und d e m Pressefoto üblich, scheinhafte und lügnerische D o k u m e n t e sind, so schirmt sie ihre F o r m d a v o n ab, e r f a h r e n d n a c h v o l l z o g e n und erzählt werden zu können. »Film

statt E r z ä h l u n g « 1 4 0

lautet B e n j a m i n s Vorschlag zur

Meisterung

dieses kollektiven U n b e w u ß t e n f ü r das K o l l e k t i v , dessen W a h r n e h m u n g s weise durch die Schule der technischen Naturbeherrschung g e g a n g e n ist. W e n n B e n j a m i n in den T h e s e n auch die Strukturelemente, die den F i l m zur Beherrschung und Entmündigung seines Massenpublikums tauglich machen, 141 nicht unterschlägt, so schließt er doch nicht von der die Kunstform benutzenden Ideologieträgerschaft, wie Star- und Führerkult, d i r e k t e r Propaganda oder rührseliger Unterhaltung, auf die Ideologie und die Massenbeherrschungsmittel des Faschismus. Beim A u f w e i s des Funktionswechsels der Kunst an der F i l m f o r m geht es u m die Freilegung einer ästhetischen G e brauchsfunktion, die noch » v e r b o r g e n « , noch in der Entstellung gehalten ist. D e r Faschismus, das ist der aktuelle K e r n in B e n j a m i n s V e r m i t t l u n g v o n technischem K u n s t w o l l e n und gesellschaftlichen U m w ä l z u n g e n , befestigt seine Herrschaft in den Lücken, die die z w e i t e N a t u r z u n e h m e n d p r o d u z i e r t und verspricht den Massenbedürfnissen und der veränderten A p p e r z e p t i o n s weise taktil, durch Einsatz v o n >Menschenmaterial< i m K r i e g , n a c h z u k o m men. D o c h ist diese K o n s e q u e n z , die versprochene Erweiterung Riegls, v o n der Formanalyse des F i l m s separiert und in der 19. Kunstwerkthese aus ö k o nomiekritischen Bestimmungen der Gesellschaftsentwicklung g e f o l g e r t . D e n V o r g a n g des Funktionswechsels, der A b l ö s u n g der Kunst aus i h r e m sakralen Bezugsnetz und ihr Einsatz in ein politisches, erfaßt B e n j a m i n in den B e g r i f f e n » K u l t w e r t « und » A u s s t e l l u n g s w e r t « . I n ihnen geht es letztlich um das Verhältnis des M e n s c h e n zur Natur und ihrer Beherrschbarkeit; und darüberhinaus, i n w i e w e i t der Bereich des Ästhetischen als P r o d u k t i o n und A p p e r z e p t i o n , sei er religiös oder p r o f a n » f u n d i e r t « , in j e d e m Fall zur A n e i g nung der N a t u r gehört, als integrierter Bestandteil der gesellschaftlichen Produktion und Erkenntnis. 140 141

G. S. II, 3;S. 1282. These 13 formuliert ein Recht: »Jeder heutige Mensch hat einen Anspruch gefilmt zu werden.« (G. S. I, 2; S. 455). Pervertiert sieht Benjamin dieses Recht im Starkult: der Film könnte nämlich die Geschichte der Vorgänge aufzeichnen, deren Subjekte die Massen sind; ζ. B. die der Produktion, deren kompetente Autoren sie seien. Dem stünde aber die Verwertung des Films in den westlichen Ländern entgegen wie »auch die Arbeitslosigkeit, welche große Massen von der Produktion ausschließt, in deren Arbeitsgang sie in erster Linie ihren Anspruch auf Reproduktion hätten.« (G. S. I, 2; S. 456). Auch These 12, die die »Sieger« der neuen Technik zitiert: Champion, Star und Diktator (S. 455), läßt erkennen, wie Benjamin die Entstellungen immer von der verdeckten Rückseite, einem potentiellen revolutionären Gebrauch, sichtet.

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«Die revolutionäre Gebrauchsfunktion im taktilen Kunstwollen erhellt Benjamins Verweis auf die keineswegs herrschaftsfreie Gebrauchsfunktion der Kunst in einer Gesellschaft, die die Naturkräfte mit magischen Praktiken zu binden suchte. Unter diesem Gesichtspunkt arbeitet er mit der Epochenbezeichnung »Urzeit«: »Wie nämlich in der Urzeit das Kunstwerk durch das absolute Gewicht, das auf seinem Kultwert lag, in erster Linie zu einem Instrument der Magie wurde, das man als Kunstwerk gewissermaßen erst später erkannte, so wird heute das Kunstwerk durch das absolute Gewicht, das auf seinem Ausstellungswert liegt, zu einem Gebilde mit ganz neuen Funktionen, von denen die uns bewußte, die künstlerische, als diejenige sich abhebt, die man später als eine beiläufige erkennen mag.« 142 Angesichts des in der zweiten Natur entstandenen gesellschaftlichen Unbewußten ist in den Kunstwerkthesen unter neuem Vorzeichen implizit die im neunzehnten Jahrhundert im Unfruchtbaren versandete Debatte darüber, ob die Kunst Nachahmung der Natur sei, aufgegriffen; u. z. durch ihre unausgesprochene negative Ausrichtung auf die Realismuskonzeption des >großen sozialistischen Kunstwerks< und dadurch, daß, wie in der ersten These gefordert, die Begriffe »Schöpfertum, Genialität, Ewigkeitswert und Geheimnis« beiseite gelassen sind. Schon Riegl, der durch seine Fragestellung und sein Umwertungsverfahren jede Genieästhetik ausschloß, gelang eine unerwartete Antwort, als er es unternahm, sich zumindest dem »Naturalismus« der griechischen Klassik zu stellen. »Jeder Kunststil strebt eben nach treuer Wiedergabe der Natur und nichts anderem, aber jeder hat eben seine eigene Auffassung von der Natur, indem er eine ganz bestimmte Erscheinungsform derselben (taktisch oder optisch, Nahsicht, Normalsicht oder Fernsicht) im Auge hat.« 143 Von der Kunstform Film und der taktilen Apperzeptionsweise in der industriell-technisch angeeigneten Natur spricht eine Notiz Benjamins: »Die Kunst ist ein Verbesserungsvorschlag an die Natur, ein Nachmachen, dessen verborgenstes Innere ein Vormachen ist. Kunst ist, mit andern Worten, vollendende Mimesis.« 144 Der Gedanke führt die rezeptiv-produktive »Auffas142

G. S. I, 2; S. 484 (2. dt. Fassung der Thesen). A n diese Stelle anschließend zitiert Benjamin in der Fußnote aus Brechts Dreigroschenprozeß »analoge Überlegungen [ . . . ] auf anderer Ebene«: »Ist der Begriff Kunstwerk nicht mehr zu halten für das Ding, das entsteht, wenn ein Kunstwerk zur Ware verwandelt ist, dann müssen wir vorsichtig und behutsam, aber unerschrocken diesen Begriff weglassen, wenn wir nicht die Funktion dieses Dinges selber mitliquidieren wollen, denn durch diese Phase muß es hindurch, und zwar ohne Hintersinn, es ist kein unverbindlicher Abstecher vom rechten Weg, sondern was hier mit ihm geschieht, das wird es von Grund auf ändern, seine Vergangenheit auslöschen, so sehr, daß, wenn der alte Begriff wieder aufgenommen werden würde - und er wird es werden, warum nicht? - keine Erinnerung mehr an das Ding durch ihn ausgelöst werden wird, das er einst bezeichnete.«

143

A. Riegl: Spätrömische Kunstindustrie. S. 394. G . S . I, 3 ; S . 1047.

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sung von der Natur«, wie Riegl sie formulierte, in eine Aktivität gegenüber der Natur fort. Und genau in diesem Sinne haben Kandinsky und Mondrian, Klee und Moholy-Nagy ihre Arbeit des »Entwurfs« und der »Konstruktion« verstanden. Sie kann, als Antizipation in der Kunst, Unsichtbares, sei es gesellschaftlich Verdrängtes, sei es ein noch nicht Vorhandenes, optisch wahrnehmbar machen. Dafür nimmt sie, obwohl ihre Bestimmung eine andere ist, die vorläufige Entfernung vom Massengeschmack in Kauf.

7. Gebrauchsfunktion des Films, zeitgenössische Avantgarde, Kunstwerke der Vergangenheit Die Reproduktionsverfahren seien Verkleinerungsmittel, das war Adrienne Monniers Idee, die Benjamin zur Theorie des technisch reproduzierten Kunstwerks leitete. Der Film und auch die Fotografie lassen den architektonischen Raum der Stadt auf Handtaschenformat zu bringen zu, und so, verkleinert und reproduziert, in seinen G e n u ß und seine Erkennbarkeit gelangen. Fotografien von Landschaften ergeben immer nur Gemälde, sagt Susan Sontag, während die Ungegenständlichkeit in der Malerei dort anfängt, wo sie sich um die Gegenständlichkeit des großstädtischen Raums bemüht, bei van Gogh zum Beispiel. Daran anschließend wäre die These diskutierenswert, daß der ganze Komplex der zweiten Natur in der Gestalt der hochtechnisierten Industriegesellschaften einer ästhetischen Verarbeitung nur im Film gelingt. Erfahrungen, die Menschen an rotierenden Maschinen, im Auto, Flugzeug, in Hochhäusern und Satellitenstädten, in bewässerten Wüsten oder im Kanalsystem einer Großstadt machen können, lassen sich anders als fotografisch kaum >beschreibenfehlerhaften< Aufnahmen. (Vergl. L. Moholy-Nagy: Malerei, Fotografie, Film. S. 26). - Siehe dazu auch G. S. III, S. 151/52: Benjamin spricht in der Rezension zu Karl Bloßfeldts Urformen der Kunst. Photographische Pflanzenbilder von einem »Geysir neuer Bilderwelten« und führt dabei, wie auch in der Kleinen Geschichte der Photographie, Moholys »Prophetie« an: »Nicht der Schrift- sondern der Photographieunkundige wird der Analphabet der Zukunft sein.«

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kleinerungsmittel der künstlich geschaffenen Natur potentiell die Mittel, um in deren Genuß und Beherrschung zu kommen. Wie Benjamin nun den Verbesserungsvorschlag an die technische Erscheinungsform der Natur über den Film denkt, zeigt folgende Passage:146 Unter den gesellschaftlichen Funktionen des Films ist die wichtigste, das Gleichgewicht zwischen dem Menschen und der Apparatur herzustellen. Diese Aufgabe löst der Film durchaus nicht nur auf die Art wie der Mensch sich der Aufnahmeapparatur sondern wie er mit deren Hilfe die Umwelt sich darstellt. Indem er durch Großaufnahmen aus ihrem Inventar, durch Betonung versteckter Details an den uns geläufigen Requisiten, durch die Erforschung banaler Milieus unter der genialen Führung des Objektivs auf der einen Seite die Einsicht in die Zwangsläufigkeiten vermehrt, von denen unser Dasein regiert wird, kommt er auf der andern Seite dazu, eines ungeheueren und ungeahnten Spielraums uns zu versichern. Unsere Kneipen und Großstadtstraßen, unsere Büros und möblierten Zimmer, unsere Bahnhöfe und Fabriken schienen uns hoffnungslos einzuschließen. Da kam der Film und hat diese Kerkerwelt mit dem Dynamit der Zehntelsekunden gesprengt, so daß wir nun zwischen ihren weitverstreuten Trümmern gelassen abenteuerliche Reisen unternehmen. Unter der Großaufnahme dehnt sich der Raum, unter der Zeitlupe die Bewegung in ihm. So wird handgreiflich, daß es eine andere Natur ist, die zu der Kamera als die zum Auge spricht. Anders vor allem so, daß an die Stelle eines vom Menschen mit Bewußtsein durchwirkten Raums ein unbewußt durchwirkter tritt.

Was als »Verbesserungsvorschlag« gemeint ist, bestünde diesen Beschreibungen zufolge darin, die Verdrängungen in der technischen Naturbeherrschung auf den Maßstab des menschlichen Körpers zu bringen. Unter dem Aspekt des Verhältnisses der Kunst zur Natur stellen die Kunstwerkthesen viel weniger eine Psychologie des Kinos als eine Anthropologie der industriell hochentwickelten Gesellschaften des Kapitalismus dar.147 Aus berechtigten Gründen beruft sich diese Anthropologie auf Marx: wie dessen ökonomiekritische Gesellschaftsanalyse die höchstentwickelte Stufe der kapitalistischen Produktionsverhältnisse durchdringen wollte, so wollen die Kunstwerkthesen ein entsprechend hochentwickeltes Produktionsverhältnis zwischen geistiger Produktion und Rezeption, Kunstprodukt und zweiter Natur greifbar machen. Marxistisch ist Benjamins Zugang weiter zu nennen, da in ihm durchgängig die Konstituierung dieser zweiten Natur ökonomiekritisch begriffen ist: die Bedrohungen im städtischen Raum und im Alltagsleben der Massen können in ein akutes Stadium treten, weil der kapitalistischen Produktion der 146

G. S. I, 2; S. 460/61. Die entsprechende Passage zu »Unsere Kneipen und Großstadtstraßen. . . « findet sich in der Erwiderung an Ο. Α. H. Schmitz (G. S. II, 2; S. 752), und ist auf S. 138 angeführt. 147 Wie Adrienne Monnier schrieb, soll Andre Malraux von den Kunstwerkthesen zu seiner Kurzstudie »Esquisse d'une psychologie du cinema« (in: Malraux, Scenes choisies, Paris (Gallimard) 1946) angeregt worden sein. Μ. E. bestehen aber gerade in den anthropologischen Dimensionen dieser beiden Arbeiten keine Verbindungen. Malraux ist in einem anderem Kontext auf die Kunstwerkthesen eingegangen. (Dazu S. 177f.).

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Krisenzyklus inhärent ist.148 Und Krieg ist für Benjamin der imperialistische Krieg, der den Klassenkampf auf seiner entwickelten Stufe ausschalten will. Neben der gewaltsamen einseitigen ökonomischen Bereicherung verspricht er gleichzeitig Stillstand und Zusammenhalt im Innern der krisenbetroffenen Klassengesellschaft. Allerdings, und das ist dem ökonomischen Primat des Marxismus nach >unmarxistischTheologie< in Benjamins geschichtsphilosophischem Denken gewertet wird und die in so großem Widerspruch zum >Materialismus< der Kunstwerkthesen stehen soll: »Die Geschichte der Kunst ist eine Geschichte von Prophetien. Sie kann nur aus dem Standpunkt der unmittelbaren, aktualen Gegenwart geschrieben werden; denn jede Zeit besitzt die ihr eigene neue aber unvererbbare Möglichkeit, die Prophetien zu deuten, die die Kunst von vergangenen Epochen gerade auf sie enthielt.« Zwar ist der Zugang, an literarischen Kunstwerken und Kunstformen der Vergangenheit die Gegenwart zu erkennen, »weil die innersten Strukturen des Vergangenen 147

den Begriff der Geschichte das Kunstwerk thematisch ist, knüpft Benjamin an diesen Punkt an. Diese fordern, vom einzelnen Kunstwerk der Vergangenheit aus die Universalgeschichte »gegen den Strich« auf die bedrohte Gegenwart zu kehren. Es kann in seiner Bedeutung gar nicht überschätzt werden, diesen Umschlagspunkt in den Kunstwerkthesen selbst zu finden. Benjamins Hinwendung zu den Kunstwerken der Vergangenheit für die aktuelle Gegenwartserkenntnis wird bislang als Gegensatz zu, wenn nicht als Widerruf der in der Reproduktionstheorie bekundeten Haltung zum Kunstwerk und zum historischen Materialismus gewertet; diese Hinwendung zur Vergangenheit wird, einseitig, als theologische Substanz in Benjamins Denken identifiziert. Daran anknüpfend wird das lukrative Vorurteil vom in sich widersprüchlichen Denker der Nachwelt präsentiert. 164 »Widerspruch« ist dabei in einer Zweideutigkeit belassen, die zum dialektischen Verständnis des Widerspruchs nicht ja sagt, aber auch nicht offen sich moralisch Widersprechendes - sei es in der geistigen, sei es in der politischen Haltung Benjamins - an den Pranger zu stellen wagt. Und deswegen steckt ein beliebig wendbares Element der Denunziation in dieser These vom Widerspruch. Weil Benjamin selbst von den »Polen« seines Denkens gesprochen hat, ist damit zu rechnen, daß weiterhin mit dem Widerspruchsbegriff operiert wird; dann sollte er aber auf die Sache angewandt werden, der Benjamins denkendes Bemühen gegolten hat: zum einen der Zustand des Kunstwerks und eines ästhetischen Kollektivvermögens, zum andern eine gesellschaftliche Verfassung in politischen Gewaltverhältnissen, die im Begriff steht, sich jener beiden Formen des Ästhetischen vollständig zu entledigen. Die Geschichte führte, was Benjamin zu benennen versuchte, herbei und übertraf es. Der Zweite Weltkrieg und das in ihm freigesetzte Zerstörungspotential haben sich bislang jeder durchgreifenden Verarbeitung intellektueller Art entzogen. Der Generationsbruch in der Wissenschaft, Literatur, ganz zu schweigen von dem in der Bevölkerungsgesamtheit, ist ohnegleichen. Wohl gleicht der heutige Zustand der Kunst deren »Ende«, das in den zwanzisich jeder Gegenwart nur in dem Licht erhellen, das von der Weißglut ihrer Aktualitäten ausgeht« (G. S. III, S. 97. Rezension von 1928), schon in der »Erkenntniskritischen Vorrede« zu Ursprung des deutschen Trauerspiels dargelegt; hier jedoch als Radikalisierung eines literaturgeschichtlichen Verfahrens. Dieses steht noch nicht an der Leerstelle der zeitgenössischen Kunstproduktion. Einen solchen Schritt hat Benjamin auch nie endgültig vollzogen, nur wird seine Bezugnahme auf diese wachsend sporadisch. 164 G. Scholem, Geschichte, S. 250. Der Autor spricht von »jenem >JanusgesichtUnrecht an der Macht< oder der >Rückfall in die Barbarei< ist. Sie verträgt sich soweit aber mit der Faschismusauffassung im kommunistischen Lager; sei es mit der der Dimitroffthesen von 1935, daß der Faschismus die letzte Gewaltherrschaft der reaktionärsten Kreise der Bourgeoisie< wäre; sei es mit der diesen Thesen vorangegangenen, die in ihm das schnell vorübergehende letzte Verfallsstadium der kapitalistischen Klassenherrschaft sah. Beiden Theoremen gegenüber bestünde Benjamins Erweiterung soweit nur darin, »neuentstandne proletarische Massen« als diejenigen zu erfassen, die den Faschismus tragen oder ihn stürzen. Innerhalb der ökonomiekritischen Begriffsverwendung nimmt Benjamin aber noch eine Erweiterung vor: er hypostasiert, daß in der gesellschaftlichen Grundlage des Kapitalismus (der ökonomischen und historischen Entwicklung der Produktivkräfte; nicht nur der Interessenkoalition zwischen NSDAP und Waffenfabrikanten) Krieg ein integrierter Bestandteil ist:168 Wird die natürliche Verwertung der Produktivkräfte durch die Eigentumsordnung hintangehalten, so drängt die Steigerung der technischen Behelfe, der Tempi, der Kraftquellen nach einer unnatürlichen. Sie findet sie im Kriege, der mit seinen Zerstörungen den Beweis dafür antritt, daß die Gesellschaft nicht reif genug war, sich die Technik zu ihrem Organ zu machen, daß die Technik nicht ausgebildet genug war, die gesellschaftlichen Elementarkräfte zu bewältigen. Der imperialistische Krieg ist in seinen grauenhaftesten Zügen bestimmt durch die Diskrepanz zwischen gewaltigen Produktionsmitteln und ihrer unzulänglichen Verwertung im Produktionsprozeß (mit andern Worten durch die Arbeitslosigkeit und den Mangel an Absatzmärkten). Er ist ein Sklavenaufstand der Technik, die am >Menschenmaterial< die Ansprüche eintreibt, denen sich die Gesellschaft entzogen hat.

Benjamin knüpft hier deutlich an die bis zu den Dimitroffthesen diskutierten Imperialismustheorien Rosa Luxemburgs und Lenins an; sowohl Deutschland wie das faschistische Italien stellten vom Beginn der jeweiligen Machtübernahme an Eroberungsansprüche, beide waren im klassischen Sinne imperialistische Mächte. Das ist aber für Benjamin nur der Anknüpfungspunkt. Die Kriegslatenz verlagert er in die Produktivkraft Technik selbst. »Der Krieg und nur der Krieg macht es möglich, Massenbewegungen größten Maßstabs unter Wahrung der überkommenen Eigentumsverhältnisse ein Ziel zu geben. So formuliert sich der Tatbestand von der Politik her. Von der Technik her formuliert er sich folgendermaßen: Nur der Krieg macht es mög167 168

G. S. I, 2 ; S . 467. G. S. I, 2 ; S . 468/69.

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lieh, die sämtlichen t e c h n i s c h e n Mittel der Gegenwart unter W a h r u n g der Eigentumsverhältnisse zu mobilisieren.« 1 6 9 B e n j a m i n geht hier v o n der » A p o theose des Krieges« 1 6 9 durch die faschistischen Machthaber aus u n d übersetzt diese A p o t h e o s e zurück in solche dialektische S p a n n u n g p o l i t i s c h e n Stillstands. D i e Mittel, den entwickelten Klassenkrieg i m Stillstand und gleichzeitig die Massen für die Kriegsführung einsatzbereit zu halten, sind als d i e einer »Ästhetisierung der Politik« bezeichnet: B e n j a m i n erwähnt dazu den Einsatz der technischen Reproduktionsmittel für die A b b i l d u n g v o n M a s s e n bei »großen Festaufzügen, den M o n s t r e v e r s a m m l u n g e n « bei sportlichen Massenveranstaltungen und i m Krieg. N i c h t der faschistische Staat ist hier als Kunstwerk gesehen, 1 7 0 sondern seine kulturelle A p o t h e o s e in d e n T e c h n i k e n der Massenbeherrschung, ästhetische in politischer Funktion, die d e n veränderten W a h r n e h m u n g s b e d ü r f n i s s e n der » n e u entstandnen proletarisierten Massen« nachkämen. D a s gesellschaftliche Verhältnis, das in d e n V e r ä n d e r u n g e n der W a h r n e h m u n g seinen Ausdruck findet, wäre also - a n dieser Stelle mit 169 170

G. S. I, 2; S. 467/68. So stellt Martin Jürgens es von der Verbindung zwischen Reproduktionstheorie mit dem Topos von der »Ästhetisierung der Politik« aus dar. (M. Jürgens: Bemerkungen zur »Ästhetisierung der Politik«. In: Jürgens, Lepenies u. a., Ästhetik und Gewalt. Gütersloh 1970. S. 19). - Von anderer Seite, nämlich von einem »scheinhaften Moment« im Kulturbegriff aus (»wenn das Leben von seinen Notwendigkeiten und Nützlichkeiten zu einem über diesen stehenden Gebilde geworden ist, erst dann gibt es Kultur,« so der Soziologe Alfred Weber 1912), stellte Benjamin im Aufsatz über Eduard Fuchs, der Sammler und Historiker die Ästhetisierung der Politik fest: »Fünfundzwanzig Jahre, nachdem das gesagt wurde, haben Kulturstaaten es als ihre Ehre in Anspruch genommen, solchen Kunstwerken zu gleichen, solche zu sein.« (G. S. II, 2; S. 476). Als Kunstwerk allerdings hat Goebbels, und zwar in den Kategorien der Genieästhetik, den staatlichen Grundsatz der Massenbeherrschung durch den »Führer« als Variation auf den Grundsatz »Männer machen die Geschichte« beschrieben: »Es würde falsch verstanden sein, wenn man meinen wollte, daß der Mann ausschließlich und allein bestimmend ist für die politische und historische Gestaltung des Völkerlebens. Es ist dahin zu verstehen, daß Männer die Rohstoffmasse formen, daß die Rohstoffmasse an sich nicht berufen ist, politische Gestaltungen zu leiten und zu führen, daß es hierzu der ordnenden Hand der schöpferischen Einzelpersönlichkeit bedarf. Der Politiker ist ein Künstler. Für ihn ist die Rohstoffmasse immer nur bildsamer Stoff. Vielleicht ist das größte Ergebnis einer politischen Arbeit, aus der Rohstoffmasse Mensch ein Volk zu formen und dieses Volk dann emporzuheben zu nationalpolitischer Bedeutsamkeit.« (J. Goebbels: Der Faschismus und seine praktischen Ergebnisse. Berlin 1934. Schriften der Deutschen Hochschule für Politik. Hg. von Paul Meier-Benneckenstein. S. 7.) Benjamin schreibt: »Mit d'Annunzio hat die Dekadence in die Politik ihren Einzug gehalten, mit Marinetti der Futurismus und mit Hitler die Schwabinger Tradition.« (G. S. I, 2; S. 467) Hitler, der einzige Politiker in der Reihe der Erwähnten, verkehrte in den frühen zwanziger Jahren im Salon der Elsa Bruckmann. (Zu deren Verbindungen mit Schuler und Klages s. W. Fuld: Die Aura. S. 362. Fuld konstruiert eine positive Affinität Benjamins zu Klages im Begriff »Aura« und sieht großzügig über Benjamins Bestimmungen des »Verfalls der Aura« in der »Ästhetisierung des politischen Lebens« hinweg.)

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Benjamin in Erweiterung der Riegischen Methodik gedacht - der noch-stillgestellte Krieg. Dieser Rückschluß vom Wahrnehmungswollen auf die gesellschaftliche Entwicklungstendenz ist Benjamin nur möglich, weil er die destruktive Tendenz in die gesellschaftliche Produktivkraft Technik schon vorher zurückverlagert hat. Ansonsten ist sein Verfahren problematisch: über das faschistisch gelenkte Wahrnehmungswollen der Massen, die Formierungs- und Propagandatechniken, »Ausdruck« der Konservierung der Eigentumsverhältnisse, ist so gut wie nichts ausgesagt. Und um den Krieg als Kehrseite dieses Zustande, als »Sklavenaufstand der Technik« anschaulich werden zu lassen, zitiert Benjamin aus Marinettis Manifest zum Äthiopischen Krieg von 1935 und schließt von Marinettis Poetisierung des Krieges zurück auf die Kriegstendenz: und zwar weil der zerstörerische Umgang mit der Technik den ästhetischen Massenbedürfnissen auch entspreche. »>Fiat ars - pereat mundus< sagt der Faschismus und erwartet die künstlerische Befriedigung der von der Technik veränderten Sinneswahrnehmung, wie Marinetti bekennt, vom Kriege. Das ist offenbar die Vollendung des l'art pour l'art. Die Menschheit, die einst bei Homer ein Schauobjekt für die olympischen Götter war, ist es nun für sich selbst geworden. Ihre Selbstentfremdung hat jenen Grad erreicht, der sie ihre eigene Vernichtung als ästhetischen Genuß ersten Ranges erleben läßt.«171 Die neunzehnte Kunstwerkthese läßt sich nicht anders verstehen, als daß abschließend, nach dem Aufweis latenter ästhetischer Produktivität der Massen auf der Basis des »Verfalls der Aura«, Benjamin über den Kurzschluß des taktilen Wahrnehmungswollen mit ökonomischen und politischen Tendenzen auf ein vernachlässigtes Gefahrenpotential aufmerksam machen will. Jede faschistische Regierungsform des zwanzigsten Jahrhunderts hat die Klassenauseinandersetzungen im Innern auf Eis gelegt, und schon allein deswegen kann aus einem latenten Bürgerkrieg ein offener oder auch ein Angriffskrieg werden. Aber ob Krieg in diesem letzten Fall die Befriedigung der von der Technik veränderten Sinneswahrnehmung ist, bleibt fragwürdig. Fragwürdig zumindest ist eine solche Konklusion in ihrer gesellschafts- und bewußtseinstheoretischen Anwendbarkeit. Die Gründe von Benjamins Kurzschließen kunsttheoretischer und ökonomiekritischer Aussagen über den Faschismus im Anschluß an seine positive Funktionsbestimmung des Films lassen sich aufweisen: der eine liegt in seinen genaueren, in den Thesen nicht erwähnten, Vorstellungen von der Kunstpolitik des Faschismus; auf den politischen Einsatz des Monumentalstils geht er in Αηάτέ Gide und sein neuer Gegner ein, hier wird ersichtlich, worin der Faschismus den Massen einen »Ausdruck« in der Konservierung der Eigentumsverhältnisse schafft. Der andere Grund liegt im taktischen Einsatz der Thesen, ihrer eigenen Zielgerichtetheit. 171

G. S. I, 2; S. 469.

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Ende des Jahres 1934 erschien Erbschaft dieser Zeit von Ernst Bloch. Benjamin legte die Vorbehalte, die er gegen dieses Buch hatte, in seiner Korrespondenz dar.172 Dessen thematisches Kernstück liegt in der Theorie der »Ungleichzeitigkeit«: in einer Strategie der Befreiung vom Faschismus könne die Theorie der Revolution, der Marxismus, nicht allein vom »gleichzeitigen Widerspruch«, dem der Klassen untereinander und dem des Proletariats zum Produktionsverhältnis, der mit dem Fortschreiten der Geschichte auf eine revolutionäre Zukunft hinarbeite, ausgehen; der Marxismus dürfe vor allen Dingen die »ungleichzeitigen Widersprüche«, die unabgegoltenen historischen Reste der deutschen Geschichte, die Verelendung der Bauernschaft und der neuer Zwischenschichten, dem Faschismus nicht allein als Potential zurechnen ; und ihm vor allen Dingen nicht überlassen. An Siegfried Kracauer schrieb Benjamin: wäre das Buch geglückt, so wäre es eines der wichtigsten Bücher der letzten dreißig oder auch hundert Jahre geworden. Der Gegenstand habe auf der Hand gelegen und trete in den Kapiteln über die Ungleichzeitigkeit auch deutlich heraus; er sei aber ansonsten durch den Mangel an Konzentration zersetzt, durch Blochs altes Verfahren, das philosophische Stellungnahme zu allem und jedem sei. Vor allen Dingen aber wäre von der Theorie der Ungleichzeitigkeit aus auch der Partner der Rede ungleichzeitig aufzurufen gewesen, meinte Benjamin, und dieser P a r t n e r sei das K u l t u r b ü r o d e r Κ. P . : die Dinge, um die es hier gehe, ließen sich nicht im hohlen Raum richtigstellen, sie verlangten ein Forum und forensische Beweismittel. Bloch habe dies umgangen. 173 Diesem Forum hat sich Benjamin mit den Kunstwerkthesen gestellt. Die Ausrichtung auf dieses Forum hat von ihm den kurzschließenden Gebrauch 172

Benjamin schrieb am 6.2.1935 an Alfred Cohn: »Der schwere Vorwurf, den ich dem Buch mache (wenn auch nicht dem Verfasser machen werde) ist daß es den Umständen, unter denen es erscheint, in garkeiner Weise entspricht sondern so deplaziert auftritt wie ein großer Herr, der, zur Inspektion einer vom Erdbeben verwüsteten Gegend eingetroffen, zunächst nichts eiligeres zu tun hätte als von seinen Dienern die mitgebrachten [...] Brokat- und Damastgewänder sich umlegen zu lassen. Selbstverständlich hat Bloch ausgezeichnete Intentionen und erhebliche Einsichten. Aber er versteht es nicht, sie denkend ins Werk zu setzen. Seine übertriebenen Ansprüche hindern ihn daran.« (Br., S. 648/49). Scholem gegenüber hatte Benjamin offensichtlich kein Interesse, die Grundsätzlichkeit seiner Kritik an Blochs Buch mit ihren politischen Implikaten darzulegen. Ob Scholem es zur Kenntnis genommen habe, frug Benjamin bei Erscheinen des Buchs zwar nach, kam aber auf »Einbruchsversuche« Blochs in den Themenkreis der eigenen Passagenarbeit erst Monate später zu sprechen; und zwar anläßlich der Gespräche mit Bloch bei dessen Parisaufenthalt im Sommer 1935 wegen des »Kongresses zur Verteidigung der Kultur«. (Vergl. Briefwechsel, S. 197 und 203; an Scholem, Briefe vom 20.5. und 9.8.1935).

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An Siegfried Kracauer, Brief vom 15. Januar 1935. Deutsches Literaturarchiv Marbach/Neckar, Nachlaß S. Kracauer. Benjamin akzentuiert an dieser Stelle: was von Haus aus eine Klage und Anklage gewesen sei, habe sich so in eine Reihe von Beschwerden verzettelt. - Gerade dies erschien ihm von höchster Wichtigkeit, und es wirft ein Licht auf die eigenen Kunstwerkthesen und ihre politische Anklage.

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der kunsttheoretischen Begriffe verlangt: der Faschismus tritt als politische Vollendung des l'art pour l'art auf, die in den Krieg münde; der Krieg wird aber gleichzeitig aus den Widersprüchen der Ökonomie und der Klassenkampfpraxis marxistisch erfaßt. Darin liegt sein Beweismittel aus dem Bereich der Politik; es zeugt gegen die einfache Gleichsetzung der Tradition der Decadence mit »Vorläufern des Faschismus«, die in der Literaturdirektive des kommunistischen Lagers spätestens seit dem Moskauer Kongreß von 1934 mit Karl Radeks Beitrag gegen Joyce verbindlich wurde; auch Bloch argumentierte in seinem Buch gegen solche fatalen Gleichsetzungen. Benjamins anderes Beweisstück ist der Film, der auf mühelosere Art zustande bringt, was in der >Tradition der Decadence< mit noch unvollkommenen Mitteln vorausschauend »versucht« worden war: mit der Einsicht in den »Verfall der Aura« muß dieser nicht notwendig zur Ästhetisierung der Politik führen, die Kunstpraxis kann von ihrer eigenen Basis aus auch einen Beitrag zur Aufhebung der Arbeitsteilung leisten. Dazu gehöre aber notwendig die Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln. Dieses Beweismittel aus dem Bereich der Künste zeugt für eine revolutionäre Politik. Diese Revolution und der faschistische Krieg stehen aber schon außerhalb dessen, was von der Kunsttheorie aus erfaßt werden kann. Auch der Gebrauch der These auf einem politischen Forum kann diesen Bruch nicht überspringen. In der Berufung auf Marx und in der marxistischen Begrifflichkeit richten sich die Thesen an das >Kulturbüro der K. P.monumentale GestaltungEwigkeitszügen< nach, das heißt als unüberwindlich darstellt. Das Dritte Reich rechnet nach Jahrtausenden. - Zweitens versetzt sie die Exekutierenden ebenso wie die Rezipierenden in einen Bann, unter dem sie sich selber monumental, das heißt unfähig zu wohlüberlegten und selbständigen Aktionen erscheinen müssen. (Bannend wirkt nicht nur die faschistische Stilisierung der Massenkünste - man vergleiche die deutschen Festaufzüge mit den russischen -, sondern ebenso der Rahmen der verschiedenen >Gemeinschaften< und >FrontenDie Ära der Maschine verlangt nicht Hymnen zu ihrem Preis; sie verlangt im Interesse der Menschheit gemeistert zu werden. [...] Wir werden nicht den Lärm suchen, sondern die Stillen organisieren. Wir Dichter wollen in den Waggons reden können.monumentalen< Aspekt abzugewinnen«. 18 ' Hierin wären dann die in der ersten Kunstwerkthese angekündigten revolutionären Forderungen für die Literaturpolitik nachgetragen, die über die These von der »Ästhetisierung der Politik« im Faschismus nicht mehr in der neunzehnten Kunstwerkthese formuliert sind. 176

G. S. III, S. 489. Andre Gide und sein neuer Gegner. (Pariser Brief. Zuerst in: Das Wort. Heft 5/1936). G. S. I, 2;S. 469. 178 G. S. III, S. 491. Benjamin gibt dies als Bestimmung im Zitat wieder, u. z. aus Thierry Maulnier: Mythes socialistes. (Paris 1936), somit als Zeugnis, daß die ästhetisierende Auffassung der Technik zum Kern faschistischer Politik gehöre. 179 G. S. III, S. 491. 180 G. S. III, S. 490. 181 G. S. III, S. 491. 177

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Zu Benjamins Haltung als historischer Materialist gehört es, von der Theorie der Kunst auf das Gebiet geschichtlicher Praxis zu stoßen; die Theorie bleibt auf die Kunstproduktion der Avantgarde ausgerichtet, er selbst richtet sich politisch innerhalb der realen Kräfteverhältnisse aus: der »Front Populaire« 182 ist für ihn das politische Mittel, in Frankreich dem Faschismus zuvorzukommen ; die »werdende polytechnische Menschheitsbildung« 183 in der Sowjetunion ist für ihn der realgeschichtliche Anknüpfungspunkt einer Technik ohne destruktive Tendenz. Diese Bindung an »machtpolitische Tendenzen« 184 - als Naivität bezeichnete sie Adorno - gehört mit zur Substanz seiner Haltung als historischer Materialist. Aus dieser Bindung und auch aus seiner Wahrheit ergab sich für Benjamin die Verpflichtung, der »angestrengte[n] Betonung des Schöpferischen, die uns aus der Kulturdebatte geläufig ist«, 185 entgegenwirken zu müssen. »Historischen Materialismus« aber konnte und wollte er nicht in einer systematisch intendierten Ökonomiekritik marxistischer Prägung, nicht in philosophisch-geistesgeschichtlicher Stellungnahme wie Bloch, nicht in der Form der klassischen politischen Streitschrift Humboldtscher Manier und auch nicht in der des kulturkritischen Vortrags, die Valery gewählt hat, durchführen. Weder für den Krieg noch für die Revolution ist die Strukturanalyse des Films, seiner Produktion und Rezeption, gesellschaftstheoretisch oder strategiebestimmend zuständig. Sie erfaßt allein den Zusammenhang, der sich von Kunstformen aus zwischen der politischen und ökonomischen Determination und dem Gefährdungs-, gleichzeitig aber auch dem Befreiungspotential, im subjektiven Faktor, den mit der Technik lebenden Menschen, erschließt. Darin sollte kein Mangel an gesellschaftstheoretischer Analyse oder an Benjamins Fähigkeit, dialektisch zwischen Literatur- und Gesellschaftstheorie zu vermitteln, gesehen werden,186 sondern ein Fortschritt einer literarischG. S. III, S. 485. Bestünde das Volksfrontbündnis nicht, wäre Maulnier zu den intellektuellen Vorläufern eines französischen Faschismus zu zählen wie in Deutschland Gottfried Benn und Arnolt Bronnen. 183 G. S. III, S. 494. 184 Th. W. Adorno: Charakteristik Walter Benjamins. In: Adorno, Über Walter Benjamin. Hg. von R. Tiedemann. S. 23. (Zuerst in: Die neue Rundschau. 61/1950). 185 G. S. III, S. 493; s. auch G. S. III, S. 679, Varia zum 2. Pariser Brief, der ungedruckt blieb: »Das Unheil habe mit dem Futurismus begonnen und sei mit der abstrakten Malerei, dem Dadaismus und dem Surrealismus nur schlimmer geworden.« Solches kulturkonservative Sichverwahren gegen »Dekadenz«, das den Sündenbock des »Verfalls« politisch denunzieren möchte, sah Benjamin im antifaschistischen Lager: »Daß oberflächliche Anschauungen über die jüngste Geschichte der Malerei auf der Rechten verbreitet sind, ist selbstverständlich. Der Zusammenhang dieser Geschichte läßt sich nicht ohne Hinweis auf gesellschaftliche und technische Umstände formulieren, die ebensoviele unangenehme Wahrheiten für den Faschismus darstellen. Daß die gleichen Anschauungen gelegentlich - wie man in Paris sehen konnte auf der Linken gedeihen, muß Besorgnis erwecken.« 182

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Oder gar »Ästhetisierung der Geschichte«: Helmut Pfotenhauer: Ästhetische Erfah-

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wissenschaftlichen Prosaform, den Gebrauch der These in politischer Funktion. Und Benjamins spätere Antwort auf Scholems Frage nach dem »missing philosophical link« zwischen der Theorie vom Verfall der Aura und seiner Sicht auf den Film als Kunstform: »it will be supplied more effectively by the revolution than by me.« 187 zeigt: er hat die Thesen-Form, eine wissenschaftliche, umfunktioniert für die Strukturanalyse der technischen Poesieselbst liquidierteCommuneText< - vom Gewebten: textum - einmal ein solcher Ehrenname gewesen ist.«18 Benjamins Reproduktionstheorie kritisierte allerdings nicht nur die Unentschiedenheit zwischen bürgerlichen Kunst- und Individualitätsvorstellungen und denen von einer sozialistischen Gesellschaft, sie konnte auch an die innerhalb dieser Unentschiedenheit aufgeworfene Maschinenthematik anknüpfen: »Die Technik - Maschine und wissenschaftliche Methoden - berührt heute die Schönheit und zeigt uns das unerhörte Schauspiel der wahren Welt. Die Technik ist von hohem erzieherischen Wert. Die Technik zerstört die religiösen Ideen und bemächtigt sich ihrer gültigen psychologischen Motive.«19 Daß die Kunstwerkthesen einen direkten Bezug auf diesen Beitrag haben, den Luc Durtain, ehemaliger Unanimist, auf dem Kongreß von 1935 hielt und der hier in der Zusammenfassung des Kominternorgans »Rundschau« wiedergegeben ist, läßt die Thesen nicht nur als grundsätzlichen Gegenentwurf zum literaturpolitischen Konzept der Volksfrontpolitik erscheinen. So sprach Benjamins Reproduktionstheorie als literaturpolitischer Beitrag keineswegs in einen schalldichten Raum. 20 Aber wie der Topos vom »neuen Menschen« blieb auch Durtains Lob des Urbanismus zweischneidig: die Gegenwart sei weit von der Epoche entfernt, in der die mechanischen Objekte allein für häßlich galten; gegenüber den alten Maschinen seien die neuen banal, abgeholfen werden könne dem durch ihre Übernahme in die Hände der Produzenten nach dem Vorbild der Sowjetunion, wo »auch die proletarische Zivilisation ein Recht auf Säulen«21 habe. 17

Zur Tradition, S. 806. G. S. III, S. 493/94. 19 Zur Tradition, S. 814. 20 Vergl. ζ. B. W. Fuld: Walter Benjamin. S. 253/54: Diese Diskussion über den Film sei »seit nahezu zehn Jahren verstummt« gewesen. 21 L. Durtain: La technique et l'homme. In: Vendredi vom 13.3.1936. S. 9. (Übers, v. m., C. K.). - Die merkwürdige Selbstverständlichkeit, mit der Benjamin das Objekt und das »Zeigen« der Kamera mit dem Objekt und der Arbeitsweise des Chirurgen vergleicht, könnte sich mit der Bezugnahme auf Durtain erklären: dieser machte am chirurgischen Operationsvorgang deutlich, wie >um des Überlebens willen< ein Verhaltenskodex verbindlich wird, der eine neue Moral vorstellt: das Gebot der Asepsis; besondere Vorsicht bei gezieltem Schnitt ins Gewebe der Haut. Benjamin bildet den Begriff des »operativen Eindringens« »tief ins Gewebe der Gegebenheit« daraus. (G. S. I, 2; S. 458/59). 18

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Demgegenüber stellte die Theorie vom Verfall der Aura eine theoretische Klärung in den Fragen der Entwicklungstendenzen der Kunst her. Solche implizite Anknüpfung der Kunstwerkthesen an den Themenkreis der französischen Literaturpolitik der Volksfront hat Horkheimer auf den Gedanken bringen können, sie als einen französischen Beitrag in der »Zeitschrift für Sozialforschung« zu publizieren. So standen die Kunstwerkthesen virtuell zwar auf dem >ForumKlage< noch >Anklage vor dem Kulturbüro der K. P.zu weit< geht; daß es sich >nicht ganz so< verhalten dürfte, usw.«46 Reich war Mitte der dreißiger Jahre Professor für Ästhetik an der Moskauer Universität. Benjamin legte Grete Steffin nahe, den bei Reich befindlichen Text an den Übersetzer Brechts weiterzuleiten. »Mir wäre daran gelegen, daß (Sergej) Tretjakow die Arbeit zu lesen bekommt. Das war von vornherein Slatan Dudows Vorschlag der von der Sache sehr viel hält [.. .]«.47 Demnach wollte Benjamin, daß die Thesen in russischer Sprache erscheinen sollten. Die Äußerung über seine Überzeugung, eigentlich seien die Thesen für die Sowjetunion »zuständig«,48 darf so nicht als Metaphorik abgetan werden. Tretjakow war Redakteur der russischen Ausgabe der »Internationalen Literatur«, er hätte die Thesen hier, im offiziellen Organ des >Kulturbüros der K. P.Klageführungunglücklichen< Zeitpunkt, zu dem der 1. Pariser Brief, Andre Gide und sein neuer Gegner, herauskam, nämlich wenige Wochen vor dem Erscheinen von Gide's Retour de l'URSS: sozusagen über Nacht wurde Gide vom großen Vorbild zum Verräter der Volksfront gestempelt. Einen grundsätzlichen Beitrag zur antifaschistischen Kulturpolitik von einem Autor zu veröffentlichen, der eben noch Gide genuin von seinem ganzen Denken her als Feindbild im intellektuellen französischen Faschismus sah, hätte der literaturpolitischen Strategie in der Sowjetunion bei den 180-Grad-Schwenkungen widersprochen. 3. Maßnahmen und personelle Umbesetzungen als Folge der Moskauer Prozesse, die schließlich im Frühjahr 1937 zur alleinigen Redaktionsbefugnis von Erpenbeck führten. (Vergl. dazu H . - A . Walter: Deutsche Exilliteratur Bd. 7. Exilpresse I. S. 303 und 310/11. Insbes. dazu, daß Benjamin im »Wort« nur einen Bericht unterbringen konnte, S. 310 und 335). Bei der Übermittlung des Manuskripts durch Brecht und Grete Steffin gab es soweit aus den publizierten Briefen ersichtlich - allein Schwierigkeiten, weil Benjamin kein deutsches Typoskript mehr hatte. Das letzte disponierbare befand sich bei Reich. Auch Adorno mußte warten, bis das Exemplar, nach dem übersetzt worden ist, nicht mehr gebraucht wurde: Am 7. Februar 1936 waren »meine paar Exemplare schon festgelegt.« (An Adorno, G. S. I, 3; S. 986).

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der Frucht als dem Bäumchen Neugier bezeigen.«51 Ob diese Charakterisierung denselben, Grete Steffin gegenüber erwähnten Kreis von »einigen Genossen« meint, muß dahingestellt bleiben. Da Benjamin hier »französische Amateure« erwähnte, ist es denkbar, daß andere in diesem Kreis »Fachleute« waren. Reich und Dudow, die zu den ersten aus antifaschistischen Intellektuellenkreisen gehörten, denen Benjamin die Thesen zu lesen gab, sind ja auch, genau wie Tretjakow, »Fachmänner« aus deren praktischem Anwendungsbereich. Auch gab Benjamin Hans Richter den Text. Dieser erinnert sich: »Lange nachdem >G< erloschen war und Hitler brüllte, traf ich ihn in Paris wieder [...]. Eines Tages hörte ich seine präzise, wie in Stahl gestochene Stimme am Telefon. Er fragte mich an, ob er mich zu einer genau bestimmten Zeit in einem ganz bestimmten Kaffee am Boulevard Montparnässe treffen könne. Dort übergab er mir ein Manuskript mit dem Titel >Die Kunst im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeitacephaler< mit diesem Letzten, alles Dinge, die Benjamin mit ebensoviel Betroffenheit wie Neugier verfolgte.«53 Dieses von Klossowski erwähnte Bündnis nannte sich »Contre-Attaque« und es existierte nur vom Herbst 1935 bis in die ersten Monate des Jahres 1936. »Am kommenden Dienstag werde ich mir eine Veranstaltung der Gruppe anhören,« 54 teilte Benjamin Gretel Karplus mit. Mit dem Diskussionskreis bzw. der Gruppe von »Naturfreunden« und den Aktivitäten in ihrem Zusammenhang - Gespräche mit Dudow und Richter, Briefe an Bernhard Reich und Grete Steffin, Umgang mit Klossowski und 51

Br., S. 710. An Kitty Marx-Steinschneider, Brief vom 15.4.1936. H. Richter: Köpfe und Hinterköpfe. S. 87. 53 P. Klossowski: Lettre sur Walter Benjamin. In: Mercure de France. No 315, 1952. S. 456. (Übers, v. m., C. K.). 54 Die Herausgeber der G. S. zweifeln an einer »Begegnung« zwischen Benjamin und Breton. Sie berücksichtigen Klossowskis Erinnerung nicht und haben äußerst ungenaue Vorstellungen über den »Bretonschen Kreis« (Benjamin); anders könnten sie nicht schreiben: »Diese Begegnung, wenn sie denn zustande gekommen sein sollte, kam für Benjamin in mancher Hinsicht zu spät: Breton und die diesem verbliebenen Anhänger hatten längst mit jenem Kommunismus gebrochen, zu dem Benjamin inzwischen sich bekannte; auch hatten die surrealistischen Verfahrungsweisen, die Benjamin zunächst für das Passagenwerk so überaus fruchtbar erschienen waren, sich ihm als eine Sackgasse erwiesen.« (G. S. II, 3; S. 1021; hier findet sich auch der Auszug aus Benjamins Brief an G. Karplus, von den Herausgebern auf Januar 1936 datiert.) 52

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Besuch einer Veranstaltung von »Contre-Attaque« - bewegte sich Benjamin innerhalb eines Spektrums engagierter Künstler, das von der Tendenz des Volksfrontkongresses vom Jahr zuvor skeptisch und unzufrieden zurückblieb. Offensichtlich arbeitete Benjamin deswegen auch darauf hin, an das Ereignis äußerlich erkennbar anzuknüpfen. So fand die Veranstaltung des Diskussionskreises im Schutzverband erst im Juni statt. Wäre es Benjamin allein um die alte Absicht, danach in der »Internationalen Literatur« den deutschen Text zu publizieren, gegangen, hätte er eigentlich einen möglichst frühen Termin für die »öffentliche Verhandlung« anstreben müssen. Benjamin sprach nachträglich von sorgfältigen Vorbereitungen 55 auf diese Verhandlung. Das waren die Diskussionen, das war darüber hinaus die Wahl des Zeitpunkts. Um den 20. Juni herum waren Nachfolgeveranstaltungen des Pariser Kongresses von 1935 angesetzt. (Die internationale Veranstaltung in London fand zwar statt, wurde aber publizistisch in den Schatten anderer Ereignisse gestellt: den des Todes von Gorki und der Weltfriedenskonferenz.) Benjamins Forum blieb der Schutzverband in Paris, dessen Montagsveranstaltungen unabhängig von den Gedenkveranstaltungen stattfanden. Die »Pariser Tageszeitung« vom 20. Juni 1936 annoncierte die »öffentliche Verhandlung« über die Kunstwerkthesen als Veranstaltung einer Arbeitsgemeinschaft des S. D. S.: »Der Diskussionsabend, den der S. D. S. am Montag, 22. Juni, im Saal der Societe d'Encouragement pour l'industrie nationale (44, Rue de Rennes) veranstaltet, ist von einer Arbeitsgemeinschaft über Zeit- und Kunstprobleme ausgearbeitet worden. Der Titel, der die zur Diskussion gestellten Probleme zusammenfaßt: >Die Kunst im Zeitalter seiner [sie] technischen ReproduzierbarkeitDas Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit< an, zu der schon »mehrere Redner [...] ihre Teilnahme [...] angemeldet« 57 hatten. Über den Erfolg beider Abende weiß man aus dem Brief Benjamins an Alfred Cohn: »Mein Versuch, die Arbeit unter den hiesigen emigrierten Schriftsteller zur Debatte zu stellen, war zu sorgfältig vorbereitet, um nicht einen reichen informatorischen Ertrag zu bringen. Dieser aber war nahezu sein einziger. Am interessantesten war das Bestreben der Parteimitglieder un(ter) den Schriftstellern, wenn schon nicht den Vortrag so die Debatte meiner Arbeit zu hintertreiben. Das gelang ihnen nicht und so beschränkten 55

Br., S. 715. An Alfred Cohn, Brief von Ende Juni 1936. Pariser Tageszeitung vom 20. Juni 1936. S. 3. Eine Wiederholung dieser Bekanntmachung findet sich in der Ausgabe vom Tag des Veranstaltungsabends. 57 Pariser Tageszeitung vom 28. Juni 1936. Rubrik »Notizbuch«. 56

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sie sich darauf, die Sache schweigend zu verfolgen, soweit sie ihr nicht ganz fernblieben.« 58 Einer weiteren Erklärung zu dem Verhalten der Parteimitglieder bedarf es nicht; eine der Rechtsschwenkung im Volksfrontkonsens entgegenarbeitende Tendenz lag nicht allein in Benjamins Methode und Gegenstand der Kunsttheorie, sie lag auch in der Nüchternheit seiner Sprache. Dies, als auslösendes Moment für einen potentiellen Loyalitätskonflikt, mag man am Kontrast der Kunstwerkthesen zur Rede ermessen, die Johannes R. Becher zum Gedenken an den Kongreß von 1935 auf einem Meeting in Paris hielt:59 Der Schriftstellerkongreß in der Mutualite wurde zu einem historischen Ereignis dadurch, daß die großen Träger der Kulturvergangenheit, die Bewahrer des Erbes, sich zusammenfanden und sich in Übereinstimmung brachten mit den Kräften der revolutionären Bewegung und jenes Bündnis abschlossen, das seitdem in der Literatur wieder den Begriff einer Weltliteratur geschaffen hat [...]. Sprechen wir von dieser Vereinigung, darf der Name ihres großen Vereinigers nicht ungenannt bleiben: Henri Barbusse. Er vereinte alle, die guten Willens sind zum Kampf gegen Krieg und Faschismus, der gute Wille, der während des Weltkriegs über alle Schützengräben, sie verbrüdernd, hinwegstieg und seitdem unermüdlich Wache gehalten hat. Wir werden auch nie vergessen jenen Abend, an dem Andre Gide das Wort ergriff, seine Rede, nach vorwärts und rückwärts gewendet, wendete die Gesichter aller Verzweifelten und Fragenden dorthin, wo der neue Mensch im Aufbruch steht, wo die Vorgeschichte der Menschheit abgeschlossen ist und das klassenlose Zeitalter beginnt.

Benjamin ist es bei der Debatte der Kunstwerkthesen darauf angekommen, seine kunsttheoretischen Erkenntnisse als politische einzubringen. Das zeigt ein »Nachtrag zur Arbeit«, der als Notizenaufzeichnung für die zweite Montagsveranstaltung gewertet werden muß: »Thesen, die für die Debatte zu empfehlen sind: Kritik des Ausdrucks als Prinzip der dichterischen Hervorbringung/Kennzeichnung der besondern Struktur der Arbeit: sie trägt die Methode der materialistischen Dialektik nicht an i r g e n d e i n geschichtlich gegebenes Objekt heran, sondern entfaltet sie an demjenigen Objekt, das im Gebiet der Künste - ihr g l e i c h z e i t i g ist. Dies der Unterschied von Plechanoff und Mehring. / Anmerkung über das Prinzip des Ausdrucks und seine reaktionären Funktionen. / Panofski: Perspektiven (Massenerzeugung von Ikonen in Byzanz) / Versuch, die Betrachtung des Films von allem Spezialistentum zu emanzipieren / Entstehungsgeschichte der Arbeit / Schlußsätze des ersten Teils / Über das Motto.« 60 Das Motto war in diesem Fall jenes vor der ersten deutschen Fassung der Arbeit: »Le vrai est ce qu'il peut; le faux est ce qu'il veut.« Es setzte die Thesen - wie auch mit der »Kritik des Ausdrucks« die Norm des »Schöpferischen« durch die neu in die Ästhetik eingeführten Kategorien ersetzt wer58

Br., S. 715/16. J. R. Becher: Nach einem Jahr. (Zuerst in: Deutsche Zentralzeitung (Moskau) vom 23.6.1936). In: Becher, Publizistik 1. Berlin und Weimar 1977. S. 484/85. 60 G. S. I, 3; S. 1049/50. 59

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den sollte - als Kontrapunkt, machte sie zum Gegenentwurf des Konzeptes »zur Verteidigung der Kultur«. Und bei der »Entstehungsgeschichte der Arbeit« dürfte es Benjamin in diesem Rahmen der S. D. S. - Diskussion weniger auf den Bezug der Thesen zu seinem eigenen Arbeitskontext, zur Passagenarbeit, angekommen sein; es wäre denkbar, daß er jene zu einzelnen Beiträgen des Kongresses vom Jahr zuvor in Beziehung gesetzt hat. Horkheimer hat auch von diesem Teil der »Entstehungsgeschichte der Arbeit« wissen müssen; anders könnte er kaum auf der französischen Übersetzung insistiert haben, in Übereinkunft mit Benjamin, »daß [...] diese Arbeit informatorischen Wert für die Avantgarde der französischen Intelligenz haben soll.«61 Hatte doch dessen Argument, daß dann die Arbeit möglichst schnell erscheinen müsse, Horkheimer eingeleuchtet. Auch Adorno, mit dem sich Horkheimer gleich nach den Unterhandlungen mit Benjamin besprochen hatte, lobte die Thesen als »eine so großartige Inauguraladresse« für »die weitere Formulierung der ästhetischen Debatte.« 62 Den »wichtigsten Schriftstellern Frankreichs«, 63 eben solchen, die sich antifaschistisch engagiert hatten, schickte Benjamin dann je ein Sonderdruckexemplar mit einem Begleitschreiben über den Stellenwert der Thesen innerhalb des französischen Diskussionsrahmens. 64 Ganz abgesehen davon berichtete Benjamin Horkheimer nach Erscheinen des Heftes 1 von 1936 auch von »Auswirkungen« 65 des Aufsatzes. »Es ist eine Äußerung von Malraux auf dem Londoner Schriftstellerkongreß vom vorigen Monat, bei dem er das Hauptreferat hatte. [...] Der Aufsatz hat weiter Anlaß zu einer Aussprache zwischen Jean Wahl und Pierre Jean Jouve, der ein bedeutender Dichter ist, gegeben.«66 Malraux ist tatsächlich während der Londoner Nachfolgeveranstaltung zum Kongreß von 1935 auf Benjamins Reproduktionstheorie eingegangen. Malraux' literaturpolitische Beiträge waren in der Regel nie parteilinienkonform; er war theoretisch Eklektizist, argumentierte moralisch als »Geistiger«, wollte in einem Atemzug mit Gide genannt sein, und reagierte auch politischpraktisch manchmal der kommunistischen Regie entgegen: so sorgten beide dafür, daß 1935 Breton seinen Beitrag zuende führte und zusammen mit Magdeleine Paz für die Freilassung von Victor Serge aus der Gefängnishaft in der Sowjetunion öffentlich eintreten und sich aussprechen konnte.

61

G. S. I, 3; S. 992. An Horkheimer, Brief vom 29.2.1936. G. S. I, 3; S. 1005. Adorno an Benjamin, Brief vom 18.3.1936. 63 Br., S. 710. An Kitty Marx-Steinschneider, Brief vom 15.4.1936. 64 Als Adressaten erwähnt Benjamin explizit Gide und Valery, das Begleitschreiben nennt er »programmatisch« (Br., S. 710). Im Kommentarband der G. S. ist es nicht aufgenommen. Einige »aus Typoskriptseiten herausgeschnittene« (G. S. I, 3; S. 1050) Teile dürften aus dem Begleitschreiben stammen (1050/51). 65 Br., S. 716; an Horkheimer, Brief vom 10.8.1936. 66 Br., S. 717. 62

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In seiner Rede Über Das kulturelle Erbe gelang es Malraux meisterhaft, Benjamins Theorie der Reproduktion dem fetischistischen Kunstbegriff einzuverleiben: er referierte eingehend über den Verlust der Einmaligkeit in der technischen Reproduktion, folgerte aber nicht auf die Bedrohung bzw. den Verlust der Tradierbarkeit; ganz im Gegenteil, die technischen Reproduktionsmittel erschienen als Behälter der bürgerlichen Ideale, als Träger des Fortschritts in der Erziehung des Menschengeschlechts. Der »Rezeption in der Zerstreuung« gab er eine kulturpessimistische Wendung: »Soll ich, wie es W. Benjamin gemacht hat, die Veränderung der Natur der künstlerischen Empfindungen hervorheben, wie sie von der Kontemplation vor dem einmaligen Objekt fortschreitet zur zerstreuten oder wilden Hingabe an ein unendlich wiederholbares Schauspiel?«67 Malraux bewies Geschick darin, sich dabei selbst als Humanist und Künstler mit sozialem Gewissen hinzustellen. »Was mich betrifft, so akzeptiere ich gern die Sicht, daß in allen Menschen die Vereinigung auf dem grundlegenden Gebiet der menschlichen Gefühle wiedererweckt wird. Die Menschheit hat in der Kunst immer ihre unbekannte Sprache gesucht, und ich freue mich über unsere Funktion, manchmal den Menschen die Größe bewußt zu machen, welche sie in sich selbst nicht kennen. Ich freue mich, dies Bewußtsein einer immer größer werdenden Menschenmenge mit unserer Kunst oder mit den zukünftigen Bildungen unserer Kunst geben zu können.« 68 Wirkungsvoll war eine Kritik an der kommunistischen Literaturpolitik offenbar nur dann, wenn sie als politische Kritik der Volksfront auftrat und sich dann auch außerhalb desjenigen Kommunismus, den die kommunistischen Parteien vertraten, stellte. In den klassifizierenden politischen Begriffen des Antifaschismus gesprochen, war Benjamin ein Mann des freiheitlichen Bürgertums. Als solcher hätte er sich innerhalb der Literaturpolitik der Kommunisten in das Lager des politischen Dilettantismus einfügen müssen. Weil er aber an einer Produktivität im Ästhetischen und am historischen Materialismus festhielt, bewegte er sich außerhalb des literaturpolitischen Antifaschismus und war dennoch auf ihn als seine »Produktionsbedingung« bezogen; wobei er von der »derzeitigen« einen »ziemlich genauen Begriff«69 hatte. Und dennoch bestand er Bataille und Klossowski gegenüber, die vehemente Kritik an der politischen Strategie der französischen Volksfrontpolitik 67

A. Malraux: Sur l'heritage culturel. Discours prononce au Secretariat general elargi de l'Association Internationale des Ecrivains pour la D6fence de la Culture, ä Londres, le 21 juin 1936 (Rede, gehalten vor dem erweiterten Generalsekretariat der Internationalen Vereinigung der Schriftsteller zur Verteidigung der Kultur in London am 21. Juni 1936). In: Commune. Nr. 37 (September) 1936. S. 4. (Übers, v. m., C. K.) - Brecht hat in einem Gedicht den »redegewaltigen Malraux« dieser Veranstaltung kurz porträtiert: B. Brecht: Inselbriefe. G W 9. S. 565/66. 68 A. Malraux: Sur l'heritage culturel. S. 4. (Übers, v. m., C. K.). 69 Br., S. 710. An Kitty Marx-Steinschneider, Brief vom 15.4.1936. 178

übten, auf der für ihn notwendigen politischen Ausrichtung in seiner Produktion. Eine entsprechende Bemerkung enthält die Erinnerung von Klossowski an Benjamin; in der Berichterstattung an Horkheimer über die Aussprache zwischen Jean Wahl und Pierre Jean Jouve wird eben auf eine »Auswirkung« der Kunstwerkthesen im Umkreis der Nachfolgeinitiativen von »Contre-Attaque« angespielt. Dieses Bündnis zwischen Andre Breton und Georges Bataille zerbrach an den ästhetizistischen Revolutionsvorstellungen des Letzteren. Es war zustande gekommen, weil sich beide darin einig waren, daß die Politik des PCF innerhalb des Volksfrontbündnisses das in der französischen Arbeiterklasse vorhandene revolutionäre Potential nur besänftige und fehlleite. Von ästhetischen Erfahrungen ausgehend, der Lektüre de Sades, Prousts, einiger bestimmter Werke Kafkas, Balzacs und Dostojewskis,70 schwebte Bataille eine Mobilisierung und gärende Zusammenführung sozialer Kräfte vor, deren psychotische Form vom Faschismus genutzt wird. Dies war sein Maßstab für das, was er »Scheitern des Kommunismus« nannte. Bataille habe den Stalinismus wegen seiner Interessen und seiner Angst vor Deutschland für die Verwandlung der Volksfront in ein Instrument der sozialen Konservierung verantwortlich gemacht, schreibt R. S. Short; obwohl Bataille von der unglaublichen Perversität des Hitlerismus überzeugt gewesen sei, habe er doch dessen Erfolge, Haß und Begeisterung im Massenmaßstab mobilisieren zu können, bewundert. 71 Breton konnte in der Mobilisierung ausschließlich ästhetischer Potentiale keine politische Strategie erblicken und orientierte sich demnach an Trotzki. Zum Zeitpunkt der Debatte im Schutzverband traf Benjamin bei Bataille und Klossowski auf diese Haltung; letzterer berichtete, wie Benjamin sich zu ihr verhielt: »Wenn auch Bataille und ich ihm gegenüber damals auf allen Ebenen anderer Meinung waren, hörten wir ihm doch mit Leidenschaft zu. In diesem >MarxisantAcephale< herausgebracht. Es ist besonders interessant: enthält einen großen Beitrag über Nietzsche und den Faschismus, einen Beitrag von Jean Wahl, eingehende Berichte über neue deutsche Nietzscheliteratur.« 73 So empfahl Benjamin Stephan Lackner das Sonderheft von »Acephale«, damit dieser eine Rezension darüber für das »Neue Tage-Buch« schreibe. Auch dürfte Benjamin den Kolloquien und Vortragsreihen des »College de Sociologie« 72 73

P. Klossowski: Lettre sur Walter Benjamin. S. 456/57. S. Lackner: »Von einer langen...« S. 51. Brief vom 9.3.1937. Das Sonderheft des »Acephale«: »Nietzsche et les fascistes. Une reparation.« ist im Januar 1937 erschienen.

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beigewohnt haben. Die Konferenz im Herbst 1939, die er selbst hatte leiten sollen, kam wegen des Kriegsausbruchs dann nicht mehr zustande. 74 Daß die Revolutionierung der Literatur und des Denkens nicht direkt in politisches Denken und Handeln mündet, teilte Benjamin als Position so eher mit Breton. Daß er aber historisch wirkende Kräfte - im 20. Jahrhundert die kampfbereiter Massen - nur aus der ästhetischen Erfahrung denken konnte, bringt die Benjaminsche in die Nähe zu Batailles Position. Ein Widerschein davon findet sich noch in Benjamins Sicht des Faschismus als »Vollendung des l'art pour l'art« und der Abschaffung der Aura durch den Krieg. Nichts bringt Benjamin aber in größeren Gegensatz zu Bataille, als daß jener sich scheute, vor der klassenlosen Gesellschaft im ästhetischen Akt selbst einen politischen Schritt zu sehen. An dieser Stelle ist nach Benjamin ein Schriftsteller auf die Interpretationen von Texten verwiesen. So müssen die Studien über Baudelaire und die Kommentare zu Gedichten von Brecht als konsequente Fortsetzung der Kunstwerkthesen gelesen werden.

74

Angabe von Hans Mayer. H. Mayer: Les rites des associations politiques dans l'Allemagne romantique. In: le college de sociologie (1937-1939). textes de Georges Bataille, Roger Caillois etc. presentes par Denis Hollier. Paris (Gallimard) 1979. S. 447. 181

EXKURS

Zu Benjamins Mitarbeit im »Institut für Sozialforschung«

Feuilleton und verlegerische Repräsentation stützen sich gegenwärtig wie selbstverständlich auf ein allgemeines Vorverständnis von Walter Benjamins Werk; diesem Vorverständnis nach - ein Resultat der Rezeptionsgeschichte gehört jenes am ehesten in das wissenschaftliche Spektrum, das das »Institut für Sozialforschung« in den dreißiger Jahren und die philosophiekritische und sozialpsychologische Theorie der Gesellschaft in den zwei Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg vertreten haben. Gershom Scholem hat einem solchen Vorverständnis immer wieder entgegengearbeitet; und er war dabei schließlich genau so erfolgreich wie die wissenschaftliche Nachfolge des »Instituts für Sozialforschung«. 1 Gewiß hat das Werk Benjamins in sich mehr Schichtungen, als sie von der Fragestellung nach dem politisch motivierten Exil des Schriftstellers erfaßt werden können; allein seine Theorie der Literatur wies bislang in andere geistesgeschichtliche Zusammenhänge. Im Rahmen der Fragestellung bietet es sich an, nach dem Charakter des Arbeitsverhältnisses zu fragen, in dem Benjamin während des Exils überlebte. Naturgemäß müssen dabei in erster Linie die existentiellen Umstände, soweit sie von jenem Arbeitsverhältnis tangiert waren, zur Sprache kommen. Wie sich an Der Autor als Produzent und den Kunstwerkthesen zeigen ließ, faßte Benjamin seine konkrete politische Ausrichtung als »Produktionsverhältnis«. Wie verhielt diese sich zu dem »Produktionsverhältnis«, dem materiellen, in dem er als Autor stand? An Horkheimers Bereitschaft, die Thesen möglichst schnell zu publizieren, hatte durchaus auch Entgegenkommen jenem ersten Produktionsverhältnis gegenüber Anteil; gleichzeitig baute er derart vor, daß er es wieder zurücknehmen konnte. Im Gefolge jener Frage nach dem Arbeitsverhältnis steht so die weitere, ob sich Benjamin mit Recht als ein wissenschaftlicher Vertreter des »Instituts 1

In der »Leo Baeck Memorial Lecture« wies er zuerst darauf, daß Benjamins »Marxismus« nicht mit dem von Hegel hergeleiteten gesellschaftlichen Totalitätsverständnis des »Instituts für Sozialforschung« verstehbar sei. In der Benjaminrezeption gilt inzwischen dessen Freundschaft zu Scholem als die Instanz, von der die jüdischtheologischen Motive im Werk (!) Benjamins herrühren und an die sie sich richten. Demgegenüber sind für Martin Jay »Lowenthal, Adorno, or Benjamin, the major aestheticians of the Frankfurt School«. (Μ. Jay: The Dialectical Imagination. A History of the Frankfurt School and the Institute of Social Research. 1923-1950. London 1973. S. 16.)

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für Sozialforschung« vom Substantiellen seiner literarischen Arbeit her begreifen läßt. Mit der im engeren Sinne sozialgeschichtlichen Arbeit, die das Institut als Nachfolge des Grünberg-Archivs betrieb - für sie waren Wittfogel und Pollock herausragende Vertreter -, hatte Benjamin gewiß nichts zu tun. Der Arbeitsbereich, den Horkheimer Ende der zwanziger Jahre einführte, ergänzte die Geschichte der sozialen Bewegung um die der Emanzipation des Bürgertums, als welche er die Geschichte der Philosophie betrieb. Die hier herausragenden Mitarbeiter waren Adorno, Leo Löwenthal, Herbert Marcuse und Horkheimer selbst. Ließen sich Benjamins Arbeiten in diesen Arbeitsbereich integrieren? 2 Einem Außenstehenden, den Benjamin 1939 um Intervention bei Horkheimer für eine möglichst rasche Übersiedlung in die USA bat, schickte er folgende Skizze zur Information, überschrieben mit »Meine Beziehungen zum Institut«: »Die Leiter des Instituts gehören meiner Altersklasse an. Horkheimer und ich kennen einander aus dem philosophischen Seminar der Universität Frankfurt. Eine nähere persönliche Beziehung, die durch einen gemeinsamen Freund aus Frankfurt, Wiesengrund-Adorno, der am Institut arbeitet, gestiftet wurde, ergab sich erst in der Emigration. Von 1934 ab habe ich sowohl Horkheimer wie Pollock bei ihren Pariser Besuchen oft und ausführlich gesprochen. In den ersten Jahren dieser Bekanntschaft bekam ich eine kleine monatliche Unterstützung vom Institut und gelegentliche außerordentliche Zuwendungen. Was mich in dieser ersten Zeit der Emigration aufrecht erhalten hat, war die Hoffnung, auf Grund meiner Arbeiten die Stelle eines ordentlichen Mitarbeiters am Institut zu erhalten. Dieses Ziel erreichte ich im Spätherbst 1937.«3 Was Benjamin hier über die »kleine monatliche Unterstützung« bis in die zweite Jahreshälfte 1937 hinein berichtete, läßt sich auf der Grundlage der im Anmerkungsteil der Gesammelten Schriften von den Herausgebern abgedruck2

»Walter Benjamin stand seit seiner Frankfurter Zeit in den frühen zwanziger Jahren dem Institut für Sozialforschung nahe,« schrieb Adorno, irreführend, wie sich weiter unten zeigt, im Vorwort zu Rolf Tiedemanns Dissertation Studien zur Philosophie Walter Benjamins. Die Nähe von Benjamins Werk zu den Arbeiten des »Instituts für Sozialforschung« sah Adorno in den »wesentlich philosophischen Akzenten«, in denen gleichzeitig die wissenschaftliche Arbeitsteilung in Frage gestellt würde. (Th. W. Adorno: Vorrede zu Rolf Tiedemanns >Studien zur Philosophie Walter BenjaminsKollektivseele< aufzuweisen, in einen erkenntnistheoretisch-methodischen Bezug zur Passagenarbeit, so wie er sich die kunsttheoretisch-methodische Perspektive der Kunstwerkthesen mit dem »Verfall der Aura« erarbeitet hatte: »Es ist mein Wunsch, mir methodisch gewisse Fundamente der >Pariser Passagen< durch eine Kontroverse gegen die Lehre von Jung, besonders die von den archaischen Bildern und vom kollektiven Unbewußten zu sichern. Das hätte neben seiner internen methodischen Bedeutung eine öffentlichere politische«.29 Somit sollte das »Subjekt der materialistischen Erkenntnis< untersucht und darin die »erkenntnistheoretische Grundlegung der >Passagendröle de guerreGedankenfreiheitlinken< Majorität und es stört sie nicht, daß diese die Politik macht, mit der die Rechte Aufstände provozieren würde. Nichts ist in dieser Hinsicht aufschlußreicher als die Entwicklung von Vendredi, den ich seit zwei Jahren jede Woche lese. Niveau und Intelligenz seiner Mitarbeiter (der immer gleichen!) sinken proportional mit der Dislocierung der hinter ihnen stehenden Massen.« 40 In Über den Begriff der Geschichte macht Benjamin 1940 die Kapitulation der Linken vor dem Faschismus am Konformismus der Politiker des Apparats und »ihr[em] Vertrauen in ihre >MassenbasisDaß das weiche Wasser in Bewegung/ Mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt./ Du verstehst, das Harte unterliegt^« 44 Benjamin hat sich zu zwei Artikeln geäußert, die von der Art des Antifaschismus in der »Schweizer Zeitung am Sonntag« beredtes Zeugnis geben: »Die letzte Nummer ist sehr gut. Deine Rede hat mir vorzüglich gefallen und der Vorschlag von Schwarz ist ausgezeichnet. Wenn Ihr den durchsetzen würdet.«45 Aufgefordert war in beiden Artikeln zum bewaffneten Widerstand. Lieb machte »jene verheerende Trennung von zwei Welten und zwei Leben«, des religiösen und des politisch-sozialen, für die Gleichgültigkeit der Christen angesichts der absehbaren Verwüstung ganz Europas »durch den totalen Nihilismus des Dritten Reiches« verantwortlich: Dessen bevorstehenden Angriff gelänge es nur abzuwenden, wenn die noch freien Völker den Durchbruch »zu einer ebenso totalen Verteidigung, ja zum t o t a l e n G e g e n a n g r i f f auf der ganzen Linie« 46 fänden. Im Artikel Munition ins Dorf machte Hans Schwarz den Vorschlag einer präventiven Volksbewaffnung. Die beste schweizer Tradition tauge nicht, wenn das Gewehr über dem Sofa verstaube: »Das ist nicht Panikmacherei. Dem Schweizervolk darf man ruhig seine Munition anvertrauen. Auf das Ausland wird dies eine heilsame Wirkung haben.«47 Diese Sprache ist agitatorisch. Politisch vertreten wurde mit ihr das Konzept einer rechtzeitigen Resistance, was im Falle der Schweiz einer Landesverteidigung gleichkam.

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Lieb an Szondi, Brief vom 10.12.1964. Nachlaß Fritz Lieb, Basel. B. Brecht: Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Wege des Laotse in die Emigration - Walter Benjamins Kommentar. In: Schweizer Zeitung am Sonntag. Nr. 26 vom 23.4.1939. S. 3. (G. S. II, 2; S. 568 und 572). 45 Benjamin an Lieb, Brief vom April 1939 (o. D.). Nachlaß Fritz Lieb, Basel. 44 F. Lieb: Unsere wahre Kraft und Hilfe. (Als Rede gehalten auf der Vertrauensmännerversammlung von »Demokratie im Angriff« am 26.3.1939 in Zofingen). In: Schweizer Zeitung am Sonntag. Nr. 23 vom 2.4.1939. S. 5/6. 47 H. Schwarz: Munition ins Dorf. In: Schweizer Zeitung am Sonntag. Nr. 23 vom 2.4.1939. S. 3. 44

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Im Juni 1939 ist Liebs Zeitschrift als »schwerste Belastung der schweizer Außenpolitik« 4 8 verboten worden. Daß Eduard Behrens Mussolini als den Gauleiter Italiens betitelt hatte, war der Vorwand dazu; die rechtskonservative schweizer Regierung stellte sich lieber mit gutnachbarlichen Beziehungen zu Italien und Deutschland, einschließlich der restriktiven Emigrantenpolitik, in die Nachfolge Teils. »Täuscht nicht alles, so wird wieder ein Verständigungs-Coup vorbereitet,« mutmaßte Benjamin mit Verweis auf Eduard Behrens' Artikel, »da schätzt man es begreiflicherweise doppelt wenig, wenn die Dinge irgendwo beim Namen genannt werden.« 49 Die Korrespondenz zwischen Benjamin und Lieb ist offenbar in diesem Sommer abgebrochen. Daß es noch zu einer Begegnung in Paris kam, ist wegen des Kriegsausbruchs im September unwahrscheinlich. Im folgenden Frühjahr hat sich Brecht bei Lieb erkundigt: seit dem vorigen Sommer habe auch er nichts mehr »von unserem Freunde Walter B.«50 gehört. Brecht bat um die Anschrift und fragte nach anderen gemeinsamen Bekannten. Die im Frühjahr aus Finnland geschickte Karte kam erst im September in Basel an, und Liebs sofortige Rückfrage an Walter Benjamin, Marseille, poste restante, ging Mitte Oktober »Retour ä l'envoyeur«. 51 So hat sie sich zufällig erhalten. Sie erklärt die Unterbrechung des Kontaktes und ist darüberhinaus ein Dokument der Freundschaft zwischen Fritz Lieb und Walter Benjamin. Deswegen soll der vollständige Wortlaut der Karte an dieser Stelle folgen: 51 Mon eher ami, Je viens de Zürich et apres beaueoup de recherches je re^ois des nouvelles de toi. J'avais toujours l'intention d'ecrire - jusqu'au moment oü c'etait trop tard! Mais que faire. J'etais 7 mois au service militaire. C'etait tres bien. -peut-etre la seule - et afin la derniere chose. Oui il ne reste plus rien que tirer! Tirer. Die Gewehre der Frau Carrar. B. Brecht ecrivait de Finland. (Linnankoskigatan 20 A. 2) Helsingfors, ob ich von Dir etwas wisse. Aujourd'hui j'ai ecrit toute de suite. Qu'est-ce que tu as souffert ces temps! Tu as passe Lourdes. C'est tout ce que je sais. Si c'est encore possible je pourrais envoyer un peu d'argent. Ecris une carte, si tu es encore lä bas ou de plus loin. Mais il faut se depecher. C'est tres urgent. J'ai encore refu ton article sur Jochmann dont j'avais rien trouve ä la bibliotheque, sauf les >ReliquienMassenbasis< und schließlich ihre servile Einordnung in einen unkontrollierbaren Apparat drei Seiten derselben Sache gewesen sind.

Wie wiederholt bemerkt worden ist,71 kann der Vorwurf, die Niederlage mit dem Verrat an der eigenen Sache zu besiegeln, nur die Politiker aus dem Kominternapparat treffen; sie hießen die deutschen Besatzungstruppen als Bündnisgenossen der Sowjetunion in Frankreich willkommen, im Gefolge des Hitler-Stalin-Paktes. Doch davor beklagte Benjamin schon den publizistischen Niedergang u. a. der kommunistischen Intelligenz, wobei er die drei Elemente - dogmatischer Selbstbetrug über die >linke< Mehrheit, Fehlortung der Massenbasis, intellektueller Verfall in Form der Apparathörigkeit - als Bestandteile eines Symptoms gesehen hatte. Daß er vorher die Politik des Kommunismus ebenfalls als Verrat erfahren hat, schrieb er nach der Okkupation Österreichs; und was er von der faschismusfreundlichen Politik des PCF ein halbes Jahr vor dem Hitler-Stalin-Pakt hielt, kommentierte er nur lakonisch und wie nebenbei damit, »daß die Zeitung der hiesigen Zweigstelle der Partei neuerdings im Hotel Littre ausliegt.«72 Wenn Benjamin von Verrat 68

G. S. I, 2; S. 696. G. S. I, 2; G. 697. 70 G. S. I, 2; S. 698. 71 Zuletzt von Krista R. Greffrath: Metaphorischer Materialismus. Untersuchungen zum Geschichtsbegriff Walter Benjamins. München 1981. S. 145. 72 Br., S. 809; an Th. W. Adorno, Brief vom 23.2.1939. Das »Hotel Littre (nicht weit von der Rue de Rennes)« soll Scholem zufolge, dem Benjamin dort 1938 die Übernachtung empfahl, ein »Zentrum des französischen Faschismus [gewesen sein], . . . in dem als einzige Zeitung, wie ich feststellen mußte, die »Action Fran^aise« auslag.« (Geschichte, S. 269) Das Hotel dürfte allerdings seinen Namen nicht nur zum

69

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spricht, dann kündigt er seine hier auch eingestandenen ehemaligen Hoffnungen auf diese Politik des Antifaschismus auf. Die Kritik des Fortschrittsglaubens ist ganz und gar aus der Erfahrung der Situation in Europa bezogen. Der Zweck, den die Kritik an der Fortschrittsvorstellung verfolgt, liegt nicht mehr im Rahmen eines philosophischen Diskurses. Der Zweck soll sich im Handeln des »politischen Weltkindes« erfüllen. Benjamin hatte über die dem Juni 1936 folgenden Streiks Fritz Lieb geschrieben, der Führung sei es innerhalb von zwei Jahren gelungen, den politischen Instinkt der Arbeiterschaft darin zu zerstören, wann sie von einer legalen Aktion zu einer illegalen, von einer illegalen zu einer gewaltsamen übergehen könne. Dies ist eine der seltenen Stellen, an denen sich Benjamin überhaupt zum Verhältnis von Bewußtseinsverfassung und Strategie der Arbeiterklasse schriftlich äußerte.73 Die historische Erfahrung dieses Scheiterns der Volksfront muß im Bild des in Netze gewickelten »politischen Weltkindes« mitgelesen werden. Anders gäbe es keine adäquate Vorstellung von der Moralität geschichtlichen Handelns, das die Kritik am Fortschrittsglauben freisetzen will. Das Motiv dafür, den Fortschrittsglauben nur als eine »sozialdemokratische Theorie, und noch mehr [...] Praxis«74 zu identifizieren - nirgends nennt ihn Benjamin sozialistisch oder kommunistisch -, liegt darin, daß der Geschichtsbegriff auf die politische europäische Entwicklung, einen zeitlich und räumlich gebundenen Zeitzyklus, bezogen ist. Im kleinen historischen Exkurs der These XI wird ein Zeitraum zwischen dem Faschismus und den Gegenspielern des Gothaer Programms, Marx und Fourier, abgesteckt. Die letzten Arbeitsgebiete Benjamins - Jochmann, Eduard Fuchs, Baudelaire - lagen innerhalb dieses Zyklus. In den Thesen geht es schließlich um den Geschichtsbegriff. Die Theoreme der 3. Internationale, die jede Kursänderung im Mantel eines angeblich sich von Marx herleitenden welthistorischen Gesetzes zu präsentieren anstrebten, hätten für einen Geschichtsbegriff noch weniger Anhaltspunkte bieten können als die drei Prädikate, die Benjamin schließlich als »positivistische Konzeption« 75 in der sozialdemokratischen Theorie ausmacht; und die dann noch wie folgt weiter reduziert erscheint: »Die Vorstellung eines Fortschritts des Menschengeschlechts in der Geschichte ist von der Vorstellung ihres eine homogene und leere Zeit durchlaufenden Fortgangs nicht abzulösen.«76 Zwecke der Tarnung gewählt haben. Im Februar 1939 besuchte Benjamin dort den Schwager Arnold Schönbergs, Rudolf Kolisch, einen Musiker, und den Freund Alban Bergs, den schon erwähnten Soma Morgenstern. 73 Die Kritik der Gewalt (vergl. Anm. 38 dieses Kapitels) ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen; jener Brief vom 28.10.1931 (vergl. Anm. 30 der Einleitung und den zugehörigen Text) mit der Bemerkung über den Machtzuwachs der NSDAP ebenfalls. 74 G. S. I, 2;S. 700. 75 G. S. I, 2;S. 699. 76 G. S. I, 2; S. 701. Diese Reduktion findet sich in einem Buch vorgebildet, das Benjamin, folgt man dem Kommentar der G. S., im Rahmen der Arbeit an den Kunst-

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Wo Benjamin aber einmal den Vorwurf des Verrats ausgesprochen hat, gibt er die politische Haltung preis, die er anläßlich der Moskauer Prozesse und ihrer Folgen beibehielt. In dieser Hinsicht vollzieht die Kritik am Fortschrittsglauben die Lösung von der bisherigen politischen Bindung, und zwar dort, wo die Kritik in revolutionspraktischer Absicht den geschichtlichen Augenblick freigibt. These VIII, die den Fortschrittsbegriff zum ersten Mal nennt, setzt dazu beim Kriegsausbruch selbst an: »Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der A u s n a h m e z u s t a n d s in dem wir leben, die Regel ist. Wir müssen zu einem Begriff der Geschichte kommen, der dem entspricht. Dann wird uns als unsere Aufgabe die Herbeiführung des wirklichen Ausnahmezustands vor Augen stehen; und dadurch wird unsere Position im Kampf gegen den Faschismus sich verbessern.« 77 Impliziert ist der Gedanke, daß der einmal freigesetzte Zustand der Gewalt gewaltsam verkehrt werden könne; die Geschichte der Unterdrückten, die zuvor als Kette von Unterdrückung durch ein übergewaltiges Herrschaftsuniversum verstanden ist, soll selbst als Kriegszustand, wenn auch als stillgestellter, angesehen werden. Dann wäre der Kriegsausbruch die Chance (»Herbeiführung des wirklichen Ausnahmezustands«), die Kontinuität der Gewalt zu unterbrechen. Die Differenzierung zwischen »>Ausnahmezustandein Gott, ein Fürst, ein Staat< mit der Willkür die Legitimität begründet. 78 Darauf soll sich die Geschichtserkenntnis richten und vom Glauben an den Fortschritt und die Zukunft abwenden.

werkthesen zur Kenntnis nahm (vergl. Anm. 22 von Kapitel III): C. F. Ramuz: Maß des Menschen. (Taille de l'homme, 1935). Dt. von F. Hardekopf. Zürich 1949. Ramuz fragte nach dem Legitimationscharakter des Marxismus in der Sowjetunion unter dem Gesichtspunkt des ökonomischen und technischen Nachholbedarfs dort. Derart zur Philosophie eines vorfindlichen >Reichs der F r e i h e i t erhoben, laufe der Marxismus auf die Verehrung der Maschine hinaus; die qualitativen Fragen der Philosophie würden unter dem Vorwand, später seien sie quantitativ lösbar, tabuiert. Verräumlichung dringe in die Philosophie ein - dies eben bedeuten Benjamins Bestimmungen »homogen und leer« und die des »Kontinuums« - und bewirke den Glauben an einen »dauernden Fortschritt« (Ramuz, S. 153). Dessen notwendiger, unabdingbarer Bestandteil sei der Atheismus, denn nur über ihn ließe sich in der »Rivalität gegen Gott und den göttlichen Gedanken« (Ramuz, S. 118) das verräumlichte Universum realisieren. 77

G. S. I, 2; S. 697. »Sehr verbessern« (G. S. I, 3; S. 1246) heißt es in der zugehörigen Aufzeichnung. 78 In Ursprung des deutschen Trauerspiels hat Benjamin mit Carl Schmitts Theorie des Ausnahmezustands einen politischen Begriff barocker Geschichtserfahrung geprägt. Zu den biografischen Hintergründen der frühen Schmittrezeption Benjamins vergl. C. Kambas: Walter Benjamin an Gottfried Salomon. S. 609 - 612

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Die revolutionstheoretische Dimension, die These VIII anvisiert, greift These XII auf und gibt ihr die Wendung des Verhältnisses von »Theorie«, d. i. Geschichtserkenntnis, und »Praxis«, d. i. Anwendung der Erkenntnis im Kampf. Sie beruft sich dabei auf eine Tradition innerhalb der europäischen Geschichte der Arbeiterbewegung: 79 Das Subjekt historischer Erkenntnis ist die kämpfende, unterdrückte Klasse selbst. Bei Marx tritt sie als die letzte geknechtete, als die rächende Klasse auf, die das Werk der Befreiung im Namen von Generationen Geschlagener zu Ende führt. Dieses Bewußtsein, das für kurze Zeit im >Spartacus< noch einmal zur Geltung gekommen ist, war der Sozialdemokratie von jeher anstößig. Im Lauf von drei Jahrzehnten gelang es ihr, den Namen eines Blanqui fast auszulöschen, dessen Erzklang das vorige Jahrhundert erschüttert hat. Sie gefiel sich darin, der Arbeiterklasse die Rolle einer Erlöserin künftiger Generationen zuzuspielen. Sie durchschnitt ihr damit die Sehne der besten Kraft. Die Klasse verlernte in dieser Schule gleich sehr den Haß wie den Opferwillen. Denn beide nähren sich an dem Bild der geknechteten Vorfahren, nicht am Ideal der befreiten Enkel.

Mit der Reihe der Namen ist ein geschichtliches Spannungsfeld abgesteckt. Die Erinnerung an die Spartakus-Gruppe rückt die beiden Weltkriege in eine historische Parallele. 80 Blanqui wird als der Vertreter des revolutionären französischen Proletariats, wie es auch der Auffassung Marxens entsprach, gesehen. Die revolutionäre Bewußtseinsverfassung der Klasse, nicht die Vorbildlichkeit zweier »Fraktionen«, führt Benjamin bildhaft vor, indem er geschichtliche Kräfte einander zuordnet. Er fragt hier nach den Gründen des Erfolgs, mit dem die Sozialdemokratie jene Bewußtseinsverfassung ausschalten konnte. Sie schuf erst das Bild vom Aufstandstechniker und Putschisten Blanqui. Mit dessen Namen führt Benjamin die in dieser Unterstellung verzerrte und dadurch entschärfte Kampfvorstellung an: Gesiegt hat die Zukunftsreligion des Fortschritts, weil in ängstlicher Abgrenzung von einer mit Illegalität gebrandmarkten Strategie das Bewußtsein legitimer Gewalt und schließlich die Geschichte der Klasse verdrängt und zerstört worden sind. Ein Zitat aus den Aufzeichnungen, worin Benjamin Dietzgens Ansicht über die Abschaffung des Privateigentums festhält, ergänzt: »Wo oder wann das anzufangen [hat], ob durch einen geheimen Vertrag mit Bismarck, [...] ob auf den Barrikaden von Paris [...], dies alles sind [...] unzeitgemäße [...] Fragen.« 81 Die Namen repräsentieren somit eine Kampfvorstellung; zum einen geht es um die von der Arbeiterklasse getragene Strategie des Aufstands. Insofern sie als antifaschistische Strategie unter Kriegsbedingungen verstanden werden muß, darf an die agitatorische Forderung »Munition ins Dorf« oder an die vom »totalen Gegenangriff« gedacht werden; eine Strategie, die sich in Frankreich wenige Monate nach Benjamins Tod zu formieren begann. Dar79

G. S. I, 2; S. 700. Rosa Luxemburgs wie Lenins Devise, der sich Andre Breton 1935 anschloß mit der Aufforderung, den Weltkrieg in den Bürgerkrieg zu verwandeln, verbirgt sich hier so gut wie in These VIII. 81 G.S. I, 3; S. 1249. 80

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über hinaus geht es aber um mehr. Denn zum andern ist sie aus einer Bewußtseinsverfassung abgeleitet. Damit muß das Verhältnis von Theorie und Praxis gelöst werden. Die These löst es in martialischer Metaphorik; der Autor steht an der Grenze seiner Zuständigkeit. Das Verhältnis von Theorie und Praxis bildet das Zentrum des Textes, soweit er den realen Geschichtsverlauf vom Gedanken des Klassenkampfes sichtet, (der ja, erklärtermaßen, sein Pendant im Gedanken von der Geschichtlichkeit des Kunstwerks hat), jener andere als müßiggängerische Gebrauch der Geschichte, der mit Nietzsche im Motto der These angekündigt ist. »Dem historischen Materialismus geht es darum, ein Bild der Vergangenheit festzuhalten, wie es sich im Augenblick der Gefahr dem historischen Subjekt unversehens einstellt.«82 Rache, Haß, Opferwillen sind Umschreibungen psychischer Energien, die mit spontanen Kollektivvorstellungen aus der Geschichte, dem Bild der Vergangenheit, ineinsfallen. In diesem Moment ist die Zeit erfüllt. Die Tat entspricht einer »Eingedenken« (These XV, These Β des Anhangs) benannten Erinnerungs- und Bewußtseinsleistung. In einer Aufzeichnung hat Benjamin deutlich diese seine Auffassung einer revolutionären politischen Situation, die »von Jetztzeit erfüllte« Zeit,83 in der chiastischen Verknüpfung mit einer weit zurückliegenden, doch aus dem Augenblick erkannten, Vergangenheit festgehalten:84 Dem revolutionären Denker bestätigt sich die eigentümliche revolutionäre Chance jedes geschichtlichen Augenblicks aus der politischen Situation heraus. Aber sie bestätigt sich ihm nicht minder durch die Schlüsselgewalt dieses Augenblicks über ein ganz bestimmtes, bis dahin verschlossenes Gemach der Vergangenheit. Der Eintritt in dieses Gemach fällt mit der politischen Aktion strikt zusammen; und er ist es, durch den sie sich, wie vernichtend immer, als eine messianische zu erkennen gibt.

Für diese methodische und praktische Verknüpfung beansprucht Benjamin in seinem Begriff der Geschichte den Namen Marxens; und darin erscheint die bei der Eröffnung der Partie in den historischen Materialismus eingesetzte Theologie. Bei den entscheidenden Zügen in diesem Schachspiel saß beiden der Fortschrittsglaube gegenüber. »Drei Momente sind in die Grundlagen der materialistischen Geschichtsvorstellung einzusenken: die Diskontinuität der historischen Zeit; die destruktive Kraft der Arbeiterklasse; die Tradition der Unterdrückten.« 85 Benjamins um jene Momente ergänzter Begriff der Geschichte unterstellt also, daß in jedem Augenblick die gesellschaftliche Umwälzung möglich ist. Ist das nichts als Wunschdenken in verzweifelter Ausweglosigkeit? Der tiefste Pessimismus jedenfalls hat dem Begriff der Geschichte diese Unterstellung eingegeben. Und doch ist er es, derselbe Pessimismus, der die Perspektive der 82

G. G. 84 G. 85 G.

83

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S. S. S. S.

I, I, I, I,

2;S. 2; S. 3; S. 3;S.

695. 701. 1231. (H. v. m., C. K.). 1246.

gesellschaftlichen Revolution überhaupt offenhält. Seine geschichtliche Berechtigung zu unterschlagen, wäre gleicherweise ignorant wie ihn als bloß geschichtlichen, also relativen, oder gar nur subjektiven, gelten lassen zu wollen. In der mit dem Eintreten des Messias analog gedachten Aktion, »wie vernichtend immer«, ist vom Augenblick des Kriegsausbruchs der Geschichtsverlauf auf der Schwelle erkannt, auf die das 20. Jahrhundert kulturell und politisch führte. Die historischen Belege, die Benjamin in den Thesen für das Bewußtsein erfüllter Jetztzeit anführt, zeigen das Zögern und Verharren in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. These XIV will, in Anlehnung an die Geschichtsschreibung Michelets, den Rückgriff auf das antike Rom während der Terreur der Großen Revolution als praktischen Gebrauch eines bestimmten Bildes der Vergangenheit verstanden wissen. Und These XV führt für das Aufhalten der Zeit in der Revolution, womit der neue Kalender und die neue Tradition einsetzen sollen, die Schüsse auf die Turmuhren während der JuliRevolution in Paris an. Daran soll ermessen werden, wie in der organisierten Arbeiterbewegung das historische Bewußtsein fehlgelenkt wurde; dies entnimmt man einer zugehörigen Aufzeichnung. 86 Es besteht der engste Zusammenhang zwischen der historischen Aktion einer Klasse und dem Begriff, den diese Klasse von der kommenden nicht nur sondern auch von der gewesenen Geschichte hat. Das ist nur scheinbar ein Widerspruch zu der Feststellung, daß das Bewußtsein historischer Diskontinuität das Eigentümliche revolutionärer Klassen im Augenblick ihrer Aktion sei. Denn da fehlen die historischen Korrespondenzen nicht: Rom für die französische Revolution. Beim Proletariat ist der genannte Zusammenhang gestört: dem Bewußtsein des neuen Einsatzes entsprach keine historische Korrespondenz[,] es fand keine Erinnerung statt. Am Anfang versuchte man sie zu stiften (vergl Zimmermanns Geschichte der Bauernkriege). Während die Vorstellung des Kontinuums alles dem Erdboden gleichmacht, ist die Vorstellung des Diskontinuums die Grundlage echter Tradition.

Wenn Benjamin demnach die Gleichzeitigkeit der Geschichtserkenntnis und ihrer praktischen Anwendung hypostasiert, dann soll ein Fehler aus der bisherigen Geschichte der Arbeiterbewegung korrigiert werden. Doch bleibt eben sie auch Anknüpfungspunkt und Vorstellungsrahmen des Historikers. Und obwohl in jener Gleichzeitigkeit auch die Möglichkeit eines vernichtenden Endes beschlossen liegen kann, ist die Moralität für das Wagnis, der Wahrheitsanspruch des Begriffs der Geschichte, der besseren Seite bürgerlichphilosophischer Aufklärung verpflichtet. 87 Der Blick, der auf die Posthistorie des Faschismus fällt, erkennt vom Atomzeitalter noch nichts Genaues. 86 87

G. S. I, 3; S. 1241/42. Benjamins >RettungsAn die Nachgeborenen.< Wir beanspruchen von den Nachgebornen nicht Dank für unsere Siege sondern das Eingedenken unserer Niederlagen.«88 Das zielt auf den Zeitenumbruch, den nur das Erinnern >rückwärts< überspringen kann, und das Brecht in folgenden Versen festhält:89 Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut In der wir untergegangen sind Gedenkt Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht Auch der finsteren Zeit Der ihr entronnen seid.

Und in Ahnung wie im sicheren Bewußtsein, am Ende einer Epoche zu sprechen, richtet sich Benjamin an die Nachwelt, wenn er den Historiker ermutigen will, »seine Zeit im Medium von verflossenen Verhängnissen« zu erblicken.

4. Der Gegner Historismus Das »bis dahin verschlossene Gemach der Vergangenheit« muß als ein Bestandteil des Mediums angesehen werden, in dem sich die Niederlagen der Vergangenheit erhalten haben können. Die Zeitfigur, die sich im politischen Gehalt der Kritik des Fortschritts zeigte, gilt auch methodisch für die geschichtliche Erkenntnis eines (Kunst-) Werks. Nach ihrem Muster ist jene gebildet. Doch sie behauptet einen eigenen Begriff der Geschichte, weil der Bereich der realen Geschichte mit dem der Geschichtlichkeit ästhetischer Produkte nicht identisch ist. Im Bild der Eröffnungsthese gedacht, ist der Fortschritt der eine Gegner beim Spiel um den Begriff der Geschichte, und der Historismus ist »der andere.« Warum erklärt Benjamin ausgerechnet eine literatur- und kulturhistorische Schule zum Kontrahenten, die wissenschaftsgeschichtlich gesehen schon zu Beginn des Wilhelminischen Zeitalters hinter den Höchststand ihrer Leistungen zurückfiel? Einmal schöpfte aus dem Fundus des Historismus die Sozialdemokratie ihren Kulturbegriff. Darüber hinaus bietet das Erkenntnisideal der ewigen Wahrheit den augenfälligsten Kontrast der Gefährdung der 88 89

G. S. I, 3; S. 1240. B. Brecht: A n die Nachgeborenen. In: Brecht, G W 9. S. 724.

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Erkenntnis im aktuellen geschichtlichen Augenblick: »>Die Wahrheit wird uns nicht davonlaufen< - dieses Wort, das von Gottfried Keller stammt, bezeichnet im Geschichtsbild des Historismus genau die Stelle, an der es vom historischen Materialismus durchschlagen wird. Denn es ist ein unwiederbringliches Bild der Vergangenheit, das mit jeder Gegenwart zu verschwinden droht, die sich nicht als in ihm gemeint erkannte.« 90 Doch soll dieses Bild parteilich sein, es soll das Eingedenken der »verflossenen Verhängnisse« fördern. Die Auswahl der Werke und Epochen und die Verknüpfung nach dem Kausalitätsprinzip, die mit dem Historismus als Methode etabliert worden sei, sei nicht nur, als »Kultur«, wertneutral und indifferent, sondern auch die Verherrlichung der jeweiligen Macht. These VII erkennt darin die Methode der »Einfühlung«, ein Begriff, der in Anlehnung an Brechts gestisches Prinzip gebildet ist; das Denken gegen die Einfühlung zu setzen ist der Grundsatz des ästhetischen Nonkonformismus. Benjamin benutzt eine Vision vom Historismus, 91 um einen geschichtlichen Begriff vom Kunstwerk zu gewinnen, der gegen das fetischistische bürgerliche Kulturverständnis genuin nonkonform ist. Er resultiert aus der Kritik am Historismus, 92 wenn man die Frage aufwirft, in wen sich denn der Geschichtsschreiber des Historismus eigentlich einfühlt. Die Antwort lautet unweigerlich in den Sieger. Die jeweils Herrschenden sind aber die Erben aller, die je gesiegt haben. Die Einfühlung in den Sieger kommt demnach den jeweils Herrschenden allemal zugut. Damit ist dem historischen Materialisten genug gesagt. Wer immer bis zu diesem Tage den Sieg davontrug, der marschiert mit in dem Triumphzug, der die heute Herrschenden über die dahinführt, die heute am Boden liegen. Die Beute wird, wie das immer so üblich war, im Triumphzug mitgeführt. Man bezeichnet sie als die Kulturgüter. Sie werden im historischen Materialisten mit einem distanzierten Betrachter zu rechnen haben. Denn was er an Kulturgütern überblickt, das ist ihm samt und sonders von einer Abkunft, die er nicht ohne Grauen bedenken kann. Es dankt sein Dasein nicht nur der Mühe der großen Genien, die es geschaffen haben, sondern auch der namenlosen Fron ihrer Zeitgenossen. Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein. Es ist die verborgene Seite des Werks, durch Auswahl und Überlieferung verschüttet, die mit seiner geschichtlichen Darstellung überhaupt erst einmal zutage gefördert werden soll. Darin erweist sich der Historiker im Umgang 90

G. S. I, 2;S. 695. Oder genauer, eine Vision der Kreuzung von Historismus und Positivismus, die in der Rezension Literaturgeschichte und Literaturwissenschaft (zu dem Band Philosophie der Literaturwissenschaft, hrsg. v. E. Ermatinger) von 1931 vorgebildet ist: »Die Scherersche Literaturgeschichte mit ihrem Unterbau exakter Tatsachen und ihren großen rhythmischen Periodisierungen von drei zu drei Jahrhunderten läßt sich sehr wohl als Synthese der beiden Grundrichtungen damaliger Forschung verstehen. Mit Recht hat man die kulturpolitischen und organisatorischen Absichten, aus denen dieses Werk hervorging, betont und die Makart-Vision eines kolossalen Triumphzugs idealer deutscher Gestalten, die ihm zugrunde liegt, aufgezeigt.« (G. S. III, S. 285) 92 G. S. I, 2; S. 696.

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mit den W e r k e n mit d e n j e n i g e n solidarisch, die nicht a n i h n e n teilhaben, heute u n d damals. B e n j a m i n behandelt so den Historismus als S c h e m e n , u m das »bis dahin verschlossene G e m a c h der Vergangenheit« als die den Unterdrückten e n t z o g e n e G e s c h i c h t e reklamieren zu können. Insofern liegt der Kritik des Historismus eine geschichtliche Vorstellung v o m Kunstwerk zugrunde, die B e n j a m i n für dessen zeitgenössische Verfassung in den Kunstwerkthesen ausgemacht hat. Läßt sich die Kritik des Historismus auch, w i e die des Fortschrittsbegriffs, aus geschichtlichen Erfahrungen verstehen, die B e n j a m i n i m Bewußtsein des Zeitenumbruchs übermittelte? Er wies in e i n e m Brief auf T h e s e XVII h i n ; sie sei der Schlüssel für sein bisheriges Arbeiten: 9 3 Der Historismus gipfelt von rechtswegen in der Universalgeschichte. Von ihr hebt die materialistische Geschichtsschreibung sich methodisch vielleicht deutlicher als von jeder andern ab. Die erstere hat keine theoretische Armatur. Ihr Verfahren ist additiv: sie bietet die Masse der Fakten auf, um die homogene und leere Zeit auszufüllen. Der materialistischen Geschichtsschreibung ihrerseits liegt ein konstruktives Prinzip zugrunde. Zum Denken gehört nicht nur die Bewegung der Gedanken sondern ebenso ihre Stillstellung. Wo das Denken in einer von Spannungen gesättigten Konstellation plötzlich einhält, da erteilt es derselben einen Chock, durch den es sich als Monade kristallisiert. Der historische Materialist geht an einen geschichtlichen Gegenstand einzig und allein da heran, wo er ihm als Monade entgegentritt. In dieser Struktur erkennt er das Zeichen einer messianischen Stillstellung des Geschehens, anders gesagt, einer revolutionären Chance im Kampfe für die unterdrückte Vergangenheit. Er nimmt sie wahr, um eine bestimmte Epoche aus dem homogenen Verlauf der Geschichte herauszusprengen; so sprengt er ein bestimmtes Leben aus der Epoche, so ein bestimmtes Werk aus dem Lebenswerk. Der Ertrag seines Verfahrens besteht darin, daß im Werk das Lebenswerk, im Lebenswerk die Epoche und in der Epoche der gesamte Geschichtsverlauf aufbewahrt ist und aufgehoben. Die nahrhafte Frucht des historisch Begriffenen hat die Zeit als den kostbaren, aber des Geschmacks entratenden Samen in ihrem Innern.9* D i e Arbeit Benjamins, die d e m in dieser These e n t w o r f e n e n Verfahren, v o m Lebenswerk aus in theoretischer Armatur den Geschichtsverlauf zu integrieren, a m nächsten k o m m t , ist das geplante Buch über Baudelaire gewesen. 9 5 W e n n aber diese These mit d e m Verfahren auch auf das Werk anspielt, das B e n j a m i n als Literaturhistoriker ausweist, auf Ursprung des deutschen Trauerspiels, d a n n ruft sie den gesamten Einsatz in Erinnerung, der der Wissenschaftler u n d Schriftsteller in seiner Zeit zu erfüllen gedachte. In der »Erkenntniskritischen Vorrede« des Buches ist erklärt, die Schönheit der F o r m 93

»In jedem Falle möchte ich Dich besonders auf die 17te Reflexion hinweisen; sie ist es, die den verborgenen aber schlüssigen Zusammenhang dieser Betrachtungen mit meinen bisherigen Arbeiten müßte erkennen lassen, indem sie sich bündig über die Methode der letzteren ausläßt.« (G. S. I, 3; S. 1226; Brief an G. Adorno vom April 1940). 94 G. S. I, 2 ; S . 702/03. 95 Nach den zwei Studien über Baudelaire wollte Benjamin das Thema auf der Materialbasis der Passagenarbeit fortführen. Gretel Adorno schrieb er, die Reflexionen dienten aber nicht allein der methodischen Vorbereitung dazu. (G. S. I, 3; S. 1226). 228

werde kunstphilosophisch aus ihrer Idee, die Monade sei, erkannt. In sie seien Vor- und Nachgeschichte des Werks eingegangen. Verworfen sei damit die Unendlichkeit der historischen Perspektive; die Beschränkung auf ein Einzelnes ermögliche es, den im Werkinnern verborgenen Zeitkern im Lichte der zeitgenössischen Aktualität freizulegen. 96 Die Verantwortung vor der Literatur, die Scheu vor der literaturhistorischen Repräsentation, kommen überall dort zum Ausdruck, wo sich Benjamin im Anschluß an den frühen literaturhistorischen Versuch Rechenschaft über die Vereinbarkeit der eigenen wissenschaftlich-experimentellen Arbeit mit einer parteipolitischen Bindung dieser Arbeit ablegte. Es war der Universalismus, gegen den er im Winter 1926/27 beim Aufenthalt in Moskau Bedenken vorbrachte. »Die universalistische [Darstellungsweise, C. K.] sei immer idealistisch, weil undialektisch. Die Dialektik nämlich dringe notwendig in der Richtung vor, daß sie jede Thesis oder Antithesis, auf die sie stoße, wieder als Synthese triadischer Struktur darstelle, sie komme auf diesem Wege immer tiefer ins Innere des Gegenstandes hinein und stelle ein Universum nur in ihm selber dar. Jeder andere Begriff eines Universums sei gegenstandslos, idealistisch.« 97 Den Hintergrund zu solchen Überlegungen bildeten die restaurativen Tendenzen der sowjetischen Staats- und Kulturpolitik: »das >Bildungsprogramm< für die Arbeiter, aus dem heraus m a n ihnen die ganze Weltliteratur nahe zu bringen suche, die Preisgabe der linken Schriftsteller, die in der Zeit des heroischen Kommunismus die Führung gehabt hätten, die Förderung reaktionärer Bauernkunst [.. ,]«.98 In der Gegenüberstellung des Universalismus und der monadischen Darstellungsform liegt die geschichtliche Erfahrung aufbewahrt, daß das Bündnis einer literarischen und wissenschaflichen Avantgarde mit den politischen Kräften für die Einlösung der Versprechen der Oktoberrevolution möglich, sogar notwendig gewesen wäre. Die Zerstörung der Autorität und des Ideals bürgerlicher Kunstbegriffe hätte die Grundlage »einer revolutionären Chance im Kampf für die unterdrückte Vergangenheit« gebildet. Eine Überlegung, wie im Prozeß der Überlieferung »große« Schriftsteller erst groß würden, bahnt die Vorstellung von einer unterirdischen, erlösungsbedürftigen Vergangenheit an, die mit der zeitgenössischen nüchternen Kunstauffassung zusammen besteht: 99 Struktur der >Größe< bei den >großen< Schriftstellern - die >groß< seien weil ihre Wirkung historisch sei, nicht aber umgekehrt historische Wirkung durch ihre schriftstellerische Gewalt besäßen. Wie man diese >großen< Schriftsteller nur durch die Linsen der Jahrhundert[e] sähe, die vergrößernd und färbend auf sie ausgerichtet seien. Ferner: wie dies zu einer absolut konservativen Haltung gegenüber den Autoritäten führe und wie doch eben diese konservative Haltung einzig und allein sich materialistisch begründen lasse. 96 97 98 99

G. S. I, 1; Moskauer Moskauer Moskauer

S. 227/28. Tagebuch. Hg. von G. Smith, F r a n k f u r t / M . 1980, S. 55/56. Tagebuch. S. 56/57. Tagebuch. S. 56.

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Was in den dreißiger Jahren folgte, mit der Imitation realistischen Erzählens, naturalistischen Bühnenspiels und der Historienmalerei, mußte als Überbau einer verratenen Revolution interpretiert werden. Im Theorem vom bürgerlichen Kulturerbe erfüllte sich Historismus. Zwei Sprachbewegungen dominieren in These XVII: die des Sprengens und Stillstellens, und die gegenläufige des Aufbewahrens und Aufhebens. Beide Sprachbewegungen, die diesmal die literaturgeschichtliche Methode anschaulich faßbar machen sollen, sind dem Sprengen des Kontinuums der Zeit und deren Eingedenken (These XV) genau nachgebildet. So führt Benjamin in textlicher Spiegelung in sich selbst sein methodisches Prinzip vor: Bild und Analogie. Auch dies führt auf die Essay-Form der Thesen zurück. Im Sinne einer »echte[n], d. i. politische[n] Erfahrung«, 100 resümiert Benjamin seine wissenschaftlich-experimentelle Intention. »Was >Revolutionäres< in ihrer Form sei und ob es in ihr sei,«101 hatte das Moskauer Tagebuch festgehalten. Der Rückgriff darauf ist in Benjamins Gegnerschaft zum Historismus von 1940 evident. Ein »Selbstversuch«, so darf gefolgert werden, liegt auch in der Reaktualisierung des Essentiellen seiner literaturgeschichtlichen Programmatik in Über den Begriff der Geschichte vor. Auch dies mag mit angeklungen sein, als er von der zwanzigjährigen Verborgenheit dieser Gedanken vor sich selbst schrieb. Im Augenblick des Kriegsausbruchs reklamierte Benjamin die nonkonformistische Potenz des Kunstwerks und der ästhetischen Erkenntnis, und damit den für seine Generation ungehört gebliebenen geschichtlichen Anspruch »auf Erlösung«. Der Verzicht auf literaturpolitischen Einspruch trägt dem Rechnung.

5. Zusammenfassung Die als Spätwerk eingestuften kunsttheoretischen Arbeiten Walter Benjamins sind unabtrennbar vom Pariser Exil und der politischen Haltung, die es dem deutschsprachigen Schriftsteller aufgab. Äußerer politischer Zwang und die inneren Notwendigkeiten der literarischen Arbeit waren für seine Flucht 1933 aus Deutschland ausschlaggebend gewesen. Beides machte ihm die Bindung an diejenigen politischen Kräfte, die er eine gesellschaftliche Revolution zu tragen für fähig hielt, zwingend; beides verpflichtete ihn, innerhalb der vorgegebenen antifaschistischen Literaturpolitik die eigene Kritik an ihr zu formulieren. Benjamins literaturpolitische Position ließ sich aus den Arbeitsplänen und den biographischen wie geschichtlichen Umständen erschließen, die in die kunsttheoretischen Aufsätze und in die Arbeit Über den Begriff der Ge100 101

G. S. II, 2; S. 477. Eduard Fuchs, der Sammler und Historiker. Moskauer Tagebuch, S. 108.

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schichte eingegangen sind. In der konkret historischen Dimension sind diese Arbeiten auf die sozialen und politischen Auseinandersetzungen in Frankreich bezogen: Der Autor als Produzent (1934) basiert in seiner Argumentation auf der Wendung zur Volksfrontpolitik, als diese im Ρ C F umstritten war. Mit dem Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1935/36) ist eine Thematik fortgeführt, die in französischen Beiträgen zum Kongreß »Zur Verteidigung der Kultur« (1935) berührt war. Schließlich ging die Politik der Gewerkschaften und der Regierung Leon Blum in der Situation und Folge von 1936 als Erfahrung und Beobachtung Benjamins in Über den Begriff der Geschichte (1940) ein. Benjamins literaturpolitisch tragende These von 1934 lautete, die >richtige< politische Tendenz stehe in funktionaler Abhängigkeit von der fortschrittlichen literarischen Technik. Deren historisch erreichten Stand machte er als Umschmelzungsprozeß der Formen aus. Mit dieser These legte Benjamin der antifaschistischen Bündnispolitik nahe, sich den literarischen Avantgardeformen in einer bestimmten Tradition zu verpflichten. Die A n f ü h r u n g des Beispiels Brecht führte auf Rimbaud zurück. Literaturpolitisch sprach die »historisch materialistische« These von der funktionalen Abhängigkeit zwischen Technik und Tendenz in eigener Sache. Sie umschrieb das, was Benjamin als »Produktionsverhältnis« verstand: die politische Ausrichtung experimentell arbeitender Schriftsteller auf revolutionäre Kräfte. Die Kunstwerkthesen von 1935/36 begründeten mit der französischen Moderne im Hintergrund die Verfassung der zeitgenössischen Kunstformen weit entschiedener kunstphilosophisch. Über den Gedanken vom Verfall der Aura konfrontierte Benjamin die Filmtechnik mit den urzeitlichen und den einmaligen Werken. Die so aufgewiesene Kluft machte er als historischen Funktionswechsel von einer in Theologie gebundenen zu einer auf Politik beruhenden Kunst aus. Innerhalb eines engeren Zeitraumes, mit den Erfindungen der Reproduktionsverfahren für die massenhafte Herstellung von Bildern zu Beginn des 19. Jahrhunderts, konnte er den Funktionswechsel an der Entwertung der Einmaligkeit des Werks festmachen. In Anlehnung an Valerys grundlegende Idee von der literarischen Arbeit und Technik führte Benjamin spiegelbildlich zu ihr die mechanisch-industrielle Herstellungstechnik des Films und seine das Publikum erziehende Wahrnehmungsweise vor. Dabei bildete er einen Begriff vom Kunstwerk, der Esoterik und Volkstümelei in gleicher Weise hinter sich ließ: Den Gegenständen des Kunstgebrauchs ist ein Wert beigemessen, der doch auch den unbescholtenen beiläufigen Gebrauch der Gegenstände durch das Massenpublikum unangetastet ließ. Literaturpolitisch zeugte der neue Kunstbegriff »historisch materialistisch« für die geschichtlich mögliche Bewältigung des gesellschaftlichen Umgangs mit der Technik. Von der Kehrseite ist die zivilisationsbedingte Gefahr wie auch die Ursache für die aktuelle Gefährdung aufgewiesen: die Fesselung der Technik in kapitalistischen Produktionsverhältnissen mache die faschistische Massenbeherrschung nötig und führe in letzter Konsequenz den Krieg 231

herauf. In beiden Schlußfolgerungen stand Benjamins Reproduktionstheorie gegen das Schlagwort von der Verteidigung der Kultur und den Glauben an irgendeine Wirksamkeit der traditionell humanistischen Bekenntnisse. Mit dem eigenständigen historischen Materialismus in Der Autor als Produzent und den Kunstwerkthesen begründete Benjamin seine Kritik und nicht - wie in der Literatur zu Benjamin unterstellt wird - einen schließlich mißlungenen Versuch der Anbiederung an literaturpolitische Leerformeln kommunistischer Publizistik. Diese Verkennung resultiert daraus, daß Benjamins praktisches Einstehen und der doppelte Bezug auf die deutsche Emigration und die französische soziale und literarische Situation nicht in Rechnung gestellt werden. In seiner letzten Arbeit Über den Begriff der Geschichte (1940) löste Benjamin seine Bindung an die kommunistische Politik. Er revidierte seine Hoffnungen auf den Antifaschismus der Jahre 1934 bis 1937. Er band nun an eine aus dem begonnenen Krieg enstehende Aufstandsstrategie die Möglichkeiten gesellschaftlicher Befreiung. Der »historische Materialismus« begründete 1940 keinen literaturpolitischen Schritt, sondern stellte sich dem geschichtlichen Augenblick in direkter Konfrontation. Mit der Kritik des Fortschrittsglaubens hat Benjamin seine Einsicht in den Zeitenumbruch des zwanzigsten Jahrhunderts übermittelt. Soweit in der Arbeit Über den Begriff der Geschichte Benjamin ein literaturhistorisches Verfahren als »historischen Materialismus« umschrieb, ging es um die Rettung des nicht in die bürgerliche Überlieferung eingangenen oder von ihr entstellten Werks. Literaturhistorische Rettung und geschichtsmächtige Aktion aus der Zeiterfahrung des Ausnahmezustands sind als ein gleichzeitiges, wenn auch nicht identisches, »Jetzt« gefaßt. Die mit jeder These neu einsetzende Gedankenführung bringt methodisch beide als Chiasmus zusammen. Dem liegt Benjamins Versuch an sich selbst im Sinne einer Aufarbeitung der eigenen erfahrenen Geschichtszeit zugrunde. Die formal experimentelle Durchführung und das methodische Verfahren bewahren Benjamins literarische Strategie.

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Personenregister

Adorno, Gretel (geb. Karplus, s. auch dort) I X , 84, 113, 183, 218, 228 Adorno, Theodor Wiesengrund VIII, 11 f., 17, 25, 28, 69, 84, 88, 105, 107f., 114, 116-118, 124, 127, 156, 161, 167, 173, 177, 182 f., 185, 187-189, 191, 193, 196-200, 202, 218, 220 Alquie, Ferdinand 170 Annuncio, Gabriele d' 151 Aragon, Louis 22, 24, 7 1 - 7 3 Aron, Raymond 158, 160-162 Arendt, Hannah 90, 195f., 202, 209 Arnheim, Rudolf 105, 106 Arnold, Heinz Ludwig 117 Atget, Eugene 120f., 125 Baeck, Leo 116, 157, 182 Bachofen, Johann Jakob 87 Ball, Hugo 87 Balzac, Honore de 3, 74, 179 Barbusse, Henri 23, 163, 176 Barth, Karl 203 - 2 0 5 Bataille, Georges 147, 174, 178-181 Baudelaire, Charles 3, 83, 8 6 - 8 9 , 99, 103f., 113, 120, 128, 132, 138, 157, 169f., 188, 191 f., 194, 196-199, 221, 228 Bausch, Hans 12 Beach, Sylvia 19 Becher, Johannes Richard 18,30, 68,72, 74, 91, 163, 176 Beckmann, Max 147 Behrens, Eduard 212f. Benatzky 108 Benda, Julien 4 Benjamin, Dora 208, 215 Benjamin, Dora Sophie 5, 121, 185 Benjamin, Georg 1, 4f., 7 Benn, Gottfried 156 Benoist-Mechin, Jacques 20 Berdjaev, Nikolai 206, 210 Berendsohn, Walter Α. IX Berg, Alban 221 Bergery, Gaston 31 Berman-Fischer, Gottfried 50 Bernouard, F r a n c i s 19

Biedermann, Benedikt 206 Biha, Otto (d.i. Oto Bihalji-Merin) 29, 31 Blanqui, Louis-Auguste 170, 180, 223 Bloch, Charles 22 Bloch, Ernst I X , 11, 19, 47, 69, 75,119, 124, 127, 135, 153 f., 156, 168, 197 Bloch, Jean-Richard 31, 163f. Bloßfeldt, Karl 126, 141 Blum, Leon 31, 190, 211, 231 Bohrer, Karl Heinz 103 Braak, Menno ter 78, 105 Brecht, Bertolt VII, I X f . , 5 - 8 , 10, 1 6 - 2 0 , 27, 3 0 - 3 2 , 45, 51f., 53f., 5 8 - 70, 74, 79, 90f., 93, 104f., 113, 1 1 6 - 1 1 9 , 127, 132, 140, 146, 148, 154, 166-168, 170, 172f., 178, 181, 186, 188, 190, 200, 2 0 7 - 2 1 0 , 213f., 226, 231 Bredel, Willi 172 f. Brentano, Bernard von 8, 193 Breton, Andr£ 78, 1 6 7 - 1 7 0 , 174, 177, 179f., 223 Brill 159-161 Bronnen, Arnolt 57, 156 Brupbacher, Fritz 204 Bruckmann, Elsa 151 Brüggemann, Heinz X I , 117, 119 Buber, Martin 94, 203 Büchner, Georg 56 Buck, Elmar 47, 105 Bürger, Peter 42 Bulthaup, Peter VIII Bunuel, Luis 127 Caillois, Roger 181 Caute, David 72 Chaplin, Charles 105-107, 145 Chiappe, Jean 22 Cocteau, Jean 127 Cohn, Alfred 153, 158, 169, 171, 173, 175, 202 Cohn, Jula 121 Coudenhove 52 Daladier 22 Danos, Jacques 23, 211 Dauthendey, Karl 122

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De Moro-Giaffari 26 Desjardin, Paul 190 Döblin, Alfred 28, 46-55, 93, 173 Doriot, Jacques 31, 212 Dostojewski, Fjodor 179, 206 Dronke, Ernst 85 Duchamp, Marcel 146f. Dudow, Slatan 17, 171 f. Durtain, Luc 89, 164f. Eggebrecht, Axel 107 Eggeling, Vikking 136 Eisenstein, Sergei 107, 137, 144, 172 Eisler, Hanns 17, 65 Emmerich, Wolfgang IX Engels, Friedrich 85, 116 Ensor, James 5, 101 Ermatinger, Emil 227 Erpenbeck, Fritz 173 Eschenburg, Theodor 12 Etiemble, Rene 190 Fernandez, Ramon 21, 24f. Feuchtwanger, Lion 172 Feuerbach, Ludwig 207, 218 Flaubert, Gustave 86 Fleisser, Marieluise 5 Foerster, F. W. 52 Fourier, Charles 179f., 221 Frei, Bruno 72 Freud, Sigmund 101, 103, 138, 147 Freund, Gisele XI, 91, 93 Friedmann, Georges 163 Fuchs, Eduard 16, 151, 184-187, 191, 230 Fuld, Werner VII, 14, 26, 88, 106, 108, 164 Gabor, Andor 74, 209 Gallas, Helga 33 George, Stefan VII Gibelin, Marcel 23, 211 Gide, Andre 22f., 25, 41, 72, 81, 152, 164, 173, 176f. Ginzkey 93 Glassbrenner 85 Glück, Gustav 11 Gobetti, Piero 24 Goebbels, Joseph 12, 72, 76, 108, 151, Goethe, Johann Wolfgang von 12 Gogh, Vincent van 141 Gorki, Maxim 175 Graber, Heinz 48 Graf, Oskar Maria 172 Greffrath, Krista R. 220 Gregor, Ulrich 105, 137

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221, 151,

155,

174

Gross, Babette 168 Grosz, George 131 Grünberg 183 Guihenno, Jean 163 Günther, Hans 73 Guerin, Daniel 31 f. Gumbel, Emil Julius 4, 205 Gutermann, Norbert 89, 165 Guys, Constantin 147 Haas, Willy 2, 13 Haecker, Theodor 4 Hahn, Manfred IX Hallgarten, George W. 27, 29 Hamann, Johann Georg 205 Hardekopf, Ferdinand 62, 222 Haselberg, Peter von 88 Hasenclever, Walter 75, 215 Hauptmann, Elisabeth 17, 19 Haussmann, Baron 18 Hay, Julius 24 Hebel, Johann Peter 56 Hecht, Werner 113 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 82, 182, 199, 225 Heidegger, Martin 8, 200 Heine, Heinrich IX, 86 Heise, Rosemarie 120 Heißenbüttel, Helmut VIII, 7 Hennings, Emmy 87 Hering, Christoph VII Herrmann, Regine IX Hessel, Franz 17, 121 Heym, Georg 61 Hilferding, Rudolf 47 Hill, Octavius 122 Hillach, Ansgar VII Hiller, Kurt 28, 46-49, 51f., 75f. Hindenburg, von 13, 50 Hitler, Adolf VII, IX, l f . , 8, 13f., 18, 32, 72, 94, 151, 168, 201, 204, 210, 215, 219f. Hobbes, Thomas 222 Hocke, Gustav Rene 47, 53f. Hollier, Denis 181 Holz, Detlef (d.i. Walter Benjamin) 14 Homer 152 Hoppenot, Henri 197 Horkheimer, Max 20, 158-162, 171, 177, 179, 182-187, 189-193, 197f., 202, 208 Hugenberg 107 f. Humboldt, Wilhelm von 156 Husserl, Edmund 200 Ihering, Herbert 8 Jacobs, Monty 50

Jarry, Alfred 169 Jay, Martin 182 Jesaja 179 Jochmann, Carl Gustav 221, 225 Jouve, Pierre Jean 147, 177, 179 Joyce, James 19, 154 Jäger, Hans 74 Jünger, Ernst 4, 103 Jürgens, Martin 151 Jung, Carl Gustav 191 Kästner, Erich 46, 5 7 - 6 2 Kafka, Franz 20, 93, 148, 179, 199 Kambas, Chryssoula 203f., 222 Kamenjew 208 Kandinsky, Wassily 141 Kanehl, Oskar 61 Karplus, Gretel (ab 1937: Gretel Adorno) 17, 19f., 174, 188 Keller, Gottfried 213, 227 Kemp, Wolfgang 129, 133 Kesten, Hermann 63 Kindermann, Heinz 92 Kisch, Egon Erwin 74, 163 Kläber, Kurt 29-32, 74 Klages, Ludwig 88, 151 Klee, Paul 127, 141, 195 Klein, Wolfgang 163 Klemperer, Otto 127 Klossowski, Pierre 147, 162, 174, 178-180, 190 Koppen, Edlef 12 Koeppen, Wolfgang 143 Koestler, Arthur XI, 27, 29, 41 Kolisch, Rudolf 221 Kolzow, Michael 19, 172 Kopelew, Lew 117 Korsch, Karl 17, 26, 30f., 48 Kracauer, Siegfried XI, 54, 60, 105-107, 135, 142f., 153, 219 Kraft, Werner 104, 113, 124, 203, 206 Kraus, Karl 11, 20, 87, 113 Kreutzer, Leo 47, 105 Kuleschow, Lew 137 Kurella, Alfred 18, 29, 72, 73, 209 Kuttenkeuler, Wolfgang 83 Lacis, Asja 8, 53, 67, 107, 118, 121, 124, 171, 187 Lackner, Stephan (d.i. Ernst Morgenroth) XI, 147, 180, 183, 185, 190, 192-196, 210, 218 Langevin, Paul 26f., 31 Langkau-Alex, Ursula XI, 30,163,166, 204 Larbaud, Vatery 20

Lautr6amont, Comte de (d.i. Isidore Luden Ducasse) 104, 132, 169 Lecache, Bernard 31 Letebvre, Henri 89, 165 Leiris, Michel 147 Lenin, Wladimir I. 91, 150, 167, 223 Leonhard, Kurt 96 Leonhard, Rudolf 75 Lepenies, Wolf 150 Lesskow, Nikolai 84, 203 Levy-Bruehl 26f. Lichtenstein, Alfred 61 Lieb, Fritz 154, 191, 197, 2 0 2 - 215, 221 Lieb-Staehelin, Ruth XI Lindner, Burkhard VII, 117 Lintert, Carl 6, 132, 149 Loerke, Oskar 50 Löwenthal, Leo 182f., 200 Löwith, Karl 90 Loewy, Ernst IX Ludkiewicz, Stefan 74 Lukäcs, Georg 35, 74-76, 209, 218 Luther, Martin 218 Luxemburg, Rosa 150, 167f., 180, 223 Märten, Lu 98 Majakowski, Wladimir 44, 155 Malraux, Andr6 23, 26, 142, 163, 177, 178 Mallarme, Stephane 89f., 132 Mann, Heinrich 6, 46, 48f., 51, 208 Mann, Klaus 18, 28, 78 Mann, Thomas 72, 132, 192f. Marcuse, Herbert 183, 200 Margueritte, Victor 26 Marinetti, Emilio Filippo Tommaso 152f., 155 Markert, Werner 12 Marx, Karl IX, 79, 85f., 91, 103, 116, 119, 142f., 154, 165, 202, 207, 218, 221, 223f. Marx-Steinschneider, Kitty 13, 172, 177f., 203 Masereel, Frans 26 Massenbach, S. von 179 Maublanc, Rene 22, 72 f. Maulnier, Theirry 155 f. Mayer, Hans 117, 166, 181 Mehring, Franz 12, 28, 176 Mehring, Walter 46, 57, 59, 61 f., 91 Meier-Benneckenstein, Paul 151 Meryon, Charles 83 Meyer, Jochen XI Meyerhold, Wsewolod Emiljewitsch 117f., 172 Mierau, Fritz 44

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Milhaud, Ε. 26 Missac, Pierre 217 Moholy-Nagy, Laszlo 126f., 136, 141 Mondrian, Piet 141 Monnet, Georges 31 Monnier, Adrienne 14, 19, 103, 110f., 142, 197, 219 Montaigne, Michel Eyquem, Seigneur de 218 Morgenroth, Ernst (s. Stephan Lackner) Morgenstern, Christian 61 Morgenstern, Soma 201, 221 Mühsam, Erich 24 Müller, Hans Dieter 95 Müller-Lehning, Arthur XI, 127f. Münster, Arno 41, 56, 69 Münzenberg, Willi 18, 26, 72,163, 168, 208, 215 Muschg, Walter 48 Mussolini, Benito 214 Neher, Carola 68 Nerval, Gerard de 169 Neumann, H. 179 Nietzsche, Friedrich 90, 147, 180, 224 Nizan, Paul 24f., 212 Nolte, Ernst 108 Noth, Ernst Erich 93 Novalis (d.i. Georg Friedrich Philipp Freiherr von Hardenberg) 113 Osborn, Max 50 Ossietzky, Carl von 5, 24, 49 Ottwalt, Ernst 74 Painleve, Jean 26 Panaggi, Ivo 127 f. Panofsky, Erwin 176 Papen,von 12 Partos, Paul 17, 26, 30f., 48 Patalas, Enno 105, 137 Paulhan, Jean 147 Paz, Magdeleine 177 Pech, Karlheinz IX Peters, Jürgen XI, 47, 105 Pfotenhauer, Helmut VII, 156 Picard, Max 75 Pinthus, Alfred 75 Picasso, Pablo 106 Piscator, Erwin 119 Plechanow, Georgij V. 176 Poe, Edgar Allan 95, 99f., 102f. Pollock, Friedrich 183f., 186-189, 191, 196 Poulaille, Henry 6 Prokop, Dieter 105 Proust. Marcel 3. 38. 113. 148, 179

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Pudowkin, Wsewolod 106f., 137 Raddatz, Fritz J. IX, 61, 75, 85, 148 Radek, Karl 154 Radt, Stephan S. XI Ragaz, Leonhard 204 Ramuz, C. F. 89, 222 Reich, Bernhard 118, 127, 171f., 174 Reich, Wilhelm 147 Reich-Ranicki, Marcel IX, 2 Reifenberg, Benno von 6 Reneville, Ronald de 208 Renn, Ludwig 24 Rexroth, Tillmann IX Richter, Hans 106f., 121, 174 Riegl, Alois 5, 87, 90, l l l f . , 120, 128-135, 140 f. Rimbaud, Arthur 56, 91, 132, 231 Rohkrämer, Martin 205 f. Rolland, Romain 23 Rosenberg, Arthur 12 Rosselli, Carlo 26 Rothfels, Hans 12 Rubel, Maximilien XI Rychner, Max 11 Sachs, Maurice 147 Sade, Donatien-Alphonse-Frangois, Marquis de 179 Sahlberg, Oskar 199 Salomon, Ernst von 4 Salomon-Delatour, Gottfried 204, 214f., 222 Salzinger, Helmut 105 Saß 85 Schäfer, Wilhelm 93 Scharf, Aaron 85 Schauwecker 52 Scheerbart, Paul 93 Scherer, Wilhelm 227 Schestov, Lev 206 Schiller, Dieter IX Schivelbusch, Wolfgang 85 Schklowskij, Viktor 137 Schlaffer, Heinz 83 Schmitz, Oscar Α. H. 37,105,107, 120,138, 142 Schmidt, Johann 208 Schmitt, Carl 203, 222 Schmitt, Hans-Jürgen 75 Schoen, Ernst 121 Schoenaich, von 52 Scholem, Gerhard Vllf., Xf., 2f., 6f., 9 - 1 4 , 16f., 20f., 23, 26, 29, 45, 53, 79, 94, 116, 120f., 124, 148, 153, 157, 159,

182, 184f., 187, 194f., 200f., 206f., 209, 220 Schönberg, Arnold 221 Schub, Esther 107 Schuler, Alfred 151 Schumann, Kuno 95 Schwarz, Hans 213 Schwarzschild, Leopold 147 Schweppenhäuser, Hermann VIII, 83 Schwitters, Kurt 127 Seghers, Anna 74, 208 Seidel, Gerhard XI Seidel, Ina 93 Serge, Victor 168, 177, 215 Short, R. S. 170, 179 Signac, Paul 26 Sinowjew 208 Smith, Gary X, 299 Sohn-Rethel, Alfred 117 Sontag, Susan 141 Sorel, Georges 212 Soupault, Philippe 78, 106 Sperber, Man£s 29 Stalin, Josef 32, 201, 208-210, 215, 220 Steffin, Margarete 17, 171-174 Sternberg, Fritz 53 Strelka, Joseph 48 Stone, Sascha 121 Sue, Eugene 85 Szondi, Peter 206f., 213f. Tairow, Alexander I. 118 Taubes, Jacob 203 Thälmann, Ernst 32, 50 Thamer, Hans-Ulrich 212 Thieme, Karl 212 Thieß, Frank 93 Tiedemann, Rolf Vllf., 9, 19, 51, 127, 156, 167, 183, 191, 198, 208f., 217 Tiedemann-Bartels, Hella IX, 192 Toller, Ernst 2, 49, 75

Tolstoi, Lew N. 44, 74 Tretjakow, Sergej 39-41, 47, 50, 58, 64, 107, 131, 172, 174 Trotzki, Lew Davidowitsch 49, 73, 179, 215 Tucholski, Kurt X, 28, 46, 57, 59, 61, 63 Turgot, A. R. J. 215 Tzara, Tristan 121, 124 Ulrich, G. P. 74 Unruh, Fritz von 4 Unseld, Siegfried 1 Val6ry, Paul 88-91, 95-104, 110, 112, 114-116, 123, 125, 128-130, 134f., 138, 156, 164f., 177, 231 Valois, Georges 4 Vertoff, Dsiga 107 Vildrac, Charles 31 Völker, Klaus 17, 30 Wagner, Richard 89 Wahl, Jean 177, 179f. Walter, Hans-Albert 4, 49-51, 94, 172f. Wawrzyn, Lienhard 105 Weber, Alfred 151 Weigel, Valentin 206 Weill, Kurt 127 Weinert, Erich 74, 163 Weiskopf, Franz Carl 47 Werfel, Franz 75 Wickhoff 87, 120, 128 Wijk, Kees van 128 Winckler, Lutz IX Winter, Irina 5 Wippermann, Wolfgang 212 Witte, Bernd 4, 8, 54 Witte, Karsten 105 Wittfogel, Karl August 183 Wölfflin 5 Zola, Emile 85 Zucker, Wolfgang M. 5 Zuckmayer, Carl 5

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