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German Pages 313 [314] Year 2009
STUDIEN ZUR DEUTSCHEN LITERATUR
Herausgegeben von Wilfried Barner, Georg Braungart und Martina Wagner-Egelhaaf
Band 192
Nina Birkner
Vom Genius zum Medien+stheten Modelle des K-nstlerdramas im 20. Jahrhundert
n Max Niemeyer Verlag T-bingen 2009
Diese Arbeit wurde vom Fachbereich Germanistik und Kunstwissenschaften der Philipps-Universit+t Marburg als Dissertation angenommen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet -ber http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 978-3-484-18192-2
ISSN 0081-7236
> Max Niemeyer Verlag, T-bingen 2009 Ein Imprint der Walter de Gruyter GmbH & Co. KG http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich gesch-tzt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzul+ssig und strafbar. Das gilt insbesondere f-r Vervielf+ltigungen, Abersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbest+ndigem Papier. Satz: Dçrlemann, Lemfçrde Druck und Einband: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten
Inhalt
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Anwärter im kulturellen Feld: Der verkannte Künstler in Gerhart Hauptmanns ›Michael Kramer‹ () . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Das Scheitern des verkannten Künstlers . . . . . . . . . . . . . ... Arnolds Scheitern an fehlender beruflicher und privater Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... Arnolds Scheitern am väterlichen Erwartungsdruck . . . ... Arnolds Scheitern am inneren Konflikt . . . . . . . . . .. Die dramaturgische Funktion des verkannten Künstlers . . . . ... Michael Kramers Kunstauffassung . . . . . . . . . . . . ... Arnolds Selbstmord als ›Inspiration‹ für Michael Kramer .. ›Michael Kramer‹ als Manifestation eines ›doppelten Bruchs‹ mit der kanonisierten und der naturalistischen Kunst . . . . . . ... Die thematische und dramaturgische Gestaltung des ›doppelten Bruchs‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... Hauptmanns Positionierung im kulturellen Feld . . . . . . .. .. .. ..
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Zentrale Motive im Künstlerdrama um verkannte Künstler (Hauptmann, Jahnn, Johst, Sorge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geniekonzeption und Sakralisierung von Kunst . . . . . . . . . . Antagonismus von bürgerlichem Leben und Künstlerexistenz . . . Kritik am Kunst- und Kulturbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . Position und Positionierung der Theaterautoren im kulturellen Feld
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Anwärter im kulturellen Feld: Der verfemte Künstler in Bertolt Brechts ›Baal‹ () . . . . . .. Der Bruch des verfemten Künstlers mit seinem sozialen Umfeld ... Baals Bruch mit den Weihungsinstanzen des kulturellen Feldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... Baals Bruch mit den Rezipienten seiner Artefakte . . . . .. Die Kunstauffassung des verfemten Künstlers . . . . . . . . . ... Baals ästhetische Prämissen . . . . . . . . . . . . . . . .
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V
... Baals Ästhetisierung der Umwelt . . . . . . . . . . . . . . ... Baals Ästhetisierung der eigenen Künstleridentität . . . . .. Das Scheitern des verfemten Künstlers . . . . . . . . . . . . . . .. ›Baal‹ als Manifestation eines Bruchs mit der expressionistischen Dramatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... Die anti-expressionistische Konzeption . . . . . . . . . . ... Brechts Positionierung im kulturellen Feld . . . . . . . . .
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Zentrale Motive im Künstlerdrama um verfemte Künstler (Brecht, Zech) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geniekonzeption ohne die Sakralisierung von Kunst . . . . . . . . Antagonismus von bürgerlichem Leben und Künstlerexistenz . . . Kritik am Kunst- und Kulturbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . Position und Positionierung der Theaterautoren im kulturellen Feld
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Die Konzeption der Anwärter im kulturellen Feld als Bohemiens .
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Teilhaber im kulturellen Feld: Gerissene und naive Künstler in Wolfgang Bauers ›Change‹ () . Negation des Geniegedankens: Der bohemetypische Habitus als Distinktionsmittel der Avantgarde Negation der antagonistischen Sphären Kunst und Leben: Die gruppeninternen sozialen Zwänge in ›Change‹ . . . . . . . . . Die Durchsetzungsstrategien der gerissenen und naiven Künstler . Die Entlarvung des gerissenen Künstlers Fery Seewann als naiv . . ›Change‹ als Manifestation eines ›doppelten Bruchs‹ mit der Wiener Gruppe und der geweihten Dramatik in der Bundesrepublik ... Die Gestaltung des Bruchs mit der Wiener Gruppe . . . . . ... Bauers Positionierung im kulturellen Feld in Österreich . . . ... Bauers Bruch mit der engagierten Dramatik in der Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... Bauers Positionierung im kulturellen Feld in der Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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. .. .. .. .. .. VI
Teilhaber im kulturellen Feld: Gerissene Künstler in Falk Richters ›Gott ist ein DJ‹ () . Der dominante Einfluss audiovisueller Medien auf die Weltwahrnehmung der Protagonisten . . . . . . . . . . . . . Die Kunstauffassung der Protagonisten . . . . . . . . . . . Die Kategorisierung der Figuren als gerissene Künstler . . . Die spezifischen Strukturen des Kunst- und Kulturbetriebs . Die Durchsetzungsstrategien der gerissenen Künstlerfiguren
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... Die ›gerissene‹ Selbstpräsentation . . . . . . . . . . . . . . ... Die ›gerissene‹ Identitätskonstruktion . . . . . . . . . . . . ... Die Entlarvung der gerissenen Künstler als naiv . . . . . . .. ›Gott ist ein DJ‹ als Manifestation eines Bruchs mit der geweihten Dramatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... Die dramaturgische Konzeption als Pop-Theatertext . . . . ... Richters Positionierung im kulturellen Feld . . . . . . . . . . .. .. .. .. ..
Zentrale Motive im Künstlerdrama um gerissene und naive Künstler (Bauer, Bauersima / Desvignes, Ostermaier, Richter) . . Negation des Geniegedankens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vereinbarkeit von Künstlerexistenz und bürgerlicher Lebensführung Kritik am Kunst- und Kulturbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . Entlarvung der gerissenen Künstler als naiv . . . . . . . . . . . . Position und Positionierung der Theaterautoren im kulturellen Feld
. Teilhaber im kulturellen Feld: Der kanonisierte Künstler in Thomas Bernhards ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹ () . . . . . . . .. Moritz Meisters Kunstauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Die posture des kanonisierten Künstlers . . . . . . . . . . . . . . . .. Meisters Vereinnahmung durch die Inhaber kultureller und politischer Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... Meister als ein von der Parteipolitik korrumpierter Künstler ... Meister als ein vom Literaturbetrieb vereinnahmter Künstler .. ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹ als Manifestation eines Bruchs mit der kanonisierten Avantgarde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... Bernhards Diskreditierung der kanonisierten Avantgarde . . ... Bernhards Distanzierung vom eigenen Schriftsteller-Image .. Bernhards Positionierung im kulturellen Feld . . . . . . . . . . . .
Zentrale Motive im Künstlerdrama um kanonisierte Künstler (Bernhard, Dorst, Dürrenmatt, Thoma) . . . . . . . . . . . . . . .. Der kanonisierte als korrumpierter und / oder vereinnahmter Künstler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Kritik am Kunst- und Kulturbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . .. Position und Positionierung der Theaterautoren im kulturellen Feld
Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namensregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 VII
Dann kommen diese Gelehrten aus dem Heidelbergischen und aus Marburg an der Lahn diese frischgebackenen Germanisten oder Germanistinnen die der Literatur auf der Spur sind und ziehen in ihrem Überschwang alles ans Tageslicht Thomas Bernhard: Über allen Gipfeln ist Ruh
VIII
Einleitung
Die vorliegende Studie befasst sich mit dem deutschsprachigen Künstlerdrama im . Jahrhundert. Zu dieser Gattung zählt Ludwig Tieck in seiner Rezension zu Adam Gottlob Oehlenschlägers ›Correggio‹ alle Theatertexte, in denen das »Schicksal« einer Künstlerfigur »aus seiner Kunst« hervorgeht »und mit seinem Talente ein und dasselbe« wird. Denn allerdings gibt es wol einmal einen Künstler und Dichter, in welchem sein ganzes Schicksal sich so gestaltet, sein Glück oder Unglück auf solche Art sich wendet, daß nur diesem einzigen Manne begegnen konnte, was ihm widerfuhr, und daß Alles aus seinem Talent fließt, welches mit seinem Gemüth sich so innigst verbindet, daß Alles, sowie auch die Umgebung, die äußere Lage, ein untrennbares Ganzes wird.
Tiecks Definition ist bis ins . Jahrhundert tradiert worden. So verlangen auch Uwe Japp und Erna Levy in ihren Überblicksdarstellungen zum Künstlerdrama, dass ein schöpferischer Protagonist »in einen dramatischen Konflikt verwickelt« wird, »der sich aus dem Künstlertum notwendig ergibt«. Als zweites Merkmal der Gattung nennen Japp, Krista Jussenhoven-Trautmann, Willy Krienitz und Käte Laserstein die Darstellung der Unvereinbarkeit von »Talent und Leben«, den »Zusammenstoss« der Künstlerfigur »mit der rauen Wirklichkeit«. Mit dieser Forderung orientieren sie sich am ersten prominenten Künstlerdrama – Johann Wolfgang von Goethes ›Torquato Tasso‹
Ludwig Tieck: ›Correggio‹, von Oehlenschläger. In: Ludwig Tieck: Kritische Schriften. Bd. : Dramaturgische Blätter. Zweiter Theil. Leipzig , S. –, hier S. . Ebd., S. . Erna Levy: Die Gestalt des Künstlers im deutschen Drama von Goethe bis Hebbel. Berlin , S. ; vgl. auch Uwe Japp: Das deutsche Künstlerdrama. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Berlin, New York , S. . Japp: Das deutsche Künstlerdrama, S. . Willy Krienitz: Das deutsche Künstlerdrama in der ersten Hälfte des . Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Stoffgeschichte des Dramas. Leipzig , S. ; vgl. auch Käte Laserstein: Die Gestalt des bildenden Künstlers in der Dichtung. Berlin, Leipzig , S. ; Krista Jussenhoven-Trautmann: Tendenzen des Künstlerdramas in der Restaurationsepoche (–). Köln , S. .
() –, das als ›Muster‹ der Gattung gilt und das, so Caroline Herder, »die Disproportion des Talents mit dem Leben« zum Thema hat. Die Bestimmung des Künstlerdramas als konfliktäres Bühnenstück ist heute problematisch, weil Handlung, Figuren und Dialog als Elemente des Dramas »nicht mehr fraglos vorausgesetzt werden« können. Die ›nicht mehr dramatischen‹ Theatertexte ›er nicht als er (zu, mit Robert Walser)‹ () von Elfriede Jelinek oder ›Jeff Koons‹ () von Rainald Goetz, in denen über reale Künstlerfiguren reflektiert wird, weisen etwa keine dramatische Handlung und damit auch keinen dramatischen Konflikt mehr auf. Auch in der handlungsarmen Dichter-Komödie ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹ () von Thomas Bernhard treffen keine antagonistischen Positionen aufeinander, so dass eine zentrale Kontroverse wie die Unvereinbarkeit von Kunst und Leben fehlt. Aus diesem Grund muss die an Tieck und Goethe orientierte Gattungsdefinition modifiziert werden: Als Künstlerdramen gelten in dieser Arbeit alle Theatertexte, in deren Zentrum ein fiktiver oder historischer schöpferischer Protagonist steht (bei den Bühnenstücken, die die dramatische Form problemlos oder kritisch nutzen) oder in denen Sprecherinstanzen von einem solchen erzählen (bei den Theatertexten, die die dramatische Form überwinden). Genauso problematisch wie die Begriffsbestimmung des Künstlerdramas ist die des Künstlers. Um zu klären, wodurch sich ein schöpferischer Produzent als solcher auszeichnet, rekurrieren die Verfasser älterer Arbeiten durchweg auf die Geniekonzeption. Aber auch Japp, der mit seiner Untersuchung von bestrebt ist, einen »theoriegeleiteten Überblick« über die Gattung von der Aufklärung bis zur Gegenwart zu liefern, konstatiert: »Ähnlich wie im Leben ist der Künstler im Drama mit einer Aura des Exzeptionellen ausgestattet, als
Caroline Herder an Johann Gottfried Herder, . . . Zitiert nach: Johann Wolfgang von Goethe: Werke. Bd. : Dramatische Dichtungen III. Hg. von Erich Trunz. München , S. . Gerda Poschmann: Der nicht mehr dramatische Theatertext. Aktuelle Bühnenstücke und ihre dramaturgische Analyse. Tübingen , S. . In ihrer wegweisenden Arbeit unterscheidet Poschmann zwischen Theatertexten, die die dramatische Form problemlos oder kritisch nutzen, und denen, die die dramatische Form überwinden. Merkmal der erstgenannten Bühnenstücke ist »neben der dramatischen Form« die »intrafiktionale Theatralität […]: Sie stellen die referentielle Illusion des Theaters in Rechnung, mit deren Hilfe ihre Fiktion szenisch erzählt wird.« Das Gleiche gilt für die Theatertexte, die die dramatische Form kritisch nutzen. Auch sie besitzen eine narrative und figurative Struktur. Allerdings thematisieren sie die »Prozesse theatraler Fiktionsdarstellung«. Die »dargestellte Geschichte ist zweitrangig […]. Die Ebene der dargestellten Fiktion tritt zugunsten der theatralen Wirkungsoder der Materialebene in den Hintergrund.« Die Theatertexte, die die dramatische Form überwinden, präsentieren sich hingegen »ohne klare Trennung von Haupt- und Nebentext und ohne figural eindeutig zugeordnete Repliken.« (Ebd., S. , , , ). Japp: Das deutsche Künstlerdrama, S. V.
deren tieferer Grund die unberechenbare Gabe des Talents erscheint.« Das konfliktträchtige Talent, so führt er aus, habe der schöpferische Protagonist entweder einer göttlichen Macht, den Musen, oder einer Naturgabe im Kantschen Sinne zu verdanken. Mit seiner Definition orientiert er sich an der Entstehungsgeschichte des Künstlerdramas. Die Relativierung von Laufbahnmustern, höfischen Zwängen und bürgerlicher Funktionalisierung korreliert seit dem Sturm und Drang mit einem Wandel des Künstlerbildes. Vom kompetenten Warenproduzenten avanciert der ästhetische Produzent zu einem genialen Schöpfer von Kunstwerken. Damit interessiert er als Mittelpunkt dramatischer Handlungen und rückt ins poetologische und poetische Blickfeld. Die traditionelle Unterscheidung zwischen Warenproduzent und talentiertem Schöpfer ist heute fragwürdig. Seit Marcel Duchamps Readymades wissen wir, dass jeder Gegenstand als Artefakt erlebt, anerkannt und ausgestellt werden kann. Vor diesem Hintergrund der intermedialen Ästhetisierung der Welt bewegen sich heute Kunstschaffende und Kunstbetrachter. Wenn ein Blick genügt, um eine Ware in ein Kunstwerk zu verwandeln, erhöht sich die Anzahl der Artefakte potentiell ad infinitum. Das wird durch die Verbreitung technischer Massenmedien unterstützt. Das Internet und der globalisierte Kunstmarkt lassen jede Art von Kunstwerk weltweit visuell zirkulieren. Walter Benjamin hat bereits festgestellt, dass die Vervielfältigungs- und Transportmöglichkeiten zu einer Entwertung des Artefakts führen, weil es seine kostbare Einmaligkeit verliert. An die Stelle der Aura rückt sein Warencharakter. Vor diesem Hintergrund wird die traditionelle Vorstellung vom Künstler obsolet, zumal die Kunsttheorie keine legitimierende oder normierende Funktion mehr besitzt und so die Beurteilungskriterien für das, was Kunst oder ein Künstler sein könnte, fehlen. Als Ausweg hat sich in den siebziger Jahren die »›institutionalistische Kunsttheorie‹ bzw. die ›Institutionstheorie der Kunst‹« etabliert: Personen wie Museumsdirektoren, Kunstkritikern oder Künstlern, die dem Kunstbetrieb bzw. der ›artworld‹ angehören […], wird die Autorität zugestanden, etwas allein dadurch als Kunstwerk zu klassifizieren, daß sie es – ohne eigens Gründe dafür angeben zu müssen – dazu erklären. […] So sind es weder bestimmte Eigenschaften
Ebd., S. . Zu der Genese des Künstlerdramas vgl. etwa Jussenhoven-Trautmann: Tendenzen des Künstlerdramas. Vgl. Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie. Frankfurt/M. . Im Unterschied zu Benjamin ist Karl-Heinz Kohl davon überzeugt, dass erst die unendlichen Vervielfältigungsmöglichkeiten dem »Originalkunstwerk den Charakter des Auratischen verliehen« haben. Für ihn ist die Aura des Artefakts eine »Erfindung der Moderne […]. Denn was verleiht ihm seinen Glanz, wenn nicht der besondere Ort, in dem es seit Ende des . Jahrhunderts aufbewahrt und zu einem Gegenstand des Massenkultes geworden ist: das öffentliche Museum.« (Karl-Heinz Kohl: Die Macht der Dinge. Geschichte und Theorie sakraler Objekte. München , S. f.).
noch Produktionsweisen, worin sich Kunstwerke von Nicht-Kunst unterscheiden, sondern es ist eine Frage der erfolgreichen Zuschreibung bzw. der Benennung, ob etwas als Kunst wahrgenommen wird.
Mit der Frage nach den Möglichkeiten und Schwierigkeiten, sich in diesem unberechenbaren Kunst- und Kulturbetrieb als Künstler zu etablieren und dauerhaft zu behaupten, beschäftigen sich Theaterautoren seit Ende der sechziger Jahre. Sie stellen keine genialischen Produzenten ins Zentrum ihrer Dramen, sondern führen Figuren vor, die als Künstler zu definieren sind, weil sie von anderen dramatis personae, die als professionelle Meinungsbildner fungieren, als solche anerkannt werden. Um die Problemstellungen in zeitgenössischen Künstlerdramen analysieren zu können, werden in dieser Arbeit daher alle Figuren als Künstler klassifiziert, die im Personenverzeichnis oder von Sprechern im Theatertext als solche bezeichnet werden. In der vorliegenden Studie werden ausgewählte deutschsprachige Künstlerdramen des . Jahrhunderts analysiert: ›Michael Kramer‹ von Gerhart Hauptmann (), ›Baal‹ von Bertolt Brecht (), ›Change‹ von Wolfgang Bauer (), ›Gott ist ein DJ‹ von Falk Richter () und ›Über allen Gipfeln ist Ruh. Ein deutscher Dichtertag um ‹ () von Thomas Bernhard; dazu kommen weitere Referenzstücke von Igor Bauersima und Réjane Desvignes, Tankred Dorst, Friedrich Dürrenmatt, Hans Henny Jahnn, Hanns Johst, Albert Ostermaier, Reinhard Johannes Sorge, Ludwig Thoma und Paul Zech. Die Auswahl ist nach drei Kriterien erfolgt: Im Zentrum der exemplarischen Dramen stehen erstens ›produzierende‹ schöpferische Protagonisten – Dichter, Komponisten oder Bildende Künstler. Grund dafür ist, dass in den Theatertexten um ›reproduzierende‹ Künstler, zu denen Sänger, Schauspieler oder Regisseure zählen, oftmals nicht deren berufsspezifische Chancen und Probleme erörtert werden. Die Dramen reflektieren vielmehr über den Theaterbetrieb – wie Michael Frayns ›Noises Off‹ () –, über Schein und Sein der menschlichen Existenz – wie Luigi Pirandellos ›Sei personaggi in cerca d’autore‹ () und Tankred Dorsts ›Der Kater oder Wie man das Spiel spielt‹ () – oder über die ›Welt als Bühne‹ wie Arthur Schnitzlers ›Der grüne Kakadu‹ (). Die zu untersuchenden Künstlerdramen stammen zweitens aus verschiedenen Jahrzehnten, um eine historische Perspektive zu eröffnen und um einen Über
Wolfgang Ullrich: Kunst/Künste/System der Künste. In: Karlheinz Barck (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Bd. . Stuttgart, Weimar , S. –, hier S. , . Als Beispiele seien Wolfgang Bauers ›Change‹ () und ›Silvester oder das Massaker im Hotel Sacher‹ (), Albert Ostermaiers ›The Making Of. B.-Movie‹ (), Falk Richters ›Gott ist ein DJ‹ (), Neil La Butes ›The Shape of Things‹ () oder Igor Bauersimas und Réjane Desvignes’ ›Tattoo‹ () genannt. In dieser Arbeit wird mit Japp zwischen ›produzierenden‹ und ›reproduzierenden‹ Künstlern unterschieden, vgl. Japp: Das deutsche Künstlerdrama, S. .
blick über die Genese der Gattung im . Jahrhundert zu geben. Die Arbeit versteht sich außerdem als typologische Untersuchung. Die in den Bühnenstücken vorgeführten Protagonisten repräsentieren daher drittens verschiedene Künstlertypen: so genannte ›verkannte‹, ›verfemte‹, ›naive‹, ›gerissene‹ und ›kanonisierte‹ Künstler. Ziel der Arbeit ist es, die zentralen Motive darzulegen, die für die Dramen um den jeweiligen Künstlertypus konstitutiv sind. Durch welche spezifischen Eigenschaften sich die besagten schöpferischen Protagonisten voneinander unterscheiden, wird im Folgenden präzisiert. In den ›Regeln der Kunst‹ beschreibt Pierre Bourdieu die Literaturgeschichte als historischen Prozess zunehmender Autonomisierung gegenüber »literaturfremden Mächten und Einflüssen« am Beispiel Frankreichs. Ende des . Jahrhunderts differenziert sich dort ein eigengesetzliches kulturelles Macht- und Kräftefeld mit einem heteronomen und einem autonomen Pol aus. Am heteronomen Pol des Feldes orientieren sich die Kunst- und Kulturschaffenden an der Nachfrage des breiten Publikums. Ihr Erfolg lässt sich an »Indizien kommerziellen Erfolgs (wie etwa Auflagenhöhe bei Büchern, Aufführungsziffer bei Theaterstücken) oder gesellschaftlicher Bekanntheit (Auszeichnungen, Aufträge usw.)« ablesen. Im Gegensatz dazu herrscht am autonomen Pol des Feldes eine verkehrte ökonomische Welt. Dort verdanken die schöpferischen Produzenten, deren Artefakte nur von einem kleinen Rezipientenkreis wahrgenommen werden, ihr feldspezifisches Ansehen der Tatsache, »daß sie der Nachfrage des ›breiten Publikums‹ keinerlei Konzessionen machen« und das Streben nach finanziellen Gewinnen und weltlichen Ehren strikt ablehnen. Der Umfang des Publikums […] stellt gewiß den sichersten und eindeutigsten Indikator für die Position innerhalb des Feldes dar, mißt er doch vortrefflich das Ausmaß an Unabhängigkeit von der Nachfrage des ›breiten Publikums‹ und den vom Markt ausgehenden Zwängen (›reine Kunst‹, ›reine Forschung‹ usw.) bzw. das Ausmaß an Unterordnung unter sie (›kommerzielle Kunst‹, ›angewandte Forschung‹). […] Daraus folgt, daß nichts die Kulturproduzenten deutlicher voneinander trennt als ihre jeweilige Beziehung zu dem ›gesellschaftlichen‹ oder geschäftlichen Erfolg (und zu den
Markus Joch / Norbert Christian Wolf: Feldtheorie als Provokation der Literaturwissenschaft. Einleitung. In: Markus Joch / Norbert Christian Wolf (Hg.): Text und Feld. Bourdieu in der literaturwissenschaftlichen Praxis. Tübingen , S. –, hier S. . Wie schon der Begriff des ›Pols‹ deutlich macht, handelt es sich nicht um zwei scharf voneinander abgrenzbare Felder, sondern um eine Spaltung des kulturellen Feldes »in einen experimentellen und einen kommerziellen Sektor – zwei Märkte, zwischen denen keine scharf gezogene Grenze angenommen werden darf, die vielmehr nur zwei durch ihre antagonistischen Beziehungen definierte Pole ein und desselben Raums darstellen.« (Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt/M. , S. ). Ebd., S. . Ebd., S. .
Mitteln, mit denen ihm nachgejagt wird […]): Von den einen wird er anerkannt und akzeptiert, ja ausdrücklich gesucht, während die Verfechter eines autonomen Hierarchisierungsprinzips sich ihm als einem Symptom käuflichen Interesses an ökonomischen und politischen Profiten verweigern.
Innerhalb des Unterfeldes der eingeschränkten Produktion ist zwischen der Avantgarde, der arrivierten und der kanonisierten Avantgarde zu differenzieren. Die jeweiligen »Künstlergenerationen« unterscheiden sich durch die Höhe ihres Konsekrationsgrads voneinander. Zu den avantgardistischen schöpferischen Produzenten zählen die verfemten und die verkannten Künstler. Sie haben sich im Kunst- und Kulturbetrieb (noch) nicht etabliert und erfahren diesen Nichterfolg ›freiwillig‹ bzw. ›unfreiwillig‹. Während der verfemte schöpferische Produzent – der artiste maudit – trotz kollegialer Bestätigung bewusst auf die Teilhabe im Feld der Kulturproduktion verzichtet, will sich der verkannte Künstler – der artiste raté – mit seinen Werken durchsetzen, kann die Weihungsinstanzen aber nicht für sich gewinnen. Im Unterschied zu den Anwärtern im kulturellen Feld ist sich die geweihte Avantgarde – zu der die naiven und gerissenen Künstler zählen – »der Anerkennung durch ihresgleichen« sicher. Sie verfügt über symbolische Gewinne – über Anerkennungsbezeugungen der künstlerischen Konsekrationsinstanzen – zeigt sich an weltlichen Ehren und materiellen Profiten aber nicht interessiert. Dass es den Künstlern gelingt, die professionellen Meinungsbildner von sich zu überzeugen, ist nicht allein auf die ästhetische Qualität ihrer Artefakte zurückzuführen. Der schöpferische Produzent wird nämlich von all jenen
Ebd., S. f. Ebd., S. . Vgl. ebd., S. ; Pierre Bourdieu: Das literarische Feld. In: Louis Pinto / Franz Schultheis (Hg.): Streifzüge durch das literarische Feld. Konstanz , S. –, hier S. . Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. . In Bezug auf die geweihte Avantgarde müssen Bourdieus Ausführungen modifiziert werden, provozieren doch etwa die konsekrierten Pop-Literaten der sechziger und neunziger Jahre gerade dadurch, dass sie sich nicht dezidiert an einem der beiden Pole des kulturellen Feldes positionieren und sich an Ruhm und Geld interessiert zeigen. Zum symbolischen Kapital vgl. Joseph Jurt: Das symbolische Kapital. In: Joseph Jurt (Hg.): absolute Pierre Bourdieu. Freiburg , S. –; vgl. auch Bourdieus Definition des symbolischen Kapitals als ›Konsekrationskapital‹ in den ›Regeln der Kunst‹, S. : »Die einzig legitime Akkumulation – für den Autor wie für den Kritiker, für den Gemäldehändler wie für den Verleger oder Theaterleiter – besteht darin, sich einen Namen zu machen, einen bekannten und anerkannten Namen: ein Konsekrationskapital, das die Macht zur Konsekration von Objekten (als Effekt des Namens: eines Modeschöpfers etwa oder einer Unterschrift) und von Personen (durch Werbung, Ausstellung usw.) beinhaltet, Macht also, Wert zu verleihen und aus dieser Operation Gewinn zu schlagen.«
»erschaffen«, die »ihren Teil dazu geben, daß er ›entdeckt‹ wird und die Weihe erhält als ›bekannter‹ und anerkannter Künstler«. Die »Gesamtheit der Akteure und Institutionen« des Kunst- und Kulturbetriebs schafft »mit dem Glauben an die schöpferische Macht des Künstlers den Wert des Kunstwerks als Fetisch«. Dafür ist die Herausbildung eines noch nie dagewesenen Komplexes von Institutionen zur Registrierung, Bewahrung und Untersuchung von Kunstwerken […], der immer größere Personenkreis, der sich voll oder partiell der Zelebrierung des Kunstwerks widmet
und die »raschere Zirkulation der Werke und Künstler« verantwortlich, durch die »sich ein noch nie dagewesenes Verhältnis zwischen den Interpreten und dem Kunstwerk entwickelt« hat. Der »Diskurs über das Kunstwerk« ist daher »kein bloß unterstützendes Mittel mehr zum besseren Erfassen und Würdigen« eines Artefakts, »sondern ein Moment der Produktion des Werks, seines Sinns und seines Werts«. Am Beispiel von Henri Rousseau (–) und Marcel Duchamp (–) kann der Konstruktions- und Kanonisierungsprozess von schöpferischen Produzenten im kulturellen Feld exemplifiziert werden. Der Zöllner Rousseau – ein naiver Künstler (artiste naïf) –, verdankt das Wesentliche seiner ästhetischen Kenntnisse […] der Weltausstellung von ; seine Entscheidungen hinsichtlich Sujet und Machart erscheinen als Emanationen einer ›volkstümlichen‹ oder kleinbürgerlichen Ästhetik, wie sie sich in der gewöhnlichen Photographieproduktion ausdrückt, gelenkt jedoch durch die tief allodoxe Intention eines Bewunderers der akademischen Maler, Clément, Bonnat, Jérôme, deren mythologische und allegorische Szenen […] er zu imitieren meint.
Gerade Rousseaus subalterne Ästhetik ist für seine Kanonisierung verantwortlich. Da seine naiven Artefakte im Kontrast zu den raffinierten Werken der etablierten ästhetischen Produzenten stehen, werden sie von den professionellen Meinungsmachern als ›natürlich‹ deklariert und ausgezeichnet. Weil sich aber nur diejenigen Künstler durchsetzen können, die die spezifische Geschichte des kulturellen Feldes kennen und den »Raum des Möglichen […] praktisch oder theoretisch beherrschen«, werden Rousseaus Artefakte von den Weihungsinstanzen kunsthistorisch verortet. Seine Bilder werden mit schöpferischen Produzenten und Werken in Bezug gesetzt, »die er wohl kaum kannte«,
Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. f. Ebd., S. . Ebd., S. f. Ebd., S. . Ebd., S. .
etwa mit den Bilderbogen von Épinal oder dem Teppich von Bayeux, um ihn als Künstler und seine Werke als Artefakte zu legitimieren. Im Gegensatz zu dem naiven Rousseau ist Duchamp als gerissener Künstler – als artiste roué – zu kategorisieren. Er zeichnet sich durch eine detaillierte Kenntnis der Historie des kulturellen Feldes aus und bricht beständig mit den vorherrschenden ästhetischen Konventionen. Das Spiel durch und durch beherrschend, produziert er Gegenstände, deren Geltung als Kunstwerke die Produktion des Produzenten als Künstler voraussetzt: Er erfindet das Readymade, dieses durch einen symbolischen, oft durch ein Wortspiel signalisierten Gewaltstreich des Künstlers zur Würde eines Kunstwerks erhobene Industrieprodukt.
Im Unterschied zu Rousseau, der als Künstler »buchstäblich geschaffen« wird, weil seine Werke auf Interesse stoßen, beherrscht Duchamp die Kunst, sich als Künstler zu schaffen, so dass seine Readymades als Artefakte rezipiert werden. Die geweihte Avantgarde, zu der die naiven und gerissenen Künstler zählen, unterscheidet sich durch ihren niedrigeren Konsekrationsgrad und durch ihr geringeres ›künstlerisches Alter‹ von den kanonisierten Produzenten. Während sich die arrivierte Avantgarde vorrangig »der Produktion für Produzenten widmet«, werden die Werke kanonisierter Künstler von einem breiten Publikum rezipiert. Erfolg und Anerkennung manifestieren sich in »ökonomische[n] Profite[n] oder weltlichen Ehren«. Im Gegensatz zu den avantgardistischen Künstlern, die gewissermaßen zweifach ›jung‹ sind – aufgrund des künstlerischen Alters, aber auch wegen der (vorläufigen) Ablehnung von Geld und weltlicher Größe, mit denen künstlerisches Veralten eintritt –, sind die Künstlerfossilien gewissermaßen doppelt alt: aufgrund des Alters ihrer Kunst und ihrer Produktionsmuster, aber auch aufgrund eines ganzen Lebensstils, […] der die direkte und sofortige Unterordnung unter die säkularen Verpflichtungen und Gratifikationen impliziert.
Die Dynamik innerhalb des kulturellen Feldes wird von feldinternen Auseinandersetzungen zwischen den Inhabern der verschiedenen Positionen bestimmt. Es ist
Ebd., S. f. Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Bourdieu räumt aber ein, dass die Anwärter im kulturellen Feld nur dann fähig sind, etablierte »Gattungshierarchie[n]« umzustürzen oder »Schulen und Autoren« in die Vergangenheit zu verweisen, wenn sie von »gleichlaufende[n] externe[n] Wandlungsprozesse[n]«, etwa der »Expansion des Marktes der potentiellen Leser«, unterstützt werden (ebd., S. ).
der Kampf zwischen Inhabern und Anwärtern, der die Geschichte des Feldes (aus)macht: das Altern von Autoren, Schulen oder Werken ist das Ergebnis der Schlacht zwischen jenen, die Epoche gemacht haben und um Dauer kämpfen, und jenen, die ihrerseits keine Epoche machen können, ohne diejenigen in die Vergangenheit zu verweisen, die Interesse am Anhalten der Zeit, am Verteidigen und Bewahren haben.
Wie aus diesen Ausführungen hervorgeht, verfolgen die schöpferischen Produzenten je nach ihrer Position im Feld der Kulturproduktion spezifische Interessen: Die verkannten und verfemten Künstler, denen es (noch) an finanziellen und symbolischen Erträgen mangelt, sind bestrebt, sich im Kunst- und Kulturbetrieb zu etablieren. Um sich einen Namen zu machen, brechen sie mit der »ästhetische[n] doxa« und nehmen »eine neue Position jenseits der etablierten Positionen« ein. Sie gerieren sich als Schöpfer ›reiner‹ Kunstwerke und werfen den Teilhabern im kulturellen Feld vor, ihre geistige Autonomie aufgegeben und Konzessionen an den Geschmack des breiten Publikums gemacht zu haben. Sie können »gar nicht anders, als die kanonisierten Produzenten, an denen sie sich messen, und damit auch deren Produkte und den Geschmack derer, die an sie gebunden bleiben, stetig in die Vergangenheit zurückzuverweisen«. Während die Anwärter bestrebt sind, sich als Künstler durchzusetzen, ist die geweihte, über symbolische Anerkennung verfügende Avantgarde gezwungen, Strategien zu entwickeln, um sich im Kunst- und Kulturbetrieb dauerhaft zu behaupten. Die kanonisierten Künstler haben hingegen mit der »Dialektik der Distinktion« zu kämpfen: Diese verurteilt die Institutionen, Schulen, Werke und Künstler, die ›Epoche gemacht‹ haben, der Vergangenheit anheimzufallen, klassisch oder deklassiert zu werden, sich aus der Geschichte verbannt oder aber ›in die Geschichte eingehen‹ zu sehen, in die ewige Gegenwart der kanonisierten Kultur, in der die ›zu Lebzeiten‹ miteinander unverträglichsten Tendenzen und Schulen, weil kanonisiert, akademisiert, neutralisiert, friedlich nebeneinander existieren können.
Das »künstlerische[ ] Veralten« von Artefakten ist also Folge feldinterner Kämpfe. Als »objektive Stütze«, um die kanonisierten schöpferischen Produzenten zu diskreditieren, dient der Avantgarde der »Abnutzungseffekt« konsekrierter Werke. Weil sich epigonale Künstler an bewährten ästhetischen Verfahren orientieren, verlieren einst progressive Artefakte ihren Seltenheitswert. Dazu kommt, dass sich selbst »die revolutionärsten Werke […] mit der Zeit ihr eigenes Publikum« schaffen, weil »sie ihre Strukturen durch Gewöhnungs
Bourdieu: Das literarische Feld, S. . Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. , . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
effekt als legitime Wahrnehmungskategorien« durchsetzen. Mit der Etablierung neuer »Wahrnehmungs- und Bewertungsnormen« geht aber die Profanierung der geweihten Artefakte einher, sie verlieren ihren Innovationswert. Mit der Popularisierung der Werke korreliert außerdem die Verbreitung bei »einer immer weniger exklusiven, […] bis hin zu profanen Wesen erweiterten Kundschaft – zu Wesen, die stets in Verdacht stehen, das heilige Werk gerade durch ihre Anbetung zu entweihen«. Das wird von den avantgardistischen Künstlern als Zeichen für die »Kompromittierung mit der bürgerlichen Ordnung« gewertet. Um die »Assimilierung mit der bürgerlichen Kunst« und das »daraus sich ergebende gesellschaftliche Altern […] zu vermeiden«, müssen die kanonisierten Künstler daher »alle sichtbaren sozialen Zeichen von Konsekration, Auszeichnungen, Preise, Akademiesitze und sonstige Ehrungen ablehnen«. Mit seiner Feldtheorie hat Bourdieu ein »ganz allgemeines Modell […] für alle Unternehmungen entwickelt, die auf dem Verzicht auf diesseitigen Gewinn und dem Leugnen von Ökonomie beruhen«: Auf die anfängliche Askese- und Verzichtphase, die Phase der Akkumulation symbolischen Kapitals, folgt eine Phase der Verwertung dieses Kapitals und des Erwerbs weltlicher Profite und dank ihrer ein Wandel in der Lebensweise, der den Verlust symbolischen Kapitals mit sich bringen kann und den Erfolg konkurrierender Häresien begünstigt.
Im Gegensatz zu Frankreich hat sich in Deutschland bereits an der Wende vom . zum . Jahrhundert ein eigengesetzliches kulturelles Feld konstituiert, das im Verlauf des . Jahrhunderts an Autonomie gewinnt. Anstatt von »lokalen Zünften oder den Auflagen der Herrschaftsträger reglementiert« zu werden,
Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. f. Ebd., S. . Das erhellt etwa York-Gothart Mix. Anhand verschiedener literaturtheoretischer Positionen illustriert er die »Genese und Akzeptanz« des »Autonomiepostulats« in Deutschland, das mit der Entfaltung unterschiedlicher ästhetischer Positionen und der Ausrichtung auf verschiedene Leserkreise korreliert. Mix erhellt nicht nur die Genese, sondern auch die Struktur des literarischen Feldes, wenn er zeigt, dass das »Altern von Autoren, Werken und Dichterschulen […] nicht nur ein Resultat kontinuierlicher Historisierung oder eines wie auch immer gearteten ästhetischen Fortschritts, sondern zunehmend Konsequenz von Konkurrenz[kämpfen]« ist (York-Gothart Mix: Wahre Dichtung und Ware Literatur. Lyrik, Lohn, Kunstreligion und Konkurrenz auf dem literarischen Markt –. In: Markus Joch / Norbert Christian Wolf (Hg.): Text und Feld. Bourdieu in der literaturwissenschaftlichen Praxis. Tübingen , S. –, hier S. , ); zum literarischen Feld um vgl. Christine Magerski: Die Konstituierung des literarischen Feldes in Deutschland nach . Berliner Moderne, Literaturkritik und die Anfänge der Literatursoziologie. Tübingen .
gilt der Künstler spätestens seit den er Jahren als ›frei‹. Er ist nicht mehr von Auftraggebern oder Mäzenen abhängig, sondern der Kunstmarkt entscheidet »als regulierende Instanz über Erfolg oder Mißerfolg«. Der Autonomisierungsprozess des Kunst- und Kulturbetriebs wird im Folgenden skizziert, um einen Überblick über die Produktionsbedingungen schöpferischer Produzenten im . Jahrhundert zu geben. Die zunehmende Selbständigkeit des Künstlers lässt sich im Bereich der Bildenden Kunst am deutlichsten nachvollziehen und manifestiert sich etwa in den überregionalen Kunstausstellungen, die sich in den fünfziger Jahren des . Jahrhunderts etablieren und den schöpferischen Produzenten ein Forum zur Selbstdarstellung bieten. Dort können sie ihre Werke der Öffentlichkeit präsentieren und potentielle Käufer auf sich aufmerksam machen. Die »regelmäßig veranstalteten Ausstellungen« bieten dem »Publikum, der Fachöffentlichkeit und nicht zuletzt den Künstlern einen Überblick über die aktuellen Strömungen«, ermöglichen einen »Vergleich der Werke« und fördern »die Urteilsbildung über ästhetische Innovationen«. »Mit der Institution Kunstausstellung« stabilisiert sich außerdem »das Prinzip des ›Neuen‹, de[r] Kult[ ] der verstetigten Innovation als eine beschleunigte Abfolge von Moden und Distinktionen, die fortan zu einem Merkmal der Kunstentwicklung der Moderne wurde.« Eine größere »Kunstöffentlichkeit« bildet sich nicht nur durch das Ausstellungswesen, sondern auch durch die zunehmende Anzahl von »spezialisierten Kunsthändler[n]«, die in »ständigen Verkaufsräumen« Artefakte der von ihnen protegierten Künstler anbieten. Die Galerien erfüllten eine doppelte Funktion, da sie einerseits im Sinne der Verkaufsinteressen der Kunsthändler als kommerzieller Präsentationsraum dienten, andererseits aber, als Orte der bürgerlichen Öffentlichkeit, die Begegnung des Kunstkonsumenten mit dem Kunstwerk ermöglichten.
Auch die sich etablierende Kunstkritik fördert die Verstetigung des öffentlichen Diskurses über Kunst und Künstler. In eigenständigen Fachzeitschriften oder in regelmäßigen Zeitungsbeilagen werden zunehmend Rezensionen publiziert, die von Ausstellungen und Kunstschaffenden berichten oder »kontroverse Meinungsbilder« kommentieren. Alle drei genannten neuen »institutionelle[n] Formen der Infrastruktur« – Kunsthandel, Kunstkritik und Aus
Wolfgang Ruppert: Der moderne Künstler. Zur Sozial- und Kulturgeschichte der kreativen Individualität in der kulturellen Moderne im . und frühen . Jahrhundert. Frankfurt/M. , S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. , . Ebd., S. f. Ebd., S. f. Ebd., S. .
stellungswesen – ändern die Produktionsbedingungen der schöpferischen Produzenten im Verlauf des . Jahrhunderts grundlegend. Sie flankieren »die Entwicklung des Marktes für Kunstobjekte« und definieren »die Prozesse des Austausches der kulturellen Güter«. Sie vermittelten die erforderlichen Kontakte der Individuen, ermöglichten die Aneignung von spezifischen Fachkenntnissen und schufen die Semantik eines Diskurses über die kulturellen Bedeutungszuweisungen. In ihrem Zusammenspiel fand der moderne Künstler seine berufsspezifische Öffentlichkeit, die neben dem eigenen Atelier die stimulierenden Bezugspunkte seiner Existenz bildete.
Der Autonomisierungsprozess des kulturellen Feldes korreliert mit der Emanzipation der Kunstschaffenden von den vorherrschenden, an »der großen Zeit des Neuklassizismus und des deutschen Idealismus« orientierten ästhetischen Idealen. ruft die literarische Vereinigung ›Durch‹ – zu dessen Mitgliedern die Brüder Heinrich und Julius Hart, Arno Holz, Johannes Schlaf und Gerhart Hauptmann zählen – die literarische Moderne aus. Im ›Magazin für Litteratur des In- und Auslandes‹ veröffentlichen sie zehn Thesen, von denen die sechste lautet: »Unser höchstes Kunstideal ist nicht mehr die Antike, sondern die Moderne«. Mit diesem Bekenntnis distanzieren sich die Künstler von den seit der Antike tradierten ästhetischen Mustern und propagieren eine »autochthone und autonome Moderne, die von der Antike grundverschieden sein« soll. Der »Wille zur Modernität« kommt nicht nur in den Thesen des ›Durch‹-Kreises zum Ausdruck, sondern zeigt sich auch in Richard Wagners Aufsatz ›Modern‹ (), in Holz’ ›Buch der Zeit. Lieder eines Modernen‹ () oder in Michael Georg Conrads Vortrag ›Die Moderne‹ (). Dass unter der Moderne eine prozesshafte »Formbewegung« zu verstehen ist, die fortwährend nach »zeitgemäßen Innovationen« strebt und sich nicht mehr dem »harmonische[n] Schönheitsideal der Antike« verpflichtet fühlt, betont auch Hermann Bahr in seinem Essay ›Die Überwindung
Ebd., S. . Ebd., S. f.; zur Autonomisierung des Kunst- und Kulturbetriebs im Verlauf des . Jahrhunderts vgl. Walter Grasskamp: Die unbewältigte Moderne. Kunst und Öffentlichkeit. München ; Robin Lenman: Die Kunst, die Macht und das Geld. Zur Kulturgeschichte des kaiserlichen Deutschland –. Frankfurt/M. ; Wolfgang J. Mommsen: Bürgerliche Kultur und politische Ordnung. Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle in der deutschen Geschichte –. Frankfurt/M. ; Thomas Nipperdey: Wie das Bürgertum die Moderne fand. Stuttgart . Mommsen: Bürgerliche Kultur, S. . O.V.: Thesen der ›Freien litterarischen Vereinigung Durch!‹. In: Das Magazin für die Litteratur des In- und Auslandes. Wochenschrift der Weltliteratur, (), Nr. , S. . Helmuth Kiesel: Geschichte der literarischen Moderne. Sprache, Ästhetik, Dichtung im zwanzigsten Jahrhundert. München , S. . Ebd., S. . Ebd., S. , .
des Naturalismus‹ (). Den »Fortgang der Kunst […] als Kette von willentlich angestrebten und experimentell herbeigeführten ›Überwindungen‹« begreifend, verlangt er »die Bewahrung der Modernität durch ständige Erneuerung«. Die Ausdifferenzierung des Kunst- und Kulturbetriebs, die Befreiung von den ästhetischen Traditionen und Konventionen der Antike und das permanente Streben nach ästhetischen Innovationen führen Ende des . Jahrhunderts zu einer Pluralisierung der Kunst. Unterschiedliche Stile und Richtungen bestehen gleichzeitig nebeneinander, unvergleichlich mit älteren Konflikten oder Überlagerungen. […] Stile konkurrieren plötzlich miteinander. […] Alle Ansprüche auf das Ideal einer absoluten Kunst sind unter diesen Bedingungen relativiert.
Mit der kulturellen Modernisierung des . und . Jahrhunderts setzen sich Autoren von Künstlerdramen seit den neunziger Jahren des . Jahrhunderts bis heute verstärkt auseinander. Sie reflektieren über das Selbstverständnis des modernen bzw. postmodernen Künstlers, fragen nach den spezifischen Strukturen des Kunst- und Kulturbetriebs und erörtern die Möglichkeiten und Strategien, sich dort etablieren und dauerhaft behaupten zu können. Die Untersuchung dieser Aspekte wird Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein. Neben der werkbezogenen Analyse werden die ausgewählten Theatertexte aus feldtheoretischer Perspektive beleuchtet, um zu klären, vor welchem Hintergrund die Theaterautoren ihre Kunstauffassungen proklamieren und wie sie sich mit ihren Werken im kulturellen Feld ihrer Zeit positionieren. Neben den exemplarischen Einzelanalysen bietet die Studie einen historischen Überblick über die Genese der Gattung und über die zentralen Motive des deutschsprachigen Künstlerdramas im . Jahrhundert. Durch den methodischen Ansatz grenzt sich diese Untersuchung von den wenigen Arbeiten zum Thema ab. Zum Künstlerdrama des . und . Jahrhunderts haben Helene Goldschmidt, Jussenhoven-Trautmann, Krienitz und Levy gearbeitet. Mit dem . Jahrhundert haben sich Jarvis Lynn Anderson,
Ebd., S. . Nipperdey: Wie das Bürgertum die Moderne fand, S. . In ihrer Arbeit untersucht Goldschmidt, wie sich die im Sturm und Drang, in der Romantik und im Vormärz proklamierten kunsttheoretischen Positionen in Künstlerdramen der Zeit niederschlagen. Allerdings muss Goldschmidt feststellen, dass sich nicht alle Stücke auf »Zeittendenzen« ›reduzieren‹ lassen, so die Theatertexte von Friedrich Hebbel oder Richard Wagner: »Hob sich Hebbel in eigenartiger Weise aus allen Zeitströmungen heraus, so ist Wagner dadurch bedeutend, daß er in nicht minder eigentümlicher Art die verschiedensten Strömungen in sich zusammenfaßt und mit seiner Persönlichkeit durchdringt«. Goldschmidt ist davon überzeugt, dass Hebbel und Wagner ihre schöpferischen Protagonisten als Alter Ego konzipieren und ihre eigenen Konflikte in ihren Bühnenstücken verarbeiten. Neben Goethes ›Torquato Tasso‹ (), Friedrich Hölderlins ›Der Tod des Empedokles‹ (–), Adam Gottlob Oehlenschlägers ›Correggio‹ (), Franz Grillparzers ›Sappho‹
Ralph Stokes Collins, Ioana Cr˘aciun, Japp, Manfred Kux und Barbara Schaff auseinandergesetzt. Schaff nimmt allerdings nur zeitgenössische britische Dramen in den Blick, in deren Zentrum historische Künstlerfiguren stehen. Anhand von Theatertexten untersucht sie das »Wechselspiel von fact and fiction, von Schein und Sein.« Im Gegensatz dazu fokussiert Kux vier deutschsprachige Bühnenstücke, die zwischen und entstanden sind und vergleichbare »stoffliche[ ] und thematische[ ] Bezüge« aufweisen. In seinen Einzelanalysen von Günter Grass’ ›Die Plebejer proben den Aufstand‹ (), Tankred Dorsts ›Toller‹ (), Gaston Salvatores ›Büchners Tod‹ () und Peter Weiss’ ›Hölderlin‹ () untersucht er, wie sich die jeweiligen »Autoren im Spiegel ihrer Stücke zur Frage nach dem Verhältnis von Dichter, Dichtung und Politik stellen, welche Probleme sie sehen und welche Lösungen ihnen
() und Karl Immermanns ›Petrarca‹ () stellt sie diverse, weitgehend unbekannte Dramen vor (Helene Goldschmidt: Das deutsche Künstlerdrama von Goethe bis R. Wagner. Weimar , S. , ). Jussenhoven-Trautmann setzt sich in ihrer Dissertation mit dem Künstlerdrama der Restaurationsepoche auseinander mit dem Ziel, die »vielschichtige Epoche [zu] erschließen«. Anhand ausgewählter Bühnenstücke will sie »Zeittypisches und für den Autor Charakteristisches« aufzeigen (Jussenhoven-Trautmann: Tendenzen des Künstlerdramas, S. ). Ausgehend von Goethes ›Torquato Tasso‹, August Wilhelm Ifflands ›Die Künstler‹ () und August von Kotzebues ›Der arme Poet‹ () – für sie die ›Muster‹ der nachfolgenden Künstlertragödien und -komödien – analysiert sie Theatertexte von Oehlenschläger, Immermann, Charlotte Birch-Pfeiffer, Johann Ludwig Deinhardstein, Karl Gutzkow, Friedrich Halm, Karl von Holtei, Ernst von Houwald, Johann Friedrich Kind und Heinrich Laube. Krienitz beschränkt sich in seiner Studie zum deutschsprachigen Künstlerdrama auf den Zeitraum von –. Im ersten Teil seiner Arbeit zeichnet er die historische Entwicklung der Gattung nach, ausgehend von Goethes ›Des Künstlers Erdewallen‹, ›Des Künstlers Vergötterung‹, ›Künstlers Apotheose‹, ›Torquato Tasso‹ und Oehlenschlägers ›Correggio‹. Im zweiten Teil unternimmt er den Versuch, alle Dramen, die in der ersten Hälfte des . Jahrhunderts entstanden sind und in denen der »Held eine historische Künstlerpersönlichkeit ist«, möglichst vollständig aufzuführen und vorzustellen (Krienitz: Das deutsche Künstlerdrama, S. , I). Wie Goldschmidt und Krienitz geht auch Levy historisch-chronologisch vor, um die Genese der Gattung von Goethe bis Hebbel darzustellen. Dabei muss sie – wie Goldschmidt – feststellen, dass sich nicht in allen Künstlerdramen die ästhetischen Prämissen der Zeit manifestieren. Sie konstatiert: »Zu Anfang, in der Mitte und zu Ende dieser […] Entwicklung stehen drei Säulen: Goethe, Grillparzer, Hebbel, sie schufen das Künstlerproblem aus dem Innersten ihres Wesens heraus; ihre drei Künstlerdramen stehen nahezu losgelöst von der Weltanschauung der Zeitgenossen nur als Ausdruck ihrer Autoren da.« (Levy: Die Gestalt des Künstlers im deutschen Drama, S. ). Die Dramen von Goethe, Grillparzer und Hebbel werden daher gesondert betrachtet. Barbara Schaff: Das zeitgenössische britische Künstlerdrama. Passau , S. . Manfred Kux: Moderne Dichterdramen. Dichter, Dichtung und Politik in Theaterstücken von Günter Grass, Tankred Dorst, Peter Weiss und Gaston Salvatore. Köln, Wien , S. .
vorschweben.« Auch Cr˘aciun beschäftigt sich mit Künstlerdramen, in denen ein schöpferischer Produzent aufgrund politischer Ereignisse gezwungen wird, »außerhalb seines Künstlertums, z.B. als Revolutionär, zu agieren«. Am Beispiel von Grass’ ›Die Plebejer proben den Aufstand‹, Dorsts ›Toller‹ und ›Harrys Kopf‹ (), Martin Walsers ›In Goethes Hand‹ (/) und Weiss’ ›Hölderlin‹ () stellt sich Cr˘aciun die »Frage nach der Darstellbarkeit der Geschichte, insbesondere der Geistesgeschichte, im Medium des Dramas« und nach der Funktion der »historischen Dichtergestalten« in den jeweiligen Theatertexten. Dabei kommt sie zu dem Schluss, dass die zentralen Figuren als »auktoriale Selbstprojektionen und als »Projektionsfläche« dienen, »die sich dazu anbietet, Identitätsfragen des heutigen Zuschauers adäquat zu reflektieren«. Während sich Kux und Cr˘aciun mit politischen Theatertexten der Gegenwartsdramatik auseinandersetzen, beleuchtet Collins naturalistische, expressionistische und neuromantische Künstlerdramen mit dem Ziel, ›Entwicklungen und Tendenzen im modernen deutschsprachigen Drama‹ aufzuzeigen. Im ersten Teil seiner Arbeit umreißt er die zentralen Konflikte in Bühnenstücken von Hauptmann, Hugo von Hofmannsthal, Schnitzler, Reinhard Johannes Sorge und Frank Wedekind und nennt als vorherrschende Motive: »the artist as a member of society, the Boheme, the actor and the traditional art-life problem, which almost always takes the form of a conflict between art and love.« Im zweiten Teil seiner Studie stellt Collins Bühnenstücke vor, in deren Zentrum historische Künstlerfiguren stehen. Im Unterschied zu Collins, Cr˘aciun, Kux und Schaff liefern Anderson und Japp Überblicksdarstellungen zum Thema. So untersucht Anderson in ihrer Dissertation die Funktion von Künstlerfiguren im modernen Drama (von Ibsen bis in die siebziger Jahre des . Jahrhunderts). Dabei zählt sie all die Subjekte zu Künstlern, that have the creative impulse, the compulsion to create entities – either real or virtual – of aesthetic merit, entities – either concrete or abstract – that might help unravel the mysterious skein of human experience or enhance the quality of that experience.
Ebd., S. . Ioana Cr˘aciun: Historische Dichtergestalten im zeitgenössischen deutschen Drama. Untersuchungen zu Theaterstücken von Tankred Dorst, Günter Grass, Martin Walser und Peter Weiss. Heidelberg , S. . Vgl. die Rezension der Verfasserin im Peter Weiss Jahrbuch . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ralph Stokes Collins: The artist in modern German drama. Ann Arbor (Michigan) , S. . Jarvis Lynn Anderson: The artist-figure in modern drama. Ann Arbor (Michigan) , S. .
Durch ihre sehr weite Definition kategorisiert Anderson auch Theatertexte wie Samuel Becketts ›En attendant Godot‹ (/) oder Brechts ›Der kaukasische Kreidekreis‹ (/) als Künstlerdramen. Als zentralen Konflikt der von ihr analysierten Bühnenstücke nennt sie die Auseinandersetzung eines sich durch eine privilegierte Weltwahrnehmung auszeichnenden Individuums mit seinem sozialen Umfeld. Dabei fungiere der Protagonist als »perceptive interpreter of life’s flux«, als »l’homme engagé«, als »teacher and reformer«, als »creator of illusion«, als »guardian of human significance« oder als »modern Everyman«. Einen Überblick über die Geschichte des deutschsprachigen Künstlerdramas liefert Japp mit zwanzig Einzelinterpretationen von Theatertexten aus der zweiten Hälfte des . Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Mit seiner Untersuchung zielt er darauf, den Künstlerdramen selbst zu folgen, um dann zu sehen, ob sich epochenspezifische Merkmale namhaft machen lassen. Im Grunde handelt es sich bei der Geschichte des deutschen Künstlerdramas weniger um eine andere Geschichte, als darum, die Geschichte des deutschen Dramas anders zu lesen: eben unter einem speziellen Gesichtspunkt […].
Die Gefahr eines solchen Vorhabens besteht darin, den Künstlerdramen eben nicht mehr ›zu folgen‹, sondern sie nur noch im Hinblick auf ihre jeweiligen epochalen Merkmale zu lesen. Das wird in den Ausführungen zu Christian Felix Weißes ›Die Poeten nach der Mode‹ () deutlich. Japp beschränkt sich hier darauf, zwei in der Aufklärung entstandene Dichterkomödien als typisch aufklärerische Verlachkomödien und damit als Vorläufer des Künstlerdramas auszuweisen. Auch die Analyse von Tiecks ›Sommernacht‹ () besteht aus einer detaillierten Inhaltsangabe, die romantische Elemente in Bezug auf die dramaturgische Struktur, den Stoff, die Motive und die Talentkonzeption des dramatischen Fragments aufzählt.
Ebd., S. . Vgl. die Rezension der Verfasserin: ›Wo steht der Künstler momentan? – Irgendwo wohl, oder, klar‹. Zu Uwe Japps Überblick über das deutsche Künstlerdrama. In: Jahrbuch der Rückert-Gesellschaft e.V., (/), S. –. Japp: Das deutsche Künstlerdrama, S. . Wie zum Künstlerdrama sind in den letzten Jahren auch Studien zum Künstlerroman entstanden, etwa von Erich Meuthen, der die ›Struktur und Tradition des deutschen Künstlerromans‹ analysiert; vgl. Erich Meuthen: Eins und doppelt oder vom Anderssein des Selbst. Struktur und Tradition des deutschen Künstlerromans. Tübingen . Martina Mai setzt sich hingegen mit dem fiktiven Kunstwerk im Malerroman des . Jahrhunderts auseinander. Sie fragt nach den »Funktionen, die erzählte Bilder innerhalb des Gesamtkontextes eines Romans erfüllen können«. Dabei interessiert sie die »enge[ ] Verquickung von Bilderwähnung und Künstlerthematik« sowie die »Bedeutung erzählter Bilder als metafiktionales beziehungsweise metarelationales Verfahren« (Martina Mai: Bilderspiegel – Spiegelbilder. Wechselbeziehungen zwi-
Im Gegensatz zu Japps Untersuchung ist die vorliegende Arbeit nicht chronologisch-historisch gegliedert. Diese Entscheidung basiert auf der These, dass die in den jeweiligen Dramen exemplifizierten kunst- und künstlerspezifischen Problemstellungen nicht primär zeitlich gebunden sind, sondern aus der Position der vorgeführten schöpferischen Protagonisten im kulturellen Feld resultieren. Im Folgenden werden daher zuerst Künstlerdramen vorgestellt, in denen Anwärter im Kunst- und Kulturbetrieb im Zentrum stehen – das verkannte Genie Arnold Kramer aus Hauptmanns ›Michael Kramer‹ und der verfemte Lyriker Baal aus Brechts gleichnamigem Stück (vgl. Kap. ., .). Anschließend werden Bauers ›Change‹ und Richters ›Gott ist ein DJ‹ fokussiert (vgl Kap. ., .). Beide Dramen setzen sich mit der geweihten Avantgarde – mit naiven und gerissenen Künstlerfiguren – auseinander. Zuletzt wird anhand Bernhards Komödie ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹ der Typus des kanonisierten Künstlers untersucht (vgl. Kap. .). An die exemplarischen Einzelanalysen der Theatertexte schließt sich die Untersuchung der zentralen Motive im Drama um den jeweiligen Künstlertypus an (vgl. Kap. ., ., ., ., .). * Meiner Studie möchte ich einen Dank vorausschicken. Er gilt meinem Doktorvater, Prof. Dr. York-Gothart Mix, der die Entstehung meiner Arbeit wissenschaftlich begleitet und wertvolle Anregungen gegeben hat. Zudem möchte ich dem Suhrkamp Verlag danken, der mich in seinem Archiv die Kritiken zu Thomas Bernhards ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹, Tankred Dorsts ›Eiszeit‹ und Albert Ostermaiers ›The Making Of. B.-Movie‹ hat einsehen lassen. Mein herzlicher Dank gilt zuletzt meinen Eltern, Renate und Dr. Gerhard Kay Birkner, für ihre stete Unterstützung und Förderung und insbesondere meinem Vater für seine sorgfältige und kritische Lektüre. Beiden ist diese Arbeit gewidmet.
schen Literatur und bildender Kunst in Malerromanen des . Jahrhunderts. Würzburg , S. ). Einen Überblick über die Genese der Gattung gibt Peter V. Zima: Der europäische Künstlerroman. Von der romantischen Utopie zur postmodernen Parodie. Tübingen . Gattungsübergreifend haben sich mit dem Künstler in der Literatur befasst: Jürgen Kleist: Das Dilemma der Kunst. Zur Kunst- und Künstlerproblematik in der deutschsprachigen Prosa nach . New York u. a. ; Laserstein: Die Gestalt des bildenden Künstlers; Alexandra Pontzen: Künstler ohne Werk. Modelle negativer Produktionsästhetik in der Künstlerliteratur von Wackenroder bis Heiner Müller. Berlin .
. Anwärter im kulturellen Feld: Der verkannte Künstler in Gerhart Hauptmanns ›Michael Kramer‹ ()
In ihren Künstlerdramen reflektieren Hauptmann und Brecht über die beruflichen Chancen und Probleme von Anwärtern im kulturellen Feld. In ›Michael Kramer‹ führt Hauptmann den verkannten Künstler Arnold Kramer vor, dem es nicht gelingt, sich als Maler zu etablieren. Im Gegensatz dazu zeigt Brecht in ›Baal‹ einen verfemten Künstler, den Lyriker Baal, der darauf verzichtet, konsekriert zu werden, obwohl seine Artefakte von den professionellen Meinungsbildnern gewürdigt werden (vgl. Kap. .). Die zentralen Konflikte der schöpferischen Figuren, die Positionierungsstrategien der Theaterautoren und die zentralen Motive im Drama um verkannte und verfemte Künstler werden im Folgenden analysiert. * Über die Generalprobe der Uraufführung von ›Michael Kramer‹ notiert Rainer Maria Rilke am . Dezember in seinem Tagebuch: Aufgewühlt, aufgefurcht im Innersten, war ich wie ein offenes Feld, und als die große Gebärde des Säemanns über mich hinwies, da fühlte ich schmerzhaft den Fall des Samenkorns an meinem bloßgelegten Herzen. Ein Tag der Empfängnis war es, schmerzhaft und feierlich, der erste von sehr zukünftigen Tagen, die ohne diesen wehen und schönen ersten nicht kommen könnten.
Rilkes Faszination gilt dem vierten Akt, in dem der renommierte Maler Michael Kramer über den Selbstmord seines Sohnes Arnold nachdenkt und diesen zum Messias stilisiert. Nachhaltig beeindruckt widmet er Hauptmann seinen erscheinenden Gedichtband ›Das Buch der Bilder‹. Trotz der Begeisterung vieler Zeitgenossen für das Künstlerdrama ist der Theatertext von der Forschung bislang selten analysiert worden. Im Gegensatz zu Hauptmanns naturalistischen Bühnenstücken wie ›Vor Sonnenaufgang‹
Rainer Maria Rilke: Tagebücher aus der Frühzeit. Hg. von Ruth Sieber-Rilke und Carl Sieber. Leipzig , S. . Vgl. Karl E. Webb: Rainer Maria Rilkes Verhältnis zu Gerhart Hauptmann und seine Rolle in Rilkes künstlerischer Entwicklung. In: Roland Jost / Hansgeorg SchmidtBergmann (Hg.): Im Dialog mit der Moderne. Zur deutschsprachigen Literatur von der Gründerzeit bis zur Gegenwart. Jacob Steiner zum . Geburtstag. Frankfurt/M. , S. –.
(), ›Die Weber‹ () oder ›Die Ratten‹ (/) finden sich nur wenige Beiträge zu ›Michael Kramer‹, von denen sich kaum einer mit dem Künstlerdiskurs befasst. So setzt sich Kurt Partl mit den innerfamiliären Spannungen in der Familie Kramer auseinander und wählt einen sozialpsychologischen Zugriff, um Arnolds Fremdbestimmung durch seinen dominanten Vater zu erhellen. Eine biographische Deutung nehmen Debra Wynn, Rüdiger Bernhardt und Charles R. Bachmann vor. Sie setzen voraus, dass einer der schöpferischen Protagonisten als Sprachrohr des Autors fungiert und suchen nach Parallelen zwischen Hauptmann und seinen Figuren, ihre berufliche Laufbahn und ihre ästhetischen Positionen betreffend. Im Unterschied dazu gehen Viktor Steege, Japp, Helmut F. Pfanner und Karl S. Guthke textimmanent vor und entwickeln kontroverse Interpretationsansätze. Steege und Japp fragen nach den Gründen für Arnolds Selbstmord und sind der Ansicht, dass sein Todeswunsch aus der ihm fehlenden »Ausgewogenheit von Blut und Urteil, von Trieb und Geist« resultiert. Pfanner wertet hingegen Michael Kramers schöpferische Produktionskrise als signifikantes Problem des Bühnenstücks und vertritt die These, dass die Figuren Michaline und Arnold als »Projektionen des inneren Konflikts im Vater« fungieren: Die zwei Komponenten jeder Künstlernatur, Begabung und Arbeitskraft, die der alte Kramer zu besitzen glaubt, erscheinen in seinen Kindern getrennt: Während Michaline die Begabung fehlt, besitzt Arnold keinen Fleiß. Aus diesen Unterschieden entsteht ein doppelter Konflikt: zwischen Vater und Tochter einerseits und zwischen Vater und Sohn andererseits.
Dagegen ist Guthke davon überzeugt, dass Hauptmanns zentrale Protagonisten, Michael und Arnold Kramer, auf unterschiedliche Weise am gleichen Konflikt scheitern: der eine »verliert sich […] an die Kunst und geht am Menschsein
Vgl. Kurt Partl: Gerhart Hauptmanns ›Michael Kramer‹ als Analyse eines familiären Beziehungssystems innerhalb des bürgerlichen Bewußtseins. In: Hans-Dietrich Irmscher / Walter Keller (Hg.): Drama und Theater im . Jahrhundert. Festschrift für Walter Hinck. Göttingen , S. –. Vgl. Debra D. Wynn: Hauptmann and Böcklin. An Artistic and Historical Synthesis in ›Michael Kramer‹. In: The Germanic Review, (), H. , S. –; Rüdiger Bernhardt: Gerhart Hauptmanns Drama ›Michael Kramer‹. Drama der Einsamkeit und einer schlesischen ›feucht-fröhlichen Brüderschaft‹. In: Studia niemcoznawcze, (), S. –; Charles R. Bachmann: Life into Art. Gerhart Hauptmann and ›Michael Kramer‹. In: The German Quarterly, (), H. , S. –. Vgl. Viktor Steege: Gerhart Hauptmann: ›Michael Kramer‹. In: Ludwig Büttner (Hg.): Europäische Dramen von Ibsen bis Zuckmayer. Dargestellt an Einzelinterpretationen. Frankfurt/M. , S. –; Japp: Das deutsche Künstlerdrama, S. –; Helmut F. Pfanner: Deutungsprobleme in Gerhart Hauptmanns ›Michael Kramer‹. In: Monatshefte, (), H. , S. –; Karl S. Guthke: Die Gestalt des Künstlers in G. Hauptmanns Dramen. In: Neophilologus, (), H. , S. –. Steege: Michael Kramer, S. . Pfanner: Deutungsprobleme in Gerhart Hauptmanns ›Michael Kramer‹, S. , .
zugrunde«, der andere »verliert sich ans Leben, und die Kunst wird ihm zum Verhängnis.« Im Gegensatz zu den vorgestellten Deutungsansätzen werden in dieser Arbeit die kunst- und künstlerspezifischen Konflikte untersucht, bevor das Drama aus feldtheoretischer Perspektive erschlossen wird. Dabei wird zuerst erläutert, welche Gründe für Arnolds Scheitern verantwortlich sind (vgl. ..) und welche dramaturgische Funktion dem verkannten Künstler im Drama zukommt (vgl. ..). Im nächsten Schritt wird illustriert, wie sich Hauptmann im kulturellen Feld seiner Zeit positioniert (vgl. ..). Der Dramatiker vollzieht, so die These, einen ›doppelten Bruch‹, indem er sich sowohl von der literarischen Strömung des Naturalismus als auch von der kanonisierten Kunst der Jahrhundertwende distanziert. Schließlich wird ›Michael Kramer‹ zu anderen Theatertexten, in deren Zentrum ein verkannter Künstler steht, in Bezug gesetzt und die zentralen Motive dieses ›Dramentypus‹ dargestellt (vgl. Kap. .).
.. Das Scheitern des verkannten Künstlers In seinem Künstlerdrama führt Hauptmann den Lebensalltag des jungen Malers Arnold vor, der sich im Handlungsverlauf das Leben nimmt, weil er unter fehlender beruflicher und privater Anerkennung (vgl. ...), unter innerfamiliären Spannungen (vgl. ...) und einem existentiellen inneren Konflikt (vgl. ...) leidet. ... Arnolds Scheitern an fehlender beruflicher und privater Anerkennung Arnold, der sich aus Liebe zu der »Bierhebe« Liese Bänsch allabendlich im örtlichen Wirtshaus aufhält, wird von den dortigen Stammtischgästen weder beruflich noch privat geschätzt. Seine Diskreditierung zum »Kleckser«, »Anstreicher« und »Malerstift« resultiert aus dem fehlenden Kunstverstand der dem gehobenen Mittelstand angehörenden Lokalgäste, die von dem Maler Ernst Lachmann ironisch als Repräsentanten der »noble[n] Gesellschaft« bezeichnet werden. Die mangelnde ästhetische Urteilsfähigkeit der breiten Masse hat für die schöpferischen Protagonisten fatale Konsequenzen, weil sie von dem Verkauf
Guthke: Die Gestalt des Künstlers, S. . Gerhart Hauptmann: Michael Kramer. In: Gerhart Hauptmann: Sämtliche Werke. Bd : Dramen. Hg. von Hans-Egon Hass. Berlin, Frankfurt/M. , S. –, hier S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
ihrer Bilder und damit von der Nachfrage ihrer Artefakte auf dem Kunstmarkt abhängig sind. Wollen die Maler keine Konzessionen an den vorherrschenden Kunstgeschmack machen, laufen sie Gefahr, ihren Lebensunterhalt nicht finanzieren und ihren Beruf nicht ausüben zu können. Aufgrund dieser Zwänge hat Lachmann bereits jede Hoffnung auf eine Künstlerexistenz aufgegeben. Um seine Familie ernähren zu können, hat er den Beruf des Kunstkritikers ergriffen, eine Tätigkeit, die von ihm als »Sisyphusarbeit« empfunden wird. Obwohl er laut Michael Kramer einen »Sinn für das Echte« – für die ›wahre‹ Kunst – besitzt und als meinungsbildende Konsekrationsinstanz fungiert, »ändert sich [im potentiellen Käuferkreis, Anm. N.B.] wirklich nichts.« Resigniert reflektiert Lachmann im Restaurant Bänsch über den mangelnden Kunstverstand und die Unbelehrbarkeit seines sozialen Umfelds: Himmel, wie fing sich das alles an! – Und heut schneidet man Häcksel für diese Gesellschaft. – Kein Punkt, in dem man so denkt wie sie. Alles hüllenlos Reine wird runtergezerrt. Der schlechteste Lappen, die schmierigste Hülle, der elendeste Lumpen wird heiliggesprochen. Und unsereiner muß doch das Maul halten und rackert sich doch für die Bande ab.
Die Abhängigkeit des Künstlers von den – nicht immer kunstverständigen – Abnehmern seiner Werke ist ein klassischer Konflikt des schöpferischen Produzenten im Drama. Schon der Maler Conti in Gotthold Ephraim Lessings ›Emilia Galotti‹ (), der im Auftrag des Prinzen von Guastalla ein Gemälde der Gräfin Orsina anfertigt, muss feststellen, dass die »Kunst […] nach Brot« geht. In ›Michael Kramer‹ hat insbesondere Arnold unter dem fehlenden Kunstsinn der Stammgäste im Bierlokal Bänsch zu leiden. Diese werden als gefühlskalt, zänkisch, sexistisch, egozentrisch und brutal charakterisiert, einzig auf sinnliche Genüsse und ökonomischen Gewinn fixiert. Da die Lokalgäste nicht in der Lage sind, die ästhetische Qualität eines Artefakts zu beurteilen, richtet sich ihre Wertschätzung nach dem Konsekrationsgrad des schöpferischen Produzenten, beziehungsweise nach der Höhe des von ihm akkumulierten ökonomischen Vermögens, das wiederum Rückschlüsse auf seine weltlichen Ehren und die Verkaufszahlen und -preise seiner Werke zulässt. Sie erkennen
Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. f. Gotthold Ephraim Lessing: Emilia Galotti. In: Gotthold Ephraim Lessing: Gesammelte Werke. Bd. . Hg. von Wolfgang Stammler. München , S. –, hier S. . So interessieren sich Assessor Schnabel und Baumeister Ziehn nicht für die moralische Integrität ihres Stammtischbruders, den Juristen Quantmeyer, solange er ein finanzielles Auskommen vorweisen kann. Schnabel erklärt: »Na, er scheint doch bei Gelde, das ist doch die Hauptsache.« (Hauptmann: Michael Kramer, S. ).
nur diejenigen Künstler als solche an, die im Besitz finanzieller Ressourcen und einer hohen Reputation sind und zu denen Arnold nicht zählt. So urteilt Liese Bänsch über das verkannte Talent: »Wenn wirklich mit Ihnen so riesig viel los wäre, dann sähen Sie freilich anders aus. […] Berühmte Maler verdienen doch Geld.« Arnolds Vater begegnet die Kellnerin hingegen mit Respekt. Sie bezeichnet den etablierten Maler, der durch seine Lehrtätigkeit an einer königlichen Kunstschule großes Ansehen genießt, ehrfürchtig als »Gottseibeiuns oder so was.« Von den Gästen bleibt Arnold nicht nur die berufliche Würdigung, sondern auch die private Anerkennung versagt. Grund dafür ist seine physische Erscheinung. Der Maler wird in den Regieanweisungen als »häßlicher Mensch mit schwarzen, feurigen Augen unter der Brille, […] mit schiefer, etwas gebeugter Haltung« beschrieben, von Liese gar als »verwachsen« bezeichnet. Seine Missbildung veranlasst die Stammgäste, den jungen Mann als »Marabu« zu verhöhnen. Arnolds Verhalten trägt maßgeblich zu seiner sozialen Ausgrenzung bei; Liese fühlt sich von ihm regelrecht bedroht. Dass sein Auftreten bei ihr unbegründete Angstgefühle auslöst, erzählt sie Michael Kramer: »Mir wird manchmal angst, plötzlich, wenn ich ihn anseh’. Auch wenn er so sitzt und sich ganz versinnt …«. Wie das Mädchen fühlen sich auch die anderen Gäste von Arnold »unangenehm« belästigt. Von der Stammtischgesellschaft nicht akzeptiert und mehrfach, vom Wirt und vom Publikum, erfolglos zum Verlassen des Lokals aufgefordert, »hockt [Arnold, Anm. N.B.] immer ganz allein für sich«, beobachtet sein soziales Umfeld und porträtiert es in seinem Skizzenbuch. Seine bloße Gegenwart und seine Blicke, die Liese als ›hämisches Herüberschielen‹ interpretiert, provozieren die Anwesenden so sehr, dass sich der Maler, so die Kellnerin, »schließlich doch gar nicht wundern [kann], wenn sie ihn systematisch hinausärgern.« Die methodischen Demütigungen, die Liese als »Jokus« beschreibt, der oft so »[z]werchfellerschütternd« gewesen ist, dass das »ganze Lokal […] gewiehert« hat, führen schließlich zum ›Erfolg‹. Arnold lässt sich aus dem Bierlokal vertreiben – »tödlich blaß« – und bringt sich
Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Vgl. ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
um. Dass die Wirtshausgäste die Schuld am Selbstmord seines Sohnes tragen, steht für Michael Kramer außer Frage. Er weiß: »Sie haben ihn mir zu Tode gehetzt. Erschlagen, Lachmann, wie so’n Hund. Das haben sie, denn das kann ich wohl sagen.« ... Arnolds Scheitern am väterlichen Erwartungsdruck Mit der Geringschätzung der Lokalgäste korrespondiert Arnolds fehlende Bestätigung durch seine Familie. Die innerfamiliären Konflikte sind auch als ästhetische Auseinandersetzungen zu werten: Arnold, seine Schwester Michaline und Michael Kramer werden im Personenverzeichnis als Maler tituliert. Arnold besitzt jedoch von allen Familienmitgliedern die größte schöpferische Ausdruckskraft. Das wird ihm von seinem Vater attestiert, der durch seine Lehrtätigkeit an der königlichen Kunstschule als Definitionsmacht fungiert. Er bezeichnet seinen Sohn als »Lump« mit »so viel Talent«, dass man sich »alle Haare ausraufen« muss. »Wo unsereiner sich mühen muß, man quält sich Tage und Nächte lang, da fällt dem das alles bloß so in den Schoß.« Kunstkritiker Lachmann schließt sich dem Urteil seines ehemaligen Lehrers an. Auch für ihn steht die außerordentliche Begabung des Jungen »ganz außer Frage«. Im Gegensatz zu Arnold fehlt Tochter Michaline jedes künstlerische Talent. Michael Kramer eröffnet ihr: Den »Funke[n], den hast du nicht.« Allerdings zeichnet sich das Mädchen durch »Zähigkeit […] Fleiß und Charakter« aus, Eigenschaften, die Arnold vollkommen abgehen, die Kramer aber für unabdingbar hält, um sich als Künstler einen Namen zu machen. So schätzt er an seinem Vorbild, dem Maler Arnold Böcklin, nicht nur dessen bildnerische Ausdruckskraft, sondern auch dessen Arbeitsethos. Kramer, der aufgrund einer Produktionskrise bereits seit sieben Jahren an einem Christusbild arbeitet, erhebt nicht die schöpferische Leistung, sondern die Arbeit selbst zum höchsten Wert. Seinem Freund Lachmann versichert er: Immer arbeiten, arbeiten, arbeiten, Lachmann. […] Wir schimmeln sonst bei lebendigem Leibe. Sehn Se sich so ein Leben mal an, wie so’n Mann arbeitet, so’n Böcklin. Da wird auch was, da kommt was zustande. Nicht bloß, was er malt: der ganze Kerl. Hörn Se, Arbeit ist Leben, Lachmann!
Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. f. Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Vgl. ebd., S. , . Ebd., S. f.
Und: »Ich bin bloß ’n lumpiger Kerl ohne Arbeit. In der Arbeit werd’ ich zu was.« Neben dem Arbeitsethos bilden für den Maler weitere bürgerliche Tugenden, Pflichtgefühl, Ordnung, Sauberkeit, moralisches Verhalten und die Realisierung eines Familienlebens, die Voraussetzung für ein gelungenes Leben und damit für eine erfolgreiche Künstlerkarriere. Da für den Maler ein bürgerlicher Lebensstil unentbehrlich ist, um ›reine‹, ästhetisch überzeugende Artefakte kreieren zu können, gerät er in Konflikt mit seinem Sohn, der die von ihm propagierten Denk- und Lebensformen radikal ablehnt. Kramer weist ihn zurecht: »Du ruinierst dich. Du machst dich krank. Halte dir deine Gesundheit zu Rat. Gesunder Körper, gesunder Geist. Gesundes Leben, gesunde Kunst.« Da für Kramer ein ›gesundes‹ Leben ein bürgerliches ist, kann seine Vorstellung von einer ›gesunden‹ Kunst mit einer ›bürgerlichen‹, d. h. einer traditionellen ästhetischen Idealen verpflichteten Kunst gleichgesetzt werden. Dafür sprechen auch seine Werke. Bei seinem unvollendeten Christusbild und seiner Radierung eines toten geharnischten Ritters handelt es sich um der Alltagsrealität enthobene historische und biblische Bildmotive, um gefällige Bildsujets des bürgerlichen Motivkanons, die sich um die Jahrhundertwende großer Beliebtheit erfreuen. Wie viele Kunst- und Kulturkritiker seit der Goethezeit, die sich »an den Normen der klassischen Ästhetik« orientieren, beruft sich der Maler »auf die Gesundheit«, während die »ästhetische Moderne«, so Thomas Anz, »durch ihre Sympathie für das Pathologische gekennzeichnet« ist.
Ebd., S. . Der Begriff der Bürgerlichkeit oder der bürgerlichen Lebensführung bezeichnet im Folgenden »ein spezifisches Verhaltensmodell von […] Individuen, das normative Standards bündelt. Der damit verbundene Daseinsentwurf orientiert sich an Wertbegriffen von Arbeit, Leistungsethos, Bildung, vernunftorientiertem Handeln, Selbstreflexion, Individualisierung, an Öffentlichkeit und Intimität.« (Ruppert: Der moderne Künstler, S. ); vgl. außerdem Wolfgang Ruppert: Bürgerlicher Wandel. Die Geburt der modernen deutschen Gesellschaft im . Jahrhundert. Frankfurt/M. . Vgl. Hauptmann: Michael Kramer, S. f., . Dass sich Kramer an den vorherrschenden Moralvorstellungen orientiert, bringt Arnold zur Sprache, wenn er klagt: »Wenn Vater Moral donnert, weißt du ja wohl, so halt’ ich mir bloß noch die Ohren zu.« (Ebd., S. ). Kramers Idealisierung des Familienlebens kommt hingegen im Gespräch mit Lachmann zum Ausdruck: »’n Mann muß Familie haben, Lachmann. Das ist ganz gut, das gehört sich so.« (Ebd., S. ). Ebd., S. . Vgl. Ruppert: Der moderne Künstler; Mommsen: Bürgerliche Kultur, S. f. Thomas Anz: Gesund oder krank? Medizin, Moral und Ästhetik in der deutschen Gegenwartsliteratur. Stuttgart , S. XI; vgl. auch Thomas Anz: ›Gesund‹ und ›krank‹. Kriterien der Kritik im Kampf gegen die literarische Moderne um . In: Walter Haug / Wilfried Barner (Hg.): Ethische contra ästhetische Legitimation von Literatur / Traditionalismus und Modernismus. Kontroversen um den Avantgardismus. Tübingen , S. –.
Kramers Kunstauffassung korrespondiert mit seiner Stellung im kulturellen Feld. Der anerkannte schöpferische Produzent vertritt keine innovative kunsttheoretische Position, sondern orientiert sich an den ästhetischen Idealen der kanonisierten Avantgarde. Nicht zufällig ist Böcklin sein Vorbild, um einer der erfolgreichsten und gefragtesten deutschen Maler. Den Zeichnungen im Skizzenbuch seines Sohnes kann er keine Wertschätzung entgegenbringen. An Arnolds »Fratzen« bewundert er zwar den feinsinnigen »Blick«, bezeichnet diesen aber als »wahrhaftig böse.« Wissend, dass seine eigenen schöpferischen Fähigkeiten nicht an die von Böcklin heranreichen, setzt Kramer alle seine Hoffnungen in seinen Sohn. Lachmann erklärt er: Hörn Se, als damals mein Junge zur Welt kam … ich hatte mir das in den Kopf gesetzt! – ganze vierzehn Jahre hab’ ich gewartet, da brachte die Frau den Arnold zur Welt. Hörn Se, da hab’ ich gezittert, hörn Se. […] Ich hab’ mir gedacht: ich nicht, aber du! Ich nicht, dacht’ ich bei mir: du vielleicht!
Kramers Erwartungen, die sich bereits in der Namensgebung des Sohnes niederschlagen – Arnold trägt den gleichen Vornamen wie Böcklin – werden allerdings nicht erfüllt. Anstatt sein Talent durch Fleiß und Arbeit zu entfalten, führt Arnold, laut Frau Kramer, ein »[l]üderlich[es]« Leben. Die Nächte verbringt er im örtlichen Bierlokal, während er die Tage verschläft. Die väterliche Autorität erkennt er nicht an, stattdessen rebelliert er gegen die von seinem Vater oktroyierten Wertvorstellungen und Verhaltenskonventionen. Anstatt die Gründe für das Verhalten seines Sohnes zu erforschen, reagiert Kramer mit Gewalt und Angstevokation, um die ihm entgegengebrachten Widerstände zu brechen. Frau Kramer berichtet, dass ihr Mann Arnold noch »[a]ls Fünfzehnjährigen« geschlagen habe, und kennt seine »Seelensangst! [sic] Aus Angst vor Papa.« Auch Liese weiß zu berichten: »Arnold hat […] solche Angst«. Erst durch den Selbstmord seines Sohnes realisiert der etablierte Maler: »Ich habe den Jungen malträtiert […]. – – Ich hab’ diese Pflanze vielleicht
Kurt Partl weist darauf hin, dass sich Kramer im zweiten Akt wie Böcklin geriert. Dafür spricht die »toposhafte Anordnung der Utensilien, vor allem Kramers Erscheinung ›mit vielen weißen Flocken im schwarzen Bart und Haupthaar‹, sein Anzug mit ›schwarzem Gehrock, […] veraltetem Umlegekragen […] und schwarzem Schlipsbändchen.‹« (Partl: Gerhart Hauptmanns ›Michael Kramer‹, S. ). Hauptmann: Michael Kramer, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
erstickt. Vielleicht hab’ ich ihm seine Sonne verstellt: dann wär’ er in meinem Schatten verschmachtet.« ... Arnolds Scheitern am inneren Konflikt Arnolds Scheitern ist neben der beruflichen und privaten Geringschätzung Folge eines inneren, für ihn existentiellen Konflikts: Er leidet unter seiner körperlichen Missbildung, die für ihn im Kontrast zu seiner außergewöhnlichen schöpferischen Begabung steht. Seine physischen Makel erfährt er als unüberwindbares Stigma, das ihn unvermeidlich zu einem sozialen Außenseiter macht. So erklärt er seiner Mutter: »Gezeichnet bin ich, […] aber daran bin ich doch wirklich, scheint’s, unschuldig.« Das Leiden unter dem Missverhältnis von äußerer Gestalt und außerordentlichen kreativen Fähigkeiten artikuliert Arnold auch gegenüber seiner Angebeteten Liese, wenn er ihr eröffnet: »Vielleicht bin ich auch wirklich lächerlich. Ich meine äußerlich, innerlich nicht. Denn wenn Sie mich innerlich könnten betrachten, da brenn’ ich die Kerls von der Erde weg.« Arnolds innerer Konflikt bricht sich in einem ambivalenten Sozialverhalten Bahn. Einerseits gibt er zu, unter der ihm fehlenden gesellschaftlichen Anerkennung zu leiden, wenn er Liese gesteht: »Mir is ja so jämmerlich scheußlich zumut.« Andererseits signalisiert er, nicht auf private oder berufliche Bestätigung angewiesen zu sein. Die örtliche Stammtischgesellschaft bezeichnet er als »Nullen«, während er über die Münchner Kunstszene und seinen Vater abschätzig urteilt: »Ich kann mehr wie die Kerle alle zusammen. Im kleinen Finger. Zehntausendmal mehr. Mein eigner Vater mit inbegriffen.« Auch für Guthke resultiert Arnolds innerer Konflikt aus der Diskrepanz zwischen physischer Missbildung und überragenden schöpferischen Fähigkeiten. Er konstatiert: Arnold »leidet darunter, daß seine Genialität in der äußeren Erscheinung: in seiner Person oder einer Leistung (zu der er sich aber nicht aufschwingen kann) keine Entsprechung findet«. Im Unterschied dazu ist Japp davon überzeugt, dass Arnold an seiner unerfüllten Liebe zu der Kellnerin Liese zugrunde geht. Ausgehend von der Frage, warum der Maler bis auf seine Wirtshausskizzen künstlerisch unproduktiv bleibt, bezieht er sich auf die von Hauptmann häufig gestaltete autobiographische Konfiguration des »Verfallen-
Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Guthke: Die Gestalt des Künstlers, S. .
seins eines Mannes an eine unpassende, aber sinnlich attraktive Frau« und vertritt die These, dass Arnold durch sein sexuelles Begehren an der Kunstproduktion gehindert wird. Er spricht von einem »Determinismus […], der sich auf beinahe unvermeidliche Weise in die Belange der Kunst einmischt.« Diese Ansicht teilt Steege, der den Maler als »hochbegabten, aber willensschwachen, seiner Liebesleidenschaft ausgelieferten Menschen« beschreibt. Beide übersehen, dass Arnolds vermeintliche Triebhaftigkeit nur von Frau Kramer problematisiert wird, die sich weniger um die Verführbarkeit als um die nächtlichen Eskapaden ihres Sohnes sorgt, die sie im ›unmoralischen‹ Prostitutionsmilieu vermutet. Auch Assessor Schnabel, der meint, den Künstler in »einer ganz hundsgemeinen Verfassung« in einem »Weiberbums« gesehen zu haben, spekuliert nicht über eine Verbindung von Geschlechtstrieb und Kunstproduktion, sondern stößt sich wie Frau Kramer an dem von ihm verachteten Milieu. Gegen einen Zusammenhang von Triebhaftigkeit und schöpferischer Produktion spricht auch, dass Arnold seine wenigen Zeichnungen im Wirtshaus anfertigt, genau an dem Ort, wo er auf seine Angebetete trifft, und dass die Gespräche über das äußere Erscheinungsbild des verkannten Künstlers – sowohl im Wirtshaus als auch in der Familie – großen Raum einnehmen. Eine Lösung für Arnolds Leiden unter seiner Missbildung versprechen sich Michaline und ihr Vater von einer Hingabe an die Kunst. Die Malerin ist überzeugt, dass Arnold sein Äußeres akzeptieren und sich »zu was Höh’rem durchwinden« müsse, »das hat jeder gemußt. Da hat er an Vater das beste Beispiel.« Für Michaline besitzt Kramer deshalb Vorbildfunktion, weil auch er eine »eher abstoßende als anziehende Erscheinung« ist. Der renommierte Maler misst seiner physischen Gestalt aber keine Bedeutung zu und propagiert die innere Schönheit des arbeitenden Künstlers. Seinen Sohn beschwört er: Du hast den Segen der Arbeit nicht. Arnold, den Segen mußt du erringen. Du hast auf dein Äußeres angespielt. Er nimmt die Beethovenmaske. Da! sieh dir mal hier die Maske an. Sohn Gottes, grabe dein Inneres aus! Meinst du vielleicht, der ist schön gewesen? Ist es dein Ehrgeiz, ein Laffe zu sein? Oder meinst du vielleicht, Gott entzieht sich dir, weil du kurzsichtig bist und nicht geradegewachsen? Du kannst so viel Schönheit in dir haben, daß die Gecken um dich wie Bettler sind.
Nicht zufällig verweist Kramer seinen Sohn auf Ludwig van Beethoven: Der früh erkrankte und seit auf beiden Ohren taube Komponist hat trotz die
Japp: Das deutsche Künstlerdrama, S. . Ebd., S. . Steege: Michael Kramer, S. . Vgl. Hauptmann: Michael Kramer, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
ser gravierenden körperlichen Beeinträchtigung weiterhin Sonaten, Sinfonien und Streichquartette komponiert. Im Gegensatz zu Kramer und dessen Vorbild Beethoven ist Arnold nicht in der Lage, sein Leiden zu überwinden. Sein Vater besitzt durch seine Lehrtätigkeit an der Kunstschule und durch die Produktion gefälliger Artefakte ein hohes Ansehen. Durch sein Renommee kann er die abstoßende Wirkung seines hässlichen Äußeren kompensieren. Der begabte Arnold lehnt die von seinem Vater favorisierte mythologische und historische Malerei aber ab und verleiht seinem Widerwillen mit einem nonkonformistischen Lebens- und Kleidungsstil Ausdruck. Statt realitätsferner Bildsujets fertigt er Zeichnungen an, die als naturalistisch bezeichnet werden können, weil sie das Alltägliche, von der Tradition als das Hässliche und Niedere verworfene, zum Gegenstand haben und auf soziale Missstände aufmerksam machen. Arnolds verstörende Blätter stoßen bei den Stammtischgästen auf vehemente Ablehnung. So reagiert Liese mit Entsetzen auf eine von Arnolds Zeichnungen, auf der »so’n kleiner Hund und so viele große« zu sehen sind, und betont: »[D]as war so gemein … ganz schauderhaft.« Während Kramer affirmative Artefakte schafft, kreiert Arnold avantgardistische, provokative Skizzen. Seine physische Missbildung kann er daher nicht durch berufliche Erfolge kompensieren. Folglich bietet die Hingabe an die Kunst für ihn keine Möglichkeit der Konfliktlösung. Vor diesem Hintergrund ist Guthke nicht zuzustimmen, der die These vertritt, dass Arnold die Bedeutung seines Äußeren »überschätzt«. Er führt Arnolds schöpferische Unproduktivität auf seine schwache Persönlichkeit zurück, die zu wenig »stark und reif« sei, um sich auf das Wesentliche, die schöpferische Arbeit, zu konzentrieren. Da Arnold naturalistische Skizzen anfertigt, die ihn, wie seine äußere Erscheinung, sozial ausgrenzen, kann er die väterlichen Ratschläge nicht als Lebenshilfe, sondern nur als »Malträtagen« werten. Er weiß: »[D]as nutzt mir ja alles nichts! Das ewige Gemähre nutzt mir ja nichts.« Eine Problemlösung scheint unmöglich. Hauptmann deutet zwar an, dass der junge Maler sich auf
Vgl. ebd., S. . Bernhardt stellt die These auf, dass Arnold keine naturalistischen Skizzen anfertigt, sondern seine Artefakte der »karikaturintensive[n] Kunst des . Jahrhunderts« zuzurechnen sind (Bernhardt: Gerhart Hauptmanns Drama ›Michael Kramer‹, S. ). Bernhardt ist nicht beizupflichten. Arnolds Skizzen werden von der Kellnerin Liese beschrieben, die davon spricht, dass der Maler die Wirtshausgäste als ›Fratzen‹ porträtiert. Das muss kein Hinweis darauf sein, dass es sich bei den Bildern um Karikaturen handelt. Stattdessen wird deutlich, dass es sich um Artefakte handelt, die Liese fremd sind, die sie provozieren und die sie nicht als Kunst anerkennt. Hauptmann: Michael Kramer, S. . Guthke: Die Gestalt des Künstlers, S. . Ebd., S. . Hauptmann: Michael Kramer, S. . Ebd., S. .
unbestimmte Zeit in München aufgehalten hat und dort »das und jenes gemacht« hat; allerdings scheint die Flucht in die bayerische Hauptstadt, die um die Jahrhundertwende als Zentrum der Kunstausbildung, der Malerei und des Kunstexports gilt, zu keiner Konfliktbewältigung geführt zu haben. Dafür spricht Arnolds Rückkehr in die Provinz. Über die Schwierigkeiten, sich in München als Bildender Künstler zu etablieren, klagt Lachmann: Von dem Riesen-Philistercancan der Großstadt seht ihr hier nichts und hört ihr hier nichts. […] Man will immer raus in die weite Welt. […] Sie ist gar nicht weit, die Welt, Michaline! Sie ist überall nicht weiter wie hier! […] Und wem sie zu eng ist, der muß sie sich weiten […].
Anstatt sich ›die Welt zu weiten‹, entwickelt Arnold, psychischen und physischen Brutalitäten ausgeliefert, einen Verfolgungswahn, über den Michaline zu berichten weiß: »Er sah eben nichts als Feinde ringsum. Und ließ sich das auch absolut nicht ausreden. Das ist alles nur Tünche, sagte er stets. Sie verstecken nur alle die Klauen und Pranken, und wenn du nicht achtgibst, bist du rum.« Für Lachmann sind Arnolds Wahnvorstellungen unvermeidliche Konsequenz seiner sozialen Ausgrenzung. Seinen Selbstmord kommentiert er mit den Worten: In gewissen Momenten fühlt man so was [wie Verfolgungswahn, Anm. N.B.] Er hat ja auch sicher viel durchgemacht in bezug auf Roheiten mancher Art. Und wenn man sich das vergegenwärtigt: von sich aus hatte er wohl da recht.
.. Die dramaturgische Funktion des verkannten Künstlers Wie erläutert, ist Arnolds Selbstmord Folge fehlender beruflicher und privater Anerkennung, mangelnder familiärer Bestätigung und eines inneren Konflikts, resultierend aus dem Missverhältnis von äußerer Erscheinung und kreativen Fähigkeiten. Diese drei Gründe macht auch Michaline für den Selbstmord ihres Bruders verantwortlich. Sie deutet an, dass Arnolds Leiden unter seiner körperlichen Missbildung durch die Liebe zu dem ›Mädchen‹ existentielle Dimensionen angenommen hat und dass er die Schmähungen der Wirtshausgäste und die familiären Spannungen nicht länger ertragen hat, wenn sie sagt: Das Mädchen. Die Schmach. Der Vater. Die Mutter. Und sicherlich auch vor den Folgen die Angst. Er gab sich wer weiß wie alt und blasiert und war noch, wenn man ihn kannte wie ich, im Grunde ganz unerfahren und kindisch.
Ebd., S. . Vgl. Lenman: Die Kunst, die Macht und das Geld, S. f. Hauptmann: Michael Kramer, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
Nach der Analyse der Gründe für Arnolds Selbstmord wird nun nach der dramaturgischen Funktion der verkannten Künstlerfigur für den zentralen kunsttheoretischen Diskurs im Theatertext gefragt. Dazu werden die ästhetischen Positionen der schöpferischen Protagonisten zu Hauptmanns Kunstauffassung in Bezug gesetzt (vgl. ...) und anschließend die Bedeutung von Arnolds Selbstmord für Michael Kramer untersucht (vgl. ...). ... Michael Kramers Kunstauffassung In seiner Rede ›Kunst ist Religion‹ vom . November zieht Hauptmann Parallelen zwischen der eigenen kunsttheoretischen Position und der seines Protagonisten, wenn er erklärt: »›Kunst ist Religion‹. Das habe ich oft einer meiner Gestalten, der des Michael Kramer, nachgesprochen.« Anhand von Quellenmaterial, das der Dramatiker um die Jahrhundertwende, in der Entstehungszeit seines Künstlerdramas, verfasst hat, können die Übereinstimmungen und Unterschiede im Hinblick auf die künstlerischen Wertmaßstäbe von Autor und Figur illustriert werden. Wie Kramers ist Hauptmanns Kunstauffassung von der romantischen Kunstphilosophie geprägt. Für ihn zeichnet sich der Künstler durch eine privilegierte Weltwahrnehmung vor seinem sozialen Umfeld aus. Während der breiten Masse nur die empirisch fassbare Lebenswirklichkeit zugänglich ist, verfügt
Gerhart Hauptmann: Kunst ist Religion. Ansprache bei der Geburtstagsfeier in der Berliner Messehalle am . . . In: Gerhart Hauptmann: Sämtliche Werke. Bd. VI: Erzählungen. Theoretische Prosa. Hg. von Hans-Egon Hass. Berlin, Frankfurt/M. , S. –, hier S. . Partl ignoriert die Parallelen zwischen Kramers und Hauptmanns Kunstauffassung. Er wertet Kramers Ausführungen über die Kunst als Strategie, um seine fehlenden schöpferischen Fähigkeiten zu kaschieren und um seine Familie zu kontrollieren. Kramer verwende »Elemente romantischer Kunstphilosophie zur Abwehr der Vorstellung des Mißlingens« (Partl: Gerhart Hauptmanns ›Michael Kramer‹, S. ). Angesichts der zahllosen Übereinstimmungen zwischen Hauptmanns und Kramers kunsttheoretischen Äußerungen ist zu bezweifeln, dass Hauptmann die ästhetische Position seines Protagonisten demontieren will. Wie Kramer beschreibt Hauptmann den schöpferischen Produktionsprozess als ›Mysterium‹. Daher könne das kreierte Artefakt vom Künstler nicht rational kommentiert und von der Kunstkritik nicht adäquat bewertet werden. Der Dramatiker favorisiert das ›unvergleichbare‹ Kunstwerk. Am . . notiert er in seinem Tagebuch: »Über das Mysterium selbst kann nur das Mysterium aussagen, nicht ein Gedanke. […] In diesem Sinne spricht Goethe aus sich zu Eckermann: ›Je inkommensurabler ein Kunstwerk, um so höher steht es.‹« (Gerhart Hauptmann: Tagebücher –. Hg. von Martin Machatzke. Frankfurt/M., Berlin , S. ). Hauptmann stilisiert sich zu einem genialischen Autor und macht sich dadurch – ähnlich wie seine Titelfigur – unangreifbar. Über das strategische Potential seiner Kunstauffassung reflektiert er weder in seinen Tagebüchern oder Essays noch in ›Michael Kramer‹.
der ästhetische Produzent über die unerlernbare außerordentliche Fähigkeit, auch die hinter den Erscheinungen liegende ›Idee‹ der Schöpfung wahrzunehmen. Da der Künstler als Vermittlungsinstanz zwischen dem Gros der Bevölkerung und einer metaphysischen Sphäre fungiert, erhält die Kunst prophetische Funktion. Sie ersetzt die ›flache‹ institutionelle Religion und ist als »eigentliche metaphysische Tätigkeit« zu werten. Während des künstlerischen Produktionsprozesses besitzt der Künstler, so Hauptmann, keinen »individuellen Willen«, sondern fungiert als Medium, das sich ganz seiner transzendenten Eingebung hingibt. Als ›überirdische‹ Erfahrung beschreibt auch seine Titelfigur den ästhetischen Schöpfungsvorgang. So erläutert Kramer seinem Freund Lachmann: Sehn Se, da kommt dann der Heil’ge Geist, wenn man so einsam ringt und wühlt. Da kann einem manchmal was zuteil werden. Da wölbt sich’s, sehn Se, da spürt man was. Da ruht man im Ewigen, hörn Se mal an, und da hat man’s vor sich in Ruhe und Schönheit. Da hat man’s, ohne daß man’s will. Da sieht man den Heiland! da fühlt man ihn.
Aus Hauptmanns Kunstauffassung resultiert seine Überzeugung, dass die ästhetische Qualität eines Artefakts von dem Ausmaß abhängt, in dem ein Künstler von transzendentem »Urlicht erhellt« wird. Für vollendet hält er die Werke Goethes, mit Kramer teilt er die Bewunderung für Böcklin und Beethoven. Trotz dieser Parallelen zwischen Autor und Figur ist Kramer nicht als Alter Ego des Autors konzipiert. Dafür spricht seine nur mäßige gestalterische Begabung. Laut Partl schlägt sich sein fehlendes Talent bereits in seinem Namen nieder: Hauptmann stellt dem »anspruchsvoll pathetischen Namen ›Michael‹ (hebr. ›Wer [ist] wie Gott?‹) als Zerfallsprodukt dieses Anspruchs im Namen ›Kramer‹ das Krämerhafte« gegenüber. Der Bildende Künstler leidet außerdem unter einer schöpferischen Krise, die sich in seinem seit sieben Jahren unvollendeten Christusbild und in seinen Radierungen manifestiert, die er als handwerkliche Übungen verwirft. Gegenüber Lachmann rechtfertigt er sich: »Das is so’n Blatt für mein Formenwerk. Die Platte war aber nicht gut gewischt. Die ganze Geschichte stimmt auch noch nicht. Ich muß erst noch richtig dahinterkommen.« Explizit formuliert er seine Produktionskrise im Gespräch mit Michaline, wenn er ihr offenbart: »[E]s wächst mir über den
Vgl. Eintrag vom . . . In: Ebd., S. . Eintrag vom . . . In: Ebd., S. . Eintrag vom . . . In: Ebd., S. . Hauptmann: Michael Kramer, S. . Hauptmann: Kunst ist Religion, S. . Vgl. die Einträge vom . . und . . . In: Hauptmann: Tagebücher – , S. , . Partl: Gerhart Hauptmanns ›Michael Kramer‹, S. . Hauptmann: Michael Kramer, S. .
Kopf. – […] Es ist nichts los mit dem alten Kerl. Er sieht es manchmal, er fühlt es auch – und dann nimmt er den Spachtel und kratzt es runter.« Für Kramers Schaffenskrise ist seine Kunstauffassung verantwortlich, die sich in zwei zentralen Punkten wesentlich von Hauptmanns Position unterscheidet. In dem Erzählfragment ›S[an]kt-Sebaldus-Grab‹ proklamiert Hauptmann, dass die physische Einsamkeit des Künstlers während des schöpferischen Produktionsprozesses die notwendige Voraussetzung bildet, um von metaphysischem ›Urlicht‹ durchdrungen zu werden. Auch Kramer spricht davon, dass das »Eigne, das Echte, Tiefe und Kräftige« nur »in Einsiedeleien geboren« werden kann. Im Unterschied zu Hauptmann sucht der renommierte Maler die Einsamkeit aber nicht nur während des Schöpfungsvorgangs, sondern er zieht sich vollständig aus der Alltagsrealität zurück. Seine soziale Abschottung veranschaulicht Hauptmann zum einen dramaturgisch, indem er seinen Protagonisten in keiner Szene zusammen mit der ihm entfremdeten Ehefrau in der gemeinsamen Wohnung, sondern nur in seinem Atelier zeigt. Zum anderen lässt er Michaline Kramers Rückzug in die Einsamkeit als »Schwäche« beurteilen. Seine Tochter wirft ihm vor: »Wenn du dich so verbarrikadierst, sogar vor Lachmann … das wundert mich. Dann entschlägst du dich eben jeglicher Anregung.« Die von Michaline diagnostizierte fehlende Inspiration schlägt sich in Kramers alltagsfernen Bildsujets und in seinem idealisierenden ästhetischen Stil nieder, auf den Lachmann verweist, wenn er den »Dunst« im Wirtshaus Bänsch mit der »erhabenen Ruhe und Reinheit« vergleicht, die von Kramers Christusbild ausgeht. Auch Pfanner macht den Rückzug aus dem Leben für Kramers Schaffenskrise verantwortlich. Außerdem vertritt er die These, dass Kramers soziale Isolation den Vater-Sohn-Konflikt forciert. Da der renommierte Maler von Arnold die Nachahmung des eigenen Lebensstils erwarte, müsse dieser seine nächtlichen Besuche im Wirtshaus verleugnen. Diese Lügen gipfelten am Ende des zweiten Aktes in einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn, die weniger aus dem Fehlverhalten des Sohnes als aus dem mangelnden Bezug des Vaters zur Lebenswirklichkeit resultiere:
Ebd., S. . Vgl. Gerhart Hauptmann: S[an]kt-Sebaldus-Grab. In: Gerhart Hauptmann: Sämtliche Werke. Bd. XI: Nachgelassene Werke. Fragmente. Hg. von Hans-Egon Hass. Fortgeführt von Martin Machatzke. Berlin, Frankfurt/M. , S. –, hier S. . Hauptmann: Michael Kramer, S. . Ebenso wie in ›Michael Kramer‹ ist der Künstler für Hauptmann auch in ›S[an]kt-Sebaldus Grab‹, S. , der »wahre Einsiedler«. Hauptmann: Michael Kramer, S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
Was der alte Kramer nicht wahrhaben will: Der Konflikt mit seinem Sohn besteht in seiner eigenen Brust. Sein an Arnold gerichteter Appell zu Wahrhaftigkeit könnte genau so gut ihm selber gelten. Da aber der Vater den unbewußten Trieb nach Leben in der eigenen Seele verdrängt, endet der Akt mit Michael Kramers Verleugnung seines Sohnes.
Die Vorstellung, künstlerische Berufung und bürgerliche Lebensführung miteinander vereinbaren zu können, ist der zweite wesentliche Aspekt, in dem sich die Kunstauffassungen von Autor und Titelfigur unterscheiden. Während sich Kramer in den ersten drei Akten dogmatisch an bürgerlichen Tugenden und Pflichten orientiert, hält Hauptmann die beiden Sphären Kunst und Realität für antagonistisch. In seinem Tagebuch erklärt er: Der Herd des Philisteriums ist die Familie. Der tragische Bruch ist mit dem eigenen Wachstum gesetzt. […] Willst im Wachstum stocken, dich ferne niederbeugen, um allmählich – wie unausbleiblich! – umzusinken als stammorscher Baum? oder hebst du dich weiter, noch höher – und verzichtest, deine Angehörigen mitzuheben? Der Berufene wird oft vor den Scheidewege gestellt. Der Philister will seine breite, festumfriedete Straße und hat sie.
Auch den von Kramer propagierten »unabirrbaren Ernst«, der im Leben und in der Kunst verfolgt werden müsse und der den »Mann erst zum Manne« mache, brandmarkt Hauptmann als philiströse Eigenschaft. Am . Juli schreibt er: Der göttliche Spieltrieb ist es, den der Dichter-Künstler und jeder Künstler unverkümmert entwickelt hat. Im Philister jeder Art zeigt er sich abgestorben oder verdorben. Der Philister will alles mit ›Ernst‹ ergriffen sehen, d[as] h[eißt] starr und absolut. Zum Philisterium verführt die Wissenschaft zuweilen, nie die Kunst.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Kramer, wie sein Sohn, beruflich und privat scheitert. Der etablierte Maler leidet unter einer schöpferischen Krise, weil er sich als Künstler von der Alltagsrealität abschottet und dem Leben und der Kunst mit ›philiströsem Ernst‹ begegnet, anstatt wie eine »spielende Motte […] Gottes Licht« zu umkreisen. Als tyrannischer Familienvater trägt er maßgeblich zum Tod seines Sohnes bei. Anstatt Arnold als Individuum mit existentiellen Bedürfnissen wahrzunehmen, beurteilt er ihn nach den eigenen normierten Wertvorstellungen und Verhaltenskonventionen. Die privaten Spannungen zwischen Vater und Sohn sind Folge eines in Kramer schwelenden Konflikts: Selbst nur mäßig schöpferisch begabt erwartet er von Arnold
Pfanner: Deutungsprobleme in Gerhart Hauptmanns ›Michael Kramer‹, S. . Eintrag vom . . . In: Hauptmann: Tagebücher –, S. . Hauptmann: Michael Kramer, S. . Ebd., S. . Eintrag vom . . . In: Hauptmann: Tagebücher –, S. . Ebd., S. .
die Künstlerkarriere, zu der er selbst nicht fähig ist. Die enttäuschten väterlichen Hoffnungen münden schließlich in einem Eklat, in dessen Verlauf der arrivierte Maler seinen Sohn verleugnet: »Du bist nicht mein Sohn! […] Du ekelst mich an!!« ... Arnolds Selbstmord als ›Inspiration‹ für Michael Kramer Erst nach Arnolds Tod gelingt es Kramer, seine schöpferische Krise zu überwinden. Grund dafür ist die ›erhabene‹ Erfahrung großen seelischen Leids, die ihm durch den Selbstmord seines Sohnes zuteil wird. Hauptmann, der in seinen Tagebüchern über den Tod seines Vaters reflektiert, beschreibt seine große Trauer als eine ›furchtbare Gottesoffenbarung‹. Wie dem Künstler während des ästhetischen Produktionsprozesses offenbart sich dem Subjekt im Leiden eine metaphysische Kraft: Unter den furchtbaren Gottesoffenbarungen seiner qualvollen Stunden wird Hiobs Wesen durch Leiden ins Übermenschliche gedehnt. […] es ist, als wüchse er sichtlich hinein in die Ewigkeit. Bis zum Bersten sehen wir das Gefäß, das er ist, mit Erkenntnis gefüllt, und es will standhalten. […] Er sieht Gott ins Angesicht. Er saugt ihn in sein Bewußtsein, fühlend, er wird es zersprengen.
Im Schmerz hat das Subjekt Zugang zu einer transzendenten Sphäre. Guthke und Hans M. Wolff sprechen von einer mystischen »Einheit mit dem leidwirkenden deus absconditus«. Wie Hauptmann wird auch Kramer infolge seiner großen psychischen Qualen von überirdischem ›Urlicht‹ erhellt. Er verliert seinen Sohn, gewinnt durch diese ›erhabene‹ Erfahrung aber seine schöpferische Ausdruckskraft zurück. So fertigt er an Arnolds Totenbett die Radierung eines geharnischten Ritters an und stellt sich der Herausforderung, an seinem Christusbild weiterzuarbeiten. In den Regieanweisungen des vierten Akts wird Kramers neu gewonnene Kreativität explizit formuliert:
Hauptmann: Michael Kramer, S. . Eintrag vom . . . In: Hauptmann: Tagebücher –, S. f. Karl S. Guthke / Hans M. Wolff: Das Leid im Werke Gerhart Hauptmanns. Fünf Studien. Bern , S. . Guthke und Wolff entwickeln ihre Thesen zur Leiderfahrung in Hauptmanns Werken im Rekurs auf Jakob Böhme, dessen philosophische Theoreme Hauptmann gekannt und geschätzt hat. Pfanner ist überzeugt, dass Michael Kramer seine Schaffenskrise überwinden kann, weil er akzeptiert, dass seine schöpferischen Fähigkeiten »beschränkt[ ]« sind. »Dabei entsteht ein sonderbares Paradox. Obwohl das Jasagen zum Tode des Sohnes […] Voraussetzung ist für des Vaters Versöhnung mit dem Sohne, so reift Kramer gerade durch diesen inneren Akt der Resignation zum Künstler, der er früher vergeblich hat sein wollen.« (Pfanner: Deutungsprobleme in Gerhart Hauptmanns ›Michael Kramer‹, S. ). Pfanner berücksichtigt nicht, dass Kramers Einsicht Folge seines außerordentlichen seelischen Schmerzes ist.
Im Scheine der Kerzen gewahrt man in der Nähe des Toten eine Staffelei, auf der gemalt worden ist. An diese setzt sich nun Kramer. Er fährt fort, unbeirrt, als ob außer ihm und Lachmann niemand zugegen wäre.
Neben seiner plötzlichen Gestaltungskraft zeichnet sich Kramer im vierten Akt durch einen religiös fundierten humanitären Gestus aus, der im Kontrast zu den väterlichen Tyranneien der ersten Akte steht und der, ebenso wie die schöpferische Produktivität, aus seiner großen Trauer resultiert. Hauptmann begreift das Metaphysische, das sich dem Künstler und dem seelisch Leidenden offenbart, als »ein tief humanes, tief verbindendes Fluidum, in dem man atmet.« So schreibt er am . September über den Tod seines Vaters: Sein Leiden befreite unser Leben zur Liebe. Reiner und heißer gingen die Wogen durch sein Leiden und Sterben. Nun umgibt unsere Liebe die Mutter in einer neuen und vorher kaum glaublichen Zärtlichkeit, sie ist ein fortwährendes Überquellen. Gott hat aus dem Felsen die Quellen geschlagen.
Wie Hauptmann erfährt auch Kramer den Tod als »herrlich und ungeheuer zugleich«. Ganz von Güte und Nächstenliebe durchdrungen, verlieren seine bis dato proklamierten Ideale der Lebensgestaltung an Wert. Diese stellen sich angesichts der ›erhabenen‹ Erfahrung als bloß äußerliche, normierte Verhaltenskonventionen und Wertvorstellungen dar, wie Kramer seinem Freund Lachmann gesteht: Da lebt man so hin: das muß alles so sein! Man schlägt sich mit kleinen Sachen herum, und hörn Se, man nimmt sie wer weiß wie wichtig, man macht sich Sorgen, man ächzt und man klagt, und hörn Se, dann kommt das mit einemmal, wie’n Adler, der in die
Hauptmann: Michael Kramer, S. . Hauptmann: Kunst ist Religion, S. . Eintrag vom . . . In: Hauptmann: Tagebücher –, S. . Hauptmanns Glaube, dass sich dem Subjekt im Leiden eine metaphysische Kraft offenbart, manifestiert sich auch in seinem Erzählfragment ›Das Fest‹ (), in dem vier Freunde über Liebe, Freundschaft und Tod philosophieren. Die Ausführungen sind teilweise mit Kramers Explikationen identisch. So legt Hauptmann seiner Dichterfigur im ›Fest‹ die Worte in den Mund: »Der Tod ist die mildeste Form des Lebens« (vgl. Hauptmann: Michael Kramer, S. , mit Gerhart Hauptmann: Das Fest. In: Gerhart Hauptmann: Sämtliche Werke. Bd. XI: Nachgelassene Werke. Fragmente. Hg. von Hans-Egon Hass. Fortgeführt von Martin Machatzke. Berlin, Frankfurt/M. , S. –, hier S. ). Auch die Reflexionen des Wirts im ›Fest‹, der über den Tod seines Vaters spricht, ähneln Kramers Äußerungen im vierten Akt. Der Gastronom erklärt: »Das war ein heißes, göttliches Fieber des Lebens gewesen, das Leben selber in seiner stärksten Form (wo es ›Liebe‹ heißt) und doch eine Krankheit zugleich, mit dem Drohen des Todes. Ich ward zugleich ein Gefäß des tiefsten Leides und der höchsten Glückseligkeit. Schmerzlich glückseliges Wiedergebären in jedem Augenblick, und so auch jetzt. Jetzt hatte der Tod den Aaronstab […] und machte die Quellen der Liebe springen. Sie sind den blutigen Quellen verwandt, die aus den Wunden der Märtyrer fließen.« (Ebd., S. ). Hauptmann: Michael Kramer, S. .
Spatzen fährt. Hörn Se, da heißt es: Posto gefaßt! Aber sehn Se, nun bin ich dafür auch entlassen, und was nun etwa noch vor mir liegt, da kann mich nichts freuen, da kann mich nichts schrecken, da gibt’s keine Drohung mehr für mich!
Dass Kramer sich von seinen früheren Wertmaßstäben distanziert, zeigt sich auch darin, dass er den Freitod seines Sohnes publik macht, obwohl er weiß, dass einem Selbstmörder ein kirchliches Begräbnis versagt bleibt. Für ihn ist der institutionalisierte theologische Beistand »nebensächlich« geworden. So erklärt er: »Was geht mich die Welt an, möcht’ ich bloß wissen! Er [Arnold, Anm. N.B.] hat sich ja auch drüber weggesetzt.« Wie von seinen bisherigen Idealen verabschiedet sich Kramer auch von seinen väterlichen Erwartungen. Er erkennt: »Das ganze Leben lang war ich sein Schulmeister. Ich habe den Jungen malträtiert« und trägt seine »Lieblingswünsche zu Grabe«. Ab sofort orientiert er sich an dem ihn nun durchdringenden Gefühl der Menschenliebe, das sich auch in seinen Bildern niederschlägt. So kreiert er am Totenbett seines Sohnes die Radierung eines geharnischten Ritters, die er mit dem Spruch: »Mit Erzen bin ich angelegt. / Der Tod war Knappe bei mir.« betitelt. Mit diesen Zeilen rekurriert Hauptmann auf ein Gedicht, das er nach dem Tod seines Vaters verfasst hat und in dem er die Kraft der Liebe beschwört, die sich ihm durch den Todesfall offenbart hat. Die kunsttheoretische Dimension des privaten Trauerfalls manifestiert sich nicht nur in Kramers neu gewonnener Produktivität, sondern auch in der Idealisierung seines Sohnes, den er mit Beethoven, »dem Größten der Großen«, vergleicht und zum Messias stilisiert. Da die Dorfgemeinschaft Arnold durch ihre methodischen Demütigungen in den Tod getrieben hat, soll sein Selbstmord, wie Christi Kreuzigung, läuternd wirken. Kramer konstatiert:
Ebd., S. f. Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Vgl. den Eintrag vom . . . In: Hauptmann: Tagebücher –, S. f.: »Ist schwarz mein Fittich, / so hüllt er doch dich rosigdämmernd ein. / Kein Lachen tut dir weh. / Kein Weinen dringt / in diesen letzten Raum. / Kein Fluch, kein Haß … / kein Feind erreicht dich mehr … // Von Stahl ein Flügel / wuchs gegen meinen. // Was du vermißtest / dereinst, ist nichts, / und was dich einst mit tausend Peinen / bedrängt, ist nichts. / Ich flüstre mir ins Ohr: / ich bin der Tod! / enthüllt mich und ihr seht, / was Liebe kann. // Mit Erzen bin ich angelegt. / Der Tod war Knappe mir. / Ja, du befreist mich, / wie du bei uns bleibst / in deiner Ruhe. / Je mehr ich dich betrachte … / O ich verzeihe. / O ihr kleinen Lieben, / wo seid ihr? Er verzeiht euch alles! / Ich verzeihe alles euch. / O seht, auch ihm verzieh ich. // Mit Trotz und Milde hab’ ich ihn bewahrt.« Hauptmann: Michael Kramer, S. .
Ihr tatet dasselbe dem Gottessohn! Ihr tut es ihm heut wie dazumal! So wie damals, wird er auch heut nicht sterben! – – Die Glocken sprechen, hören Sie nicht? Sie erzählen’s hinunter in die Straßen: die Geschichte von mir und meinem Sohn. Und daß keiner von uns ein Verlorner ist!
Wie Hauptmann weist Kramer der Kunst eine prophetische Funktion zu. Dass der Maler mit Hilfe von Artefakten »eine Neuordnung von Werten wie Bildung, Kunstbedürfnis und Gemeinsamkeit« erreichen will, hebt auch Bernhardt hervor. Im Unterschied dazu ist Partl der Auffassung, dass Arnolds Tod keinen Erkenntnisprozess initiiert, sondern als »absurde Erfüllung« gewertet werden muss, »da der Tote nun für jede Idealisierung verfügbar geworden ist«. In seiner Analyse berücksichtigt Partl allerdings weder Hauptmanns Kunstauffassung noch seine ›Metaphysik des Leidens‹. Er ignoriert ferner, dass der Dramatiker auch in seinem um entstandenen theoretischen Prosatext ›Sankt-SebaldusGrab‹ der Kunst die Fähigkeit zuschreibt, den Menschen zu Humanität und Güte zu erziehen. Da sie diese Aufgabe im Gegensatz zur institutionalisierten Religion am »vornehmste[n] und menschlichste[n]« erfülle, legitimiere sie sich als ›eigentliche‹ Religion. Wie die christliche Heilslehre soll die Kunst in ›Michael Kramer‹ die Nächstenliebe unter den Menschen befördern. Außerdem verweist sie darauf, »daß keiner von uns ein Verlorner ist!« Durch die Artefakte, in denen sich eine metaphysische Kraft offenbart, lässt sich erahnen, dass etwas Transzendentes jenseits der wahrnehmbaren Realität existiert. Im Unterschied zum christlichen Glauben garantiert die Kunst aber keine Erlösung im Jenseits. Dafür spricht die letzte Replik, in der Kramer die Totenmaske Beethovens betrachtet und erklärt: Als wenn wir wüßten, wohin es geht. So hast du gejauchzt! – Und was hast du gewußt? – Von irdischen Festen ist es nichts! – Der Himmel der Pfaffen ist es nicht! Das ist es nicht, und jen’s ist es nicht, aber was … – mit gen Himmel erhobenen Händen – was wird es wohl sein am Ende???
Durch die von göttlichem Geist durchdrungene Kunst kann zwar eine Existenz nach dem Tod angenommen, aber nicht versichert werden.
Ebd., S. . Bernhardt: Gerhart Hauptmanns Drama ›Michael Kramer‹, S. . Partl: Gerhart Hauptmanns ›Michael Kramer‹, S. f. In ›Sankt-Sebaldus-Grab‹ legt Hauptmann sein ›Eigenstes‹ über die Kunst dar; vgl. den Eintrag vom . . . In: Hauptmann: Tagebücher –, S. . Gerhart Hauptmann: Sankt-Sebaldus-Grab. Ein Koran. (Erinnerung). In: Gerhart Hauptmann: Sämtliche Werke. Bd. XI: Nachgelassene Werke. Fragmente. Hg. von Hans-Egon Hass. Fortgeführt von Martin Machatzke. Berlin, Frankfurt/M. , S. –, hier S. . Hauptmann: Michael Kramer, S. . Ebd., S. .
Aus Kramers letzten Worten wird auch deutlich, dass der Maler seine Schaffenskrise zwar überwunden hat, seine Kunstwerke aber nicht in höherem Grad von transzendentem ›Urlicht‹ erhellt sind. Als mäßig begabter Künstler bezeichnet er sich im Vergleich zu seinem Sohn als »erbärmlich«, und während Beethoven scheinbar gewusst hat, »wohin es geht«, fühlt sich Kramer »im Ungeheuren verlassen«.
.. ›Michael Kramer‹ als Manifestation eines ›doppelten Bruchs‹ mit der kanonisierten und der naturalistischen Kunst Wie erläutert, kritisiert Hauptmann in seinem Bühnenstück den Kunst- und Kulturbetrieb. Er wirft dem Gros der Bevölkerung vor, keinen Kunstverstand zu besitzen und avantgardistische Artefakte abzulehnen, so dass sich die Anwärter im kulturellen Feld mit ihren innovativen Werken nur schwer etablieren können. Der Dramatiker wendet sich ferner gegen soziale Unmenschlichkeit und Grausamkeit und gegen repressive familiäre Erziehungsmethoden, die verhindern, dass sich ein künstlerisches Genie privat entfalten kann. Arnolds Selbstmord impliziert neben dem sozialkritischen einen kunsttheoretischen Diskurs: Durch den Verlust seines Sohnes macht Kramer eine ›erhabene‹ Erfahrung; ihm offenbart sich eine metaphysische Kraft. Diese transzendente Energie, von Hauptmann als Fluidum der Empathie und Humanität definiert, befähigt Kramer zur Selbstreflexion und zur Kunstproduktion. Seine ›Läuterung‹ besitzt für ihn exemplarischen Charakter: Er stilisiert seinen Sohn, für ihn die Personifikation des verkannten Genies, zum Messias, dessen Leiden Barmherzigkeit und Nächstenliebe befördern soll. Auf diese Weise attribuiert er der Kunst eine prophetische Funktion. Hauptmanns Bühnenstück ist zudem als Manifestation eines ›zweifachen Bruchs‹ zu lesen, eine Denkfigur, unter der die Abgrenzung eines Autors von den institutionalisierten Konsekrationsinstanzen und der etablierten Kunst sowie von der vermeintlich homogenen Gegenposition des l’art pour l’art zu verstehen ist. Der Dramatiker wendet sich, so die These, gegen die kanonisierte Kunst seiner Zeit – repräsentiert durch den renommierten Maler Michael Kramer – und gegen Arnolds naturalistische Skizzen.
Ebd., S. . Ebd., S. . Diese These teilt Guthke. Durch seinen Schicksalsschlag gelinge es Michael Kramer »das Leben zu bejahen und sich zugleich hineingestellt zu wissen in das unergründliche Mysterium der Überwelt – aber nie wird er als Künstler zum Künder seines Erlebens, höchstens als Mensch zur repräsentativen Schicksalsfigur werden.« (Guthke: Die Gestalt des Künstlers, S. ). Vgl. Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. –.
Mit Kramer teilt Hauptmann die Auffassung von der ›Kunst als Religion‹, verwirft aber dessen dogmatischen, philiströsen Ernst. Er kritisiert außerdem Kramers Lebensferne, die sich in seinen Bildsujets und seinem idealisierenden Stil niederschlägt. In seinem Tagebuch definiert er die »Erfahrung« als »Wesen der Dichtkunst« und polemisiert gegen eine weltabgewandte, verklärende Ästhetik: Die Kunst ist so vielseitig, wie sich die Natur den Sinnen des Menschen darstellt. Wer das Häßliche nicht will, will das Schöne nicht, wer das Grobe nicht will, erhält das Feine und Feinste nicht (eure ›Feinheit‹ ist Schwäche), wer das Bittere nicht will, wird das Süße niemals schmecken. Eure Welt ist Papier. Eure Kunst ist Dogmenpfäfferei. Euer Vornehmtun soll den Mangel an Geburt verdecken, die gerade euch fehlt. Niemals sind mir solche lächerlichen Affen vorgekommen! […] Ihr stinkt vor Parfüm, Unmänner und Laffen!
Mit dem naturalistischen Maler Arnold teilt Hauptmann die Auffassung, dass die Produktion von Kunst nur in der Auseinandersetzung mit dem Leben möglich ist. Der junge Mann erweist sich allerdings als lebensuntüchtig; sein Selbstmord kann als Tod bzw. als Überwindung der naturalistischen Kunst gewertet werden. Dafür spricht, dass der durch den Verlust seines Sohnes geläuterte, vom ›Urlicht erhellte‹ Kramer im letzten Akt eine Kunstauffassung proklamiert, die Hauptmanns kunsttheoretischer Position um entspricht und die der naturalistischen Programmatik zuwider läuft. Im Gegensatz zum Naturalismus, der die mimetische Wiedergabe der empirisch fassbaren Realität anstrebt, favorisiert Kramer Artefakte, in denen sich die hinter den Erscheinungen liegende ›Idee‹ der Schöpfung offenbart. Die These, dass Arnolds Selbstmord den Tod der naturalistischen Kunst symbolisiert und Hauptmann mit seinem Künstlerdrama darauf zielt, sich von seinen literarischen Anfängen zu distanzieren, teilt Claus-Michael Ort: Deutlicher kann der sich abzeichnende Funktionswandel der naturalistischen Kunst innerliterarisch kaum dargestellt werden: Einerseits ist sie ›tot‹, nicht fortsetzbar, und andererseits wirkt sie noch im Scheitern als unentbehrliches Stimulans einer von Kramer senior erhofften, imaginären Überschreitung des Realen – einerseits läßt sie auf den zukünftigen Fortschritt einer an der ›Natur‹ orientierten Kunst hoffen, andererseits ›stirbt‹ sie als Kunst des metaphorischen ›Ahnherrn‹ mit diesem aus.
Eintrag vom . . . In: Hauptmann: Tagebücher –, S. . Eintrag vom . . . In: Ebd., S. . Dass sich Hauptmann um die Jahrhundertwende von der literarischen Strömung des Naturalismus distanziert und der Kunst eine prophetische Funktion zuweist, betont auch Guthke: Die Gestalt des Künstlers, S. . Claus-Michael Ort: Zwischen Degeneration und eugenischer Utopie. Die Funktion der ›Kunst‹ in Gerhart Hauptmanns Dramen. In: Gustav Frank (Hg.) / Wolfgang Lukas (Hg.) / Stefan Landshuter (Mitarb.): Norm – Grenze – Abweichung. Kultursemiotische Studien zu Literatur, Medien und Wirtschaft. Michael Titzmann zum . Geburtstag. Passau , S. –, hier S. f.
Dass Hauptmanns Künstlerdrama als Manifestation eines ›zweifachen Bruchs‹ – mit der kanonisierten und der naturalistischen Kunst – gelesen werden kann, zeigt sich auch in der dramaturgischen Konzeption des Theatertextes, wie im Folgenden gezeigt wird. ... Die thematische und dramaturgische Gestaltung des ›doppelten Bruchs‹ ›Michael Kramer‹ scheint zunächst als naturalistisches Drama definiert werden zu können. Im Theatertext, der »weitgehend geprägt [ist] vom Ethos der Wahrheit, der Darstellung der empirischen Realität, und der Wahrhaftigkeit«, stehen nicht die außergewöhnlichen Taten außerordentlicher Figuren, sondern die privaten und beruflichen Konflikte einer Künstlerfamilie im Zentrum. Dabei »erfolgt […] eine deutliche Reduktion der Handlung zugunsten der episierenden Milieudarstellung bzw. der Menschen im Milieu«. Der Fokus liegt auf den psychischen und sozialen Faktoren, die den jungen Maler Arnold prägen und seine Handlungen determinieren. Zum einen wird mit sozialkritischem Engagement aufgezeigt, wie der gesellschaftliche Außenseiter durch die physische und psychische Brutalität seines sozialen Umfelds in den Tod getrieben wird. Zum anderen wird eine Vater-Sohn-Beziehung problematisiert, die nach den Pflichten der Eltern gegenüber den Kindern fragt und deren Selbstverwirklichung fordert, »ohne daß überzeugende Lebensmodelle für die Familie angeboten werden.« Beide Motive – der aus den Milieuzwängen resultierende Freitod und der Generationskonflikt – sind charakteristisch für das naturalistische Drama. Auch im Hinblick auf die dramaturgische Konzeption weist das Bühnenstück naturalistische Elemente auf, etwa die ausführlichen, sehr detaillierten Regieanweisungen, die der Figurencharakteristik dienen und den Handlungsraum der Protagonisten – ihr Milieu – veranschaulichen. Die präzise Wiedergabe der Erfahrungswirklichkeit manifestiert sich auch in der Figurenrede: »Jede Gestalt spricht die Sprache ihrer sozialen Schicht – daher […] das Vorherrschen der Umgangssprache und der Dialekte […], selbst wenn diese oft in
Theo Meyer: Das naturalistische Drama. In: York-Gothart Mix (Hg.): Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom . Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bd. : Naturalismus. Fin de siècle. Expressionismus. –. München , S. –, hier S. . Ebd., S. . Helmut Scheuer: Generationskonflikte im naturalistischen Familiendrama. In: YorkGothart Mix (Hg.): Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom . Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bd. : Naturalismus. Fin de siècle. Expressionismus. –. München , S. –, hier S. . Vgl. ebd.; außerdem: Meyer: Das naturalistische Drama.
stilisierter Form wiedergegeben werden.« Wie für das naturalistische Drama üblich wird ferner der ›unnatürlich‹ wirkende Monolog vermieden, so auch im vierten Akt, in dem Lachmann als Ansprechpartner für den monologisierenden Kramer fungiert. Aufgrund dieser charakteristischen Merkmale ist ›Michael Kramer‹ vielfach der naturalistischen Dramatik zugeordnet worden, so auch von Bernhardt, der Lachmann als ›Boten aus der Fremde‹ kategorisiert: [D]ie Funktion Lachmanns entspricht der naturalistischen Dramaturgie. Bedingt durch den willkürlichen Ausschnitt aus der Wirklichkeit, wie ihn die naturalistische Kunsttheorie forderte, wird nur dann eine dramatische Handlung ausgelöst, wenn ein Vertrauter aus der Vergangenheit überraschend in die Gegenwart eintritt und so das bestehende Gleichgewicht zerstört.
Dass es sich bei Hauptmanns Drama um ein »naturalistisches Frühwerk« handelt, macht Steege hingegen an der detaillierten Milieuschilderung, der exakten Darstellung der »Breslauer Umwelt«, fest. Bernhardt und Steege ignorieren aber, dass der letzte Akt des Stücks die naturalistische Dramenstruktur unterläuft. Auf die Diskrepanz zwischen den ersten drei Akten, in denen die »zwischenmenschlichen Bezüge« in der Künstlerfamilie dargestellt werden, und dem letzten Akt, in dem Kramers innerer Konflikt vorgeführt wird, weist Pfanner hin. Wie Philip Mellen ordnet er das Drama nicht dem Naturalismus zu. Während die ersten drei Akte die Erfahrungswirklichkeit der dramatis personae aus objektiver Perspektive präzise wiedergeben, verlagert sich der Fokus im vierten Akt, nach Arnolds Tod, auf Kramers inneres, subjektives Erleben. Mit diesem Perspektivenwechsel korreliert die Abwendung von der naturalistischen Dramaturgie. So besitzt der letzte Akt nur noch scheinbar einen dialogi
Alain Muzelle: Naturalistisches Theater. In: Manfred Brauneck / Gérard Schneilin (Hg.): Theaterlexikon. Begriffe und Epochen, Bühnen und Ensembles. Reinbek bei Hamburg , S. –, hier S. . Bernhardt: Gerhart Hauptmanns Drama ›Michael Kramer‹, S. . Dass Lachmann als ›Bote aus der Fremde‹ fungiert, ist fraglich. Der Besuch aus München ist zwar dramaturgisch notwendig, um die Fabel als dramatische darzustellen: Lachmann dient Kramer und Michaline als Ansprechpartner; ihm erzählen sie von ihren innerfamiliären Konflikten und von ihren ästhetischen Idealen. Die Handlung wird allerdings nicht durch den ›Fremden‹, sondern durch die Kneipengänger und durch Kramer vorangetrieben, die Arnold dazu bringen, sich das Leben zu nehmen. Steege: Michael Kramer, S. , . Pfanner: Deutungsprobleme in Gerhart Hauptmanns ›Michael Kramer‹, S. . Vgl. Philip Mellen: A source of Hauptmann’s ›Michael Kramer‹. In: Germanic Notes, (), S. –. Mellen hält ›Michael Kramer‹ weder für ein mystisches noch für ein naturalistisches Drama. Da die empirisch fassbare Erfahrungswirklichkeit um den Bereich des Metaphysischen bereichert werde, sei Hauptmanns Theatertext mit Platon und Paracelsus als idealistisches zu definieren.
schen Aufbau. Stattdessen bestimmen Kramers Reflexionen über den Tod seines Sohnes die Struktur, unterbrochen von kurzen Repliken der Figuren, die Kramer als Ansprechpartner und Stichwortgeber dienen. Der monologische Aufbau offenbart sich auch in den Regieanweisungen, in denen expliziert wird, dass der Maler »halb für sich« oder »versonnen in den Anblick des Toten und die Lichter« spricht. Auch Pfanner hebt die fehlende Dialogstruktur hervor, wenn er erklärt: Lachmanns Worte [im vierten Akt, Anm. N.B.] könnten genauso gut von Michael Kramer oder an anderer Stelle von seiner Tochter Michaline gesprochen werden. Der scheinbare Dialog erweist sich also auch hier wieder als ein auf mehrere Figuren aufgeteilter Monolog. Dies entspricht ganz dem lyrischem [sic] Unterton des Stückes.
Neben der Monologstruktur des vierten Akts spricht das tragische Scheitern des renommierten Künstlers für eine Überwindung der naturalistischen Dramaturgie. Laut Theo Meyer kennt das naturalistische Drama keine Tragik: Das Tragische als die unausweichliche Kollision zwischen Freiheit und Notwendigkeit setzt eine, wie auch immer eingeschränkte Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeit des Individuums voraus. In dem Maße, in dem das handelnde Subjekt zum Objekt des Milieus wird, wird das Tragische obsolet. Es vollzieht sich der Abbau des Erhabenen zugunsten des Alltäglichen, der ›geistigen‹ Auseinandersetzungen und Ideale zugunsten der ›ungeistigen‹, sozialen Determination des Menschen.
Im Gegensatz zu Arnold, der im dritten Akt – determiniert von seinem inhumanen sozialen Umfeld und seinem inneren Konflikt – in den Tod getrieben wird, besitzt Kramer ›Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten‹, über die er im letzten Akt reflektiert. Der arrivierte Maler scheitert tragisch: Sein Versagen als Künstler ist unausweichlich, da er nur mäßig begabt ist. Sein Leiden unter dem Selbstmord seines Sohnes initiiert jedoch einen Erkenntnisprozess, durch den er die Freiheit gewinnt, seine nur beschränkte schöpferische Gabe zu akzeptieren. Durch die Einsicht in die eigene Schuld am Tod seines Sohnes wird er außerdem gezwungen, seine bisherigen Wertvorstellungen zu überprüfen. Anstatt an seinen philiströsen Idealen der Lebensgestaltung festzuhalten, orientiert er sich nun an dem Gebot der Humanität. Seine Anagnorisis aufgrund erfahrenen außerordentlichen Leids kennzeichnet Kramer als eingeschränkt handlungsfähiges Subjekt im Unterschied zu Arnold, der als ›Objekt des Milieus‹ definiert werden kann.
Hauptmann: Michael Kramer, S. . Pfanner: Deutungsprobleme in Gerhart Hauptmanns ›Michael Kramer‹, S. . Meyer: Das naturalistische Drama, S. .
... Hauptmanns Positionierung im kulturellen Feld Die These, dass sich Hauptmann in ›Michael Kramer‹ vom Naturalismus und von der kanonisierten Kunst seiner Zeit abwendet, lässt sich anhand von Quellenmaterial stützen. Um die Jahrhundertwende stilisiert sich Hauptmann, der seit der Uraufführung seines dramatischen Erstlings ›Vor Sonnenaufgang‹ als Repräsentant des naturalistischen Theaters in Deutschland gilt, zum prophetischen Künstler und distanziert sich von seinen literarischen Anfängen. In seinem Tagebuch bezeichnet er den skandinavischen Dramatiker Henrik Ibsen als ›flachen‹ Künstler und spricht den Werken Émile Zolas und Leo Tolstois jede ästhetische Qualität ab: Zola! –: das ist der stumpfe, grobe Barbar. Seine Kraft verhält sich zu der Goethes wie die Kraft eines Rollkutschers zur Kraft des Phidias. Er rollt Fässer, Oxhofte, eins nach dem anderen, während Phidias ein Stückchen Elfenbein aufhebt und in die Stirne seines olympischen Zeus einfügt. […] Was haben wir auf die Dauer mit Zola zu schaffen! was mit Tolstoi? Soll denn Alexander zu Diogenes betteln gehn? Wir wollen weder Arbeiter noch Bauern werden, sondern Schöpfer und Baumeister.
Auch die deutschen Naturalisten werden von Hauptmann diskreditiert. Das theoretische, von Arno Holz entwickelte naturalistische Programm bezeichnet er etwa als »Humbug« und den Dichter Julius Hart als »[k]riechende[n], gekniffene[n] Menschen«. Seine Kritik richtet sich nicht nur gegen die literarische Strömung des Naturalismus, sondern generaliter gegen jede Festlegung auf eine konkrete Kunstrichtung. Er attestiert jedem programmatischen ästhetischen Stil eine große Publikumswirksamkeit, weil er sich »aufdrängerisch begreiflich« mache. Allerdings könne er für den Künstler bloß »Schule und Stufe« sein. Im Laufe seines literarischen Schaffens müsse sich der schöpferische Produzent von jeder Kunstrichtung emanzipieren. Erst dann wird er Meister; er sondert sich von der Masse, die ihn nicht mehr begreift. War er auf dem Schiffe der ›Richtung‹ ein Matrose vielleicht, so wird er zum Steuermann nun auf dem eignen Schiff und lenkt es ins Pfadlose. Die Masse muß nun vertrauen und schweigen oder sie gibt ihn auf, achtet ihn als Verlorenen.
Als dichterisches Vorbild nennt Hauptmann Goethe, den er als »höchste Erhebung auf dem Boden der Kultur« bezeichnet. Wie der Weimarer Autor will er nicht als Vertreter einer bestimmten literarischen Strömung, sondern als
Vgl. den Eintrag vom . . . In: Hauptmann: Tagebücher –, S. . Eintrag vom . . . In: Ebd., S. . Eintrag vom . . . In: Ebd., S. . Eintrag vom . . . In: Ebd., S. . Eintrag vom . . . In: Ebd., S. . Eintrag vom . . . In: Ebd., S. . Eintrag vom . . . In: Ebd., S. f. Eintrag vom . . . In: Ebd., S. .
schöpferisches Genie kanonisiert werden. Seiner Weigerung, sich auf einen bestimmten ästhetischen Stil festlegen zu lassen, verleiht er in ›Sankt-Sebaldus Grab‹ Ausdruck: Ich habe mich niemals zu Markte gedrängt. Ich bin mit Ansprüchen nie und niemandem zur Last gefallen. Ich wollte nie und niemandem für einen Entdecker, Erfinder, Neuerer gelten, ich suchte zu bilden aus Freude an bildnerischer Tätigkeit und um des Glückes teilhaftig zu werden, was für mich in ihr lag.
In seinen Tagebüchern und theoretischen Schriften betont er, dass seine Artefakte keiner ästhetischen Programmatik verpflichtet sind. Anstatt sich »in die Gegenwart [zu] drängen wie eine Zeitung«, will er »die Wurzeln […] ins Ewige« senken. Seinen Anspruch legitimiert Hauptmann mit seiner kunsttheoretischen Position: Da er als Medium einer metaphysischen Sphäre fungiere, könne sein Werk nicht bloße Zeiterscheinung sein. Jedes ästhetische Manifest, das einen absoluten Wahrheitsanspruch für sich reklamiere, müsse hingegen als menschliche Anmaßung verworfen und den jeweiligen Artefakten die künstlerische Qualität abgesprochen werden. Jeder schöpferische Produzent, der eine bestimmte Kunstrichtung programmatisch vertrete, sehe »mit dem Blick der Partei Parteien statt mit dem Blicke des Menschen Menschen«. Der Künstler habe aber neutral zu sein, »außer mit dem Stimmzettel oder im Krieg, als Soldat.« Hauptmanns Neupositionierung im kulturellen Feld ist Konsequenz eines steilen Karriereverlaufs. Nachdem der Dramatiker Mitte der achtziger Jahre die literarische Avantgarde im ›Durch‹-Kreis kennenlernt, darunter die naturalistischen Schriftsteller Holz, Schlaf und die Brüder Hart, trifft er auf Otto Brahm, den wichtigsten Förderer seiner Theaterkarriere. Der Vorsitzende der Freien Bühne Berlin, zudem Chefredakteur der gleichnamigen Zeitschrift, bringt sein Stück ›Vor Sonnenaufgang‹ im gleichen Jahr zur Uraufführung. Durch die Inszenierung, die als Durchbruch der naturalistischen Dramatik in Deutschland in die Theatergeschichte eingegangen ist, wird Hauptmann über Nacht bekannt. Spätestens seit der »Weber-Aufführung am Deutschen Theater« ist er »der berühmteste zeitgenössische deutsche Bühnenautor.« Daran hat
Hauptmann: Sankt-Sebaldus-Grab. Ein Koran. (Erinnerung), S. . Gerhart Hauptmann: Einsichten und Ausblicke. In: Gerhart Hauptmann: Sämtliche Werke. Bd. VI: Erzählungen. Theoretische Prosa. Hg. von Hans-Egon Hass. Frankfurt/M. , S. –, hier S. , . Hauptmann: Sankt Sebaldus Grab. Ein Koran. (Erinnerung), S. . Eintrag vom . . . In: Hauptmann: Tagebücher –, S. . Weitere Förderer Hauptmanns sind Paul Schlenther, Fritz Mauthner, Julius Stettenheim, Samuel Fischer und Theodor Fontane; vgl. Helmut Scheuer: Arno Holz im literarischen Leben des ausgehenden . Jahrhunderts. (–). Eine biographische Studie. München , S. . Manfred Brauneck: Die Welt als Bühne. Geschichte des europäischen Theaters. Bd. . Stuttgart, Weimar , S. .
die »öffentliche und die gerichtliche Auseinandersetzung um Die Weber «, die Manfred Brauneck als »größten Theaterskandal in der deutschen Theatergeschichte« bezeichnet, wesentlichen Anteil. Um ist Hauptmann schließlich nicht mehr Anwärter im Unterfeld der eingeschränkten Produktion, sondern ein konsekrierter Autor. Nach Bourdieu existiert eine Homologie zwischen der Stellung eines Künstlers im kulturellen Feld und seinen Stellungnahmen – seinen »literarische[n] oder künstlerische[n] Werke[n]«, seinen »politische[n] Handlungen und Reden, Manifeste[n] oder polemische[n] Schriften«. Hauptmanns Abwendung von seinen literarischen Anfängen und seine Selbststilisierung zum Dichtergenie ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Während der Dramatiker zu Beginn seiner literarischen Karriere mit der naturalistischen Avantgarde zusammenarbeitet, um sich »über die Durchsetzung neuer Denk- und Ausdrucksweisen […] Bekanntheit und Anerkennung zu verschaffen«, betont er als geweihter Autor seine Singularität und grenzt sich von seinen weniger erfolgreichen Mitproduzenten ab. Das verdeutlicht Helmut Scheuer am Beispiel der Beziehung von Hauptmann und Holz, wenn er konstatiert: Hauptmann, ›von einer fast unerhörten Gunst des Schicksals getragen‹, hat die literarische Beeinflussung durch Holz bald verdrängt, obwohl von fast allen Seiten die ›entscheidende Anregung‹ betont wurde. Er wollte seine künstlerische Unabhängigkeit manifestieren und glaubte, das nur erreichen zu können, indem er Arno Holz zu einer mediokren Figur erniedrigte.
Über seinen Positionswechsel im kulturellen Feld ist sich Hauptmann bewusst. notiert er im Tagebuch, »den Grat eines Gebirges erstiegen« zu haben und nach »soviel Jahren, inmitten einer We[l]tstadt, literarisch ernst das Theater [zu]
Ebd., S. . Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. . Ebd., S. . Scheuer: Arno Holz im literarischen Leben, S. . In diesem Zusammenhang muss berücksichtigt werden, dass Holz’ Beziehung zu Hauptmann ebenfalls von Rivalität geprägt gewesen ist. Am . . schreibt er an Reinhard Piper: »Nach Aufführung der ›Familie Selicke‹ waren alle unsre materiellen Mittel erschöpft und – neben uns operierte Hauptmann mit, wie ich schätze, vielleicht einem Minimum von Mark bar. Aus diesem Verhalt ergab sich als notwendig: Hauptmann mußte durchkommen, ganz gleich wann, er konnte es ja ›aushalten‹, er hatte Chancen gegen eine, wir aber umgekehrt eine gegen . Da galt’s, für mich wenigstens, der am Anfang gestanden – Schlaf, der dieses nicht getan, legte naturgemäß weniger Wert darauf – diesen Anfang, was auch kommen mochte, jedenfalls ›fest‹zulegen. Und mir scheint, dies ist schließlich auch gelungen. Kein Mensch wird uns heute mehr ›Schüler Hauptmanns‹ nennen. (›Hauptmannianer‹ ist noch immer der eine Ausdruck, cf. Hirschfeld! Hauptmannianer? Worin?)« (Arno Holz: Briefe. Eine Auswahl. Hg. von Anita Holz und Max Wagner. Mit einer Einführung von Hans Heinrich Borcherdt. München , S. f.).
beherrschen.« Weiter erklärt er: »Jetzt blicke ich geradeaus – nicht mehr in die Höhen; ich blicke nach unten, wohin ich, wie ich fühle, hinabsteigen muß, wenn ich eine Weile in der Höhe werde gewandelt sein.« Um nicht wieder ›hinabsteigen‹ zu müssen, zielt der Dramatiker darauf, seinen literarischen Rivalen die Existenz als ›wahre‹ Schriftsteller abzusprechen. Seine Weigerung, sich auf eine bestimmte Kunstrichtung festlegen zu lassen, ist auch als Folge der »ästhetische[n] Opposition gegen den Naturalismus« zu werten, die bereits in den neunziger Jahren des . Jahrhunderts einsetzt und sich in der Folgezeit verschärft. Angesichts der ›Überwindung des Naturalismus‹ und des Pluralismus an Kunstrichtungen um die Jahrhundertwende muss sich Hauptmann als Schriftsteller unabhängig von einem bestimmten ästhetischen Stil im Feld der Kulturproduktion positionieren, um sich behaupten zu können. Daher betont er die Einzigartigkeit seiner Artefakte. Am . Juni fordert er: Untersucht meine Stücke, von Vor Sonnenaufgang an. Beguckt sie von oben, unten und von allen Seiten, und wenn ihr nicht eine mir eigene Art des Baues – und eine nur mir eigene – findet, so »nennt mich, was für ein Instrument ihr wollt«.
Schon vor ›Michael Kramer‹ löst sich Hauptmann von der naturalistischen Milieudramatik. So wird sein ›symbolistisch-märchenhaftes‹ Theaterstück ›Hanneles Himmelfahrt‹ uraufgeführt, für Günther Mahal eine Reaktion auf die allgemeine Distanzierung vom Naturalismus. Dass sich Hauptmann von seinen literarischen Anfängen abwendet, wird aber nicht von allen professionellen Meinungsbildnern der Zeit positiv aufgenommen. So konstatiert Samuel Lublinski: Keine der verschiedenen Stilarten, die im Laufe einer zwanzigjährigen modernen Literaturentwicklung auftauchten, die Hauptmann nicht nachzubilden verstanden hätte! Naturalismus, Neu-Romantik, Symbolismus, neuklassische Stilmanier, alles hat er gelegentlich einmal in der Hand gehabt und mit totsicherer Technik durchgeführt. Seinem Wesen entsprach dennoch nur der altruistisch-naturalistische Stil […].
Möglicherweise ist die negative Reaktion der Literaturkritik auch ein Grund dafür, dass sich Hauptmann um wieder der naturalistischen Dramatik zuwendet.
Eintrag vom . . . In: Hauptmann: Tagebücher –, S. . Eintrag vom . . . In: Ebd., S. . Meyer: Das naturalistische Drama, S. . Eintrag vom . . . In: Hauptmann: Tagebücher –, S. . Vgl. Günther Mahal: Naturalismus. München , S. . Samuel Lublinski: Die Bilanz der Moderne. [Berlin ]. Mit einem Nachwort neu hg. von Gotthart Wunberg. Tübingen , S. .
. Zentrale Motive im Künstlerdrama um verkannte Künstler (Hauptmann, Jahnn, Johst, Sorge)
Neben Hauptmann führen auch Hanns Johst in ›Der Einsame. Ein Menschenuntergang‹ (), Reinhard Johannes Sorge in ›Der Bettler. Eine dramatische Sendung‹ () oder Hans Henny Jahnn in ›Thomas Chatterton‹ () das Scheitern verkannter Künstlerfiguren im Drama vor. Während die historischen Dichter Thomas Chatterton und Christian Dietrich Grabbe als ungewürdigte Genies sterben, gelingt es Sorges Protagonist in einem »Prozeß der Selbstwerdung […] unter dem Vorzeichen von Nietzsches Bewegungsdynamik permanenter Selbsterhöhung und Selbstüberwindung«, sein Scheitern ins Positive zu wenden: Im Stückverlauf bezwingt der ›Bettler‹ seinen Wunsch nach beruflicher Anerkennung und wird autonom, »weit über die Niederungen irdischen Lebens erhoben.« Am Beispiel der genannten Theatertexte sollen die zentralen Motive im Drama um verkannte Künstler illustriert werden.
.. Geniekonzeption und Sakralisierung von Kunst Entscheidende Handlungsträger der genannten Künstlerdramen sind schöpferische Protagonisten, die sich – wie Arnold Kramer – durch eine unerlernbare außerordentliche kreative Begabung auszeichnen. Allen genannten Bühnenstücken ist ferner die Sakralisierung von Kunst und die Stilisierung des Künstlers zum messianischen Propheten eigen.
Heidemarie Oehm: Subjektivität und Gattungsform im Expressionismus. München , S. . Mit seinem Drama orientiert sich Sorge an Friedrich Nietzsches Weltprinzip, das in der Bewegungsdynamik von Untergang und Neugeburt seinen spezifischen Ausdruck findet. In einem Prozess permanenter Selbst-Zerstörung und Selbst-Steigerung findet das Subjekt zu sich selbst. Die Handlungsführung im ›Bettler‹ wird von eben diesem Prinzip bestimmt. Der Dichter löst sich zuerst von dem Kulturbetrieb, dann von seiner Familie und schließlich von einem Freund, um sich frei entfalten zu können. Im Gegensatz zu Nietzsches Philosophie geht die fortwährende SelbstÜberwindung des Protagonisten im ›Bettler‹ aber »mit der mystischen Sehnsucht nach Entfesselung vom Irdischen einher«. »An die Stelle des absoluten Ichs tritt Gott.« (Hans Schumacher: Reinhard Johannes Sorge. In: Wolfgang Rothe (Hg.): Expressionismus als Literatur. Gesammelte Studien. Bern u.a. , S. –, hier S. ). Wolfgang Rothe: Tänzer und Täter. Gestalten des Expressionismus. Frankfurt/M. , S. .
In seinem Theatertext beschäftigt sich Johst mit der Biographie des deutschen Dramatikers Grabbe, die er in historisch freier Gestaltung auf die Bühne bringt. Das Scheitern seines Protagonisten nimmt er bereits im Untertitel seines Dramas – ›Ein Menschenuntergang‹ – vorweg. Grabbe erfährt den schöpferischen Produktionsprozess als metaphysische Erleuchtung in einem Zustand »visionärer Extase«. Seine unmittelbare Nähe zu einer transzendenten Sphäre dient ihm als Legitimationsstrategie, um seinen Artefakten eine prophetische Funktion zuzuweisen. Mit seiner Dichtung will der genialische Künstler die Welt ›erhellen‹. Im ersten Bild schwärmt er: »[U]m uns herum und um unser ruhendes Glück herum jagt die Welt – ein irrender Stern!! Wir leihen ihm Licht und Leuchten und Glut … wir seligen Sonnen«. Grabbe erlebt seine Berufung nicht nur als himmlische Gnade, sondern auch als leidvolle Bürde, weil er gezwungen ist, sein privates Glück dem göttlichen Auftrag unterzuordnen. So klagt er im gleichen Bild: »Herrgott, gib die Kraft, die Sonnenkrone dieser Bestimmung zu tragen mit ganzer, steiler Verantwortung!« Sein leidvolles Leben vergleicht der Dichter mit der Passion Christi. Seine Identifikation mit dem Gottessohn bringt er in gleichnishafter Sprache wiederholt zum Ausdruck, etwa im sechsten Bild, wenn er seine Mutter mit der Jungfrau Maria vergleicht und von ihr fordert, an ihn und seine Berufung ebenso zu glauben wie die Gottesmutter an die heilige Mission ihres Sohnes: »Der Sohn Marias wurde als Verbrecher ans Kreuz geschlagen, und Maria nahm ihn doch als den Sohn Gottes! – Und glaubte an ihn und sein Reich! – Und sein Reich kam!« Wie Johsts ›Einsamer‹ versteht sich auch Sorges ›Bettler‹ als Vermittler zwischen einer metaphysischen Kraft und der profanen Wirklichkeit. Er hält sich für fähig, mit seiner Kunst die Welt zu ›erleuchten‹, wenn er konstatiert: »Aus tiefster Reinheit brennen meine Ziele: / Ich will die Welt auf meine Schultern
Hanns Johst: Der Einsame. Ein Menschenuntergang. München , S. . Helmut F. Pfanner bezweifelt, dass Johst seinen schöpferischen Protagonisten als genialischen Dichter konzipiert: »Sieht man hier nur die ›Tragödie des unverstandenen Genies‹, dann müßte man […] die ›Genialität‹ Grabbes nachweisen können. Dazu fehlen aber in ›Der Einsame‹ irgendwelche stichhaltigen Beweise. An Stelle von schöpferischen Taten steht nur großtuerisches Gerede. Der Johstsche Grabbe ist also weniger als der historische ein wahrhaft großer Künstler.« (Helmut F. Pfanner: Hanns Johst. Vom Expressionismus zum Nationalsozialismus. Den Haag, Paris , S. ). Pfanner verkennt, dass die ästhetische Qualität von Grabbes Kunstwerken verbürgt ist, auch wenn im Drama die ›stichhaltigen Beweise‹ fehlen, da es sich bei der Figur um einen historischen, kanonisierten Dichter handelt. Insofern ist Pfanners These, dass Johsts Dichter weniger Talent besitzt als der historische Grabbe, wenig plausibel. Johst: Der Einsame, S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
nehmen / Und sie mit Lobgesang zur Sonne tragen.« Sich als Heilsbringer und Menschheitserlöser begreifend, stellt er seine eigenen irdischen Wünsche hinter seine ›dramatische Sendung‹ zurück. Vor diesem Hintergrund entscheidet er sich im fünften Akt gegen die Freundschaft mit seinem älteren Förderer. Als der Vertraute ihn auffordert, einige Textpassagen aus seinem Drama zu streichen, weigert er sich; einen zensierenden Eingriff in sein Bühnenstück hält er für indiskutabel, für »Zwang und Scham, Verleugnung und Unreinheit«. Von seiner unbedingten Hingabe an die Kunst, der weltliche Interessen aufzuopfern sind, spricht der Künstler bereits im ersten Akt, in dem er erklärt: Über Berufung?! … Wie soll ich nur reden?! / Soll ich erzählen, wie dies aus mir sah, / Schon als ich Kind war, und dann mählich reifte / Und mächtig wuchs und zwang und fort mich trieb / In manche Einsamkeit und manche Qual – / Wie’s mir Gesetze gab, die mich losrissen / Aus innigen Banden lieber Menschen und / Zu Grausamkeiten mich verurteilten / Gegen das nächste anverwandte Blut?! / Das Werk! das Werk! und nur das Werk war Herr!
Auch Jahnns verkannter Künstler Thomas Chatterton fühlt sich zur Kunstproduktion berufen. Das Schreiben ist für ihn ein innerer Zwang. So gesteht er seinem Freund William Smith: »Ich bin zuweilen voll von – Einbildungen. […] Irgendein feuriges Bedürfnis bringt mich dem Zerbersten nahe. Manchmal wuchert ein einziges Wort wie Unkraut in mir. Ich muß es niederschreiben«. Durch seine außerordentliche Begabung wird Chatterton, ähnlich wie Grabbe oder der ›Bettler‹, zum privilegierten Medium der Weltaneignung. Er nimmt nicht nur die empirisch fassbare Lebenswirklichkeit wahr, sondern besitzt die Fähigkeit, »mit ungewöhnlichen Augen [zu] sehen.« Diese besondere Gabe, von Chatterton als Belastung erfahren, impliziert einen prophetischen Auftrag: Der Dichter fühlt sich dazu berufen, »die Blinden sehend [zu] machen.« Im Gegensatz zu den expressionistischen Dramen bedient sich Jahnn aber nicht der christlichen Ikonographie, um Chattertons exzeptionelle Weltwahrnehmung zu beschreiben, sondern er rekurriert auf das Reich des Todes:
Reinhard Johannes Sorge: Der Bettler. Eine dramatische Sendung. In: Reinhard Johannes Sorge: Werke. In drei Bänden. Bd. . Eingel. und hg. von Hans Gerd Rötzer. Nürnberg , S. –, hier S. . Ebd., S. . Ebd., S. f. Hans Henny Jahnn: Thomas Chatterton. In: Hans Henny Jahnn: Werke in Einzelbänden. Dramen II: –. Dramen, dramatische Versuche, Fragmente. Hg. von Uwe Schweikert unter Mitarb. von Ulrich Bitz, Jan Bürger und Sebastian Schulin. Hamburg , S. –, hier S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
Diese Assoziation mit dem Tod ist die Assoziation mit dem, was mächtiger ist als die profane Lebenswelt; es ist die Assoziation mit einem Bereich, der das Leben umschließt und der Sinnbarmachung entzogen ist. […] Das ist der Bereich, dem [sic] Thomas Chatterton qua Geburt offen steht. Er ist eine Art thanatologische Naturbegabung.
Obwohl Jahnn religiöses Vokabular vermeidet, um Chatterton eine genialische Begabung zuzuschreiben, stilisiert auch er den Künstler zum priesterlichen Seher und betreibt die Sakralisierung von Kunst. Die Verklärung des Künstlers zum gottgleichen Genie bzw. zum Medium einer überirdischen Sphäre ist ein zentrales Motiv des Künstlerdramas seit dem . Jahrhundert. Schon Goethes Torquato Tasso ist als genialischer Künstler konzipiert und beschreibt das Dichten als existentielles Bedürfnis: Ich halte diesen Drang vergebens auf / Der Tag und Nacht in meinem Busen wechselt. / Wenn ich nicht sinnen oder dichten soll, / So ist das Leben mir kein Leben mehr. / Verbiete du dem Seidenwurm zu spinnen, / Wenn er sich schon dem Tode näher spinnt. / Das köstliche Geweb entwickelt er / Aus seinem Innersten und läßt nicht ab / Bis er in seinen Sarg sich eingeschlossen.
Durch seine außergewöhnliche Weltwahrnehmung unterscheidet er sich von der breiten Masse: »›Sein Ohr vernimmt den Einklang der Natur‹ […]. Die Fähigkeit zur Wahrnehmung des Einklangs der Natur ist geniale Sensibilität. Aus ihr entspringt die geniale Produktivität. Tasso lebt also im innigen Bezug zur spinozistisch verstandenen Allnatur.« Da das Motiv des schöpferischen Genies für die Künstlerdramen um verkannte Künstler konstitutiv ist, soll die Kodierung und Tradierung des Geniegedankens seit dem Sturm und Drang im Folgenden skizziert werden. Seit der zweiten Hälfte des . Jahrhunderts gehört der Begriff ›Genie‹ zur rhetorischen Ausstattung des Künstlerhabitus. Im Sturm und Drang avanciert der ästhetische Produzent vom Auftragskünstler zum genialen Schöpfer. Diese Entwicklung resultiert aus dem Säkularisierungsprozess der Aufklärung, der zu einer »Aufwertung des Menschen« führt:
Reiner Niehoff: Thomas Chatterton. In: Reiner Niehoff: Die Kunst der Überschreitung. München , S. –, hier S. . Johann Wolfgang von Goethe: Torquato Tasso. In: Johann Wolfgang von Goethe: Werke. Bd. : Dramatische Dichtungen III. Hg. von Erich Trunz. München , S. –, hier S. . Jochen Schmidt: Die Geschichte des Genie-Gedankens in der deutschen Literatur, Philosophie und Politik –. Bd. : Von der Aufklärung bis zum Idealismus. Heidelberg , S. . Eine umfassende Studie zur Geschichte des Genie-Gedankens hat Jochen Schmidt vorgelegt (Bd. . ebd.; Bd. : Von der Romantik bis zum Ende des Dritten Reichs. Heidelberg ); zu den ›Künstlermythen‹ des .–. Jahrhunderts vgl. Eckhard Neumann: Künstlermythen. Eine psycho-historische Studie über Kreativität. Frankfurt/M. .
Der Mensch übernimmt alle Prädikate, die bisher dem Göttlichen zugeschrieben wurden. Die Auffassung des Genies als eines Schöpfers ist das deutlichste Zeichen für diesen Vorgang. In der religiösen Tradition ist der Mensch nur Geschöpf. Die Schöpferwürde blieb Gott vorbehalten. Wie bewußt die bisher göttlichen Qualitäten auf den Menschen übertragen werden, zeigt die häufige und provozierende Umfunktionierung von Bibelstellen, die sich in ihrem ursprünglichen Kontext auf die Größe und Herrlichkeit Gottes beziehen. Nun werden sie eingesetzt, um die neue Würde des Menschen hervorzuheben.
Die geschichtliche Entwicklung des Geniegedankens von der Aufklärung bis in die siebziger Jahre des . Jahrhunderts lässt sich als Emanzipationsprozess beschreiben: Der Künstler wendet sich von den bestehenden ästhetischen Normen ab und legitimiert diesen Anspruch, indem er sich auf seine eigene schöpferische Kraft beruft und sich göttliche Attribute zuweist. Der sakral konnotierte Begriff ›Genie‹, der den Künstler zum geweihten Schöpfer unerklärbarer, individueller Werke stilisiert, dient im Sturm und Drang als Kampfbegriff gegen die rationalistische Literaturtheorie. In der Frühromantik findet eine Umkehrung dieses historischen Prozesses statt. Anstatt das Kunstwerk für die überragende Kreation eines gottgleichen Subjekts zu halten, gilt das ästhetische Produkt als Zeugnis einer transzendenten Instanz, die sich im Artefakt manifestiert. Der Künstler ist »Medium und Bezeugungsinstanz einer metaphysisch-idealistischen Sphäre.« Da sich im Werk eine überirdische Kraft offenbart, erhält die Kunst religiöse Funktion, sie wird zur ›Kunstreligion‹. Wie die Stürmer und Dränger fordern auch die Frühromantiker die ästhetische Autonomie der Kunst, allerdings in radikalisierter Form: Statt der mimetischen Abbildkonzepte des . Jahrhunderts wird die ästhetische Gestaltung einer autonomen, imaginären und selbstreferentiellen Realität der Kunst propagiert. Eine gegenläufige Entwicklung kennzeichnet das . Jahrhundert. In dessen Verlauf wird die romantisch-idealistische Kunstanschauung depotenziert und ein politisches und soziales Engagement des schöpferischen Produzenten gefordert: Der Künstler soll sich nun nicht mehr in einer esoterisch-autonomen Kunstwelt als von allem Realen abgelöstes Genie fühlen, sondern im Gegenteil sich der konkreten gesellschaftlichen Wirklichkeit stellen und diese zum Gegenstand seiner schriftstellerischen Arbeit machen.
Mit der Forderung nach einer littérature engagée wird die romantische Konzeption vom autonomen weltabgewandten Poeten fragwürdig. Dennoch existiert die Vorstellung vom schöpferischen Genie fort. Die »politische Restauration
Schmidt: Die Geschichte des Genie-Gedankens. Bd. , S. . Ebd., S. . Schmidt: Die Geschichte des Genie-Gedankens. Bd. , S. .
und eine Untertanen-Bürgerlichkeit [wecken in der Biedermeierzeit, Anm. N.B.] einen Protest, der neue ideologische Energien des Genie-Begriffs« freisetzt: Um sich vom provinziellen, an materiellen Werten orientierten Bürgertum abzugrenzen, pflegen die Künstler des Jungen Deutschland einen betont antibürgerlichen Habitus, den sie mit ihrer außerordentlichen kreativen Begabung legitimieren. Zudem ist die Tradierung des Geniegedankens Konsequenz der Genese eines eigengesetzlichen kulturellen Feldes. Das ›freie‹, nicht mehr von Auftraggebern oder Mäzenen, sondern vom Markt abhängige Künstlertum muss sich mit seinen Artefakten behaupten, auch wenn es für die ästhetischen Produkte keine Nachfrage gibt. Um solche Schmählichkeiten abzudecken, verschrieb man sich der ›Genialität‹. War ursprünglich die Genie-Ideologie ein Instrument der Normensprengung in einer Welt nicht mehr plausibler literarisch-gesellschaftlicher Spielregeln, so wird sie nun zum willkommenen Mittel der Statusbehauptung […].
Wie das Junge Deutschland propagieren auch die poetischen Realisten eine wirklichkeitsnahere Kunst, eine Forderung, die von den Naturalisten weiter verschärft wird. Die literarische Strömung entfernt sich am weitesten »von allem Idealen, Metaphysischen, Individuellen, vom moralisch freien Willen und von der künstlerischen Autonomie – also auch von der Genie-Ideologie.« Das ist auf ein sich änderndes Weltverständnis zurückzuführen, das von der Industrialisierung und von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen geprägt ist, muss aber auch als Gegenbewegung und Reaktion auf das romantisch-idealistische Kunstverständnis und die »darauf folgenden epigonalen Strömungen« gewertet werden. Trotz der Marginalisierung des Geniegedankens im Naturalismus existiert die Vorstellung vom schöpferischen Genius weiterhin und wird in der Moderne obsessiv vertreten: Sinnkonstituierende Orientierung in einer unaufhaltsam in Sonderbereiche und Spezialwissenschaften zerfallenden geistigen Welt ist ein modernes Grundbedürfnis: daraus entsteht dieses Bild des Genies. […] In dem mit der Dynamik modernen Fortschritts sich immer weiter ins Verwirrende und Leere dehnenden Raum metaphysischer Obdachlosigkeit sucht man eine Gegenwelt zur Rationalität des wissenschaftlichen Geistes, der eben diese Lage herbeigeführt hat, und findet sie folgerichtig im Irrationalen der Kunst und des Genies.
Viele der im . Jahrhundert verfassten Künstlerdramen um das verkannte Genie sind in der Moderne, im Zeitraum von der Jahrhundertwende bis zum Ers
Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
ten Weltkrieg entstanden, so Hauptmanns ›Michael Kramer‹ oder ›Gabriel Schillings Flucht‹ (/), Sorges ›Der Bettler‹ (), Johsts ›Der Einsame‹ () oder Friedrich Wolfs ›Der Unbedingte‹ (). In ›Michael Kramer‹ rekurriert Hauptmann auf die in der Romantik propagierte Kunstauffassung. Für ihn fungiert der Künstler als Medium einer metaphysischen Sphäre, die sich im genialen Kunstwerk offenbart. Im Gegensatz dazu orientieren sich Johst und Sorge in ihren expressionistischen Künstlerdramen an der Geniekonzeption des Sturm und Drang. Ihre schöpferischen Protagonisten sind gottgleiche Genies, die ihren Werken eine messianische Funktion zuschreiben. Der Geniegedanke, »Ausgeburt des Bedürfnisses nach sichernder Autorität im Rahmen der bestehenden Ordnung angesichts einer unsicher machenden Moderne«, wird auch nach dem Ersten Weltkrieg weiter tradiert. Dabei beschränkt sich das Verlangen nach einem Orientierung gebenden Leitbild nicht auf die Kunst, sondern bestimmt auch die Politik. So erwächst in den Weimarer Jahren innerer Not und äußerer Bedrängnis […] die messianische Hoffnung auf einen Retter, der in einer mit rationalen Mitteln scheinbar nicht mehr zu bewältigenden Situation von vornherein mit den Insignien des nicht begreifbaren genialen Ausnahmemenschen ausgestattet wurde.
Anhand literarischer und soziologischer Schriften der Weimarer Republik wird deutlich, dass die Begriffe Genie und ›Führer‹ zunehmend miteinander verknüpft werden und die Geniekonzeption auf den »fast allgemein herbeigewünschten politischen Führer« übertragen wird. Diese Entwicklung bereitet,
Die Orientierung an der kunsttheoretischen Position der Stürmer und Dränger wird von der Theaterkritik der Zeit hervorgehoben. So schreibt Fritz Engel am . . im ›Berliner Tageblatt‹ über Johsts ›Der Einsame‹: »Ein Menschenbild wird gegeben – aber was für eines! Auch da ist wieder die Anknüpfung, die unsere Jugend mit den Stürmern und Drängern verbindet, diese Sehnsucht, aus der Menschenmasse die ungewöhnlichen und großen Erscheinungen hervorzuholen. Das ist inmitten einer demokratisch durchfluteten Zeit ein merkwürdiger Trieb geistigen Aristokratentums.« (Zitiert nach: Günther Rühle: Theater für die Republik –. Im Spiegel der Kritik. Frankfurt/M. , S. ). Schmidt: Die Geschichte des Genie-Gedankens. Bd. , S. . Das ›politische Genie‹ wird seit dem frühen . Jahrhundert verherrlicht, vgl. Eberhard Ortland: Genie. In: Karlheinz Barck (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Bd. . Stuttgart, Weimar , S. –, hier S. . Schmidt: Die Geschichte des Genie-Gedankens. Bd. , S. f. Ebd., S. . Die Verknüpfung der Begriffe Genie und Führer manifestiert sich u. a. in den Titeln folgender Abhandlungen: Theodor Geiger: Führer und Genie. In: Kölner Vierteljahreshefte für Soziologie, (/), S. –; Max Kommerell: Der Dichter als Führer in der deutschen Klassik. Klopstock, Herder, Goethe, Schiller, Jean Paul, Hölderlin. Berlin .
so Jochen Schmidt, den ideologischen Boden für Adolf Hitlers (Selbst-)Stilisierung zum genialischen Führer, die auch deswegen nahegelegen habe, weil sich der Demagoge »nicht nur als Staatsmann, sondern auch als Künstler« begriffen habe. Zur Zeit des Nationalsozialismus wird der Geniegedanke dann funktionalisiert, um Hitlers totalitäre Diktatur psychologisch zu festigen. So verklärt etwa Joseph Goebbels den Despoten in seinen Reden zum Genie, um das »Volk […] durch diese Art von Herrschaftspropaganda zur irrationalen Hingabe an den politischen Messias und ›Künstler‹« zu bringen. »Selbst im Schatten der sich immer schwieriger gestaltenden militärischen Lage und noch angesichts der herannahenden Katastrophe hämmerte Goebbels dem deutschen Volk unermüdlich die Vision vom staatspolitischen und strategischen Genie des Führers ein.« Obwohl das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft eine Zäsur bedeutet, wird im politischen Diskurs auch nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Geniekonzeption rekurriert, um die politische Vergangenheit zu erklären. Hitler wird zwar nicht mehr als Genie, sondern als ›Verbrecher‹ bezeichnet, das »zugrunde liegende Schema mit der Leitdifferenz zwischen dem ›Führer‹ als Ausnahmemenschen und seinem mehr oder weniger willenlos (›irre‹-)geführten Volk« bleibt jedoch intakt. Die vor kurzem noch vom Genie ihres Führers begeisterten und zu übermenschlichen Anstrengungen motivierten Deutschen können sich nach dem Krieg ihre eigene Geschichte nicht anders erklären, als indem sie sich sagen: Ein böser Genius hat mit uns ein schreckliches Spiel getrieben.
Auch im Bereich der Kunst wird die Vorstellung vom schöpferischen Genie weiter tradiert. So verfasst Thomas Mann seinen Künstlerroman ›Doktor Faustus‹ und Jahnn sein Drama ›Thomas Chatterton‹. Erst in den sechziger Jahren des . Jahrhunderts verliert der Geniegedanke an Bedeutung und wird etwa von Hans-Georg Gadamer als »falsche Romantik« deklariert. In der Kunst erweist sich die Geniekonzeption deshalb als fragwürdig, weil sich seit der Pop Art von Andy Warhol und den Readymades von Marcel Duchamp Kunst nicht mehr ohne weiteres von Nicht-Kunst unterscheiden lässt.
Kritisiert wird die Verklärung des Politikers zum genialischen Führer etwa von Hermann Heller in seiner Abhandlung ›Genie und Funktionär in der Politik‹ (). In: Hermann Heller: Gesammelte Schriften. Bd. : Recht, Staat, Macht. Leiden , S. –. Schmidt: Die Geschichte des Genie-Gedankens. Bd. , S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ortland: Genie, S. . Hans-Georg Gadamer: Gesammelte Werke. Bd. : Hermeneutik: Wahrheit und Methode. – . Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Tübingen , S. .
In den siebziger Jahren etabliert sich daher die institutionalistische Kunsttheorie, die davon ausgeht, dass die Wahrnehmung von Gegenständen als Kunst ausschließlich von erfolgreichen Zuschreibungen abhängig ist. Vor diesem Hintergrund verliert der Geniegedanke an Relevanz. Diese Entwicklung schlägt sich in den Künstlerdramen des . Jahrhunderts nieder. Seit den siebziger Jahren findet sich kaum mehr ein Theatertext, der ein verkanntes Genie zeigt. Erfolg oder Misserfolg der schöpferischen Protagonisten hängen vielmehr davon ab, ob und wie souverän sie sich im kulturellen Feld zu behaupten wissen. Dass die Vorstellung vom genialen Künstler trotz aller Kritik aber auch heute noch existiert, verdeutlicht Christoph Schmidt. Er zeigt am Beispiel moderner und postmoderner Komponisten – von Arnold Schönberg bis John Cage – und anhand der ästhetischen Theorien von Theodor W. Adorno und Jean-François Lyotard, dass diese dem romantischen Geniebegriff verhaftet bleiben, auch wenn sie ihn zu verwerfen suchen. Ausgehend von Immanuel Kants These, dass sich das Genie erst dadurch konstituiert, dass es sich gegen bestehende ästhetische Normen wendet, legt er dar, dass das Prinzip der Destruktion aller Konventionen im Namen der Innovation auch heute für den Kunst- und Kulturbetrieb und die Kunsttheorie bestimmend ist. Neben dem Geniegedanken besteht bis heute auch die Vorstellung von einer sakralen Kunst. Der kollektive Glaube (illusio) an eine geweihte Kunst ist für Pierre Bourdieu ein wesentliches Strukturmerkmal des literarischen Feldes. Um sich als Künstler zu etablieren, sind die Anwärter im Unterfeld der eingeschränkten Produktion bestrebt, sich über Differenzqualität in Form von ästhetischen Innovationen einen Namen zu machen und sich von der arrivierten und der kommerziellen Kunst abzugrenzen. Mit dieser Positionierungsstrategie ist die Propagierung der eigenen Werke als production restreinte und die Deklassierung der anerkannten Ästhetik verbunden. Während den konsekrierten Künstlern vorgeworfen wird, sich aus finanziellem Interesse an den Zeitgeschmack angebiedert zu haben, schöpft die Avantgarde einen Großteil »ihrer Energie, ja ihrer Inspiration, aus der Verweigerung von irdischen Kompromittierungen aller Art«. Diese Sichtweise ist christlich konnotiert: Hier wird »die Askese im Diesseits zur Voraussetzung des Heils im Jenseits [ge]macht«. Obwohl die Ablehnung wirtschaftlicher Gewinne »nur das Ergebnis gegenseitiger Zensur darstellt«, tritt dieser Imperativ »mit dem ganzen
Vgl. Ullrich: Kunst/Künste/System der Künste, S. f. Vgl. Christoph Schmidt: Die Endzeit des Genies. Zur Problematik des ästhetischen Subjekts in der (Post-)Moderne. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, (), H. , S. –. Vgl. Bourdieu: Das literarische Feld, S. . Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. . Ebd., S. .
Schein der Transzendenz auf«. Der Glaube an eine sakrale Kunst ist also Voraussetzung (und zugleich Ergebnis) der Positionierungskämpfe im literarischen Feld. Auch Boris Groys zieht Parallelen zwischen Religion und Kunst. Er sieht die Kunstgeschichte des . Jahrhunderts von dem Prinzip der Innovation bestimmt und stellt die These auf, dass das Neue durch eine Umwertung entsteht, »bei der etwas zuerst kaum Beachtetes und als profan Diskriminiertes in den Kontext der Kunst transferiert und dabei als interessant und außergewöhnlich erkannt wird.« Die Aufwertung des Neuen ist mit der Abwertung anerkannter kultureller Werte verknüpft. Nach Groys ist dieses Phänomen religiös fundiert. Er vergleicht die Strukturen des Kunst- und Kulturbetriebs mit den religiös motivierten Zerstörungen von Kulturdenkmälern in der Geschichte. Deren ekstatische Vernichtung interpretiert er als Versuch, das freizulegen, »was ontologisch unvergänglich, unzerstörbar und deshalb an und für sich wertvoll« ist. Dieses Prinzip der Hinwendung zum Elementaren, Ewigen und Dauerhaften mit der gleichzeitigen Negation materieller Werte ist auch dem Kunst- und Kulturbetrieb eigen. Die Analogie ist deshalb evident, weil »das kulturelle Gedächtnis […] die säkularisierte Version des göttlichen Gedächtnisses« darstellt. Das Bestreben, die valorisierte Kultur aus ihrer Verbindung mit dem profanen, kommerziellen Wert sowie ihrer privilegierten Stellung und der damit zusammenhängenden Ungleichheit in der Gesellschaft zu lösen und sie von den Kontroll- und Herrschaftsinstitutionen, die sie garantieren, zu befreien, ist also in der kulturellen Tradition selbst tief verwurzelt.
Die Vorstellung vom schöpferischen Genie prägt das Künstlerbild in vielen Dramen vom . bis ins . Jahrhundert. Dass die Sakralisierung von Artefakten und die Stilisierung des Künstlers zum Propheten insbesondere zentrale Motive des Dramas um verkannte Künstler sind, ist vor dem Hintergrund der Ausführungen von Bourdieu und Groys zu verstehen. Beide sehen den Kunstund Kulturbetrieb von dem Prinzip des Neuen bestimmt, wobei der Bruch mit der Tradition im Namen einer ›reinen‹, sakralen Kunst durchgeführt und die anerkannte Kunst verworfen wird. Der Versuch, sich über eine Position jenseits der etablierten Ästhetik im kulturellen Feld durchzusetzen, geht von den Anwärtern aus, die sich (noch) keinen Namen gemacht haben und daher (noch) als verkannte schöpferische Produzenten zu kategorisieren sind.
Ebd., S. . Ullrich: Kunst/Künste/System der Künste, S. . Boris Groys: Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie. Frankfurt/M. , S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
Das gilt auch für die vorgestellten Künstlerdramen. In den Theatertexten versuchen sich (noch) ungewürdigte schöpferische Produzenten im Kunstund Kulturbetrieb zu etablieren, indem sie mit der arrivierten Avantgarde brechen und für sich reklamieren, die einzig ›wahren‹ Artefakte zu schaffen. Diesen Anspruch legitimieren sie durch ihre transzendente Nähe, die sie vor der breiten Masse auszeichnet.
.. Antagonismus von bürgerlichem Leben und Künstlerexistenz Neben der Geniekonzeption ist der Antagonismus von Künstlertum und bürgerlicher Lebensführung ein zentrales Motiv im Drama um verkannte Künstler. Grund dafür ist die exzeptionelle Weltwahrnehmung der schöpferischen Protagonisten. Durch ihre metaphysische Nähe geadelt, geraten sie in Konflikt mit den für sie dumpfen Denk- und Lebensformen der breiten Masse. Dass es sich bei Grabbe um einen ›einsamen‹ Dichter handelt, illustriert bereits der Titel von Johsts Theatertext. Der Dramatiker exemplifiziert die Unvereinbarkeit von Künstlerexistenz und zweckrationalem bürgerlichem Leben anhand Grabbes Beziehung zu seiner Mutter. Sie begegnet dem Berufswunsch ihres Sohnes voller Unverständnis, weil sie sich für ihn eine Karriere mit »Ehre und Ruhm und Vermögen« wünscht. Auch Goethe akzeptiert sie als Künstler nur, weil sie »weiß, daß er Beamter ist drüben im Weimarischen.« Grabbe leidet unter der fehlenden Akzeptanz seiner Mutter, fühlt sich aber auch von »andern wie eine Meute geifernder Wölfe« verfolgt. Die ihm fehlende berufliche und private Bestätigung resultiert nicht nur aus seinem individualistischen Traum von einer Dichterkarriere, sondern auch aus seinem Sozialverhalten, das mit den vorherrschenden Verhaltenskonventionen und Moralvorstellungen nicht zu vereinen ist. So verliert Grabbe seinen Beruf als Auditeur bei Gericht, weil er einen Schwur in »Frack, barfuß und in Unterhose« abnimmt, und stößt seinen besten Freund vor den Kopf, weil er dessen Frau verführt. Von seinem sozialen Umfeld abgelehnt, bleibt Grabbe nur der ›verlumpte‹ Einzelgänger Waldmüller als Bezugsperson. Auch Sorges ›Bettler‹ bleibt ein bürgerliches Leben verwehrt. Grund dafür ist seine ›dramatische Sendung‹, die ihn in »manche Einsamkeit« stürzt, weil sie gegen alle weltlichen Widerstände durchzusetzen ist. Die Vereinsamung des
Johst: Der Einsame, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Sorge: Der Bettler, S. .
Dichters zeigt sich im Handlungsverlauf darin, dass er sich – wie Johsts Grabbe – zunehmend sozial isoliert. Zunächst bricht er mit dem Mäzen und dem institutionalisierten Kulturbetrieb. Darauf löst er sich von seinem materialistischen Vater und der kranken sorgenden Mutter, um zuletzt nach hartem Ringen seine Lebensaufgabe zu finden und mit dem Mädchen […] die erste Zelle einer neuen Gesellschaft zu formen.
Der messianische Auftrag fordert im fünften Akt weitere Entbehrungen. Der Dichter fordert von seiner Geliebten, sich von ihrem unehelichen Kind zu trennen, um gemeinsamen Nachwuchs zu zeugen und großzuziehen. Dass dieses Opfer voraussichtlich nicht das letzte sein wird, manifestiert sich in der letzten Replik, in der der ›Bettler‹ konstatiert: Ich küsse dich und liebe dich im Opfer / Und schreite lichtwärts in den nächsten Kreis – / O reiche deine Hand – Mädchen, mich dünkt, / Ein herbes Pfand will diese Pilgerschaft: / Die Augen löschen – – – / doch die Leuchte steigt!
Aus den Ausführungen des Dichters wird deutlich, dass seine Pilgerschaft noch nicht am Ende ist. Er begibt sich nur in den nächsten, nicht aber in den letzten ›Kreis‹. Dabei bleibt ungewiss, ob das Mädchen ihn dauerhaft begleiten wird. Er reicht ihr zwar die Hand, beschwört aber nicht die gemeinsame Zukunft, sondern betont die Opfer, die ihm seine ›dramatische Sendung‹ abnötigt und auch künftig abverlangen wird. Wie der ›Einsame‹ und der ›Bettler‹ ist auch Thomas Chatterton nicht in der Lage, seine künstlerische Berufung mit einem bürgerlichen Leben in Einklang zu bringen. Durch seine außerordentliche Gabe die dominierenden Denk- und Lebensformen ablehnend, leidet er unter den repressiven Zwängen der Zivilisation, die ihn an der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit und damit an der Kunstproduktion hindern. So klagt Chatterton: »Ich versinke hier in Unfreiheit und Langeweile – meine Intuition verödet.« Um ein Höchstmaß an individueller Freiheit zu erlangen, forciert er die Kündigung seines Arbeitgebers, verweigert er emotionale Bindungen zu seinen weiblichen und männlichen GeschlechtspartnerInnen und gründet er den ›Spouting Club‹ als rechtsfreien Raum, in dem alle herrschenden Normen und sozialen Hierarchien außer Kraft gesetzt sind. Sein Ziel verfolgt Chatterton kompromisslos. Er erklärt: »Man muß so abtrünnig sein, daß man bereit ist, sich in jeder Stunde, die sich mit Widerwärtigkeiten füllt, durch den Mund zu erschießen.« Der Antagonismus von Künstlerexistenz und bürgerlicher Lebensführung ist wie die Geniekonzeption ein zentrales Motiv im Künstlerdrama seit dem
Ernst Schürer: Nachwort. In: Reinhard Sorge: Der Bettler. Eine dramatische Sendung. Hg. von Ernst Schürer. Stuttgart , S. –, hier S. . Sorge: Der Bettler, S. . Jahnn: Thomas Chatterton, S. . Ebd., S. .
. Jahrhundert. Schon Goethes Torquato Tasso hat unter der »Disproportion des Talents mit dem Leben« zu leiden. Durch seine dichterische Berufung gerät er in ein Spannungsverhältnis zur höfischen Gesellschaft mit der besonderen Tragik, dass beide Sphären, die der Kunst und die der Realität, ihr Recht behaupten können. Die Vorstellung von der Unvereinbarkeit der beiden ›Lebensformen‹ bestimmt auch die romantische Dichtung. Allerdings stellen Künstlerexistenz und bürgerliches Leben nicht mehr gleichrangige, wenn auch disparate Lebensentwürfe dar, sondern die von Konventionen geregelte ›geistlose‹ Alltagsrealität wird (vom schöpferischen Protagonisten) als ungenügend empfunden und vehement kritisiert. Als Repräsentanten der uniformen Normalität gelten die Philister, deren Denk- und Lebensweisen radikal abgelehnt werden. Die Philister […] werden apostrophiert als ›Die meisten Menschen‹, oder es entsteht gar der fälschliche Eindruck, als seien ›alle Menschen‹ oder schlechthin ›die Menschen‹ so wie sie. Ganz im Sinne solcher Verallgemeinerungen sind sie auch nicht standesgebunden. Obwohl Umschreibungen wie ›der gemeine Mensch‹, ›der platte Mensch‹, ›der häusliche Mensch‹, ›der bürgerliche Mensch‹, ›der praktische Mensch‹ den Philister am ehesten dem Mittelstand zuzuweisen scheinen, ist er doch in allen Ständen vertreten.
Der Philister wird nicht durch seinen sozialen Status definiert, sondern durch seine normativ geprägte Lebensanschauung. Ihm gelten die gängigen Verhaltenskonventionen und Wertvorstellungen als Maßstab seines Denkens und Handelns. Daher bekämpft er, intolerant gegenüber innovativen Anschauungen, jede Abweichung vom Gewöhnlichen. Diese konforme und konservative Lebenshaltung resultiert aus seiner materialistischen Gesinnung: Der Philister ist allein an der Befriedigung seiner leiblichen Bedürfnisse interessiert, ihn kennzeichnen Bequemlichkeit und Egoismus. Durch seine unreflektierte Weltanschauung bleibt ihm der Zugang zur Sphäre der Kunst verwehrt, er profanisiert sie zu einem Mittel der Unterhaltung und Zerstreuung. Während der Philister sich selbst als ›geistig gesund‹ einstuft, hält er den Künstler für ›geistig krank‹. Sein fehlender Kunstverstand ist fatal, weil sich das schöpferische Subjekt
Vgl. Einleitung, Anm. . »Alle diejenigen Gestalten, die das Normale erfahren, ein Ungenügen an ihm empfinden und dieses Ungenügen zu kompensieren versuchen, pflegt die romantische Dichtung, da das kompensatorische ›Romantisieren‹ unter anderem einem künstlerischen Ingenium zuzuschreiben ist, unter die Kategorie ›Künstler‹ einzustufen« (Lothar Pikulik: Romantik als Ungenügen an der Normalität. Am Beispiel Tiecks, Hoffmanns, Eichendorffs. Frankfurt/M. , S. ). Ebd., S. . »Das mildeste Diktum verurteilt die Künstler als beschränkt oder überspannt, das härteste und häufigste als geisteskrank.« (Ebd., S. ).
dem Druck einer unduldsamen Mehrheit ausgesetzt sieht, so nicht einer bloßen Majorität von Einzelnen, sondern eines konsensusorientierten Kollektivs, das in der Öffentlichkeit dominiert und sein angsteinflößendes, auf der Kehrseite freilich banales Wesen aus dem ungeheuerlichen Anwachsen zu einem nach allen Seiten agierenden Meinungsterror bezieht.
Der in der Romantik radikalisierte Konflikt zwischen dem göttlich inspirierten Künstler und der breiten Masse ist auch ein zentrales Thema in der Dichtung und Philosophie des . Jahrhunderts, etwa bei Heinrich Heine, Grabbe oder Arthur Schopenhauer. »Wie sehr Schopenhauers geistiger Horizont von der romantisch-idealistischen Wertung bestimmt ist«, macht Jochen Schmidt deutlich. Er zeigt, dass Schopenhauer wiederholt mit dem Gegensatzpaar ›Genie‹ und ›Philister‹ argumentiert, aber »bald nicht mehr vom Philister, sondern vom ›absurden Haufen‹, von der ›Fabrikware der Natur‹ und schließlich am liebsten vom ›Pöbel‹« spricht. Schopenhauers Ausführungen sind »historisch bedeutsam[ ]«, weil sie als »von der Wahrnehmung der heraufkommenden Massengesellschaft motivierte Weiterentwicklung jenes ursprünglichen Gegenbildes vom Schildbürger und Philister« zu werten sind. Wie Schopenhauer polemisiert auch Friedrich Nietzsche gegen philiströse Denk- und Lebensformen, wenn er dem ›Herdentier‹ den Übermenschen gegenüberstellt. Der Philister ist bei ihm aber nicht mehr bloß der prosaisch-nüchterne Alltagsmensch. Nietzsche attackiert eine neue Form des Philiströsen, die es ihm erlaubt, die im . Jahrhundert etablierte Gelehrtenkultur als Pseudokultur aufs Korn zu nehmen: den ›Bildungsphilister‹. […] Von den ›Unzeitgemäßen Betrachtungen‹ an zieht sich durch Nietzsches Werk der Gegensatz von Gelehrtem und genialem Dasein. Der Gelehrte ist Inbegriff des Unoriginellen und Abgeleiteten.
Die Vorstellung von der Unvereinbarkeit der beiden Sphären Kunst und Realität wird bis weit ins . Jahrhundert tradiert. Dabei erfährt die Auffassung von der Sonderrolle des Künstlers in der Moderne einen neuen Aufschwung. Gegenläufig zu dem zunehmend von Spezialisierung und Rationalisierung ge
Ebd., S. . Heine distanziert sich vehement von dem ›Philisterland‹ Deutschland, etwa in: Geständnisse. Geschrieben im Winter . In: Heinrich Heine: Werke. In vier Bänden. Bd. : Schriften über Deutschland. Hg. von Helmut Schanze. Frankfurt/M. , S. –, bes. S. ff. Ähnliches gilt für Grabbe. Er »vergötzte den genialen Ausnahmemenschen. Die Masse dient in seinen Stücken nur als Folie, bestenfalls als Medium der Führergestalten. Nicht zuletzt verabscheut Grabbe die banale Normal-Gesellschaft. In seinen Dramen entwirft er dagegen eine Helden-Galerie« (Schmidt: Die Geschichte des Genie-Gedankens. Bd. , S. ). Schmidt: Die Geschichte des Genie-Gedankens. Bd. , S. . Ebd., S. . Ebd., S. f. Schmidt: Die Geschichte des Genie-Gedankens. Bd. , S. .
prägten Arbeitsalltag steigt das Bedürfnis nach einer autonomen, fiktionalen Gegenwelt in der Kunst. Diese Aufgabe wird dem schöpferischen Subjekt zugewiesen, das sich vermeintlich frei entfalten kann, weil es kreativ arbeitet und den gesellschaftlichen Zwängen in Form von rationalen Arbeitsweisen nicht ausgesetzt ist: Das kreative Potential der Maler wurde im ›Unbewußten‹ des künstlerischen Individuums, in der gefühlsgesteuerten Intuition lokalisiert. Die künstlerische Arbeitsleistung blieb daher an den Begriff der kreativen Individualität und die Fähigkeit zum Ausdruck des ›Geistigen‹ gebunden und stand der zeitgenössischen Tendenz zu einer versachlichten Produktionsform und zum versachlichten Berufsmenschentum gegenüber.
Neben Kreativität und schöpferischer Ausdruckskraft werden dem Künstler ein gesteigertes subjektives Empfindungsvermögen und ein erhöhtes Reflexionsvermögen attestiert. Diese Fähigkeiten legitimieren seine exponierte Stellung gegenüber der Gesellschaft. Seine Sonderrolle manifestiert sich in einem antibürgerlichen Habitus. Obwohl der schöpferische Produzent in der Moderne »durchaus an den Wertorientierungen und am Erfahrungshaushalt der bürgerlichen Gesellschaft und der Bürger« partizipiert, »um deren kulturellem Bedarf entsprechen zu können«, pflegt er eine nonkonformistische Haltung – die des Bohemiens –, was sich in unkonventioneller Kleidung und eigenwilligen Denk- und Verhaltensweisen niederschlägt. Dass die Kunst in der Moderne verstärkt als Gegenwelt zu der Mentalität des Kalküls und der Zweckökonomie fungiert, kommt in den expressionistischen Künstlerdramen von Johst und Sorge zum Ausdruck. So weigert sich Johsts Grabbe, einen geregelten Beruf auszuüben, und er klagt über die profane Wirklichkeit: »Es herrscht in dieser der besten aller Welten das Prinzip jedes soliden Strumpfwirkers. Eine Masche an der anderen. Und eine genau so wie die andere! Dann hält das Zeug. Und der liebe Gott hat immer warme Füße!!« Auch Sorge wendet sich gegen das von ihm als philiströs deklarierte Nützlichkeitsdenken, außerdem gegen den technischen und industriellen Modernisierungsprozess seiner Zeit. Das zeigt sich in der Figurenkonzeption: Dem ganz aus seiner Innerlichkeit schöpfenden Protagonisten stellt er den ›Vater‹ als Vertreter des technikgläubigen, imperialistischen Zeitalters als Kontrastfigur gegenüber. Im Gegensatz zu der Heil bringenden dramatischen Sendung des Sohnes erweisen sich die Allmachtsphantasien des Vaters, der die Erde mit Hilfe von Maschinen zu bezwingen sucht, als destruktive Wahnvorstellungen eines geisteskranken Hirns.
Vgl. Ruppert: Der moderne Künstler, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Johst: Der Einsame, S. f. Vgl. Sorge: Der Bettler, II. ., S. –.
Bis weit ins . Jahrhundert wird die Vorstellung vom Dualismus zwischen Künstler- und Bürgertum tradiert und ist zentrales Thema in der Literatur, etwa in Manns ›Buddenbrooks‹ () und ›Tonio Kröger‹ () oder in Jahnns ›Thomas Chatterton‹. Erst mit der Abwendung vom Geniegedanken in den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts wird die Vorstellung von den zwei disparaten ›Lebensformen‹ obsolet. Da heute jeder Gegenstand als Artefakt ausgestellt und jedes Subjekt als Künstler anerkannt werden kann, verliert das Gegensatzpaar von ›Genie‹ und ›Philister‹ an Relevanz. Trotz der Kritik der Kunsttheorie an der Geniekonzeption wird dem Künstler bis heute eine exponierte Stellung in der Gesellschaft zugewiesen. Das Prinzip des Neuen ist seit der Moderne wesentliches Strukturmerkmal des kulturellen Feldes. Der Künstler ist »Erfinder des noch nicht Dagewesenen«, der mit seinen Werken »Widerspruch gegenüber den Normen, Werten, Ritualen sowie der konventionellen ›Normalität‹ der bürgerlichen Gesellschaft« anmeldet. Durch seine innovativen, mitunter provokativ wirkenden Artefakte negiert das kreative Subjekt bestehende ästhetische Werte und diese Infragestellung von Traditionellem kennzeichnet das Verhältnis von »künstlerische[m] Erfinder […] zur bestehenden Gesellschaft« als eins »der Gegnerschaft.«
.. Kritik am Kunst- und Kulturbetrieb Mit der Ablehnung philiströser Denk- und Lebensformen geht im Künstlerdrama des . Jahrhunderts eine Kritik an den spezifischen Strukturen des Kunst- und Kulturbetriebs einher. Durch seine materialistische Orientierung mangelt es dem Großteil der kaufkräftigen Rezipienten an Kunstverstand. Auch den Weihungsinstanzen wird jede ästhetische Urteilskraft abgesprochen. Ihnen wird vorgeworfen, nicht an der Förderung ›reiner‹ Kunst, sondern nur an finanziellen Gewinnen interessiert zu sein. Darüber klagt etwa Michael Kramer, wenn er seinem Freund Lachmann davon berichtet, dass das Treppenhaus im Provinzmuseum ursprünglich von Böcklin hätte gestaltet werden sollen. Der Auftrag ist jedoch an einen unbekannten und unbedeutenden Kunstprofessor vergeben worden, für Kramer eine Fehlentscheidung des Museumsdirektors, die von ihm resigniert zur Kenntnis genommen wird: »So müssen die Besten beiseite stehn.« Mit Kramers Äußerungen rekurriert Hauptmann auf eine reale Begebenheit. erhält Böcklin den Auftrag vom Schlesischen Mu
Ruppert: Der moderne Künstler, S. . Richard Sennett: Civitas. Die Großstadt und die Kultur des Unterschieds. Frankfurt/M. , S. . Hauptmann: Michael Kramer, S. .
seum für Bildende Künste in Breslau, das Treppenhaus mit Fresken zu verzieren; das Projekt scheitert allerdings drei Jahre später, da Böcklins Vorstellungen nicht auf die Zustimmung des Museumsdirektors und der Landeskunstkommission stoßen. Die Wandgemälde im Treppenhaus werden schließlich und von Hermann Prell, seit Professor an der Akademie der Bildenden Künste in Dresden, gestaltet. Der mangelnde Kunstverstand der Benennungsmacht ist auch ein zentrales Thema im ›Einsamen‹. Grabbes Kunst stößt nicht nur bei den Gästen des Ratskellers auf Unverständnis. Auch die professionellen Meinungsbildner wie Grabbes Verleger, der Bürgermeister oder der Stadtrat erweisen sich als Materialisten, die nicht an der Protegierung junger Talente interessiert, sondern von Erwerbssinn geprägt sind. So moniert der Erste Stadtrat im Wirtshaus die hohen Geldausgaben für Kulturdenkmäler, woraufhin der Bürgermeister erleichtert feststellt: »Nun bis zum Denkmal hat’s bei uns noch gute Weile! Gott sei Dank haben wir ja kein Genie geboren in unsrer Gemeinde, das uns jetzt solche Unkosten bereiten könnte«. Ohne ästhetischen Sinn zeigt sich auch Grabbes Verleger Kettembeil, der die Werke des wenig erfolgreichen Dichters nicht länger herausgeben will. Für ihn zählt der Publikumserfolg, nicht die künstlerische Qualität des Artefakts. Daher rät er Grabbe, sich an der ›Technik‹ und an den ›Erfolgen‹ Ernst Benjamin Raupachs zu orientieren, sollte er an einer weiteren Zusammenarbeit interessiert sein. Für den Dichter ist klar: »Man ist ein Stück Vieh und wird auf dem Markt verpfundet. Und kommt kein Käufer – ist man stinkiges Fleisch!« Unter der mangelnden ästhetischen Urteilskraft der künstlerischen Konsekrationsinstanzen hat auch Sorges ›Bettler‹ zu leiden. Seine avantgardistischen Theatertexte widersprechen den Sehgewohnheiten der Zuschauer so sehr, dass sie weder gedruckt noch aufgeführt werden. Inszeniert werden primär neuromantische und naturalistische Dramen. Die drei Zeitungskritiker im ersten Akt diskutieren etwa über Ernst Hardts Trauerspiel ›Gudrun‹ (), über Karl Gustav Vollmoellers ›Das Mirakel‹ () und über die Dramatiker Eduard Stucken und Hauptmann. Dabei kommen der Erste und der Dritte Kritiker überein, dass die Bühnenstücke der genannten Autoren nicht mehr zeitgemäß
Vgl. Lutz Tittel (Hg.): Arnold Böcklin. Leben und Werk in Daten und Bildern. Frankfurt/M. , S. ; Heinrich Alfred Schmid: Arnold Böcklin. München . Johst: Der Einsame, S. . Ernst Benjamin Raupach (–) ist einer der bekanntesten und meistgespielten Dramatiker des Vormärz, der mit seinen Historienstücken in der Tradition von August von Kotzebue und August Wilhelm Iffland steht. Sein erfolgreichster Theatertext ›Der Müller und sein Kind‹ ist bis ins . Jahrhundert alljährlich in Wien aufgeführt worden. Im Gegensatz zu dem großen Erfolg beim Publikum ist der Dichter u. a. von Heine, Karl Immermann und Friedrich Hebbel wenig geschätzt worden. Johst: Der Einsame, S. .
sind. So resümiert der Dritte Journalist: »Wir warten auf einen, der uns unser Schicksal neu deutet, den nenne ich dann Dramatiker und stark. […] Es ist sehr an der Zeit: einer muß einmal wieder für uns alle nachsinnen.« Die Kritiker verlangen nach einem prophetischen Dichter mit einer ›dramatischen Sendung‹. Dass dieser Wunsch utopisch bleiben muss, weil es dem schöpferischen Genie nicht möglich ist, sich beruflich zu entfalten, zeigt der Handlungsverlauf. Weder das Theaterpublikum noch der Mäzen bekunden Interesse an der innovativen Dramatik des ›Bettlers‹. So interessieren sich die Zuschauer vorrangig für den Unterhaltungswert einer Aufführung, wie aus ihren Fragen anlässlich der ›Gudrun‹-Premiere hervorgeht. Anstatt nach der Qualität des Stücks oder der Darstellung zu fragen, wollen sie von den Kritikern wissen: »War Fräulein Gudrun gut gebaut? Hatte sie ihre anständigen Höhepunkte, heh!? Gings auch zum Schluß hübsch abwärts mit ihr?!« Da die neuartigen Bühnenstücke des ›Bettlers‹ bei der breiten Masse auf Unverständnis stoßen, ist an eine Inszenierung seiner Dramen nur auf einer eigenen Bühne zu denken. Für dieses Projekt benötigt der Dichter die pekuniäre Unterstützung des Mäzens, der die Finanzierung des Vorhabens jedoch ablehnt. Er sieht »soviel Wagnis und Schwierigkeiten in der Verwirklichung«. Wie der ›Bettler‹ stößt auch Jahnns Chatterton mit seinen Artefakten auf Ablehnung. In dem Wissen, dass es für seine Kunst keine Nachfrage gibt,
Vorbild für die Figur des Ersten Theaterkritikers ist Alfred Kerr, der »ganze Sätze aus seiner Gudrun-Kritik sagt« (Günther Rühle: Zeit und Theater. Bd. : Vom Kaiserreich zur Republik. –. Berlin , S. ). Sorge: Der Bettler, S. . Oehm ist überzeugt, dass Sorge sich nicht gegen die Dramatiker seiner Zeit, sondern gegen die Literaturkritiker wendet, die »in selbstgefälliger Rede ihre Kritik an ›Unser(em) Haupt-Mann‹ und an der Neuromantik Ernst Hardts, einem der Vorbilder Sorges, formulieren« (Oehm: Subjektivität und Gattungsform, S. ). Gegen diese These spricht, dass Sorge sich in der Einleitung zu seinem Dramenentwurf ›Prometheus‹ von den Bühnenstücken seiner Zeit dezidiert distanziert. Er erkennt Hardt, Stucken, Hauptmann und Vollmoeller als bedeutende Dichter an, lehnt deren Theatertexte aber – wie die Zeitungskritiker im ›Bettler‹ – als unzeitgemäß ab und fordert die Erneuerung der dramatischen Dichtung. So erklärt er: »Die Zukunft wird ebenso Erbe einer romantischen Klassik sein, wie auch alle Binsenwahrheit und alle Grundsätze unseres Naturalismus begriffen haben; und als Umwerter und Entwickler des einen ebenso wie Nachkomme des anderen, birgt sie Möglichkeiten der Neugestaltung, die für den dramatischen Dichter wahrhaft beglückend sind.« (Reinhard Johannes Sorge: Prometheus. Dramatischer Entwurf. In: Reinhard Johannes Sorge: Werke. In drei Bänden. Bd. . Eingel. und hg. von Hans Gerd Rötzer. Nürnberg , S. –, hier S. ). Sorge: Der Bettler, S. . Ebd., S. .
instrumentalisiert Thomas sein Talent und unterwirft es den Bedingungen von Angebot und Nachfrage. Er transformiert seine thanatologische Begabung. Aus einer Poetik im Schatten der Toten, zu der er aufgebrochen ist, wird eine fingierte Stadtgeschichte für die Haushistoriker Bristols.
Während Sorges und Johsts prophetische Dichterfiguren versuchen, sich mit ihren innovativen Werken gegen alle weltlichen Widerstände durchzusetzen, dichtet Chatterton unter anderem Namen mit der Absicht, den literarischen Markt zu bedienen. Er veröffentlicht Dokumente zur Stadtgeschichte Bristols, die er als Handschriften eines mittelalterlichen Mönchs namens Thomas Rowley ausgibt, obwohl er die Papiere selbst anfertigt. Auf diese Weise wird die »Kunst […] zur Selbstverleugnung; Chatterton muß sich als Toten fingieren, um als Lebender gehört zu werden.« Wegen seiner ›Rowley Poems‹ wird der Dichter als »kindliche[r] Forscher« gewürdigt und vom »bessere[n] Bristol bewundert«, die Anerkennung als poetisches Genie bleibt jedoch aus. Als Chatterton gesteht, die Dokumente gefälscht zu haben, wird ihm nicht geglaubt. Geschichtsschreiber William Barrett, Käufer der Rowley Papiere Henry Burgum und dessen Kompagnon Georges Symes Cattcott bezichtigen den Dichter als vermessenen Lügner, »niemals fähig, ein so hohes und schönes Werk zu schaffen«. Das Eingeständnis, einem Betrug aufgesessen zu sein, kommt für die drei Bürger nicht in Betracht. Die Anerkennung Chattertons als Verfasser der Papiere hätte große materielle Einbußen und einen starken Prestigeverlust zur Folge: Die gekauften Rowley Dokumente und die Forschungsergebnisse des Geschichtsschreibers über die Stadtgeschichte Bristols verlören an Wert. Enttäuscht zieht Chatterton nach London mit dem Ziel: »Man soll mein Werk drucken. […] Dort sind die großen Druckereien und Verleger.« Doch auch in der Hauptstadt kann sich der Autor nicht etablieren, als einziger Ausweg bleibt ihm der Selbstmord.
Niehoff: Thomas Chatterton, S. . Ebd., S. . Neben Thomas Chatterton (–), der die eigenen Gedichte als Artefakte eines mittelalterlichen Mönchs ausgegeben hat, ist der Schotte James Macpherson (–) durch seine Fälschungen bekannt geworden. Als die aus der gälischen Mythologie bekannte Figur Ossian verfasste er u. a. die epischen Dichtungen ›Fingal‹ und ›Temora‹, die über Schottlands Grenzen hinaus von Goethe, Johann Gottfried Herder, Germaine de Staël oder Napoleon rezipiert und geschätzt wurden. Im . Jahrhundert sorgten die Gedichte des Fremdenlegionärs George Forestier für Aufsehen, weil bekannt wurde, dass sie von Karl Emerich Krämer (–) – Herstellungsleiter und Lektor im Düsseldorfer Eugen Diederichs Verlag – verfasst wurden (vgl. Kap. ..). Jahnn: Thomas Chatterton, S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
.. Position und Positionierung der Theaterautoren im kulturellen Feld Nach der exemplarischen Analyse von ›Michael Kramer‹ und der Darstellung der zentralen Motive im Drama um das verkannte Genie wird im Folgenden untersucht, wie sich Jahnn, Johst und Sorge mit ihren Bühnenstücken im kulturellen Feld ihrer Zeit positionieren. Mit seinem Drama ›Der Einsame‹ gelingt dem -jährigen Johst der Durchbruch als Bühnenautor. Sein Theatertext wird am . November am Düsseldorfer Schauspielhaus unter der Regie von Gustav Lindemann uraufgeführt. Nach diesem Erfolg wird das Stück von führenden Bühnen auf den Spielplan gesetzt: Es wird am Neuen Theater Frankfurt (mit Albert Steinrück als Grabbe), an den Münchner Kammerspielen (mit Erwin Kalser), am Kleinen Theater Berlin (mit Paul Bildt), an den Hamburger Kammerspielen (mit Fritz Kortner), am Dresdner Hoftheater und am Leipziger Schauspielhaus inszeniert. Von der Kritik der Zeit wird das Künstlerdrama insbesondere für seine expressionistischen Stilmittel hoch gelobt. So würdigt Artur Kutscher am . November im ›Berliner Tageblatt‹ die Bezüge zwischen dem ›Einsamen‹ und den Bühnenstücken von Jakob Michael Reinhold Lenz, Georg Büchner und Grabbe, drei Dramatiker, die als Vorläufer und literarische Vorbilder des Expressionismus gelten. Er rühmt außerdem die Eindringlichkeit und Intensität der neun dramatischen Bilder. Alfred Polgar charakterisiert Johsts Theatertext in der ›Schaubühne‹ als »shakespearischste Gärung« und »kraftsentimentalische Dichtung« und auch Fritz Engel macht im ›Berliner Tageblatt‹ auf die Parallelen zum Sturm und Drang – der favorisierten Epoche des Expressionismus – aufmerksam. Alle drei Kritiker zeigen sich von der Figur des verkannten Künstlers fasziniert. Sie begeistern sich für den »GenieDampf« und für das Schicksal der Dichterfigur, die »mit dem Scheitel an die Sterne rührt«, aber »mit den Füßen im Dreck« steht. Johsts Stück entspricht in Figurenkonzeption und Dramaturgie den Idealen der expressionistischen
›Der Einsame‹ ist der zweite Teil einer Trilogie. Der erste Teil, ›Der junge Mensch. Ein ekstatisches Szenarium‹, erscheint im Münchner Delphin Verlag, der dritte Teil, ›Der König‹, wird in München bei Albert Langen veröffentlicht. Vgl. Rühle: Theater für die Republik –, S. . Alfred Polgar in ›Die Schaubühne‹ () über die Inszenierung an den Münchner Kammerspielen. In: Ebd., S. . Vgl. Fritz Engel im ›Berliner Tageblatt‹ vom . . . In: Ebd., S. –, hier S. . Polgar in ›Die Schaubühne‹. In: Ebd., S. . Artur Kutscher im ›Berliner Tageblatt‹ vom . . . In: Ebd., S. –, hier S. .
Dramatik: Im Zentrum des linearen Theatertextes steht eine »Ausdrucksgestalt[ ]«, der zwei »funktionale Gruppen« – ›Freunde‹ und ›Feinde‹ – gegenüberstehen. Dabei zeichnet sich der schöpferische Protagonist durch einen »rhetorischen Pathos«, einen »Gestus der Revolte« und die »Demonstration seines Willens zur ›Wandlung‹, zum ›Aufbruch‹, ja zur ›Erneuerung der Welt‹« aus. ›Der Einsame‹ erscheint , fünf Jahre nach Sorges ›Bettler‹, dem ersten deutschen expressionistischen Bühnenstück. Zu diesem Zeitpunkt hat sich die expressionistische Dramatik bereits durchgesetzt und wird zunehmend auf deutschen Bühnen realisiert. Im Unterschied zu seinem Protagonisten Grabbe, der sich mit seinen innovativen Artefakten gegen alle Widerstände durchzusetzen sucht, orientiert sich Johst an den ästhetischen Prämissen der geweihten Avantgarde. Diese These wird von Pfanner geteilt, der konstatiert: Johst hat weder auf dem Gebiete der literarischen Formen noch im Detail der Sprache irgendwelche nennenswerten Neuerungen erzielt. […] Da Hanns Johst zudem mit seinen frühen Werken, die dem Expressionismus nachzueifern versuchten, erst nach der ersten und eigentlich schöpferischen Phase dieser literarischen Richtung an die Öffentlichkeit getreten ist, kann er als expressionistischer Dichter heute nicht mehr so hoch eingeschätzt werden, wie es durch seine Zeitgenossen geschehen ist.
Im ›Einsamen‹ schildert der noch unbekannte Johst das Scheitern eines verkannten Genies. Seine Stellung als Anwärter im literarischen Feld ist homolog zu der seines Protagonisten. Während Grabbe scheitert, weil seine innovative Dichtung nicht gewürdigt wird, erzielt Johst aber einen großen Erfolg. Mit seinem Künstlerdrama kann er sich im kulturellen Feld etablieren, weil er sich die künstlerischen Wertmaßstäbe arrivierter Autoren zu eigen macht.
Hans-Peter Bayerdörfer: Dramatik des Expressionismus. In: York-Gothart Mix (Hg.): Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom . Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bd. : Naturalismus. Fin de siècle. Expressionismus. –. München , S. –, hier S. . Manfred Brauneck: Die Welt als Bühne. Geschichte des europäischen Theaters. Bd. . Stuttgart, Weimar , S. . Pfanner: Hanns Johst, S. . Walter Hinck stellt die These auf, dass »Geniekult und Individualheroismus des ›Einsamen‹ […] weniger aufs expressionistisch-ekstatische als aufs völkisch-heroische Theater« verweisen (Walter Hinck: Das moderne Drama in Deutschland. Vom expressionistischen zum dokumentarischen Theater. Göttingen , S. ). Hinck will eine kontinuierliche Entwicklung zwischen den expressionistischen Anfängen des Dichters und seinem späteren Engagement im Nationalsozialismus als Präsident der Reichsschrifttumskammer (–) aufzeigen. Der Geniekult ist aber nicht nur der völkisch-heroischen, sondern auch der expressionistischen Dichtung eigen. Insofern ist Pfanner zuzustimmen, der den ›Einsamen‹ in die expressionistische Frühphase des Dichters einordnet (–). Er weist nach, dass erst um ein Gesinnungswandel stattfindet und Johst sich zu einem ›bewußten Deutschtum‹ hinwendet (–); vgl. Pfanner: Hanns Johst.
Im Gegensatz zu Johsts Stück ist Sorges ›dramatische Sendung‹ als avantgardistischer Theatertext zu werten. Sein Stationendrama bricht mit den vorherrschenden Sehgewohnheiten. Es ist auf eine Bühne zugeschrieben, auf der Raum und Licht, Bewegung und Farbe, Körper und Klang eigene Wirkungs- und Ausdrucksqualitäten beanspruchen, die sich nicht als Begleiterscheinungen des dramatischen Textes interpretieren lassen.
Sorges Vorstellungen werden erst nach seinem Tod durch Max Reinhardt verwirklicht. Sein Stück gilt fünf Jahre lang als uninszenierbares Lesedrama, bevor es am Deutschen Theater in Berlin zur Uraufführung gebracht wird. Von der Kritik der Zeit wird der ›Bettler‹ different aufgenommen. Nachdem der Bühnenautor für sein Drama den Kleist-Preis erhält, wird die Kritik auf den -jährigen, noch unbekannten Dichter aufmerksam, die Rezensionen fallen jedoch nicht euphorisch aus. So urteilt Julius Bab, dass »wohl nie […] ein Erstlingswerk eine so dichte Mischung des völlig Dilettantischen mit dem schöpferisch Hinreißenden dargestellt« habe. Die Kritiker stören sich vor allem an der innovativen expressionistischen Dramaturgie, an Stilmitteln, die Johst fünf Jahre später zum Durchbruch verhelfen. Peter Hamecher kritisiert in der ›Schaubühne‹ etwa Sorges »allegorische Figuren« und unterstellt dem Bühnenautor, dass seine Konzeption »aus einer Not geschieht, weil es ihm nicht gelingt, die unendlichen Beziehungen zum klaren Sinnbild zu formen«. Bab beklagt die Statik des Dramas, »bei dem bestenfalls ein lyrischer Funke geschlagen, aber niemals eine dramatische Bewegung erreicht werden kann.« Robert Musils Rezension in der ›Neuen Rundschau‹ richtet sich hingegen gegen die fehlende »psychologische[ ] Kausalität« der Rede. Sorges Position im literarischen Feld entspricht – wie bei Johst – der seines schöpferischen Protagonisten. Der noch unbekannte Dramatiker ist wie seine Dichterfigur Anwärter im kulturellen Feld. Im Unterschied zu Johst orientiert sich Sorge aber nicht an etablierten ästhetischen Positionen, um sich als Bühnenautor durchzusetzen, sondern zielt wie seine Figur auf die ›Erneuerung‹ des Dramas.
Bayerdörfer: Dramatik des Expressionismus, S. . Der Dramatiker fällt als Soldat im Ersten Weltkrieg in der Sommeschlacht. Julius Bab: Der Wille zum Drama. Neue Folge der Wege zum Drama. Deutsches Dramenjahr bis . Berlin , S. –. Zitiert nach: Sorge: Der Bettler, S. –, hier. S. . Peter Hamecher: Der Bettler. In: Die Schaubühne, (), H. . [Nachdruck: Königstein ], S. –, hier S. f. Bab: Der Wille zum Drama, S. . Robert Musil: Eine dramatische Sendung. In: Die neue Rundschau [Januar ]. Zitiert nach: Robert Musil: Gesammelte Werke. Bd. : Prosa und Stücke. Kleine Prosa, Aphorismen. Autobiographisches. Essays und Reden. Kritik. Hg. von Adolf Frisé. Reinbek bei Hamburg , S. –, hier S. .
Wie sein Protagonist ringt auch Jahnn noch in seinen letzten Lebensjahren um berufliche Anerkennung. Die fehlende Bestätigung führt Jochen Vogt auf die Eigenwilligkeit seines Werks zurück, das sich keiner literarischen Strömung zuordnen lässt: Für die Traditionalisten auf der literarischen und politischen Rechten, in der Kontinuität von Heimatkunstbewegung, ›Blut und Boden‹ und Nachkriegs-Naturdichtung, war er nicht vereinnahmbar, weil seiner Hinwendung zum Kreatürlichen jede Spur von Idyllik fehlte. […] Aber auch zur literarisch-politischen Avantgarde der Linken blieben seine Kontakte letzlich [sic] sporadisch; zu tief war Jahnns Mißtrauen gegen die Kategorien der Weltveränderung und der Vernünftigkeit.
Jahnn, der aufgrund seiner »kruden Stofflichkeiten« – »Mord und Totschlag, Inzest und Sodomie, Bluttausch und Kannibalismus, Verwesung und Mumifizierung« – von der Literaturkritik »bis in die fünziger Jahre« diffamiert wird, publiziert ›Thomas Chatterton‹ . Dabei schwingt, so Thomas Freeman, in »der Anklage gegen die Stadt Bristol, die es versäumt habe, das Genie zu unterstützen, […] sicherlich Jahnns Überzeugung mit, daß Hamburg ihn ungerecht behandelt habe.« Die Uraufführung findet am . April am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg unter der Regie von Gustaf Gründgens statt. »Mit insgesamt Vorstellungen war die Aufführung neben der Berliner Uraufführung der ›Medea‹ der einzige größere Theatererfolg Jahnns.« Es folgen Inszenierungen in Stralsund und am Schlosstheater Berlin, im gleichen Jahr erhält Jahnn den Lessing-Preis. In seinem Essay ›Chatterton und Chatterton‹ führt Hubert Fichte Jahnns Erfolg auf Konzessionen ans Publikum zurück. Er vergleicht Jahnns Aufsatz ›Zur Tragödie Thomas Chattertons‹ mit seinem vermeintlich später erschienenen Stück, analysiert die vorgenommenen Änderungen und wertet sie »vor dem Hintergrund des Essays als Abschwächung […], als Betrug am Stoff und
Jochen Vogt: Kafka, Proust, Joyce oder …? Was Hans Henny Jahnn von sich und den Kollegen hielt. In: Irene Heidelberger-Leonard / Mireille Tabah (Hg.): Wahlverwandtschaften in Sprache, Malerei, Literatur, Geschichte. Festschrift für Monique Boussart. Stuttgart , S. –, hier S. . Ebd., S. . Thomas Freeman: Hans Henny Jahnn. Eine Biographie. Hamburg , S. . Uwe Schweikert: Anhang zu ›Thomas Chatterton‹. In: Hans Henny Jahnn: Werke in Einzelbänden. Dramen II: –. Dramen, dramatische Versuche, Fragmente. Hg. von Uwe Schweikert unter Mitarb. von Ulrich Bitz, Jan Bürger und Sebastian Schulin. Hamburg , S. –, hier S. . Vgl. Hubert Fichte: Chatterton und Chatterton. Anmerkungen zu Hans Henny Jahnn und Ernst Penzoldt. In: Hubert Fichte: Die Geschichte der Empfindlichkeit. Homosexualität und Literatur . Polemiken. Hg. von Torsten Teichert. Frankfurt/M. , S. –.
am Publikum.« Fichtes Vorwurf wird überzeugend von Rainer Guldin entkräftet, der auf die Korrespondenz zwischen Jahnn und Peter Huchel verweist. Aus den Briefen geht hervor, dass Jahnn seinen Essay erst nach seinem Drama verfasst hat und seinem Aufsatz keine programmatische Funktion zuweist. Sein Beitrag soll vielmehr dazu dienen, »den unvorbereiteten Leser[n] die Aufnahme des Dramentextes […] zu erleichtern.« Sein großer Bühnenerfolg bringt für Jahnn trotzdem nicht den gewünschten endgültigen Durchbruch. In einem Brief vom . September klagt er: Trotz der Störungen […] ist mein ›Thomas Chatterton‹ mit großem Erfolg in Hamburg in der Regie Gustav Gründgens’ aufgeführt worden. Mir wurde auch der Lessing-Preis der Freien und Hansestadt verliehen. Aber es hat mir keinen rechten Aufschwung gegeben. D[er] Widerhall war gering – und innerlich gab es mir nicht viel Mut.
Rainer Guldin: Dichtung als Fälschung. Zur Chatterton-Diskussion bei Hans Henny Jahnn und Hubert Fichte. In: Hartmut Böhme / Uwe Schweikert (Hg.): Archaische Moderne. Der Dichter, Architekt und Orgelbauer Hans Henny Jahnn. Stuttgart , S. –, hier S. . Vgl. ebd., S. . Der Briefwechsel zwischen Jahnn und Huchel wird in Auszügen in den Anmerkungen des Herausgebers zu ›Thomas Chatterton‹ abgedruckt. In: Hans Henny Jahnn: Werke in Einzelbänden. Dramen II: –. Dramen, dramatische Versuche, Fragmente. Hg. von Uwe Schweikert unter Mitarb. von Ulrich Bitz, Jan Bürger und Sebastian Schulin. Hamburg , S. –, hier S. . Brief vom . . an Herrn Steshenskij in Moskau. In: Hans Henny Jahnn: Werke in Einzelbänden. Briefe: Teil . Granly; Granly – Reisen nach Deutschland; Hamburg – Blankenese. –. Hg. von Ulrich Bitz, Jan Bürger, Sandra Hiemer, Sebastian Schulin unter Mitarb. von Uwe Schweikert. Hamburg , S. –, hier S. .
3. Anwärter im kulturellen Feld: Der verfemte Künstler in Bertolt Brechts ›Baal‹ ()
Nach vergeblichen Versuchen, eine Bühne für die Uraufführung seines dramatischen Erstlings ›Baal‹ zu gewinnen, notiert Bertolt Brecht am . Juni in seinem Tagebuch: Zeiß [sic] will Baal nicht aufführen, angeblich weil er Skandal fürchtet […]. Gutherz bestellt mich und fertigt mich auf dem Gang ab. […] Damit fällt die Sensation des Winters in sich zusammen.
Als das Künstlerdrama am Alten Theater in Leipzig uraufgeführt wird, stößt es beim Publikum – wie prognostiziert – auf Unverständnis und Ablehnung, so dass es »zur Verhütung weiteren Skandals« sofort wieder abgesetzt wird. Zu Brechts Lebzeiten ist ›Baal‹ nur in vier verschiedenen Inszenierungen auf der Bühne zu sehen, von – wird das Stück gar nicht aufgeführt. Erst in den sechziger Jahren wird es vom Theater wieder entdeckt. findet es sich in London, Darmstadt und Wien auf den Spielplänen, in den folgenden Jahren wird die »genialische szenische Ballade« in Oxford, New York, Bremen, Hamburg und Tübingen aufgeführt und von Volker Schlöndorff mit Rainer Werner Fassbinder in der Hauptrolle verfilmt. Dennoch sind die ›Baal‹-Inszenierungen im »Vergleich zu den großen Exilstücken […] rar« geblieben. Wie die Bühnen hat sich auch die Forschung erst seit den sechziger Jahren intensiver mit Brechts Jugendwerk auseinandergesetzt. So hat Dieter Schmidt seine wegweisende ›textkritische Untersuchung zur Entwicklung des Frühwerks‹ publiziert, in der er die Textgenese des Bühnenstücks erhellt und
Bertolt Brecht: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Bd. : Journale . Hg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, KlausDetlef Müller. Frankfurt/M. , S. . O.V.: Baal wird geopfert. In: Leipziger Tageblatt vom . . . Zitiert nach: Bertolt Brecht: Baal. Der böse Baal der asoziale. Texte, Varianten, Materialien. Kritisch ediert und kommentiert von Dieter Schmidt. Frankfurt/M. , S. –, hier S. . Herbert Ihering: ›Baal‹. Uraufführung im Alten Theater in Leipzig. In: Berliner Börsen-Courier vom . . . Zitiert nach: Herbert Ihering: Bert Brecht hat das dichterische Antlitz Deutschlands verändert. Gesammelte Kritiken zum Theater Brechts. Hg. und eingel. von Klaus Völker. München , S. . Jan Knopf: Baal. In: Jan Knopf (Hg.): Brecht-Handbuch. In fünf Bänden. Bd. : Stücke. Stuttgart, Weimar , S. –, hier S. . Vgl. Dieter Schmidt: ›Baal‹ und der junge Brecht. Eine textkritische Untersuchung zur Entwicklung des Frühwerks. Stuttgart .
erstmals fünf verschiedene Fassungen voneinander unterscheidet. Die Entstehungsbedingungen und -hintergründe sind von Brechts Jugendfreund Hanns Otto Münsterer, Werner Frisch und Kurt Walter Obermeier gewissenhaft rekonstruiert und dokumentiert worden. In den letzten zwanzig Jahren sind zahlreiche Untersuchungen zu ›Baal‹ erschienen, deren Deutungsansätze im Folgenden skizziert werden. Dimiter Daphinoff, Florian Vaßen und Ulrich Weisstein beschäftigen sich mit den intertextuellen Verweisen auf Hanns Johsts ›Der Einsame‹. Dabei rekurrieren sie auf Notizen aus dem Jahr , in denen Brecht seinen Theatertext als Gegenentwurf zu Johsts Künstlerdrama bezeichnet, der dazu dienen soll, das »schwache[ ] Erfolgsstück in den Grund zu bohren mit einer lächerlichen Auffassung des Genies und des Amoralen«. Auch Götz Beck, Helge Jordheim und Marja-Leena Hakkarainen wählen einen intertextuellen Zu
Die erste Fassung entsteht in Augsburg als Antithese zu Hanns Johsts ›Der Einsame‹. Ein Jahr später überarbeitet Brecht das Drama grundlegend. Da sich Bühnen und Verlage ablehnend verhalten, erarbeitet er eine dritte Variante, die ihm aber »viel zu abgeschliffen, verfeinert, verflacht« erscheint (Brecht: Werke. Bd. , S. ). Diese wird im Gustav Kiepenheuer Verlag gedruckt. Für das Deutsche Theater in Berlin entwickelt Brecht eine vierte Fassung, die uraufgeführt wird. Die fünfte Variante entsteht schließlich , als Brecht für den Suhrkamp Verlag eine Edition seiner frühen Stücke vorbereitet. Vgl. Hanns Otto Münsterer: Bert Brecht. Erinnerungen aus den Jahren –. Mit Photos, Briefen und Faksimiles. Berlin, Weimar ; Werner Frisch / Kurt Walter Obermeier: Brecht in Augsburg. Erinnerungen, Texte, Fotos. Eine Dokumentation. Frankfurt/M. . Daphinoff sieht die Entstehung des Stücks »maßgeblich von zwei Faktoren bestimmt: von den lyrischen Materialien Brechts aus der Zeit um und seiner – literarischen – Fehde mit Hanns Johst«. Mit seinem Beitrag zielt er darauf, »eine Deutung des Dramas in seiner textgeschichtlichen Entwicklung [zu] leisten«, »einerseits aus der Gegenüberstellung zum Grabbe-Drama Johsts, andererseits aus der Diskussion der Gedichte und ihrer Funktion im Stück« (Dimiter Daphinoff: Baal, die frühe Lyrik und Hanns Johst. Noch einmal über die literarischen Anfänge Bertolt Brechts. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft, (), S. –, hier S. , f.). Vaßen konzentriert sich in seiner umfassenden Analyse auf vier zentrale Aspekte, die Brechts Theatertext von Johsts Erfolgsstück unterscheiden: auf »die konträre Sicht der Künstlerproblematik […]; die Frage nach Moral und Sexualität […], das MutterSohn-Verhältnis« und auf den »Bereich der Natur« (Florian Vaßen: Die ›Verwerter‹ und ihr ›Material‹ – Brecht und Baal. Bertolt Brechts ›Baal‹ – ein Gegenentwurf zu Hanns Johsts ›Der Einsame‹. In: Grabbe Jahrbuch, (), S. –, hier S. ). Weisstein vergleicht die motivischen und strukturellen Parallelen der Dramen im Szenenvergleich und fokussiert dabei die sozialen Beziehungen der jeweiligen Protagonisten; vgl. Ulrich Weisstein: The lonely Baal. Brecht’s first play as a parody of Hanns Johst’s ›Der Einsame‹ []. In: Ulrich Weisstein: Links und links gesellt sich nicht. Gesammelte Aufsätze zum Werk Heinrich Manns und Bertolt Brechts. New York u. a. , S. –. Brecht: Werke. Bd. , S. .
griff. Während Beck Johann Wolfgang von Goethes ›Faust‹ als literarische Vorlage in Betracht zieht, vergleicht Jordheim die Mutter-Sohn-Beziehung in ›Baal‹ mit der Figurenkonstellation in Henrik Ibsens ›Peer Gynt‹. Hakkarainen untersucht hingegen ›Stellenwert und Funktion der Intertextualität im Werk Bertolt Brechts‹ allgemein, um das für den Autor charakteristische Produktionsverfahren zu erläutern. Ausgehend von einer Interpretation der lyrischen Liedeinlagen nähern sich Barbara Buhl, Gudrun Tabbert-Jones und Klaus H. Kiefer dem Künstlerdrama. Dabei verdeutlicht Buhl die utopische Qualität des im ›Choral vom großen Baal‹ propagierten »intensiven Lebens voller Genuß«, während sich Kiefer mit ›Baals Lied‹ im Kabarett auseinandersetzt. Tabbert-Jones fragt nach der dramaturgischen Funktion sämtlicher Gedichte im Stück und vertritt die Thesen, dass die lyrischen Einlagen das »Verhältnis zwischen Dichter und Gesellschaft« sowie den Untergang des Protagonisten illustrieren und dass »das Singen von Liedern Baal« dazu verhilft, »sein Leben und seinen Untergang bewußt« zu meistern. Unter geschlechtsspezifischen Aspekten analysieren James W. Jones, Angelika Führich und Annett Clos Brechts Drama. Während Jones die homo
Neben dem intertextuellen Vergleich führt Jordheim anhand der Mutterfigur in ›Baal‹ vor, »wie der junge Dramatiker bestrebt ist, seine dramatische Produktion ›unter Kontrolle zu bringen‹ und damit Herr seiner dramatischen Personen und Handlungen zu werden.« Er vergleicht die verschiedenen Fassungen des Stücks, um »eine Textstrategie zum Vorschein« zu bringen, »die der Autor verwendet, um gewisse Bedeutungen und Aspekte, die ursprünglich in der Handlung mitspielten, auszugrenzen.« (Helge Jordheim: Gefährdeter Nihilismus. Eine Analyse der Mutterfigur in Brechts ›Baal‹. In: Thomas Jung (Hg.): Zweifel – Fragen – Vorschläge. Bertolt Brecht anläßlich des Einhundertsten. Frankfurt/M. u. a. , S. –, hier S. ); vgl. auch Götz Beck: Zu Entstehung und Erklärung von Brechts ›Baal‹. In: Zeitschrift für deutsche Philologie, (), Sonderheft, S. –; Marja-Leena Hakkarainen: Das Turnier der Texte. Stellenwert und Funktion der Intertextualität im Werk Bertolt Brechts. Frankfurt/M. u. a. . Vgl. Barbara Buhl: Bilder der Zukunft. Traum und Plan. Utopie im Werk Bertolt Brechts. Bielefeld ; Gudrun Tabbert-Jones: Die Funktion der liedhaften Einlage in den frühen Stücken Brechts. Baal, Trommeln in der Nacht, Im Dickicht der Städte, Eduard II. von England, Mann ist Mann. Frankfurt/M. u. a. ; Klaus H. Kiefer: ›Erklären Sie mal das Gedicht!‹ – Probleme mit ›Baals Lied‹. In: The German Quarterly, (), H. , S. –. Buhl: Bilder der Zukunft, S. . Tabbert-Jones: Die Funktion der liedhaften Einlage, S. , . Vgl. James W. Jones: Homoerotik in drei Dramen der frühen Weimarer Republik. Bronnens ›Vatermord‹, Brechts ›Baal‹ und Jahnns ›Die Krönung Richards III.‹. In: Dietrich Molitor / Wolfgang Popp (Hg.): Homosexualität und Literatur. Siegener Hans-Henny-Jahnn-Kolloquium. Essen , S. –; Angelika Führich: Aufbrüche des Weiblichen im Drama der Weimarer Republik. Brecht – Fleißer – Horváth – Gmeyner. Heidelberg ; Annett Clos: Bertolt Brechts ›Baal‹ oder Kann denn Sünde Liebe sein? In: Thomas Jung (Hg.): Zweifel – Fragen – Vorschläge. Bertolt Brecht anläßlich des Einhundertsten. Frankfurt/M., S. –.
erotische Freundschaft zwischen Baal und Ekart fokussiert, die sich »letztlich als genauso destruktiv wie jede andere Beziehung« erweist, untersuchen Clos und Führich die heterosexuellen Beziehungen, insbesondere die Konstruktion von Weiblichkeit. Führich argumentiert plausibel, dass »Baals grenzenloses sexuelles Verlangen und sein uneingeschränktes Sexualleben […] als Ausdruck des Aufbegehrens gegen die Monogamie der bürgerlichen Ehe« zu werten sind. Den Baal-Mythos macht Axel Schnell zur Interpretationsgrundlage seiner Studie, wobei er neben »literaturwissenschaftlichen […] auch ethnologische, psychologische und religionswissenschaftliche Arbeiten sowie Theorien aus dem Bereich mythologischer Forschung« berücksichtigt. Mit Baals Vitalismus beschäftigen sich Michel Vanhelleputte, Jürgen Hillesheim und Ronald Speirs. Vanhelleputte setzt den Hedonismus der Titelfigur mit dem des jungen Brecht gleich und wertet ihn als »Glaubensbekenntnis einer Jugend, deren letzte Tage [angesichts des Ersten Weltkriegs, Anm. N.B.] möglicherweise gezählt sind«. Hillesheim verdeutlicht hingegen die evidenten Übereinstimmungen zwischen Friedrich Nietzsches Philosophie und dem Baalschen Lebensprinzip und erhellt, dass sich Baals programmatische Vitalität als nicht zu realisierende Lebensmaxime erweist. Auch Speirs untersucht Baals materialistische Gesinnung, für ihn eine Reaktion auf die Erfahrung metaphysischer Obdachlosigkeit. Er illustriert, dass der Lyriker das Fehlen eines kollektiven Sinnsystems ambivalent, als Bedrohung und als Quelle intensivsten Vergnügens wahrnimmt. Die These, dass Brecht den Untergang des okzidentalen Individuums vorführt, vertreten Vincent J. Günther, Wolfgang Frühwald und Stephan Heerich. Dabei rekurriert Günther auf Hugo von Hofmannsthals Prolog ›Das
Jones: Homoerotik in drei Dramen, S. . Führich: Aufbrüche des Weiblichen, S. . Axel Schnell: ›Virtuelle Revolutionäre‹ und ›Verkommene Götter‹. Brechts ›Baal‹ und die Menschwerdung des Widersachers. Bielefeld , S. . Vgl. Michel Vanhelleputte: ›Baal‹ und der Hedonismus des jungen Brecht. In: Michel Vanhelleputte: Engagement, Formgefühl, Humanität. Ausgewählte literaturwissenschaftliche Studien. Festschrift. Hg. von Monique Boussart, Madeline Lutjeharms, Heidy Margrit Müller, Mireille Tabah. Frankfurt/M. u. a. , S. –; Jürgen Hillesheim: Geschichtspessimismus und fatalistische Vitalität. Georg Büchners ›Dantons Tod‹ und Bertolt Brechts ›Baal‹ im Horizont der Philosophie Arthur Schopenhauers. In: Literatur für Leser, (), H. , S. –; Ronald Speirs: Baal. In: Siegfried Mews (Hg.): Critical essays on Bertolt Brecht. Boston (Massachusetts) , S. –. Vanhelleputte: ›Baal‹ und der Hedonismus, S. . Vgl. Vincent J. Günther: Hofmannsthal und Brecht. Bemerkungen zu Brechts ›Baal‹. In: Vincent J. Günther / Helmut Koopmann u. a. (Hg.): Untersuchungen zur Literatur als Geschichte. Festschrift für Benno von Wiese. Berlin , S. –; Wolfgang Frühwald: Eine Moritat vom Ende des Individuums. Das Theaterstück ›Baal‹. In: Walter Hinderer (Hg.): Brechts Dramen. Neue Interpretationen. Stuttgart ,
Theater des Neuen‹, ein Vorspiel zu der Inszenierung des ›Baal‹ am Theater in der Josefstadt (), in dem proklamiert wird, dass Brecht in seinem Drama »den lebensmüden Begriff des europäischen Individuums in das Grab« lege. Im Unterschied dazu deutet Frühwald den Vitalismus der exemplarischen Titelfigur vor dem Hintergrund der existentiellen Bedrohungen durch den Ersten Weltkrieg und verficht die Ansicht, dass das Genussstreben des abendländischen Subjekts nur um den Preis seiner »Selbstzerstörung« möglich sei. Heerich führt die Destruktion des Individuums hingegen auf die »Leere der emotionalen Haltlosigkeit, die Eigendynamik der Triebkräfte« und die »selbstzerstörerische Wirkung unkontrollierter Instinkte« zurück. Nach der Wirkungsabsicht des Stücks fragt Richard Block. Er ordnet ›Baal‹ in das Gesamtwerk des Autors ein und ist davon überzeugt, dass Brecht bereits mit seinem dramatischen Erstling eine Methode gefunden hat, theatralische Institutionen zu destabilisieren und Raum zu schaffen für ein Theater der Zukunft. Der Dramatiker mache dem Zuschauer bewusst, dass es sich bei seinem Protagonisten um eine artifizielle Figur handle, so dass sich das Publikum nicht mit ihm identifizieren könne. Den Rezipienten bleibe die Einfühlung in das Geschehen verwehrt und die lockere Szenenfolge müsse rational zu einem Sinnganzen gefügt und interpretiert werden. Als Selbststilisierung Brechts deuten Ronald Hayman und Albrecht Dümling das Künstlerdrama. Sie verweisen auf die biographischen Parallelen zwischen Dichter und Figur. Diese Ansicht wird von Carl Pietzcker geteilt, der darüber hinaus davon ausgeht, dass Brecht in ›Baal‹ die eigene Herzneurose literarisch gestaltet. In vielen der genannten Beiträge wird der Künstlerdiskurs umrissen, jedoch nicht ins Zentrum der Analyse gerückt. Eine Untersuchung der kunst- und künstlerspezifischen Aspekte hat allein Franz Norbert Mennemeier vorgenommen, der illustriert, dass sich Brecht gegen »den idealistischen Kunst-
S. –; Stephan Heerich: Landschaft und Seele im Rohzustand. Zur Ambivalenz der Stilisierungen in Brechts ›Baal‹-Figur. In: Littérature & civilisation à l’agrégation d’allemand (), T. , S. –. Hugo von Hofmannsthal: Das Theater des Neuen. Eine Ankündigung. In: Hugo von Hofmannsthal: Sämtliche Werke. Bd. : Dramen . Hg. von Gudrun Kotheimer und Ingeborg Beyer-Ahlert. Frankfurt/M. , S. –, hier S. . Frühwald: Eine Moritat vom Ende des Individuums, S. . Heerich: Landschaft und Seele im Rohzustand, S. . Vgl. Richard Block: Baal dancing. The unsettling position of ›Baal‹ in Brecht’s theater of the new. In: The German Quarterly, (), H. , S. –. Vgl. Ronald Hayman: Bertolt Brecht. Der ungeliebte Klassiker. München , S. –; Albrecht Dümling: Laßt euch nicht verführen. Brecht und die Musik. München , S. ff. Vgl. Carl Pietzcker: ›Ich kommandiere mein Herz‹. Brechts Herzneurose – ein Schlüssel zu seinem Leben und Schreiben. Würzburg .
begriff« wendet. »Statt des Erhabenen gibt er das Ordinäre, statt der Idee der Gemeinschaft die der Asozialität, statt des Leidens die Freude noch am Bösen usw.« Daher wertet er das Drama als »Abgesang auf einen untergegangenen Dichter-Typus«. Mennemeier argumentiert schlüssig, wenn er die zentralen Problemstellungen auch nicht erschöpfend darstellt. Im Folgenden wird Brechts Theatertext im Hinblick auf die verfemte Künstlerfigur untersucht. Der Analyse liegt die erste Fassung von zugrunde, weil hier die Auseinandersetzungen zwischen schöpferischem Protagonisten und künstlerischen Konsekrationsinstanzen am differenziertesten gestaltet sind. Ergänzend wird die zweite Fassung von herangezogen. Um zu klären, warum Baal freiwillig auf eine Teilhabe im kulturellen Feld verzichtet, werden zunächst seine Konflikte mit den professionellen Meinungsbildnern und den Rezipienten seiner Artefakte veranschaulicht (vgl. .., ..). Vor diesem Hintergrund können die Gründe für Baals Scheitern (vgl. ..) und die dramaturgische Funktion der Titelfigur erläutert werden. Zuletzt wird ›Baal‹ aus feldtheoretischer Perspektive beleuchtet. Mit seinem dramatischen Erstling wendet sich Brecht, so die These, gegen die literarische Strömung des Expressionismus, um sich über den Bruch mit der geweihten Avantgarde als Bühnenautor durchzusetzen (vgl. ..).
.. Der Bruch des verfemten Künstlers mit seinem sozialen Umfeld Im Unterschied zu den späteren ›Baal‹-Varianten, in denen die Titelfigur als asozialer Provokateur konzipiert ist, versucht sich Baal in der ersten Fassung als Literat, Redakteur, Theaterkritiker und Kabarettist einen Namen zu machen. Da er sich den spezifischen ›Regeln‹ des Kunst- und Kulturbetriebs nicht unterordnen kann und will, forciert er den Bruch mit den Weihungsinstanzen, wie nun zu zeigen ist. ... Baals Bruch mit den Weihungsinstanzen des kulturellen Feldes Bereits in der ersten Szene, ›Soirée‹, wird eine Abendgesellschaft vorgeführt, deren Kunstinteresse sich auf den Wunsch nach Distinktion gründet. Das manifestiert sich in den Gesprächen der Gäste, die in gleichem Atemzug über Baals Lyrik, gewinnbringende Aktiengeschäfte und die aktuelle Hutmode diskutieren und denen es an ästhetischem Urteilsvermögen fehlt. So sind ihre
Franz Norbert Mennemeier: Modernes deutsches Drama. Kritiken und Charakteristiken. Bd. : –. München , S. . Ebd., S. .
Lobeshymnen auf Baal – das in der Kanzlei entdeckte ›Genie‹ – nicht fundiert, sondern setzen sich aus klischierten Redewendungen und affektiven Vergleichen mit Dichtern wie Émile Verhaeren, Paul Verlaine oder Frank Wedekind zusammen, mit denen »die eigene Belesenheit und Kompetenz nach außen« gekehrt wird. Das mangelnde Kunstverständnis der Gäste kommt auch darin zum Ausdruck, dass der Junge Mann unbemerkt Gedichte verschiedener Autoren für die eigenen ausgeben kann. Dass der »ästhetische Sinn« der Abendgesellschaft als »Sinn für die Distinktion« zu werten ist, zeigt sich ferner, wenn Baal umgehend die »Existenz als wahre[r] Schriftsteller« abgesprochen wird, als er ein von dem Jungen Mann vorgetragenes Gedicht als »Quatsch« bezeichnet. Die Soirée-Gäste sind nicht an einer kunsttheoretischen Diskussion interessiert, sondern bestrebt, mit ihrer ästhetischen Position den eigenen »Rang und die Distanz zu anderen im sozialen Raum« zu bekräftigen. Sie klassifizieren die Lyrik des Expressionismus als production restreinte, unabhängig von ihrer ästhetischen Qualität. Divergierende Standpunkte gelten als bedrohlich,
Dass es sich bei den genannten Dichtern um literarische Vorbilder Brechts handelt, ist in der Forschung umfassend dargestellt worden; vgl. Vaßen: Die ›Verwerter‹ und ihr ›Material‹, S. ; Klaus Völker: Bertolt Brecht. Eine Biographie. München, Wien , S. f.; Schmidt: ›Baal‹ und der junge Brecht. Knopf: Baal, S. . Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt/M. , S. . Bourdieu: Das literarische Feld, S. . Bertolt Brecht: Baal []. In: Bertolt Brecht: Baal. Drei Fassungen. Kritisch ediert und kommentiert von Dieter Schmidt. Frankfurt/M. , S. –, hier S. . Bourdieu: Die feinen Unterschiede, S. . Der Junge Mann trägt ein Gedicht des expressionistischen Lyrikers August Stramm, außerdem Verse von Autoren namens Novotny und A. Skram vor. Dass die Gedichte einander in ihrer ästhetischen Konzeption ähneln, geht aus Baals Repliken hervor. Er versichert dem Jungen Mann, der die Lyrik aller Autoren als die eigene ausgibt: »Oh, bitte, ich kenne Ihre Eigenart jetzt schon. In der Tat, sehr versprechend.« (Brecht: Baal [], S. ). Ob es sich bei Novotny und A. Skram um empirische expressionistische LyrikerInnen handelt, ist unklar. Im ›world biographical information system‹ (WBIS) finden sich unter A. Skram drei DichterInnen: die norwegische Autorin Berthe Amalie Skram (–), Verfasserin naturalistischer Romane; ihr Mann, der dänische Novellist Asbjørn Oluf Erik Skram (geb. ); außerdem die dänische Lyrikerin Anne Skram (bzw. Anna Schram), die um gedichtet hat. Von den Herausgebern der großen kommentierten Berliner und Frankfurter Brecht-Ausgabe wird vermutet, dass es sich bei der Angabe A. Skram um die norwegische Dichterin oder um einen Lesefehler handelt und ein weiteres Gedicht von Stramm zitiert wird (vgl. den Kommentar zu ›Baal‹. In: Bertolt Brecht: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Bd. : Stücke . Hg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, Klaus-Detlef Müller. Frankfurt/M. , S. –, hier S. ). Da Berthe Amalie Skram als Verfasserin naturalistischer Romane gilt, ist die Mutmaßung, dass es sich um einen Lesefehler handelt, plausibel.
weil sie das Monopol der Abendgesellschaft, insbesondere des Mäzens, auf Konsekration in Frage stellen. Bereits in der ersten Szene ist Baals Vorhaben, sich als Dichter im Unterfeld der eingeschränkten Produktion zu etablieren, an den Verzicht auf individuelle Entfaltung geknüpft. Da die bedingungslose Anpassung an die sozialen und ästhetischen Normen gefordert wird, gerät der nonkonformistische Künstler in Widerspruch zu den Soirée-Gästen. Sein Versuch, sich als Lyriker zu behaupten, schlägt fehl, genauso wie es dem Mäzen misslingt, »das wilde Genie als Salonsensation zu integrieren.«
Unter dem Namen Novotny finden sich im ›WBIS‹ fünf SchriftstellerInnen: Franz B. Nowotny (bzw. Novotny, –), Priester und Verfasser von Erzählungen; Franz Adalbert Novotny (–), ebenfalls Priester, Seelsorger und Pfarrer; Franz Nowotny (bzw. Novotny, –), tschechischer Schriftsteller, Kaplan und Pfarrer, der eine Chronik, eine Stadtgeschichte und verstreut erschienene geistliche Lieder und Gedichte verfasst hat; Margit Novotny, (verheiratete Dulácska Lászlóné –), Mittelschullehrerin, Dichterin, Prosaistin; schließlich die Prager Schriftstellerin Isabella Nowotny (Pseudonym Ida Klein, um ), Autorin von Gedichten, Novellen und Dramen. Die Herausgeber der kommentierten Brecht-Ausgabe vermuten, dass es sich bei dem Vermerk Novotny um die Prager Schriftstellerin Isabella Nowotny handelt. Diese These erscheint fraglich, weil die Autorin unter ihrem Pseudonym publiziert hat. Indem Brecht die Gedichte von Stramm und Lyrik von fiktiven Autoren bzw. unbekannten Gelegenheitsdichtern zitiert, führt er die mangelnde ästhetische Urteilskraft der Soirée-Gäste vor, die alle drei Gedichte demselben Verfasser, dem Jungen Mann, zuschreiben. Zudem wertet er die Lyrik Stramms ab, weil er sie mit dilettantischen Artefakten in Verbindung bringt. Schließlich führt Brecht die RezpientInnen seines Theatertextes vor. Er setzt die Bekanntheit eines/r Novotny oder eines/r A. Skram voraus, obwohl es sich hier um fiktive AutorInnen oder AmateurInnen handelt. Dem schöpferischen Protagonisten der ersten Fassung liegt etwas daran, sich mit seinen Werken im Literaturbetrieb zu etablieren. Er ist willens, aber unfähig, sich konform zu verhalten. Für diese These spricht, dass sich Baal in der ersten Szene darum bemüht, sich den Verhaltenskonventionen und den ästhetischen Urteilen der Abendgesellschaft anzupassen. Seine Diktion unterscheidet sich zunächst nicht von der Ausdrucksweise der übrigen Gäste. Höflich bedankt er sich bei den Zuhörern für die ihm entgegengebrachte Aufmerksamkeit. Nach seiner Meinung über ein Gedicht von Stramm gefragt, bewertet er es als »[a]usgezeichnet«. Nachdem »[p]einliches Schweigen« entstanden ist, weil er die Lyrik von Novotny nur als »[g]anz hübsch« bezeichnet, hält sich Baal zurück. Er lobt den vermeintlichen Dichter als »sehr versprechend« und lädt ihn zu sich nach Hause ein. Die negative Beurteilung des Gedichts von A. Skram ist folglich als ungewollter Fauxpas zu werten. Dafür spricht auch Baals irritierte Reaktion, als der Gastgeber das Abendessen unerwartet beendet. Der Lyriker »erhebt sich jetzt, herumschauend, auf die Tafel gestützt – als wolle er reden. Sieht nach der Tür. Setzt sich.« Als Baal schließlich, beschimpft von den übrigen Gästen, allein am Tisch zurückbleibt, macht er den konsumierten Wein bzw. das berauschende Lob des Mäzens für seinen ›Ausfall‹ verantwortlich. Er rechtfertigt sich: »Was kann ich dafür, wenn dein Wein, den du mir gibst, besoffen macht! Muß ich euren Dreck nicht fressen, um meinen Bauch vollstopfen zu können?« (Brecht: Baal [], S. , , ). Jörg-Wilhelm Joost / Klaus-Detlef Müller / Michael Voges: Bertolt Brecht. Epoche – Werk – Wirkung. Hg. v. Klaus-Detlef Müller. München , S. .
Trotz der ›Exkommunikation‹ durch die Abendgesellschaft unternimmt Baal einen weiteren Versuch, sich als Künstler einen Namen zu machen. Er plant, einer ›Ökonomie der Aufmerksamkeit‹ folgend, einen öffentlichen Skandal, um den Verkauf seines Lyrikbandes zu befördern. Schäbig gekleidet will er sich mit der Frau des Mäzens im edlen Hotel Fürstenhof sehen lassen, gerade weil das Treffen »einen furchtbarern Eklat« nach sich ziehen wird. Der skeptischen Geliebten gesteht er: »Brauche ich für meinen Band Lyrik, Beste!« Dass seine Vermarktungsstrategie von Erfolg gekrönt ist, zeigt sich in der Schenke, in der Baal erklärt: »Meine Herrn, ich habe einen Band Lyrik verkauft. Sie werden zugeben, dazu gehört Genie.« Indem Baal nicht sein Werk, sondern den Akt der Distribution als ›genial‹ bezeichnet, ironisiert er die seit der zweiten Hälfte des . Jahrhunderts existierende Vorstellung vom Dichtergenie. Neben dem Versuch, sich als Lyriker durchzusetzen, zielt Baal darauf, als Bühnenautor sein Geld zu verdienen. Obwohl er im Personenverzeichnis dezidiert als ›lyrischer Dichter‹ ausgewiesen wird, reflektiert er in der vierten Szene – ›Baals Dachkammer‹ – über ein szenisches Werk, das bereits » Akte« umfasst. Bei der Konzeption orientiert er sich an den ästhetischen Vorlieben der Rezipienten. So betrachtet er all die auf der Straße erspähten »überflüssigen Menschlein« als »Zuschauer« und zeigt sich daran interessiert, dass diese seine Dichtung würdigen, wenn er sich fragt: »Wer soll das lesen können?« Für Baals Intention, ein möglichst breites Publikum für sich zu gewinnen, spricht auch seine Entscheidung, einen Theatertext zu kreieren. In den ›Regeln der Kunst‹ entwickelt Pierre Bourdieu eine Rangliste der Künste im Hinblick auf ihren wirtschaftlichen Nutzen: Ganz oben steht das Theater: Für eine im Verhältnis geringe kulturelle Investition verschafft es einer kleinen Zahl von Autoren beachtliche und sofortige Gewinne. Ganz unten in der Hierarchie die Dichtung: Bis auf wenige Ausnahmen (für Theaterstücke in Versform) bringt sie einer kleinen Zahl von Produzenten äußerst geringe Profite ein.
Vgl. Georg Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf. München, Wien ; außerdem Kap. .. dieser Arbeit. Brecht: Baal [], S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Nicht nur in dieser Szene, auch ›Hinter den Kulissen eines Kabaretts‹ orientiert sich Baal an den Publikumsreaktionen. So freut er sich nach seinem Auftritt über die Zuschauerresonanz, wenn er fragt: »Wie klang es? Sie hingen an meinen Lippen! Trinkt. Fein? Was?!« (Ebd., S. , ). Auf Baals Abhängigkeit vom Publikum weist auch Kiefer: Probleme mit ›Baas Lied‹, S. , hin. Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. . Bourdieu hierarchisiert die Künste im Blick auf das kulturelle Feld in Frankreich um die Jahrhundertwende; seine Kategorisierung lässt sich aber auch auf den deutschsprachigen Kunst- und Kulturbetrieb in der ersten Hälfte des . Jahrhunderts übertragen.
Schließlich zeugt auch Baals vorsätzliche, ideelle Konzeption von dem strategischen Versuch, sich als Künstler zu etablieren. In seinem ›Prolog‹ ›Letzter Wille‹ hebt Brecht hervor, dass die Lyrik seiner Titelfigur zweckfrei und unmittelbarer Gefühlsausdruck ist, wenn er erklärt, dass sein »Theaterstück […] die gewöhnliche Geschichte eines Mannes [behandelt], der in einer Branntweinschenke einen Hymnus auf den Sommer singt, ohne die Zuschauer ausgesucht zu haben«. Im Unterschied zu der Vorrede ist Baal in der vierten Szene bestrebt, seine »situativen Einfälle und sinnlichen Wahrnehmungen kontinuierlich arbeitend in einem Drama umzusetzen«. Er will »etwas gebären«, den »Sommer formen«. Allerdings misslingt sein Vorhaben; Baal ist nicht fähig, seine abstrakten Ideen umzusetzen, so dass er klagt: [D]ieses Herz will nicht singen aus mir, und die Brust ist verschleimt. […] warum wird dieses Werk nicht fertig, dieses gottgewollte, verfluchte, selige, gefräßige! Musik quillt aus mir, ich kann sie nicht halten, sie verzittert im Sand wie ein fruchtbarer Quell, und ich dorre darüber aus.
Abgesehen von den Versuchen, sich als Lyriker und Bühnenautor zu behaupten, arbeitet Baal zeitweilig in einer Redaktionsstube. Wie von den Soirée-Gästen wird er zunächst von dem Chefredakteur für seine literarischen Fähigkeiten anerkannt. Dieser schätzt die provokativen Rezensionen des Dichters, weil sie öffentliche Beachtung finden und den Verkauf der Zeitungsauflage steigern. Weil seine Besprechungen »originell« und »bunt« sind, werden sie gedruckt, für den Chefredakteur »die Hauptsache. Daß es nebenbei ’n Unsinn ist, na, wer merkt das?!« Wie im kulturellen ist auch die Teilhabe im journalistischen Feld nur um den Preis der vollständigen Assimilation an die feldspezifischen Strukturen möglich. Diese Anpassungsfähigkeit besitzt Baal nicht, weil er die »dem Spiel immanente[ ] Spielregel, deren Erkennen und Anerkennen […] all denen stillschweigend aufgenötigt wird, die Zugang zum Spiel gewinnen«, nicht beherrscht. Seine Aufführungskritik zu Friedrich Schillers ›Don Carlos‹ provoziert weit über das akzeptierte Maß; eine Publikation würde den örtlichen Theaterdirektor verstimmen. Da der Intendant mit seinen Druckaufträgen die Zeitung finanziert, ist die Veröffentlichung der Rezension als »gefährlich« einzustufen. Ökonomischen Zwängen unterworfen, muss sich die Redaktion
Brecht: Baal [], S. . Vaßen: Die ›Verwerter‹ und ihr ›Material‹, S. . Brecht: Baal [], S. . Ebd., S. . Ebd., S. f. Ebd., S. . Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. . Brecht: Baal [], S. .
den Belangen ihrer Finanziers unterordnen. Obwohl offiziell das Recht auf freie Meinungsäußerung proklamiert wird, ist die Pressefreiheit in realiter eingeschränkt. Das wird von dem Prokuristen explizit formuliert, der Baal vorwirft, nicht für seine »Privatmeinungen« bezahlt zu werden. Wie die Geldgeber sollen auch die potentiellen Käufer nicht verprellt werden, um den Absatz der Zeitung und damit die eigene Existenz zu sichern. Da für die Leser ein Journalist inakzeptabel ist, der »nicht nur im Gefängnis, sondern auch im Varieté« gewesen ist, wird Baal umgehend gekündigt. Sein Versuch, sich mit seinen ›Talenten‹ im Kunst- und Kulturbetrieb zu behaupten, misslingt erneut. Den letzten Versuch, die professionellen Meinungsbildner von sich zu überzeugen, unternimmt Baal im Kabarett, in dem er sich als Darsteller verdingt. Im Gegensatz zu den Soirée-Gästen, die sich als Förderer der production restreinte begreifen, positioniert sich der Conférencier mit seiner Kleinkunstbühne am heteronomen Pol des kulturellen Feldes. Während die schöpferischen Produzenten im Unterfeld der eingeschränkten Produktion »tendenziell nur die weiteren Produzenten (die zugleich Konkurrenten sind) als Abnehmer haben«, bedient der Kabarett-Leiter ein breites, zu unterhaltendes Publikum. Vor diesem Hintergrund ist sein Desinteresse an Baals lyrischem ›Talent‹ zu werten, denn mit »Talent verstimmt man die Leute nur. […] wer anders interessiert sich für ernste Kunst als Literaten?« Bereits in den ersten Repliken der Szene ›Hinter den Kulissen eines Kabaretts‹ zeigt sich, dass Baal auch als Sänger keine Möglichkeit autonomen Handelns besitzt. Für seinen Arbeitgeber besitzt er den Status einer gewinnbringenden Ware, auf die Besitzansprüche geltend gemacht werden können. So betont der Conférencier: »Sie dürfen nie vergessen, daß erst wir Sie gemacht haben. […] Ich habe Sie entdeckt.« Da er den Lyriker als marktgängiges Produkt, als »brillanteste Nummer« betrachtet, gesteht er ihm keine Privatsphäre zu. Wie selbstverständlich verlangt er von ihm, sich einer prominenten Verehrerin – der Fürstin Ebing – den eigenen Vorgaben gemäß zu verhalten. Für
Ebd., S. . Ebd., S. . Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. . Brecht: Baal [], S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Brechts Kritik am Kunst- und Kulturbetrieb weist in dieser Szene große Parallelen zu Frank Wedekinds ›Der Marquis von Keith‹ auf. Wie die Sängerinnen und Artistinnen des Feenpalasts besitzt Baal den sozialen Status eines Zirkustiers, das als ›Attraktion‹ betrachtet wird und der allgemeinen Unterhaltung dient; vgl. Frank Wedekind: Der Marquis von Keith. Schauspiel in fünf Aufzügen. In: Frank Wedekind: Werke. Bd. : Der Kammersänger. Ein Genußmensch. Ein gefallener Teufel. Der Marquis von Keith. König Nicolo. Dramatische Fragmente und Entwürfe. Hg. von Elke Austermühl. Darmstadt , S. –.
Baal ist die Fremdbestimmung durch den Conférencier inakzeptabel. Er hält ihm vor: »Das Schlimmste ist, daß Sie mich lächerlich machen! Das war bisher mein Verdienst.« Um sich nicht weiter instrumentalisieren zu lassen, wird er vertragsbrüchig. Obwohl Baal als Lyriker, Theaterkritiker und als Kabarettist anerkannt wird, forciert er den Bruch mit den künstlerischen Konsekrationsinstanzen. Zum einen ist er nicht fähig, sich dem feldspezifischen »juridische[n] wie kommunikative[n] Code« anzupassen, so dass ihm die Teilhabe im kulturellen Feld verweigert wird. Zum anderen widersetzt er sich seinen auf ökonomische Gewinnmaximierung fixierten Arbeitgebern. ... Baals Bruch mit den Rezipienten seiner Artefakte Baal hat nicht nur mit den Weihungsinstanzen des Kunst- und Kulturbetriebs, sondern auch mit den philiströsen Rezipienten seiner Artefakte zu kämpfen. Wie für die Abendgesellschaft fungiert seine Lyrik auch für die Gäste der ›Wirtsstube‹ als Luxusgut ohne existentielle Bedeutung. So bekundet der Erste Bürger: »Gedichte sind nicht nötig. Ich habe den Quatsch nie gelesen und bin ganz zufrieden«. Auch der Zweite Bürger spricht der Kunst nur die marginale Funktion zu, das Leben zu ›verschönern‹. Da die schöpferische Produktion im Gegensatz zu dem als ›nützlich‹ deklarierten Broterwerb für entbehrlich gehalten wird, gilt der Künstler nicht als gleichwertiges Mitglied, sondern als »Geschwür an dem gesunden Leib der Gemeinde«, das »ausgeschnitten werden« muss. Mit dieser von den Figuren proklamierten Auffassung vom schöpferischen Produzenten als parasitärem sozialen Außenseiter bedient sich Brecht des traditionellen Topos von der Unvereinbarkeit der beiden Sphären Kunst und Leben (vgl. Kap. ..). Allerdings modifiziert Brecht den klassischen dramatischen Konflikt: Im Künstlerdrama des . und . Jahrhunderts scheitert das schöpferische Genie im Regelfall daran, dass es seine Künstlerexistenz nicht mit einer bürgerlichen Lebensführung in Einklang bringen kann, so dass ihm die soziale Anerkennung verwehrt bleibt. Bei Brecht wird die Separation der beiden Bereiche nicht vom Künstler erfahren und aufrechterhalten, sondern von den Wirtshausgästen. So weiß sich Baal sehr wohl private und berufliche Bestätigung zu verschaffen, obwohl er ein individualistisches, antibürgerliches Leben führt. Im Gegensatz dazu beharrt der Dritte Bürger, der Baal um seine
Brecht: Baal [], S. . Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. . Brecht: Baal [], S. . Vgl. ebd., S. . Ebd., S. .
Liaison mit der Kellnerin Marie beneidet, auf dem Dualismus von Kunst und Leben, wenn er erklärt: »Aber was hilft das, Kunst!? Wenn man sonst unglücklich ist im Leben! Enthusiastisch. Ich gebe meine ganze Kunst gegen einen Kuß aus Ihrem Munde, Fräulein Marie!« Trotz der Degradierung des Genies zum sozialen Nutznießer fühlen sich die Lokalgäste von der Kunstszene angezogen. Die ambivalente Bewertung des Künstlers als gesellschaftliche Bedrohung und als Faszinosum manifestiert sich in der Replik des Ersten Bürgers, der vorschlägt: [M]acht es so: tut die Kerls [die Künstler, Anm. N.B.] in Käfige, gebt ihnen zu saufen und kehrt abends die Gedichte raus wie Exkremente im Tiergarten. Das hat Sinn und ist ungefährlich. Das entspricht auch meinen Forderungen an einen strengen militaristischen Staat.
Das Interesse der Bürger an der Kunst gründet sich auf ihre kathartische Wirkung. Dafür spricht, dass sich die Besucher des Wirtshauses vor allem für die »Schweinerei[en]« und die Soirée-Gäste insbesondere für »die kleinen Lüderlichkeiten« in Baals Lyrik begeistern. Ihre Freude an provokativen Obszönitäten steht im Kontrast zu den von ihnen proklamierten, an den christlichen Moralvorstellungen orientierten Denk- und Lebensformen. Während im Alltag die Triebunterdrückung propagiert wird, soll die Kunst die kreatürlichen Instinkte ansprechen, die während des Kunstgenusses ungehemmt ausgelebt werden dürfen. Das zeigt sich in der Szene ›Hinter den Kulissen des Kabaretts‹, in der Baal nicht die vertraglich geregelte Nummer, sondern sein eigenes Lied zum Besten gibt. Die Zuschauer reagieren zunächst mit »Pfeifen«, »Trampeln« und »›Unerhört‹-Rufe[n]«, bevor sie in Begeisterungsstürme ausbrechen. Der Conférencier wertet diesen Vorgang als einen Prozess der Befreiung von repressiven Normen, wenn er konstatiert: »Jetzt, wo der moralische Kotzakt vorbei ist, sind sie wieder voll gesundem Appetit.« Eine Trennung von Künstlertum und bürgerlichem Leben scheint vor diesem Hintergrund gesellschaftlich notwendig. Die Negation der vorherrschenden Moralvorstellungen während des Kunstgenusses bietet die Möglichkeit einer kontrollierten, vor allem aber kontrollierbaren Triebbefriedigung, so dass »hierdurch eine Reinigung von derartigen Erregungszuständen bewirkt« wird. Der Kabarettbesuch erhält eine systemstabilisierende Funktion. Nach
Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Aristoteles: Poetik. Griechisch / Deutsch. Übersetzt und hg. von Manfred Fuhrmann. Stuttgart , S. .
der Triebabfuhr im Theater ist der Zuschauer wieder fähig, sich den zivilisatorischen Zwängen unterzuordnen. Die Durchdringung der beiden Sphären Kunst und Leben wäre hingegen als systembedrohlich einzustufen, weil die Kunst eine die Realität verändernde Sprengkraft entwickeln könnte. Das offenbart sich im Drama nach Baals Bruch mit den Weihungsinstanzen. Statt im Theater – an einem Ort der Kunst – singt Baal seine Lieder in einer »[l]ändliche[n] Schenke«. Dort geraten die Rezipienten in Ekstase, weil von Baals ›Lied an die Jungfrauen‹ eine die Triebe entfesselnde, revolutionäre Kraft ausgeht. Daher bezeichnet ›Einer‹, der das Geschehen besorgt kommentiert, Baal als »gefährliche[n] Bursche[n]«. Schon in seinem ersten Drama beanstandet Brecht die systemstabilisierende Funktion kathartisch wirkender Kunst. Das wird auch in der Wirtsstube deutlich, in der Baal den Bürgern die ›Legende der Dirne Evelyn Roe‹ präsentiert, ein Lied, das die »Entwicklung eines unschuldigen Mädchens zur Dirne« darstellt, »dem keine Erlösung gewährt wird.« Durch den Vortrag zeigt sich der Dritte Bürger so bewegt, dass er »die Kellnerin, die das Glas Wein bringt, gerührt in den Hintern« kneift. Anstatt über den impliziten kritischen Gehalt des Liedes zu reflektieren, rezipiert er die ›Legende‹ gefühlsgeleitet und gebärdet sich der Angestellten gegenüber genauso lüstern wie die im lyrischen Lied dargestellte Schiffscrew gegenüber der Evelyn Roe. Aus der schon in ›Baal‹ manifesten Kritik an einer rein affektiven Rezeption von Kunst wird Brecht später sein Modell des epischen Theaters entwickeln.
.. Die Kunstauffassung des verfemten Künstlers In den konfrontativen Auseinandersetzungen zwischen Baal und seinem sozialem Umfeld wird die Bedeutung, die der Kunst in dieser Gesellschaft zukommt, […] eindringlich vor Augen geführt: Sie ist zum nichts sagenden Gesprächsstoff degeneriert, ist Bestandteil der Etikette. Man kann sich mit ihr schmücken, ohne sie ernst zu nehmen, bedient sich ihrer nach Belieben. Nur scheinbar geht es um individuelle Talente und deren Förderung, so wenig, wie es der bürgerlichen Gesellschaft um die Zulassung individueller Entfaltungsmöglichkeiten geht, obwohl dies als eine ihrer Grundlagen und Maximen definiert ist. Kunst hat gleichwohl jedoch die wichtige Funktion, die Gesellschaft zu stabilisieren sowie die Gewinnmaximierung sicherzustellen.
Brecht: Baal [], S. . Ebd., S. . Daphinoff: Baal, die frühe Lyrik und Hanns Johst, S. . Brecht: Baal [], S. . Knopf: Baal, S. .
Dieser zweck- und profitorientierten Kunstauffassung steht Baals ästhetische Position diametral gegenüber. Der schöpferische Produzent wehrt sich gegen die »Verwurstung« seiner Talente, verzichtet auf eine Position im kulturellen Feld und zieht sich in die Natur zurück, wo er lyrische Lieder kreiert, die weder Warencharakter noch Tauschwert besitzen. Dass es ihm erst nach seinem sozialen Rückzug gelingt, sich als Künstler zu entfalten, manifestiert sich in der Anordnung der Gedichte im Theatertext: »Je weiter er sich von der Gesellschaft entfernt, desto produktiver wird er.« Der Diskurs über Kunst und Künstler beschränkt sich nicht auf Baals Kampf gegen die Subsumtion seiner Artefakte »unter die Bedingungen kapitalistischer Produktionsweisen«. Der Lyriker definiert Kunst als »Lebenskunst«, »d. h. unmittelbar am Leben situierte Kunst, rau, derb und großartig wie das Leben selbst. Weiterhin impliziert der Begriff ein Leben, das als Kunst gelebt wird; Leben als ästhetische Qualität.« Diese verschiedenen Dimensionen des Baalschen Kunstbegriffs werden im Folgenden konkretisiert. ... Baals ästhetische Prämissen Aus Brechts ›Letztem Willen‹ geht hervor, dass Baals Lyrik situativ, als unmittelbarer Ausdruck innerer Empfindungen entsteht. Intellektuell konstruierte, manierierte Dichtung lehnt er programmatisch ab, weil substantielle Werke mit dem »Kopf«, dem »Bauch« und dem »übrige[n]« kreiert werden müssen. Statt »romantische[r] Schwärmerei« fordert er Artefakte, die aus der sinnlichen Hingabe an das Leben entstehen, dabei betonend, selbst »immer aufs Ganze« zu gehen. Den schöpferischen Produktionsprozess erfährt der Dichter – ähnlich wie die verkannten Künstlerfiguren im Drama des . Jahrhunderts – als unerklär
Bertolt Brecht: Bei Durchsicht meiner ersten Stücke. In: Bertolt Brecht: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Bd. : Schriften . –. Hg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, Klaus-Detlef Müller. Frankfurt/M. , S. –, hier S. . Im Gegensatz dazu vertreten Mennemeier und Vaßen die These, dass Baals Lyrik Warencharakter besitzt (vgl. Vaßen: Die ›Verwerter‹ und ihr ›Material‹, S. ; Mennemeier: Modernes deutsches Drama. Bd. , S. ). Das gilt aber nur für den Teil der Handlung, in dem Baal sich als Lyriker und Dramatiker im Kunst- und Kulturbetrieb durchzusetzen versucht. Nach seinem Bruch mit den Definitionsmächten dienen seine Artefakte lediglich der Unterhaltung. So ›verkauft‹ Baal in der ›ländlichen Schenke‹ nicht sein ›Lied an die Jungfrauen‹, sondern das in ihn verliebte Mädchen an die Dorfburschen und ›Das Lied von der Wolke der Nacht‹ und die ›Ballade vom Tod im Wald‹ präsentiert Baal seinem Freund Ekart, ohne einen Gegenwert zu verlangen. Daphinoff: Baal, die frühe Lyrik und Hanns Johst, S. . Schnell: ›Virtuelle Revolutionäre‹, S. . Ebd., S. . Brecht: Baal [], S. . Ebd., S. .
liche Offenbarung, wenn er konstatiert: »Der Sommer singt aus mir mit einer sanften und lauthallenden Stimme […] und mein eigener Leib ist voll fremder Unruhe«. Auch aus den Regieanweisungen geht hervor, dass der ästhetische Gestaltungsakt ein metaphysisches Erlebnis ist. So läuft Baal nachts »über die Felder her, wie trunken, die Kleider offen, wie ein Schlafender« und berichtet seinem Freund Ekart aufgeregt: »Ich habe ein Gedicht gemacht! Wach auf!« Um seinen Protagonisten als Künstler auszuweisen, rekurriert Brecht auf den seit dem Sturm und Drang tradierten Topos vom Dichtergenie (vgl. Kap. ..), das in visionärer Ekstase schöpferisch tätig ist. Allerdings ist der Geniegedanke nicht an die Sakralisierung von Kunst geknüpft. Baal verfolgt mit seiner Lyrik weder einen messianischen Auftrag noch ist er an der Kanonisierung seiner Werke interessiert. Bis auf die Gedichte in seinem Lyrikband legt er seine Lieder nicht schriftlich nieder. Stattdessen pflegt er, »was sein Dichten betrifft, meist den Gestus des Wegwerfens.« So wie Baal eine Gebrauchs- und Wegwerfhaltung zu seinen eigenen Gedichten hat, so pietätlos geht er als Redakteur […] auch mit der ›großen Literatur‹ um; seine Rezension des ›Don Carlos‹ konzentriert sich provokativ auf das körperliche Wohlbefinden des Rezensenten während der Aufführung
und ein der Zeitung eingereichtes Gedicht überarbeitet Baal so radikal, dass der Verfasser klagt: »Nicht eine Zeile, nichts mehr ist davon von mir!«
Ebd., S. . Ebd., S. . Obwohl sich Brecht mit seinem Drama gegen Johsts Vorstellung vom Dichtergenie wendet, rekurriert er auf die Geniekonzeption, um Baal als lyrischen Dichter auszuweisen. Auf diesen Widerspruch weisen auch Vaßen, Kiefer und Mennemeier hin; vgl. Vaßen: Die ›Verwerter‹ und ihr ›Material‹, S. ; Kiefer: Probleme mit ›Baals Lied‹, S. ; Mennemeier: Modernes deutsches Drama. Bd. , S. . Mennemeier: Modernes deutsches Drama. Bd. , S. . Vaßen: Die ›Verwerter‹ und ihr ›Material‹, S. . In seiner Rezension wendet sich Baal gegen das Theater als ›Weihestätte der Kunst‹. Er kritisiert die Gezwungenheit und Unsinnlichkeit der Bühne und setzt sich für ein Theater ein, das einer »genussvolle[n] menschliche[n], natürliche[n], lieblich-leibliche[n] Angelegenheit« gleichkommt (Brecht: Baal [], S. ). Baals Kritik am institutionalisierten Theaterbetrieb ähnelt der von Brecht, der in seinem Notizbuch von resümiert: »Also: es ist nichts mit der Tempelidee! / Also, ich schlage vor, ihr seht es ein und druckt neue Plakate! Ihr ladet die Leute in den Zirkus ein! Und da dürfen sie in Hemdärmeln dasitzen und Wetten abschließen. Und sie müssen nicht auf seelische Erschütterungen lauern und mit den Zeitungen übereinstimmen, sondern sie schauen zu, wie es mit einem Mann gut geht oder abwärts, wie er unterdrückt wird oder wie er Triumphe feiert, und sie erinnern sich an ihre Kämpfe vom Vormittag« (Bertolt Brecht: Das Theater als sportliche Anstalt. In: Bertolt Brecht: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Bd. : Schriften . –. Hg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, Klaus-Detlef Müller. Frankfurt/M. , S. –, hier S. ). Brecht: Baal [], S. .
Dass sich Baal über die Urheberrechte hinwegsetzt, resultiert aus seiner kunsttheoretischen Position. Nicht das Kunstwerk – das opus operatum –, sondern die genussorientierte Lebensweise – der modus operandi – ist für ihn wesentlich. So belehrt er den Jüngling: »Was müssen Sie auch Gedichte schreiben! Das Leben ist herrlich«. Der Lyriker erklärt die individuelle Selbstentfaltung zum Lebensprinzip, mit der die Produktion zweckfreier, ›reiner‹ Kunst einhergeht. Absichtsvoll konstruierte Artefakte erkennt er hingegen nicht als solche an. ... Baals Ästhetisierung der Umwelt Baal betrachtet seine lyrischen Lieder als Kunstwerke und ästhetisiert die Alltagsrealität. Das wird in der ersten Fassung des Theatertextes im ›Nachtcafé‹ angedeutet, in dem der Lyriker seinem Freund Ekart offenbart: »Die Welt ist ein Exkrement des lieben Gottes. – Ich habe, um mit ihr leben zu können, einiges inszeniert, in dem Talent war.« Baals Vorstellung von der ›Welt als Bühne‹ wird in der zweiten Variante des Bühnenstücks von konkretisiert. Das kommt in der Totenrede auf den Baumfäller Teddy zum Ausdruck, in der Baal über die eindrucksvolle »Szenerie« des Augenblicks reflektiert; außerdem in der Szene ›Dorfschenke‹, in der er vorgibt, dass sein Bruder an dem Erwerb eines Stieres interessiert sei, um die Bauern der umliegenden Dörfer dazu zu bringen, sich mit ihrem Vieh vor dem Wirtshaus zu versammeln. »Was für die Bauern Ernst, Realität und vor allem Geschäft ist, […] bedeutet für ihn Inszenierung, Theater, ›ein göttliches Schauspiel‹ […], das Erlebnis eines ›starken Anblicks‹«. Baal betrachtet die Welt als ästhetisches Konstrukt. Anstatt die Realität subjektiv, von emotionalen Einflüssen gelenkt, wahrzunehmen, distanziert er sich von seinem sozialen Umfeld und von sich selbst. Durch diese (Selbst-)Objektivierung besitzt er – im Gegensatz zu den profitorientierten Bauern – die Fähigkeit, über zivilisatorische Zwänge zu reflektieren und den fremden Maßgaben eigene Lebensmaximen entgegenzusetzen. Diese These teilt TabbertJones, die konstatiert:
Die Begriffe opus operatum und modus operandi werden in dieser Arbeit nicht im Sinne von Bourdieus Habituskonzept gebraucht, sondern bezeichnen das ›getane Werk‹ bzw. die ›Art und Weise des Handelns‹. Brecht: Baal [], S. . Ebd., S. . Bertolt Brecht: Baal []. In: Bertolt Brecht: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Bd. : Stücke . Hg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, Klaus-Detlef Müller. Frankfurt/M. , S. –, hier S. . Knopf: Baal, S. .
Indem Baal sich aus der Distanz betrachtet, entkommt er der Befangenheit im subjektiven Empfinden. Dadurch ist es ihm möglich, sich selbst vom Standpunkt der überpersönlichen Natur aus als ›Objekt‹ zu betrachten und seinen Erkenntnissen gemäß zu handeln.
Baals distanzierte Betrachtung der Welt als »Zirkus« steht in auffälligem Kontrast zu seinen ästhetischen Prämissen. Wie dargelegt (vgl. ...), ist Baals Lyrik unmittelbarer Ausdruck seiner sinnlichen Welterfahrung. Sein Szeneriebewusstsein gründet sich hingegen auf eine objektivierte, distanzierte Betrachtung der Realität. Dieser die zweite Fassung bestimmende Widerspruch ist auf Baals Ablehnung der vorherrschenden Denk- und Lebensformen zurückzuführen. Während sich der Künstler den lebensfeindlichen sozialen Repressionen durch innere Distanz entzieht, idealisiert er die Natur zu einem Rückzugsraum, in dem die individuelle Entfaltung, die unmittelbare Weltwahrnehmung und die Produktion authentischer Lyrik noch möglich sind. ... Baals Ästhetisierung der eigenen Künstleridentität Aus Baals Protest gegen die repressiven Zwänge der Zivilisation resultiert nicht nur die Ästhetisierung der Alltagsrealität, sondern auch die Verklärung der eigenen Person zu einer divinatorischen Instanz. Die These, dass die Selbststilisierung dazu dient, sich in Konfliktsituationen Kraft zuzusprechen, um die proklamierten Lebensmaximen durchzusetzen, wird im Folgenden illustriert. In seinem ›Prolog‹ ›Letzter Wille‹ nennt Brecht den ursprünglich gedachten Titel seines Künstlerdramas: »Baal frißt! Baal tanzt!! Baal verklärt sich!!!«
Tabbert-Jones: Die Funktion der liedhaften Einlage, S. . Brecht: Baal [], S. . Diesen Widerspruch verkennen Joost, Müller und Voges. Sie heben hervor, dass Baal die Welt unmittelbar und subjektiv wahrnimmt und ignorieren, dass die Ästhetisierung der Realität nur durch innere Distanz möglich ist: »Baal ist […] ein Lyriker, der in seinen Gedichten sein Lebensgefühl unmittelbar artikuliert, der seine Wirklichkeit zum ›göttlichen Schauspiel‹ arrangiert […], bei dem das Erleben gewissermaßen von selbst zum Gedicht wird, weshalb viele Dialogpassagen schon lyrisch artikuliert werden: es gibt keine Differenz, nicht einmal einen sprachlichen Unterschied zwischen Poesie und Wirklichkeit. Insofern ist ein solcher Dichter das Gegenteil der expressionistischen Weltveränderer.« (Joost / Müller / Voges: Bertolt Brecht, S. ). Brecht: Baal [], S. . Vanhelleputte ist überzeugt, dass der Titel dafür spricht, dass Brecht »mit seinem Drama […] eine Hymne an das Leben zu schreiben beabsichtigte und dass er dieses offensichtlich als überschäumende Quelle des Genusses und der Glückseligkeit auffasste« (Vanelleputte: ›Baal‹ und der Hedonismus des jungen Brecht, S. f.). Im Gegensatz zu dieser Hypothese bemüht sich Vaßen um eine differenzierte Analyse des Titels. Er ist der Auffassung, dass sich in »dem Verb ›fressen‹ […] alle Tätigkeiten der ›Verwertung‹ und Vereinnahmung [konzentrieren]: Essen, Trinken (Alkohol), Sexualität; ›tanzen‹ steht für ästhetischen Ausdruck, für die
Wie Vaßen erhellt, impliziert »das Verb ›fressen‹ alle Tätigkeiten der Vereinnahmung und Verwertung« zur Befriedigung der leiblichen Bedürfnisse. Es verweist auf Baals materialistische und vitalistische Lebenshaltung. Im Unterschied zu Vaßen und Frühwald, die den Tanz als Symbol für Baals ästhetische Produktion deuten, legt der Handlungsverlauf nahe, den Tanz als rituellen Akt der Selbstbeschwörung zu werten. Dem Motiv kommt in ›Baals Kammer‹ und der ›Bauernschenke‹ zentrale Bedeutung zu. In beiden Szenen versucht der Künstler einen inneren Konflikt mit Hilfe von Musik und Tanz zu überwinden. In der Dachkammer verführt Baal die Schauspielerin Sophie Dechant, nachdem er mit der Frau des Mäzens und der Geliebten seines besten Freundes Johannes geschlafen hat. An seinen Handlungen zweifelnd, versucht er sich mittels weiblicher Zuneigung wieder aufzurichten. Sophie gesteht er: Ich werde zum Teufel gejagt […]. Ein Freund von mir geht daran kaputt, daß ich sein Mädel zusammengehauen habe. Von ihr fehlt jede Spur. Die Frau meines Chefs ist schwanger von mir und hat die Hölle daheim. Ich kann keinem helfen. Hilf du mir! Du mußt mich lieb haben. Dazu hab ich dich geholt.
Unvermittelt beendet Baal seine Grübeleien und fordert die Aktrice zum Tanz auf. Er »zerrt sie mit sich herum, schwerfällig«, und erklärt: »Prost, kaputter Johannes! Eins zwei drei! Anna mit dem Tang! Horch auf das Klavier! Eins zwei drei, Kind!« Anstatt sich gedanklich weiter mit seinen Taten und deren Folgen auseinanderzusetzen, versichert er sich im Tanz seiner Lebensmaxime, die eigenen Bedürfnisse rücksichtslos auszuleben. Eine ähnliche Bedeutung hat der Tanz in der ›Bauernschenke‹. Nachdem sich Baal – angesichts der unendlichen Größe des Universums – der Nichtigkeit des eigenen Daseins bewusst wird, erhebt er sich abrupt, springt »unter die Schar und fängt aus dem Geschrei ein Mädchen, frisch und kräftig, heraus«, um mit ihr
spontane Kunstproduktion und erinnert zugleich an die rauschhafte und rituelle Körperlichkeit des Baal-Mythos. Das dritte Verb ›verklären‹, was so viel heißt wie ›sich über das Irdische erheben‹, ist – vergegenwärtigt man sich Baals Leben und Tod – nur als Parodie auf Johsts Grabbe und die christliche Vorstellung von der Seligkeit Verstorbener und vom verklärten Leib Christi zu verstehen.« (Vaßen: Die ›Verwerter‹ und ihr ›Material‹, S. ). Auch Frühwald setzt sich mit der Titelgebung auseinander. Er stellt die These auf, dass Brecht die »Formelsprache naturalistischer Kunsttheorie« adaptiert »und mit bibelparodistischem Vokabular – Natur (das Fressen) und Kunst (den Tanz) so einander zuordnet, daß in der Selbstverklärung eines ungeheuren Lüstlings und Genießers das der Natur immanente Zerstörungsprinzip zugleich als das Prinzip des Lebens erscheint: als das Prinzip der Wollust des Untergangs.« (Frühwald: Eine Moritat vom Ende des Individuums, S. ). Vaßen: Die ›Verwerter‹ und ihr ›Material‹, S. . Brecht: Baal [], S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
zu tanzen. Das verhilft ihm jedoch nicht zu neuem Lebensmut; er bricht zusammen und flüchtet aus der Schenke. In beiden Szenen gleichen Baals Tänze einem religiösen Ritual, in dem keiner übermenschlichen Gottheit gehuldigt, sondern die eigene Stärke beschworen wird. Baals Verklärung der eigenen Person kommt auch im ›Choral vom großen Baal‹ zum Ausdruck, in dem sich der lyrische Dichter zu einer mythischen Gestalt stilisiert, die sich durch »ein Äußerstes an Übereinstimmung mit sich und der Welt« auszeichnet. Schon die literarästhetische Konzeption des Liedes impliziert, dass es sich bei der Figur der erzählten Welt nicht um ein menschliches Subjekt handelt. Diese Auffassung teilt Buhl, die erhellt, dass Brecht den Choral als »Travestie eines Kirchgesangs« gestaltet, indem er »parodierend den christlichen Sprachgebrauch«, »den feierlichen Tonfall und den Gestus einer Verkündigung von zeitloser Gültigkeit« übernimmt. Allerdings nutzt Brecht den feierlich erhebenden Tonfall des traditionellen Chorals, der dessen religiöse Botschaft rhetorisch beglaubigen soll […] auch für seinen neuen Zweck. Dadurch bekommt Baal, obwohl […] der Gestus der Heiligenverehrung parodiert wird, auf überraschende Weise doch die Funktion eines Vorbildes.
Im Choral wird Baal als »Gott eines egozentrischen, rein materialistischen Glücks« gefeiert. Er führt ein Leben außerhalb der Gesellschaft und ihrer moralischen Normen und religiösen Ansprüche. Auf sich allein gestellt, genießt er, scheinbar unbekümmert und ohne Sorge für seinen Unterhalt zu tragen, das, was die Erde, seine ›Urheimat‹, ihm bietet. Ausschweifende Sexualität, exzessiver Alkoholgenuss, intensives Naturerleben: ›rasende Ekstase‹ und ›Wollust‹, dabei dichtend und ›singend‹. Im ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen kehrt er am Schluss seines Lebens in den ›dunklen Schoß‹ zurück, der ihn als ›weißer Mutterschoß‹ […] einst hervorgebracht hatte.
Die von Baal im Choral verherrlichte materialistische Lebensweise ist Folge einer säkularisierten Weltsicht. Da der lyrische Dichter die christliche Religion als Instanz generalisierender Weltdeutung nicht anerkennt, weigert er sich, sich
In der ersten ›Baal‹-Fassung bleibt offen, welche Figur den ›Choral vom großen Baal‹ singt. Aus der zweiten Variante geht hervor, dass Baal das Lied zu seiner Gitarre vorträgt. Buhl: Bilder der Zukunft, S. . Ebd., S. f. Ebd., S. . Auch Vanhelleputte weist darauf hin, dass im Choral keine menschliche Biographie, sondern ein »mythisches Bild vom Leben des Baal« gezeichnet wird: »Alles in ihm lässt eher an die Gestalt eines Helden oder eines Titanen als an die eines Menschen denken: Der Inhalt ist voll kosmischer Anspielungen, die Baal mit dem Himmel und den Gestirnen in Beziehung setzen und ihn mit dem ›großen Weib Welt‹ schlafen lässt.« (Vanhelleputte: ›Baal‹ und der Hedonismus, S. ). Buhl: Bilder der Zukunft, S. . Knopf: Baal, S. .
ihren Wertkategorien zu unterwerfen und erhebt den Anspruch, seine weltlichen Bedürfnisse im Diesseits auszuleben. Dem Baal des Chorals gelingt es, sein Leben nach den von ihm postulierten Lebensprinzipien zu gestalten. Er unterwirft sich den Zwängen der Natur, indem er seinen biologischen Bedürfnissen folgt und nach der Maxime agiert: »Was man will, […] ist was man muß.« Die Baal-Figur verkörpert somit eine anti-religiöse Utopie, in der paradoxer Weise die völlige Unterwerfung unter den Zwang der Natur als Bedingung der Möglichkeit von Freiheit gedeutet wird.
Dass der schöpferische Protagonist kein realistisches Porträt von sich zeichnet, sondern sich zu einer gottgleichen Figur stilisiert, zeigt sich in der Diskrepanz zwischen dem Baal des Chorals und der vorgeführten Künstlerfigur. Im Unterschied zu der mythischen Figur ist der Lyriker unfähig, den von ihm propagierten Lebensprinzipien zu entsprechen. In der Szene ›Bauernschenke‹ wird er nicht als diesseitsorientierter Genussmensch dargestellt, der den geltenden Moralvorstellungen eigene Lebensmaximen entgegensetzt, sondern er wird als melancholischer Grübler gezeigt, den das Wissen um die Vergänglichkeit des Menschen angesichts eines fehlenden metaphysischen Sinnsystems ängstigt. Im Gespräch mit Ekart thematisiert der Künstler seine mangelnde Souveränität, wenn er ihm gesteht: »Wenn ich nachts nicht schlafen kann, schaue ich die Sterne an. […] Aber das tu ich nicht oft. Sonst schwächt es.« Baals fehlende Überlegenheit manifestiert sich ferner darin, dass er nicht in der Lage ist, die eigenen Bedürfnisse zü
Knopf und Hillesheim verweisen in diesem Zusammenhang auf die Parallelen zwischen Friedrich Nietzsches Philosophie und Baals Lebensstil. Nietzsche, der jeden Theodizee-Gedanken von sich weist, propagiert eine »Existenz jenseits der moralischen Kategorien von gut und böse, die Konventionen, Setzungen der christlichen Religion sind. Gott existiert nicht; er ist intellektuelles Produkt des ›Ressentiments‹ der Schwachen, die sich Surrogate schaffen, um in ihrer Schwäche legitimiert, mit ›gutem Gewissen‹ existieren zu können. Aufgabe ist es, dem an sich absurden, sinnlosen Leben, das sich in immer wiederkehrenden Strukturen vollzieht, gewachsen zu sein. Deshalb forderte Nietzsche eine ›Umwertung aller Werte‹ […], zu der nur der ›Übermensch‹ […] in der Lage ist, der erkannt hat, dass Gott ›tot‹ […] ist und der Mensch aus sich selbst heraus Werte zu schaffen hat. Indem er im Zustand der Immoralität jene ›Herdenmoral‹ von gut und böse überwunden und zwangsläufig die Gesellschaft hinter sich gelassen hat, ist er einsam, gleichsam ›asozial‹, woraus er eine neue Art von Lebensund Seinsqualität schöpft.« (Knopf: Baal, S. ). In dem ›Choral vom großen Baal‹ besitzt Baal Züge eines ›Übermenschen‹. Der lyrische Dichter orientiert sich nicht an christlichen Werten und moralischen Normen, sondern erhebt den Anspruch, sich im Diesseits auszuleben. Baal befindet sich jenseits von ›Gut und Böse‹. »Er richtet nicht bewußt Unheil um des Unheils willen an, sondern nimmt in Kauf«, anderen Subjekten Leid zuzufügen (Hillesheim: Geschichtspessimismus und fatalistische Vitalität, S. ). Brecht: Baal [], S. . Buhl: Bilder der Zukunft, S. . Brecht: Baal [], S. .
gellos auszuleben. So gelingt es ihm nicht, das Mädchen in der ›Bauernschenke‹ zu ›überwältigen‹. Stattdessen entschuldigt er sich bei deren Freund für seine Zudringlichkeiten und klagt »aufschluchzend: Wo soll ich hin? Ich will heimgehen.« Schließlich kommt Baals fehlende Autonomie in der letzten Szene ›Wald. Eine Bretterhütte‹ zum Ausdruck. Während der ›große Baal‹ die menschliche Gesellschaft verschmäht und selbstzufrieden stirbt, fleht der sterbende Lyriker die anwesenden Holzfäller an, in der Stunde seines Todes bei ihm zu bleiben. Mit seinem bevorstehenden Ende kämpfend, ›stöhnt‹ er: »Es [das Sterben, Anm. N.B.] ist nicht so einfach. […] Das ist bei Gott nicht so einfach.«
.. Das Scheitern des verfemten Künstlers Wie erläutert, kann sich Baal als Dichter nicht etablieren, weil er die spezifischen Strukturen des kulturellen Feldes nicht kennt bzw. anerkennt. Da er die signifikanten kommunikativen Kodes ignoriert, wird er aus dem Kreis der vermeintlich kunstinteressierten Soirée-Gäste ausgeschlossen und als Redakteur gekündigt. Weil er nicht willens ist, sich den feldkonstitutiven ›Spielregeln‹ auf Kosten individueller Entfaltungsmöglichkeiten zu fügen, wird er vertragsbrüchig und flieht aus dem Kabarett. Während eines Gefängnisaufenthaltes beschließt er, fortan ein Leben jenseits sozialer Repressionen in der Natur zu führen, für ihn ein idyllischer Rückzugsraum, in dem eine unmittelbare, subjektive Weltwahrnehmung noch möglich ist. Hier entsteht ein Großteil seiner im Stückverlauf vorgestellten Gedichte, die sinnlicher Gefühlsausdruck sind. Allerdings scheitert Baal mit seinem Vorhaben, ein unabhängiges Leben in der Natur zu führen. Darauf verweist sein Gespräch mit dem Geistlichen in der ›Gefängniszelle‹. Ihm erklärt er: Ich lebe von Feindschaft. Mich interessiert alles, soweit ich es fressen kann. Töten ist keine Kunst. Aber auffressen! Aus den Hirnschalen meiner Feinde, in denen ein schmackhaftes Hirn einst listig meinen Untergang bedachte, trinke ich mir Mut und Kraft zu.
Ebd., S. . Ebd., S. . Die These, dass Baal seine im Choral postulierten Lebensprinzipien nicht umsetzen kann, wird von Knopf und Hillesheim geteilt. So konstatiert Hillesheim: »Baals Ethos erweist sich bei näherem Hinsehen zumindest in einzelnen Bildern des Dramas eher als Programm, dessen Erfüllung dem Protagonisten nicht recht gelingen will, denn als Lebensprinzip, dessen Umsetzung Baals psychologischer Unmittelbarkeit durchweg entspräche. Wird Baal mit der Realität des Nichts konfrontiert, zeigen sich seine individualistischen Kraftakte als unecht, als Flucht vor der Absurdität des Seins, der gegenüber souverän zu sein er nur vorgibt.« (Hillesheim: Geschichtspessimismus und fatalistische Vitalität, S. ); vgl. auch Knopf: Baal, S. . Brecht: Baal [], S. .
Aus der Replik wird deutlich, dass Baal die Negation sozialer Repressionen zum Lebensprinzip erhebt. Indem er sich dem Kampf gegen zivilisatorische Zwänge verschreibt, bleibt er auf sein von ihm abgelehntes soziales Umfeld bezogen. Das offenbart sich in der Szene ›Bank in einer Anlage. Nachts‹. Um neue Kraft zu schöpfen, provoziert der ausgebrannte Künstler eine verbale Auseinandersetzung mit zwei Liebenden und gewinnt in der Konfrontation mit den Unbekannten neue Energie. Baals ›Lebenskunst‹ erweist sich ferner als Irrweg, weil die von ihm idealisierte Natur kein »romantischer Fluchtbereich« ist; sein Leben »ist auch und gerade in der Natur Kampf.« Das wird in seinem unerwarteten Wunsch deutlich, nicht mehr unter freiem Himmel schlafen zu müssen. Baals Scheitern manifestiert sich schließlich in seiner Unfähigkeit, seinem programmatischen vitalistischen Lebensprinzip zu entsprechen. Anstatt sich seinen leiblichen Bedürfnissen genussvoll hinzugeben, leidet er unter der »Realität von Qual, Tod und Verfall«. Im Unterschied zu den späteren ›Baal‹-Varianten ist in der ersten Fassung nicht der konsequente Amoralist Baal […] der Protagonist, sondern ein unsicherer Mensch, der vergeblich um neue verpflichtende Werte ringt, die ihn von seinem sinnlosen Dasein erlösen und den Weg in eine bessere Welt zeigen könnten.
Anstatt sich seine Schwäche einzugestehen, verklärt sich der Lyriker im ›Choral vom großen Baal‹ zu einer divinatorischen Instanz. Baals Selbststilisierung hat viele Interpreten, darunter Jordheim, Müller, Schnell und Vaßen, veranlasst, sich mit dem Baal-Mythos auseinanderzusetzen, um erhellende Erkenntnisse für die Deutung des Theatertextes zu gewinnen. Sie verweisen auf Brechts hervorragende Kenntnis der Bibel und rekurrieren auf das Alte Testament, in dem Baal ein semitische[r] Sturm- und Fruchtbarkeitsgott [war], der als Herr des Himmels dargestellt wird. Die Ausrottung des Baalskultes durch Jehu, eine der blutigsten Episoden der jüdischen Überlieferung (. Könige, –), war die entscheidende Etappe auf dem Weg des jüdischen Glaubens zum Monotheismus, so daß Baal später zum Inbegriff der heidnischen Gottheiten und zur Antithese des jüdisch-christlichen Gottesverständnisses werden konnte.
Für Jan Knopf spricht auch Brechts Kenntnis von Friedrich Hebbels ›Judith‹ für die biblische Vorlage. »Auch hier kommt jene Gottheit vor, die als hölzerne Statue zertrümmert wird.« Frühwald, Schmidt und Vaßen betonen außer
Vgl. ebd., S. . Buhl: Bilder der Zukunft, S. . Ebd., S. . Vgl. Brecht: Baal [], S. . Hillesheim: Geschichtspessimismus und fatalistische Vitalität, S. . Jordheim: Gefährdeter Nihilismus, S. . Joost / Müller / Voges: Bertolt Brecht, S. . Knopf: Baal, S. f.
dem, dass Brecht ein »eifriger Lexikonleser« gewesen ist und sich vermutlich enzyklopädisches Wissen über den Baal-Mythos angeeignet hat. ›Baal‹ ist mit ›Herr‹ zu übersetzen und bezeichnet bei den Westsemiten meist eine Gottheit. Das Wort kann als Eigenname gebraucht werden, wird aber auch appellativisch im Plural verwendet, um die »mannigfachen Lokalgottheiten« der Westsemiten zusammenzufassen, deren »Erscheinungsform örtlich mehr oder weniger verschieden gewesen sein mag.« Das Reallexikon führt insgesamt achtzig verschiedene Gottheiten auf, die den Namen Baal tragen, denen aber prägnante gemeinsame Merkmale eigen sind. So gilt Baal seinen Verehrern in Kanaan […] als Urheber u. Spender der Fruchtbarkeit u. der Ernte […]. Der Stier als sein Symbol deutet nicht auf das Brüllen im Sturm, sondern auf die unwiderstehliche Macht u. die zeugende Naturkraft. Die Verehrung des goldenen ›Kalbes‹ […] u. der selbst auf Jahwe übertragene Stierkult des Nordreiches Israel mit den teilweise anstößigen Riten […] findet darin seine Erklärung; ebenso wohl der Name Ba’al-marqod, B. des Tanzes […].
Auf den Baal-Mythos in Brechts gleichnamigem Stück verweisen die Selbstbeschreibungen und -darstellungen der Titelfigur. Der Künstler stilisiert sich zu einem gottgleichen Subjekt, das sich in äußerster Übereinstimmung mit der Natur befindet, eine Koinzidenz zu den Lokalgottheiten der Westsemiten, die als Personifikation »schöpferische[r] Naturkraft« gelten. Wie für die Verehrer der mythischen Baale hat der Stier für Brechts Protagonisten symbolische Funktion. Dieser beschreibt sich selbst als Stier, wenn er dem Geistlichen erklärt: »Ich falle wie ein Stier. Es muß noch Genuß sein im Sichkrümmen.« Zudem huldigt er den Tieren, wenn er sie in der zweiten Fassung zusammentreiben will, um Ekart ein »göttliches Schauspiel« zu geben. Eine weitere Parallele zwischen dem Mythos und Baals Selbstdarstellung ist das Tanzritual. Während die Lokalgottheiten in kultischen Tänzen beschworen werden, versichert sich Baal im Tanz der eigenen Kraft und Vitalität.
Schmidt: ›Baal‹ und der junge Brecht, S. . Vgl. Frühwald: Eine Moritat vom Ende des Individuums, S. ; Schmidt: ›Baal‹ und der junge Brecht, S. ; Vaßen: Die ›Verwerter‹ und ihr ›Material‹, S. . H. Bacht / A. Baumstark / Th. Klauser / Fr. Nötscher: Baal. In: Theodor Klauser (Hg.): Reallexikon für Antike und Christentum. Sachwörterbuch zur Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Welt. Bd. . Stuttgart , S. –, hier S. . Ebd., S. f. Ebd., S. . Brecht: Baal [], S. . Brecht: Baal [], S. . Dass Brecht mit der ›Stierszene‹ auf den Baal-Mythos verweist, nimmt auch Speirs an, der die These vertritt, dass Baal mit den Stieren der eigenen Vitalität huldigt; vgl. Speirs: Baal, S. .
Trotz dieser Analogien scheint eine Dramenanalyse, die den Baal-Kult zur Interpretationsgrundlage macht, fragwürdig, weil »Baal in Brechts Drama ein Mensch, ein Erdensohn ist«, der sich im Choral zu einer divinatorischen Instanz verklärt. Für eine Untersuchung des Theatertextes ist es, wie Frühwald hervorhebt, von ebenso großer Bedeutung, dass Baal mit ›Herr‹ zu übersetzen ist. Wiederholt gerät der Künstler in Konflikt mit seinem sozialen Umfeld und versucht sich in diesen konfrontativen Auseinandersetzungen als ›Herr‹ zu behaupten. So verlässt Baal etwa die Soirée-Gäste in der ersten Szene mit den Worten: »Ich will euch zeigen, wer Herr ist«.
.. ›Baal‹ als Manifestation eines Bruchs mit der expressionistischen Dramatik In ›Baal‹ richtet sich Brecht gegen die gewinnorientierte Vermarktung von Kunst und die systemstabilisierende Funktion kathartisch wirkender Artefakte. Außerdem bemängelt er das fehlende ästhetische Urteilsvermögen der breiten Masse. Das Künstlerdrama ist ferner als Manifestation eines Bruchs mit der literarischen Strömung des Expressionismus zu lesen, wie im Folgenden gezeigt wird. Dabei muss berücksichtigt werden, dass Brecht trotz seiner vehementen Kritik dem expressionistischen Jahrzehnt verhaftet bleibt. So gelten der in
Jordheim: Gefährdeter Nihilismus, S. . Auch wenn ›Baal‹ nicht allein vor dem Hintergrund des Mythos gedeutet werden kann, ist die Auseinandersetzung mit diesem doch gewinnbringend. Das zeigt Jordheim, der den Baal-Kult zu Nietzsches Philosophie in Bezug setzt. Er legt dar, dass erst seit dem Christentum die dualistische Konzeption von »Gut und Böse, Tugend und Sünde, Verbot (durch Gott) und Verführung (durch Baal, Dionysos, Eros usw.)« existiert. Da der Baal-Mythos vorchristlichen Ursprungs sei, sei er »im dualistischen System der christlichen Moral, die zwischen Gut und Böse, Tugend und Sünde, Geist und Körper trennt, nicht zu beurteilen«. Indem Baal gegen die christlichen Wertkategorien opponiere, rufe er die Einheit von Gott und Teufel an, »eine Einheit, die sie in vorchristlicher, mythischer Zeit noch darstellten und erst im christlichen Glauben verlieren sollten« (ebd., S. , , ). Dem Kampf gegen den christlichen Dualismus komme nicht nur in ›Baal‹, sondern auch in Nietzsches Philosophie zentrale Bedeutung zu: »Brecht setzt der Antithetik von Gut und Böse der ihn umgebenden christlich-bürgerlichen Gesellschaft mit seinem Baal ein anderes, dialektisches Lebensprinzip entgegen, welches an Nietzsches Dionysos-Alternative erinnert und dessen ›Umwertung aller Werthe‹ entspricht. Das heißt, das Böse ist gleichzeitig als das Gute dargestellt. Das Böse repräsentiert gleichzeitig das ›menschliche Glücksverlangen‹ und das reine Verhältnis des Menschen zu seiner inneren Natur, was ein entgiftetes Verhältnis zum Eros bedeutet.« (Ebd., S. ). Vgl. Frühwald: Eine Moritat vom Ende des Individuums, S. . Brecht: Baal [], S. .
›Baal‹ verherrlichte Vitalismus, die Darstellung des Hässlichen, »öffentlich Verworfenen, Verdrängten und Verfemten«, sein Angriff gegen die traditionelle Sexualmoral und die Kritik am philiströsen Bürgertum als Merkmale expressionistischer Dichtung. Brechts Ablehnung der geweihten Avantgarde seiner Zeit manifestiert sich in der ersten Szene, in der den Soirée-Gästen, die sich als Bewunderer und Förderer expressionistischer Lyrik verstehen, jeder ›ästhetische Sinn‹ abgesprochen wird. Während die wenig kunstverständige Abendgesellschaft die ideelle Konzeption und die abstrakte ästhetische Gestaltung insbesondere der Gedichte August Stramms würdigt, bezeichnet Baal sie als »Quatsch« und proklamiert stattdessen: »Die Hauptsache ist, daß etwas lebt.« Zudem ironisiert Brecht die expressionistische Heilserwartung durch einen prophetischen Seher, wenn der Junge Mann Baal als »Vorläufer des großen Messias der europäischen Dichtung« bezeichnet, »den wir auf das bestimmteste für die unmittelbar allernächste Zeit erwarten.« Brechts Diskreditierung der geweihten Avantgarde schlägt sich ferner in der dramaturgischen Konzeption seines Theatertextes nieder. Er gestaltet ›Baal‹ als expressionistisches Stationendrama, distanziert sich aber zugleich von diesem Dramaturgieprinzip, indem er die der Dramenform impliziten ideellen Maximen negiert. Um diese These zu illustrieren, wird die Bauform des ›einpoligen
Thomas Anz: Literatur des Expressionismus. Stuttgart, Weimar , S. . Anz erläutert, dass »Autonomie und Schönheit […] in der klassisch-idealistischen Ästhetik eng assoziiert« sind. »Die ehemals utopische Funktion der dahinter stehenden Humanitätsidee wird im Verlauf des . Jahrhunderts zunehmend zur ideologischen, insofern Schönheit und Autonomie als reale Gegebenheiten imaginiert werden. Die negative Ästhetik der Moderne disqualifiziert Schönheit der Kunst als Beschönigung, Harmonie als Harmonisierung.« (Ebd., S. ). In ›Baal‹ manifestiert sich der die expressionistische Kunst kennzeichnende Bruch mit der klassisch-idealistischen Ästhetik zum einen in der Konzeption des zentralen Protagonisten, der als asoziale, physisch abstoßende Figur gezeichnet ist. Zum anderen wird die euphemistische Darstellung klassisch-idealistischer Kunst in der ›Redaktionsstube‹ thematisiert. Hier bezeichnet Baal die idealisierenden Verse einer Autorin als ›Quatsch‹ und demonstriert ihr anhand einer ›Geschichte‹, die parodistisch auf ›Faust‹ anspielt, wie realitätsfremd ihre Artefakte sind (vgl. Beck: Zu Entstehung und Erklärung von Brechts ›Baal‹, S. f.). Während Gretchen in Goethes Drama Fausts Begleitung ablehnt und allein nach Hause geht, beharrt die erzählte männliche Figur in Baals Fabel darauf, das Mädchen zu begleiten: »Er haut ihr eine Ohrfeige herunter, eine Maulschelle, eine Watschen, einen Backenstreich, beste Qualität. […] Und sie läßt ihm ohne weiteres ihren Arm, und er führt sie fort.« (Brecht: Baal [], S. ). Vgl. Anz: Literatur des Expressionismus, S. –, –. Brecht: Baal [], S. . Ebd., S. . Zur prophetischen Funktion des Künstlers im Expressionismus vgl. Anz: Literatur des Expressionismus, S. –; Horst Denkler: Drama des Expressionismus. Programm, Spieltext, Theater. München , S. ff.
Wandlungsdramas‹ skizziert und Brechts materialistischer Adaption gegenübergestellt. ... Die anti-expressionistische Konzeption Ausgehend von einer fundamentalen Kritik an der wilhelminischen Ära fordern die Expressionisten eine grundlegende Erneuerung der Welt. Sie sind überzeugt, dass das existierende Leid überwunden werden könne, wenn sich das Bewusstsein – der ›Geist‹ des Menschen – verändere. Geläutert und von humanitärem Ethos erfüllt sei das Subjekt fähig, eine bessere, befriedete Weltordnung zu begründen. Die Vorstellung, dass sich gesellschaftliche Veränderungen durch einen Bewusstseinswandel herbeiführen lassen, teilen die Expressionisten mit Goethes und Schillers idealistischen Ansichten zur Zeit der Französischen Revolution: Schon Goethe und besonders Schiller betonen in ihrer Einschätzung der Französischen Revolution die sittliche Reife des Menschen als unabdingbare Voraussetzung jeglicher gesellschaftlicher Veränderung, das Bewußtsein bestimmt das Sein […]. Mit dieser idealistischen Grundannahme korreliert eine Revolutionskonzeption, die in ihrer didaktischen Konsequenz die Wiedergewinnung ursprünglicher humaner Fähigkeiten des Menschen durch vorbildhaftes Handeln einer Schar Auserwählter anstrebt. […] Ähnlich verstehen sich die meisten expressionistischen Literaten als Initiatoren und Wegbereiter der notwendigen ethisch-geistigen Regeneration des Individuums, ja der ganzen Menschheit […]. Das Produkt dieser Bemühungen, der ›neue Mensch‹, präsentiert sich denn auch als Inkarnation einer neuen Sittlichkeit und Humanität, personifiziertes Ideal und Garant einer besseren menschlichen Gemeinschaft […].
Die »Wandlung des einzelnen Menschen zu einer neuen Geistigkeit« soll zu einer »neue[n], ›unbürgerliche[n]‹ Form zwischenmenschlicher Solidarität« und zu einer Steigerung der Lebensintensität führen. Das geforderte Menschheitsparadies sei im Diesseits mit Hilfe der Kunst zu realisieren. Dazu müsse das Artefakt
Vgl. Denkler: Drama des Expressionismus, S. . Zum Begriff des ›Geistes‹ in der expressionistischen Literatur vgl. Anz: Literatur des Expressionismus, S. –. Klaus Siebenhaar: Klänge aus Utopia. Zeitkritik, Wandlung und Utopie im expressionistischen Drama. Mit einem Geleitwort von Horst Denkler. Berlin, Darmstadt , S. f. Anz: Literatur des Expressionismus, S. . Anz hebt bervor, dass der »Hunger nach Leben […] in der Literatur jener Zeit ein epochales Phänomen« ist. »›Leben‹ gehört zu den Schlüsselbegriffen damaliger Kulturund Zivilisationskritik« (ebd., S. ). Zum expressionistischen Vitalismus vgl. auch Gunter Martens: Vitalismus und Expressionismus. Ein Beitrag zur Genese und Deutung expressionistischer Stilstrukturen und Motive. Stuttgart u. a. .
dem verfälschten Leben entgegengestellt werden und destruierend, entlarvend, aber auch neues Leben entbindend auf die Alltagsrealität einwirken, indem es die Menschen zur Erkenntnis ihrer selbst führt und damit ihre Wandlung einleitet.
Die der Kunst attribuierte messianische Wirkung bestimmt die dramaturgische Konzeption expressionistischer Bühnenstücke, insbesondere die der Stationendramen. Hans-Peter Bayerdörfer erhellt, dass der Stationenbegriff religiösen Ursprungs ist. Er »verweist auf die Kreuzwegstation der christlichen Passion« und »bezeichnet eine Entwicklung, die – analog zu einer religiösen Umkehr – einen Bewußtseinswandel zum Inhalt hat. Er führt von der alten in die neue Welt, vom alten zum neuen Menschen.« Im meist linearen Handlungsverlauf des Stationendramas wird der innere Wandel eines zentralen Protagonisten vorgeführt. Die namenlose, typisierte Titelfigur wird zunächst in Abhängigkeit von ihrem sozialen Umfeld gezeigt. Nach einem »schockartigen Konfrontationsereignis« stellt sie ihre bisherigen Lebensmaximen in Frage und befreit sich von den sie einengenden gesellschaftlichen Zwängen, innerlich gewandelt und getragen von der Hoffnung auf eine bessere Welt. In den jeweiligen Szenen wird die als Ideenträger fungierende Figur in der Regel mit fremd oder feindlich gesinnten Gruppenpersonen konfrontiert, »die als Kollektive auch chorisch sprechen oder agieren.« Diese funktionalen Gruppen verkörpern »im Gang des Dramas eine bestimmte Verhaltensweise und mentale Gemeinsamkeit«. Weder der einsame Protagonist noch seine Gegenspieler sind als Individuen konzipiert, sondern sie repräsentieren allgemeinmenschliche, scharf profilierte Gesinnungen. Darin gleichen sie den dramatis personae des mittelalterlichen Mysterienspiels. Nicht das äußere Geschehen bestimmt die Handlung, sondern der innere Wandel des Protagonisten. In jeder der locker aneinandergefügten Szenen wird der jeweilige Erfahrungs- und Bewusstseinsstatus aus der Perspektive der zentralen Figur vorgeführt. Die einzelnen Stationen sind folglich keinem »äußeren Handlungsbezug« verpflichtet und können »unterschiedliche Realitätsebenen oder Zeitstufen darstellen.« Die Einheit der Handlung wird allein durch die Identität des Protagonisten gestiftet.
Denkler: Drama des Expressionismus, S. . Bayerdörfer: Dramatik des Expressionismus, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Vgl. Walter H. Sokel: Dialogführung und Dialog im expressionistischen Drama. Ein Beitrag zur Bestimmung des Begriffs ›expressionistisch‹ im deutschen Drama. In: Wolfgang Paulsen (Hg.): Aspekte des Expressionismus. Periodisierung, Stil, Gedankenwelt. Die Vorträge des Ersten Kolloquiums in Amherst, Massachusetts. Heidelberg , S. –, hier S. . Brauneck: Die Welt als Bühne. Bd. , S. .
Durch die Konzentration auf die zentrale Figur wird das monologische Selbstgespräch konstitutiv für die dramaturgische Struktur, während dialogische Auseinandersetzungen zwischen gleichrangigen Sprechpartnern nicht mehr zustande kommen. Die Zuspitzung des Monologs zum ›Gedicht‹, in dem das Ich sein innerstes Erleben kundtut bzw. seine Botschaft, seine Vision, sein Programm losgelöst vom szenischen Spiel verkündet, soll helfen, die absolute Gültigkeit des Ausgesagten zu suggerieren […].
Das durch die abstrakte Gedankenführung, die monologische Gestaltung und die zur Verallgemeinerung tendierende Dialogführung ›undramatische‹ Stationendrama will die Zuschauer zum Bewusstseinswandel animieren. Das Theater dient als Tribüne, um die Welterneuerung zu proklamieren und um das Publikum »auf allen Ebenen der sinnlichen und der sprachlichen Wahrnehmung« für die eigenen Ziele zu mobilisieren. Von Brechts Bruch mit dem expressionistischen Wandlungsdrama zeugt sein ›Letzter Wille‹, in dem er auf das Dramaturgieprinzip der Dramenform rekurriert und konstatiert: »Das Stück ist weder die Geschichte einer noch die vieler Episoden, sondern die eines Lebens.« Den einzelnen Handlungsepisoden den Begriff des Lebens entgegensetzend, wirft er den Verfassern von Stationendramen vor, realitätsfremde Stücke zu schreiben. Seine Ablehnung des expressionistischen Theaters manifestiert sich ferner in der dramaturgischen Konzeption des ›Baal‹. Der Dramatiker übernimmt die dem Wandlungsdrama eigene lineare Handlungsführung, die Konzentration des Geschehens auf die typisierte Titelfigur und die lockere Szenenreihung. Sein Protagonist wird zunächst in seinen sozialen Abhängigkeiten gezeigt, bevor er sich aus diesen Bindungen befreit, um in der Einsamkeit, frei von Repressionen, nach seinen Idealen zu leben. Im Gegensatz zu den Titelfiguren der Stationendramen, die – wie Sorges ›Bettler‹ oder Johsts ›Einsamer‹ – in »der Tradition des deutschen Idealismus auf einem Freiraum zur (wie immer gemeinten) Selbstentfaltung« insistieren, »auf der Autonomie gegenüber einer das Subjekt entmündigenden und selbstentfremdenden Natur und sozialen Realität«, agiert Baal aber nicht autonom. Als kreatürliches Wesen wird er von seinen physischen Bedürfnissen determiniert. Erst in der bedingungslosen Unterwerfung unter
Denkler: Drama des Expressionismus, S. . Bayerdörfer: Dramatik des Expressionismus, S. . Zu der emotionalen Wirkungsabsicht expressionistischer Kunst vgl. Anz: Literatur des Expressionismus, S. –; außerdem die ›Einleitung‹ der Herausgeber zur ›Dramentheorie und Theaterpraxis‹ im Expressionismus. In: Thomas Anz / Michael Stark (Hg.): Expressionismus. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur –. Stuttgart , S. –. Brecht: Baal [], S. . Anz: Literatur des Expressionismus, S. .
seine körperlichen Begierden erfährt er die »Chance subjektiver Freiheit«. Zudem bleibt der lyrische Dichter auf sein soziales Umfeld bezogen, da er sich über die Feindschaft zu diesem definiert. Dass Brecht die im Stationendrama propagierte Utopie einer sozialen Gemeinschaft kraft des ›Geistes‹ negiert, kommt auch in Baals Kunstauffassung zum Ausdruck. Der Künstler fühlt sich keiner prophetischen Mission verpflichtet, zieht die Möglichkeit einer Weltveränderung durch seine Artefakte nicht einmal in Erwägung. Anstatt sich wie die zentralen Figuren im Wandlungsdrama an christlichen Idealen wie Sittlichkeit oder Humanität zu orientieren, verklärt er sich selbst zu einer gottgleichen Instanz und setzt sich nicht für das Wohl der Menschheit, sondern egozentrisch für die Befriedigung der eigenen materiellen Bedürfnisse ein. Brechts fehlender Glaube an eine Reformierung der Gesellschaft durch einen Bewusstseinswandel im Menschen bestimmt auch die Wirkungsintention seines Künstlerdramas. Die Verfasser expressionistischer Stationendramen zielen nicht darauf, die Realität mimetisch abzubilden, sondern darauf, das »›Wesentliche‹ oder ›Typische‹ hinter der individuellen Vielfalt wahrgenommener Erscheinungen von Wirklichkeit« sichtbar zu machen. Die künstlerischen Mittel der Abstraktion und der Expression favorisierend, rücken sie die leidvolle Passion einer Identifikationsfigur ins Zentrum, um den gerührten Zuschauer durch Suggestion für die eigenen Ziele zu gewinnen. Im Gegensatz dazu vertritt Brecht die Auffassung, dass der Mensch von seinen physischen Bedürfnissen und den sozialen Verhältnissen determiniert wird. Nicht das Individuum konstituiert die Realität, sondern äußere Zwänge bestimmen das Subjekt. Daher ist die Wirklichkeit auf dem Theater nicht subjektivistisch darstellbar, der Mensch muss vielmehr mit seinen kreatürlichen Begierden und sozialen Abhängigkeiten gezeigt werden. Davon ausgehend, dass Reformen nicht durch die Veränderung des Bewusstseins, sondern nur durch das soziale, wirtschaftliche und politische Engagement analytisch denkender Subjekte möglich sind, fordert Brecht die intellektuelle Auseinandersetzung des Publikums mit der auf dem Theater gezeigten Fabel. Die
Buhl: Bilder der Zukunft, S. . Mit Baals Selbststilisierung zu einer divinatorischen Instanz und der Negation einer Welterneuerung durch die Kunst ironisiert Brecht die dem Stationendrama impliziten religiösen Verweise auf die Passion Christi. Das verdeutlicht auch Frühwald, der erläutert, dass in das Stück »bibel- und frömmigkeits-parodistische[ ] Elemente« eingebaut sind. »So ist von der ›befleckten Empfängnis‹ die Rede, und die Szene, in welcher Baal seine tote Mutter auf den Knien wiegt, ist nicht zufällig eine Verkehrung der Pietà. Die satirische Perversion der expressionistischen Dichter-Erlöser-Figur, hier stärker an Bildern aus der Frömmigkeitsgeschichte als am Wort der Schrift selbst exemplifiziert, weist demnach schon in ›Baal‹ auf Brechts Absicht, ›das Selbstopfermotiv und den Chiliasmus‹ der Verkündigungsdramatik vitalistisch ›zu deflationieren‹.« (Frühwald: Eine Moritat vom Ende des Individuums, S. ). Anz: Literatur des Expressionismus, S. .
emotionale Einfühlung des Zuschauers in das dramatische Geschehen ist dagegen zu verhindern. So notiert der Autor im Februar in seinem Tagebuch: Einen großen Fehler sonstiger Kunst hoffe ich im ›Baal‹ und ›Dickicht‹ vermieden zu haben: ihre Bemühung, mitzureißen. Instinktiv lasse ich hier Abstände und sorge, daß meine Effekte (poetischer und philosophischer Art) auf die Bühne begrenzt bleiben. Die splendid isolation des Zuschauers wird nicht angetastet, […] er wird nicht beruhigt dadurch, daß er eingeladen wird, mitzuempfinden, sich im Helden zu inkarnieren und, indem er sich gleichzeitig betrachtet, in zwei Exemplaren, unausrottbar und bedeutsam aufzutreten. Es gibt eine höhere Art von Interesse: das am Gleichnis, das am Andern, Unübersehbaren, Verwunderlichen.
Eine Emotionalisierung der Zuschauer verhindert der Dramatiker durch die epische Gestaltung seines Theatertextes. Brechts Protagonist trägt Züge mythologischer, literarischer und realer Vorbilder. Name und Figurenkonzeption verweisen auf die gleichnamigen westsemitischen Gottheiten (vgl. ..); »ähnliche Charaktereigenschaften« besitzen außerdem Baals »literarische[ ] Vorbilder […]: Wedekind und die Franzosen Villon, Rimbaud und Verlaine.« Knopf erhellt, dass sich Brecht bei der Kon
Brecht: Werke. Bd. , S. . Brechts epische Gestaltung steht im Kontrast zu der ästhetischen Konzeption expressionistischer Stationendramen. Das hebt auch Sokel hervor, der konstatiert: Der »expressionistische Subjektivismus muß naturgemäß anti-episch eingestellt sein. Die Veräußerlichung des Inneren, die Sichtbarmachung des Psychischen oder Ideellen verlangt den punkthaften Augenblick, die Epiphanie, die Enthüllung, den Ausbruch, das plötzliche Eintreffen des Moments der Verkörperung oder Verkündung.« (Walter H. Sokel: Brecht und der Expressionismus. In: Reinhold Grimm / Jost Hermand (Hg.): Die sogenannten zwanziger Jahre. First Wisconsin Workshop. Bad Homburg u. a. , S. –, hier S. ). Die epische Konzeption des Dramentextes manifestiert sich in der Figuren- und Szenengestaltung. Für das expressionistische Stationendrama ist der Monolog strukturtypisch. In den Selbstgesprächen kann der zentrale Protagonist sein subjektives inneres Erleben offenbaren. Im Gegensatz dazu findet sich bei Brecht auch in den monologischen Szenen eine Tendenz zur objektivierten, epischen Rede. Dadurch, dass Brecht etwa in der Szene ›Baals Dachkammer‹ keinen unmittelbaren Gefühlsausbruch erlebt, sondern mit seiner Schnapsflasche kommuniziert, erscheint der Monolog »in der Form eines epischen Berichts. […] Das Ich steht außerhalb seiner selbst und sieht sich als handelnde Gestalt. […] Damit zersetzt die Darstellungsweise die Möglichkeit und Gefahr des romantischen Pathos, die mit dem Topos poète maudit gegeben ist.« (Ebd., S. ). Knopf: Baal, S. ; zu den literarischen Vorbildern vgl. Völker: Bertolt Brecht, S. ; Schmidt: ›Baal‹ und der junge Brecht, S. ; Schnell: ›Virtuelle Revolutionäre‹, S. ; Frühwald: Eine Moritat vom Ende des Individuums, S. f.; Vaßen: Die ›Verwerter‹ und ihr ›Material‹, S. ; Knopf und Vaßen betrachten außerdem Knut Hamsuns Protagonist Thomas Glahn aus ›Pan‹ und Wedekinds ›Lulu‹ als literarische Vorbilder für die Figur des Baal. Vaßen betont darüber hinaus die Ähnlichkeiten zwischen ›Baal‹ und Walt Whitmans lyrischem Naturhymnus ›Leaves of Grass‹. Mennemeier zieht hingegen Parallelen zwischen Baal und Hamlet; vgl. Mennemeier: Modernes deutsches Drama. Bd. , S. .
zeption der Titelfigur ferner an dem in Pfersee geborenen Vagabunden Johann Baal orientiert hat. Zudem sind biographische Parallelen zwischen Bühnenautor und Protagonist unverkennbar. Durch die zahlreichen textexternen Bezüge ist das Drama nicht ›absolut‹, sondern weist über sich hinaus. Das »Eingespanntsein des Kunstwerks zwischen Empirie und schöpferischer Subjektivität, das offene Bezogensein auf ihm Äußerliches ist aber das Formprinzip nicht der Dramatik sondern der Epik«. Durch die epische Gestaltung tritt die interne theatrale Kommunikation hinter die externe zurück. Die Bühnenvorgänge werden sekundär, stattdessen wird die Artifizialität der Titelfigur im äußeren Kommunikationssystem bewusst gemacht. Auf diese Weise wird einer gefühlsgeleiteten Rezeption des dramatischen Geschehens vorgebeugt. Die emotionale Einfühlung des Zuschauers wird außerdem dadurch verhindert, dass Baal als asozialer, »unförmige[r] Fettkloß« in »einer asozialen Gesellschaft« gezeigt wird. Im Gegensatz zu den Protagonisten expressionistischer Stationendramen ist Baal nicht als Identifikationsfigur konzipiert. Indem die Zuschauer die theatralischen Vorgänge kritisch rezipieren, sollen sie auf soziale Missstände aufmerksam gemacht werden. Allerdings unterbleiben konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Lebensbedingungen. Die Rezipienten werden aufgefordert, während und nach dem Theaterbesuch über die im Bühnenstück exemplifizierten, einander diametral gegenübergestellten Geisteshaltungen von Baal und seinem sozialen Umfeld zu reflektieren und dialektisch eine Synthese zu finden. ... Brechts Positionierung im kulturellen Feld Brechts Anliegen, sich über den Bruch mit den ästhetischen Prämissen des Expressionismus im Kunst- und Kulturbetrieb zu etablieren, lässt sich nicht nur anhand der dramaturgischen Konzeption, sondern auch anhand der Textgenese verdeutlichen.
Vgl. Knopf: Baal, S. ff.; zu den biographischen Parallelen zwischen Baal und Brecht vgl. Münsterer: Bert Brecht. Peter Szondi: Theorie des modernen Dramas (–). Frankfurt/M. , S. . Dass in Brechts Dramen die interne theatrale Kommunikation hinter die externe zurücktritt, verdeutlicht Sokel am Beispiel von ›Mann ist Mann‹. Er konstatiert: »Im expressionistischen Wandlungsdrama wird, wie dies bereits in Strindbergs Traumspiel der Fall ist, dem Wandlungsobjekt etwas gezeigt. Im Brechtschen Verwandlungsstück wird hingegen dem Zuschauer das Verwandlungsobjekt selbst gezeigt, seine Wandlung selbst ist der Gegenstand des Zeigens. Der Protagonist ist vom Subjekt zum Objekt des Stückes geworden, und eigentliches Subjekt ist nur der Zuschauer.« (Sokel: Brecht und der Expressionismus, S. ). Brecht: Baal [], S. . Brecht: Bei Durchsicht meiner ersten Stücke, S. .
In seinem ersten Studiensemester (Wintersemester /) an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität besucht der noch unbekannte Autor bei Artur Kutscher das Seminar ›Stilkunde und Theaterkritik (Grundsätze literarischer Kritik und deutsche Stilkunde. Praktische Theaterkritik mit Berücksichtigung des Spielplans)‹. Dort lernt er Kutschers ›Meisterschüler‹ Hanns Johst kennen, der den Studenten aus seinem Grabbe-Drama ›Der Einsame‹ vorliest. Ende des Jahres hält Brecht einen provokativen Vortrag über Johsts Roman ›Der Anfang‹, an den sich Hedda Kuhn erinnert: Brecht verriß in seiner Kritik diesen Roman. Er verglich Johst mit einem Läufer, der einen ungeheueren Anlauf nimmt, aber vor der Startlinie stolpert. Ein Anlauf sei der Roman, sonst nichts. Kutscher war außer sich. Es kam zu einem totalen Bruch zwischen Kutscher und Brecht. Kutscher warf Brecht im ersten Zorn einfach hinaus und nannte ihn einen Flagellanten und Proleten.
Am . Januar wird im Steinicke-Saal Johsts ›Der junge Mensch. Ein ekstatisches Szenarium‹ in der Regie von Karl August Kroth uraufgeführt, am . März wohnt Brecht der Uraufführung des ›Einsamen‹ an den Münchner Kammerspielen, inszeniert von Otto Falckenberg, bei. Daraufhin entscheidet er sich, eine ›Antithese‹ zu schreiben. Am Schluß des Sommersemesters, spätestens Ende Juli , legt Brecht sein Stück, das er im Mai oder Juni dem Seminar angekündigt hatte, Artur Kutscher zur Begutachtung vor. Der ›Theaterprofessor‹ äußert sich über diese Replik auf das Drama des geschätzten Hanns Johst ziemlich abfällig, wie Brecht im August sichtlich verstimmt in einem Brief an Münsterer berichtet.
Mit ›Baal‹ attackiert Brecht den bereits etablierten Dramatiker und nutzt Kutschers Seminar als öffentliches Forum, um sich über die Differenz zur geweihten Avantgarde einen Namen zu machen. Der Hochschullehrer gilt als Defini
Vgl. Frisch / Obermeier: Brecht in Augsburg, S. f.; auch in den folgenden Semestern ist Brecht als Student bei Kutscher eingeschrieben. Vgl. Artur Kutscher: Der Theaterprofessor. Ein Leben für die Wissenschaft vom Theater. München , S. . Schmidt ist überzeugt, dass Brecht sein Referat zu Johsts Roman ›Der Anfang‹ erst nach der Uraufführung des ›Einsamen‹ (im Sommersemester ) gehalten und bei der Gelegenheit angekündigt habe, an einem Gegenentwurf zu arbeiten (vgl. Schmidt: ›Baal‹ und der junge Brecht, S. ). Allerdings datieren Brechts Kommilitonin Hedda Kuhn und Münsterer Brechts Referat auf das Ende des ersten Semesters (vgl. Frisch / Obermeier: Brecht in Augsburg, S. ; Münsterer: Bert Brecht, S. ). Frisch / Obermeier: Brecht in Augsburg, S. . Vgl. ebd., S. f. Schmidt: ›Baal‹ und der junge Brecht, S. . Brecht schreibt Münsterer im August : »Bitte, schreiben Sie mir was über den Leichen-Kutscher! Er hat mir etwas über den ›Baal‹ geschrieben. Zum Speien! Es ist der flachste Kumpan, der mir je vorgekommen ist.« (Brief Nr. . In: Bertolt Brecht: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Bd. : Briefe . Hg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, Klaus-Detlef Müller. Frankfurt/M. , S. ).
tionsmacht, weil er sich als Literaturkritiker, Theaterwissenschaftler und Organisator von Autorenabenden und Theateraufführungen für den literarischen Nachwuchs der Zeit – insbesondere für Wedekind und Johst – einsetzt. Mit seinen scharfen Negativurteilen kann Brecht die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, den Professor aber nicht für sich gewinnen. Dass der junge Autor aber genau daran interessiert ist, offenbart sich in seiner Bitte an Kutscher, ›Baal‹ zu beurteilen, und in Brechts »zahlreichen Briefe[n] […], die sich nach Kutschers Mitteilung in seinem Besitz befanden«. Der ›Theaterprofessor‹ selbst betont, dass Brecht sich ihm gegenüber »stets offen, aufmerksam und zutunlich« verhalten und seine »Autorenabende mehrere Semester ziemlich regelmäßig« besucht habe. Nicht nur um Kutschers, sondern auch um Johsts Anerkennung bemüht sich der junge Autor, obwohl er dessen Werke in harschen Rezensionen verunglimpft und seinen Freunden gegenüber betont, dass er Johst sehr reserviert gegenübersteht. So berichtet Kutscher, dass Brecht Johst einen Tag nach seinem bissigen Vortrag über den ›Anfang‹ einen Besuch abgestattet habe, um ihm zu ›beichten‹. Auch Brechts Briefe an den expressionistischen Literaten zeugen von seinem Bemühen um berufliche Bestätigung. Im August/September schreibt er ihm:
Münsterer: Bert Brecht, S. . Kutscher: Der Theaterprofessor, S. . Brechts ablehnende Haltung gegenüber Johst dokumentieren Münsterer und Kuhn. Münsterer vermerkt, dass die »Skandalchronik […] von Handgreiflichkeiten zu berichten [wußte], die im Hause des baumstarken Johst am Starnberger See vorgefallen sein sollten und den Dichter zum Erlernen des Jiu-Jitsu veranlaßten« (Münsterer: Bert Brecht, S. f.). Kuhn berichtet von einem Gespräch zwischen Brecht und ihr, in dem der Autor seinen Wunsch, Johst allein in Starnberg zu besuchen, mit den Worten begründet haben soll: »Johst ist ein Völkischer, da wird es heiß hergehen, das ist nichts für dich.« (Frisch / Obermeier: Bert Brecht, S. ). Dass Brechts distanzierte Haltung politisch motiviert ist, wie Kuhn und Münsterer betonen, bezweifelt Konrad Feilchenfeldt: »Brecht hat den späteren hohen Kulturfunktionär des nationalsozialistischen Deutschland nicht vorausgeahnt und ihn ebenso wenig gemieden wie den späteren Goebbels-Verehrer Arnolt Bronnen, ohne dessen Tage mit Bertolt Brecht auch diese Beziehung weitgehend unbekannt geblieben wäre. In der Absage an den Expressionismus artikuliert Brecht keine Ideologie. Wie bei seinem Bekenntnis zum Marxismus liegt die Veranlassung zu seiner Expressionismuskritik in einem literarischen Bemühen um zeitgemäße Vermittlung, zeitgemäße sprachliche Kommunikation. […] Erst nachdem […] Johst auf Grund der von ihm erkannten ›Bindung des schöpferischen Subjekts an Volk und Nation […] die Kunst ›völkisch‹ zu nennen‹ begann, trennten sich seine und Brechts Wege.« (Konrad Feilchenfeldt: Bertolt Brecht. Trommeln in der Nacht. Materialien, Abbildungen, Kommentar. München, Wien , S. f.). Feilchenfeldt ist zuzustimmen. Erst findet Johsts Gesinnungswechsel zu einem bewussten Deutschtum statt; vgl. dazu Helmut Pfanner: Vom Expressionismus zum Nationalsozialismus. Den Haag, Paris . Vgl. Kutscher: Der Theaterprofessor, S. .
[I]ch möchte noch einmal danken für den Tag bei Ihnen und Ihrer lieben Frau. Ich habe Sie sehr liebgewonnen und einen starken Klang heimgenommen. […] Hoffentlich kommen Sie bald nach Augsburg! Darauf freue ich mich richtig.
Mitte Januar befürchtet Brecht, dass Johst ›Baal‹ »nicht gut gefunden« habe, und bietet ihm an, sein Bühnenstück umzuarbeiten: [V]ielleicht hat es Sie nachträglich doch verstimmt, daß ich stellenweise den gleichen Vorwurf benutzt habe wie Sie im ›Einsamen‹, wiewohl darauf bei mir kein Nachdruck liegt und ich die Nabelschnur noch vollends abbeißen kann, indem ich die Szenen herauswerfe, wenn Sie es wünschen […].
Im gleichen Monat informiert er Johst darüber, ›Baal‹ »überarbeitet und z.B. alle Szenen mit der Mutter herausgeschmissen« zu haben. Zudem bekundet er den Wunsch, mit Johst über ästhetische Fragen zu diskutieren. Er teilt ihm mit: »Ungeheuer gern würde ich mit Ihnen über Dramaturgisches reden und ich werde auch, sobald ich kann, nach Oberallmannshausen herauskommen.« Aus Brechts Briefen und Kutschers Aussagen geht hervor, dass der noch ungewürdigte Dramatiker bestrebt ist, die professionellen Meinungsbildner von sich zu überzeugen, um sich im kulturellen Feld durchzusetzen. Das bestätigt Münsterer, der über die literarischen Anfänge seines Freundes schreibt: »Brecht brauchte dringend Erfolg, und es ist daher durchaus begreiflich, daß er in erster Linie die Beziehungen zu Journalisten und Literaten pflegte, mit denen er in diesen Tagen fast ausschließlich verkehrte.« Obwohl sich Brecht um die Anerkennung der künstlerischen Konsekrationsinstanzen bemüht, geriert er sich als anarchischer, autonomer Künstler, der wie sein schöpferischer Protagonist keine Rücksichtnahme kennt, auf berufliche Bestätigung verzichtet und seine Balladen und Moritaten lediglich zur abendlichen Unterhaltung in Kneipen vorträgt. Auf die Parallelen zwischen eigener Person und zentraler Figur macht er dadurch aufmerksam, dass
Brief Nr. . In: Brecht: Werke. Bd. , S. . Brief Nr. . In: Ebd., S. . Brief Nr. . In: Ebd., S. –, hier S. . Ebd., f. Münsterer: Bert Brecht, S. . Dass Brecht sich als Literat durchsetzen will, zeigt sich auch in seinen Briefen an Paula Banholzer und Caspar Neher. Seinem Freund schreibt er Mitte Juni : »Was tut Baal? / Szenen. / ist fertig und getippt – ein stattlicher Schmöker! Ich hoffe damit einiges zu erreichen.« (Brief . In: Brecht: Werke. Bd. , S. ). Paula Banholzer lässt er am . . wissen: »Abends gehen Cas und ich vorbei an den Tanzsälen und reden von Kunst, auch der Kunst, Geld zu verdienen« (Brief . In: Ebd., S. –, hier S. f.). Am . . schreibt er ihr: »Ich glaube, daß es jetzt in der Literatur mit mir aufwärts geht. Hoffentlich verdien ich M!« (Brief . In: Ebd., S. ). Dass Baal als Wunschbild des Autors zu werten ist, hebt auch Dümling hervor; vgl. Dümling: Brecht und die Musik, S. . Zu den biographischen Parallelen zwischen Baal und Brecht vgl. Münsterer: Bert Brecht; Knopf: Baal, S. f.
er sich in der Öffentlichkeit als verfemter Künstler mit »Baalischem Weltgefühl« präsentiert. Zudem lässt er die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen, indem er Baal mit biographischen Zügen ausstattet und ihn seine in Augsburg entstandenen Gedichte deklamieren lässt. Brechts Versuch, sich von etablierten ästhetischen Positionen abzugrenzen, manifestiert sich nicht nur in seinen polemischen Urteilen über Johsts Werke, sondern auch in seiner prinzipiellen Kritik an den expressionistischen Wandlungsdramen. Davon zeugen die Figurenkonzeption und die dramaturgische Struktur des ›Baal‹ (vgl. ...) sowie Brechts Notizen und Briefe. Seinem Freund Caspar Neher schreibt er Anfang/Mitte Juni während seiner Arbeit am Künstlerdrama: Mit Widerwillen erfüllt mich nur die zeitgenössische junge Kunst. Dieser Expressionismus ist furchtbar. Alles Gefühl für den schönen runden, oder prächtig ungeschlachten Leib welkt dahin wie die Hoffnung auf Frieden. Der Geist siegt auf der ganzen Linie über das Vitale. Das Mystische, Geistreiche, Schwindsüchtige, Geschwollene, Ekstatische bläht sich und alles stinkt nach Knoblauch. Man wird mich ausstoßen aus dem Himmel dieser Edlen und Idealen und Geistigen, aus diesen Strindhügeln und Wedebabies und ich werde Bücher schreiben müssen über Deine Kunst.
Zwei Jahre später resümiert er über die literarische Strömung des Expressionismus in seinem Notizbuch: Expressionismus bedeutet: Vergröberung. / Dort, wo es sich nicht um eine Allegorie handelt […], handelt es sich um Heraus- oder Übertreibung des Geistes, des Ideellen, und da es hier (zufällig) in der Literatur ging wie in der Politik, wo es ein neues Parlament, aber keine neuen Parlamentarier gab, gab es hier die Freude an der Idee, aber keine Ideen, und daher wurde es eine Bewegung statt eine Erscheinung, und man hielt sich ans Äußere; d. h., statt Leiber mit Geist zu füllen, kaufte man (möglichst bunte) Hüte für Geister auf, und statt in den Leibern die (wie man argwöhnte: verkannte) Seele aufzuzeigen, machte man die Seelen zu Leibern, vergröberte sie, materialisierte sogar noch den Geist.
Münsterer: Bert Brecht, S. . Münsterer erwähnt, dass ›Die Legende der Dirne Evelyn Roe‹ und ›Orges Lied‹ bereits entstanden und später in ›Baal‹ eingefügt worden sind (vgl. ebd., S. ). Zudem hebt er die großen Parallelen zwischen ›Baal‹ und Brechts Augsburger Zeit hervor, wenn er schreibt: »Natürlich handelt es sich nirgends um die Wiedergabe tatsächlicher Geschehnisse nach Art eines Schlüsselromans, wohl aber schimmert überall das Kolorit des alten Augsburg durch. Da ist die Dachkammer Brechts in der Bleichstraße mit dem manuskriptüberladenen Tisch, das Haselgestrüpp des Lechrains, da sind die an die Hauswände geschlagenen Birkenbäumchen zu Fronleichnam und die schmierigen Tavernen am Graben und in Heddenbach. Auch einige Personen tragen Einzelzüge ihres damaligen Lebens, und bei manchen Gesprächen im Baal klafft zwischen historischer Realität und dichterischer Überspitzung keine allzu breite Kluft.« (Ebd., S. ). Brief . In: Brecht: Werke. Bd. , S. –, hier S. . Bertolt Brecht: Über den Expressionismus. In: Bertolt Brecht: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Bd. : Schriften . –. Hg. von
Trotz seiner Kritik an der geweihten Avantgarde seiner Zeit bleibt ›Baal‹ ein Künstlerdrama des Expressionismus (vgl. ..). Bei der Konzeption seines Stücks lässt er sich von Andreas Thoms Erfolgsroman ›Ambros Maria Baal‹ anregen, der im Frühjahr im Berliner Verlag Die Wende erscheint. Bemerkenswert ist hierbei, dass die kritischste der überlieferten Besprechungen des Werks Thoms […] ausgerechnet von Johst [stammt]. Überdies ist festzuhalten, dass in den Seminaren Kutschers mit größter Wahrscheinlichkeit auch über den Aufsehen erregenden Roman diskutiert wurde und dass Johst in der Gestaltung von Thoms negativem Protagonisten eine Attacke auf seine ideell überhöhte Grabbe-Figur sah.
Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei, Klaus-Detlef Müller. Frankfurt/M. , S. –, hier S. f. Feilchenfeldt bezweifelt, dass sich Brecht mit ›Baal‹ gegen das expressionistische Stationendrama wendet. Er meint, dass in der Brechtforschung einige Kommentare des Autors immer wieder verwendet würden, um sein negatives Urteil über den Expressionismus zu bekräftigen. Diese Zitate bezögen sich aber auf konkrete Werke und nicht auf die ganze Strömung. So richte sich Brecht auch mit ›Baal‹ nicht gegen den Expressionismus, sondern gegen den »expressionistischen Dichter […], der sich selbst und sein poetisches Dasein anstelle des aktiven Helden gestaltet« (Feilchenfeldt: Bertolt Brecht. Trommeln in der Nacht, S. ). Feilchenfeldts Ausführungen scheinen fragwürdig angesichts der Tatsache, dass Brecht in seinen Notizen und Briefen die expressionistische Strömung und nicht spezifische Werke kritisiert. Zudem hat die dramaturgische Analyse des Theatertextes gezeigt, dass sich Brecht nicht von einem bestimmten Dichtertypus distanziert, sondern die ästhetische Konzeption expressionistischer Stationendramen in Frage stellt. Vgl. Knopf: Baal, S. ; Knopf stützt sich in seinen Ausführungen auf Achim Barth: Noch ein Baal. Ein vergessenes Pendant zu Brechts Stück. In: Theater heute, (), H. , S. . Dafür, dass Brecht seinen Theatertext in enger Anlehnung an Thoms Roman konzipiert hat, sprechen die Parallelen zwischen den beiden Werken, die hier skizziert werden sollen: Wie Brecht fragt Thom nach den Möglichkeiten des Subjekts, sich in der zivilisierten und technisierten Gesellschaft der Zeit individuell entfalten zu können. Sein Protagonist Ambros Maria Baal lebt von dem Geld seines Vaters und ist nicht darauf angewiesen, seine Existenz durch physische Arbeit zu sichern. Er kann sich seinen weltlichen Begierden hemmungslos hingeben. Ohne ein verbindliches Wertesystem ist A.M. Baal davon überzeugt, dass das Leben »nur einen einzigen Inhalt [hat], und der ist animalisch: sich selbst zu erhalten. Wie der Einzelne das löst, ist für den Zweck belanglos.« (Andreas Thom: Ambros Maria Baal. Ein Roman der Lüge. Berlin , S. ). Im Roman fordert A.M. Baal sein Glück rücksichtslos ein. Dabei nimmt er Leid und Tod seines philiströsen sozialen Umfelds in Kauf. So treibt A.M. Baal einen Angestellten in den Selbstmord, bringt einen Freund ins Gefängnis oder ›verschenkt‹ seine Frau an zwei ›rüde Kerle‹. Wie Brechts Baal wird Thoms ›asozialer‹ Protagonist als »widerstandsloser Charakter« ohne »Herz« und »Tränen« gezeigt, der seine Autonomie nur bewahren kann, indem er keine sozialen Bindungen eingeht. Ihm gelingt es nicht, ein Leben »ohne Zweifel, ohne Klage, so voll Glauben an sich selbst« zu führen und stürzt sich in Wahnvorstellungen vom Dachboden (ebd., S. , , ). Knopf: Baal, S. .
Brechts Absicht, ›Baal‹ als Antithese zu Johsts ›Der Einsame‹ und zugleich in enger Anlehnung an einen expressionistischen Roman zu konzipieren, der »innerhalb kürzester Zeit eine Auflage von Exemplaren erreicht«, illustriert einmal mehr seinen strategischen Versuch, sich als Dramatiker einen Namen zu machen. Trotz seiner Selbststilisierung zu einem artiste maudit ist Brecht an symbolischer Anerkennung und an finanziellen Einnahmen interessiert. Sicher nicht zufällig entscheidet er sich , sein Drama Thoms Wende Verlag zur Publikation anzubieten.
Ebd., S. . Im Dezember schreibt Brecht in seinem Tagebuch: »Ich schreibe an den Wendeverlag, er kann ›Baal‹ haben«. In: Brecht: Werke. Bd. , S. .
. Zentrale Motive im Künstlerdrama um verfemte Künstler (Brecht, Zech)
Neben ›Baal‹ zählt Paul Zechs ›Das trunkene Schiff‹ () zu den Dramen, in deren Zentrum ein verfemter Künstler steht. Zechs expressionistischem Stationendrama liegt stofflich das Schicksal des Menschen Jean-Arthur Rimbaud […] zugrunde. Er war mit siebzehn Jahren der berühmteste (und genialste!) Dichter Frankreichs. Warf den Krempel Literatur fort und vollzog achtzehn Jahre lang das ungeheure Leben eines Menschen, dem die Welt wahrhaftig zu klein ist.
Bis auf ›Baal‹ und diesen Theatertext ist mir kein weiteres Künstlerdrama dieses Typs bekannt. Das Fehlen von Bühnenstücken um verfemte Künstler lässt sich aus dramaturgischer Perspektive darauf zurückführen, dass der freiwillige Verzicht eines schöpferischen Protagonisten auf eine Position im kulturellen Feld kaum dramatisches Konfliktpotential bietet. Zudem können Dramen, in denen sich Figuren gegen eine Künstlerexistenz entscheiden, nur selten als Künstlerdramen kategorisiert werden. Per definitionem reflektiert dieses über kunstund künstlerspezifische Fragen, die für verfemte Produzenten nicht (mehr) von Belang sind. Trotz des Mangels an einschlägigen Bühnenstücken können die Geniekonzeption, der Antagonismus von Künstlerexistenz und bürgerlicher Lebensführung sowie die Kritik an den spezifischen Strukturen des Kunst- und Kulturbetriebs als zentrale Motive dieses ›Dramentyps‹ angeführt werden.
.. Geniekonzeption ohne die Sakralisierung von Kunst Wie Brecht rekurriert Zech bei der Konzeption seiner zentralen Figur Rimbaud auf den Geniegedanken. Von Verlaine und seinen Freunden, die als Weihungsinstanzen fungieren, wird der sechzehnjährige Dichter als »Genie« gefeiert, gegen das »alle Großen der Weltliteratur […] plötzlich kalt und blaß« werden.
Paul Zech: Das trunkene Schiff. Eine szenische Ballade. In: Paul Zech: Ausgewählte Werke. Bd. : Dramen: Schauspiele, dramatische Skizze, Drehbuchentwurf. In Zusammenarbeit mit Dieter Breuer hg. und bearb. von Bert Kasties. Aachen , S. –, hier S. . Ebd., S. , .
Zeitschriften drucken seine Gedichte auf der Titelseite und Verlage bieten für seine Werke bis zu »dreihundert Franken Gold«. Rimbauds Talent gründet sich auf seine besondere Fähigkeit, neben den äußeren Erscheinungen die hinter den Phänomenen liegende ›Idee‹ der Welt wahrnehmen zu können. Wie die verkannten Künstlerfiguren (vgl. Kap. ..) erfährt der lyrische Dichter diese Gabe nicht nur als Auszeichnung, sondern auch als Belastung, wenn er klagt: [N]irgend sind Ohren, die mich anhören mögen. Ich muß die Stimme zurück nach innen stoßen. Mein Blut merkt tiefer auf als ihr alle. Manchmal glaube ich, ich sitze als Aussätziger auf einem Scherbenhaufen, zwischen Brennesseln vor einer morschen Stadtmauer.
Durch seine visionäre Begabung besitzt Rimbaud einen geschärften Blick für soziale Missstände, die es zu beseitigen gilt, mit dem Ziel, eine neue Weltordnung zu begründen. Der junge Dichter macht »Vernunft, Kultur und Wissenschaft« dafür verantwortlich, dass sich das Subjekt des expressionistischen Jahrzehnts nicht individuell entfalten kann. Mit ungeheurer Intensität erfährt Rimbaud die ›Mechanisierung des Lebens‹, der der einzelne in den starren Konventionen und immer gleichen Ritualen des bürgerlichen Alltags ausgesetzt ist, und gegen diese Tretmühlenexistenz und einen als suspekt empfundenen wissenschaftlich-technischen Fortschritt bäumt sich der ›universale Geist‹ des Empörers und vagabundierenden Kosmopoliten auf.
Die zivilisatorischen Zwänge nicht akzeptierend, besitzt der Lyriker einen vehementen Freiheitsdrang. So flieht er zunächst aus der provinziellen und familiären Enge nach Paris in der Hoffnung, dort in dem renommierten Dichter Verlaine einen Verbündeten zu finden, mit dem er seine Utopie realisieren kann. Nach der Erkenntnis, auch in der Großstadt sozialen Repressionen ausgesetzt zu sein, zieht er sich mit seinem Freund auf die Landstraßen zurück, bevor er der Literatur und Europa den Rücken [wendet] und […] Kolonisator selbstentdeckter Afrikaländer [wird]. Wird Freund und erster Aufrüttler der Schwarzen, lebt ein arbeitsvolles, abenteuerliches Leben, dem ein frühes qualvolles Ende im Spital von Marseille ein Ziel setzt.
Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Hermann Haarmann / Klaus Siebenhaar: ›Ich bin der Stern, den die Magier in furchtbaren Wachträumen erst ahnen!‹ Anmerkungen zu Arthur Rimbaud und Paul Zech. In: Paul Zech: Rimbaud. Ein biographischer Essay und die szenische Ballade ›Das trunkene Schiff‹. Hg. von Hermann Haarmann, Klaus Siebenhaar und Horst Wandrey. Frankfurt/M. , S. –, hier S. . Erwin Piscator: Zu meiner Inszenierung von Zech ›Das trunkene Schiff‹ in der Berliner Volksbühne. In: Ebd., S. –, hier S. .
Wie Baal strebt Rimbaud danach, die eigenen Lebensziele im Diesseits kompromisslos zu realisieren. Während sich Brechts Protagonist bedingungslos seinen kreatürlichen Begierden unterwirft, folgt Rimbaud seinem Freiheitsdrang mit dem utopischen Ziel, den Massen »die herrliche Anarchie« zu bringen. Beide Dichter definieren Kunst als Lebenskunst. Diese Kunstauffassung unterscheidet sie von den verkannten schöpferischen Produzenten im Künstlerdrama des . Jahrhunderts. Während die ungewürdigten Genies ihre messianischen Kunstwerke – ihr opus operatum – über ihre weltlichen Bedürfnisse stellen, in der Hoffnung, für ihren diesseitigen Verzicht durch unsterblichen Nachruhm entschädigt zu werden, zeichnen sich die verfemten Künstler durch ihre eigenwillige Lebensführung – ihren modus operandi – aus. Die Sakralisierung und Kanonisierung ihrer Werke lehnen sie ab. So verzichtet Baal auf eine Position im kulturellen Feld, um jenseits sozialer Zwänge in der Natur zu leben, während Rimbaud die ästhetische Produktion ganz einstellt, um seine Utopie eines Menschheitsparadieses fern von Europa zu verwirklichen.
.. Antagonismus von bürgerlichem Leben und Künstlerexistenz Baal und Rimbaud ist ein radikaler Individualismus eigen. Durch ihre privilegierte Weltwahrnehmung zeichnen sie sich vor der breiten Masse aus, deren subalterne Denk- und Lebensformen sie vehement ablehnen. Beide Künstler beharren auf ihrer Autonomie gegenüber sozialen Disziplinierungszwängen und setzen sich über alle sittlichen Normen hinweg, um die eigenen Ziele durchzusetzen. So proklamiert Rimbaud: Ich bin überall und immer mein eigener Herr! Ich habe mich nicht einmal vor Gott, geschweige vor Menschen zu verantworten. Ich kann jeden meiner Wünsche erfüllen, ohne den faden Nachgeschmack von Reue … Ich fahr mit jedem zur Hölle, der mich behindert […].
Die mit dem Individualismus einhergehende Immoralität des Dichters bestimmt, so Jochen Schmidt, das Künstlerbild seit dem . Jahrhundert und korreliert mit der Genese des Geniegedankens: Die Idee des genialen Ausnahme- und Übermenschen sprengte nicht nur die ästhetischen, sondern auch die ethischen Normen. Darin liegt die wohl radikalste Konsequenz des Autonomie-Gedankens. Wenn sich das Genie von allen fixierten Maßstäben und von allen etablierten Vorbildern emanzipiert, um nur sich selbst
Zech: Das trunkene Schiff, S. . Ebd., S. .
zu verwirklichen, so kann es sich auch über alle moralischen Gebote hinwegsetzen. Das ursprünglich dem Drang nach humaner Befreiung aus verkrusteten Ordnungs-, Regel- und Wertungssystemen entsprungene Genie-Denken droht hier ins Inhumane umzuschlagen.
Durch sein nonkonformes Verhalten gerät das schöpferische Genie in Konflikt mit seinem philiströsen Umfeld und wird zum sozialen Außenseiter. Die Unvereinbarkeit von künstlerischer Berufung und bürgerlicher Lebensführung ist ein klassischer dramatischer Konflikt im Künstlerdrama um das verkannte Genie seit der Frühromantik (vgl. Kap. ..). Dieser Topos wird von Brecht und Zech aufgegriffen, in ihren Theatertexten aber modifiziert. So wird der Antagonismus der beiden Sphären Kunst und Leben in ›Baal‹ nicht von dem schöpferischen Protagonisten, sondern von den Wirtshausgästen aufrechterhalten, während sich Rimbaud gegen ein Leben im »verbürgerlichte[n] Europa und gegen den falschen Propheten ›Kunst‹« entscheidet.
.. Kritik am Kunst- und Kulturbetrieb Rimbauds Entschluss auf eine Position im literarischen Feld zu verzichten, resultiert aus seiner Ablehnung des Literaturbetriebs. Von Freiheitsdrang getrieben flieht der Künstler aus der Provinz, »heraus aus der Stickluft und fort von den fleischernen Puppen … die meine Mutter und meine Geschwister sind«. Sein Ziel ist ein Leben in der Großstadt mit dem von ihm geschätzten Verlaine, denn »unter tausend ist immer einer, der hält nicht das Maul, wenn die Alten befehlen. Zu diesem einen von tausend will ich mich schlagen, und sein Freund sein. Und mit ihm die andern beherrschen.« Seine Hoffnung, in Paris ein autonomes Leben führen zu können und in Verlaine einen Gleichgesinnten zur Verwirklichung seines utopischen Gesellschaftsentwurfs zu finden, wird herb
Schmidt: Die Geschichte des Genie-Gedankens. Bd. , S. . Schmidt erhellt, dass die italienische Renaissance eine »Fundgrube für extremen Individualismus ›jenseits von Gut und Böse‹« ist. Seitdem ist die Immoralität des Künstlers weit »über die Goethezeit hinaus […] eine charakteristische Begleiterscheinung des Genie-Denkens und des hybriden Individualismus« geblieben. »Im . Jahrhundert nahm er die Form der Reaktion auf fade Bürger-Alltäglichkeit und demokratisches Durchschnittsdenken an. Nicht selten auch präsentierte er sich als Ausgeburt verwöhnter Langeweile oder intellektueller Entwurzelung. […] Diese Linie führt bis zum philosophisch vertieften Immoralismus Nietzsches.« (Ebd., S. , ). Paul Zech: Prinzipielle Bemerkungen zu der szenischen Ballade ›Das trunkene Schiff‹. In: Paul Zech: Ausgewählte Werke. Bd. : Vermischte Schriften: Rezensionen, journalistische Arbeiten, autobiographische Zeugnisse, Vorträge. In Zusammenarbeit mit Dieter Breuer hg. von Bert Kasties. Aachen , S. –, hier S. . Zech: Das trunkene Schiff, S. . Ebd., S. .
enttäuscht. Der Dichter und städtische Beamte führt mit seiner Frau ein angepasstes Leben, so dass Rimbaud konstatiert: »Die Zimmerdecken hängen auch in deinem Hause tief genug herab. Und im Salon die Plüschmöbel tragen die gleichen tiefen Leinwandröcke wie bei uns. Das schmeckt dörflich und nach der Mutter«. Verlaines Konformismus manifestiert sich nicht nur in dem Versuch, seine künstlerische Berufung mit einem Brotberuf und einem ehelichen Leben in Einklang zu bringen, sondern auch in seinem Bestreben, sich als Dichter zu behaupten. Der Literat sucht den engen Kontakt zu der geweihten Avantgarde, etwa zu Victor Hugo oder Théodore de Banville, um für sich und die eigenen Werke zu werben und um berufliche Kontakte zu knüpfen und zu pflegen. Diese von sozialen Verpflichtungen dominierte Lebensführung ist für Rimbaud inakzeptabel. Zum einen fühlt er sich in seinen individuellen Entfaltungsmöglichkeiten beträchtlich eingeschränkt und hält Verlaine vor: »Ich mag nicht, daß du mich immer so herumzeigst wie einen sprechenden Hund oder wie ein Kalb mit drei Köpfen.« Zum anderen wertet er die Unterwerfung des Künstlers unter die »Spielregel[n]« des Literaturbetriebs zum Erwerb symbolischer und ökonomischer Gewinne als Akt der Korruption. Er wirft Verlaine und seinen Freunden vor, »der verführerischen Kraft der mondänen Kompromisse und weltlichen Ehren« erlegen zu sein und statt ›reiner‹ Kunst gefällige Artefakte zu produzieren. Rimbaud wehrt sich dagegen, zukünftig »Romane für die gebildete Tochter« oder »Romanzen für geile Hausfrauen zwischen dreißig und vierzig« zu schreiben, und proklamiert: »Nichts schreiben ist sittlich.« Von dem »Fastnachtszauber« genug, verzichtet er auf die Teilhabe im literarischen Feld. Im Gegensatz zu Baal, der sich nach seinem Rückzug in die Natur erst künstlerisch entfaltet, stellt Zechs Protagonist seine ästhetische Produktion ein. Diese Entscheidung resultiert aus der in Paris gewonnenen Einsicht, mit seinen Artefakten keine sozialen, politischen und wirtschaftlichen Veränderungen herbeiführen zu können, weil sie nicht erkenntnisstiftend, sondern kathartisch wirken. So entreißt der Künstler seinem Freund Verlaine eins seiner Gedichte mit den Worten: »Meine Gedichte sind kein Lebenspulver für Greise, die sich aufgeilen wollen« und setzt klare Prioritäten, wenn er ihm erläutert: »Die Reinheit dieses Waldes ist mir wichtiger«. Während die verkannten Genies ihren Werken eine revolutionäre Kraft zuschreiben, negieren die verfemten Künstlerfiguren die Möglichkeit, mit Hilfe
Ebd., S. . Ebd., S. . Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. . Ebd., S. . Zech: Das trunkene Schiff, S. . Ebd., S. . Ebd., S. , .
ihrer Kunst politisch zu wirken. Anstatt sich einer littérature engagée zu verschreiben, kreiert Baal l’art pour l’art und Rimbaud verzichtet »auf den ganzen Bockmist von Literatur«.
.. Position und Positionierung der Theaterautoren im kulturellen Feld Wie die Autoren der bisher analysierten Künstlerdramen sind Brecht und Zech zum Zeitpunkt der Entstehung ihrer Theatertexte Anwärter im kulturellen Feld. Mit ›Baal‹ legt Brecht sein erstes Drama vor, das fünf Jahre später (in der dritten Fassung) am . Dezember am Alten Theater in Leipzig uraufgeführt wird. Brechts [›Baal‹, Anm. N.B.] hatte wenig Glück: Skandal, Pfiffe, Gelächter, Trampeln, halbstündige Ulkrufe – so daß am folgenden Morgen der Obmann des gelesensten Blattes schrieb: ›Ich habe die Leipziger nie so völlig außer sich gesehen.‹
Der Leipziger Theaterskandal gründet sich auf die im Stück vorgeführten »Kraßheiten« wie Baals und Ekarts »unersättlichen Begattungstrieb, ihre Schnapsorgien, ihre zynischen Roheiten gegen jedermann« oder ihre »Unflätigkeiten des Ausdrucks«. Egbert Delpy und Alfred Kerr werten die Provokationen als bloße »Kraftmeierei« des Autors, der »äußerlich Unerhörtes häuft und häuft, weil es ihm innerlich an wirklicher gestaltender Urkraft mangelt«, und halten den Protest der Zuschauer für eine berechtigte Reaktion auf den missglückten Theaterabend. Im Unterschied dazu ergreifen Hans Natonek und Hans Georg Richter die Partei des Autors. Auch wenn sie ›Baal‹ für ein schwaches Theaterstück halten, werfen sie dem Publikum vor, das dem Bühnenstück implizite ›Weltgefühl‹ nicht erfasst, sondern sich an den Unanständigkeiten aufgerieben zu haben. So konstatiert Richter: »[W]enn die Zuschauer nicht verstehen, was los ist, dann machen sie dumme Witze« und Natonek hält den Theaterbesuchern vor: Die »Anteilnahme [sollte sich] nicht so aus
Ebd., S. . Alfred Kerr: Toller und Brecht in Leipzig. In: Berliner Tageblatt vom . . . Zitiert nach: Bertolt Brecht: Baal. Der böse Baal der asoziale. Texte, Varianten, Materialien. Kritisch ediert und kommentiert von Dieter Schmidt. Frankfurt/M. , S. –, hier S. . Egbert Delpy: Bertolt Brecht ›Baal‹. Uraufführung im Alten Theater. In: Leipziger Neueste Nachrichten vom . . . Zitiert nach: ebd., S. –, hier S. . Ebd., S. . Hans Georg Richter: Der Choral vom großen Baal. Altes Theater. In: Leipziger Tageblatt vom . . . Zitiert nach: ebd., S. –, hier S. .
schließlich an das rein Gegenständliche heften; das Gegenständliche ist leicht anstößig, auch wenn das, worauf es ankommt, nicht anstößig ist.« Wie ›Baal‹ wird auch ›Das trunkene Schiff‹ erst fünf Jahre nach seiner Entstehung auf die Bühne gebracht. Zechs Künstlerdrama entsteht / und wird im Schauspiel-Verlag Leipzig publiziert, bevor es am . Mai von Erwin Piscator an der Berliner Volksbühne uraufgeführt wird. ist Zech als lyrischer Dichter bereits populär und anerkannt. Der Kleist-Preisträger ist in Klaus Pinthus’ erscheinender Lyrikanthologie ›Menschheitsdämmerung. Symphonie jüngster Dichtung‹, die »bis […] vier Neuauflagen mit insgesamt Exemplaren« erlebt, mit zwölf Gedichten vertreten. Trotz seines Renommees als Lyriker versucht Zech seit erfolglos, sich als Bühnenautor einen Namen zu machen. Von seinen vielen Dramen wird nur ›Verbrüderung‹ aufgeführt und von der Presse negativ rezensiert. Auch Piscators Inszenierung vom ›trunkenen Schiff‹ wird von der Theaterkritik abgelehnt. Besonders von konservativer Seite [erhob sich] reger Einspruch, was die ideologisch-politische Stoßrichtung der Aufführung betraf. ›Die Intendanten und Direktoren unserer Berliner Bühnen scheinen nur noch künstlerisches Verständnis für ›revolutionäre‹ Dramatik zu haben‹, präludiert Richard Elsner in seinem Bericht ›Von den deutschen Bühnen‹ und fährt mit Blick auf Zech fort: ›Jungenhafte Verneinung aller menschlichen Bindungen und Hemmungen werden als höchste Erkenntnis für die Zukunft der menschlichen Entwicklung heraustrompetet. Nirgends ein Anklingen wirklich menschlicher Regung – tierischer Trieb, erniedrigt durch kalte Vernunft, herrscht überall.‹ Besonderes Mißbehagen erweckte in den Augen des Rezensenten ganz offensichtlich die homoerotische Beziehung zwischen Rimbaud und Verlaine. Die Selbstverständlichkeit und doch auch Brutalität, mit der hier diese Bohemiens über die bürgerlichen Konventionen sich hinwegsetzten, wobei deren Rigorismus zudem von Zech zum Symbol unabdingbarer Wahrhaftigkeit, zum politischen Manifest absoluter Freiheit stilisiert wird, schien ihn in seiner Würde zu verletzen […].
Im Gegensatz zu den erfolgreichen Künstlerdramen um das verkannte Genie, Jahnns ›Thomas Chatterton‹, Johsts ›Der Einsame‹ und Hauptmanns ›Michael Kramer‹, stoßen Brecht und Zech mit ihren Theatertexten auf Unverständnis bei Publikum und Presse. Das ist denkwürdig, geht doch aus den Rezensionen zu ›Baal‹ und dem ›trunkenen Schiff‹ hervor, dass sich die Zuschauer insbesondere von dem Individualismus und der Immoralität der beiden Protagonisten provoziert fühlen, beides Eigenschaften, die auch den verkannten Dichterfigu
Hans Natonek: Menschenuntergang mit Lyrik und Skandal. Bertolt Brechts ›Baal‹ – Uraufführung im Alten Theater. In: Neue Leipziger Zeitung vom . . . Zitiert nach ebd., S. –, hier S. . Jörg Drews: Kurt Pinthus. In: Walter Jens (Hg.): Kindlers Neues Literaturlexikon. Bd. . München , S. –, hier S. . Haarmann / Siebenhaar: Anmerkungen zu Arthur Rimbaud und Paul Zech, S. .
ren eigen sind. Im Hinblick auf die dramaturgische Konzeption der jeweiligen Bühnenstücke bestehen aber kapitale Unterschiede. Während die verkannten Genies als Sympathieträger fungieren, bleibt dem Zuschauer die Identifikation mit den verfemten Protagonisten verwehrt. Als sozial engagierte Bühnenautoren fragen Brecht und Zech nach dem gesellschaftlichen Stellenwert von Kunst und konstatieren, dass kathartisch wirkende Artefakte keine sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Veränderungen bewirken können. Erst die reflektierte Auseinandersetzung des Zuschauers mit der vorgeführten Fabel könne über das Theatererlebnis hinaus wirken. Brecht verhindert eine Einfühlung des Zuschauers in das dramatische Geschehen durch die epische Gestaltung seines Künstlerdramas (vgl. Kap. ...) und die Darstellung eines ›asozialen‹ Protagonisten. Während die ungewürdigten Künstlerfiguren hohes Identifikationspotential besitzen, weil sie unter der Ignoranz der breiten Masse zu leiden haben, kämpft Baal offensiv gegen sein soziales Umfeld und nimmt dabei buchstäblich in Kauf, dass »Leichen seinen Weg säumen.« Auch Zech spricht sich gegen die affektive Rezeption von Kunst aus. Er konzipiert Rimbaud als amoralischen, nietzscheanischen Übermenschen, der gegen jede sittliche Norm verstößt, um seine Ziele kompromisslos durchzusetzen. Dass Zechs provokative Figurengestaltung der kritischen Auseinandersetzung des Publikums mit den theatralischen Vorgängen dienen soll, heben Hermann Haarmann und Siebenhaar hervor: Das Motto, unter dem der Theater-Rimbaud vor das Publikum tritt, lautet: ›Ich bin wild gewachsen und wild geworden.‹ Die dichterische Gestaltung dieser Wildheit, die die theatralische Umsetzung seelischer Erregungen erst ermöglicht, kann gar nicht provokant, vulgär oder barbarisch genug sein, um die Grenzen üblicher Rezeption im Theater auszuloten. Der Schock ist, so betrachtet, dem Text bewußt eingeschriebenes Stilelement und Kalkül; zugleich soll er aber mehr sein: der Versuch eines öffentlichen Diskurses zwischen Bühne und Publikum über Enge und Engstirnigkeit tradierter gesellschaftlicher Normen, die das Künstlergenie vom Rang eines Rimbaud entweder bezwingen oder aber zum rücksichtslosen Kampf herausfordern.
Wie ihre Protagonisten sind Brecht und Zech Anwärter im Unterfeld der eingeschränkten Produktion. Im Gegensatz zu ihren den Literaturbetrieb ablehnenden Figuren zielen sie aber darauf, sich als Dramatiker zu etablieren. Sie wenden sich gegen eine »systemkonforme ›schulmäßige Ästhetik‹, welche ihre Wertmaßstäbe und Formgesetze aus einem historisch erstarrten, epigonalen Klassizismus bezieht« und konzipieren ihre Protagonisten entgegen der Seh
Hillesheim: Geschichtspessimismus und fatalistische Vitalität, S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
gewohnheiten als asoziale und amoralische Figuren. Die gewünschte intellektuelle Rezeption der Stücke bleibt jedoch aus. Von ›Baal‹ etwa fühlen sich die Zuschauer und die Rezensenten auch acht Jahre nach der Entstehung des Stücks noch so provoziert, dass sie mit »Pfiffe[n] und Zwischenrufe[n]« reagieren.
Herbert Ihering: Brecht-Aufführung. Zur Matinee von Brechts ›Baal‹ durch die Junge Bühne in Berlin. In: Berliner Börsen-Courier vom . . . Zitiert nach: Ihering: Gesammelte Kritiken zum Theater Brechts, S. –, hier S. .
. Die Konzeption der Anwärter im kulturellen Feld als Bohemiens
Trotz aller Unterschiede zwischen den Dramen um verkannte und verfemte Genies gleichen sich die Künstlerfiguren darin, dass ihnen bohemetypische Einstellungen und Verhaltensweisen eigen sind. Der Ausdruck ›Boheme‹ leitet sich »von ›bohemus‹ ab, mittell. ›der Bewohner Böhmens‹ […] und bezeichnet […] den Bewohner Böhmens als wertneutrales Ethnikon.« Die Bedeutung des Begriffs ändert sich im . Jahrhundert und bezieht sich nun auf die angeblich aus Böhmen stammenden Zigeuner, bevor er – im ersten Drittel des . Jahrhunderts – zu einem Schlagwort für marginale Künstler und Autoren« und »deren ›abweichende‹ Lebensform und ihr Milieu« wird. Diese assoziative Verknüpfung von Künstlerexistenz und Zigeunertum wird in den analysierten Künstlerdramen thematisiert. So wirft die Mutter in Johsts ›Der Einsame‹ ihrem Sohn vor, »wie ein Zigeuner ohne Heimat« zu leben, während Mathilde im ›trunkenen Schiff‹ nicht glauben kann, dass »das Unmoralische … dieses furchtbare Zigeunertum« ein Wesenszug großer Künstler sein soll. Wedekinds Marquis von Keith bezeichnet sich sogar selbst als Sohn einer Zigeunerin. Nicht nur die Verknüpfung von Künstler- und Zigeunertum weist die genialischen Figuren als Bohemiens aus. In seiner Studie definiert Helmut Kreuzer die Boheme als eine Subkultur von Intellektuellen – in denjenigen industriellen oder sich industrialisierenden Gesellschaften des . und . Jahrhunderts, die ausreichend individualistischen Spielraum gewähren und symbolische Aggressionen zulassen, – Randgruppen mit vorwiegend schriftstellerischer, bildkünstlerischer oder musikalischer Aktivität oder Ambition und mit betont un- oder gegenbürgerlichen Einstellungen und Verhaltensweisen. Bedeutende und unbedeutende, berühmte, berüchtigte und unberühmte Autoren und Künstler zählen dazu.
Anne Rose-Meyer: Jenseits der Norm. Aspekte der Bohème-Darstellung in der französischen und deutschen Literatur. –. Bielefeld , S. . Helmut Kreuzer: Die Boheme. Beiträge zu ihrer Beschreibung. Stuttgart , S. . Johst: Der Einsame, S. . Zech: Das trunkene Schiff, S. . Vgl. Wedekind: Der Marquis von Keith, S. . Kreuzer: Die Boheme, S. V. In seinem »skizzenhaften historisch-soziologischen Begrenzungsund Beschreibungsversuch« differenziert Kreuzer zwischen der Boheme und der politischen Boheme, wobei er unter letzterer die »Bohemiens und sonstigen am BohemeMilieu partizipierenden Intellektuellen« versteht, die »Träger […] bohemeadäquater
Die soziokulturelle Gruppe zeichnet sich primär durch einen programmatischen Individualismus aus, der sich, »mit dem Willen zur Abweichung als solcher, ohne Scheu vor provokatorischer Wirkung (oft mit Lust an ihr) von Konventionen der Lebensführung und des ästhetischen, moralischen oder politischen Urteilens emanzipiert«. Der Bruch mit den vorherrschenden Wertvorstellungen und Verhaltenskonventionen gilt als Akt der Befreiung von sozialen Repressionen und korreliert mit symbolischen Formen zur Kennzeichnung der eigenen Berufsidentität sowie zur betonten Abgrenzung von der bürgerlichen Welt. Das äußere Erscheinungsbild, die Einrichtung von Wohnung und Arbeitsstätte sowie die öffentliche Präsentation, Provokation und Separation in Lokalen und Cafés dienen der Distinktion und als Mittel zur Stilisierung der eigenen Individualität. Wie den Bohemiens ist auch den verkannten und verfemten Künstlerfiguren ein individualistischer Habitus eigen. So konzipiert Hauptmann seinen
politischer Tendenzen sind.« (Ebd., S. , ). Der politischen Boheme attribuiert Kreuzer folgende, kurz zu skizzierende Eigenschaften: Sie sympathisiert mit »politisch und militärisch« unterdrückten »Klassen, Kasten, Schichten und Gruppen« und zeichnet sich durch ein »proproletarisches und in reduziertem Maße auch […] promarxistisches Engagement vor allem im bürgerlichen Zeitalter und in kapitalistischen Staaten unseres Jahrhunderts« aus. Der politische Bohemien besitzt in der Regel einen »politischen Macht- und Führungsanspruch«, den er mit seiner genialischen Begabung legitimiert. Er sieht sich in der Lage, die breite Masse »im Namen des Geistes und im Interesse der Geistigen zu führen«. Insbesondere der Anarchismus ist »diejenige staats- und gesellschaftsphilosophische Idee, für deren Bejahung das politische Bohemetum von sich aus am ehesten disponiert ist.« (Ebd., S. , , , ). In den analysierten Künstlerdramen ist Zechs schöpferischer Protagonist als politischer Bohemien zu kategorisieren. Fernab von Europa solidarisiert er sich mit den von den Europäern unterdrückten Schwarzen, zu deren Anführer er wird. Sein Ziel ist die Begründung einer humanen, anarchistischen Weltordnung. Da in dieser Untersuchung die kunst- und künstlerspezifischen Konflikte, nicht aber das politische Engagement schöpferischer Protagonisten im Zentrum stehen, unterbleibt die dahingehende Analyse von Zechs ›trunkenem Schiff‹ sowie die Untersuchung weiterer Dramen, in denen Künstler als politische Agitatoren vorgeführt werden, wie etwa in Tankred Dorsts ›Toller‹, Gaston Salvatores ›Büchners Tod‹, Carl Sternheims ›Oscar Wilde‹, Peter Weiss’ ›Hölderlin‹ oder in Friedrich Wolfs ›Der Unbedingte‹; vgl. in diesem Zusammenhang Kux: Moderne Dichterdramen; Cr˘aciun: Historische Dichtergestalten. Kreuzer: Die Boheme, S. . Ruppert, der den Habitusbegriff einführt, um »die langfristige Gültigkeit von überindividuellen Mustern und Zuschreibungen an die Figur des modernen Künstlers erfassen zu können«, definiert den Habitus mit Bourdieu als ein »›System der organischen und mentalen Dispositionen und der unbewußten Denk- Wahrnehmungs- und Handlungsschemata.‹ […] Der Künstlerhabitus umfaßt somit sowohl die Formen der Erwerbstätigkeit als auch die kulturellen Instrumente, Ausdrucksmittel, mentalen Einstellungsmuster und Vorstellungen, die sich mit diesem Akteur verbinden.« (Ruppert: Der moderne Künstler, S. ). Der Habitusbegriff ist in dieser Arbeit geeignet,
Protagonisten Arnold Kramer als Einzelgänger, der sich den normativen Denk- und Lebensformen seines sozialen Umfelds nicht unterordnet und seine exponierte Haltung durch ein ungepflegtes Äußeres und einen bunten Schlips zur Schau stellt. Auch Jahnns Thomas Chatterton pflegt einen unangepassten Lebensstil, so dass die »übrigen Hausbewohner« sein »Dachzimmer […] für den Teil eines Geisterreichs« halten. Das Gleiche gilt für Baal und Rimbaud. Beide Figuren präsentieren sich als unangepasste Individualisten, die ihre Umwelt durch ihr programmatisch asoziales und amoralisches Verhalten provozieren. Neben dem Individualitätskult kennzeichnet den Bohemien ein ambivalentes Verhältnis zur Großstadt. Diese wird einerseits mit dem Inhumanen assoziiert durch die »entindividualisierte[n], rationalisierte[n] Beziehungen« und die Dominanz der »Geldwirtschaft«, andererseits hat der Künstler dort im Vergleich zur Provinz eine größere Chance, be- und anerkannt zu werden. Davon ausgehend, dass das Leben in den im Verlauf des . Jahrhunderts rapide gewachsenen Großstädten mit einer »gesteigerte[n] Intensität der Alltagserfahrung« und »eine[r] zunehmende[n] Flüchtigkeit von Reizen und Wahrnehmungen« verknüpft ist, gewinnt der ländliche Raum an Anziehungskraft. Die Suche nach Wahrnehmungsformen, die nicht der zunehmenden Reizüberflutung und den Fragmentierungen des modernen Lebens in der industriellen Zivilisation unterworfen waren, richtete sich auf spezifische Orte, an denen eine besondere Intensität der sinnlich-visuellen Naturerfahrung und die ›urwüchsige‹ Authentizität von Menschen erlebt werden konnte. Diese Orte erhielten im zivilisationsgeschichtlichen Kontext die Bedeutung von Ruhepunkten für das Individuum und einer zur kulturellen Moderne alternativen Form der menschlichen Existenz.
Vor diesem Hintergrund ist die Entstehung von Künstlerkolonien im . und . Jahrhundert, etwa in Ascona, Berlin, am Chiemsee, in Worpswede oder in Dachau zu verstehen, die als idyllische Rückzugsräume vor dem versachlichten und rationalisierten Großstadtleben dienen sollten. Von einer Idealisierung des ländlichen Raums als Zufluchtsort vor den lebensfeindlichen Zwängen der Zi-
um das »Konstrukt aus stereotyp zugeordneten kulturellen Mustern und Begriffen« zu beschreiben, das »trotz aller Unterschiede der epochentypischen Erscheinungsformen, der individuell variierten Auffassungen und der sozialen Realität eines Großteils der Künstler« existiert (ebd., S. ). Dazu gehören der Geniegedanke oder der Antagonismus der beiden Sphären Leben und Kunst (vgl. Kap. .. und ..), die das Fremd- und Selbstbild des Künstlers seit Mitte des . Jahrhunderts bestimmen. Den zivilisationsgeschichtlichen Prozess, der den Künstlerhabitus im . und . Jahrhundert prägt, stellt Ruppert in seiner sozial- und kulturgeschichtlichen Studie differenziert dar (vgl. ebd., S. –). Jahnn: Thomas Chatterton, S. . Kreuzer: Die Boheme, S. . Ruppert: Der moderne Künstler, S. . Ebd., S. .
vilisation zeugen auch die ›exotischen Reisepassionen‹ der Bohemiens und ihre Affinität zum Vagabundenleben. An den Fahrten und Reiseträumen der bürgerlich-unbürgerlichen Intelligenz offenbart sich ästhetisches, rousseauistisches oder vitalistisches Verlangen nach dem Reiz des Fremden, noch Unbekannten, der regressiven Befreiung in der Sensation des Abenteuers, dem primitivistischen Erlebnis einer arkadisch anmutenden Landschaft, einer für archaisch oder ›natürlich‹ gehaltenen Gesellschaftsform.
Das Verlangen nach einem Rückzug aus der Zivilisation besitzen auch die verfemten Künstlerfiguren. So führt Zechs Rimbaud mit seinem Freund Verlaine ein Vagabundenleben, bevor er nach Afrika in exotische Fernen reist, und Baal flieht »vor dem Tod ins Leben« der Natur. Im Gegensatz dazu idealisieren die verkannten Künstler die Großstadt, weil sie glauben, sich dort eher als in der Provinz einen Namen machen zu können. Während Thomas Chatterton nach London aufbricht, versucht sich Arnold Kramer zeitweilig als Maler in München zu etablieren. Beide müssen jedoch desillusioniert feststellen, dass »die Härte des wirtschaftlichen Existenzkampfes« in der Großstadt genauso »bedrohlich[ ]« zu spüren ist wie in der Heimat. Ein weiteres Attribut, das dem Bohemien zugeschrieben wird, ist die Negation ökonomischer Interessen, korrelierend mit der Sakralisierung der eigenen Artefakte. Dass das auf die verkannten Künstler zutrifft, ist bereits dargestellt worden (vgl. Kap. ..). Im Unterschied dazu lehnen die verfemten Genies die Weihung ihrer Werke ab. So verzichtet Baal darauf, einen Großteil seiner Lieder schriftlich zu fixieren, während sich Rimbaud gegen die Kanonisierung seiner Artefakte wehrt, indem er seine fertigen Gedichte zerreißt. Das Desinteresse der Figuren an der Sakralisierung ihrer Kunst resultiert aus ihrer vehementen Kritik an den kapitalistischen Strukturen des Kunst- und Kulturbetriebs und aus der Einsicht, dass die von ihnen angestrebten politischen, sozialen und wirtschaftlichen Reformen nicht mit Hilfe ihrer Artefakte zu bewerkstelligen sind. Die bohemetypische Zurückweisung von finanziellen Erträgen ist mit der Ablehnung einer geregelten Arbeit verbunden, die allenfalls resignativ akzeptiert, häufiger mit Widerwillen, Auflehnung, Erbitterung als aufgezwungenes Joch, als Sklaverei, Entfremdung von Kunst und künstlerischem Selbst aufgefaßt [wird]. Mit der Bejahung der Kunst geht die Verneinung der Arbeit […] Hand in Hand.
Gegen eine regelmäßige Erwerbstätigkeit wehren sich auch die verkannten und verfemten Genies. Der auf sieben Jahre verpflichtete Thomas Chatterton
Kreuzer: Die Boheme, S. . Brecht: Baal [], S. . Kreuzer: Die Boheme, S. . Ebd., S. f.
droht seinem Arbeitgeber etwa mit Selbstmord, sollte dieser ihn nicht vorzeitig aus seinem Vertrag entlassen; Johsts ›Einsamer‹ wird wegen ungebührlichem Verhalten von seinem Amt suspendiert und Sorges ›Bettler‹ entscheidet sich nach zehn Wochen Berufstätigkeit dafür, »weise zu werden« und sich »nicht mehr so leichtsinnig in des Malmwerks eiserne Fresse« zu werfen. Durch die Zurückweisung einer festen Berufstätigkeit und eines geregelten Einkommens geraten die Bohemiens »in eine zugespitzte Außenseiterrolle zum verstetigten Erwerbsverhalten des Bürgers.« Aufgrund ihrer im Voraus schwer zu kalkulierenden Einnahmen und ihrer Ablehnung der als philiströs deklarierten Akkumulation von wirtschaftlichen Profiten sind die Künstler jäh wechselnden Situationen von existentiellem Mangel und momentanem Reichtum ausgesetzt. Infolgedessen ist ihre Beziehung zu Besitz und Gelderwerb von Verzicht und Verschwendung geprägt. »Charakteristisch sind Leichtsinn, der sich der Sorge entschlägt, Fähigkeit zur Reduktion der Bedürfnisse, die Bedenkenlosigkeit einer parasitären Existenz und eine Solidaritätsgesinnung in Gelddingen.« Die zum Lebensstil erhobene Askese, die mit Phasen der Geldverschwendung alterniert, zeigt sich in den Dramen um verfemte Künstler in der Opposition der Figuren gegen die »ökonomischen Gesinnungen und Ehrbegriffe des Bürgers«. Baal legt die von ihm erworbenen Honorare etwa nicht zurück, sondern verprasst sie in der Kneipe. Die Koinzidenzen zwischen der Boheme und den Protagonisten der Bühnenstücke sind auf die mit der Boheme verbundenen kulturellen Vorstellungen zurückzuführen, die das Künstlerbild der Moderne prägen. Seit Mitte des . Jahrhunderts sind die Einstellungen und Verhaltensweisen der Boheme Gegenstand literarischer Texte. »Seitdem sind in Frankreich, Deutschland, Italien und den USA zahlreiche Werke erschienen, die sich in Form programmatischer Schriften, als Texte primär autobiographischen Inhalts, Roman, Drama oder Gedicht mit dem Phänomen Bohème beschäftigen.« In den neunziger Jahren des . Jahrhunderts wird der Bohemebegriff in Deutschland populär und mit ihm die Vorstellungen von der Denk- und Lebensweise dieser soziokulturellen Gruppe. Die den Bohemiens zugeschriebenen Attribute prägen den Habitus des modernen Künstlers und damit auch die Figurenkonzeption der dargestellten Künstlerfiguren in den Dramen von Brecht, Hauptmann, Johst, Jahnn, Sorge und Zech.
Sorge: Der Bettler, S. . Ruppert: Der moderne Künstler, S. . Kreuzer: Die Boheme, S. . Kreuzer: Die Boheme, S. . Da die verkannten Künstlerfiguren kein ökonomisches Kapital besitzen, kann ihr Verhältnis zu Besitz und Erwerb nicht näher untersucht werden. Rose-Meyer: Jenseits der Norm, S. . Vgl. Ruppert: Der moderne Künstler, S. f.
. Teilhaber im kulturellen Feld: Gerissene und naive Künstler in Wolfgang Bauers ›Change‹ ()
Nachdem im letzten Kapitel die spezifischen Konflikte verkannter und verfemter Künstler im Drama des . Jahrhunderts beleuchtet worden sind, werden nun Theatertexte in den Blick genommen, die sich mit der geweihten Avantgarde – mit naiven und gerissenen schöpferischen Produzenten – auseinandersetzen. Davon ausgehend, dass die Kenntnis der Literatur- bzw. Kunstgeschichte eine entscheidende »Zulassungsvoraussetzung« zum Unterfeld der eingeschränkten Produktion ist, wird der naive Künstler durch die »willkürliche Verfügung« der professionellen Meinungsbildner ›geschaffen‹. Sie interessieren sich für seine Werke und legitimieren ihn als Künstler, indem sie seine Artefakte literatur- bzw. kunsthistorisch verorten. Im Unterschied dazu agiert der gerissene schöpferische Produzent im kulturellen Feld wie ein »Schachspieler«; er ist mit »dem Spiel bis in die Fingerspitzen vertraut« (vgl. Einleitung). Im Folgenden wird zuerst Wolfgang Bauers ›Change‹ () fokussiert, in dessen Verlauf sich der naive Maler Blasius Okopenko als gerissen entpuppt. Anschließend wird Falk Richters Theatertext ›Gott ist ein DJ‹ () untersucht (vgl. Kap. .), in dem zwei Künstlerfiguren als naiv vorgeführt werden, weil sie glauben, die spezifischen Strukturen des Kunst- und Kulturbetriebs in den Dienst der eigenen Interessen stellen zu können. Neben den exemplarischen Einzelanalysen werden die Positionierungsstrategien der Autoren und die zentralen Motive im Drama um die geweihte Avantgarde erhellt. * In ›Magic Afternoon‹, dem Theatertext, der Bauer zum internationalen Durchbruch verhilft, fragt Charly seine Freundin Birgit: Kennst die Gschicht wo da Konrad den Teddy aufbaun wollt? […] De find i irrsinnig klass … da möcht i am liebsten ein Stück draus machen … kennst eh den Teddy […] der war ursprünglich Regenschirmmacher … aus St. Veit … so a ganz blasses Bürscherl … da Konrad und noch einer habn ihn im Art-Club gsehn … da sagt da Kon-
Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. . Bourdieu: Das literarische Feld, S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
rad plötzlich … waßt was, den bau ma auf […] er wollt aus ihm an Künstler machen und alles … und alles so vorplanen, daß er a bekannter Künstler wird … und daß er sich am Schluß dann umbringt […] aber umbracht hat sich der Konrad und net da Teddy. […] Des is so wie die Gschicht vom Zauberlehrling … so ähnlich … ha … da Teddy is jetzt a ziemlich bekannter Maler … a irrer Typ … des is eigentlich eh a altes Gesetz … daß von zwa Irren der Irrere gewinnt […].
Die von Charly im Bühnenstück kolportierte ›Gschicht‹ legt Bauer seinem uraufgeführten Künstlerdrama ›Change‹ zugrunde. Hier plant der ehemals erfolgreiche Bildende Künstler Fery Seewann, dem autodidaktischen Maler Blasius Okopenko zuerst zu durchschlagendem beruflichen Erfolg zu verhelfen, ihn dann aber durch die Inszenierung privater Katastrophen und beruflicher Misserfolge in den Selbstmord zu treiben. Mit der Fotodokumentation dieses ›Kunstprojekts‹ will er die eigene Karriere befördern; sein Werk soll als »Buch der Bücher« in die Kunstgeschichte eingehen. Allerdings unterschätzt Fery sein »objet trouveé manipuleé [sic]«. Seine Pläne scheitern, weil sich sein ›Versuchsobjekt‹ nicht manipulieren lässt. Während es dem naiven Maler gelingt, sich als Künstler einen Namen zu machen, erhängt sich Fery in Blasis Atelier. Bauers Künstlerdrama wird wie ›Magic Afternoon‹ nicht nur in Österreich, sondern im ganzen deutschsprachigen Raum rezipiert und inszeniert. Die Uraufführung am Wiener Volkstheater in der Regie von Bernd Fischerauer (Premiere am . September ) wird zum Berliner Theatertreffen eingeladen, das Bühnenstück wird in der Grazer Zeitschrift ›manuskripte‹ und dem deutschen Fachmagazin ›Theater heute‹ publiziert. und ist der Theatertext unter anderem am Landestheater Hannover (Regie: Horst Zankl), an den Münchner Kammerspielen (Regie: August Everding), am Schlossparktheater Berlin (Regie: Max P. Ammann), am Bochumer Schauspielhaus (Regie: Gerd Heinz) und am Zürcher Theater am Neumarkt (Regie: Wolfgang Quetes) zu sehen. Während Bauer in den siebziger Jahren neben Thomas Bernhard und Peter Handke zu den bedeutendsten österreichischen Gegenwartsdramatikern zählt, findet man seine Stücke heute kaum noch auf den Spielplänen der deutschsprachigen Bühnen. Auch die Forschung hat sich mit seinen Dramen nur wenig auseinandergesetzt, die Untersuchungen zu ›Change‹ sind überschaubar. Von der Literaturwissenschaft und -kritik sind Bauers Erfolgsstücke ›Party for Six‹, ›Magic Afternoon‹ und ›Change‹ in sehr unterschiedliche Traditionslinien gestellt worden. So sehen Wolfram Buddecke, Helmut Fuhrmann, Heinz Gerstinger, Peter Schaarschmidt, Christof Schmid und Hilde Spiel – im Zuge
Wolfgang Bauer: Magic Afternoon. In: Wolfgang Bauer: Werke. Bd. : Schauspiele –. Hg. von Gerhard Melzer. Graz, Wien , S. –, hier S. . Bauer: Change. In: Wolfgang Bauer: Werke. Bd. : Schauspiele –. Hg. von Gerhard Melzer. Graz, Wien , S. –, hier S. . Ebd., S. . Das ›objet trouvé‹ (frz. für ›gefundenes Objekt‹) bezeichnet einen Kunstgegenstand, der aus vorgefundenen Alltagsgegenständen kreiert worden ist.
der Wiederentdeckung Ödön von Horváths – unverkennbare Parallelen zwischen Bauers Theatertexten und Horváths Volksstücken. Die Nähe zu Horváth begründen sie mit Bauers repräsentativer, sozialkritischer Milieudarstellung und dem dialektalen Sprachgebrauch. Vor diesem Hintergrund rühmt Erika E. Theobald den Autor als den »Chronisten und […] Moralisten unserer Zeit«. Im Gegensatz zu dieser Rezeptionstendenz klassifizieren Benjamin Henrichs, Hellmuth Karasek und Jürgen Wertheimer den Bühnenautor als »PopArtist[en]«. Sie halten Bauers Dramen nicht für realistische Porträts der österreichischen Subkultur, sondern durch das »schroffe Nebeneinander von Banalität und Übertreibung« für »rigoros antirealistisch«. Auch den von der Kritik vielfach unterstellten gesellschaftskritischen Impetus der Stücke stellen sie in Frage. Henrichs betont etwa, dass gerade Bauers »betonte Absichtslosigkeit« verstörend wirke. Roger Bauer sieht in dem österreichischen Dramatiker weder einen PopAutor noch einen Nachfolger Horváths, sondern glaubt seine Theatertexte im Hinblick auf die intendierte Wirkung vom Wiener Volkstheater und den Arbeiten von Karl Kraus und Helmut Qualtinger beeinflusst. Er ist überzeugt, dass Bauer die »lächerlichen Sitten« der »existierenden Gesellschaft« satirisch entlarven wolle. Auf die österreichische Dramentradition rekurriert auch Karol Sauerland, der Bauers erste abendfüllende Stücke zu Arthur Schnitzlers ›Anatol‹-Zyklus in Bezug setzt.
Vgl. Wolfram Buddecke / Helmut Fuhrmann: Das deutschsprachige Drama seit . Schweiz, Bundesrepublik, Österreich, DDR. Kommentar zu einer Epoche. München , bes. S. ; Heinz Gerstinger: Das Volksstück auf dem gegenwärtigen Theater. In: Institut für Österreichkunde (Hg.): Das österreichische Volksstück. Wien , S. –; Peter Schaarschmidt: Das moderne Volksstück. Sprache und Figuren. In: Jürgen Hein (Hg.): Theater und Gesellschaft. Das Volksstück im . und . Jahrhundert. Düsseldorf , S. –; Christof Schmid: Neue ›Geschichten aus dem Wiener Wald‹ – oder Was ist ein ›Neuer Horváth?‹ In: Traugott Krischke (Hg.): Materialien zu Ödön von Horváths ›Geschichten aus dem Wiener Wald‹. Frankfurt/M. , S. –; Hilde Spiel: Horváths Erbe. In: Walter Grond / Gerhard Melzer (Hg.): Wolfgang Bauer. Graz, Wien , S. –. Erika E. Theobald: Das österreichische Drama der Gegenwart. In: Modern Austrian Literature, (), S. –, hier S. . Hellmuth Karasek: Bauer, Wolfgang oder: die bewußte Trivialität. In: Theater heute (), Sonderheft, S. ; vgl. auch Benjamin Henrichs: ›Im Augenblick bedrückt mich nichts‹. Zu Arbeiten des Grazer Autors Wolfgang Bauer. In: Süddeutsche Zeitung, Feuilleton-Beilage der Wochenendausgabe vom /. . , o.S.; Jürgen Wertheimer: Indianer und Werwölfe suchen lachend das Weite. In: Austriaca, (), H. , S. –. Henrichs: Zu Arbeiten des Grazer Autors Wolfgang Bauer. Ebd. Roger Bauer: Die Herren Vettern aus der Steiermark. In: Literatur und Kritik. Österreichische Monatsschrift, (), S. –, hier S. .
Auch Schnitzler zeigte in seinem Einakterzyklus Situationen, die dem Betrachter bekannt erschienen, auch er machte aus dem Dargestellten kein Problem, was ihm […] den Vorwurf der Trivialität einbrachte.
Für Sauerland sind Bauers Schauspiele »naturalistische[ ] Provokationsstücke«. Er nimmt an, dass der Dramatiker auf die Verstörung des Publikums zielt, um diejenigen Zuschauer zu verunsichern, die sich im Theater bloß unterhalten, nicht aber belehren lassen wollen. Auch Jutta Landa definiert die Stücke als »Schocktheater«-Texte, weil sie »gegen die letzten Bühnentabus verstoßen«, um »das stillschweigende Einverständnis zwischen Publikum und übergreifenden gesellschaftlichen Strukturen, wie sie in Theaterkonventionen […] aufbewahrt werden, aufzubrechen«. Die Schockwirkung heben ferner Dagmar Ralinofsky und Marianne Kesting hervor. Dabei macht Ralinofsky die ›photorealistische‹ Darstellung »des mutierten Zwischenmenschlichen« für die provokative Wirkung verantwortlich, während der Schockeffekt für Kesting aus dem Kontrast zwischen den »konventionellen Formulierung[en]« der dialektalen Sprache und den »höchst unkonventionellen Dingen« resultiert, »die da auf der Bühne passieren«. Im Unterschied zu den Versuchen von Forschung und Literaturkritik, Bauers »realistische[ ]« Dramen theaterhistorisch und -ästhetisch einzuordnen, um ihre Wirkungsabsicht zu erhellen, beschäftigen sich Kurt Bartsch, Martin
Karol Sauerland: Das österreichische Drama in jüngster Zeit. In: Literatur und Kritik. Österreichische Monatsschrift, (), S. –, hier S. . Ebd., S. . Jutta Landa: Bürgerliches Schocktheater. Entwicklungen im österreichischen Drama der sechziger und siebziger Jahre. Frankfurt/M. , hier S. . In ihrer Studie rekurriert Landa – wie die Literaturkritik der siebziger Jahre – auf Ödön von Horváth, von dem »das bürgerliche Schocktheater wohl die meisten Anregungen« empfangen habe. Wie für Horváths Volksstücke sei auch für die Dramen der »Schockautoren« die »Zuwendung zur Problematik der unteren Schichten, die Demaskierung des ideologisch verformten Bewußtseins« und »die […] Attacke auf eine bürgerliche Rezeptionshaltung« konstitutiv (ebd., S. , ). Dagmar Ralinofsky: Die Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen im Drama der Moderne. Tradition und Mutation. Bern u. a. , S. . Marianne Kesting: Der Surrealismus von Sprache und Handlung. Eine Buchausgabe der Dramen von Wolfgang Bauer. In: Marianne Kesting: Auf der Suche nach der Realität. Kritische Schriften zur modernen Literatur. München , S. –, hier S. . Paul Stefanek: Aus einem Gespräch mit Wolfgang Bauer (Graz) über Kritik, Stückeschreiben, Theater, Regie und Publikum. In: Modern Austrian Literature, (), H. , S. –, hier S. . Als ›realistische‹ Theatertexte gelten Bauers ›Party for Six‹, ›Magic Afternoon‹, ›Change‹, ›Gespenster‹ und ›Silvester oder Das Massaker im Hotel Sacher‹. Vgl. auch den Forschungsbericht: Gerhard Melzer: Von der Rolle, eine Rolle zu spielen. Bemerkungen zu einigen Schwerpunkten in der publizistischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Wolfgang Bauer. In: manuskripte, (), H. , S. –.
Esslin, Herbert Gamper, Jürgen Koppensteiner, Franz Norbert Mennemeier, Manfred Mixner und Ute Nyssen mit den impliziten dramatischen Konflikten. Die verschiedenen Deutungsansätze werden im Folgenden skizziert. Esslin hebt das Leiden der Figuren unter einem fehlenden kollektiven Sinnsystem hervor, das zur »Flucht in Alkohol und Droge« führe. Nicht zufällig stünden »im Mittelpunkt dieser Dramatik immer wieder Gewaltakte«, insbesondere »die Flucht in den Tod« als »letzte alles lösende Bewußtseinsveränderung.« Auch Bartsch macht das »Fehlen eines Sinnzentrums« für die »existentielle[n] und schöpferische[n] Krise[n]« der dramatis personae verantwortlich. Wie Esslin begreift er die »Orientierung an kulturindustriell vermittelten Erfahrungen, Alkohol, Rauschgift, Sex und unverbindlichen Rollenspielen« als Kompensationsversuche, mit denen sich die Figuren aber »ausnahmslos nicht aus den Zwängen der Realität befreien« könnten, sondern die »in eruptiven Ausbrüchen von Gewalt enden, sich demnach als Aporien« herausstellten. In ihrem entstandenen Beitrag befasst sich Nyssen weniger mit den existentiellen als mit den sozialen Konflikten der Protagonisten. Sie vertritt die These, dass »unsere Gesellschaft« zur Stabilisierung des politischen Systems eine »produktive individuelle und gesellschaftliche Selbstverwirklichung« unterbinden will – »sublim mit Platten und Kino, brutal mit der Polizei«. Die Figuren, die wüssten, dass sie ihre »sozial[en], politisch[en] oder wirtschaftlich[en]« Ideale nicht durchsetzen könnten, quäle ihre Handlungsunfähigkeit. In Ferys Manipulationsversuch manifestiere sich zwar ein »Veränderungswille, doch zielt er nicht eigentlich auf die Umwelt, sondern auf die eigene Existenzweise. Das Resultat ist zwangsläufig nicht Veränderung, sondern nur ein Change von Positionen im Spiel«. ›Change‹ ist für Nyssen kein Künstlerdrama, weil es nicht »den traditionellen Konflikt zwischen Künstler und Gesellschaft zum Thema« hat. Die Kunst sei vielmehr Sinnbild für ein von »Surrogaten« bestimmtes künstliches »Leben mit Beat, Donald Duck Heften, Haschisch, abgenutztem Sex« und
Martin Esslin: Wolfgang Bauers Weg nach Innen. In: Karlheinz F. Auckenthaler (Hg.): Die Zeit und die Schrift. Österreichische Literatur nach . Szeged , S. –, hier S. . Ebd., S. . Kurt Bartsch: Wolfgang Bauer. In: Alo Allkemper / Norbert Otto Eke (Hg.): Deutsche Dramatiker des . Jahrhunderts. Berlin , S. –, hier S. . Ebd., S. . Ute Nyssen: Zu einigen Stücken Wolfgang Bauers. In: Wolfgang Bauer: Die Sumpftänzer. Dramen, Prosa, Lyrik aus zwei Jahrzehnten. Köln , S. –, hier S. f. Der Beitrag ist identisch mit Nyssens Nachwort in: Wolfgang Bauer: Magic Afternoon, Change, Party for six. Drei Stücke. München , S. –. Nyssen: Zu einigen Stücken Wolfgang Bauers, S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
»Literatur«. Diese kulturkritische These teilt Koppensteiner, der konstatiert: »The reality experienced by the characters is a mediated culture, which they find burdensome. They would like to escape from it, to suspend the reality in which they live and to find a ›natural‹ reality.« Wie Nyssen und Koppensteiner messen auch Gamper und Mennemeier der Kapitalismus- und Kulturkritik in Bauers Stücken zentrale Bedeutung zu. So glaubt Mennemeier, dass ›Change‹ die »Entartungserscheinungen einer spätkapitalistischen Gesellschaft« zeige. Das Stück lasse sich »ökonomisch interpretieren«. Da Ferys Manipulationsversuch nicht der Erwirtschaftung finanzieller Gewinne diene, verweise sein Interesse an Blasi darauf, dass die »spätbürgerliche Gesellschaft« ihr Interesse an der »Realisierung des Tauschwerts« verliere und »daß das Konkurrenzprinzip im Begriff ist, sich als formales Prinzip eines – im öffentlichen wie im privaten Bereich – eminent destruktiven Handelns zu verselbständigen.« Gamper ist hingegen der Ansicht, dass Bauer »hemmungslose Konsumenten des genormten Angebots der Massenkultur« vorführt und den »Infantilismus, den dieses Angebot zugleich voraussetzt und erzeugt«. Es handle sich um »Personen«, die sich weigerten, »nichts weiter als Rädchen in der einzig und allein zwecks Erzeugung von sogenanntem Mehrwert betriebenen und also lebensfeindlichen Gesellschaftsmaschinerie zu sein.« Der Kampf der Figuren gegen die repressiven Zwänge der Zivilisation erweise sich aber als aussichtslos: »Die Gesellschaft vergibt die Rollen, und wer nicht eine an sich reißt, sich eine erschleicht, dem wird eine aufgezwungen; Identität, als Ergebnis freier Selbstbestimmung, ist illusorisch.« Die Schwierigkeit des Individuums, angesichts fremder Identitätszuschreibungen autonom und souverän zu agieren, werten auch Melzer und Mixner als die zentrale Problematik in ›Magic Afternoon‹ und ›Change‹. Melzer ist davon überzeugt, dass Bauer das »Leben der Gesamtgesellschaft als Rollenspiel«
Ebd., S. . Jürgen Koppensteiner: Wolfgang Bauer. In: Donald G. Daviau (Hg.): Major figures of contemporary Austrian literature. New York u. a. , S. –, hier S. . Franz Norbert Mennemeier: Modernes deutsches Drama. Kritiken und Charakteristiken. Bd. : bis zur Gegenwart. München , S. . Ebd., S. . Ebd., S. f. Herbert Gamper: Nachwort. In: Wolfgang Bauer: Werke. Bd. : Schauspiele –. Hg. von Gerhard Melzer. Graz, Wien , S. –, hier S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Gerhard Melzer: Wolfgang Bauer. Eine Einführung in das Gesamtwerk. Königstein/Ts. , S. ; vgl. auch Gerhard Melzer: ›I bin ja auch net ›echt‹ …‹. Absurde Wirklichkeitserfahrung im Werk Wolfgang Bauers. In: Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Wolfgang Bauer. München (= text + kritik; ), S. –.
zeigen will, und Mixner definiert die Theatertexte als »Metatheater«, als »Rollenspiele über Rollenspiele«. Vor diesem Hintergrund sei das Interesse des Dramatikers am Kunst- und Kulturbetrieb zu verstehen. Schließlich handle es sich um einen Bereich, »wo Rollenspiel und Identitätsspaltung bzw. die Durchdringung von ›öffentlich‹ inszenierter und ›privater‹ Existenz strukturelle Bedingungen des Verhaltens darstellen.« Während die genannten Beiträge die zentralen dramatischen Konflikte fokussieren, setzt sich Marek Przybecki mit den verschiedenen Strukturebenen der ›realistischen‹ Dramen Bauers auseinander. Er definiert die Dialektsprache als »Instrument der Bewußtseinsanalyse«. Wie in den Stücken von Franz Xaver Kroetz, Martin Sperr, Peter Turrini oder Rainer Werner Fassbinder ziele der Sprachgebrauch auf die »Entlarvung der sprachlich-kommunikativen und somit der intellektuellen Impotenz und Abnormität der Gruppeninsider«. Ausgehend von der Sprachkonzeption sei eine »soziopsychologische Diagnose« der dargestellten Subkultur möglich: Bauer zeige Figuren, die unfähig sind, die von ihnen »negierten Normen und Wertvorstellungen durch neue zu ersetzen.« Daher werde das »elementarste und primitivste […] Verhaltensmodell: Henker – Opfer zur Ersatzideologie.« Zudem seien Bauers Theatertexte als Metatheater zu klassifizieren, weil der Dramatiker über das Medium reflektiert, »für welches er als Autor Stücke liefert«. Im Gegensatz zu den genannten Analysen befassen sich Hans-Jürgen Greif und Carola L. Gottzmann dezidiert mit ›Change‹. Während Greif versucht, die Psyche der Protagonisten zu beleuchten, geht Gottzmann von der These aus, dass es sich um ein Ideendrama handelt, in dem keine Individuen, sondern zwei Prinzipien einander gegenübergestellt werden. Während Blasi das »Animalische, das Triebhafte« verkörpere, werde Fery durch »das Geistige« determiniert. Mit seinem Theatertext wolle Bauer die Destruktivität beider
Manfred Mixner: Rollenspiel und Identitätsverlust. Anmerkungen zu sechs Theaterstücken von Wolfgang Bauer. In: Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Wolfgang Bauer. München (= text + kritik; ), S. –, hier S. . Melzer: Wolfgang Bauer, S. . Marek Przybecki: Wolfgang Bauers Theater gegen den Strich. In: Studia Germanica Posnaniensia, (), S. –, hier S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Vgl. Hans-Jürgen Greif: Zum modernen Drama. Martin Walser, Wolfgang Bauer, Rainer Werner Fassbinder, Siegfried Lenz, Wolfgang Hildesheimer. Bonn . Carola L. Gottzmann: Intellektualismus und Triebhaftigkeit. Eine Interpretation von Wolfgang Bauers Stück ›Change‹. In: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft N.F., (), S. –, hier S. .
»Extreme« zeigen: »im Falle Ferys erweist sich seine Haltung als Selbstzerstörung, im Falle Blasis als Auflösung der sozialen Ordnung.« Schon und kategorisieren Botho Strauß und Hellmuth Karasek ›Change‹ als Künstlerdrama: ›Magic Afternoon‹ und ›Change‹ sind eigentlich Künstlerdramen wie ›Tasso‹ oder ›Michael Kramer‹, und zwar treten in beiden Stücken Personen hervor, die die ästhetische und stilistische Haltung der Stücke selbst als ihr künstlerisches Problem beziehungsweise Talent ausgeben.
Dennoch hat bislang nur Diedrich Diederichsen dem Künstlerdiskurs Bedeutung zugemessen. Er geht davon aus, dass sich jede avantgardistische »Künstlergruppe« über die Abgrenzung zur »bürgerlichen Gesellschaft und ihren (sittlichen) Gesetzen oder zu deren Politik« definiert. Daher seien »gruppeninterne Opferung[en]« notwendig, die einzelne Mitglieder aus der Gruppe ein- bzw. ausschlössen, um die »Differenz zu der feindlichen Umgebung, die man bekämpft […] nach außen festzulegen und sich intern auf diese Grenze zu vereidigen. Das Ziel ist die Legitimierung der Gruppe.« Insofern zeige ›Change‹ nicht das »Herabsinken, sondern den Erfolg«, die Konstituierung einer »bohemistischen Clique«. »Und zu diesem Erfolg verhilft hier, soll ihr verhelfen: eine Opferung.« Im Unterschied zu Diederichsen wird in der folgenden Untersuchung zunächst erörtert, inwiefern sich Bauers schöpferische Protagonisten von den verkannten und verfemten Genies im Künstlerdrama des . Jahrhunderts unterscheiden (vgl .., ..). Für die Figuren ist, so die These, der Geniegedanke und der Antagonismus der beiden Sphären Kunst und Leben irrelevant. Sie haben nicht mit einem philiströsen sozialen Umfeld, sondern mit gruppeninternen Zwängen zu kämpfen. Anschließend werden die spezifischen Strukturen des Kunst- und Kulturbetriebs analysiert, um die Gründe für Ferys berufliches und privates Scheitern sowie für Blasis Erfolg konkretisieren zu können (vgl. .., ..). Zuletzt wird das Bühnenstück aus feldtheoretischer Perspektive untersucht (vgl. ..). Dabei wird die Auffassung vertreten, dass ›Change‹ als Manifestation eines ›doppelten Bruchs‹ zu lesen ist. Zum einen grenzt sich Bauer von der österreichischen Avantgarde der fünfziger und sechziger Jahre, insbesondere von der Wiener Gruppe, ab. Zum anderen distanziert er sich
Ebd., S. . Botho Strauß: Pygmalion aus der Steiermark. Wolfgang Bauers ›Change‹ in Wien und Hannover. In: Die Zeit vom . . , S. ; vgl. auch Hellmuth Karasek: Aus Prinzip schlecht. Zu den Büchern, Stücken und Erfolgen des österreichischen Autors Wolfgang Bauer. In: Die Zeit vom . . , S. . Diedrich Diederichsen: Legitimität und Illegalität – Avantgarde und Menschenopfer. In: Walter Grond / Gerhard Melzer (Hg.): Wolfgang Bauer. Graz, Wien , S. –, hier S. f. Ebd., S. .
von der geweihten Dramatik im kulturellen Feld der sechziger Jahre in der Bundesrepublik.
.. Negation des Geniegedankens: Der bohemetypische Habitus als Distinktionsmittel der Avantgarde Bauer führt eine Künstlergruppe vor, für die der Geniegedanke bedeutungslos ist. Im Gegensatz zu den bisher analysierten Dramen, in denen verkannte oder verfemte schöpferische Genies im Zentrum standen, vertritt Otto Reicher, Kunstkritiker und Doktor der Kunstgeschichte, eine institutionalistische Kunstauffassung. Das manifestiert sich in der ersten Szene, in der Reicher seinem Freund Fery den naiven Maler Blasius Okopenko vorstellt. Auf Ferys Frage, wie und warum er zu malen angefangen habe, antwortet der Autodidakt: »Naja … des kann ich nicht sagen … auf einmal habe ich malen müssen!« Auf Blasis Erklärung reagieren Fery und Reicher mit Hohn und Spott. Sie konstatieren: F: Das kommt vor … (zu Reicher) Was Otto? Das kommt vor! (grinst) R: Da hat ihn die Muse mit ihren Krallen vergewaltigt … Hehe. F: (pathetisch) Male die schönen Wälder! Hat sie ihm ins Ohr gesungen! Ha!
Während sich Blasi zum genialischen Produzenten ästhetischer Werke stilisiert, definiert Reicher nur Subjekte als Künstler, die von den Weihungsinstanzen als solche anerkannt werden. Infolgedessen weigert er sich, den Fremden als Maler zu kategorisieren. Obwohl der Autodidakt seit geraumer Zeit schöpferisch tätig ist, »technisch […] tadellos« malt und dem Literaturkritiker eine ganze Grafikmappe voller Bilder präsentieren kann, ist für Reichers Urteil ausschlaggebend, dass Blasi die professionellen Meinungsbildner bislang noch nicht von sich überzeugen konnte. Daher betont er Fery gegenüber: [I]ch wollte […] dir den Herrn Okopenko einmal vorführen … er is nämlich auch Maler (zwinkert) … das heißt, noch is er Schlosser … aber er will natürlich Maler werden … ein Mann der Zukunft sozusagen, hehe …
Wie Reicher schätzt auch der Kunsthändler Antoine Blasi weniger für seine Artefakte – sein opus operatum –, sondern für seine Taktiken – seinen modus operandi –, sich erfolgreich im Kunst- und Kulturbetrieb zu etablieren. Er bezeichnet den naiven Maler nicht wegen seiner Werke, sondern wegen seiner
Bauer: Change, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
Vermarktungsstrategien als »Genie« und ironisiert damit, wie Brechts Baal (vgl. Kap. ...), die seit dem . Jahrhundert tradierte Vorstellung vom begnadeten Ausnahmetalent. Obwohl Bauers Protagonisten den Geniegedanken negieren, pflegen sie, wie die verkannten und verfemten Künstlerfiguren, einen bohemetypischen Lebensstil (vgl. Kap. .). Sie gebärden sich als programmatische Individualisten, die gegen jeden gesellschaftlichen Zwang opponieren. Wie für die Bohemiens charakteristisch, zeigt sich Fery, der sich in einer schöpferischen Krise befindet, nicht an wirtschaftlichen Erträgen interessiert. Er verfolgt seine Idee – die Manipulation Blasis – so »fanatisch«, weil er sich plötzlich »irrsinnig produktiv« fühlt, auch wenn er damit »keinen Zaster« erwirtschaften kann. Die Zurückweisung von finanziellen Gewinnen ist bei dem Künstler mit der Ablehnung einer geregelten Arbeit – auch im Atelier – verbunden. Bis auf den Familienvater und Literaturkritiker Reicher ist keiner der Protagonisten erwerbstätig. Um als Maler in Wien Karriere zu machen, hat Blasi seinen Beruf als Schlosser in St. Pölten aufgegeben und verbringt seine Tage im legendären Wiener Künstlercafé ›Hawelka‹, um dort soziale Kontakte zu knüpfen. Antoine finanziert sich durch den Verkauf von Rauschgift und Ferys Freundin Guggi wohnt noch bei ihrer Mutter, von der sie Kost und Logis erhält. Durch ihre unregelmäßigen Einnahmen haben Fery und Blasi eine von Verzicht und Verschwendung geprägte Beziehung zu Besitz und Gelderwerb. So muss Fery Anleihen bei Reicher machen, um seine Existenz zu sichern, während sich Blasi, der erst im Handlungsverlauf zu Reichtum gelangt, seinen Bordell-Besuch von Reicher bezahlen lässt. Der betont nonkonformistische Lebensstil der Künstlergruppe kommt nicht nur im beruflichen, sondern auch im privaten Bereich zum Ausdruck. Die Figuren machen »den Tag zur Nacht und die Nacht zum Tag«. Anstatt an eigenen Kunstprojekten zu arbeiten, treffen sie sich im Café, im Animierlokal oder in ihren Wohnungen, um dort über ihre beruflichen Pläne zu sprechen, Alkohol und Haschisch zu konsumieren, Platten zu hören, sich gegenseitig Geschichten vorzulesen und »Spielchen« zu spielen, damit »die Zeit vergeht«. Die Negation vorherrschender Wertvorstellungen und Verhaltenskonventionen zeigt sich auch in Blasis Einbruch in die Modeboutique ›Peter & Mary‹, eine kriminelle Tat, die Guggi nicht verurteilt, sondern »irrsinnig spannend« findet. Ihre exponierte Haltung stellen Bauers Figuren zur Schau, indem sie sich auffällig kleiden. Während Guggi einen weißen Staubmantel trägt, sich Blasi in
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ein grelles Hemd und eine grüne Hose kleidet und Ferys Atelier »wie ein Buntspecht« betritt, ziert Antoine ein »violette[r] Hausmantel aus Samt«. Wie der manierierte Kleidungsstil fungiert auch der Sprachgebrauch als »Zeichen von Distinktion«. Die dramatis personae signalisieren mit ihrer legeren, umgangssprachlichen Ausdrucksweise ihre antibürgerliche Haltung und ihre Zugehörigkeit zur Avantgarde. Die Ein- und Ausgrenzungsfunktion der Sprache offenbart sich in der ersten Szene, in der Blasi hochdeutsch spricht und sich eines förmlichen Umgangstons bedient. Durch seine steife Wortwahl zieht der naive Maler den Spott von Fery und Reicher auf sich, die ihn als Außenseiter stigmatisieren. Bereits in der darauffolgenden Szene hat sich Blasis Sprechweise geändert. Geschickt hat er sich dem saloppen bis vulgären Jargon der Künstlerclique angepasst, so dass er Fery mit den Worten »Salutisaluti! Drei Weiber sechs Tutti!« begrüßt. In Bezug auf ihre Lebensweise gleichen Bauers Protagonisten den verkannten und verfemten Künstlerfiguren im Drama des . Jahrhunderts. Während die vorgeführten Genies ihre Ablehnung der bürgerlichen Denk- und Lebensformen mit ihrer außerordentlichen Begabung legitimieren und mittels symbolischer Formen – etwa mit ihrem Kleidungs-, Einrichtungs- und Lebensstil – dokumentieren, negieren Bauers Figuren die Vorstellung vom genialischen Künstler. Dennoch pflegen sie einen bohemetypischen Habitus, um sich als Mitglieder der Künstlergruppe auszuweisen.
.. Negation der antagonistischen Sphären Kunst und Leben: Die gruppeninternen sozialen Zwänge in ›Change‹ Wie der Geniegedanke wird auch der tradierte Topos der antagonistischen Sphären Kunst und Leben in ›Change‹ (vgl. Kap. ..) als unzeitgemäß vorgeführt. Im Theatertext fungiert einzig Guggis Mutter, Frau Sedlacek, als Repräsentantin bürgerlicher Wertvorstellungen. Die Opernsängerin hält jeden für »eine Null«, der »ka Geld hat«, und kann kein Verständnis dafür aufbringen, dass Guggi keiner geregelten Arbeit nachgehen will. Die verschiedenen Lebensstile von Mutter und Tochter werden einander in der ersten Szene kontrastiv gegenübergestellt. Frau Sedlacek will die nonkonformistische Lebensweise ihrer Tochter nicht länger dulden und droht ihr im Affekt, sie vor die Tür zu setzen, sollte sie sich weiterhin weigern, eigenes Geld zu verdienen. Guggi lässt
Ebd., S. . Ebd., S. . Bourdieu: Die feinen Unterschiede, S. . Bauer: Change, S. . Ebd., S. .
sich von ihrer Mutter jedoch nicht unter Druck setzen und fordert gelassen: »[S]chau, kümmer dich um deine eigenen Sachen«. Im weiteren Handlungsverlauf gewinnt Frau Sedlacek nicht an Autorität. Durch die Heirat mit Blasi schließt sie sich vielmehr der von ihr in der ersten Szene abgelehnten Künstlergruppe und deren Lebensstil, wenn auch widerwillig, an. Wie erhellt, manifestiert sich in dem Generationenkonflikt zwischen Mutter und Tochter die seit der Frühromantik überlieferte Vorstellung vom Dualismus zwischen Künstlerexistenz und bürgerlicher Lebensführung. Allerdings demonstriert Bauer, dass diese Auffassung gestrig ist. Während die genialischen Künstler im Drama des . Jahrhunderts an der Unvereinbarkeit von Kunst und Leben scheitern, sind die bürgerlichen Denk- und Lebensformen in ›Change‹ nicht mehr normativ. Die Konflikte der Figuren sind nicht Folge externer, sondern gruppeninterner Spannungen, wie im Folgenden konkretisiert wird. Fery betont wiederholt, dass sich Blasi »lockern« müsse, um von den künstlerischen Konsekrationsinstanzen als Künstler anerkannt zu werden. Er propagiert eine legere, zwanglose Lebensart, die sich von der vermeintlich reaktionären Denkart des »Spießbürger[s]« unterscheidet. Wie seine Freunde negiert er die vorherrschenden Wertvorstellungen und Verhaltenskonventionen, die für ihn Ausdruck gesellschaftlicher Autoritätsverhältnisse sind, in der Hoffnung, sich in seiner Clique individuell entfalten zu können. »Doch in ihrer unreflektierten, abstrakten Verweigerung […] reproduzieren« die Figuren »unwillkürlich die Zwänge, gegen die sie Freiheit und Individualität behaupten möchten.« Die Diskrepanz zwischen dem von den Protagonisten idealisierten, nonkonformistischen Lebensstil und ihrer angepassten Lebensweise zeigt sich in ihrem Sprachgebrauch und im Missverhältnis von Wort und Tat. Auf den Kontrast zwischen Lebensideal und -praxis verweist zunächst der Sprachgestus. Obwohl Bauers Figuren einen individuellen Lebensstil propagieren, ist ihr salopper Umgangston uniform. Sie verfügen »nur über einen […] bescheidenen Wortschatz«, was sich in dem Gebrauch von wenig aussagekräftigen Adjektiven wie ›locker‹, ›blöd‹, ›genial‹, ›großartig‹, ›riesig‹ oder ›wahnsinnig‹ niederschlägt. Diese Worthülsen treten »in den Dialogen […] an die Stelle menschlich substantieller Äußerungen.« Ihre beschränkte sprachliche Gewandtheit kommt auch in ihrer Unfähigkeit zum Ausdruck, komplexe Satzkonstruktionen zu bilden und sich flüssig zu artikulieren. Über den mit Guggi besuchten Kinofilm urteilt Fery etwa:
Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Gamper: Nachwort, S. . Przybecki: Wolfgang Bauers Theater gegen den Strich, S. . Ebd., S. .
Der Film war aber gar net so schlecht, Hasi, was? Die Handlung weniger … aber die Aufnahmen von den Rennen warn sagenhaft … allan des Monte Carlo … oder Spa … naja eigentlich alles … Monza genauso … was? … i möcht man fast nocheinmal anschaun […].
Neben dem phrasenhaften Vokabular zur Beschreibung des Films zeugen die in Form von drei Punkten gestalteten Pausen innerhalb der Sätze von einer mangelnden Ausdrucksfähigkeit, die für die Sprechweise aller Figuren charakteristisch ist. Das Unvermögen der Protagonisten, ihr Ideal eines individuellen Lebens umzusetzen, manifestiert sich außerdem in der signifikanten Diskrepanz zwischen ihren Worten und Taten. Da die Figuren bestrebt sind, ein unangepasstes Leben zu führen, lehnen sie kleinfamiliäre Strukturen, insbesondere die monogame Zweierbeziehung, radikal ab. So zeugt Blasi mit Ferys Freundin Guggi ein Kind, heiratet aber deren Mutter, Frau Sedlacek. Seine Gattin verkuppelt der naive Maler wiederum mit dem Literaturkritiker Reicher, während er sich selbst mit der Krankenschwester Rikki vergnügt. Dass die von der Künstlergruppe propagierte ›freie‹ Sexualität nicht Ausdruck einer lustvollen und zwanglosen Lebensführung ist, zeigt sich in Guggis Verhalten, die trotz ihrer Promiskuität an ihrem ›konservativen‹ Heiratswunsch festhält. Auch Fery gibt sich toleranter als er ist. Er kann sich trotz des von ihm favorisierten antibürgerlichen Lebens nicht vorstellen, seine schwangere Freundin zu ehelichen, und hält ihr vor: »Glaubst i wer für dem Pampa vom Blasi no arbeitn? Du bist vielleicht …« Auch der Widerspruch zwischen ihrem legeren Umgangston und einem Verhalten, »das gerade erheblichen Zwängen unterliegt«, offenbart, dass die Protagonisten unfähig sind, ein ›lockeres‹ Leben zu führen. Den dramatis personae ist ein salopper Jargon, die Verwendung von Diminutiven und der Gebrauch von Kosewörtern wie ›Schatzi‹, ›Puppi‹ oder ›Puppihasi‹ eigen. Ihre Handlungen sind jedoch von Brutalität, Aggression und Desinteresse am Gegenüber geprägt. So schlägt Blasi in der Modeboutique »Guggi brutal nieder«, als diese ihn daran hindern will, Kleidung zu stehlen; oder er fordert von seiner
Bauer: Change, S. . In seinem Beitrag vertritt Przybecki die These, dass Bauers Figuren mit Hilfe der von ihnen verwendeten »nichtssagenden« Adjektive versuchen, »eine nichtvorhandene Meinung zu verschleiern, oder aber andere über die wahre Meinung zu täuschen.« (Przybecki: Wolfgang Bauers Theater gegen den Strich, S. ). Przybeckis Deutung bleibt zumindest in Bezug auf ›Change‹ spekulativ, da Bauer die inneren Beweggründe für das Verhalten seiner Figuren nicht erklärt. Dem Leser wird die mangelnde Ausdrucksfähigkeit der dramatis personae vor Augen geführt, ohne dass die Gründe dafür erhellt würden. Bauer: Change, S. . Nyssen: Zu einigen Stücken Wolfgang Bauers, S. . Bauer: Change, S. .
Frau vorbehaltlos, sich auf Reichers Annäherungsversuche einzulassen, wenn er ihr ›zärtlich‹ befiehlt: Wasch dir das Gesicht, der Reicher wird gleich da sein und der mag keine wässrigen Krokodilsaugen! Der möcht deine süßen blauen Sternderln im Gsicht sehn! Geh dich jetzt schön waschen, tu dich schön schminken und dann räumst da ein bisserl auf, dann ham dich alle lieb. Gelt? Sag ja, Puppihasi, sag ja.
Wie Blasi erweist sich auch Fery als gefühlskalt, wenn er seine Freundin Guggi für seine Manipulationspläne instrumentalisiert. Ohne ihr Wissen plant er, sie dazu zu bringen, sich auf Affären mit Antoine und Blasi einzulassen, um den Erfolg seines ›Kunstprojekts‹ zu sichern. Guggis Desinteresse an Fery schlägt sich hingegen in der ersten Szene nieder, als sie auf das Angebot ihres Freundes, bei ihr zu übernachten, mit den Worten »Na, fahr doch lieber heim« reagiert. Auch in der dritten Szene zeigt sie sich gleichgültig. Als Fery ihr von seinen Manipulationsplänen berichten will und erklärt: »aber … typisch Otto … er is glei mitn Unterbewußtsein angfahrn kommen … er sagt … ich will des ganze nur machn, weil ich …«, unterbricht sie ihn mitten im Satz und signalisiert ihm, an seinen Ausführungen nicht weiter interessiert zu sein. Aufgrund ihrer Indolenz bleibt die Kommunikation der Figuren »auf den Bereich des Trivialen beschränkt«. Diese These teilt Przybecki, der konstatiert: Keiner hört aufmerksam zu, läßt das Gerede des anderen an sich vorbeirauschen. Bauer läßt seine Figuren […] aneinander vorbeireden; […] die Sprache wird hier ihrer kommunikativen Funktion entledigt, zum äußerlichen Gestus degradiert.
Nicht nur die sexuellen, sondern auch die familiären Beziehungen sind von emotionaler Kälte geprägt. So fühlt sich Guggi in der ersten Szene allein durch die bloße Anwesenheit ihrer Mutter in der Wohnung gestört, wenn sie sich beschwert: »des geht mi irrsinnig an, wie die herumrennt … die kommt sonst no tausendmal … kennst es eh […] und dann singt sie jeden Satz wie a Opernarie«. Auch für ihren Vater fühlt sich die junge Frau nicht verantwortlich. Obwohl sie zu Hause wohnt, überlässt sie die Pflege des geistig verwirrten Mannes ganz der Mutter und zieht sich selbst in die Küche zurück, um sich dem »Theater da nebenan« zu entziehen. Dafür, dass sich das von Fery propagierte zwanglose Leben nicht realisieren lässt, zeugt ferner die hierarchische Gruppenstruktur. Obwohl Fery die dominierenden Wertvorstellungen und Verhaltenskonventionen negiert, halten er
Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Nyssen: Zu einigen Stücken Wolfgang Bauers, S. . Przybecki: Wolfgang Bauers Theater gegen den Strich, S. . Bauer: Change, S. f. Ebd., S. .
und die anderen männlichen Protagonisten an der traditionellen Rollenverteilung fest. Als Frau hat Guggi ihrem Freund das Bier zu öffnen, Reicher eine »Eierspeis« zuzubereiten und für Blasi Getränke zu kaufen, obwohl ihr aufgrund der Schwangerschaft »so schlecht« ist. Im Gegenzug hat Frau Sedlacek für eine aufgeräumte Wohnung zu sorgen, denn: »Ein Künstler braucht eine ordnende Hand! Also: Ordne! Ordne! Das ist deine Aufgabe! Zeig, daß du aus einer guten Familie stammst!« Neben den geschlechtsspezifischen Zuschreibungen manifestiert sich die hierarchische Gruppenstruktur in den sozialen Rollen, die die männlichen Protagonisten einander zuweisen. Als Initiator der Manipulation hat Fery zunächst die Position des ›Anführers‹ inne, während Blasi als Außenseiter verlacht wird. Im Handlungsverlauf gelingt es dem naiven Maler aber, einen ›Change‹ der sozialen Rollen herbeizuführen. Er beginnt die Clique zu dominieren, während Fery von seinen Freunden zum ›Sündenbock‹ degradiert wird. Der Künstler wird zuerst von Antoine vorgeführt, der ihn das »Märchen vom Bäumchen« vorlesen lässt und ihn so dem Spott der anderen aussetzt. In der siebten Szene ist Fery bereits zum schwächsten Gruppenmitglied herabgesunken: Statt Guggi hat er die Hochzeitsgesellschaft zu bedienen, und als Reicher das Brautpaar ›en famille‹ ablichten will, bittet er Fery, aus dem Bild zu gehen. Ferys Ideal einer individuellen Lebensführung jenseits sozialer Zwänge erweist sich als Illusion. Bauers Figuren »können sich – in Übereinstimmung mit gesellschaftlicher Praxis und entsprechenden Leitbildern – Freiheit nur vorstellen als Verfügungsgewalt über andere«.
.. Die Durchsetzungsstrategien der gerissenen und naiven Künstler Im Gegensatz zu den verkannten und verfemten Genies im Drama des . Jahrhunderts, deren Berufsidentität sich auf ihre außerordentliche schöpferische Begabung gründet, gelten in ›Change‹ nur die Subjekte als Künstler, die von den Weihungsinstanzen als solche anerkannt werden. Dabei gerieren sich Fery und Reicher als gerissene Teilhaber im kulturellen Feld. Sie sind überzeugt, die spezifischen Strukturen des Kunst- und Kulturbetriebs in den Dienst der eigenen Interessen stellen zu können. Um aus dem St. Pöltener Schlosser Blasi
Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Gamper: Nachwort, S. .
Okopenko einen »riesigen Star« zu machen, greifen sie zu verschiedenen Durchsetzungsstrategien, die im Folgenden erhellt werden. Laut Fery und Reicher besitzt Blasi die idealen Voraussetzungen, um als »große Künstlerpersönlichkeit« Karriere zu machen. Seine photorealistischen Artefakte sind »technisch piccobello« und besitzen einen hohen Wiedererkennungswert, weil sie als »Suchbilder« konzipiert sind. Während der Betrachter etwa auf Blasis Gemälde »Fichten, Fichten, Fichten – wo ist St. Pölten?« die zwischen den Bäumen kaum sichtbare Kirchturmspitze von St. Pölten ausfindig machen kann, ist auf dem Bild »Wo ist Okopenko« ein Kornfeld zu sehen, in dem der Maler »ganz winzig klein zwischen den Ähren« abgebildet ist. Neben dem individuellen Stil hält Reicher die Wahl von existentiell ausdeutbaren Bildmotiven für unabdingbar, um Blasis Werke als avantgardistische Artefakte, als »Pop aus St. Pölten«, verkaufen zu können. Fery erklärt er: Also maltechnisch hab ich an ihm gar nix auszusetzen, an unserem objet trouveé … objet trouveé manipuleé haha, … kommt jetzt nur, was er malen muß … daß ichs nämlich schön interpretieren kann. Sein Kopf im Wald, da laßt sich schon einiges erzählen … was weiß ich … Einsamkeit des modernen Menschen … die vielen Bäume sind Menschen, zu denen er keinen Kontakt hat und so weiter und so weiter …
Auch der von Blasi zu wählenden posture weisen Fery und Reicher zentrale Bedeutung zu. Unter dem Begriff der posture versteht Jérôme Meizoz mit Alain Viala nach Pierre Bourdieu die »singuläre Weise« eines Künstlers, eine objektive Position innerhalb eines Feldes zu besetzen, die selbst wiederum durch soziologische Parameter eingegrenzt wird. Es handelt sich also um eine persönliche Art, eine Rolle oder einen Status anzunehmen bzw. innezuhaben: ein Autor erspielt oder erstreitet seine Position im literarischen Feld über verschiedene Modi der Darstellung seiner selbst und seiner postures.
Nach Meizoz besitzt die posture des Künstlers eine auktoriale und eine diskursive Dimension, zum einen die Ebene der sozialen Selbstpräsentation und zum anderen, bezogen auf den Autor literarischer Werke, die rhetorische und gattungstypologische Ebene seines Textes. Übertragen auf die Bildende Kunst be
Bauer: Change, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Jérôme Meizoz: Die posture und das literarische Feld. Rousseau, Céline, Ajar, Houellebeque. In: Markus Joch / Norbert Christian Wolf (Hg.): Text und Feld. Bourdieu in der literaturwissenschaftlichen Praxis. Tübingen , S. –, hier S. .
zieht sich die diskursive posture auf die Maltechnik, den -stil und die Wahl der Bildmotive. Um Blasi »so auf kleinen Rousseau … der Zöllner aus St. Pölten hinbosseln« zu können, halten Fery und Reicher eine posture der ›Lockerheit‹ für zwingend. Sie raten dem naiven Maler, sich wie die geweihte Künstlergruppe unangepasst und zwanglos zu verhalten. Seine nonkonformistische Selbstdarstellung schlage sich unweigerlich auf diskursiver Ebene in seinen Artefakten nieder, wie Fery im Animierlokal betont: Is a lockere Umgebung und das is immer wichtig. Des schlagt sich dann alles in der Kunst nieder, verstehst? […] Sicher, du hast in zwei Monaten eine Ausstellung, okay, aber du mußt aufpassen, Blasi. Die haun dich schnell wieder nieder. Und vor allem: immer wieder: Lockern. Deine Bilder sind zu starr … verstehst du, gut gemalt, in Ordnung, manche ganz witzig, aber es bewegt sich nix. Da nützt der ganze Fleiß nix, du mußt noch viel lesen […].
Um Blasi zu ›lockern‹, empfiehlt Fery dem Autodidakten die Lektüre von Samuel Becketts, James Joyces oder Laurence Sternes Romanen und legt ihm nahe, Paul Klees Buch »über die Maltechniken« zu studieren oder die Jazzmusik von Albert Ayler und Charles Mingus zur Kenntnis zu nehmen. Diese Hinweise auf die Werke kanonisierter Künstler zielen darauf, Blasi mit der spezifischen Historie des kulturellen Feldes vertraut zu machen. Für Fery hat der naive Maler »an unhamlichen Nachholbedarf in Sachen Kultur … waßt, naiv sein is ja ganz schön … hat gewiß auch seine Vorteile, auch in der Malerei hats eine ganz eigene Faszination, aber letzten Endes bist immer der Teschek.« In den ›Regeln der Kunst‹ expliziert Bourdieu, dass das Wissen um die Geschichte des kulturellen Feldes notwendig ist, um sich als Kunstschaffender etablieren zu können. Er illustriert, dass die zunehmende Autonomie des Feldes mit einer »erhöhte[n] Reflexivität« korreliert. In dem Maße, in dem das Feld sich auf sich selbst zurückzieht, wird die praktische Beherrschung der von der ganzen Geschichte der Gattungen zusammengetragenen spezifischen Errungenschaften […] zum Bestandteil der Zulassungsvoraussetzungen zum Feld der eingeschränkten Produktion. […] und die aus dieser relativ autonomen Geschichte hervorgegangenen Produkte tragen kumulative Züge.
Da die Kenntnis der Kunstgeschichte unabdingbar ist, um als schöpferischer Produzent anerkannt zu werden, wird Blasi aufgefordert, sich kulturell zu bil
Bauer: Change, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. . Ebd., S. .
den. Ferys und Reichers Interesse, Blasis naive Artefakte kunsthistorisch zu verorten und als Pop-Art zu deklarieren, ist vor diesem Hintergrund als Strategie zu werten, seine Werke als ›reine‹ Kunst zu legitimieren. Um Blasi als Maler zu etablieren, geht Reicher strategisch vor. Zunächst plant er – im Dienst einer ›Ökonomie der Aufmerksamkeit‹ – zwei seiner »Grafiken in der Zeitung« zu bringen. Durch die Verständigung »einschlägige[r] Stellen« sollen die künstlerischen Konsekrationsinstanzen auf den Anwärter im kulturellen Feld aufmerksam gemacht werden. Blasis Bekanntheitsgrad soll außerdem durch eine »riesige Vernissage« gesteigert werden. Wie »an zugestutztn Pudl auf einer Hundeausstellung« will Reicher ihn dort den professionellen Meinungsbildnern vorführen. Das Interesse der breiten Öffentlichkeit soll der Maler hingegen durch »ein paar Skandälchen« auf sich lenken: R: […] ich schlag vor eine Entblätterung bei besonders brisantem Anlaß … etwa beim Künstlerempfang vom Minister, net wahr?! … das schlagt schon ganz schöne Wellen … Fernsehn […] Oder Bemalung fremder Autos etcetera […] Dann eben überall bekanntmachen, wos nur geht […].
Mit Reichers Plänen rekurriert Bauer auf zwei von der Presse ausgeschlachtete Skandale um die österreichischen Künstler Michael Guttenbrunner und Friedensreich Hundertwasser in den fünfziger und sechziger Jahren. So machte Guttenbrunner (nicht durch die Bemalung, sondern) durch die Zerstörung fremder Autos von sich reden. Angeblich hatte der bekannte Lyriker in der Nacht vom . auf den . Mai mit einer Axt, »deren Stiel ungefähr einen Meter lang« war, mehrere Autos beschädigt und seine Taten mit den Worten »Ich hasse die Autos …!« begründet. Als die Polizei den »Hackenschwinger« festnehmen wollte, habe sich Guttenbrunner mit »brutaler Gewalt« gewehrt, so dass der »Renitente […] an Händen und Füßen gefesselt werden« musste. In der anschließenden Gerichtsverhandlung wurde der Lyriker freigesprochen,
Vgl. Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit. Bauer: Change, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Nicht bezeichneter Zeitungsausschnitt vom . . , Dokumentation der Arbeiterkammer Wien. Zitiert nach: Friedbert Aspetsberger: Zu einigen Maß-Nahmen Michael Guttenbrunners. In: Klaus Amann / Eckart Früh (Hg.): Michael Guttenbrunner. Klagenfurt, Wien , S. –, hier S. . Nicht bezeichneter Zeitungsausschnitt, Dokumentation der Arbeiterkammer Wien. Zitiert nach: ebd., S. . Nicht bezeichneter Zeitungsausschnitt vom . . , Dokumentation der Arbeiterkammer Wien. Zitiert nach: ebd., S. .
da sich die in den Zeitungen kolportierten Ereignisse als falsch herausstellten. Guttenbrunner hatte zwar seine Axt im »Kreise geschwungen«, aber »niemand[en] bedroht«. Dennoch wurde er in den Feuilletons auch noch Jahre später als »Autozertrümmerer« bezeichnet, wie Friedbert Aspetsberger dokumentiert. Im Gegensatz dazu sorgte Hundertwasser für Schlagzeilen, als er sich am . Dezember in der Münchner Galerie Hartmann und am . Januar im »döblinger studentenheim […], anläßlich der eröffnung einer ausstellung seiner bilder in anwesenheit von frau stadtrat gertrude sandner« auszog. Der Künstler verstand seine ›Nacktdemonstrationen‹ als Protest gegen die zweckrationale Mode und Architektur, wie aus dem Polizeiprotokoll hervorgeht, in dem er erklärt: kleidung und gebäude haben eine entwicklung in den letzten jahrhunderten genommen, die nicht mehr der natur und den bedürfnissen des einzelmenschen entsprechen. im zuge der vermassung der gesellschaft wird dem einzelnen das unangemessene aufgezwungen. dem protest gegen die vergewaltigung durch die kleidung diente die entkleidung. so sollte jetzt das nackte, naturbelassene individuum als verkünder des protests statuiert und der korrigierten architektur an die seite gestellt werden.
Hundertwasser ist nicht zuletzt durch seine provokativen Auftritte bekannt geworden, mit denen es ihm gelang, die breite Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Trotzdem gebärdete er sich als »peintre naïf«, als »Maler, für die, wenn sie malen, immer Sonntag ist, der Maler von der Art des Zöllners Rousseau, die auf die unschuldigste Weise raffiniert sein können.« Um sich als Künstler durchzusetzen, folgt Blasi den von Fery und Reicher entwickelten Plänen. Er kann das öffentliche Interesse auf sich ziehen, indem er durch den von Reicher erdachten »Strip-tease« auf dem Künstlerempfang von sich reden macht. Auch seine Hochzeit mit Frau Sedlacek nutzt er, um sein »Einkommen an Beachtung« zu erhöhen. Der Maler versorgt die BoulevardPresse mit provokativen Hochzeitsfotos, auf denen etwa »die Mama den Blasi wie a Baby auf die Händ hat« oder »der Blasi seinen Fuß auf« seine lie
Bericht der Arbeiter-Zeitung, undatierter Ausschnitt [. . ], Dokumentation der Arbeiterkammer Wien. Zitiert nach: ebd., S. . Ebd., S. . Peter Weibel (Hg.) / Valie Export (Mitarb.): Wien. Bildkompendium Wiener Aktionismus und Film. Frankfurt/M. , S. . Ebd., S. . Wieland Schmied: Begegnungen mit Hundertwasser. In: Otto Breicha / Gerhard Fritsch (Hg.): Aufforderung zum Misstrauen. Literatur, Bildende Kunst, Musik in Österreich seit . Salzburg , S. –, hier S. . Bauer: Change, S. . Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit, S. . Bauer: Change, S. .
gende Gattin stellt. Innerhalb kürzester Zeit bringt es Blasi zu einem »Reichtum an Beachtung«, so dass ihn die Pflegerin Rikki im Krankenhaus als »teppate[n] […] Blasius Okopenko« erkennt. Neben dem hohen Prestige, mit Georg Franck definiert als rein quantitativer Aspekt des Ansehens, gewinnt Blasi an symbolischer Anerkennung, so dass Reicher ihn in einem seiner Essays in gleichem Atemzug mit Caspar David Friedrich nennen kann. Da die von Blasi erworbenen symbolischen Gewinne in ökonomische konvertierbar sind, kann er seine Artefakte in der siebten Szene für siebzigtausend Schilling verkaufen und sein Atelier »locker und teuer« einrichten. In seinem Theatertext führt Bauer vor, dass soziale Beziehungen – bzw. ein ›Vorschuss‹ an »gesicherter Beachtung von kulturell nicht nur interessierter, sondern auch kompetenter Seite« – unabdingbar sind, um sich im Feld der Kulturproduktion einen Namen zu machen. Erst als Blasi Reicher davon überzeugen kann, dass sich seine Werke »bei a bisserl Schmä […] gut verkaufen« lassen, und sich der Literaturkritiker entscheidet, Blasis Karriere voranzutreiben, kann sich der Schlosser aus St. Pölten als Maler durchsetzen.
.. Die Entlarvung des gerissenen Künstlers Fery Seewann als naiv Nach der Analyse der spezifischen Strukturen des Kunst- und Kulturbetriebs werden nun die Gründe für Ferys Scheitern dargestellt. In den ersten Szenen wird der Künstler als unproduktiv vorgeführt. Anstatt in seinem Atelier zu arbeiten, »versandelt« er die Nächte mit Guggi und Reicher und in der fünften Szene gesteht er Antoine: »Du, i mach momentan wenig«. Dass Ferys Schaffenskrise Konsequenz eines Utopieverlusts ist, geht aus einem Gespräch mit Reicher hervor, in dem die beiden über die fünfziger Jahre sprechen und zu dem Schluss kommen:
Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit, S. . Bauer: Change, S. . Nach Franck hat das ›Ansehen‹ eines Individuums eine quantitative und eine qualitative Dimension. Den quantitativen Aspekt – die Menge an Aufmerksamkeit, die ein Subjekt von Dritten bezieht – definiert Franck als ›Prestige‹, während der qualitative Aspekt des Ansehens den ›Ruf‹ eines Individuums begründet, der gut oder schlecht sein kann; vgl. Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit, S. . Bauer: Change, S. . Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit, S. . Bauer: Change, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Auch Guggi thematisiert Ferys Unproduktivität, vgl. ebd., S. .
F: War aber eh eigentlich a klasse Zeit … R: Es war was los … wenigstens … a unhamliche Begeisterung … so a richtige Avantgarde-Zeit … vastehst?
Reichers Klassifizierung der fünfziger Jahre als Avantgarde-Zeit impliziert, dass beide Künstler damals ›begeistert‹ eine innovative kunsttheoretische Position proklamiert und »die Funktion von Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft und deren ästhetische Verfahren« scharf kritisiert haben. Der einstige Idealismus ist einer pessimistischen Haltung gewichen. Die »Grundbefindlichkeit« der Figuren »ist gekennzeichnet durch totalen Mangel an Zukunftsperspektive.« Fery hat aber nicht nur mit einer Schaffenskrise zu kämpfen, sondern auch bereits zwei Selbstmordversuche unternommen. Währenddessen hat Reicher, der früher »jede Woche an Jazzvortrag ghalten« hat, sein Interesse an der zeitgenössischen Kunst verloren. So kommentiert er Fery gegenüber seinen nächsten Vernissage-Termin nüchtern mit den Worten »Dienst is Dienst«. Die Gründe für Ferys und Reichers Resignation werden von Bauer nicht erläutert, lassen sich aber aus Ferys Enthusiasmus für seine »Manipuläschn« ableiten. Der Künstler konstatiert: [D]er [Blasi, Anm. N.B.] is für mich wie eine Leinwand … eine leere Leinwand […] Und ich mal drauf … das is noch was Interessantes … aber net so mit Pemsl und Farb […] poppig oder informell … alles plunzn … alles Scheiße … nix … Okopenko wird manipuliert als a ganzer … das is totale Kunst […].
Ebd., S. . Der in Frankreich seit dem Mittelalter belegte militärische Begriff Avantgarde bezeichnet ursprünglich die »Elitetruppe der ›Aufklärer‹, die der Hauptarmee den Handlungsraum erschließen und Gefahrenpunkte auf dem Schlachtfeld sondieren«. Seit Ende des . Jahrhunderts fungiert er als »kunstexperimentelle[r] Werkstattbegriff« und bezeichnet politische und künstlerische Bewegungen, die »evolutionären Fortschrittsideologien« anhängen. »Unterschieden wird eine klassische Epoche sog. ›historischer Avantgarden‹« im frühen . Jahrhundert von »epigonalen ›neoavantgardistischen‹ Reprisen oder Umcodierungen seit den er/er Jahren.« Kennzeichnend für die ästhetischen Avantgarden der Moderne ist die »Kritik an jeglicher Form affirmativer Kunst«, verbunden mit der Proklamation der eigenen »Praxis als neu und zukunftsorientiert«, und die Leitidee einer »Verbindung von Kunst und Leben« (Karlheinz Barck: Avantgarde. In: Karlheinz Barck (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Bd. . Stuttgart, Weimar , S. –, hier S. , , , ); vgl. auch Wolfgang Asholt: Avantgarde. In: Ansgar Nünning (Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Stuttgart, Weimar , S. ; Klaus von Beyme: Das Zeitalter der Avantgarden. Kunst und Gesellschaft –. München . Asholt: Avantgarde, S. . Przybecki: Wolfgang Bauers Theater gegen den Strich, S. . Bauer: Change, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
Wie aus der Replik hervorgeht, zeigt sich Fery zum einen von der unikalen Aussicht fasziniert, ›noch was Interessantes‹ kreieren zu können. Zum anderen erhofft er sich von seinem ›totalen‹ Kunstwerk, die Realität unmittelbar verändern zu können. Wie von vielen avantgardistischen Strömungen im frühen . Jahrhundert gefordert, strebt er nach der Aufhebung der Kluft zwischen Kunst und Lebenspraxis. Dabei distanziert er sich von der etablierten Kunst, die er als funktionslos verwirft: »Schreiben … schreiben … so was Blödes … ich mach eben das was die Herrn Papiertiger … nur am Scheiß-Papier machn … des mach ich wirklich … spül … spül wirklich mit dem Leben, verstehst mi?« Ferys Äußerungen weisen darauf hin, dass seine schöpferische Krise aus der desillusionierenden Einsicht resultiert, weder wirklich originelle Kunstwerke schaffen noch mit seinen Artefakten ästhetische oder soziale Veränderungen herbeiführen zu können. An Ferys Produktionskrise haben aber auch die signifikanten Strukturen des Kunstbetriebs großen Anteil. Am Beispiel von Blasis Karriereverlauf verdeutlicht Bauer die totale Abhängigkeit des Künstlers von den korrupten Weihungsinstanzen des kulturellen Feldes. Das zeigt sich in der fünften Szene, in der Blasi dem Kunst- und Drogenhändler Antoine vorgestellt wird. Der Geschäftsmann signalisiert Blasi, ihm ein Bild abkaufen und für sein berufliches Fortkommen sorgen zu wollen, sollte dieser ihm sexuelle Gefälligkeiten erweisen. Als Blasi sich weigert, macht ihm der über zahllose soziale Kontakte verfügende Kunsthändler unmissverständlich klar: »Sei nicht dumm, Schweinchen-Schlau! Sei nicht blöd! Du weißt gar nicht, was ich für dich alles tun kann! Sei gscheit!« Wie Blasi könnte auch Fery seine Künstlerkarriere vorantreiben. Darauf weist Reicher hin, wenn er sich bei seinem Freund erkundigt: »sag wieso soll ma
Vgl. Asholt: Avantgarde; Barck: Avantgarde; Beyme: Das Zeitalter der Avantgarden, bes. Teil III. Bauer: Change, S. . In Ferys Resignation manifestiert sich das im postmodernen Diskurs proklamierte ›Ende der Avantgarde‹. In den siebziger Jahren des . Jahrhunderts wird das »evolutionäre Erklärungsmuster – Avantgarde als neue (Kunst)-Epoche in der Abfolge von Stilepochen seit der Romantik« verabschiedet und stattdessen ein pluralistisches Nebeneinander von Stilen konstatiert; das »berühmte Programm der ›Verbindung von Kunst und Leben‹« wird »als von der Postmoderne verwirklicht angenommen oder aber als Beweis für das Scheitern und den Tod der Avantgarde verifiziert.« Auch die »Auflösung und Zersetzung des sozial-utopischen Anspruchs« wird als Kennzeichen für den Niedergang der Avantgarde gewertet. Verantwortlich dafür sei die »Vereinnahmung« der innovativen Artefakte »durch den Kunstmarkt« und das Scheitern vieler revolutionärer Bewegungen bzw. die »Verschwisterung von Utopie und Totalitarismus« in den Diktaturen des . Jahrhunderts (Barck: Avantgarde, S. f., , ). Bauer: Change, S. .
den ganzen Tanz net mit dir machen …?« Auf seine Frage findet der Journalist selbst eine Antwort: »I waß scho, weils dich net ausziehst aufm Empfang«. Im Unterschied zu Blasi, der sich für seinen beruflichen Erfolg bedingungslos den Zwängen des Kunst- und Kulturbetriebs unterwirft, besteht Fery darauf, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Daher verzichtet er auf die Teilhabe im kulturellen Feld. Erst durch den Manipulationsplan, den er »fanatisch« verfolgt, fühlt er sich »auf einmal« wieder »irrsinnig produktiv«. Grund für Ferys Enthusiasmus ist zum einen die Chance, mit seinem innovativen Artefakt »unmittelbar ins Leben hineinwirken« zu können, und zum anderen die Aussicht, für seine ästhetischen Produkte beruflich gewürdigt zu werden, ohne dabei den Geboten des Kunstmarkts folgen zu müssen. Sein ›sadistisches‹ Interesse, Blasi nach einem gelungenen »Aufbauprogramm« zum Selbstmord treiben und über Leben und Tod verfügen zu wollen, ist vor diesem Hintergrund als Versuch zu werten, sein Erfolgsgefühl durch die Dokumentation der eigenen Souveränität zu steigern. Dass Fery seine Mordpläne nicht realisieren kann, wird in der dritten Szene vorweggenommen. Zu Besuch bei Fery im Atelier will Blasi das Aktzeichnen lernen. Um dessen Pläne im Rahmen der eigenen ›Objektkunst‹ zu unterstützen, fordert Fery von Guggi, Blasi Modell zu stehen. Als diese sich weigert, »reißt« er »ihr das Kleid halb herunter«, um den Maler mit der weiblichen Anato
Ebd., S. . Ebd., S. f. Ebd., S. . Melzer: Wolfgang Bauer, S. . Bauer: Change, S. . R. Bauer, Gottzmann und Nyssen deuten Ferys Mordabsichten vor dem Hintergrund der psychologischen Erklärungen Reichers. Der Literaturkritiker glaubt zu wissen: »im Blasius sollen deine beiden Hauptwünsche zusammentreffen. […] Erfolg und Tod … und nachdem du diese Entscheidungen selbst net schaffst, möchtest du sie auf anderer Ebene treffen.« (Ebd., S. ). Reichers psychologischer Deutung schließt sich R. Bauer an. Ferys Manipulationsplan sei als Wunsch zu werten, seine Handlungsunfähigkeit »durch magische Übertragung […] loszuwerden und sich dafür zu rächen.« (Bauer: Die Herren Vettern aus der Steiermark, S. ). Ähnlich deutet Nyssen Ferys Ambitionen, wenn sie konstatiert: »Der geplante Tod Blasis, der Fery, wie Reicher sofort erkennt, die Entscheidung zum Selbstmord abnehmen soll, ist ihm der Versuch, vom ›Gefühle zur Tat‹ zu schreiten« (Nyssen: Zu einigen Stücken Wolfgang Bauers, S. ). Auch Gottzmann problematisiert Ferys Handlungsunfähigkeit, die er im Stückverlauf überwinden könne, so dass er sich umzubringen in der Lage sei (vgl. Gottzmann: Intellektualismus und Triebhaftigkeit). Angesichts der von Bauer wenig exponierten Figuren sind solche psychologischen Interpretationen spekulativ. Zudem müssen Reichers analytische Fähigkeiten in Frage gestellt werden. Schließlich fordert Fery von seinem Freund: »bitte net analysieren … verschon mich mit deinen Analysen … solche Analysen sind nämlich immer sehr ichbezogen« (Bauer: Change, S. ). Ebd., S. .
mie vertraut zu machen. Da es Fery nur mit physischer Gewalt gelingt, seine Freundin zu entkleiden, bittet er sein ›Kunstobjekt‹ Blasi um Hilfe, der ihn belehrt: »Ich glaub, Fery, du gehst das zu rasant an … das muß man ganz langsam … verstehst … (ist bei ihr, beginnt sie langsam auszuziehen) … ganz gemütlich machen … (er pfeift zur Platte, Guggi steht nackt da. […]).« Bereits in dieser Szene ist Fery unfähig, sein soziales Umfeld gezielt zu lenken, während Blasi Guggi für die eigenen Ziele instrumentalisieren kann. Seine Überlegenheit offenbart sich auch in der eigenständigen Entscheidung, sein Repertoire an Bildmotiven zu erweitern. Auch ohne die Hinweise von Fery und Reicher weiß er um die Notwendigkeit, »außer Wälder[n] auch no Menschen« zeichnen zu müssen, um sich als Künstler einen Namen machen zu können. Ferys Naivität zeigt sich ein weiteres Mal in der vierten Szene. Im Animierlokal gibt Blasi dem gerissenen Künstler zu verstehen: [D]eine Redereien sind bei mir zwecklos […] Paß auf, ich hab neulich mit deiner […] Freundin […] gschlafm. […] und da hat sie mir gsagt, daß du was mit mir vorhast, daß du mich ›aufbaun‹ willst […] sag, was hast du dir dabei gedacht?!
Ferys Glaube, Blasi manipulieren zu können, erweist sich als illusionär. Sein Plan scheitert daran, dass er weder Blasi noch seine Freunde planvoll lenken kann. So übernimmt Guggi nicht – wie erdacht – die Rolle des »Zünglein[s] an der Waage«. Sie weigert sich, Blasi auf dem Höhepunkt seines beruflichen Erfolges zu verführen und anschließend gezielt zu ›zermürben‹, bis er sich umbringt. Obwohl Fery bereits in den ersten Szenen die Unrealisierbarkeit seines ›Kunstprojekts‹ vor Augen geführt wird, hält er an dem von ihm erdachten Vorhaben fest. Wirklichkeitsfremd bleibt er davon überzeugt, Blasi in den Tod treiben zu können, indem er ihn zuerst »mit Hilfe einschlägiger Autoren und Philosophen« demoralisiert, bevor er seinen beruflichen und privaten Misserfolg herbeiführt. Nach Gottzmann zeigt sich hier »die Hybris des Intellektuellen, der glaubt, daß alles machbar ist, und daß er durch seinen Intellekt auch sein Produkt wieder vernichten kann.« Aus Ferys fehlendem Realitätssinn resultiert ein ›Change‹ der sozialen Rollen in der avantgardistischen Künstlergruppe. Fery, der in der ersten Szene als ›Anführer‹ der Clique akzeptiert worden ist, gerät zunehmend in die Position des sozialen Außenseiters. Währenddessen beginnt der in der ersten Szene
Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. f. Ebd., S. . Ebd., S. . Gottzmann: Intellektualismus und Triebhaftigkeit, S. .
noch als »größte[r] Dilletant der Weltgeschichte« verlachte Blasi, die Freunde zu dominieren. Ferys Status als schwächstes Gruppenmitglied manifestiert sich in der fünften Szene, in der er für seine Versprecher beim Vorlesen eines Märchens verspottet wird, oder in der siebten Szene, in der er von der Hochzeitsgesellschaft »hämisch« zum Hausdiener degradiert wird. Die daraus resultierende Anspannung entlädt sich im Krankenhaus, in dem Guggi Fery so heftig provoziert, dass er auf seine schwangere Freundin einschlägt, bis diese ihr Kind verliert. Trotz dieser Vorfälle gelingt es dem Künstler nicht, sich von der Gruppe zu lösen. Verfrüht verlässt er das Krankenhaus, um Blasi und Reicher zu besuchen, denen er bekennt: »Am riesigsten find i ja, daß ich immer wieder zu euch komm«. Ferys Rückkehr »in die Höhle des Löwen« resultiert aus seiner vehementen Ablehnung der von ihm als philiströs deklarierten vorherrschenden Denkund Lebensformen. Aufgrund der Überzeugung, sich nur innerhalb seiner unangepassten Clique individuell entfalten zu können, besitzt er keine alternativen Handlungsmöglichkeiten. Zudem wertet er die Fehlgeburt seiner Freundin nicht als selbstverschuldete Katastrophe, sondern – durch Blasis Zuspruch – als Chance, den vollzogenen sozialen Rollenwechsel vom ›Anführer‹ zum Außenseiter wieder rückgängig machen zu können. So behauptet Blasi, kurz nachdem Guggi ihr Kind verloren hat: B: Na, komm nur, alter Freund … jetzt is eh wieder alles beim alten. F: Naja … irgendwie schon.
Indem Blasi auf die Zeit vor Guggis Schwangerschaft rekurriert, verweist er auf die Zeit, in der er selbst noch den Status des sozialen Außenseiters innehatte. Da das von Blasi gezeugte Kind die einzig sichtbare Manifestation des sozialen Rollenwechsels darstellt, knüpft Fery an die physische Vernichtung des Sprösslings die Hoffnung, Blasis Einflussnahme auf die Künstlergruppe rückgängig machen und sich wieder integrieren zu können. Vor diesem Hintergrund ist Ferys euphorische Stimmung zu verstehen, in der er Blasi und Reicher nach dem Krankenhausaufenthalt aufsucht und den beiden eröffnet: »hehe … i fühl mich jetzt seit langem wieder richtig wohl«. Ferys Glaube, von der Gruppe wieder akzeptiert werden zu können, wird enttäuscht, als Blasi in der letzten Szene zum Gesellschaftsspiel ›The Change‹ auffordert, in dessen Rahmen jeder der Anwesenden die Identität eines anderen anzunehmen hat. Dabei tauschen Blasi und Fery ihre (sozialen) Rollen.
Bauer: Change, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
Während Fery den naiven Maler spielen soll, gibt Blasi den gerissenen Künstler mit Mordplänen, dem es nicht gelingt, sein Gegenüber gezielt zu beeinflussen. Als Fery sich nach anfänglichem Zögern auf »den totalen Change« einlässt und in die Rolle von Blasi schlüpft, scheitert er. In dem Wunsch, als ›Anführer‹ der Clique gebilligt zu werden, beginnt er sich so stark mit dem naiven Künstler zu identifizieren, dass er sich nicht mehr an die Spielregeln hält. Er nimmt Rikki nicht als Spielpartnerin in ihrer Rolle als Herr Mitterndorfer wahr, sondern sieht in ihr mit den Augen Blasis die begehrenswerte Krankenschwester. In seiner totalen Identifikation mit Blasi wird Fery jedoch nicht von seinem sozialen Umfeld anerkannt. Als er sich auf Rikki stürzt, um sie zum Geschlechtsverkehr zu zwingen, reißt sich die junge Frau los und beendet das Spiel, indem sie Blasi – den Initiator des ›Schauspiels‹ – um Hilfe ruft. Daraufhin erhängt sich Fery auf der Toilette des Ateliers. Mit spielerischen Mitteln wird dem gerissenen Künstler, der sich erhofft hat, souverän im kulturellen Feld agieren und mit seinem ›Artefakt‹ die Realität verändern zu können, vor Augen geführt, nicht handlungsmächtig zu sein. Im Unterschied dazu ist Blasi in der Lage, »Macht, Ansehen und Reichtum – und also relative, mittelbare Freiheit« zu gewinnen, indem er dem Apparat, der sie verleiht, sich unterwirft, dessen Funktionsweise zum Gesetz des eigenen Handelns macht. Im Maße Blasi ihm die sich bietenden Chancen entschieden ergreift, ohne erst abzuwarten, was man ihm wohldosiert zuteilen will, gerät Fery in die Situation des Zauberlehrlings, dem aber kein Meister zuhilfe eilt und den Schlosser wieder zu dem werden läßt, was er war.
Neben der Einsicht, dass die Teilhabe im Feld der Kulturproduktion mit dem Verlust der eigenen Autonomie korreliert, muss Fery realisieren, dass ihm auch im unangepassten Künstlermilieu keine Möglichkeit zur individuellen Entfaltung gegeben ist. Wie das von ihm abgelehnte bürgerliche Umfeld übt die hierarchisch strukturierte Clique repressive Zwänge aus. Fery wird von seinen Freunden nicht mehr als gleichrangiges Gruppenmitglied akzeptiert und zum sozialen Außenseiter degradiert. Dem Verlust seiner sozialen Identität folgt seine physische Auslöschung.
Ebd., S. . Gamper: Nachwort, S. .
.. ›Change‹ als Manifestation eines ›doppelten Bruchs‹ mit der Wiener Gruppe und der geweihten Dramatik in der Bundesrepublik Bauers Theatertext ist als »satirische[r] Seitenhieb auf den Kulturbetrieb« zu lesen, »der der Imagebildung eines Künstlers größeres Augenmerk zuwendet als dessen kreativer Leistung«. Außerdem wendet sich der Dramatiker gegen die Hybris schöpferischer Produzenten, die glauben, sich souverän im kulturellen Feld bewegen zu können. Dass Bauer ferner darauf zielt, sich von der Wiener Gruppe und von dem politischen Theater der sechziger Jahre in der Bundesrepublik abzugrenzen, wird nun zu zeigen sein. ... Die Gestaltung des Bruchs mit der Wiener Gruppe In seinem Stück rekurriert Bauer auf die österreichische Avantgarde der fünfziger und sechziger Jahre. Darauf verweist bereits die Namensgebung der Protagonisten. Während der Name »Otto Reicher alias Doktor der Kunstgeschichte« auf den promovierten Kunsthistoriker und Mitherausgeber der österreichischen Zeitschrift ›Protokolle‹ Otto Breicha anspielt, lässt Blasis Nachname Okopenko an den österreichischen Autor Andreas Okopenko denken. Dass sich Bauer insbesondere mit der Wiener Gruppe auseinandersetzt, belegen die vielen Verweise auf die österreichische Künstler-Vereinigung, die sich in den fünfziger Jahren formiert hat und zu der die Autoren Friedrich Achleitner, Hans Carl Artmann, Konrad Bayer, Gerhard Rühm und Oswald Wiener zählen. Das Kollektiv ist zuerst am . Juni von Dora Zeemann im ›Neuen Kurier‹ als ›Wiener Dichtergruppe‹ bezeichnet worden. Nachdem Art-
Bartsch: Wolfgang Bauer, S. f. Bauer: Change, S. . Otto Breicha (. . –. . ) arbeitete u. a. als Literatur- und Kunstkritiker, war mehrere Jahre als programmgestaltender Direktor des ›steirischen herbstes‹ tätig, gab zusammen mit Gerhard Fritsch die Zeitschrift ›Protokolle‹ heraus, leitete mehrere Jahre das Kulturhaus der Stadt Graz, bis er zum Leiter der Salzburger Landessammlungen und der Modernen Galerie Rupertinum berufen wurde. erhielt er den Preis der Stadt Wien für Publizistik, / wurde er mit dem Alfred-KerrPreis des deutschen Buchhandels für die ›Protokolle‹ ausgezeichnet. Der freie Schriftsteller Andreas Okopenko (geb. am . . ) gab von – zusammen mit H.C. Artmann die Literaturzeitschrift ›publikationen einer wiener gruppe junger autoren‹ heraus, in der zahlreiche Avantgarde-Autoren der Zeit publizierten. Okopenko wurde unter anderem mit dem Anton-Wildgans-Preis, mit dem Österreichischen Würdigungspreis für Literatur, mit dem Großen Österreichischen Staatspreis und mit dem Georg-Trakl-Preis ausgezeichnet. erhielt er die Goldene Ehrenmedaille der Stadt Wien.
mann die Gruppe verlässt, markiert Bayers Selbstmord am . Oktober das Ende der Vereinigung. Die Parallelen zwischen der von Bauer dargestellten Künstlerclique und der Wiener Gruppe bestehen im bohemetypischen Habitus, in der hierarchischen Gruppenstruktur, den kunsttheoretischen Positionen, den Manipulationsplänen und dem Vorhaben, einen Autodidakten als Maler im kulturellen Feld zu positionieren. Wie die in ›Change‹ vorgeführte Künstlerclique hat sich auch die Wiener Gruppe durch einen antibürgerlichen Lebensstil ausgezeichnet. Mit einer eigenen habituellen Symbolik dokumentierte sie ihre Zugehörigkeit zur Avantgarde und ihre Ablehnung der dominierenden Wertvorstellungen und Verhaltenskonventionen. Die Dichter pflegten die Kaffeehauskultur und wählten ab , wie die Avantgarde in ›Change‹, das legendäre Künstler-Café ›Hawelka‹ in der Dorotheergasse als Stammlokal. In Bezug auf das äußere Erscheinungsbild der Gruppenmitglieder bemerkt Rühm, dass sich Bayer »betont modisch kleidete« und »dandyhaft« wirkte, und Artmann erinnert sich: Wir haben damals alle ein armseliges Leben geführt – aber gepflegt und elegant war’ ma immer. Alle haben wettgeeifert, wer der eleganteste Bursch ist. Und wir haben einen Krawatten-Kult betrieben. […] Über Kunst wurde fast nie gesprochen. Eher über Schuhe und Krawatten. Dandy-Gespräche halt. Man hat einfach fesch sein müssen, damals. Und jeder hat irrsinnige G’schichterln erzählt.
Neben dem eigenwilligen äußeren Erscheinungsbild, das der Distinktion diente, stellte die Wiener Gruppe »die eigene Exklusivität« gegenüber anderen schöpferischen Produzenten zur Schau, indem sie sich als »hermetisch geschlossener Freundeskreis« präsentierte. Insbesondere Wiener versuchte die
In der Literaturzeitschrift ›Die Pestsäule‹ behauptet Artmann , dass die Wiener Gruppe bloß eine »journalistische Erfindung« sei und sich die einzelnen Künstler nie als Mitglieder einer Künstler-Vereinigung gefühlt hätten (zitiert nach: Michael Horowitz: H.C. Artmann. Eine Annäherung an den Schriftsteller & Sprachspieler. Wien , S. ). Im Gegensatz dazu beglaubigt Rühm mit seiner im Rowohlt Verlag veröffentlichten Anthologie ›Die Wiener Gruppe. Achleitner, Artmann, Bayer, Rühm, Wiener. Texte, Gemeinschaftsarbeiten, Aktionen‹ Handeln und Wirken einer solchen Gruppierung und weist ihr mit seiner Publikation »geschickt einen fixen Platz in der Literaturgeschichte Österreichs« zu (ebd., S. ). In dieser Arbeit wird – mit Rühm – die Existenz einer Wiener Gruppe vorausgesetzt. Das Café ›Hawelka‹ wird ab zum ›Stammcafé‹ der Wiener Gruppe; vgl. Gerhard Rühm: Vorwort. In: Konrad Bayer: Sämtliche Werke. Bd. : Frühe Texte, Inventionen und Gedichte, Chansons, Sketches, Szenen und Theaterstücke, Filmszenarien, Nachdichtungen, Gelegenheitsschriften. Hg. von Gerhard Rühm. Stuttgart , S. –, hier S. . Die beiden anderen in ›Change‹ genannten Künstlertreffs, das ›Voom Voom‹ und das ›Theatercafé‹, haben sich in der Laudongasse in der Josefstadt befunden. Rühm: Vorwort, S. . Zitiert nach: Horowitz: H.C. Artmann, S. . Ulrich Janetzki: Alphabet und Welt. Über Konrad Bayer. Königstein/Ts. , S. .
Freunde »als elitäre Gruppe zu institutionalisieren« und durch »hierarchische Ordnungen der gesamten Gruppe nach außen hin Autorität zu verschaffen.« Das aus den eingeführten »ritualisierte[n] Normen« gruppeninterne Spannungen resultierten, verdeutlicht Ulrich Janetzki: Schon als Friedrich Achleitner zur Gruppe kommt, ist es ihm schwierig, sich in die bereits durch O. Wiener installierten Gruppenrituale einzufügen. Als Konrad Bayer der Gruppe mitteilt, daß er beabsichtigt, sich von dem Maler Kurt Regschek […] portraitieren zu lassen, wird er – auf Betreiben O. Wieners – aus der Gruppe ausgeschlossen. Dieser durchaus ernstgemeinte Entschluß wird zwar am nächsten Tage wieder augehoben [sic], zeigt aber doch deutlich, daß auch innerhalb der Gruppe ein fixiertes Ordnungsgefüge herrscht, das von allen gemeinsam – mehr oder minder ernsthaft – getragen wird.
Aus den Ausführungen geht hervor, dass die Wiener Gruppe, ähnlich wie die Künstlerclique in ›Change‹, gegen gesellschaftliche Autoritätsverhältnisse opponiert, die von ihnen negierten Zwänge durch ihre hierarchische Gruppenstruktur aber reproduziert hat. Auch im Hinblick auf das berufliche Selbstverständnis seiner Künstlerfiguren rekurriert Bauer auf die Wiener Gruppe. So fußt die in ›Magic Afternoon‹ kolportierte und ›Change‹ zugrunde liegende Geschichte eines Künstlers namens Konrad, der sich entschließt, einen Regenschirmmacher aus St. Veit als Maler zu etablieren, auf einer tatsächlichen Begebenheit. Davon überzeugt, souverän im kulturellen Feld agieren zu können, wettete Konrad Bayer mit Oswald Wiener, die professionellen Meinungsbildner von den Artefakten des naiven Malers Robert Klemmer überzeugen zu können. Das bestätigt Otmar Bauer, der erklärt: die karriere klemmers, der immer nur sich selbst malt, entsprang einer wette zwischen beier [sic] und wiener, jeder kann künstler sein, klemmer war schalterbeamter bei der post in der weihburggasse, neben dem stundenhotel, sie haben ihn überredet, maler zu werden, immer nur sich selbst zu malen, und die sache klappte, klemmer jedenfalls grüßt ossi immer oberjovial im savoy so eine spur zu laut, versoffen blutunterlaufene hundeaugen, ossi wiener übersieht ihn.
Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. f.; zur Selbstpräsentation der Wiener Gruppe vgl. Rühm (Hg.): Die Wiener Gruppe, S. –, bes. S. f.; zum Ausschluss Bayers aus der Gruppe vgl. Konrad Bayer: h.c. artmann und die wiener dichtergruppe. In: Breicha / Fritsch (Hg.): Aufforderung zum Misstrauen, S. –, hier S. . Otmar Bauer: . Autographische Notizen zu Wiener Aktionismus, Studentenrevolte, Underground, Kommune Friedrichshof, Mühl Ottos Sekte. Maria Enzersdorf , S. . Im Gegensatz zu Otmar Bauer und Janetzki vermutet Rühm, dass Bayer und Wiener nicht Klemmer, sondern den geborenen Padhi Frieberger im kulturellen Feld als Künstler etablieren wollten. Im Interview mit Maria Fialik konstatiert er: »Padhi Frieberger wurde, ehrlich gesagt, nie ernst genommen. Es gibt ja dieses Theaterstück von Wolfi Bauer, Change […]. Ich weiß es von Konrad Bayer, der gesagt
Wie angedeutet, hat Klemmer seine Gemälde auf Bayers ausdrücklichen Wunsch – ähnlich wie Blasi in ›Change‹ – als ›Suchbilder‹ konzipiert, »d. h., es entstand kein Bild mehr, auf dem nicht auch der Künstler selbst deutlich sichtbar im Vorder- oder Hintergrund« zu sehen war. Wie prognostiziert gelang es dem Autodidakten auf diese Weise, sich als Maler durchzusetzen. Obwohl sich Bayer als gerissener Produzent gerierte, der meinte, jedes Subjekt als Künstler etablieren zu können, war er – wie Bauers Protagonist Fery – selbst nicht bereit, sich den Zwängen des Kunst- und Kulturbetriebs zu unterwerfen. Wie die anderen Mitglieder der Wiener Gruppe grenzte er sich von den ›korrumpierten‹ Teilhabern im kulturellen Feld vehement ab, wohl auch deswegen, weil der Künstler-Vereinigung selbst die Publikationsmöglichkeiten fehlten. Der Distinktionswille des Kollektivs manifestiert sich etwa in der von Artmann verfassten ›acht-punkte-proklamation des poetischen actes‹, in der nur das autonome, nicht auf berufliche Anerkennung zielende Subjekt als Künstler kategorisiert wird. Im Rekurs auf den seit dem Sturm und Drang tradierten Geniegedanken konstatiert Artmann, dass sich ein Schriftsteller nicht durch seine Artefakte, sondern durch seine exzeptionelle Weltwahrnehmung auszeichnet. Nicht das schriftlich niedergelegte Werk, sondern der »wunsch, poetisch handeln zu wollen«, definiere den Künstler als solchen. Nur der »poetische act« sei »dichtung um der reinen dichtung willen«, da er nicht dem Erwerb ökonomischer oder symbolischer Gewinne diene. Da nicht das ästhetische Produkt, sondern die »alogische geste« ein »act von ausgezeichneter
hat, der Ossi Wiener und er würden aus Spaß auch Experimente mit Leuten machen, um sie psychologisch zu manipulieren oder aus ihnen Künstler zu machen, und das hat so die Richtung von Padhi Frieberger. Ich bin überzeugt, daß das Padhi Frieberger war.« (Maria Fialik: ›Strohkoffer‹-Gespräche. H.C. Artmann und die Literatur aus dem Keller. Wien , S. ). Janetzki: Alphabet und Welt, S. ; Klemmers Biographie und die von Bayer entworfene Einladung zur Vernissage des Künstlers am . . in der Galerie Fuchs in Wien sind abgedruckt in Weibel (Hg.) / Export (Mitarb.): Wien. Bildkompendium, S. . Dass die Wiener Gruppe nicht freiwillig auf eine Position im kulturellen Feld der Zeit verzichtet, sondern die ihr in Österreich fehlende berufliche Anerkennung als belastend empfunden hat, geht aus Rühms Aufzeichnungen hervor. Er schreibt: »trotz eines gewissen echos (vor allem auf unsere beiden cabarets) wurde uns immer beklemmender unsere isolation und die hoffnungslosigkeit unserer lage in österreich bewusst. von einigen wenigen abdrucken in zeitschriften und anthologien abgesehen, häufen sich unsere unpublizierten manuskripte in der schublade. offiziell stehen wir auf der schwarzen liste. wir sind störenfriede. man lässt uns keine chance, will von uns nichts wissen.« (Rühm: Vorwort, S. ). H.C. Artmann: acht-punkte-proklamation des poetischen actes. In: Rühm (Hg.): Die Wiener Gruppe. Achleitner, Artmann, Bayer, Rühm, Wiener. Texte, Gemeinschaftsarbeiten, Aktionen. Reinbek bei Hamburg , S. –, hier S. . Ebd., S. .
Schönheit« sei, müssten auch Subjekte als Künstler klassifiziert werden, die nie »ein wort geschrieben oder gesprochen […] haben.« In ›Change‹ reflektiert Bauer über Artmanns Subjektverständnis und über sein Künstlerbild, wenn er einen schöpferischen Produzenten vorführt, der darauf verzichtet, seine berufliche Karriere voranzutreiben, um selbstbestimmt zu bleiben. Sein Protagonist erweist sich aber als nicht handlungsmächtig. Obwohl er auf die Teilhabe im kulturellen Feld verzichtet, werden ihm von seinem Umfeld soziale Rollen zugeschrieben, die ihn daran hindern, sich individuell entfalten zu können. Bauer entlarvt Artmanns Vorstellung von einem souveränen Subjekt und damit auch die von einem autonomen Künstler als Illusion. Nicht nur im Hinblick auf den bohemetypischen Habitus und das berufliche Selbstverständnis, sondern auch in Bezug auf die vorgeführten kunsttheoretischen Positionen rekurriert Bauer auf die Wiener Gruppe. Wie die Künstlerclique in ›Change‹ hat auch die österreichische Avantgarde gegen alle »öffentlichen Institutionen«, besonders gegen die »Kunstinstitutionen (Museen, Galerien, Verlage)« sowie die Staats- und die Wirtschaftsordnung opponiert. Die Ablehnung des politischen Systems korrelierte mit dem Wunsch, mit den eigenen Artefakten soziale Veränderungen herbeizuführen. Dabei ging das Wiener Künstler-Kollektiv mit Ludwig Wittgenstein von der Überlegung aus, dass das Subjekt nicht über die Sprache als Bezeichnungs- und Kommunikationssystem von sprachunabhängigen Gedanken verfügt, sondern sich seine Außenwelt in sprachlich überlieferten Konventionen erschließt. Da die von den »gesellschaftlichen Institutionen« geprägte Sprache das Bewusstsein des Subjekts bestimme, sei die Sprache als soziales Herrschaftsinstrument zu begreifen. Indem man der »Sprachhoheit der Gesellschaft« die »eigene [ästhetische, Anm. N.B.] Produktion« entgegensetze, könne man die geltende politische, wirtschaftliche und kulturelle Ordnung reformieren. Die von der Wiener Gruppe vertretene behavioristische Auffassung, dass die Sprache das menschliche Denken determiniere, dokumentiert Wiener in seinem Roman ›die verbesserung von mitteleuropa‹ (), in dem er den homodiegetischen Erzähler reflektieren lässt: »die worte mitsamt ihrem gebrauch sind untrennbar mit politischer und sozialer organisation verbunden, sind diese organisation«,
Ebd., S. . Ebd., S. . Oswald Wiener: Bemerkungen zu einigen Tendenzen der ›Wiener Gruppe‹. In: Kunsthalle Wien [Red. Wolfgang Fetz] (Hg.): Die Wiener Gruppe [Kunsthalle Wien, . . –. . ]. Wien , S. –, hier S. . Vgl. ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Oswald Wiener: die verbesserung von mitteleuropa, roman. Reinbek bei Hamburg , S. .
und: »überall die sprache stärker als die intelligenz, man bildet sich geradezu an der sprache, vorbild, systeme entstehen und widersprechen einander und sich, sprache: der stil der wirklichkeit.« Bayer illustriert die von der Wiener Gruppe vertretene Auffassung der als Herrschaftsinstrument fungierenden Sprache in seinem dramatischen Fragment ›die boxer‹ (–), in dem er die sprachliche Kommunikation zweier Figuren abstrakt als Boxkampf darstellt. während des dialogs wankt der eine oder andere oder beide in völlig gesprächiger haltung. sie wanken deutlich wenn sie die entsprechenden sätze bekommen haben. jeder satz ist ein schlag. nicht jeder satz trifft. manche sätze können abgedeckt werden.
Anschaulich führt Bayer vor, dass der Dialog zweier Subjekte nicht der Verständigung dient, sondern darauf zielt, das Gegenüber zu dominieren. Neben den literarischen Werken, mit denen die Wiener Gruppe versucht hat, »sich über die Mechanismen des Verstehens und des ›Wirkens‹ von Sprache erste Hypothesen zu verschaffen«, hat insbesondere Bayer lebenspraktische Versuche unternommen, um den Einfluss der Sprache auf die Realität zu studieren. So berichtet Wiener: Er war häufig mit dem Arrangement einer Szene oder einer Situation beschäftigt, um andere zu für ihn vorhersagbaren Handlungen zu bringen (nicht vorwiegend Handlungen, die einen außerhalb des Experiments liegenden Vorteil für ihn bedeutet hätten). […] Er trachtete danach, einen umfassenderen Überblick über die jeweilige Lage zu haben als die Menschen, die diese Lage mit ihm zu teilen schienen, und vergewisserte sich darüber durch kleinere und größere Eingriffe oder Akzentverschiebungen.
Dass Bayer im Rahmen dieser Experimente geplant hat, ein anderes Subjekt gezielt in den Selbstmord zu treiben, geht ebenfalls aus Wieners Aufzeichnungen hervor: [E]in bekanntes Theaterstück von W. Bauer paraphrasiert einen weitgehend durchdachten Plan, den Konrad mit W.T. und mir längere Zeit hindurch weiterfeilte und der eigentlich nur deswegen nicht völlig in die Tat umgesetzt worden ist, weil das globale Gelingen nicht recht zweifelhaft war und weil ein Unterschied zwischen einem Menschen und einer Vorstellung schwierig zu treffen ist. Hierher gehört auch ein teilweise ausgeführter Versuch, sich ohnehin anbahnende Veränderungen in den Liebes-
Ebd., S. . Konrad Bayer: die boxer. In: Konrad Bayer: Sämtliche Werke. Bd. : Frühe Texte, Inventionen und Gedichte, Chansons, Sketches, Szenen und Theaterstücke, Filmszenarien, Nachdichtungen, Gelegenheitsschriften. Hg. von Gerhard Rühm. Stuttgart , S. –, hier S. . Oswald Wiener: Einiges über Konrad Bayer. In: Oswald Wiener: Literarische Aufsätze. Wien , S. –, hier S. . Ebd., S. f.; zu Bayers Manipulationsversuchen vgl. auch Fialik: ›Strohkoffer‹-Gespräche.
und Eheverhältnissen einiger unserer Freunde zu beeinflussen und diesen Versuch als eine Schlacht zwischen ihm und mir auszutragen […].
Bauer bricht mit der von dem Wiener Künstler-Kollektiv propagierten Auffassung, »daß eine veränderte Sprache auch eine veränderte Welt nach sich ziehen müsse.« Er lässt die Manipulationspläne seines Protagonisten, die darauf zielen, »eine Situation eigenen Vorgaben gemäß zu konstituieren«, um sich der eigenen Souveränität zu vergewissern, scheitern. Der gerissene Künstler erweist sich als weltfremd; ihm gelingt es nicht, sein ›objet trouvé‹ mit Hilfe von Literatur »defaitistisch« zu »unterminieren«, weil sich Blasi nicht durch Worte lenken lässt. Dass die Sprache nicht das Bewusstsein des Autodidakten prägt, zeigt sich in der zweiten Szene, in der Guggi ihn fragt, ob er sie – wie er behauptet – wirklich liebe. Blasi entgegnet: Ich liebe dich! Ich liebe dich! […] Weißt, was das is? […] Das is genauso wie: Mahlzeit! Mahlzeit! oder Guten Morgen! Guten Abend! … oder wie au weh! oder wie sehr schön, sehr schön, sehr schön! Das is halt irgendwas, was man sagt […] Weißt, was man sagt, is egal, die Hauptsach man erlebt was dabei […].
Hier zeigt sich, dass Blasi nicht dem Wort, sondern nur der Tat vertraut. Seine Autorität als ›Anführer‹ der Künstlergruppe gründet sich auch nicht auf seine manipulatorische Sprache, sondern auf seine mitunter brutalen Handlungen. So bricht der naive Maler nachts in eine Boutique ein oder bedroht Antoine mit einem abgebrochenen Flaschenhals. Auch in der sprachlichen Konzeption des Bühnenstücks kommt zum Ausdruck, dass Bauer die sprachkritischen Thesen der Wiener Gruppe negiert. Wie erläutert, verfügen die dramatis personae nur über einen geringen Wortschatz, sie können keine komplexen Sätze bilden und sich nicht flüssig artikulieren. Dieses Unvermögen impliziert ihre Unfähigkeit, die Sprache zur Steuerung von Situationen gezielt einsetzen zu können. Auch in der Diskrepanz zwischen ihren Worten und Taten manifestiert sich die fehlende Kraft der Sprache, auf das menschliche Bewusstsein einzuwirken. Während der Jargon der Künstlerfiguren von Diminutiven und Kosewörtern geprägt ist, zeugen ihre Handlungen von Aggression, Brutalität und Desinteresse am Gegenüber.
Wiener: Einiges über Konrad Bayer, S. . Es ist denkbar, dass Bauer mit Ferys ›Kunstprojekt‹ auch auf das von der österreichischen Künstlerin Valie Export geplante Projekt »einer ausstellung eines menschen samt zubehör« Bezug nimmt: »fotos, tagebücher, notizzettel, unterwäsche, urin, spermen [sic], dokumente, liebesbriefe, bücher, sprechzeit und bedienung nur von uhr bis uhr täglich etc« (Weibel (Hg.) / Export (Mitarb.): Wien. Bildkompendium, S. ). Ob Bauer das Projekt gekannt hat, ist allerdings nicht zu rekonstruieren. Janetzki: Alphabet und Welt, S. . Ebd., S. . Bauer: Change, S. . Ebd., S. .
Neben den Verweisen auf die Wiener Gruppe ist anzunehmen, dass Bauer auch auf Peter von Tramins erschienenen Roman ›Die Herren Söhne‹ Bezug nimmt. Ob der Dramatiker den Roman gekannt hat, ist nicht nachweisbar, allerdings ist das Buch in den sechziger Jahren als »literarische Entdeckung« gefeiert worden. Dem Autor, der sich als Doderer-Verehrer deklarierte, wurde darüber hinaus eine Ahnengalerie eröffnet, in der Gütersloh, Herzmanovsky-Orlando und Lernet-Holenia, aber auch Werfel und Broch, Musil und Stifter zu finden waren. Die Bewahrung des großen österreichischen Erbes, die man sich von ihm versprach, wurde auch weiterhin honoriert: zunächst durch den Österreichischen Staatspreis für Literatur (). […] Noch wurde Tramin in den PEN-Club gewählt, dem er ab als jüngstes Vorstandsmitglied angehörte; in diesem Jahr erhielt er den Preis des Wiener Kunstfonds.
Angesichts des hohen Konsekrationsgrads des Autors kann davon ausgegangen werden, dass Bauer den Roman rezipiert hat. In ›Die Herren Söhne‹ schildert Tramin die Geschichte von vier jungen Männern namens Peter, von denen einer, Peter Fechtner, zum ›Schwarzen Peter‹ wird. Er dient dem Aristokraten Peter von Schelnhausen als »Versuchsobjekt«. Der Adlige, der skrupellos »mit Menschen spielt«, plant – wie Fery in ›Change‹ – seinen »einzigen, aber allgegenwärtigen Feind« zum Selbstmord zu treiben. Er prophezeit Fechtner, dass er sich umbringen werde, und zermürbt ihn, indem er ihn psychisch terrorisiert. Durch Intrigen, in denen ›Schelle‹ wie ein Regisseur Fechtners soziales Umfeld planmäßig steuert und private Katastrophen inszeniert, überzeugt er sein Opfer davon, dass der Freitod dem Leben vorzuziehen sei. In seinem Roman führt Tramin Jugendliche vor, die in eine Orientierungskrise geraten, auf die sie mit Unzugänglichkeit, Indifferenz und provokatorischen Allüren reagieren. […] Auf dem von den Vätern geräumten Feld stellen sich die Intrigen der Figuren […] als Positionskämpfe dar, als Züge und Rochaden im Spiel um die Macht, die bis in die nebensächlichsten Handlungsabläufe hin zu verfolgen sind.
Wie in Tramins Roman leiden auch Bauers Figuren unter dem Verlust eines kollektiven Sinnsystems. Sie opponieren gegen die vorherrschenden Denkund Lebensformen, zeigen sich aber unfähig, den negierten Normen eigene Wertvorstellungen entgegenzusetzen. Stattdessen reproduzieren sie die von ihnen abgelehnten Zwänge. Durch Machtkämpfe versuchen sie, sich der eigenen Souveränität zu vergewissern oder einen ›Change‹ der sozialen Rollen inner
Konstanze Fliedl: Haben und Nichts. Zu Peter von Tramins Roman ›Die Herren Söhne‹. In: Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft N.F., (–), S. –, hier S. . Ebd., S. . Peter von Tramin: Die Herren Söhne. Roman. München , S. . Ebd., S. , . Fliedl: Haben und Nichts, S. .
halb der Gruppe herbeizuführen. Während Tramin vorführt, dass das menschliche Bewusstsein von einem autonomen Individuum manipuliert werden kann, erteilt Bauer der Vorstellung von einem souveränen Subjekt eine Absage. ... Bauers Positionierung im kulturellen Feld in Österreich In ›Change‹ bricht Bauer mit der österreichischen Avantgarde der fünfziger und sechziger Jahre. Um seine Positionierungsstrategie zu erhellen, muss seine Stellung im kulturellen Feld der Zeit skizziert werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Dramatiker von vornherein in einem doppelten Bezugssystem steht: in dem der literarischen Kommunikation der im engeren Sinne eigenen Literatur mit ihren historisch bedingten spezifischen Gegenständen und Traditionen und in dem der deutschsprachigen Literatur insgesamt, innerhalb derer Beachtung zu finden, einen ersten Schritt auf dem Weg zu weltliterarischer Resonanz darstellt.
Bevor Bauers Stellung im deutschsprachigen kulturellen Feld analysiert wird, ist zunächst seine Position im kulturellen (Parallel-)Feld in Österreich zu konkretisieren. Das Feld der Kulturproduktion in Österreich besitzt in den fünfziger und sechziger Jahren nur einen geringen Grad an Autonomie. Die kulturpolitischen Prämissen der Regierenden können […] direkt auf den Kulturbetrieb einwirken: Rundfunk und (seit ) Fernsehen sind ein Staatsmonopol; die großen Bühnen gehören Bund, Ländern und/oder Städten; die größeren Verlage sind zu einem guten Teil in der Hand des Staates, öffentlicher Körperschaften oder der katholischen Kirche; […] die ›Hochkultur‹ wird durch Subventionen und Preise gefördert, damit aber auch in Abhängigkeit gehalten […].
Klaus Pezold: Vom möglichen Nutzen eines komparatistischen Ansatzes. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft, (), S. –, hier S. . Es wird vorausgesetzt, dass in Österreich ein eigenes kulturelles Feld existiert, das sich durch zahlreiche Interdependenzen nicht trennscharf von dem kulturellen Feld in der Bundesrepublik abgrenzen lässt. So sind die Konsekrationsinstanzen – Verlage und Feuilletons – in Deutschland und Österreich teilweise dieselben. In Österreich gibt es keine »Literaturkritik für eine breitere Öffentlichkeit […] und es bleibt der Blick in die – für den Markt ungleich gewichtigeren – bundesdeutschen Feuilletons«. Auch der österreichische Buchmarkt ist von dem deutschen abhängig. »Auf dem österreichischen Buchmarkt werden – Milliarden Schilling jährlich erwirtschaftet. Drei Viertel des Angebots stammen aus ausländischer Produktion, vor allem aus deutscher.« (Klaus Zeyringer: Literarische Öffentlichkeit in Österreich. In: Horst A. Glaser (Hg.): Deutsche Literatur zwischen und . Eine Sozialgeschichte. Bern u.a. , S. –, hier S. , ). Trotz dieser Abhängigkeiten gibt es Differenzen im Hinblick auf die Funktionsmechanismen, Weihungsinstanzen und Diskurse, die die jeweiligen Felder bestimmen; vgl. dazu Verena Holler: Felder der Literatur. Eine literatursoziologische Studie am Beispiel von Robert Menasse. Frankfurt/M. u.a. . Zeyringer: Literarische Öffentlichkeit in Österreich, S. f.
Da ab , mit Abschluss des Staatsvertrags, eine traditionsorientierte, restaurative Kulturpolitik betrieben wird, können sich ästhetische Innovationen bis Mitte der sechziger Jahre kaum durchsetzen. So muss sich die Wiener Gruppe ihre Publikationsmöglichkeiten selbst, außerhalb des etablierten Literaturbetriebs, schaffen – in »Österreich existierte damals […] eine Samisdat-Literatur, hektographiert oder billig gedruckt, bezahlt von den Autoren, die darin veröffentlichten.« Außerdem versuchen die avantgardistischen Autoren, sich mit ihren Artefakten im Kunst- und Kulturbetrieb der Bundesrepublik durchzusetzen. Als die Werke von Artmann, Achleitner, Bayer, Rühm und Wiener schließlich von einem breiteren österreichischen Publikum rezipiert werden, existiert die Künstler-Vereinigung schon nicht mehr. Aufgegriffen werden die Ideen der Wiener Gruppe in Graz. Dort eröffnet das Forum Stadtpark als Zentrum für avantgardistische Kunst. Als Publikationsorgan des Vereins dient die von Alfred Kolleritsch herausgegebene Zeitschrift ›manuskripte‹. Phasenverschoben wird nachgeholt, was sich sieben, acht Jahre zuvor in Wien ereignet hat. Auch in Graz sucht man anzuknüpfen an die Tradition der literarischen Moderne und ortet dabei, daß insbesondere Erscheinungsformen sprachbewußter, experimenteller Literatur im konservativ-klerikalen Umfeld der Stadt provozierend wirken.
Wie die Wiener Gruppe interessiert sich auch das Forum Stadtpark vorrangig für Autoren, die »nicht-mimetische, nicht-narrative literarische Arbeitsweisen« bevorzugen. Die Affinität zum Wiener Künstler-Kollektiv kommt auch in den ›manuskripten‹ zum Ausdruck. Während die Beiträger der ersten Ausgabe »fast durchweg aus dem persönlichen Bekannten- und Freundeskreis« des Herausgebers stammen, werden im zweiten Heft vor allem Texte der Wiener Gruppe publiziert. Auch Wieners ›verbesserung von mitteleuropa‹ erscheint dort zuerst als ›Fortsetzungsroman‹. Der enge Bezug zwischen den Grazer und Wiener Autoren zeigt sich außerdem in den ab regelmäßigen Lesungen von Rühm, Wiener oder Artmann im Forum Stadtpark. Die in der Zeitschrift veröffentlichenden Schrifsteller, darunter Wolfgang Bauer, werden von Kolleritsch im achtzehnten Heft der ›manuskripte‹
Paul Kruntorad: Charakteristika der Literaturentwicklung in Österreich –. In: Ludwig Fischer (Hg.): Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom . Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bd. : Literatur in der Bundesrepublik Deutschland bis . München, Wien , S. –, hier S. f. Gerhard Melzer: Die Verlegenheitsgruppe. Zur Geschichte der ›Grazer‹ Literatur. In: Kurt Bartsch / Gerhard Melzer (Hg.): Trans-Garde. Die Literatur der ›Grazer Gruppe‹, Forum Stadtpark und ›manuskripte‹. Graz , S. –, hier S. . Elisabeth Wiesmayr: Die Zeitschrift manuskripte. –. Königstein/Ts. , S. . Ebd., S. .
(/) erstmals als ›Grazer Gruppe‹ bezeichnet. Im Gegensatz zur Wiener Künstler-Vereinigung teilen die Autoren kein »gemeinsames, ästhetisches und politisches Konzept«. Unter der ›Grazer Gruppe‹ ist vielmehr eine »lose Verbindung von Autoren« zu verstehen, die im ›Forum Stadtpark‹ und seiner Zeitschrift ›manuskripte‹ die bedeutsamsten Vermittlungsinstanzen ihrer literarischen Entfaltung sehen. Die Angehörigen der ›Gruppe‹ sind also keineswegs in jedem Fall durch Geburt oder Wohnadresse mit Graz verbunden. Ihre Zusammengehörigkeit gründet eher auf einem unausgesprochenen Gleichklang der Weltanschauungen, Interessen und literarischen Strategien.
Durch die ›manuskripte‹, die im In- und Ausland wahrgenommen werden, gelingt es den Grazer Autoren, überregional auf sich aufmerksam zu machen. Durch die im Ausland erworbene symbolische Anerkennung werden die steiermärkischen Künstler wiederum verstärkt in Österreich zur Kenntnis genommen. So beauftragt der ORF Ferry Radax, eine Dokumentation über die ›Grazer Gruppe‹ herzustellen. Spätestens , mit dem internationalen Erfolg von Bauers ›Magic Afternoon‹ und Peter Handkes ›Kaspar‹, wird »das Forum Stadtpark […] als Umschlagplatz für neueste Tendenzen in der Literatur gehandelt.« Vor den Wiener gelten die Grazer Autoren als führende Avantgarde und als ›nationale Aushängeschilder‹ Österreichs. Bauers Distanzierung von der Wiener Gruppe ist vor diesem Hintergrund als Versuch zu werten, sich nach seinem internationalen Durchbruch als eigenständiger Autor zu profilieren. ... Bauers Bruch mit der engagierten Dramatik in der Bundesrepublik Wie erhellt, steht Bauer in einem ›doppelten Bezugssystem‹. Mit seinem Bühnenstück positioniert er sich im kulturellen Feld in Österreich. Zudem versucht er, sich über die Landesgrenzen hinaus im deutschsprachigen Kunst- und Kulturbetrieb einen Namen zu machen. Mit ›Magic Afternoon‹ gelingt ihm
Die von Kolleritsch in Heft der ›manuskripte‹ genannten Autoren sind Wolfgang Bauer, Gunter Falk, Barbara Frischmuth, Peter Handke, Klaus Hoffer und Kolleritsch selbst. Im Gegensatz dazu erscheint in der Literaturbeilage der ›Zeit‹ am . . , S. , ein Artikel von Rolf Michaelis mit dem Titel ›Grazer Gruppe: Wir machen weiter‹. Auf dem Gruppenfoto sind die Autoren Michael Scharang, Wilhelm Hengstler, Helmut Eisendle, Klaus Hoffer, Alfred Kolleritsch, Gerhard Roth, Gert Jonke, Wolfgang Bauer, H.C. Artmann, Gerald Bisinger, Helmut Zenker und Harald Sommer abgebildet. Alfred Kolleritsch: Die Anfänge des ›Forum Stadtpark‹. In: Literatur in Graz seit – das Forum Stadtpark. Wien, Köln (= Walter-Buchebner-Literaturprojekt; ), S. –, hier S. . Melzer: Die Verlegenheitsgruppe, S. . Vgl. Wiesmayr: Die Zeitschrift manuskripte, S. f. Christine Rigler: forum stadtpark – die grazer avantgarde von bis heute. Köln, Weimar , S. .
der Durchbruch in der Bundesrepublik; ein Jahr später kann er mit ›Change‹ an den internationalen Erfolg anknüpfen. Dabei bricht er mit der geweihten Dramatik: Während auf den Spielplänen der bundesrepublikanischen Theater Parabeln, Dokumentardramen und Kritische Volksstücke dominieren, gestaltet Bauer sein Künstlerdrama als Pop-Theatertext. Das wird im Folgenden anhand der dramaturgischen Konzeption von ›Change‹ zu zeigen sein. Der Begriff Pop-Literatur, der von Leslie A. Fiedler in Amerika und Deutschland eingeführt worden ist, wird in den Feuilletons meist als Schlagwort gebraucht, um aktuelle Trends in der Literatur zu bezeichnen. Die herrschende Konfusion über den Terminus zeigt sich in Literaturkritik und Forschung, so etwa bei Johannes Ullmaier, der Pop-Literatur grob klassifiziert als »der Tendenz nach immer das was Martin Walser nicht ist«. Vor allem in den letzten zehn Jahren ist wiederholt versucht worden, den Begriff präziser zu definieren. Auch wenn einzelne Kategorisierungsversuche vage bleiben, können doch signifikante Merkmale der Pop-Literatur aufgeführt werden. Im Gegensatz zu den avantgardistischen Strömungen der Moderne, die sich dezidiert am autonomen Pol des literarischen Feldes verorten, brechen die PopLiteraten in den sechziger Jahren mit der geweihten Kunst, indem sie den Dualismus zwischen der production restreinte und der Massenkultur negieren. Um ihre Opposition gegen die »als Last empfundenen künstlerischen und literarischen Traditionen« zu dokumentieren, unterlaufen sie die Dichotomie zwischen »hohen und populären Kulturformen« und rekurrieren auf die »trivial stigmatisierte Populärkultur«. So fordert Fiedler in seinem programmatischen Aufsatz ›Cross the border – close the gap‹ die »Kluft zwischen Elite- und Massenkultur« zu überbrücken und »solche Unterscheidungen ein für allemal zu zerschlagen«. Im Unterschied zu den von der Hochkultur propagierten Idealen »Innerlichkeit, Analyse und Anspruch« habe der zeitgenössische Autor ein Genre zu wählen, »das sich der Exploitation durch die Massenmedien am ehesten« anbiete, etwa den »Western, Science-fiction« oder die »Pornographie«. Die Affinität der Pop-Literaten zur Massenkultur bestimmt die thematische und ästhetische Gestaltung ihrer Werke. Dabei existieren Analogien zur PopArt. Wie die gegenständlichen Bilder der Pop-Art, auf denen »stets Reproduktionen von bereits in technischen Medien verbreiteten ›anonymen Abbil
Leslie A. Fiedler: Überquert die Grenze, schließt den Graben! Über die Postmoderne []. In: Uwe Wittstock (Hg.): Roman oder Leben. Postmoderne in der deutschen Literatur. Stuttgart , S. –. Johannes Ullmaier: Von Acid nach Adlon und zurück. Eine Reise durch die deutschsprachige Popliteratur. Mainz , S. . Jörgen Schäfer: Pop-Literatur. Rolf Dieter Brinkmann und das Verhältnis zur Populärkultur in der Literatur der sechziger Jahre. Stuttgart , S. , , . Fiedler: Über die Postmoderne, S. , . Ebd., S. .
dern unserer jüngsten Geschichte‹« abgebildet sind, befasst sich die PopLiteratur mit den von Popmusikern, Filmemachern, Werbegrafikern, Produktdesignern oder Comiczeichnern gestalteten ›Prätexten‹. Pop-Literatur ist also eine Literatur, die nicht der Sehnsucht nach einer vordiskursiven Wirklichkeit, nach etwas Eigentlichem, erliegt. Sie erhebt keine kulturkritische Anklage gegen die ausufernde Zeichenproduktion der populären Kultur […], sondern nutzt sie als Ausgangsmaterial des literarischen Schreibens: Pop-Literatur entsteht, wenn der Autor die Pop-Signifikanten – gleichgültig, ob sie aus einem Popsong, einem Film oder einem Werbeslogan stammen – im literarischen Text neu ›rahmt‹.
Die Neu-Kontextualisierung ›trivialer‹ Prätexte manifestiert sich in den ästhetischen Produktionsverfahren, etwa in Montage-, Collage- oder anderen Zitationstechniken. In »einem postmodernen Cross-Over [werden] verschiedene Stilebenen, Anspruchslevels und Genres« vermischt oder es wird »intertextuell auf Gattungsmuster und Prätexte subliterarischer Herkunft […] Comics, Trivialroman, Film und andere Medienformate« verwiesen. Charakteristisch für
Jörgen Schäfer: ›Neue Mitteilungen aus der Wirklichkeit‹. Zum Verhältnis von Pop und Literatur in Deutschland seit . In: Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Pop-Literatur. München (= text + kritik Sonderband; ), S. –, hier S. . Ebd., S. . Die ›neue Rahmung‹ des ›trivialen‹ Sprachmaterials ist nicht nur unter ästhetischen, sondern auch unter kulturökonomischen Gesichtspunkten von Bedeutung. In seinem ›Versuch einer Kulturökonomie‹ stellt Groys die These auf, dass ästhetische Innovationen Resultat eines Umwertungsprozesses sind, bei dem etwas zunächst als profan Deklariertes in den Bereich der Kunst überführt und dort für interessant und wertvoll gehalten wird. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die »niedrigen Gattungen oder profanen Dinge an sich niemals von der Kultur kanonisiert werden. Valorisiert beziehungsweise kanonisiert werden die Kunstwerke oder Theorien, welche diese Dinge an die Tradition anbinden, sich aber gerade deshalb im gleichen Maße von ihnen unterscheiden wie von der Tradition selbst.« (Boris Groys: Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie. Frankfurt/M. , S. ). Dass sich die Aufwertung von Gegenständen oder Diskursen nur dann vollzieht, wenn die Künstler »ihre Prinzipien dem Profanen entnehmen«, ihren Artefakten aber »zugleich Funktionen einer universellen Erklärung übertragen«, exemplifiziert Groys anhand von Duchamps Readymades. Dessen Artefakte seien nur deshalb anerkannt und für innovativ befunden worden, weil sie sich »sowohl von dem profanen Raum, aber auch von der Masse der nicht-innovativen, trivialen, definitionskonformen Kunst« unterschieden haben (ebd., S. , ). Vor diesem Hintergrund ist es für die Pop-Literaten unabdingbar, sich von der geweihten Avantgarde und von der ›profanen‹ Massenkultur abzugrenzen, um die professionellen Meinungsbildner von ihren Artefakten überzeugen zu können. Das geschieht durch die neue Kontextualisierung der aus der Massenkultur entnommenen Prätexte. Heinrich Kaulen: Der Autor als Medienstar und Entertainer. Überlegungen zur neuen deutschen Popliteratur. In: Hans-Heino Ewers (Hg.): Lesen zwischen Neuen Medien und Pop-Kultur. Kinder- und Jugendliteratur im Zeitalter multimedialen Entertainments. München , S. –, hier S. . Auch wenn Kaulen die Popliteratur der neunziger Jahre fokussiert, treffen doch viele der von ihm genannten Merkmale auch auf die Popliteratur der sechziger Jahre zu.
die postmoderne Textsorte ist ferner eine »Erweiterung des Textbegriffs zu integrierten Text-Bild-Ensembles, […] aber auch zu integrierten Text-Musikoder Text-Sound-Ensembles«. Vor allem in den neunziger Jahren gilt auch die »Interferenz zu den elektronischen Unterhaltungsmedien« als typisches Merkmal der Pop-Literatur. So ist die Prosa durch rasante Dialoge, abrupte Schnitte und Einstellungswechsel gekennzeichnet, die den Rezipienten ansonsten aus den modernen AV-Medien, etwa aus der Ästhetik von Werbefilmen, Soap-Operas und Videoclips, vertraut sind. Tempo, Dynamik und Drive gelten als oberste ästhetische Maximen.
Die These, dass aufgrund dieser ästhetischen Prämissen allen Texten der PopLiteratur in den sechziger Jahren »populäre erzählerische Muster« fehlen, vertritt Thomas Hecken. Bauers Theaterstück ›Magic Afternoon‹ und Rolf Dieter Brinkmanns Roman ›Keiner weiß mehr‹ seien daher nicht zur Pop-Literatur zu zählen. Beide Texte könnten nur als »Erzählungen über die Underground- oder Musikszene jener Tage« gelten, auch wenn sie, insbesondere von »der feuilletonistischen Kritik und kurz danach von den ersten literaturwissenschaftlichen Überblicksdarstellungen« als Pop-Literatur definiert worden seien. Im Gegensatz zu Hecken kategorisieren Moritz Baßler, Sascha Seiler und Ullmaier auch die Texte über die »Alltags-, Jugend- und Gegenwartskultur« als Pop. Der Bruch mit der als lebensfern deklarierten autonomen Kunst habe sich vor allem in den neunziger, aber auch schon in den späten sechziger Jahren inhaltlich in einer lebensnahen Darstellung von »jugendliche[n] Subkulturen« und der sie prägenden Popkultur manifestiert. Dabei meint Popkultur
Ullmaier: Von Acid nach Adlon, S. f.; die Hervorhebungen im Original werden nicht übernommen. Kaulen: Der Autor als Medienstar, S. . Ebd., S. f.; vgl. auch Ullmaier: Von Acid nach Adlon; Klaus Wiegerling: Lord Henry oder Fürst Pückler? Das ist hier die Frage. In: Kritische Ausgabe. Zeitschrift für Germanistik & Literatur, (), H. , S. –. Thomas Hecken: Pop-Literatur um . In: Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Pop-Literatur. München (= text + kritik Sonderband; ), S. –, hier S. . Ebd., S. . Im Gegensatz zu Hecken zählen Thomas Ernst, Kathrin Ackermann und Stefan Greif Brinkmanns Roman ›Keiner weiß mehr‹ zu den wegweisenden Publikationen des Genres Pop-Literatur; vgl. Thomas Ernst: Popliteratur. Hamburg , S. ; Kathrin Ackermann / Stefan Greif: Pop im Literaturbetrieb. Von den sechziger Jahren bis heute. In: Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Pop-Literatur. München (= text + kritik Sonderband; ), S. –, hier S. . Moritz Baßler: Pop-Literatur. In: Jan-Dirk Müller (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. . Berlin , S. –, hier S. . Vgl. Sascha Seiler: ›Das einfache wahre Abschreiben der Welt‹. Pop-Diskurse in der deutschen Literatur nach . Göttingen . Ullmaier: Von Acid nach Adlon, S. .
nicht nur eine bestimmte Musikszene, sondern das gesamte Ensemble von Alltagserfahrungen, Erlebnissen in den Musik- und Freizeitszenen, Medienwahrnehmungen, Konsumverhalten, Modetrends und Lebensstilen, das für die jugendkulturelle Lebenswelt der Gegenwart typisch ist.
Daher können neben einem bohemetypischen Lebensstil der Protagonisten »Disco- und Konzertbesuche, Szene-, Band- und Fan-Stories«, aber auch die Adoleszenzprobleme der Figuren – »erste Liebe, Clique, Partys, Generationskonflikte« – zentrale Themen sein. Leitmotivisch tauchen immer wieder folgende Erfahrungen auf: Einsamkeit, Entfremdung, Liebesverlust bzw. Bruch einer Partnerschaft, Sexualität (in expliziter Abkopplung von traditionellen Begriffen wie Liebe und Partnerschaft), Gewalt, Musikkonsum (über Massenmedien oder im Kontext von Clubs, Szenelokalen, Raves, Partys) und Drogenkonsum (leichte Rauschmittel, wie Alkohol, Zigaretten, Partydrogen, sowie eine Vielzahl von harten Drogen).
Das Ziel der authentischen Darstellung alternativer Szenen schlägt sich stilistisch in dem »Arrangement von Alltagsdiskursen in Jargon- respektive Szenesprachen« und in dem Gebrauch von »provokanten Tabuwörtern« nieder. Für Jörgen Schäfer ist die »Vulgarisierung der literaturfähigen Sprache« ein wesentliches Merkmal der Pop-Literatur, weil dadurch Lebensnähe suggeriert und mit den sprachlichen Standards der Hochliteratur sowie mit den vorherrschenden sprachlichen Normalitätsvorstellungen gebrochen wird: Mit dem Eindringen von volks- bzw. subkulturellen Sprachformen, von nicht reglementierten und undisziplinierten Redeformen wie Flüchen und Schimpfwörtern, skatologischen und obszönen Ausdrücken, werden die tradierten sprachlichen Normen unterlaufen. An ihre Stelle tritt eine formal einfache Sprache, die bewußt gegen gängige Redekonventionen verstößt […].
Mit ihren Werken zielen die Pop-Literaten auf Irritation und Provokation. Sie opponieren gegen die geltenden sozialen und ästhetischen Normen. Das zeigt sich thematisch in der »Wahl von Motivkomplexen, die bisher in der Literatur als nicht darstellungswürdig empfunden worden waren«, etwa in der »Thematisierung von Popmusik, Hollywood-Filmen, Comics und zahlreichen zu populären Mythen stilisierten Musikern und Schauspielern«, in der »Konzentration auf die scheinbare Banalität des Alltäglichen« oder in der »explizite[n] Thema
Kaulen: Der Autor als Medienstar, S. f. Ullmaier: Von Acid nach Adlon, S. . Thomas Jung: Vom Pop international zur Tristesse Royal. Die Popliteratur zwischen Kommerz und postmoderner Beliebigkeit. In: Thomas Jung (Hg.): Alles nur Pop? Anmerkungen zur populären und Pop-Literatur seit . Frankfurt/M. u. a. , S. –, hier S. . Kaulen: Der Autor als Medienstar, S. . Schäfer: Pop-Literatur, S. . Ebd., S. ; vgl. zur Sprachkonzeption auch Hecken: Pop-Literatur um , S. .
tisierung von Sexualität« und Drogen. Stilistisch kommt die Distanzierung von der production restreinte häufig in einer bewusst einfachen Prosa oder einer mitunter vulgären Alltagssprache zum Ausdruck. Ihren Bruch mit der Hochkultur dokumentieren die Pop-Literaten auch durch ihre Weigerung, ihren Werken eine kritisch aufklärerische Funktion zuzuweisen. Im Gegensatz zu der politischen Literatur der sechziger Jahre betonen sie den »hedonistischen Aspekt der Zerstreuung und Unterhaltung.« Nach dem Selbstverständnis der Autoren soll Literatur […] nämlich nicht mehr konzentriert und kontemplativ (im Sinne des traditionellen Hochkulturschemas) aufgenommen werden, sondern ähnlich entspannt und ›zerstreut‹ rezipiert werden wie ein guter Popsong, ein Kultfilm oder ein anderes Medienereignis.
Vor diesem Hintergrund definiert Diederichsen den Terminus ›Pop‹ in den sechziger Jahren als »eine Kombination von radikaler Gesellschaftskritik mit formaler Affirmation«. Da die Pop-Literaten die Massenkultur bejahten, um ihren Protest gegen die kanonisierte Kunst und ihre Rezipienten zu demonstrieren, somit »eine positive Beziehung zur wahrnehmbaren Seite der sie umgebenden Welt, ihren Tönen und Bildern« hätten, bestehe ihr rebellischer Gestus, im Gegensatz zu vorherigen ästhetischen Strömungen, in »einem großen Ja (zu Leben, Welt, Moderner Welt), nicht aus einem Nein und einem Ja zur Utopie.« Neben den spezifischen, die Pop-Literatur kennzeichnenden Merkmalen weisen Heinrich Kaulen und Ullmaier darauf hin, dass sich das Autorkonzept der Pop-Literaten »grundsätzlich von dem der Moderne« unterscheidet. Während die Autoren ›reiner‹ Kunst jedes ökonomische Interesse negieren und sich demonstrativ von den massenmedial vermarkteten »populären Stars der Vergnügungsindustrie« distanzieren, provozieren die Pop-Literaten dadurch, dass sie die »Praktiken der Selbststilisierung« von den »erfolgreichen Stars aus der Musik-, Sport- und Filmszene« übernehmen. Den Pop-Literaten sind außerdem spezifische Medialisierungsstrategien eigen. Ullmaier nennt etwa die »Poporientierung […] beim Design und in der Titelgebung von Produkten, bei der Anzeigen- und Kataloggestaltung« und die »Synergie-Maximierung nach dem Prinzip: CD zum Buch zum Film zum Interview«.
Seiler: ›Das einfache wahre Abschreiben der Welt‹, S. . Kaulen: Der Autor als Medienstar, S. . Ebd., S. . Diedrich Diederichsen: Pop – deskriptiv, normativ, emphatisch. In: Marcel Hartges u. a. (Hg.): Pop, Technik, Poesie. Die nächste Generation. Prosa, Essays, Gedichte. Reinbek bei Hamburg (= Rowohlt Literaturmagazin; ), S. –, hier S. . Ebd., S. f. Kaulen: Der Autor als Medienstar, S. . Ebd., S. ; zur Selbststilisierung des Pop-Autors vgl. auch Ullmaier: Von Acid nach Adlon, S. f. Ebd., S. .
Während die affirmative Haltung zur Massenkultur in den sechziger Jahren als Protest gegen vorherrschende Wertvorstellungen zu werten ist, hat die Popkultur heute »den oppositionellen Charme früherer Jahre eingebüßt.« Daher ist zu verstehen, warum sich Autoren wie Peter Handke oder Elfriede Jelinek von diesem Genre wieder distanziert haben. Viele der genannten, für die Pop-Literatur konstitutiven Merkmale sind auch ›Change‹ eigen. So widmet Bauer sein Künstlerdrama dem englischen Fußballspieler Norbert ›Nobby‹ Peter Stiles, der mit der englischen Fußballnationalmannschaft im eigenen Land Weltmeister geworden ist, und bekundet so seine Affinität zur Alltagskultur. In seinem Theatertext zeigt er den Alltag einer ›jugendlichen Subkultur‹. Fery und seine Freunde sind zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt und gehören einer alternativen Szene an. Ihr Bruch mit den Denk- und Lebensformen ihres sozialen Umfelds kommt in ihrem bohemetypischen Lebensstil zum Ausdruck. Die Figuren gehen keiner geregelten Arbeit nach und verbringen ihre freie Zeit damit, Drogen zu konsumieren und das breite Angebot der Massenkultur – Kino, Comics und Popmusik – zu nutzen. Dabei werden ihre »Lebensgewohnheiten, Umgangsformen, Sexualspiele und Konfliktsituationen« lebensnah vorgeführt. Die authentische Wirkung wird durch die zahlreichen Verweise auf die Wiener Gruppe hergestellt, die dem Theatertext, so Botho Strauß, »inside-Reize« verleihen. Zudem wird der Jargon der österreichischen Künstlerszene der Zeit wirklichkeitsnah wiedergegeben. Darauf weist Hilde Spiel hin, die betont, dass Bauer »seinen Freunden im Café Hawelka und den noch härteren Stammgästen des Café Savoy nach lutherischer Art aufs Maul geschaut« habe. Seine Fähigkeit, die dialektale Umgangssprache seines sozialen Umfelds exakt wiederzugeben, hat Bauer den Vorwurf eingebracht, »irgendwelche Dialoge, die
Kaulen: Der Autor als Medienstar, S. . Das Alter der Figuren wird in ›Change‹ von Frau Sedlacek thematisiert. Sie hält Reicher für »schon a bisserl erwachsener« als Fery und Guggi und weist Blasi darauf hin, mit ihren Jahren seine Mutter sein zu können. Beide Aussagen weisen darauf hin, dass die Protagonisten zwischen zwanzig und dreißig Jahren alt sind (Bauer: Change, S. , ). Spiel: Horváths Erbe, S. . Botho Strauß: Das Ende einer Clique. Zu Wolfgang Bauers ›Magic Afternoon‹ und der hannoverschen Uraufführung. In: Theater heute, (), H. , S. –, hier S. . Spiel: Horváths Erbe, S. ; zu Bauers ›Meisterschaft im Imitieren des Jargons der von ihm vorgeführten Cliquen‹ vgl. auch Sigurd Paul Scheichl: Ohrenzeugen und Stimmenimitatoren. Zur Tradition der Mimesis gesprochener Sprache in der österreichischen Literatur. In: Sigurd Paul Scheichl / Gerald Stieg (Hg.): Österreichische Literatur des . Jahrhunderts. Französische und österreichische Beiträge. Akten der Jahrestagung der französischen Universitätsgermanisten (A.G.E.S.) in Innsbruck. Innsbruck , S. –, bes. S. f.
wirklich stattgefunden haben«, in seine Stücke einzuarbeiten. Von dieser Unterstellung hat er sich in Interviews distanziert und in seinem Stück ›Silvester oder das Massaker im Hotel Sacher‹ ironisch reflektiert. In dem Künstlerdrama plant der schöpferische Protagonist Wolfram Bersenegger – seine Initialen »und die sicher gewollte Assonanz zu ›Wolfgang der Berserker‹« verweisen auf den Autor – einen Theatertext zu verfassen. Da sich der Schriftsteller in einer Schaffenskrise befindet, lädt er alle seine Bekannten, »die a bisserl was hergeben«, zu einer Silvesterparty ins Hotel Sacher ein mit dem Ziel, die Dialoge der Gäste unbemerkt aufzuzeichnen. Das Tonband will er anschließend dem Theaterintendanten Stögersbach als sein neues Stück verkaufen. Neben der authentischen Darstellung der Künstlerclique und der sie prägenden Popkultur zeichnet sich ›Change‹ durch die dramaturgische Konzeption als Pop-Theatertext aus. Bauer rekurriert auf die Comic-Ästhetik, wie Wertheimer illustriert, der nicht nur die Mikrodramen des Autors, sondern auch seine realistischen Stücke »im Umfeld von Arleccino und Hanswurst von slaptick [sic] und Comic, zwischen Buster Keaton und Chaplin, Obelix und Tarzan« ansiedelt. Grund dafür ist »die faktische Konsequenzlosigkeit von in Realität zerstörerischen, tödlichen psychischen und physischen Ereignissen.« Das zeigt sich etwa in der achten und der letzten Szene. Nachdem die Krankenschwester Fery und Blasi verkündet, dass Guggi ihr Kind durch Ferys brutale Schläge verloren habe, reagieren die beiden Künstler nicht nach »moralisch zu erwartenden Kategorien, sondern nach solchen des Comic, des Slapstick, so als wenn letztlich nichts passiert wäre.« Das Gleiche gilt für die letzte Szene, in der sich Fery in Blasis Atelier unvermittelt erhängt. Durch den Kontrast zu der ausgelassenen Stimmung der Anwesenden wirkt Ferys Selbstmord nicht tragisch, sondern grotesk. Dazu trägt die unangemessene Reaktion der Figuren auf Ferys Tod bei. Auf der Bühne hört man »Längere Zeit nur das Schnarchen [von Frau Sedlacek, Anm. N.B.], dann geht Blasi zur Frau und hält ihr die Nase zu. Sie erwacht nach Luft schnappend«.
Harald Friedl (Hg.): Die Tiefe der Tinte. Wolfgang Bauer, Elfriede Jelinek, Friederike Mayröcker, H.C. Artmann, Milo Dor, Gert Jonke, Barbara Frischmuth, Ernst Jandl, Peter Turrini, Christine Nöstlinger im Gespräch. Salzburg , S. . Gamper: Nachwort, S. . Wolfgang Bauer: Silvester oder das Massaker im Hotel Sacher. In: Wolfgang Bauer: Werke. Bd. : Schauspiele –. Hg. von Gerhard Melzer. Graz, Wien , S. –, hier S. . Wertheimer: Indianer und Werwölfe, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Bauer: Change, S. .
Auch die kommentierende Funktion der Popmusik kennzeichnet das Künstlerdrama als Pop-Literatur. Bauers Protagonisten hören im Stückverlauf über ein halbes Dutzend Platten, die dazu dienen, ihre Lebenswelt und ihre Stimmungen zu illustrieren. So legt Guggi nach einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit ihrer Mutter in der ersten Szene den Titel ›Fire‹ von ›The Crazy World of Arthur Brown‹ auf, »dreht sehr laut auf« und »singt laut mit«. Aggressiv geriert sie sich als ›god of hell fire‹, der ihrer Mutter prophezeit: ›you gonna burn‹. Im Gegensatz dazu spielt Blasi in der neunten Szene den Titel ›Light my fire‹ von ›The Doors‹. Auf diese Weise verdeutlicht er sein sexuelles Interesse an der Krankenschwester Rikki. Bauers Weigerung, mit seinem Theatertext kritisch aufklärerisch wirken zu wollen, stützt die These, dass ›Change‹ als Pop-Literatur zu kategorisieren ist. Bauers ›betonte Absichtslosigkeit‹ kommt etwa in der Figurenkonzeption zum Ausdruck. Henrichs hebt hervor: Es ist nicht definierbar, welches Verhältnis Bauer zu seinen Figuren hat: es ist weder kritisch-distanziert, noch distanzlos bewundernd. Bauer motiviert seine Figuren nicht (nicht psychologisch, nicht sozial) und er kommentiert sie nicht. Selbst die vielen Prügeleien und Brutalitäten haben kaum eine aufklärerische Funktion. Bauer führt sie ganz neutral und unbeteiligt als pure Theateraktionen vor.
Seine Ablehnung der Hochkultur und insbesondere des subventionierten Theaterbetriebs hat Bauer in Interviews und programmatischen Texten wiederholt zum Ausdruck gebracht, so auch in einem Gespräch mit Thomas Thieringer in der ›Süddeutschen Zeitung‹ vom . Juni , in dem er erklärt: »Ich bin für mich schon immer ein Vertreter der Nivellierung der Wertigkeiten gewesen, nicht für die Nivellierung im allgemeinen. […] Ich bin gegen die Hochnäsigkeit des Kulturbetriebs – das ist ein unheimlicher Luftballon«.
Zu der Funktion der Musik in Bauers realistischen Theatertexten vgl. Helmut Schmiedt: ›Penny Lane‹ und ›Back Street Girl‹ in ›Magic Afternoon‹. Die Musik in einem Schauspiel von Wolfgang Bauer. In: Ursula Hassel / Herbert Herzmann (Hg.): Das zeitgenössische deutschsprachige Volksstück. Akten des internationalen Symposions, University College Dublin, . Februar – . März . Tübingen , S. –. Auf die kapitale Bedeutung der Musik in Bauers Bühnenstücken hat zuerst hingewiesen: Peter Handke: Zu Wolfgang Bauer, ›Magic Afternoon‹. In: Peter Handke: Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms. Frankfurt/M. , S. –. Bauer: Change, S. . Henrichs: Zu Arbeiten des Grazer Autors Wolfgang Bauer; Henrichs These teilt Scheichl: Ohrenzeugen und Stimmenimitatoren, S. . Thomas Thieringer: Verlorene Rollen. Ein Gespräch mit dem Dramatiker Wolfgang Bauer. In: Süddeutsche Zeitung vom . . , S. ; vgl. dazu auch Henrichs: Zu Arbeiten des Grazer Autors Wolfgang Bauer; Manfred Mixner: Gespräch mit Wolfgang Bauer. In: Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Wolfgang Bauer. München (= text + kritik; ), S. –, bes. S. .
Auch in dem entstandenen Text ›Wolfi über die Theatergesetze‹ proklamiert er, mit seinen Bühnenstücken die Zuschauer unterhalten, nicht aber belehren zu wollen. Zugleich distanziert er sich von den geweihten Theatertheoretikern des . Jahrhunderts: Die Gesetze des Theaters! […] Jeder siebengescheite Dramatiker hat solche Gesetze erlassen; z. B.: L, S, B B (der die Welt verändern wollte) und D F, der lustige Theaterbastler. Jeder sagte uns genau, wie man Stücke machen müsse und was man im Theater zu tun habe. Zock! Wie komm denn ich dazu, so doof Stücke zu machen!? […] Ihr Herren des Gesetzes, Ihr Theaterjuristenpack! Behaltet eure Binsenwahrheiten für euch! Macht euren Theaterkram selber, ohne andere mit euren zimmermännischen Forschungsreisen und Tips zu bemuttern. Von mir werdet Ihr nie so’n Quatsch hören, o Freunde (und sicherlich auch Fans von Wolfis neuem Stück)!
Neben seinen Texten zeichnet sich Bauer durch seinen »Hang zur medienkompatiblen Selbstinszenierung« als Pop-Literat aus. Der Dramatiker avanciert in den sechziger Jahren unter dem Namen ›Magic Wolfi‹ zum »literarischen Pop-Star«, da er stark mit seinen nonkonformistischen Figuren in ›Magic Afternoon‹ identifiziert wird und weil er sein Image als »Bürgerschreck« und steiermärkisches »Kraftgenie« durch seinen unangepassten Lebensstil fördert. So fällt Bauer durch ein eigenwilliges äußeres Erscheinungsbild und einen antibürgerlichen Habitus auf. Zudem wird er durch seine »nächtlichen Expeditionen« in die Grazer Wirtshäuser und durch einen exzessiven Zigarettenund Alkoholkonsum bekannt, so dass Urs Widmer in den ›manuskripten‹ konstatiert: »Seine Leber möchte ich persönlich nicht kennenlernen«. Gegenüber Paul Pechmann bekennt Bauer: Das Moment der Provokation, nicht einem gewissen Bild des Intellektuellen zu entsprechen, hat mir Spaß gemacht. Letztendlich ist es die Gesamtvermarktung des gesamten Körpers und Geistes. Ich mache am meisten Geschäft, wenn ich selber ehrlich zu mir bin.
Wolfgang Bauer: Wolfi über die Theatergesetze. In: Wolfgang Bauer: Werke. Bd. : Kurzprosa, Essays und Kritiken. Hg. von Gerhard Melzer. Graz, Wien , S. –, hier S. . Kaulen: Der Autor als Medienstar, S. . Otto F. Riewoldt: Magic Wolfi oder ›They never come back‹. Mutmaßungen über den Verbrauchswert von Stücken. In: Heinz Ludwig Arnold (Hg): Wolfgang Bauer. München (= text + kritik; ), S. –, hier S. . Emil Breisach: Blitzstart im Forum. In: manuskripte, (), H. , S. –, hier S. . Spiel: Horváths Erbe, S. . Paul Pechmann: Zum Leben des Schriftstellers Wolfgang Bauer. In: Walter Grond / Gerhard Melzer (Hg.): Wolfgang Bauer. Graz, Wien , S. –, hier S. . Urs Widmer: Wolfgang Bauer. In: manuskripte, (), H. /, S. . Pechmann: Zum Leben des Schriftstellers Wolfgang Bauer, S. ; zu Bauers Image vgl. auch Stefanek: Aus einem Gespräch mit Wolfgang Bauer, S. .
Wie dargelegt, ist ›Change‹ als Pop-Theatertext zu definieren. Um Bauers Durchsetzungsstrategie zu erhellen, ist im Folgenden seine Position im kulturellen Feld in der Bundesrepublik zu umreißen. ... Bauers Positionierung im kulturellen Feld in der Bundesrepublik In den sechziger Jahren stehen in der Bundesrepublik vor allem politisch und sozial engagierte Dramen auf den Spielplänen der Stadt- und Staatstheater. Wie Günther Rühle darlegt, hatte sich seit durch die Stücke von Hochhuth, Kipphardt, Walser und Weiss ein Funktionswandel im Theater vollzogen. Es war aus der konservativen, romantischbiedermännischen, tragisch-betrachtenden Spielart der fünfziger Jahre in einen neuen Aktivismus eingetreten, der […] in eine sich selbstgefällig abschließende, geschlossene Gesellschaft […] eingreifen, über ihre Verdrängungen und moralischen Probleme aufklären, die Wahrheit sagen und das eingeschläferte politische Bewußtsein aktivieren wollte. […] Das Theater verstand sich als ein aufstörendes, dann aufklärerisches, schließlich wieder als emanzipatorisches Instrument.
Neben dokumentarischen Theatertexten, wie Rolf Hochhuths ›Der Stellvertreter‹ (UA ), Heinar Kipphardts ›In der Sache J. Robert Oppenheimer‹ (UA ) oder Peter Weiss’ ›Die Ermittlung‹ (UA ), und Revolutionsdramen, wie Günter Grass’ ›Die Plebejer proben den Aufstand‹ (UA ), Tankred Dorsts ›Toller‹ (UA ) und Hans Magnus Enzensbergers ›Das Verhör von Habana‹ (UA ), werden in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts die Kritischen Volksstücke von Horváth und Marieluise Fleißer wiederentdeckt und vielfach gespielt. Die Horváth- und Fleißer-Renaissance korreliert mit einer regen Produktion neuer Volksstücke, etwa von Fassbinder, Kroetz, Sperr oder Turrini. Im Unterschied dazu setzt sich Bauer mit der Pop-Art, der Popmusik und der amerikanischen Populärkultur auseinander. Dafür spricht etwa die von ihm und Gunter Falk inszenierte »Pop-Lesung« am . November in der Mensa der Grazer Universität. Für den geplanten Abend hatte Peter Pongratz […] ein überlebensgroßes Standbild von Walt Disneys Kater Carlo angefertigt. Vor diesem Hintergrund lasen die Autoren ihre Texte, teilweise übertönt von dröhnender Beatlesmusik, die zusammen mit dem ausgeschenkten Freibier die Stimmung des vorwiegend jugendlichen Publikums dermaßen anhob, daß die Lesung bald einen volksfesthaften Charakter annahm. Unter
Vgl. Günther Rühle: Theater in unserer Zeit. Bd. . Frankfurt/M. , S. –; zum Theater in den sechziger Jahren vgl. u. a. Manfred Brauneck: Die Welt als Bühne. Geschichte des europäischen Theaters. Bd. . Stuttgart, Weimar ; Jürgen Schröder: Das ›dramatische‹ Jahrzehnt der Bundesrepublik. In: Wilfried Barner (Hg.): Geschichte der deutschen Literatur von bis zur Gegenwart. München (= Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart; ), S. –; Peter Simhandl: Theatergeschichte in einem Band. Berlin . Wiesmayr: Die Zeitschrift manuskripte, S. .
haltung war ja auch als Hauptzweck der Veranstaltung gedacht gewesen: Kunst, die als Vergnügen konsumiert werden konnte, weder ehrfürchtigen Schauer hervorrufen noch heilsame Belehrung vermitteln wollte.
Als Pop-Literatur ist auch Bauers publizierter Gedichtband ›Das stille Schilf. Ein schlechtes Meisterwerk: schlechte Texte mit schlechten Zeichnungen und einer schlechten Schallplatte‹ zu kategorisieren. Mit seinen Gedichten distanziert er sich demonstrativ von der Hochliteratur, indem er »selbständig und originell schlechte Lyrik« produziert: »Ob es die Liebe ist, der Herbst oder nur eine Tasse Kakao: in alles versenkt sich der Lyriker Bauer mit der gleichen idiotischen Emphase.« Mit seinem Gedichtband betreibt der Autor eine »popkulturindustrielle Synergie-Maximierung«, indem er dem Buch eine Schallplatte beilegt, auf der er selbst seine Lyrik rezitiert und dabei »verschiedene Formen theatralischer Verlogenheit« gekonnt imitiert. Auch sein Theatertext ›Magic Afternoon‹, für Bauer »eine fast ins Lächerliche gehende minutiöse Schilderung eines Nachmittages«, ist von der Pop-Art inspiriert und als »Ausschnitt wie Andy Warhols Flesh« konzipiert. Das Gleiche gilt für ›Change‹. Fasziniert von Warhols ›Kitchen‹, ein Film mit einer »Einstellung nur über eine Küche, wo ein paar Leute eine halbe Stunde reden«, plant Bauer, sein Stück ›Die Küche‹ zu nennen. Dann kam das Stück ’raus, The Kitchen von Arnold Wesker, das zwar mit dem Thema gar nichts zu tun hat, aber irgendwie hab’ ich mir dann gedacht, es ist zu blöd, jetzt macht der ein Stück, das in einer Küche spielt und das kann man jetzt nicht noch einmal machen. Und erst dann habe ich es auf neun Bilder aufgeteilt.
Das Jahr , in dem dem -jährigen Bauer mit ›Magic Afternoon‹ der internationale Durchbruch als Dramatiker gelingt, gilt »als das Gründungsjahr der deutschsprachigen Pop-Literatur.« In der Prosa wird das Genre, so Kathrin Ackermann und Stefan Greif, »mit drei wegweisenden Publikationen« eröffnet. Bei Kiepenheuer & Witsch erscheint Rolf Dieter Brinkmanns hassgeladener Beziehungsroman ›Keiner weiß mehr‹, und Rowohlt veröffentlicht Hubert Fichtes Szenewerk ›Die Palette‹ sowie Peter O. Chotjewitz’ ›Die Insel. Erzählungen auf dem Bären
Ebd., S. . Henrichs: Zu Arbeiten des Grazer Autors Wolfgang Bauer. Ullmaier: Von Acid nach Adlon, S. . Henrichs: Zu Arbeiten des Grazer Autors Wolfgang Bauer. Walter Grond: Ein Gesamtkunstwerk ohne dessen Plan. Wolfgang Bauer im Gespräch. In: Walter Grond / Gerhard Melzer (Hg.): Wolfgang Bauer. Graz, Wien , S. –, hier S. . Stefanek: Aus einem Gespräch mit Wolfgang Bauer, S. . Ebd., S. . Ackermann / Greif: Pop im Literaturbetrieb, S. . Ebd., S. .
auge‹. Alle drei Autoren arbeiten mit einem erweiterten Literaturbegriff, der sich vielfältigen Anregungen aus der angloamerikanischen Beat- und Pop-Literatur verdankt. Im gleichen Jahr beschäftigt auch die so genannte Fiedler-Debatte die literarische Öffentlichkeit.
Wie Brinkmann, Fichte und Chotjewitz bricht auch Bauer mit der geweihten Avantgarde, um sich mit seinen innovativen Pop-Theatertexten im kulturellen Feld der Zeit zu positionieren. Allerdings werden seine Bühnenstücke wider Erwarten als Kritische Volksstücke rezipiert. Wegen Bauers authentischer und realistischer Darstellung des Lebensalltags von Jugendlichen und ihres Jargons wertet man seine Dramen als »repräsentative Dokumente jugendlicher Subkultur« und ›Magic Afternoon‹ als das »erste Sittenbild seit den Dramen H«, eine Einschätzung, die auch heute noch in der Forschung zu finden ist. Dass sich Bauers Erfolg auf ein fundamentales ›Missverständnis‹ gründet, bestätigt der Autor in einem Interview mit Walter Grond: Von meiner subjektiven Warte aus sind sehr viele Stücke mißverstanden worden. […] Das begann schon mit Magic Afternoon […]. Zu meiner großen Verwunderung wurde das Stück […] als zeitkritisches Dokument gewürdigt. Die Zuseher und Kritiker schafften sich mit diesem Urteil eine Basis, um darüber reden zu können. Hätte ich gesagt, das ist ein Popstück, das ist ein Ausschnitt, hätte ich eine Debatte mit zwanzig Freunden führen können.
Ebd., S. . Riewoldt: Magic Wolfi oder ›They never come back‹, S. . Gotthard Böhm: Wolfgang Bauer: ›Die Wölt is nämlich unhamlich schiach‹. In: Hilde Spiel (Hg.): Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart. Autoren, Werke, Themen, Tendenzen seit . Bd. : Die zeitgenössische Literatur Österreichs. München, Zürich , S. –, hier S. . Vgl. u. a. Jean-Marie Winkler: Volksstück. In: Manfred Brauneck / Gérard Schneilin (Hg.): Theaterlexikon. Begriffe und Epochen, Bühnen und Ensembles. Reinbek bei Hamburg , S. –; Buddecke / Fuhrmann: Das deutschsprachige Drama seit . Grond: Ein Gesamtkunstwerk ohne dessen Plan, S. f.
. Teilhaber im kulturellen Feld: Gerissene Künstler in Falk Richters ›Gott ist ein DJ‹ ()
Obwohl Falk Richter zu den erfolgreichsten zeitgenössischen Bühnenautoren und Regisseuren zählt, sein Theatertext ›Gott ist ein DJ‹ in achtzehn Übersetzungen vorliegt und bereits in New York, London, Amsterdam, Zürich, Athen, Kopenhagen, Barcelona, Köln, Düsseldorf, Hamburg, Berlin, Wien, Gent, Paris, Avignon, Madrid, Jakarta und Queensland aufgeführt worden ist, hat sich die Forschung mit dem Stück noch nicht auseinandergesetzt. Die Literatur beschränkt sich auf wenige Rezensionen zu den jeweiligen Inszenierungen. In der folgenden Analyse werden die spezifischen Konflikte der gerissenen Künstlerfiguren analysiert. Dabei wird zunächst nach dem Einfluss der audiovisuellen Medien auf die Weltwahrnehmung und nach der kunsttheoretischen Position der schöpferischen Protagonisten gefragt (vgl. .., ..). Anschließend werden die spezifischen Strukturen des Kunst- und Kulturbetriebs und die Durchsetzungsstrategien der Figuren erhellt (vgl. .., ..). Wie Fery in Bauers ›Change‹ scheitern sie, so die These, an ihrem vermessenen Glauben, im kulturellen Feld souverän agieren zu können (vgl. ..). Zuletzt wird aus feldtheoretischer Perspektive untersucht, wie sich Richter mit seinem Pop-Theatertext im Feld der Kulturproduktion seiner Zeit positioniert (vgl. ..).
Richter, in Hamburg geboren, hat Schauspieltheater-Regie in Hamburg studiert. Seinen ersten Theatertext ›Alles. In einer Nacht‹ inszenierte er an den Hamburger Kammerspielen (Premiere am . . ), im gleichen Jahr wurde sein Stück ›Kult! Geschichte für eine virtuelle Generation‹ am Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführt. Es folgten ›Gott ist ein DJ‹, am Staatstheater Mainz zur Uraufführung gebracht; ›Nothing hurts‹, zum Theatertreffen in Berlin eingeladen und mit dem Hörspielpreis der Deutschen Akademie der Künste ausgezeichnet; ›Peace‹ (), ›Der Angriff‹ (), ›Sieben Sekunden / In God we trust‹ (), der Stückezyklus ›Das System‹ (), ›Deutlich weniger Tote‹ (), ›Die Verstörung‹ (), ›Verletzte Jugend‹ () und ›Im Ausnahmezustand‹ (). Richter war von bis Hausregisseur am Schauspielhaus Zürich (unter Christoph Marthaler); seit der Spielzeit / ist er Hausregisseur an der Berliner Schaubühne. Er inszeniert u. a. am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, an der Hamburgischen Staatsoper, dem Schauspielhaus Düsseldorf, der Bayerischen Staatsoper, der Oper Frankfurt, dem Nationaltheater Oslo, dem Wiener Burgtheater, der Torneelgroup Amsterdam, den Seven Stages Atlanta, dem Schauspielhaus Zürich oder bei den Salzburger Festspielen.
.. Der dominante Einfluss audiovisueller Medien auf die Weltwahrnehmung der Protagonisten Richter führt zwei typisierte, namenlose Figuren, E und S, »beide etwa um die Dreißig«, vor, die sich rund um die Uhr von Überwachungskameras filmen lassen und die Aufnahmen »direkt ins Internet einspeisen«. Sie finanzieren sich durch einen mit einer Kunsthalle abgeschlossenen Vertrag, der es den Geldgebern erlaubt, das Videomaterial zu sichten und Filmausschnitte in einem Ausstellungsraum vorzuführen. Im Rahmen dieses Kunst-Projekts sind E und S in einen separaten Raum der Kunsthalle eingezogen, in dem ihre Einzimmerwohnung nachgebaut worden ist. Mehrere Male im Monat empfangen sie dort Ausstellungsbesucher – die Theaterzuschauer. Ihnen erzählen sie von sich und ihrem Leben; sie lassen ihr Publikum unmittelbar an ihrem Alltagsleben teilhaben und informieren es über ihre künstlerischen Arbeiten. Ausgangs- und Endpunkt des Bühnenstücks, das nicht von Handlungen und Ereignissen, sondern von den Selbstthematisierungen der Figuren lebt, bildet die Situation, dass die realen Zuschauer das Paar in der Kunsthalle aufsuchen, um einen ›Blick hinter die Kulissen‹ zu erhaschen. Die Wohnsituation des Paares erinnert an das genauso erfolgreiche wie umstrittene Fernsehformat ›Big Brother‹, das zuerst in den Niederlanden gezeigt worden ist. In der mittlerweile in fast siebzig Ländern ausgestrahlten sogenannten Reality-TV-Sendung wird eine Gruppe von Menschen über mehrere Monate in einem als Wohnraum eingerichteten Fernsehstudio von Kameras gefilmt. Neben täglichen Zusammenschnitten des Videomaterials im Fernsehen können die ›Hausbewohner‹ auf einer Web-Seite im Internet oder per Pay-TV rund um die Uhr beobachtet werden. Wie im ›Big Brother‹-Container bestimmen auch in Richters Künstlerdrama die technischen Medien Alltag und Berufsleben der Protagonisten. Darauf verweisen bereits die dem Stück
Falk Richter: Gott ist ein DJ. In: Uwe B. Carstensen / Stefanie von Lieven (Hg.): Theater Theater. Anthologie aktuelle Stücke. Bd. . Frankfurt/M. , S. –, hier S. . Ebd., S. . In dieser Arbeit wird zwischen ›natürlichen‹ und ›technischen‹ Medien unterschieden. Im Gegensatz zu den natürlichen Medien – den Sinnesorganen –, an die der Mensch gebunden ist, weil er durch sie die Welt erschließt, wird die Realität mit Hilfe technischer Medien auf spezifische Weise erfasst. »Im einen Fall erschließt das Medium einen Bereich, der allein durch diese Erschließung gegeben ist. Im andern Fall erschließt das Medium einen Bereich, der durch diese Erschließung auf eine bestimmte Weise gegeben ist, aber auch unabhängig vom Zeitpunkt und der Art seiner Erschließung besteht.« (Martin Seel: Medien der Realität und Realität der Medien. In: Sybille Krämer (Hg.): Medien, Computer, Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien. Frankfurt/M. , S. –, hier S. ). Zu den technischen Medien zählen Apparate der Nachrichtentechnik, etwa das Telefon, oder auditive und bilderzeugende Geräte wie Fotoapparat, Film, Radio, Fernsehen, Video oder Computer.
vorangestellten Regieanweisungen, in denen die Wohnungseinrichtung des Paares beschrieben wird. In dem Zimmer befindet sich eine DJ-Kanzel mit Plattenspielern, Kassettenrecordern, Computern, Samplern, selbstgebastelten Sound-Maschinen, zwei Mikrophonen, […] eine Videokamera, ein Videobeamer, […] dahinter eine große eingerahmte Leinwand; […] das Videobild der Raum-Kamera und das der Internet-Überwachungskamera werden dort übertragen, Standbilder eingefroren.
Die Dominanz der audiovisuellen Massenmedien hat, so die zeitgenössische Medientheorie, zu einer neuen Form der ›Weltbegegnung‹ geführt. Zum einen verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, zum anderen wird die Wirklichkeit in medialen Schemata wahrgenommen. Beide Phänomene werden im Folgenden anhand des Theatertextes konkretisiert. Dass zwischen Wirklichkeit und medialer Konstruktion zunehmend schwerer differenziert werden kann, ist darauf zurückzuführen, dass der Status von Bildern, Klängen und Reden, mit denen die Konsumenten von Massenmedien konfrontiert werden, nicht immer eindeutig ist. So ist es für einen Fernsehzuschauer kaum möglich zu erkennen, ob es sich um eine technisch induzierte, also verändernde Wiedergabe realer Situationen handelt, ob dies eine Liveübertragung oder eine Aufzeichnung ist, eine vollständige oder gekürzte Aufzeichnung, ob es sich vielmehr um eine fingierte Situation handelt, ob die Fiktion (wenn es eine ist) an realen Schauplätzen oder auf den Wegen der Computersimulation hergestellt wurde, ob die Worte, die zu hören sind, je in realer Kommunikation hintereinander gesprochen wurden oder sich einer technischen Zusammenstellung verdanken […].
Da die technischen Medien die Realität abbilden, aber auch eigene Wirklichkeiten konstruieren können, sind echte von fingierten Situationen kaum zu unterscheiden. Das wird in den Gesprächen des Paares deutlich. So negiert S die Möglichkeit einer objektiven Berichterstattung durch die Medien, wenn sie von ihrem ehemaligen Mitbewohner Robin erzählt, der sich für seine privaten Misserfolge dadurch gerächt hat, dass er als Kritiker zur Zeitung gegangen ist. In S Narrationen kommt zum Ausdruck, dass die Erschließung einer vordiskursiven Wirklichkeit angesichts der Dominanz audiovisueller Medien unmöglich ist. Die Rezipienten seiner Musiktracks zeigen sich unfähig festzustellen, ob es sich bei den von ihnen gehörten Tönen um reale oder künstliche, für einen Film produzierte Schüsse handelt:
Richter: Gott ist ein DJ, S. . Vgl. u. a. Krämer (Hg.): Medien, Computer, Realität; Norbert Bolz: Chaos und Simulation. München ; Jean Baudrillard: Das perfekte Verbrechen. München ; Gabriele Klein: Electronic Vibration. Pop Kultur Theorie. Wiesbaden . Seel: Medien der Realität, S. . Vgl. Richter: Gott ist ein DJ, S. .
In der Nacht wurde jemand im Valley erschossen, und ich hatte das Fenster weit geöffnet und den Fernseher angeschaltet, einen Tex-Mex-Remake von Tarantino, so daß man den echten Schuß nicht von dem Tex-Mex-Schuß unterscheiden kann, und alle, die diesen Track hören, glauben, das sei ein Sound, den ich aus dem Fernsehen herauskopiert hätte, aber für diesen Sound mußte wirklich jemand sein Leben lassen […].
Auch im ›Masterplan‹ der Protagonisten manifestiert sich das Ineinandergreifen von Realität und medialer Konstruktion. Die Figuren planen, alle »bereits dagewesenen Klänge« in Moleküle zu zerlegen und diese neu zusammenzusetzen. Dabei verdeutlicht E, dass das Individuum sich in seiner unmittelbaren Wahrnehmung täuschen kann, wenn er konstatiert: Diese Stelle jetzt zum Beispiel entsteht nur, weil sich die Frequenzen, die ich eigentlich auf die Spur gelegt habe, gegenseitig auslöschen. […] Was wir hören, entsteht dadurch, daß die unterschiedlichen Samples sich gegenseitig bekämpfen und für Bruchteile von Sekunden auslöschen. Die Musik, die wir hören, ist also eine Täuschung, die gibts gar nicht, die ist rein virtuell, die entsteht nur durch den ständigen Kampf der eigentlichen Traxx, durch Frequenzauslöschung, durch Überbelastung des Gehirns.
Aus dem Konsum der Massenmedien folgt nicht nur ein Verschwimmen der Grenzen zwischen objektiv gegebenen und konstruierten Welten, sondern auch die Wahrnehmung der Wirklichkeit in medialen Schemata. Davon sind Theodor W. Adorno und Max Horkheimer bereits in ihren kulturkritischen ›philosophischen Fragmenten‹ ›Dialektik der Aufklärung‹ überzeugt gewesen, als sie in Bezug auf die USA die These vertreten haben: Die Art, in der ein junges Mädchen das obligatorische date annimmt und absolviert, der Tonfall am Telephon und in der vertrautesten Situation, die Wahl der Worte im Gespräch, ja das ganze nach den Ordnungsbegriffen der heruntergekommenen Tiefenpsychologie aufgeteilte Innenleben bezeugt den Versuch, sich selbst zum erfolgsadäquaten Apparat zu machen, der bis in die Triebregungen hinein dem von der Kulturindustrie präsentierten Modell entspricht. […] Das ist der Triumph der Reklame in der Kulturindustrie, die zwanghafte Mimesis der Konsumenten an die zugleich durchschauten Kulturwaren.
Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Die Unterscheidung zwischen einer externen, objektiv gegebenen und einer medial konstruierten Realität gründet sich auf die erkenntnistheoretische Annahme, dass eine objektive Wirklichkeit unabhängig von dem reflektierenden Subjekt existiert. Sie wird von diesem prinzipiell medial, durch Reflexion, erschlossen, kann in ihrer Weite jedoch nicht vollständig erfasst werden. Theodor W. Adorno / Max Horkheimer: Gesammelte Schriften. Bd. : Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt/M. , S. f. Während Adorno und Horkheimer dieses von ihnen diagnostizierte Phänomen – die zunehmende Wahrnehmung der Umwelt in medialen Schemata – aus dezidiert kulturkritischer Perspektive betrachten und scharf verurteilen, enthält sich Richter – als PopAutor – bewusst jeder Wertung.
Wie das von Adorno und Horkheimer angeführte ›junge Mädchen‹ nehmen E und S ihre Umwelt in medialen Mustern – wie durch den Blick einer Kamera – wahr. Das schlägt sich in den Reisebeschreibungen des DJs nieder, der die Sinuskurven seiner Musik in den Dünen des Death Valleys zu sehen glaubt. Die Farbveränderungen in der Landschaft erscheinen ihm wie ein »neuer Beat, der sich leise über die Nebenspur dazumischt«, die Dünen wirken wie »massive Videoscreens.« Dass die Weltwahrnehmung der Protagonisten medial geprägt ist, zeigt sich auch in S Bericht von einem Mörder, dessen Schuss er aufgezeichnet und in einen seiner ›Musiktraxx‹ eingebaut hat. Das Verbrechen wertet der Musiker weder moralisch noch emotional, sondern er kategorisiert den Täter sachlich als »Co-Producer« seines Sounds. Diese distanzierte und unkritische Haltung kommt auch zum Ausdruck, als E sich mit seiner Partnerin über ein Zugunglück unterhält, bei dem seine ganze Familie angeblich auf tragische Weise ums Leben gekommen ist. Anstatt sich zu dem Erlebten in Beziehung zu setzen, beschreibt er das Szenarium objektivierend als »überdimensional großes Schlachtengemälde, also schon beeindruckend, auch rein klanglich: erst der Aufprall, dann überall Schreie, die Sirenen der Krankenwagen.« Im Gegensatz zu den emotionslosen Beschreibungen der vermeintlich persönlichen Familienkatastrophe besitzt der DJ eine starke affektive Bindung zu dem Musiker Goldie – »die Ikone, Gott« –, obwohl ihm der Künstler nur aus den Medien bekannt ist. Da Fiktion und Realität ununterscheidbar werden und E seine Umwelt aus Kameraperspektive wahrnimmt, haben eigene Erfahrungen und medial vermittelte Informationen für ihn den gleichen Stellenwert. Dieses von Richter in Szene gesetzte zeittypische Phänomen führt Gabriele Klein auf die Sozialisierung heutiger Individuen durch »televisionäre Prozesse« zurück. Ihr Verhalten, ihre kommunikativen Strategien und ihr Selbstverständnis ist zunehmend medial kodiert. In dieser Wirklichkeit verschwimmen die Grenzen zwischen der materiellen und der virtuellen Welt: Nicht selten empfinden Menschen zum Nachbarn an der Straßenecke eine größere Distanz als zu irgendeinem Serienstar der Lindenstraße.
Vgl. Richter: Gott ist ein DJ, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Goldie ist der Künstlername des britischen Musikers Clifford Price (geb. ). Als Jungle und Drum’n Bass Musiker hat sich Price einen Namen gemacht, er arbeitet außerdem als Musikproduzent und Schauspieler. Klein: Electronic Vibration, S. .
.. Die Kunstauffassung der Protagonisten Die Schwierigkeit, zwischen medialer Konstruktion und realer Welt zu differenzieren, ist nicht nur auf die von den Massenmedien geprägte Weltwahrnehmung, sondern auch auf die institutionalistische Kunstauffassung der Figuren und ihren Status als Kunstobjekt zurückzuführen. Nach einer Performance zum Thema ›Clubkultur‹, ›Kunst‹: ›Das Leben als Text‹ für ihr Internet- und Kunsthallenpublikum erklären E und S: E Scheiße, Alter, das ist Kunst S Quatsch, Alter, das ist Leben E Oh, Mann, Scheiße, Alte, sag mir den Unterschied, und ich gebe dir den großen Preis
Beide Protagonisten sind davon überzeugt, dass Kunst und Realität nicht voneinander zu unterscheiden sind, seit Andy Warhols Pop-Art und Marcel Duchamps Readymades eine etablierte kunsttheoretische Position. Seit Duchamp wissen wir nämlich, daß jede Ware als Kunstwerk ausgestellt und anerkannt werden kann. So läßt sich sagen: Jedes Kunstwerk ist eine Ware, und jede Ware ist ein Kunstwerk. Die Identität zwischen Ware und Kunstwerk scheint somit perfekt zu sein.
Die fließenden Grenzen zwischen Kunst und Realität manifestieren sich in den verschiedenen Kunstprojekten des Paares. So spricht E davon, in Kürze eine Autobiographie mit dem Titel ›Falsche Erinnerungen‹ zu publizieren und gerade seine Babyfotos zusammen mit Foucault-Zitaten auszustellen. Im Unterschied dazu berichtet S, zur Zeit des Kosovo-Krieges in Jugoslawien einen Film gedreht zu haben, um die dortigen »grauenhaftesten Verwüstungen« als Kulisse zu nutzen. Am deutlichsten zeigt sich das Ineinandergreifen von Fiktion und Wirklichkeit in der Kunsthallen-›Installation‹ der Figuren. In einem Ausstellungsraum stellen sie ihr »echte[s] Leben« aus. Daher werden ihre Einrichtungsgegenstände in den Regieanweisungen als »Möbel« und als »Alltagskunst« klassifiziert. Da sich die Künstler selbst als Kunstobjekte begreifen, inszenieren sie viele ihrer Gespräche und Alltagshandlungen, etwa das gemeinsame Kochen, bewusst für die Kamera. Es gibt keine Demarkation zwischen authentischer Konversation und kalkulierter Selbstpräsentation. In den Regieanweisungen wird erläutert, dass den beiden ihr »Leben […] zu einer ständigen Performance« gerät, weil ihnen bewusst ist, dass gerade »die Momente, in denen sie
Richter: Gott ist ein DJ, S. . Boris Groys: Topologie der Kunst. München, Wien , S. . Vgl. Richter: Gott ist ein DJ, S. , . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
abstürzen, nicht perfekt sind […] vom InternetKunsthallenkamerateam sehr gerne gesehen« werden. Da S und E darauf zielen, sich medienwirksam für die Kamera zu inszenieren, verleihen sie sich in ihren Dialogen verschiedene, aber immer authentisch wirkende Images. Daraus resultiert das Unvermögen des Lesers bzw. Zuschauers zu bestimmen, wann die Protagonisten von realen und wann von erdachten Begebenheiten erzählen; der Wahrheitsgehalt ihrer Äußerungen muss in Frage gestellt werden. Da sich aber jede Erzählung auf einen gesellschaftlich verankerten Narrationsfundus gründet – Subjekte können nur ihnen bekanntes Wissen sprachlich vermitteln –, können die im Theatertext vorgeführten spezifischen Konflikte der Figuren trotz der Unsicherheit des Lesers bzw. Zuschauers über den Status der jeweiligen Narrationen analysiert werden.
.. Die Kategorisierung der Figuren als gerissene Künstler Als Kunstwerke gelten in ›Gott ist ein DJ‹ alle Gegenstände, die von künstlerischen Konsekrationsinstanzen als solche anerkannt werden. Dem zufolge sind E und S als Kunstobjekte zu kategorisieren. Als lebende Artefakte sind sie von professionellen Meinungsbildnern – den Kuratoren der Kunsthalle – für eine Installation mit dem Titel »Moderne Lebensformen«, »Radikale Subjekte« bzw. »Nach dem Ende der Dekonstruktion« ausgewählt worden. Sich über ihren Objektstatus bewusst, bieten E und S ihren Besuchern eigene Merchandising-Produkte wie CDs, Videos, T-Shirts oder Bettbezüge zum Kauf an. Ob die beiden Protagonisten auch als Künstler beruflich anerkannt werden, lässt sich aus ihren Narrationen nicht entnehmen, bleibt doch der Leser bzw. Zuschauer über den Wahrheitsgehalt ihrer Äußerungen im Unklaren. Beide Figuren sind aber als schöpferische Produzenten zu definieren, wie im Folgenden gezeigt wird. In seiner Arbeit über die ›Topologie der Kunst‹ reflektiert Boris Groys über den Unterschied zwischen Waren und Kunstwerken und vertritt die These, dass die Differenz nicht im Akt der Produktion, sondern im Akt der Selektion besteht. Bevor Handelswaren in Umlauf gebracht werden, werden in den jeweiligen Betrieben Qualitätskontrollen durchgeführt, in deren Rahmen untaugliche Erzeugnisse aussortiert und die tauglichen Güter zum Verkauf freigegeben werden. Die Selektionskriterien sind
Ebd., S. . Ebd., S. .
explizit vorformuliert und öffentlich zugänglich. […] Auf keiner Stufe […] übernimmt […] ein konkretes Individuum eine individuelle Verantwortung für den einzelnen Akt der Selektion – für eine konkrete Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Produkt.
Der Akt der Selektion im Bereich der Kunst folgt hingegen keinen klaren Vorgaben. Die Kriterien, nach denen etwa Duchamp entscheidet, ein ›Urinoir‹ als Kunstwerk auszustellen, oder nach denen Warhol beschließt, Bilder von ›Campbell’s Soup Cans‹ anzufertigen, bleiben nebulös, weil sie sich »nicht beschreiben, rationalisieren, rekonstruieren und systematisch anwenden« lassen. Anstatt sich nach etablierten Selektionskriterien zu richten, trifft der Künstler autonome, individuelle Entscheidungen. Um seine Souveränität zu dokumentieren, benötigt er einen Raum, der als ›Ort der Kunst‹ definiert ist. Solche Örtlichkeiten besitzen eine spezifische topologische Eigenart: »Es sind Orte der Überschneidung zwischen privaten und öffentlichen Räumen.« Diese lokale Kongruenz ist in zwei Fällen gegeben: »Im ersten Fall zirkulieren die Kunstwerke in öffentlichen Netzen der Verbreitung – und werden in einen privaten Raum« gestellt, etwa Bilder, die in Privatwohnungen aufgehängt werden. »Im zweiten Fall wird das Private im öffentlichen Raum ausgestellt und zugänglich gemacht. In diesem Falle bleibt das Kunstwerk immobil, wobei der Zuschauer zu zirkulieren beginnt.« Als paradigmatisches Beispiel gilt Groys der Ausstellungsraum. Für den Kunstwissenschaftler und Medientheoretiker ist Kunst nur topologisch zu definieren: Strenggenommen können wir nur über Kunstorte – nicht über Kunstwerke – sprechen. Denn die souveräne Autorschaft braucht weniger die Auswahl von Dingen als vielmehr einen klar definierten öffentlichen Ort, um sich als solche manifestieren zu können: einen Ort der Kunst.
Unter diesen Prämissen sind Richters Protagonisten als lebende Kunstobjekte und als Künstler zu definieren. In einem öffentlichen Raum, einem ›Ort der Kunst‹, stellen sie Privates, sich und ihr alltägliches Leben, aus. Dabei entscheiden sie souverän, wann sie die Kameras einschalten und nach welchen ästhetischen Kriterien sie sich für die Aufnahmen in Szene setzen. Trotzdem bleiben E und S in hohem Maß von den Kuratoren der Kunsthalle abhängig. Aus ihren Gesprächen geht hervor, dass die Ausstellungsleiter anordnen, welches Videomaterial in der Galerie gezeigt wird und ob und in welchem Rahmen
Groys: Topologie der Kunst, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Vgl. Richter: Gott ist ein DJ, S. .
ihr Vertrag verlängert wird. Diese »unsouveräne Souveränität« ist ein spezifisches Merkmal des Künstlers. Dieser ist im Akt der Selektion autonom, als Künstler gilt er aber nur, wenn er von den Weihungsinstanzen als solcher gewürdigt wird. Das führt den schöpferischen Produzenten in eine prekäre Situation. Einerseits hat er souveräne Entscheidungen zu treffen, andererseits ringt er um seine berufliche Anerkennung, ohne die ihm seine Existenzgrundlage entzogen wird. Richters Protagonisten sind trotz ihrer kapitalen Abhängigkeit von den Kuratoren der Kunsthalle als gerissene Künstler zu definieren. E und S verfolgen den »Masterplan«, ein »großes fettes Riesenprojekt« zu realisieren, in dessen Rahmen »[d]ie ganze Welt als Sound« abgemischt und »[e]in neues Universum«, eine »neue Gesellschaftsordnung, die auf Klang aufgebaut ist«, kreiert werden soll. Mit der Kunsthallen-›Installation‹ sollen die dafür benötigten finanziellen Gewinne verdient werden. Um sich erfolgreich zu vermarkten, bedienen die Figuren die thematischen und ästhetischen Vorlieben ihrer Zuschauer. Sie glauben, wie Duchamp Meister in der Kunst zu sein, »mit allen vom Spiel angebotenen Möglichkeiten zu spielen.« Um untersuchen zu können, ob das Paar tatsächlich so souverän agiert wie es in seinen Gesprächen vorgibt, sind zunächst die spezifischen Strukturen des Kunst- und Kulturbetriebs zu analysieren und die künstlerischen Ideale darzulegen, nach denen es sich vor der Kamera in Szene setzt.
.. Die spezifischen Strukturen des Kunst- und Kulturbetriebs In Richters Theatertext ist das Unterfeld der eingeschränkten Produktion nicht präzise von dem der Großproduktion abzugrenzen. Die fehlende Trennschärfe »zwischen den beiden Polen« des kulturellen Feldes zeigt sich im Kunsthallen-Projekt der Figuren. Während sich diese mit ihrer ›Installation‹ im Ausstellungsraum an ein überschaubares Fachpublikum richten, von dem sie sich symbolische Anerkennung erhoffen, dient der Verkauf von MerchandisingProdukten der Erwirtschaftung monetärer Erträge. Die fließende Grenze zwischen den Subfeldern zeigt sich auch in der beruflichen Laufbahn der Protagonisten. So ist S einem breiten Publikum zunächst als Moderatorin bekannt geworden, bevor sie angefangen hat, preisgekrönte Filme zu drehen. E arbeitet hingegen als DJ, will aber auch ein Buch mit dem Titel ›Falsche Erinnerungen‹ publizieren und hat die Ausstellung sei
Groys: Topologie der Kunst, S. . Richter: Gott ist ein DJ, S. , . Bourdieu: Das literarische Feld, S. f. Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. .
ner Babyfotos zusammen mit Foucault-Zitaten konzipiert und organisiert. Dass sich die Künstler nicht dezidiert an einem der beiden Pole des Feldes der Kulturproduktion verorten, sondern kommerzielle und avantgardistische Kunstprojekte verfolgen, ist auf ihr primäres Ziel zurückzuführen, öffentlich beachtet zu werden. Im Gegensatz zu den verkannten Genies im Drama des . Jahrhunderts, die auf die Verwirklichung ihrer weltlichen Wünsche zugunsten ihrer messianischen Artefakte verzichten, weisen Richters Protagonisten ihren Kunstwerken keine programmatische Wirkungsabsicht zu. Ihre schöpferische Produktion steht im Dienst des Kampfes um Aufmerksamkeit. So erklärt S: »Meine Karriere war irgendwie ernsthaft gefährdet. Vorbei. […] Und jetzt bin ich gottseidank wieder berühmt. Hab auch wieder meine eigene Seite in der V und so.« Das Ringen um Aufmerksamkeit ist für Georg Franck ein spezifisches Merkmal der »hochtechnisierten Zivilisationen«. Er sieht das heutige Subjekt einem Überangebot an Informationen ausgesetzt, resultierend aus der »Informatisierung der Berufswelt, dem Ausufern der Werbung und dem massenmedialen Kampf um die Aufmerksamkeit«. Angesichts der Flut an Reizen ist das Subjekt gezwungen, scharf zu selektieren, um zu entscheiden, welchen es sich bewusst zuwendet. Vor diesem Hintergrund wird die Aufmerksamkeit, definiert als »Kapazität zu selektiver Informationsverarbeitung« und als »Zustand der Geistesgegenwart«, zur knappen Ressource. Die bezogene Aufmerksamkeit fungiert als »Form des Einkommens«, um das aggressiv geworben wird, weil es in wirtschaftliche Profite konvertiert werden kann. Für Franck ist die Aufmerksamkeit […] zum wichtigsten Faktor der Geldwert schöpfenden Produktion geworden. Diese Produktion hat […] ein Aktivitätsniveau erreicht, auf dem im Verkauf nichts mehr ohne die Umwerbung der kaufentscheidenden Aufmerksamkeit geht.
Selbst wenn die Erwirtschaftung finanzieller Erträge im Zentrum des Interesses steht, geht »es zunächst einmal darum, im Kampf um die Aufmerksamkeit zu bestehen.« Der schöpferische Produzent muss ökonomische Strategien entwickeln, um das Interesse der breiten Masse auf sich zu lenken. Die akkumulierte Aufmerksamkeit lässt sich am Bekanntheitsgrad messen. Ab einem
Richter: Gott ist ein DJ, S. . Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit, S. . Ebd., S. ; zur Historie der Expansion von Informationen vgl. ebd., S. –. Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
gewissen Grad an Prominenz kann der Künstler von der bezogenen Beachtung profitieren: »Wer hinreichend bekannt ist, findet schon allein aufgrund des Grads seiner Bekanntheit Beachtung. Der Schatz rentiert sich. Er wirft Zinsen ab in der Form, daß seine Beachtlichkeit selber zum Faktor der Wertschöpfung wird.« Um sich als Künstler durchzusetzen, streben Richters Figuren danach, öffentlich beachtet zu werden. In dem Wissen, dass sich erst mit wachsendem Bekanntheitsgrad der »quantitative und der qualitative Aspekt des Ansehens« ausdifferenzieren, hat S als Moderatorin bei einem Musiksender gearbeitet. Als prominente ›Video Jockette‹ konnte sie sich im Subfeld der eingeschränkten Produktion positionieren und sich als Filmregisseurin einen Namen machen. Das Gleiche gilt für I. Durch seine Tätigkeit als DJ der Öffentlichkeit bekannt, erhielt E zuerst einen »Schreibauftrag«, bevor er das Angebot der Kunsthalle annahm. Richter stellt den Kunst- und Kulturbetrieb als professioniertes Vermarktungssystem dar, das schöpferischen Produzenten Foren bietet, um sich öffentlich präsentieren und inszenieren zu können. Auf diversen Festivals und Symposien können insbesondere junge Künstler ihre Projekte vorstellen und über kunsttheoretische Fragen diskutieren. Aus den Gesprächen der dramatis personae geht jedoch hervor, dass sie nicht an fachlichen Auseinandersetzungen interessiert sind. So berichten E und S von einem Festival, auf dem nur »Preisträger«, alles »Jungstars auf ihrem Gebiet«, präsent gewesen sind. Anstatt dort über ästhetische Fragen zu debattieren, haben sie mit der Konkurrenz um ihr ›Einkommen‹ an Aufmerksamkeit gewetteifert: E S E S
Alle schon mal n Portrait in der Zeitung gehabt […] Je abwegiger, desto besser Es gab so ne Art Wettkampf Ja, am coolsten war es irgendwie, wenn man es in die B geschafft hatte, S gab natürlich Respekt […] E Ja, D Z gab am meisten Respekt, und ich glaub, F F F gab am meisten Strangeness-Punkte
Ähnlich wie E und S scheinen auch die Organisatoren des Festivals nicht an den Artefakten der Anwesenden interessiert gewesen zu sein. Dem Zwang aus-
Ebd., S. . Ebd., S. . Als Video Jockey bzw. Video Jockette (Kurzform: ›VJ‹) wird ein/e MusikvideoclipAnsager/in bei einem kommerziellen Musikfernsehsender, z. B. bei MTV oder VIVA, bezeichnet. Richter: Gott ist ein DJ, S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
gesetzt, Innovatives zu präsentieren, haben sie, I Aussagen zufolge, nur Künstler »unter dreißig« eingeladen und ausnahmslos mit Preisen ausgezeichnet. Sie berichtet: »Alle haben irgendwie n Regiepreis gewonnen auf dem Festival. Das war schon wieder uncool. Irgendwie gabs ne Pressekonferenz. Da saßen nur Leute, die nen Regiepreis gewonnen hatten. In den unterschiedlichsten Kategorien.« Während der Moderatorin »n Frauenpreis« verliehen worden ist, hat E in der Kategorie »Männliche deutsche DJs unter « gewonnen. Als aussagekräftiges Mittel zur Bewertung künstlerischer Qualität müssen diese Auszeichnungen fragwürdig bleiben. Abgesehen von der inflationären Preisvergabe ist S nämlich ihrer Meinung nach nur deshalb mit einem Regiepreis des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet worden, weil dieses Bundesland noch das Geld besessen hat, um sich die an die Preisvergabe geknüpfte finanzielle Unterstützung der Regisseurin und die damit korrelierende Eigenwerbung leisten zu können. Um sich als Künstler zu etablieren, müssen E und S Strategien entwickeln, um die Aufmerksamkeit der breiten Masse dauerhaft auf sich zu ziehen. Dass eine temporäre Medienpräsenz nicht ausreicht, um sich im kulturellen Feld zu behaupten, geht aus I Narrationen hervor, wenn sie berichtet, dass sich die Fernsehkonsumenten nicht mehr an sie erinnern können, obwohl ihre Sendung vor zwei Jahren mit hohen Einschaltquoten ausgestrahlt worden ist. Als Künstler erkennen beide Protagonisten nur diejenigen an, die beständig im Zentrum des Medieninteresses stehen. In ihrer Konversation über das Festival bekennen sie, dass sie für die Günstlinge von Redakteuren, die »jede Woche einen neuen Megastar aus der Gosse« ziehen, nur »ein müdes Lächeln« übrig haben, »Null Respekt«. Weitere Schwierigkeiten, die an eine Karriere im Kunst- und Kulturbetrieb geknüpft sind, werden insbesondere von I thematisiert. Durch ein medienwirksames Image zur prominenten Moderatorin avanciert, sind auf dem Höhepunkt ihrer Karriere T-Shirts »mit ihrem Gesicht drauf« und auf ihr ›Produktprofil‹ zugeschnittene Tamagotchis oder Gameboyspiele vermarktet worden. Nach ihrem Zusammenbruch im Sender musste die junge Frau allerdings erfahren, von ihrem Publikum nicht als individuelles Subjekt, sondern als austauschbares ›Kultobjekt‹ wahrgenommen zu werden. So erzählt das Paar:
Vgl. Groys: Über das Neue. Richter: Gott ist ein DJ, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Vgl. ebd., S. f. Ebd., S. . Ebd., S. .
E Eines Tages schalten wir den Fernseher ein und sehen so ne Tussi, die genauso aussieht wie meine Kleine hier und … S … die auch zum Teil das Gleiche sagt. Das hat mich echt geschockt. Die machte die gleichen Bewegungen wie ich, redete absolut das Gleiche. Die hatte mich genau studiert und kopiert. Das war mein Text, mein Leben, das hatte ich mir doch ausgedacht, die hat sich einfach meinen Kult genommen, mein Image, die hat sich sogar meine Klamotten angezogen […].
Den beruflichen Misserfolg hat S als existentielle Katastrophe erfahren. Aus ihren Äußerungen geht hervor, dass sie sich während ihrer Arbeit als VJ allein im Studio befunden hat. Die Kameras um sich herum vergessend, haben sich ihre Monologe durch einen hohen Grad an Unmittelbarkeit und Authentizität ausgezeichnet. Sie erklärt: »Ich war da immer ungestört gewesen, hab mir nichts weiter dabei gedacht, hab so vor mich hingeredet und dabei vergessen, daß das auch jemand sehen kann«. Die Situation ändert sich schlagartig, als sie von einem im Studio anwesenden Techniker beobachtet wird. Fremden Blicken ausgesetzt realisiert sie, dass sie nicht für sich, sondern in einem öffentlichen Raum für ein imaginäres Fernsehpublikum agiert, und verstummt. Die tiefe Verunsicherung der Moderatorin resultiert aus einer sich ändernden Selbstwahrnehmung. Anstatt wie bisher unreflektiert zu reden, »was das Zeug hält«, beginnt S, sich selbst fremd zu werden, weil sie sich aus der Perspektive ihrer Zuschauer betrachtet und sich als medial konstruiertes, lebendiges ›Produkt‹ wahrnimmt: [I]ch höre mich sprechen … ich schau mir selbst dabei zu … ich bin meine eigene Testperson […] die beobachten mich […] korrigieren … perfektionieren … ich werde … ich werde, ich entstehe, langsam werde ich das Bild, das die von mir gezeichnet haben, langsam werde ich identisch mit dem Trailer, der hier Abend für Abend für mich wirbt.
Im Gegensatz zu dem ersten Versuch der jungen Frau, sich in der Medienbranche zu etablieren, plant das Paar mit seinem Kunsthallen-Projekt, die Medien souverän in den Dienst der eigenen Interessen zu stellen. Während S als Moderatorin gescheitert ist, weil sie sich vollständig mit ihrem medialen ›Produktprofil‹ identifiziert hat, inszenieren sich die Künstler im Rahmen ihrer ›Installation‹ bewusst als lebende Artefakte und unterscheiden zwischen ihrer Person und den von ihnen vorsätzlich kreierten, medienwirksamen Images. Diese Selbstobjektivierung soll ihnen dazu verhelfen, selbstbestimmt zu agieren und gegen den Einfluss der Medien ›resistent‹ zu werden.
Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Vgl. ebd., S. .
.. Die Durchsetzungsstrategien der gerissenen Künstlerfiguren Um Internetzuschauer und Kunsthallenbesucher für sich zu gewinnen, gestalten E und S ihre Konversation bewusst für die sie umgebenden Kameras. Das zeigt sich in den von ihnen favorisierten Themen und in ihrer authentischen und ereignisorientierten Selbstpräsentation. ... Die ›gerissene‹ Selbstpräsentation Als die junge Frau von ihrer Zeit als Moderatorin bei einem Musiksender erzählt, erklärt sie, man könne »so schöne Sachen sagen über Kunst zum Beispiel oder Musik oder Shoppen oder Liebe«. Bis auf das ›Shoppen‹ sind alle genannten Themen für die medienwirksame Selbstinszenierung des Paares zentral. Die Figuren lassen die Zuschauer an ihrem Privatleben teilhaben, indem sie ihre Beziehungsstreits und ihre sexuelle Leidenschaft füreinander ausstellen oder vom Beginn ihrer Liebesbeziehung berichten, etwa von ihrer ersten Begegnung im Fernsehstudio, von ihrem Gespräch auf dem Festival oder von ihren ersten gemeinsamen künstlerischen Arbeiten. In diesem Rahmen legen sie ihre kunsttheoretische Position dar und erörtern die Chancen und Schwierigkeiten, sich im Kunst- und Kulturbetrieb behaupten zu können. Dabei sind sie nicht daran interessiert, sich wie die verkannten und verfemten Genies im Drama des . Jahrhunderts als Ausnahmetalente zu präsentieren, sondern sie behaupten, dass jedes Subjekt in der Lage ist, die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und sich als Künstler durchzusetzen. So erklärt S den »Zuschauern im Theater«: Ich meine, also, wie Popstars seht ihr nicht gerade aus. […] Dabei braucht man doch nur den richtigen Sender einschalten und sich bei den echten Stars abgucken, wie das geht: Kult sein, sich gut verkaufen. Wie das überhaupt funktioniert. Hat euch eure Mutti das denn nicht erklärt?
Zusammen mit ihrem Partner führt S dem Publikum die eigenen Durchsetzungsstrategien vor, etwa das »Product Placement«, das dazu dient, den Absatz der von beiden vertriebenen Merchandising-Produkte und die Verkaufszahlen des von I verfassten Buchs ›Falsche Erinnerungen‹ zu erhöhen. Während die Künstlerfiguren mit den Berichten aus ihrem Privatleben den Voyeurismus und die Sensationslust ihres Publikums befriedigen, nähren sie mit ihren Narrationen über Kunst die Hoffnung ihrer Zielgruppe, auch ohne außerordentliche Fähigkeiten zu Ruhm und Reichtum gelangen zu können.
Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
Neben den inhaltlichen Schwerpunkten ›Kunst‹ und ›Liebe‹ kommt der ›Musik‹ in den Gesprächen der Protagonisten zentrale Bedeutung zu. Dass dieses Thema für ihre Zuschauer einen hohen Stellenwert besitzt, kommt in den Narrationen des DJs zum Ausdruck, der sich beschwert: Hat mich im übrigen immer angekotzt, der Umgang mit Techno, Jungle, Drum ’n’ Bass, die ›Club Kultur‹, jeder Arsch engagiert sich heute einen DJ, um hip zu sein. Jeder Penner hat irgendwie bei jedem Anlaß einen DJ neben sich stehen, der dann alles irgendwie mit n paar Beats unterlegt. Der totale Mißbrauch, Mann, Scheiße. Auf jeder Parteiversammlung, auf jeder Vernissage, demnächst auch neben Dagmar Berghoff in der Tagesschau
Aus der Äußerung geht hervor, dass die Musik als Mittel der Distinktion fungiert. Die Veranstalter von öffentlichen Events dokumentieren mit dem Engagement eines DJs ihre Affinität zur ›Club Kultur‹ oder versuchen, diese Szene für sich zu gewinnen. Allerdings betonen E und S, dass sich die kapitale Bedeutung der Musik auch auf eine ihr eigene identitätsstiftende Funktion gründet. So behauptet E, dass »Sounds […] den Leuten Halt und Ruhe geben« können. Dass er der Musik diese Qualität zuschreibt, verweist darauf, dass sich die Subjekte in Richters Theatertext im Alltag halt- und ruhelos fühlen. Das bestätigt der DJ, wenn er erklärt, dass seine Tage gewöhnlich von einem »Durcheinanderfallen und Auseinanderreißen« bestimmt sind. Im Gegensatz dazu habe er sich im ›verlassenen‹ Death Valley »ruhigstellen und auf eine einfache Landschaft gucken« können, »die sich nicht alle zwei Sekunden per Knopfdruck kolossal verändern kann.« Genauso wie die Wüste, in der »keine Hektik« herrscht und sich alles »die Zeit [nimmt], die es braucht«, vermittle auch die Musik ein Gefühl von Sicherheit und Stabilität. Daher erscheinen ihm die Tracks seines Vorbilds Goldie als eine Umarmung, die man nie bekommen hat, […] wie eine Stille, eine Ruhe, wie Zuhören und Festhalten, ich glaube, ja, jemand hat eine Reise durch Angst und Chaos gemacht, jahrelang und etwas sehr Schönes gefunden, ein paar Sachen miteinander verbunden, Rauschen wie im Mutterleib, wenn man noch im Mutterleib ist, Sonnenuntergang, Aufgang …
Die Bekundung des DJs, sich während des Musikkonsums – des ›Chillens‹ – wie ›im Mutterleib‹ zu fühlen, impliziert, dass er sich während des Hörens seiner selbst nicht bewusst ist. In dem meditativen Zustand beginnen seine Gedanken »völlig unkonzentriert durch […] Körper und […] Raum« zu fließen, und er erlebt eine Situation der
Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
Ruhe und Klarheit, daß du nicht mehr rennen mußt, dich bewegen kannst, ohne zu fliehen. Aber du bist nicht leer, nein, deine Geschichten und alle Geschichten, die du gehört und gesehen hast, fließen durch dich hindurch, setzen sich neu in dir zusammen, und es ist egal, ob du sie wirklich erlebt hast oder nur gedacht hast, daß du sie erlebt hast, das macht plötzlich keinen Unterschied mehr, und das ist angenehm, sehr, sehr angenehm.
Im Unterschied zum ›Chillen‹, einem Zustand der Selbstvergessenheit, ist das Subjekt im Alltag zu »objektiver Selbstaufmerksamkeit« gezwungen. Diese Anforderung beschreibt E als Überforderung, wenn er berichtet, dass er in die Wüste geflüchtet ist, um sich dort »ohne die Strukturen, Einschnitte und Kurswechsel« zu erfahren, »die die Menschen, mit denen man sich sonst so umgibt, ja immer mitbringen«. Mit ihren Gesprächen über die für ihre Zuschauer zentralen Themen Kunst, Liebe und ›Musiktraxx‹ versuchen die Protagonisten, ihr Publikum für sich zu gewinnen. Zu ihrem Erfolg tragen ihre ereignisorientierten Performances entscheidend bei. Dass E und S ihren Fokus auf eine sensationsorientierte Darbietung legen, zeigt sich etwa, als sie »irgendein studentisches Schnellgericht« kochen und »dabei […] ein bißchen im Stil von Christiane Herzog und Alfred Biolek über aktuelle Themen« reden, »heute: Der Crash von Eschede.« Statt einer prä
Ebd., S. f. In seiner Studie ›Psychotrends‹ stellt Heiko Ernst die These auf, dass sich Subjekte heute zunehmend in einem Zustand der ›objektiven Selbstaufmerksamkeit‹ befinden. Dieses Phänomen resultiere daraus, dass das Individuum äußeren, sich permanent verändernden Einflüssen stärker unterworfen sei als früher. Dadurch sehe sich das Subjekt ständig zum Vergleich aufgefordert »mit den eigenen Idealvorstellungen und Ansprüchen an sich selbst, zum Vergleich mit anderen Menschen, die für uns von Bedeutung sind und an denen wir uns messen wollen, und schließlich zum Vergleich mit den Aussehens- und Verhaltensmodellen, die uns durch die Informations-, Werbeund Bilderflut ständig vorgehalten werden.« Der Vergleich mit den medial vermittelten Idealen falle meist negativ aus. Dadurch werde die Selbstaufmerksamkeit zur »psychischen Bedrohung, zur permanenten Last, zur unablässigen Aufforderung, an sich selbst zu arbeiten.« Glück scheine nur noch in einem Zustand der völligen Selbstvergessenheit möglich. Diese ›Fluchtstrategie‹ des Subjekts sei vorwiegend körperkonzentriert: »Indem alle Konzentration auf den Körper und seine Empfindungen und Zustände gelenkt wird, können die anderen, nichtkörperlichen Aspekte des Selbst um so leichter ausgeblendet werden. Die Konzentration auf die Physis entlastet die Psyche: Der Mensch ist eine Zeitlang ›nur noch Körper‹ und die psychischen und sozialen Anteile des Selbst können vorübergehend ›vergessen‹ werden. Das Selbst verschwindet also nicht völlig, es wird aber auf seine physische Grundlage, auf seine Minimalidentität zurückgeschraubt.« (Heiko Ernst: Psychotrends. Das Ich im . Jahrhundert. München, Zürich , S. , , ). Richter: Gott ist ein DJ, S. . Ebd., S. . Bei dem ›Crash‹ von Eschede am . . entgleiste ein ICE, Menschen kamen ums Leben, wurden schwer verletzt. Das Zugunglück gilt als das bis dahin schwerste in der Geschichte der Deutschen Bahn AG sowie aller Hochgeschwindigkeitszüge weltweit.
zisen Darstellung des Unfallhergangs und der Vergabe von Hintergrundinformationen bereiten die Figuren das Zugunglück im Hinblick auf seinen Ereigniswert auf, indem sie sich reduktionistisch auf die detaillierte Beschreibung des Katastrophenszenarios konzentrieren. Medienwirksam setzt sich der DJ auch in Szene, als er vor der Kamera seine Familiengeschichte erzählt und sich dabei als Opfer privater Schicksalsschläge präsentiert: Meine Mutter ist jetzt selbst schwer an Alzheimer erkrankt. […] Meine ältere Schwester stirbt gerade an A, die ist völlig übersät mit Geschwüren, und mein Bruder hat sich grade gestern das Leben genommen. […] Mein Vater hat Krebs. Endstadium. […] Meine andere Schwester mußte schon von frühester Kindheit an im Rollstuhl sitzen. Die ist ohne Arme und Beine zur Welt gekommen
Die »Suche nach dem Sensationellen, dem Spektakulären«, die den Performances der Protagonisten eigen ist, kennzeichnet u. a. für Franck und Pierre Bourdieu die Berichterstattung der nach Aufmerksamkeit heischenden audiovisuellen Medien. Insbesondere das Fernsehen verlange »die Dramatisierung, und zwar im doppelten Sinn: Es setzt ein Ereignis in Bilder um, und es übertreibt seine Bedeutung, seinen Stellenwert, seinen dramatischen, tragischen Charakter.« Aus diesem Grund sei das, was »Journalisten interessiert, […] grob gesagt, das Ungewöhnliche, d. h. was für sie ungewöhnlich ist. […] Daher ihre Vorliebe für das gewöhnliche Ungewöhnliche, für Feuersbrünste, Überschwemmungen, Morde«. Die Selbstinszenierung der Protagonisten ist vor diesem Hintergrund als gerissene Strategie zu werten, sich im Kunst- und Kulturbetrieb zu etablieren. Indem sie sich an den vorherrschenden Standards medialer Berichterstattung orientieren, zielen sie darauf, die Aufmerksamkeit eines möglichst breiten Publikums auf sich zu ziehen, für Franck eine Voraussetzung, um sich auf dem ›Markt der Beachtung‹ durchzusetzen. Um sich als Künstler einen Namen zu machen, wählen die beiden Figuren – wie die Avantgardisten in ›Change‹ – eine posture der Lockerheit (vgl. Kap. ..). Da sie sich als Artefakte begreifen, ist ihre auktoriale nicht von ihrer diskursiven posture zu trennen. Das von den schöpferischen Produzenten propagierte Ideal der Zwanglosigkeit manifestiert sich in ihrer umgangssprachlichen Aus
Ebd., S. f. Pierre Bourdieu: Über das Fernsehen. Frankfurt/M. , S. . Zu der ereignis- und sensationsorientierten Berichterstattung der Medien vgl. auch Stefan Müller-Doohm / Klaus Neumann-Braun (Hg.): Kulturinszenierungen. Frankfurt/M. ; Sonja Ganguin (Hg.): Sensation, Skurrilität und Tabus in den Medien. Wiesbaden ; Niklas Luhmann: Die Realität der Massenmedien. Wiesbaden , bes. S. –; Gerhard Schulze: Die Erlebnis-Gesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt/M. u. a. . Bourdieu: Über das Fernsehen, S. . Ebd., S. .
drucksweise und in ihrem Bestreben, vor der Kamera möglichst authentisch zu wirken. Beiden ist bewusst, dass die Kuratoren der Kunsthalle Videomaterial favorisieren, das sie in scheinbar uninszenierten, alltäglichen Lebenssituationen zeigt. So konstatiert S: S Am besten finden die das immer, wenn wir gar nichts machen, wenn wir nur rumliegen E Wenn wir chillen und n bißchen reden S Oder beim Kochen. Wenn wir uns beim Kochen unterhalten.
Der hohe Stellenwert einer authentischen Selbstpräsentation offenbart sich auch, als S davon berichtet, dass insbesondere ihr Nervenzusammenbruch im Musiksender von dem zuständigen Kamerateam goutiert worden ist: Die »Typen fanden das ja total hip: Das kleine Mädchen schweigt, das kleine Mädchen wird nervös, unsicher, die zeigten mich echt drei Stunden lang, wie ich einfach immer wieder mal versuchte, was zu sagen«. Um dem geforderten Authentizitätsideal gerecht zu werden, bedienen sich die Künstler verschiedener Strategien der Selbstinszenierung. Um glaubwürdig zu wirken, deklarieren sie ihre künstlerischen Aktionen als private Alltagshandlungen. Ihre authentische Wirkung ist außerdem auf die szenische Präsentation ihrer Gespräche zurückzuführen. So schlüpft S für ihre Zuschauer noch einmal in die Rolle der Fernsehmoderatorin und performt ihren ›Crash‹ im Sender, um ihre autobiographischen Selbstthematisierungen glaubhaft darzustellen. Auch ihre Begegnung mit I auf dem Festival wird szenisch nachgestellt. Um die Authentizität ihrer Narrationen zu verbürgen, greifen die Figuren außerdem zu Videoaufzeichnungen. So existiert etwa Filmmaterial von I Zusammenbruch im Fernsehstudio. Fraglich bleibt, ob es sich bei dem Band um einen Mitschnitt ihrer Sendung handelt oder ob das Videomaterial von den Protagonisten produziert worden ist, um die Echtheit ihrer Erzählungen zu beeiden. Das Gleiche gilt für den Mitschnitt eines Interviews zu einem I Filme, das beide »goutieren […] wie eine gute Comedy-Show.«
Richter: Gott ist ein DJ, S. . Ebd., S. . Den Wunsch nach Authentizität führt Jo Reichertz auf die Sensationslust der Medienkonsumenten zurück. Davon ausgehend, dass das Subjekt seinen Affekten im privaten Raum unkontrolliert nachgeben kann, während die öffentliche Selbstpräsentation an verbindliche Verhaltenskonventionen geknüpft ist, stellt er die These auf, dass der medial gewährte Einblick in das Privatleben eines Subjekts auf viele Fernsehzuschauer einen besonderen Reiz ausübt. Diese können ihr Gegenüber »geschützt durch die Mattscheibe« jenseits standardisierter Handlungsroutinen »nackt« und »unverstellt« erleben (Jo Reichertz: Nur die Liebe zählt – Zum Verhältnis von Fernsehen und Kandidaten. In: Stefan Müller-Doohm / Klaus Neumann-Braun (Hg.): Kulturinszenierungen. Frankfurt/M. , S. –, hier S. ). Vgl. Richter: Gott ist ein DJ, S. f., S. . Vgl. ebd., S. . Ebd., S. .
... Die ›gerissene‹ Identitätskonstruktion Mit ihren Performances orientieren sich die Figuren an den Vorgaben des Kunsthallenkamerateams und an den Sehgewohnheiten ihrer Internetzuschauer. Um der Gefahr zu entgehen, als lebende Artefakte ihre Souveränität zu verlieren, begreifen sie ihr Leben als ästhetisches Konstrukt. Sie identifizieren sich nicht mit den von ihnen kreierten medienwirksamen Images, sondern nehmen sich reflexiv – wie durch den Blick einer Kamera – wahr. Von dieser ›gerissenen‹ Strategie erhoffen sie sich, selbstbestimmt agieren zu können. So betont E: »Es geht darum […] gegen den Zugriff der Medien immun zu werden, unfaßbar, ungreifbar, sich zu bewegen, wirklich zu surfen, und zwar wirklich echt zwischen unterschiedlichen selbst konzipierten Identitäten zu surfen«. Als Vorbild gilt beiden die geborene amerikanische Sängerin Madonna, die im Rahmen ihrer über zwanzig Jahre währenden Karriere in die verschiedensten Rollen geschlüpft ist, ohne sich auf ihre jeweiligen Imageentwürfe festlegen zu lassen. Madonna ist für sie die Bibelmadonna […]. Sie ist für uns durch all diese unterschiedlichen Formen geschritten, hat das Widersprüchliche des neuen Jahrtausend für uns vereint: schnelle Schnitte, große Gefühle, hohe Auflösung, fraktale Authentizität, fraktal und doch authentisch, aufgesplittert und doch eins […].
Durch ihre Fähigkeit, sich als lebendes Kunstobjekt zu ›re-modeln‹ und dabei authentisch zu wirken, besitzt die Sängerin Vorbildfunktion für das Künstlerpaar. Dass sich E und S wie ihr Idol nicht als kohärente Subjekte präsentieren und sich der Festlegung auf eine übersituative, stabile Identität verwei
Ebd., S. . Zu Madonnas Identitätskonstruktionen vgl. Michaela Krützen: Madonna ist Marilyn ist Marlene ist Evita ist Diana ist Mummy ist Cowgirl ist – Madonna. In: Wolfgang Ullrich / Sabine Schirdewahn (Hg.): Stars. Annäherungen an ein Phänomen. Frankfurt/M. , S. –; Thomas Lau: Idole, Ikonen und andere Menschen. Madonna, Michael Jackson und die Fans. In: Peter Kemper / Thomas Langhoff / Ulrich Sonnenschein (Hg.): ›Alles so schön bunt hier‹. Die Geschichte der Popkultur von den Fünzigern bis heute. Stuttgart , S. –. Richter: Gott ist ein DJ, S. . Zum ›Re-Modeling‹ vgl.: Tristesse Royal. Das popkulturelle Quintett mit Joachim Bessing, Christian Kracht, Eckhart Nickel, Alexander von Schönburg und Benjamin von Stuckrad-Barre. München , S. –; Dirk Niefanger: Provokative Posen. Zur Autorinszenierung in der deutschen Popliteratur. In: Johannes G. Pankau (Hg.): Pop – Pop – Populär. Popliteratur und Jugendkultur. Bremen, Oldenburg , S. –, –, hier S. : Re-Modeling »bezeichnet die Neuvermarktung eines Produktes […] unter gleichem oder kaum variiertem Namen. Als Beispiel hierfür werden David Bowie, Madonna oder Cher genannt. Das Besondere an diesem Verfahren ist, daß es selbst als ›authentisches‹ verkauft wird. Anders ausgedrückt: Das Nicht-Identische erscheint als Identisches; das Re-Modeling ist Madonnas charakteristisches – wenn man so will ›authentisches‹ – Markenzeichen.«
gern, manifestiert sich bereits in den ersten Sätzen des Theatertextes, in denen der Musiker expliziert: »Es müssen schon andere für mich sprechen, ich kann das nicht selbst, hmm, ja, andere Figuren, die ich entwerfe und sprechen lasse und durch die Welt schicke und die natürlich alle ich sind«. Obwohl beide Protagonisten darauf verzichten, sich definite Persönlichkeitsmerkmale zuzuschreiben, um sich flexibel und medienwirksam in Szene setzen zu können, müssen sie in einzelnen Narrationsbögen Kohärenz herstellen, um die Zuschauer von der Authentizität ihrer Images zu überzeugen. Das geschieht entweder durch die gemeinsame Improvisation zu einem bestimmten Thema oder durch die Wiedergabe von Geschichten, die sie in der Vergangenheit entwickelt und aufeinander abgestimmt haben. Auf diese Weise stellen E und S etwa einen Konsens über den Verlauf ihrer ersten Begegnung im Fernsehstudio her. Nur weil sich die beiden in ihren Gesprächen gegenseitig stützen, sind sie in der Lage, ihren Internetzuschauern authentisch wirkende Geschichten zu präsentieren und »in jedem Image, das sie von sich liefern, absolut glaubwürdig« zu bleiben. ... Die Entlarvung der gerissenen Künstler als naiv Die Kommunikation der Figuren ist von ihrem Bestreben gekennzeichnet, die Narrationen ihres Gegenübers zu validieren. Beide versuchen außerdem, neue Performances zu bestimmten Problemkomplexen zu initiieren. Lehnt einer der Protagonisten einen Themenvorschlag ab, weigert er sich, auf das Gesprächsangebot des anderen einzugehen. Um Auseinandersetzungen zu vermeiden, sind die Künstler gezwungen, sich entweder auf die Leitthemen ihres Gegenübers einzulassen oder sich im Interaktionsprozess durchzusetzen. So zeigt E sich daran interessiert, gemeinsam mit I zu Abend zu essen, während S ihn dazu drängt, auf die Frage zu antworten, ob er »schon mal mit nem Mann geschlafen« habe. Dass der Musiker sich in dieser Konfliktsituation kooperativ zeigt, resultiert aus der Vehemenz, mit der S an dem von ihr favorisierten Thema festhält, so dass E einlenkt und auf ihr Gesprächsangebot eingeht. Die Streitereien der Figuren nehmen im Stückverlauf zu. Beide lassen sich zu Beginn viel Zeit und Raum, um sich ihren Zuschauern zu präsentieren. Das Bühnenstück wird mit zwei monologischen Passagen eröffnet, in denen E von seiner Reise ins Death Valley und S von ihrer Arbeit als Fernsehmoderatorin berichtet. Der erste Konflikt, ein Beziehungsstreit, in dem die weibliche Protagonistin ihrem Partner Vorwürfe macht, er habe sie von einer dreitägigen
Richter: Gott ist ein DJ, S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
Abwesenheit nicht in Kenntnis gesetzt, wird in den Regieanweisungen als Rollenspiel kenntlich gemacht. Im Handlungsverlauf fällt es den beiden Künstlern zunehmend schwerer, sich auf die Leitthemen ihrer Performances zu einigen. So geht S kaum auf die Familiengeschichte ihres Freundes ein, will mit ihm nicht über die »Ära der Post-Coolness« sprechen und hindert ihn am Abendessen, indem sie ihm mit der Kamera ein Gespräch über Sexualität und Attraktivität aufzwingt. Im Gegensatz dazu beharrt E gegen ihren Willen darauf, ihr sein »Abschiedsgedicht« vorzutragen und sich in einer Performance als Missbrauchsopfer zu inszenieren. Beide Protagonisten fallen sich gegenseitig ins Wort oder »kloppen sich um die besten Close-ups.« Zwar könnte eingewendet werden, dass die Figuren ihre Kontroversen bewusst inszenieren, um sich ereignisorientiert in Szene zu setzen; allerdings zeugt ihre Unfähigkeit, ihrem Interaktionspartner den Status der eigenen Erzählungen transparent zu machen, von Kommunikationsproblemen. So bleibt E im Unklaren darüber, ob S wirklich schwanger ist, wie sie behauptet. Zunächst wertet er das Geständnis seiner Freundin als neues Spielangebot und nimmt ihre vermeintliche Schwangerschaft zum Anlass, um von der Ausstellung seiner Babyfotos zu berichten. An dem fiktionalen Status ihrer Rede zunehmend zweifelnd, sucht er nach der gemeinsamen Performance das Gespräch und fragt sie: »Sag mal, das mit dem Kind, mal ehrlich, stimmt denn das?« Dass E an einer ernsthaften Auseinandersetzung interessiert ist und keine neue künstlerische Aktion zum Thema ›Schwangerschaft‹ initiieren will, kommt darin zum Ausdruck, dass er mit seiner Frage die eigenen Ausführungen zur ›Generation Xstasy‹ abrupt unterbricht, um nach einer Gesprächspause ein Thema aufzugreifen, zu dem beide bereits performt haben. Damit handelt er entgegen seinem Ideal der abwechslungsreichen Selbstpräsentation. Während E mit der Bitte an seine Partnerin, »mal ehrlich« zu sein, seinem Wunsch Nachdruck verleiht, die gemeinsame Performance zu beenden, besteht S auf der Weiterführung der Unterhaltung über die ›Generation Internet‹. Erst als er seine Freundin noch einmal auf das Kind anspricht, klärt sie ihn über den Status ihrer Narrationen auf. Auf seine Frage »Das Kind?« antwortet sie mit der Gegenfrage »Welches Kind?«
Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd., S. . Ebd., S. . Vgl. ebd., S. . Ebd., S. . Vgl. ebd., S. f. Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
Um ihren ›Masterplan‹ realisieren zu können, sind E und S bestrebt, aus ihrem Kunsthallen-Projekt materiellen Nutzen zu ziehen. Um sich auf dem ›Markt der Beachtung‹ durchzusetzen, bedienen sie mit ihren Performances die ästhetischen Vorlieben ihrer Zuschauer. Beide Protagonisten setzen sich medienwirksam in Szene, indem sie sich verschiedene, authentisch wirkende Images verleihen und sich ereignisorientiert in Szene setzen. Um nicht auf die von ihnen kreierten medienwirksamen Identitätskonstruktionen reduziert zu werden, betrachten sie sich (selbst-)objektivierend als Künstler und Kunstobjekt zugleich. Trotz ihrer ›gerissenen‹ Strategie gelingt es ihnen nicht, überlegen im kulturellen Feld zu agieren. Die Analyse der kommunikativen Interaktion zeigt, dass das Paar die Orientierung verliert, weil es nicht in der Lage ist, Realität und Fiktion klar voneinander zu unterscheiden. Es kann sich weder für noch gegen das gemeinsame Kind entscheiden, weil fraglich bleibt, ob die weibliche Protagonistin überhaupt schwanger ist. Obwohl sich die beiden Figuren souverän präsentieren, sind sie unfähig, sich über die gemeinsame Performance hinaus zu verständigen. Insofern erweisen sie sich im Handlungsverlauf als ›naive‹ Künstler.
.. ›Gott ist ein DJ‹ als Manifestation eines Bruchs mit der geweihten Dramatik In seinem Künstlerdrama reflektiert Richter über die spezifischen Strukturen des Kunst- und Kulturbetriebs und entlarvt die gerissenen Durchsetzungsstrategien seiner schöpferischen Protagonisten als wenig durchdacht. Aus feldtheoretischer Perspektive ist das Stück ferner als Manifestation eines Bruchs mit der geweihten Dramatik im deutschsprachigen kulturellen Feld der neunziger Jahre zu lesen, wie anhand der dramaturgischen Konzeption gezeigt werden soll. ... Die dramaturgische Konzeption als Pop-Theatertext Wie Bauer konzipiert Richter sein Bühnenstück als Pop-Theatertext. Die signifikanten Merkmale der Pop-Literatur sind am Beispiel von ›Change‹ bereits dargelegt worden (vgl. Kap. ...), allerdings muss berücksichtigt werden, dass sich die Texte der späten sechziger von denen der neunziger Jahre unterscheiden. Während die frühen Pop-Literaten mit ihren Werken auf die Alltagskultur rekurrieren, um gegen die vorherrschenden ästhetischen und sozialen Normen zu rebellieren, wird den Autoren der neunziger Jahre – etwa von Martin Büsser, Diedrich Diederichsen, Thomas Ernst, Sascha Seiler oder Johannes Ullmaier – vorgeworfen, eine rein affirmative »Haltung zum kommerziellen Zeichenwert
der populären Kultur« zu besitzen. Da die Popkultur »zu einem Element der offiziellen Kultur« geworden sei und keine subversive Alternativszene mehr darstelle, verliere das »Zeichen- und Formeninventar der Popkultur […], hereingeholt in die Logik der Arbeitswelt und Politik, seinen subkulturellen Status und wird zu einer allgemein verfügbaren kulturellen Ressource.« Weil die Pop-Literaten der neunziger Jahre die ›Prätexte‹ der kommerzialisierten Alltagskultur in ihren Texten nicht ideologiekritisch analysierten, sondern in »mimetischer Angleichung an die kapitalistische Warenwelt« bloße Oberflächenbeschreibungen böten, fehle den Texten »jedes kritische Potential«. Diese These teilt Moritz Baßler, der die affirmative Haltung der Autoren aber nicht als defizitär begreift. Da die Pop-Literaten davon überzeugt seien, dass »die Sprache jeder möglichen Literatur – immer schon medial und diskursiv vorgeformt« sei und »es keinen archimedischen Punkt außerhalb der kulturellen Enzyklopädie« gebe, von dem aus ein originäres und kritisches Schreiben möglich sei, konzentrierten sie sich auf die Archivierung von »Gegenwartskulturschnipsel[n] wie Markennamen und Songtitel[n]«. Als ob sie die Versäumnisse einer Nachkriegsliteratur, die sich an anderen Problemen abgearbeitet hatte, nachholen wollten, archivieren ihre Bücher in geradezu positivistischer Weise Gegenwartskultur, mit einer Intensität, einer Sammelwut, wie sie im Medium Literatur in den Jahrzehnten zuvor unbekannt war.
Claude D. Conter hält die Pop-Literatur der neunziger Jahre für »mehr als nur ein ›Archiv‹ der Popkultur«. Er attribuiert den Texten – wie denen der sechziger Jahre – einen subversiven Impetus. Allerdings betont er mit Benjamin von Stuckrad-Barre, dass die zeitgenössische Pop-Literatur auf eine »Rebellion gegen die Rebellion« ziele. Die Werke stellten die Ideale der er Generation wie Toleranz und Solidarität in Frage. Das sei
Sascha Seiler: ›Das einfache wahre Abschreiben der Welt‹, S. ; vgl. auch Martin Büsser: Die Sprechweisen der Popkultur. Zum Problem der Vermittelbarkeit. In: Kritische Ausgabe. Zeitschrift für Germanistik & Literatur, (), H. , S. –; Ernst: Popliteratur; Ullmaier: Von Acid nach Adlon. Kaulen: Der Autor als Medienstar, S. . Ebd., S. ; vgl. auch Büsser: Die Sprechweisen der Popkultur. Moritz Baßler: Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten. München , S. . Ebd., S. , , . Ebd., S. . Claude D. Conter: ›Rebellion gegen die Rebellion‹. Gesellschaftsdiagnosen der Popliteratur der er Jahre zwischen Selbstmord und Ehe. Ein Beitrag zur Debatte der Subversion und des Konservatismus der Popliteratur. In: Johannes G. Pankau (Hg.): Pop – Pop – Populär. Popliteratur und Jugendkultur. Bremen, Oldenburg , S. –, hier S. . Ebd., S. ; vgl. auch Tristesse Royal, S. .
aber nicht im Sinne eines popliterarischen Gegenentwurfes von neuen Normen und Werten zu verstehen, die im Umkehrschluß Egoismus oder Verständnislosigkeit heißen würden, sondern resultiert in Wirklichkeit aus einer Einstellung der Negation gegen bewußte Klischeebildungen. Die Umkehr der institutionalisierten und habitualisierten Normen und Werte hat die Destruktion kanonisch gewordener Auffassungen und Meinungen zum Ziel.
Da in den Texten meist soziale Außenseiter im Zentrum stünden, die gegen die herrschenden Normen opponierten, werde deutlich, »daß Werte und Regeln nicht als selbstverständlich wahrgenommen werden dürfen.« Indem die Pop-Literatur der neunziger Jahre »einen neuen Individualismus vorführ[e] und problematisier[e]«, beteilige sie sich wie die der sechziger Jahre »explizit an der Werte-Normendebatte«. Die verschiedenen Ansichten über die Wirkungsintention der Pop-Literatur ist auf die »überzeugt antiaufklärerisch[e]« Haltung der Autoren zurückzuführen. Wie die Pop-Literaten der sechziger Jahre stehen sie ihren Figuren weder dezidiert kritisch noch distanzlos gegenüber. Während sich die früheren Autoren aber als Angehörige einer subkulturellen Szene begriffen und gegen die geltenden ästhetischen und sozialen Wertvorstellungen opponiert haben, stehen die »Sprachen des Pop« heute »nicht mehr stellvertretend für eine mögliche andere Gesellschaft«. Die Literaten der neunziger Jahre, die auf eine »nahezu mimetische Nachbildung der […] postmodern fragmentarisierten, technokratischen, medial-vermittelten Welt« zielen, konzipieren ihre Figuren als Verbraucher der kapitalistischen Warenwelt und als Anhänger der kommerzialisierten Popkultur. Trotzdem treiben sie, wie die Autoren der sechziger Jahre, »mit den Signifikanten dieses Systems ein je nach Lage affirmatives«, kritisches, »zynisches, ironisch-selbstreflexives oder auch satirisches Spiel«. Wie für Bauers ›Change‹ sind auch für ›Gott ist ein DJ‹ viele der die PopLiteratur kennzeichnenden Merkmale konstitutiv. So führt Richter ›jugendliche‹ Künstlerfiguren ›um die Dreißig‹ vor, die von der Alltagskultur, insbesondere von den audiovisuellen Massenmedien geprägt sind. Das kommt nicht nur darin zum Ausdruck, dass sie ihre Umwelt in medialen Schemata wahrnehmen, sondern auch in ihren vielen Verweisen auf populäre Musiker wie Björk, James
Ebd., S. f. Ebd., S. . Ebd., S. . Thomas Jung: Vom Pop international zur Tristesse Royal, S. . Büsser: Die Sprechweisen der Popkultur, S. . Thomas Jung: Trash, Cash oder Chaos? Populäre deutschsprachige Literatur seit der Wende und die sogenannte Popliteratur. In: Thomas Jung (Hg.): Alles nur Pop? Anmerkungen zur populären und Pop-Literatur seit . Frankfurt/M. u. a. , S. –, hier S. . Kaulen: Vom Autor zum Medienstar, S. .
Brown, Goldie, Tricky, Madonna sowie auf Schauspieler und Regisseure wie Bruce Lee, River Phoenix und Quentin Tarantino. Wie dem ›deutschen PopRoman‹ der neunziger Jahre ist auch Richters Theatertext eine »Archivierungsleistung« zu attribuieren. Insbesondere die »durch die elektronischen Massenmedien vermittelte Musikkultur« bildet den »allgegenwärtige[n] Sozialisationshintergrund« der dramatis personae. Das zeigt sich in ihren Berufen: Während E als DJ gearbeitet hat, war S als Moderatorin bei einem Musiksender angestellt. Die zentrale Bedeutung der Musik offenbart sich auch darin, dass die Figuren den eigenen und den Tracks anderer Künstler eine identitätsstiftende Wirkung zuschreiben. Außerdem planen sie ein »Riesenprojekt«, in dessen Rahmen sie die »ganze Welt als Sound« kreieren wollen. Aufgezeichnete Töne und Geräusche sollen »in ihre Einzelteile« zerlegt, das »Brauchbare […] in den Computer eingegeben« und »neu zusammengesetzt« werden. Die Dominanz der Musikkultur manifestiert sich zuletzt darin, dass die »musikalischen Unterhaltungsformen wie Raves, Musikjournalistik, VIVA und MTV« die Performances der Protagonisten bestimmen. Wie erwähnt, kennen E und S die Themen, die ihre Zielgruppe interessieren, und sie wissen um die Notwendigkeit, sich medienwirksam in Szene zu setzen. So unterhalten sie sich während des Kochens über das schwere Zugunglück von Eschede und bereiten dieses Thema im Hinblick auf seinen Ereigniswert auf, indem sie das Katastrophenszenario detailliert beschreiben. Ihre Performances gestalten die beiden Künstler meist zu einem Schlagwort, zu dem sie vor der Kamera ›unterhaltsam‹ Stellung beziehen. Ihre Gespräche unterlegen sie mit »einem geeigneten Soundtrack« oder sie kopieren den Erzählstil bekannter und erfolgreicher Moderatoren. Der Erlebnisorientierung ihrer Zuschauer kommen die Figuren auch durch schnelle, abrupte Themenwechsel entgegen. Sie konfrontieren ihre Zuschauer nur für kurze Zeit mit einem bestimmten Themenkomplex, so dass diesen fortwährend Abwechslung geboten wird. In ihren Selbstpräsentationen verzichten die Protagonisten auf eine lineare Darstellung ihrer Lebensgeschichte und auf geschlossene Narrationsbögen. Sie reihen verschiedene Performances ohne kausalen Zusammenhang aneinander; daher erinnert die dramaturgische Gestaltung der ›Szenen‹ an die von Musikvideos oder zeitge-
Baßler: Der deutsche Pop-Roman, S. . Jung: Vom Pop international zur Tristesse Royal, S. . Richter: Gott ist ein DJ, S. . Ebd., S. . Jung: Vom Pop international zur Tristesse Royal, S. . Richter: Gott ist ein DJ, S. . Vgl. ebd., S. .
nössischen Fernsehserien. Das hebt auch Franz Wille hervor, der konstatiert: Der Dialog läuft dahin wie ein langer Soundtrack, die Sprache summt in langen, leise schwingenden Sätzen, Dialoge sind Sprecherwechsel im Endlostext. Die Dramaturgie folgt dem Cut’n’Mix aus Versatzstücken, neue Themen werden ein- und ausgeblendet und drehen sich noch ein bißchen in sich selbst, während die Figuren von einem Sound in den nächsten wechseln.
Die an den Formaten der Massenmedien orientierte Dramaturgie weist Richters Künstlerdrama als Pop-Theatertext aus. So erklärt Thomas Jung: Sowohl die TV-Soaps als auch die in zunehmendem Maße das Programm der privaten Fernsehkanäle erobernden Reality Soaps scheinen zum Vorbild für die Erzählweise der Popliteraten zu werden: alltäglich-banale Episoden werden auf heiter-unterhaltsame Weise erzählt […]. Die Prägung von Wahrnehmungsmustern durch das Fernsehen macht sich auch in der Länge bzw. Kürze zusammenhängender Texteinheiten bemerkbar, deren Lektüre in der Regel kaum länger dauert als der Konsum einer Sequenz bzw. Kurz-Episode in einer TV-Soap oder eines MTV-Video-Clips.
Wie für die Pop-Literatur kennzeichnend, ist Richter daran interessiert, die Lebenswelt seiner Protagonisten authentisch vorzuführen. Das erzielt er zum einen durch die umgangssprachliche Figurenrede, die durchsetzt ist von »gruppensprachlichen Codizes der Musikszene, […] von Anglizismen, musik-spezifischen Begriffen sowie Namen von Bands, Songtiteln oder Lyrics«. Zum anderen wird eine lebensnahe Darstellung durch die dramaturgische Konzeption des Künstlerdramas erreicht. Richter integriert die Theaterzuschauer in das Bühnengeschehen. Er weist ihnen die Rolle der Kunsthallenbesucher zu, die die beiden Protagonisten in ihrer Einraumwohnung aufsuchen, um sich über ihren beruflichen Lebensweg und ihre derzeitige ›Installation‹ zu informieren.
In seinem Beitrag ›Der Alltag als Drama – Die Dramatisierung des Alltags‹ vertritt Udo Göttlich die These, dass die heutige Fernsehkultur von der »Dramatisierung des Alltagslebens mit der Präsentation von Dramen über den Alltag« bestimmt wird. In der Nachrichtenberichterstattung zeige sich dieses Phänomen in der ereignisorientierten Präsentation von Informationen ohne »historische Verbindungen und inhaltliche Querverweise«. Da statt fundierter Berichte dramatische Ereignisse präsentiert würden, bleibe der »Blick auf das Ganze« aus. Das führe zu einer »Delokalisierung, Derealisierung und einer Entwertung des linearen Zeitbegriffs«. Auch die Fernsehserien folgten dem dramaturgischen Prinzip der ›Dramatisierung‹. Sie würden keine Exposition und keinen auf Auflösung gerichteten Handlungsverlauf aufweisen, sondern – wie Richters Figuren in ihren Performances – spektakuläre Ereignisse aneinanderreihen und auf das Auslösen von Affekten zielen. (In: Müller-Doohm / Neumann-Braun (Hg.): Kulturinszenierungen, S. –, hier S. , , ). Franz Wille: Fun ist ein Stahlbad? DJ-Culture und die Folgen – Falk Richter schreibt ein Stück und inszeniert in Mainz: ›Gott ist ein DJ‹. In: Theater heute, (), H. , S. –, hier S. . Jung: Vom Pop international zur Tristesse Royal, S. . Ebd., S. .
Durch den Einbezug in das Spiel wird die Identifikation des Publikums mit den dramatischen Vorgängen gefördert. Neben dem Rekurs auf die ›Prätexte‹ der Massenkultur, der lebensnahen Darstellung des von der Popkultur geprägten Alltags junger Leute und der an den massenmedialen Formaten orientierten Dramaturgie kennzeichnet die indifferente Wirkungsabsicht ›Gott ist ein DJ‹ als Pop-Theatertext. Richters Haltung zu seinen Protagonisten bleibt unklar, weil er ihre Narrationen über Beziehungen, Kunst und Konsum auf dem Niveau »moderner Soaps und Lifestylemagazine« abbildet, nicht aber wertend kommentiert. Das Stück kann daher affirmativ gelesen werden als eines, das den Stil und das Lebensgefühl junger Szenegänger vorführt. Es besitzt aber auch einen kulturkritischen Impetus, weil E und S als ›naive‹ Künstler entlarvt werden. Dass dieser für die Pop-Literatur charakteristische »Spagat […] zwischen Kritik und Anpassung« intendiert ist, bekennt Richter rückblickend in einem Interview mit Stephan Ramming: Es ging darum, über neue Autoren auch neue Inhalte ins Theater zu bringen: Meist war es eine ziemlich irre Verbindung von brutaler Gesellschaftskritik und der Vermittlung eines Lebensgefühls, das man als ZuschauerIn teilen wollte. Die Helden, die am Rande des Kapitalismus ihre ätzende Kritik am Thatcherismus und an der neuen Mitte lebten wie in den Stücken ›Shoppen und Ficken‹, ›Polaroids‹ oder auch ›Gott ist ein DJ‹, mochte man gerne, man wollte auch ein bisschen so sein wie die. Die Kritik funktionierte anders als in den Sechzigern und Siebzigern, sie war affirmativer, sie wusste, es ist auch angenehm, im Westen zu leben, die Musik ist cool, und die Partys machen auch Spass.
... Richters Positionierung im kulturellen Feld Mit seinem Pop-Theatertext bricht Richter mit der geweihten Dramatik im deutschsprachigen kulturellen Feld der neunziger Jahre. Zu Beginn des Jahrzehnts gelten etwa die mythischen Bühnenstücke von Botho Strauß und Peter Handke oder die ›nicht mehr dramatischen‹ Theatertexte von Rainald Goetz, Elfriede Jelinek oder Werner Schwab als bedeutende Gegenwartsdramen im Unterfeld der eingeschränkten Produktion. Wie Gerda Poschmann erhellt,
Christine Rigler: Jungsein als literarische Qualität? Ich-Erzähler, Authentizität und Literaturboom. In: Friedbert Aspetsberger (Hg.): Ein Dichter-Kanon für die Gegenwart! Urteile und Vorschläge der Kritikerinnen und Kritiker. Innsbruck , S. –, hier S. . Klein: Electronic Vibration, S. . Stephan Ramming [im Gespräch mit Schorsch Kamerun und Falk Richter]: ›Der digitale Wikinger‹ und ›. Psychose‹ am Schauspielhaus Zürich. Theater ist der Ort des freien Gedankens. In: Die Wochenzeitung Online (WOZ) vom . . ; Autor der anderen genannten Theatertexte ›Shopping and Fucking‹ () und ›Some Explicit Polaroids‹ () ist der englische Gegenwartsdramatiker Mark Ravenhill.
schwinden in den Theatertexten der achtziger und neunziger Jahre zunehmend die für die dramatische Form konstitutiven Strukturprinzipien von Figuration und Narration. Statt der »Fabel« rangiert die Sprache bei Goetz, Jelinek oder Schwab »gleichwertig neben, ja sogar über […] Figuren und Handlung.« Die Bühnenautoren zielen nicht auf die mimetische Illusion, sondern betonen die ästhetische »Funktion der Sprache«, die gekoppelt ist an ein Vordrängen der externen theatralen Kommunikation, während die Bühnenvorgänge im inneren Kommunikationssystem beliebig werden, puren Spielcharakter bekommen und teilweise gar nicht mehr als ›Kommunikationssystem‹ beschreibbar sind.
Im Gegensatz zu den ›großen Erzählungen‹ der Klassiker und den »Sprachspiele[n] Elfriede Jelineks oder auch Werner Schwabs« werden Mitte der neunziger Jahre die drastischen Bühnenstücke der »jungen Briten […], die zur Not auch Schotten, Iren oder Amerikaner sein dürfen«, entdeckt und auf die Spielpläne der deutschsprachigen Bühnen gesetzt. wählt die Fachzeitschrift ›Theater heute‹ neben Jelinek Mark Ravenhill zum Dramatiker des Jahres. Als beste ausländische Stücke nennen die Kritiker sein Stück ›Shopping and Fucking‹ (), Martin Crimps ›Attempts on her life‹ () und Patrick Marbers ›Closer‹ (). Auch und wird eine Engländerin, Sarah Kane, mit ihren Stücken ›Cleansed‹ () und ›Crave‹ () zur Dramatikerin des Jahres gekürt. Wie stehen die britischen Stücke auch bei der Kritikerumfrage hoch im Kurs. Neben ›Cleansed‹ werden Enda Walshs ›Disco Pigs‹ () und Conor McPhersons ›The Weir‹ () und ›The Good Thief‹ () als Höhepunkte der Saison gewertet. Ihre Dramen begreifen die ›jungen Wilden‹ als Zeitstücke. In ›Shopping and Fucking‹ zielt Ravenhill etwa darauf, »eine Generation« vorzuführen, die einzig und allein unter den Bedingungen der Marktwirtschaft aufgewachsen ist, die gar keine anderen Werte als die des Marktes kennt und die sich mit so weittragenden und sehr extremen Manifestationen wie Drogendealen, Prostitution, Telefonsex, Aids und so weiter herumschlagen muß.
Poschmann: Der nicht mehr dramatische Theatertext, S. . Ebd., S. . Franziska Schößler: Albert Ostermaier – Medienkriege und der Kampf um Deutungshoheit. In: Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Theater fürs . Jahrhundert. München (= text + kritik Sonderband; ), S. –, hier S. . Barbara Burckhardt: Back to normal. Über eine Barackenpremiere unter verschärften Bedingungen, zwei neue Stücke von Mark Ravenhill, Enda Walshs ›Disco Pigs‹ und den Einzug der Kunst ins neue englischsprachige Drama. In: Theater heute, (), H. , S. –, hier S. . Nils Tabert: Gespräch mit Mark Ravenhill. In: Playspotting. Die Londoner Theaterszene der er. Marina Carr, Martin Crimp, Sarah Kane, Mark Ravenhill. Hg. von Nils Tabert. Reinbek bei Hamburg , S. –, hier S. f.
Auch Kane ist mit ihren nihilistischen Stücken ›Blasted‹ oder ›Cleansed‹ bestrebt, »unsere Gegenwart, unser heutiges Lebensgefühl« abzubilden. Wie für Ravenhill ist auch für ihre Theatertexte die explizite »Darstellung von psychischer und physischer Gewalt« charakteristisch. Mit dem Erfolg der britischen Dramen, für Barbara Burckhardt das »Phänomen des Jahres« , korreliert ein ›Generationenwechsel‹ im Theater. Neben den britischen werden auch die Stücke junger deutschsprachiger Autoren zunehmend auf den Bühnen der Stadt- und Staatstheater gespielt. In der ›taz‹ konstatiert Petra Kohse: »Seit drei, vier Jahren ist in die Spielpläne Bewegung gekommen. […] Das deutschsprachige Drama […] hat Konjunktur, und es gedeiht mit über hundert Uraufführungen in der laufenden Spielzeit nicht nur im Stadt- und Staatstheater«. Mit ihren Dramen orientieren sich die deutschsprachigen Nachwuchsdramatiker an den Erfolgsstücken der englischen Autoren. Sie wenden sich von den als realitätsfern deklarierten Theatertexten der geweihten Avantgarde ab und plädieren wie ihre literarischen Vorbilder dafür, wieder »Geschichten im Sinne eines ›sozialen Realismus‹« zu erzählen. Über die tendenzielle Abwendung »von der hohen Literatur […] hin zum spielbaren Gebrauchstext« berichtet John von Düffel: Diese englischen Stücke haben auch für neue Autoren in Deutschland ein Tor aufgestoßen, haben vielen deutschen Dramatikern den Weg bereitet. Spürbar wurde, dass es nicht reicht, Sprachhorizonte zu eröffnen oder mithilfe des Regietheaters bekannte Dramen neu zu inszenieren, sondern wichtig wurden diejenigen, die eine Nabelschnur zur Wirklichkeit legten, und das waren die Autoren.
Nils Tabert: Gespräch mit Sarah Kane. In: Ebd., S. –, hier S. . Tabert (Hg.): Playspotting, S. . Burckhardt: Back to normal, S. . Petra Kohse: Im Dickicht der Stücke. In: die tageszeitung vom . . , S. . Der skizzierte Generationenwechsel betrifft nicht nur die Dramatiker, sondern auch die Regisseure. Während Ende der achtziger Jahre ›Altstars‹ wie Dieter Dorn, Claus Peymann, Peter Stein oder Peter Zadek die Theaterszene dominieren, rücken Mitte der neunziger Jahre junge Theatermacher in das Zentrum des öffentlichen Interesses. So machen Regisseure wie Falk Richter, Christina Paulhofer, Nicolas Stemann oder Jan Bosse bereits vor ihrem . Lebensjahr von sich reden und Thomas Ostermeier, Entdecker und Förderer der ›jungen Briten‹, übernimmt mit Jahren die Intendanz der Berliner Schaubühne. Schößler: Albert Ostermaier, S. . Kohse: Im Dickicht der Stücke. John von Düffel / Franziska Schößler: Gespräch über das Theater der neunziger Jahre. In: Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Theater fürs . Jahrhundert. München (= text + kritik Sonderband; ), S. –, hier S. f.
Auch Richter – mit seinen Jahren Teil der »Jugendbewegung, die in den vergangenen Jahren bedeutende Theater erobert hat« – orientiert sich an der englischsprachigen Dramatik. Im Interview erklärt er: Ich schrieb ›Gott ist ein DJ‹ zu einer Zeit, in der gerade in Deutschland die jungen wilden Briten entdeckt wurden: […] es gab eine Bewegung im jungen Theater zurück zu den sogenannten ›echten‹ Menschen, die, die das kapitalistische System ausgespuckt hatte und die am Rande der Gesellschaft ihr eigenes Leben als düstere Party organisierten.
Wie viele andere Stücke junger deutschsprachiger Theaterautoren wird auch ›Gott ist ein DJ‹ von den Feuilletons als deutsches Pendant zur britischen Gegenwartsdramatik und als Pop-Literatur kategorisiert. Mit seinem Zeitstück, in dem er die »Befindlichkeit seiner virtuellen Generation« vorführt, hat Richter Anteil an dem medialen Aufsehen um die ›jungen Briten‹ und die deutschsprachige Pop-Literatur der neunziger Jahre. Dass er sich aufgrund seines Images als Pop-Regisseur im kulturellen Feld durchsetzen konnte, bekennt Richter im Dezember : Poptheater war […] eine politische Strategie, tatsächlich ging es darum, Inhalte in inhaltsarme Orte wie das Theater zu befördern. Es war auch schlichtweg eine Marketingstrategie meiner Generation, um bestimmte Positionen zu besetzen: Man musste es auf sich nehmen, sich auf Pop reduzieren zu lassen, damit man überhaupt in den Medien auftauchen durfte, denn für jemanden, der oder die unter dreissig war, gab es nur das Attribut Popregisseur oder Popautor, oder er durfte gar nicht erst erwähnt werden.
Von seinem Image als Pop-Literat distanziert sich Richter zu einem Zeitpunkt, an dem immer »mehr Kritikern (und auch dem angestammten Theaterpublikum) […] das immer grössere Pop-Ding […] auf den Geist« geht. Nach seinem Theatertext ›Peace‹ () verabschiedet er sich vom ›Planeten Pop‹ und betont:
Peter Laudenbach: Abschied vom Planeten Pop. Vor der heutigen Premiere an der Schaubühne: Für Falk Richter spielt der Generationskonflikt am Theater keine Rolle mehr. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom . . , Berliner Seite . Auszüge aus einem Gespräch mit Falk Richter anlässlich der ›Gott ist ein DJ‹ Aufführung in Posen / Polen im Jahre (URL: http://www.falkrichter.com/logic/ article.php?cat=&id=; Stand . . ); vgl. auch: Vier im roten Kreis. Wieviel Gemeinsamkeit macht eine Generation? Ein Gespräch mit Christina Paulhofer, Falk Richter, Nicolas Stemann und Michael Thalheimer. In: Theater heute Jahrbuch (), S. –, bes. S. . Siegfried Diehl: Das Leben als Lärm. ›Gott ist ein DJ‹: Eine ziemlich laute Uraufführung in Mainz. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom . . , S. . Ramming: ›Der digitale Wikinger‹. Tobi Müller: Projektionen auf die Oberfläche. Konflikte um Techno, Pop und Theater. In: Neue Zürcher Zeitung vom . . , S. .
Ich schaue […] nicht mehr so viel MTV wie früher, andere Dinge werden wichtiger, Politik, Krieg, Wirtschaftszusammenhänge, aber auch ganz essentielle menschliche Dinge, zum Beispiel eine Beziehung so mythisch und archetypisch zu beschreiben, wie Fosse das macht. […] Im Moment interessiert mich klassische Musik viel stärker als Club-Musik, Mauricio Kagel zum Beispiel. Ich gehe noch ab und zu aus, aber ich habe nicht mehr soviel Zeit, ich arbeite zuviel.
Laudenbach: Abschied vom Planeten Pop; vgl. auch Simone Kaempf: Die falsche Klarheit der Gefühllosen. Ein Gespräch mit dem Autor und Regisseur Falk Richter. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom . . , Berliner Seite ; Stefan Bachmann / Matthias Ehlert / Peter Laudenbach / Falk Richter: Werft Bomben auf ›Big Brother‹! Das Theatertreffen ist zu Ende, Pop auch, was kommt jetzt? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom . . , Berliner Seite .
. Zentrale Motive im Künstlerdrama um gerissene und naive Künstler (Bauer, Bauersima / Desvignes, Ostermaier, Richter)
Neben Bauer und Richter reflektieren auch Albert Ostermaier in ›The Making Of. B.-Movie‹ () oder Igor Bauersima und Réjane Desvignes in ›Tattoo‹ () über die spezifischen Konflikte gerissener Künstlerfiguren. Die zentralen Motive im Drama um diesen Künstlertypus werden im Folgenden analysiert.
.. Negation des Geniegedankens Während die Autoren von Künstlerdramen in der ersten Hälfte des . Jahrhunderts primär die Konflikte verkannter Genies in Szene setzen, werden seit den siebziger Jahren zunehmend die Probleme naiver und gerissener Künstlerfiguren fokussiert. Grund dafür ist ein Paradigmenwechsel in der Kunsttheorie, der von der Geniekonzeption weg und hin zu einer institutionalistischen bzw. topologischen Kunstauffassung führt (vgl. Kap. ..). Die Protagonisten der ersten Jahrhunderthälfte zeichnen sich durch eine privilegierte Weltwahrnehmung vor ihrem sozialen Umfeld aus. Sie besitzen die Fähigkeit, nicht nur die empirisch fassbare Lebenswirklichkeit, sondern auch die hinter den Phänomenen liegende ›Idee‹ der Welt erfassen zu können, was sich in ihren Werken manifestiert. Ihre außerordentliche schöpferische Gabe als Geschenk und als Bürde begreifend, verzichten sie auf die Realisierung ihrer irdischen Wünsche. Sie verstehen sich als prophetische Künstler und wollen mit ihren sakralen Werken ästhetische und soziale Veränderungen bewirken. Im Gegensatz dazu ist der Geniegedanke für die gerissenen schöpferischen Produzenten irrelevant. Sie wissen, dass es keine substantiellen Merkmale gibt, die einen Gegenstand als Kunst definieren, und dass sich die Wahrnehmung von Objekten als Kunst und von Subjekten als Künstlern ausschließlich auf erfolgreiche Zuschreibungen gründet. Da ihre Berufsidentität von der Anerkennung der professionellen Meinungsbildner abhängig ist, wird die Vorstellung vom autonomen Schöpfer genialischer Artefakte obsolet. Daher sind für die gerissenen Künstler auch nicht ihre Werke – ihr opus operatum –, sondern ihre Durchsetzungsstrategien – der modus operandi – von zentraler Bedeutung. Aus dem Wissen um die totale Abhängigkeit von den künstlerischen Konsekrationsinstanzen resultieren für die dramatis personae zeitgenössischer Büh
nenstücke andere dramatische Konflikte als für die verkannten Künstlerfiguren. Im Unterschied zu Johsts ›Einsamem‹ oder zu Sorges ›Bettler‹ weisen die gerissenen Produzenten ihren Werken keine prophetische Wirkung zu. Auch an der Kanonisierung ihrer Artefakte sind sie nicht interessiert. Sie streben nach Ruhm und/oder Geld. Die Negation des Geniegedankens kommt in ›Change‹ in der institutionalistischen Kunstauffassung von Fery und Reicher zum Ausdruck. Beide glauben, aus jedem Subjekt einen erfolgreichen Künstler machen zu können, und verlachen den naiven Maler Blasius Okopenko, weil sich dieser zum kreativen Ausnahmetalent stilisiert. Allerdings entpuppt sich der autodidaktische Maler als gerissen. Er unterwirft sich bedingungslos den spezifischen Strukturen des Kunst- und Kulturbetriebs, um seine Karriere voranzutreiben. Dabei zeigt er sich nicht an der Sakralisierung seiner Werke, sondern allein an materiellen Erträgen interessiert. Auch in ›Gott ist ein DJ‹ werden Figuren vorgeführt, die glauben, souverän im kulturellen Feld agieren zu können. Davon überzeugt, dass jeder Mensch als Künstler anerkannt werden kann, wenn er sich als ›Kultobjekt‹ zu verkaufen versteht, beschäftigen sich E und S mit möglichen Durchsetzungsstrategien und fragen nach der Logik der feldinternen Vergabe von symbolischen Gewinnen. Wie Bauers Figuren weisen auch sie ihren Werken keine messianische Wirkung zu. Ähnliches gilt für den gerissenen schöpferischen Produzenten Tiger in Bauersimas und Desvignes’ ›Tattoo‹. Im Unterschied zu seinen Schulfreunden, dem verkannten Schriftsteller Fred und der erfolglosen Schauspielerin Lea, ist der am ganzen Körper tätowierte Tiger international gefragt und kann seine Werke für horrende Summen verkaufen. Für seine Installation ›Der Käse und sein Loch‹ kassiert er etwa Dollar. Der hedonistische Künstler will nicht mit materiellen Nöten zu kämpfen haben und erhofft sich von seinen Artefakten hohe Verkaufspreise; auf die Kanonisierung seiner für ihn beliebigen Werke legt er keinen Wert. Sein berufliches Selbstverständnis expliziert er im Gespräch mit Fred und Lea, denen er erläutert: T: Ich mach Sachen und dafür krieg ich Geld. Das ist der Sinn. F: Aber du machst doch nicht irgendwelche sinnlosen Sachen! T: Na klar doch. Und wenn ein Sammler mir für diese Sachen Geld gibt, dann weil E darin irgendeinen Sinn sieht. Das ist doch nicht mein Problem. […] Du solltest Kunst machen. Ist echt ein gutes Geschäft. Easy.
Wie Bauer, Richter, Bauersima und Desvignes zeigt auch Ostermaier in ›The Making Of. B.-Movie‹ Figuren, die versuchen, sich als Künstler zu behaupten. In dem Wissen, sich als Dichter nicht durchsetzen zu können, konfrontiert der
Igor Bauersima / Réjane Desvignes: Tattoo. In: Theater heute, (), H. , S. –, hier S. .
erfolgreiche Schauspieler und Regisseur Silber den verkannten Schriftsteller Andree Müller mit folgender Idee: Aus Andree wird Brom, der Söldner. Ich schreib die Texte und du gibst den dichtenden Provokateur. […] Dir wird man die Rolle abnehmen, mir glaubt man nichts, mich kennt man. Es ist ganz einfach, ich konstruiere die Figur und du leihst ihr dein Gesicht. Das ist der Deal.
Im Handlungsverlauf schlüpft Andree erfolgreich in die ihm von Silber zugedachte Rolle und es gelingt ihm, die Weihungsinstanzen von sich zu überzeugen. Beide Künstler begreifen sich nicht als genialische Ausnahmetalente. So weiß Andree um seine Abhängigkeit von seinem ›Schöpfer‹, wenn er ihn bittet: »Ich sprech deine Sätze, du musst sie für mich aufschreiben.« Auch Silber versteht sich nicht als prophetischer Künstler. Aus seiner »Erfindung«, der Konzeption des schreibenden Söldners Brom, will er materiellen Nutzen ziehen. Als Urheber von Broms Gedichten will er sich daher vorerst nicht zu erkennen geben.
.. Vereinbarkeit von Künstlerexistenz und bürgerlicher Lebensführung Neben dem Geniegedanken wird in den Dramen um gerissene und naive Künstler die Vorstellung vom Dualismus zwischen Künstlerexistenz und bürgerlicher Lebensführung als unzeitgemäß vorgeführt. Während die verkannten und verfemten Genies aufgrund ihrer seherischen Fähigkeiten in Konflikt mit den bürgerlichen Wertvorstellungen und Verhaltenskonventionen geraten, verdeutlicht Bauer in ›Change‹, dass diese an Verbindlichkeit eingebüßt haben. So kritisiert die konservative Frau Sedlacek den bohemetypischen Lebensstil ihrer Tochter Guggi, schließt sich im Handlungsverlauf aber deren nonkonformistischer Künstlerclique an, die nicht mit äußeren Repressionen, sondern mit gruppeninternen Zwängen zu kämpfen hat. Auch Richters Protagonisten erfahren die beiden Sphären Kunst und Leben nicht als antagonistisch. Durch ihr Kunstprojekt, in dessen Rahmen sie sich rund um die Uhr von Überwachungskameras filmen lassen, haben E und S kaum Kontakt zu anderen Subjekten; mit einer ignoranten Umgebung werden sie nicht konfrontiert. Zudem bemühen sie sich ausdrücklich darum, die ästhetischen Vorlieben ihrer Zuschauer und Arbeitgeber zu bedienen.
Albert Ostermaier: The Making Of. B.-Movie. In: Albert Ostermaier: The Making Of. Radio Noir. Stücke. Frankfurt/M. , S. –, hier S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
Wie Bauers und Richters Künstlerfiguren leiden auch Fred, Lea und Tiger in ›Tattoo‹ nicht unter einem kunstfeindlichen sozialen Umfeld, sondern ihre Konflikte resultieren aus »dem Widerspruch zwischen künstlerischer Integrität und seelischer Vermarktung«. ›Tattoo‹ spielt ausschließlich im Künstlermilieu, in der Wohnung von Fred und Lea, in der Galerie von Leas Schwester Naomi und im Loft des erfolgreichen schöpferischen Produzenten Tiger. Alle Figuren entpuppen sich im Handlungsverlauf als korrupte Anwärter bzw. Teilhaber im kulturellen Feld. Für Ruhm und Geld täuschen und betrügen sie einander und nehmen sogar den Tod ›eines guten Freundes‹ in Kauf. Ähnliches gilt für Ostermaiers Künstlerdrama. Silber und sein ›Artefakt‹ Brom kämpfen nicht mit einer philiströsen Umgebung, sondern werden primär im Umgang mit Exponenten des Kunst- und Kulturbetriebs gezeigt, etwa mit der Mäzenatin, dem Intendanten, dem Kritiker Müller-Schuppen, der Schauspielerin Hanna oder dem Talkmaster Gil Mattis. Ausnahmen sind Nana, Emilie und Johannes, die LiebhaberInnen von Brom. Anhand dieser Figuren zeigt Ostermaier den amoralischen Individualismus seines an Brechts Baal erinnernden Protagonisten. Um sich als Künstler zu etablieren und seiner Rolle als schreibender Söldner gerecht zu werden, verlässt Brom seine afrikanische Freundin und verführt Emilie und Johannes, die er demütigt, indem er der Mäzenatin einen »Tauschhandel« vorschlägt: Ihr Einsatz: Ihre kleine Gespielin, die mir unter die Lederjacke kriechen wollte. Meiner: Ein unschuldiger Junge, der mich unsterblich liebt und auf mich zu Hause wartet. Das Spiel: Sie lieben sich für uns. Sie zahlen Emilie, und ich verkaufe die Unschuld des Kleinen, den noch nie eine Frau berührt hat. Gefühl und Geld, das ist der Deal.
Wie Baal geriert sich Brom als asozialer Egozentriker, der sich über die Feindschaft zu seinem sozialen Umfeld definiert. Im Gegensatz zu Brechts Titelfigur, die in die Natur flüchtet, um sich dort jenseits zivilisatorischer Zwänge individuell zu entfalten, will sich Brom aber als Künstler einen Namen machen. Während Brechts verfemter Lyriker durch seinen nonkonformistischen Lebensstil wiederholt in Konflikt mit den professionellen Meinungsmachern gerät, kann Brom diese gerade durch seine provokative posture von sich überzeugen. Das weiß auch die Mäzenatin, die Broms »Produktprofil« schätzt, weil es sich »glänzend verkaufen« lässt.
Katja Oskamp: Tugend steckt in Wollsocken. ›Tattoo‹ von Igor Bauersima und Réjane Desvignes in der Potsdamer Reithalle. In: Berliner Zeitung vom . . , S. . Ostermaier: The Making Of. B.-Movie, S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
.. Kritik am Kunst- und Kulturbetrieb Wie die Autoren der Künstlerdramen um verkannte und verfemte Genies üben Bauer, Bauersima, Desvignes, Ostermaier und Richter vehemente Kritik an den spezifischen Strukturen des Kunst- und Kulturbetriebs. Sie verdeutlichen, dass sich Anwärter im kulturellen Feld nur dann durchsetzen können, wenn sich die Weihungsinstanzen bereit erklären, die von ihnen »akkumulierte Beachtung als Startkapital« in die »Projekte beziehungsweise Karrieren« noch unbekannter Künstler zu investieren. Das wird problematisch, wenn sie nicht an der Förderung ›reiner‹ Kunst, sondern primär an der Erwirtschaftung ökonomischer Gewinne interessiert sind und nur diejenigen Künstler unterstützen, die fähig sind, sich medienwirksam zu vermarkten. Um die Aufmerksamkeit der breiten Masse auf sich zu lenken, müssen sich die schöpferischen Produzenten als individualistische Provokateure gerieren, zumindest aber eine posture der ›Lockerheit‹ besitzen. Dabei wird der auktorialen Dimension der posture – der Ebene der sozialen Selbstpräsentation – eine größere Bedeutung beigemessen als dem diskursiven Ethos. Um sich als Künstler etablieren zu können, ist Blasi in ›Change‹ auf einen »Kredit an gesicherter Beachtung« von Fery und Reicher angewiesen. Die Freunde sind überzeugt, die Werke des Autodidakten als Pop-Art verkaufen zu können, sollte sich dieser mit der spezifischen Historie des kulturellen Feldes vertraut machen, eine zwanglose posture wählen und fähig sein, die öffentliche Beachtung durch medienwirksame Skandale – etwa durch Nacktdemonstrationen oder Autozertrümmerungen – auf sich zu ziehen. Eine legere posture wählen auch Richters Protagonisten. Beide werden für ein Kunstprojekt unter Vertrag genommen, von dem sie sich symbolische Anerkennung und materiellen Nutzen erhoffen. Um möglichst viele Zuschauer anzusprechen, gestalten sie ihre Performances sensationsorientiert und achten darauf, in jedem ihrer Gespräche authentisch und locker zu wirken. Wie Bauers und Richters Protagonisten geriert sich auch Tiger in ›Tattoo‹ als eigenwilliger und ungezwungener Künstler. Das manifestiert sich in seinen vielen Tattoos, in seiner von Anglizismen durchsetzten Umgangssprache und seiner Weigerung, sich intellektuell mit ästhetischen oder sozialen Fragen auseinanderzusetzen. So erklärt er Fred und Lea: Das Coole in L.A. ist, die Leute zerbrechen sich echt nicht den Kopf, ständig, ich meine die Leute sind echt nicht ständig mit ihrem Kopf beschäftigt und machen sich irgendwelche Gedanken. Wenn sie frei haben, kümmern sich [sic] um ihren Körper und hängen an schönen Orten rum.
Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit, S. . Zur posture vgl. Kap. .. Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit, S. . Bauersima / Desvignes: Tattoo, S. .
Tigers legere posture schlägt sich auf diskursiver Ebene in seinen Artefakten nieder. Während Fred als Autor »seit Jahren« bemüht ist, »eine Ordnung in [s]eine Worte« zu bringen, betont Tiger, dass gerade die Negation einer ›sinnvollen‹ ästhetischen und inhaltlichen Gestaltung für seinen beruflichen Erfolg ausschlaggebend ist. Daher warnt er Fred: Das »Schlimmste ist: wenn du so weitermachst, kann es dir passieren, dass dein Roman am Ende noch irgendeinen Sinn ergibt. Und dann bist du geliefert, Mann.« Nicht die durchdachte künstlerische Konzeption des Artefakts, sondern die authentische Wirkung hält Tiger für notwendig, um sich als schöpferischer Produzent einen Namen zu machen. Lea und Fred erläutert er, dass »nicht der Inhalt« des Werks, »sondern der persönliche Style«, die »Wiedererkennbarkeit«, die zentrale Voraussetzung für die Teilhabe im kulturellen Feld bildet. Um sich als Künstler zu behaupten, präsentiert sich Tiger glaubwürdig als zwangloser Individualist und kreiert originelle und skandalträchtige Kunstwerke. Für die ›artfair‹, dem »größte[n] Kunstereignis der verdammten Ostküste«, plant er etwa eine Installation mit dem Titel ›Einen guten Freund haben‹. Dafür inszeniert er seinen eigenen Tod. Seine vermeintliche Leiche, die er als Artefakt deklariert und die nicht nur wegen seines Namens, sondern auch wegen seiner Tattoos »ein Vermögen wert« ist, schenkt er Lea und Fred. Sie sollen die ›Skulptur‹ in ihrer Wohnung aufbewahren. Durch an dem ›Kunstwerk‹ angebrachte Überwachungskameras will Tiger die Reaktionen seiner Freunde filmen und das produzierte Videomaterial im Rahmen seiner Installation vorführen. In seinem Künstlerdrama übt auch Ostermaier Kritik am Kunst- und Kulturbetrieb. Mit Silbers Plan, den verkannten Lyriker Andree Müller als schreibenden Söldner im kulturellen Feld zu etablieren, rekurriert er auf einen Literaturskandal der fünfziger Jahre. Im Eugen Diederichs Verlag sind und zwei Gedichtbände eines angeblich im Dschungel verschollenen deutschfranzösischen Fremdenlegionärs namens George Forestier erschienen. Von der Kritik und von Lyrikern wie Gottfried Benn oder Karl Krolow hochgelobt, entpuppten sich die Verse als Produkte des Lektors und Herstellungsleiters Karl Emerich Krämer. Er hatte nicht nur die Gedichte verfasst, sondern auch die für den Erfolg verantwortliche Künstlerbiographie Forestiers kreiert. Im Unterschied zu Krämer gelingt es Ostermaiers Protagonist Andree, die künstlerischen Konsekrationsinstanzen zu täuschen. Um den dichtenden Legionär überzeugend spielen zu können, unterzieht er sich einem ›Rollentraining‹:
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S: […] spielt ihm vor. Du musst fest auftreten, bist entschlossen, denk dir, der Fussboden ist zu weich für deine Schritte, roten Teppich bist du nicht gewöhnt. Wir schauen uns nachher ein Video über die Fremdenlegion an, dann siehst du, welche Märsche die jeden Tag zurücklegen müssen, um fit zu bleiben. So etwas vergisst man nicht, wenn man wieder auf freien Füßen steht. Ich will das sehen und spüren, wenn du gehst. Wir müssen dir Stiefel kaufen. Es ist Krieg, verstehst du?
Erst nachdem Andree zwei Wochen in einem militärischen Trainingscamp verbracht hat, präsentiert Silber sein ›Artefakt‹ den professionellen Meinungsmachern. Diese zeigen sich von Broms authentisch wirkender Lyrik begeistert. So spricht der Starkritiker Müller-Schuppen, dem es an ästhetischer Urteilskraft mangelt und daher ›Schuppen auf den Augen‹ hat, von einer »geradezu befreienden Authentizität«, die Broms Gedichte im Gegensatz zu der vorherrschenden »antiseptischen Kopflyrik« auszeichnen würden. Auch der Talkmaster Gil Mattis hebt die ›atemberaubende‹ »Einheit von Werk und Person« hervor. Neben seiner authentischen Wirkung gelingt es Brom, sich durch skandalträchtige Auftritte und Kunstprojekte einen Namen zu machen. Als Provokateur, dessen Ziel es ist, »jede Woche in der Zeitung [zu] stehen«, kann er die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich lenken. So schlitzt er sich wie Rainald Goetz in Klagenfurt die Stirn auf, um die ›schneidende‹ Metaphorik seiner Verse zu illustrieren, oder plant wie der Aktionskünstler Wolfgang Flatz , in der Tradition der Materialaktionen von Günter Brus, Hermann Nitsch oder Otto Muehl, auf offener Bühne einen toten Schimmel zu häuten.
.. Entlarvung der gerissenen Künstler als naiv In ihren Dramen führen die Bühnenautoren vor, dass nicht das ästhetische Produkt, sondern ein originelles, skandalträchtiges und authentisches Image die Voraussetzung bildet, um als Künstler Karriere zu machen. Die Chance, souverän im kulturellen Feld zu agieren, wird von den Theaterautoren aber in Frage gestellt. So lässt Bauer seinen Protagonisten Fery in ›Change‹ scheitern. Dem gerissenen Künstler gelingt es zwar wie geplant, aus dem autodidakti
Ostermaier: The Making Of. B.-Movie, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Goetz’ Auftritt beim Ingeborg-Bachmann-Literaturwettbewerb in Klagenfurt ist bekannt. Während einer Lesung ritzte sich der Autor vor laufenden Kameras mit einer Rasierklinge die Stirn auf und stand schlagartig im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Auch der österreichische, in München lebende Wolfgang Flatz (geboren ) ist durch seine skandalträchtigen Happenings bekannt geworden. machte er in München von sich reden, als er im Rahmen eines Brecht-Abends im Marstall einen Schimmel auf offener Bühne häuten wollte.
schen Maler Blasi »eine riesige Künstlerpersönlichkeit« zu machen, allerdings zeigt er sich unfähig, sein ›Artefakt‹ durch die Inszenierung privater und beruflicher Katastrophen in den Selbstmord zu treiben. Im Stückverlauf muss er realisieren, nicht selbstbestimmt handeln zu können. Auch den Protagonisten in ›Gott ist ein DJ‹ gelingt es nicht, überlegen ›zwischen unterschiedlichen selbst konzipierten Identitäten zu surfen‹. Um sich nicht mit ihrem medialen ›Produktprofil‹ – den von ihnen entworfenen, authentisch wirkenden Images – zu identifizieren, betrachten sich die Figuren (selbst-)objektivierend als Künstler, die sich als lebendige Artefakte in Szene setzen. Allerdings verliert das Paar die Orientierung. Als die Moderatorin ihrem Partner erzählt, schwanger zu sein, kann dieser nicht adäquat reagieren. Ihm bleibt unklar, ob es sich bei ihrem Gesprächsangebot um eine private Frage oder um eine Performance für die Kamera handelt. Da für die Figuren Kunst und Realität ununterscheidbar werden, sind sie nicht fähig, miteinander zu kommunizieren. Wie Richters und Bauers Protagonisten ist es auch Tiger in ›Tattoo‹ nicht möglich, sich »im Feld der Kunst wie ein Fisch im Wasser« zu bewegen. Im Handlungsverlauf verliert er die Kontrolle über seine geplante Installation. Wider Erwarten entscheiden sich Fred und Lea – das beschenkte, sich unbestechlich gerierende Paar – dafür, Tigers Körper für Dollar in die USA zu verkaufen. Ähnlich wie Gunther von Hagens, der seit plastinierte Leichname in seinen viel besuchten Ausstellungen ›Körperwelten‹ zeigt und mit seinen ›Artefakten‹ horrende Summen verdient, haben auch Fred und Lea keine religiösen oder ethischen Vorbehalte, aus der vermeintlichen Leiche ihres Freundes Kapital zu schlagen. Als Tiger die drei Freunde zur Rede stellt, bangen Fred und Lea um ihren Erlös; die Galeristin Naomi, die den Handel abgewickelt hat, fürchtet um ihr Renommee und Tigers Handlanger Alex, gerade als Künstler bei Naomi unter Vertrag genommen, sieht die eigene Karriere gefährdet. Im Affekt erschlägt er den Künstler mit einer Skulptur, und Lea, Fred und Naomi unterlassen bewusst jede Hilfeleistung. Auch Ostermaier lässt seinen gerissenen Künstler Silber scheitern. Als der Schauspieler und Schriftsteller auf einer Premierenfeier öffentlich bekannt gibt, dass es sich bei dem dichtenden Söldner Brom um ein von ihm kreiertes ›Kunstwerk‹ handelt, glauben ihm die anwesenden Gäste kein Wort und die Mäzenatin konstatiert: »Selbst wenn es wahr wäre, […] ich lasse mir mein Geschäft und meinen Ruf von Ihnen nicht ruinieren. Wir brauchen einen wie Brom. Ob er echt ist oder nicht. Er verkauft sich.« Wie das Premierenpublikum weigert sich auch der gefeierte Dichter Brom, von Silber als »Fälschung«
Bauer: Change, S. . Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. . Ostermaier: The Making Of. B.-Movie, S. . Ebd., S. .
entlarvt zu werden. In seiner Rolle als dichtende »Kampfmaschine« ersticht er seinen Freund unter dem Beifall der Partygäste, die den Mord für inszeniert halten.
.. Position und Positionierung der Theaterautoren im kulturellen Feld Nach den exemplarischen Analysen von ›Change‹ und ›Gott ist ein DJ‹ und der Darstellung der zentralen Motive im Drama um gerissene und naive Künstlerfiguren wird abschließend danach gefragt, wie sich die jeweiligen Autoren mit ihren Stücken im kulturellen Feld ihrer Zeit positionieren. Die Untersuchung der Bühnenstücke um verkannte und verfemte Genies hat gezeigt, dass die Position der Theaterautoren im Feld der Kulturproduktion mit der ihrer Protagonisten korrespondiert. Wie ihre Figuren sind Bertolt Brecht, Hans Henny Jahnn, Hanns Johst, Reinhard Johannes Sorge und Paul Zech zum Entstehungszeitpunkt ihrer Dramen Anwärter im kulturellen Feld. Solch eine Übereinstimmung ist auch für die Theatertexte um gerissene und naive Künstler zu konstatieren. Wie ihre schöpferischen Produzenten sind Bauer, Richter, Bauersima und Ostermaier Teilhaber im kulturellen Feld. Bauer gelingt mit ›Magic Afternoon‹ der internationale Durchbruch; ein Jahr später kann er mit ›Change‹ an diesen Erfolg anknüpfen. Auch Richter, Bauersima und Ostermaier gelten zum Zeitpunkt der Uraufführung ihrer Stücke als vielversprechende Nachwuchsdramatiker. Mit ›norway.today‹ schafft Bauersima im Jahr »den Sprung […] aus der Freien Szene ins Stadttheater«; zwei Jahre später feiert ›Tattoo‹ am Düsseldorfer Schauspielhaus Premiere. Richter inszeniert seinen Theatertext ›Kult‹ in Düsseldorf, bevor er ›Gott ist ein DJ‹ in Mainz uraufführt. Ostermaier publiziert hingegen zwei Lyrikbände bei Suhrkamp und erhält den Ernst-Toller-Preis, ehe sein Künstlerdrama auf die Bühne des Bayerischen Staatsschauspiels gebracht wird. Trotz der identischen Stückthematik und trotz ihres ähnlich hohen Renommees positionieren sich die Bühnenautoren auf unterschiedliche Weise im kulturellen Feld. Dass daran die dramaturgische Konzeption der jeweiligen Dramen großen Anteil hat, wird im Folgenden zu zeigen sein. Bei ›The Making Of. B.-Movie‹ handelt es sich um ein Auftragswerk für das Münchner Residenztheater anlässlich des hundertsten Geburtstags von Brecht. Für das Jubiläum schreibt Ostermaier kein »Historien- oder Dokumentar
Ebd., S. . Barbara Burckhardt: Fake ist total real. Der Schweizer Autor und Regisseur Igor Bauersima und seine Suizidkomödie ›norway. today‹ in Düsseldorf. In: Theater heute, (), H. , S. –, hier S. .
drama«, sondern ein »Gegenwartsstück«, das stark auf ›Baal‹ rekurriert. Ähnlich wie Brechts Titelfigur ist Brom als asozialer Provokateur konzipiert, der sich von seinem sozialen Umfeld nicht instrumentalisieren lässt, sondern als »kämpfende[r] Dichter […] das System« des Kulturbetriebs entlarvt. Wie Brecht betitelt Ostermaier seine Szenen mit ›Soirée‹ oder ›Dachkammer‹, nennt seine Figuren Emilie oder Johannes oder legt ihnen Sätze aus ›Baal‹ in den Mund. Die Kritik hat in dem »zitatenreiche[n]« Text außerdem intertextuelle Verweise auf Goethes ›Faust‹, Brechts ›Arturo Ui‹ und ›Im Dickicht der Städte‹, Ernst Jüngers Kriegstagebuch ›Strahlungen‹, Bauers ›Change‹ und die Theatertexte von Luigi Pirandello festgestellt. Neben dem Rekurs auf Goetz, den Aktionskünstler Flatz und den dichtenden Legionär Forestier haben die Rezensenten überdies Parallelen zu den medienwirksamen Selbstinszenierungen von Rainer Werner Fassbinder und Werner Schwab gezogen. Ostermaiers Bühnenstück zeichnet sich ferner durch einen expressionistischen, hochartifiziellen Stil aus. So hebt C. Bernd Sucher in seiner Rezension der Uraufführung den »eigenen Duktus« von Ostermaiers Sprache hervor, die »selbst die platteste Attacke [auf den Kulturbetrieb, Anm. N.B.] vor der Plattheit« rette, und auch Peter Michalzik lobt die »Poesie« der Sprache.
Sabine Dultz: Kein Historien- oder Dokumentardrama. Schreibt fürs Residenztheater ein Stück zu Brechts Hundertstem: Interview mit dem Münchner Autor Albert Ostermaier. In: Münchner Merkur vom . . . Ostermaier: The Making Of. B.-Movie, S. . So fragt Johannes in ›Baal‹ die Titelfigur: »Wissen Sie was von Astronomie?«, während Johannes in ›The Making Of. B.-Movie‹ konstatiert: »Was weißt du schon von Astronomie?« (Brecht: Baal []. In: Brecht: Werke. Bd. , S. –, hier S. ; Ostermaier: The Making Of. B.-Movie, S. ). Baal und Brom verlangen außerdem nach weißen Hemden (vgl. Brecht: Baal [], S. , mit Ostermaier: The Making Of. B.Movie, S. ). C. Bernd Sucher: Ab morgen bist du eine Kampfmaschine! Wilfried Minks inszeniert die Uraufführung von Albert Ostermaiers ›The Making Of. B.-Movie‹ im Münchner Cuvilliéstheater. In: Süddeutsche Zeitung vom . . , S. . Vgl. ebd.; Peter Michalzik: Ein B-Movie als A-Play. Albert Ostermaiers ›The Making Of.‹, uraufgeführt von Wilfried Minks am Münchner Cuvilliéstheater. In: Frankfurter Rundschau vom . . , S. ; Christopher Schmidt: Reden ist Silber, doch Schweigen wäre Gold gewesen. Albert Ostermaiers ›The Making Of. B.-Movie‹. Uraufführung im Münchner Cuvilliés-Theater. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom . . , S. ; Thomas Thieringer: Dichter sind Schweine. Volker Hesse inszeniert in Köln Albert Ostermaiers ›B-Movie‹ als Kulturperversitäten-Show. In: Süddeutsche Zeitung vom . . , S. . Vgl. Andreas Müry: Ostermaier, Baal, Brecht: ›The Making Of. B.-Movie‹ – Der Münchner Theaterautor und seine böse Satire auf die Kulturschickeria. In: Focus (), H. , S. –, hier S. ; Barbara Welter: Rebellen, die bellen, beißen nicht. Ostermaiers ›The Making Of. B.-Movie‹. In: tz vom . . . Sucher: Ab morgen bist du eine Kampfmaschine. Michalzik: Ein B-Movie als A-Play.
Mit ›The Making Of. B.-Movie‹ positioniert sich Ostermaier dezidiert im Unterfeld der eingeschränkten Produktion. Er richtet sich an ein gebildetes, kunst- und kulturinteressiertes Publikum, das fähig ist, die zahlreichen Anspielungen auf andere Texte und Autoren zu verstehen und die Artifizialität seiner lyrischen Sprache zu goutieren. Von der Kritik wird Ostermaier daher als Bühnenautor charakterisiert, der sich noch »gnadenlos mit dem alten, emphatischen Dichterbegriff« identifiziere und sich den »verhängnisvollen« Strukturen des Kulturbetriebs »auf eine anachronistische Weise« entziehe, so dass Barbara Welter ironisch konstatiert: »Er selbst hält sich novizisch rein; auch wenn er die Medienrituale (zu Lehrzwecken) mitmacht …« Wie Ostermaier schreibt auch Bauersima für ein kulturell bewandertes Publikum. Mit seinem Künstlerdrama rekurriert er auf den von Jean-Luc Godard verfilmten Roman ›Le Mépris‹ von Alberto Moravia. Während Ostermaier diejenigen Teilhaber im Feld der Kulturproduktion kritisiert, die »auch ihn emporgehätschelt« haben, verzichtet Bauersima aber auf Kollegenschelte. Er fordert in seinem abstrakten Spiel mit Sein und Schein die moralische Integrität des Künstlers und wird deshalb, ähnlich wie Ostermaier, zum Verfechter der seit dem . Jahrhundert tradierten Vorstellung vom Dichter als individualisierter Leitfigur stilisiert. So schreibt das Kölner Magazin ›StadtRevue‹ über den »Regiestar«:
Ebd. Sucher: Ab morgen bist du eine Kampfmaschine. Welter: Rebellen, die bellen, beißen nicht. Auf Godards Film ›Le Mépris‹ wird in Bauersimas und Desvignes ›Tattoo‹ wiederholt rekurriert. »Hier wie dort geht es um einen klassischen Konflikt: zwischen Lüge und Wahrheit. Geld, das sich die Gefühle kauft; Gefühle, die das Geld zerstört; und die Ohnmacht der Kunst gegenüber der fatal falschen Koalition von Geld und Gefühl. Lea und Fred sind ein Paar wie Camille (Brigitte Bardot) und Paul (Michel Piccoli) bei Godard, umspült von Georges Delerues Soundtrack-Wellen, die anschwellen, melodramatisch aufschäumen, zurückweichen, gesteigert wiederkehren und gleichgültig verlaufen. Diese Filmmusik legt Lea, die eine Internet-Sendung moderiert, einmal auf. […] Am Schluss […] tarnt [Bauersima, Anm. N.B.] das Bühnendrama als künstlerisches Fantasieprodukt, als literarische Erfindung. Und lässt das Spiel von Sein und Schein – gleich den Schatten in Platons Höhle oder denen auf Videoscreen und Kinoleinwand – in einer letzten Schraubbewegung in die Figuration von ›Le Mépris‹ eindringen. Lea und Fred werden nach Capri – Schauplatz der Odyssee-Dreharbeiten in Godards Filmgeschichte – reisen, wo er seinem Freund Paul (!) bei einem Drehbuch helfen soll.« (Andreas Wilink: Die Haut zu Markte getragen. Igor Bauersimas und Réjane Desvignes’ ›Tattoo‹ in Düsseldorf uraufgeführt. In: Süddeutsche Zeitung vom . . , S. ). Hans Krieger: Falscher Baal in der Talkshow. Der Schwindel des Kulturbetriebs: Albert Ostermaiers Stück ›The Making Of. B.-Movie‹ in München. In: Nürnberger Nachrichten vom . . .
Was für ihn zählt, ist der Inhalt. All diese Thesen von Bedeutungen, die immer flott unter den Zeichen wegrutschen, von Medien, die selbst die Message sind, oder von der Vorherrschaft der Simulation – damit kann Bauersima wenig anfangen. Nein, er glaubt, dass Worte Sinn tragen und dass man den an der Wirklichkeit überprüfen kann. Er spricht von Wahrheit, ohne seine Stimme ins Ironische gleiten zu lassen. […] Bevor er was Falsches sagt, sagt er im Zweifelsfall gar nichts.
Im Gegensatz zu ›Tattoo‹ und ›The Making Of. B.-Movie‹ wird Richters Theatertext in den Feuilletons als »Gebrauchsdramatik« bezeichnet, der Autor selbst wird als Pop-Literat zwischen Kunst und Kommerz verortet. Im Unterschied zu Bauersima und Ostermaier richtet er sich nicht an ein kunstinteressiertes Abonnement-Publikum, sondern primär an junge Theatergänger. Er verweist nicht auf Godard oder Brecht, sondern lässt seine Figuren über den ›Kultregisseur‹ Tarantino oder die populären Sängerinnen Björk und Madonna sinnieren. Während Ostermaier seinen Figuren eine hochartifizielle, lyrische Sprache in den Mund legt, drücken sich Richters Protagonisten umgangssprachlich aus. Da E und S weniger an der Kreation von Artefakten, sondern an dem ›richtigen‹ Lifestyle interessiert sind, sind für sie die Themen Musik und Imagebildung zentral. Richters Künstlerdrama ist nicht weniger erfolgreich als ›Tattoo‹ oder ›The Making Of. B.-Movie‹. In über zehn Sprachen übersetzt wird ›Gott ist ein DJ‹ weltweit rezipiert und inszeniert, die Uraufführung wird in den Feuilletons positiv besprochen. Das Stück wird aber, etwa von der ›Süddeutschen Zeitung‹, weniger als vehemente Kritik an den Strukturen des Kunst- und Kulturbetriebs, sondern als »Collage« verstanden, »die ein bißchen Teeniekomödie, ein bißchen Medienparodie und zu großen Teilen einfach eine Art Chill-outPerformance« sei. Während Richter von seinem Ruf als Pop-Autor und -Regisseur profitieren kann, um sich im kulturellen Feld der neunziger Jahre durchzusetzen, distanziert er sich um die Jahrtausendwende von seinem Image. In einem Interview mit der ›Frankfurter Allgemeinen Zeitung‹ konstatiert er: »Das ist ein Label, das von außen aufgeklebt wurde«, und: »Langsam sollte der Punkt kommen, an dem auch Kritiker einer süddeutschen Zeitung kapieren, daß es ein Unterschied ist, ob man mit Mitteln des Pop-Theaters sinnloses Zeug macht und einfach einen DJ auf die Bühne stellt oder ob man diese Mittel intelligent und interessant einsetzt.«
Morten Kansteiner: Bekenne dich zur Wirklichkeit. Regiestar Igor Bauersima. In: StadtRevue. Das Kölnmagazin (), H. , o.S. (URL: http://www.stadtrevue.de/ index_archiv.php?tid=&sstring=Bauersima&ausg=/; Stand: . . ). Christine Dössel: Kühl, kühler, abkühlen. Küken pieksen. Falk Richters Stück ›Gott ist ein DJ‹ in Mainz. In: Süddeutsche Zeitung vom . . , S. . Ebd. Laudenbach: Abschied vom Planeten Pop.
Wie Richter konzipiert auch Bauer sein Künstlerdrama als Pop-Theatertext. Das erkennen nur wenige Theaterkritiker, etwa Benjamin Henrichs oder Hellmuth Karasek, das Gros der Rezipienten sieht in dem Autor einen Nachfolger Ödön von Horváths und in ›Change‹ ein realistisches und kritischentlarvendes Porträt der jugendlichen Subkultur Österreichs. Für seine vermeintlich ›neorealistische‹ Dramatik erhält Bauer den Peter-Roseggerund den Franz-Theodor-Csokor-Preis. Dass sich die Rezeption seiner Stücke auf ein ›Missverständnis‹ gründet, kommt sowohl in den positiven als auch in den negativen Theaterkritiken der Zeit zum Ausdruck. Davon ausgehend, dass Bauer mit seinen Dramen darauf zielt, »Moral oder Amoral zu verkünden«, bemängelt Joachim Kaiser die unzureichende psychologische Gestaltung der dramatis personae. Ihn stört, »wie schwach die Figuren situiert und wie wenig sie in ihren Handlungen durchsichtig sind«. Wolfgang Drews beanstandet hingegen: »Trivialität und Brutalität ergeben weder Satire noch Kritik. Bauer, der Beobachter, ist kein Entlarver.« Die Missdeutung seiner Werke ist, so der Autor, für die gesamte Rezeption der Pop-Art in den sechziger Jahren kennzeichnend. Er erläutert: Dann kamen die ersten Popartisten, und ich sah, die sagen jetzt endlich ja zu einem Kühlschrank und sagen ja zu einem lauten Plattenspieler oder zu einem Flugzeug – also alles Dinge, die in der Kunst verpönt waren. So sah ich die Popart. Der Erfolg der Popart war ja auch ein Mißverständnis, weil sie auf banalste Weise sozialkritisch verstanden wurde. Die Popart wurde so verstanden, wie die DDR-Maler gemalt haben, nur malten die Amerikaner besser.
Ähnlich wie Richter distanziert sich Bauer später von seinen popliterarischen Anfängen. Im Interview mit Walter Grond bekennt er: Wenn man zum Beispiel wie ich zeitweise versucht hat, sich wie der Muhamed Ali [sic] aufzuführen, nur aus Spaß, kann man das nicht beibehalten, weil heute das Künstlerbild immer noch viel stärker von der Romantik beeinflußt ist, als man glauben möchte. Durch die Erweiterung und durch die theoretische Banalisierung des Kunstbegriffs, wie sie die Popart vornahm, ist eine Enge aufgerissen worden, das
Vgl. Henrichs: Zu Arbeiten des Grazer Autors Wolfgang Bauer; Karasek: Bauer, Wolfgang oder: die bewußte Trivialität, S. . Zu der Missdeutung von Bauers Dramen vgl. Pechmann: Zum Leben des Schriftstellers Wolfgang Bauer, bes. S. ; Riewoldt: Magic Wolfi oder ›They never come back‹. Mixner: Gespräch mit Wolfgang Bauer, S. . Joachim Kaiser: Was die Dramaturgen doch noch alles vermögen. Über Urs Jenny und Heinar Kipphardt und die Saisoneröffnung der Münchner Kammerspiele. In: Theater heute, (), H. , S. –, hier S. . Wolfgang Drews: Beim Wort genommen: Wolfgang Bauers ›Change‹ im Münchner Werkraumtheater. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom . . , S. ; vgl. dazu auch o.V.: ›Change‹. Schweizerische Erstaufführung im Theater am Neumarkt, Zürich. In: Neue Zürcher Zeitung vom . . , S. . Grond: Ein Gesamtkunstwerk ohne dessen Plan, S. .
habe ich begrüßt, aber ich würde mich heute selbst nicht als Popkünstler bezeichnen. Ich empfinde mich nicht als Popphänomen, sondern eigentlich als romantischen Dichter, immer mehr, je älter ich werde.
In ihren Theatertexten beschäftigen sich Bauer, Richter, Bauersima, Desvignes und Ostermaier mit den spezifischen Konflikten gerissener und naiver ästhetischer Produzenten im . Jahrhundert. Im Gegensatz zum ›klassischen‹ Künstlerdrama, in dem sich die schöpferischen Genies dezidiert im Subfeld der eingeschränkten Produktion positionieren und materielle Interessen negieren, sind die Grenzen zwischen Kunst und Kommerz in den analysierten Bühnenstücken fließend. Die gerissenen Künstler streben nach hohen Einkünften und massenmedialer Beachtung. Um die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, verleihen sie sich das Image individualistischer Provokateure. Damit rekurrieren sie auf das seit dem . Jahrhundert tradierte Bild vom verkannten Genie, das den modernen Künstlerhabitus entscheidend geprägt hat (vgl. Kap. .. und .). Die Autoren führen vor, dass die Vorstellung vom genialischen Künstler obsolet geworden ist, die Pose des skandalträchtigen Exzentrikers aber unabdingbar bleibt, um sich als Künstler einen Namen zu machen. Im Gegensatz zu den verkannten Genies, die ihren Artefakten aufgrund ihrer exzeptionellen Weltwahrnehmung eine messianische Wirkung zuweisen, sind die gerissenen Künstler nicht an der Sakralisierung ihrer Werke interessiert. Für sie ist nicht ihr opus operatum, sondern ihre medienwirksame Selbstvermarktung – ihr modus operandi – von zentraler Bedeutung. Grund dafür ist die Etablierung einer institutionalistischen bzw. topologischen Kunstauffassung. Da heute jeder Gegenstand als Artefakt anerkannt und ausgestellt werden kann, verliert der ästhetische Produktionsprozess an Relevanz, der Unterschied zwischen Waren und Kunstwerken besteht vielmehr im Akt der Selektion (vgl. Kap. ..). Vor diesem Hintergrund ändern sich die dramatischen Konflikte von Künstlerfiguren im Drama. Während die autonomen Genies in Bühnenstücken des ., . und . Jahrhunderts mit einem philiströsen sozialen Umfeld zu kämpfen haben und unter der ihnen fehlenden beruflichen Anerkennung leiden, reflektieren die schöpferischen Protagonisten seit den siebziger Jahren zunehmend über die spezifischen Strukturen des Kunst- und Kulturbetriebs. Sie sind davon überzeugt, selbstbestimmt handeln und erfolgreiche Durchsetzungsstrategien entwickeln zu können. Wie im antiken Drama scheitern sie jedoch an ihrer Hybris. Während die Tragödienhelden die Befehle und Gesetze der Götter missachten, was unvermeidlich zu ihrem Fall führt, ignorieren die vermeintlich gerissenen schöpferischen Protagonisten die ›Regeln der Kunst‹. Im Handlungsverlauf müssen sie realisieren, sich über die Gebote des kulturellen Feldes nicht hinwegsetzen und nicht souverän agieren zu können.
Ebd., S. .
. Teilhaber im kulturellen Feld: Der kanonisierte Künstler in Thomas Bernhards ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹ ()
In der Kultursoziologie wird zwischen der »Avantgarde, die sich eher aus den (biologisch) Jüngeren rekrutiert, ohne auf eine Generation beschränkt zu sein […] und der kanonisierten Avantgarde, den ›Klassikern‹«, unterschieden. Während die Künstlerfiguren in den bisher analysierten Theatertexten zu der ersten Gruppe zählten, führt Thomas Bernhard in seiner Komödie ›Über allen Gipfeln ist Ruh. Ein deutscher Dichtertag um ‹ () einen arrivierten Schriftsteller vor, der mit »weltliche[n] Konsekrations-Zeichen […] im Überfluß ausstaffiert« ist. So konstatiert der schöpferische Protagonist Moritz Meister zufrieden, dass er von den Feuilletonisten seit seinem . Geburtstag »immer mit einem hochachtenden Lob« bedacht wird, und seine Gattin berichtet stolz, dass ihr Mann bereits diverse Literaturpreise erhalten hat, zusammen mit dem Bundespräsidenten in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung gewählt worden ist und jetzt eine Straße nach ihm benannt werden soll. Als »weltberühmter Autor« publiziert Meister – über den »jetzt schon bald mehr Bücher erschienen sind / als er selbst geschrieben hat« – seine Werke bei einem renommierten Verlag. Gerade hat er eine »zweitausend Seiten« umfassende Tetralogie beendet – ein »Buch nur für die Anspruchsvollen«. Um Meister aus seinem Werk lesen zu hören, haben sich sein Verleger, ein Kritiker der ›Frankfurter Allgemeinen Zeitung‹ sowie eine Doktorandin in der Villa des Schriftstellers eingefunden. Alle drei wollen der Buchpräsentation beiwohnen, mit der das Stück endet. Von der Literaturkritik ist Bernhards handlungsarmes Künstlerdrama bislang wenig gewürdigt worden. Für Gerhard Stadelmaier handelt es sich um eines »der langweiligsten, ödesten Stücke« des Autors, Hans Bertram Bock be
Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. . Ebd., S. . Thomas Bernhard: Über allen Gipfeln ist Ruh. Ein deutscher Dichtertag um . Komödie. Frankfurt/M. , S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Gerhard Stadelmaier: Alles Gute, Meister? In: Theater heute, (), H. , S. –, hier S. .
zeichnet es als »verschwätzt und in den besten Momenten lediglich auf dem Niveau eines Spitzenkabaretts«. Für Bernhard Sorg markiert die Komödie »den Tiefpunkt des Bernhardschen Schreibens« und auch C. Bernd Sucher meint, dass der »Text dringend Hilfe braucht, denn diese Sammlung aus Resten längst zuvor publizierter Romane, Erzählungen und Dramen, trägt keine Dreistundenaufführung, reicht allenfalls für ein Dramolett aus«. Wie die Kritik hat sich auch die Forschung mit dem Bühnenstück bisher kaum auseinandergesetzt. Das könnte daran liegen, dass die für den Autor signifikanten Themen und Motive wie Krankheit oder Tod hier weniger präsent sind als in seinen anderen Prosa- und Theatertexten und dass die Figur des Schriftstellers nicht Bernhards »konsistente[m] Künstler-Bild[ ]« entspricht. Im Zentrum seiner literarischen Texte steht meist ein »von seinen Plänen und Visionen besessene[r] Einzelne[r], der Künstler und Intellektuelle, der oft ›Geistesmensch‹ genannte Opponent jeglicher vorgegebener Ideologie oder Organisation«. In seinen Werken konstruiert er eine »dichotomische Welt«, in der Einzelner und Masse, Einzelner und Staat, Einzelner und Kulturbetrieb einander unversöhnlich gegenüberstehen. Kunst und Erkenntnis erscheinen so als letzte Sanktuarien einer geistigen Existenzweise, die […] nur […] mit äußerster Anstrengung von wenigen – und dann stets bedroht vom endgültigen Scheitern – realisiert werden kann.
Hans Bertram Bock über ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹ in den Nürnberger Nachrichten . Zitiert nach: Jens Dittmar (Hg.): Thomas Bernhard. Werkgeschichte. Frankfurt/M. , S. . Bernhard Sorg: Thomas Bernhard. München , S. . C. Bernd Sucher: Meisels Moritz Meister. ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹ von Thomas Bernhard im Münchner Residenztheater. In: Süddeutsche Zeitung vom . . , S. . Bernhard Sorg: Kunst ja, Politik nein. Thomas Bernhard in Österreich. In: Gunter E. Grimm (Hg.): Metamorphosen des Dichters. Das Rollenverständnis deutscher Schriftsteller vom Barock bis zur Gegenwart. Frankfurt/M. , S. –, hier S. . Ebd., S. . Ebd., S. ; zu dem für Bernhard charakteristischen Figurentypus des ›Geistesmenschen‹ vgl. Michael Billenkamp: Thomas Bernhard. Narrativik und poetologische Praxis. Heidelberg ; Václav Cejpek: Künstler als Versager. In: Roman Kopˇriva / Jaroslav Kováˇr (Hg.): Kunst und Musik in der Literatur. Ästhetische Wechselbeziehungen in der österreichischen Literatur der Gegenwart. II. Bilaterales Germanistisches Symposion Österreich – Tschechien, Brünn, Tschechien, Dezember . Wien , S. –; Hajo Eickhoff: Die Stufen der Disziplinierung. Thomas Bernhards Geistesmensch. In: Alexander Honold / Markus Joch (Hg.): Thomas Bernhard. Die Zurichtung des Menschen. Würzburg , S. –; Luigi Forte: Thomas Bernhard oder Die Macht der Verzögerung. Kunst und Künstler im Frühwerk Bernhards. In: Franz Gebesmair / Alfred Pittertschatscher (Hg.): BernhardTage Ohlsdorf . Materialien. Weitra , S. –; Hans Höller: Selbstporträts des Künstlers als alter Mann. Zu typischen Figuren bei Thomas Bernhard, Franz
Im Gegensatz zu dem für Bernhard charakteristischen ›Geistesmenschen‹ handelt es sich bei Moritz Meister um einen renommierten Schriftsteller, der nicht als einzelner gegen ein von ihm als philiströs deklariertes soziales Umfeld kämpft, sondern den Kontakt zu seinen Bewunderern, zu einflussreichen Politikern und zu den professionellen Meinungsbildnern sucht. Die »Singularität der Gipfel-Komödie« ist vielleicht ein Grund dafür, dass in den wenigen literaturwissenschaftlichen Beiträgen weniger die kunst- und künstlerspezifischen Aspekte, sondern Bernhards Komödienbegriff, die für den Theatertext konstitutiven intertextuellen Verweise und die Dialogführung fokussiert worden sind. Nach den »Mechanismen des Komischen« fragen Uwe Japp, Madeleine Rietra und Alfred Barthofer. Dabei kategorisiert Japp das Stück mit Otto Rommel als »satirische Komödie«, da die »Defizite, Defekte und Marotten« der Figuren »dem Verlachen preisgegeben« würden. Lächerlich sei etwa Meisters »Eitelkeit«, die »Ruhmredigkeit seiner Frau«, die »Devotion der Doktorandin« oder die »Geschwätzigkeit des Verlegers«. Im Unterschied dazu ist Rietra davon überzeugt, dass das Bühnenstück nicht als »Literatursatire« bezeichnet werden kann. Der Theatertext führe nicht die ›lasterhaften‹ Eigenschaften der dramatis personae vor, sondern die »›Fehler‹ der Figuren« bestünden darin, dass ihr Verhalten der »bürgerlichen Norm« entspreche. Bernhard wolle nicht einzelne Eigenschaften, sondern »bestimmte[ ] gesellschaftliche[ ] Mißstände« anprangern, etwa die »Kommerzialisierung der Literatur«, die »Oberflächlichkeit und Macht der Medien« und »die Methoden und Fragen einer stark biogra-
Grillparzer und Adalbert Stifter. In: Franz Gebesmair / Manfred Mittermayer (Hg.): Bernhard-Tage Ohlsdorf . ›In die entgegengesetzte Richtung‹. Thomas Bernhard und sein Großvater Johannes Freumbichler. Materialien. Weitra , S. –; Karin Kathrein: Die Kunst als Heimat. Der Künstler in Thomas Bernhards Dramatik. Eine Geschichte des Scheiterns. In: Ilija Dürhammer / Pia Janke (Hg.): Der ›Heimatdichter‹ Thomas Bernhard. Wien , S. –; Kay Link: Die Welt als Theater. Künstlichkeit und Künstlertum bei Thomas Bernhard. Stuttgart ; Johannes Frederik G. Podszun: Untersuchungen zum Prosawerk Thomas Bernhards. Die Studie und der Geistesmensch. Entwicklungstendenzen in der literarischen Verarbeitung eines Grundmotivs. Frankfurt/M. u. a. ; Manfred Wagner: Außenseitertum, Exzentrik und Wahnsinn im Werk Thomas Bernhards. In: Dürhammer / Janke (Hg.): Der ›Heimatdichter‹ Thomas Bernhard, S. –. Japp: Das deutsche Künstlerdrama, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Madeleine Rietra: Thomas Bernhards ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹ – eine fröhliche Literatursatire? In: Alexander von Bormann (Hg.): Sehnsuchtsangst. Zur österreichischen Literatur der Gegenwart. Colloquium an der Universität von Amsterdam. Amsterdam , S. –. Ebd., S. .
phisch orientierten Literaturwissenschaft«. Während eine Satire per definitionem mit der Vorstellung von einem »positiven Gegenbild« verbunden sei, konfrontiere Bernhard die »Zuschauer mit dem absurden Zustand der Welt.« Seine »Komik dient dazu, das Lächerliche an Situationen, die von uns als normal empfunden werden oder deren Lächerlichkeit wir nicht wahrhaben wollen, klarzumachen.« Barthofer rekurriert in seiner Untersuchung des ›Komödienbegriffs‹ auf alle vier der von Bernhard »als Komödien ausgewiesenen« Theatertexte – ›Die Macht der Gewohnheit‹ (), ›Immanuel Kant‹ (), ›Vor dem Ruhestand. Eine Komödie von deutscher Seele‹ () und ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹. Er meint, dass das Dichter-Drama am wenigsten von »weltanschauliche[m] Pessimismus« geprägt sei, wobei die Komik aus der Diskrepanz zwischen der von Meister zur Schau gestellten »tiefe[n] Geistigkeit« und seinem »Verhaftet-Sein im Trivial-Oberflächlichen« resultiere. Bernhards zentrales Thema sei die »Durchleuchtung deutscher Mentalität«. Das werde an den Verweisen auf Johann Wolfgang von Goethe und Thomas Mann sowie dessen späte Werke ›Joseph und seine Brüder‹ (–) und ›Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull‹ () deutlich. Wie Barthofer beschäftigen sich auch Eun-Soo Jang, Manfred Mittermayer und Walter Weiss mit den inter- und intratextuellen Bezügen in ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹. Während sich Jang darauf beschränkt, Barthofers Thesen zu referieren, stellt Mittermayer biographische Parallelen zwischen Bernhard und seinem Protagonisten fest. Er ist der Auffassung, dass der Autor »die Fragwürdigkeit sprachlicher Artikulation« anhand der »Unterschiedslosigkeit zwischen Klischee und authentischer Aussage« problematisiere. Schließlich diene »einund derselbe Satz« – je nachdem, ob er in der fünfbändigen Autobiographie oder in der Komödie stehe – entweder der Beschreibung einer »leidvoll erlebten Existenz« oder als »phrasenhaftes Mittel der Selbstinszenierung«. Weiss zielt hingegen darauf, »Parallelen und Gegensätze« zwischen Bernhard und Peter
Ebd., S. , . Ebd., S. . Ebd., S. . Alfred Barthofer: Vorliebe für die Komödie: Todesangst. Anmerkungen zum Komödienbegriff bei Thomas Bernhard. In: Vierteljahresschrift des Adalbert-Stifter-Instituts des Landes Oberösterreich, (), H. /, S. –, hier S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Vgl. Eun-Soo Jang: Die Ohn-Machtspiele des Altersnarren. Untersuchungen zum dramatischen Schaffen Thomas Bernhards. Frankfurt/M. u. a. , bes. S. –. Manfred Mittermayer: Thomas Bernhard. Stuttgart, Weimar , S. . Ebd., S. . Walter Weiss: Thomas Bernhard – Peter Handke: Parallelen und Gegensätze. In: Alfred Pittertschatscher / Johann Lachinger (Hg.): Thomas Bernhard, Materialien. Literarisches Kolloquium Linz . Linz , S. –, hier S. .
Handke aufzuzeigen. Genau so, wie der Name Moritz Meister »zwei gegenläufige […] Traditionsgestalten« vereine – der Vorname verweise auf Karl Philipp Moritz und dessen autobiographischen Roman ›Anton Reiser‹ (–), der Nachname auf Goethes Bildungsroman ›Wilhelm Meisters Lehrjahre‹ (/) –, so stünden auch Bernhard und Handke in unterschiedlichen literarischen Traditionen. Dennoch identifizierten sich beide – »sei es mit positivem, sei es mit negativem Vorzeichen, sei es mit Pathos, sei es ironisch – mit der Position des außerordentlichen Klassikers, des vorbildlichen Klassischen«. Das ›Sprechverhalten‹ der Figuren interessiert Martina Ochs, die die »Kommunikationsgestaltung« der Komödie am Beispiel zweier Textpassagen untersucht und die These vertritt, dass das »Besondere an Bernhards Dramatik […] auf der Rezeptionsebene das überraschende Nichtzutreffen gerade zuvor entstandener Antizipationen sowie die […] irritierende Inszenierung sich kreuzender rational und irrational anmutender Verhaltensweisen« ist. Die kunst- und künstlerspezifischen Konflikte in Bernhards Theatertexten analysieren Herbert Gamper und Raingard Multer. Dabei unterscheidet Gamper zwischen drei Figurentypen: »Erstens der mit tragischem Pathos vorgeführte, zu unmenschlicher Perfektion fortgeschrittene Künstler auf dem Höhepunkt seiner Kunst und des Erfolgs […]. Zweitens die nicht bloß menschlich, sondern auch in ihrer Kunst Scheiternden und Gescheiterten […]. Drittens die vom Kulturbetrieb begünstigten und seine Mechanismen schamlos nutzenden Zyniker und aufgeblasenen Dummköpfe«, zu denen Moritz Meister zählt. Multer ist dagegen bestrebt, Bernhards Kritik am Kunst- und Kulturbetrieb zu erhellen. Dazu stützt er sich programmatisch auf Theodor W. Adornos und Max Horkheimers ›philosophische Fragmente‹ ›Dialektik der Aufklärung‹ (/) sowie auf Walter Benjamins Essay ›Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit‹ (/). Leider beschäftigt er sich nur marginal mit ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹, hebt »Meisters Abhängigkeit von der Kulturindustrie« hervor und illustriert, dass dessen Phrasen »nicht einmal von der Wissenschaft hinterfragt« werden. Im Gegensatz zu den bisherigen Untersuchungen besitzt der Künstlerdiskurs in der folgenden Analyse zentralen Stellenwert. Zunächst werden Kunst
Ebd., S. . Ebd., S. . Martina Ochs: Eine Arbeit über meinen Stil – sehr interessant. Zum Sprechverhalten in Thomas Bernhards Theaterstücken. Frankfurt/M. u. a. , S. , . Herbert Gamper: Die Künstlerfiguren bei Grillparzer und Thomas Bernhard. In: Hilde Haider-Pregler / Evelyn Deutsch-Schreiner (Hg.): ›Stichwort Grillparzer‹. Wien u. a. , S. –, hier S. . Raingard Multer: Künstler- und Kunstproblematik im Werk von Thomas Bernhard. Gegen Aura-Verlust und Warencharakter der Kunst. Ann Arbor (Michigan) , S. , .
auffassung und posture des etablierten Schriftstellers untersucht (vgl. .., ..), bevor dargestellt wird, wie sich Meister von den Repräsentanten der kulturellen und politischen Macht vereinnahmen lässt (vgl. ..). Anschließend wird die »Literatur-Komödie« aus feldtheoretischer Perspektive betrachtet und die These aufgestellt, dass sie als Manifestation eines Bruchs mit der deutschsprachigen kanonisierten Avantgarde der achtziger Jahre zu lesen ist (vgl. .., ..). Im Unterschied zu den Autoren der bereits analysierten Künstlerdramen wendet sich Bernhard aber nicht gegen die ästhetischen Prämissen der schriftstellerischen Konkurrenz, sondern wirft den arrivierten Autoren vor, ihre geistige Autonomie zugunsten materieller Interessen aufgegeben zu haben. Zudem distanziert er sich von dem eigenen, medial vermittelten Schriftsteller-Image, das er als fiktionale Konstruktion kenntlich macht.
.. Moritz Meisters Kunstauffassung Das Ehepaar Meister unterscheidet zwischen den ranghöheren »schöpferische[n]« und den rangniederen »interpretierende[n]« Künsten. So begründet Meister die von beiden Eheleuten getroffene Entscheidung, dass seine Frau, »eine Klaviersolistin ersten Ranges«, ihre internationale Karriere aufgegeben hat, um ihn, der über dreißig Jahre lang erfolglos als Schriftsteller gearbeitet hat, zu unterstützen. Wie die verkannten und verfemten Künstler im Drama des . Jahrhunderts hält sich der mittlerweile kanonisierte Autor für einen genialischen Schöpfer sakraler Artefakte. Aus »einem amusischen Hause« und »den einfachsten Verhältnissen« stammend, hat er als »Dachdeckerlehrling« gearbeitet, bevor sich ihm im Regensburger Dom eine metaphysische Kraft offenbart hat. Seitdem »dichtet [es] immer in ihm«. Das Schreiben ist für ihn ein existentielles Bedürfnis. Den »aufregende[n] Gedanke[n]«, eine Tetralogie zu schreiben, hat er etwa »mit der allergrößten Besessenheit verfolgt«, denn ein kreativer Einfall »muß verfolgt werden«.
Barthofer: Vorliebe für die Komödie, S. . Im Gegensatz zu Wolfgang Bauer, Bertolt Brecht oder Falk Richter, die darauf zielen, sich von den künstlerischen Prämissen der geweihten Avantgarde ihrer Zeit abzugrenzen, ist Bernhards Kritik keine ästhetische. Daher unterbleibt in diesem Kapitel die dramaturgische Analyse von ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹. Bernhard: Über allen Gipfeln ist Ruh, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Vgl. ebd., S. f. Ebd., S. . Ebd., S. .
Im Rekurs auf die kunsttheoretische Position der Romantik betrachtet sich Meister als Bezeugungsinstanz einer transzendenten Sphäre, die sich im Werk manifestiert. Darin gleicht er Hauptmanns Titelfigur Michael Kramer. Inspiriert wird er vor allem bei den Bienen und beim Frühstück / […] plötzlich springt er auf und läuft ins Haus / um sich Notizen zu machen / Ein Stichwort das möglicherweise gar nichts damit zu tun hat / wenigstens hat es den Anschein / bringt ihn auf einen wichtigen philosophischen Gedanken / Und wieviele Gedichte sind entstanden auf ein Stichwort […].
Obwohl Meister großen Wert darauf legt, seine kreativen Ideen zu strukturieren und sich umfassend zu bilden, weil in den »Schreibenden […] alles eingesenkt sein« muss, »die Anfänge der Menschheit die Anfänge der Kultur«, und obgleich er bestrebt ist, dem von ihm zu schaffenden Werk ein ästhetisches Konzept zugrunde zu legen, verläuft der Schreibprozess rein intuitiv. So fühlt er sich während des Dichtens trotz eines »Plan[s] genauestens ausgearbeitet im Kopf« von »eisige[r] Finsternis« umgeben. Den schöpferischen Produktionsprozess erfährt er als Kraftprobe, weil er »äußerste[ ] Konzentration«, psychisches und physisches Wohlbefinden und die Einsamkeit des Künstlers voraussetzt. Der Doktorandin Fräulein Werdenfels erklärt er: [D]as [Dichten, Anm. N.B.] erfordert schon die Zähigkeit eines Raubtiers / […] Die Katastrophe ist ja das völlige Alleinsein / und tatsächliche Alleingelassensein mit sich selbst / […] Niemand kein Mensch nichts hilft ihnen / nur Sie selbst auf sich selbst angewiesen […].
Wie Michael Kramer schottet sich Meister nicht nur während des Schreibens von anderen Menschen ab, sondern er lebt zurückgezogen in seiner Villa in den Voralpen, »beinahe gänzlich unberührt von dem schrecklichen Jetzt«. Seine soziale Isolation ist, so seine Frau, notwendig für seine künstlerische Produktivität. Sie konstatiert: »Wie wir hierher gekommen sind / sagte mein Mann / jetzt kann ich wieder dichten / und dann dichtete er Buch auf Buch«. Meister beschreibt das Schreiben als inspirativen Vorgang, hält aber ähnlich wie Hauptmanns Titelfigur eine disziplinierte Arbeitsweise und einen geregelten Tagesablauf für unabdingbar, um kreativ tätig zu sein. »Er steht um drei Uhr früh auf und wickelt sich in die Pferdedecke / die er sich aus Sizilien mitgebracht hat vor zwanzig Jahren / und setzt sich an den Schreibtisch und
Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
schreibt bis neun / […] dann macht er Toilette und geht zu den Bienen«. Da Meister während des ästhetischen Schöpfungsvorgangs als Medium einer überirdischen Sphäre fungiert, hat er keinen Einfluss auf das Ge- oder Misslingen seiner künstlerischen Arbeit. Erfolg oder Scheitern ist vielmehr von der ihm zuteil werdenden »Gnade« abhängig. Zudem ist er unfähig, seine Artefakte selbst auszudeuten. Seine ihn bewundernde Doktorandin lässt er wissen: »Der Künstler weiß nie / wie sein Werk entstanden ist / er bleibt im Stande der Vermutung / der wahre Künstler weiß nichts über seine Kunst«, und: »Ein Schriftsteller beschränkt sich auf Andeutungen / er kann sein Werk nicht erklären«. Seine außerordentliche schöpferische Gabe erfährt Meister als Berufung. Schon als Jugendlicher »muß ja wohl schon alles in mir bestimmt gewesen sein«, gesteht er Fräulein Werdenfels. Sein Ausnahmetalent wertet er nicht nur als selige Gnade, sondern auch als große Bürde, weil er sich gezwungen sieht, seine irdischen Wünsche seiner Künstlerexistenz unterzuordnen. Den ihn besuchenden Literaturkritiker der ›Frankfurter Allgemeinen Zeitung‹, Herrn Wegener, fordert er daher auf: Schreiben Sie ruhig / daß ich mein Leben meiner Kunst aufgeopfert habe […] / daß ich nur für meine Arbeit gelebt habe / […] alles auf mich genommen habe / um mein Werk voranzutreiben und es vollenden zu können / es ist mir immer nur um die Sache an sich gegangen / niemals um etwas anderes / so war das eigentliche Lebens- oder Existenzvergnügen / sehr eingeschränkt / Was haben andere für ein Leben […].
Von den Entbehrungen, die beide Eheleute im Namen der Kunst auf sich genommen haben, spricht auch Frau Meister. Ähnlich wie Sorges ›Bettler‹ hat sie mit ihrem sozialen Umfeld gebrochen, »selbst mit den engsten Verwandten / weil es für die Entwicklung meines Mannes notwendig gewesen war«. Den jahrzehntelangen, vergeblichen Versuch, die professionellen Meinungsmacher von sich zu überzeugen, schildert das Ehepaar ebenfalls als höchst leidvolle Erfahrung. So berichtet Frau Meister, dass ihr Mann oft daran gedacht habe, sich zu erschießen, sollte er weiterhin erfolglos bleiben, und auch Meister bekennt, angesichts der fehlenden beruflichen Anerkennung oft niedergeschlagen gewesen zu sein. Allerdings habe er seine »Verzweiflung jedesmal überwunden« und sich bedingungslos seiner Berufung, dem Schreiben, gewidmet. Dabei habe er sich nie den vorherrschenden ästhetischen Idealen angepasst, um Leser und künstlerische Konsekrationsinstanzen für sich zu gewinnen, und
Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. , . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Vgl. ebd., S. f. Ebd., S. .
sich auch von negativer Kritik nicht beeinflussen lassen. Sein »Blick ist immer nur auf den Gegenstand gerichtet«. Meisters Kunstauffassung ähnelt der von Michael Kramer (vgl. Kap. ..) und unterscheidet sich grundlegend von der Position der gerissenen Künstler im Drama des . Jahrhunderts. Während diese ihren Durchsetzungsstrategien und nicht ihren Artefakten zentrale Bedeutung beimessen, ist Meister davon überzeugt, dass sich das opus operatum eines Genies gegen alle Widrigkeiten durchsetzen wird, wenn auch nicht unbedingt zu seinen Lebzeiten. Wie die verkannten Künstlerfiguren ist er davon überzeugt, dass er für die mangelnde Wertschätzung im Diesseits mit der Kanonisierung seiner Werke entschädigt wird.
.. Die posture des kanonisierten Künstlers Wie erläutert (vgl. Kap. ..), umfasst die posture eines Künstlers nach Meizoz zwei Dimensionen: »die der irreduziblen Einzigartigkeit des Autors und jene der spezifischen Form, die jedem Text immanent ist und sich aus Genre und Stil zusammensetzt.« Im Folgenden wird untersucht, welche »Modi der Selbstdarstellung« Meister auf der Ebene seiner sozialen Selbstpräsentation und auf der rhetorischen und gattungstypologischen Ebene seiner literarischen Texte wählt, um sich im Literaturbetrieb zu behaupten. Auf der auktorialen Ebene seiner posture geriert sich Meister als dichtendes Universalgenie und als repräsentativer Dichter einer ›deutschen Kulturnation‹. Dabei dient ihm Goethe als Vorbild, für ihn der »universale Geist / der Logos universalis« und der »echte der wahre Dichter der Deutschen«. Wie seinem literarischen Vorbild, an dem »sich jeder aufrichten« kann, attribuiert er sich eine »spezifisch deutsche[ ] Geisteshaltung«. In seinen Narrationen beschreibt er sich als ordentlich, gewissenhaft, fleißig, diszipliniert, willensstark, eigensinnig, tiefsinnig und strebsam – mit Eigenschaften, die, so Rolf Breitenstein, Bernhard Nuss oder Hans-Dieter Gelfert, als charakteristisch für die deutsche Mentalität gelten.
Ebd., S. . Meizoz: Die posture und das literarische Feld, S. . Ebd., S. . Bernhard: Über allen Gipfeln ist Ruh, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Rietra: Thomas Bernhards ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹, S. . Vgl. Bernhard Nuss: Das Faust-Syndrom. Ein Versuch über die Mentalität der Deutschen. Bonn ; Rolf Breitenstein: Der hässliche Deutsche? Wir im Spiegel der Welt. München , bes. S. ; Hans-Dieter Gelfert: Was ist deutsch? Wie die Deutschen wurden, was sie sind. München .
Ähnlich wie der Weimarer Autor, der sich für die Literatur, aber auch für Geologie, Botanik, Anatomie und die Farbenlehre interessiert hat, besitzt Meister umfassende Kenntnisse in verschiedenen Wissenschaftsgebieten. Er betreibt naturwissenschaftliche Studien, Ahnenforschung, hat bereits ein »geometrisches Lehrbuch« publiziert und an »ihm ist auch ein großer Archäologe verloren gegangen«, wie seine Frau versichert. Als Schriftsteller und »Wissenschaftler« legt er höchsten Wert auf eine umfassende Allgemeinbildung. Dazu unternimmt er jedes »Jahr die klassische Bildungsreise«, auf die er sich mit dem Studium »wissenschaftliche[r] Publikationen« intensiv vorbereitet. Schon zum Frühstück bildet sich das Ehepaar durch »ein paar Seiten […] philosophische Lektüre«, etwa durch Goethes ›Die Wahlverwandtschaften‹. Als »Geistesdeutsche[r]« lehnt Meister den »wilden« William Shakespeare, den »Selbstmörder« Heinrich von Kleist sowie die Schriften von Friedrich Nietzsche und Arthur Schopenhauer – für ihn die »Antipoden der Deutschen« – ab. Stattdessen orientiert er sich an Charles Baudelaire, Stefan George, Annette von Droste-Hülshoff, Knut Hamsun, Heinrich Heine, Hermann Hesse, Hugo von Hofmannsthal, Friedrich Gottlieb Klopstock, Stéphane Mallarmé, Eduard Mörike, Novalis, August von Platen und Arthur Rimbaud. In der Bildenden Kunst favorisiert er die Gemälde Albrecht Dürers, seine größte Wertschätzung gilt aber der Musik. Als »Opernfanatiker« und »hochkünstlerische Begabung« kann Meister ohne das Theater »nicht leben«. Seine »Lieblingsoper« ist Richard Wagners ›Die Meistersinger von Nürnberg‹ (UA ), zudem schwärmt er für die »italienische Oper«, vor allem für Giuseppe Verdis ›La Traviata‹ (UA ). Als bevorzugte Komponisten nennt er Ludwig van Beethoven, Felix Mendelssohn Bartholdy und Sergej Rachmaninov. Meisters Selbstpräsentation als universell gebildetes Schriftstellergenie schlägt sich nicht nur auf der auktorialen, sondern auch auf der diskursiven Ebene seiner posture, in seinen Werken, nieder. Protagonist seiner Tetralogie ist die »vollkommen autobiografisch« gezeichnete Figur Professor Stieglitz, die Meister unablässig anführt, um seine eigenen Ansichten zu bekräftigen. For
Bernhard: Über allen Gipfeln ist Ruh, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. , . Ebd., S. , , . Ebd., S. , . Ebd., S. .
mulierungen wie »bei Stieglitz ist das genau nachzulesen« oder »sagt mein Professor Stieglitz in der Tetralogie« kennzeichnen seine Rede. In sein opus summum hat der kanonisierte Autor sein umfassendes Wissen, »die ganze Kulturgeschichte«, eingearbeitet. Er schreibt seinem Werk einen hohen »Distinktionswert« zu, weil nur wenige Rezipienten fähig sind, es in seiner Komplexität zu verstehen. Der ihn besuchenden Doktorandin Fräulein Werdenfels erklärt er etwa: Man »versteht das Edgarkapitel natürlich nur / wenn man Knossos versteht / aber nur wenn man zu meinen Schlüssen gekommen ist / nicht zu den Schlüssen von Sir Evans«. Sich als souveränes Dichtergenie präsentierend, favorisiert Meister die Epik, »obwohl er jede Dichtform beherrscht«. Seine Frau bezeichnet ihn als »Lyriker Epiker Philosoph Naturgeschichtsphilosoph«, hebt aber hervor, dass ihr Mann die Dramatik für »eine schäbige gemeine Kunst« hält. Wie dargelegt (vgl. Kap. ...), können die verschiedenen literarischen Gattungen im Hinblick auf ihre wirtschaftliche Verwertbarkeit hierarchisiert werden. Während Bühnenautoren in der Lage sind, mit ihren Stücken verhältnismäßig hohe finanzielle Honorare zu erwirtschaften, können Lyriker in der Regel nur geringe materielle Erträge, dafür aber hohe symbolische Anerkennung erwerben. Vor diesem Hintergrund ist Meisters Abneigung gegen die Dramatik zu verstehen. Der Dichter positioniert sich am autonomen Pol des kulturellen Feldes und negiert alle ökonomischen Interessen. Während er die Bühne »haßt«, gibt er der Musik vor allen anderen Künsten den Vorzug. So konstatiert er: »Aber vornehmlich hatte mich ja die Musik beschäftigt / zuerst die Musik dann erst die Literatur«. Meisters Affinität zur Komposition manifestiert sich in seinen Werken. Laut seiner Frau merkt man »jeder Zeile« seiner Tetralogie an, »daß er ein hochmusikalischer Mensch ist«, und Meister selbst weist darauf hin: »Das Edgarkapitel hat etwas mit Beethovens Fünfter zu tun / das Robertkapitel mit Schönbergs Moses und Aron«. Im Unterschied zum Theater verkörpert die Musik »die am meisten vergeistigte aller Geisteskünste«, weil sie den höchsten Grad an Autonomie besitzt.
Ebd., S. , . Ebd., S. . Bourdieu: Die feinen Unterschiede, S. . Bernhard: Über allen Gipfeln ist Ruh, S. ; Sir Arthur Evans (. . –. . ) ist ein britischer Archäologe, der durch die Entdeckung des minoischen Palastes in Knossos auf Kreta berühmt geworden ist. Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Bourdieu: Die feinen Unterschiede, S. f.
Die Musik ist die ›reine‹ Kunst schlechthin – sie sagt nichts aus, und sie hat nichts zu sagen. In diesem letztendlichen Fehlen einer wirklichen Ausdrucksfunktion liegt ihr Gegensatz zum Theater, das noch in seinen am stärksten gereinigten Versionen Träger einer sozialen Botschaft bleibt, und nur auf der Grundlage einer unmittelbaren, tiefverwurzelten Übereinstimmung mit den Werten und Erwartungen des Publikums ›ankommt‹.
Mit seiner Wertschätzung der Musik und seiner Ablehnung der Dramatik präsentiert sich Meister als selbstbestimmter Künstler, der weder nach weltlichem Erfolg strebt noch Zugeständnisse an die ästhetischen Vorlieben des ›breiten Publikums‹ macht. Um die im »Feld bestehende Ordnung [zu] verteidigen« und um sich als Ausnahmetalent zu behaupten, diskreditiert er die schriftstellerische Konkurrenz – die ›jungen‹ Anwärter im Subfeld der eingeschränkten Produktion. Dazu stilisiert er das »Erlebnis des Krieges« zum »fundamentale[n] Erlebnis des deutschen Mannes« und betont, dass die Schöpfung substantieller Artefakte ohne diese prägende Erfahrung nicht möglich sei: Der Tod das Todeserlebnis das ist Reife / sehen Sie sich diese jungen Schriftsteller an / lauter unendlich begabte junge Leute / die mit der leichtesten Feder schreiben / die so unendlich viel schreiben heute / […] wenn sie um die zwanzig sind und um die dreißig / aber sie haben alle nichts erlebt / was sie schreiben zerfällt dem Leser während er es liest / es ist nichts weil es keine Geschichte ist / […] weil das Todeserlebnis fehlt / […] weil das Fundament einfach nicht da ist nicht da sein kann […].
Die ästhetische Produktion ›reiner‹ Kunst bleibt für Meister der Kriegsgeneration vorbehalten. Seine Abgrenzung von den »Neulingen« im Literaturbetrieb, die sich über den Bruch mit etablierten Positionen als Künstler durchzusetzen suchen, zeigt sich ferner in seiner Orientierung an der kanonisierten Kunst. Er lebt »ein Leben in Goethe«. Anstatt wie die Avantgarde einen eigenwilligen künstlerischen Stil zu entwickeln, favorisiert er die lyrische Form des Sonetts und findet dabei »immer den richtigen Reim«. Auch seine Tetralogie folgt nicht dem »Diktat des Neuen«. Dafür spricht, dass Frau Meister das magnum opus ihres Mannes als »echtes deutsches Buch« bezeichnet, »wie es keines mehr seit Thomas Mann gegeben hat / von solcher Geschlossenheit / und in einer ganz ruhig fließenden Sprache«. Sie betont nicht den
Ebd., S. . Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. . Bernhard: Über allen Gipfeln ist Ruh, S. . Ebd., S. f. Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. . Bernhard: Über allen Gipfeln ist Ruh, S. . Ebd., S. . Groys: Über das Neue, S. . Bernhard: Über allen Gipfeln ist Ruh, S. .
Innovationswert und die Singularität, sondern die Traditionsgebundenheit des Werks. Im Stückverlauf wird Meisters posture als realitätsferne Selbststilisierung dekuvriert. Das kommt in den paradoxen Äußerungen der Eheleute und in der Diskrepanz zwischen ihren Worten und Taten zum Ausdruck. Im Gespräch mit Fräulein Werdenfels behauptet Frau Meister, sie und ihr Mann seien vor zwei Jahren in Mexiko auf einer Bildungsreise gewesen, auf die sie sich »jahrelang« vorbereitet hätten. Als der Verleger in der letzten Szene davon spricht, eine Mexikoreise zu planen, muss Meister jedoch einräumen: »Die lateinamerikanische Geschichte / ist mir natürlich nicht so vertraut«. Widersprüchlich ist auch Meisters Haltung zu materiellen Werten. Während Frau Meister die ›anspruchslose‹ und ›genügsame‹ Lebensführung ihres Mannes rühmt, lässt sich dieser erst überzeugen, eine Lesereise nach München anzutreten, nachdem er weiß, dass sein Vortrag mit »dreitausend Mark« honoriert wird. Auch in dem Verhältnis des Ehepaars zu seinem sozialen Umfeld zeigt sich, dass Meisters posture reine Pose ist. Im Gespräch betont Frau Meister: »Hier leben so reizende Menschen / wir vertragen uns mit allen / vor allem mit den einfachen Leuten«. Zu diesen ›simplen‹ Menschen zählen der Briefträger Smirnoff und die Hausgehilfin Herta. Beide Figuren treten im Stückverlauf aber nicht in Dialog mit dem Ehepaar, sondern sind bis auf jeweils eine Replik als stumme Rollen konzipiert. Sie dienen der Familie Meister als Staffage, um sich ihren Besuchern volksnah präsentieren zu können. Beide Eheleute legen, im Gegensatz zu ihren Proklamationen, großen Wert darauf, sich von ihrem sozialen Umfeld abzugrenzen, so etwa in der fünften Szene, in der Frau Meister der Doktorandin versichert, »ein ganz ungebrochenes Verhältnis / zu den einfachen Leuten« zu haben, ihre Hausgehilfin aber nicht bittet, sich zu ihr und den Gästen in den Garten zu setzen. Stattdessen hat Herta im Haus zu warten, um nach einem Klingelzeichen das Dessert aufzutragen. Auch im Gespräch mit Herrn von Wegener wird Meisters posture als Selbststilisierung entlarvt. Dem Kritiker
Dass sich die Anwärter im kulturellen Feld an der avantgardistischen Kunst ihrer Zeit orientieren, während die »Traditionalisten oder Konservative[n]« nur »Zeitgenossen […] in der Vergangenheit« anerkennen, ist für Bourdieu ein spezifisches Merkmal des literarischen Feldes (Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. ). Bernhard: Über allen Gipfeln ist Ruh, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Beide Figuren werden nicht in das Gespräch des Ehepaars Meister mit seinen Bewunderern einbezogen. Die einzige Replik des Briefträgers ist seine Antwort »Jaja« auf Frau Meisters rhetorische Frage, ob er sich wie ein Deutscher fühle. Im Gegensatz dazu will die Hausgehilfin Herta wissen: »Wann kann das Dessert aufgetragen werden Frau Professor« (ebd., S. , ). Ebd., S. .
berichtet der Autor, er habe sich über den Bruch mit den geltenden ästhetischen Idealen einen Namen gemacht, und fordert ihn auf: [S]chreiben Sie ruhig daß ich ganz revolutionär begonnen habe / mit wütender Stimme gegen die Verhältnisse in unserem Lande / […] aufsässig arrogant anmaßend revolutionär / Die Anfangsphase / die Auflehnung gegen das Bestehende / […] nicht nur in der Politik was den Staat betrifft / auch was die Kunst betrifft / insbesondere die Literatur […].
Aus Meisters Äußerungen geht jedoch hervor, dass er zu Beginn seiner Karriere keine politisch oder sozial engagierte Dichtung, sondern ausschließlich Naturlyrik wie den »Sonettenzyklus über die Schafgarbe« oder »[g]anze Zyklen über die Sauerkirsche« verfasst hat. Im Unterschied zu seinen apolitischen Anfängen hat er sich entschieden, in der Tetralogie »ein echtes Judenschicksal«, die Lebensgeschichte des jüdischen Kaufmanns Stieglitz zur Zeit des Nationalsozialismus, zu schildern. Allerdings entpuppt sich der kanonisierte Autor selbst als Antisemit. Er wohnt in dem Haus eines vertriebenen Juden, dessen Villa ihm von der Stadt als kostenfreie Bleibe zur Verfügung gestellt worden ist. Die Flucht des Hauserbauers ins Exil kommentiert er mit den Worten: Das Judenproblem ist ja doch immer ein furchtbares Problem / es wird sich nicht lösen lassen / Die Juden sind auch selbst an vielem schuld / […] es hat natürlich sehr viele gegeben / die ihre Ausrottung direkt heraufbeschworen haben / […] die Deutschen und die Juden werden immer ineinander verhaßt sein […].
Meisters Selbstpräsentation als universell gebildeter deutscher Dichter dient der Distinktion. Er zählt sich zum »kulturellen Adel«, der sich – im Gegensatz zum Gros der Bevölkerung – durch Kunst und Wissenschaft »sublimierte, raffinierte, interesselose, zweckfreie, distinguierte, dem Profanen auf ewig untersagte Vergnügungen zu verschaffen« weiß. Das Bestreben des Ehepaars, sich von der breiten Masse abzugrenzen, kommt bereits in der ersten Szene zum Ausdruck, in der Frau Meister bekennt: »Reisen bildet […] / die gute Gesellschaft ist gut gereist / und hat sich auf alle diese Reisen gut vorbereitet / nicht wie der Pöbel«. Meisters Distinktionswille offenbart sich auch in seiner Publikationsstrategie. Er veröffentlicht seine Manuskripte bei einem »Verleger […] der nur die größten und die bedeutendsten Dichter / und Schriftsteller verlegt hat […] / immer die besten unter den deutschen Schreibenden / und die weltberühmtesten aus Frankreich und England«. Indem Meister einen
Ebd., S. . Ebd., S. , . Ebd., S. . Ebd., S. f. Bourdieu: Die feinen Unterschiede, S. , . Bernhard: Über allen Gipfeln ist Ruh, S. . Ebd., S. .
renommierten Verlag wählt, der sich nicht an der Nachfrage orientiert, sondern die »spezifischen Gesetze und Einsätze der ›reinen‹ Produktion« anerkennt, signalisiert er, sich mit seinen Werken an kunst- und kulturinteressierte Leser zu wenden und nicht an materiellen Erträgen, sondern nur an symbolischer Anerkennung interessiert zu sein. Ob sich der konsekrierte Autor mit seiner Tetralogie tatsächlich nur an einen überschaubaren Rezipientenkreis richten will, wird aber fraglich, wenn er sich in der achten Szene wünscht, dass »möglichst viele Köpfe« seine Tetralogie rezipieren.
.. Meisters Vereinnahmung durch die Inhaber kultureller und politischer Macht In seinen Narrationen geriert sich Meister als umfassend gebildetes Universalgenie. Im Stückverlauf wird er jedoch als Künstler entlarvt, dessen ›ästhetischer Sinn‹ als ›Sinn für Distinktion‹ zu werten ist. Der kanonisierte Autor erweist sich als profitgierig und bestrebt, seine herrschende Stellung im Literaturbetrieb zu festigen. Dass er sich dafür von den Inhabern der kulturellen und politischen Macht vereinnahmen lässt, wird im Folgenden zu zeigen sein. ... Meister als ein von der Parteipolitik korrumpierter Künstler Wie erhellt, verortet sich Meister mit seinen Werken am autonomen Pol des kulturellen Feldes. Anstatt sich aber als kritischer intellektueller Schriftsteller für »allgemeine[ ] aufklärerische[ ] Werte« einzusetzen, bemüht er sich um die berufliche Anerkennung der Parteipolitiker, die im Feld der Macht über »das Kapital […] verfügen, das dazu erforderlich ist, dominierende Positionen in den unterschiedlichen Feldern (insbesondere dem ökonomischen und dem kulturellen)« zu besetzen. Während die Staatsmänner von Meisters Prestige profitieren, kommt der konsekrierte Autor in den Genuss weltlicher Ehren. Die »Austauschbeziehung[ ] zwischen den Mächtigen und de[m] konformistischsten oder arriviertesten Schriftsteller[ ]« kommt in den Ausführungen von Frau Meister zum Ausdruck, die Fräulein Werdenfels erläutert:
Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. . Bernhard: Über allen Gipfeln ist Ruh, S. . Georg Jäger: Der Schriftsteller als Intellektueller. Ein Problemaufriß. In: Sven Hanuschek / Therese Hörnigk / Christine Malende (Hg.): Schriftsteller als Intellektuelle. Politik und Literatur im Kalten Krieg. Tübingen , S. –, hier S. . Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. . Ebd., S. .
Wir zahlen hier nichts keine Miete / Die Stadt schätzt sich glücklich / einen berühmten Mann wie meinen Mann hier zu haben / aber wir zeigen uns natürlich erkenntlich / wir geben den Armen den Einfachen / Schon Monate vor dem Weihnachtsfest nähe ich kleine Jäckchen / für die alten Leute im Altersheim / und zu Weihnachten verfaßt mein Mann jedes Jahr ein Gedicht das am Heiligen Abend im Rathausfestsaal vorgelesen wird […].
Die Durchdringung von Kunst und Politik zeigt sich auch in der sechsten Szene, in der die Künstlergattin ihren Mann darüber informiert, dass sie die Einladung des Bürgermeisters zur Taufe von dessen Sohn angenommen hat. Die vor kurzem getroffene Entscheidung des Gemeinderats, eine Straße nach Meister zu benennen, erscheint vor diesem Hintergrund als private Gefälligkeit des Gemeindevorstehers. Auch der enge Kontakt des Dichters zum Bundespräsidenten, der ihn seit der Publikation seines Germaniaromans für den »bedeutendsten Dichter deutscher Zunge« hält, spricht für Meisters Bündnis mit den Repräsentanten der politischen Macht. Die beiden Eheleute sprechen wiederholt von dem Staatsmann, der zusammen mit Meister in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung gewählt worden ist. Dabei nennen sie ihn nicht namentlich, sondern sprechen von ihm in seiner Funktion als Amtsträger. Ihr Interesse gilt nicht dem Individuum, sondern dem Politiker, von dessen beruflicher (Macht-)Position und von dessen ›Einkommen an Beachtung‹ sie zu profitieren hoffen. Im Handlungsverlauf wird deutlich, dass sich Meister im Subfeld der eingeschränkten Produktion zu positionieren sucht, sich aber nicht am »internen«, sondern am »Prinzip der externen Hierarchisierung« orientiert. Er gibt vor, an »ökonomischen und politischen Profiten« nicht interessiert zu sein, strebt aber nach weltlichen Konsekrationszeichen. Diesen inneren Widerspruch bringt Frau Meister zur Sprache, wenn sie erläutert: Mein Mann verabscheut Publizität / aber andererseits entzieht er sich doch ihrer nicht / er haßt Empfänge / aber er geht doch immer wieder hin / er mag Vorlesungen nicht er sträubt sich mit Haut und Haaren / aber er absolviert sie doch / […] Es liegt ihm nichts an Geld / aber er verdammt es auch nicht / tatsächlich liegt ihm auch nichts am Erfolg / aber er läuft ihm nicht davon […].
Bernhard: Über allen Gipfeln ist Ruh, S. . Ebd., S. . Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. . Ebd., S. . Bernhard: Über allen Gipfeln ist Ruh, S. f.
... Meister als ein vom Literaturbetrieb vereinnahmter Künstler Meisters exponierte Position im Literaturbetrieb ist nicht zuletzt auf seine engen Kontakte zur herrschenden Regierung zurückzuführen. Es vergeht kein Tag, an dem der »bedeutendste Romancier in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts« »nicht in der Zeitung« steht. Der kanonisierte Autor ist bereits mit diversen Preisen ausgezeichnet worden, etwa mit dem Wilhelm-Raabe-Preis oder dem »päpstlichen Sylvesterorden«. Da ein im Stückverlauf eintreffender Brief aus Stockholm nicht geöffnet wird, bleibt unklar, ob ihm auch der Nobelpreis für Literatur zugesprochen worden ist. Durch die ihm zuteil werdende berufliche Wertschätzung betrachtet sich Meister als »Weltverfüger«, der die schriftstellerische Konkurrenz »zuerst eingeholt und dann überflügelt« hat. Im Stückverlauf wird aber deutlich, dass er nicht souverän agiert, sondern sich von seinen Lesern, der Literaturkritik, seinem Verleger und seiner Frau abhängig macht. Meisters Orientierung an seinen Rezipienten steht im Gegensatz zu seiner Selbststilisierung als einsamer, ›über allen Gipfeln‹ lebender Autor und offenbart sich in der dritten Szene. Hier berichtet Frau Meister den Anwesenden, dass ihr Mann täglich »nach dem Mittagessen« seine Bücher signiert, weil man »die treuen Leser nicht enttäuschen« dürfe. Schließlich sei ein Schriftsteller »nichts« ohne sein Publikum. Um weitere Leserkreise zu erschließen und um seine Einkünfte zu steigern, hat sie für ihren Mann eine zwei Monate dauernde Lesereise »in siebenundvierzig Städte« von »Flensburg bis Berchtesgaden« organisiert. Meisters fehlende Autonomie zeigt sich auch in seinen Reflexionen über die audiovisuellen und die Printmedien. Dem Kritiker der ›Frankfurter Allgemeinen Zeitung‹ gesteht er: »Tatsächlich sind die Zeitungen mein Schicksal / gäbe es die Zeitung nicht ich existierte gar nicht / das kann wohl jeder Schriftsteller von sich sagen«. Der Autor weiß um die Notwendigkeit der medialen Berichterstattung, um sich im Literaturbetrieb zu behaupten. Erst durch die ihm zuteil werdende öffentliche Beachtung kann er es zu »Macht und Bedeutung bringen« und muss sich nicht mit einer »Existenz am unbedeutenden Rand des Geschehens« zufrieden geben. Frau Meister misst den Massenmedien
Ebd., S. , . Ebd., S. . Ebd., S. , . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. f. Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit, S. . Georg Franck: Mentaler Kapitalismus. Eine politische Ökonomie des Geistes. München, Wien , S. .
für die Künstlerkarriere ihres Mannes ebenfalls große Bedeutung bei, beklagt aber, dass diese nicht die Realität abbilden, sondern eine eigene Wirklichkeit konstruieren. So beschwert sie sich, dass ein Essay ihres Mannes in der ›Neuen Zürcher Zeitung‹ gekürzt und somit »verstümmelt« abgedruckt worden ist. Da jede Zeitung das publiziert, »was sie will und wie sie es will«, ist die Gefahr groß, dass eingereichte Beiträge ästhetisch oder inhaltlich entstellt werden. Die Kritik der Künstlergattin gilt ferner der Darstellung ihres Mannes in den Medien. In den Feuilletons werde er als »Düstermann« charakterisiert, obwohl »niemand so lustig« sei wie er, und Meister selbst klagt: »Sie wollen einen düsteren haben / also muß ich der düstere sein / […] Das Dargestellte ist eine Fälschung«. Auch die Oberflächlichkeit der Literaturkritik prangert das Ehepaar an. Herrn von Wegener macht der kanonisierte Autor deutlich: »[M]it den Kritikern in Deutschland ist es eine fatale Sache / Sie loben und sie verdammen / und sie wissen niemals was sie loben / und was sie verdammen / sie haben keine Ahnung von ihrem Gegenstand«. Trotz ihrer Abneigung gegen die Literaturkritik wissen die Eheleute um die Abhängigkeit des Künstlers von dieser Definitionsmacht. Da die Rezensenten »schon viele Genies vernichtet« haben, schätzt sich Meister glücklich, dass seine Werke in den Feuilletons immer positiv besprochen werden, und Frau Meister nimmt lieber in Kauf, dass die Beiträge ihres Mannes in den Zeitungen gekürzt abgedruckt werden, bevor sie gar nicht publiziert werden. Meisters fehlende Souveränität manifestiert sich des Weiteren in seiner Beziehung zu seinem Verleger. Aus literatursoziologischer Perspektive lassen sich kommerzielle Unternehmen von Betrieben, die auf die Akkumulation symbolischer Gewinne zielen, unterscheiden. Die Verlage »mit kurzem Produktionszyklus« orientieren sich an der Nachfrage der Rezipienten und verfügen »über Kommerzialisierungsnetze und Verfahren der Verkaufsförderung (Werbung, Öffentlichkeitsarbeit usw.)«, die die Erwirtschaftung großer finanzieller Erträge in möglichst kurzer Zeit gewährleisten sollen. Dort publizieren
Zu den audiovisuellen Medien, die die Realität nicht abbilden, sondern konstruieren, vgl. Kap. ..; vgl. außerdem Bourdieus Vorträge ›Über das Fernsehen‹, in denen er konstatiert: »[D]as Fernsehen, das die Wirklichkeit wiederzugeben behauptet, wurde ein Instrument zur Schaffung von Wirklichkeit; aus dem Be-schreiben der sozialen Welt durch das Fernsehen wird ein Vor-schreiben. Das Fernsehen entscheidet zunehmend darüber, wer und was sozial und politisch existiert.« (Bourdieu: Über das Fernsehen, S. ). Bernhard: Über allen Gipfeln ist Ruh, S. . Ebd., S. . Ebd., S. , . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. .
Journalisten, die ihre gewöhnliche Tätigkeit in Schriften zu ›aktuellen Themen‹ fortsetzen, ›bekannte Persönlichkeiten‹, die in Essays oder autobiographischen Erzählungen und Berichten ›Zeugnis‹ ablegen, professionelle Schreiber schließlich, die sich dem Regelkanon einer erprobten Ästhetik beugen (›preisverdächtige‹ Literatur, Erfolgsromane, Bestseller usw.).
Im Gegensatz dazu akzeptieren die Unternehmen »mit langen Produktionszyklen« die »spezifischen Gesetze des Kunsthandels«: Mangels eines Marktes in der Gegenwart ist diese gänzlich der Zukunft zugewandte Produktion darauf bedacht, sich einen Lagerbestand an Produkten anzuschaffen, die freilich immer der Gefahr ausgesetzt sind, in den Stand stofflich-materieller Gegenstände zurückzufallen (und als solche, etwa nach Papiergewicht, taxiert zu werden).
Meister stellt seinen Verleger als Kopf eines Unternehmens mit ›langem Produktionszyklus‹ vor, der nicht nach ökonomischen Gewinnen, sondern nach symbolischer Anerkennung strebt. Er hat nur die internationalen »Geistesspitzen« unter Vertrag und besitzt laut Meister einen »unglaubliche[n] Kunstverstand«. Da er den noch unbekannten Autor entdeckt und gefördert hat, weiß Meister: »Meinem Verleger danke ich tatsächlich / einen Großteil meiner Berühmtheit«. Im Gespräch mit dem Autor spricht der Verleger jedoch ausschließlich über seine Geschäftsinteressen. Er berichtet zufrieden, dass Meisters Bilanz »ausgeglichen« sei, weil er Exemplare seines Germaniaromans abgesetzt habe, und dass er plane, mit der Publikation der Tetralogie an diesen Erfolg anzuknüpfen. Meisters Werk soll weltweit und »in einer großen Auflage« von mindestens »hunderttausend Exemplaren« publiziert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, verpflichtet er den Schriftsteller zu Vorträgen – etwa auf der Akademietagung oder an der Sorbonne – und zu Autorenlesungen. Er fordert: Wenn die Tetralogie auf dem Markt ist / werden Sie um ein paar Vorlesungen auch in Berlin / nicht herumkommen / das ist notwendig daß sich der Autor zeigt / das Publikum hat ein Recht auf den Autor / es muß ihn von Zeit zu Zeit zu Gesicht bekommen […].
Ebd., S. . Ebd., S. . Zur Korrelation zwischen Autor, Werk, Verlag und Rezeption vgl. auch York-Gothart Mix: Der Text und seine Medialisierung. Literatur- und Buchwissenschaft im Kontext der postmodernen Theoriediskussion. In: Weimarer Beiträge, (), H. , S. –, hier S. f. Bernhard: Über allen Gipfeln ist Ruh, S. , . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
Um die strategische Vermarktung von Meisters Artefakten zu optimieren, verlangt der Verleger ferner, dass der Dichter Zugeständnisse an die Wünsche des ›breiten Publikums‹ macht. Mit dem Hinweis darauf, dass er an dessen »Aufnahme in die Akademie« für Sprache und Dichtung nicht »unbeteiligt« gewesen sei, fordert er von dem die dramatische Gattung ablehnenden Autor ein Stück zu verfassen, das »an einer ersten Bühne / mit den besten Schauspielern« inszeniert werden soll. Unmissverständlich weist er ihn darauf hin: »[V]on selbst ist nichts«. Meisters Vereinnahmung durch seinen Verleger zeigt sich auch darin, dass dieser die auktoriale posture seines Autors nicht anerkennt. Wie erhellt (vgl. ..), lebt Meister »ein Leben in Goethe«, während er den von den Engländern favorisierten »rätselhafte[n]« Shakespeare ablehnt. Sein Verleger rückt ihn aber in die antiklassische Tradition, wenn er behauptet: »Ich glaube Sie sind ein Mann für England / das englische Wesen entspricht Ihnen« oder: Sie sind absolut eine Ibsen- oder Strindberggröße / wenn nicht noch viel höher als diese beiden einzuschätzen / was Strindberg auf dem Gebiet des Dramas / sind Sie was die Prosa betrifft / nicht im goethischen Sinne / ein Strindberg der Prosa […].
Dass der Verleger die Interessen seines Autors ignoriert, kommt zudem in der rücksichtslosen Durchsetzung seines Vorhabens zum Ausdruck, mit Meister und seiner Frau nach England reisen zu wollen, obwohl der Dichter einwendet, im Ausland nicht künstlerisch produktiv sein zu können. Anstatt sich mit den Bedenken des Schriftstellers auseinanderzusetzen, besteht der Unternehmer auf der gemeinsamen Reise. Er behauptet: »Sie sind ein Mann für England« und brüstet sich damit, »darauf zu achten daß er seine Autoren dahin bringt / wo sie schöpferisch werden«. Wie von seinem Verleger lässt sich Meister auch von seiner Gattin vereinnahmen. Seitdem Anne Meister ihre international erfolgreiche Karriere als Klaviersolistin aufgegeben hat, fungiert sie als ›Managerin‹ ihres Mannes. Sie liest ihm täglich »vier bis acht Seiten« aus seiner Dichtung vor, sichtet und beantwortet seine Post, organisiert Autorenlesungen und unterschreibt die jeweiligen Verträge, ohne ihre Entscheidungen mit Meister abzustimmen. Ohne sein Wissen hat sie etwa eine Vorlesungsreise durch Deutschland geplant, denn sie weiß:
Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. .
[M]ein Mann liest ja nicht gerne, das ist die Wahrheit / aber ich bringe ihn schon dazu / schließlich habe ich ihn noch immer dazu gebracht / wenn erst das Feuer im Kamin prasselt / ist er schon weich geworden / Die Männer kann man nur insgeheim / in das Richtige lenken […].
Auch in die Vertragsverhandlungen mit dem Verleger greift Frau Meister ein, wenn sie plant, dem Unternehmer das gerade vollendete Manuskript ihres Mannes vorerst zu verweigern, um das Honorar für die Tetralogie in die Höhe zu treiben. Neben den ›geschäftlichen‹ Angelegenheiten kümmert sie sich um Meisters lebenspraktische Belange, um ihn von allen äußeren Pflichten zu entlasten und ihm einen geregelten Tagesablauf zu ermöglichen. Gerade durch ihre bedingungslose Hingabe dominiert sie den Dichter. Als ›Managerin‹ und geschickte Manipulatorin kann sie den ›Weltverfüger‹ für ihre Interessen instrumentalisieren.
.. ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹ als Manifestation eines Bruchs mit der kanonisierten Avantgarde In seinem Theatertext führt Bernhard einen arrivierten Schriftsteller vor, der sich – wie die verkannten und verfemten Künstlerfiguren im Drama des . Jahrhunderts – als autonomes Dichtergenie präsentiert. Im Stückverlauf wird er jedoch als ein von der Politik korrumpierter und vom Literaturbetrieb vereinnahmter Autor entlarvt. Bernhards Kritik richtet sich gegen die spezifischen Strukturen des Kunst- und Kulturbetriebs – gegen die auf ökonomische Gewinne fixierten Verleger und Autoren, die oberflächliche und verfälschende Berichterstattung der Medien, die Selbststilisierung von primär nach weltlichen Ehren strebenden Autoren zu kritischen Intellektuellen und eine methodologisch wenig fundierte Literaturwissenschaft. Aus feldtheoretischer Perspektive ist die Komödie ferner als Manifestation eines Bruchs mit der kanonisierten Avantgarde zu lesen, wie im Folgenden illustriert wird. ... Bernhards Diskreditierung der kanonisierten Avantgarde Für Bernhards Komödie sind Verweise auf die beiden kanonisierten deutschen Dichter und »Repräsentanten des . und . Jahrhunderts« Goethe und Thomas Mann konstitutiv. Der Bezug auf Goethe manifestiert sich bereits im gewählten Stücktitel ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹, den ersten beiden Verszeilen
Ebd., S. . Joachim Hoell: Der ›literarische Realitätenvermittler‹. Die ›Liegenschaften‹ in Thomas Bernhards Roman ›Auslöschung‹. Berlin , S. .
aus dessen »meistzitierte[m] und meistparodierte[m] Gedicht« ›Wanderers Nachtlied‹ (). Dirk Jürgens und Weiss vertreten außerdem die These, dass Bernhard mit der Namensgebung seines Protagonisten auf den Weimarer Autor rekurriert, denn der »Name Moritz Meister kompiliert die Titelfigur von Goethes […] Wilhelm Meisters Lehrjahre« und »den mit Goethe befreundeten […] Karl Philipp Moritz«. Dadurch werde der Konstruktionscharakter von Meisters Identität und die ihm entgegengebrachte Bewunderung als »Vergötzung, Ideologisierung, als Herstellung einer Kultfigur« bewusst gemacht. Die Anspielungen auf Mann werden hingegen von Barthofer und Mittermayer hervorgehoben. Wie Meister habe auch Mann eine Tetralogie, ›Joseph und seine Brüder‹, verfasst. Außerdem gebe es unverkennbare Parallelen zwischen Meisters opus summum und Manns Spätwerk ›Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull‹. Bernhard verweise auf den Roman – in dem der Protagonist im fünften Kapitel des dritten Buches zusammen mit dem Paläontologieprofessor Kuckuck im Zug durch Portugal reist –, wenn seine Dichterfigur beim Kaffeetrinken erkläre: »Stieglitz ist nur ein Stichwort wie Kuckuck« oder plane, abends die »Unterredung zwischen Stieglitz und Robert im Reisezug durch Portugal« aus seiner Tetralogie vorzulesen. Neben diesen intertextuellen Bezügen weist Meisters posture Ähnlichkeiten zu der von Mann auf. Davon überzeugt, »den deutschen Geist im umfassendsten Sinne zu personifizieren« und mit dem »eigenen Ruhm […] jenen der Nation zu verwalten«, hat sich auch Mann als Goethe-Nachfolger begriffen – sein »Vor-Bild in einem anderen letzten Sinn«, sein »Ur-Bild, das Über-Bild, das eigene Wesen ins Vollkommene projiziert«. Sich an Goethe orientierend, hat er sich neben ästhetischen auch
Weiss: Thomas Bernhard – Peter Handke, S. . Dirk Jürgens: Das Theater Thomas Bernhards. Frankfurt/M. u. a. , S. . Weiss: Thomas Bernhard – Peter Handke, S. , . Bernhard: Über allen Gipfeln ist Ruh, S. , ; zu den intertextuellen Verweisen auf ›Felix Krull‹ vgl. Mittermayer: Thomas Bernhard, S. ; Barthofer: Vorliebe für die Komödie. Marcel Reich-Ranicki: Thomas Mann. In: Marcel Reich-Ranicki: Thomas Mann und die Seinen. Stuttgart , S. –, hier S. . Thomas Mann: [Ansprache bei der Einweihung des erweiterten Goethe-Museums in Frankfurt am Main]. In: Thomas Mann: Gesammelte Werke in dreizehn Bänden. Bd. : Reden und Aufsätze . Frankfurt/M. , S. –, hier S. ; zu Manns Goethe-imitatio vgl. Hinrich Siefken: Thomas Mann. Goethe – ›Ideal der Deutschheit‹. Wiederholte Spiegelungen –. München ; Helmut Koopmann: Aneignungsgeschäfte. Thomas Mann liest Eckermanns Gespräche mit Goethe. In: Eckhard Heftrich / Helmut Koopmann (Hg.): Thomas Mann und seine Quellen. Festschrift für Hans Wysling. Frankfurt/M. , S. –; Hans Wysling: Thomas Manns Goethe-Nachfolge []. In: Hans Wysling: Ausgewählte Aufsätze. –. Hg. von Thomas Sprecher und Cornelia Bernini. Frankfurt/M. , S. –; Klaus Schröter: Thomas Mann. Reinbek bei Hamburg , S. –.
mit naturwissenschaftlichen Fragen auseinandergesetzt, die in sein Werk Eingang gefunden haben. Ob Medizin oder Philosophie, Ägyptologie oder Mythenforschung, Musikwissenschaft oder Paläontologie, Goethe-Philologie oder Nationalökonomie, Indologie oder Psychoanalyse, Evolutionstheorie oder Kosmologie – kaum eine Wissenschaft, in deren Beständen sich Thomas Mann nicht zwecks intellektueller Möblierung seiner Romankapitel umgetan hätte. Dabei las er sich mit hochstaplerischer Lust immer wieder einen Kenntnisstand an, der auch Fachleute verblüffte.
Zwischen Mann und Meister sind ferner Parallelen in Bezug auf ihren Lebensstil festzustellen. So hat sich Katia Mann wie Frau Meister um die geschäftlichen und lebenspraktischen Angelegenheiten ihres Mannes gekümmert, um ihm einen geordneten Tagesablauf zu ermöglichen. Bernhard distanziert sich von Goethe und Mann, indem er einen korrumpierten Künstler vorführt, der die Autoren zu seinen literarischen Vorbildern zählt. Beide Dichter werden auch im Roman ›Auslöschung‹ diskreditiert. Während Goethe von dem Erzähler Murau als »Lebensopportunist[ ]«, als »philosophische[r] Daumenlutscher der Deutschen« und als »verkümmerte[r] Frankfurter Vorstadtdackel« beschimpft wird, wird Mann vorgehalten, »lächerliche Büroliteratur« geschrieben zu haben. Hervorzuheben ist, dass beide Schriftsteller »weniger ästhetisch demontiert als in ihren Rollen als ›Dichterfürst‹ […] und ›kleinbürgerlicher Beamter‹« bloßgestellt werden. Bernhard wirft Goethe und Mann vor, sich »im bürgerlichen Kunst- und Literaturbetrieb […] an exponierter Stelle« etabliert und »die Opposition zur Gesellschaft zugunsten einer Repräsentantenrolle« aufgegeben zu haben. Beide hätten nach einer »beherrschende[n] Position« im kulturellen Feld gestrebt und den »geschäftlichen Erfolg […] anerkannt und akzeptiert, ja ausdrücklich gesucht«. Im Gespräch mit Kurt Hofmann expliziert Bernhard: Wenn Sie heute eine Zeitung aufmachen, lesen Sie fast nur irgendwas vom Thomas Mann. Jetzt ist der schon dreißig Jahre tot, und immer wieder, ununterbrochen, das ist
Wolfgang Schneider: Parvenü der Erkenntnis. Thomas Mann und die Naturwissenschaften. Ein geistiger Hochstapler verblüfft durch die Kunst des höheren Abschreibens. In: Literaturen. Das Journal für Bücher und Themen (), H. /, S. –, hier S. ; zur Naturwissenschaft bei Thomas Mann vgl. auch Malte Herwig: Bildungsbürger auf Abwegen. Naturwissenschaft im Werk Thomas Manns. Frankfurt/M. (= Thomas Mann Studien; ). Thomas Bernhard: Auslöschung. Ein Zerfall. Frankfurt/M. , S. , f., . Joachim Hoell: Thomas Bernhard. München , S. . Oliver Jahraus: Die Wiederholung als werkkonstitutives Prinzip im Oeuvre Thomas Bernhards. Frankfurt/M. u. a. , S. . Hoell: Der ›literarische Realitätenvermittler‹, S. ; zu Bernhards Kritik an Goethe und Thomas Mann vgl. Jan Süselbeck: Das Gelächter der Atheisten. Zeitkritik bei Arno Schmidt und Thomas Bernhard. Frankfurt/M. , S. –. Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. , f.
ja nicht zum Aushalten. […] Was der Kerl eigentlich dahergeschrieben hat über die politischen Sachen! Das war völlig verkrampft und ein typischer deutscher Kleinbürger. Mit einer geldgierigen Frau. Das ist für mich diese deutsche Schriftstellermischung. Immer Frauen gehabt im Hintergrund, ob das der Mann ist oder der Zuckmayer. Die haben immer geschaut, daß sie neben dem Staatspräsidenten sitzen, bei jeder blöden Plastikausstellung und Brückeneröffnung. Was haben Schriftsteller dort zu suchen? Das sind die Leute, die immer mit dem Staat und den Mächtigen packeln und entweder links oder rechts davon sitzen. Der typische deutschsprachige Schriftsteller. […] Und der Kaffee, den sie in der Früh trinken, ist vom Staat bezahlt […] und der Urlaub, den sie verbringen, auch. Das zahlt alles der jeweilige Staat. Da ist ja nichts Eigenes mehr.
Günther Grack und Wolfgang Hammer vertreten die These, dass sich Bernhard in seinem Künstlerdrama nicht nur gegen Mann und Goethe, sondern auch gegen Ernst Jünger richtet. Grack erläutert: Am meisten hat Meister von Ernst Jünger: mit ihm teilt er das Bekenntnis zu dem ›Erlebnis des Krieges‹ als dem ›fundamentalen Erlebnis des deutschen Mannes‹, mit ihm teilt er die weltweitgespannten naturwissenschaftlich-geistesgeschichtlichen Interessen, mit ihm teilt er, als Bienenzüchter, die Beschäftigung mit der Insektenkunde, und daß er seine Gedichtsammlung ›Nachtfalters Ende‹ ›bei Klett herausgegeben‹ hat, also in Jüngers Verlag, ist wohl auch kein Zufall.
Im Gegensatz dazu sehen Friedrich Weigend und Manfred Seiler Parallelen zu Gerhart Hauptmann. Weiss glaubt dagegen, dass Bernhard auf Handke rekurriert, ausgehend von der Figur des Verlegers, die davon spricht, dass es neben Meister noch einen anderen Dichter gebe, der »augenblicklich die Welt beherrsche[ ]«: Blickt man von hier aus auf mögliche Kontexte, dann stößt man auf folgende auffallende Entsprechungen: Thomas Bernhard und Peter Handke sind zwei herausragende deutschsprachige Dichter, die als Österreicher und neuerdings nicht allzuweit voneinander entfernt Wohnende fast nicht aneinander vorbei können. Sie haben beide denselben bzw. dieselben Verleger.
Ob sich Bernhard neben Goethe und Mann vornehmlich gegen Hauptmann, Jünger und Handke richtet, lässt sich nur mutmaßen. Seine Kritik gilt jedem deutschsprachigen Autor, der seine geistige Autonomie zugunsten weltlicher
Kurt Hofmann: Aus Gesprächen mit Thomas Bernhard. München , S. ff. Günther Grack: Sehr nette Ungeheuer. ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹ von Thomas Bernhard in der Freien Volksbühne. In: Der Tagesspiegel vom . . , S. ; vgl. auch Wolfgang Hammer: Meisters Scherzlied. In: Frankfurter Rundschau vom . . , S. . Vgl. Friedrich Weigend: Schattenkampf gegen einen Popanz. Uraufführung ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹ von Thomas Bernhard. In: Der Tagesspiegel vom . . , S. ; Manfred Seiler: Der Wille, nicht einfach abtreten zu müssen. In: Frankfurter Rundschau vom . . , S. . Bernhard: Über allen Gipfeln ist Ruh, S. . Weiss: Thomas Bernhard – Peter Handke, S. f.
Erfolge aufgegeben hat. Dabei dienen ihm Goethe und Mann als »modellhafte Bezugsfiguren«. Bernhards Wille, sich von der kanonisierten Avantgarde seiner Zeit abzugrenzen, kommt nicht nur in seinem Theatertext, sondern auch in seiner auktorialen posture zum Ausdruck. Seit seinen literarischen Anfängen geriert er sich als unabhängiger »Einzelgänger der zeitgenössischen Literatur«. Zurückgezogen »in seinem oberösterreichischen Gehäus« in Ohlsdorf lebend, reagiert er weder auf postalische Anfragen noch unterhält er eine »Telephonverbindung mit der Außenwelt«. »Die Schwierigkeit, dem Dichter Thomas Bernhard einen Besuch abzustatten«, ist von Journalisten vielfach beschrieben und von dem Autor selbst in Interviews wiederholt thematisiert worden. André Müller erklärt er etwa: Ich will ja gar keinen Kontakt. Wann hab’ ich jemals einen Kontakt wollen? Im Gegenteil, ich hab’ es immer abgelehnt, wenn jemand das wollte. Briefe schmeiß’ ich sowieso weg, weil es schon rein technisch nicht möglich ist, sich darauf einzulassen, sonst müßte ich es so machen wie diese Sau-Schriftsteller, die sich zwei Sekretärinnen halten und alles beantworten und jedem Arschloch hinten hineinkriechen mit einem Brieferl.
Mit seinem Lebensstil dokumentiert Bernhard seine kritische Distanz zu den Repräsentanten politischer und kultureller Macht. Im Gespräch mit Krista Fleischmann betont er außerdem, dass er die private Autonomie für unabdingbar hält, um ›reine‹ Kunst zu schaffen: Ich war immer ein freier Mensch […]. Nur wer wirklich unabhängig ist, kann im Grunde wirklich gut schreiben. Weil wenn Sie abhängig sind von irgend’was, wird man das in jedem Satz spüren. Die Abhängigkeit lähmt jeden Satz, den Sie hinschreiben. So gibt’s lauter lahme Sätze, lauter lahme Seiten, lauter lahme Bücher, weil die Leute einfach abhängig sind: Eine Ehefrau, eine Familie, drei Kinder, Geschiedene, ein Staat, eine Firma, eine Versicherung, der Chef.
Barthofer: Vorliebe für die Komödie, S. . Erich Böhme / Hellmuth Karasek: ›Ich könnte auf dem Papier jemand umbringen‹. Der Schriftsteller Thomas Bernhard über Wirkung und Öffentlichkeit seiner Texte. In: Der Spiegel, (), H. , S. –, hier S. . Fritz Rumler: Alpen-Beckett und Menschenfeind. S-Reporter Fritz Rumler über den Schriftsteller Thomas Bernhard. In: Der Spiegel, (), H. , S. . Böhme / Karasek: ›Ich könnte auf dem Papier jemand umbringen‹, S. . Hermann Burger: Eine Verzweiflung zum Lachen. Die Schwierigkeit, dem Dichter Thomas Bernhard einen Besuch abzustatten. In: Sepp Dreissinger (Hg.): Thomas Bernhard. Portraits, Bilder & Texte. Weitra , S. –. Vgl. ebd; André Müller: Thomas Bernhard []. In: Ebd., S. –; Hofmann: Aus Gesprächen mit Thomas Bernhard, S. –. André Müller im Gespräch mit Thomas Bernhard. Weitra , S. . Thomas Bernhard – eine Begegnung. Gespräche mit Krista Fleischmann. Wien , S. f.
Als souveräner Dichter präsentiert sich Bernhard auch in seinen Reden und Leserbriefen. Wie in seinen literarischen Werken, in denen »reale Personen und Institutionen vor den Richterstuhl eines aburteilenden Ichs gezerrt werden«, provoziert er in seinen Scheltreden durch einen »aggressiven, totalisierenden Stil«, in dem er gegen »die Kirche, den Staat, die Justiz, die Sozialistische Partei […], einzelne Berufe« oder konkrete Personen wettert. Zwei Jahre vor Erscheinen seines Künstlerdramas sorgt er etwa durch einen Brief an die ›ZEIT‹ für Aufsehen, in dem er den amtierenden österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky als »Abonnementbundeskanzler« und »alternden, selbstgefälligen Staatsclown[ ]« bezeichnet, als »eine Art rührende[n], wenn auch kostspielige[n] Charly Rivel, der nurmehr noch in die eigenen, einmal zündenden, jetzt aber schon lange Zeit faulen Tricks verliebt ist«. In seiner Rezension der erschienenen Festschrift für Kreisky mit Texten von Gerhard Roth und Peter Turrini beschimpft er den Politiker als »Höhensonnenkönig«, »Halbseidensozialist«, »rosarote[n] Beschwichtigungsonkel und Welt-Handleser zwischen Teheran und New York, zwischen Palma und Unterkleinwetzdorf«. Damit löst er eine Flut von Protestbriefen aus. Mit seiner Literaturkritik attackiert Bernhard den Kanzler und implizit die Schriftsteller Roth und Turrini, denen er vorwirft, sich mit der Regierung solidarisiert zu haben. Für einen Skandal sorgt Bernhard auch, als Walter Scheel in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung gewählt wird. Während sich Moritz Meister geehrt fühlt, zusammen mit dem Bundespräsidenten in die Akademie aufgenommen zu werden, nimmt Bernhard Scheels Beitritt zum Anlass, um aus dem Verein auszutreten. In einem offenen Brief an die ›Frankfurter Allgemeine Zeitung‹ erklärt er, dass er Scheel für einen »durchschnittliche[n] und obscure[n] Politiker « halte und befürchte, »daß in nächster Zeit weitere solche durchschnittlichen und obscuren Politiker« in die Akademie »gewählt werden,
Mittermayer: Thomas Bernhard, S. ; zu den Skandalen um Bernhard vgl. u. a. Oliver Bentz: Thomas Bernhard – Dichtung als Skandal. Würzburg ; zu Bernhards Leserbriefen und Scheltreden vgl. Wolfram Bayer: Das Gedruckte und das Tatsächliche. Realität und Fiktion in Bernhards Leserbriefen. In: Wolfram Bayer (Hg.) / Claude Porcell (Mitarb.): Kontinent Bernhard. Zur Thomas-Bernhard-Rezeption in Europa. Wien u. a. , S. –; Jens Dittmar (Hg.): Sehr geschätzte Redaktion. Leserbriefe von und über Thomas Bernhard. Wien ; Wendelin Schmidt-Dengler: Bernhards Scheltreden. Um- und Abwege der Bernhard Rezeption. In: Wendelin Schmidt-Dengler: Der Übertreibungskünstler. Studien zu Thomas Bernhard. Wien , S. –. Thomas Bernhard: Ein Brief an die Z. In: Die Zeit vom . . , S. . Thomas Bernhard: Der pensionierte Salonsozialist. In: profil, (), H. , S. –, hier S. ; vgl. Bruno Kreisky. Fotografiert von Konrad R. Müller. Texte von Gerhard Roth und Peter Turrini. Berlin, Wien .
aus welchem Grund immer«. Unter diesen Umständen sei es ihm »unmöglich (nach annähernd zehn Jahren!)«, seine Mitgliedschaft fortzusetzen. Mit seinem Austritt wendet sich Bernhard gegen Scheel und gegen die schriftstellerische Konkurrenz, die den Beitritt des Politikers in die Akademie kritiklos akzeptiert. Bernhards Bestreben, die kanonisierte Avantgarde seiner Zeit zu diskreditieren, kommt auch in Interviews dezidiert zum Ausdruck. Im Gespräch mit André Müller wirft er etwa allen Büchner-Preisträgern, namentlich Elias Canetti, Max Frisch, Uwe Johnson und Wolfgang Koeppen vor, für »Repräsentationsgeschichten« ihre Unterschriften hergegeben und sich den politischen Machthabern angebiedert zu haben. Er erklärt: [W]enn sie [Canetti, Frisch, Koeppen, Anm. N.B.] wohin fahren können und mit Herrn Scheel mittagessen, dann fahrn sie halt hin, aber ich tu es nicht, weil ich den scheußlich und grauslich finde und seine Frau eine blöde Ziege. Warum soll ich mit denen essen und trinken?
Kurt Hofmann gegenüber verallgemeinert er: Es »gibt ja fast nur opportunistische Schriftsteller. Entweder hängen sie sich rechts an oder links, marschieren dort oder da und so, und davon leben sie. Das ist halt unangenehm. Warum soll man das nicht sagen?« Dass Bernhard sich als intellektueller Schriftsteller präsentiert, der sich von den »Inhabern unterschiedlicher Machttitel (oder Kapitalsorten)« distanziert, zeigt sich ferner in seiner demonstrativen Weigerung, Einladungen oder Preise von künstlerischen Konsekrationsinstanzen anzunehmen. Das gilt auch für den Nobelpreis, den er nach eigener Aussage »gern kriegen« würde, »um ihn dann nicht anzunehmen«. Aus Bernhards Äußerung geht hervor, dass er seinen »offenen Kampf gegen die herrschenden Mächte« strategisch
o.V.: Bernhard tritt aus. Offener Brief an die Akademie für Sprache und Dichtung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom . . , S. . Ebd; vgl. auch Thomas Bernhards Stellungnahme ›Zu meinem Austritt‹ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom . . , S. . André Müller im Gespräch mit Thomas Bernhard, S. . Ebd., S. . Hofmann: Aus Gesprächen mit Thomas Bernhard, S. . Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. . Zu Bernhards Weigerung, Preise anzunehmen vgl. Hofmann: Aus Gesprächen mit Thomas Bernhard; Böhme / Karasek: ›Ich könnte auf dem Papier jemand umbringen‹. Hofmann: Aus Gesprächen mit Thomas Bernhard, S. . Mit seinem Plan, den Nobelpreis nicht annehmen zu wollen, nimmt Bernhard Elfriede Jelineks Medialisierungsstrategie vorweg. Anstatt den ihr verliehenen Nobelpreis für Literatur persönlich entgegenzunehmen, schickte sie der Schwedischen Akademie ihre Preisrede per Video. Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. .
führt. Er gibt vor, an ›profanen‹ Ehrungen nicht interessiert zu sein, will sich als Künstler aber einen Namen machen. Das gelingt ihm in Österreich vor allem durch seine skandalträchtigen Texte, Leserbriefe und Auftritte. In seinen literarischen und nicht-fiktionalen »Stellungnahmen« geriert er sich als unabhängiger, selbstbestimmter Künstler. Dabei verschweigt er seine vierzehnjährige Mitgliedschaft in der Österreichischen Volkspartei genauso wie das zinslose Darlehen des österreichischen Unterrichtsministers, ohne das er seinen Hof in Ohlsdorf nicht hätte erwerben können. Bernhards Wille zur Selbstdarstellung unterscheidet sich nur wenig von der strategischen Selbstpräsentation des von ihm gehassten »philosophischen Kleinbürger[s]« Goethe, wie Christof Siemens und Hans Höller betonen. So schreibt Siemens in der ›ZEIT‹ über Bernhards Domizil in den Voralpen: Hier, in diesem erlesen und streng eingerichteten Zentrum des Ohlsdorfer Gesamtkunstwerks, enthüllt sich, was Bernhard sein wollte: ein anderer Goethe. Dessen Haus in Weimar hat in Obernathal Pate gestanden: Kuhstall und Traktor sind lediglich ironische, aber selbstbewußte Österreichisierungen.
... Bernhards Distanzierung vom eigenen Schriftsteller-Image Wie erläutert, zielt Bernhard darauf, sich als kritischer Schriftsteller von der arrivierten Avantgarde seiner Zeit abzugrenzen. Er wirft dem Gros der deutschsprachigen Autoren vor, sich wie Goethe und Mann zu »Wortführer[n] fremder Interessen« gemacht zu haben. Zugleich macht er den Rezipienten seines Theatertextes den Konstruktionscharakter des eigenen, medial vermittelten Images bewusst. Für Bernhards Künstlerdrama sind Verweise auf kanonisierte Autoren und ihre Werke genauso konstitutiv wie der Rekurs auf die eigene Biographie. So erinnert die Figur des Moritz Meister an Bernhards Großvater, den weitgehend erfolglosen Schriftsteller Johannes Freumbichler. Wie Meister ist Freumbichler von seiner künstlerischen Berufung so überzeugt gewesen, dass er sich täglich ab drei Uhr früh seiner Arbeit gewidmet hat, eine Pferdedecke mit
Bourdieu: Das literarische Feld, S. f. Bernhard ist vom . . –. . Mitglied des Österreichischen Bauernbundes, einer Teilorganisation der ÖVP, gewesen; vgl. Dittmar (Hg.): Sehr geschätzte Redaktion, S. –; zu Bernhards Darlehen vgl. Louis Huguet: Chronologie. Johannes Freumbichler, Thomas Bernhard. Wien , S. ff. Bernhard: Auslöschung, S. . Christof Siemens: Ohlsdorf. Eine Verwirrung. In: Die Zeit vom . . , S. ; vgl. Hans Höller: Thomas Bernhard. Reinbek bei Hamburg , S. f. Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. . Dass Bernhard sich bei der Konzeption seiner männlichen Protagonisten an seinem »Großvater mütterlicherseits« orientiert, hat er in dem Monolog ›Drei Tage‹ betont. In: Thomas Bernhard: Der Italiener. Frankfurt/M. , S. –, hier S. .
einem Ledergurt um den Leib geschnürt. Von seiner Familie forderte er »restlose, bedingungslose Hilfe und Aufopferung«. Unter der ihm fehlenden beruflichen Anerkennung und »materiellen Not« leidend, hat er – wie Meister – unter »seinem Kopfpolster […] eine schußbereite Pistole« aufbewahrt, und er soll wiederholt gedroht haben, sich damit zu erschießen. Neben den Bezügen zu Freumbichler gibt es »biographische Entsprechungen zwischen Bernhard und seinem Dichtergeschöpf«. Wie sein Protagonist hat Bernhard nicht »Sänger« werden können, weil ihm »eine kleine Verkühlung im Halse« den »Traum zunichte« gemacht hat, und wie Meister ist der zurückgezogen lebende Autor in den Medien häufig als »Düstermann« charakterisiert worden, ein Image, mit dem sich weder Verfasser noch Figur identifizieren. In dem Monolog ›Drei Tage‹ bekennt Bernhard: Man wird vorgestellt als ein tragischer, düsterer Dichter, und das geht soweit, daß man in Laudationen auch als solcher vorgestellt wird, in so pseudowissenschaftlichen Arbeiten. Es heißt dann, das ist ein Autor, ein Schriftsteller, der so und so einzuordnen ist, und die Bücher sind düster, die Figuren sind düster und die Landschaft ist düster, also – der Mensch ist auch düster, der jetzt vor uns sitzt. Bei so einer Laudatio bleibt eigentlich gar nichts übrig als irgendein düsterer Klumpen in einem dunklen Anzug […].
Parallelen zwischen Bernhard und seiner Künstlerfigur sind auch im Hinblick auf die ästhetische Konzeption ihrer Artefakte festzustellen. Anton Krättli betont , dass beide Autoren Verfasser von Tetralogien seien, wobei er Bernhards Autobiographie, die erst in fünf Bänden vorliegt, als solche kategorisiert.
Vgl. Thomas Bernhard: Ein Kind. In: Thomas Bernhard: Werke. Bd. : Die Autobiographie. Hg. von Martin Huber und Manfred Mittermayer. Frankfurt/M. , S. –, hier S. . Brief von Johannes Freumbichler an Anna Bernhard, Wien . . . Zitiert nach: Manfred Mittermayer / Peter Karlhuber: Johannes Freumbichler – Thomas Bernhard. Eine Beziehung. In: Manfred Mittermayer (Hg.): Thomas Bernhard, Johannes Freumbichler, Hedwig Stavianicek. Bilder, Dokumente, Essays. Linz (= Die Rampe. Hefte für Literatur – Extra), S. –, hier S. . Bernhard: Ein Kind, S. . Hammer: Meisters Scherzlied. Bernhard: Über allen Gipfeln ist Ruh, S. , . Ebd., S. . Bernhard: Drei Tage, S. . Bis erscheinen ›Die Ursache‹, ›Der Keller‹, ›Der Atem‹ und ›Die Kälte‹. Erst , nach der Publikation von ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹, vollendet Bernhard seine Autobiographie mit ›Ein Kind‹. Im Gegensatz zu Krättli, der Bernhards noch vierbändige Autobiographie als Tetralogie bezeichnet (vgl. Anton Krättli: Komödie oder Tragödie? Zu Thomas Bernhards neuen Theaterstücken. In: Schweizer Monatshefte für Politik, Wirtschaft, Kultur, (), H. /, S. –), vertritt Gerhard Stadelmaier die These, dass es sich bei Bernhards Theatertexten ›Die Macht der Gewohnheit‹, ›Immanuel Kant‹, ›Der Weltverbesserer‹ und ›Minetti‹ um eine Tetralogie handelt, weil in allen vier Stücken ein »denkende[r] Kopf« im Zentrum steht (Stadelmaier: Alles Gute, Meister?, S. ).
Den Werken beider Dichter ist ferner eine »kunstvoll rhythmisierte Sprache von hoher Musikalität« eigen. Auch Meisters Vorsatz, die »Komödie entstehen [zu] lassen aus der Tragödie«, deckt sich mit Bernhards ästhetischen Prämissen. Nach Christian Klug sind die Bühnenstücke des Autors in Bezug auf das entindividualisierte Personal und die »episodische Handlungsstruktur« als Komödien konzipiert. Charakteristisch sei auch die Fülle an »komische[n] und insbesondere typensatirische[n]« Elementen. Im Unterschied zur Verlachkomödie, in der ein normwidriges Subjekt der Lächerlichkeit preisgegeben werde, besäßen die scheiternden Figuren aber Bernhards »heimliche Sympathie«. Zudem erscheine die am Ende wieder hergestellte Norm als negativ. Daher würden »[k]omische Momente […] immer wieder in tragische« umschlagen »und umgekehrt.« Aufgrund der Analogien zwischen Bernhard und seinem Protagonisten vermutet Hellmuth Karasek, dass es sich »bei Meister nicht nur um ein spöttisches Abziehbild, sondern auch um ein gehässiges Selbstporträt« handelt. Wie für die Dichterfigur existieren auch für die anderen dramatis personae reale Vorbilder. So glaubt Gitta Honegger, dass Bernhard mit der Figur der Anne Meister auf seine »treue Gefährtin«, »glühende Bewunderin, Beschützerin und Sprecherin seines Genies« Hedwig Stavianicek rekurriert. Biographische Entsprechungen sind auch zwischen Meisters Gattin und Bernhards Großmutter Anna Bernhard festzustellen, die ihren als Schriftsteller arbeiten
Manfred Mittermayer: Thomas Bernhard. Leben Werk Wirkung. Frankfurt/M. , S. ; zu der Musikalität von Bernhards Sprache vgl. Liesbeth Bloemsaat-Voerknecht: Thomas Bernhard und die Musik. Themenkomplex mit drei Fallstudien und einem musikthematischen Register. Würzburg ; Gudrun Kuhn: ›Ein philosophisch-musikalisch geschulter Sänger‹. Musikästhetische Überlegungen zur Prosa Thomas Bernhards. Würzburg ; Karl Solibakke: Geformte Zeit. Musik als Diskurs und Struktur bei Bachmann und Bernhard. Würzburg ; Claus Peymann: Mündliches Statement zum Thema Thomas Bernhard auf der Bühne. In: Alfred Pittertschatscher / Johann Lachinger (Hg.): Thomas Bernhard, Materialien. Literarisches Kolloquium Linz . Linz , S. –. Bernhard: Über allen Gipfeln ist Ruh, S. . Christian Klug: Thomas Bernhards Theaterstücke. Stuttgart , S. . Ebd., S. . Bernhard Sorg: Thomas Bernhard. In: Gunter E. Grimm / Frank Rainer Max (Hg.): Deutsche Dichter. Leben und Werk deutschsprachiger Autoren. Bd. : Gegenwart. Stuttgart , S. –, hier S. . Klug: Thomas Bernhards Theaterstücke, S. ; zur Tragik und Komik bei Bernhard vgl. Wendelin Schmidt-Dengler: Die Tragödien sind die Komödien oder Die Unbelangbarkeit Thomas Bernhards durch die Literaturwissenschaft. In: Wolfram Bayer (Hg.) / Claude Porcell (Mitarb.): Kontinent Bernhard. Zur Thomas-Bernhard-Rezeption in Europa. Wien u. a. , S. –. Hellmuth Karasek: Vom Unglück des Ruhms und Glück des Unheils. S-Redakteur Hellmuth Karasek über ein neues Stück und Prosa von Thomas Bernhard. In: Der Spiegel, (), H. , S. –, hier S. . Gitta Honegger: Thomas Bernhard. ›Was ist das für ein Narr?‹. München , S. .
den Mann bis zur Selbstaufgabe unterstützt hat. Für den geschäftstüchtigen Verleger hat hingegen ›Suhrkamp-Chef‹ Siegfried Unseld Pate gestanden, wie Grack, Karasek, Hammer, Honegger, C. Bernd Sucher und Gerhard Stadelmaier annehmen. Als Vorbild für die Figur der Doktorandin fungiert wiederum die »Bernhard-Promovierte Ria Endres«. In ihrer publizierten Dissertation ›Am Ende angekommen‹ unternimmt sie den »Versuch einer Entmystifizierung«. Nicht die werkbezogene Analyse, sondern »die Zersetzung eines männlichen Diskurses […], der so dunkel in Ästhetik verpackt ist«, ist ihr Anliegen. Endres’ Arbeit, eher »feministisches Pamphlet […] als deskriptive Analyse«, hat Bernhard wiederholt zu Hohn und Spott herausgefordert. So polemisiert er im Gespräch mit Hofmann gegen den Beruf des/r Germanisten/in, und im Interview mit Erich Böhme und Karasek erklärt er: »Für die Probleme von Ria Endres bin ich nicht verantwortlich. Wahrscheinlich wäre ihr geholfen, wenn sie, meinetwegen, nach Mexiko ginge und sich nackt auf einen Berg setzte.« Neben den genannten Personen hat Bernhards Mutter, die in Wien als »Hausgehilfin und Köchin« gearbeitet hat, als Frau Herta »einen kurzen Auftritt«. Die vielfältigen biographischen Entsprechungen zwischen Autor und Protagonist sorgen für Irritationen im äußeren Kommunikationssystem. Da Meister nicht als Identifikationsfigur, sondern als korrumpierter Künstler konzi
Vgl. Grack: Sehr nette Ungeheuer; Karasek: Vom Unglück des Ruhms; Hammer: Meisters Scherzlied; Honegger: Thomas Bernhard, S. ; Sucher: Meisels Moritz Meister; Stadelmaier: Alles Gute, Meister?. Karasek: Vom Unglück des Ruhms, S. . Ria Endres: Am Ende angekommen. Dargestellt am wahnhaften Dunkel der Männergestalten des Thomas Bernhard. Frankfurt/M. , S. . Ebd., S. . Jahraus: Die Wiederholung als werkkonstitutives Prinzip, S. ; Endres Dissertation wird auch von Dickenberger und Podszun als ›feministisches Pamphlet‹ gewertet; vgl. Udo Dickenberger: Anwenderapokalyptik und Vulgärbiographistik. Anmerkungen eines Liebhabers der Bernhard-Sekundärliteratur. In: Wolfram Bayer (Hg.) / Claude Porcell (Mitarb.): Kontinent Bernhard. Zur Thomas-Bernhard-Rezeption in Europa. Wien u. a. , S. –, hier S. f.; Podszun: Untersuchungen zum Prosawerk, S. . Im Gespräch mit Hofmann schimpft Bernhard über Endres: »Eine Frau, die wirklich natürlich ist […] würde nie so einen Blödsinn schreiben und verzapfen. […] Die muß ja schon völlig verschroben und verbildet und ruiniert sein, daß sie fähig ist, Germanistin zu werden. […] Germanisten werden die Leut’ ja nicht aus Liebe zur Dichtung oder Kunst, sondern weil ihnen alle anderen Möglichkeiten […] völlig verwehrt sind. […] Das ist eine völlige Notlösung, nicht? Die niemandem dient und nur blöd ist. Aber auch zur Pension führt, sehr früh« (Hofmann: Aus Gesprächen mit Thomas Bernhard, S. ). Böhme / Karasek: ›Ich könnte auf dem Papier jemand umbringen‹, S. . Höller: Thomas Bernhard, S. . Honegger: Thomas Bernhard, S. .
piert ist, der seine geistige Autonomie zugunsten weltlicher Ehren aufgegeben hat, kann er nicht als Sprachrohr des Dramatikers fungieren. Indem Bernhard auf seine Familiengeschichte und auf andere Autoren – Goethe, Mann, Hauptmann, Handke, Jünger – Bezug nimmt, macht er den über das Verhältnis von Autor und Figur reflektierenden Rezipienten die Artifizialität seiner Figuren bewusst. Durch die Fiktionalisierung der eigenen Biographie kann er darüber hinaus verdeutlichen, dass »Images öffentlicher Personen […] mediale und daher ebenfalls auf Fiktionen angewiesene Konstruktionen sind«. Bernhards Bestreben ist vor dem Hintergrund seiner strategischen Selbstinszenierung als ›Übertreibungskünstler‹ zu sehen. Wie kaum ein anderer Autor ist er dafür bekannt, die Grenzen zwischen Realität und Fiktion einzuebnen, weil er in öffentlichen Stellungnahmen die Äußerungen und den Tonfall seiner Figuren wiederholt[ ]. Ähnlich wie ein Schauspieler, der seine Rolle vor dem Schlußvorhang weiterspielt, brüskiert[ ] er bereits dadurch sein Publikum, daß er die fiktive Wirklichkeit seiner Stücke und Erzählungen in der wirklichen Wirklichkeit sprachlich nachstellt[ ].
Da sich Bernhards fiktionale Texte nicht dezidiert von seinen nicht-fiktionalen Reden, Interviews und Leserbriefen unterscheiden, ist er wie kein anderer »Autor der Gegenwart so oft und so selbstverständlich mit seinen fiktiven Figuren identifiziert« worden. In seiner Komödie veranschaulicht Bernhard, dass Meister nicht als sein Alter Ego fungiert und dass seine »nichtfiktionale Selbstdarstellung […] ebenso inszeniert« ist »wie die fiktionale«.
Bayer: Das Gedruckte und das Tatsächliche, S. . Ebd., S. f.; zu den fließenden Grenzen zwischen Realität und Fiktion bei Bernhard vgl. Hoell: Thomas Bernhard, S. : »Als ein bewusstes Spiel mit Wahrheit und Lüge erläutert Bernhard seine Vorgehensweise. Da es keine objektive Sicht auf die Welt gebe, bleibe jeder Versuch ihrer Darstellung eine subjektive Annäherung. Die Wahrheit könne daher nie mitgeteilt werden, wobei sich hinter der Lüge immer die Wahrheit verberge. ›Letzten Endes kommt es auf den Wahrheitsgehalt der Lüge an‹, heißt es programmatisch. Das scheinbare Paradox gründet sich auf der seit Rousseaus ›Bekenntnissen‹ () und Goethes ›Dichtung und Wahrheit‹ (–) bekannten Einsicht, dass auch Memoirenliteratur immer ›erdichtet‹ ist. Bernhard steigert diese Künstlichkeit einer Lebensselbstbeschreibung zu einer virtuosen Gratwanderung zwischen Fakten und Fiktion. Sein fiktionales Werk ist so autobiographisch wie die Autobiographie fiktional, und selbst in Interviews werden die Ebenen von Wirklichkeit und Erfindung auf kunstvolle Weise verwischt. Damit inszeniert er sich selbst als Gesamtkunstwerk und zeigt außerdem die Grenzen der Interpretierbarkeit von Kunst.« Rietra: Thomas Bernhards ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹, S. . Willi Huntemann: Artistik & Rollenspiel. Das System Thomas Bernhard. Würzburg , S. ; diese These teilt: Manfred Mittermayer: Thomas Bernhard. In: Alo Allkemper / Norbert Otto Eke (Hg.): Deutsche Dramatiker des . Jahrhunderts. Berlin , S. –. Das Verhältnis von Autor und Protagonist wird nicht nur im äußeren, sondern auch im inneren Kommunikationssystem problematisiert. Auf der
.. Bernhards Positionierung im kulturellen Feld Wie sein Protagonist ist Bernhard ein arrivierter Schriftsteller, der sich nicht als »Autor für Österreich oder für drei Gemeinden«, sondern als Verfasser von »Weltliteratur« versteht. Schon in den siebziger Jahren ist er ein international gefragter Bühnenautor, die meisten seiner Theatertexte entstehen als Auftragsarbeiten für renommierte Häuser. Für die Salzburger Festspiele verfasst er ›Der Ignorant und der Wahnsinnige‹ (), ›Die Berühmten‹ () und ›Die Macht der Gewohnheit‹ (); dem Württembergischen Staatstheater Stuttgart liefert er ›Minetti. Ein Portrait des Künstlers als alter Mann‹ (), ›Immanuel Kant‹ () und ›Vor dem Ruhestand‹ (), für das Burgtheater schreibt er ›Der Präsident‹ (). Das Künstlerdrama ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹ wird vom Schauspielhaus Bochum in Auftrag gegeben. Für seine Werke hat Bernhard diverse Auszeichnungen erhalten, etwa den Anton-Wildgans-Preis, den Österreichischen Staatspreis für Literatur (beide ), den Georg-Büchner-Preis (), den Franz-Theodor-Csokor-Preis, den AdolfGrimme-Preis, den Grillparzer-Preis (alle ) oder den Literaturpreis der Österreichischen Bundeswirtschaftskammer (). Wie Klaus Zeyringer anhand von Befragungen österreichischer Journalisten und Passanten belegt, wird die Gegenwartsliteratur im eigenen Land Mitte der achtziger Jahre fast ausschließlich mit den Namen Bernhard und Handke in Verbindung gebracht. Das Gleiche gilt für die Rezeption österreichischer Literatur im Ausland. Bernhards Bruch mit den »Produktions- und Bewertungsnormen der ästhetischen Orthodoxie« ist vor diesem Hintergrund als Versuch zu werten, der mit dem Kanonisierungsprozess einhergehenden ›Entwertung‹ seiner Artefakte entgegenzuwirken. Durch die zunehmende Akzeptanz und Verbreitung verlieren seine Werke ihren Innovations- und Seltenheitswert. Die »Abnutzung
Handlungsebene verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, weil Meister seine Figur, den Professor Stieglitz, ›vollkommen autobiografisch‹ gezeichnet hat und ihn »in seinem Tun und Reden zitiert […], als sei er eine reale Person. Es ist mitunter geradezu unklar, ob Meister seinem fiktiven Helden nachlebt und -denkt oder an ihm Eigenes zunächst ausprobiert« (Huntemann: Artistik & Rollenspiel, S. ). Ebd., S. . Fleischmann: Thomas Bernhard, S. . Klaus Zeyringer: Der Vorschimpfer und sein Chor. Zur innerliterarischen BernhardRezeption. In: Wolfram Bayer (Hg.) / Claude Porcell (Mitarb.): Kontinent Bernhard. Zur Thomas-Bernhard-Rezeption in Europa. Wien u. a. , S. –; zu Bernhards Präsenz in den deutschsprachigen Printmedien von bis vgl. Renate Hörlezeder / Fritz Mühlbek / Andreas Nowak: Die Erregungskurven. Eine empirische Untersuchung zur Resonanz Bernhards in deutschsprachigen Printmedien bis . In: Ebd., S. –. Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. .
des Erneuerungseffekts« können sich die Anwärter im literarischen Feld zu Nutze machen, um seine Prosa- und Theatertexte zu deklassieren oder ins Klassische zu verweisen. Um der Diskreditierung durch die Avantgarde vorzubeugen, beruft sich Bernhard »auf die ursprüngliche Reinheit und den charismatischen Bruch zwischen Kunst und Geld (oder Erfolg)« und klagt die arrivierten deutschsprachigen Autoren der »Kompromittierung mit dieser schnöden Welt« an. Er selbst geriert sich als verfemter Künstler, der auf weltliche Ehren verzichtet und den Bruch mit den künstlerischen Konsekrationsinstanzen bewusst provoziert. Mit »radikaler Rhetorik und dem Verzicht auf Gruppenpartizipation und politischer Gesinnungspräsentation« zieht er schon in den siebziger Jahren »eine scharfe Grenze zwischen sich und der Öffentlichkeit«, so dass das »Bild des Eremiten« entsteht, »der, verschlossen in österreichischer Bergwelt […] in erhabener Einsamkeit dem Tod seine düsteren Manuskripte abringt.« Auf die Diskrepanz zwischen Bernhards auktorialer posture und seinem Bestreben, sich ein »steinernes Denkmal« zu errichten, weist Bernhard Sorg hin, der konstatiert: Alle Sätze Thomas Bernhards sind Urteile – Meinungen und Verdammungen. Sie haben ihren Ursprung im Willen des Autors und Dandys Thomas Bernhard, die Welt und die ihn umgebende (österreichische) Gesellschaft gleichzeitig zu insultieren und ihre Anerkennung, ja Verehrung zu erringen.
Auch Krättli thematisiert das scheinbare Missverhältnis zwischen Bernhards Position im kulturellen Feld und seinen Positionierungen. Er wundert sich darüber, dass der Autor in seinem Künstlerdrama den Typus des erfolgreichen Künstlers diskreditiert, obwohl er selbst ein »Bestsellerautor« ist, der »von den Feuilletons bestürmt und gefeiert« wird. Indem sich Bernhard als eigenwilliger Außenseiter des Kunst- und Kulturbetriebs und als kritischer Intellektueller inszeniert, versucht er den vermeintlichen Widerspruch zwischen seiner Stellung im Literaturbetrieb und seinen Stellungnahmen aufzulösen. Zugleich macht er sich gegen jede Kritik unangreifbar, indem er sein SchriftstellerImage als eigensinniger Eigenbrötler und ›Düstermann‹ als fiktionale Konstruktion kenntlich macht.
Ebd., S. . Ebd., S. . Sorg: Thomas Bernhard, S. . Maria Fialik: Der Charismatiker. Thomas Bernhard und die Freunde von einst. Wien , S. . Sorg: Thomas Bernhard, S. . Krättli: Komödie oder Tragödie?, S. .
. Zentrale Motive im Künstlerdrama um kanonisierte Künstler (Bernhard, Dorst, Dürrenmatt, Thoma)
Neben Bernhard führen auch Tankred Dorst in ›Eiszeit‹ (), Friedrich Dürrenmatt in ›Der Meteor‹ (, Neufassung ) oder Ludwig Thoma in ›Dichters Ehrentag‹ () arrivierte Schriftstellerfiguren vor. Die zentralen Motive im Drama um kanonisierte Künstler werden im Folgenden anhand der genannten Theatertexte analysiert.
.. Der kanonisierte als korrumpierter und / oder vereinnahmter Künstler In ihren Bühnenstücken rekurrieren Dorst, Dürrenmatt und Thoma auf die Geniekonzeption. Sie zeigen Figuren, die nicht für ihre gerissenen Durchsetzungsstrategien, sondern für ihre außerordentliche schöpferische Gabe gefeiert werden. Wie Moritz Meister entpuppen sie sich im Stückverlauf als von der Parteipolitik korrumpierte und/oder vom Literaturbetrieb vereinnahmte Künstler. Im Gegensatz zu Meister, der nicht über seine Abhängigkeit von den Inhabern politischer und kultureller Macht reflektiert, ist sich Dürrenmatts Nobelpreisträgerfigur Wolfgang Schwitter seiner fehlenden Souveränität bewusst, für ihn Konsequenz seines beruflichen Erfolges. So eröffnet er seiner Frau Olga: Ich war unbekümmert, als ich zu schreiben begann. Ich hatte nichts im Kopf als meine Einfälle, ich war versoffen und asozial. Dann kamen der Erfolg, die Preise, die Ehrungen, das Geld und der Luxus. Meine Manieren wurden immer besser. Ich feilte an meinen Fingernägeln und an meinem Stil herum. Gab sich meine erste Frau noch einem Schneider hin, um für mich einen blauen Anzug zu erstehen, gaben sich die beiden nächsten nur mit Literatur ab, sie organisierten meinen Ruhm und meinen Hofstaat, während ich mich abrackerte, endgültig ein Klassiker zu werden. Der Nobelpreis gab mir den Rest. Ein Schriftsteller, den unsere heutige Gesellschaft an den Busen drückt, ist für alle Zeiten korrumpiert.
Friedrich Dürrenmatt: Der Meteor. Eine Komödie in zwei Akten. Wiener Fassung . In: Friedrich Dürrenmatt: Gesammelte Werke. In sieben Bänden. Bd. : Stücke. Hg. von Franz Josef Görtz. Zürich , S. –, hier S. f.
Wie die verkannten und verfemten Künstlerfiguren im Drama des . Jahrhunderts hat Schwitter als Anwärter im kulturellen Feld ein bohemetypisches Leben geführt und seine unzähligen kreativen Ideen selbstbestimmt realisiert. Mit dem Erhalt weltlicher Ehren und finanzieller Erträge ist die künstlerische Arbeit in den Hintergrund und das Streben nach einer »beherrschende[n] Position im Felde der Kulturproduktion« in den Vordergrund gerückt. Dass Schwitter nicht an der ästhetischen Produktion ›reiner‹ Kunst interessiert ist, gesteht er dem Pfarrer Lutz: »Ich habe keine Seele, dafür reichte die Zeit nicht. Schreiben Sie mal jedes Jahr ein Stück, und Sie melden Ihr Innenleben auch schleunigst ab.« Im Unterschied zu Meister, der sich zur Bezeugungsinstanz einer metaphysischen Sphäre und einem Schöpfer messianischer Artefakte stilisiert, betont Schwitter, aus seiner Käuflichkeit nie einen Hehl gemacht zu haben. Die Prostituierte Frau Nomsen lässt er wissen: [I]ch gab mir Mühe, anständig zu bleiben. Ich schrieb nur, um Geld zu verdienen. Ich ließ keine Moralien und Lebensweisheiten von mir. Ich erfand Geschichten und nichts weiter. Ich beschäftigte die Phantasie derer, die meine Geschichten kauften, und hatte dafür das Recht zu kassieren, und kassierte. Mit einem gewissen Stolz […] darf ich nachträglich sogar feststellen: Ich war Ihnen geschäftlich und moralisch nicht ganz unebenbürtig.
Während Dürrenmatts Künstlerfigur bekennt, die geistige Autonomie aufgegeben zu haben, weist Dorsts Protagonist, dem wie Knut Hamsun nach dem Zweiten Weltkrieg vorgehalten wird, mit den Nationalsozialisten kollaboriert zu haben, jede Schuld von sich. Gegenüber der gerichtlichen Kommission, die ihm Landesverrat vorwirft, verteidigt sich der ›Alte‹: In den Zeitungen, die es in den Kriegsjahren gab, konnte ich nichts finden, was mich auf mein Unrecht aufmerksam gemacht hätte. Ich saß da oben auf meinem Hof, in meinem Zimmer und habe geschrieben. Stille den ganzen Tag! Ich habe nichts gehört, ich bin taub.
Die ideologische Nähe zu den Nationalsozialisten wiegt für das Kommissionsmitglied Reich und den Studenten Oswald besonders schwer, weil es sich bei
Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. . Dürrenmatt: Der Meteor, S. f. Ebd., S. . Der norwegische Nobelpreisträger Knut Hamsun (. . –. . ) wurde wegen seiner ideologischen Nähe zu den Nationalsozialisten inhaftiert, vor Gericht gestellt und zu einer Zahlung von Kronen verurteilt. Seine Haftzeit und den Gerichtsprozess hat er in seinem autobiographischen Roman ›Auf überwachsenen Pfaden‹ niedergelegt. In ›Eiszeit‹ nimmt Dorst »die Situation Hamsuns in seinem letzten Lebensjahr zum Anlaß« für eine »erfundene Handlung mit erfundenen Personen.« (Tankred Dorst: Eiszeit. In: Tankred Dorst: Werkausgabe. Bd. : Politische Stücke. Frankfurt/M. , S. –, hier S. ). Ebd., S. .
dem Angeklagten um einen »berühmten Dichter« handelt. Davon überzeugt, dass sich ein schöpferisches Genie durch die Fähigkeit auszeichnet, das hinter den Erscheinungen liegende ›Wesen‹ der Dinge wahrnehmen und »Wahrheit und Wahn« voneinander unterscheiden zu können, wirft Reich dem konsekrierten Autor vor: »Sie sind ein Dichter und die Wahrheit hat Sie nicht interessiert. In meinen Augen ist dies das größte Verbrechen.« Im Gegensatz zu Dorsts Nobelpreisträger, der sich von den politischen Machthabern korrumpieren lässt, wird Thomas Protagonist von den Weihungsinstanzen des kulturellen Feldes vereinnahmt. Die Figur des arrivierten Autors Eugen Ludwig Hobbe ist als stumme Rolle konzipiert. Anlässlich seines fünfzigsten Geburtstags versammeln sich Bewunderer, Journalisten, Theaterschaffende und ein Verleger, um den genialischen »Lichtbringer« und »Prometheus« zu feiern. Anstatt aber den Ehrengast zu preisen, feiern sich die professionellen Meinungsbildner selbst. So geraten Theateragent Oskar Zinnkraut und Theaterdirektor Siegfried Meyer darüber in Streit, wer von beiden sich als Entdecker des »deutsche[n] Dichter[s]« rühmen darf. Beide wissen, dass ihre »Nähe« zum prominenten Künstler »eine üppig sprudelnde Quelle des kleineren Prestiges« ist. Während des Disputs der Herren unterhalten sich die anwesenden Damen – wie die Abendgesellschaft in ›Baal‹ – über die aktuelle Mode. Keiner der Festgäste zeigt sich am Dichter oder seinen Werken interessiert; dominierendes Gesprächsthema ist vielmehr die Hamburger Uraufführung des Schwanks ›Chochotte‹, ein »Riesenbombenerfolg«. Thomas Einakter endet, nachdem die Anwesenden den Festredner mit dem für den Dichter gedachten Lorbeerkranz geschmückt und den berühmten Hobbe auf einem Gruppenfoto so platziert haben, dass man von ihm »nichts mehr sieht.« In allen genannten Dramen wird der Verlust der geistigen Autonomie der Künstlerfigur mit dem Motiv des Todes in Verbindung gebracht. So weist Bernhard bereits mit seinem Stücktitel – den ersten Zeilen aus Goethes an das Jenseits mahnende Gedicht ›Wanderers Nachtlied‹ – auf »die Ruhe des Todes« hin. Sein Protagonist Moritz Meister stilisiert sich zum genialischen Dichter, vermag sich als geistig ›toter‹ Autor aber »nur noch in Zitaten und Klischees aus
Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ludwig Thoma: Dichters Ehrentag. In: Ludwig Thoma: Gesammelte Werke. In sechs Bänden. Bd. : Bühnenstücke. Mit einem Nachwort von Hans-Reinhard Müller. München , S. –, hier S. , . Ebd., S. . Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit, S. . Thoma: Dichters Ehrentag, S. . Ebd., S. . Weiss: Thomas Bernhard – Peter Handke, S. .
zudrücken«. Auch Dorst führt eine ›entseelte‹ Künstlerfigur vor. Das manifestiert sich in den Äußerungen des Studenten Oswald, der den ›Alten‹ zur Zeit des Nationalsozialismus auf seinem Hof aufgesucht hat, um ihn umzubringen: Ein unvergeßlicher Anblick! Ein animierter Greis tänzelt um diese Nazioffiziere herum! […] Da habe ich die Handgranate nicht mehr geworfen. Ich habe gesehen, Sie sind tot, – lächerlich, – ein Popanz. […] Ich interessiere mich nicht für einen toten Dichter!
Im Gegensatz zu Bernhard und Dorst führt Dürrenmatt einen Dichter vor, der sich den Tod wünscht, in der Hoffnung, sich auf diese Weise aus den Zwängen des ihn vereinnahmenden Literaturbetriebs befreien zu können. Als kanonisierter Autor ist er aber zur Unsterblichkeit ›verdammt‹. Während sich Schwitter zu sterben wünscht, wird Thomas Protagonist Hobbe von den künstlerischen Konsekrationsinstanzen ›beerdigt‹. Das Fest zu seinem fünfzigsten Geburtstag erscheint Zinnkraut wie eine »Totenfeier« mit »Grabrede«, da der Künstler mit seinen Artefakten in die ›Vergangenheit‹ verwiesen wird.
.. Kritik am Kunst- und Kulturbetrieb Dorst, Dürrenmatt und Thoma stellen kanonisierte Künstlerfiguren ins Zentrum ihrer Dramen, die für geistig ›tot‹ erklärt werden, weil sie ihre »Distanz zu Geld und Machtinstanzen« aufgegeben haben. Die Autoren kritisieren außerdem die spezifischen Strukturen des Kunst- und Kulturbetriebs, etwa die Deutungshoheit der Literaturkritik. Während Meister bloß davon spricht, dass die berufliche Karriere begabter Autoren von Journalisten ruiniert werden kann, weil sie nicht »die Fähigkeit« haben, »tiefer in ein Werk einzudringen«, zeigt Dürrenmatt im ›Meteor‹, wie das Ansehen eines Künstlers durch einen »Starkritiker« zerstört wird. In seinem Nachruf behauptet der anerkannte Journalist Friedrich Georgen, dass es sich bei dem Nobelpreisträger Schwitter um »den letzten Verzweifelten einer Zeit« handle, »die sich anschickt, die Verzweiflung zu überwinden.« Daher sei sein Werk nicht mehr zeitgemäß. Dass Georgens Totenrede »Mumpitz« ist, weiß Schwitters Verleger Carl Conrad Koppe. Er betont: »Schwitter war nie verzweifelt, man brauchte ihm nur ein Kotelett vor die Nase zu setzen und einen anständigen Tropfen, und er war
Rietra: Thomas Bernhards ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹, S. f. Dorst: Eiszeit, S. , . Thoma: Dichters Ehrentag, S. . Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. . Bernhard: Über allen Gipfeln ist Ruh, S. . Dürrenmatt: Der Meteor, S. . Ebd., S. .
glücklich.« Er erkennt aber auch: »Literarisch ist der Mann erledigt, noch eine Dünndruckausgabe und er ist vergessen.« Neben der Rezensionspraxis wird die Berichterstattung der Medien kritisiert. So muss sich Schwitter zum einen mit Falschmeldungen auseinandersetzen, zum anderen hat er damit zu kämpfen, dass sich die Reporter primär für sein Privatleben und nicht für seine Werke interessieren, wie die ereignisorientierten Berichte über seine Krankheit zeigen: Die Zeitungen sind voll mit rührenden Szenen: Der Nobelpreisträger in der Klinik, der Nobelpreisträger unter dem Sauerstoffzelt, der Nobelpreisträger auf dem Operationstisch, der Nobelpreisträger im Koma. Meine Krankheit ist weltberühmt, mein Sterben eine öffentliche Angelegenheit […].
Auch Schwitters Ehe mit dem Callgirl Olga hat für Aufsehen gesorgt. Nachdem ihr Foto »in allen Zeitungen« erschienen ist, hat sich ihr »Einkommen an Aufmerksamkeit« und damit ihr Marktwert so erhöht, dass ihre »Preise […] ins Unermeßliche« gestiegen sind. Dürrenmatt richtet sich nicht nur gegen die sensationsorientierte Berichterstattung der Kulturjournalisten, sondern – ähnlich wie Bernhard – auch gegen die Verleger, die ausschließlich ihre Geschäftsinteressen verfolgen. Mit Koppe führt er einen Unternehmer vor, der vorgibt, Schwitters Ruhestätte aufzusuchen, um »eine stille Minute« bei seinem »toten Freund [zu] verbringen«. Als er den Nobelpreisträger lebend vorfindet, zeigt er sich jedoch kühl. Bevor er zu »Verlegerbankett, Bühnenverband« und »Gottfried Keller-Stiftung« eilt, will er wissen, ob der Autor neben dem eigenen auch sein Geld im Kamin verfeuert habe und ob er sich wirklich sicher sei, dass er bald sterben werde. Nachdem Schwitter beide Fragen bejaht hat, bricht er unvermittelt auf. Wie Dürrenmatt zeigt auch Thoma einen Literaturkritiker, der fähig ist, mit seinen Rezensionen die berufliche Karriere eines konsekrierten Künstlers zu vernichten. Im Gespräch wirft Theateragent Zinnkraut dem Journalisten Feuerstein vor, es würde sich bei seinem »Festartikel« zu Hobbes fünfzigstem Geburtstag um eine Totenrede handeln. Auf Feuersteins Verteidigung, dass er in seinem Bericht nur geschrieben habe, dass sich der berühmte Dichter auf der Höhe seines Ruhms befinde, antwortet Zinnkraut »mit Hohn«: »So? Wissen Sie, was die Folge ist, wenn man die Höhe erklommen hat? Man muß wieder
Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit, S. . Dürrenmatt: Der Meteor, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Thoma: Dichters Ehrentag, S. .
heruntersteigen. Sie schreiben ihm vor, bis hierher und nicht weiter! Jetzt geht es abwärts. Das ist Ihr Artikel.« Thoma verdeutlicht ferner, dass sich ein Subjekt nur dann als Künstler etablieren kann, wenn ihm die professionellen Meinungsbildner einen ›Kredit an gesicherter Beachtung‹ geben. So feiert Feuerstein den Theaterdirektor Meyer als ›Prophet‹, weil er der erste gewesen ist, der an Hobbes Fähigkeiten als Dramatiker geglaubt und dessen Stücke auf seiner Bühne aufgeführt hat. Auf Meyers bescheidenen Einwand, dass nicht er, sondern der berühmte Dichter über »Talent« verfüge, entgegnet Feuerstein: »Soll er es haben! Was hilft es ihm, wenn er keine Gelegenheit findet? Gelegenheit [es zu zeigen, Anm. N.B.] ist die Hauptsache.« Meyer präsentiert sich wie die Verlegerfigur in ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹ als Kopf eines Unternehmens mit langem Produktionszyklus. Er behauptet, nicht an der Akkumulation ökonomischer Gewinne, sondern an der Förderung ›reiner‹ Kunst interessiert zu sein: Ich habe die hohe Kunst auf meine Fahne geschrieben, obwohl ich ihre Gefahren kannte. Herrschaften, ich sagte mir so: Erziehe ich das Publikum dazu, mir zu folgen, dann ist das Ideal erreicht. Wenn nicht, dann falle ich […]. Wir haben Schlachten geschlagen, wir haben Wunden davongetragen […]. Ich stand fest. Zwei Durchfälle sind an mir abgeprallt. Dieses Verdienst mag mir Eugen Ludwig heute zugestehen.
Im Handlungsverlauf entpuppt sich Meyer aber als geschäftstüchtiger Theaterdirektor, der bestrebt ist, nicht Hobbes Dramen, sondern den erfolgreichen Schwank ›Chochotte‹ auf seine Bühne zu bringen. Als Zinnkraut zögert, ihm die Rechte zu verkaufen, weil er sicher ist, dass sich das triviale Stück nicht mit den von Meyer proklamierten ästhetischen Idealen vereinbaren lässt, reagiert der Intendant aggressiv und gibt ihm zu verstehen: »Herrgott, bleiben Sie mir doch vom Leibe mit dieser abgedroschenen Phrase!« In seine Vertragsverhandlungen vertieft, fühlt er sich sogar von dem eintreffenden Ehrengast so gestört, dass er ihn bittet, auf seine Feier »noch ’n Augenblick« zu warten. Im Unterschied zu Dürrenmatt und Thoma zeigt Dorst einen politisch korrumpierten Dichter; dennoch reflektiert auch er über die spezifischen Strukturen des Kunst- und Kulturbetriebs. In seinem Stück stellt er sich die Frage, ob »man von einem Schriftsteller tiefere politische Einsichten verlangen« muss »als von einem anderen Bürger«. In der fünften Szene berichtet der Altersheimbewohner Berend stolz von seinem Sohn, dem »vierfache[n] Weltmeister
Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. f. Ebd., S. . Ebd., S. . Tankred Dorst: Bei den ersten Proben notiert. In: Tankred Dorst: Werkausgabe. Bd. : Politische Stücke. Frankfurt/M. , S. –, hier S. .
im Eiskunstlauf für Herren«. Während der berühmte Sportler beruflich anerkannt wird, weil er an einem Abend » Dollar« verdient und schon zweimal Gast des norwegischen Königs gewesen ist, wird von einem Nobelpreisträger für Literatur verlangt, sich von den »staatlich-gesellschaftlichen Machtinstanzen« zu distanzieren und »unter Berufung auf genuine Normen des literarischen Feldes« auf politische Missstände aufmerksam zu machen.
.. Position und Positionierung der Theaterautoren im kulturellen Feld Nach der Analyse der zentralen Motive im Drama um kanonisierte Künstler wird abschließend untersucht, wie sich Dorst, Dürrenmatt und Thoma mit ihren Theatertexten im kulturellen Feld ihrer Zeit positionieren. Wie ihre kanonisierten Protagonisten gehören die Dramatiker zum Zeitpunkt der Entstehung ihrer Stücke zu den Künstlern, »die Epoche gemacht haben und ums Überdauern kämpfen«. Mit ›Die Ehe des Herrn Mississippi‹ gelingt Dürrenmatt der internationale Durchbruch als Bühnenautor. Weltbekannt wird er durch die Tragikomödie ›Der Besuch der alten Dame‹ (), die im Schauspielhaus Zürich uraufgeführt wird und bald danach in Bern, Jerusalem, London, Lissabon, Madrid, Mailand, New York, Prag und Tokio auf den Spielplänen steht. An seine internationalen Erfolge kann er mit seiner grotesken Komödie ›Die Physiker‹ anknüpfen. In den sechziger Jahren gehört Dürrenmatt zur konsekrierten Avantgarde, was sich in diversen Auszeichnungen manifestiert, die er für seine Werke erhält. So wird er mit dem Literaturpreis der Stadt Bern (), dem Hörspielpreis der Kriegsblinden (), dem Prix Italia, dem Literaturpreis der Tribune Lausanne (beide ), dem Preis zur Förderung des Bernischen Schrifttums, dem Schillerpreis der Stadt Mannheim () oder dem Großen Preis der Schweizerischen Schillerstiftung () geehrt. Dass der renommierte Bühnenautor einen erfolgreichen Dichter zum Protagonisten seines Künstlerdramas macht, hat Forschung und Literaturkritik wiederholt dazu bewogen, in der zentralen Figur »das ins Gigantische vergrößerte Bild des Dichters selbst zu sehen.« So ist Marianne Kesting davon über
Dorst: Eiszeit, S. . Ebd., S. . Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Reinhard Herdieckerhoff: Der Meteor – Ein Versuch der Deutung. In: Rolf Bohnsack / Helmut Heeger / Wolf Hermann (Hg.): Gestalt, Gedanke, Geheimnis. Festschrift für Johannes Pfeiffer zu seinem . Geburtstag. Berlin , S. –, hier S. .
zeugt, dass Dürrenmatt über die »autobiographisch-soziale[ ]« Frage reflektiert: »[W]ie kann man als gefeierter Schriftsteller […] innerhalb einer auf nackte Geschäftsinteressen eingestellten Umwelt, noch unkorrumpiert überleben?« Auch Hans Bänzinger, Siegfried Melchinger und Ernst Schumacher vertreten die These, dass die »Auslassungen, die der Nobelpreisträger für Literatur Schwitter über Literatur und Kunst macht«, sich mit Dürrenmatts »eigene[r] Problematik« decken. Im Gespräch unterstellt Urs Jenny dem Dramatiker: Sie haben oft gegen den Literaturbetrieb polemisiert, gegen die Weihräucherei und die Köpf-Freudigkeit der Kritiker etwa. Sie wehren sich dagegen, zum ›Klassiker‹ gestempelt zu werden; diese Rebellion setzt sich im ›Meteor‹ fort, Schwitter […] vertritt sie.
Dürrenmatt bestreitet, seine Figur als Alter Ego konzipiert zu haben, setzt sich in seinem Stück aber mit dem ästhetischen Veralten seiner Artefakte auseinander, wie aus Georgens Nachruf auf Schwitter hervorgeht. In seiner Rede rekurriert der Starkritiker auf Dürrenmatts ästhetische Prämissen und auf die »wesentlichen Einwände[ ]«, die von der Literaturkritik gegen seine Werke hervorgebracht worden sind, wenn er erklärt: Ihm, der die Tragik ablehnte, fiel ein tragisches Ende zu. […] Es gab für ihn nichts als die nackte Realität. Doch gerade darum dürstete er nach Gerechtigkeit, sehnte er sich nach Brüderlichkeit. Umsonst. […] Ihm fehlte der Glaube, und so fehlte ihm auch der Glaube an die Menschheit. Er war ein Moralist aus dem Nihilismus heraus. Er blieb Rebell, ein Rebell im luftleeren Raum. Sein Schaffen war der Ausdruck einer inneren Ausweglosigkeit, nicht ein Gleichnis der Wirklichkeit: Sein Theater, nicht die Realität ist grotesk. Hier liegt seine Grenze. Schwitter blieb in einer feierlich großartigen Weise subjektiv, seine Kunst heilte nicht, sie verletzte. Wir aber, die wir ihn lieben und seine Kunst bewundern, müssen sie nun überwinden […].
Marianne Kesting: Friedrich Dürrenmatt. Parabeln einer abstrusen Welt. In: Marianne Kesting: Panorama des zeitgenössischen Theaters. literarische Porträts. München , S. –, hier S. . Vgl. Hans Bänzinger: Verzweiflung und ›Auferstehungen‹ auf dem Todesbett. Bemerkungen zu Dürrenmatts ›Meteor‹. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, (), H. , S. –. Ernst Schumacher: Der Dichter als sein Henker. Zur Premiere des ›Meteor‹ von Dürrenmatt in Zürich. In: Sinn und Form. Beiträge zur Literatur, (), H. , S. –, hier S. ; vgl. auch Siegfried Melchinger: Dürrenmatts Salto Mortale. Das zehnte Stück: ›Der Meteor‹. In: Theater heute, (), H. , S. –. Lazarus, der Fürchterliche. Urs Jenny im Gespräch mit Friedrich Dürrenmatt über dessen neue Komödie ›Der Meteor‹. In: Theater heute, (), H. , S. –, hier S. . Rolf Kieser: In eigener Sache: Friedrich Dürrenmatt und sein ›Meteor‹. In: Armin Arnold (Hg.): Zu Friedrich Dürrenmatt. Stuttgart , S. –, hier S. . Dürrenmatt: Der Meteor, S. ; zu Dürrenmatts ästhetischen Prämissen vgl. seinen theatertheoretischen Essay ›Theaterprobleme‹ (). Hier wendet er sich gegen die Tragödie, weil sie »Schuld, Not, Maß, Übersicht« und »Verantwortung« voraussetze. Da es in »der Wurstelei unseres Jahrhunderts […] keine Schuldigen und auch keine Verantwortlichen mehr« gebe, sei diese dramatische Form nicht mehr zeitgemäß. Dürrenmatt proklamiert: »Uns kommt nur noch die Komödie bei«, da diese per de-
Indem Dürrenmatt den Verleger Koppe betonen lässt, dass Georgen dem Nobelpreisträger in seinem Nekrolog nicht gerecht wird, distanziert er sich von den »gängige[n] Kritikerurteile[n]«. Diese These teilen Manfred Durzak, Rolf Kieser, Melchinger und Schumacher. Dürrenmatts Bestreben, seine herrschende Position im kulturellen Feld zu festigen, manifestiert sich auch in den Äußerungen von Schwitters Sohn Joachim, der seinen Vater darauf hinweist: Du bist aus der Mode gekommen, Alter. Deine Bücher verschimmeln in Leihbibliotheken, deine Stücke sind vergessen. Die Welt will harte Tatsachen, keine erfundenen Geschichten. Dokumente, keine Legenden. Belehrung, nicht Unterhaltung. […] Der Schriftsteller engagiert sich oder wird überflüssig.
In dieser Replik reflektiert Dürrenmatt spielerisch über die Entwertung seiner Werke durch die Avantgarde. Während er für seine ›einfallsreichen‹ grotesken Komödien bekannt ist, werden in den sechziger Jahren zunehmend dokumentarische Theatertexte auf die Spielpläne der bundesrepublikanischen Stadtund Staatstheater gesetzt. Um der Gefahr zu entgehen, deklassiert oder ins Klassische verwiesen zu werden, betont Dürrenmatt, dass der Erfolg eines Dramatikers nicht von der ästhetischen Qualität seiner Stücke, sondern von dem Zeitgeschmack abhängig ist. Der ›Meteor‹, der am . Januar am Schauspielhaus Zürich uraufgeführt wird, stößt »auf nahezu einhellige Akklamation beim Publikum und bei der Kritik«. Für Friedrich Luft und Elisabeth Brock-Sulzer handelt es sich um
finitionem eine undurchschaubare, chaotische und groteske Welt zeige. In seinen Stücken will er aus »Angst«, »Sorge« und »Zorn« auf moralische, soziale und politische Probleme der Zeit hinweisen. Da er keine konkreten Lösungsvorschläge anbieten könne, werde ihm aber oft vorgeworfen, dass seine Stücke nihilistisch seien (Friedrich Dürrenmatt: Gesammelte Werke. In sieben Bänden. Bd. : Essays und Gedichte. Hg. von Franz Josef Görtz. Zürich , S. –, hier S. , ). Manfred Durzak: Abrechnung mit der Kunst: ›Der Meteor‹. In: Manfred Durzak: Dürrenmatt, Frisch, Weiss. Deutsches Drama der Gegenwart zwischen Kritik und Utopie. Stuttgart , S. –, hier S. . Dürrenmatt: Der Meteor, S. f. verhilft Erwin Piscator dem Dokumentartheater mit seiner Inszenierung von Rolf Hochhuths ›Der Stellvertreter‹ zum Durchbruch. Die Autoren der dokumentarischen Bühnenstücke zielen darauf, die Zuschauer mit Hilfe von »authentische[m] Geschichtsmaterial«, das »ohne ›Beschädigung‹ des Inhalts in eine bühnengerechte Dramenform zu bringen« ist, über historische oder aktuelle politische Ereignisse aufzuklären. Ähnlich wie Bertolt Brecht verstehen sie sich nicht als »neutrale, ›objektive‹ Beobachter weltgeschichtlicher Prozesse«, sondern ergreifen Partei für die sozial benachteiligten oder politisch unterdrückten Massen. (Carl Wege: Dokumentarisches Theater. In: Manfred Brauneck / Gérard Schneilin (Hg.): Theaterlexikon. Begriffe und Epochen, Bühnen und Ensembles. Reinbek bei Hamburg , S. –, hier S. ). Gerhard P. Knapp: Spektakulärer Totalbankrott des Einzelkämpfers. Friedrich Dürrenmatts Komödie ›Der Meteor‹. In: Winfried Freund (Hg.): Deutsche Komödien. Vom Barock bis zur Gegenwart. München , S. –, hier S. .
den ›Höhepunkt der Saison‹ und auch Beatrice von Matt betont, dass Dürrenmatt »wieder ein bedeutendes Theaterstück« verfasst habe. Es wird allerdings weniger als Künstlerdrama, sondern als »Sterbeschwank« rezipiert, als »ein Stück um den Glauben, das Wunder und um die Überwindung des Todes«. Dass es auch als »handfeste[s] Portrait eines Dichter-Tyrannen« zu lesen ist, heben Jenny und Schumacher hervor. Wie die Kritiker von ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹ weisen sie darauf hin, dass Dürrenmatt die »Hohlheit des bürgerlichen Kulturbetriebes« entlarvt, sich aber selbst von den künstlerischen Konsekrationsinstanzen abhängig macht. So konstatiert Jenny: In Hamburg fand ein Satz besonders prasselnden Beifall: ›Ein Schriftsteller, den unsere heutige Gesellschaft an den Busen drückt, ist für alle Zeiten korrumpiert‹. Aber auch in Zürich – ein paar Pfeifern zum Trotz – und in München wurde Dürrenmatt enthusiastisch an den Busen gedrückt.
Wie Dürrenmatt zählt auch Thoma zur arrivierten Avantgarde, als er seinen Einakter verfasst, der am . Oktober im Münchner Residenztheater uraufgeführt wird. Der Jurist publiziert seine ersten Gedichte im ›Simplicissimus‹, bevor er fester Mitarbeiter und Redakteur der satirischen Zeitschrift wird. Seinen ersten großen Bühnenerfolg erzielt er mit dem Stück ›Die Medaille‹, das am Münchner Hoftheater Premiere hat, aber auch in Berlin, Hamburg, Stuttgart, Nürnberg und Wien inszeniert wird. An diesen Erfolg kann er ein Jahr später mit der ›Lokalbahn‹ anknüpfen. Spätestens seit der Veröffentlichung der ›Lausbubengeschichten‹ () ist Thoma als Autor einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Bis auf ›Die Sippe‹ () wird jedes seiner Stücke von Kritik und Publikum positiv aufgenommen, so auch seine Komödie ›Dichters Ehrentag‹. Ein Rezensent der ›Münchener Post‹ schreibt am . Oktober über die Uraufführung:
Vgl Elisabeth Brock-Sulzer / Friedrich Luft u. a.: Der stärkste Eindruck. Dreizehn Theaterkritiker bezeichnen ihren Höhepunkt der Saison. In: Theater heute (), Sonderheft, S. –, hier S. . Beatrice von Matt: ›Der Meteor‹ – ein neuer Dürrenmatt. In: Beatrice von Matt: Lesarten. Zur Schweizer Literatur von Walser bis Muschg. München, Zürich , S. –, hier S. . Joachim Kaiser: Der Meteor. In: Joachim Kaiser: Erlebte Literatur. Vom ›Doktor Faustus‹ zum ›Fettfleck‹. Deutsche Schriftsteller in unserer Zeit. München, Zürich , S. –, hier S. . Knapp: Spektakulärer Totalbankrott, S. . Kieser: In eigener Sache, S. . Schumacher: Der Dichter als sein Henker, S. . Urs Jenny: Überlebensgroß Herr Schwitter. Dürrenmatts ›Meteor‹ im Zürcher Schauspielhaus, im Hamburger Thalia-Theater und in den Münchner Kammerspielen. In: Theater heute, (), H. , S. –, hier S. .
Vom ersten Wort an begann das Publikum zu lachen und hörte beim letzten noch nicht auf. Huldigungen, Hervorrufe, der dankbare Jubel dauerten länger als die Dramen selbst. Niemals sah ich das Publikum des Residenztheaters in solcher Verzückung […].
Thoma, dem wie seinem Protagonisten der fünfzigste Geburtstag bevorsteht, stellt einen Dichter bloß, der sich von den Weihungsinstanzen des kulturellen Feldes vereinnahmen lässt. Indem er seine zentrale Figur der Lächerlichkeit preisgibt, geriert er sich als souveräner Autor, der seine geistige Autonomie nicht zugunsten materieller Gewinne und weltlicher Ehren aufgibt. Auch Dorst ist ein anerkannter Dramatiker, als ›Eiszeit‹ in der Regie von Peter Zadek am Schauspielhaus Bochum uraufgeführt wird. Er kann sich bereits einen Namen machen, als er den Preis des Mannheimer Nationaltheaters für den Entwurf seiner Groteske ›Gesellschaft im Herbst‹ erhält. wird er in die Bayerische Akademie der Schönen Künste gewählt; seinen internationalen Durchbruch erzielt er mit seiner dokumentarischen Revue ›Toller‹ (), die von Zadek unter dem Titel ›Rotmord‹ verfilmt wird. Dorsts hoher Konsekrationsgrad manifestiert sich ferner in den mannigfachen Auszeichnungen, mit denen er in den sechziger Jahren bedacht wird. Nach einem Stipendium der Villa Massimo in Rom () erhält er den Förderpreis der Stadt München und den Gerhart-Hauptmann-Preis der Freien Volksbühne Berlin. wird er (zusammen mit Zadek) mit dem Filmpreis der Stadt Florenz und mit dem Lissabonner Theaterpreis geehrt. Wie Bernhard, Dürrenmatt und Thoma setzt sich auch Dorst in seinem Künstlerdrama mit dem »künstlerische[n] Alter« kanonisierter Werke auseinander. Er lässt den ›Alten‹ über die eigenen Artefakte urteilen: Kein Mensch kann das Zeug verstehen. […] Eine Zeitlang ist etwas wahr – als ich das geschrieben habe, habe ich wohl die Wahrheit geschrieben. Und eines Tages ist es nicht mehr wahr. – Lügenhaft. Lügenhafte Worte. Die Menschen haben sich verändert. Dann sagen sie: das da, das Geschriebene ist unwahr. Es taugt nichts. Es ist Dreck.
Zum einen reflektiert der Künstler über die Vergänglichkeit politischer Ideen. Während er zur Zeit des Nationalsozialismus von den Inhabern der politischen Macht für seine Utopie von einem großen germanischen Reich verehrt worden ist, wird er nun des Landesverrats angeklagt. Zum anderen beschreibt er seine literarischen Themen und ästhetischen Ideale als überholt. Er ist sich
Rezension zu ›Dichters Ehrentag‹ in der ›Münchner Post‹ vom . . . Zitiert nach den ›Anmerkungen‹ zu Thomas Bühnenstücken. In: Ludwig Thoma: Theater. Sämtliche Bühnenstücke. Mit einem Nachwort von Hans-Reinhard Müller. München , S. –, hier S. f. Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. . Dorst: Eiszeit, S. f.
darüber bewusst, dass Autoren, die einst als subversiv gegolten haben, deklassiert werden, »wenn sie (aktiv oder passiv) gebunden bleiben an Produktionsweisen, die, zumal wenn sie Epoche gemacht haben, unweigerlich datiert, veraltet sind«. Während sich Dürrenmatt und Thoma als arrivierte Autoren auf ihre geistige Autonomie berufen, um der Entwertung ihrer Theatertexte entgegenzuwirken, ist der noch weniger etablierte Dorst bestrebt, sich von der ästhetischen Orthodoxie seiner Zeit abzugrenzen. Das offenbart sich im szenischen Dialog, wenn der ›Alte‹ die schriftstellerische Konkurrenz diskreditiert: Sie wissen nichts. Sie können nichts darstellen, weil sie nichts wissen. Was wissen sie denn über den Menschen? Sie meinen, sie stellen einen Charakter auf die Bühne, wenn sie eine Figur ein paar Ideen aussprechen lassen. Und dann behaupten sie: so ist er! Ein Mensch ist aber ein Konglomerat von vielen Ideen und Wünschen und Hoffnungen, und die haben nichts miteinander zu tun, die widersprechen einander und die bekämpfen sich. Ein Mensch hat die verschiedensten Eigenschaften, man kann nicht sagen, welche die wichtigste ist!
In der Replik rekurriert Dorst auf die politisch und sozial engagierte Dramatik der sechziger Jahre, etwa auf das Dokumentartheater, das auf die Vermittlung von moralischen oder politischen Botschaften zielt und in dem die Figuren primär als Ideenträger fungieren. Anstatt »Maßregeln oder Verhaltensformeln« zu erörtern, »die sich aus dem ›exemplarischen‹ Einzelfall« des politisch korrumpierten Nobelpreisträgers ableiten lassen, legt Dorst in ›Eiszeit‹ »den Hauptakzent […] auf die psychologische […] Handlung«. Er zeigt keine schematische Figur, die für ihre politische Haltung als verabscheuungswürdig dargestellt wird, sondern einen »sturen ›Faschisten‹, dessen klotziger Eigensinn […] (gegen alle Vernunft, gegen alles ›bessere‹ Wissen) imposanter erscheint als die kleinliche Rechthaberei der ach so rechtschaffenen Ankläger«. Zu seiner programmatischen Weigerung, seinen Theatertext als ›Lehrstück‹ zu konzipieren, äußert sich Dorst im Interview mit Horst Laube und Peter Palitzsch: Man muß die Figuren ernst nehmen, man muß sie auch verstehen. In […] Eiszeit ist es ja auch so, daß man dem Gegner, für den man politisch überhaupt kein Verständnis aufbringen würde, seine eigene Wahrheit zugesteht. […] Wir sind ja im Verhältnis zu Hamsun Nachgeborene. Wir haben schon […] den Hochmut der Nachgeborenen,
Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. . Dorst: Eiszeit, S. . Urs Jenny: Die Falle der Sympathie. Notizen zur ›Eiszeit‹. In: Horst Laube (Hg.): Werkbuch über Tankred Dorst. Frankfurt/M. , S. –, hier S. . Rüdiger Krohn: Tankred Dorst. In: Gunter E. Grimm / Frank Rainer Max (Hg.): Deutsche Dichter. Leben und Werk deutschsprachiger Autoren. Bd. : Gegenwart. Stuttgart , S. –, hier S. . Jenny: Die Falle der Sympathie, S. .
die es natürlich besser wissen. Ich mag die Haltung des Besserwissers nicht. […] Ich wollte einen Charakter zeigen, eine komplizierte Person, die mich irritiert hat, und diese Irritation wollte ich an das Publikum weitergeben.
In seiner Rede anlässlich der Aufnahme in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung bekennt er, dass er bestrebt gewesen ist, sich mit seinem Künstlerdrama von der schriftstellerischen Konkurrenz der Zeit zu distanzieren: Ich habe das Stück […] auch im Ärger darüber geschrieben, daß man es sich auf dem Theater dieser Jahre so leicht gemacht hatte. Man erfand politische Parabeln nach dem Muster Brechts, man konstruierte Fälle, die etwas von der Bühne herab beweisen sollten, Konstruktionen, in die man Personen nach den Forderungen der Dramaturgie, d. h. der Handlungsführung, einsetzte.
Mit ›Eiszeit‹ – für Carl Zuckmayer das »weitaus beste Stück […], das in den letzten Jahrzehnten in Deutschland geschrieben worden ist« – erzielt Dorst einen »Theater- und Publikumserfolg«; das Drama wird zudem in der Zeitschrift ›Theater heute‹ abgedruckt. Nach der Uraufführung in Bochum folgen Inszenierungen am Württembergischen Staatstheater Stuttgart, am Deutschen Schauspielhaus Hamburg und am Landestheater Innsbruck. Das Stück wird allerdings nicht als Künstlerdrama rezipiert, sondern als eines, das sich dem »Thema des Alters« widmet.
Tankred Dorst / Horst Laube / Peter Palitzsch: Jede Figur hat ihre eigene Wahrheit. Aus Gesprächen zwischen Tankred Dorst, dem Herausgeber Horst Laube und dem Regisseur Peter Palitzsch. In: Horst Laube (Hg.): Werkbuch über Tankred Dorst. Frankfurt/M. , S. –, hier S. f.; zur dramaturgischen Konzeption von ›Eiszeit‹ vgl. auch: Ein böses Spiel – und auch eine Komödie. Thomas Thieringer sprach mit Tankred Dorst über sein neues Stück ›Eiszeit‹. In: Süddeutsche Zeitung vom . . , S. ; Jenny: Die Falle der Sympathie. Tankred Dorst: o.T. [anlässlich seiner Wahl in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung]. In: Jahrbuch. Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung (), S. –, hier S. . Brief von Carl Zuckmayer an Tankred Dorst, . . . Zitiert nach: ›Ich bange um die ›Eiszeit‹ als wärs ein Stück von mir‹. Der Briefwechsel zwischen Carl Zuckmayer und Tankred Dorst. Ediert, eingel. und kommentiert von Heidrun Ehrke-Rotermund. In: Ulrike Weiß (Red.): Zur Diskussion: Zuckmayers ›Geheimreport‹ und andere Beiträge zur Zuckmayer-Forschung. Göttingen (= Zuckmayer Jahrbuch; ), S. –, S. . Hellmuth Karasek: Die zweite Eiszeit. In: Die Zeit vom . . , S. . Vgl. Theater heute, (), H. , S. –. Peter Hamm: Notwendige Provokation (Bayerischer Rundfunk, . . ). In: Horst Laube (Hg.): Werkbuch über Tankred Dorst. Frankfurt/M. , S. –, hier S. ; vgl. auch die Rezensionen: Karasek: Die zweite Eiszeit; Henning Rischbieter: Ohnmächtige Bewunderung für den Eiszeit-Greis. Tankred Dorsts neues Stück unter der Regie von Peter Zadek im Bochumer Schauspielhaus uraufgeführt. In: Süddeutsche Zeitung vom . . , S. ; Henning Rischbieter: Ohnmacht vor dem Eiszeit-Greis. Tankred Dorsts neues Stück in Bochum und Hamburg. In: Thea-
Nach der Analyse der zentralen Motive ist hervorzuheben, dass kanonisierte Künstler sowohl in der Moderne als auch in der Postmoderne zu den Protagonisten im deutschsprachigen Künstlerdrama zählen. Im Unterschied dazu werden die Konflikte verkannter und verfemter Genies vorrangig in der ersten Jahrhunderthälfte gezeigt. Seit Ende der sechziger Jahre – mit der Etablierung der institutionalistischen Kunsttheorie – werden hingegen zunehmend die Durchsetzungsstrategien gerissener und naiver schöpferischer Produzenten vorgeführt. Grund für die beständige Darstellung konsekrierter Künstlerfiguren ist, dass diese in der Regel nicht als schöpferische Genies konzipiert sind. So wird Eugen Ludwig Hobbe in ›Dichters Ehrentag‹ von den professionellen Meinungsbildnern als ›Lichtbringer‹ und ›Prophet‹ bezeichnet, im Handlungsverlauf aber nicht als solcher behandelt, sondern ignoriert. Dürrenmatts Nobelpreisträger Schwitter distanziert sich selbst von der Vorstellung des Künstlers als einem Schöpfer sakraler Artefakte, wenn er dem erfolglosen Maler Nyffenschwander vorwirft: »Nur Stümpern ist die Kunst heilig.« Der ›Alte‹ in Dorsts ›Eiszeit‹ begreift sich ebenfalls nicht als Genie, wenn er sich als »dumme[n] Greis« bezeichnet, und auch die von Moritz Meister behauptete Genialität wird als bloße Pose dekuvriert. Alle Protagonisten entpuppen sich im Stückverlauf als geistig ›tote‹ Autoren. Aus feldtheoretischer Perspektive geht die Diskreditierung kanonisierter Künstler von den Anwärtern im kulturellen Feld aus. Mit ihrem Bestreben, sich mit den eigenen innovativen Artefakten einen Namen zu machen, korreliert die Abwendung von etablierten ästhetischen Positionen. Was die sogenannten ›Erfolgsautoren‹ angeht, so müssen sie mit den Ordnungsrufen der Neuankömmlinge rechnen, die, lediglich mit ihrer Überzeugung und ihrer Kompromißlosigkeit als Kapital ausgestattet, größtes Interesse an der Verleugnung
materieller Interessen haben. Sie proklamieren, ›reine‹ Kunstwerke zu kreieren, und werfen den arrivierten schöpferischen Produzenten vor, ihre geistige Autonomie zugunsten weltlicher Ehren und materieller Gewinne aufgegeben zu haben. Dass sich die etablierten Künstler trotz ihrer fehlenden Integrität bzw. ihrer überholten ästhetischen Prämissen im Feld der Kulturproduktion behaupten können, führen die ›Neulinge‹ auf ihr Bündnis mit den Inhabern der kulturellen und politischen Macht zurück.
ter heute, (), H. , S. –; Hans-Dieter Seidel: Ohne Ambivalenz. Dorsts ›Eiszeit‹ in Stuttgart. In: Theater heute, (), H. , S. ; Horst Ziermann: Der alte Mann und der Verrat. Tankred Dorsts Schauspiel ›Eiszeit‹ in Bochum uraufgeführt. In: Die Welt vom . . , S. . Dürrenmatt: Der Meteor, S. . Dorst: Eiszeit, S. . Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. .
Auch für Boris Groys geht jede künstlerische Innovation mit der Abwertung von vorherrschenden ästhetischen Idealen einher. Er konstatiert: »Die Abwertung der bestehenden kulturellen Werte ist ein notwendiger Aspekt des innovativen Gestus«. Davon ausgehend, dass sich die »klassischen Kreativitätstheorien« auf die »theologischen Doktrinen vom Schöpfertum Gottes« stützen und dass das kulturelle Gedächtnis eine säkularisierte Form des ›göttlichen Gedächtnisses‹ darstellt, bringt er seine kulturökonomischen Thesen mit der christlichen Religion in Verbindung (vgl. Kap. ..). Während der »christliche Einsiedler« weltliche Interessen verleugnet und die christliche Askese zum höchsten Wert erhebt, wird der Priesterschaft […] zu allen Zeiten Täuschung der Menschen und Geldgier vorgeworfen. Immer war die Vertreibung der Händler aus dem Tempel die verbreitetste Form der Innovation, und immer führte sie zu deren Rückkehr in den neuen Tempel, der anstelle des alten errichtet worden war.
Genauso wie der religiös motivierte Asket distanziert sich auch der schöpferische Produzent von materiellen Werten. Dennoch kann er nicht verhindern, dass seine einst subversiven Artefakte mit der Zeit entwertet werden. In dem Moment, wo er anerkannt und seine Werke »kulturell valorisiert« werden, können sie »in der Folge auch kommerzialisiert« werden. »Doch alles, was kommerzialisiert wird, verliert seinen kulturellen Wert.« Vor diesem Hintergrund ist die Diskreditierung des kanonisierten, über zahllose weltliche Konsekrationszeichen verfügenden Künstlers im Drama zu verstehen. Allerdings ist zu betonen, dass es sich bei den Theaterautoren Bernhard, Dürrenmatt und Thoma selbst um arrivierte Autoren und nicht um Anwärter im kulturellen Feld handelt. Sie sind nicht bestrebt, mit der etablierten Ästhetik zu brechen, sondern bemüht, ihre herrschende Position im kulturellen Feld zu festigen. Das tun sie, indem sie sich von ihren zentralen Figuren distanzieren. Indem sie ihre Protagonisten bloßstellen, berufen sie sich auf die ›Reinheit‹ der Kunst. Als selbstbestimmte ästhetische Produzenten positionieren sie sich am autonomen Pol des Feldes der Kulturproduktion und beugen der Herabwürdigung ihrer Artefakte durch die Avantgarde vor.
Groys: Über das Neue, S. . Ebd., S. . Ebd., S. , . Ebd., S. .
Schluss
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit zum deutschsprachigen Künstlerdrama des . Jahrhunderts sind exemplarische Theatertexte analysiert worden. Dabei wurde zunächst werkbezogen nach den kunst- und künstlerspezifischen Konflikten der schöpferischen Protagonisten gefragt, bevor die Bühnenstücke aus feldtheoretischer Perspektive untersucht wurden. Zuletzt sind die zentralen Motive in den Dramen um verkannte, verfemte, naive, gerissene und kanonisierte Produzenten beleuchtet worden. In ›Michael Kramer‹ führt Hauptmann den verkannten Künstler Arnold Kramer vor, der so stark unter der ihm fehlenden beruflichen und privaten Anerkennung sowie unter dem Missverhältnis von außerordentlicher künstleri
Hervorzuheben ist, dass die zentralen Motive, die für das Drama um den jeweiligen Künstlertypus konstitutiv sind, nicht auf die Künstlernovelle oder den -roman übertragen werden können. Im Drama haben die als genialische Bohemiens konzipierten Anwärter im kulturellen Feld mit dem Antagonismus von Kunst und Leben zu kämpfen. Im Unterschied dazu sind die naiven und gerissenen Künstler darauf bedacht, Durchsetzungsstrategien zu entwickeln, um sich im Kunst- und Kulturbetrieb zu behaupten. Die kanonisierten Künstler werden hingegen als geistig ›tot‹ und als von den Inhabern der politischen und / oder kulturellen Macht korrumpiert bzw. vereinnahmt vorgeführt. Wie die naiven und gerissenen Künstler sind sie nicht als schöpferische Genies konzipiert und auch der Dualismus von Kunst und Leben spielt für sie keine Rolle. In allen ›Dramenmodellen‹ wird Kritik an den spezifischen Strukturen des kulturellen Feldes geübt. Auch in der Prosa lassen sich verkannte, verfemte, naive, gerissene und kanonisierte Künstlerfiguren finden. Hier werden aber z. B. auch die kanonisierten schöpferischen Produzenten als außerordentlich schöpferisch begabt gezeigt, so etwa in ›Pippo Spano‹ () von Heinrich Mann oder in ›Tonio Kröger‹ () und in ›Der Tod in Venedig‹ () von Thomas Mann. In allen drei Texten haben die Figuren mit dem Antagonismus von Kunst und Leben zu kämpfen; in keiner der Erzählungen wird der Kunst- und Kulturbetrieb kritisiert. Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass die Konflikte der Protagonisten in den Prosatexten – im Unterschied zum Drama – nicht unmittelbar mit ihrer Position im kulturellen Feld zusammenhängen. Aus dramaturgischer Perspektive ist das damit zu erklären, dass im Künstlerdrama meist eine schöpferische Figur in Auseinandersetzung mit ihrem sozialen Umfeld und mit den künstlerischen Konsekrationsinstanzen gezeigt wird. Im Unterschied dazu thematisieren Künstlernovelle und -roman vielfach komplexe seelische Vorgänge oder existentielle innere Konflikte des Künstlers. Diese korrelieren nicht notwendig mit seiner Stellung im Kunst- und Kulturbetrieb.
scher Gabe und physischer Missbildung leidet, dass er sich das Leben nimmt. Sein Selbstmord besitzt erkenntnisstiftende Funktion für seinen unter einer Schaffenskrise leidenden Vater. Dieser erfährt den seelischen Schmerz über den Verlust seines Sohnes als metaphysische Offenbarung, so dass er sich von seinen bisherigen, dogmatisch vertretenen bürgerlichen Wertvorstellungen und ästhetischen Idealen distanziert und seine Produktionskrise überwinden kann. In seinem Bühnenstück kritisiert Hauptmann den fehlenden Kunstverstand der inhumanen breiten Masse und weist der Kunst messianische Funktion zu. Im Gegensatz zur institutionalisierten Religion, die starre Glaubenssätze vertrete, Subjekte entzweie und »Handhaben für Fluch« und »Verdammnis« bilde, attribuiert er ihr die Fähigkeit, den Menschen ethische Werte adäquat zu vermitteln. Das Künstlerdrama kann ferner als Manifestation eines ›zweifachen Bruchs‹ mit der literarischen Strömung des Naturalismus und der kanonisierten Kunst der Jahrhundertwende gelesen werden. Während sich der an traditionellen ästhetischen Normen orientierende Kramer im letzten Akt von seiner bisher proklamierten kunsttheoretischen Position distanziert, symbolisiert Arnolds Selbstmord den Tod der naturalistischen Kunst. Hauptmanns Überwindung des Naturalismus manifestiert sich auch auf dramaturgischer Ebene. Im Unterschied zu den ersten drei Akten, die »den Menschen in seinem Milieu zeigen«, unterläuft der letzte Akt die naturalistische Dramaturgie; der Fokus verlagert sich auf Kramers subjektives, inneres Erleben. Anhand von Quellenmaterial lässt sich die These stützen, dass sich Hauptmann um von seinen literarischen Anfängen distanziert. In seinen Tagebüchern stilisiert er sich zu einem von ›Urlicht‹ erhellten Künstler, der nicht als Vertreter einer bestimmten Kunstrichtung, sondern als überragendes Dichtergenie kanonisiert werden will. Dabei dient ihm die »vielfältige Erscheinung« Goethes als Vorbild. Hauptmanns Verklärung zum Dichtergenie gipfelt in seiner Angewohnheit, während des Schreibens »einen der drei Eckermann-Bände in der Hand« zu halten, damit die »göttliche Gelassenheit« des Kunstgegenstands in sein eigenes Werk hinüberströme, und in dem Tagebucheintrag vom . Juli , in dem er erklärt: »Wer Goethe versteht, versteht mich.« Im Unterschied zu ›Michael Kramer‹ steht in ›Baal‹ ein verfemter schöpferischer Protagonist im Zentrum, der den Bruch mit den Definitionsmächten herbeiführt, nachdem er erkennt, dass die Teilhabe im kulturellen Feld mit dem Verlust der eigenen Autonomie korreliert. Mit dem Musiker Ekart zieht er sich in die Natur zurück, für ihn der letzte Ort, an dem die individuelle Entfaltung
Hauptmann: Sankt-Sebaldus-Grab. Ein Koran. (Erinnerung), S. . Muzelle: Naturalistisches Theater, S. . Eintrag vom . . . In: Hauptmann: Tagebücher –, S. . Eintrag vom . . . In: Ebd., S. . Eintrag vom . . . In: Ebd., S. .
des Subjekts und damit die ästhetische Produktion authentischer, ›reiner‹ Artefakte noch möglich ist. Mit seinem Künstlerdrama wendet sich Brecht gegen die auf Gewinnmaximierung fixierten Akteure und Institutionen des Kunstund Kulturbetriebs, gegen das fehlende ästhetische Urteilsvermögen der Rezipienten, deren ›ästhetischer Sinn‹ als ›Sinn für Distinktion‹ zu werten ist, und gegen eine systemstabilisierende, kathartisch wirkende Kunst. Des Weiteren distanziert er sich von der idealistischen expressionistischen Dramatik seiner Zeit. Er konzipiert sein Stück als Antithese zu Johsts Stationendrama ›Der Einsame‹ und verweist es »in den Stand eines deklassierten Werkes«. Obwohl sich der noch unbekannte Autor über den Bruch mit der geweihten Avantgarde einen Namen zu machen sucht, geriert er sich wie sein Protagonist Baal als verfemter Künstler und gibt vor, an finanziellen Einnahmen und symbolischer Anerkennung nicht interessiert zu sein. Ein Großteil der Künstlerdramen, in denen verkannte und verfemte schöpferische Produzenten – Anwärter im kulturellen Feld – im Zentrum stehen, ist in der ersten Jahrhunderthälfte entstanden. Die Protagonisten sind in der Regel als genialische Künstler und Bohemiens konzipiert: Durch einen betont individualistischen Lebensstil grenzen sie sich von den Denk- und Lebensformen ihres sozialen Umfelds ab. Ihre exponierte Stellung gegenüber der Gesellschaft legitimieren sie mit ihrer außerordentlichen schöpferischen Begabung, die sie vor der breiten Masse auszeichnet. Ihre antibürgerliche Haltung manifestiert sich nicht nur in Kleidungsstil, Haartracht oder der Lust an öffentlichen Provokationen, sondern auch in der Ablehnung einer geregelten, nicht-künstlerischen Arbeit zum Erwerb finanzieller Gewinne und in einem ambivalenten Verhältnis zur Großstadt, was sich in exotischen Reisepassionen, einer Affinität zum Vagabundenleben und in der Idealisierung des ländlichen Raums niederschlägt. Trotz dieser Gemeinsamkeiten unterscheiden sich die verfemten Künstlerfiguren von den verkannten Genies darin, dass sie nicht an der Sakralisierung ihrer Werke interessiert sind. Während sich die ungewürdigten Genies als prophetische Künstler begreifen, wissen die verfemten schöpferischen Produzenten, dass sie mit ihren kathartisch wirkenden Artefakten keine sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Reformen bewirken können. Daher verzichten sie freiwillig auf die Teilhabe im kulturellen Feld und auf die Kanonisierung ihrer Werke. In den siebziger Jahren des . Jahrhunderts ist ein Paradigmenwechsel in der Kunsttheorie festzustellen, der von der Geniekonzeption weg und hin zu einer institutionalistischen bzw. topologischen Kunstauffassung führt. Das manifestiert sich im Künstlerdrama darin, dass zunehmend die Konflikte naiver und gerissener schöpferischer Produzenten fokussiert werden. Sie wissen, dass
Bourdieu: Das literarische Feld, S. .
das Kunstwerk als werthaltiges symbolisches Objekt nur existiert, wenn es gekannt und anerkannt, das heißt von Betrachtern, die mit der dazu erforderlichen ästhetischen Einstellung und Kompetenz ausgestattet sind, gesellschaftlich als Kunstwerk instituiert ist.
Sich darüber bewusst, dass ihre Berufsidentität allein von der Anerkennung der Weihungsinstanzen abhängig ist, wird für die gerissenen Künstler die Vorstellung vom autonomen Schöpfer genialischer Artefakte obsolet. Sie weisen daher auch nicht ihrem Werk – ihrem opus operatum –, sondern ihren Durchsetzungsstrategien – ihrem modus operandi – zentrale Bedeutung zu. Aufgrund ihrer totalen Abhängigkeit von den künstlerischen Konsekrationsinstanzen haben die dramatis personae zeitgenössischer Künstlerdramen mit anderen Konflikten zu kämpfen als die verkannten Künstlerfiguren. Während die genialischen Protagonisten unter der ihnen fehlenden beruflichen Anerkennung leiden, können sich die gerissenen schöpferischen Produzenten einen Namen machen, indem sie sich medienwirksam vermarkten. Davon überzeugt, souverän im kulturellen Feld agieren zu können, lenken sie die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich, indem sie sich als individualistische Provokateure gerieren. Allerdings erweist sich ihr Glaube, die Strukturen des Kunst- und Kulturbetriebs in den Dienst der eigenen Interessen stellen zu können, als Illusion. Mit den Konflikten gerissener Künstlerfiguren setzt sich Wolfgang Bauer in ›Change‹ auseinander. Sein Protagonist Fery ist davon überzeugt, selbstbestimmt im Feld der Kulturproduktion handeln zu können. Seinen Plan, aus dem naiven Maler Blasius Okopenko zuerst eine große ›Künstlerpersönlichkeit‹ zu machen und ihn dann in den Selbstmord zu treiben, kann er jedoch nicht realisieren. Mit seinem Künstlerdrama richtet sich Bauer gegen die professionellen Meinungsbildner, die sich aus Profitgier nicht für die Artefakte, sondern nur für die medienwirksamen Durchsetzungsstrategien der von ihnen protegierten schöpferischen Produzenten interessieren. Zudem entlarvt er die seit dem Sturm und Drang tradierte Vorstellung von der Autonomie des Künstlers als naiv, indem er deutlich macht, dass sich Blasi als Maler nur deshalb etablieren kann, weil er sich den Geboten des Kunst- und Kulturbetriebs bedingungslos unterwirft. Aus feldtheoretischer Perspektive ist ›Change‹ als Zeugnis eines ›doppelten Bruchs‹ zu lesen: Bauer distanziert sich von der österreichischen Avantgarde der fünfziger und sechziger Jahre, insbesondere von der Wiener Gruppe, und von der engagierten Dramatik im kulturellen Feld in der Bundesrepublik. Seine Auseinandersetzung mit der österreichischen Avantgarde manifestiert sich in den diversen Verweisen auf die Wiener Künstler-Vereinigung, etwa auf Konrad Bayers und Oswald Wieners Versuche, den Einfluss und die Wirkung der Sprache auf einzelne Personen zu studieren, oder auf Bayers Plan, die Karriere des autodidaktischen Malers Robert Klemmer voranzutreiben. Anstatt wie die Wiener Gruppe
Bourdieu: Die Regeln der Kunst, S. .
davon auszugehen, dass die Sprache als Herrschaftsinstrument fungiert und das menschliche Denken determiniert, führt Bauer fremdbestimmte Subjekte vor, die unfähig sind, ihre Sprache zur Steuerung von Situationen gezielt einzusetzen. Die Abwendung von den ästhetischen Prämissen der Wiener Gruppe zeigt sich auch auf dramaturgischer Ebene. Während die österreichischen Künstler narrativ-mimetische Erzählverfahren ablehnen, ist ›Change‹ als ›realistischer‹ PopTheatertext konzipiert. Mit der Gestaltung seines Künstlerdramas als Pop-Stück grenzt sich Bauer nicht nur von der Wiener Gruppe, sondern auch von den aufklärerische Ziele verfolgenden dokumentarischen Theatertexten, den Revolutionsdramen und den Kritischen Volksstücken ab, die in den sechziger Jahren die Spielpläne der Stadt- und Staatstheater in der Bundesrepublik dominieren. Wie Bauer führt auch Richter gerissene Künstlerfiguren vor, die als naiv entlarvt werden, weil sie glauben, die ›Regeln der Kunst‹ zu beherrschen. Er stellt den Kunst- und Kulturbetrieb als professioniertes Vermarktungssystem dar, das vor allem jungen schöpferischen Produzenten ein Forum zur Selbstdarstellung bietet. Im Unterschied zu den verkannten Genies, die sich am autonomen Pol des kulturellen Feldes positionieren und auf die Realisierung ihrer weltlichen Bedürfnisse zugunsten ihrer messianischen Werke verzichten, sind Richters Figuren bestrebt, die breite Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Sie verorten sich mit ihren Projekten nicht dezidiert im Unterfeld der eingeschränkten Produktion, weil sie nicht an der Gestaltung ästhetisch überzeugender Artefakte, sondern an »massenhafte[r] Beachtung« interessiert sind. Richters Künstlerdrama kann entweder affirmativ als ›Zeitstück‹ oder kritisch als Reflexion über die spezifischen Strukturen des Kultur- und Mediensektors gelesen werden. Um sich als lebende Kunstwerke im Rahmen eines Kunsthallenprojekts unterhaltsam in Szene zu setzen, verleihen sich Richters Protagonisten verschiedene authentisch wirkende Images, ohne sich mit den von ihnen konzipierten Rollen zu identifizieren. Allerdings erweisen sie sich unfähig, zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden und sich über die Gestaltung ihrer gemeinsamen Performances hinaus zu verständigen. Bei der Konzeption seines Künstlerdramas orientiert sich Richter nicht an den in den neunziger Jahren viel gespielten mythischen Bühnenstücken von Peter Handke und Botho Strauß oder an den die Materialität der Sprache fokussierenden Theatertexten von Rainald Goetz, Elfriede Jelinek oder Werner Schwab. Er favorisiert die Stücke der jungen englischsprachigen Dramatiker wie Mark Ravenhill oder Sarah Kane, die Ende des Jahrzehnts entdeckt und gefeiert werden. Wie die britischen Bühnenautoren sucht er das »Lebensgefühl der er Jahre« abzubilden und konzipiert sein Stück als Pop-Theatertext. Auf diese Weise hat er Anteil an dem medialen Aufsehen um die deutschsprachige Popliteratur der neunziger Jahre.
Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit, S. . Tabert (Hg.): Playspotting, Klappentext.
Im Gegensatz zu Hauptmann, Brecht, Bauer und Richter befasst sich Thomas Bernhard in ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹ mit dem Typus des kanonisierten Künstlers. In seiner Komödie kritisiert er die künstlerischen Konsekrationsinstanzen, denen er vorwirft, nicht an der Förderung ›reiner‹ Kunst, sondern primär an finanziellen Erträgen interessiert zu sein. Des Weiteren wendet er sich gegen die sensationsorientierte Berichterstattung der Medien und gegen die Schriftsteller, die sich von den Inhabern politischer und kultureller Macht vereinnahmen lassen. Sein Künstlerdrama ist außerdem als Bruch mit der kanonisierten Avantgarde seiner Zeit zu lesen. Bernhard wirft dem Gros der deutschsprachigen Autoren vor, die geistige Autonomie zugunsten weltlicher Ehren aufgegeben zu haben. Seine Distanz zur schriftstellerischen Konkurrenz manifestiert sich nicht nur in seinem Theatertext, sondern auch in seiner posture. Obwohl Bernhard in den achtziger Jahren bereits ein international gefeierter Schriftsteller ist, inszeniert er sich als kritischer Intellektueller und als Außenseiter des Kunst- und Kulturbetriebs. Gegen den Vorwurf einiger Literaturkritiker, dass seine Position im kulturellen Feld nicht mit seinen Positionierungen übereinstimme, macht er sich unangreifbar, indem er sein Image als individualistischer Einzelgänger und ›Düstermann‹ in seinem Künstlerdrama als fiktionale Konstruktion kenntlich macht. In Bezug auf die historische Entwicklung des Künstlerdramas spricht Uwe Japp von einer »Komisierungstendenz[ ]« in der zweiten Hälfte des . Jahrhunderts: Das Künstlerdrama hat sich, wenn wir den Vergleich mit den pathetischen, tragischen und intrinsisch intendierten Darstellungen des . Jahrhunderts ziehen, in die das Drama des . Jahrhunderts überhaupt charakterisierende Situation der Tragikomödie transformiert.
Japp bedenkt nicht, dass neben den Künstlertragödien im . Jahrhundert auch zahlreiche -komödien entstanden sind. Man denke an die Lustspiele Johann Ludwig Ferdinand Deinhardsteins, etwa an ›Hans Sachs‹ (UA ), ›Garrick in Bristol‹ (UA ) oder ›Fürst und Dichter‹ (UA ), an Karl Gutzkows ›Der Königsleutnant‹ (UA ) oder ›Das Urbild des Tartüffe‹ (UA ), an Heinrich Laubes ›Gottsched und Gellert‹ () oder an August von Kotzebues ›Der arme Poet‹ (UA ), um nur einige Stücke zu nennen. Insofern ist die These, dass sich das Künstlerdrama von der Tragödie hin zur Tragikomödie entwickelt hat, fragwürdig. Zudem sind die von Japp verwendeten Gattungsbezeichnungen problematisch. Fraglos sind viele Künstlerdramen in der zweiten Jahrhunderthälfte als Tragikomödien konzipiert, da diese dramatische Form nach dem Zweiten Weltkrieg zu »einer Konstante« im »Welttheater« wird. In
Japp: Das deutsche Künstlerdrama, S. . Ebd., S. . Gérard Schneilin: Tragikomödie. In: Manfred Brauneck / Gérard Schneilin (Hg.): Theaterlexikon. Begriffe und Epochen, Bühnen und Ensembles. Reinbek bei Hamburg , S. –, hier S. .
dem Japp auf die ›klassischen‹ Gattungen fixiert bleibt, verliert er aber die zeitgenössischen, ›nicht mehr dramatischen‹ Theatertexte aus dem Blick. Wenn man von einer ›Komisierungstendenz‹ im Künstlerdrama des . Jahrhunderts sprechen kann, dann vor dem Hintergrund des sich ändernden Künstlerbildes Ende der sechziger Jahre. Wie in der vorliegenden Arbeit erläutert, verliert der Geniegedanke in der zweiten Jahrhunderthälfte an Relevanz. Damit interessiert der verkannte, tragisch scheiternde Künstler nicht mehr als Mittelpunkt dramatischer Handlungen. Stattdessen werden die kreativen Durchsetzungsstrategien gerissener Künstlerfiguren fokussiert, die tragisch und/oder heiter in Szene gesetzt werden. Trotz dieser signifikanten historischen Entwicklung muss berücksichtigt werden, dass schon um gerissene (Lebens-)Künstler im Drama vorgeführt werden, etwa in Frank Wedekinds ›Der Marquis von Keith‹ (), und dass auf die Geniekonzeption auch in heutigen Theatertexten Bezug genommen wird. So rekurriert Elfriede Jelinek in ›er nicht als er (zu, mit Robert Walser)‹ () auf den Mythos vom verkannten Genie, obwohl sie bestrebt ist, die »Ideologie vom ›schöpferischen‹ Werk und von ›originärer‹ Autorschaft« zu destruieren. In ihrem Künstlerdrama
Marlies Janz: Elfriede Jelinek. Stuttgart , S. . Vgl. Nina Birkner: ›Wer ist denn schon zu Hause bei sich‹? – Elfriede Jelineks Poetologie des ›Verdämmerns‹ in ›er nicht als er (zu, mit Robert Walser)‹. In: Inge Arteel (Hg.): Elfriede Jelinek – Stücke für oder gegen das Theater? Brüssel , S. –. In dem Beitrag wird anhand von ›Jelineks Wahl. Literarische Verwandtschaften‹ (Hg. von Elfriede Jelinek u. Brigitte Landes. München ) illustriert, dass die Schriftstellerin den modernen Mythos vom Autor demontiert, indem sie proklamiert, dass das Subjekt weder eine stabile Identität besitzt noch über die Sprache als Ausdrucksmittel von individuellen Gedanken verfügt. Zugleich restituiert sie aber den Mythos, indem sie den von ihr geschätzten Schriftsteller Robert Walser als genialische ›Ikone‹ ihrer kunsttheoretischen Position wieder etabliert. Das von Jelinek in ›Jelineks Wahl‹ proklamierte Autorschaftskonzept weist große Parallelen zu Michel Foucaults und Roland Barthes Theorien zum ›Tod des Autors‹ auf. Die Autorin fragt zunächst nach der Identitätskonstitution des Subjekts und definiert das »einsame Ich« als eine »leere, aber formatierte Diskette, der wir den Namen Ich geben« (ebd., S. ). Genauso, wie eine Diskette jederzeit gelöscht und neu beschrieben werden könne, besitze auch das Subjekt keinen stabilen Identitätskern, sondern sei »amorph«, könne »alles sein […] und nichts« (ebd., S. ). Jelinek negiert nicht nur die tradierte Auffassung von einer stabilen Identität, sondern erteilt auch der Vorstellung von einem souveränen Subjekt eine Absage. Ähnlich wie Martin Heidegger, Barthes oder Foucault sieht die Dichterin das Subjekt von der Sprache determiniert. Entgegen der vorherrschenden Vorstellung, der Mensch könne über die Sprache als Bezeichnungs- und Kommunikationssystem von sprachunabhängigen Gedanken verfügen, vertritt Jelinek die These, dass sich das Subjekt seine Außenwelt in sprachlich überlieferten Konventionen erschließt, so dass nicht das Individuum, sondern die »Sprache spricht« (Martin Heidegger: Unterwegs zur Sprache. Pfullingen , S. ). Jelineks Auffassung von einer flexiblen Identität und der eigenständigen Existenz einer autonomen Sprache prägt ihr Autorschaftskonzept. Die Dichterin lehnt all die
wird ein Vorübergehender – der Schriftsteller Robert Walser – als Künstler beschrieben, der sich durch eine exzeptionelle Weltwahrnehmung und durch eine Schriftsteller ab, die versuchen, ihr vermeintlich beständiges ›Selbst‹ schreibend zu fixieren. Die Biographie des Autors dürfe weder Bezugspunkt der Interpretation noch Ausgangspunkt des Schreibens sein. Schreiben bedeute vielmehr – mit Barthes – »mit Hilfe einer unverzichtbaren Unpersönlichkeit […] an den Punkt zu gelangen, wo nicht ›ich‹, sondern nur die Sprache ›handelt‹« (Roland Barthes: Der Tod des Autors. In: Fotis Jannidis / Gerhard Lauer / Matias Martinez / Simone Winko (Hg.): Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart , S. –, hier S. ). Der Dichter habe hinter seinem Text zu ›verschwinden‹, zu ›verdämmern‹. Anstatt chiffrierte Inhalte zu vermitteln, sei die Materialität der Sprache zu fokussieren. Der Autor habe sich »ausschließlich im Gesprochenen zu orientieren und sich selbst dabei« zu »vermeiden«, zu »umrunden« (Jelineks Wahl, S. ). In ›Jelineks Wahl‹ betont die Autorin, dass die von ihr favorisierten Künstler das Wissen um ihre instabile Identität nicht als Gefühl größtmöglicher innerer Freiheit, sondern als Gefühl der Entfremdung erleben – von sich selbst und von anderen, die sich ihrer vermeintlichen Identität gewiss sind. Der Dichter sei »ein Hinausgeworfener« (ebd., S. ), der sich, im Gegensatz zur breiten Masse, keinem System generalisierender Weltdeutung unterwerfen könne und wolle, aber um den Preis, sich in der Welt nicht verorten zu können. Diese Entfremdung manifestiere sich meist in einem experimentellen literarischen Sprachgebrauch. Anstatt sich auf die bekannte und vertraute Bedeutung des Gesagten zu konzentrieren, seien ihre literarischen Vorbilder »aus der Sprache ausgestiegen, indem sie jede Vormeinung über ihren Gegenstand ausgelöscht haben«. Sie »trauen den Namen nicht mehr und fragen immer wieder aufs neue, in einer Erstlingshaltung« (ebd., S. ). Das Schreiben diene den von ihr favorisierten, ›verstörten‹ Dichtern als Überlebensstrategie. Sie seien »besessen […] von der Präzision des Ausdrucks, als wollten sie sich bis zuletzt an etwas festhalten, bevor sie ihr eigenes Denken in den Verfall führt und sie den Verstorbenen nachsterben müssen.« (Ebd., S. f.). Mit dieser Kunstauffassung behauptet die Autorin eine Verbindung zwischen Kreativität und psychischer Störung, seit Cesare Lombrosos Abhandlung über ›Genie und Irrsinn in ihren Beziehungen zum Gesetz, zur Kritik und zur Geschichte‹ ein tradierter Topos. Auch im Hinblick auf den künstlerischen Produktionsprozess rekurriert die Dichterin auf die Geniekonzeption. Ähnlich wie in der Frühromantik ist der Künstler für Jelinek Medium und Bezeugungsinstanz einer metaphysischen Sphäre, wenn sie konstatiert: »Ich möchte wissen, wer diese von der Sprache Geschlagenen sind, die gezwungen werden, beiseite zu treten, damit sie sich nicht in sich aufhalten, wenn dieser Blitz [gemeint sind Sprache und Dichtung, Anm. N.B.] zuschlägt.« (ebd., S. ). Für das in ›Jelineks Wahl‹ dargelegte Künstlerbild dient ihr der Schweizer Schriftsteller Robert Walser als ›Ikone‹. Der von seinen Zeitgenossen wenig geschätzte Dichter erkrankte mit Jahren an Schizophrenie und verbrachte die letzten Jahre seines Lebens in der Psychiatrie, wo er aufhörte zu schreiben. Walsers Leiden führt Jelinek weniger auf biologisch-genetische Prädispositionen als auf psychosoziale Faktoren zurück. Zum einen charakterisiert sie den Dichter als psychisch labile Person, die – sich selbst fremd – »ein Leben lang neben sich hergegangen ist« (ebd., S. ). Zum anderen zeichnet sie das Bild eines gesellschaftlichen Außenseiters, der sich durch eine privilegierte Weltwahrnehmung auszeichnet. Walser sieht »in der Abgeschiedenheit« etwas, »das kein anderer sehen kann« (ebd., S. ) und muss daher nicht nur sich selbst, sondern auch anderen fremd bleiben. Auch die fehlende berufliche Anerkennung macht Jelinek für Walsers Rückzug aus dem Leben verantwortlich. »Da der Niemand nichts besitzt, das ein andrer haben wollte, wird er unsichtbar, unauffällig, wird übersehen« (ebd., S. ).
bemerkenswerte schöpferische Gabe vor seinem sozialen Umfeld auszeichnet. Sein Werk wird als eine in ihm »schlummernde Göttin« und er selbst als Spaziergänger »mit geblendeten Augen, die trotzdem immer weiter ins Licht schauen müssen«, bezeichnet. Durch seine Ausnahmebegabung wird er zum gesellschaftlichen Außenseiter, den Menschen ist bei seinem »Anblick, als sähen sie den Unsichtbaren. Als versänke ihr Kahn unter Schmerzen«. Unter der ihm fehlenden beruflichen und privaten Anerkennung leidend, hat der verkannte Künstler »dreiundzwanzig Jahre« seines Lebens in einer Heil- und Pflegeanstalt verbracht und dort »nicht mehr gesprochen […]. Er hat lieber Erbsen gezählt und versucht, sich in Stanniolpapier einzuwickeln wie ein Geschenk, doch es wollte ihn ja keiner haben.« Die Studie macht deutlich, dass die in den jeweiligen Dramen exemplifizierten kunst- und künstlerspezifischen Konflikte nicht nur historisch bedingt sind, sondern auch und vor allem von der Position der vorgeführten schöpferischen Produzenten im kulturellen Feld abhängen. Während die Anwärter damit zu kämpfen haben, sich über den Bruch mit etablierten ästhetischen Positionen einen Namen zu machen, müssen die naiven und gerissenen Künstler geschickte Taktiken entwickeln, um die Weihungsinstanzen dauerhaft von sich überzeugen zu können. Die kanonisierten Künstler sind hingegen bestrebt, ihre herrschende Stellung im Feld der Kulturproduktion zu festigen. Sie wehren sich gegen die Entwertung ihrer Artefakte durch die Avantgarde. Neben der werkbezogenen und typologischen Analyse hat sich die feldtheoretische Untersuchung der Künstlerdramen als gewinnbringend erwiesen: Es hat sich gezeigt, dass die Stellung eines Dramatikers im Feld der Kulturproduktion Auswirkungen auf die thematische und ästhetische Gestaltung seines Künstlerdramas hat. Allerdings ist zu betonen, dass sich die Dramatiker nicht
Elfriede Jelinek: er nicht als er (zu, mit Robert Walser). Frankfurt/M. , S. . Ebd., S. . Ebd., S. . In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass die vorgeführten Künstlerfiguren in keinem Drama als Sprachrohr der jeweiligen Autoren fungieren. Allerdings deckt sich in der Regel die Stellung des Dramatikers mit der seines schöpferischen Protagonisten im kulturellen Feld. Das ist mit Bourdieu darauf zurückzuführen, dass der Position des Künstlers im kulturellen Feld homologe Positionierungen entsprechen. Über diese Analogie reflektiert Bauer im Interview mit Harald Friedl, wenn er erklärt: »[I]n dem Moment, in dem er finanziell und gesellschaftlich plötzlich arriviert ist und von der Gesellschaft und von den Politikern plötzlich vereinnahmt wird, ändert sich – also hundertprozentig – in jedem Künstler, wenn schon nicht der Charakter, so doch die Basis, aus der man schreibt. Angenommen ich wäre Millionär, dann kann ich nicht so tun, wie wenn ich in der größten Scheiße stecken würde, weil ich aus der so gut schreiben kann.« (Harald Friedl (Hg.): Die Tiefe der Tinte. Wolfgang Bauer, Elfriede Jelinek, Friederike Mayröcker, H.C. Artmann, Milo Dor, Gert Jonke, Barbara Frischmuth, Ernst Jandl, Peter Turrini, Christine Nöstlinger im Gespräch. Salzburg , S. ).
immer bewusst im ›Raum des Möglichen‹ positionieren. Ihr Streben nach »materiellen oder symbolischen Gewinnen« bestimmt die Konzeption ihrer Artefakte, stellt sich aber »niemals als solche[s], in einer Logik zynischer Berechnung« dar.
Bourdieu: Das literarische Feld, S. .
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Namensregister
Achleitner, Friedrich 152, 159 Ackermann, Kathrin 163, 171 Adorno, Theodor W. 56, 176, 177, 222 Alexander der Große 44 Ali, Muhammad (d. i. Cassius Marcellus Clay Jr.) 216 Ammann, Max P. 125 Anderson, Jarvis Lynn 13, 15, 16 Anz, Thomas 25, 97, 98 Artmann, Hans Carl 150, 151, 153, 154, 159 Aspetsberger, Friedbert 142 Ayler, Albert 140 Baal, Johann 103 Bab, Julius 69 Bachmann, Charles R. 20 Bänzinger, Hans 259 Bahr, Hermann 12 Banholzer, Paula 106 Bardot, Brigitte 214 Barthes, Roland 273, 274 Barthofer, Alfred 220, 221, 239 Bartholdy, Felix Mendelssohn 227 Bartsch, Kurt 127, 128 Baßler, Moritz 163, 195 Baudelaire, Charles 227 Bauer, Roger 126 Bauer, Wolfgang 4, 17, 124–172, 173, 194, 196, 204–208, 210–214, 216, 217, 223, 270, 271, 272, 275 Bauer, Otmar 152 Bauersima, Igor 4, 204, 205, 207, 217 Bayer, Konrad 150–153, 155, 159, 270 Bayerdörfer, Hans-Peter 99 Beck, Götz 73, 74 Beckett, Samuel 16, 140 Beethoven, Ludwig van 28, 29, 32, 37, 38, 39, 227, 228 Benjamin, Walter 3, 222 Benn, Gottfried 209
Berghoff, Dagmar 187 Bernhard, Anna 247 Bernhard, Thomas 2, 4, 17, 125, 218–251, 252, 255, 256, 262, 272 Bernhardt, Rüdiger 20, 29, 38, 42 Bildt, Paul 67 Biolek, Alfred 192 Birch-Pfeiffer, Charlotte 14 Bisinger, Gerald 160 Björk (d. i. Björk Gujmundsdóttir) 196, 215 Block, Richard 76 Bock, Hans Bertram 218 Böcklin, Arnold 24, 26, 32, 63, 64 Böhme, Erich 248 Böhme, Jakob 35 Bonnat, Léon Joseph Florentin 7 Bosse, Jan 201 Bowie, David (d. i. David Robert Heyward-Jones) 191 Brahm, Otto 45 Brauneck, Manfred 46 Brown, James (d. i. James Joseph Brown Jr.) 197 Brecht, Bertolt 4, 16, 17, 19, 72–110, 112, 113, 115–117, 260, 264, 269, 272 Breicha, Otto 150 Breitenstein, Rolf 226 Brinkmann, Rolf Dieter 163, 171, 172 Broch, Hermann 157 Brock-Sulzer, Elisabeth 260 Bronnen, Arnolt 105 Bourdieu, Pierre 5, 6, 8, 10, 46, 56, 57, 80, 88, 120, 139, 140, 189, 230, 235, 275 Buddecke, Wolfram 125 Büchner, Georg 67 Büsser, Martin 194 Buhl, Barbara 74, 91 Burckhardt, Barbara 201 Brus, Günter 210
Cage, John 56 Canetti, Elias 244 Chatterton, Thomas 48, 66 Cher (d. i. Cherilyn Sarkisian, auch Sarkissian) 191 Chotjewitz, Peter O. 171, 172 Crimp, Martin 200 Conrad, Michael Georg 12 Conter, Claude D. 195 Clément, Félix Auguste 7 Clos, Annett 74, 75 Collins, Ralph Stokes 14, 15 Cr˘aciun, Ioana 14, 15 Daphinoff, Dimiter 73 Deinhardstein, Johann Ludwig 14, 272 Delerue, Georges 214 Delpy, Egbert 115 Desvignes, Réjane 4, 204, 205, 208, 214, 217 Dickenberger, Udo 248 Diederichsen, Diedrich 131, 165, 194 Diogenes von Sinope 44 Disney, Walt (d. i. Walter Elias Disney) 170 Doderer, Heimito von 157 Dorn, Dieter 201 Dorst, Tankred 4, 14, 15, 17, 120, 170, 252–255, 257, 258, 262–265 Drews, Wolfgang 216 Droste-Hülshoff, Annette von 227 Duchamp, Marcel 3, 7, 8, 162, 178, 180, 181 Düffel, John von 201 Dümling, Albrecht 106 Dürer, Albrecht 227 Dürrenmatt, Friedrich 4, 252, 253, 255–261, 263, 265, 266 Durzak, Manfred 260 Eckermann, Johann Peter 31, 268 Eisendle, Helmut 160 Elsner, Richard 116 Endres, Ria 248 Engel, Fritz 54, 67 Enzensberger, Hans Magnus 170 Ernst, Heiko 188 Ernst, Thomas 163, 194 Esslin, Martin 128 Evans, Arthur John 228
Everding, August 125 Export, Valie (d. i. Waltraud Höllinger, geb. Waltraud Lehner) 156 Falckenberg, Otto 104 Falk, Gunter 170 Fassbinder, Rainer Werner 72, 170, 213 Feilchenfeldt, Konrad 105, 108 Fialik, Maria 152 Fichte, Hubert 70, 71, 171, 172, 213 Fiedler, Leslie A. 161, 172 Fischer, Samuel 45 Fischerauer, Bernd 125 Flatz, Wolfgang 210, 213 Fleischmann, Krista 242 Fleißer, Marieluise 170 Fontane, Theodor 45 Forestier, George (d. i. Karl Emerich Krämer) 66, 209, 273 Fosse, Jon 203 Foucault, Michel 178, 182 Franck, Georg 143, 182, 189 Frayn, Michael 4 Freeman, Thomas 70 Freumbichler, Johannes 245, 246 Friedl, Harald 275 Frieberger, Padhi 152, 153 Friedrich, Caspar David 143 Frisch, Max 244 Frisch, Werner 73 Frischmuth, Barbara 160 Fritsch, Gerhard 150 Fröhlich-Sandner, Gertrude (geb. Gertrude Kastner) 142 Frühwald, Wolfgang 75, 76, 90, 94, 96, 101 Führich, Angelika 74, 75 Fuhrmann, Helmut 125 Gadamer, Hans-Georg 55 Gamper, Herbert 128, 129, 222 Gelfert, Hans-Dieter 226 George, Stefan 227 Gerstinger, Heinz 125 Godard, Jean-Luc 214, 215 Goebbels, Joseph 55, 105 Goethe, Johann Wolfgang von 1, 2, 13, 14, 31, 32, 44, 51, 60, 66, 74, 97, 98, 213, 221, 222, 226, 227, 229, 237–242, 245, 249, 254, 268 Göttlich, Udo 198
Goetz, Rainald 2, 199, 200, 210, 213, 271 Goldie (d. i. Clifford Joseph Price) 177, 187 Goldschmidt, Helene 13, 14 Gottzmann, Carola L. 130, 146, 147 Grabbe, Christian Dietrich 49, 61, 67 Grack, Günther 245, 248 Grass, Günter 14, 15, 170 Greif, Hans-Jürgen 130 Greif, Stefan 163, 171 Grillparzer, Franz 13, 14 Grond, Walter 172, 216 Groys, Boris 57, 162, 179, 180, 266 Gründgens, Gustaf 70, 71 Gütersloh, Albert Paris (d. i. Albert Conrad Kiehtreiber) 157 Günther, Vincent J. 75 Guldin, Rainer 71 Gutherz, Gerhard 72 Guthke, Karl S. 20, 27, 29, 35, 39 Guttenbrunner, Michael 141, 142 Gutzkow, Karl Ferdinand 14, 272 Haarmann, Hermann 117 Hagens, Gunther von 211 Hakkarainen, Marja-Leena 73 Hamecher, Peter 69 Hammer, Wolfgang 241, 248 Hamsun, Knut 102, 227, 253, 263 Halm, Friedrich (d. i. Eligius Franz Joseph Freiherr von Münch-Bellinghausen) 18 Handke, Peter 125, 160, 166, 199, 222, 241, 249, 250, 271 Hardt, Ernst 64, 65 Hart, Heinrich 12, 45 Hart, Julius 12, 44, 45 Hauptmann, Gerhart 4, 12, 15, 17, 19–47, 48, 54, 63, 64, 65, 116, 120, 123, 224, 241, 267, 268, 272 Hayman, Ronald 76 Hebbel, Friedrich 13, 14, 64, 94 Hecken, Thomas 163 Heerich, Stephan 76 Heidegger, Martin 273 Heine, Heinrich 61, 64, 227 Heinz, Gerd 125 Hengstler, Wilhelm 160 Henrichs, Benjamin 126, 168, 216 Herder, Caroline 2 Herder, Johann Gottfried 66
Herzmanovsky-Orlando, Fritz von (d. i. Friedrich Josef Franz Ritter von Herzmanowsky) 157 Herzog, Christiane 188 Hesse, Hermann 227 Hillesheim, Jürgen 75, 92, 93 Hinck, Walter 68 Hirschfeld, Georg 46 Hitler, Adolf 55 Hochhuth, Rolf 170, 260 Hölderlin, Friedrich 13 Höller, Hans 245 Hoffer, Klaus 160 Hofmann, Kurt 240, 244, 248 Hofmannsthal, Hugo von 15, 75, 227 Holtei, Karl von 14 Holz, Arno 12, 44, 45, 46 Honegger, Gitta 247, 248 Horkheimer, Max 176, 177, 222 Horváth, Ödön von 126, 127, 170, 216 Houwald, Ernst von 14 Huchel, Peter 71 Hundertwasser, Friedensreich (d. i. Friedrich Stowasser) 141, 142 Ibsen, Henrik 44, 74 Iffland, August Wilhelm 14, 64 Immermann, Karl 14, 64 Jahnn, Hans Henny 4, 48, 50, 51, 55, 63, 65, 67, 70, 71, 116, 121, 123, 212 Janetzki, Ulrich 152 Jang, Eun-Soo 221 Japp, Uwe 1, 2, 4, 14, 15, 16, 17, 20, 27, 220, 272, 273 Jelinek, Elfriede 2, 166, 199, 200, 244, 271, 273, 274 Jenny, Urs 259, 261 Jones, James W. 74 Jonke, Gert 160 Johnson, Uwe 244 Johst, Hanns 4, 48, 49, 54, 58, 59, 62, 66–69, 73, 87, 90, 100, 104–109, 119, 123, 205, 212, 269 Joost, Jörg-Wilhelm 89 Jordheim, Helge 73,74, 94 Joyce, James 140 Jünger, Ernst 213, 218, 241, 249 Jung, Thomas 198 Jussenhoven-Trautmann, Krista 1, 13, 14
Kagel, Mauricio 203 Kaiser, Joachim 216 Erwin Kalser 67 Kane, Sarah 200, 201, 271 Kant, Immanuel 3, 56 Karasek, Hellmuth 126, 131, 216, 247, 248 Kaulen, Heinrich 162, 165 Kerr, Alfred 65, 115 Kesting, Marianne 127, 258 Kiefer, Klaus H. 74, 80, 87 Kieser, Rolf 260 Kind, Johann Friedrich 14 Kipphardt, Heinar (d. i. Heinrich Mauritius Kipphardt) 170 Klee, Paul 140 Klein, Gabriele 177 Kleist, Heinrich von 227 Klemmer, Robert 152, 153, 270 Klopstock, Friedrich Gottlieb 227 Klug, Christian 247 Knopf, Jan 92–94, 102, 108 Koeppen, Wolfgang 244 Kohl, Karl-Heinz 3 Kohse, Petra 201 Kolleritsch, Alfred 159, 160 Koppensteiner, Jürgen 128, 129 Kortner, Fritz 67 Kotzebue, August von 14, 64 Krättli, Anton 246, 251 Kraus, Karl 126 Kreisky, Bruno 243 Kreuzer, Helmut 119, 120 Krienitz, Willy 1, 13, 14 Kroetz, Franz Xaver 130, 170 Krolow, Karl 209 Kroth, Karl August 104 Kuhn, Hedda 104, 105 Kutscher, Artur 67, 104–106, 108 Kux, Manfred 14, 15 Landa, Jutta 127 Laserstein, Käte 1 Laube, Heinrich 14, 272 Laube, Horst 263 Lee, Bruce (d. i. Lee Jun-fan) 197 Lenz, Jakob Michael Reinhold 67 Lernet-Holenia, Alexander (d. i. Alexander Marie Norbert Lernet) 157 Lessing, Gotthold Ephraim 22 Levy, Erna 1, 13, 14
Lindemann, Gustav 71 Lombroso, Cesare 274 Lublinski, Samuel 47 Luft, Friedrich 260 Lyotard, Jean-François 56 Madonna (d. i. Madonna Louise Ciccone) 191, 197, 215 Mahal, Günther 47 Mai, Martina 16 Mallarmé, Stéphane 227 Mann, Heinrich 267 Mann, Katia 240 Mann, Thomas 55, 221, 229, 238–242, 245, 249, 267 Marber, Patrick 200 Marthaler, Christoph 173 Mauthner, Fritz 45 McPherson, Conor 200 Meizoz, Jérôme 139, 226 Melchinger, Siegfried 259, 260 Mellen, Philip 42 Melzer, Gerhard 129 Mennemeier, Franz Norbert 76, 77, 86, 87, 102, 128, 129 Meuthen, Erich 16 Meyer, Theo 43 Michaelis, Rolf 160 Michalzik, Peter 213 Mingus, Charles 140 Mittermayer, Manfred 221, 249 Mix, York-Gothart 10, 17 Mixner, Manfred 128, 129, 130 Mörike, Eduard 227 Moravia, Alberto (d. i. Alberto Pincherle) 214 Moritz, Karl Philipp 222, 239 Muehl, Otto 210 Müller, André 242, 244 Müller, Klaus-Detlef 89, 94 Münsterer, Hans Otto 73, 104–107 Multer, Raingard 222 Musil, Robert 69, 157 Napoléon Bonaparte 66 Natonek, Hans 115 Neher, Caspar 106, 107 Nietzsche, Friedrich 48, 61, 75, 92, 96, 113, 227 Nitsch, Hermann 214 Novotny, Franz Adalbert 79
Novotny, Margit 79 Nowotny, Franz 79 Nowotny, Franz B. 79 Nowotny, Isabella (d. i. Ida Klein) 79 Nuss, Bernhard 226 Nyssen, Ute 128, 129, 146 Obermeier, Kurt Walter 73 Ochs, Martina 222 Oehlenschläger, Adam Gottlob 1, 13, 14 Oehm, Heidemarie 65 Okopenko, Andreas 150 Ort, Claus-Michael 40 Ossian (d. i. James Macpherson) 66 Ostermaier, Albert 4, 17, 204–215, 217 Ostermeier, Thomas 201 Palitzsch, Peter 263 Paracelsus (d. i. Theophrastus Bombastus von Hohenheim) 42 Partl, Kurt 20, 26, 31, 32, 38 Paulhofer, Christina 201 Pechmann, Paul 169 Peymann, Claus 201 Pfanner, Helmut 20, 33, 35, 43, 49, 68 Phidias 44 Phoenix, River (d. i. River Jude Bottom) 197 Piccoli, Michel 214 Pietzcker, Carl 76 Pinthus, Klaus 116 Piper, Reinhard 46 Pirandello, Luigi 4, 213 Piscator, Erwin 116, 260 Platen, August von (d. i. Karl August Georg Maximilian Graf von PlatenHallermünde) 227 Platon 214 Podszun, Johannes Frederik 248 Polgar, Alfred 67 Pongratz, Peter 170 Poschmann, Gerda 2, 199 Przybecki, Marek 130, 136, 137 Qualtinger, Helmut 126 Quetes, Wolfgang 125 Rachmaninov, Sergej 227 Radax, Ferry 160 Ralinofsky, Dagmar 127 Ramming, Stephan 199
Raupach, Ernst Benjamin 64 Ravenhill, Mark 199–201, 271 Regschek, Kurt 152 Reichertz, Jo 190 Reinhardt, Max 69 Richter, Falk 4, 17, 124, 173–208, 211, 212, 215–217, 223, 271, 272 Richter, Hans Georg 115 Rietra, Madeleine 220 Rilke, Rainer Maria 19 Rimbaud, Arthur 102, 110 Rivel, Charlie (d. i. Josep Andreu i Lasserre) 243 Rommel, Otto 220 Roth, Gerhard 243 Rousseau, Henri Julien Félix 7, 8, 140, 142 Rousseau, Jean-Jacques 249 Rühle, Günther 170 Rühm, Gerhard 150–153, 159 Ruppert, Wolfgang 120, 121 Salvatore, Gaston 14, 120 Sauerland, Karol 126, 127 Schaarschmidt, Peter 125 Schäfer, Jörgen 164 Schaff, Barbara 14, 15 Scharang, Michael 160 Scheel, Walter 243, 244 Scheuer, Helmut 46 Schiller, Friedrich 54, 81, 98 Schlaf, Johannes 12, 45, 46 Schlenther, Paul 45 Schlöndorff, Volker 72 Schmid, Christof 125 Schmidt, Christoph 56 Schmidt, Dieter 72, 94, 104 Schmidt, Jochen 51, 55, 61, 112, 113 Schnell, Axel 75, 94 Schnitzler, Arthur 4, 15, 126, 127 Schönberg, Arnold 56, 228 Schopenhauer, Arthur 61, 227 Schumacher, Ernst 259–261 Schwab, Werner 199, 200, 213, 271 Seiler, Manfred 241 Seiler, Sascha 163, 194 Shakespeare, William 227, 237 Siebenhaar, Klaus 117 Siemens, Christof 245 Skram, Anne (bzw. Anna Schram) 78
Skram, Asbjørn Oluf Erik 78 Skram, Berthe Amalie 78 Sokel, Walter 102, 103 Sommer, Harald 160 Sorg, Bernhard 219, 251 Sorge, Reinhard Johannes 4, 15, 48, 49, 54, 58, 62, 64–69, 91, 100, 123, 205, 212, 225 Speirs, Ronald 75, 95 Sperr, Martin 130, 170 Spiel, Hilde 166 Staël, Germaine de 66 Stadelmaier, Gerhard 218, 246 Stavianicek, Hedwig 247 Steege, Viktor 20, 28, 42 Stemann, Nicolas 201 Stein, Peter 201 Steinrück, Albert 67 Sterne, Laurence 140 Sternheim, Carl 120 Stettenheim, Julius 45 Stifter, Adalbert 157 Stiles, Nobby (d. i. Norbert Peter Stiles) 166 Stramm, August 78, 79, 97 Strauß, Botho 131, 166, 199, 271 Strindberg, August 103, 237 Stucken, Eduard 65 Stuckrad-Barre, Benjamin von 195 Sucher, C. Bernd 213, 219, 248 Tabbert-Jones, Gudrun 74, 88 Tarantino, Quentin 176, 197, 215 Theobald, Erika E. 126 Thieringer, Thomas 168 Thom, Andreas 108, 109 Thoma, Ludwig 4, 252, 254–258, 261–263, 266 Tieck, Ludwig 1, 2, 16 Tolstoi, Lew Nikolajewitsch 44 Tramin, Peter von (d. i. Peter Richard Oswald Tschugguel) 157, 158 Tricky (d. i. Adrian Thaws) 197 Turrini, Peter 130, 170, 243 Ullmaier, Johannes 161, 163, 165, 194 Unseld, Siegfried 248
Vanhelleputte, Michel 75, 89, 91 Vaßen, Florian 73, 86, 87, 89, 90, 94, 102 Verdi, Giuseppe 227 Verhaeren, Émile 78 Verlaine, Paul 78, 102 Viala, Alain 139 Villon, François 102 Voges, Michael 89 Vogt, Jochen 70 Vollmoeller, Karl Gustav 64, 65 Von Matt, Beatrice 261 Wagner, Richard 12, 13, 227 Walser, Martin 15, 161, 170 Walser, Robert 2, 273 Walsh, Enda 200 Warhol, Andy (d. i. Andrew Warhola) 55, 171, 178, 180 Wedekind, Frank 15, 78, 82, 102, 105, 119, 273 Weigend, Friedrich 241 Weiss, Peter 14, 15, 120, 170 Weiss, Walter 221, 239, 241 Weiße, Christian Felix 16 Weisstein, Ulrich 73 Welter, Barbara 214 Werfel, Franz 157 Wertheimer, Jürgen 126, 167 Wesker, Arnold 171 Whitman, Walt 102 Widmer, Urs 169 Wiener, Oswald 151–155, 159, 270 Wille, Franz 198 Wittgenstein, Ludwig 154 Wolf, Friedrich 54 Wolff, Hans M. 35 Wynn, Debra 20 Zadek, Peter 201, 262, 264 Zankl, Horst 125 Zech, Paul 4, 110, 113–117, 120, 122, 123, 212 Zeemann, Dora 150 Zeiss, Karl 72 Zenker, Helmut 160 Zeyringer, Klaus 250 Zola, Émile 44 Zuckmayer, Carl 264