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German Pages 418 [427] Year 1996
Von Wien nach Königgrätz spannt sich der Bogen der Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes. Dabei spielt der Zusammenhang von deutschen Sicherheitsinteressen und europäischem Gleichgewicht die zentrale Rolle. Ausgehend von einer Darstellung der Militärkonzeption und der Kriegsverfassung des Deutschen Bundes beschreibt der Autor die sicherheitspolitischen Folgen, die jede Neubewertung der europäischen Konstellation an den Wendepunkten der Geschichte des 19. Jahrhunderts nach sich zog. Der Deutsche Bund, der auf dem Wiener Kongreß 1814/15 ursprünglich als Bestandteil und Mittelstück des europäischen Gleichgewichts konzipiert wurde, folgte mit seiner Militärkonzeption und seiner
Sicherheitspolitik zuerst europäischen Gesichtspunkten. In einer Staatenwelt, die sich unterdessen zunehmend nach nationalstaatlichen Kriterien entwickelte, erwies er sich jedoch aufgrund seiner starren inneren Struktur am Ende unfähig, ausreichende sicherheitspolitische Stabilität für die Mitte Europas zu garantieren. Und so lag nachdem friedliche Alternativen abgeschnitten waren die Entscheidung von Königgrätz 1866 durchaus in der Logik der europäischen Entwicklung. Mit der politischen Neuordnung Deutschlands ging auch der sicher-
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heitspolitische Paradigmenwechsel zum
Nationalstaat einher.
Umschlagbild:
Die österreichische Armeegeschützreserve nach der Schlacht bei Königgrätz am 3. Juli 1866 (Wien, Heeresgeschichtiiches Museum, Inv. Nr. Bl 18.012).
Oldenbourg
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Angelow
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Von Wien nach Königgrätz
Beiträge zur Militärgeschichte Herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt Band 52
R.
Oldenbourg Verlag München 1996
Von Wien nach Königgrätz Die Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes im
europäischen Gleichgewicht (1815-1866)
Von
Jürgen Angelow
R.
Oldenbourg Verlag München 1996
Vorderes Vorsatzblatt: Charte von Deutschland nach dem Wiener bibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz, Kt.-abt. Kt. L 598) Hinteres Vorsatzblatt: General-Karte von ßischer Kulturbesitz, Kt.-abt. Kt. F 810)
Die Deutsche Bibliothek
Europa
Congress 1816 (Staats-
1835 (Staatsbibliothek Berlin Preu-
CIP-Einheitsaufnahme -
Angelow, Jürgen: Von Wien nach Königgrätz : die Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes im europäischen Gleichgewicht (1815 1866) / von Jürgen Angelow. München : Oldenbourg, 1996 -
(Beiträge zur Militärgeschichte ; Bd. 52) -
ISBN 3-486-56143-X
NE:GT
© 1996 R. Oldenbourg Verlag GmbH, München Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam Druck und Bindung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe GmbH, München
ISBN 3-486-56143-X
Inhalt
Vorwort
.
9
Einleitung.
11
Militärkonzeption und Militärverfassung des Deutschen Bundes.
19
I.
1. Die inneren Grundlagen der Militärkonzeption des Deutschen Bundes und das europäische Gleichgewicht nach 1815. 19 2. Die a.
b.
Bundeskriegsverfassung. Entstehungsgeschichte der Bundeskriegsverfassung. Die militärischen Bestimmungen der Bundeskriegsverfassung. Gliederung und Heeresstärke. Waffengattungen. Landwehr und Landsturm. Bereitschaftsgrad und Mobilmachung. Bewaffnung und Vorschriften. Oberbefehl.
Verpflegung.
Militärrecht. c.
33 33 40 40 41 42 43 44 45 47 48 50 50
Die müitärischen Fachgremien der Bundesversammlung. Der Bundesmilitärausschuß. Die Bundesmihtärkommission. 51
3. Die innere Funktion des Bundesmilitärwesens. 52 Die Bundesintervention. 53 Die Bundesexekution. 55 4. Das Problem der Bundesfestungen. a. Strategische Bedeutung und Status der Bundesfestungen. b. Besatzung und Zustand der alten Bundesfestungen Mainz, Luxemburg und Landau. c. Die Festungsneubauten bei Rastatt und Ulm.
57 57
5. Militärwesen und Streitkräfte der Gliedstaaten des Bundes. a. Die Streitkräfte Österreichs. b. Die Streitkräfte Preußens. c. Die Streitkräfte der Mittel- und Kleinstaaten.
65 65 71 79
59 62
6
Inhalt
II. Die Sicherheitspolitik des Bundes und das europäische Gleichgewicht in den Krisen nach 1815. 87
Sicherheitspolitik zwischen Zusammenwirken und Vereinzelung. a. Die europäische Krise 1830 bis 1832.
1.
87 87 b. Die Reluitionen nach 1830. 106 c. Die »Rheinkrise« 1840/41. 109 d. Reformbestrebungen der Bundeskriegsverfassung. 125
2.
Sicherheitspolitik zwischen Revolutionsangst und Rivalität. a. Der Revolutionsbeginn 1848. b. Deutsch-Dänischer Krieg und holsteinischer Konflikt 1848 bis 1852.. c. Die Militärfrage in der Paulskirche.
3.
Sicherheitspolitik zwischen begrenzter Zusammenarbeit und innerer Gegnerschaft. 165 a. Der Krimkrieg 1853 bis 1856. 165 b. Militärverhandlungen und operative Planungen im Bund 1854 bis
131 131 137 148 d. Novemberkrise 1850 und Restitution des Bundes. 153 e. Die Revision der Bundeskriegsverfassung 1855. 162
1856. 171 Der oberitalienische Konflikt 1859. 190 200 d. Verhandlungen um eine Teilnahme des Bundes am Konflikt 1859 c.
....
4.
Sicherheitspolitik zwischen formuliertem Antagonismus und Bundesbruch.. 221 a. Alternativen in der Militärkonzeption nach 1859. 221 b. Bundesexekution und Preußisch-Österreichischer Krieg gegen Däc.
nemark 1863/64. 230 Der Bundesbruch 1866. 236
Zusammenfassung.
257
Quellen und Literatur. 265 Handschriftliche Quellen. 265 Gedruckte Quellen und Literatur. 267 283 Anlagen 4. v. 1: für SteiMetternichs 1817 vom Juni Generalmajor Anlage Instruktion gentesch zur Ausarbeitung und Verhandlung der Bundeskriegsverfassung 283 Anlage 2: Militärische Zuarbeit für Generalmajor v. Steigentesch über die Verteidigung der Westgrenze des Deutschen Bundes 1817. 286 Anlage 3: Kriegsverfassung des Deutschen Bundes sowie Revidierte Bestimmungen der Bundeskriegsverfassung nach der Revision von fünf Abschnitten der näheren Bestimmungen im Jahre 1855. 290 .
Inhalt
Anlage 4: Übersicht über das Bevölkerungswachstum der Bundesstaaten von 1818 bis 1852 (Auszug).323 Anlage 5: Zusammenstellung des Bundesheeres 1822 nach den Bestimmungen der Bundeskriegsverfassung. 324 Anlage 6: Übersicht über die Kriegsformation des deutschen Bundesheeres 1859 326 Anlage 7: Übersicht über die drei gemischten Armeekorps und die Reserveinfanteriedivision 1831.329
Anlage 8: Allgemeines Kartell für den Deutschen Bund 1831. 331 Anlage 9: Eidesformel für den Gouverneur von Landau oder in dessen Ermangelung für den Kommandanten. 335 Anlage 10: Bericht des preußischen Generalmajors Eugen v. Roeder über dessen Sendung nach Wien 1831. 335 Anlage 11: Protokoll der österreichisch-preußischen Vorverhandlungen
14. März 1832 zur Berliner Militärkonferenz. 344 12: Anlage Protokoll vom 3. Dezember 1832 über den Abschluß der Berliner Militärkonferenz. 350 Anlage 13: Preußisch-österreichische Punktation vom 17. März 1833. 365 Anlage 14: Bericht des preußischen Militärattaches in Paris vom 10. Dezember 1840 über die Entwicklung der französischen Truppenstärken. 371 Anlage 15: Instruktion König Friedrich Wilhelms IV. für den preußischen Mihtärbevollmächtigten am Deutschen Bund, Oberst v. Radowitz, für dessen Sendung an die süddeutschen Höfe während der »Rheinkrise« von 1840... 375 Anlage 16: Anträge der Bundesmilitärkommission zur Musterung der Reserveinfanteriedivision (1841). 378 Anlage 17: Berechnung des preußischen Generalstabes für 1854 mögliche Kriegsfälle. 380 Anlage 18: Memorandum des österreichischen Feldzeugmeisters Freiherr v. Heß vom 31. März 1854 über eine österreichisch-preußische Allianz im Krimkrieg. 388 Anlage 19: Grundsätze des österreichischen Feldzeugmeisters Freiherr v. Heß über eine militärische Verständigung mit Preußen und den übrigen Bundesstaaten vom 1. April 1854.391 Anlage 20: Schreiben Kaiser Franz Josephs I. an König Friedrich Wilhelm IV. aus Wien, eingegangen am 1. April 1854. 392 21: Bericht Bismarcks vom 27. Februar 1855 über die EinschüchteAnlage vom
rungspolitik Österreichs gegenüber den süddeutschen Mittelstaaten während des Krirnkriegs (Auszug).394 Anlage 22: Kriegsstärke und Dislokation der österreichischen und der französischen Armee im Mai 1858. 395 Anlage 23: Denkschrift zur Haltung Preußens im oberitalienischen Konflikt 1859. 401 Anlage 24: Denkschrift des Chefs des preußischen Generalstabs, Generalmajor v. Moltke, vom 26. Januar 1858 über einen möglichen Krieg zwischen Frankreich und Deutschland 1858. 403
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8
Inhalt
Anlage 25: Begleitschreiben des preußischen Prinzregenten vom 9. Mai 1859
für die Mission Generalleutnants v. Willisen nach Wien 405 Instruktion des 26: für Generalleutnant Anlage preußischen Prinzregenten v. Wilhsen zu dessen Sendung nach Wien im Mai 1859. 406 Anlage 27: Schreiben Kaiser Franz Josephs I. an den preußischen Prinzregenten vom 21. Juli 1859 aus Laxenburg (Abschrift). 408 .
Personenregister.
411
Abbildungen.nach Seite
64
Vorwort
Die Geschichte des Deutschen Bundes von 1815 bis 1866 stand bisher nicht unbedingt im Zentrum der historischen Forschung. Diese Feststellung gilt in besonderer Weise für seine Sicherheitspolitik, die weithin unbeachtet geblieben ist. Das auffällige Desinteresse hat zweifellos eine Ursache in der Abwesenheit eines großen europäischen Krieges. In den Augen der Nachlebenden erhielt daher die Hälfte des 19. Jahrhunderts das Attribut eines »goldenen Zeitalters der
Sicherheit« (Stefan Zweig). Auf einer außerordentlich breiten Quellengrundlage bietet Dr. Jürgen Angelow, Mitarbeiter an der Universität Potsdam, eine in sich schlüssige und klare Interpretation seines Gegenstandes, wobei er herkömmliche Deutungen bisweilen grundlegend zu revidieren vermag. Die Präsentation des heterogenen, bislang weithin unbekannt gebliebenen Materials läßt einmal mehr erkennen, welche breite Erkenntnisleistung moderne militärgeschichtlich orientierte Forschung zu erbringen vermag. Die Arbeit, die aus der Dissertation des Verfassers hervorgegangen ist, wählt einen originellen methodischen Ansatz, indem sie die Darstellung der militärpolitischen Aktivitäten des Deutschen Bundes in den weiteren Zusammenhang der inneren verfassungsrechtlichen und militärischen Voraussetzungen der mitteleuropäischen Sicherheitspolitik zwischen 1815 und 1866 stellt. Als Bestandteil des nach dem Wiener Kongreß entwickelten europäischen Gleichgewichtssystems erhält diese Politik dadurch eine zentrale Funktion im Kontext der europäischen Krisenbewältigung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Neben der europäischen Perspektive wird auch die Binnenwirkung kollektiver Sicherheit, ihr Einfluß auf die innere Entwicklung der deutschen Staaten und hier vor allem der beiden Vormächte Preußen und Österreich herausgestellt. In beklemmender Weise verdeutlicht die Untersuchung, in welchem Umfang der Gedanke einer Verteidigung des Bundesgebietes von Wien und Berlin militärpolitisch instrumentalisiert wurde und damit neben der preußischen Zollunionspolitik eine wesentliche Etappe auf dem Weg zur Entscheidung von 1866 darstellte. Dr. Werner Rahn Kapitän zur See und Amtschef des Müitärgeschichüichen Forschungsamtes
Potsdam im Januar 1996
Einleitung Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes im europäischen Gleichgewichtssystem ist bisher noch nicht explizit untersucht worden. Es berührt unterschiedliche Problemkreise und beinhaltet daher mehrere Möglichkeiten eines methodischen Zugriffs. Die vorliegende Arbeit ist vor allem politikgeschichtlich orientiert. Sie beschränkt sich auf die Analyse wichtiger Aspekte des inneren Zusammenhanges von deutscher Militärgeschichte einerseits sowie deutscher und europäischer Politik- und Diplomatiegeschichte andererseits. Dennoch kann sie eine ganze Reihe wichtiger gesellschaftsgeschichtlicher z.B. soziale und wirtschafthche Modernisierungsprozesse, die Rolle Faktoren von Ideologien und Mentalitäten —, deren Bedeutung für die Sicherheitspolitik Das Thema der
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des Deutschen Bundes unumstritten ist, nur anreißen. Zentrales Problem der vorliegenden Arbeit sind die Wirkungen innen- und außenpolitischer Faktoren auf die Sicherheitspolitik, die Militärkonzeption und das Militärwesen des Deutschen Bundes von 1815 bis 1866. Unter Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes versteht der Verfasser jenen Teilbereich des politisch-militärischen Wirkens der den Bund konstituierenden Staaten, der auf die innere und äußere Unversehrtheit des Bundes als Gesamtheit und die seiner einzelnen Glieder gerichtet war. Dieses Ziel konnte je nach Bedurch oder durch militäridrohungssituation primär politisch-diplomatische sche Mittel verfolgt werden. Entsprechend der inneren Struktur des Bundes basierte seine Sicherheitspolitik auf multilateraler Grundlage. Sie ist aber nur partiell mit multinationalen Sicherheitsmodellen der Gegenwart vergleichbar. Das politisch-diplomatische Element der Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes umschließt die Prozesse der Bedrohungsanalyse, Konsensbildung bzw. Entscheidungsfindung angesichts existierender innerer oder äußerer Sicherheitsrisiken und die daraus folgende diplomatisch-technische Seite ihrer Umsetzung. Vorliegende Arbeit untersucht vor allem die Reaktionen des Bundes auf äußere Bedrohungssituationen; innerbündisches Krisenmanagement deutet sie nur an, da es sich hierbei um eine eigenständige Thematik handelt. Die militärische Sicherheitspolitik beinhaltet einerseits die Verteilung der militärischen Macht im Bund, ihren Gebrauch oder ihre Androhung in äußeren Krisensituationen. Andererseits gehört dazu auch die Rückkopplung des staatlichen Gewaltmonopols auf die Gesellschaft im Innern. Letzterer Aspekt bleibt ebenfalls nur angerissen. Die Grundlagen der Sicherheitspolitik des Bundes leiteten sich aus seiner äußeren europäischen Stellung sowie seiner verfassungs- und staatsrechtlichen —
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12
Einleitung
Gestaltung ab. In der Praxis erweist sich gerade die Bedeutung innerer Faktoren für die auswärtige Politik als dominant und vielgestaltig1, wenngleich das Beziehungsgeflecht der Staatenbeziehungen nicht außer acht gelassen werden darf. Aus politikwissenschaftlicher Perspektive hat Ernst-Otto Czempiel den Zusammenhang von Herrschaftssystem und Friedenswahrung erörtert2. Seiner Auffassung nach lassen Staatsverfassungen insbesondere ihr Grad an innerer Verteilungsgerechtigkeit auf die FriedensRückschlüsse wichtige von Gemeinwesen zu. Bezogen auf den Deutschen Bund, muß dieser fähigkeit Ansatz in zweifacher Hinsicht modifiziert werden: Zum einen handelt es sich hier um einen Staatenbund, so daß die kontrastierenden Staats- und Verfassungstypen auf das Modell in reiner Form nicht anwendbar sind. Zum anderen müssen bei der Analyse von Krisenbewältigungsmechanismen des Bundes staatspolitische und gesellschaftliche Interessenlagen über die von Czempiel als entscheidend angesehenen Verteilungsmodi der Macht hinaus umfassender einbezogen werden. Die Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes wurde durch die Spannung unterschiedlicher, sich teilweise diametral gegenüberstehender innerer Wirkungsfaktoren bestimmt: Da waren unitarische und föderalistische Elemente, europäische und nationale Einflüsse, aber auch dualistische, partikularistische und hegemoniale Faktoren. Durch diese Verbindung besaß der Bund zweifellos eine besondere Disposition zur kollektiven Defensive und Gleichgewichtswahrung3. Dies kommt nicht nur in den Grundlagen der Sicherheitspolitik des Bunso auch des zum Ausdruck, die nach 1815 in seinen Verfassungsdokumenten in seiner Kriegsverfassung formuliert wurden, sondern auch in der Praxis. Die vorliegende Arbeit berücksichtigt drei Untersuchungsebenen: Im strukturgeschichtlich angelegten ersten Teil folgt sie dem Ansatz, Entstehung und Bedeutung der Bundeskriegsverfassung vor dem Hintergrund der deutschen und europäischen Sicherheitsanforderungen seit 1815 zu analysieren. Weiter skizziert sie strukturell-genetische Aspekte des Bundesmilitär- und Festungswesens. Im zweiten Teil dem Hauptteil der Arbeit werden in historischMethode chronologischer Sicherheitspolitik, Verteidigungskonzeptionen, Kriund senmanagement militärisch-operative Planungen des Deutschen Bundes in den äußeren europäischen Krisen- und Konfliktsituationen bis 1866 untersucht. Der thematischen Eingrenzung folgend, beschränkt sich die umrißartige Darstellung des Forschungsstandes auf wesentliche politik- und diplomatiegeschichtliche sowie vor allem militärgeschichtliche Arbeiten zum Deutschen Bund. Im Text erfolgt darüber hinaus punktuell eine Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur an Hand konkreter Problemstellungen. Von eminenter Bedeutung für das Verständnis des Bundesmilitärwesens ist das Feld der europäischen Politik- und Diplomatiegeschichte, speziell das im ersten Kapitel inneren
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generell: Kehr, Der Primat der Innenpolitik. Czempiel, Herrschaftssystem und Friedenswahrung; mit weiterführenden LiteraturangaSiehe dazu ben.
3
Seier, Zur Frage der militärischen Exekutive in der Konzeption des Deutsche Bundes, S. 482 f.
13
Einleitung
aufgeworfene Problem des europäischen Gleichgewichts und dessen Veränderung in den europäischen Krisen und Konflikten des 19. Jahrhunderts. Anknüpfend an das monumentale Standardwerk Gerhard Ritters, »Staatskunst und Kriegshandwerk«4, aber auch die Arbeit Ludwig Dehios aus dem Jahre 1948 zum Problem von Gleichgewicht und Hegemonie5, sind zur Problematik und zu Teilaspekten des politischen Gleichgewichts in Europa auch in den letzten Jahren profunde Untersuchungen vorgelegt worden. Das Rekurrieren der europäischen Diplomatie auf das Gleichgewichtsprinzip auf dem Wiener Kongreß 1814/15 wurde durch die Forschung gut berücksichtigt. So hat Heinz Duchhardt den Wiener Kongreß und die an ihn gebundene Ordnung anknüpfend an ältere europäische Friedenskongresse untersucht6. Winfried Baumgart schließt mit seiner bereits zuvor erschienenen Arbeit, in der er die Entwicklung des Europäischen Konzerts zum Völkerbund darstellt, inhaltlich an7. Den Versuch, die deutsche Politik im 19. und 20. Jahrhundert in das Gleichgewichtssystem der Mächte einzuordnen, unternahm Andreas Hillgruber8. Das Verhältnis des europäischen Staatensystems und der Großmächte 1815 bis 1914 untersuchten Francis Roy Bridge und Roger Bullen9. Einen strukturgeschichtlichen Aufriß der zentralen Probleme von Außenpolitik und Diplomatie zwischen 1815 und 1914 bot Imanuel Geiss, der damit eigene frühere Arbeiten fortsetzte10. Außenpolitische und beziehungsgeschichtliche Aspekte der beiden deut—
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schen Vormächte in ihrem Verhältnis zueinander, aber auch zu anderen Großmächten, sind von der historischen Forschung ebenfalls breit thematisiert worden11. Auch die zu den einzelnen Krisen und Konflikten zwischen 1815 und 1866 bis heute erschienene hervorhebenswerte Literatur ist außerordentlich umfangreich: Das Spektrum spannt sich von der Erschütterung des europäischen Gleichgewichtssystems im Gefolge der Julirevolution 183012 und der »Rheinkrise« von 184013, den gesamteuropäischen Auswirkungen der 1848er Revolution14 und des Krimkrieges15 bis hin zu dem Konflikt Österreichs 4 5 6 7
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Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk. Dehio, Gleichgewicht oder Hegemonie. Duchhardt, Gleichgewicht der Kräfte, Convenance, Europäisches Konzert.
Baumgart, Vom europäischen Konzert zum Völkerbund. Hillgruber, Deutsche Großmacht- und Weltpolitik im 19. und 20. Jahrhundert. Bridge/Bullen, The Great Powers and the European States System 1815-1914. Geiss, Der lange Weg in die Katastrophe. Beispielsweise: Müller, Im Widerstreit von Interventionsstrategie und Anpassungszwang; Deutschlands Widerpart; Poidevin/Bariéty, Frankreich und DeutschSasse, England land; Buchner, Die deutsch-französische Tragödie 1848-1864. Müller, Die Krise des Interventionsprinzips der Heiligen Allianz; Holzapfel, Zur Dialektik —
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von
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15
inneren und äußeren Faktoren.
Veit-Brause, Die deutsch-französische Krise von 1840.
Revolution und Krieg; Schoeps, Von Olmütz nach Dresden 1850/51; Scharff, Wesen und Bedeutung der schleswig-holsteinischen Erhebung 1848-1850. Die Krimkriegsliteratur ist inzwischen sehr umfangreich. Siehe dazu: Baumgart, Probleme der Krimkriegsforschung, S. 49-109, 243-264, 371^00; ders., Der Friede von Paris 1856; P.W. Schroeder, Austria, Great Britain and the Crimean War; Unckel, Österreich und der Krimkrieg. Für die Zwischen- und Nachkriegszeit 1856 bis 1859 und danach: Schule, Rußland und Frankreich vom Ausgang des Krimkrieges bis zum italienischen Krieg 1856-1859.
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Einleitung
in Ober italien 185916, zum Deutsch-Dänischen und Preußisch-Österreichischen Krieg 1864 bzw. 186617. Allerdings ist die Verbindung beider Themenkreise die Frage, wie sich die Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes in das europäische Gleichgewichtssystem nach 1815 eingebracht und wie sie auf dessen krisenhafte Veränderung reagiert hat bisher nicht Gegenstand einer expliziten
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wissenschaftlichen Darstellung geworden. —
In der militärgeschichtlichen Forschung ist der Deutsche Bund sowohl aus der Sicht der Bundeskriegsverfassung als auch aus einzelstaatlicher Perspektive je nachdem, welche der beiden Tendenzen innerhalb des Spannungsfeldes von gesamtbündischer und einzelstaatlicher Interessenwahrnahme in den Mittelpunkt gerückt werden sollte behandelt worden. Läßt man die älteren, lediglich aus historiographiegeschichtlicher Sicht interessanten Arbeiten18 beiseite, wurde die Problematik der Bundeskriegsverfassung anknüpfend an ihre erst den Schnabel19 seit Franz seit 1960er Jahren aufgegriffen. Neudeutung Als erfolgreiche Instrumente zur Zügelung des österreichisch-preußischen Dualismus kennzeichneten Heinz Helmert20 und Elmar Wienhöfer21 den Deutschen Bund und seine Kriegsverfassung. Helmert, der die Entwicklung des Müitärwesens und der Streitkräfte des Bundes vor allem am Vorabend des Krieges von 1860 untersucht hat, kommt zu dem Schluß, daß die Bundeskriegsverfassung zumindest in den Anfangsphasen des Bundes einen, wenn auch bescheidenen Ansatz zur nationalen Militärwesens eines Bildung dargestellt habe22. Wienhöfer konzentrierte sich dagegen in Anlehnung an die verfassungsgeschichtliche Sicht Ernst Rudolf Hubers23 auf die formalen Strukturen der Bundeskriegsverfassung. Eine positive Einschätzung derselben unter Herausarbeitung ihrer zukunftsträchtigen Züge traf Walter Schnabel24. In einer weiteren Arbeit zum Teilbereich der Bundesmilitärkommission betonte Wolfgang Keul25 besonders die Schwächen der Bundeskriegsverfassung. Ungeachtet des somit vermittelten, zum Teil ungerechtfertigten Eindrucks stellt diese Arbeit gemeinsam mit der im Handbuch zur deutschen Militärgeschichte enthaltenen kursori-
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Mittelstaedt, Der Krieg von 1859. Der Deutsch-Dänische Krieg ist vor allem aus militärgeschichtlicher Perspektive (siehe Kap. II.4.2.) behandelt worden. Zur Anbahnung des Preußisch-Österreichischen Krieges und zum Konflikt selbst: Rautenberg, Der polnische Aufstand von 1863 und die europäische Politik; Stadelmann, Das Jahr 1865 und das Problem vom Bismarcks deutscher Politik; Wandruszka, Schicksalsjahr 1866. Zeitgenössische Darstellungen: Leonhardy, Versuch einer Entwickelung der Kriegsverfassung des Deutschen Bundes; Loën, Die Kriegsverfassung des deutschen Reiches und des Deutschen Bundes. Siehe: Angelow, Zur Geschichtsschreibung über die Kriegsverfassung des Deutschen Bundes. F. Schnabel, Deutsche Geschichte, Bd 2, S. 268. Helmert, Militärsystem und Streitkräfte, S. 14 ff. Wienhöfer, Das Militärwesen des Deutschen Bundes, S. 34 ff. Helmert, Militärsystem und Streitkräfte, S. 15. E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte. W. Schnabel, Die Kriegs- und Finanzverfassung des Deutschen Bundes. Keul, Die Bundesmilitärkommission (1819-1866) als politisches Gremium.
15
Einleitung
sehen Darstellung Wolfgang Petters26 immer noch den besten Ersatz für die bislang ausstehende Monographie zum Bundesmilitärwesen dar. Die eben skizzierten Arbeiten werden von Untersuchungen Hellmut Seiers flankiert, der der Oberbefehlshaberregelung für das Bundesheer27 und den Bestimmungen der Bundeskriegsverfassung28 nachgegangen ist. Seier kommt zu der Einschätzung, daß die Bundeskriegsverfassung eine Kompromißformel unterhalb jeglicher Ideallösung beim Ausgleich innerbündischer Interessen dargestellt habe29. Im Gegensatz zu Untersuchungen der engeren Thematik der Kriegsverfassung des Deutschen Bundes sind militärgeschichtüche Arbeiten zur Streitkräfteentwicklung in den einzelnen deutschen Staaten von 1815 bis 1866 in größerer Anzahl vorhanden. Meistenteils sind sie uniformkundlich, heeres- oder wehrgeschichtlich orientiert und dienen lediglich folkloristischem Interesse30. Der Forschungsstand läßt große Defizite vor allem zu sozialgeschichtlichen Fragestellungen des Militärs im 19. Jahrhundert erkennen. Diese Feststellung gilt für alle Territorien des Deutschen Bundes gleichermaßen. Einen knappen Überblick der militärischen Verhältnisse Österreichs vermitteln die gut illustrierten Arbeiten Johann Christoph Allmayer-Becks und Erich Lessings31, die Schrift Antonio Schmidt-Brentanos32 sowie die Studie Joachim Niemeyers zum Kriegsbild in der Habsburgermonarchie zwischen 1830 und 186633. Die Literatur zum preußischen Militärwesen ist außerordentlich zahlreich und kaum mehr zu überblicken. Für vorwiegend heeresgeschichtliche Zwecke steht Georg Ortenburg34 beispielhaft. Den Blick von außen vermittelt Gordon A. Craig35. Historisch-soziologische Untersuchungen zum preußischen Offizierskorps legten Karl Demeter36, Manfred Messerschmidt37 und Günther Martin38 vor. Während die preußische Militärmacht traditionell starke Beachtung fand, blieb das Militärwesen der kleineren Bundesglieder weitgehend vernachlässigt. Militärgeschichtliche Untersuchungen zur Streitkräfteentwicklung der kleineren deutschen Territorien bilden für die Zeit ein Desiderat der historischen von 1815 bis 1866 unzweifelhaft feststellbar Forschung. Die Arbeit Wolf Dieter Gruners über das bayerische Heer von 1825 —
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Petter, Deutscher Bund und deutsche Mittelstaaten. Seier, Der Oberbefehl im Bundesheer. Ders., Zur Frage der militärischen Exekutive. Ebd., S. 406 f., 445.
Beispielhaft für uniformkundliche Darstellungen ist die von G. Ortenburg bearbeitete Neuauflage des Uniformwerkes von Eckert-Monten, Das deutsche Bundesheer. Allmayer-Beck/Lessing, Das Heer unter dem Doppeladler; dieselben, Die K. (u.) K.-Armee
32
Erzherzog Carl bis Conrad von Hötzendorf. Niemeyer, Das österreichische Militärwesen. Ortenburg, Mit Gott für König und Vaterland. Craig, Die preußisch-deutsche Armee. Demeter, Das deutsche Offizierskorps. Messerschmidt, Werden und Prägung des preußischen Offizierskorps. Martin, Die bürgerlichen Exzellenzen. von
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1848-1914.
Schmidt-Brentano, Die österreichische beziehungsweise österreichisch-ungarische Armee
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Einleitung
bis 186439, die von Udo Vollmer vorgelegte Schrift zur Armee Hannovers40, aber auch das von Hans-Joachim Harder vorgelegte Handbuch zum Militärwesen Baden-Württembergs41 unterstreichen indes die zunehmende Bedeutung ländergeschichtlich orientierter Militärgeschichtsschreibung. Eine zusammenfassende Analyse der einzelstaatlich-organisierten Militärverhältnisse im Deutschen Bund nach vergleichbaren Kriterien Hegt noch nicht vor. Die vorliegende Arbeit stützt sich neben der Auswertung der einschlägigen Literatur auf gedruckte, zum Teil aber auch ungedruckte Quellen. Akten und Dokumente zur Militär- und SicherheitspoHtik des Deutschen Bundes finden sich zerstreut in einer ganzen Reihe von Archiven. Der Verfasser benutzte die Protokolle der Bundesversammlung bzw. Bundesmilitärkommission, die gedruckt vorliegen. Er hat weiter die Akten des sächsischen Kriegsministeriums eingesehen, vor allem aber die Bestände des preußischen Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten, der preußischen Bundestagsgesandtschaft sowie der Kanzlei des preußischen MiHtärbevoUmächtigten in Frankfurt a.M., die in BerHn-Dahlem Hegen bzw. nach dort aus Merseburg verbracht werden. Aus dem preußischen Bestand ergibt sich ein klares Bild des preußischen Einflusses auf die Militär- und Sicherheitspolitik des Bundes. Preußische Staatsmänner und MiHtärs waren neben ihren österreichischen Kollegen führend an der Diskussion und FormuHerung einer deutschen SicherheitspoHtik beteiligt und haben alle betreffenden Vorgänge in den Akten niedergelegt. Zweifellos sind für die Geschichte des Deutschen Bundes gerade auch Dokumente wichtig, die auf dem Boden der österreichischen Bundespräsidialmacht entstanden sind. Eine wichtige Quelle büdeten deshalb Akten des Haus-, Hof- und Staatsarchivs in Wien, vor aUem die im Politischen Archiv des Außenministeriums für die Zeit nach 1848 enthaltenen Dokumente zum Deutschen Bund und zu Preußen, weiterhin Akten des Bundespräsidialarchivs mit ausgedehnten Korrespondenzen sowie die Sekreta des Wiener Kabinettsarchivs. Im internen Schriftwechsel der österreichischen und preußischen Behörden finden sich zahlreiche Hinweise auch auf die Haltung der kleineren BundesgHeder. Meinungsäußerungen, Denkschriften und andere Dokumente der Vertreter dieser Staaten sind oftmals den Gesandten der beiden deutschen Vormächte zugeleitet worden. Bekannt sind auch die Zeugnisse von Militärverhandlungen und militärdiplomatischen Missionen, von denen ProtokoUe existieren. Diese lassen nicht nur Schlüsse auf das miteinander erreichte Ergebnis, sondern auch auf den bis dahin mühevoUen Weg zu. Abgesehen davon, daß viele diplomatiegeschichtliche Quellen und einige Memoiren gedruckt vorliegen und auf dieser Basis Zusammenhänge rekonstruierbar sind, fanden sich in den benutzten preußischen, österreichischen und sächsischen Akten für das Thema unerläßliche sachliche Bezüge auch zu den militar- und sicherheitspolitischen —
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39 40 4i
Grüner, Das bayerische Heer. Vollmer, Die Armee des Königreichs Hannover. Harder, Militärgeschichtliches Handbuch Baden-Württemberg.
Einleitung
Auffassungen
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der anderen Gliedstaatenregierungen. Im Anhang sind für das Verständnis der Arbeit wichtige Dokumente beigefügt. Wesentliche Dokumente, die an anderer Steile vollständig und leicht erreichbar abgedruckt sind, wurden nicht aufgenommen. Die vorhegende Arbeit basiert auf einer Dissertation, die der Verfasser 1990 am Militärgeschichtlichen Institut in Potsdam abgeschlossen und später überarbeitet hat. Die Schrift ist von Herrn Dozent Dr. habil. Karl Schmiedel angeregt und betreut worden, für dessen Unterstützung und bleibendes Interesse ich mich herzlich bedanke. Förderung und kritische Hinweise erhielt ich vor allem von Herrn Dr. habil. Harald Müller, dem mein ganz besonderer Dank gilt. Von vielen Seiten wurden mir Anregungen zuteil, für die ich den Herren Prof. Dr. habil. Kurt Holzapfel, Dr. habil. Heinz Helmert (t) und Dr. Frank Bauer Dank schulde. In Zeiten politischen Umbruchs und geistigen Wandels haben vor allem die Herren Oberstleutnant i.G. Dr. Wedig Kolster, Brigadegeneral Dr. Günther Roth, Kapitän zur See Dr. Werner Rahn, Prof. Dr. Wilhelm Deist, Prof. Dr. habil. Bernhard R. Kroener und Dr. Wolfgang Petter den Fortgang der Arbeit ermöglicht und mit Rat und Kritik begleitet, wofür ihnen herzlich gedankt sei. Dank sagen möchte ich der Schrütleitung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, nicht zuletzt auch den Mitarbeitern des Geheimen Staatsarchivs in Berlin und Merseburg, des Bundesarchivs/Militärisches Zwischenarchiv in Potsdam, des Haus-, Hof- und Staatsarchivs Wien, der Deutschen Bücherei in Leipzig, der Staatsbibliothek in Berlin, der Bibliotheken des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Potsdam, des Deutschen Historischen Museums sowie der Freien Universität Berlin, die bei der Bereitstellung von Beständen und technischen Arbeiten behilflich waren. Herr Horst Port, der zu Beginn der Texterfassung wichtige technische Assistenz leistete, Frau Sigrid Penquitt und Frau Christine Nemitz, die einen großen Teü der Schreibarbeiten zuverlässig erledigten, sollen ebenfalls hervorgehoben sein. Besonders danke ich Frau Petra Fischbock für die vorbildliche Satzbearbeitung und Frau Christa Gudzent, die mit gewohnter Umsicht und Akribie sowie großem Kenntnisreichtum die Lektorierung des vorhegenden Buches übernommen hat.
I.
Militärkonzeption und Militärverfassung des Deutschen Bundes
1. Die inneren Grundlagen der Militärkonzeption des Deutschen Bundes und das europäische Gleichgewicht nach 1815 Nicht nur formell gehörte die Deutsche Bundesakte vom 8. Juni 18151 in die Schlußdokumente des Wiener Kongresses2. Der Deutsche Bund war als Bestandteil und Mittelstück des europäischen Gleichgewichtssystems konzipiert worden, wie es mit den Wiener Verträgen von 1815 anknüpfend an das »jus publicum Europaeum« vor 1789 restituiert wurde3. Seine Sicherheitspolitik und seine Müitärkonzeption, die im Zusammenhang mit der Formulierung der Grundgesetze des Bundes vor allem in den Jahren von 1815 bis 1822 verhandelt wurden, waren nicht zuletzt schon aus diesem Grund nicht allein Problem und Gegenstand der deutschen, sondern auch der europäischen PoHtik. Mit der Errichtung des Deutschen Bundes war das europäische Zentrum durch ein staatenbündisch-föderalistisches Machtgebilde ausgefüllt worden, das im Innern dem Legitimitätsprinzip und im Äußeren europäischen Rücksichten folgte, weniger aber langfristig-nationalen Gegebenheiten entsprach. Der Bund war als Staatenbund konzipiert. Seine überwiegend föderalistisch-dezentrale Machtstruktur begrenzte wenngleich unfreiwillig die Tendenz zur Machtanwendung nach außen. Diese Struktur wurde auf dem Wiener Kongreß gegen die zentralistisch-unitarische Flügelposition eines nationalen Einheitsstaates und ihr ultraföderatives GegenteU der Wiederherstellung des alten Reiches4 durchgesetzt. Auch ließ man in Wien die national-bundesstaatliche Lö—
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Abgedr. in: Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd 1 : Deutsche Verfassungsdokumente 1803-1820, S. 84-90 (Dok. Nr. 30). Wiener Ausführliche und noch immer gültige Analyse des Kongresses: Griewank. Eine weiterknappe Analyse des Forschungsstandes zum Wiener Kongreß einschließlich führender Literatur: Duchhardt, S. 127 ff. Die wichtigsten Quellen zum Wiener Kongreß in: Acten des Wiener Congresses. Zur Wiederherstellung und Funktionsweise des europäischen Gleichgewichtssystems nach 1815: Baumgart, Vom europäischen Konzert zum Völkerbund. Aus staatsrechtlichverfassungsrechtlicher Sicht: E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd 1, S. 537. Zu den Verhandlungen um die staatsrechtliche Neuordnung Deutschlands: Huber, ebd., S. 475-487.
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I.
Militärkonzeption und Militärverfassung des Deutschen Bundes
sung5, wie sie vor allem Freiherrn v.u.Z. Stein, anfangs aber auch den preußi-
Kongreßteilnehmern Wilhelm v. Humboldt und Karl Fürst v. Hardenberg vorgeschwebt hatte, fallen. Stein hatte von 1812 bis 1815 in zahlreichen Denkschriften, Briefen und anderen Meinungsäußerungen Verfassungspläne entwickelt, die das Ziel verfolgten, der werdenden Nation das Gefühl der Selbständigkeit zu geben. Zunächst hatte er die Errichtung eines deutschen Bundesstaates mit starker Zentralgewalt angestrebt. Als sich dem unüberwindliche Hindernisse in den Weg stellten, schlug er als Ausweg die Zweiteilung Deutschlands in einen österreichischen und einen preußischen Hegemonialbereich vor, die an der Mainlinie getrennt werden sollten. Diesem Plan des »Doppelbundes« der noch in der Revolution von 1848/49 aufgegriffen werden sollte und auch danach weiterhin eine Rolle spielte folgte der trialistische Bundesplan, in dem Österreich, Preußen und das »Dritte Deutschland« nebeneinander gestanden hätten. Doch bereits die Verträge von Ried und Fulda hatten den Plänen Steins, die immer auf eine Machtbeschneidung der kleineren Dynastien im Interesse der sich entwickelnden Nation hinausliefen, jegliche Baschen
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sis
entzogen.
Der Problemkomplex der zukünftigen deutschen Sicherheitspolitik war auf dem Wiener Kongreß vor allem vom Fünferkomitee im Spätherbst 1814 und danach auf den »Deutschen Konferenzen« im Mai und Juni 1815 behandelt worden. Ein Unterausschuß des Fünferkomitees, das Militärkomitee, hatte sich mit den entsprechenden militärischen Sachfragen zu beschäftigen, für die es allerdings nicht mehr als einen Fragenkatalog vorbereitete, da zuerst die sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen geklärt werden mußten. Doch die Verhandlungspositionen der deutschen Kongreßteilnehmer waren sehr verschieden. Schließlich ging es bei den diskutierten sicherheitspolitischen Fragen darum, eigene Machtpositionen auszubauen oder festzuhalten. Deshalb differierten die vorgelegten Pläne nicht nur im Detail, sondern in den grundsätzlichen Zielen. Humboldt und Hardenberg verbanden mit der Sicherungsfunktion des Bundes den Wunsch, daß sich daraus längerfristig eine nationale Einheitstendenz entwickeln möge. Deutschland müsse nach außen stark sein, nicht nur damit es sich gegen äußere Feinde verteidigen könne, sondern deshalb, »weil nur eine nach außen hin starke Nation den Geist in sich bewahrt, aus dem auch alle Segnungen im Innern strömen«6. Im Gegensatz zu Stein dessen nationalstaatliches Bekenntnis er teilte einen Staatenbund mit starken bundesstaatlichen Elementen strebte Humboldt an. In den auswärtigen Angelegenheiten sollten Österreich und Preußen gemeinsam die Hegemonie über den Bund ausüben; innenpolitisch sah er eine Viererhegemonie zwischen Österreich, Preußen, Bayern und Hannover vor. Auch Hardenberg hatte versucht, staatenbündische und bundesstaatliche Ele—
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Zur bundesstaatlichen Lösung: ebd., S. 484-486. Die Pläne Steins, Humboldts und Hardenbergs: ebd., S. 510-530. Denkschrift Wilhelm v. Humboldts an Karl Freiherr vom Stein, Dezember 1813, in: Humboldt, Werke, Bd 4, S. 303.
1. Die inneren
Grundlagen der Militärkonzeption
21
zu verschmelzen. Sein Vorschlag sah vor, daß Österreich und Preußen nur mit einem geringen Teil ihrer Territorien in den Bund eintreten, als Großmächte aber ein unauflösbares Bündnis mit ihm eingehen sollten. Auf sicherheitspoHtischem Gebiet strebte Preußen zumindest die faktische militärische Hegemonie nördlich der Mainlinie an. Diesen realen Machtzuwachs der nicht nur aus dem WüTen zur Expansion folgte, sondern auch Medium einer gesamtdeutschen Modernisierungstendenz war7 woUte man Berlin aber weder in Wien, noch im »Dritten Deutschland«, noch sonst irgendwo in Europa zugestehen. Geschwächt durch die Isolation in der sächsisch-polnischen Krise vom Winter 1814/15 mußte Preußen schließHch in diesem Punkt nachgeben. Im Gegensatz zu den ambitionierten Vorstellungen der preußischen Verhandlungsführer hatte Klemens Fürst v. Metternich lediglich die Verteidigungsund Neutralisierungsfunktion des zukünftigen Deutschen Bundes im Sinn, wenn er für das europäische Zentrum »eine große Defensiv-Vereinigung« forderte8. Diese Position Heß sich mit dem Souveränitätswillen der kleineren Bundesglieder schon eher in bringen. Auf dieser Basis wurden für die reale FormuHerung einer deutschen Sicherheitspolitik nach 1815 schHeßlich Staats- und verfassungsrechtliche Voraussetzungen tragend, die dem Prinzip des Nationalstaates weniger entgegenkamen, dafür aber den pragmatischen nach Vereinfachung und politisch zeitgemäßen Leitgedanken der Legitimität des Territorialbestandes -, der monarchischen Autorität gegen die »Demagogie« nationalistischer Auswüchse und des stabihsierenden Gleichgewichts gegen jegliches Hegemoniestreben folgten9. Die grundlegenden Festlegungen des Deutschen Bundes sahen schließlich nach dem WiUen Metternichs und seines Mitarbeiters Wessenberg, dann aber auch der umgeschwenkten preußischen Verhandlungsführer auf dem Wiener Kongreß, eine überwiegend staatenbündische Organisation10 für die Mitte Europas vor, in der der Souveränitätsanspruch der deutschen Fürsten als Bürgschaft für Ordnung und Dauer weitgehend unangetastet bHeb. Auf sicherheitspolitischem Gebiet ermöglichte dieses Konstrukt einen innerbündischen Minimalkonsens zwischen den deutschen Staaten auf Kompromißlinie, die dem Partikularismus und der Hegemonie die Waage hielt11. Nach außen fing sie eine dreifache Bedrohung ab: Sie hatte einerseits einen erneuten französischen Hegemonialstatus zu verhindern, der durch eine Revolutionierung Frankreichs latent drohte. Andererseits mußte sie den Druck der großen europäischen Land- und Flügelmacht Rußland auf das europäische Zentrum eindämmen, der mit der russischen Besetzung großer Teile Polens und dem Versuch des Zarenreichs,
mente miteinander
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Übereinstimmung
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9 i° u
Seier, Zur Frage der militärischen Exekutive, S. 405. Erklärung Metternichs im Deutschen Ausschuß, Prot. v. 12.11.1814, in: Acten des Wiener Kongresses, Bd 2, S. 184. E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd 1, S. 535-537.
Zum Plan des Staatenbundes bei Metternich und Wessenberg, seiner seiner zeitgenössischen Reflexion: ebd., S. 530-563. Seier, Zur Frage der militärischen Exekutive, S. 406.
Durchsetzung und
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I.
Militärkonzeption und Militärverfassung des Deutschen Bundes
das mit dem stetigen Zerfallsprozeß des Osmanischen Imperiums an der südöstlichen Peripherie Europas entstehende Machtvakuum aufzufüllen, evident geworden war. Schließlich sollte sie wenngleich unausgesprochen den deutschen Nationalstaatsgedanken und mit ihm die drohende preußische Hegemonie in Deutschland wie auch die deutsche Hegemonie in Europa verhindern. Die politischen Grundsätze, denen die Verhandlungen des Wiener Kongresses folgten, schienen in der Zeit zunächst weitgehend vernünftig und weitsichtig zu sein; ihre Defekte wurden erst später sichtbar. Sie hatten aber auch ihre militärische Kehrseite. Mit der starken Betonung der monarchischen Autorität und einzelstaatlichen Souveränität war die Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes entscheidend von Faktoren abhängig, die nichts mit den Bundesinstitutionen im engeren Sinn zu tun hatten, sondern dem Machtkalkül der größeren und dem Ermessensspielraum der kleineren Bundesglieder oblagen. Durch diese dezentrale Entscheidungsstruktur wurde der Deutsche Bund im sicherheitspolitischen Sinne mehr Objekt seiner beiden Vormächte als Subjekt. Bereits während der Verfassungsdiskussion zeichnete sich die Konstellation ab, daß ein sicherheitspolitischer Konsens innerhalb des Bundes dauerhaft nur bei österreichisch-preußischer Interessenübereinstimmung möglich war. Solange beide deutsche Vormächte am Prinzip der doppelhegemonialen Leitung des Bundes und gemeinsamer Vorverständigung festhielten, blieb dessen sicherheitspolitische Konsensfähigkeit erhalten, da sich auf dieser Grundlage auch die anderen Bundesglieder wohl oder übel den Vorstellungen Wiens und Berlins unterordneten. Ging aber die doppelhegemoniale Leitung des Bundes verloren und verfolgten beide deutsche Vormächte statt dessen eigene Machtinteressen, was dann? Die vordringliche sicherheitspolitische Funktion des Deutschen Bundes bestand darin, als politisch-militärische Allianz12 die Erhaltung der »Wiener Ordnung« und damit die Zementierung und Stabilisierung des europäischen Gleichgewichts zu gewährleisten. Im Artikel 2 der Bundesakte vom 8. Juni 1815 wurde deshalb die Aufgabe formuliert, die äußere und innere Sicherheit Deutschlands sowie die Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten zu erhalten13. Daraus leitete sich für den Bund zwingend eine die deutsche Ordnung als Element des europäischen Gleichgewichts auch militärisch stabilisierende Militärkonzeption ab. Die äußeren sicherheitspolitischen Voraussetzungen des Bundes bestanden nach 1815 in der Existenz eines Systems von Gewichten und Gegengewichten der europäischen Mächte. In diesem System befand sich der Deutsche Bund als ein wenig zentralisiertes, aber nicht ohnmächtiges Machtgebilde im Zusammenwirken mit zwei leistungsfähigen Militärmächten, Österreich und Preußen, in der Mittellage. —
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Siehe: Petter, Der Deutsche Bund als militärische Allianz, S. 313 ff. Deutsche Bundesakte, Art. 2, in: Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd 1, S. 84-90,85.
1. Die inneren
23
Grundlagen der Militärkonzeption
Die inneren sicherheitspolitischen Voraussetzungen des Deutschen Bundes wurden durch das Spannungsverhältnis von staatenbündischer Verfassungsform und dem hohen Stellenwert einzelstaatHcher Interessenwahrnahme vorgezeichnet. Die Staaten, die den Bund konstituierten, differierten erheblich in Größe und Einfluß, aber auch in staatsrechtHch-politischer und wirtschaftlicher Hinsicht. GenereU werden außen- und sicherheitspolitische Bedürfnisse in hohem Maße von inneren Interessen geleitet. Da diese in den einzelnen deutschen Staaten sehr unterschiedlich waren, mußte sich die innere Heterogenität des Bundes auf seine SicherheitspoHtik hemmend auswirken. Den beiden Großmächten Österreich und Preußen folgten die sieben sogenannten Mittelstaaten Bayern, Sachsen, Hannover, Württemberg, Baden, Hessen-Darmstadt und Hessen-Kassel sowie weitere 30 Kleinstaaten. Der Bundesvertrag mit seinen sicherheitspolitischen Aussagen bezog sich indes nicht auf das Staatsgebiet aller am Bund beteiligten Glieder, sondern nur auf ein als »deutsch« definiertes Bundesgebiet, dessen Grenze die Staatsgebiete Österreichs und Preußens durchschnitt und weite Teile beider Monarchien als bundesfremdes Gebiet qualifizierte. Umgekehrt wurden außerhalb der deutschen Staaten liegende Gebietsteile der Niederlande und Dänemarks dem Bund zugeschlagen, so daß deren Herrscher und bis 1837 auch der britische König als Souverän von Hannover ein Mitspracherecht in deutschen Angelegenheiten wahrnehmen konnten. Der etwaige Angriff einer auswärtigen Macht auf Bundesgebiet zog nach Artikel 11 der Bundesakte14 die Beistandsverpflichtung des Bundes als Allianz nach sich. Keinem Bundesglied war es im Verteidigungsfall erlaubt, einseitige Verhandlungen mit dem Feind zu führen oder gar einen Waffenstillstand bzw. Frieden zu schließen. Obgleich jeder Bundesstaat das Recht hatte, außenpolitische Bündnisse einzugehen, verbot die Bundesverfassung, daß sich derartige Bündnisse gegen die Sicherheit des Bundes oder die Souveränität der einzelnen Bundesglieder richteten. Mit diesem sicherheitspolitischen Minimalkonsens blieb die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfreiheit der einzelnen Bundesglieder im Interesse der Gesamtheit begrenzt, dominierten in diesem wichtigen Punkt bundesstaatliche vor staatenbündischen Elementen. Nach dem Willen der Wiener Kongreßteilnehmer war die Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes multilateral organisiert worden, ähnlich wie die Sicherheitsvorsorge multinationaler Verteidigungsbündnisse zwischen Staatsnationen in späterer Zeit. Die Konstruktion band beide deutsche Vormächte, aber auch die anderen Bundesglieder in ein gesamtbündisches Ordnungsgefüge ein, wirkte somit nach den Erfahrungen des alten Reiches und des Rheinbundes integrativi5. Mit dem Ende des Wiener Kongresses 1815 war die Diskussion um die Grundrisse der deutschen MiHtär- und SicherheitspoHtik noch nicht abgeschlossen. Deshalb erfuhren die Bestimmungen des »jus ad bellum« in den Artikeln —
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Deutsche Bundesakte, Art. 11, in: ebd., S. 87 f. Siehe: Seier, Zur Frage der militärischen Exekutive, S. 398 f.
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I.
Militärkonzeption und Militärverfassung des Deutschen Bundes
35 bis 49 der Wiener Schlußakte vom 15. Mai 182016 ihre Konkretisierung. Danach hatte der Deutsche Bund als Völkerrechtssubjekt das Recht, Krieg und Frieden, Bündnisse und andere völkerrechtlich verbindliche Verträge zu schließen, sofern diese seiner Selbständigkeit und äußeren Sicherheit sowie der Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit seiner Glieder entsprachen. Der »casus foederis et belli« trat der Situation entsprechend bei einem feindlichen aus aber war dem Bund eine sofort sich Von ein17. Angriff Kriegserklärung nur mit Mehrheit von zwei Dritteln aller Stimmen des Plenums der Bundesversammlung möglich18. Aufgrund der Stimmverteilung19 konnte ein solcher Beschluß theoretisch nicht einmal von beiden deutschen Vormächten im Verein mit den Mittelstaaten gegen den Willen der kleinen Bundesglieder durchgesetzt werden. Für eine Kriegserklärung des Bundes mußte somit ein gewichtiger Grund vorliegen, der eine ganz breite Identifikation ermöglichte. Die sicherheitspolitischen Bestimmungen der Bundesverfassung zeichneten sich über den Minimalkonsens der gemeinsamen Verteidigung hinaus durch eine hohe Elastizität aus. So besagte die wichtige und für die weitere Entwickdes Bundes lung folgenreiche Festlegung des Artikels 46 der Wiener Schlußakte, daß der Bund einem um außerbündische Interessen geführten Krieg einer seiner beiden Vormächte vollkommen fernbleiben konnte20. Andererseits stellte Artikel 47 Bundeshilfe für den Fall in Aussicht, daß in einem solchen Krieg von einer Mehrheit des engeren Rates des Bundestages21 Gefahr für Bundesgebiet erkannt wurde22. Beide Artikel bildeten einen unlösbaren Zusammenhang. Außer im Verteidigungsfall war der Bund auf ihrer Grundlage außer Pflicht gestellt, dem »casus foederis et belli« in einem blinden Automatismus ohne ernsthafte Prüfung möglicher Kriegsgründe zu entsprechen. Dieses in der Bundesverfassung verankerte Artikelpaar konnte als Regulativ jeder aggressiven außen- und sicherheitspolitischen Zielstellung des Bundes einen wirksamen Riegel vorschieben. Eine Entartung der bündischen Sicherheitspolitik oder Instrumentalisierung des Bundes für außerbündische Großmachtinteressen Österreichs oder Preußens konnte somit von den kleineren Gliedern durch Ziehen der Notbremse, also Lahmlegung des Bundes, verhindert werden. Damit war dem Gleichgewichtsgedanken formal Rechnung getragen, andererseits waren grundlegende Rahmenbedingungen einer deutschen Wehrverfassung angesprochen worden. Auch sie mußte der föderativen inneren Struktur des Bundes entsprechen. Sie hatte dem Prinzip zu folgen, die militärische Schwäche, die dem föderativen Element innewohnt, mit der militärischen Stärke zweier erprobter Militärmächte zu verbinden. Doch würden Ungleichgewichtigkeit und —
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Wiener Schlußakte, Art. 35 bis 49, in: Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd 1, S. 96-98. Art. 39, in: ebd., S. 97. Art. 40, in: ebd. Stimmverteilung des Plenums der Bundesversammlung, in: ebd., S. 86. Ebd., S. 97. Stimmverteilung des engeren Rates der Bundesversammlung, in: ebd., S. 85. Ebd.
1. Die inneren
Grundlagen der Militärkonzeption
25
Dezentralisation auf der einen, Straffheit und ZentraHsation auf der anderen Seite miteinander eine Verbindung eingehen? Die deutsche Wehrverfassung sollte darüber hinaus dem nicht ganz anspruchslosen Ziel gerecht werden, gleichzeitig deutschen Sicherheitsbedürfnissen nachzugehen als auch dem europäischen Gleichgewicht durch überstarke Machtentfaltung nicht hindernd im Wege zu stehen. Andererseits mußte ihre TaugHchkeit auch in der Fähigkeit bestehen, sich weiterzuentwickeln, um auf veränderte sicherheitspolitische Bedürfnisse der Zukunft adäquat reagieren und dem Schutzbedürfnis der sich konstituierenden Nation nach außen auch künftig entgegenkommen zu können. Die äußere sicherheitspolitische SteUung des Deutschen Bundes und seiner beiden Vormächte war nicht zuletzt durch militärgeographische Besonderheiten, die aus den Territorialfestlegungen des Wiener Kongresses resultierten, fixiert. So oblag Preußen, das durch die Eingliederung der Rheinprovinz nach Westen gelenkt wurde, im Falle eines von Frankreich ausgehenden Krieges als natürlicher Anlehnungspunkt für die deutschen Staaten die Hauptverantwortung bei der Verteidigung der Westgrenze des Bundesgebietes. Österreich dagegen war durch seine italienischen Besitzungen Schutzmacht Italiens geworden und nahm darüber hinaus eine weitere über das deutsche Bundesgebiet wesentlich hinausreichende sicherheitspolitische Aufgabe auf dem Balkan wahr. Zwischen dieser europäischen Mitte und Frankreich, der kontinentalen Flügelmacht des Westens, existierte zudem ein Gürtel von Mittelstaaten, die unter enghschem Einfluß standen: im Nordwesten der um Belgien vergrößerte niederländische Kunststaat mit seinen zahlreichen Barrierefestungen, im Südwesten die neutrale Schweiz sowie Sardinien-Piemont. Der östliche Raum war durch das Bündnis der »drei schwarzen Adler« gesichert, die gemeinsam die zwischen ihnen liegende polnische Nationalität wiederholt geteüt und in ihren pohtisch-miHtärischen Machtbereich gezogen hatten. Im südöstlichen Abschnitt beherrschte Österreich den Balkan- und den Donauraum. Gemeinsam mit Rußland grenzte es an das Osmanische Imperium, dessen innere Labilität die beste Garantie für eine ungefährliche Nachbarschaft, aber auch Ansatzpunkte für eine RivaHtät beider befreundeter Großmächte im Kampf um das osmanische Erbe bot. Es ist erkennbar, daß Sicherheitspolitik und Militärkonzeption des Deutschen Bundes nicht nur innerbündischen Faktoren folgten, sondern auch äußeren sicherheitspolitischen und militärverfassungsmäßigen Gegebenheiten: Nach der Beendigung der Revolutions- und Napoleonischen Kriege mit ihren Ideolo-
gisierungseffekten
war
Europa
Fortan soüte es keiner Macht
zum
Gleichgewichtsprinzip zurückgekehrt.
gestattet sein, das im geographischen Raum Mittel-
europas fixierte Staatensystem zu revolutionieren oder die Selbständigkeit und territoriale Integrität einer anderen Macht dauerhaft zu beeinträchtigen.
Der Gedanke, das als natürlich vorausgesetzte Hegemonie- und Machtstreben einer einzelnen Großmacht durch eine mächtige Koalition in einem Gleich-
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I.
Militärkonzeption und Militärverfassung des Deutschen Bundes
gewichtszustand
zu begrenzen, war Ausdruck neuzeitüchen Friedensdenkens, wurzelte in der italienischen Renaissance und fand seitdem eine stete Weiterentwicklung. Als Bestandteil des Staats- und Völkerrechts hatte er die europäische Politik zwischen Westfälischem (1648) und Utrechter Frieden (1713) beeinflußt und danach bis zur Französischen Revolution (1789) nachhaltig bestimmt23. Friedrich v. Gentz griff den Gleichgewichtsgedanken 1806 wiederum auf und formulierte ihn als politisches Axiom zur Abwehr napoleonischen Hegemonialstrebens24. Zukunftsprägend knüpfte er dabei an antirevolutionäre Akzente Edmund Burkes an, des geistigen Vaters des modernen Weltanschauungskrieges. Statt einer europäischen Universalmonarchie oder Hegemonialmacht sollte, nach Auffassung von Gentz und Metternich, nach 1815 wiederum ein System »präponderierender Mächte« den Territorialbestand der europäischen Staatenwelt sichern, der auf dem Wiener Kongreß nach dem Legitimitätsprinzip geordnet worden war. Diese Aufgabe zog eine Instrumentalisierung der europäischen Staatenbeziehungen nach sich. Sie wurde in der Folge zunächst von der Quadrupelallianz, später von der Pentarchie den fünf europäischen Großmächten wahrgenommen. Die Quadrupelallianz hatte sich auf Initiative des britischen Außenministers Henry Marquis Castlereagh of Londonderry in Gestalt des antinapoleonischen Bündnisvertrages von Chaumont am 1. März 1814 zwischen Großbritannien, Österreich, Preußen und Rußland konstituiert. Sie war von den Signatarstaaten am 25. März 1815, nach der Rückkehr Napoleons von der Insel Elba, und am 20. November 1815, anläßlich des Zweiten Pariser Friedens, bekräftigt worden. Die Bestimmungen der Allianz über den »casus foederis et belli« blieben auch nach der Reintegration der Bourbonen in das Europäische Konzert bestehen. Der von September bis Oktober 1818 tagende Kongreß von Aachen rief wieder die Existenz der Pentarchie ins Leben, die durch den Aufstieg Preußens zur fünften und letzten europäischen Großmacht nach dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) entstanden war. In Aachen hatten sich die Sieger von 1815 auf eine vorzeitige Räumung der von ihnen besetzten nordöstlichen Gebiete Frankreichs und eine wenngleich kaum ins Gewicht fallende Herabsetzung der Frankreich auferlegten Kriegskostenentschädigung von 700 Millionen Francs geeinigt. Nach dem Wiener Kongreß war das der zweite große Erfolg der französischen Außenpolitik, denn Frankreich war nun als Großmacht wiederhergestellt und vollberechtigtes Mitglied des Europäischen Konzerts. Die Pentarchie erschien als beste Garantie gegenüber der latent empfundenen Revolutionsgefahr in Frankreich und bekräftigte gleichermaßen die solidarische Gemeinsamkeit der europäischen Großmächte mit der Herrschaft der dorthin zurückgekehrten —
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Bourbonen. Die Existenz der Pentarchie ermöglichte es für viele Jahre, Interessenkonflikte in den Reihen der europäischen Großmächte friedlich auszugleichen. Solche Interessenkonflikte drohten einerseits im Gefolge revolutionärer 23 24
Duchhardt, S. 1 ff. Gentz, S. 7 f.
1. Die inneren
Grundlagen der Militärkonzeption
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Umbrüche und irredentistischer Bewegungen in Europa, andererseits aber auch durch außereuropäische Konflikte, die nach Europa zurückschlugen. Der Mechanismus, auf der Basis von Verhandlungen der fünf europäischen Großmächte eine in Friedenszeiten festgelegte Ordnung zu bewahren und immer wieder Regulative eines Ausgleichs der Interessen zu suchen, ist als Euin die Geschichte eingegangen. Seit 1815 hatten zwei unterKonzert ropäisches schiedliche Linien das Europäische Konzert bestimmt, dessen übergreifende Idee in der Verhinderung großer Kriege, irredentistischer oder nationalistischchauvinistischer Bewegungen bzw. Revolutionen bestand. Da war zum einen die starr-legitimistische und antiliberale Prinzipienpolitik Metternichs, die die Kongresse von Troppau 1820, Laibach 1821 und Verona 1822 mit ihren Interven tionsentscheidungen dominiert hatte. Diese Linie erwies sich nach 1822, als die Phase der regelmäßigen Kongresse endete, als nicht mehr durchsetzbar. Für die Zeit nach 1822 kennzeichnete das Europäische Konzert vor aUem jene zweite Tendenz eines konstitutionell-liberalen Pragmatismus, der in der enghschen AußenpoHtik nach Castlereagh in George Canning und später Henry Viscount of Palmerston seine Basis hatte. Diese Linie, die zwar für den Erhalt der »Wiener Ordnung« bis in die Jahre des Krimkrieges (1853-1856) eintrat, aber kleine Korrekturen erlaubte, zeichnete sich durch eine höhere Flexibilität aus und trug somit der Dynamik der innergesellschaftHchen Modernisierungsprozesse Westeuropas stärker Rechnung. Als Instrument der Pentarchie sicherte das Europäische Konzert die Ruhe Europas, militärische Zwangsmaßnahmen indes schloß es dabei nicht aus. Diese richteten sich als integraler Bestandteil der Konsensfindung stets gegen irredentistische oder revolutionäre Bewegungen, die den Bestand der »Wiener Ordnung« gefährdeten, oder solche Teilnehmer, die etwa die von den Konferenzmächten vereinbarten Abmachungen nicht einhielten. Das Europäische Konzert von 1815 bis 1818 wurde 1856 um die Türkei und nach 1859 bzw. 1866 um Sardinien-Piemont bzw. ItaHen erweitert. Im Gegensatz zur »Wiener Ordhatte es in veränderter Form bis zum die im Krimkrieg zerbrach nung« 1914 Bestand. des Ersten Beginn Weltkrieges Auseinanderdriftende Interessen der Großmächte indes Heßen das Europäische Konzert seit der Mitte des 19. Jahrhunderts deutlich an Wirkungskraft verlieren und setzten es als Mittel der friedlichen Streitschlichtung von 1853 bis 1871 dem Ende des Deutsch-Französidem Beginn des Krimkrieges außer Kraft. schen Krieges partiell Neben der QuadrupelalHanz und der Pentarchie existierte nach 1815 in Gestalt der »Kernmächte der Heiligen Allianz«, bestehend aus Rußland, Öster—
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reich und
Preußen,
ein weiterer
Block, der aufgrund des vergleichsweise
inne-
wirtschaftlichen und poHtisch-verfassungsmäßigen Rückstands seiner Mitglieder eine relativ homogene Basis aufwies. Dazu traten die gemeinsamen Interessen der drei an der Unterdrückung der polnischen Nationalität, aber auch der nationalrevolutionären Bewegungen in ItaHen und auf dem Balkan beteüigten Mächte. Die drei konservativen Ostmächte fühlten sich in besonderer Weise ren
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I.
Militärkonzeption und Militärverfassung des Deutschen Bundes
das Gründungsmanifest der »Heiligen Allianz« vom 26. September 181525 gebunden, dem außer England, der Pforte und dem Heiligen Stuhl alle europäischen Staaten formal beigetreten waren. Doch während der Allianzvertrag im engen völkerrechtlichen Sinne nur ein politisch unverbindliches Glaubensbekenntnis blieb, wurde er von den Ostmächten zur Grundlage der militanten Durchsetzung restaurativer innen- und außenpolitischer Ziele weiterentwickelt und somit in den Rang einer sicherheitspolitischen Kategorie erhoben. Das gemeinsame Interesse der europäischen Großmächte im allgemeinen
an
und das der saturierten Staaten Großbritannien und Österreich im besonderen, für den Erhalt der »Wiener Ordnung« einzutreten, schloß einen Krieg in Europa es sei denn, er würde um die nach 1815 Erhaltung des Status quo geführt aus. werden In einem derartigen Krieg aber würde es nicht, wie in Zeiten des revolutionären Weltanschauungskampfes, um die Existenz von Staaten, um die Frage »alles oder nichts!« gehen. Mit der sich aus dieser Gewißheit ableitenden Begrenzung möglicher Kriegsziele entfiel a priori eine wesentliche Bedingung, an die die Entfesselung der kriegerischen Energien der Völker im Sinne einer Niederwerfungsstrategie geknüpft war. Unter derartigen äußeren sicherheitspolitischen Gegebenheiten konnte es zu einer deutlichen Abschwächung des militärischen Faktors in der europäischen Politik, in Staatenwelt und Gesellschaft nach 1815 kommen. Diese Tatsache wurde später von Carl v. Clausewitz reflektiert, indem er fragte, »ob alle künftigen Kriege in Europa immer mit dem ganzen Gewicht der Staaten und folglich nur um große, den Völkern naheliegende Interessen geführt sein werden, oder ob nach und nach wieder eine Absonderung der Regierung von dem Volke eintreten wird«26. Neidhardt v. Gneisenau gab bereits 1820 seiner Ausdruck, daß man im »tiefsten Frieden« lebe und »nichts auch einer noch so sehr entfernten Wahrscheinlichkeit des Krieges von irgend Er wie ein Donnerschlag aus heiterm Himmel. Die Kamüßte kommen (wisse). binette sind des leichtsinnigen Kriegführens wohl müde und kennen die heutigen Gefahren desselben nur allzugut.« Und weiter heißt es mit unterschwelliger Frankophobie: »Woher eine Störung nach einiger Zeit kommen könnte, das wäre von Frankreich her, wenn die revolutionäre Partei daselbst sich der Regierung bemächtigen könnte.« Diese Gefahren jedoch, so Gneisenau, stünden aktuell nicht zu befürchten27. Für die friedliche Tendenz in den europäischen Beziehungen standen auch ideologische Gründe. Zwar gab es nach 1815 noch keine europäische Sicherheitspolitik, aber eine ihrer Vorstufen, nämlich den Konsens aller etablierten und um die Erhaltung des Status quo besorgten Kräfte, einen großen europäischen Krieg auch deshalb zu vermeiden, weil die mit ihm einhergehenden Mo—
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Überzeugung
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Allianzvertrag vom 26.9.1815, in: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd 1, S. 83 f.
26 27
Clausewitz, Vom Kriege (3. T., 8. Buch), S. 660. Neithardt v. Gneisenau an seine Tochter, Agnes brück, S. 423 ff.
v.
Scharnhorst, Berlin, 18.2.1820,
in: Del-
1. Die inneren
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Grundlagen der Militärkonzeption
bilisierungseffekte unerwünscht waren. Der große Krieg suchte erfahrungsgemäß militärische Effizienz durch Volksbewaffnung und damit durch die Partizipation der unteren Gesellschaftsschichten herzustellen. Das stand nicht nur im Widerspruch zur Restaurationspolitik nach 1815, sondern beschwor die Ge-
fahr von revolutionären Umbrüchen, von »Pöbelherrschaft« und »Anarchie« herauf. Vor dem Erfahrungshorizont der Revolutions- und Napoleonischen Kriege war auf dem europäischen Kontinent für eine gewisse Zeitspanne eine Sensibilität des einzelnen für etwaige Bedrohungsängste der konservativen Nachbarn entstanden. Größere militärische Anstrengungen schienen unter diesen Voraussetzungen unnötig geworden zu sein. Friedenssicherung erfolgte nicht primär militärisch, sondern unter Ausnutzung der politisch-diplomatischen Mittel des Europäischen Konzerts. Eine wirksame Ausschöpfung der müitärischen Potentiale stellte darüber hinaus einen Luxus dar, den sich in den Friedensjahren nach 1815 kein europäischer Staat leisten mochte, galt es doch, die Kriegsfolgen zu überwinden, Handel und Gewerbe zu fördern und die in den Kriegsjahren stark beanspruchten Staatsfinanzen zu sanieren. Es waren also politische, wirtschaftliche und ideologische Ausgangsgrößen, die die Sicherheitspolitik der europäischen Kabinette nach 1815 bestimmten und einen großen Einfluß auf die Gestaltung der europäischen Militärverfassungen hatten. Im europäischen Vergleich wird sichtbar, daß sich die Militärverfassungen der europäischen Großmächte Großbritannien, Rußland und Frankreich die hier im Gegensatz zu denen der später ausführlicher behandelten deutschen Staaten nur angedeutet werden können den sich nach 1815 radikal verbesserten sicherheitspolitischen Voraussetzungen —
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anpaßten. Komparatistische Untersuchungen zur Entwicklung der Militärverfassungen im 19. Jahrhundert büden ein Desiderat der historischen Forschung. Dabei ist es durchaus möglich, Typenbildungen vorzunehmen. Einer entsprechenden Typologie sollten allerdings multikausale Wirkungsfaktoren zugrundegelegt werden. Zu berücksichtigen sind wirtschaftliche Ausgangsdaten wie das Modernitätsgefälle in West-Ost-Richtung. Dieser Faktor beeinflußt z.B. den Grad an Infrastruktur und militärischen Kommunikationen; er berührt ferner Aspekte der Streitkräftefinanzierung, den Entwicklungsstand der Rüstungsindustrie und miHtärtechnische Innovationen. Ein anderer Wirkungsfaktor waren die poso die litisch-staatsrechtlichen Rahmenbedingungen Ablösung autoritärer Staatsformen bzw. die Durchsetzung konstitutioneller oder parlamentarischer Systeme mit unterschiedlicher innerer Verteilungsgerechtigkeit, verschiedenen Herrschaftsgraden und einer differierenden Prädisposition zur Gewaltanwendung28. Ein weiterer Wirkungsfaktor bestand in der gesellschaftHchen Akzeptanz des Militärs, die durch die Haltung sozialer Großgruppen, politischer Parteien und außerparlamentarischer Entscheidungsgremien bestimmt wurde. —
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28
Siehe dazu:
Czempiel, Herrschaftssystem und Friedenswahrung, S. 30.
30
I.
Militärkonzeption und Militärverfassung des Deutschen Bundes
Dazu kamen singuläre und zufällige Faktoren, wie nationale militärische Traditionen oder geopolitische Besonderheiten. Im Gegensatz zu den deutschen Militärverfassungen basierten die der anderen europäischen Großmächte Großbritannien, Rußland und Frankreich auf nationalstaatlicher Grundlage: Großbritannien als führende Industrie- und Seemacht des 19. Jahrhunderts stützte sich vor allem auf eine starke, überall präsente Kriegsflotte. Seine Armee spielte hingegen zunächst eine noch eher sekundäre Rolle, für den Deutschen Bund war sie nicht entscheidend. Wegen seiner insularen Lage und der Eigenart seiner verfassungsrechtlichen Tradition wich die britische Militärverfassung von denjenigen der anderen europäischen Armeen deutlich ab. Die Ergänzung der aktiven Armee beruhte auf dem Prinzip der Freiwilligkeit, die nach Czempiel einen nur geringen Grad von Gewalt zu ihrer Durchsetzung benötigt29. Die britische Armee umfaßte 1816 etwa 255 000 Mann. Diese Stärke verringerte sich in den folgenden Jahren auf 140 000 Mann. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts schloß sich die britische Armee allerdings dem allgemeinen Aufwärtstrend an, so daß sie 1860 immerhin bereits wieder 347 000 Mann zählte30. Neben dem stehenden Heer verfügte die britische Armee über eine für die Landesverteidigung vorgesehene und wahrscheinlich auch nur für sie geeignete Miliz. Diese zudem noch billige Einrichtung war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts besonders im politischen Spektrum konstitutionellliberaler Kräfte außerordentlich populär. Mit ihr glaubte man die Heere monarchischer Verfügungsgewalt entziehen und somit das Ideal des Staatsbürgers in Uniform verwirklichen zu können. Andererseits bewiesen die europäischen Milizverfassungen des 19. Jahrhunderts jedoch eine nur geringe militärische Effizienz, was zum Beispiel im Schweizer Sonderbundskrieg 1847 deutlich wurde. Rußland war 1815 als die »klassische Landmacht« mit einer 800 000-MannArmee allen möglichen Rivalen zahlenmäßig überlegen31. Seine wirtschaftlichtechnische Rückständigkeit und geringe gesellschaftliche Entwicklungsdynamik setzte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht automatisch in militärische Schwäche um. Ein anderer Faktor stand dagegen, nämlich die autokratische Staatsverfassung mit ihrem hohen Grad an Zentralisation und innerer Gewaltbereitschaft. Ausländische Beobachter noch dazu solche, die ihre bewundernde Sicht auf die russische Armee aus dem Blickwinkel der antinapoleonischen Koalition herleiteten zeigten sich beeindruckt von den gewaltigen des während ihnen die unzureichende Logistik Zarenreiches, Truppenzahlen und der oftmals schlechte Ausbildungsstand der Mannschaften und Offiziere oft verborgen blieben32. Allerdings waren infolge der Besatzungspflichten in Polen oder durch Expansionsfeldzüge im Kaukasus und in Turkestan große russische Armeeverbände permanent gebunden und wurden ständig geschult, was —
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29
30 31 32
Ebd., S. 27.
Kennedy, S. 244. Ebd.
Beispielhaft für diese prorussische Sicht: Die Kaiserlich Russische Kriegsmacht.
1. Die inneren
Grundlagen der Militärkonzeption
31
Kampfwert steigerte. Die russische Militärverfassung basierte auf dem Konskriptionssystem, das in Europa zu Beginn des 19. Jahrhundert die Regel war und nach Czempiel ein beträchtliches Maß an Gewalt zu seiner inneren Durchsetzung benötigt33. Die Konskription erlaubte in Rußland zwar die Stellvertretung, den Loskauf sowie zahHeiche andere Ausnahmen und Privilegien34, dies aber nur für die besitzenden Schichten. Ein großes Mitspracherecht bei der kommunalen Entscheiähnlich wie in Österreich35 Rekrutenwahl oblag somit in versetzt die die wurden, politisch-aufsässige oder Lage dungsträgern, meist aus den niederen GeseUschaftsschichten ihnen nicht genehme Leute ihren
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Militär abzuschieben36. Infolge der großen räumlichen Ausdehnung des Zarenreiches und der gering entwickelten Infrastruktur schien eine schneUe Mobilmachung und Konzentration der russischen Armee unmöglich. Ein gleichermaßen massiertes wie zeitgerechtes Eingreifen auf auswärtigen mitteleuropäischen Kriegsschauplätzen blieb somit fraglich. Diese bedeutsame Tatsache, die direkte Konsequenzen für die Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes hatte, ist als Problem von österreichischen und später auch von preußischen Militärs erkannt worden. Am 16. Januar 1818 war im Präsidialvortrag des österreichischen Hofkriegsratspräder offen antirussisidenten Generalfeldmarschall Fürst v. Schwarzenberg sche Bedrohungsperzeptionen thematisierte, aber die Angriffsbereitschaft der über die Verfassung der polnischen und Russen nicht sehr hoch einschätzte russischen Armee davon die Rede, daß Rußland im Falle eines Krieges gegen die beiden Vormächte des Deutschen Bundes innerhalb von vier bis sechs Wochen lediglich mit etwa 180 000 Mann auftreten könne. Weitere 100 000 Mann stünden erst nach zwei Monaten zur Verfügung. Aus der Sicht Schwarzenbergs ging die größte Gefahr allerdings von zwei im Westen stationierten hochdisponiblen russischen Armeen aus, von denen die eine unter General Bennigsen mit 78 Bataillonen und 28 Eskadronen »von Kaminien-Podolsky, und der Gränze unseres Galiziens längs dem Dniester bis Odessa vertheilt« war und die andere unter Feldmarschall Barclay de Tolly mit 250 Bataillonen, 100 Eskadronen regulärer und weiter 200 Eskadronen Reservekavallerie »in zweiter und dritter Linie der am Dniester stehenden Truppen, und mit einem Armeekorps unter dem Grafen Wittgenstein an der Düna, von Riga bis Witepsk aufgestellt« worden —
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zum
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sei.37
Ungeachtet ihrer Schwächen besaß die russische Militärverfassung unverkennbar eine ganz erhebliche innere Defensivkraft38. 33 34 35
Czempiel, Herrschaftssystem und Friedenswahrung, S. 27. Heere und Flotten der GegenAllgemeine Militair-Encyclopädie, S. 83; Rußland, in: Die wart, S. 19 ff. Zur »Stellung von Amtswegen« in Österreich: Niemeyer, Das österreichische Militärwesen, S. 39.
36 37 38
jedoch
Allgemeine Militair-Encyclopädie, S. 83. Präsidialvortrag Schwarzenbergs, Wien 16.1.1818, in: Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien (HHStA), Gesandtschaftsarchive, Bundespräs. Ges. Frankfurt, 81, Bl. 416^422 v. Allgemeine Militair-Encyclopädie, S. 82.
32
I.
Militärkonzeption und Militärverfassung des Deutschen Bundes
Frankreich, das als »klassische hybride Macht« Europas zwischen seinen eu-
ropäischen und seinen außereuropäischen Interessen hin- und hergerissen wur-
de39, blieb auch nach der Restauration der Bourbonenherrschaft im Verständnis
deutscher Militärs potentieller Ausbruchsherd von Revolutionen und damit ein latenter Bedrohungsfaktor. Die von den Alhierten 1814 und 1815 auf den Thron gesetzten Bourbonen mißtrauten dem übernommenen Heer, das Heer wiederum haßte die neuen Herren. Deshalb wurde es gesäubert und reorganisiert. Die von Gouvion Laurent Grafen St. Cyr geschaffene Militärverfassung des Jahres 181840 trug restaurativen Forderungen Rechnung. Sie beruhte auf dem Konskriptionssystem. Zahlreiche Ausnahmeregelungen und Dienstbefreiungen führten zu Beginn der 20er Jahre des 19. Jahrhunderts lediglich zur Aufstellung einer 175 000 Mann starken Armee. Revolutionsneurosen und antifranzösische Bedrohungsperzeptionen im Deutschen Bund nährte diese Militärverfassung zunächst gewiß nicht. Daran änderte auch die Verlängerung der aktiven Dienstzeit von sechs auf acht Jahre und die damit einhergehende Anhebung des Präsenzstandes auf ca. 259 000 Mann im Jahre 1824 nichts41. Die sicherheitspolitische Beruhigung schwand allerdings, als mit der Julirevolution 1830 Reminiszenzen an die Massenaufgebote der Revolutions- und Napoleonischen Kriege wach wurden. Damit waren weltanschaulich-ideologische Faktoren ins Spiel gebracht, die sich an Generalstabskarten durchweg schlecht durchrechnen lassen. Zudem besaß die französische Armee seit 1830 durch die Algerienbesetzung eine permanente Kriegsschule, die auch von deutschen Offizieren gern in Anspruch genommen wurde. Eine strukturelle Schwäche der französischen Militärverfassung lag wegen der langen Dienstzeiten in der Unzulänglichkeit ausgebildeter Reserven. So erfolgte die Komplettierung der Armee im Krimkrieg, mehr noch im Italienkrieg (1859) durch zahlreiche unausgebildete Reserven, deren militärische Verwendbarkeit nur bedingt gegeben war42. Die europäischen Militärverfassungen nach 1815 kennzeichnet ein nur geringer Grad an militärischer Mobilisierungsfähigkeit. Dieser kontrastiert sehr stark mit den Anforderungen der Jahre zuvor. Nach 1815 kam es zu einer deutlich erkennbaren Abschwächung des militärischen Faktors in Politik und Gesellschaft. Spürbar verringerte Personalstärken, längere Dienstzeiten, gravierende Probleme der Reservebereitstellung und lange Mobilmachungsfristen sind Beispiele dafür. Diese Situation folgte aus der politischen Konstellation Europas nach dem Wiener Kongreß, die bis zur Jahrhundertmitte einen relativen Sicherheitskonsens der europäischen Großmächte und auf dieser Grundlage eine gewollte weitgehende Herausnahme der Völker aus der Sicherheitspolitik erforderte. Doch diese Voraussetzungen konnten sich im Laufe der Zeit ändern. 39 40 41
42
Kennedy, S. 264. Dazu: Frankreich. Das Heer am Ende des neunzehnten Jahrhunderts, in: Die Heere und Flotten der Gegenwart, S. 17 ff. Zahlen bei: Kennedy, S. 244. Frankreich. Das Heer, in: Die Heere und Flotten der Gegenwart, S. 22 f.
2. Die Bundeskriegsverfassung
33
Zwar war der Wiener Kongreß der erste europäische Friedenskongreß, der nicht einfach zur Beendigung eines Krieges, sondern bereits zur Formulierung einer längerfristigen Friedensordnung zusammengetreten war. Auch folgten die Interessen seiner Teilnehmer unverkennbar einem sicherheitspolitischen Konsens. Dazu kam, daß der Kongreß die poHtisch-völkerrechtHche Gestaltung Europas lange Zeit, immerhin bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, prägte43. Dennoch, die Wiener Nachkriegsordnung litt an gewaltigen Konstruktionsschwächen, die den Gleichgewichtszustand und die Ruhe Europas auf Dauer in Frage steUen und dazu führen konnten, daß der militärische Faktor in den europäischen Staatenbeziehungen erneut an Bedeutung gewann. Auf dem Wiener Kongreß war weder die orientalische Frage, die sich aus dem Zerfallsprozeß des Osmanischen Imperiums ergab, noch die Nationalitätenfrage, die dem Konstituierungsprozeß bürgerlicher Nationen in Europa geschuldet war, erörtert oder gar geklärt worden. Vor allem die nationale Frage, die mit inneren Modernisierungseffekten eng zusammenhing, hatte sich mit den Grundgedanken der Restauration insbesondere dem von Talleyrand in den Kongreß gebrachten Legitimitätsprinzip nicht in Übereinstimmung bringen lassen. Die Tatsache, daß der Deutsche Bund in krisenhafter Zuspitzung dereinst mit beiden Konstruktionsproblemen der »Wiener Ordnung«, der orientalischen Frage und dem nationalen Prinzip, konfrontiert und von den Wirkungen der Nationalstaatsidee selbst direkt betroffen sein würde, war freilich 1815 noch nicht voraussehbar und rückte erst aUmähhch in das politische Bewußtsein. —
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2. Die a.
Bundeskriegsverfassung
Entstehungsgeschichte der Bundeskriegsverfassung
Nach der Annahme der Bundesakte des Deutschen Bundes am 8. Juni 1815 vergingen obwohl Artikel 10 der Bundesakte »die Abfassung der Grundgesetze des Bundes und dessen organische Einrichtung in Rücksicht auf seine auswärtigen, militärischen und inneren Verhältnisse« als »das erste Geschäft der Bundesversammlung« bezeichnet hatte44 noch einmal mehr als zwei Jahre, bevor erste Schritte zur Organisation des Bundesmilitärwesens eingeleitet wurden. Diese Verzögerung ist in der Forschung dem offenbar nur geringen SteUenwert der mihtärischen Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes in seiner Anfangsphase zugeschrieben worden45. ZweifeUos erklärt sich die Bedächtigkeit bei der FormuHerung der Bundeskriegsverfassung einerseits aus der günstigen außenund sicherheitspohtischen KonsteUation des Deutschen Bundes nach 1815, die —
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43
44 45
Duchhardt, S. 1.
Dokumente zur Deutschen
Verfassungsgeschichte, Bd 1, S. 87.
Wienhöfer, Das Militärwesen, S. 105.
34
I.
Militärkonzeption und Militärverfassung des Deutschen Bundes
außenpolitische Gegensätze hinter innenpolitische Zielsetzungen zurücktreten ließ, andererseits aus der Tatsache, daß die Grundlagen der deutschen Sicherheitspolitik in der Bundesakte so kompromißhaft und vage formuliert worden waren. Damit waren sie unterhalb der Erwartung aller Beteiligten geblieben, so
daß die beiden deutschen Großmächte und die Mittel- und Kleinstaaten nunmehr Nachbesserungen bei der Festlegung der Detailbestimmungen anstrebten. Vor dem Hintergrund dieser Konstellation begannen im Juli 1817 in Karlsbad zäh geführte Verhandlungen zwischen Preußen und Österreich mit dem Ziel der Festschreibung allgemeingültiger Richtlinien für eine zukünftige Bundeskriegsverfassung. Diese Verhandlungen widerspiegelten einmal den Willen der beiden deutschen Vormächte, sich in Fragen der Gestaltung der Wehrverfassung vorzuverständigen und unterschiedliche Positionen auszugleichen. Zum anderen kamen geschuldet dem preußisch-österreichischen Dualismus sowie der Eigenständigkeit der Militärkonzeptionen beider Mächte deutlich beträchtliche Diskrepanzen zwischen beiden im konkreten Detail zum Ausdruck. Weiterhin mußten die Pläne der Mittel- und Kleinstaaten in Rechnung gestellt werden, so daß man von vornherein mit einer nur schwer auszugleichenden Verschiedenartigkeit der angestrebten Verhandlungsziele konfrontiert —
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war.
Nach den Instruktionen Metternichs wurde durch die österreichischen Verhandlungsführer die beiden Generalmajore Friedrich Freiherr v. Langenau und August Freiherr v. Steigentesch zunächst ein gesamtbündisches Heer angestrebt. Dabei sollten die Streitkräfte der Mittel- und Kleinstaaten zu vier selbständigen Korps zusammengefaßt werden, Österreich und Preußen hingegen jeweils Korps von je 30 000 Mann bilden46. Die Gesamtstärke des Bundesheeres würde demnach 120 000 Mann betragen haben. Dieser von Steigentesch vorgelegte Plan sah vor, das an die Spitze einer Reihe von Kleinstaaten gestellte Sachsen mit der Bildung eines Armeekorps zu beauftragen, um somit dem Machtanspruch Preußens im Norden Deutschlands entgegenzuwirken. Die preußischen Unterhändler die Generalmajore Hermann v. Boyen und einen Drei-Armeen-Plan vorgelegt, bei v. Freiherr hatten Ludwig Wolzogen dem neben einer preußischen Niederrheinarmee und einer österreichisch-süddeutschen Oberrheinarmee die norddeutschen Mittel- und Kleinstaaten einschließlich Kurhessens und Nassaus in eine preußisch geführte Mittelrheinarmee eingerückt wären. Damit sollte die militärische Hegemonie Preußens im Norden wenigstens auf indirektem Wege erreicht werden, da der von Boyen ursprünglich angestrebte Zwei-Armeen-Plan mit Abgrenzung der Machtbereiche beider Großmächte am Main keine Aussicht auf Realisierung hatte. Doch auch den Drei-Armeen-Plan in dieser Form lehnten die Österreicher ab. Die Preußen hatten ihrerseits den österreichischen Plan verworfen, unter anderem deshalb, —
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46
Meinecke, S. 282. Die Instruktion Metternichs für Steigentesch sowie eine militärische Zuarbeit für den österreichischen Unterhändler siehe: Anlagen 1 und 2.
2. Die
weil
er
Bundeskriegsverfassung
35
die Stärke des zukünftigen Bundesheeres ihrer Meinung nach viel zu ge-
ring ansetzte.
In einer zweiten
Verhandlungsrunde legte Steigentesch einen weiteren Plan preußische Änderungswünsche aufnahm. Danach soUte sich, so wurde verabredet, der stets präsente Friedensstand von 120 000 Mann im Krievor, der
viele
ge auf 412 000 Mann steigern, also auf nicht ganz zwei Prozent der Bevölkerung. Ein drittes Prozent war für Ersatz- und Besatzungstruppen vorgesehen47. Auch wurde die ursprüngliche Korpseinteilung, die den Preußen viele Sorgen bereitet hatte, in eine Kontingentseinteilung abgeändert, nach der die Bundeskontingente in elf Abteilungen zerfielen. Diese VorsteUung kam den preußischen Plänen weit entgegen, denn keiner der mittleren deutschen Staaten konnte nun die von Preußen beanspruchte nördliche Hemisphäre im Deutschen Bund ernsthaft in Frage stellen. Für den Kriegsfall Heß sich die in BerHn gewollte Angliederung der Kleinstaatenkontingente an die der größten Staaten voraussehen. Dies lief auf eine praktische Zweiteilung des Bundesheeres hinaus, genau wie es Boyen gewünscht hatte48. In der Frage des Oberfeldherrn einigte man sich darauf, daß die Bundesversammlung im Kriegsfall das Bundesmitwelches den Oberfeldherrn zu bestimmen hätte. Weitersollte, glied festlegen hin wurde die Bildung eines Militärkomitees vorgeschlagen, mit der Funktion, »im Frieden eine Art aUgemeine KontroUbehörde und im Krieg eventuell den Kriegsrat des Oberfeldherrn« darzusteHen. Am 10. August 1817 gelang auch die Regelung der Verhältnisse der Bundesfestung Mainz, deren Friedensbesatzung halb aus österreichischen, halb aus preußischen Truppen bestehen sollte. Den Festungsgouverneur wollten beide Staaten auf die Dauer von fünf Jahren abwechselnd stellen. Der Anteil Österreichs und Preußens an den übrigen Bundesfestungen wurde so geregelt, daß Österreich in Süddeutschland festen Fuß fassen konnte, während Preußen über die Festung Luxemburg und damit den nördHchen Teil des Bundes die Hege-
monie ausübte49. Mit den bis dahin erreichten Verhandlungsergebnissen von Karlsbad hatten die Generale beider deutscher Vormächte die sich im böhmischen Kurort auch persönHch nähergekommen waren ihre Absicht demonstriert, eine effiziente Wehrexekutive für den Bund notfaUs auch gegen den Wülen der anderen Bundesglieder zu etablieren. Auf müitärisch-fachlicher Ebene schien eine Einigung allemal möglich. Nach nochmaligen Nachverhandlungen und leichten Abänderungen wurden die Resultate der informellen Karlsbader Militärverhandlungen unter dem Titel »Grundzüge des deutschen Militär- und Verteidigungswesen« am 19. Januar 1818 vom österreichischen Präsidialgesandten Johann Graf v. Buol-Schauenstein dem engeren Rat des Bundestages vorgelegt. —
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47
48
49
Meinecke, ebd., S. 283.
Boyen hatte
für das »westliche Kriegstheater« eine oberrheinische Armee unter österreichischer und eine niederrheinische Armee unter preußischer Führung vorgesehen. Ebd., S. 285. Ebd., S. 286.
36
I.
Militärkonzeption und Militärverfassung des Deutschen Bundes
Beide deutsche Vormächte hatten sich zuvor darauf geeinigt, das gemeinsame Verhandlungsergebnis unter allen Umständen auch auf politischem Parkett im Bundestag durchzusetzen. Doch das war nicht so einfach. Gleich nach den Eröffnungen des österreichischen Präsidialgesandten erhob sich Protest. Vor allem die Gesandten der Mittelstaaten befanden, daß diese »Grundzüge« die Lasten, die ihnen auferlegt werden sollten, zu hoch ansetzten und daß ihre Souveränität nicht stark genug berücksichtigt worden sei. Kritisiert wurde u. a. die Stellung von zwei Prozent der Bevölkerung für das Bundesheer im Kriegsfall und von einem Prozent für Ersatz und Festungen. Außerdem forderte man eine direkte Ernennung des Oberfeldherrn von der Bundesversammlung, um der Gefahr zu entgehen, daß die beiden deutschen Vormächte dieses Problem unter sich lösten. Darüber hinaus waren nicht alle Bundesglieder bereit, ihre Kontingente schon in Friedenszeiten einer Inspektion unterziehen zu lassen50. Vor allem die Vertreter Württembergs und Bayerns Karl Freiherr v. Wanim v. und Freiherr die beide Militärausschuß des BunAretin, Johann genheim in saßen sich dieser als Wortführer der Frage destages profilierten Opposition des »Dritten Deutschland« gegen den doppelhegemonialen Druck beider deutscher Vormächte. Wangenheim argumentierte in zweierlei Richtung51: Zum einen forderte er, die zu verabschiedenden militärischen Defensiworkehrungen des Bundes in gesamteuropäische Dimensionen einzubetten. Eine überstarke Machtentfaltung der europäischen Mitte mußte seiner Auffassung nach unbedingt vermieden werden, um nicht ähnliche Maßregeln auf seifen der Nachbarstaaten herauszufordern. Mit diesem Argument verband er darüber hinaus die Erwartung, daß man in Europa zu wirksamen Schritten gegenseitiger Abrüstung kommen möge. Andererseits bemühte sich Wangenheim, durch eine ausgewogene Balance der militärischen Vorkehrungen in den einzelnen deutschen wie sie gerade in der Diskussion um Staaten doppelhegemoniale Dirigismen die Wehrfrage deutlich wurden künftig auszuschließen. Ein relativer Rüinnerhalb des Bundes würde dem Frieden in Europa weit stungsgleichstand besser dienen als das militärische Ungleichgewicht zwischen den deutschen Vormächten und dem »Dritten Deutschland«. Diese Argumente wogen schwer. Sie wurden von der Mehrheit des engeren Rates unterstützt. In ihnen fand sich die aus unterschiedlichen Motiven Sicht des süddeutschen Konstitutionaüsmus wieder, deren vehementester Fürsprecher im Bundestag der bayerische Gesandte Aretin war, aber auch die Versuchung der kleineren Bundesglieder, sich größeren militärischen Lasten möglichst zu entziehen. Anfang April 1818 stand fest, daß die Resultate der Karlsbader Vorverhandlungen keine Aussicht auf Annahme in den Bundesgremien hatten. Deshalb faßte Buol-Schauenstein am 9. April die Diskussion in einer Conclusio zusammen, die zwar mit ihrer allgemeinen Fassung manche Klippen —
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so 51
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Stern, S. 328 f. Seier, Zur Frage der militärischen Exekutive, S. 412-414.
2. Die
37
Bundeskriegsverfassung
geschickt vermied und daher auch einstimmige Annahme fand, von den Karlsbader »Grundzügen« aber nicht mehr viel übrigheß52. Danach durften Staaten, die selbständige Armeekorps aufstellen konnten, keine fremden Truppenkontingente den eigenen einverleiben. Damit war die durch den Karlsbader Plan noch vorhandene Möglichkeit völlig abgeschnitten, die ganz kleinen Kontingente im Kriege den größeren Mächten anzugHedern. Darüber hinaus war vorgesehen, den Oberfeldherrn durch den Bundestag direkt mit Stimmenmehrheit ernennen zu
lassen53.
Die endgültige Ausarbeitung der Militärverfassung des Deutschen Bundes wurde nun dem Bundesmilitärausschuß und dem Militärkomitee übertragen, die zu diesem Zweck ins Leben gerufen worden waren. Am 10. Oktober 1818 legte der BundesmiHtärausschuß der Bundesversammlung einen entsprechenden Entwurf vor54. Zuvor hatte er vom Militärkomitee drei ausführliche Gutachten und ein Papier mit dem Titel »Vorläufige Bemerkungen« erhalten, deren Inhalt teilweise in das Dokument eingearbeitet wurde. Darin war davon die Rede, daß Österreich und Preußen je drei Armeekorps, Bayern das 7. büden soUte. Im 8. wurde Sachsen mit Württemberg und Baden zusammengespannt. Das 9. Armeekorps bestand aus beiden Hessen, Luxemburg, Nassau und den thüringischen Kleinstaaten. Es war dazu bestimmt, im Kriegsfall in die preußische HeeresHnie am MitteHhein einzurücken, was für Preußen erträglich blieb. Das 10. Korps vereinigte unter der Leitung Hannovers die norddeutschen Kleinstaaten. Im ganzen enthielt der aus zehn Abschnitten bestehende Entwurf viele Kompromisse: In ihm fanden sich weder die Pläne der beiden deutschen Vormächte noch die einzelner Mittelstaaten in reiner Form wieder. Auch Wangenheims VorsteUung, eine Machtsteigerung Württembergs durch Zusammenfassung aller süddeutschen und einiger mitteldeutscher Truppen mit Ausunter württembergischem Befehl zu erreichen, war nahmen der bayerischen durchkreuzt worden. Aretin lehnte eine Machterweiterung Württembergs grundsätzlich ab, konnte sich aber seinerseits mit der Forderung, aUe Kontingente des »Dritten Deutschland« nun unter bayerischem Befehl zu vereinigen, auch nicht durchsetzen55. Kompromißhaft waren auch die übrigen Festlegungen des Entwurfs: So wurde die Heeresstärke, die in Karlsbad noch mit insgesamt drei Prozent angegeben war, auf knapp zwei Prozent heruntergehandelt. Auch blieb die Frage nach dem Wahlmodus für den Bundesfeldherrn vorerst noch ungeklärt. Von Januar bis April 1819 gingen nach internen Diskussionen die ausführhchen Erklärungen der einzelnen Regierungen zu dem Entwurf am Bundestag ein. Auf ihrer Grundlage wurde dieser noch einmal umgearbeitet und von den beiden Kommissionen des Bundestages bis zum 31. August 1820 fertiggestellt. Sachsen erreichte darin auf eigenen Antrag, daß es mit den kleinen thüringi—
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52 53
s4 55
Keul, S. 77. Meinecke, S. 289. Keul, S. 78 f. Seier, Zur Frage der militärischen Exekutive, S. 419 f.
38
I.
Militärkonzeption und Militärverfassung des Deutschen Bundes
sehen Staaten, mit Kurhessen, Nassau und Luxemburg im Korpsverband vereinigt wurde. Geographisch völlig zersplittert, war es dem 9. Armeekorps, dessen Heereslinien sich im Mobilmachungsfall mit denjenigen anderer Bundeskorps überschnitten, nun zwar unmöglich, gemeinsame Manöver durchzuführen, doch entfiel dafür im Kriegsfall die Anlehnung des Korps an Preußen. Der am 31. August 1820 zur Vorlage gelangte zweite Entwurf der Bundeskriegsverfassung wurde am 9. April 1821 als »Allgemeine Umrisse und wesentliche Bestimmungen der Kriegsverfassung des Deutschen Bundes« beschlossen. Die so nach langen Geburtswehen zustande gekommene Bundeskriegsverfassung mit ihren allgemeinen Umrissen und den dazu am 12. April 1821 und am 11. Juli 1822 vereinbarten »Näheren Bestimmungen«56 war ein Kompromiß der Bundesglieder auf sicherheitspohtisch-militärischem Gebiet, den man in breiten von konservativen Militärs bis ins Gesellschaftskreisen Lager des politischen Liberalismus57 noch lange für ausgestaltungswürdig und nachbesserungsfähig hielt. Die Integrität des Bundesgebietes war nämlich im Spektrum aller politischen Bewegungen, auch der Liberalen, ein feststehendes Axiom. Daran änderte auch die fundamentale Kritik an den bestehenden Militärverfassungen durch den Liberalismus nichts, wie sie der Freiburger Publizist Carl v. Rotteck bereits 1816 in seiner Schrift über stehende Heere und Nationalmiliz58 formuliert hatte. Die Bestimmungen der Bundeskriegsverfassung waren Ausdruck für das komplizierte Interessengeflecht im Deutschen Bund. Insgesamt hatte sich die föderalistisch-staatenbündische Bundesstruktur auch als maßgebend und prägend für die Formulierung der deutschen Militärverfassung erwiesen. Diese ließ gewiß viele Wünsche offen, sie entsprach nicht dem preußischen Streben nach der Mainlinie, auch nicht dem nach klar doppelhegemonialer Leitung des Bundes, viel weniger noch den Versuchen, einen abgesonderten Verband des »Dritten Deutschland« im Bund zu etablieren. Gerade deshalb war die Bundeskriegsverfassung viel realistischer und zeitbezogener, als ihr im Nachhinein zugebilligt wurde59; schließlich bedeutete sie den Versuch, für einen Staatenbund in der Mitte Europas und nicht für einen Nationalstaat eine adäquate militärische Exekutive zu schaffen. Ein Problem bestand jedoch offenkundig darin, daß innere politische Spannungen des Bundes das Verhandlungsergebnis beeinflußt hatten. Besonders au—
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56
57
58 59
Vollständig abgedr. in: Leonhardy, S. 102 ff. Auch bei Frauenholz, Das Heereswesen, S. 556 ff. Mit einigen Auslassungen ist die Bundeskriegsverfassung greifbar enthalten in: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd 1, S. 119 ff. Vollständiges Exemplar mit Anhang in »Akte-Knesebeck«: Geheimes Staatsarchiv, Historische Abteilung II, Merseburg (im folgenden: GStA Merseburg), Rep. 2.4.1. Abt. I, Nr. 10069/6. Die Bundeskriegsverfassung und die 1855 revidierten Bestimmungen vollständig in: Anlage 3. Zu den Auffassungen des Liberalismus siehe: Teutscher Bund und teutsches Bundesrecht; die Grundzüge des letzteren nach ihrer historischen Entwicklung und ihrer juristischen in: Natur, Rotteck/Welcker, S. 353 ff. Rotteck, Ueber Stehende Heere und Nationalmiliz. Dazu weiterführend: Ritter, S. 130 ff. Siehe dazu:
Angelow, Zur Geschichtsschreibung.
2. Die
39
Bundeskriegsverfassung
genfälHg war dies im Ringen Österreichs und Preußens um MachtanteUe im poda Htisch-miHtärischen Bereich zum Ausdruck gekommen. Wien hatte sich seine eigenen Interessen weniger tangiert waren entschieden eher bereit gefunden, von den Karlsbader Vorabsprachen abzurücken, als Berlin. Deshalb —
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war man
dort
mißtrauisch, daß Österreich den UnwiUen der kleineren Bundes-
glieder gegenüber größeren militärischen Anstrengungen gegen die von Preußen im Interesse eigener Machtpolitik angestrebte stärkere Vereinheitlichung und Effizienz des Bundesmilitärwesens ausspielen würde. In der Realität wurde diese Sorge bestätigt, legte doch Artikel VIII der »allgemeinen Umrisse« fest, daß »selbst der Schein von Suprematie eines Bundesstaates über den andern« vermieden werden sollte. Die Verhinderung des Anschlusses kleinerer Kontingente an die Armeekorps der größeren Staaten, im Artikel V festgelegt, schränkte darüber hinaus zwar in der Tat die Ausdehnung des preußischen Machtbereichs ein, doch war diese Regelung als Zugeständnis auch an partikularistische Sonderinteressen in militärischer Hinsicht eher fragwürdig. Obwohl der Deutsche Bund das Bundesheer im Artikel XII der »aügemeinen Umrisse« als »ein Heer« unter »einem Feldherrn« bezeichnet hatte, vergab er sich jedoch in Artikel XIII mit dem Verzicht auf einen Oberfeldherrn in Friedenszeiten die diese Vorstellung mit Hufe der ständigen Kontrolle der militärischen Bereitschaft und einer sinnvollen Koordinierung der Militäreinrichtungen In diesem heiklen Punkt waren offenkundig die glaubwürdig zu verfassungsmäßigen Grenzen des Staatenbundes erreicht. Dennoch stellte die Bundeskriegsverfassung einen klaren Fortschritt gegenüber der Militärverfassung des alten Reiches dar, indem sie kriegerische Kon-
Möglichkeit,
praktizieren60.
flikte zwischen den Bundesstaaten erschwerte, das miHtärische Potential Deutschlands stärker ausschöpfte und ein gemeinsames Auftreten der Bundesstaaten in militärischen Angelegenheiten gewährleistete, was als erster, wenn auch bescheidener Ansatz zur Büdung eines nationalen Militärwesens gewertet worden ist61. Gerade die integrative Funktion der Bundeskriegsverfassung sollte stärker beachtet werden: Die deutschen Staaten berieten nicht nur gemeinsam über ihre SicherheitspoHtik, sie büdeten integrierte Verbände sowohl in den gemischten Armeekorps als auch in den Bundesfestungen. Beide deutsche Vormächte die gleichzeitig auch europäische Großmächte waren hatten sich schließlich in ein gemeinsam garantiertes, kollektives Ordnungsgefüge einbinden lassen62. Alternativen zur Bundeskriegsverfassung hätten sich aufgrund der bestehenden verfassungsmäßigen Besonderheiten und Machtverhältnisse im Bund, aber auch der Vorgabe des Wiener Kongresses für die Konzeption der deutschen Sicherheitspolitik nur graduell von ihr unterscheiden können. Zwar wären in den konkreten militärischen Bestimmungen noch kleinere Abweichungen vom Endergebnis möglich gewesen, wenn z.B. der Karlsbader Plan wider Erwarten angenommen worden wäre, aber keine grundlegenden Modifika—
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60 « 62
Wienhöfer, Das Militärwesen, S. 41. Helmert, S. 15,86. Seier, Zur Frage der militärischen Exekutive, S. 398.
40
I.
Militärkonzeption und Militärverfassung des Deutschen Bundes
tionen. Die waren auch nicht nötig, wenn man sich die äußere Situation des Bundes in seiner Anfangsphase vergegenwärtigt.
b. Die militärischen Bestimmungen der
Bundeskriegsverfassung
Gliederung und Heeresstärke aus insgesamt zehn Abschnitten und 97 Paragraphen bestehenden »näheren Bestimmungen« der Bundeskriegsverfassung wurden die konkreten militärischen Forderungen für die Organisierung und Ausgestaltung des Bundesmilitärwesens formuliert: Das Bundesheer war als Kontingentsheer konzipiert, bestehend aus zehn Armeekorps, von denen Österreich, Preußen und Bayern die sieben ungemischten Armeekorps aufstellten. Die restlichen drei kombinierten Armeekorps rekrutierten sich aus den Kontingenten der übrigen Bundesstaaten. Paragraph 1 legte die Friedensstärke der Bundeskontingente fest. Sie sollte den 100. Teil der Bevölkerung eines jeden Staates betragen. Auf der Grundlage der Bundesmatrikel von 181963 konnte die Kopfzahl des Kontingentsheeres rechnerisch ermittelt werden. Sie lag bei 301 637 Mann64 und bewegte sich damit sogar unterhalb dessen, was die meisten Bundestagsgesandten ursprünglich befürwortet hatten. Die Richtung der Verhandlungen um die Festlegung der Friedensstärke hatte aber Wangenheim unter Hinweis auf die Möglichkeit bestimmt, den begrenzten sicherheitspolitischen Zweck des Bundes auch mit weniger Mitteln durchsetzen zu können65. Zudem konnte man sich darauf verlassen, daß die größeren Bundesglieder notfalls mit weitaus mehr Truppen zur Verteidigung des Bundes beitragen würden, als in der Bun-
In den
deskriegsverfassung festgelegt.
Die schließlich vereinbarte Friedensstärke trug den Intentionen WangenRücksichten heims folgend augenfällig europäischen Rechnung. Kein euvon diesem Heer bedroht fühlen. Auch innerNachbar würde sich ropäischer halb des Bundes war die geforderte Anspannung nicht übermäßig, so daß sie auch von weniger leistungsfähigen Staaten getragen werden konnte. Das galt auch für die Ersatzmannschaften, die im Paragraph 4 der »näheren Bestimmungen« auf den 600. Teil der Gesamtbevölkerung des Bundes limitiert worden waren. Von dieser Reserve hatte die Hälfte bereits sechs Wochen nach Mobilisie—
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63
64
65
Die Bundesmatrikel von 1819 kam durch die Beschlüsse der Bundesversammlung vom 20.8.1818 und vom 4.2.1819 zustande. Siehe: Protocolle der Deutschen Bundesversammlung (Prot.-BV) 1818, 43. Sitzung vom 20.8., § 210. Als Bestandteil der Bundeskriegsverfassung: Anlage zu Prot.-BV 1821, 17. Sitzung vom 12.4., § 101, Beilage. Übersicht des Bevölkerungswachstums der Bundesstaaten von 1818 bis 1852, in: Anlage 4. Zusammenstellung des Bundesheeres 1822 nach den Bestimmungen der Bundeskriegsverfassung, in: Anlage 5. Seier, Zur Frage der militärischen Exekutive, S. 418.
2. Die
Bundeskriegsverfassung
41
rungsbeginn marschfertig zu sein. Paragraph 5 legte fest, daß bei größeren Verlusten im Kriegsfall der Ersatz durch weitere Reservezuführungen innerhalb eines Jahres auf den 200. Teil der Bevölkerung begrenzt werden sollte. Fraglos hätte diese Festlegung im ErnstfaU die AuffüUung von Reserven behindert und somit direkte negative Auswirkungen auf die Kriegführung haben können. Bei größeren Anstrengungen steUten die Paragraphen 8 und 9 zwar besondere Bundesbeschlüsse in Aussicht, doch bei divergierenden einzelstaatlichen Interessen und dem daraus resultierenden schleppenden Geschäftsgang der Bundesversammlung waren zumindest nachteilige Verzögerungen zu erwarten, wenn nicht gar eine Blockierung der entsprechenden Beschlüsse. Die Stärkefestlegungen der Bundeskriegsverfassung zeigten somit deutlich, wie sehr die SicherheitspoHtik des Bundes von einem breiten Konsens aller Bundesglieder abhängig war. Dieser ließ sich mit Sicherheit nur in der gemeinsamen Defensive her-
stellen. Doch es gab noch ein anderes Problem: Das kleine Bundesheer hielt nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt, da die deutschen Staaten ihre zum Teil beträchtliche Bevölkerungszunahme in den folgenden Jahrzehnten nicht signahsierten. Dadurch wurde das Bundesheer relativ verkleinert, auch im europäischen Maßstab. Erst in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts paßte eine Revision der Bundeskriegsverfassung die Heeresstärke dem gewandelten sicherheitspohtischen Umfeld des Bundes an, aber auch dem inzwischen gestiegenen Leistungsvermögen der einzelnen deutschen Staaten. Nach der Revision von 1855 betrug die Stärke des präsenten Bundesheeres 506 725 Mann66.
Waffengattungen
Waffengattungen wurde im Paragraph 11 der »näheren Bestimmungen« festgelegt, daß die Reiterei ein Siebentel der Gesamtzahl eines jeden Kontingents betragen sollte. Im Vergleich zu den Napoleonischen Kriegen bedeutete dies eine beträchtHche zahlenmäßige Verringerung der Kavallerie, die jedoch im Trend der militärischen Entwicklung des 19. Jahrhunderts lag. Zum Verhältnis der
Noch im ersten Gutachten des Militärkomitees vom Mai 1818 hatten sich die dort versammelten MiHtärs darauf geeinigt, daß nicht weniger als ein Sechstel der Gesamtzahl der Armee aus Kavallerie, und zwar zu einem Drittel aus schwerer und zu zwei Dritteln aus leichter Kavallerie, bestehen müsse67. Die hohen Aufwendungen bei der SteUung dieser kostspieligen Waffengattung belasteten vor aUem die kleinsten Kontingente, die widersinnigerweise gezwungen wurden, Reiter aufzustellen, ohne mit ihnen in jedem Fall überhaupt eine taktische Formation bilden zu können.
66 7
Übersicht über die Kriegsformation des deutschen Bundesheeres 1859, siehe: Anlage 6. GStA
Merseburg, Rep. 75 D, Nr. 79, Bl. 6.
42
I.
Militärkonzeption und Militärverfassung des Deutschen Bundes
Für die Artillerie legte Paragraph 12 der »näheren Bestimmungen« fest, daß zwei Geschütze für je 1000 Mann des Kontingents zu berechnen seien. Ein weiteres Geschütz pro 1000 Mann war im Depot als Reserve vorrätig zu halten. Diese Festlegung setzte ebenfalls das numerische Gewicht einer Spezialwaffengattung im Vergleich zu den Napoleonischen Kriegen fühlbar herab, was im Falle der Artillerie jedoch nicht im Trend der militärischen Entwicklung lag. Für die gemischten Korps bestimmte Paragraph 14, daß sich die sie bildenden einzelnen Glieder untereinander wegen der Stellung der Artillerie zu einigen und das Resultat ihrer Übereinkunft drei Monate nach der Annahme der Bundeskriegsverfassung anzuzeigen hatten. Da sich die Verhandlungen zur inneren Organisation der gemischten Armeekorps hinzogen, gelangte man hier bis in die 30er Jahre zu keinen verbindlichen Festlegungen. Diese waren erst erreichbar, als die Bundesversammlung 1830 die Kontingente der Kleinstaaten von der widersinnigen Stellung der Spezialwaffen befreite. Sie mußten dafür eine zum Teil gleiche, zum Teil größere Anzahl Infanteristen aufbringen, was militärisch sinnvoll und finanziell günsti-
ger war68.
Landwehr und Landsturm Der Charakter des Bundesheeres wurde nur in geringem Maße vom Einfluß volkstümlicher Einrichtungen, wie etwa der Landwehr, bestimmt. Landwehrformationen oder ähnliche Einrichtungen unterschiedlicher Qualität gab es in allen größeren deutschen Staaten. Zwar erlaubten die »näheren Bestimmungen« auch ihre Verwendung bei der Bildung der Bundeskontingente, doch sollten sie nach Paragraph 21 von Linienoffizieren geführt werden und in keinem Fall den größeren Teil eines Kontingents ausmachen. Diese Festlegung bedeutete eine Einschränkung im Vergleich zum ersten Gutachten des Militärkomitees, in dem noch kein Maximum für die Landwehr festgeschrieben worden
war69.
Insgesamt markierte die Bundeskriegsverfassung ein ambivalentes Verhältzur Landwehr: Einerseits faßte man zwar ins Auge, ihre militärischen Potenzen bedingt zu nutzen und sie in das Militärsystem des Deutschen Bundes zu integrieren. Andererseits bot die Landwehr, gerade wegen ihrer Volkstümlichkeit, Anlaß zu machtpolitischen Bedenken, so daß auch noch begünstigt nis
das Bestreben dominierte, sie der Linie imdurch ihre militärischen Mängel70 mer mehr Einfluß auf das Militärwesen zu begrenzen. und ihren anzugleichen 22 klammerte indes den Landsturm vollends und nachdrücklich aus Paragraph dem geregelten System des Krieges aus. —
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68 & 70
Siehe dazu: Kap. II.l .b.; Anlage 7. GStA Merseburg, Rep. 75 D, Nr. 79, Bl. 8. Für Preußen: Craig, Die preußisch-deutsche
Armee, S. 94.
43
2. Die Bundeskriegsverfassung
Bereitschaftsgrad und Mobilmachung Kaum eine andere Bestimmung der Bundeskriegsverfassung wurde durch die innere föderaHstisch-staatenbündische Struktur des Bundes so deutlich geprägt wie die Bestimmungen, in denen Präsenz und MobiHsierung des Bundesheeres festgelegt wurden. Bereits während der Verhandlungen um die Bundeskriegsverfassung wurde den Beteiligten klar, wie sehr der Bund in dieser Frage durch seine innere Struktur einheitsstaatlich organisierten Gegnern gegenüber benachteiligt sein mußte71. Deshalb war man bestrebt, von vornherein alles Betreffende wenn möghch bindend zu regeln, um im Kriegsfall ledigHch ein geordnetes Räderwerk in Bewegung setzen zu müssen. Verbindlichkeit und Verläßlichkeit waren dabei oberstes Prinzip. Wenn die im ersten Gutachten des MiHtärkomitees vom 31. Mai 1818 aufgestellte Forderung an jedes Kontingent, binnen drei Wochen nach Mobilisierungsbeginn marsch- und schlagfertig zu sein72, im Paragraph 28 der »näheren Bestimmungen« der Bundeskriegsverfassung in vier Wochen abgeändert wurde, dann nur, um eine gleichmäßige Mobilmachung aller Bundeskontingente wirklich zu garantieren. Zur Erreichung dieses Ziels sollten alle notwendigen Material-, Munitions- und Verpflegungsvorräte auch im Frieden ständig bereit liegen. Ungeachtet dessen erlaubte Paragraph 30 größere Beurlaubungen zur Einsparung von Sold und Verpflegung, die in den deutschen Staaten ohnehin an der Tagesordnung waren. Das hatte zur Folge, daß besonders bei der Infanterie die bis auf vier Wochen im Jahr fünf Sechvon Einsatzbereitschaft stel ihres Mannschaftsbestandes beurlauben durfte nur sehr bedingt die Rede sein konnte. Obwohl der Bereitschaftsgrad der ausbildungsintensiveren Spezialwaffengattungen Kavallerie und Artillerie etwas höher lag, war die Fähigkeit des Bundesheeres schon infolge der Bestimmungen der Bundeskriegsverfassung insgesamt begrenzt, politische Entscheidungen schneU und wirksam militärisch umzusetzen. Diese strukturelle Schwäche kam eindeutig der defensiven Sicherheitspolitik des Bundes zugute, denn Kriege wurden auch im 19. Jahrhundert nicht über Nacht entfesselt, und so hatte man gegebenenfalls noch genug Zeit, sich auf einen feindlichen Angriff vorzubereiten. Die augenfälHge militärische Indisponibilität zu einem überraschenden Angriffsschlag jedoch war in der inneren Struktur des Bundes angelegt. Sie zeitigte in den politisch-militärischen Krisen des 19. Jahrhunderts einen unfreiwillig —
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friedensfördernden Effekt. Die Mobümachung des Bundesheeres blieb der gemeinsamen Bundeskompetenz vorbehalten. Entsprechend Paragraph 35 soUte der Bund auch festlegen, ob von jedem Bundesstaat nur ein Teil oder das ganze Kontingent zu stellen sei. Ob diese Kontingente dann schneU genug zur Stelle waren, zeigte sich erst in der Praxis. Beim Ausrücken der Kontingente waren nach Paragraph 36 angesichts der Uniformvielfalt im Bundesheer gemeinschaftliche Erkennungszei7Î 72
Seier, Zur Frage der militärischen Exekutive, S. 418 f. GStA Merseburg, Rep. 75 D, Nr. 79, Bl. 8.
44
I.
Militärkonzeption und Militärverfassung des Deutschen Bundes
chen vorgeschrieben. Diese Regelung war notwendig und richtig; sie war bereits in den »vorläufigen Bemerkungen« des Militärkomitees enthalten, in denen entweder ein einheitliche Uniformierung, wenigstens aber gemeinsame Armbinden oder Kokarden gefordert wurden73.
Bewaffnung und Vorschriften Auch das Problem einheitlicher Festlegungen für Bewaffnung und Vorschriften im Bundesheer hing eng mit der dezentral-föderalistischen Struktur des Bundes zusammen. In den ungemischten Armeekorps Österreichs, Preußens und Bayerns war dieses Problem gelöst, da hier Einheitlichkeit bestand. In den gemischten Armeekorps jedoch war eine Unterordnung der kleineren unter die größeren Kontingente nicht vorgesehen. Deshalb mußten die Bundesglieder untereinander eine Einigung aushandeln. Bereits im Vorfeld der Bundeskriegsverfassung war die Frage der Gewehrund Geschützkaliber diskutiert worden. So hatte das Militärkomitee in der Anlage seines dritten Gutachtens vom 7. Juli 1818 die Einheitlichkeit in den Geschützkalibern gefordert74. Darüber hinausgehend war in den »vorläufigen Bemerkungen« der Anspruch formuliert worden, auch die Gewehrkaliber zu vereinheitlichen75. Die Vereinheitlichung der Kaliber wurde in diesem Dokument allerdings ausdrücklich für das gesamte Bundesheer und nicht nur wie in den »näheren Bestimmungen« der Bundeskriegsverfassung für die Armeezu diesem Zweck die Kaliber Die sollte korps gefordert. Bundesversammlung aller Staaten aufnehmen und das Militärkomitee anweisen, entsprechende Vorschläge zu ihrer Vereinheitlichung zu machen. Einzuführen waren dann diejenigen Kaliber, von denen bereits die meisten Waffen in den Depots lagen. Doch diese militärisch notwendige und im Rahmen der Kriegsverfassung auch mögliche Vereinheitlichung der Kaliber für das Bundesheer konnte bis 1866 nicht erreicht werden. In den »näheren Bestimmungen« waren umrißhaft auch die wichtigsten Erfordernisse bei der Versorgung der Truppen mit Artilleriemunition, medizinischen Ausrüstungen sowie Mannschaftsverpflegung für den Mobilmachungsfall festgelegt worden. Darüber hinaus bestimmte Paragraph 43, daß wenigstens innerhalb der einzelnen Armeekorps gleiche Grundsätze bei Übungen und Dienstreglements gelten sollten. Diese Forderungen waren allerdings bereits viel präziser und auf das gesamte Bundesheer bezogen in den »vorläufigen Bemerkungen« des Militärkomitees enthalten gewesen: In ihnen war vorgesehen, daß eine Kommission sachkundiger Militärs ein allgemeines Felddienstreglement auszuarbeiten hatte. —
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73 74 75
Ebd., Bl. 47. Ebd.,Bl. 24. Ebd.,Bl. 41.
2. Die
45
Bundeskriegsverfassung
Ein Zusammenwirken des Bundesheeres im Ernstfall wurde indes auch durch die für seine einzelnen Bestandteile gültigen unterschiedlichen Reglements und Kommandos behindert. NamentHch in den gemischten Armeekorps gab es hierin groteske Situationen: So bedeutete ein und dasselbe Signal für Württemberg und Baden, die beide dem 8. Armeekorps angehörten, einmal »Angriff«, zum anderen aber »Rückzug«76. Trotz dieser ernsten Mißstände, die dringend Abhilfe erforderten, weil sie im Ernstfalle den militärischen Wert des trotz anhaltenBundesheeres entscheidend beeinträchtigen mußten, konnte eine Vereinheitlider Diskussion vor allem in der Spätphase des Bundes chung der Dienstvorschriften im Bundesheer zu keinem Zeitpunkt erreicht werden. Es erfolgten ledighch kosmetische Korrekturen. —
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Oberbefehl
Paragraphen 45 bis 66 der »näheren Bestimmungen« der Bundeskriegsverfassung befaßten sich mit dem entschieden politischen Problem des Oberbefehls. In dieser Frage spiegelte sich deutHcher als in allen ihren anderen Festlegungen die föderalistisch-staatenbündische Verfassungsform des Bundes77. Den Oberbefehlshaber als Symbol und Organ der Doppelhegemonie beider deutscher Vormächte zu installieren war mit der Ablehnung des »Karlsbader Programms« bereits Anfang 1818 gescheitert. Statt dessen wünschten sich die Mittelstaaten, über den zu vereinbarenden Wahlmodus ein Mitspracherecht bei der Feldherrnnominierung zu sichern. In diesem Sinne legte Paragraph 45 der »näheren Bestimmungen« die Wahl des Oberfeldherrn im Kriegsfall durch den engeren Rat des Bundestages fest.
Die
Der Oberfeldherr, der sein Gehalt vom Bund erhielt, war der Bundesversammlung, mit der er über einen gewählten Ausschuß in Verbindung stehen sollte, persönhch verantwortlich. Er konnte vom Bund gegebenenfalls auch gerichtHch belangt werden. Zugleich durfte er nicht Befehlshaber irgendeiner untergeordneten HeeresabteUung sein. Ihm wurde ein von der Bundesversammlung gewählter Stellvertreter zur Seite gestellt, der bei seiner Abwesenheit mit den gleichen Rechten ausgestattet war wie er. Da der SteUvertreter gleichzeitig Korpskommandant war, würde er im ErnstfaUe keine nachteüige Aufpasserfunktion im Hauptquartier erhalten haben. Damit die von den Mittelstaaten gewünschte Kontrolle durch die Vertreter der Armeekorps wenigstens in Ansätzen bestand, sahen die »näheren Bestimmungen« die Delegierung eines Verbindungsoffiziers aus jedem Armeekorps in das Hauptquartier vor, dem hier überall freier Zutritt zu gewähren war. Dem Oberfeldherrn wurden einige wichtige Rechte eingeräumt, wie das Recht, den Operationsplan der im übrigen der Bundesversammlung vorzule—
7f> 77
Hencke, S. 47. Zur Oberbefehlshaberproblematik:
Seier, Der Oberbefehl im Bundesheer.
46
I.
Militärkonzeption und Militärverfassung des Deutschen Bundes
nach seinem Belieben zu entwerfen, auszuführen und abzuändern. war Weiter konnte er einen Waffenstillstand schließen, dies allerdings nur unter vorbehaltener Genehmigung des Bundes. Zugleich durfte er über die Aufstellung, Bewegung und Verwendung aller ihm anvertrauten Streitkräfte nach seinem Ermessen verfügen, ohne dabei die festgelegte Korpseinteüung abzuändern. Er war befugt, seine Unterbefehlshaber zu ernennen, während des Krieges Musterungen durchzuführen, Anträge direkt an die Regierungen oder die Bundesversammlung zu stellen und den jeweiligen Landesherrn Auszuzeichnende vorzuschlagen. Um in den Felddienst des Bundesheeres die nötige Übereinstimmung zu bringen, konnte er Armeebefehle erlassen, soweit sie nicht in die innere Einrichtung der Korps eingriffen. Darüber hinaus hatte er das Recht, ein Bundeshauptquartier mit Generalquartiermeister und Generalstab zu bilden und die entsprechenden Positionen mit Personen seines Vertrauens zu beset-
gen
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zen.
Trotz aller Einschränkungen war der Bundesfeldherr ein Oberkommandierender mit voller militärischer Kommandogewalt. Er hatte somit die Möglichkeit, über seine Verantwortung für die Planung der militärischen Operationen und deren Durchführung entscheidenden Einfluß auf die politische Option der Bundesversammlung über Krieg und Frieden zu gewinnen78. Es lag nahe, daß eine derartige Machtfülle wegen des weiterwirkenden Dualismus zwischen ihnen von keiner der beiden deutschen Vormächte der anderen zugestanden werden konnte. Die Frage des militärischen Oberbefehls blieb deshalb in der Praxis unlösbar. Tatsächlich haben weder Österreich noch Preußen ihre gesamten Bundestruppen jemals einem gemeinsamen Oberbefehlshaber unterstellt: Die in Krisensituationen nach 1830 gültigen Mehrarmeenpläne sahen immer mehrere Bundesfeldherrn und damit eine Verantwortungsteilung zwischen beiden Großmächten vor. Zwar wurden bei Bundesexekutionen und -Interventionen, aber auch beim Deutsch-Dänischen Krieg von 1848 bis 1850 Teilkontingente des Bundes unter den Befehl eines Bundesfeldherrn gestellt, nicht aber das gesamte Bundesheer. 1859 führte die Weigerung des preußischen Prinzregenten, sich der Bundeskriegsverfassung zu unterwerfen, dazu, daß dieser einzige Ansatz, die Oberbefehlshaberregelung in einem größeren Konflikt zu praktizieren, nicht realisiert wurde. Dem Oberbefehlshaber waren im Kriegsfall die Korpskommandanten untergeordnet, die jedoch gegenüber der Bundesversammlung Beschwerderecht behielten. Die Korpskommandanten der ungemischten Armeekorps erhielten ihre Befugnisse von den jeweiligen Landesregierungen, deren Korps sie befehligten. In den zusammengesetzten Korps waren die Kommandanten auf Korpsebene mit denselben Rechten ausgestattet, die der Bundesoberfeldherr im Rahmen des Gesamtheeres genoß. Die an den zusammengesetzten Armeekorps beteiligten Staaten sollten sich laut der »näheren Bestimmungen« untereinander über die Art und Weise der Wahl der Korps- und Divisionskommandeure sowie über die —
—
78
Wienhöfer, Das Militärwesen, S. 61.
2. Die
Bundeskriegsverfassung
47
des Generalstabs und der übrigen Verwaltungszweige einigen. Diese Übereinkunft hätte nach Paragraph 75 spätestens drei Monate nach Annahme der »näheren Bestimmungen« gegenüber der Bundesversammlung angezeigt werden soUen, was jedoch nicht geschah. Erst unter dem Druck der Ereignisse nach 1830 einigten sich die Regierungen zwischen 1831 und 1835 über die innere Organisation der gemischten Armeekorps.
Einrichtung
Verpflegung 86 der »näheren Bestimmungen« der Bundeskriegsverfassung legte für die einzelnen Kontingente des Bundesheeres fest, daß ihre Verpflegung nach den Vorschriften eines für das Bundesheer entworfenen Verpflegungsreglements erfolgen soUte. Doch ein solches Reglement war weder vorhanden noch in Aussicht. Daß sein Zustandekommen bis in die Endphase des Bundes verhindert wurde, lag an den föderalistischen Strukturen des Bundes, die zu einer Verschleppung und Verhinderung wichtiger Entscheidungen führen konnten. Nach ausführlichen Vorverhandlungen über ein Verpflegungsreglement hatte der Bundestagsausschuß für MiHtärangelegenheiten am 27. Juni 1822 der Bundesversammlung in einem Bericht den am 3. April 1821 von der Militärkommission vorgelegten Entwurf eines Verpflegungsreglements als geeignete Verhandlungsgrundlage vorgeschlagen. Daraufhin hatte die Bundesversammlung die Bundesmilitärkommission beauftragt, unter Berücksichtigung der Bundeskriegsverfassung ein solches Reglement zu erarbeiten79. Doch die Bearbeitung dieser wichtigen Folgebestimmung zog sich seitdem erfolglos hin. Erst als im Zusammenhang mit der Julirevolution 1830 die Gefahr eines allgemeinen militärischen Konfliktes in Europa drohte, erinnerte sich die Bundesversammlung des noch immer nicht vorhandenen Verpflegungsreglements und mahnte am 11. November 1830 die BundesmiHtärkomnüssion, diesen Auftrag beschleunigt zu erfüllen. Diese bestätigte ihrerseits am 27. November den Erhalt des Auftrages. Daraufhin bekundete der preußische Bevollmächtigte v. Wolzogen seine Bereitschaft, einen entsprechenden Entwurf auszuarbeiten80. Auf Anfrage der Bundesversammlung erklärte er in diesem Sinne am 24. August 1831, daß an dem geforderten Entwurf zwar unablässig gearbeitet werde, »aUein die Natur des Gegenstandes, der so vielerlei Interessen berührt, verursache unvermeidlich vielfältige Anfragen und zum Theil sehr zeitraubende Erörterungen, damit die Ausarbeitung nicht an praktischem Werthe verliere oder wohl gar der Anwendung gänzlich ermangle«81. Am 29. Oktober 1831 legte Wolzogen endhch den Entwurf für ein Verpflegungsreglement einschließlich eines Anhangs zur Verpflegung der Besatzungs-
Paragraph
79 so »i
GStA Merseburg, Rep. 75 A, Nr. 1355, Bl. 43.
Ebd.,B1.45. Ebd., Bl. 50.
48
I.
Militärkonzeption und Militärverfassung des Deutschen Bundes
kontingente in den Bundesfestungen mit entsprechenden Erläuterungen vor82. Abschriften dieses Entwurfes wurden am 30. November den einzelnen Bundestagsgesandtschaften übergeben. Ab Anfang Dezember trafen von dort die Empfangsbestätigungen beim preußischen Bundestagsgesandten Karl v. Nagler ein. Erst nach weiterer Verzögerung, nämlich am 18. Januar 1832, beschlossen die Beauftragten der Bundesmilitärkommission, den Entwurf gemeinsam durchzulesen und zu besprechen83. Diese vorläufige Lesung dauerte immerhin bis zum Oktober 1832. Obwohl die Bundesversammlung am 22. November 1832 die Bundesmilitärkommission zur beschleunigten Vorlage des Entwurfes aufforderte, kam es auch jetzt immer noch zu keiner praktischen Absprache84. Die mangelnde Bereitschaft einer Reihe süddeutscher Mittelstaaten, größere finanzielle Leistungen im Kriegsfall bei der Versorgung der Bundestruppen beizusteuern, ließ die Verhandlungen über das Verpflegungsreglement auch weiterhin ohne Resultat. Wie aus dem Vortrag des preußischen Mihtärbevollmächtigten Oberst Joseph Maria v. Radowitz an die Bundesmilitärkommission vom 5. Juli 1842 hervorgeht, hatte sich »die Bearbeitung eines Verpflegungsreglements seit dem Jahre 1822 in erfolglosen einzelnen Entwürfen und Einwendungen verloren«85. Es ist eine Ironie der Geschichte, daß ein im Dezember 1863 lediglich als Provisorium vorgelegtes Verpflegungsreglement für das Bundesheer in der Endphase des Bundes, während der Bundesexekution gegen Dänemark 1863/64, in Anwendung gebracht werden konnte. ...
Militärrecht Der letzte Abschnitt der »näheren
Bestimmungen« der Bundeskriegsverfassung spiegelt Festlegungen zur Militärgerichtsbarkeit die mangelnde Bereitschaft, eigenstaatliche Interessen hinter die Gesamtinteressen des Bundes zurücktreten zu lassen, deutlich wider. Denn nach den Paragraphen 87 bis 91 stand die Gerichtsbarkeit grundsätzlich den Befehlshabern der einzelnen Konam
82 83 84
ss
Beispiel der
Text des v. Wolzogenschen Entwurfes: ebd., Bl. 176 ff. Zum weiteren Verhandlungsgang: ebd., Bl. 199 ff. In einem vom 12.11.1834 datierten Brief an v. Nagler stellte v. Wolzogen in Anbetracht der Verzögerungen resignierend fest, »daß seit der im Oktober 1832 beendigten vorläufigen Durchlesung des diesseits der Militärkommission übergebenen Entwurfes zu einem solchen Reglement (das Verpflegungsreglement, d. Verf.), in genannter Commission in fraglicher Hinsicht weder etwas vorgekommen, noch sonst wie veranlaßt worden ist«. Zu den näheren Ursachen dieser Verzögerung äußerte er: »Um aber diesen Gegenstand in Bewegung zu bringen dürfte es besonders nöthig sein, Baiern hierfür zu stimmen zu sichern, denn die Annahme des gedachten Entwurfes wird hauptsächlich von Seiten der süddeutschen Bundesstaaten Schwierigkeiten erfahren, weil dieselben eine volle Entschädigung für die an Bundestruppen gemachten Leistungen verlangen, die man ihnen in Kriegsfällen doch nicht zugestehen kann. Und so sind es wohl namentlich Baiern, Württemberg und Baden (Hervorhebung im Text, d. Verf.), welche die Verzögerung der weiteren Verhandlung in besagter Angelegenheit veranlaßt haben.« Ebd., Bl. 214. Ebd., Bl. 258.
2. Die Bundeskriegsverfassung
49
tingente nach dem jeweüigen Müitärrecht ihrer Gliedstaaten zu. AUerdings er-
folgten auch gewisse Zugeständnisse an eine Vereinheitlichung der militärischen Rechtsprechung. Besonders das im Paragraph 92 verankerte Recht des Oberfeldherrn, gegebenenfalls untere Befehlshaber des Bundesheeres zu suspendieren, Untergebene verhaften zu lassen sowie gerichtliche Untersuchungen zu veranlassen, verbunden mit der Möglichkeit, das Standrecht anzuordnen, signaHsierten einen Ansatz zentralisierter Rechtsprechung. Gleiche Kriegsgesetze und Kriegsartikel, wie sie 1818 in den »vorläufigen Bemerkungen« des Militärkomitees gefordert worden waren86, blieben unerfüUt, da sie einen Grad an rrdlitärrechtHcher Vereinheitlichung bedeutet hätten, der mit der inneren Struktur des Bundes nicht in Übereinstimmung zu bringen gewesen wäre. Andererseits waren büateralen Absprachen zwischen den Einzelstaaten kaum Grenzen gesetzt. Zur Eindämmung der Desertion hatten die
meisten Bundesstaaten untereinander schon vor der Annahme der Bundeskriegsverfassung Kartellkonventionen abgeschlossen. Dagegen zog sich die Ausarbeitung des bereits in den »allgemeinen Umrissen« der Bundeskriegsverfassung geforderten einheitlichen Kartells, das die gegenseitige Auslieferung von Deserteuren vorsah, fast zehn Jahre hin; in den zähen Verhandlungen um einen Entwurf vom 4. Oktober 182087 zeigte sich, daß in den DetaiHragen erhebliche Probleme zu lösen waren. Erst nach der Julirevolution von 1830 und der in ihrem Gefolge auftretenden Kriegsgefahr schob man geringere Einwände beiseite, so daß die Bundesversammlung endhch am 10. Februar 1831 ein aUgemeines Kartell für den Deutschen Bund88 beschließen konnte, das sofort in Kraft trat und Gültigkeit behielt. Die Analyse der »näheren Bestimmungen« der Bundeskriegsverfassung im ganzen läßt eine durchgängige Abschwächung der enthaltenen militärischen Forderungen im Vergleich zu den vorausgehenden Gutachten und »vorläufigen Bemerkungen« des MiHtärkomitees erkennen. Eine wesentHche Ursache dafür liegt in der Nachbesserung der militärisch-fachlichen Sachüberlegungen durch politische Entscheidungsgremien in der Endphase der Diskussion um die Bundeskriegsverfassung. Dadurch kamen poHtisch-struktureUe Probleme des Bundes verstärkt in die militärischen Bestimmungen der Bundeskriegsverfassung hinein. Das hatte ambivalente Folgen: Einerseits wurden doppelhegemoniale Leitungsdirigismen und unnötige müitärische Machtentfaltung verhindert, ansichtbar in militärisch widersinnigen dererseits kam es zu Destruktivität militärischer und Erschlaffung vor allem im Festlegungen vorprogrammierter Bereich der Mittel- und Kleinstaaten des Bundes. Bereits in der Verhandlungsphase hatte sich diese Doppelgleisigkeit im zähen Widerstand der »Mittelstaaten« gezeigt, deren Gewicht aufgrund des Dualismus der beiden Vormächte zu einer über ihre eigentHche Potenz hinaus—
8" 87 88
Ebd., Rep. 75 D, Nr. 79, Bl. 41. Enthalten in: ebd., Rep. 75 A, Nr. 1299, Bl. 18 ff. Abgedr. bei: Leonhardy, S. 281 ff.; in: Anlage 8.
50
1.
reichenden
Militärkonzeption und Militärverfassung des Deutschen Bundes
Wirkung gelangen konnte.
die Basis der Karlsbader Gein deren Unwillen zu mispräche verließ, litärischen Leistungen noch bestärkt89. Nicht zuletzt das versetzte sie in die Lage, notwendige Folgebestimmungen der Bundeskriegsverfassung, die durchaus im Bereich des Möglichen und Angemessenen lagen, jahrelang zu verzögern oder ganz zu verhindern. Gegenüber vorhandenen Vereinheitlichungsbestrebungen, die in militärischen Gremien höhere Priorität genossen, dominierte im Text der »näheren Bestimmungen« schließlich eine deutlich partikularistische Tendenz. So blieb die Souveränität der einzelnen Gliedstaaten, den Grundgesetzen des Bundes folgend, weitgehend uneingeschränkt. Im Widerspruch zwischen Anspruch und Realität dagegen befanden sich eine Reihe uneingelöster Forderungen der Bundeskriegsverfassung, wie die Oberbefehlshaberregelung, deren Durchsetzung zweifellos einen militärischen Fortschritt signalisiert hätten. Doch eine Überführung dieser Forderung in die Wirklichkeit erschien vor dem Hintergrund des politischen Status quo im Inneren als unmöglich, im Äußeren des Bundes als nicht drängend. So verhielt sich der Text der Bundeskriegsverfassung den Bedingungen seiner Entstehungszeit gegenüber historisch durchaus adäquat. Politische Erschütterungen in Europa veränderten jedoch nicht nur die Rahmenbedingungen für das Bundesmilitärwesen, sie förderten dessen kritische Reflexion und beschleunigten darüber hinaus die Durchsetzung längst überfälliger Ergänzungen und bescheidener Modernisierungen. hatte
c.
Indem
es
Österreich die »Mittelstaaten«
Die militärischen Fachgremien der Bundesversammlung Der Bundesmilitärausschuß
Der Bundesmilitärausschuß war im April 1818 aus den Reihen der Bundestagsgesandten zur Erarbeitung der Bundeskriegsverfassung ins Leben gerufen worden. Sein ursprünglicher Zweck lag in der Vorbereitung aller mit der Verfassungsdiskussion im Zusammenhang stehenden militar- und sicherheitspolitischen Entscheidungen für den engeren Rat der Bundesversammlung. In diesem Sinne hat er in den Jahren 1818 bis 1822 vornehmlich völker- und mihtärrechtliche Fragen des Deutschen Bundes diskutiert90 und einen eigenständigen Beitrag zur Formulierung der Bundeskriegsverfassung geleistet. Dem Bundesmilitärausschuß, der in regelmäßigen Abständen tagte, gehörten unter österreichischem Präsidium sieben Berufsdiplomaten an91. Da es sich 89 90 91
Vgl. Keul, S. 79.
Siehe dazu: Ilse, Bd 1, S. 725 ff. Von 1818 bis 1822 waren Mitglieder des Bundesmilitärausschusses: Graf Buol-Schauenstein (Präsidierender und für Österreich), Graf v. d. Goltz (Preußen), Frhr. v. Aretin (Bayern), Frhr. v. Wangenheim (Württemberg), v. Martens (Hannover), Graf v. Eyben (Holstein-Lauenburg), Frhr. v. Plessen (beide Mecklenburgs). In: Seier, Der Oberbefehl, S. 7 ff.
2. Die Bundeskriegsverfassung
51
bei ihnen nicht um militärische Fachleute handelte, wurde ihnen zur Unterstützung ein besonderes MiHtärkomitee beigeordnet. Der Ausschuß steUte ein Gremium dar, in dem permanent die unterschiedlichsten militar- und sicherheitspolitischen Forderungen der in ihm vertretenen deutschen Staaten eine zum Teil vehemente Fürsprache fanden. So brachten insbesondere die beiden süddeutschen Gesandten, Johann Freiherr v. Aretin und Karl Freiherr v. Wangenheim, während der Diskussion um die Bundeskriegsverfassung deutlich die Sonderinteressen der zum sogenannten »Dritten Deutschland«, der »Trias«, zusammengeschlossenen Mittel- und Kleinstaaten des Bundes zum Ausdruck. Auch nach der Verabschiedung der Bundeskriegsverfassung bestand der BundesmiHtärausschuß als ständiges Gremium weiter, ohne deshalb einen klar umrissenen Aufgabenbereich zu besitzen. Seine Tätigkeit beschränkte sich im wesentlichen darauf, als Schaltstelle zwischen Bundesversammlung und Bundesmilitärkommission zu fungieren, d.h., die Erledigung von Aufgaben militärischen Inhalts an die Bundesmilitärkommission zu delegieren und ihre Erfüllung zu überwachen. Die BundesmiHtärkommission Aus dem zwöh MitgHeder umfassenden Militärkomitee der Bundesversammlung, das im April 1818 den Auftrag erhalten hatte, den Bundesausschuß für MiHtärangelegenheiten in militärisch-technischen Fragen der Ausarbeitung der Bundeskriegsverfassung zu unterstützen, und nach Beendigung der Arbeit am 12. Oktober aufgelöst worden war, entstand durch Bundesbeschluß vom 15. März 1819 die Bundesmilitärkommission als ständige Einrichtung92. Die aus
Mitgliedern bestehende Kommission93 unterstand der Bundesversammlung und hatte über den Bundesmilitärausschuß mit ihr zu kooperieren. Ihr Aufgabenbereich war im Bundesbeschluß vom 15. März 1819 abgesteckt: Neben den von der Bundesversammlung aufgetragenen technischen Zuarbeiten und der Evidenthaltung der Kontingente oblag ihr die militärische Aufsicht über die Bundesfestungen sowie die Leitung der hier notwendigen fortifikatorischen Arsechs
beiten94.
Nach Inkrafttreten der Bundeskriegsverfassung hatte die Bundesmilitärkommission insbesondere die Oberaufsicht über Ausbau, Ausrüstung und Verwaltung der Bundesfestungen zu führen. Gleichzeitig sollte sie über die Kriegstüchtigkeit der kleineren Kontingente wachen. Diese äußerst mühsame Aufgabe ließ die Kommission ständig in einzelstaatliche Interessengegensätze geraten. 92 93
94
Siehe dazu: Keul, S. 63 f.; Memoiren des königlich preußischen Generals, S. 299. Bei ihrer Gründung gehörten der Bundesmilitärkommission an: die Generalmajore Frhr. v. Langenau (Österreich), Frhr. v. Wolzogen (Preußen), Maillot de la Treille (Bayern), v. Zezschwitz (Sachsen), Frhr. v. Varnbüler (Württemberg) sowie Generalleutnant v. Hinüber (Hannover). Vollständig bei: Keul, S. 253-267. Prot.-BV vom 15.3.1819,10. Sitzung, § 37; Keul, S. 64.
52
I.
Militärkonzeption und Militärverfassung des Deutschen Bundes
Für die Zeit bis 1830 kann
keineswegs von einer regen Tätigkeit der Bundesmilitärkommission gesprochen werden. Vielmehr waren nach Auffassung Wolfgang Keuls »Schlendrian und Vielschreiberei« an der Tagesordnung. Obwohl für jeden Freitag eine Sitzung vorgesehen war, pausierte die Bundesmihtärkommission bis zu neun Monaten. Dieser Zustand änderte sich erst, als ihr mit der Einrichtung von Musterungen ab 1830 die Möglichkeit gegeben wurde, Zustand und Einsatzbereitschaft zunächst wenigstens der kleinsten Kontingente zu prüfen. Die reale Bedeutung der Bundesmilitärkommission stieg dadurch erheblich, ihre Tätigkeit gewann jetzt merklich an Intensität und Umfang95. Gedacht zwar als militärisch-technische Beratungsbehörde des Gesamtbundes, fungierte die Bundesmihtärkommission tatsächlich jedoch ständig als ein Gremium, in dem die militar- und sicherheitspolitischen Einzelinteressen seiner Mitglieder verfochten wurden. Dies ergab sich unter anderem daraus, daß die anwesenden Militärbevollmächtigten permanent Instruktionen ihrer Regierungen erhielten, um in deren Sinne Militärpolitik am Bund betreiben zu können. Bestehende strukturelle Eingriffsmöglichkeiten des föderalistischen Staatenbundes wurden somit in der Bundesmilitärkommission genau wie in allen anderen politischen Gremien des Bundes weitgehend genutzt. Die Verschleppung und Verhinderung von wichtigen Entscheidungen oder das Aufbauschen unwichtiger Themen sind ein sprechendes Indiz dafür. Dennoch sind in der Bundesmilitärkommission auch militärische Sachentscheidungen zu Vorlage gebracht worden, die der Mechanik des Staatenbundes wenig entsprachen, indem sie militärische Sachkompetenz gegen politisches Kalkül setzten. Der Einfluß, den die Bundesmihtärkommission auf Ausbildung, Bewaffnung, Organisation und Ergänzung der Kontingente hatte, war insgesamt gering. Ohne Initiativrecht konnte sie ohnehin nicht die Behandlung ihr dringlich erscheinender Themenkreise bewirken. 3. Die innere Funktion des Bundesmilitärwesens Artikel 2 der Bundesakte bezog sich nicht nur auf die äußere sicherheitspolitische Stellung des Bundes, sondern definierte auch den Auftrag zur Erhaltung seiner inneren Sicherheit. In dieser Beziehung war dem Bund eine dreifache Aufgabe gesetzt96. Zunächst mußte er Streitigkeiten innerhalb der Einzelstaaten verhüten, beilegen oder entscheiden. Dabei hatte er eigenmächtige Aktionen von Bundesgliedern zur Selbsthilfe zu verhindern. Diese, den inneren Frieden bewahrende Aufgabe war durch Austrägalverfahren zu klären97. Sie erforderte notfalls aber auch den Gebrauch militärischer Mittel. Ein zweiter Aufgabenbe95 96 97
KeuLS. 64 f.
Siehe dazu: E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd 1, S. 595 ff. Siehe dazu: ebd., S. 619-631.
53
3. Die innere Funktion des Bundesmilitärwesens
reich bezog sich auf die Vorkehrungen zur Sicherung der inneren Macht- und Rechtsverhältnisse in den Einzelstaaten. Insbesondere sollte verhindert werden, daß die dort bestehenden Ordnungen durch Revolutionen, Staatsstreiche und andere Formen des Verfassungs- und Rechtsbruchs beseitigt wurden. Damit erhielt der Bund eine sowohl die monarchische Ordnung als auch die Untertanen gegen Rechtsbrüche und WiUkürmaßnahmen der Obrigkeit schützende Funktion. Der dritte Aufgabenbereich beinhaltete den Schutz des Bundes als Gesamtheit gegen bundesfeindliche Angriffe und Bewegungen, wie sie vor allem von demokratischer und nationaler Seite befürchtet wurden. notfaUs auch mit Zur praktischen Durchsetzung der inneren Sicherheit militärischen Mitteln hatte sich der Bund eine tragfähige juristische Legitimationsbasis geschaffen. Hierbei wurde grundsätzlich in zwei Varianten unterschieden. Der Bund sah exekutive Maßnahmen sowohl zur Verteidigung der monarchisch-legitimistischen Ordnung gegen bundesfeindliche Bewegungen (Bundesintervention) als auch zur Durchsetzung von Bundesbeschlüssen gegen verfassungswidrig handelnde Gliedstaatenregierungen (Bundesexekution) vor. —
—
Die Bundesintervention Als exekutive Variante der
Unterdrückung nationaler und demokratischer Oppositionsbewegungen war die Bundesintervention vornehmlich dem Ziel der Verteidigung der monarchisch-legitimistischen Ordnung verpflichtet. Bereits
im Artikel 25 der Wiener Schlußakte vom 8. Juli 182098 war der gesamte Bund für den FaU einer WidersetzHchkeit der Untertanen gegen die Regierung, eines offenen Aufruhrs oder gefährlicher Bewegungen in mehreren Bundesstaaten
auf der
Grundlage der gegenseitigen Beistandsverpflichtung aufgefordert worden, an der Erhaltung oder WiederhersteUung der Ruhe mitzuwirken. Unabhängig von einem Hiheaufruf der betroffenen Gliedstaatregierung hatte sich die Bundesversammlung in den Artikeln 26 und 28 dieses Verfassungsdokuments verpflichtet, nötigenfalls exekutive Maßnahmen festzulegen und einer Bedrohung der öffentlichen Ruhe und gesetzHchen Ordnung in mehreren Bundesstaaten sogar durch das Zusammenwirken der Gesamtheit des Bundes ent-
gegenzutreten99.
Über die Wiener Schlußakte hinaus hatte die Bundesversammlung
weitere gesetzliche Grundlagen für eine Bundesintervention geschaffen. Diesem Zweck dienten z.B. auch die am 20. September 1819 erlassenen Karlsbader Beschlüsse100, die bereits am 16. August 1824 in Form eines »Maßregelngeset98 99 100
Abgedr. in: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd 1, S. 91-100, 94. Ebd., S. 94 f.
Die Karlsbader Beschlüsse bestanden aus dem Bundes-Universitätsgesetz, dem BundesPreßgesetz, dem Bundes-Untersuchungsgesetz und der vorläufigen Exekutionsordnung. Die ersten drei Gesetze abgedr. in: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd 1, S. 100-105. Aus der vorläufigen Exekutionsordnung entstand am 3.8.1820 die endgültige Exekutionsordnung. Abgedr. in: ebd., S. 116-119.
54
I.
Militärkonzeption und Militärverfassung des Deutschen Bundes
wurden. Dem Maßregelngesetz von 1824 folgte am 21. Oktober 1830 ein weiteres, in dessen Artikel 1 sämtliche Bundesregierungen zur gemeinsamen Hilfeleistung in der Art verpflichtet wurden, »daß wenn eine den Beistand des Bundes bedürfende Regierung sich wegen Dringlichkeit der Gefahr unmittelbar an eine oder die andere benachbarte Regierung mit dem Ersuchen um militärische Hülfe wendet, diese Hülfe sofort Namens des Bundes geleistet werde, so weit es ohne Gefahr für dessen Gebiet und ohne offenbare Compromittirung seiner Truppen geschehen
zes«101 auf unbestimmte Zeit
verlängert
kann«102.
Hauptzweck der am 3. August 1820 beschlossenen Exekutionsordnung103 eigentlich in der juristischen Verankerung exekutiver Maßnahmen zur Durchsetzung von Bundesbeschlüssen lag, hatte sich die Bundesversammlung im Artikel 6 dieses Dokuments weiter verpflichtet, zur Wiederherstellung der allgemeinen Ordnung und Sicherheit in den Gliedstaaten des Deutschen Bundes bei einem vorliegenden Antrag der entsprechenden Regierung oder aber unaufgefordert einzuschreiten. Darüber hinaus überließ Artikel 14 der Exekutionsordnung der jeweiligen Landesregierung die Kompetenz, nach erfolgter Bundesintervention die Schuldigen zur Bezahlung der durch ihre Vergehungen veranlaßten Kosten anzuhalten104. Die Bundesintervention, deren innenpolitischer Ordnungseffekt gegen die antibündische Opposition klar hervortrat, verdeutlichte, daß der Bund die für die Aufrechterhaltung seines politischen Systems wichtigen Werte der Existenzerhaltung und Herrschaftspartizipation notfalls gewaltsam verteidigen würObwohl der
de105. Ein Gradmesser für die Wirksamkeit des Bundesmilitärwesens
war die Bundesintervention dagegen nicht. Im Vormärz und in den Jahren nach der 1848er Revolution griff der Bund zur Unterdrückung von Unruhen nur auf jeweils begrenzte Truppenkontingente zurück. Diese Tatsache verdeutlichten die vier geplanten bzw. durchgeführten Bundesinterventionen in der Gesamtzeit des Bundes: zum einen die geplante Bundesintervention in Luxemburg 1831, die dann allerdings unterblieb106, weiterhin der Einsatz eines 2 500 Mann starken Bundeskontingents nach dem Frankfurter Wachensturm 1833 unter dem Befehl des österreichischen Feldmarschalleutnants Ludwig Freiherr v. Piret de Bihain107 und schließlich die Maßnahmen des Bundes zur Wiederherstellung der bundesmäßigen Ordnung in Baden 1848 sowie in Kurhessen und Schleswig-Holstein 1850 bis 1852108.
loi io2 103 104 i°5
106 107 10s
Abgedr. in: ebd., S. 130. Ebd., S. 130-132,131. Abgedr, in: ebd., S. 116-119. Ebd., S. 119.
Siehe dazu folgenden theoretischen Ansatz: Czempiel, Friedensstrategien, S. 28 ff. Siehe dazu: Angelow, Die »belgisch-luxemburgische Krise«; E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd 1, S. 633 f. Huber, ebd., S. 634. Ders., Bd 2, S. 513, 926-935.
3. Die innere Funktion des Bundesmilitärwesens
55
Die Bundesexekution Neben der Bundesintervention hatte sich die Bundesversammlung in Form der Bundesexekution ein weiteres Mittel geschaffen, unerwünschten Veränderungen des Status quo entgegenzuwirken. Im Gegensatz zur Bundesintervention, deren Hauptstoß sich gegen Volksbewegungen richtete, diente die Bundesexekution der DiszipHnierung der Gliedstaatenregierungen im Sinne der Verteidigung der Bundesverfassung und der Durchsetzung der Bundesbeschlüsse. In diesem Zusammenhang fungierten die Bestimmungen der Bundesexekution auch als ein deutlicher Fingerzeig gegen die Einführung von Verfassungen, die in einigen Mittel- und Kleinstaaten bereits vor der Verabschiedung der Wiener Schlußakte in Kraft gesetzt worden waren109. GleichfaUs bewirkte die Drohung mit der Bundesexekution eine stärkere Unterordnung der Einzelinteressen der Bundesstaaten unter die Beschlüsse der Bundesversammlung, drohte doch anderenfaUs deren militärische Durchsetzung. In diesem Sinne hatte die Bundesexekution eine durchaus integrative Funktion, die jedoch zweigleisig blieb. Das notwendige Regulativ des Ausgleichs von Landes- und Bundesinteressen verdeutlichte nämlich ein Paradoxon der Bundesverfassung: Der Bund verteidigte seine staatenbündisch-föderalistische Ordnung mit unitarisch-bundesstaatlichen Mitteln unter anderem gegen gerade letztere Tendenzen. Die Tatsache, daß der Deutsche Bund als Institution in diesem Sinne »negativ abwehrend« in Erscheinung getreten ist, hat seiner Entfremdung von der bürgerlichen deutschen Nationalbewegung zweifellos starken Vorschub geleistet110. Die gesetzliche Verankerung der Bundesexekution gegen abtrünnige GHedstaatenregierungen erfolgte etappenweise. Nach Abschluß der Austrägalordnung vom 16. Juni 1817111, deren Bestimmung ursprünghch in der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten des Bundes durch ein Vermittlungs- und Entscheidungsverfahren lag, schritt die Bundesversammlung 1819 zur Abfassung gesetzlicher Bestimmungen zur Konfliktlösung zwischen Einzelstaaten und Bund. Der zu diesem Zweck abgefaßten vorläufigen Exekutions-Ordnung vom 20. September 1819 folgte auf der Grundlage der Artikel 31 bis 34 der Wiener Schlußakte die Exekutions-Ordnung vom 3. August 1820. Artikel 1 dieses Dokumentes legitimierte die Bundesversammlung, zum Vollzug der Bundesakte und der »übrigen Grundgesetze des Bundes... nach Erschöpfung aller andern bundesverfassungsmäßigen Mittel, die erforderlichen
Executions-Maaßregeln in Anwendung zu bringen«112. Das sehr zeitaufwendige Verfahren der formellen Bundesexekution sah eine komplizierte Schrittfolge mit vielen friedlichen Optionen vor: Zunächst beauftragte die Bundesversammlung eine Kommission mit der Prüfung, ob der bundesmäßigen Verpflichtung vollständige oder unzureichende Folge geleistet i°9 no m 112
Siehe dazu: Meisner, Die Lehre vom monarchischen Prinzip, S. 215. Siehe dazu: Müller, Deutscher Bund und deutsche Nationalbewegung, S. 60 f. Abgedr. in: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd 1, S. 114-116. Exekutions-Ordnung, in: ebd., S. 116-119,116.
56
I.
Militärkonzeption und Militärverfassung des Deutschen Bundes
worden sei. Nach erstattetem Vortrag vor der Bundesversammlung hatte der Gesandte der betreffenden Gliedstaatregierung die Möglichkeit, den Vollzug der geforderten Verpflichtungen anzuzeigen. Im Falle der Nichterfüllung dagegen erging der Exekutionsbeschluß des Bundes. Bevor jedoch konkrete müitärische Maßnahmen eingeleitet wurden, war die entsprechende Regierung noch einmal zu warnen. Erst bei erneuter Nichtbeachtung hätte der betreffende Staat von der im Namen der Gesamtheit des Bundes beschlossenen Einleitung des Exekutionsverfahrens in Kenntnis gesetzt werden müssen. Nunmehr war die Bundesversammlung zur Durchführung der Exekution aufgefordert, einer unbeteiligten Regierung oder mehreren Regierungen den Auftrag zum Vollzug der beschlossenen Maßnahmen zu erteilen. Sowohl die Stärke der Exekutionstruppen als auch die Dauer des Verfahrens bestimmte die Bundesversammlung. Die unmittelbare Leitung der Exekution oblag einem Zivilkommissar, der entweder von der mit dem Verfahren beauftragten Regierung oder der Bundesversammlung direkt ernannt wurde. Vor Vollstreckung der Exekution hatte die mit ihr beauftragte Regierung dem abtrünnigen Staat noch einmal eine dreiwöchige Frist zu setzen. Erst nach dem neuerlichen Ausbleiben eines positiven Bescheids begannen die militärischen Maßnahmen, nach deren Vollzug jedoch alle Truppen unverzüglich zurückbeordert wurden. Dem Staat, dem die Exekution galt, wurden gleichzeitig die Kosten derselben in Rechnung gestellt. Die Langwierigkeit des Verfahrens der förmlichen Bundesexekution und die Vermeidung von Automatismen während ihrer Durchführung gab der betroffenen Einzelstaatregierung genug Möglichkeiten, ihre Haltung im Sinne der Bundesbeschlüsse zu korrigieren und damit der Ultima ratio einer Anwendung militärischer Mittel aus dem Wege zu gehen. Von den vier Fällen der Bundesexekution wurde zweimal der Exekutionsbeschluß gefaßt, dann aber das Verfahren abgebrochen, da die entsprechende Regierung im letzten Moment einlenkte. Das war nach dem Bruch der Landesverfassung durch Herzog Carl von Braunschweig 1827 der Fall, als dieser auf den Exekutionsbeschluß vom März 1829 die verfassungswidrigen Verordnungen zurücknahm113. Als sich 1834 der Senat der Stadt Frankfurt a.M. weigerte, während der Bundesintervention von 1833/34 den Bundesbeschlüssen Folge zu leisten, kam es ebenfalls zum Exekutionsbeschluß, der aber nicht ausgeführt werden mußte, da der Senat seine Haltung korrigierte114. Ausgeführt wurde die Bundesexekution im Falle Holsteins, wo 1863/64 die dänische Herrschaft mit ihrer Hilfe gebrochen wurde115. Eine formlose Bundesexekution ein Verfahren ohne zeitraubende Prozeduren wurde infolge des Mobilmachungsbeschlusses des Bundes vom 14. Juni 1866 gegen Preußen eingeleitet. Daraus entwickelte sich der Preußisch-Österreichische Krieg116. —
n3
"4 »s 116
E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd 1, S. 639. Ebd. Ebd. Ebd. Näheres in Kap. II.4.C.
—
57
4. Das Problem der Bundesfestungen
4. Das Problem der Bundesfestungen a.
Strategische Bedeutung und Status der Bundesfestungen
Am Rande der Pariser Friedenskonferenz hatten die vier Siegermächte Österreich, Großbritannien, Preußen und Rußland am 3. November 1815 Mainz, Luxemburg und Landau zu Festungen des Deutschen Bundes bestimmt. Zu diesen älteren Bundesfestungen kamen später, nämlich ab 1841 und 1842, noch die Neubauten bei Rastatt und Ulm hinzu117. Endlich war im Jahre 1865 auf der Grundlage der Konvention von Gastein auch Rendsburg als Bundesfestung vorgesehen worden. Dieser Beschluß blieb jedoch wegen der 1866 erfolgenden Auflösung des Bundes ohne praktische Wirkung. Die militärische Funktion der Bundesfestungen lag vornehmlich in der Sicherung der Westgrenze gegen Frankreich, von dem die monarchisch-aristokratischen Kräfte latent einen militärischen Export der Ideen von 1789 ausgehen sahen. In der Verteidigungskonzeption des Deutschen Bundes nahmen Festungen in der ersten HäHte des 19. Jahrhunderts noch immer einen zentralen Platz ein. Da das Bundesheer wegen der ausgedehnten Beurlaubungen einen nur geringen Grad an Präsenz aufwies, soUten die Festungen im Kriegsfall den Aufmarsch des Bundesheeres decken, den Gegner bei seinem Vormarsch zu zeitraubenden Belagerungen zwingen und als Operationsbasis für eigene Offensivhandlungen dienen. Das strategische Gewicht der Bundesfestungen wurde indes von den Zeitgenossen allgemein überschätzt und war doch relativ gering. Bereits während der Napoleonischen Kriege hatte sich nämlich gezeigt, daß befestigte Punkte dem Vormarsch feindlicher Heere durchaus kein unüberwindliches Hindernis entgegenzustellen imstande waren, da sie im Ernstfall nicht förmlich belagert, sondern lediglich durch kleinere Détachements, die den Auftrag hatten, die Besatzung an Ausfällen zu hindern, »markiert« wurden. Aufgrund der viehach ungünstig-exponierten Lage gewannen die Bundesfestungen ohnehin erst im Zusammenwirken mit den übrigen Befestigungen der einzelnen deutschen Staaten, besonders dem preußischen Festungssystem am Rhein, an Bedeutung. Das österreichische Festungsviereck Verona Peschiera Mantua Legnano diente dagegen der Sicherung der habsburgischen Besitin OberitaHen und blieb wie die preußischen Festungen in Ostpreußen zungen für den Deutschen Bund ohne praktische Wirksamkeit. Besonders in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind an den wichtigsten deutschen Festungen ständig Modernisierungsarbeiten mit dem Ziel ausgeführt worden, den Festungskrieg den neuen Bedingungen der Kriegskunst anzupassen. Zu diesem Zweck hatten hervorragende Ingenieure wie Ernst Ludwig v. Aster, Johann Leopold Ludwig v. Brese-Winiary, Moritz Karl Ernst v. Prittwitz u. Gaffron sowie Franz v. Scholl das traditionelle, in Frankreich gebräuch—
—
117
—
Wienhöfer, Das Militärwesen, S. 65.
58
I.
Militärkonzeption und Militärverfassung des Deutschen Bundes
Bastionärsystem abgeändert. Das nach 1815 entstehende »neudeutsche« Befestigungssystem war dadurch gekennzeichnet, daß nunmehr das im Geliehe
schützbereich befindliche Terrain den Charakter eines vorbereiteten Schlachtfeldes annahm, auf dem sich Truppen, angelehnt an die sich dem feindlichen Beschüß durch ihre frontale Lage entziehenden Festungswerke, im Freien bewegen und schlagen konnten118. Auch die Festungen des Deutschen Bundes wurzunächst allerdings unter weitgehendem den nach diesen Gesichtspunkten Verzicht auf die mit der Entwicklung der Eisenbahn einhergehenden modernen Kommunikationen modernisiert oder erst gebaut. Territorial besonders exponiert lag die Bundesfestung Luxemburg, deren Aufgabe in der Deckung der Landesgrenzen gegenüber Frankreich bestand. Unterstützung erhielt sie hierin von der im südlichsten Zipfel der Rheinprovinz gelegenen preußischen Festung Saarlouis. Die Bundesfestung Mainz hingegen hatte den Mittelrhein und Frankfurt als Sitz der Bundesversammlung gegen einen hier erwarteten französischen Angriff abzuschirmen. Sie sicherte den die sowie Rheinübergang Mainmündung und bot zudem ein befestigtes Lager. Gedeckt wurde Mainz durch die bei Koblenz gelegene preußische Festung Ehrenbreitstein. Köln und Wesel deckten den Niederrhein als nördliche Operationsbasis. Die oberrheinische Grenze des Deutschen Bundes wurde zunächst nur von der in der bayerischen Pfalz gelegenen Festung Landau gesichert. Obwohl Mainz, Luxemburg und Landau bereits 1815 zu Bundesfestungen bestimmt worden waren, wurde ihre Übernahme durch den Bund erheblich verzögert. Nach Klärung der militärischen Detailfragen durch die Bundesmilitärkommission auf der Johannisberger Konferenz im Juli 1824119 beschloß die Bundesversammlung erst am 28. Juli 1825 die Übernahme der Festungen Mainz, Luxemburg und Landau durch den Bund sowie als Ergänzung zur Bundesdie allgemeinen Bestimmungen über die Bundesfestungen120. kriegsverfassung Die festzulegen blieb der Bundesmihtärkommission vorbehalten. Daraufhin wurden am 15. Dezember 1825 die Festungen Mainz, am 13. März 1826 Luxemburg und am 27. Januar 1831 Landau übernommen121. Die administrative Leitung einer Bundesfestung oblag dem Festungsgouverneur, die militärische Führung dem Festungskommandanten. Beide wurden in der Regel von dem Landesherrn, dessen Kontingent in der jeweiligen Bundesfestung den Hauptanteil der Besatzung bildete, bestimmt. Sowohl der Gouverneur als auch der Kommandant hatten bei Übernahme der Festung durch den Bund einen Eid abzuleisten, der sie verpflichtete, ihr Amt im Interesse des Bundes und nur zu dessen Verteidigung auszuüben122. —
—
Übergabetermine
us n9
i20 m
122
Siehe dazu: Neumann, S. 200 ff. Protocolle der Militär-Commission des Deutschen Bundes, Frankfurt a.M. (BMK-Prot), 74. Sitzung vom 26.7.1824 und 75. Sitzung vom 29.7.1824. Siehe auch: GStA Merseburg, Rep. 75 D, Nr. 198, Bl. 1 ff. Prot.-BV 1825,19. Sitzung vom 28.7., Separat-Prot. Memoiren, S. 307. Eidesformel der Bundesfestung Landau, siehe: Anlage 9.
4. Das Problem der Bundesfestungen
59
Obwohl die Eidesformel formal von jeglicher Unterordnung unter landesherrliche Kompetenz befreite123, konnte jedoch von einer vöUigen Überwindung des Partikularinteresses keinesfalls die Rede sein. Einmal bewiesen die zwischen den beteiligten Höfen geführten Verhandlungen ein verbissenes Ringen um politisch-militärische Machtanteile in den Bundesfestungen, zum anderen lag es ausschließHch im Ermessen der betroffenen Landesherrn, Personen ihres Vertrauens die administrative Leitung oder militärische Führung einer Festung zu übertragen. So bestand andauernd die MögHchkeit einzelstaatHch-partikularistischer Eingriffe bei divergierender Interessenlage zwischen Landesherren und Bund. Dennoch bildeten die Bundesfestungen zumindest in der Anfangsphase des Bundes den wohl einzigen Bereich wirksamer militärischer Kompetenznahme durch zentrale Bundesbehörden. Und so ist es durchaus von symbolischem Wert, daß der doppelköpfige Bundesadler alle Geschützrohre auf Bun-
desfestungen zierte. Für die Instandhaltung der Bundesfestungen war ein spezieUer Fonds eingerichtet worden, der sich vorrangig aus Matrikularbeiträgen der Einzelstaaten bürdete. Darüber hinaus sollten aus der französischen Kriegskostenentschädigung von 1815, die zunächst auf 700 MilHonen Francs124 festgelegt worden war, 60 MUHonen für den Aus- oder Neubau von Rheinfestungen ausgegeben werden. Da-
bekam Preußen 20 MüHonen, die in den Ausbau seiner niederrheinischen Festungen Köln und Wesel flössen. Bayern erhielt 15 MilHonen für den Bau eines stark befestigten Brückenkopfes bei Germersheim, der jedoch erst 1836 einsetzte, da Bayern bis dahin das Geld zweckwidrig verwendete. Weitere fünf der 60 Millionen verwendete der Deutsche Bund für dringende Ausbesserungen der Festungsanlagen in Mainz. Die resthchen 20 MilHonen Francs aber waren für erne vierte Bundesfestung vorgesehen, denn am mittleren Abschnitt des Oberrheins wies der Festungsgürtel des Deutschen Bundes eine gefährliche Lücke auf. AUerdings konnte sich die Bundesversammlung zunächst nicht zwischen den Plätzen Rastatt und Ulm entscheiden, so daß sie die in Frage kommende Summe einstweilen zum damals ungewöhnHch niedrigen Zinsfuß von dreieinhalb Prozent bei dem angesehenen Bankhaus Mayer Amschel Rothschild & Söhne deponieren Heß125. Aus den Zinsen dieses Fonds wurden indes die laufenden Herstellungsarbeiten an den Bundesfestungen Mainz, Luxemburg und Landau bestritten. von
b.
Besatzung und Zustand der alten Bundesfestungen Mainz, Luxemburg und Landau
Die Besatzung der Bundesfestung Mainz bestand im Frieden laut der Karlsbader Konvention vom 10. August 1817 halb aus österreichischen, halb aus 123 i24
125
Wienhöfer, Das Militärwesen, S. 67.
Angelow, Finanzgeschäfte, S. 293. GStA Merseburg, Rep. 75 D, Nr. 90, unfoliert.
60
I.
Militärkonzeption und Militärverfassung des Deutschen Bundes
preußischen Truppen. Alle fünf Jahre sollten der Gouverneur sowie der Kommandant abwechselnd von Preußen oder Österreich ernannt werden126, während sich die Artilleriedirektion in österreichischer und die Geniedirektion in preußischer Hand befanden. Außer den insgesamt 6 000 Österreichern und Preußen war ein 1 000 Mann starkes großherzoglich-darmstädtisches Bataülon dazu bestimmt, das Besatzungskontingent aufzufüllen. Tatsächlich wurde diese Friedensstärke nicht erreicht. Im älteren Kern der Festung Mainz gab es nicht genügend Platz, die volle Zahl unterzubringen, so daß die Besatzung im August 1830 nur aus 4 800 Preußen und Österreichern bestand, da man die Darmstädter bald von der Stellung ihres Kontingents entbunden hatte. Ein Teil dieser Truppen war in Bürgerquartieren der Stadt Mainz untergebracht, was im Belagerungsfall militärisch wenig sinnvoll war und außerdem die Gefahr in sich barg, daß die Truppe bei zu engem Kontakt mit der Bevölkerung an Kampfwert verlieren konnte. Im Kriegsfall war vorgesehen, die Besatzung bis auf ca. 21 000 Mann aufzustocken. Neben den Österreichern und Preußen sollte laut Beschluß der Bundesversammlung vom 3. März 1831 das letzte Drittel aus den Truppen der Kleinstaatkontingente von Sachsen-Weimar-Eisenach, Altenburg, Sachsen-Koburg-Gotha, Meiningen-Hildburghausen, Anhalt-Dessau, Bernburg, Köthen und Hessen-Homburg, deren Wert mehr als zweifelhaft war, gebildet werden127. Die Unterbringung eines derartig angewachsenen Kontingents innerhalb der Kernfestung und der Stadtumwallung war jedoch aus den genannten räumlichen Gründen völlig ausgeschlossen. Deshalb wurden die auf umliegenden Höhen geplanten, weit vorgeschobenen detachierten Forts der Festung Mainz auch nach 1815 planmäßig ausgebaut, so daß schließlich neben der alten Zitadelle und der Stadtumwallung vier Außengürtel miteinander verbundener detachierter Werke entstanden, deren Innenbezirk einer ganzen Armee Aufnahme bieten konnte. Zu den ständigen Modernisierungs- und Ausbauarbeiten trat in Krisenzeiten eine zusätzliche, verdächtig-rege Bautätigkeit, die darauf hindeutete, daß sich die Festungswerke der älteren Teile des Gesamtkomplexes von Mainz in einem desolaten baulichen Zustand befanden128. Die Besatzung der Bundesfestung Luxemburg sollte zu drei Vierteln aus Preußen und zu einem Viertel aus Niederländern bestehen. Im »ErgänzungTraktat« vom 8. November 1816 trat der niederländische König, der zugleich Großherzog von Luxemburg war, Preußen das Recht ab, sowohl den Gouverneur als auch den Kommandanten der Festung Luxemburg zu ernennen129. Ne12* i27
i28 i29
Meinecke, S. 286. Beschluß vom 3.3.1831, »betreffend die Zusammensetzung der Kriegsbesatzung von Mainz, Luxemburg und Landau und nähere Bestimmungen fur die Reserveinfanteriedivision«, in: Die Kriegsverfassung des Deutschen Bundes, S. 44 f.; Wienhöfer, Das Militärwe-
sen, S. 65.
Merseburg, Rep. 75 D, Nr. 205, Bl. 52. Ergänzung-Traktat mit dem Königreich der Niederlande vom 8.11.1816, abgedr. setz-Sammlung für die königlichen preußischen Staaten, Beilage, S. 131. GStA
in: Ge-
4. Das Problem der Bundesfestungen
61
ben den vorgeschriebenen insgesamt 4 000 Mann der Friedensbesatzung, deren Stärke nicht eingehalten wurde, waren bei Gefahr weitere 1 500 Preußen und 500 Niederländer in die Festung zu bringen. Preußen plädierte dafür, im Kriegsfall auch Kontingente der gemischten Armeekorps in die Bundesfestung einrücken zu lassen. Ein Grund dafür lag im Beschluß der Bundesversammlung über die Verpflegung der Bundeskontingente vom 28. Juli 1825. Danach mußte der jeweihge Kriegsherr die Kosten für Verpflegung und Ausrüstung seines Kontingents im Kriege und im Frieden außer bei feindlichen Belagerungen vom Tage der Übernahme der Festung an selbst tragen130. Diese Regel benachteihgte die GHedstaaten, deren Kontingente die Besatzung der Bundesfestungen bildeten. Das in dieser Hinsicht besonders engagierte Preußen erstrebte daher die gemeinsame Bezahlung der Versorgungskosten durch den Bund. Um in dieser Forderung breitere Unterstützung zu finden, wollte es auch andere Bundesstaaten an der Vorratsversorgung der Festungen mit Lebensmitteln beteiligen131. Ein weiterer Grund lag in dem Interesse Preußens, im Kriegsfall die Anzahl der eigenen Festungstruppen möglichst gering zu halten, um die disponiblen Verbände nicht zu schwächen. Deshalb wurde die Stellung der Kriegsbesatzung von Luxemburg schließlich unter stärkerer Berücksichtigung preußischer Interessen neu definiert. Laut Beschluß der Bundesversammlung vom 3. März 1831 hatten die ansonsten wenig kampffähigen Verbände der Zwergstaaten Waldeck, Schaumburg-Lippe und Lippe die nach der De-factoTrennung Belgiens von den Niederlanden inzwischen preußisch-luxemburgische Besatzung der Bundesfestung im Kriegsfall mit ca. 1 400 Mann zu ver-
stärken132.
Die Stärke der Kriegsbesatzung von Luxemburg war somit auf insgesamt 7 000 Mann und 200 Pferde festgelegt worden. Diese Anzahl war dringend notwendig, da sich der Festungsgürtel aus 22 Forts, davon 15 im Mittelgürtel und 7 im Außengürtel, zusammensetzte. Die natürlichen Täler der Stadt schützten zusätzlich den Festungskern, der auf einem Fels errichtet war. In den Fels waren großräumige Kasematten und StoUen von insgesamt 23 km Länge gearbeitet worden. Aus diesem Grunde nannte man Luxemburg »Gibraltar des Nordens«. Im Jahre 1867 wies der Gesamtkomplex dieser Festung mit den umliegenden Höhenbefestigungen 24 Forts auf133. Die Friedensbesatzung der Bundesfestung Landau bestand ursprünglich aus 2 800 Bayern. Im Kriegsfall hatte Baden auf Wunsch Bayerns ein Drittel der auf insgesamt 6 000 Mann angewachsenen Kriegsbesatzung zu stellen134. Nach Bildung der Reserveinfanteriedivision erfuhr die Zusammensetzung der Besatzungskontingente der Bundesfestungen indes eine Modifikation. Am 3. März ca.
im
131 i32 133 134
Merseburg, Rep. 75 A, Nr. 1548, Bl. 3. Ebd., Rep. 75 D, Nr. 198, Bl. 18. Beschluß vom 3.3., in: Die Kriegsverfassung des Deutschen Bundes, S. 44 f. Neumann, S. 205. GStA Merseburg, Rep. 75 D, Nr. 198, Bl. 25; Wienhöfer, Das Militärwesen, S. 66. GStA
62
I.
Militärkonzeption und Militärverfassung des Deutschen Bundes
1831 wurde auf Beschluß der Bundesversammlung festgelegt, daß sich die Kriegsbesatzung von Landau neben 4 000 Bayern aus Bundestruppen der Zwergstaaten Schwarzburg-Sondershausen, Schwarzburg-Rudolstadt, Hohenzollern-Hechingen, Liechtenstein, Hohenzollern-Sigmaringen und den beiden Reuß zusammensetzte135. Der militärische Wert dieses ca. 2 300 Mann starken Mischkontingents blieb allerdings fraglich. Gouverneur und Kommandant der Bundesfestung Landau wurden von Bayern bestimmt, da sie 1816 von österreichischer in bayerische Zuständigkeit überführt worden war. Der Festungsbau von Landau hatte schon 1688 nach Plänen Vaubans begonnen und wurde vor allem seit dem 18. Jahrhundert ständig weitergeführt. Die kleine und im 19. Jahrhundert bereits veraltete Festung bestand aus einem durch kasemattierte Türme flankierten polygonalen System. Die Türme waren durch abgerückte Bastionen gegen direkten Beschüß gesichert. An der Ostseite befand sich statt des achten Turmes eine Zitadelle. Zur Zeit des Deutschen Bundes wurden in bedeutenden Erweiterungsarbeiten vor allem zahlreiche detachierte Vorwerke erbaut, die die alte Stadtumwallung dem Wirkungsbereich des feindlichen Artilleriefeuers entzogen. Nach dem Erlöschen des Deutschen Bundes wurden 1867 zuerst die Außenwerke der Festung Landau niedergelegt, 1872 schließlich ließ man die Festung vollends auf.
c.
Die Festungsneubauten bei Rastatt und Ulm
Auch nach dem Baubeginn bei Germersheim 1836 als Polygonalsystem mit detachierten Forts wies der Befestigungsgürtel am Oberrhein auf dem Abschnitt bis Bregenz noch immer eine gefährliche Lücke auf. Gerade hier aber erwarteten die Militärs in den deutschen Bundesstaaten im Falle eines Krieges mit Frankreich übereinstimmend einen französischen Angriff. Diese Annahme hatte in der militärischen Planung nach der Krise von 1830 bis 1832, besonders aber auch in der »Rheinkrise« von 1840/41, ihren deutlichen Niederschlag gefunden. Bei diesen Gelegenheiten wurde in den Bundesgremien jedesmal die Frage nach dem Standort der bereits 1815 am Oberrhein geplanten neuen Bun-
desfestung aufgegriffen136.
Die Diskussion, welche der beiden Plätze, Ulm oder Rastatt, sich günstiger auf die Verteidigungsfähigkeit des Bundes auswirken würde, hatte seit der Mitte der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts eine polemische Fortsetzung gefunden. Österreich bevorzugte zur Deckung seiner eigenen Grenzen sowie im Interesse einer defensiven Verteidigungskonzeption für den süddeutschen Raum, an der es teilhaben konnte und die Süddeutschland aus dem militärischen Einflußbereich Preußens hinausmanövriert hätte, nach wie vor Ulm. Die süddeutschen Staaten zogen dagegen Rastatt vor, weil sie damit ihre aktive Verteidigung am 135 136
Beschluß vom 3.3., in: Die Kriegsverfassung des Deutschen Bundes, S. 44 f. Siehe dazu: Angelow, Finanzgeschäfte, S. 292-295.
63
4. Das Problem der Bundesfestungen
Oberrhein verstärken wollten. Preußen neigte traditionell mehr der süddeutschen Position zu, da sie sich mit seiner eigenen Sicherheitspolitik deckte137. In dieser festgefahrenen Situation schlug im Oktober 1836 der württembergische König Wilhelm I. die Befestigung beider Orte vor. FinanzieUen Einwänden begegnete er mit der Auffassung, daß »Deutschland noch viele Millionen daran setzen (müsse) um den Streit mit Frankreich über den Besitz der Rheingrenze früher oder später durchzukämpfen«138. Diese Position übernahm nun auch Joseph Maria v. Radowitz, der als preußischer Bevollmächtigter bei der Bundesmilitärkommission am 15. Dezember 1836 in einer vom noch amtierenden preußischen Außenminister AnciUon befürworteten Denkschrift politische und strategische Gründe anführte, die nach seiner. Überzeugung für den Bau beider Festungen sprachen. Nach langwierigen Verhandlungen gelang es ihm, im August 1838 den bayerischen König und ein Jahr später auch den österreichischen Bevollmächtigten bei der Bundesmilitärkommission, Generalmajor Freiherr v. Roditczky, für den Plan zu gewinnen139. Eine definitive Beschlußfassung über den Bau der Festungen Rastatt und Ulm kam aber erst unter dem Eindruck der »Rheinkrise« zustande. Am 26. März 1841 beschloß die Bundesversammlung den Bau beider Festungen. Ulm sollte als süddeutscher Hauptwaffenplatz eine Festung ersten und Rastatt als Verbindungs- und Grenzfortifikation eine Festung zweiten Ranges werden140. Schließlich genehmigte die Bundesversammlung auch die heftig umstrittenen Baupläne sowie die Gesamtbaukosten in Höhe von insgesamt 27,5 MilHonen Gulden141. Ein Teil dieser Kosten wurde durch die allmähliche Liquidierung der ca. 10 Millionen Gulden aus dem Festungsfonds zum Bau einer vierten Bundesfestung am Oberrhein bestritten. Den größten Teil des Betrages zahlten die einzelnen Gliedstaaten ab 1843 in jährlichen Raten von insgesamt 1,8 Millionen Gulden bei der Bundesmatrikularkasse in Frankfurt a.M. ein142. Diese legte das Geld verzinslich bei dem Bankhaus Rothschild an. Die Grundsteinlegung beider Festungen fand dann am 18. Oktober 1844 statt143. Ihr waren aber bereits zweijährige Erdarbeiten vorausgegangen144. Die Gesamtbauzeit läßt sich über eine Analyse der Finanzabrechnungen des Deutschen Bundes mit dem Haus Rothschild datieren. Hier ist eine drastische Reduzierung der Festungsbaufonds im Jahre 1857 erkennbar. Dafür wurden gleichzeitig kleinere Dotations-, Reserve-, Armierungs- und Proviantfonds für Ulm wenn bereits vorhanden und Rastatt geschaffen oder ausgeweitet145. Die ...
...
—
«7 138 139 140 141
1« 143 144 145
—
Hassel, S. 228 f. Zit. nach ebd., S. 270. Ausführlicher: ebd., S. 284 ff. Prot.-BV 1842, 7. Sitzung vom 26.3., Separat-Prot. Ebd.; Prot.-BV 1842,14. Sitzung vom 23.6., Separat-Prot. Siehe dazu: GStA Merseburg, Rep. 75 A, Nr. 1432, unfoliert. Treitschke, Deutsche Geschichte, im Neunzehnten Jahrhundert, Bd 1, S. 102; S. 394. Siehe dazu: GStA Merseburg, Rep. 75 D, Nr. 92, S. 201. Siehe dazu: ebd., Rep. 75 A, Nr. 1493, unfoliert.
Hassel,
64
I.
Militärkonzeption und Militärverfassung des Deutschen Bundes
wichtigsten und kostspieligsten Bauvorhaben in Rastatt und Ulm konnten also
erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vollendet werden.
Festung Rastatt lag ganz in der Hand Badens. Das Großherzogtum stellLeitung der Festung, im Frieden die gesamte und im Krieg neben Österreich zwei Drittel der Besatzung146. Im Zusammenhang mit den Festungen Landau und Germersheim gehörte Rastatt seit ihrer Fertigstellung einem fortifikatorischen System an, welches im Kriegsfall einen energischen Bewegungskrieg der durch preußische Truppen verstärkten beiden süddeutschen Bundesarmeekorps gegen einen übermächtigen Gegner gewährleisten konnte147. Der Bau dieser FeDie
te außer der österreichisch besetzten Geniedirektion die administrative
stung stärkte die militärischen Positionen Preußens in Süddeutschland, indem er
die seit 1830 immer wieder von Preußen angestrebte effektive Zusammenarbeit der süddeutschen Truppen mit den am Rhein konzentrierten preußischen Verbänden auf eine feste Grundlage stellte. Die Gesamtanlage von Rastatt als Polygonalsystem umfaßte die Hauptfestung, zahlreiche detachierte Vorwerke sowie das verschanzte Lager. Die Hauptfestung umschloß die Stadt Rastatt und bestand aus drei Forts (Leopold-, Ludwig- und Friedrichfeste), die unabhängig voneinander verteidigt werden konnten. Angelegt nach dem »neudeutschen« Festungssystem, paßte sich Rastatt bei Verzicht auf einen streng geometrischen Grundriß dem Gelände an148. Die Schwerpunkte der Verteidigungsfront lagen im westlichen, südlichen und östlichen Bereich, während der Nordabschnitt durch das Gelände besser gedeckt war. Rastatt wurde nach 1887 als Festung aufgegeben. Nach dem Versailler Vertrag von 1919 wurden die Reste der Festungsanlage entfernt. Die Festung Ulm hingegen bildete mit ihren auf beiden Ufern der Donau weit vorgeschobenen Befestigungsanlagen einen Zentralpunkt und Hauptwaffenplatz für die defensive Verteidigung Süddeutschlands. Unter der Leitung des preußischen Majors v. Prittwitz u. Gaffron als eine der größten Festungsanlagen Europas erbaut, bestand sie aus der die Städte Ulm und Neu-Ulm ellipsenförmig umschließenden Hauptumwallung, den 16 Außenforts, die die umliegenden Höhenzüge beherrschten, sowie einem umfangreichen Grabensystem149. Um die Wende zum 20. Jahrhundert wurden die Festungswälle aufgelassen, so daß die Forts ihren Bezugspunkt im fortifikatorischen Gesamtsystem verloren. Heute sind noch viele der Anlagen gut erhalten. Der Bau der Festungen Rastatt und Ulm stellte einen militärischem Kompromiß dar. Er glich nämlich die offensivere militärstrategische Konzeption Preußens und der süddeutschen Staaten einerseits sowie die defensivere Österreichs andererseits aus. Beide Festungen stellten darüber hinaus mit ihren im zeitgenössischen Urteil für nahezu uneinnehmbar gehaltenen Bollwerken eine beachtliche ingenieurtechnische Leistung dar. i«
147 148
149
Hassel, S. 388; Xylander, S. 2 ff.; Unter dem Greifen, S. 117-120. Hassel, ebd. Harder, S. 31 Iff. Ebd., S. 371.
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Ebd.,Bl. 30. Ebd.,B1.30v.
Ebd. Dazu Werther an Schleinitz, Wien, 30.4.1859, in: ebd., Bl. 37-40. Prot.-BV 1859, 15. Sitzung vom 2.5.; abgedr. auch in: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd 2, S. 25 f. Siehe auch: Telegramm Usedoms an Schleinitz, Frankfurt a.M., 2.5.1859, in: GStAPK, III. HA, Nr. 169, Bl. 53-54.
210
II. Die
Sicherheitspolitik des Bundes und das europäische Gleichgewicht
bestand vielmehr darin, die Verlegung der Kriegsbesatzungen der Bundesfestungen Ulm und Rastatt zum Beschluß vorzulegen411. Aufgrund der offenkundigen Verschleppungstaktik der Bundesversammlung plädierte gerade die Öffentlichkeit in den süddeutschen Staaten für die Anerkennung des Bundeskrieges und eine selbständige auswärtige Politik des Bundes gegenüber Frankreich. Während der abgedankte bayerische König Ludwig I. seine Freude über den »enthusiastische(n) teutsche(n) Sinn wie er jetzt Bayern durchglüht, wie er in Teutschland verbreitet« sei, zum Ausdruck brachte412, forderte die liberale »Bayerische Wochenschrift« am 30. April gar einen deutschen Nationalkrieg gegen Frankreich413. In historischer Argumentation hatte sie diese Forderung allerdings an die Frage geknüpft, welche Interessen in einem solchen Krieg obsiegen würden, die des politischen Liberalismus und Konstitutionalismus oder die des von Österreich repräsentierten Absolutismus und Ultramontanismus. Eine politische Restauration, wie sie 1815 der nationalen Erhebung gefolgt war, müsse künftig ausgeschlossen sein. Deshalb sollte als Voraussetzung für den Kriegseintritt des Bundes nach Auffassung der süddeutschen Liberalen die Bürgschaft gegeben werden, »daß der Krieg deutsche Bildung und deutsche Freiheit nach Oesterreich, nicht österreichischen Absolutismus und Geistesdruck nach Deutschland trägt«. In die öffentliche Diskussion, die sich ungeachtet derartig kritischer Wortmeldungen zunehmend dem österreichischen Invasionsprojekt aufgeschlossen zeigte und sich damit deutlich von dem durch Berhn erzwungenen Stillhalten des Bundes distanzierte, platzte am 13. Mai der vor der Bundesversammlung offizieh eingebrachte Antrag Hannovers, innerhalb von drei Wochen ein Observationskorps des Bundes aufzustellen und bereits in zwei Wochen über dessen Oberbefehl zu entscheiden414. Durch diesen Schritt, der die Öffentlichkeit noch mehr anheizte, drohte Preußen nunmehr die Kontrolle über die militärischen Maßnahmen des Bundes zu verlieren415. Deshalb mißbilligte Usedom den hannoverschen Antrag in ausdrücklicher Weise und setzte durch, daß dieser, an den Bundesmilitärausschuß verwiesen, einstweilen von der Bildfläche verschwinden und sich im Gestrüpp divergierender Interessen und preußischer Obstruktion verfangen sollte. Statt dessen beschloß die Bundesversammlung lediglich, dem Antrag der Bundesmilitärkommission entsprechend, die Kriegsbesatzungen in die Bundesfestungen zu beordern416. Parallel zu den Verhandlungen auf Bundesebene, die vor allem von dem Konflikt zwischen Rechberg und Usedom geprägt waren, rissen nach Kriegsbeums
4n 4]2 «3 4]4
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Sitzung des Bundesmilitärausschuß am 3.5.1859, in: ebd., Bl. 67. Zit. nach
Gollwitzer, S. 737.
Nr. 5, München, 30.4.1859, in: GStAPK, III. HA, Nr. 169, Bl. 121-123 v. Prot.-BV 1859,17. Sitzung vom 13.5., § 2 (Separat-Prot.); Auszug in: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd 2, S. 26. Keul, S. 205. Prot.-BV 1859,17. Sitzung vom 13.5., § 3 (Separat-Prot.); Auszug in: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd 2, S. 27.
»Bayerische Wochenschrift«,
3.
Sicherheitspolitik zwischen Zusammenarbeit und Gegnerschaft
211
ginn die diplomatischen Kontakte der beiden deutschen Vormächte zueinander, aber auch zu den deutschen Mittelstaaten nicht ab. Ziel aher diplomatischen Aktivitäten war es, die Haltung der jeweils anderen Seite zu sondieren, die eigene Pohtik überzeugend darzusteüen, für sie zu werben und Möghchkeiten gemeinsamer Schritte auszuloten. Erfahrungsgemäß kam dabei der Kommunikation zwischen den Regierungen in Wien und Berlin erstrangige Bedeutung zu. Aus diesem Grund hatte sich im Auftrag des Prinzregenten der königliche Oberstallmeister und Generaladjutant, Generalleutnant v. Willisen, am 9. Mai 1859 nach Wien begeben, um dort, wie es im Begleitschreiben hieß, in offener, vertraulicher Besprechung das preußisch-österreichische Einvernehmen zu fördern und dem Wunsch des Prinzregenten Ausdruck zu verleihen, »daß über die politisch-mihtairischen Fragen, welche auch für Preußen und für Deutschland aus der gegenwärtigen ernsten Situation sich ergeben,... Einverständnis bestehe«417. Neben dieser hochgegriffenen, gewiß unrealen Zielstehung hatte Willisens Mission eine Alibifunktion, indem sie nämlich die Sendung weiterer preußischer Offiziere an die Höfe der deutschen Mittelstaaten diplomatisch absichern half. Gemäß der ihm mitgegebenen Instruktion418 legte Wilhsen nach seiner Ankunft in Wien dem österreichischen Kaiser gegenüber dar, daß Preußen den nunmehr ausgebrochenen Krieg wenigstens in Italien zu lokalisieren bestrebt sei. Mit dieser Feststellung deutete der preußische Unterhändler an, daß sich seine Regierung, indem sie gegen Österreich für eine Lokalisierung des Krieges eintrat, gegenüber London, St. Petersburg, aber auch Paris in ihrer neutralen Haltung offenbar verbindlich festgelegt hatte. Solange lediglich spezifischösterreichische Interessen in Italien berührt seien, hätten Preußen und der Deutsche Bund keine Veranlassung zur Einmischung. Willisen erklärte weiter, daß erst die Gefahr einer der europäischen Machtverhältnisse Preußen »in den Streit eintreten« lassen würde, »jedoch nicht in Oesterreichs Gefolge, sondern in selbständiger Haltung«419. Da es, wie Willisen beteuerte, darauf ankäme, den richtigen Zeitpunkt für sein Eingreifen nicht zu verpassen, setze Preußen unterdessen seine Streitkräfte in Bereitschaft, »um wohlgerüstet die Beilegung des Kampfes umso wirksamer vermitteln zu können«420. Damit war wiederum der Gedanke der bewaffneten Vermittlung ausgesprochen, an dem die preußische Führung gegen die erklärten österreichischen Interessen, Preußen an der Seite Habsburgs militärisch zu engagieren, weiter festhielt. Unter diesen Voraussetzungen war es zu erwarten, daß die Gespräche in Wien alsbald in eine Sackgasse führen würden, zumal Wilhsen instruiert war,
Änderung
4i7
418 419
420
Begleitschreiben des Prinzregenten Wilhelm an Kaiser Franz Joseph I., Berlin, 9.5.1859, siehe: Anlage 25. Instruktion des Prinzregenten Wilhelm an Willisen, siehe: Anlage 26. Entwurf zur Instruktion des Prinzregenten Wilhelm an Willisen, o.D., o. Unterschrift, wahrscheinlich Ende April 1859, in: GStAPK, ebd. Bl. 5-8 v. Instruktion des Prinzregenten Wilhelm an Willisen, o.D., in: ebd., Bl. 13-16 v. Siehe auch: Anlage 26.
212
II. Die Sicherheitspolitik des Bundes und das europäische Gleichgewicht
Verhandlungspartner in einer Weise, die die Bundespräsidialmacht demütigen mußte, daran zu erinnern, daß Österreich Preußen »nicht durch unwillkommenes Drängen verletzen« möge421. Obgleich die bereits skizzierten, weit auseinanderliegenden sicherheitspolitischen Positionen der beiden deutschen Vormächte, die aus vöhig unterschiedlichen Beurteilungen der Kriegsursachen wie der eigenen Interessen herrührten, bereits in der ersten Audienz bei Kaiser Franz Joseph I. am 11. Mai deutlich geworden waren, setzte der preußische Unterhändler seine Mission in Einzelgesprächen mit Feldzeugmeister Heß, seine
mit dem
er
die militärischen Ansichten beider Monarchien im Konflikt
aus-
tauschte, sowie dem neuen österreichischen Außenminister Graf Rechberg, der Buol-Schauenstein am 13. Mai abgelöst hatte, bis zum 30. Mai fort. Bereits gegenüber Franz Joseph hatte Willisen, im Begriff, einer VerwickPreußens in den oberitalienischen Konflikt in sachlicher Beweisführung entgegenzutreten, militärische Argumente ins Feld geführt: »Bei der gegenwärtigen Lage der Verhältnisse: Grenzen, Befestigungen, Organisation der Streitmittel, Schnelligkeit der Kommunikationen« sei nach Auffassung des preußischen Generals »die Kraft der Vertheidigung so viel größer als die des Angriffs, daß sowohl Österreich bei der gegenwärtigen Kriegslage einen baldigen Nachtheil, der es in seinem Kern bedrohe, nicht zu besorgen habe, als auch Preußen einen etwaigen späteren Angriff Frankreichs gegen seine Westgrenze mit voller Ruhe entgegensehen könne«422. Gegenüber Heß legte Willisen nunmehr die konkreten, von Preußen bereits getroffenen militärischen Maßnahmen dar. Zwar zeigte sich der österreichische Feldzeugmeister von den preußischen Eröffnungen beeindruckt, konfrontierte Wilhsen jedoch im Gegenzug mit dem Plan, gemeinsam mit den kleineren deutschen Bundesgliedern unter preußischem Oberbefehl ein 100 000 Mann starkes Observationskorps am Rhein aufzustellen. das Korps sollte sich aus jeweils 40 000 Bei Realisierung dieses Planes Österreichern und Preußen sowie 20 000 Mann anderer Bundesstaaten bilden bestand die Gefahr eigenmächtiger österreichischer Truppenbewegungen in
lung
—
—
Westdeutschland, durch die Frankreich zu einem Krieg am Rhein provoziert werden konnte. Wihisen stand diesem Plan, wie aus seinem Bericht nach Berhn hervorging, eher ablehnend gegenüber. Er kommentierte, daß aufgrund der ge-
ringen Disponibüität der österreichischen Verbände diesen bei der möglichen Aufstellung der Korps ohnehin nur eine Statistenrolle zukäme. Nach den noch weiterreichenden Plänen des Chefs des österreichischen Generalquartiermeisterstabes hingegen sohte die Aufstellung des Observationskorps dem fortifikatorischen Ausbau des Verteidigungssystems Mainz-Germersheim-Ulm dienen. Der Ausbau dieser Punkte war nach Heß unabdingbare Voraussetzung für die anschließende Konzentrierung der für eine Offensive benötigten großen Ar42i
422
Entwurf zur Instruktion des Prinzregenten Wilhelm an Willisen, o.D., o. Unterschrift, wahrscheinlich Ende April 1859, in: ebd., Bl. 7 v. 1. Bericht Willisens an Prinzregent Wilhelm, Wien, 13.5.1859, in: ebd., Bl. 37^43 v.
3.
Sicherheitspolitik zwischen Zusammenarbeit und Gegnerschaft
213
des Deutschen Bundes am Rhein. Heß setzte sich in der mittelfristigen Perspektive für die Verlegung des Hauptkriegsschauplatzes an die französischen Ostgrenzen ein und beabsichtigte dazu die Aufstellung zweier Armeen des Bundes, einer Nordarmee bei Mainz unter preußischem und einer Südarmee bei Germersheim unter österreichischem Befehl423. Nachdem Willisen die operativen Ansichten des österreichischen Feldzeugmeisters, die sich übrigens mit denen Moltkes weitgehend deckten, nach Berhn übermittelt hatte, wurde ihm von Schleinitz bedeutet, daß Preußen »für den Augenblick« unmöglich auf die österreichischen Pläne eingehe könne, da sie den in Berlin unerwünschten Ausbruch des Krieges am Rhein geradezu herbeiführten. Allerdings würde Preußen »mit seiner ganzen Macht, im Interesse der Aufrechterhaltung des europäischen Gleichgewichts, für Österreich in die Schranken... treten«. Deshalb sei es das Ziel der in Berlin vertretenen Politik, einen Frieden ohne Gebietsverluste für Österreich anzusteuern. Es verstünde sich freüich von selbst, daß Preußen das von Kaiser Franz Joseph I. am 13. Mai vertretene, tiefgreifende politische Veränderungen in Europa ansteuernde Kriegszielprogramm nicht unterstützen werde424. Enttäuscht von der preußischen Haltung, die noch immer gegenüber Österreich alle bindenden Erklärungen vermied, sah man in der Donaumetropole »nun keiner ferneren gedeihlichen Entwicklung der Verhältnisse (mehr) entgeder Absagen aus Berlin setzte der neue österreichische gen«425. Ungeachtet Außenminister gegenüber Wilhsen noch einmal seine ganze ein, um die Aufstellung wenigstens der Observationskorps doch noch zu veranlassen. Für den Fall der preußischen Weigerung drohte Rechberg schheßlich damit, das angestrebte Ziel notfalls in Form von Separatverträgen mit den einzelnen deutschen Staaten außerhalb der Struktur des Bundes erreichen zu wollen426. Daraufhin wurde Wilhsen aus Berhn instruiert, den österreichischen Verhandlungspartnern nunmehr ganz unumwunden zu erklären, »daß jeder Versuch, Preußen wider das Recht, wider seinen Wihen in den Krieg und in die Bahnen ausschließhch und spezifisch oesterreichischer Politik hineinzuziehen, nur in das Gegenteil ausschlagen könne«427. Schleinitz verband diese unmißverständliche und massive Warnung an die Adresse Wiens wiederholt mit der Drohung des Bundesbruchs. In seiner Depesche an den neuen preußischen Gesandten in Wien, Karl Freiherr v. Werther, hatte er am 27. Mai zur Instruktion des Gesandten und zur Übermittlung an Wilhsen formuliert, daß Österreich Preußen »in Beziehung auf militairische Maßnahmen gegen Frankreich von deutscher Seite her, die Initiative überlassen und hierzu auch die übrigen Bundes-Regierungen bestimmen« möge. »Sonst sind alle von uns gegebenen Ermeen
Überredungskunst
423 424
425 426 427
Ebd., Bl. 41 v-42. Schleinitz an Willisen, Berlin, 17.5.1859, in: ebd., Bl. 59-63. Telegramm Werthers an Schleinitz, Wien, 19.5.1859, in: ebd., Bl. 97-97 v. Bericht Willisens an Prinzregent Wilhelm, Wien, 21.5.1859, in: ebd., Bl. 125-130. Schleinitz an Willisen, Berlin, 26.5.1859, in: ebd., Bl. 135-138.
214
II. Die
Sicherheitspolitik des Bundes und das europäische Gleichgewicht
klärungen für non avenues zu erachten und wir werden dann lediglich nach uneigenen Interesse handeln428.« (Unterstreichungen im Text, d. Verf.) Nachdem Franz Joseph in einer letzten Audienz am 28. Mai dem preußi-
serem
schen Unterhändler immerhin einlenkend zugesagt hatte, einstweilen davon Abstand zu nehmen, ein schnelles mihtärisches Vorgehen des Deutschen Bundes zu forcieren und durch Einzelverträge mit den deutschen Staaten die eigenen Streitkräfte zu vermehren, reiste Willisen am 30. Mai aus Wien ab. Der österreichische Kaiser hatte die Hauptstadt bereits eine Tag vorher in Richtung Kriegsschauplatz verlassen. Die Mission Wihisens war damit erwartungsgemäß an den unüberbrückbaren Gegensätzen der beiden deutschen Vormächte gescheitert. Andererseits hatte sie zur restlosen Klärung der kontrahierenden Standpunkte beigetragen und Berhn eine diplomatische Atempause verschafft. Parallel zu den Gesprächen in Wien hatte Schleinitz Generalmajor Graf v. Alvensleben vom 12. bis 22. Mai an die süddeutschen und Oberst Graf v. Münster vom 12. bis 16. Mai an die norddeutschen Höfe entsandt, um dort »den befreundeten deutschen Regierungen in bezug auf die gegenwärtige Situation in vertrauhcher Weise einige nähere Eröffnungen machen zu lassen«429. Bereits aus der Instruktion des Prinzregenten für die beiden Emissäre geht hervor, daß Berlin mit diesen »Eröffnungen« die deutschen Höfe vor ahem zu einer »richtigen«, das heißt einer im preußischen Sinne hegenden Interpretation der pohtischen Lage befähigen wohte. Die deutschen Fürsten suchte man »zur vollen Aufmerksamkeit«, aber auch »höchsten Vorsicht« zu verpflichten. Wenn der Deutsche Bund »zur Wahrung deutschen Rechts und deutscher Selbständigkeit zum Schwerte greifen« müsse, »wen anders würde das eigene Wohl in die erste Reihe berufen als Preußen? Von wem hätte der Bund Schutz und Führung zu erwarten, als von Preußen430?« Die beruhigende Versicherung, den deutschen Staaten ungefragt »Schutz und Führung« angedeihen zu lassen, hatten Alvensleben und Münster mit der Drohung zu verbinden, daß die mindermächtigen Bundesstaaten besser fest zu Preußen stehen und es nicht durch unablässiges Drängen in Frankfurt reizen sollten. Damit würden sie nur den Deutschen Bund kompromittieren und in Preußen den einzigen Bundesgenossen für Österreich und sich selbst verheren. Nachdem am 13. Mai der hannoveranische Antrag, ein Observationskorps aufzustellen, beim Bund eingebracht worden war, konzentrierten sich die beiden preußischen Emissäre darauf, den mittelstaatlichen Regierungen das Versprechen abzufordern, die Bearbeitung des vorgenannten Antrags im Militärausschuß des Bundes zu verzögern. Dieses Vorhaben war erfolgreich. Für die Haltung Sachsens nach dem Besuch Alvenslebens wußte der dortige preußische Gesandte, Karl Friedrich v. Savigny, zu berichten, daß Ministerpräsident 428 429 430
Telegramm Schleinitz' an Werther, Berlin, 27.5.1859, in: ebd.,imBl. 140. Deutschen Bund, Zirkular Schleinitz' an die preußischen Gesandtschaften Bl. 25. Instruktion des Prinzregenten Wilhelm für die Missionen Alvensleben und D., in: ebd., Bl. 13-16 v.
in:
ebd.,
Münsters,
o.
3.
Sicherheitspolitik zwischen Zusammenarbeit und Gegnerschaft
215
Beust gegen seine eigene Auffassung und ungeachtet der verbreiteten Kriegsstimmung sowie der wie selten zuvor günstigen Finanzlage im Lande eine Kammerdebatte über das mögliche Eingreifen Preußens hintangehalten hatte431. Münster war es in Hannover sogar gelungen, die dortige Regierung ungeachtet der kriegerischen Stimmung in der Öffentlichkeit zu veranlassen, auf weiteres Drängen zur Unterstützung des eigenen, im Lande populären Antrags im Bund vorläufig zu verzichten432. Festzuhalten bleibt, daß es die preußische Diplomatie in der ersten Phase des Krieges mit den Mitteln der Versprechung und subtiler Einschüchterung vermocht hatte, die deutschen Mittelstaaten von gravierenden Schritten zur selbständigen Unterstützung Wiens abzuhalten. Damit war erneut deutlich geworden, wie stark die Müitär- und Sicherheitspolitik des sogenannten »Dritten Deutschland« als Ausdruck einzelstaatlicher Souveränität vom machtpolitischen Kalkül Preußens abhing. Obwohl die »Befehlsausgabe« der beiden preußischen Emissäre an den Höfen der Mittel- und Kleinstaaten einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hatte, blieb offen, ob diese Taktik Berlin auch in der Folge des kriegerischen Konflikts in Oberitalien vor unhebsamen Überraschungen im Bund bewahren würde. Mitte Mai 1859 hatte die kriegerische Stimmung in den deutschen Staaten einen vorläufigen Höhepunkt erreicht und hier vor allem in Süddeutschland und sich mit nachhaltigen antifranzösischen Ressentiments zu verbinden begonnen. Laut einer Korrespondenz aus Bayern, die hier nur stellvertretend für eine weit verbreitete Stimmung genannt werden soll, drohte sogar der Bruch mit Preußen, im Fähe es sich nicht sehr bald zu militärischen Maßnahmen entschließen würde433. Einen förmlichen Bundeskrieg jedoch konnte man sich in Süddeutschland weiter nur mit Preußen, nicht aber als isolierte süddeutsche Aktion gegen Frankreich vorstellen. Solange der oberitalienische Konflikt keine preußisch-deutschen Interessen berührte, hatte Schleinitz Paris jedoch die Neutrahtät Preußens zugesichert. Dazu kam die Haltung der anderen europäischen Großmächte, die einer Eskalation des Krieges entgegenstand. So hatte Großbritannien über diplomatische Kanäle verbreiten lassen, daß man es in London gern sähe, ließen die deutschen Staaten in ihren antifranzösischen Kriegsgelüsten nach. Der Aufstellung eines Observationskorps am Rhein indes stand London keineswegs ablehnend gegenüber. Ein solcher Schritt stellte nach Auffassung des Foreign Office noch keine Provokation dar, sondern war im Gegenteil dazu geeignet, Napoleon davon in Kenntnis zu setzen, daß sich Deutschland Oberitalien nicht entreißen lassen würde434. Stellvertretend für die britische Öffenthchkeit konstatierte die »Saturday Review« inzwischen das Aufkommen starker antifranzösischer Gefühle, —
—
431 432 433 434
Real, S. 180.
Siehe dazu: GStAPK, III. HA, Nr. 173, Bl. 72 v. Zit. nach: »Neue Zürcher Zeitung«, Nr. 13, 39. Jg., 13.5.1859, in: ebd., Nr. 170, Bl. 20. Nach einem Bericht Bernstorffs vom 6.5., zit. nach: Savigny an Schleinitz, Dresden, 20.5.1859, in: ebd., Bl. 65-69.
216
II. Die
Sicherheitspolitik des Bundes und das europäische Gleichgewicht
mit denen Deutschland ein stem
neues
und
Europas einfüge435.
wichtiges Element in das pohtische Sy-
Nach Erhalt einer Auskunft durch den sächsischen Gesandten in Paris, Leo Graf v. Seebach, berichtete Savigny nach Berlin, daß selbst der französische Außenminister Walewski die beiderseitige Aufstellung von Observationskorps an der deutsch-französischen Grenze nicht als Kriegsgrund gedeutet wissen wollte436. Frankreich ging sogar noch einen Schritt weiter. Im Wissen, unter keinen Umständen einen Zweifrontenkrieg an Po und Rhein führen zu können, im Vertrauen, daß die preußische Position fest bleiben und die Hohenzollernmonarchie keinem Präventivkriegsgedanken nachgeben würde, weil sie nur im Verteidigungsfall von Rußland Unterstützung erwarten durfte, sowie in der Hoffnung, mit Hilfe der günstigen Großmächtekonstellation eine Ausweitung des Krieges über den norditahenischen Kriegsschauplatz hinaus weiter zu verhindern, nahm Paris Ende Mai ein bedeutendes militärisches Risiko auf sich, als es preußische Truppenkonzentrationen am Ober- und Mittelrhein ohne Gegenmaßnahmen akzeptierte. Diese vertrauensfördernde Geste wurde von deutschen Beobachtern bestätigt, die die französischen Ostgrenzen als von Truppen entblößt einschätzten437. Doch innerhalb kurzer Zeit konnte die Paris begünstigende politische Konstellation paradoxerweise durch den Erfolg der französischen Waffen zunichte gemacht werden, waren doch alle politischen Kombinationen in Europa von der Vorstellung ausgegangen, daß sich die für besonders kriegstüchtig eingeschätzte österreichische Armee auf dem vertrauten oberitalienischen Kriegsschauplatz gegen einen etwa gleichstarken Gegner werde halten können. Inzwischen jedoch bahnte sich in Oberitalien eine unerwartete militärische Entscheidung an, als den Österreichern am 4. bis 5. Juni bei Magenta und am 24. Juni 1859 bei Solferino zwei empfindliche Niederlagen beigebracht worden waren, in deren Folge sich ihre Armee zum Rückzug auf das Festungsviereck genötigt
sah438.
In den deutschen Staaten
begann
sich seit Juni
aufgrund
der militärischen Es wuchs
Niederlage Österreichs erneut eine Alternativsituation abzuzeichnen.
die Bereitschaft, Vorkehrungen für ein militärisches Eingreifen zugunsten Österreichs, auch ohne Preußens Unterstützung, zu treffen. Dadurch geriet die Hohenzohernmonarchie immer stärker unter Druck, den militärischen Zusammenbruch Österreichs im Interesse des Bundes durch eigenes Eingreifen zu verhindern. Gleichzeitig jedoch blieb die russisch-englische Position zunächst unverändert auf Vermeidung einer Eskalation des Krieges ausgerichtet. 435 436
437 438
Saturday Review of Politics, Literature, Science, and Art«, No. 187, Vol. 7, May 21, 1859, in: ebd., Bl. 78-78 v. Dazu auch: Poidevin/Bariéty, S. 43. So Walewski gegenüber dem sächsischen Gesandten in Paris, v. Seebach, zit. nach: Savigny an Schleinitz, Dresden, 30.5.1859, in: GStAPK, ebd., Bl. 168-170. Buchner, Die deutsch-französische Tragödie, S. 79. Siehe dazu: Markov/Helmert, S. 290-294; Zur Schlacht bei Solferino: H. v. Moltke, »The
Schlacht von Solferino.
3.
Sicherheitspolitik zwischen Zusammenarbeit und Gegnerschaft
217
der bekannten Position der beiden Großmächte hatte Prinzregent Wilhelm einen Tag nach Solferino die Mobilmachung von sechs preußischen Armeekorps angeordnet. Berlin stand nun vor der Frage, ob es angesichts der Bedrohung der österreichischen Bundesgebiete Tirol und Voralberg durch französische Truppen seine bisherige Neutralitätspolitik unter weitgehendem Gesichtsverlust im Bund beibehalten oder sie in eine Politik der aktiven Bundeshilfe für Österreich in der Hoffnung, damit die militärische Hegemonie über Deutschland endgültig zu erreichen, umwandeln sollte. Unter der Bedingung, daß man Preußen den Oberbefehl über alle deutschen Bundeskontingente antragen und die Regelung von Krieg und Frieden dem Ermessen Berlins anheimstellen würde, zeigte die Hohenzohernmonarchie ab Mitte Juni die zunehmende Bereitschaft, im Sinne Wiens militärisch zu intervenieren. Am 25. Juni, einen Tag nach Solferino, nutzte Preußen die Gunst der Stunde und beantragte, nachdem es diesen Schritt wochenlang hinausgezögert und bekämpft hatte, vor der Bundesversammlung die Aufstellung eines starken preußisch-süddeutschen Observationskorps am Oberrhein. In Ausführung dessen sollten sich den mobilzumachenden sechs preußischen Armeekorps die unter bayerischem Befehl vereinten beiden süddeutschen Bundeskorps anschließen439. Österreich verfolgte die Vorgänge in Frankfurt voller Mißtrauen. Wien stand Ende Juni seinerseits vor der Alternative, entweder Preußen-Deutschlands Eingreifen in den Krieg mit dem Ziel der Wahrung des österreichischen Territorialbesitzes in Italien und der Neuordnung der itahenischen Verhältnisse anzunehPreußens im Deutschen Bund zu men, dabei aber ein deutliches oder den Abbruch des akzeptieren, Kampfes durch Verständigung mit Paris unter materiellen Verlusten in Italien anzustreben440. Dieses Problem berührte wesenthch die zukünftigen Schwergewichte der österreichischen Politik in Europa und in Deutschland. Entweder Wien entschied sich für den Rückzug aus Deutschland bei gleichzeitigem Erhalt als europäische Großmacht, oder man legte die Konfrontation mit Preußen, indem man ihm keine Konzessionen im Bund bewilligte, langfristig an und nahm dabei die Schwächung der eigenen europäischen Großmachtstellung in Kauf. Inzwischen hatte Berhn eine weitere Initiative am Bund gestartet. Am 4. Juh beantragte der preußische Bundestagsgesandte auf Weisung seiner Regierung die Mobilmachung und Unterstellung aller Bundeskontingente der deutschen Mittel- und Kleinstaaten unter preußischen Befehl. Dieser Antrag zielte ganz offen darauf ab, die Bundeskriegsverfassung außer Kraft zu setzen und Preußen die militärische Hegemonie über Deutschland in die Hände zu spielen441. Der Vorstoß Preußens war dennoch zwiespältig: Zwar stellte er bundespohtisch gesehen eine klare Kampfansage an die Institution des Deutschen Bundes und an die Adresse Wiens dar, andererseits konnte Preußen nunmehr starken Druck
Ungeachtet
Übergewicht
439 440 «i
Prot.-BV 1859, 23. Sitzung vom 25.6., § 1, (Separat-Prot.). Siehe dazu: Keul, S. 206 f. Buchner, Die deutsch-französische Tragödie, S. 83. Prot.-BV 1859, 25. Sitzung vom 4.7., Separat-Prot.
218
II. Die
Sicherheitspolitik des Bundes und das europäische Gleichgewicht
auf die französischen Ostgrenzen ausüben und damit die österreichische Position in Oberitalien wirksam entlasten. Österreich versuchte die Flucht nach vorn: Am 7. Juh konterkarierte der österreichische Präsidialgesandte beim Deutschen Bund das preußische Vorgehen, indem er seinerseits beantragte, alle Kontingente des Bundesheeres zu mobilisieren und sie dem preußischen Prinzregenten Wilhelm als Oberfeldherrn gemäß den Bestimmungen der Bundeskriegsverfassung zu unterstehen442. Der österreichische Antrag war gleichermaßen ein kluger Schachzug wie ein einmaliges Ereignis in der Geschichte des Deutschen Bundes. Einerseits verhinderte er die von Preußen in der Oberbefehlshaberfrage angestrebte Aussetzung der deren Bundeskriegsverfassung, Bestimmungen sich Prinzregent Wilhelm nicht unterwerfen mochte. Andererseits überschritt der österreichische Vorstoß für einen kurzen Augenblick eine bis dahin niemals erreichte Grenze im militärischen Miteinander der beiden deutschen Vormächte. Niemals zuvor und nie wieder danach hatten Preußen oder Österreich dem anderen in der heiklen Frage des Oberbefehls derartig weitreichende Zugeständnisse gemacht. Das österreichische Angebot jedoch bestand nur vier Tage, und es ist fraglich, ob es über-
haupt ernst gemeint war. Am 11.
Juli war Kaiser Franz Joseph auf die langfristigen französischen Frie-
denssondierungen eingegangen und hatte im direkten Kontakt mit Napoleon III. unter der Bedingung des Verlusts der Lombardei den Prähminarfrieden von Villafranca abgeschlossen, der am 10. November in Zürich bestätigt wurde. Die Übereinkunft der beiden Monarchen in Villafranca kam für viele Zeitgenossen überraschend. Dennoch war sie das Ergebnis längerer Überlegungen und Diskussionen im Zirkel der europäischen Diplomatie und wurde folglich von allen Großmächten akzeptiert. Villafranca beendete die gravierende sicherheitspolitische Spekulation darüber, ob der Deutsche Bund weiterhin ausschließlich als ein Verteidigungsbündnis agieren oder ob er sich unter preußischer Führung das Recht zu einem Angriffskrieg gegen Frankreich nehmen würde. Mit diesem Ausgang des Krieges bheb die österreichische Position im Deutschen Bund zwar formal unangetastet, das Verhältnis der beiden deutschen Vormächte hingegen hatte weiter irreparablen Schaden genommen. Die psychologischen Folgen Villafrancas vergifteten in der Folge weiter die Atmosphäre im Deutschen Bund. Prinzregent Wilhelm zeigte sich konsterniert; er habe, führte er aus, Österreich nicht im Stich lassen wollen und bereits Vorkehrungen zur Bekämpfung des gemeinsamen Feindes getroffen. Franz Joseph dagegen fühlte sich von Berlin verraten und sah die Grundlagen des Deutschen Bundes in seiner damaligen Gestalt in Frage gesteht. Gegen den preußischen Prinzregenten richtete er schwere Vorwurfe: Österreich ertrage »die große Rechtsverletzung, die Europa ruhig geschehen heß, ja begünstigte«, ohne sich zu »Worten nutzlosen Bedauerns« hinreißen zu lassen. Aües wäre glücklich und ehrenvoll ausgegangen, so resümierte der österreichische Kaiser, der von Napoleon in den Bedingungen für die 442
Ebd., 26. Sitzung vom 7.7., § 1 (Separat-Prot.).
3.
Sicherheitspolitik zwischen Zusammenarbeit und Gegnerschaft
219
preußische Friedensvermittlung bewußt getäuscht worden war und wohl auch getäuscht werden wollte443, hätte Preußen an der Seite Österreichs gekämpft444.
In Wirklichkeit jedoch hat neben anderen Gründen für den Waffenstillstand von Villafranca »nicht nur die Verärgerung« Kaiser Franz Josephs I. über das Fernbleiben Preußens, sondern auch die Erkenntnis beigetragen, daß der Preis, den Österreich seinem deutschen Rivalen nach zwei verlorenen Schlachten für dessen Eingreifen zu entrichten hatte, bereits untragbar geworden war445. Der mit Villafranca naheliegende Gedanke, daß die militärische Handlungsfähigkeit Habsburgs nach Solferino nicht mehr gegeben war, läßt sich indes nicht bestätigen. Rüstow hat bereits 1859 ausgeführt, daß Österreich auch zu diesem Zeitpunkt noch gute Chancen hatte, den Krieg, gestützt auf sein intaktes Festungssystem, fortzuführen446. Diese Ansicht, die aus österreichischer Perspektive durchaus geteilt wurde447, ist später vom preußischen Generalstab be-
stätigt worden448. Nachdem Österreich am 16. Juh die Bundesversammlung offiziell über den
Waffenstülstand informiert hatte449 und damit der österreichische Vorstoß vom 7. Juli hinfällig geworden war, zog auch Preußen seinen Antrag vom 4. Juli450 zurück. Seit dem 21. Juh wurde das Bundesheer laut Beschluß der Bundesver-
sammlung demobilisiert451. Bundespohtisch hatte der oberitalienische Konflikt nicht nur den Dualismus
der beiden deutschen Vormächte verschärft, er hatte darüber hinaus erneut den Führungsanspruch Preußens im militar- und sicherheitspolitischen Bereich deutlich gemacht, mit dessen Realisierung Berlin die Hegemonie im Bund verband und nunmehr ganz offen anstrebte. Dazu trat eine deutlich erkennbare Neigung der preußischen Monarchie, den Deutschen Bund und seine Kriegsverfassung auszuschalten, wenn sich diese Institutionen dem preußischen Führungsanspruch in den Weg zu stellen drohten. Die Politik Berlins gegenüber dem Deutschen Bund war also von zwei Tendenzen geleitet, einmal von dem Versuch, den Bund im preußischen Sinne zu mediatisieren, zum anderen, falls dies nicht gelänge, ihn lahmzulegen. Zunächst hatte Österreich jedoch derartige Entwicklungen unter Hinnahme eines bedeutenden außenpolitischen Rückschlags und territorialer Verluste gestoppt. Damit war allerdings genau jene Änderung der europäischen Machtverhältnisse eingetreten, die Preußen im Interesse Österreichs militärisch zu verhindern versprochen hatte. Den richtigen Zeitpunkt für sein Eingreifen hatte Berlin allemal im vollen Bewußtsein
verpaßt. 443 444
445 ^
447 448
449 «o «i
Engelberg, S. 479. Brief abgedr. bei: Martens, Bd 16,2, S. 516. Franz Joseph I. an Prinzregent Wilhelm, siehe: Anlage 27. Allmayer-Beck, Politik und Kriegführung, S. 61 f. Rüstow, S. 337-347,402. Bruna, S. 165.
Der italienische Feldzug des Jahres 1859, S. 185. Prot.-BV 1859, 27. Sitzung vom 16.7., § 1 (Separat-Prot.).
Ebd., §2. Ebd., 28. Sitzung vom 21.7., § 1 (Separat-Prot.).
220
II. Die
Sicherheitspolitik des Bundes und das europäische Gleichgewicht
Der oberitalienische Krieg hatte weiter gezeigt, daß künftig das Gewicht der deutschen Mittelstaaten als pohtischer Faktor stärker in Rechnung gestellt werden mußte. Diese Staaten benutzten den Bund in einer neuartigen Weise, indem sie ihn für die Interessen des »Dritten Deutschland« an einer starken Sicherheitspolitik zu instrumentalisieren versuchten. So war es Preußen nur unter erheblichen politisch-diplomatischen Pressionen gelungen, mittelstaatliche Initiativen im sicherheitspolitischen Bereich zu unterbinden oder lahmzulegen. Berlin mußte erkennen, daß dies auf Dauer nur dann möglich war, wenn es in militärpolitischer Hinsicht im Bund selbst die Initiative an sich zog. Nach langer Zeit der durch Preußen verursachten pohtischen Verzögerung endhch beschlossen, hatte die Mobilmachung der Bundeskontingente 1859 nach Auffassung Keuls überdies ein »trostloses Bild« geboten, so daß »berechtigte Zweifel an der Kriegsfähigkeit des Bundesheeres«452 aufkamen. Vor allem hatte die Mobilmachung einen deuthchen, durch das Stellvertretungssystem bedingten Mangel an ausgebildeten Reserven gezeigt. waren die meisten militärischen Maßnahmen des Bundes entweder zu spät oder mit wenig Wirkung getroffen worden. So hatte zum Beispiel das Anfang März 1859 verhängte Pferdeausfuhrverbot453 keine große Bedeutung, weil die französische Armee bereits im Vormonat ihren Pferdebestand durch dramatische Ankäufe in den westlichen Gebieten Deutschlands aufgefüllt hatte. Andererseits richtete sich das am 5. März erlassene Pferdeausfuhrverbot des Zollvereins, das für alle Grenzen desselben galt, vor allem gegen Österreich454. Aus den wiederum erkennbaren strukturellen Schwächen des Bundes, insbesondere den Schwierigkeiten bei der Formulierung einer eigenen Müitär- und Sicherheitspolitik sowie seiner ineffizienten Kriegsverfassung, resultierten geleitet von Gefühlen der eigenen Ohnmacht wie dem Druck der Nationalbewegung weitere, wenn auch wenig fruchtbare Initiativen zur Reform des Bundes wie zur Revision seiner Kriegsverfassung in den 60er Jahren. In europäischer Hinsicht führte der italienische Krieg die im Krimkrieg eingeleitete langfristige Veränderung des europäischen Kräftefeldes weiter. Frankvor ahem auch nach der Annexion von Nizza und reich geriet in der Folge Savoyen 1860 außenpolitisch in zunehmende Bedrängnis. Während sich die französisch-britischen Beziehungen nach 1859/60 latent verschlechterten, normalisierte sich das russisch-österreichische Verhältnis etwas. Preußen bewahrte nach allen Seiten hin eine relativ gute Stellung, hatte aber bundespolitisch erheblich an Prestige verloren. Kennzeichnend für die Zeit nach 1859 ist weiter eine neue Qualität in den deutsch-französischen Beziehungen. Zwar hatte es in den europäischen Krisen von 1830 bis 1832, vor allem 1840, bereits gegenseitige Bedrohungsperzeptionen gegeben. Diese Gefühle waren jedoch nur von zeitweiliger Bedeutung gewesen
Überhaupt
—
—
—
—
452 433 454
Keul, S. 209. GStAPK, III. HA, Nr. 167, Bl. 319-334. Rüstow,S.35.
4.
Sicherheitspolitik zwischen Antagonismus und Bundesbruch
221
und hatten das gute Verhältnis zwischen Deutschen und Franzosen nicht auf Dauer belasten können. Die Politik Napoleons III. erweckte indes wenig Vertrauen, wodurch bisher abstrakte Bedrohungsgefühle konkrete Gestalt annahmen. Und mit der massenhaften Mobilisierung antifranzösischer Gefühle in der deutschen Öffenthchkeit während des Krieges in Oberitalien, der Losung, den Po am Rhein verteidigen zu wollen, und dem Ruf nach der Rückführung ElsaßLothringens begann sich in den deutschen Staaten ein unreflektierter Nationalismus zu verwurzeln, der in militärischen Kreisen auch vorher schon geäußerte Präventivkriegsgedanken aufgriff und ihnen verstärkend zur Seite trat.
4.
a.
Sicherheitspolitik zwischen formuliertem Antagonismus und Bundesbruch
Alternativen in der Militärkonzeption nach 1859
Die durch den italienischen Krieg weiter veränderte europäische Mächtekonstellation hatte den Deutschen Bund zwingend auf das Ziel einer Sicherheitspolitik hingewiesen, die die Sicherheitsinteressen der sich konstituierenden Nation gleichermaßen aufgreifen und sich jeder äußeren Bedrohung wirksam entgegenstellen konnte. Diese Forderung hatte in der Öffentlichkeit starken Rückhalt gefunden. Dort mündete sowohl die Kritik der proösterreichisch gesinnten »Großdeutschen« an der als »Verrat« qualifizierten Haltung Preußens im Italienkrieg als auch der Vorwurf der propreußisch orientierten »Kleindeutschen«, man habe in Wien gegenüber Napoleon III. zu schnell nachgegeben, in dem gemeinsamen Ruf nach einer Reform des Deutschen Bundes, in der die Reform seiner Sicherheitspolitik ausdrücklich einbezogen war455. Zweifellos hat der Aufschwung der deutschen Nationalbewegung nach dem italienischen Krieg, der 1859 vor allem in den Feierlichkeiten anläßlich des 100. Geburtstages Friedrich Schillers zum Ausdruck gebracht wurde und am 15./16. September 1859 zur Gründung des »Deutschen Nationalvereins« führte, den Reformforderungen zusätzliches Gewicht verhehen. Der sich in Distanz und Opposition zum Deutschen Bund konstituierenden deutschen Nationalbewegung, die nach 1830 in drei Strömungen, eine rheinpreußisch-liberale, eine süddeutsch-liberale und eine wenngleich keine nationale Größenordnung erreichende kleinbürgerlich-demokratische, zerfallen war456, gelang es nach 1859 noch einmal, politisch stärker an Profil zu gewinnen, indem sie die Ansprüche der Gesehschaft auf Sicherheit nach innen und außen, auf verfassungsmäßige Ordnung sowie Wirtschafts- und Rechtseinheit aufgriff —
—
433 456
Siehe dazu: Nipperdey, S. 697. Siehe dazu: Müller, Deutscher Bund und deutsche
Nationalbewegung.
222
II. Die
Sicherheitspolitik des Bundes und das europäische Gleichgewicht
Probleme, wenn auch in sich vielfach widersprechender Weise, einer zuzuführen bemüht war. Lösung Konkrete Schritte zu einer Reform des Deutschen Bundes jedoch konnten nach der gescheiterten Revolution von 1848/49 von der deutschen Nationalbewegung als einer »von unten« wirkenden Kraft zwar angeregt, nicht aber initiiert werden. So bheb es den traditionehen, auf staatlicher Autorität beruhenden Machtzentren im Bund überlassen, die Forderungen der Nationalbewegung aufzugreifen und bei ihr in dem Maße Rückhalt zu suchen, wie Veränderungen, die im nationalen Interesse lagen, angestrebt wurden. In Verfolgung dieses Zieles haben Österreich, die Staaten des sogenannten »Dritten Deutschland« und schließhch Preußen nach 1859 durchaus unterschiedliche Reformkonzeptionen entwickelt. Da war zum einen der Versuch der österreichischen Präsidialmacht, nach Jahrzehnten strikter Beharrung in der Deutschlandpolitik, auf der Grundlage einer großdeutschen Lösung die Handlungsfähigkeit des in seiner föderalistischstaatenbündischen Gestalt beizubehaltenden Deutschen Bundes durch Stärkung der bundesstaatlichen Elemente sowie der Exekutivrechte zu erweitern. Kaiser Franz Joseph I. war zu diesem Schritt durch die deutsche Nationalbewegung gedrängt worden. Wenn Wien seine Führungsrolle in Deutschland gegenüber Preußen verteidigen wollte, mußte es der Nationalbewegung mit Konzessionen entgegenkommen. Als zentrale Bundesorgane sah der österreichische Vorschlag ein aus den Vertretern Österreichs, Preußens, Bayerns sowie aus zwei turnusmäßig wechselnden Mitgliedern bestehendes Direktorium, die Versammlung aller deutscher Fürsten, sowie ein indirekt gewähltes Bundesparlament vor. Umfassender als 1815 sollten die Aufgaben dieses reformierten Bundes formuliert werden: nicht allein Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands, sondern auch Wahrung der »Machtstellung Deutschlands« nach außen sowie Schutz der »öffentlichen Ordnung« und Förderung der »Wohlfahrt der deutschen Nation«. Andererseits aber entsprach der österreichiund diese
sche Entwurf, indem er statt der geforderten parlamentarischen Mitsprache nur eine Scheinvertretung anvisierte, nicht den Vorstellungen der Nationalbewegung. Weiter sah er keine Parität für Preußen vor. Auf militärischem Gebiet bezog er gar die in den 50er Jahren halbherzig revidierte Bundeskriegsverfassung als Element in die neue Bundesverfassung ein. Damit lieferte Franz Joseph den Beweis, daß er an eine diesen Namen verdienende Weiterentwicklung der Militärorganisation des Deutschen Bundes nicht dachte457. Der österreichische Ansatz, der in Richtung Staatenbund wies, wäre allerdings noch ausbaufähig gewesen458. Er stand im Zusammenhang mit einer im Innern der Habsburgermonarchie nach 1859 eingeleiteten zaghaften Liberalisierungswehe und dem Abgehen Kaiser Franz Josephs I. von der neoabsolutistischen Regierungsform. Doch die österreichische Initiative, die von Franz Joseph 457 458
Siehe dazu: GStAPK, III. HA, Nr. 201, Bl. 49 v. Lutz, S. 444.
4.
Sicherheitspolitik zwischen Antagonismus und Bundesbruch
223
auf dem Frankfurter Fürstentag im August 1863 in einer Form, die an Überrumpelung erinnerte459, eingebracht wurde, scheiterte am Widerstand Bismarcks, zu einer dem es gelang, König Wilhelm I. gegen dessen innere ablehnenden Haltung zu bewegen. Damit war auch der Wirksamkeit des hinter großdeutschen Aspirationen stehenden, 1862 gegründeten »Deutschen Reformvereins« der Boden entzogen worden, der das österreichische Projekt unterstützend begleitet hatte. Nach dem durch Preußen verursachten Scheitern der Pläne Kaiser Franz Josephs I. geriet die österreichische Deutschlandpolitik in eine Sackgasse, aus der sie bis 1866 nicht mehr herausfand. Die Einbeziehung Österreichs in den deutschen Nationalverband wäre nunmehr allenfalls noch in Form einer Notlösung, nämlich eines deutschen Sonderbundes ohne Preußen durchsetzbar gewesen. Ein zweites Reformkonzept ging von den deutschen Mittelstaaten aus. Seit jeher weigerte sich die »Trias«, weder ein österreichisch-preußisches Duumvirat, noch eine preußische Hegemonie im Deutschen Bund zu dulden. Mit dem Ziel, sowohl der preußischen Herrschaft über Deutschland als auch einer »deutschen Repubhk« zu entgehen, zog man die »Freiheit ohne Einheit« der »Einheit ohne Freiheit« vor460. Deshalb setzten sich die führenden deutschen Mittelstaatsregierungen, die ihren Rückhalt vor allem im Lager der hberalkonstitutionellen Reformer fanden, seit den »Würzburger Konferenzen« von 1859461 verstärkt für eine föderative Reform des Bundes und eine Liberalisierung Deutschlands ein. Der sächsische Ministerpräsident Friedrich Freiherr v. Beust hatte bereits seit 1856 Denkschriften entworfen, in denen die Reform des Bundesrechts und die Erweiterung der Bundesgewalt vorgesehen waren462. Diese Initiativen zum einen der nationalen entsprangen der doppelten Bewegung Raum zu geben, zum anderen ein Erdrücktwerden der Mittel- und Kleinstaaten durch die beiden Vormächte zu verhindern463. Doch alle Vorstöße in dieser Richtung waren nach dem Krimkrieg an der Obstruktion der deutschen Vormächte sowie an der Uneinigkeit der Mittelstaaten gescheitert. Zwar suchten nach 1859 wiederum Beust und sein bayerischer Ministerkohege Ludwig Freiherr v. d. Pfordten die Bundeskompetenzen etwas auszubauen, andererseits glaubte man gerade in Dresden und München, das Gewicht des »Dritten Deutschland« an der Seite Österreichs stärker zur Geltung bringen zu können. Rechberg hat denn auch mit Rücksicht auf Berlin gegenüber der »Würzburger Linie« keine klare Stellung bezogen und Beust allenfalls bei seinen »guten Gesinnungen« zu erhalten gesucht464. Diese mittelstaathchen Initiativen einer Reform des Bundes zielten vor allem darauf, die nationalstaatliche Entwicklung, mit der eine Unterordnung der mit-
Überzeugung
Überlegung,
459 460 46i
«2 «3 4«
Ebd., S. 441^145; Buchner, Die deutsch-französische Tragödie, S. 140. Müller, Deutscher Bund, S. 70. Siehe dazu: E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd 3, S. 401-404. Fuchs, S. 86-122. Ebd., S. 187. Ebd., S. 183.
224
II. Die
Sicherheitspolitik des Bundes und das europäische Gleichgewicht
telstaatlichen Interessen unter die Nationalstaatsidee einhergegangen wäre, nicht zu fördern, sondern im Gegenteil verhindern zu helfen. Neben diese Stoßrichtung, die im Grunde eine Vertiefung der partikularistischen Zersplitterung bedeutete, trat zudem das Gerangel der Mittelstaaten untereinander, eine Erhöhung der eigenen Machtanteile im Bund durchzusetzen. Der Streit zwischen den Anhängern einer paritätischen Führung des »Dritten Deutschland«, die in Beust ihren Protagonisten besaßen, und den Befürwortern einer bayerischen Sonderstellung ließ die »Trias« schließhch wieder keine über die innere Diskussion hinausreichende, konstruktive politische Wirkung erlangen. Und auch der 1862 gemeinsam mit Österreich unternommene Versuch, wenigstens Preußen im Bund zu majorisieren und damit die Machtstellung des »Dritten Deutschland«, wenn auch im abwehrenden Sinne, zu dokumentieren, scheiterte an der Drohung der Hohenzohernmonarchie, den Bund mit dem eigenen Austritt zu sprengen465. Als 1863 gar das österreichische Reformprojekt eine Zurückweisung erfuhr und Wien in der Folge des Schleswig-Holstein-Konflikts noch einmal die Kooperation mit Berhn suchte, wurde den mittelstaatlichen Reformvorstellungen, die, weil sie auf dem Souveränitätsprinzip basierten, ohnehin keine in die Zukunft weisende nationale Perspektive geboten
hatten, jegliche Realisierungschance entzogen.
Die dritte Variante einer Bundesreform wurde von Preußen getragen. Seit Beginn der Existenz des Deutschen Bundes hatte Preußen eine dualistische Hegemonie im Bund durch Einflußteilung mit Österreich an der Mainlinie gesucht. Später war die Forderung nach politischer Gleichstehung mit Wien, einem alternierenden Bundespräsidium, dem Vetorecht beider deutscher Vormächte in Frankfurt sowie einer Reform der Sicherheitspolitik des Bundes und seiner Kriegsverfassung hinzugekommen. Parallel zu den im Oktober 1860 in Warschau unternommenen, schließhch aber erfolglos gebliebenen Bemühungen des Zaren, des österreichischen Kaisers und des preußischen Prinzregenten, angesichts der latenten Bedrohung durch das Frankreich Napoleons III. zu einer Wiederherstellung der »Heiligen Allianz« zu gelangen466, war es auch zu einer kurzzeitigen diplomatischen Annäherung und seit Dezember 1860 sogar zu bilateralen Mihtärverhandlungen zwi-
schen den beiden deutschen Vormächten gekommen467. Noch einmal hatte sich Berlin bemüht, die Abgrenzung der müitärischen Machtstellung Preußens und Österreichs im Bund mit dem Wunsch nach einem »Alternat« im Vorsitz des Bundestages zu verbinden, um auf dieser Grundlage ein Defensivbündnis mit Wien abzuschließen. Ganz im Sinne Rechbergs, aber nicht dessen Motive teilend, plädierte Moltke, der für eine militärische Zusammenarbeit mit Österreich eintrat, in den Verhandlungen dafür, Österreich seine ihm verbhebenen Besitzungen in Itahen zu garantieren und an diese Garantie eine österreichische Hil463 466
467
Nipperdey, S. 707.
Buchner, Die deutsch-französische Tragödie, S. 95 f. Ebd., S. 97 f.; E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd 3, S. 404-407.
4.
Sicherheitspolitik zwischen Antagonismus und Bundesbruch
225
feverpflichtung für den Fall eines französischen Angriffs am Rhein, auf Belgien oder die Schweiz zu koppeln. In den Geheimvereinbarungen von Tephtz vom 26. Juli 1860 verpflichtete sich Preußen schheßlich, Österreich bei einem provozierten Angriff Italiens oder Frankreichs auf Venetien Beistand zu leisten468. Gleichzeitig vereinbarten beide deutsche Vormächte, zum Prinzip der Vorverständigung zurückzukehren. Weitergehende Verhandlungsziele scheiterten jedoch an der Weigerung Wiens, Preußen eine gleichberechtigte Stellung im Bund zuzugestehen. Damit war eine weitere Chance vertan, den Antagonismus der beiden deutschen Vormächte auf der Grundlage einer Abgrenzung der machtpolitischen und militärischen Einflußsphären und einer gemeinsamen, von antifranzösischen Bedrohungsperzeptionen getragenen außenpolitischen Linie zu überwinden. Auch das von Franz Joseph I. vorgestellte österreichische Reformkonzept von 1863 entzog sich den preußischen Forderungen nach Gleichberechtigung. Deshalb hatte Bismarck in Auseinandersetzung mit ihm die Vorschläge des Kaisers durch sein Eingehen auf die Forderung des pohtischen Liberalismus nach einem direkt gewählten, nationalen Parlament konterkariert und damit Bewegung nicht zuletzt in die nationalpolitischen Vorstellungen der Hohenzohernmonarchie gebracht469. Zur Kenntnisnahme für die Bundesversammlung bestimmt, schlug Preußen am 5. September 1863 die Einrichtung einer Bundeszentralgewalt unter gleichzeitiger Einführung eines nach Kopfzahl gewählten Bundesparlaments vor. Dieses Parlament war als Gegengewicht zur Bundesexekutive gedacht worden und sollte eine beratende Funktion erhalten470. Auf militärischem Gebiet forderte Preußen, die Kompetenzen der Bundesmilitärkommission
zu erweitern. Jeder deutsche Staat sollte in dieses Gremieinen Militärbevollmächtigten entsenden. Um auch in Mihtärangelegenheiten eine Gleichberechtigung mit Wien zu erreichen, beantragte Preußen, dem österreichischen Vorsitzenden einen weiteren preußischen Offizier als Protokollführer zur Seite zu stellen471. Ungeachtet aher machtstaatlichen Ambitionen schienen die Ideen der Nationalbewegung von Preußen wirksamer aufgegriffen zu werden als von jeder anderen deutschen Regierung. Deshalb konnte Berlin im »Deutschen Nationalverein«, der mehrheithch an die kleindeutsche und liberale Tradition der Reichsverfassung von 1849 anknüpfte und mit dem badischen Minister Franz Freiherr v. Roggenbach auch im Lager des »Dritten Deutschland« einen Fürsprecher besaß, einen wirksamen Verbündeten finden. Als Notlösung für den Fall der Blockierung der eigenen nationalen Vorstellungen schlug Preußen die bewährte Taktik der Lähmung und notfalls Sprengung des Bundes ein. Bereits seit Mitte der 50er Jahre hatte die Drohung mit dem Bundesbruch eine konstante Größe im Repertoire der preußischen Bundesum
468 469 47°
47i
Abgedr. in: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd 2, S. 112 f. Lutz, S. 445 f.
Preußische Promemoria Ebd.,Bl. 29.
vom
5.9.1863, in: GStAPK, III. HA, Nr. 201, Bl. 33-45 v.
226
II. Die Sicherheitspolitik des Bundes und das europäische Gleichgewicht
politik gespielt. Mit Bismarck wurde diese ursprünghche Notvariante des Bun-
desbruchs indes um ein neues Element bereichert, denn Österreich sollte seiner Auffassung nach endlich aus dem deutschen Nationalverband ausgeschlossen
werden. Unter diesen Voraussetzungen eines fehlenden nationalpolitischen Konsenses im Deutschen Bund haben die auch nach der ersten Revision der Bundeskriegsverfassung im Jahre 1855 unternommenen Versuche, seine Müitär- und Sicherheitspolitik auf eine feste Grundlage zu stellen, von vornherein erheblich an Wirkungskraft verloren. Parallel zu den seit 1859 in den deutschen Einzelstaaten initiierten Verbesserungen des Mihtärsystems und der Truppenorganisation, die das Militärwesen an die Entwicklungen der Zeit anzupassen versuchten und freilich abgesehen von Preußen bis 1866 nicht mehr voll wirksam wurden472, bemühten sich vor ahem die deutschen Mittelstaaten, die Reform der Bundeskriegsverfassung weiterzuführen. Den konkreten Hintergrund dafür bildeten die mit der Politik Napoleons III. verbundenen antifranzösischen Bedrohungsperzeptionen, die vor ahem unter den an Frankreich grenzenden süddeutschen Mittelstaaten starke Verbreitung fanden. In den Monaten November und Dezember 1859 hatten sich die Vertreter der Mittelstaaten während der »Würzburger Konferenzen« auf eine Erklärung geeinigt, die namentlich die Verhältnisse der gemischten Bundesarmeekorps berührte und ständige Korpskommandanten für diese vorsah473. Weiter suchte man die Einheithchkeit der im Korpsverband zusammengeführten Kontingente durch Einführung durch gemeinsame Militärbildungsanstalten und Munition im infanteristischen Bereich Kaliber und sowie gleicher Sigleicher zu fördern474. Die Kommandanten der gemischten Armeekorps, so wurde gnale im Frieden über eine schnelle Zusammenziesollten sich bereits beschlossen, ihnen anvertrauten und der Aufstellung Bundeskontingente verständihung Während zunächst die heikle gen. Oberbefehlshaberfrage aus dem Spiel blieb, entbrannte statt dessen ein fruchtloser Streit um die von Beust vorgeschlagene erneute Aufteilung der Reserveinfanteriedivision. Dieser Vorschlag, der eine Verstärkung der gemischten Armeekorps vorsah, stieß auf den massiven Protest der Kleinstaatregierungen. Stehvertretend für diese Gruppe hatte der altenburgische Minister Karl v. Larisch, der sich einer Unterordnung seines Kontingents unter sächsischen Befehl widersetzte, von der Unmöglichkeit gesprochen, »daß ein kathohsch sächsischer Offizier altenburgische Truppen befehhge«. Seiner Auffassung nach bedeutete ein solches Projekt die Mediatisierung der —
—
Übungen,
Kleinstaaten475.
Nicht allein das renitente Beharrungsstreben der kleinsten Bundesglieder, die sich auf das ihnen in der Bundesakte verbriefte Souveränitätsprinzip berie472
473 474
475
Siehe dazu: Helmert, Militärsystem und Streitkräfte, S. 187. Siehe dazu: E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd 3, S. 401 f. Fuchs, S. 162. Ebd.
4.
Sicherheitspolitik zwischen Antagonismus und Bundesbruch
227
fen, sondern auch der von Bayern immer wieder
unternommene Versuch, das zu vereinen und die Staaten des »Dritten Unvereinbare unter seiner Deutschland« unter die eigene Obhut zu nehmen, drohte von vornherein, die Verhandlungen der Mittel- und Kleinstaaten zu keinem greifbaren Resultat gelangen zu lassen. Auf militärischem Gebiet hatte sich die von Bayern angestrebte Sonderrohe unter anderem in dem Bestreben gezeigt, den Oberbefehl über alle gemischten, »rein deutschen« Armeekorps des Bundes zu erlangen. Den Gedanken, daß Bayern als die größte »rein deutsche Militärmacht« zur Führung der Mittel- und Kleinstaaten berufen sei, um einen natürlichen Ausgleich zwischen dem Norden und dem Süden Deutschlands herzustellen, hat König Maximilian II. seit seiner Inthronisation im Jahre 1848 vertreten. Dabei war ihm durch v. d. Pfordten immer prinzipiell zugestimmt worden. Doch der Widerstand im mittelstaatlichen Lager gegen jegliche Unterordnung war immer so stark geblieben, daß Bayern mit seinen Vorstellungen nicht durchdrang. Als die sich gegenseitig blockierenden Teilnehmer der Würzburger Konferenz am 17. Dezember 1859 endlich ihre schließlich bis zur Bedeutungslosigkeit entstellten Anträge zur Verbesserung des Bundesmilitärwesens bei der Bundesversammlung einbrachten476, verwies man diese Vorschläge an die Ausschüsse, wo sie zumeist aus dem Stadium ewiger Beratung nicht herausgekommen
Ägide
sind477.
Vor dem Gremium der Bundesmilitärkommission, die die mittelstaatliche Initiative aufgreifen mußte, setzte Preußen die Frage nach dem Oberbefehl auf die Tagesordnung und brach damit erwartungsgemäß den letzten Zusammenhalt unter den Mittelstaaten auf. Indem er die Initiative an sich zog, forderte der Militärbevollmächtigte Preußens, Generalleutnant Ernst Dannhauer, der vom Bevollmächtigten des 10. Armeekorps, Oberst Schultz, unterstützt wurde, am 29. Februar 1860 eine »durchgreifende, die organischen Bestimmungen mit umfassende Revision« der Bundeskriegsverfassung478. Angesichts der durch die französischen Rüstungen und den Italienkrieg hervorgerufenen Instabihtät Europas schlugen beide in ihrem gemeinsamen Vortrag unter anderem vor, endlich die Oberbefehlshaberfrage, den Erfahrungen folgend, im Sinne einer doppelhegemonialen Lösung zu klären. Auch Württemberg hatte deutlich gemacht, aufgrund seiner exponierten geographischen Lage nunmehr bereit zu sein, sich notfahs preußisch-österreichischer Oberleitung unterordnen zu wollen. Diese Stellungnahme wiederum war in München und Dresden als »Verrat« an der gemeinsamen mittelstaatlichen Sache gewertet worden. Pfordten hatte sich zu der Erklärung gedrängt gefühlt, daß Bayern sich vom Bunde lösen und seine Allianzen notfalls nach seinem eigenen Geschmack wählen müsse, falls sich eine der deutschen Großmächte der Bundesverfassung zu entziehen su47* 477
478
Prot.-BV 1859,40. Sitzung vom 17.12., § 357. Fuchs, S. 170. Vortrag des preußischen Bevollmächtigten und des Bevollmächtigten des 10. Bundesarmeekorps zur Revision der Bundeskriegsverfassung, in: BMK-Prot. 1860, 5. Sitzung vom 1.3. Siehe auch: Keul, S. 129-131.
228
II. Die
Sicherheitspolitik des Bundes und das europäische Gleichgewicht
ehe479. Diese Drohung wandte sich vor ahem gegen jegliche substantiehe Verän-
derungen der Sicherheitspohtik des Bundes sowie seiner Kriegsverfassung, wie sie von Preußen durch ein latentes Abgehen vom Souveränitätsprinzip angestrebt wurden. König Maximilian II. hingegen hatte dasselbe Problem in seiner Art auf den Punkt gebracht, als er leidenschaftlich versprach, sich weder mediatreten zu lassen oder gar zu erlauben, daß sein und Friedenszeiten einem anderen Kriegsherrn un-
tisieren, noch auf die Füße
bayerisches
Heer in
Kriegs-
terstellt würde480. Nachdem Oberst Schultz, dem Druck der Mittelstaaten nachgebend, im März von einem Teil seiner Vorschläge abgewichen war, indem er wiederum die Notwendigkeit eines einheitlichen Oberbefehls für die Bundeskontingente befürwortete, ließen die übrigen Militärbevollmächtigten des Bundes die nunmehr allein preußische Initiative im Aprü 1860 ins Leere laufen. In ihrem abschließenden Gutachten konnte die Bundesmilitärkommission daraufhin noch einmal mehrheitlich feststellen, daß die »allgemeinen Umrisse« und »näheren Bestimmungen« der Bundeskriegsverfassung überhaupt »nicht revisionsbedürftig« seien481. Damit war erneut deutlich geworden, daß die Vorstellungen der einzelnen Bundesglieder in Abhängigkeit zu den entgegenlaufenden bundespolitischen Konzeptionen auch im militar- und sicherheitspolitischen Bereich stark divergierten und so die Möglichkeit substantieller Reformen auch weiterhin abgeschnitten blieb. Nach dem durch Widersprüche in der Oberbefehlshaberfrage erneut hervorgerufenen Scheitern der Revisionsverhandlungen zur Bundeskriegsverfassung hatte der hannoveranische Außenminister Adolf Graf v. Platen zu Hahermund angeregt, jetzt schon einen gemeinsamen mittelstaatlichen Feldherrn zu bestimmen, da die Gefahr bestünde, daß Preußen die Bundeskriegsverfassung zerreiße482. Auch Beust, der in dem Versuch Preußens, eine Einflußteilung der beiden deutschen Vormächte am Main zu erreichen, eine Zerreißung Deutschlands in Nord und Süd erblickte, die entweder den deutschen Fürsten das Regieren im eigenen Hause unmöglich mache oder sie notgedrungen in einen neuen Rheinbund treibe, befürwortete eine erneute Verständigung der deutschen Mittelstaaten, um derartigen Tendenzen entgegenzuwirken^. Unter diesen, von scharfen Frontstellungen geprägten, bundespolitischen Voraussetzungen konnte das darauf folgende erneute Zusammentreffen von Vertretern aus Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hannover, Hessen-Kassel, Hessen-Darmstadt, Mecklenburg-Schwerin und Nassau zu militärischen Verhandlungen in Würzburg vom 31. Juli bis 5. August 1860 nur ganz begrenzte, allenfalls für die Mittel- und Kleinstaaten gültige Ergebnisse zeitigen484. Dem 479 «o 48i 482
483 484
Fuchs, S. 171. Ebd. Siehe dazu: Keul, S. 131-137; GStA Merseburg, Rep. 75 D, Nr. 100, unfoliert. Fuchs, S. 171. Ebd. Zusammenfassung der Verhandlungen und Ergebnisse der »Würzburger Konferenz«
4.
Sicherheitspolitik zwischen Antagonismus und Bundesbruch
229
die Verhandlungen leitenden bayerischen Generalleutnant v. d. Mark gelang es aber immerhin, die anwesenden Mihtärs auf gemeinsame Prinzipien zur Einteilung, Führung und Aufstellung der gemischten Armeekorps des Deutschen Bundes im Falle eines Krieges gegen Frankreich festzulegen und damit die deutschen Mittelstaaten im militärorganisatorischen Bereich mit dem Ziel zusammenzufassen, unter Rückgriff auf die »Trias« ihr spezifisches Gewicht innerhalb der deutschen Militärorganisation zu wahren. In Weiterführung bisher gültiger sicherheitspolitischer Auffassungen hatten sich die anwesenden Militärs wiederum auf eine offensive Verteidigung der für besonders gefährdet angesehenen süddeutschen Region geeinigt. Die hierfür notwendige operative Aufstellung jedoch verdeutlichte sofort das militar- und sicherheitspolitische Dilemma, in dem sich die Mittelstaaten des Bundes befanden. Vorgesehen war, »die erste Aufstehung möglichst vorwärts auf dem linksrheinischen Gebiet und womöglich im Anschlüsse an eine der Armeen der beiden Deutschen Großmächte« zu nehmen. Mit dieser Formulierung war erneut die Notwendigkeit für die Mittelstaaten unterstrichen worden, sich im Kriegsfall dem Schutz der deutschen Vormächte vollständig anzuvertrauen und auf eine selbständige Verteidigungsstrategie zu verzichten. Deshalb gestanden die Verhandlungsteilnehmer den deutschen Vormächten im Paragraph 1 der abschließenden Konvention vom 5. August auch gezwungenermaßen das Recht zu, »die Ernennung und Bestellung des obersten Befehlshabers« für das Bundesheer unter der Bedingung, daß diese wenigstens »mit größeren Teilen ihrer außerdeutschen Heeresmacht über ihre Bundespflicht in den Kriegsfall eintreten« würden, selbst vorzunehmen. Darüber hinaus aber war man sich im Paragraph 5 einig geworden, eine Zersplitterung der mittelstaatlichen Kräfte unbedingt zu vermeiden und das 7.-10. Bundesarmeekorps »unter allen Umständen« zuerst einem gemeinsamen Befehl zu unterstellen. Zweifelhaft allerdings blieb, ob die Interessen der deutschen Mittelstaaten im Ernstfall einer gemeinsamen Linie unterzuordnen waren und der vorgesehene Wahlmodus die Aussicht auf praktische Reahsierbarkeit eröffnete. Bayern strebte, da es das Hauptkontingent der Mittelstaaten stellte, ganz offen das Kommando an. Ob aber der greise König Wilhelm I. von Württemberg, der sich als Veteran des nationalen Unabhängigkeitskrieges von 1813 in militärischen Fragen für besonders kompetent hielt, freiwillig verzichtet hätte, ist fraglich. Zur Sicherung der Schlagfertigkeit der vier mittelstaatlichen Bundesarmeekorps hatten sich die Militärbevollmächtigten im Paragraph 8 weiter geeinigt, daß »diese Korps binnen vierzehn Tagen nach angeordneter Mobilmachung auf den Sammelplätzen zur Verfügung des Oberbefehlshabers stehen« sollten, um nach weiteren sechs bis sieben Märschen zum Beginn der Operation bereit zu sein. Weiter versprachen sie, die näheren Einzelheiten der inneren Organisation der vier Armeekorps, Durchmarschrechte, Bahnbenut31.7. bis 5.8.1850, Würzburger Konvention vom 5.8.1850, in: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd 2, S. 11 f.; in: GStA Merseburg, Rep. 75 D, Nr. 106. vom
230
II. Die
Sicherheitspolitik des Bundes und das europäische Gleichgewicht
zung sowie Quartierbeschaffung und rungen einer Klärung zuzuführen.
Verpflegung, in separaten Folgevereinba-
Mit den Würzburger Verhandlungen war erneut deutlich geworden, wie eng der Spielraum der Mittelstaaten für eine Reform der Bundeskriegsverfassung gezogen war. Von ihrer Seite konnte man die Durchsetzung grundlegender Schritte in dieser Richtung nicht erwarten. Aber auch auf Bundesebene war der Versuch, das Bundesmihtärwesen zu reformieren, schließhch steckengeblieben. Zwar hatten die Bundesbehörden im Jahre 1861 den Unterschied zwischen Haupt- und Reservekontingent endgültig aufgehoben und die Stärke des Hauptkontingents auf eineinhalb sowie die des Ersatzkontingents auf ein Drittel Prozent der Matrikel erhöht. Auch war 1861 die mit Unterbrechungen beinahe vier Jahrzehnte währende Arbeit der Bundesmihtärkornrnission am Entwurf eines einheitlichen Verpflegungsreglements endlich erfolgreich abgeschlossen worden, so daß dieses Reglement erstmahg 1863 für die Bundestruppen in Holstein wenn auch provisorisch in Anwendung gebracht werden konnte. Daneben waren ab 1859 einige Kommissionen, wie die Artülerie-Beratungs-Kommission, die die Artiüerieausrüstungen der Bundesfestungen zu überprüfen und zu ergänzen hatte, eine Spezialkommission für Eisenbahnen, die im Frühjahr und Sommer 1861 die Hauptverkehrshnien des Bundes auf ihre militärische Leistungsfähigkeit untersuchte, sowie auf Initiative der Mittelstaaten eine preußische Küstenbefestigungskommission, deren Aufgabe in der Planung wirksamer Küstenbefestigungen an Nord- und Ostsee bestand, geschaffen worden485. Doch ungeachtet dieser kleinen Fortschritte, die sich auch in den Bemühungen zur Vereinheitlichung der Artillerie und Handfeuerwaffen niederschlugen, scheiterten in den letzten Existenzjahren des Deutschen Bundes alle Versuche, im Rahmen der Bundeskriegsverfassung das Bundesmihtärsystem gründlich zu reformieren und es den Erfordernissen moderner Kriegführung anzupassen. Damit war die Erfahrung bestätigt worden, daß auf der Basis des Bundesrechts die Fähigkeit des Deutschen Bundes trotz zunehmender äußerer Bedrohung seit dem Krimkrieg immer mehr abgenommen hatte, seine Sicherheitspolitik auf die veränderten Bedingungen in Europa einzustellen. Die Ansprüche der Gesellschaft auf Sicherheit nach außen wiesen aber zwingend auf eine Veränderung dieses unhaltbaren Zustandes hin. Doch zunächst rückte noch einmal ein europäischer Konflikt in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. —
—
b. Bundesexekution und Preußisch-Österreichischer Krieg gegen Dänemark 1863/64 Das ungelöste deutsch-dänische Nationalitätenproblem war auch nach dem zweiten Londoner Protokoll von 1852486 weiter latent geblieben. Bereits unter 483 486
Siehe dazu: Helmert, Militärsystem und Streitkräfte, S. 189-195. Text in: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd 1, S. 610 f.
4.
Sicherheitspolitik zwischen Antagonismus und Bundesbruch
231
Friedrich VII. hatte sich die Sezession Holsteins vom Deutschen Bund abgezeichnet. Mit der Unterschriftsleistung unter eine eiderdänische Gesamtstaatsverfassung am 18. November 1863, die die Einverleibung Schleswigs und die Trennung von Holstein vorsah, hatte jedoch sein Nachfolger, Christian EX., dem Druck der Eiderdänen nachgebend, das europäische Vertragsrecht verletzt und weiter die deutsche Nationalbewegung auf den Plan gerufen, die nunmehr in Anknüpfung an die Forderung von 1848 die endgültige Loslösung beider Eibherzogtümer von Dänemark und, entgegen dem zweiten Londoner Protokoll, die Ablösung der regierenden Glücksburger durch die Augustenburger Erbfolge verlangte487. Der klar gegebene Bruch der Londoner Verträge durch Dänemark rückte indes das deutsch-dänische Problem seit 1863 erneut in das Zentrum der europäischen Politik. Zur Sicherung der Integrität Dänemarks wie zur Bewahrung des europäischen Rechts hatte Großbritannien den Zusammentritt einer Konferenz der Signatarmächte der Londoner Verträge vorgeschlagen und gleichzeitig veranlaßt, daß Dänemark am 12. Januar 1864 um eine Vermittlungsaktion der europäischen Großmächte nachsuchte488. Gegen das von Palmerston, der eine prodänische Haltung eingenommen hatte, gewünschte schroffere, notfahs auch militärische Vorgehen jedoch setzte sich die Friedenspartei um Königin Victoria und der Teüe des Regierungsestabhshments durch, die eine der Neutrahtät zuneigende Position Englands in der dänischen Angelegenheit bevorzugte489 und den dänischen Gesamtstaat schließlich seinem Schicksal überließ. Frankreich hielt sich in der dänischen Frage auffallend zurück. Offensichtlich war Napoleon III. bemüht, über eine Annäherung an Preußen die während des polnischen Aufstands im Frühjahr 1863 deutlich gewordene Isoherung seines Landes zu durchbrechen. Den enghschen Vorschlag einer gemeinsamen bewaffneten Vermittlung hatte Napoleon abgelehnt und somit Österreich und Preußen Gelegenheit gegeben, in Schleswig-Holstein militärisch zu intervenieren. Auf der Londoner Konferenz, die vom 25. April bis zum 25. Juni 1864 das Ziel der Wiederherstellung des Friedens auf der Grundlage einer europäischen Übereinkunft anstrebte, wurde deutlich, daß Napoleon III. mit Bhck auf eventuelle Kompensationen am Rhein gegen die Aufgabe der Integrität des dänischen Gesamtstaates sowie eine Annexion schleswig-holsteinischer Gebiete durch Preußen nichts einzuwenden hatte490. Rußland hat sich in Verfolgung seiner nach dem Krimkrieg eingeleiteten außenpolitischen Neutrahtätslinie auch in der dänischen Krise von 1863/64 im Gegensatz zu 1848 bis 1852 nicht sonderlich engagiert. Zwar beobachtete Gortschakow mit zunehmendem Mißtrauen und persönhchen Vorbehalten die Er-
folge Bismarcks; Zar Alexander II. jedoch, der eigenthch eine Veränderung der europäischen Machtgewichte zu vermeiden suchte, war desungeachtet bereit, 487 488
489 490
Nipperdey, S. 770-777. Siehe dazu: Poidevin/Bariéty, S. 90-92. Nipperdey, S. 773 f. Ebd., S. 772 f.; Poidevin/Bariéty, S. 91.
232
II. Die
Sicherheitspolitik des Bundes und das europäische Gleichgewicht
in konservativer Solidarität und Freundschaft mit Preußen eine Veränderung des Status quo in der dänischen Angelegenheit zugunsten der Hohenzohernmonarchie hinzunehmen. Zweifellos hatte dafür die Rußland unterstützende preußische Haltung während des polnischen Aufstandes, der im Januar 1863 ausgebrochen war491, vor allem der Abschluß einer gemeinsamen russischpreußischen Militärkonvention am 8. Februar 1863, die gegen den Protest Napoleons m. eine gegenseitige, auch grenzüberschreitende Hilfe bei der Verfolgung der Aufständischen vorsah492 und damit die Berliner Regierung in den Augen St. Petersburgs besonders empfahl, den Ausschlag gegeben. Künftig konnte Bismarck davon ausgehen, daß der Zar seine wohlwohend neutrale Haltung gegenüber Preußen nicht nur in der dänischen Angelegenheit, sondern über eine weite Strecke auch auf eine preußische Lösung der deutschen Frage anzuwenden gedachte493. Der Deutsche Bund und damit seine beiden Vormächte waren durch den Versuch Christians IX., Schleswig staatsrechthch von Holstein zu trennen, direkt berührt. In der liberalen und demokratischen Öffentlichkeit Deutschlands hatte dieser Schritt des Glücksburgers Empörung ausgelöst und dazu geführt, daß dort die im Londoner Protokoll festgelegte Thronfolge der Glücksburger zugunsten des bereitstehenden Augustenburger Prätendenten Friedrich VIII. in Frage gestellt wurde. Somit standen Preußen und Österreich vor dem schwierigen Problem, sich in dem Widerspruch, der sich zwischen europäischem Vertragsrecht und dem Wihen der sich konstituierenden deutschen Nation auftat, zu
positionieren.
In den Monaten November und Dezember 1863 hatten sich Bismarck und sein österreichischer Amtskollege Rechberg darauf geeinigt, an den Londoner Protokollen festzuhalten und Dänemark notfalls gewaltsam zu deren Einhaltung zu zwingen. Eine Parteinahme für den Augustenburger Kandidaten sollte demnach vermieden werden494. Mit dieser Entscheidung, die die beiden deutschen Vormächte gegen den Wülen der öffentlichen Meinung, aber auch gegen den der anderen Gliedstaatregierungen durchsetzten, waren Berlin und Wien ein letztes Mal zu einer dualistischen Hegemonialpolitik im Bund zurückgekehrt. Bereits am 1. Oktober 1863, gleich nach der dänischen Ankündigung, die Sezession Holsteins aus dem Deutschen Bund vornehmen zu wollen, hatte der Bundestag mehrheitlich die Bundesexekution gegen Holstein beschlossen495. Österreich, Preußen, Sachsen und Hannover waren mit dem Vollzug der Exekutionsbeschlüsse betraut worden. Während die beiden deutschen Mittelstaaten 6 000 Mann Bundestruppen und je einen Zivhkommissar für die Zwangsverwaltung Holsteins bereitzustellen hatten, waren Österreich und Preußen be49i
492 493 494
493
Siehe dazu: Buchner, Die deutsch-französische Tragödie, S. 124-128. Zur Alvenslebenschen Konvention: Buchner, S. 126; Nipperdey, S. 769. Nipperdey, S. 770. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd 3, S. 462. Siehe dazu: ebd., S. 459^186.
4.
auftragt, greifen.
erst im
Sicherheitspolitik zwischen Antagonismus und Bundesbruch
233
Fähe dänischen Widerstandes als militärische Reserve einzu-
Nach dem Verstreichen einer siebenwöchigen Frist waren seit dem 23. Dezember 1863 sächsisch-hannoveranische Exekutionstruppen unter dem Befehl des sächsischen Generalleutnants Heinrich v. Hake in Holstein eingerückt und hatten binnen einer Woche die Eiderlinie mit Ausnahme der Festung Rendsburg besetzt. Den Truppen waren die Bundeskommissare Hans Graf v. Könneritz und Ferdinand Nieper gefolgt, die Holstein und Lauenburg der vom Bund geforderten Zwangsverwaltung unterstellten. Mit der Besetzung der Eiderhnie hatte der Bund jedoch noch nicht vollständig dem europäischen Vertragsrecht, das die Untrennbarkeit der beiden Eibherzogtümer vorsah, Geltung verschafft. Deshalb stand die Bundesversammlung vor dem Problem, völkerrechtliche Zwangsmittel anwenden zu lassen, die über das Bundesgebiet hinausreichten. Damit war wiederum die Frage nach dem »jus ad bellum« des Deutschen Bundes angesprochen. An den Schritt der Erklärung eines Bundeskrieges gegen Dänemark jedoch knüpften die den Bund konstituierenden Staaten durchaus unterschiedliche Erwartungen: Während Preußen und Österreich den dänischen König Christian IX. zunächst lediglich zur Einhaltung der Verträge zwingen wollten und aus diesem Grund eine »Pfandbesetzung« Schleswigs befürworteten, neigten die deutschen Mittelstaaten dazu, von der demokratischen und liberalen Öffenthchkeit aufgefordert, die Annexion beider Eibherzogtümer von Dänemark und damit eine Einverleibung Schleswigs in den Bund durchzusetzen496. Mit der Etablierung eines neuen Mittelstaates »Schleswig-Holstein« im Norden sohte das Gewicht des sogenannten »Dritten Deutschland« gegenüber den beiden deutschen Vormächten ausgebaut werden. Gegen diese Auffassung, die vor dem Gremium der Bundesversammlung allerdings die Mehrheit repräsentierte, beschlossen Österreich und Preußen in einer zweiseitigen Punktation, die zuvor als Antrag vor dem Bundestag eingebracht worden und dort am Widerstand des »Dritten Deutschland« gescheitert war, am 17. Januar 1863 ein gemeinsames Vorgehen zur »Pfandbesetzung« Schleswigs497. Mit einem solchen Schritt verbanden Österreich und Preußen jedoch ganz unterschiedliche politische Vorstehungen. Während Rechberg die Integrität des dänischen Gesamtstaates zu bewahren suchte, knüpfte Bismarck eine derartige Garantie an das nicht zu erwartende vollständige Nachgeben Dänemarks. Bereits am 16. Januar, einen Tag vor Abschluß der österreichischpreußischen Punktation, hatten Berlin und Wien die dänische Regierung aufgefordert, »binnen 48 Stunden die Novemberverfassung aufzuheben«. Die ablehnende Antwort aus Kopenhagen führte seit dem 1. Februar mit der Überschreitung der Eider durch die Verbündeten unter dem Kommando des preußischen Generalfeldmarschahs v. Wrangel zum Beginn der österreichisch-preußi49 497
Ebd., S. 469. Text in: Dokumente zur deutschen
Verfassungsgeschichte, Bd 2, S. 193-195.
234
II. Die Sicherheitspolitik des Bundes und das europäische Gleichgewicht
sehen Okkupation Schleswigs. Bismarck hatte sich für diesen Fall gegenüber Dänemark die Handlungsfreiheit Preußens vorbehalten und damit bereits annexionistische Ziele nicht ausgeschlossen. Mit der durch den österreichisch-preußischen Alleingang gegebenen Brüskierung des Bundes gewann die Haltung der übrigen deutschen Bundesstaaten vorübergehend wieder an Gewicht. In diesem Bewußtsein verweigerten Bayern und Sachsen, die führenden Mächte der »Trias«, den Durchmarsch österreichischer Truppen durch ihr »souveränes Staatsgebiet«. Aus diesem Grund mußten die österreichischen Kontingente über Breslau und Berlin an ihren Bestimmungsort geleitet werden498. Als am 21. Januar die österreichisch-preußischen Kontingente auf ihrem Weg nach Schleswig in Hamburg, Lübeck, Eutin und Holstein eingerückt waren, glaubte der sächsische General v. Hake, diesem Vorgehen Einhalt gebieten zu müssen. Doch er erhielt vom Bund, der in dieser Situation vollends nachgab, am 22. Januar Order, die verbündeten Truppen unbehelligt passieren zu lassen499. Wieder einmal hatte sich die Reaktion des »Dritten Deutschland« gegenüber dem eigenmächtigen Vorgehen der beiden Vormächte des Bundes auf letztheh wirkungslos bleibende Gesten beschränkt. Gegen den Widerstand Österreichs und Preußens erwiesen sich die deutschen Mittel- und Kleinstaaten auch jetzt nicht in der Lage, eigenständige politische Ziele durchzusetzen. Der militärische Verlauf des von Österreich und Preußen getragenen Krieges war indes wenig spannend. Wie vorauszusehen, gelang es den verbündeten Truppen innerhalb weniger Tage, Schleswig bis auf Düppel und Alsen zu besetzen. Im Auftrag der beiden Okkupationsmächte installierten der österreichische Offizier Friedrich Graf Reverterá v. Salandra und der preußische Verwaltungsbeamte Konstantin Freiherr v. Zedhtz-Neukirch in Schleswig ein Besatzungsregime, während in Holstein die Verwaltung durch die beiden vom Bund eingesetzten Kommissare zunächst bestehen bheb. Auf europäischem Parkett hatten sich die Unterzeichnerstaaten der Londoner Protokolle sowie der erst- und letztmahg auf einer Konferenz der europäischen Großmächte vertretene Deutsche Bund, dessen Gesandter Beust die augustenburgische Lösung empfahl, vom 25. April bis zum 25. Juni 1864 in London um die Wiederherstehung des Friedens bemüht. Da sich Kopenhagen jedoch in der illusionären Hoffnung auf eine prodänische Intervention der Großmächte strikt weigerte, dem österreichisch-preußischen Vorschlag einer Verbindung der Herzogtümer in Personalunion mit Dänemark zuzustimmen, und im übrigen durch die nach dem Fah der Düppeler Schanzen am 18. April erfolgte Besetzung Jütlands am 30. April vollendete militärische Tatsachen500 geschaffen wurden, neigte die Mehrheit der in London versammelten Konferenz498 499 500
E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd 3, S. 472. Ebd. Zum militärischen Verlauf aus österreichischer Sicht: Der Krieg in Schleswig und Jutland; aus preußischer Sicht: Der Deutsch-dänische Krieg 1864; zusammenfassend: Moltke, Kurze Uebersicht; aus der Sicht eines sächsichen Kriegsteilnehmers: Pflug.
4.
Sicherheitspolitik zwischen Antagonismus und Bundesbruch
235
teilnehmer bald dazu, die eingetretenen Veränderungen zu akzeptieren und die Integrität des dänischen Gesamtstaates nicht mehr als Verhandlungsziel anzusteuern. Nach ergebnislosen Gesprächen einigte man sich in London am 12. Mai wenigstens darauf, einem bis zum 26. Juni befristeten Waffenstillstand zuzustimmen und unterdessen weiterzuverhandeln. Sofort nach Verstreichen der Frist wurde, da man in London noch immer keine Einigung erreicht hatte, der Angriff der österreichisch-preußischen Truppen erneuert. In der Zwischenzeit war Bismarck gegenüber Rechberg mit offenen, auch von Napoleon III. unterstützten Annexionsabsichten herausgerückt. Obgleich dies ernsthaft mit der von Wien vertretenen Position kollidierte, hatte sich auch Rechberg noch einmal für die Fortsetzung des gemeinsamen Vorgehens gegen Dänemark ausgesprochen. Erst als am 29. Juni mit der Eroberung Alsens und der anschließenden Besetzung der Reste Jütlands endgültig die Würfel im militärischen Ringen gefallen waren, bat die dänische Regierung am 12. Juh um einen Waffenstillstand und um Frieden. Im Präliminarfrieden von Wien am 1. August und schließlich im Frieden von Wien am 30. Oktober 1864501 verzichtete Christian IX. zugunsten Österreichs und Preußens auf ahe Ansprüche an Schleswig, Holstein und Lauenburg. Damit war ein wesentliches Ziel der deutschen Nationalbewegung von 1848 erreicht worden. Als Ausgleich für dänische Sprachinseln in Schleswig erhielt Dänemark die Insel Aero, das Gebiet südhch von Ripen, Kolding und den südlich angrenzenden Landstrich. Bis Ende 1864 wurde Jutland von den österreichischpreußischen Truppen wieder geräumt502. Im Friedensschluß mit Dänemark, der die von den deutschen Mittelstaaten erhobene Forderung nach Einsetzung der augustenburgischen Thronfolge glatt überging, war der Deutsche Bund erneut ausgeschlossen geblieben. Das Verhältnis zwischen den deutschen Mittelstaaten und Preußen hatte überdies Schaden genommen, nachdem es zwischen den in Rendsburg stationierten Bundestruppen und preußischem Militär zu Zwischenfällen gekommen war und Preußen daraufhin am 21. Juh 1864 die Festung Rendsburg besetzt hatte. Auch diesmal sah sich General v. Hake zum Nachgeben gezwungen, indem er die Bundeskontingente, wenn auch unter Protest, zurückzog503. Das politische Gewicht des Deutschen Bundes und der durch ihn vertretenen Bundesexekution war infolge des von seinen beiden Vormächten eigenmächtig initiierten Bundeskrieges gegen Dänemark und des ohne Einschaltung von Bundesbehörden abgeschlossenen Friedensvertrages überspielt und in seiner Wirksamkeit bedeutend beschnitten worden. Während damit die geringe Eigenständigkeit der Staaten des »Dritten Deutschland« im außen-, militar- und sicherheitspolitischen Bereich signifikant zum Ausdruck gebracht wurde, blieb das Verhältnis der beiden deutschen Vormächte zueinander, ungeachtet aller 3°i 302
s»3
Text in: Dokumente zur deutschen Verfassungeschichte, Bd 2, S. 206 Siehe dazu: Handbuch der europäischen Geschichte, Bd 5, S. 775. E.R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd 3, S. 484.
(Auszug).
236
II. Die
zeitweilig
Sicherheitspolitik des Bundes und das europäische Gleichgewicht
nach außen
spannt.
gekehrten Harmonie,
auch nach Friedensschluß ge-
In den Verhandlungen, die die beiden Monarchen, unterstützt von Rechberg und Bismarck, vom 22. bis 24. August 1864 in Schönbrunn mit dem Ziel einer Abgrenzung der österreichisch-preußischen Interessen in den neu gewonnenen Gebieten führten, konnte man sich nicht auf das von Bismarck in die Diskussion gebrachte Projekt einer Totalannexion der drei Herzogtümer durch Preußen, verbunden mit der Zusage an Wien, bei der Wiedergewinnung der Lombardei zu helfen, einigen. Daß ein solches Kompensationsgeschäft eine stabile Grundfür die der lage Fortsetzung österreichisch-preußischen Allianz bot, ist von Huber behauptet504 und von Lutz bestritten505 worden. Man wird Lutz immerhin in der Feststellung zustimmen können, daß in dem Schönbrunner Entwurf der Verzicht auf die föderative Struktur des Bundes und auf die mittelstaathche Klientel Österreichs zugunsten einer aus Deutschland eigentlich schon herausführenden Allianzverbindung der beiden Vormächte des Bundes gesehen werden kann506. Eine echte Alternative im preußisch-österreichischen Verhältnis indes hatte sich nicht abgezeichnet. Und das »Kondominium«, jener fragile Ausgleichsversuch, der in Gastein am 14. August 1865 erzielt wurde, eine Verwaltungsteilung der Herzogtümer Schleswig-Holstein vorsah und Lauenburg für einen Kaufpreis von 2,5 Millionen Talern an Preußen abtrat, erwies sich als Provisorium und damit als wenig geeignet, neue Konflikte in der Zukunft auszuschließen.
c.
Solange
Der Bundesbruch 1866
das Verhältnis der beiden deutschen Vormächte zueinander offen
bheb, war das Problem der deutschen Sicherheitspolitik nicht lösbar. Nach Be-
endigung des Deutsch-Dänischen Krieges und dem Abschluß des Gasteiner Vertrages vom August 1865 jedoch befand sich das preußisch-österreichische Verhältnis in einem labilen Schwebezustand. Noch immer wäre wohl ein Ausgleich zwischen beiden deutschen Vormächten auf der Basis von paritätischer Führung und Teüung der Einflußsphären innerhalb des Bundes denk- und realisierbar gewesen, zielte doch Preußen darauf, die Hegemonie nördlich des Mains mit oder ohne Österreich zu erreichen. Auch war der Weg, den Berhn in Verfolgung dieses Ziels einzuschlagen gedachte, 1865 durchaus nicht zwangs-
läufig vorprogrammiert. Für eine Lösung der
»deutschen Frage« unter Ausschluß Österreichs im kleindeutschen Sinne waren 1865 die innen- und außenpolitischen Voraussetzungen keinesfalls vohständig vorhanden. Zum einen gab es keine kriegsbereite deutsche Öffenthchkeit, von der Preußen Unterstützung hätte erwarten könso4 505 506
Ebd., S. 485. Lutz, S. 450. Ebd.
4.
nen.
Zum anderen
verhängnisvollem
Sicherheitspolitik zwischen Antagonismus und Bundesbruch
237
war Preußen als europäisches Kernland 1865 zwar frei von konzentrischen Druck507, wodurch sich bereits die Konturen
einer für alle von Preußen
angestrebten Veränderungen in Deutschland vielversprechenden europäischen Konstellation abzeichneten. Dennoch gab es noch erstrangige außenpolitische Unsicherheitsfaktoren, die nicht ohne Einfluß auf die deutsche Militär- und Sicherheitspohtik bleiben konnten. Großbritannien hatte mit seiner Haltung im Deutsch-Dänischen Krieg angedeutet, daß es auch in der »deutschen Frage« Zurückhaltung üben und einen Kurs der Neutralität steuern würde. Im Zuge der Lockerung der britisch-österreichischen Allianz nach dem Krimkrieg legte das Foreign Office Mitte der 60er Jahre gegenüber kleindeutschen Aspirationen eine durchaus wohlwollende Haltung an den Tag, befürwortete es doch eine machtpolitische Konsolidierung Deutschlands. Dazu kam, daß London 1865 mit zwei gravierenden Problemen rang. Zum einen hatte der plötzhche Tod Pahnerstons am 18. Oktober 1865 die anhaltende Diskussion um die Wahlreformfrage erneut verschärft. Als unter der Regierung seines Nachfolgers Lord John Rüssel von Wüham Ewart Gladstone, dem starken Mann im Kabinett Russeis, eine Reformvorlage vorbereitet wurde, konzentrierte sich die britische Öffentlichkeit vor ahem darauf. Zum anderen war London mit der Frage konfrontiert, ob es im Amerikanischen Bürgerkrieg zugunsten der Südstaaten eingreifen sollte, um einen Sieg der lästigen industriellen
Konkurrenten im Norden zu verhindern508. Rußland hatte sich seit dem Krimkrieg auf die inneren Reformen konzentriert, deren Kernstück die Bauernbefreiung war. Die Dankbarkeit Zar Alexanders II. gegenüber Preußen für dessen Unterstützung während des polnischen Aufstandes und die Erinnerung des Zaren an die durch die Westmächte und Österreich im Krimkrieg erlittene Demütigung führten dazu, daß Rußland in der »deutschen Frage« eine Preußen begünstigende Position einnahm. Rußlands wohlwollende Neutralität mit stark antiösterreichischer und teilweise auch antifranzösischer Färbung bildete eine ziemlich konstante Größe in Bismarcks Kalkül. Die verletzenden Bestimmungen des Pariser Friedens von 1856 über das Verbot einer russischen Flotte und russischer Befestigungen im Schwarzen Meer hatten sich als entscheidendes Hindernis für eine Verständigung Rußlands mit London und Paris erwiesen. Damit war Preußen von konzentrischem Druck der europäischen Großmächte befreit. Dennoch drohte Gortschakow, dem Bismarcks Erfolge zu weit gingen, immer wieder Kongreßpläne ins Spiel zu bringen, die der für Bismarck unerwünschten Erhaltung des Status quo Vorschub geleistet hätten. Konservativ-legitimistische Einwände des Zaren gegen die preußische Reformpolitik in der deutschen Frage zerstreute Bismarck über den preußischen Militärattache in St. Petersburg, General v. Schleinitz, und den Botschafter in Rußland, Graf Redern, unter Hinweis auf die andernfalls ausbrechende nationale Revolution. so7 308
Stadelmann, S. 6. Ebd., S. 6 f.
238
II. Die Sicherheitspolitik des Bundes und das europäische Gleichgewicht
Obgleich unter diesen Voraussetzungen zu erwarten war, daß sich die beiden europäischen Flügelmächte, Großbritannien und Rußland, in einer zentralen europäischen Frage wiederum nicht bzw. nur wenig engagieren würden, blieb die Haltung Napoleons III. in einem möglichen Konflikt allerdings offen. Frankreich war 1865 immer noch durch das mexikanische Abenteuer in Anspruch genommen, das im Jahre 1867 mit der Erschießung des französischen Kandidaten auf dem mexikanischen Kaiserthron, Maximilian IL, schließlich endgültig mit einem Fiasko für Napoleon III. endete. Die »deutsche Frage« hindes französigegen stand zunächst nicht im Mittelpunkt der schen Kaisers. Interessanter war für ihn schon das Problem, was nach dem lange erwarteten Ableben des belgischen Königs Leopold I. mit Luxemburg geschehen würde509. Zweifellos suchte Napoleon das belgisch-luxemburgische mit dem deutschen Problem zu verknüpfen und Preußen zu einem Waffengang gegen Österreich zu ermuntern, als er in Enttäuschung über den Gasteiner Vertrag bereits am 29. August 1865 gegenüber dem preußischen Botschafter in Paris, Robert Graf v. d. Goltz, erklärte, daß er im Fähe eines österreichisch-preußischen Konflikts um Schleswig-Holstein gegenüber Preußen wohlwollende Neutralität geübt hätte510. Und obwohl er auch gegenüber Bismarck, der ihn im Oktober 1865 in Biarritz traf, keine direkten Kompensationsforderungen stellte, bestand kein Zweifel, daß Napoleon sehr wohl die Hoffnung auf eine territoriale Umgestaltung Europas hegte, die auch Frankreich einen Gebietszuwachs bringen würde5". Bismarck hielt sich über einen Vertrauten aus dem engeren Bereich des Kaisers ständig über die sich zuspitzende innenpolitische Entwicklung in Frankreich, den sich verschlechternden Gesundheitszustand Napoleons und dessen schwindendes Ansehen in der französischen Öffentlichkeit auf dem laufenden512. Im Fähe eines Krieges der beiden deutschen Vormächte gegeneinander und eines Friedensschlusses im preußischen Sinne konnte Bismarck, der um die Notwendigkeit außenpolitischer Erfolge für Napoleon III. wußte, erwarten, mit französischer Einmischung und territorialen Forderungen konfrontiert zu werden. Es bheb daher in den Jahren 1865/66 ein vorrangiges außenpolitisches Problem Bismarcks, die Handlungsfreiheit Preußens in der »deutschen Frage« immer wieder vor ahem gegenüber Frankreich durchzusetzen. Wiederum hatte sich gezeigt, daß das primär von inneren staatsrechtlichen Voraussetzungen bestimmte Problem der deutschen Sicherheitspolitik weiter in hohem Maße auch von der europäischen Konstellation abhing. Im Lager der deutschen Mittelstaaten erfreute sich Berhn, da es die Souveränität der regierenden Fürsten und das politische Gewicht des »Dritten Deutschland« zu beschneiden suchte und offen annexionistisch auftrat, nur geringer
Überlegungen
5°9 510 5» 512
Ebd.,S.7.
Poidevin/Bariéty, S. 92. Ebd., S. 93.
Diese Einzelheiten gehen aus den Berichten des ehemaligen Justitiars des Heroldsamtes, Dr. Sulzer, hervor, die dieser zwischen 1864 und 1866 aus Paris lieferte. Siehe dazu: GStAPK, III. HA, Nr. 1829.
4.
Sicherheitspolitik zwischen Antagonismus und Bundesbruch
239
Aber auch Wien hatte sich infolge seiner schwankenden Haltung während des Deutsch-Dänischen Krieges weitgehend diskreditiert. Besonders schwer wog, daß es in Gastein den populären Grundsatz »up ewig ungedeelt« für Schleswig-Holstein aufgegeben und statt dessen die Verständigung mit Preußen gesucht hatte. Gewiß existierten vor allem im Süden Deutschlands starke konfessionelle und dynastische Bindungen an Wien. Andererseits kontrollierte und dominierte Preußen den außerösterreichisch-deutschen Wirtschaftsraum und erzeugte mit der Drohung, den Zohverein gegebenenfalls aufzulösen, ernstzunehmende politische Abhängigkeiten. Als Österreich gegen den preußisch-französischen Handelsvertrag vom 23. März 1862 aufgetreten war und seinerseits am 10. Juli 1862 mit dem Vorschlag eines großdeutschen Zollvereins aufwartete, der ganz Österreich mit Deutschland verbinden sollte, hatte Berlin zum Entsetzen Wiens darauf mit der bisher aufgeschobenen Anerkennung des Königreiches Itahen reagiert513. Bemerkenswerterweise begann sich seit Herbst 1862 auch im süddeutschen Lager mehrheitlich die Auffassung zu verbreiten, daß der Beitritt des wirtschaftlich weniger entwickelten Österreichs in den deutschen Zohverein nicht dem wohlverstandenen Interesse und politischen Selbstgefühl der sich konstituierenden Nation entspreche514. Aber nicht nur zoll-, sondern auch finanzpolitisch befand sich Habsburg in einer aussichtslosen Lage. Seit 1815 hatte Wien sich gezwungen gesehen, bei internationalen Bankkonsortien ständig neue Kredite aufzunehmen, um die gegenüber den Einnahmen überproportional wachsenden Staatsausgaben zu decken und den ständig drohenden Staatsbankrott abzuwenden. Bis zum Jahre 1865 war der Schuldenberg so weit angestiegen, daß der österreichische Finanzminister nicht mehr dem regelmäßigen Schuldendienst nachkommen konnte515. Zudem schöpfte der mit dem Beginn der Gründerzeit gegebene industrielle Aufschwung den internationalen Kapitalmarkt fast vollständig ab. Weiterhin kamen gerade Spekulationen mit transatlantischen Fonds und Rohstoffen in Mode. Das übrige Geld jedoch floß in koloniale Unternehmungen. Diese Umleitung der internationalen Geldströme führte zu einer abnehmenden Bereitschaft der Banken, der ohnehin wenig liquiden Habsburgermonarchie neue Kredite zu gewähren. Am Vorabend des Österreichisch-Preußischen Krieges war Wien somit auf finanzpolitischem Gebiet, wie Stadelmann festgestellt hat, das Opfer des heraufziehenden Hochkapitalismus geworden516. Die Folge der finanziellen Katastrophe und des durch sie zwangsläufig ausgelösten Sparkurses bestand in der Tendenz, ungeachtet der außenpolitischen Bedrohungen ständige Reduktionen der Armee vorzunehmen bzw. notwendige Rüstungsmaßnahmen zu verzögern. Bereits vor und während des Krimkrieges
Sympathien.
5i3 514 515 5i6
Buchner, Die deutsch-französische Tragödie, S. 103. Lutz, S. 432. Stadelmann, S. 15. Den Zusammenhang zwischen Finanz- und Militärverfassung beschreibt auch Niemeyer, Das österreichische Militärwesen, S. 43 f. Stadelmann, ebd.
240
II. Die Sicherheitspolitik des Bundes und das europäische Gleichgewicht
hatte der unabweisbare Zusammenhang zwischen Militär- und Finanzpolitik den außenpolitischen Spielraum der Habsburgermonarchie erkennbar beschnitten. In den Jahren 1865/66 indes, als neue und entschiedene Weichenstellungen in der das österreichisch-preußische Verhältnis wie die europäische Sicherheit berührenden »deutschen Frage« erfolgten, sollte dieser Zusammenhang die Wirksamkeit der von Rechbergs Nachfolger im Amt des Außenministers, Alexander Graf Mensdorff-Pouilly, eingeleiteten, wenngleich inkonsequent durchgeführten Konfrontationsstrategie gegenüber Preußen zusätzlich beeinträchtigen. In Verfolgung dieser Linie hatte Österreich ab Januar 1866 über seinen dortigen Statthalter Ludwig Freiherr v. Gablenz wiederum begonnen, die nach Gastein kurz gehaltene augustenburgische Bewegung in Holstein mit dem Ziel zu fördern, die auf Annexion beider Eibherzogtümer gerichtete Politik Preußens zu konterkarieren. Der einer proaugustenburgischen Demonstration am 23. Januar in Altona folgende Protest Preußens stilisierte allerdings den Einzelfall zu einem prinzipiellen Problem. In der Absicht, eine die Eskalation fördernde Konfliktstrategie gegenüber Österreich anzuwenden, hatte Bismarck seinen Gesandten in Wien, Karl Freiherr v. Werther, angewiesen, die preußischen Vorwürfe an die scharfe Drohung zu knüpfen, daß Preußen die »volle Freiheit« für seine Pohtik zurückgewinnen werde, im Fähe sich die in Schleswig-Holstein angestrebte gemeinsame politische Linie beider deutscher Großmächte nicht verwirklichen lasse517. Wien hatte mit einer dilatorischen Zurückweisung reagiert. Zwar könne Kaiser Franz Joseph die von Preußen geplante Annexion beider Eibherzogtümer nicht hinnehmen, er bezweifele aber, »daß König Wilhelm den Maßstab für den Werth, welchen der Kaiser auf seine Beziehungen zu Preußen legt, von Österreichs Einwilhgung oder Nichteinwilligung in den Wunsch der Annexion der Herzogthümer an Preußen werde entnehmen wollen«518. Nach dem diplomatischen Notentausch trat zunächst trügerische Ruhe in den offiziellen österreichisch-preußischen Beziehungen ein. Die eigensüchtigfeindselige Haltung Preußens in der schleswig-holsteinischen Angelegenheit wurde indes durch Franz Joseph auf der Sitzung des Ministerrates in Ofen am 21. Februar 1866 thematisiert519. Aherdings hatte der österreichische Kaiser das angesprochene Problem durchaus nicht als drängend empfunden, so daß es erst als fünfter Tagesordnungspunkt zur Diskussion stand. Der Verlauf dieser Sitzung ist gleichermaßen für den Gang wie für die Bewertung der vor dem Krieg betriebenen Politik Österreichs relevant. Franz Joseph hatte eingangs die Alternativfrage gestellt, ob man den preußischen Demonstrationen »ruhig zusehen soll oder ob es die Ehre, Würde und Sicherheit Österreichs verlange, solche kriegerischen Vorbereitungen zu treffen, mit denen man allen noch so ernsten Eventualitäten ruhig ins Gesicht sehen 5,7 si»
5i9
Handbuch der europäischen Geschichte, S. 567. Zit. nach: Lutz, S. 452. Die Protokolle des österreichischen Ministerrates, VI.
Abt., Bd 1, S. 297-303.
4.
Sicherheitspolitik zwischen Antagonismus und Bundesbruch
241
genügender Anlaß zu eiwie ein Zusammenstoß nem so beklagenswerten Ereignisse von Österreich und müsse Preußen vorhanden sei, andererseits man aber doch wohl erwägen, daß Armee die preußische gegenwärtig viel mobiler für das Feld sei, das dortige Eisenbahnnetz ihre Beförderung nach strategischen Hauptpunkten außerordentlich erleichtere, während unsere (die österreichische, d. Verf.) Armee auf den äußersten Friedensfuß herabgesetzt worden (sei) und ihre Komplettierung demnach sehr viel Zeit erfordere«520. In der darauffolgenden Debatte zeichneten sich zwei Auffassungen ab: Mit Mensdorff, der, die Ausführungen des Kaisers teilend, ebenfahs keinen Anlaß für einen drohenden Krieg mit Preußen sah, sich jedoch besorgt die Frage vorlegte, wohin angesichts des Konfliktes Bismarcks mit dem preußischen Abgeordnetenhaus »das Verhältnis die dortige Regierung drängen werde«521, rieten der Finanzminister Johann Graf Larisch-Moennich sowie der Handelsminister Bernhard Freiherr v. Wüherstorf-Urbair dringend dazu, eine friedliche Lösung der Angelegenheit anzusteuern. Ihrer Meinung nach würde »der Rückschlag auf die Finanzen und auf die ganze Gewerbstätigkeit der Monarchie bei einer könne«. Zwar teüe
er
die Ansicht, »daß durchaus kein
kriegerischen Gestaltung der Ereignisse von unabsehbaren nachteüigen Folgen sein«
522
.
Auch der ungarische Hofkanzler Georg Mailäth von Szekhely plädierte dafür, sich militärischer Demonstrationen so lange als möglich zu enthalten. Andererseits vertrat er die Ansicht, daß ein Krieg gegen Preußen durchaus populär sei523. Zu den klarsten Befürwortern einer harten Linie gegenüber Preußen, die selbst das Risiko eines Krieges bewußt einbezog, gehörte Möriz Graf Esterházy v. Galäntha, der als Minister ohne Portefeuille zum engeren
Führungszirkel Habsburgs gehörte. Esterházy verwarf jedes Schwanken, jede Konzession, noch viel mehr aber ein Nachgeben Österreichs in der schleswigholsteinischen Angelegenheit und knüpfte daran die Forderung nach einem entschiedenen Auftreten gegenüber Berhn und einer klar definierbaren Haltung der österreichischen Präsidialmacht vor dem Bundestag524. Letztere Forderung wurde auch von Richard Graf Belcredi geteilt, der als Staatsminister den Vorsitz des Ministerrates innehatte. Insbesondere müsse, so formulierte Belcredi, den deutschen Bundesgenossen Zuversicht in die österreichische Pohtik eingeflößt werden. In einem drohenden Konflikt mit Preußen befürchtete er einen Aufschwung der Demokratie, den man jedoch mit der Taktik, nur Aktionen der »le-
galen« Regierungen zu unterstützen, begegnen müsse525. Obwohl die Ministerratssitzung vom 21. Februar keinen Konsens gebracht hatte, fühlte sich Franz Joseph I. desungeachtet gedrängt, zusammenfassend
520 521 522 525 324
525
Ebd., S. 300. Ebd.
Ebd., S. 301. Ebd. Ebd. Ebd.
242
II. Die
Sicherheitspolitik des Bundes und das europäische Gleichgewicht
zu erklären, »kriegerische Vorbereitungen vorderhand zu unterlassen und auf diplomatischem Wege ferner die Wahrung der Ehre und Würde des Landes sowie seiner Interessen zu versuchen«. Einräumend fügte er hinzu, daß militärische Vorkehrungen unterdes »auf dem Papier ahe getroffen werden« könnten526. Dem Problem der preußisch-österreichischen Beziehungen hatte sich eine Woche später, am 28. Februar, auch der in Berlin unter Vorsitz des preußischen Königs tagende Kronrat zugewandt, zu dem der preußische Botschafter in Paris, Robert Graf v. d. Goltz, Generalstabschef Graf v. Moltke sowie weitere hohe Müitärs hinzugezogen worden waren. Für die Bewertung der Vorkriegspohtik beider deutscher Vormächte ist es aufschlußreich, an Hand beider Ereignisse Ähnlichkeiten aber auch charakteristische Unterschiede in der Stellung der die Pohtik bestimmenden Gruppen in Wien und Berlin festzustehen. Während Kaiser Franz Joseph I. und sein Außenrninister Mensdorff-Pouihy immer noch an der Gasteiner Konvention festhielten und auf den Friedenswülen Wilhelms I. bauten, war es Bismarck am 28. Februar gelungen, den zögernden König von der Wahrscheinlichkeit eines Krieges zu überzeugen und den Kronrat gegen den Widerspruch des Kronprinzen, des späteren Kaisers Friedrich III., bereits diplomatische Schritte zu dessen Vorbereitungen beschheßen zu lassen527. Damit waren nach entsprechenden technischen Vorleistungen zur Kriegsfinanzierung, die bereits im Mai 1865 erfolgt waren528, am 28. Februar 1866 in Berlin die Weichen in Richtung Krieg auch pohtisch-diplomatisch gestellt worden. Doch ungeachtet dessen blieb Bismarcks Diplomatie gegenüber Österreich zweigleisig, lag die zugegebenermaßen spekulative Variante, daß es Preußen gegen den erklärten Widerstand Österreichs gehngen würde, mit friedlichen Mitteln unter Einschluß von Drohungen die Durchsetzung der im Norden Deutschlands anvisierten Hegemonie zu erreichen, bis zum Kriegsbeginn im Bereich des Möglichen. Erst nachträglich hat Moltke den Mechanismus der Kriegsentfesselung durch Preußen als »längst beabsichtigt und ruhig vorbereitet« beschrieben529. Diese, von der Historiographie bis heute vielfach geteilte und übernommene Sicht530 mochte aus dem Blickwinkel des Generalstäblers zutreffen; die Politik indes hielt bis zuletzt durchaus friedliche Alternativen offen. Im Lager der preußischen Diplomatie und des Hofes war die Fronde gegen Bismarcks Politik in der deutschen Frage sehr stark: So sprachen sich der preußische Botschafter in Paris, Robert Graf v. d. Goltz, und der preußische Bot-
sein Einverständnis
526 527 528
Ebd., S. 301 f.
Handbuch der europäischen Geschichte, S. 567. Taler für einen Einschätzung des preußischen Staatsrates waren ca. 60 Millionen finanztechnische Opehalbjährigen Feldzug notwendig. Diese Mittel wurden durch zweidurch rationen bereitgestellt: 17 Millionen erhielt der preußische Staat Vermehrung der Erhöhung des Zinsfußes anlockte, 22 bis 25 Millionen Depositengelder, die man durch durch das Ablösungsgeschäft mit der Köln-Mindener Eisenbahngesellschaft. Stadelmann,
Nach
S.29. 529 530
Moltke, Geschichte des deutsch-französischen Krieges, S. 426. Handbuch der europäischen Geschichte, S. 571.
4.
Sicherheitspolitik zwischen Antagonismus und Bundesbruch
243
v. Bernstorff, zwar nicht prinzipieh gegen einen antibeide wollten ihn jedoch unter den Umständen des aus, Krieg habsburgischen Goltz vertrat am 26. März die Ansicht, daß »die jetzi1866 vermeiden. Frühjahrs ge Regierung (einen Krieg, d. Verf.) mit größeren Gefahren zu führen und weniger Aussicht auf politische Erfolge, namenthch in der deutschen Frage haben würde als jede andere«531. Bernstorff schrieb zwei Monate später von der »wahnsinnigen« Politik Bismarcks und stellte die Frage, wie man denn »einen solchen Vernichtungskampf bestehen (könnte, d. Verf.) ohne Frieden im eignen Lande, gegen den Willen der ungeheuren Mehrheit des eignen Volkes mit der widerwihigen und großenteils widerspenstigen Landwehr und Reserve«532.
schafter in London, Graf
v.
Dem entgegen hatten sich vor allem Militärs, wie Roon, Moltke und Edwin Manteuffel, der Militärgouverneur in Schleswig-Holstein, für Bismarcks Kon-
frontationskurs
eingesetzt. Kriegsminister Roon bezeichnete den Krieg als »un-
vermeidlich, wenn Habsburg, sich nicht beugt«. Es handele sich seiner Auffas-
sung nach »nur um den Moment des Ausbruchs«. Preußen habe »bei jeder Zögerung nur zu verlieren; dennoch darf man nichts brüskieren«533. Diese Formulierung Roons griff die erkennbare Tatsache auf, daß die preußische Kriegsplanung und Entfesselung politische Zwangsläufigkeiten auslöste: Entweder Wien kapitulierte vor den Forderungen Bismarcks, oder es gab einen Krieg mit guten Siegchancen für Preußen. Jede andere friedliche Lösung aber, ebenso jedes Zögern mußte war das Szenario der Kriegsentfesselung zu einem neuen Olmütz führen. einmal in Gang gesetzt Legitimiert durch die Beschlüsse der Kronratssitzung in Berlin hatte Bismarck noch im März Verhandlungen zur diplomatischen Absicherung eines möglichen militärischen Vorgehens gegen Österreich in die Wege geleitet. Frankreich hatte erkennen lassen, daß es in dem von ihm gewünschten Konflikt zwischen Preußen und Österreich neutral bleiben würde. Gegen den Protest der Opposition unter Thiers ließ Napoleon III. am 3. Mai durch seinen leitenden Minister Eugène Rouher wissen, daß er in der deutschen Krise an drei Grundsätzen festhalten werde: an der Friedenspohtik, an dem Prinzip loyaler Neutralität und an der Wahrung der vollständigen Handlungsfreiheit Frankreichs534. In der Hoffnung auf einen langen Krieg der beiden deutschen Vormächte gegeneinander, bei dessen Beendigung Frankreich ein gewichtiges Wort würde mitreden können, hat Napoleon sowohl Berlin als auch Wien ermutigt, den kriegerischen Austrag zu suchen. Unter diesen Voraussetzungen des bis aufs äußerste eskalierten preußischösterreichischen Duahsmus konnte von einer Reform der deutschen Sicherheitspolitik nicht mehr die Rede sein. Die Tendenz, daß dieses Problem zugunsten prinzipieher Widersprüche zwischen den beiden deutschen Vormächten in den Hintergrund gedrängt wurde, hatte sich seit Olmütz immer wieder im Konflikt—
—
531 552 533
334
Goltz an Bernstorff, 26.3.1886, in: Stolberg-Wernigerode, S. 425. Ebd., S. 432 f. Denkwürdigkeiten aus dem Leben, S. 419. Poidevin/Bariéty, S. 95.
244
II. Die
Sicherheitspolitik des Bundes und das europäische Gleichgewicht
fah bestätigt. Doch im Frühjahr des Jahres 1866 kehrte sich die Situation vollends um: Die Reform der Sicherheitspohtik des Bundes konnte in der gegebenen Situation kein wesentliches konstituierendes Element der staatsrechtlichen Neugestaltung Deutschlands mehr sein. Vielmehr mußte die staatsrechtliche Neuordnung Deutschlands als Voraussetzung einer Umgestaltung der deutschen Sicherheitspolitik vorausgehen. Am 8. Aprü gelang Bismarck der Abschluß eines gegen Österreich gerichteten, zunächst auf drei Monate befristeten Angriffsbündnisses mit Italien. Damit war der »point of no return« endgültig überschritten. Denn das Zusammengehen mit der italienischen Nationalbewegung, durch das Österreich in einen Zweifrontenkrieg verstrickt zu werden drohte, schuf vollendete Tatsachen und war ein eklatanter Bundesbruch535. Einen Tag nach Abschluß dieses Vertrages stellte der preußische Gesandte am Bundestag, Karl Friedrich v. Savigny, vor der Frankfurter Bundesversammlung in provokativer Weise einen Bundesreformantrag. Er sah vor, die Bundesversammlung von einem Parlament wählen zu lassen, das selbst aus allgemeinen und gleichen Wahlen hervorgehen sollte. Dieser Plan, der bei Realisierung die Stimmverhältnisse im Deutschen Bund radikal zugunsten Preußens geändert hätte, bezweckte den Ausschluß Österreichs aus Deutschland. Bismarck, der Konservative, war zur Erreichung seiner nationalpolitischen Ziele sowohl innen- als auch außenpohtisch ein Bündnis mit der Revolution eingegangen536. Seine Hoffnung, die Öffentlichkeit Deutschlands für einen Krieg gegen Österreich zu gewinnen, erfüllte sich jedoch nicht. Im krassen Gegensatz zu dem auf Kriegsentfesselung gerichteten, planvollen Vorgehen Bismarcks hatte die Zuspitzung des österreichisch-preußischen Verhältnisses im subjektiven Selbstverständnis der für die österreichische Pohtik verantwortlich zeichnenden Gruppe um Kaiser Franz Joseph I. seit der Ministerratssitzung vom 21. Februar eine nur untergeordnete Rohe gespielt337. Erst am 8. Aprü beschloß Wien, Mehrausgaben für die inzwischen als notwendig erkannte Erhöhung des Personalbestandes der Armee zu bewilligen538. In diesem Zusammenhang setzte auch das Nachdenken über Formen einer möglichen Kriegsfinanzierung ein. Im Ministerrat war man allerdings noch immer der Auffassung, daß Preußen nicht durch eigene unbedachte militärische Schritte zur Überreaktion gedrängt werden dürfte. Mensdorff-Pouilly, der auf Frieden mit den vorhandenen Truppen in Böhmen unternommenen hoffte, hatte die Konzentrationen kritisiert, die von Berlin als Vorwand für einleitende Mobilmachungsmaßnahmen genommen worden waren. Esterházy vertrat hingegen die irrige Meinung, ein Krieg mit Preußen werden mit Sicherheit eine über 535
556 537 338
Das Bündnis verstieß gegen Art. XI der Bundesakte vom 8.6.1815, in der sich die Bundesglieder verpflichtet hatten, »keine Verbindungen einzugehen,In:welche gegen die Sicherheit Deutsche Staatsgrundsätze des Bundes oder einzelner Bundesstaaten gerichtet wären«. in diplomatisch genauem Abdrucke, S. 28; Art. XLVIII der Wiener Schlußakte vom 15.5.1820, in: ebd., S. 54. Nipperdey, S. 778 f. Die Protokolle des österreichischen Ministerrates, VI. Abteilung, Bd 1. Sitzung des Ministerrates, Wien, 8.4.1866, in: ebd., Bd 2, S. 3-8.
4.
Sicherheitspolitik zwischen Antagonismus und Bundesbruch
245
Deutschland hinausgehende Ausweitung erfahren, und leitete daraus die trügerische Hoffnung ab, daß Berhn die Entfesselung eines Krieges bei der derzeitigen europäischen Konstellation nicht wagen werde. Und obwohl Franz Joseph bereits einen großen Rüstungsvorsprung Preußens zu erkennen glaubte, einigten sich die Minister auch noch am 8. April darauf, »daß vorderhand weitere militärische Maßregeln zu unterbleiben haben«. Die sorglose Friedfertigkeit, mit der die österreichische Führung selbst eindeutige Indizien für einen nahe bevorstehenden Krieg verdrängte, wird am Beispiel der preußischen Getreideankäufe in Böhmen illustriert: Auf der Ministerratssitzung vom 14. April hatte der österreichische Kriegsminister Carl Ritter v. Franck bekanntgegeben, daß sich die durch »bedeutende Ankäufe Preußens« verursachten Preissteigerungen und Verknappungen ungünstig auf mögliche eigene Getreidekäufe auswirkten. Ein Ausfuhrverbot würde dem allerdings Abhilfe schaffen. Dieser Schritt jedoch war von Mensdorff-Pouihy, der sich in dieser Frage durchsetzte, mit der Bemerkung abgelehnt worden, daß er preußischerseits als Kriegsmaßregel betrachtet werden könne539. Bereits Ende März hatten, davon war Wien über sein umfangreiches Agentennetz gut unterrichtet, preußische Rüstungen eingesetzt. Als Mensdorff-Pouihy noch im April um einen friedlichen Ausgleich mit Preußen rang, scheiterten diese Sondierungen an den nunmehr beginnenden Kriegsvorbereitungen Italiens. Angesichts der itahenischen Rüstungen hatte sich Österreich am 21. April gezwungen gesehen, seine Grenztruppen zu mobüisieren. Gegenseitige Rüstungen und Kriegsvorbereitungen begannen eine Eigendynamik zu entwickeln, die schließhch zum ergebnislosen Abbruch der österreichisch-preußischen Demobilisierungsverhandlungen am 4. Mai führten540. Ende April bis Anfang Mai setzten die österreichischen Militärs die Mobilisierung der Süd-, dann der Nordarmee durch. Seit dem 20. Mai gingen täghch Truppentransporte in Richtung Olmütz ab. Die Tatsache, daß für die der österreichischen Gesamtstreitkräfte kein umfassender und detaillierter Plan existierte, war Moltke bereits seit 1865 bekannt541. Dennoch hat es seit 1864 einen, wenngleich immer wieder modifizierten österreichischen Kriegsplan in groben Umrissen gegeben. Das damals von Erzherzog Albrecht und Feldmarschall Heß ausgearbeitete strategische Konzept sah den Kampf auf der inneren Linie gegen einen Gegner im Norden und einen im Süden vor: Dabei sohte der erste Angriff im Süden geführt und erst nach einem Sieg über die italienische Armee die Masse der dort eingesetzten österreichischen Verbände nach dem nördlichen Kriegsschauplatz
Überführung
—
339 540 541
Sitzung des Ministerrates, Wien, 14.4.1866, in: ebd. S. 26. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd 3, S. 523 f. Auf Weisung Moltkes war seit März 1865 die Intensität der militärischen Aufklärung gegenüber Österreich verstärkt worden. In einer an den preußischen Kriegsminister Roon gerichteten Denkschrift von Anfang März 1865 hatte sich Moltke die Frage vorgelegt, »wieviel die oesterreichische Allianz im Falle eines plötzlich an uns herantretenden Krieges wohl werth sei«. Hinweise dazu: GStA Merseburg, 2.4.1. Abt. I, Nr. 10573, Bl. 57.
246
II. Die
Sicherheitspolitik des Bundes und das europäische Gleichgewicht
auf dem man bis dahin defensiv agieren wollte Marschorder erhalten. Erst dann war die Offensive gegen Preußen vorgesehen542. Fraglos barg dieser Plan viele Unsicherheitsfaktoren in sich: So war die geringe Durchlässigkeit des Eisenbahnnetzes ebensowenig in Rechnung gesteht worden wie die geringe Marschleistung der eigenen Verbände. Was aber würde bei einem schnehen Sieg der Preußen über die zunächst hinhaltend operierende Nordarmee geschehen? Im preußischen Generalstab rechnete man, den Erfahrungen folgend, mit einer achtwöchigen Mobihsierungsdauer in Österreich. Für diese lange Frist waren die groben Mißstände des österreichischen Mihtär- und Mobilisierungssystems verantwortlich, die ihrerseits nur die politische und ökonomische Schwäche Habsburgs reflektierten. Parallel zu den in Österreich eingeleiteten Maßnahmen wurde mit wachsendem zeithchen Vorsprung auch die preußische —
Armee mobilgemacht. Nachdem auch der auf einer Machtteilung der deutschen Vormächte an der Mainlinie basierende private Vermittlungsversuch des preußischen Abgeordneten Anton v. Gablenz, des Bruders des hochangesehenen österreichischen Statthalters in Holstein, am 28. Mai von Kaiser Franz Joseph I. voller Mißtrauen abgelehnt wurde, kam es am 1. Juni vor der Bundesversammlung zu einem dramatischen Schritt. Dort teilte der österreichische Präsidialgesandte, Aloys Freiherr v. Kübeck zu Kübau, den Anwesenden mit, daß Österreich nach dem Scheitern der Bemühungen, mit Preußen in der Schleswig-Holstein-Frage zu einem Ausgleich zu kommen, nunmehr dem Bund die weitere Entscheidung über die Herzogtümer anheimstehen werde543. Weiterhin hätte der kaiserliche Statthalter in Holstein die Stände einberufen. Die Anrufung des Deutschen Bundes durch Österreich war ein Verzweiflungsschritt und keine Provokation. Wien hatte nicht zuletzt an den preußischen Truppenkonzentrationen und dem herausfordernden Ton der preußischen Depeschen erkannt, daß Bismarck bewußt auf einen Krieg zusteuerte. Deshalb suchte Österreich Rückhalt im Bund, um durch ihn Stärkung zu erfahren und Preußen so vielleicht doch noch zum Einlenken zu bewegen. Mit dem Antrag Kübecks indes lief Preußen Gefahr, von Österreich und den gegen Preußen eingestellten Staaten im Deutschen Bund überstimmt zu werden. Savigny protestierte deshalb weisungsgemäß gegen diesen Bruch des Gasteiner Abkommens. Am 7. Juni verschärfte Berlin die Situation und heß in der Absicht, den Krieg zu entfesseln, provokativ preußische Truppen »zur Wahrung preußischer Rechte« in Holstein einmarschieren. Ohne einen Schuß abzugeben, zogen sich die Österreicher daraufhin nach Hannover zurück544. Nachdem Bismarck am 10. Juni den deutschen Regierungen die Grundzüge einer neuen Bundesverfassung zugeleitet hatte, in denen ganz offen davon die Rede 542 543 344
Siehe dazu: Helmert, Kriegspolitik, S. 109. Prot.-BV 1866, 20. Sitzung vom 1.6., § 149; abgedr. auch in: Dokumente fassungsgeschichte, Bd 2, S. 227 f. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd 3, S. 539 f.
zur
deutschen Ver-
4.
247
Sicherheitspolitik zwischen Antagonismus und Bundesbruch
Ausschluß Österreichs und der Niederlande
konstituieren545, beantragte Kübeck am 11. Juni folgerichtig die Mobilisierung des gesamten nichtpreußischen Bundesheeres mit dem Ziel, dem gewalttätigen Vorgehen Preußens endhch Einhalt zu gebieten sowie den Schutz der inneren Sicherheit Deutschlands und den der bedrohten Rechte seiner Bundesglieder zu gewährleisten546. Mit dem Antrag Kübecks, der das in der Austrägalordnung des Bundes vorgeschriebene zeitraubende Verfahren einer förmlichen Bundesexekution umging, die das Ziel hätte verfolgen müssen, Preußen zur Einhaltung der Verträge von Wien und Gastein zu zwingen, war die merkwürdige Situation eingetreten, daß das Bundesheer nicht gegen einen äußeren Gegner, sondern vielmehr zur Lösung des Dualismus der beiden deutschen Vormächte durch Österreich instrumentalisiert werden sohte. Absurd war auch, daß sich die militärische Macht des Bundes nunmehr gegen jenen Staat zu richten drohte, der im Interesse der äußeren Sicherheit Deutschlands und des Schutzes vor revolutionären Bedrohungen im Innern stets für eine Erhöhung der Schlagfertigkeit der Bundeskontingente und oft genug gegen den Widerstand der übrigen Bundesglieder für eine Verbesserung seiner Kriegsverfassung eingetreten war, den Bund unter
neu zu
—
—
war.
Der österreichische Antrag wurde sofort gestellt, nachdem Wien von der Neutrahtät Frankreichs in Kenntnis gesetzt worden war. Parallel zu den Ereignissen in Frankfurt hatten nämlich bilaterale französisch-österreichische Verhandlungen stattgefunden, an deren Abschluß am 12. Juni ein Geheimabkommen547 stand. In diesem Vertrag, der genau wie der zuvor abgeschlossene preußisch-italienische Vertrag das Bundesrecht eklatant verletzte, sagte Franz Joseph I. im Bewußtsein des drohenden Krieges auch für den Fah eines Sieges Österreichs die Abtretung Venetiens an Frankreich zu. Nach dem Scheitern seiner Kongreßpläne548, die dazu geeignet waren, das deutsche Problem französischer Einmischung zu unterwerfen, versprach Napoleon, neutral zu bleiben und auch Italien zur Neutrahtät zu bewegen. In einem mündhchen Ideenaustausch einigten sich beide Parteien, Österreich und die deutschen Mittelstaaten auf Kosten Preußens und seiner Verbündeten zu vergrößern und einen neuen Rheinstaat im Bund zu schaffen. Dieser österreichisch-französische Geheimvertrag, der in der HistoriograLage phie kontrovers beurteilt wird,III. entsprang zweifellos der schwierigen Österreichs, die sich Napoleon zunutze gemacht hatte. Lutz sieht in ihm dagegen ein Zeichen »konstruktiven Deutschlandpolitik« und eine »saubere Lösung« gegenüber dem italienischen Nationalstaat. Damit sei seiner Auffassung nach dem Nationalprinzip Rechnung getragen worden549. Bußmann wiederum beurteilte den Vertrag als »im Widerspruch zu den herrschenden nationalen 545 546 547 548 549
Abgedr. in: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd 2, S. 233-236. Prot.-BV 1866,23. Sitzung vom 11.6., § 164; abgedr. auch in: ebd., S. 237 f. Abgedr. in: Oncken, S. 265. Poidevin/Bariéty, S. 96. Lutz, S. 455.
248
II. Die
Tendenzen der
Sicherheitspolitik des Bundes und das europäische Gleichgewicht
Epoche« befindlich.
Durch ihn sei noch einmal die politisch-diBismarcks über die »unsichere Staatsführung Wiens« plomatische Überlegenheit verdeutlicht worden550. Selbst eine wohlwollend-abwägende Beurteilung der Vorkriegsdiplomatie Wiens wird sich dieser Argumentation nur schwer entziehen können. Fest steht, daß in der Diplomatie beider Vormächte des Bundes nicht
nur
die
divergierenden deutschlandpolitischen Vorstellungen
sichtbar
wurden, sondern auch unterschiedliche Grundprinzipien ihrer Politik. Wäh-
rend Franz Joseph I. in traditioneüen Kategorien von Landumverteilung, »Beuterecht« des Siegers und »convenance« dachte, trat Bismarck zur Erreichung mit den revoseiner deutschlandpolitischen Ziele in partielle lutionären Tendenzen der nationalen Selbstbestimmung. Deshalb konnte er, selbst wenn er es beabsichtigt haben würde, Napoleon niemals so weit entgegenkommen wie die österreichische Staatsführung. Indes hef das pohtische wie militärische Szenario der Kriegsentfesselung unvermindert weiter: Dabei waren gleitende Mobilmachung und zeithch gestaffelter Aufmarsch der preußischen Armee551 weitgehend mit den diplomatischen Schritten der Kriegsentfesselung synchronisiert worden. Bereits nach den Mobilisierungsbefehlen König Wilhelms I. vom 5. und 12. Mai war bis Ende Mai der gesamte Personal- und Pferdebestand der Linieneinheiten zu den Truppenteilen überführt und damit die Mobilmachung durchgesetzt worden552. Vom 16. bis 23. Mai erfolgte in Kombination von traditionehem Landmarsch und Eisenbahntransport bereits die Konzentration des 5., 6., 3.und 4. preußischen Armeekorps in Schlesien und in der Lausitz. Teüe des in Trier stationierten 8. Armeekorps wurden in dieser Zeit nach Koblenz verlegt. Noch vor dem Scheitern der »Gablenzer Mission« hatte Preußen am 23. Mai außerdem begonnen, ahe übrigen, inzwischen mobilgemachten Armeekorps, das Gros der Armee also, an die grenznahen Bestimmungsorte zu verlegen. In dieser, bis zum 5. Juni währenden Periode wurden täghch ca. 40 Truppenzüge abgefertigt. Vom 6. bis 11. Juni indes erfolgte die Konzentrierung der aus Landwehr bestehenden Reservekorps. Damit war die preußische Armee nach »im wesenthchen störungsfreier« Mobilmachung553 bereits am 11. Juni 1866 vohständig zur Führung eines Angriffskrieges vorbereitet. Einen Tag später, am 12. Juni, hatte Berlin, als Reaktion auf den österreichischen Mobihsierungsantrag, die diplomatischen Beziehungen zu Wien abgebrochen. Wiederum zwei Tage später, am 14. Juni, beschloß die Mehrheit der Bundesgesandten in Abänderung des am 11. Juni ursprünglich von Kübeck eingebrachten Antrages, ledighch die vier Armeekorps der Mittelstaaten gegen Preußen zu mobilisieren554. Mit diesem Beschluß wurde deuthch, daß die hinter ihm stehenden Gliedstaaten eine Instrumentalisierung ihrer Bundeskontingente im Fähe eines
Übereinstimmung
550 55i 552 553 554
Handbuch der europäischen Geschichte, S. 569 f. Zur Mobilmachung in Preußen 1866: Rahne, S. 45-52. GStAPK, IV. HA, Nr. 242, Bl. 45^t8. Rahne, S. 74. Prot.-BV 1866, 24. Sitzung vom 14.6., § 170; abgedr. auch in: Dokumente Verfassungsgeschichte, Bd 2, S. 239-242.
zur
deutschen
4.
Sicherheitspolitik zwischen Antagonismus und Bundesbruch
249
preußisch-österreichischen Konflikts durch die österreichische Präsidialmacht und damit die Ingangsetzung einer formlosen Bundesexekution gegen Preußen befürworteten. Die Entscheidung, Österreich gegen Preußen bei der Verteidigung des
Deutschen Bundes nach den Verträgen von 1815 bis 1820 zu unterstützen, war den meisten Mittelstaatregierungen angesichts ihrer an der Erhaltung des Souveränitätsprinzips orientierten Interessen sowie in der Annahme eines als überlegen eingeschätzten Kräftepotentials der Habsburgermonarchie nicht schwergefallen. Unter diesen Umständen erklärte Savigny den Rücktritt Preußens vom Bundestag, stehte fest, daß der Bund aufgehört habe zu bestehen, Preußen allerdings bereit sei, einen neuen Bund auf nationaler Grundlage zu errichten555. Dieser Austritt Preußens war zwar gegen das Bundesrecht, doch seine Entscheidung war endgültig und der Bund in seiner Gestalt von 1815 de facto gesprengt. Jetzt, da die Würfel um Krieg oder Frieden gefahen waren, setzte das beiderseitige Ringen um Bundesgenossen im unabwendbar gewordenen militärischen Konflikt ein. Ultimativ forderte Preußen alle Regierungen, mit denen es vor allem nach 1848 zweiseitige Militärkonventionen abgeschlossen hatte, die nicht auf der Grundlage der Bundeskriegsverfassung standen, auf, an seine Seite zu treten556. Am 15. Juni ergingen jene auf 24 Stunden befristeten preußischen Ultimaten, in denen Hannover, Sachsen und Kurhessen unter Androhung eines Krieges zur Parteinahme für Preußen, zur Demobilisierung ihrer Armeen und zur Zustimmung der Berufung eines Parlaments im Sinne der preußischen Anträge gezwungen werden sohten. Bereits am 15. Juni erklärte König Johann von Sachsen, der sein Heer als erster Regent des »Dritten Deutschland« bereits im März gegen Preußen mobilgemacht hatte, dem preußischen Gesandten in Dresden, Gustav v. d. Schulenburg-Priemern, »daß Bundes-Pflicht und Ehre ihm (die) Annahme des angebotenen Bündnisses untersagten«557. Schulenburg hatte daraufhin gegenüber Beust die Kriegserklärung ausgesprochen, seinen Paß verlangt und war von Beust unsanft verabschiedet worden. Am 16. Juni trafen die Absagen aus Hannover558 und aus Kassel559 in Berlin ein, die ebenfalls durch die dortigen preußischen Gesandten nach ihren Instruktionen mit einer Kriegserklärung beantwortet wurden. Seit 6.00 Uhr desselben Tages hatten preußische Truppen, den Anordnungen des Generalstabschefs Moltke folgend, die Grenzen zu Kurhessen, Sachsen und Hannover überschritten und damit den Krieg entfesselt. Die sofort einberufene Bundestagssitzung beschloß, den betroffenen Gliedstaaten Bundeshüfe gegen den
und 555 556 557 558 559 560
Bayern
erklärten sich
preußischen Übergriff zu gewähren. Österreich
bereit, deren Ausführung
zu
übernehmen560. Nach
Ebd., S. 240 f.; Siehe dazu: E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd 3, S. 542, Real, S. 202 f. Siehe dazu: GStAPK, III. HA, Nr. 213, Bl. 1-12. Telegramm Schulenburgs an Bismarck, Dresden, 15.6.1866, 22.30 Uhr, in: ebd., Bl. 55. Telegramm Ysenburgs an Bismarck, Hannover, 16.6.1866,12.10 Uhr, in: ebd., Bl. 53. Telegramm Roeders an Bismarck, Kassel, 16.6.1866,14.44 Uhr, in: ebd., Bl. 54. Prot.-BV 1866, 25. Sitzung vom 16.6., § 173; abgedr. auch in: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd 2, S. 243.
250
diesem
II. Die
Sicherheitspolitik des Bundes und das europäische Gleichgewicht
antipreußischen
Exekutionsbeschluß des Bundes im
eigentlichen
Sin-
ne561 standen 13 bundestreue Regierungen (Österreich, Bayern, Sachsen, Hannover, Württemberg, nach anfänglichen Schwankungen Baden, Hessen-Kassel, Hessen-Darmstadt, Nassau, Sachsen-Meiningen, Liechtenstein, Reuß ältere Linie, Frankfurt a.M.) gegen 18 Sezessionsregierungen (Preußen, Oldenburg,
Braunschweig, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Sachsen-Weimar, Sachsen-Koburg-Gotha, Sachsen-Altenburg, Anhalt, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, Reuß jüngere Linie, Waldeck, Lippe-Detmold, Schaumburg-Lippe, Hamburg, Bremen, Lübeck) im Krieg. Luxemburg und Limburg blieben neutral. An der Pariser Börse löste die kriegerische Zuspitzung der deutschen Ereig-
nisse eine leichte Baisse aus562. In einem Leitartikel des »Constitutionnel«, der sich die Auffassungen Napoleons III. zu eigen gemacht hatte, war davon die Rede, daß eine weitere territoriale Ausdehnung Preußens für Frankreich vorteilhafter sei als der bisherige Zustand in Deutschland563. Goltz, der das Blatt weiter zitierte, wußte zu berichten, daß die Pariser Regierung das europäische Gleichgewicht nur dann für gefährdet halten würde, »wenn Österreich oder Preußen ganz Deutschland absorbirten. Es gebe natürliche und berechtigte Annexionen, welche, weit entfernt, das Europäische Gleichgewicht zu erschüttern, dasselbe befestigen. Dies gelte von der Rückkehr Venetiens zu Italien, Savoyens zu Frankreich. Ebenso würde die Europäische Ordnung durch Verminderung der 29 kleinen Staaten in welche Deutschland eingetheüt ist, keineswegs gestört werden564.« In einem Gespräch mit Goltz hob Napoleon III., der die territoriale Frage nicht ohne Grund sofort nach Beginn des Krieges aufgeworfen hatte, zusätzlich hervor, daß er im preußischen Bundesreformprojekt »nichts sehe, was den Französischen Interessen widerstreite«565. Die in der Anfangsphase des Krieges gegenüber Preußen eingenommene wohlwollend-neutrale Haltung Frankreichs wurde auch von St. Petersburg zunächst geteilt, das dabei allerdings andere Motive als Paris hatte und an der Grenze zu Galizien sogar ein russisches Armeekorps einen gegenüber Österreich drohenden Aufmarsch vornehmen ließ566. Großbritannien, die Schweiz und die Niederlande blieben neutral; Italien erklärte dagegen erwartungsgemäß, dem Vertrag mit Preußen folgend, am 18. Juni Österreich den Krieg567. Ahe das europäische und deutsche Gleichgewicht im Preußisch-Österreichischen Krieg berührenden Kombinationen der Kabinette in St. Petersburg, Paris und London, aber auch der deutschen Mittelstaaten, waren vor Kriegsbeginn von der Voraussetzung ausgegangen, daß das kriegserfahrene Österreich dem 561 562 563 564 565 566 567
E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd 3, S. 557 f. Siehe dazu: GStAPK, III. HA, Nr. 213, Bl. 88. Goltz an Bismarck, Paris, 17.6.1866, in: ebd., Bl. 146 v. Ebd., Bl. 146-146 v. Ebd., Bl. 147. Siehe dazu: ebd., Bl. 104. Ebd.
4.
Sicherheitspolitik zwischen Antagonismus und Bundesbruch
251
norddeutschen Konkurrenten, wenngleich in einem langen Krieg, so doch letztendlich überlegen bleiben würde. Angesichts der als stärker eingeschätzten Kräftepotentiale der Habsburgermonarchie und der von ihr geführten Koalition schien der Ausgang des Krieges nicht ungewiß zu sein. Ahe französischen Offiziere »vom Kriegsminister bis zum jüngsten Subalternen« seien überzeugt, daß Österreich siegen würde, meldete der österreichische Gesandte in Paris, Richard Fürst v. Metternich, der Sohn des Exstaatskanzlers, seinem Außenminister568. Diese Voraussagen erfühten sich bekanntlich nicht: Sowohl gegen den Torso der Bundesarmee auf dem deutschen Kriegsschauplatz als auch gegen die von Benedek geführte österreichisch-sächsische Armee in Böhmen erwiesen sich die preußischen Truppen als überlegen. Die Schlacht bei Königgrätz am 3. Juli 1866, die der Kardinal-Staatsekretär Antonelh mit den Worten quittierte: »Casca il mondo, casca il mondo!«, brachte zwar nicht den Zusammenbruch der Welt, aber bereits die Entscheidung des Krieges569. Die Ursachen für diesen schnellen preußischen Sieg sind komplexer Natur: Bismarcks Diplomatie garantierte das Fernbleiben der europäischen Großmächte im Anfangsstadium des Krieges und den Eintritt Italiens in den Krieg, durch den ein Viertel der österreichischen Armee gebunden wurde. Dadurch konnte Moltkes Strategie aufgehen, mit drei Armeen konzentrisch in Böhmen einzufallen und deren Vereinigung auf dem Schlachtfeld anzusteuern570. Die überlegene Heeresorganisation, die eine reibungslose Mobilmachung möglich gemacht hatte, sowie der schnellere Aufmarsch und die Entfaltung der preußischen Armee durch konsequente Nutzung der Eisenbahn sicherten Preußen eine annähernde Parität in den auf dem Kriegsschauplatz verfügbar werdenden Truppenstärken im Vergleich zu Österreich und seinen mittelstaatlichen Verbündeten. Dazu trat der überlegene Ausbildungsstand der preußischen Truppen und das mit dem Zündnadelgewehr im infanteristischen gegebene waffentechnisch-taktische
Bereich571.
Übergewicht
Die österreichische Heeresleitung dagegen hatte kein Geld für einen langen Krieg, kein funktionierendes Stabssystem572 sowie als weiteres Handicap eine den Weisungen aus Wien verantwortliche, damit schwerfälligere und zudem nicht immer kompetente militärische Führung. Die strukturellen Schwächen der alten Bundesinstitutionen, der Partikularismus vor allem der süddeutschen Mittelstaaten, ihre Weigerung, sich gemeinsamer österreichischer Oberleitung unterzuordnen, aber auch ihre Unfähigkeit zu einer energischen Kriegführung am Main, die die österreichische Armee entlastet hätte, verhinderten eine effiziente Koalitionskriegführung. Bereits am 20. Juni hatte Goltz —
568
569 57 57i 372
—
Palmer, Glanz und Niedergang, S. 237. Siehe: Helmert, Kriegspolitik und Strategie, S. 181. Zur Schlacht bei Königgrätz: Helmert/Usczeck, S. 117-130; Markov/Helmert, S. 301-305. Siehe dazu: Kennedy, S. 289. Nipperdey, S. 785. Zur Spitzengliederung der obersten Militärbehörden in Österreich bis 1866: Niemeyer, Das österreichische Militärwesen, S. 46.
252
II. Die
Sicherheitspolitik des Bundes und das europäische Gleichgewicht
Paris aus mit drastischen Worten auf den Mangel an Organisation innerhalb der Bundeskontingente hingewiesen. Ein schneller Vorstoß der preußischen Mainarmee gegen Frankfurt a.M. würde seiner Auffassung nach »ein zweites Roßbach«573 zur Folge haben. Diese Voraussage sollte sich Anfang Juli bestätigen. Auch das Oberbefehlshaberproblem erwies wiederum seine Tücken574. So konnte sich der 71jährige Prinz Carl von Bayern, dem als Oberbefehlshaber ahe gegen Preußen mobihsierten Bundestruppen mit Ausnahme der österreichisch-sächsischen Kontingente unterstanden, nicht gegenüber seinem Unterführer Prinz Alexander von Hessen, Schwager des Zaren und Korpskommandant des 8. Bundesarmeekorps, durchsetzen und ihn auf ein gemeinsames militärisches Vorgehen festlegen. Der Kompetenzstreit zwischen beiden Befehlshabern zeigte in beispielhafter Weise, auf welche strukturellen Hindernisse der Bundeskriegsverfassung eine gemeinsame Kriegführung innerhalb des Bundes stoßen mußte, wenn noch dazu persönliche Zwistigkeiten im Spiel waren. Zunächst konnten sich beide süddeutschen Heerführer nicht einigen, wie die von preußischen Truppen eingeschlossenen Hannoveraner zu befreien seien. Noch bevor die süddeutschen Bundeskontingente marschbereit waren, mußten die Hannoveraner schließlich am 29. Juni gegenüber den Preußen kapitulieren. In der Folge mißlang die Vereinigung des 7. und 8. Bundesarmeekorps aufgrund der Befehlsverweigerung Prinz Alexanders. Dadurch blieben die Bundestruppen auch weiterhin zersplittert. Die Differenzen beider Feldherrn und ihre Unfähigkeit zu koordinierter Aktion ließen preußische Fehler in den Operationen ungenutzt und führten somit nach Auffassung Keuls zu einer »raschen Entscheidung des Krieges«575. Damit hatte sich die strukturelle der preußischen Heeresorganisation gegenüber der Bundeskriegsverfassung eindeutig herausgestellt. Es ist eine Ironie der Geschichte, daß sich die Sünden der Vergangenheit im Falle der nur unzureichenden und halbherzigen Ergebnisse bei der Revision der Bundeskriegsverfassung nie in einem äußeren Konflikt, dafür aber im Ringen mit Preußen, jenem Staat also, der lange Zeit wenngleich aus machtstaatlichen Ambitionen Verbessedes Bundesmilitärwesens förderte, gezeigt haben. Das bis zur Auflörungen des Bundes ungelöste sung Oberbefehlshaberproblem steht dafür paradigmatisch. Es lag geradezu in der Logik der fruchtlosen Diskussion dieser Frage, daß man auch 1866, in der Stunde der höchsten Not, zu keiner befriedigenden Lösung kommen konnte. Zwar gelang den Österreichern auf dem italienischen Kriegsschauplatz am 24. Juni bei Custozza576 ein Schlachterfolg gegen die zögernd vorgehende Armee des italienischen Königs Viktor Emanuel IL, und auch im Seekrieg blieb die von
Überlegenheit
—
573 574
373 576
—
Telegramm Goltz' an Bismarck, Paris, 20.6.1866, in: GStAPK, III. HA, Nr. 214, Bl. 44. Siehe dazu: Keul, S. 212-217. Die Übertragung des Kommandos an Prinz Carl von Bayern: Prot.-BV 1866, 30. Sitzung vom 27.6.1866, § 199; abgedr. auch in: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd 2, S. 246 f. Ebd., S. 218. Siehe dazu:
Helmert/Usczeck, S. 145-156.
4.
Sicherheitspolitik zwischen Antagonismus und Bundesbruch
253
unterlegene österreichische Flotte unter Admiral Wilhelm v. Tegetthoff gegenüber der mit modernen Panzerfregatten ausgerüsteten itahenischen Flotte am 20. Juli bei Lissa577 siegreich; am Ausgang des Krieges indes änderte sich dadurch nichts. Bereits am 4. Juli, einen Tag nach Königgrätz, hatte Franz Joseph I. Venetien an Frankreich zur Weitergabe an Italien abgetreten und Paris um Vermittlung eines Waffenstillstandes gebeten578. Einen Tag später war Feldmarschall Ludwig v. Gablenz im preußischen Hauptquartier als Unterhändler mit der Erklärung eingetroffen, daß die österreichische Armee widerstandsunfähig
sei und Wien einen Waffenstillstand wünsche579. Sofort nach der mit Königgrätz eingetretenen unverhofften Wendung im österreichisch-preußischen Krieg hatte Paris gegenüber Berlin deutlich gemacht, daß es den Bogen nicht überspannen solle. Eine zu weite Verfolgung der militärischen Siege Preußens würde ganz Europa beunruhigen und »bedenkliche Eventualitäten« in der möglichen Haltung Frankreichs nach sich ziehen580. Nach Auskunft des preußischen Gesandten in Paris hatte die von der Regierung gesteuerte Pariser Presse bereits am Abend des 4. Juh »den Auftrag erhalten, zu ahmähhgen Angriffen gegen Preußen überzugehen«581. Auch Gortschakow verstärke seine Bemühungen, sich mit dem französischen Kabinett in Verbindung zu setzen, »um dem weiteren Vordringen Preußens Einhalt zu
thun«582.
Zwischen dem 4. und 10. Juli wurden in Paris ernsthaft Projekte einer bewaffneten Vermittlung zugunsten Österreichs erläutert. Zu einer Reahsierung dieser, von Außenminister Edouard Drouyn de Lhuys ins Spiel gebrachten Pläne ist es aufgrund des schlechten Rüstungsstandes Frankreichs, der fortgeschrittenen Erkrankung Napoleons III., nicht zuletzt wegen des mangelnden Vertrauens in Habsburg dennoch nicht gekommen. Bismarck hat derartige Eventualitäten im Blick gehabt und Paris gegenüber gleichermaßen unzweideutig wie erfolgreich mit einem national-revolutionären Krieg gedroht583. Die Wochen bis zum Abschluß des Nikolsburger Vorfriedens vom 26. Juli584, der schließhch zum Friedensschluß von Prag am 23. August 1866585 führte, waren mit kompliziertesten Waffenstillstandsverhandlungen angefüllt, die das politische Ringen um die zukünftige Gestaltung der deutschen Verhältnisse signifikant zum Ausdruck brachten. Dabei erwies sich, daß Bismarck in der Absicht, Österreich weitere, über Venetien hinausgehende Amputationen zu ersparen, um es als Bundesgenosse von morgen nicht zu verlieren, auf heftigen Widerstand bei König Wilhelm I. sowie einigen Militärs und Höflingen stieß. Nach577 578 579 580
581 5S2
383 384 585
Siehe: Potter/Nimitz, S. 228-231. Goltz an Bismarck, Paris, 5.7.1866, in:
GStAPK, III. HA, Nr. 218, Bl. 21-28 v.
Bismarck zur Weiterleitung an Usedom, Horvitz, 5.7.1866, in: ebd., Nr. 127, Bl. 96. Werther an Bismarck, Berlin, 7.7.1866, in: ebd., Nr. 218, Bl. 28 v. Goltz an Bismarck, Paris, 5.7.1866, in: ebd.
Ebd.,Bl. 26 v.
Siehe dazu: Nipperdey, S. 781. Abgedr. in: Dokumente zur deutschen Abgedr. in: ebd., S. 249-252.
Verfassungsgeschichte, Bd 2, S. 247-249.
254
II. Die
Sicherheitspolitik des Bundes und das europäische Gleichgewicht
er sich aus Loyalität gegenüber Wien lange Zeit vor einem Konflikt gescheut hatte, wohte der preußische König jetzt den Triumph genießen, als Sieger in Wien einzumarschieren586. Zwar hätte auch Moltke den siegreichen Feldzug der preußischen Armee nach Königgrätz gern noch bis zur Überschreitung der Donau fortgesetzt, aber genau wie Bismarck lagen ihm subjektive Rachebedürfnisse fern. Sein Rat lautete, mit dem geschlagenen Gegner angesichts sich verstärkenden Widerstandes im Rücken der Preußen, des geringen Eifers des italienischen Verbündeten und der drohenden Verlegung starker österreichischer Verbände an die Donau möglichst bald »ins reine zu kommen«587. Der preußische Gesandte in Florenz, Guido Graf v. Usedom, riet dagegen seiner Regierung am 7. Juh 1866, den Waffenstihstand zu verwerfen und noch eine große Schlacht vor Wien zu gewinnen. »So können wir dann getrost Oesterreich den Ungarn und Italienern überlassen, nach München marschiren, Deutschland und seine jetzt schlagfertigen Contingente unter unsere Führung bringen und Falls dann Frankreich uns bedroht, ihm am Rhein eine defensive Fronte von 5 bis 600 000 Mann präsentiren588.« Diese Vorstellungen antizipierten bereits den künftigen Widerstand Frankreichs gegen einen deutschen Nationalstaat, sie ließen sich jedoch 1866 keineswegs verwirklichen. Während die preußischen Truppen nach Königgrätz in Böhmen eher hinhaltend operierten, gelang es Bismarck, »in einem virtuosen Doppel-, ja Dreifachspiel mit Italien, Frankreich und Österreich«589 erst seine Verhandlungsposition, dann seine inhaltlichen Forderungen nach Machterweiterung Preußens im norddeutschen Raum durch Totalannexion Schleswig-Holsteins, Hannovers, Kurhessens, Nassaus und Frankfurts, nach Auflösung des Deutschen Bundes und dem Ausschluß Österreichs aus Deutschland weitgehend durchzusetzen. Dabei hat Bismarck die von Napoleon III. geforderten Kompensationswünsche wie im Falle des Wunsches nach Anschluß Luxemburgs dilatorisch oder benach Anschluß der bayerischen Pfalz und des linksrheinischen Hessen reits schroff-abweisend beantwortet. Zu gegebener Zeit wußte er sie zur Gewinnung der Süddeutschen als Verbündete zu benutzen590. Auch Alexander II. von Rußland und Gortschakow, die vergeblich versucht hatten, den Sturz der norddeutschen Dynastien zu verhindern und mit Kongreßplänen hervortraten, die dazu geeignet waren, das deutsche Problem zu europäisieren und damit der Einmischung der beiden kontinentalen Flügelmächte zu unterwerfen, sahen sich schließlich gezwungen, die Neuordnung Deutschlands hinzunehmen. Ein europäischer Kongreß war am Widerstand Preußens und Großbritanniens gescheitert. Das Foreign Office begrüßte die von Preußen ausgehende machtpolitische Konsolidierung Deutschlands und vertrat darüber hinaus die Auffassung, daß eine Störung des europäischen Gleichge-
dem
—
—
586 587 588 5f® sw
Lutz, S. 468. Zit. nach: Ritter, S. 274. Telegramm Usedoms an Lutz, S. 465. Nipperdey, S. 788.
Bismarck, in: GStAPK, III. HA, Nr. 218, Bl. 44-45.
4.
Sicherheitspolitik zwischen Antagonismus und Bundesbruch
255
wichts nicht von Preußen-Deutschland, sondern eher von Frankreich und Rußland zu erwarten sei591. Der Prager Friedensschluß beendete auch de jure die Existenz des Deutschen Bundes. Im Artikel IV des Vertrages hatte sich Franz Joseph I. offizieh bereit gefunden, der Auflösung des Bundes und der Neugestaltung Deutschlands ohne Beteihgung des österreichischen Kaiserstaates zuzustimmen. An die Stehe des Bundes traten von nun an drei politische Blöcke: im Südosten die um ihre italienischen Besitzungen reduzierte Habsburgermonarchie, im Norden das durch Annexionen vergrößerte Preußen mit dem am 18. August 1867 ins Leben gerufenen Norddeutschen Bund und im Südwesten die vier formell souveränen Staaten Bayern, Württemberg, Baden und Hessen-Darmstadt, von denen Hessen-Darmstadt mit seinen nördlichen Landesteilen allerdings zum Norddeutschen Bund gehörte und die anderen drei Staaten bis August 1866 durch geheime Schutz- und Trutzbündnisse sicherheitspohtisch an Preußen gebunden wur-
den592.
Das Ende des Deutschen Bundes war gleichzeitig das Ende seiner staatenbündisch-föderalistisch organisierten Sicherheitspolitik. Es zeigte sich, daß in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwischen dem von Habsburg vertretenen Prinzip des übernational-dynastischen Reiches und dem Prinzip des Nationalstaates, der Idee des Zusammenfallens von staatlicher Souveränität und Sprachgebiet, offenbar kein tragfähiger Kompromiß möglich gewesen war. Der Deutsche Bund hatte sich zur Weiterentwicklung unfähig erwiesen. Aufgrund seiner locker staatenbündischen Ordnung, des Dualismus seiner beiden Vormächte und des Partikularismus der Mittel- und Kleinstaaten war er nicht in der Lage, genug Stabilität und Integrationskraft für die Bedürfnisse der sich etablierenden Nation zu entwickeln. Als ausschlaggebend für sein Ende hatte sich nicht zuletzt die wirtschaftliche und finanzielle Überlegenheit Preußens erwiesen, aus der nicht nur seine Führungsrolle im Zollverein resultierte, sondern auch seine Fähigkeit, den deutschen Staaten in äußeren Krisensituationen Schutz und Anlehnung angedeihen zu lassen. Damit stand die preußische Großmacht- und Hegemonialpolitik schheßlich in partieller Übereinstimmung mit den Interessen des liberalen Bürgertums nach nationalstaatlicher Zentralisation und Schutz nach außen. Der auf ihn folgende Norddeutsche Bund war als Offensiv- und Defensivbündnis konzipiert. Seine Verfassung legte in Anlehnung an die Reichsverfassung von 1849 den Oberbefehl über Armee und Flotte, die Leitung der Außenpolitik, die alleinige Entscheidung über Krieg und Frieden sowie die völkerrechtliche Vertretung des Bundes in die Hand der preußischen Krone593. Mit 39i 392
593
Siehe dazu: Palmer, S. 238; Nipperdey, S. 790. 1867 trat auch Hessen-Darmstadt in ein Schutz- und Trutzbündis mit Preußen ein. Damit war der Südwesten Deutschlands sicherheitspolitisch vollständig an den Norddeutschen Bund gekoppelt. Siehe dazu: E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd 3, S. 600-603. Zur Norddeutschen Bundesverfassung: ebd., S. 649-668. Die Verfassung abgedr. in: Doku-
256
II. Die
Sicherheitspolitik des Bundes und das europäische Gleichgewicht
gegebenen Zentralisation aller wesenthchen pohtisch-militärischen Kompetenzen hatte sich endgültig bestätigt, daß eine durchgreifende Reform der Militär- und Sicherheitspohtik Deutschlands sowie seiner Kriegsverfassung nur unter der Voraussetzung der an eine prinzipielle Absage an das Souveränitätsprinzip geknüpften staatsrechtlich-pohtischen Neuordnung Deutschlands erfolgen konnte. Dieser Prozeß war 1866 noch nicht abgeschlossen, aber er war auf den Weg gebracht und hatte mit der Schaffung des Norddeutschen Bundes dieser somit
bereits ein wesentliches Zwischenresultat erreicht. Obwohl Bismarck mit dem Norddeutschen Bund einen Föderativstaat geschaffen hatte, in dem partikularistische Interessen durchaus noch Berücksichtigung fanden, blieb in ihm die Hegemonie Preußens nicht in Frage gestellt und wurden unter dieser Voraussetzung gleichermaßen die Grundprobleme einer effizienten wie den Erfordernissen der Zeit folgenden Sicherheitspohtik gelöst. Damit war auch das historische Urteil über die Bundeskriegsverfassung gesprochen. Sie war in der Absicht formuliert worden, das Militärwesen des Deutschen Bundes auf eine den inneren staatsrechtlichen wie äußeren sicherheitspolitischen Erfordernissen gleichermaßen entsprechende Grundlage zu stellen. Für ihren Inhalt hatten neben militärfachlichen in hohem Maße politische Vernunftsgründe, aber auch machtstaatliche und partikularistische Gesichtspunkte den Ausschlag gegeben. Im Zusammenhang mit den anderen auf den Bund bezogenen Bestimmungen der Wiener Verträge steckte die Bundeskriegsverfassung einen lockeren Rahmen für eine der europäischen Konstellation nach 1815 entsprechenden Sicherheitspohtik des Deutschen Bundes ab. Als die europäische Konsteüation nach 1848 zunehmend auf dem nationalen Prinzip basierte und der Deutsche Bund nicht in der Lage war, sich dieser Entwicklung anzupassen, verstärkten sich die anachronistischen Züge der Bundeskriegsverfassung, die ihr von Anfang an anhafteten. Dazu kam das offene Aufbrechen des Hegemonialkampfes zwischen beiden Vormächten des Bundes nach 1850. Impulse, eine Verbesserung der bündischen Mihtärverfassung herbeizuführen, konnten unter diesen Voraussetzungen machtstaathch instrumentalisiert werden und brauchten sich daher langsam auf. Auch in der Interessenwahrnahme des »Dritten Deutschland« überwog in der Endphase des Bundes eigennütziges Denken. Zentrierbar war die deutsche Sicherheitspolitik nur bei doppelhegemonialer Leitung des Bundes. Als diese entfiel, scheiterte der Versuch, hegemoniale und föderative Tendenzen in eine stabile Balance zu bringen594. Das wirkte sich paralysierend auf die deutsche Sicherheitspohtik aus. Und auch die Bundeskriegsverfassung verlor unter diesen Voraussetzungen ihren inneren Zusammenhalt. Gegen einen äußeren Gegner niemals in ihrer Gesamtheit zur Wirkung gelangt, stand sie 1866 vor einer ihre Existenz berührenden Probe. Diese hat sie folgerichtig vollkommen überfordert. zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd 2, S. 272-285 (Passagen über Kriegswe282-284). Siehe dazu: Seier, Zur Frage der militärischen Exekutive, S. 443-445.
mente sen, S. 594
Zusammenfassung Die Konzeption der Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes hing von inneren und äußeren Einflußfaktoren gleichermaßen ab. Von den Bevollmächtigten der europäischen Großmächte und der deutschen Staaten auf dem Wiener Kongreß als »Mittelstück Europas« gedacht, benötigte der Deutsche Bund weder eine wie das ihm vorausgeüberstarke militärische Kraftentfaltung, noch sollte er militärisches MachtRömische Reich deutscher Nation ein gangene Heilige vakuum bilden. Innerbündische Kriege und antibündische Außen- und Sicherheitspohtik glaubte man strukturell ausschließen zu können. Im Verein mit seinen beiden deutschen Vormächten Österreich und Preußen mußte der Bund lediglich dem Druck der europäischen Flügelmächte standhalten und die in seinem inneren Machtbereich bestehenden Verhältnisse garantieren, ohne seinerseits Bedrohungsgefühle zu wecken. Andererseits war die Sicherheitspolitik des Bundes durch die in der Bundesverfassung angelegten Strukturprobleme gekennzeichnet, sowohl durch die weitgehende politische Selbständigkeit der im Staatenbund vereinten Bundesglieder als auch durch den Dualismus der beiden Vormächte, der jedoch Wandlungen unterlag. Dazu kam die differierende sicherheitspolitische Interessenlage der deutschen Vormächte nach außen. Insbesondere die Interessen Österreichs an Itahen und der Balkanregion heßen sich mit dem engeren Sicherheitskonsens des Bundes nur schwer in Über—
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—
—
einstimmung bringen.
Aus den günstigen sicherheitspolitischen Voraussetzungen des Deutschen Bundes in der Anfangsphase resultierten seine defensive Militärkonzeption und seine ebenfalls für die Defensive und Status-quo-Sicherung eingerichtete Kriegsverfassung: In den militärischen Fachgremien des Deutschen Bundes dominierdem Bundesmilitärausschuß und der Bundesmilitärkommission ten zunächst im wesentlichen defensiv ausgerichtete Kriegsbildvorstellungen, in denen modern ausgebaute fortifikatorische Anlagen eine große Rolle spielten. Dem Bund unterstanden formal die Festungen Mainz, Luxemburg und Landau. Nach der »Rheinkrise« 1840/41 traten zu ihnen noch die Neubauten bei Rastatt und Ulm. Das an der dänischen Grenze gelegene Rendsburg, das 1865 hinzukam, spielte keine praktische Rolle mehr. Im Zusammenwirken mit dem Festungssystem der Einzelstaaten dienten die Bundesfestungen somit allein der militärischen Absicherung der Grenze zu Frankreich. Sie waren für die Deckung der eigenen Mobilmachung und des Aufmarsches sowie als Operations- und notfalls Rückzugsbasis bei eigenen Offensivhandlungen konzi—
—
piert.
258
Zusammenfassung
Entsprechend der defensiven MUitärkonzeption zeigte der Text der Bundeskriegsverfassung deutlich ihre inneren und äußeren Zwecken unterliegende InstrumentaHsierung. Das konzipierte Bundesheer war ein Kontingentsheer, das sich aus sieben ungemischten und drei gemischten Armeekorps bildete. Vor allem die kleineren Bundesglieder wurden somit in bündische Strukturen integriert. Im Widerspruch dazu schrieb die Bundeskriegsverfassung jedoch das den regierenden Fürsten der deutschen Einzelstaaten zugestandene Souveränitätsprinzip auch rrülitärisch fest. Die militärisch sinnvolle Unterordnung der kleineren Kontingente unter die größeren blieb daher ausgeschlossen. Selbst die Einteilung der Kontingente wurde von dynastischen Erwägungen geleitet. Zudem bewirkten der preußisch-österreichische Dualismus und die unterschiedlichen europäischen RoUen beider deutscher Vormächte oft divergierende sicherheitspohtische Interessenlagen im Bund und damit ständige Reibungen im militärischen Sektor. Für diese Tatsache war die praktisch unlösbare Regelung des Oberbefehls über das Bundesheer im Kriegsfall symptomatisch, aber auch unterschiedliche operative Grundsätze in Krisensituationen. Eine Unterstellung ihres Bundeskontingents unter den Befehl des jeweils anderen hätten sich Österreich und Preußen kaum gegenseitig zugestanden. Deshalb erwiesen sich in Krisensituationen gerade solche Verteidigungsprojekte als lebensfähig, die unter Umgehung der Oberbefehlshaberregelung auf der TeUung des Bundesheeres und des Oberbefehls bzw. preußischer Mehrleistung und dem daraus abgeleiteten preußischen Oberbefehl zumindest über alle nichtösterreichischen Bundeskontingente basierten. Dennoch band die Bundeskriegsverfassung Preußen und Österreich, die nur mit einem TeU ihrer Armeen vertreten waren, aber auch die mindermächtigen Bundesglieder in die gemeinsame militärische Verteidigung des Bundes ein. Damit nahm sie deutlich eine integrative Funktion wahr. Außenpolitisch zementierten Bundesheer und Bundeskriegsverfassung das militärische Gleichgewicht in Europa und trugen zur Stabilität der »übernational« organisierten europäischen Friedensordnung von 1815 bei. Der Zusammenhang von europäischem Gleichgewicht und deutscher Kriegsverfassung hatte bei der Formulierung der einzelnen militärischen Bestimmungen der Bundeskriegsverfassung eine zentrale Rolle gespielt. Die daraus resultierende militärische Selbstbeschränkung soUte beruhigend nach außen und kostendämp-
fend nach innen wirken. Deshalb steUte das Bundesheer nur eine Minimalvorsorge für denkbare KriegsfäUe dar. Die zahlenmäßige Stärke der Bundeskontingente war verhältnismäßig gering, so daß durch sie für keine europäische Großmacht eine ernsthafte militärische Bedrohung entstand. Auch für Frankreich, das nach 1830 zeitweise als äußerer Gegner angesehen wurde, bheb erkennbar, daß der Deutsche Bund sein Heer lediglich auf einem für die Verteidigung angemessenen Stand hielt. Auch von ernsthafter militärischer Zentralisation und Machtentfaltung, die dem europäischen Gleichgewicht abträglich gewesen wären, konnte nicht die Rede sein. so die Frage über Krieg Gravierende sicherheitspolitische Entscheidungen oder Frieden kollektiver unterlagen Willensbildung, waren von der mehr—
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Zusammenfassung
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Zustimmung der einzelnen Regierungen abhängig, komplizierten Regelmechanismen und schleppenden Geschäftsabläufen unterworfen. Damit war die Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes in struktureller Hinsicht eindeutig defensiv vorgeprägt. Dazu kamen noch unfreiwillig friedensfördernde Effekte, die aus dem Widerspruch zwischen dem Anspruch der Kriegsverfassung und der militärischen Reahtät resultierten. So verlängerten sich beispielsweise in der Praxis die vierwöchigen Mobilmachungsfristen für die Bundeskontingente erheblich, so daß einmal getroffene pohtische Entscheidungen im Bedarfsfah nur heitlichen
schwer in angemessener Frist militärisch umzusetzen waren. Im Inneren des Bundes hatte die nülitärische Selbstbeschränkung nach 1815 zu einer Abdrängung und Abschottung des militärischen Faktors von der Gesehschaft geführt: In den einzelnen Bundesstaaten war das militärische Element sehr unterschiedhch entfaltet, so daß die Bundeskriegsverfassung hier ein minimales Anforderungsniveau markierte. Müitärverfassung und Müitärorganisation der einzelnen deutschen Staaten differierten in Abhängigkeit von staatsrechtlich-politischen und gesellschaftlichen Entwicklungsfaktoren, aber auch von unterschiedlichen Traditionen und sicherheitspolitischen Anforderungen zum Teil erheblich. Bei aller Differenziertheit verzichteten jedoch alle Bundesstaaten darauf, die Möghchkeiten ihrer aus der napoleonischen Zeit übernommenen Mihtärverfassungen vollständig auszuschöpfen. Weiter wurden die strategischen, operativen und taktischen Grundvorstellungen der Napoleonischen Kriege, ungeachtet sich verändernder militärtechnischer Voraussetzungen, bis in die 50er Jahre kaum weiterentwickelt. Auch in den deutschen Staaten begann wie in Europa generell nach 1815 das Mihtärwesen von der Gesellsich schaft zunehmend abzugrenzen. Anteil und Gewicht der Massen in den Armeen wurden zurückgedrängt. Darüber hinaus nahmen einige Armeen des Deutschen Bundes deuthch sichtbar stärker eine nach innen gerichtete Aufgabenstellung wahr, so daß in den Reihen der gebildeten Schichten Ressentiments und Mißtrauen gegenüber dem Soldatenstand genährt wurden. Die innere einzelstaatliche Entwicklung des Mihtärwesens wurde von der Bundeskriegsverfassung als einem innerbündischen Bindungs- und Ausgleichselement insgesamt nur wenig beeinflußt. Ihre integrative Funktion war somit begrenzt. Wichtige militärische Anforderungen der Bundeskriegsverfassung blieben wie die nach 1841 für alle Kontingente durchgeführten Musterungen zeigten auf einzelstaatlicher Ebene uneingelöst oder wurden in anderen Fähen deutlich überboten. Das von Anfang an existierende relative nülitärische Leistungsgefälle zwischen Groß-, Mittel- und Kleinstaaten des Bundes konnte durch die Bundeskriegsverfassung nicht abgebaut werden. Damit war das sicherheitspolitische Gewicht der deutschen Einzelstaaten im Bund wesentlich verschieden. Deutsche Sicherheitsinteressen wurden deshalb vornehmlich von Österreich und Preußen vertreten. Der Zusammenhang von deutschen Sicherheitsinteressen und europäischem Gleichgewicht verdeutlichte sich nicht nur bei der Konzeption der Bundeskriegsverfassung, sondern auch an den Zäsuren und Wendepunkten der eu—
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ropäischen Geschichte: Zwischen 1815 und 1830 zog kein Ereignis von europäischer Bedeutung, weder die Revolutionen auf der Apenninen- und Pyrenäenhalbinsel noch der nationale Befreiungskampf der Griechen, einen meßbaren sicherheitspolitischen Handlungsbedarf für den Deutschen Bund nach sich. Diese Situation änderte sich schlagartig, als mit der JuHrevolution 1830 in Frankreich und der nach ihr auftretenden »belgischen Krise« bereits unterschwellig vorhandene antifranzösische Bedrohungsperzeptionen klare Umrisse bekamen. Doch waren diese Wahrnehmungen, die zu meist verspätet folgenden militäri-
schen Bereitschaftsmaßnahmen des Bundes und kleineren Korrekturen der Bundeskriegsverfassung führten, noch sporadisch und von ledigHch transitorischer Wirkung. Das galt auch in der »Rheinkrise« 1840/41. Im sicherheitspolitischen Agieren der beiden deutschen Vormächte dominierte sowohl 1830 bis 1832 als auch 1840/41 das Bemühen, einen Konsens auf doppelhegemonialer Grundlage zu finden. UnterschiedHch ablaufende innergeseUschaftliche Modernisierungsprozesse führten jedoch dazu, daß im außen- und sicherheitspolitischen Bereich bereits nach 1830 die Tendenz einer zunehmenden Entfremdung beider Vormächte voneinander erkennbar war. Die Tendenz der Vereinzelung bzw. der ideologischen Blockbildung war nach 1830 auch im Europäischen Konzert zu beobachten. Dessenungeachtet blieb die sicherheitspolitische Haltung der europäischen Großmächte in Krisensituationen bis 1848 durch einen relativ festen Zusammenhalt und ein deeskalierendes Krisenmanagement geprägt. Den Regeln des Europäischen Konzerts folgend, wurden Gegensätze auf Konferenzen ausgetragen, bediente man sich des militärischen Faktors nicht zur Veränderung des politisch-territorialen Status quo, sondern statt dessen als Droh- und Schlaginstrument gegenüber Quertreibern, die sich den jeweils erzielten Kompromissen verweigerten. Das Jahr 1848 stellte eine Wendemarke in der Typologie der europäischen Krisen zwischen 1815 und 1866 dar. Es war angefüllt mit einer verwirrenden VieHalt sich überlagernder Konflikte. Im Zusammenhang mit der offen aufbrechenden nationalen Frage und dem Problem der sozialen Vertiefung der Revolution gewann der militärische Faktor als Mittel innenpolitischer Integrationsstrategien in den europäischen Staatenbeziehungen wiederum an Bedeutung. Vor allem in der mUitärischen Auseinandersetzung des Deutschen Bundes, später der deutschen Nationalversammlung, mit Dänemark zeichnete sich infolge der diplomatischen Intervention der europäischen Großmächte die Gefahr der Europäisierung eines begrenzten Konfliktes ab. Gleichfalls wurden die in der Revolution entwickelten staatsrechtlich-poHtischen und mUitärischen AlternativvorsteUungen durch die Gegenrevolution zunichte gemacht. Die nach der Revolution von Preußen offen gestellte Frage nach einer bundesstaatlichen Alternative zum Deutschen Bund beantwortete Österreich, das um seine Vorrechte fürchtete und im Einklang mit den europäischen Großmächten, vor aUem Rußland, handelte, 1850 in klassischer Konfliktstrategie im Sinne der Restitution der alten Verhältnisse. Aus eigener Kraft konnte es aber auch keine Veränderung in seinem Sinne herbeiführen. Das österreichische Projekt eines 70-Millionen-
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Reiches scheiterte nicht zuletzt an der diplomatischen Intervention der europäischen Großmächte. Die Art und Weise der Konfliktlösungen war ein Indiz für die abnehmende Möglichkeit, eine durchgreifende verfassungsrechtliche Reform des Bundes friedlich durchzusetzen, um auf dieser Basis auch die deutsche Sicherheitspolitik gründlich zu reformieren. Im Verhältnis der deutschen Vormächte zueinander folgte der bis 1848 zu beobachtenden Spannung von doppelhegemonialer Interessenwahrnahme und zunehmender Vereinzelung eine bis zur kriegerischen Entladung nach 1850 dem Vertrag von Olmütz anhaltend-offenen Rivalität und Gegnerschaft im Periode der 1866 reichende Dies führte in der Tendenz zu DeBereich. und militarsicherheitspohtischen innerbündischen der und struktivität Sicherheitspolitik, die immer Lähmung vom Konsens der beiden deutschen Vormächte abhängig gewesen war. In deutlichem Kontrast dazu stand die Tatsache, daß in den anderen europäischen Nationalstaaten innergesellschaftliche Modernisierungstendenzen die inneren Interessen und auch die Sicherheitspolitik verändert hatten. Nationalstaatliche und irredentistische Bewegungen traten hinzu. Die alten vorindustriellen Eliten waren aus wichtigen Machtpositionen verdrängt, damit war auch die Solidarität der etabherten, an der Erhaltung der bestehenden Verhältnisse orientierten Kräfte von 1815 in Frage gestellt. Als nach 1848 revisionistischen Nationalinteressen der Vorrang vor gemeinsam-europäischen eingeräumt wurde und die europäische Staatenwelt an starrer Festgelegtheit einbüßte, wuchs der Stellenwert der äußeren Sicherheitspolitik in den Kabinetten und damit das Gewicht des mihtärischen Faktors. So modifizierte sich die äußere sicherheitspolitische Ausgangslage des Deutschen Bundes. Im Krimkrieg endlich, der dem englisch-russischen Weltgegensatz entsprang, wurde die friedliche Periode in den europäischen Staatenbeziehungen für beinahe zwanzig Jahre unterbrochen. Der Krimkrieg leitete eine neue Periode in den europäischen Staatenbeziehungen ein, in der militärische Mittel nicht wie nach 1815 primär zur Erhaltung des Status quo, sondern im Gezu dessen allem Veränderung eingesetzt wurden. Die Ursachen lagenteü vor der in gen ungehinderten Entfaltung der bisher latent vorhandenen Interessenkonflikte zwischen den Großmächten, aber auch im Hinzukommen neuer imperialer Widersprüche und nationaler Antagonismen. Mit dem Krimkrieg entfiel auch die Instrumentalisierung der europäischen Staatenbeziehungen im Sinne der Aufrechterhaltung der »Wiener Ordnung« von 1815. Statt dessen griff jene »Realpolitik« Platz, die eigene »nationale« Interessen klar benannte und zur Durchsetzung vorantrieb. Im europäischen Maßstab zeigte der Krimkrieg die Tendenz einer Ausweitung der Kriegsziele sowie einer Hinwendung zum Mittel der Gewalt in der europäischen Politik. In den europäischen Staaten während der Revolutionszeit eingetretene innere Veränderungen waren 1854, dem Jahr des Eintritts der Westmächte in den Krinücrieg, nun auch nach außen sichtbar geworden. Unter diesen Voraussetzungen entfiel die Notwendigkeit der mihtärischen Selbstbeschränkung, die die Verhandlungen zur Ausarbeitung der Bundes—
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kriegsverfassung und alle bisherigen Reaktionen des Bundes in Krisenfällen geleitet hatte. Der Zusammenhang von europäischem Gleichgewicht und miHtärischer Sicherheitspolitik des Bundes hatte sich durch die veränderte äußere Lage deutlich gelockert, die Notwendigkeit einer effizienteren deutschen Sicherheitspolitik war gewachsen. Doch diese Effizienzsteigerung blieb aus. Während sich im
Zuge europäischer Destabilisierungstendenzen (dem politischen Rückzug
Rußlands vom Kontinent, der Verschlechterung der das Gleichgewicht tragenden britisch-österreichischen Beziehungen, der politisch-territorialen Reduzierung Habsburgs in Europa und dem offenen Revisionismus Napoleons III. sowie der irredentistischen Bewegungen) auch in den deutschen Staaten berechtigte und konstante Bedrohungsperzeptionen herausbildeten, zeigte sich der Bund zunehmend außerstande, zu einer gemeinsamen sicherheitspolitischen Linie zu finden. Diese Asynchronität folgte primär aus innerbündischen Faktoren der nach 1848 zunehmenden wirtschaftlichen und verfassungsrechtlichen Entfremdung der deutschen Staaten zu Österreich, der sich nach 1850 verstärkenden Intensität des preußisch-österreichischen Dualismus und dessen Wand-
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lung zum Hegemonialkampf. Primär im preußisch-österreichischen Dualismus angelegte Widersprüche, aber auch die Schwerkraft partikularistischer Sonderund Gruppeninteressen führten schließlich zur zunehmend gegensätzlichen Instrumentalisierung und Blockierung einer deutschen Sicherheitspolitik. Im Krimkrieg verhinderte Preußen mit seiner PoUtik der »bewaffneten NeutraUtät« den drohenden Kriegseintritt Österreichs und des Deutschen Bundes
der Seite der Westmächte. Damit kam es deutschen Sicherheitsinteressen entgegen und trug zur Begrenzung des Krieges bei. Während des oberitalienidiesmal gegen den Willen der naschen Konfliktes 1859 hintertrieb Preußen eine Bundeshilfe für den in Oberitalien schwer betionalen Öffentlichkeit drängten österreichischen Rivalen. Mit dieser »Politik der freien Hand« quittierte Berlin nicht zuletzt die ihm 1850 in Olmütz zugefügte Demütigung. Zwar hatte die Verschlechterung der äußeren sicherheitspolitischen Situation 1855 endhch zu einer halbherzigen Revision einiger Bestimmungen der Bundeskriegsverfassung geführt, eine diesen Namen verdienende deutsche Militärverfassung indes war nicht zustandegekommen. Die innere Unbeweglichkeit im des Bundes hatte nämlich dazu geführt, daß sich das Bundesmilitärwesen auch nach Einzelstaaten 1849 deutscher Militärwesen zum einiger Gegensatz weder auf die veränderten sicherheitspolitischen, noch materiell-technischen und demographischen Bedingungen, die damals auf das MiHtärwesen aller europäischen Staaten einwirkten, einzustellen vermochte. Das hatte bereits nach der Revolution zu einer relativen sicherheitspolitischen Lockerung der Mitte Europas geführt. Gleichzeitig hatte sich mit der Verschärfung des preußischösterreichischen Dualismus die müitärische Sogwirkung der beiden deutschen Vormächte auf die kleineren BundesgHeder verstärkt, so daß es in Konfliktsituationen neben trialistischen Ansätzen zu einer bipolaren Zentrierung der deutschen Sicherheitspolitik kam. In dieser Hinsicht waren die Anachronismen der Bundeskriegsverfassung nach der Jahrhundertmitte immer prägnanter her-
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vorgetreten und hatten dazu geführt, daß
sie der Kritik aller politischen Lager eine erhebliche Angriffsfläche boten. In Reaktion darauf brachte der Deutschen Bund gerade im letzten Jahrzehnt seiner Existenz noch einmal eine Vielzahl von sicherheitspolitischen Ansätzen hervor, die allerdings an eine Weiterentwicklung des Bundes von einem Staatenbund zu einem Bundesstaat geknüpft waren. Diese Ansätze erwiesen sich denn auch als aussichtslose Fiktionen, da ihre Realisierbarkeit an ein Maß politischer Übereinstimmung innerhalb des Bundes geknüpft war, das der zur Entscheidung drängende preußisch-österreichische Dualismus nicht mehr zuließ. In diesem Zusammenhang ist vor allem das populäre österreichische Bundesreformprojekt von 1863 zu nennen, aber auch der letztendlich ebenso gescheiterte Versuch der Mittelstaaten, aus der Sicht des »Dritten Deutschland« die »Quadratur des Kreises« zu erreichen, nämlich eine militärische Effizienzsteigerung unter Beibehaltung der staatenbündisch-föderahstischen Struktur. Nachdem sich die friedlichen Möglichkeiten verbraucht hatten, in die Bemühungen einer Reform des Bundes eingeschlossen auch seine Sicherheitspolitik und seine Militärkonzeption auf moderne Grundlagen zu stehen, schien der Weg von 1866 fast eine fatale Notwendigkeit zu sein. Indes, er war es nicht. Doch 1866 trat die preußische Großmacht- und Hegemonialpolitik in partielle mit den Interessen des liberalen Bürgertums nach nationalstaatlicher Zentrahsation und Schutz nach außen. Der Bund hatte sich zur inneren Modernisierung unfähig gezeigt. Er war aufgrund seiner staatenbündischföderahstischen Struktur bei auseinanderlaufenden Interessen beider deutscher Vormächte immer weniger in der Lage gewesen, genug sicherheitspolitische Stabilität und Integrationskraft für die Bedürfnisse der sich etablierenden Nation zu entwickeln. So wurde die kriegerische Möglichkeit eine durchgehende Reform der Sicherheitspolitik Deutschlands sowie seiner Kriegsverfassung an die Voraussetzung des Bundesbruchs und eine staatsrechtlich-pohtische Neuordnung zu knüpfen historische Wirklichkeit. Diese »Notlösung« wurde diesmal von den europäischen Großmächten hingenommen.
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Anlage 1:
Instruktion Metternichs vom 4. Juni 1817 für Generalmajor v. Steigentesch zur Ausarbeitung und Verhandlung der Bundeskriegsverfassung
Instructions-Puncte für den kk. Herrn General Major
Freyherrn von Steigentesch
Der Herr General begibt sich nach Carlsbad, um daselbst mit dem k. Preußischen Staatskanzler Fürsten von Hardenberg in Rücksprache über die künftige MilitärOrganisation des teutschen Bundes zu treten, und zu trachten, eine Übereinkunft über die Hauptbestimmungen dieses wichtigen Gegenstands zu erzielen. Die ersten Grundzüge dieses Verständnisses, welche der Herr General sich in seiner Verhandlung stäts gegenwärtig halten wird, sind die folgenden: 1. Der teutsche Bund bildet in seiner Gesammtheit eine Macht. Gegen das Ausland repräsentirt er sich als solche; er genießt alle Rechte und Vorzüge, welche einer Macht zustehen; er bedarf demnach zur Behauptung seiner Existenz und Wesenheit gemessener Mittel der Vertheidigung. Ein unverletzhcher Grundbegriff seiner inneren Verhältnisse ist der, der Souveränität der einzelnen Staaten, welche den Bund büden. Die Militär-Einrichtungen in Teutschland müßen demnach unbedingt den Begriffen entsprechen, welche dem Bunde sowohl in seiner Gesammtheit als den Verhältnissen der Bundesglieder unter sich zur Grundlage dienen; jede Abweichung von diesen Fundamental-Begriffen des Bundes würde denselben entweder in seiner gehörigen Kraft-Aeußerung gegen das Ausland lähmen, oder ihn vieheicht selbst seiner Auflösung im Innern entgegen führen. 2. Die Vertheidigungsmittel Teutschlands bestehen a.) aus dem Bundesheere, b.) aus Bundesfestungen und verschanzten Puncten. Das Heer wird aus Kontingenten der einzelnen Bundesglieder gebildet. Die Festungen und ihre Vertheidigungs Mittel werden durch die Concurrenz der Bundesstaaten erhalten. Die Garnisonen, welche sie büden, können nur ausschließend aus Truppen der Bundesglieder bestehen. 3. Die Truppen Kontingente werden auf ein Simplum, ein Duplum und im Falle der Noth auf ein allgemeines Aufgeboth berechnet. Das Simplum des teutschen Heeres besteht aus 120,000 Mann; nämlich 80,000 M. Linien Infanterie, 12,000 M. leichter Inf. und Jäger, 5,000 M. Artüleristen, 3,000 M. Pioniers, Pontoniers, Mineurs, Sappeurs, 8,000 M. schwere Cavallerie, 12,000 M. leichte dito.
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Anlagen
Aus einer Reserve von 4. Das Heer besteht aus 6. Corps, nämlich 1. Oesterreich, 2. Preußen, 3. Bayern, 4. Schwaben und Rhein, 5. Westphalen und Niedersachsen, 6. Obersachsen. Oesterreich, Preußen und Bayern bUden ihre Corps ausschließend aus eigenen Truppen. Die drey anderen Corps werden in directer Rücksicht auf ihre gehörige Stärke, die Erleichterung ihres Zusammenstoßens, des Zuges der Etappenstraßen, und mit der gehörigen Rücksicht gebUdet, daß die Stellung der Reuterey, des Geschützes, der Pontone p.p. hauptsächhch auf die größeren Staaten fällt. Das Simplum eines Corps besteht aus 15,000 Mann. Oesterreich und Preußen geben das Doppelte, nämlich 30,000, jede Macht. 5. Am Tage der nöthig erachteten Aufstellung der Bundesarmeen ernennt der Bund einen Oberfeldherrn, welcher den Titel eines FeldmarschaUs des teutschen Bundes erhält. Kein gekröntes Haupt, Mitglied des Bundes, kann die teutsche Feldmarschall-Würde übernehmen. Der Oberfeldherr bildet seinen General-Stab und sein Hauptquartier, zu welchem ihm von den sechs ArmeeCorps Offiziere in dem Verhältnisse der Stärke des Simplums der 6 Corps abgegeben werden. Die Functionen des Oberfeldherrn, wie jene des Generalstabs und Hauptquartiers hören mit Tage des Einrückens der Kontingente auf. 6. Der Oberbefehlshaber und die gesammte Armee tritt am Tage ihres Zusammenstoßens in Eid und Pflicht des Bundes. Die Armee erhält ein gemein...
schaftliches Feldzeichen. 7. Die Ernennung der Corps-Kommandanten, so wie die innere BUdung der einzelnen Kontingente hängt ausschließend von den betreffenden Staaten ab. 8.) In Friedenszeiten besteht am Bundestage eme aus Bundestags Gesandten jährlich zu wählende Kommission von fünf MitgHedern, welche unter der Benennung: Militär-Kommission, die Evidenz-Haltung der Kontingente zum Zwecke hat. 9.) Die Bundesfestungen sind in Rücksicht auf den Ausschlag der Konkurrenz in finanzieller Hinsicht doppelter Art, nämhch: a.) als Festungen, welche zur Vertheidigung des gemeinsamen Vaterlandes, ohne besondere Rücksicht und directen Werth für den Fürsten, in dessen Gebieth sie liegen, bestehen, b.) als Festungen, welche vermög ihrer geographischen Lage, nebst dem Zweck der Vertheidigung des gemeinsamen Vaterlands, einen bestimmten Werth für die Staaten haben, in welchen sie Hegen. Zu der ersten Klasse gehören Mainz und die zur Vertheidigung des Oberrheins zu erbauende Festung, zu der zweiten Luxemburg und Landau. In den Festungen der ersten Klasse ist die Konkurrenz des Bundes in finanzieller Hinsicht vollständig; zu jenen der zweiten Klasse muß im Maßstab für die Konkur-
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Anlagen
renz
den.
des
gesammten Bundes und jene des Territorial-Herrn ausgemessen wer-
10.) Der Herr General werden mit dem Preußischen Hofe in
Überlegung
nehmen, welche von den in den rheinisch-Preußischen Provinzen gelegene Festung derselbe als eine Bundesfestung zu stellen wünschte, welche Festung je-
doch dem obigen Gesichtspuncte gemäß in Rücksicht der finanziellen Konkurrenz zu der zweiten Klasse(n) gehören würde. 11.) Die Garnisonen der Bundesfestungen stehen zu jeder Zeit in Pflichten gegen den gesammten Bund. Der Herr General werden dem Preußischen Hofe den Wunsch eröffnen, daß in Frankfurt ein eigenes Grundgesetz zur Sprache gebracht werde, vermöge welchem der Bund die Bundesfestungen außer jeder politischen Verwicklung stehe, d.h. daß derselbe als bestimmten Grundsatz annehme, daß keine Bundesfestung jemals abgetreten, noch an den Feind aus irgendeiner politischen Rücksicht übergeben werden und demnach lediglich den müitärischen Vertheidigungsgesetzen im strengsten Sinne unterhegen könne. Diese Hauptsätze scheinen die Grundbegriffe eines wahren, auf die Sicherheit und die National-Existenz des teutschen Bundes berechneten Militärwesens zu enthalten. In ihnen liegt selbst nicht in dem entferntesten Sinne, irgend eine Beschränkung der richtigen Souverainitätsbegriffe der einzelnen Bundes Staaten. Sie bezwecken eine Nationalarmee ohne die einzelnen Regierungen in der Büdung ihrer Bestandtheile in administrativer Hinsicht zu hindern oder zu lähmen. Oesterreich und Preußen behaupten in unserem Vorschlage eine gemeinsame, ihrer inneren Kraft angemessene Rolle, indem sie die volle Hälfte der Vertheidigungsmittel und des Einflusses zu erhalten berufen sind, welcher ihnen zum Besten selbst der gemeinsamen Sache gebührt. Die beiden Mächte in Anspruch als jenes, welches aus der Nanehmen kein anderes tur der Dinge fließt; sie treten neuerdings auf dem Bundestage gleichstark und gleichgemäßiget auf, und wir zweifeln nicht, daß dieser Vorschlag die volle Zustimmung aller Bundesglieder erhalten dürfte. Es ergibt sich von selbst, daß die nähere detaillirtere Anwendung dieser Hauptsätze einer ausgedehnten kräftigen Bearbeitung bedürfe; diese Bearbeitung kann jedoch nur die Folge der Annahme der Grundbegriffe selbst seyn. Jede umgekehrte Ordnung in dem Geschäfte würde das Wünschenswerthe und in der Folge wahrscheinlich leicht Erreichbare vielleicht unmöglich machen. Wir empfehlen demnach dem Herrn Generalen dem Preußischen Kabinete die Nothwendigkeit einer vorläufigen völligen Einigung zwischen den beiden Höfen über die oben aufgestehten Sätze ans Herz zu legen. Sollte diese so wünschenswerthe Vereinigung unter den beiden Höfen bewhkt seyn, so könnte der Herr General ohne weiters in die vorläufige Beleuchtung jeder ferneren Entwicklung der angenommenen Grundsätze eingehen, in welcher Ihn die Weisungen des Herrn Hofkriegsraths-Präsidenten S.M. Fürsten von Schwarzenberg ausschheßend zu leiten hätten. Es wäre überflüssig, den Herrn Generalen aufmerksam zu machen, wie viel in der Folge des Geschäftes auf die Vermeidung zu abstracter Begriffe ankommen wird, und wir karakterisiren bestimmt als sol—
Übergewicht
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che alle diejenigen, welche eine zu ausschließende Gleichförmigkeit in der Haltung der die Corps bildenden einzelnen Truppen-Kontingente beabsichtigen sollten. Jemehr wir, von unserem hohen Standpuncte aus, dem Grundbegriffe huldigen, daß Teutschland gegen das Ausland in der imponirenden Stellung einer großen Macht erscheine, jemehr sind wir überzeugt, daß die einzelnen GHeder des Bundes mit der rücksichtsvollsten Schonung aller Localverhältnisse, dem oben erwähnten großen Zwecke entgegen streben müßen. Oesterreich und Preußen sind berufen, Teutschland stets mit dem Beispiele des Rechtes und des wahrhaft groß-Guten voranzugehen. Wir hegen die Überzeugung, daß wir durch die gegenwärtigen Anträge einen neuen unzweideutigen Beweis der ausgedehntesten Unbefangenheit des Oesterreichischen Hofes geben und zweifeln nicht hier abermals einer voUkommenen Vereinigung unserer Ansichten mit jenen des K. Preußischen Hofes entgegen sehen zu können. Metternich Wien den 4. Juni 1817 in: HStA Wien, Bl. 7-12 v.
Gesandtschaftsarchive, Bundespräs. Ges. Frankf., Kt. 81, Steigentesch,
Anlage 2:
v.
Militärische Zuarbeit für Generalmajor Steigentesch über die Verteidigung der Westgrenze des Deutschen Bundes 1817
Bemerkungen über die Vertheidigung der westlichen Gränze Deutschlands.
Von der Nordsee bis an die Maas bey Givet gränzt Deutschland an das Königreich der vereinigten Niederlande. Dieser Staat, der durch einen TheU seiner Besitzungen dem deutschen Bunde angehört, deckt durch seine Festungen Deutschland von dieser Seite. So lang Deutschland mit dieser Macht vereint ist, wird jeder Angriff auf den Unterrhein unmöghch. Im Süden ist die Schweiz, von Basel aufwärts bis an das Wormserjoch, der Nachbarstaat Deutschlands. Die Neutralität der Schweiz, von den großen Mächten anerkannt, und garantüt, deckt zugleich diesen Endpunkt der westlichen Gränze Deutschlands, die nur in ihrer Mitte, von Frankreich aus, bedroht werden kann. Die Gränze zwischen Deutschland und Frankreich läuft von Basel längs dem Rhein bis Lauterburg, und von dort in einer geraden Linie über Sarlouis und das Herzogthum Luxemburg bis an die Maas, welche dort die dreyfache Gränze von Deutschland, Frankreich und den vereinigten Niederlanden bezeichnet.
Anlagen
287
Ein Blick auf die Landkarte zeigt die auffallenden Vortheüe, die Frankreich für den Angriff wie für den Vertheidigungskrieg gegen Deutschland besitzt. In Hinsicht auf seine Vertheidigung deckt eine doppelte Reihe grösserer und
kleinerer Festungen seine Gränze, die es vor jedem unerwarteten Angriffe von Deutschland aus schützen. Für den Angriff gewährt die Nähe dieser Waffenplätze und Festungen Frankreich den grossen Vortheil, alle Mittel, die der Krieg fordert, in ihnen aufzuhäufen, den Krieg gleichsam vorzubereiten ohne Aufsehen zu erregen, und den Feldzug zu eröffnen, ehe sich Deutschland in der Verfassung befindet diesem Angriff mit Nachdruck zu widerstehen. Rechnen wir hierzu noch den Vortheil eines Staats, in dem nur ein Wille herrscht, der bey dem Anfang eines Kriegs Einheit, Nachdruck und schnelle Ausführung in seine Bewegungen legt, auf der andern Seite einen Staatskörper, aus mehreren Theilen zusammengesetzt, wo, der Natur der Sache nach, Entschluß und Ausführung bey dem Anfange des Kampfes nicht so schnell seyn kann; so wird die dringende Nothwendigkeit einleuchtend, eine Vertheidigungslinie für die westliche Gränze Deutschlands zu bilden. Sie muß diesem Staate die Möglichkeit verschaffen, einem ungleichen Kampfe für den ersten Augenblick auszuweichen, seine zerstreuten Kräfte auf bestimmten Punkten zu sammeln und die feindlichen Operationen so lang auf einer gewissen Linie festzuhalten, bis die gesammelte Streitkraft Deutschlands es erlaubt in den Angrüfskrieg überzugehen. Am Unter- und Mittelrhein ist diese Vertheidigungslinie bereits durch die drey Punkte von Mainz, Luxemburg und Landau gezogen. Diese Waffenplätze decken das ganze Land zwischen dem Rhein, der Queich, der Mosel und Saar, und sperren von dieser Seite die wichtigsten Operationslirtien nach Deutschland. Der Feind kann zwischen Luxemburg und Landau nichts unternehmen und noch weniger mit Erfolg fortsetzen ohne sich dieser Plätze bemeistert oder wenigstens einen Theil seiner Streikräfte zurückgelassen zu haben, um diese Festungen einzuschliessen und zu beobachten. Selbst dann hindert Mainz noch so lang jedes Vordringen des Feindes, bis Deutschland Zeit gewonnen hat, seine Streitkräfte unter dem Schütze dieses Hauptwaffenplatzes zu sammeln. Die Erhaltung einer Festung bey Saarlouis oder die Anlegung einer Festung bey Saarbrücken würde diese Vertheidigungslinie am Mittelrhein sehr verstärken, und sowohl durch die bessere Verbindung von Luxemburg und Landau, als durch die Sperrung der Hauptstraße von Metz nach Manheim und Mainz die feindlichen Operationen erschweren. Nur scheint Saarbrücken den Vorzug vor Saarlouis zu verdienen, da es die gerade Verbindung mit Mainz und die Strasse aufwärts nach Landau deckt. Von dieser Seite ist also Deutschland hinlänglich geschützt. Hingegen ist der Oberrhein, von Lauterburg bis Basel, jedem Angriffe Frankreichs offen, das in Strasburg den Krieg vorbereiten und bey jedem Angriffe den Rhein, das einzige Bollwerk Deutschlands von dieser Seite, leicht überschreiten kann. Von hier aus kann der Feind, der Deutschland noch nicht in der Verfassung findet ihm zu
288
Anlagen
widerstehen, in drey Märschen sich der Zugänge des Schwarzwaldes bemächtigen, hinter dem Schwarzwalde seine Kräfte entwickeln, Schwaben erobern und
sich in den Engpässen der Donau festsetzen. Diese kurze Übersicht bezeichnet hinlängUch die Gefahr, die Deutschland von dieser Seite bedroht. Um diesen Theil der westlichen Gränze zu sichern ist vor allem andern ein befestigter Centralpunkt nöthig, der, wie Mainz, einen Hauptwaffenplatz in diesem TheUe Deutschlands bildet, der mit allem versehen ist, was der Krieg, die Ausrüstung der Truppen u.s.w. erfordern, und dessen Lage es möglich macht, daß ein grosser TheU der deutschen Streitkräfte ihn vor dem Feinde erreicht und sich unter seinem Schütze aufstellt. (Ohne etwas bestimmen zu wollen, scheint in diesem TheUe Deutschlands kein Punkt alle diese Vortheile zu vereinen wie Ulm. Die Erfahrung der neueim Original gestrichen, d. Verf.) so sten Kriegsgeschichte weiset darauf hin: muß in einer angemessenen Entfernung von den verschiedenen Staaten, auf der Hauptoperationslinie nach dem südHchen Deutschland, auf einem Punkte, wo die meisten strategischen und VerbindungsHnien zusammenlaufen; würde es als Festung vom ersten Rang, zur Aufbewahrung großer Kriegsvorräthe aller Art geeignet seyn, und zum Stützpunkt eines festen Lagers dienen können, in dem sich das Bundesheer sammelt. Selbst bey dem schnellsten Vordringen des Feindes würde durch diesen Punkt aUein der Krieg so lang an der obern Donau festgehalten, bis Deutschland gerüstet ist. Nur durch einen solchen Waffenplatz läßt sich ein Vertheidigungssystem für den Oberrhein gründen, das durch eine Reihe von Festungen im Rheinthal unerschwingliche Unkosten verursachen, und die Streitkräfte Deutschlands vereinzelnen und schwächen würde ohne seine Gränze zu sichern. Indessen muß dieser Hauptwaffenplatz, der als der äusserste Stützpunkt des linken Flügels einer Vertheidigungslinie gegen Frankreich anzusehen ist, mit den Festungen am linken Rheinufer verbunden werden, um zugleich den Rheinübergang zu sichern, sobald Deutschland in den Angriffskrieg übergeht. Die kürzeste VerbindungsHnie führt auf den Punkt von Germersheim, der zugleich, vereint mit Landau, die Linie an der Queich eine der stärksten Stellungen sichert. Die Befestigung dieses Punktes, mit einem starken Brückenkopfe auf dem rechten Rheinufer verbunden, scheint die zweckmäsigste Maßregel zu seyn, die Lücke in der grossen Vertheidigungslinie auszufüllen, die durch die Lage eines Hauptwaffenplatzes in der Mitte des südHchen Deutschlands entsteht. Die Befestigung von Offenburg oder Freiburg, die man früher in Vorschlag brachte, würde blos den östhchen und westHchen Eingang des Schwarzwaldes schützen. Die Ausdehnung der Festungswerke, die auf beyden Punkten nöthig ist, würde einen ungeheuren Aufwand von Zeit und Unkosten fordern ohne Deutschland zu sichern. Beyde Punkte können umgangen werden, und es scheint zweckmässiger die Zugänge des Schwarzwaldes durch einige Sperrpunkte zu schützen, die das Vordringen des Feindes erschweren. Folgende Punkte scheinen die zweckmässigsten zu seyn: —
—
—
289
Anlagen
der durch das Klotterthal und Simonswaldthai nach Feuchtläuft. Auf diesem Wege wurde der General Mercy bey Freiburg wangen von dem Prinzen Conde umgangen; und er ahein zeigt, wie unsicher die
1.) Der
Weg
Stellung bey Freiburg ist.
2.) Fahrweg durch das Brechthal nach Triberg. 3.) Strasse über Offenburg nach Haussach, wo sie sich in drey Strassen nach
Vülingen, Rothweil, Rothenburg in das Neckarthal theilt. Bey Haussach
sehr leicht zu sperren. 4.) Strasse über den Ogenauer
Steig, und den Kniebis, der nach Stuttgart Sperrpunkt auf dem Kniebis oder Rossbühl. 5.) Fahrweg durch das Murgthal nach Freudenthal. Sperrpunkt bey der Schwarzenberger Glashütte. Gemauerte Blockhäuser und Schanzen, die sorgfältig unterhalten, mit allem Nöthigen versehen werden und wenig Besatzung fordern, scheinen hinlänglich zu seyn den Feind hier mehrere Tage aufzuhalten und bey einem unvermutheten Angriffe für das Sammeln der Streitkräfte Deutschlands Zeit zu gewinnen. führt.
Die nähere Kenntniß des Schwarzwaldes wird es leicht machen einen Centralpunkt für diese Vertheidigungsanstalten zu finden, von dem aus sie im Augenblicke der Gefahr geleitet und unterstützt werden. Dieß ist der einfache Plan, der die Vertheidigungslinie Deutschlands büdet. Mainz, Germersheim, der Hauptwaffenplatz im südhchen Deutschland und die
Punkte des Schwarzwaldes, gehören der Sicherheit Deutschlands ausschliessend an, und ihre Befestigung, die Vorräthe aller Art die zu ihnen gehören, wie ihre Erhaltung muß auf die Staaten vertheilt werden, die den deutschen Staatskörper büden. Die Erhaltung der übrigen Waffenplätze und Festungen, die ihre Besatzung von den Fürsten erhalten, denen sie angehören oder deren Länder sie ausschliessend schützen, fällt zum Theil den Mächten zu, denen sie diese Vortheile
befestigten
gewähren.
Überschlag
Nur nach dieser Ansicht läßt sich ein richtiger der Kosten madie Deutschland soll. Sie chen, können, besonders auf gemeinschaftlich tragen diese einfachen Grundsätze zurückgeführt, nie die Kräfte Deutschlands übersteigen, und diese Vertheidigungslinie, vereint mit dem Heere das in ihr seine Sammelplätze erhält, sind hinreichend, die Sicherheit und die Unabhängigkeit Deutschlands auf immer zu gründen. in: HHStA Wien, Bl. 63-68.
Gesandtschaftsarchive, Bundespräs. Ges. Frankf., Kt. 81, Steigentesch,
290
Anlagen
3: Anlage des Deutschen Bundes Kriegsverfassung
Kriegsverfassung des deutschen Bundes in ihren allgemeinen Umrissen und wesentlichen Bestimmungen.
Artikel I. Das Bundesheer ist aus den Contingenten aller Bundesstaaten zusammengesetzt, welche nach der jedesmaligen Bundesmatrikel gestellt werden. Artikel II. Das Verhältniß der Waffengattungen wird nach den Grundsätzen der neueren
Kriegsführung festgesetzt.
Artikel III. Zur
Bereithaltung für den FaU des Ausrückens wird das Bundesheer schon im Frieden gebildet, und dessen Stärke, so wie die innere Eintheilung, durch besondere Bundesbeschlüsse bestimmt. Artikel TV. Das Bundesheer besteht aus vollständig gebildeten, theils ungemischten, theils zusammengesetzten Armeecorps, welche ihre Unterabtheilungen von Divisionen, Brigaden u.s.w. haben. Artikel V. Kein Bundesstaat, dessen Contingent ein oder mehrere Armeecorps für sich allein bildet, darf Contingente anderer Bundesstaaten mit dem seinigen in eine AbtheUung vereinigen.
Artikel VI. Bei den zusammengesetzten Armeecorps und Divisionen werden sich die betreffenden Bundesstaaten über die Bildung der erforderlichen Abtheilungen, und deren vollständige Organisation, unter einander vereinigen. Wenn dieß nicht geschieht, wird die Bundesversammlung entscheiden. Artikel VII. Bei der Organisation der Kriegsmacht des Bundes ist auf die aus besonderen Verhältnissen der einzelnen Staaten hervorgehenden Interessen derselben in so weit Rücksicht zu nehmen, als es mit den aUgemeinen Zwecken vereinbar anerkannt wüd. Artikel VIII. Nach der grundgesetzlichen Gleichheit der Rechte und Pflichten, soll selbst der Schein von Suprematie eines Bundesstaates über den andern vermieden werden.
291
Anlagen
Artikel IX. In jedem Bundesstaate muß das Contingent immer in einem solchen Stande gehalten werden, daß es in kürzester Zeit, nach der vom Bunde erfolgten Aufforderung, marsch- und schlagfertig, und in aüen seinen Theilen vohständig gerüstet, ausrücken könne. Artikel X. Die Stärke und die Zusammenziehung des aufzustellenden Kriegsheeres werden durch besondere Bundesbeschlüsse bestimmt. Artikel XI. Die Anstalten müssen allenthalben so getroffen seyn, daß das Bundesheer vollzählig erhalten und im Fähe der Nothwendigkeit verstärkt werden könne. Zu diesem Ende soll eine besondere Reserve bestehen. Artikel XII. Das aufgestellte Kriegsheer des Bundes ist ein Heer, und wird von einem Feld-
herrn befehligt. Artikel XIII. Der Oberfeldherr wird jedesmal, wenn die Aufstellung des schlossen whd, von dem Bunde erwählt. Seine Stelle hört mit der Auflösung des Heeres wieder auf.
Kriegsheeres
be-
Artikel XPV. Der Oberfeldherr wird von der Bundesversammlung, welche seine einzige Behörde ist, in Eid und Pflichten des Bundes genommen. Artikel XV. Die Bestimmung und Ausführung des Operationsplans whd ganz dem Ermessen des Oberfeldherrn überlassen. Derselbe ist dem Bunde persönlich verantwortlich und kann einem Kriegsgerichte unterworfen werden. Artikel XVI. Der Oberfeldherr ist gehalten, alle Theile des Bundesheeres, so weit es von ihm abhängt, durchaus gleichmäsig zu behandeln. Er darf die festgesetzte Heeres-Eintheüung nicht abändern; doch steht es ihm frei, zeitliche Detachirungen zu verfügen. Artikel XVII. Die Befehlshaber der einzelnen Truppen-Abtheilungen werden von dem Staate, dessen Truppen sie befehligen soüen, ernannt. Für die Abtheilungen, welche aus mehreren Contingenten zusammengesetzt sind, bleibt die Ernennung der Vereinigung der betheihgten Regierungen überlassen. Artikel XVIII. Die Pflichten und Rechte dieser Befehlshaber, welche aus ihren Verhältnissen zum Bunde hervorgehen, sind denen des Oberfeldherrn analog. Sie haben unbedingten Gehorsam von allen ihren Untergebenen zu fordern, so wie ihren Vorgesetzten zu leisten.
292
Anlagen
Artikel XIX. Die Gerichtsbarkeit steht den Befehlshabern der
Heeres-Abtheilungen zu, nach den von den Bundesstaaten denselben vorgeschriebenen Grenzen. Artikel XX. Die Verpflegung des Bundesheeres wird unter der obersten Leitung des Oberfeldherrn durch Bevollmächtigte sämmtlicher Armeecorps, und, innerhalb der Bundesstaaten, unter Mitwirkung der betreffenden Landes-Commissarien besorgt.
Artikel XXI. Auf besondern Bundesbeschluß wird aus den matrikularmäsigen Beiträgen sämmtlicher BundesgHeder eine eigene Kriegscasse errichtet. Artikel XXII. Die Vergütung von Durchmarsch- und Cantonirungskosten, so wie von anderen allgemeinen Leistungen in den Bundesstaaten, soU nach biUig ermäßigten Preisen geschehen, und den Landesunterthanen immer so schnell als mögHch baare Bezahlung geleistet werden. Artikel XXIII. Allenthalben ist der Grundsatz einer gleichen Vertheilung der Lasten und der Vortheile, sowohl rücksichtlich der Heeres-Abtheilungen als der Bundesstaaten, zur steten Richtschnur zu nehmen. Artikel XXTV. Zwischen sämmtHchen Bundesstaaten soll ein aUgemeines Cartell bestehen.
Nähere Bestimmungen der Kriegsverfassung des deutschen Bundes. I. Abschnitt. Stärke des Bundesheeres.
§2-
Die
Kriegsmacht des Bundes ist aus den Contingenten aUer Bundesstaaten zu-
sammengesetzt.
gewöhnliche Contingent eines jeden Bundesstaates beträgt den hundertBevölkerung, nach der unter Ziffer 1. beigefügten, durch den Beschluß vom 20. August 1818 vorläufig auf fünf Jahre angenommenen, und am 4. Februar 1819 berichtigten Bundesmatrikel. §2. Unter dieser Zahl ist nur die streitbare Mannschaft aller Waffengattungen begriffen. Zur streitbaren Mannschaft werden gerechnet die Officiere, Unterofficiere, Gemeine, Spiel- und Zimmer-Leute, dann die Artülerie-Fuhrwesens-Soldaten, soweit sie nach § 15. zur Bedienung des Geschützes gerechnet werden können. Jene Mannschaft, welche für das übrige Armeefuhrwesen, für die Bäckerei und die Sanitätsanstalten dem Heere zugetheUt wird, muß über den hundertsten TheU gestellt werden. Das
sten TheU seiner
293
Anlagen
§3.
Das Bundesheer muß, sobald es vom Bundes Theüen vohständig gesteht werden.
aufgeboten wird,
in allen seinen
§4.
Um die Vollständigkeit des Heeres fortwährend zu sichern, muß, sogleich nach dem Ausrücken desselben, der sechshundertste Theil der ganzen Bevölkerung als Ersatzmannschaft aufgestellt und unausgesetzt vollzählig erhalten
werden. Sechs Wochen nach dem Ausrücken des Bundesheeres wird von dieser Ersatzmannschaft die Hälfte, nämlich der zwölfhundertste Theil der ganzen Bevölkerung, als Ergänzung dem Heere nachgesendet, mit den übrigen Nachsendungen aber, an Mannschaft sowohl, als an Pferden und Material, nach Maasgabe des Bedarfs, von zwei zu zwei Monaten fortgefahren.
§5.
Damit bei größeren Verlusten einzelner Contingente unverhältnismäsige Leistungen vermieden werden, soll der Ersatz für das Heer in einem Kriegsjahre den zweihundertsten Theü der Bevölkerung nicht übersteigen.
§6.
Der bei jedem Contingent sich
ergebende Abgang wird monatlich durch gleichförmig zu verfassende Abgangsberichte angezeigt.
§7-
Unter dem
Abgange werden verstanden alle Todten, Gefangenen und Desergleich nach ihrem Abgange, dann alle Vermißten nach einem Zeitraum von vier Wochen, und alle im Spital befindlichen Verwundeten und Kranken, welche nach drei Monaten als felddienstuntauglich anerkannt werden. Die übrigen Verwundeten und Kranken werden zwar nicht zu dem Abgange gerechnet; sollten sie jedoch den zehnten Theil des Contingents übersteigen, so müßte dieser Ueberschuß, um die zu große Schwächung des Bunteurs
desheeres werden.
§8.
Größere werden.
zu
vermeiden, nach dem im § 5. angenommenen Maximum ersetzt
Anstrengungen müssen durch besondere Bundesbeschlüsse bestimmt
§9.
Dieselben können in keinem Falle von einzelnen Bundesstaaten, sondern im Allgemeinen nach der Matrikel gefordert werden.
§20.
nur
Für die Reserven, welche bei solchen aussergewöhnlichen Anstrengungen zur Verstärkung des Bundesheeres nachrücken, kommen die nämlichen Bestimmungen in Anwendung, welche für das Heer selbst gegeben sind. Sie werden mit dem betreffenden Armeecorps, oder, wenn dieses nicht möglich ist, in selbstständige Körper vereinigt, welche mit jenen analog zusammenzusetzen, zu befehhgen, zu organisiren und zu behandeln sind.
294
Anlagen II. Abschnitt. Verhältniß der Waffengattungen.
§22.
Das numerische Verhältniß der Reiterei des Bundesheeres wird auf ein Siebentheil der Gesammtzahl eines jeden Contingents angenommen.
§22.
Für die Artillerie wird das Verhältniß dergestalt festgesetzt, daß zwei Stücke Geschütz für jedes Tausend Mann des Contingents gerechnet werden. Jeder Bundesstaat wird nächstdem noch wenigstens ein Geschütz nebst Ausrüstung auf jedes Tausend Mann des ganzen Contingents in seinen Zeug-
häusern und können.
Depots vorräthig haben,
um
jeden Abgang
sofort ersetzen
zu
§23.
Die Feldartülerie des Bundes soU in der Regel bestehen aus einem Viertheil Haubizen, einem Viertheil Zwölfpfünder, zwei Viertheilen Sechspfünder. Ein Fünftheil der Gesammtzahl soll reitende Artillerie oder Cavallerie-Geschütz seyn. Die Stellung schwererer Feldgeschütze als Zwölfpfünder wird der Convenienz der betreffenden Staaten überlassen, und in diesem Falle von der Zahl der auf dieselben fallenden zwölfpfündigen und sechspfündigen Batterien abgerechnet.
§24.
Ausser den Feldgeschützen für die Linie wüd noch ein Belagerungspark für das gesammte Bundesheer, welcher aus 100 schweren Canonen, 30 Belagerungs-Haubizen und 70 Mörsern bestehen soU, nach den unter Ziffer 2. bis 7. beUiegenden Ausweisen corpsweise gesteUt, und im Falle eines Kriegs nach der Bestimmung des Oberfeldherrn auf einem oder mehreren Puncten vereinigt. Ueber die Stellung dieser Geschütze werden sich die Glieder der gemischten Corps unter sich vereinigen, und das Resultat ihrer Uebereinkunft, drei Monate nach der Annahme der näheren Bestimmungen, der Bundesversammlung an-
zeigen. §25.
Für die Bedienung der Feldgeschütze werden im Durchschnitte 36 Mann auf jedes Stück gerechnet, worunter auch die ArtiUerie-Fuhrwesens-Soldaten mit begriffen sind, in so fern solche die festgesetzte Zahl nicht überschreiten. Diejenige Artüleriemannschaft, welche zur Bedienung des Belagerungsparks gehört, wird von den Staaten, welche diese Geschütze geben, und zwar nach der dem § 14. unter Ziffer 7. beiliegenden Tabelle gestellt und vom Stande der Infanterie abgezogen.
Anlagen
295
§26.
Für Pionniers und Pontoniers wird das Verhältniß des hundertsten Theils der Armee festgesetzt.
§17.
jedes Contingent, dessen Stärke mehr als ein Armeecorps beträgt, stellt eiBrückentrain für große Flüsse, nach Maasgabe des Bedürfnisses; jedes der übrigen einzelnen Armeecorps aber, ohne Unterschied, ob gemischt oder ungeEin
nen
mischt, einen für eine Flußbreite von 400 Schuhen. §18. Sappeurs und Mineurs werden, als zum Belagerungspark gehörig,
ausser dem für Pionniers und Pontoniers bestimmten Hunderttheil der Armee, von denjenigen Bundesstaaten, bei welchen sich diese Corps bereits im Frieden organisirt
befinden, gestellt.
§19.
Das numerische Verhältniß des Fußvolkes ergiebt sich von selbst, wenn die Reiterei, die Bedienung der Feldgeschütze und des Belagerungsparks, die Pionniers und Pontoniers, dann die Sappeurs und Mineurs, von der Gesammtzahl des ganzen Heeres abgezogen werden.
§20.
Fußvolkes soll aus Jägern, Büchsen- oder Scharfschützen bestehen. Die unter Ziffer 8. angefügte Tabelle enthält eine Uebersicht aller Waffengattungen für das Bundesheer, so wie solche nach der Matrikel und zufolge der angenommenen Bestimmungen über das numerische Verhältniß derselben im completen Kriegsstande von sämmtlichen Bundesstaaten zu stellen sind.
Ungefähr der zwanzigste Theil des
§22.
Es bleibt den Bundesstaaten überlassen, zur Bildung ihrer Contingente auch Landwehr zu verwenden; doch muß dieselbe gleich den Linientruppen geübt, ausgerüstet, schlagfertig und mit in der Linie gebildeten Officieren besetzt seyn. Als Grundsatz whd auch hierbei angenommen, daß kein Contingent zum größeren Theile aus Landwehr bestehen könne.
§22.
Der Landsturm gehört nicht in das geregelte System des Kriegs, sondern ist zu den Anstalten zu zählen, welche im Augenbhcke der Gefahr ihre Bestimmung erhalten, und dem eigenen Ermessen der einzelnen Bundesstaaten überlassen bleiben. III. Abschnitt. Eintheilung des Bundesheeres.
§23.
Das Bundesheer besteht (nach der Beilage Ziffer 9.) aus sieben ungemischten und drei combinirten Armeecorps, welche, ohne weitere Benennung, nach Nummern bezeichnet werden, und deren jedes in Abtheilungen von Divisionen, Brigaden, Regimentern, Bataillons, Compagnien, Schwadronen und Batterien zerfällt.
296
Anlagen
§24.
Ein Armeecorps enthält mindestens zwei Divisionen, eine Division mindestens zwei Brigaden, eine Brigade mindestens zwei Regimenter, ein Cavallerie-Regiment wenigstens vier Schwadronen, ein Infanterie-Regiment wenigstens zwei BataUlons, ein BataiUon in der Regel nicht unter 800 Mann, eine Schwadron oder eine Compagnie im Durchschnitt 150 Mann, eine Batterie sechs oder acht Stücke Geschütz.
§25.
Das Minimum eines zu stehenden CavaUerie-Contingents ist 300 Pferde, oder eine Division, das eines selbstständigen Infanterie-Körpers 400 Mann, das der Geschütze eine Batterie von sechs oder acht Stücken. Die SteUung dieser Einheit wüd der Uebereinkunft der Bundesstaaten, mit der unerläßhchen Bedingniß überlassen, daß sie ganz gleich organisirt, bewaffnet und geübt seyn müsse. Als Grundsatz wird jedoch festgesetzt, daß, im Falle der Vertretung, solche nur im Corps statt finden kann. In Ansehung der Geschützeinheiten wird angenommen, daß dort, wo das zu steUende Contingent nicht die Zahl 6 oder 8 erreichen sollte, die betreffenden Staaten sich unter einander wegen des Mehrsteilens von einem oder zwei
Stücken Geschützes vereinigen werden.
§26.
Die Theilhaber an den combinirten Corps und Divisionen werden sich unter einander vereinigen, wie sie die gesetzlichen Abtheilungen zu bilden, und die verschiedenen Waffengattungen nach dem angenommenen Verhältnisse unter sich zu vertheilen für gut finden, und diese Uebereinkunft, drei Monate nach Annahme der näheren Bestimmungen der Bundesversammlung an-
zeigen.
Da, wo sie sich nicht vereinigen könnten, wüd die Bundesversammlung vermittelnd einwirken, und nöthigenfalls entscheiden.
§27.
jedem Armeecorps muß auf die Bildung einer starken CavaUerie- und Geschütz-Reserve Rücksicht genommen werden.
In
IV. Abschnitt. Bereithaltung im Frieden.
§28.
Procent der Bevölkejedem Bundesstaate muß das Contingent von einem vier Wochen nach daß so erhalten marschund werden, es, schlagfertig rung der vom Bunde erfolgten Aufforderung, in aUen seinen Theilen zur Verfügung des Oberfeldherrn, auf die für jedes Armeecorps zu bestimmenden Sammelplätze, gesteUt werden könne.
In
Anlagen
297
§29.
Um diesen Zweck zu erreichen, werden folgende Grundsätze angenommen: 1) Das Material der Rüstung für alle Waffengattungen muß stets in gehöriger Anzahl und Eigenschaft vorhanden seyn. Auch müssen in den Zeughäusern die nöthigen Vorräthe hegen, um jeden Abgang schneh ersetzen zu können.
§30.
2) Die Contingente des Bundesheeres müssen auch im Frieden vollständig
er-
halten werden. Zur Ersparung des Soldes und der Verpflegung kann zwar im Frieden bei allen Waffengattungen eine zeitliche Beurlaubung statt finden; ein Theü der Mannschaft, so wie der Dienstpferde, muß jedoch stets bei den Fahnen und im Dienste bleiben.
§32.
3) Hierzu wird folgender Maasstab aufgestellt: a) Bei dem Fußvolke muß der sechste Theil der eingeübten Mannschaft und
der Unterofficiere im Dienste beibehalten werden. b) Bei der Reiterei wird der dienstthuende Stand in der Regel auf zwei Drittheile der Mannschaft und der Dienstpferde festgesetzt, falls nicht die besonderen Landeseinrichtungen eine Beschränkung auf ein Drittel, unbeschadet des Zweckes, zulassen. Den Bundesstaaten, bei welchen keine Beurlaubung der Dienstpferde statt findet und welche keine Landwehr-Cavallerie stehen, ist eine Vacanthaltung von Dienstpferden in Friedenszeiten gestattet; es darf diese jedoch nicht ein Fünftheil des präsenten Standes übersteigen, und es müssen Vorkehrungen getroffen seyn, daß die Mobilmachung der Cavallerie demungeachtet in der bestimmten Frist geschehen könne. c) Bei der reitenden Artillerie wird das Minimum des dienstthuenden Standes ebenfahs auf zwei Drittheüe unter denselben Modificationen, wie bei der bei der Fußartillerie aber und bei der Bespannung des GeCavallerie, schützes und der ersten Munitionswagen auf ein Drittel des vollen Standes
wenigstens zwei Drittheile
—
festgesetzt.
§32.
Die gesammte Mannschaft des gewöhnlichen Contingents, nämlich der hundertste Theil der Bevölkerung, muß alle Jahre vom Urlaube einberufen, und wenigstens durch vier Wochen im Dienst und Gebrauch der Waffen geübt
werden. Die kleineren Contingente werden sich unter einander vereinigen, die jährlichen Uebungen, in Verbindung aher Waffengattungen, allenfalls in Brigaden, vorzunehmen.
möglichster
§33.
Damit für den Fall, wo durch besonderen Bundesbeschluß (§ 8.) eine Verstärkung des Bundesheeres nöthig gefunden wird, dieselbe gehörig aufgestellt werden könne, müssen in jedem Bundesstaate, der nicht ohnehin eine bedeutendere Anzahl von felddiensttauglichen Truppen unterhält, schon in Friedenszeiten Cadres von Officieren, Unterofficieren und Spieheuten für den dreihundertsten Theil der Bevölkerung, nebst dem nöthigen Material, vorhanden, auch solche Einrichtungen getroffen seyn, daß, zehn Wochen nach dem gefaßten Bundesbe-
298
Anlagen
Schlüsse voUständig geübte und ausgerüstete drons schlagfertig aufgestellt werden können.
Regimenter, Bataillons und Esca-
§34.
Der Bundesversammlung wird am 1. Jänner jeden Jahres eine Uebersicht des Standes des Bundesheeres vorgelegt. Den Bundesstaaten, deren Contingente ein oder mehrere Armeecorps in sich begreifen, bleibt es überlassen, die dießfallsigen Tabellen nach den bei ihnen geltenden Einrichtungen abzufassen. Die unter Zahl 10. beigelegte Tabelle zeigt die Form der Standes-Ausweise, über welche sich die TheUhaber der gemischten Armeecorps vereinigt haben. Sie werden solche corps- oder wenigstens divisionsweise einsenden. Diejenigen BundesgHeder, welche zusammen eine Division büden, werden sich unter einander über die Art der Musterung einverstehen, und, drei Monate nach Annahme der näheren Bestimmungen, ihre Anzeige hierüber an die Bundesversammlung machen. V. Abschnitt. Mobilmachung des Bundesheeres.
§35.
Der Bund wird beschliessen, ob von jedem Bundesstaate tingents oder das Ganze zu steUen sey.
nur
ein TheU des Con-
§36.
Wenn das Bundesheer ausrückt, wird von dem Oberfeldherrn für alle Contingente ein gemeinschaftliches Erkennungszeichen vorgeschrieben.
§37.
In Hinsicht der Bewaffnung, dann des CaHbers der Gewehre und des Geschützes, soU in jedem Armeecorps eine solche Ueberernstünmung statt finden, daß die Munition der Artillerie, und vorzügHch jene der Feuergewehre, gegenseitig
gebraucht werden könne. §38. Was
zur
ersten
Ausrüstung an Munition für die Feldgeschütze erforderlich ist,
zeigt die Beilage 11.
Von diesem Munitionsbedarf werden zwei Drittheile dem Heere mit eigener Bespannung nachgeführt, das letzte Drittheil aber in Depots zur Abführung bereit gehalten, jedoch ohne Verbindlichkeit zu eigener Bespannung. Diese Depots dürfen nicht über 24 Meilen von der ersten Aufstellung des Bundesheeres entfernt seyn. Der Munitionsbedarf für den Belagerungspark ist aus der Tabelle 2. ersichtlich.
§39.
Das ärztliche Personal für die Linie muß bei aUen Contingenten unausgesetzt complet erhalten, nächstdem aber, im Falle des Krieges, auf den zehnten bis zwöUten Theil der Stärke des Bundesheeres ein hinlängliches ärztliches und Hospital-Personal aufgenommen werden.
Anlagen
299
§40.
Die Vorräthe an Arzneien, Verband-Requisiten, und Spital-Bedürfnissen sind auf den zehnten bis zwölften Theü der Stärke eines jeden Corps zu berechnen, und es muß hierbei die Hälfte für bewegliche Spitäler in Anschlag gebracht werden. Ein eigenes Sanitäts-Reglement enthält übrigens auch über diese höchst wichtigen Gegenstände besondere und genaue Bestimmungen.
§42.
Bei jedem Armeecorps sollen so viele Backöfen mitgeführt werden, daß in 24 Stunden für den vierten Theil der Mannschaft Brod gebacken werden kann. Das Bäckerpersonal, welches militärisch organisirt und bewaffnet werden
soü, um nöthigenfalls für die Vertheidigung der Magazine verwendet werden zu können, muß so berechnet werden, daß auf jedes Tausend Mann vier Bäcker, mit Einschluß der Oberbäcker, kommen. §42.
Die Transportmittel müssen bei jedem Armeecorps dergestalt eingerichtet seyn, daß die Naturalverpflegung für die Mannschaft wenigstens auf vier Tage mitgeführt werden könne.
§43.
In Hinsicht der Waffenübungen und des Dienstreglements sollen, wenigstens in der Hauptsache, bei jedem Armeecorps gleiche Grundsätze beobachtet wer-
den.
§44.
Unter den Officieren der verschiedenen Bundesstaaten bei Zusammenziehung der Contingente und im gemeinschaftlichen Dienste entscheidet über den Rang der Müitärgrad und das Dienstalter. Um jedoch in dieser Beziehung allen Inconvenienzen bei Vereinigung verschiedener Abtheilungen vorzubeugen, wird als Regel festgesetzt: daß nur für eine Division ein General- oder Feldmarschaü-Lieutenant; für eine Brigade ein Generalmajor oder General-Feldwachtmeister; für ein Infanterie-Regiment von 2 bis 3 Bataillons, für ein Cavallerie-Regiment von 4 bis 8 Escadrons, dann für 6 Batterien ein
Oberst;
für ein Infanterie-Bataillon von 4 bis 6 Compagnien, für eine Cavaherie-Division von 2 Escadrons, dann für 2 Batterien ein Oberstlieutenant oder Major; für eine Compagnie oder Schwadron, und für eine Batterie von 6 bis 8 Geschützen ein Hauptmann oder Oberlieutenant als Commandant zu ernennen ist. Uebrigens bleibt es den Staaten unbenommen, ihren Officieren im eigenen Contingent einen beliebigen Dienstgrad zu ertheilen; bei Zusammenstossung verschiedener Abtheilungen whd jedoch nicht auf diesen, sondern nur auf jenen Rücksicht genommen, der ihnen, zufolge obiger Bestimmungen, nach der Abtheilung, welcher sie vorstehen, zukömmt.
300
Anlagen VI. Abschnitt. Oberfeldherr.
§45.
jedesmal, wenn die Aufstellung des Kriegsheeres beschlossen wüd, von dem Bunde in der engeren Versammlung erwählt. Diese Stelle hört mit der Auflösung des Bundesheeres wieder auf. Der Oberfeldherr wird
§46. In
Fällen,
einen TheU des Bundesheeres zusammenzuziehen für bleibt es der Beschlußnahme der Bundesversammlung vorbehalten, wegen des Oberbefehls besondere Verfügung zu treffen. wo man nur
nöthig erachtet, §47.
Der Oberfeldherr verhält sich zum Bunde, wie jeder commandirende General seinem Souverain; die Bundesversammlung ist daher seine einzige Behörde, welche mit ihm durch einen aus ihr gewählten Ausschuß in Verbindung steht. zu
§48.
Der Oberfeldherr wird
f
der Bundesversammlung in Eid und Pflicht des Bundes genommen; er erhält von derselben aHein Vollmachten und Befehle, auch in besonderen FäUen specielle Instructionen; er erstattet an dieselbe seine Berichte unmittelbar. von
§49.
Wenn der Oberfeldherr in Eid und Pflicht genommen ist, und seine allgemeine Instruction von der Bundesversammlung erhalten hat; so bleibt es ihm allein überlassen, den Operationsplan nach seiner Ansicht zu entwerfen, auszuführen und abzuändern, wie es die Umstände fordern. Er ist durchaus nicht verbunden, diesen Plan vor der Ausführung irgend jemand mitzutheilen, und es soU ledigHch von seinem besondern Vertrauen abhängen, wenn er die Hauptzüge desselben mit einem oder mehreren Generalen besprechen und berathen wiU.
§50.
Erst dann,
wenn er
nach
getroffenen Einleitungen zur wükhchen Ausführung
geschritten seyn wird, ist er verpflichtet, der Bundesversammlung die Umrisse seines Operationsplans vorzulegen. Er muß jedoch denselben auf das umständlichste schriftlich aufsetzen, damit für alle Zufälle, die ihn persönlich treffen können, so vorgesorgt sey, daß sein Nachfolger das Ganze vollständig einsehen und folgerecht verfahren
könne.
§51.
Ausser dem Oberfeldherrn wird von der Bundesversammlung auch ein Generallieutenant des Bundes gewählt. Diesem gebührt in allen Fällen, welche eine Stellvertretung im Obercommando des Heeres fordern, die zeitliche Verwesung der Oberfeldherrn-Stelle, mit ganz gleichen Rechten, wie die des Ober-
feldherrn. Sobald der bisherige Oberfeldherr das Obercommando wieder übernimmt, oder ein neugewählter in dasselbe eintritt, kehrt der Generallieutenant des Bundes in sein früheres Verhältniß zurück.
Anlagen
301
§52.
Als Generalheutenant des Bundes soh einer der Corpscommandanten gewählt werden, welcher jedoch, so lange nicht der Fall der Stellvertretung oder der Einberufung von Seiten des Oberfeldherrn statt findet, ohne Vorrecht vor den übrigen Corpscommandanten bei seinem Corps verbleibt.
§53.
Der Oberfeldherr hat die Befugniß, wegen Einstellung der Feindseligkeiten Uebereinkünfte abzuschliessen, wenn dadurch große Vortheile zu erreichen sind, oder Gefahr auf dem Verzüge haftet. Er soll jedoch förmliche allgemeine Waffenstillstands-Verträge nur unter vorbehaltener Genehmigung des Bundes abschliessen können.
§54.
Der Oberfeldherr kann über die Aufstellung, Bewegung und Verwendung der ihm anvertrauten Streitkräfte, auch die allenfalls nöthigen zeitlichen Detachirungen, nach seinem Ermessen verfügen, jedoch mit Beobachtung der festgesetzten Heereseintheilung, die er nie abändern darf, und der Beisammenhaltung der von Einem Staate gestellten Corps, in Fällen, wo diese ohne Nachtheil
berücksichtigt werden kann. Ahe Detachirungen und solche Maasregeln, welche in die organischen Corpsverhältnisse eingreifen, können nur so lange dauern, als es nülitärische Rücksichten erfordern, und kein Corps darf hierdurch bis zu dem Grade geschwächt werden, daß es nicht mehr als selbstständiger Körper bestehen könnte. §55.
Zu dem als Reserve aufzustellenden Armeecorps stoßen besonders zu bildende Cavallerie- und Artillerie-Massen, zu deren Bildung alle Armeecorps des Bundesheeres nach dem Verhältnisse ihrer Cavallerie und Artillerie beitragen. Der Oberfeldherr kann zu diesem Behufe von jedem der ungemischten Armeecorps bis zu einem Fünftel, und von jedem gemischten Corps bis zu einem Sechstel der Cavallerie, ferner von jedem Armeecorps bis zu einer Batterie von
acht Stücken Geschützes beordern. Wenn durch vom Bunde genehmigte Einrichtungen, die Zahl der Reiterei eines Corps sich gegen den matrikularmäsigen Betrag mindert; so wird die Zahl, um welche sie vermindert wird, an dem Quantum abgezogen, welches detachirt werden kann.
§56.
Obige Bestimmung eines Maximums soll den Oberfeldherrn nicht hindern, für den Tag einer Schlacht die Reserve durch Infanterie, Cavallerie und Artillerie einzelner Corps nach seiner Einsicht in so weit zu verstärken, als es die Schlagfertigkeit der einzelnen Corps gestattet. §57.
Der Oberfeldherr hat das
Recht, die Befehlshaber der aus den verschiedenen herauszuziehenden Cavaherieund Artülerie-Massen aus den Generalen Corps des Bundesheeres nach seinem Ermessen zu ernennen.
§58.
Wenn schon die innere Einrichtung der Contingente, nach ihrem Ausrücken, auch im Kriege den einzelnen Bundesstaaten überlassen bleibt; so ist doch der
302
Anlagen
Oberfeldherr befugt, die Mannschaft sowohl, als das Materielle der verschiedenen Contingente zu mustern, zu Hebung allenfallsiger Mängel, welche auf die zu Schlagfertigkeit Einfluß nehmen können, sich an die betreffende RegierungBunwenden, und, wenn er es für nöthig hält, auch deßwegen Anträge bei der
desversammlung zu machen, welche ohne Verzug, mit Anwendung der über die Kriegsverfassung aufgestellten Grundsätze, darüber einen Beschluß fassen und für dessen Ausführung Sorge tragen wird.
§59. Die Bestimmung der MUitärstrassen, die Anlage von Hospitälern und Magazi-
so wie die Bezeichnung der Verpflegsbezüke der Corps, und überhaupt aller Maasregeln zur SichersteUung der Armeebedürfnisse und der Wohlfahrt des Heeres, sind dem Oberfeldherrn, mit Beachtung der Eingenthumsrechte, und unter dem nöthigen Benehmen mit den Landescommissarien, lediglich zu überlassen.
nen,
§60.
Der Oberfeldherr kann die Individuen, welche sich auszeichnen, ihren Landesherren zur Belohnung empfehlen.
§62.
Um in den Felddienst des Bundesheeres die nöthige Uebereinstimmung zu bringen, hat der Oberfeldherr das Recht, darüber Bestimmungen durch Armeebefehle zu erlassen, so weit solche für das Allgemeine nothwendig sind, und nicht in die innere Einrichtung der Corps eingreifen.
§62.
Damit den Bundesstaaten über die gleichmäsige Behandlung aller Theile des Bundesheeres volle Beruhigung verschafft werde; so wird aus dem Generalstabe derselben für jedes Armeecorps ein höherer Officier in das Hauptquartier abgesendet, dem bei dem Oberfeldherrn und allen übrigen Chefs freier Zutritt gebührt, um mit demselben über die Angelegenheiten des Corps sich zu benehmen und dessen Interesse zu vertreten.
§63.
Bei den combinüten Corps kann diesem höheren Officiere noch ein anderer von niedrerm Range von jeder Division beigegeben werden, um die einzelnen Divisionen in demselben Corps zu vertreten.
§64.
Diese höheren Officiere sind die Organe zwischen dem Oberfeldherrn und den einzelnen Regierungen sowohl, als den betreffenden Corps. Dem Oberfeldherrn ist es jedoch in besonderen Fällen, wo er es räthhch findet, frei gestellt, sich unmittelbar an die Regierungen zu wenden, und, wie es sich von selbst versteht, alle Ausfertigungen, welche auf die Operationen Bezug haben, durch die ihm untergebenen Stellen, eben so an die Corps zu erlassen.
§65.
zugleich Befehlshaber irgend einer Heeresabtheüung seyn. Ueberhaupt kann kein General zugleich das unmittelbare Commando über eine höhere und eine niedere Abtheüung führen. Der Bundesfeldherr kann nicht
Anlagen
303
Mit dem Antritt eines jeden höheren Wirkungskreises whd der niedere an den nächstfolgenden im Range in derselben Heeresabtheilung in der Zwischenzeit abgetreten.
§66.
So wie der Oberfeldherr mit ausgedehnter Vollmacht, durch nichts beengt, mit Kraft und Nachdruck seine Beschlüsse verfolgen kann, so ist er auch für fehlerhafte Entwürfe oder Irrthümer in großen Combinationen dem Bunde persönhch verantwortlich. Der Bund kann ihn einem Kriegsgerichte unterwerfen, welches aus Einem Feldmarschall, General der Infanterie oder Cavallerie, als Präsidenten, von der Bundesversammlung gewählt; zwei Feldzeugmeistern oder Generalen der Infanterie oder Cavallerie, zwei Generallieutenants, zwei Generalmajors,(aus dem Bundesheere dazu commandirt;) Einem Generalauditor, von dem Staate des Oberfeldherrn; Einem Defensor, von dem Oberfeldherrn selbst gewählt, bestehen soll, und, nach Untersuchung des Thatbestandes, ihn nach dem Gesetzbuche deßjenigen Staates, zu dem er gehört, zu richten hat. Von den als Beisitzer zu diesem Kriegsgerichte bestimmten sechs Generalen ist Einer von Oesterreich, Einer von Preussen, Einer von Baiern und Einer von jedem der drei gemischten Armeecorps zu commandiren. Die Commandirung geschieht auf Einladung der Bundesversammlung an die betreffenden Staaten.
VII. Abschnitt.
Corpscommandanten. §67.
Die Befehlshaber der ungemischten Corps erhalten diejenigen Rechte, welche der Souverain, dessen Corps sie befehhgen, in Uebereinstimmung mit den angenommenen Grundsätzen der Bundes-Kriegsverfassung, ihnen zu ertheilen für gut findet. Was aber die Befehlshaber der zusammengesetzten Corps betrifft; so treten dabei folgende Grundsätze in Anwendung (§ 68. bis 75.).
§68.
zusammengesetzten Armeecorps werden jedes von einem General befehligt, der aus denjenigen Staaten oder den Truppen derselben, deren Contingente das Armeecorps büden, genommen werden soll. Die
§69.
Corpscommandanten können zwar die Eintheilung ihrer Armeecorps nicht zum Behufe der ihnen übertragenen Operationen alle augenblicklichen Detachirungen vorzunehmen, welche der Dienst erfordert. Die Bestimmung, welche Truppen sowohl zu diesen, als zu den von dem Oberfeldherrn verfügten Entsendungen verwendet werden sollen, bleibt den Corpscommandanten überlassen. Die
ändern; allein sie sind befugt,
304
Anlagen
Der Oberfeldherr kann nur ausnahmsweise in besonderen und in dringenden Fällen direct darüber verfügen. Er hat jedoch den betreffenden Corpscommandanten gleichzeitig davon in Kenntniß zu setzen, und solche Detachirungen nicht contingentweise, sondern nach den bestehenden Unterabtheilungen der Corps in Divisionen, Brigaden, Regimenter u.s.w. zu verfügen.
§70.
Die Corpscommandanten haben im Dienste der einzelnen Contingente eine ver-
hältnißmäsige Gleichheit unter diesen zu beobachten. §72.
Die Corpscommandanten haben das Recht, die unter ihren Befehlen stehenden Corps sowohl in Beziehung auf die Mannschaft, als auf das Materiell eben so zu
mustern, wie der Oberfeldherr.
§72. Zur
Erhaltung der inneren Ordnung können sie die ihnen zu Gebote stehenden polizeilichen Mittel verwenden, und alle ihre Untergebenen wegen militärischer Vergehen in Arrest nehmen und provisorisch suspendiren. Jede Untersuchung und AburtheUung muß aber den betreffenden Militärgerichten überlassen und dem Corpscommandanten die Abschrift aller UrtheUssprüche über diejenigen Vergehen mitgetheilt werden, deren Untersuchung er
veranlaßt hat.
§73.
Den Corpscommandanten steht das Recht zu, Individuen, welche sich besonders auszeichnen, dem Oberfeldherrn und den betreffenden Regierungen zu
empfehlen. §74.
Die Corpscommandanten haben das Recht, sich den Chef ihres Generalstabes, ihren Generaladjutanten und eine hinlängHche Anzahl Officiere des Generalstabes unter den Officieren derjenigen verschiedenen Staaten auszuwählen, deren
Contingente das Corps bilden, und
sich diese von den betreffenden Regierunerbitten. gen Die Beamten der Verwaltungszweige und übrigen Anstalten werden von denjenigen Staaten gewählt, deren Contingente zusammen das Armeecorps bilden. zu
§75. Die
an den combinüten Corps und Divisionen theilhabenden Staaten werden sich unter einander sowohl über die Art und Weise der Wahl der Corps- und Divisions-Commandanten, als auch über die Einrichtung des Generalstabes und der übrigen Verwaltungszweige vereinigen, und diese Uebereinkunft, drei Monate nach Annahme der zweiten AbtheUung der »näheren Bestimmungen«, der Bundesversammlung anzeigen. Da, wo sie sich nicht vereinigen können, wird die Bundesversammlung vermittelnd einwirken und nöthigenfalls entscheiden.
§76.
Wenn der Befehlshaber eines gemischten oder ungemischten Armeecorps sich durch den Oberfeldherrn in Rechten des Corps oder der dasselbe bildenden Contingente, die er zu vertreten hat, verletzt glaubt; so hat er davon die Anzei-
Anlagen
305
ge an die Regierung des betreffenden Bundesstaates zu machen, welche sodann seine Beschwerde der Bundesversammlung vorlegen kann.
§77.
Glaubt ein Corpskommandant aber, daß ihm in seinen persönhchen Rechten zu nahe getreten worden; so kann er eine unparteyische Untersuchung fordern. Ist die Veranlassung von der Art, daß Corpscommandanten durch Eingriffe des Oberfeldherrn in ihre Rechte oder durch sonstige Wiükührlichkeiten gegründete Beschwerden zu haben glauben, und deßhalb eine Untersuchung gegen den Oberfeldherrn fordern; so sind die Corpscommandanten berechtigt, sich auf dem Dienstwege durch den Oberfeldherrn von der Bundesversammlung ein Kriegsgericht zu erbitten. Diese wird sodann drei Bundesstaaten wählen, welche zu dem niederzusetähnlich jenem für den Oberfeldherrn bestimmten zenden Kriegsgerichte die nöthigen Officiere nebst dem Auditor zu commandiren haben. Alle andern Untersuchungen, welche die Corpskommandanten, etwa durch Beschwerde gegen einander oder gegen ihre Untergebenen veranlaßt, wünschen sollten, können nur bei dem Oberfeldherrn im gewöhnlichen Dienstwege nachgesucht und von ihm die dießfallsigen Kriegsgerichte angeordnet werden.
—
—
§78.
Die Verhältnisse der Befehlshaber der zusammengesetzten Divisionen und Brigaden sind in ihrem Wirkungskreise denen der Corpscommandanten analog.
VIII. Abschnitt. Bildung des Hauptquartiers.
§79.
Die Geschäfte des Hauptquartiers zerfallen in zwei Hauptabtheilungen: in die Leitung des Heeres im Allgemeinen, und in die Leitung besonderer Zweige. Die erste enthält: 1) die Leitung der Operationen und Bewegungen, 2) die Evidenthaltung und Ergänzung des Standes, den inneren Dienst, 3) die ökonomische Leitung, die Pflege und Wartung des Heeres. Die zweite:
1) 2) 3)
die Artüleriedirection, die Geniedirection, die Heerespohzei.
§80.
Abtheilung führen der Generalquartiermeister, der dirigirende Generaladjutant, der Generalintendant; die der zweiten, der GeneralGenie-, der General-Artillerie-Director und der Chef der Heerespolizei sämmtlich in gleichen Dienstverhältnissen und in Gemäßheit der vom OberDie Geschäfte der ersten
—
feldherrn erhaltenen Befehle. Die Tabelle Num. 12. bezeichnet den Wirkungskreis der verschiedenen Chefs, das Detaü der Eintheilung und die dazu nöthigen Individuen.
306
Anlagen
§81.
Der Oberfeldherr hat das Recht, sich den Generalquartiermeister, den dirigirenden Generaladjutanten, den Generalauditor, und den dirigirenden Arzt zu wählen, auch seinen Generalstab selbst zu besteUen. Der GeneraUieutenant des Bundes, die Directoren des Artillerie- und GenieWesens, der Chef der Heerespolizei, und der Generalintendant, mit den ihm zunächst untergebenen Vorständen der Verwaltungszweige, werden von dem Bunde, welcher auf die Vorschläge des Oberfeldherrn die geeignete Rücksicht nehmen wüd, gewählt und in Pflichten genommen.
§82.
Der Oberfeldherr wird, sobald er den Oberbefehl des Heeres übernommen hat, sämmtliche im Hauptquartier angestellte Officiere und Beamte, welche nicht bereits von der Bundesversammlung selbst vereidet sind, im Namen und aus Auftrag derselben, in Eid und Pflichten des Bundes nehmen.
§83.
Der Oberfeldherr unterzeichnet alle Befehle, welche an die verschiedenen Zweige und Abtheilungen ausgefertigt werden. Nur ausnahmsweise und in dringenden Fällen können die betreffenden Referenten, jeder in seinem Fache, im Namen des Oberfeldherrn Weisungen unterzeichnen, welche indessen jedesmal an die Corpscommandanten und nie an die denselben untergeordneten Zweige gerichtet seyn müssen.
§84.
Der Oberfeldherr, welcher für die Dauer des ihm übertragenen Befehls nur im Dienste des Bundes steht, bezieht auch nur von diesem seinen Gehalt und alle sonstigen Emolumente. Die übrigen im Hauptquartier und bei der Intendanz Löhangestellten Individuen erhalten zwar ihre gewöhnliche Gage, Besoldung, nach dem Range, welchen sie im Dienste des nung und Naturalverpflegung von diesen BundesstaaBundesstaates einnehmen, zu welchem sie gehören ten. Dagegen aber werden aUe übrigen Unkosten, die aus der Zusammensetzung des Hauptquartiers und der Intendanz hervorgehen, aus der Kriegscasse bestritten, nämlich 1) die Tafelgelder und ausserordentlichen Zulagen an Geld und Naturalien für das gesammte Personale des Hauptquartiers und der Intendanz, 2) der Aufwand für die verschiedenen Canzleien jener Zweige und für ihren —
—
Transport,
3) die geheimen Auslagen für Kundschaften u.s.w. 4) die Besoldung und Verpflegung aller im Hauptquartier
duen, die nicht
gehören. §85.
zu
einem oder dem andern
angestellten IndiviContingent des Bundesheeres
einzelnen, von der Bundesversammlung zu ernennenden Chefs, so wie die übrigen Chargen im Hauptquartier, können aus den verschiedenen Bundesstaaten im Sinne des § 81. der Grundzüge gewählt werden. Die diesen Individuen in Folge ihrer bundesgemäßen Anstellung zukommenden Gebühren sind in dem Verpflegungsreglement enthalten, gleichwie der Wirkungskreis der letzteren, nämlich der Chargen, im Dienstreglement näher Die
bezeichnet ist.
Anlagen
307
IX. Abschnitt.
Verpflegung. §86.
Sobald die Contingente des Bundesheeres unter die Befehle des Oberfeldherrn treten, geschieht die Verpflegung derselben nach den Vorschriften des für das Bundesheer entworfenen Verpflegungsreglements, welches zugleich die Instructionen für die verschiedenen Verpflegsbeamten enthält. X. Abschnitt. Gerichtsbarkeit.
§87.
Die Gerichtsbarkeit steht in der Regel den Befehlshabern der Corps,
Divisionen,
Brigaden und Regimenter zu. §88.
Die Bundesstaaten werden die Grenzen der Gerichtsbarkeit bestimmen, welche sie den Commandanten ihrer Corps, Divisionen und Contingente übertragen wohen, und hiebei bedacht seyn, die Befugniß in der möglichsten Ausdehnung zu ertheüen.
§89. Jeder im Hauptquartier angestellte Officier und
Civilbeamte eines Bundesstaates, und jedes von den verschiedenen Contingenten demselben zugetheilte Individuum, gehört unter die Gerichtsbarkeit des betreffenden Corps oder der Divi-
sion. In Fällen, wo ein gerichtliches Verfahren über ein solches Individuum nothwendig werden sollte, kann der Oberfeldherr nach Befinden durch den Auditor des Hauptquartiers solches über die begangenen Vergehen summarisch instruiren lassen. Dann aber müssen die Angeklagten, nebst den Untersuchungsacten, an ihre gerichthche Behörde zur Aburtheüung abgehefert werden. Diese Bestimmungen haben auch für die Individuen, welche in den Hauptquartieren der Armeecorps angestellt sind, ihre analoge Anwendung zu finden.
§90.
Diejenigen Militär- und Civil-Bevollmächtigte, welche zum Hauptquartier abgeordnet sind, und nicht unter der Gerichtsbarkeit der Corps stehen, können nur bei solchen Verbrechen, wo Gefahr bei dem Verzüge statt fände, jenem summarischen Verhöre unterliegen, und müssen dann zur Aburtheüung an die betreffenden Behörden abgehefert werden. Wenn die Verhaftung eines solchen Abgeordneten nothwendig geworden, so wird der Oberfeldherr den entsprechenden Corpscommandanten unverzüglich zur Absendung eines provisorischen Bevollmächtigten auf so lange in das Hauptquartier einladen, bis von dem (den) betreffenden Staate (Staaten) eine neue definitive Ernennung für diesen Platz ergangen ist.
308
Anlagen
§92. Diejenigen Individuen,
welche durch freie Uebereinkunft und Annahme dem Hauptquartiere folgen, wie auch alle Fremde, Kriegsgefangene u.s.w., stehen unter der Gerichtsbarkeit des Hauptquartiers, und werden nach den Gesetzen deßjenigen Staates gerichtet, von welchem der Oberfeldherr ist. so
§92.
Der Oberfeldherr hat das
Recht, alle Befehlshaber des Heeres
jeden Untergebenen verhaften zu lassen,
zu
suspendiren,
und gerichtliche Untersuchung über sie bei ihren Behörden zu veranlassen; auch in Fällen, wo Gefahr mit dem Verzüge verbunden wäre, ein summarisches Verhör derselben anzuordnen. Bei den gemischten Armeecorps haben sich die betheiligten Staaten über die Bestimmung des Gerichtsstandes des Corpscommandanten, der Divisionärs und Brigadiers zu vereinigen.
§93.
das Verbrechen des Meineides, des Verraths, der Feldflüchtigkeit und der Insubordination werden im Bundesheere durch besondere Kriegsartikel Strafbestimmungen getroffen, welche dem gesammten Kriegsheere als gleichförmiges Gesetz gelten sollen.
Gegen §94.
Die in den Kriegsartikeln nicht genannten Verbrechen und Vergehen werden nach den bei den Contingenten der einzelnen Staaten gültigen Gesetzen beurtheilt.
§95.
Der Oberfeldherr kann das
Standrecht, nämlich den summarischen, ausserordentlichen Proceß, gegen MUitärs in aUen jenen ausserordentlichen Fällen anordnen, in welchen schnelle Bestrafung des Beispiels wegen nöthig wüd, und in den Gesetzen der verschiedenen Bundesstaaten nicht ohnehin schon das Standrecht festgesetzt ist.
§96.
Eben so hat der Oberfeldherr das Recht, das Martialgesetz, das heißt, das summarische peinliche Verfahren gegen den Bürger in Feindesland zu verkünden, und in Folge dessen das Standrecht anzuordnen. In den Bundesstaaten soU dieß jedoch nur nach gepflogenem Benehmen mit den betreffenden Regierungen und erhaltener Zustimmung derselben geschehen.
§97.
Zur Handhabung der Heerespolizei wird eine eigene Gendarmerie errichtet, deren Minimum auf Zwei vom Hundert der Reiterei angenommen, und welche Zahl in das Cavallerie-Contingent eingerechnet wüd. Das Reglement enthält die allgemeinen Bestimmungen über ihre Bildung und Dienstleistung. in: GStA
Merseburg, Hist. Abt. II, Rep. 2.4.1. Abt. I, Nr. 10069/6, S. 3-23.
Anlagen
309
Revidierte
Bestimmungen der Bundeskriegsverfassung nach der Revision von fünf Abschnitten der näheren Bestimmungen im Jahre 1855
Nähere Bestimmungen der Kriegsverfassung des Teutschen Bundes*. Erster Abschnitt. Stärke des Bundesheeres und allgemeine Bestimmungen.
§ 2. Kriegsmacht, Contingente.
Kriegsmacht des Bundes ist aus den Contingenten aller Bundesstaaten zusammengesetzt. Jedes dieser Bundescontingente besteht aus dem Haupt-, dem Reserve- und dem Ersatz-Contingent. Die beiden ersteren sind bestimmt, als Die
Bestandtheile des Bundesheeres in das Feld zu rücken und die Bundesfestungen zu besetzen; das letztre bleibt zur Büdung des dem Heere nachzusendenden Ersatzes im eignen Staate zurück. Diese Contingente werden nach der im Bundesbeschluß vom 14. April 1842 festgesetzten Matrikel, welche in der Anlage unter Ziffer 1. beigefügt ist, berechnet, und betragen für jeden Bundesstaat an streibarer Mannschaft im Hauptcontingent ein und ein Sechstel (1 V6) in Reservecontingent ein Drittel (V3) im Ersatzcontingent ein Sechstel (/6) Procent dieser Matrikel. § 2. Aufgebot und Ersatz. Das Bundesheer muß in der Stärke, in welcher dasselbe vom Bunde aufgeboten wird, in allen seinen Theüen vohständig gestellt und vollzählig erhalten werden. Damit aber bei größeren Verlusten einzelner Bundescontingente unverhältnißmäßige Leistungen vermieden werden, soll der Ersatz an Mannschaft für das Heer in einem Kriegsjahre ein halbes Procent der Matrikel nicht überstei-
gen.
§ 3. Größere Anstrengungen.
Größere Anstrengungen müssen durch besondere Bundesbeschlüsse bestimmt werden. Haben solche größeren Anstrengungen ausnahmsweise von einzelnen Bundesstaaten gefordert werden müssen, so sind sie alsbald nach der Matrikel auszugleichen. § 4. Streitbare und nichtstreitbare Mannschaß. In der Zahl der § 1. erwähnten Contingente ist nur die streitbare Mannschaft aller Waffengattungen begriffen.
Unterstreichungen und Sperrungen wurden nicht berücksichtigt.
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Anlagen
Zur streitbaren Mannschaft werden
gerechnet:
die Officiere, Unterofficiere,
Gemeine, Spiel- und Zimmer-Leute, dann die Artillerie-Fuhrwesens-Soldaten,
ferner von Musikern soweit sie nach § 10. hinzugezählt werden dürfen, höchstens acht bei jedem Bataülon, insofern sie auch als wirkliche Spielleute (d. i. Signalisten) verwendet werden können. Dagegen sind über die als Contingente festgesetzten Zahlen zu stellen: alle Beamte und Mannschaften, welche dem Heere als Geistlichkeit, als Gerichtspersonal, ferner für das Armeefuhrwesen, für die Verpflegung mit Einschluß der Bäckerei, sowie für das Sanitäts- und Lazareth-Wesen zugetheUt werden, deßgleichen diejenigen Schreiber, Officierdiener und Handwerker, welche nach den Dienstvorschriften des betreffenden Bundescontingentes nicht in Reih' und Glied einzutreten bestimmt sind. —
§ 5. Reservecontingente.
Die Reservecontingente müssen den und bereit gehalten werden.
Hauptcontingenten ganz gleich organisirt
§ 6. Landwehr, Landsturm, Bürgerwehr. Es bleibt den Bundesstaaten
auch Landwehr
zu
überlassen, zur Bildung ihrer Bundescontingente verwenden, doch muß dieselbe gleich den Linientruppen
geübt, ausgerüstet, schlagfertig setzt seyn (vergl. § 24.).
und mit in der Linie
gebildeten Officieren be-
Als Grundsatz wird hierbei angenommen, daß kein Bundescontingent zum größeren Theile aus Landwehr bestehen könne. Der Landsturm, die Bürgerwehr, Miliz und ähnliche Volksbewaffnungen gehören nicht in das geregelte System des Krieges, sondern sind zu den Anstalten zu zählen, welche im Augenblicke der Gefahr ihre Bestimmung erhalten, und dem eigenen Ermessen der einzelnen Bundesstaaten überlassen bleiben.
Zweiter Abschnitt. Verhältniß der Waffengattungen und
Chargen.
§ 7. Reiterei.
Das numerische Verhältniß der Reiterei des Bundesheeres wird auf ein Achtel der Gesammtzahl eines jeden Contingents angenommen (vergl. §§ 18. und 23.). Wenigstens zwei vom Hundert dieser Reiterei wird als Feldgensdarmerie (§ 97.) gestellt und in jener eingerechnet.
§ 8. Feldartillerie.
Für die FeldartUlerie wüd das Verhältniß dergestalt festgesetzt, daß zwei und ein halb Stück Geschütz für jedes Tausend Mann des Haupt- und Reserve-Conwerden. tingents als Minimum Die FeldartUlerie jedes Bundes-Armeecorps soll in der Regel bestehen aus einem Viertheil Haubitzen, einem Viertheil Zwölfpfündnern, zwei Viertheilen Sechspfündnern;
gerechnet
Unterstreichungen und Sperrungen wurden nicht berücksichtigt.
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ein Fünftheil der Gesammtzahl soll reitende Artillerie oder Cavalleriegeschütz seyn (vergl. §§ 18. und 23.). Die Stehung schwererer Feldgeschütze als Zwölfpfündner, oder eine größeren Anzahl der letzteren und der Haubitzen, sowie der reitenden Artillerie wird der Convenienz der betreffenden Staaten überlassen, und in diesem Fähe von der Zahl der leichten Fuß-(fahrenden) Geschütze abgerechnet. Ebenso bleibt es den einzelnen Staaten überlassen, auser der festgesetzten Geschützzahl noch Raketenbatterien zu stellen (vergl. § 10.).
§ 9. Belagerungspark.
Auser den Feldgeschützen wird ein Belagerungspark für das gesammte Bundesheer, welcher aus 100 schweren Canonen, 30 Belagerungshaubitzen und 70 Mörsern bestehen soll, nach den unter Ziffer 2. bis 4. heiligenden Übersichten gestellt, und im Falle eines Krieges nach den Bestimmungen des Oberfeldherrn auf einem oder mehreren Puncten vereinigt. In den gemischten Armeecorps ist die conventionsmäßig übernommene Leistung der einzelnen Glieder derselben für den Belagerunspark (vergl. § 19.) in den erwähnten Ausweisen aufgeführt.
§20. Artilleriemannschaft.
Für die Bedienung der Feldgeschütze werden im Durchschnitt auf jedes Stück 30 Mann an Stäben, Bedienungsmannschaft und Fahrern der Geschütze sowie der Munitionswagen der Batterien gerechnet. Was über diese Zahl für die Munitionscolonnen und für das sonstige Artilleriefuhrwesen an Mannschaften nöthig ist, whd ohne Einrechnung in die Contingente durchschnitthch mit 10 bis 15 Mann auf jedes Geschütz gestellt, Raketeure aber, wo diese nach § 8. erforderlich sind, können als Streitbare angerechnet werden. Die zur Bedienung des Belagerungsparkes gehörende Artiheriemannschaft, sowie die zu den Besatzungen der Bundesfestungen erforderliche wird auser der Mannschaft der Feldartülerie von denjenigen Bundesstaaten als Streitbare gestellt (vergl. § 13.) welche diese Geschütze des Belagerungsparkes oder die Besatzungen der Bundesfestungen geben, und zwar beziehungsweise nach den (den §§ 9 und 44.) unter Ziffer 4. und 11. beihegenden Tabellen. —
§22. Brückentrain. Ein
jedes Armeecorps ohne Unterschied,
§ 15.), stellt
ob
gemischt oder ungemischt (vergl.
einen Brückentrain für eine Flußbreite von 400 Fuß und auserdem für die Avantgarde eine voüständige Birago'sche Brückenequipage von 150 bis 200 Fuß Länge (vergl. § 19.).
§ 22. Pionnière, Genietrupfen.
Für Pionnière und Pontoniere wird das Verhältniß des einhundertsten Theiles der Armee festgesetzt. Auser diesem hundertsten Theil der Armee werden die nach Anlage Ziffer 4. zum Belagerungspark gehörenden Sappeure und Mineure von denjenigen Bundesstaaten gestellt, bei welchen sich diese Truppen bereits im Frieden organisirt befinden, ungleichen die nach Anlage Ziffer 11. zu den Besatzungen —
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der Bundesfestungen erforderHchen Pionnière und Genietruppen von den diese Besatzungen gebenden Bundesstaaten. § 23. Infanterie und Jäger. Das numerische Verhältniß der Infanterie ergibt sich von selbst, wenn die Reiterei, die Bedienung der Feldgeschütze, der etwa gesteUten Raketen und des Belagerungsparkes, die Festungsartülerie, sowie die Pionnière und Genietruppen von der Gesammtzahl des ganzen Heeres abgezogen werden. Ungefähr der fünfzehnte Theil der Infanterie soll aus Jägern, Büchsenschützen oder mit gezogenen Gewehren bewaffneten Scharfschützen bestehen. § 24. Zahlenverhältniß der Chargen, Ärtze etc. zur streitbaren Mannschaft. Bei den Truppen soll das Zahlenverhältniß der Chargen zur streitbaren Mannschaft im Haupt- und Reserve- sowie im Ersatz-Contingent nach Maßgabe der verschiedenen Organisationen als Minimum betragen 1 Officier auf 45 bis 50 Streitbare bei der Infanterie, 30 bis 35 Streitbare bei den anderen Waffengattungen, Unterofficier auf 1 12 bis 15 Streitbare bei der Infanterie, 10 bis 12 Streitbare bei den anderen Waffengattungen, 1 Spielmann auf 45 bis 60 Streitbare bei der Infanterie, den Pionnieren und Genietruppen, 40 bis 50 Streitbare bei der Reiterei und Artillerie. Die höheren Stäbe bis einschließhch der Brigadestäbe, die höheren ArtUlerieund Genie-Stäbe (das Ingenieurcorps) und der Generalstab (vergl. Rubr. 5., 6. und 7. der Standesübersicht, Anlage Ziffer 5.) sind in dem nach vorstehenden Ansätzen sich ergebenden Bedarf nicht eingeschlossen. Imgleichen sind von den Unterofficieren die Bombardiere, die Rottmeister und Gefreite, und von den Spielleuten (Signalisten und Trompetern) sämmtliche Musiker bei obigen FeststeUungen ausgeschlossen. An geprüften MUitärärzten soU mindestens gesteUt werden für die Truppen ein Arzt auf 300 Streitbare, für stehende und ambulante Feldlazarethe ein Arzt auf 30 Kranke, das heißt auf 300 bis 360 Mann des Haupt- und Reserve-Contingentes. Das nach dem Bedarf zu stellende höhere ärztliche Personal ist in dieser Zahl mitbegriffen. Für alle Waffengattungen sind nach Bedarf der Truppenabtheilungen die nöthigen geprüften Thierärzte, Curschmiede, Büchsenschmiede, Sattler und sonstigen Handwerker zu stellen. —
—
Dritter Abschnitt.
EintheUung des Bundesheeres. § 25. Armeecorps und Übersicht. § 16. Bestandtheile.
Mindestens soll enthalten 1 Armeecorps 2 Divisionen,
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1 Division 2 Brigaden, 1 Brigade 2 Regimenter oder 4 Bataillone, 1 Infanterieregiment 2 Bataülone, 1 Reiterregiment 4 Schwadronen. Der Regel nach muß stark seyn 1 Bataillon mindestens 800, höchstens 1200 Streitbare, 1 Infanteriecompagnie mindestens 120, höchstens 250 Streitbare, 1 Schwadron mindestens 120, höchstens 180 Streitbare, 1 Batterie mindestens 6, höchstens 8 Geschütze. §27. Minima in den Waffengattungen. Hinsichts der einzelnen Waffengattungen beträgt das Minimum im Haupt- und
Reserve-Contingent zusammen
bei der Reiterei 1 Division von 300 Pferden, bei der Artillerie 1 Batterie von 6 Geschützen. Die Bundescontingente, welche in der Infanterie die Stärke eines Bataillons nicht erreichen, sind zu combinirten Bataülonen zu vereinigen. Letztere müssen ganz gleich organisirt, bewaffnet und geübt seyn. Wo die Vereinigung zu combinirten Bataillonen nicht ausführbar ist, muß die selbstständige Organisation der Infanterie den vorerwähnten Normen desjenigen Truppenverbandes entsprechen, welchem sie zugetheüt ist. Die in § 13. vorgeschriebenen Scharfschützen werden entweder in besondere Abtheüungen formirt oder den Bataihonen zugetheüt. § 18. Vertretung in den Spezialwaffen. Grundsätzlich muß die Anzahl der Reiter und der Artüleristen, sowie der Geschütze (nach dem verschiedenen Caliber der letzteren), wie diese in Anlage 5. repartirt ist, im Bundesheere gesteht oder ersetzt werden. Diejenigen Bundesstaaten, welche in der Reiterei und Artülerie die in § 17. bezeichneten Zahlen nicht erreichen, stellen ihre Contingente in Infanterie, während sie für die Vertretung der ausgefallenen Waffengattungen durch andere Bundesstaaten Sorge zu tragen verpflichtet sind. Die vorgedachte Vertretung ist nur innerhalb der einzelnen Armeecorps zulässig. Sohten die auf die Bundescontingente eines Staates berechneten Reiter und Artüleristen zusammengenommen die Zahl von 300 Mann erreichen, so kann ein solcher Staat entweder eine Reiterdivision oder eine Batterie stellen, insoweit hierdurch das Verhältniß dieser Waffen in dem betreffenden Armeecorps (der Division) nicht erheblich gestört whd. § 19. Anzeige von Vereinbarungen und Veränderungen. Die Vereinbarungen, welche zur Durchführung des vorstehenden Paragraphen, sowie der §§ 9., 11., 32. und 34. beziehungsweise hinsichts des Belagerungsparkes, des Brückentrains, der Reglements und der Musterung noch nöthig werden, sind der Bundesversammlung spätestens sechs Monate nach Bekanntmachung der näheren Bestimmungen anzuzeigen. Kommt innerhalb dieser Frist eine solche Vereinbarung nach den aufgestellten Grundsätzen nicht zu Stande, so whd die Bundesversammlung die Stehung der ausfallenden Waffengattungen und die entsprechenden Ausgleichungen veranlassen. Eine etwanige Aufkündigung solcher Vereinbarungen ist, sobald die Aufkündigung stattfindet, mit den an deren Stelle tretenden Maßnahmen gleichfalls zur Kenntniß der Bundesversammlung zu bringen.
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Veränderungen, welche die Bundesstaaten in der Formation ihContingentes vornehmen, der Bundesversammlung mitzutheilen. Solche Veränderungen können übrigens nur innerhalb der in der Kriegsverfassung beEbenso sind
res
zeichneten Grenzen stattfinden. Es darf daher zwischen Bundesstaaten, die nicht schon einem und demselben Armeecorps-Verbände angehören, keine Übereinkunft über militärische Angelegenheiten getroffen werden, welche störend in die Beziehungen des Corpsverbandes eingreifen würde. § 20. Commandostellen. 1) Das aufgestellte Kriegsheer des Bundes wird von einem Oberfeldherrn be-
fehligt (§ 45. etc.). 2) Jede Armeeabtheilung, welche als Theil des Bundesheeres nach § 35.
aufge-
stellt wird, sowie jedes Armeecorps erhält einen Commandanten (vergl. §§ 46. und 67. etc.). Das Commando der übrigen taktischen Körper muß in der Regel von folgenden Dienstgraden geführt werden: 3) der Division von einem Generalüeutenant, mindestens von einem Generalmajor, 4) der Brigade von einem Generalmajor, mindestens von einem Obersten, 5) des Infanterieregimentes von einem Obersten, mindestens von einem
Oberstlieutenant,
des Reiterregimentes oder von sechs Batterien von einem Obersten, mindestens von einem Major, 6) des Infanteriebataillons der Reiterdivision oder von zwei Batterien von einem Major, höchstens einem Oberstlieutenant, 7) der Compagnie, Schwadron oder Batterie von einem Hauptmann (Rittmeister). Bei Zusammenstoßen verschiedener Abtheilungen entscheidet über die Führung des Commandos der Functionsgrad, welcher nach obiger Nummernfolge bekleidet wird. Zwischen Officieren von gleichem Functionsgrad entscheidet der Dienstgrad. Sind sich Functions- und Dienst-Grad gleich, dann entscheidet das Datum des Patents, und sollte zufällig auch dieses gleich seyn, die Reihenfolge der Matrikel (s. § 1.). Vierter Abschnitt. Bereithaltung im Frieden.
§22. Umfang derselben.
Die Heeresmacht des Bundes muß sich stets in einem Zustande befinden, welcher geeignet ist, allen WechselfäUen zu genügen, und eintretenden Falles den aus der Friedens- in die Kriegs-Bereitschaft mit der erforderlichen Be-
Übergang
schleunigung zu bewirken.
Die Friedensbereitschaft muß daher die Mittel gewähren, in möglichst kurZeit, erforderlichenfaUs gleichzeitig das Haupt- und Reserve-Contingent in aUen Waffengattungen marsch- und schlag-fertig für das Feld und für die Besatzung der Bundesfestungen aufzustellen, sowie die Ersatztruppen zu formiren. zer
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Die zur Erreichung dieses Zweckes nachstehend ertheilten Bestimmungen für die Friedensbereitschaft sind nur als Minima zu betrachten, unbeschadet desjenigen, was über dieselben hinaus durch besondere Landes- und sonstige Verhältnisse noch weiter geboten, und dieserhalb von den betreffenden Regierungen zur vollständigen Sicherung der Bereitschaft, sowie zur Erhaltung der inneren Ordnung und zur Besatzung der Landesfestungen aufgesteht wird. § 22. Dienstverpflichtung, ununterbrochene und Gesammt-Präsenz. 1) Die Dienstverpflichtung eines in die Bundescontingente einzurechnenden Mannes beträgt mindestens sechs Jahre, 2) die ununterbrochene Präsenz bei der Infanterie wenigstens 1 x/2 bis 2 bei der Reiterei wenigstens 3 bis 3 l/2 bei der Fuß- und Festungs-Artillerie wenigstens 2 bis 2 '/2 bei der reitenden Artillerie wenigstens 3 bis 3 l/2 bei den Pionnieren und Genietruppen wenigstens 2 bis 2 V2 (Jahre) 3) die Gesammtpräsenz bei der Infanterie 2 bis 2 V2 Jahre, bei der Reiterei 3 bis 3 l/2 Jahre, 2 bis 2 V2 Jahre, bei der Fuß- und Festungs-Artülerie 3 bis 3 V2 Jahre, bei der reitenden Artillerie bei den Pionnieren und Genietruppen 2 bis 2 '/2 Jahre. Die vorstehenden Bestimmungen über die Dienstverpflichtung und Präsenzzeit sind nicht durchschnittlich, sondern für jeden einzelnen Mann einzuhalten. Die Berechnung der Präsenzzeit desselben (sowohl der gesammten als der ununterbrochenen) beginnt mit seiner Einstellung bei dem Truppentheil, wenngleich die Recruten der Infanterie etc. nach § 24. unter I. und § 29 nicht zum Präsenzstand gerechnet werden dürfen. der 23. § Bereithaltung Mannschaft und der Pferde. Das Haupt- und Reserve-Contingent des Bundesheeres muß auch im Frieden bis auf die in § 26. gestatteten Vacanzen in ausgebildeter, felddienstfähiger Mannschaft und geeigneten Pferden vohständig erhalten werden. Für die Ersatztruppen müssen im Friedensetat jedes Bundescontingents die Mittel vorhanden seyn, um die Mannschaft unverzüglich mit ihren Cadres an Officieren, Unterofficieren und Spielleuten versehen zu können, ohne die § 14. festgestellten Verhältnisse für das Haupt- und Reserve-Contingent zu beeinträchtigen. Es dürfen diese Chargen, jedoch höchstens bis zur halben Zahl des Bedarfs aus auf Wartegeld Stehenden oder Halbinvaliden bestehen. An Gemeinen müssen bei erster Formation der Ersatztruppen mindestens jeder Abtheilung der Infanterie der dritte Theil, jeder Abtheilung der anderen Waffen die Hälfte ihrer Stärke in ausgebildeter Mannschaft überwiesen werden können, und sind diese daher stets evident zu erhalten. § 24. Präsenzstand. Zur Ersparung des Soldes und der Verpflegung kann zwar im Frieden, soweit es die Landeseinrichtungen unbeschadet des Zweckes gestatten, eine Beurlaubung oder Vacanthaltung (vergl. §§ 25. und 26.) stattfinden. Der nachstehend festgesetzte Theil der Mannschaft und der Pferde muß jedoch bei den Fahnen und im Dienst gehalten werden, insoweit sich nicht schon ein höherer Präsenzstand durch die Bestimmungen des § 22. ergibt. —
—
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I.
Anlagen Für Haupt- und
Reserve-Contingent, es mag eine Formation mit oder ohLandwehr bestehen (vergl. § 6.) sind zusammengerechnet, nach Abder Beurlaubten und der Vacanten 25.) (§ (§ 26.), im Frieden mindestens zug präsent zu halten Î) bei allen Waffengattungen fünf Sechstel (5/6) der Officiere, 2) bei der Infanterie drei Viertel (3/4) der Unterofficiere und Spielleute, ein Sechstel C/6) der Gemeinen, 3) bei der Reiterei a) drei Viertel (3/4) bis vier Fünftel (4/5) der Unterofficiere, Trompeter und Gemeinen nebst Pferden, wo nach § 26. bezüglich ein Viertel (74) oder ein Fünftel C/5) der Pferde vacantgehalten wird, b) zwei Drittel (2/3) der Unterofficiere, Trompeter und Gemeinen nebst Pferden, wo Landwehr-Reiterei besteht, c) ein Drittel C/3) derselben, wo eine Beurlaubung mit Pferden und mit Sold stattfindet, 4) bei der FußartUlerie drei Viertel (%) der Unterofficiere und Spielleute, ein Drittel ('/-,) der Gemeinen und Reitpferde, 5) bei der reitenden Artillerie wie unter 3. bei der Reiterei, und 6) bei der FestungsartUlerie die Unterofficiere und Spielleute wie unter 4. bei der FußartiUerie, die Gemeinen wie unter 2. bei der Infanterie, 7) bei den Pionnieren und Genietruppen wie unter 4. bei der FußartUlerie angegeben ist. Recruten dürfen bei der Infanterie, der FußartUlerie, den Pionnieren und Genietruppen in den sechs Monaten ihrer Ausbildung (vergl. § 29.) nicht in die vorerwähnten Präsenzstände eingerechnet werden. Bei der ArtUlerie muß auserdem die Fahrmannschaft, welche zu der im Frieden beizubehaltenden Bespannung für drei Achtel sämmtHcher Geschütze und ersten Munitionswagen gehört, insoweit diese Mannschaft nicht schon in den oben unter 4. und 6. festgestellten Präsenzständen enthalten ist, stets im Dienst seyn. Die VertheUung erwähnter präsent zu haltenden Pferde auf einige oder auf sämmtUche Batterien bleibt überlassen. Die Präsenzstärke während der ist § 30. angeordnet. II. Für die Ersatztruppen sind die Mittel (vergl. § 23.) zur Stellung mindestens der Hälfte der nach § 14. erforderHchen Officiere, Unterofficiere und Spielleute präsent zu halten, ungleichen eine angemessene Anzahl von Pferden in denjenigen Bundesstaaten, in welchen die Erlangung des Pferdebedarfes Schwierigkeiten bietet. III. Von Nichtstreitbaren ist wenigstens der dritte Theü sämmtlicher nach § 14. erforderHchen Ärzte präsent zu halten, die sonstigen Nichtstreitbaren in dem Maße, als es der Gesundheitsdienst, das Gerichtswesen, die Verwaltung und das Fuhrwesen, insbesondre bei der Artillerie nach § 10. erfordert. —
ne
—
Übungen
—
Anlagen
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§ 25. Beurlaubung.
Als beurlaubt müssen
diejenigen Mannschaften, sowohl streitbare wie nicht streitbare, imgleichen nachgewiesen werden, welche das Hauptund Reserve-Contingent nach seiner den Bundesanforderungen entsprechenden Kriegsformation auser den Präsentgehaltenen (§ 24.) und den in § 26. gestatteten Vacanzen enthalten soll. Auch für die Ersatztruppen sind die § 23. geforderten Mannschaften zu bealle Pferde
rechnen. Die Beurlaubung darf bei keinem Manne früher eintreten, bevor er die § 22. festgestellte Zeit der ununterbrochenen Präsenz beendigt hat. Sie darf in den verschiedenen Waffengattungen nur in der Art stattfinden, daß die kleinsten taktischen Körper (Compagnien, Schwadronen, Batterien) wenigstens als Stämme bestehen bleiben. § 26. Vacanthaltung. 1) Eine dauernde Vacanthaltung ist in Haupt- und Reserve-Contingent a) bei Officier- und Unterofficier-Stellen nur in so weit und nur in den nach § 24. nicht präsent zu haltenden zulässig, als die Mittel genügend nachgewiesen werden, diese Stehen bei dem Eintritt der Mobilmachung sofort angemessen zu besetzen. Sie darf sich aber in der Gesamtzahl höchstens auf den zwölften Theil (V12) der Officiere und zwar nur in den untersten Stellen, und auf den sechsten Theil (V6) der Unterofficiere erstrecken. b) Bei Spielleuten und Gemeinen ist eine solche dauernde Vacanthaltung nicht zulässig. Es müssen dagegen an Gemeinen resp. Unterofficieren soviele mehr nachgewiesen werden, als die etwanige Vacanz an Unterofficieren oder Officieren beträgt. c) Bei den Nichtstreitbaren darf der dritte Theü der Ärzte, welche nach § 14. im Ganzen erforderlich sind, vacantgehalten werden, insofern in gleicher Weise, wie unter a. erwähnt, der Gesammtbedarf sichergestellt ist. Die anderweiten Nichtstreitbaren sind, soweit sie nicht unter den Präsenten oder Beurlaubten bereits zählen, nach dem Kriegsbedarf zu ermitteln und in Listen zu führen. d) Bei den Pferden darf im Frieden nur vacantgehalten werden ein Fünftel (V5) bis ein Viertel (%) der Reitpferde der Reiterei und reitenden Artillerie, insofern eine Landwehr-Einrichtung oder Beurlaubung der Dienstpferde nicht stattfindet, zwei Drittel (2/3) der Reitpferde der Fußartillerie, fünf Achtel (5/g) der Zugpferde der Geschütze und ersten Munitionswagen, ferner die ganze Bespannung für die den Batterien nicht unmittelbar angehörenden Munitionswagen, sowie aüer anderen Fuhrwerke des
Contingentes.
Es sind aber die Landeseinrichtungen der Art zu treffen, daß im Falle der Mobilmachung des Heeres (Abschnitt V.) die sämmtlichen vacant gehaltenen Pferde rechtzeitig eingestellt werden können. Hierzu whd eine genaue und fortlaufende Controle der in jeden Landestheile vorhandenen Pferde und ihrer Beschaffenheit nöthig. 2. Die vorübergehenden Vacanzen, welche in den verschiedenen Graden durch Tod, Verabschiedung, Avancement etc. entstehen, sind bei den Officieren im Frieden in der Frist eines halben Jahres, bei der Mannschaft mindestens jähr-
318
Anlagen
lieh zweimal in Terminen, welche den ersetzen.
§ 27. Kriegsmaterial.
Regierungen
überlassen bleiben,
zu
completen Stand des Haupt- und Reserve-Contingents, sowie für die Ersatzmannschaft muß auch im Frieden das erforderliche Kriegsmaterial stets in gehöriger Anzahl und Eigenschaft vorhanden seyn. Es betrifft dieses die Waffen, die Munition, die Bekleidung, Equipirung und Feldgeräthe jeder Art, die gesammte Pferdeausrüstung und Beschirrung für die Reiterei, Artillerie und die Trains, sowie die nöthigen Fuhrwerke für dieselben (§ 43.). Insbesondre muß bei den Fußtruppen eine doppelte Garnitur Stiefel (Schuhe) bereit gehalten werden. In den Zeughäusern müssen auserdem die erforderlichen Vorräthe Hegen, um jeden Abgang schnell ersetzen zu können. Dahin gehören für die Hauptund Reserve-Contingente berechnet, als Minimum 1) an Geschützen, Munitionswagen und sonstigen Fahrzeugen ein Drittel C/3) der Batterien als Feldreserve, 2) an Infanterie-Gewehren und Jägerbüchsen eine vollständige zweite Garnitur, von welcher zunächst der erste Ersatzstamm bewaffnet werden kann, 3) an Carabinern, Pistolen und blanken Waffen die Hälfte des zur Bewaffnung Erforderlichen. Den Bedarf zur ersten Ausrüstung für die Feldgeschütze und Feuergewehre zeigt Anlage ZÜfer 6. Für die Mannschaft als Taschenmunition für die Batterien und bespannten Munitionscolonnen sind hiervon bestimmt 150 Schuß, für jeden Infanteristen für jeden Reiter 60 Schuß, für jedes 6pfünder-Canon 260 Schuß, für jedes 12pfünder-Canon 225 Schuß, für jede Haubitze 175 Schuß. Eine Reservechargirung von gleicher Höhe, für die Depots bestimmt, muß mindestens zur Hälfte fertig, zur Hälfte im Material verfügbar seyn (vergl. § 40.). Der Munitionsbedarf für den Belagerungspark ist aus TabeUe 2. ersichtlich und im Material vorräthig zu halten. Die Arznei, Verbandrequisiten und Hospitalbedürfnisse sind, auf den zehnten bis zwölften Theil der Stärke des Haupt- und Reserve-Contingentes berechnet, stets vorräthig zu halten oder müssen, was die Arznei betrifft, durch Contacte sichergestellt seyn. § 28. Caliber. In Hinsicht der Bewaffnung, des CaHbers der Gewehre und Geschütze soU in jedem stattfinden, daß die Munition der ArtUArmeecorps eine solche lerie und vorzüghch jene der Feuergewehre gegenseitig gebraucht werden kann. Im FaUe der Neuanschaffung von Geschützen für den Belagerungspark haben sich die drei gemischten Armeecorps in Rücksicht des CaHbers an Österreich, Preußen oder Bayern anzuschheßen. § 29. Erste Ausbildung, Felddienst- und Schießübungen. Ein Zeitraum von sechs Monaten ist als das Minimum anzusehen, welches zur Ausbildung eines eingeübten Soldaten angenommen werden muß. Bis zum AbFür den
ÜDeremstimrnung
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lauf dieses Zeitraumes ist er als Recrut zu betrachten. (Hinsichts der Präsenzberechnung desselben vergl. §§ 22. und 24.). Nächstdem bilden die Felddienst- und einen der während der ferneren ununterbrochenen Präsenz vorzugsweise in Ausführung zu bringen ist. Für die Schießübungen wird als Norm festgesetzt, daß jährlich bei den Jägern und Scharfschützen jeder Subalternofficier, Unterofficier und Gemeine 90, bei der Infanterie jeder Mann wenigstens 30 scharfe Patronen verschießt. Kein Mann darf beurlaubt werden, bevor derselbe die zweite Schießübung abgehalten hat. im Scharfschießen und zwar nach Die Artillerie hält alljährlich Maßgabe ihrer Bestimmung aus Feld-, Belagerungs- und Festungs-Geschützen ab, wobei sämmthche für die verschiedenen Geschütze bestimmten Geschoßarten zur Anwendung kommen müssen. Diesen Übungen ist eine solche Ausdehnung zu geben, daß jeder Mann in der Bedienung des Geschützes mit scharfer Munition die für den Krieg erforderliche Fertigkeit erlangen kann. Die für die Ergänzung der Trainsoldaten, insbesondre der Fahrer ausgehobene Mannschaft ist entsprechenden ersten Einübungen zu unterwerfen. § 30. Größere Übungen. Insofern der in § 24. festgesetzte Präsenzstand nicht schon eine höhere stärke bedingt, und eine längere Dauer der gestattet, sind in jedem Bundesstaate die verschiedenen Waffengattungen alle Jahre wenigstens in der halben Kriegsstärke des Haupt- und Reserve-Contingents mindestens vier Wochen hindurch im Dienst und im Gebrauch der Waffen zu üben. Bei der Artillerie richtet sich die Übungsstärke nach dem Präsenzstande. Es sind Vorkehrungen zu treffen, daß jeder einzelne taktische Körper, insbesondre jedes combinirte Bataillon jährlich vereinigt, und mindestens ahe zwei von Jahre abwechselnd Antheü an Brigaden oder Divisionen nehme, und daß jedes Armeecorps sich wenigstens alle sechs Jahre zu gemeinschaftlichen Übungen vereinige. § 32. Anderweite Bildungsmittel. Um den kleineren Bundescontingenten die Mittel zu erleichtern, ihren Ersatz an militärisch gehörig vorgebildeten Officieren zu sichern, ist durch Übereinkünfte den Officieraspiranten und Officieren der Zutritt zu den Mihtär-Bildungsanstalten und Prüfungen der größeren Bundesstaaten zu eröffnen. Zur Gewinnung tüchtiger Unterofficiere müssen nicht nur überall Bataillons (Regiments-) Schulen bestehen, sondern es muß auch durch Zulagen an Längerdienende (Capitulanten) und da, wo Stellvertretung stattfindet, durch vorzugsweise Berücksichtigung gedienter Leute, imgleichen durch Anwartschaft auf Civilversorgung obiger wichtige Zwecke gefördert werden. § 32. Reglements. Auf eine möglichste der Hauptgrundlagen des militärischen Dienstes ist in dem ganzen Bundesheere hinzuarbeiten. Insbesondre sollen in Hinsicht der Waffenübungen und der Dienstreglements wenigstens in der Hauptsache bei jedem Armeecorps gleiche Grundsätze beobachtet werden.
Schieß-Übungen
Übungszweig,
Übungen
Übungen
Übungen
Übereinstimmung
Übungs-
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§ 33. Standesübersichten.
Spätestens am 1. Februar jeden Jahres wird der Bundesversammlung von jedem Bundesstaate eine nach beiliegendem Schema, Ziffer 7., angefertigte Standesübersicht des Bundescontingents vorgelegt. Aus diesen einzelnen Standesübersichten wird alsdann eine Generalübersicht des Bundesheeres zusammengesteUt. § 34. Musterung. Die Contingente der einzelnen Bundesstaaten soUen mindestens aUe fünf Jahre einer durch die Bundesversammlung angeordneten Musterung unterworfen werden. Die Instruction für die zur Musterung abgeordneten Generale ist in der Anlage Ziffer 8. enthalten. Dieser generellen Instruction sind nöthigenfaUs für einzelne Zwecke specielle Zusätze beizufügen. In besonderen Fällen behält sich die Bundesversammlung auch auser der fünfjährigen Musterungen in kurzer Frist zu bestimmende neue Inspicirungen einzelner Bundescontingente vor. Diejenigen Bundesglieder, welche zusammen einen gemischten Truppentheil bilden, haben sich unter einander über eine häufiger wiederkehrende Musterung mindestens in der Division zu vereinigen (§ 19.). Fünfter Abschnitt. und Mobilmachung Besatzungen der Bundesfestungen.
§ 35. Umfang der Mobilmachung.
Der Bund wird beschließen: ob von jedem Bundesstaate nur ein Theil oder das Ganze des Hauptcontingents, oder ob erforderlichen Falles gleichzeitig auch das Reservecontingent zu steUen sey, sowie auch ob nur einzelne Bundescontingente zur Erfüllung bestimmter Bundeszwecke aufgesteUt werden sollen. § 36. Zeiterforderniß für die Mobilmachung. Spätestens vier Wochen nach der vom Bunde erfolgten Aufforderung müssen die Contingente der einzelnen Bundesstaaten in der nach § 35. aufgebotenene Stärke vollständig marsch- und schlag-fertig zur Verfügung des Oberfeldherrn auf den für jedes Armeecorps in seinem Bezirk im Voraus zu bestimmenden Sammelplätzen aufgestellt seyn. Gleichzeitig werden die Ersatzabtheilungen
(§ 39.) gebildet.
Am vierzehnten Tage nach dem Eingange des Bundesbeschlusses bei den betreffenden Regierungen müssen die zur Kriegsbesatzung der Bundesfestungen bestimmten Truppen (§ 44.) zum Abrücken bereit seyn. § 37. Stäbe und Truppen. Der Oberfeldherr und der GeneralHeutenant des Bundes werden nach § 45. und 51. von der Bundesversammlung gewählt. Dasselbe findet mit dem Oberbefehlshaber Statt, wenn nur ein TheU des Bundesheeres aufgeboten wird. Die Corpscommandanten der zusammengesetzten Armeecorps werden nach § 68. ernannt, und die Stäbe des Hauptquartiers sowie der Armeecorps nach §§ 81. und 74. gebüdet. Die Eintheilung des Bundesheeres ist in § 15. angegeben. Dem Oberfeldherrn werden Standesübersichten und Ordres de bataille der verschiedenen Ar-
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meecorps übergeben, in welchen letzteren auf die Bildung einer starken Reiterund Geschütz-Reserve Rücksicht genommen wird. In dem besondren Falle, wenn ausnahmsweise ein Truppencorps aus Bestandtheüen eines oder mehrerer Armeecorps des Bundesheeres oder aus einzelnen Bund escontingenten zusammengesetzt werden soll, wird durch Bundesbeschluß auch die Eintheilung dieses Corps näher vorgeschrieben werden. Bei Aufstehung des Bundesheeres whd vom Oberfeldherrn für alle Bundes-
contingente ein gemeinschaftliches Erkennungszeichen vorgeschrieben. § 38. Abgang.
jedem aufgestellten Bundescontingent sich ergebende Abgang an des Armeecorps mittels einer nach Anlage Ziffer 9 aufzustellenden Liste der betreffenden Regierung behufs Veranlassung der Nachsendung des Ersatzes mitgetheilt. Ein Duplicat dieser Liste wird dem Oberfeldherrn zur Kenntnißnahme überschickt, und durch letztren auch der Bundesversammlung die erforderliche Anzeige gemacht. Unter dem Abgange an Mannschaft werden verstanden 1) alle Tod ten, Gefangenen und Deserteure, gleich nach Eintritt des Falles, Der bei
Mannschaft, Pferden und Material wird monathch durch den Commandanten
2) alle Vermißten, nach einem Zeiträume von vier Wochen, 3) alle im Hospital befindlichen Verwundeten und Kranken, welche nach drei Monaten als felddienstuntaughch anerkannt werden, 4) ahe übrigen Verwundeten und Kranken nur, wenn sie den zehnten Theü des
aufgestellten Bundescontingents übersteigen.
§ 39. Ersatztruppen und Nachschub. Um die Vollständigkeit des Heeres fortwährend zu sichern, müssen, sobald den Regierungen der Bundesbeschluß zur Aufstehung von Bundestruppen zugeht, auch die Ersatztruppen in dem Verhältniß von einem Sechstel Procent der Matrikel (§ 1.) jedoch bei nur theilweiser Aufstellung des Hauptcontingents soauch nur nach Maßgabe der nach § 35. wirklich aufgebotenen Streitkräfte wohl an Mannschaft (§ 23.), wie an Pferden aufgestellt und unausgesetzt vollzählig erhalten werden (vergl. § 2.). Recruten, welche eine geeignete Ausbildung erlangt haben, können den abrückenden Truppen belassen werden; die übrigen sind den Ersatztruppen zu überweisen. Sechs Wochen nach dem Ausrücken des Bundesheeres whd der bis dahin angezeigte Abgang an Mannschaft sowohl als an Pferden und Material durch eine Nachsendung vollständig ersetzt, und weiter mit diesen Nachsendungen nach Maßgabe des Bedarfes von zwei zu zwei Monaten fortgefahren. falls der Ersatz nicht durch ältere Truppenkörper geleistet Der Nachschub ist whd, möghchst in Marschbataillone und Marschschwadronen zu formhen, und Armee nachzusenden. Bei der Armee Brigade-, Divisions- oder Corps-Weise der und Marschschwadronen aufgelöst. angekommen, werden die Marschbataillone —
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§ 40. Munitionskolonnen.
Was zur ersten Ausrüstung an Munition für die Feldgeschütze und Feuergewehre als erforderlich erachtet worden, ist § 27. und in der Anlage Ziffer 6. angegeben. Von diesem Munitionsbedarf wird die Hälfte als Taschenmunition ausgegeben, theüs dem Heere sofort mit eigner Bespannung nachgeführt. Die andre Hälfte in Depots, welche nicht über 24 Meilen von der ersten Aufstehung des
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Anlagen
Bundesheeres entfernt seyn dürfen, zur Abführung bereitgehalten. Für diese TheU wird eigene Bespannung nicht gefordert. § 42. Hospitäler. Von den auf den zehnten (V10) bis zwölften (V12) Theil der Stärke des ausgerückten Bundesheeres zu berechnenden Feldhospitälern ist die Hähte zu stehenden, und die andre Hälfte zu beweglichen Hospitälern einzurichten (§ 27.), und nach § 14. mit einem hinlänglichen ärzthchen und Hospital-Personal zu versehen. Das Bundes-Sanitätsreglement enthält die näheren Bestimmungen. § 42. Proviantcolonnen. Zugleich mit der AufsteUung des Heeres erfolgt die Bildung der Proviantcolonnen in der Art, daß bei jedem Armeecorps, auser demjenigen, was die Truppen bei sich haben, die Naturalverpflegung für die Mannschaft wenigstens auf vier Tage mit eigner Bespannung mitgeführt werden kann. Bei jedem Armeecorps sollen soviele Backöfen mitgeführt werden, daß in 24 Stunden für den vierten Theil der Mannschaft gebacken werden kann. Das Bäckerpersonal (§ 4.), welches mihtärisch organisirt und bewaffnet werden soll, um nöthigenfalls für die Vertheidigung der Magazine verwendet werden zu können, muß so berechnet werden, daß auf jedes Tausend Mann vier Bäcker mit Einschluß der Oberbäcker kommen. Das nähere Detail der Verpflegung (vergl. Abschnitt IX.) enthält das Bundes-
Verpflegungsreglement.
§ 43. Bagagetrains, Feldpost, Pferdedepots und Übersicht des Fuhrwesens.
Zur Fortschaffung der übrigen vorschriftsmäßigen Truppenbedürfnisse müssen die auf das Nothwendigste zu beschränkenden Fuhrwerke nebst Bespannung vorhanden seyn, die in Bagagetrains vereinigt werden können. Für den Feldpostdienst ist bei jedem Armeecorps das erforderliche Personal anzustellen, das Fuhrwerk und die Pferde anzuschaffen. Zum schleunigen Ersatz der bei dem Heere im Felde abgehenden Pferde hat jedes Armeecorps ein Pferdedepot mitzuführen. Der Stand an Mannschaft und an Pferden für das gesammte Fuhrwesen des Gepäcks, der Munition, der Lebensmittel, der Hospitalerfordernisse, der Feldpost und des Pferdedepots ist nach beiliegendem Schema Ziffer 10. für jedes Armeecorps nachzuweisen. § 44. Besatzungen der Bundesfestungen. Die Besatzungen der Bundesfestungen bestehen aus den Truppen, welche die in Anlage Ziffer 11. namhaft gemachten Bundesstaaten nach den bestehenden Staatsverträgen und Bundesbeschlüssen für diesen Zweck zu steUen haben. Das Specielle sowohl hinsichts der Friedensbesatzung, des Minimums und der vollen Kriegsbesatzung und wegen des nach dem Bedürfniß der Plätze ermittelten Verhältnisses der verschiedenen Waffengattungen ist aus vorerwähnter Anlage zu ersehen. in: HHStA
Wien, PA III, 30, Korresp. Schmerling, Bl. 59-67 v.
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Anlagen
Anlage 4:
Übersicht über das Bevölkerungswachstum der Bundesstaaten von 1818 bis 1852 Uebersicht der Bevölkerung der Bundesstaaten, geordnet nach Maßgabe der Steigerung der ersten. Bundesstaat
No. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34
Matrikel v. 1818
Bremen
48,500 45,117 1200,000 129,800 Hamburg Preußen und HohenzoUern 7 998,499 Luxemb./Limb. 253,583 Frankfurt 47,850 Reuss 74,460 Holstern 360,000 Meckl. Schwerin 358,000 72,062 Lippe S. Meiningen 115,000 Anh. Bernbg. 37,046 Nassau 302,769 Hanover 1305,351 Meckl. StreUtz 71,769 Seh. Lippe 21,000 Grh. Hessen 619,500 Oestreich 9 482,227 Baden 1000,000 S. Altenburg 98,200 S. Coburg Gotha 111,600 Kurhessen 567,868 Anh. Dess. Cob. 85,401 S.Weimar 201,000 220,718 Oldenburg 3 560,000 Bayern Seh. Rudolst. 53,937 209,600 Braunschweig Liechtenstein 5,546
Wurtemberg Lübeck Waldeck
Zusammen in: GStA
J. 1852
Zuwachs in %
20,000 1395,462 40,650 51,877
88,000 74,956 1987,832 211,250 12 937,228 394,262 73,150 114,720 550,000 542,763 106,615 166,364 52,641 429,060 1819,253 99,750 29,000 854,314 12 919,300 1356,943 132,849 150,451 755,350 111,759 262,524 285,226 4 559,452 69,032 267,177 7,000 24,921 1 733,269 48,425 59,697
81,44 66,14 65,65 62,75 61,74 55,48 54,15 54,07 52,78 51,61 47,95 44,67 42,09 41,71 39,36 38,99 38,09 37,90 36,25 35,69 35,38 34,81 33,01 30,86 30,60 29,22 28,08 27,99 27,47 26,21 24,60 24,20 19,10 15,07
30164,392
43 286,116
43,50
Schw.Sondersh. Sachsen
Hessen Homburg
Bevölkerung i.
Merseburg, Rep. 75 D, Nr. 116, unfoliert (Auszug).
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Anlagen
Anlage 5: Zusammenstellung des Bundesheeres 1822 Uebersicht zur Zusammenstellung der streitbaren Mannschaft des
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